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German Pages 168 Year 1847
Die
Preuſsiſche Verfaſſungsfrage pom
weltgeſchichtlichen Standpunkte aus betrachtet.
Von
P. F. Stuhr.
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coco
စာ
Berlin , Verlag von F. Schneider & Comp. 184 7 .
342.43 593 G1995
Vorwort.
Wenn enn
von rechtlichen oder vermeintlich rechtlichen, von
ſtaatswirthſchaftlichen und politiſchen Standpunkten aus
die preußiſche Verfaſſungsfrage mannigfaltiger Betrach tung unterzogen worden iſt, ſo dürfte es auch wohl I
angemeſſen ſein , dieſelbe von einem ganz anderen , vom
weltgeſchichtlichen Standpunkte aus näher zu beleuchten . Als ein Hauptfehler unſerer Zeit mag wohl die vor herrſchende Neigung, in abftraften Formen des Bewußt ſeins fich zu bewegen , zu bezeichnen ſein. Darüber er
ſtirbt der Sinn für die lebendige Auffaſſung der geiſtigen Bewegungen in der Geſchichte. Zwar wird in unſerer Zeit auch viel von hiſtoriſcher Behandlung der Wiffen 2
ſchaften geredet ; was aber damit gemeint , ift nicht das, m worauf es ankommt. Die Art von hiſtoriſcher Behand lung, auf die dadurch hingewieſen wird, verliert ſich in
IV
Einzelheiten und Neußerlichkeiten.
Die wahre geſchicht
liche Behandlung aber iſt die , die die lebendigen Prin =
cipien der Entwicklungen in den Bereichen der Menſchen geſchichte zn erforſchen trachtet.
Von erfolgreichen Er
gebniſſen einer wiſſenſchaftlichen Forſchung, die ſich dieſen Zweck ſegt, hängt Alles ab. Nur durch die Erkenntniß der lebendigen Principien der geiſtigen Bewegungen in der Geſchichte wird der richtige Standpunkt gewonnen, von welchem aus die zeitlichen Entwicklungen der Gegenwart in ihrer wahren Bedeutung aufzufaſſen und zu beur theilen ſind. Dieſen Standpunkt in Rüdſicht auf die Beurtheilung der in dieſem Augenblice ſo wichtig gewordenen Verfaſ
ſungsfrage feſtzuſtellen, darin beruhte der Zweck, der dem Verfaſſer der vorliegenden Schrift vorſchwebte, als er ſich dazu entſchloß, an die Ausarbeitung derſelben zu
gehen .
Möchte für die Entwicklungen in der Geſchichte
Preußens die Arbeit ihre Früchte tragen. Mancher zwar, der ſte fich anſteht, wird praktiſche Behandlung vermiſſen . Doch dem ſei wiederholt geſagt, daß nur vom höchſten Standpunkte aus die einzelnen , äußerlichen Kreiſe des Lebeng der Gegenwart, in denen die Praris fich bewegt,
in ihrem wahren Lichte geſehen werden können. Mancher, dem das Buch in die Hände fällt, wird gar nicht recht wiſſen , was er mit demſelben anfangen ſoll. Er wird
ftugen und fich die Frage vielleicht aufwerfen : „Was
V
foll das Alles ? "
Dem rathe ich , das Buch ſofort
aus der Hand zu legen.
Andere werden wahrſcheinlich
von dem Standpunkte aus , auf den fie der Geiſt des
Widerſpruchs führt, mannigfache Einreden erheben . Dies foll mids innig freuen. Dergleichen giebt Gelegenheit zu Beſprechungen mancherlei Art und zu allſeitiger Be trachtung.
Doch darf ich von Jedem , der gegen mich
auftritt, fordern , daß er vorher aus meinen früher er ſchienenen Schriften über meine längſt ſchon ausgeſpro chenen Grundanſichten ſich unterrichte. Dann wird er anch nicht irre werden über Einzelnes, was etwa in der
vorliegenden Schrift zu kurz behandelt iſt oder zu allge mein hat gehalten werden müſſen. Jedem Angriffe übrigens werde ich gerne begegnen. Der Gegenſtand, um den eg ſich hier handelt, hat ohnehin meinen Geift ſo lebhaft und tief ergriffen , daß ich wenigſtens für die Zeit der
Dauer des Vereinigten Landtages mit keinem anderen Gegenſtande als mit dieſem mich werde beſchäftigen fönnen . Ju der vorliegenden Schrift ſind nur wenige Punkte im Einzelnen behandelt worden. Gerne hätte ich noch
über mehre, namentlich über den, der den Ausſchuß be trifft, meine Betrachtungen ausgedehnt.
Doch es kam
zuvörderſt hauptſächlich darauf an, den allgemeinen Standpunkt feſtzuſtellen, von dem aus auf das Einzelue überzugehen fei. Die Zeit drängte überdies, da der Entſchluß, die Arbeit auszuführen , erſt zwei bis drei 1
-
VI
Wochen nach Erſcheinung des Patents vom 3. Februar gefaßt ward.
So haben die Ausführungen über das,
was etwa noch näher zu beleuchten wäre , vorläufig
aufgeſchoben werden müſſen. Zunächſt indeß wird eine beurtheilende Ueberſicht über die Literatur, die die Ver ordnungen vom 3. Februar hervorgerufen haben, folgen
müfſen, und dann ſpäter eine Reihe mehr auf das Ein zelne eingehender Betrachtungen. Eine Seite, die finanzielle nämlich, iſt in der vor
liegenden Schrift unberückſichtigt geblieben .
Darüber
werden ſich Viele wundern, denen dieſe Seite die einzige ſcheinen mag , von welcher der Gegenſtand Theilnahme
errege, oder die ſie wenigſtens als die Hauptſeite anſehen. Es mag jedoch leicht einleuchten, daß zwiſchen dem welt geſchichtlichen und dem finanziellen Standpunkte eine weite Kluft liegt, und daß beide fich wie Tag und Nacht entgegenſtehen. Von beiden Standpunkten aus den Ges genſtand zugleich zu betrachten , iſt völlig unmöglich. Jede Seite bedarf einer eigenen Beleuchtung. Sine dritte bietet ſich noch der Betrachtung vom Stand punkte des beſtehenden Rechts dar. Auch dieſer unter ſcheidet ſich zwar weſentlich vom weltgeſchichtlichen Stand
punkte , ſteht demſelben jedoch näher als der finanzielle. Jene berühren ſich in mehren Punkten , und dies ihr Verhältniß wird am paſſendſten auseinanderzuſeßen ſein bei der Beurtheilung eines Werks, in welchem ein Ver
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ſuch gemacht wird, die Verfaſſung vom 3. Februar 1847 vom Standpunkte des beſtehenden Rechts zu beleuchten. Dabei wird auch zi1 erörteru ſein , wieweit man über
haupt berechtigt iſt, Worten, die in einem früheren Men ſchenalter offenbar in einem ganz anderen Sinne gebraucht worden ſind, in einem ſpätern diejenige Bedeutung unter
zulegen , die ſie erft in dieſem angenommen haben. Vielerlei Unterſchleif wird in dieſer Rückficht mit den
Worten Konſtitution und Repräſentation getrieben. Es iſt daher für zweckmäßig erachtet worden , um die Beſpre chung dieſes Gegenſtandes vorläufig ganz fern zu halten, einige in den Edikten vom 27. Oktober 1810 und 7. September 1811 beiläufig gegebene und in dem
1815 erlaſſenen Patenten für die Beſibergreifung der neugewonnenen Provinzen wiederholte Verheißungen wes
gen dereinſtiger Einführung einer Repräſentativverfaſſung oder Konſtitution , zur Seite liegen zu laſſen , und nur
die erſte in beſonderer Beziehung auf das Verfaſſungs werk unter dem 22. Mai 1815 erlaſſene Verordnung über die zu bildende Repräſentation des Volks zu berück
fichtigen . Aus dieſer Verordnung erhellt es ganz deut lich und klar, daß man im Jahre 1815 mit dem Worte Repräſentation nicht den Sinn verband , in welchem es
diejenigen genommen wiſſen wollen , die heutigestages einen ſo ſcharfen Gegenſaß zwiſchen ſtändiſcher Vertretung
VIII
und Kepräſentation des Volts machen. Es heißt aus: drücklich in jener Verordnung: , S. 3. Aus den Pro
vinzialſtänden wird die Verſammlung der Landeg repräſentanten gewählt , die in Berlin ihren Siß haben ſoll. "
Geſchriebeit am 2. April 1847.
I n h a 1 t. Seite .
Einleitung. Allgemeine Vorbemerfungen Beſtimmungen des Begriffs des Staats Hiſtoriſche Entwicklung der Staaten im Alterthum Princip der germaniſchen Reiche Entfaltung dieſes Princips im fränkiſchen Reich Allmähliche Ausbildung der hierardiſchen Macht Roms Zerfall des Frankenreiche Bildung des deutſchen Reichs Kampf der geiſtlichen und weltlichen Macht . .
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5 -- 17 17 -- 20 21 22 - 24 25 - 27 27
O
28 29
Zuſtand Deutſchlands nach dem Untergange des Hauſes der Hohen 30
ſtaufen Städte .
.
31 32
Landeshoheit .
33
Goldene Bulle
Eidgenoffenſchaften Reichs- und römiſdes Recht Reformation . Erwachung der Wiffenſchaften
33. 37 . 39 .
38
Bildung der Macht Karls V. und das Haus Habsburg
41
- 43
44.
45
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34
34 - 36
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40
Weltgeſchichtliche Stellung des preußiſchen Staats .. Ur- und Vorgeſchichte Preußens . Gründung der Mark Brandenburg .
.
46
'
X Seite
Pläne Waldemars und Karls IV. in Rückſicht auf die Mark Bran: 47
denburg Friedrich I. Kurfürſt von Brandenburg .
48
Entwicklung der politiſchen Verhältniſſe in der Mark Brandenburg 49— 52
während des 15. und 16. Jahrhunderts
Zerſtörungen des 30 jährigen Krieges . Gründung des preußiſchen Staats burch den Kurfürſten Friedrich 0
Wilhelm
mächte durch Friedrich II.
In Europa und in Preußen bereiten fich Umwandlung vor Friedrich Wilhelm III.
57- 61 62 63
. 63
Erhebung des Staats zum Königreiche Organiſirung des Beamten -Syſtems burd) Friedrich Wilhelm I. Erhebung des preußiſchen Staats in die Reihe europäiſcher Welt
53
64
65- 69
.
69
.
Untergang des alten deutſchen Reichs und Umſturz des alten preu: Biſchen Staats
.
Bäuerliche und bürgerliche Verhältniffe
.
70.
71
72– 75
Wiederaufbau des neuen preußiſchen Staats
76.
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Geſeß vom 9. Oktober 1809
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Stein - Karbenbergiſche Gefeßgebung Scharnhorſt .. Borbereitungen zum Befreiungskampf Volksthum
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Organiftrung der oberſten Verwaltungsbehörden Zuſtand nach dem Befreiungskriege.
79.
80
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80
.
81
.
82 % 85 86
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92
Uebergang zu der Betrachtung des Patents und der Verordnungen vom 3. Februar 1847
.
93_96
Was Patent und die Verordnungen vom 3. februar 1847. Einige Auszüge aus der Rhein- und Moſelzeitung .
97-99
Verordnungen vom 22. Mai 1815 , vom 17. Januar 1820 und vom 5. Juni 1823
.
Verordnung vom 21. Juni 1842.
Patent vom 3. Februar 1847 und Kompetenzfrage . Patent vom 10. Februar . Standpunkt für die Auffaſſung des Patents vom 3. Februar .
Stände
.
.
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100-104 104. 105 106-110 111
112-115 115-127
Inwieweit die preußiſche Verfaſſung den älteren deutſchen Land ſtånden gleichkommt
127-130
Geographiſche Stellung Preußens
130–133
.
•
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XL
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Seite
Stellung Preußen zu Deutſchland Allgemeine Schlußbetrachtungen Pachträgliche Bemerkungen über einzelne Fragen.
.
.
der preußiſchen Landſtandſchaft Das Petitionsrecht . .
Princip 137–146
.
146-153
Frage: Iſt die preußiſche Verfaſſung vom 3. Februar 1847 ein Geſchenk ? Schlußbetrachtung .
.
.
133. 134 134-136
.
153-155 156
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„ Tyrannei“ leſe: Tyrannis. eines Geineindeweſens“ leſe: eines
1
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abſtrakten Gemeindeweſen. Dao " Teſe: Dies.
von unten vou oben
,betreffen “ leſe: betroffen .
, vollzogene" leſe : vollzogenen . von unten fehlt hinter dem Worte „ Anerkennung “ ein n
Komma . 77
von oben nad) , unwillführlid)“ leſe: ſich. ftatt ,, Adelid ;e “ leſe: adelige.
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„ unter Steins Verwaltung erlaſſene"
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leſe: aus Steins Büreau hervorgegangene. 95
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121
7 14
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ſtatt ,, darin “ leſe: daran.
dargebotenen “ leſe: dargebotene. „ dieſem “ leſe: jenem .
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von unten
1
„ ſeine“ leſe: ſeinen . bilden “ leſe: bildet. I
.
1
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3
Einleitung.
Endlich iſt in Rückſicht auf die lange und vielbeſprochene preußiſche Verfaſſungsfrage eine Entſcheidung eingetreten. Des Königs Majeſtät haben unter dem 3. Februar dieſes Jahres die Grundlagen , auf denen das Gebäude der preußiſchen Ver faffung errichtet werden ſoll, in einem eigenen Gefeße feſtgeſtellt. Weiteres als dies konnte freilich der ganzen Lage der Sadie nact) nicht geſchehen , und wenn mancher in ſeinen Erwartungen fich getäuſcht zu haben glaubt, ſo kann dies nur ein Zeugniß von weitverbreiteter Unklarheit politiſchen Bewußtſeing ablegen. Das, was leider den Meiſten die Hauptfrage in Rüdficht auf das Verhältniß der Regierung und des Volfs zu einander ſcheint, 1
die Frage über das Recht der Steuerbewilligung iſt ohnehin entſchieden. Was ſonſt noch etwa in Zukunft über mancherlei
andere und einzelne Verhältniffe zur Sprache fommen mag , das jeßt ſchon nach allgemeinen Grundfäßen geſeblich im Voraus
entſcheiden, oder auch nur der Entſcheidung durch geſeßliche Vor fdriften näher bringen zu , wollen , dies würde allen Regeln weiſer Politik entgegen ſein. Weſentlich überhaupt iſt das Geſet
eine Schranke, und in allen Verhältniſſen hemmt eine übermäßige Zahl von Gefeßen die Entwickelungen , mehrt die Verwicklungen. 1
-
2
Dies iſt eine heutiges Tages in der Theorie allgemein anerkannte Sache, wenn auch in der Praris gegen den Grundſaß , worauf jene Behauptung beruht, ſehr häufig gefehlt wird. Dieſe Bes hauptung hat aber auch ſo gut wie in Rückſicht auf jeden anderen Kreis rechtlicher Verhältniſſe ihre Bedeutung in Rückſicht auf Formen , unter denen eine allgemeine Reichsverſammlung zuſam menberufen werden ſoll, wie auf Rechte, die in einer Königlichen Erklärung über die Zuſammenberufung einer ſolchen Verſammlung
einer näheren Beſtimmung hätten unterliegen fönnen . Als unpaſ fend fann daher jedes Irtheil zurückgewieſen werden, durch welches etwa behauptet würde, das neuerlid erlaffene Königliche Gefeß über die Zuſammenberufung von allgemeinen Landtagen ſei zu allgemein gehalten und ermangele näherer Beſtimmtheit in Rück: ficht auf einzelne Verhältniſſe. Nähere geſeßliche Beſtimmungen über einzelne rechtliche Ver hältniſſe dürfen ſtets nur aus einem in lebendiger Entwidlung dieſer Verhältniſſe ſich ergebenden Bedürfniſſe hervorgehen, wenn ſie überall der Mannigfaltigkeit des lebendigen Daſeins entſprechen follen. Ohne Zweifel werden im Laufe der Zukunft in Folge des lebendigeren Verkehrs , der nunmehr zwiſchen der Regierung
und dem Volfe eröffnet werden ſoll, reichere Entwicklungen her portreten, aus denen nähere Beſtimmungen fich von ſelbſt ergebeu werden. Dies iſt zu wünſchen ; denn wenn es nicht zu erwarten wäre, ſo würde die neue Einrichtung in Rückſicht auf die preu Biſche Verfaſſung, die demnädyft ins Leben treten foll, gar feinen Sinn haben, von feiner Bedeutung ſein. Außer aller Möglich keit aber liegt es nicht, daß in dieſen Entwicklungen Verwidlungen entſtehen könnten ,1 und daß darin eine etwaige Gefahr liegen könne , iſt nicht zu läugnen. Darum iſt es um ſo beſſer, je einfacher die Sadje ihren Anfang nimmt. Vielerlei iſt ſchon geſprochen und geſchrieben worden über die Verordnung vom 22. März 1815 und von dem unter dem 17. Januar 1820 erklärten Allerhöchſten Willen feine neuen Anleihen
ohne Zuziehung der Stände fernerhin zu machen. Dieſe der verſchie
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denartigften Betrachtung unterzogenen Gegenſtände bedürften kaum einer Erwähnung, nachdem die Sadje ſelbſt durch Allerhöchſte Willenserklärung entſchieden iſt. Eine Frage jedoch, die in Rück ficht auf das Verhältniß der Regierung und des Volfs zu ein
ander entſchieden die Hauptfrage iſt, kommt dabei zur Sprache. Viele , die auf jene Verordnung und auf jene Allerhöchſte Wil
lenserklärung hingewieſen haben , ſind bei ihren Betradhtungen von einem Standpunkte ausgegangen ,1 von weldiem aus man häufig die Anſicht aufgeſtellt hat, daß jede ſtändiſche Verfaſſung eigentlich auf dem Princip des Streites beruije. Das Rechten wird auf dieſem Standpunkte zum Hauptprincip erhoben. In
dem Kampfe um gegenſeitige Rechte foll darnady die Seele aller algerneinen öffentlichen Verhandlungen zwiſchen Regierung und Volt beruhen . Der Widerſtreit wird als das Urſprüngliche ge feßt. Kommt nun dazu noch die von gemeinen Seelen häufig feſtgehaltene Anſicht, daß der Hauptzwed aller Staatseinrichtungen der ſei, daß ſo wohlfeil wie möglich regiert werde, dann iſt frei lich die Gefahr da , daß das Uebel den hödyſten Grad erreiche.
Aber, dürfte Mandyer einwenden , gewiß dodi iſt, daß das Volf einen Schuß bedarf gegen übermächtige Eingriffe, und dieſer Schuß fann ihm doch auf feine andere Weiſe geboten werden
als durch eine ſtändiſche Repräſentation. In dem Bedürfniffe des Schußes für das Volf liegt das Hauptprincip , worauf es ankommt. Dagegen iſt zu ſagen , daß aus Unredt niemals in dem Sinne, wie die Sache hier vorliegt, ein rechtliches Verhälts niß erblühen kann. Unrechtliche Zuſtände werden aber ſchon in jener Idee von der Schußbedürftigkeit des Volfs vorausgeſeßt. Wo wirklid) ein ſolches Bedürfniß einem einzelnen beſtimmten Volfe vorläge , da müßten ſchon alle Verhältniſſe aus ihren Fugen gegangen ſein.
Hiſtoriſch freilich läßt ſich nicht läugnen , daß dergleichen Zuſtände vielfach vorgekommen ſind und mächtig auf Umbildungen in den Staatsverfaſſungen eingewirkt haben. Die engliſche Ver faſſung beruht in ihren heutigen Formen auf Pampf gegen über 1*
gewaltige Eingriffe.
Mit der Verfaſſung Frankreichs , wie ſie
fich in und aus der Revolution hervorgebildet hat, iſt es derſelbe Fal. Und an dem Umſturze des heiligen römiſchen Reiches deutſcher Nation ſind äußerlicher Betrachtung nach Carl V. und Ferdinand II. nicht ohne Sduld , wie auf der andern Seite
freilich derſelbe auch veranlaßt worden iſt dadurch , daß nelie ges ſchichtliche Richtungen mit Erfolg fidy geltend zu machen ſudten. An der ganzen vergangenen Geſchichte des deutſchen Volfs tritt es flarer und beſtimmter wie irgend anderswo hervor, daß
wenn man auch das oben angedeutete falſche Princip theoretiſch
feſthalten wollte, es praftiſch doch nicht ausreiche. Verfaſſungen geben feine Sidyerheit ; die Formen zerbrechen . Iſt aber dies hiſtoriſch wahr , ſo darf man um ſo weniger an einem Principe
feſthalten wollen, welches einen inneren Widerſpruch in ſich ſelbſt trägt. Daß unter gewiſſen Verhältniſſen aus einem in vergan gener Zeit begangenen Unrecht durch Verjährung Recht entſtehen fann, iſt eine Sache, die ſich von ſelbſt verſteht. Ein innerer Widerſprudy aber liegt in der Anſicht, nach welcher angenommen würde, daß auf fortwährend beſtehende · unrechtliche Zuſtände rechtliche Zuſtände gegründet werden könnten . Ein fortwährend unrechtlicher Zuſtand fände aber jedenfalls da ſtatt, wo ein Volf hinter der Burg ſtändiſcher Verfaſſung in fortwährender Verthei digungsſtellung ſich halten zu müſſen glaubte. Dennoch iſt es unläugbar , daß das mannigfaltige Gerede, welches ſich in neueren Zeiten über die Herrlichkeit von Kons ſtitutionen erhoben hat, und worin ſelbſt eine Vergötterung font
ſtitutioneller Verfaſſungen hervortritt, größtentheils auf jenes in ſich widerſprechende Princip fichy ftüßt. Der Grundfehler des Abirrens politiſcher Anſichten in dieſer Richtung liegt in den ab ſtrakten Principien der rationalen Syſteme des heutigen Natur rechts. Wenn audy im höheren wiſſenſchaftlichen Bewußtſein heutiger Zeiten ſchon mehr der Wahrheit fich nähernde Anſichten geltend gemacht haben, ſo herrſchen doch in den weiteren Kreiſen des Gemeinbewußtſeins nody die naturrechtlichen Anſichten des
5
vorigen Jahrhunderts. Denſelben gemäß geht man bei der wiſſenſchaftlichen Betrachtung des Staatslebens von einem Stand punkte aus , auf welchem das Leben der geſammten Menſchheit in der Zerſplitterung des natürlichen Daſeins aufgefaßt wird.
Hiernach wird nicht die Gemeinſchaft als das Erſte und ltrſprüng liche geſeßt, ſondern die Vereinzelung vielmehr. Es kommt dabei faſt, hier oder da mit mehr oder weniger Schärfe des Ausdrucs,
auf den Grundſaß von Hobbes hinaus, daß der urſprüngliche natürliche Zuſtand des Menſchen ein Krieg Aller gegen Alle ſei. Die Nothwendigkeit einem ſolchen Zuſtande abzuhelfen, wird leicht erwieſen , und ſo geht man auf dieſem Wege über auf den Begriff des Staats, deffen Zweck eben darin geſeßt wird, die nöthige Abhülfe zu gewähren. Das Princip der Gründung des Staats , das Weſen deſſelben , überhaupt Alles , was jenen Begriff angeht, wird nun auf dieſen Zweck bezogen. Man kommt 1
auf den Gedanken , daß der Einzelne einen Theil ſeiner natür
lichen Freiheit dahin geben ſoll und fo viel davon verlieren , wie es die allgemeine Sicherheit Aller erheiſcht. Was aber in dieſer Rückſicht die Grenzen des nothwendig Erforderlichen über ſchreitet, fol gerettet bleiben. In dieſem Gedanken liegt jedoch ſchon das Princip des
Widerſtreites. Denn gefeßt, daß der Menſch urſprünglich an ſeine natürliche Freiheit gewieſen wäre , ſo wird im beſonderen lebendigen Verhältniſſe jeder Einzelne nur eben ſo viel davon verlieren wollen , wie er es für das Wohl des Ganzen nach ſeiner Ueberzeugung für nothwendig hält. Ein Berechnen , ein Feilſchen muß in Rüdſicht auf das entſtehen, was jeder Einzelne
dem Algemeinen zu opfern hat. Somit iſt eigentlich durch Be
gründung des Staats nadı obigem Grundſaß der feindſelige Zu ſtand , in welchem angeblich der Einzelne dem Einzelnen im Naturzuſtande gegenüberſtände, Princip und Weſen nach nicht
aufgehoben; der Streit würde vielmehr nur gemildert ſein inwie fern aus Liebe zur Ruhe nach Begründung des Staats ein ſtärkerer und dichterer Haufe ſich zuſammen hielte, um dem
Vorbrechen äußerer Gewalt Hemmungen entgegen zu ſtellen . Innerlich bewegte ſich im Leben des Staats noch ſtets der Zwie ſpalt fort, in welchem andere Haufen ſuchen würden, fich zuſam menzuballen, um durch augenblickliche Verbindungen in verſtärkter Kraft aufzutreten. Hier fäme es dann nur in Rückſicht auf
den Sieg auf die Mehrheit oder Minderheit an , und auf einen Grundfaß, der in unſeren Tagen ſelbſt von geiſtreichen Menſchen
nicht nur in politiſcher ſondern ſogar in moraliſcher Beziehung in der Art vertheidigt worden iſt, daß man behauptet hat , das Princip der Sittlichkeit beruhe in der öffentlichen Meinung. Nicht von einem Standpunkte der Betracytung, von welchem
aus die Anhebung der Staatenbildung unmittelbar an das vor ausgeſepte äußerliche Bedürfniß , daß um des Wohls des Auge meinen willen die natürliche Freiheit beſchränkt werde, angeknüpft wird , ſondern von einem Standpunkte aus, auf welchem der Staat als ein an und für ſich Vernünftiges und Nothwendiges betrachtet wird , hat ſich ein anderer Staatsbegriff, als jener fo
eben betrachtete, geltend zu machen geſucht. Hegel iſt es , der fich beſonders des Geſchäftes unterzogen hat , denſelben wiſſen ſchaftlich zu begründen . Darnach wäre der in der Vernunft begründete Staatsbegriff, wenn auch nicht der Zeit und der Wirklichkeit, doch der Idee nach das urſprünglich Gefeßte , deffen
Verwirklichung in der Geſchichte die Aufgabe der Menſchheit ſei. Nach dieſer Anſicht dreht fich das Principum . Sonſt ward gelehrt , der Staat ſei um des Menſchengeſchlechts da ; in der von mir bezeichneten Philoſophie des Rechts aber wird gelehrt, das Menſchengeſchlecht ſei um des Staates willen da . In dieſer
leßteren Lehre liegt offenbar bei weitem mehr Wahrheit als in jener erſten.
Denn durch den Staat wird der Menſch , woran
er ſeinem innerſten Weſen nach gewieſen iſt, mit der Geſchichte verknüpft. Nicht darin beruht der Hauptzweck des Staats, noch iſt darin fein Princip und Weſen gegeben , daß durch ihn den
Bürgern deſſelben Ruhe und Sicherheit gewährt, Wohlbehaglich : keit bereitet werde. Wie wichtige Aufgaben er auch in dieſer
- 7 Rüdficht zu löſen hat , ſo iſt es doch der Hauptſache nach noch etwas weit Höheres, was durch ihn ſeinen Bürgern verliehen wird. Der einzelne ſterbliche Menſch wird durch ihn, deſſen geiſtiges Leben fidy in Vergangenheit und Zukunft bewegt, in die geſchicht= lidhe Gemeinſchaft der Menſchheit erhoben. Dies erkannt und nach einer ſolchen Erkenntniß den Staatsbegriff in ſein Syſtem verpflochten zu haben, iſt, wenn es auch ſonſt in einer ziemlich
allgemein und abſtraft philoſophiſch gehaltenen Weiſe geſchehn, allerdings ein Verdienſt Hegels. And darin fommt er der Wahrheit nahe , daß er einen
Staatsbegriff aufſtellt, der nicht jenen innern Widerſpruch in fich enthält wie der, der ſeine Beſtimmungen nach der Anficht erhält, daß der Staat nur in einem Vertrage beruhe , kraft deffen in Hingebung eines Theiles der natürlichen , man möchte fie thieri
fdhe Freiheit nennen , ein geſelliger Zuſtand an die Stelle des Naturzuſtandes getreten ſei. Hegel geht aus von der Vernunfts
idee, an deren Verwirklichung Herrſcher und Behertſchte gleich mäßig gewieſen ſind. Dürftig zwar iſt ſeine Beſtimmung des Begriffs der Weltgeſchichte, wonach er die Verwirklichung des der Vernunftidee entſprechenden abſoluten Staats als Zweck und Endziel der weltgeſchichtlichen Kämpfe feßt, und dieſe Kämpfe beginnen läßt mit Zuſtänden , in welchen im Staat nur einer frei wäre. In ferneren Entwicklungen ſollen dann, meint er, Staa ten fid gebildet haben , deren Charakter darin beruhte , daß in
ihnen Mehre frei geworden, bis in den legten Zeiten alle frei wären. Der Begriff des Staats geht ihm jedoch nicht auf in den einer in Folge wilführlich abgeſchloſſener Verträge errichteten Anftalt für den Zwect, der Menſchheit irdiſches Wohl zu bereiten . Ihm iſt vielmehr der Staat das Höchfte, um deſſen Herſtellung
die geſammte Menſchheit zu ringen habe , die Darſtellung alles Herrlichen , was den Bereichen des geiſtigen Daſeins angehört. Kämpfe will audy er als Momente der Entwicklung , aber nur folche, die durch das in der Vernunft beruhende Geſeß dieſer Entwidlung bedingt ſind. Von innen heraus fou fic ihm Alles
- 8
geſtalten, und dabei wird auf den Menſchen in ſeinem natürlichen Daſein feine Rücfficht genommen, ſondern nur auf das, was in Folge der innern Lebenskraft der Idee ſich ſelbſt ſeßt. Gehen die Andern von einer falſden Würdigung deſſen aus, wozu fie das Individuum in ſeiner natürlichen Freiheit be rechtigt halten , ſo hat ſich dagegen Hegel auf einen zu idealen Standpunkt geſtellt. Es liegt überhaupt ſchon in dem Princip ſeines Syſtems ein zu ideales Moinent, als daß von dem Stands
punfte dieſes Syſtems aus das Individuelle richtig gewürdigt Nur dem allgemeinen Begriffe wirb Werth zu erkannt, und nur er als das hingeſtellt, worauf es einzig ankomme. Das Individuum aber wird nicht beachtet. Richtig iſt freilich, daß das Individuum in ſeiner natürlichen , thieriſdier Wilführ verwandten Freiheit keine Berechtigung hat. Aber daraus folgt nod, nicht, daß in dem Bereiche der allgemeinen Vernunftbegriffe Alles in Adem gegeben ſei, daß von dieſem Alles umfaßt werde, dem in den Kreiſen des menſchlichen Daſeins wirklicher Gehalt zuzuerkennen wäre. Es tritt der Menſch in ſeinem ſeelenvollen
werden fönnte.
Daſein als lebendige Perſönlichkeit auf. Dieſe iſt nicht ein blog denkendes, erkennendes Weſen, welches als Drgan der göttlichen Vernunftidee feine ganze Beſtimmung dadurch erfüllte, daß es den Wiederſchein dieſer Idee auf dem Wege der Erfenntniß in fich erzeugte.
Die Perſönlichkeit iſt vielmehr ein wollended Wes
ſen und ihr eigenes Princip beruht eben in bem Principe des Willens ,, welches ein anderes iſt als das des Denkens , wenn ſie auch nur in der Gedankenform des Ichs zum wirklichen Da ſein gelangen fann . Das Ich als Dentform genommen iſt ein abſtraktes, ein unlebendiges. Seelenvoll bewährt ſich das Leben der Perſon nur in Geſinnungsfülle. Die hierin ausgeſprochene Wahrheit iſt aber gerade das, was im Syſteme Hegels verkannt wird .
Wenn in demſelben von Freiheit die Rede iſt, wird an
eine eigentlich perſönliche nicht gedacht. Es wird nur hingewieſen auf eine Freiheit der gottgleichen Vernunft, die dieſe ſich in den
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weltgeſchichtlichen Entwidlungen in Arbeit auf dem Wege der Erkenntniß zu erringen habe.
So bezeichnet Hegel die Weltgeſchichte als eine Darſtellung des Geiftes, wie er ſich das Wiffen deſſen , was er an ſich iſt, erarbeitet. In dieſem Erarbeiten komme der Geiſt zu fich felber; er bringe ſein Beiſichfelbftſein zu Stande. In dem Beiſichfelbft ſein des Geiſtes beruhe aber das Weſen der Freiheit und ſomit
würde die Weltgeſchichte das Moment der Freiheit ; fte ſei der Fortſchritt im Bewußtſein der Freiheit. Die vernünftige, fich objectiv wiſſende und für ſich ſeiende Freiheit wäre der Staat, der zwar als die Wirklichkeit bezeichnet wird, worin das Indi viduum ſeine Freiheit habe und genieße, aber indem das , was
es habe und genieße , das Wiſſen , Glauben und Wollen des Allgemeinen ſei. Es bleibt jedoch, wenn auch ſolche Beſtimmungen gegeben werden, ſtets unklar, wie Hegel in der Wirklichkeit, von der er redet, ſich die Vermittelung des Verhältniſſes des Wiſſens, Glaubens und Wollens des allgemeinen Geiſtes und des per fönlichen Menſchengeiſtes gedacht habe. Es wird in dieſer
Rückſicht die Erklärung gegeben , daß die Freiheit als Idealität des Unmittelbaren und Natürlichen nicht als ein Unmittelbares
und Natürlidhjes ſei, ſondern vielmehr erworben und erſt gewonnen werden müſſe durd, eine unendliche Vermittlung der Zucht des
Wiffens und des Wollens. Der Urzuſtand des Menſchengeſchlechts wird als ein Naturzuſtand der Unfreiheit, als ein Zuſtand des Unrechts, der Gewalt, des ungebändigten Naturtriebes unmenſch licher Thaten und Empfindungen bezeichnet. Aus dieſem Zuſtande heraus entwickele fich der Geiſt in ſeiner Selbſtthätigkeit nach den feinem Weſen einwohnenden logiſchen Beſtimmungen zu ſtufenweiſer Entfaltung der Freiheit. Erſt da aber , wo in An hebung der Staatenbildung die Vernünftigfeit in weltliche Eris ſtenz zu treten beginne , den Gegenſtand aufzufaſſen, hält Hegel der philoſophiſchen Betrachtung nur angemeſſen und würdig. Völfer könnten , meint er , ohne Staat ein langes Leben fortge
führt haben, ehe fte dazu kämen, in Entwidlung des Bewußtſeins
-
10
von Recht und Geſetz zur Staatsbildung überzugehen. Eine derartige Vorgeſchichte aber liegt außer den Zweden , deren Ver folgung Hegels Philoſophie der Geſchichte ſich vorgefeßt hat. Werth wird in dieſer Philoſophie nur logiſchen Beftim mungen beigelegt, und die Welt dieſer Beſtimmungen, das Syſtem der Logit zugleich charaftifirt als das Reich der Sdjatten der
einfachen Wefenheiten. Der Aufenthalt und die Arbeit in dieſem Schattenreich wäre die abſolute Bildung und Zucht des Bewußt feins. Es treibe darin ein von finnlichen Anſchauungen und Zweden , von Gefühlen, von der bloß gemeinten Vorſtellungswelt fernes Geſchäft. (Hegels Wiſſenſchaft der Logit. Berlin, 1833. Th . 1. S. 45. 47 ). Wo aber , fragt ſich hiernach, fommt die Willensbeſtimmung und die Zucht des Willens her. In dem Bereiche der Willensbeſtimmungen treten individuelle Mos mente , es tritt das Individuum in feiner lebendigen , menſchli chen , gemüthskräftigen Perſönlichkeit hervor. Dieſe Momente bewegen fidy nicht im Schattenreiche logiſcher Beſtimmungen, fondern in der lebendigen Welt pſychiſder Anregungen. Man 1
ſucht aber vergebens im Syſteme Hegels eine Antwort auf die Frage, wie die in der gemeinten Vorſtellungswelt ſich bewegende lebendige Perſönlichkeit zu dem im Schattenreiche der Logit wohs nenden und arbeitenden Geiſte fich verhalte. Neberal tritt in
dieſem Syſteme die Allgemeinheit der Gedankenform in den Vors dergrund, die Beſonderheit individueller Perſönlichkeit aber wird znrück geſchoben. Dies auch iſt es , was in dem in demſelben aufgeſtellten Staatsbegriff zu tadeln ift. Nicht darin fann die Aufgabe des Menſchen in ſeinem Les ben auf Erden gelegt werden , daß er daran arbeite , den im
Widerſpruch mit chriſtlichen Anſichten dem Gottesbegriffe gleich gefeßten Vernunftbegriff zu verwirklichen, indem er ihn zum Bes wußtſein bringe. Der Menſch iſt auch zum Handeln berufen, und in dieſer leßteren Beziehung wird ſein Leben zunächft nach
zwei Richtungen hingezogen, die nicht unmittelbar in dem Bereiche der logiſchen Beſtimmungen wurzeln. In der Beziehungen des
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Menſchen zum Menſchen iſt er an die Gemeinſchaft in Liebe gewieſen ; in den Beziehungen des Menſchen zur Erde iſt er
daran gewieſen, auf derſelben fich eine feiner ganzen Stellung, die er in der Schöpfung einnimmt, würdige Heimath zu erbauen. Auf das Erſte , auf das Anknüpfen der Bande gemeinſamen les bens, zeigt ſchon die im geiſtigen Weſen des Menſchen beruhende Gabe der Sprache, das ihm verliehene Wort hin. Nicht etwa fou hier die alte Formel gebraucht werden , nach welcher der Menſch ein geſelliges Thier genannt worden iſt. Ein im tiefften Weſen des Menſchen Gegebenes , feinem innerſten Seelenleben Angehörendes, weit Höheres, als was irgendwie mit Thierheit verglichen werden könnte , iſt es , was ihn zur Gemeinſchaft be ruft. So knüpft ſich auch ſchon von allem Anfange an in Leibe die Gemeinſchaft der Familie. Familien mehren fich und verbinden ſich, und bilden dann Sippſchaften, aus denen größere Geſchlechts- und Volksgemeinden erwachſen. Im Völkerverkehr und im Völferkampf knüpfen fich mancherlei Verhältniſſe, in
deren Entwicklungen und Verwicklungen das geiſtige Leben der Menſchheit in der Geſchichte fidh entfaltet. So entſteht eine
über Vergänglichkeit erhabene, Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart verknüpfende geiſtige Gemeinſchaft. Daß er in einer ſolchen ſchon hier auf Erden feine Heimath habe, dies zu fühlen und zu wiſſen, nur darin fann der endliche Geift des fterblichen Menſchen Befriedigung für feine höheren Bedürfniſſe finden. Nur dadurch wird er der Würde, die ihm als geiſtiges Weſen zukommt, fid bewußt.
Es hat aber der Menſch zweiteus anch , feinem natürlichen
Dafein nach, eine Heimath auf Erden. In dieſer wird fein Daſein Naturverhältniſſen mannigfaltiger Art verfnüpft, durch 1
die das Weſen und der Charakter allgemeiner Menſchlichkeit im Beſonderen auf mancherlei Weiſe näher und verſchieden beſtimmt wird. Von daher rührt die Sonderung in Stammes- und Volfe gemeinden , von der die nähere Beſtimmung des Staatsbegriffe abhängig zu machen iſt.
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Der Begriff des Staats kann nach verſchiedener Auffaſſung verſchieden beſtimmt werden. Man kann nach dem Spradiges brauch jede nnabhängige , nach Gefeßen , die von allen Mitglies dern als bündig anerkannt ſind , lebende Gemeinde, die einen größeren Kreis als den einzelner Familien umfaßt und zur Ver folgung ihrer geſammten allgemein menſchlichen Intereſſen , in wieweit ein Bewußtſein darüber in den Mitgliedern derſelben erwacht iſt, ſich vereinigt hat , Staat nennen. Das Band folcher Vereinigungen , welches die Seele eines jeden beſonderen Staats bildet , fann jedoch principiell auf verſchiedene Weiſe begründet
ſein , und darnach werden auch die Principien der Gefeßgebung verſchieden ſein. So giebt es Familienſtaaten , deren Princip, wie im chineſiſchen Reich, auf hausväterlicher Gewalt beruht. Es fann ſich aber auch ſchon das Princip von dem Begriffe des Familienweſens lusgelöſt und ſich an den von geſchlechtlichen oder Stammesverhältniſſen angeknüpft haben. So entſtehen Ge ſchlechter- und Stammes -Staaten 1, in denen die Macht an ver ſchiedene Geſchlechter vertheilt iſt und entweder ein einfaches
Princip der Häuptlingſchaft vorherrſcht oder ein an die Verſchie denheit der Richtungen menſchlicher Thätigkeit fich knüpfendes fich damit verbindet.
Beiſpiele für den erſteren Fall bieten nicht nur die Formen des alten iriſchen Staats , oder die der Afghanen und anderer orientaliſchen Völferſtämmen aus verſchiedenen Zeiten dar. Die Verfaſſungen von Griedjenland und Rom zeigen auch noch in ihren Anfängen auf Geſchlechtsverfaſſung hin. Denn wenn es allerdings audy wahr iſt, daß , wo hiſtoriſch Philen und Ru
rien auftreten, ihrer Anordnung natürliche Verhältniſſe reiner Blutsverwandtſchaft nicht mehr zu Grunde lagen , ſo iſt es doch an fich ſelbſt ganz klar , daß dieſe Anordnung in Principien bes ruhte , die dem Begriffe nach von ſolchen Verhältniſſen in einer Art und Weiſe abſtrahirt waren , die auf Zuſtände, die in ältes ren Zeiten wirklich beſtanden haben müſſen , hinweiſen. 1
Beiſpiele des zweiten Falles, in welchem ein an die Vers
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ſchiedenheit der Richtungen menſchlicher Thätigkeit fich knüpfendes Princip mit dem der Stammesverfaſſung fich verbindet , bieten die
Kaſtenverfaſſungen dar. In ihnen treten die in der hausväter lichen Gewalt noch vereinigten Momente der prieſterlichen und feldherrlichen Macht nach Stämmen auseinander. Ideelle Rich tungen , beſonders in den Prieſterkaſten ſich entwidelnd, treten freilich in den Kaſtenſtaaten mehr hervor , als in den Familien ftaaten , und in ſolchen Staaten , in denen das Geſchlechtsver: hältniß vorherrſcht. Ein hierarchiſches Princip zeigt- fich wie in Indien und dem alten Aegypten darin mächtig. Das Princip
der Stammesverfaſſung, und alſo ein an Naturverhältniſſe fidy .
anſchließendes, bleibt jedoch auch noch in den Kaſtenſtaaten das vorherrſchende. Man kann dieſe, wie die anderen beiden Arten von Verfaſſungen unter dem allgemeinen Begriff von Naturſtad ten zuſammenfaſſen. Dagegen giebt es auch andere Arten von Staaten , in denen
dem Begriffe, wie dem wirklichen Verhältniſſe nach , das an Na ,
turverhältniſſe geknüpfte Princip in den Hintergrund zurüdges ſchoben wird und dagegen andere Principien ſich Raum ( dhaffen . In dem Principe der Thatfraft bilden fich die auf Eroberungen gegründeten Staaten , in denen ſittliche Momente anzuerkennen find wenigſtens inwieweit Kriege , und beſonders Eroberungs kriege es ſind, die in der Weltgeſchichte als die Hebel dienen, um die in geſonderte Naturzuſtände zerfallene Menſchheit wieder zuſammenzuführen. So vereinigte in alter Zeit das Perſer reich die Völfer Vorderaſiens. Zur Zeit der großen Völkerwan derungen feimten in den Principien der Thatkraft unter Odhin's Leitung die germaniſdyen Kriegerſtaaten auf , denen in dem Maaße, wie der Geiſt des Chriſtenthums ſte durchdrang, ein anderer und höherer Geiſt eingehaucht ward. Auch das Reich Merito war, als es in Folge der Ankunft der Spanier umgeſtürzt ward , ein in der Arbeit , durch das Mittel des Krieges und der Eroberung die Völfer Amerikas immer mehr und mehr zuſammen zu führen, begriffener Kriegerſtaat.
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In einem ganz anderen Sinne dagegen iſt die politiſche Entwicinng in der Geſchichte des flaffiſchen Alterthums aufzu
faſſen , wenn audy in ihr das Moment des Krieges und der
Eroberung ſcharf hervortreten mag. Wie überhaupt die Ges ſchichte des Flaſfifchen Alterthums in der ideenvollſten Entwick lung fidh bewegt hat , ſo iſt dies ganz beſonders auch in Rüd ſicht auf die Entwickelungen im Staatsleben der Fall. Nicht freilid fann dieſe Behauptung fo gemeint ſein , als ob damit geſagt werden ſollte, daß entweder in Hellas irgendwo, oder in Kom die vollfommenſte Staatsverfaſſung verwirklicht worden wäre. Es kann nur die Meinung ſein, daß im klafftfchen Al terthume überall im Praktiſchen , wie im Theoretiſchen ein nicht
fruchtlos gebliebenes bewußtes Streben ſich zeigt , die Entwick lungen im Staatsleben nach vernunftgemäßen Ideen zu leiten . Darum fann man nun freilich nicht ſagen , daß im klaffiſchen Alterthume der Vernunftſtaat zu ſeiner Verwirklichung gediehen
wäre ; aber das Ringen darum , ihn herzuſtellen, war jedenfalls in der Fräftigften Weiſe vorhanden , und von einer Seite her hat wenigſtens der Staats- und Rechtsbegriff in einer Art und Weiſe fich entwidelt, die , wenn fte allerdings auch dem chriftlichen Bewußtſein nie wird genügen können , dennoch in Beziehung
auf das,1 was vernünftig iſt, von hoher, allgemein menſchlicher Bedeutung ift. In dem fampfbewegten Leben der helleniſchen Staaten , welches endlich in die Willführ makedoniſcher Tyramnei ſich auflöfte, war es noch nicht zu einem feſten , geiſtigen Halt punkt gediehen. Dem Begriffe nach wenigſtens hatten fich in frühern Zeiten in den Ariſtokratien , in denen die Schaarung nach Stämmen vorgenommen worden und die Macht vertheilt war,1 Naturprincipien geltend gemacht. Wohl waren in dieſen fefte Haltpunkte, bindende Mächte gegeben ; aber der frei auf
ſtrebende Geiſt des Hellenen hatte durch ſte fich gefeſſelt gefühlt, und im demokratiſchen Ringen war es ihm gelungen , der ihn bedrückenden Bande ſich zu entledigen. Geiſtige Principien von bindender Kraft aber wieder im Leben wirklich herrſchend zu
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madjen , dies war ihm nicht gelungen. Nur erft in Rom , als der Mittelpunft der lebendigen geſchidytlichen Entwicklungen von Hellas hierhin ſich verpflanzt hatte , erhob ſich in der in dem Kampfe der Plebejer gegen die Patricier ſich ansbildenden Kes publif die Idee eines Gemeindeweſend zu wirklich lebendiger Geſtaltung. In der Idee der durch die Republik darzuſtellenden ewigen Roma fand der Römer ſeine geiſtige Heimath. An fie
fühlte er fich durch heilige Bande geknüpft, durch die Feſtigkeit in das bewegte Getriebe des Volfs fam . Es war ein abftrafter Gedanke, der zugleich aber auch den
Sinn des Römers bändigte, dem er fich unterwvarf. Nicht
hausväterliche Gewalt, nicht Häuptlings-, prieſterliche oder felds herrliche Macht war es , was als Quelle alles Rechts in der römifden Republik angeſehen ward . Was als dieſe Quelle er: fannt ward, war vielmehr der allgemeine Begriff eines heiligen Gemeindeweſens, dem jeder Bürger in ſeinem ganzen menſch lichen Daſein mit gleicher Berechtigung angehören ſollte. Eine Gemeinſchaft freier Staatsbürger , zuſammengehalten durch die Idee der ewigen Roma , und nicht um jener Bürger, fondern um Roms willen , war es , was verwirklicht werden ſollte. Nur inwiefern jeder Einzelne im Kampfe für dieſe Sadie tüchtig in kräftiger Anſtrengung fich erwies , ſollte ihm Ehre und Lohn zu Theil werden , und nur als beamteter Diener des Staats kraft des ihm übertragenen Rechtes, nicht aus cigenem perſön = lichert, Macht zu üben , gewährt ſein. Einem hiernad; beſtimm ten Staatsbegriffe entſprechende Zuſtande im Leben des Volfe hervorzurufen , das war der Zwed , um deffen Erreichung willen die Römer in ihrer Geſchichte ſich abmühten. In gewiſſem Sinne , inwiefern man die Begriffe von Reich und Staat, wozu man auch ſprachlich berechtigt iſt, ſchärfer auseinander halten will, fann man wohl ſagen , daß der dem Geiſte des Römervolfes vorſchwebende Begriff des Staats der Vernunftbegriff deſſelben fei. Mit dem Begriffe des Heidye würde man dann die Vorſtellung einer in Liebe geeinigten Ge 1
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meinſchaft freier Perſönlichkeiten zu verbinden haben. Dem Weſen einer ſolchen entſprad, in der römiſchen Republik nichts ; man darf ſogar mit Grund behaupten , daß die im Leben des Kaiſer reichs, nachdem das Chriſtenthum in daſſelbe Eingang gefunden hatte, von der Vergangenheit ber noch einwirkenden republika niſchen Formen hemmend auf die Entwicklung einer im Frieden geeinigten Gemeinſchaft freier Perſönlichkeiten eingewirkt haben.
Anders beſtimmen fich die Formen und die Verhältniſſe des Les bens da , wo das Princip , die Seele, der Friede iſt, als da, wo Ales dem Gefeße unterworfen iſt. Das Princip der Gese ſeßlichkeit geht von Allgemeinheit aus und wieder darauf zurüd ; es führt zu allgemeiner Gleichheit. Das Princip der Perſön lichkeit dagegen geht vom Individuellen und Beſondern aus ; es führt zu Unterſchieden. Das Princip der Geſeßlichkeit entſpricht dem Weſen des allgemeinen Begriffs, das der Perſönlichkeit dem Weſen des lebendigen Menſden. Inwiefern aber der Begriff der reinen Vernunft mit dem des Bereiches der allgemeinen Bes griffe zuſammenfällt, kann man ſagen , daß das Princip der Gefeßlichkeit dem Weſen der reinen Vernunft entſprädhe. Dies Princip war es , in welchem der Kampf um die Geſtaltung der Formen der römiſchen Republik fich bewegte , und in ſolchem Sinne ſteht zu behaupten , daß der , der römiſchen Republik zu Grunde liegende Begriff des Staats dem Vernunftbegriffe ent ſprochen habe. Man kann ſo dem Begriff des Naturſtaates, in welchem die rechtlichen Verhältniſſe an Naturprincipien geknüpft ſind , den Begriff des Vernunftſtaates, in welchem die redytlichen Verhältniſſe an Vernunftprincipien geknüpft ſind, gegenüber ſtellen. 1
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In dem Naturſtaat iſt aber noch nicht das Princip ſeelenvoller, individueller Perſönlichfeit zu ſeiner Berechtigung gekommen , und fo giebt es noch eine dritte Hauptform des Staatslebens , welche durch das Wort Reid ), daſſelbe in dem oben angegebenen bes
ſchränkteren Sinne genommen , füglid; bezeichnet werden kann . Unangemeffen dürfte es auch nicht ſein , wenn irgendwelche Rüdſichten etwa dazu beſtimmten, das Wort Staat im beſchränk
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teren Sinne in Beziehung auf den Vernunftſtaat zu gebraudjen , und ſo auch als ungewöhnlich das Wort Naturftaat zu ver meiden. Nur würde ſich zur Bezeichnung von Gemeinden , in denen Naturprincipien vorherrſdiend walten , nicht gleich ein paſ fender einfacher Ausdruck finden laſſen. Auf Worte fommt es indeß nicht an , wenn man ſich nur dem Begriffe nach die
Sache klar macht und der Verſchiedenheit der Principien fidy bewußt wird , nach welchen im Leben des Menſchengeſithlechts felbſtſtändige Gemeinden ſich gründen . Hiſtoriſch läßt fich kaum eine Form des Gemeindeweſens finden , in welcher das eine oder das andere Princip ausſchließ lich in ſeiner Herrſchaft fic) hätte erhalten können. Im Laufe der Zeiten haben ſich hier oder dort neben dem vorherrſchenden Grundprincip auch noch andere nicht in demſelben beruhende
Richtungen geltend gemacht, und es ſind gemiſchte Verhältniſſe eingetreten. So kann man zum Beiſpiel felbft von China , wo heutiges Tages noch immer mit großer Schärfe an dem Princip des Familienweſens feſtgehalten wird , nicht behaupten , daß die Forin des gemeinſamen Lebens daſelbſt alle Jahrhunderte hin durch das reine Bild des Lebens einer Familiengemeinde darges ſtellt habe. Kriegeriſche Völfer haben ſich zu verſchiedenen Zeiten erobernd über das Gebiet des chineſiſchen Reichs geworfen und deren Anführer in feldherrlidher Madit den Chineſen als Väter des Volts fidy aufgedrängt. Auch in Indien find ſicher ſchon ſeit der Zeit , ſeitdem die Geſchichte dieſes Landes im dämmern
den Lichte aufzutauchen beginnt , große Umwälzungen vorgefallen . Chandragupta und die andern Fürſten , die den Grundfäßen der
Lehre Buddha's zugethan waren , müſſen zerſtörend in die alte Drdnung des Kaſtenweſens tief eingegriffen haben. Auch im Perſerreiche begegneten fich verſchiedene Elemente. In demſelben war wohl das Princip der Kriegerlichkeit das Grundprincip ; indeß rein durchgeführt fonnte es auch nicht werden . Die Stams mesverhältniſſe der überwundenen Völker waren zu berückſichtigen und wurden berüdfichtigt. So audy findet fich in den alten 2
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griechiſchen Staaten Vermiſchung der Prinzipien, feitdem wir Die helleniſchen Ariſtofratieen waren dem
Kunde davon haben.
Principe nach auf Stammes- und Geſchlechtsverhältniſſe gegrün det , und doch iſt gar nicht daran zu zweifeln , daß die doriſdhen Ariſtofratieen , deren Bild am reinſten am ſpartaniſchen Staat fich
darſtellt, aus Kriegerſchaaren , deren Genoſſen ſchwerlich in ur ſprünglicher Blutsverwandtſchaft geſtanden , fich gebildet haben . In den helleniſchen Demokratieen waltete ein , das Princip der Ariftofratieen gradezu verneinendes Princip vor , und body fonnte
es in ihnen nicht zur feſten Ausbildung eines Staats gedeihen, der ſeinen feſten und ſicheren Halt in dem Princip gefunden hätte,1 welches einem über die Vorſtellung von Stämmen und Geſchlechtern erhabenen Begriffe nad ſtd) an den Gedanken von
einem abſtraften Gemeindeweſen angeſchloſſen hätte. Selbft Plato und Ariſtoteles find in ihrem philoſophiſchen Bewußtſein nicht
über die Idee, die der minoiſchen und der lykurgiſchen Verfaf ſung zu Grunde lag , in der Art heraus gekommen , daß fie nid t 1
ihrer Erkenntniß nach die in dieſer Idee begründeten Principien für die höchften gehalten hätten.. Erſt in Zeno und in feiner Schule entwickelte ſich wirklicy in Klarheit der abſtrakte Staats begriff, um deſſen Darſtellung es in dem für die Errichtung der römiſchen Republik geführten Kampfe galt. Zur reinen Darſtellung indeß iſt in dieſer Republit ihr Princip auch nicht gekommen. Nachdem in den alten Gemeinde weſen der Patricier das Naturprincip iberwunden war , traten
perſönliche Elemente widerſtrebend hervor, die beſonders dann, als die Furcht vor Karthago verſchwunden war, und der Römer die Welt zu feinen Füßen liegen ſah, zügelloſer und wilder vor .
brachen . Die Beſonderheit, die Mannigfaltigkeit des Lebens ſtrebt überhaupt ſtets der Allgemeinheit zu ſehr entgegen, als daß der abſtrakte Begriff jemals zur ausſchließlichen Herrſchaft fich durchringen könnte. Das Verhältniß des Allgemeinen und Beſonderen mußte ſich auch an der Geſchichte der römiſchen Nes publik bewähren. Die im allgemeinen , abſtrakten Staatóbegriff
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gegebenen Principien fonnten der Natur der Sache nach nicht in aller Schärfe durchgeführt werden. Es erzeugten fich von
ſelbſt Verwickelungen und Verwirrungen , in denen in ihrer per 1
fönlichen Kraft Römer die Schranken der Geſeßlichkeit zu durch brechen wagten. Wie geheiligt auch vonaltersher die Gefeß lichkeit durch das im begangenen Brudermorde geweihte Opfer fchien , Angriffen in eigenwilligem Hochmuth ſich regender Kraft war ſie doch ſtets fdyon ausgeſeßt geweſen bis auf die Zeit , in welcher in dem Bewußtſein der Römer die Scheu vor der Hei ligkeit derſelben in einer gefährlichen Weiſe dahin zu ſchwinden begann. Mag indeß auch das im Eigenwillen ſich bewegende,
zerſtörende Hervorbrechen perſönlicher Kraft Unwillen erregen, in geſchidytlicher Beziehung wies es in der Art , wie es in den römiſchen Bürgerkriegen fidy Raum ſchaffte, auf ein Höheres hin , was da fommen ſollte.
Nur erſt nachdem aus dieſen
Kämpfen , in denen die Principien der Perſönlichkeit und der Gefeßlichkeit in einer ſehr verworrenen Weiſe einander gegenüber
traten, die in kreatürlicher Freiheit ſich ſelbſt genügende Perſön lichkeit in Julius Cäſar fidh hervorgerungen hatte , fonnte dars auf die Zeit der anhebenden Entfaltung einer höheen , inneren geiſtigen Befreiung des Menſchengechlechts anheben. Cäſar fteht,
was hier der nachfolgenden Betrachtungen wegen hervorgehoben werden muß , durchaus als Hauptwendepunkt in der Welt geſchichte da. Ueberdies iſt ſeine Perſon in politiſcher Beziehung für uns Deutſche ſchon um ſeines Namens willen von Bedeu tung, da die Beherrſdyer des heiligen römiſchen Reiches deutſcher
Nation ſo viele Jahrhunderte hindurch darin eine Ehre geſucht haben , von ihm ihre Würde in der Wurzel abzuleiten. Was dieſem Helden in der Weltgeſchichte ſeine hohe Be
deutung verleiht , liegt eigentlich ganz idson in den Worten aus: geſprochen , in denen Cato ſein Urtheil über ihn äußerte. Dieſer nämlich ſagte von ihm , daß von Alen , die vorgeſchritten wären, die Republik umzuſtürzen , er allein nüchtern dies Werf vollzogen hätte.
Der Sinn dieſer Rede iſt der , daß er allein im Stande 2*
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geweſen wäre , die Beſonnenheit zu behaupten bei dem um des Beſißes der Herrſchaft willen gewagten Vorſchreiten auf der Bahn der Gefeßloſigkeit, und daß er nur allein es verinocht
hätte , in ſeiner menſchlichen Perſönlichfeit ohne berauſcht zu werden eine Stellung einzunehmen, in der er nicht mehr in der Republik lebte , ſondern faſt eher noch die Republik in ſeiner
Perſon. Für Cato aber hatte das Leben überhaupt nur Bes deutung inwiefern er noch ſeinen ſittlichen Halt finden zu kön nen glaubte in der Republik nach der ihr geeigneten wahren Form ihres Beſtandes. Als ihm dazu die Hoffnung verſchwuns den war, fonnte er gar nicht in einer Welt bleiben , in der für ihn Alles verloren war. Er mußte aus derſelben ausſcheiden . Cåſar dagegen ſtellte in ſeiner Perſon den Staat tar, und ſo ging durch ihn die Republik in ein Reich über. Dies iſt das Königliche in ihm , die Majeſtät. Schon im Kyrus hatte das Ringen begonnen um die Beherrſdung der Welt in freier menſch lider Kraft; in Alerander hatte das Streben verflärt im Geifte helleniſcher Bildung fich fortgeſeßt; doch erſt im Cäſar, der in ſeiner Stellung in ruhiger, beſonnener und ſicherer Haltung aus :
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zuharren vermochte und endlich nur einer von außen auf ihn
eindringenden Gewalt erlag , trat der die Welt beherrſchende Menſdy in flarer durchgebildeter Geſtalt hervor. Darum bil I
det er den Hauptwendepunkt zwiſchen der alten und neuen Geſchichte.
Herrlich) zwar tritt fein Bild , welches in der Geſchichte des Alterthums hervorſtrahlt, unſerem Blicke entgegen ; aber dieſe Perſönlichfeit war doch linier nur eine ſolche, die in weltlichen Verhältniſſen ſich bewegte. Die wahre , höhere, geiſtige Freiheit in Liebe zu gewinnen , war ihm ſchon darum unmöglich geweſen, weil das Heil der Weltüberwindung dem Menſchengeſchlechte noch nicht gebracht war , als er lebte. Daß aber nun dieſes bald 1
nach ſeiner Zeit über die fittlich verderbte Menſchheit fam , daran
zeigt fich recht eigentlich der innere nothwendige Zuſammenhang in den geiſtigen Entwicklungen der Weltgeſchichte. Es war doch
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nur die Freiheit der Kreatur , die in Cäfar hervor getreten war. 1
Eine andere brachte bald in weltüberwindender Kraft der Erlöſer.
Zugleich aber auch erſchienen neue jugendliche Völker , an deren Grunddarafter von allem Anfange an das Prinzip der Individualität fich ausgeprägt hat , wie in der Geſchichte feines
andern Volfs. Wild zwar ſtürmten ſie heran in Kriegerluſt ; doch , nachdem ſie in ihrem Leben gegen das in ſich zerfallende
Römerreid; endlich über die Gebiete des zerfallenen ſich ausges breitet hatten , blühte aus ihrem durch den Geiſt des Chriſten
thums getränkten und verklärten Geiſte ein neues Leben auf.
Das Princip der germaniſchen Reiche des Mittelalters iſt ein dem Princip , um deſſen Geltendmachung im Alterthum die Grie chen in ihren Rämpfen gegen die ariſtofratiſchen Staatsformen vergeblich ſich abmühten , und welches in der römiſchen Republik nur auf eine Zeitlang feſten geſchichtlichen Halt gewann , im graden Gegenſaße gegenüberſtehendes. Wie Begriff und Per ſönlichkeit ſich gegenüberſtehen , ſo ſtehen ſich beide Principien gegenüber.
Auf dem individuellen Boden des Geiſtes und des
Charakters der germaniſchen Völker erwuchs das durch den chriſt lichen Geift des Friedens getränfte und verklärte Princip der
Perſönlichkeit. In dieſem Principe bildeten ſich Gemeinden , in denen die rechtlichen Verhältniſſe nach perſönlichen ſich beſtimmten. Es lag dies in dem Charakter der germaniſchen Völfer, und dieſe Bemerkung genügt zur Erledigung der oft behandelten Frage, ob es zu loben oder zu tadeln fel, daß es geſchehen. Daß aber das einſeitige Vorwalten des Princips der Perſönlichkeit in der Folgezeit nicht für genügend gehalten worden iſt, darüber hat die Geſchichte belehrt. Andere aus dem römiſchen Rechte ſtam mende Principien drangen aud) zeitig ſchon ein in das Rechtos bewußtſein der Völfer , die ſich in den Gebieten des vormaligen römiſchen Reichs angeſiedelt hatten. In Folge deſſen geſchah es denn audy hier , daß die Rechtsformen in den neu fich bil denden Reichen nicht in einem einfachen Principe fich ausbildes ten , ſondern vielmehr , wie in den geſchichtlichen Entwicklungen .
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überall , Vermiſchung verſchiedener Principien eintrat. Das im germaniſden Volfscharakter beruhende fittliche Princip perſönlicher Treue, welches im Römerthum nicht ſich hatte entwickeln fönnen, blieb aber das vorherrſdende.
Zur höchſten Blüthe und Macht entfalteten ſich die Rich tungen , die , nachdem die germaniſchen Heerſchaaren fich wieder angeftedelt und zum Chriſtenthum ſich befehrt , die geſchichtlichen
Entwidlungen in den germaniſchen Reichen beſtimmt hatten , im Reiche der Franken. Wie das in der römiſchen Republik herr ſchende Grundprincip das war , nach dem Begriffe allgemeiner Humanität die geſammte Menſchheit, wie weit die Grenzen des Staats auszubreiten und die einzelnen Menſchen in das Staats bürgerthum aufzunehmen wären , dem Dienſte deffen zu unters
werfen , was ſie ſich bei der Vorſtellung von der ewigen Roma dachten , ſo war das im fränkiſchen Reiche herrſchende Grunda princip allerdings auch auf die geſammte Menſchheit gerichtet. Aber das im Frankenreide herrſchende Princip der Vereinigung ging auf ein Höheres , als was im Princip der römiſchen Re publik gegeben war , hin . Das Reich ſollte eine im chriftlichen Geifte geheiligte Gemeinſchaft freier Genoſſen darſtellen . Das
Princip der Perſönlichkeit galt in dieſem Reiche. Wahr zwar iſt, daß , wie in der römiſchen Republik der
Sklave von der bürgerlichen Gemeinde ausgeſchloſſen war , ſo auch im Franfenreiche nicht jeder Einzelne gleiche perſönlidhje
Rechte hatte. Es fand hier eine Stufenfolge ſtatt, in der die Gegenfäße, denen der Menſch in ſeinem Leben auf Erden unter: worfen iſt, vermittelt wurden. Ob die Art der Vermittlung, wie fie geſchah, vom höchſten Standpunkte der Betrachtung aus angeſehen , für die an ſich richtige zu halten ſei, iſt eine Frage, die freilich ſchwerlich bejaht werden kann , aber auch den Gegen ſtand unſerer Betrachtung nicht berührt, da hier nur von Zus ftänden und Verhältniſſen im Leben der germaniſchen Völker auf einer zeitlich beſtimmten Stufe der Entwicklungen in ihrer Ge ſchichte die Rede ift. Eben ſo wenig auch kann die Frage uns
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hier berühren , ob alles Einzelne , was in der Wirklichkeit im
Frankenreicie ſich zugetragen, dem völlig entſprochen habe, was als das in demſelben herrſchende Grundprincip aufgeſtellt worden iſt. Denn gegen die geiſtig waltenden Mächte, gegen die das Leben bindenden, erheben fict) zu jeder Zeit widerſpenſtige Regungen, die gegen jene in Kampf treten . Daß ein derartiger Kampf wider die Ordnung nicht auch im fränkiſchen Reiche vorgekom men ſein ſollte, würde eine ſeltſame Annahme ſein. Es iſt indeß darüber hier nicht zu berathen. Dagegen kommt allerdings das Princip , nach welchem das ſtändiſche Verhältniß im Frankenreiche geordnet war , in Frage. Es beruhte auf dem
Gegenſaße des fittlichen und natürlichen Princips. Durd, das Chriſtenthum war das höhere ſittliche Princip in die Welt ge kommen und hatte im Kampfe mit dem Heidenthum das in die
Fein waltende , natürliche Princip zwar ſich unterworfen, jedoch nicht ſo und in der Art ,1 daß das leßtere wirklich innerlich in das erſtere aufgenommen , davon durchdrungen und in demſelben
verklärt worden wäre.. In der Stellung des Menſchen zur Na tur liegt aber nothwendig eine gedoppelte Richtung. An den
Himmel iſt er ſeinem ſeelenhaften Daſein nach gewieſen , ſeinem irdiſchen Daſein nach an die Erde. Auf ihr fol die Menſchheit eine ihrem geiſtigen Weſen entſprechende , ihrer würdige Heimath ſich erbauen. Für das Leben auf Erden genügt nicht ſchon in aller und jeder Beziehung die einſeitig auf die Gemeinſchaft in Liebe ſich hinwendende Richtung; die Thätigkeit des Menſchen iſt vielmehr auch nach außen gerufen , durdy Kultur den Boden ſich zu unterwerfen. In dem Gegenſaße aber der nach innen
zu gekehrten geiſtigen , oder der nach außen zu gegen die Natur gekehrten Richtungen werkthätiger Arbeit , liegen eben die Ur ſprünge der Gegenfäße im Gemeindeleben. Ueberať treten fie hervor , verſchieden beſtimmt nach dem verſchiedenen Charakter verſchiedener Zeiten.
Im Mittelalter erhielten fte ihre Beſtim
mung nach dem allgemeinen Charakter, der in demſelben vor: herrſchte. In Einſeitigkeit bewegte ſich zu jener Zeit das ſittliche
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Bewußtſein , indem es die Natur und was dieſer angehörte im fittlichen Sinne von fich ſtieß und einzig und allein nur das
wahre Heil in Weltentfremdung, in der Flucht aus den Bereichen des irdiſchen Lebens ſuchen zu müſſen glaubte. Daß nach dieſem Gedanken das fittliche Princip im Bewußtſein des Mittelalters
beſtimmt war , dafür giebt ſchon allein den genügenden Beweis dies , daß das im achten und neunten Jahrhundert beſonders
einen höheren Aufſchwung gewinnende Mönchsleben in klöſter licher Zudit und Einſamkeit für ein ſolches gehalten ward, wel ches ammeiſten wahrhafter Heiligkeit entſpräche. In jenem Princip war das Maaß für die fittliche Würdis gung gegeben, welches denn auch auf die politiſchen Verhältniſſe Das Princip des auf Erden beſtehenden
übertragen ward.
Reiches, die ganze Bedeutung deſſelben wurde in der Vertheidis
gung und der Ausbreitung des Reiches Chriſti geſucht. Dem nur ward in Wahrheit Würdigkeit zugeſchrieben , der in dieſem Sinne dem Reiche als deſſen Genoſſe diente. Wenn auch der Wirklichkeit nach nicht Ieder grade ſtets nach dieſem Maaße ge meſſen ward , ſo ſollte es wenigſtens dem Principe nach ſo ge ſchehen . Auf die andere Seite des menſchlichen Daſeins auf Erden , die auch ihre Berechtigung hat , wurde dagegen faum Werth gelegt. So geſchah es, daß ein Stand der Reichsgenoſſen mit deren Knappen als ihren Waffengenoſſen einem anderen Stande derer gegenüber , die nur mit der Kultur des Bodens beſchäftigt waren , fich ausbildete und ausſchied. In mannigfal tiger Weiſe und nach mannigfaltigen Verhältniſſen bildete ſich im 1
Sinne des Princips der Perſönlichkeit und nach Maaßgabe der
allgemeinen Idee , die den chriſtlichen Reichen des Mittelalters ihre Bedeutung gab, die Ungleichheit in den ftändiſchen Verhälts
niffen aus. Hat ſich auch manches in dieſer Rückſicht im Zer fallen des karolingiſchen Reichs und ſpäter umgewandelt , ſo hatten doch ſchon in jenem Reidie die angegebenen allgemeinen Grundprincipien geherrſcht, an denen man das ganze Mittelalter hindurch der Hauptſache nady feſtgehalten hat.
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Daraus aber, daß nach der Art, wie das Chriſtenthum dem
Heidenthum gegenübergetreten war und wie es nach ſeinem Ver hältniſſe zum Heidenthum nicht anders hatte geſchehen können, der Gegenſaß des Jenſeits und Dieffeits nicht zur Ausgleichung nach einem richtigen Verhältniſſe gediehen war , hatte erfolgen müſſen , daß auch das Reich nicht diejenige Selbſtgenügſamkeit und Sicherheit in ſich trug, deren es an ſich bedürftig geweſen wäre. Die geſchichtlidie Geſtaltung der chriſtlichen Kirche im Gegenſaße gegert das Heidenthum und gegen Verhältniſſe , die ſich im Heidenthum erzeugt, hatten ſchon früher der hiſtoriſchen Form der chriſtlichen Kirche eine eigene Geſtalt gegeben , worin ſchon frühe der Reim zu einem dem Weſen der Kirche an fich keinesweges entſprechenden Streben nach weltlicher Herrſchaft gelegt war. Dabei hatte anch neben anderen Momenten , die mehr die äußeren Verhältniſſe des Beſtehens der ſich hervorbil denden chriſtlichen Gemeinde betreffen, die Idee der Heiligkeit des
Prieſterthums, die theils vom Judenthum , theils vom Heiden thume her Einfluß auf die Gemüther ausgeübt hatte, mit einges wirft.
Der immer noch in der Bruſt der Einzelnen waltende
Kampf zwiſchen heidniſcher und chriſtlicher Geſinnung war es, was die Empfindung und den daraus ftch erzeugenden Gedanken von der Nothwendigkeit prieſterlicher Vermittlung herrſchend wer den ließ und zunädiſt veranlaßte, daß die jüdiſchen Vorſtellungen vom Prieſterſtande und den von Gott ſelbſt ausgegangenen Vor zügen deſſelben auf die Lehrer und Vorſteher der chriſtlichen Re ligion übertragen worden waren.
Der Unterſchied zwiſchen
Klerus und Laien war immer deutlicher hervorgetreten. Daß die Laien von den Prieſtern als unmittelbare Diener Gottes ges leitet werden müßten, dieſen Grundſaß hatten als Glaubensartikel die germaniſchen Völker, die das römiſche Reich umſtürzten , bei ihrer Bekehrung angenommen. Auf die Hebung der Macht der Päpſte im Dccident wirkte ganz beſonders dies hin , daß von Rom aus die germaniſchen Völfer des Weſtend dem Chriſtenthum waren gewonnen worden, wie ſpäter auch die Polen, die Ungarn
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und endlich die Finnen von da aus in die römiſche Kirche ein geführt wurden . Den Päpſten ward es leidit, fich einen großen
Antheil an den neuen firchlichen Einrichtungen zu verſchaffen ,
die durchaus eine gewiſſe Gleichmäßigkeit erhalten mußten. Zwi iden den fränkiſden Königen und den Päpſten bildete und er hielt fich, ganz beſonders durch Vermittlung der Abtei von St. Denis, die feit den Zeiten Dagobert's als Beſchüßerin der orthos
toren Lehre gegen arianiſche und pelagianiſche Reßereien im Frankenreiche große Verdienſte fid erworben hatte, ein gutes und freundſchaftlidjes Vernehmen. Das Recht auf die fönigliche
Würde ließ ſich Pipin der Jüngere vom Papſte Zacharias ers theilen, die Krone vom Papſt Stephan auf's Haupt feßen. Karl der Große, dem der Beſtand der chriſtlichen Kirche wahrhaft am
Herzen lag , trug zur Vergrößerung der päpſtlichen Herrſchaft weſentlich bei. Die kaiſerliche Krone empfing er aus der Hand des Papſtes Leo III. Die ſo geſchehene Erneuerung des weſt lichen Kaiſerthums war von einer ſehr großen Bedeutung . Der durch ihre Hand verrichteten Krönung gaben die Päpſte den Sinn , als ob von ihnen die kaiſerliche Würde abhänge , von 1
ihnen nur ertheilt werden könne.
Daß von Gott der Beruf
zur faiſerlichen Würde durch die Salbung des Papſtes an ihn ergangen ſei, erklärte Ludwig der Fromme.
Eine Anerkennung der päpſtlichen Macht in folcher Art mußte fich nothwendig als Folge jener Anſicht ergeben , die fich über den Gegenſaß des Prieſterſtandes und des Standes der Laien in der hiſtoriſchen Geſtaltung der Kirche entwidelt hatte. Die Laien erkannten ſich als Inmündige, die nicht unmittelbar durch Chriſtus an der Gemeinſchaft und den Seegnungen des Friedens Theil hätten , die nicht unmittelbar durch Chriſtus von dem Uebel der Welt erlöſt wären , ſondern prieſterlider Vermitt lung bedürften . Wie das Volk zur Reichsgenoſſenſchaft, der
Laienſtand zum Prieſterſtande fich verhielt , ſo verhielt ſich das >
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Reich zur Kirche.
Die fönigliche und faiſerliche Würde fand
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nur in der durch prieſterliche Salbung vollzogene Weihe durch die Kirche in äußerlicher Weiſe ihre Heiligung. Der Irrthum lag nidit in der Idee, daß alle Herrſchermacht von Gott abftamme, ſondern in der, daß ſie nur durch den Papft
ertheilt werden könne. Die Schuld lag in dem tief im Bewußt fein des Mittelalters begründeten Mißverſtändniſſe in Rüdficht auf das Verhältniß des Natürlichen und Geiſtigen. In Folge jenes Mißverſtändniſſes mußte die Vermittlung dieſes Verhälts niſſes in eine äußerliche ausarten. In mannigfaltiger Weiſe that fich auch bald der innere Widerſpruch, der in dem Boden waltete, auf welchen Reich und Kirdye gegründet waren , fund . Wohl zwar haben fich , wenn auch , während neue Principien immer
mächtiger ſich geltend machten, in den leßten Jahrhunderten nur - in einer ſehr verfümmerten Weiſe, die allgemeineren Grundver hältniffe, die in ihrer conſequenten Durchbildung im Einzelnen im Reiche Karls des Großen in ihrer lebendigen Blüthe ſtanden, bis auf die Zeit des Unterganges des Heiligen römiſchen Reiches in einem äußerlichen hiſtoriſchen Beſtande erhalten . Balb jedoch nach dem Tode farls war ſchon der innere Zwieſpalt in Rück:
wirkung der Naturprincipien ausgebrochen. Dieſe waren im Leben des Franfenreiches im Gegenſaße gegen die höhere Idee einer im chriſtlichen Sinne zu gründenden allgemeinen Gemeins fdjaft der Menſchen , wenn auch nicht gänzlich zur Seite geſcho ben , doch in hohem Maaße in der Unterdrückung gehalten wors den. Dies Verhältniß rächte ſich in den furchtbaren Verwirrungen, -
die in den Rämpfen der Söhne Ludwigs des Frommen gegen
ihren Vater und gegen einander ausbrachen. Der endliche Aus gang dieſer Kämpfe führte in Anerkennung der Berechtigung der Volfsthümlichkeiten zu höherer Anerkennung der Berechtigung der Naturprincipien. Das im chriftlich allgemein menſchlichen Sinne errichtete Gebäude des fränkiſchen Reichs brach auseinander, und
es traten die Völfer wieder in ihrer Geſchiedenheit in Selbſt ſtändigkeit auf. Damit hing denn auch dies zuſammen , daß nunmehr wiederum das Princip der Erblichkeit in einem weit
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ſchärferen Sinne, als es bisher hatte geſchehen können, fich gel tend machte. Die einzelnen Stämme ſchieden ſich auch beſonders
in Deutſchland ( dhärfer auseinander, und darnach begann nun ein neuer Kampf zwiſchen dem natürlichen und dem chriftlich fitt lichen Princip, in welchem jenem allerdings eine höhere rechtliche Anerkennung, als es bisher genoſſen hatte, zutheil wart . Dabei
erwachte freilich in der freieren Bewegung des Naturprincips Wildheit in höherem Maaße. Was Deutſchland angeht, ſo brachen hier ſtärker zwieſpaltige Richtungen hervor, die an das Princip der Stammesverſchiedenheit fich anſchloſſen . Sachſen und Franken ſtellten ſich feindſeliger einander gegenüber und be ſonders auch erwachte in Bayern der alte in Thaſfilo früher überwundene Trieb , in eigener Selbſtſtändigkeit aus der deut ſchen Volfsgemeinde fich auszuſcheiden. Es gelang indeß den Herrſchern aus dem fächfiſchen Hauſe nicht nur das deutſche Volt in Einheit zuſammen zu halten, ſondern auch die faiſerliche 1
Krone Karls des Großen dem deutſchen Königthume zu ver knüpfen . An dem Beſtreben, dies leştere zu erreichen, zeigte ſich
die Richtung des deutſchen Sinnes auf das über die Schranken beſonderer Volksthümlichkeit im chriſtlidyen Sinne fich erhebende
allgemein Menſchlidye hin ; zugleich aber auch entwickelten fich in Folge deſſen , daß das an und für fid) edle Streben gelungen war , in der Geſchichte des deutſchen Volfs die unausgeglichnen Gegenſäße im Leben des Mittelalters ſchärfer einander gegenüber. Im politiſchen Sinne in der Art , wie es in der Idee des karolingiſchen Reiches gelegen hatte, die Einheit in der Chriſten heit feſtzuhalten, war und blieb den deutſchen Kaiſern unmöglich. In ihrer Stellung lag eben deshalb ein Widerſpruch, der in dem Maaße ſich ſchärfer entwickeln mußte , in welchem inter den Völfern des Weſtens das Bereich der Chriſtenheit fich weiter ausbreitete.
Dem Geiſte des Mittelalters entſprach die Idee
einer Vereinigung der Chriſtenheit in äußerlicher Weiſe und da eine ſolche nicht mehr durch das Reich des Kaiſers dargeſtellt ward , ſo war es ganz den damals herrſchenden Anſtchten ent
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ſprechend, daß die Herſtellung der Einheit in der Chriſtenheit in äußerlicher Weiſe auf anderem Wege geſucht werden mußte.
Knüpfte ſich auch im Einzelnen der Ausbruch des Kampfes zwi fchen der geiſtlichen und weltlichen Machyt nicht unmittelbar an jene Idee an, ſo darf doch behauptet werden, daß ſie in größerer oder geringerer Klarheit die Geſinnung und das Bewußtſein derer beherrſchte, die ſich auf die Seite der Päpſte, bei deren Verſuchen ihre Herrſchaft über die driſtlichen Völfer auch im weltlichen Sinne auszudehnen, ftellten. Eine in fich befriedigte, im hierarchiſchen Sinne regierte Gemeinde fonnte indeß auf Erden nicht hergeſtellt werden. Zwar
ging im gewiſſen Sinne ſcheinbar fiegend die Hierarchie aus dem Kampfe heraus.
Innerlich jedoch war ihre Macht ſowohl wie
die des Kaiſerreichs in der leßten Hälfte des dreizehnten Jahr hunderts gebrochen . Dies zeigte ; ſich bald in dem Verhältniſſe, in welches die Päpſte, nachdem Bonifaz VIII. durch Philipp IV. gedemüthigt war , zu Franfreich traten. Dics Reid hatte auf dem Wege , principiell fich zur Volfsthümlichkeit zu faſſen und auf dieſer Baſis fidh zu fonſtituiren , unter der Herrſchaft der Kapetinger große Fortſchritte gemadt und war in dieſer Bezie hung dem deutſchen Volfe bei weitem vorangeeilt. Dabei war der rationale feltiſchromaniſche Charakter und die daran ſich knüp fende Geiſtesbildung, worin das Germaniſche des Frankenthums ſchon in Franzoſenthum übergegangen war, von großem Einfluffe
geweſen. In dieſem , dem Franzoſenthume, hatte die Natürlichkeit geiſtige Haltung gewonnen und in dem Kirchlichen und Ritters lichen mehr wie irgend anderswo mit den chriftlichen Principien ſich in Harmonie geſeßt, wenn auch freilich nicht zu läugnen iſt, daß dies in einer Art geſchah, in welcher die Gemüthlichkeit zurück gedrängt und im geiſtigen Leben die Neigung, in abſtrakte Formen aufzugehu, ſtark vorwaltend ward. Roher als in dem Franzoſen bewegte ſich im Deutſchen das trennende, die Gemeins
ſchaft ſtörende individuelle Princip ; in dem Deutſchen das
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gegen erhielt fich die ganze Fülle der ihm urſprünglich eigenen Gemüthlichyfeit. Zwar mag wohl das Bild , welches ung aus dem Leben
der Deutſchen in ihrer Geſchichte ſeit dem Untergange der Hohen ftaufen, feit der großen Anarchie und im vierzehnten Jahrhundert entgegen tritt , einen wüften Charakter an fich tragen ; doch die tieferen Momente im Seelenleben der Deutſchen hatten fich das
mals mehr nur aus der Deffentlichkeit in den Hintergrund zu rückgezogen , als daß fie eigentlich gänzlich zerdrückt worden wären .
Wurden fie auch hart bedrängt, ſo find ſie doch nicht zertreten worden. Mächtig ſchon wieder in Rückwirkung traten fie in mannigfaltigen Erſcheinungen, beſonders aber in dein allgemein fich erhebenden Ruf nach einer Reformation der Kirche in Haupt und Gliedern und in den Unruhen , die nach dem fdmählichen Tode , den Johannes Huß hatte erleiden müſſen , ſich erhoben , hervor. Im politiſchen Leben des deutſchen Volfs war Alles faſt
zerrüttet und zerfallen. Die Stände und die Einzelnen ſtanden ſich feindſelig gegenüber und im Reiche war kein Halt mehr zu finden. Dies war eben die Folge der Regung des individuellen Naturprincips, weldhes ſeit langen Zeiten ſchon um Anerkennung
gerungen hatte, ohne daß es dadurch zu wirklicher Berechtigung fich hätte emporſchwingen können , daß es ſein eigenes Maaß in ſittlicher Verklärung durch den Geiſt des Chriſtenthums ge funden. Eine ſolche Verklärung und ſomit eine wahrhaft innere Vermittlung des einſeitig dem chriſtlichen Principe gegenüber ſtehenden Naturprincips mit demſelben iſt auch nur möglich durch das, woran die Zeit, von der die Rede war, Mangel litt, durcty Entwidlung des Vernunftbewußtſeins nämlich. In der inneren Harmonie ihres Anſichſeins oder ihres wahrhaften We fens werden Welt und Natur nur erfannt in der Entwicklung
des Vernunftbewußtſeins. Durch dieſe Entwicklung wird, darf man in gewiſſem Sinne ſagen , im Menſchen die Natur crlöſt. Sie gewinnt in ihm ihr Maaß und wird eben dadurch in ihm frei.
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Das ganze Mittelalter hindurd; aber hatten im Leben des deutſchen Volfs die Naturmomente wild , roh und wüft gehauft. .
Sie waren im Geiſte deſſelben gebändigt worden nicht durch ein vernünftig bewußtes Maaß , ſondern wo es geſchehen war in der Seele jedes Einzelnen nad) Maaßgabe deſſen , wie dieſer dem Geiſte Chrifti fich hingegeben und denſelben in fich hatte wal
ten laffen, wo es aber in den Kreiſen des öffentlichen Lebens geſdehen war nach Maaßgabe der noch nachwirkenden Macht
der Principien, nach welchen die Verhältniſſe im Reiche Raris des Großen geordnet geweſen waren. Vielerlei freilich war darin ſchon geändert worden. Es hatten ſich die Herzogthümer nach
dem Princip der Stammesverwandtſchaft hervorgebildet; in dem
Principe der Erblichkeit nach Familienverwandtſchaft, welches ſich in der Ritterſchaft geltend gemacht, waren die Verhältniffe der Reichsgenoſſenſdhaft und der Dienſtmannſchaften erſtarrt. Darauf aber wieder waren in Verſchlingung mit den Kämpfen der geift lichen und der weltlichen Madyt die Herzogthümer gebrochen und in Folge deffen auch den geiſtlichen Fürften im Reich eine nidit geringe weltliche Macht zugewadyfen , während anderswo, als wo die geiſtliche Macht ſich feſtſegte, Zerfallenheit und Zer ſplitterung eingetreten war. Daneben hatte ſich in ſelbſtſtändiger Weiſe von der Seite her, von weldjer das Leben des Menſchen auf Erden der Natur zugefehrt iſt, eine bürgerliche, auf Betrieb
famkeit und äußerlichen Verkehr gegründete Macht in den Städ ten erhoben. In ihr fam eigentlich zuerſt die in den Richtungen des menſchlichen Lebens auf Erden der Natur zugekehrte Seite zu wirklicher Berechtigung. Sie trug von einer Seite in ihren Kämpfen gegen geiſtliche und weltlidie Fürſten und Herren nicht wenig dazu bei , die überhand nehmende Zerſplitterung in den Reichsverhältniſſen noch zu mehren , während fie dagegen auf der anderen Seite durd, Errichtung von Bündniſſen für den Zwed der Aufrechthaltung des Landfriedens auch thatfräftig für Friedensſchuß zu wirken bemüht war. Das Rechtsprincip , worauf die Städte gegründet waren ,
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trug ſchon einen anderen Charakter an fich als das der Perſon lichkeit, in welchem das Reich in älteren Zeiten erblüht war. Jenes beruhte in der Idee von Gemeindeverhältniffen. Doch neben dem Aufblühen ſtädtiſcher Gemeinden und daran ſich an
ſchließender Rechtsprincipien hatten ſich auch Verhältniſſe ent wickelt, die ihrem erſten Urſprunge nach meiſtentheils an die Er weiterung der weltlichen Macht der Geiſtlichkeit ſich angeſchloſſen hatten , ſpäter aber einen rechtlichen Charakter annahmen, der weder dem hierarchiſchen Princip der Kirche noch dem perſön lichen des Reichs entſprach.
Das in feiner weiteren Fortent:
widlung als das der Landeshoheit fich ausbildende Recht wurzelte größtentheils urſprünglich darin , daß geiſtlichen Stiftern und Klöſtern für ihre Güter königlide Rechte übertragen worden waren. Im Laufe der Zeiten aber knüpften ſich an dergleichen auch an weltliche Fürſten verliehene Ertheilungen in ausgedehnterer Weiſe Umwandlungen im ſtaatsredytlichen Sinne at . So bil dete ſich die Idee von Landesherrſchaft nebſt der derſelben ent ſprechenden von Unterthänigkeitsverhältniſſen aus. Dieſe Idee entſprach im ſtaatsrechtlichen Sinne nicht dem reinen Princip des alten Reichs. In ihr treten ſchon perſönliche und im eigents lichen engeren Sinne religiöſe Momente mehr zurück, und es 1
zeigt ſich in ihr eine Hinneigung zu allgemeineren Vernunft: principien. Durch das Princip , was in ihr liegt , ward die moderne Monarchie vorbereitet. Doch als ein unmittelbar von Gottes Gnaden und nicht durch irgend eine andere Macht äußers
lid, übertragenes, und in eigener Selbſtſtändigkeit nur in Berüds fichtigung der Verpflichtung zur Verantwortlichkeit gegen Gott verwaltetes Recht zur Herrſchaft ward das Recht der Landes hoheit nicht angeſehen. Was mit demſelben in Rüdficht auf Ausübung und Ausdehnung verknüpft war, wurzelte noch ſtaats rechtlich in der Machtfülle des Reichs und wurde von dem
Kaiſer durc Belehnung , fraft welcher die Stände dem Reiche verbunden waren, ertheilt. Sowohl in der Ausbildung des Rechtes der Landeshoheit
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wie in der des bürgerlichen Rechtes der Städte trat eine Ent
widlung neuer Rechtsprincipien ein.
Auch in der Ausbildung,
die das Lehnrecht erhielt und in den Umwandlungen , die in Rücficht auf daſſelbe beſonders in Beziehung auf die Reichs
verhältniſſe vorgingen , zeigte es ſich, wie ſehr die Zuſtände im Laufe der Jahrhunderte ſich geändert hatten und wie ſehr der Boden, auf welchem in älteren Zeiten das heilige römiſche Reich deutſcher Nation geſtanden, ſchon wankend geworden war. Daß dies Reid, neuer Stüßen bedürfe, lag beſonders ſeit dem Unters
gange des Hauſes der Hohenſtaufen klar zu Tage. Solche zu ſchaffenbeſtrebte fich denn auch im vierzehnten Jahrhundert
Karl IV. in Aufrichtung eines Grundgefeßes des deutſchen Reichs. Durch die goldene Bulle ſollten die Verhältniſſe des Reichs ge
ordnet werden . Auf die Abfaſſung dieſes Gefeßes wirkte jedoch weder ein wahrhaft friedvoller Sinn ein , noch gab dabei ein vernunftgemäßer Rechtsbegriff das Maaß ab. Außer einigen Fragen über gewiſſe bei der Kaiſerwahl zu beobachtenden Formen kam weſentlich und der Hauptſacie nad faſt nur dabei die Frage über die formelle rechtliche Beſtätigung des Machtverhälts
niffes , in welchem die Kurfürſten ficky befanden , zur Sprache, und was ſonſt noch dieſen in Beziehung auf die Theilnahme an der Reichsregierung verſprochen ward , iſt nie zu vollſtändiger Vollziehung gekommen , ſo daß auch ihre Macht rechtlich nicht fo beſtätigt ward , wie es in ihrer Abſicht gelegen zu haben ſcheint, und der ferneren Ausdehnung ihrer landeshoheitlichen Macht manche Hemmungen entgegentraten. Die ohnmächtigeren Stände des Reichs , ein Theil des Herrenſtandes , Ritterſchaft und Städte griffen , um gegen das Beſtreben der Fürſten nach der Ausdehnung ihrer Landeshoheit in Selbſtſtändigkeit fich zu erhalten , zu dem Mittel , in Eidgenoſſenſchaften für den Zwed gegenſeitiger Hülfsleiſtung fid) zu verbinden. In der That aber ſpridyt ſich daran , daß dies Mittel nothwendig geworden war, ſehr beſtimmt aus , in welcher Auflöſung das Reich begriffen geweſen . Denn Eidgenoſſenſdaften , deren Princip fid bald 1
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dergeftalt mächtig machte , daß man wohl ſagen kann , es habe fich das Reich in eine große Einigung unter dem Schuße des Kaiſers verwandelt, gehen aus dem Bedürfniſſe hervor, zum Mittel der Selbſthülfe zu greifen. Sie deuten auf einen Kriegs zuſtand hin , in welchem das Recht anfgehoben iſt. Weder die Idee der Heiligkeit natürlicher Verwandtſchaftsbande, noch die des Friedens, noch endlidy die des abſtrakten Staates waltet in
ihnen. Sie beruhen weder in einem poſitiven Rechtsprincip noch tragen ſie ein ſolches in ſich. Ihr Charakter iſt in Bezie hung auf Reditsprincipien negativ; ſie werden nur geſchloſſen, um äußere Gewalt abzuwehren ; es liegt ihnen aber nicht die Idee einer geiſtigen Gemeinſchaft, an welche der Menſch auch in ſeinem Leben auf Erden verwieſen iſt, zu Grunde.
Wenn nicht noch in der Seele des deutſchen Volfs Anhäng lichkeit an alte Verhältniſſe, Verehrung vor der Heiligkeit des alten Reichs und ein durch die Erinnerung an eine großartige Geſchichte geſtärkter Nationalſinn mächtig geweſen wären , es würde im fünfzehnten Jahrhundert ſchon das Reich auseinander gebrochen fein . Durch die Kraft des Princips der Einigungen hätte es nicht zuſammengehalten werden können . Es hatte fich aber ſchon am Studium des . römiſchen Rechts ein klareres Rechtsbewußtſein entwickelt. Dem iſt es zu danken , daß im fünfzehnten Jahrhundert immer klarer und beſtimmter die Noth wendigkeit erfannt ward, das im Fehderecht geübte Recht der Selbſthülfe, worauf die Eidgenoſſenſchaften beruhten , anfzuheben. Schon der dem Kaiſer Sigismund als Rathgeber zur Seite ſtehende Kurfürſt von Brandenburg , Friedrich I. , hatte einen Plan zur Errichtung eines allgemeinen und ewigen Landfriedens in den Gebieten des Reidis entworfen. Doch erſt gegen das Ende des Jahrhunderts war ſo viel erreicht, daß man über den Gegenſtand , wie über die Errichtung eines allgemeinen Reichs gerichts zur Aufrechthaltung dieſes Friedens einig geworden war. Unläugbar zeigte fich in der Erridjtung des Reichsfammer gerichts ein bedeutender Fortſchritt in der Entwidlung des 1
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Rechtsbewußtſeins der Deutſchen. Das Fehderecht, welches feit den älteſten Zeiten ihrem individuellen, fräftigen Sinn ents fprochen hatte , ſollte nunmehr gånglich und unbedingt aufges hoben werden . Zwar hatte es niemals beſtanden ohne durdy die Sitte gemäßigt zu ſein , auch waren im Ritterthum roherer Ausübung deſſelben Schranken geſeßt; theils jedod war es in 1
der mannigfaltigften Art gemißbraucht worden, theils entſpricht 1
es überhaupt nicht einem nach vernunftgemäßen Begriffen geord neten Staatsleben. In der Vernunftmäßigfeit aber , die fich in der Aufhebung deſſelben ausſpricht, liegt grade das Bedeutende, und dies ſtammt ohne allen Zweifel von der wiſſenſchaftlichen Beſchäftigung mit dem römiſchen Rechte her. In dieſem Stu dium hatte der allgemeine Begriff des Staats und des Staats bürgerthums ſich zu entwickeln begonnen , und bildete fidh ferner 1
noch weiter fort. In Folge deſſen aber famen neue politiſche Elemente in das Leben des deutſchen Volfs. Ein klares Bes
wußtſein davon , daß das Individuum allgemeiner Gefeßlichkeit unterwürfig ſein müffe, erwachte immer lebendiger und gewann in den zur Aufhebung des Fehberechts und zur Herſtellung eines ewigen allgemeinen Landfriedens erlaſſenen Gefeßen öffentliche verfaſſungsmäßige Anerkennung. So kam in der Reichsverfaſ fung ein Princip zur Geltung, deſſen Begriff nur durd die wiſſenſchaftliche Beſchäftigung mit dem römiſchen Rechte zum flaren Bewußtſein erhoben worden war.
In dieſem Principe lagen allerdings die bedeutendften Mo mente ; indeß nach der Art und Weiſe wie es ins Leben trat
und bei den mannigfaltigen demſelben entgegen ſtehenden Mäch ten , mit denen es zu kämpfen hatte , konnte es natürlich nicht
einfach, rein und klar zu ſelbſtſtändiger Durchbildung gelangen. Dem ſtand ſchon das in der Seele des deutſchen Volfs ſo mäch
tig waltende Princip der Perſönlichkeit entgegen. Indem fich das Princip anklammerte an die in unförmlichen Maſſen das ſtehenden , faſt möchte man ſagen , in Schutt liegenden Trümmer der alten Reichsverfaſſung entſtand ein gewaltiger Kampf, der 3*
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nur in Jahrhunderten einer Ausgleichung fich nähern konnte. Dabei verſteht es fid, überdies noch von ſelbſt, daß das dem all
gemeinen Begriffe des Staats und Staatsbürgerthums entſprechende Princip im Leben des deutſchen Volks niemals im vollen Siege wird auftreten können , da in dem gemüthlichen Sinne des Deutſchen das Weſen freier ſittlicher Perſönlichkeit zu hoch und heilig gehalten wird, als daß es geſchehen könnte. Nur durdy
eine Verſöhnung in der Art, daß eine Form gefunden werde, in welcher beide Principien auf eine geiſtige und lebendige Weiſe im Weſen des Friedensgeiſtes fich durchdringen , wird der Ge genſaß auszugleichen ſein .
Zwar hatte ſchon und beſonders in Folge deſſen , was fich baran geknüpft, daß Karl dem Großen die Kaiſerkrone aufs Haupt geſeßt worden war , das Reich eine dem abſtrakten Staats
begriff ſich mehr nähernde ydee in fich aufgenommen. Nach dem Charakter des neunten und der demſelben zunächſt folgen den Jahrhunderte war aber in Rückficht auf die Verhältniſſe des deutſchen Reiche dieſe Idee theils nicht zu einem flaren beſtimmten
Rechtsbegriffe ausgebildet , theils das Augemeine, was der Vor ſtellung nach in ihr lag , an die Vorſtellungen von der Kirche und von dem Verhältniſſe des Reiches zur Kirche geknüpft wors den. Der päpſtliche Hof war gewiſſermaaßen an die Stelle deſſen getreten, was in der Republik als die ewige Roma verehrt wor den war. Dazu fam außerdem noch, daß im Geiſte des Mittel alters die Naturmomente des menſchlichen Daſeins auf Erden
nicht zu ihrer vollen Berechtigung gekommen waren , und ſomit auch das ganze, volle Weſen des Menſchen in den politiſchen Begriffen des Mittelalters nicht die gehörige Anerkennung noch in den Einrichtungen, nach welchen die Reichsverhältniffe geordnet waren , die geziemende Würdigung hatte finden fönnen. Alles aber, was in dem ganzen, vollen Weſen des Menſchen in deſſen Verhältniß zur Erde gegeben iſt, zu berückſichtigen und demſelben zu genügen iſt die Aufgabe des nach vernunftgemäßen Principien zu errichtenden Staates.
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Schon iſt im Vorhergehenden darauf verwieſen worden, daß Naturmomente es waren , in deren Aufregung das forolin giſche Reich auseinander brach. Daß ſie nicht in einer einfachen, 1
ſelbſtſtändigen Entwicklung zu harmoniſcher Ausbildung ſich durch ringen konnten , dies lag in der denſelben gegenüber waltenden Macht des Geiſtes des Chriſtenthums. Unterdrüden ließen ſte ſidy jedoch nicht, und indem ſie immer mächtiger in der Bruſt des Deutſchen ſich regten , aber in der Wurzel ihres eigenen Daſeins dem Geiſte des Chriſtenthums gegenüber wirklich keine 1
Berechtigung hatten , erhob ſich freilich ein Kampf, in welchem Verwirrung in alle Verhältniſſe eindrang. Darin jedoch beruht die höhere , die geiſtige und wahrhaft fittliche Bedeutung dieſes Kampfes, daß in demſelben der chriſtliche Geiſt die Naturmo mente in der Seele innerlich durchdrang.
Man kann ſagen , es
wäre in dieſem Kampfe ein Säuerungsproceß vorgegangen , in welchem die alten Gegenfäße des Chriſtlichen und Heidniſchen nicht zwar fidy aufgehoben hätten 1, aber inſoweit einander näher geführt worden wären , daß eine lebendige Ausgleichung in der Art möglich geworden , daß durch den Geiſt des Chriſtenthums verklärt das Naturprincip zu der demſelben genügenden Berech tigung gelangen konnte.
Davon legt das Zeitalter der Reformation durd ſeinen
gangen , nach allen Richtungen, die in demſelben ſich regten, be ſtimmten Charakter hinlängliches Zeugniß ab.
Von der einen
Seite trat Luther auf, um die chriftliche Kirche von den Banden
zu befreien , von denen ſie in Folge deſſen war umſchlungen worden, daß ſie, dem Geiſte ihres Stifters und Herren zuwider, bei ihrem Auftreten in der heidniſchen Welt in mannigfaltig falſcher und verfehrter Weiſe äußerlich einen Frieden mit dem
Heidenthum geſucht und in der Art herzuſtellen bemüht geweſen, daß dem Princip deſſelben Zugeſtändniſſe gemacht worden waren, wenn die Heiden nur mit dem Munde zu dem Banner des Kreuzes ſich bekannten. Wohl hatte es in den Verhältniſſen gelegen und war an ſich vernünftig geweſen , daß die Bekehrer
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und die den Meubekehrten vorgeſepte Geiſtlichkeit beſtrebt geweſen
waren , um den chriſtlichen Lehren leichteren Eingang zu ver 1
Tchaffen , ſie an mythologiſche Vorſtellungen der Heiden ángu knüpfen. Gegen den auch von Päpften den Befehrern ertheilten flugen Kath , dies zu thun, iſt nichts einzuwenden . Denn von irgend einem in dem Bewußtſein der Heiden liegenden Punkt mußten die Befehrer ausgehen, um überhaupt nur ein Verſtändniß mit den Heiden zu vermitteln. Daß aber hierin die Kirche zu weit gegangen iſt und namentlich bei ihrer Gründung im römiſchen Reiche den Formen des heidniſchen Götterdienſtes zu viel nach gegeben hat, iſt eine Thatſache, die offen zu Tage liegt. Freilich war die heidniſche Welt, als ihr zuerſt das Chriſtenthum gebracht ward, noch nicht reif dazu , den freien Geift des Chriſtenthums
in freier Weiſe in fich aufzunehmen. Nur erſt in allgemeiner Weiſe machte er fich in der römiſchen Kirche geltend. Es lag allerdings eine weltgeſchichtliche Nothwendigkeit darin , daß zuerſt in dieſer Form das Chriſtenthum ſich die heidniſche Welt aneig
nete. Sie mußte erſt durdfäuert werden vom dyriſtlichen Geiſte, ehe die heilbringenden Reime deſſelben feſte, lebensfräftige Wurs
zeln in der Seele jedes Einzelnen faſſen konnten. Die Noth aber ftieg um ſo mehr als eine Zeit eingetreten war, in welcher bie Form des Beſtehens der Kirche in ihrer Allgemeinheit den
religiöſen Bedürfniſſen nirgends mehr genügte. Das Individuum war zu mächtig geworden und verlangte als ſolches auch nach dem Kelche des Heils ; nur indem es unmittelbar in der Gemein ſchaft mit Chriſto fich fühlte, konnte es wahrhafte Befriedigung
für feine religiöſen Bedürfniſſe finden. Nicht in Vermittlung in allgemeiner Weiſe durch die allgemeine Kirche, durch die Prieſter, pie wiederum nur in mannigfaltiger Abſtufung ihre geiſtlichen Rechte vom Papſte ableiteten , nicht in Vermittlung durch die
Heiligen und Märtyrer oder durch die Mutter Maria fonnte das Individuum das Heil finden , deſſen es fich bedürftig fühlte.
Die Schranken , die zwiſchen ihm und Chriſto durch ſolche Ver mittlungsſtufen gefeßt waren , mußten umgeſtürzt werden. Lange
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war dies Bedürfniß ſchon in der occidentaliſchen Chriſtenheit ges fühlt und erfannt worden bis die Ausführung deſſelben in Folge des großen Unternehmens von Luther gelang. Den Richtungen der von Luther begonnenen kirchlichen Reformation traten jedoch nod) von einer ganz anderen Seite her gleichzeitig Richtungen zur Seite auf, die auch um Freiheit des Geiſtes, aber in entgegengeſeßter Weiſe rangen. In Italien hatten ſich dieſe Richtungen ſchon längſt geregt ; aber gegen das Ende des fünfzehnten und zu Anfange des ſechszehnten Jahr hunderts erhoben ſie ſich in weiter fich verbreitender Ausdehnung zu höherer geſchichtlicher Bedeutung. In ihnen regte fich der Wiffensdrang, in welchem der Geiſt darum ringt, ſich deſſen, was er in fich hat und trägt , für fich ſelbſt zu verſichern und ſo im Beiſichſelbſtſein frei zu werden durch Vermittlung der Er
kenntniß. Man hat wohl die Richtung , die in der ſogenannten Erwachung der Wifſenſchaften mächtig fich regte, dem ſeinem Weſen nach gleich ſeßen wollen, was in der kirchlichen Refor mation ſich Bahn brach. Nidits jedod ift innerlich und weſentlich .
verſchiedener als Beides und doch geht es in der geiſtigen Ent
widlung der europäiſchen Menſchheit mit einer geſchichtlichen Nothwendigkeit in ſo hoher Bedeutung neben einander hin wie
nichts anderes. Luthers Streben und was damit näher zuſam menhing war auf die in der Welterlöſung und in dem durch Chriſtus gebrachten Geiſt des Friedens beruhende Freiheit gerichtet; in der Wiſſenſchaft dagegen wendet ſich der menſchliche Geiſt der Welt zu , um in ihr vermittelft des Erkennens einen flaren und 1
ſicheren Boden zu gewinnen , auf welchem er in den Kreifen feines Daſeins in ſelbſtſtändiger Beſtimmung, alſo nach ſeiner Weiſe frei, fich bewegen könne. Die eine Richtung, die religiöſe, geht nach innen und wendet ſich dem Seelenleben zu, die andere
geht nad) außen gegen die Welt , um dieſe im Bewußtſein zu verklären .
Wahrhaft frei auf Erden fann das Individuum in ſeinem
endlichen Geiſte allerdings nur werden inwiefern es das Bereich
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ſeines Daſeins, in dem es ſich bewegt , ſicher und klar durch ſchaut, und dazu in den Stand wird es nur geſeßt inwieweit es der nur auf wiſſenſchaftlichem Wege zu gewinnenden Begriffe fich bewußt wird , die den Principien alles deſſen, wovon es irgend wie ſich berührt fühlt, entſprechen. Wie man überhaupt und
im Allgemeinen von der Natur ſagen darf , daß ſie frei werde indem ſie in ihrer Harmonie und in der in ihr herrſchenden
ewigen Ordnung erkannt werde, ſo iſt noch in einem weit höheren Sinne zu behaupten , daß der Menſch innerhalb der Bereiche feines natürlichen Daſeins nur wirklich und wahrhaft frei werde durch Vermittlung der Wiſſenſchaft. Auf die Freiheit des Individuums bezogen ſich beide Rich
tungen , in deren kräftiger Anregung der Charakter der erſten
Hälfte des ſechszehnten Jahrhunderts beſtand. Dazu fam aber noch eine dritte von nicht minderer Bedeutung, die nämlich, die an die Entdeckung von Amerika und des Seeweges nach den öftlichen Theilen der Veſte der alten Welt ſich anfnüpfte. Nicht nur eröffnete ſich durch ſie der Blick in bisher faum geahnete Bereiche des Naturlebens der Erde ; es wurden vielmehr burd
fie auch die Wege für die Verbindung aller Völfer der Erde ge funden, und ſo die Herſtellung der zukünftigen Gemeinſchaft der geſammten Menſchheit vorbereitet. Was aud) ſonſt noch alles, wovon Vieles erſt in Zukunft fich entwickeln wird , an dies bes deutende Moment geknüpft ſein mag, für die allgemeine Geſchichte Europas und insbeſondere für die von Deutſchland entwickelte ſich an demſelben ein eigenthümliches Verhältniß , welches man faft als ein zufälliges zu bezeichnen ſich verſucht fühlen möchte,
wenn nicht daran weltgeſchichtliche Entwicklungen von der größs ten Wichtigkeit und Bedeutung , die Jahrhunderte hindurch von
den folgenreichſten Nachwirkungen geweſen ſind, ſich daran ange knüpft hätten.
Es bezieht ſich dieſe Bemerkung auf die Erhebung der Macht des Hauſes Habsburg zu ihrer größten Blüthe. Unter der Regierung Friedrichs III. war jene Macht in eine ſo ſchmachvolle
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Stellung gerathen, daß dieſer Kaiſer in Rückſicht auf ſeine Pläne,
die er in Verbindung mit dem Papſte Pius II. entwarf, faſt lächerlich erſcheint. Die ſchönſten Ausſichten für die Erhebung der Macht ſeines Hauſes eröffneten ſich freilich ſchon in Folge der Verbindung ſeines Hauſes mit dem burgundiſchen .
Dieſe
Verbindung war diplomatiſch angeknüpft, und was ſich daraus ergab, fann daher nicht als zufällig bezeichnet werden , Gin anderes Moment dagegen , durch welches ſich das Haus Habs burg in ſeiner welthiſtoriſchen Größe erhob , iſt deshalb zufällig
zu nennen , weil nichts von dem , woran es ſich anknüpfte, im voraus berechnet, vorbereitet oder vorausgeſehen war. Nur in Folge mehrer unerwarteter Todesfälle im königlic) - ſpaniſchen Hauſe fiel die ſpaniſche Krone und mit ihr die Herrſchaft in der erſt neu entdeckten Welt an das habsburgiſch - burgundiſdje Haus. So bildete ſich in der verbündeten Madyt des habsburs
giſchen Hauſes , nachdem auch Ungarn und Böhmen derſelben jugefallen war , eine Weltmacht aus , von der zu träumen , es
im Todesjahre des Kaiſers Friedricho III . Wahnſinn geweſen ſein würde. Ein geiſtiges Princip , welches von innen heraus in langwierigen geſchichtlichen Kämpfen um Geſtaltung gerungen und in einer ſeelenvoll harmoniſchen Weiſe fie gewonnen hätte, war in jener Madyt nicht zu erkennen . Das Princip , worauf fie beruhte, war das einer Hausmacht. Sie gewann aber eine höhere und eine ſehr hohe weltgeſchichtliche Bedeutung in dem an fte geknüpften ernſten Beſtreben, die geiſtigen Richtungen, die aus den geſchichtlichen Entwicklungen der zunächſt verfloſſenen Jahrhunderte hervorgekeimt in friſcher Lebenskraft aus den Tiefen der Zeit hervorgeſprudelt waren , niederzuhalten und zu unter drücken . Was als Traum dem Bewußtſein Friedrid )s III. in feinem Verkehr mit Aeneas Sylvius vorgeſdwebt hatte, das erſchien vor dem Bewußtſein ſeines mit Madyt begabten Urenkels, als dieſem die Faiſerliche Krone übertragen worden war, als ein Mögliches , was in die Wirklichkeit zu ſeßen wäre. Die ganze nunmehrige Macht des Hauſes Habsburg fodte für den Zweck
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verwandt werden , den auf die Zukunft hinweiſenden Richtungen einen Damm entgegenzuſtellen. Die alte Kirche, das alte Reichy ſollten beſchüßt und geſichert werden gegen die Angriffe, die nothwendig aus jenen Richtungen , wenn ſie ſich Bahn brechen wollten, hervorgehen mußten . Gegen die ungeheure Madyt indeß, die dem Raiſer Karl V. zu Gebote ſtand , und die theils in Spanien , theils in Merifo und Peru , theils in Ungarn und Böhmen ihren Halt hatte, 1
regte ſich der Geift des deutſchen Volks.
Shn 311 überwinden
blieb dem Kaiſer' unmöglich. Doch in ſeinen Nachfolgern ſeşte der vergebliche Kampf fich fort. Deutſchland gerfiel dabei , die alten Reichsverhältniſſe löſten ſich immer mehr und mehr auf; doch auf den Trümmern des alten Reichs aus dem ureignen Geiſte des deutſchen Volfs eine in lebendigem Geiſte der Zukunft entgegenreifende Macht in harmoniſcher Geſtaltung zu gründen, blieb dem Hauſe Habsburg eben ſo unmöglich wie die Erreichung des Zweckes , das Reich in ſeinem alten Beſtande zu erhalten, Aus dem Innern der deutſchen Lande, vom Rhein weg , aus
Franfen und Schwaben, wo das deutſche Königthum im Mittel alter ſeinen Mittelpunkt gehabt, hatten ſich die Mächte des alten
Reichs fernhin an die Donau gezogen ; der Sig des Hauſes, welches , wenn auch nicht der Form, doch der Sache nach, fich in den erblichen Beſtß der Kaiſerkrone geſeßt hatte, war an der Grenze von Ungarn in einem zwiſchen ſlaviſchen Gebieten ſchmal fich durcyziehenden Landſtriche belegen. Von hier aus ließ fich feine neue deutſche Macht gründen. Man mußte fich damit begnügen, vorzugsweiſe an die in Ungarn , Böhmen und Stalien wurzelnde Macht ſich zu halten .
Für die Vertheidigung deſſen aber, was im ſechszehnten Jahr bundert im Leben des deutſchen Volfs mit Madyt fidy geregt
hatte und was, obgleich in ganz anderem Sinne ſchon hinlänglich berechtigt, allein durch die Macht, in der es hervortrat, auf ges ſchichtliche Anerkennung Anſprüche hatte , konnte ſich bis auf die Zeit nach dem dreißigjährigen Kriege fein fefter, harmoniſch ges
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ſtalteter Mittelpunkt bilden . Irre ſchwanfte das Schickſal der Proteſtanten umher ; nirgends fanden ſie einen feſten Stüß- und Haltpunkt. Nur mit Mühe konnten ſie ſich in ihren Rechten erhalten und waren dabei in mannigfaltiger Weiſe auf den Beis ſtand und die Hülfe fremder Mächte verwieſen. Die Keime zur Gründung einer aus dem Leben des deutſchen Volfs ſelbſtſtändig fich entwickelnden organiſch geordnet im Geiſte deſſen , was ſo lange ſchon um Geſtaltung gerungen und ſchwere Kämpfe zu beſtehen gehabt hatte, fich bildenden Macht legte erſt in der leßten Hälfte des fiebzehnten Jahrhunderts der große Kurfürſt Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der Gründer des preußiſchen Staats.
Die weltgeſchichtliche Stellung des
preußiſchen Staats.
Der preußiſche Staat iſt ein in allen ſeinen Beziehungen den jüngſten Zeiten und der Zukunft angehöriger. Eine Ur- und Vorgeſchichte findet derſelbe jedoch in der Geſchichte des Länder gebietes, von welchem als von ſeinem Mittelpunkte aus er fidh
emporgebildet hat. Schon in den früheſten Zeiten , in welchen die Deutſchen in der Geſchichte auftauchen , war das Land zwi ichen der Elbe und Oder von einer ſehr großen Bedeutung. Es hauſten hier durch ihr heidniſches Heiligthum vereinigt die Semnonen, der älteſte Stamm der ſueviſchen Kriegerſchaaren , die auf ihren Kriegsfahrten in die Länder der Slaven und Kelten weit in denſelben herumſtreiften, doch in jenem Heiligthume ihrer Stammesgenoſſen in älteren Zeiten den ſie vereinigenden Mittel punkt fanden. Daß dieſe Schaaren es waren, aus deren Streif zügen die Bewegungen der ſogenannten großen Völkerwanderung fich entwickelten , daran darf heutigestages nicht mehr gezweifelt werden .
Von dem Lande der Semnonen ſonad iſt der erſte
Anſtoß zu jener großen Bewegung gekommen , in welcher die
germaniſchen Völker im Verkehr und in mannigfaltigen Kämpfen
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mit dem römiſchen Reiche befangen es endlich umſtürzten , auf den Gebieten deſſelben ſich anſiedelten, die Reiche des Mittelalters
gründeten und ſo zu ihrer welthiſtoriſchen Bedeutung fich empor fdwangen.
Während dies geſchah waren die Sueven aus ihrer urſprüng lichen Heimath verſchwunden ; es traten nunmehr dafelbſt die Slaven auf, die hier Jahrhunderte lang ein an Ackerbau und Viehzucht geknüpftes minder bewegtes Leben führten, in welchem bedeutende Richtungen zu weltgeſchichtlichen Entwicklungen fich nicht entfalteten. In das Bereich geſdyichtlicher Kämpfe wurden fte faſt nur an den Grenzen der von ihnen beſeft gehaltenen Gebiete durch die Deutſchen hineingezogen . Was in dieſer Rüc
ficht in ihrem Geiſte ſich geregt hat , darf größtentheils auf An regungen ſowohl durch heidniſche dem frånfiſchen Reidye feindſelig
gegenüberſtehende Sachſen als durch ffandinaviſche Wifinger und endlid; durch Angriffe von Seiten des frånfiſchen und ſpäter des deutſchen Reichs zurückgeführt werden. Erfolgreich gefrönt durc) Begründung dauernder Zuſtände wurden dieſe Angriffe erſt im zwölften Jahrhundert. Es war die Zeit der Kreuzzüge, in welcher dies geſchah.
Während der
ſelben hub überhaupt in den Oftfeegebieten, in den Ländern des Nordens von Europa ein weltgeſchichtlich bedeutenderes Leben fich zu regen an . Zwar hatte in mannigfaltiger Weiſe ſchon früher außer durch die Urwanderungen der Sueven der Norden durch Schaaren, die er in den Zügen der Sachſen und in denen
der Normannen über die See ausgeſandt hatte, bedeutend auf 1
die Länder des Weſtens und Südens von Europa eingewirft. Auch hatte ſchon im eilften Jahrhundert Kanut der Große im chriſtlichen Sinne ein über die Nordſee fidy ausdehnendes Reidy gegründet.
Die Madyt deſſelben hatte jedoch nur in einer weſt
lich und nördlich ſich ausbreitenden Meeresherrſd)aft beſtanden. Im zwölften Jahrhundert aber wurden die diesſeits und jenſeits der Oſtſee belegenen Länder in einer weltgeſchichtlich weit bedeus tenderen Weiſe in das allgemeine Bereich der Geſchichte der
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Völfer der Mitte von Europa hineingezogen . Vom Weſten aus zog gegen die Wenden im Dften Heinrich der Löwe ; vom Nors
den aus reichte ihm Waldemar zwar die Hand; doch es durchs Freuzten ſich auch die Pläne Beider. Es war die Frage , wer in den Ländern zwiſchen der Elbe und der Dſtſee herrſchen ſolle. Eine Macht mit königlichen Rechten übte Heinrich der Löwe in den Ländern zwiſchen der Elbe , Peene und Eyder; doch er ver lor ſie an Dänemarf. Aber auf die Idee eines an den Küſten der Dſtfee zu errichtenden deutſchen Königthums hatte doch ſchon ſeine Macht hingewieſen . Immer mehr wachten im Norden
weltgeſchichtlidie Regungen auf, ſeitdem ſchon im eilften Jahr: hundert Adalbert Erzbiſchof von Bremen hier ein Bereich lebhafter
Thätigkeit gefunden und auch der Kaiſer Heinrich IV. in die Bewegungen des Sachſenfrieges hineingezogen worden war. Das aber was nördlich und öftlich von der Elbe durch Otto
den Großen gegründet und, während die Blide und die Thätig keit der Kaiſer auf Italien gerichtet worden , wieder zertrümmert
war, ward erſt im Jahrhundert der Kreuzzüge wieder hergeſtellt. Nur die in die Dſtſeeländer unternommenen Kreuzzüge find
in Rückſicht auf ihren nächſten Zweck, in heidniſchen Ländern das Kreuz aufzupflanzen , von dauerndem Erfolge geblieben.
Nicht ohne vielfache Kämpfe erwudys hier in der Mark Bran denburg eine Macht, die im dreizehnten Jahrhundert , während die deutſchen Ritter auch in den Ländern jenſeits der Weichfel das Kreuz aufpflanzten und ihre Herrſchaft daſelbſt gründeten, immer weiter gegen den Dſten ſich ausbreitete. Sdyon glaubte, in ſeinen Hoffnungen , die Macht der Städte des Hanfebundes an fich knüpfen zu können , ſich wohltäuſchend, der Kurfürft Waldemar von Brandenburg im vierzehnten Jahrhundert den
Plan faſſen zu dürfen , eine auf ganz andere Principien, als auf welche das Reic; erblüht war , gegründete Macht zu fchaffen. Dieſer Plan war jedod, jedenfalls zu voreilig gefaßt. Denn weder hatten die Principien, worauf die Madyt der Städte gegründet war, in dem Bewußtſein der damaligen Zeit eine ſolche Anerkennung
gewonnen , daß an fie in allgemein bindender Weiſe der Begriff einer wahrhaften Heiligung politiſcher Verhältniſſe ſich hätte fönnen anknüpfen laſſen , noch wäre zu erwarten geweſen , daß ein Reichsfürſt dahin hätte gelangen können, die Geſinnung der Bürger mächtiger nach Freiheit ringender Städte zu gewinnen.
Adel und Bürgerlichkeit waren im Bewußtſein wie im Leben noch zu ſehr geſchieden , als daß zwiſchen dieſen beiden Mädyten eine Verſöhnung möglich geweſen wäre. Die in dem Bereiche feiner Herrſchaft vereinigte Ritterſchaft zu dem Bürgerſtande in den mächtigen Hanſeſtädten in ein harmoniſches Verhältniß zu bringen, würde Waldemar, deſſen Ritterſchaft ohnehin ſchon theilweiſe
mit dem Könige von Dänemark verrätheriſche Umtriebe ange knüpft hatte , nicht im Stande geweſen fein , viel weniger aber noch, den Gegenſatz auszugleichen , in welchem die Macht der Hanſeſtädte den Königen des Nordens und den Fürſten und Herren des deutſchen Reichs gegenüberſtand. Bedeutſam iſt der Plan, an deſſen Ausführung, wenn audy nur um dieſelbe vor zubereiten, er ohne Zweifel gedacht hat, in der Beziehung , in welcher er Hindeutungen auf die Zukunft enthält. In weit ſchärferer Beſtimmtheit und in weit größerer Aus dehnung faßte Karl IV. , als er in den Beſitz der Mark Bran denburg gekommen war, einen ähnlichen Plan zur Bildung eines großen, auf Kunſtfleiß, Gewerbe und Handelsverkehr gegründeten 1
Staates im Norden. Böhmen wollte Karl IV. zum Mittelpunkte
der von ihm zu gründenden Macht erheben. Von den böhmiſchen Gebirgen aus warf er ſeinen Blick die Elbe hinab an die Nordfee,
und über die Lauſit, Brandenburg, Mecklenburg und Pommern die Oder entlang an die Oftree. Von Rom und Italien, wohin das ganze Mittelalter hindurch von Deutſchland aus die Augen gerichtet geweſen, und wohin ſein Großvater noch in phantaſtiſder Begeifterung gezogen war, wandte er ſeine Blicke ab. So ſprady
ſich an ſeiner Geſchichte eine große Umkehr aller Weltgeſchichtlichen Verhältniffe in Rückſicht auf Deutſchland aus. In der Geſchichte ſeines Sohnes Sigismund ſchienen aber audy noch andere Ver
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hältniſſe in ihren Keimen ſich andeuten zu wollen .
War die
Aufmerkſamkeit Karls in nordweſtlicher Richtung hingezogen , ſo wandte fich dagegen die Thätigkeit Sigismunds dem Süds often zu. Mancherlei Betrachtungen ließen ſich an den Gedanken
anknüpfen, der ſich bei näherer Erwägung deſſen, was als Idee in der Geſchichte des Luremburgiſchen Hauſes ſich bewegte , dem Bewußtſein unwillführlich aufdrängt. Wenn auch nicht in der Art , wie es in dieſer Geſchichte änßerlich angelegt ſchien , eine Verbindung zwiſden den Ländern der Dſtſee und denen des
ſchwarzen Meeres jemals wird zu Stande kommen können , ſo wird man dod) in jener Idee einen , wenn auch übel angelegten 1
Verſuchy, Verbindungen zwiſchen den Ländern der Elbe und denen
der Donau herzuſtellen, nicht verkennen fönnen. Auf friedlichem Wege dieſen Zweck zu erreichen , wird unſere Zukunft durch die heutigestages in ſo hohem Grade erleichterten Verbindungsmittel im Stande fein.
Das Haus Luremburg erlag den Verſuchen zur Ausfüly rung ſeiner falſdy angelegten Pläne. Schon lange vor ſeinem Tode hatte der Kaiſer Sigismund fidy bewogen gefühlt oder vielmehr fidy in die Nothwendigkeit geſegt geſehn , die Marf I
Brandenburg an Friedrich Burggrafen von Nürnburg abzutreten. Dieſer Fürſt fand das Gebiet des ihm vom Raiſer und Reidy
übertragenen Kurfürſtenthums bekanntlich in der traurigſten Lage. In Kampf mit den Ständen gerathen , vergaß er dabei zugleich) auch nicht in Hinblick auf die Küſten der Oſtſee die an ſein Kurfürſtenthum geknüpften Anſprüche an Pommern und Med
lenburg in Erinnerung zu bringen . Es kam dabei freilich nicht zum Austrag; doch ſpäter ſind die Verhältniſſe ſo geordnet wor den , daß der Anfall beider Herzogthümer an Brandenburg in Ausſicht geſtellt warb , und in Folge deſſen das eine derſelben zur glücklichen Stunde der Mark verbunden worden iſt.
Mit
mancherlei verworrenen Verhältniſſen hatte im Laufe des fünf zehnten Jahrhunderts das neu in die Mark gekommene Herr jQerhaus noc) zu kämpfen . Für die Herſtellung der zur Zeit
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der bayeriſchen Herrſchaft überall zerfallenen Ordnung hatte Karl IV. zwar zu ſorgen geſucht; doch was durch ihn auch zu Stande gebracht war , das zerfiel wieder nach ſeinem Tode. Eine völlige Anarchie war in der Mark ausgebrochen als Friedrich Burggraf von Nürnberg in derſelben auftrat. An dieſe Anarchie knüpfte ſich ſein Kampf und der ſeiner Nachfolger gegen Ritterſchaft und Städte. Es war ein Rampf für Drd nung und Recht, und inwiefern er dies war, lag für das Herr ſcherhaus die innere Berechtigung dazu , ihn aufzunehmen und durchzuführen. Wenn es nicht ein ſolcher Kampf geweſen wäre, würden die Kurfürſten auch nicht ſtegreich daraus hervorgegangen ſein. In jedem einzelnen Falle aber, der dabei vorgefommen ift, 1
auch in äußerlicher Beziehung die Berechtigung nachzuweiſen, dies würde hier nicht der Ort ſein und , wenn man es unters nähme, viel zu weit führen.
Außer der Anarchyie aber, der abzuhelfen war, herrſchte ein
damit allerdings in Verbindung ſtehender Zwieſpalt, der jedoch aus tieferen geſchichtlichen Gegenſäßen entſprang. Ritterſchaft und Bürgerſtand waren auf's höchſte gegen einander verfeindet. Wie zwei feindliche Heere ſtanden fie fich gegenüber. Dabei kam es denn nun für die Fürften darauf an , in dieſem Streite
die übermüthig fick gebärdenden Mächte gebändigt und im Zaume zu halten. Der Stegreif ward das ganze fünfzehnte Jahrhundert hindurch betrieben , und wenn derſelbe ſchon an ſich nicht aus dem Fehderecht zu entſchuldigen , geſchweige denn zu rechtfertigen iſt, ſo konnte er am wenigſten geduldet werden ſeit dem Beſchluſſe des Reichs wegen Einführung eines allgemeinen ewigen Lands friedens. Als man ſelbſt noch im ſechszehnten Jahrhundert im offenbaren Widerſpruch mit den Gefeßen des Reichs nicht von der Betreibung deſſelben ablaffen wollte, trat mit großer Schärfe und Strenge Joachim I. dagegen auf. Ihm gelang es endlicy, dem Unweſen ein Ende zu machen, wie er denn auch dem Uebers muth der Städte , wo dieſer noch ſich zu regen wagte , als Landesherr zu begegnen wußte. 4
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Wahrhaft heimiſch in der Marf ward das que Franken
gekommene Fürſtengeſchlecht erſt unter ſeiner langen Regierung. Im Uebrigen mußte auch die Geſchichte der Mark Brandenburg von dem allgemeinen Geiſte des ſechszehnten Jahrhunderts , deſſen Entwicklungen in den zunächſt vorangegangenen Zcitaltern fidy vorbereitet hatten , ergriffen werden . Dies that ſich bald fund in der Moderniſirung der Verhältniffe. Auf die Gerichtsvers faſſung und auf die Gefeßgebung wurden immer mehr und mehr auch in der Mark die Principien des römiſchen Rechte , die überall Eingang gefunden hatten , übertragen . Das römiſche oder Kaiſerrecht erhielt als gemeines Gültigkeit ; das bisher gel tende fächfiſche blieb aber nur noch provincielles .
So ſuchte
man in der erſten Hälfte des ſechszehnten Jahrhunderts dem Alten das Neue anzupaſſen ; in der zweiten Hälfte folgten die erſten Verſuche , die Ergebniſſe der bisherigen Bemühungen zus fammen zu faſſen , indem man Entwürfe zur Aufſtellung eines
allgemeinen Landrechts abfaßte. In dieſem Allen lag der vors züglidiſte Anſtoß zu den Umwandlungen in den Rechtsverhältniſſen , welche im ſechszehnten Jahrhundert anhuben und bis auf die neueſten Zeiten im Fortſchreiten fich bewegt haben. Die ganze Form , die der preußiſche Staat in ſeinem Entſtehen annahm und im achtzehnten Jahrhundert in der ſchärfſten Weiſe fich ausbildete, iſt in ſeinen erſten Wurzeln an das angeknüpft, was unter Joachim I. in der Mark zu feimen begann und unter ſeinen Nachfommen fich lebendiger entfaltete.
Begann unter Joachim I. in Ausbreitung der aus dem rös miſchen Recht geſchöpften Principien die Idee des modernen Staats in ihren erſten Reimen Boden zu gewinnen, ſo eröffneten ſich ſchon unter ſeinem Sohne und Nachfolger, dem Kurfürſten Joachim II., für die dereinſtige Erhebung der Macht eines folchen Staats glänzende Ausſichten in die Zukunft. In dem eifrigen Beſtreben , dem furfürſtlich - brandenburgiſchen Hauſe Anſpruch auf den dereinſtigen Anfall des Herzogthums Preußen durch Mitbelehnung zu erwerben , ermatteten Joachim II. und ſein ges .
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treuer Stanzler Lamprecht Diftelmeyer nicht. Nach vielen müh ſeligen Verhandlungen erreichten fie endlich ihren Zwed. So waren Ausſichten auf eine Machtvergrößerung eröffnet, in der, als fie eingetreten, ein Haupthebel zur Erhebung des preußiſchen Staats gegeben war. Doch auch die Reime zu einem anderen in der Geſchichte des preußiſchen Staats ſo bedeutungsvoll fich entwickelnden Verhältniffe wurden ſchon zur Zeit der Regierung Joachim's II. ausgefät. Es fam mit Zuſtimmung der Stände
eine Erbverbrüderung zwiſchen dem kurfürftlich - brandenburgiſchen und dem fürſtlich liegnißiſchen Hauſe zu Stande. Durch dieſelbe ward dem Kurhauſe Brandenburg das Recht des Anfalls ſämmt licher, dem Herzoge Friedrich von Liegniß unterworfener ſchleft ſcher Länder nach dem Ausſterben der männlichen ehelichen Nachs
kommenſchaft dieſes Fürſten zugeſichert. So knüpften ſich ſchon um die Mitte des fechszehnten Jahrhunderts Verhältniffe an, die in ihren ſpäteren Entwicklungen von ſo großer weltgeſchichte licher Bedeutung für den preußiſchen Staat wurden . Hinge wieſen mag auch darauf werden, daß um diefelbe Zeit durch die
mehrmalige Befeßung der biſchöflichen Stühle zu Magdeburg und Halberſtadt mit Prinzen aus dem furfürſtlich- brandenbur
giſchen Hauſe die ſpätere Vereinigung beider Bisthümer mit der Mart fich einleitete .' von größerer Wichtigkeit noch war indeß die von dem Kurfürſten Johann Georg gegen das Ende feiner Regierung und gegen das des rechszehnten Jahrhunderts zu Stande gebrachte Vermählung ſeines Enkels Johann Sigismund mit Anna, der älteſten Tochter des Herzoge Albrecht Friedrich von Preußen. Zu den Ausſichten auf die Ausdehnung der
brandenburgiſchen Macht von ihrem Mittelpunkte, der Mark, aus an die Küſten der Oſtſee geſellten ſich bald in Folge jener Bermählung Hoffnungen auf die Anſiedlung diefer Macht an den Ufern des Rheins. Herrlich blühte aber auch in der Mark ſelbft unter jenem Kurfürſten das Volksleben auf. Betriebſamkeit
und Handel erwachten hier lebhafter in Folge deffen, daß viele Handwerker und Raufleute, die den von dem Herzoge Alba ir 4*
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den Niederlanden geübten Grauſamkeiten entflohen und in die
Marf wanderten , wo ſie Aufnahme und Schuß fanden . Im nordöſtlichen Deutſchland herrſchte zu Ende des rechea zehnten und zu Anfange des fiebzehnten Jahrhunderts im meres würdigen Gegenſaße gegen den Weſten Ruhe und Friede. Of fener Krieg war in den Niederlanden entzündet. Anderswo in den weſtlicheren Gebieten des Reichs ſtanden in ſehr erbitterter
Weiſe fürſtliche, geiſtliche und reichsſtändiſche Macht ſich gegen über und zugleich auch im Gegenſaße gegen die faiſerliche Macht. Im Nordoſten von Deutſchland war dagegen mit Einführung der Reformation die geiſtliche Macht gebrochen worden. Was zunäţiſt die Verhältniſſe der Mark Brandenburg betrifft, ſo bes ruht es haupſächlich in der urſprünglich militairiſchen Anlage der Marf und darin , daß in dem Gebiete der öftlich von der Elbe belegenen Länder ein von den übrigen Gebieten des Reichs mehr
abgeſonderter in ſich abgeſchloſſener Lebenskreis fich gebildet hatte, daß die markgräfliche Regierungsgewalt von allem Anfange an einen mehr monarchiſchen Charafter im Sinne einer reineren ,
ungetrübteren Landesherrſchaft hatte annehmen können. Geſtüßt auf die alten Rechte der markgräflichen Regierungsgewalt war eß den Kurfürften aus dem Hauſe der Burggrafen von Nürn berg um ſo leichter geworden , den aus anarchiſchen Zuſtanden hervorgegangenen Richtungen mit Erfolg zu begegnen und es zu verhindern , daß keine ſelbſtſtändigen Mächte ihnen feindſelig gegenüber ſich hatten erheben können .
Die Landfäffigkeit der
Bisthümer Havelberg und Brandenburg war ihnen ſchon im fünfzehnten Jahrhundert beſtätigt worden. Es hatte fich über haupt in der Mark Brandenburg Alles unter die landesherrliche Macht gebeugt, ſo daß überal in der Verwaltung größere Eins heit als anderswo in den Gebieten des deutſchen Reichs herrſchte. Außerdem trug aud) zur Erhaltung des Friedens dies in hohem Maaße bei, daß die kirchliche Reformation in einer ruhigen und
friedlichen Weife vor fich gegangen war und ohne beunruhigende Störungen überall fich geltend gemacht hatte.
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Im Inneren hatte fich zu Anfange des Fiebzehnten Jahrs hunderts die furfürſtliche Regierungsgewalt befeſtigt; nach außen eröffneten fich glänzende Ausſichten. Doch ehe Alles, was die Zukunft verſprachy, ſich erfüllen konnte, kamen nod ſchwere Prü fungszeiten über die Mark. Länder an den Küſten der Dſtſee und an den Ufern des Rheins fielen zwar dem furfürſtlichen Hauſe zu ; doch ehe man im Genuffe eines ruhigen Befißes eine auf denſelben geſtüßte in ſich befeſtigte Macht aufzurichten
beginnen konnte, verfloſſen noch trübe Jahrzehnte. Die grauen vollen Verwirrungen , die im ſiebzehnten Jahrhundert über das Reich einbrachen , trafen auch die Gebiete, in denen das furfürſtlich brandenburgiſche Haus unmittelbar zu walten hatte, in einer ſehr
barten Weiſe. Die länder, von roher Kriegsmacht überſchwemmt, wurden verheert ; rechtliche Ordnung mußte überall der Kriegs gewalt weichen. Ein ganzes Menſchenalter hindurch herrſchten überall und beſonders in den brandenburgiſchen Landen die fürch terlichſten Zerſtörungen . Zulegt ermatteten die in Gährung aufgeregten Mächte. Zur Entſcheidung über die Gegenſtände, um derentwillen der dreißig jährige Krieg geführt worden war, kam es im eigentlichen Sinne nicht. Den Proteſtanten ward zwar im weſtphäliſchen Frieden ihre Religionsfreiheit geſichert; doch die Katholifen , an deren Spiße das Haus Habsburg ftand, hielten ſich durchaus nicht in der Art für überwunden , daß fie der Ueberzeugung, es wäre für ſie an der Zeit, ihre alten Pläne aufzugeben, hätten Raum geben wollen . Nur ohnmächtig fich fühlend hatten fte dem Drange des Augenblicks nachgegeben und einen Frieden geſchloſſen , der bei wiedergewonnener Rraft auch wieder zu brechen war. Der weſtphäliſche Friede bezeichnet indeß der Sache nach wirklich das Moment der Auflöſung des Heiligen römiſchen Reiches deutſcher Nation. Nur ein fümmerliches Leben hat es noch, bis es im Zeitalter der Revolution völlig zu Grabe getragen warb, unter dem Schuße des öſterreichiſchen Hauſes fortgeführt. Dagegen erhob ſich ſeit jener Zeit ein Reich an der Dſtſee.
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Pommern war an Brandenburg gefallen und dazu war noch
zur Entſdjädigung für Abtretung von Vorpommern und Rügen an Schweden der Gewinn der Bisthümer Halberſtadt, Minden und Kamin gekommen , der Befiß des Erzbisthums Magdeburg verheißen worden . Zu dem ruhigen Befiße der ſchon zu Anfange
des Jahrhunderts ſeinem Hauſe zugefallenen Länder am Rhein, die bisher größtentheils von ſpaniſchen oder von Truppen der Generalſtaaten der vereinigten Niederlande befeßt gehalten wor den waren, gelangte der Kurfürſt Friedrich Wilhelm von Bran Denburg. So waren Machtverhältniſſe gegeben, auf deren Baſis ein großes Gebäude ſich errichten ließ.. Doch um den Grund zu dieſem Gebäude zu legen , hatte der große Kurfürſt harte Kämpfe zu beſtehen.
Vielfad, iſt er willführlicher Eingriffe in die Rechte der Stände beſchuldigt worden . Unläugbar auch iſt, daß er in fei ner Macht die der Stände in den verſchiedenen Provinzen ge
brochen habe. Um aber das Verhältniß , in welchem er zu den Ständen der verſchiedenen Ländergebiete, die ſeiner Herrſchaft unterworfen waren , richtig zu beurtheilen , darf man weniger von dem Standpunkte der Betrachtung vereinzelter Rechtsver hältniffe als von dem allgemeiner geſchichtlicher Bewegungen ausgehen. Er iſt in ſeiner Herrſchergröße zu faſſen , wenn man ihn überhaupt in ſeiner Perſönlichkeit und in ſeiner Stellung, die Weltgeſchichtliche Bedeutung hatte , faſſen und richtig beur theilen wil. Die ihm geſtellten geſchichtlichen Aufgaben traten ſchon frühe ſeinem Bewußtſein entgegen. Er wuchs auf in der Bewunderung Guſtav Adolfs und faßte ſchon frühe eine jugends liche Begeifterung für ihn , mit der Begeiſterung für die Pläne des herrlichen Helden nothwendig zuſammenhing. Dazu fam die
Bewunderung der edeln Kraft ſeiner Vorfahren , in der fte im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts die Mark Brandenburg aus anarchiſchen Zuſtänden gänzlicher Zerrüttung herausgeriffen und im Laufe des ſechszehnten Jahrhunderts in Aufrechthaltung des
Rechts und Gefeßes , in Sorge für Drdnung und Friede das
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Volfsleben auf eine hohe Stufe der Blüthe erhoben hatten . Dieſe Blüthe war zur Zeit, als er den furfürſtlichen Thron bes
ſtieg, aus den Ländern , zu deren Beherrſdung er berufen ward, verſchwunden. Sie überall , wo er zu walten hatte, wieder hers zuſtellen, dies mußte bald nach dem Abſchluſſe des weſtphäliſchen
Friedens ein Hauptbeſtreben ſeines Wirkens ſein. Doch in den Werken friedlicher Thätigkeit ward er geſtört, und hineingezogen in Kämpfe für die Freiheit und Unabhängig feit Deutſchlands von fremder Herrſchaft wußte er auch in dieſer
Rüdficht der ihm gewordenen Aufgabe zu genügen. Nicht nur hatte im Laufe des dreißigjährigen Krieges Frankreich Deutſch land um einen guten Theil Landes beraubt, Soweben auch hatte fich innerhalb der Gebiete der deutſchen Grenzen feſtgeſeßt, und beide Mädte fühlten ſich in ihrer Eroberungsluft noch 1
durchaus nicht befriedigt.
Ihnen ſchien Deutſchland in einer
Lage fidy zu befinden , auf die ſie mancherlei Hoffnungen bauen zu dürfen glaubten. Zuerſt brach Karl Guſtav von Schweden loß gegen Polen und bedrohte dabei durch ſeinen Angriff unmit telbar das Herzogthum Preußen. Später entwickelte im Weſten Franfreich in Angriffen gegen die Niederlande ſeine Pläne. Un genügend waren die Beſtrebungen des faiſerlichen Hofes und des öſterreichiſchen Hauſes, den unmittelbar zunächſt angegriffenen proteſtantiſchen Mächten Beiſtand und Hülfe zu leiſten. Außer Defterreich fand fich aber in Deutſchland keine andere Macht
als die unter dem großen Kurfürften in jugendlichfriſcher Straft aufblühende brandenburgiſche. Friedrich Wilhelm erkannte die ganze Bedeutung ſeiner Stellung, die ihm ſchwere Pflichten auf legte. . Er wußte jedoch denſelben zu genügen. Rräftigſt nahm er ſich der Vertheidigung Deutſchlands gegen die von außen drohenden Gefahren an.
Eine Sade, die ſich
von ſelbſt verſteht, dabei war , daß er äußerer Mittel bedurfte, die ihn in den Stand ſeşten , die ihm durch ſeine Pflichten vor
geſchriebenen Zwede zu verfolgen. Zunädyſt war ein Heer auf
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die Beine zu bringen. Um dieſen Punkt drehte fich ſein Kampf mit den Ständen .
Eine ganz andere Art der Heeresverfaſſung, als welche im Mittelalter beſtanden hatte, war ſchon längſt nothwendig gewors den. Seit Jahrhunderten ſchon hatte ſich die ritterliche Kriegs Verfaſſung aufgelöſt. Stellvertretende Entſchädigung durdy Geld, beſtimmt nach Maaßgabe des Geldwerthes früherer Zeiten , konnte den für die Landesvertheidigung neu entſtandenen Bedürfniſſen
nicht genügen. Dieſe Bedürfniſſe vielmehr waren es, nach wel chen das Maaß der Leiſtungen zu ſchäßen war. Daß Friedrich Wilhelm eine im Verhältniſſe zur Ausdehnung ſeines Länder gebietes zu große Anzahl von Truppen jemals auf die Beine habe bringen wollen , iſt ihm nicht vorzuwerfen. Dennoch ftell ten fich hartnädig in ihrem Widerſpruch die Stände entgegen . Das , was durchaus das Bedürfniß des Allgemeinen erheiſchte, was dem Kurfürſten in der Stellung, die ihm durd die Ges ſchichte angewieſen, nothwendig war, weigerten ſte' ihm zu leiſten. So entſtand ein Kampf, von welchem mit Grund behauptet wer: den darf, daß der fiegreiche Ausgang deſſelben auch in Rüdficht auf das Recht die Entſcheidung gegeben habe. Denn einestheils würde er nicht den Sieg davon getragen haben , wenn er nicht
in der vorherrſdienden Geſinnung ſeiner Unterthanen eine mäch tige Stüße gefunden hätte. Wenn er aber eine ſolche, um ſeine Zwede durchzuführen, gehabt haben muß, ſo zeigt ſich eben darin die innere Berechtigung, die ſeinen Beſtrebungen und ſeinem durch dieſe bedingten Handeln einwohnte. Auch das darf hier nicht unerwähnt bleiben , daß er am Ende ſeiner Laufbahn in ganz
Deutſchland verehrt, herrlich und ruhmvoll daftand. Die Nach welt hat ihm den Beinamen des Großen beigelegt, und eben das durch fund gethan, daß er von ihr in ſeiner Gerechtigkeit erkannt worben wäre.
Anderentheils aber muß auch zur Bewährung der aufges
ſtellten Behauptung, daß der ſiegreiche Ausgang des Kampfes, um den es fich hier fragt,1 in Rüdſicht auf das Recht die Ents
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ſcheidung gegeben habe , auf die ſpäteren Entwidlungen in dem Bereiche deſſen, wozu er zuerſt den Grund legte , hingewieſen worben . Lange ſchon haben in glorreicher Entfaltung die Schwingungen deſſen gedauert, was er zuerſt in Bewegung feßte. In immer weitere Kreiſe haben ſie ſich ausgedehnt und ſchwin
gen immer noch in der lebhafteſten Bewegung fort. Solche, Zeitalter hindurch andauernde und in jedem einzelnen Menſchen
alter in erneuerter Kraft ſich wieder erhebende Bewegungen fön nen nicht aus der Ungerechtigkeit ſtammen. Daß auch der Rur
fürſt Friedrich Wilhelm die Kräfte ſeines Landes nicht übermäßig angeſtrengt noch bei etwa vorhanden geweſener Landesnoth gui viel von ſeinen Unterthanen verlangt hätte, davon legt das deuts
lichſte Zeugniß der blühende Zuſtand ab , in welchem er ſeine Länder dem Sohne hinterließ . Verheerte Felder, zerſtörte Dörfer und Städte hatte ihm ſein Vater hinterlaſſen. Sein Sohn das gegen empfing von ihm die Macht eines Königreiche. Und ſchon war dieſe geographiſch viel durchbrochene und von den fernen Küften der Oſtſee bis an die Ufer des Rheins ſich ausdehnende Macht während der Kämpfe mit den Ständen durch innere Noth wendigkeit zur Einheit gebunden. Auf den Mauern und Thoren
von Weſel wie auf denen von Memel wehten die brandenbur giſchen Fahnen.
Heeresmacht war es allerdings, in weldjer wie in allen Staaten und Reichen , die ſonſt aus Naturzuſtänden und im Kampfe gegen ſie zu felbſtſtändiger weltgeſchichtlicher Bedeutung fidi emporgerungen haben, die urſprüngliche Anlage zur ſtaatlichen Einheit Preußens beruhte. Nicht jedoch als friegeriſcher Erobes rungsſtaat bildete ſich die in einer beſtimmten , eigenthümlichen, ſelbſtſtändig geſchichtlidhen Richtung neu aufblühende Macht aus. Andere Principien als die eines Kriegerſtaates waren es , von denen ſie beſeelt ward. Es waren die des geiſtigen Fortſchrittes des Jahrhunderts. Die Bande des heiligen römiſchen Reichs. deutſcher Nation hatten immer mehr und mehr ihre Heiligkeit .
verloren . Dagegen hatte ſich im Studium des römiſchen Rechts,
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in welchem die moderne Rechtsphiloſophie der weſentlichen Haupts fache nach ihre urſprüngliche Wurzel hat , ein Rechtsbewußtſein entwidelt oder fing an , fid zu entwickeln , in welchem ganj in Widerſpruch mit den alten Rechtsprincipien , nach denen im Reiche im Laufe der Jahrhunderte die Verhältniffe fich geſtaltet hatten, neue fich geltend zu machen ſuchten. Der Begriff der Landeso hoheit wandelte ſich allmählid, nach und nach um in den der
Souverainităt. Ronnten freilich die Fürſten des deutſchen Reiche, fo lange ſie noch Lehnsträger des Raiſers waren nicht einer im eigentlichen Sinne ſouverain zu nennenden Macht ſich anmaaßen, ſo ging doch die von ihnen eingeſchlagene Richtung , in deren Verfolgung Ludwig XIV. das Beiſpiel gab , darauf hin , fich, ſoviel es den Verhältniſſen nach möglich war , einer ſouverainen Stellung zu nähern. Das Princip der modernen Souverainität kann durchaus nicht als ein reinperſönliches betrachtet werden .
Es knüpft ſich an daſſelbe weſentlich vielmehr der Begriff eines für den Zweck des allgemeinen Wohles in vernunftgemäßer Ge feßlichkeit beſtehenden Staates. Freilich liegt in dem Begriffe der an die moderne Monarchie geknüpften Souverainität zugleich auch der Begriff des perſönlichen Königthums , in welchem die 1
Staatsgewalt fich darſtellt; doch enthält jener Begriff auch noch
ein anderes Moment , wie es allein daraus erhellt, daß man aud von Souverainität des Volfs zu reden hat anfangen können, und wenn auch die Souverainität als von Gottes Gnaden ver
liehen mit Recht betrachtet wird , ſo iſt dies doch in Rüdficht auf die moderne Monarchie in einem ganz anderen Sinne ju nehmen, als in welchem von der Ertheilung der königlichen Würde durch Gottes Gnade im Mittelalter geredet ward. Im Mittel alter traten dem ganzen in demſelben herrſchenden Geifte nach
in allen Formen des öffentlichen Lebens die perſönlichen Momente im fittlichreligiöfen Sinne in einer ihrem eigenen Weſen weit mehr entſprechenden Geſtalt auf als in den neueren Zeiten. In
dieſen knüpften ſich an die wifſenſchaftliche Ausbildung des Rechts
bewußtſeins allgemeine abſtrakte Begriffe an. Solchen entſprechende
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Verhältniffe entwidelten ſich in der Macht des gelehrten Beam tenſtandes, ohne die der moderne Souverainitätsſtaat, den man
die Monarchie des achtzehnten Jahrhunderts nennen könnte, gar nicht denkbar ift. Dem Weſen dieſer Monarchie entſpricht der
Begriff des an das Königthum geknüpften und in demſelben ſeine perſönliche Darſtellung findenden Staats. Dies zeigt ftch ganz Deutlich und klar an der Art und Weiſe, wie im preußi ſchen Landrechte vom Staate und vom Staatsoberhaupte geredet wird .
Die eigenthümliche Verbindung des föniglich - perſönlichen und des ſtaatlich - begriffsmäßigen Princips in der modernen
Monarchie beruht in dem Fortgange aller geiſtigen Entwicklungen in der Geſchichte der europäiſchen Völfer überhaupt und beſon
ders des deutſchen Volks. An das germaniſcher Volfseigentlüm lichkeit ſo tief einwohnende Princip der Perſönlichkeit ſchloß fich in Anſichten , die im römiſchen Rechte ihre leßte Quelle hatten, das Princip des alterthümlichen römiſchen Staatslebens an. Doch überwinden konnte dies legtere Princip jenes andere nicht und wird auch nie in irgend einer Zukunft bazu im Stande
ſein.
Vermag es aber das Princip ſelbſt nicht zu überwinden ,
fo hatte es in feinem erſten Aufkeimen noch weit weniger Macht
gegen die alten geſchichtlich beſtehenden Verhältniffe, die in dem Principe der Perſönlichkeit aufgeblüht waren. Außer das es dem altgermaniſchen Sinne entſprach, daß das Siegel der Macht geheiligter föniglicher Perſönlichkeit verbleibe, hatten auch jene alten , von der Vergangenheit her beſtehenden Verhältniffe an und für ſich zu viel innere Berechtigung als daß der Geiſt
einer neuen Zeit ihnen gegenüber in Selbſtſtändigkeit fich hätte geltend machen können . Er mußte fidh an fie anſchließen und konnte nur unter dem Schuße der Macht, in der ſte fich beweg ten, zur lebendigen Entfaltung gedeihen. Außerdem aber waltete auch hier noch ein anderes beſonderes Moment vor , um der
eigenthümlichen Art und Weiſe, in welcher jener Geiſt in's Leben trat , die Beſtimmung zu geben. Im Sinne des Volke hatte
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er urſprünglich keine Wurzel. Was ihm entſpracy ſtammte aus fremder Quelle, aus anderen Zeiten her. Es fonnte nur durch Vermittlung der Wiſſenſchaft, die auf Gelehrſamkeit fich ſtüßte, wirkſam fich erweiſen. Hierin liegt der Grund davon, daß nach und nach ein gelehrter Beamtenſtand ſich ausbildete. Anfango traten die Doktoren nur als fürſtliche Räthe auf.
Feften Fuß
als gelehrte Beamte aber faßten ſie im deutſchen Reiche ſchon in Folge der Errichtung des Reichsfammergerichts.
Nach und
nach dehnten ſie auch an den Höfen , in den Gerichten und den Gebieten der Reichsfürſten ihre Wirkſamkeit mehr und mehr aus.
Doch zu einer reineren Durchbildung eines im föniglichen Dienſte ſtehenden und auf die königliche Madyt ſich ſtüßenden Beamtens ftaates iſt es eigentlich früher nirgends als im preußiſchen Staate unter Friedrich Wilhelm I. gediehen.
Die Möglichkeit der reineren Durchführung dieſer Principien im preußiſchen Staat beruhte in mancherlei geſchichtlichen Ver hältniſſen. Es iſt im Vorhergehenden ſchon auseinander geſeßt, wie in der Mark Brandenburg die fürſtliche Macht fich überhaupt ſchon frühe monarchiſcher ausgebildet habe wie in den Gebieten anderer Reichsfürſten. Dazu fam aber nun noch in dem ferneren Aufblühen der brandenburgiſchen Macht dies , daß in Folge des Ausſterbens der fürſtlichen Familien die Länder, durch deren Er werbung jene Macht anwuchs, durch Erbſchaft derſelben anheim
fielen. Bedeutende Mächte, die auf einem den Herrſchern gefähr lid; drohenden Kampf hätten eingehen können , fanden ſich nir gends vor. Damals vielmehr, als der große Kurfürſt ſein Wert begann , herrſchte überall in ſeinen Ländern in Folge der Ver heerungen des dreißigjährigen Krieges Verwirrung, Elend und Noth, und in Folge davon Ermattung. Der Boden war, fann
man ſagen , für die Grundſteinlegung feines Gebäudes geebnet. Es war einmal nicht anders , und daß es ſo war, dies muß deshalb hervorgchoben werden, damit die Anfänge des preußiſchen Staats , wie er in ſeinem Urſprunge aus ſeinen Reimen und
Wurzeln ſich hervorgehoben hat, richtig aufgefaßt werden.
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Ob der Beamtenſtaat mit dem souverainen Könige an der Spiße an und für fich dem höchſten Urbilde aller Staatsverfaſ fungen entſpreche, iſt eine Frage, deren Erwägung hier gar nicht hergehört. Hier kann nur die Rede ſein von den Principien, in welchen der preußiſche Staat in den geſchichtlichen Entwick
lungen , die einer höheren Nothwendigkeit unterworfen find, ers wachſen iſt, und davon , wie dieſe Principien den äußerlichen Verhältniſſen nach geſchichtlich fich geſtaltet haben . Soviel indeß iſt gewiß , daß für das Bewußtſein der zweiten Hälfte des ſteb zehnten und der erſten zwei Drittheile des achtzehnten Jahrhuns
derts eine hiſtoriſdie Nothwendigkeit vorgelegen haben muß, den Principien , die in der Geſchichte des preußiſchen Staats fich entfalteten, ſich zuzuneigen. Sonſt würde Friedrich II. nicht einer ſolden Verehrung , wie ganz Europa fie ihm zollte, theil haftig geworden ſein. Nicht bloß feine Heldenhaftigkeit war es, weshalb man ihn bewunderte; die ganze Art und Weiſe feiner Staatsverwaltung vielmehr war es audy, wodurch er die Blice Aller auf ſich zog. In ſeltſamer Weiſe fing man auf der pyres 1
näiſchen Halbinſel und in den öſterreichiſdyen Staaten Kaiſer Joſeph II. an , ihm nachzuahmen. Was aber in dem Bereiche,, in welchem Friedrich II. zu wirken hatte , vorbereitet durch die Arbeit ſeiner großen Vorfahren , möglich geworden , das ſtellte fich in folchen Bereichen , in denen ähnliche Vorbereitungen nicht hatten getroffen werden können, als ſehr unzweckmäßig heraus. Was in der Geſchichte des preußiſchen Staats vor dem Blide Aller fich flarer und reicher entfaltet hat, das wurzelte in dem, was ſchon der große Kurfürft gegründet hatte. Zwar hatte es in den Verhältniſſen gelegen , daß in dem unmittelbar dem Zeitalter des dreißigjährigen Krieges folgenden die Principien der inneren Staatsverwaltung nicht ſo ſchon fich hatten ausbilden und zu äußeren Formen fich geſtalten können , wie es unter Friedrich Wilhelm I. geſchah.. Doch Dody außer für die Errichtung und Ausbildung ſeiner Kriegsmacht hatte der Kurfürſt Friedrich Gelm nicht nur Sorge getragen für die Aufrechthaltung des
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Rechtes und der Geſeßlichkeit, ſondern auch in mannigfaltiger Weiſe für ein reicheres Aufblühen des Volfslebens nach allen Seiten hin. Was dadurch in Anregung gebracht war, entwickelte fich fort unter der Regierung ſeines Nachfolgers. Doch worin die Hauptbedeutung dieſer Regierung liegt, iſt dies, daß ihr es gelang, was bisher nur als furfürſtlich brandenburgiſche Hauss .
macht beſtanden hatte , zu einem Königreiche zu erheben .
Dem
Kurfürſten Friedrich III. hatte fein Vater eine Macht in einer Stellung hinterlaſſen, in der wohl Berechtigung zur Königsfrone liegen fonnte. Souverainität war ſchon an das Herzogthum Preußen gefnüpft, und ſchon zu Lebzeiten des Vaters waren hier und da Reden von einem Königreiche an der Dftſee layt
geworden . Das Wichtigſte indeß, was durch die Erhebung der furfürſtlich brandenburgiſchen Macht der Sache nach wirklich erreicht warb , war dies , daß die Einheit dieſer Macht fich im Königthume darſtellte. Bisher hatten verſchiedene Fürſtenthümer zur Macht des Hauſes der Kurfürſten von Brandenburg gehört. Der bloß äußerlichen rechtlichen Form nach wurde dies Ver hältniß freilich nicht dadurch geändert , daß der Kurfürſt Fried rich III. die Königskrone fich auf's Haupt fekte. Denn die dem Reidie unterworfenen Fürſtenthümer des brandenburgiſchen Hauſes fouten im ftaatsrechtlichen Sinne nicht zu den Gebieten des Königreiche gezählt werden . Der Kurfürſt von Brandens burg ſollte nur König in Preußen ſein, und nur dies Herzog thum ward zu einem Königreiche erhoben. Es wird indeß Nie mand läugnen wollen, daß die Behauptung der Würde und des Ranges der föniglichen Krone, mit der der Kurfürſt Friedrich ſich ſchmückte, auf der ganzen Macht feines Hauſes ruhte, und daß die Annahme der Krone ohne dieſe Macht gar keine Bedeu tung gehabt hätte. Die Macht des Herzogthums Preußen war nicht geeignet, der föniglichen Würde Halt zu verleihen. Jeder, der die Geſchichte und die politiſchen Entwidlungen in ihr auf eine lebendige Weiſe auffaßt,1 muß daher zugeben , daß das bei der Annahme der königlichen Krone von Seiten Preußens dem 1
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deutſchen Reiche gemachte Zugeſtändniß nichts weiter war als eine äußere bedeutungsloſe Form , wie fich denn dies auch in
dem Fortgange der geſchichtlichen Entwicklungen hinlänglich bes ftätigt hat.
Die Einheit, die in dem Königthume ihre Darſtellung ges
funden, hatte ihr Vorbild im brandenburgiſchen Heere gehabt und bildete ſich unter dem zweiten Könige von Preußen im fors meller geordneten Beamtenweſen aus. In Rüdſicht auf dieſes
ſepte befanntlich der König von Preußen aus eigener Bewegung eine Hauptreform durch. Es wurden die alten Behörden aufges löft und als oberſte Behörde das General - Ober- Finanz- Krieges und Domainen -Direktorium errichtet; dieſer Oberbehörde wurden in den Provinzen Krieges- und Domainen - Rammern unterges
ordnet. Der Juſtizverfaſſung eine allgemein durchgreifende Res form angedeihen zu laſſen nach Grundfäßen, die ſich in dem Bewußtſein ſeiner Zeit immermehr geltend gemacht hatten, wäre der König fehr geneigt geweſen, wenn er nur bei ſeiner mit den Jahren immer mehr zunehmenden Sparſamfeit dazu ſich hätte entſchließen fönnen , die für den Zwed nöthigen, unvermeidlichen Ausgaben zu bewilligen . Bis an ſeinen Tod wurde an Vers beſſerung der Kammergerichtsordnung und des ganzen Juſtizweſens gearbeitet ; doch fand Samuel Cocceji, der dieſe ihm aufgetragene Arbeit , mit Eifer, Rechtſchaffenheit und ausgebreiteten Rechtss kenntniſſen betrieb , bei ſeinen Kollegen noch zu viel Widerſtand, um mit ſeinen Vorſchlägen zu einer Hauptreform noch bei Leba I
zeiten Friedrich Wilhelms I. durchdringen zu können. Die Voll endung dieſes Werks blieb ſpäteren Zeiten aufbehalten.
Die
für die Verwaltung des Landes durch die Errichtung des Genes
ral- Direktoriums und der Kriegegs und Domainen - Kammern eingeführte Verfaſſungsbehörde hat dagegen bis zu der Zeit, in welcher fie durch die Stein - Hardenbergiſche erſet worden iſt,
keine weſentlichen Umänderungen erlitten . Das Syſtem in Rüd ſicht auf die Verwaltung des Landes wie auf die Verfaſſung des Heeres war ſchon unter Friedrich Wilhelm I. völlig ausges
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bildet.
Außer daß Friedrich II. dem Heere eine lebendigere
Seele einhauchte und demſelben eine größere Beweglichkeit gab, auch mit Eifer das Wert der Juſtizverbeſſerung in dem Sinne betrieb, in welchem ſein Vater ſchon daran hatte arbeiten laſſen, fand er, als er den Thron beſtiegen hatte , wenig Veranlaſſung, weſentliche Umwandlungen mit dem vorzunehmen , was ſein Vater geſchaffen hatte. Friedriche II. Verdienft beruht hauptſächlich darin , daß er durch die Eroberung einer reichen Provinz die Macht ſeines
Staates in einer Art und Weiſe erweiterte , die ihn bei ſeiner Perſönlichkeit in den Stand ſeşte, fich und ſeinen Staat in die Reihe der europäiſchen Weltmädyte zu erheben. Mit der Ero berung von Schleſien und ſelbſt mit den großen Anſtrengungen, die ihm die Pflicht, unter aller und jeder Bedingung den Befiß der gewonnenen Provinz zu vertheidigen , auflegte, wäre indeß noch nicht genug gethan geweſen. Audy das iſt ein großes Verdienſt, daß er mit Hülfe der in der Scule ſeines Vaters gebildeten Beamten , das neu dem preußiſdhen Staate hinzuge fügte Gebiet unter die Zucht des Gefeßes deſſelben zu nehmen wußte. In Folge deſſen entwickelten ſich reiche Blüthen im Volfs leben einer Provinz, in welcher bis dahin die herrlichſten Kräfte geſchlummert hatten. Was aber ſo durch ihn und auch in den anderen Theilen des Gebietes feines Staats für das Volf ge ſdhyah, dem feste er die Krone des Verdienſtes durch die Art und Weiſe auf, wie er von ſeinem Standpunkte aus in weiſer 1
Berechnung und fräftiger Thätigkeit feine politiſche Stellung zu den Großmächten Europa's ſo zu nehmen und die Verhandlungen mit ihnen ſo zu leiten wußte , daß er ſich ihnen als gleich zur Seite zu feßen vermochte. Unter ſeiner weiſen Regierung ent faltete fich die Macht des jungen , ſeit einem Jahrhundert erſt
aufblühenden Reiches an der Dſtſee. Es war ein Souverainitätsſtaat, dies Wort in ſeinem ſtrengſten Sinne genommen , was ſich in dem darſtellte, worin die Macht Preußens Geftalt gewonnen hatte. Daß die in ihm 1
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waltende Idee nicht ohne mancherlei Kämpfe zur Verwirklichung fich hatte durchringen können, dies verſteht fich nach dem in den geſchichtlichen Entwicklungen waltenden Gefeße von ſelbft. Nicht nur indeß entſprach der Charakter deſſelben dem im adytzehnten
Jahrhundert allgemein herrſchenden Charakter des Rationalismus, ſondern er genügte auch den Bedürfniſſen der Zeit, in welcher er in ſeiner höchſten Blüthe ſtand. Als dieſelbe fann die unmittelbar auf die Zeit des fteben :
jährigen Krieges folgende bezeichnet werden . Doch mächtiger regten fich ſchon überal in Europa Keine zu neuen Entwids lungen. Von folchen das Bewußtſein der europäſſchen Menſch heit allgemein ergreifenden Anregungen konnte audy der Geiſt des preußiſchen Volfe nicht unberührt bleiben.' Die Aufgabe, in welcher verſchiedenen Art und Weiſe man auch die Löſung derſelben herbeigeführt wiſſen wollte, war die, das Princip des Rationalismus , welches ſich auf der erſten Stufe ſeiner Ents
widlung an die beſtehenden Verhältniſſe der alten Zeit anges ( chloſſen und ſich Bahn gebrochen hatte1, in felbſtſtändigere Bes wegung zu ſeßen und es zu befreien von der Macht, unter deren Schuß es aufgeblüht war. Dieſe Macht aber ward in zweis facher Weiſe getragen . Einmal hatte ſie ihren Halt in dem Beſtande der Verhältniſſe, wie dieſe ſich von einein Zeitalter auf das andere übertragen hatten ; dann aber auch fand ſie ihren lebendigeren Stüßpunft in dem die chriſtliche Menſchheit allges mein beherrſchenden Friedensgeiſte. Wenn dieſer nidit in dem Gemüthe der Deutſchen und Preußen vorherrſchend gewaltet hätte , fo würden auch ihre Verhältniſſe von ähnlichen Umwäls zungen , wie ſie in Franfreich eintraten , ergriffen worden ſein. Ám freiſten von einer in die Gegenwart noch herüberragenden in der Vergangenheit wurzelnden Macht waren offenbar die
Verhältniſſe im preußiſchen Staat. Hierin liegt aber auch der Grund , daß in dem Bereiche deſſelben am wenigſten an eine gewaltſame Ilmwandlung gedacht werden konnte. Schärfer fühl ten fid, die Völfer des Weftens und Südens von Europa von 5
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dem Druck der Verhältniſſe berührt. Hier hatte ein geſinnungs loſer Jeſuitismus in dem Beſtreben ſich abgemüht, in außerlicher Weiſe den Zwieſpalt zwiſchen Vergangenheit und Zukunft in jeder Gegenwart auszugleichen , und eben dadurch waren hier die Verhältniſſe verwidelt, ja verwirrt geworden . Im preußiſchen Staate dagegen war man ſeit der Gründung deſſelben beſtrebt geweſen , die Formen des Staatslebens nach
wiſſenſchaftlichen Grundſäßen , wie weit fid, dieſelben in dem Bewußtſein eines jeden einzelnen Zeitalters hatten geltend madjen können , demſelben anzupaſſen. Je geſinnungsvoller man dabei mit Ehrlichkeit, worin grade der Hauptcharakter Friedrich Wil helms I. und der unter ſeiner Regierung gebildeten Beamtens ſchule beſtand, zu Werke gegangen war, um ſo ſchärfer hatte fich das von föniglicher Macht und ſo in dem Principe der
Perſönlichkeit gehandhabte Princip der Geſeßlichkeit durdygerungen. Dieſem hatte fich Friedrich Wilhelm I. eben ſo ſehr unterworfen gefühlt , wie er ſeine Unterthanen demſelben unterworfen wiſſen wollte. Mochte er auch in dieſer Rückſicht manchmal mit ſeiner eigenen Natur zu kämpfen haben, ſeinem innerſten Gruutcharakter nach galt ihm in ſeiner Stellung zu Volf und Staat das Prins cip der Gefeßlichkeit als das Höchſte, dem aud) er ſich zu unters
werfen und für deſſen Aufrechthaltung in dem ihm angewieſenen Bereidye des Wirfens er unter Verantwortlichkeit vor Gott zu
wirfen habe. Als einen Diener des Staats betrachtete fich auch Friedrich II. , der mit der größten Hingebung die eigenen Nei gungen den Pflichten , die er dem Staate gegenüber zu haben glaubte, zum Opfer brachte. So war die preußiſche Verfaſſung nach rationalen Principien ausgebildet worden , und es hatte ſich vor der ſcharfen und ſtrengen Durchführung dieſer Principien
die Perſönlichkeit in ihrer Freiheit beugen müſſen. Dod, dem Principienzwang gegenüber regte fich aucy im preußiſchen Volf der lebendige Menſch. Das Individuum fühlte ſich in Formen gefeffelt, deren ſich zu entledigen der Trieb allgemeiner erwachte. Während in Frankreich die Wogen der Zeit von grauenvoll zers
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ftörenden Stürmen bewegt wurden, regten ſich nach Friedrichs II.
Tod auch in Preußen mancherlei Wirren. Es bildeten ſich auch hier immer ſchärfer einander ſich gegenüberſtellende Parteien aus. Wohl fanden ſich auch hier ſolche, die ſtarrſinnig dem Alten ans hingen, und ihnen gegenüber traten Einzelne auf, die man jakos biniſcher Geſinnung hätte zeihen fönnen. Im Großen und
Ganzen fehlten jedoch die Vermittlungen zur Ausgleichung und Milderung des inneren Widerſtreits der Parteien nicht. Es muß hier ganz beſonders hervorgehoben werden , daß der König Friedrich Wilhelm II. felbft dem Fortſchritte geneigt war. Man hat wohl von ihm ganz das Gegentheil behauptent wollen , theils deshalb weil er in kirchlichen Angelegenheiten res
tardirende Maaßregeln vorbereiten ließ, theils wegen ſeiner Theil nahme am Kriege gegen das revolutionäre Frankreich. Was indeß den erſten Punft betrifft, fo fann freilich zugeſtanden wer ben , daß man am Hofe Friedrich Wilhelms II. nicht eben ſehr flår geweſen ſet in Rückſicht auf das , was Noth ſei, um für den Zwed der Erneuerung und Erfriſchung eines wahren relis giöſen Lebens zu wirken . Eine Entſchuldigung finden indeß die Maaßregeln, die zur Hebung des firchlichen Lebens ergriffen .
wurden , darin , daß ſie in Rückwirkung gegen die zu jener Zeit überall hervorbrechende Wilführ und rationale Auflöſung in dem Gebiete des Kirchlichen hervorgerufen wurden. Ein Irrthum waltete jedoch bei der Wahl der Mittel vor , die man ergriff. Er beruhte darin , daß man überhaupt den Verſuch machte, auf äußerliche Weiſe zu erwirfen, was nur in inneren Seelenfämpfen
fiegreich fich durchringen fann.
Derartige Verſuche, wie fie
häufig in der Geſchichte vorgekommen ſind , haben jedoch fters ihren Zwed verfehlt und werden ihn auch ſtets verfehlen.
Was den zweiten Hauptpunkt betrifft, wegen deffen man Friedrich Wilhelm II. angeklagt hat, fo fann durchaus nicht bes hauptet werden , daß er einen Widerwillen gegen das Wahre, Lebendige gehabt habe, was ſich in der Revolution hat durch kämpfen wollen . Vergeblich nur hoffte er , der Gewaltthat ent 5*
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gegen treten zu können , die fich in der Revolution geltend zu madzen wagte , und außerdem lag ihm ganz beſonders daran , das Königthum aufrecht zu erhalten und die Würde deſſelben zu vertheidigen. Mit dieſen Wünſchen , die ihn beſeelten, verband er aber keinesweges die Abſicht, die alten Feudalverfaſſungen in ihrem Beſtande aufrecht zu erhalten ; vielmehr war er aller dings geneigt , nach den Bedürfniſſen des Zeitgeiſtes neuen Ents .
wicklungen auf ruhigem und friedlichem Wege Raum zu gönnen. Nur die wilde Bewegung der Gewaltthat war ihm zuwider. Schon unter ſeinem Schuße bereitete ſich in der Stille das vor, was ſpäter in der nach Stein und Hardenberg benannten Gefeßgebung hervorgetreten iſt. Vor dem Tode Friedrich II.
ſchon hatte ſich manche ſcharfe Kritik gegen die Härte und Strenge des im preußiſchen Staate waltenden Regierungsſyſtems geregt. Doch zum Drgan dieſer Kritik machte fich Mirabeau , der um die angegebene Zeit in einer geheimen Miſſion in Berlin fich aufhielt. Er ergriff die Thronbeſteigung Friedrich Wilhelms II. als Veranlaſſung, in einem bei Gelegenheit derſelben dem Könige übergebenen Sendſchreiben ſeine Ideen vorzulegen. Es enthielt dies Schreiben Grundzüge zu einer in der Verwaltung des preußiſchen Staats vorzunehmenden gänzlichen Umwandlung.
Billigend nahm der König das ihm Vorgelegte auf ; aber es konnte ihm natürlicherweiſe nicht einfallen, ſogleich im gewaltſamen Umſturze zum Werke zu ſchreiten , um das , was Mirabeau ges lehrt hatte , ohne weiteres auch praktiſch zu machen. Das alte,
von ſeinen Vorfahren her ihm überlieferte Syſtem der Staatss verwaltung und der Heeresverfaſſung ſtand noch daI, geſtüßt durch die Beamten der alten Schule und durch die alten Genes
rale. Dieſe feine Beamten und Diener bildeten ihm gegenüber eine ſolche Macht, daß er nichts gegen dieſelbe hätte ausrichten können , wenn er auch die Abſicht gehabt hätte , eine gänzliche Umwandlung in der Verfaſſung ſeines Staates herbeizuführen. Weiteres fann man denn auch nicht von ihm ſagen als dies,
daß er die von Mirabeau vorgelegten Anſichten billigend auf
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genommen und auch keinen Anſtoß daran genommen habe , daß die neuen Grundfäße auf den Geiſt der heranwachſenden Jugend nicht ohne Einfluß blieben. Schon unter Friedrich Wilhelm II. bereitete fich unlăugbar eine neue jüngere Generation vor , der eine neue Schule von Beamten ſowohl als von Militairs
fid, zu bilden anfing. Wenn auch der König felbft perſönlich weniger Antheil an dem genommen haben mag , 'was fich ſo vorbereitete, ſo genügte es doch ſchon , daß er demſelben nicht hemmend entgegen trat. Denn als Hemmung der Entwidlung ftaatswiſſenſchaftlicher Ideen fann das , was er in Rückſicht auf
kirchliche Angelegenheiten anordnete, ſo wenig wie dies angeſehen werden , was etwa ſonſt noch in einer Zeit, die durchaus nody
nicht reif war zu ſolchen Umwandlungen , wie fie Mancher ver
langte, geſchah, um zu verhindern , daß im Entwidlungsdrange der Zeit gewaltſame Ausbrüche hervorträten. Weit mehr Raum in größerer Beſtimmtheit gewann die neue Entwicklung unter der Regierung Friedrich Wilhelms III. Ohne daß auch dieſer König fofort zu llmwandlungen in gewalt ſamer Weife hätte ſchreiten mögen, ward jedoch unter ihm gleich nach dem Antritte ſeiner Regierung dem Principe der neuen Entwidlung offener und freier Pflege und Schuß von oben zu theil. So bereitete ſich im Geiſte des Volfs und in dem Geiſte derer, die entweder an dem Dienſte des Staats oder des Heeres
Theil nahmen , in inneren geiſtigen Bewegungen und Entwick lungen eine Umwandlung vor. Aber die Gewaltthat ward fern gehalten. Es giebt indeß in den weltgeſchichtlichen Entwicklungen eine gewiffe mit Nothwendigkeit zwingende Macht, deren Ein wirkungen feine Politit fich entziehen fann. Von ſolchen Ein flüſſen ward auch die Geſchichte des preußiſchen Staats im in
nerften Lebensprincip berührt. Wie durch ein Verhängniß gerieth der preußiſche Staat in eine Stellung , in der er immer näher einem Abgrunde entgegengeführt ward. Aber ſelbſt dies iſt von
dem höheren , weltgeſchichtlichen Standpunkte aus angeſehen als
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ein Glüd zu betrachten. Die geſchichtlich nothwendige Gewalt
that der Umſtürzung aller Verhältniſſe iſt nicht von Preußen, nicht von Deutſchland ausgegangen. Dies Werk zu vollziehen , lag vielmehr den Franzoſen ob. Sie hatten vor einer gewalt famen Umwälzung keine Scheu gehabt, und wild war die That ber Zerſtörung unter ihnen ausgebrochen , um der Entwidlung
eines neuen Lebens Raum zu ſchaffen. Nachdem ſte zuerſt bei fich felbft Alles umgeſtürzt hatten, und der erſte Freiheitsrauſch verra ucht, das Leben des Volts im Zerſtörungowahnfinn ermattet war , erhob ſich in Kriegerluft und Kriegerfitte die Waffenmacht
und in ihr Napoleon. Als ein Sohn der Revolution bemäch: tigte er ſich ihrer, und wenn es auch in ſeiner Militairherrſchaft
zu einer gewiffen ordnungsmäßigen Organiſation gebieh, ſo blieb boch der Zwieſpalt unüberwunden . Dies war es , was ihn zu ſeinen zerſtörenden Werken ftets wiederholter Eroberungsfriege forttrieb, in denen das Unheil zuleßt fich gegen ihn felbft wandte. Durch den inneren Widerſpruch des revolutionairen Principe, dem er anheimgefallen war, wurde fein Geſchick beſtimmt. Stets nach außen drängten die aufgeregten Kräfte, und die in ihnen Rich bewegenden, innerlich nicht verſöhnten Mächte riffen ihn mit fich fort. So zog er erobernd und zerſtörend über Europa. Noch ftand in äußerlichen , doch abgeſtorbenen Formen das heilige rö miſche Reich deutſcher Nation ba. Die gänzliche Auflöſung der felben ward zu Anfange des neunzehnten Jahrhunderts vorbe reitet durch den Abſchluß des Lüneviller Friedens , und wenige
Jahre darnach fühlte der Raiſer ſich bewogen die römiſche Rai ferfrone und die deutſche Königsfrone mit einer öſterreichiſchen zu vertauſchen. So war die Auflöſung des Reid s vollzogen . Noch aber war der alte preußiſche Staat zu zerſtören ; es war die Revolution über die pyrenäiſche Halbinſel auszubreiten. Zu Beidein ward von Napoleon geſchritten, und es dehnte fich auch
in mittelbarer Folge der Umwälzungen auf der pyrenäiſchen Halbinſel die Revolution über die neue Welt aus.
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Werden ſolche weitausgedehnte Bewegungen von ſo tiefein greifender Wirkung vom weltgeſchichtlichen Standpunkte aus betrachtet, ſo müſſen ſie auch in ihrer weltgeſchichtlichen Noth wendigfeit anerkannt werden . Die Folgen, die ſie auf die Ent: widlungen in einem beſonderen , unſerer Betrachtung hier näher liegenden Kreis gehabt haben , liegen vor.
Der alte preußiſche
Staat war umgeſtürzt, das ganze Gebäude deſſelben zerſtört. In jedem ächten Preußen aber , mochte er auch in Folge der im
Frieden von Tilſit nothwendig gewordenen Zugeſtändniſſen und Abtretungen auf eine Zeitlang von ſeinem Könige getrennt wors den ſein , lebte nur der einzige Gedanke an die Wiedererhebung der Macht Preußens. Doch aus den Trümmern, die noch ge rettet geblieben , konnte die Herſtellung nicht hervorgehen. Ein völliger Neubau war in dem Zeitalter nach der Revolution , in welcher unter fürchterlich zerſtörendem Sturmesdrang, der über ganz Europa ſich ausgebreitet hatte, ein neues Geſchlecht aufges wachſen war , ein unbedingtes Erforderniß; ein neuer Grund mußte gelegt werden . Db was geſchehen, zu bedauern , zu bil ligen oder zu tadeln ſei, darum fonnte es ſich damals , als zu helfen war , eben ſu wenig fragen , wie in rein gegenſtändlicher Beziehung auf die Gegenwart heutigestages. Das damalige
Zeitalter war aus ſeiner nächſten Vergangenheit hervorgegangen , wie das heutige aus jenem . Was zur richtigen Würdigung beider hiſtoriſch politiſcher Betrachtung zunächſt obliegt, iſt, das in der Nothwendigkeit der weltgeſchichtlichen Entwiclungen beruhende Geſet zu erforſchen , nach welchem grade ſo und nicht anders, als wie es geſchahy, das Geſchehene in dem Bereiche der Wirf
lichkeit fich zugetragen hat. Eine Forſchung in dieſer Art ents ſpricht der hiſtoriſchen Behandlung der Wiſſenſchaft und nur eine ſolche fann fruchtreich auf praktiſche Politik einwirken . Nicht aber von jener hiſtoriſch ſich nennenden Behandlungsweiſe , die ſtatt ihre Forſchung auf das innere Geſetz der geſchichtlichen Entwicklungen zu richten, an die von der Vorzeit her überlieferten äußeren Formen ſich hält und nur auf ſie als auf das Beſtehende
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hinweiſt, iſt Heil zu erwarten. Jede vollzogene Thatſache, jede vollendete Begebenheit muß dem Blide des wahren Geſchichtes for(dzers, des ächten Staatsmannes als eine nothwendig geſche hene entgegentreten , deren Bedeutung er von dem Standpunkte
der Betrachtung der weltgeſchichtlichen Entwidlungen aus zu begreifen hat, ehe er von irgend einem einſeitig gewählten Stands punkte aus , Kritit baran zu üben , unternimmt. Das leptere IInternehmen , das Ragen mit dem Zahne der Kritik an dem ,
was aus der Fülle der lebendigen Bewegungen der Geſchichte mit Macht, und Menſchenalter hindurch dauerndem Beſtande ftch hervorringt, wird niemals zu fruchtbringenden Ergebniſſen führen.
Nicht freilich ſoll die Kritik der menſchlichen Handlungen und Thaten aus den Bereichen der wahren acht wiſſenſchaftlichen
Behandlung der Geſchichte verwieſen werden . Nothwendig aber dabei iſt, daß die Betrachtung vom weltgeſchichtlichen Stand punkte ausgehe und danach das Maaß fich bilde , an welches Fte ihre Beurtheilung anknüpft. Nach einem ſolchen Maaße auch nur iſt das zu beurtheilen, was nach dem Umfturze des alten preußiſchen Staats geſchah. Jeder einzelne im unklaren Treiben gemachte Verſuch ſoll nicht vertheidigt werden. Mehre Verſuche der Art ſind bei dem Unternehmen , den preußiſchen Staat neu zu erbauen , vorgekommen. Sheils haben fie fid, als verfehlt in ihrer Nichtigkeit erwieſen , theils jedoch als voreilig und nicht gehörig berechnet, indem in Rüdfidht auf die Art und Weiſe, die Erfüllung ihres Zwedes herbeizuführen, im Fortgange der Entwidlungen mancherlei Abänderungen getroffen werden mußten . Widerſprüche mancherlei Art find in den verſchiedenen erlaſſenen Gefeßen hervorgetreten. Manches hat widerrufen werden müſſen; manches iſt nie zur Ausführung gekoinmen. Daran aber zeigt fich nur die Schwäche des Menſchen , deffen
der in der Geſchichte waltende höhere Geiſt als Organ ſeines Wirkens fich bedient. An dem dagegen , was Wurzel gefaßt
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und beſtehen geblieben iſt, hat ſich die Macht jenes waltenden Geiftes erwieſen . Freilich iſt nicht mit Inrecht gegen das leichtſinnige und laute Geſchrei von dem Geiſte der Zeiten oder von dem als
Zeitgeiſt bezeichneten Geifte eines einzelnen beſtimmten Zeitalters, welches in neucren Zeiten fich erhoben hatte, geeifert worden. Von den Herren , die dieſes Geſchrei erhoben , könnte man zum größten Theil wohl ſagen , daß der Geiſt, von dem ſie geredet hätten, ihr eigner geweſen ſei, der im Bilde der Zeit ftdj bes ſpiegelt habe. Dennoch bleibt es ewig wahr 1, daß jedes Zeit alter beſonderen Gefeßen ſeiner Entwidlung unterworfen iſt, die in einem Höheren ihren Urſprung und ihre Wurzel haben . Wer dies verkennt, fteht ſelbſt auf einem rationaliſtiſchen Standpunkt und befindet fich eben ſo ſehr in großen Irrthümern wie ſeine 1
Gegner, von denen er als von Rationaliſten, die das Geſpenſt des Zeitgeiſtes heraufbeſchworen hätten , redet. Der Rationalismus , dies Wort hier nicht in der modern theologiſchen engeren I, ſondern in ſeiner eigentlichen allgemeineren Bedeutung genommen , fann überhaupt an ſehr verſchiedene
Standpunkte der Betrachtung fic knüpfen und nach Maaßgabe deſſen in ſehr verſchiedene Syſteme auslaufen. Dies liegt darin, daß er einſeitig nur in dem Principe der Verſtändigkeit fich be
wegt, ihm aber der Sinn für die lebendige Auffaſſung feelenvoller Entwidlungen fremd ift. Knüpft er ſich an das Princip der Feſthaltung des Beſtehenden an , fo feßt er ſich eben ſo ſehr aus dem lebendigen Mittelpunkte der Verhältniſſe und irrt eben ſo ſehr von der rechten Mitte ab , wie der, der fich des Prin
cips der Bewegung, des Fortſchrittes zu bemächtigen ſucht. Als großartige Weltgeſchichtliche Erſcheinung des dem Dienfte des verknöcherten Beſtandes ergebenen Rationalismus iſt der Jeſuitiss mus aufgetreten Dieſem ſteht äußerlich im ſchårfften Gegen faße der Jakobinismus gegenüber. Beide jedoch, Jeſuitismus und Jakobinismus, ſind fich innerlich nicht nur ſehr nahe ver wandt, ſondern verwechſeln auch häufig ihre Rollen. In Rüd :
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ficht auf die Geſinnung von der Jeſuiten und Fafobiner beherrſcht werden, fommen ſie überein ; der linterſchied beider beſteht nur darin , daß jene die Souverainität des Papſtes , dieſe die Sous verainität des Volfes predigen. Eine ſchlimme Sache iſt es allerdings mit dem Rationalismus ; er bleibt ſtets nur auf dem
Standpunkte des Beziehens der vereinzelten äußerlichen Ver hältniſſe aufeinander. In den innern -Mittelpunkt der Lebens quelle, aus welcher dieſelben entſprungen ſind, und aus welcher in friſcher Lebensfraft hervorquillend fie fich ſtets neu wieder erzeugen , dringt er mit ſeinem forſchenden Blick nicht ein. Was indeß die uns hier näher angehenden Begriffe vom Staat betrifft, fu liegen auch die Grundprincipien der Rationaliſten von denen die eine Partei auf der ſogenannten liberalen Seite , die andere auf der entgegengeſeßten ſteht, grade nicht ſehr fern. Von beiden Seiten wird von dem Princip ausgegangen , daß die Heiligkeit des Rechtes und der Rechte überhaupt in der Kraft abgeſchloſſener Verträge beruhe. Denn wie man auch mag unterſcheiden wollen zwiſchen einem urſprünglichen geſell ſchaftlichen Grundvertrage, über welden ein Volf mit einander übereingekommen wäre , und einer Menge einzelner Verträge, durch die die beſtehenden Rechtsverhältniſſe begründet worden
wären, Vertragsmäßigkeit iſt, den erwähnten Anſichten zufolge, allein das , was jene Heiligkeit giebt. In Rüdſicht auf den Privatverkehr kann und muß man ſolche Anſichten wohl gelten laffen.
In Beziehung auf den Mittelpunkt des Gemeindelebens,
eines Staates oder Reichs , ſtehen ſie aber im Widerſpruch mit Allem , was die Geſchichte lehrt. Schon zu Anfange der vorlie genden Schrift iſt dieſer Gegenſtand im Allgemeinen behandelt worden , und im Fortgange in beſonderer Beziehung auf den preußiſchen Staat die geſchichtliche Bildung deſſelben näher be trachtet. Die Bildung dieſes Staates und die Entwidlungen in der Geſchichte deſſelben ſind nicht von einem Vertrage abzus leiten , ſondern fte beruhen vielmehr auf einem feſteren Boben .
Weltgeſchichtliche Ideen haben fich als Baſis deſſelben in ihm
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berkörpert.
Darin ſind die heftenden Bande , die in ihren 1
Schleifen und Knoten um den töniglichen Thron fich ſchlingen, gegeben. Sie verleihen dem gemeinſamen Leben der Preußen Feſtigkeit und Halt. Das auch iſt es , worin die von Gottes Gnaden verliehene Machtfülle der Majeſtät des Herrſchers beruht. In jenen Ideen iſt mit dem Staate zugleich das königliche Haus erwachſen , und in der ferneren , höheren Entfaltung der felben erkannte, als der alte preußiſche Staat umgeſtürzt war, der König Friedrich Wilhelm III. die Nothwendigkeit einer neuen Grundlegung zum Wiederaufbau. Er iſt, wie fein großer Ahnherr, der Kurfürſt Friedrich Wilhelm zu ſeiner Zeit , den in feiner Weisheit ihm einleuchtenden Bedürfniſſen nachgekommen und hat ſo den Pflichten , die ihm mit der von Gottes Gnaden ihm verliehenen Krone auferlegt waren , genügt. Daß in den 2
Wirren geſchichtlicher Rämpfe nicht Alles mit einem Schlage
geſchehen kann , iſt eine Sache, die jeder fidh felbft fagen ſollte.
Zur Reife bedarf es für alles auf Erden , was gut gedeihen foll, der Zeit. Manches ſchon hatte ſich in dem Bewußtſein vorbereitet, als die Zeit eingetreten war, in welcher der Ruf jum lebhafteren und wirkſameren Handeln an den König erging. Von feinen Dienern rief er die an ſeine Seite , von denen er erwarten fonnte oder es wußte , daß eben fte am geſchidteften jur Ausführung der von ihm in ſeiner Weisheit erwogenen Pláne wären. Das Einzelne der Ausführung lag ihm ſelbft ohnehin nicht ob ; es waren nur die allgemeinen Grundzüge beffen, was beabſichtigt werde, vorzuzeichnen. Daran jedodh, daß in dem Bewußtſein der Miniſter und Räthe , die mit der Aus
führung beauftragt wurden , nicht eine vollkommen durchſichtige Klarheit darüber herrſchte, was und wie es am beſten durdyju
führen fei, darf kein · Anſtoß genommen werden. Nicht auf das, was in Folge deſſen verfehlt worden iſt, ſondern auf das , was neu geſchaffen erblüht und in ſeinem Daſein ſich erhalten , ſo aber als fruchtbringend fich bewährt hat, kommt es an . Das Andere fällt den Wirren zeitlicher Verhältniffe anheim .
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Worin zunächſt das Drüdende in den Verhältniſſen des alten preußiſchen Staats beſtanden hatte, bas beruhte in der Art und Weiſe, wie fich überhaupt in Deutſchland die Landes hoheit in früheren Zeiten und aus ihr im preußiſden Staat die Souverainität ausgebildet hatte. Es hatten fich dabei, wie ſchon im Vorhergehenden auseinandergeſeßt worden iſt, verſchiedene Principien durchdrungen. Rationalen Rechtsbegriffen entſprechende Principien waren unter dem Sdyuße der alten Reichsverhältniffe erblüht und hatten ſich an dieſe, die in der Bewegung perſons licher Momente fich entwickelt hatten, angeſchloſſen. Die Grund formen des alten Reichs hatten ſich , in dem Maaße zwar , in welchem neue Bildungen im Drange der geſchichtlichen Entwid : lungen nicht abgewehrt werden konnten, fidi umwandelnd, dens noch in ihrem Beſtande erhalten , wenn auch der perſönliche Charakter , in welchem die fie belebende Seele gegeben geweſen, daraus verſdwunden war. Dies hatte in Rüdficht auf die Verhältniſſe, in welcher die Stände des Volfs einander gegen
überſtanden, eine bedauernswerthe Folge gehabt. Ganz beſonders trat dies an dem Verhältniffe hervor, in welchem der Bauern ftand dem Adel gegenüber ſich befand. Daran zeigte es fich recht, welch' eine Umwandlung in den Principien , nach welchem die fändiſchen Verhältniſſe des Volfs geordnet waren , ſeit dem Mittelalter geſchehen. Welcher Mißbrauch auch ſchon im Mittel alter in Rückſicht auf das Verhältniß des Gutsherrn zu ſeinen Bauern mannigfaltig vorgekommen ſein mag , das Princip, in welchem weſentlich der rechtliche Charakter deſſelben beruhte, war das der Pietät. Dies aber war ſeit den leßten Jahrhunderten
aus jenem Verhältniß verſchwunden . Die mildere Hörigkeit älterer Zeiten war größtentheils in eine harte Leibeigenſchaft umgewandelt worden und ſo das Menſchliche, wodurch das Ver hältniß geheiligt worden war, aus demſelben gewichen . Vieles hatte zu dieſer Umwandlung die Art und Weiſe beigetragen, wie feit der Entvölferung und den Verheerungen des dreißigjährigen
Krieges ein neuer Bauernftand fich gebildet hatte. Aber nicht bloß
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an den Zuſtänden, in welchen die Bauern fich befanden , ſprach es fich aus, wie in den ſtändiſchen Verhältniſſen eine unwürdige Härte der Geſinnung herrſchend geworden war. Auch in den bürgerlichen Verhältniſſen ſowohl als in den Verhältniſſen der Städtebewohner zu dem ritterſchaftlichen Adel galten Principien, die dem Auffeimen eines freieren menſchlichen Lebens , wonach
ſeit einem Menſchenalter ſchon eine tiefe Sehnſucht allgemein vorhanden geweſen war , ſchmerzlich beengende Hemmungen ent gegengeſtellt wurden . Gegen Zuſtände der Art, denen verwandte das Aufblühen des Volfslebens in ganz Deutſchland zurüçhielten, hatten ſchon längſt die edelſten Geiſter des deutſchen Volfs laut ihre Stimme erhoben. In der That mußte es auch ſeltſam erſcheinen , daß in einer Zeit, in welcher im deutſchen Volfe der Geiſt in Philoſophie und Poeſie ſo frei fich erhoben hatte , der Menſch im Bauern ftande noch in der Unterdrücung gehalten werden , Ritterſchaft und Bürgerſtand noch in ihrem alten feindlichen Gegenſaß ver bleiben ſollten. Soweit war es gekommen, daß auf dem Lande die erſtarrten ſtändiſchen Verhältniſſe auch auf die Felder über tragen worden waren . Es gab adeliche, bürgerliche und bäuer 1
liche Güter. In den Städten ward durdy beengenden Zunftzwang die freiere Gewerbthätigkeit gehemmt. Mit der geſeßlichen Auf hebung aller dieſer in der Geſinnung der Zeit tief gefühlten Uebels ſtände ward ſchon drei Monate nach dem Abſchluſſe des Friedens von Tilfit der Anfang gemacht. Damit vollzog fich allerdings eine Revolution , aber cine nothwendige und auf friedlichem
Wege. Die That ging aus der Fülle geſchichtlicher Entwicklungen hervor; wilde Ausbrüche einer heilloſen Gewaltſamkeit traten dabei nicht ein.
Wohl ift es wahr , daß noch viele Jahre ver
fließen mußten , ehe Adles in geſebliche Ordnung gebracht und praktiſch auf die einzelnen beſtehenden Verhältniffe übertragen werden konnte. Vielfach mußten den aufeinander folgenden Ver ordnungen wiederholte nähere, audumändernde Beſtimmungen hinzugefügt werden und endlich auch traten , ehe das ganze
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Werk nad dem früher im Allgemeinen entworfenen Plane vou endet werden konnte , mächtige Rückwirkungen ein, die auch ihre Berechtigung eben dadurdy erwieſen haben , daß fie die Kraft hatten, fich geſchichtlich geltend zu machen. Nocy in dieſem Aus genblick find die Schwingungen, die durch den Erlaß vom 9. DE
tober 1807 in Bewegung geſeßt wurden, nicht zur Beruhigung gekommen. In den Verordnungen vom 3. Februar 1847 haben fie fich fortgeſeßt. Weniger deshalb iſt das, was in dieſen Bewegungen unters getaucht oder nie zum wahrhaften Leben aufgetaucht iſt, hier zu betrachten, als das, was während vier Jahrzehnte feſte Wurs zeln gefaßt und ſo durch geſundes Erwachſen in ſeiner geſchicht lichen Berechtigung ſich bewährt hat. Dazu ift vorzugsweiſe die Bildung eines freien Bauernftandes zu zählen , zu welcher der Erlaß vom 9. Dktober die Anlage gab. Freier auch find ſpäter durch wiederholte Anordnungen für dieſen Zwed die Ver hältniſſe der Bürger in den Städten und die der Gewerbthätigkeit inſoweit geordnet worden 1, daß ſie nach den nothwendig gewors
denen Umwandlungen Feſtigkeit gewonnen haben. Mag in dieſer Rüdlicht auch manches noch zu wünſchen übrig bleiben, ſo liegt ja die Abhülfe nicht fern , für die eine Vermittlung theils ſchon
früher durch die Provinzialſtände ſeit Einführung derſelben ges geben war , theils durch die in Folge der Verordnungen vom 3. Februar angeordnete Generalverſammlung der Provinzialſtände dargeboten iſt.
Bleiben wir bei der Betrachtung der Umwandlungen in den
bäuerlidyen und bürgerlichen Verhältniſſen in Folge der ſeit dem 9. Oftober 1807 in einem neuen Geifte begonnenen Gefeßgebung
einen Augenblick ftehen und ziehen wir die Frage darüber in Erwägung, ob eine Bewerfftelligung dieſer llmwandlungen in dem ureigenſten Willen des Königs Friedrich Wilhelm III. ge legen habe : ſo kann die Bejahung dieſer Antwort feinem Zweifel unterliegen . Vielfach hat man von dem Syſteme Steins oder von der Stein - Hardenbergiſchen Geſellgebung in einer Art 3
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geſprocheni, als ob darin nicht der eigene Geiſt, der eigene Wille des Königs ſich abgeſpiegelt habe. Gewiß freilich auch iſt, daß nicht alles Einzelne, was in den nad Steins oder Hardenbergs Auftrag von ilren Räthen abgefaßten Gefeßen enthalten iſt, unmittelbar im Willen des Königs beruht habe .
Was aber
an wahrhaftem Ideeninhalt deinſelben zu Grunde liegt und durdy verworrene Zeiten hindurch in dem
Bereiche des preußiſchen
Staats wirklich feſten Fuß gefaßt hat, iſt aus dem eignen Geiſte des Königs hervorgegangen . Betrachtet man ſeine ganze Pets fönlichkeit, ſeine Stellung als Kronprinz und als König zu ſeis nem Voffe und zu der Zeit, die feit Mirabeau bis zu dem Aus
genblice , in weldhein Stein in ſeiner höheren politiſchen Bedeu tung aufgetreten, verfloſſen iſt, ſo wird man ſchwerlich der Ueber : zeugung leben können , daß das Edikt vom 9. Oktober, welches ſchon am fünften Tage nad, dem Eintritte Stein's in feine hohe Stellung im Rathe des Königs erlaffen warb, ſeinem Inhalte nad) als ein ganz neues und eine neue Zeit vorbereitendes Ges ſet dem Könige angerathen und von dieſem , deffen Zandern und Zögern bei der Faſſung entſcheidender Entſchlüſſe bekannt genug iſt, ſofort gebilligt worden wäre. Mit jenem Edift war der Wurf geſchehen. Der König trat, indem er ihn vollzog, in ein ganz neues Bereich des Daſeins und des Handelns ein. Dazu hätte ſich unvorbereitet Friedrich Wilhelm III. innerhalb einer Zeit von etwa drei Tagen nicht entſchloſſen.
Aus - feiner ganzen Geſchichte erhellt es klar , welch einen Sinn er für Individualität und freie individuell - menſchliche Vers hältniſſe hatte. Daß in dem Bürgers und Bauernſtande auch
das Individuum frei werde : im Bürgerſtande durch Löſung von den beengenden Feſſeln des nach Klaſſen und Zünften getheilten Intereſſes, im Bauernſtande durch Löſung von den beſchränkenden
Unterthänigkeitsverhältniſſen, in welchen derſelbe zum Adel ftand, dieſer Wunſch iſt dem Könige, der in einer Zeit aufgewachſen war, in welcher überall ein Beſtreben, ſolches vorzubereiten, dort in tobenderer hier in ruhigerer und beſonnenerer Weiſe erwacht
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war , gewiß nicht erſt ſeitdem er ſich mit Stein berathen hatte,
über Nacht gekommen . Tief muß dieſer Wunſch ſchon lange in feiner Seele gelegen haben und in dem Maaße, wie fein Bewußts fein fich klarer und reicher entwidelte, zum beſtimmteren Verlangen geworden ſein. Aus dieſem Verlangen entwickelte ſich der Wille zur That , als die Gelegenheit eingetreten ſchien in Folge deffen , daß die von außen gekommené, von Napoleon ausgeführte unheil bringende Gewaltthat dem Fortſdyreiten in heilbringendem Schaffen Raum bereitet hatte. Daß die nach dem Abſchluffe des Friedens von Tilſit in einem neuen Geiſte erweckte Gefeßgebung des preußiſchen Staats feine bloß vernichtende war , wie häufig bes .
hauptet worden iſt, davon geben die heutigestages geordneten Städteverfaſſungen , es geben davon die freien Bauerngemeinden 1
1
genügendes Zeugniß ab.
Mit den Umwandlungen , die in Rüdficht auf die bürger lidhen nnd bäuerlichen Verhältniſſe vorgenommen wurden, waren
ihrem Geiſte nach die Veränderungen , die in Rüdficht auf die Verfaſſung des preußiſchen Heeres Scharnhorft theils vornahm theils vorbereitete, verwandt. Dabei iſt ganz beſonders die Auf hebung der Vorrechte, die feit den Zeiten Friedrich's II. dem Adel auf die Dfficierſtellen im Heere noch zugeſtanden hatten, zu erwähnen. Ein ſonderbarer Streit hat fich ſpäter über die Frage erhoben , von wem die Idee der Landwehr herrühre. Daß
Scharnhorſt gleich vom Anfange feines höheren Wirfens an darauf hingearbeitet habe, für den Fall eines Krieges eine Volfe
bewaffnung vorzubereiten, erhellt fQon aus dem bei dem ſtehens den Heere von ihm eingeführten Beurlaubungsſyſteme. Daß die mit der Einführung dieſes Syſtems, welche ohnehin auf
ſtrengſte geheim gehalten werden mußte, verbundenen weiteren Pläne nicht verlauten , am wenigſten durch die Gefeßgebung. veröffentlicht werden durften, verſteht ſich bei den damaligen Ver hältniſſen Preußens zu Frankreich von ſelbſt. Was übrigens bie Idee der Landwehr betrifft, ſo war ſie in Deſterreich ja
ſchon früher auf Betrieb des Erzherzoge Karl und in Dånnemart
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durch den Kronprinzen , nachherigen König Friedrich VI. ausges führt worden . Auf ähnliche Einrichtungen hingewieſen hatte ſeit Jahren ſchon in ſeiner bekannten herrlichen Schrift Behren horft, der zu Scharnhorſt gewiſſermaaßen in einem ähnlichen Verhältniſſe ſteht, wie der Verfaſſer des Sendſchreibens an den König Friedrich Wilhelm II. zu Stein und Hardenberg. Auch dem Obriſten Sdyarnhorſt war von ſeiner Zeit vorgearbeitet worden , und wenn ſeine Anſichten nidyt denen des Königs und
der Geſinnung deſſelben entſprochen hätten , würde er nicht in der Art in’s Vertrauen gezogen worden ſein , wie er es ward.
Dank und Verehrung iſt ihm indeß allerdings wegen der weiſen Beſonnenheit zu zollen, die er bei der Ausführung der im Rathe des Königs beſchloſſenen Maaßregeln bewies. Daß jedoch auch ſeine Umgebungen nidyt von Ueberſpannung, von Rauſch, möchte
man ſagen , frei waren , dafür liefert die in einzelnen Beſtim mungen vom Könige ſpäter abgeänderte Landſturm -Ordnung einen genügenden Beweis. Ueberhaupt herrſchte in der Zeit , in welcher die Vorbereis tungen zur Wiedererhebung der Macht Preußens getroffen wur den , eine in hohem Maaße geſteigerte Ueberreiztheit. Nicht 1
überall hielt man fidy in Beſonnenheit in der rechten Mitte.
Zu vielerlei ſollte auf einmal erreicht werden, und dabei dräng ten vor dem Ausbruche des Krieges im Augenblide vorzugs weiſe zwei Bedürfniſſe, die hauptſächlich die Thätigkeit der preu : fiſchen Staatsmänner in Anſpruch nahmen. Das eine war dies , den Geldverpflichtungen gegen Frankreich , die man hatte auf ſich nehmen müſſen, nachzufommen ; das andere dies, fich 1
vorzubereiten für den dereinſtigen ſchweren Kampf, der für die Herſtellung Preußens wie für die Befreiung Deutſchlands vom fremden Joche in fernerer oder näherer Ausſicht ſtand. Es läßt fich nicht "läugnen , daß in Folge der Nothwendigkeit , für dieſe durd; die Zeit hervorgerufenen Bedürfniſſe zu ſorgen , die Ver hältniſſe fich etwas verwirrten , eine ruhigere, aus dem Innern
des Seelenlebens geiſtig frei ſich erhebende Entwicklung geſtört 6
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und diefelbe in einſeitige Ridhtungen hineingezogen ward. Auf die Gefeßgebung der Zeit , die vom Frieden von Tilfit bis zu dem vom Könige an ſein Volf erlaſſenen Aufruf verfloffen iſt, wirkte beſonders das zuerſt erwähnte Bedürfniß ein ; auf das Geſammtbewußtſein der Zeit das zweite. Unlăugbar in dieſer leşteren Rückſicht iſt, daß man den Standpunft der Geſchichte verlaſſen hatte. Das Bewußtſein ward ergriffen von der Idee deutſcher Volksthümlichkeit und verlor ſich daran . Deutſches Volksthum war der laut fich erhebende Ruf, der überall erſchol . Die alten Reichsheiligthümer, das Reichsbanner hätte man aus
ihrer Rumpelkammer, in der ſie verborgen lagen , gerne wieder hervorholen mögen. Dabei aber vergaß man, daß die Principien , in welchen das Reich urſprünglich erwachſen war und dem Leben deſſelben im Innerſten, ſelbſt bei allen Kämpfen , in die es im Abſterben hineingezogen worden , ſolange es beſtanden , zu Grunde gelegen hatten , dem Begriffe der Volksthümlichkeit ents ſprechenden Principien im graden Gegenſaße gegenüber geſtanden . Denn, wenn auch ein deutſches Königthum im Zerfallen des karolingiſdhen Reiches fich emporgebildet hatte, es war ſo enge an das römiſche Kaiſerthum gefnüpft worden , daß es nur in dieſem , wenn auch nicht ſeine Wurzel, doch ſeine Hauptlebens .
fraft gehabt, und eben deshalb auch ſein Schidſal mit demſelben getheilt hatte.
Zu einer harmoniſchen Ausgleichung des Gegenſaßes chrift lich - fittlicher Principien und ſolcher, die im natürlichen Menſchen thre Wurzel haben , war es im alten Reiche nie gediehen. Volksthümlichen Principien genügten die Formen deſſelben nicht. Sein geſenktes Banner konnte nicht, wenn es auch in mühes voller, überſpannter Anſtrengung wieder aufgepflanzt worden wäre, als Vereinigungspunkt des deutſchen Volfs dienen. Ueber haupt aber wurde in der Zeit , von der hier die Rede iſt, auf volksthümliche Principien eines abſtrakten Deutſchthums viel zu viel Gewicht gelegt. Noch heutigestages ſind die Begriffe 1
in dieſer Rückſicht verwirrt.
Faßt man den Begriff des viels
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deutigen Wortes
in dem Sinne , in welchem es zur II Volt “ Bezeichnung einer durc; Gemeinſamkeit der Abſtammung und
Sprache geeinigten Geſellſchaft einer gewiſſen Anzahl von Mens ſchen gebraucht wird , und ſtellt man dieſen Begriff, wie es ſo häufig in unſeren Tagen geſchehen iſt und noch geſchieht, als das Grundprincip aller Staatenbildung auf, ſu giebt man offens bar das Grundprincip aller Entwicklung des chriftlich deutſchen Volfslebens wie eines geſchichtlichen Lebens überhaupt auf. Man geht zurüc in urſprünglidie Naturzuſtände, zeigt auf Verhältniſſe hin, in denen Naturbande die heftenden ſind, und in denen der
freie Geiſt in der Menſchengeſchichte noch nicht zu dem Rampfe, die ganze Menſchheit wieder zuſammenzuführen , erwacht iſt. Nicht nur ſchließt die Idee der Volksthümlichkeit in gehäſſiger Weiſe die einzelnen Völker voneinander aus , ſondern , wo ſie einſeitig zum Grund- und Hauptprincip des ſtaatlichen Lebens erhoben würde, hemmte ſie auch als im Boden der Natur wurs zelnd alle Momente geiſtigfreier Entwicklungen , in denen die welthiſtoriſchen Staaten und Reiche ihre Bedeutung und ihren Halt gefunden haben und audy in Zukunft nocy finden werden . Das Princip des Vofethums iſt ein antichriſtliches, und führt in ſeinen Conſequenzen nicht nur zu allgeineiner Völkertrennung, ſondern auch zur Scheidung der Stämme , Geſchledyter und Familien. Es reißt die ganze Menſchheit auseinander. Iſt es aber auch als ein heidniſches zu bezeichnen , ſo haben dennoch die edelſten , geiſtreichſten und gebildeteſten heidniſchen Völfer fich nicht daran gehalten , nocy demſelben ſich unterworfen. Perſer, 1
Griechen, Römer und Germanen haben die Bande, in denen ſie
burd daſſelbe gehalten wurden ,1 in freiem Ringen des Geiftes durdybrochen.
Mächtig freilich iſt es vorgebrochen im Kampfe gegen die Principien des farolingiſchen Reidje.
Doch haben fidy dieſe
gegen daſſelbe , wenn auch zuleßt nur in ihren Nachwir fungen im äußerlichen Beſtande, in einem tauſendjährigen er 1
halten.
Das Princip des Volfethume fann in dyriftlichen 6*
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Staaten und Reichen und in ſolchen , die von den Momenten
der weltgeſchichtlichen Entwidlungen ergriffen ſind, in feiner Abgeſchloſſenheit in fich nie in ureigner Selbſtſtändigkeit ftdy halten . Dadurch aber , daß es den Principien des farolingiſchen Reichs gegenüber in Macht ſich erhoben ,1 hat es ſid zugleich auch in ſeiner geſdhichtlichen Berechtigung bewährt. Es fann ſich immer nur darum fragen , wie weit dieſe Berechtigung geht und in .
welcher Ausdehnung man ſie gelten laſſen darf. Es iſt ein Naturprincip und ſchließt ſich in ſeiner Wurzel
enge an die natürlichen Verhältniſſe des menſdlichen Daſeins an.
Dieſe aber beſtimmen ſich durch das Verhältniß des Men
ſchen zur Erde. Nach dieſem leşteren Verhältniſſe ſind einzelne Schaaren des geſammten Menſchengeſchlechts an beſtimmte Glie der der Erde gewieſen worden, um hier oder dort ſich eine Hei math zu erbauen, und eben darin iſt das Princip der Differen zierung des Menſchengeſchlechts in beſondere Volfsthümlichkeiten, das der Gliederung deſſelben gegeben. Nicht die gemeinſame Abſtammung, nicht die Gleichheit des Blutes iſt eigentlich das Weſentliche, woran das Moment der Volksthümlichkeit fich an
ſchließt, ſondern die gemeinſame Heimath vielmehr. Die Frage, inwieweit klimatiſche und andere natürliche Verhältniffe den Naturs charakter der Bewohner eines beſonderen Gliedes der Erde bes
ſtimmen 1, hier zu behandeln , dies würde zu weit führen. Hier kann nur ganz im Allgemeinen die Erfahrung hervorgehoben werden , daß im Großen und Ganzen der Naturcharakter der Bewohner einer beſtimmten Gegend fich gleiche. Darin findet die aufgeſtellte Behauptung , daß das Moment der Volksthüm lichkeit weſentlich an Gemeinſamkeit der Heimath fich anſchließt, ihre Begründung. Es iſt daher in ſeinem ureigenſten Weſen
auf geographiſche Verhältniſſe zurüdzuführen ; blutsverwandtſchaft liche und ſprachliche können in Beziehung auf daſſelbe nur als fecundáre angeſehen werden. Geographiſche Verhältniſſe ſind es , nach welchen das Naturleben eines Volfs ſich beſtimmt.
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Dies genüge zunächſt zur Beſtimmung des Begriffes der Volkss thümlichkeit. Was aber die Berechtigung der Momente derſelben betrifft, ſo iſt es eben ſo ſehr an und für fich klar, daß unter chriftlichen Völfern dieſe Momente des natürlichen Daſeins nid )t als die
allein maaßgebenden , als die allein vorherrſchenden , welchen die politiſchen und rechtlichen Principien rücſichtslos anzuſchließen wären , betrachtet werden dürften , wie es gleichfalls fich von felbft verſteht, daß lebendige Momente, die in freier geſchichtlicher Entfaltung aus dem Geiſte eines beſtimmten Volfs fich hervors gerungen haben , denſelben nicht geopfert werden dürfen. Das ſie dies verfannten, darin beſtand der Fehler der Deutſchthümler.
Im Uebrigen aber enthielt das Princip , von welchem ſie aus gingen , bei allen Mißverſtändniſſen und Mißdeutungen , wozu die Aufſtellung deſſelben Veranlaſſung gab , in einem gewiſſen Sinne Wahrheit in ſich. Abgeſehen nämlich davon , daß es in zu großer Einſeitigkeit fich geltend machen wollte, entſprach dem ſelben der Gedanke, der in der zu Anfange des 19. Jahrhunderts
herrſchend gewordenen Philoſophie nur zu mächtig fich gemacht hatte , der nämlich , daß die natürliche Seite des menſchlichen
Daſeins auch ihre Berechtigung habe.
Dieſer Gedanke war
überall erwacht und wollte ſich in jeder Richtung des Lebens
geltend machen. Dabei fehlte es aber an dem ridytigen Maaße. Nachdem in Rückficht auf politiſche Verhältniſſe die alten Prin cipien mit dem alten Reiche zu Grabe getragen waren und auch die Principien , in denen der preußiſche Staat erwachſen war, ihre Heiligkeit verloren hatten , konnten nicht überall ſchon die neuen Principien , auf die es ankam , um einen feſten Grund für den zu errichtenden Neubau zu legen , vollkommen klar zum Bewußtſein gelangen. Schärfer wie je war die Forderung aufgetreten , in einer naturgemäßen Weiſe die ſtaatlichen Verhältniſſe zu ordnen . In
Rüdſidit auf die Verhältniſſe des Volkslebens war man , um Den Zweck zu erreichen, zu Umwandlungen in Beziehung auf die
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bürgerlichen und bäuerlichen Verhältniſſe vorgeſchritten. Es war aber auch die Regierungsverwaltung z11 ordnen . Man ging dabei von dem Grundſaße aus , daß es nothwendig ſei, „ der
Geſchäftsverwaltung die größtmöglichſte Einheit , Kraft und Regs ſamkeit zu geben , ſie in einem oberſten Punkt zuſammen zu faffen , und die Geiſteskräfte der Nation und des Einzelnen auf
die zwedmäßigſte und einfachſte Art für ſolche in Anſpruch zu nehmen . “ Es läßt ſich nicht läugnen , daß aus der ganzen Art und Weiſe, wie man ſeinen Zweck verfolgte , es deutlich erhelt, welch einen Sieg der allgemeine Begriff eines abſtrakten Staats und des Staatsbürgerthums in dem Bewußtſein derer, die die Anordnungen trafen , davon getragen hatte.
In dieſer
Rüdficht fann man ſagen , es habe ſich eine Neigung zum Re publikanismus und zu republikaniſchen Staatsformen fund gethan . Doch ward natürlicherweiſe das Princip der Monarchie dabei nicht angegriffen. Die Regierungsverwaltung aber ſollte fünftig von einem, dem Oberhaupt des Staats unmittelbar untergeords neten , durch den Staatsrath repräſentirten oberſten Standpunft
ausgehen. So ſollte zur Vermittlung der Thätigkeit der Mini ſterien und der des Rabinets eine Behörde gebildet werden, von ber nach den Worten des Gefeßes es nicht recht klar wird, ob ihr auch Antheil an den weſentlichen Regentſchaftsrechten gegeben werden follte oder nicht. Denn nachdem von ihrer Errichtung die Rede geweſen iſt, heißt es : Es wird von dieſem Stand punkte aus nicht allein das Ganze überſehen ; fondern auch zus
gleich unmittelbar auf die Adminiſtration gewirkt. Eine möglichſt keine Zahl oberfter Staatsdiener ſteht an der Spiße einfach organiſirter, nach Hauptverwaltungszweigen abgegrenzter Behör den ; im genaueſten Zuſammenhang mit dem Regenten leiten fte die öffentlichen Geſchäfte nach deſſen unmittelbar ihnen ertheilten Befehlen ."' * ) *) Publikandum betreffend die veränderte Verfaſſung der oberſten Staats. behörben der Preußiſchen Monarchie vom 16. Dezember 1808 .
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Es iſt offenbar nicht klar, in welchem Sinne in dieſer Stelle, in welcher von dem Verhältniſſe der Miniſter zum Regenten die Rede iſt, das Wort „ Regent" verſtanden werden ſoll. Es
läßt fich eben ſowohl auf den , dem Oberhaupt des Staates unmittelbar untergeordneten oberſten Standpunkt beziehen als
auf den König .
Jedenfalls aber erhellt aus dem Plane, einen
Staatsrath zu errichten , in dem die oberſte allgemeine Leitung
der ganzen Staatsverwaltung vereinigt ſein ſollte, daß man mit der Abſicht umging, eine Art von Senat unter der unmittelbaren Aufſicht des Staatsoberha? uptes zu errichten . Ein folcher Senat
iſt zwar nie zum Daſein gekommen ; auch iſt bald nach der Er hebung Hardenbergs zum Staatskanzler die Zweideutigkeit durch die unter ſeinem Einfluſſe erlaſſene Verordnung, welche die unter Steins Verwaltung eingeführte Staatsverfaſſung in mehreren Punkten umänderte, aufgehoben worden durch die gebrauchten Worte : ,,Der König befiehlt aus dem Kabinet und im Staats
rath . “
Es war aber hier auf die unter Steins Verwaltung
erlaſſene erſte Verordnung aufmerkſam zu machen aus dem Grunde, weil ſich daran in Verbindung mit dem , was in der Städteordnung als Zweck, felbſtſtändig fich verwaltende Gemein den zu bilden , bezeichnet wird , ſich das ausſpricht, was im ſo eben Vorhergegangenen auf eine Neigung zu republikaniſchen Formen gedeutet worden iſt.
Dieſe in dem Rechtsbewußtſein der damaligen Zeit theilweiſe liegende Neigung mußte hier deshalb hervorgehoben werden,
weil die Kämpfe, die in dem Geiſte jener Zeit fich bewegten, dem Bewußtſein zu vergegenwärtigen waren. Hardenberg war weniger ſchroff wie Stein ; doch hielt er an den ihm durch das Syſtem Steins vorgezeichneten Grundzügen feſt. Dies ſprach fich audi aus in dem vergeblichen Verſuche, eine Einrichtung, 1
die wenn ſie wirklich ihrem Plane nad, ausgeführt worden wäre,
alle beſtehenden Verhältniſſe auf das tiefſte verlegt haben würde, zu treffen, durch welche den bürgerlichen Gemeinden der größeren Städte zur Seite Gemeinden gebildet werden ſollten, die aus den
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bäuerlichen Gemeinden und denen der kleineren Städte zuſammen
gefeßt als Kreiskorporationen beſtänden.
Dieſer Plan ſtand
aber zu ſehr mit dem Beſtehenden im Widerſpruch , als daß er, ſo wie er gedacht und gefaßt worden war , in die Wirklichkeit hätte übergehen können. Auch der Staatsrath iſt nicht in der Weiſe, wie anfangs der Plan zu deſſen Einridtung gefaßt wors den war, ins Daſein gerufen ; weit ſpäter erſt ward in einem ganz anderen Sinne ein Staatsrath vom Könige zu ſeiner Bes rathung berufen, ohne daß demſelben Antheil an der Verwaltung verliehen worden wäre.
Was ſonſt die unter Steins Verwaltung eingeführte und
in ihren weſentlichen Grundzügen durch Hardenberg nicht ver änderte Verfaſſung der oberſten Staatsbehörden betrifft, ſo ſprach fich daran das nur lobenswerthe Beſtreben aus, in der Einrich tung der Miniſterien die Einheit des Staats darzuſtellen und
zugleich Einheit in die Verwaltung zu bringen. Indem an die Stelle des aufgehobenen General - Direktoriums Miniſterien ers
richtet wurden, deren Geſchäftsfreis nicht nach Provinzen geſchie den war, ſondern nach den Gegenſtänden , vereinfachte ſich in
einer fadigemäßeren Weiſe der ganze Gang der Verwaltung. Ein bedeutendes Moment einer zu billigenden Anerkennung natürlicher Gegenfäße und ſolcher, die in den geſchichtlichen Ents widlungen ſich gemacht, hatte freilich in der Provinzialverwaltung gelegen , und für den Augenblick mochte es ſcheinen , als ob in 1
der damit vorgenommenen Umwandlung ein rückſichtsloſes Ver kennen der Bedeutung der Mannnigfaltigkeit der verſchiedenen provinziellen Verhältniſſe hervortrete.. Der Charakter der Zeit indeß, in welder dieſe Umwandlung geſchah , war einmal ein folcher, der auf Verallgemeinerung und Einheit hindrang , und es war denn doch audy, abgeſehen davon, daß durch die neue
Einrichtung der Geſchäftsgang ſehr erleichtert ward, eine geſchicht liche Nothwendigkeit, daß der Staat in ſeinen oberſten Behörden 3 als Einheit hervortrete. Dieſer Einheit gegenüber iſt2 ſpäter wieder von anderer Seite , von der Seite des Volkslebens I, von
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der Naturſeite her, in den Provinzialftanden die Mannigfaltigkeit des Lebens in ihrer Würdigkeit anerkannt worden. Damals aber, als jenes geſchehen, war man überhaupt nicht im Stande, ſein unternommenes Werf nach allen Seiten hin zu vollenden .
Zur glüdlichen Stunde wurden die Kriegsfahnen entfaltet; es erhob fich das Waffengetümmel, und von der friedlichen geſeka geberiſchen Thätigkeit wurde man abgerufen , um ſeine ganze
Thätigkeit dem zu weihen , was für eine glorreiche Beendigung des begonnenen Krieges erforderlich war.
Nach dem Kriege ſtellten ſich allerdings die Verhältniffe ganz anders als wie ſte vor demſelben geſtanden hatten. Preu ßen hatte ſich aus ſeiner Erniedrigung erhoben ; es ftand im Ruhmesglanze da. Die andere Hälfte ſeines Daſeins hatte es wieder gewonnen. Nicht nur die alten preußiſchen Länder am Rhein waren dem Gebiete des Staats wieder verknüpft worden ; ein großer Zuwachs an Land und Macht vielmehr war ihm nach jener Seite hin zutheil geworden. Mächtig an den Küſten der Oſtſee und an den Ilfern des Rheins ſtand nunmehr der neugeborene preußiſche Staat wieder da. Er hatte die Prüfungs zeit beſtanden und überwunden. Die tiefe Wurzel ſeines kräftigen Daſeins hatte ſich, durch welche Stürme auch der Stamm er: ſchüttert worden ſein mochte , in geſunder Friſche bewährt. Jest war es wieder an der Zeit , an das friedlich fortbildende Ge
ſchäft der Gefeßgebung zu gehen. Doch die Arbeiten häuften ſich übereinander. Das Bedürfniß der Organiſation in den neuen Provinzen drängte. Viele Verhältniſſe waren noch in
den alten Provinzen zu ordnen. Eine gewiſſe Aufregung, die größtentheils wohl eine Folge, der Anſtrengungen des Krieges war, herrſchte auch noch überal . Forderungen allerlei Art, die, wie es ſchien , aus der Meinung hervorgingen , daß nunmehr eine Zeit herangekommen wäre , in welcher Alles , wenn audy nicht auf Erden überall, doch wenigſtens in Deutſchland , auf?8 herrlichſte und beſte einzurichten wäre , erhoben fich laut. Dazu kam als ein Säuerungsmoment die Idee des Deutſchthums, von .
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welcher ſchon im Vorhergehenden die Rede geweſen iſt. Es waren nicht bloß Jünglinge, die in ihrem Geiſte daran . feft hiels ten. Sonſt in allem Uebrigen wohlgeſinnte und beſonnene Män ner höheren Alters aus den gebildeten Ständen und in bedeu tender Stellung waren davon erfaßt.
Dieſe Idee chien auf fie
eine Art von berauſchender Kraft ausgeübt zu haben. Man hatte ſich in ſeinem Bewußtſein in eine Welt der Phantaſie ver loren. Die ſeltſamſten , in ſich ſich widerſprechenden Anfordes rungen wurden von dem Standpunkte jener Idee aufgeſtellt.
Die allgemeine Unklarheit , die über die Zeit gekommen war , glich in einzelnen Punkten faſt der, die gegen das Ende des
dreißigjährigen Krieges und nach demſelben eingetreten von Sim pliciſſimus mit einigen kräftigen Zügen geſchildert wird. Unter ſolchen Umſtänden hatte die ohnehin ſchon in ihrer Thätigkeit nach den verſchiedenſten Seiten hin ſtark und mannig
faltig in Anſpruch genommene preußiſche Regierung eine ſchwie rige Stellung. Von der Bahn, auf der ſie von dem Standpunkte
der Geſchichte des preußiſchen Staatsaus fortgegangen war, konnte ſte unter keiner Bedingung abweichen. Es läßt ſich aber gar nicht läugnen, daß die Geſchichte dieſes Staats ſeit der Gründung deſſelben eine eigenthümliche Richtung genommen. Mit Ausnahme von Bayern und Sachſen , ob auch von Würs temberg mag dahingeſtellt bleiben , ſind im Zerfallen des alten 1
Deutſchen Reichs die außerpreußiſchen Länder Deutſchlands in
patriarchaliſche Zuſtände zurück geſunken.
Eine eigenthümliche,
felbſtſtändige Geſchichte aus einem eigenen geiſtigen Mittelpunkt heraus haben ſie aus ihrem Leben nicht entfalten können ; ihre Geſchichte vielmehr, eine wie reidhe oder dürftige ſte gehabt haben, hat ſich an Bereiche angeſchloſſen, deren Schwerpunkt anderswo als in ihnen felbft lag. Dagegen hat in der Geſchichte des preußiſchen Staats ein eigener Geiſt ſich ſelbſtſtändig bewegt und herrliche Blüthen aus der Fülle feines Wefens entfaltet. Sich in fich abgeſchloffen zu halten und auf ihrem eigenen Standpunkte zu verharren , dieś war die erſte Pflicht der preu:
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Biſchen Regierung.
In einem neuen Geiſte freilich war der
Staat aus dem Grabe des alten erſtanden . Doch ſeelenvolle Bande knüpften den Geiſt, der in der neuen Zeit lebte an den
Geiſt, der in der Geſchichte des alten Staats die Bewegung gegeben hatte. Darin lagen für die preußiſche Regierung man cherlei Verpflichtungen , die ſie nicht verfennen , nicht mißachten 1
durfte. Deshalb hielt ſte ſich in ihrer in fich abgeſchloſſenen Stellung , für das deutſche Volt felbſt mit mancherlei Aufopfes rungen handelnd, aber fich demſelben nidt opfernd.
Sie ging ihre eigenen Wege und ſchloß ſich auch einem voreiligen Streben zur ſchleunigſten Entwidlung der Verfaſſungs verhältniſſe nicht an. In Rückſicht auf Selbſtverwaltung der eigenen Angelegenheiten war dem Volfe und den Gemeinden ſchon manches gewährt, die höhere Staatsverwaltung in dem Beamtenſyſteme nach der Idee der Einheit des Staats geordnet worden. Ein wichtiges Moment, welches nach dem unzweideus tigen Ausſpruche Steins in feinem Sendſchreiben an die oberſte Verwaltungsbehörde gleich anfangs bei tem erſten Entwurfe zur Neugeſtaltung der Verfaſſung des preußiſchen Staate berücks fichtigt worden iſt , war noc nicht in's Werf geſtellt. Nachdem
Hardenberg an die Spiße der Verwaltung getreten war , hatte auch er mancherlei Abſicht läge , eine That fonnte auch der neuen Zeit an
Andeutungen darüber gegeben, daß es in der Volfsrepräſentation hervorzurufen. In der dadurch nur der Zwed , der vom Anfange erſtrebt war ; erreicht werden , die neue Vers
faſſung ihren Halt und ihre Rundung gewinnen . Dem Volke gegenüber war durch die Umwandlung in der Verfaſſung der Miniſterien das Beamtenſyſtem nach einheitlichem Staatsbegriffe organiſirt; aber für das Volk felbft fehlte noch das Organ, durch welches es in das Bewußtſein des Staats aufgenommen werde. In Rückſicht auf die im Volfe, im Bürgerthume, und
im Stande der Bauern gegebene Naturſeite des Staats konnte die Organiſation nicht als vollendet angeſehen werden, ſo lange
noch nicht der Weg eines freien Verkehrs zwiſchen Regierung
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Darin beruhte die Bedeutung der über Preußen gekommenen harten Geſchicke und der Wieders erhebung aus der Erniedrigung , daß die Scheidewand falle, durch welche das Volk vom frei bewußten Leben im Staate, im Gan und Volt eröffnet worden war.
zen, ausgeſchloſſen worden war. Was auch Großes im acht zehnten Jahrhundert in der Geſchichte des preußiſchen Staats
ſich entwidelt hat, der Form ſeines äußeren Beſtehen nach trug er immer noch den Charakter eines in patriarchaliſcher, in häus väterlicher Weiſe verwalteten Gemeindeweſens an fich.
Freies
Mitglied des Staates iſt jeder demſelben Angehörige nur inwie fern er mit Bewußtſein in demſelben lebt. Nicht darin beſteht das wahre Weſen der Freiheit , daß Jeder in jedem Augenblice thun und laſſen kann , was ihm grade gut däucht , auch nicht darin , daß er ſelbſthandelnd mehr oder weniger Theil habe an
der Verwaltung der Staatsangelegenheiten ; darin vielmehr beſteht es , daß er nicht nur in ſeinem äußerlichen , natürlichen Daſein
der Gemeinſchaft der Mitglieder des Staats verknüpft, ſondern mit ſeinem Bewußtſein in das geiſtig geſchichtliche Leben des Staats aufgenommen iſt. Wie Mancher auch perſönlich auf wiſſenſchaftlichem Wege zu einer ſolchen Freiheit fid, ausbilden fann , ſo iſt das doch nur etwas Vereinzeltes und betrifft nicht
die Geſammtheit. Was dieſe angeht, ſo iſt in Rückſicht auf fie eine allgemeine , öffentliche Form ein unbedingt anzuerkennendes Bedürfniß. Gegeben werden aber fann dieſe Form nur in einer Volksrepräſentation. In ihr treten Regierung und Volk zum friedlichen Verkehr einander gegenüber. Gegenſeitig iſt in dieſem Verkehr der Austauſch. Von der Seite der Krone wird das Volt in ſeinen Repräſentanten berufen, um in dem Geiſte deffel ben das Bewußtſein von den allgemeinen geſchichtlichen Rich tungen , in welchen die Regierung lebt , anzuregen und zugleich auch die Grundfäße zu entwickeln , nach welcher fie in Ueberein
ſtimmung mit der allgemeinen Idee des Staats, mit der weltges fchichtlichen Stellung deſſelben Sorge trägt, den in den zeitlichen Verhältniffen ſich ergebenden Bedürfniſſen abzuhelfen. Unterricht
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-
2
über dieſe Bedürfniſſe empfängt die Regierung von der Seite der Stände her. Gegenſeitige freundliche und friedliche Bes rathung dient zur Vermittlung und zur gütlichen Ausgleidung von Gegenſäßen, die ſid, etwa erheben könnten .
Darin liegt das richtige Verhältniß einer wohlgeordneten Repräſentationsverfaſſung. Sdílechthin verdorben aber iſt Alles, wenn von dem Standpunkte eines abſoluten Gegenſakes ausges gangen wird , wenn das Rechten an die Stelle des Berathens tritt. In dem Streit um die Macht tritt nach einer ganz folge rechten Entwicklung auch die Entſcheidung durch die Macht ein, und Wehe ſei über jeden Staat gerufen , in welchem anſtatt des Friedens, anſtatt einer höheren weltgeſchichtlichen Idee und an ftatt des Rechtsbegriffs, eine Macht, die ſich nicht auf folche
Momente ſtüßt, zur Herrſchaft gelangt. Verwidlungen und Ver wirrungen der gefährlichſten Art ſind dann die unausbleiblichen Folgen . Daß man im preußiſchen Staat nach endlicher Beendigung des Befreiungsfrieges noch zauderte, eine Volksrepräſentation in's Leben zu rufen, das mag außer in andern im Vorhergehen den ſchon angedeuteten Gründen auch wohl darin gelegen haben, daß man abſeiten der Krone in beſonnener Weiſe die Entwicklung vorbereitet und ihr einen ruhigen Gang vorgezeichnet wiſſen wollte . Zwar war ſchon unter dem 22. Mai 1815 die Verordnung
über die zu bildende Repräſentation des Volfs erlaſſen ; es ver floffen jedoch noch feit dieſer Zeit acht Jahre, ehe unter dem
5. Juni 1823 das Gefeß wegen Anordnung der Provinzialftände erſchien. Man hat wohl , ehe es gegeben war, manchmal ges zweifelt, ob ein ſolches überhaupt kommen werde; ja in neueren Zeiten ſind felbft Zweifel darüber aufgeworfen worden, ob Har denberg es je ehrlich mit der Anordnung einer ſtändiſchen Ver faſſung gemeint habe. Wie indeß die perſönliche Meinung Har denbergs in dieſer Rückſicht beſdyaffen geweſen ſein mag , darauf kommt es hier wenig an . Es mag wohl ſein, daß in den Um
gebungen des Königs in einzelnen Augenblicken manchmal Bes
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denken ſich geregt haben können ; daraus aber , daß dic Idee zu verſchiedenen Zeiten in den Bereichen der geſebgeberiſchen Thå tigkeit ſtets wieder auftauchte, erhellt es , daß ihre Ausführung nothwendig war. Bis zur legten Vollendung iſt es in dieſer Angelegenheit freilich noch nicht gediehen ; aber die vielfach erho benen Zweifel über die Zuſammenberufung eines vereinigten Landtages find nun dod auch zu Schanden geworden. .
Mit dieſer Zuſammenberufung iſt freilich noch nicht das ganze Verfaſſungsgebäude, an deſſen Erridytung man ſeit vierzig Jahren gearbeitet hat, fertig geworden. Das Patent vom 3. Fes bruar 1847 iſt nach weiſer Erwägung in einer Art abgefaßt, durch die einer lebendigen Fortentwidlung ſo wenig wie möglid) hemmende Schranken entgegengeſegt worden ſind. Faffen aber die vereinigten Landſtände den Gegenſtand mit richtigem Blick und in ehrenhafter Geſinnung auf, ſo kann es nicht fehlen, daß aus dem eröffneten Verkehr zwiſchen der Krone und den Stän
den edle Früchte erblühen müſſen. Die Hauptſache iſt geſchehen, des Königs Majeſtät haben die getreuen Stände Ihrer Mouars chie um ſich verſammeln wollen, um Sid) mit ihnen über einige wichtige Angelegenheiten zu berathen und Sich ihrer freien, ſelbſtſtändigen Mitwirfung da, wo es wünſchenswerth ſein dürfte, zu verſichern. Für die Zukunft ſind fernere Zuſammenberufungen in Ausſicht geſtellt, ſo daß der durch das Patent vom 3. Februar angeknüpfte freiere Verkehr zwiſchen der Krone und den Stän
den als ein in Wiederholungen fortwährender zu achten iſt. So wird durch Vermittlung der Reichsſtände das Volk aufs genommen in das Bewußtſein des Staats. Dadurch wird jeder
Staatóunterthan Staatsbürger. Zugleich wird jedoch auch den getreuen Ständen eine Wirkſamkeit verheißen , wie ſie, im Ein flange mit den Rechten der Krone und den eigenthümliden Vers
hältniſſen der Monarchie, dem Vaterlande eine gedeihliche Zukunft zu fidhern geeignet ſein dürfte. Vernunftgemäß iſt das Gerüſte des Staats erbaut.
Von
der Seite der Gefeßlichkeit her ſtellt fich zunächſt die Einheit
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deſſelben im Beamtenſyſteme nach deſſen in der Zeit der Umwands lungen und des unternommenen Baues gewonnenen Einrichtung dar , von der Seite der Natürlichkeit die Verklärung des natürs lichen und individuellen Daſeins in der Freiheit des Bauern
und in der Stellung , die dem Bürger zum Staate und zu den anderen drei Ständen verlichen ift. Nicht aber wie ein abſtraktes
Gedankending unſichtbar, wie die ewige Roma über der Repus blif, über den Bereichen des Lebens im preußiſchen Staate ſdwes bend wirft der Geiſt, der in der Geſchichte deſſelben waltet.
Perſönlich vielmehr tritt er hervor im Königthum , neben dem zur Verherrlichung deſſelben der Stand der Fürſten, Grafen und Herren auftreten ſoll. Sind in den nunmehr im Leben des preußiſchen Staats anerkannten Principien die vernunftgemäßen
Rechtsbegriffe, wirklichung in den Geift des von denen die
nach denen die Hellenen ſuchten, um deren Vers der Republik die Römer kämpften, mit den durch Chriſtenthums verklärten perſönliden Momenten, Geſinnung der alten Germanen erfüllt war und
denen gemäß ſie ihre Einrichtungen für die Ordnung des Ge
meindelebens trafen, in Einklang gebracht worden , ſo darf ‘ian wohl ſagen , daß an ihnen ein hoher Grad politiſdyer Weisheit
fich darthue. In dieſer hat ſich Weltbewußtſein im chriſtlichen Bewußtſein zum Vernunftbewußtſein verklärt. · Nach dem Ilmſturze des alten deutſchen Reiche hat fich ein
mächtiges neues erhoben, welches öſtlich und weſtlich ſeine Macht zur Bewachung der Grenzen Deutſchlands ausdehnt. Das alte römiſche Reidh deutſdier Nation trug ſchon von allem Anfange an , nadi der Art und Weiſe, wie es aus dem Zerfallen des karolingiſchen Reiches hervorging , einen tiefen Widerſpruch in ſich. Dieſer Widerſpruch iſt in den Principien , in denen die Verfaſſung Preußens nach allen Seiten hin ausgebildet iſt und fernerhin fich fortentwickeln ſoll, aufgehoben . In den Grunds principien waltet ſonach der verſöhnende Friedensgeiſt. Daß in den äußeren Kreiſen an der Oberflädje hier und da noch manche Bewegung im Widerſtreit ſich entwickeln werde, liegt nicht außer 1
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dem Bereiche der Möglichkeit. Doch Bewegungen der Art wers den nie den im Innern waltenden Geift des Friedens, dem Vers nunft und Weisheit zur Seite ſtehen , überwinden können. Dhne Kampf fein Sieg. Darum nur rüftig dem Feinde entgegen getreten , der Unkraut unter den Weizen zu ſåen begierig die Saat des Haders und Unfriedens auszuftreuen beſtrebt ſein könnte. Die Kräfte wachſen im Kampf, und ſollte der Wider
facher fich regen wollen , ihm wird zu begegnen ſein. Um die weiße Fahne des Friedens werden die Schaaren fich ſammeln da, wo es um das Heil der Nation , um das des Reiches fich
handelt. Muthig daher in die Zukunft geſchaut. Der Geift, der ſeit zwei Jahrhunderten in unſerer Geſchichte immer reicher, lebendig und kräftig fich entfaltet hat, wird auch noch in Zukunft über uns walten , und neben Gott und ſeinem Sohne , denen
wir vertrauen, ein uns beſchüßender Freund ſein .
!
1
Das Patent und die Verordnungen vom
3. Februar 1847.
Bei dem Eingehen auf eine nähere Betrachtung deſſen , was durch das Patent vom 3. Februar und die an daſſelbe fich ans
ſchließenden Verordnungen geſchaffen iſt, dürfte es, um den Stands punft, von welchem die Betracytung auszugehen gedenkt, zu bes
zeichnen, angemeſſen ſein, mit folgenden Worten einer Stimme, die ſich darüber in der Rhein- und Mofelzeitung erhoben hat (Vergl. Beilage zu Nr. 43 der Kölniſchen Zeitung), zu beginnen. Es heißt daſelbſt: „ Daß dies noch keine Conſtitution im gewöhn lichen Sinne iſt, leuchtet ein , und wir zweifeln nicht, daß felbft die ſonſtigen Gegner einer preußiſdhen Conſtitution dem vereinigten 1
Landtage, wenn er einmal berufen werden follte, mit uns weitere
Rechte eingeräumt wünſchten. Nichts deſto weniger dürfen wir hoffen , daß das Gegebene ein fru £ tbarer Reim weis terer Entwicklung ſein wird. Je weniger es bis jeßt dem ganzen Volfe möglich war , vereinigt ſeine Anſicht auszuſpredjen und feine Bitten dem Throne vorzulegen , um ſo eindringlicher werden dieſelben , um ſo weniger fönnen ſie als die Frucht ein ſeitiger Machinationen und Anſichten erſcheinen. Man darf 7
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nicht annehmen , daß der König den Ständen , welchen er ſogar eine mitentſcheidende Stimme bei Aufbrin : gung der Staatsbedürfniſſe eingerä umt hat, das jenige, was ſie im Uebrigen als nothwendig und der geiſtigen Entwidlung des Volfes angemeſſen erach ten, abídlagen wird, um ſo weniger, je mehr daſſelbe als der Ausdruck der Wünſche des ganzen Volfs er fdyeint.
Auch dürfte nach allen Verhältniſſen anzunehmen
ſein, daß die Finanzfragen auf dem erſten allgemeinen Landtage eine vorzügliche Stelle einnehmen werden.
Es iſt alſo unſere
und unſerer Abgeordneten Sache, die neu dargebotenen Sache
muthig und mit feſter Hand zu ergreifen und ihre Ent wicklung mit jener Unverzagtheit zu fördern , ohne die große Inſtitutionen nie ins Leben getreten ſind . Nicht nur für Preußen , ſondern für ganz Deutſchland iſt die
erſte Verſammlung von der größten Bedeutung. Von allen bis jeßt in Deutſchland berufenen wird ſie die großartigſte ſein , ſte wird nicht nur den Charakter der zukünftigen, ſondern den Ents widlungsgang des öffentlichen Lebens im ganzen deutſchen Vater lande beſtimmen ."
In einem anderen Artikel aus derſelben Zeitung heißt es, wie folgt : ,,Der große Vertrauensact des Königs ſchließt keines weges das Ringen und Kämpfen nach wahrer bürgerlicher und politiſcher Freiheit ab, er giebt demſelben vielmehr erſt eine offene
Arena und recites Ziel ; der Kampf ſelber aber muß fürderhin mehr gegen den Mißbrauch der Freiheit, als gegen den der Gewalt gerichtet ſein. Wir ſind allerdings nicht der Meis nung, als ob durch das königlicie Patent bereits in dieſem Aus genblick ein liebermaaß der Freiheit gegeben und das monarchiſche Princip dein demokratiſchen gegenüber gefährdet ſei; wir beklagen vielmehr, daß das Recht der ſtändiſden Zuſtimmung auf die Staatsſchulden und die Steuer-Erhöhung beſchränkt iſt, im Ueb rigen aber nur ein einfacher Beirath eingeräumt ward ; allein
ungeachtet dieſer Ueberzeugung können wir die großen politiſchen
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Gefahren nicht überſehen , welche durch die Form und das Zahs lenverhältniß der neuen Reichsſtände gegeben ſind. Die Zahl ihrer Mitglieder wird auf 600 ſteigen , und es gehört wahrlich ein hohes fönigliches Vertrauen dazu , Angeſichts ſo mancher trüben Erfahrungen der Gegenwart nid)t der Befürchtung Raum zu geben, daß der Geiſt des ruhigen Fortſchrittes möglicher Weife dem Dämon der Anarchie und des Radicalismus weichen
werde.
Möge das Volf und ſeine Vertretung die Freiheit nur
innerhalb des Rechtes und der Drdnung erblicken , möge es im
merdar nur auf dem Wege der Treue und der Ehrenhaftigkeit die unverläugbaren Mängel des Beſtehenden bekämpfen, möge es das fönigliche Vertrauen und die Hoffnung des Jahrhunderts nicht zu Schanden madjen. “ In einem anderen Artikel aus derſelben Zeitung ( Nr. 33, vergl. Köln. 3. Nr. 46 ) heißt es ;: „ Es iſt ein großes weltge
ſchichtliches Ereigniß, welches am 3. Februar in die Welt getre dies Bewußtſein durdydriugt nicht allein Preußen, ſondern auch Deutſ( land und Europa ; ein Jeder fühlt es , daß ten iſt,
wir in eine neue Entwicklungsform eingetreten ſind, und daß in
diefen Tagen die Würfel geworfen worden über die Geſchide eines Jahrhunderts. Wie ſie gefallen, - ob ſie Freiheit, Recht und Ordnung verheißen , oder große politiſche Stürme und Er ſchütterungen in Ausſicht ſtellen , das mag heute noch ſchwer zu beſtimmen ſein, denn beide Folgen ſind möglich , und der Eintritt der einen oder der andern hängt lediglich von dem rech ten Gebrauche oder Mißbrauche der menſchlichen Willensbeſtim mung ab ; politiſche Freiheit wird nicht geſchenft, fie muß vera dient werden, und an Preußens Volt iſt es alſo jeßt, zu zeigen, daß die hundertfad) wiederholten ſalbungsvollen Verſicherungen feiner politiſchen Mündigkeit feine Lügen waren . Dieſe eine Frage bedingt die Geſchicke der Zukunft, und nur die Geſchichte 1
vermag ſie zu beantworten . "
Ueber manches Einzelne, was in dieſen angeführten Worten enthalten iſt, ließe ſich noch ſtreiten ; die Grundgedanken aber, 7*
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die in denſelben ausgeſprochen ſind, geben den richtigen Stands punkt an , von welchem aus man das Patent vom 3. Februar
zu betrachten hat. Was dadurch verliehen, iſt ein aus der Fülle geſchichtlicher Entwidlungen hervorgegangenes, an welches ſich 1
fernére in einem ganz neuen Geiſte anſchließen werden . In felt ſamer Weiſe wird ſchon jeßt von vielen Seiten her baran genagt, als ob nicht genug darin gegeben wäre. Dabei wird eine Menge gar nicht zur Sache gehöriger Dinge herbeigezogen. Man durchforſcht die Urkunden der Verhandlungen des Kongreſſes von Wien, um daraus nachzuweiſen, daß bei denſelben preußiſcherſeits
in einem weit freieren Sinne geredet worden ſei, als welcher aus dem Patent und den Verordnungen vom 3. Februar zu
ſprechen ſcheine. Man ſucht einzudringen in die geheimſten Fal ten der Seelen früherer preußiſcher Staatsmänner. Man ſpricht von Steins und Hardenbergs Abſichten und Plänen. Dabei aber vergißt man , daß das, was als Vorſchlag bei den Ver handlungen des Kongreſſes von Wien zur Sprache gekommen fein mag, eben ſo wenig von geſeßlicher Bedeutung iſt, als das, was etwa in den Abſichten von Stein oder Hardenberg gelegen haben könne. Nach vielen Verhandlungen famn es in der Buns desafte in Rückſicht auf ſtändiſche Verfaſſungen in Deutſchland zu feiner weiteren Beſtimmung als zu der des Artifels 13 , in welchem es heißt : ,, In allen deutſchen Bundesſtaaten wird eine landſtändiſche Verfaſſung beſtehen ." Nur dieſer Artikel iſt es, dem geſeßliche Bedeutung beigelegt werden fann. Mehr Bedeutung als die bei den Verhandlungen in Wien
vor Abfaſſung des Beſchluſſes etwa vorgekommenen Aeußerungen haben auch die Abfichten nicht, die etwa Stein und Hardenberg gehegt haben könnten. In geſeßlicher Beziehung kommt es nur darauf an , was im Namen des Königs als allerhöchſter Wille ausgeſprochen worden iſt. In dieſer Rüdficht ſtoßen wir zuerſt auf die Verordnung über die zu bildende Repräſentation des Volfs , vom 22. Mai 1815. Beſonders von Wichtigkeit ſind in derſelben die Paragraphen 2 ., 3 und 4 , in welchen befohlen
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wird , die Provinzialſtände da, wo ſie mit mehr oder minder Wirkſamkeit noch vorhanden waren , herzuſtellen, und dein Bedürf niſſe gemäß einzurichten , wo aber gegenwärtig keine Provinzial ftände vorhanden waren , fie anzuordnen.
Hieran ſchließt ſich
die Beſtimmiing, daß aus den Provinzialſtänden die Ver ſammlung der Landesrepräſentanten , die in Berlin ihren Sik haben ſoll, zu wählen wäre. In Rücficht auf die Wirkſamkeit der Landesrepräſentanten wird §. 4 geſagt, daß ſte ſtd; auf die Berathung über alle Gegenſtände der Gefeßgebung erſtrecken ſolle, welche die perſönlichen und Eigenthumsrechte der Staatsbürger, mit Einſchluß der Beſteuerung, beträfen.
Es iſt von dieſer Verordnung durdy ſpäter in Beziehung auf die Einrichtung des ſtändiſchen Weſens erlaſſene nicht abges wichen. Denn als Sophiſterei müßte es doch wohl angeſehen werden , wenn man den Worten des Artikels III. Des Gefeßes
vom 5. Juni 1823 wegen Anordnung der Provinzialſtände, in welchem es heißt : „ Die Provinzialſtände ſind das geſeßmäßige Drgan der verſchiedenen Stände unſerer getrenen Unterthanen in jeder Provinz ; " einen Sinn unterlegen wollte, der nicht dem entſpräche, was in der Verheißung der Verordnung vom 22. Mai 1815 in Rückſicht auf Volfsrepräſentation enthalten iſt. Die Provinzialſtände ſind als geſetzmäßiges Organ der verſchiedenen Stände der Unterthanen in jeder Provinz Repräſentanten der ſelben. Die Unterthanen aber bilden das Volk. Offenbare Erweiterung ſtändiſcher Wirkſamkeit ward nach dem Erlaß der Verordnung vom 22. Mai 1815 durch die Ver
ordnung vom 17. Januar 1820 über das Staatsſchuldenweſen ertheilt. In dieſer ward nicht nur die Abſicht ausgeſprochen, die. Verwaltung des Staatsſchuldenweſens fünftig den Reichs ftänden unterzuordnen, ſondern förmlich das beſtimmte Verſprechen gegeben , daß , wenn etwa der Staat fünftighin zu ſeiner Erhals
tung oder zur Förderung des allgemeinen Beſten in die Noth
wendigkeit fommen würde, zur Aufnahme eines neuen Darlehns zu ſchreiten , ſolches dann nur mit Zuziehung und unter Mit
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garantie der fünftigen reichsſtändiſchen Verſamınlung geſchehen
folle. War dabei noch von der Verpflichtung der Staatsſchuldens Verwaltungsbehörde die Rede, der fünftigen reichsſtändiſchen Verſammlung alljährlich Rechnung abzulegen, ſo verſtand es fich der Natur der Sache und auch den gebrauchten Worten wie den
getroffenen Anordnungen nach von ſelbſt, daß dieſer Verpflichtung vorläufig auf eine andere als auf die angegebene Weiſe nachges kommen werden mußte.
Bereiche ihrer Wirframkeit find ben zur Zeit, als die zuleßt erwähnte Verordnung erlaffen ward, noch zukünftigen Ständen durch dieſelbe nicht verringert worden . Weber die Art und Weiſe
Zuſammenſeßung der Stände war indeß bisher geſeßlich noch weiter nichts als dies ausgeſprochen, daß in Herſtellung
der
derſelben, wo ſie noch vorhanden, die neue Form ſich an die alte anſchließen werde. Die Grundfäße, nach welchen die Provinzials ftände zuſammenberufen werden ſollten, wurden endlich in dem Geſeße vom 5. Juni 1823 aufgeſtellt. Sie werden im Folgenden noch einer näheren Betrachtung unterzogen werden müſſen . Hier aber war derſelben nur furz zu gedenken , um dabei die Bemerkung
hervorzuheben , daß durch ſie nichts neues in die , die fändiſche Verfaſſung Preußens betreffende Geſeßgebung gefommen ift. Was v. faneizolle aus Veranlaſſung ſeiner Betrad tungen über
die Abfaſſung jenes Geſeges über die Verſchiedenheit der Anſichten und Geſinnungen des Staatsininifters von Voß und der Har
denberge beibringt, iſt allerdings von geſchichtlidyer Bedeutung; als einem rein Funerlichen aber kommt demſelben in Beziehung auf die Betrachtung des Ganges der preußiſchen Gefeßgebung vom rechtlichen Standpunkte aus gleiche Bedeutung nicht zu . Vom rechtlichen Standpunkte aus darf man nur nach dem in
der Faſſung der Gefeße enthaltenen Inhalt dieſelben deuten. In den Gefeßen vom 22. Mai 1815 und vom 5. Juni 1823 kommen aber ihrem Inhalte nad keine Widerſprüche vor. Auch waren es nicht der Staatsminiſter von Voß oder der Staats
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kanzler von Hardenberg , die , jeder zu ſeiner Zeit, die Geſepe ergehen ließen, ſondern es war der König Friedrich Wilhelm III., der ihnen Gültigkeit gab , und der mit ſich in Rückſicht auf die /
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ftändiſche Geſebgebung nicht in Widerſpruch gerathen iſt. Daß er mit ſich ſelbſt zu Rathe gegangen iſt und den Gegenſtand, über den er zu beſtimmen hatte , von allen Seiten erwogen hat,
ehe er zum Handeln ſich entſchloß, folgt wohl aus den Worten des jeßt regierenden Königs Majeſtät, mit welchen die Stände des preußiſchen Landtages bei der unter dem 9. September 1840 geſchehenen Verabſchiedung deſſelben angeredet wurden ; aber weiter auch gar nichts. Dieſe Worte lauten folgendermaaßen :
Was nun aber bei der Bitte um fünftige Erweiterung der ſtändiſchen Verfaſſung die Bezugnahme auf die Verordnung vom 22. Mai 1815 betrifft, fu finden Wir Uns ' durdy dieſe Bezug nahme bewogen, zur Hebung jedes fünftigen Zweifels und Miß verſtändniſſes , Uns über dieſen Gegenſtand mit dem ganzen !
offenen Vertrauen auszuſprechen , welches das Verhältniß deutſcher
Fürſten ihren deutſchen Ständen von Altersher bezeichnet hat. Die Ergebniſſe , welche Unſer in Gott ruhende Herr Vater bald nach dem Erlaß der Verordnungen vom 22. Mai 1815 in an
Heren Ländern wahrnahm , bewogen ihn , wie Wir davon auf das unzweifelhafteſte unterrichtet ſind , die Deutung, welche mit Seinen Königlichen Worten verbunden wurde, in reifliche Ueber legung zu ziehen. In Erwägung der heiligen Pflichten Seines von Gott ihm verliehenen Königlichen Berufes beſchloß Er Sein Wort zu erfüllen , indem Er , von den herrſchenden Begriffen ſogenannter allgemeiner Volksvertretung, um des wahren Heiles Seines ihm anvertrauten Volfes willen, Sich fern haltend, mit ganzem Ernſte und mit innerſter Ueberzeugung den naturgemäßen, auf geſchichtlicher Entwidlung beruhenden und der deutſdien Volksthümlichkeit entſprechenden Weg einſ(lug . Das Ergebniß ſeiner weiſen Fürſorge iſt die allen Theilen der Monarchie ver liehene provinzial- und freisſtändiſche Verfaſſung. Sie hat eine auf deutſchem Boden wurzelnde geſchichtliche Grundlage ftändiſcher
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Gliederung, wie dieſe durch die überall berücfichtigten Verändes rungen der Zeit geſtattet worden. Sorgfältig iſt ein die freie organiſche Entwicklung hinderudes Abſchließen der natürlichen Stände des Volfs auf der einen , und ein Zuſammenwerfen 1
derſelben auf der andern Seite vermieden worden."
Nady dieſer Erklärung iſt durchaus nicht anzunehmen , daß der König Friedrich Wilhelm III. ſeine Anſichten über die Ver . faſſungsangelegenheit nach dem Erlaß der Verordnung 2vom 22. Mai geändert hätte. Es fann höchſtens etwa gefolgert werden, daß die von ihm wahrgenommenen Ereigniſſe in andern Ländern
ihn zum ernſteren Nachdenken aufgefordert hätten. llebrigens widerſpricht die in der Verordnung vom 22. Mai gegebene Beſtimmung, daß die Provinzialſtände da, wo ſie noch vorhanden wären, hergeſtellt werden ſollten, gradezu dem Weſen des Repräs ſentativſyſtems, wenn dieſes im Weſentlichen auf der Annahme beruht:
,, Daß das Bolf, die Geſammtheit aller Unterthanen
einer höchſten Obrigfeit eine einzige , mit Ausſchluß aller reellen und irgendwie rechtlicy wirtſainen Standesverſchiedenheit, aus weſentlich gleidhartigen und gleichberechtigten Gliedern –- „,,Staats bürgern " – beſtehende Genoſſenſchaft oder Gemeinde bilde , welche die ihr nach der vorausgeſepten allgemeinen Natur des Staats gebührende Theilnahme an der Geſeßgebung und überhaupt an der Landesregierung , weil ihr unmittelbares Auftreten in jedem etwas größerem Lande ſchon phyſiſch unmöglich ſei, in einem folchen durch gewählte Vertreter der Repräſentanten auszuüben -
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habe . “ Wie wäre mit der Einführung eines ſolchen Repräſen tativſyſtems die Herſtellung deutſcher Provinzialſtände , wo ſie nod) mit mehr oder minder Wirkſamkeit vorhanden waren , in Einklang zu bringen geweſen ? Es iſt in Rückſicht auf die Grundprincipien der einzufüh renden ſtändiſchen Verfaſſung durch das Gefeß vom 5. Juni 1823 nidyts geändert. Bis auf die Verordnung vom 21. Juni 1842, die ſtändiſchen Ausſchüſſe der Provinziallandtage betreffend,
fehlte indeß immer noch ein Organ für die Wirkſamkeit der
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Stände als Geſammtheit, als Stände des Reiche, wie die Bils dung eines ſolchen von Anfang an beabſichtigt worden und ſchon durch die Verordnung vom 17. Januar 1820 unbedingt nothwendig geworden war. Inwieweit man durch die Bildung eines ſtändiſchen Ausſduffes aus Mitgliedern der Provinzial ſtände dem vorhandenen Bedürfniſfe Abhülfe zu geben , anfangs geglaubt hat, erhellt nicht aus der jene betreffenden Verordnung. Im Allgemeinen ward die Abſicht fund gethan, daß man denſelben in der Zwiſchenzeit von einem Landtage zum andern in geeigneten Fäden zu berufen, und in wichtigen Landesangelegenheiten ſeines ss 33 und 4 beſtimmten Rathes ſich zu bedienen gedenfe. Die sg. die Wirkſamkeit des Ausſchuſſes dahin , daß dieſelbe beſonders dann eintreten folle, wenn die Anſichten der Landtage verſchies
bener Provinzen über einen von ihnen berathenen Gefeßentwurf bedeutend von einander abwiden , oder , wenn in der weiteren
Berathung der Gefeße, in den höheren Inſtanzen der Legislation neue Momente hervorträten und es angemeſſen gefunden würde,
burch ſtändiſche Organe eine Ausgleitung der verſchiedenen Anſichten herbeizuführen. Insbeſondere aber ſollte noch der eins zuberufende Ausſchuß ein ſtändiſches Organ darbieten , mit wels
chem auch bei Gegenſtänden , welche bisher in der Regel an die Provinzialſtände nicht gelangt wären, eine Beſprechung über die anzunehmenden Hauptgrundfäße anzuknüpfen wäre , inwiefern dabei gutbefunden würde, den Rath erfahrener Männer aus den Eingeſeſſenen der Provinz einzuholen. Desgleichen ward auch noch vorbehalten , den Ausſchuß auch bei den erſten Vorbereitungen zu allgemeinen wichtigen Gefeßen zur gutachtlidien Aeußerung aufzufordern, ſowohl hinſichtlich der Nothwendigkeit dieſer Gefeße im Allgemeinen als hinſichtlich der Richtung, weldie bei Abfaſſung derſelben zu befolgen ſein möchte , inſofern es dabei hauptſächlich auf Renntniß örtlicher Verhältniſſe und praktiſdie Erfahrung anfomme.
Unläugbar iſt die Wirkſamkeit des Ausſchuſſes nach richtigen
Principien fehr weiſe beſtimmt. Es iſt nach Grundfäßen geſchehen,
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die jeder ſtändiſchen Reichsverfaſſung zu Grunde gelegt werden müſſen. An und für fich liegt es ſchon in der Idee einer ſolchen Verfaſſung, daß in ihr die Einheit dargeſtellt werde. ફિZur Auss bildung dieſer Einheit war burd, die den Ausſchuß betreffende Einrichtung wenigſtens ein bedeutender Fortſchritt gemacht worden. Vom praktiſchen Standpunkte aus angeſehen , hatte man gleich falls das Bedürfniß der Herſtellung der Einheit gefühlt und ivar demſelben abzuhelfen beſtrebt geweſen . Die Hauptwirkſamkeit follte fich auf Ausgleichung entgegengeſeßter Anſichten verſchie=' dener Provinziallandtage beziehen.
Demnädyſt wollte man aber
auch noch, inwieweit e$ in jedem einzelnen Falle für zweckmäßig erachtet werde, durch das neu geſchaffene Organ mit den getreuen Ständen über die allgemeinen Hauptgrundfäße , die zu befolgen wären , in Beſprechung , in Rüdſicht auf die beſonderen Verhält niffe aber in Berathung treten . Der Punkt indeß, auf welchem es in den Verhältniſſen der Krune zu den Reichsſtänden in einer Hauptbeziehung ankommt, war durch die Bildung des Ausſchuſſes noch nicht erledigt. Es iſt dies der, der fich auf das Verhältniß der Stände zum Staats ſchuldenweſen , wie es durch die Verordnung vom 17. Januar 1820 beſtimmt worden iſt, bezieht. Es leuchtet von felbſt ein, daß in diefer Beziehung dem Ausſchuſſe reichsſtändiſche Berech tigungen , in deren ganzen Fülle, nicht beizulegen waren. So hatte denn auch ſchon darum das ganze Gebäude der reichsſtän diſchen Verfaſſung durdy die Bildung des Ausſchuffes nicht zu feiner Vollendung gedeihen fönnen. Ein fernerer Schritt war noch zu thun , und dieſer iſt gemacht worden durch den unter dem 3. Februar 1847 geſchehenen Erlaß des Patents nebſt den an daffelbe fidy anſchließenden Verordnungen. An die Spiße der hier unternommenen näheren Betrachtung deſſen , was durch die Bildung von Reichsſtänden dem Volfe geboten worden iſt, ſind einige Auszüge aus einer am Rhein
erſcheinenden Zeitung geſtellt, um den Standpunkt anzugeben, von welchem hier die Betrachtung ausgeht. Leidit einleuchtend
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iſt, daß Jedem , der auf dieſem Standpunkte fic hält , es eine
große Verwunderung hat erregen müſſen , daß Stimmen laut geroorden ſind , die die Frage zu erörtern verſucht haben, ob die neue ſtändiſdie Einrichtung als ein Fortſdiritt in der Geſchichte Preußen zu betrachten fei oder nicht. Dergleichen Stimmen Werben verhallen, und was ſie vorgebracht haben, verdient weiter keiner Beachtung. Näherer Würdigung indeß iſt die aufgeworfene Frage zu unterziehen , inwiefern die zuſammenberufenen Reichs ftande dazu berechtigt mären , dem ihnen ertheilten Berufe Folge
zu leiſten. Man hat die Behauptung aufgeſtellt, daß dem Pa tente mit den an daſſelbe gefnüpften Verordnungen die gefeßliche Berechtigung fehle, weil in dem Gefeße vom 5. Juni 1823 ausdrüclich beſtimmt worden wäre, daß ſo lange feine allgemeinen ftändiſchen Berſammlungen ſtattfänden , die Entwürfe ſolcher alls
gemeinen Gefeße, weldie Veränderungen in Perſonen- und Eigen thumsrechten und in den Steuern zum Gegenſtande hätten , fo
weit ſie die Provinz beträfen, den Ständen zur Berathung vor gelegt werden follten. Dies wäre nun nicht in Rückſicht auf das Patent und auf die Verordnungen vom 3. Februar geſchehen und darum ; hat man gemeint , wäre bei ihrer Erlaſſung ein gefeßlider Fehler vorgefallen. Wer indeß jene Beſtimmung, von der hier die Rede iſt, fich näher anſieht , muß fich ſofort übers jengen , daß dieſelbe auf die Erlafle wegen reichsſtändiſcher Ein richtungen gar keine Anwendung finden könne. Es finden ſich in dieſen Erlaffen keine gefeßlichen Beſtimmungen , welche Ver .
änderungen in Perſonen- und Eigenthumsrechten und in den Steuern zum Gegenſtande hätten.
Denn, was in Rücficht auf
die Verwaltung des Staatsſdyuldenweſens angeordnet worden
ift, darin liegt keine Veränderung in den Steuern, ſondern nur eine fernere Entwicklung längſt ſchon geſeßlich anerkannter Bes ſtimmungen über das Verhältniß der Reichsſtände zur Verwaltung des Staatsſchuldenweſens. Was aber die Eigenthumsrechte be trifft, ſo werden dieſe in gar keiner Weiſe durch die neuen Ver ordnungen berührt. Es könnte die Frage fein , ob die Bildung
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eines Herrenſtandes in dem Sinne Veränderungen in Perſonen rechten beträfe, in welchem davon in dem Gefeße vom 5. Juni 1823 die Rede iſt. Daß indeß dies nicht der Fall iſt, iſt leicht darzuthun. Der Stand der Fürſten, Grafen und Herren beſtand nämlich ſchon mit eigenthümlichen Rechten in der provinzialſtän
diſchen Verfaſſung. Daß dieſe Rechte auch bei der Bildung der reichsſtändiſchen Verfaſſung, die nady den gleich von vorn herein feſtgefeßten Beſtimmungen an die provinzialſtändiſche fich enge anſchließen ſollte, Anerkennung gefunden haben , darin beſteht
feine Veränderung, durch welche irgend eine beſondere Provinz oder das Perſonenrecht der Unterthanen des preußiſchen Staats überhaupt betroffen würde. Die Erhebung eines jeden Einzelnen in dieſen Stand iſt übrigens ohnehin ein Gnadenaft und hängt ſomit lediglich von dem Gutbefinden Seiner Majeſtät des Königs ab. Der Behauptung, daß die wegen Bildung der reichsſtändiſchen Verfaſſung erlaffenen Verordnungen geſeßlicher Berechtigung er mangelten , weil die denſelben zu Grunde liegenden Entwürfe
den Provinziallandtagen nicyt vorgelegt worden wären, fehlt alſo nach dem Auseinandergeſeßten alle Begründung und fie muß zurüdgewieſen werden. Fragt man aber darnach , ob es der Klugheit gemäß geweſen ſein würde, den acht einzelnen Landtagen die Entwürfe, ehe man ihnen gefeßliche Gültigkeit gab , vorzu
legen , ſo wird ſich die Antwort darauf leicht von ſelbſt ergeben. Sie wird verneinend ausfallen müſſen .
Seßt man nämlich den
Fall, daß es geſchehen wäre , ſo würde, wenn überhaupt , doch ſchwerlich bald das Werk zu Stande gekommen ſein. Schon auf jedem einzelnen Landtage der adyt Provinzen würden ſich die Anſichten über die vorgelegten Fragen in einer ſo verwirrenden Weiſe durchfreuzt haben , daß es gewiß ſehr ſchwer geworden wäre , zu Beſchlüſſen zu gelangen. Viele Zeit hätte darüber verfließen müſſen. Wären endlich ſolche zu Stande gekommen, ſo würden die nach denſelben abgefaßten und an die Regierung eingeſandten Gutachten der acht einzelnen Provinzen ihren An
ſichten nach ſicherlich nicht ſich entſprochen haben. Dann wäre
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die Nothwendigkeit entſtanden, den allgemeinen Ausſchuß zuſammen zu berufen, um eine Ausgleichung der obwaltenden Verſchiedens heit in den Anſichten vorzubereiten. Hätte man darauf, um der Erfüllung des Wunſdyes ſich zu erfreuen , Zufriedenheit in Rück ſicht auf das Verfaſſungswerf ganz allgemein herzuſtellen , das Gutachten des allgemeinen Ausſchuſſes den einzelnen Landtagen zur wiederholten Erwägung vorzulegen für gut befunden , dann .
würde die ganze Angelegenheit in unendliche Verhandlungen, 1
vielleicht ſogar in Wirren hereingezogen worden ſein , wenn ſie nicht etwa darüber in Stocken gerathen wäre. Woht überlegt und weiſe war es daher, die Entwicklung des Verfaſſungswerks nicht einem ſolchen Gange dahin zu geben .
Xußer dem behandelten Punkte in Rückſicht auf die Frage über die Berechtigung der Reichsſtände zur Erfüllung des ihnen an gewieſenen Berufs iſt jedod, auch noch ein zweiter in gleicher Beziehung aufgeſtellt. Man hat nämlich die in Frage geſtellte Berechtigung aus dem Grunde anzweifeln wollen, weil, wie man meinte , die zum Vereinigten Landtage Berufenen von ihren
Wählern feinen beſtimmten Auftrag zur Abſtimmung über die zur Verhandlung kommenden Gegenſtände erhalten hätten. Dieſer erhobene Zweifel hat indeß eben ſo wenig Grund, wie der ſchon im Vorhergehenden erwogene. Gleich von vorn herein war es nachy $. 3 der Verordnung vom 22. Mai 1815 beſtimmt, daß die Verſammlung der Landesrepräſentanten aus den Provinzial ſtånden hervorgehen ſollten. Später iſt in dem Gefeße vom 5. Juni 1823 erklärt morden, daß darüber, wann eine Zuſammens
berufung der allgemeinen Landſtände erforderlich fein würde, und wie- ſie dann aus den Provinzialſtänden hervorgehen ſollten , die
weiteren Beſtimmungen der landesväterlichen Fürſorge vorbehalten blieben .
Hiernach iſt es ganz klar , daß die Wähler , als ſie die Wahl anſtellten , nicht nur gewußt haben , daß möglicherweiſe jeden Augenblick der Fall eintreten könnte , daß ein allgemeiner Landtag zuſammenberufen werde , ſondern demgemäß es auch
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habeu wiſſen müſſen , daß für dieſen Fall dex , den ſie wählten, dabei perſönlich betheiligt ſein würde. Von der mangelnden Berechtigung derer, die zu dem Vereinigten Landtage zuſammens berufen ſind , ſollte daher billigerweiſe die Rede nicht mehr ſein. Aber politiſch unflug aud) iſt es, Zweifel ſolcher Art zu erregen . Kluge Politik greift die Ilmſtände und Verhältniſſe auf, wie ſie fie eben vorfindet. Sie erfaßt das , was ihr in der Gegenwart vorliegt, um es für ihre Zwede ſo weit wie möglich auszubeuten, ſeßt ſich aber mit demſelben nicht in Widerſprud). Welder Mann aus dem Volf nun heutigestages wirklich im Stande 34
ſein glaubt, für das Heil Preußend wirken zu können, der würde allen Regeln kluger Politik entgegen handelu, wenn er die Hande
habe, die ihm in dem zuſammenberufenen Vereinigten Landtage dargeboten wird , zurückwieſe. nicht vorübergehen laſſen .
Er darf die günſtige Gelegenheit
Es würde vielmehr von ſehr unpa
triotiſchen Geſinnungen zeugen , wenn er ſie nicht ergriffe. Dar um iſt Jeder dazu angewieſen, friſch an's Werf zu gehen , um die Vergangenheit fich weiter nicht zu befümmern, ſondern ſeine Blicke nur auf die Zukunft zu richten. Dem geſinnungsvollen, beſonnenen und einſichtigen patriotiſchen Mann eröffnet ſich die Bahn einer herrlichen Thätigkeit. Segen für alle Zukunft wird quf dem Werfe ruhen , an welchem zu arbeiten , er mit berufen ward , wenn gleich anfangs mit Geſchick der Grund dazu in Weisheit gelegt wird. Zu läugnen iſt nicht, daß die Erlaſſe vom 3. Februar ans fangs einige Beſorgniffe erregen konnten. Dem Hauptpunkte, der als äußeres Moment ſie veranlaßt zu haben ſchien, ift auch
in ihnen eine beſondere Aufmerkſamkeit gewidmet.
Dies liegt
nun freilich in Verhältniſſen der Vergangenheit , indem die Bils dung der preußiſchen allgemeinen reichsſtändiſchen Verfaſſung in ihrer Wurzel fidy anknüpft an das , was in der Verordnung
vom 17. Januar 1820 verheißen worden iſt. Indeß die Erlaſje vom 3. Februar fonnten allerdings einige Bedenklichkeiten über mögliche finanzielle Verlegenheiten erregen. Stets aber hat es
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ſich in der Geſchichte als ein großes. Unglück erwieſen und es wird ein foldyes auch für die Zukunft ftets bleiben , wenn an
die Grundlegung eines ſtändiſchen Verfaſſungsgebäudes finanzielle Verlegenheiten ſich fnüpfen.
Der Gedanke, daß um ſolcher wils
len an das Werf geſdhritten werden ſolle, hatte etwas Being ftigendes. Da aber erſchien unter dem 10. Februar das Patent wegen Einberufung des Vereinigten Landtages. Mit Freuden las man in demſelben die Worte Seiner Majeſtät des Königo, in welchen die Verſicherung gegeben wird, daß die während eines langen und geſegneten Friedens völlig geordnete Finangs Verwaltung keinesweges die Nothwendigkeit der Zuſammenberus fung eines Vereinigten Landtages bedinge ; da aber einige wichs tige, zur Berathung des Vereinigten Landtages geeignete Gegens ſtände vorlägen und Seine Majeſtät überdies das Bedürfniß fühle, das wichtige Ereigniß der Bildung regelmäßiger ſtändiſder Centralverſammlungen auch dadurdy zu bezeichnen, daß Sie die getreuten Stände Ihrer Monarchie um Sich verſammeln : fo hätten Sie beſchloſſen , den Vereinigten Landtag einzuberufen. Hiernach erheût es denn , daß nicht finanzielle Verlegens heiten es geweſen ſind, die auf die Faſſung des Entſchluſſes eingewirkt haben , wenn es auch freilich als höchſtwahrſcheinlich angenommen werden darf, daß nebſt anderen Angelegenheiten
auch Finanzangelegenheiten Gegenſtände der Verhandlungen bilden werden . Dies haben wir indeß erſt 311 erwarten. Auch in dem Augenblice, in welchem dieſe Worte geſchrieben werden , iſt noch
nichts über die Forin des Geſdjäftsganges auf dem Vereinigten Landtage verlautet , ſo wenig wie darüber , ob die Sißungen öffentlich verhandelt werden ſollen oder vor verſchloſſenen Thüren, Räumliche Verhältniſſe werden wohl vorläufig für das Leştere ſprechen, und jedenfalls wird es aud) für den Anfang zwecmås figer fein, die Deffentlichkeit der Sißungen zu vermeiden. Es find indeß dies Gegenſtände, die der Zukunft zu entſcheiden obs liegen. Vielerlei wird zur Sprache kommen .
Möchten bei der
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Beſpredjung nur ftets die richtigen Standpunkte feſtgehalten wer den. Daß es von allen Seiten geſchehen wird, iſt ſchon an und für fid faum zu erwarten , wird aber nach dem , wie die Preſſe fich ſchon über die Geſeße vom 3. Februar geäußert hat, noch unwahrſcheinlicher; hauptſächlich ſcheint aus der Art und Weiſe, wie dies geſchehen iſt, zu erhellen, daß man den richtigen Standpunkt der Betrachtung verfehlt, inwiefern man die Sache, wie ſie vorliegt, die hiſtoriſchen Verhältniſſe nicht einfach auffaßt. Daß die reichsſtändiſche Verfaſſung Preußens durchaus nur erft 1
im Werden iſt, ſcheint nicht zur Genüge berückſichtigt zu werden .
Es iſt damit erſt der Anfang gemacht, und aller Anfang , ſagt man mit Recht, iſt ſchwer. Der preußiſdie Staat iſt überhaupt,
wie fein anderer , ein der Zukunft angehöriger. Viele Reime, die in der Geſchichte deſſelben erſt ſich zu entfalten begonnen haben, andere, die nocy verhüllt da liegen, bedürfen noch heutiger und fünftiger ſorgſamer Pflege, ehe das zur Reife wird gedeihen
können , womit fte geſchwängert find.
Man deint ganz zu
verkennen , daß das , was in der Geſchichte Preußens darum ringt, ſich hervorzubilden , ein ganz und gar neues iſt. Man ſcheint mit ſeinem Bewußtſein, wie das überhaupt ein befannter
Fehler des Deutſchen iſt, ganz anderswo als in der unmittelbaren Gegenwart zu leben . Wohl iſt die geſchichtliche Vergangenheit in ihrem Verhältniſſe zur Gegenwart für jeden wahren Staats mann von der allergrößten Bedeutung ; die Art indeß , wie heus tigestages in äußerlicher Weiſe die Vergangenheit auf die Gegen wart vielfady bezogen wird , fann unmöglid, gebilligt werden . Aber eben ſo wenig auch die Art , wie man engliſche und fran zöſiſche Zuſtände auf preußiſche bezieht. Man verliert den Mittel punft des eigenen Daſeins ganz aus dem Sinn , indem man mit ſeinem Bewußtſein entweder in mehr oder weniger entfernte Zeiten fich zurüdverliert oder aus den Ländern der Oſtſee und aus denen des Rheins nach Britannien oder Gallien fidy verſeßt. Andere verlaſſen den Boden der Gegenwart, in welcher fte und ihre Verhältniſſe ſich bewegen , indem ſie mit ihrem Bewußtſein
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in eine vermeinte Bernunftwelt fich verlieren . Dieſe find faft noch die Gefährlichſten. In ihrem Rationalismus ziehen fie Alles in's Mechaniſdie hinab. Von ihnen wird Alles auf Zahl und äußeres Maaß zurückgeführt, die unendliche Fülle des Lebens
aber gänzlich verfannt. Den Einen wie den Anderen , denen , die die Verhältniffe
der Vergangenheit auf die Gegenwart übertragen wiſſen wollen , ſo wie denen , die britiſche oder franzöſiſche Verfaſſungsformen nach den preußiſchen Ländern herüberbringen möchten , oder ends
lidy denen , die ohne richtige Würdigung der Bedeutung der ges
ſchichtlichen Entwicklung der Verhältniſſe dieſelben nach ihrer Art von Weisheit vernünftig auszubilden geneigt ſind, fehlt im eigenen
Geiſte die innere friſche Lebensquelle.
Sie nehmen wohl Theil
an den Kämpfen, in denen die Geſchichte Preußens fich bewegt; aber im Mittelpunkte derſelben ftchen ſie nicht. Diejenigen , die
der zuerſt genannten Klaſſe angehören , zeigen eine Hinneigung zu britiſchem , diejenigen dagegen , die zu der zuleßt genannten zu zählen ſind, eine zu franzöſiſchem Weſen. Schroff und ſtarr ſtehen ſie ſich als zwei Parteien gegenüber, denen die Vermitts lung fehlt.
Dieſe wäre auf dem Wege gegenſeitigen Verſtändniſſes nur dadurdy zu geben, daß beide Parteien zu der Erkenntniß gelangten , wie die Bewegungen in der preußiſchen Geſchichte nach einem
eigenthümlichen Gefeße ſich entwickeln . Ein , Vergangenheit und Zukunft innerlich und organiſch vermittelnder Geiſt hat von jeher, ſo lange der preußiſche Staat beſteht, die Geſchichte deſſelben in einer Weiſe durchrauſcht, wie kaum bei einem anderen Volfe
davon fich ein ähnliches Beiſpiel findet.
Sieht man in dieſer
Rüdficht nur auf England und Frankreich, ſo fann man es
nicht verkennen , daß die engliſche Verfaſſung ſehr unorganiſch fich entwidelt hat , und wenn auch in der früheren Geſchichte Frankreiche bis auf das Zeitalter Ludwigs XIV . eine in fich
organiſche Entwicklung fich nachweiſen läßt , ſo zeigt doch das demſelben folgende Jahrhundert nur anhebende Auflöſung, und 8
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in der Geſchichte der Revolution, in welder nur von Gewaltthat
zu Gewaltthat geſchritten warb , tritt es recht klar hervor , wie wenig der Geiſt, in welchem die frühere Geſchichte Frankreichs fich entwickelt , es vermocht hätte , die Gegenfäße im Volfsleben auszugleichen. Organiſch ausgeglichen ſind dieſe Gegenſäße auch in Großbritannien nicht.
Hier ſind unter den furchtbarften
blutigſten Kämpfen im Laufe der Jahrhunderte , Bruchſtücke an Bruchſtüde, man möchte ſagen, zuſammengeſchweißt. Die britiſche Verfaſſung tritt dem Blicke entgegen wie eine großartige Ruine, die in der Art neu ausgebaut worden , daß ihr in den verſchies denſten Zeitaltern neue Mauern , Galerien , neue Stüßen und
Säulen in dem verſchiedenſten Styl und nach den Bedürfniſſen verſchiedener Zeiten hinzugefügt ſind. Dagegen tritt die franzö fiſdie Verfaſſung dem Blicke faſt mehr wie das Gerüſte eines im neueſten Geſchmace zu errid ,tenden Gebäudes als wie ein
zu behaglicher Wohnung eingerichtetes Haus entgegen. Daß Preußen mit ſeinem verfaſſungsmåßigen Bau fertig geworden , kann freilich nicht behauptet werden. Ehe dies ges ſchehen ſein wird , kann noch eine lange Zeit verfließen. Aber von der einen Seite leidet es bei weitem nicht in dem Maaße, wie Großbritannien , an Hemmungen der mannigfaltigſten Art, durch welche eine vernunftgemäße Fortentwicklung zurückgehalten würde, noch auf der anderen Seite an Mangel innerer Befeſtis
gung der Verhältniſſe, wie Frankreich, wo dieſelben der Bewes gung leicht ſich erhebender Stürme dahingegeben ſind. In dieſem .
angedeuteten Verhältniß iſt ein Hauptcharakter des politiſchen Lebens Preußens gegeben , wodurch es fich von dem Großbris tanniens ſowohl wie von dem Frankreichs unterſcheidet. Daß dieſer Charakter nicht aufgegeben werde, darum handelt es ſich
heutigestages ganz beſonders. Mehr aber droht jedenfaus, wenn überhaupt Gefahr da ſein ſollte, ein Ausweichen aus der rechten
Mitte in rationaler Richtung als in der ihr entgegengeſegten. Nicht als ob zu behaupten ſtände, daß in den in Preußen beſte: henden ſtändiſchen Verfaſſungsverhältniſſen nid t Vieles nod in
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vernunftgemäßer Weiſe zu ändern wäre , und daß daher ein Fortſchreiten in rationaler Richtung unnöthig geworden , und, wenn es ſich dennod fortfeßen wollte, jedenfalls das richtige Maaß überſchreiten würde. Dieſes kann die Meinung nicht ſein, wohl aber , daß die dem Rationalismus weſentlich einwoh nende Sudt, überall ſofort Alles nach rationellen Principien zu geſtalten, und was einer in ſolcher Weiſe unternommenen Umbils
dung im Beſtande der Verhältniſſe entgegenſteht , ſofort über den Haufen zu werfen , unvernünftig ſei. Vernunftgemäß iſt nur ein weiſes, ſchonendes Verfahren in Rücfſicht auf Verhältniſſe, die vielleidyt ſdyon im Abſterben begriffen den Keim des Todes in ſich tragen , an die ſich vielleicht aber auch neue, der Zukunft entgegenreifende Entfaltungen anſchließen laſſen. Hiezu fommt, daß der Nationalismus an eine Geſinnung fidy knüpft , die in eiuer der Vernunft feinesweges angemeſſenen Weiſe ganz und gar in das Žrdiſche ſid) verſenkt.
Rationelle Principien find
noch feine vernunftgemäße. Sie ſind es un ſo weniger je enger ſie ſic) an die Seite des menſchlichen Daſeins anflammern , von .
welcher e8 der Natur zugefehrt iſt.
Das Induſtrielle iſt das
Hauptgebiet, in welchem ſie fid) bewegen . Man fann heutiges. tages alle Augenblicke erwarten, daß Stimmen ſich erheben , die im Sinne von Sieyes, der bekanntlich einmal in einer weitläuft igen Sdyriſt die Anſict durdyzuführen ſuchte , daß der dritte
Stand Alles ſei, vom rationalen Standpunkte aus die Behaups tung aufſtellen , daß der Stand der Induſtriellen 1, neben dem noch etwa der der Bauern zu dulden wäre, Ades ſei.
Gewerbetreibende und Bauern ſtellen in der Geſammtheit eines in ſich abgeſchloſſenen nationalen Lebens die innerhalb des Bereiches der Naturſeite des Daſeins fich bewegenden Richtungen
menſchlicher Thätigkeit dar. Die Leßteren bearbeiten den frudits bringenden Erdboden und hüten die Heerden. Die Erſteren verarbeiten zum Gebrand, die von der Natur den Menſchen ges botenen Gaben , und es ſchließen ſid, an dieſelben die an , die den Verkehr vermitteln, die Kaufleute. So ſcheidet ſich im Großen 8*
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und Ganzen unter einfachen Verhältniſſen im Geſammtleben des Es treten dabei freilich im Ein zelnen auf mannigfaltige Weiſe beſtimmt und beſonders nach den Bildungsſtufen auf welchen ein beſtimmtes Volt in einer beſtimmten Zeit ſteht, noch mancherlei andere Verhältniſſe ein; indeß eine Haupt- und Grundform iſt doch in der nach dem ans Volfs ein eigener Kreis aus.
gegebenen Begriffe beſtimmten Scheidung gegeben.
Daß aber
die Seite , von welcher der Menſch der Natur angehört , nicht die ganze Fülle des menſchlichen Daſeins umfaßt, iſt eine Sache, die fich ganz von felbft verſteht. Von einer anderen Seite her
entwickeln ſich die Bewegungen in den Bereichen des geſchichtlichen Lebens. Dieſen Bereichen ſchließen fich freilich vorzugsweiſe der Beamten- und der Kriegerſtand an ; beide können jedoch als
im perſönlichen Dienſte der Krone ſtehend in Beziehung auf
ſtändiſche Verfaſſung nicht in Betracht kommen. Und doch ges hört zur Gliederung dieſer Verfaſſung auch die Darſtellung jener zweiten Seite des Lebens der Nation.
Wie ſehr man audy gegen den Adel ſprechen mag , er iſt nothwendig in jeder Monarchie, hat ſich auch ſtets um tönigliche Throne geſammelt und wird ſich fernerhin um dieſelben ſammeln.
Wenn in der römiſchen Republik die ewige Roma ein Unoffen bares war, ſo iſt dagegen was derſelben im Verhältniſſe zum Volfsleben weſentlid, entſpricht, in den germaniſchen Königreichen durch das , was fich an die Krone und deren Macht knüpft, dargeſtellt worden und wird noch heutigestages durch daſſelbe
dargeſtellt. In der perſönlichen Darſtellung der Heiligthümer eines Königreichs beruht grade das, worin die die Throne heili gende Majeſtät beruht. In ihr tritt das heroiſche Moment heraus, das Ideale , worin fich die Geſchichte eines Volfs ſpie gelt. Dies iſt es, was überall einem Königshauſe ſeinen polis tiſchen Halt gegeben hat und wodurch weſentlich allein den Thronen Feſtigkeit verliehen wird. Nicht jedoch in der Geſchichte des föniglichen Hauſes allein fann fidy die geſchichtliche Seite eines nationalen Lebens entfalten. In den Kämpfen , die der
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heroiſche König zu beſtehen hat, müſſen ihm die Ebeln der Nation zur Seite ſtehen. Wenn die ganze Zeit und die ganze Arbeit eines Theiles der Nation dadurch vollkommen in Anſpruch ge nommen wird, daß diejenigen, die demſelben angehören, entweder dem Aderbau und der Viehzucht oder ihrer gewerblichen Betrieb ſamfeit' nadygehen, ſo iſt dagegen ein anderer Theil dazu berufen, fich um den Thron zu ſchaaren , um den Glanz deſſelben in der
Darſtellung des Lebens der Nation in der Richtung, in welcher es ſich an die Geſdichte knüpft, zu verherrlichen. Darin beruht das Weſen des Abels .
Ausgeſchloſſen aus demſelben fou Nies
mand deshalb ſein , weil er in einem anderen Stande geboren iſt. Wer denſelben nicht durch Geburt hat , aber mit Geiſt, Kraft und Geſinnung auf die Seite des öffentlichen Lebens fich hinwendet, von welcher das Weſen des Adels gegeben iſt , den in die Gemeinſchaft deſſelben zu berufen, iſt der Gnade des Ros nigs anheimgeſtellt. Was aber die Erwerbung deſſelben durch die Geburt betrifft, ſo iſt dieſelbe in dem Weſen der Familie begründet. Die Bedeutung des Familienlebens im Verhältniſſe zum Gemeindeleben ſollte billig nirgends verkannt werden. Die
Heiligkeit, in welcher die Ehe gehalten wird, dehnt ſich auch auf die Familie aus. Durch jene wird dieſe zu einem in fidy abges ſchloſſenen einheitlichen Kreis. Nicht die einzelnen Unterthanen in ihrer Zerſplitterung bilden die Elemente des Gemeindelebens, ſondern die Familien vielmehr. Als Theil einer größeren Ges meinde hat auch jede Familie ihre eigene Geſchichte.
Darin
aber , daß ſte durch das Moment der Heiligkeit der Ehe als
geiſtige und fleiſchliche Einheit beſteht, beruht ihre Berechtigung. Sie fann als an und für ſich dem Gemeindeleben angehörend
nicht außerhalb der Kreiſe der ſtändiſchen Verhältniſſe deſſelben ſtehen. Den Angehörigen einer Familie müſſen dieſelben Berechs tigungen zuſtehn wie dem Ehepaar , aus welchem ſte erwachſen
ift. Darin beruht das Princip der Erwerbung des Adels durch die Geburt.
Die Frage, wieweit eine Familie ſich im Stande
erweiſt, den Geiſt ihrer Vorfahren zu bewahren und in demſelben
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ſich aufredyt zu erhalten, fann hier gar nicht in Betracht kommen.
Das hängt von ganz vereinzelten Lebensentwicklungen ab , in Rüdficht auf welche vorausgeſegt werden darf , daß die Tüchtig feit von ſelbſt ihren Lohn empfängt, die Schuld ſich ſelbſt ſtraft. Wollte man auf dem Wege ftändiſcher Gefeßgebung allgemeine
Maaßregeln ergreifen , um derartigen Verhältniſſen nähere Bes ſtimmungen zu geben, als weldie fdyon im allgemeinen Landredyt vorhanden ſind, ſo würde man ſich in ein Gebiet verlieren, wel
dhes außer aller Gefeßgebung liegt. Hier fann es genügen, die 3dec des Adele überhaupt beleuchtet zu haben.
Es liegt aber in der Idee des Adels , daß die Mitglieder deſſelben, um ihr im Leben genügen zu können , in einer gewiſſen unabhängigen Lage ſich befinden müſſen. Dies Bedürfniß führt mit Nothwendigkeit darauf hin , daß die ſtändiſche Ausübung des Adelsrechtes an einen gewiſſen Beſitz geknüpft werde, und inwiefern der Adel ſeiner Idee nach an Familienkreiſe ſich knüpft,
führt dieſe Idee auch in ihrer Konſequenz auf die Idee von Majoraten und Familienfideifommiffen . Dem entſpricht auf die einfachſte und ſicherſte Weiſe ein erblicher Befiß an Landgütern von einem ſolchen Umfange, daß der reine Ertrag derſelben eine
unabhängige, ſorgenfreie und anſtändige Lage fichert. Es liegt in der Natur der Sache, daß an und für fich ein ſolcher Befiß noch nicht die Berechtigung zum Abel gewähren kann , und die
Ausübung adeliger Rechte in Beziehung auf ſtändiſche Verhält niffe follte daher aud ), nidyt an ihn geknüpft ſein , ſondern ein ,
ſolcher Beſiß ſollte nur als die Bedingung aufgeſtellt werden , ohne welde fie nicht geſtattet wäre.
Anders freilich iſt es beſtimmt in den Gefeßen wegen An ordnung der Provinzialſtände in Preußen . In denſelben heißt es : „ Das Recht, zu dem erſten Stande für die Ritterſchaft als Abgeordneter gewählt zu werden , wird durd den Beſit eines
Rittergutes in der Provinz , ohne Rüdficht auf die adelige Ges burt des Beſißers begründet. " Es erſcheint allerdings als etwas
ſeltſam , daß Berechtigungen , die ihrer ganzen Natur nach nur
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eigentlich perſönliche fein fönnen auf Grund und Boden über
tragen und ſo in Realrechte verwandelt worden ſind. Dies hat indeß ſeinen Grund, in dem ganzen Gange, den die geſchiditlichen Entwicklungen im preußiſchen Staat in neueren Zeiten genommen haben. Die früheren perſönlichen ritterſchaftlichen Rechte, nad welden zum Beiſpiel in der Marf ein Ritter 4 und ein Knappe 2 Hufen Landes , die er beſaß, abgabefreimachte, waren bei der Ausbildung der Gutsherrlichkeit im Laufe der Jahrhundertę auf die von Mitgliedern der Ritterſchaft beſeſſenen Güter übers
tragen worden.
So fand man die Sachen hiſtoriſch als zum
neuen Aufbau der ſtändiſchen Verfaſſung geſchritten werden ſollte. Andere gegebene hiſtoriſche Verhältniſſe, in die man , nad) wohl erwogener Abſicht, da man den Neubau auf hiſtoriſchem Boden ſich entwickeln zu laſſen beabſichtigte, nicht willführlich und zer ſtörend eingreifen wollte , famen noch zu jenem Verhältniffe, in welchem ſich die Rittergüter befanden, hinzu . Daß an hiſtoriſche Verhältniſſe der Neubau angefnüpft werden ſollte, war ſchon in
der Verordnung vom 22. Mai 1815 gefeßlich angeordnet, in
welcher von der Herſtellung der Provinzialſtände die Rede iſt. An die alte Form der Provinzialftande knüpfte fich aber ſehr enge der Stand eines angeſeſſenen ritterſchaftlichen Adels an. Denſelben in Beziehung auf das Verfaſſungsweſen gänzlich aus dem Wege zu räumen, konnte bei den bekannten und hinlänglich fund gethanen Geſinnungen des Königs Friedrich Wilhelm III. nicht in feiner Abſicht liegen. Der größte Theil der Rittergüter war wenigſtens in den meiſten Provinzen noch im Beſiße von Mitgliedern der Ritterſchaft. So konnten eben an dies Verhältniß die im Fortgange der geſchichtlichen Entwidlungen verworren gewordenen Verhältniſſe geknüpft werden , um ohne gewaltſames Einſchreiten zukünftigen Entwicklungen Raum zu laſſen. Daß der vom alten Reiche ſeine Berechtigungen herſchreibende Adel in ſeinen Verhältniſſen einer Umwandlung bedurft habe und noch
bedarf, iſt eine längſt allgeinein anerfannte Sache, für die auch
die Geſchichte der zuleßt verfloſſenen Zeitalter hinlängliches Zeugniß
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ablegt. Wie aber und in welchen Formen dieſelbe fich vollziehen
wird , darüber fann nur die Zufunft entſcheiden. Einleuchtend iſt, daß ein auf großen Güterbeſiß gegründeter Adel das geſchichts liche Adelsprincip nod nid)t darſtellt. Dies erkennen im Grunde auch die an , die den großen Güterbefiß als Princip des Adele
aufzuſtellen geneigt find. Denn in der Regel ſtellen ſte noch neben dieſem Principe die Bedingung geſchichtlicher Berühmtheit auf. An dies als Bedingung aufgeſtellte geiſtige Verhältniß aber wäre das eigentliche Princip des Adels weit eher zu knüpfen als an den Beſiß eines großen Grundeigenthums, welches nur als Bedingung gelten ſollte. Die ſtändiſchen Rechte, die nach den Anordnungen in Rüd
ficht auf die ſtändiſche Verfaſſung Preußens an den Befiß von Rittergütern geknüpft ſind , können im eigentlichen Sinne nicht adelige genannt werden . Wohl iſt es gut , daß in jeder Rüds ficht eine Milderung und Ausgleichung zwiſchen Adel und Bürs gerlichkeit zu Stande gebrad)t nnd gefeßlich beſchüßt werde, und deshalb iſt es auch ſehr anerkennungswerth , daß dem Bürger ftande darin ein Zugeſtändniß gemacht worden iſt, daß ihm die Ausübung der an den Rittergütern haftenden ſtändiſchen Rechte
für den Fall geſtattet worden, daß er in den Beſiß eines ſolchen
gelangt. Aber zu läugnen iſt nicht, daß dieſem ganzen Verhält niſſe ein Princip zu Grunde liegt, welches der Einfachheit ers
mangelt. Woher dieſer Mangel rührt, iſt freilich ſchon im Vor hergehenden auseinandergeſeßt; wenn indeß auch Gründe vors handen geweſen ſein mögen , es geltend zu machen, ſo dürfte doch wohl, um es zu vereinfachen , eine zweđmäßige Umwandlung damit vorgenommen werden können. Man hebe die Rittergutos qualität , an die ſich doch kein wahres Adelsprincip anknüpfen läßt, auf, und knüpfe ftatt deſſen, die bisher an dieſelbe gefnüpfte Landſtandſchaft an den Befiß großer Güter von einem beſtimmten Reinertrage. Als Bedingung aber für die ſtändiſche Ausübung anderweitig erworbener Adelsrechte ftelle man Familienbeſtß durch Majorate begründet auf. 1
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Dem wahren Weſen des Adels kommen in der ſtändiſchen Verfaſſung Preußens die Verhältniſſe des in Schleſien, Sachſen, Weſtphalen und der Rheinprovinz beſtehenden erſten Standes
der Fürſten , Grafen und Herrn näher als die Verhältniſſe des Standes der Ritterſchaft. Man fann freilich von dieſem Stande nicht ſagen , daß er in ſeinem Urſprunge in einer freien Weiſe an die Entwicklungen in der Geſchichte des preußiſchen Staates
fich anſchließe. Auch er iſt verfaſſungsmäßig aufgenommen als äußerlich überfommen.
Reine anderen hiſtoriſch überlieferten
Verhältniſſe als die der Perſonen , die in dieſen Stand aufges nommen worden ſind, traten mit ſo zwingender Madyt, wie dieſe, und mit ſolchen Anſprüchen auf Anerkennung auf. In Rücficht auf fie zeigte ſich recht eigentlich , wenn es zu thun nicht auch ſonſt ſchon durch andere Gründė vorgeſchrieben geweſen , die Nothwendigkeit, bei dem unternommenen Neubau , an hiſtoriſch gegebene Verhältniffe fich anzuſchließen. Ein anderes Princip als das der Achtung vor hiſtoriſch gegebenen Verhältniſſen iſt indeß in der Gründung dieſes erſten Standes nicht zu erkennen. Auch dieſer Stand wird in Zukunft noch beſtimmtere geiſtige 1
Momente in dem Bereich ſeiner Verhältniſſe entwickeln müſſen.
Eine andere und höhere Stellung hat derſelbe allerdings dadurch gewonnen, daß man ihn, Fürſten und Grafen aus anderen Pro vinzen , in denen der erſte Stand bisher durch die Ritterſchaft gebildet warb, ihm zuzählend, in der reichsſtändiſchen Verfaſſung zu einem eigenen Herrnſtande erhoben hat. Faſt ſcheint es , als ob darüber unter der Ritterſchaft hier
und da einige Unzufriedenheit erregt worden iſt, indem wohl theils Mancher aus dem Stande der Ritterſchaft ſeine Ver
hältniſſen nach mit Manchem aus dem Herrenſtande fich gleich berechtigt halten mag , theile Mancher aus jenem Stande die Unterſcheidung zweier Adels -Klaſſen überhaupt nicht billigt. Was indeß dieſen leßteren Punkt betrifft, ſo iſt derſelbe nur vom hiſtoriſchen Standpunkte aus zu beurtheilen . Es hatte eine dringende Nothwendigkeit vorgelegen , dem Adel , wie er fich im
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alten Reiche ausgebildet hatte , Anerkennung zu alten Reiche aber hat es einen zweifachen Adel und niederen . Befannt iſt es überdies , daß Jahrhunderten das Wort Adel auf den Stand
gewähren . Im gegeben , hohen erſt in neueren der Ritterſ@ aft
übertragen worden iſt. Davon indeß abgeſehen, iſt hier nur zu bemerken, daß die Geſchichte des Atels in Folge der Ausbildung
der Landeshoheit in Deutſcyland einen ganz anderen Charakter als in anderen Ländern beſonders in Franfreich und England angenommen habe.
In England bildete er ſich zur Lordſchaft
aus , während die Ritterſchaft ſich an die Gemeinden anſchloß ; in Frankreich ging er , inwieweit ſich daſelbſt noch Familien des hohen Adels von nichtföniglichem Geblüt erhalten hatten , faft über in den Ritterſtand und glich ſich auf gewiſſe Weiſe mit ihm aus. In Deutſland dagegen hat fich ein großer Theil der Familien des hohen Adels zur Souverainität erhoben wähs rend ein anderer Theil den ſouverain gewordenen Königen und Fürſten unterworfen worden iſt. Es haben auch einzelne zum Stande der Ritterſchaft gehörige Familien Titel, mit denen ur ſprünglich Rechte des hohen Adels verknüpft waren , erworben, ohne daß die ſtaatsrechtliche Stellung dieſer Familien den Titeln, die ſie erhielten , entſprochen hätte. In Folge ſolcher geſchichts lichen Umwandlungen ſind die Adelsverhältniſſe überhaupt etwas verworren geworden , und in Folge dieſer Verwirrung glaubt mancher dem Stande der Ritterſchaft Angehörige ſeinem Stande nach dem eines engliſchen Lords fich gleich ſtellen zu dürfen. Hierzu kommt noch, was Preußen betrifft, daß das furfürſtlid) brandenburgiſche Haus , ſeitdem der preußiſde Staat zu einem Königreiche fich entwickelt hat , in eine ganz andere Stellung zu den Ständen ſeiner einzelnen Provinzen ſich emporgeſchwungen hat , als welche es in früheren Zeiten einnahm. Ihren ſtaats rechtlichen Verhältniſſen nach ſtehen die Provinzialſtände feiness weges dem königlichen Throne ſo nahe, wie früher den furfürft lichen , herzoglichen oder fürſtlichen Thronen. Als König eines Reichs von weltgeſchichtlicher Bedeutung und als Herr einer 1
1
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Macht, die fich auf den Reichthum von acht Provinzen gründet, ift er in ein ganz anderes Verhältniß getreten , als in welchem früher die Kurfürſten , Herzöge, Fürſten und Herren zu ihren 1
Ständen ſtanden.
Dieſem Verhältniſſe nach muß es der Krone ſehr erwünſcht ſein, daß fich ihr eine Gelegenheit darbietet , die entſtandene Lüde auszufüllen . D6 dies in allen Beziehungen auf die zwed mäßigſte Weiſe geſchehen ſei, darüber könnten Zweifel erhoben werden, und daß fie erhoben werden können , darin könnte der Grund davon liegen , daß , wie ſchon oben erwähnt worden iſt, Mancher aus dem Ritterſtande mit Manchem aus dein Herrens ſtande fich für gleich berechtigt halten mag. In der Verordnung vom 3. Februar 1847 über die Bildung des Vereinigten Lands tages heißt es $. 2.: „ Wir ertheilen den Prinzen Unſeres König lichen Hauſes , ſobald ſie nach Vorſchrift Unſerer Hausgeſeße die Großjährigkeit erreidyt haben , Siß und Stimme im Stande der Fürſten, Grafen und Herren auf dem Vereinigten Landtage. Außerdem bilden den Herrenſtand deſſelben : die zu den Provins
ziallandtagen berufenen vormaligen deutſchen Reichsſtände ( Fürſten und Grafen ), die ſchleriſchen Fürſten und Standesherren und
alle init Virilſtimmen begabten oder an Collectivſtimmen bethei ligten Stifter, Fürſten, Grafen und Herren der acht Provinzial 11
landtage. "
Audy dieſe Beſtimmung ſchließt fidy an hiſtoriſch
gegebene Verhältniſſe an , die ſchon in der Bildung der Provin zialſtände Anerkennung und Beſtand gefunden hatten . Doch iſt auch am angeführten Ort zugleich geſagt, daß des Königs Majeſtät in Anſehung der Organiſation und Verſtärkung des Herrenſtandes weitere Entſdyließungen ſich vorbehalten. Es iſt ſonad, in Rüdſicht auf die Verhältniſſe des Herrenſtandes noch nichts abgeſchloſſen. An Verhältniſſe der Vergangenheit ſich anſchließend und darauf fortbauend hat man nicht widführlich für die Zukunft freieren Entwicklungen durch Aufſtellung von beſtimmten Principien zu enge Grenzen ſeßen wollen . Man hat vielmehr für fernere Entfaltungen Raum gelaſſen , und ſelbſt
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das dürfte wohl als weiſe erſcheinen , daß man das , was ſo
nahe lag , vermieden, nämlich den Eintritt in den Herrenſtand an die Bedingung eines beſtimmten Majoratseinfommens zu knüpfen . Daß in den Herrenſtand Niemand erhoben werden wird, der nicht durch Majoratsbeſiß im Stande fich befände, der ihm ertheilten Würde mit Anſtand zu entſprechen , ſcheint
fich von ſelbſt zu verſtehen , und braucht nicht erſt nach näher angeſtellten Berechnungen auf beſchränkende Principien zurückgeführt zu werden . Ohnehin könnte Mancher, wenn er durch ſeinen Reichthum in den Stand gefert wäre , der angegebenen Bedins gung zu genügen, dafür halten, daß ihm ein gewiſſes Recht auf die Erhebung in den Herrenſtand zukomme. So würden noch mehr oligarchiſche Elemente, als welche ſchon den Principien der ftändiſchen Verfaſſung Preußens zu Grunde liegen , eindringen. Auch würden dem weiſen Ermeſſen und der Gnadenfülle des
Königs in unwürdiger Weiſe fich Wünſche entgegendrängen . Daß im Uebrigen die bei der Bildung des Herrenſtandes genom mene Rückſicht auf die vormaligen deutſchen Reichsſtände, die ſchleftſdhen Fürſten und Standesherren und alle mit Virilſtimmen begabten oder an Rollectivftimmen betheiligten Stifter, Fürſten,
Grafen und Herren nicht durchaus dem Zwede , einen Herrens ſtand zu bilden , entſpreche, haben des Königs Majeſtät auch felbft in ihrer Weisheit erkannt und in ihrem Vorbehalt wegen
weiterer Entſchließungen in Anſehung der Organiſation und Verſtärkung des Herrenſtandes erklärt. Was aber zunädjft die
Wünſche einiger dem Stande der Ritterſchaft Angehörigen, die durch ihre Stellung zu der Provinz , in welcher fie angeſeſſen find, gleichberechtigt, wie Andere, die in den Herrenſtand erhoben worden , zu ſein vermeinen , ſo bleibt es dem weiſen Ermeffen der Gnade des Königs anheimgeſtellt, dieſe Wünſche in Erwäs gung zu ziehen .
Die Hauptſache in Rückſicht auf die Bildung des Herren ftandes iſt, daß in ihr Reime zur lebendigen Entwicklung eines
hohen Adels des Reichs liegen.
Die Bedeutung eines ſolchen
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iſt im Vorhergehenden der Betracytung von der Seite der Idee her unterzogen worden . Wird aber dieſer Gegenſtand vom prag matiſchen Standpunkte aus betrachtet, ſo zeigt ſich auch in dieſer Rücfidht in Beziehung auf reichøſtändiſche Verfaffung die Noth wendigkeit deffen , was ſich an die Bildung des Herrenſtandes
knüpft. Es wird dadurch ein Zweifammerſyſtem gebildet, welches das einzige iſt, was den Berathungen und Abſtimmungen Halt geben kann. Denn wo, wie es mit der ganzen in der ſtändiſchen Provinzialverfaſſung einmal gegebenen Grundlage im greliſten Widerſpruche ſtehen würde, wenn es geſchähe, Berathung und Abſtimmung nicht nach Ständen ſtattfinden kann , ſondern die Mitglieder aller Stände eine ungetheilte Einheit bilden, da wür den bei den Verhandlungen nur zwei Mächte in der Krone und in den Ständen einander gegenübertreten, wenn nicht zum Zwei fammerſyſtem geſdritten würde. Es iſt aber leicht einzuſehen , welcher Uebelſtand , ja welche große Gefahr, darf man ſagen, darin liegt, wenn ſich bei Verhandlungen nur zwei Mächte gegen übertreten . Es fehlt alsdann in den Fällen , in denen Verſchie denheit der Meinung eintritt, jede Vermittlung der Anſichten. Schon im römiſchen Recht iſt die einfache Regel aufgeſtellt, daß brei erſt ein Kollegium bildeten . Bilden nun freilich die Krone in Vereinigung mit den Ständen nicht eigentlich ein Kollegium, fo darf doch jene Regel auch auf die Form ihrer Berathungen angewandt werden. Man könnte indeß etwa ſagen , daß ja die Krone von den Ständen nur Rath wolle, nicht aber in Bezie
hung auf Handeln Entſcheidung; es wäre ja ftets der Macht der Krone anheingeſtellt, bei Verſchiedenheit der Anſichten die abweichende Meinung zurückzuweiſen. Dagegen iſt zu erwiedern , daß es ſtets an und für fich ein Unglück ſein würde, wenn die
auch nur berathenden Stände in Rückſicht auf bedeutende Anges legenheiten in einen ſcharfen Gegenſaß gegen die Krone geriethen. Einem ſolchen Uebelſtande abzuhelfen , iſt nur das Zweifammers
ſyſtem geeignet. Nicht als ob die Meinung Grund hätte , daß die Krone ſtets einen Stüßpunkt in dem Herrenſtande finden
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Im Gegentheil vielmehr ſteht zu behaupten , daß die Anſichten des Herrenſtandes eben ſo häufig von denen der Krone abweichen werden , wie die der zweiten Verſammlung des Ver: einigten Landtages. Auch aber darf man annehmen, daß die Anſichten der leşteren eben ſo oft mit denen der Krone in lleber einſtimmung ſtehen werden wie die des erſteren. In beiden Fällen aber muß es der Krone daran gelegen ſein , entweder von
werde.
.
der einen oder anderen Seite her Beiſtimmung zu gewinnen.
Stimmen aber die Anſichten des Herrenſtandes und die der zwei ten Verſammlung mit einander überein, ſo wird darin ein mäch : tiger Hebel gegeben ſein , um die Kroné zur Ergreifung von Maaßregeln , in Rückſicht welcher jene lebereinſtimmung ftatt findet, zu bewegen .
Wenn jedoch hiernach das Zweifammerſyſtem nad allen Seiten hin als erſprießlich erſcheint , ſo könnte man etwa die Frage aufwerfen , warum es nicht auch bei der Bildung der
provinzialſtändiſchen Verfaſſung zu Grunde gelegt worden wäre. In Rückſicht auf die Provinzialſtände ſtelt indeß die Sache ganz anders als in Rückſicht auf die Reichsſtände. Die Gegenſtande, die jenen zur Berathung vorgelegt werden, ſind bei weitem nicht von ſo allgemeiner durchgreifender Natur , nicht von ſolcher Wichtigkeit, wie die auf die Geſammtheit des Reichs ſich bezie 1
henden Gegenſtände, die den Reidysſtänden vorgelegt werden .
Man kann ſagen , daß die Gegenſtände, die vor die Provinzial ftände fommen, ſich mehr auf häusliche Angelegenheiten beziehen, und für ſie daher auch eine einfachere, fürzere Behandlung ge nügt. Indeß Trennung in Rüdſicht auf die Verhandlungen fommt auch bei ihnen vor. Es heißt : „ Bei Gegenſtänden , bei denen das Intereſſe der Stände gegen einander geſchieden iſt findet Sonderung in Theile ſtatt, ſobald zwei Drittheile der Stimmen eines Standes, welcher fich durch einen Beſchluß der Mehrheit verleßt glaubt, darauf dringen ." - ,,In einem ſolchen Falle verhandelt die Verſammlung nicht mehr in der Geſammt heit, ſondern nady Ständen .“ 1
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Es kommt in einem ſolchen Falle ſelbſt zu einer mehrfachen, entweder drei- oder vierfachen Gliederung , und das Intereſſe eines jeden Standes iſt dabei gewahrt. Der Krone bleibt dann
die Erwägung der verſchiedenen Gutachten anheimgeſtellt,
und
fte wird dann auch aus dem Gange , den die Verhandlungen genoinmen hatten , erſehen können , wohin die in der Provinz allgemeiner herrſchende Anſicht ſich neigt , ohne deshalb derſelben nachzugeben ſich beſtimmen zu laſſen , wenn ſie aus dringenden Gründen dieſelbe nid )t theilen kann .
Den Ständen aber iſt die
Berathung und die Begutachtung über die Gegenſtände, die ihr Intereſſe betreffen , nicht verfümiert, und in einer für die ganze
Provinz erſprießlichen Weiſe werden ſie von verſchiedenen Seiten der Betrachtung unterzogen , ſo daß fie nur dadurch heller ins Licht geſeßt einer Entſcheidung entgegenreifen , die allgemeinerer Uebereinſtimmung fich wird erfreuen dürfen . Der hier betrachtete Gegenſtand führt indeß auf die Frage, ob es nicht beſſer geweſen wäre , die provinzialſtändiſche Verfaf ſung und die Form der Verhandlungen derſelben ganz allgemein auf Vertretung nach Ständen zu gründen , als auf Vertretung nach der Geſammtheit. Von Manchem hört man wohl die Bez merkung, daß die Art und Weiſe der Wiederherſtellung der pros vinzialſtändiſdien Verfaſſungen nicht dem Geiſte der älteren deuts fchen landſtändiſchen Verfaſſungen entſpräche, ungeachtet doch eine ſolche Wiederherſtellung in den in Bezug darauf erlaſſenen I
Gefeßen verheißen worden wäre.
In dem Geſcße vom 5. Juni
1823 wegen Anordnung der Provinzialſtände werde dieſe Ver heißung mit ausdrücklichen Worten gegeben. Es leitet nämlich die gegebenen näheren einzelnen Beſtimmungen mit folgenden
Worten ein : „ Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen u. ſ. w. , haben, um unſeren getreuen linterthanen /
ein neues bleibendes Pfand Landesväterlicher Hulb und Vertrauens
zu geben, beſchloſſen, in Unſerer Monarchie die ſtändiſchen Verhält i niffe zu begründen, und deshalb Provinzialftände im Geifte der älteren deutſchen Verfaſſungen eintreten zu laſſen ,
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wie ſolche die Eigenthümlichkeit des Staats und das wahre Bes dürfniß der Zeit erfordern."
Aus dieſen Worten wil nun dieſer oder jener folgern , es wäre allerdings die Abſicht darin ausgeſprochen , die provinzial ſtåndiſchen Verfaſſungen ganz nach dem Zuſchnitte der älteren deutſchen landſtändiſchen Verfaſſungen einzurichten. ES fieht aber jeder ein , daß die in Bezug genommenen Worte fich bloß auf die Frage beziehen , ob die reichsſtändiſche Verfaſſung auf eine provinzialſtändiſche gegründet und aus ihr hervorgehen, oder ob ſie ohne eine ſolche, wie etwa die franzöſiſche, gebildet werden 1
und beſtehen ſolle.
Für das Erſtere hat man ſich entſchieden ,
und nichts weiter als dies iſt in jener gegebenen Erklärung fund gethan. Daß die Entſcheidung im Geiſte der älteren deutſchen Verfaſſungen gegeben iſt, wird Reiner läugnen, noch mißbilligen wollen , daß ſie nicht anders ausgefallen iſt. Im Sinne für provinzielle Verhältniſſe und in Anhänglichkeit daran beſteht grade ein Hauptcharakter des Deutſchen. Der Deutſche ſteht in dieſer Hinſicht gewiſſermaaßen in der Mitte zwiſchen dem Briten , der fich zu ſehr individualiſirt und dem Franzoſen , der ſich zu ſehr generaliſirt. Hauptentwicklungen in der Geſchichte der Deutſchen /
knüpfen ſich auch an dieſen Charakter an , und auch bei der Ausbildung der früheren Verfaſſung des preußiſchen Staats durch Friedrich Wilhelm I. iſt derſelbe nach Gebühr geadytet worden. Um wie viel mehr ſollte denn nicht auch bei der Bil
dung der ſtändiſchen Verfaſſung die Nothwendigkeit eingeleuchtet haben, dabei dem, was dem deutſchen Sinne entſpricht, Aufmerks ſamkeit und Hauptberückſichtigung zutheil werden zu laſſen , da bei der Bildung der Verwaltungsbehörden des preußiſchen Staats in einem neuen Geiſte beſonders das Princip der Einheit als Vorwaltend die Regel ertheilend ins Auge hatte gefaßt werden müſſen.
Auch in dem Patent vom 3. Februar 1847, die ſtändiſchen Einrichtungen betreffend, kommt eine Hindeutung auf das Weſen deutſcher Verfaſſung vor. Es heißt daſelbft: „ Indem Wir fonach
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über die Zuſagen unſers höchſtſeligen Herrn Vaters Majeftat
hinaus, die Erhöhung der beſtehenden Steuern an die im Weſen deutſcher Verfaſſung begründete Zuſtims mung der Stände gebunden und dadurch unſeren Unterthanen
einen beſonderen Beweis unſers föniglichen Vertrauens gegeben haben , erwarten wir u.. ſ. w. "
Auch dieſe Worte beziehen fich
nur auf einen einzelnen Punkt , nämlich auf das Princip , nadh welchem es in dem Weſen älterer deutſcher Verfaſſungen lag, daß die Zuſtimmung der Stände für Erhöhung der beſtehenden
Steuern erforderlich war. In Beziehung auf anderweitige For men des Beſtehens älterer deutſcher landſtändiſcher Verfaſſungen haben jene Worte gar keine Bedeutung.
Die reichsſtändiſche Verfaſſung Preußens im Zuſammen : hange mit den provinzialſtändiſchen, auß denen ſie hervorgegangen, iſt ein mit Berücſichtigung der geſchichtlichen Zuſtände und Ver hältniſſe, wie fie in der Gegenwart vorlagen , in einem ganz neuen Geiſte geſchaffenes Werk. Es ſteht daſſelbe als eine ganz eigenthümliche Schöpfung da , die weder mit ſtändiſchen Verfaf fungen anderer Reiche zu vergleichen iſt, noch mit der ſtändiſchen Verfaſſung des zu Grabe getragenen alten deutſchen Reichs.
Die mittelalterigen Verhältniſſe haben im Laufe der ſpäteren Jahrhunderte durch Entwicklungen, die mit Sturmesgewalt durch brechend fich Bahn gemacht haben , eine völlige Umwandelung erlitten. Bis auf die Zeiten der Revolution freilich hatte das Gerüfte des alten Gebäudes fich noch erhalten , und nur unter
dem Schuße der alten Verhältniffe, an ſie ſich anſchließend, hatten die neuen ſich ausgebildet. Endlich aber war die Zeit gekommen, in welcher Alles zuſammenbrach. Unſerem und den zufünftigen Zeitaltern blieb es dann aufbehalten , neu wieder zu bauen .
Einer reichen Errungenſchaft dürfen wir uns ſchon rühmen. Der alte Haß , die alte Feindſchaft zwiſchen Adel und Bürgers thüm ſind theilweiſe ſchon überwunden oder gehen theilweiſe einer ferneren Ausgleichung entgegen.
Die hemmenden Schranken,
in denen noch die Spannung erhalten ward , ſind in den neuen 9
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verfaſſungsmäßigen Formen des preußiſchen Staats nicht freilich gänzlich umgeſtürzt, doch in der Art durchbrochen , daß Ritters
ſchaft und Bürgerſtand nicht mehr verfeindet im ſchroffen Gegen ſaße ſich einander gegenüberſtehen . Ein Stand der großen Guts befißer iſt ſchon vermittelnd eingetreten , und wenn auch zur bes
ſtimmteren und feſteren Drdnung dieſer Verhältniſſe manches vielleicht noch zu wünſdhen übrig bleibt, ſo iſt in der Hauptſache doch ſchon vieles geſchehen . Der Bauer iſt als ein Freier auf genommen in die Gemeinſchaft des Reidje.
In dem , was Bür
ger und Bauer bei der Umwandlung der Verfaſſung des preu Biſchen Staats gewonnen haben , liegt ein Hauptmoment. Der Menſch und ſeine Rechte, von denen man vielerlei in
aßloſer
Weiſe geträumt hat, die aber doch, inwiefern man nicht Miße brauch mit dem Begriffe derſelben macht, tiefer und heiliger Bes 1
deutung nid )t ermangeln , haben in der veränderten Stellung,
die dem Bürger und Bauer gegeben iſt, Anerkennung gefunden. So iſt die Geſammtheit der Nation zur Einigung gediehen, 1
und daß ſie ſich in dieſer erkennen , derſelben fic flar bewußt
werden ſoll, darin beruht die Hauptbedeutung der Bildung der reichsſtändiſchen Verfaſſung, Weithin , faft wie auseinandergeriſſen , erſtrecken fich die Gebiete des Reichs. In an Stromgebiete ſich anſchließende vier Haupttheile zerfallen fte. Der mittlere Theil ſchließt fidy an das Gebiet der Mittelelbe an ohne dem Strome bis zu ſeinen Ausflüſſen zu folgen . Deftlich ſchließt er ſich an die Oder, um dann nördlich weiter gegen die Oſtſee fich hinabzuziehen. Weiter öftlich dehnt er ſich bis an das Gebiet der Niederweichſel aus.
Die Naturgrenze deſſelben beſtimmt ſich nach der Waſſerſcheide zwiſchen den Flüſſen , die in die Oder oder in die Weidyſel fich ergießen.
Es erſcheinen indeß hier die natürlichen Grenzen nidyt
mit ſcharfer Beſtimmtheit auseinandergehalten ; fie verſchlingen Es tritt jedoch das Gebiet der Weichſel überhaupt und auch das preußiſche der Niederweichſel mit dem, an daſſelbe fich anſchließenden Gebiete der Memel in einſeitig
fid etwas ineinander.
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ftark hervortretender Richtung gegen den Oſten hin in einen ſcharf beſtimmten Gegenſaß zu dem an der mittleren und niederen Oder belegenen , weſtlich über die Elbe ſich erſtredenden Gebiete. Das Weichſel- und Memelgebiet iſt ſomit als ein eigener Haupt
theil im Gegenſaße gegen das Elb- und Obergebiet zu bezeichnen. Das von der Doer in ihrem oberen Lauf birdyſtrömte Gebiet
von Schleſien ſcheidet fidy aber auch als ein eigener Haupttheil aus.
Durch ſeine gegen den Often ſich ziehende Richtung zeigt
dies Gebiet zwar ein ähnliches Verhältniß, als in welchem das preußiſche Weidfel- und Memelgebiet ſteht, und es iſt auch mit
dieſem leşteren in eine Art von Verbindung geſeßt durch das Gebiet der heutigen Provinz Poſen . Die öſtliche Richtung
Schleſiens hat jedod, aud zugleich eine ſehr auffallende Wens bung gegen den Südent , während das preußiſche Gebiet an und
jenſeits der Weichſel faft eine nördliche Wendung zeigt. Außer dem zieht ſid zwiſchen Böhmen und Polen Schleſien zungenhaft weit hinauf. Das Gebiet der Ober , inwieweit dieſer Fluß bis etwa in die Umgegend von Glogau Schleſien durchſtrömt, fcheidet ſich daher umläugbar als ein dritter Haupttheil des preußiſchen Staató aus. Als ein vierter Haupttheil fommt in Betracht der weſtliche Theil der Monarchie, zum Theil am Niederrhein jenſeits des Stromes belegen, zum Theil diefſeits an die Provinz Weſtphalen in die Gegenden der mittleren Wefer ſich erſtredend. Von der Mitte des Elbgebietes erſtreckt ſich ſo in einer ziemlich auseinandergeriffenen Forin das Ländergebiet des preu ßiſchen Staats. Aeußerlich zeigt ſo ſchon dieſe Geſtalt des 1
Reichsgebietes darauf hin , wie wir , wenn wir uns in unſerem
rechtmäßigen Beſige erhalten wollen , daran gewieſen ſind , in ſtetiger Tlyätigkeit und Anſtrengung uns wady zu erhalten , und
wie wir keiner trägen Ruhe uns hingeben dürfen. Es liegt hierin ein Princip der Bewegnng , welches mehr heilbringend als gefahrdrohend iſt. Der Nachtheil, auf den der oft erhobene 1
Vorwurf hindeutet, daß die Macht Preußens nicht durd, Abruns
dung in fid, gehörig in ſich befeſtigt ſei, wird bei weitem über 9*
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wogen durch den Vortheil der inannigfaltigen Anregungen zu Thätigkeit und Leben, die ſich aus der Zerſplitterung des Länder gebiets und aus der Mannigfaltigkeit der Beſtandtheile des Volks, die in das Reich aufgenommen ſind, ergeben . Der öſtliche Preuße und Schleſier tritt in einen vielfachen Verkehr mit dem Bewohner der Moſel und dem der Saar, und in der Hauptſtadt des Reichs als dem Punkte der Vermittlung der mannigfachen Gegenſäße wird ſich auch in dem Maaße , wie die hier fich begegnenden Gegenfäße zur Ausgleichung gedeihen , ein reicheres geiſtiges Leben entfalten und von hieraus wieder in die entfernteren Bes reiche des Umfreiſes zurückſtrahlen . Als ein Drgan dieſer Entwidlung dient nun ganz vorzugss In ihr weiſe die Verſammlung des Vereinigten Landtages. begegnen ſich die Bewohner der verſchiedenen weit auseinander
gelegenen Gebiete zu freundlicher friedfertiger Vereinigung. Hier berathen ſie unter ſich und mit ihrem Könige über das Wohl des Landes und über das des Reichs. Zum allgemeinen Land tage vereinigt fühlen fte ſich als Genoſſen derſelben Gemeinde. In ihren Berathungen werden ſie ſich noch klarer ihrer Einheit bewußt, und aus dem Beiſammenſein werden ſich im Einzelnen
auch noch manche Verhältniſſe perſönlicher Freundſchaft entwickeln , die der Geſammteinigkeit nur noch einen feſteren Halt geben
können. Schon allein das, was zur Förderung des Bewußtſeins 1
der Einheit der Genoſſen des Reichs , an die Verſammlung des
Vereinigten Landtages ſich knüpft, iſt von einer ſolchen Bedeutung, daß darin ein genügender Grund gelegen haben würde , fie eins zuberufen .
In dieſer geiſtigen Einheit ſteht Preußen allerdings dem übrigen Deutſchland gegenüber. Doch iſt in den Verhältniſſen der Zerſplitterung ſeines Ländergebiets und der Mannigfaltigkeit der Volksbeſtandtheile auch eine bedeutende Beziehung zu Deutſch land gegeben . In Folge dieſer Verhältniſſe fommen die Preußen
zu den nichtpreußiſchen Deutſchen in die mannigfaltigſten Be rührungen miteinander und in einen weit lebendigeren Verkehr,
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als wenn jene alle zuſammen in einem in fich abgerundeten Ländergebiete wohnten . Solche Berührungen und folcher Vers fehr wirken auch auf die mannigfaltigſte Weiſe auf geiſtige Ent widlungen ein.
Man darf aber auch noch die Sache von einer
anderen Seite faſſen und ſelbſt behaupten , daß in der geogras phiſchen Stellung Preußens die Hauptgewähr ſowohl für die Sicherheit eines großen Theiles von Deutſchland als auch für die Aufrechthaltung der innigeren Verbindungen des deutſchen Volfs unter fick läge.
Was die Sicherheit Deutſchlands wegen der Gefahr etwaiger Verſuche fremder Mächte über die Grenze einzubringen , betrifft, ſo iſt der preußiſche Staat durch ſeine geographiſche Stellung
ſchon ſeiner eigenen Selbfterhaltung wegen daran gewieſen , die Grenzen Deutſchlands gegen Weſten und Often zu beſchüßen und gegen Angriffe zu vertheidigen. Was aber die Aufrecht haltung der innigeren Verbindungen des deutſchen Volks unter fich betrifft, ſo müſſen auch in dieſer Rüdſicht Haupteinwirkungen von Seiten Preußens in Folge der Zerſplitterung ſeines Länder gebietes ausgehen. An den Hauptpunkten von Norddeutſchland angeſtedelt und an der Moſel und Saar ſüdlich ſein Gebiet bis
nach Saarlouis erſtreckend umgrenzt mit ſeinen Landſchaften der preußiſche Staat zum größten Theil die des nordweſtlichen
Deutſchlands. In dieſer gevgraphiſchen Umfaſſung iſt für ihn das nothwendige Bedürfniß zur Aufrechthaltung und Belebung der innigeren Verbindungen zwiſchen den Bewohnern feiner und den Bewohnern der deutſchen nichtpreußiſchen Gebiete gegeben .
Man ſieht auch, wie er dieſem Bedürfniſſe beſonders in dem zu genügen ſucht, was er für die Stiftung des deutſchen Zollvereins gethan hat. Sehr zweifelhaft bleibt es, ob Preußen , wenn es eine an der Elbe , Weidyfel und der Oſtſee mit deren offenen 1
Küſten in fich abgerundete Macht bildete, alsdann auch in eben
dem Grade, wie jeßt, ſich aufgefordert gefühlt hätte , oder ſich aufgefordert fühlen würde, an dem Aufblühen des deutſchen Zoll
vereins ſo lebhafteri Antheil zu nehmen.
Jedenfalls aber ſteht
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zu behaupten , daß wenn Preußen aus dem großen Befreiungsa
friege gegen Frankreich etwa als eine in fidy abgerundete Macht in Nordoſten von Deutſchland hervorgegangen wäre, es alsdann
auch eine ſolcher geographiſchen Stellung entſprechende mehr in fich abgeſchloſſene politiſche dem übrigen Deutſchland gegenüber eingenommen haben würde. Unter den vorhandenen Umſtänden aber iſt der preußiſche Staat , ſeiner eigenen Bedürfniſſe, ſeiner eigenen Selbſterhaltung wegen daran gewieſen, enger und inniger an ganz Deutſchland ſich anzuſchließen , und lebhafteren Antheil an dem zu nehmen , was die Verhältniſſe der auch nicht preußi
ſchen Deutſchen berührt. So verſchlingt ſid das Leben und die Geſchichte Preußens auf die mannigfaltigſte Weiſe in das Leben und in die Geſchichte des deutſchen Volks. Es iſt dieſer Staat aber auch aus der Geſchichte des deutſden Volfs hervorgegangen, und ſeine kräftigen Lebenswurzeln ruhen nur in dem Boden dieſer Geſchichte.
So mag denn auch Preußen noch fernerhin in ſeiner zufünf tigen Geſchichte mit Deutſchland im Bunde fortſchreiten . 88 mag fich in ſeinem geſchichtlichen Leben immer höher und reicher entfalten. Die Bahnen ſind gebrochen. Es fammeln die Preu Ben ſich um den Thron ihres Königs. In ihrer Ehrenhaftigkeit werden ſie ſich bewähren. Dann aber ſtehen auch noch die ſchönſten Entwidlungen bevor. Mannigfaltige Reime ſind vors handen. Möchten ſie nicht voreilig zertreten, noch was ſtämmiger erwachſen vom Sturme ergriffen werden .
Die größte Gefahr
fcheint in der Möglichkeit ungeftümer Uebereilung zu liegen . Sind body ſchon manche Stimmen laut geworden, die Klagen darüber erhoben haben, daß nicht genug geboten worden ſei. Es genügt jedoch ſchon die Einberufung der ſtändiſchen Abgeordneten . Dieſe Thatſadie allein iſt ſchon von einer ſo umfangsreichen Bedeutung, daß durch fie alle ſonſtigen Fragen, die auf das
Verfaſſungswerk fich beziehen könnten, in den Hintergrund zurück gedrängt werden. Daß die wichtigſten allgemeinen Angelegenheiten des Reichs in einer ſo zahlreichen Verſammlung von Reidjs
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ſtänden zur Berathung gebracht werden ſollen , darin liegt ſchon ein folches Moment, daß wer nicht an die vorherrſchende Macht eines im Reiche waltenden Friedensgeiſtes glaubte und darauf
ſein Vertrauen feßte , in Furcht beängſtigt fich fühlen müßte. Von allen Seiten her werden ſich die verſchiedenſten Anſichten ausſprechen . Man ftelle fidh lebhaft die Verwirrung vor , die entſtehen müßte , wenn nicht ein Halt dabei in Geſinnungstüch tigkeit gegeben wäre. Nur ein ficheres Vertrauen auf dieſe, welcher die Erhaltung des Friedens im Reiche über Alles geht, fann in Rückſicht auf die Zweifel beruhigen, ob die Berathungen ,
deren Gegenſtände von den verſchiedenſten Standpunkten aus, was an und für fich freilich gut iſt, werden erwogen werden,
auch heilbringend für das Augemeine ausfallen und den Frieden nicht ſtören werden.
Darauf fommt alles an, daß fid, die Leidenſchaft nicht des Ganges der Geſchäfte bemädytige. Gar leicht erſtarrt und ver ſtockt ſid) in ihr der Geiſt und geräth dabei in ein blindes Tos ben .
Gegen eine ſolche Gefahr jedoch bietet die getrene, die
ehrenhafte Geſinnung der Preußen hinlängliche Sicherheit. Doch
unter den Wohlgeſinnteſten finden ſich auch Manche, die in der Betreibung des Werkes , das Gute , was ſie ausgeführt ſehen möchten, herzuſtellen , in ihrer Ungeduld ſich leicht zu übereilen geneigt ſind. Auch von dieſer Seite her waltet Gefahr ob. Durch ein zu raſch betriebenes Wirken fann leicht eine zu frühe Reife und darauf ſchnell erfolgende Ueberreife veranlaßt werden . Grade unſere Zeit, in welcher ſo mancherlei Reime erft zur Ent faltung fich regen, fann als eine von überhaftiger Betriebſamkeit bewegte bezeichnet werden. Dieſer Charakter der heutigen Zeit hat darin ſeinen Grund , daß nach den furchtbaren Zerſtörungen und ſchnell aufeinander folgenden Umwandlungen , wie ſie in der
franzöſiſchen Revolution und in der unmittelbar auf fie folgenden Zeit eingetreten ſind, der Boden , in welchem man einen feſten Halt zu findeni glaubte, faſt überall gewichen iſt. Für die Preis Ben aber iſt nun das , woran man ſeit dem Sturze Napoleons
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gearbeitet hat , durch die Berufung der Reichsſtände zu
einer
Ausbildung gelangt , in der , wie man beziehungsweiſe ſagen kann , eine gewiſſe Stufe der Vollendung hervortritt. Die Bes
rufung der Reichsſtände in Preußen bildet , wie es auch ſchon vielfach anerkannt worden iſt, ohne allen Zweifel einen Wende: punft in der Geſchichte Preußens und Deutſchlands überhaupt. In der reichsſtändiſchen Verfaſſung iſt das Organ gegeben, in welchem das Bewußtſein der Geſammtheit der Preußen in öffent licher Form ſich faßt. Damit zugleich aber auch iſt dem geiſtigen Boden, auf welchem die Preußen ſtehen, der feſtere und ſicherere Halt gegeben. An dieſen fich lehnend arbeite man nun auf dem gewon nenen Boden in Ruhe und Beſonnenheit fort. Möge man in keiner Rücficit fich übereilen , vielmehr ſtets den Gedanken feft:
halten, daß geſchichtliche Entwidlungen zur Reife ihrer Zeit be dürfen. Dann wird aus dem , was die Gegenwart darbietet, eine herrliche Zukunft erblühen. Segen wird auf dem Werke ruhen. Die nachkommenden Geſchlechter werden ihre der heutigen Zeit angehörigen Vorfahren ihrer Weisheit wegen , mit welcher fte an das Werk gegangen ſind, den Grund zu einem ſo herrlichen Gebäude zu legen , in welchem ſich ſo behaglich wohnen laſſe 1
und man ſich ru heimiſch fühle, in dankbarer Verehrung preiſen. Es mögen die Reichsſtände bedenfen , daß es bei dem Werfe, an welchem ſie zu arbeiten haben, weſentlich -nicht bloß auf das ankomme , was ſie für ein Bedürfniß des Augenblics halten mögen , ſondern daß hauptſächlich das Heil der ganzen Zukunft
Preußens und ſelbft auch Deutſchlands auf viele Jahrhunderte hinaus daran gebunden iſt. Der danach ihnen obliegenden hei ligſten Verpflichtungen mögen ſie ſtets eingedenk ſein.
nachträgliche Bemerkungen über
einzelne Fragen. Im Vorhergehenden iſt vom allgemeinſten Standpunkte aus, von dem der Weltgeſchichte, die preußiſche Verfaſſungsfrage be handelt worden. Darin, daß dieſer Standpunkt gewählt worden war, lag es, daß ſelbſt auch da , wo auf die Betrachtung des Patents vom 3. Februar 1847 näher eingegangen warb, das Einzelne der Beſtimmungen weniger berückſichtigt werden konnte und einige Punkte gar nicht berührt worden ſind. Es dürfte daher angemeſſen ſein, hier zum Schluß noch einige nachträgliche
Bemerkungen über bedeutendere Punkte hinzuzufügen.
Zuerſt
gehe ich dabei über auf die Frage über das Princip der preußiſchen Landſtandſchaft. In der zunächſt vorhergehenden Abhandlung iſt dies Princip weniger in ſeinem Weſen beſprochen , als nur eine hiſtoriſche Entwicklung darüber gegeben, wie die preußiſchen Provinzialſtände fich gebildet haben. Man ging bei dieſer Bildung, wie ausges führt worden iſt, weder von hiſtoriſchen Erinnerungen noch von
abſtrakten Begriffen aus, ſondern nahm die beſonderen Verhält niſſe, wie ſie eben in der Gegenwart vorlagen, um darauf weiter
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fortzubauen. Weit entfernt davon, Verhältniſſe, wie ſie vor dem dreißigjährigen Kriege beſtanden hatten , wieder ins Leben rufen zu wollen, erkannte man nnr das , was aus den geſchidytlichen Entwicklungen früherer Jahrhunderte hervorgegangen noch in lebendiger Macht daſtand, in ſeiner geſchichtlichen Bedeutung an. Ein lebendiges Princip war aber theils nach den Umwandlungen, die ſich im achtzehnten Jahrhundert, dem Geiſte deſſelben gemäß, gemacht hatten, theils nach den Umwälzungen, die von Frankreich ausgehend ganz Europa betroffen hatten, an das nicht zu knüpfen, was ſich aus dem allgemeinen Untergange noch gerettet hatte. Erdacht aber fonnte ein einfaches lebendiges Princip , welches den in der Gegenwart beſtehenden Verhältniſſen in genügender Weiſe entſprochen hätte, auch nicht werden. So ergriff man im
oligarchiſchen Sinne ein äußerliches Verhältniß und erklärte durch den Art. II. des Gefeßes vom 5. Juni 1823 wegen Anordnung
der Provinzialſtände das Grundeigenthum als Bedingung der Standſchaft
Das Wort Bedingung iſt ſehr gut gewählt. Denn ſchwerlich fann fich an den Befiß von Grundeigenthum ein wirklich leben
diges Princip für die Anordnung ſtändiſdier Verhältniſſe knüpfen laſſen . Naturgemäß bildet fich Verſchiedenheit der Stände nach Verſchiedenheit der Lebenskreiſe , in welchem die Einzelnen fich bewegen . Dagegen freilich könnte eingewandt werden , daß es
fich in Rückſicht auf Provinzial- und Reichsſtandſchaft gar nicht frage um die einzelnen verſchiedenen Kreiſe des Lebens und der Thätigkeit des Vulfs, und daß überhaupt Eigenthumsverhältniſſe es wären , auf welche die Thätigkeit jener Stände vorzugsweiſe fich bezöge. Indeß hat man doch, nur aber in fehr beſchränkter Beziehung, für nöthig erachtet, in Rücfficht auf den Bürger und Bauernſtand die verſchiedenen Richtungen der Volksthätigkeit zu berückſichtigen. Als Abgeordnete des zweiten, beziehungsweiſe dritten Standes fönnen nur ſtädtiſche Grundbeſiger gewählt werden, welche entweder zeitige Magiftratøperſonen find, oder ein
bürgerliches Gewerbe treiben. Bei dem dritten beziehungsweiſe
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vierten Stande wird zu der Eigenſchaft eines Landtags -Abges ordneten der Beſiß eines als Hauptgewerbe felbft bewirthſchafteten Landguts erfordert. Zu dem Grundbeſitz kommt alſo auch noch als Erforderniß, um zur Wahl und zur Wählbarkeit zu befähigen, Gewerbsthätigkeit hinzu . Was dic an größeren ländlichen Grundbeſig geknüpfte Bes red tigung betrifft, ſo hat auch dieſe nicht in einfacher Weiſe an die aufgeſtellte Hauptbedingung geknüpft werden können . Wer in der Marf , in Pommern , Poren Schleſten und Sachſen ein
Gut beſißt, welches feine Rittergutøqualität hat , mag es auch ſeinem Umfange und ſeinem Ertrage nach die Größe mancher Rittergüter bedeutend überſteigen, dabei aber das Gut nicht ſelbſt bewirthſchaftet, befißt weder Wahlrecht noch Wählbarkeit. Ein Anderer dagegen , der vielleicht ein ſehr kleines Rittergut befißt,
ohne daß er zu dem Stande gehört , von weldiem früher die
Rittergutsqualität abhing , iſt befugt, zu wählen wie als Abges ordneter gewählt zu werden .
In Beziehung auf den Beſitz von Rittergütern iſt jedoch vorbehalten , den Befig bedeutender Familien - Fideifommiß - Güter
auf angemeſſene Weiſe zu bevorrechten. So durdykreuzen fich auch in dieſer Rüdlicht die Bedingungen, an die die Berechtigung zur Standſchaft überhaupt , oder höhere oder geringere Rechte fich knüpfen. Es werden indeß wohl , wie es für Weſtphalen und die Rheinprovinzen ausdrücklich vorbehalten und anderswo in einzelnen Fällen ſchon geſchehen iſt, die Befißer großer Fami lien - Fideifommiß - Güter in den Herrenſtand aufgenommen werden,
während dagegen Familien - Fideifommiß - Gütern von geringerem Umfange Rittergutsqualität verbliebe. Dann würde der Bcfiß eines großen Familien- Fideifommiß - Gutes zu einer Hauptbedin gung der Erhebung in den Herrenſtand gemacht, während kleinere, Familien - Fideikommiß - Güter von Rittergutsqualität dieſe in Bes ziehung auf ſtändiſche Rechte fernerhin theilen würden . Auch in Rückſicht auf dieſe Verhältniffe ergeben ſich feine einfachen Principien .
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Nicht Grundbeſit von einer gewiſſen Größe iſt es , woran darnach die Hauptbedingung der Erhebung in den Herrenſtand fich anknüpft, ſondern demnächſt aud Familien - Fideifommiß Gutsqualität.
Dieſe Qualität hat aber in Rückſicht auf Güter
von kleinerem Umfange feine Bedeutung. Dagegen hat für den Beſiß eines Grundſtückes von Rittergutsqualität das Maaß der Größe deſſelben keine Bedeutung. Hierzu kommt nun noch dies , daß in mehren Provinzen das Recht der Standſchaft für den erſten, beziehungsweiſe zweiten Stand nicht bloß an den Beſitz eines Rittergutes geknüpft iſt, ſondern audy an den Beſitz anderer Güter von einem gewiſſen Ilmfange. So heißt es in dem Geſek vom 1. Juli 1823 wegen Anordnung der Provinzial- Stände für das Königreich Preußen $. 7, wie folgt : „ Das Recht, zu dem erſten Stande als Abs 1
geordneter gewählt zu werden, wird begründet : 1 ) für die Ritter ſchaft, durch den Befiß eines Rittergutes in der Provinz , ohne
Rückſicht auf die adelige Geburt des Beſigers; u. f. w. 2 ) für die übrigen zum erſten Stande zu rechnenden Grundeigenthümer, durd, den Beſitz a ) eines fölniſchen Gutes von ſechs fulmiſden Hufen ſeparirten, kontribuablen Landes, welches nid ;t eines Dorfes,
ſondern ein für ſid) beſtehendes Landgut iſt, b ) eines anderen größeren, dem vorbezeichneten fölniſchen gleidyartigen Landbeſikes ." In dem Geſetz vom 27. März 1824 wegen Anordnung der Provinzial - Stände für die Provinz Weſtphalen heißt es s. 8 : ,, In dem zweiten Stande wird die Wählbarkeit begründet: 1 ) durch den Beſiß eines früher landtagsfähigen Ritterguts, von welchem jährlid) an Grundſteuer wenigſtens fünf und ſiebzig Thaler entrichtet werden ; 2) durch den Beſiß eines anderen grös Beren Landguts , welches in den zweiten Stand aufzunehmen Wir für angemeſſen erachten .“ Ganz dieſelbe Beſtimmung findet
ſich in dem Geſeß wegen Anordnung der Provinzial - Stände für die Rheinprovinzen.
Hiernach gelten in den verſchiedenen Provinzen verſchiedene Bedingungen , an die das Recht der Standſchaft geknüpft ift.
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Daß dies ſu geordnet iſt, mag in provinziellen Verhältniſſen ſeinen guten Grund haben. Dudy Doch in Rückſicht anf die Frage über die Reichsſtandſchaft ließe ſich wohl mancher Zweifel darüber erheben, ob es angemeſſen ſei, dieſelbe an nicht ſich entſprechende
Bedingungen zu knüpfen. Das Ungenügende, was in dem im Gefeße vom 5. Juni 1823 wegen Anordnung der Provinzial
ſtände gemachten Verſuche liegt , an das Grundeigenthum die Bedingung der Standſchaft zu knüpfen, hat ſich ohnchin erwieſen, .
ſobald man wirklich daran ging, die ſtändiſche Gliederung in's
Werf zu richten. Auch darf das nicht unbemerkt bleiben , daß ein großer Theil der Nation ganz außerhalb der Bereiche ſtän diſcher Thätigkeit falle. Dies Alles ſoll nicht eigentlich getadelt werden ; es hat ſich in der geſchichtlichen Entwidlung von Verhältniſſen , die nicht wegzuräumen und an deren Stelle feine anderen in Wilführ zu ſchaffen waren , ſo gemacht. Hervorgehoben aber mußte es werden , um den Geiſt, in welchem die ſtändiſche Verfaſſung in Preußen ſich hervorgebildet hat, näher zu bezeichnen. Derſelbe entſpricht freilich nicht dem , in welchem im Alterthume die Olis garchien ſich entwickelt haben ; denn in dem Charakter und in der Madyt der Monarchie liegen viel zu viel eigenthümliche Ele mente,1 als daß in den Bereichen derſelben oligarchiſche Mächte in einem ſolchen Charakter , wie ſie fich in den Staaten des 1
Alterthums ausgebildet haben, entwickeln könntent. Dennoch darf der Geiſt, der in der reidysſtändiſchen Verfaſſung Preußens herrs
Idend hervortritt , als ein oligarchiſcher bezeichnet werden. Der Charakter des Dligarchiſchen beſteht nicht ſowohl darin , daß Rechte demſelben gemäß an Wenige vertheilt werden , ſondern, nach der Art und Weiſe, wie ſich die Oligarchien im Alterthume geſchichtlich ausgebildet haben, darin , daß politiſche Rechte an Eigenthumsverhältniſſe geknüpft werden , die zum großen Theil ihren Urſprung in ariſtokratiſchen Verhältniſſen haben , zum an dern Theil aber, inwiefern dies nicht der Fall iſt, im Gegenſaße
gegen ariſtokratiſche Verhältniſſe fich geltend machen. Die Dlis
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.
garchien bildeten ſich überall im Alterthum als Uebergangsents wicklungen aus. Der Geiſt der Ariftofratien erſtarb in den im heroiſchen Geiſte gegründeten Staaten . Nichtariſtokratiſche Gle mente erwudiſen in Madyt, und ſo war ein Gegenſaß verſchie dener Parteien geſeßt, deſſen Vermittlung durch Anknüpfung von politiſchen Rechten an Eigenthumsverhältniſſe verſucht ward. Die Ariſtofraten waren vorzugsweiſe die Reichen , ſo daß fie in den oligarchiſch geordneten Gemeinden , in weldien das Maaß politiſder Rechte von dem Maaße eines höheren oder geringeren Eigenthums abhing, noch zum großen Theil bevorzugt blieben . In einem ſehr ähnlichen Sinne iſt auch bei der Bildung 1
der preußiſchen provinzial- und reichsftändiſchen Verfaſſung an
dem Grundſaße feſtgehalten , nach welchem Grundeigenthum zur Bedingung der Standſchaft gemacht wird. Es werden indeß dieſem Grundſaße zufolge Vermögensverhältniſſe in allgemeinerer Bedeutung nidyt berückſichtigt.
Nur das Grundeigenthum iſt es,
an welches politiſche Rechte geknüpft werden ; dem beweglichen Vermögen , weldjes in unſerer Zeit von ſo hoher und nicht bloß
ſocialer, ſondern auch politiſcher Bedeutung iſt, ſind keine Bes vorzugungen zugeſtanden worden. Es könnte ſich leicht ereignen, daß irgend ein bedeutender europäiſder Geldmann zur vortheil hafteren Betreibung feines Gewerbes es für zweckmäßig erachytete, in irgend einer großen Stadt Preußens einen Verwandten als
Bürger anzuſiedeln ; dieſer fühlte ſich etwa nicht bewogen , ein ſtädtiſches Grundſtück anzukaufen , ſondern betriebe in einem ges mietheten Palaſte ſein vielleidyt für die Stadt und das ganze Land vortheilhaftes Geſchäft, ſo wäre er nicht fähig, zum Lands
tags - Abgeordneten gewählt zu werden , obgleid) dod grade von einem
ſolchen Manne vorauszufeßen wäre, daß er theils das
höchſte Intereſſe am Geldweſen des Staats, theils auch in Nüd ſicht darauf beſondere Einſicht habe.
Ganz beſondere Uebelſtände würden aber aud) für die Reis chen, deren Vermögen in beweglichem Eigenthum beſteht, dann entſtehen , wenn etwa die Frage über die in aller und jeder
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Rücfidit ſo mißliche Einführung einer Vermögens- oder Ein kommenſteuer zur Sprache kommen ſollte. Bei dieſer Frage würde ihr beſonderes Intereſſe, welches dabei dody von ſo hoher Bedeutung ſein würde , von Niemandem vertreten . Nur allein
den Grundbeſißern wäre es anvertraut, und unter dieſen auch theils ſolchen, die ſtädtiſche Gewerbe treiben, theils ſelbſt ſolchen, die bei dem Beſitz eines bedeutenden Grundeigenthums vielleicht nur ein ſehr geringes Einkommen hätten. Denn wenn das Grundſtück auch ganz verſchuldet iſt, ſo iſt der Befißer deſſelben duch wählbar, die Eigenſchaft der Wählbarkeit verliert er nur erſt dann, wenn er bankbrüchig geworden. Noch eines anderen Falles mag hier gedacht werden, um daran zu erſehen, wie und in welcher Art das Wahlrecht und die Wählbarkeit an den Beſit von Grundeigenthum geknüpft worden iſt. Gefeßt, daß ein reicher Mann ſein Vermögen in Häuſer angelegt hat und weiter fein Gewerbe dabei treibt , ſondern nur der Verwaltung ſeines großen Häuſerbeſißes fid unterzieht; er iſt nicht wählbar , und doch repräſentirt er je nach dem Maaße ſeines Reichthums einen mehr oder weniger bedeutenden Theil des Eigenthums der Nation. Man ſieht aus dem Vorausgeſchichten , daß in dem , was
als Bedingung zur Standſchaft aufgeſtellt worden, eigentlich fein Princip zu entdecken iſt. Ein durchgreifendes und umfaſſendes jeßt ſchon aufzuſtellen, dies würde 'audi wohl eine Unmöglichkeit
fein. Es würde ſich dabei fragen , ob der Nationalwille und die Nationaleinſicht vertreten werden ſollte, oder die Intereſſen einzelner Stände. Davon , wie im ſpäteren Mittelalter die ein zelnen Stände im feindſeligſten Gegenſaße fich gegenüberſtanden, fann heutigestage nicht mehr die Rede ſein. In der modernen Monardie, an deſſen Begriff der des Staats ſich anſchließt, iſt 1
das Princip der Einigung gegeben. Darum fönnen in ihr die unter dem Schuße des Königthums vereinigten Stände nicht wie feindliche Mächte einander gegenüberſtehend, zum Rechten bereit, gedacht werden .
Geeinigt im Frieden werden ſie durch
die Macht der Krone. Vor allem Anderen zunächſt iſt bei der
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Vertretung Hauptſache, daß dieſes Friedens , nicht nur wie er in allgemeiner Weiſe ſondern audy wie er in jedem einzelnen Verhältniſſe herrſcht und herrſchen ſoll, das Volt fich bewußt I
werde. Deffen in öffentlicher Form ſich zu verſichern, darin liegt
zuvörderſt der nächſte Hauptzweck, den mit ihrem Könige an der Spiße eine Nation durch eine reichsſtändiſche Verfaſſung zu ver folgen hat. Sie tritt in ihren Vertretern als Geſammtheit der Krone gegenüber, nicht aber in ihren vereinzelten , zerſplitterten Intereſſen , die in Eigennüßigkeit und Eigenſucht fich bewegend nur darauf hinwirken können ,1 den Unfrieden und Hader 311 mehren. Ständiſche Gliederung freilich iſt der organiſchen Hal tung des Ganzen und der organiſchen Darſtellung der einzelnen
Theile wegen nothwendig , und eine ſolche auch iſt in der Form der reichsſtändiſchen Verfaſſung Preußens ſchon angelegt ; doch theils dürfen die verſchiedenen Stände nicht von der Anſicht
ausgehen , als ob ſie nur zuſammenkämen, um etwaige verein zelte Rechte oder Intereſſen gegeneinander oder gegen die Krone zu wahren , und theils audi bedarf die jeßt ſchon vorhandene
Anlage zur ſtändiſden Gliederung noch mancher verbeſſerter Ein:
richtung. Grundbeſig iſt nur die Bedingung ; weiter aber auch nichts.
In der Art und Weiſe, wie derſelbe zur Bedingung
gemacyt iſt, könnte: mancherlei Aenderungen eintreten , es könnte etwa auch unter gewiſſen Einſchränkungen der Beſiß beweglichen Eigenthums als Bedingung, die unter Umſtänden zur Stand ſchaft berechtige, hinzugefügt werden. Der Beſiß von Grund eigenthum iſt gar nicyt dazu geeignet , Gewähr für eine gute politiſdie Geſinnung zu geben . Dieſe beruht in ganz anderen Momenten, an die freilich aud , mit Ausnahme der allgemeinen Verpflichtung zur Treue, ein praktiſch maaßgebendes Princip der Berechtigung zur Landſtandſchaft ſchwerlich zu knüpfen wäre. Geiſtige Momente jedoch müſſen noch zu den an Vermö
gensverhältniſſe geknüpften Bedingungen hinzukommen , wenn das Verfaſſungswerk gedeihen und zu lebendigen Blüthen fich entfalten ſoll. Solche laſſen ſidy aber nicht durch die Geſebgebung
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ſchaffen . Dieſe kann nur dem Laufe der Geſchichte und der Entwidlungen , die ſelbſtſtändig aus dem Geiſte der Nation fich hervorgebären müſſen , nachgehen , um dem, was ſich ſo erzeugt hat, nachzuhelfen und Stüße zu geben . Dabei kommt es aber in Rückſicht auf die hier vorliegende Frage bei weitem mehr auf
ſolche geiſtige Momente an , die in einer klaren und lebendigen Auffaſſung menſchlicher Verhältniſſe beruhen und zugleich thats
fräftig fich bewähren , als auf folche, die ſich an die Bereiche der Gelehrſamkeit knüpfen und unmittelbar nur die Wiſſenſchaft 1
berühren . Wohl ſoll die Wiſſenſchaft, auch auf's Leben einwirken ;
dies jedoch immer nur mittelbar. Sie fou die Lehren behandeln und dem gebildeten und geiſtreichen Manne der That die gereifte Frucht deſſen überliefern , was in einer jeden Zeit als Ergebniß wiſſenſchaftlider Forſchungen fic; Herausgeſtellt hat. Selbſt aber ſteht ſie über dem Leben. Ihre würdige Vertretung findet fie in den fdriftſtelleriſdien Werken ihrer Jünger. Eine andere gebührt ihr nicht , und ſie bedarf auch keiner anderen. Wie die durdy die Religion geheiligte Geſinnung nicht durch die Geiſt lichkeit vertreten wird, ſondern ihre Darſtellung in dem frommen Wandel jedes Chriſten findet , ſo wird auch die geiſtige Bildung eines Volfs nicht durch die Gelehrten vertreten , fondern durch
Alle, die eines auf wiſſenſchaftlichem Wege ſich ſelbſt bewußt geworbenen humanen Geiſtes fich rühmen dürfen . Eine Bildung
ſolcher Art zu fördern und zu pflegen , iſt freilich das Geſchäft, was den Gelehrten obliegt ; aber daraus folgt noch nicht , daß ſie als Vertreter derſelben anzuſehen wären. Jeder gebildete Mann hat an dieſer Vertretung Theil. Möchten viele folcher Männer auf dem allgemeinen Landtage fich finden und ſo die
Geiſtigkeit hier auf eine würdige Weiſe vertreten werden. Was die Geiſtlichkeit betrifft, ſo kann in Beziehung auf die evangeliſche Kirche von ihrer Vertretung gar die Rede nicht ſein, da in dieſer fein Gegenſaß zwiſchen Geiſtlicyfeit und Laienthum beſteht; in Beziehung auf die fatholiſche Kirche aber muß der Grundſaß 10
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feſtgehalten werden , daß die Geiſtlichkeit ſich nicht um weltliche Dinge zu befümmern habe.
Das Petitionsrecht. Die Art und Weiſe, wie durch die Verordnung vom 3. Fes bruar 1847 über die Bildung des Vereinigten Landtages die Form für die Ausübung des Petitionsrecytes beſtimmt worden
iſt, hat manche Klage laut werden laſſen. Man hat einestheils
beſonders hervorgehoben , daß die organiſche Verbindung der 1
ſtändiſchen Vertreter mit den Ständen ſelbſt abgeſchnitten werde, und anderentheils , daß es nur unter ſehr hemmenden Formen ſoweit gedeihen könne , daß eine Petition der Krone vorgelegt werden dürfe. An dieſe Klagen hat man Vergleichungen deſſen, was in den Beſtimmungen der Geſeße aus den Jahren 1823 und 1824 wegen Anordnung der Provinzialſtände über die For men für die Ausübung des Petitionsrechts enthalten iſt, mit den Beſtimmungen der Verordnung vom 3. Februar 1847 über Bildung des vereinigten Landtages angeknüpft und in den legs 1
teren eine Verkürzung in Rückſicht auf bisher zugeſtandene Rechte finden wollen .
Läugnen läßt fich freilich nicht, daß von dem Standpunkte aus, von welchem jene klagen erhoben find, denſelben ſcheinbar
viel Wahres zu Grunde liegt. Jener ganze Standpunkt aber iſt falſch. Deshalb kann es hier weniger auf die Erwägung des Einzelnen ankommen, als auf die Durchführung dieſer legteren Behauptung.
Was aber nun dieſe betrifft, ſo iſt es ganz beſonders her: vorzuheben , daß der aus den Provinzialſtänden hervorgegangene Vereinigte Landtag einen ganz und gar anderen Charakter trägt, als welcher den Verſammlungen der Provinzialſtände zukommt.
Es iſt ein ganz unermeßlider Unterſchied zwiſdien dem Weſen und dem Charakter einer Verſammlung von gegen 600 Perſonen,
die als Abgeordnete der ganzen Nation der Krone gegenübertreten, und einer Verſammlung, in der nur Provinzialſtände die Intereſſen
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einer Provinz berathen. Gegen die Bedeutung jener reichsſtänd iſden Verſammlung fann die der provinzialſtändiſchen gar nicht
in Betracht kommen.
Daß von Seiten der Krone eine reiches
ſtändiſde Verſammlung einberufen worden iſt, die Wichtigkeit dieſer Thatſache hätte man bedenken ſollen, ehe man es wagte, an die Beurtheilung des Einzelnen, was mit dieſer Einberufung in Verbindung ſteht, zu gehen. Wer dieſelbe erkannt hat, wird von ſelbſt davon abſtehen , das , was für Provinzialſtände anges ordnet worden iſt, als einen Maaßſtab zu nehmen, an welchem
das zu meſſen wäre , was für die Reid ;sſtände anzuordnen als zwedmäßig erachtet worden iſt. Ohnehin iſt den Provinzial ſtänden in Nücficht auf das ihnen früher ertheilte Petitionsrecht durch die Verordnung über die Bildung des Vereinigten lands tages nichts genommen. Es heißt in dieſer S. 13. ,,Dem Ver einigten Landtage ſteht das Recht zu, Uns Bitten und Beſchwerden
vorzutragen, welche innere Angelegenheiten des Staats oder mehrer Provinzen betreffen, wogegen Bitten uud Beſchwerden , welche allein das Intereſſe der einzelnen Provinzen betreffen , den Pro
vinziallandtagen verbleiben. “ Durch dieſe Beſtimmung iſt in dem, was in dem Artik. III. S. 3 des Gefeßes vom 5. Juni 1823
enthalten iſt, nichts geändert , da weiteres in demſelben nicht verheißen worden iſt als dies , daß die Krone Bitten und Bes
ſchwerden, welche auf das ſpecielle Wohl und Intereſſe der ganzen Provinz oder eines Theiles derſelben Beziehung haben, von den
Provinzialſtänden annehmen, ſolche prüfen und darauf entſdyeiden wolle. Die Provinzialſtände find ganz in ihrer alten Berechti gung in Rüdficht auf das Petitionsrecht geblieben. Den Reicheſtänden freilich ſind andere Formen für die Auss
übung des Petitionsrechtes wie den Provinzialftänden vorge ſchrieben. In Rückſicht hierauf indeß iſt zu bedenken , daß es etwas ganz neues iſt, was mit den Reichsſtänden in's Leben tritt , und es daher audy, um dies richtig zu beurtheilen , wie
ſchon im Vorhergehenden angedeutet, eines eigenen Standpunktes der Betrad tung bedarf. Dabei kommen denn zunächſt die Ges 10 *
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genſtände in Frage , auf die ſich einzugebende Bitten und Bes ſdhwerden beziehen tönnten . Von ganz vereinzelten, lokalen Uebels ſtänden fann dabei ſchon an und für ſich die Rede nicht ſein . Solche betreffenden Bitten und Beſchwerden iſt auch ſchon , wie überhaupt allen Bitten und Beſchwerden , welche allein das In tereſſe der einzelnen Provinzen betreffen, durch die Gefeßgebung, die ſich auf die Anordnung der provinzialſtändiſchen Verfaſſung bezieht, ihr verfaſſungsmäßiger Weg, an die Krone zu gelangen, eröffnet durch die Beſtimmung , in welcher es heißt :
Bitten 1
und Beſchwerden der Stände fönnen nur aus dein beſonderen Intereſſe der Provinzen und der mit ihnen verbundenen einzelnen Theile hervorgehen . Individuelle Bitten und Beſchwerden hat der Landtag gleich an die betreffenden Behörden , oder an Uns unmittelbar, zu verweiſen ; wenn aber Mitglieder des Landtages von Bedrüdungen einzelner Individuen beſtimmte Ueberzeugung erhalten, ſo fönnen ſte bei dem Landtage, mit gehörig konſtatirter Anzeige, darauf antragen , daß derſelbe fich für die Abſtellung bei uns verwende. “
Ades das , was dieſer Paragraph umfaßt, fält aus den Kreiſen der Gegenſtände, auf welche die Thätigkeit der Reichs ftande fich beziehen wird , hinweg ; es iſt auch kein Bedürfniß
dazu vorhanden, daß es in das Bereich dieſer legteren Thätigkeit
gezogen würde, da es ja ſchon von der provinzialſtändiſchen in Anſpruch genommen worden iſt. Alſo nur Bitten und Beſchwerden , die Gegenſtände betreffen , die nicht in das Bereich der provin
zialſtändiſchen Thätigkeit zu ziehen ſind, werden auf dem Verei nigten Landtage zur Verhandlung kommen . Es ſind dies au gemeine Angelegenheiten , über welche die mit Gründen unter ſtüßte Meinung derer, die das Vertrauen der Nation beſißen, zu vernehmen , die Krone gerne fich bereit erklärt , wenn ſie auch ſelbſt keine Veranlaſſung gefunden haben ſollte, aus eigener Be wegung fte den Reichsſtänden zur Berathung vorzulegen. Mit Bedacht iſt geſagt worden : „ Die mit Gründen unterſtüßte Mei nung.“ Denn wenn auf das, was in dieſen Worten ausgeſprochen
-
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ift, auch nicht ausdrücklich von Seiten der Krone im s. 21 der
Verordnung vom 3. Februar hingedeutet wäre , ſo verſteht es fidy doch ſchon von ſelbſt, daß eine ehrenhafte Verſammlung, wie die der Reichsſtände, fich dem Throne nicht mit Vorſchlägen nahen werde, vhne dieſelben zugleich auch mit gediegenen Grün den zu unterſtüßen .
Von Wünſdhen des Volfs foute man , wie
es doch vielfach geſchieht, eigentlich in Rückſidit auf das hier beſprochene Verhältniß gar nicht reden .'
Denn
das Wort
„Wunſch“ hat eine.ſo allgemeine , umfaſſende Bedeutung, daß fich darunter das allerwilführlichſte, ſubjektivſte Verlangen ver ſtehen läßt. Unpaſſend aber würde es ſein , wenn nur daran gedacht würde, daß dem Throne mit Bitten , die Gegenſtände eines ſolchen Verlangens beträfen, zu nahen wäre. Das Recht der Bitten und Beſchwerden fann fid nur auf Bedürfniſſe bes
ziehen , die naci der Anſicht derer, denen es ertheilt iſt, wirklich und in Wahrheit vorhanden ſind. Die Ausübung deſſelben muß organiſd, an Formen geknüpft ſein, die die Gewähr dafür geben, daß die Bittſteller ſich wirklid, von dem Vorhandenſein der Bes dürfniſſe, in Rüdſicht welcher fie Vorſchläge machen , überzeugt haben. Von einem bloßen Begehren nach Abhülfe fann dabei die Rede nicht ſein , ſondern nur von einem vernünftigen Nady weis der Nothwendigkeit der Abhülfe. Dabei ſind die Gegen ſtände, auf welche die von Seiten des Vereinigten Landtages möglicherweiſe ausgehenden Bitten und Beſchwerden ſich beziehen 1
könnten , ganz und gar anderer Art als die, die auf den Pro vinziallandtagen verhandelt werden .
Auf dieſen kommen individuelle, lokale und provinzielle Ver hältniſſe in ihrer individuellen , lokalen und provinziellen Bedeu tung zur Sprache; auf dem Vereinigten Landtage dagegen , wo freilich auch ſolche Verhältniſſe von der Berathung nicht ausge
ſchloſſen ſind, werden ſie nur unter allgemeinen Geſichtspunkten in Erwägung gezogen. Von den Abgeordneten , die durch das 1
Vertrauen ihrer Mitbürger erwählt ſind , muß unbedingt anges 1
nommen werden , daß ſie die Verhältniſſe des Landes fennen,
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und daß fie nach Pflicht und Gewiffen handeln werden. Indem ſte ſich mit den übrigen aus allen Provinzen geſandten Abge ordneten benehmen und zugleich mit der Krone in Berathung treten, werden ſie erſt in den Stand geſeßt, die beſonderen Vers hältniſſe im Lichte des Augemeinen von dem Standpunkte des ganzen Staats aus zu durchſchauen. Was die Bewohner ihrer Provinz im Geiſte bewegt , wiffen die Einzelnen , ehe fte auf dem Vereinigten Landtage fich begegnen . Hier aber kann jeder Gegenſtand erft in der Weiſe erwogen werden , in welcher er überhaupt auf dem Vereinigten Landtage erwogen werden ſoll . Hier erft kommen die allgemeinen Geſichtspunkte zur Erwägung, unter denen derſelbe der Berathung zu unterziehen iſt. Hier erſt wird jeder Einzelne in den Stand geſeßt, ſich ein ficheres Urtheil darüber zu bilden , ob eine dieſen oder jenen Gegenſtand betreffende Bitte oder Beſchwerde in Frage zu ſtellen , an der Zeit oder überhaupt angemeſſen ſei. Jeder Abgeordnete tritt als Mitglied des Vereinigten Land tages in einer ganz anderen Stellung auf, als in welcher er als Provinzial- oder Kreisſtand, als Bürger einer Gemeinde oder als Mitglied einer Körperſchaft ſteht. Der Vereinigte lands tag auch iſt, als zur Berathung allgemeiner Angelegenheiten des Staats einberufene reichsſtändiſche Geſammtheit, in ganz andere Bereiche der Thätigkeit hineingezogen , als in welchen die lands tage der Provinzen oder Kreiſe, die Verſammlungen der Ges
meinden oder Körperſchaften ſich bewegen.
Deshalb und aus
den vorher ſchon angeführten Gründen iſt s. 19 der Verordnung
vom 3. Februar 1847 über die Bildung des Vereinigten Land tages ſehr weiſe Folgendes verordnet: ,, Der Vereinigte Landtag ſteht mit den Kreisſtänden , Gemeinden nnd anderen Körper ſchaften ſowie mit den in ihm vertretenen Ständen und einzelnen
Perſonen in keinerlei Geſchäftsverbindung, und dürfen dieſelben den Abgeordneten weder Inſtructionen noch Aufträge ertheilen . “ An dieſe Beſtimmung dhließt fid folgeredyt die des S. 20 an,
die alſo lautet : ,, Bitten und Befdwerden dürfen bei dem Bereis
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nigten Landtage von Andern als von Mitgliedern deſſelben weder angebracht nody zugelaſſen werden .“ Was ſonſt noch die Beſtimmungen über die Formen der
Ausübung des Petitionsrechts betrifft, ſo hat man hier oder da Anſtoß an dem genommen, was der s. 16 der angeführten Ver ordnung vorſchreibt.
Es heißt in demſelben :
Die Beſchlüſſe
werden in der Regel durdy Stimmenmehrheit gefaßt, Bitten und Beſchwerden dürfen nur dann zu Unſerer Renntniß gebracht werden, wenn fie in beiden Verſammlungen (in der Verſammlung des Herrenſtandes und in der Verſammlung der Abgeordneten
der Ritterſchaft, der Städte und Landgemeinden ) berathen ſind
und ſich in jeder derſelben mindeſtens zwei Drittheile dafür auss geſprochen haben ."
Man hat es auffallend gefunden , daß die als Regel aufs geſtellte Entſcheidung durdy Stimmenmehrheit in Rückſicht auf Bitten und Beſchwerden einſchränkende Beſtimmungen erhalten hat. Sieht man fidy jedoch die Sache näher an , ſo iſt der Grund davon nicht nur leicht aufzufinden , ſondern wird auch als ein genügender anzuerkennen ſein .. Die Gegenſtände, die auf dem Vereinigten Landtage überhaupt zur Sprache kommen,
betreffen allgemeine Angelegenheiten , find alſo von ungemeiner Wichtigkeit. Je wichtiger aber ein Gegenſtand iſt, um ſo mehr verdient er, beſonnener Berathung von allen Seiten unterzogen
zu werden , beſonders wenn dabei bedeutende Umänderungen in Beziehung auf die beſtehenden Gefeße des Staats in Frage ges ſtellt werden . Dies wird in der Regel in Rücficht auf alges meine Angelegenheiten , die dem Vereinigten Landtage Veran laſſung geben könnten, auf Berathungen über zu ſtellende Bitten
und Beſchwerden überzugehen, der Fall fein. Dabei ergiebt ſich aber ein eigenthümliches Verhältniß. Die Bitten und Beſchwerden
betreffen Gegenſtände, die von Seiten der Krone und deren Raths geber noch nicht in Berathung gezogen ſind. Was die Krone an zu erlafſenden Gefeßen oder an Vorſchlägen an den Vereis nigten Landtag bringen läßt, iſt in der Regel ſchon in vierfacher
.
152
Weiſe auſeitiger Erwägung unterzogen worden : von Seiten des
fa
Kabinets, des betreffenden Miniſteriums, dis Staatsminiſteriums
do
und des Staatsraths.
Was aber als Bitte oder Beſchwerde
von Seiten des Landtages an die Krone gebracht wird, dem geht noch die reifliche Erwägung von ihrer Seite ab. Es ſtellt
de
ſich daher jedenfalls in Momente der Abſtimmung über irgend
;
einen Gegenſtand auf dem Vereinigten Landtage das Verhältniß einer Bitte oder Beſchwerde, über die abzuſtimmen iſt, anders
heraus als das Verhältniß eines zu erlaſſenden Geſekes oder eines ſonſtigen von Seiten der Krone an den Vereinigten Land tag gebrachten Vorſchlages. Soldie Gefeße oder Vorſchläge haben in dem Augenblicke , in welchem ſie zur Abſtimmung auf dem Vereinigten Landtage reif ſind , ſchon alle Stadien durchſchritten . Dies iſt aber mit Bitten und Beſcwerden nicht der Fall, und deshalb muß auch die Abſtimmung über ſie anderen und ſtren
geren Bedingungen unterliegen. lleberdies auch iſt um des Heils des Reichs und aller feiner Theile willen eine Gewähr dafür vonnöthen , daß Bitten und Beſchwerden einer Verſammlung, wie die des Vereinigten Landtages iſt, nur an wirkliches Bes
dürfniß fich anſchließen , nicht aber in die Bereiche gutmüthiger Wünſche ſich verlieren.
Die Krone fann freilid, jede Bitte und Beſchwerde als nicht gehörig begründet zurücweiſen ; in dieſe Nothwendigkeit ſich geſeßt zu ſehen , muß ihr aber in jedem einzelnen Falle höchft unangenehm ſein. Hat fie indeß einmal in Rücficht auf dieſe oder jene Bitte oder Beſchwerde erfannt, daß ſie nicht gehörig begründet worden ſei und daß auch anderweitig feine Gründe vorlägen , auf den Gegenſtand derſelben einzugehen , fu verſteht es fidy eigentlid) von ſelbſt, daß fie fid, gegen eine wiederholte Eingabe erflärt. Das auf ein ſolches Verhältniß fich beziehende Princip iſt im S. 21 der angeführten Verordnung ausgeſprochen,
in welchem es heißt : ,,Bitten und Bejdywerden, welche von Uns einmal zurückgewieſen ſind , dürfen nicht von der nämligen Vers
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fammlung und ſpäterhin auch nur dann erneuert werden , wenn dazu neue Gründe fich ergeben . " Es iſt nicht zu erwarten , daß beſonnene Männer die For: derung aufſtellen werden , die Krone habe den auf verfaſſungss mäßige Weiſe an fie gelangten Wünſchen nachzugeben , wenn ſite auch nicht durch Gründe die Ueberzeugung gewonnen hätte, daß es zum Heile des Reichs diene ; nur durch eine ſolche Uebers zeugung wird und darf fie ficy beſtimmen laſſen. Es iſt dies an ſich klar ; die Erinnerung daran führt jedod, auf eine andere Frage, nämlich auf die :
Ift die preußiſche Verfaſſung vom 3. februar 1847 ein Geſchenk?
Man hat in neueren Zeiten oft davon reden hören , daß dieſer oder jener Fürft ſeinem Volfe ein Geſchenk mit einer Kon ftitution gemacht habe. Dabei drängt fidz indeß von ſelbſt die Frage auf, ob eine Konftitution, in dem Sinne, in welchem man heutigestages dies Wort gewöhnlich gebraucht, Gegenſtand eines Geſchenks ſein fönne. Des Königs Majeſtät ſind bei dem Erlaß des Patents vom 3. Februar 1847, die ſtändiſchen Einrichtungen betreffend, nicht von dem Gedanken eines Gefdhenks ausgegangen. Sie haben in der Einleitung deſſelben erklärt wie folgt: ,, Seit dem Antritt Unſerer Regierung haben Wir der Entwiclung der ftändiſchen Verhältniſſe Unſeres Landes ftets Unſere beſondere Sorgfalt zugewendet. Wir erkennen in dieſer Angelegenheit eine der wichtigſten Aufgaben des von Gott Uns verliehenen Berufe, in welchem Uns das zwiefache Ziel vorgeſtedt ift: die Rechte, die Würde und die Macht der Uns von Unſeren Vorfahren ruhinreichen Andenkens vererbten Krone unverſelyrt Unſeren Nach folgern in der Regierung zu bewahren , zugleid aber auch den getreuen Ständen Unſerer Monarchie diejenige Wirkſamfeit zu verleihen, welche im Einklange mit jenen Rechten und den eigen thümlichen Verhältniſſen der Monarchie, dem Vaterlande eine gedeihliche Zukunft zu ſichern geeignet iſt. “ 1
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Hiernach erhelt es , daß des Königs Majeſtät es als eine Pflicht vor Gott erachtet haben, der ſtändiſchen Verfaſſung Preu Bens diejenige fernere Ausbildung zutheil werden zu laſſen, wie ſie im Einflange mit den Rechten der Krone und den eigenthümlichen
Verhältniffen der Monarchie dem Vaterlande eine gedeihliche Zukunft zu ſichern geeignet iſt.
Von einem Geſchenke iſt dabei
nicht die Rede. Dis Königs Majeſtät haben in Berücffidtigung der Vergangenheit und in Ausſicht in die Zukunft es in Ihrer Weisheit als eine Nothwendigkeit erfannt, das Werk der reichs
ſtändiſchen Verfaſſung Preußens bis zu dem Punfte fortzuführen, auf welchen es durch das Patent vom 3. Februar gebracht worden iſt.
Anders als ſo iſt die die reichsſtändiſche Verfaſſung betref fende Anordnung nicht aufzufaſſen. In der That würde es auch ſeltſam ſein , wenn man ſie als ein Gefdient aufnehmen wollte. Ein ſolches Werf, wie dies, welches in der geſammten Vergans genheit wurzelt und die Reime zu Entwicklungen von der größten
Wichtigkeit und Bedeutung für die Zukunft in ſich enthält, iſt nicht als ein Geſchenk anzuſehen , welches man nadı Widführ geben oder verſagen könnte. Es iſt eine That der Geſchichte, die einmal aus dem nothwendigen Entwiclungsgange der Ver hältniſſe herausgetreten , mit allen ihren Reimen , von denen fie gefdwängert iſt, als eine Begebenheit daſteht, die ihrem Urſprunge nach hinweiſt auf den ewigſchöpferijden Geiſt, der über uns waltet. Was ſich noch ferner aus ihr entwickeln mag, darüber wird die Zukunft belehren ; ſie iſt geſchehen, nicht etwa wie durch einen Zufall hervorgerufen, ſondern dem ewigen Brunn der Ges ſchichte entquilend .
Man nehme fie auf , wie es ſich gebührt. Man ergreife die Gegenwart und vertraue der Zukunft, gebe dem ſich hin, was qus jener That fich entwideln muß. Beſonders aber laffe
man das Gerede vom Geſchenke und davon , daß , wie ſie gegeben würden , Geſchenke aus, wieder zurückgenommen werden
155 fönnten .
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In Rückſicht auf dieſe angebliche Furcht iſt nur der
Rath zu ertheilen, daß man den Verlauf abwarten möge. Feder ſollte es einſehn, daß den Pflichten gegen Gott , der Mit- und Nachwelt gegenüber fein König ein Werk von ſolcher Wichtigkeit und Bedeutung, wie das unternommene iſt, als Ge ſchenk * ) in die Welt zu ſtellen verſuchen dürfe. Hätte es als .
Geſchenk ertheilt werden können, ſo wäre feine geſchichtlidie, keine ſittliche Nothwendigkeit vorhanden geweſen , dazu zu ſchreiten.
Fand aber eine ſolche Nothwendigkeit nicht ſtatt, ſo durfte gar nicht ans Werf geſchritten werden. Einleuchtend iſt es daher, daß die reichsſtändiſche Verfaſſung Preußens nicht als Geſchenk angeſehen werden könne. Sie iſt aus der Fülle geſchichtlicher Entwidlungen hervorgegangen. Deshalb aber auch iſt eben ſo verfehrt als die Neigung
dazu , ſte als Geſchenk aufzunehmen , das Verlangen , daß der Beſtand derſelben vertragsmäßig geheiligt werde. Geſdide der 1
Völfer , Staaten und Reiche werden nicht durch einzelne Ver träge beſtimmt. Iniljnen vielmehr walten weltgeſchichtliche
Ideen , die als lebendige Principien in ihnen werkthätig fid) regen und drängen. Dies Regen und Drängen giebt der Geſchichte ihre Bewegungen , in denen heftende Bande höherer Art und
mächtigerer Wirkſamkeit, als welche in Verträgen fich knüpfen, fich ineinander verflechten. Unter dem Sauße eines ſo zu Stande kommenden Gewebes mögen die einberufenen Reichsſtände mit der Krone im Frieden verkehren , um jener Ideen in beſonderer
*) Es verſteht ſich von ſelbſt, daß das Wort Geſchenk hier im eigentlichen und engeren Sinne genommen wird I, nicht in dem , in welchemn man es auch
häufig im Gegenſaße gegen angebliche rechtliche Anſprüche in der Bedeutung einer Verleihung oder freien Bewilligung gebraucht. Unter dem Geſichtspunkte
freier königlicher Bewilligung muß vom rechtliđen Standpunkte aus aller dings die durch das Patent vom 3. Februar verliehene Verfaſſung angeſehen werden. Wird aber die Sache vom religiöſen und vom weltgeſchichtlichen
Standpunkte aus betrachtet, dann treten andere Rückſichten ein.
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Beziehung auf die Geſchichte Preußens fich immer flarer bewußt zu werden, und helfend mit daran zu arbeiten , denſelben gemäß Verfaſſung, Recht und Gefeß des Reichs in fernerer Entwicklung 1
der Verhältniffe auszubilden .
Möge man eingedent deſſen ſein , was an der Geſchichte Des preußiſchen Staats ſeit ſeiner Gründung hervorgetreten, welche Gefahren er unter der Leitung weiſer und kräftiger Herr ſcher beſtanden und wie glorreid er, wiederholt von unheilvollen Geſchicken betroffen , fie überwunden hat ; ſtets audy wiederum in verklärterer Herrlichkeit daraus hervorgegangen iſt. Möge man darin erkennen, daß ein höherer Geiſt über uns walte, dem wir uns zu opfern haben. Möge in ſolcher Erkenntniß aller qus dem Eigenſinne geborne widerwärtige Streit und Hader, wo er etwa fich zu regen wagte , gedämpft werden . Nicht der Vortheil des Einzelnen wolle ftdy vordrängen.
Jeder vielmehr
und beſonders der, der berufen iſt, unmittelbar an dem großartigen
Werke zu arbeiten , lebe mit ganzer Seele , mit vollem Gemüth in der, Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart verknüpf enden , geiſtigen Gemeinde des Reichs. Dann dürfen wir mit Zuverſicht und Vertrauen die Zukunft erwarten .
Drud von Humblot & Comp. in Berlin.