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German Pages 405 Year 1993
CHRISTOPH GRÖPL
Die Nachrichtendienste im Regelwerk der deutschen Sicherheitsverwaltung
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 646
Die Nachrichtendienste im Regelwerk der deutschen Sicherheitsverwaltung Legitimation, Organisation und Abgrenzungsfragen
Von
Christoph Gröpl
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Gröpl, Christoph: Die Nachrichtendienste im Regelwerk der deutschen Sicherheitsverwaltung : Legitimation, Organisation und Abgrenzungsfragen / von Christoph Gröpl. — Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 646) Zugl.: München, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-07971-X NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-07971-X
Meinen Eltern, denen ich vieles verdanke.
Vorwort
Vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1993 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Inaugural-Dissertation angenommen. — Infolge ihrer Brisanz konnten vor Drucklegung noch diejenigen Fragenkreise fortgeschrieben bzw. ζ. T. neu eingefügt werden, welche durch das Aufflammen ausländerfeindlicher Gewalttaten (Mölln, Solingen u. a.) und durch die folgenreiche Terroristenfestnahme von Bad Kleinen Ende Juni 1993 aufgeworfen wurden. Nicht nur angesichts dessen aber wird die behandelte Materie wohl kaum zur Ruhe kommen und ihre tagespolitische Aktualität behalten — trotz oder vielleicht gerade wegen mancherlei Forderungen nach einem Abbau des Sicherheitsapparates in der Bundesrepublik. Nicht (nur) weil es sich gehört, sondern weil mir sehr daran liegt, möchte ich an dieser Stelle vielfachen Dank abstatten: zuerst meinem Doktorvater Prof. Dr. Lerche fur seine aufmerksame Betreuung, die mir viel Freiraum zur Verwirklichung eigener Ideen ließ und es mir ermöglichte, die Dissertation noch während der Referendarzeit fertigzustellen; des weiteren Prof. Dr. Badura fur die zügige Erstellung des Zweitgutachtens; ferner den Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes fur ihre freundliche Unterstützung, denen ich — unter Wahrung des erforderlichen Geheimschutzes — manch hilfreiche Hintergrunderläuterung verdanke; schließlich all meinen Freunden, die mich bei Textverarbeitung, geschichtlichen Recherchen und beim Korrekturlesen tatkräftig unterstützt haben, insbesondere Thomas Fox, Thomas Glöckler, Steffan Heuer y Barbara und Birgit Heinrich sowie meiner Schwester und meiner lieben Leslie . Diese Arbeit wurde durch das Bundesministerium des Innern gefördert; auch dafür darf ich mich an dieser Stelle bedanken. Regensburg, im September 1993
CA. G.
Inhaltsübersicht
Gang der Untersuchung
29 Erster Teil
Geschichtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen A. Abgrenzung der Begriffe "Geheimdienst" und "Nachrichtendienst" B. Geschichtliche Einfuhrung C. Verfassungsrechtliche Legitimation
35 39 55
Zweiter Teil Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes A. B. C. D. E. F.
Verfassungsschutz als Aufgabe von Bund und Ländern Das Phänomen der Mischverwaltung Die Stellung des Bundesamtes fur Verfassungsschutz Die Schule für Verfassungsschutz Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden Exkurs: Rechtsstreitigkeiten in der Verfassungsschutzverwaltung Dritter
82 116 133 150 163 198
Teil
Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste 208 B. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischem Abschirmdienst 236 Vierter
Teil
Die Stellung der Nachrichtendienste zu den Sicherheitsbehörden A. Behörden der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung: Organisation, Aufgaben und Befugnisse B. Abgrenzung und Zusammenarbeit in der Sicherheitsverwaltung C. Ausgewählte Schnittstellen der Zuständigkeitsbereiche
272 301 339
Anhang
377
Inhalt
Gang der Untersuchung
29 Erster Teil
Geschichtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen A. Abgrenzung der Begriffe "Geheimdienst" und "Nachrichtendienst" I. Semantischer Ansatz Π. Geheimdienste ΠΙ. Nachrichtendienste
35 35 36 37
B. Geschichtliche Einführung I. Auslandsgeheimdienste 1. Ausland 2. Preußen und Deutschland bis 1945 3. Deutschland nach 1945 a) "Organisation Gehlen" b) Kein eigener militärischer Geheimdienst c) Auslandsnachrichtendienste der DDR 4. Legalitätszwiespalt Π. Staatspolizeien und Inlandsnachrichtendienste 1. Staatsschutz im Mittelalter 2. Neuzeit: Ausland a) Frankreich bis zum 19. Jahrhundert b) Rußland/Sowjetunion c) Vereinigte Staaten d) Großbritannien und andere europäische Staaten 3. Neuzeit: Deutschland und Österreich a) Deutscher Bund b) Altes Östereich c) Preußen d) Bismarckreich e) Weimarer Republik f) Drittes Reich g) Bundesrepublik
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C. Verfassungsrechtliche Legitimation I. Verfassungsschutzbehörden 1. Der Begriff "Verfassungsschutz" a) Administrativer Verfassungsschutz aa) Exekutivischer Verfassungsschutz bb) Nachrichtendienstlicher Verfassungsschutz b) Materieller Verfassungsschutz 2. Verfassungsschutz und "streitbare Demokratie" a) Geschichtliche Entwicklung b) Ausgestaltung der streitbaren Demokratie im Grundgesetz aa) Staatsrechtlicher Verfassungsschutz i. e. S
55 55 56 56 56 57 57 58 58 59 60
Inhalt
bb) Staatsrechtlicher Verfassungsschutz i. w. S c) Streit um die "streitbare Demokratie" d) "Streitbare Demokratie" und bürgerliche Freiheiten e) Rückwirkungen auf den Verfassungsschutz aa) Strukturelles Spannungsverhältnis bb) Der nachrichtendienstliche Verfassungsschutz im Grundgesetz 3. Harmonisierung von Freiheit und Verfassungsschutz a) Aufgaben- und Befugnisbeschränkung für die Verfassungsschutzbehörden b) Neue Rechtslage in der Bundesrepublik 4. Überflüssigkeit des Verfassungsschutzes? Π. Bundesnachrichtendienst 1. "Schweigen" des Grundgesetzes? 2. Gesetzgebungszuständigkeiten 3. Verbot durch verfassungsrechtliche "Gegennormen"? 4. Verwaltungskompetenz ΙΠ. Militärischer Abschirmdienst 1. Gesetzgebungszuständigkeit 2. Verwaltungszuständigkeit 3. Legitimität im Rahmen der Streitkräfte Zweiter
60 61 63 64 64 64 65 65 66 67 68 69 69 74 76 77 78 79 81
Teil
Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes Verfassungsschutz als Aufgabe von Bund und Ländern I. Internationaler Vergleich Π. Das Bundesamt für Verfassungsschutz III. Die Landesbehörden für Verfassungschutz 1. Alte Länder 2. Neue Länder I V . Regelungsvorgaben des Bundes gegenüber den Ländern 1. Errichtungsverpflichtung a) Politische Widerstände b) Verfassungsrechtliche Einordnung 2. Zusammenarbeitsverpflichtung a) Zusammenarbeit als Bundestreue b) Zusammenarbeit und Amtshilfe c) Umsetzung im Landesrecht d) Kontrollfunktion der Zusammenarbeit 3. Aufgabenverpflichtung a) Aufgaben des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes b) Verpflichtung der Landesverfassungsschutzbehörden: Meinungsstand c) Eigener Lösungsansatz aa) Verfassungsschutz i. e. S. und Ausländerextremismus bb) Begriffsinkongruenz von GG und BVerfSchG cc) Spionageabwehr dd) Schutz der Verfassungsoigane ee) Sabotageschutz ff) Personeller und materieller Geheimschutz gg) Zwischenergebnis hh) Sachzusammenhang 4. Übermittlungsverpflichtung a) Problemlage b) Ausfluß der Zusammenarbeit c) Einfluß auf die landesgesetzliche Befugnisnormierung? 5. Weisungsrechte a) Inhalt von Weisungsrechten
82 82 84 84 84 85 86 86 86 87 89 89 90 91 91 92 92 93 93 94 94 94 96 96 97 97 98 100 100 100 101 101 102
Inhalt
b) Allgemeine Problematik c) Entwicklung der Weisungsrechte in der Verfassungsschutzverwaltung d) Das administrative Weisungsrecht e) Das politische Weisungsrecht aa) Norm- und Weisungsadressaten bb) Restriktive Tatbestandsvoraussetzungen cc) Weisungsobjekte dd) Verfassungsrechtliche Einordnung ee) Inhaltliche Überdehnung? 6. Tarnpapiere und Tarnkennzeichen a) Befugnisnormen für alle Nachrichtendienste b) Grund- und strafrechtliche Aspekte c) Gesetzgebungskompetenz d) Verwaltungskompetenz aa) Länderzuständigkeit bb) Durchbrechung durch begrenzte Bundesvollzugshoheit cc) Eigener Lösungsansatz: Funktioneller Unterschied 7. Verbleibende Landeskompetenzen B. Das Phänomen der Misch Verwaltung I. Mischverwaltung in der Bundesrepublik 1. Geschichtliche Entwicklung a) Vom "ius sup rema e inspectionis" zur "Mitverwaltung" b) Forsthoffs Erkenntnisse c) Anfangsjahre der Bundesrepublik 2. Aktueller Stand a) Literatur aa) Weiter Mischverwaltungsbegriff bb) Enger Mischverwaltungsbegriff cc) Stellungnahme dd) Verbundverwaltung b) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aa) Ehemalige Rechtsprechung bb) Neue Rechtsprechung c) Fazit II. Spezialfall Verfassungsschutzverwaltung 1. Der nachrichtendienstliche Verfassungsschutz als Mischverwaltung a) Zusammenarbeit gem. § 1 Abs. 2 und 3 BVerfSchG b) Errichtungsverpflichtung nach § 2 BVerfSchG c) Aufgabenidentität nach § 3 BVerfSchG d) Spezialausformungen e) Zwischenergebnis 2. Rechtliche Zulässigkeit a) Untersuchung der Verwaltungskompetenzen aa) Bundesaufsichtsverwaltung bb) Bundesauftragsverwaltung cc) Bundeseigenverwaltung b) Landesverwaltung neben Bundesverwaltung aa) Landesausfuhrung des BVerfSchG? bb) Einordnung des Landesvollzugs cc) Landesresidualvollzug von Landesgesetzen c) Hierarchisches Verhältnis aa) §§ 5 und 6 BVerfSchG bb) § 7 BVerfSchG cc) Zustimmungs- oder Einvernehmenserfordernisse d) Fazit aa) Prinzipielle Zulässigkeit
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102 103 103 104 104 105 106 107 109 110 110 111 111 112 112 112 113 114 116 117 117 117 118 118 119 119 119 119 120 120 121 121 121 122 123 123 123 124 124 125 125 126 126 126 126 127 127 127 128 129 130 130 130 131 131 131
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Inhalt
bb) Offenheit in Einzelfragen
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C. Die Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz I. Verfassungsrechtliche Grundlagen 1. Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG 2. Art. 73 Nr. 10 Buchst, b und c GG Π. Das Verhältnis von Art. 87 Abs. 1 Satz 2 zu 73 Nr. 10 GG 1. Scheinbare Entsprechung 2. Tatsächliche Inkongruenz 3. Lösungsalternativen 4. Vorläufige Stellungnahme ΙΠ. Begriffliche Verwirrungen 1. Bundesoberbehörde 2. Zentralstelle 3. "Falsa demonstratio"? IV. Aufgabenumfang des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1. Begrenzung auf Zentralstellenaufgaben 2. Eigenständige Aufgaben 3. Stellungnahme V . Zusammenfassender Lösungsansatz: Verwaltungsorganisatorischer Doppelcharakter 1. Zentralstelle und Bundesoberbehörde a) Aufgabenduplizität b) Beschränkung durch Art. 73 Nr. 10 GG c) Berechtigung der Bezeichnung als Bundesoberbehörde 2. Aushebelung von Art. 87 Abs. 1 Satz 2 durch 87 Abs. 3 Satz 1 GG? 3. Bundesoberbehörde nur bei Handlungsbedarf? 4. Ergebnis
133 133 133 134 134 134 135 135 137 137 138 138 140 141 141 141 142 146 146 146 147 147 147 148 149
D. Die Schule für Verfassungsschutz I. Rechtliche Grundlagen 1. Bund-Länder-Abkommen 2. Zulässigkeit a) Handlungsfreiheit der Länder nach Art. 30 GG b) Staatsvertrag und Verwaltungsabkommen aa) Allgemeiner Gesetzesvorbehalt bb) Institutioneller Gesetzesvorbehalt
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c) Verwaltungszuständigkeit aa) Art. 30 GG bb) Art. 70 ff. GG cc) Art. 83 ff. GG II. Die gemischte Fachaufsicht über die Schule für Verfassungsschutz 1. Rechtliche Eigenart der Schule 2. Verwaltungsaufsicht im allgemeinen a) Sinn und Zweck b) Abgrenzung von Fach- und Dienstaufsicht 3. Fachaufsicht im besonderen a) Abschließende Normierung der Verwaltungstypen b) Begrenztheit der Ingerenzrechte c) Alternatiworschläge aa) Durchgängiges Vetorecht des Bundes bb) Rechtliche Verselbständigung der Schule cc) Ergebnis
153 153 154 154 155 155 156 156 157 157 159 159 160 160 160 162
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden I. Ausgangslage II. Das grundsätzliche Verbot von Doppelzuständigkeiten im Bundesstaat 1. Doppelzuständigkeiten und ihre Folgen
163 163 164 164
Inhalt
15
2. Trennung der föderalen Verwaltungsbereiche im Grundgesetz 165 ΙΠ. Sonderfall Verfassungsschutzverwaltung 166 1. Parallelzuständigkeiten 166 a) Problemlage 166 b) Verfassungsrechtliche Abhilfe durch Zusammenarbeit? 166 2. Bisherige Rechtslage 167 a) BVerfSchG a. F 167 b) Verwaltungspraxis 168 3. Neue Rechtslage 169 I V . § 5 Abs. 1 und 3 BVerfSchG 169 1. § 5 Abs. 1 BVerfSchG 170 a) Aufgabenadressaten und -Verweisung 170 b) Aufgabenwiederholung 170 c) Aufgabenergänzung und -konkretisierung 171 d) Aufgabenobjekte 172 e) Informationsübermittlung 172 2. § 5 Abs. 3 BVerfSchG 174 a) Gemeinsamkeiten mit Absatz 1 174 b) "Unterlagen" statt "Informationen" 174 c) "Unterrichtung" statt "Übermittlung" 175 3. Zwischenergebnis 177 V . § 5 Abs. 4 G 10 178 V I . § 5 Abs. 2 BVerfSchG 179 1. Eigene Aufklärungstätigkeit fur das Bundesamt für Verfassungsschutz 179 2. "Benehmen" 179 a) Begriffsklärung 180 b) Folgen für die Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz 181 3. § 5 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG: Fallgruppen 181 a) Gerichtetheit gegen den Bund 182 b) Erstreckung über ein Land hinaus 183 c) Berührung auswärtiger Belange der Bundesrepublik 183 d) Ersuchen 184 4. Fazit 185 a) § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVerfSchG als Auffangtatbestand 185 b) Fortschritt durch Inkenntnissetzung der Länder 186 c) Keine Verdrängung der Landesverfassungsschutzbehörden 186 V I I . Zuständigkeitsabgrenzungen der Landesverfassungsschutzbehörden untereinander ..187 1. Regelungskompetenz für den Bund? 187 2. Länderzuständigkeitsabgrenzungen durch Landesgesetze 188 a) Aufgabenerfüllung im eigenen Bundesland 188 b) Aufgabenerfüllung in anderen Bundesländern? 189 c) Landesgesetzliche Zustandigkeitsregelungen 190 aa) Auswärtige Aufklärungsoperationen nur im Einvernehmen 190 bb) Verfassungswidrigkeit der Länderregelungen? 191 cc) Fazit 192 V m . Faktisches Übergewicht des Bundes 193 I X . Praktische Lösungsvorschläge für Kompetenzkonflikte 193 1. Konflikte zwischen Bund und Ländern 194 a) Sowohl Bund als auch Land wollen ermitteln 194 b) Bund will ermitteln, Land nicht 195 c) Land will ermitteln, Bund nicht 195 d) Weder Bund noch Land wollen ermitteln 195 2. Konflikte der Länder untereinander 196 a) Territoriale Vermengungen 196 b) Beurteilungsunterschiede 196
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Inhalt
F. Exkurs: Rechtsstreitigkeiten in der Verfassungsschutzverwaltung I. Ausgangslage 1. Außergerichtliche Streitbeilegung 2. Keine gesetzlichen Spezialzuweisungen Π. Fallgruppen von Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern 1. Verstoß eines Landes gegen das BVerfSchG zum Nachteil des Bundes 2. Verstoß des Bundes gegen das BVerfSchG 3. Positive Kompetenzkonflikte zwischen Bund und Landern 4. Streit um Weisungen gem. § 7 BVerfSchG 5. Bund-Länder-Streit hinsichtlich der Schule fur Verfassungsschutz ΙΠ. Fallgruppen von Streitigkeiten der Länder untereinander 1. Positive Kompetenzkonflikte zwischen den Ländern 2. Landesverstoß gegen das BVerfSchG zum Nachteil eines anderen Landes 3. Länderstreit hinsichtlich der Schule für Verfassungsschutz Dritter
198 198 198 199 200 200 203 204 204 205 206 206 206 207
Teil
Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste I. Die Verfassungsschutzbehörden 1. Das Bundesamt für Verfassungsschutz a) Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern b) Untergliederung 2. Die Landesverfassungsschutzbehörden a) Organisationsmodelle b) Funktionale Zusammenfassung des Verfassungsschutzes 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes a) Einzelbereiche b) Originäre Aufgaben und Mitwirkungsaufgaben II. Der Bundesnachrichtendienst 1. Organisation a) Zuordnungsänderungen b) Dienst- und Fachaufsicht c) Der Einwand der " flächendeckenden" Ressortverteilung d) Berichtspflicht e) Untergliederung f) Organisationsprinzip der "Abschottung" 2. Aufgaben a) Einzelbereiche b) Aufgaben über die reine Auslandsaufklärung hinaus? aa) "Sonstige nachrichtendienstliche Aufträge/Sonderaufträge" bb) Die "Panzeraffare" vom Herbst 1991 cc) Abschließende Regelung oder Teilkodifikation? c) Inlandstätigkeit und Inlandsaufklärung aa) Verbot innenpolitischer Tätigkeit bb) Inlandstätigkeit cc) Überwachung der ehemals sowjetischen Truppen in den neuen Bundesländern d) Umfassender Auslandsaufklärungsauftrag und Integration III. Der Militärische Abschirmdienst 1. Organisation a) Direkte Integration in die Truppe b) Untergliederung c) Verfassungsschutzbehörde der Bundeswehr 2. Aufgaben a) Abschirmauftrag
208 208 208 209 209 212 212 213 213 214 214 216 216 216 217 218 220 220 221 221 221 224 224 225 226 227 227 227 228 229 230 230 230 231 232 232 232
Inhalt
b) Weder Gegenspionage noch Auslandsaufklärung c) Beurteilung der Sicherheitslage (Abschirmlage) d) Mitwirkungsaufgaben
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233 233 234
B. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischem Abschirmdienst 236 I. Aufgabenabgrenzung 236 1. Abgrenzung Verfassungsschutzbehörden — Militärischer Abschirmdienst 236 a) Gemeinsamer Aufklärungsauftrag fur das Inland 236 aa) Verfassungsrechtliche Überlegungen 237 bb) Aufgabenkataloge 237 b) Exkurs: Betätigung von Hoheitsgewalt im Ausland 238 aa) Völkerrechtliche Lage 238 bb) Schutz der Bundeswehr im Ausland? 239 c) Identität der Aufgabeninhalte 241 d) Verschiedenheit der Aufgabenbereiche 241 aa) Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung 242 bb) Doppelter Anknüpfungspunkt und Durchbrechungen 242 cc) Aussparung der Bundeswehr fur das Bundesamt fur Verfassungsschutz? ..244 dd) Grenze am Kasernenzaun? 246 e) Fazit 246 2. Abgrenzung Verfassungsschutzbehörden — Bundesnachrichtendienst 247 a) Inlandsaufklärung — Auslandsaufklärung 247 b) Verfassungsschutz im Ausland? 247 c) Grenzüberschreitende Sachverhalte 248 d) Insbesondere Spionageabwehr und Gegenspionage 249 aa) Ausgangslage 249 bb) Zuständigkeiten der bundesdeutschen Nachrichtendienste 251 cc) Vermeidung von Reibungsverlusten 252 dd) Vor- und Nachteile gesetzlicher Normierung 252 3. Abgrenzung Bundesnachrichtendienst — Militärischer Abschirmdienst 253 a) Abgrenzung nach dem Aufklärungsziel 253 b) Bedrohung der Bundeswehr aus dem Ausland 254 c) Spionageabwehr und Gegenspionage 254 II. Gemeinsamkeiten bei den Befugnisnormen — das nachrichtendienstliche Mittel 255 1. Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden 255 a) Bundesamt für Verfassungsschutz 255 b) Landesverfassungsschutzbehörden 256 2. Befugnisse des Militärischen Abschirmdienstes und Bundesnachrichtendienstes...256 a) Militärischer Abschirmdienst 257 b) Bundesnachrichtendienst 257 3. Fazit 257 ΠΙ. Zusammenarbeit der Nachrichtendienste 258 1. Notwendigkeit und zeitgeschichtliche Rechtsentwicklung — Recht auf informationelle Selbstbestimmung 258 a) Notwendigkeit der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit — "Fall Guillaume" 258 b) Einfluß des Datenschutzrechts 259 c) Auswirkungen auf das Nachrichtendienstrecht — gesetzliche Normierung des Informationsaustausches 260 d) Übermittlung und Unterrichtung 261 2. Zusammenarbeit Verfassungsschutzbehörden — Militärischer Abschirmdienst....261 a) Allgemeine Zusammenarbeitspflicht 261 b) Bundesamt für Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst 262 c) Landesverfassungsschutzbehörden und Militärischer Abschirmdienst 262 3. Zusammenarbeit Verfassungsschutzbehörden — Bundesnachrichtendienst 263 a) Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst 263 2 Gröpl
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Inhalt
b) Landesverfassungsschutzbehörden und Bundesnachrichtendienst 4. Zusammenarbeit Bundesnachrichtendienst — Militärischer Abschirmdienst 5. Nummer I V des Organisationserlasses vom 17. 12. 1984 6. Fazit a) Praxiskonformität b) Verhältnis zu den bisherigen Zusammenarbeitsrichtlinien (ZAR) I V . Exkurs: Inhalt der von den Nachrichtendiensten übermittelten Informationen 1. Personenbezogene Daten 2. Behandlung unrichtiger Informationen 3. Übermittlung rechtswidrig erlangter Informationen? a) Gesetzeslücke b) Beweisverwertungsverbote im Strafverfahrensrecht c) Absolutes Verwertungsverbot? 4. Durchbrechung des Zweckbindungsprinzips Vierter
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Teil
Die Stellung der Nachrichtendienste zu den Sicherheitsbehörden A. Behörden der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung: Organisation, Aufgaben und Befugnisse I. Vollzugspolizeien und Gefahrenabwehrbehörden der Länder 1. Grobstrukturen a) Vollzugspolizei b) Die Landeskriminalämter insbesondere c) Ordnungsbehörden 2. Aufgaben präventiver Natur a) Generalklausel b) Bestand des Staates und seiner Einrichtungen 3. Aufgaben repressiver Natur 4. Befugnisse Π. Das Bundeskriminalamt 1. Organisation a) Allgemeines b) Fachdienststellen 2. Aufgaben a) Zentralstellenaufgaben b) Strafverfolgungsaufgaben c) Präventive Schutz- und Sonderaufgaben 3. Befugnisse ΙΠ. Der Bundesgrenzschutz 1. Organisation 2. Aufgaben a) Grenzschutz, insbesondere Kriegswaffenkontrolle und Überwachung des Betäubungsmittelverkehrs b) Strafverfolgung und andere Verwendungen 3. Befugnisse I V . Der Generalbundesanwalt und die Staatsanwaltschaften der Länder 1. Die Staatsanwaltschaft 2. Der Generalbundesanwalt insbesondere 3. Die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft 4. Befugnisse V . Zollgrenz- und Zollfahndungsdienst 1. Die Zollfahndungsbehörden a) Organisation und Aufgaben b) Befugnisse
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Inhalt
2. Das Zollkriminalamt insbesondere a) Vom Zollkriminalinstitut zum Zollkriminalamt b) Organisation c) Aufgaben d) Befugnisse e) Bedenken des Bundesrates: "vierter Nachrichtendienst" f) Vergleich Zollkriminalamt — Bundeskriminalamt 3. Die Zollgrenzbehörden a) Organisation und Aufgaben b) Befugnisse V I . Die Bundeswehr 1. Allgemeines 2. Das Amt fur Nachrichtenwesen der Bundeswehr a) Organisatorische Einbindung b) Aufgaben c) Befugnisse
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B. Abgrenzung und Zusammenarbeit in der Sicherheitsverwaltung 301 I. Das Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizei 301 Π. Abgleich der Aufgabenbereiche 303 1. Staatsschutz — Verfassungsschutz 303 2. Herkömmliches Verständnis: Gefahrenabwehr — Gefahrenvorsorge 305 a) Gefahrenabwehr und Strafverfolgung 305 b) Gefahrenvorsorge 306 c) Opportunitätsprinzip — Legalitätsprinzip 307 3. Neuere Entwicklungen 308 4. Zwischenergebnis 309 ΙΠ. Befugnisvergleich: das nachrichtendienstliche Mittel als Charakteristikum der Nachrichtendienste? 310 1. Herkömmliche Auffassung 310 a) Nachrichtendienstliche Mittel 310 b) Polizeiliche Befugnisse 311 2. Neuere Entwicklungen 311 3. Zwischenergebnis 313 I V . Zusammenfassung: Abgrenzung der Nachrichtendienste zu den Sicherheit«- und Strafverfolgungsbehörden 314 1. Zunehmende Aufgaben- und Befugnisparallelität 314 2. Keine neuen Aufgaben fur die Verfassungsschutzbehörden 314 3. Fazit 315 V . Zusammenarbeit durch Informationsübermittlung 315 1. Notwendigkeit der gegenseitigen Informationsübermittlung 315 2. Rechtliche Problematik 316 3. Allgemeine Übermittlungsnormen des neuen Nachrichtendienstrechts 317 a) Systematik des geltenden Rechts 317 b) Übermittlungen durch die Nachrichtendienste 317 c) G 10 318 d) Übermittlungen an die Nachrichtendienste 318 e) Ersuchen 319 0 Gesetzeslücke: Informationsverkehr mit dem Zollkriminalamt 320 4. Besondere Übermittlungsnormen in Fachgesetzen 320 a) Übermittlungbefugnisse zugunsten der Nachrichtendienste 320 b) Übermittlungsbefugnisse zugunsten der Gefahrenabwehr- bzw. Strafverfolgungsbehörden 321 V I . Informationsübermittlung bei G 10- und ähnlichen Maßnahmen 322 1. Ausgangslage 322 2. Zieldivergenzen 323 3. Fallkonstellationen 323
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Inhalt
4. Informationsgewinnung durch gezielte Nachforschung a) Eröffnung des Aufgabenbereichs b) Befugnisnormen zur Telekommunikationsüberwachung 5. Zufallsfunde a) Ausgangssituation b) Aufgabenbereichseröffnung und Befugnis c) Verwertung, Verwendung, Übermittlung d) Zwischenergebnis e) Parallelen zum Strafprozeß recht aa) Rechtsprechung bb) Neue Gesetzeslage cc) Vergleich mit dem G 10 6. Informationsgewinnung durch andere als G 10-M aß nahmen a) Aufgabenbereichseröffnung b) Befugnisnormen c) Zufallserkenntnisse d) Übermittlungsbefugnisse aa) Staatsschutzrelevanz bb) Allgemeine Sicherheitsrelevanz cc) Zulässigkeit einer "Zwischenspeicherung" 7. Behandlung von rechtswidrig erlangten Daten 8. Fazit C. Ausgewählte Schnittstellen der Zuständigkeitsbereiche I. Staatsschutz (insbesondere Spionageabwehr und Extremismusbeobachtung) 1. Gefahrenbewältigung a) Gefahrenaufklärung aa) Verfassungsschutzbehörden bb) Vorfeldbeobachtung durch das Bundeskriminalamt b) Gefahrenabwehr 2. Strafverfolgung a) Abgrenzungsschwierigkeiten b) Strafverfolgungsbehörden 3. Aufgabenkonflikte in den Arbeitsweisen a) Zugriff durch Polizei und Staatsanwaltschaft b) Zuwarten durch die Nachrichtendienste c) Ausgleichsregelungen Π. Terrorismusbekämpfung 1. Gefahrenbewältigung a) Vorfeldbeobachtung aa) Verfassungsschutzbehörden bb) Bundeskriminalamt
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cc) Abgrenzung zwischen Verfassungsschutzbehörden und Bundeskriminalamt 349 dd) Bundesnachrichtendienst b) Gefahrenabwehr aa) Personenschutz bb) Objektschutz 2. Strafverfolgung a) Zuständigkeitsklarheit in der Theorie b) Behördenvielfalt in der Praxis c) Abhilfe ΙΠ. Bekämpfung der Organisierten Kriminalität 1. Gefahrenbewältigung a) (Kriminal-) Polizeien b) Verfassungsschutzbehörden c) Sonstige Behörden
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Inhalt
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aa) Bundesgesundheitsamt, Zoll und Bundesgrenzschutz 356 bb) Bundesnachrichtendienst 357 2. Strafverfolgung 357 a) Gesetzesverschärfungen 357 b) Ineinanderfließen von Prävention und Repression durch die Kriminalpolizeien 357 I V . Verhinderung von illegalem Technologietransfer 359 1. Rüstungsexporte 360 a) Genehmigung 360 b) Überwachung 361 c) Strafverfolgung 362 2. Ausfuhr von Kernbrennstoffen 362 a) Genehmigung 362 b) Überwachung 363 c) Strafverfolgung 363 3. Allgemeine Warenausfuhr 364 a) Genehmigung 365 b) Überwachung 365 c) Strafverfolgung 366 4. Sonstige Zuständigkeiten 367 a) Internationale Aufklärung 367 b) Verstrickung ausländischer Geheimdienste 367 V . Militärische Auslandsaufklärung 367 1. Bundesnachrichtendienst und Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr 367 2. Neuere Entwicklungen 368 a) Aufgabenneubestimmung für die Bundeswehr 368 b) Auswirkungen auf das Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr — Zuständigkeitskollisionen mit dem Bundesnachrichtendienst 369 c) Auslandsmonopol des Bundesnachrichtendienstes? 369 d) Einsatzbeschränkung nach Art.87 a Abs. 2 GG 370 e) Fernmeldeaufklärung — Militärisches Nachrichtenwesen 371 3. Losungsvorschlag 372 a) Informationssammlung 372 b) Informationsauswertung 373 c) Datenübermittlungen Bundesnachrichtendienst — Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr 373 d) Fazit 375
Anhang Schematische Übersicht: Aufbau der Sicherheitsverwaltung in der Bundesrepublik Rechtsvorschriften: — Abgabenordnung — AO — (in Auszügen) — Außenwirtschaftsgesetz — AWG — (in Auszügen) — Gesetz über die Errichtung eines Bundesausfuhramtes — Gesetz über den Bundesnachrichtendienst — BNDG — — Finanzveiwaltungsgesetz — FVG — (in Auszügen) — Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst — M A D G — — Zollgesetz — ZollG — fin Auszügen) — Abkommen des Bundes und der Länder über die Errichtung einer Schule für Verfassungsschutz (in Auszügen) Literaturverzeichnis
379 380 381 386 386 389 390 394 395 398
Abkürzungen
a. a. Α. a.a.O. Abs. Abt. a. E. a. F. AfNS allg. M . Alt. amtl. Anm. ANBw AO AöR ArbGG arg. Art. AtG
AuslG AWG
BAG BAnz. Bay BayLStVG
BayObLG BayPAG
BayPOG
BayRS BayVBl.
auch anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Abteilung am Ende alte Fassung Amt für Nationale Sicherheit der ehem. DDR (1989/90) allgemeine Meinung Alternative amtlich Anmerkung Amt fur Nachrichtenwesen der Bundeswehr Abgabenordnung (AO 1977) ν. 16. 03. 1976 (BGBl. I S. 613) mit spät. And. (im Anhang auszugsweise abgedruckt) Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsgerichtsgesetz i.d.F. der Bek. v. 02. 07. 1979 (BGBl. I S. 853, ber. S. 1036) mit spät. Änd. argumentum ( = Argument aus) Artikel Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) i.d.F. der Bek. v. 15. 07. 1985 (BGBl. I S. 1565) mit spät. Änd. Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz) v. 09. 07. 1990 (BGBl. I S. 1354) Außenwirtschaftsgesetz v. 28. 04. 1961 (BGBl. I S. 481) mit spät. Änd. (im Anhang auszugsweise abgedruckt) Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Bayern/bayerisch Bayerisches Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Landesstraf- und Verordnungsgesetz) i.d.F. der Bek. v. 13. 12. 1982 (BayRS 2011-2-1) mit spät. And. Bayerisches Oberstes Landesgericht Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz) i.d.F. v. 14. 09. 1990 (BayGVBl. S. 397, BayRS 2012-1-1-1) Gesetz über die Organisation der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiorganisationsgesetz) v. 11. 08. 1976 (BayRS 2012-2-1-1) mit spät. Änd. Bayerische Rechtssammlung Bayerische Verwaltungsblätter
Abkürzungen
BayVerfGH (E) BayVSG BBG Bbg BbgVerfSchG
Bd. BDSG Bek. ber. BiV BGA BGBl. BGS BGSG BGH BGHSt BGHZ BK BKA BKAG
BND BNDG BRat BR-Drs(n). BReg. BRRG
bspw. BT-Drs(n). BT-Prot. BtMG Buchst. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerfSchG
BVerwG BVerwGE Bw BW
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Bayerischer Verfassungsgerichtshof (Entscheidungssammlung) Bayerisches Verfassungsschutzgesetz v. 24. 08. 1990 (BayGVBl. S. 323, BayRS 12-1-1) Bundesbeamtengesetz i.d.F. der Bek. v. 27. 02. 1985 (BGBl. I S. 479) mit spat. Änd. Brandenburg/brandenburgisch Gesetz Ober den Verfassungsschutz im Land Brandenburg (Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz) v. 05 . 04. 1993 (BbgGVBl. I S. 78) Band Bundesdatenschutzgesetz v. 20. 12. 1991 (BGBl. I S. 2954) Bekanntmachung berichtigt Bundesamt für Verfassungsschutz Bundesgesundheitsamt Bundesgesetzblatt Bundesgrenzschutz Gesetz Ober den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzgesetz) v. 18. 08. 1972 (BGBl. I S. 1834) mit spät. Änd. Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Hrsg.: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel) y zit. nach Bearbeiter Bundeskriminalamt Gesetz über die Errichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Bundeskriminalamtes) i.d.F. v. 29. 06. 1973 (BGBl. I S. 704) mit spät. Änd. Bundesnachrichtendienst Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) v. 20. 12. 1991 (BGBl. I S. 2954) (im Anhang abgedruckt) Bundesrat Bundesratsdrucksache(n) Bundesregierung Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts (Beamtenrechtsrahmengesetz) i.d.F. der Bek. v. 27. 02. 1985 (BGBl. I S. 462) mit spät. Änd. beispielsweise Bundestagsdrucksache(n) Bundestagsprotokoll Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) v. 28. 07. 1981 (BGBl. I S. 681, ber. S. 1187) mit spät. Änd. Buchstabe(n) ( = lit. für litera/-ae) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht i.d.F. der Bek. v. 12. 12. 1985 (BGBl. I S. 2229) Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz) v. 20. 12. 1990, (BGBl. I S. 2954) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundeswehr Baden-Württemberg/baden-württembergisch
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BW LVSG BW PolG bzgl. BZRG
Abkürzungen
Gesetz über den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg (Landesverfassungsschutzgesetz) v. 22. 10. 1991 (BW GBl. S. 639) Baden-württ. Polizeigesetz i. d. F. der Bek. v. 13. 01. 1992 (GBl. S. 1) bezüglich Bundeszentralregistergesetz i.d.F. v. 21. 09. 1984 (BGBl. I S. 1229, ber. 1985 I S. 195)
ChVN
Charta der Vereinten Nationen v. 26 . 06. 1945 (BGBl. 1973 Π S. 431; 1974 Π S. 770; 1980 Π S. 1252)
d. h. DÖV DVB1.
das heißt Die öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt
ebd. EG ehem. Einl. entspr. EvStL evtl.
ebenda Europäische Gemeinschaften) ehemalig, ehemals Einleitung entsprechend, analog Evangelisches Staatslexikon eventuell
f./ff. FAZ FN. FR FVG
folgende [Seite/Seiten] Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote Frankfurter Rundschau Finanzverwaltungsgesetz i.d.F. vom 30. 08. 1971 (BGBl. I S. 1426) mit spät. Änd. (im Anhang auszugsweise abgedruckt)
G 10
Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) v. 13. 08. 1968 (BGBl. I S. 949) mit spät. Änd. Generalbundesanwalt Gesetzblatt gemäß Geschäftsordnung der Bundesregierung v. 11. 05. 1951 (GMB1. S. 137) mit spät. Änd. Geheime Staatspolizei (im Dritten Reich) Gewerbeordnung i.d.F. der Bek. v. 01. 01. 1987 (BGBl. I S . 425) mit spät. Änd. Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland v. 23. 05. 1949 (BGBl. S . l ) mit spät. Änd. gegebenenfalls Gemeinsames Ministerialblatt Grenzschutzgruppe 9 des Bundesgrenzschutzes Gemeinschaft unabhängiger Staaten Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz i.d.F. der Bek. v. 09. 05. 1975 (BGBl. I S. 1077) mit spät. Änd.
GBA GBl. gem. GeschO BReg Gestapo GewO GG ggf· GMB1. GSG 9 GUS GVB1. GVG
Hess HessVSG HLKO h. M .
Hessen/hessisch Hessisches Gesetz über das Landesamt für Verfassungsschutz v. 19. 12. 1990 (GVB1. S. 753) Haager Landkriegsordnung v. 18. 10. 1907 (RGBl. 1910, S. 107) herrschende Meinung
Abkürzungen
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Hrsg. HS. HStR
Herausgeber Halbsatz Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.: Josef Isensee /Paul Kirchhof), zit. nach Bearbeiter
i. d. F. (v.) i. d. R. i. d. S. i. e. S. i. F. (v.) insbes. i. R. (v./d.) i. S. (v./d.) i. ü. i. V . m./mit i. w. S.
in der Fassung (vom/von) in der Regel in diesem Sinne im engeren/eigentlichen Sinne in Form (von) insbesondere im Rahmen (von/des/der) im Sinne (von/des/der) im übrigen in Verbindung mit im weiteren Sinne
JA JÔR Jura JuS JZ
Juristische Arbeitsblatter Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung
Kap. Komm. KWKG
Kapitel Kommentar Ausführungsgesetz zu Artikel 26 Abs. 2 des Grundgesetzes (Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen - Kriegswaffenkontrollgesetz) i.d.F. der Bek. v. 22. 11. 1990 (BGBl. I S. 2506) mit spät. Änd. kaiserlich und königlich (im ehem. Österreich-Ungarn beide Reichsteile betreffend)
k.u.k.
Lfg. LfV Lit. LKA/LKÄ LSA
Lieferung Landesamt/-ämter/-behörde(n) für Verfassungsschutz Literatur Landeskriminalamt/-ämter (Land) Sachsen-Anhalt/sachsen-anhalt(in)isch
MAD MADG
Militärischer Abschirmdienst Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst (MAD-Gesetz) v. 20. 12. 1990 (BGBl. I S. 2954) (im Anhang abgedruckt) mit anderen Worten Theodor Maunz/Giinter Diirig u . a . (Hrsg.), Grundgesetz (Loseblattkommentar, München, zit. nach Bearbeiter Mitglied des Bundestages Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens Ministerium für Staatssicherheit der ehem. DDR mittelhochdeutsch mit späteren Änderungen Mindermeinung Melderechtsrahmensgesetz v. 16. 08. 1980 (BGBl. I S. 1429) mit spät. Änd. mit weiteren Nachweisen
m. a. W. M/D MdB MDR m. E. MfS mhdt. mit spät. Änd. MM. MRRG m.w.N. NATO
North Atlantic Treaty Oiganization = Nordatlantikpakt (-Organisation)
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NJW Nr(n). NSDAP NStZ NVwZ NW NZWehrr OG OrgKG OVG ParlStG PaßG PersAuswG PKKG PolGNW RAF Rdnr(n). RGBl. RiA RiStBV
RhPf S. s. s. a. s. o. SfV SGB I SGBX SOG sog. SoldatenG StA Susi StGB StPO str. StrV
Abkürzungen
Neue Juristische Wochenschrift Nummer(n) Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen/nordrhein-westfalisch Neue Zeitschrift für Wehrrecht Organisation Gehlen Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität v. 15. 07. 1992 (BGBl. I S. 1302) Obervenvaltungsgericht Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre v. 24. 07. 1974 (BGBl. I S. 1538) mit spät. Änd. Paßgesetz v. 19. 04. 1986 (BGBl. I S. 537) mit spät. Änd. Gesetz über Personalausweise i.d.F. der Bek. v. 21. 04. 1986 (BGBl. I S. 548) Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes v. 11. 04. 1978 (BGBl. I S. 453) mit spät. Änd. Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen i.d.F. der Bek. v. 24. 02. 1990 (GVB1. S. 71) Rote-Armee-Fraktion Randnummer(n) Reichsgesetzblatt Recht im Amt Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren v. 01. 01. 1977 (BAnz. 1976, Nr. 245) i.d.F. v. 01. 05. 1991 (BAnz. 1991, Nr. 81) - bundeseinheitlich Rheinland-Pfalz/rheinland-pfälzisch Seite(n) siehe siehe auch siehe oben Schule für Verfassungsschutz Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (I) Allgemeiner Teil v. 11. 12. 1975 (BGBl. I S. 3015) mit spät. Änd. Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (X) - Verwaltungsverfahren v. 18. 08. 1980 (BGBl. I S. 1469, ber. S. 2218) mit spät. Änd. Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (des je-weils ange-ge-be-nen Bundeslandes) sogenannte/-r/-s Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz) i.d.F. der Bek. v. 19. 08. 1975 (BGBl. I S. 2273) mit spät. Änd. Staatsanwalt(-schaft/-en) Staatssicherheit(-sdienst) in der ehem. DDR (ugs.) Strafgesetzbuch i.d.F. v. 10. 03. 1987 (BGBl. I S. 945, ber. S. 1160) mit spät. Änd. Strafjprozeßordnun^ i.d.F. v. 07. 04. 1987 (BGBl. I S. 1074, ber. S. 1319) mit spät. And. streitig Strafverteidiger
Abkürzungen
StVG s. u. SZ
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Straßenverkehrsgesetz v. 19. 12. 1952 (BGBl. I S. 837) mit spät. Änd. siehe unten Süddeutsche Zeitung
Thür ThürVSG
Thüringen/thüringisch Thüringer Verfassungsschutzgesetz v. 29. S. 527)
u. u. a. u. dgl. ugs. umstr. UN/UNO unstr. u.s.w.
und unter anderem/und andere und dergleichen umgangssprachlich umstritten United Nations (Organization); Vereinte Nationen unstreitig und so weiter
V.
vom, von Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) v. 05. 08. 1965 (BGBl. I S . 593) mit spät. Änd. Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt v. 14. 07. 1992 (GVB1. LSA 1992, S. 590) Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) i.d.F. der Bek. v. 15. 11. 1978 (BGBl. I S . 1790) mit spät. And. Verwaltungsgerichtshof vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrecht-lehrer Verwaltungsgerichtsordnung i.d.F. v. 19. 03. 1991 (BGBl. I S . 686) (Bundes-) Verwaltungsverfahrensgesetz v. 25. 05. 1976 (BGBl. I S. 1253) mit spät. Änd.
VereinsG VerfSchG-LSA VersammlG VGH vgl. WDStRL VwGO VwVfG
WaffG WRV ZAR
zit. ZKA ZollG ZRP z.T. z. Zt.
10. 1991 (ThürGVBl.
Waffengesetz i.d.F. der Bek. v. 08. 03. 1976 (BGBl. I S . 432) mit spät. Änd. Weimarer Reichsverfassung vom 11. 08. 1919 (RGBl. S. 1383) Richtlinien für die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden, des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden in Staatsschutzangelegenheiten (Zusammenarbeitsrichtlinien) v. 18.09. 1970 i.d.F. v. 2 3 . 0 7 . 1973 [veröffentlicht in FR v. 07. 11. 1979, S. 5] zitiert Zollkriminalamt (ehem. Zollkriminalinstitut - Z K I -) Zollgesetz i.d.F. der Bek. v. 18. 05. 1970 (BGBl. I S . 529) mit spät. Änd. (im Anhang auszugsweise abgedruckt) Zeitschrift für Rechtspolitik zum Teil zur Zeit
Im übrigen werden die allgemein gebräuchlichen Abkürzungen verwendet. Insofern wird auf den D U D E N zur deutschen Rechtschreibung, 20. Aufl., Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich, 1991, verwiesen.
Gang der Untersuchung
Besieht man sich die regelmäßig wiederkehrenden Diskussionen um die Nachrichtendienste und faßt man sie in rechtliche Maßstabe, so wird schnell deutlich, daß die allermeisten Erörterungen mit konstanter Stetigkeit um zwei Problemfelder kreisen: (a) um das grundrechtsrelevante Verhältnis zwischen den Geheimdiensten und dem durch sie "überwachten Bürger M sowie (b) um ihre deshalb dringend erforderlich erscheinende Kontrolle, insbesondere auf parlamentarischer und gerichtlicher Ebene. Diese beiden eher defensiv-kritisch ausgerichteten Aspekte stoßen in der deutschen Öffentlichkeit auf ein stets waches Interesse und auf eine ausgeprägte Sensibilität. Dies mag zum einen mit der jüngeren deutschen Geschichte zusammenhängen, in der zwei totalitäre Regime - das sog. Dritte Reich und die DDR - übermächtige, menschenverachtende Geheimdienste unterhielten und es verstanden, mit diesen Waffen ungeheuren Mißbrauch zu treiben. Zum anderen scheint schlichtweg die Tatsache Unbehagen zu erwecken, daß Nachrichtendienste auch im demokratischen Staat notwendigerweise im geheimen arbeiten müssen. Dieses "Spiel mit verdeckten Karten" macht es dem einzelnen meist unmöglich zu erahnen, ob und inwieweit er ein Objekt potentieller geheimdienstlicher Überwachung darstellt. Hauptanknüpfungspunkt fur die darauf aufbauende juristische Diskussion waren und sind daher die Freiheitsgrundrechte in ihrer klassischen Abwehrfunktion gegenüber dem Staat (status negativus), insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung!, das der scheinbar unersättlichen "Informationsbegierde" der Geheimdienste wie auch anderer Behörden nach Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten Einhalt gebieten soll. Vor diesem Hintergrund verabschiedete der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates Ende 1990 das sog. "Paket der Sicherheitsgesetze", in dem er neben dem Bundesdatenschutzgesetzz auch das Bundesverfassungsschutzgesetz3 - als Grundlage für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die Zusammenarbeit in der Verfassungsschutzverwaltung - novel1 Zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung s. BVerfGE 65, 1 ff., und Scholz/Pitschasy insbes. S. 66 ff. 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) v. 20. 12. 1990 (BGBl. I S. 2954 [2955]). 3 Amtl.: Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt fur Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG - ) v. 20. 12. 1990 (BGBl. I S. 2954 [2970]).
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Gang der Untersuchung
lierte und darüber hinaus mit dem M AD-Gesetz4 und dem BND-Gesetz5 zum ersten Mal auch gesetzliche Grundlagen fur die beiden anderen bundesdeutschen Nachrichtendienste, den Militärischen Abschirmdienst ßiAD) und den Bundesnachrichtendienst (BND), schuf. Zu etwa gleicher Zeit nahmen auch viele Landesgesetzgeber entsprechende Novellierungen in den alten Bundesländern bzw. Erstverkündungen in den neuen Ländern vor. 6 Viele Forderungen und Anregungen der öffentlichen Diskussion wurden dabei in die Gesetzesregelungen aufgenommen, um den zahlreichen datenschutzrechtlichen Einwänden entgegenzukommen und die Nachrichtendienste auf eine zeitgemäße Rechtsgrundlage zu stellen.? Inwieweit dies gelungen ist, bleibt umstritten.8 Mit diesem auch nach Erlaß der neuen Gesetze nicht versiegenden grundrechtsbezogenen und datenschutzrechtlichen Disput beschäftigt sich die vorliegende Arbeit indes nur am Rande. Statt der Beziehungen zwischen Staat und Bürger sollen andere Ausschnitte aus dem Recht der Geheimdienste Beachtung finden: ihre Verwaltungsorganisation, ihre Aufgaben und Zuständigkeiten sowie ihre Verflechtungen untereinander und mit anderen Behörden. Diese Gebiete berühren den Bürger zwar nicht mit gleicher Schärfe und wurden in der einschlägigen Fachliteratur bisher - mutmaßlich aus diesem Grunde - vernachlässigt. Gleichwohl erscheint eine eingehendere Hinterfragung dieses Regelungskomplexes insbesondere aus rechtsstaatlichen Überlegungen heraus angezeigt und notwendig. Denn die Zuordnung von Zuständigkeiten und die dadurch erst ermöglichte Zuweisung konkret definierter Aufgabenbereiche ist eine verwaltungsrechtliche Grundvoraussetzung für rechtmäßiges
4 Amtl.: Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst (MAD-Gesetz - M A D G -) v. 20. 12. 1990 (BGBl. I S. 2954 [2977] - auszugsweise abgedruckt im Anhang). 5 Amtl.: Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz - BNDG -) v. 20. 12. 1990 (BGBl. I S. 2954 [2979] - auszugsweise abgedruckt im Anhang). 6 Vgl. ζ. B. das badenwürttembeigische Landesverfassungsschutzgesetz v. 22. 10. 1991 (BWGB1. S. 639), das bayerische Verfassungsschutzgesetz v. 24. 08. 1990 (BayGVBl. S. 323), das hessische Verfassungsschutzgesetz v. 19. 12. 1990 (HessGVBl. S. 753) oder das neue Gesetz über den Verfassungsschutz im Land SachsenAnhalt v. 14. 07. 1992 (GVB1. LSA S. 590) und das neue Thüringische Verfassungsschutzgesetz v. 29. 10. 1991 (ThürGVBl. S. 527). 7 Damit dürfte sich die Bundesrepublik, was demokratischen Rechtsstandard ihrer Bürger anbelangt, international an der Spitze befinden; vgl. Borgs, Verfassungsschutz im internationalen Bereich, S. 165 ff. (176, 178, 181, 201). 8 Gusy, ebd., S. 1295, kritisiert: "Die neuen Vorschriften werfen (...) zumindest ebenso zahlreiche Probleme auf, wie alte Fragen geklärt werden." Ebenso Bäumler, ebd., S. 645, der meint, daß "im Sinne von mehr Präzision der Eingriffsvoraussetzungen und Transparenz der Datenverarbeitung gegenüber dem Bürger (...) 'mehr drin' gewesen" wäre. Darüber hinaus schreibt DER SPIEGEL v. 06. 04. 1992 (Heft 15/1992), S. 90 ff., daß "die Schnüffelbeamten aus Köln das neue Verfassungsschutzgesetz" "mit lässiger Selbstherrlichkeit" auslegen und zitiert dabei den ehem. Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Alfred Einwag: "Der [erg.: Eckart Werthebach, Präsident des BfV] tut so, als ob es das Gesetz gar nicht gäbe" und "Wir haben Anhaltspunkte, daß die Dienstvorschriften [erg. des BfV] überhaupt noch nicht an die neue Rechtslage angepaßt sind."
Gang der Untersuchung
staatliches Handeln, auch und gerade im so umstrittenen und beargwöhnten Bereich der Nachrichtendienste. Vor diesem Hintergrund bot sich folgender Aufbau fur diese Arbeit an: (1) Zunächst verdient der geschichtliche Kontext und die Frage nach der verfassungsrechtlichen Legitimation der Nachrichtendienste Beachtung. (2) Anschließend wird die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Verfassungsschutzbehörden in der Bundesrepublik einer näheren Untersuchung unterzogen. (3) Darauf folgt eine Ergrûndung des Verhältnisses der bundesdeutschen Nachrichtendienste zueinander und (4) ihrer zuständigkeitsrechtlichen Beziehungen zu anderen Behörden, kurzum: ihrer Stellung innerhalb der deutschen Sicherheitsverwaltung. Die dabei gefundenen Ergebnisse werden schließlich auf aktuelle Fallkonstellationen wie ζ. B. gewalttätige Ausländerfeindlichkeiten, illegale Rüstungsexporte und die organisierte Kriminalität übertragen. Strukturell schlüsselt sich dies im einzelnen wie folgt auf: Zu (1): Der Überblick über (zeit-) geschichtliche Entwicklungen der Geheimdienste im internationalen Kontext soll das nötige, wenngleich nicht ausschließlich juristische Fundament schaffen. In Zusammenhang damit steht die Frage, auf welche Weise sich Nachrichtendienste in Anbetracht der rechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes zu legitimieren vermögen. Diskussionskern dürfte hier sein, ob und inwieweit sich ein freiheitlichdemokratisches Staatswesen wie die Bundesrepublik, das beansprucht, an Recht, Gesetz und insbesondere auch an Durchsichtigkeit gebunden zu sein, Nachrichtendienste leisten kann und darf, die schon begriffsnotwendig im verborgenen arbeiten müssen, wollen sie nicht zur Farce verkommen. Dieser Rechtfertigungsbedarf wird umso dringlicher, als die tiefgreifenden (weit-) politischen Veränderungen der letzten Jahre Geheimdienste nach altem Muster überflüssig zu machen scheinen. Zu (2): Gegenstand des zweiten Teils der Arbeit ist die international nahezu einzigartige Besonderheit, daß sich die Bundesrepublik eine Vielzahl von Verfassungsschutzbehörden leistet und sich nicht, wie andere föderative Staaten vergleichbaren Zuschnitts, mit einem zentralen Inlandsdienst bescheidet. Dies bringt es mit sich, die Arbeit von einem Amt fur Verfassungsschutz auf Bundesebene und 16 Behörden auf Länderebene zu koordinieren. Daß sich daraus mannigfaltige Rechtsbeziehungen mit verfassungsrechtlichem Klärungsbedarf sowie allfallige Zuständigkeitskollisionen ergeben, wurde im Schrifttum bisher wenig problematisiert: Dem "überwachten Bürger" steht in den allermeisten gesellschaftspolitischen oder auch juristischen Erörterungen jeweils nur "der Verfassungsschutz m als Ganzes gegenüber, ohne daß dabei
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Gang der Untersuchung
irgendwelche Differenzierungen getroffen würden. Aufgabe der vorliegenden Arbeit soll es hier sein, diese organisatorische Düsternis aufhellen zu helfen. Zu (3) und (4): Auch eine Stufe darüber, d. h. auf der Ebene des Zusammenspiels der Verfassungsschutzbehörden mit den beiden anderen Nachrichtendiensten und den übrigen Behörden der Sicherheitsverwaltung, ergeben sich ähnliche Gemengelagen, die angesichts einer durch Funktionsvielfalt und Föderalismus bedingten Mehrzahl von Dienststellen ebenfalls Strukturierung erheischen. Der Begriff Sicherheitsverwaltung soll dabei fortan für die Gesamtheit der Behörden stehen, die aufgabenhalber mit der Staatsaufgabe der inneren (und auch äußeren) Sicherheit der Bundesrepublik befaßt sind.9 Dazu zählen zum einen die klassischen Gefahrenabwehrbehörden wie die Landespolizeien, das Bundeskriminalamt (BKA), der Bundesgrenzschutz (BGS) und die allgemeinen Ordnungs- bzw. Si cherheitsbehörden 10. Aber auch der Zoll leistet einen nicht unerheblichen Beitrag für die innere Sicherheit, so ζ. B. das Zollkriminalamt (ZKA), die Hauptzollämter und die Zollfahndungsämter bei der Überwachung des Außenwirtschaftsverkehrs mit sicherheitsgefährdenden Gegenständen. Schließlich dürfen auch die Behörden der Strafverfolgung, also insbesondere der Generalbundesanwalt (GBA) und die Staatsanwaltschaften der Länder zusammen mit ihren Hilfsbeamten, in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Zwar zählen sie nach funktionsrechtlichen Kriterien nicht zu den Gefahrenabwehrbehörden, da sie nur in sehr mittelbarer Weise mit präventiven Aufgaben betraut sind. Allerdings steht ihre strafverfolgende Arbeit zum Teil in so enger Beziehung zur Gewährleistung der inneren Sicherheit, daß ihre Einbeziehung in die hier zu unternehmende verwaltungsorganisatorische Gesamtbetrachtung schlechterdings unabdingbar ist. Obgleich sich der Gesetzgeber in diesem so umschriebenen Bereich der Sicherheitsverwaltung in letzter Zeit als bemerkenswert aktiv erwies, 11 sind die 9 Scholz/Pitschas, S. 110 m.w.N., sprechen hier von einer zentralen Staatsaufgabe "innere Sicherheit" und von einem fundamentalen, in der Rechtsprechung anerkannten Schutzgut. Vgl. auch BVerfGE 39, 1 (41); 46, 160 (164 f.); 49, 24 (53 ff.); 53, 30 (57 ff.); 56, 54 (71 ff·)· 10 Vgl. zum Begriff Vogel/Martens, S. 22, 36 und 48. In Bayern bezeichnet der Begriff "Sicherheitsbehörden" die allgemeinen Ordnungsbehörden, vgl. Creifels/Kauffmann, Stichwort Sicherheit und Ordnung, öffentliche; Gallwas/Mößle, Rdnrn. 10 ff., 68 ff. Π Zu den Gesetzgebungsaktivitäten der letzten Zeit im Bereich der inneren (und äußeren) Sicherheit, insbes. im Bereich des Außenwirtschaftsverkehrs, zählen ζ. B. das Gesetz zur Verbesserung der Überwachung des Außenwirtschaftsverkehrs und zum Verbot von Atomwaffen, biologischen und chemischen Waffen v. 05. 11. 1990 (BGBl. I S. 2428), das Gesetz zur Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherheit auf den Bundesgrenzschutz v. 23. 01. 1992 (BGBl. I S. 178), das Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze v. 28. 02. 1992 (BGBl. I S. 372), das Gesetz über die Errichtung eines Bundesausfuhramtes v. 28. 02. 1992 (BGBl. I S. 376), das Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze v. 07. 07. 1992 (BGBl. I S. 1222) und das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsfor-
Gang der Untersuchung
einzelnen Zuständigkeiten einander keineswegs so eindeutig zugeordnet, wie dies ein flüchtiges Lesen der jeweiligen Gesetzestexte vermuten ließe. Gerade aber in einem derart brisanten Tätigkeitsfeld ziehen Aufgabenkonflikte oder -kollisionen regelmäßig Reibungsverluste und zum Teil schwerwiegende Sicherheitsmängel nach sich, die sich am Ende durchaus nachteilig auf das gesamte Staats und Gesellschaftsgefüge auswirken können. Auch hierzu finden sich in der rechtswissenschaftlichen Literatur bislang nur wenige Ansätze, welche die Koordinierungsproblematik zusammenfassend darstellten; allenfalls Einzelprobleme werden kursorisch oder ausschnittsweise angesprochen. So ist Anliegen des dritten und vierten Teils dieser Arbeit der Versuch, die zahlreichen Interdependenzen und Interaktionen im Regelwerk der bundesdeutschen Sicherheitsverwaltung aufzuzeigen und einer Lösung zuzuführen. Zugunsten der erwähnten verwaltungsorganisatorischen Fragen wurde denn auch die Befugnisebene der Nachrichtendienste und die damit verbundenen grundrechtsspezifischen und datenschutzrechtlichen Probleme, die sich insbesondere durch den Einsatz der sog. nachrichtendienstlichen Mittel sowie durch die moderne Datenverarbeitung ergeben, weitgehend ausgespart. Sie finden nur insoweit Beachtung, wie dies für die Zuordnung und das Zusammenspiel der Behörden in der Sicherheitsverwaltung von Bedeutung ist. Ebenso wurde auf eine Darstellung der demokratischen und rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen gegenüber den Nachrichtendiensten verzichtet, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen. Dies soll der eminent großen Bedeutung einer solchen Kontrolle und ihrer Erforderlichkeit in der Praxis gleichwohl keinen Abbruch tun. Zwangsläufig waren der Arbeit dort Grenzen gesetzt, wo sensitive Bereiche des Geheimschutzes berührt wurden. So sind gerade die für die Bearbeitung einiger Zweifelsfalle einschlägigen Koordinierungsrichtlinien der Verwaltungspraxis sowie viele Errichtungs und Organisationserlasse vertrauliche oder gar (streng-) geheime Verschlußsachen und standen für zu veröffentlichende juristische Untersuchungen daher nicht zur Verfugung. Mithin mußte der Wunsch nach der Beantwortung mancher interessanter Frage bisweilen hinter den Sicherheitsbelangen nach Abschirmung der Nachrichtendienste und anderer Behörden zurückstehen. Die zugänglichen Materialien beschränkten sich demzufolge auf Gesetze, Kommentare und bisweilen auf sonstige "offene Quellen" wie Zeitungen, Zeitschriften, Funk oder Fernsehen. Obzwar letztere Medien kaum als wissenschaftliche Belege gelten können, erschien ein Rückgriff auf sie bei einigen praktischen Vorgängen gleichwohl unvermeidlich. Ihr Inhalt konnte jedoch nicht auf seinen Wahrheitsgehalt
men der Organisierten Kriminalität (OrgKG) v. 22. 07. 1992 (BGBl. I S. 1301). Eine Verschärfung des OrgKG wird allerdings bereits gefordert, vgl. SZ v. 23. 09. 1992, S. 2. 3 Gröpl
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überprüft handeln.
Gang der Untersuchung
werden und ist deswegen mit der entsprechenden
Vorsicht
Uberall dort, wo sich selbst diese Quellen ausschwiegen, waren eigene Schlußfolgerungen oder Vermutungen anzustellen, die sich mit der Realitât decken können, jedoch nicht zwangsläufig müssen. In keinem Falle verstehen sich die gefundenen Ergebnisse als offiziell autorisierte Praktiken oder Denkmodelle. Falls sie mit Verwaltungswirklichkeit übereinstimmen, können sie als deren rechtswissenschaftliche Untermauening dienen; falls dies nicht der Fall ist, mögen sie ggf. eine Diskussionsanregung bieten und Lösungsalternativen aufzeigen. Wenn die vorliegende Arbeit in diesem Sinne einen Anstoß zur kritischen Auseinandersetzung lieferte, wäre ihr Zweck erreicht.
zu be-
Erster Teil
Geschichtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen
A. Abgrenzung der Begriffe "Geheimdienst" und "Nachrichtendienst"
Die Begriffe "Geheimdienst" und "Nachrichtendienst" finden zumeist nebeneinander Verwendung und scheinen daher beliebig austauschbar zu sein. Dies trifft jedoch nicht zu. Deshalb ist es angezeigt, sie vorab zu definieren und voneinander abzugrenzen, um Unklarheiten in den Bedeutungen auszuräumen und gleichzeitig eine inhaltliche Präzision zu erreichen.
I. Semantischer Ansatz
Dabei ist zunächst vom Wortlaut der Begriffe auszugehen: Geheimdienste sind Organisationseinheiten, deren Einrichtung größtenteils geheimgehalten wird und die "im geheimen" operieren, ihre Tätigkeit demnach planmäßig abschirmen und verdecken. Das Bestimmungswort "Geheim- läßt also einen Rückschluß auf die Art und Weise der Arbeit dieser Dienste zu, ohne ihren Aufgabeninhalt zu umreißen. Dies übernimmt jedoch andererseits das Bestimmungswort "Nachrichten-"2, das die Sammlung und ggf. auch Auswer1 Das seit dem 15. Jahrhundert bezeugte Adjektiv bedeutete ursprunglich "zum Haus gehörig, vertraut" und ist vom gemeingermanischen Wort "Heim" abgleitet (Vgl. gotisch haims, engl, home, schwedisch hem. Verwandt sind griechisch kóme [ = Dorf] und russisch sem'jâ [ = Familie]. Gemeinsame indogermanische Wurzel: +kei- [ = liegen > Ort, wo man sich niederläßt]). Erst später nahm es die Bedeutung "heimlich, [streng] vertraulich" an. S. näher DUDEN, Bd. 7, Etymologie, Mannheim/Wien/Zürich, 1963. 2 Nachricht ist seit dem 17. Jahrhundert gebräuchlich und trat an die Stelle von Nachrichtung. Zusammengesetzt ist das Wort aus "nach" und "richten" (von gemeingermanisch recht,
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1. Teil: Geschichtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen
tung von Informationen andeutet. Diese Nachrichtenbeschaffung konzentriert sich aber - was sich aus der grammatikalischen Bedeutung allein freilich nicht mehr ergibt - einschränkend auf Tatsachen, die in irgendeiner Weise einen Bezug zur politischen Staatsführung aufweisen. Wesensmerkmal der Geheimoder Nachrichtendienste ist demnach die Beschäftigung mit fremden Staatsgeheimnissen und/oder der Schutz des eigenen Staatsgeheimnisses3; im Mittelpunkt steht dabei das geheime Nachrichtenwesen.4 Obzwar beide Begriffe in engem Zusammenhang stehen, sind sie jedoch nicht zwingenderweise deckungsgleich, da die Tätigkeit von Geheimdiensten nicht notwendig nur die Nachrichtenbeschaffung umfassen muß, wie die folgende Definition klarstellen wird.
Π. Geheimdienste
Geheimdienste sind staatliche Organisationen, die - regelmäßig organisatorisch eng an die politische Führung eines Landes gebunden - (1) politisch, militärisch, wirtschaftlich oder wissenschaftlich bedeutsame Nachrichten beschaffen, auswerten und weitergeben sowie (2) zur Störung oder Beeinflussung politischer Gegner im In- und Ausland aktiv Handlungen vornehmen, wobei sie grundsätzlich ein Höchstmaß an Geheimhaltung ihrer Aktivitäten beobachten.5 Ziel der Geheimdienste ist folglich nicht nur die (eher passive) Beobachtung und Auskundschaftung (nicht notwendig nur durch Spionage6), indogermanisch *reg- [ = aufrichten, geraderichten; lenken, führen]) und bedeutete ursprünglich "das, wonach man sich zu richten hat, Anweisung". Dann erst wurde es i. S. von "Mitteilung (die Anweisungen enthält), Botschaft, Neuigkeit" gebraucht. Vgl. D U D E N , ebd. 3 Vgl. Johannes Erasmus, Der geheime Nachrichtendienst, Göttingen, 1952, S. 116; Ritter, S. 15. 4 Ein international gebräuchlicher Begriff für das geheime Nachrichtenwesen ist der engl. Ausdruck "intelligence Max Gunzenhäuser, Geschichte des geheimen Nachrichtendienstes. Spionage, Sabotage, Abwehr, Frankfurt a. M . , 1968, S. 11, umschreibt dieses Fremdwort so: "Man versteht darunter besonders die Sammlung, Beurteilung oder Weitergabe von (öffentlich zugänglichen oder geheimgehaltenen) Nachrichten (Informationen) in besonderen Dienststellen (Agencies und Services) für Zwecke der militärischen und politischen Führung (Generalstab oder Regierung), wobei die Berücksichtigung und Verwertung dieser Nachrichten bei militärischen oder politischen Entscheidungen der obersten Führung überlassen bleibt." 5 Definition von Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 4. 6 Spionage (franz. "Späh[er]dienst") impliziert die Auskundschaftung des Gegners mit rechtswidrigen, verbotenen Mitteln. Nach Vermander (zit. bei Gusy, Befugnisse des Verfassungsschutzes ..., S. 1288 [FN. 4]) stammen ζ. B. jedoch 60 % der Informationen des Verfassungsschutzes aus sog. "offenen Quellen", 20 % aus Auskünften und Amtshilfeleistungen anderer Behörden und nur 20 % aus dem Einsatz "nachrichtendienstlicher Mittel". Ebenso auch Ritter,, S. 20: 20 % des Informationsmaterials entspringe aus geheimen Quellen, 25 % aus offenen
Α. Abgrenzung der Begriffe "Geheimdienst" und "Nachrichtendienst"
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sondern darüber hinaus auch die (aktive) Beeinflussung und Störung des politischen Gegners (durch Agitation?, Desinformation 8, Diversion^, Konspiration^, Sabotage^, Subversion^, Unterwanderung^, Zersetzung^ u. dgl. bis hin zum politischen Mord 15 ). Endlich stellt auch die Spionageabwehr, d. h. die Aufklärung und Verhinderung der Informationsbeschaffung durch gegnerische Geheimdienste, eine wesentliche Aufgabe dar. Dieser Begriffsinhalt dürfte auch dem umgangssprachlichen Verständnis entsprechen, wobei hier "Geheimdienst" und "Nachrichtendienst" meist gleichgesetzt werden, i*
ΙΠ. Nachrichtendienste
Demgegenüber kann Nachrichtendienst begrifflich enger verstanden werden: Seine Aufgabe liegt lediglich in der Beschaffung und Auswertung von Informationen; vom Betreiben weiterer aktiver Maßnahmen ist er ausgeschlossen.17 Diese restriktive Definition dürfte - wie noch zu zeigen sein wird - auf die Nachrichtendienste der Bundesrepublik zutreffen, 18 da sich ihre geQuellen, 25 % aus Routine-Berichten staatlicher Stellen und 30 % aus Berichten der Militärattachés. Ahnliche Analysen: Hermann Theissen, Hörfunkreportage über das Saarländische LfV, Deutschlandfunk, 08. 04. 1992, 07.50 Uhr; Gusy, Die Rechtsstellung der Nachrichtendienste, S. 299 (80 - 90 % aus offenen Quellen); Frisch, S. 46. 7 Intensive politische Hetze. 8 Verbreitung von bewußt falschen Informationen zur Einflußnahme auf die Bevölkerung, meist mit Hilfe von beeinflußten oder gar ferngesteuerten Parteien und Organisationen im Zielland. Vgl. Schreckenberger, a.a.O. Nach Ritter, S. 25, stellt der Begriff "Desinformation" zugleich den Oberbegriff zu "Zersetzung " und "Subversion " dar; vgl. auch seine aufschlußreichen Beispiele auf S. 26 ff. 9 Ablenkung; planmäßige Verdeckung der eigentlichen Angriffsabsicht und -richtung. 10 Politische Verschwörung. 11 Vorsätzliche Schädigung oder Zerstörung von wirtschaftlichen oder militärischen Einrichtungen. 12 Umsturz sowie dessen Vorbereitung. 13 Einschleusung von Spitzeln oder Spionen in gegnerische Gruppen oder Vereinigungen, auch "Infiltration". 14 Schüren von Aufruhr, Mut- oder Hoffnungslosigkeit, insbes. in gegnerischen Streitkräften, oft durch Unterwanderung/Infiltration, mit dem Ziel ihrer Kapitulation. So beauftragte z. b. das MfS der ehem. DDR in mehreren Fällen gedungene Mörder, politisch mißliebige Personen im Westen zu "liquidieren"; vgl. DER SPIEGEL v. 08. 06. 1992 (Heft 24/1992), S. 34 ff. 16 Vgl. ζ. B. Wilhelm Ritter v. Schramm, Geheimdienst im Zweiten Weltkrieg, 4. Auflage, Frankfurt a. M./Berlin, 1986; Stefan Aust^ Mauss - Ein deutscher Agent, München, 1989; Meyers Großes Taschenlexikon (Hrsg.: Lexikonredaktion des Bibliographischen Instituts), Bd. 15, Mannheim/Wien/Zürich, 1983, Stichwoit "Nachrichtendienste". Π Vgl. Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 4 18 Schwagerl, S. 118 f., weist im einzelnen nach, weshalb der nachrichtendienstliche Verfassungsschutz in der Bundesrepublik nicht die Nachfolge der "alten klassischen Geheimdien-
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1. Teil: Geschichtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen
setzliche Aufgabenumschreibung durchweg auf rezeptive Tätigkeiten im engen Sinne der Bedeutung beschränkt. ™ Die Bezeichnung "geheimer Nachrichtendienst" stellt einen Pleonasmus dar, denn Nachrichtendienste operieren regelmäßig im geheimen, weil anderenfalls die Effektivität ihrer Tätigkeit in erheblichem Maße vermindert wäre»; würde ihre gesamte Arbeitsweise aufgedeckt, wären sie binnen kurzem sogar aktionsunfahig.2i Allenfalls als Abgrenzungsmerkmal der staatlichen Nachrichtendienste zu den nichtstaatlichen Nachrichtendiensten bzw. -agenturen der Presse und anderer Medien22, die zwar zum Teil auch investigativ tätig werden, jedoch nicht die planmäßige Ausspähung fremder Staatsgeheimnisse als Aufgabe haben und staatlicherseits auch nicht geheimgehalten oder gar beauftragt werden, ergibt das Adjektiv "geheim" einen gewissen Sinn.23 Die Kombination "nachrichtendienstlicher Geheimdienst" erschiene andererseits nicht redundant, da durch das Adjektiv eine Aufgabenbeschränkung im oben dargelegten Sinne zum Ausdruck kommt; sie ist indes in der einschlägigen Literatur nicht gebräuchlich. In der vorliegenden Untersuchung wird versucht, die Unterscheidung "Geheimdienst" (weite Bedeutung) und "Nachrichtendienst" (enge Bedeutung) im wesentlichen einzuhalten.
ste" antreten darf: hauptsachlich aufgrund des freiheitlichen Rechtsstaates mit seinen Anforderungen an Offenheit und Kontrollierbarkeit, auf die weiter unten noch naher zurückzukommen sein wird (C. I.!). 19 Vgl. § 3 BVerfSchG, der sowohl für das BfV als auch fur die Verfassungsschutzbehörden der Länder gilt; § 1 Abs. 2 BNDG; §§ 1 und 2 MADG; so im Ergebnis auch Schwagerl, S. 117. - Unklar ist jedoch, inwieweit der BND darüber hinaus noch mit sog. "aktiven Maßnahmen" im Ausland betraut wird. § 1 Nr. 1 3. Spiegelstrich der Dienstanweisung fur den BND (Vgl. BT-Drs. 7/3246) deutet daraufhin; s. dazu näher unten, 3. Teil, Α. II. 2. b)! - Mit der Ausführung von Diversions- oder Zersetzungsaufgaben dürfte hingegen im Verteidigungsfall die "PSV-Truppe" (PSV = Psychologische Verteidigung) der Bundeswehr betraut sein. 20 So auch Schwagerl, S. 118. Gleichwohl wird dieser Pleonasmus von Johannes Erasmus, Der geheime Nachrichtendienst, Göttingen, 1952, und Ritter, für die Titel ihrer Bücher verwendet. Selbe Bezeichnung bei Schreckenberger, a.a.O. 2\ Vgl. BVerwG JZ 1982, S. 720; VGH Kassel NJW 1977, S. 1844. 22 Bsp.: dpa (Deutsche Presse-Agentur GmbH); ddp (Deutscher Depeschen-Dienst GmbH); ADN (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst); UPI (United Press International); Reuters Ltd.; AFP (Agence France-Presse); ITAR-TASS (Informazionnoje Telegrafnoje Agenstwo Rossii - Telegrafnoje Agenstwo Sowjetskowo Sojusa) u. dgl. Vgl. Meyers Großes Taschenlexikon (Hrsg.: Lexikonredaktion des Bibliographischen Instituts), Bd. 15, Mannheim/ Wien/Zürich, 1983, Stichwort "Nachrichtenagenturen", und FAZ v. 15. 04. 1992, S. 17. » Vgl. Ritter y S. 15.
Β. Geschichtliche Einfuhrung
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Β. Geschichtliche Einführung
Die Geschichte der Geheimdienste läßt sich, falls man nicht zu strenge Kriterien anlegen mag, weit, bis zu den alten Hochkulturen zurückverfolgen, die damit unmittelbar zusammenhängende Tätigkeit der Spionage wahrscheinlich noch viel weiter. Ihre Anfange dürften beim Beginn menschlicher Sippen- und Stammesbildung im weitesten Sinne zu suchen sein.i Populärwissenschaftlich betrachtet belegt dies bereits der Volksmund, wonach Spionage "das Zweitälteste Gewerbe der Welt" ist.2 Spionage bedeutet - salopp formuliert - nichts anderes als ins Werk gesetzte Neugierde einer gesellschaftlich organisierten Einheit, gezielt unternommene Ausspähung und Indiskretion. Älteste geschichtlich überlieferte Quellen weisen darauf hin: Im Alten Testament beauftragte Josua, der Sohn Suns, zwei Männer mit der Erkundung von Jericho.3 Das alte Ägypten unterhielt als Söldner eine Polizeitruppe namens "Matoideren Aufgaben u. a. die Verhinderung und Unterdrückung von Aufständen (während der Fronarbeiten beim Pyramidenbau) und Erkundungen für die Feldzüge in Nubien gewesen sein sollen.4 In Sparta existierte ein Korps aus jungen Männern als geheimer Gendarmendienst namens "Krypteia der den fünf Ephoren unterstand und mit der Überwachung und oft grausamen Unterdrückung der Heloten betraut war.5 Im alten China befaßte sich Sun Tse um 350 v. Chr. in einem ganzen 1
So auch Kaltenbrunner, S. 52. Vgl. die Hörfunkrepoitage von Hermann Theissen im Deutschlandfunk v. 08. 04. 1992, 07.50 Uhr, über das Saarländische LfV. 3 Die Heilige Schrift, Altes Testament, Buch Josua, 2. Kap., 1. Abs. (hrsg. von Vinzenz Hamp/Meinrad Stenzel/Josef Kürzinger, 8. Auflage, Aschaffenburg, 1960): "Josua, der Sohn Nuns, entsandte von Schittim zwei Männer in aller Stille als Spione und gab ihnen folgenden Auftrag: 'Geht und beschaut Euch das Land samt Jericho!' (...)." Vgl. auch Kaltenbrunner, S. 52. 4 Kaltenbrunner y S. 52. S. auch Adolf Erman/Hermann Ranke, La civilisation égyptienne, Paris, 1976 (Übersetzung), S. 729 f., wo von den "Mezai" die Rede ist, einer nubischen Söldnertruppe, die wohl für die Gewährleistung der inneren Sicherheit verantwortlich war, von den einheimischen Ägyptern aber geringgeschätzt wurde. Vgl. auch A. Wiedemann, Das Alte Ägypten, in: W. Foy (Hrsg.), Kulturgeschichtliche Bibliothek, Heidelberg, 1920, S. 224, der von einer Polizei-Söldnertruppe namens "Mat' au" spricht, die im Volk recht unbeliebt gewesen sein soll. 5 Vgl. Plutarch {Lykurg 28, 2-3): "Von Zeit zu Zeit schickten die Oberen [d.h. Ephoren; Spartiaten] die gewandtesten jungen Leute überall aufs Land hinaus, versehen mit Schwertern und mit den notwendigsten Nahrungsmitteln, sonst nichts. Am Tag verstreuten sie sich, hielten sich an schwer auffindbaren Orten verborgen und ruhten aus; bei Nacht gingen sie auf die Straßen und töteten jeden Heloten [ = griech. Bezeichnung für die im Verlauf der dorischen Wanderung von Sparta unterworfenen Messenier], dessen sie habhaft wurden. Oft gingen sie über die Felder und erschlugen die stärksten und tüchtigsten von ihnen." (Zit. bei Manfred Claussy Sparta. Eine Einführung in seine Geschichte und Zivilisation, München, 1983, S. 149 f.) S. zu diesem historisch und volkskundlich interessanten Thema auch: Wilhelm Kroll u. a. (Hrsg.), 2
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1. Teil: Geschichtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen
Kapitel seiner "Dreizehn Gebote der Kriegskunst" mit der Spionage und stellte dabei erstaunlich moderne Thesen auf: Er sah Spionage im weiten Sinne oft als wesentlich entscheidender an als militärische Schlagkraft: Der offene Kampf sei tunlichst zu vermeiden; ein begabter Feldherr solle Kriege eher durch wirkungsvolle Spionage und Zersetzung - gleichsam im Vorfeld gewaltsamer Auseinandersetzungen - gewinnen als mit Hilfe sinnloser Massenopferung von Soldaten. Aufbauend auf dieser Forderung entwickelte Sun Tse eine wahre Spionagestrategie,6 verbunden mit vielerlei Ratschlägen fur den Herrscher, die bereits Gegenspionage und Spionageabwehr beinhalteten.7 Für Caesar schließlich waren "exploratores" und "speculatores" als Aufklärungsmittel während seines Gallischen Krieges unentbehrlich.8 Auch das spätere Römische Reich leistete sich eine Geheimpolizei. Von den Germanen wird schließlich überliefert, daß ein gewisser Herzog Ebrachar seine Wachen mit dem beauftragte, was wir heute Spionageabwehr nennen würden.9 Doch bereits hier lassen sich Unterschiede zwischen den Aufgaben und Zuständigkeiten der einzelnen Stellen erkennen, die es nahelegen, eine Unterteilung geheimdienstlicher Tätigkeit vorzunehmen: Ziel der beschriebenen ägyptischen, spartanischen oder römischen Einrichtungen war es, Rebellionen gegen die Obrigkeit des Staates selbst verhindern zu helfen; ihre Tätigkeit richtete sich also nach innen. Gleichviel, ob es den Begriff damals schon gab, könnte man sie demnach als Vorläufer der späteren Staatspolizeien bezeichnen. Ganz anders hingegen die Stoßrichtung von Josua, Sun Tse, Caesar oder Ebrachar: Hier sollten Feinde oder Eindringlinge von außen abgewehrt oder erkundet werden. Eine Informationsbeschaffung dieser Art hat mit polizeilicher Gefahrenabwehr zum Schutze der inneren Sicherheit hinsichtlich der Zielrichtung weniger gemein; allenfalls die Beschaffungsmethoden können sich gleichen. Letztere Beispiele stellen somit die Vorläufer der modernen Auslandsgeheimdienste bzw. der Spionageabwehr dar. Diese Differenzierung in der Aufgabenstellung läßt sich durch die gesamte geschichtliche Entwicklung weiterverfolgen, ob eine organisatorische oder Paulys Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft, Bd. X I , 2, Stuttgart, 1922, Stichwort "Krypteia"; Heinrich Swoboda u. a., Griechische Staatskunde, in: Handbuch der Altertumswissenschaft, München, 1926, S. 669 f.; Weiss, S. 29 ff. 6 Sun Tse unterschied bspw. verschiedene Arten von Spionen: "ortsansässige", "innere" und "zurückkehrende Spione" sowie "Spione des Todes" und "des Lebens"; näher: Kaltenbrunner, S. 54 f. 7 Vgl. Ritter, S. 58; Kaltenbrunner, S. 51, 54 f. 8 Vgl. Caesar, Der Gallische Krieg (De Bello Gallico), Goldmann, 2. Auflage, München, 1979, I V . Buch, Kap. 21 (Der erste Übergang nach Britannien): "Bevor er selbst einen Versuch unternahm, sandte er den Gaius Volusenus, den er für diese Aufgabe als geeignet ansah, mit einem Kriegsschiff zur Erkundung voraus. Er trug ihm auf, nach Erhalt von Nachrichten über all dieses schleunigst zu ihm zurückzukehren." 9 S. zu alledem: Weiss, S. 29 ff.
Β. Geschichtliche Einfhrung
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institutionelle Trennung in den betreffenden Geheimdienststellen immer vorgelegen haben mag oder nicht.
I. Auslandsgeheimdienste
1. Ausland Im Bereich der geheimen staatlichen Tätigkeit im Ausland begründete der englische König Edward III. (1327-1377) bereits im Mittelalter - im Jahre 1330 - mit dem "Secret Service" (vgl. heute auch "MI 6" bzw. "SIS" und "GCHQ"w) die längste ununterbrochene Tradition eines staatlich organisierten und auf Dauer angelegten Nachrichtendienstes. · ι Sir Francis Walsingham vergrößerte den Dienst als Außenminister unter Königin Elizabeth /. (1558-1603) und verlieh ihm professionelle Züge. 12 Andere Staaten zogen (teilweise erst viel später) nach: Österreich-Ungarn unterhielt fur die Nachrichtenbeschaffung im Ausland das Evidenzbiiro^, die USA gründeten, aufbauend auf Vorläufern, 1947 das CIA als zivilen und das DIA als militärischen Auslandsgeheimdienst". Israel richtete nach seiner Staatsgründung 1948 die (als überaus effektiv bekannten, [weil?] anscheinend auch oft ungesetzlich handelnden) Geheimdienste Mossad und Shin Bet ein. In Frankreich besteht die D. G.S.E. 15, die in Zusammenhang mit der Versenkung des Green-
10 SIS = Secret Intelligence Service; Ml 6 — Military Intelligence, section 6. Erst im Mai 1992 wurde von Premierminister John Major zum ersten Mal offiziell die Existenz dieses sagenumwobenen und durch Ian Flemings "James Bond" zu Berühmtheit gelangten britischen Auslandsnachrichtendienstes eingestanden. Sein Chef ist Sir Colin McColl ("Mr. C"), sein Personalbestand liegt bei ca. 2000 Mitarbeitern. Vgl. dazu näher: SZ v. 08. 05. 1992, S. 8; Die Welt v. 09. 05. 1992, S. 7. - Für Angelegenheiten der Fernmeldeaufklärung bestehen in Großbritannien daneben die GCHQ ( = Government Communications Headquarters); vgl. T I M E O U T , London's Weekly Guide, 08.-15.07. 1992 (Nr. 1142), S. 14. Danach obliegt dem MI 6 die personengestützte Auslandsaufklärung einschließlich der Gegenspionage, den GCHQ die technische Auslandsaufklärung. 11 Vgl. Ritter, S. 58; Schreckenberger, a.a.O.; Meyers Großes Taschenlexikon (Hrsg.: Lexikonredaktion des Bibliographischen Instituts), Bd. 15, Mannheim/Wien/Zürich, 1983, Stichwort "Nachrichtendienste\ 12 Kaltenbrunner, S. 59. 13 K.u.k. Generalstabsabteilung für die Gegenspionage und den allgemeinen militärischen Nachrichtendienst; vgl. auch Meyers Großes Taschenlexikon, a.a.O. Nach Kaltenbrunner, S. 58, soll diese Einrichtung äußerst leistungsfähig gewesen sein. 14 CIA = Central Intelligence Agency, untersteht nach dem National Security Act von 1947 zusammen mit dem DIA ( = Defense Intelligence Agency; Vorläufer: CIC = Counter Intelligence Corps) dem USIB ( = United States Intelligence Board).
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1. Teil: Geschichtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen
peace-Protestschiffes "Rainbow Warrior" in Neuseeland (traurige) Berühmtheit erlangte" und es mit rechtsstaatlichen Kriterien nicht allzu genau zu nehmen schien, zumal sie jeder gesetzlichen Grundlange entbehrt.17 Die ehemalige Sowjetunion unterhielt als Auslandsnachrichtendienste das KGB « und auf militärischem Gebiet innerhalb der Armee die GRU™. Daß diese Dienste von der Russischen Föderation20 und ggf. auch von anderen Staaten der GUS in altem oder neuem Gewände, wenn auch mit geringeren Kapazitäten, weitergeführt werden, erscheint als sicher. Dies zeigen allein schon fortdauernde Aufklärungsaktivitäten der GRU (insbesondere im Bundesgebiet2!) und die Enttarnung von aktiven Spionagenetzen des KGB im April 199222. Trotz manch gegenteiliger Beteuerungen steht demnach kaum zu erwarten, daß die Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR und insbesondere Rußland auf jeglichen Auslandsgeheimdienst verzichten werden.
2. Preußen und Deutschland bis 1945 In Preußen entwickelten sich Nachrichtendienste erst im Zuge des Deutschen Krieges 1866 und des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71, als beim preußischen Generalstab ein "Nachrichtenbüro " eingerichtet und weiter ausgebaut wurde. Dabei handelte es sich um eine militärische Organisation.23 Nach Gründung des zweiten Deutschen Reiches unterstellte man diesen militärischen Nachrichtendienst anläßlich einer Umorganisation dem Generalquartiermeister III (Feindlage) als Sektion B\ 1917 wird diese Nachrichtenabteilung in "Abteilung Fremde Heere" umbenannt und nach dem Ende des Ersten Weltkrieges aufgrund des Versailler Vertrages aufgelöst.
D.G.S.E. = Direction générale de la sécurité extérieure (dt.: Generaldirektion der äußeren Sicherheit); vgl. näher/. Guisnel/B. Violet , Services secrets, Paris, 1988. 16 S. Ritter, S. 29 f. m.w.N. 17 Seit kurzem sollen jedoch auch die französischen Nachrichtendienste einer parlamentarischen Kontrolle unterstellt sein. 18 Das KGB wurde als übergreifender Geheimdienst freilich auch im Inland eingesetzt; s. dazu sogleich unter Π.! 19 GRU = Glawnoje Raswjedywatelnoje Uprawlenje (russ. [militärische] Hauptverwaltung Autklärung). 20 Offizieller Name seit 16. 04. 1992: Rossijskaja Federazija - Rossija ( = Russische Föderation - Rußland); vgl. FAZ v. 18. 04. 1992, S. 1. Frisch, S.SO. 22 So in Belgien nach dem Überlaufen des früheren Ersten Sekretärs der russischen Botschaft; vgl. SZ v. 13. 04. 1992, S. 8. Hauptziel soll dabei die Industriespionage sein. Vgl. i. ü. FAZ v. 25. 04. 1992 ("Vier der Spionage verdächtige Russen verlassen Holland"), S. 2; SZ v. 08. 05. 1992, S. 7 ("Exil-Litauer spionierte im Europa-Parlament"). 23 Vgl. dazu und zum Folgenden: Ritter, S. 58 ff.
Β. Geschichtliche Einfhrung
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Dessen ungeachtet entsteht 1919 bei der Heeresstatistischen Abteilung des Truppenamtes das Referat "Abwehr", das 1922 zu einer eigenen Abteilung ausgebaut und 1929 unmittelbar dem Reichswehrminister unterstellt wird. Die militärische Auswertung verbleibt hingegen beim Truppenamt und wird 1931 wieder in "Fremde Heere" rückbenannt.24 Nach der Machtergreifung Hitlers ernennt man 1935 Kapitän zur See Canaris zum Chef der Abwehrabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht. Im gleichen Jahr verwandelt sich das Truppenamt (wieder) in den Generalstab des Heeres, dessen Auswertungsabteilung "Fremde Heere" 1937 in die Abteilungen "Fremde Heere West (FHW)" und "Fremde Heere Ost (FHO) " aufgeteilt wird. Nach der Ablösung Canaris ' unterstellt man die Abwehrabteilung im Oberkommando der Wehrmacht 1944 schließlich dem 1939 gegründeten Reichssicherheitshauptamt, einer Mammutbehörde, in der nahzu alle Geheimdienste des Dritten Reiches integriert waren; die Auswertungsabteilungen FHW und FHO verbleiben jedoch beim H e e r . 25
3. Deutschland nach 1945 a) "Organisation Gehlen" Beim Zusammenbruch des Dritten Reiches gelang es dem Leiter der 12. Abteilung des Generalstabes des Heeres "Fremde Heere Ost (FHO)", Generalmajor Reinhard Gehlen, seine gesammelten und archivierten Informationen und Unterlagen in den bayerischen Bergen zu vergraben und dadurch unversehrt in amerikanische Kriegsgefangenschaft zu retten. 1946 wird er auf recht informel)^ Weise vom US-Kriegsministerium beauftragt, Nachrichten über den neuen Gegenspieler, die Sowjetunion, zu beschaffen. Die US-amerikanische Armee wußte die wertvollen Erkenntnisse Gehlens über die Sowjetarmee und die Routine des von ihm gestellten ehemaligen Generalstabspersonals sehr wohl zu schätzen. Anders wäre die amerikanische Treuhandschaft und die zu diesem frühen Zeitpunkt enorm große Selbständigkeit der "Organisation Gehlen (OG) " kaum zu erklären. Sie wurde damit auf kuriose Weise der erste deutsche Nachrichtendienst nach dem Zweiten Weltkrieg, Jahre vor
24 Vgl. auch die "Genealogie der westdeutschen Geheimdienste", erarbeitet vom BND, zitiert und abgedruckt bei Ritter, S. 61. 25 Vgl. dazu insgesamt: Wilhelm Ritter v. Schramm, Geheimdienst im Zweiten Weltkrieg, 4. Auflage, Frankfurt a. M./Berlin, 1986; s. auch Borgs/Ebert, Einl., Rdnr. 9 f.
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1. Teil: Geschichtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen
Gründung der Bundesrepublik 1949. 26 In enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem CIA beschränkten sich seine Aufgaben nun jedoch nicht mehr auf die rein militärische, sondern gleichberechtigt auch auf politische und wirtschaftliche Auslandsaufklärung. 27 Nach weitgehender Wiedererlangung der westdeutschen Souveränität beschaffte die "Organisation Gehlen" nach Vorgesprächen mit Regierung und Opposition ab 1949/50 Auslandsnachrichten fur die neu gegründete Bundesrepublik und erhielt 1955 durch Kabinettsbeschluß ihre heutige Bezeichnung Bundesnachrichtendienst (BND). 1956 wurde er dem Bundeskanzleramt angegliedert.28 Im Laufe der Jahre weitete der Dienst sein Operationsgebiet, das anfanglich nur im ehemaligen Ostblock gelegen hatte, kontinuierlich auf alle Krisengebiete der Welt aus.29 1990 schließlich erhielt er durch das BND-Gesetz erstmals eine gesetzliche Grundlage.
b) Kein eigener militärischer Geheimdienst Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten30 wurde in der Bundesrepublik kein eigener militärischer Auslandsnachrichtendienst eingerichtet, was hauptsächlich mit der besonderen geschichtlichen Entwicklung zu begründen sein dürfte: Die Bundeswehr wurde erst 1955/56 aufgebaut, zu einer Zeit, als die Bundesrepublik bereits einige Jahre bestand und der BND der Bundesregierung schon geraume Zeit gerade auch militärische Informationen lieferte. Daher bestand und besteht für einen derartigen militärischen Auslandsnachrichtendienst kein Bedarf; seine Funktionen werden vielmehr in enger Abstimmung mit der Bundeswehr auch weiterhin vom BND wahrgenommen. Auf die Rolle, die dabei das Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ANBw) wahrnimmt, wird weiter unten noch zurückzukommen sein.31 Keinesfalls darf indes der M A D mit einem militärischen /4itf/a/uimachrichteiidienst gleichgestellt werden, da sich seine Aufgaben, wie noch zu zeigen sein wird, auf das Inland beschränken.32
26 Näher zu Reinhard Gehlen und seiner Organisation: Wessel, S. 9 fif. Er weiß u. a. zu berichten, daß die Organisation Gehlen durch ihre fundierte und erfolgreiche Arbeit in amerikanischer Treuhandschaft einen eigenen deutschen Beitrag zur Überwindung der tiefgreifenden Feindseligkeit zwischen dem besiegten Deutschland und den Westmächten leistete. 27 Bauer, S. 139 f.; Wessel, S. 11 f. 28 Genauere Nachweise hierzu bei Ritter, S. 64 ff. 29 Bauer, S. 141 f. 30 Vgl. nur den DIA der USA, die GRU der ehem. Sowjetunion oder der Mil-ND der ehem. DDR (s. u.). 3 1 S. unten, 4. Teil, A. V I . 2. und C. V.! 32 S. unten, 3. Teil, A. m . 2. b)!
Β. Geschichtliche Einfhrung
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c) Auslandsnachrichtendienste der DDR Auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone entstanden bei der neugegründeten Volkspolizei Sonderkommissariate ("K 5"), die 1946 zentral von Ost-Berlin aus gesteuert wurden. 1948 gründete sich daneben die "Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft". Beide Geheimdienste wurden nach Gründung der DDR 1950 im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zusammengefaßt. Darin integriert war die für Auslandsspionage zuständige Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) mit etwa 4000 hauptamtlichen Mitarbeitern (ohne Berücksichtigung der von ihnen geführten West-Agenten), die bis 1987 mit beträchtlichen Erfolgen von Generaloberst Markus Wolf 33 geleitet wurde. Sie löste sich zusammen mit dem MfS und seiner Nachfolgebehörde, dem Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) Ende 1989/Anfang 1990 auf. Neben der HVA bestand der lange Zeit unbeachtete Auslandsgeheim- und Fernmeldeaufklärungsdienst der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR mit einer Personalstärke von rund 2.500 Mann: der Militärische Nachrichtendienst (Mil-ND). Er war noch besser abgeschirmt als jene und änderte seine (Tarn-) Bezeichnung seit seiner Gründung 1952 mehrere Male ("Allgemeine Abteilung", "Verwaltung 19", "Verwaltung für Koordinierung", "12. Verwaltung", "Verwaltung Aufklärung", "Bereich Aufklärung"); die Zentrale führte den Decknamen "Mathematisch-physikalisches Institut der NVA".34 Endgültig aufgelöst wurde der zum Teil äußerst effektiv spionierende Mil-ND erst im Frühjahr 1990.
4. Legalitätszwiespalt Rechtlich bemerkenswert an der Spionagetätigkeit in fremden Machtbereichen ist die kuriose Tatsache, daß sie nach dem Recht des "Entsendestaates" stets als legal, legitim und ehrenhaft empfunden und gepriesen wird, in der Rechtsordnung des "Empfangsstaates" indes regelmäßig als äußerst sozialschädlich unter Strafe gestellt ist. Insofern besteht zwischen Völkerrecht und
33 Näher zur Person von Markus Wolf: Alexander Reichenbach, Chef der Spione. Die Markus-Wolf-Story, Stuttgart, 1992. 34 S. dazu ausführlich DER SPIEGEL v. 10. 08. 1992 (33/1992) S. 47 ff. Vgl. auch Borgs /Ebe rt, Einl., Rdnr. 16 m.w.N.
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1. Teil: Geschichtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen
innerstaatlichem Recht ein durchaus interessanter Widerspruch, der für die Zwiespältigkeit nachrichtendienstlicher Tätigkeit symptomatisch ist.35
Π. Staatspolizeien und Inlandsnachrichtendienste
1. Staatsschutz im Mittelalter Auf der anderen Seite stellt sich die Überwachung, Bespitzelung und Bestrafung der eigenen Bevölkerung als rein innerstaatliche Angelegenheit dar. Auch sie reicht weit in die Geschichte zurück: Bei den Germanen galt Feindbegünstigung oder Schwächung der eigenen Wehrkraft als Treuebruch gegenüber dem Gefolgsherrn und wurde mit dem Tod am Galgen, im Sumpf oder mit Feuer bestraft. 36 Auch im frühen Mittelalter bedeuteten Angriffe von innen oder Verbindung mit dem äußeren Feind eine Verletzung der persönlichen Treuepflicht gegenüber dem König und wurden in den Leges barbarorum als Tatbestand der Infidelitat hart bestraft. 37 Im Hochmittelalter erließ Kaiser Heinrich VII. 1312 das Edictum contra laesae maiestatis, das in Verbindung mit der Declaratio quis sit rebellis in die Extravaganten des Corpus iuris aufgenommen wurde und somit wohl als das erste Verfassungsschutzgesetz in Deutschland überhaupt angesehen werden darf. Im Auftrage Kaiser Karls IV. wurde es später von dem Postglossator Bartolus kommentiert. 38 Die Goldene Bulle von 1356 enthielt darüber hinausgehende staatsschutzrechtliche Bestimmungen.39 Staatsverbrechen wie Verschwörung, oder Verrat richteten sich nach damaliger Auffassung zudem gegen die von Gott gesetzte Ordnung selbst und zählten infolgedessen regelmäßig zu den am schwersten bestraften Delikten«*, wie in ihnen überhaupt der historische Beginn einer Legalordnung erblickt werden kannst
35 Diese Problematik wird weiter unten noch näher aufzugreifen sein (C. Π. 3.) Vgl. i. ü.: Doehring, Spionage im Friedensvölkerrecht, S. 307 ff.; Gusy, Spionage im Völkerrecht, S. 187. κ Tacitus , Germania, Kap. 12 (zit. bei Schroeder, S. 7 [FN. 1]). 37 Zur geschichtlichen Entwicklung des politischen Strafrechts s. i. ü. ausfuhrlich Schroeder, S. 7 ff. 38 Lange, S. 127 mit Verweis auf auf das Werk von Johannes Martin Ritter, Verrat und Untreue an Volk, Reich und Staat, Berlin, 1942, S. 137 ff. 39 S. Schroeder, S. 21 f. 40 Vgl. z. B. Art. 124 Constitutio Carolina Criminalis [ = Peinliche Gerichtsordnung] von 1532 und i. ü. Borgs/Ebert, Einl., Rdnr. 1 m.w.N. 41 Vgl. Schroeder, S. 7; Lange, S. 125.
Β. Geschichtliche Einfhrung
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2. Neuzeit: Ausland a) Frankreich bis zum 19. Jahrhundert In der Neuzeit darf das absolutistische Frankreich unter Ludwig XIV. wohl als das Geburtsland der modernen politischen Geheimpolizei angesehen werden: 1667 erfolgte die Gründung der "haute police "42 und die Einrichtung eines "bureau de confiance et de sûreté "43, dessen Zuständigkeit 1699 auf ganz Frankreich ausgedehnt wurde. Die Folge war die schrankenlose Überwachung der Bevölkerung, selbst und gerade im Privatkreis, die für damalige Verhältnisse beträchtliche Ausmaße annahm*». Die Französische Revolution beseitigte zwar die royalistische "haute police ", installierte aber 1796 unter dem Polizeiminister Napoleons, Joseph Fouché^, eine perfekt anmutende und verhaßte, weil allgegenwärtige Polizeiorganisation im In- und Ausland, auf deren geheimdienstliche Erkenntnisse auch der spätere König Ludwig XVIII. gerne Zugriff nahm. 46
b) Rußland/Sowjetunion Im zaristischem Rußland wurde nach dem Dekabristenaufstand 1825 mit der "Dritten Abteilung der Kanzlei Seiner Majestät ", der späteren "Ochrana "47, eine überaus gefurchtete politische Polizei gegründet. Nach der Oktoberrevolution änderten sich zwar Namen und ideologische Rechtfertigung, die oft grausame und willkürliche Bespitzelung und Unterdrückung der Bevölkerung aber blieb bestehen und verstärkte sich sogar. 4« So wechselten in der ehemaligen Sowjetunion Tscheka, GPU, NKWD, MWD und KGB** einan42 Franz. "police", dt. "Polizei", mittelhochdt. "polizi" haben ihren etymologischen Ursprung über mittellat. "policfa" in griech, "politeia" [ = Staatsverwaltung], vgl. Meyers Großes Taschenlexikon, Bd. 17, Mannheim, 1983, Stichwort "Polizei"; D U D E N , Bd. 7, Etymologie, Mannheim/Wien/Zürich, 1963. 43 Zurückgreifend auf die Tradition dieser Namensgebung werden die franz. Geheimdienste im dortigen Volksmund auch heute noch gerne als "Deuxième bureau " bezeichnet. 44 Weiss, S. 30, vgl. auch Meyers Großes Taschenlexikon, ebd., Stichwort "Politische Polizei". 45 Zur berühmt-berüchtigten Rolle Fouchés vgl. im Bereich der Belletristik: Stefan Zweig, Die Hochzeit von Lyon, in: Brief einer Unbekannten u. a., 2. Auflage, Frankfurt a. M . , 1987, S. 65 (72 f.), oder: ders., Joseph Fouché, Frankfurt a. M . , 1989 ff. 46 Weiss, S. 32 ff. 47 Ochrana = russ.: "Schutz". 48 Weiss, S. 40 ff. 49 Tscheka = Tschreswytschajnaja Kommissija (russ.: [Allrussische] Außerordentliche Kommission [beim Rate der Volkskommissare zum Kampf gegen Konterrevolution, Spekulation und Sabotage]), 1917-1922; GPU = Gossudarstwennoje polititscheskoje uprawlenije (russ.:
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1. Teil: Geschichtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen
der ab, ohne daß dies Milderungen fur die Überwachten mit sich brachte. Ob und inwieweit die inlandsgerichteten Abteilungen des KGB unter Beibehaltung oder Änderung ihrer personellen und institutionellen Strukturen in der Russischen Föderation oder anderen GUS-Staaten noch weiterarbeiten, vermögen selbst Fachleute nicht abschließend zu beurteilen. In jedem Falle lassen sich diese in über 70 Jahren gewachsenen und fest gefugten Spitzelstrukturen, die den Seelenzustand eines ganzen Volkes verändert haben, nur unter enormen Anstrengungen und mit großem Zeitaufwand vernichten; die erneuten Namensänderungen des KGB , zuletzt in Ministerstwo- bzw. Sluschba Besopasnostiy reichen dazu indes mit Sicherheit nicht aus.»
c) Vereinigte Staaten Die USA gründeten 1908 das Bureau of Investigation, das 1935 in Federal Bureau of Investigation (FBI) umbenannt wurde. Seine Aufgaben sind unter anderem der Staatsschutz sowie die Spionage- und Sabotageabwehr.
d) Großbritannien und andere europäische Staaten In Großbritannien besteht als Inlandsnachrichtendienst der Security Service^, dessen Existenz jedoch erst 1989 vom damaligen britischen Innenminister Douglas Hurd eingestanden wurde. Im übrigen kommt den Inlandsnachrichtendiensten in vielen europäischen Staaten früher wie heute staatspolizeilicher Charakter zu; als selbständige Organisationen treten sie daher nur unzureichend in E r s c h e i n u n g . ^ Innerhalb der Polizeiorganisation führen sie zwar ein mehr oder weniger abgeschüttetes Eigenleben, ohne jedoch von der Sicherheits- und Ordnungsverwaltung getrennt zu sein. Als Bei-
staatliche politische Verwaltung), 1922-1934; NKWD - Narodnyj Kommissariat Wnutrennych Djel (russ.: Volkskommissariat fur innere Angelegenheiten [der UdSSR]), 1934-1944; MWD = Ministerstwo Wnutrennych Djel (russ.: Ministerium fur innere Angelegenheiten [der UdSSR]), 1944-1953; KGB = Komitjet gossudarstwennoj besopasnosti (russ.: Komitee für Staatssicherheit), 1953-1991. 50 Russ.: Sicherheitsministerium bzw. -dienst. Seit 1991 soll die Bezeichnung des KGB insgesamt sechsmal gewechselt haben; aufgrund der Eigendynamik dieses "Staates im Staat" sind bisher jedoch alle Versuche einer wirklichen Auflosung gescheitert. Vgl. dazu näher Gerd Rüge, Die andere Macht in Rußland - Was aus dem KGB geworden ist (Fernsehreportage), ARD, 20. 08. 1992, 20.35 bis 21.05 Uhr. 51 Der Security Service (engl.: Sicherheitsdienst) wird oft auch als MI5 ( = "Military Intelligence, section 5") bezeichnet. Seine Leiterin ist z. Zt. Stella Rimington; vgl. Die Welt v. 09. 05. 1992, S. 7. 52 S. auch Brückner/Schmitt, S. 12.
Β. Geschichtliche Einfhrung
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spiele hierfür mögen dienen die französischen D.S.T. oder R.G.&, die belgische *Sûreté de l'Etat"* , die schweizerische Bundespolizei, der österreichische Staatspolizeiliche Dienst oder die Nachrichtendienste in den skandinavischen Ländern. «
3. Neuzeit: Deutschland und Österreich a) Deutscher Bund Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation war die planmäßige und stringente Einrichtung eines übergreifenden Geheimdienstes spätestens nach dem Dreißigjährigen Kriege infolge der Staatenzersplitterung und der Abwesenheit einer Zentralgewalt nicht (mehr) möglich - angesichts der bürgerfeindlichen Zielsetzung der damaligen Dienste vielleicht eines der wenigen Positiva. Dagegen entwickelte sich die geheime Nachrichtenbeschaffung in den deutschen Teilstaaten. Erst der Deutsche Bund (1815-1866) unternahm, bei all seiner Zerstrittenheit und Handlungsunfähigkeit, zaghafte Schritte und setzte, erstmals aufgrund des Bundeszensurgesetzes im Anschluß an die Karlsbader Beschlüsse von 1819, die "Central-Untersuchungs-Commission " in der damaligen Bundesfestung Mainz als Bundesorgan der politischen Polizei ein.57 Deren Aufgabe war die Unterdrückung und Unschädlichmachung liberaler und nationaler Tendenzen im Anschluß an die Napoleonischen Befreiungskriege und das Wartburgfest von 1817,« die freilich als "revolutionäre Umtriebe und demagogische Verbindungen" bezeichnet wurden.59 Als ihre Nachfolgerin kann die "Centraibehörde" des Deutschen Bundes im Anschluß an die französische Julirevolution von 1830, das Hambacher Fest 1832 und den Frankfurter Wachensturm 1833 angesehen werden.« Nach 1848 flaute die Tätigkeit dieser Bundesorgane wieder ab.23 s. dazu sogleich unten, ΙΠ. 2. b.)! 124 So ohne nähere Begründung: BT-Drs. 11/4306, S. 66.
C. Verfassungsrechtliche Legitimation
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c) Mithin ist festzustellen, daß die ausschließliche Bundesgesetzgebungskompetenz fur den M A D sowohl aus Art. 73 Nr. 1 Fall 2 als auch aus Art. 73 Nr. 10 Buchst, b GG entspringt.
2. Verwaltungszuständigkeit a) Die Verwaltungskompetenz für den Bund zur Errichtung des M A D ergibt sich aus Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG, da der Dienst eine d e z e n t r a l · ^ organisierte Einrichtung der Bundeswehr darstellt und mit seiner dreistöckigen Gliederung unmittelbar in die Struktur der Streitkräfte integriert ist. ™ Deshalb kommt eine Einordnung unter die (zivile) Bundeswehrverwaltung nach Art. 87 b GG nicht in Betracht. ™ Aus demselben Grunde kann er auch nicht als herkömmliche Bundesoberbehörde bundeseigener Verwaltung nach den allgemeinen Vorschriften i. S. v. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG oder als Zentralstelle nach Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG qualifiziert werden. Mithin kommen auch die darin enthaltenen institutionellen Gesetzesvorbehalte nicht zur Anwendung; das MADG wäre also zumindest errichtungstechnisch nicht erforderlich gewesen, 128 weil Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG als verfassungsrechtliche Spezialermächtigung für die Strukturierung der Streitkräfte Vorrang genießt. 129 Aus dieser Kompetenznorm ergibt sich die Aufstellungs- und Organisationsbefugnis für die gesamten Truppen, zu denen auch der M A D zählt. 130 In diesem Rahmen ist der Bundesminister der Verteidigung weiterhin nach Art. 65 a GG berechtigt, kraft seiner Befehls- und Kommandogewalt (in F r i e d e n s z e i t e n i 3 i ) allgemeine Grundsätze und Richtlinien für die Organisation und konkrete Arbeit des M A D zu erlassen. 132 Seine Existenz ist somit - anders als die des BND - von Anfang an keinerlei verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt gewesen.
125 Gusy , M A D , S. 61; a. A. Schwagerl , S. 208 m.w.N. 126 Schwagerl , S. 207; Blümel, Rdnr. 104. Näher zu Aufgaben und Struktur des M A D s. unten, 3. Teil, Α.! 127 Roewer, § 1 PKKG, Rdnr. 28. 128 Wohl aber war das M A D G aus datenschutzrechtlichen Gründen im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zur Regelung der Eingriffsbefugnisse des M A D erforderlich; vgl. Denninger/Klein, S. 92; Riegel, Die Tätigkeit der Nachrichtendienste ..., S. 955 f. 129 Ebenso: Gusy, Die Rechtsstellung der Nachrichtendienste, S. 297. 130 Vgl. Karl-Andreas Hernekamp, in: v. Münch, Art. 87 a GG, Rdnrn. 4 und 8; BVerfGE 8, 104(116). 131 Im Verteidigungsfall geht die Befehls- und Kommandogewalt gem. Art. 115 b GG auf den Bundeskanzler über. 132 Gusy, M A D , S. 60 m.w.N.
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1. Teil: Geschichtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen
b) Allerdings könnte der nachrichtendienstlichen Abschirmung durch den M A D im Bundesgebiet der Art. 87 a Abs. 2 GG entgegenstehen, wonach die Streitkräfte, zu denen der Dienst zählt, nur zur Verteidigung oder bei ausdrücklicher Zulassung durch das Grundgesetz eingesetzt werden dürfen. Die Tätigkeit des M A D fällt nicht unter Verteidigung i. S. dieser Vorschrift, 133 die nach allg. M. nur die militärische Abwehr eines Gegners umfaßt, der die Bundesrepublik von außen her mit Waffengewalt angreift. 134 Zwar deckt dieser Begriff auch noch den Streitkräfteeinsatz zur Vorbereitung von Verteidigungsmaßnahmen oder die Herstellung und Stärkung der Verteidigungsbereitschaft bei Ausbildung und Manövern ab; alles dies kann aber nicht mit der nachrichtendienstlichen Aufklärungsaufgabe des M A D gleichgesetzt werden. Auch die ausdrücklichen Einsatzerlaubnisse der Grundgesetzes erweisen sich als nicht einschlägig."* Insofern könnte das MADG, das den M A D zu informationellen Rechtseingriffen ermächtigt, verfassungswidrig sein. Daß dies am Ende doch nicht der Fall ist, ergibt sich aus der Definition des Begriffes "einsetzen" in Art. 87 a Abs. 2 GG. Nach zutreffender h. M. bedeutet "Einsatz" der Streitkräfte nur ihre bewaffnete Verwendung oder aber ihre unbewaffhete Verwendung als Instrument der Exekutive im Landesinnern, die ihrem unmittelbaren Zweck nach Z/mi/zpolitisch nicht neutral ist. ι 3 6 Der Abschirmauftrag des M A D ist demgegenüber zum einen unbewaffhet, zum anderen richtet er sich nicht gezielt gegen eine politische Strömung oder Gruppe, sondern gem. §§ 1 Abs. 1 MADG i. V. mit 4 BVerfSchG ausschließlich gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen. Im Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hat sich der Dienst innenpolitisch völlig neutral zu verhalten. Ferner spricht noch ein zweites Argument gegen die Bejahung des Einsatzbegriffes: Mit Ausnahme der Sonderfalle in § 2 MADG wird der Dienst ausschließlich gegenüber Personen tätig, die dem Geschäftsbereich des Verteidigungsministers angehören oder in ihm tätig sind. Rechtseingriffe außerhalb des Verteidigungsbereiches werden nach dieser Gesetzeslage kaum vorkommen. Die Gefahr einer illegalen innenpolitischen Einflußnahme der Streitkräfte, der nach dem Telos des Art. 87 a Abs. 2 GG entgegengewirkt
133 Zu beachten ist hierbei aber die inhaltsverschiedene Auslegung des Begriffes Verteidigung in der Gesetzgebungskompetenznorm des Art. 73 Nr. 1 Fall 2 GG, vgl. dazu soeben, ΠΙ. l . a ) ! 154 Vgl. BVerfGE 48, 127 (160); BVenvGE 83, 60 (65); Dürig, M / D , Art. 87 a (Lfg. vom August 1971), Rdnr. 22 (zur "Vorwärtsverteidigung" nach Feststellung des Verteidigungsfalles: FN. 5). >35 Die Fälle der Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 sowie 87 a Abs. 3 und 4 GG sind abschließend und umfassen nur den inneren Notstand und Katastrophensituationen. itt So Düng in M / D , ebd., Rdnr. 32 m.w.N.; Knut Ipsen, BK, Art. 87 a (Lfg. 22, Januar 1969), Rdnrn. 31 ff. Näher zum Einsatzbegriff: Jochen Abraham Frowein/Torsten Stein, Rechtliche Aspekte einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen, Berlin u . a . , 1990, insbes. S. 19 ff.
C. Verfassungsrechtliche Legitimation
81
werden soll,»37 besteht durch den M A D somit nicht. Mithin ist ein Verfassungsverstoß nicht auszumachen.
3. Legitimität
im Rahmen der Streitkräfte
Schließlich stellt auch die Frage nach der Legitimität des M A D den Beurteiler kaum vor nennenswerte Probleme: Unter der Prämisse, daß die Existenz von Streitkräften zur nationalen Verteidigung prinzipiell bejaht wird freilich auch nur dann -, kommt man zwingend zu dem Erfordernis, ihre Funktionsfahigkeit sicherzustellen. Rechtsprechung und Literatur folgern dies im übrigen aus der geltenden Verfassungslage gem. Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG. 138 Einen wichtigen Beitrag dazu leistet nach seiner Aufgabenstellung der M A D , der die Bundeswehr, wie oben erwähnt, vor geheimdienstlichen Angriffen schützen und ihre Einsatzbereitschaft gewährleisten soll.
137 Vgl. Dürig, M / D , ebd., Rdnrn. 30 ff. 138 BVerfGE 12, 45 (55); 28, 36 (47); 48, 127 (160); 69, 1 (21 f.); BVerwGE 63, 37 (38); 63, 99 (101); 73, 182 (184); 76, 336 (339); 83, 191 (192); Günter Dürig, M / D , Art. 87 a (Stand 1971), Rdnr. 19 m.w.N.; Dieter Hömig, in: Seifert/Hömig, Art. 87 a, Rdnrn. 2 f. 6 Gröpl
Zweiter Teil
Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
A. Verfassungsschutz als Aufgabe von Bund und Ländern
I. Internationaler Vergleich
Betrachtet man die Organisation des administrativen (oder präziser: nachrichtendienstlicheni) Verfassungsschutzes in der Bundesrepublik, so ist zunächst lapidar festzustellen, daß er nicht auf ein einziges Amt beschränkt oder konzentriert, sondern auf mehrere Bundes- und Landesbehörden verteilt ist, d . h . , daß Bund und Länder jeweils eigene Zuständigkeiten auf diesem Gebiet besitzen. Das mag zunächst nicht weiter verwundern, da die Bundesrepublik föderativ aufgebaut ist und als Bundesstaat mehrere gesamt- und gliedstaatliche Verwaltungsebenen aufweist, die im V I I I . Abschnitt des Grundgesetzes (in den Art. 83 ff.) verwaltungsorganisatorisch einander zugeordnet sind.2 Schon ein rechtsvergleichender Blick auf das Ausland? aber relativiert diese scheinbare Selbstverständlichkeit: Daß historisch gewachsene Einheitsstaaten* wie Frankreich*, Großbritannien* oder (zumindest seit seiner 1 Zur Unterscheidung der einzelnen Begriffsmodalitäten s. ausfuhrlich oben, 1. Teil, C. I. 1.! 2 Vgl. z. B. Maunz/Zippelius, S. 103 f., 111 ff., 335 ff. 3 Daß rechtsveigleichende Studien auf diesem staatlicherseits streng geheimgehaltenen Gebiet noch vor kurzem kaum möglich gewesen wären, unterstreicht Borgs, Verfassungsschutz im internationalen Vergleich, S. 165. Dies schon allein auch deshalb, weil viele westlich orientierte Demokratien diese Materie noch nicht gesetzlich geregelt haben, wie ζ. B. Österreich, Schweden, die Schweiz und paradoxerweise das Frankreich der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution. Borgs, ebd., folgert daher, diese Staaten hätten "rechtspolitisch (...) den Anschluß an eine breite internationale Strömung verpaßt". - Vgl. auch zum Folgenden: Borgs, ebd., S. 165 ff. und bereits 1. Teil, B. (GeschichUicher Überblick). 4 Zum Einheitsstaat: Maunz/Zippelius, S. 102; Creifels/Kauffinann, Stichwort Einheitsstaat.
Α. Verfassungsschutz als Aufgabe von Bund und Ländern
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staatlichen Einigung in den Jahren 1860/61) auch Italien7 die sog. Landerebene nicht kennen und daher auch ihre Inlandsnachrichtendienste, die den bundesdeutschen Verfassungsschutzbehörden funktionell in etwa entsprechen, zentral organisiert haben, bedarf kaum der Erwähnung. Wie aber stellen sich andere Bundesstaaten dieser Organisationsfrage? Hier fällt auf, daß in Fragen des Verfassungsschutzes bzw. der Staatssicherheit gliedstaatliche Einrichtungen durchweg vollends fehlen! Die USA haben diese Staatsaufgabe zentral ihrem FBI* übertragen, Österreich unterhält in Wien den zentral organisierten Staatspolizeilichen Dienst, das sich mehr und mehr bundesstaatlich orientierende Belgien die Sûreté de l'Etat*, Australien die ASIOund Kanada den CS/S11. Selbst die sonst so überausföderalismusbewußte Schweiz kennt keine Kantonsbehörden mit inlandsnachrichtendienstlichen Kompetenzen, auch dort ist die Eidgenössische Bundespolizei zentral mit dem Verfassungsschutz befaßt.!2 Die Bundesrepublik ist, soweit bisher ersichtlich, der einzige föderativ verfaßte Staat der Erde, der auch seinen Verfassungsschutz dem bundesstaatlichen Prinzip unterworfen hat. 13 Sinn und Zweck dieser unter Effizienzgesichtspunkten durchaus zweifelhaften Aufsplitterung ist, wie auch bei vielen anderen bundesdeutschen Sicherheitseinrichtungen, die Vermeidung einer 5 Hier existieren als Geheimdienste die D.S.T. ( = Direction de la surveillance du territoire, dt.: "Abteilung für die Überwachung des Staatsgebietes") und die R.G. (auch D.C.R.G. = Direction centrale des renseignements généraux, dt.: "Zentralabteilung für allgemeine Auskünfte"). S. ο., 1. Teil, Β. Π. 1. und ΠΙ. 2.! 6 Als Inlandsnachrichtendienst besteht dort der Security Service (dt.: Sicherheitsdienst); gesetzliche Grundlage: Security Service Bill v. 21. 01. 1989. Vgl. auch oben, 1. Teil, Β. II. 1. und ΠΙ. 2.! 7 Italien unterhält den SISMI ( = Servizio per le informazioni e la sicurezza militare, dt. etwa: "Nachrichtendienst fur die militärische Sicherheit") und den SISDE ( = Servizio per le informazioni e la sicurezza democratica, dt. etwa: "Nachrichtendienst für die Sicherheit der Demokratie"), die beide verfassungsschützende Aufgaben innehaben und schwer voneinander abzugrenzen sind; gesetzliche Grundlage: Legge 24 ottobre 1977 Nr. 801, Istituzione e ordinamento dei servizi per le informazioni e per la sicurezza e disciplina del segreto di Stato (Gesetz betreffend die Einrichtung und den Aufbau der Nachrichten- und Sicherheitsdienste sowie die Wahrung von Staatsgeheimnissen); vgl. Reinhard Riegel, Zur Regelung der Tätigkeit der Nachrichtendienste im italienischen Recht als Beispiel für eine umfassende VerrechUichung nachrichtendienstlicher Tätigkeit in der Bundesrepublik, RiA 1984, S. 49 ff. 8 FBI = Federal Bureau of Investigation (in Washington D.C.); gesetzliche Grundlagen u. a.: National Security Act of 1947, Foreign Intelligence Surveillance Act of 1978 ( = FISA). 9 Dt.: Staatssicherheit. 10 Auch Australien, amtl.: Australian Commonwealth (dt.: Australischer Bund), ist bundesstaatlich organisiert. ASIO = Australian Security Intelligence Organisation (dt.: "Australische Sicherheitsnachrichtendienst-Organisation"); gesetzliche Grundlage: Australian Security Intelligence Organisation Act 1979 i.d.F. v. 30. 09. 1987. 11 Kanada ist ebenfalls ein Bundesstaat. CSIS = Canadian Security Intelligence Service (dt.: "Kanadischer Sicherheitsnachrichtendienst"); gesetzliche Grundlage: Canadian Security Intelligence Service Act ν. 21. 06. 1984. •2 S. näher dazu Borgs, Verfassungsschutz im internationalen Vergleich, S. 165 ff.; Vogel/ Martens, S. 30 ff. m.w.N. 13 Borgs, ebd., S. 170; ders., Was jeder vom Verfassungsschutz wissen sollte, S. 107,
110.
84
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
zentralen Machtzusammenballung, was auf politischen Vorgaben beruht, die ihrerseits mit der tragischen jüngeren deutschen Geschichte zu erklären sind. u
Π. Das Bundesamt für Verfassungsschutz
"Zentralstelle zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes" (Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG) ist auf Bundesebene das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV).is In § 2 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG wird es als Bundesoberbehörde tituliert, was - ebenso wie seine Binnenstruktur und seine Aufgaben - weiter unten noch näher darzustellen und zu erörtern sein w i r d . 16 Fach- und dienstaufsichtlich untersteht das Amt lt. § 2 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG dem Bundesminister des Innern, d. h. es gehört i. R. d. Ressortprinzips und der Ressortabgrenzung nach Art. 65 Satz 2 GG 1 7 in den Zuständigkeitsbereich des Bundesinnenministeriums, dessen Chef die Ministerverantwortlichkeit für das Amt trägt, w
ΙΠ. Die Landesbehörden für Verfassungschutz
1. Alte Länder Nach § 2 Abs. 2 BVerfSchG unterhält jedes Land "eine Behörde zur Bearbeitung von Angelegenheiten des Verfassungsschutzes". Im alten Bundesgebiet sind dieser gesetzlichen Aufforderung alle Länder nachgekommen. Der 14 Gemeint sind die bitteren Erfahrungen mit der zentral organisierten "Gestapo " im Dritten Reich. Vgl. auch Denninger, Leviathan, S. 364, freilich zur Trennung von Polizei und Verfassungsschutz. Aber auch die "Stasi" der ehem. DDR könnte im nachhinein als abschreckendes und lehrreiches Beispiel dienen. 15 Anfangs stritt der Bundestag darüber, ob die Verfassungsbehörde auf Bundesebene dekonzentriert als Bundesoberbehörde oder (nur) als eine besondere Abteilung integriert im Bundesinnenministerium geschaffen werden sollte und entschied sich letztlich für ersteres Modell, vgl. Stenographisches Protokoll der 65. Sitzung des Deutschen Bundestages v. Ol. 06. 1950, S. 2391 ff.; Borgs/Ebert, § 2 BVerfSchG, Rdnr. 2. 16 Zum Behördencharakter des BfV s. unten, 2. Teil, C. III. und V . ; zu Organisation und Aufgaben des BfV vgl. im einzelnen 3. Teil, Α. I. 1. und 3.! 17 Zum Ressortprinzip des Art. 65 Satz 2 GG vgl. nur Maunz/Zippelius, S. 295 m.w.N. Zu den Einzelheiten vgl. Roewer, § 2 BVerfSchG, Rdnrn. 2 ff.
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neueren rechtswissenschaftlichen Entwicklung entsprechend bestehen dabei als Grundlage fur den nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz (in letzter Zeit zum Teil novellierte) Landesverfassungsschutzgesetze. i* Untergesetzliche Verwaltungsnormen, wie früher teilweise üblich, reichen im Lichte der Volkszählungsentscheidung des BVerfG» und des dabei entwickelten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht mehr aus, da nachrichtendienstliche (Observations-) Maßnahmen, wie sie fur die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden typisch sind, Grundrechtseingriffe darstellen und somit dem Vorbehalt des Gesetzes unterfallen.21
2. Neue Länder Auch die neuen Bundesländer haben zwischenzeitlich entsprechende Landesverfassungsschutzgesetze erlassen und infolge von § 2 Abs. 2 BVerfSchG i. R. d. Aufbaus ihrer Verwaltungen Landesbehörden fiir Verfassungschutz errichtet.22 Aufgrund der noch frischen Erinnerung an die "Stasi" wurde dabei in die meisten der neuen ostdeutschen Landesverfassungsschutzgesetze ausdrücklich eine Unvereinbarkeitsklausel aufgenommen, die politischen, militärischen oder gar geheimdienstlichen Funktionsträgern in der ehemaligen DDR die Mitarbeit in den neuen Verfassungsschutzbehörden verbietet.23
1 9 So ζ. B. das neue baden-württembergische Landesverfassungsschutzgesetz v. 22. 10. 1991 (BW GBl. S. 639), das neue bayerische Verfassungsschutzgesetz v. 24. 08. 1990 (BayGVBl. S. 323) - hierzu: Weber, Das neue Bayerische Verfassungsschutzgesetz, a.a.O. - oder das neue hessische Gesetz über das Landesamt für Verfassungsschutz v. 19. 12. 1990 (Hess GVB1. S. 753) - hierzu: Schriever-Steinberg/Fuckner, Das neue Hessische Verfassungsschutzgesetz, a.a.O. 20 BVerfGE 65, 1 (44). 21 Vgl. nur Badura, Legitimation des Verfassungsschutzes, S. 37 ff.; Kathke, S. 30 ff., 54 ff.; allgemein Degenhart, Rdnrn. 281 ff. 22 So ζ. B. Thüringen, das durch sein Verfassungsschutzgesetz v. 29. 10. 1991 (ThürGVBl. S. 527) ein Landesamt für Verfassungsschutz errichtet hat. Ebenso in Sachsen-Anhalt durch das Gesetz über den Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) v. 14. 07. 1992 (GVB1. LS A S. 590). - Brandenburg wies die Aufgaben des Verfassungsschutzes durch Vorschaltgesetz v. 03. 12. 1991 (BbgGVBl. I S. 540) vorläufig und durch § 2 Abs. 1 BbgVerfSchG v. 05. 04. 1993 (BbgGVBl. I S. 78) seinem Innenministerium zu. Zu bemerken ist dabei, daß dieser Verfassungsschutzbehörde nach § 4 Abs. 1 Satz 2 des Vorschaltgesetzes nachrichtendienstliche Befugnisse noch ausdrücklich versagt waren; dies wurde erst durch die §§ 6 bis 11 BbgVerfSchG geändert, wenngleich auch unter starken Kautelen. 23 Vgl. § 3 Abs. 2 ThürVSG: "Ehemalige hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS/AfNS, Personen mit Offiziersrang der ehemaligen bewaffneten Organe der DDR und ehemalige Mitarbeiter der SED dürfen mit Aufgaben des Verfassungsschutzes grundsätzlich nicht befaßt werden." Vgl. auch Frisch, S. 55 f.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
IV· Regelungsvorgaben des Bundes gegenüber den Ländern
Betrachtet man den einfach-gesetzlichen Kern der deutschen Verfassungsschutzverwaltung, das 1990 novellierte BVerfSchG, näher, so fällt auf, daß sich einige seiner Vorschriften unmittelbar an die Bundesländer richten, indem sie Regelungen aufstellen, denen jene nachzukommen gehalten sind. Damit wird die Frage aufgeworfen, ob diese Normbereiche nicht eine unzulässige "Einmischung" (Ingerenz) des Bundes in Länderangelegenheiten darstellen. Unter Ingerenz sind in diesem Zusammenhang Maßgaben zu verstehen, die der Bundesgesetzgeber den Ländern (ggf. verfassungswidrigerweise) für deren staatlichen Bereich zur Erfüllung vorgibt. Vorauszuschicken ist dabei allerdings, daß es der Grundsatz der föderativen Trennung von Gesamtstaat und Gliedstaaten dem Bundesgesetzgeber keineswegs durchweg verwehrt, bestimmte Funktionen eines Bundesgesetzes durch Landesbehörden und andere durch Bundesbehörden wahrnehmen zu lassen.24 Rechtlicher Maßstab für die Zulässigkeit derartiger Normbefehle ist aber das Grundgesetz.
7. Errichtungsverpflichtung Nach § 2 Abs. 2 BVerfSchG ist jedes Land verpflichtet, "eine Behörde zur Bearbeitung von Angelegenheiten des Verfassungsschutzes" zu unterhalten. Dieser Gesetzesbefehl stellt klar, daß sich kein Bundesland - auch bei abweichenden oder gar entgegengesetzten politschen Anschauungen - der Staatsaufgabe des (nachrichtendienstlichen) Verfassungsschutzes entziehen kann, sondern vielmehr bundesgesetzlich gehalten ist, die entsprechenden Einrichtungen zu schaffen und bereitzuhalten.
a) Politische Widerstände Politisch problematisch könnte diese Verpflichtung wenigstens aus zwei Gründen werden: Zum einen wäre denkbar, daß sich Bundesländer, in denen DIE GRÜNEN i. R. einer Koalition Regierungsverantwortung tragen, weigerten, entsprechende Behörden einzurichten, oder auf deren Auflösung drängten. Denn nach ihrem mehrfach geäußerten Demokratieverständnis sind 24 Daraufhat bereits 1931 Forsthoff, Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat. Beiträge zum öffentlichen Recht der Gegenwart, Bd. 3 (bzw. a.a.O.), S. 125, hingewiesen. Vgl. auch Schneider, S. 4.
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Verfassungsschutzbehörden in der freiheitlichen und auf Grundrechtsschutz der Bürger bedachten Ordnung des Grundgesetzes eher überflüssig, wenn ihr nicht sogar (ζ. B. im Hinblick auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie die Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit) abträglich.25 Zum anderen sind nach dem Normbefehl des § 2 Abs. 2 BVerfSchG auch die beigetretenen fünf neuen Bundesländer verpflichtet, Verfassungsschutzbehörden zu errichten. In Anbetracht der erst nach und nach ans Tageslicht tretenden, unglaublichen Methoden des Ministeriums fur Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR könnte diese Verpflichtung dort auf Widerspruch stoßen.26 Dies zumal dann, wenn man sich die politische Kultur der Bürgerrechtsbewegungen vom Herbst 1989 vergegenwärtigt, deren Hauptforderung unter anderem darin lag, die totalitäre staatliche Überwachung der Burger (die bekanntlich hauptsächlich von der "Stasi" ausging) zu beenden. Hinzu kommt, daß das BVerfSchG zusammen mit dem gesamten datenschutzrechtlichen Sicherheitsgesetzespaket vom Bundestag zu einer Zeit verabschiedet wurde, als der Beitritt der DDR schon abzusehen war, und gar erst danach, am 20. 12. 1990, verkündet wurde, ohne daß den Vertretern der ostdeutschen Bundesländer zuvor eine parlamentarische Mitwirkungsmöglichkeit eingeräumt worden wäre. 27
b) Verfassungsrechtliche Einordnung Unter Außerachtlassung der bereits oben behandelten Frage nach der grundsätzlichen demokratischen Legitimation des administrativen Verfassungsschutzes im Grundgesetz28 stellt sich daher das Problem, ob die Errichtungsverpflichtung des § 2 Abs. 2 BVerfSchG gegenüber den Ländern mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist. Als verfassungsrechtliche Rechtfertigung böte sich hierbei Art. 73 Nr. 10 Buchst, b und c GG an. Dieser Artikel spricht dem Bund fur den Verfassungsschutz und fur die Bekämpfung des Ausländerextremismus aber lediglich die Gesetzgebungszuständigkeit fur die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder zu, woraus sich eine Kompetenz 25 Vgl. ζ. B. Stenografische Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 191. Sitzung v. 25. 01. 1990, S. 14747. 26 Nur die Spitze des Eisbeiges sind bspw. die politischen Morde im Auftrag des MfS; vgl. hierzu DER SPIEGEL v. 08. 06. 1992 (Heft 24/1992), S. 34 ff. Eine halbwegs vollständige Auflistung aller bisher bekannt gewordenen (Menschen-) Rechtsverletzungen der "Stasi " im Laufe der über 40 Jahre ihres Wirkens würde fur sich allein gesehen schon den Umfang einer Dissertation erreichen. 27 Allerdings machte sich der Gesetzgeber durchaus Gedanken darüber, ob das BVerfSchG nicht an die veränderte politische Lage, insbes. in Anbetracht der friedlichen Revolution in der DDR und deren zu erwartenden Beitritt, angepaßt werden solle, wollte aber fur zukünftige Regelungen kein Präjudiz schaffen; vgl. die Nachweise bei Schoen, S. 131 (FN. 25). 28 S. dazu ο., 1. Teil, C. I.!
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
zur Normierung einer Errichtungsverpflichtung nicht automatisch ergibt. Eine teleologische Auslegung dieser Norm fuhrt indes weiter: Wenn der Bund die Zusammenarbeit regeln darf, dann kann er dies nur sinnvoll tun, wenn auch die Länder mit der Aufgabe des Verfassungsschutzes betraut sind und auf diesem Feld "arbeiten". Anderenfalls wäre jede Kooperation illusorisch, denn sie umfaßt ja gerade die Koordination der Tätigkeiten von Bund und Ländern in diesem Bereich. Unterhielte nur der Bund eine Verfassungsschutzbehörde, so käme die Zusammenarbeit einer Einbahnstraße Bund in Richtung der Länder gleich, wenn man diesen Begriff dann überhaupt noch sinnvoll gebrauchen könnte. Demnach obliegen verfassungsschützende Aktivitäten allein schon nach dem Zweck des Regelungsinhaltes von Art. 73 Nr. 10 Buchst, b GG auch den Ländern. Wollen sie dieser verfassungsrechtlichen Aufgabe nachkommen, so müssen sie diese im Bereich ihrer Verwaltung exekutivisch umsetzen und zumindest eine Landesbehörde damit betrauen. Daraus ergibt sich wiederum, daß der Bund den Ländern fur eine effektive Zusammenarbeit im Verfassungsschutz die Behördenerrichtung vorschreiben darf.» In Art. 73 Nr. 10 GG ist ein derartiger Durchgriff von Bundesnormierungen in den gliedstaatlichen Bereich der Länder mithin bereits angelegt. Überdies lassen sich noch weitere Schlußfolgerungen ziehen: Wiewohl Art. 73 Nr. 10 GG im Zuständigkeitsteil des Grundgesetzes zu finden ist und eine kompetentielle Regelung darstellt, lassen sich aus ihm nach allgemeiner und gefestigter Auffassung auch materielle Komponenten ableiten: Denn wenn das Grundgesetz das Gebiet des Verfassungsschutzes zuständigkeitsrechtlich ausdrücklich erwähnt und dem Bund dabei eine Koordinierungsbefugnis zuteilt, dann kann daraus mit Fug und Recht gefolgert werden, daß es eine entsprechende Staatsaufgabe voraussetzt, die sich sowohl dem Bund als auch den Ländern stellt. Mit der gebotenen Einschränkung könnte man von einer Art (versteckter) Staatszielbestimmung im Kompetenzkatalog des Grundgesetzes sprechen, die sowohl den Bund als auch die Länder in die Pflicht nimmt. » Wenn aber auch die Länder mit einer solchen Staatsaufgabe betraut sind, sind sie schon aus diesem Grunde gehalten, Verfassungsschutzbehörden zu errichten. Der Gesetzesbefehl des § 2 Abs. 2 BVerfSchG ordnet sich somit aus teleologischen wie aus staatsfundamentalrechtlichen Gründen in das verfassungsrechtliche Geffige ein; er wiederholt und konkretisiert Aufgaben, die bereits im Grundgesetz angelegt sind. Seine Grundlage findet er in Art. 73 Nr. 10 GG, der den Bundesgesetzgeber u. a. ermächtigt, die Länder
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So auch Evers y BK, Rdnr. 15 a. E. S. bereits oben, 1. Teil, C. I. 2. e); vgl. auch Badura, Legitimation des Verfassungsschutzes, S. 27 f., und BVerfGE 30, 1 (20). 30
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zur Errichtung und Unterhaltung von Verfassungsschutzbehörden zu verpflichten. 31
2. Zusammenarbeitsverpflichtung a) Zusammenarbeit als Bundestreue Eine der Kernaussagen des neuen BVerfSchG wie auch seiner beiden Vorist die Zusammenarbeitspflicht zwischen Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. Dies spiegelt sich sowohl in der Gesetzesüberschrift 33 als auch in der systematischen Stellung dieser Verpflichtung in § 1 Abs. 2 und 3 BVerfSchG wider. Auf der Ebene des Grundgesetzes findet dieser Gesetzesbefehl nahezu wortgleich seine Entsprechung in Art. 73 Nr. 10 GG. Diese Verfassungsnorm stellt m. E. ihrerseits eine konkrete Ausformung des (ungeschriebenen) Grundsatzes der Bundestreue bzw. des bundesfreundlichen Verhaltens im Bundesstaat dar34, hier freilich in besonders stark verdichteter Weise: Gesamtstaat und Gliedstaaten müssen aus naheliegenden Gründen umso enger kooperieren, je existentieller die jeweilige Angelegenheit für das Gemeinwesen ist. Geht es, wie beim Verfassungsschutz, um den Bestand des Staates und seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung, müssen föderalistische Meinungsverschiedenheiten schon um ihrer selbst willen zurücktreten - nach einem Umsturz könnte es sie nämlich überhaupt nicht mehr geben, wie die Gleichschaltung der Länder nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zeigt.35 Mithin ist der Bundesgesetzgeber unmittelbar durch Art. 73 Nr. 10 GG befiigt, die Zusammenarbeit im Verfassungsschutz zwischen Bund und Ländern - nicht bloß zwischen den jeläufer 32
3 » S . a . Borgs/Ebert, vor § 1 , Rdnr. 10 m.w.N.; Badura, S. 32 f.; Rupp, S. 157 f.; Maunz, M / D , Art. 73, Rdnr. 133; Friesenhahn, S. 94; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 223; BVerfGE 30, 1 (20). 32 § 1 BVerfSchG von 1972 und wortgleich § 1 BVerfSchG von 1950. 33 Amtlich: "Gesetz über die Zusammenaibeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über des Bundesamt fur Verfassungsschutz". 34 Zur Bundestreue im allgemeinen vgl. BVerfGE 1, 299 (315); 12, 205 (254), 13, 54 (75); 14, 197 (215), 42, 103 (117); Maunz, HStR, Rdnr. 20. 35 Durch die Gleichschaltung der Länder 1933/34 wurde der Föderalismus der Weimarer Republik faktisch aufgehoben (u. a. durch das Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich v. 31. 03. 1933 [RGBl. I S . 153], durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches v. 31. 01. 1934 [RGBl. I S. 75], durch das Gesetz über die Aufhebung des Reichsrates v. 14. 02. 1934 [RGBl. I S. 89] und durch das Reichsstatthalteigesetz v. 30. 01. 1935 [RGBl. I S. 65]); vgl. auch Hans Fenske, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Auflage, Berlin, 1984, S. 68 f.
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weiligen Verfassungsschutzbehörden - gesetzlich vorzuschreiben und auch näher auszugestalten, was durch das BVerfSchG geschehen ist.
b) Zusammenarbeit und Amtshilfe Was aber bedeutet Zusammenarbeit? In welchem Rahmen darf der Bund hierbei eine Ausgestaltung vornehmen? In § 1 Abs. 3 BVerfSchG ist lediglich bestimmt, daß Zusammenarbeit "auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung" besteht.3« Die Suche nach einer vollständigen Umschreibung bzw. Präzisierung im Grundgesetz oder im einschlägigen einfachen Gesetzesrecht bleibt ohne Erfolg. - Folgende Definition wird von der Literatur angeboten und könnte der Sache nahekommen: Zusammenarbeit ist ein bewußtes und zielgerichtetes Handeln mehrerer Beteiligter durch planvolles Zusammenwirken, um mit vereinten Anstrengungen den gemeinsamen Auftrag zu erfüllen, ohne aber einer gemeinsamen Führung unterstellt zu sein.37 Abzugrenzen ist der Begriff der Zusammenarbeit von dem der Amtshilfe in Art. 35 Abs. 1 GG.3« Amtshilfe ist ζ. B. in den §§ 4 ff. VwVfG näher ausgestaltet und beinhaltet zwar ebenso gegenseitige Unterstützung, womit sie insofern der Zusammenarbeit des § 1 Abs. 3 BVerfSchG entspricht. Sie erfolgt jedoch nur auf Ersuchen oder Anregung einer Behörde durch eine andere in Form von ergänzender Hilfe fur den Einzelfall. Die ersuchte Behörde wird dabei in dem fur sie grundsätzlich nicht offenstehenden Aufgabenbereich der ersuchenden Behörde täig (argumentum e contrario aus § 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG). Sie ist gleichsam nur verlängerter Arm der ersuchenden Behörde und handelt in fremden Gefilden. Die Verantwortung fur die rechtliche Zulässigkeit der Amtshilfe im konkreten Fall verbleibt nach § 7 Abs. 1 HS. 1 VwVfG bei der ersuchenden Behörde.39 Zusammenarbeit dagegen geht nicht nur wesentlich weiter als die Amtshilfe 40, sondern stellt qualitativ ein aliud dar4»: Hier werden Behörden in Erfüllung von jeweils eigenen Aufgaben tätig; ein Ersuchen erledigen sie in diesem Bereich nicht gleichsam altruistisch als Hilfe, die ausschließlich der ersuchenden Behörde angedeihen soll, Nach BVerwG JZ 1984, S. 737 (739), empfängt "die Unterstützung und Hilfeleistung (...) ihren konkreten Inhalt und ihre Grenzen daraus, daß durch sie die rechtmäßige Wahrnehmung der Aufgaben des Empfängers der Hilfe (...) ermöglicht und gewährleistet werden soll." 37 Vgl. dazu auch Borgs/Ebert, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 10 und Roewer, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 3. & Borgs/Ebert, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 10; Roewer, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 3. 39 Zur Amtshilfe vgl. auch Rudolf HStR, Rdnr. 25. 40 So aber Rengeling, Rdnr. 100; vgl. auch BVerwG JZ 1984, S. 737 (739). 41 Zur Problematik der Zusammenarbeit im Bereich der Amtshilfe s. Kalkbrenner, S. 88 f.
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sondern als Angelegenheit, die sie selbst in gleicher Weise angeht und betrifft. 42 Eine Unterscheidung ergibt sich im übrigen schon aus den Wortbedeutungen "Hilfe" - "Zusammenarbeit" und ist in der Verfassung durch die ungleichartige Begriffsverwendung bereits angelegt.43
c) Umsetzung im Landesrecht Die Verpflichtung zu einer solchen Zusammenarbeit aus Art. 73 Nr. 10 GG i. V. mit § 1 Abs. 2 und 3 BVerfSchG wurde auch von den Landesgesetzgebern befolgt und meist ausdrücklich in die jeweiligen Landesverfassungsschutzgesetze aufgenommen: Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BayVSG beispielsweise gibt dem Bayerischen Landesamt auf, in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes mit dem Bund und den anderen Landern zusammenzuarbeiten; ähnliche Regelungen treffen auch § 2 Abs. 6 HessVSG hinsichtlich des Hessischen Landesamtes und § 2 Abs. 3 VerfSchG-LSA für das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt. Interessanterweise fehlt eine solche ausdrückliche Bestimmung ζ. B. im neuen ThürVSG oder im neuen BW LVSG. Dies ist im Ergebnis jedoch unschädlich, da die Zusammenarbeitsverpflichtung bereits in § 1 Abs. 2 BVerfSchG normiert ist und diese Vorschrift unmittelbar auch für die Länder gilt sowie darüber hinaus etwa entgegenstehendem Landesrecht nach Art. 31 GG vorgeht.
d) Kon troll funk ti on der Zusammenarbeit Noch ein anderer Aspekt ist unter dem Gesichtspunkt der Zusammenarbeit im Verfassungsschutz zu nennen, der einen positiven Nebemffzkt erhellt. Die dargelegte enge Kooperation zwischen dem Bund und den Ländern schafft (wohl oder übel) ein dichtes Netzwerk von Beziehungen innerhalb der Verfassungsschutzverwaltung, das zu erhöhter Transparenz der Arbeit der einzelnen Behörden gegenüber ihren Kollegialbehörden beiträgt. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die regelmäßigen Koordinierungsgespräche der Leiter der Verfassungsschutzbehörden. 44 Aufgrund dessen und aufgrund zahlreicher anderer, informeller Kontakte wird ein einzelnes Bundesland schwerlich auf Dauer aus dem grob erarbeiteten gemeinsamen Fahrplan ausscheren 42 Vgl. auch Evers, BK, Rdnr. 15. 43 Herzog, S. 9. 44 S. Borgs, Was jeder vom Verfassungsschutz wissen sollte, S. 116 ff.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
und sich isolieren können. Grundrechtsverletzungen oder gesetzeswidrige Kompetenzüberschreitungen einer Verfassungsschutzbehörde wie ζ. B. die Bespitzelung oder Beeinträchtigung der jeweiligen demokratisch legitimierten Opposition oder übertriebene Bürgerüberwachung werden so durch die anderen Länder und den Bund moniert und leichter verhindert werden können. Dies zumal deshalb, weil im Bund und in den einzelnen Ländern i. d. R. Parteien unterschiedlicher politischer Couleur an der Regierung sind und über die ihnen unterstellten Verfassungsschutzbehörden mittelbar auch Einfluß auf die Tätigkeit der anderen Landesverfassungsschutzbehörden nehmen können.^ Die in der Zusammenarbeit liegende Funktion gegenseitiger Kontrolle ist somit unabweisbar und unter demokratisch-rechtsstaatlichen Gesichtspunkten überaus nutzbringend.4*
3. Aufgabenverpflichtung a) Aufgaben des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes § 3 Abs. 1 und 2 Satz 1 BVerfSchG verpflichtet nicht nur das BfV, sondern auch die jeweiligen Landesverfassungsschutzbehörden zur Erfüllung von bestimmten, enumerati ν aufgezählten Aufgaben.*? Im einzelnen sind dies — — — — — — — —
der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 Fall 1), der Schutz des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 Fall 2), der Schutz vor ungesetzlicher Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe (Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2), der Spionageschutz bzw. die Spionageabwehr (Abs. 1 Nr. 2), der Schutz gegen Ausländerextremismus (Abs. 1 Nr. 3), der personelle Geheimschutz (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1), der (personelle) Sabotageschutz (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) und der materielle Geheimschutz (Abs. 2 Satz 1 Nr. 3).
Als Aufgabenkonkretisierung für die Länder ist ferner § 5 Abs. 1 BVerfSchG aufzufassen, der neben die Sammlung und Auswertung ausdrücklich noch die Übermittlung an das BfV vorschreibt.^
45 Ähnlich Roewer, § 2 BVerfSchG, Rdnr. 44; Schwagerl, S. 117. 46 Vgl. auch Roewer, Datenverarbeitung und Informationsübermittlung, S. 47 Vgl. dazu im einzelnen unten, 3. Teil, Α. I.! S. dazu unten, E. IV.!
III.
Α. Verfassungsschutz als Aufgabe von Bund und Lndern
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b) Verpflichtung der Landesverfassungsschutzbehörden: Meinungsstand Da auch die Landesverfassungsschutzbehörden durch die genannte Vorschrift unmittelbar verpflichtet werden, die aufgezahlten Aufgaben zu erfüllen, erhebt sich die Frage, ob dies i. R. d. Bundeskompetenz überhaupt zulässig ist, d. h. ob der Bundesgesetzgeber den Ländern dies verbindlich vorschreiben durfte. Die Grundlage fur eine derartige Befugnis kann nur in Art. 73 Nr. 10 GG zu finden sein. Gusy ist vor diesem Hintergrund der Auffassung, daß das legislatorische Vorgehen des Bundes, den Ländern Aufgabeninhalte vorzugeben, nicht mehr von seiner Gesetzgebungskompetenz gedeckt sei, die nur die Zusammenarbeit umfasse, und dies somit einen Eingriff in die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers nach Art. 30 i. V. mit 70 GG darstelle. § 3 BVerfSchG sei mithin insoweit verfassungswidrig. 49 Ausdrücklich anderer Ansicht sind das BVerwG* ο und Roewer, der meint, daß Art. 73 Nr. 10 GG nicht nur die Form und Adressaten, sondern auch das Gebiet (d. h. die Aufgabeninhalte) der Zusammenarbeit regele.
c) Eigener Lösungsansatz Beide Meinungen erscheinen bei näherer Untersuchung vorschnell, weil zu undifferenziert: Ausgangspunkt fur eine tragfahige Lösung muß der Wortlaut der Verfassung sein, die dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über "die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder" im Verfassungsschutz (Nr. 10 Buchst, b) und im Bereich des Ausländerextremismus (Nr. 10 Buchst, c) einräumt. Aufgrund der 3 1 . G r u n d g e s e t z ä n d e r u n g » wurde der Begriff "Verfassungsschutz" in der Verfassung selbst legaldefiniert als Schutz "der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes". Eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern auf eben diesem Gebiet setzt nun aber wie gesehen« zwingend voraus, daß sich die Länder auch mit der Aufgabe des Verfassungsschutzes befassen. Anderenfalls wäre eine effektive Zusammenarbeit erst gar nicht möglich. Daraus kann weiterhin gefolgert werden, daß der Bund den Ländern 49 Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 204, freilich noch zum BVerfSchG a. F., das sich insoweit aber nur unwesentlich vom BVerfSchG n. F. unterscheidet. Ahnlicher Auffassung scheint auch Bull, Anmerkung zu BVenvG, S. 740, zu sein, wenn er pauschal behauptet, das BVerfSchG (a. F.) besage "nichts über die Aufgaben und Befugnisse der Landesamter." 50 BVenvGE 69, 53 (57 f.) = BVerwG JZ 1984, S. 737 (738) mit Verweisen auf einschlägige Literatur, die allerdings von Bull in seiner Anmerkung zum Urteil, JZ 1984, S. 740, als ungenaue Zitate kritisiert werden. 51 A.a.O., § 3 BVerfSchG, Rdnr. 133. 52 V . 28. 07. 1972 (BGBl. I S. 1305). 53 S. ο.: IV. 1. b)!
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
den Verfassungsschutz inhaltlich zur Aufgabe machen darf (nicht muß), um die Zusammenarbeit zu ermöglichen. Der Bund konkretisiert hier also auf einfach-gesetzlicher Ebene nur eine Aufgabe, die den Landern bereits aufgrund des verfassungsrechtlichen Befehls obliegt. Aufgabennormierungen des Bundes fur die Länder, die sich nicht mit dem Verfassungsschutz decken, müssen jedoch eine andere verfassungsrechtliche Beurteilung erfahren.
aa) Verfassungsschutz
i. e, S. und Ausländerextremismus
Als erste Konsequenz ist daher festzustellen, daß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BVerfSchG, der exakt die Aufgabe Verfassungsschutz im engeren Sinne, wie sie im Grundgesetz definiert ist, umfaßt, verfassungsmäßig ist. Insofern verdient Roewers These von der Gebietsregelungskompetenz also Zustimmung. Nicht anders verhält es sich mit dem Aufgabenzuweisungsbefehl des § 3 Abs. 1 Nr. 3 BVerfSchG, der bzgl. des Ausländerextremismus die Formulierung des Art. 73 Nr. 10 Buchst, c GG nahezu wörtlich übernimmt.^
bb) Begriffsinkongruenz
von GG und BVerfSchG
Problematisch bleiben aber die übrigen Aufgaben, deren Erfüllung den Ländern in § 3 BVerfSchG zur Pflicht gemacht wird und die sich auf den ersten Blick nicht unbedingt mit Verfassungsschutz in der engen Bedeutung, die ihm durch das Grundgesetz gegeben wurde, decken. Bei genauerer Betrachtung sticht dabei eine Inkongruenz der Aufgaben ins Auge: Offenbar mißt das BVerfSchG als einfaches Bundesgesetz dem Verfassungsschutz einen weiteren Kompetenzinhalt zu als die Verfassung, wenn es in § 3 BVerfSchG auch Aufgaben darunter fallen läßt, deren Einordnung unter Art. 73 Nr. 10 Buchst, b oder c GG Schwierigkeiten bereitet.
cc) Spionageabwehr Als erstes fällt hier die Spionageabwehr auf. Ein geschickter Schachzug wäre nun, diese Aufgabe kurzerhand auch unter den Verfassungsschutz i. S. v. Art. 73 Nr. 10 Buchst, b GG zu subsumieren, wie dies Roewer wohl zu tun geneigt ist. Eine großzügige Betrachtungsweise würde dies vielleicht auch vertretbar erscheinen lassen. Andererseits wird dieser Weg bei genauerer Analyse aber vom Gesetzgeber des BVerfSchG selbst erschwert, der in § 4 Abs. 1 BVerfSchG die einzelnen Elemente des in Art. 73 Nr. 10 54 Dies ist der gemeinsame Mindestbestand von Aufgaben fur eine sinnvolle Zusammenarbeit i. S. von Ait. 73 Nr. 10 GG, vgl. BVerwGE 69, 53 (57); Schoen, S. 128.
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Buchst, b GG näher definierten Verfassungsschutzes (Bestand und Sicherheit des Bundes oder eines Landes; freiheitliche demokratische Grundordnung) nochmals detaillierter umschreibt. Gemeinsames Merkmal dieser Legaldefinitionen ist unter anderem das Handeln fur einen Personenzusammenschluß. Gerade diese Komponente läßt sich indes schwerlich mit der in § 3 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG anvisierten nachrichtendienstlichen Tätigkeit eines ausländischen Staates ("einer fremden Macht"55) in Verbindung bringen, da ein Spion oder - euphemistisch gesprochen - Kundschafter fur einen fremden Staat, nicht aber für einen Personenzusammenschluß handelt. "Personenzusammenschluß" als mehr oder weniger verschworene Gemeinschaft ist jedoch nicht mit "Staat" als gesamtgesellschaftliches Organisationsphänomen gleichzusetzen. Damit fallt die Spionageabwehr nicht unter die genannten Definitionen. Anders verhielte es sich nur im Falle einer massiven ausländischen Beeinträchtigung, die auf die Bildung von willfahrigen Aktionsgruppen im Innern der Bundesrepublik in Verbindung mit direkter politischer Einflußnahme (ζ. B. durch Desinformation 56, Erpressung, Nötigung u. dgl.) abzielte, was einer qualifizierten und damit völkerrechtswidrigen Spionage gleichkäme5? und vom Staatsterrorismus nicht weit entfernt wäre.58 Denn dann fielen zumindest die inländischen Sympathisantengruppen als Personenzusammenschlüsse unter § 4 Abs. 1 BVerfSchG und könnten auf diesem Wege eine verfassungsschützende Spionageabwehr rechtfertigen. Einen weiteren Ausweg eröffnet § 4 Abs. 1 Satz 4 BVerfSchG, der ausnahmsweise von dem gemeinsamen Tatbestandsmerkmal des Personenzusammenschlusses absieht und auf Bestrebungen von Einzelpersonen abstellt, "wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen". Ein Spion handelt zumeist als Einzelperson. Allerdings wird er in den seltensten Fällen Gewalt anwenden wollen. Ferner ist in Anbetracht der realen Möglichkeit eines Spions, seinem Auftraggeber jeweils nur bruchstückhafte Informationen zu übermitteln, sehr fraglich, ob er als Einzelperson die Rechtsgüter des Verfassungsschutzes tatsächlich erheblich zu beschädigen vermag. Angesichts dieser Anhäufung von unbestimmten Rechtsbegriffen verliert sich eine eindeutige Subsumtion im Nebulösen; eine befriedigende und verbindliche Lösung scheint kaum mehr möglich. Insofern mutet es doch recht zweifelhaft an, die Abwehr der "einfachen " Spionage nach der vom Gesetz selbst aufgestellten Logik als vom Verfassungsschutz im engeren Sinne 55 Zum Begriff "fremde Macht": Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 54 f. 56 Zum Begriff vgl. oben, 1. Teil, Α., und Ritter, S. 25 ff. 57 S. oben, 1. Teil, C. II., Verfassungsrechtliche Legitimation des BND. 58 Zum "Staatsterrorismus" vgl. Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 44 (FN. 48) und 52.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
des Grundgesetzes umfaßt sehen zu wollen. Im Rückschluß ist somit festzustellen, daß diese Aufgabe in einem ersten Anlauf wohl nur mit großen Bedenken der in Art. 73 Nr. 10 GG aufgestellten Regelungskompetenz des Bundesgesetzgebers fur die Länder unterfallt. Fazit: Insoweit wäre § 3 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG verfassungswidrig. Zu einem anderen Ergebnis käme man nur, wenn man die Umschreibung von Verfassungsschutz in Art. 73 Nr. 10 Buchst, b GG anders, nämlich viel weiter auslegen wollte als die in den §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 und 4 Abs. 1 BVerfSchG. Eine derartige Begriffsverschiedenheit ließe sich jedoch mit keinerlei vernünftigem Argument rechtfertigen, zumal sich das BVerfSchG mit seinem § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 stark an die Verfassungsbestimmung des Art. 73 Nr. 10 GG anlehnt.
dd) Schutz der Verfassungsorgane Weiter zu untersuchen ist die Aufgabe des Schutzes der Verfassungsorgane in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BVerfSchG. Anders als bei der Spionageabwehr drängt sich hier die Feststellung auf, daß sich jede ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung eines Verfassungsorgans zwingendermaßen auch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nach der Definition des § 4 Abs. 2 Buchst, b BVerfSchG richtet und diese automatisch korrumpiert. Durch eine solche Beeinträchtigung wird nämlich die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung bzw. der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht - als Vorrang der Verfassung bzw. des Gesetzes ein Fundamentalbestandteil des Rechtsstaates - in jedem, wenn auch unbedeutenderen Falle in Mitleidenschaft gezogen. Mithin unterfällt diese Aufgabe dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und damit dem Verfassungsschutz. Nach dem oben entwickelten Gedankengang kann der Bund die Länder also diesbezüglich wirksam zur Aufgabenerledigung verpflichten, womit die Annahme einer Verfassungswidrigkeit ausscheidet.
ee) Sabotageschutz Es bleiben die Mitwirkungsaufgaben gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG. Der (personelle) Sabotageschutz (Nr. 2) unterfallt unschwer der Definition der Sicherheit des Bundes oder eines Landes gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst, b BVerfSchG und damit dem Verfassungsschutz, da ein wie auch immer gearteter Angriff auf lebenswichtige Einrichtungen auch eine konkrete Gefahr für die Funktionsfahigkeit des Bundes oder eines Landes darstellt. Auch hier ist jedoch wiederum das Tätigwerden fur einen Personenzusam-
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menschluß Voraussetzung. Beim typischen Fall der terroristischen Aktionen ist dies ohne weiteres gegeben.59 Anders verhielte es sich nur bei Angriffen einzelner Saboteure im Auftrage einer "fremden Macht", die nicht mit einem Personenzusammenschluß gleichzusetzen ist. Hier eröffnen sich die selben Probleme wie oben im Bereich der Spionageabwehr.
ff) Personeller und materieller
Geheimschutz
Personeller und materieller Geheimschutz (Nrn. 1 und 3) allerdings stehen mit dem Verfassungsschutz nach der in § 4 BVerfSchG gebrachten Definition nur in mittelbarem Zusammenhang. Der Schaden durch Geheimnisverrat ist zwar unabweisbar und mag sich in allerletzter Konsequenz auch stets gegen die verfassungsmäßigen Grundlagen des Staates richten; die eigentlichen Güter des Verfassungsschutzes werden jedoch durch ihn weder zwangsläufig noch unverzüglich oder ohne Zwischenakt beeinträchtigt. Wollte man auch hier eine unproblematische Einordnung unter die Begriffe des § 4 BVerfSchG annehmen, so würde der Begriff Verfassungsschutz außerordentlich weit ausgedehnt mit dem extremen Ergebnis, daß letztlich alle Bedrohungslagen gegen beliebige Rechtsgüter des Staates unreflektiert darunter subsumiert werden könnten. Eine Verwässerung, die zwangsläufig auf eine Kompetenzunordnung hinausliefe, wäre unvermeidlich. Insofern könnte der Bund auch hier seine Gesetzgebungszuständigkeiten überschritten haben.
gg) Zwischenergebnis Das vorläufige Ergebnis der Untersuchung ist somit gespalten: Die (einfache) Spionageabwehr sowie der personelle und materielle Geheimschutz lassen sich nicht mehr unmittelbar und reibungslos unter den Verfassungsschutz, wie ihn das Grundgesetz und die Umschreibung des § 4 BVerfSchG verstehen, einordnen, die anderen Aufgaben indes schon. Nur bei jenen also befände sich der Bund mit einer obligatorischen Aufgabenzuweisung an die Länder auf verfassungsrechtlich bedenklichen Geleisen. Mit dieser Feststellung wird bereits ein Abgrenzungsproblem sichtbar, das zwar in der einschlägigen Literatur behandelt, jedoch nicht zu absoluter Zufriedenheit gelöst ist: die Abgrenzung von Verfassungs- und Staatsschutz. Denn die (einfache) Spionageabwehr und der Geheimschutz bewegen sich wie dargetan am Rande des Verfassungsschutzes im engeren Sinne und fallen tendenziell bereits unter
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Zum Terrorismusbegriff vgl. Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 41.
7 Gröpl
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
den allgemeineren, weiteren Begriff des Staatsschutzes, dessen Regelungsbefugnis dem Bund durch Art. 73 Nr. 10 GG nicht mehr eingeräumt wird.»
hh) Sachzusammenhang Welche Lösung bietet sich als Ausweg aus diesem Abgrenzungsdilemma an? Beurteilt man die in § 3 BVerfSchG umfassend geregelten Aufgaben für Bund und Länder aus dem Blickwinkel der Praxis, so muß die Frage erlaubt sein, ob die oben dargelegte, minutiöse Differenzierung von Aufgaben, die dem Verfassungsschutz gerade noch oder nicht mehr unterfallen, nicht ihrerseits untunlich und mit dem Geist der Verfassung noch zu vereinbaren ist. Denn Spionageabwehr oder Geheimschutz sind klassischerweise Aufgaben der Inlandsnachrichtendiensteei und stehen mit den übrigen Verfassungsschutzaufgaben in einem engen Bedingungszusammenhang. Ohne sie wäre deren Gesamtkonzeption lückenhaft und selten wirkungsvoll. Insofern ist durchaus daran zu denken, fur die problematischen Regelungsbereiche der Spionageabwehr und des Geheimschutzes im Bereich der Länder eine Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangsto anzunehmen. Ungeschriebene Gesetzgebungszuständigkeiten wie solche kraft Sachzusammenhangs, kraft Natur der Sache oder kraft Annex entsprechen der deutschen Verfassungsrechtstradition; sie wurden auch von der Rechtsprechung des BVerfG übernommen und gebilligt, wenngleich mit vorsichtigen, kautelarischen Einschränkungen: Eine Sachzusammenhangskompetenz ist danach nur gegeben, wenn eine dem Bund zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne daß zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene Materie mitgeregelt wird. Voraussetzung und gleichzeitig Schranke für eine derart übergreifende Bundesgesetzgebung ist jedoch, daß die Regelung der nicht ausdrücklich zugewiesenen Materie "unerläßliche Voraussetzung" für eine sinnvolle Regelung der Materie ist, die dem Bund ausdrücklich zugewiesen ist.« Um ein Sachgebiet zu "beackern", muß der Bund also notwendig auch ein anderes Sachgebiet "auspflügen", weil das ihm ausdrücklich zugewiesene und das
60 Zu Unterscheidung zwischen Staats- und Verfassungsschutz s. auch unten, 4. Teil, Β. Π. 1.! 61 S. dazu ζ. B. die rechtsvergleichenden Ausführungen von Borgs, Verfassungsschutz im internationalen Vergleich, S. 170 ff. 62 Dazu und zum Folgenden allgemein: Maunz/Zippelius, S. 322 f.; Badura, Staatsrecht, D 55 f.; Maunz, M / D , Lfg. 20, Nov. 1982, Art. 70, Rdnrn. 45 ff.; Degenhart, Rdnrn. 101 ff.; Martin Bullinger, Ungeschriebene Kompetenzen im Bundesstaat, AöR 96 (1971), S. 237 ff.; Hans-Jürgen Wipfelder, Die Theoreme "Natur der Sache" und "Sachzusammenhang" als verfassungsrechtliche Zuordnungsbegriffe, DVB1. 1982, S. 477 ff., der in diesem Zusammenhang von bloßen Interpretationshilfen spricht. « BVerfGE 3, 407 (423); 26, 246 (256).
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ihm nicht ausdrücklich zugewiesene sich überschneiden.64 Bei der Annahme einer Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs im allgemeinen wie auch bei der hier vorliegenden Materie des Verfassungsschutzes im besonderen ist also besondere Vorsicht geboten: Der schmale Steg dieser Bundeskompetenz endet leicht an Ufern, die der Bund nach der Zuständigkeitsordnung des Grundgesetzes nicht betreten darf. Allzu leicht könnte dadurch nämlich die Ausgangsvermutung bzw. Residualkompetenz des Art. 30 GG zugunsten der Länder ausgehebelt und eine unzulässige, weil stillschweigende Verfassungsänderung entgegen Art. 79 Abs. 1 GG vorgenommen w e r d e n . « Keinesfalls darf der Verfassungsschutz i. S. d. genannten Vorschriften zu weit ausgelegt bzw. mit scheinbaren, in Wirklichkeit aber gebietsfremden Sachzusammenhängen in Verbindung gebracht werden. Das unerwünschte und verfassungswidrige Ergebnis wäre dann nämlich, daß der gesamte staatliche Sicherheitsbereich, also die Gefahrenabwehr im weiten Sinne, unter "Verfassungsschutz" fiele. Dann würde auf diesem Wege einer Deformierung des grundgesetzlichen Kompetenzgefüges Tür und Tor geöffnet, die von der traditionellen Polizeihoheit der Länder nichts mehr übrig ließe.« Spionageabwehr und Geheimschutz mögen, wie eben gesehen, vielleicht nicht unmittelbar unter die dem Bund durch Art. 73 Nr. 10 GG verliehene Gesetzgebungskompetenz fallen. Gleichwohl lassen sie sich thematisch nur schwer von den übrigen in § 3 BVerfSchG geregelten Materien trennen. Es wäre ein absonderliches Kuriosum, wollte man jene Teilbereiche aus der Zusammenarbeitspflicht herausfallen lassen und fur sie eine eigene Landesgesetzgebungskompetenz hinsichtlich der Aufgabennormierung postulieren. Das seltsame Ergebnis wäre, daß die Spionageabwehr und der Geheimschutz infolge möglicher parteipolitischer Dissonanzen in den einzelnen Ländern unterschiedliche gesetzliche Aufgabenausformungen erhielten, was sicherlich nachhaltige Auswirkungen auf die Sicherheitslage in der gesamten Bundesrepublik hätte. Die umfassende Regelung auch dieser Aufgaben durch ein einheitliches Bundesgesetz kann damit als unerläßliche Voraussetzung für die Normierung des gesamten Verfassungsschutzes angesehen werden. Man wird annehmen dürfen, daß der Bundesgesetzgeber kraft Sachzusammenhangs mit Art. 73 Nr. 10 Buchst, b und c GG befugt war, auch diese Aufgaben als für die Länder verbindlich vorzuschreiben. Denn die dem Bund und den Ländern zugewiesene Materie des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes kann vernünftiger- und verständigerweise nur geregelt werden, wenn zugleich damit auch Spionage- und Geheimschutz mitgeregelt werden.
64 So treffend v. Münch, Art. 70, Rdnr. 18. 65 Degenhart, Rdnrn. 101 ff.; BVerfGE 10, 89 (101); 12, 205 (228, 251). 66 So auch Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen..., S. 201. Zur Abgrenzung von Staats- und Verfassungsschutz s. i. ü. unten!
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
4. Übermittlungsverpflichtung a) Problemlage Ferner fallen weitere Einzelvorschriften im neuen BVerfSchG auf, mit deren Regelungsinhalt der Bund ggf. unzulässigerweise in Landeskompetenzen eingreifen könnte: § 5 Abs. 1 BVerfSchG verpflichtet die Länder, die von ihnen gesammelten verfassungsschutzrelevanten Informationen dem BfV und den übrigen Landesverfassungsschutzbehörden zu übermitteln. §5 Abs. 3 BVerfSchG gibt umgekehrt dem BfV auf, die Landesbehörden über verfassungsschutzrelevante Unterlagen zu unterrichten.& Beide Verhaltensvorschriften werden ergänzt durch § 6 Satz 1 BVerfSchG, wonach die Landesbehörden für Verfassungschutz beim BfV gemeinsame Dateien führen müssen, die im automatisierten Verfahren genutzt werden.« Sowohl § 5 Abs. 1 als auch § 6 BVerfSchG bringen für die Landesverfassungsschutzbehörden Pflichten mit sich, die ihre tägliche Arbeit bei Ermittlung und Auswertung nachhaltig beeinflussen.
b) Ausfluß der Zusammenarbeit Besieht man sich diese scheinbar oktroyierten Maßregeln jedoch genauer, so wird deutlich, daß sie mit der allgemeinen Bund-Länder-Zusammenarbeit im Verfassungsschutz korrelieren. Durch sie wird diese enge föderative Kooperation näher ausgestaltet bzw. zu einem wesentlichen Teil sogar erst ermöglicht, und zwar vor allem für den Teilbereich der elektronischen Datenverarbeitung. Der damit auf die Beine gestellte Informationsverbund der Verfassungsschutzbehörden untereinander bringt mithin nicht föderalismusfeste Bastionen der Länder ins Wanken, sondern effektiviert und konkretisiert die Zusammenarbeit von Gesamtstaat und Gliedstaaten im Verfassungsschutz, ohne die eine Aufspaltung dieser Aufgabe auf Bundes- und Landesbehörden nur schwerlich vorstellbar wäre. Die §§ 5 Abs. 1 und 6 BVerfSchG haben ihre Wurzeln also in der verfassungsrechtlich gebotenen Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Verfassungsschutz aus Art. 73 Nr. 10 GG und können somit nicht unzulässig in Landeskompetenzen eingreifen; nach rechtsmethodologischen Überlegungen müssen sie dem § 1 Abs. 2 und 3 BVerfSchG als leges speciales vorgehen.
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Vgl. näher dazu unten, E. IV.! § 14 BVerfSchG konkretisiert seinerseits den Begriff der automatisierten Datei. Zur Definition der Datei vgl. i. ü. § 3 Abs. 2 BDSG. 68
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c) Einfluß auf die landesgesetzliche Befugnisnormierung? Gusy hegt(e) nun Bedenken dahingehend, daß sich die Lander bei einer extensiven Auslegung der Übermittlungspflicht für die Landesverfassungsschutzbehörden gegenüber dem BfV aus § 5 Abs. 1 BVerfSchG gezwungen sehen könnten, landesrechtliche Vorkehrungen dafür zu treffen, daß ihre Behörden über alle theoretisch möglichen Verfassungsschutzangelegenheiten in ihrem Bereich ausreichend informiert wären, um in der Lage zu sein, sie dem Bund oder anderen Ländern offenzulegen. So könnte der Bund mit dieser Übermittlungsverpflichtung erreichen, den Ländern den Inhalt ihrer Verfassungsschutzgesetze (insbesondere auf dem Gebiet der Befugnisnormen) praktisch vorzuschreiben.«* Gusys Einwände bezogen sich allerdings auf § 4 Abs. 2 BVerfSchG a. F., in dem es wortgemäß hieß, daß die Länder den Bund über alle Verfassungsschutzangelegenheiten, von denen sie Kenntnis erhalten, unterrichten sollten. Zwischenzeitlich wurde die Übermittlungspflicht in § 5 Abs. 1 BVerfSchG neu gefaßt, womit das Problem entschärft bzw. ihm sogar der Boden entzogen ist: Nach der neuen Gesetzeslage brauchen die Landesverfassungsschutzbehörden dem BfV nurmehr die Informationen zu übermitteln, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben i. R. ihrer Befugnisse tatsächlich gesammelt und ausgewertet haben. War eine unzulässige Bundesingerenz in Richtung auf landesrechtliche Befugnisnormierungen schon nach der alten Gesetzeslage fraglich*), so erscheint sie nunmehr völlig ausgeschlossen. Die Übermittlungspflicht in § 5 Abs. 1 BVerfSchG stellt folglich lediglich eine konkretisierende Ausformung der Zusammenarbeitspflicht aus Art. 73 Nr. 10 GG dar und nimmt zudem Bezug auf die Aufgabenstellung der Länder (Sammlung und Auswertung von Informationen), deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz bereits soeben hinterfragt wurde. Sie bewegt sich auf verfassungsgemäßem Boden.
5. Weisungsrechte Eine weitere Ingerenz des Bundes auf Landesebene könnte schließlich das Weisungsrecht des § 7 BVerfSchG bedeuten, durch das die Bundesregierung bei Angriffen auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes ermächtigt wird, den obersten Landesbehörden die für die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund auf dem Gebiete des Verfassungsschutzes erforderlichen Weisungen zu erteilen. 69
Gusy y Bundes- und Landeskompetenzen S. Gusy y ebd.
S. 204.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
a) Inhalt von Weisungsrechten Nach allgemeiner Definition sind Weisungen Handlungsvorgaben mit dem Anspruch auf Befolgung.Durch sie greift die anweisende Stelle über reine Rechtsfragen hinaus unmittelbar in den Beurteilungs- und Ermessensspielraum der angewiesenen Stelle ein und ersetzt damit deren Zweckmäßigkeitserwägungen.
b) Allgemeine Problematik Die Frage, ob und inwieweit dem Bund oder einzelnen Bundesbehörden überhaupt Weisungsbefiignisse gegenüber den Ländern bzw. Landesbehörden zustehen können, ist bereits des öfteren erörtert w o r d e n . ^ Im Grundgesetz selbst sind derartige Kompetenzen an verschiedenen Stellen normiert: So z. B. i. R. d. Landesvollzuges von Bundesgesetzen gem. Art. 84 Abs. 5 und 85 Abs. 3, bei Naturkatastrophen gem. Art. 35 Abs. 3, zur Durchführung des Bundeszwanges (Bundesexekution) nach Art. 37 Abs. 2, im Notstandsfall nach Art. 91 Abs. 2 oder im Verteidigungsfall gem. Art. 115 fGG. Weisungsrechte, die offensichtlich darüber hinausgehen, erscheinen fragwürdig: Im Bereich der Kriminalpolizei, der wie der nachrichtendienstliche Verfassungsschutz ebenfalls unter die Zusammenarbeitskonzeption des Art. 73 Nr. 10 GG fallt und insofern (cum grano salis) einen vergleichbaren Parallelfall darstellen dürfte, steht dem Bundeskriminalamt (BKA) nach § 5 Abs. 5 BKAG ein koordinierendes Weisungsrecht gegenüber den zuständigen Landeskriminalämtern zu. η Ob und inwiefern solche Ingerenzen einer Zentralstelle, die sich nicht recht in die grundgesetzlichen Vorgaben einzupassen scheinen, (verfassungs-) rechtlich zulässig sind, war und ist Anknüpfungspunkt mancherlei Diskussion.74
71 Roewer, § 5 BVerfSchG, Rdnr. 9. 72 Vgl. nur Evers, BK, Rdnr. 16; Kern, S. 260; Schneider, S. 6 u. 9; Röttgen, S. 88/98/121. Allgemein: Maunz/Zippelius, S. 290, 340 f., 407, 409. 73 Dazu: Evers, BK, Rdnr. 20 m.w.N.; Götz, Rdnr. 355; Vogel/Martens, S. 64; Loeser, Theorie und Praxis der Mischverwaltung, S. 192 f. 74 Für den Bereich des administrativen Verfassungsschutzes vgl. Kratzer, S. 534 f.; Köngen, S. 98 f.; Schmidt, S. 26 f.; v. Mangoldt/Klein, Art. 87 Anm. IV. 4. b) bb) (S. 2275) m.w.N.; Scheuner, Gegenstand und Träger des Verfassungsschutzes, S. 67 f.; Evers, BK, Rdnrn. 16 und 20; Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 205; Loeser, Theorie und Praxis der Mischverwaltung, S. 192 f.
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c) Entwicklung der Weisungsrechte in der Verfassungsschutzverwaltung Für den hier allein interessierenden nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz stellte sich diese Frage jedoch niemals mit gleicher Schärfe: § 5 BVerfSchG a. F. begründete zwar ein zweifaches Weisungsrecht, das jedoch in keinem Falle dem BfV selbst zustand: Normadressat von § 5 Abs. 1 BVerfSchG a. F. war die Bundesregierung, Voraussetzung war ein Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung (sog. politisches Weisungsrecht); Normadressat von § 5 Abs. 2 BVerfSchG a. F. war der Bundesminister des Innern i. R. d. gemeinsamen Aufgaben nach § 3 BVerfSchG (sog. administratives Weisungsrecht).75 Durch die Novellierung des BVerfSchG im Jahre 1990 wurde das Problem unzulässiger Ingerenzen weiter minimiert: Das administrative Weisungsrecht des ehemaligen § 5 Abs. 2 BVerfSchG a. F. zugunsten des Bundesinnenministers findet keine Entsprechung im neuen BVerfSchG mehr. Lediglich das politische Weisungsrecht der Bundesregierung im ehemaligen § 5 Abs. 1 BVerfSchG a. F. wurde wortgleich in den neuen § 7 BVerfSchG übernommen, 7 *
d) Das administrative Weisungsrecht Auf das ehemalige administrative Weisungsrecht ist daher hier nur mehr der historischen Vollständigkeit halber und in der gebotenen Kürze einzugehen. An seiner Verfassungsmäßigkeit wurde bereits seit jeher gezweifelt? 7 , da dadurch, daß ein Bundesminister den Landesverfassungsschutzbehörden administrative Vorgaben machen durfte, die Verwaltungskompetenz der Länder nach Art. 30 GG hätte unterminiert werden können.7« Die h. M. rechtfertigte die Existenz dieses verwaltungsmäßigen Weisungsrechtes gleichwohl mit unterschiedlichen Beweisführungen: Entweder wurde vorgebracht, daß dieses Recht aus dem Wesen einer Zentralstelle folge, deren Errichtung durch Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG für den Verfassungsschutz ermöglicht worden war. ™ Oder aber man stützte diese Befugnis auf die Besonderheit des Art. 73 Nr. 10 GG mit seinem organisationsrechtlichen Inhalt, der dem Bund derar-
75 Zur Begriffsunterteilung in "politisches" und "administratives" Weisungsrecht vgl. Köngen, S. 98; Schmidt, S. 26. 76 Eine rein orthographische Änderung erfuhr nur der Begriff "oberste Landesbehörden", dessen Adjektiv zuvor groß ("Oberste Landesbehörden") geschrieben wurde. 77 Vgl. BT-Verhandlungen, 1. Wahlperiode 1949, Stenographische Berichte, Bd. 4, S. 2388 f. (Abgeordneter Dr. Etzel). Zur Entstehungsgeschichte dieses Weisungsrechtes s. Borgs/Ebert, § 5 BVerfSchG, Rdnr. 3 m.w.N. 78 Roewer, § 5 BVerfSchG, Rdnr. 10; Herzog, S. 10. 79 So v. Mangoldt/Klein, Art. 87, Anm. IV. 4. b) bb) (S. 2275).
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
tige Koordinierungsbefugnisse gewähre.80 Gusy hingegen gelangte mit beachtenswerten Argumenten zu dem Ergebnis, daß § 5 Abs. 2 BVerfSchG a. F. verfassungswidrig sei.81 Denn einerseits folge aus der Zusammenarbeitsverpflichtung des Art. 73 Nr. 10 GG nicht zwingend ein Verhältnis der Überund Unterordnung, das eine Abweichung von den normierten Verwaltungstypen der Art. 83 ff. GG gestatte, und andererseits dürften unter Berufung auf die Funktion einer Zentralstelle nach Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG nicht die austarierten Weisungsbefugnisse der Art. 84 und 85 GG ausgehebelt werden. Wie dem auch sei: In der Verwaltungspraxis kam dieses administrative Weisungsrecht niemals zur A n w e n d u n g . 8 * Auch dies mag - neben der verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit - ein Grund dafür gewesen sein, daß es i. R. d. Gesetzesnovellierung eliminiert wurde.
e) Das politische Weisungsrecht Anders verhält es sich mit dem politischen Weisungsrecht des ehemaligen § 5 Abs. 1 BVerfSchG a. F., das sich im neuen § 7 BVerfSchG wiederfindet. Auch dieses Ingerenzrecht war seit seiner Entstehung Zulässigkeitszweifeln ausgesetzt, die sich auf denselben Argumentationsschienen wie beim administrativen Weisungsrecht bewegten.« Allerdings kam es anders als § 5 Abs. 2 BVerfSchG a. F. während der Anfangsjahre der Bundesrepublik in mehreren Fällen praktisch zur Anwendung.84
aa) Norm- und Weisungsadressaten Normadressat der Vorschrift ist die Bundesregierung, die dabei mit Stimmenmehrheit gem. Art. 65 Satz 4 GG i. V. mit §§ 15 Abs. 1 Buchst, e,
80 Evers, BK, Rdnr. 16 und 20; Maunz, M / D , Rdnr. 34; Schmidt, S. 27; Scheuner, Gegenstand und Träger des Verfassungsschutzes, S. 67; Borgs/Ebert, § 5 BVerfSchG, Rdnr. 4. 81 Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 205. Borgs/Ebert, § 5 BVerfSchG, Rdnr. 1; Roewer, § 5 BVerfSchG, Rdnr. 10. 8 3 Borgs/Ebert, § 5 BVerfSchG, Rdnr. 3 m.w.N. 84 So i. R. d. Unterhindung und der Verbote der Vereinigungen, die sich Anfang der 50er Jahre im Auftrag der SED fur die Volksbefragung gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands stark machten: insbes. die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN), die "Freie Deutsche Jugend" (FDJ), der "Gesamtdeutsche Arbeitskreis fur Land- und Forstwirtschaft" (GALF) und das "Deutsche Arbeiterkomitee gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands" (DAK). Außerdem bei der Auflösung der neofaschistischen "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) samt der "Reichsfront" als ihrer aktivistischen Untergliederung und des paramilitärischen "Freikorps Deutschland". In allen Fällen ersuchte die Bundesregierung die Länder zum repressiven Tätigwerden. Ausfuhrliche weitere Nachweise bei Borgs/Ebert, § 5 BVerfSchG, Rdnrn. 13 ff.
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20 ff. GeschO BReg entscheiden muß.85 Weisungsadressat sind die obersten Landesbehörden, d. h. regelmäßig die Landesinnenministerien, nicht hingegen die Landesverfassungsschutzbehörden. 86
bb) Restriktive
Tatbestandsvoraussetzungen
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 BVerfSchG sind im übrigen sehr eng: Es muß ein Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes vorliegen. Ein Angriff ist jede unmittelbar bevorstehende oder noch nicht abgeschlossene Verletzung des Schutzgutes der verfassungsmäßigen Ordnung des Bundes.87 Vorsatz wird hierbei auf Seiten des Angreifers meist vorliegen, ist m. E. jedoch nicht unbedingte, begriffsimmanente Voraussetzung.88 Die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes kann schon aufgrund des unterschiedlichen Wortlauts nicht unbesehen mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nach Art. 73 Nr. 10 Buchst, b GG, § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG gleichgesetzt werden; vielmehr muß diesem Begriff ein weiterer Bedeutungsgehalt zukommen: Verfassungsmäßige Ordnung umfaßt nicht nur die unabdingbare Grundordmxng gem. § 4 Abs. 2 BVerfSchG, sondern auch den Bestand und die Unversehrtheit des Bundes sowie die Funktionsfahigkeit der einzelnen Verfassungsorgane im Grundgesetz einschließlich ihrer gegenseitigen Zuordnungen. Warum dieser Begriff in § 7 BVerfSchG Verwendung findet und sonst in keiner anderen Bestimmung des Kontextes, erscheint unklar. Ebensogut hätte man die Begriffsmerkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BVerfSchG (freiheitliche demokratische Grundordnung, Bestand und Sicherheit des Bundes) übernehmen können, die in § 4 BVerfSchG gesetzlich umschrieben sind. Anwendungsfall für einen derartigen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes dürfte hauptsächlich der innere Notstand gem. Art. 91 GG 8 9 sein, dessen außerordentliche Vollmachten
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*
Borgs/Ebert, § 5 BVerfSchG, Rdnr. 5 (FN. 9). F. Wagener, Äußerer Aufbau von Staat und Verwaltung, in: König/v. Oertzen/Wagener (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden, 1981, S. 83 ff. 87 Vgl. Herbert Tröndle, in: Dreher/Tröndle, Strafgesetzbuch und Nebengesetze (Kurzkommentar), 45. Auflage, München, 1991, § 32 StGB, Rdnr. 4 m.w.N. Es spricht nichts dagegen, diese strafrechtliche Definition i. R. d. Einheit der Rechtsordnung auf das Verfassungsschutzrecht zu übertragen, zumal eine andere Bedeutungsrichtung nicht ersichtlich ist. 88 Α. Α.: Borgs/Ebert, § 5 BVerfSchG, Rdnr. 7, der eine vorsätzliche und schwerwiegende Gerichtetheit fordert. 89 Der innere Notstand liegt lt. Legaldefinition des Art. 91 Abs. 1 GG bei einer drohenden Gefahr fur den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes vor - die Gefahr tritt ein, wenn diese Schutzgüter unmittelbar gefährdet werden, d. h. vor allem bei Aufruhr oder Staatsstreichen; vgl. Roewer, § 5 BVerfSchG, Rdnr. 6 m.w.N. 86
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Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
§ 7 BVerfSchG benachbart sind.90 Roewer will darunter auch noch den Verteidigungsfall subsumieren,9^ was indes nicht notwendig erscheint: Wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall lt. Legaldefinition des Art. 115 a Abs. 1 Satz 1 GG), stehen der Bundesregierung nach Art. 115 f Abs. 1 Nr. 2 GG allemal besondere Weisungsrechte gerade auch gegenüber den Landesregierungen zu, ohne daß sie sich auf § 7 BVerfSchG berufen müßte. Relevant wäre indes unter Umständen der Spannungsfall gem. Art. 80 a GG, der indes in § 7 BVerfSchG nicht erwähnt ist und daher aus seinem Anwendungsbereich herausfallen muß.
cc) Weisungsobjekte Interessant an § 7 BVerfSchG ist weiterhin, daß sich sein politisches Weisungsrecht allgemein auf die Zusammenarbeit im Verfassungsschutz bezieht. Fraglich ist, welche Verwaltungsbereiche davon umfaßt sind. Mangels näherer Spezifikation bleibt die Vorschrift eine Antwort schuldig. Bei einengender Auslegung wäre davon nur der Bereich des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes betroffen. Eine weitherzige Interpretation bezöge hingegen sämtliche Verwaltungsbereiche ein, die sich mit dem Verfassungsschutz im materiellen Sinne, also mit dem Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sowie des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes befassen; Weisungsobjekte wären dann ζ. B. auch die Polizeien oder Staatsanwaltschaften der Länder. Gegen eine solch weite Ausdehnung spräche, daß dadurch der Regelungsbereich des BVerfSchG, das sich hauptsächlich mit Organisation, Aufgaben und Befugnissen des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes befaßt, überschritten wäre. Damit würde auch die differenzierte Kompetenzbalance zwischen Bund und Ländern im Verwaltungsbereich der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung insgesamt in Mitleidenschaft gezogen, weil die aus § 7 BVerfSchG erwachsenden Ingerenzrechte des Bundes sich dann auf weite Teile des Sicherheitsrechtes erstreckten. Dem wird aber entgegenzuhalten sein, daß schon die Grundkonzeption des BVerfSchG über die Aufgaben und Befugnisse der nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzbehörden hinausreicht: § 1 Abs. 2 BVerfSchG spricht generell von einer Zusammenarbeit des Bundes und der Länder im Verfassungsschutz und lehnt sich dabei eng an Art. 73 Nr. 10 Buchst, b GG an, aus dem auch keine akribische Restriktion auf die Verfassungsschutzverwaltung im engeren Sinne herauszulesen ist. Die Bedenken, daß dadurch etwaigen Ingerenzen des Bundes auf Landesebene Tür und Tor geöffnet würden, könnten mit dem Argu90 9
Vgl. Köngen, a.a.O. S. 99. 1 A.a.O., § 5 BVerfSchG, Rdnrn. 5 und 7.
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ment zerstreut werden, daß das Weisungsrecht tatbestandlich auf die Zusammenarbeit im Verfassungsschutz beschränkt ist und nur bei einem Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes eingesetzt werden darf. Daß solche Fälle sehr selten sind, beweist die Praxis.** Daher begegnet die weite Auslegung des § 7 BVerfSchG, die über die nachrichtendienstliche Verfassungsschutzverwaltung hinausreicht, letztlich keinen durchgreifenden Einwänden.
dd) Verfassungsrechtliche
Einordnung
Nach den eben geschilderten Einzelfragen stellt sich schließlich die schon oben aufgeworfene Frage, ob ein politisches Weisungsrecht wie in § 7 BVerfSchG verfassungsrechtlich überhaupt Bestand haben kann.» Maßstab dafür kann nur das Grundgesetz sein, mit dem eine derartige Ingerenz zu vereinbaren sein muß. Wie bereits aufgezeigt gesteht das Grundgesetz dem Bund in einigen Vorschriften ein Weisungsrecht gegenüber den Ländern zu. Unter eine dieser Fallgruppen müßte sich § 7 BVerfSchG einordnen lassen. Tatbestandlich scheiden von vornherein aus die Weisungsrechte in Katastrophenfällen nach Art. 35 Abs. 3 GG und zur Ausführung des Bundeszwanges gem. Art. 37 Abs. 2 GG, denn § 7 BVerfSchG nimmt darauf inhaltlich ersichtlich in keiner Weise Bezug. Auch Art. 85 Abs. 3 GG kann schon allein deshalb nicht zur Anwendung kommen, weil die Verfassungsschutzverwaltung offensichtlich keine Bundesauftragsverwaltung darstellt.94 Kleina und Maunz? 6 scheinen das Weisungsrecht auf das Wesen der Zentralstelle gründen zu wollen, die gerade dadurch einen bedeutenden Teil ihrer Koordinierungsbefugnisse erhielte. Für § 7 BVerfSchG trifft dies aus zweierlei Gründen nicht zu: Erstens steht das dort geregelte Weisungsrecht nicht der Zentralstelle, dem BfV, zu, sondern der Bundesregierung. Und zweitens dürfen genauso wie beim administrativen Weisungsrecht - durch Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG nicht die Direktionsrechte der Art. 84 Abs. 5 und 85 Abs. 3 GG für den Gesetzesvollzug umgangen bzw. ausgehebelt werden.9? Roewer tendiert offenbar dazu, § 7 BVerfSchG mit dem inneren Notstand des Art. 91 GG gleichzusetzen und diesen auch als verfassungsrechtliche Legiti-
92 Von dem politischen Weisungsrecht Bundesregierung nur in den frühen 50er § 5 BVerfSchG, Rdnrn. 13 ff. » Vgl. oben, Α. IV. 5. b)! 94 Vgl. näher dazu unten: Β. Π. 2. a)! « S. v. Mangoldt/Klein, Art. 87 Anm. 96 Maunz, M / D , Art. 87, Rdnr. 55. 97 Vgl. dazu auch Gusy, Bundes- und auf § 5 Abs. 2 BVerfSchG a. F.
des alten § 5 Abs. 1 BVerfSchG a. F. machte die Jahren Gebrauch, vgl. nochmals Borgs/Ebert,
IV. 4. b) bb) (S. 2275). Landeskompetenzen ..., S. 205, freilich mit Blick
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mation heranzuziehen.98 Wiewohl § 7 BVerfSchG dem Art. 91 GG benachbart 99 oder teleologisch eng mit ihm verwandt sein mag, sind beide Vorschriften jedoch nicht deckungsgleich: Denn die auch als "Bundesintervention" bekannte Vorschrift des Art. 91 Abs. 2 GG begründet Weisungsrechte für die Bundesregierung nur, wenn die tatbestandlich vorausgesetzte drohende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung für das Gebiet eines Landes (Satz 1) oder mehrerer Lander (Satz 3) besteht und das Land bzw. die Länder zu ihrer Bekämpfung nicht willens oder in der Lage sind. Nach § 7 BVerfSchG muß der Angriff hingegen auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes erfolgen. Davon abgesehen bezieht sich Art. 91 GG auf Weisungen im sicherheitsrechtlichen (polizeilichen) Bereich, während § 7 BVerfSchG auf Weisungen für die Zusammenarbeit abzielt. Aufgrund dieser erheblichen tatbestandlichen Abweichungen wäre es verfehlt, die Existenz des § 7 BVerfSchG mit Art. 91 GG rechtfertigen zu wollen. Eben meint daher wohl vorsichtiger, daß § 7 BVerfSchG dem Art. 91 GG in etwa gleichkomme und mit seinem Rechtsgedanken ggf. analog herangezogen werden könne, ohne allerdings auf die verfassungsrechtliche Problematik näher einzugehen.100 Definitiv abwegig kann ein solcher Gedanke sicherlich nicht sein, aber letztlich auch nicht voll überzeugend: Denn mit dem gleichen Recht ließe sich auch der Umkehrschluß vertreten, wonach der Verfassungsgeber außerhalb der Notstandsvorschrift des Art. 91 GG per argumentum e contrario dem Bund gerade keine Weisungsrechte zusprechen wollte. Daher zaubert die h. M. das politische Weisungsrecht des § 7 BVerfSchG mit einem interpretatorischen Kunstgriff aus dem Zylinder der Zusammenarbeit in Art. 73 Nr. 10 GG hervor, wenn auch in limitierter Form. 101 Dagegen lassen sich jedoch, basierend auf den berechtigten und überzeugenden Einwänden Gusys™2, Bedenken anmelden: Die Regelung der Zusammenarbeit setzt nicht notwendig Weisungsrechte des Bundes gegenüber den Ländern voraus, die eine Durchbrechung der Art. 83 ff. GG über den Gesetzesvollzug rechtfertigen könnten. Vielmehr zeigen die Art. 84 Abs. 5 und 85 Abs. 3 GG Voraussetzungen und Grenzen für Weisungsrechte auf, die es zu beachten gilt - auch bei der Zusammenarbeit im Verfassungsschutz, für die insofern nichts anderes gelten kann.
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A.a.O., § 5 BVerfSchG, Rdnr. 5 f. zum alten BVerfSchG. Köngen, S. 99. 100 Borgs/Ebert, § 5 BVerfSchG, Rdnr. 2, freilich noch vor der Novellierung des BVerfSchG. 101 Noch bezogen auf § 5 Abs. 1 BVerfSchG a. F.: Evers, BK, Rdnr. 16; Maunz, M / D , Art. 87, Rdnr. 55; Schmidt, S. 26; Scheuner, Gegenstand und Träger des Verfassungsschutzes, S. 67; Schneider, S. 9; Köngen, S. 98; Schwagerl, S. 115; Kern, S. 260 (fur das BKA). 102 Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 205, wiederum bezogen auf das administrative Weisungsrecht des § 5 Abs. 2 BVerfSchG a. F. 99
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Warum also in die Ferne juristischer Komplikationen schweifen, wenn eine einfache Lösung so nahe liegt? M. E. bietet Art. 84 Abs. 5 GG selbst die beste und unangreifbarste Grundlage fur § 7 BVerfSchG. Voraussetzung dafür ist freilich, daß es sich bei diesem politischen Weisungsrecht um einen zur Landesausführung eines Bundesgesetzes gehörenden Bestandteil handelt. Dies wird von vielen Seiten bestritten, erscheint im Ergebnis aber dennoch tragfähig, wie weiter unten noch zu beweisen sein wird."» Denn im BVerfSchG finden sich eine Reihe von Vorschriften, die länderausführungsbedürftig sind (insbesondere § 3). Und eine Weisung für die Zusammenarbeit würde auch zur Ausführung dieses Bundesgesetzes gereichen, dessen Hauptzweck lt. § 1 Abs. 2 BVerfSchG gerade die Bund-Länder-Kooperation ist. Norm- und Weisungsadressaten stimmen ferner in § 7 BVerfSchG und Art. 84 Abs. 5 GG völlig überein. Die erforderliche Zustimmung des Bundesrates gem. Art. 78 Fall 1 GG liegt für das neue BVerfSchG ebenfalls vor. 104 Mit der Beschränkung des Weisungsrechtes auf Angriffe gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes ist schließlich auch dem Erfordernis einer Einzelanweisung für besondere Fälle in Art. 84 Abs. 5 Satz 1 GG Genüge getan. Mithin ist kein ernster Grund dafür ersichtlich, warum § 7 BVerfSchG kein Anwendungsfall von Art. 84 Abs. 5 GG sein sollte. Daher hält das politische Weisungsrecht des § 7 BVerfSchG einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand.
ee) Inhaltliche Überdehnung? Ein letzter Aspekt soll in diesem Zusammenhang Erwähnung verdienen: der der inhaltlichen Ausgestaltung der Zusammenarbeit durch die weisungsbefugte Bundesregierung. § 7 BVerfSchG ermächtigt sie nämlich, im Einzelfall die Zusammenarbeit mit verbindlicher Wirkung für die Länder näher zu bestimmen. Damit könnte der Bundesregierung die Möglichkeit zu einer Begriffskonkretisierung nach eigenem Belieben eröffnet werden, was vom föderalistischen Standpunkt aus betrachtet bedenklich stimmte. Denn mit Hilfe dieser Institution würde es dem Bund leicht gemacht, unter dem Deckmantel der Zusammenarbeit eigene Kompetenzen zu überdehnen und in den Zuständigkeitsbereich der Länder einzudringen. Die Weisung wäre dann mit einer scharfen Waffe zu vergleichen, die dem Föderalismus unter Umständen Wunden beibrächte, welche durch die stumpfe allgemeine Zusammenarbeitspflicht in § 1 Abs. 2 BVerfSchG nie gerissen worden wären. Das Ergebnis wäre eine Interpretation der Zusammenarbeit durch ein exekutivisches Bundesorgan, die als verpflichtender Maßstab unmittelbar auf die Länder durchschlüge. Bei 103 Unter Β. Π. 2. b)! 104 S. den Einleitungssatz in BGBl. 1990 I S. 2955.
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eingehenderer Betrachtung entbehren solche Befürchtungen aber jeglicher Grundlage: Im neuen BVerfSchG ist nur noch das politische Weisungsrecht des ehemaligen § 5 Abs. 1 BVerfSchG a. F. verblieben; tatbestandlich ist seine Anwendung an extreme Ausnahmesituationen geknüpft (an einen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes), die seit den frühen 50er Jahren nicht mehr akut eingetreten sind. Wenn solche Fälle aber derart selten sind, dann steht der Bundesregierung auch ebenso selten ein Weisungsrecht zu, mit dem sie unzulässige Ingerenzen vollfuhren könnte. Eine wirkliche Gefahr fur den Föderalismus geht von einer kaum denkbaren Uberdehnung des § 7 BVerfSchG daher nicht aus.
6. Tarnpapiere und Tarnkennzeichen Eine letzte Bundesingerenz auf Landesebene i. R. d. Verfassungsschutzverwaltung findet sich an sehr versteckter Stelle: Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG darf das BfV unter anderem Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffting wie Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden.105
a) Befugnisnormen fur alle Nachrichtendienste Systematisch und rechtslogisch einwandfrei befindet sich diese Vorschrift im Befugniskatalog, der dem BfV zur Erfüllung seiner Aufgaben Rechtfertigungstatbestände fur Grundrechtseingriffe bereitstellt.10« So dürfen die Mitarbeiter des BfV beispielsweise falsche Personalausweise oder Pässe herstel1 en 107 und ihre Dienstfahrzeuge mit gefälschten oder falschen Nummernschildern versehen, um bei ihren nachrichtendienstlichen Ermittlungen unerkannt 105 Tarnpapiere und Tarnkennzeichen zählen, ebenso wie die Verschlüsselung bei der Informationsübermittlung sowie Arbeits- oder Tarnnamen der Mitarbeiter der Nachrichtendienste, zu den sog. nachrichtendienstlichen Hilfsmitteln, die nicht unmittelbar auf Informationsbeschaffung gerichtet sind, sondern diese nur vorbereiten oder unterstützen. Vgl. Borgs/Ebert, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 146; Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 175; kritisch: Gusy, Befugnisse des Verfassungsschutzes ..., S. 1291.. 106 Ähnliche Befugnisse werden den Landesverfassungsschutzbehörden meist durch die jeweiligen Landesverfassungsschutzgesetze eingeräumt (Vgl. nur § 6 Abs. 1 BW LVSG; Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayVSG; § 3 Abs. 2 Satz 1 HessVSG; § 6 Abs. 1 ThürVSG; § 7 Abs. 4 und 5 VerfSchG-LSA). Im vorliegenden Zusammenhang mit möglichen Bundesingerenzen sind sie indes ohne Bedeutung. 107 Beispielsweise um den im nachrichtendienstlichen Bereich üblichen Gebrauch von Tarnnamen zu gewährleisten. Zu Tarnnamen im BND vgl. Porzner, in: STERN v. 21. 11. 1991 (Heft 48/1991), S. 294.
Α. Verfassungsschutz als Aufgabe von Bund und Ländern
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zu bleiben. Die gleichen Befugnisse werden auch den anderen Nachrichtendiensten des Bundes zu ihrer Aufgabenerfüllung eingeräumt, wenn § 4 Abs. 1 Satz 1 MADG für den M A D und § 3 Satz 1 BNDG fur den BND gesetzestechnisch auf § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG verweisen. Insofern stellt sich die im folgenden zu beleuchtende Problematik fur alle Nachrichtendienste des Bundes in gleicher Weise.
b) Grund- und strafrechtliche Aspekte Außer Betracht bleiben sollen hier jedoch die grundrechtsspezifischen Fragen zwischen Staat und Bürger, die sich um das nachrichtendienstliche Mittel, zu dem auch Tarnpapiere und Tarnkennzeichen zählen, ranken. 108 Auch auf die strafrechtliche Seite kann mit Rücksicht auf die Themenstellung dieser Arbeit nicht eingegangen werden."»
c) Gesetzgebungskompetenz Unter dem Blickwinkel unzulässiger Bundesingerenzen allein interessant ist die Tatsache, daß die nachrichtendienstlichen Bundesbehörden durch die Herstellung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen verfassungswidrig in Länderkompetenzen eingreifen könnten. Die Regelungen zur Ausgabe von Pässen, Personalausweisen und Kraftfahrzeugkennzeichen finden sich in Bundesgesetzen bzw. Bundesrechtsverordnungen: Für (Reise-) Pässe ist die Grundlage das PaßG, für Personalausweise das PersAuswG und für Kraftfahrzeugkennzeichen § 23 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung^ 0. Diese bundesrechtlichen Normierungen finden ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung in den Gesetzgebungskompetenzen der Art. 71 i. V. mit 73 Nr. 3 GG (für Paß- und Personalausweisangelegenheiten) bzw. Art. 72 i. V. mit 74 Nr. 22 GG (für das Straßenverkehrswesen). 108 Vgl. dazu zuletzt Gusy, Befugnisse des Verfassungsschutzes ..., a.a.O. m.w.N. 109 §§ 22 und 22 a StVG stellen den Mißbrauch von Kraftfahrzeugkennzeichen u. dgl. unter Strafe. Fraglich ist demgemäß, inwieweit sich die Mitarbeiter der Nachrichtendienste strafbar machen, wenn sie Nummernschilder zu Einsatzzwecken falschen oder falsch herstellen. § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG wird hier wohl als strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund zu werten sein, der die Rechtswidrigkeit der nach §§ 22 f. StVG tatbestandsmäßigen Handlungen entfallen läßt. Ebenso dürfte es sich bei der Herstellung von Tarnpapieren mit den Urkundendelikten nach §§ 267 ff. und 348 StGB verhalten; vgl. hierzu näher Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 176. StVZO i. d. F. der Bek. v. 28. 09. 1988 (BGBl. I S. 1793) mit spät. Änd., erlassen mit Zustimmung des Bundesrates aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung des § 6 Abs. 1 Nr. 5 StVG.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
d) Verwaltungskompetenz aa) Länderzuständigkeit Die Vollziehung dieser Vorschriften erfolgt regelmäßig durch Landesbehörden: in Paß- und Personalausweissachen nach § 19 Abs. 1 Satz 1 PaßG durch die Paß- und Personalausweisbehörden der Lânderm, hinsichtlich der Kraftfahrzeugkennzeichen gem. § 68 Abs. 1 StVZO durch die Zulassungsbehörden der L ä n d e r l i2. Nur in einigen Ausnahmefallen unmittelbarer Bundesverwaltung bestehen nach § 68 Abs. 3 StVZO bundeseigene Fachzulassungsstellen. us Auf verfassungsrechtlicher Ebene findet dieser Landesvollzug seine Rechtfertigung in der Ausgangsvermutung zugunsten der Länder nach Art. 30 und 83 GG.
bb) Durchbrechung durch begrenzte Bundesvollzugshoheit Wenn nun aber die Nachrichtendienste des Bundes durch § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG zur eigenen Herstellung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen ermächtigt werden, so könnte damit der Landesvollzug in diesem Bereich partiell durchbrochen werden. Diese Ausnahmevorschrift begründete also eine neue, gegenständlich begrenzte Vollzugshoheit des Bundes.114 So weit, so gut; aber auch diese bundesgesetzliche Ausnahmeregelung muß sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben messen lassen. Grundsätzlich kann die Ausgangsvermutung des Landesvollzugs nach Art. 83 GG nur widerlegt werden, wenn das Grundgesetz selbst etwas anderes zuläßt. Gusy meint vor diesem Hintergrund, daß Ausnahmen von diesem Grundsatz regelmäßig einer gesetzlichen Grundlage bedürften. Diese erblickt er in § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG selbst, das seinerseits mit der Zustimmung des Bundesrates verabschiedet worden sei und auf Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG beruhe. Damit sei die Ausgabe von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen durch Bundesbehörden verfassungsrechtlich unbedenklich.1^ Diese Argumentationsführung vermag so indes nicht zu überzeugen, beinhaltet sie doch einen gefahrlichen
111 In Bayern sind dies die Gemeinden, vgl. Art. 3 und 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes über Personalausweise und des Paßgesetzes (BayAGPersPaßG) v. 07. 03. 1987 (BayGVBl. S. 72). 112 In Bayern sind dies die Kreisverwaltungsbehörden, vgl. Art. 8 Abs. 1 des Gesetzes über die Zuständigkeiten im Verkehrswesen (BayZustGVerk) v. 28. 06. 1990 (BayGVBl. S. 220) i. V . mit § 2 Abs. 1 der Verordnung über Zuständigkeiten für die Zulassung von Personen zum öffentlichen Straßenverkehr v. 14. 04. 1991 (BayGVBl. S. 126). 113 Vgl. die enumerative Aufzählung in § 68 Abs. 3 StVZO: Dienstbereiche der Bundeswehr, der Deutschen Bundesbahn, der Deutschen Bundespost und des Bundesgrenzschutzes. 114 So auch Gusy, Befugnisse des Verfassungsschutzes a.a.O, S. 1290. 115 Gusy, Befugnisse der Verfassungsschutzes S. 1290 (insbes. FN. 23).
Α. Verfassungsschutz als Aufgabe von Bund und Ländern
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Zirkelschluß: Ausnahmen von der Vollzugsvermutung zugunsten der Lander bedürfen nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 83 GG nicht nur einer gesetzlichen, sondern einer grundgesetzlichen Rechtfertigung. Anderenfalls könnte der Bundesgesetzgeber bei Vorliegen seiner Kompetenz nach Art. 71 ff. GG durch einfaches Bundesgesetz den Landesvollzug und damit das gesamte Regelungswerk der Art. 83 ff. GG nach Belieben aushöhlen. Aber gerade um die Rechtfertigung von § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG geht es ja - eine Norm kann nicht zugleich Rechtfertigungsgegenstand und Rechtfertigungsmittel sein; mit anderen Worten: Eine mögliche Verfassungswidrigkeit kann nie durch sich selbst gerechtfertigt werden. Auch Gusys Berufung auf Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG erscheint fragwürdig: Nach dieser Vorschrift können bei dringendem Bedarf bundeseigene Mittel- und Unterbehörden mit Zustimmung des Bundesrates errichtet werden, wenn dem Bund in Gebieten, für die ihm die Gesetzgebung zusteht, neue Aufgaben erwachsen. Nicht klar ist, auf welche neuen Bundesmittel- und -Unterbehörden sich Gusy beziehen will. Keiner der drei Nachrichtendienste des Bundes kann als Mittel- oder Unterbehörde qualifiziert werden. Allenfalls ließe sich argumentieren, daß die Nachrichtendienste bei der Herstellung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen Aufgaben wahrnähmen, die sonst von landeseigenen Mittel- oder Unterbehörden vollzogen werden. Selbst dann aber bleiben die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen, das Erwachsen von neuen Aufgaben und der dringende Bedarf in dieser Angelegenheit, fraglich. Mir scheint der Inhalt des Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG daher überhaupt nicht auf den vorliegenden Fall zu passen.
cc) Eigener Lösungsansatz: Funktioneller
Unterschied
Der Ansatz zur Lösung dieses Problems muß m. E. anders gewählt werden: Führt man sich den Charakter von Tarnpapieren und Tarnzeichen näher vor Augen, so wird schnell deutlich, daß sie mit Paß-, Personalausweis- und Kraftfahrzeugzulassungsangelegenheiten im eigentlichen Sinne wenig zu tun haben. Alle drei Bereiche dienen der Registrierung und Kennzeichnung von Personen oder Sachen und bringen teilweise spezielle Berechtigungen (ζ. B. zum Grenzübertritt gem. § 1 Abs. 1 PaßG) oder Legitimationen (ζ. B. im privatrechtlichen Verkehr gem. § 4 PersAuswG) mit sich. Damit aber haben Tarnpapiere und Tarnkennzeichen von ihrer Funktion her nichts gemein. Ihr Zweck ist vielmehr ein rein reaktiver: Da das Mitsichführen von Legitimationspapieren und -kennzeichen im täglichen Verkehr aufgrund der paß- und straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen allgemein üblich, häufig sogar unumgänglich geworden ist, wird ihre Benutzung auch durch die Mitarbeiter der Nachrichtendienste wie selbstverständlich erwartet. Aus verständlichen
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
Gründen des Aufklärungszwecks und auch des Personen- und Sachschutzes können diese aber ihre Identität oftmals nicht offenlegen und sind somit zur Verwendung von Tarnkennzeichen und Tarnpapieren gezwungen. Die Ausstellung derartiger falscher Identifikationsmerkmale kann also von vornherein nicht unter das Paß- oder Straßenverkehrszulassungswesen und damit auch nicht unter die dazu gehörigen jeweiligen föderativen Zuständigkeiten eingeordnet werden. Tarnpapiere und Tarnkennzeichen gleichen echten Ausweispapieren und -kennzeichen also nur der Form nach, haben aber nach Inhalt und Zweck eine völlig andere Funktion. Sie unterfallen daher ausschließlich dem Bereich der nachrichtendienstlichen Mittel der Geheimdienste, nur nach diesen Kompetenzen richtet sich auch ihre Handhabung. Ein Eingriff in die Vollzugszuständigkeit der Länder in Paß- und Straßenverkehrszulassungssachen wird durch die Anwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen demnach überhaupt nicht verübt. Verfassungsrechtliche Grundlage sind vielmehr die bereits weiter oben erwähnten allgemeinen Kompetenzen des Bundes für die Unterhaltung von eigenen Nachrichtendiensten.116 Mithin ist festzustellen, daß § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG und die auf ihn verweisenden §§ 3 Satz 1 BNDG bzw. 4 Abs. 1 Satz 1 MADG keine unzulässige Ingerenz in die Vollzugshoheit der Länder vollführen und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.
7. Verbleibende
Landeskompetenzen
Über die aufgezeigten bundesgesetzlichen Vorschriften hinaus ist jede weitergehende ausgestaltende Regelung hinsichtlich des Verfassungsschutzes auf Landesebene, die den Rahmen des Art. 73 Nr. 10 Buchst, b oder c BVerfSchG verläßt, nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes i. S. d. Ausgangsvermutung zugunsten der Länder gem. Art. 30 und 70 GG (Residualkompetenz117) indes den Ländern vorbehalten.118 Verfassungsschutz ist genauso wie die Polizeihoheit vor allem Landessache.119 Es steht den Ländern demnach frei, all die Angelegenheiten, die nicht mit der Zusammenarbeitspflicht in Zusammenhang stehen, selber zu regeln. 120 Der Landeskompetenz unterfallen deshalb vor allem (1) die Bestimmung der jeweiligen Landesverfassungsschutzbehörde, (2) die Regelung von Aufgaben und Befugnissen außerhalb 116 Also Alt. 73 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2/Abs. 3 Satz 1 GG für das BfV, Art. 73 Nr. 1 und 87 Abs. 3 Satz 1 GG für den BND sowie Art. 73 Nrn. 1/10 b und 87 a Abs. 1 Satz 1 GG für den M A D ; vgl. 1. Teil, C.! 117 Pietzcker, Rdnr. 2. Π8 Vgl. Borgs/Ebert, vor § 1, Rdnr. 9; Kalkbrenner, S. 73 f. 119 Denninger, Leviathan, S. 363.
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des Zusammenarbeitsbereichs und (3) die Zusammenarbeit der Landesverfassungsschutzbehörde mit anderen Landesbehörden außerhalb des Verfassungsschutzes.121
!20 Vgl. BT-Drs. 11/4306, S. 60 (Begründung des Regierungsentwurfs zum BVerfSchG). 121 Gusy y Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 204.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
B. Das Phänomen der Mischverwaltung
Nimmt man die soeben dargestellten, im BVerfSchG begründeten Verknüpfungen zwischen Bundes- und Landesverfassungsschutzverwaltung zum Ausgangspunkt und schreitet von da an fort zu einer allgemeineren Untersuchung, so wird schnell deutlich, daß im nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz auf Bundes- und auf Landesebene mehrere Behörden nebeneinander bestehen, die sachlich mit denselben in § 3 BVerfSchG aufgeführten Aufgaben betraut sind. Diese verschiedenen Verwaltungsstellen sind zudem - wie gesehen - nicht hartleibig voneinander getrennt, sondern kommunizieren i. R. d. Zusammenarbeit unter Zuhilfenahme der verschiedensten Interaktionsmodelle miteinander. Diese faktische Ausgangslage verleitet zwangsläufig dazu, das Phänomen der Mischverwaltung aufzugreifen. Ist dieses Stich- und mancherorts auch Reizwort aber erst einmal gefallen, so öffnen sich die Schleusen der Jurisprudenz und eine Flut wissenschaftlicher Diskussionen - oft mit politischem Einschlag - ergießt sich über die bisher noch mehr oder weniger klar einzuordnenden Strukturen. Aufgrund der jeweils unterschiedlichen Prämissen beim Herangehen an eine gültige verfassungsrechtliche Klassifikation besteht die Gefahr, daß eine Zuhilfenahme der Mischverwaltung als Veranschaulichungskonstrukt im Endeffekt mehr Probleme aufwirft als löst; dies zumal mit Blick darauf, daß sich im Laufe der Zeit eine beträchtliche Menge an zum Teil widersprüchlicher Literatur und Rechtsprechung zu diesem Thema angesammelt hat.i Bei aller gebotenen Zurückhaltung soll im folgenden gleichwohl versucht werden, ausgehend vom Allgemeinen etwas Licht ins Dunkel des hier interessierenden Bereiches zu bringen.
1 Eine wegweisende Zusammenfassung dieses Problemfeldes bietet Lerche, M / D , Lfg. 21, Art. 83, Rdnrn. 84 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen (insbes. in FN. 195); vgl. auch Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 685; Maunz/Zippelius, S. 342 f.; Badura, Staatsrecht, G 32; Maurer, § 22, Rdnrn. 43 ff. m.w.N.; Schneider, S. 2 ff.
Β. Das Phänomen der Mischverwaltung
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I· Mischverwaltung in der Bundesrepublik
1. Geschichtliche Entwicklung a) Vom "ius supremae inspectionsM zur "Mitverwaltung" Die Anfange der Diskussionen um die Mischverwaltung im weiteren Sinne reichen in Deutschland in der Sache weit zurück. Im 18. Jahrhundert entzündeten sie sich am sogenannten nius supremae inspectionis" ("Oberaufsichtsrecht"), mit dem der absolutistische Herrscher in die an der Schwelle zum Rechtsstaat aufkommende Selbstverwaltung des Bürgertums hineinregieren zu können glaubte. 2 Der Begriff Mischverwaltung existierte damals freilich noch nicht; nach Ronellenfitsch ist er für sich allein gesehen auch nichtssagend.3 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte v. Gierke jedoch den Ausdruck "M/fverwaltung" als Kampfparole mit pejorativem Beigeschmack für über das Aufsichtsrecht hinausgehende staatliche "Einmischungen" in Selbstverwaltungsangelegenheiten der Gemeinden.^ Von diesem Ausgangspunkt wurde das Schlagwort "MiTverwaltung" als unzulässige staatliche Ingerenz in Kommunalangelegenheiten auf das damalige Bundesstaatsrecht übertragen, das den Gliedstaaten nach der Laband/Jellinek'sehen Bundesstaatstheorie* die Staatlichkeit bzw. Souveränität absprach und sie in die Nähe von Kommunalverbänden rückte.6 Danach bedeutete bundesstaatliche M/fverwaltung im (zweiten) Deutschen Reich jede über die Reichsaufsicht hinausgehende, rechtswidrige Einmischung des Reichs in die Verwaltung des Einzelstaaten. Angesichts der engen Verknüpfungen zwischen dem Reich und Preußen, auf deren Fundament die gesamte Konstruktion des Reiches ruhte, wurde damals aber bloße Zusammenarbeit nicht als Eingriff in das Wesen des Bundesstaates aufgefaßt, soweit sie nicht Afiiverwaltungscharakter des Reiches i. S. eines Hineinregierens in reine Bundesstaatsangelegenheiten annahm.7 Auch zu Beginn der Weimarer Republik wurden derartige oder ähnliche Mischverwaltungsformen zwischen Reich und Ländern noch recht unkritisch als zulässig erachtet. 2
Ronellenfitsch y S. 24 f. mit Nachweisen zur damaligen Literatur. Ebd. 4 Otto v. Gierke , Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. I, Berlin, 1868, S. 763 (zit. bei Ronellenfitsch, S. 26). 5 Paul Labandy Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., Tübingen, 1876; Georg Jellineky Die Lehre von den Staatenverbindungen, Wien, 1882 (zit. bei Ronellenfitsch, S. 74 f.). 6 Ausdrücklich: Heinrich Triepely Die Reichsaufsicht. Untersuchungen zum Staatsrecht des Deutschen Reiches, Berlin, 1917 (zit. bei Ronellenfitsch, S. 28). 7 Ronellenfitsch y S. 28. 3
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
b) Forsthoffs
Erkenntnisse
Erst Forsthoffs Untersuchungen«, die auf dem Bundesstaatsverständnis Carl Schmitts aufbauten? und von einer Duplizität der Staatsgewalt ausgingen^, revolutionierten die bisherigen Auffassungen: Anhand des Ausnahmezustandes nach Art. 48 WRV arbeitete er heraus, daß die Landesregierungen stets nur als Landesorgane und niemals als Reichsorgane handeln könnten eine heute selbstverständlich erscheinende Feststellung, die damals aber keineswegs als gesichert galt. Ferner postulierte er vor dem Hintergrund der Art. 14 und 15 WRVn eine scharfe dogmatische Trennung zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten, um das Wesen von Reich und Ländern als selbständige Entscheidungseinheiten im Bundesstaat zu unterstreichen. 12
c) Anfangsjahre der Bundesrepublik Auf diese Grundlagen wurde nach dem zweiten Weltkrieg bewußt aufgebaut, indem das föderalistische Element im neuen deutschen Bundesstaat nachdrücklich gestärkt wurde. 13 Insbesondere Kratzer nahm seine Untersuchungen des Verhältnisses von Bundesoberbehörde und Landesbehörden zum Anlaß, die Verwaltungsbereiche zwischen Bund und Ländern im einzelnen aufzuschlüsseln und (zum Teil zu strikt) voneinander abzugrenzen, u In seinem Umfeld dürfte der Ausdruck Mwc/iverwaltung zum ersten Male gefallen sein. 15
8 Ernst Forsthoff, Der Ausnahmezustand der Länder, Diss, jur., Bonn, 1925; ders., Die unmittelbare Reichsaufsicht, AöR 19 (1930), 61 ff.; ders., Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat. Beitrage zum öffentlichen Recht der Gegenwart, Bd. 3, 1931 (zit. bei Ronellenfitsch, S. 29 ff.), bzw. a.a.O. 9 Carl Schmitt, Verfassungslehre, München, 1928 (zit. bei Ronellenfitsch, S. 78 f.). 10 In Anbetracht der Fülle der Gesetzgebungszuständigkeiten des Reiches fiele die Entscheidung über die Staatsqualität der Länder nach Forsthoff, ebd., AöR 19 (1930), S. 81, auf dem Gebiete der Verwaltung. - Zur Duplizität der Staatlichkeit im Bundesstaat vgl. allgemein Maunz, HStR, Rdnrn. 2 ff. 11 Vergleichbar mit den Art. 83 ff. GG. 12 Mit dem Gesamtstaat und den Gliedstaaten bestehen im deutschen Bundesstaat zwei Ebenen der Staatlichkeit, vgl. Pietzcker, Rdnr. 1; Maunz, HStR, Rdnr. 3. 13 Vgl. Heinz Laufer, Der Föderalismus der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart, 1974, S. 20 f. 1 4 Kratzer, S. 529 ff. Auf S. 533 ff. spricht er den Ländern nach Errichtung einer Bundesoberbehörde jegliche weitere Verwaltungstätigkeit im jeweiligen Bereich ab, was indes von Art. 87 Abs. 3 GG nicht gefordert und auch von der Praxis nicht befolgt wird; vgl. die Kritik bei Schneider, S. 3 ff. 15 Genaue Aufschlüsselung der Entstehung des Begriffes und seiner ersten Erwähnungen bei Ronellenfitsch, S. 21 ff. (insbes. S. 23, FN. 13-15).
Β. Das Phänomen der Mischverwaltung
119
2. Aktueller Stand a) Literatur Seither findet der Begriff in der staatsrechtlichen Diskussion häufige Verwendung, ohne daß über seinen konkreten Inhalt bisher Einigkeit erzielt worden wäre; mangels verfassungsrechtlicher Positivierung "schillert" sein Gebrauch "als heteromorphes Instrument in Literatur und Rechtsprechung".^
aa) Weiter Mischverwaltungsbegriff Die eine Strömung der Litaraturmeinungen verwendet ihn im weiten Sinne der Bedeutung und versteht darunter "jede funktionelle oder organisatorische Verflechtung der Verwaltung von Bund und Ländern".π Angesichts der in über 40 Jahren Bundesrepublik durch die Praxis entwickelten "Blütenpracht zahlreicher Kooperationsformen von Bund und Ländern im Verwaltungsbereich" ι» sperrt sich diese Ansicht zum Teil gegen das insbesondere von Anhängern des F ö d e r a l i s m u s ^ ausgesprochene Verbot (oder den Einwand) der Mischverwaltung, was mit Rücksicht auf ihre weite Definition als Prämisse leicht nachzuvollziehen ist.
bb) Enger Mischverwaltungsbegriff Dem steht der enge Begriff der Mischverwaltung gegenüber, der von der anderen Literaturmeinung vertreten wird und sich auf zwei Grundaussagen reduziert*: erstens auf die grundsätzlich abschließende Normierung der Verwaltungstypen in den Art. 83 ff. GG und zweitens auf die Begrenztheit der Ingerenzrechte des Bundes (wie auch umgekehrt der Länder) nach den Regeln
16 Lerche, M / D , Art. 83, Rdnr. 85 (m.w.N. in FN. 297). 1 7 Ronellenfitsch, S. 58. Vgl. zu den Anhängern der weiten Definition i. ü. den Überblick bei Loeser, Mischverwaltung, S. 53 ff.; etwas restriktiver, aber im großen und ganzen wohl ähnlich: Badura, Staatsrecht, G 32, der sich an die (überholte) Definition des BVerfG in E 11, 105 (124) anzulehnen scheint. 18 Lerche, ebd., Rdnr. 85. - Einen Übersichts-"Tableau" der unterschiedlichen Mischverwaltungstypen bietet Loeser, Die bundesstaatliche Verwaltungsorganisation ..., S. 46: Er unterscheidet zwischen Aufbau- und Ablauforganisation und unterteilt diese Bereiche jeweils in gemeinsame, konvergierende und unterstützende Verwaltung. Auf S. 29 ff. differenziert er nach (1) "institutioneller Mischverwaltung" und (2) "Mischverwaltung durch Beteiligungsrechte". 1 9 Im Gefolge von Literaturmeinungen vor allem der Bundesrat als Vertretung der Länder auf Bundesebene, s. die Nachweise bei Ronellenfitsch, S. 34 ff. 20 So vor allem Lerche, M / D , Art. 83, Rdnrn. 84 - 86 m.w.N.; s. a. Maurer, § 22, Rdnr. 45, der eine Unterteilung vornimmt in (a) Einwirkung des Bundes auf die Landesverwal-
1 2 0 2 .
Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
der Art. 83 ff. GG. Grundlage dieser beiden Thesen ist die Feststellung, daß die Zuständigkeitsnormen der Art. 83 ff. GG grundsätzlich kein dispositives Recht sind.21 Nur wenn der Numerus clausus der Verwaltungstypen durch Neuschöpfungen oder Ingerenzrechte überschritten wird, liegt Mischverwaltung vor. Basierend auf diesem engen Begriff kann somit auch unproblematisch ein Verbot der Mischverwaltung herausgearbeitet werden.22
cc) Stellungnahme Aufgrund ihrer Begriffsschärfe und Praktikabilität ist der letzteren Meinung des engen Mischverwaltungsbegriffes zu folgen. Sie ist m. E. eindeutig vorzugswürdig, weil das erste, weite Mischverwaltungsverständnis die Gefahr in sich birgt, in undifferenzierter Weise auf große Teile der bundesstaatlichen Verwaltung erstreckt zu werden, wodurch viele zu unterscheidende Strukturen unbrauchbar ineinander verschwömmen. Der Begriff verkäme so zu einem nichtssagenden Platzhalter, der als Hülse über zahlreiche bundesdeutsche Verwaltungsformen geschoben werden könnte und damit lediglich zu einer Beschreibung, nicht aber zu einer Klassifikation beitrüge. Vor diesem Hintergrund bricht auch der Streit um das angebliche Verbot der Mischverwaltung weitgehend in sich zusammen: Je nachdem, welcher definitorische Ausgangspunkt gewählt wird, kommt man (in sich konsequent) bald zu seiner Bejahung, bald zu seiner Verneinung.
dd) Verbundverwaltung Endlich ist noch ein anderes Schlagwort vorzustellen, das unzweifelhaft Berührungspunkte mit der Mischverwaltung aufweist: die Verbundverwaltung. Sie liegt vor, wenn der Vollzug eines Gesetzes sachlich zwischen Bund und Ländern aufgeteilt ist. Bundes- und Landesbehörden operieren dabei also getrennt im Bereich ihres jeweiligen 7W/gebietes, lassen sich aber vor dem Hintergrund der jeweiligen gesetzlichen Gesamtmfgäbe bausteinartig zusammenfassen. Erst die funktionelle Gesamtbetrachtung der partiellen Zuständigkeiten ermöglicht einen lückenlosen Vollzug; Bund und Länder handeln mit genau voneinander abgegrenzten Kompetenzen im Verbunds In der Verwaltungspraxis der Bundesrepublik ist dieses Phänomen in den zahlreichen Fäl-
tung, (b) Gemeinsame Behördenstrukturen, (c) Koordinierungsgremien und (d) gemeinsame Verwaltungsträger. 21 BVerfGE 1, 14 (34 f.); 39, 96 (109); 41, 291 (311); 63, 1 (39 f.); Pietzcker, Rdnr. 18. 22 Dies scheint nach wie vor von der h. M . vertreten zu werden, vgl. Ronellenfitsch, S. 255; Blümel, S. 935 (FN. 730 und 731). 23 Vgl. Schneider, a.a.O. S. 4 f.
Β. Das Phänomen der Mischverwaltung
121
len der partiellen Bundesverwaltung durch selbständige oder unselbständige Bundes(-ober-)behörden im Verbund mit Landesbehörden anzutreffen. 24 Dadurch werden keine neuen Verwaltungstypen geschaffen, die mit dem Stigma der Verfassungswidrigkeit behaftet wären, da Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG die Bundesoberbehörde ausdrücklich als fakultative Administrationseinheit vorsieht. Aus diesem Grunde und aufgrund der strengen sachlichen Aufgabentrennung innerhalb eines gleichwohl zusammengehörenden Verwaltungsfeldes muß die Verbundverwaltung von der Mischverwaltung unterschieden werden, bei der solche klaren Zuständigkeitsabgrenzungen typischerweise fehlen. b) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Eine Entwicklung zwischen diesen Fronten scheint auch die Rechtsprechung des BVerfG vollzogen zu haben, allerdings mit erheblichen Schwankungen und Korrekturen.
aa) Ehemalige Rechtsprechung Anfangs umschrieb es den Mischverwaltungsbegriff in recht unscharfer Weite als "Verwaltungsorganisation, bei der eine Bundesbehörde einer Landesbehörde übergeordnet ist, oder bei der ein Zusammenwirken von Bundesund Landesbehörden durch Zustimmungserfordernisse erfolgt", und gelangte (gleichwohl) zu einem Verbot.25 Allerdings gestand das Gericht im Laufe seiner Rechtsprechung mehr und mehr Ausnahmen von diesem grundsätzlichen Verbot zu, die sich zumeist auf die vom Grundgesetz zugelassenen Fälle stützten. 26
bb) Neue Rechtsprechung Die Wende erfolgte schließlich durch eine Relativierung des Mischverwaltungsverbotes: "Die Verwendung des Begriffs ' Mischverwaltung ' mag zur 24 Beispiele: Bundesanstalt für den Güterfernverkehr in Köln gem. §§ 53 ff. Gûterkraftverkehrsgesetz (GüKG i. d. F. der Bek. v. 10. 03. 1983 [BGBl. I S. 256] mit spät. Änderungen); Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen in Berlin gem. §§ 5 ff. des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG i. d. F. der Bek. v. 11. 07. 1985 [BGBl. I S. 1472] mit spät. Änderungen); Bundeskartellamt in Berlin gem. §§ 48 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB i. d. F. der Bek. v. 20. 02. 1990 [BGBl. I S. 235] mit spät. Änderungen) u. dgl. 25 BVerfGE 11, 105 (124). 26 BVerfGE 32, 145 (154, 156); 39, 96 (120): "Mitplanungs-, Mitverwaltungs- und Mitentscheidungsbefugnisse gleich welcher Art im Aufgabenbereich der Länder, ohne daß die Verfassung dem Bund entsprechende Sachkompetenzen übertragen hat", sind unzulässig.
122
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
klassifizierenden Kennzeichnung einer bestimmten Art verwaltungsorganisatorischer Erscheinungsformen sinnvoll sein. Für die Prüfung, ob ein Zusammenwirken von Bundes- und Landesbehörden rechtlich zulässig ist, ergibt sich daraus nichts. (...) Eine verwaltungsorganisatorische Erscheinungsform ist nicht deshalb verfassungswidrig, weil sie als Mischverwaltung einzuordnen ist, sondern nur, wenn ihr zwingende Kompetenz- oder Organisationsnormen oder sonstige Vorschriften des Verfassungsrechts entgegenstehen. " 2 7 Damit scheint sich das Gericht den oben dargelegten, weiten Mischverwaltungsbegriff zu eigen zu machen mit der Folge, daß aus der Wortbedeutung allein überhaupt keine rechtlichen Schlußfolgerungen mehr gezogen werden können. Andererseits deckt sich die verfassungsrechtliche Zulässigkeitsprüfung des Gerichts mit den oben dargelegten Kriterien der Anhänger des engen Mischverwaltungsbegriffes.
c) Fazit Wie dem auch sei - als vereinfachendes Ergebnis dieses in den Einzelheiten zum Teil recht unübersichtlichen Meinungsstandes können folgende Überlegungen dienen: Im Bundesstaat bestehen mit dem Gesamtstaat (dem Bund) und den Gliedstaaten (den Ländern) zwei rechtlich grundsätzlich selbständige Körperschaftsebenen nebeneinander. Im Bereich der gesetzesakzessorischen wie auch der gesetzesfreien Verwaltung begründen die Art. 30 und 83 GG im Verfassungsrecht der Bundesrepublik eine Residualkompetenz bzw. eine widerlegbare Vermutung für die Zuständigkeit der Länder. 28 Der Bund kann mit anderen Worten nur dort verwaltend tätig werden, wo ihm dies durch das Grundgesetz (z. B. i. R. d. Art. 86 und 87 ff.) - ausdrücklich oder ausnahmsweise durch ungeschriebene Kompetenzen29 - zugestanden ist. Eine unerbittliche und hartleibige Trennung dieser beiden Verwaltungssphären kann jedoch im Interesse der Effektivität (insbesondere auch sozial-) staatlichen Handelns nicht geboten sein.30 In der Verwaltungspraxis hat sich daher eine Fülle von Kooperationsformen zwischen Bund und Ländern entw i c k e l t ^ , die jeweils i m Einzelfall an den Grundanforderungen des deutschen
27
BVerfGE 63, 1 (38). Vgl. dazu Blümel, S. 937. 2S BVerfGE 10, 89 (101); BVerwG DVB1. 1990, S. 1358. 29 Vgl. dazu nur Dieter Hömig, in: Seifert/Hömig, Art. 30, Rdnr. 2 m.w.N. 30 Vgl. auch BVerfGE 63, 1 (39); Blümel, Rdnr. 6: Die Verwaltungsbereiche zwischen Bund und Ländern können nicht starr voneinander geschieden werden. 31 Zur Thematik des kooperativen Föderalismus s. Grawert, a.a.O.; Kisker, a.a.O.; sowie die zahlreichen Nachweise bei Lerche, M / D , Art. 83, Rdnr. 92 (FN. 328). - Rudolf Venval-
Β. Das Phänomen der Mischverwaltung
123
Bundesstaatsrechtes zu messen sind: (1) an der abschließenden Normierung der Verwaltungstypen sowie (2) an der Begrenztheit der Ingerenzrechte des Bundes gegenüber den Landern und umgekehrt. 32 Die Verwendung des Schlagwortes Mischverwaltung allein - ohne weitere verfassungsrechtliche Fundierung - vermag überhaupt keine juristischen Konsequenzen zu zeitigen. Hingegen kann es aber durchaus als Klassifizierung von vorab festgestellten, verfassungswidrigen Verwaltungstypen herangezogen werden.
Π . Spezialfall Verfassungsschutzvenvaltung
Das aufgrund der soeben durchgeführten Erörterung gefundene Ergebnis ist nun anhand einer Prüfung konkret auf die Verfassungsschutzverwaltung in der Bundesrepublik zu übertragen. Kernfrage muß dabei sein, (1) ob die Verfassungsschutzverwaltung überhaupt eine Mischverwaltung oder (bloß) eine Verbundverwaltung darstellt und bejahendenfalls, (2) ob diese Mischverwaltung rechtlich zulässig ist. Dabei kommt vor allem dem letzteren Aspekt die entscheidende Bedeutung zu, da der Ausdruck Mischverwaltung allein, wie gesehen, nicht allzuviel hergibt.
1. Der nachrichtendienstliche
Verfassungsschutz
als Mischverwaltung
a) Zusammenarbeit gem. § 1 Abs. 2 und 3 BVerfSchG Nach § 1 Abs. 2 und 3 BVerfSchG haben Bund und Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten und sich dabei gegenseitig zu unterstützen und Hilfe zu leisten. Diese Vorschrift stellt gleichsam den Kopf des Gesetzes dar; in ihr wird die Kernaussage und zugleich die Hauptforderung aufgestellt. Von besonderen, eigens einzurichtenden Verfassungsschutzbehörden spricht sie indes noch nicht. Normadressaten sind vielmehr ohne weitere Spezifizierung der Bund und die Länder als bundesstaatliche Körperschaftsebenen. In ihrer Allgemeinheit besitzt diese Vorschrift einen weiteren Umfang als die ihr nachfolgenden; sie stellt zwar eine Zusammenartungsorganisation, § 55, Rdnr. 22 (S. 691), ist der Ansicht, daß Mischverwaltung i. R. des kooperativen Föderalismus im engeren Sinne nur durch Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Landern geschaffen wird. 32 Zu weiteren Einzelheiten s. Lerche, M / D , a.a.O.
1 2 4 2 .
Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
beitsverpflichtung auf, die - wie oben gesehen - über die allgemeine Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG hinausgeht, qualitativ sogar etwas anderes darstellt», ermangelt aber im ganzen jeglicher Konkretisierung: Insbesondere werden durch sie noch keine Bundes- oder Landesbehörden eingerichtet, geschweige denn einander zugeordnet. Bundesstaatliche Strukturen lassen sich aus ihr - mit Ausnahme der grundsätzlichen Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Verfassungsschutz - nicht herauslesen. Insofern gibt sie fur die Beantwortung der Frage nach der Mischverwaltung zu wenig her.
b) Errichtungsverpflichtung nach § 2 BVerfSchG Nähere Aussagen ermöglicht jedoch bereits § 2 BVerfSchG: Abs. 1 Satz 1 gibt dem Bund auf, fur die Zusammenarbeit mit den Ländern "ein Bundesamt fur Verfassungsschutz als Bundesoberbehörde" zu unterhalten; Abs. 2 verpflichtet gleichsam spiegelbildlich die Länder, jeweils eine Landesverfassungsschutzbehörde einzurichten. Damit werden sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene Verfassungsschutzverwaltungen etabliert. Mithin ist aus § 2 BVerfSchG schon abzulesen, daß eine bestimmte Verwaltungsaufgabe, nämlich der Verfassungsschutz, nicht ausschließlich vom Bund oder von den Ländern erledigt werden soll und daß die einzelnen Bundes- und Landesbehörden auf diesem Gebiet darüber hinaus zusammenzuarbeiten haben; die Grundlagen einer wie auch immer gearteten oder definierten Mischverwaltung sind angelegt.
c) Aufgabenidentität gem. § 3 BVerfSchG Weiteren wichtigen Aufschluß über das Verhältnis von Bundes- und Landesbehörden im Verfassungsschutz eröffnet § 3 BVerfSchG, der in seinen beiden Absätzen obligatorische Aufgaben sowohl für das BfV als auch für die Landesverfassungsschutzbehörden aufstellt. Die Besonderheit dieser Vorschrift ist, daß in ihr keine sachlichen Aufgabenunterteilungen vorgenommen werden, sondern daß vielmehr Bundes- und Landesverfassungsschutzbehörden identische Zuständigkeiten erhalten. Parallel haben sie sich alle zusammen sowohl um den politischen Extremismus als auch um die Spionageabwehr und den Ausländerextremismus wie auch um die Mitwirkungsaufgaben im Geheim- und Sabotageschutz zu kümmern.
33 S. oben, Α. IV. 2. b)!
Β. Das Phänomen der Mischverwaltung
125
Daran vermag auch § 5 Abs. 2 BVerfSchG, auf den später noch genauer zurückzukommen sein wird 34 , wenig zu ändern. Denn er stellt zwar in seinem Satz 2 fur Tätigkeiten des BfV nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG gewisse Voraussetzugen auf, die jedoch alles andere als restriktiv erscheinen und zudem nur alternativ vorliegen müssen. Darüber hinaus schweigt er sich zu sachlichen Beschränkungen der Landesverfassungsschutzbehörden sowie zu ihrer Kompetenzabgrenzung untereinander vollends aus, so daß es weiterhin bei einer nahezu uneingeschränkten sachlichen (All-) Zuständigkeit aller Verfassungsschutzbehörden bleibt. Mangels partitionierter Einzelsachbereiche, die den Verfassungsschutzbehörden abgegrenzt zur alleinigen Erfüllung zustehen, kann daher im administrativen Verfassungsschutz nicht von einer VerbundVerwaltung nach der ihr hier beigemessenen Definition gesprochen werden.
d) Spezialausformungen Zu einer weiteren Verdeutlichung tragen auch die §§5 Abs. 1 und 3 sowie 6 BVerfSchG bei. § 5 Abs. 1 BVerfSchG stellt eine Informationsübermittlungspflicht für die Landesverfassungsschutzbehörden, Abs. 3 eine Unterrichtungspflicht fur das BfV auf. 35 § 6 BVerfSchG konkretisiert diesen Informationsverbund auf dem Gebiet der automatisierten Datenverarbeitung dahingehend, daß alle Verfassungsschutzbehörden zentral beim BfV gemeinsame Dateien führen müssen. Diese Normen sind notwendige Voraussetzung für eine Zusammenarbeit als auch gleichzeitig Regulativ für die sonst noch stärker verschwimmenden Doppelzuständigkeiten der Verfassungsschutzbehörden. Durch sie werden zwar Interaktionsprogramme für die einzelnen Behörden aufgestellt, eine exklusive Aufgabenverteilung sucht man in ihnen allerdings vergebens - ein weiterer Hinweis auf das mischverwaltungsrechtliche Wesen des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes.
e) Zwischenergebnis Folgt man dem weiten Mischverwaltungsbegriff, für den jede funktionelle oder organisatorische Verflechtung der Verwaltung von Bund und Ländern genügt36, so ist dieser Tatbestand in beiden Alternativen erfüllt: Die funktionelle Verflechtung ergibt sich aus der weitgehenden Aufgabenidentität, die durch § 3 BVerfSchG angeordnet wird; die organisatorische Verflechtung 34
S. unten, Ε. VI.! 5 Vgl. dazu näher unten, E. IV.! 36 Ronellenfitsch, S. 58; s. i. ü. oben! 3
2
.
Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
folgt aus den Ùbermittlungs- und Unterrichtungspflichten des § 5 BVerfSchG und vor allem aus ihrer Umsetzung in die Praxis gem. § 6 BVerfSchG. Über die rechtliche Zulässigkeit dieser so definierten Mischverwaltung ist damit allerdings noch kein Urteil gefallt. Der enge Mischverwaltungsbegriff faßt Tatbestand und rechtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen vernünftigerweise bereits in seiner Definition zusammen37, so daß beides am besten insgesamt i. R. d. verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zu erörtern ist.
2. Rechtliche Zulässigkeit a) Untersuchung der Verwaltungskompetenzen Stellt man die Frage nach dieser rechtlichen Erlaubtheit im konkreten Fall der Verfassungsschutzverwaltung, so ist nach beiden Meinungen in erster Linie das Grundgesetz zu untersuchen. Aktionsgrundlage für sie ist in weiten Teilen der Vollzug des BVerfSchG. Da es sich dabei um ein Bundesgesetz handelt und gesetzesakzessorische Verwaltung inmitten steht, erweisen sich die Art. 83 ff. GG als einschlägig. Ihnen darf die faktische Organisation des administrativen Verfassungsschutzes in keinem Falle widersprechen.
aa) Bundesaufsichtsverwaltung Die ausschließliche Länderexekutive nach Art. 83 und 84 GG, wonach die Länder ein Bundesgesetz als eigene Angelegenheit unter Bundesaufsicht ausführen 3«, scheidet in ihrer reinen Form tatbestandlich aus, weil das BVerfSchG zu einem großen Teil auch vom Bund, durch das BfV, vollzogen wird (insbesondere im Bereich der Befugnisnormen der §§ 8 ff. BVerfSchG).
bb) Bundesauftragsverwaltung Auch eine Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG 3 9 kommt nicht in Betracht, weil einerseits im BVerfSchG davon nicht die Rede ist und die Ver37
Lerche, M / D , Art. 83, Rdnr. 85; s. i. ü. oben! Allgemein dazu: Blümel, Rdnrn. 19 ff.; Maunz/Zippelius, S. 340 f. 39 Vgl. zur Auftragsverwaltung im einzelnen Blümel, Rdnrn. 46 ff. und 59 ff.; Degenhart, Rdnrn. 135 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 686; Maunz/Zippelius, S. 341 f. m.w.N.; BVerfGE 81, 310 (331 ff.); BVerfG N V w Z 1991, S. 870. 38
Β. Das Phänomen der Mischverwaltung
127
fassungsschutzverwaltung andererseits keiner der im Grundgesetz abschließend aufgezahlten Auftragsverwaltungsangelegenheiten (wie ζ. B. in Art. 87 c, 87 d Abs. 2, 90 Abs. 2 oder 104 a Abs. 3 Satz 2 GG) unterfallt.
cc) Bundeseigenverwaltung Allerdings wird man im Bereich der bundeseigenen Verwaltung nach Art. 86 ff. GG fündig.«) Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG eröffnet dem Bund i. R. d. fakultativen Bundesverwaltung die Möglichkeit, durch Bundesgesetz "Zentralstellen (...) zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes (...)" einzurichten. Damit kann - ohne bereits hier eine letztverbindliche Subsumtion vorzunehmen - nur das BfV gemeint sein. Die grundsatzliche Existenz einer Bundesbehörde im Bereich der Verfassungsschutzverwaltung ist folglich gerechtfertigt, was allein für eine ausreichende Durchdringung der bundesdeutschen Verfassungsschutzverwaltung freilich noch nicht genügen kann.
b) Landesverwaltung neben Bundesverwaltung Denn damit nicht genug: Wie aufgezeigt, besteht neben dieser Zentralstelle in jedem Bundesland noch ein Landesamt bzw. eine sonstige Landesbehörde für Verfassungschutz. Deren Rechtfertigung wird in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG indes allenfalls mitgedacht bzw. vorausgesetzt, wenn dem Bund nur die Unterhaltung einer Zentralstelle zugebilligt wird; denn wo es eine Zentralstelle gibt, müssen der Logik nach auch dezentrale (Landes-) Behörden existieren. Wonach richtet sich aber die Ausführung des BVerfSchG durch die Länder?
aa) Landesausführung des BVerfSchG? Ohne diese Frage zu beantworten, halten viele Stimmen in der Literatur dafür, daß das BVerfSchG überhaupt nicht für eine Ausführung durch die Länder konzipiert sel·» oder daß dieses Gesetz gänzlich aus der Ordnung des Art. 84 GG herausfalle und somit einen administrativen Sonderfall darstelle. Dem kann in dieser Form aber nicht unbesehen Beifall gezollt werden: 40 Zur Bundesverwaltung: Blümel, Rdnrn. 71 ff.; Maunz/Zippelius, S. 338 ff. 41 So Bull, Anmerkung zu BVerwG, S. 740 mit einer allerdings nicht restlos überzeugenden Vergleichsziehung zur Kriminalpolizeiverwaltung; weitgehend auch Schmidt, S. 26. 42 Röttgen, S. 98; Scheuner, Gegenstand und Träger des Verfassungsschutzes, S. 67; Schmidt, S. 26; unklar, aber wohl ebenso, Evers, BK, Rdnrn. 16 u. 20.
128
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
Wenngleich sich insbesondere das BVerfSchG n. F. weitgehend an das BfV richtet (ausschließlich sogar im 2. Abschnitt, §§8 bis 16), so normiert es doch gerade im 1. Abschnitt Rechte und Pflichten auch für die Landesbehörden, was unschwer bereits aus der Abschnittsüberschrift "Zusammenarbeit, Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden" zu entnehmen ist und durch einen Blick auf Ëinzelvorschriften bewiesen wird: Die Zusammenarbeitspflicht in § 1 Abs. 2 und 3 BVerfSchG wendet sich, wie oben bereits dargestellt, unmittelbar auch an die Lander. Nun könnte man argumentieren, daß gerade diese Zusammenarbeitspflicht direkt aus Art. 73 Nr. 10 GG folge und mit der Landerausführung eines Bundesgesetzes noch nichts zu tun habe. Isoliert betrachtet verdiente eine solche Meinung vielleicht Zustimmung; im Gesamtzusammenhang erweist sie sich hingegen als nicht tragfahig, da sie die nachfolgenden Vorschriften des BVerfSchG unbeachtet läßt: Die Aufgabenverpflichtung in § 3 BVerfSchG besitzt normative Kraft auch für die Landesverfassungsschutzbehörden und hat mit bloßer Kooperation nichts mehr gemein: Hier sind die Landesverfassungsschutzbehörden vielmehr gehalten, bundesgesetzlich normierte Aufgaben zu vollziehen bzw. auszuführen. Ebenso verhält es sich mit § 5 Abs. 1 BVerfSchG, der eine Übermittlungspflicht gerade für die Landesbehörden statuiert, die durch § 6 BVerfSchG nähere Ausgestaltung erfährt. Es griffe somit zu kurz, das BVerfSchG als ein Regelungswerk anzusehen, das sich ausschließlich an den Bund wendet und nur von seiner Behörde, dem BfV, auszuführen wäre. Es enthält vielmehr auch Passagen, die /änderausführungsbedürftig sind.43
bb) Einordnung des Landesvollzugs Dafür bedarf es aber einer tragfähigen Einordnung in verfassungsrechtliche Vorschriften über den Landesvollzug von Bundesgesetzen. Eine Bundesauftragsverwaltung kann, wie oben gesehen, nicht in Betracht kommen. Folglich muß mangels anderer Alternativen ein Rückgriff auf die (allgemeinen) Regelungen der "Ausführungs-" bzw. "Aufsichtsverwaltung" in den Art. 83 und 84 GG erlaubt und geboten sein.44 Danach haben die Länder das BVerfSchG, soweit sie als Normbefehlsadressaten in Betracht kommen, als eigene Angelegenheit auszuführen sowie die Einrichtung der Behörden und 43 So auch Loeser, Theorie und Praxis der Misch Verwaltung, S. 190, der die gemeinsame und gleichzeitige Ausführung des BVerfSchG durch das BfV und die Landesverfassungsschutzbehörden als "vertikale Vollzugsspaltung " bezeichnet. 44 Α. A. wohl Evers, BK, Rdnr. 17 m.w.N., der im Zusammenhang mit den Weisungsrechten ausschließlich auf die Normierung der Zusammenarbeitspflicht abstellt und Art. 84 Abs. 1 GG verneint, dabei jedoch zu übersehen scheint, daß das BVerfSchG darüber hinaus auch die eben dargestellten materiellen Regelungen für die Länder trifft. - Aufgrund des Sondertatbestandes der angeblich erlaubten Mischverwaltung bestritt auch die Bundesregierung die Einschlägigkeit des Ait. 84 Abs. 1 GG, vgl. BT-Drs. 6/1179, Anlage Β unter 1.
Β. Das Phänomen der Mischverwaltung
129
das Verwaltungsverfahren zu regeln, soweit nicht ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmt (Art. 84 Abs. 1 GG). In letzteren Bereichen bestimmt das BVerfSchG indes "etwas anderes":45 Es schreibt den Ländern die Unterhaltung von Verfassungsschutzbehörden zwingend vor (§ 2 Abs. 2 BVerfSchG). Diese Pflicht fallt zusammen mit der näheren Festlegung von Aufgabenbereichen in § 3 BVerfSchG unter den weit auszulegenden Begriff der " Behördeneinrichtung ", der isoliert ansonsten wenig Sinn ergäbe.46 Zudem trifft das BVerfSchG Verfahrensregelungen im Bereich der (internen) Zusammenarbeit (ζ. B. §§5 und 6 BVerfSchG). "Verwaltungsverfahren " i. S. v. Art. 84 Abs. 1 GG beschränkt sich nicht nur auf eine nach außen wirkende oder gerichtete Tätigkeit von Behörden und kann insofern nicht mit § 9 VwVfG gleichgestellt werden; 47 der Verfassungsbegriff ist vielmehr weiter und umfaßt in seiner Typik auch die Fallgruppen, in denen ein über die allgemeine föderative Kooperationsnotwendigkeit hinausgehendes Zusammenwirken oder Mitwirken von Bundes- und Landesbehörden vorgeschrieben wird, 48 was durch die §§5 und 6 BVerfSchG gerade geschieht.4* Aus alledem folgt, daß nach Art. 84 Abs. 1 (letzter HS.) GG die Zustimmung durch den Bundesrat zum BVerfSchG gem. Art. 77 und 78 Fall 1 GG erforderlich ist, worüber lange Zeit gestritten w u r d e . » Im Gesetzgebungsverfahren zum neuen BVerfSchG wurde diesem Verfassungspostulat auch genügt.51
cc) Landesresidualvollzug
von Landesgesetzen
In allen übrigen Bereichen, in denen das BVerfSchG die Länder nicht in die Pflicht nimmt und die deshalb landesnormierungsfähig sind*?, führen Landesverfassungsschutzbehörden die jeweiligen Landesverfassungsschutzgesetze ihres Bundeslandes aus; es handelt sich demnach um den Landesvollzug
45 So auch die Stellungnahme des Bundesrates, vgl. BT-Drs. Nr. 924 v. 09. 05. 1950, Anlage 2, BT-Drs. 6/1179 Anlage b unter 1; a. A. Bull, Anmerkung zu BVerwG, S. 740, jedenfalls soweit der Befugnisnormbereich betroffen ist. So die absolut h. M . , vgl. nur Lerche, M / D , Art. 84, Rdnr. 25 m.w.N. 47 Vgl. Lerche, M / D , Art. 84, Rdnr. 30 ff. (36). 48 S. Lerche, M / D , Ait. 84, Rdnr. 48; BVerfGE 1,76 (79) zu Art. 108 Abs. 3 Satz 2 GG a. F. ( = Art. 108 Abs. 5 Satz 2 GG n. F.). 49 Die legislatorische Grundlage fur all diese Regelungen bietet wiederum Art. 73 Nr. 10 GG, der insofern im Bereich der Gesetzgebungskompetenz eine Spezialermächtigung fur die administrative Umsetzung aufstellt. Vgl. auch BT-Drs. 11/4306, S. 60. 50 Evers, BK, verneint die Zustimmungsbedürftigkeit, allerdings ohne nähere Begründung. Auch die Bundesregierung lehnte das Zustimmungserfordernis ab, vgl. BT-Drs. 6/1179, S. 7 unter 1. Α. A. war der Bundesrat, vgl. BT-Drs. 6/1179 Anlage b unter 1. 51 Vgl. BGBl. 1990 I S . 2955. « S. oben, Α. I V . 7.!
9 Gröpl
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
von Landesgesetzen, der Art. 30 GG unterfallt und in den jeweiligen Landesverfassungen bzw. -Satzungen näher ausgestaltet ist.«
c) Hierarchisches Verhältnis Eigene Erwähnung verdient schließlich die Frage nach dem hierarchischen Verhältnis des BfV zu den Landesverfassungsschutzbehörden. Häufiges, aber keineswegs wesensmäßiges Kennzeichen einer Mischverwaltung ist in diesem Zusammenhang die Uberordnung der Bundesbehörde gegenüber den Landesbehörden.54 Betrachtet man das BVerfSchG, so ist eine derartige Überordnung der Bundesverwaltung durch das BfV schwerlich auszumachen.
aa) §§ 5 und 6 BVerfSchG Der Übermittlungspflicht der Landesverfassungsschutzbehörden gegenüber dem BfV in § 5 Abs. 1 BVerfSchG entspricht die umgekehrte Verpflichtung für das BfV in § 5 Abs. 3 BVerfSchG. Allein daraus können sich keine hierarchischen Vermutungen ergeben. Auch aus der Dateiführungspflicht nach § 6 BVerfSchG läßt sich eine Unterordnung der Landesverfassungsschutzbehörden nicht entnehmen, da dem BfV hierdurch keinerlei instanzenmäßige Direktionskompetenzen zugesprochen werden. Vielmehr behält gem. § 6 Sätze 5 und 6 BVerfSchG jede Behörde mit der vollen Verantwortung auch das uneingeschränkte Verfügungsrecht über die von ihr zentral beim BfV geführten automatisierten Dateien. Auch die Befugnis des BfV in § 6 Satz 7 BVerfSchG, technische und organisatorische Maßnahmen i. S. v. § 9 BDSG zu treffen, vermag mit ihrem rein datenschutzrechtlichen Charakter daran nichts zu ändern.
bb) § 7 BVerfSchG Skeptisch hätte allenfalls das administrative Weisungsrecht des Bundesministers des Innern gegenüber den Landesverfassungsschutzbehörden stimmen können, das noch in § 5 Abs. 2 BVerfSchG a. F. enthalten war, in der Neufassung aber eliminiert wurde und daher in diesem Zusammenhang nicht
53 Vgl. z. B. Art. 55 und 77 ff. der Verfassung des Freistaates Bayern v. 02. 12. 1946 (BayGVBl. S. 333) mit spät. Änd. 54 Vgl. Badura, Staatsrecht, G 32, u. a. mit den Beispielen Lastenausgleichsverwaltung, Art. 120 a GG, und Finanzverwaltung, Art. 108 Abs. 4 GG; Maunz/Zippelius, S. 342 mit Verweis auf die (ζ. T . überholte) Rechtsprechung des BVerfG in E 11, 105 (124); Erich Gerner,
Β. Das Phänomen der Mischverwaltung
131
mehr erörtert werden muß. Auch das politische Weisungsrecht der Bundesregierung in § 7 BVerfSchG begründet kein Verhältnis der Über- und Unterordnung, da es zum einen restriktiv auf den Fall eines Angriffs auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes beschränkt ist, zum anderen nur Weisungen fur die Zusammenarbeit zuläßt sowie im übrigen - und dies ist das Entscheidende - nicht zwischen den Verfassungsschutzbehörden selbst besteht, sondern zwischen den Exekutivspitzen von Bund und Ländern. 55 Eine Überordnung des BfV gegenüber den Landesverfassungsschutzbehörden kann mithin nicht ausgemacht werden.
cc) Zustimmungs- oder Einvernehmenserfordernisse Endlich könnten wie auch immer geartete Zustimmungs- oder Einvernehmenserfordernisse zwischen BfV und Landesbehörden auf ein hierarchisches Verhältnis hindeuten. Anzusprechen ist hierbei § 5 Abs. 2 Satz 1 und 3 BVerfSchG, wonach das BfV eine aktive Sammlungstätigkeit nur im Benehmen mit der jeweiligen Landesverfassungsschutzbehörde entfalten darf. Ohne bereits hier auf weiter unten zu erörternde Einzelheiten eingehen zu müssen**, ist festzuhalten, daß das BfV damit nicht den Direktionen von Landesbehörden untergeordnet wird, weil Benehmen nur Informierung bzw. Anhörung oder Inkenntnissetzung beinhaltet, nicht jedoch Mitentscheidungsbefugnisse in der ein oder anderen Richtung mit sich bringt.Denn von Zustimmung oder Einvernehmen ist in § 5 Abs. 2 BVerfSchG gerade nicht die Rede. Hierarchische Strukturen scheiden damit zur Gänze aus.
d) Fazit aa) Prinzipielle
Zulässigkeit
Fazit dieser Untersuchung ist, daß sich die Verfassungsschutzverwaltung in ihrer Aufgabenparallelität als "Behördenverbund zwischen Bund und Ländern grundsätzlich auf verfassungsrechtlich nicht nur erlaubte, sondern zum Teil sogar ausdrücklich (allerdings unvollständig) geregelte Spezialvorgaben stützen kann, was aus Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG deutlich wird. Die übrigen administrativen Erscheinungsformen auf Länderebene passen sich ohne Zur Frage der "Mischverwaltung " im Verhältnis zwischen Bund und Ländern, BayVBl. 1955, S. 193-195 (zit. bei Schneider, S. 5). 55 Vgl. dazu oben, Α. I V . 5.! 56 S. unten, Ε. V I . 2.! 57 Vgl. Kauffmann, in: Creifels/Kauffmann, Stichwort Einvernehmen. 58 Schoen 9 S. 128.
132
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
Schwierigkeiten in die Art. 83 und 84 GG ein. Bundes- und Landesbehörden befinden sich dabei mangels vertikalen Instanzenzuges in einem Verhältnis der rechtlichen Gleichordnung. Unabhängig davon, ob man den administrativen Verfassungsschutz nun als (vorgeschriebene) Mischverwaltung bezeichnen möchte^ oder andere Ausdrücke - wie ζ. B. "Koordinierungsverwaltung" - vorzieht«, ergibt sich aus dem Grundgesetz seine rechtliche Zulässigkeit.61 Unter dogmatischen Gesichtspunkten darf gleichwohl nicht übersehen werden, daß es sich dabei um einen administrativen Exoten handelt, der in der übrigen bundesdeutschen Verwaltungslandschaft vielleicht partielle Ähnlichkeiten mit der Kriminalpolizei aufweisen mag, ansonsten aber seinesgleichen sucht.
bb) Offenheit
in Einzelfragen
Ist die prinzipielle Zulässigkeit einer Mischverwaltung im Bereich des Verfassungsschutzes aber erst einmal bejaht, so fangen die Detailprobleme erst an, da das Grundgesetz den Bundesgesetzgeber in der Frage der Einzelausgestaltung der Zusammenarbeit weitgehend sich selbst überläßt. Welche Art der Mischverwaltung ist im konkreten Einzelfall noch erlaubt, welche Detailregelungen sind als solche nicht mehr tragfahig? Diesen Fragen soll in den folgenden Punkten nachgegangen werden. Dabei wird das Hauptaugenmerk neben dem Aufspüren etwaiger rechtswidriger Ingerenzen auf der Verw a l t u n g s e b e n e « vor allem auch auf den Bereich ggf. unzulässiger Doppelzuständigkeiten gerichtet sein, die in den §§3 und 5 BVerfSchG angelegt sind. Zu beginnen ist aber mit dem BfV und seiner Stellung in der Bundesverwaltung.
59 So Borgs/Ebert, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 8; Herzog, S. 9; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 6 V I 2; Scheuner, Gegenstand und Träger des Verfassungsschutzes, a.a.O, S. 67. & So Röttgen, S. 88; Evers, BK, Rdnr. 8 a. E. Loeser, Theorie und Praxis der Mischverwaltung, S. 190 m.w.N., spricht in diesem Zusammenhang von einer (zulässigen) "vertikalen Vollzugsspaltung ". 61 So im Ergebnis auch Lerche, M / D , Rdnr. 87, v. Münch, Art. 73, Rdnr. 59, und, allerdings ohne nähere Begründung, Schoen, S. 128, der von einem "bundesweiten Behördenverbund " spricht. Im übrigen wird diese Schlußfolgerung (mangels genauer Untersuchung) soweit ersichüich auch nirgends in Abrede gestellt. 62 Zu unterscheiden davon ist die Ingerenzkompetenz des Bundes gegenüber den Ländern auf verfassungsrechtlicher Ebene i. R. seiner Gesetzgebungskompetenz, die oben bereits dargestellt wurde.
C. Die Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz
133
C. Die Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz
Im Rahmen der Kooperationsverwaltung von Bund und Ländern im nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz wirft die genaue rechtliche Einordnung des BfV manches Problem auf, das in der Literatur bisweilen Beachtung findet, von der legislativen und administrativen Praxis indes oftmals übergangen wird. Hier zählt aus verständlichen Gründen vor allem die Effektivität der Arbeitsweise der einzelnen Behörden, weniger die diffizile verfassungsrechtliche Struktur. Anders verhält es sich in der politischen Öffentlichkeit, wo bisweilen sogar die Frage nach der Existenzberechtigung des BfV andiskutiert wird: So forderten Politiker der CSU, der F.D.P. und der SPD im Herbst 1991 schlichtweg die Auflösung des Amtes und allenfalls seine Ersetzung durch eine kleine Koordinierungsstelle, ι Auch wenn dem von Regierungsseite sofort vehement widersprochen wurde2, soll dies doch Anlaß genug sein, die konkrete Stellung des BfV näher zu beleuchten. Im einzelnen wird es dabei vor allem um die Frage gehen, welche verfassungsrechtlichen Grundlagen das Amt hat, welchen Rechtscharakter es besitzt (Zentralstelle und/oder Bundesoberbehörde) und welche Aufgaben es danach wahrnehmen darf. Alle diese Punkte sind eng miteinander verwoben.
I. Verfassungsrechtliche Grundlagen
1. Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG Bei erster Betrachtung scheint Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG haargenau auf das BfV zugeschnitten zu sein. Danach kann der Bund durch Bundesgesetz eine "Zentralstelle zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungs1
So - wahrscheinlich jeweils aus verschiedenen Motiven - CSU-Generalsekretär Erwin Huber, ähnlich der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Bundestag, Rudi Walther (SPD), und der schleswig-holsteinische F.D.P.-Vorsitzende Wolfgang Kubicki (zit. nach SZ v. 21. 10. 1991, S. 2). 2 Namenüich durch den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und den ehemaligen bayerischen Innenminister und jetzigen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (zit. nach SZ v. 22. 10. 1991, S. 2, und FAZ v. 22. 10. 1991, S. 7).
1 3 4 2 .
Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
schutzes und des Schutzes gegen Bestrebungen im Bundesgebiet" einrichten, "die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden" ( = Ausländerextremismus). Allerdings bedarf diese Annäherungsweise der Korrektur: Nicht eine Norm des Grundgesetzes braucht auf eine Behörde zugeschnitten zu sein, vielmehr muß die grundgesetzliche Vorgabe durch die Einrichtung einer Behörde konkret ausgegossen werden. Durch § 2 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG scheint dies geschehen zu sein.
2. Art. 73 Nr. 10 Buchst, b und c GG Da es sich beim BVerfSchG um ein Bundesgesetz handelt, wird auch der Bereich der Gesetzgebung relevant. Hier stößt man auf Art. 73 Nr. 10 Buchst, b und c GG, wonach der Bund die ausschließliche Kompetenz fur die "Zusammenarbeit des Bundes und der Länder" in den eben genannten Feldern besitzt.
Π. Das Verhältnis von Art. 87 Abs. 1 Satz 2 zu 73 Nr. 10 GG
1. Scheinbare Entsprechung Das Verhältnis der Art. 73 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG zueinander ist indes zweifelhaft. 3 Zunächst könnte man dem Trugschluß erliegen, sie seien inhaltlich völlig deckungsgleich und insofern harmonisch aufeinander abgestimmt, als die (ausschließliche) Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich des Verfassungsschutzes durch seine Verwaltungskompetenz ergänzt werde und andererseits die Verwaltungskompetenz des Bundes mit ihrem organisatorischen Gesetzesvorbehalt auf Art. 73 Nr. 10 GG verweise, durch ihn gleichsam ausgefüllt werde.
3 Vgl. v. Mangoldt/Klein, Abs. 1 vor a) (S. 1503 f.).
Alt. 87 Anm. 4. b) ee) (S. 2277) und Art. 73 Anm. X V I I . 2.,
C. Die Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz
135
2. Tatsächliche Inkongruenz Eine solche Annahme erweist sich bei näherer Überprüfung indes als unzutreffend; tatsächlich tritt in beiden Vorschriften eine erstaunliche Inkongruenz zutage: Die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 73 Nr. 10 GG besteht in erster Linie (nur) fur die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder im Verfassungsschutz; ihrem Wortlaut nach bezieht sie sich also nicht auf die Einrichtung von Behörden oder die Formulierung von Aufgaben. 4
3. Lösungsalternativen a) Röttgen und auch Evers meinen daher, Art. 73 Nr. 10 GG entbehre für sich allein gesehen jeglicher Ermächtigung zu materiellen Regelungen und habe nur organisationsrechtlichen Inhalt. Insofern nähme diese Norm gegenüber den sonst hauptsächlich materiellrechtlich konzipierten Bundeszuständigkeiten des Art. 73 GG eine Sonderstellung ein.5 Sachliche und allgemeine verfahrensrechtliche Regelungen dürfe der Bundesgesetzgeber indes aufgrund der Ermächtigung des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG (kraft eines Errichtungsgesetzes) treffen, selbstverständlich aber nur innerhalb von dessen engem Rahmen.* Denn Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG betrifft nur die Verwaltungskompetenz zur Einrichtung einer Zentralstelle des Bundes und läßt dessen Beziehungen zu den Ländern zunächst unberührt. b) Gusy entwirft diesem Ausgangspunkt entsprechend für den nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz auf Bundesebene folgendes Bild:? Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG enthalte eine eigenständige und ausschließliche Bundesgesetzgebungskompetenz fakultativer Art. Wenn der Bund von seiner Befugnis, eine derartige Zentralstelle einzurichten, Gebrauch machen wolle, dann müsse er dies obligatorischerweise durch den Erlaß eines Bundesgesetzes tun, das seine Grundlage ausschließlich in Art. 87 GG finde. Ein Rückgriff auf die Ermächtigung des Art. 73 Nr. 10 GG sei nicht nur nicht notwendig, sondern 4
Vgl. dazu aber bereits oben die Auslegung unter Α. IV.! Zum problematischen Verhältnis von Art. 87 Abs. 1 Satz 2 zu Art. 79 Nr. 10 GG, freilich in bezug auf das BKA, vgl. auch Ahlf, S. 59 ff. 5 Röttgen, S. 98; Evers, BK, Rdnr. 9. Gleicher Meinung: Becker, Zentralstellen ..., S. 553. 6 Evers, ebd., Rdnr. 45. 7 Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 202. Bezüglich des BKA folgt ihm Ahl/, S. 79.
136
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
konzeptionell verfehlt und verfassungsrechtlich ausgeschlossen.8 - Die Existenz einer Gesetzgebungskompetenz im Verwaltungsorganisationsteil des Grundgesetzes (VIII. Abschnitt) mag befremden; 9 sie ist jedoch bei vergleichender Betrachtung keine außergewöhnliche Besonderheit: Stern zeigt auf, daß sich eine Vielzahl von Gesetzgebungszuständigkeiten außerhalb des dafür eigentlich vorgesehenen VII. Abschnitts des Grundgesetzes (Art. 70 bis 75) befindet, so z. B. in den Art. 4 Abs. 3 Satz 2, 21 Abs. 3, 38 Abs. 3 oder mit 87 Abs. 3 gerade auch im VIII. Abschnitt. Die Konsequenz von Gusys Ansicht wäre demnach, daß die Er- und Einrichtung des BfV samt seiner Aufgaben und Befugnisse ausschließlich von Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG regiert würde und mit Art. 73 Nr. 10 GG nichts zu tun hätte, π c) Anderer Ansicht scheint Maunz zu sein, wenn er darlegt, daß die Aufgaben des BfV zwar nicht durch Art. 73 Nr. 10 GG geregelt, aber durch diese Vorschrift doch vorausgesetzt würden. 12 Dies bedeutet, daß sedes materiae fur das BfV (zumindest auch) diese Norm sein müßte. Zwar ergebe sich die verwaltungsrechtliche Zulässigkeit fur das Amt aus Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, die Gesetzgebungszuständigkeit aber aus Art. 73 Nr. 10 GG oder, falls dessen Tatbestandsvoraussetzungen überschritten seien, jedenfalls aus der Natur der Sache. 13 Eine materielle Gesetzgebungszuständigkeit, die aus Art. 87 GG abgeleitet ist, wird nicht aufgeführt. d) Eine andere Verknüpfung zwischen beiden Normen stellt Schmidt her, wenn er schreibt, daß die eigentliche Bedeutung des Art. 73 Nr. 10 GG vorwiegend in der Zuständigkeitsregelung für die nach Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG zu erlassenden Gesetze liege. n
8 Freilich schwächt Gusy seine Ansicht an anderer Stelle (in: BND, S. 276) wieder ab und vollfuhrt so eine Relativierung der eigenen Position, wenn er schreibt, daß Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG nicht auf die Aufgaben und Befugnisse abstelle, sondern auf den Akt der Errichtung. 9 Ahl% S. 80 ff., liefert mit einem Hinweis auf Ziffer 3 des Alliierten Polizeibriefes (abgedruckt bei Hans Schneider, Polizeirecht, Berlin/München, 1950, Anhang 3 b), und Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 189; s. bereits oben, 1. Teil, B. U. 3. g)!), der ebenfalls einen Gesetzesvorbehalt forderte, eine interessante Erklärung für den Entstehungsgrund von Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG. 1° Zusammenstellung bei Stern, Staatsrecht, Bd. 2, S. 602 f. 11 Dieser Meinung hängt auch Roewer, Einl. zum BVerfSchG, Rdnr. 9, an. Keine eindeutige Entscheidung trifft Badura, Legitimation des Verfassungsschutzes, S. 32 f. 12 Maunz, M / D , Art. 87 Rdnr. 60. 13 Maunz, M / D , Art. 73 Rdnr. 160; ähnlich auch Borgs/Ebert, vor § 1 BVerfSchG, Rdnr. 8. 14 Schmidt, S. 19.
C. Die Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz
4. Vorläufige
137
Stellungnahme
Schon aus dieser kurzen Literaturübersicht ist zu entnehmen, daß eine klare und eindeutige Lösung dieser Verschachtelung von zwei grundgesetzlichen Vorschriften verschiedenen Typs und Inhalts schwer fällt. Sicherlich kommt dem Gedanken, daß Art. 73 Nr. 10 GG hauptsächlich zur bundesgesetzlichen Koordination in der Verfassungsschutzverwaltung ermächtige und damit organisationsrechtlichen Charakter habe, Berechtigung zu. Andererseits ist jedoch zu bedenken, daß eine Zusammenarbeit, wie sie von Art. 73 Nr. 10 GG gefordert wird, die Existenz von Verfassungsschutzbehörden auf Bundes- wie auf Landesebene voraussetzt, denen jeweils auch eigene Aufgaben und Befugnisse zukommen müssen. Auf recht schwankendem Boden stünden aber auch die Verfechter einer Ansicht, nach der solche Aufgaben und Befugnisse auf Bundesebene allein auf Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG zu gründen seien. Denn ein gewichtiger Zweck dieser Norm besteht mit Rücksicht auf ihre systematische Stellung doch darin, für die Einrichtung einer "Zentralstelle" einen institutionellen Gesetzesvorbehalt aufzustellen; sie hat daher in klassischer Weise organisationsrechtlichen Inhalt und wird mithin als Organisationsnorm aufzufassen sein.is Daneben mag ihr zwar auch kompetentielle Essenz abgewonnen werdend, die sich aber überwiegend in der verwaltungszuständigkeitsrechtlichen Etablierung von Zentralstellen erschöpft. Faßt man die bisher angestellten Überlegungen zusammen, so zeigt sich, daß ein befriedigendes Ergebnis fur die Zuordnung von Art. 73 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG bisher noch nicht erzielt werden konnte. Dies deutet darauf hin, daß für eine umfassende Lösung wohl noch andere Gesichtspunkte mit einbezogen werden müssen, wie sogleich darzustellen sein wird.
ΠΙ. Begriffliche Verwirrungen
Die geschilderten Unwegsamkeiten bei einer Harmonisierung von Art. 73 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG werden verbreitert durch das einfache Gesetzesrecht, durch § 2 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG: Dort wird das BfV nämlich nicht als Zentralstelle bezeichnet, wie es durch Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG vorgegeben ist und eigentlich zu erwarten gewesen wäre, sondern als Bundes-
15 So BVerfGE 14, 197 (210) für den insoweit analogen Fall des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG. Vgl. wiederum BVerfGE 14, 197 (210), allerdings zu Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG.
138
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
oberbehörde. π Von einer Bundesoberbehörde ist indes im (verfassungsschutzrechtlichen) Kontext des Grundgesetzes lediglich an anderer Stelle, in Art. 87 Abs. 3 GG, die Rede. Vor der näheren Untersuchung dieser Disharmonie drängt sich ein Abgrenzungsversuch beider Einrichtungsmöglichkeiten auf. Vorweg dürfte dabei eines klar sein: Eine Gleichsetzung von Zentralstelle und Bundesoberbehörde kommt in keinem Falle in Betracht.18 Anderenfalls müßte dem Grundgesetzgeber systematische Inkompetenz und Inkonsequenz in grobem Maße vorgeworfen werden, wenn er beide Begriffe als Synonyme verwendet haben wollte.
1. Bundesoberbehörde Nach h. M . 1 9 zeichnet sich eine Bundesoberbehörde i. S. d. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG dadurch aus, daß sie innerhalb der unmittelbaren Bundesverwaltung als selbständige, dekonzentrierte Behörde aus einer obersten Bundesbehörde ausgelagert ist und eine Stufe unter der Ministerialverwaltung steht. Sinn und Zweck dieses Vorgehens ist die Ermöglichung einer vertiefteren Spezialisierung auf ein bestimmtes Fachgebiet.
2. Zentralstelle a) Alle diese Merkmale treffen auch für die Z e n t r a l s t e l l e ^ zu, die außer in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG sonst im Grundgesetz keine Erwähnung findet, womit sich eine systematische Auslegung erübrigt. 21 Allerdings kommt bei
i? Im Bundeshaushaltsplan 1988, Kap. 0609, Titel 54101, wird das BfV jedoch wiederum als Bundesoberbehörde und als Zentralstelle bezeichnet; vgl. den Abdruck bei Ritter, S. 86 f. 18 So aber ausdrücklich Roewer, § 2 BVerfSchG Rdnr. 8; zu undifferenziert Kratzer, S. 598; unklar bei Badura, Legitimation des Verfassungsschutzes, S. 33. 19 Vgl. nur Maunz, M / D , Art. 87 Rdnr. 54; v. Mangoldt/KLein, Art. 87 Anm. I V . 4. b) (S. 2274 ff.); Loeser, Theorie und Praxis der Mischverwaltung, S. 186 ff.; Becker, Nichtministerielle Organisationseinheiten ..., S. 153 f.; s. auch BVerfGE 14, 197 (210 ff.). - Zur Entstehungsgeschichte des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG und zu grundsätzlichen Beziehungsfragen s. auch Kratzer, S. 529 f. 20 Eine großangelegte rechtshistorische Untersuchung der Geschichte der Zentralstellen in Deutschland, freilich mit Blick auf das BKA, bietet Ahlf S. 135 ff. 21 Zur Entstehungsgeschichte vgl. Becker, Zentralstellen S. 552 f.
C. Die Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz
139
dieser eine weitere, wichtige Funktion hinzu: die der Koordinierung. 22 Zentralstellen sollen also mit Hilfe ihrer Fachspezialisierung die Zusammenarbeit mehrerer daneben bestehender, unabhängiger Behörden in sinnvoller Weise regeln, so daß aus einer Mehrzahl von Angriffspunkten möglichst ein intelligentes, wirkungsvolles Ganzes wird, das synergetische Ergebnisse liefert. 23 An diesem Punkte der sinnvollen Koordination treffen sich im vorliegenden Fall die Art. 73 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG wieder: Die Begriffe "Zusammenarbeit" in jener und "Zentralstelle" in dieser Vorschrift scheinen daher doch nicht beziehungslos nebeneinanderzustehen, sondern entsprechen einander und fugen sich in ein inneres Bedingungsverhältnis ein. 24 Zentralstelle stellt aufgrund der ihr zusätzlich zukommenden Koordinationsaufgabe also den weiteren, Bundesoberbehörde den engeren Begriff dar. 25 b) Loeser bringt zusätzlich ein anderes Abgrenzungskriterium ins Gespräch, wenn er herausarbeitet, daß die Zentralstellen - im Gegensatz zu den Bundesoberbehörden - hinsichtlich ihrer Koordinierungsaufgabe steuerungsbefugt seien, daß ihnen demgemäß insoweit ein Weisungs- oder Direktionsrecht zustehe.26 Dieses Merkmal mag seine Berechtigung haben, insbesondere wenn man den Parallelfall zur Verfassungsschutzverwaltung, das Bundeskriminalamt (BKA) in seiner Stellung gegenüber den Landeskriminalämtern (LKÄ), betrachtet.27 Für das BfV hilft es indes nicht weiter, weil ihm nach dem neuen BVerfSchG jegliche Direktionsbefugnisse gegenüber den Landesverfassungsschutzbehörden fehlen. 28 Eindeutig zu weit geht Loeser allerdings, wenn er dem BfV als Zentralstelle "echte eingriffsverwaltende Zuständigkeiten repressiv-polizeilicher und sogar teilweise präventiv-polizeilicher
22 Evers, BK, Rdnr. 20, betont freilich, daß sich die Koordinierungsaufgaben im Verhältnis zu den Landesbehörden nicht aus dem Wesen der Zentralstelle, sondern aus der ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Anordnung des Art. 73 Nr. 10 GG ergäben. Für Ulrich Prutsch, Die Bundesverwaltung, in: Verwaltungsrundschau 1985, S. 308 (311), scheinen die Begriffspaare Spezialisierung fur die Bundesoberbehörde und Koordination fur die Zentralstelle fast in einem alternativen Verhältnis zu stehen. 23 Für Becker y Zentralstellen ..., S. 554, besteht der Inhalt der Koordination in zwei Ebenen: (1) in zentral koordiniertem Handeln in einem oder mehreren Teilen des Bundesgebietes, d. h. in der horizontalen Organisation, und (2) in der Aufbauorganisation zwischen Bund und Ländern, d. h. in der vertikalen Organisation. 24 So wohl auch Schmidty S. 20, wenn er den Rückgriff auf Art. 73 GG zur Auslegung des Art. 87 GG als statthaft erachtet. 25 Anders analysiert Becker, Nichtministerielle Organisationseinheiten ..., S. 156; ders., Zentralstellen ..., S. 553 f., für den Zentralstelle im Verhältnis zur Bundesoberbehörde einen Behördentyp eigener Art, d. h. ein aliud, darstellt, der sich zwischen die Bundesverwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau und die ohne eigenen Verwaltungsunterbau einreiht. 26 Loeser y Theorie und Praxis der Mischverwaltung, S. 186 ff. (190); ebenso Brenner, S. 39. 27 Vgl. die §§ 5 Abs. 5 Satz 1, 7 Abs. 1 Satz 2 und auch 8 Abs. 3 BKAG. 28 Das Weisungsrecht des § 7 BVerfSchG steht nicht dem BfV, sondern ausschließlich der Bundesregierung zu; vgl. oben Α. IV. 5. e)!
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Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
Art" zugesteht.29 Ohne auf das Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz im einzelnen eingehen zu müssen,30 wäre eine solche Annahme ein schwerer Verstoß gegen das geltende Gesetzesrecht des § 8 Abs. 3 BVerfSchG.
5. "Falsa demonstratio " ? Umso unverständlicher wird vor diesem Hintergrund die Verwendung des engeren Begriffes "Bundesoberbehörde" durch den Gesetzgeber des BVerfSchG. Dittmann entschuldigt dieses Vorgehen mit der Annahme einer "falsa demonstratio " 31 ; damit wird dem Bundesgesetzgeber bescheinigt, daß er in dilettantischer Weise zwar Zentralstelle gemeint, aber Bundesoberbehörde normiert habe, was großzügig entschuldigt werden müsse. Eine derartig fahrige Gedankenlosigkeit kann der bundesdeutschen Legislative32 m. E. indes nur schwerlich unterstellt werden, zumal sich die Bezeichnung Bundesoberbehörde nicht erst (quasi als "Ausrutscher") im neuen BVerfSchG findet, sondern an gleicher Stelle sowohl in der ursprünglichen Fassung des BVerfSchG aus dem Jahre 195033 als auch in der novellierten Form aus dem Jahre 197234 auftaucht. Für Klein ist dieses Auseinanderfallen daher "nicht billigenswert"35; Schwagerl schreibt, daß dieser Widerspruch nicht völlig aufgeklärt sei.36 Vor und gleichzeitig zu einer möglichen Auflösung dieses Dilemmas soll hier jedoch noch ein anderes Problem eingeschoben werden.
29 Loeser, ebd., S. 187. Vgl. dazu nur Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 186 ff.; Borgs/Ebert, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 125 ff. S. a. unten, 4. Teil, Β. I.! 51 Dittmann, S. 234. 32 Als Zustimmungsgesetz wirkte am BVerfSchG nicht nur der Bundestag, sondern auch der Bundesrat mit. Darüber hinaus war das Gesetz von der Bundesregierung eingebracht worden, so daß sich drei oberste Bundesorgane mit ihm beschäftigt haben; vgl. BT-Drs. 11/4306. 33 BGBl. 1950 S. 682; vgl. auch BT-Drs. 924 und 1209; BT-Prot. S. 2387 ff. und 2394 ff. ** BGBl. 1972 I S . 1382; vgl. auch BT-Drs. 6/1179. 3 5 v. Mangolät/Klein, Art. 87 Anm. V I 4 b) ee) (S. 2277). - Für Brenner, S. 39 (FN. 150), ist die Bezeichnungsverwechlung "unschädlich", da der Begriff der Bundesoberbehörde in dem der Zentralstelle aufgehe. 36 A.a.O., S. 114; vgl. auch die kritiklose Erwähnung dieser Disharmonie bei Blümel, Rdnr. 103. 30
C. Die Stellung des Bundesamtes f r Verfassungsschutz
141
IV. Aufgabenumfang des Bundesamtes für Verfassungsschutz
Eine weitere Streitfrage taucht im Zusammenhang mit dem BfV auf, nämlich die, welche konkreten Aufgaben ihm i. R. d. Verfassungsschutzverwaltung als Koordinierungsverwaltung von Bund und Ländern zukommen.
7. Begrenzung auf Zentralstellenaufgaben Anhänger eines starken Föderalismus könnten die Auffassung vertreten, daß das Amt als Zentralstelle auf deren klassische Aufgaben zu beschränken sei.37 Danach bestünde der Sinn und Zweck des Amtes (ausschließlich) in der Koordinierung 3* der Verfassungsschutzbehörden der Länder. Deren Erkenntnisse sollten im BfV (nur) zentral zusammenlaufen und miteinander vernetzt werden; ferner dürfe das Amt auch noch eine Abstimmung der Arbeit der Landesverfassungsschutzbehörden vornehmen. Weitere Aufgaben seien dem Amt zu verwehren: Es müsse sich jeglichen Auftretens nach außen enthalten, es dürfe also insbesondere keinerlei selbständige Ermittlungs- oder Auswertungstätigkeit entfalten. Der eigentliche nachrichtendienstliche Verfassungsschutz "an der Front der Feinde des Grundgesetzes" läge somit völlig bei den Landesverfassungsschutzbehörden.
2. Eigenständige Aufgaben Daß diese Vorstellung der Verfassungsschutzpraxis nicht entspricht, bedarf keiner vertiefteren Darstellung.39 In der Verwaltungswirklichkeit nimmt das BfV sehr wohl selbständig Ermittlungs- und Auswertungstätigkeiten im gesamten Bundesgebiet wahr; es befaßt sich also außer mit den ihm unstreitig zukommenden Zentralstellenaufgaben auch mit Tätigkeiten, die hier als eigenständige Aufgaben bezeichnet werden sollen. Diese Praxis findet ihre 37 So ζ. B. wohl CSU-Generalsekretär Erwin Huber (zit. in SZ v. 21. 10. 1991, S. 2). Andere, rechUich interessante, aber nicht zwingende Erwägungen führt Schatzschneider, S. 55 ff. m.w.N., an. Gleicher Meinung wohl ebenfalls: Becker, Zentralstellen ..., S. 554 f. 38 Koordination von lat. (co-) ordinare: (in Bezug aufeinander) regeln, gehörig einrichten, ordnen. 39 Vgl. nur Bundesminister des Innern, Verfassungsschutzbericht 1990, a.a.O. - Allgemein zum Verfassungsschutzbericht: Christoph Gusy, Der Verfassungsschutzbericht, in: NVwZ 1986, S. 6 ff.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
Stütze im BVerfSchG, wo in § 3 die unmittelbare Sammlungstätigkeit ausdrücklich als Aufgabe des Amtes normiert ist. Zudem sind in den §§ 8 ff. BVerfSchG im einzelnen auch die Befugnisse geregelt, die ihm zur Erfüllung dieser Aufgaben zustehen. In der einschlägigen Literatur erfährt diese Sicht der Dinge schließlich auch überwiegende Zustimmung.40 - Eine Mindermeinung hält indes dafür, diese eigenständigen Aufgaben des BfV als subsidiär hinter die von den Ländern effektiv wahrgenommene nachrichtendienstliche Ermittlungsarbeit zurückzuschrauben und ihm ein Tätigwerden nur dort zu erlauben, wo Verfassungsschutzaufgaben von den Ländern nicht wirksam oder nicht zweckmäßig wahrgenommen werden könnten. Insofern würden die eigenständigen Sammlungstätigkeiten des BfV zu komplementären Aufgaben reduziert. 41 Dieser Ansicht dürfte also eine vermittelnde Position in der Diskussion um den Aufgabenumfang zukommen.
3. Stellungnahme Die grundsätzliche Streitfrage nach dem Aufgabenumfang des BfV bleibt über den Regelungsinhalt des BVerfSchG als einfachen Bundesgesetzes bestehen und kann nur durch eine Verfassungsanalyse beantwortet werden: a) Ein vordergründiger Blick auf Art. 73 Nr. 10 GG scheint der streng föderalistischen Auffassung, die eigenständige wie auch komplementäre Aufgaben für das BfV ablehnt, recht zu geben. Denn diese Vorschrift umschreibt ihrem Wortlaut nach lediglich die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder, gibt dem Bund aber keine ausdrückliche Regelungskompetenz für eigenständige Aufgaben seines BfV. Diese Ansicht wird durch die Kommentierungen Evers' noch untermauert, die feststellen, daß dieser Norm nur organisationsrechtlicher Inhalt z u k o m m t . 4 2 b) Eine derartige Sichtweise erweist sich m. E. indes als im Ergebnis nicht tragfahig, weil zu sehr am Wortlaut haftend. Denn wenn Art. 73 Nr. 10 GG von der Zusammenarbeit des Bundes und der Länder im Verfassungsschutz spricht, dann setzt er damit zwingend voraus, daß sowohl die Länder als auch der Bund mit dieser Aufgabe befaßt sind und auf diesem Gebiet auch konkret 40 Vgl. für viele nur Evers, BK, Rdnrn. 10, 20, 21, 45, 49; Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 203 f.; Schoeriy S. 128 f.; Maunz, M / D , Art. 87, Rdnr. 60; Borgs /Ebe rt, § 1 BVerfSchG Rdnr. 9. 41 So Schmidt, S. 32 ff.; Denninger y Die Trennung von Verfassungsschutz und Polizei ..., S. 231; Kalkbrenner, S. 73 f.; Rupp, S. 164; Schatzschneider, S. 54 (69). 42 S. oben, C. Π. 3. a)!
C. Die Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz
143
tätig werden. Dieser Gedanke wurde weiter oben bereits für den Bereich der Länder näher dargestellt.43 Überträgt man ihn auf den Verwaltungsbereich des Bundes, so kann sich nichts anderes ergeben: Wenn der Bund mit den Ländern wirkungsvoll kooperieren will - was Art. 73 Nr. 10 GG fordert -, dann muß er auch eigenständige Kompetenzen im nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz haben. Wie sonst könnten Bund und Länder als gleichberechtigte Partner "zusammenarbeiten1*? Eine Beziehung, die sich in dem Verhältnis von Länderbehörden zu einer Zentralstelle als bloßem "Nervenknoten" erschöpfte, würde den Namen der Zusammenarbeit sicherlich nicht verdienen. Weil Art. 73 Nr. 10 GG also eine aktive Bundestätigkeit in der Verfassungsschutzverwaltung voraussetzt, begründet er zugleich auch die (ausschließliche) Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf materiellem Gebiet, freilich begrenzt auf den Rahmen der Bundesverwaltung.44 Daher kann der Auffassung, nach der dieser Vorschrift nur organisationsrechtlicher Inhalt zukomme, nicht beigepflichtet werden. c) Dies wird darüber hinaus noch durch folgenden Gedankengang erhärtet: Die Anhänger der These vom ausschließlich organisationsrechtlichen Inhalt des Art. 73 Nr. 10 GG stützen die Bundeskompetenz zur Regelung der materiellen Aufgaben und Befugnisse für das BfV im nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz auf Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG. Tatsächlich ist darin von einer Sammlungstätigkeit einer (Bundes-) Zentralstelle die Rede. Allerdings wird dabei doch die Tatsache unterschätzt, daß diese Bestimmung eben nicht im VII. Abschnitt des Grundgesetzes steht, der die Gesetzgebungskompetenz regelt, sondern im Verwaltungsorganisationsteil, dem VIII. Abschnitt. Vor diesem Hintergrund hat das BVerfG ausdrücklich bemerkt, daß das Grundgesetz die Verwaltungszuständigkeit von der Gesetzgebungszuständigkeit für die Sachregelung trenne, weshalb die Zuständigkeit zur Errichtung einer Bundesbehörde von der Zuständigkeit zur Sachregelung zu trennen sei, und zwar auch dann, wenn Sachregelung und Errichtung durch ein und dasselbe Gesetz erfolgten. 45 Daraus ist klar zu ersehen, daß Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG nicht (oder jedenfalls nicht ausschließlich) zur Begründung von materiellen Gesetzgebungskompetenzen dienen kann.46 d) Es bleibt also dabei, daß Art. 73 Nr. 10 GG auch eine materielle Ermächtigung dahingehend enthält, daß der Bundesgesetzgeber über den Wort43
S. oben, Α. I V . 1. b)! Ähnlich auch Borgs/Ebert, vor § 1 BVerfSchG Rdnr. 8 a. E.; nicht dezidiert Badura, Legitimation des Verfassungsschutzes, S. 32 f. 45 BVerfGE 14, 197 (213). Auch Brenner, S. 38 oben, betont, daß Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG nicht auf Zuständigkeiten oder Befugnisse abstelle, sondern auf den Akt der Errichtung. Die gegenteilige Auffassung von Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 202, dürfte daher keinen Beifall verdienen. 44
1 4 4 2 .
Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
laut der Vorschrift hinaus befugt ist, eigenständige Aufgaben und Befugnisse fur das BfV zu normieren. e) Hat er dies, wie in den §§ 3 und 8 ff. BVerfSchG, erst einmal getan, so erhebt sich indes die daran anschließende Frage, ob die Verwaltungskompetenz des Bundes in diesem Bereich auch so weit reicht wie seine Gesetzgebungszuständigkeit. Denn in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG wird zwar von der "Sammlung von Unterlagen" gesprochen, nicht jedoch auch von deren Auswertung. Spitzfindige Argumentationsfuhrer könnten daher auf den Gedanken kommen, daß letztere Tätigkeit dem BfV nicht oder nur in begrenztem Maße zustünde.47 Damit nicht genug - bereits die Reichweite des Begriffes "Sammeln" ist umstritten.48 Nach einer restriktiven Auffassung umfaßt er nur die Entgegennahme von Informationen, die allgemein zugänglich sind oder dem BfV von den Landesverfassungsschutzbehörden übermittelt werden. 49 Sammlung sei demnach ein aliud zu dem Vorgang der Beschaffung als zielgerichtete Gewinnung von Informationen. 50 Die Gegenansicht interpretiert diese aktive Beschaffung in den Begriff des Sammeins mit hinein; Sammlung sei also der weitere, Beschaffung der davon umfaßte, engere Begriff. si Bei genauerer Betrachtung wird bei diesen Meinungsverschiedenheiten um die Auslegung des Wortes "Sammlung" der alte Streit um den Aufgabenumfang des BfV auf einem Nebenschauplatz erneut ausgetragen. Eine Aufgabenbeschränkung für das Amt war schon aus Gründen einer gleichberechtigten Zusammenarbeit i. S. v. Art. 73 Nr. 10 GG abzulehnen. Eine sinnvolle Interpretation des "Sammeins" in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt zudem, wie Roewer semantisch und sprachvergleichend beweist, nichts anderes:52 Denn auch der Briefmarken- oder Pilzesammler beschränkt sich nicht nur auf Zufallsfunde, sondern "durchforstet" sein Zielgebiet in aktiver Weise.53 Sammlung ist damit nach zutreffender Definition das bewußte Festhalten von Informationen, unabhängig davon, ob diese zufällig erlangt wurden, ob sie zum Zwecke der
47
S. dazu sogleich unter f)! Darstellung bei Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen S. 203, und bei Roewer, § 3 BVerfSchG Rdnr. 8. 49 Schatzschneider, S. 55 m.w.N.; vermittelnd Denninger, Amtshilfe ..., S. 32 f.; Jürgen Salzwedel, Möglichkeiten und Grenzen einer rechtsstaatlichen Kontrolle des Verfassungsschutzes, in: Hermann Conrad (Hrsg.), Gedächtnisschrift fur Hans Peters, Heidelberg/ New York, 1967, S. 756 (787). 50 Zum nachrichtendienstlichen Begriff der Beschaffung s. Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 8 (FN. 6). 51 Evers y BK, Rdnr. 49; Schmidt, S. 25; Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 203; Maunz, M / D , Art. 87, Rdnr. 60. 52 Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 8. 53 Zum selben Ergebnis, allerdings mit einem völlig anderen Lösungsansatz, gelangt auch Gusy y Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 203. 48
C. Die Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz
145
Sammlung ermittelt worden waren oder ob sie zielgerichtet und planvoll selbst beschafft wurden. 54 f) Ist in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG noch von "Sammlung" die Rede, so schweigt der Verfassungswortlaut zum Thema "Auswertung ", diese Tätigkeit könnte fur das BfV demnach zur Tabuzone erklärt werden. Vernünftigerweise läßt sich eine solch extreme Position indes nicht durchhalten. Denn welchen Nutzen erbrächte die Sammlung von Informationen fur die Bundesverfassungsschutzverwaltung, wenn diese nicht auch ausgewertet werden dürften? Oder um bei dem Bild des Pilzesammlers zu bleiben: Was hätte er von seinen Waldexkursionen, wenn ihm das Verspeisen der Pilze verwehrt bliebe? Wenn also erstens der Verfassungsschutz Staatsaufgabe ist und wenn zweitens dem BfV die Sammlung von Unterlagen im Verwaltungsabschnitt des Grundgesetzes ausdrücklich zugewiesen ist, dann gehört dazu zwingenderweise auch deren Auswertung. Jedes andere Plädieren würde sich im Absurden verlieren. Räsonieren läßt sich allerdings über den Umfang der Auswertung. Sie umfaßt unstreitig die Aufarbeitung der erlangten Informationen durch Bewertung, Vergleich, Lagebilderstellung, Einordnung, Katalogisierung und Aufbewahrung.55 Fraglich erschien es Bull, ob dazu auch die Informationsweitergabe zählt.5« Diese Einschränkung im Aufgabenbereich nahm er wohl deshalb vor, um die nach alter Rechtslage völlig unbestimmten Übermittlungsbefugnisse der einzelnen Behörden in der Verfassungsschutzverwaltung auf übergeordneter Stufe sinnvoll zu begrenzen. Zu einer derartig engherzigen Auslegung des Begriffes "Auswertung " besteht heute allerdings kein Anlaß mehr, da die §§ 5 Abs. 1 und 3, 6 und 17 ff. BVerfSchG die Informationsübermittlung ausdrücklich als Aufgabe des Bundes und der Länder neben die Sammlung und Auswertung stellen und eingehende Befugnisregelungen dafür treffen. Faßt man die Verfassungsschutzverwaltung zudem als Koordinierungsverwaltung und demgemäß als gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern i. R. einer effektiven Zusammenarbeit auf, so müssen zu einer behördenübergreifenden Auswertung auch die Informationsweitergabe und der Informationsaustausch zählen. g) Fazit dieser Untersuchung ist deshalb, daß die Aufgaben des BfV sowohl Zentralstellenaufgaben umfassen als auch eigenständige Tätigkeiten, nämlich die des Sammeins und der Auswertung von Informationen.
54 55 56
So Roewer, ebd. Vgl. Roewer, ebd., Rdnr. 9. Bull, Datenschutz ..., S. 139; vgl. dazu auch unten, E. IV. 1.!
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
V. Zusammenfassender Lösungsansatz: Verwaltungsorganisatorischer Doppelcharakter
1. Zentralstelle
und Bundesoberbehörde
a) Aufgabenduplizität Ist der Aufgabenumfang des BfV aber erst einmal umrissen, so harren die oben aufgedeckten Unstimmigkeiten in der Bezeichnung des Amtes aber weiterhin einer zufriedenstellenden Lösung. Ist es nun Zentralstelle oder, wie in § 2 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG normiert, doch Bundesoberbehörde? Unter Berücksichtigung der bisher gefundenen Ergebnisse bietet sich m. E. hier ein Ausweg an, der von der Zweiteilung der Zuständigkeiten des BfV ausgeht. Seine Funktion zerfallt - wie im übrigen auch die des BKA5? - in zwei Bereiche: Einerseits ist das Amt Zentralstelle und hat demgemäß auch die oben dargelegten Koordinierungsaufgaben, d. h., es hat die Tätigkeiten der Länder auf dem Gebiete des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes zu verknüpfen und i. R. d. Zusammenarbeit aufeinander abzustimmen. Andererseits kommen ihm aber auch eigenständige Aufgaben der Informationssammlung zu. Daher ist es zugleich auch Bundesoberbehörde, die i. R. ihrer unmittelbaren Ermittlungs- und Auswertungstätigkeiten eine Spezialisierung aufweist. 58 Insoweit gründet sich die Existenzberechtigung des Amtes nicht (nur) auf Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern vielmehr (auch) auf Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG!»
57 Vgl. § 2 BKAG einerseits ( = "Zentralstellenaufgaben") und die § § 5 , 6, 8, 9 und 10 BKAG ( = "originäre Aufgaben") andererseits. 58 Auch Badura, Legitimation des Verfassungsschutzes, S. 29 oben, wählt diese Bezeichnung fur das BfV, allerdings wohl nur in Anlehnung an den Text des BVerfSchG. Ohne das Problem einer eingehenderen Untersuchung zu unterziehen, scheint auch Schwagerl, S. 115, implicite zu einer ähnlichen Losung zu tendieren. 59 Ahlf S. 11 ff., will in seiner Dissertation über das BKA allerdings beide Aufgabenbereiche unter die Zentralstellenfunktion i. S. v. Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG subsumieren. Seine Feststellungen lassen sich m. E. jedoch nur sehr bedingt auf das BfV übertragen, wofür die Verschiedenartigkeit des jeweiligen Auftrages, aber auch die in Einzelpunkten durchaus stark unterschiedliche Ausgestaltung des BKAG einerseits und des BVerfSchG andererseits sprechen. Abgesehen davon mißt auch Ahlf S. 32 ff., dem BKA sowohl Zentralstellen- als auch Bundesoberbehördencharakter zu.
C. Die Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz
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b) Beschrankung durch Art. 73 Nr. 10 GG? Nun könnte dagegen einzuwenden sein, daß die Organisationsnorm des Art. 87 Abs. 3 GG sich nur soweit erstrecke, wie sich die Befugnis des Bundes zur Gesetzgebung im jeweiligen Fall belaufe. Die darin vorausgesetzte Gesetzgebungszuständigkeit ergäbe sich aber (nur) aus Art. 73 Nr. 10 GG, der seinerseits wiederum lediglich organisationsrechtlichen Inhalt habe. Gerade die letzte Annahme dieses Bedingungszusammenhanges erweist sich indes, wie oben dargelegt, als nicht tragfähig, weil sich aus dieser Verfassungsbestimmung auch eine materiellrechtliche Kompetenz zur Aufgabenregelung fiir das BfV ergibt. Mithin bietet Art. 73 Nr. 10 GG auch eine taugliche Zuständigkeitsregelung fur die Errichtung einer Bundesoberbehörde nach Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG.
c) Berechtigung der Bezeichnung als Bundesoberbehörde Teilt man die hier vertretene Auffassung vom Doppelcharakter des BfV, so wird auch seine Titulierung als Bundesoberbehörde in § 2 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG verständlich: Durch sie wollte der Gesetzgeber klarstellen, daß die Behörde sowohl Zentralstelle ist, was aus Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG bereits hinlänglich entnommen werden kann, als auch Bundesoberbehörde, was sich aus dieser Grundgesetzbestimmung allein nicht ergeben hätte.
2. Aushehelung von Art. 87 Abs. 1 Satz 2 durch 87 Abs. 3 Satz 1 GG? a) Aufgrund dieser verwaltungsorganisatorischen Duplizität könnte man vielleicht befürchten, daß der konzeptionelle Inhalt von Art. 87 Abs. 1 Satz 1 GG durch die Beiordnung des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG ausgehebelt würde. Denn der Verfassungsgeber hat dort sicherlich mit Bedacht von einer Zentralstelle und nicht von einer Bundesoberbehörde gesprochen, für die er in Abs. 3 ganz allgemeine Voraussetzungen aufgestellt hat. Insoweit müßte Abs. 1 Satz 2 als lex specialis vorgehen und ein Rückgriff auf Abs. 3 verbaut sein. b) Vergleicht man die oben gewonnenen Definitionen der beiden Begriffe Zentralstelle und Bundesoberbehörde, so offenbart sich jedoch schnell, daß diese Gefahr nicht besteht. Beide Institutionen sind nicht wesensverschieden, sondern in weiten Teilen deckungsgleich. Erstere wird außerdem durch Merkmale gekennzeichnet, die ihr sogar noch weitere Befugnisse (nämlich
148
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
die der Koordination und ggf. der Direktion) einräumen. Die Kompetenzen einer Bundesoberbehörde sind also in denen der Zentralstelle enthalten.» Wenn dem aber so ist, dann kann die Eigenschaft des BfV als Bundesoberbehörde seine Eigenschaft als Zentralstelle logischerweise nicht durchbrechen oder gar verfassungswidrig ausweiten. Eine Aushebelung grundgesetzlicher Vorgaben findet demnach durch die Annahme des Doppelcharakters aus der Kombination von Art. 87 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 GG nicht statt.
3. Bundesoberbehörde nur bei Handlungsbedarf? Schließlich könnte man gestützt auf Art. 72 Abs. 2 GG einwenden, daß der Bund eine Bundesoberbehörde im Bereich der Verfassungsschutzverwaltung nicht einrichten dürfte, weil dazu kein Bedürfnis vorliege, da die Länder diese Aufgabe hinlänglich alleine wahrzunehmen in der Lage seien. Sieht man einmal von der oben behandelten Sonderstellung der Verfassungsschutzverwaltung als Koordinierungsverwaltung von Bund und Ländern ab, die eigenständige Behörden auf beiden Ebenen impliziert, so hat unabhängig davon die Errichtung einer Bundesoberbehörde nicht zur Voraussetzung, daß die Ausführung von Bundesgesetzen ansonsten durch die Länder nicht reibungslos und vollständig ausgeführt werden könnte. « Eine solche Subsidiaritätsbestimmung, die am Bedarf nach bundeseigener Verwaltung festmacht, ist dem Wortlaut und der Systematik des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG - auch für den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung im Hinblick auch Art. 72 Abs. 2 GG - nicht zu entnehmen.^ Dies ergibt sich bereits aus einem Umkehrschluß zu Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG, wo ausdrücklich von einem "dringenden Bedarf" die Rede ist, den Satz 1 aber gerade nicht voraussetzt. Darüber hinaus befindet sich der maßgebliche Art. 73 Nr. 10 GG auch nicht im Bereich der konkurrierenden, sondern in dem der ausschließlichen Gesetzgebung. Folglich greift auch dieser Einwand gegen die Charakterisierung des BfV als Bundesoberbehörde nicht durch.
« So auch Brenner, S. 39 (FN. 150). 61 BVerfGE 14, 197 (212 ff.). 62 Α. Α.: Kratzer, S. 530.
C. Die Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz
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4. Ergebnis Das BfV ist sowohl Zentralstelle i. S. des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG als auch Bundesoberbehörde gem. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG. Ersterenfalls erfüllt es reine Koordinierungsaufgaben i. R. d. gemischten Bund-Länder-Verfassungsschutzverwaltung (vgl. §§ 1 Abs. 2 und 3, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 und 3, 6 BVerfSchG). Letzterenfalls obliegen ihm eigenständige Ermittlungsaufgaben der Sammlung und Auswertung von einschlägigen Informationen (vgl. §§ 3, 5 Abs. 2, 8 ff. BVerfSchG).63 Für die entsprechenden bundesgesetzlichen Regelungen liegt die Ermächtigung in beiden Fällen in Art. 73 Nr. 10 Buchst, b und c GG, dem nicht nur ein organisationsrechtlicher, sondern auch ein materieller Inhalt zukommt.
63 Rechtsvergleichend bietet Ahl/, S. 32, bei seinen Untersuchungen des BKA eine interessante Paralelle.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
D. Die Schule für Verfassungsschutz
Bevor die Betrachtung des BfV als Behördentyp abgeschlossen wird, verdient noch die Schule für Verfassungsschutz (SfV) Beachtung, die als gemeinsame Bildungseinrichtung des Bundes und der Lander in Swistal-Heimerzheim besteht, um das Personal der Verfassungsschutzbehörden einheitlich und qualifiziert aus- und fortzubilden.! Eine derartige Bildungseinrichtung, die auf die besonderen Bedürfhisse des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes zugeschnitten ist, war bereits seit den 60er Jahren gefordert 2 und schließlich auf Empfehlung der Innenministerkonferenz 3 eingerichtet worden.4 Verwaltungsorganisatorisch ist die SfV eine nichtrechtsfähige Anstalt des Bundes, die dem BfV eingegliedert ist.5 Besondere Befugnisse besitzt im übrigen ein sogenanntes Kuratorium, auf das weiter unten zurückzukommen sein wird.
I . Rechtliche Grundlagen
1. Bund-Länder-Abkommen Rechtliche Grundlage der SfV ist ein Abkommnen zwischen dem Bund und den Ländern vom 22. 06. 1979 (fortan kurz: Abkommen).7 Derartige Verträge zwischen dem Gesamtstaat und den einzelnen Gliedstaaten entfalten ihre Wirkungskraft ausschließlich innerhalb des Bundesstaates und begründen Rechtsbeziehungen lediglich zwischen den verschiedenen föderalen Ebenen. Zu unterscheiden sind sie von Verträgen bzw. Abkommen zwischen Völker-
1
BT-Drs. 4/2582. Vgl. Schmidt, S. 32; Bardenhewer, Das Bundesamt für Verfassungsschutz, in: Das Parlament, Nr. 3/17, Januar 1976, S. 2. 3 Empfehlung des Arbeitskreises IV (Verfassungsschutz) der Innenministerkonferenz (IMK) v. 29. 03. 1977; vgl. Schwagerl, S. 41 (FN. 68). 4 Errichtet durch Erlaß des Bundesministers des Innern v. 09. 02. 1981 - Ζ I 6 - 006 101 009/1, BAnz. 1981, Nr. 44, S. 1 = GMB1. S. 132. 5 Vgl. zu derartigen nichtrechtsfähigen Bundesanstalten allgemein: Becker, Nichtministerielle Organisationseinheiten ..., S. 154. 6 Also eine Art Aufsichtsstelle. 7 Bund-Lander-Abkommen v. 22. 06. 1979; Text auszugsweise abgedruckt im Anhang und bei Roewer, § 2 BVerfSchG Rdnr. 46. 2
D. Die Schule für Verfassungsschutz
151
rechtssubjekten, fur die das Völkerrecht 8 den juristischen Nährboden bietet und die folglich völkerrechtlicher Natur sind.9 Verträge innerhalb des Bundesstaates weisen indes staatsrechtlichen Charakter auf 10, auch wenn aufgrund der besonders von föderalistischer Seite gern und oft gewählten Bezeichnung der Länder als "Staaten"n teilweise eine Begriffsverwirrung entstehen mag. 12
2. Zulässigkeit a) Handlungsfreiheit der Länder nach Art. 30 GG Für Bund-Länder-Abkommen im innerstaatlichen Bereich entbehrt das Grundgesetz jeglicher Regelung. 13 Daraus zu schließen, daß derartige Verträge im deutschen Bundesstaat schlechthin unzulässig seien, wäre jedoch verfehlt." Verfassungsrechtlich finden sie fur die Länder ihre Grundlage in der Handlungsfreiheit, die jedem Gliedstaat nach Art. 30 GG zuerkannt ist.is
b) Staatsvertrag und Verwaltungsabkommen Im einzelnen muß bei Bund-Länder-Abkommen allerdings unterschieden werden zwischen Staatsverträgen einerseits und Verwaltungsabkommen andererseits. Erstere sind Verträge, die dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegen und daher eine erfullungsbezogene Tätigkeit der Legislative voraussetzen. Letztere hingegen bedürfen keiner derartigen parlamentarischen Zustimmung.^ Für die Beurteilung der Zulässigkeit des vorliegenden Bund-Länder-
8
Zur Definition des Völkerrechts: Geiger, S. 1 ff. 9 Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 498 ff.(502 f.) 10 Allg. M . : Rudolf, HStR, Rdnr. 74; Degenhart, Rdnrn. 208 ff.; Badura, Staatsrecht, D 68; Grawert, S. 32; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 757 m.w.N.; BVerfGE 4 , 2 5 0 (276f.); 22, 221 ff.; 34, 216 (231). - Α. A. freilich noch Heinrich Ttiepel, Völkerrecht und Landesrecht, 1899, S. 198 f. (zit. bei Rudolf, ebd. [FN. 215]). h Vgl. insbes. die Titel "Freistaat Bayern" und neuerdings auch "Freistaat Sachsen". 12 Rein begrifflich ist eine Unterscheidung zwischen derartigen Vertragstypen nicht möglich, da sie sowohl im Völkerrecht als auch im Bundesstaatsrecht oftmals als "Verwaltungsabkommen " bzw. "Staatsvertrage" bezeichnet werden. - Zur heutigen Theorie des deutschen Bundesstaates vgl. i. ü.: Maunz/Zippelius, S. 108 ff. 13 Anders bspw. in Österreich (Art. 15 a Bundesverfassungsgesetz) und in der Schweiz (Art. 7 Abs. 1 der schweizerischen Bundesverfassung). 14 Maunz/Zippelius, S. 343 f.; Grawert, S. 131 ff. (137). 15 Maunz/Zippelius, S. 107. 16 Grawert, S. 50 ff. (52); Rudolf, HStR, Rdnrn. 52 ff..
152
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
Abkommens stellt sich daher die Frage, welchem dieser beiden Typen es zuzuordnen ist.
aa) Allgemeiner Gesetzesvorbehalt Ein Staatsvertrag wäre es dann, wenn nach dem jeweiligen Verfassungsrecht des Bundes oder eines der Lander für seine Verbindlichkeit ein Bundesbzw. Landesgesetz erforderlich wäre. Dann müßte die Errichtung dieser Schule dem Vorbehalt des Gesetzes unterfallen. Nach der klassischen, aber zum Teil überholten Lehre vom Gesetzesvorbehalt ist ein Gesetz (nur) dann erforderlich, wenn der Staat in Freiheit oder Eigentum seiner Bürger eingreift, i? Dies geschieht durch die Unterhaltung einer VerfassungsschutzSchule, die eine rein interne Forschungs- und Bildungseinrichtung für das Personal der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder darstellt und keinerlei Rechtswirkungen nach außen zeitigt, nicht. Auch nach der engeren, herrschenden Wesentlichkeitstheorie, die ein Gesetz dann verlangt, wenn der Staat grundlegende oder gewichtige Belange für die Allgemeinheit oder den Bürger r e g e l t e , kommt man angesichts des beschriebenen begrenzten Tätigkeitsfeldes der Schule zu keinem anderen Ergebnis.
bb) Institutioneller
Gesetzesvorbehalt
Allerdings könnte die SfV dem institutionellen Gesetzesvorbehalt unterfallen, wonach der Verwaltungsaufbau und seine Strukturen sowie die den Bürger betreffenden Fragen, insbesondere die Zuständigkeit der Behörden, eine gesetzliche Normierung erfordern, i* Im einzelnen ist dabei vieles umstritten, weil das Grundgesetz dieses Feld biespielsweise in den Art. 84 Abs. 1, 85 Abs. 1, 86 Satz 2 oder 87 zwar differenziert, aber unvollständig behandelt. Geht man auch hier von der Prämisse aus, daß der Gesetzgeber jeweils die grundsätzlichen Fragen selbst regeln muß und nicht der Exekutive überlassen darf, so wird man mit Maurer zu dem Ergebnis gelangen, daß die Errichtung von Verwaltungsträgern und Behörden schon wegen der damit verbundenen Zuständigkeitsregelungen eines formellen Gesetzes bedarf, so ζ. B. bei selbständigen Bundesoberbehörden oder neuen bundesunmittelbaren Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts gem. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG. Nicht jedoch der Fall ist dies bei bloß verwaltungsinternen Organisations17 Maurer, § 6 Rdnr. 9. 18 Maunz/Zippelius, S. 92 f.; Maurer, § 6, Rdnr. 11; Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 805 ff. m.w.N.; BVerfGE 40, 237 (248); 49, 89 (126 f.); 58, 257 (268 ff., 278). 19 Maurer, § 6 , Rdnr. 21 m.w.N., § 2 1 , Rdnr. 62 ff.; Rudolf\ Verwaltungsorganisation, § 56, Rdnr. 3 ff.; BVerfGE 40, 237 (247 ff.).
D. Die Schule f r Verfassungsschutz
153
maßnahmen oder bei der Einrichtung der Behörden im einzelnen.*» In Anwendung dieser Grundsatze auf die SfV kann das nur bedeuten, daß hierbei kein Parlamentsgesetz vonnöten ist. Denn erstens finden durch sie, wie bereits gesagt, keine Eingriffe in grundrechtliche Positionen und darüber hinaus überhaupt keine Außenwirkungen statt, und zweitens stellt sie keine eigene Behörde, geschweige denn einen Verwaltungsträger dar, sondern ist vielmehr lediglich ein unselbständiger, wenn auch ausgelagerter Teil des BfV, für das mit dem BVerfSchG eine gesetzliche Grundlage besteht. 21 Als Ergebnis läßt sich demnach festhalten, daß es sich bei der SfV um einen Teilbereich gesetzesfreier Verwaltung handelt22, und das vorliegende Bund-Länder-Abkommen folglich keinen Staatsvertrag, sondern ein einfaches Verwaltungsabkommen darstellt.
c) Verwaltungszuständigkeit Voraussetzung für die Zulässigkeit derartiger Verwaltungsabkommen ist allerdings, daß der Bund bzw. die Länder für den Gegenstand des jeweiligen Vertrages die Verwaltungszuständigkeit besitzen.23
aa) Art. 30 GG Vertragsgegenstand ist die Einrichtung und Unterhaltung einer SfV. Ausdrücklich ist diese Detailfrage weder im Grundgesetz noch in einer Landesverfassung bzw. -Satzung geregelt. Somit könnte man im Lichte der Ausgangsvermutung des Art. 30 GG zugunsten der Länder zu der Annahme gelangen, daß ausschließlich die Länder für eine derartige Bildungseinrichtung zuständig wären, zumal eine "Schule" als klassisches Beispiel in deren Kulturhoheit fiele. Allerdings steht die SfV, wie ihr Name schon verrät, in engem Zusammenhang mit dem nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz. In diesem Bereich besitzt auch der Bund Kompetenzen, wie sich aus Art. 73 Nr. 10 Buchst, b und 87 Abs. 1 Satz 2 GG ersehen läßt. Zu klären ist des20 Maurer, ebd., Rdnr. 66; Rudolf\ Verwaltungsorganisation, § 56, Rdnr. 4. Ähnlich auch Fritz Ossenbiihly Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, Bad Homburg, 1968, S. 252 f., der ein Parlamentsgesetz vor allem dann für erforderlich hält, wenn durch staatliche Organisationsakte die Rechtsstellung der Bürger berührt wird. 21 Nichtsdestotrotz erfuhr das Abkommen in Rheinland-Pfalz - wohl aufgrund der dortigen landesverfassungsrechüichen Lage - eine landesgesetzliche Zustimmung; vgl. GVB1. RhPf 1979 S. 343. 22 Dazu Fritz Ossenbühl, in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Auflage, Berlin/New York, 1992, § 6, Rdnr. 19. 23 Degenhart y ebd., Rdnrn. 208 ff.; Badura, Staatsrecht, G 34; umfassend zum Thema Bund-Lander-Abkommen: Grawert, a.a.O.
154
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
halb, nach welchen verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen sich die Unterhaltung einer derartigen Schulerichtet.24
bb) Art. 70 ff. GG Dabei erweisen sich die Normierungen der Art. 70 ff. GG nicht als einschlägig, da es sich im vorliegenden Fall, wie soeben festgestellt, um ein reines Verwaltungsabkommen handelt und es mangels gesetzlicher Umsetzungsbedürftigkeit nicht auf die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes oder der Länder ankommen kann.25 Allenfalls kann der Begriff "Zusammenarbeit" in Art. 73 Nr. 10 GG einen Hinweis auf die vom Grundgesetz beabsichtigte Kooperation, ggf. auch in Ausbildungsangelegenheiten, geben.26 Dies übersieht Roewer, wenn er die Zulässigkeit der SfV ohne weitere Ausführungen auf die gesetzliche Zusammenarbeitspflicht des Art. 73 Nr. 10 GG gründen will.27
cc) Art. 83ff. GG Als unselbständige Anstalt, die dem BfV eingegliedert ist, stellt die SfV einen Teilbereich der Verfassungsschutzverwaltung dar und könnte daher den Regelungen der Art. 83 ff. GG unterfallen. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut gelten diese Vorschriften allerdings zuvörderst für die Ausführung der Bundesgesetze, d. h. für die gesetzesakzessorische Verwaltung. Da es sich bei der SfV jedoch um gesetzesfreie Verwaltung handelt, wäre zunächst nur Art. 30 GG einschlägig. Allerdings wird aus dem Zusammenhang der Art. 83 ff. GG klar, daß sich dieser Regelungskomplex insbesondere dort, wo er von der Bundesverwaltung spricht, auch auf die nicht-gesetzesakzessorische Verwaltung bezieht. 28 Bei seiner Durchforstung nach Bundeszuständigkeiten für die SfV stößt man ein weiteres Mal auf Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach der Bund eine Zentralstelle zur Sammlung von Unterlagen für den Verfassungsschutz errichten darf. Bei der SfV geht es indes nicht unmittelbar um die Sammlung von Unterlagen als nach außen gerichtete Tätigkeit der Verwaltung. Es handelt sich vielmehr um einen unterstützenden Behördenteil, der gleichsam nur logistische Vorarbeiten innerhalb der (und für die) Zentralstelle verrichtet. Gleichwohl läßt sich auch bei der SfV von einer zentralen (Teil-) Einrichtung sprechen, die nach Art. 1 und 2 des Abkommens sowohl dem Bund als auch den Ländern zugute kommen soll. Aufgrund 24 25 26 27 28
Offengelassen von Dittmann, S. 235. So auch Degenhart y Rdnr. 209. Ähnlich wohl auch Evers, BK, Rdnr. 15. A.a.O., § 2 BVerfSchG, Rdnr. 43. BVerfGE 12, 205 (246 ff.).
D. Die Schule f r Verfassungsschutz
155
dieser zentralen Funktion der SfV ist folglich davon auszugehen, daß neben den Landern auch der Bund die Verwaltungskompetenz fur sie besitzt, zumal, wie oben gesehen, im nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz auch dem Bund eine eigenständige Sammlungs- und Auswertungsaufgabe zukommt. Daher sind sowohl der Bund als auch die Lander für die verwaltungsorganisatorische Regelungsmaterie der SfV zustandig und konnten das Abkommen zulässigerweise schließen.
Π. Die gemischte Fachaufsicht über die Schule für Verfassungsschutz
Ein Spezialproblem i. R. d. rechtlichen Ausgestaltung der SfV stellen die Befugnisse des Kuratoriums dar, die in Art. 4 Abs. 2 des Abkommens enumerati ν aufgeführt sind.
1. Rechtliche Eigenart der Schule Zuvor ist jedoch in der gebotenen Kürze die rechtliche Eigenart der SfV zu beleuchten, wie sie sich nach dem Abkommen darstellt. Gem. Art. 1 ist die SfV eine gemeinsame Bildungseinrichtung des Bundes und der Länder, deren Träger gleichwohl ausschließlich der Bund ist, da sie nach Art. 3 Abs. 1 des Abkommens eine nichtrechtsfähige Anstalt des Bundes darstellt und verwaltungsorganisatorisch dem BfV eingegliedert ist.» Allerdings kommen dem Kuratorium, das sich aus Bundes- und Landesvertretern zusammensetzt, laut Art. 4 des Abkommens bedeutende Kompetenzen zu (unter anderem eben auch die Fachaufsicht). Grawert spricht bei solchen vertraglich begründeten Einrichtungen der Gemeinschaftsverwaltung, die einem Partner (hier dem Bund) fest und auf Dauer eingegliedert sind, wobei sich die übrigen Partner lediglich an der innerorganisatorischen Verwaltung beteiligen, von institutionalisierter Beteiligungsverwaltung.30 Die genaue Einordnung und die Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit derartiger "verdeckter Gemeinschaftseinrichtungen"3i bereitet im Einzelfall 29
Vgl. zu derartigen Konstruktionen allgemein: Rudolf HStR, Rndr. 63. A.a.O., S. 225 f.; zu undifferenziert: Wilfried Wolff \ Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Auflage, Baden-Baden, 1991, S. 113. 31 Beispiele bei Grawert, S. 227 ff. 30
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
Schwierigkeiten.32 Denn im Grunde werden hier der SfV als Bundeseinrichtung Verwaltungszuständigkeiten übertragen, die allen Ländern und dem Bund gemeinsam obliegen, da die Aus- und Fortbildung der Behördenmitarbeiter zur gemeinsamen Staatsaufgabe des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes zählt. Die Länder entledigen sich damit eines Teiles der auch ihnen zukommenden Aufgaben. Dies erscheint jedoch nur deshalb verfassungsrechtlich noch unbedenklich, weil Bund und Länder in der Verfassungsschutzverwaltung parallele Zuständigkeiten besitzen.33 Darüber hinaus haben sich die Länder trotz der Eingliederung der SfV in die Bundesverwaltung durch ihre Mitgliedschaft im Kuratorium Einflußmöglichkeiten erhalten. Gerade aber wegen dieser Einflußmöglichkeiten des Kuratoriums begegnet die gesamte Konzeption der SfV rechtlichen Zweifeln, die am anschaulichsten am Beispiel der Fachaufsicht dargestellt werden können.34
2. Verwaltungsaufsicht
im allgemeinen
a) Sinn und Zweck Fachaufsicht dient neben der Dienstaufsicht der Selbstkontrolle der VerIhr tieferer Sinn liegt im Demokratieprinzip: Nur wenn die gesamte Verwaltungstätigkeit auf eine Spitze hin zuläuft und von dieser koordiniert und vereinheitlicht werden kann, besteht für den Minister die Möglichkeit zu wirkungsvoller Amtsausübung, zu der er als Regierungsmitglied vom Volk legitimiert ist (vgl. Art. 20 Abs. 2 GG).3β waltung.
3
2 Im einzelnen Grawert, S. 230 ff. (234 f.). Vgl. allgemein Grawert, S. 232. 34 Auch Grawert y S. 229, nennt das Beispiel der Aufsicht zur Erleichterung der institutionellen Einordnung der Gemeinschaftseinrichtungen. 35 Fachaufsicht als besonderer Teil der Behördenaufsicht und Dienstaufsicht fallen unter den Oberbegriff der allgemeinen Verwaltungsaufsicht. Eine spezielle Form der Fachaufsicht bildet wiederum die Sonderaufsicht, die - wie ζ. B. die Schul- oder die Straßenaufsicht - jeweils durch besonderes Gesetz geregelt ist. Vgl. dazu und zur allgemeinen Behördenaufsicht, die insbes. die Behördenorganisation umfaßt, Lecheler, S. 251 ff. 36 Näher zur Verwaltungskontrolle Lecheler, S. 215 ff., vgl. die Nachweise zur verfassungsrechtlichen Begründung in FN. 1 auf S. 215. Zur Begründung des Hierarchieprinzips s. auch Günter Püttner, Verwaltungslehre, 2. Auflage, München, 1989, S. 148, und Werner Thiemey Verwaltungslehre, 4. Auflage, Köln/Berlin/Bonn/München, 1984, S. 335, Rdnr. 503. 33
D. Die Schule für Verfassungsschutz
157
b) Abgrenzung von Fach- und Dienstaufsicht Fachaufsicht umfaßt die Kontrolle der rechtmäßigen und zweckmäßigen Erledigung der Verwaltungsaufgaben, während die Dienstaufsicht die innere Ordnung, die allgemeine Geschäftsführung und die Personalangelegenheiten der Behörde betrifft, sich also zuvörderst auf die Amtserfüllung der öffentlichen Bediensteten bezieht.37 Fach- und Dienstaufsicht werden fur ein und dasselbe Verwaltungsorgan zum Teil von jeweils verschiedenen Behörden oder Organen wahrgenommen, weswegen der Unterscheidung beider Begriffe praktische Bedeutung z u k o m m t . 38 Die Dienstaufsicht über die SfV obliegt gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des Bund-Länder-Abkommens dem Bundesminister des Innern. Die Fachaufsicht hingegen wird nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 i. V. mit 4 Abs. 2 Nr. 1 des Abkommens vom Bundesinnenminister und den Innenministern bzw. Innensenatoren der Länder gemeinsam wahrgenommen. Unter anderem dafür wurde durch Art. 4 Abs. 1 des Abkommens das Kuratorium gebildet, das sich aus Vertretern des Bundesinnenministers und der Landesinnenminister bzw. -Senatoren zusammensetzt.
5. Fachaufsicht
im besonderen
Gegen diese Regelung der Fachaufsicht werden Bedenken erhoben, da ihre Ausgestaltung verfassungsrechtlich fragwürdig erscheint. 39 Denn einerseits ist die SfV rechtlich dem BfV eingegliedert und stellt somit einen Teil der unmittelbaren Bundesverwaltung gem. Art. 86/87 GG dar. Andererseits haben die Bundesländer über das Kuratorium die Möglichkeit, in erheblichem Maße auf interne Abläufe der SfV und damit auf einen Teil einer Bundesbehörde Einfluß zu nehmen.40 Die Länder bekommen dadurch eine Mitbestimmungsbefugnis in Rechts- und Zweckmäßigkeitsfragen bei der Aufgabenerfüllung einer Anstalt zugesprochen, die rechtlich in eine Bundesoberbehörde integriert ist. Diese Regelung mag politisch durchaus verständlich sein, da die SfV gem. Art. 1 des Abkommens eine gemeinsame Einrichtung von Bund und Ländern darstellt, die zudem nach Art. 12 des Abkommens zu 42,5 % von den Ländern finanziert wird. Es wäre daher nur schwer einzusehen, wenn die Länder die SfV zwar bezuschussen und auch für die Aus- und Fortbildung ihrer Mitarbeiter benutzen, an der Aufsicht über ihre Leitung aber 37 Maurer, §22 Rdnr. 35. 38 Beispiel bei Maurer, ebd., Rdnr. 36. 39 Vgl. Dittmarm, S. 235 f. 40 Dieses Problem sieht auch Roewer, § 2 BVerfSchG, Rdnr. 43, ohne es indes irgendeiner Prüfung zu unterwerfen.
158
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
nicht beteiligt sein sollten. Auf der anderen Seite wirft diese Regelung bzgl. der oben dargestellten Kriterien fur eine zulässige Mischverwaltung ernstzunehmende Probleme auf, da eine solche Ingerenz der Länder mit der geltenden Verwaltungsrechtsdogmatik nur schwerlich zu vereinbaren ist. Denn obzwar Fach- und Dienstaufsicht oftmals verschiedenen Organen zugeteilt sind, verbleiben sie jedoch immer innerhalb desselben Verwaltungsträgers, d. h. innerhalb derselben föderalen Körperschaftsebene. 41 Besonders bedenklich wird der Einfluß der Länder unter Berücksichtigung der Abstimmungsmodalitäten innerhalb des Kuratoriums: Gem. Art. 4 Abs. 4 Satz 1 des Abkommens haben der Bund und die Länder je eine Stimme. Nach Satz 2 der genannten Bestimmung erfolgen die Abstimmungen mit einfacher Mehrheit. Somit könnten die Bundesländer den Bund mit einem Verhältnis von 16 zu 1 mühelos majorisieren. Dem Bund als dem Träger der SfV kommt also ein Stimmanteil von nur * / 1 7 zu. Dieses Ergebnis wird zwar durch Art. 4 Abs. 4 Sätze 3 bis 5 zum Teil revidiert oder zumindest abgemildert, wenn bei gewissen thematisch eingegrenzten Abstimmungen eine Zweidrittelmehrheit gefordert bzw. dem Bund ein Vetorecht zuerkannt wird. 42 Bei anderen wesentlichen Fragen wie gerade bei der Fachaufsicht bleibt es jedoch bei der Unterrepräsentierung des Bundes. Dies wächst sich vor allem auch dann zu einem frappierenden Mißverhältnis aus, wenn man berücksichtigt, daß der Bund gem. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens 57,5 % Kostenanteil zur Unterhaltung der SfV beiträgt. Will man in dieser Situation zu einer definitiven Beurteilung der Zulässigkeit der Befugnisse des Kuratoriums gelangen, so hilft eine Reduktion der Diskussion auf einen Schlagabtausch der Begriffe "unzulässige Mischverwaltung: ja oder nein" nicht weiter. Vielmehr ist auch diese Frage wiederum an den Vorgaben des Grundgesetzes zu messen, wonach (a) die Verwaltungstypen in den Art. 83 ff. GG grundsätzlich abschließend normiert sind und (b) die Ingerenzrechte der Länder nach den Regeln der Art. 83 ff. GG begrenzt sind.43
41 Zur Begründung der Auffassung des Staates als juristischer Person: Eduard Albrecht, Rezension über Maurenbrechers Grundsätze zum heutigen Staatsrecht, in: Göttinger gelehrte Anzeigen, 1837 ffl, S. 1489 ff., 1508 ff. (zit. bei Rudolf\ Verwaltungsorganisation, § 56 Rdnr. 6). Vgl. auch Isensee, Staat und Verfassung, HStR, Bd. I, § 13, Rdnrn. 26 ff., 58 ff., 115 ff.; ders., Idee und Gestalt des Föderalismus, HStR, Bd. IV, § 98, Rdnrn. 76 ff. 42 Es handelt sich dabei hauptsächlich um finanzielle Entscheidungen wie die Genehmigung des Beitrags für die SfV zum Haushaltsvoranschlag, um die Genehmigung des Zuschußbeitrages im Beitrage für die SfV zum Haushaltsvoranschlag sowie um die Auswahl der Fachbereichsleiter und hauptamtlichen Dozenten und um die Ausgestaltung der Laufbahnlehrgänge. 43 Vgl. nochmals Lerche, M / D , Art. 83, Rdnrn. 84 - 86.
D. Die Schule für Verfassungsschutz
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a) Abschließende Normierung der Verwaltungstypen Die juristische Eigenart der SfV verträgt sich mit der abschließenden Normierung der Verwaltungstypen in den Art. 83 ff. GG: Denn sie ist rechtlich in das BfV eingegliedert, dessen Existenz als Zentralstelle und Bundesoberbehörde seinerseits auf Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG beruht.** Wegen der zentralen Stellung des BfV begegnet seine Betrauung mit Aus- und Fortbildungsaufgaben im Bereich des gesamten nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes keinerlei Bedenken. Die Verwirklichung dieses Bildungsauftrages und die damit einhergehende Wahl von Organisations- und Integrationsform etwaiger Einrichtungen erfolgt dabei grundsätzlich nach Zweckmäßigkeitserwägungen. Insofern hält sich die Errichtung der SfV als ausgelagerte Anstalt in einem rechtlich zulässigen Rahmen, insbesondere deshalb, weil dadurch keine eigene Rechtspersönlichkeit geschaffen wurde, sondern nur eine unselbständige und allenfalls organisationsintern abgetrennte Einheit innerhalb des BfV. Deshalb ist insoweit ein Verstoß gegen die Art. 83 ff. GG nicht auszumachen.
b) Begrenztheit der Ingerenzrechte Anders verhält es sich bei der Ländermitverwaltung durch das Kuratorium, vor allem hinsichtlich der Fachaufsicht. Ein derartiges Einmischungsrecht der Länder in Bereiche der Bundesverwaltung kann den Art. 83 ff. GG nicht entnommen werden. Die einfach zu bewerkstelligende Majorisierungsmöglichkeit des Bundes durch die Länder kommt einer Art faktischen Weisungsrecht der Gliedstaaten gegenüber der Bundesverwaltung gleich, die zudem nicht den Umweg über oberste Bundesbehörden nimmt, sondern unmittelbar auf die SfV als konkreten Behördenteil einwirkt. Derartige Weisungsbefugnisse sind auf der vertikalen Gewaltenteilungsebene von unten nach oben im Grundgesetz nicht aufzufinden. Dies auch mit konzeptioneller Konsequenz, da in solchen Fällen von einer eigenverantwortlichen Sachentscheidung des Behördenträgers nicht mehr die Rede sein kann. Die Zuordnung der SfV zum Verwaltungsbereich des Bundes erschöpft sich damit jedenfalls zu einem gewissen Teil nur noch in formalen Kriterien, ohne durch materielle Gesichtspunkte ergänzt zu w e r d e n . 45 Die verfassungsrechtliche Begrenztheit der Ingerenzrechte wird so in unzulässiger Weise durchbrochen. Eine geteilte Aufsichtszuständigkeit zwischen Bund und Ländern ist mit der Kompetenzordnung des Grundgesetzes demnach in dieser Form nicht zu 44 S. dazu oben, C. I. und V . ! 45 Ähnlich Grawert, S. 234 f., am umgekehrten Fall des Polizei-Instituts der Bund unzulässige Ingerenzrechte gegenüber den Ländern besitzt.
Hiltrup,
bei dem
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
vereinbaren. Die Folge ist, daß das Abkommen insoweit** verfassungswidrig und nichtig ist.
c) Alternatiworschläge Mit einer derartig destruktiven Kritik soll es jedoch nicht sein Bewenden haben, da die gemeinsame Verwaltung einer gemeinschaftlichen Einrichtung durch Bund und Lander nicht zuletzt auch politisch sinnvoll erscheint.
aa) Durchgängiges Vetorecht des Bundes Eine Abhilfemöglichkeit wäre, dem Bund im Kuratorium in jedem Falle, also auch bei der Fachaufsicht, ein Vetorecht zuzubilligen. Die Folge wäre jedoch eine Verlagerung des Einflusses zuungunsten der Länder, die so zu einem unverbindlichen Beratungsgremium herabgewürdigt würden, das mit der jederzeit möglichen Blockade durch den Bundesinnenminister rechnen müßte. Ein solcher Vorschlag würde sicherlich nicht nur auf erbitterte Ablehnung durch die Länder stoßen, sondern auch eine paritätische Leitung der SfV verhindern. Schließlich ginge ein Vetorecht ähnlich wie ein Einstimmigkeitsprinzip im Kuratorium zu Lasten der "föderalen Beweglichkeit" und brächte die Gefahr einer "Versteinerung" mit sich.47
bb) Rechtliche Verselbständigung
der Schule
Eine andere Möglichkeit wäre, die SfV vollends aus dem BfV (und damit aus der unmittelbaren Bundesverwaltung) auszugliedern und rechtlich als juristische Person des öffentlichen Rechts zu verselbständigen, die vom Bund und den Ländern als "gemeinschaftliche Einrichtung" gemeinsam getragen würde. 48 Entstehungsgrund einer derartigen Gemeinschaftseinrichtung mit eigener Rechtspersönlichkeit wäre ein intraföderationsrechtlicher Gründungsvertrag zwischen Bund und Ländern.49 Die Rechtsfähigkeit der Einrichtung würde also allein auf diesem Vertrag beruhen und nicht aus dem Recht der beteiligten Vertragspartner abgeleitet s e i n . D a s Ergebnis wäre eine "echte" gemeinschaftliche Verwaltung, die i. S. gemeinsamen Entscheidens über die
46
D. h. bzgl. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 und Art. 4 des Abkommens. 47 Vgl. Lerche, M / D , Art. 83 Rdnr. 113. 48 Zur Vieldeutigkeit des Begriffes vgl. Lerche, ebd., Rdnr. 116 m.w.N. 49 Vgl. Rudolf, HStR, Rdnr. 75.
D. Die Schule f r Verfassungsschutz
161
Formen der einfachen Mitwirkung oder der Beteiligungsverwaltung hinausginge.51 In einer derartigen Bund-Lander-Anstalt des öffentlichen Rechts52 könnten die Leitungs- und Mitbestimmungszuständigkeiten dann leichter nach Zweckmäßigkeitserwägungen ausgestaltet werden, ohne daß dadurch unmittelbar vom Bund in den Verwaltungsbereich der Länder oder umgekehrt von den Ländern in den Verwaltungsbereich des Bundes hineinregiert würde. Als schlechterdings ausgeschlossen, weil verfassungswidrig, werden solche Konstruktionen im allgemeinen nicht (mehr) gebrandmarkt.» Dies will allerdings nicht besagen, daß sie verfassungsrechtlich völlig unbedenklich wären. 54 Denn auch hier kann es zu einer unzulässigen Verschiebung der grundgesetzlich vorgegebenen Aufgabenbereiche von Bund und Ländern kommen.55 Außerdem wird eingewandt, daß auf diese Weise eine gemeinsame Verwaltungsebene von Bund und Ländern geschaffen würde, die vom Grundgesetz, das von der Zweiteilung in Bundes- und Länderverwaltung ausgeht56, so nicht vorgesehen sei und die grundsätzliche föderative Kompetenztrennung unterliefe. 57 Schließlich könnte das parlamentarische Prinzip in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn (bei Materien, die dem Gesetzesvorbehalt unterliegen) durch die Verwaltung vollendete Tatsachen geschaffen werden. 58 Die Rechtsprechung fordert (fur den Fall gemeinsamer Länderanstalten) lediglich die Einhaltung der "Grundlagen der bundesstaatlichen Ordnung", was in dieser Breite aber allein nicht weiterhilft. 59 Als brauchbare Beurteilungskriterien können hingegen dienen (1) die unmittelbare Ableitbarkeit vom jeweiligen Kompetenzträger und (2) die Einhaltung der Verantwortungs-
» So schon Köngen, S. 144 ff. 5 1 Grawert, S. 239. 52 Hartmut Klan, Intraföderale Beziehungen im kooperativen Bundesstaat - Kooperation und Koordination auf der politischen Leitungsebene, in: Verwaltungsarchiv 78 (1987), S. 186, spricht in diesem Zusammenhang von einer eigenen Rechtskategorie der "4. Ebene" in Unterscheidung zur sog. "3. Ebene", die bei Vertragen der Länder ohne Bundesbeteiligung entsteht. Vgl. auch Walter Rudolf, Zum System der staatlichen Rechtsordnungen in der Bundesrepublik Deutschland, DÖV 1966, S. 73 ff. 53 Vgl. Maurer, § 23, Rdnr. 52 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Lerche, M / D , Art. 83, Rdnr. 122 (zur "Dritten Ebene") m.w.N.; Maunz/Zippelius, 107 f. - Α. A. noch Grawert, S. 239 ff. (282, 296), der freilich, wie Lerche (ebd., FN. 402) zu Recht bemerkt, vom Rechtszustand des Jahres 1967 ausgehend urteilt, also vor der Einfuhrung der Gemeinschaftsaufgaben der Art. 9 1 a und b GG. 54 Lerche, M / D , Art. 83, Rdnrn. 112 ff. (116 ff.). 55 Maunz/Zippelius, a.a.O. S. 107 f.; Lerche, M / D , Art. 83, Rdnr. 117. 56 Maunz, HStR, a.a.O, Rdnr. 7. 57 Lerche, M / D , Art. 83, Rdnr. 116 m.w.N., will dies bloß in besonders legitimierten Ausnahmefallen zulassen. 58 Lerche, ebd., Rdnr. 117 a. E.; Maunz/Zippelius, S. 108, spricht bei einer derartigen Verlagerung von den (Landes-) Parlamenten zu den (Landes-) Ministerien von einem "administrativen" statt einem "kooperativen Föderalismus ". 59 BVenvGE 23, 194(197). 11 Gröpl
162
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
Zurechenbarkeit nach Maßgabe der Art. 83 ff. GG.« Im konkreten Fall einer SfV als rechtsfähiger Bund-Lander-Anstalt greifen die dargelegten Bedenken m. E. letztlich nicht durch: Dies hauptsachlich deswegen, weil die Verfassungsschutzverwaltung als solche schon eine Staatsaufgabe darstellt, die Bund und Ländern gemeinsam obliegt. Folgerichtig kann auch mit der Ausund Fortbildung der Behördenmitarbeiter von Bund und Ländern zentral und kollektiv eine Anstalt betraut werden, in deren Rechtsträgerschaft Gesamtstaat und Gliedstaaten verbunden sind. Eine gemeinsame Verwaltung brächte keine Kompetenzverschiebungen mit sich, da die Zuständigkeit sowieso sowohl beim Bund als auch bei den Ländern liegt. Soweit nur die einheitliche Ausbildung betroffen ist, besteht daher auch nicht die Gefahr einer Untergrabung der Kompetenztrennung. Auch eine Übervorteilung der Rechte der Parlamente ist nicht zu befurchten, weil die konkrete Regelungsmaterie, wie oben gesehen, nicht in deren Zuständigkeitsbereich fallt.« Mit der Konstruktion als Gemeinschaftsanstalt des Bundes und der Länder ginge ferner auch keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges einher*®, da die Verantwortung fur eine derartige Einrichtung gemeinsam bei Bund und Ländern anknüpfte. Daraus folgt, daß die Verantwortungszurechenbarkeit i. S. d. Art. 83 ff. GG erhalten bliebe.
cc) Ergebnis Im Ergebnis wäre die Umwandlung der SfV in eine rechtsfähige Anstalt in gemeinsamer Trägerschaft des Bundes und der Länder mithin eine brauchbare, bessere Alternative zu der derzeit bestehenden, verfassungsrechtlich bedenklichen Konstruktionsform ihrer Eingliederung in das BfV mit der Länderingerenz durch das Kuratorium.
« Lerche, M / D , Art. 83, Rdnrn. 118 und 107. 61 S. o.: D. I. 2. b)! « Vgl. Lerche, ebd., Rdnr. 118.
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
163
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
I. Ausgangslage
Bereits oben wurde im einzelnen dargestellt, daß die nachrichtendienstliche Verfassungsschutzverwaltung in der Bundesrepublik aus dem üblichen Rahmen der Verwaltungsorganisation des Grundgesetzes herausfallt: Anders als im Regelfall besteht hier keine ausschließliche Verwaltungszuweisung entweder an den Bund (wie z. B. durch die Art. 86, 87 Abs. 1 Satz 1, 87 a und 87 b oder 87 d GG) oder an die Länder (so beispielsweise aufgrund der Art. 83 bis 85 GG), sondern eine (zulässige) Mischverwaltung.ι Grundlage dafür sind die Art. 73 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG, aus denen sich herauslesen läßt, daß der administrative Verfassungsschutz eine Aufgabe darstellt, die dem Bund und den Ländern zur gemeinsamen Erfüllung zugewiesen ist.2 Daraus folgt des weiteren, daß das vorrangige Schutzgut des Verfassungsschutzes, die freiheitliche demokratische Grundordnung 3, für Bund und Länder nur einheitlich bestehen kann4, anderenfalls keine gemeinsame Erfüllung möglich wäre. Demgemäß wird das Verhältnis von Bundes- und Landesverfassungsschutzbehörden gerne als eine Art funktionelle Gesamt- oder Gleichordnung* bzw. Verzahnung* beschrieben. Nach außen manifestiert sich diese Tatsache vor allem darin, daß mit dem BfV einerseits und den Landesverfassungsschutzbehörden andererseits auf beiden bundesstaatlichen Gliederungsebenen? Verfassungsschutzbehörden bestehen, denen in § 3 BVerfSchG größtenteils identische Aufgaben gestellt sind. Damit ist jedoch nur der verfassungs- und verwaltungsrechtliche Ausgangspunkt beschrieben. Für die tägliche Arbeit der Verfassungsschutzpraxis besagt dies noch nichts. Hier kommt es vor allem auf ein reibungsloses Zu1 2
Vgl. oben, B. II. 2.! BVerfGE 8, 122 (133); Evers, BK, Rdnr. 38. Gesetzlich umschrieben in § 4 Abs. 2 BVerfSchG. 4 BVerfGE 2, 1 (12); Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 205; Scheuner, Gegenstand und Träger des Verfassungsschutzes, S. 67; H. Krüger, S. 725 ff. (728), der unter Bezugnahme auf das Homogenitätsprinzip und -gebot in Art. 28 (Abs. 3) GG herausarbeitet, daß die Länder nicht nur ihre jeweilige Landesverfassung und der Bund nicht nur das Grundgesetz schützen, sondern beide Bundesstaatsebenen jeweils alle Verfassungen. - Zur Verfassungshomogenität von Bund und Ländern vgl. i. ü. Theodor Maunz, HStR, Bd. I V , § 95, S. 443 ff. 5 Schmidt, S. 21 und 27. 6 Kratzer, S. 534. 7 Zur Zweigliederungslehre der h. M . im Bundesstaat vgl. Maunz, HStR, Rdnr. 7. 3
164
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
sammenwirken der einzelnen Behörden an, das möglichst effektive Ergebnisse i. S. d. Aufgabenstellung des § 3 BVerfSchG und der entsprechenden landesgesetzlichen Normierungen erbringen soll.
Π. Das grundsätzliche Verbot von Doppelzuständigkeiten im Bundesstaat
1. Doppelzuständigkeiten
und ihre Folgen
a) Der Bundesstaat zeichnet sich dadurch aus, daß hier, anders als im Einheitsstaat, zwei Staatsebenen in einer vertikalen Gewaltenteilung nebeneinander bestehen. Die Gesamtheit der staatlichen Aufgaben ist im Bundesstaat nach Sachgebieten oder Kompetenzen zwischen Gesamt- und Gliedstaaten aufgeteilt, wobei sowohl der Gesamtstaat als auch die Gliedstaaten im Bereich ihrer jeweiligen Zuständigkeiten unabgeleitete, originäre Staatsgewalt ausüben, was eine wesentliche Eigenschaft ihrer Staatlichkeit ausmacht.» b) Diese Ausgangslage erfordert zwingenderweise eine Abgrenzung und gegenseitige Zuordnung der jeweiligen Verwaltungsapparate bei der Erfüllung ihrer Aufgaben, da sonst Fälle auftauchen könnten, für die sowohl der Gesamtstaat als auch die Gliedstaaten zuständig wären, was zu einer Verdoppelung der Venvaltungstätigkeit führte. Derartige Doppelzuständigkeiten erscheinen problematisch: Durch sie treten einerseits positive, andererseits negative Kompetenzkonflikte auf, die unweigerlich Mängel in der Aufgabenerfüllung nach sich ziehen: Ersterenfalls behindern sich die mit dem gleichen Lebenssachverhalt befaßten Behörden gegenseitig, verbrauchen unnötigerweise Verwaltungskapazitäten und treffen womöglich sich widersprechende Entscheidungen, die das Verfahrensergebnis nachhaltig beeinträchtigen können. Letzterenfalls enthalten sich die Aufgabenträger, die im Grunde nebeneinander und gleichzeitig zuständig sind, eines Tätigwerdens, wodurch Verwaltungslöcher entstehen, so daß gewisse Gebiete des gesetzlich festgelegten Auftrages überhaupt nicht erfüllt werden.
8 Maunz, HStR, Rdnrn. 2 ff., stellt klar, daß es sich bei dieser Aufgabenteilung in der Bundesrepublik um eine gegenstandliche Abgrenzung handelt, nicht jedoch um eine Unterscheidung nach größerer oder geringerer Macht, nach Über- oder Unterordnung oder nach dem Ausmaß der abgeleiteten oder unabgeleiteten Zuständigkeiten.
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
2. Trennung der föderalen
Verwaltungsbereiche
165
im Grundgesetz
Dies ist einer der Hauptgründe dafür, daß bei der Erfüllung von Staatsaufgaben die Verwaltungsbereiche zwischen Bund und Ländern scharf voneinander abgegrenzt sind. Soweit die Länder nach Art. 30 GG i. R. ihrer Residualkompetenz? nicht ohnehin ausschließlich zuständig sind (so beim Landesvollzug von Landesgesetzen, der sich nach dem jeweiligen Landesrechtrichtetio), führen sie die Bundesgesetze gem. Art. 83 und 84 GG als eigene Angelegenheit bzw. gem. Art. 85 GG als /4w/rrag.yangelegenheit aus; π nur in enumerativ aufgezählten Ausnahmefällen (ζ. B. nach Art. 87 Abs. 1 Satz 1, 87 a und 87 b GG) kommt dem Bund eine Verwaltungszuständigkeit zu, die er durch eigene Behörden zu erfüllen hat. Dann allerdings wird die Länderverwaltung vollständig verdrängt, wie sich aus Art. 86 GG ergibt. 12 Diese Zuständigkeitszuordnungen und -Verteilungen in den Art. 83 ff. GG sind grundsätzlich zwingendes Recht; die jeweils zugeordneten Kompentenzen sind daher weder übertragbar noch verzichtbar. 13 Zweck dieses Regelwerks ist unter anderem, föderale Doppelzuständigkeiten zu vermeiden. Wiewohl zugestanden werden muß, daß die genannten vier Verwaltungstypen nur Modellcharakter habend und ihre Kombination nicht von vornherein ausgeschlossen istis, bleibt es grundsätzlich bei der zweigeteilten Unterscheidung zwischen Bundes- und Landesverwaltung, ι« Eine Vermischung der Verwaltungszuständigkeiten von Bund und Ländern muß daher, sofern sie im Grundgesetz nicht ausdrücklich ihre Rechtfertigung findet, regelmäßig als sach- und verfassungswidrig beurteilt werden. 17
9 10 11 12 13 14 15 16
Pietzcker, Rdnr. 2. Vgl. Blümel, Rdnrn. 2, 9 ff.; Lerche, M / D , Art. 83, Rdnr. 14, 25. Blümel y Rdnrn. 19 ff. Vgl. Blümel, Rdnrn. 74 ff. Lerche, M / D , Art. 83, Rdnr. 84; Pietzcker, Rdnr. 18; BVerfGE 63, 1 (39). Lerche, M / D , Art. 83, Rdnr. 20. Blümel y Rdnr. 4. Blümel, Rdnr. 6. 17 Eine von Verfassungs wegen ausdrücklich zugelassene Doppelzuständigkeit findet sich als Ausnahme zur Regel - in den Art. 9 1 a und b GG. Diese sog. Gemeinschaftsaufgaben wurden als Abschnitt V i n a erst durch das 21. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 12. 05. 1969 (BGBl. I S. 359) eingefugt. Vgl. dazu ausführlich Blümel, Rdnrn. 124 ff.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
ΙΠ. Sonderfall Verfassungsschutzverwaltung
1. Parallelzuständigkeiten a) Problemlage In der Verfassungsschutzverwaltung begegnet man einer solchen Ausnahme zu der eben herausgearbeiteten Regel, was bereits weiter oben des näheren erörtert wurde, is Denn gem. § 3 BVerfSchG ist sowohl dem BfV als auch den Landesverfassungsschutzbehörden sachlich der gleiche Aufgabengegenstand zugewiesen; beide Behördenebenen sind also für die identische Materie parallel zuständig. Dazu kommt noch, daß auch in territorialer Hinsicht zwischen dem Bund als Gesamtstaat und den Ländern als Gliedstaaten eine Teilidentität besteht, so daß sich auch die örtlichen Zuständigkeiten zwischen dem BfV einerseits und der jeweiligen Landesverfassungsschutzbehörde andererseits überschneiden. Vergegenwärtigt man sich vor diesem Hintergrund die oben beschriebene Problemlage derartiger Doppelzuständigkeiten, so könnte mit der verfassungsschutzrechtlichen Mischverwaltung genau das Gegenteil von dem erreicht werden, was der Verfassungs- und Gesetzgeber beabsichtigt hatte: statt einer Energiebündelung verkäme der synergetische Effekt zu einem kontraproduktiven. Entweder würden sich die einzelnen Verfassungsschutzbehörden bei ihren Ermittlungen gegenseitig behindern, oder aber verfassungsschutzrelevante Tatsachen würden überhaupt nicht bearbeitet oder aufgeklärt. Auch könnten Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Behörden über den Umfang ihrer Kompetenzen auftreten, wenn ζ. B. die eine Behörde einen bestimmten Tatbestand als verfassungsschutzrelevant einstuft und verfolgen will, die andere ihn aber als unerheblich und belanglos beurteilt.
b) Verfassungsrechtliche Abhilfe durch Zusammenarbeit? Daß solche Situationen möglichst nicht eintreten dürfen, versteht sich im Hinblick auf die Konzeption der streitbaren Demokratie des Grundgesetzes und die damit eng verbundene Staatsaufgabe Verfassungsschutz von selbst. Die Verfassung spricht demgemäß in Art. 73 Nr. 10 GG von "ZusammenarbeitM des Bundes und der Länder, woraus über den rein kompetentiellen In18 Vgl. oben, B.! Vgl. dazu auch Borgs/Ebert,
§ 1 BVerfSchG, Rdnr. 14.
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
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halt dieser Vorschrift auch darauf geschlossen werden muß, daß der Bund die sich ergebenden sachlichen oder örtlichen Doppelzuständigkeiten durch Bundesgesetz vermeiden oder jedenfalls in geordnete Bahnen lenken soll. Über diese bloße Aufforderung hinaus lassen sich dem Grundgesetz indes keine weiteren Vorgaben zur Kompetenzabgrenzung entnehmen. Ihre Ausformung im groben wie im einzelnen wird damit dem Bundesgesetzgeber anheimgestellt.
2. Bisherige Rechtslage a) BVerfSchG a. F. Wirft man einen Blick auf die verfassungsschutzgesetzliche Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik, so sticht ins Auge, daß der Bundesgesetzgeber dieser verfassungsrechtlichen Aufforderung zur Regelung und Ausgestaltung der Zusammenarbeit lange Zeit nur in recht unzureichender, oberflächlicher und rudimentärer Weise nachgekommen ist. So schrieb er im BVerfSchG von 1950» den Ländern zwar die Errichtung von Landesverfassungsschutzbehörden vor (§ 2 Abs. 2), übertrug ihnen inhaltlich auch (Mindest-) Aufgabenbereiche (§3), stellte gegenseitige Unterrichtungspflichten auf (§ 4) und statuierte verschiedene Weisungsbefugnisse (§ 5), grenzte ihre Zuständigkeiten aber weder negativ noch positiv in irgendeiner Form voneinander ab. Daran vermochte auch die Teilumschreibung der Zusammenarbeitspflicht in § 1 Abs. 2 BVerfSchG a. F. nichts zu ändern, denn wenn der Bund und die Länder positiv wissen, daß sie sich gegenseitig zu unterstützen und Hilfe zu leisten haben, ergibt sich daraus noch lange kein Aufschluß darüber, wann die eine und wann die andere Verfassungsschutzbehörde im konkreten Einzelfall zuständig ist. Auch die Novellierung des BVerfSchG im Jahre 19722» brachte in dieser Hinsicht keinerlei Verbesserung. Vor dem Hintergrund der von Verfassungs wegen geforderten effektiven Zusammenarbeit im Verfassungsschutz, die ein planloses Nebeneinanderwerkeln schon allein vom Wortlaut her gerade ausschließen will, ließ das Gesetz die administrative Verfassungsschutzpraxis aufgrund legislatorischer Untätigkeit allein.
20 BGBl. 1950 S. 682. 21 BGBl. 1972 I S. 1382.
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Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
b) Verwaltungspraxis Die Verwaltungspraxis aber mußte dessenungeachtet einen modus vivendi finden und erarbeitete daher Zusammenarbeits- bzw. Koordinierungsrichtlinien, die als vertrauliche (Organisations-) Verwaltungsvorschriften22 nicht veröffentlicht wurden und weiterhin geheimgehalten werden. 23 Derartige Richtlinien mögen verwaltungsintern flexibler und daher einfacher zu handhaben sein; ferner sind sie auch durch die Exekutive selbst ohne Einschaltung des Gesetzgebers abänderbar und damit leichter den aktuellen Bedürfnissen anzupassen.24 Inwiefern sie jedoch mit dem Vorbehalt des Gesetzes in Form der herrschenden Wesentlichkeitstheorie25 zu vereinbaren sind, bleibt fragl i c h e Denn letztlich sind es diese Richtlinien, die im konkreten Einzelfall darüber befinden, welche Verfassungsschutzbehörde wann und gegenüber welchen verfassungsfeindlichen Bestrebungen nachrichtendienstlich tätig wird, was wiederum unmittelbare Auswirkungen auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht der einzelnen Zielgruppen oder -person(en) hat.27 Damit kommt ihnen faktische Außenwirkung zu.28 Derartige nach außen wirkende Organisationsregelungen müßten mithin durch Gesetz oder zumindest aufgrund eines Gesetzes erfolgen; braucht dies ausnahmsweise nicht zu geschehen, so entspricht der tatsächlichen Außenwirkung auch eine rechtliche A u ß e n w i r k u n g » , die in letzter Konsequenz auch den Gewaltenteilungsgrundsatz zwischen Exekutive und Legislative berührt. Eine abschließende Beurteilung dieser verfassungsrechtlich problematischen Lage kann jedoch zunächst unterbleiben, da im einschlägigen Gesetzesrecht Änderungen eingetreten sind.
22 Diese Koordinierungsrichtlinien wurden seit den 50er Jahren mehrfach reformiert und neu erlassen. Amtl. Bsp.: "Richtlinien für die Zusammenarbeit des Bundesamtes und der Landesbehörden für Verfassungsschutz" v. 30. 06. 1972; vgl. Schwagerl, S. 116 (FN. 14). Allgemein zu dem Feld der Verwaltungsvorschriften: Maurer, § 24 (Rdnr. 8) m.w.N. 23 S. BT-Drs. 4/4208; vgl. auch Borgs, S. 117; Borgs/Ebert, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 13 m.w.N.; Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 121. 24 Maurer, § 24, Rdnrn. 32 ff., mit einer Abgrenzung zu Rechtsverordnungen. 25 Vgl. nur Maurer, § 6 , Rdnr. 11; Pieroth/Schlink, Rdnrn. 306 ff.; BVerfGE 61, 260 (275). 76 Kein Problem dabei kann Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 121, ausmachen. 27 Vgl. dazu BVerfGE 40,237 (250 f.); Maurer, § 6 , Rdnrn. 9 - 11, 21, §21, Rdnrn. 62 ff. 28 Maurer, § 24, Rdnr. 20. 29 Maurer, § 24, Rdnr. 28.
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
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3. Neue Rechtslage a) Durch das Paket der Sicherheitsgesetze von 19903ο wurde das BVerfSchG inhaltlich neu gestaltet und stark erweitert mit dem Ergebnis, daß sich in seinem neuen § 5 zum ersten Mal ein Regelungsansatz fur auftretende Kompetenzkonflikte findet. Seine gesetzliche Überschrift lautet: "Abgrenzung der Zuständigkeiten der Verfassungsschutzbehörden ". Die Existenz dieser Vorschrift beruht im wesentlichen auf einer Intervention des Bundesrates, der seit langem auf eine präzise gesetzliche Zuständigkeitsunterscheidung drängte, sich aber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens mit seinem detaillierteren Gegenvorschlag^ im Vermittlungsausschuß nur teilweise durchzusetzen vermochte. 32 Die Bundesregierung dagegen hielt das Prinzip der gemeinsamen Aufgabenerfullung derart hoch, daß es nach ihrer Meinung auch äußerlich im Gesetzestext nicht durch Kompetenzzuteilungen verwässert oder gar ausgehebelt werden dürfe, was durch gesetzlich ausgearbeitete Zuständigkeitsabgrenzungen aber geschehen könnte. b) Zu diesem neuen § 5 BVerfSchG liegen - soweit ersichtlich - noch keine einschlägigen Stellungnahmen, geschweige denn Kommentierungen vor; ein Literaturvergleich kann daher (noch) nicht angestellt werden. Gleichwohl soll diese Vorschrift im folgenden einer näheren Untersuchung unterzogen werden, wobei ein Schwerpunkt darauf liegen soll, die Problematik der Doppelzuständigkeiten zu entschärfen.
IV· § 5 Abs. 1 und 3 BVerfSchG
§ 5 BVerfSchG zerfällt bereits seiner äußeren Gliederung nach in drei Absätze, die im wesentlichen auch seinen drei inhaltlichen Unterteilungen entsprechen. Seiner gesetzlichen Überschrift, der "Abgrenzung der Zuständigkeiten der Verfassungsschutzbehörden", werden sie allerdings, wie noch zu zeigen sein wird, nur zum Teil gerecht. Diese Materie erfährt nämlich im Grunde nur in § 5 Abs. 2 BVerfSchG eine nähere Regelung. Die Absätze 1 und 3 beschäftigen sich dagegen mit Übermittlungs- und Unterrichtungspflichten der Verfassungsschutzbehörden untereinander, die zwar in einem weiteren Sinne zur Zusammenarbeit gehören, aber mit der konkreten Zustän30 BGBl. 1990 I S . 2954. 31 Vgl. § 3 b Abs. 1 Satz 1 des Vorschlages des Bundesrates, BR-Drs. 379/90. 32 S. BR-Drs. 379/90, Nr. 21; vgl. Schoen, S. 129 f.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
digkeitsabgrenzung im eigentlichen Sinne nichts gemein haben - wenn man davon absieht, daß gegenseitige Information geeignet ist, planlose Parallelaufklärungen am selben Zielobjekt vermeiden zu helfen. Damit aber wird die Frage noch nicht beantwortet, welcher Behörde bei Kompetenzkonflikten der Vorrang eingeräumt wird.
1. § 5 Abs. 1 BVerfSchG § 5 Abs. 1 BVerfSchG verpflichtet jede Landesverfassungsschutzbehörde, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Informationen zu sammeln, auszuwerten und den anderen Verfassungsschutzbehörden zu übermitteln, soweit es für deren Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Damit weist diese Vorschrift verschiedene Facetten auf.
a) Aufgabenadressaten und -Verweisung Zum einen bestimmt sie mit den Landesverfassungsschutzbehörden die Aufgabenadressaten, die diesen Absatz im Landesvollzug gem. Art. 83 f. GG auszuführen haben.33 Dabei sollen sie im Wege der Informationssammlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben tätig werden. Mit diesem finalen Element verweist § 5 Abs. 1 BVerfSchG auf § 3 BVerfSchG, wo die (Mindest) Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden im einzelnen aufgeführt sind. Wenn § 5 Abs. 1 BVerfSchG aber von den Aufgaben der Landesbehörden spricht, so müssen damit auch die Zuständigkeiten umfaßt sein, die ihnen (möglicherweise) zusätzlich durch Landesgesetz übertragen sind. Insofern greift diese Vorschrift über den Bestand des § 3 BVerfSchG hinaus und integriert eigene landesgesetzliche Aufgaben in den Verpflichtungskontext des BVerfSchG.
b) Aufgabenwiederholung Im übrigen stellt § 5 Abs. 1 BVerfSchG aber, soweit er von Sammlung und Auswertung spricht, eine bloße Wiederholung von Aufgaben dar, die bereits in § 3 BVerfSchG enthalten sind. Dabei wird er sich in stärkerem Maße auf § 3 Abs. 1 als auf Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG beziehen, da bei letzteren Mitwirkungsaufgaben i. R. einer Sicherheitsüberprüfung eher weniger eige33
S. dazu näher oben, Β. II. 2. b)!
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
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ne, aktive Sammlungstätigkeit notwendig sein wird als bei den eigenständigen Verfassungsschutzaufgaben des Absatzes l . 3 4
c) Aufgabenergänzung und -konkretisierung Allerdings erschöpft sich § 5 Abs. 1 BVerfSchG nicht in der bloßen Wiederholung, sondern stellt zudem fur jede einzelne Landesverfassungsschutzbehörde die Pflicht zur Informationsübermittlung auf. Mit dieser Aufgabendreiteilung ergänzt § 5 Abs. 1 BVerfSchG den in § 3 Abs. 1 BVerfSchG umschriebenen Tätigkeitsinhalt der Landesbehörden und klärt auf diese Weise auch drei Streitpunkte, denen sich die Literatur gewidmet hatte: Zum einen sind die Landesbehörden nun ausdrücklich auch zur Informationsübermittlung befugt und brauchen sich nicht nur auf die Sammlungs- und Auswertungstätigkeit beschränken (die ohne die Übermittlung ohnedies wenig Sinn ergeben hätte)35, zum anderen darf die Übermittlung nun auch explicite an andere Landesverfassungsschutzbehörden und nicht nur an das BfV erfolgen^. Drittens schließlich ist die einzelne Behörde gehalten, nur die Erkenntnisse zu übermitteln, die ihr tatsächlich aufgrund ihrer Sammlungs- und Auswertungstätigkeiten zugeflossen sind; eine Ausweitung der nachrichtendienstlichen Landesbefugnisse nur zu dem Zweck, die Informationsbedürfhisse des BfV zu befriedigen, kommt, wie Gusy nach alter Rechtslage noch befürchtet hatte37, nicht mehr in Betracht. Des weiteren stellt § 5 Abs. 1 BVerfSchG für die Landesbehörden auch einen Konkretisierungsfall der in § 2 Abs. 1 BVerfSchG festgelegten allgemeinen Zusammenarbeitsverpflichtung des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes dar. 38 Denn eine 34 Denn fur eine selbständige Aufklärungstätigkeit der Verfassungsschutzbehörde bei einer Sicherheitsüberprüfung ist gem. § 3 Abs. 2 Satz 3 BVerfSchG die Zustimmung des Betroffenen erforderlich, so daß von eigenständigen nachrichtendienstlichen und geheimen, weil ohne das Wissen des Betroffenen vorgenommenen Untersuchungen nicht gesprochen werden kann. § 3 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfSchG gilt zwar nur für das BfV und nicht für die Landesverfassungsschutzbehörden. In den Landesverfassungsschutzgesetzen ist indes oftmals die gleiche oder eine ähnliche Regelung für die Behörden der Länder enthalten; vgl. z. B. § 3 Abs. 3 BW LVSG; Art. 4 Abs. 2BayVSG, § 3 Abs. 3 HessVSG; § 5 Abs. 2 ThürVSG; § 4 Abs. 2 und 3 VerfSchG-LSA. 35 Nach der alten Gesetzeslage wurde von Bull, Datenschutz ..., S. 139, angezweifelt, ob die Aufgabenauswertung auch ihre Weiterleitung bzw. Übermittlung umfasse; vgl. bereits oben C. I V . 3. f)· tt Roewer, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 11, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 12; Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 202; BVerwG DÖV 1984, S. 511 ff. mit ablehnenden Anmerkungen von Helmut Bäumler, DÖV 1984, S. 513 ff., und Spiros Simitis/Rita Wellbrock, Zur Übermittlung von Daten des Verfassungsschutzes, NJW 1984, S. 1591 ff. 37 Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen S. 204; vgl. auch Borgs/Ebert, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 12; s. auch oben, Α. I V . 4. c)! 38 Vgl. dazu oben, Α. I V . 2.!
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Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
sinnvolle und gewinnbringende Zusammenarbeit muß auch die gegenseitige Übermittlung von Informationen umfassen. 39
d) Aufgabenobjekte Fraglich könnte das gegenseitige Verhältnis der Begriffe "Informationen", "Auskünfte", "Nachrichten"40 und "Unterlagen" sein, die in § 5 Abs. 1 BVerfSchG gleichgeordnet hintereinanderstehen. Ein Rückgriff auf § 3 Abs. 1 BVerfSchG, in dem diese Begriffe ebenfalls vorkommen, verschafft jedoch Klarheit. Danach ist "Information" der Oberbegriff, "Auskünfte", "Nachrichten" und "Unterlagen" füllen ihn beispielhaft aus ("insbesondere").Es ist kein Grund ersichtlich, dieses Stufenverhältnis nicht auch auf § 5 Abs. 1 BVerfSchG zu übertragen. Dies wird durch Roewers zutreffende Präzisierung verdeutlicht, wonach Informationen unabhängig vom Speichermedium sind (In Betracht kommen ζ. B. Briefe, Akten, Bücher, Schallplatten, Tonbänder, Filme, Videobänder, Fotografien, Disketten, technische Aufzeichnungen in Datenverarbeitungsanlagen sowie das gesprochene Wort, Gesten, Verhaltensweisen, die lediglich durch den Zuhörer oder Betrachter zur Kenntnis genommen werden und später ggf. durch Notizen fixiert werden.). 42 Mithin werden Auskünfte als eher mündlicher Code und Unterlagen als stets schriftliche Aufzeichnungen sowie Nachrichten als Mitteilungen von gedanklichen Inhalten vom Begriff der "Information" mitumfaßt. 43
e) Informationsübermittlung Übermittlung von Informationen bedeutet, daß sie in ihrem gesamten Inhalt an die andere Stelle zu kopieren sind, ohne daß dabei Verkürzungen oder Auslassungen statthaft wären, gleichviel, ob dies auf Ersuchen oder ohne Ersuchen anderer Stellen erfolgt. 44 Die Legaldefinition des § 3 Abs. 5 Nr. 3 BDSG, das infolge der Verweisung in § 27 BVerfSchG (mit Ausnahme der §§10 und 13 bis 20) auch auf das Nachrichtendienstrecht Anwendung
39 Vgl. Roewer, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 12. 40 Nach BayObLG NJW 1985, S. 2601, bedeutet Nachricht die "Mitteilung eines gedanklichen Inhalts". 41 So auch die Begründung des Regierungsentwurfs zum BVerfSchG: BT-Drs. 11/4306, S. 60. 42 Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 7. 43 So auch die Begründung des Regierungsentwurfes zum BVerfSchG, BT-Drs. 11/4306, S. 60. 44 So wohl auch Roewer, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 4.
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
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findet, lautet wie folgt: "Übermitteln [ist] das Bekanntgeben gespeicherter oder durch Datenverarbeitung gewonnener personenbezogener Daten an einen Dritten (Empfanger) in der Weise, daß (a) die Dateien durch die speichernde Stelle an den Empfanger weitergegeben werden oder (b) der Empfanger von der speichernden Stelle zur Einsicht oder zum Abruf bereitgehaltene Daten einsieht oder abruft". 45 Eine Einschränkung dieser umfassenden Übermittlungspflicht wird in § 5 Abs. 1 BVerfSchG allerdings dadurch erreicht, daß den anderen Verfassungsschutzbehörden nur Informationen zukommen sollen, soweit sie für deren Aufgabenerfullung auch erforderlich sind.4« Dieser Halbsatz dürfte mit dem allgemeinen rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz4?, der an anderer Stelle (i. R. d. Befugnisse des BfV in § 8 Abs. 5 BVerfSchG) eine besondere Ausprägung erfahrt, nicht völlig deckungsgleich sein.48 Erforderlich bedeutet hier nicht, daß kein milderes Mittel für den Empfanger zur Verfügung stünde, das den gleichen Erfolg verspräche. Vielmehr ist damit besagt, daß der Empfanger die übermittelte Information für seine Aufgabenstellung benötigt. 49 Allerdings vollfuhrt diese Formulierung gleichzeitig einen Zirkelschluß: Denn der Mindestaufgabenbestand des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes ist nach § 3 BVerfSchG für Bundes- und Landesbehörden identisch, so daß die übermittelnde Landesstelle alle Informationen, die sie in Erfüllung dieser Aufgaben erhoben hat, auch weitergeben muß. Etwas anderes ergäbe sich nur, wenn in die Aufgabenerfullung gem. § 5 Abs. 1 BVerfSchG bereits eine Abgrenzung nach den konkreten Arbeitsschwerpunkten der einzelnen Verfassungsschutzbehörden hineingelesen würde, deren Umschreibung aber gerade nicht die Funktion dieses Absatzes darstellt, sondern von ihm vorausgesetzt wird. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß aus § 5 Abs. 1 BVerfSchG, wiewohl ihm hinsichtlich des Informationsverbundes zwischen den einzelnen Verfassungsschutzbehörden eine bedeutende Stellung zukommt, für die ei-
45 Zu den Legaldefinitionen der darin verwendeten Begriffe "personenbezogene Daten", "speichernde Stelle" und "Dritter" vgl. § 3 Abs. 1 bzw. Abs. 8 und 9 BDSG. 46 Nach Borgs/Ebert, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 8, reicht dabei eine summarische Prüfung aus. Die Erforderlichkeit der Unterrichtung sei bereits dann zu bejahen, wenn die Information nur möglicherweise fur andere Verfassungsschutzbehörden relevant ist. Diese Ausführungen bezogen sich zwar noch auf die alte Rechtslage ( § 4 Abs. 1 BVerfSchG a. F.), dürften aber nach wie vor Gültigkeit besitzen. 47 Näher zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht: Zur Bindung des Gesetzgebers an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit, Köln/Berlin/Bonn/München, 1961 (insbes. die Thesen auf S. 350-352). 48 A. A. wohl die Begründung zum Regierungsentwurf zu den Geheimdienstgesetzen, BTDrs. 11/4306, S. 68, hinsichtlich der insoweit vergleichbaren Formulierung in § 3 Abs. 3 M A D G . 49 So Roewer, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 8, freilich noch fur die alte Rechtslage.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
gentliche Frage der Zuständigkeitsabgrenzung nichts weiter herauszulesen ist.
2. § 5 Abs. 3 BVerfSchG Ahnlich verhält es sich mit § 5 Abs. 3 BVerfSchG, der Abs. 1 gleichsam komplementär vervollständigt.
a) Gemeinsamkeiten mit Absatz 1 Durch ihn wird das BfV als Normadressat verpflichtet, die Landesverfassungsschutzbehörden über alle Unterlagen zu unterrichten, deren Kenntnis für das Land zum Zweck des Verfassungsschutzes erforderlich ist. Wiederum stellt die Erforderlichkeitsmaxime keine eigentliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar, wiederum ist zu bemerken, daß sich die Aufgaben von Bundes- und Landesbehörden wegen § 3 BVerfSchG größtenteils decken.
b) "Unterlagen" statt "Informationen" Allerdings enthält dieser Absatz auch zwei Abweichungen, die sich als nicht unwesentlich erweisen könnten. Zum einen spricht das Gesetz hier nur von Unterlagen, nicht, wie in § 5 Abs. 1 BVerfSchG, vom Oberbegriff der Information. Vom Wortlaut her stellen Unterlagen als schriftlich fixierte oder auf anderen Datenträgern fest verkörperte Zeichen ein Minus, ein Weniger zu den "Informationen" dar. Roewer bezeichnete dieses Phänomen nach alter Rechtslage als "terminologische Ungenauigkeit" und gab zu bedenken, daß der Gesetzgeber wohl auch hier alle Informationen gemeint habe.50 Wenn man den Begriff der Unterlagen aber weit auslegt und darunter auch die elektronische Speicherung fallen läßt, dürfte sich dieser Formulierungsunterschied im praktischen Ergebnis indes als nahezu belanglos erweisen, da in der Verfassungsschutzverwaltung wie auch in allen übrigen Verwaltungsbereichen vom Schriftlichkeitsprinzip auszugehen istsi: Zwar erstreckt sich die Sammlung von Informationen nicht nur auf Unterlagen; bei der Auswertung 50 So hinsichtlich § 4 Abs. 1 BVerfSchG a. F., der dem neuen § 5 Abs. 3 BVerfSchG nahezu wörtlich entspricht, Roewer, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 6.
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
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aller Informationen durch das BfV, die zeitlich vor der Unterrichtung liegt, werden sie jedoch eine schriftliche oder elektronische Fixierung erfahren, so daß ihnen letztendlich insgesamt Unterlagencharakter zukommt, der wiederum von § 5 Abs. 3 BVerfSchG erfaßt wird.
c) "Unterrichtung H statt "Übermittlung" Eine weitere Differenzierung ergibt sich, wenn in § 5 Abs. 3 BVerfSchG von "Unterrichtung" y in Abs. 1 BVerfSchG aber von "Übermittlung" die Rede ist. Im Gegensatz zu dem in § 3 Abs. 5 Nr. 3 BDSG legal definierten Begriff der Übermittlung gewähren weder der Gesetzestext noch seine Materialen nähere Auskunft über den Bedeutungsinhalt von "Unterrichtung". Roewer umschreibt diesen Begriff mit Hingabe von Informationen auf Ersuchen und ohne Ersuchen ( = Spontanübermittlungen) eines Dritten. Ferner sei die Informationsweitergabe bei der Unterrichtung nicht nur anlaßbezogen, sondern institutionalisiert, so z. B. durch regelmäßigen Erkenntnisaustausch und durch die Unterhaltung gemeinsamer Datenbestände. aa) Eine mögliche Unterscheidung zwischen den jeweiligen Bedeutungen erbrächte zunächst am ehesten eine vom rechtlichen Zusammenhang losgelöste Betrachtungsweise: Übermitteln bezeichnet dabei wohl vornehmlich die vollständige, ungekürzte und unveränderte Weitergabe von Nachrichten. Unterrichten besteht hingegen in der zusammenfassenden, konzisen, gleichsam ergebnishaften Darbietung von Informationen, die vom Absender bereits bearbeitet und bewertet wurden. Danach wäre Übermittlung bzgl. des konkreten Informationsinhalts umfassender als Unterrichtung. bb) Andererseits könnte ein Blick auf die Systematik des Gesetzes ggf. weiterhelfen: Der Begriff Übermittlung wird dabei stets in Verbindung mit (personenbezogenen) "Daten" oder "Informationen" g e b r a u c h t , « der Begriff Unterrichtung indes im Zusammenspiel mit "Tatsachen" oder "Angelegenheiten". 54 Daraus wird zu schließen sein, daß Übermittlung mehr die präzise Weitergabe von bereits auf Datenträgern verkörperten Einzelinformationen gleichsam vom technischen Standpunkt aus gesehen - meint, Unterrichtung dagegen eher die von der konkreten Einzelnachricht losgelöste, intellektuell geprägte Übersendung von (noch) nicht unbedingt fest niedergelegten Er-
51 "Quid non est in actis, non est in mundo"! 52 Roewer, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 4. » So in den §§ 5 Abs. 1, 19 ff. BVerfSchG. 54 Vgl. die §§ 18 Abs. 1 BVerfSchG oder 3 Abs. 3 M A D G . Einen Bruch stellt hier aber § 5 Abs. 3 BVerfSchG dar, der von der Unterrichtung über "Unterlagen" spricht.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
kenntnissen allgemeinerer Art. 55 Ein solches Verständis hätte wiederum zur Folge, daß Unterrichtung den weiteren, Übermittlung den engeren Begriff darstellt.56 Dies widerspräche jedoch dem soeben unter (aa) gefundenen Ergebnis. cc) Schließich böte sich eine dritte Auslegungsvariante an, wonach Unterrichtung auf eine wesentlich vertrauensvollere Zusammenarbeit angelegt wäre als die bloße Informationsübermittlung, 57 die auch völlig isoliert von der sonstigen organisationsrechtlichen Zuordnung stattfinden kann. Dies zeigt sich ζ. B. in den §§ 5 Abs. 3 BVerfSchG und 3 Abs. 3 MADG, die beide auf die reibungslose Kooperation der Verfassungsschutzbehörden 5« angelegt sind.59 Damit dürfte die zitierte Definition Roewers hinsichtlich des institutionalisierten Informationsaustausches getroffen sein. dd) Ob eine Begriffsdifferenzierung zwischen Übermittlung und Unterrichtung vom Gesetzgeber aber überhaupt beabsichtigt war oder nur aus stilistischen oder traditionellen Gründen vorgenommen wurde, läßt sich nicht eindeutig klären,« zumal in § 6 BVerfSchG einheitlich von " Unterrichtungspflichten" der Verfassungsschutzbehörden die Rede ist und somit die Übermittlung in § 5 Abs. 1 BVerfSchG und die Unterrichtung in § 5 Abs. 3 BVerfSchG über einen Kamm geschoren zu werden scheinen.Eine logische Stringenz läßt sich jedenfalls nicht ausmachen; die Übergänge zwischen beiden Bedeutungen erscheinen fließend und eine allgemeingültige Differenzierung um jeden Preis gekünstelt. Von der Gesetzestechnik aus betrachtet kann diese unterschiedliche Wortverwendung in jedem Falle als bedauerliches redaktionelles Versehen kritisiert werden. Praktische Auswirkungen auf das Zusammenwirken des BfV mit den Landesverfassungsschutzbehörden wird der Begriffsstreit aber kaum zeitigen. Dies bestätigt auch ein Blick auf § 6 BVerfSchG, der die Landesbehörden verpflichtet, beim BfV gemeinsame Dateien« zu führen, die allerdings nicht im "Online"-Verfahren, sondern nur
55
Auch nach Roewer, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 13, ist der Begriff der Unterrichtung "unabhängig von der Form des Informationsaustausches". 56 So auch Roewer, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 4, der Unterrichtung als Oberbegriff zu Übermittlung aufzufassen scheint. 57 So wohl auch Borgs/Ebert, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 2, der die Unterrichtungspflicht als lex specialis gegenüber anderen Übermittlungsvorschriften versteht. 58 Auch der M A D ist eine Verfassungsschutzbehörde, vgl. dazu unten, 3. Teil, A. III. 2.! 59 Allerdings widerspricht dem wiederum § 5 Abs. 1 BVerfSchG, der hinsichtlich der Weitergabepflicht der Landesverfassungsschutzbehörden nur von "Übermittlung" spricht. « Zu bemerken ist hier, daß § 5 Abs. 3 BVerfSchG dem alten § 4 Abs. 1 BVerfSchG a. F. nahezu wörtlich gleicht. Der neue § 5 Abs. 1 BVerfSchG hatte im alten Recht eine Entsprechung in § 4 Abs. 2 BVerfSchG a. F., wo jedoch auch nur von Unterrichtung die Rede war. 61 Auch für Borgs/Ebert, § 4 BVerfSchG, Rdnrn. 1 ff., scheint kein wesentlicher Begriffsunterschied zu bestehen. « Zum Begriff der "Datei" s. § 3 Abs. 2 BDSG.
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
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als Fundstellenverzeichnis verfügbar sind.« Die Unterhaltung solcher gemeinsamer Dateien ist jedoch nur sinnvoll, wenn ihr Bestand durch Informationsübermittlungen aller Verfassungsschutzbehörden gespeist wird, ohne daß dabei qualitativ oder quantitativ unterschiedliche Informationsweitergabepflichten bestehen. Dies rechtfertigt schließlich auch die Verwendung des rein auf die technische Seite bezogenen Begriffs "Übermittlung" in § 5 Abs. 1 BVerfSchG: Die Landesverfassungsschutzbehörden haben ihre Daten in das Informationsverarbeitungssystem NADIS 6 4 beim BfV zu transferieren, während das BfV als informationsspeichernde Zentrale keine technische "Übermittlung" an andere Datenträger vorzunehmen braucht. ee) Außerdem wird die dargestellte Begriffsdifferenzierung noch relativiert durch den sowohl in Abs. 1 wie auch in Abs. 3 der Vorschrift des § 5 BVerfSchG enthaltenen Zusatz der "Erforderlichkeit" zur Aufgabenerfullung. Stellt man auf diese Erforderlichkeit ab, dann rücken die Bedeutungen von "Übermittlung" und "Unterrichtung" insofern stark in den Hintergrund, als die eine Verfassungsschutzbehörde dort nicht verkürzen oder einschränken darf, wo die zwingende Aufgabenerfullung der anderen Verfassungsschutzbehörden eine umfassende Inkenntnissetzung erfordert.
3. Zwischenergebnis Mithin ist im Ergebnis festzuhalten, daß die Unterschiede zwischen den beiden Informierungspflichten in den Absätzen 1 und 3 von § 5 BVerfSchG eher marginaler Natur sein dürften. 65 Es bleibt jedoch auch dabei, daß beide Absätze in keiner Weise die gewünschte Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Bundes- und Landesbehörden zu bewerkstelligen in der Lage sind. Für sie kann demnach auch die gesetzliche Überschrift des § 5 BVerfSchG nicht zutreffen. Systematisch sinnvoller wären sie wohl in einem eigenen Paragraphen oder allenfalls in § 3 BVerfSchG untergebracht gewesen. 63 Vgl. Riegel., Entwicklungstendenzen im Polizeirecht und im Recht der Nachrichtendienste ..., S. 194; Roewer, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 14 m.w.N. 64 Zum Datenverarbeitungssystem NADIS ausfuhrlich: Gusy, Das nachrichtendienstliche Informationssystem, S. 251 ff.; vgl. auch Riegel, Die Tätigkeit der Nachrichtendienste ..., S. 952; ders., Entwicklungstendenzen ..., S. 194; ders., Grenzen informationeller Zusammenarbeit ..., S. 123 und 128. - Außer den Verfassungsschutzbehörden steht NADIS als Fundstellenverzeichnis auch dem M A D , dem BND und den Staatsschutzabteilungen des BKA zur Verfugung. 65 Genauso verhält es sich im übrigen auch mit diesen letztlich nichtssagenden Differenzierungen zwischen "Übermittlung" und "Unterrichtung" in anderen Vorschriften der neuen Geheimdienstgesetze, bspw. in den §§18 Abs. 1 BVerfSchG oder 3 Abs. 3 M A D G , auf die weiter unten [3. Teil, Β. ΠΙ. 1. d)] noch zurückzukommen sein wird.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
V. § 5 Abs. 4 G 10
Große Ähnlichkeit mit § 5 Abs. 1 und 3 BVerfSchG weist § 5 Abs. 4 G 10 auf, der in diesem Zusammenhang der Vollständigkeit halber erwähnt sein soll. In Satz 1 stellt er fur das BfV eine Unterrichtungspflicht gegenüber der jeweiligen Landesverfassungsschutzbehörde« auf; Satz 2 verpflichtet umgekehrt die Landesverfassungsschutzbehörden zu Mitteilungen an das BfV. Diese gegenseitigen Informierungspflichten bestehen nach allgemeiner juristischer Systematik jedoch nur im Anwendungsbereich des G 10, d. h. bei der Überwachung des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs. Hier stellt das G 10 eine Spezialregelung dar, die den allgemeineren Befugnissen der Verfassungsschutzbehörden aus den §§ 8 ff. BVerfSchG bzw. aus den einschlägigen Landesgesetzen vorgeht: Eingriffe der bundesdeutschen Nachrichtendienste in das Grundrecht aus Art. 10 GG finden nur nach Maßgabe dieses Gesetzes statt. Mithin ist es nur logisch konsequent, für diese Maßnahmen gleichsam als Parallele zu § 5 Abs. 1 und 3 BVerfSchG die Unterrichtungspflichten des § 5 Abs. 4 G 10 aufzustellen. Die Verfassungsschutzbehörden müssen sich somit auch über G 10-Maßnahmen gegenseitig informieren, ohne daß es für diese Pflicht eines Rückgriffes auf § 5 BVerfSchG bedürfte. Sinn und Zweck dieser Regelung sind einleuchtend: Auch im Bereich der Post- und Telefonüberwachung sollen Doppelanordnungen gegenüber demselben Grundrechtsträger v e r m i e d e n ^ und positive Kompetenzkonflikte zumindest offengelegt werden. Interessanterweise bestehen die gegenseitigen Unterrichtungspflichten nach dem eindeutigen Wortlaut von § 5 Abs. 4 G 10 aber nur zwischen den Verfassungsschutzbehörden; BND und M A D , die nach § 1 Abs. 1 G 10 ebenfalls Überwachungsbefugnisse besitzen, sind von diesem Informationsverbund ausgeschlossen. Zur Bewerkstelligung ihrer Kommunikation kommt daher nur der Rückgriff auf die §§ 3 Abs. 2 (für den B N D ) und 7 Abs. 3 G 10 (für B N D und M A D ) in Betracht,« ggf. subsidiär
i. V. mit den gesetzlichen Übermittlungsvorschriften der §§ 18 Abs. 2, 20 Abs. 1 Satz 3, 21 Abs. 2 BVerfSchG, 3 Abs. 3, 11 Abs. 2 M A D G und 9 Abs. 3 BNDG. 66 Der Gesetzeswortlaut spricht hier von Landesamt fiir Verfassungsschutz. Dies ist eine gesetzgeberische Ungenauigkeit, weil - wie bereits zu Anfang (oben unter Α. ΙΠ.) gezeigt - nicht in allen Bundesländern dekonzentrierte Landesämter bestehen, sondern ζ. T . nur besondere Verfassungsschutzabteilungen in den Landesinnenministerien bzw. bei den Landesinnensenatoren. Richtiger wäre daher die allgemeinere Bezeichnung Landesverfassungsschutzbehörde(n) gewesen. & Borgs/Ebert, § 5 G 10, Rdnr. 4. « S. dazu näher 4. Teil, Β. V I . !
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
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VI· § 5 Abs· 2 BVerfSchG
Da eine nähere Betrachtung von § 5 Abs. 1 und 3 BVerfSchG (und auch von § 5 Abs. 4 G 10) nicht zu der erwünschten Klarheit hinsichtlich der Zuständigkeitsabgrenzungen geführt hat, verbleibt für die Suche nach einer befriedigenden Lösung nur noch § 5 Abs. 2 BVerfSchG. Er erweist sich auch tatsächlich als einschlägig; hier erst scheint der Suchende fündig zu werden. In dieser Vorschrift werden die Voraussetzungen für eine Sammlungstätigkeit des BfV in den Ländern aufgestellt, die weitgehend dem § 6 Abs. 2 der ehemaligen Zusammenarbeitsrichtlinien 1973 ( Z A R ) 6 9 und der bisherigen Verfassungsschutzpraxis entsprechen.™
1. Eigene Aufklärungstätigkeit
fur das Bundesamt für Verfassungsschutz
Das BfV darf Informationen, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen i. S. d. § 3 BVerfSchG sammeln, d. h. es ist sehr wohl befugt, aktive, nach außen gerichtete Aufklärungsoperationen zu führen. Im Grunde ergibt sich diese eigenständige Funktion, die das BfV nicht nur auf Zentralstellenaufgaben reduziert, aber schon aus § 3 BVerfSchG, der ja sowohl für das BfV als auch für die Landesverfassungsschutzbehörden gilt.™ Dabei ist die Zuständigkeit des BfV in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes grundsätzlich sowohl in sachlicher als auch in örtlicher Hinsicht unbegrenzt. Insoweit stellt § 5 Abs. 2 BVerfSchG also nur eine Verdeutlichung dar.
2. "Benehmen" Will das BfV Sammlungstätigkeiten in einem Land vornehmen, so hat es sich mit der betreffenden Landesverfassungsschutzbehörde in Verbindung zu setzen. Da das Bundesgebiet restlos auf die Länder aufgeteilt ist, es also kein " landesfreies "bundesunmittelbares" Territorium in der Bundesrepublik 69 ZAR 1973 abgedruckt in FR v. 07. 11. 1979, S. 5. Vgl. auch Borgs/Eben, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 13 m.w.N. 10 Dies ergibt sich aus den Ausführungen von Borgs, Was jeder vom Verfassungsschutz wissen sollte, S. 117, Borgs/Ebert, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 14 a. E. und Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 121, die vor der Gesetzesnovellierung im Jahre 1990 abgeschlossen wurden und im wesentlichen die gleiche Rechtslage wiedergeben. 71 Zum Aufgabenumfang des BfV vgl. bereits ausfuhrlich oben, C. ΙΠ. und IV.!
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
gibt, folgt aus der Regelung des § 5 Abs. 2 BVerfSchG, daß das BfV jedes Mal, wenn es eigenständige Sammlungsaufgaben wahrzunehmen beabsichtigt, das Benehmen mit der Landesverfassungsschutzbehörde herstellen muß. Ohne Unterrichtung des Landes ist ein "aktives" Auftreten des BfV nach außen demnach nicht zulässig.
a) Begriffsklärung Was aber bedeutet "Benehmen "Ί Der Begriff stammt aus der Verwaltungsorganisation und dem Verwaltungsverfahren und steht dort im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsordnung einzelner Behörden.72 Er bildet ein Begriffspaar mit dem Ausdruck "Einvernehmen". Anknüpfungspunkt ist dabei die Kompetenz der einzelnen Behörde in der konkreten Venvaltungsprozedur. 73 Eine Behörde kann selbständig mit der Durchführung des Verwaltungsverfahrens einschließlich der Entscheidungsfindung betraut sein, d. h. allein bzw. ausschließlich entscheidungszuständig sein. In anderen Fällen kann es aber auch vorkommen, daß mehrere Behörden im Verwaltungsverfahren zusammenwirken müssen und somit neben die entscheidungszuständige Behörde andere, mitwirkungsberechtigte Behörden treten, die i. S. eines formellen Erfordernisses in das Verfahren einbezogen werden müssen und zum Teil auch ein rechtlich geschütztes Eigeninteresse daran zugestanden bekommen. Eine solche Mitwirkungsbefugnis läßt sich nun je nach ihrer Intensität unterteilen entweder in einen (mit-) bestimmenden oder nur in einen beratenden Einfluß. 74 Ersterenfalls ist die Verfahrenseinleitung, -durchfuhrung und/oder -beendigung seitens der entscheidungsberechtigten Behörde abhängig von der Zustimmung bzw. dem Einvernehmen der mitwirkungsberechtigten Behörde, wenn die formelle Rechtmäßigkeit gewahrt werden soll. 75 Letzterenfalls - bei der beratenden Beteiligung, dem Benehmen - bekommt die mitwirkende Behörde lediglich Gelegenheit zur Stellungnahme mit dem Ziel der Verständigung. Eine Zustimmung ist hierbei nicht erforderlich; eine blo-
72 Eine Legaldefinition für "Behörde" enthält § 1 Abs. 4 VwVfG. Vgl. ferner Maurer, § 30, Rdnrn. 21 ff. 73 Vgl. dazu und zum Folgenden im einzelnen Badura, Verwaltungsverfahren, § 40, Rdnr. 30 (S. 457 f.). 74 Zur Abgrenzung der Begriffe "Einvernehmen" und "Benehmen" vgl. auch Creifels/ Kaufmann, Stichwort Einvernehmen. 75 Beispiele fur eine derartige Zustimmung bzw. ein derartiges Einvernehmen: § 9 Abs. 2 Bundesfernstraßengesetz (FStrG in der Fassung der Bekanntmachung v. 08. 08. 1990, BGBl. I S . 1714); §§31 i.V.m. 36 Baugesetzbuch (BauGB in der Fassung der Bekanntmachung v. 08. 12. 1986, BGBl. I S. 2253 mit späteren Änderungen).
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
181
ße Anhörung reicht aus.76 Sinn des "Benehmens" ist also i. d. R. (nur) die Einholung von Sachkunde der dritten Seite, deren Interessenswahrung oder die Kenntlichmachung von deren Zuständigkeitsberührung.77
b) Folgen fur die Tätigkeit des Bundesamtes fur Verfassungsschutz So verhält es sich auch im Falle des § 5 Abs. 2 BVerfSchG: Durch seine eigenständige Sammlungstätigkeit in einem Bundesland berührt das BfV regelmäßig auch die Zuständigkeit der betreffenden Landesverfassungsschutzbehörde, die gem. § 3 BVerfSchG sachlich und örtlich den identischen Aufgabenbereich innehat. Sinn des Benehmens ist also, ein planloses Nebeneinanderarbeiten oder gar eine behindernde Doppelbearbeitung des gleichen Lebenssachverhaltes zu verhindern und somit jedenfalls positive Kompetenzkonflikte auszuräumen. Mit der Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG ist aber gleichzeitig auch gesagt, daß das BfV jederzeit Informationssammlungen in jedem Land anstellen darf, wenn die betreffende Landesverfassungsschutzbehörde davon nur unterrichtet ist. Ein Einvernehmen, d. h. das Einverständnis der Landesbehörde ist nicht vonnöten, so daß die Länder eigenständige Ermittlungstätigkeiten des Bundes auf ihrem Gebiet nicht verhindern können. Weiterhin offengelassen ist damit die Kollisionsfrage, wer entscheidet, wenn sowohl das BfV als auch eine Landesbehörde im selben Fall ermitteln, sich dabei ins Gehege kommen, und keine Seite ihre Tätigkeit zugunsten der anderen einstellen will. Hier kann es aufgrund der Aufgabenduplizität nach wie vor zu Kompetenzstreitigkeiten kommen, die durch § 5 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG alleine nicht gelöst sind.
3. § 5 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG:
Fallgruppen
Abhilfe mag jedoch § 5 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG verschaffen: Dieser Satz stellt fur eine aktive Sammlungstätigkeit des BfV besondere Voraussetzungen auf, soweit es sich dabei um "Bestrebungen und Tätigkeiten i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3" handelt. Mit dieser Verweisung werden die "klassischen" Aufgaben des BfV bezeichnet, d. h. der Verfassungsschutz im engeren Sinne 76 Beispiele für eine derartige Anhörung bzw. ein derartiges Benehmen: § 14 Personenbeförderungsgesetz ' (PBefG in der Fassung der Bekanntmachung v. 08. 08. 1990, BGBl. I S. 1690); § 5 Abs. 4 Satz 4 FStrG (Fundstelle ebd., s. o.!). 77 Vgl. Badura, Verwaltungsverfahren, § 40, Rdnr. 30 (S. 457 f.).
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
(die Aufklärung des politischen Extremismus), die Spionageabwehr und die Beobachtung des Ausländerextremismus. Daneben bleiben nur noch die sogenannten Mitwirkungsaufgaben des § 3 Abs. 2 BVerfSchG übrig, die nicht von den Kautelen des § 5 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG umfaßt sind. Eine erste Betrachtung läßt vermuten, daß der Gesetzgeber bei den besonderen Voraussetzungen dieses Satzes wohl eine Restriktion der Zuständigkeit des BfV zugunsten der Landesverfassungsschutzbehörden im Schilde führte; eine eingehendere Untersuchung bietet sich daher an.
a) Gerichtetheit gegen den Bund § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVerfSchG eröffnet die Zuständigkeit für das BfV, wenn sich die (verfassungsfeindlichen) Bestrebungen oder Tätigkeiten, die in den §§ 3 i. V. mit 4 BVerfSchG näher umschrieben sind, ganz oder teilweise gegen den Bund richten. Dieser Tatbestand klingt im ersten Moment einleuchtend und sinnvoll, da sich bei Angriffen gegen den Bund dieser auch verteidigen können muß™, und zwar auch in nachrichtendienstlicher Weise mit Hilfe seines BfV. Vergegenwärtigt man sich jedoch die vergleichsweise geringe Ausdehnung des Bundesgebietes und die gleichzeitige enge Verknüpfung des Bundes und der Länder untereinander, vor allem auch in verfassungs(-schutz-)rechtlichen Fragen, so wird schnell erkennbar, daß sich die wenigsten Angriffe gegen ein Land nicht auch zugleich gegen den Bund richten.79 Dies könnte zudem noch durch gute Argumente der Praxis des Verfassungsschutzes untermauert werden: Eine fremde Macht beispielsweise wird die Zuständigkeit ihrer Geheimdienste kaum auf den Bereich eines Landes zu begrenzen suchen, sondern immer zugleich auch den Bund im Visier haben. Extremistische oder terroristische Personenzusammenschlüsse werden sich nie nur auf die Bekämpfung der Verfassungsordnung in einem Land beschränken wollen; wenn sie dies tun, dann allerhöchstens aus Praktikabilitätserwägungen, um später von einer gesicherten Bastion aus auch andere Teile des Bundesgebietes (und damit wiederum den Bund in seiner Gesamtheit) zu attackieren. Im Bereich des Ausländerextremismus dürfte es sich ähnlich verhalten, zumal hier bereits in der Begriffsdefinition von Bestrebungen die Rede ist, die sich gegen die Bundesrepublik Deutschland und nicht nur gegen ein Bundesland richten. Dazu kommt, daß ein Angriff gegen die Verfassungsordnung eines Landes immer zugleich auch die freiheitliche demokratische Grundordnimg des Bundes mitbedroht, da beide Schutzgüter unteilbar W Vgl. dazu schon 1960 H. Krüger, S. 729: "Die Natur der Sache spricht dafür, daß der Angegriffene der nächste ist, den Angriff abzuwehren. " 79 So auch BMI: Betrifft Bundeskriminalamt, Bonn 1973 (zit. bei Brückner/Schmitt, S. 246), freilich mit Bezug auf das BKA.
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
183
sind8«, was sich am deutlichsten schon aus dem Homogenitätsgebot des Art. 28 GG herauslesen läßt.« Ein Auseinanderdividieren erscheint hier nahezu unmöglich und unpraktikabel; das BfV wird sich also in den allermeisten Fällen auf diese Teilvorschrift berufen können, wenn es eigenständig in einem Land tätig werden will. Somit dürfte § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVerfSchG eine eher unzureichende, illusorische Zuständigkeitseinschränkung für das BfV darstellen.
b) Erstreckung über ein Land hinaus § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BVerfSchG beschränkt eine aktive Sammlungstätigkeit des BfV auf Bestrebungen oder Tätigkeiten, die sich über den Bereich eines Landes hinaus erstrecken. Damit dürfte eine zweckmäßigere und leichter durchzuführende Zuständigkeitsabgrenzung erreicht sein. Denn es sind sehr wohl Fälle denkbar, und dies nicht in geringem Umfange, in denen Spionagetätigkeit faktisch nur im Bereich eines Bundeslandes (z. B. am Sitz der Bundesregierung) unternommen wird. Auch extremistische Aktivitäten aller Art können sich durchaus nur auf den Bereich des Territoriums eines Landes begrenzen. Damit ist ja gerade nicht gesagt, daß sie sich nur gegen das betreffende Land richten müssen; dies ist eine andere Frage und unterfallt den Ausführungen zu § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVerfSchG.
c) Berührung auswärtiger Belange der Bundesrepublik § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BVerfSchG stellt als Anknüpfungspunkt die Berührung auswärtiger Belange der Bundesrepublik Deutschland auf. Inhaltlich dürfte diese Fallgruppe der insoweit wortgleichen Definition des Ausländerextremismus in Art. 73 Nr. 10 Buchst, c, 87 Abs. 1 Satz 2 GG und in § 3 Abs. 1 Nr. 3 BVerfSchG entliehen sein. Allerdings wird der Verfassungswortlaut insofern verwässert, als nicht mehr nur von einer "Gefährdung", sondern bloß von einer "Berührung" gesprochen wird, die für die Zuständigkeitsbegründung des BfV ausreichen soll. Trotzdem dürfte damit ein handliches Abgrenzungskriterium gefunden sein, wodurch die Zuständigkeit des BfV immer dann eröffnet wird, wenn sich extremistische Aktivitäten im weiteren Sinne grenzüberschreitend gegen ausländische Staaten richten. Diese 80 Vgl. auch BVerfGE 2, 1 (12); H. Krüger, S. 725 ff.; Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 205; Scheuner, Gegenstand und Träger des Verfassungsschutzes, S. 67. 81 Zum Homogenitätsgebot s. Theodor Maunz, Verfassungshomogenität von Bund und Ländern, HStR, Bd. I V , Heidelberg, 1990, § 95, S. 443.
184
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
zentrale Zuständigkeitseröffhung erscheint auch als zweckmäßig und findet ihre thematische Entsprechung in der auswärtigen Gewalt gem. Art. 32 GG, die grundsätzlich beim Bund und nicht bei den Ländern liegt. Mit ihr kann § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BVerfSchG zwar vielleicht nicht verglichen, aber i. S. eines allgemeinen Rechtsprinzips doch veranschaulicht werden, wonach die Kompetenz bei Auslandsberührungen jeglicher Art in der Bundesrepublik regelmäßig beim Gesamtstaat liegt.
d) Ersuchen § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 BVerfSchG schließlich stellt auf das Ersuchen einer Landesbehörde um das Tätigwerden des BfV ab. Auch damit ist ein Tatbestand fur die Zuständigkeitsabgrenzung aufgestellt, der klar zu umreißen ist und keine Zweifelsfalle offenläßt, da erst ein eindeutiges Vorstelligwerden eines Landes die Bundeszuständigkeit begründet. Fraglich ist allerdings der Rechtscharakter eines derartigen Ersuchens. Dieser Ausdruck könnte den Vorschriften der §§ 4 ff. VwVfG entlehnt sein, die das Rechtsverhältnis zwischen ersuchender und ersuchter Behörde bei der Amtshilfe näher ausgestalten. Voraussetzung dafür wäre aber, daß es sich bei den Behördenbeziehungen in der Verfassungsschutzverwaltung um Amtshilfe h a n d e l t . 8 2 Dies ist jedoch gerade nicht der Fall, weil diese (Staats-) Aufgabe nicht alternativ dem Bund oder den Ländern, sondern beiden Staatsebenen in gleicher Weise parallel zufällt. 83 Mithin erscheint ein Rückgriff auf die Amtshilfevorschriften versperrt, was sich im übrigen schon aus § 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG ergibt. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn man in den dem § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 BVerfSchG vorausgehenden Ziffern eine definitive Zuständigkeitsabgrenzung erblicken wollte, die die Verfassungsschutzaufgaben zwischen Bund und Ländern exklusiv verteilt, so daß Doppelzuständigkeiten dadurch ausgeschlossen würden. Dann hätte das BfV als ersuchte Behörde nämlich nicht (mehr) die gleiche Aufgabe wie die ersuchende Landesbehörde, womit § 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG ausgeschlossen wäre. Dies ist jedoch aus mehreren Gründen nicht der Fall: Zum einen stehen die Nummern 1 bis 4 nicht in einem kumulativen, sondern in einem alternativen Verhältnis (vgl. "oder" in Nr. 3 a. E.), so daß die Nr. 4 keine abschließende zuständigkeitsbegründende Funktion innehat, sondern nur einen von vier möglichen Faktoren darstellt. Dazu kommt die doch sehr schwammige, im Endeffekt unbrauchbare Abgrenzungsfunktion der Nr. 1, die eine Herausarbeitung von 82 Zur Amtshilfe vgl. Rudolf, HStR, Rdnr. 25, und Bernhard Schlink, Die Amtshilfe: ein Beitrag zu einer Lehre von der Gewaltenteilung in der Verwaltung, Berlin, 1982. 83 S. dazu näher oben, Α. IV. 2. b)!
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
185
klaren und ausschließlichen Zuständigkeitsbereichen unmöglich macht. Daher muß die Schlußfolgerung gezogen werden, daß das Ersuchen in § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 BVerfSchG ein Rechtsinstitut eigener Art in Form einer Aufforderung bzw. Bitte zu ergänzender Hilfe i. R. d. Zusammenarbeit darstellt, der das BfV durch eigene Ermittlungstätigkeit nachkommen kann, aber allein aus diesem Grunde nicht muß, solange seiner Ansicht nach noch keine Verfassungsschutzrelevanz gegeben ist.
4. Fazit a) § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVerfSchG als Auffangtatbestand Betrachtet man § 5 Abs. 2 BVerfSchG in seiner Gesamtheit, so läßt sich folgendes Resümee ziehen: Die Vorschrift zielt auf eine Zuständigkeitsabgrenzung zwischen dem BfV einerseits und den Landesverfassungsschutzbehörden andererseits ab, vermag diesen Zweck aber nicht annähernd zu erreichen. Inbesondere die Tatbestände in Satz 2 geben vor, einschränkende, kautelarische Voraussetzungen für eine eigenständige Informationssammlung des BfV nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG aufzustellen und erwecken so den Eindruck einer sinnvollen Restriktion. In der Verfassungsschutzpraxis hingegen lassen sich die meisten denkbaren verfassungsschutzrelevanten Lebenssachverhalte wie gezeigt - mühelos unter § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVerfSchG subsumieren, der in seiner begrifflichen Weite und Unschärfe leicht nach den Vorstellungen des BfV zu kneten sein wird. Es offenbart sich also sehr rasch, daß das BfV nahezu jeden Einzelfall mit der Begründung an sich ziehen kann, daß er sich zumindest teilweise, d. h. in irgendeiner Form, auch gegen den Bund richte. Die Abgrenzungsversuche der Nummern 2 bis 4 erscheinen zwar als gelungener, kommen indes nur einer Art von Schattenboxen gleich: Denn die Erfüllung ihrer Voraussetzungen ist in keinem Falle zuständigkeitsbegründend oder -ausschließend, weil sie nach dem eindeutigen Wortlaut {"oder" vor Nr. 4!) neben der Nr. 1 nicht kumulativ, sondern nur alternativ vorliegen müssen. Will das BfV in Zukunft eine eigene Sammlungstätigkeit nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG entfalten, so wird es sich der Einfachheit halber stets auf den Tatbestand von § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVerfSchG berufen, der i. d. R. erfüllt sein dürfte. Die Ziffern 2 bis 4 sind damit von vornherein zu einem Schattendasein verurteilt.
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
b) Fortschritt durch Inkenntnissetzung der Länder Einer der wenigen legislatorischen Fortschritte, der mit § 5 Abs. 2 BVerfSchG erzielt sein dürfte, ist die gesetzliche Verpflichtung des BfV für Verfassungsschutz, die Landesverfassungsschutzbehörden von seiner eigenen Sammlungstätigkeit in Kenntnis zu setzen, was durch das "Benehmen " in Satz 1 zum Ausdruck kommt. Allerdings ist dabei wiederum Satz 3 zu beachten, der verstattet, dieses Benehmen "für eine Reihe gleichgelagerter Fälle" herzustellen. Hier läßt sich die Definitionsfreiheit des BfV hinsichtlich des unbestimmten Rechtsbegriffes der "Gleichgelagertheit" weit ausdehnen (Was bedeutet "gleichgelagert"? Völlige Sachverhaltsidentität oder bloße Ähnlichkeit i. S. d. Unterfallens unter eine Gruppe der Aufgaben in § 3 Abs. 1 BVerfSchG wie ζ. B. Spionagerelevanz?). Im übrigen dürfte sich diese Kommunikationspflicht vor der jeweiligen Ermittlungsarbeit bereits weitgehend auch aus der Zusammenarbeitspflicht des § 1 BVerfSchG oder den Unterrichtungspflichten des § 5 Abs. 3 BVerfSchG ergeben. Trotz seiner guten Absicht muß dem Gesetzgeber daher attestiert werden, daß die Normierung des § 5 Abs. 2 BVerfSchG keine neue oder klarere Rechtslage geschaffen hat und an der bisherigen Verwaltungspraxis der Verfassungsschutzbehörden wenig ändern dürfte. Sie werden nach wie vor auf (vertrauliche) Zuständigkeitsrichtlinien, die bisher schon existiert haben, angewiesen sein.84
c) Keine Verdrängung der Landesverfassungsschutzbehörden Dem Bundesrat, auf dessen Intervention diese Vorschrift hauptsächlich beruht, dürfte aber vielleicht insofern Trost zu spenden sein, als ein Blick auf das Grundgesetz bereits verrät, daß im nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz eine Kooperations- oder Mischverwaltung gerade beabsichtigt ist. Allzu starre Zuständigkeitsabgrenzungen sachlicher oder örtlicher Art werden vor einem solchen verfassungsrechtlichen Hintergrund daher schwerlich zu realisieren sein. Hinzu kommt, daß die Landesverfassungsschutzbehörden trotz der faktisch weiterhin nahezu grenzenlosen Allzuständigkeit des BfV weder sachlich noch örtlich aus ihren Aufgabenfeldern verdrängt werden, sondern parallel dazu ihre Zuständigkeiten nach § 3 BVerfSchG i . V . mit den einschlägigen Landesgesetzen behalten. Denn § 5 Abs. 2 BVerfSchG versucht zwar (vergebens), die Zuständigkeiten des BfV zu reglementieren, schränkt indes die Kompetenzen der Landesverfassungsschutzbehörden schon von seiner Zielrichtung her nicht ein. 84 Zur verfassungsrechtlichen Problematik derartiger Verwaltungsvorschriften s. bereits oben, E. ffl. 2. b)!
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
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VII. Zuständigkeitsabgrenzungen der Landesverfassungsschutzbehörden untereinander
§ 5 Abs. 2 BVerfSchG befaßt sich ausschließlich mit der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen dem BfV und den Landesverfassungsschutzbehörden. Nicht geregelt werden darin aber mögliche Kompetenzkonflikte der einzelnen Landesbehörden für Verfassungsschutz untereinander. Aufgrund von § 3 BVerfSchG haben die Länder sachlich den gleichen (Mindest-) Aufgabenumfang zu erledigen, der durch Landesgesetz freilich zulässigerweise ausgeweitet werden k a n n . E i n e sinnvolle Abgrenzung vermag sich daher nur auf örtlicher bzw. territorialer Ebene zu ergeben. Dies stieße auch auf weniger Schwierigkeiten als eine örtliche Abgrenzung zwischen dem BfV und den Landesverfassungsschutzbehörden, da hier anders als dort keine territoriale Teilidentität besteht.
1. Regelungskompetenz für den Bund? Begibt man sich im BVerfSchG auf die Suche nach solchen territorialen Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen den Ländern, so stellt sich unter Berücksichtigung der Verfassungslage die Frage, wer zu einer derartigen landeskompetenzabgrenzenden Regelung befugt sei: der Bund oder die Länder. Hier verdient nun ein weiteres Mal Art. 73 Nr. 10 GG Beachtung, der den Bundesgesetzgeber ermächtigt, in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder zu regeln. Eine Auslegung dieser Vorschrift ergibt, daß von ihr auch die Zusammenarbeit der Länder untereinander umfaßt sein muß.8 Denn sonst hätte die Norm eine andere Formulierung erfahren müssen: Statt "Zusammenarbeit des Bundes und der Länder" hätte es dann etwa "Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern" heißen müssen. Abgesehen von diesem Wortlaut erbringt auch eine teleologische Interpretation kein anderes Ergebnis: Von einer wirkungsvollen Kooperation und Koordination darf nicht nur das Verhältnis des Bundes zu den Ländern, sondern muß auch das Verhältnis zwischen den Ländern erfaßt sein. Ob diese weitgehende Koordinierungskompetenz des Bundes»? aber über sachliche Belange hinaus auch territoriale Komponenten umfaßt, erscheint in Anbetracht der Gebietshoheit der Länder gleichwohl recht zweifelhaft. 85
Vgl. oben, Α. IV. 7., und Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 204. So auch Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 202; implicite wohl auch Evers, BK, Rdnrn. 14, 16, 61; Köngen, S. 98. Vgl. oben, Α. IV. 2.! 86
188
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
Ohne diese Frage aber bereits hier endgültig beantworten zu müssen,88 ist nach geltender Rechtslage jedenfalls festzustellen, daß sich das BVerfSchG zu Abgrenzungen der Landeszuständigkeiten untereinander vollends ausschweigt, wenn man von § 5 Abs. 1 absieht, der zwar eine gegenseitige Übermittlungsverpflichtung für die Länder statuiert, im übrigen aber nichts weiter hergibt.
2. Länderzuständigkeitsabgrenzungen
durch Landesgesetze
Mithin erhebt sich die Frage, wie solche Kompetenzkonflikte zwischen den Ländern sonst gemeistert werden könnten. Wie bereits des öfteren geschehen, soll hier nochmals betont werden, daß das Schutzgut der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht teilbar ist, es vielmehr länderübergreifend im gesamten Bundesgebiet Wirkung entfaltet.Daraus und aus der gemeinsamen Aufgabenverpflichtung des § 3 BVerfSchG ergibt sich, daß der nachrichtendienstliche Verfassungsschutz vor Ländergrenzen nicht haltmachen darf; Bund und Länder dienen mit der Tätigkeit ihrer Verfassungsschutzbehörden einem einheitlichen Ganzen. Folglich verbietet sich auch eine Zuständigkeitsabgrenzung der Landesbehörden in sachlicher Hinsicht. Anders könnte es sich hingegen mit einer örtlichen Divisionierung verhalten: Steht den einzelnen Landesbehörden hier das gesamte Bundesgebiet als nachrichtendienstliche Aufklärungsdomäne offen oder müssen sie sich an ihre Landesgrenzen halten?
a) Aufgabenerfullung im eigenen Bundesland Aus der für den bundesdeutschen Föderalismus nahezu unbestrittenen These der Staatlichkeit der Länder 90 folgt in zwingender Konsequenz, daß der Landesverwaltung jedenfalls das eigene Landesgebiet als Tätigkeitsbereich offensteht und auch zugewiesen sein muß; die originäre Hoheitsgewalt eines Gliedstaates bezieht sich stets auf das eigene Territorium. 9 i Daß die einzelnen Landesverfassungsschutzbehörden ihre nachrichtendienstlichen Ermittlungen im eigenen Land durchzuführen befugt sind, stellt somit fast eine staatsrechtliche Binsenweisheit dar; denn hier führen sie als Teil der vollziehenden 88 89
» *
S. dazu sogleich, 2. c) bb)! Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 205; BVerfGE Maunz, HStR, Rdnrn. 2 ff. Vgl. Isensee, HStR, Rdnr. 31 ff. (36), 94 ff., 101 ff.
2, 1 (12).
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Lndesbehörden
189
Gewalt entweder das BVerfSchG in Gemäßheit der Art. 83 und 84 GG 9 2 oder aber ihre jeweiligen Landesverfassungsschutzgesetze nach Maßgabe der Landesverfassungen 93 aus.
b) Aufgabenerfullung in anderen Bundesländern? Andererseits ist damit jedoch noch nichts zu der Frage gesagt, ob die einzelnen Landesverfassungsschutzbehörden auch über ihre Landesgrenzen hinaus in anderen Bundesländern aktiv informationssammelnd tätig werden dürfen, da sich ja Schutzgut und sachlicher Aufgabenbereich im gesamten Bundesgebiet decken. aa) Überträgt man das Prinzip der Staatlichkeit der Länder auf diese Frage, so kann sich daraus nur ergeben, daß sich die Hoheitsgewalt eines Landes grundsätzlich in seinem gliedstaatlichen Territorium erschöpft. Diese Begrenztheit der Hoheitsgewalt ist dem Land (ebenso wie völkerrechtlich dem Bund94) als Gebietskörperschaft immanent; die räumliche Reichweite seiner Hoheitsbefugnisse ist auch maßgeblich für seine territoriale Zuständigkeit. 95 Als Organe96 ihres Verwaltungsträgers, also ihres Landes97, sind die Landesbehörden deshalb auf dessen Gebiet beschränkt. Anderenfalls würden sie die gliedstaatliche Verbandskompetenz überschreiten und sich Befugnisse von Organen eines fremden Verwaltungsträgers anmaßen, für deren Besorgung sie keinerlei Rechtsmacht hätten. Folglich sind auch die Landesverfassungsschutzbehörden bei ihrer Aufgabenerfullung grundsätzlich an das jeweilige Landesterritorium gebunden.9«
92
Vgl. dazu oben, Β. Π. 2. b)! Vgl. Blümel, Rdnr. 2; Lerche, M / D , Art. 83, Rdnr. 14 und 25. 94 Näher dazu im 3. Teil, B. I. 1. b)! 95 Diese territoriale Zuständigkeit entspricht der Verbandskompetenz und ist auch begrifflich von der örtlichen Zuständigkeit zu unterscheiden, die lediglich das Organisationsgefuge der unselbständigen Glieder innerhalb derselben Gebietskörperschaft betrifft; vgl. Isensee, HStR, Rdnr. 36 (FN. 79). Das dogmatische Fundament fur die Verbandskompetenz wurde gelegt durch Ernst Rudolf Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, 2. Auflage, 1954, S. 716 f. (zit. nach Isensee, HStR, Rdnr. 103 [FN. 246]). 96 Zur Kennzeichnung der Behörde als Organ des Staates vgl. Maurer, § 21, Rdnr. 32. 97 Überblick über die verschiedenen Verwaltungsträger bei Maurer, § 21, Rdnrn. 7 ff. Danach stellt der Staat, d . h . sowohl der Bund als auch die Länder, einen originären Verwaltungsträger dar, der ursprüngliche Herrschaftsgewalt besitzt und seine Existenz und Befugnisse von keiner anderen Instanz ableitet. 98 So die h. M . , vgl. Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen..., S. 205; Borgs/Ebert, § 2 BVerfSchG, Rdnr. 12. - A. A. wohl H Krüger, S. 729, der sich auf das hohe Rechtsgut des Verfassungsschutzes stützt und mahnt, daß es dabei einen negativen Kompetenzkonflikt niemals geben darf. 93
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2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
bb) Dieses Prinzip könnte aber ggf. durch die verfassungsrechtlich zugelassene Mischverwaltung im Verfassungsschutz modifiziert werden, die, wie oben ausführlich dargetan99, fur die gesamte Bundesrepublik grundsätzlich parallele Zuständigkeiten begründet. Sie bezieht sich aber im Grunde nur auf das vm/Z^Z-administrative Kompetenzverhältnis zwischen dem Bund und den Ländern, nicht jedoch auf das horizontale Verhältnis der Verwaltungsbereiche der Länder untereinander, was sich bereits aus der Systematik der Regelungen der Art. 73 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt, die ausschließlich die Rechtsbeziehungen zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten betreffen. Durch die verfassungsrechtliche Begründung von Parallelzuständigkeiten kommt damit nur zum Ausdruck, daß die Staatsaufgabe Verfassungsschutz sowohl dem Bund als Gesamtstaat als auch den Ländern als Gliedstaaten gemeinsam zugeteilt ist.
c) Landesgesetzliche Zuständigkeitsregelungen aa) Auswärtige Aufklärungsoperationen
nur im Einvernehmen
Allerdings können sich die Länder grundsätzlich untereinander verstatten, durch ihre Behörden im jeweils anderen Staatsgebiet tätig zu werden. 100 Dadurch wird die grenzüberschreitend aktive Behörde ausnahmsweise ermächtigt, auf fremdem Territorium wirksame Rechts- oder Realakte vorzunehmen, gleichviel, ob diesen dabei Außenwirkung zukommt oder nicht, ιοί Ihre Handlungen werden in solchen Fällen zum Teil der jeweils örtlich zuständigen Landesbehörde zugerechnet. 102 Im Bereich des administrativen Verfassungsschutzes haben die Länder solche Ermächtigungen größtenteils ausgesprochen. Die meisten Landesgesetze bestimmen, daß andere Verfassungsschutzbehörden im eigenen Land nur im Einvernehmen, d. h. mit Zustimmung der jeweiligen Landesverfassungsschutzbehörde tätig werden dürfen. 103 99
Vgl. Β. Π. (1.)! 100 Isensee, HStR, Rdnr. 36. 101 Auf polizeilichem Gebiet vgl. ζ. B. die Regelungen des bayerischen Landesrechts: Art. 11 Abs. 3 - 5 BayPOG oder das Abkommen über die erweiterte Zuständigkeit der Polizei der Bundesländer bei der Strafverfolgung v. 06. 11. 1969 i. V . mit der Bek. des Bayerischen Staatsministeriums des Innern zum Abkommen v. 24. 03. 1970 (BayRS 2012-3-2-1). 102 Vgl. ζ. B. Art. 11 Abs. 5 BayPOG. 103 So § 2 Abs. 2 BW LVSG; Art. 2 Abs. 2 BayVSG; § 1 Abs. 2 HS. 1 HessVSG; § 1 Abs. 2 ThürVSG; § 2 Abs. 4 VerfSchG-LSA. Weitere Nachweise bei Borgs/Ebert, § 2 BVerfSchG, Rdnr. 12 (FN. 27); vgl. auch Schwagerl, S. 109. - Allerdings schweigen sich diese Vorschriften dazu aus, wem die Ermittlungstätigkeiten im Einzelfall zuzurechnen sind, dem ermächtigten oder dem ermächtigenden Land. Praktische Relevanz hätte dies fur die Passivlegitimation bei verwaltungsgerichtlichen Klagen des Betroffenen auf Auskunft, Löschung, Berichtigung von Daten u.s.w. Da bei solchen Grenzüberschreitungen Amtshilfe nicht inmitten
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
bb) Verfassungswidrigkeit
191
der Länderregelungen?
Diese landesgesetzlichen Regelungen erscheinen auf den ersten Blick einleuchtend, zumal sie den eben dargestellten Prinzipien der Gebietsimmanenz der territorialen Verwaltungszuständigkeit entsprechen. 104 Ordnet man sie jedoch in den gesamtverfassungsrechtlichen Rahmen ein, so könnte sich die soeben bereits angedeutete Kollision mit Art. 73 Nr. 10 GG ergeben, durch den der Bundesgesetzgeber ermächtigt wird, die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder im Verfassungsschutz umfassend zu gestalten, wovon auch die Regelung der Zusammenarbeit der Länder untereinander umfaßt wird.ios Nun befindet sich diese Kompetenznorm aber im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit, deren Rechtsfolgen in Art. 71 GG näher dargestellt sind: Danach haben die Länder hier "die Befugnis zur Gesetzgebung nur, wenn und soweit sie hierdurch in einem Bundesgesetze ausdrücklich ermächtigt werden.""* Weder das BVerfSchG noch ein anderes Bundesgesetz berechtigen die Länder jedoch, die Zusammenarbeit im Verfassungsschutz zu normieren. Insofern könnte das genannte Landesrecht, das für das Tätigwerden anderer Landesverfassungsschutzbehörden im eigenen Gebiet Einvernehmen erfordert, verfassungswidrig und damit nichtig sein.w Voraussetzung dafür wäre indes, daß die landesgesetzliche Regelung der territorialen Zuständigkeit unter "Zusammenarbeit" gem. Art. 73 Nr. 10 GG zu subsumieren ist. κ» Dafür spräche, daß es Sinn und Zweck einer derartigen Koordinierung sein muß, sachwidrige Parallelzuständigkeiten abzuschließen"» und damit ein effizientes und synergetisches Gesamtkonzept des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes in Bund und Ländern zu erstellen. Allerdings widerführen einer solch weitherzigen Auslegung der Regelungskompetenz des Bundes hinsichtlich der Zusammenarbeit im Verfassungsschutz, die neben den sachlichen auch die gebietsrechtlichen Behördenverhältnisse der Länder berührte, mancherlei Bedenken: Mit ihr würden auf kaltem Wege der gliedstaatlichen steht [s.o. Α. I V . 2. b)!], könnten auch § 7 VwVfG bzw. die entsprechenden Landes-VwVfG'e nicht nur Anwendung kommen. Vernünftig erscheint daher, es bei der Zurechnung zum jeweiligen Verwaltungsträger, d. h. zum ermächtigten und faktisch handelnden Land, zu belassen, was sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ergäbe. «w Vgl. Isensee, HStR, Rdnr. 36. 105 Vgl. soeben oben, E. V I I . 1! 106 Allgemein dazu: Rengeling, Rdnrn. 61 ff. 107 Dieses Problem fand in der einschlägigen Literatur bisher noch keine Beachtung. Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 120, erkärt bei Kompetenzkonflikten der Länder untereinander ohne weiteren Kommentar das Verfassungs- oder das Verfassungsschutzrecht der Länder für anwendbar. Ebenso: Borgs/Ebert, § 2 BVerfSchG, Rdnr. 12; Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 205. 108 Zum Begriff der Zusammenarbeit vgl. nochmals Evers, BK, Rdnr. 15. 109 Röttgen, S. 98; Evers, BK, Rdnr. 16: "Gegenstand der Regelung i. S. d. Art. 73 Nr. 10 GG kann auch der Ausschluß von Parallelzuständigkeiten (...) sein." Offengelassen ist dabei aber, ob es sich nur um eine sachliche oder auch um eine territoriale Zuständigkeit handelt.
1 9 2 2 .
Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
Verbandskompetenz immanente Befugnisse beseitigt und dadurch ein Angriff auf Grundprinzipien des deutschen Föderalismus gestartet. Denn fiele dem Bundesgesetzgeber durch die Ermächtigung zur Regelung der Zusammenarbeit auch die Normierungsbefugnis der territorialen Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Ländern zu, so bemächtigte er sich damit deren originärer Hoheitsbefugnisse. Nicht mehr sie selbst wären Herr über die (gesetzesausführende) Verwaltung auf ihrem eigenen Gebiet, sondern der Bund, ohne daß er sich auf eine Materie der ausschließlichen Bundesverwaltung berufen könnte. Durch Bundesgesetz würde den Bundesländern auf diese Weise die Ermächtigung erteilt, grenzüberschreitend in Verwaltungsbereiche anderer Länder "hineinzuregieren". 110 Abgesehen von diesen verfassungsrechtlichen Einwänden ist dabei ferner zu beachten, daß das BVerfSchG als einfaches Bundesgesetz gerade keine Abgrenzung der Landeszuständigkeiten und auch keine Ermächtigung an die Länder hierzu nach Art von Art. 71 GG enthält. Ließe man die territoriale Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Ländern unter MZusammenarbeit" fallen, böte der Bund mithin kein Regelungsmodell für ihre räumliche Verwaltungsbegrenzung an, eröffnete ihnen aber auch nicht die Möglichkeit, selbst normierend tätig zu werden - ein kurioses Ergebnis! Schließlich mag noch darauf hinzuweisen sein, daß Zusammenarbeit des Bundes und der Länder, wie in Art. 73 Nr. 10 GG normiert, funktionsfähige Verfassungsschutzverwaltungen des Gesamtstaates, aber auch der Gliedstaaten voraussetzt. Dies wäre gerade nicht gegeben, wenn die Landesverfassungsschutzbehörden mit amorphen gebietsbezogenen Zuständigkeitsbereichen zu kämpfen hätten und selbst im eigenen Lande nicht vor örtlichen Parallelermittlungen anderer Landesbehörden sicher sein könnten.
cc) Fazit Daher erscheint es vernünftig, die territoriale Kompetenzabgrenzung der Länder untereinander - anders als die sachliche - nicht unter Art. 73 Nr. 10 GG zu subsumieren. Den Ländern war und ist es somit unbenommen, entsprechende Vorschriften für das Verhältnis ihrer Verfassungsschutzbehörden untereinander zu erlassen. Daher bleibt es bei der mit Blick auf die Vermeidung von Doppelzuständigkeiten sinnvollen Regel, daß die Landesverfassungsschutzbehörden in einem anderen Bundesland nur im Einvernehmen mit der dortigen Landesbehörde tätig werden können. Wenigstens in diesem Be-
no Vgl. Evers, BK, Rdnr. 15: Grenze der Zusammenarbeit ist, daß "(...) die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Bundes- und des Landesvollzuges gewahrt bleibt und nicht die Kompetenzen des einen Partners mit den Kompetenzen des anderen angereichert oder vermischt werden."
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
193
reich dürften Kompetenzkonflikte damit in befriedigender Weise ausgeräumt sein.
V m . Faktisches Übergewicht des Bundes
Nach diesen juristischen Ausführungen sei als Kontrast ein kurzer Blick auf die Praxis des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes in der Bundesrepublik angefügt. Hier ist zum einen festzustellen, daß das BfV personell und etatmäßig die Landesverfassungsschutzbehörden bei weitem überwiegt 111 und ihm schon allein deshalb ein faktisches Übergewicht bei der nachrichtendienstlichen Arbeit zukommen dürfte. 112 Abgesehen davon werden Sachverhalte von überregionaler Bedeutung zentral von ihm wahrgenommen, was weitgehend mit seinem auch rechtlichen Übergewicht, das aus dem neuen § 5 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG erwächst und weiter oben erläutert wurde1 u, in Einklang stehen dürfte. So befaßt sich das BfV mit den oberen Führungsebenen extremistischer oder terroristischer Organisationen, mit dem Ausländerextremismus gewichtigerer Art und mit der Abwehr von Spionageaktivitäten, die sich von Natur aus hauptsächlich gegen den Bund richten dürften. 114 Schließlich soll auch der Schwerpunkt der Auswertungsarbeit in der Praxis beim Bund liegen, us
IX. Praktische Lösungsvorschläge für Kompetenzkonflikte
Vergegenwärtigt man sich die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern und der Länder untereinander, so fällt es nicht schwer, sich aus111 Einen drastischen Vergleich hinsichtlich der Personalstärke eröffnet der Mitarbeiterstand des BfV von über 2000 zu dem des Saarländischen LfV von 56 1/2 Planstellen! Vgl. Borgs, Was jeder vom Verfassungsschutz wissen sollte, S. 111, und Hermann Theissen, Hörfunkreportage im Deutschlandfunk v. 08. 04. 1992, 07.50 Uhr. 112 Vgl. Evers, BK, Rdnr. 60; Schwagerl/Walter, S. 77; Peter Frisch, Föderativer Aufbau Die Landesbehörden fur Verfassungsschutz, in: Das Parlament, Nr. 3 v. 17. 01. 1976, S. 126, S. 126, der von einer "fuhrenden Rolle des Bundes" spricht.
H3S. ο., V . 3. und 4.! 114 Borgs, Was jeder von Verfassungsschutz wissen sollte, S. 117 f.; Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 121 a. E.; Borgs/Ebert, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 14 a. E.; Schwagerl, S. 116. 115 Schwagerl, S. 116 (m.w.N. in FN. 16). 13 Gröpl
194
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
zumalen, daß es zuweilen durchaus Meinungsverschiedenheiten in der Beurteilung von Einzelfallen geben kann."* Die Pflicht der Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes gem. § 1 Abs. 2 BVerfSchG hält in solchen Fällen alle beteiligten Verfassungsschutzbehörden dazu an, nachhaltige Einigungsbemühungen zu unternehmen und so zu einem fur alle Seiten tragbaren Kompromiß i. S. d. gesetzlichen Zielbestimmung des § 1 Abs. 1 BVerfSchG zu gelangen."? Im einzelnen sind folgende Fallgruppen von Beurteilungsdifferenzen zu unterscheiden:
7. Konflikte
zwischen Bund und Ländern
Zwischen dem Aufgabenbereich des BfV und der jeweiligen Landesverfassungsschutzbehörden sind mehrere Konfliktlagen auszumachen:
a) Sowohl Bund als auch Land wollen ermitteln: Wollen das BfV und eine Landesverfassungsschutzbehörde dieselbe Angelegenheit gleichzeitig bearbeiten, so steht ihnen dies aufgrund ihrer gemeinsamen Aufgabenverpflichtung aus § 3 Abs. 1 BVerfSchG grundsätzlich offen. Zu beachten dabei ist jedoch, daß das BfV in eine aktive Sammlungstätigkeit nur dann einsteigen darf, wenn das Benehmen mit der Landesbehörde hergestellt ist und eine der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG vorliegt. Standardsituation wird dabei gem. Nr. 1 dieser Vorschrift meist die zumindest teilweise Gerichtetheit der jeweiligen Bestrebung oder Tätigkeit gegen den Bund sein. Ist dies der Fall, so werden Parallelermittlungen (mit den oben geschilderten, eventuell nachteiligen Auswirkungen"«) gesetzlich nicht zu verhindern sein. Eine Lösung kann hier nur aufgrund untergesetzlicher interner Absprachen oder Richtlinien zu erzielen sein, die sich am Bearbeitungsschwerpunkt oder an der Zweckmäßigkeit orientieren sollen."9
116 Vgl. auch Borgs, Was jeder von Verfassungsschutz wissen sollte, S. 116 f. Diese Beurteilungsdifferenzen können sich ζ. B. aufgrund unterschiedlicher (partei-) politischer Anschauungen ergeben, die über die jeweilige Politik der Landesregierungen in die LfV hineingetragen werden. "7 Vgl. Borgs/Eben, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 14. "8 S. o., 2. a)! " 9 Vgl. Borgs/Ebert y § 1 BVerfSchG, Rdnr. 14 mit Verweis auf § 5 der Zusammenarbeitsrichtlinien (ZAR) 1973.
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
195
b) Bund will ermitteln, Land nicht: Liegt eine Bestrebung oder Tätigkeit vor, die vom BfV als verfassungsfeindlich gem. §§ 3 und 4 BVerfSchG eingestuft wird, von der Landesverfassungsschutzbehörde aufgrund des ihr zustehenden Beurteilungsspielraumes jedoch nicht, so ist es dem BfV aufgrund der bestehenden Aufgabenparallelität unbenommen, den Fall ersatzweise bzw. ergänzend im jeweiligen Bundesland a u f z u k l ä r e n . 1^0 Zu beachten ist dabei aber wiederum, daß fur eine Sammlungstätigkeit des BfV eine der Tatbestandsalternativen des § 5 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG vorliegen und das Benehmen mit der Landesbehörde gem. § 5 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG eingeholt sein muß.
c) Land will ermitteln, Bund nicht: Auch der umgekehrte Fall ist denkbar, daß nämlich die Landesverfassungsschutzbehörde eine Angelegenheit als verfassungsschutzrelevant einstuft, das BfV jedoch nicht. Hier kann und muß die Landesbehörde gem. §§3 und 4 BVerfSchG (ggf. i. V. mit dem entsprechenden Landesverfassungsschutzgesetz) trotz abweichender Beurteilung durch das BfV nach pflichtgemäßem Ermessen ermittelnd tätig werden. Dabei ist sie allerdings grundsätzlich auf das Territorium ihres Landes als Verwaltungsträger beschränkt, falls nicht das Einvernehmen einer anderen Landesbehörde vorliegt.
d) Weder Bund noch Land wollen ermitteln: Schließlich kann auch eine Situation eintreten, in der sowohl das BfV als auch die betreffende Landesbehörde nach Ausschöpfung des ihnen zustehenden Beurteilungsspielraumes (ggf. nach Rücksprache mit dem jeweiligen Innenminister oder gar der Bundes- bzw. Landesregierung) zu dem Ergebnis gelangen, daß eine konkrete Bestrebung bzw. Tätigkeit nicht verfassungsschutzrelevant und damit nicht bearbeitenswert ist. Dann unterbleiben Beobachtungen konsequenterweise von beiden Seiten. Objektive Aufklärungsdefizite aufgrund von administrativen Fehlbeurteilungen oder sonstige negative Kompetenzkonflikte werden aber dadurch minimiert, daß aufgrund der Parallelzuständigkeit von Bund und Land auch eine doppelte Prüfung mit jeweils negativem Ergebnis stattgefunden hat. 120 S. Borgs/Ebert,
ebd.
196
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
2. Konflikte
der Länder untereinander
a) Territoriale Vermengungen Territoriale Kompetenzkonflikte zwischen den einzelnen Landesverfassungsschutzbehörden werden wegen der gegenseitigen landesgesetzlichen und verfassungsgemäßen Zustimmungserfordernisse bei grenzüberschreitenden Beobachtungen den Ausnahmefall bilden. Bei ihrer Arbeit ist jede Landesbehörde also grundsatzlich auf das eigene Landesgebiet beschränkt.
b) Beurteilungsunterschiede Grundrechtsrelevante Problemlagen könnten allerdings entstehen, wenn ein und derselbe Personenzusammenschluß im Gebiet von zwei Bundesländern aktiv ist und von der einen Landesverfassungsschutzbehörde als extremistisch und verfassungsfeindlich beurteilt wird, von der des anderen Landes hingegen nicht. Vergegenwärtigt man sich vor diesem Hintergrund, daß die Observationstätigkeit der ermittelnden Landesbehörde mit zum Teil massiven Grundrechtseingriffen (ζ. B. in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. mit 1 Abs. 1 GG, in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG oder in das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG) einhergehen kann, so ist im Vergleich der beiden Länder die Entstehung oder Verfestigung einer fragwürdigen Ungleichbehandlung durchaus zu befürchten. In solchen Situationen wird dem Verhalten des BfV entscheidende Bedeutung beizumessen sein: Hält es die Angelegenheit (nach Unterrichtung durch die eine oder andere Landesverfassungsschutzbehörde) selbst für verfassungsschutzrelevant, so wird es die Bearbeitung des Falles an sich ziehen bzw. auch auf dem Gebiet der untätigen Landesverfassungsschutzbehörde Aufklärungsoperationen vornehmen. Nach Herstellung von des Benehmens dieser Landesverfassungsschutzbehörde ist es dazu aufgrund der §§3 i. V. mit 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BVerfSchG berechtigt und verpflichtet. Keinesfalls ist das BfV indes befugt, dem untätigen Land bzw. der untätigen Landesverfassungsschutzbehörde Weisungen zu erteilen. Dies ist - anders als vergleichsweise in § 5 Abs. 5 BKAG - im BVerfSchG nicht vorgesehen und würde ferner auch nicht in den verfassungsrechtlichen Rahmen hineinpassen. ™
121
Vgl. dazu bereits oben, Α. I V . 5.!
E. Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Bundes- und Landesbehörden
197
Kommt das BfV nach pflichtgemäßer Prüfung des Falles jedoch zu dem Ergebnis, daß die Angelegenheit keine verfassungsschutzrechtliche Relevanz aufweist, so wird es sich einer Beobachtung enthalten. Dem (nur scheinbar) extremistischen Personenzusammenschluß ist es dann unbenommen, das Land, von dessen Verfassungsschutzbehörde er (ggf. nach wie vor) ins Visier genommen wird, auf dem Verwaltungsrechtswege gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG i. V. mit §§ 40 Abs. 1 Satz 1, 42 VwGO (analog) auf Unterlassung seiner (rechtswidrigen) Tätigkeiten zu verklagen. Da den Verfassungsschutzbehörden nach § 8 Abs. 3 BVerfSchG bzw. nach den einschlägigen Landesgesetzen keine polizeilichen Befugnisse zustehen, wird Streitgegenstand in den seltensten Fällen ein Verwaltungsakt i. S. von § 35 VwVfG sein, so daß die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Fall 1 VwGO regelmäßig ausscheidet. In Betracht kommt aber eine Leistungs-Unterlassungsklage in entsprechender Anwendung der §§40 und 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO, die in Rechtsprechung und Literatur einhellig anerkannt ist. 122 Eine derartige Rechtsverfolgung dürfte schließlich nebenbei bemerkt durch den lange Zeit umstrittenen, gesetzlich nun ausdrücklich in § 15 BVerfSchG aufgenommenen Auskunftsanspruch erleichtert worden s e i n . 123
122 Vgl. Schmitt Glaeser, Rdnrn. 371 ff. (378 ff.); Kopp, vor § 40 VwGO, Rdnrn. 4. 123 Zum Auskunftsanspruch: Bäumler, Der Auskunftsanspruch des Bürgers gegenüber den Nachrichtendiensten, in: N V w Z 1988, S. 199; ders., Anmerkung zu BVerwG DVB1. 1990, S. 707, in: DVB1. 1990, S. 865. - Allgemein zu Rechtsschutzfragen im Verfassungsschutz: Gusy,, Richterliche Kontrolle des Verfassungsschutzes, S. 67 ff. m.w.N.
1 9 8 2 .
Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
F. Exkurs: Rechtsstreitigkeiten in der Verfassungsschutzverwaltung
I. Ausgangslage
1. Außergerichtliche
Streitbeilegung
Die enge Verzahnung von Bund und Ländern im nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz in Form der (zulässigen) Mischverwaltung mit sachlich identischen Aufgabenbereichen hat zur Folge, daß Bundes- und Landesverfassungsschutzbehörden eine besonders intensive Zusammenarbeit pflegen (müssen). Daß dabei ab und an Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen und ihren Rechtsträgern auftauchen,' ergibt sich schon aus der Natur des Zusammenwirkens mehrerer föderativer Entscheidungseinheiten, zudem aber auch aus der delikaten Angelegenheit des Verfassungsschutzes in der streitbaren Demokratie.2 Gerade hier, d. h. in derartig brisanten Fällen von Angriffen auf die Grundfesten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, ist der Staat allerdings besonders auf reibungsloses Funktionieren seiner (nachrichtendienstlichen) Schutzmechanismen angewiesen. Diese Notwendigkeit fließt bereits aus der Verfassung selbst: Die Zusammenarbeitspflicht im Verfassungsschutz gem. Art. 73 Nr. 10 GG umfaßt auch die Pflicht für die Verfassungsschutzbehörden, bei (Kompetenz-) Streitigkeiten nachhaltige Einigungsbemühungen zu unternehmend Allein der Wortlaut von "Zusammenarbeit" impliziert schon partnerschaftliche Kooperation statt egoistischen Gegeneinanderarbeitens. Auf ihren periodisch stattfindenden Konsultationen werden die Behördenleiter (und in besonders wichtigen Angelegenheiten ggf. auch die jeweiligen Innenminister/-senatoren) daher bestrebt sein, jedenfalls in wichtigen Fragen Einigkeit zu erzielen, was in den meisten Fällen auch gelingt.4 Was aber, wenn Streitigkeiten zwischen einzelnen Verfassungsschutzbehörden auf verwaltungsinternem bzw. politischem Wege nicht mehr gelöst werden können? In derartigen Konfliktlagen liegt es nahe, an eine Streitbeileι Einen Kristallisationspunkt solcher Streitigkeiten können dabei insbes. die regelmäßigen informellen Absprachen der Behördenleiter auf der Grundlage der Koordinierungsrichtlinien darstellen. S. dazu Evers, BK, Rdnrn. 16 und 60. 2 Vgl. dazu bereits oben, l . T e i l , C. I. 2.! S. auch Borgs/Eben, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 14. 3 Borgs/Eben, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 14. 4 Borgs y Was jeder vom Verfassungsschutz wissen sollte, S. 116 f.
F. Exkurs: Rechtsstreitigkeiten in der Verfassungsschutzverwaltung
199
gung vor den Gerichten zu denken. Allerdings werden die Beteiligten vor einer Anrufung der Gerichte aufgrund der sensitiven und oftmals geheimhaltungsbedürftigen Materie des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes wohl insbesondere deshalb zurückschrecken, weil dadurch die streitige Angelegenheit (und vielleicht auch Themenbereiche darüber hinaus) - selbst bei Ausschluß der Öffentlichkeit 5 - unweigerlich Gefahr läuft, ihren notwendig vertraulichen Charakter zu verlieren, und einem breiteren Personenkreis zu Gehör kommt. Der außergerichtlichen Streitbeilegung wird daher auch aus diesem Grunde in der Praxis der Verfassungsschutzverwaltung eine überragende Bedeutung zuzumessen sein. Soweit ersichtlich, haben gerichtliche Verfahren zwischen Bund und/oder Ländern in diesem Bereich (verständlicherweise) bislang noch nicht stattgefunden. Gleichwohl soll im folgenden exkursweise ein kurzer Überblick über mögliche Fallgruppen von verwaltungsorganisatorischen bzw. -internen Rechtsstreitigkeiten zwischen den einzelnen Verfassungsschutzbehörden bzw. ihren Rechtsträgern ( = intraverfassungsschutzrechtliche Streitigkeiten) gegeben werden.
2. Keine gesetzlichen Spezialzuweisungen Vorab ist dabei zu bemerken, daß der Gesetzgeber trotz der geschilderten Brisanz dieser intraverfassungsschutzrechtlichen Streitigkeiten in den Gerichtsordnungen keine Spezialregelungen darfür vorgesehen hat - vielleicht aus Gründen der Seltenheit oder der Vermeidbarkeit von Prozessen in diesem Bereich. Auch § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO vermag hier keine Ausnahme aufzustellen: Denn diese Vorschrift erwähnt zwar den Geschäftsbereich des BND,6 bezieht sich jedoch ausdrücklich nur auf dienstrechtliche Vorgänge zwischen seinen Mitarbeitern und ihrem Dienstherrn, d. h. dem Bund.7 Die hier zu er5 Aus Geheimhaltungsgründen würde dies wegen Gefährdung der Staatssicherheit gem. §§ 17 BVerfGG bzw. 55 VwGO i. V . mit 172 Nr. 1 GVG regelmäßig angezeigt sein. 6 Nach h. M . in der Literatur erstreckt sich die erst- und letztinstanzielle Zuständigkeit des BVerwG dabei nicht nur auf dienstrechtliche Streitigkeiten innerhalb des ausdrücklich erwähnten BND, sondern kraft funktioneller Interpretation auch auf die übrigen Nachrichtendienste (BfV, M A D ; LfV), da Gründe für deren unterschiedliche Behandlung nicht ersichtlich sind; vgl. Eyermann/Fröhler, § 50, Rdnr. 10; Redeker/v. Oertzen, § 50, Rdnr. 4; Kopp, § 50, Rdnr. 8. - A . A . : BVerwG DÖV 1966, S. 105; BVenvG DVB1. 1984, S. 1015 f., das sich streng an den Wortlaut der Ausnahmevorschrift hält und Analogieschlüsse (vielleicht aus Gründen eigener Arbeitsentlastung?) für unzulässig erachtet. 7 Es wird bei der durch § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO begründeten erstinstantiellen Zuständigkeit des BVerwG also je nach der Rechtsstellung des Mitarbeiters hauptsächlich um beamtenoder soldatenrechtliche Probleme gehen. Nach den Rechtswegzuweisungen in den §§172 BBG
200
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
örternden Streitigkeiten zwischen den Verfassungsschutzbehörden werden davon nicht umfaßt, denn sie betreffen inhaltlich gerade nicht das personalrechtliche, sondern mit ihren föderativen Zusammenhängen ein völlig anderes Gebiet.8 Daher unterfallen sie den allgemeinen Regelungen über Rechtsweg, Zuständigkeit und Verfahren, die von Fallgruppe zu Fallgruppe jeweils zu einem anderen Ergebnis fuhren können.
Π. Fallgruppen von Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern
1. Verstoß eines Landes gegen das BVerfSchG zum Nachteil des Bundes Denkbar sind ζ. B. Rechtsstreitigkeiten, in denen der Bund wegen rechtswidrigen Landesvollzugs oder gar wegen mangelnder Umsetzung des BVerfSchG gegen ein Land prozessiert. So könnte eine Landesregierung ihre Verfassungsschutzbehörde entgegen der gesetzlichen Pflicht des § 2 Abs. 2 BVerfSchG aufzulösen9 oder deren Tätigkeit entgegen dem in § 3 BVerfSchG vorgeschriebenen Aufgabenspektrumio zu beschränken suchen. Oder aber eine Landesverfassungsschutzbehörde kommt ihrer Zusammenarbeitspflicht " und insbesondere ihren Ubermittlungsverpflichtungen gegenüber dem BfV aus § 5 Abs. 1 (ggf. i. V. mit § 6) BVerfSchG nicht nach. i2 Streitgegenstand wäre in diesen Fällen jeweils die Nichtbefolgung der Normbefehle des BVerfSchG als einfachen Bundesgesetzes. Die Wahl von
i. V . mit 126 Abs. 1 BRRG bzw. § 59 SoldatenG ist dabei der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. - Interessanterweise bezieht sich die erstinstanzliche Zuständigkeit des § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO nur auf Klagen gegen den Bund (als Passivlegitimierten). Offengelassen ist der (freilich äußerst seltene) Fall einer Klage des (aktivlegitimierten) Bundes gegen den (dann passivlegitimierten) Mitarbeiter gem. §§ 172 BBG i. V . mit 126 Abs. 2 BRRG bzw. 59 Abs. 2 SoldatenG. - Ein weiteres Problem ergibt sich bei arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten von Mitarbeitern des BND oder anderen Nachrichtendiensten im Angestellten- oder Arbeiterstatus. Hier findet sich im ArbGG keine Norm, die die erstinstanzliche Zuständigkeit des BAG begründete. 8 Gegen eine theoretisch erörternswerte analoge Ausdehung der Ausnahmevorschrift des § 50 Abs. 1 VwGO: BVerwG DVB1. 1985, S. 1015 mit Verweis auf BVerfGE 8, 174 (177 ff.) zum ehem. § 9 Abs. 1 Buchst, a, b, e und f BVerwGG (Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht v. 23. 09. 1952 [BGBl. I S. 625]). 9 Vgl. dazu oben Α. I V . 1.! 10 Vgl. dazu oben, 2. Teil, Α. IV. 3., und unten, 3. Teil, Α. I. 3.! 11 Vgl. dazu oben Α. I V . 2.! Die Zusammenarbeitspflicht besteht zwar nach § 1 Abs. 2 BVerfSchG fur das gesamte Land schlechthin; davon wird jedoch konkret auch und besonders die Landesverfassungsschutzbehörde umfaßt. 12 Vgl. dazu oben E. I V . 1.!
F. Exkurs: Rechtsstreitigkeiten in der Verfassungsschutzverwaltung
201
Rechtsweg und Verfahrensart ist abhängig von der Qualifikation dieses Verstoßes. a) Folgt man der bereits weiter oben im einzelnen dargelegten Auffassung, wonach der Vollzug des BVerfSchG unter die Landesausfuhrung eines Bundesgesetzes durch das Land als eigene Angelegenheit nach Art. 84 GG fallt, 13 so kommt als prozessuales Durchsetzungsinstrumentarium des Bundes ausschließlich das Mängelrügeverfahren vor dem BVerfG gem. Art. 84 Abs. 4 Satz 2 GG i. V. mit §§ 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG in Betracht. Dahinstehen kann wegen dieser ausdrücklichen Spezialzuweisung, ob es sich im konkreten Fall um eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Natur handelt" oder ob an ihr oberste Landesorgane beteiligt sind. Voraussetzung fur einen solchen Mängelrügeprozeß ist aber die vorherige erfolglose Durchführung eines gerichtsähnlichen Vorverfahrens, in dem der Bundesrat durch Beschluß über die Mängelrüge der Bundesregierung entscheidet (Art. 84 Abs. 4 Satz 1 GG). Fällt diese Entscheidung des Bundesrates zugunsten des Landes aus und ist sie fehlerhaft, so wird das BVerfG dem Mängelrügeantrag der Bundesregierung stattgeben, indem es den Bundesratsbeschluß aufhebt. 15 Beugt sich das Land selbst dieser Verfassungsgerichtsentscheidung nicht, so kann der Bund als ultima ratio das "brachiale Vollstreckungsinstrument" des Bundeszwanges nach Art. 37 GG anwenden, i* b) Erheblich mehr Schwierigkeiten erwachsen, wenn man bei der Ausführung des BVerfSchG einen Landesvollzug als eigene Angelegenheit nach Art. 8 4 GG v e r n e i n t ^ und folglich auch das Mängelrügeverfahren ausschließen muß. aa) Dann böte sich unter Umständen der Bund-Länder-Streit gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG i. V. mit §§ 13 Nr. 7, 68 f. BVerfGG als Auffangverfahren an. 18 Dies setzte aber einen Streit um bundesstaatsspezifische, verfassungsrechtliche Rechte und Pflichten des Bundes gegenüber den Ländern und umgekehrt voraus. 19 Gegeben wäre das nur dann, wenn man auf dem Standpunkt stünde, daß die oben genannten Verstöße des Landes bzw. seiner Verfassungsschutzbehörde unmittelbar Art. 73 Nr. 10 GG verletzten, aus dem die
>3 Näher dazu oben Β. Π. 2. b)! 14 Tatsächlich werden bei der Landesausfuhrung des BVerfSchG als eigene Angelegenheit oftmals nur Verstoße gegen dieses Bundesgesetz selbst inmitten stehen, es wird also um bloße Gesetzwidrigkeiten gehen. Vgl. dazu allgemein Pestalozzi § 9, Rdnr. 17. 15 Näher dazu: Lerche, M / D , Alt. 84, Rdnrn. 173 und 180; Pestalozza, § 9, Rdnr. 21; BVerfGE 6, 309 (329); 7, 367 (372); 8, 122 (131 f.). i* Lerche, M / D , Art. 84, Rdnr. 177; Hömig, in: Seifert/Hömig, Art. 37, Rdnrn. 1 und 2. " Vgl. wiederum Β. Π. 2. b)! 18 Allgemein dazu: Lerche, M / D , Art. 84, Rdnr. 180.
202
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
Zusammenarbeitspflicht folgt. Zu überzeugen vermag dies jedoch nicht: Zum ersten stellt Art. 73 GG primär eine Kompetenznorm dar, aus dem die Staatsaufgabe Verfassungsschutz (nur) in mittelbarer Weise abzuleiten ist;*> direkte Rechte und Pflichten im Verhältnis des Bundes zu den Ländern vermag er, bar jedes Ausfuhrungsgesetzes, nicht zu begründen. Und zum zweiten ist zu betonen, daß sich sämtliche Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder in ihrem letzten Ursprung stets aus der Verfassung ableiten lassen, was fur sich allein betrachtet jedoch noch lange nicht den Verfassungsrechtsweg eröffnet. 21 Dies gilt auch hier: Verstöße gegen das BVerfSchG als einfaches Bundesgesetz vermögen trotz grundgesetzlichen Fundaments den verfassungsrechtlichen Charakter einer solchen Streitigkeit nicht zu begründen. Damit scheidet Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG aus.22 bb) Hingegen wäre unter Umständen Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG i . V . mit §§13 Nr. 8, 71 f. BVerfGG ins Kalkül zu ziehen, allerdings nur dann, wenn nicht ein anderer Rechtsweg offen stünde. 23 Vorrangig in Betracht kommt hier aber der Verwaltungsrechtsweg nach §§40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, denn bei der Umsetzung des BVerfSchG geht es um einfaches Bundesrecht und damit um wc/irverfassungsrechtliche Rechtsfolgen.24 Im übrigen stehen sich Bund und Länder, was eine weitere Voraussetzung bildet, dabei auch als gleichberechtigte Partner gegenüber, 25 da im nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz als Mischverwaltung ein Über- und Unterordnungsverhältnis nicht existiert.26 Verneint man also in den exemplifizierten Fällen (m. E. unzutreffenderweise) Art. 84 GG, so wäre der Rechtsstreit zwischen Bund und Land gem. § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO erst- und letztinstanzlich vor dem BVerwG auszutragen. Klageart wäre in einem solchen Verfahren die Leistungsklage entspr. §§40 und 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO; subsidiär dazu bestünde die Möglichkeit einer Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO. 27 c) Nachzutragen ist schließlich, daß ein Land, das sich an konkreten Normen des BVerfSchG stößt, statt sich auf einen Bund-Länder-Streit einzlassen, stets auch zur Möglichkeit der abstrakten Normenkontrolle gem. Art. 93 19 So zutreffend Pestalozzi § 9, Rdnr. 6 und 7. Dies wird durch den Wortlaut des über § 69 BVerfGG entspr. anwendbaren § 64 Abs. 1 BVerfGG erhärtet, der von "durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten" spricht. 20 Näher oben 1. Teil, C. I. 2. e)! 21 Schmitt Glaeser, Rdnr. 59. 22 Vgl. allgemein: Eyermann/Fröhler, § 40, Rdnr. 90. 23 Vgl. allgemein dazu: Pestalozza, § 9, Rdnr. 23 m.w.N., und § 10, Rdnrn. 1 und 2. 24 Eyermann/Fröhler f § 50, Rdnr. 4; Redeker/v. Oertzen, § 50, Rdnr. 3 (jeweils m.w.N.). 25 Eyermann/Fröhler, § 50, Rdnr. 3; Redeker/v. Oertzen, § 50, Rdnr. 2 (jeweils m.w.N.); a. A. Kopp, § 50, Rdnr. 4. 26 S. ο., Β. Π. 2. c)! 27 Schmitt Glaeser, a.a.O, Rdnrn. 326 ff. (zur Feststellungsklage) und 371 ff. (zur allg. Leistungsklage).
F. Exkurs: Rechtsstreitigkeiten in der Verfassungsschutzverwaltung
203
Abs. 1 Nr. 2 GG i. V. mit §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG greifen kann, deren Voraussetzungen hier unproblematisch gegeben wären.28
2. Verstoß des Bundes gegen das BVerfSchG Eine zweite Fallgruppe von Rechtsstreitigkeiten ist vorstellbar: Zuwiderhandlungen des Bundes durch seine Behörde, das BfV, gegen das BVerfSchG, ζ. B. in Form von selbständigen Informationssammlungen in einem Lande ohne das Benehmen der jeweiligen Landesverfassungsschutzbehörde.2> In einer derartigen Situation ist der Rechtsweg nach Art. 84 Abs. 4 Satz 2 GG (Mängelrügeverfahren) ausgeschlossen, schon allein weil der Rechtsverstoß nicht vom Land, sondern vom Bund herrührt. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG (Bund-Länder-Streitverfahren) erwiese sich nur dann als einschlägig, wenn der Bund durch sein Verhalten gegen bundesstaatsspezifische, verfassungsrechtliche Pflichten gegenüber dem jeweiligen Land verstieße. Im weitesten Sinne ließe sich ein Verstoß des BfV gegen das BVerfSchG auch als Verletzung der Bundestreue oder bundesfreundlichen Verhaltens auffassen. Daraus aber die verfassungsrechtliche Natur der Streitsache abzuleiten, griffe wiederum zu weit. Denn wie oben30 dreht es sich hier um den Verstoß gegen einfaches Bundesrecht. Das Verfassungsgebot der Bundestreue darf nicht mit dem Ergebnis überdehnt werden, daß die Unterscheidung von Verfassungs- und Nichtverfassungsrecht auf diesem Umwege wieder aufgehoben wird. 31 Somit handelt es sich auch hier um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit /i/cAiverfassungsrechtlicher Art, für die nur das verwaltungsgerichtliche Verfahren vor dem BVerwG als zuständigem Eingangsgericht gem. §§ 40 Abs. 1 Satz 1, 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO in Frage kommt.32
28 Vgl. näher Pestalozza, § 9, Rdnr. 2; allgemein: Degenhart, Rdnrn. 495 ff. Dies bedeutete einen Verstoß gegen § 5 Abs. 2 BVerfSchG (Vgl. dazu oben, Ε. VI.!). Zum "Benehmen" vgl. insbes. Ε . V I . 2.! 30 Vgl. oben l . b ) a a ) ! 31 Pestalozza, § 9, Rdnr. 7. 32 S. oben, 1. b) bb) a. E.!
204
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
3. Positive Kompetenzkonflikte
zwischen Bund und Ländern
Auch Streitigkeiten wegen positiver Kompetenzkonflikte sind denkbar, wenn ζ. B. sowohl das BfV als auch eine Landesverfassungsschutzbehörde in der gleichen Angelegenheit tätig werden wollen und sich nicht auf eine Zuständigkeitsabgrenzung oder Arbeitsteilung einigen können. Ein Verstoß gegen das BVerfSchG steht hierbei nicht im Räume, da gem. § 3 BVerfSchG alle Verfassungsschutzbehörden den gleichen sachlichen Aufgabenbereich innehaben, woran auch § 5 Abs. 2 BVerfSchG nichts zu ändern vermag;33 allenfalls kann ein Verstoß gegen interne Koordinierungsrichtlinien vorliegen. 34 In einem solchen Fall kommt der Verfassungsrechtsweg demnach noch viel weniger als obetfs in Betracht. Einzige Möglichkeit ist wiederum der verwaltungsgerichtliche Bund-Länder-Streit nach § § 4 0 Abs. 1 Satz 1, 5 0 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.
4. Streit um Weisungen gem. § 7 BVerfSchG Weiterhin könnten Prozesse um die Ausführung von Weisungen der Bundesregierung bei Angriffen auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes in Gang kommen. 3* a) Vertritt man hier die (m. E. zutreffende) Ansicht, das die Weisungsbefugnis der Bundesregierung gem. § 7 BVerfSchG von Art. 84 Abs. 5 GG gedeckt wird, so gelangt man zu dem Ergebnis, daß sich der Streit unmittelbar auf verfassungsrechtliche, föderative Rechte des Bundes gegenüber den Ländern zurückfuhren läßt. Verfassungsrechtlicher Natur wäre er dann, wenn sich das Land auf die Verfassungsv/idtigkeit des Weisungsrechts als solches beriefe; richtiges Verfahren wäre demzufolge der Bund-Länder-Streit gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG.37 Moniert es hingegen lediglich einen Subsumtionsverstoß gegen § 7 BVerfSchG, wäre der Kern der Streitsache einfach-gesetzlich und damit wcAiverfassungsrechtlich, weswegen der Verwal-
33 Vgl. näher oben Ε. V I . 4. a)! 34 Vgl. dazu oben E. IV. 4. a) und b) sowie IX. 1. a)! 35 S. soeben, 1. b) und 2.! 36 Vgl. dazu und zum Folgenden oben, Α. IV. 5.! 37 Nicht hingegen Art. 84 Abs. 4 Satz 2 GG, der sich nur auf die Ausführung von Bundesgesetzen bezieht (Vgl. oben, 2.!). Indes käme alternativ eine abstrakte Normenkontrolle nach Ait. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG in Betracht.
F. Exkurs: Rechtsstreitigkeiten in der Verfassungsschutzverwaltung
tungsrechtsweg zum BVerwG nach §§40 Nr. 1 VwGO eröffnet wäre.
205
Abs. 1 Satz 1, 50 Abs. 1
b) Sieht man das Weisungsrecht mit der Gegenmeinung39 als Sonderfall außerhalb von Art. 84 Abs. 5 GG an, so ergibt sich nichts anderes: Wendet sich das Land unmittelbar gegen dessen Existenz, die nach der h. M . aus Art. 73 Nr. 10 GG fließt, so ist das BVerfG gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG zuständig, da der Streitkern bei der Frage angelagert ist, ob das Weisungsrecht ein verfassungsrechtliches Recht darstellt. 40 Geht es hingegen um seine Anwendung im konkreten Fall, sind um ein weiteres Mal die §§40 Abs. 1 Satz 1, 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO einschlägig.
5. Bund-Länder-Streit
hinsichtlich der Schule für Verfassungsschutz
Endlich könnten Bund und Länder in konkreten Einzelfragen im Zusammenhang mit der Schule fur Verfassungsschutz (SfV), wie ζ. B. dem Haushalt, der Berufung von Lehrbeauftragten oder der Fachaufsicht, aneinandergeraten. Streitgrundlage ist in allen diesen Fällen das Bund-Länder-Abkommen über die Errichtung der Schule. 42 Wie weiter oben bereits festgestellt, handelt es sich dabei um ein reines Verwaltungsabkommen, nicht aber um einen Staatsvertrag, 43 womit von vornherein nicht Verfassungsrecht, sondern Verwaltungsrecht berührt ist. Demzufolge bestimmen sich Rechtsweg und Zuständigkeit nach Maßgabe der §§40 Abs. 1 Satz 1, 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.
38 Vgl. Pestalozza, § 9, Rdnr. 6. 3 9 Näher dazu oben, Α. I V . 5. e) dd)! 40 Auch hier böte sich wahlweise wiederum eine abstrakte Normenkontrolle gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG an. 4 1 Borgs/Ebert, § 5 BVerfSchG, Rdnr. 11 (FN. 17), erwähnt diese Frage nur am Rande und will stets Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG anwenden, was jedoch so zu undifferenziert erscheint. 4 2 Abgedruckt im Anhang und bei Roewer, § 2 BVerfSchG. Rdnr. 46. 4 3 Vgl. dazu oben, D. I. 2. b)!
206
2. Teil: Die Organisation des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes
ΙΠ. Fallgruppen von Streitigkeiten der Länder untereinander
1. Positive Kompetenzkonflikte
zwischen den Ländern
Auch positive Kompetenzkonflikte der Länder untereinander lassen sich ausmalen, etwa wenn eine Landesverfassungsschutzbehörde ohne das landesgesetzlich erforderliche Einvernehmen auf fremdem Landesterritorium tatig wird.44 Hier steht der Verstoß eines Landes gegen das einfach-gesetzliche Recht eines anderen Landes inmitten. 45 Auf den ersten Blick erscheint dabei Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 GG (sonstige bundestaatliche Streitigkeiten) einschlägig. Allerdings ist auch hier die Subsidiaritätsklausel zugunsten der §§ 40 Abs. 1 Satz 1, 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zu beachten: Der Kern des Streits liegt wiederum im nichtverfassungsrechtlichen Bereich, weil es nicht unmittelbar um die Verletzung von (Bundes- oder Landes-) Verfassungsrecht, sondern (nur) von einfachem Landesgesetz geht. Da das BVerwG in diesem Falle erst- und letztinstanzlich als Tatsachengericht entscheidet, darf seine Kontrollbefugnis, anders als bei der Revision gem. § 137 Abs. 1 VwGO, hier nicht nur auf Bundesrecht* beschränkt werden. Vielmehr sind statt der §§ 132 ff. VwGO die Vorschriften fur das Verfahren im ersten Rechtszug nach §§ 81 ff. VwGO anwendbar. Folglich kann Landesrecht als justiziable Streitgrundlage herangezogen werden.47
2. Landesverstoß gegen das BVerfSchG zum Nachteil eines anderen Landes Nicht nur zuungunsten des Bundes, sondern auch zum Nachteil eines anderen Landes könnte eine Landesverfassungsschutzbehörde gegen geltendes Recht verstoßen, wenn sie beispielsweise erforderliche Informationen entgegen § 5 Abs. 1 BVerfSchG nicht oder nur unzureichend an die Landeskollegialbehörde ü b e r m i t t e l t e Abermals steht ein Vollzugsdefizit von Bundesrecht zur Debatte, das der Bund nach der hier vertretenen Auffassung im
44 S. naher dazu oben, E. VH. 2. c) aa)! 45 So z . B . ein Verstoß gegen § 2 Abs. 2 BW LVSG; Art. 2 Abs. 2 BayVSG; § 2 Abs. 4 VerfSchG-LSA. 46 Oder gem. § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO eine Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Veiwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt. 47 Vgl. Kopp, § 50, Rdnr. 11, mit Verweis auf BVerwG NJW 1985, S. 1655. « Vgl. wiederum oben E. IV. 1.!
F. Exkurs: Rechtsstreitigkeiten in der Verfassungsschutzverwaltung
207
Mängelrügeverfahren beheben könnte.49 Wollte sich aber das betroffene Land selbst dagegen zur Wehr setzen, müßte es den Verwaltungsrechtsweg zum BVerwG nach §§ 40 Abs. 1 Satz 1, 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO beschreiten, weil einerseits Art. 84 Abs. 4 Satz 2 GG tatbestandlich unanwendbar ist und andererseits bei einem Verstoß gegen das BVerfSchG nicht Verfassungsrecht, sondern Verwaltungsrecht das streitige Rechtsverhältnis entscheidend formt.
3. Länderstreit
hinsichtlich der Schule für Verfassungsschutz
Streiten zwei oder mehrere Länder untereinander (ohne Bundesbeteiligung) um konkrete Bestimmungen des Bund-Länder-Abkommens über die SfV, so ergibt sich kein anderes Ergebnis als bei Streitbeteiligung des Bundes: Wegen des nichtverfassungsrechtlichen Charakters dieses Verwaltungsabkommens wäre die Zuständigkeit des BVerwG nach §§ 40 Abs. 1 Satz 1 und 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegeben.
49
soeben!
Nach der anderen Ansicht ist er freilich auf § 5 0 Abs. 1 Nr. 1 VwGO angewiesen, vgl.
Dritter
Teil
Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
Λ. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
Das Nachrichtendienstwesen in der Bundesrepublik weist institutionell und funktionell eine Dreiteilung auf: Erstens bestehen die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Lander (der sog. nachrichtendienstliche Verfassungsschutzi), zweitens der Bundesnachrichtendienst (BND) und drittens der Militärische Abschirmdienst (MAD).2 Nachdem bisher hauptsächlich von der bundesdeutschen Verfassungsschutzverwaltung mit ihren Besonderheiten und Eigenarten im föderativen Staat die Rede war, sollen nun auch die beiden anderen Nachrichtendienste mit in die rechtlichen Überlegungen einbezogen werden, um ihr Zusammenspiel besser beurteilen zu können.
I. Die Verfassungsschutzbehörden
1. Das Bundesamt für Verfassungsschutz Gem. Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG besteht als "Zentralstelle zur Sammlung von Unterlagen fur Zwecke des Verfassungsschutzes" das Bundesamt fur Verfassungsschutz (BfV) in Köln-Ehrenfeld.3
1
Zu dieser Bezeichnung s. oben, 1. Teil, C. I. 1.! Eine schematische Ubersicht über die bundesdeutschen Nachrichtendienste und ihre Stellung im Verhältnis zu den übrigen Staatsschutzbehörden bieten Brückner/Schmitt, S. 42. 3 Bartheistraße 75, 508823 Köln. Zum Behördensitz: BT-Drs. 2/3728. 2
A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
209
a) Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern In § 2 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG wird das BfV als Bundesoberbehörde bezeichnet.« Wie bereits weiter oben festgestellt, trifft dies die Sache nur zur Hälfte: Das Amt ist zugleich sowohl Bundesoberbehörde nach Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG als auch Zentralstelle gem. Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG.5 An seiner Spitze steht ein Präsident«, dem ein Stellvertreter? beigeordnet ist. Es stellt eine dekonzentrierte, nicht aber dezentralisierte Einrichtung der unmittelbaren Bundesverwaltung dar, die - ohne eigene Rechtspersönlichkeit - dem Bundesminister des Innern unmittelbar nachgeordnet ist, ohne jedoch in das Bundesinnenministerium integriert zu sein.« Folgerichtig ist das Amt laut § 2 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG auch fach- und dienstaufsichtlich dem Bundesminister des Innern unterstellt; im einzelnen wird die Dienstaufsicht durch die Zentralabteilung, die Fachaufsicht durch die Abteilung "Innere Sicherheit" des Ministeriums ausgeübt.? Im Rahmen des Ressortprinzips und der Ressortabgrenzung nach Art. 65 Satz 2 GGio zählt das Amt zum Zuständigkeitsbereich des Bundesinnenministeriums, dessen Chef zugleich die (politische) Ministerverantwortlichkeit für das Amt trägt, π Ende 1991 hatte das BfV 2486 Mitarbeiter und einen Etat von ca. 215 Millionen DM.12
b) Untergliederung Das BfV unterteilt sich in die Zentrale in Köln und in mehrere über das Bundesgebiet verteilte Außenstellen. « Vor der deutschen Vereinigung war die Zentrale in acht Abteilungen untergliedert, die ihrerseits in Referatsgrup4 Anfangs stritt der Bundestag darüber, ob die Verfassungsbehörde auf Bundesebene dekonzentriert als Bundesobeibehörde oder (nur) als eine besondere Abteilung integriert im Bundesinnenministerium geschaffen werden sollte und entschied sich letztlich für ersteres Modell, vgl. Stenographisches Protokoll der 65. Sitzung des Deutschen Bundestages v. 01. 06. 1950, S. 2391 ff.; Borgs/Ebert, § 2 BVerfSchG, Rdnr. 2. 5 S. oben, 2. Teil, C. V . ! 6 Bis Februar 1991 Gerhard Boeden, seitdem Dr. Eckart Werthebach, der bei Redaktionsschluß dieser Arbeit als künftiger Staatssekretär im Bundesinnenministerium im Gespräch war. 7 Ζ . Zt. des Redaktionsschlusses dieser Arbeit Dr. Peter Frisch. 8 Zu den Begriffspaaren Konzentration - Dekonzentration und Zentralisation - Dezentralisation vgl. näher Lecheler, S. 82 flf. 9 Ritter, S. 85 und 114 f. 10 Zum Ressortprinzip des Art. 65 Satz 2 GG vgl. nur Maunz/Zippelius, S. 295 m.w.N.; Seifert, in: Seifert/Hömig, Art. 65, Rdnr. 4 m.w.N. 11 Zu den Einzelheiten vgl. Roewer, § 2 BVerfSchG, Rdnrn. 2 ff.; Schreiber, Inkongruenz ..., S. 978 f. 12 Werthebach, in: DER SPIEGEL (Heft 45/1991) v. 04. 11. 1991, S. 47; vgl. auch Bundesminister des Innern (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 1990, S. 195; Borgs, Was jeder von Verfassungsschutz wissen sollte, S. 111; Ritter, S. 85 ff.
14 Gröpl
210
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
pen und Referate zerfielen. Sechs der acht Abteilungen ( = Abt. I I bis VIII) waren fachspezialisiert und entsprachen dem gesetzlichen Auftrag des § 3 BVerfSchG. Im einzelnen stellt(e) sich die innerbehördliche Organisation wie folgt dar: 14
Abt. Z: Abt I: Abt. Π: Abt. ΙΠ: Abt. IV: Abt. V: Abt. VI: Abt. Vn:
Organisation/Verwaltung/Observation und Technik; Zentrale Fachfragen/Informationssystem; Rechtsextremismus; Linksextremismus; Spionage- und Sabotagebekämpfung; Geheim- und Sabotageschutz; Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern; Terrorismus.
Aufgrund der deutschen Vereinigung 1990 und des allgemeinen weltpolitischen Umbruchs wird man von einzelnen Strukturanpassungen innerhalb des BfV ausgehen dürfen. Ob sich darüber hinaus grundlegende Änderungen verbunden mit einem von verschiedenen Seiten geforderten Stellenabbau - anbahnen, werden erst die nächsten Jahre weisen. Zwar ist der erhebliche Spionage- und Desinformationsdruck zumindest durch das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und seine Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) weggefallen.» 5 Andererseits erstreckt sich der Zuständigkeitsbereich des Amtes seit dem Beitritt der ehemaligen DDR nunmehr auch auf die fünf jungen Bundesländer und auf den Ostteil Berlins, was ein erkleckliches Maß an Mehrbelastung mit sich bringt. Davon abgesehen hat sich nach Ansicht des ehemaligen Bundesinnenministers Schäuble und des BfV-Vizepräsidenten Frisch die fur die Demokratie ausgehende Gefahr von Extremismus, Terrorismus und Spionage zwar inhaltlich modifiziert, jedoch nicht merklich abgeschwächt.!6 In Fachkreisen betont man mit Nachdruck, daß sich am Arbeitsaufkommen des Amtes Verschiebungen, aber keine quantitativen VermindeSeit der deutschen Vereinigung nimmt das BfV insbes. in den fünf neuen Bundesländern zahlreiche Aufgaben gem. § 3 BVerfSchG wahr, um die Defizite abzugleichen, die durch die eingeschränkten Aufklärungsaktivitäten der erst im Aufbau befindlichen Landesverfassungsschutzbehörden verursacht werden. 14 Übersicht bei Borgs, Was jeder von Verfassungsschutz wissen sollte, S. 112 f.; Ritter, S. 85. 15 Beispiele für frühere Desinformationskampagnen östlicher Geheimdienste bietet Ritter, S. 26 ff. ló Vgl. Schäubles Vorwort in: Verfassungsschutz in der Demokratie - Beiträge aus Wissenschaft und Praxis (Hrsg.: BfV), Köln u. a., 1990, S. V ; Frisch, S. 49 f.
A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
211
rungen ergeben hätten: Insbesondere die Wirtschaftsspionage östlicher Staaten hält unvermindert an; 17 das Agentennetz der sowjetischen bzw. russischen Geheimdienste soll seit 1989 sogar noch ausgebaut worden sein;" viele (ehemalige) Topagenten der HVA sind noch nicht enttarnt und können möglicherweise weiteren Schaden anrichten, zumal von einer nicht zu unterschätzenden "Überwerbung" durch die GUS-Nachfolgedienste des KGB und der GRU auszugehen ist. 19 Die Richtigkeit dieser These wird durch Festnahmen von weiterhin aktiven Agenten der (neuen?) osteuropäischen Geheimdienste auch nach Auflösung der Sowjetunion erhärtet.?» Darüber hinaus stellt das Aufflammen des Rechtsextremismus im vereinigten Deutschland eine zunehmende Gefahr dar, 21 wie auch aus dem Verfassungsschutzbericht 1991 zu entnehmen ist. Dies wird nach Aussage des ehem. Bundesinnenministers Seiters verstärkte Aufklärungsarbeit des BfV erfordern und ggf. innerbehördliche Umstrukturierungen nach sich ziehen.22
17
DER SPIEGEL v. 31. 08. 1992 (Heft 36/1992), S. 16. So Bundesanwalt Harald Reiter im Prozeß gegen einen G/?ï/-Oberst (SZ v. 03. 09. 1992, S. 6). In den Dienststellen der GRU arbeiten danach allein im Bundesgebiet 840 Personen. 19 Frisch, S. 49 f., zeigt auf, daß von den 5000 bis 6000 Agenten (darunter rund 500 "Top-Agenten"), die von insgesamt 6300 hauptamUichen Mitarbeitern der DDR-Auslandsnachrichtendienste geführt worden waren, erst ein kleinerer Teil enttarnt werden konnte. Viele der alten "Stasi "-Strukturen bestünden darüber hinaus weiter. Außerdem hätten KGB und GRU (vgl. o., 1. Teil, Β. Π. 1.) erfolgreiche Anstrengungen unternommen, vom MfS geführte und betreute Agenten zu übernehmen; vgl. auch DER SPIEGEL v. 10. 08. 1992 (33/1992) S. 47 (50 f.). - Auch nach Ansicht des BfV-Präsidenten Werthebach fuhren die russischen Nachfolgedienste viele der "Quellen" weiter, die das Mß angeworben habe, deren Akten vor der dt. Vereinigung an das KGB übermittelt worden seien und die jetzt in großem Umfange "reaktiviert" würden. Viele der ehem. und neuen Agenten säßen nach wie vor in den ostdeutschen Polizeibehörden; Berlin bilde weiterhin den Brückenkopf der Ost-West-Spionage. Mitte Juni 1992 sollte Staatssekretär Schmidbauer den russ. Präsidenten Jelzin mit Nachdruck auf diesen Mißstand aufmerksam machen. Vgl. zu all dem: Fernsehreportage "Bonn Direkt" v. 07. 06. 1992, 19.10 Uhr, im ZDF. 18
20 Zur nach wie vor aktiven (Industrie-) Spionage russischer Geheimdienste s. SZ v. 13. 04. 1992, S. 8; vgl. i. ü. FAZ v. 07. 04. 1992, S. 1. 21 Der neue Rechtsextremismus als alarmierendes soziales Phänomen des "Nicht-teilenWollens" richtet sich insbes. gegen Ausländer und Asylanten und wurde spätestens seit den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein am 05. 04. 1992 offenbar. Dahinstehen mag i. R. dieser Arbeit, inwieweit er durch Verkrustungen in der hergebrachten Parteienlandschaft mitverursacht wird. - Nach Aussage des stellvertretenden Präsidenten des baden-württembergischen LfV, Rannacher, sollen D I E REPUBLIKANER zukünftig systematisch vom Verfassungsschutz kontrolliert werden, vgl. FAZ v. 15. 04. 1992, S. 1. 22 Vgl. SZ v. 14./15./16. 08. 1992, S. 1 und 4.
212
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
2. Die Landesverfassungsschutzbehörden Neben dem BfV bestehen auf Landesebene nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 BVerfSchG jeweils eigene Landesverfassungsschutzbehörden.
a) Organisationsmodelle Hinsichtlich der Organisationsstruktur der Landesverfassungsschutzverwaltungen haben sich dabei in den alten Bundesländern zwei unterschiedliche Modelle herausgeschält: Entweder haben die Länder selbständige Landesämter fur Verfassungsschutz (LfV) als dekonzentrierte Landesoberbehörden errichtet,^ oder aber sie haben die Aufgabe des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes einer besonderen Abteilung in ihren obersten Landesbehörden, bisher stets im jeweiligen Landesinnenministerium, z u g e w i e s e n ^ . Die neuen Bundesländer orientierten sich bei der Errichtung ihrer Verfassungsschutzverwaltungen an den beiden Modellen der alten Länder und haben sich - wahrscheinlich infolge des Einflusses aus dem jeweiligen "Patenland" - entweder fur dekonzentrierte Landesämter oder für den integrierten Aufbau ents c h i e d e n . ^ - Darüber, welche Organisationsstruktur die bessere ist, herrscht Streit. Für das Integrationsmodell könnten kürzere Meldewege, eine schärfere verwaltungsinterne Kontrolle und allgemein eine engere Anbindung an die Landesregierung sprechen; für selbständige Landesämter klarer abgegrenzte Kompetenzen, stärkere Transparenz und effektivere demokratische Kontrolle. Aus letzteren Gründen tendiert Schwagerl mit Nachdruck für ausgelagerte L a n d e s ä m t e r . 26 Im Ergebnis dürften sich die Vor- und Nachteile beider Modelle die Waage halten. - Im übrigen werden die Landesbehörden hinsichtlich der amtsinternen Behördenuntergliederung in Abteilungen und Referate annähernd ähnliche Strukturen aufweisen wie das BfV, gleichviel, ob sie dem dekonzentrierten oder dem integrierten Modell folgen. 23 Dekonzentrierte Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) bestehen in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und im Saarland. 24 Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein haben besondere Abteilungen ihrer Innenministerien mit dem Verfassungsschutz betraut, die insoweit Verfassungsschutzbehörden sind. 25 Thüringen ζ. B. hat aufgrund seines Verfassungsschutzgesetzes v. 29. 10. 1991 (ThürGVBl. S. 527) ein Landesamt für Verfassungsschutz errichtet, ebenso Sachsen-Anhalt durch das Gesetz über den Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) v. 14. 07. 1992 (GVB1. LS A S. 590). Brandenburg hingegen wies die Aufgaben des Verfassungsschutzes in § 2 Abs. 1 BbgVerfSchG (BbgGVBl. I S. 78) einer besonderen Abteilung seines Innenministeriums zu. 26 Eingehend zum Für und Wider von Integrations- und Dekonzentrationslösung: Schwagerl, S. 44 f.
A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
213
Über Personalbestand und Etat der einzelnen Landesverfassungsschutzbehörden drang bislang aus Geheimschutzgründen wenig an die Öffentlichkeit; nach vereinzelten und vorsichtigen Schätzungen dürften alle Verfassungsschutzbehörden der alten Bundesländer zusammen etwa gut 2000 Mitarbeiter beschäftigen. 27
b) Funktionale Zusammenfassung des Verfassungsschutzes Für die hier interessierenden Fragen der Einordnung des Verfassungsschutzes in das nachrichtendienstliche und darüber hinaus in das gesamtsicherheitsbehördliche System der Bundesrepublik kommt es auf die bereits weiter oben analysierten» föderativen intraverfassungsschutzrechtlichen Untergliederungen zwischen Bundes- und in Landesbehörden nicht an. Denn die verschiedenen Verfassungsschutzämter auf Bundes- und Landesebene haben gem. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG ohnehin den gleichen Kernbestand an Aufgaben zu erfüllen; es besteht insofern eine funktionale Identität, die fortan eine Zusammenfassung von Bundes- und Landesverfassungsschutzbehörden gestattet.
3. Aufgaben des Verfassungsschutzes Diese Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden sind in § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG enumerativ aufgezählt. In engem Zusammenhang damit steht § 4 BVerfSchG, der für die bei der Aufgabenformulierung gebrauchten Begriffe Definitionen und Umschreibungen liefert, die sich zum Teil an die Rechtssprechung des BVerfG anlehnen.29
27 Vgl. Schwagerl , S. 45 m.w.N. 28 Oben, im 2. Teil, bzgl. der gegenseitigen Zuständigkeitsabgrenzung insbes. unter E.! 29 So entspricht die beispielhafte Aufzählung der Wesensmerkmale derfreiheitlichen demokratischen Grundordnung in § 4 Abs. 2 BVerfSchG den Formulierungen des BVerfG in E 2, 1 (12 f.) ("SRP-Verbot"), die seither in ständiger Rechtsprechung oftmals wiederholt wurden (BVerfGE 5, 85 [140] u. dgl.).
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3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
a) Einzelbereiche» Die Aufgaben des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes lassen sich wie folgt untergliedern: 3i (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)
Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 Fall Schutz des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 Fall 2),33 Schutz vor ungesetzlicher Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe (Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2),34 Spionageschutz bzw. die Spionageabwehr (Abs. 1 Nr. 2),35 Schutz gegen den Ausländerextremismus (Abs. 1 Nr. 3)36, Personeller Geheimschutz (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1),37 (Personeller) Sabotageschutz (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2)38 und Materieller Geheimschutz (Abs. 2 Satz 1 Nr. 3)39.
b) Originäre Aufgaben und Mitwirkungsaufgaben Dabei stellen die Zuständigkeiten in Absatz 1 originäre Aufgaben dar, die die Verfassungsschutzbehörden in eigener Zuständigkeit erledigen. Sie lassen sich kurz als Aufklärung des politischen Extremismus einschließlich des Terrorismus (Nr. 1)40, als Spionageabwehr (Nr. 2) und als Überwachung des Ausländerextremismus (Nr. 3) bezeichnen. Alle drei Kurzbezeichnungen sind 30 Ein aktuelles Lagebild zu den einzelnen Aufgabenbereichen des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes bietet Frisch, S. 49 ff. 31 Vgl. bereits oben 2. Teil, Α. I V . 3. a)! Zu den Aufgaben s. auch Ritter, S. 88 ff. 32 Vgl. naher bei Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 14 ff. 33 Vgl. naher bei Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 30 f. 34 Vgl. näher bei Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 32. 35 Vgl. näher bei Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 41 ff. ("Spionageabwehr": Rdnr. 63). 36 Vgl. Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 70 ff. - Die Bekämpfung des Ausländerextremismus stellt fur den Bund nach Rengeling, Rdnr. 103, sogar eine völkerrechtliche Pflicht dar, nach der er gehalten ist, von seinem Gebiet ausgehende gewaltsame Handlungen gegen andere Staaten zu unterbinden. 37 Vgl. näher bei Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 86 ff. 38 Vgl. näher bei Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 98 ff. 39 Vgl. näher bei Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 104 ff. 40 Sämtliche Teilaufgaben des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG werden unter dem Arbeitsbegriff "politischer Extremismus" zusammengefaßt. Früher war der Begriff "Radikalismus" gebräuchlich, vgl. Roewer, ebd., Rdnrn. 33 ff. Heute kann man zwischen beiden Begriffen ζ. T. Abstufungen in dem Sinne feststellen, daß (politischer) Radikalismus weniger intensiv und weniger gefahrlich ist als politischer Extremismus; vgl. ζ. B. Rannacher (zit. in FAZ v. 15. 04. 1992, S. 1).
A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
215
jedoch nur inoffizielle Arbeitsbegriffe der Verfassungsschutzbehörden und treffen den Auftragsinhalt nicht immer hinreichend genau.41 § 3 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG beinhaltet demgegenüber lediglich Mitwirkungsauf gaben.* 2 Das bedeutet, daß der nachrichtendienstliche Verfassungsschutz beim Geheim· und Sabotageschutz nicht nach eigenem Ermessen tatig wird, sondern i. d. R. nur auf Veranlassung anderer Behörden oder (natürlicher sowie juristischer) Privatpersonen, meist Unternehmen,43 denen derartige verfassungsschutzrelevante Kontrollen aufgrund anderer gesetzlicher oder vertraglicher Verpflichtungen obliegen. Sie bestimmen daher auch in fur die jeweilige Verfassungsschutzbehörde verbindlicher Weise die Art und den Unfang des zu überprüfenden Personenkreises. Allerdings richtet sich die Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörden hinsichtlich Aufgabe und Befugnis nur nach dem BVerfSchG bzw. der entsprechenden landesrechtlichen Norm; im Falle eines Ersuchens werden sie also nach eigenem Recht tatig. Insbesondere für die Durchführung der Sicherheitsüberprüfung tragen sie die alleinige Verantwortung und brauchen darauf gerichteten Empfehlungen des jeweiligen Auftraggebers nicht zu entsprechen.44 Als Aufgabenkonkretisierung ist schließlich noch § 5 Abs. 1 BVerfSchG aufzufassen, der neben die Sammlung und Auswertung ausdrücklich noch die gegenseitige Unterrichtung der Verfassungsschutzbehörden stellt.43
41 Die Bezeichnung "Ausländerextremismus " deckt im Grunde nicht den gesamten Bereich des § 3 Abs. 1 Nr. 3 BVerfSchG ab, weil auch Deutsche und nicht nur Ausländer dessen Schutzgut beeinträchtigen können, indem sie ζ. B. durch Gewalttaten (Bombenanschläge, Attentate u.s.w.) gegen ausländische Vertreter, ausländische Botschaften oder andere ausländische Einrichtungen außenpolitische Interessen der Bundesrepublik beeinträchtigen. 42 Vgl. im einzelnen Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 81 f.; Schoen y S. 131 und 134, und Stern, Der vorbeugende personelle Sabotageschutz ..., S. 325 ff. 43 So ζ . B. bei der Sicherheitsüberprüfung von Mitarbeitern privatwirtschaftlicher Unternehmen, an die Rüstungsaufträge u. dgl. vergeben werden; vgl. Borgs/Ebert, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 98. Eingehende Regelungen dazu finden sich im Handbuch fitr den Geheimschutz in der Wirtschaft (Geheimschutzhandbuch), das als Allgemeine Geschäftsbedingung Eingang in entsprechende öffentliche Auftrage findet; vgl. dazu Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 113 ff. 44 Hier drängen sich gewisse Parallelen zu den Regelungen der Amtshilfe nach den §§ 4 ff. (insbes. 7) VwVfG auf, die allerdings mit Rücksicht auf § 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG nicht vorliegt. 45 S. dazu oben, 2. Teil, E.!
216
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
Π. Der Bundesnachrichtendienst
1. Organisation Als Auslandsnachrichtendienst des Bundes besteht lt. § 1 Abs. 1 Satz 1 BNDG" der BND als Bundesoberbehörde. Er ist also, ebenso wie das BfV, eine dekonzentrierte Oberbehörde der unmittelbaren Bundesverwaltung ohne eigene Rechtspersönlichkeit. *7 Genau wie dieses wird auch der BND von einem Präsidenten^ geleitet, dem ein Stellvertreter^ beigeordnet ist.
a) Zuordnungsänderungen Anders als das BfV und andere Bundes(-ober-)behörden ist der BND indes keinem Fachministerium nachgeordnet. Diese Abweichung vom "Normalfair bereitet hinsichtlich der genauen organisationsrechtlichen Einordnung Schwierigkeiten; dies umso mehr, als im Laufe der Geschichte des Dienstes mehrere Zuordnungsverschiebungen vorgenommen wurden. Im einzelnen stellt sich die Entwicklung wie folgt dar:» Gem. Kabinettsbeschluß vom 11. 07. 1955 wurde die "Dienststelle" unter der Bezeichnung Bundesnachrichtendienst "eingerichtet" und dem Bundeskanzleramt "angegliedert". Gleichzeitig wurde die vormalige "Organisation Gehlen" in den Dienst "übergeführt", mit anderen Worten: Gehlens Geheimdienst wurde mehr oder weniger in bundeseigene Verwaltung übernommen.Nach Klärung weiterer Einzelfragen wurde die Angliederung schließlich am 01. 04. 1956 vollzogen. Am 02. 10. 1963 verfügte ein neuerlicher Kabinetts46
BNDG auszugsweise abgedruckt im Anhang. 47 Vgl. wiederum Lecheler, ebd., S. 82 ff. 48 Bis 30. 09. 1990 Dr. Hans-Georg Wieck; seit 01. 10. 1990 (und zu Redaktionsschluss dieser Arbeit) Konrad Porzner, vormals MdB und Mitglied des Ältestenrates des Bundestages (SPD). - Die Tatsache, daß unter einer christlich-liberalen Regierungskoalition der BND von einem Sozialdemokraten geleitet wird, ist m. E. von nicht zu unterschätzender Bedeutung: So kann der BND vor dem Verruf bewahrt werden, ein heimliches parteipolitisches Instrument zur Überwachung der Opposition zu sein [wie es ζ. T . im GuiV/aumi-Untersuchungsausschuß anklang, vgl. BT-Drs. 7/3246, S. 45 ff.; Brückner/Schmitt, S. 97 ff.]. Die Einbindung der Opposition in die Leitung der Nachrichtendienste stellt daher einen weiteren (personalen) Kontrollmechanismus dar, verpflichtet den BND zur Neutralität und verdeutlicht in überaus glücklicher Weise, daß der BND dem ganzen Gemeinwesen dient, sowohl der Regierung als auch der Opposition. Es bleibt zu hoffen, daß auch künftige Bundesregierungen an diesem Ritus festhalten. 49 Ζ . Zt. des Redaktionsschlusses dieser Arbeit Dr. Paul Münstermann. 50 Vgl. dazu auch Schreiber, Inkongruenz ..., S. 976 f. 51 Beschluß des Bundeskabinetts abgednickt bei Ritter, S. 68. Vgl. auch BT-Drs. 7/3246, S. 47 (mit falscher Monatsangabe). Zur Vorgeschichte vgl. 1. Teil, Β. II. 2. und 3.!
. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
217
beschluß den Erlaß veränderter Richtlinien fur die Dienstaufsicht; gleichzeitig wurde der Dienst dem Bundeskanzleramt "unterstellt".52 Revidiert wurde dies - wahrscheinlich aus personlich-politischen Gründen - durch Nummer I I des Organisationserlasses vom 17. 12. 198453, worin der Bundeskanzler den Dienst der Fachaufsicht des Bundeskanzleramtes entzog und in den Verantwortungsbereich des parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundeskanzler und Beauftragten fur die Nachrichtendienste stellte, der seinerseits dem Bundeskanzler selbst unmittelbar unterstand (Nummer I Abs. 1 Satz 2 des Erlasses von 1984). Gem. Nummer I des neuen Organisationserlasses vom 03. 05. 198954 wurde der BND schließlich (wieder) dem Chef des Bundeskanzleramtes unterstellt.Dies entspricht auch dem neuen § 1 Abs. 1 Satz 1 BNDG, wonach der Dienst "eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Chefs des Bundeskanzleramtes " darstellt. Zur Erfüllung seiner diesbezüglichen Aufgaben bedient sich der Kanzleramtschef der Abteilung 6 des Bundeskanzleramtes - Gruppe "Bundesnachrichtendienst". Davon unabhängig übt der Staatsminister oder Staatssekretär im Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes seine Tätigkeit als Beauftragter für die Nachrichtendienste aus (Nummer I I Abs. 1 des Erlasses).56 Seine ressortübergreifenden Aufgaben der Koordination und Zusammenarbeitsintensivierung (vgl. im einzelnen Nummer I I I des Erlasses) erfüllt er mit Hilfe der zweiten Gruppe der Abteilung 6 des Bundeskanzleramtes ("Koordinierung der Nachrichtendienste des Bundes"). Als sein Stellvertreter fungiert der Abteilungsleiter 6 im Bundeskanzleramt in seiner Funktion als Chef der Gruppe Koordinierung (Nummer I I Abs. 2 des Erlasses).
b) Dienst- und Fachaufsicht Der Chef des Bundeskanzleramtes ernennt die Beamten im BND nach § 10 Abs. 1 HS. 2 BBG.57 Er übt die D/^iaufsicht über den BND aus und verkörpert insoweit die vorgesetzte oberste Dienstbehörde nach § 3 Abs. 1 BBG.58 Nach Nummer I I des alten Organisationserlasses hatte alle üb52 Ritter, S. 69; vgl. auch BT-Drsn. 7/3083, S. 36; 7/3246, S. 47. 53 BGBl. 1984 I S. 1689. 54 BGBl. 1989 I S . 901. 55 Chef des Bundeskanzleramtes ist z. Zt. des Redaktionsschlusses dieser Arbeit Friedrich Bohl, zugleich auch Bundesminister für besondere Aufgaben. 56 Bernd Schmidbauer bekleidet z. Zt. des Redaktionsschlusses das Amt des Staatsministers beim Bundeskanzler ( = [Parlamentarischer] Staatssekretär des Bundeskanzleramtes [vgl. § 7 GeschO BReg; § 8 ParlStG]). 57 Personliche Information des BND. 58 Α. A. Schreiber, Inkongruenz ..., S. 977, der Dienst- und Fachaufsicht dem Staatssekretär beim Bundeskanzler als oberster Dienstbehörde zuordnet. Zur Zeit der Abfassung seines Aufsatzes (1986) konnte er allerdings noch nichts vom neuen § 1 Abs. 1 Satz 1 BNDG wissen.
218
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
rigen Steuerungs- und Leitungsbefugnisse, insbesondere aber die Fachzuisicht, bis 1989 der Staatssekretär beim Bundeskanzler inne. Demgemäß behauptet ein Teil der Literatur auch zu Recht, daß der BND nach alter Rechtslage nicht dem Chef des Bundeskanzleramtes unterstand, sondern über den Staatssekretär direkt dem Bundeskanzler.59 Ebenso verhielt es sich auch mit der Abteilung 6 des Bundeskanzleramtes: Dienstaufsichtlich verblieb sie im Zuständigkeitsbereich des Chefs des Bundeskanzleramtes, im übrigen "lieh" dieser dem Staatssekretär einen Teil seiner Behörde "aus". Seit 1989 ist diese gespaltene Zuständigkeit nunmehr beseitigt: Aus Nummer I des Erlasses von 1989 wie auch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 BNDG muß gefolgert werden, daß der Chef des Bundeskanzleramtes neben der Dienst- auch die FacÄaufsicht über den BND ausübt. Über den Chef des Bundeskanzleramtes ist der BND dem Bundeskanzler zugeordnet, nicht aber, wie die meisten anderen Bundes(-ober-)behörden, einem Fachminister. Diese Regelung erscheint sinnvoll, da der BND die gesamte Bundesregierung, d. h. sowohl den Bundeskanzler als auch die Bundesminister und die Bundesministerien mit Nachrichten versorgt« und nicht in erster Linie nur für einen einzelnen Fachbereich von Wichtigkeit ist. Endlich muß auch dem Gedanken Rechnung getragen werden, daß der Dienst in engem Zusammenhang mit der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers und dessen Leitung der Bundesregierung steht, weswegen eine Fachressortzuordnung untunlich erschiene. «
c) Der Einwand der " flächendeckenden " Ressortverteilung Dagegen könnte sich der Einwand des Gebotes "flächendeckender" Ressortverteilung erheben, wonach jede Behörde einem Ministerium zugeordnet sein muß und es grundsätzlich keine ministerialfreien Räume geben d a r f . « Diese Forderung folgt letzten Endes aus dem parlamentarischen Regierungssystem und der in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG statuierten Volkssouveränität; ihr Sinn und Zweck ist, die gesamte Exekutive und insbesondere die gesamte Verwaltung unter ministerielle Verantwortung zu stellen, um so eine wir59
Nach Böckenßrde, S. 238 f., stehen BND und Bundeskanzleramt auf der gleichen Stufe. Ähnlich wohl auch Roewer, § 1 PKKG, Rdnr. 24. Α. A. Ritter, S. 74; Gusy, BND, S. 292. 60 Aus der Natur der Sache mag sich m. E. jedoch in der Praxis ergeben, daß vor allem das Bundeskanzleramt, das Auswärtige Amt, das Bundesministerium der Verteidigung und das Bundesministerium fur wirtschaftliche Zusammenarbeit aufgrund ihrer verstärkten Auslandsberührungen "Hauptabnehmer" der Informationen des BND sein werden. 61 So Schreiber, Inkongruenz ..., S. 977. « Zum Gebot "flächendeckender" Ressortverteilung: BVerfGE 9, 268 (282); Schenke, Rdnr. 49 m.w.N.; Roman Herzog, M / D , Art. 65 (Lfg. 23, Oktober 1984), Rdnrn. 91 ff. (96 -
106).
A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
219
kungsvolle Kontrolle durch das Parlament zu gewährleisten. Sie ist nur möglich, wenn jede Behörde den Direktionsrechten eines Ministers untersteht, dessen politisches Schicksal nach Art. 64 Abs. 1, 65 Sätze 1 und 4 sowie 69 Abs. 2 HS. 2 GG wiederum von dem des Bundeskanzlers abhängt. Denn der Bundeskanzler ist seinerseits durch das konstruktive Mißtrauensvotum gem. Art. 67 GG vom Vertrauen des Bundestages als der Volksvertretung abhängig.« Diese Legitimationskette von der Behörde und ihrem Chef über den Ressortminister und den Bundeskanzler bis hin zum Parlament kann beim BND nicht ohne weiteres geknüpft werden, weil ihm ein übergeordneter Fachminister im eigentlichen Sinne fehlt. Nichtsdestoweniger ist der BND aber - über die Vermittlung des Chefs des Bundeskanzleramtes - dem Bundeskanzler unterstellt, der letzten Endes auch die politische Verantwortung für den Dienst trägt. Denn der Chef des Bundeskanzleramtes nimmt zwar echte Ressortzuständigkeiten wahr, ist aber selbst nicht Fachminister; zuständiger "Ressortminister" für den BND ist vielmehr der Bundeskanzler.64 Dies ergibt sich aus der Überlegung, daß der Chef des Bundeskanzleramtes nicht zwingend Minister i. S. der Art. 62 ff. GG und damit auch nicht automatisch Mitglied der Bundesregierung sein muß, da er nicht selbständig und eigenverantwortlich einen eigenen Geschäftsbereich nach Art. 65 Satz 2 GG leitet, sondern "nur" das Bundeskanzleramt und damit den Weisungen des Bundeskanzlers unmittelbar unterworfen ist. Hieran vermag auch die Bezeichnung als Staats- oder Bundesminister nichts zu ändern: Die Ministereigenschaft bezieht sich insoweit nur auf die Person, nicht aber auf das Ressort.& Wenn aber, wie eben festgestellt, der Bundeskanzler persönlich "Ressortminister" für den BND mit allen staatsrechtlichen Konsequenzen ist, dann kann von einem parlamentarischen Legitimations- oder Kontrollverlust keine Rede sein im Gegenteil: Aufgrund der Unterordnung des BND unter den Bundeskanzler wird die aufgezeigte Legitimationskette sogar noch um ein Glied - nämlich um das des Fachministers nach Art. 65 Satz 2 GG - verkürzt, so daß mit Fug und Recht behauptet werden kann, der Dienst stehe unter unmittelbarerer Parlamentskontrolle als andere B u n d e s o b e r b e h ö r d e n . « Der Einwand "flä-
ö Ausfuhrlich zur Kanzler- und Ministerverantwortlichkeit im Bereich der Nachrichtendienste mitsamt verfassungsrechtlichen Grundlagen: Schreiber, Inkongruenz S. 975 f. und 978 f. 64 Schreiber, Inkongruenz S. 977; Roewer, § 1 PKKG, Rdnr. 24 m.w.N.; s. auch Eschenburg, BT-Drs. 7/3083, S. 36 (zit. bei Rieger, Nachrichtendienst und Rechtsstaat, S. 11 [FN. 108]). 65 Ein weiteres Argument dafür, daß weder der Chef des Bundeskanzleramtes noch der Staatssekretär beim Bundeskanzler "echte" Bundesminister sind, liefert § 23 Abs. 1 GeschO BReg: Hier werden diese beiden Funktionen neben den eigentlichen Bundesministern enumerativ aufgeführt, was anderenfalls nicht vonnöten gewesen ware. 66 Α. Α. insoweit Schreiber, Inkongruenz ..., S. 980, der den BND hinsichtlich seiner parlamentarischen Kontrolle genauso wie andere Bundesoberbehörden behandelt wissen will.
220
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
chendeckender" Ressortverteilung erweist sich somit in vollem Umfange als unbegründet.
d) Berichtspflicht In sachlichem Zusammenhang damit steht schließlich - ohne an der Behördenaufsicht oder der Unterstellung etwas zu ändern -, die seit 1990 gesetzlich ausformulierte Berichtspflicht des Dienstes nach § 12 BNDG, nach der er den Chef des Bundeskanzleramtes sowie die einzelnen Ressortminister i. R. ihrer Zuständigkeiten über seine Tätigkeit zu unterrichten hat.
e) Untergliederung Behördenintern gliedert sich der BND in eine Zentrale in Pullach im Isartal bei München*? und in zahlreiche Außendienststellen im Bundesgebiete sowie Residenturen im Ausland, deren Dislozierung geheim ist. 69 Die Untergliederung der BND-Zentralë in Pullach in Abteilungen stellt sich wie folgt dar: Abt. 1: Abt. Abt. Abt. Abt. Abt.
2: 3: 4: 5: 6:
Beschaffung ("klassische" nachrichtendienstliche Aufklärungsarbeit) ; Technische Aufklärung (Funk, Satelliten u. dgl.); Auswertung; Zentrale Verwaltungsaufgaben; Sicherheit und Abwehrfragen im BND; Technische Forschungs- und Unterstützungsarbeit, το
67 Heilmannstraße 30, 82049 Pullach im Isartal. - Von Sommer 1946 bis Dezember 1947 war der Vorläufer des BND, die Organisation Gehlen, in Oberursel/Taunus beheimatet; vgl. Ritter, S. 64 f. 68 Einige Autoren sprechen von über 100 Außenstellen des BND in der Bundesrepublik; vgl. Rieger, Nachrichtendienst und Rechtsstaat, S. 5 m.w.N.; Hermann Zolling/Heinz Höhne, Pullach intern: General Gehlen und die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes, Hamburg, 1971. « Bauer, S. 143. TD Vgl. Ritter, S. 72 f.; Bauer, S. 142 f.
A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
221
Die Personalstarke des Dienstes wird auf 6000 bis 7000 Mitarbeiter 71 aus verschiedensten Bildungs- und Berufssparten 72 geschätzt. Aufgrund der deutschen Vereinigung, durch die das Territorium der ehemaligen DDR als Operationsgebiet weitgehend wegfiel 7*, und wegen des Endes der Ost-West-Konfrontation wird allerdings mittelfristig von einem Stellenabbau auszugehen sein,74 der auch Auswirkungen auf den geheim bewirtschafteten 7* Budgetumfang haben dürfte.
f) Organisationsprinzip der "Abschottung" Ein wichtiges Organisationsprinzip des BND ist die "Abschottung", d. h., daß auch innerhalb des Dienstes die Mitarbeiter jeweils nur so viele Informationen zur Verfugung gestellt bekommen, wie sie fur ihren Arbeitsauftrag konkret benötigen. Dies soll dazu beitragen, den Schaden, den mögliche Spione innerhalb des Dienstes verursachen, zu begrenzen.76
2. Aufgaben a) Einzelbereiche Die Aufgaben des BND sind in § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG recht großzügig umschrieben und im Grunde nur angedeutet: Danach sammelt der BND zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung fur die Bundesrepublik Deutschland sind, die erforderlichen Informationen und wertet sie aus.77 Sein Auftrag besteht somit 7 1 Vgl. auch Gusy, BND, S. 275. Nach Schwagerl, S. 212, besteht der BND zu je i / 3 aus Soldaten, Beamten und Angestellten. 72 Nach Ritter y S. 74, sollen im BND mehr als 50 akademische Berufe vertreten sein. Vgl. auch Bauer, S. 143. 73 Eine Ausnahme bilden die voraussichtlich noch bis 1994 in den neuen Bundesländern stationierten GUS-Streitkräfte, die nach wie vor vom BND überwacht werden; vgl. dazu sogleich, Π. 2. c) cc). 74 So werden nach Aussage des BND-Präsidenten Konrad Porzner in den nächsten Jahren mehr als 700 Stellen abgebaut; vgl. STERN v. 21. 11. 1991, S. 294. Vgl. § 10 a Bundeshaushaltsordnung (BHO) v. 19. 08. 1969 (BGBl. I S. 1284) mit spät. Änd. 7 6
77
V g l . Ritter,
S. 7 3 .
Schmipff, S. 62, will in einem Vergleich zwischen der Rechtslage vor und nach dem Erlaß des BNDG eine Aufgabenausweitung zugunsten des BND herausgearbeitet haben. Ob dies zu tatsächlichen Verschiebungen in der Praxis fiihren wird, ist freilich geheim und konnte daher hier nicht weiter verfolgt werden.
222
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
pauschal gesprochen in der Auslandsaufklärung. Genauere Anhaltspunkte lieferte hingegen § 1 der Allgemeinen Dienstanweisung fur den BND vom 04. 12. 1968, 78 die nach Änderung der Gesetzeslage seit Ende 1990 jedoch überarbeitet werden (bzw. worden sein) und mithin nicht mehr geltendes Recht sein dürfte. Dennoch besitzt sie insofern weiterhin Aktualität, als eine Zuständigkeitsverschiebung des Dienstes allein aufgrund des neuen BNDG unwahrscheinlich ist. Danach hat der Dienst folgende Aufgaben: (1)
(2) (3)
(4)
Die nachrichtendienstliche Auslandsaufklärung durch Beschaffung und Auswertung von Informationen auf außenpolitischem, wirtschaftlichem, rüstungstechnischem und militärischem Gebiet; Die Aufklärung der gegnerischen Nachrichtendienste (Gegenspionage79); Die Erledigung sonstiger nachrichtendienstlicher Aufträge des Bundeskanzlers und der Bundesregierung im Ausland (Sonderaufträge) j 8 0 Die Spionageabwehr«! innerhalb des BND ( = Eigensicherung), sofern der Chef des Bundeskanzleramtes nicht im Einzelfall eine andere Regelung trifft.
Vor allem Punkt (1) - Informationsbeschaffung und -auswertung - dürfte die Kernaufgabe des Dienstes darstellen und den eigentlichen Sinn und Zweck seiner Existenz ausmachen; in der Nachrichtenbeschaffung über das Ausland besteht das aktive und operative Hauptbetätigungsfeld eines jeden Auslandsnachrichtendienstes.8? Dies kommt auch in § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG deutlich zum Ausdruck. Punkt (4) 83 - eigensichernde Spionageabwehr - ist hingegen defensiver Natur: Die Tatsache, daß wohl sämtliche Staaten der Erde in der ein oder anderen Form (Auslands-) Geheimdienste unterhalten, bringt das Schutzbedürfhis vor deren Spionagetätigkeit gegenüber dem eigenen Dienst mit sich, um dessen Aktionsfähigkeit zu bewahren und damit letztlich auch wichtige Staatsgeheimnisse, mit denen der Dienst durch seine Arbeit zwangsläufig in Berüh78
Vgl. BT-Drs. 7/3246; Roewer, § 1 PKKG, Rdnr. 16. Engl.: counter-espionage. 80 Spezielle Aufklärungsauftrage werden von einzelnen Ministerien, die bei ihrer Arbeit besonders auf Informationen aus dem Ausland angewiesen sind, vergeben, so ζ. B. vom Auswärtigen Amt sowie von den Bundesministerien der Verteidigung, des Innern oder für wirtschaftliche Zusammenarbeit; vgl. auch Ritter, S. 78. 81 Engl, counter-intelligence. S2 Ähnlich Gusy, BND, S. 278. 8 3 Vgl. dazu auch Gusy, BND, S. 280. 79
. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
223
rung kommt, zu wahren.«4 Vergegenwärtigt man sich den enormen Schaden, den gegnerische Spione auf diese Weise anzurichten in der Lage sind,85 so wird klar, daß durch eine wirksame Eigensicherung Doppel- oder Gegenspionage gegen den Dienst möglichst zu verhindern ist. Zwar wird dadurch die eigentliche Aufgabe des Auslandsnachrichtendienstes, die Auslandsaufklärung, nicht vorangebracht; im Vergleich zu den übrigen Zuständigkeiten weist sie also nur dienenden Charakter auf. Wegen ihrer Sensitivität stellt die Eigensicherung jedoch das Handlungsfundament für die erfolgreiche Arbeit eines jeden Geheimdienstes dar.«6 Speziell auf bundesdeutsche Verhältnisse bezogen ist schließlich gleichzeitig zu bemerken, daß die eigensichernde Spionageabwehr durch den BND nach § 2 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BNDG eine Ausnahme darstellt zur allgemeinen Spionageabwehr, die lt. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG von den Verfassungsschutzbehörden zu leisten ist. 87 Punkt (2) ω - Gegenspionage - weist einen Schritt über Punkt (4) hinaus: Sie geht aus der bloßen Spionageabwehr gleichsam in die Offensive über und versucht ihrerseits, gegnerische Geheimdienste umfassend - also über ihre sicherheitsgefährdende Tätigkeit für den eigenen Dienst hinaus - aufzuklären, gleichsam wie eine Vire in fremde Zellen einzudringen, sie für eigene Ziele umzufunktionieren und dadurch verstärkt Wissen über den anvisierten Zielstaat zu gewinnen.89 Denn die Zentralen fremder Geheimdienste verfugen meist über hervorragende Auslandsinformationen, die durch Gegenspionage in äußerst ertragreicher Weise "angezapft" werden können.90 Häufig geschieht dies durch die Anwerbung gegnerischer Spione zu sog. Doppelagenten,91 deren Effizienz bereits um 350 v. Chr. von Sun Tse beschrieben 84 Bis hierher geht der Auftrag der Spionageabwehr, die nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG grundsätzlich den Verfassungsschutzbehörden obliegt. 85 Vgl. den "Fall Felfe" in den 50er Jahren, Ritter, S. 69. 86 Auch hierbei sollen nach Schneider, in: Narr (Hrsg.), Wir Bürger als Sicherheitsrisiko, 1977, S. 120 (zit. bei Rieger, Nachrichtendienst und Rechtsstaat, S. 5 [FN. 35]), häufig illegale Praktiken angewandt werden. β 7 Vgl. Gusy, BND, S. 280. 88 Vgl. dazu auch Gusy, BND, S. 278 f. 89 Gusy, BND, S. 279, will hier aufgrund einer Auslegung des Wortes "gegnerische Nachrichtendienste" in der Allgemeinen Dienstanweisung dahingehend einschränken, daß sich die Aufklärung des BND nur auf solche Tätigkeiten beschränken darf, die gegen die Bundesrepublik gerichtet sind. Wo aber verläuft diese Grenze in der Praxis? Eine übermäßige Einengung des Aktionsradius erscheint m. E. in derartigen Situationen untunlich, abgesehen davon, daß sie nur schwerlich vorzunehmen wäre. So wohl auch Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 65. 90 Vgl. Rieger, Nachrichtendienst und Rechtsstaat, S. 4. 91 Die Praktiken zur An- oder Überwerbung von Mitarbeitern eines gegnerischen Nachrichtendienstes ("counter-man") werden allgemein als rechtlich äußerst fragwürdig bezeichnet; Zwang und Nötigung dürften dabei häufig eine Rolle spielen: Vgl. Schmid, in: Merkur 4/1978, S. 311 (zit. bei Rieger, Nachrichtendienst und Rechtsstaat, S. 5 [FN. 33]). S. i. ü. Rieger, ebd., m.w.N. Aufgrund seiner Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG sind dem BND derartige rechtswidrige Methoden versagt.
224
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
Roewer bezeichnet die Gegenspionage hingegen kritisch und recht zutreffend als Mnachrichtendienstliches In-sich-Geschäft", da sich die einzelnen Geheimdienste durch ihre Fixiertheit aufeinander zu weiten Teilen selbst beschäftigen und dadurch von ihrem Auklärungsauftrag jedenfalls partiell abgelenkt werden. 93 Im Aufgabenkatalog des neuen BNDG findet die Gegenspionage keine ausdrückliche Erwähnung mehr. Daraus zu schließen, daß sie nunmehr schlechthin ungesetzlich und damit rechtswidrig sei, wäre indes voreilig. Denn der eben beschriebene Begriffsinhalt von Gegenspionage läßt sich insofern mühelos unter die Gewinnung von außen- oder sicherheitspolitisch bedeutsamen Erkenntnissen über das Ausland nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG subsumieren, als fremde Geheimdienste spezielle Aufklärungsziele im Ausland darstellen, deren erfolgreiche Beobachtung durchaus von zum Teil erheblicher Relevanz für die Sicherheit der Bundesrepublik ist.*» wurde.
b) Aufgaben über die reine Auslandsaufklärung hinaus? aa) "Sonstige nachrichtendienstliche
Aufträge/Sonderaufträge"
Allein Punkt (3) der Allgemeinen Dienstanweisung läßt Fragen offen: die Erledigung "sonstiger nachrichtendienstlicher Aufträge im Ausland".** seiner Formulierung her stellt(e) sich dieser Punkt als Auffangtatbestand dar. Daher liegt der Schluß nahe, darunter etwas anderes als reine Aufklärung zu verstehen, nämlich die operative Ausführung außenpolitischer Entscheidungen der Bundesregierung im oder mit dem Ausland, die nur durch einen Geheimdienst vollzogen werden können.96 Zu denken wäre dabei an Geheimaktionen i. w. S., wie z. B. Kommmandounternehmen oder gar Sabotage, Diversion und Subversion.97 Ob der BND solche Ziele verfolgt bzw. derartige Methoden anwendet, war i. R. d. vorliegenden Untersuchung selbstverständlich nicht zu erfahren. Von offizieller Seite wird die Frage freilich mit Nachdruck verneint; 98 auch Stimmen in der Literatur halten dafür, daß der Dienst nicht mit derartigen Tätigkeiten betraut sei." Zur Untermauerung ließe sich zum einen das völkerrechtliche Verbot "qualifizierter" Spionage i. V. mit 92 Sun Tse, Kriegskunst, 13. Kap. (zit. bei Kaltenbrunner, S. 54 f.) spricht bei Doppelagenten von "zurückkehrenden Spionen". Vgl. dazu bereits oben, 1. Teil, Β. I.! 93 Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 65. w Abwägend bis zweifelnd hierzu Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 65. « Vgl. dazu auch Gusy, BND, S. 279 f. 96 Vgl. Rieger y Nachrichtendienst und Rechtsstaat, S. 4. 97 Ähnlich auch Rieger, Nachrichtendienst und Rechtsstaat, S. 4, mit Nachweis Buchheit, Die anonyme Macht, 1969, S. 98. Zu den Begriffen im einzelnen s. oben 1. Teil, Α. Π.! 98 So BND-Präsident Porzner, in: STERN v. 21. 11. 1991, S. 296: "Der BND hält sich strikt an geltendes Recht." 99 Dethleffsen, S. 656.
Von
A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
225
Art. 25 GG 1 0 0 und zum anderen Art. 20 Abs. 3 GG anfuhren, wonach die vollziehende Gewalt, zu der der BND als Bundesoberbehörde zahlt, an Recht und Gesetz gebunden ist und "aktive geheimdienstliche Maßnahmen" nirgends erlaubt sind.101
bb) Die "Panzeraffäre"
vom Herbst 1991
Und doch verbleiben manche Unebenheiten: Bei der sog. "Panzeraffare" im Herbst 1991 beispielsweise sollten Waffensysteme der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR unter der falschen Deklarierung landwirtschaftlicher Maschinen durch Vermittlung des BND über den israelischen Geheimdienst Mossad nach Israel verschifft werden. 102 Konfrontiert mit heftigen Angriffen der Medien und der Opposition gestand BND-Präsident Porzner zwar Fehler seiner Behörde ein, betonte aber zugleich, daß sein Dienst nicht außerhalb der Legalität operiere: "In diesem speziellen Fall, bei dem es keineswegs um Waffenexport ging, sondern um eine präzis geregelte wehrtechnische Zusammenarbeit, sind Fehler in der Abwicklung gemacht worden. Es hätte einen unangreifbar korrekten Weg gegeben. "103 Dies impliziert m. E., daß Art und Weise - die Frage des "Wie" - dieser BND-Aktionen zwar rechtsstaatlich fraglich gewesen sind, nicht jedoch ihre grundsätzliche Vornahme - die Frage des "Ob". Hätte der BND also die nach dem KWKG vorgeschriebene Verfahrensweise in Form der Einholung einer Genehmigung durch die zuständige Behörde eingehalten,104 wäre nach dieser Auffassung am Technologietransfer nichts auszusetzen gewesen. Gleichwohl muß die Frage erlaubt sein, ob derartige (Sonder-) Aufträge der Bundesregierung - hier des Bundesministers der Verteidigung - noch unter die in § 1 Abs. 2 BNDG normierte Aufgabe des Dienstes zu subsumieren wären. Der Wortlaut allein erweist sich bei einer Auslegung eher als spröde: Bei großzügiger Handhabung erschiene ggf. noch vertretbar, die erwähnte "wehrtechnische Zusammenarbeit" zu Erprobungs- und Forschungszwecken unter den Auftrag des
100
S. dazu oben, 1. Teil, C. II. 3.! 101 Interessanterweise findet sich im neuen BNDG allerdings keine Regelung, die die Bindung des BND an die allgemeinen Rechtsvorschriften nochmals ausdrücklich hervorhöbe; dies im Gegensatz zu den §§ 3 Abs. 3 BVerfSchG und 1 Abs. 5 M A D G . 102 Vgl. zur "Panzeraffäre" ζ. B. SZ v. 29. 10. 1991, S. 1 u. 4; SZ v. 30. 10. 1991, S. 1, 3, 4 u. 6; F A Z v. 31. 10. 1991, S. 1, 2, 5 u. 14; Die Zeit v. 01. 11. 1991, S. 1 u. 11; SZ v. 2./3. 11. 1991, S. 2 u. 4; F A Z v. 04. 11. 1991, S. 1; DER SPIEGEL v. 04. 11. 1991, S. 3, 30 ff.; SZ v. 07. 11. 1991, S. 2; STERN ν. 21. 11. 1991, S. 294 ff. κ» So in STERN v. 21. 11. 1991, 48/1991, S. 294 ff. (297). 104 Als rechtmäßige Wege zur Verschiffung der NVA-Waffen wären in Betracht gekommen: (1) die Einholung einer Genehmigung der zuständigen Behörde nach §§ 3 Abs. 1 und 2, 11 KWKG i. V . mit der 1. D V O v. 01. 06. 1961 (BGBl. I S. 649, geändert durch V O v. 03. 07. 1978, BGBl. I S. 966) oder (2) die Beförderung durch die Bundeswehr, durch eine 15 Gröpl
226
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
BND - die Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland mit außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung - fallen zu lassen: nämlich unter die militärtechnische Auswertung von Waffensystemen, mit denen ausländische Armeen ausgerüstet sind. Verneint man diesen Aufklärungszusammenhang hingegen, hätte die geschilderte BND-Aktion zumindest außerhalb des Aufgabenbereichs von § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG gelegen.
cc) Abschließende Regelung oder Teilkodifikation? Dies fuhrt zu der allgemeineren Frage, ob neben § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG die Ausführung von "Sonderaufträgen" nach Art von Punkt (3) der alten Dienstanweisung, die über die reine Auslandsaufklärung hinausreichen, noch zulässig ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG keinen abschließenden Charakter auswiese, wenn das gesamte Gesetz also lediglich eine Teilkodifikation darstellte. Zur Unterstützung dessen könnte die Begründung des Regierungsentwurfes zum BNDG herangezogen werden, wonach das Gesetz den Zweck verfolgt, eine gesetzliche Grundlage fur informationserhebende und -verarbeitende Tätigkeiten des BND zu schaffen, soweit sie zur rechtmäßigen Erfüllung seiner Aufgaben im Geltungsbereich des Gesetzes, d. h. im Bundesgebiet, stattfinden müssen. ios Dies bedeutete, daß das BNDG von vornherein nur diejenigen Aufgaben erfassen wollte, mit denen Rechtseingriffe im Bundesgebiet verbunden sind. Alle darüber hinausgehenden Zuständigkeiten bewegten sich dann weiterhin in gesetzesfreiem Raum, soweit und solange sie (1) außerhalb des Bundesgebietes stattfinden oder (2) innerhalb des Bundesgebietes keine Eingriffe in Grundrechte zeitigen. Dem könnte jedoch ein Vergleich mit den Zuständigkeitsregelungen der anderen neuen Geheimdienstgesetze widersprechen, weil nur durch die abschließende Aufgabenumschreibung des BND eine taugliche Zuständigkeitsabgrenzung zu den sonstigen Nachrichtendiensten (Verfassungsschutzbehörden und M A D ) zu erreichen ist. Zwingend erschiene dies aber insofern nicht, als der BND bei der Erfüllung "sonstiger Aufträge" von vornherein nicht Gefahr liefe, mit den anderen Behörden ins Gehege zu kommen, soweit er die seine Arbeit prägende exklusive Auslandsgerichtetheit einhielte. Im Endeffekt sprechen indes die entscheidenden Auslegungsargumente gegen die Annahme einer Teilkodifikation der Aufgaben: Denn weder in § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG noch an anderer Stelle ist ein Zuständigkeitsvorbehalt zu fin-
Bundespolizei oder den Zollgrenzdienst, die gem. § 15 Abs. 1 KWKG von den Genehmigungsvorbehalten befreit sind. 105 Vgl. BT-Drs. 11/4306, S. 70. Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde dem nicht widersprochen; vgl. BR-Drs. 618/1988, insbes. S. 183.
A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
227
den, der weitere Aufgabenübertragungen auf den BND zuließe.10* Auch aus anderen Bundesgesetzen, in denen der BND Erwähnung findet, lassen sich zusätzliche Zuständigkeiten nicht herauslesen107. Ferner steht § 1 Abs. 2 Satz 2 BNDG, der den Anwendungsbereich des Gesetzes auf das Bundesgebiet beschränkt, systematisch erst nach der Aufgabennorm des Satzes 1, die davon unberührt bleibt. Schließlich bezieht sich diese Restriktion des Satzes 2 auch thematisch nicht auf die Aufgaben des Dienstes, sondern i. R. d. Datenschutzes ausschließlich auf seine nachrichtendienstlichen Befugnisse. Somit ergibt sich als Fazit: § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG stellt eine abschließende Aufgabennonmenmg dar; "Sonderaufträge", die über den Rahmen der Erkenntnisgewinnung über das Ausland hinausgehen, sind daher gesetzeswidrig und unzulässig. Teilkodifiziert ist nach § 1 Abs. 2 Satz 2 BNDG lediglich der Befiignisràhmen, der nur für die Datenerhebung im Inland gilt.
c) Inlandstätigkeit und Inlandsaufklärung aa) Verbot innenpolitischer
Tätigkeit
Wichtig ist ferner das Verbot der innenpolitischen Tätigkeit, das in § 1 Nr. 2 der Dienstanweisung fixiert war. Mit Vorgängen im Inland jeglicher, insbesondere aber politischer Art darf sich der BND demzufolge nicht befassen.1« Dies ist - wenn auch nicht explicite - außerdem aus § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG herauszulesen, der nur von der Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland spricht.
bb) Inlandstätigkeit Allerdings darf dieses innenpolitische Tätigkeitsverbot nicht zu der Annahme verleiten, daß dem BND jedwede Aktivität innerhalb der Bundesrepublik verwehrt wäre. 109 Bereits § 1 Abs. 2 Satz 2 BNDG verdeutlicht dies, wenn er für die inïormationserhebung im Inland (nur für sie, nicht auch für die Informationsauswertung u. dgl.) auf die restriktiven Befugnisse der §§2 106 Dies hätte aber der üblichen Gesetzestechnik entsprochen; vgl. nur § 1 BGSG; § 4 Abs. 2 und 3 FVG; § 2 des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesausfuhramtes v. 28. 02. 1992 (BGBl. I S. 376). 107 Vgl. Art. 1 § 1 G 10, §35 Abs. 1 Nr. 5 StVG, § 72 SGB X , § 1 8 Abs. 3 MRRG u. dgl., die dem BND zwar neue Befugnisse hinsichtlich Informationserhebung, -ersuchen und -Übermittlung einräumen, jedoch keine neuen oder anderen Aufgaben festsetzen. 108 Im Zusammenhang mit dem Guillaume-Ausschuß wurde dem BND allerdings (rechtswidrige) Inlandsaufklärung vorgeworfen, bei der angeblich Dossiers über prominente Deutsche angelegt worden sein sollen. Vgl. BT-Drs. 7/3246, S. 45 ff.; Roewer, § 1 PKKG, Rdnr. 19. 109 Vgl. dazu auch Gusy, BND, S. 279 ff.
228
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
bis 6 und 8 bis 11 BNDG verweist. Darüber hinaus erwähnt § 2 Abs. 1 Nr. 4 BNDG die Auslandsaufklärung durch Maßnahmen im Inland ausdrücklich, stellt sie jedoch sofort unter einen strengen Subsidiaritäts- und Zuständigkeitsvorbehalt. Dem entspricht auch die Praxis des Dienstes, nach der die elektronische und sonstige technische Aufklärung 1»0, Maßnahmen der Gegenspionage und der Eigensicherung sowie die gesamte Auswertung durch den BND selbstverständlich im Inland stattfinden. 1" Auch Vorbereitungshandlungen logistischer Art können im Inland vorgenommen werden, solange sie keine Außenwirkung, also insbesondere keine Eingriffe in Rechte anderer, zeitigen. Entscheidend ist demnach allein die Richtung der Aktivitäten, ihr Ziel und Zweck: Hierbei ist der BND auf ausländische Vorgänge beschränkt, nicht jedoch bei der Durchführung oder der Art und Weise seiner Arbeit. Verbotene Inlandsaufklärung darf also nicht mit zulässiger Inlandstätigkeit verwechselt werden. Als noch vereinbar mit diesem Grundsatz kann auch die eigensichernde Spionageabwehr angesehen werden, die auf die Aufklärung von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Aktivitäten innerhalb des BND gerichtet ist, auch und gerade soweit diese Aktivitäten die (Auswertungs-, Steuerungs- oder logistische) Arbeit des Dienstes im Bundesgebiet bedroht. 112 Denn auch hier ist der Rahmen des vorgeschriebenen Auslandsbezuges gewahrt, weil sich der BND bei der Spionageabwehr nicht in die bundesdeutsche Innenpolitik einmischt und weil darüber hinaus die abzuwehrenden fremden Geheimdienste vom Ausland gesteuert zu werden pflegen. Außerdem ist die Eigensicherung nicht eigentlicher Auftrag bzw. Selbstzweck des Dienstes, sondern hat nur auftragserhaltende bzw. -gewährleistende Unterstützungs- oder Hilfsfunktion. Schließlich ist sie ihm in § 2 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BNDG auch ausdrücklich gesetzlich zugewiesen und damit normativ erlaubt.
cc) Überwachung der ehemals sowjetischen Truppen in den neuen Bundesländern Mit dem Verbot innenpolitischer Tätigkeit verträgt es sich insbesondere auch, wenn der BND Aktivitäten der "Westgruppe der Truppen" der ehemaligen Sowjetunion in den neuen Bundesländern einschließlich Ostberlins überwacht. Bis zur Vereinigung Deutschlands stellten derartige Aufklärungsmaßnahmen in Anbetracht des Aufgabenbereichs des Dienstes keinerlei Problem dar: Die ehemalige DDR mag staatsrechtlich nicht als Ausland an110 Ζ . B. in Form der Fernmeldeüberwachung nach den §§ 1 - 3 G 10. Vgl. dazu unten, 4. Teil, Β. VI.! m Ritter, S. 77; Roewer, § 1 PKKG, Rdnr. 18; Gusy, Rechtsstellung der Nachrichtendienste, S. 297 f.; BT-Drs. 10/1604. 112 Diese Ausnahme akzeptierte nach der alten Rechtslage auch Schimpff\ S. 60.
A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
229
gesehen worden sein,stellte aber bzgl. des Verbotes innenpolitischer Tätigkeit kein Inland fur den BND dar. Seit den Zeiten der "Organisation Gehlen""* war sie vielmehr eines der klassischen Aufklärungsgebiete des Dienstes. Auf den ersten Blick wurde diese Aufklärungslage durch den Beitritt der DDR zum Grundgesetz am 03. 10. 1990 grundlegend verändert: Seither stellt das Beitrittsgebiet in keiner Weise mehr Ausland dar, sondern zählt in jedweder Hinsicht zum Inland. Folglich könnten damit auch die Aufgaben des BND auf dem Gebiet der neuen Länder erloschen und entsprechend auf die Verfassungsschutzbehörden bzw. den M A D übergegangen sein. Innerhalb von deren Zuständigkeitsbereichen ist dies unzweifelhaft auch der Fall. So ist es dem BND fortan verwehrt, sich mit (innen-) politischen Angelegenheiten in Ostdeutschland zu befassen, die jetzt unter Inlandsaufklärung fallen. Hinsichtlich der ehemals sowjetischen Streitkräfte auf deutschem Boden, die aller Voraussicht nach von der russischen Föderation als Nachfolgestaat übernommen werden, verhält es sich indes anders: Als ausländische Truppen haben sie engsten militärischen Bezug zu ihren Führungszentralen in der GUS und bilden so eine Art ausländische Enklave im Bundesgebiet. Damit fallen sie in den Aufgabenbereich des BND; über sie kann der Dienst in die Lage versetzt werden, (militärische) Erkenntnisse über das Ausland zu gewinnen. Darauf gerichtete Aufklärungsmaßnahmen des Dienstes werden somit zwar im Bundesgebiet angestellt, entbehren allerdings jeglichen darüber hinausgehenden Inlandsbezugs. Insofern verletzt der BND durch die Beobachtung dieser Streitkräfte nicht geltendes innerstaatliches Recht, wenn man davon absieht, daß sämtliche ehemals sowjetischen Truppen ohnedies bis Ende 1994 aus Ostdeutschland abgezogen sein sollen.115
d) Umfassender Auslandsaufklärungsauftrag und Integration Zwei weitere wichtige Wesensmerkmale des BND, die im Zusammenhang mit seiner Aufgabenstellung stehen, sind (1) der umfassende Aufklärungsauftrag und (2) das Prinzip der eigenen Auswertung (sog. Integrationsmodell). Ersteres Prinzip besagt, daß der Dienst der einzige Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik ist, daß er also umfassende, insbesondere auch militärische Auslandsaufklärung zu betreiben hat. Das Bundesministerium der Verteidigung ist dafür - jedenfalls soweit es um nachrichten113 Vgl. zum völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Status Deutschlands bis zur Vereinigung näher: Geiger, S. 51 ff.; BVerfGE 36, 1 ff. ("Grundlagenvertragsurteil"). "4 S. oben, 1. Teil, Β. II. 3. a)! 1,5 Vgl. Art. 4 Abs. 1 des Vertrages über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland ("Zwei-plus-vier-Vertrag") v. 12. 09. 1990 (deutsches Zustimmungsgesetz v. 11. 10. 1990 [BGBl. I S . 1317]).
230
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
dienstliche Operationen geht - nicht z u s t ä n d i g M i t dieser Kompetenzverteilung hat die Bundesrepublik im Vergleich zum Ausland, wo neben dem "zivilen" meist noch ein "militärischer" Auslandsdienst besteht,eine Sonderrolle inne. Dies dürfte ebenfalls auf das Integrationsmodell zutreffen, was beinhaltet, daß sich beim BND Beschaffung und Auswertung "unter einem Dach" befinden. Auch darin unterscheidet sich der Dienst von vergleichbaren Einrichtungen im Ausland, wo die Informationsgewinnung von der Verwertung organisatorisch oftmals getrennt ist. ne
ΠΙ. Der Militärische Abschirmdienst
1. Organisation a) Direkte Integration in die Truppe Aus § 1 Abs. 1 MADG119 ergibt sich, daß im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigimg der M A D besteht. 120 Ursprünglich war der Dienst auf der Grundlage der Organisationsgewalt dieses Ministers nach Art. 65 a GG durch einfachen Erlaß, nicht aber durch Gesetz, errichtet worden. 121 Er ist ein dezentral o r g a n i s i e r t e r ^ Teil der Streitkräfte, d. h. direkt in sie integriert^ und daher kein Teil der (zivilen) Bundeswehrverwaltung i. S. v. Art. 87 b GG. 124 Somit findet Art. 87 a GG mit seinen besonderen Vorschriften hinsichtlich Aufstellung und Organisation auf den M A D Anwendung. >25 An der Spitze des Dienstes steht i. d. R. ein militärischer Be-
1,6 Allerdings besteht in seinem Geschäftsbereich das Amt fiir Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ANBw) y auf dessen Bedeutung weiter unten einzugehen sein wird (4. Teil, Α. V I . 2. und C. V.). 117 Vgl. nur das "zivile" CIA und das "militärische" DIA in den USA oder das KGB und das GRU in der ehemaligen Sowjetunion. ne Beide Prinzipien sollen auf maßgebliche Vorschläge Reinhard Gehlens, des Gegendären) ersten Präsidenten des BND, zurückgehen; vgl. Ritter, S. 77. 119
Auszugsweise abgedruckt im Anhang. 120 Eingehend zum M A D : DER SPIEGEL, 1984, Heft 40, S. 30 ff. «21 Im Jahre 1956; vgl. Gusy, Rechtsstellung der Nachrichtendienste, S. 297. 122 Qusy y M A D , S. 61; a. A. Schwagerl , S. 208 m.w.N. •23 Schwagerl , S. 207; Blilmel, Rdnr. 104. 124 Gusy , ebd., S. 60. 125 Roewer , § 1 PKKG, Rdnr. 28. Vgl. i. ü. bereits oben, 1. Teil, C. ΠΙ. 2.!
A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
231
fehlshaber, dem ein ziviler Stellvertreter beigeordnet ist. 126 Truppendienstlich untersteht der Dienst dem Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und auf diesem Wege wiederum dem Bundesminister der Verteidigung; die Fachaufsicht übt der "Stab für die Kontrolle und Steuerung in Sicherheitsangelegenheiten" aus, dem ein Staatssekretär im Verteidigungsministerium unmittelbar vorsteht. 127 Dieser Stab soll künftig jedoch verkleinert und dem Organisationsstab des Verteidigungsministeriums zugeordnet w e r d e n . 1 ^
b) Untergliederung Der M A D untergliedert sich wie folgt: (1) (2) (3) (4)
Hauptverwaltung (MAD-Amt in Köln 129 ), MAD-Gruppen auf der Ebene der Verteidigungsbereiche 130, MAD-Stellen auf der Ebene der Verteidigungsbezirke sowie MAD-Trupps, die nach regionalen oder funktionalen Aspekten verteilt sind. 131
Damit kam der Dienst bis 1992 auf 32 Außenstellen, die künftig jedoch auf 14 reduziert werden sollen. Die Personalstärke des M A D betrug zur selben Zeit insgesamt etwa 2100 Bedienstete - sowohl Soldaten als auch Beamte und Angestellte;132 als vertrauensbildende Maßnahme zum Ende des Kalten Krieges sollen indes 500 dieser Dienststellen abgebaut werden. 133 Der Etat des Dienstes belief sich 1990 auf ca. 140 Millionen D M . 1 3 4
126 Übersicht über die militärischen Amtschefs des M A D von 1956 bis 1989 bei Ritter, S. 102. Im übrigen ist durchaus denkbar, daß der Dienst auch von einem zivilen Präsidenten geleitet werden könnte. 127 Im Sommer 1992 Staatssekretär Peter Wiehert; vgl. DER SPIEGEL v. 31.08. 1992 (Heft 36/1992) S. 17; Ritter, S. 103. 128 DER SPIEGEL, ebd. 129 Brühler Straße 300, 50968 Köln. Das Amt für den M A D ist seinerseits in Abteilungen untergliedert. Ehemals nannte es sich "Amt filr Sicherheit der Bundeswehr " (ASBw). Nach der "Kießling-Affäre" (vgl. BT-Drs. 10/1604) und infolge der Empfehlung der "Höcherl-Kommission" (nicht veröffentlicht, vgl. BT-Drs. 10/1604) erfolgte jedoch Mitte 1984 eine Umstrukturierung des M A D , die mit einer Umbenennung in "MAD-Amt" einherging; s. Roewer, § 1 PKKG, Rdnr. 27 m.w.N.; Schwagerl, S. 207. 130 Ferner besteht die MAD-Gruppe "S" für den Bereich des Bundesverteidigungsministeriums. 131 Vgl. dazu auch BT-Drs. 11/4306, S. 65. 132 Vgl. Roewer, § 1 PKKG, Rdnr. 36. 133 134
DER SPIEGEL v. 31. 08. 1992 (Heft 36/1992), S. 17. Vgl. Bundesminister des Innern (Hrsg J , Verfassungsschutzbericht 1990, S. 195.
232
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
c) Verfassungsschutzbehörde der Bundeswehr Die Existenz des M A D neben der "allgemeinen" Verfassungsschutzverwaltung als "Verfassungsschutzbehörde der Bundeswehr" wird damit begründet, daß die Bundeswehr im Gegensatz zur Zivilverwaltung eigentümliche Strukturen und eine unterschiedliche Dislozierung aufweise; darüber hinaus sei sie in besonderem Maße Angriffsziel gegnerischer Geheimdienste. 135 Diese besondere Ausgangslage erfordere einen Dienst, der mit diesen Besonderheiten vertraut ist und sich speziell auf sie einstellen kann, um möglichst effektiv zu arbeiten.13«
2. Aufgaben Der Aufgabenkatalog des M A D umfaßt (1) (2) (3)
den Abschirmauftrag (§ 1 Abs. 1 MADG) die Beurteilung der Abschirmlage ( § 1 Abs. 2 MADG) und Mitwirkungsaufgaben (§ 1 Abs. 3 MADG)
a) Abschirmauftrag Wenn der M A D die "Verfassungsschutzbehörde der Bundeswehr" ist, dann folgt daraus zwingend, daß sein Aufgabengebiet der gesamte Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung ist.137 Seine Zuständigkeiten ergeben sich im einzelnen aus den §§ 1 und 2 MADG. Grob zusammengefaßt obliegt ihm die Gewährleistung der Sicherheit der Bundeswehr. Ihre Soldaten und Zivilbeschäftigten, ihre Dienststellen, Einrichtungen und Gegenstände sollen durch den M A D vor Unterwanderung, Zersetzung, Sabotage und Spionage geschützt und in ihrer vollen Funktionsfähigkeit erhalten werden (Abschirmauftrag). 138
135 Vgl. BT-Drs. 11/4306, S. 65 f. 136 Vgl. auch die Begründung des Referentenentwurfs zum M A D G (BT-Drs. 10/1604), auszugsweise abgedruckt bei Ritter, S. 104 f. 137 w i e hier: Roewer, § 1 PKKG, Rdnr. 31; Ritter, S. 107; BT-Drs. 11/4306, S. 66; a. Α., d. h. restriktiver: Bäumler, Der Entwurf eines Gesetzes über den M A D , S. 497 m.w.N. 138 So auch die Begründung des Regierungsentwurfs zum M A D G , BT-Drs. 11/4306, S. 66.
A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
233
b) Weder Gegenspionage noch Auslandsaufklärung Aus den §§ 1 und 2 M A D G folgt weiterhin im Umkehrschluß, daß Gegenspionage oder militärische Auslandsaufklärung nicht zum Zuständigkeitsbereich dieses Dienstes gehören. Diese fur die Nachrichtendienstorganisation im weltweiten Vergleich erstaunliche Besonderheit in der Bundesrepublik ergibt sich bereits aus seiner Bezeichnung als Abschirm- und gerade nicht als Aufklärungsdienst. Militärische Auslandsbeobachtung und Gegenspionage im Bereich der militärischen Nachrichtendienste des Gegners werden vielmehr allein vom BND in Abstimmung mit dem Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ANBW)M wahrgenommen. Insoweit ist der M A D bei seinen Tätigkeiten auf das Bundesgebiet beschränkt, uo
c) Beurteilung der Sicherheitslage (Abschirmlage) Neben dem Abschirmauftrag kommt dem M A D noch eine weitere Aufgabe zu: Gem. § 1 Abs. 2 M A D G hat er ein Lagebild zur Beurteilung der Sicherheitslage (Abschirmlage) der Bundeswehr und unter Umständen ausländischer Streitkräfte zu erstellen. Dazu wertet der Dienst die Informationen aus, die er i. R. seines Abschirmauftrages nach § 1 Abs. 1 MADG über verfassungsfeindliche, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Bestrebungen und Tätigkeiten gesammelt hat. Besonderheit ist dabei, daß er auch Informationen über Aktionen von solchen Personen verwerten darf, die dem Geschäftsbereich des Verteidigungsministers nicht angehören oder nicht in ihm tätig sind. Kurios und inkonsequent erscheint dies, wenn man berücksichtigt, daß der M A D nach § 1 Abs. 1 MADG nur Informationen sammeln darf, die sich auf Angriffssubjekte innerhalb der Bundeswehr beziehen, und andererseits § 1 Abs. 2 MADG nur von der Informationsauswertung spricht. Der Dienst kann also bei der Lagebilderstellung nur auf solche Informationen zurückgreifen, die er nach § 1 Abs. 1 MADG gesammelt hat. Wie soll er dabei aber zu Informationen über Angreifer außerhalb der Bundeswehr gelangen? Streng nach dem Gesetz wäre dies nur in den Fällen des erweiterten Zuständigkeitsbereichs nach § 2 MADG zulässig, die jedoch ihrerseits sehr restriktiv auf Angehörige bzw. Komplizen von Bundeswehrangehörigen beschränkt sind (Absatz 1) oder nur der Eigensicherung des Dienstes dienen dürfen (Absatz 2). Das kann aber dem Sinne wie auch der systematischen Stellung nach nicht von § 1 Abs. 2 MADG gemeint sein.
139 Zum Amt fiir Nachrichtenwesen der Bundeswehr Α. V I . 2. und C. V.! 140 Vgl. bereits oben, 1. Teil, Β. I. 1. b)!
(ANBw)
vgl. näher unten, 4. Teil,
234
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
Hier besteht also eine Unvereinbarkeit zwischen § 1 Abs. 1 und Abs. 2 MADG, die dem Gesetzgeber nicht zur Gänze bewußt gewesen zu sein scheint, ni So kann der M A D seine Aufgabe hinsichtlich der Beurteilung der Sicherheitslage nur dann wirkungsvoll erfüllen, wenn er bei seiner Aufklärungstätigkeit auch Informationen über sicherheitsrelevante Aktivitäten außerhalb der Bundeswehr sammelt, m Eine sinnvolle gegenständliche Begrenzung kann m. E. daher nicht vom Angreifer, sondern allein vom Schutzobjekt her vorgenommen werden; der Dienst darf also nur solche Informationen erheben und verwerten, die sich gegen die Bundeswehr und ggf. gegen alliiertes Militär richten. Als Argument, das die hiergegen vorgebrachten, zum Teil berechtigten Bedenken der Datenschützer abmildern könnte,^ sei schließlich folgendes gesagt: Bei der Beurteilung der Sicherheitslage nach § 1 Abs. 2 MADG erhebt der M A D zwar auch Informationen von potentiellen Angreifern außerhalb der Bundeswehr; allerdings werden personenbezogene Daten^44 bei dieser mehr gesamtheitlich ausgerichteten Aufgabe, die die generelle Lagebilderstellung zum Zweck hat, eine nur untergeordnete Rolle spielen. Um konkret identifizierbare Personen wird es nur i. R. d. Abschirmauftrages nach § 1 Abs. 1 MADG gehen, bei dem die Sammlung aber auf Bundeswehrangehörige beschränkt ist. Diese Auffassung wird auch durch die Gesetzeslage bestätigt: Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 MADG ist der M A D nicht befugt, personenbezogene Daten eigens zur Lagebilderstellung zu erheben; gemeint ist damit wohl nur die Erhebung mit nachrichtendienstlichen Mitteln nach § 8 BVerfSchG. Und § 6 Abs. 1 Satz 2 MADG sieht vor, daß Daten, die - mit Rücksicht auf § 4 Abs. 1 Satz 2 MADG zwingenderweise nur aus offenen Quellen - über Personen außerhalb des Geschäftsbereichs des Verteidigungsministers erlangt wurden, nicht für andere Zwecke als zur Lagebilderstellung verwendet werden dürfen.
d) Mitwirkungsaufgaben Endlich seien noch die Mitwirkungsaufgaben erwähnt, die dem M A D bei der Sicherheitsüberprüfung und bei technischen Sicherheitsmaßnahmen nach
141
Vgl. aber die Begründung des Regierungsentwurfs zum M A D G , BT-Drs. 11/4306,
S. 67. 142
Damit kommt der M A D freilich wieder in Kompetenzkonflikt mit den Verfassungsschutzbehörden; s. dazu aber weiter unten! 143 Kritisch zur Beurteilung der Sicherheitslage nach dem neuen Recht: Bäumler, Das neue Recht der Geheimdienste, S. 645. 144 Vgl. die Legaldefinition in § 3 Abs. 1 BDSG. 145 Vgl. auch die Aussparung von § 1 Abs. 2 M A D G im Verweis des § 5 M A D G auf § 9 BVerfSchG.
A. Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste
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§ 1 Abs. 3 M A D G o b l i e g e n . "6 Sie entsprechen - begrenzt auf den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - weitestgehend den Mitwirkungsaufgaben der Verfassungsschutzbehörden nach § 3 Abs. 2 BVerfSchG."?
146 s. auch BT-Drs. 11/4306, S. 67. 147 Vgl. oben, I. 2. b)!
236
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
B. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischem Abschirmdienst
I . Aufgabenabgrenzung
Nach Darstellung der Organisation und der Aufgabengebiete der bundesdeutschen Nachrichtendienste ist es nun von Interesse, die jeweiligen Tätigkeitsfelder miteinander in Beziehung zu setzen und zu untersuchen, ob sie bei einer Gesamtbetrachtung eine sinnvolle Einheit ergeben. Wiewohl Probleme bei der gegenseitigen Aufgabenabgrenzung in der Praxis der Nachrichtendienste aufgrund von noch darzustellenden, schier unvermeidbaren Überschneidungen sicherlich gang und gäbe sein werden, erfuhr diese Thematik bisher in der Literatur wenig Beachtung, ι Dies kann darauf zurückzuführen sein, daß bis zum Erlaß der neuen Geheimdienstgesetze normative Regelungen weitgehend fehlten und die verwaltungsinternen Abgrenzungs- und Zusammenarbeitsrichtlinien als Geheimsachen unter Verschluß standen und stehen.
1. Abgrenzung Verfassungsschutzbehörden
— Militärischer
Abschirmdienst
a) Gemeinsamer Aufklärungsauftrag fur das Inland Sowohl das BfV und die Landesverfassungsschutzbehörden als auch der M A D besitzen als Aufklärungsfeld bzw. Tätigkeitsrichtung nach überwiegender Meinungz das Inland3, d. h. sie dürfen sich mit außenpolitischen Belan1 Vgl. Schimpffy S. 52 ff. mit Verweis auf Gusy, M A D , und BND, a.a.O. Beide Autoren konnten sich aber nur an der Rechtslage vor 1990 und damit an ζ. T . überholten Gesetzesentwürfen (wie ζ. B. dem Entwurf über ein Zusammenarbeitsgesetz, ZAG-E, oder über ein Verfassungsschutzmitteilungsgesetz, VerfSchMiG-E) orientieren. Zum ZAG-E: Riegel, Entwicklungstendenzen im Polizeirecht und im Recht der Nachrichtendienste, S. 199 ff. 2 Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 13; § 1 PKKG, Rdnrn. 18 und 26; Borgs/Ebert, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 91 a. E.; Schimpff t S. 53 (FN. 160); Gusy y M A D , S. 63; ders., Die Rechtsstellung der Nachrichtendienste, S. 296 f.; Evers, BK, Rdnrn. 59 und 65. Α. A. aber entgegen späterer Veröffentlichungen (s. soeben) wohl noch Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 201. 3 Seit der deutschen Vereinigung am 03. 10. 1990 gehört dazu auch das Gebiet der ehemaligen DDR, was zuvor anders war, vgl. oben, Α. II. 2. c) cc)!
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
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gen - auch wenn diese für die Bundesrepublik von Relevanz sind - nicht beschäftigen.
aa) Verfassungsrechtliche
Überlegungen
Ausdrücklich wird dieser Grundsatz in den beiden maßgeblichen Gesetzen (BVerfSchG und MADG) freilich nicht festgesetzt. 4 Auch die insoweit einschlägige verfassungsrechtliche Grundlage fur die Gesetze, Art. 73 Nr. 10 Buchst, b (und Buchst, c) GG, spricht nur vom Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie vom Bestand und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes, ohne hierbei eine Begrenzung auf Gefahren aus dem Inland vorzunehmen. Einen ersten, wenngleich nicht unumstößlichen Hinweis auf die Inlandsbeschränkung könnte aber die Entstehungsgeschichte der Verfassungsnorm im Zusammenhang mit dem alliierten Polizeibriefs geben, die in ihrer Stoßrichtung auf die Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Inland angelegt war. 6 Ferner - aber auch hier nur unter teleologischen Vorbehalten - wären zur Abgrenzung die Art. 115 a ff. GG (Verteidigungsfall) heranzuziehen, die Angriffe auf den Bestand und die Sicherheit des Bundesgebietes von außen regeln und damit gleichzeitig implizieren, daß sich die Art. 73 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG im Gegensatz dazu gegen innere Bedrohungslagen richten müssen.?
bb) Aufgabenkataloge Ein weiteres, fundierteres Indiz für die Aufklärungsbeschränkung von Verfassungsschutzbehörden und M A D auf das Inland stellen die jeweiligen gesetzlichen Aufgabenkataloge dar. So spricht § 3 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BVerfSchG ausdrücklich von Tätigkeiten bzw. Bestrebungen 11im Geltungsbereich dieses Gesetzes", auf die sich der Beobachtungsauftrag der Verfassungsschutzbehörden bezieht. Unbefriedigend bleibt hier allerdings die Extremismusbeobachtung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG, die jedenfalls dem Wortlaut nach nicht auf das Bundesgebiet beschränkt ist:s "Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind", können der Bundesre4
So auch Roewer, § 1 BVerfSchG, Rdnr. 13. Abgedruckt bei Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 189. Vgl. Roewer y Einl. BVerfSchG, Rdnr. 1 f.; Borgs/Ebert, Einl., Rdnr. 12. 7 Natürlich darf bei Art. 115 a Abs. 1 GG aber das einschränkende Tatbestandsmerkmal eines Angriffs "mit Waffengewalt" nicht übersehen werden, das eindeutig militärisch-kriegerische Aktionen meint und sonstige verfassungsfeindliche Handlungen gegen die Bundesrepublik im oder aus dem Ausland unberücksichtigt läßt. 8 Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 13, erklärt dies mit einem gesetzgeberischen Versehen bei der Verabschiedung des Verfassungsschutzänderungsgesetzes von 1972. 5 6
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3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
publik durchaus auch von außen drohen und damit beobachtenswert sein. Hier kann hingegen die positive Aufgabenumschreibung fur den BND nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG weiterhelfen, die diesen Dienst ausdrücklich - und damit in Abgrenzung zu den Verfassungsschutzbehörden - auf die Gewinnung von Auslandserkenntnissen von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung? fixiert.
b) Exkurs: Betätigung von Hoheitsgewalt im Ausland Wenn die Aufklärungsrichtung des BfV, der Landesverfassungsschutzbehörden und des M A D demnach auf das Inland hinzeigt und darin auch ihre Grenze findet, so ist damit indes noch nichts über eine mögliche Auslandstätigkeit dieser Dienste besagt, die ihrerseits ebenfalls dem Inlands-Beobachtungszweck dienen kann; Aufklärungsrichtung und Aufklärungstätigkeit müssen also auseinandergehalten werden.^0 Danach wäre den Behörden Auslandsarbeit grundsätzlich solange nicht untersagt, wie sie auf die Inlandsaufklärung ausgerichtet ist. π Spiegelbildlich dazu darf der BND trotz seines Aufklärungsauftrages fur das Ausland - wie bereits gesehen - sehr wohl im Inland operieren. Wenn den Verfassungsschutzbehörden und dem M A D aber nach den für sie geltenden bereichsspezifischen Regelungen eine Auslandstätigkeit nicht von vornherein versagt ist, so stellt sich gleichwohl die Frage, ob dies unter anderen Gesichtspunkten überhaupt zulässig ist.
aa) Völkerrechtliche
Lage
Eine unbegrenzte Auslandstätigkeit dieser "Inlandsdienste" könnte namentlich mit dem Völkerrecht in Konflikt geraten. Denn dort folgt aus der Zuordnung eines Gebietes zu einem Staat, d. h. aus der territorialen Souveränitäti3, das Recht, die eigene Staatstätigkeit oder -gewalt in diesem Gebiet zu entfalten und andere Staaten davon auszuschließen (Gebietshoheit)Das BVerfSchG wie auch das MADG regeln nun vor allen Dingen Aufgaben und
9 Dazu zahlen selbstredend auch Bestrebungen im Ausland, die denen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG entsprechen. Vgl. dazu auch Gusy, BND, S. 275 f. 10 Dies scheint Evers, BK, Rdnr. 59, nicht zu beachten, wenn er aus dem Verbot der Auslandsaufklärung gleichzeitig das (grundsätzliche) Verbot, im Ausland Nachrichten zu sammeln, folgert. n Selbe Schlußfolgerung: Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 13. 12 s. ο., Π. 2. c)! 13 Näher dazu: Geiger, S. 248 f. Vgl. Geiger, S. 322 ff.
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
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Befugnisse von Behörden" eines Trägers öffentlicher Gewalt"», d. h. der souveränen Gebietskörperschaft Bundesrepublik Deutschland". Begreift man das Recht zur Ausübung von Befugnissen in Erfüllung von speziellen Aufgaben öffentlicher Verwaltung ferner als einen Wesensbestandteil des Staates und seiner Staatsgewalt, so ergibt sich daraus weiter, daß diese Staatsgewalt als eines der völkerrechtlichen Grundelemente regelmäßig nicht weiter reichen kann und darf als das eigene Territorium, also auf das jeweilige Staatsgebiet beschränkt sein muß. 18 Anderenfalls wäre die Gebietshoheit anderer Völkerrechtssubjekte verletzt, ι* Dies muß grundsätzlich auch fur die Zuständigkeit und den Wirkungskreis der bundesdeutschen Inlandsnachrichtendienste gelten. Ein wichtiges Differenzierungsmerkmal ist jedoch zu beachten: Die ihnen nach Maßgabe der §§ 8 Abs. 3 BVerfSchG und 4 Abs. 2 M A D G zukommenden Befugnisse zu Rechtseingriffen werden schwerlich als staatliche Zwangsgewalt i. S. v. völkerrechtlich verstandenen Hoheitsakten zu bezeichnen sein;2> insofern erscheint die nachrichtendienstliche Tätigkeit im Ausland zwar problematisch, aber keineswegs als von vornherein völkerrechtswidrig. 21
bb) Schutz der Bundeswehr im Ausland? Dies gilt insbesondere auch fur den MAD, dessen Aufgabenbereichseröffnung stets über das Kriterium des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung läuft. 22 Nim unterhält die Bundeswehr als Teil dieses Geschäftsbereichs i. R. d. militärischen Zusammenarbeit innerhalb der NATO auch Einrichtungen in anderen europäischen Staaten 2 3 sowie in den USA" und Ka15 Hier zu verstehen als Organe des Staates. Zum Behördenbegriff vgl. § 1 Abs. 4 VwVfG (Legaldefinition im funktionalen Sinne); s. i. ü. Ferdinand O. Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Auflage, München, 1991, § 1, Rdnrn. 20 ff.; Maurer, § 2 1 , Rdnrn. 30 ff. m.w.N.; Rasch, Die Behörde, in: Verwaltungsarchiv, Bd. 50 (1959), S. 1 ff.; BVerfGE 10, 20 (48); BHGZ 40, 225 (228). 16 Verwaltungsträger des BfV und des M A D ist der Bund; Verwaltungsträger der Landesverfassungsschutzbehörden sind die jeweiligen Länder. 17 Keine Staaten i. S. des Völkerrechts sind die Länder der Bundesrepublik; vgl. Geiger, S. 21. Mithin werden die Akte der Landesverfassungsschutzbehörden völkerrechtlich dem Völkerrechtssubjekt Bundesrepublik Deutschland zugerechnet. 18 Eine Ausnahme stellt freilich die Vornahme staatlicher Hoheitsakte auf fremdem Territorium mit Zustimmung des betroffenen Staates dar, vgl. Geiger, S. 324 f. 1· S. dazu bereits 2. Teil, Ε. V I . 2. m.w.N.! Zur Vertiefung: Geiger, S. 20 ff.; 324 f. 20 Gusy, Befugnisse der Verfassungsschutzes ..., S. 1291, spricht bei der Abgrenzung von polizeilichen zu bloß nachrichtendienstlichen Eingriffsrechten von imperativen bzw. nicht-imperativen Befugnissen. Dieses Kriterium könnte auch bzgl. der völkerrechtlichen Theorie staatlicher Hoheitsgewalt entscheidend sein; ebenso wohl auch die Bsp. von Geiger, S. 324 f. 21 Vgl. dazu bereits oben, 1. Teil, C. Π. 3.! 22 Dazu sogleich, 3. c)! 23 So ζ. B. in Portugal, auf Sardinien oder auf Kreta. 24 So ζ. B. die Flug- und Raketenschulen in Texas und anderswo.
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3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
nadaK. Nach dem Gesagten stellt sich daher die Frage, ob der M A D seinem Sicherungsauftrag auch im bezeichneten Ausland nachkommen darf. ^ Hierbei ist wiederum auf das allgemeine Völkerrecht zu rekurrieren: Aufgrund des Gebotes der Achtung der Gebietshoheit ist dem M A D als Teil der Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland grundsatzlich jedwede Ausübung von (imperativen) Hoheitsakten im Ausland verwehrt.27 Allerdings würde der Dienst dann die Gebietshoheit des jeweiligen Gaststaates nicht beeinträchtigen, wenn er sich mit dessen Genehmigung auf dessen Gebiet aufhielte und sich seine Aufgabenerfullung in keiner Weise auf den Gaststaat auswirkte, also vor allem nicht dessen Hoheitsbefugnisse v e r l e t z t e t Als Teil der Streitkräfte werden Mitarbeiter des M A D nach den einschlägigen Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen2* grundsätzlich zum Aufenthalt im jeweiligen Gastland berechtigt sein.30 Ferner umfaßt der Abschirmauftrag des Dienstes lediglich die verfassungsschützende Informationssammlung und -auswertung und vermittelt keine darüber hinausgehenden polizeilichen Befugnisse. Im übrigen bezieht sich seine Aufklärungsrichtung nach § 1 Abs. 1 MADG grundsätzlich nur auf Bundeswehrangehörige, in den seltensten Fällen auf Ausländer.3* Insofern sieht sich eine gegenständlich auf die Bundeswehr begrenzte Tätigkeit des Dienstes im Ausland m. E. keinen grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt. Eine weitere Ausnahme, die den M A D zu einer freilich begrenzten Auslandstätigkeit berechtigte, bestünde ferner, wenn der betreffende ausländische Staat für allgemein definierte Fälle oder auch im konkreten Einzelfall in bestimmte Aufklärungsaktionen des Dienstes einwilligte.32 Denn eine solche vorherige Zustimmung würde mögliche Eingriffe in die fremde Gebietshoheit rechtfertigen. 33 Gleichwohl darf der Dienst auch in derartigen Situationen nicht seinen Aufgabenbereich gem. §§ 1 und 25
So ζ. B. die Panzerschließbahnen in Manitoba. Ahnliche Situationen ergeben sich, wenn man geplante Einsätze der Bundeswehr i. R. d. Vereinten Nationen ("UNO-Blauhelm-Einsätze") u. dgl. ins Kalkül zieht. 27 Allgemein: Verdross/Simma, §§ 456 m.w.N, 1022 und 1038 ff. Geiger, S. 324. 28 Vgl. wiederum Verdross/Simma, § 456; Geiger, S. 324 f. 29 S. dazu auch Geiger, S. 325 m.w.N. 30 Vgl. allgemein Verdross /Simma, § 1023. 31 Es sei denn, ein Bundeswehrangehöriger befindet sich in dieser Eigenschaft im Ausland und plant oder begeht mit seinem ausländischen Ehepartner oder sonstigem Komplizen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit verfassungsfeindliche Handlungen gegen die Bundeswehr. In diesem konstruierten Ausnahmefall wäre der Aufgabenbereich fur den M A D aus § 2 Abs. 1 M A D G ggf. auch gegenüber Ausländern eröffnet. Allerdings ist hier im Hinblick auf das Gastrecht besondere Vorsicht geboten; eine Abstimmung mit den entsprechenden alliierten Abschirmdiensten erscheint in jedem Falle angezeigt. - Allgemein zur Personalhoheit im Völkerrecht: Verdross/Simma, §§ 388 und 1225 ff. 32 Auch im Völkerrecht gilt der allgemeine Rechtssatz "volenti non fit iniuria". Ähnlich Verdross/ Simma, § 1024 und, bzgl. des Verzichts eines Staates auf eigene Rechte, § 668 m.w.N. 33 Geiger, S. 325. 26
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
241
2 M A D G verlassen, an den er als eine dem Grundgesetz unterworfene Dienststelle auch im Ausland gebunden bleibt.34
c) Identität der Aufgabeninhalte Betrachtet man die Aufgäbeninhalte von M A D und Verfassungsschutzbehörden näher, so lallt eine nahezu vollständige Identität auf, & die vom Gesetzgeber freilich beabsichtigt ist. Beide Behördenzweige haben nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG bzw. § 1 Abs. 1 MADG den Auftrag, Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen sowie über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Bundesgebiet zu sammeln und auszuwerten. Auch die jeweiligen Mitwirkungsaufgaben hinsichtlich Geheim- und Sabotageschutz gleichen sich nach §§3 Abs. 2 BVerfSchG bzw. 1 Abs. 3 M A D G zur Gänze. Beim M A D kommt lt. § 1 Abs. 2 MADG darüber hinaus lediglich die Beurteilung der Sicherheitslage der Bundeswehr hinzu, die im BVerfSchG keine Entsprechung findet. Dafür fehlt beim M A D die Beobachtung des Ausländerextremismus, was sich jedoch bereits aus der Natur der Sache ergibt, da im Bundesgebiet beheimatete Ausländer mit den Streitkräften in aller Regel wenig Berührungspunkte haben werden. Mithin ist zu Recht gesagt worden, daß der M A D die Verfassungsschutzbehörde der Bundeswehr darstellt. 36 Er nimmt in seinem Bereich keine anderen Funktionen wahr als das BfV und die Landesverfassungsschutzbehörden im allgemeinen. Die Aufgabeninhalte sind somit nahezu identisch; der M A D stellt gleichsam einen sektoralen Ausschnitt aus dem Gesamtbereich des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes dar.
d) Verschiedenheit der Aufgabenbereiche Stellen sich die Aufgabeninhalte der beiden Behördensparten als identisch dar, so muß eine aussagekräftige Abgrenzung der jeweiligen Tätigkeitsspannen in anderen Kriterien gefunden werden. Sie wird deutlich, wenn man nicht die Aufgabeninhalte, sondern die Aufgabenbereiche, d. h. die örtlichen Einsatzfelder der beiden Nachrichtendienste betrachtet: Wie bereits bemerkt, 34 Vgl. Art. 1 Abs. 3 GG. Umstritten ist dabei freilich, inwieweit der M A D im Ausland an die Grundrechte gebunden ist und ob Maßnahmen des Dienstes überhaupt der Regelungskompetenz des Bundesgesetzgebers unterliegen; näher dazu: Bäumler, Das neue Geheimdienstrecht ..., S. 645; Gusy, BND, S. 282; Riegel, Die Tätigkeit der Nachrichtendienste ..., S. 955. 35 Ebenso Gusy, M A D , S. 63; ders., Die Rechtsstellung der Nachrichtendienste, S. 297. 36 Roewer, § 1 PKKG, Rdnr. 31; Schwagerl, S. 207 m.w.N.; Denninger, Der Schutz der Verfassung, S. 1313.
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3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
stellt der M A D die Verfassungsschutzbehörde der Bundeswehr dar. Da er somit nischenhaft die spezielleren, exklusiveren Tätigkeitsräume besetzt, stellt dies auch den Ausgangspunkt fur eine Abgrenzung dar.
aa) Geschäftsbereich
des Bundesministers der Verteidigung
Kennzeichnendes Kriterium fur die Eröffnung des Aufgabenbereiches des M A D ist nach §§ 1 und 2 MADG jeweils der Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Dieser wird unmittelbar durch die jeweilige Ressortabgrenzung im Bundeskabinett gem. Art. 65 Satz 2 GG bestimmt.37 Zu ihm gehören dabei zunächst die militärisch organisierten Streitkräfte des Art. 87 a GG&. Eindeutig nicht in den Aufgabenbereich des M A D fallen verfassungsfeindliche Bestrebungen von Wehrdienstverweigerern, potentiellen Wehrpflichtigen vor ihrer Erfassung und Reservisten nach der Beendigung ihrer Wehrpflicht,& da sie mit den Streitkräften in keinen rechtlichen Zusammenhang (mehr) zu bringen sind. Zweifelhaft könnte allenfalls die Überwachung der zivilen Bundeswehrverwaltung nach Art. 87 b GG«o erscheinen, da sie, anders als der M A D , nicht zum militärischen Teil der Truppe zählt. Eine eindeutige Klärung erbringt hier jedoch der Wortlaut des § 1 Abs. 1 MADG, der schlechterdings vom Geschäftsbereich des Verteidigungsministers spricht, zu dem auch die zivile Bundeswehrverwaltung und daneben ebenso das Bundesministerium der Verteidigung", die Truppendienstgerichte, der Bundeswehrdisziplinaranwalt und die Wehrdisziplinaranwälte 42 sowie die Dienststellen der Militärseelsorge gehören müssen.43
bb) Doppelter Anknüpfungspunkt
und Durchbrechungen
Damit aber nicht genug: Allein die wie auch immer geartete Berührung des Geschäftsbereiches des Verteidigungsministers reicht bei näherer Betrachtung des M A D G fur eine Aufgabenbereichseröffhung noch nicht aus. Vielmehr hat der Gesetzgeber im Zusammenhang damit zusätzlich noch zwei weitere Begrenzungskriterien aufgestellt, um den Aufklärungsauftrag fur den M A D zu umreißen. Sie finden sich im Aufgabenkatalog des § 1 37
Zum Ressortprinzip vgl. nur Seifert, in: Seifert/Hömig, Art. 65 GG, Rdnr. 4 m.w.N. 38 Zum Begriff: Hömig, in: Seifert/Hömig, Art. 87 a GG, Rdnr. 1. 3 9 Gusy y M A D , S. 64. 40 Zum Begriff: Hömig, in: Seifert/Hömig, Art. 87 b GG, Rdnr. 2. 41 Hierfür besteht eine besondere MAD-Einheit, die MAD-Gruppe "S 42 Vgl. Ait. 96 Abs. 4 GG. 43 Ebenso der Regiemngsentwurf zum M A D G , BT-Drs.il/4306, S. 66; BRDrs. 618/1988, S. 174. S. auch Roewer, § 1 PKKG, Rdnr. 31, mit Verweis auf die Kritik von Bäumler y Der Entwurf eines Gesetzes über den M A D , S. 497.
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
243
Abs. 1 MADG: einerseits die Herkunft des Angriffs, also das Angriffssubjekt bzw. die mögliche Täterseite, und andererseits die Richtung des Angriffs bzgl. des Schutzobjektes. Beide Elemente bzw. Personenkreise müssen dabei im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung liegen.44 Mithin darf der M A D nur dann tätig werden, wenn sowohl Täter als auch Opfer in diesem Geschäftsbereich beheimatet sind. Angriffe auf die Bundeswehr, die von Einzelpersonen oder Personenzusammenschlüssen außerhalb des Verteidigungsbereiches ausgehen, sind nach der insoweit eindeutigen Gesetzeslage von den Verfassungsschutzbehörden, insbesondere vom BfV, aufzuklären! Eine Durchbrechung des doppelten Anknüpfungspunktes des § 1 Abs. 1 MADG nach Angriffsführer und Schutzobjekt vollführt indes § 2 MADG, was eine partielle Zuständigkeitsausweitung zur Folge hat. Er dehnt den Kreis der möglichen zu überwachenden Angriffssubjekte auf Personen aus, die sich auch außerhalb des Geschäftsbereichs des Verteidigungsministers befinden können. Allerdings sind dafür strenge Zulässigkeitserfordernisse zu beachten: Lt. § 2 Abs. 1 MADG muß der M A D in Fortführung seiner Aufgaben nach § 1 Abs. 1 MADG handeln, die Überwachung muß im Einzelfall zwingend erforderlich sein und die verfassungsfeindlichen Bestrebungen müssen (auch) vom Ehegatten oder ihm gleichgestellten Personen eines Bundeswehrangehörigen ausgehen (so Satz 2 Nr. 1). Nach Satz 2 Nr. 2 dürfen darüber hinaus auch andere mögliche Komplizen eines Bundeswehrangehörigen aufgeklärt werden, wenn das Benehmen4^ der eigentlich zuständigen Verfassungsschutzbehörden hergestellt ist und eine anderweitige Sachverhaltserforschung gefährdet oder unverhältnismäßig wäre. 46 Unter den gleichen Grundvoraussetzungen berechtigt schließlich § 2 Abs. 2 M A D G den M A D noch weitgehender zur E i g e n s i c h e r u n g 4 7 , soweit dadurch die Wahrnehmung seiner Aufgabenerfullung nach § 1 Abs. 1 MADG berührt ist. In einem solchen Falle stehen ihm seine (nachrichtendienstlichen) Befugnisse auch gegenüber Personen außerhalb des Verteidigungsbereiches zu, wenn der Schutz seiner Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen gegen sicher-
44 So auch die Begründung des Regierungsentwurfs zum M A D G , BT-Drs. 11/4306, S. 66 f. Danach gehören Personen "dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung an, wenn sie in einem öffenUich-rechtlichen oder privatrechtlichen Dienst- oder Arbeitsverhältnis zu der Bundesrepublik Deutschland stehen und aus den in Einzelplan 14 des Bundeshaushalts aufgebrachten Haushaltsmitteln bezahlt werden. (...) Personen sind im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung tätig, wenn sie dort, ohne ihm anzugehören, ständig oder überwiegend aufgrund anderer Rechtsverhältnisse Dienst- oder Werkleistungen erbringen. (...)" 4 5 Zum Begriff "Benehmen": 2. Teil, E. V . 2. a)! 46 Vgl. dazu die Begründung des Regierungsentwurfs zum M A D G , BT-Drs. 11/4306, S. 66 f. 47 Vgl. dazu die Parallele für den BND gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 BNDG.
244
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
heitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten auf dem Spiel steht.4» Zweck dieser Vorschrift ist, die Spionageabwehr innerhalb des M A D auch "im Hause" zu belassen und sie nicht, wie sonst gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG, dem BfV oder den Landesverfassungsschutzbehörden zu überantworten. Diese Regelung erscheint sinnvoll, da es dem Angegriffenen selbst oft am ehesten und wirkungsvollsten möglich ist, sich gegen unmittelbare Angreifer zu wehren. 49 Eine weitere Ausnahme der Doppelanknüpfung des § 1 Abs. 1 M A D G stellt § 3 Abs. 2 MADG auf. Diese Vorschrift engt den Zuständigkeitsbereich des M A D zugunsten der Verfassungsschutzbehörden ein, die danach ausnahmsweise im Verteidigungsbereich aufklären dürfen. Auch diese Durchbrechung der Regel des § 1 Abs. 1 MADG erfolgt aber wiederum aus Zweckmäßigkeitsgründen und steht unter der Kautele, daß die jeweilige Verfassungsschutzbehörde den M A D ins Benehmen zu setzen hat, um sachwidrige Mehrfachaufklärungen zu verhindern. Des weiteren ist ein solches "Eindringen" der Verfassungsschutzbehörden in den Tätigkeitsbereich des M A D nur unter den in § 3 Abs. 2 MADG aufgeführten, äußerst strengen Voraussetzungen zulässig.50
cc) Aussparung der Bundeswehr für das Bundesamt für Verfassungsschutz? Der Aufgabenbereich für den M A D wird also grundsätzlich in doppelter Hinsicht - nämlich bzgl. Angreifer und Schutzobjekt - vom Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung bestimmt. Darf der Dienst darüber hinaus grundsätzlich nicht aufklären, so erscheint es nur folgerichtig, daß alle übrigen Lebensbereiche von den Verfassungsschutzbehörden, insbesondere vom BfV, überwacht werden sollen. Besieht man sich das BVerfSchG, so ist in der Tat keinerlei Beschränkung für den Aufgabenbereich der Verfassungsschutzbehörden zu erkennen. Im Rahmen ihres Aufgabeninhaltes, der in § 3 BVerfSchG in einzelnen beschrieben ist, besitzen sie somit umfassende räumliche Kompetenz. Allerdings findet sich gerade gegenüber dem M A D keine Begrenzung: Der Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung ist nicht vom Tätigkeitsfeld der Verfassungsschutzbehörden ausgespart bzw. ausgenommen. Gusy scheint daraus zu folgern, daß die Zuständigkeiten der Verfassungsschutzbehörden unbegrenzt seien und vor dem Verteidigungsbereich nicht halt machten, so daß vielfaltige Doppelzuständigkeiten entstün-
*
S. wiederum BT-Drs. 11/4306, S. 67 f. So in bezug auf die Verfassungsschutzbehörden untereinander bereits H. Krüger, S. 729. (1) Fortfuhrung von Aufgaben nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG, (2) zwingendes Erfordernis im Einzelfall, (3) Zusammenarbeit mit Personen aus dem Zuständigkeitsbereich der Verfas49
50
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
245
den.51 Spätestens nach Verabschiedung der neuen Geheimdienstgesetze erscheinen diese Befürchtungen jedenfalls in der Theorie übertrieben. Die Tatsache, daß im BVerfSchG keinerlei Aussparung für den Verteidigungsbereich eingegossen wurde, erweist sich nach allgemeinen juristischen Überlegungen als unschädlich: Ausgehend davon, daß der M A D eine sektorale Spezial-Verfassungsschutzbehörde bildet, stellt sich auch das ihn regierende Gesetz, das neue MADG, als Spezialgesetz dar. Diese lex specialis vermag mit ihren §§ 1 und 2 den weiten Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörden insoweit zu verdrängen. Daraus ergibt sich, daß die allgemeinen Verfassungsschutzbehörden im Verteidigungsbereich keine Aufgaben mehr besitzen, jedenfalls solange sich sowohl Angreifer als auch Schutzobjekt darin befinden. Überschneidungen können sich allerdings tatsächlich dann ergeben, wenn der M A D sein eng umgrenztes Aufgabenfeld nach § 1 M A D G verläßt und in den Ausnahmefällen des § 2 M A D G in das allgemeinere Verfassungsschutzrevier ausbricht. Aber auch hier wurden gesetzliche Vorkehrungen getroffen, um planlose Parallelbeobachtungen zu vermeiden. Sowohl bei der übergreifenden Aufklärung gegenüber Komplizen von verfassungsfeindlichen Bundeswehrangehörigen nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 MADG als auch bei der Eigensicherung nach § 2 Abs. 2 M A D G wird der M A D nur im Benehmen mit der zuständigen Verfassungsschutzbehörde, d. h. nach deren Avisierung und Anhörung, tätig.« Dies entspricht der bisherigen Praxis, die sich nach § 4 Satz 1 der Zusammenarbeitsrichtlinien (ZAR) 1973 richtete.« Unschädlich erscheint insoweit, daß das Benehmen für Erkundungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 M A D G nicht hergestellt werden muß, da bei verfassungsfeindlichen Bestrebungen, die vom Ehegatten, Verlobten oder gleichgestellten Personen ausgehen, nach dem Gesetzeswortlaut regelmäßig der Bundeswehrangehörige mitbeteiligt sein muß, so daß der Aufklärungsschwerpunkt ohnehin beim M A D liegt. 54 Eine weitere Absicherung gegen ineffiziente Doppelarbeit bieten die Zusammenarbeits- und Unterrichtungspflichten zwischen Verfassungsschutzbehörden und M A D nach § 3 Abs. 1 und 3 MADG, auf die weiter unten noch zurückzukommen sein wird. 55 sungsschutzbehörden, (4) Gefahrdung der Ermittlungen oder UnVerhältnismäßigkeit bei anderer Verfahrensweise. 51 Gusy, Die Rechtsstellung der Nachrichtendienste, S. 297, freilich zur alten Rechtslage. 52 Zum Begriff des "Benehmens" s. näher oben, 2. Teil, Ε. V I . 2. a)! 53 ZAR v. 23. 07. 1973, veröffentlicht in FR v. 07. 11. 1979, S. 5. Die späteren Neufassungen der ZAR dürften dem weitgehend entsprochen haben. 54 Anders freilich, wenn die Bestrebungen ausschließlich vom Lebenspaitner ausgehen, ohne daß dies dem Bundeswehrangehörigen bewußt ist. In einem solchen Falle wären ausschließlich die Verfassungsschutzbehörden zuständig, die den M A D aber wohl gem. § 3 Abs. 3 M A D G unterrichten werden. 55 S. u., B. m. 2.!
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3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
dd) Grenze am Kasernenzaun? Die örtlichen Aufgabenbereiche bilden demnach mehr oder weniger taugliche Abgrenzungskriterien zwischen den Verfassungsschutzbehörden und dem M A D . Einige Stimmen in der Literatur gehen in diesem Zusammenhang sogar so weit, die Zuständigkeitsgrenze zwischen Verfassungsschutzbehörden und M A D gegenstandlich am Kasernenzaun f e s t z u m a c h e n . ^ Soweit daraus die Schlußfolgerung gezogen würde, der M A D dürfe schlechterdings nur innerhalb von Bundeswehrgrundstücken aufklären und habe außerhalb von Kasernen oder anderen Verteidigungseinrichtungen überhaupt keine Befugnisse, erweist sich diese bildliche Abgrenzung allerdings als fehlerhaft. Es wäre zu einäugig, dem Dienst jegliche Aufklärung dann zu verbieten, wenn verfassungsfeindliche Bestrebungen von Bundeswehrangehörigen beispielsweise in konspirativen Privatwohnungen geplant würden, die außerhalb militärischer Bereiche liegen. Eine solch starre Sicht der Dinge wird im übrigen auch durch den Gesetzeswortlaut des neuen MADG nicht gedeckt und erweist sich damit als überholt.
e) Fazit Verfassungsschutzbehörden und M A D haben inhaltlich nahezu denselben Aufgabenumfang, nämlich vor allem Extremismusbeobachtung, Spionageabwehr und personellen wie materiellen Geheimschutz. Eine taugliche Zuständigkeitsabgrenzung kann sich daher nur in den Aufklärungsbereichen ergeben: Sektoral begrenzt operiert der M A D , wenn sowohl Ausgangspunkt wie auch Ziel der verfassungsfeindlichen Bedrohung im Verteidigungsbereich liegen. Für alle anderen Fälle sind die (allgemeinen) Verfassungsschutzbehörden zuständig. Daß sich trotz dieses Abgrenzungsversuchs durchaus noch Zuständigkeitsüberschneidungen ergeben können, ist schier unvermeidbar und wurde vom Gesetzgeber durchaus billigend in Kauf genommen.^
56 Walde, S. 133; Gusy, M A D , S. 64. Kritisch dazu: Schimpf \ S. 55; Bäumler, Der Entwurf eines Gesetzes über den M A D , S. 498. 57 Vgl. BT-Drs. 11/4306, S. 68.
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
2. Abgrenzung Verfassungsschutzbehörden
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— Bundesnachrichtendienst
a) Inlandsaufklärung — Auslandsaufklärung Vor einem anderen Hintergrund vollzieht sich die Aufgabenabgrenzung zwischen den Verfassungsschutzbehörden, insbesondere dem BfV, und dem BND. Als richtungsweisend erscheint hier die Auftragsnormierung in § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG: Danach hat der BND Erkenntnisse über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, zu sammeln und auszuwerten. In Verbindung mit der Allgemeinen Dienstanweisung für den BND» muß daraus der Schluß gezogen werden, daß der Dienst keine inlandsbezogenen Erkundungen unternimmt. Obzwar er selbstverständlich auch im Bundesgebiet operieren und unter den Voraussetzungen des § 2 BNDG dort auch Informationen erheben darf, haben sich all seine Bemühungen nur auf die Aufklärung des Auslandes zu konzentrieren. 59 Innerhalb dieser Grenzen eröffnet sich für den BND indes ein enorm breites Betätigungsfeld. Denn welche Informationen aus dem Ausland, die der Dienst erhascht, ließen sich nicht als - zumindest potentiell - bedeutungsvoll für außen- oder sicherheitspolitische Belange der Bundesrepublik bezeichnen? Diese beiden Belange stellen zwar die Grenze für die Aufklärung durch den Dienst dar - Informationen ohne jeglichen Bezug zur Bundesrepublik sind für ihn daher tabu -, die internationale Vernetzung der modernen Staaten und Gesellschaften wird aber bei sehr vielen Sachverhalten die Herstellung irgendeiner Beziehung zur Bundesrepublik ermöglichen. Zugegebenermaßen wird es hierbei eine Abstufung nach Dringlichkeiten geben, die in Anbetracht der Fülle an Informationen, die dem Dienst allein schon aus offenen Quellen zufließen, auch als zwingend notwendig erscheint. So versteht es sich von selbst, daß die "Augen und Ohren" des Dienstes weit stärker in Richtung des Nahen und Mittleren Ostens als beispielsweise in Richtung Neuseeland oder Papua-Neuguinea geöffnet sein werden. Im übrigen obliegen alle Aufklärungsabstufungen der Leitungsebene des BND bzw. der politischen Führung in Bonn.
b) Verfassungsschutz im Ausland? Legt man die Maxime der Auslandsgerichtetheit der BND-Aufklärung den weiteren Überlegungen zugrunde, so zeigt sich mit logischer Zwangsläufig58 V . 04. 12. 1968; abgedruckt in BT-Drs. 7/3246, S. 47, und bei Roewer, § 1 PKKG, Rdnr. 16. Vgl. näher oben, Α. Π. 2. c) bb)!
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3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
keit, daß demgegenüber der Aufklärungsauftrag der Verfassungsschutzbehörden und vor allem des BfV auf das Bundesgebiet beschränkt sein muß.® Daran vermag auch die sehr offen geratene Formulierung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG nichts zu ändern, die dem Wortlaut nach keine ausdrückliche Beschränkung der Extremismusbeobachtung auf das Inland enthält. Denn anderenfalls käme es zu einer Vermengung der gesetzlichen Aufgabenbereiche der Verfassungsschutzbehörden und des BND. Daher dürfen die Verfassungsschutzbehörden nicht etwa Erkundungen von Bestrebungen im Ausland mit der Begründung an sich ziehen, diese seien verfassungsfeindlich und unterfielen somit § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG. Vielmehr wird auch dieser Bereich von Aktivitäten im Ausland, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung sowie gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten, umfassend vom BND aufgeklärt. Denn auch solche Aktivitäten im Ausland berühren außen- und vor allem sicherheitspolitische Belange der Bundesrepublik und lassen sich daher problemlos unter den weiten Aufgabenbereich des Dienstes nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG subsumieren.
c) Grenzüberschreitende Sachverhalte Wesentlich schwieriger wird die Aufgabenabgrenzung bei sog. grenzüberschreitenden Sachverhalten, d. h. bei gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen im Bundesgebiet, die Verbindungen zum Ausland aufweisen. In der nachrichtendienstlichen Praxis werden solche Mischtatbestände häufiger vorkommen. Bis zur jüngsten Vergangenheit war dies beispielsweise hinsichtlich der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) oder der Rote-Armee-Fraktion (RAF) der Fall, die über Jahre hinweg aktiv und nicht nur finanziell durch die DDR unterstützt wurden. Dem Grundsatz nach ist sicherlich auch hier davon auszugehen, daß solche Aktivitäten, soweit sie sich im Inland abspielen, der Zuständigkeit der Verfassungsschutzbehörden unterfallen, alle anderen Tätigkeiten jedoch vom BND überwacht werden. Bis zur letzten Konsequenz läßt sich eine solche Aufgabentrennung indes schwerlich durchhalten. Denn oftmals wird die Inlands- mit der Auslandsaufklärung korrelieren: Für die Beobachtung von Sachverhalten im Inland werden Erkenntnisse über das Ausland erforderlich sein und umge-
6° Dies ergibt sich freilich auch aus anderen Überlegungen, vgl. oben, I. 1. a) und b)! 61 Zur Entstehungsgeschichte dieser Norm und einem möglichen redaktionellen Versehen vgl. Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 13 und 53. Vgl. auch bereits oben, I. 1. a) bb)!
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
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kehrt; trennscharfe Abgrenzungslinien sind hier demnach kaum aufzuzeichnen.« Für eine befriedigende Lösung dieser Zuständigkeitskollisionen zeichnet sich m. E. folgender Ausweg ab: Zu Beginn aller Abgrenzungen muß die Ausgangsdevise wiederholt werden, wonach die Verfassungsschutzbehörden inlandsbezogene Aktivitäten aufklären, der BND ausländische Vorgänge. In diesem Rahmen werden die Verfassungsschutzbehörden ihre Aufklärungsoperationen weiterhin stets nur innerhalb des Bundesgebietes durchführen, der BND hingegen grundsätzlich überall. In jedem Falle unzulässig wäre aber eine Aufklärung von inländischen Sachverhalten durch den BND, die keinerlei Verbindung zum Ausland aufweisen. 63 Ausgehend von diesen Prämissen ist oberstes Gebot für eine wirkungsvolle Beobachtung grenzüberschreitender Sachverhalte die ständige Abstimmung der verschiedenen Nachrichtendienste. Nur durch permanente Kontaktpflege, die sich selbstverständlich im gesetzlich vorgegebenen Rahmen zu halten hat, kann die unter Effektivitätsgesichtspunkten nachteilige organisatorische und funktionelle Trennung in verschiedene, selbständige Behörden ausgeglichen werden. 64 Auf die bei dieser engen Zusammenarbeit relevanten und erforderlichen Übermittlungsbefugnisse wie auch auf einige grenzüberschreitende Sachverhalte wie ζ. B. den internationalen Waffen- und Technologietransfer u. dgl. wird weiter unten noch ein näherer Blick zu werfen sein.65
d) Insbesondere Spionageabwehr und Gegenspionage aa) Ausgangslage Einen besonderen Ausschnitt von grenzüberschreitenden, gemischten Aufklärungstatbeständen bildet das Aufgabenpaar Spionageabwehr und Gegenspionage, das im Gesetz in dieser Form freilich keine ausdrückliche Erwähnung findet. Gleichwohl unterfallen beide Tätigkeiten in geradezu klassischer Weise dem nachrichtendienstlichen Auftrag und werden in allen bundesdeutschen Geheimdienstgesetzen stillschweigend oder verschwommen mitgere-
«
Vgl. dazu auch Gusy, BND, S. 278. So auch Gusy, ebd.; vgl. oben, Α. II. 2. c). 64 Freilich soll hier nicht verschwiegen werden, daß diese Trennung der bundesdeutschen Nachrichtendienste auch ihre unabweislichen Vorteile aufweist: Sie verhindert eine Zusammenballung von Aufgaben und Befugnissen zu undurchschaubarer Machtfulle und steht somit im Dienste der demokratischen Kontrolle und letztlich der Verwirklichung von Grundrechten. Vgl. hierzu naher Friesenhahn, Die Kontrolle der Dienste, a.a.O. 65 S. zu den einzelnen "Schnittpunktstellen" unter E., zu den Ubermittlungsbefugnissen sogleich unter Β. ΙΠ. 2. bis 6.! 63
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3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
gelt.« Bereits weiter oben wurden die Begriffe im einzelnen näher beleuchtet und definiert. 67 So richtet sich die Spionageabwehr auf die Bekämpfung aggressiver fremder nachrichtendienstlicher Tätigkeiten, Gegenspionage hingegen auf die offensive Erforschung und Steuerung gegnerischer Geheimdienste.« Es bedarf nicht allzu großer Phantasie, um sich vorzustellen, daß in vielen Aufklärungssituationen Spionageabwehr und Gegenspionage ineinander übergehen bzw. zumindest chronologisch oder sachlich eng zusammenhängen.69 Denn wenn die Spionageabwehr beispielsweise den Agenten einer fremden Macht enttarnt hat, erscheint es oft inopportun, ihn unverzüglich den Strafverfolgungsorganen zu überantworten;το besonnener ist unter Umständen der Versuch, ihn "umzudrehen", d. h. für den eigenen Nachrichtendienst zu "überwerben" und ihn als Doppelagenten in der Gegenspionage einzusetzen, der nun für Zwecke des eigenen Nachrichtendienstes seine ursprünglichen Auftraggeber auskundschaftet, sei es zur reinen Erkenntnisgewinnung ( = "Abschöpfen") oder sogar zu deren Steuerung.7i Das Wissen eines derartigen "Counter-Man"72 am richtigen Ort vermag in vielen Fällen
66 So die Spionageabwehr in § 3 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG, § 2 Abs. 2 M A D G und § 2 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BNDG; die Gegenspionage wird von § 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG mitumfaßt. 67 S. oben, Α. Π. 2. a)! 68 Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 63 ff. 60 So auch Roewer, § 1 PKKG, Rdnr. 18. 70 Vgl. auch unten, 4. Teil, C. I. 3.! Strafrechtliche Probleme, die hier allerdings nur am Rande erwähnt sein sollen, wirft dieses Vogehen in zweierlei Hinsicht auf: (1) Dadurch, daß die maßgeblichen Mitarbeiter des "überwerbenden" Nachrichtendienstes die Anzeige bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft unterlassen, konnten sie sich wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten nach § 138 Abs. 1 Nr. 3 StGB schuldig machen. In aller Regel wird der Tatbestand jedoch nicht (mehr) erfüllt sein, da ein enttarnter Agent keine staatsschutzrechtlichen Straftaten mehr "vorhat" oder "ausfuhrt", sondern die Delikte bereits beendet haben wird; vgl. Eduard Dreher/ Herbert Tröndle, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 45. Auflage, München, 1991, § 138, Rdnr. 4. Oder aber die betreffenden Mitarbeiter sind nach § 139 Abs. 4 Satz 1 StGB straffrei, weil sie die Ausführung oder den Erfolg der Tat anders als durch Anzeige abwenden. Im übrigen ließ § 1 1 Abs. 2 ZAR 1973 einen Aufschub der polizeilichen bzw. staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu, wenn dies aus operativen oder sonst gewichtigen Griinden angezeigt ist. (2) Bei der "Übeiwerbung" soll ab und an auch verstärkt Druck auf den enttarnten Agenten ausgeübt werden, so ζ. B. durch Drohung mit Strafverfolgung oder anderen persönlichen Nachteilen. Bei der Frage nach einer möglichen Strafbarkeit der "überwerbenden" Mitarbeiter wegen Nötigung gem. § 240 StGB wird es um das Problem der Rechtswidrigkeit gehen. Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 158, verneint sie ohne weitere Begründung. M . E. ist müßte die Frage eines Rechtfertigungsgrundes bzw. der Verwerflichkeit des § 240 Abs. 2 StGB im Einzelfall gesondert geprüft werden. - Vgl. zu diesem Komplex auch Rieger, Nachrichtendienst und Rechtsstaat, S. 5, und ausführlich Friedrichs, S. 153 ff., speziell zur "V-Mann"-Problematik. 71 Derartige Taktiken beschreibt bereits Sun Tse um 350 v. Chr. in seiner "Kunst der Kriegsführung" und spricht dabei von "zurückkehrenden Spionen"; vgl. Kaltenbrunner, S. 54 f. 72 Näher zum "Counter-Man" ( = CM): Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 157 ff.; Schwagerl, S. 186; Guido Körte, Einsatz und Führung von verdeckt arbeitenden Beamten (UCA) durch die Behörden für Verfassungsschutz, Köln, 1985, S. 25 m.w.N.
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
251
große Enttarnungserfolge fur die eigene Spionageabwehr herbeizufuhren. 73 Insofern wird es also nach erfolgreicher Spionageabwehr oft angezeigt sein, sofort "zum Angriff überzugehen" und die Gegenspionage zu beginnen.
bb) Zuständigkeiten
der bundesdeutschen Nachrichtendienste
Besieht man sich vor diesem Hintergrund die Aufgabenverteilung der bundesdeutschen Nachrichtendienste näher, so fällt auf, daß es in vielen Fällen zu einer Funktionsinkongruenz kommen wird. Denn für die Spionageabwehr sind gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG die Verfassungsschutzbehörden zuständig, während die Gegenspionage dem BND obliegt, soweit sie für die Auslandsaufklärung von Bedeutung ist, der gegnerische Geheimdienste regelmäßig unterfallen. Eine andere Abgrenzung nimmt freilich Gusy vor: 74 Er faßt alle Tätigkeitsinhalte defensiver und offensiver Natur zusammen und knüpft für eine Differenzierung an den Ort an, an welchem die geheimdienstlichen Aktionen der gegnerischen Dienste stattfinden. Spionageabwehr und Gegenspionage im Inland wären somit Sache der Verfassungsschutzbehörden, im Ausland hätte sich der BND damit zu befassen. Dies wird der neuen Gesetzeslage indes nicht mehr vollends gerecht: Gem. § 2 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BNDG betreibt der BND eigensichernde Spionageabwehr, zu der er ausdrücklich auch im Inland befugt ist (arg. § 1 Abs. 2 Satz 2 BNDG). Aber auch Maßnahmen der auslandsgerichteten Gegenspionage durch den BND im Inland erscheinen jedenfalls von vornherein nicht gänzlich ausgeschlossen, was mit etwas Phantasie ein Blick auf § 2 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 BNDG beweist. 75 Zum anderen wäre es zumindest gewagt, die Gegenspionage in § 3 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG als Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden hineinzulesen. Völlig ausgeschlossen wäre dies zugegebenermaßen zwar nicht, da auch und insbesondere die Gegenspionage eine Methode darstellt, um "sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fur eine fremde Macht" im Geltungsbereich des BVerfSchG aufzuklären. Ist dieses Ziel aber erreicht, müßten sich die Verfassungsschutzbehörden jeglicher weiterer Informationssammlung an der Quelle über ausländische Angelegenheiten mit dem Hinweis auf ihren beschränkten inlandsgerichteten Aufgabenbereich enthalten^ - ein kurioses Ergebnis! Zu dessen Vermeidung wird doch eher davon auszugehen sein, daß die Gegenspionage jedenfalls dem Grundsatz nach dem 73 So ζ. B. im Fall des HV/l-Doppelagenten Werner Stiller, der dem BND 1979 wertvolle Informationen über die DDR-Spionage lieferte, vgl. dazu DER SPIEGEL, Hefte 13 - 15 und 22/1992. 74 Gusy, BND, S. 279. 75 Ebenso, nur zur alten Rechtslage, Schimpff, S. 60. 76 Das Aufklärungsfeld des Verfassungsschutzes ist bei der Spionagebekämpiung nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG auf das Bundesgebiet beschränkt, was sich fur eine erfolgreiche Gegenspionage als unzureichend erweist.
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3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
BND obliegt, soweit damit irgendeine Form der Auslandsaufklärung verbunden ist. Andererseits ist Spionageabwehr i. d. R. Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden. Einen Ausnahmefall stellt freilich die eigensichernde Spionageabwehr innerhalb des BND dar, die nach § 2 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BNDG dem Dienst selbst überantwortet ist.
cc) Vermeidung
von Reibungsverlusten
Nach den aufgestellten Grundsätzen wäre ζ. B. der Fall denkbar, daß von der Spionageabwehr des BfV enttarnte Agenten erst von dort, d. h. regelmäßig von Köln, zum BND nach Pullach vermittelt werden müßten - in derartig heiklen Situationen ein aufwendiges und erfolgsgefährdendes Unterfangen! Als Ausweg böte sich daher unter Berücksichtigung der gesetzlichen Zuständigkeiten an, das BfV solange und soweit auch mit der Gegenspionage zu betrauen, wie dies in den Grenzen des § 3 Abs. 1 BVerfSchG zulässig ist: also zum Schutze von Bund und Ländern und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie zur Abwehr von Spionagetätigkeiten, unter Umständen auch im Ausland, aber jeweils unter der Bedingung, daß die Aufklärungsrichtung des Amtes auf das Inland bezogen bleiben muß. Bei einer solchen Praxis würde sich die Gegenspionage des BND freilich - gesetzeskonform in den meisten Fällen an die eigensichernde Spionageabwehr anschließen und keine generelle Aufgabe des Dienstes mehr sein. Im übrigen lassen sich Reibungsverluste in den angedeuteten unvermeidlichen Kollisionslagen nur durch eine extrem enge Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden mit dem BND vermeiden, 7 7 Erreicht wird diese Kooperation einerseits durch die Arbeit des Koordinators für die Nachrichtendienste im Bundeskanzleramt, ή andererseits durch gesetzlich angeordnete Übermittlungs- und Benachrichtigungsbefugnisse und -pflichten der Nachrichtendienste untereinander, auf die weiter unten noch zurückzukommen sein wird.™
dd) Vor- und Nachteile gesetzlicher Normierung Gleichwohl muß festgehalten werden, daß grenzüberschreitende Sachverhalte und insbesondere die Verquickung von Spionageabwehr und Gegen-
77 Zum selben Eigebnis kommt Schimpff, S. 60, mit Verweis auf die Feststellungen des Gui/Zaumi-Untersuchungsausschusses, BT-Drs. 7/3246, S. 48. 78 D. h. des Staatsministers beim Bundeskanzler, s. ο., Α. II. 1. a)! 79 Im diesem Sinne schrieb § 4 Satz 1 der Zusammenarbeitsrichtlinien 1973 (ZAR) eine "vertrauensvolle Zusammenarbeit" vor. Nach Erlaß der Geheimdienstgesetze dürften die ZAR in dieser Form jedoch keine Geltung mehr beanspruchen.
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
253
Spionage auf Funktionskollisionen zwischen den Verfassungsschutzbehörden und dem BND geradezu angelegt sind. Derartige Aufgabenüberschneidungen sind zwar in allen Staaten zu erwarten, die mehrere Geheimdienste unterhalten - und das ist die überwiegende Mehrzahl. Allerdings stehen dort einer extrem engen Zusammenarbeit meist keinerlei rechtliche Schranken im Wege. In der Bundesrepublik wurde die nachrichtendienstliche Materie 1990 relativ umfassend normiert. Dies war und ist unter Datenschutzgesichtspunkten sicherlich sehr begrüßenswert, trägt zu einer "Demokratisierung" der Dienste bei und hilft so, das Mißtrauen der eigenen Bevölkerung gegenüber der scheinbar allmächtigen Überwachung abzubauen. Andererseits stößt eine wohlmeinende Gesetzgebung dort an Grenzen, wo die Effektivität der Nachrichtendienste durch rechtliche Kautelen über Gebühr eingeschränkt wird. 80 Bevor den Diensten so ihre unabdingbaren, wesensmäßigen Handlungsbefugnisse zu verdeckter Aufklärung (s. dazu sogleich) abgesprochen würden, wäre es konsequenterweise klüger, sie insgesamt aufzulösen, wie das DIE GRÜNEN seit Jahren fordern, 81 um nicht sinnlos Steuergelder einzusetzen, die anderswo dann vielleicht dringender zu verwenden wären.
3. Abgrenzung Bundesnachrichtendienst
— Militärischer
Abschirmdienst
a) Abgrenzung nach dem Aufklärungsziel Die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen BND und M A D lehnt sich an diejenige zwischen BND und Verfassungsschutzbehörden an.82 Dies rührt daher, daß der M A D die Verfassungsschutzbehörde des bundesdeutschen Verteidigungsbereichs verkörpert. Für eine Faustregel ist also auch hier auf das Aufklärungszte/ abzustellen: Der BND beobachtet das Ausland, der M A D das Inland, genauer gesagt: den Verteidigungsbereich - die Bundeswehr i. w. S.w
80 Kritisch zur Diskussion "Sicherheit vor Datenschutz" Schwagerl, S. 141 f. m.w.N., der mit beachtlichen Argumenten betont, Sicherheit sei kein Wert an sich, sondern stünde mit dem Datenschutz in einem komplementären Verhältnis. 81 BT-Drs. 11/6249, 11/6304 und 11/7235; Stenographische Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 191. Sitzung ν. 25. 01. 1990, S. 14747. œ Vgl. oben, I. 2. a) und b)! 83 Dazu müssen hier auch die zivile Bundeswehrverwaltung und sonstige Einrichtungen im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung zählen, vgl. oben, I. 1. d) aa)!
254
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
b) Bedrohung der Bundeswehr aus dem Ausland Auf den Ort der Informationsgewinnung kann es demnach nicht ankommen, 84 da es, wie oben dargestellt, durchaus denkbar ist, daß der M A D die Streitkräfte auch im Ausland abschirmt. Allerdings wird dies die Ausnahme darstellen - Aufklärung des Auslandes im Ausland ist unangefochten das Metier des BND. Erlangt dieser nun aus seinen Informationen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, daß im oder vom Ausland geheimdienstliche oder sonst sicherheitsgefährdende Aktivitäten gegen die Bundeswehr unternommen werden, so ist damit der Aufgabenbereich des M A D noch nicht eröffnet. Denn nach § 1 Abs. 1 M A D G darf der Dienst nur Angriffe aufklären, die aus dem bundesdeutschen Verteidigungsbereich heraus gegen denselben geführt werden. Mithin wäre die weitere Beobachtung in Abstimmung mit den Verfassungsschutzbehörden, insbesondere dem BfV, zu koordinieren. Nur im Falle direkter ausländischer Spionagebestrebungen gegen den M A D ist dessen Zuständigkeit nach § 2 Abs. 2 MADG gegeben. In beiden Fällen muß der BND den M A D aber im erforderlichen Maß unterrichten, worauf später noch einzugehen sein wird.»*
c) Spionageabwehr und Gegenspionage Auch bei Spionageabwehr und Gegenspionage verläuft die Abgrenzung zwischen M A D und BND ähnlich wie die Aufgabenverteilung zwischen Verfassungsschutzbehörden und BND. Hat der M A D in seinem Zuständigkeitsbereich nach § 1 Abs. 1 oder § 2 MADG einen Agenten enttarnt, so muß er ihn für Zwecke der auslandsgerichteten Gegenspionage grundsätzlich an den BND "übergeben", wobei personell und logistisch ebenso zu verfahren sein wird wie zwischen Verfassungsschutzbehörden und BND. D. h., daß auch hier eine "vertrauensvolle Zusammenarbeit" gem. dem alten § 4 Satz 1 ZAR 1973 stattfinden wird.
84 So auch Gusy, M A D , S. 63. 85 Zum Unterrichtungsrecht s. sogleich unter III. 4. b)!
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
255
Π. Gemeinsamkeiten bei den Befugnisnormen — das nachrichtendienstliche Mittel
Nach der Abgrenzung der bundesdeutschen Nachrichtendienste hinsichtlich der einzelnen Aufgabenbereiche ist zu untersuchen, ob sich auch innerhalb der jeweiligen Befugnisnormen Unterschiede ergeben.
L Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden a) Bundesamt fur Verfassungsschutz Die Befugnisse des BfV zur inforrnationsbeschqffung sind in § 8 Abs. 2 bis 4 und § 9 BVerfSchG geregelt, diejenigen fur die Verarbeitung der bereits beschafften Informationen in den §§ 10 bis 14 BVerfSchG. § 8 Abs. 1 und 5 BVerfSchG bringt allgemeine Grundsätze zum Ausdruck. Gegenüber der alten Rechtslage (§ 3 Abs. 3 und 4 BVerfSchG a. F.) hat hier, bedingt durch den Datenschutz und die dogmatische Anerkennung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, eine enorme Fortentwicklung stattgefunden. ^ Spezielle Befugnisnormen hinsichtlich der Brief-, Post- und Fernmeldeüberwachung enthalten die §§ 1 ff. G 10 - mit Ausnahme des § 3 G 10, der lediglich dem BND zusteht, was sich aus § 4 Abs. 2 Nr. 2 G 10 ergibt. Bei der Beschaffung von Informationen spielt vor allem das nachrichtendienstliche Mittel der heimlichen Informationsbeschaffung eine große Rolle, 87 dessen Rechtseingriffscharakter durch die §§8 Abs. 2 und 9 BVerfSchG näher legitimiert wurde. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung soll indes auf die Darstellung der Unterscheidung der einzelnen nachrichtendienstlichen Mittel und vor allem auf die damit verbundene und vielfach diskutierte Problematik ihrer grundrechtsrelevanten Auswirkungen nicht näher eingegangen werden, da dies für die hier allein interessierende Thematik der behördenorganisatorischen Abgrenzung nichts weiter hergibt, 8 8
86
Vgl. dazu sogleich unten, III. 1. b) und c)! Eingehender Uberblick über die verschiedenen nachrichtendienstlichen Mittel bei Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 136 ff.; Borgs/Ebert, § 3 BVerfSchG, Rdnrn. 140 ff. (156 ff.); Ritter, S. 34 ff. - S. auch Gusy, Die Rechtsstellung der Nachrichtendienste, S. 298 ff. 88 Aus der Fülle der einschlagigen Literatur seien vor allem erwähnt: Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz, a.a.O.; Schatzschneider, S. 77 ff.; Schimpf,\ S. 63 ff.; Jürgen Vahle, Polizeiliche Aufklärungs- und Observationsmaßnahmen (unter Berücksichtigung der Tätigkeit des Verfassungsschutzes), Bielefeld, 1983, S. 126 ff. - Zur neuen Rechtslage ausfuhrlich: Gusy, Befugnisse des Verfassungsschutzes ..., a.a.O. 87
256
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
b) Landesverfassungsschutzbehörden Die Befugnisse der Landesverfassungsschutzbehörden zur Informationserhebung wie auch zur Informationsverarbeitung sind nicht im BVerfSchG normiert: Die §§ 8 ff. BVerfSchG beziehen sich, wie bereits die Abschnittsüberschrift besagt, nur auf das BfV. Dies ist auf die beschränkte Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes nach Art. 73 Nr. 10 GG zurückzuführen, die sich nur auf die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder bezieht, wäre eine Befugnisvorgabe für die Landesverfassungsschutzbehörden verfassungsrechtlich auch sehr problematisch gewesen.^ Eine Ausnahme bildet wiederum das G 10, das als Bundesgesetz auch den Landesverfassungsschutzbehörden Befugnisse zum Eingriff in Art. 10 GG einräumt. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes beruht hier neben Art. 73 Nr. 10 vor allem auf Art. 73 Nr. 7 GG, was eine andere verfassungsrechtliche Ingerenzberechtigung des Bundes mit sich b r i n g t . » Die Länder haben die Befugnisse ihrer Verfassungsschutzbehörden in Landesgesetzen geregelt. Diese landesrechtlichen Ermächtigungen kommen auch dann zur Anwendung, wenn die Landesverfassungsschutzbehörden Aufgaben nach Bundesrecht, also insbesondere gem. § 3 BVerfSchG, wahrnehmen.9i Substantiell zeigen sich bei einem Vergleich zwischen bundes- und landesrechtlichen Befugnisnormen jedoch im Ergebnis keine gravierende Unterschiede. Vor allem die modernen Landesverfassungsschutzgesetze kommen dem BVerfSchG inhaltlich wie aufbaumäßig sehr nahe, da sie auf denselben rechtsdogmatischen Erkenntnissen beruhen.
2. Befugnisse des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes Einfacher ist der Befugnisvergleich zwischen dem BfV einerseits sowie dem M A D und dem BND andererseits. Denn die Befugnisnormen in beiden Spezialgesetzen begründen keine eigenständigen Rechtfertigungen für Rechtseingriffe bei der Informationsbeschaffung und -Verarbeitung, sondern verweisen in Bausch und Bogen auf die entsprechenden Normen des BVerfSchG.
89 Vgl. dazu auch Gusy, Bundes- und Landeskompetenzen ..., S. 204. S. i. ü. oben, 2. Teil, Α. IV. 6.! 90 Zur Gesetzgebungskompetenz s. Roewer, Einl. zum G 10, Rdnr. 7 f. 91 So ausdrücklich z. B. Ait. 21 BayVSG; § 3 Abs. 6 HessVSG.
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
257
a) Militärischer Abschirmdienst Für den M A D ergibt sich dies aus den §§ 4 Abs. 1, 5, 6 Abs. 1, 7, 8 und 9 MADG. Eine Ausweitung der Befugnisse des M A D besteht lediglich bei Speicherung von Daten Mindeijähriger nach § 6 Abs. 2 MADG, der über den § 11 BVerfSchG hinausgeht. Begründet wird diese weitgehende Befugniskongruenz kraft Verweisungstechnik mit dem Ziel, dem M A D als Verfassungsschutzbehörde der Bundeswehr bei gleicher Aufgabe die gleiche Befugnis zur Seite zu s t e l l e n . « Auch in bezug auf die Eingriffsrechte zur Brief-, Post- und Fernmeldeüberwachung haben BfV und M A D nach den §§ 1, 2 und 4 bis 8 G 10 identische Befugnisse.
b) Bundesnachrichtendienst Für den BND gilt im Grundsatz nichts anderes als für den MAD: Auch hier verweisen die §§ 3 bis 6 BNDG auf die §§ 8 bis 14 BVerfSchG als " Muttergesetz"w, ohne daß sich wie dort Ausnahmen hinsichtlich des Mindeijährigenschutzes ergäben. Sinn der Verweisung war hier vor allem eine ebenso solide Gewährleistung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wie im BVerfSchG.w Auch i. R. d. Beschränkungen des Post- und Fernmeldeverkehrs hat der BND - wie die Verfassungsschutzbehörden und der M A D - die Befugnisse der §§ 1 und 2 G 10. Als Spezialermächtigung, die nur dem BND zusteht, kommt allerdings noch die Möglichkeit zur strategischen Fernmeldeüberwachung nach § 3 G 10 hinzu, was sich aus § 4 Abs. 2 Satz 2 G 10 ergibt. w
3. Fazit Bis auf einige Verschiedenheiten im Detail gleichen sich die Befugnisse der bundesdeutschen Nachrichtendienste in weitem Ausmaß; bisweilen sind sie gar völlig identisch. Ein Versuch der Abgrenzung der Dienste untereinander, der die Befugnisse zum Ausgangspunkt nähme, wäre daher von vornher-
92 Vgl. BT-Drs. 11/4306, S. 68. 93 Zur Funktion des BVerfSchG als "Mutteigesetz" s. Heuer, in: Werthebach/Roewer, S. 628. 94 So die Begründung des Regierungsentwurfes, BT-Drs. 11/4306, S. 70. 95 Zur strategischen Kontrolle: Roewer, § 3 G 10; Borgs/Ebert, § 3 G 10. S. auch unten, 4. Teil, Β. V I . ! 17 Gröpl
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3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
ein zum Scheitern verurteilt. Diese weitgehende Kongruenz erscheint im Ergebnis jedoch vernünftig, da im Zentrum geheimdienstlicher Rechtseingriffe eben das sogenannte nachrichtendienstliche Mittel steht, dessen Voraussetzungen und Rechtsfolgen in den §§8 Abs. 2 und 9 BVerfSchG festgelegt sind und dessen Gebrauch schon aus rechtsstaatlichen Gründen fur alle Dienste einheitlich sein soll.
ΠΙ. Zusammenarbeit der Nachrichtendienste
1. Notwendigkeit und zeitgeschichtliche Rechtsentwicklung Recht auf informationelle Selbstbestimmung
—
a) Notwendigkeit der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit — "Fall Guillaume" Aus den bereits dargestellten Kollisionen und Aufgabenüberschneidungen zwischen den bundesdeutschen Nachrichtendiensten wird deutlich, daß gegenseitige Koordination und Kooperation bitter vonnöten ist, um Reibungsverluste zu vermeiden und trotz der organisatorischen Trennung ein effizientes Gesamtkonzept zu erreichen. Dies umso mehr, als immer wieder Informationsdefizite und unzureichende gegenseitige Benachrichtigungen der Nachrichtendienste bekannt werden, die zum Teil weitreichende Folgen zeitigen. Der Fall des A//S-Agenten Guillaume im Bundeskanzleramt zu Beginn der 70er Jahre war in dieser Hinsicht wohl der spektakulärste und tragischste Fall: Wiewohl beim BND und bei anderen Sicherheitsbehörden bereits bei Einstellung Guillaumes ins Bundeskanzleramt gewisse Anhaltspunkte fur eine Spionagetätigkeit bestanden, wurden sie nicht mit dem erforderlichen Nachdruck übermittelt bzw. grob fahrlässigerweise nicht ausreichend beachtet.** Bereits in den 50er Jahren waren Kooperationsrichtlinien ausgearbeitet worden, die die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Nachrichtendiensten und überdies mit den Polizeien und Staatsanwaltschaften regelten, 9 7 1970 und 1973 kam es zu ihrer Überarbeitung und dem Erlaß von neuen Zusam-
96 Vgl. hierzu im einzelnen den Bericht des Gui/Zaumi-Untersuchungsausschusses, BTDrs. 7/3246. 97 Unkeler RichUinien v. 08. 10. 1954; RichUinien tur die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Militärischem Abschirmdienst und Polizei v. 07. 08./ 19. 09. 1958.
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
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menarbeitsrichtlinien (ZAR) 9 8 , die seitdem des öfteren modifiziert wurden. Unter anderem beinhalteten sie Vorgaben fur die Übermittlung von Daten zwischen den einzelnen Behörden. All diese Richtlinien hatten jedoch nicht Gesetzescharakter, sondern waren als bloße interne Verwaltungsvorschriften zu qualifizieren. 99
b) Einfluß des Datenschutzrechts Aufgrund des technischen Fortschritts, vor allem aufgrund der Ermöglichung elektronischer bzw. automatisierter Datenverarbeitung, durchlebte die Rechtswissenschaft in den 70er und 80er Jahren eine rapide Fortentwicklung, in deren Verlauf das Datenschutzrecht eine immer stärkere Bedeutung einnahm. 100 Die damit verbundene (nicht nur juristische) Hauptforderung lief auf Schutzvorkehrungen des Bürgers gegenüber der zügellos erscheinenden Verwendung von erhobenen Einzelangaben über seine Person hinaus. Denn durch die moderne integrierte Computertechnik war und ist die Privatsphäre des einzelnen und sein Recht auf individuelle Bestimmung dessen, was andere über ihn wissen dürfen, gefährdet. Dies vor allem aufgrund der mangelnden Kontrollmöglichkeit des Betroffenen infolge mosaikartiger Kombination von Detailinformationen über ihn und aufgrund der technischen Fähigkeit zu massenhafter Datenverarbeitung. In diesem Zusammenhang steht die dogmatische Entwicklung des "Rechts auf informationelle Selbstbestimmung" aus Art. 2 Abs. 1 i. V. mit 1 Abs. 1 GG und seine höchstrichterliche Anerkennung im Volkszählungsurteil des BVerfG. m Ergebnis dieses Wandels war insbesondere, daß der Staat private Informationen über individualisierte bzw. individualisierbare Personen102 nicht in beliebiger Weise sammeln, verarbeiten, speichern oder weitergeben dürfe, da auch diese meist nicht-imperativen hoheitlichen Maßnahmen Rechtseingriffe darstellen.103
98 RichUinien für die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden, des Bundesnachrichtendienstes (BND), der Militärischen Abschirmdienstes (MAD), der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden ν. 18. 09. 1970, Neufassung v. 23. 07. 1973. 99 Zu der umstrittenen Rechtsnatur sowie zu den verschiedenen Arten, Funktionen und Rechtswirkungen von Verwaltungsvorschriften s. im einzelnen Maurer, § 24 m.w.N. 100 Konzise Übersicht bei Schwagerl, S. 139 ff. 101 BVerfGE 65, 1 (42 ff.). Dazu: Scholz/Pitschas, S. 11 ff. 102 Vgl, dazu di e Legaldefinition der personenbezogenen Daten in § 3 Abs. 1 BDSG: Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. 103 BVerfGE 65, 1 (43 ff.); Usken, S. 1483 ff. Grundlegend: Evers, Privatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz, a.a.O. Vgl. auch Schmipff\ S. 93 ff.; Schatzschneider, S. 112.
260
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
c) Auswirkungen auf das Nachrichtendienstrecht — gesetzliche Normierung des Informationsaustauschs Diese Entwicklung hatte auch Auswirkungen auf den Informationsaustausch zwischen den bundesdeutschen Nachrichtendiensten, der einer kritischen Beurteilung unterzogen wurde und dessen unbegrenzte Weite auf Ablehnung stieß. 104 Aus der sog. "Abhörentscheidung" des BVerfG entsprang so unter anderem das Zweckbindungsprinzip, d. h. das Gebot fur Nachrichtendienste und andere Behörden, die von dritter Seite übermittelten personenbezogenen Informationen und Daten nur zu dem vom Absender bestimmten Zweck zu v e r w e n d e n , ιοί Die "Radikalenentscheidung" des BVerfG legte ferner fest, daß personenbezogene Daten nicht willkürlich und unbegrenzt gesammelt werden dürfen, sondern daß Erhebungszweck und Erhebungsgrund einander entsprechen müssen. io6 Schließlich war vor dem Hintergrund des Vorbehalts des Gesetzes vor allem die rechtliche Grundlage für den Austausch personenbezogener Informationen - bis dahin meist untergesetzliche verwaltungsinterne Rechtssatze - verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. 107 Denn in der Rechtswissenschaft kristallisierte sich nach und nach heraus, daß insbesondere auch die Übermittlung von Informationen einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. 108 Nach mehreren erfolglosen Anläufen des Gesetzgebers wurden die Übermittlungsund Unterrichtungsbefugnisse zwischen den Nachrichtendiensten, aber auch mit den Polizeien und Staatsanwaltschaften, im Paket der Sicherheitsgesetze Ende 1990 zum ersten Mal umfassend (parlaments-) gesetzlich normiert, 109 Einen Zugang zu ihrem Regelungsinhalt findet man nur im Dickicht der Detailvorschriften der §§ 17 ff. BVerfSchG, 3 und 10 bis 12 M A D G sowie 8 bis 10 BNDG, dessen intellektuelle Undurchdringlichkeit auf den ersten Blick erschreckend wirkt. Dies und ihre schwierige Verständlichkeit ist die eine Seite. Andererseits soll nicht verkannt werden, daß der Vorbehalt des ι 0 4 Aus der Fülle der erschienen Stellungnahmen s. nur: Riegel, Die Tätigkeit der Nachrichtendienste und ihre Zusammenarbeit mit der Polizei, a.a.O.; ders., Entwicklungstendenzen im Polizeirecht und im Recht der Nachrichtendienste, a.a.O.; ders., Grenzen der informationellen Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz, a.a.O.; Lisken, Polizei und Verfassungsschutz; jeweils m.w.N. 105 BVerfGE 30, 1 (22). Das Zweckbindungsprinzip gilt jedoch nicht automatisch, sondern nur kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (vgl. ζ. B. die §§ 14 Abs. 1 Satz 1 und 15 Abs. 3 BDSG sowie 19 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG) 106 BVerfGE 39, 334 (356 f.). 107 Vgl, n u r Riegel, Die Tätigkeit der Nachrichtendienste ..., a.a.O.; ders., Entwicklungstendenzen im Polizeirecht und im Recht der Nachrichtendienste ..., a.a.O.; ders., Grenzen informationeller Zusammenarbeit ..., a.a.O.; jeweils mit weiteren Nachweisen. io» Dazu: BVerfGE 6 5 , 1 (51 und 61); Borgs/Ebert, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 5 m.w.N.; Scholz/Pitschas, S. 184 (FN. 632: zum Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörden) . 109 BGBl. 1990 I S. 2954.
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
261
Gesetzes im Zusammenhang mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot einen solch detaillierten Regelungskomplex wohl erfordert haben mag.
d) Übermittlung und Unterrichtung Im folgenden sollen nun im Überblick diejenigen Einzelnormen herausgestellt werden, die sich mit der Zusammenarbeit der bundesdeutschen Nachrichtendienste befassen. Vorwegzuschicken ist dabei, daß Anknüpfungspunkt der einschlägigen Normen, die den Informationsaustausch zwischen den Nachrichtendiensten regeln, meist die Übermittlung von Daten bzw. Informationen ist. 110 Dieser Begriff ist in § 3 Abs. 5 Nr. 3 BDSG legaldefiniert als "das Bekanntgeben gespeicherter oder durch Datenverarbeitung gewonnener personenbezogener Daten an einen Dritten (Empfänger) in der Weise, daß (a) die Daten durch die speichernde Stelle an den Empfanger weitergegeben werden oder (b) der Empfänger von der speichernden Stelle zur Einsicht oder zum Abruf bereitgehaltene Daten einsieht oder abruft". Zum Teil ist jedoch auch von Unterrichtung die Rede: so in den §§18 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG oder 3 Abs. 3 MADG. Ob sich aus diesen unterschiedlichen Begriffsverwendungen ernsthafte Bedeutungsunterschiede ergeben können, wurde bereits in anderem Zusammenhang ausführlich erörtert, m Das dort gefundene Ergebnis besitzt auch hier Gültigkeit: Im Endeffekt handelt es sich bei den Begriffen "Übermittlung" und "Unterrichtung" - jedenfalls was den vorliegenden Gesetzeskontext anbelangt - um Synonyme; praktisch unterschiedliche Auswirkungen zeitigt weder die eine noch die andere Bezeichnung.112
2. Zusammenarbeit Verfassungsschutzbehörden Militärischer Abschirmdienst
—
a) Allgemeine Zusammenarbeitspflicht § 3 Abs. 1 MADG ordnet pauschal eine Zusammenarbeitspflicht für die Verfassungsschutzbehörden mit dem M A D an, die auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung besteht. Insofern wiederholt diese Vorschrift 110
So z. B. §§ 18 Abs. 2 und 6, 19 bis 26 BVerfSchG, 10 bis 12 M A D G , 8 bis 10 BNDG. 2. Teil, E. IV. 1. e) und 2. c)! 112 Auch aus den Gesetzgebungsmaterialien läßt sich nicht ersehen, ob eine inhaltliche Differenzierung beabsichtigt war. Vgl. z . B . BT-Drs.il/4306, S. 62 ff. und 85 f.; BTDrs. 11/7235, S. 107; BT-Drs. 11/7504, S. 8 ff. 111
262
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
nur die allgemeinere Zusammenarbeitspflicht des § 1 Abs. 2 und 3 BVerfSchG, der seinerseits wiederum auf Art. 73 Nr. 10 GG beruht. 1 1 3
b) Bundesamt fur Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst Beide Bundesbehörden sind fur den Verfassungsschutz i. S. von Art. 73 Nr. 10 GG zuständig: Das BfV als Zentralstelle und allgemein auf Bundesebene, der M A D im Geschäftsbereich des Verteidigungsministers. Daraus rührt auch ihre besonders enge Zusammenarbeit, die in § 3 Abs. 3 M A D G dahingehend ausgeformt wird, daß beide Behörden einander umfassend über alle Angelegenheiten unterrichten müssen, deren Kenntnis für die Erfüllung ihrer Aufgaben jeweils erforderlich ist. Datenschutzrechtliche Beschränkungen lassen sich insoweit nicht erkennen. Dies ist darauf zurückzufuhren, daß die organisatorische Trennung in einen zivilen und einen militärischen Verfassungsschutz rechtlich nicht zwingend notwendig gewesen wäre. Wenn sich der Bundesgesetzgeber dazu aber aus Zweckmäßigkeitsgründen entschlossen hat, so dürfen daraus keine datenschutzrechtlichen Schranken erwachsen, die den angestrebten synergetischen Zweck wieder konterkarieren würden.
c) Landesverfassungsschutzbehörden und Militärischer Abschirmdienst Weniger eng ist die Zusammenarbeit zwischen den Landesverfassungsschutzbehörden und dem MAD: aa) Nach den §§ 21 Abs. 2 i. V. mit 20 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG müssen die Landesverfassungsschutzbehörden dem M A D von sich aus, d. h. unaufgefordert, solche (auch personenbezogenen) Informationen übermitteln, die tatsächliche Anhaltspunkte für eine Aufgabeneröffnung des M A D erkennen lassen. In diesem Rahmen darf der M A D die Landesverfassungsschutzbehörden auch um Informationsübermittlung ersuchen. Das Verfahren bei derartigen nicht-spontanen Unterrichtungen 114, richtet sich im einzelnen nach den datenschutzrechtlichen Kautelen des § 17 Abs. 1 BVerfSchG. bb) Der M A D seinerseits hat keine expliziten Übermittlungsbefugnisse gegenüber den Landesverfassungsschutzbehörden. Allerdings wird auch dieses Verhältnis von der engen Zusammenarbeitspflicht des § 3 Abs. 1 M A D G Vgl. dazu bereits oben, 2. Teil, Α. I V . 2.! m Roewer, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 4, bezeichnet Informationsweitergaben ohne Ersuchen als Spontanübermittlungen. Ähnlich auch Borgs/Ebert, § 4 BVerfSchG, Rdnr. 7.
263
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
umfaßt, die über die Informationsweitergabe indes nichts besagt. Eine Übermittlungspflicht besteht im übrigen nur nach Maßgabe des allgemein gehaltenen und wohl nicht recht auf eine militärische Dienststelle passenden §18 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG. Schließlich kommen die §§11 Abs. 1 M A D G i. V. mit 19 Abs. 1 BVerfSchG zur Anwendung, wonach der Dienst Informationen zur Erfüllung seiner Aufgaben oder fur Aufgaben der Landesverfassungsschutzbehörden zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder fur sonstige Zwecke der öffentlichen Sicherheit übermitteln darf. Für die Landesverfassungsschutzbehörden als Empfänger gilt dabei nach § 19 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG das Zweckbindungsprinzip, d. h. sie dürfen die Informationen nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie übermittelt wurden. 116 Diese restriktivere Ausgestaltung des Informationsaustausches dürfte - neben datenschutzrechtlichen Erwägungen - daher rühren, daß der Bund nicht grenzenlos in Verwaltungsbereiche der Länder " ingerìeren" darf. Gleichwohl finden die getroffenen Pflichten ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung in Art. 73 Nr. 10 GG. 1 1 7 Im übrigen dürften die Berührungspunkte zwischen einzelnen Landesverfassungsschutzbehörden und dem M A D in der Praxis auch von geringerer Häufigkeit sein als die zwischen dem BfV und dem MAD.
3. Zusammenarbeit Verfassungsschutzbehörden Bundesnachrichtendienst
—
a) Bundesamt fur Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst aa) Das BfV hat lt. § 20 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG die Pflicht, dem BND von sich aus all diejenigen (auch personenbezogenen) Informationen zu verschaffen, die dieser für die Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Im selben Umfange darf der BND das BfV auch um die Übermittlung ersuchen. bb) Umgekehrt hat der BND eine Übermittlungspflicht nach § 18 Abs. 1 BVerfSchG i. R. d. Spionageabwehraufgabe des BfV sowie bei der Extremismus- und Ausländeraufklärung, wenn Tatsachen auf die "Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen " schließen 115
Aus dieser Zusammenarbeitspflicht auch eine umfassende Informationsübermittlungspflicht abzuleiten, widerspräche dem Anliegen des neuen BVerfSchG, das die Datenweitergabe gerade ausdrücklich regeln wollte, wie z. B. in § 3 Abs. 3 BVerfSchG geschehen. Damit würde die Diskussion auf den früheren Zustand zurückgeworfen. 116 Zum Zweckbindungsprinzip und zur "informationellen Gewaltenteilung " vgl. Riegel, Grenzen der informationellen Zusammenarbeit ..., S. 122, und oben, ΠΙ. 1. b) und c)!. 117 Zur Bundesingerenz in Landesbereiche s. bereits oben, 2. Teil, Α. I V . 4.!
264
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
lassen. Im übrigen darf der BND nach § 18 Abs. 2 BVerfSchG bei tatsachlichen Anhaltspunkten fakultativ Übermittlungen im Aufgabenbereich des BfV vornehmen.»ι» Außerdem findet § 9 Abs. 1 BNDG, der in dieser Konstellation sonst leerläuft, insoweit Anwendung, als der BND Daten an das BfV zur Erfüllung seiner eigenen Aufgaben oder für Zwecke der öffentlichen Sicherheit übermitteln darf.
b) Landesverfassungsschutzbehörden und Bundesnachrichtendienst aa) Die Landesverfassungsschutzbehörden haben dem BND lt. §§21 Abs. 2 i. V. mit 20 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG unaufgefordert all diejenigen Informationen zu verschaffen, die dieser zu seiner Aufgabenerfüllung braucht. Spiegelbildlich ist der BND zu einem Ersuchen nach den §§21 Abs. 2 i. V. mit 20 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG berechtigt. bb) Für Übermittlungen des BND gegenüber den Landesverfassungsschutzbehörden gilt das gleiche wie gegenüber dem BfV: Eine Unterrichtungspflicht besteht nur in den Grenzen von § 18 Abs. 1 BVerfSchG. Im übrigen bestehen gem. den §§ 18 Abs. 2 BVerfSchG bzw.9 Abs. 1 BNDG fakultative Übermittlungsbefugnisse.
4. Zusammenarbeit Bundesnachrichtendienst Militärischer Abschirmdienst
—
a) Strenger gestaltet sich die gegenseitige Unterrichtung zwischen BND und MAD: Nach den §§11 Abs. 2 MADG i. V. mit 20 (Abs. 1 Satz 3) BVerfSchG muß der M A D dem BND von sich aus all diejenigen Informationen übermitteln, für die nach tatsächlichen Anhaltspunkten der Aufgabenbereich des Empfangers eröffnet ist. Aufgrund des Wortlauts von § 11 Abs. 2 MADG, der nur von Übermittlung, nicht jedoch von Ersuchen spricht, ist nicht ganz eindeutig geklärt, ob der BND den M A D auch um derartige Informationen ersuchen darf. Die Verweisung auf den gesamten § 20 BVerfSchG, also auch auf Abs. 2 Satz 2, spricht jedenfalls dafür. b) Dem Gesagten genau entsprechend gestaltet sich die Unterrichtung des M A D durch den BND: Gem. § 9 Abs. 3 BNDG findet § 20 BVerfSchG entsprechende Anwendung. Iis Diese fakultative Übermittlungsbefugnis betrifft vor allem Informationen aus dem nichtgewaltorientierten Extremismusbereich, vgl. dazu auch BT-Drs. 11/7235, S. 108.
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
5. Nummer IV des Organisationserlasses
265
vom 17. 12. 1984
Neben den Zusammenarbeite- und Übermittlungspflichten und -rechten zwischen den einzelnen Nachrichtendiensten verdient schließlich noch die Nummer IV des Organisationserlasses des Bundeskanzlers vom 17. 12. 1984 Erwähnung. Danach haben, gleichsam auf übergeordneter Ebene, das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium der Verteidigung die Pflicht, den Beauftragten für die Nachrichtendienste - d. h. den Staatssekretär beim Bundeskanzler - über nachrichtendienstliche Verdachtsfalle u. dgl. zu unterrichten, sofern sie bei ihrem Bekanntwerden das Interesse der Öffentlichkeit finden und für den Bundeskanzler von Bedeutung sein könnten. Dieser Erlaß konkretisiert für den Bereich der Nachrichtendienste die allgemeine Informationspflicht gegenüber dem Bundeskanzler gem. § 3 GeschO BReg. Ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung finden diese Vorschriften in der Richtlinienkompetenz und der Gesamtverantwortung des Bundeskanzlers nach Art. 65 Satz 1 GG. Denn steuern und kontrollieren vermag nur, wer zuvor ausreichend über alle relevanten Entscheidungsfaktoren ins Bild gesetzt wurde.
6. Fazit a) Praxiskonformität Betrachtet man den Gesamtkomplex aller Informationsübermittlungsvorschriften im Paket der Sicherheitsgesetze von 1990 unter dem Aspekt der behördlichen Zusammenarbeit, so fällt auf, daß er im wesentlichen der bisherigen nachrichtendienstlichen Praxis entspricht. 120 Da den neuen Regelungen nunmehr aber parlamentsgesetzlicher Rang zukommt, dürfte damit (im Gegensatz zur alten Rechtslage) dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung - zumindest bzgl. der Forderung nach einem hinreichend bestimmten Gesetzesvorbehalt - Genüge getan sein.
120
BGBl. I S . 1689. So auch Bäumler 9 Das neue Geheimdienstrecht des Bundes, S. 645.
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3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
b) Verhältnis zu den bisherigen Zusammenarbeitsrichtlinien (ZAR) Von den bisher geltenden Zusammenarbeitsrichtlinien (ZAR) unterscheiden sich die neuen gesetzlichen Regelungen im Ergebnis hauptsächlich dadurch, daß sie wesentlich komplizierter anzuwenden sind. Ob der Bürger dadurch tatsächlich stärkere datenschutzrechtliche Abwehrpositionen erhalten hat, bleibt abzuwarten. Eine Prognose auf der Grundlage der neuen Geheimdienstgesetze würde i. R. d. vorliegenden Arbeit zu weit führen und entspricht ferner auch nicht ihrem Thema. Gleichwohl ist zu bemerken, daß sich der einzelne nunmehr mit einem Komplex von formellen Gesetzen konfrontiert sieht, den er als Laie nur schwer in seiner Gesamtheit durchschauen und überblicken wird. Es bleibt die bisher und auch hier unbeantwortete Frage, welche gesetzgeberischen Maßnahmen mehr Klarheit und zugleich noch stärkeren Schutz der Privatsphäre erbracht hätten. Da beide Ideale in einem Zielkonflikt zu stehen scheinen, käme eine Lösung wohl der Quadratur des Kreises gleich. Dies letztendlich auch unter dem Gesichtspunkt, daß zu viel Transparenz und Grundrechtsschutz die Effizienz der Nachrichtendienste lahmlegen würden. Vor dem Hintergrund der neuen gesetzlichen Normierungen ist jedenfalls anzunehmen, daß die bisherigen Zusammenarbeitsrichtlinien weitestgehend ihre Bedeutung verloren haben, da sie sich bzgl. der Regelungsmaterie weitgehend mit jenen decken. Damit ist allerdings nicht gesagt, daß in Zukunft keinerlei untergesetzliche Richtlinien und Vereinbarungen mehr vonnöten sein werden. Vielmehr ist wohl davon auszugehen, daß es zu einer grundlegenden Überarbeitung und Anpassung der ZAR kommen wird.
IV. Exkurs: Inhalt der von den Nachrichtendiensten übermittelten Informationen
Die Aufschlüsselung der einzelnen, neu geregelten Übermittlungsbefugnisse zwischen den bundesdeutschen Nachrichtendiensten untereinander wirft beiläufig die Frage auf, welche Qualität die übermittelten Informationen aufweisen müssen und wie der Informationsempfänger mit ihnen zu verfahren hat.
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
267
1. Personenbezogene Daten Der Dritte Abschnitt des BVerfSchG (§§ 17 bis 26) beschäftigt sich vor diesem Hintergrund in erster Linie mit der Handhabung personenbezogener Informationen bzw. Daten. Personenbezogene Daten sind gem. § 3 Abs. 1 BDSG "Einzelangaben über persönliche bzw. sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person". Information ist dabei der Oberbegriff und umfaßt alle personenbezogenen Vorgänge unabhängig von dem Medium, auf dem die Information gespeichert ist. 121 Daten sind indes nur solche personenbezogenen Informationen, die den Bezug zu einer Datei, d. h. zu einer systematischen und katalogisierbaren Informationssammlungi22, aufweisen. 123 Die gesetzgeberische Konzentration auf personenbezogene Informationen unter weitgehender Außerachtlassung sonstiger, nicht-personenbezogener Vorgänge entspricht der rechtswissenschaftlichen Entwicklung. Denn grundsätzlich kann nur die Verarbeitung von Informationen mit Personenbezug einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ihres Trägers darstellen; rein sachbezogene Vorgänge sind dagegen neutral und i. d. R. ohne Grundrechtsrelevanz. 124
2. Behandlung unrichtiger Informationen Das neue BVerfSchG, auf das sowohl das MADG als auch das BND als "Muttergesetz" verweisen, trifft ferner auch Regelungen für den Fall, daß unrichtige Informationen erhoben und übermittelt wurden. Gem. §§12 Abs. 1 und 13 Abs. 1 BVerfSchG haben die Nachrichtendienste solche unrichtigen Informationen zu berichtigen bzw. einen Vermerk anzubringen. Wurden die Informationen bereits übermittelt, so trifft den Übermittler gegenüber dem Empfanger nach § 26 BVerfSchG grundsätzlich eine Nachberichtspflicht, in der die unrichtigen Daten zu berichtigen sind.
121 Vgl. dazu bereits oben, 2. Teil, E. I V . 1. d)! 122 s. dazu genauer die Legaldefinition àtt Datei in § 3 Abs. 2 BDSG. 123 Zur Unterscheidung vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs zum BVerfSchG, BTDrs. 11/4306, S. 60. 124 Vgl. dazu BVerfGE 65, 1 (42 ff.).
268
3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
3. Übermittlung
rechtswidrig
erlangter Informationen?
Keine gesetzliche Regelung findet sich allerdings zu der Frage, welche Behandlung solche Informationen erfahren müssen, die in rechtswidriger Weise erhoben wurden; auch in der Literatur erfuhr diese Fallgestaltung bislang nur wenig Beachtung. 125 Rechtswidrig erlangt sind Informationen dann, wenn der betreffende Nachrichtendienst bei der Erhebung entweder (1) seinen Aufgaben· und Zuständigkeitsbereich überschritten oder (2) für den konkreten Rechtseingriff keine Befugnisgrundlage zur Verfugung hatte oder auch (3) den falschen Adressaten gewählt oder endlich (4) gegen den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen hatte.
a) Gesetzeslücke Die neuen Geheimdienstgesetze stellen die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für die Datenerhebung zwar ausführlich dar (vgl. nur die §§3 und 8 ff. BVerfSchG, 4 MADG oder 1 Abs. 2, 3 BNDG), schweigen sich aber zu der Frage aus, welches Schicksal die Informationen treffen soll, die unter Verstoß gegen ihre Erhebungsvoraussetzungen gewonnen wurden. § 10 BVerfSchG (bzw. in Verweisung die §§ 10 Abs. 1 Satz 1 M A D G oder 4 Abs. 1 BNDG) stellt hier zwar Bedingungen für die Speicherung, Veränderung oder Nutzung personenbezogener Daten auf, schreibt dabei aber lediglich die Aufgabenerfullung als äußeren Rahmen vor ("zur Erfüllung seiner Aufgaben"), besagt jedoch nichts über die rechtmäßige Anwendung und Befolgung der jeweiligen Befugnisnormen und der dabei erlaubten Erhebungsmethoden (§§ 8 ff. BVerfSchG). Ebenso gibt § 12 Abs. 1 BVerfSchG darauf, entgegen dem ersten Anschein, nicht unmittelbar Antwort. Er enthält nur Berichtigunsvorschriften für inhaltlich unrichtige Daten und trifft keine Aussage über rechtswidrig erlangte Daten, die inhaltlich durchaus richtig sein können. Auch die Vorschriften des § 12 Abs. 2 BVerfSchG helfen nicht weiter, da sie nur auf die §§ 10 und 11 BVerfSchG Bezug nehmen: Wenn jene Vorschrift die Löschung bestimmter Daten vorschreibt, so nur dann, wenn deren Speicherung nach den §§ 10 und 11 BVerfSchG unzulässig war. Danach ist die Speicherung - neben den besonderen Vorschriften zum Mindeijährigenschutz - jedoch nur dann unzulässig, wenn bei der Informationserhebung der Aufgabenbereich der Nachrichtendienste verlassen wurde; von einer Befugmröberschreitung ist nicht die Rede. Schließlich lassen auch die Übermitt125 S. Carl-Eugen Eberle , Zum Verwertungsverbot fur rechtswidrig erlangte Informationen im Verwaltungsverfahren, in: Gedächtnisschrift fur Wolfgang Martens (Hrsg.: Peter Selmer/Ingo v. Münch), Berlin/New York, 1987, S. 351 ff.
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und M A D
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lungsverbote der §§23 und 24 BVerfSchG diese Problematik inhaltlich ebenso unbeantwortet wie die Regelungen des über die §§27 BVerfSchG partiell anwendbaren BDSG. b) Beweisverwertungsverbote im Strafverfahrensrecht Auf der Suche nach der passenden Rechtsfolge bei rechtswidrig erlangten Informationen einschließlich personenbezogener Daten bietet sich ein Vergleich zum Strafverfahrensrecht an, wo sich Rechtsprechung und Literatur bereits seit geraumer Zeit mit einem ähnlichen Problem, den sog. Beweisverwertungsverboten, beschäftigen. 126 Zunächst befassen sich auch hier eine Reihe von Vorschriften mit Beweisverwertungsverboten, so die §§69 Abs. 3, 98 b Abs. 3 Satz 3, 100 b Abs. 5, 100 d Abs. 2, 110 e, 136 a Abs. 3 Satz 2, 163 d Abs. 4 Satz 5, 252 StPO oder 393 Abs. 2 AO und 51 Abs. 1 BZRG. Beweisverwertungsverbote aufgrund rechtswidriger Erhebung stellt aber nur § 136 a Abs. 3 Satz 2 StPO auf, auf den § 69 Abs. 3 StPO verweist. Im übrigen ist in der Rechtsprechung jedoch anerkannt, daß ein Rechtsverstoß bei der Beweiserlangung nicht zwangsläufig auch ein Verwertungsverbot nach sich zieht. 127 Allgemeine Grundsätze, geschweige denn eine stringente Dogmatik, sind hier bei weitem noch nicht gefunden. So herrscht im Einzelfall eine verwirrende Kasuistik, die sich auf konkrete Rechtsgüterabwägungen stützt und zum Teil einzelne Grundrechte als Verbotsnormen heranzieht. 12s Selbst wenn im Einzelfall ein Beweisverwertungsverbot bejaht wird, so gilt dies nach überwiegender Meinung grundsätzlich nur für das unmittelbar gewonnene Beweismittel selbst, nicht aber für bloß mittelbar darauf zurückzuführende Beweise. Eine Fernwirkung von Beweisverboten, die der USamerikanischen "fruit of the poisonous tree-doctrine" entsprechen würde, wird insbesondere vom BHG abgelehnt, was freilich nicht unbestritten ist. 129
c) Absolutes Verwertungsverbot? Ob es lohnend erscheint, diese im Fluß befindliche strafprozessuale Diskussion unbesehen auf das Nachrichtendienstrecht zu übertragen, erscheint 126 Vgl. nur Kleinknecht/Meyer, Einl., Rdnrn. 55 ff.; § 100 a StPO, Rdnr. 1; Roxin, § 24, D., jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen auf Literatur und Rechtsprechung. 127 BGHSt 19, 325 (331); 24, 125 (128); 25, 325 (331); 27, 355 (357); 31, 304 (308); 33, 83 (85 ff.); 34, 39 (52); 37, 30 (32). 128 BVerfGE 34, 238 (245); 80, 367 (379 f.); BGHSt 14, 358 (363 ff.); 19, 325 (329); 31, 296 (299 f.); 31, 304 (308). 129 BGHSt 32, 68 (69 ff.); 34, 362 ff.; 35, 32 (34 f.). S. im einzelnen Roxin, § 24, D. I V . , m.w.N. auf die kontroverse Lit.
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3. Teil: Zuständigkeiten und Zusammenspiel der Nachrichtendienste
fragwürdig. 1» Unabhängig davon kam Gusy schon 1980 zu dem Ergebnis, daß rechtswidrig erlangte Informationen weder verarbeitet noch genutzt und insbesondere nicht zu anderen Behörden übermittelt werden dürften, sondern zu vernichten seien. i3i Damit postuliert er ein absolutes Verwendungs- und Verwertungsverbot. Für dieses Ergebnis spricht viel, denn anderenfalls bestünde für die Nachrichtendienste bei ihrer praktischen Arbeit kaum ein Unterschied zwischen rechtmäßiger und rechtswidriger Informationserhebung und -Verarbeitung:^ Im Ergebnis dürften so selbst rechtswidrig erlangte Daten in vollem Umfange verwendet und genutzt werden, womit der minutiös erarbeitete Datenschutz unterlaufen würde. Ein weiteres Argument für ein absolutes Verwendungsverbot ist die Tatsache, daß sich die nachrichtendienstliche Informationserhebung meist im geheimen abspielt und der Bürger daher ohnehin nur unter erschwerten Bedingungen Rechtsschutz gegen rechtswidrige Eingriffe in seine Grundrechte erlangen kann, eben weil er i. d. R. nichts von seinen Rechtsverletzungen erfährt, m Schließlich ein Letztes: Das in den Art. 20 Abs. 3 und 28 Abs. 1 Satz 1 GG zum Ausdruck kommende Rechtsstaatsprinzip fordert von sämtlichen staatlichen Organen, sich bei allen ihren Tätigkeiten an das geltende Recht zu halten. ^ Rechtswidrig erlangte Vorteile darf der Staat danach grundsätzlich nicht gegenüber dem Bürger verwerten oder in sonstiger Weise ausnutzen. So muß es sich auch und gerade mit rechtswidrig erlangten, weil ohne Befugnis gewonnenen Informationen verhalten. Dürften die Nachrichtendienste solche Informationen verarbeiten, so setzten sie den begangenen Rechtsbruch fort; die darauf gestützten Ergebnisse wären ausnahmslos mit dem Makel der Rechtswidrigkeit behaftet. Daraus folgt zwingend, daß solche unrechtmäßig gewonnenen Informationen entsprechend § 12 Abs. 1 BVerfSchG gelöscht werden müssen und keinesfalls an die anderen Nachrichtendienste oder an sonstige Stellen übermittelt werden dürfen.
130 Ähnlich auch Eberle , ebd., S. 354. 131 Gusy, Der Schutz gegen rechtswidrige Informationsermittlung ..., insbes. S. 433 ff.; ders., Das nachrichtendiensüiche Informationssystem, S. 265 f.; ders., Das verfassungsrechUiche Gebot der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten, S. 51; ders., Das gesetzliche Trennungsgebot ..., S. 489 (FN. 58); ebenso auch Schatzschneider, S. 192. - Differenzierter: Eberle , ebd., S. 367, der eine Einzelfallabwägung durch die Verwaltungsbehörden vorzieht und den Gesetzgeber zu einer baldigen Losung dieses Problems auffordert. 132 Legaldefinitionen dieser datenschutzrechtlichen Fachbegriffe finden sich in § 3 BDSG. 133 Ausnahmen sind z. B.: § 9 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BVerfSchG; § 5 Abs. 5 G 10. 134 Differenziertere Lösungen erfordert die Anwendung dieses Grundsatzes freilich auf die rechtswidrige Informationserlangung durch Privatpersonen. Vgl. BVerfGE 66, 116 (135): "Staatsgerichtetheit" - "Drittgerichtetheit" von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.
Β. Abgrenzung und Zuordnung von Verfassungsschutz, BND und
M A D 2 7 1
4. Durchbrechung des Zweckbindungsprinzips Eine Besonderheit ist schließlich noch hervorzuheben: die Abbedingung des in den §§ 14 Abs. 1 und 15 Abs. 3 BDSG verankerten ZweckbindungsprinzipSy also des Verbotes, die übermittelten Informationen und Daten zu anderen als zu den vom Absender bestimmten Zwecken zu verwenden. 135 Denn nach Maßgabe der §§ 27 BVerfSchG, 13 M A D G und 11 BNDG finden die §§ 10 und 13 bis 20 BDSG auf die Tätigkeit der Nachrichtendienste keine Anwendung. Als verfassungsrechtlich bedenklich wird dies von Bäumler krit i s i e r t : ^ Für ihn ist untragbar, daß die Verfassungsschutzbehörden über Daten, die sie nur zum Behufe von Sicherheitsüberprüfungen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG erhalten haben, anschließend "frei" verfugen dürfen. Allerdings sieht auch er, daß das Zweckbindungsprinzip in zahlreichen Einzelvorschriften der Geheimdienstgesetze ausdrücklich (erstmals) eingeführt wurde: so ζ. B. in den §§ 9 Abs. 3 Satz 1,18 Abs. 6, 19 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 4 und Abs. 4 Satz 3 BVerfSchG; 5 und 11 Abs. 1 M A D G sowie 3 Satz 2, 8 Abs. 4, 9 Abs. 1 und Abs. 2 BNDG. Die grundsätzliche Durchbrechung des Zweckbindungsprinzips wird somit weitgehend wieder rückgängig gemacht, was für die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze forderlich erscheint. Mithin dürfte im ganzen gesehen ein tragbarer Kompromiß erreicht sein zwischen dem strengen Zweckbindungsprinzip als Ausfluß der informationellen Gewaltenteilung auf der einen Seite und dem bisher geltenden und viel kritisierten Grundsatz der informationellen Einheit, wonach die Nachrichtendienste die sich bei ihnen befindlichen Informationen für alle ihre Aufgaben verwenden dürfen. 137
135 BVerfGE 30, 1 (22). Vgl. bereits oben, ΠΙ. 1. c)! 136 Bäumler y Das neue Geheimdienstrecht des Bundes, S. 644. 137 So noch Borgs /Ebe rt y § 3 BVerfSchG, Rdnr. 31.
Vierter
Teil
Die Stellung der Nachrichtendienste zu den Sicherheitsbehörden
Es wäre verfehlt zu glauben, daß die Aufgaben, die den bundesdeutschen Nachrichtendiensten obliegen, diesen Behörden stets allein und ausschließlich zugewiesen sind. Im Bereich des Verfassungsschutzes und der Abwehr des Ausländerextremismus verdeutlicht dies schon ein Blick auf die Formulierung des Art. 73 Nr. 10 Buchst, b und c GG, der diese Aufgabe dem Bund und den Ländern in ihrer Gesamtheit, nicht jedoch nur den Verfassungsschutzbehörden, zuordnete Auch darüber hinaus ergeben sich, wie noch einzeln zu zeigen sein wird, mannigfaltige Schnittstellen zwischen den Nachrichtendiensten und anderen staatlichen Stellen, weshalb eine Zuständigkeitsabgrenzung von Aufgabengebiet zu Aufgabengebiet notwendig, wenngleich aber oftmals auch schwierig erscheint.
A. Behörden der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung:
Organisation, Aufgaben und Befugnisse
Um in diese funktionalen Kollisionsfragen tiefer einsteigen zu können, empfiehlt sich vorab ein Überblick über die wichtigsten Behörden der bundesdeutschen Sicherheitsverwaltung i. w. S., die mit den Nachrichtendiensten Berührungspunkte aufweisen können.
1
Vgl. dazu auch Gusy, Das gesetzliche Trennungsgebot..., S. 469.
Α. Behörden der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung
273
I. Vollzugspolizeien und Gefahrenabwehrbehörden der Länder
1. Grobstrukturen Als allgemeine Behörden der Gefahrenabwehr bestehen in den Bundesländern die Vollzugspolizeien und Sicherheits- bzw. Ordnungsbehörden. Grundlage für landesspezifische Regelungen im allgemeinen Sicherheits- und Polizeirecht ist die Residualkompetenz des Art. 30 i. V. mit 70 GG, die aufgrund der Tatsache eingreift, daß in den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzkatalogen der Art. 71 ff. und 83 ff. GG generelle Bundeszuweisungen fehlen. Somit ist das allgemeine Recht der Gefahrenabwehr Landesrecht.?
a) Vollzugspolizei Die uniformierten Landespolizeien bewältigen die Vollzugsaufgaben des Einzeldienstes,3 soweit nicht die Zuständigkeit von Sonderabteilungen und -einheiten eröffnet ist.« Derartige Sondereinrichtungen sind ζ. B. die Kriminalpolizei, der die Verfolgung der schwerwiegenderen Straftaten obliegt und deren Beamte dafür besonders ausgebildet werden (vgl. die §§ 161 Satz 2 und 163 StPO sowie § 152 GVG). Als weitere Sondereinrichtungen bestehen die (Straßen-) Verkehrspolizei oder die Bereitsschaftspolizei. Letztere setzt sich aus geschlossenen Einheiten zusammen, die insbesondere dem Schutz oberster Staatsorgane und Behörden dienen.* Gesetzliche Grundlage fur diese verschiedenen Arten von Vollzugspolizeien sind die jeweiligen (Vollzugs-) Polizeigesetze der Länder. 6
2 Näher zu den verfassungsrechUichen Grundlagen des Rechts der Gefahrenabwehr: Vogel/Martens, S. 16 (f.; Gallwas/Mößle, Rdnrn. 22 ff. - Nicht Aufgabe der vorliegenden Arbeit soll sein, die sich im einzelnen zum Teil stark unterscheidenden Polizeiorganisationen in den Landern aufzudröseln - "auf kaum einem Rechtsgebiet feiert föderalistische Vielfalt solche Triumphe wie auf dem der Organisation der Vollzugspolizei" (Vogel/Martens, S. 89. Vgl. auch ebd., S. 105). Vielmehr können hier nur allgemeine, länderübergreifende Organisationsgrundzüge dargestellt werden. 3 Vgl. Art. 1 Bay PAG/Art. 1 und 2 Bay POG. 4 Die allgemeine Vollzugspolizei wird in den norddeutschen Ländern als Schutzpolizei, in Bayern und Baden-Württemberg als Landespolizei bezeichnet; vgl. Vogel/Martens, S. 89 f. 5 Ausfuhrlich zur Organisation der Landesvollzugspolizeien, insbes. der Bereitschaftspolizeien: Vogel/Martens y S. 89 ff. (93 f.) m.w.N. - Bsp. fur gesetzliche Grundlagen der Bereitschaftspolizei: Art. 6 Bay POG. « Bsp.: Bay PAG; BW PolG; Hess SOG, PolG NW.
18 Gröpl
274
4. Teil: Die Stellung der Nachrichtendienste zu den Sicherheitsbehörden
b) Die Landeskriminalämter insbesondere Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BKAG haben die Länder die Pflicht, Landeskriminalämter (LKÄ) zu unterhalten. Sie sind als Zentralbehörden der jeweiligen Landeskriminalpolizei konzipiert und üben die Fac/zaufsicht über alle kriminalpolizeilichen Dienststellen aus.7
c) Ordnungsbehörden Neben der Vollzugspolizei bestehen auf Landesebene die allgemeinen Ordnungsbehörden, deren Bezeichnung je nach Bundesland differiert; sie sind Teil der allgemeinen inneren Staatsverwaltung.β Neben diesen allgemeinen Verwaltungsbehörden bestehen eine Reihe von Sonderpolizei- bzw. Sonderordnungsbehörden für die verschiedensten Lebensbereiche. 9 Für die vorgegebene Themenstellung spielen sie indes nur eine zu vernachlässigende Rolle.
7
Zur Organisation der Landeskriminalpolizeien s. Vogel/Martens, S. 92. Näher dazu: Vogel/Martens, S. 99 ff., auch zu den verschiedenen Bezeichnungen (Bsp.: "Ordnungsbehörden " in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein; "Behörden der allgemeinen Verwaltung" in Hessen; "Verwaltungsbehörden" in Niedersachsen; "Sicherheitsbehörden" in Bayern). S. auch Gallwas/Mößle, Rdnrn. 68 ff. - Gesetzliche Grundlagen bieten in den meisten Landern die allgemeinen Polizeigesetze (Bsp.: BW PolG; Hess SOG u.s.w. Zu unterscheiden von diesem "formellen" Mischsystem, das einheitliche Polizeigesetze kennt, ist das "materielle" Mischsystem, in dem sich Polizei als funktional und institutionell decken. Eine Darstellung würde hier indes zu weit führen. Vgl. näher Knemeyer, Rdnrn. 26 ff.; Gallwas/ Mößle, Rdnrn. 8 ff.). Lediglich Bayern und Nordrhein-Westfalen haben eigene Gesetze für die dortigen Ordnungsbehörden bzw. Sicherheitsbehörden geschaffen (So bestehen das bayerische Landesstraf- und Verordnungsgesetz [Bay LStVG] und das nordrhein-westfalische Ordnungsbehördengesetz [OBG NW].). Die Rechtsentwicklung in den neuen Ländern ist noch nicht im einzelnen abzusehen: Dort ist meist noch das alte DDR-PAG v. 13. 09. 1990 (DDR-GB1. I Nr. 61 S. 1489) als Landesrecht in Kraft, in dem sich allerdings für die Ordnungsbehörden keine Grundlage findet. - Je nach Verwaltungsaufbau des Bundeslandes gliedern sie sich i. d. R. in vier Stufen. Diese sind (1) die kommunale Ebene als Ortspolizeibehörde, (2) der Landkreis als Kreispolizeibehörde, (3) die Bezirksebene, d. h. meist der Regierungspräsident als Mittelbehörde, und schließlich (4) das Landesinnenministerium als Oberbehörde. In den Stadtstaaten, im Saarland und in Schleswig-Holstein sowie voraussichtlich in Mecklenburg-Vorpommern entfallen die Mittelinstanzen. Auch in den anderen Bundesländern bestehen Unterschiede, zumindest in den einzelnen Bezeichnungen. Mit Rücksicht auf dieses zwischen den einzelnen Bundesländern ζ. T . erheblich differierende Kommunalrecht soll es jedoch bei dieser Grobstrukturierung sein Bewenden haben. 9 Übersicht über die Sonderpolizeibehörden und ihre Aufgaben: Vogel/Martens, S. 101 ff. 8
Α. Behörden der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung
2. Aufgaben präventiver
275
Natur
a) Generalklausel Gemeinsam ist all diesen polizeilichen Behörden im weiteren Sinne") die Aufgabe der Gefahrenabwehr oder -prävention, gleichviel, wie sich das interne Verhältnis dieser Behörden zueinander bestimmt, π Abgewehrt werden sollen dabei Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. 12 Zur öffentlichen Sicherheit zählen neben den Schutzgütern der Unversehrtheit des Lebens, der Gesundheit, der Ehre, der Freiheit, des Vermögens und der Rechtsordnung insgesamt insbesondere auch die Unversehrtheit der Einrichtungen des Staates und sonstiger Träger von Hoheitsgewalt einschließlich der ungehinderten Ausübung der Hoheitsgewalt. 13
b) Bestand des Staates und seiner Einrichtungen Der hier allein interessierende Bestand des Staates und die Funktionsfähigkeit seiner Einrichtungenu beinhaltet nicht nur die Freiheit des Staates von fremder Botmäßigkeit und seine territoriale I n t e g r i t ä t , ^ sondern auch die durch das Grundgesetz vorgegebene verfassungsmäßige Ordnung und ihre Verwirklichung. Geschützt sind diese Rechtsgüter insbesondere durch die Verbotsnormen des Staatsschutzstrafrechts der §§ 80 ff. StGB. Die Gefahr der Begehung einer solchen Straftat ist grundsätzlich ein Indiz fur die Eröffnung des Aufgabenbereiches der Polizei zum Zwecke der Verhütung dieser Delikte. 16 Die Polizei ist indes nicht ausschließlich auf die Verhinderung von einschlägigen Straftaten beschränkt; die Aufgabe der Gefahrenabwehr erstreckt 10 Zu den polizeilichen Behörden im weiteren Sinne - kurz: Polizei - sollen von nun an der Übersichtlichkeit halber sowohl die Vollzugspolizei als auch die Sicherheitsbzw. Ordnungspolizei zählen. u So wird die Vollzugspolizei i. d. R. nur dann tätig, wenn die Abwehr der Gefahr durch eine andere Sicherheitsbehörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint. Vgl. dazu Art. 3 Bay PAG. Allgemein zum Verhältnis der verschiedenen Aufgabenträger der Sicherheitsverwaltung in Bayern zueinander: Gallwas/Mößle, Rdnrn. 108 ff. 12 Vgl. Art. 2 Abs. 1 Bay PAG. >3 Vgl. BayVerfGHE 4, 194 (204 f.); Vogel/Martens, S. 232 ff.; Gallwas/M ößle, Rdnr. 50; Legaldefinition in § 2 Nr. 2 des Bremischen Polizeigesetzes v. 2 1 . 0 3 . 1 9 8 3 (Bremisches GBl. S. 141). u Dazu: Vogel/Martens, S. 233 f. 15 Vgl. dazu auch die Begriffsbestimmung des § 92 Abs. 1 StGB; Botmäßigkeit ist dabei ein veralternder Begriff fur Herrschaft, Abhängigkeit. 16 So ausdrücklich § 1 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 PolG NW.
276
4. Teil: Die Stellung der Nachrichtendienste zu den Sicherheitsbehörden
sich auch auf solche Beeinträchtigungen, die keine strafrechtlichen Delikte darstellen, sofern sie die einschlägigen Schutzgüter, hier den Bestand und die Funktionsfahigkeit des Staates, bedrohen oder bereits in Mitleidenschaft ziehen. 17 Dies macht die Umschreibung der verfassungsfeindlichen Handlung, mit deren Verhütung oder Unterbindung die Polizei betraut ist, in Art. 11 Abs. 2 Satz 4 Bay PAG beispielhaft deutlich: "Verfassungsfeindlich (...) ist eine Handlung, die darauf gerichtet ist, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder auf verfassungswidrige Weise zu stören oder zu ändern, ohne eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu verwirklichen. "
3. Aufgaben repressiver
Natur
Daneben haben in erster Linie die Vollzugspolizei, aber auch andere Ordnungsbehörden, nach § 163 Abs. 1 StPO außerdem die Aufgabe, "Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Auordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten".Diese Ermittlungskompetenz ist eine selbständige Aufgabe der Polizei, die der Tätigkeit der Staatsanwaltschaften gem. §§160 ff. StPO als " Durchgangszuständigkeit" zeitlich in den Fällen vorgelagert ist, in denen die Staatsanwaltschaft nicht (mehr) rechtzeitig tätig werden könnte. Sie wird daher auch als Recht und Pflicht des ersten Zugriffs bezeichnet.^ Für den hier vorgegebenen Zusammenhang interessant ist die polizeiliche Strafverfolgung von politischen Straftaten nach §§ 80 ff. StGB.
4. Befugnisse Die Befugnisse, die den Polizei- oder Ordnungsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben zustehen, sind keineswegs einheitlich, sondern richten sich nach der im Einzelfall wahrgenommenen Aufgabe, i. d. R. also nach dem jeweiligen Fachgesetz. 17 So auch Vogel/Martens, S. 234. 18 Bei dem Begriff "Polizei" nach § 163 StPO handelt es sich nicht um die Bedeutung im institutionellen, sondern immateriellen Sinne; vgl dazu: Vogel/Martens, S. 33; Gallwas/Mößle, Rdnrn. 8 ff. Besondere Zuständigkeiten i. S. des § 163 StPO besitzen ζ. B. das BKA (s. u.!); der BGS (s. u.!), die Hauptzollämter und Zollfahndungsämter u. dgl. - Vgl. dazu im einzelnen Kleinknecht/Meyer, § 163 StPO, Rdnrn. 13 f. 19 Roxin, § 10 Β. I. 2. a); Kleinknecht/Meyer, § 163 StPO, Rdnrn. 1 ff. (9).
Α. Behörden der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung
277
a) So können die Vollzugspolizeien bei ihren präventiven Aufgaben auf die Ermächtigungen der jeweiligen Landespolizeigesetze zurückgreifen,» die Sicherheitsbehörden auf spezialgesetzlich geregelte21 oder subsidiär auf die allgemeinen Befugnisse. 22 b) Bei der Verfolgung von Straftaten stehen der Polizei i. R. d. ersten Zugriffs nach § 163 Abs. 1 StPO die Befugnisse der §§ 81 b, 95 Abs. 1, 127, 163 a ff. StPO sowie die allgemeinen Notwehr- und Nothilferechte zu.23 Keinesfalls aber bietet § 163 Abs. 1 StPO selbst die Befiignisgrundlage.24 Wegen weitgehender personeller Identität genießt die Mehrzahl der Polizeivollzugsbeamten darüber hinaus auch die Befugnisse der Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft gem. § 152 GVG zu, worauf weiter unten näher einzugehen ist. 25
Π. Das Bundeskriminalamt
L Organisation a) Allgemeines Durch Gesetz vom 08. 03. 1951 hat der Bund das Bundeskriminalamt (BKA) mit Sitz in Wiesbaden2* errichtet. 27 Die Gesetzgebungskompetenz für diese Sonderpolizeibehörde des Bundes beruht auf Art. 73 Nr. 10 GG und gleicht insofern deijenigen zur Errichtung des BfV. Auch hinsichtlich der Verwaltungskompetenz zeigen sich Parallelen: Ebenso wie das BfV stützt sich auch das BKA auf die fakultative Zentralstellenkompetenz des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, dessen Entstehungsgeschichte wiederum eng mit dem Polizeibrief der Alliierten vom 14. 04. 194928 zusammenhängt. Verfassungsund verwaltungsorganisatorisch bringen diese beiden Grundgesetznormen fur
20 Bsp.: §§ 3 ff. (insbes. 26 bis 36) BW PolG; Art. 11 ff. Bay PAG; §§ 8 ff. PolG NW. 21 Übersicht bei Vogel/Martens, S. 101 ff. 22 Bsp.: Art. 7 ff. BayLStVG. 23 Vgl. im einzelnen: Kleinknecht/Meyer, § 163 StPO, Rdnrn. 27 ff. 24 Roxin, § 10 Β. I. 2. a). 25 Vgl. Α. I V . 3.! 2« Thaerstraße 11, 65193 Wiesbaden. 27 Amtl.: Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Bundeskriminalamtes) v. 08. 03. 1951 (BGBl. I S. 165) i. d. F. der Bek. v. 29. 06. 1973 (BGBl. I S. 704) mit spät. Änd. - BKAG -. 28 Abgedruckt bei Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 189.
278
4. Teil: Die Stellung der Nachrichtendienste zu den Sicherheitsbehörden
das BKA annähernd die gleichen Probleme mit sich wie fur das BfV, die hier allerdings nicht im einzelnen erörtert bzw. wiederholt werden sollen.29 Das BKA ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern, dem es auch fach- und dienstaufsichtlich unterstellt ist. An der Spitze des Amtes steht ein Präsident, dem ein Stellvertreter beigeordnet ist. 30 Wie das BfV, so besitzt auch das BKA neben Zentralstellenaufgaben eigenständige Aufgaben, im Gegensatz zu jenem aber im Bereich der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr.3i Anfang des 70er Jahre wurde der Personalund Sachbestand des BKA erheblich ausgeweitet, um seinen gewachsenen Aufgaben auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung genügen zu können.32 So wuchs die Personalstärke von 231 Mitarbeitern im Jahre 1951 auf etwa 4000 im Jahre 1991 an; der Jahreshaushalt beläuft sich auf ca. 400 Millionen D M . 3 3 Die zahlreichen Pannen bei der Anti-Terror-Aktion von Bad Kleinen Ende Juni 1993, an deren Vorbereitung und Durchführung das BKA maßgeblich beteiligt war, lassen für die Zukunft neben personellen ggf. auch organisatorische Veränderungen erwarten.**
b) Fachdienststellen Neben der Zentrale bestehen im BKA die drei selbständigen Abteilungen "Staatsschutz" y "Terrorismusbekämpfung" und die "Sicherungsgruppe Bonn". Letztere ist eine ausgelagerte Fachdienststelle in Meckenheim-Merl bzw. Bonn-Bad Godesberg, die sich ihrerseits in Ermittlungseinheiten und
29 So insbes. hinsichtlich der möglichen Bundesingerenzen in Landeskompetenzen (Errichtungs- und Aufgabenverpflichtung, Weisungsrechte u. dgl.) sowie der Frage nach der Mischverwaltung u.s.w.; vgl. dazu oben, 2. Teil, A. bis CA - Spezielle Literatur zum BKA: Kern, a.a.O. (der von einem "kühn in die Landespolizeihoheit eingreifenden Entwurf" sprach a. A. Vogel/Martens, S. 63 f.); Ahlf, a.a.O.; Riegel, Grundfragen zu den Zentralstellenaufgaben des Bundeskriminalamtes, a.a.O.; ders., Stellung und Aufgaben des Bundeskriminalamtes ..., v. Dietel, a.a.O.; Hessel, a.a.O.; Vogel/Martens, S. 63 ff. m.w.N. 30 Präsident z. Zt. des Redaktionsschlusses dieser Arbeit: Hans-Ludwig Zachert. 31 Nach der oben vertretenen Meinung des verwaltungsorganisatorischen Doppelcharakters ist das BKA sowohl Zentralstelle nach Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG als auch Bundesoberbehörde nach Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG. Das insoweit zum BfV Gesagte läßt sich entsprechend auf das BKA übertragen; vgl. 2. Teil, C. Ähnlich wohl auch Ahlf S. 32 ff., der beide Aufgabenbereiche indes nur auf Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG stützt (S. 11 ff.). 32 Nach Installierung der elektronischen Fahndung mit Hilfe des INPOL-Systems erzielte das BKA in den 70er Jahren unter seinem Präsidenten Horst Herold beträchtliche Erfolge im Terrorismusbereich, die allerdings seit 1985 mehr und mehr ausbleiben; vgl. SZ v. 26. 11. 1991, S. 5. 33 Vgl. dazu S Z v . 26. 11. 1991, S. 5. 34 So erwartet BKA-Präsident Zachert "Aufräumarbeiten" im BKA, vgl. FAZ v. 20. 08. 1993, S. 1.
. Behörden der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung
279
die Gruppe "Schutz- und Begleitdienste" untergliedert. 3* Außerdem verfugt das BKA über sog. Mobile Einsatzkommandos (MEK) fur Sonderfalle. Schließlich wird es i. R. d. Rechtshilfe auch im Ausland tätig und entsendet zu diesem Zweck Verbindungsbeamte in zahlreiche ausländische Staaten.36
2. Aufgaben Dem BKA obliegen sowohl Zentralstellen- als auch originäre Strafverfolgungsaufgaben. Sie werden durch die Formulierung des § 1 Abs. 1 Satz 2 BKAG vergröbernd zusammengefaßt: Danach bekämpft das BKA den international oder zumindest überregional aktiven Straftäter. 37 Schließlich kommen dem Amt lt. § 9 BKAG auch noch originäre Gefahrenabwehraufgaben politisch-präventiver Art zu; insoweit wird § 1 Abs. 1 Satz 2 durch § 9 BKAG verdrängt. 38
a) Zentralstellenaufgaben Die Zentralstellenaufgaben des Amtes bestimmen sich nach § 2 BKAG. Danach hat es - ähnlich wie das BfV - den Auftrag, Informationen fur die (i. d. R. nur überregionale 39) polizeiliche Verbrechensbekämpfung zu sammeln, auszuwerten und die jeweiligen Strafverfolgungsbehörden davon zu unterrichten (informationelle Zuständigkeit). Umgekehrt haben die LKA nach den §§ 3 Abs. 1 Satz 2 und 4 Abs. 1 BKAG ähnlich geartete Benachrichtigungspflichten gegenüber dem BKA, ebenso wie die Justiz- und Verwaltungsbehörden gem. § 4 Abs. 2 BKAG gegenüber dem jeweiligen LKA. Damit wird ein Informationsverbund hergestellt, dessen Zentrale das BKA v e r k ö r p e r t . « Ferner obliegen ihm zahlreiche kriminalistische Forschungsund technische Unterstützungsaufgaben. Schließlich ist auf seine Funktion als Nationales Zentralbüro (NZB) der Internationalen Kriminalpolizeilichen Or-
35 Vgl. Vogel/Martens, S. 65; Brückner/Schmitt, S. 13 und 244 ff. So eine persönliche Auskunft des BKA vom 07. 10. 1992. Vgl. auch BT-Drs. 12/2689 sowie unten, C. Π1. 2. b) bb)! 37 Riegel, Stellung und Aufgaben des Bundeskriminalamtes ..., S. 721 ff. Α. A. v. Dietel, S. 939 f. 38 Riegel^ ebd., S. 723 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 39 So Riegel, ebd., S. 724. Α. A. v. Dietel, S. 939 f. 40 Folgerichtig wird die elektronische Zentraldatei der Polizei (INPOL) auch beim BKA gefuhrt; vgl. Gusy, Das nachrichtendienstliche Informationssystem ..., a.a.O.
280
4. Teil: Die Stellung der Nachrichtendienste zu den Sicherheitsbehörden
ganisation (IKPO/Interpol) gem. den §§ 1 Abs. 2 und 10 BKAG hinzuweisen.41
b) Strafverfolgungsaufgaben Nach § 5 Abs. 1 BKAG bleibt die Strafverfolgung grundsätzlich Landersache. Zustandig sind also zuvörderst die Staatsanwaltschaften der Lander (§§ 141 ff. GVG; 152 Abs. 1, 160 ff. StPO), ihre Hilfsbeamten (§§152 GVG; 161 StPO) und die Polizeien der Länder (§§ 161 Satz 2, 163 StPO). Ausnahmevorschriften zugunsten des BKA bilden jedoch die §§ 5 Abs. 2 und 3 sowie 6 ff. BKAG. Danach übernimmt das Amt die Strafverfolgung als originäre Aufgabe nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 BKAG im internationalen Waffen-, Munitions- und Sprengstoffhandel sowie in der internationalen Falschgeldund Drogenkriminalität, wenn eine Sachaufklärung im Ausland erforderlich ist. 42 Zum anderen obliegt dem BKA gem. § 5 Abs. 2 Nr. 2 BKAG die Strafverfolgung bei politischer Gewalt- oder Terrorismuskriminalität. Schließlich nimmt das BKA die Strafverfolgung lt. § 5 Abs. 3 BKAG dann selbst wahr, wenn eine zuständige Landesbehörde darum ersucht, der Bundesminister des Innern es anordnet oder der Generalbundesanwalt (GBA) darum ersucht oder einen Auftrag erteilt.
c) Präventive Schutz- und Sonderaufgaben Eine weitere wichtige Aufgabe ist die präventive Sicherungs- und Schutztätigkeit des BKA nach § 9 BKAG, um insbesondere Gefahren terroristischer Attentate von den Mitgliedern der Verfassungsorgane abzuwehren.43 Diese Aufgaben werden von der oben erwähnten Sicherungsgruppe Bonn wahrgenommen. Dabei wird das Amt nach § 4 a BGSG vom Bundesgrenzschutz (BGS) unterstützt.44 Nur erwähnt werden sollen in diesem Zusammenhang noch die Sonderaufgaben, die dem BKA spezialgesetzlich zugewiesen sind, so bei der Genehmigung von Glücksspielen (§ 33 d Abs. 2 GewO) und des
41 Näher zu all dem: Riegel, Stellung und Aufgaben des Bundeskriminalamtes S. 721 ff. 42 In diesen Ermittlungsrahmen fallen ferner auch alle im Zusammenhang damit begangenen Straftaten (vgl. § 3 StPO). 43 Dazu: Riegel, Aufgaben des Bundeskriminalamtes auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr, in: DÖV 1982, S. 849 ff. 44 § 4 a BGSG eingefugt durch das Gesetz zur Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherheit auf den Bundesgrenzschutz v. 23 . 01. 1992 (BGBl. I S . 178).
Α. Behörden der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung
281
Verkehrs mit Waffen (§ 37 Abs. 3 WaffG) sowie die Meldepflichten bei der Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs (§ 27 BtMG). 4 *
3. Befugnisse Im Bereich seiner repressiven Tätigkeit stehen den Vollzugsbeamten des BKA die allgemeinen Befugnisse der Polizei sowie gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 BKAG kraft Gesetzes zusätzlich die Befugnisse der Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft (vgl. § 152 GVG) nach den einschlägigen Vorschriften der StPO zu. Für ihre präventiven Schutzaufgaben des Personenschutzes haben die Vollzugsbeamten gem. § 9 Abs. 3 BKAG die polizeilichen Befugnisse der §§ 10 bis 32 BGSG. Bei Auslandseinsätzen orientieren sich die Verbindungsbeamten an den Richtlinien fur den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt). 47 Die Befugnis zur Sammlung und Auswertung von Daten ist für das BKA in § 2 Abs. 1 Nr. 1 BKAG statuiert, der jedoch keine eigenständige Ermittlungs- oder Anforderungskompetenz verleiht. 48 Abgesehen davon und von rudimentären Unterrichtungsbefugnissen 49 ist die datenschutzrechtliche Frage der informationellen Übermittlung von Daten noch nicht eigens geregelt. Eine Novellierung des BKAG ist daher fur die nächste Zeit geplant.» Bis dahin gelten subsidiär die allgemeinen Vorschriften des BDSG.
45
Näher dazu: Riegel, Stellung und Aufgaben des Bundeskriminalamtes S. 726 f. Den Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft stehen i. R. der Strafverfolgung wesentlich erweiterte Anordnungsbefugnisse zu als den sonstigen Polizeibeamten. Vgl. dazu und i. ü. im einzelnen Kleinknecht/Meyer, § 152 GVG, Rdnrn. 1 und 7; § 163 StPO, Rdnrn. 7 und 27 f.; Roxin, § 10 Β. I. 1. 47 S. insbes. Nrn. 140 bis 142 RiVASt v. 18. 09. 1984, abgedruckt im BAnz., Jahrgang 36, Nr. 176 a, laufende Nr. der Beilagen: 47/84. 48 Vgl. dazu und zur gesamten Problematik: Riegel, Stellung und Aufgaben des Bundeskriminalamtes ..., S. 723; ders., Grundfragen zu den Zentralstellenaufgaben des Bundeskriminalamtes, insbes. S. 657; Hessel, § 2 BKAG, Anm. 5. 49 Bsp.: §§ 3 Abs. 1 Satz 2, 4, 8 Abs. 2 BKAG; 18, 20 bis 22 BVerfSchG; 10 f. M A D G ; 8 f. BNDG; untergesetzliche Rechtsvorschriften: Nrn. 30 ff., 207 f., 216 f. RiStBV. 50 So eine persönliche Auskunft des BKA. Vgl. auch BT-Drs. 12/1460, S. 7. 46
282
4. Teil: Die Stellung der Nachrichtendienste zu den Sicherheitsbehörden
ΙΠ· Der Bundesgrenzschutz
1. Organisation Die Aufstellung des Bundesgrenzschutzes (BGS) als Sonderpolizei des Bundes beruht auf den verfassungsrechtlichen Kompetenzen der Art. 73 Nr. 5 GG und 87 Abs. 1 Satz 2 GG. Er untersteht dem Bundesminister des Innern, der zugleich die oberste Dienstbehörde darstellt. Die Verwaltungsgliederung wurde durch Gesetzesänderung 1992 modifiziert.5i Danach zerfallen die Bundesgrenzschutzbehörden nun (1) in geschlossene Verbände und Einheiten - darunter auch die Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) als Antiterroreinheit in St. Augustin bei Bonn - und den Grenzschutzeinzeldienst (§45 B G S G ) « sowie (2) in den Grenzüberwachungsdienst (§ 46 BGSG)». Schließlich existiert die Grenzschutzschule in Lübeck. In seiner Sollstärke umfaßt der BGS insgesamt rund 30.000 Vollzugsbeamte und -beamtinnen."
2. Aufgaben Seit seiner Gründung im Jahre 1951 haben sich die Aufgaben des BGS mehrfach gewandelt und e r w e i t e r t . « War er ursprünglich seinem Namen entsprechend als reine Grenzpolizei konzipiert,56 so erfuhr er durch Grundgesetzänderungen erhebliche Aufgabenerweiterungen (Art. 35, 91 und 51 Gesetz v. 23. 01. 1992 (BGBl. I S. 178). Kritisch zur verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit dieses Änderungsgesetzes: Hans-Jürgen Papier, Polizeiliche Aufgabenverteilung zwischen Bund und Landern - Unter besonderer Berücksichtigung der Aufgaben des Bundesgrenzschutzes, DVB1. 1992, S. 1 ff. Dagegen Schreiber, BGS, S. 593 ff. 52 Gem. § 45 BGSG bestehen als Mittelbehörden die sechs Präsidien: KÜSTE in Bad Bramstedt, NORD in Hannover, M I T T E in Kassel, WEST in Bonn, OST in Frankfurt/Oder und SÜD in München. Sie umfassen die früheren Grenzschutzkommandos und Grenzschutzverwaltungen und unterteilen sich auf örtlicher Ebene in zahlreiche Grenzschutzabteilungen und andere Grenzschutzgruppen sowie - seit April 1992 - in die Bahnpolizeiämter als Unterbehörden. Übersicht über die Organisation des BGS abgedruckt im Einbanddeckel bei Gerhard Fischer/Fredi Hitz/ Bernd Walter, Bundesgrenzschutzgesetz (Kommentar), Stuttgart/München/ Hannover, 1987, freilich nach alter Rechtslage und vor Beitritt der ehem. DDR. 53 Für den Grenzüberwachungsdienst bestehen als gesonderte Mittelbehörde die Grenzschutzdirektion in Koblenz und als Unterbehörden die Grenzschutzämter und Grenzschutzstellen als Außenstellen. 54 Schreiber, BGS, S. 592. 55 S. zur Vertiefung die zahlreichen Literaturnachweise bei Schreiber, BGS, S. 590 (FN. 8). 56 Vgl. dazu insbes. den Polizeibrief der Alliierten v. 14. 04. 1949, abgedruckt bei Roewer, § 3 BVerfSchG, Rdnr. 189.
Α. Behörden der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung
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115 f GG), die sich in der (nicht abschließenden*7) Aufgabenenumeration des § 1 BGSG niederschlugen.* 8 Im hier interessierenden Zusammenhang sind vor allem folgende Zuständigkeiten relevant:
a) Grenzschutz, insbesondere Kriegswaffenkontrolle und Überwachung des Betäubungsmittelverkehrs Der Grenzschutz gem. §§ 1 Nr. 1 und 2 BGSG war jedenfalls bis zur deutschen Vereinigung die wichtigste Aufgabe des BGS, was sich bereits an seiner Namensgebung zeigt. Auch weiterhin wird er einen bedeutenden Auftrag dieser Polizei darstellen.*9 Der Grenzschutz umfaßt nach § 2 Nr. 2 BGSG vor allem die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs. Im Rahmen des Grenzschutzes nimmt der BGS unter anderem auch Aufgaben hinsichtlich der Kontrolle von Kriegswaffen nach § 1 Abs. 1 und 2 KWKG sowie insbesondere von atomaren, biologischen und chemischen Waffen nach den §§ 1 Abs. 3, 16 bis 18 KWKG wahr.« Die Mitwirkung des BGS am sonstigen Waffenverkehr bestimmt sich nach den §§ 1 Nr. 3 Buchst, e BGSG i. V. mit 27 Abs. 6 Satz 1 WaffG (Einfuhr) und den §§ 1 Nr. 3 Buchst, g BGSG i. V. mit 46 Abs. 4 Satz 2 AWG 6 1 (Ausfuhr)', sie ist hier jedoch nicht weiter von Bedeutung.« Gem. § 21 Abs. 2 BtMG hat der BGS weiterhin die präventiv-polizeiliche Aufgabe, bei der Überwachung der Einfuhr, der Ausfuhr und der Durchfuhr von Betäubungsmitteln mitzuwirken. 63 Dadurch soll anläßlich von Grenzkontrollen der illegale Drogenhandel verhindert werden.
* 7 Begründung bei Schreiber, BGS, S. 591. 58 Zur Übersicht vgl. die Kommentierungen bei Dietrich Heesen/Jürgen Hönle, Gesetz über den Bundesgrenzschutz (Kommentar), 2. Auflage, Hilden/Rheinland, 1989, zu den §§ 1 ff. BGSG. Seit April 1992 neu hinzugekommen und daher nicht kommentiert sind aber die Aufgaben der Bahnpolizei und Luftsicherheit gem. §§ 1 Nr. 3 1 und 2 a BGSG. 59 Dies insbes. deshalb, weil Bundesländer, die bisher eine eigene Grenzpolizei unterhielten (wie ζ. B. Bayern nach den Art. 5 Bay POG und 29 Bay Ρ AG), diese Aufgaben in Zukunft nicht mehr wahrnehmen werden, womit der BGS auch hier zur Übernahme des Grenzschutzes gehalten ist. 60 Gem. §§ 2 bis 4 a KWKG ist die Einfuhr und das sonstige Verbringen von Kriegswaffen genehmigungspflichtig. Ob eine derartige Genehmigung vorliegt, kann der BGS nach § 2 BGSG überprüfen. Darüber hinaus ist mit Ausnahme der nuklearen Mitwirkung i. R. d. Nordatlantikvertrages v. 04. 04. 1949 nach § 16 KWKG die Entwicklung, Herstellung und der Verkehr mit Atomwaffen gem. § 17 KWKG verboten. Schlechterdings verboten ist lt. § 18 KWKG jegliche Befassung mit biologischen oder chemischen Waffen. Auch hierüber wacht der BGS i. R. d. Grenzschutzes nach § 2 BGSG. Vgl. Heesen/Hönle, § 1 BGSG, Rdnr. 187 a. E. 61 Abgedruckt im Anhang. 62 Näher dazu: Heesen/Hönle, § 1 BGSG, Rdnrn. 183 ff. « Näher: Heesen/Hönle, § 1 BGSG, Rdnr. 231.
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4. Teil: Die Stellung der Nachrichtendienste zu den Sicherheitsbehörden
b) Strafverfolgung und andere Verwendungen Im repressiven Bereich hat der BGS ebenso wie die L a n d e s p o l i z e i e n « nach § 163 StPO die Aufgabe, Straftaten zu erforschen und die hierbei erzielten Ermittlungsergebnisse den zuständigen Staatsanwaltschaften zuzuleiten. Daruber hinaus unterstützt er sie auf entsprechendes Ersuchen bzw. nach Auftrag gem. § 161 StPO im strafprozessualen Ermittlungsverfahren.^ Im präventiven Bereich obliegt dem BGS nach den §§ 1 Nr. 4, 4 BGSG der Schutz von Bundesorganen, der allerdings auf die unmittelbare Sicherung der betreffenden Grundstücke beschränkt ist (Objektschutz). Daneben hat der BGS im Laufe der Zeit eine Reihe von Fremdverwendungen gefunden, von den insbesondere die beiden folgenden erwähnenswert erscheinen: Er unterstützt das BKA beim Personensohutz von Mitgliedern der Bundesorgane gem. § 9 Abs. 1 BKAG. Diese Aufgabe entspricht der bisherigen Praxis und wurde durch die neu eingefugte Vorschrift der §§ 1 Nr. 4 , 4 a BGSG, legalisiert. Außerdem unterstützt er das BfV bei O&yefoschutzmaßnahmen. Beide Aufgaben werden durch Abordnung von Polizeivollzugsbeamten des BGS zum BKA bzw. zum BfV nach §§ 17, 123 BRRG, 27 Abs. 1 BBG umgesetzt.« Schließlich kann der BGS nach Maßgabe der §§ 1 Nr. 4 und 67 BGSG Aufgaben der Zollverwaltung an einzelnen Grenzzollstellen, d. h. des Zollgrenzdienstes nach § 74 Abs. 3 Satz 1 ZollG, wahrnehmen.67
3. Befugnisse Die Befugnisse des BGS als Sondervollzugspolizei des Bundes sind in den §§ 10 ff. BGSG im einzelnen geregelt.« Nach § 10 Abs. 2 HS. 1 BGSG hat der BGS diese Befugnisse grundsätzlich auch bei der Erfüllung von Aufgaben, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben. Bei der Wahrnehmung
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Vgl. dazu bereits oben, I. 3.! 65 Vgl. Schreiber, BGS, S. 591; Kleinknecht/Meyer, § 163 StPO, Rdnr. 14. - Der wohl öffentlichkeitswirksamste Fall der letzten Zeit auf diesem Aufgabenbereich war die Vollstreckung der Haftbefehle gegen die mutmaßlichen RAF-Terroristen Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld durch die GSG 9 in Zusammenarbeit mit dem BKA am 27. 06. 1993 in Bad Kleinen bei Schwerin, bei der Grams und ein BGS-Beamter starben und sich zahlreiche Planungs- und Durchfuhrungsfehler seitens der Polizei offenbarten; vgl. ζ. B. FAZ v. 07. 07. 1993, S. 1 ff. «
Vgl. Schreiber, BGS, S. 591. Zu Behörden und Aufgaben des Zollgrenzdienstes s. sogleich unten! Sie entsprechen mit Standardmaßnahmen (§§17 ff. BGSG) und Generalklausel (§ 10 Abs. 1 Satz 1 BGSG) der allgemeinen polizeirechtlichen Dogmatik. Allerdings fehlen hierbei noch die speziellen Befugnisse im Bereich des Datenschutzes und der elektronischen Datenver67
Α. Behörden der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung
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von Zollgrenzdienstaufgaben stehen ihm gem. § 67 Abs. 2 Satz 1 BGSG indes die entsprechenden Befugnisse der Zollverwaltung zu. 69 Ebenso verhält es sich im Falle des § 21 Abs. 2 Satz 2 BtMG, neben den zusätzlich noch die Befugnisse der §§22 und 23 BtMG t r e t e n . I m Rahmen seiner repressiven Tätigkeit nach §§ 161 und 163 StPO stehen dem BGS zunächst die allgemeinen polizeilichen Befugnisse zu. Ferner sind zahlreiche Beamtengruppen des BGS zugleich zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft gem. § 152 Abs. 1 GVG; § 161 Satz 2 StPO bestellt,7i was ihnen bedeutend mehr Anordnungsbefugnisse im Ermittlungsverfahren verleiht. 72
IV. Der Generalbundesanwalt und die Staatsanwaltschaften der Länder
1. Die Staatsanwaltschaft Die Staatsanwaltschaft (StA) ist im deutschen Recht die allgemeine und umfassende Strafverfolgungsbehörde. Bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten - dem Anfangsverdachtn - ist sie nach § 152 Abs. 2 StPO verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten (Legalitätsprinzip). Sie ermittelt demgemäß auch wegen Straftaten, die für das vorliegende Thema einschlägig erscheinen: bei Staatsschutzdelikten (§§ 80 ff. StGB), bei terroristischen Straftaten (§§ 129 a StGB; 120 Abs. 2 GVG), bei Straftaten gegen das Außenwirtschaftsrecht (§§ 34 f. AWG), das Kriegswaffenkontrollrecht (§§19 bis 21, 22 a KWKG) und das Betäubungsmittelrecht (§§ 29 ff. BtMG)™. Während dieser strafprozessualen Ermittlungen nach den §§ 160 ff. StPO gilt sie als "Herrin des Verfahrens"; im Hauptverfahren stellt sie die unabhängige Anklagebehörde dar (vgl. §§ 151 und 152 arbeitung, die i. R. einer umfassenden Novellierung in der 12. Legislaturperiode eingefugt werden sollen. Vgl. dazu Schreiber, BGS, S. 589 und 598. 69 Die Beamten des Zollgrenzdienstes verfugen insbes. über die Befugnisse der §§67 Abs. 2, 69 Abs. 3, 71 Abs. 2 und 3 sowie 73 Abs. 1 ZollG. το Vgl. Heesen/Hönle, § 1 BGSG, Rdnr. 231. 71 Die Bestellung erfolgt über § 152 Abs. 2 GVG durch die Landesregierungen (Vgl. ζ. B. § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Bayerischen Verordnung über die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft v. 28. 12. 1984 [BayGVBl. 1985 S. 14, ber. S. 14].). 72 Zum Vergleich zwischen den Befugnissen der allgemeinen Polizeivollzugsbeamten und denen der Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft s. Kleinknecht/Meyer, § 152 GVG, Rdnr. 1 und § 163 StPO, Rdnr. 27 f. 73 Dazu: Kleinknecht/Meyer, § 152 StPO, Rdnr. 4. ™ Hier wurden die neuen Straftatbestände der §§ 29 a und 30 a ff. BtMG eingefugt durch Art. 2 des OrgKG v. 22. 07. 1992 (BGBl. I S. 1302).
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4. Teil: Die Stellung der Nachrichtendienste zu den Sicherheitsbehörden
Abs. 1 StPO). Schließlich ist sie lt. § 451 StPO Strafvollstreckungsbehörde.75 Aufgebaut ist die Staatsanwaltschaft streng hierarchisch als staatliche Justizbehörde; sie stellt ein selbständiges Organ der Rechtspflege dar (vgl. §§ 141 ff. GVG). Mit Ausnahme der Bundesanwaltschaft befindet sie sich in Länderhoheit. 76
2. Der Generalbundesanwalt
insbesondere
In Revisionsstrafverfahren vor dem Bundesgerichtshof und im Falle der erstinstanzlichen Zuständigkeiten der Oberlandesgerichte (§§ 142 Abs. 1 Nr. 1, 142 a i. V. mit 120 Abs. 1 und 2 GVG) wird das Amt der Staatsanwaltschaft durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) in Karlsruhe ausgeübt.?7 Er untersteht gem. § 147 Nr. 1 GVG der Dienstaufsicht des Bundesministers der Justiz. Der GBA ist eine unabhängige Bundesjustizbehörde, τβ die sich aus dem Generalbundesanwalt in persona79 sowie aus mehreren Bundesanwälten und Oberstaatsanwälten beim BGH zusammensetzt. 8° Originäre Zuständigkeiten in der Strafverfolgung besitzt der GBA nach § 142 a Abs. 1 Satz 1 GVG bei Staatsschutzdelikten und terroristischen Straftaten. 81
3. Die Hilfsbeamten
der Staatsanwaltschaft
Die StA hat keine ausfuhrenden Organe. Damit sie ihrer Aufgabe der Verbrechensverfolgung nachkommen kann, werden ihr nach § 161 Satz 1 HS. 2 und Satz 2 StPO zur Unterstützung die Polizeibehörden und -beamten bzw. gem. §§ 402 Abs. 1, 404 Satz 1 AO die Zoll- oder Finanzbehörden funktional zugeordnet. Sie haben auf Ersuchen die Ermittlungen fur die StA vorzu75 Ausführlich zur Staatsanwaltschaft: Roxin, § 10, Α.; Kleinknecht/Meyer, Einl., Rdnrn. 87 f.; vor § 141 GVG, Rdnrn. 1 ff. 76 Vgl. wiederum Roxin, § 10, A. 77 Anschrift: Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe. 78 Zusammen mit dem Oberbundesanwalt, dem Bundesdisziplinaranwalt und dem Bundeswehrdisziplinaranwalt (alle beim BVerwG) bildet er die Bundesanwaltschaft. 79 Generalbundesanwalt bis zu seiner Entlassung am 06. 07. 1993 wegen der Vorfalle um die Terroristenfestnahme in Bad Kleinen: Alexander von Stahl (F.D.P.), der sich trotz der Pannen bei der Anti-Terror-Aktion eine "fehlerfreie Arbeit" bescheinigte, vgl. FAZ v. 18. 08. 1993, S. 1 und 2. Sein Nachfolger stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest. so Daneben arbeiten beim GBA auch Richter und Staatsanwälte, die zur Bundesanwaltschaft beim BGH abgeordnet sind. Vgl. Kleinknecht/Meyer, § 142 GVG, Rdnr. 5.
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nehmen.Darüber hinaus bestehen kraft näherer Ausführung durch Landesrecht auf der Grundlage des § 152 GVG die sog. Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft, die von den meisten Laufbahngruppen der Landespolizei, aber auch von vielen BGS-, Zoll- und ähnlichen Beamtensparten gestellt werden.» Sie haben nach § 152 Abs. 1 GVG in besonderem Maße die Anordnungen der StA zu befolgen. Gegenüber den "normalen" Polizeibeamten stehen diesen Hilfsbeamten weitergehende strafprozessuale Anordnungsbefugnisse zu. 84
4. Befugnisse Hinsichtlich der Befugnisse der einzelnen Behörden und Beamten ist zwischen dem GBA bzw. der StA, den Hilfsbeamten der StA und der einfachen Polizei zu unterscheiden. Die StPO ordnet die durch sie gewährten Ermittlungsbefugnisse und damit verbunden die jeweiligen Grundrechtseingriffe von Norm zu Norm unterschiedlich zu. Die meisten Anordnungsbefugnisse hat der GBA bzw. die StA, wobei deren Zulässigkeit oftmals von einer richterlichen Entscheidung abhängig gemacht wird, falls nicht Gefahr im Verzug ist.w Auch den Hilfsbeamten der StA stehen bedeutende Anordnungsbefugnisse zu, allerdings weniger als der StA. 86 Die geringsten Eingriffsrechte stehen den "normalen" Polizeibeamten zur Seite; sie besitzen nur die Zwangsmittel der §§ 81 b, 127 Abs. 1 Satz 1, 127 Abs. 2 (vorläufige Festnahme "auf frischer Tat" bzw. unter den Voraussetzungen eines Haft- oder Unterbringungsbefehls, §§ 112, 112 a und 113 oder 126 a StPO) und 163 b Abs. 1 Satz 2 StPO (Festhaltung zur Identitätsfeststellung eines Verdächtigen).87
8
·
Ausführlich dazu: Schnarr, S. 589 ff. § 161 Satz 2 StPO gilt darüber hinaus nicht nur für das Ermittlungs-, sondern für das gesamte Strafverfahren; vgl. Kleinknecht/Meyer, § 161 StPO, Rdnr. 11. 83 Vgl. ζ. B. die Bayerische Verordnung über die Hilfsbeamten der StA v. 28. 12. 1984 (BayGVBl. 1985 S. 4, ber. S. 14). 84 Übersicht bei Kleinknecht/Meyer, § 152 GVG, Rdnr. 1. So z. B. bei §§ 81 a, 81 c, 98, 98 b, 100 b, 100 d, 105, 110 b Abs. 2, I l i o Abs. 3 oder 125 StPO; vgl. Kleinknecht/Meyer, Einl., Rdnr. 87; Roxin, § 10, Α. Π. 86 Übersicht bei Kleinknecht/Meyer, § 152 GVG, Rdnr. 1; Roxin, § 10, Β. I. 1. Nur der StA und nicht ihren Hilfsbeamten stehen z. B. die Anordnungsrechte der §§ 161 a, 163 a Abs. 3 (ggf. i. V . mit 134) oder 163 e Abs. 4 StPO zu. 87 Vgl. Roxin, § 10, Β. I. 1. 82
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4. Teil: Die Stellung der Nachrichtendienste zu den Sicherheitsbehörden
V. Zollgrenz- und Zollfahndungsdienst
Die Behörden des Zollgrenz- und Zollfahndungsdienstes sind Organe des Bundes. Neben ihren fiskalischen Zuständigkeiten haben sie präventiv-polizeiliche Aufgaben der Gefahrenabwehr und repressive Aufgaben der Strafverfolgung inne. Sie fallen in den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Nach Art. 108 Abs. 1 und 2 GG ist Organisationsgrundlage, wie fur alle Finanzbehörden des Bundes und der Länder, das Finanzverwaltungsgesetz (FVG). 8 8
L Die Zollfahndungsbehörden a) Organisation und Aufgaben Als Zollfahndungsbehörden fungieren die Zollfahndungsämter mit Zweigstellen und Ermittlungsgruppen nach den §§ 1 Nr. 4, 12 Abs. 1 FVG, deren Zuständigkeitsbereich jeweils mit dem Bezirk einer Oberfinanzdirektion (vgl. §§ 7 bis 9 FVG) zusammenfallt. 89 Ihre Aufgaben ergeben sich, ebenso wie die der Steuerfahndung, aus § 208 AO:» Es sind dies zum einen repressiv-kriminalistische Zuständigkeiten wie die Erforschung 9! von Steuer- bzw. Zollstraftaten und -Ordnungswidrigkeiten gem. § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 9 2 sowie die Verfolgung von spezialgesetzlich normierten Straftaten, die in Zusammenhang mit den Aufgaben der Zollbehörden stehen (deklaratorische Scharniernorm ist dabei § 208 Abs. 2 Nr. 2 AO«).*
88
Auszugsweise abgedruckt im Anhang. Vgl. Riegel, Polizei- und Ordnungsrecht ..., S. 55; Vogel/Martens, S. 85. Genaue Gliederungsübersicht in der Informationsschrift des (damaligen) Zollkriminalinstituts (ZKI) y Köln, 1991. 90 Abgedruckt im Anhang. 91 Zu beachten ist hierbei der Wortlaut ("Erforschung"), woraus sich ergibt, daß die Zollfahndungsamter insoweit mit den Polizeibehörden, nicht jedoch mit der Staatsanwaltschaft gleichzusetzen sind. Denn die strafprozessuale Verfolgung von Steuer- bzw. Zollstraftaten obliegt nach § 386 AO den Hauptzollämtern, den Finanzamtern, dem Bundesamt für Finanzen und den Staatsanwaltschaften. Vgl. dazu Wendeborn, S. 124. 92 Vgl. Wendeborn, S. 38 ff. - Die Definition und Enumeration von Steuer- bzw. Zollstraftaten und -Ordnungswidrigkeiten ergibt sich aus den §§ 369 bis 384 AO. In Betracht kommen hier vor allem Verstöße gegen die nach Art. 108 Abs. 1 GG vom Bund verwalteten Steuern (Zölle, Finanzmonopole, Verbrauchsteuern u. dgl.). 93 Vgl. Wendeborn, S. 117 ff. 89
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Zum anderen obliegt den Zollfahndungsbehörden unanhängig davon die fiskalische Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen bei Steuer- bzw. Zollstraftaten und -ordnungswidrigkeiten (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) 9 5 sowie die ebenfalls rein fiskalische Aufdeckung und ("Vorfeld-") Ermittlung von unbekannten Steuer- und Zollfallen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO) - letzterenfalls kommt ihnen somit die Funktion einer allgemeinen Steuer- und Zollaufsicht zu. 96 Schließlich gewährt § 208 Abs. 2 AO Raum fur weitere Aufgaben aufgrund Ersuchens oder kraft Übertragung. 97
b) Befugnisse Entsprechend den zweigeteilten Aufgaben der Zollfahndungsbehörden besteht auch hinsichtlich der ihnen dabei zustehenden Befugnisse eine Dichotomie, die in § 393 Abs. 1 Satz 1 AO (i. V. mit § 208 Abs. 1 Satz 3 HS. 2 Teil 2 AO) klar zum Ausdruck kommt.98 Dananch haben die Zollfahndungsbeamten im Steuer- bzw. Zollstrafverfahren - also bei Steuer- und zollkriminalistischer/repressiver Tätigkeit - gem. § 404 Satz 1 AO die polizeilichen Befugnisse der StPO (z. B. §§ 127 Abs. 2 oder 163 b). Dazu kommen lt. § 404 Satz 2 HS. 1 Teil 1 AO die Rechte aus § 399 Abs. 2 Satz 2 AO 9 9 und die Befugnis zur Durchsicht von Papieren nach Maßgabe der §§ 404 Satz 2 HS. 1 Teil 2 AO i. V. mit 110 Abs. 1 StPO. Insoweit sind die Zollfahndungsbeamten gem. § 404 Satz 2 HS. 2 AO Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft (§ 152 GVG);"» die staatsanwaltschaftlichen Befugnisse selbst
94 Die Verfolgungszuständigkeit fur spezielle Straftaten ergibt sich ζ. B. aus § 37 Abs. 2 AWG; § 37 Abs. 2 des Marktoiganisationen-Gesetzes (- M O G - v. 27. 08. 1986 [BGBl. I S. 1397]) u. dgl. (Übersicht in der Informationsschrift des ZKI, ebd.). 95 ' Näher dazu Wendeborn, S. 52 ff. 96 So die h. M . Ausfuhrlich erörtert wird der z. T . umstrittene Meinungsstand zu § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO von Wendeborn y S. 66 ff. (69 ff., 106) m.w.N. - A. A. insoweit Riegel, Polizei- und Ordnungsrecht ..., S. 54, der vorbringt, daß auch die Formulierung des § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO, die gemeinhin als Vorfeldermittlung charakterisiert sei, nicht über den rein repressiven Auftrag der Zollfahndung hinwegtäuschen dürfe. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber nach seiner Ansicht auch die (präventive) "Verhütung" ausdrücklich festsetzen müssen. 97 Wendeborn, S. 107 ff. 98 Wendeborn, S. 163 ff. 99 §399 Abs. 2 Satz 2 AO gestattet u . a . Beschlagnahmen (94 ff. und 111 b ff. StPO), Notveräußerungen ( § 1 1 1 1 StPO), Durchsuchungen (§ 102 ff. StPO) und Untersuchungen (§ 81 a StPO). 100 Vgl. auch die §§ 37 Abs. 3 AWG; 33 Abs. 3 des Marktorganisationen-Gesetzes (- M O G - v. 27. 08. 1986 [BGBl. I S. 1397]); s. i. ü. Kleinknecht/Meyer, § 163 StPO, Rdnr. 14; § 152 GVG, Rdnr. 7.
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4. Teil: Die Stellung der Nachrichtendienste zu den Sicherheitsbehörden
bleiben ihnen dabei indes versagt. 101 - Im fiskalischen Ermittlungverfahren (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 AO) stehen den Zollfahndungsbeamten (anders als im Strafverfahren) nach § 208 Abs. 1 Satz 2 AO die Ermittlungsbefugnisse der Finanzämter und Hauptzollämter zu (insbesondere gem. §§ 93 ff. AO), wobei die befugnisausweitenden Modifikationen des § 208 Abs. 1 Satz 3 AO zu beachten sind. 102
2. Das Zollkriminalamt
insbesondere
a) Vom Zollkriminalinstitut zum Zollkriminalamt Das Zollkriminalamt (ZKA) ist die jüngste Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörde der Zollverwaltung. Es wurde in seiner jetzigen Form erst durch eine Änderung des FVG vom 07. 07. 1992 errichtet. 103 Hervorgegangen ist das ZKA aus dem bis dahin bestehenden Zollkriminalinstitut (ZKI), das als zentrale Zollfahndungsleitstelle gem. den §§ 1 Nr. 4, 12 Abs. 1, 4 und 5 FVG a. F . fachlich dem Bundesfinanzminister unterstand, organisatorisch aber eine örtliche Finanzbehörde darstellte und daher dienst- und haushaltsrechtlich der Oberfinanzdirektion Köln angegliedert war.iw Mit Hilfe des personell und sachlich ausgebauten, neuen ΖΚΑιο* soll eine eingehendere Überwachung des Außenwirtschaftsverkehrs mit sensitiven Gütern sowie eine wirkungsvollere Bekämpfung von Verstößen gegen die EG-Marktordnung und der Rauschgiftkriminalität ermöglicht und die Kooperation mit entspre-
101 So die h. M . , vgl. Wendeborn, S. 125 f. m.w.N. § 399 Abs. 1 AO gilt aufgrund systematischer Gesichtspunkte nur für die in § 386 Abs. 1 Satz 2 AO genannten Finanzbehörden, nicht für die Zollfahndungsämter! 102 Kritisch zu § 208 Abs. 1 Satz 3 AO: Wendeborn, S. 127 ff. 103 Durch das Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze v. 07. 07. 1992 (BGBl. I S. 1222). Unmittelbarer Anlaß fur die Reaktion des Gesetzgebers war die Verwicklung Deutscher an der Chemiewaffenherstellung im libyschen Rabta und die damit verbundenen internationalen Auswirkungen. - In Zukunft sollen Aufgaben, Zuständigkeiten und bereichsspezifischer Datenschutz fur das ZKA jedoch in einem eigenen ZKA-Gesetz außerhalb des FVG geregelt werden (persönliche Auskunft durch das ZKA v. 28. 07. 1992). 104 Rie gel y Polizei- und Ordnungsrecht..., S. 55; BT-Drs. 12/1460, S. 6. Dem Z K I war (erst) durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 v. 19. 12. 1985 (BGBl. I S. 2436 [2444]) die Stellung eines zentralen Zollfahndungsamtes mit eigener Ermitüungskompetenz übertragen worden. Dabei waren seine Organisation und seine Aufgaben neu gefaßt worden. Vgl. näher Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung, 8. Lfg., 14. 11. 1986, Organisation der Zollverwaltung - Mittelbehörden und Teile davon - Ο 30 12. 105 Zur neuen Bezeichnung: BT-Drs. 12/1460, S. 7.
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chenden ausländischen Fahndungsbehörden, insbesondere innerhalb der EG, verbessert werden.»06
b) Organisation Das ZKA ist seitdem gem. §§ 1 Nr. 2, 5 a Abs. 1 Satz 1 FVG n. F.">7 eine Bundesoberbehörde und untersteht dem Bundesminister der Finanzen unmittelbar. Sitz des Amtes ist Köln. 1 « An seiner Spitze steht ein Präsident, dem als Stellvertreter ein Vizepräsident beigeordnet ist. 1 «» Fach- und Dienstaufsicht werden vom Bundesfinanzminister wahrgenommen.
c) Aufgaben Die Aufgaben des ZKA sind äußerst vielgestaltig und zudem in den letzten Jahren sprunghaft angewachsen.110 Zurückzuführen ist dies auf die zunehmenden Verstöße gegen das Außenwirtschaftsrecht 1", das Marktordnungsrecht 112 sowie auf die ausufernde Rauschgiftkriminalität und die damit verbundene Geldwäscherei. 1 1 3
106 Zur kontroversen Diskussion im Gesetzgebungsverfahren hinsichtlich der Datenverarbeitung durch das ZKA und den diesbezüglichen Einwendungen des Bundesbeauftragten für Datenschutz vgl. BT-Drs. 12/2496. 107 Abgedruckt im Anhang. i