130 69 51MB
German Pages 499 Year 1975
LUTZ VON ROSENSTIEL
Die motivationalen Grundlagen des Verhalten& in Organisationen Leistung und Zufriedenheit
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGISCHE SCHRIFTEN
der Universitäten München und Augshurg Herausgeber: Prof. Dr. Artbur Mayer, Prof. Dr. Hermann Brandstätter
Band 2
Die motivationalen Grundlagen des Verhaltens in Organisationen Leistung und Zufriedenheit
Von
Dr. Lutz von Rosenstiel
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1975 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany
© 1975 Duncker
ISBN 3 428 03292 6
Vorbemerkung Während in der amerikanischen organisationspsychologischen Literatur den motivationalen Grundlagen des Verhaltens in Organisationen erheblicher Raum zugestanden und die Motivation als eine der wesentlichen Determinanten dieses Verhaltens angemessen beachtet wird, scheint in der deutschsprachigen Literatur dieser Gegenstandsbereich weitgehend übersehen zu werden. Verbreitete neuere amerikanische Lehrbücher der Organisationspsychologie (Bass, 1965; Schein, 1965; Blum & Naylor, 1968; Bass & Barrett, 1972) setzen sich ausführlich mit dem Warum beruflichen Arbeitsverhaltens auseinander, die praxeologische amerikanische Literatur sucht Führungskonzeptionen auf dieser Grundlage zu erstellen (z. B. "management by motivation", Gellerman, 1968), während entsprechende deutschsprachige Werke sich gar nicht oder nur am Rande mit dieser Frage befassen (vgl. jedoch Hoyos, 1973). Als repräsentativster Beleg dafür sei das von Mayer und Herwig (1970) herausgegebene Handbuch der Psychologie, Band 9, Betriebspsychologie, genannt, in dem der Motivation des Verhaltens in Organisationen kein eigener Beitrag gewidmet wurde, die wichtigsten theoretischen motivationspsychologischen Erklärungsansätze des Verhaltens in Organisationen nur am Rande angesprochen wurden und selbst gewichtige empirische Arbeiten zu diesem Bereich unerwähnt blieben. Die Motivation scheint einen so bedeutsamen Aspekt bei der Analyse organisationswissenschaftlicher Fragestellungen wie denen nach der Wirkung von Anreizen, nach der Leistung, nach der Zufriedenheit, nach Möglichkeiten der Selbstentfaltung und der Selbstverwirklichung darzustellen, daß es nur schwer möglich und kaum angemessen erscheint, derartigen Fragen außerhalb motivationspsychologischer Theorienbildung nachzugehen. In diesem Buch soll daher der Versuch gemacht werden, die aufgezeigte Lücke innerhalb der deutschsprachigen Literatur schließen zu helfen. Wesentliche theoretische und empirische Forschungsergebnisse sollen innerhalb eines umfassenden und allgemeinpsychologisch begründeten kognitiven Motivationsmodells dargestellt und diskutiert werden. Zugleich soll geprüft werden, welchen Beitrag diese Forschungsergebnisse zu den Zielen: (1) Erhöhung der Leistung der Organisation und (2) Erhöhung der Zufriedenheit ihrer Mitglieder zu leisten vermögen.
6
Vorbemerkung
Gerade bei diesen Zielen wurde sich der Autor der Begrenztheit seines Blickwinkels als Psychologe bewußt, ohne dadurch diese Sichtweise nennenswert weiten zu können. Es ist offensichtlich, daß bei der Leistung nicht nur danach gefragt werden muß, mit welchen Kosten an subjektiver Zufriedenheit sie erkauft wird, sondern auch danarh, welche Konsequenzen sie für die individuelle geistige (vgl. Kornhauser, 1965) und körperliche (vgl. Seashore, 1972) Gesundheit hat, welche gesellschaftlichen Probleme sie aufwirft (vgl. Kern & Schumann, 1970) und welche gesamtwirtschaftlichen Katastrophen sie nach sich ziehen kann (vgl. Meadows, 1972). Entsprechend wird man die Zufriedenheit wird sie zum Ziel erhoben - nicht ausschließlich an jener angenehmen Tönung des Erlebens von kurzer zeitlicher Erstreckung, die meist in Erwartung und im Anschluß an die Motivbefl'liedigung eintritt, definieren dürfen. Um sie aus dieser Relativität zu lösen, wurde versucht, sie an die Selbstverwirklichung zu binden. Die Selbstverwirklichung, als noch nicht eingetretener und somit empirisch nicht faßbarer Tatbestand, wirft letztlich die grundlegende philosophische Frage nach dem Wesen des Menschen auf, der hier nicht nachgegangen, geschweige denn eine über bisheriges Wissen hinausgehende Beantwortung zuteil werden konnte. Dieses Buch setzt sich also mit einem sehr komplexen Gegenstand unter stark eingeschränktem Blickwinkel auseinander - einem Blickwinkel allerdings, der bislang im deutschen Sprachraum wohl zu sehr vernachlässigt wurde. Daß im Rahmen dieser Arbeit der Versuch unternommen werden konnte, auf diesen Aspekt hinzuweisen, verdankt der Autor der Hilfe und Anregung vieler, denen er an dieser Stelle danken möchte. Dieser Dank gilt speziell meiner Mutter, die mir räumliche Voraussetzungen für eine störungsfreie Arbeit schuf; er gilt meiner Frau für die Toleranz, mit der sie akzeptierte, daß ich Feierabende und Wochenenden - nicht immer wohlgelaunt - hinter Papieren verbrachte, statt mich um meine Familie zu kümmern; er gilt meinen Freunden und Kollegen vom WiSo-Fachbereich der Universität Augsburg und von der Abteilung für Angewandte Psychologie an der Universität München für vielfältige kritische Anregung. Er gilt Dipl. oec. G. Ewald, Dr. E. Frieling, Dr. B. Rüttinger, General a. D. H. Jordis-Lohausen und meiner Frau für ihre Hilfe beim Lesen der Fahnen sowie Fräulein B. Luber und Dipl. oec. B. Wißner für ihre Hilfe beim Anfertigen der Darstellungen. In besonderem Maße aber möchte ich mich bei Frau Eva Selmaier bedanken, die das Manuskript schrieb, durch ihr kritisches Mitdenken Fehler im Stil und im Aufbau beseitigte und mit großer Geduld immer wieder erforderlich werdende Korrekturen durchführte. Mein beson-
Vorbemerkung
7
derer Dank gilt auch den Herausgebern dieser Schriftenreihe, den Herren Professoren Hermann Brandstätter und Artbur Mayer. Professor Brandstätter ermöglichte es mir, daß ich die Zeit fand, einmal zusammenhängend über der vorliegenden Arbeit zu sitzen, er gab mir den Schwung, mich dem Thema wieder zuzuwenden, als ich in Gefahr geriet, das Thema aufzugeben und ihm verdanke ich dadurch, daß ich in der von ihm kooperativ und liberal geführten Gruppe arbeiten kann, jene große Zahl von Anregungen, die Fachgespräche, zu denen stete und ernsthafte Bereitschaft bestand, erbrachten. Professor Mayer danke ich dafür, daß ich mich überhaupt für organisationspsychologische Fragen - die mir ursprünglich gänzlich fern lagen - interessiere; auf seine Anregung geht auch meine Wahl der in diesem Buch behandelten Thematik zurück. Er war es auch, der mich davon überzeugte, daß ohne Wertorientierung innerhalb eines vorwiegend empirisch ausgerichteten Faches wissenschaftliche Arbeit kaum sinnvoll, zumindest aber problematisch ist. Die menschliche Wärme, die er mir persönlich und das Interesse, das er meiner Arbeit fachlich entgegenbrachte, waren mir ein wesentlicher Ansporn. Es ist mir daher eine Freude und eine Ehre, daß dieser Band in einer Schriftenreihe erscheinen kann, die aus Anlaß seines 60. Geburtstages eröffnet wurde. Augsburg, im Oktober1973
Lutz von Rosenstiel
Inhalt Vorbemerkung
5
Erster Teil 1.
Grundüberlegungen
15
1.1
Motivation- ein Aspekt der Analyse von Organisationen . . . . . . . .
16
1.2
Die Wertorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
1.2.1
Die Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
1.2.2
Die Zufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
1.2.3
Die Selbstverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
1.2.4
Der Konflikt zwischen den Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
1.3
Aufbau des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
1.3.1
Anreiz, Leistung und Zufriedenheit als Forschungsschwerpunkte . .
29
1.3.2
Ein Modell des motivierten Verhaltens in der Organisation . . . . . .
31
1.3.3
Schwächen des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
1.4
Zusammenfassung des 1. Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
Zweiter Teil 2.
Allgemeinpsychologische Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
2.1
Begriffserklärungen: Motiv - Motivstruktur- aktiviertes Motiv - Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2.2
Problemfelder der Motivationspsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
2.2.1
Probleme des Motivationsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
2.2.2
Motivation und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
2.2.3
Der Bewußtseinsgrad der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
2.2.4
Die Situationsabhängigkeit der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
2.3
Theoretische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
10
Inhalt
2.3.1
Der Stellenwert der Mot ivation innerhalb eines theoretischen Modells der Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
2.3.2
Grenzen des homöostatischen Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.3
Physiologische Grundlagen und Erlebnisrepräsentanz der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
2.4
Methoden zur Messung der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
2.4.1
Die Introspektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
2.4.2
Die Verhaltensbeobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
2.4.3
Die Analyse der Verhaltensergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
2.4.4
Der physiologische Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
2.4.5
Der Verzicht auf einen Zugang über die Organe . . . . . . . . . . . . . . . .
99
2.5
Zusammenfassung des 2. Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
69
Dritter Teil
103
3.
Die motivierte Person in der Organisation
3.1
Interessen und Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
3.2
Berufliche Arbeit als gesellschaftliche Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
3.3
Die finanzielle Entlohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
3.4
Allgemeine Motive beruflicher Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
3.4.1
Extrinsische Arbeitsmotive .... . ......... . .. . ... . .. . ......... . . 116
3.4.1.1 Die Grundbedürfnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3.4.1.2 Das Bedürfnis nach Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3.4.1.3 Das Geltungsbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3.4.2
Intrinsische Arbeitsmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
3.4.2.1 Das Bedürfnis nach Aktivitäts- und Sinnesreizen . .. .. .......... . 121 3.4.2.2 Das Kontaktbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.4.2.3 Das Bedürfnis nach Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3.4.2.4 Das Machtbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3.4.2.5 Das Bedürfnis nach Sinngebung und Selbstverwirklichung . . . . . . . . 126 3.4.3
Die Bedeutung der einzelnen Arbeitsmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
3.4.4
Allgemeine Theorien der Arbeitsmotivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
Inhalt
11
3.4.4.1 Das hierarchische Motivationsmodell von Maslow . 0. 00. . 00. . 0. . 139 3.4.4.2 Adam und Abraham: Die Typologie der Arbeitsmotivation bei Herzberg 0000. 0...... 000000000000. 00. . 0000000000000000000000000 161 3.4.403 Die Theorie der Gleichgewichtigkeit 000. 0. 0.. . 0.. 0..•. 00. 00. . . .• 165 3.4.4.4 Das kognitive Motivationsmodell von Vroom ............ 0. . 0. 00. 171 3.4.4.5 Vergleich der theoretischen Ansätze . 0. 0. 0000... 000. 000. 0. . 0. 00. 173 3.405
Verfahrenstechnikoen zur Messung überdauernder arbeitsrelevanter Motive . 0.. 0000000000000000000. 0. 000.. 00000. 000000. 0000. 00000.. 179
3.5
Die Berufsinteressen . 0. 0... 0..• 0.. 0. 0.. 000... ... 0.. 00...• .. . • 00. 185
305.1
Begriffsbestimmung der Interessen ..... 000000000. 0000. . . 000. 000 185
3.5.2
Berufsinteresse und Berufswahl . 000. 000000000000. 00000000000000 186
3.5.3
Gewünschter, gewählter und erreichter Beruf 00000. 00000000000000 187
3.504
Arten von Berufsinteressen .. 0... 000000000000000. 00000. 000. 0000 187
305.5
Interessen und Selbstbild . 0000000000.. 00000. 0. 00. 00. 0000000. 00. 190
3.5.6
Verfahrensregeln zur Messung der Berufsinteressen 00000000000. 195
3o5.7
Abschließende Wertung der Bedeutung von Berufsinteressen 000. 201
3.6
Die Einstellung zur Organisation 0000. 00000000. 000.. 000000000. 000 201
3.601
Begriffsbestimmung der Einstellungen 00000. 00. 00000. 000. . 000000 202
3.6.2
Arbeitsrelevante Einstellungen in Organisationen 0000000. ... 0000. 204
3.6.3
Die Wirkung von Einstellungen in der Organisation 0000000000. 0 205
3.6.4
Verfahrenstechniken zur Messung von Einstellungen der Organisation gegenüber 0.. 000. 0000000. 0000. 0000000. 0. 000000000. . 0. 000 209
3o6.4o1 Unsystematische Beobachtung 306.4.2 Interview
210
0000.. 000000000000000.. 0. 0000000000. 0. 0000. 000. 0.. 00. 211
3.6.4.3 Schriftliche Umfrage 0000.•. 0• .. 0.. 0... 00000. 000. 0. 000000000. 00. 213 3.6.4.4 Skalierungsverfahren 0000000000. . 000000. 000. 00000.. .. 0. 00000000 215 3.6.405 Indirekte Verfahren 00............ 0. . ..... 0........ 00. 0000. 0... 219 3.604.6 Objektive Verfahren . 0.. 0.. • ... . ... 0. 000000000000. 0..... 000000. . 221 3.7
Bedeutung der Motive, Interessen und Einstellungen für das Verhalten .. 0. 000. .. 00000000. 0. 0. 0.. 0.. 0. . 00. .. ... 00. . . 0. 0. 00.. 000 222
3.8
Zusammenfassung des 3. Teils .. . 00. .. 0. 0.•... . ... . . . ...•.•.. . . • 223
12
Inhalt
Vierter Teil 4.
Die Organisation als Anreizsituation . .. .. . . . . . . . . .. ..... . ..... .. 226
4.1
Die objektive Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
4.2
Anreize in der Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
4.3
Finanzielle Anreize
232
4.3.1
Das Anfangsgehalt
234
4.3.2
Individueller Leistungslohn ....... . . . . . . . .......... . .... . ...... 236
4.3.3
Gruppenleistungslohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
4.3.4
Gewinnbeteiligung
4.3.5
Absolute oder relative Gehaltshöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
4.3.6
Die Gehaltserhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
4.3.7
Finanzielle Zusatzleistungen ............................ . ... .... 263
4.4
Soziale Anreize . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
4.4.1
Der Kontakt mit den Untergebenen ... .. .. . ..
4.4.2
Der Kontakt mit Gleichgestellten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
4.4.3
Der Kontakt mit Vorgesetzten .......... ... . . ............ . . . .. .. 280
4.4.4
Kontakt als Bestandteil des Arbeitsinhalts . ...
4.5
Anreize der Arbeit selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
4.5.1
Die Wiederholungsfrequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
4.5.2
Die Kenntnis der eigenen Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
4.5.3
Autonomie ......... ... .. .............. . . . . . ........ . ....
4.5.4
Wachstum durch Aufstieg und Weiterbildung .. . ..... . .. . . ... . . . . 324
4.6
Anreize des organisatorischen Umfeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
4.6.1
Die Größe der Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
4.6.2
Die Struktur der Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
4.6.3
Das Führungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
4.7
Die Wirkung der besprochenen Anreize . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
4.8
Zusammenfassung des 4. Teils ....... .. ..
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
0
o • • • • • • • • • • • • • • • • • •
o •••• •
•
• •••••• •
••••••••••••••
•
•
0
0
•
•
0
•
•
•
•
•
••
•
•
•
•
266
292
312
344
Inhalt
13
Fünfter Teil 5.
Motivaktivierung und Verhalten . .. . .. . .. . . . .. .. . . ...... ... .... . 348
5.1
Die Motivaktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
5.2
Die Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
5.3
Die Verhaltensintentionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
5.4
Das Verhalten
5.4.1
Normk.o nträres Verhalten .. . .... . ........... . ......... .... ..... 361
356
5.4.1.1 Die Leistungsrestriktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 5.4.1.2 Die Fluktuation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 5.4.1.3 Die Fehlzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 5.4.1.4 Die Unfallhäufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. .. . . .. .. . .. . .. .. 371 5.4.2
Normkonformes Verhalten .. .. . .. .. . . . . . .... . . . . ....... : . . . . . . . . 376
5.4.3
Zur Beziehung zwischen Zufriedenheit und Leistung . . . . . . . . . . . . 380
5.5
Zusammenfassung des 5. Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
Seenster Teil 6.
Die Folgen des Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403
6.1
Unmittelbare Konsequenzen des Verhaltens . .. ............... . . .. 403
6.2
Die Zufriedenheit ...... . ....................... . ........... .. .. 408
6.2.1
Probleme der Gesamtzufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
6.2.2
Zufriedenheit und Selbstverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
6.2.3
Die Zweifaktorentheorie der Zufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
6.3
Die Rückwirkung der Zufriedenheit auf die Einstellungen zur Arbeit und die Arbeitsmotivation ................. . ..... . ...... . . . . 440
6.4
Zusammenfassung des 6. Teils
445
Glossar
447
Literaturhinweise
458
Autorenregister
485
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
Erster Teil
1. Grundüberlegungen In den impliziten Persönlichkeitstheorien des Laien und in den wissenschaftlichen Analysen des menschlichen Verhaltens durch den Psychologen kommt der Motivation als der Begründung unseres Verhaltens (vgl. Graumann, 1969, S. 1) - wie immer sie auch benannt und in differenzierter Form auch definiert sein mag - erhebliche Bedeutung zu. Gerade die Vielfalt und der Wechsel im Handeln des einzelnen macht die Frage nach der Motivation für jeden von uns so interessant - hofft man doch durch die Kenntnis der Motivation die Mannigfaltigkeit der Verhaltensweisen des anderen übersichtlich zu machen, hinter den scheinbar widersprüchlichen Tendenzen seines Verhaltens gemeinsame Wurzeln zu finden, die ihn überschaubar und in seinem Handeln erklärbar und vorhersehbar machen. Eigene Unsicherheit dem anderen gegenüber wird dadurch gesenkt; sein Verhalten kann kategorisiert werden; die soziale Welt bekommt übersichtlichere Strukturen, wodurch die Orientierung im eigenen Verhalten und die Steuerung fremden Verhaltens erleichtert erscheint. Auch dem Psychologen muß die Beantwortung der Frage nach der Motivation lohnend erscheinen, wenn er in der Motivation zum einen entscheidende Determinanten des Verhaltens vermutet und zum anderen annimmt, die vielfältigen, jeweils individuellen und somit wissenschaftlich kaum faßbaren Weisen menschlichen Verhaltens durch einfacher strukturierte Motivationsabläufe erklären zu können. Die Erforschung der Motivation könnte somit zur Erklärung eines höchst komplexen Gegenstandes durch einen einfacher strukturierten führen, was für die Psychologie als Wissenschaft einen erheblichen Fortschritt darstellen würde. Nun ist - was später noch ausführlicher darzulegen sein wird den meisten Auffassungen von der Motivation eigen, daß sie die im Menschen selbst liegenden Beweggründe des Verhaltens meint, also "bewußte und unbewußte psychonome Faktoren" (Ach, 1935, S. 41), die menschliches Verhalten bedingen. Zwar wird gesehen, daß äußere situative Bedingungen die Motive formen und in der jeweils konkreten
16
1. Teil: Grundüberlegungen
Gegebenheit anregen können, doch wird eben nicht in den äußeren objektiv bestimmbaren Reizkonstellationen der Bestimmungsgrund des Verhaltens gesehen, sondern in der im Menschen liegenden Motivation. Diese ist zwar von den Reizgegebenheiten nicht unabhängig, reagiert jedoch von Individuum zu Individuum und bei einem Individuum von Zeitpunkt zu Zeitpunkt unterschiedlich darauf. Für den Psychologen, der in der Motivation Beweggründe des Handeins sieht, erklärt sich dieses Handeln nicht aus einem einfachen Reiz-Reaktionsmodell, sondern für ihn wird der Reiz zum Anreiz der Motive, die dann in aktivierter Form ihrerseits das Verhalten auslösen und steuern. Ist es die äußere Situation direkt, die menschliche Bewegung determiniert, etwa der Stoß eines Fahrzeugs, der einen Menschen zu Boden wirft, so würde man diese Bewegung nicht als motiviertes Verhalten bezeichnen. Der Mensch handelt in diesem Falle nicht- er wird passiv bewegt wie ein lebloser Gegenstand (vgl. zur Handlungstheorie Hacker, 1973; Volpert, 1973). 1.1 Motivation- ein Aspekt der Analyse von Organisationen
Bei der wissenschaftlichen Analyse von Organisationen, speziell der Leistungsorganisationen, mit denen dieses Buch sich auseinandersetzen wird, wurde die Frage nach den Motiven der in diesen Organisationen tätigen Menschen erst relativ spät gestellt. Sieht man von den undifferenzierten ersten Ansätzen innerhalb des "scientific management" (Taylor, 1911) ab, die im Streben nach wirtschaftlichem Gewinn die einzige Triebfeder beruflicher Tätigkeit sahen, so finden wir den Beginn einer wissenschaftlichen Analyse der motivationalen Grundlagen beruflicher Arbeit in Organisationen in den Arbeiten von Mayo und seinen Mitarbeitern im Rahmen der sogenannten ,,Hawthorne-Studien" (Roethlisberger & Dickson, 1939). Der Grund dieses relativ späten Interesses für die Motive der Arbeitenden ist naheliegend. Sieht man in der Leistungsorganisation tatsächlich nichts anderes als das differenzierte und rational koordinierte Zusammenspiel verschiedener Produktionsfaktoren, deren einer der Mensch ist, so erübrigt es sich fast völlig, nach den Motiven dieses Produktionsfaktors Mensch zu fragen. Seine Aktivitäten sind durch den Plan der Organisation vorgegeben, die mögliche Vielfalt seines Verhaltens wird durch den Plan begrenzt auf die wenigen Verhaltensabläufe, die "dem Erreichen eines ausdrücklichen gemeinsamen Zweckes oder Zieles (dienen) und zwar durch die Teilung der Arbeit und Funktionen sowie durch eine Hierarchie von Autorität und Verantwortung" (Schein, 1965, S. 8). Ein so begrenzter Aspekt der Betrachtung macht dann gerade das uninteressant, was der eigentliche Gegenstand der Motivationspsychologie ist: die im Menschen liegenden Beweggründe des Verhaltens. Ein so eingeengtes Konzept, in dem das Verhalten durch einen Plan determiniert ist, und in dem - da es sich um ein
1.1 Motivation- ein Aspekt der Analyse von Organisationen
17
rationales Konzept handelt- Planabweichungen keinen Raum haben,· erschiene die Frage nach der Motivation auch müßig. Wenn der Plan das Verhalten voll erklärt, wäre es überflüssig, nach weiteren Determinanten dieses Verhaltens zu suchen. Eine derartige Sicht der Organisation macht auch ein Zitat verständlich, wie es Beleg 1 zeigt. Beleg 1 Die Allmacht des Plans Alfred Krupp, der berühmte deutsche Unternehmer, faßt den Geist dieses Modells zusammen, indem er seinen verwaltungsmäßigen Ehrgeiz in bezug auf die gewaltigen Krupp-Stahl-Werke wie folgt ausdrückt: "Was ich zu erreichen versuche, ist, daß nichts Wichtiges ohne Vorwissen und Zustimmung der Unternehmensleitung geschehen oder verursacht werden kann, so daß die Vergangenheit und die absehbare Zukunft des Unternehmens aus den Ak,ten der Unternehmensleitung ersehen werden kann, ohne daß irgendein Sterblicher gefragt werden müßte." Tannenbaum, A. S.: Social psychology of the work organization, Belmont/ London 1969. Wenn heute vielfach nach den motivationalen Grundlagen des menschlichen Verhaltens in Organisationen gefragt wird, so ist damit der Wissenschaft kein neuer Gegenstand erwachsen. Es zeigt sich darin lediglich ein Wechsel oder eine Erweiterung des Aspekts bei der Analyse von Organisationen. Die empirische Erforschung von Organisationen zeigte, daß das beobachtbare Verhalten der Organisationsmitglieder häufig stark vom Plan abweicht, was geradezu herausfordert, nach den Gründen- und damit den Motiven- dieses abweichenden Verhaltens zu fragen. Gerade der Beginn einer wissenschaftlichen Analyse der Motivation des Verhaltens in Organisationen, den wir in den HawthorneStudien sahen (Roethlisberger & Dickson, 1939), fällt ja zusammen mit der Fragestellung, die schwerwiegenden Abweichungen der Organisationsmitglieder vom Plan innerhalb der Western Electric Company zu erkunden und zu beseitigen. Aber nicht nur dieser Beginn einer Abkehr von normativen Organisationsmodellen zugunsten einer stärkeren Betonung einer Verhaltensanalyse der .Organisation kennzeichnet den Beginn des Fragens nach den Motiven der Organisationsmitglieder, sondern auch neue Wertorientierungen in den westlichen Gesellschaften. Das "Zweckmodell der Organisation" (Mayntz, 1968, S. 39) wurde in seiner einseitigen Ausrichtung nicht mehr akzeptiert, in der Leistung nicht länger der ausschließliche Sinn der Leistungsorganisation gesehen. Gesehen wird einerseits mehr und mehr die Verpflichtung der Organisation der Gesamtgesellschaft gegenüber ("Es mag sein, daß wir in der Zukunft nicht mehr allein nach 2 Rosenstiel
18
1. Teil: Grundüberlegungen
dem geschäftlichen Erfolg bewertet werden, sondern daß wir nur noch in dem Maß geduldet werden, in dem wir unsere Nützlichkeit als Institution beweisen, die für die gesamte Gesellschaft von Wert ist ... " IBM-Präsident Learson, 1969), zum anderen die Verpflichtung der Organisation gegenüber ihren Mitgliedern, die mit der Zahlung von Geld für die Leistung allein nicht erfüllt ist, und die in den Forderungen der großen Parteien in Deutschland nach Mitbestimmung der Arbeitnehmer oder nach einer humanen Leistungsgesellschaft artikuliert wird. Neben der Leistung werden also auch Möglichkeiten zur Selbstentfaltung und zur Zufriedenheit am Arbeitsplatz gefordert. Der letztgenannte Punkt führt wiederum an die Frage der Motivation heran. Sieht man ausschließlich in der Leistung den Zweck der Leistungsorganisation, so wird man nur danach fragen, ob die einzelnen Organisationsmitglieder das 1hnen im Plan vorgeschriebene Leistungsverhalten zeigen, ohne danach zu fragen, was sie dabei erleben oder warum sie die geforderte Leistung erbringen. Bedenkt man dagegen auch die Verpflichtungen der Organisation ihren Mitgliedern gegenüber, so wird man die Folgen Jener Bedingungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit hohe Leistung herbeiführen, auf das menschliche Erleben mitberücksichtigen. Dabei könnte man beispielsweise feststellen, daß die Menschen innerhalb zweier Leistungsorganisationen im Durchschnitt gleich hohe Leistungen zeigen, obwohl die Bedingungen, unter denen diese Leistungen erzielt werden, höchst unterschiedlich sind. Während die Mitglieder der einen Organisation in ihrem Verhalten von engen Vorschriften determiniert und im Falle einer Abweichung von den Vorschriften von Kündigung bedroht sind, wird den Mitgl.iedern der anderen Organisation entscheidender Einfluß auf den Arbeitsablauf zugestanden. Sieht man in der Leistung das einzige Kriterium zur Beurteilung des Verhaltens in der Organisation (Mensch als Produktionsfaktor), so wird man die beiden genannten Arbeitsbedingungen als gleichwertig bezeichnen müssen. Geht man dagegen von einer Verpflichtung aus, die die Organisation deshalb ihren Mitgliedern gegenüber hat, weil diese Menschen sind, so wird man auch nach der Motivation fragen, die ihr hohes Leistungsverhalten bedingte. Bei der Beantwortung dieser Frage wird man im ersten Fall vielleicht darauf stoßen, daß ausschließlich Angst vor Kündigung hinter der hohen Leistung stand, während im zweiten Fall Freude und Interesse an der Arbeit sowie Engagement für die übertragenen Aufgaben die hohen Leistungen bedingte. Sieht man also die zuvor genannten Kriterien der Möglichkeit zur Selbstentfaltung und zur Zufriedenheit für die Organisationsmitglieder ebenfalls als Kriterien dafür an, wie eine Organisation zu bewerten sei, so wäre in unserem Beispiel der letztgenannten Organisationsform eindeutig der Vorzug zugeben.
1.2 Die Wertorientierung
19
Erkennt man Kriterien, wie die der Zufriedenheit und der Möglichkeit zur Selbstentfaltung der Organisationsmitglieder als wesentlich an, so verleiht das der Forderung, die Motivation des Verhaltens in Organisationen zu untersuchen, erhebliches Gewicht. Die Leistung selbst ist grundsätzlich- wenn auch bei manchen Arbeitsinhalten mit erheblichen Schwierigkeiten - an Kriterien des beobachtbaren Verhaltens oder Ergebnissen dieses Verhaltens abzulesen. Ein Rückgrüf auf die Motivation dieses Verhaltens erscheint somit nicht erforderlich, wenn auch gesehen werden muß, daß die Kenntnis der Motivation des Leistungsverhaltens die Grundlage gezielter Einflußnahme zu einer weiteren Erhöhung der Leistung sein könnte. Will man nun aber etwas über die Zufriedenheit der Organisationsmitglieder und ihre Möglichkeiten zur Selbstentfaltung erfahren, so ist es erforderlich, auch das Erleben der Organisationsmitglieder zu untersuchen, nach ihrer Motivation zu fragen und zu erfassen, inwieweit diese Motivation in der Organisation Befriedigung findet oder Frustration erleidet. 1.2 Die Wertorientierung
Wissenschaftliche Arbeit muß sich die Frage gefallen lassen, wem sie dient. Die Antwort, sie sei ausschließlich dem Werte der Wahrheit verpflichtet, mag für den einzelnen Forscher im Regelfall auf subjektiver Basis zutreffen, macht es sich aber dennoch zu leicht. Selbst wenn der Forscher innerhalb des von ihm gewählten Forschungsgegenstandes sich bemüht, wertfrei zu arbeiten und sich an Grundregeln wissenschaftlicher Objektivität zu orientieren, so ist doch bereits die Wahl des von ihm gewählten Forschungsgegenstandes eine implizite oder explizite Wertsetzung. Die Entscheidung für bestimmte Untersuchungsgegenstände - die nur allzu oft unreflektiert gefällt wird - führt zu Erkenntnissen, die bestimmten Interessengruppen stärker nützt als anderen und wiederum anderen vielleicht sogar schadet (vgl. Albert, 1967). Gerade die Organisationspsychologie - zu der auch diese Arbeit zählt - muß sich den Vorwurf gefallen lassen, in der Auswahl ihrer Fragen höchst einseitig vorgegangen zu sein. Faktisch findet man innerhalb der Vielzahl empirischer organisationspsychologischer Arbeiten vorwiegend solche, deren Ziel es ist, mit ihren Ergebnissen der Produktivität der Leistungsorganisation zu dienen. Auch die Mehrzahl solcher Arbeiten, deren ausgesprochenes Ziel es zu sein scheint, die Befriedigung sozialer Bedürfnisse am Arbeitsplatz zu untersuchen - wie etwa jene, die üblicherweise der sogenannten "human-relations"-Bewegung zugerechnet werden- wäre hier aufzuführen. Da diesen Arbeiten die meist unausgesprochene Annahme zugrunde liegt, daß der zufriedene Arbeiter auch der produktivere sei (vgl. Tannenbaum, 1969, S. 35), sie also in
20
1. Teil:
Grundüberlegungen
der Zufriedenheit ein Mittel zum Zweck der Leistungssteigerung sehen, sind auch sie vereinseitigt am Ziele der Leistung orientiert. Der Organisationspsychologie wird somit nicht unberechtigt der Vorwurf gemacht, in ihrer Orientierung einseitig auf Unternehmensführungen bezogen und gegen die Interessen der Arbeitnehmer ausgerichtet zu sein, was sich darin zeige, daß ihre Arbeiten letztlich durch die Wünsche von Unternehmensleitungen eingegrenzt erscheinen, die diese Arbeiten förderten, anregten oder gar finanzierten, so daß der Organisationspsychologe vielfach zum Diener der Unternehmensführungen wurde (vgl. Bass & Barrett, 1972, S. 6 f.). So zutreffend diese Kritik auch ist, so gefährlich wäre die Auffassung, daß Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung, die der Unternehmensleitung nützten, grundsätzlich den übrigen Organisationsmitgliedern schaden müßten und umgekehrt. Die beiden hier genannten Interessengruppen sind in wesentlichen Punkten ihrer Zusammenarbeit nicht in ein Nullsummenspiel verwickelt (vgl. Likert, 1961, S. 56), so daß der Organisationspsychologe, indem er der einen Seite hilft, häufig auch der anderen nützlich ist (vgl. Bass & Barrett, 1972, S. 7). Diese Aussage darf nun nicht zu einer naiven Harmonieannahme führen. Interessengegensätze bestehen, sie bestehen nur nicht grundsätzlich auf allen Gebieten, auf denen Organisationspsychologen arbeiten (vgl. Gomberg, 1957, S. 348 ff.). Die einseitige Betonung der Leistung als einer Voraussetzung hoher Produktivität von Leistungsorganisationen im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen hieße die Wissenschaft in den Dienst bestimmter Interessengruppen stellen, solange das Problem der Verteilungsgerechtigkeit innerhalb unserer Gesellschaft ungelöst erscheint (vgl. Gahlen, Hardes, Rahmeyer & Schmid, 1971, S. 132 ff.). Es sei daher aufgezeigt, welche Werte innerhalb der Organisation diese Arbeit zu fördern gedenkt, um einer nicht zu verantwortenden Einseitigkeit ihrer Zielsetzung zu entgehen. Obwohl nicht übersehen wird, daß die Nennung eines Zielpluralismus nicht davor schützt, daß jene, die über Macht verfügen, einseitig nur solche Ergebnisse aus einer Arbeit in ihren Dienst stellen, die ihren Interessen dienen, bewahrt sie doch davor, die Wertsetzungen der Mächtigen von vornherein zu akzeptieren und die von ihrem Standpunkt aus gesehene Realität als einzig denkbaren Untersuchungsgegenstand unreflektiert zu übernehmen.
1.2.1 Die Leistung Angesichts der vielfältigen und gewichtigen Kritik, die am Leistungsprinzip und der Leistungsgesellschaft geäußert wird, mag die ausdrückliche Betonung des Ziels, wissenschaftliche Erkenntnisse in den Dienst der Leistung oder der Leistungssteigerung zu stellen, verfehlt erscheinen. Dem müßte voll zugestimmt werden, wenn die Leistung als Selbstzweck und als einziges Ziel einer Organisation betrachtet würde. Die
1.2 Die Wertorientierung
21
Tendenz zum Verzicht auf die Realisierung jener Wertvorstellungen, die von der Mehrzahl der Menschen in den westlichen Gesellschaften geteilt werden, und die Tendenz zur weiteren Entfremdung der Arbeit müßten dadurch gesteigert werden. Die Leistung soll hier aber nicht als Selbstzweck gesehen werden, sondern wesentlich als ein Mittel, das es der Organisation ermöglicht, der Gesellschaft Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen und damit die Bedürfnisse vieler zu befriedigen. Der Verzicht auf Leistung oder Leistungssteigerung unter diesem Aspekt müßteangesichtseiner beständig wachsenden Menschheit schwere Frustration, wenn nicht gar das Todesurteil für viele bedeuten (vgl. Beleg 2). Beleg 2 Konsequenzen eines Verzichts auf Leistung Ganz allgemein ist festzustellen, daß die industrielle Gesellschaft einer sehr hohen Leistungsmotivation bedarf. Sie zehrt somit von jener Unruhe des eigentlich nie ganz zufriedenen Menschen, die man leicht als "Strebei1;um" bekritteln kann. Angesichts des Elends, in dem sich die sogenannten Entwicklungsländer befinden, sollte man aber wohl die Tendenz zur Setzung hoher Anspruchsniveaus, die wir in unserer Gesellschaft begünstigen, nicht gedankenlos verdammen. Im Nirwana der Buddhisten entgeht man leidvollen Mißerfolgserlebnissen . durch den Verzicht auf das Wünschen. Diesen Weg können wir nicht alle beschreiten. Die Entsagung mag diesem oder jenem leichter fallen; wollte man sie aber zur allgemeinen Maxime erheben, würde man einen Großteil der heute die Erde bevölkernden Menschheit zum Hungertod verurteilen. Recht besehen haben wir keine andere Wahl, als uns freimütig zu den Voraussetzungen der "Leistungsgesellschaft" zu bekennen. Hofstätter, P. R. & Tack, W. H.: Menschen im Betrieb, Stuttgart 1967, S. 89. Eine so gerechtfetigte Forderung nach Leistung verliert ihre Legitimation, wenn die durch sie erwirtschafteten Früchte keine gerechte Verteilung innerhalb und zwischen (vgl. Gahlen, Hardes, Rahmeyer & Schmid, 1971, S. 254 ff.) den einzelnen Volkswirtschaften finden, wenn die mit ihrer Erstellung verbundenen sozialen Kosten - etwa als Belastung der Umwelt- den Nutzen übersteigen, den sie für die Gesellschaft bringt, und wenn dieser Nutzen mit zu hohen körperlichen oder seelischen Schädigungen für diejenigen erkauft werden muß, die diese Leistung erstellen. Die Leistung rechtfertigt sich jedoch weiterhin dadurch, daß sie das Überleben der Organisation gewährleistet, was wiederum nicht als Selbstzweck akzeptiert werden kann, sondern nur insoweit, als dadurch den Organisationsmitgliedern die Grundlage zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse gegeben wird - nicht nur in materieller, sondern in vielfältiger Hinsicht, worüber noch zu sprechen sein wird. Leistungen, die eine Organisation überleben lassen, sollten diese nicht nur dazu befähi-
22
1. Teil: Grundüberlegungen
gen, daß durch sie, sondern auch in ihr Bedürfnisse von Menschen befriedigt werden (vgl. v. Rosenstiel, Molt & Rüttinger, 1972, S. 28 ff.).
1.2.2 Die Zufriedenheit Für eine Arbeit, die sich die Untersuchung der Motivation des Verhaltens in Organisationen zum Ziel gesetzt hat, kann nicht die Befriedigung von Bedürfnissen durch die Organisation, sondern lediglich die Befriedigung von Bedürfnissen innerhalb der Organisation leitender Orientierungspunkt sein. Zufriedenheit entsteht, wenn Bedürfnisse befriedigt werden. Sie dürfte in um so höherem Maße entstehen, je stärker diese Befriedigung die durchschnittliche bisherige Bedürfnisbefriedigung übersteigt. Das ließe sich aus dem Konzept des Adaptationsniveaus von Helson (1967) ableiten. Die Frage nach der Zufriedenheit der Organisationsmitglieder ist innerhalb der Organisationspsychologie mehr und mehr zu einem der Mittelpunkte des Interesses geworden (vgl. Bass & Barrett, 1972, S. 6). Ein Grund dafür dürfte zum Teil in der Annahme liegen, daß die Zufriedenheit des einzelnen letztlich seine Leistungsbereitschaft steigere. Unabhängig davon, ob diese Annahme nun zutrifft oder nicht - worüber noch zu sprechen sein wird -, soll hier als eine Aufgabe der angewandten Motivationspsychologie innerhalb der Organisation die Erhöhung der Zufriedenheit der Organisationsmitglieder als selbständiges Ziel genannt sein. Der Mensch verfügt über eine Vielzahl von nach Motivzielen klassifizierten (vgl. Lersch, 1956) - Motiven, von denen nur relativ wenige bei der reinen Leistungserstellung innerhalb der Organisation Befriedigung finden (vgl. Krech, Crutchfield & Ballachey, 1962, S. 503). Zufriedenheit aber erwächst aus der Befriedigung der wesentlichen Motive. Beschränkt man die Motivbefriedigung des einzelnen innerhalb der Organisation ausschließlich auf die Motive, deren Befriedigung mit einer möglichst effektiven Leistungserstellung zusammenfällt, so ist man im Extremfall bereit, Menschen unter Frustration - Unzufriedenheit also - wesentlicher Motive einen Großteil ihrer wachen Zeit als Erwachsene verbringen zu lassen, und ihnen dadurch ausschließlich zu ermöglichen, die materiellen Grundlagen zur Befriedigung dieser Motive in die Freizeit zu legen. Arbeit würde dadurch zum notwendigen Übel, durch die eine lebenswerte Freizeit überhaupt erst möglich wird (vgl. Seifert, 1971, S. 44), falls die notwendigen Energien dafür letztlich noch vorhanden sind. Die Konsequenz müßte die gänzliche erlebnismäßige Trennung von Arbeit und Freizeit mit einem nachfolgenden Fremdheitserlebnis der Arbeitswelt sein (vgl. Marx, 1844). Um dies zu vermeiden, sollte die Organisationspsychologie zu einer Gestaltung der Bedingungen der Arbeit beitragen, die das F.rlebnis der subjektiven Zufriedenheit der Organisationsmitglieder er-
1.2 Die Wertorientierung
23
möglicht. Dabei wird nicht die Auffassung vertreten, daß die Gestaltung von Arbeitsbedingungen, die Zufriedenheit herbeiführt, einer tiefergreifenden Zufriedenheit am Arbeitsplatz den Weg verstellt, da diese nur auf gewaltsame Weise durch Umstrukturierung der gesellschaftlichen Verhältnisse möglich sei, was durch relative Zufriedenheit am Arbeitsplatz unmöglich gemacht, zumindestaber verzögert werde. Dennoch kann nicht übersehen werden, daß die Zufriedenheit zwar auf der Ebene subjektiven Erlebens recht eindeutig bestimmt und auch gemessen werden kann (z. B. Brayfield & Rothe, 1951), die Forderung nach Zufriedenheit hinsichtlich der sie begründenden Bedingungen jedoch fast gänzlich inhaltsleer bleibt. "Zufriedenheit und Unzufriedenheit hängen nun nicht nur ab von dem, was uns das Leben je und je als Erfüllung unserer Ansprüche zuteilt ... Die letzte Voraussetzung dafür, ob einer zufrieden oder unzufrieden gestimmt ist, liegt in seinem Anspruchsniveau. Je uiedriger dieses ist, desto mehr lebt er in der stationären Gestimmtheit der Zufriedenheit" (Lersch, 1956, S. 295). Hier liegt nun ein entscheidender Punkt. Hat jemand geringe Ansprüche, bzw. aufgrundseiner bisherigen Erfahrungen in bezugauf bestimmte situative Gegebenheiten ein niedriges Adaptationsniveau, so wird er mit situativen Bedingungen zufrieden sein, die an bestimmten objektiven Kriterien gemessen ungünstiger sind, als die entsprechenden durchschnittlichen Bedingungen, die bei der Mehrzahl der anderen keinen Anlaß zur Zufriedenheit darstellen. Die Zufriedenheit ist somit nur relativ bestimmbar und stellt sich als Funktion des jeweils höchst unterschiedlichen subjektiven Erwartungshorizonts des einzelnen heraus (vgl. Spector, 1956). Eine Organisation würde also im Extremfall dem Kriterium der Zufriedenheit besser genügen, wenn sie an einem bestimmten objektiven Maßstab definierte sehr schlechte Arbeitsbedingungen verbessern würde, als wenn sie gute Arbeitsbedingungen unverändert ließe. So wesentlich und anstrebenswert das Gefühl subjektiven Zufriedenseins auch sein mag - als einziges Kriterium für die Beurteilung der humanen Bedingungen innerhalb der Organisation erscheint es ungeeignet. Zusätzliche Kriterien normativer Art erscheinen erforderlich. 1.2.3 Die Selbstverwirklichung
Seit der Aufnahme des Gedankengutes von Maslow (1943) bei McGregor (1960) spielt die Forderung nach der Selbstverwirklichung des einzelnen innerhalb der Organisationspsychologie eine erhebliche Rolle. Für den Psychologen ist es nun äußerst schwierig, eine derartige Forderung zu konkretisieren oder aus ihr gar Handlungsvorschriften abzuleiten, wie die Umwelt eines Menschen zu gestalten sei, um seine Selbstverwirklichung zu ermöglichen. Ein Motiv nach Selbstverwirklichung
24
1. Teil:
Grundüberlegungen
ist in der Psychologie häufig beschrieben worden, etwa von Goldstein (1940), Maslow (1943) und Rogers (1959}, doch fällt es sehr viel schwerer zu sagen, wie dieses Bedürfnis befriedigt werden kanri, als dies beispielsweise beim Hungermotiv der Fall ist. Die Gründe dafür sind vielfältig. Als einer der wichtigsten mag gelten, daß man für die Wirkungsweise der Mehrzahl der nach Zielen unterschiedenen Motivarten relativ einfache homöostatische Modelle heranziehen kann. Ein unbefriedigtes Motiv - etwa aktivierter Hunger - stellt sich dabei als Störung eines Gleichgewichts dar, das durch Triebreduktion - etwa durch Aufn;~hme von Nahrung- wieder befriedigt, d. h. in den früheren Gleichgewichtszustand zurückversetzt werden kann. Demgegenüber erscheint das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung als "Sonderfall", der durch eine expansive Thematik gekennzeichnet ist, und sich nicht in das homöostatische Modell der Motivation einzufügen scheint (vgl. Thomae, 1965 e, S. 453). Die Ziele eines Motives, das expansiv ist, lassen sich schwer erfassen, da es auf Zukünftiges gerichtet ist und seine Ziele sich nicht aus dem bisherigen Verhalten der Person ableiten lassen. Das Motiv nach Selbstverwirklichung, schon früh am Goetheschen "Werde der Du bist" umschrieben, ist innerhalb der empirischen Psychologie inhaltlich nicht faßbar, da mit ihren Verfahren nur das gemessen werden kann, was bereits geworden ist, und Zukünftiges nur prognostizierbar erscheint, wenn es sich nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten entwickelt. Da die Selbstverwirklichung in der Erweiterung derErlebensmöglichkeiten und nicht in der Erhaltung der bisherigen ihre Thematik hat (vgl. Rogers, 1959, S. 222), und diese Erweiterung gerade zur Differenzierung und zur Ausbildung eines jeweils individuellen und von anderen unterschiedenen Selbstes durch einen "fortwährenden Aktions-Interaktionsprozeß Individuum- Umwelt" (Thomae, 1965 e, S. 454) führt, fehlen bisher allgemeine Gesetzmäßigkeiten zur Prognose eines derartigen individuellen Selbstes. Entfaltungsmöglichkeiten dieses Selbstes sollte die Gestaltung der organisatorischen Bedingungen dennoch zulassen, soweit dies die ökonomischen Möglichkeiten überhaupt erlauben. Auch eine Bestimmung des Motivs der Selbstentfaltung als Wunsch, jene Fähigkeiten und Möglichkeiten, die man zu besitzen glaubt, realisieren zu können, macht nur eine inhaltliche Bestimmung des Wunsches nach Selbstentfaltung von zeitlich kurzer Erstreckung (vgl. Kaminski, 1959) möglich, da dieses Motiv sich durch seine expansive .Thematik inhaltlich beständig wandeln dürfte. Sie zeigt zugleich, daß die interindividuelle Streuung der inhaltlichen Füllung dieses Motivs stärker sein dürfte, als bei anderen, nach allgemeinen Zielen klassifizierten mensch;_ liehen Motiven. Auch von daher wäre es also schwer, allgemeine Regeln zur Gestaltung organisatorischer Bedingungen aus der Selbstverwirklichung abzuleiten. Jeweils individuelle Bedingungen aber erscheinen
1.2
Die Wertorientierung
25
kaum realisierbar, da sich die Organisation ja gerade als "Koordination der Aktivitäten einer Anzahl von Personen" (Schein, 1965, S. B) darstellt. Will man aus dem Gesagten dennoch Folgerungen ziehen, die sich als Forderung an die Organisation konkretisieren, Selbstentfaltung des Individuums zu ermöglichen, so können fest umschriebene inhaltliche Maßnahmen nicht gefordert werden, sondern gerade das Fehlen derartiger inhaltlicher Festschreibungen wäre wünschenswert. Wenn sich Selbstverwirklichung als in der Richtung nicht festgelegte Erweiterung bisheriger Erlebens- und Verhaltensmöglichkeiten zeigt, so sollte dem einzelnen der entsprechende Freiheitsspielraum zur Erweiterung seiner Möglichkeiten gegeben werden, was sich speziell als Selbstbestimmung oder doch Mitbestimmung der Arbeitsinhalte und -methoden, der materiellen und sozialen Arbeitsumgebung, der Arbeitszeit und der Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zeigen sollte. Die Forderung nach diesem Freiheitsraum ist normativ und sollte nicht aus den jeweils aktualisierten Bedürfnissen des Individuums abgeleitet werden. Manche Menschen wünschen - vermutlich bedingt durch den bisherigen Gang ihrer Sozialisation - keine Autonomie (vgl. Vroom, 1960). Wird sie ihnen deshalb verweigert, so wird damit möglicherweise die zukünftige Entwicklung des Wunsches nach Selbstverwirklichung unterdrückt. Wenn sich die Selbstverwirklichung -was sich aus dem zuvor Gesagten ergibt - in der Entwicklung von der "Heteronomie" zur "Autonomie" zeigt (vgl. Rogers, 1959, S. 196), so sollte von der Organisation her das Angebot der Autonomie bestehen, wobei es am einzelnen liegt, ob er es sofort voll nutzt, erst später nutzt oder gar nicht nutzt. Der so verstandenen Selbstverwirklichung widerspräche es, wollte man von irgend einem ideologischen Standpunkt her sehen, was inhaltlich darunter zu verstehen sei, um dann auf diesen "selbstverwirklichten" Menschen hin die organisatorische oder vielleicht gar die gesamtgesellschaftliche Umwelt zu strukturieren, - ob der einzelne seine Umwelt nun in dieser Form wünscht oder nicht. Möglicherweise ist es langfristig denkbar, "Menschen zu ihrem Glück zu zwingen", wenn man spezifische gezielte Formen der Sozialisation, wie sie etwa Skinner (1971) in seinem "Beyond Freedom and Dignity" beschreibt, berücksichtigt. Man sollte jedoch sehen, daß ein solches Programm zumindest zu Beginn gegen die Forderung nach subjektiver Zufriedenheit des einzelnen verstoßen müßte und in seinem Ergebnis gegen die Forderung nach Selbstverwirklichung in der Form, wie sie hier erhoben wurde, gerichtet wäre. Wäre die Erfüllung der hier ausgesprochenen Forderung nach Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung in der Organisation, wie sie in ähn-
26
1. Teil:
Grundüberlegungen
licher Form von Argyris (1957), McGregor (1960), Likert (1961, 1967) und Herzberg (1966) erhoben wird, uneingeschränkt möglich, so würde dies den Organisationsmitgliedern auf der phänomenalen Ebene des Erlebens das Gefühl geben, sich frei entfalten zu können. Ob dem allerdings eine Freiheit der Entscheidung im Sinne eines Indeterminismus entspricht, ist empirisch wohl kaum entscheidbar. Allerdings lassen sich die Ergebnisse, die im Rahmen der Erforschung menschlicher Sozialisation (vgl. Secord & Backman, 1964, S. 521 ff.) gewonnen wurden, praktisch einhellig nur dahingehend interpretieren, daß ein inhaltlich bestimmtes und gefülltes Motiv der Selbstverwirklichung nur als erlerntes - also durch die Umwelt determiniertes -Motiv verstanden werden kann. Es als angeborenes bzw. primäres Motiv anzunehmen, würde praktisch allen Erfahrungen der heutigen empirischen Psychologie widersprechen. Sieht man allerdings die inhaltliche Bestimmung der Selbstverwirklichung als erlernt an, so muß auch gesehen werden, daß sie innerhalb der gegebenen Gesellschaftsstruktur erlernt wurde. Kritiker könnten angesichts dieses Befundes einwenden, daß dann die Erhebung der Selbstverwirklichung zum Ziel bedeuten müsse, daß man unkritisch gerade das fordere, was die bestehende Gesellschaftsordnung innerhalb des in ihr ablaufenden Sozialisationsprozesses verlange. Man würde sich also mit der genannten Forderung einseitig auf die Seite jener schlagen, die für die Verfestigung der bestehenden Verhältnisse eintreten. Dem wäre entgegenzuhalten, daß es diese einheitliche und innerhalb der Gesamtgesellschaft gesteuerte Sozialisation, die in jedem einzelnen eine gleiche inhaltliche Füllung seines Strebens nach Selbstverwirklichung bedinge, kaum gibt und in noch geringerem Maße geben würde, wenn die Freiheitsräume des einzelnen innerhalb der beruflichen Welt erweitert würden. Für diese Annahme spricht, daß die Bildung des Selbst durch den bereits genannten "fortwährenden Aktions - Interaktionsprozeß Individuum- Umwelt" in dem Sinne frei erfolgt, als er in den demokratischen Gesellschaften nicht zentral gesteuert wird. Dadurch ergeben sich nahezu unbegrenzte Kombinationsmöglichkeiten, in denen verschiedenartige Anlagen auf höchst unterschiedliche Umweltgegebenheiten treffen können, was den vielfältigsten Ausprägungen des Wunsches nach Selbstverwirklichung Raum gibt. Die Gefahr einer Uniformierung im Sinne der bestehenden Gesellschaftsordnung auf diesem Gebiet besteht also kaum, wofür auch die Häufigkeit spricht, mit der innovative, zum Teil gegen die mehrheitliche Überzeugung gerichtete Gedanken in den demokratischen Gesellschaften auftreten.
1.2
Die Wertorientierung
27
1.2.4 Der Konflikt zwischen den Forderungen Die nachfolgenden Überlegungen sollen von der Untersuchung der Motivation des Verhaltens in Organisationen her eine Organisationsform fördern -
die die Leistung der Organisationsmitglieder - als Verhaltensbeitrag zum Überleben der Organisation- hoch hält
-
das subjektive Gefühl der Zufriedenheit der Organisationsmitglieder zu bewahren oder zu steigern sucht
-
die durch Zugestehen von Autonomie den Organisationsmitgliedern die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung am Arbeitsplatz gibt.
Diese Forderungen werden nur auf geringen Widerstand stoßen, solange sie in Einklang miteinander stehen, insbesondere solange die Forderungen nach Zufriedenheit und Selbstverwirklichung das Lei"' stungsziel nicht gefährden, sondern sogar fördern. Dies ist keine gänzlich utopische Konstellation. Insbesondere Likert (1961, 1967) hat in seinen Schriften Organisationsstrukturen gezeichnet, die der Ermöglichung dieser Konstellation dienen konnten. Vroom (1959, 1960) konnte allerdings empirisch nachweisen, daß Organisationsmitglieder aufgrund verschiedenartiger Persönlichkeitsstrukturen in ihrer Zufriedenheit und in ihrer Leistung höchst unterschiedlich auf ein Autonomieangebot reagieren, so daß die Möglichkeit der Konfliktfreiheit zwischen den drei Forderungen ebenso gesehen werden muß wie die Möglichkeit ihrer Unvereinbarkeit. Während es auf der einen Seite vorstellbar erscheint, daß beispielsweise ein kleines Team in der Forschung arbeitender Menschen, die hoch leistungsmotiviert und für ihre Aufgaben engagiert sind, in weitgehender Selbstbestimmung hohe Leistungen vollbringt und bei seinen Mitgliedern Zufriedenheit über den Stil der Zusammenarbeit und die Ergebnisse ihrer Bemühungen auslöst, ist es auf der anderen Seite denkbar, daß bei bestimmten Personen in spezifischen Situationen die Forderung nach Zufriedenheit und Selbstbestimmung ein gänzliches Nein zur Leistung impliziert, womit der Konflikt der hier genannten Forderungen seine extremste Ausprägung erfahren hätte. Dabei muß dieses Nein zur Leistung nicht auf einer generellen und zeitlich überdauernden einstellungsmäßigen Struktur der Person beruhen, sondern es kann sich sehr wohl als Nein ganz bestimmten Aufgaben gegenüber artikulieren, die gezielt abgelehnt werden, deren Erledigung der Bedürfnisse der Gesamtgesellschaft wegen jedoch erforderlich erscheint. In derartigen Konfliktfällen wird ein Kompromiß zwischen den erhobenen Forderungen notwendig, über dessen konkrete Ausgestaltun1~
28
1. Teil:
Grundüberlegungen
der Psychologe kaum begründete Aussagen machen kann, da damit Fragen berührt werden, die das Zusammenleben der Menschen in beinahe allen ihren Beziehungen berühren. Sieht man die erhobenen Forderungen als gleichberechtigt an, so bedeutet dies im Falle eines Kompromisses, daß auch von der Forderung nach Leistung abgerückt wird, wenn die beiden anderen Ziele dadurch zu stark beeinträchtigt würden. Dies könnte konkret bedeuten, daß man trotz geringerer Produktivität in einer Automobilfabrik auf die Fließbandfertigung verzichtet, wenn dadurch der Zufriedenheit und Selbstentfaltung der Arbeiter gedient würde. Faktisch findet man in Unternehmungen auch Fälle, in denen auf die Einführung von Schichtarbeit, auf die Entlassung älterer oder gebrechlicher Mitarbeiter, auf Kündigungen bei Auftragsrückgang oder ähnliche Maßnahmen verzichtet wird, obwohl sie unter rein ökonomischen Aspekten empfehlenswert wären. Derartige Maßnahmen sind innerhalb einer vom Wettbewerb bestimmten Wirtschaft allerdings nur denkbar, wenn die Unternehmung ihre Wettbewerbsfähigkeit bewahrt und sich nicht selbst gefährdet. Die Umorientierung der Ziele müßte aus diesem Grunde für konkurrierende Unternehmungen synchron erfolgen, wobei innerhalb einer Gesellschaft diese Synchronisierung wohl am besten dadurch erfolgen könnte, daß gesamtgesellschaftlich Kräfte freigesetzt werden, mit denen die aus der reinen. Wettbewerbsgesellschaft erwachsenen und ausschließlich auf Leistung zielenden Tendenzen einen Ausgleich finden müßten. Die Kräfte könnten -:- von Verbänden und Gruppen artikuliert und als Forderungen erhoben - als öffentliche Meinung außerhalb der Organisationen und als Erwartungen der Organisationsmitglieder innerhalb der Organisation wirken (vgl. v. Rosenstiel, 1972, S. 72). Selbst wenn es gelänge, auf diese Weise gesetzgeberische Maßnahmen einleiten zu ·können und damit eine Synchronisation innerhalb einer Wirtschaft zu erreichen, so wären darüber hinaus Wege zu suchen, die die Wettbewerbschancen dieser Volkswirtschaft im internationalen Zusammenhang bewahren müßten~ Das Berücksichtigen des genannten Zielpluralismus und die ständige Notwendigkeit zum Finden von Kompromissen würde zwar einen raschen Wandel verhindern, jedoch eine Beachtung der Bedürfnisse der Mehrheit bedeuten und eine plötzliche Verabsolutierung irgend welcher Zielvorstellungen- etwa durch gewaltsame Aktionen-, die den Wünschen der Mehrheit widersprechen, weniger wahrscheinlich machen. Verlangsamte Veränderungen würden weiterhin gewährleisten, daß Menschen, die innerhalb bestimmter Strukturen sozialisiert wurden und in ihnen ihre Lebensform gefunden haben, nicht von der Entwicklung überrollt und in der sie umgebenden Welt heimatlos werden, son-
1.3 Aufbau des Buches
29
dem sie würden ihnen als Betroffenen die Chance geben, sich im Wandel selbst zu wandeln. 1.3 Aufbau des Budles
Nachfolgend wird - gestützt auf eine Auswahl aus der Vielzahl theoretischer Überlegungen und empirischer, methodisch unterschiedlich durchgeführter Untersuchungen zum Thema der Motivation des Verhaltens in Organisationen- der Versuch gemacht werden, dieses Thema in einem bestimmten theoretischen Zusammenhang geschlossen darzustellen. Dabei soll ein einfaches Modell zugrundegelegt werden, dem die Aufgabe zukommt, die komplexen Zusammenhänge unter bestimmten Aspekten überschaubarer zu machen, während es bei Wechsel des Aspekts möglicherweise gar nichts leistet. Hier drängt sich der Vergleich mit dem Globus auf (vgl. Spiegel, 1961). Er macht als Modell die räumlichen Ausdehnungsverhältnisse auf der Erde überschaubar, leistet jedoch nichts, wenn man nach der geologischen Zusammensetzung der Erde fragen möchte.
1.3.1 Anreiz, Leistung und Zufriedenheit als Forschungsschwerpunkte Überschaut man empirische Arbeiten, die sich unter motivationspsychologischen Gesichtspunkten mit der Leistungsorganisation beschäftigen, so wird man vorwiegend Fragestellungen finden, die sich auf das Anreizsystem, die Leistung und die Zufriedenheit beziehen. Es ist deshalb vor allem erforderlich, die Zusammenhänge zwischen diesen Variablen in einem Modell zu erfassen. Smith und Cranny (1968) haben das versucht. Es gibt innerhalb des genannten Gegenstandsbereichs zwar noch andere Themen, wie überdauernde Arbeitsmotive, Erwartungen, Leistungsintention oder Anspruchsniveau, doch hat es offensichtlich plausible Gründe, wenn das Schwergewicht der Forschung beim Anreizsystem, der Leistung und der Zufriedenheit liegt: Es ist schwer, die überdauernde Motivationsstruktur des Individuums - ist die Phase der Erziehung schwerpunktmäßig vorüber, wie es beim Menschen, der in ·eine Leistungsorganisation eintritt, der Fall ist grundlegend umzuformen. Will man von der leichter manipulierbaren Umwelt her Einfluß auf die Motivation nehmen, so ist es naheliegend, dies über Anreize zu tun, die geeignet sind, bestehende Motive zu aktivieren. So ist es plausibel, daß mall Anreize daraufhin untersucht, ob sie zur Aktivierung solcher Motive geeignet sind, die zu einem mit den Organisationszielen konformen Verhalten - Leistungssteigerung, Betriebstreue, etc.- führen.
30
1. Teil: Grundüberlegungen
Leistung wird traditionellerweise als das primäre Ziel der Leistungsorganisation angesehen, wie der Name schon sagt. Die Untersuchung motivationaler Bedingungen der Leistung liegt somit auf der Hand. Die häufige Untersuchung der Zufriedenheit von Organisationsmitgliedern dürfte- wie bereits angeführt- zwei Gründe haben: zum einen beginnt der Gedanke sich durchzusetzen, daß Zufriedenheit - ganz unabhängig von der möglichen Beziehung zur Leistung - ein Ziel ist, das die Organisation erreichen sollte. Zum zweiten steht hinter der Untersuchung der motivationalen Bedingungen der Zufriedenheit wohl die Annahme, daß die Zufriedenheit- zumindest auf die Dauer gesehenpositiven Einfluß auf die Leistung hat- das Schaffen von Bedingungen, die die Zufriedenheit erhöhen, also einen indirekten Weg zur Verwirklichung des traditionellen Unternehmerziels der Gewinnmaximierung mittels der Leistung darstellt. Anreiz, Leistung und Zufriedenheit werden aus den genannten Gründen häufig untersucht. Es ist dabei plausibel, daß die Frage nach den wechselseitigen Beziehungen dieser drei Variablen gestellt wird. wobei die gegenseitige Beeinflussung von Leistung und Zufriedenheit am heftigsten umstritten ist und daher noch ausführlich besprochen werden soll. Den Versuch von Smith und Cranny (1968), die Beziehungen zwischen den drei genannten Variablen in einem Modell deutlich werden zu lassen, zeigt Beleg 3. Beleg 3
Direkte und indirekte Bedingungen der Leistung
Smith und Cranny setzen sich mit der traditionellen Auffassung auseinander, daß gezielte Aktivitäten auf die Zufriedenheit wirken und diese wieder die Leistung beeinflußt. Das traditionelle Modell impliziert dabei eine Schleüe: das Anreizsystem wirkt auf die Zufriedenheit, diese wieder auf die Leistung, diese wieder auf die Anreize und diese wiederum auf die weitere Zufriedenheit. Smith und Cranny stellen dem ein einfaches Modell gegenüber. Sie gehen von einem jeweils wechselseitigen Einfluß zwischen Belohnung, Anstrengung und Zufriedenheit aus. Jede dieser Variablen kann allein oder zusammen mit der dritten die andere beeinflussen. Weder Zufriedenheit noch Belohnung haben dabei direkten Einfluß auf die Leistung, sondern lediglich auf die Anstrengung. Um ein Beispiel zu geben: Ein Arbeiter kann sich stärker anstrengen, wenn er belohnt wird oder zufrieden ist, ohne daß dies notwendigerweise zu tatsächlich höherer Leistung führen muß. Die Leistung ist also, wie Darstellung 1 zeigt, allein durch die Anstrengung oder intendierte Leistung zu beeinflussen. Die Leistung selbst kann aber wieder auf das Anreizsystem und auf die Zufriedenheit wirken. Smith, P. L. & Cranny, C. J.: Psychology of men at work, Annual Review of Psychology 19, 1968, S. 467-496.
31
1.3 Aufbau des Buches Darstellung 1 (zu Beleg 3)
Direklte und indirekte Bedingungen der Leistung
/
//
/
/
Anstrengungen oder intendierte Leistung
/
/
/
/
Belohnungen oder Anreize
I
)
+-
!
Leistung
"""
k
~
"" "'"'~ Zufriedenheit
Das Interessante des Modells von Smith und Cranny liegt wohl darin, daß die Leistung sich ergibt aus dem Wechselspiel der jeweils gegebenen Interaktionen zwischen Anreiz, Zufriedenheit und Intention, jedoch als direkt abhängig von der neu eingeführten Intention zur Leistung dargestellt wird. Dies ist eine gerade für motivationspsychologische Ausführungen sehr relevante Überlegung, da die Intention zur Leistung weitgehend motivationspsychologisch erklärt werden kann, diese Intention selbst allerdings wohl nur einen begrenzten Varianzanteil der Leistung zu erklären vermag. Leistung ist neben der Intention stark durch Fähigkeiten und Fertigkeiten des Individuums sowie durch materielle und soziale Situationsvariablen des Arbeitsplatzes bedingt.
1.3.2 Ein Modell des motivierten Verhaltens in der Organisation Für unsere Überlegungen erscheint das Modell von Smith und Cranny (1968) darum nicht weit genug, weil es die überdauernde Motivstruktur des Individuums nicht berücksichtigt und somit dem Anreiz als Interaktionsphänomen zwischen der Person in ihrer individuellen Struktur und der Situation als objektivem Tatbestand, wie er etwa von Experten übereinstimmend beschrieben würde, nicht gerecht werden kann. Der besonderen Bedeutung wegen, die die Interaktion zwischen Person und Situation für das motivierte Verhalten hat (vgl. Vroom, 1967, S. 280), soll darauf nicht verzichtet werden. Wir entwickelten also das in Darstellung 2 vorgestellte Denkmodell, das zugleich den weiteren Aufbau dieses Buches kennzeichnet. Dieses Modell ist wie folgt zu verstehen. Eine Person mit bestimmten durch Anlage und Umwelt geprägten Verhaltensbereitschaften, die hier
SITUATION
1
I
MotivAktivierung
~
5
7
1---7
9
Erwartung
PERSON
H Verhaltensintention
6
I
I
Q
§
t..:>
C.:t
'
1()
Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit
~
Oll
§
Oll
1"11
[
s;::
0.
---- ---· ii!""' 'lllf Belohnung bzw 1-Bestrafung
\l-
1-
- - - -- -- - -- - -f-t--- - :!I-- - - -·-- -
Verhalten
"v
~
Ergebnis des Verhaltens
8
---,
~------------------------------------------------
~
1\------,+--------
Oberdauernde 1-------' Motivstruktur
Anreiz
Ir
3
Gegebenheitef der Organisation
'---- -·-
I
I I
I
I I
1
r------------------------
Ein Modell des motivischen Verhaltens in der Organisation
Darstellung 2
1.3 Aufbau des Buches
33
als überdauernde Motivstruktur gekennzeichnet sind (1), steht einer bestimmten Situation gegenüber, die sich innerhalb ihrer Arbeitswelt in objektiv bestimmbaren Gegebenheiten einer Organisation (2) konkretisiert. Diese objektiven Gegebenheiten werden von der Person, ihrer jeweiligen psychologischen Lage entsprechend, selektiv und verzerrt wahrgenommen, wobei jene Wahrnehmungsinhalte, die mit bedeutsamen Verhaltensbereitschaften korrespondieren, zum Anreiz (3) werden, der sich in diesem Sinne als Interaktionsphänomen im Begegnungsfeld zwischen der Person und der Situation ausweist. Als Anreiz sind diese Wahrnehmungen insofern ausgewiesen, als sie bei der Person zur Motivaktivierung (4) führen, d. h. bestimmte Verhaltensbereitschaften werden als Bedürfnisse oder Drangerlebnisse, die auf die im Anreiz wahrgenommenen Inhalte als Ziele ausgerichtet sind, bewußt. Aus diesen Erlebnissen erwachsen Erwartungen (5), die von den bisherigen direkten oder indirekten Erfahrungen bei der Motivbefriedigung geprägt sind und die Inhalt und Form der Befriedigung des aktivierten Motivs betreffen. Je nach dem, wie diese Erwartungen ausfallen, wie etwa Grad und Wahrscheinlichkeit der Motivbefriedigung eingeschätzt werden, kommt es zur Anstrengung oder Verhaltensintention (6}, der dann wiederum im Begegnungsbereich zwischen der Person und der Situation das Verhalten (7) folgt, das freilich nicht nur von der Verhaltensintention, sondern auch von anderen Variablen der Person- ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten - und der Situation - den Ermöglichungsbedingungen für das Verhalten- abhängt. Das Verhalten führt zu Ergebnissen (8), die sich als Veränderungen der Situation zeigen. Die Wahrnehmung und Bewertung dieser unmittelbaren Folgen des Verhaltens oder mittelbarer Konsequenzen dieses Verhaltens in der Situation führt zu den Erlebnissen der Belohnung oder Bestrafung (9}, wobei es vor allem vom Vergleich des tatsächlich Eingetretenen mit dem Erwarteten abhängt, ob das Eingetretene als Belohnung oder Bestrafung erlebt wird. Belohnung und Bestrafung erweisen sich dabei in ähnlicher Weise als Interaktionsphänomene zwischen der Person und der Situation, wie es zuvor für den Anreiz galt. Belohnung bzw. Bestrafung ziehen die Erlebnisse der Befriedigung oder der Frustration, der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit (10) in der Person nach sich, die wiederum auf die überdauernde Motivstruktur (1) zurückwirken und langfristig zur Modifikation bestehender Verhaltensbereitschaften führen können. Ein Beispiel soll das Modell weiter veranschaulichen. Denken wir uns einen Abteilungsleiter in einer Einkaufsabteil ung, der disposi tionell durch hohes Geltungsstreben und starken Ehrgeiz gekennzeichnet ist (1). Er bemerkt in der Organisation, in der er tätig ist (2), daß einer der Hauptabteilungsleiter sich zu verändern wünscht, eine Beobachtung, die von seinen weniger geltungssüchtigen und weniger ehrgeizigen Kollegen 3 Rosenstiel
34
1. Teil:
Grundüberlegungen
nicht gemacht wurde. Für den Abteilungsleiter wird die genannte Wahrnehmung jedoch zum Anreiz (3) und aktiviert in ihm den Wunsch (4}, in eine angesehenere Position, eben in die des Hauptabteilungsleiters, aufzusteigen. Er erwartet (5), daß er dieses Ziel, das ihm auch nach längerer Überlegung lohnend und anstrebenswert erscheint, mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen kann, wenn er bis zur Neubesetzung der vermutlich frei werdenden Position durch außergewöhnliche Leistungen auffällt, und wenn er zugleich den Kontakt zu jenen Personen pflegt, denen er starken Einfluß bei der Neubesetzung zuschreibt. Da sein Ziel ihm also attraktiv und mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichbar erscheint, strengt er sich an (6}, um mit seinem Verhalten im Sinne seiner Erwartung das Ziel zu erreichen. Im Zuge dieses Verhaltens (7) gelingt es ihm aufgrund großer Anstrengungen, seines Verhandlungsgeschicks und glücklicher Umstände, ungewöhnlich günstige Einkäufe zu tätigen und somit eine außergewöhnliche Leistung zu vollbringen, dagegen glückt es ihm aufgrund der verfestigten interpersonellen Strukturen der Organisation nicht, vertiefte informelle Kontakte zum Einkaufsdirektor und zu entscheidenden Herren der Personalabteilung aufzubauen. Als der Zeitpunkt der Neubesetzung für die tatsächlich frei gewordene Stellung des Hauptabteilungsleiters gekommen ist, wird die Bewerbung des Abteilungsleiters mit der Begründung zurückgewiesen, die Unternehmung habe im Regelfall mit Neubesetzungen von außen günstigere Erfahrungen gemacht, ihm wird stattdessen, verbunden mit der verbalen Anerkennung, man habe seine guten Leistungen positiv vermerkt, eine erhebliche Gehaltserhöhung zugestanden (8). Der Abteilungsleiter erlebt diese Gehaltserhöhung jedoch nicht als Belohnung, sondern die gesamte Entscheidung, da sie im Vergleich zu seinen Erwartungen (5) ungünstig erscheint, als Bestrafung (9). Er ist frustriert, zutiefst unzufrieden (10), was auf seine überdauernden Verhaltensbereitschaften der Organisation gegenüber (1) nicht ohne Einfluß bleibt. Er reagiert nicht mehr auf mögliche Aufstiegschancen in der Organisation, d. h. sie werden ihm nicht mehr zum Anreiz, sondern er achtet verstärkt auf die Stellenangebote in den großen Tageszeitungen mit dem Ziel, über einen Wechsel der Organisation seine unbefriedigten Aufstiegsmotive zu befriedigen.
1.3.3 Schwächen des Ansatzes Die Gefahren eines Ansatzes, wie des hier gewählten, liegen auf der Hand. Das Modell ist einerseits nicht formalisiert, gestattet also keine präzisen Verhaltensvorhersagen, etwa in der Form eindeutiger Bestimmung der Beziehungen zwischen den Variablen, sondern kann lediglich lils Denkhilfe bei der Hypothesenbildung und bei der Interpretation verwendet werden. Es führt auf der anderen Seite dazu, daß recht heterogene Forschungsergebnisse, die aus unterschiedlichen Kontexten stam-
1.3 Aufbau des Buches
35
men, methodisch auf voneinander abweichende Weise gewonnen wurden und durch die angewendeten Meßverfahren operational verschiedenartig definiert erscheinen, in einen zusammenfassenden Kontext gestellt werden, obwohl sie -hält man sich streng an die empirische Basisnicht vergleichbar erscheinen. Es zwingt also dazu, von den gewonnenen Daten her zu generalisieren und über die Ausgangssituation - die Untersuchungssituation - hinauszugehen. Dies aber hätte ohnehin geschehen müssen, wollte man nicht bei einer gänzlich summativen und unverbundenen Darstellung theoretischer und empirischer Arbeiten stehen bleiben. Schon der Versuch, einen Vergleich zwischen verschiedenen empirischen Ansätzen vorzunehmen oder Verhaltensvorschriften für die Praxis aus ihnen abzuleiten, würde dazu zwingen, die eng umschriebene und letztlich einmalige Ausgangsbasis zu verlassen und generalisierende und interpretierende Aussagen mit der mit ihnen verbundenen Willkür vorzunehmen. Dabei würden die impliziten Hypothesen und Modelle des Autors über die zu diskutierenden Zusammenhänge ohnehin zumindest implizit in die Überlegungen eingehen, so daß es redlicher erscheint, sie im voraus offen darzulegen. Das Modell selbst wurde - um seine Funktion, komplexe Zusammenhänge überschaubar zu machen, nicht zu gefährden - möglichst einfach gehalten. Bestimmte Beziehungen, die sich bei spezifischen Interessenschwerpunkten als besonders relevant erweisen könnten, wurden daher vernachlässigt. So sind beispielsweise die Umstrukturierung der Wahrnehmung des Anreizes oder der Wandel der Erwartungen im Zuge des motivierten Verhaltens, der Einfluß der Erwartung auf die Wahrnehmung der Situation und der Ergebnisse des Verhaltens oder die Rückwirkung der Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit auf die Wahrnehmung oder Bewertung der Situation im Modell nicht ersichtlich; auch auf die Aufnahme jener Vabriablen, die die überdauernde Motiv- und Einstellungsstruktur und ihre Erwartungen einerseits, die Situation andererseits prägen, wurde verzichtet. Wir glauben dennoch, die für die im Folgenden vorgesehene Darstellung der Motivation des Verhaltens in Organisationen wichtigsten Variablen ausgewählt zu haben, die auch die Abfolge der nächsten Kapitel bestimmen. Zunächst werden die für den Zusammenhang wichtigsten motivationspsychologischen Begriffe vorgestellt; es wird eine knappe "Allgemeinpsychologische Fundierung" jener Aspekte der Motivationspsychologie versucht, die hier wichtig erscheinen. Danach soll die überdauernde Motivstruktur besprochen werden; d. h. es wird "die motivierte Person in der Organisation" in der Form dargestellt, daß die beim Menschen in Organisationen wesentlichsten über3•
1. Teil:
Grundüberlegungen
dauernden Beweggründe beschrieben werden, die ihn dazu veranlassen,
~ruflicher Arbeit nachzugehen.
Im nachfolgenden Kapitel wird "die Organisation als motivierende Situation" beschrieben, d h. es werden die materiellen und sozialen Bedingungen, die Strukturmomente des Arbeitsinhaltes und der umfassenden Organisation vorgestellt, die bei entsprechender Wahrnehmung durch die motivierte Person zu Anreizen werden können, wobei die je nach Persönlichkeitsstruktur unterschiedlichen Folgen des durch diese Anreize ausgelösten motivierten Verhaltens analysiert werden. In einem weiteren Kapitel werden "Motivaktivierung und Verhalten" untersucht, indem die durch Anreize ausgelösten Handlungsabläufe auf den Grad ihrer Übereinstimmung mit den formellen oder informellen Normen der Organisation hin betrachtet werden. Ein letztes Kapitel schließlich setzt sich mit den "Folgen des Verhaltens", den Sanktionen, die sie nach sich ziehen und der emotionalen Resonanz, die diese auslösen, auseinander, um abschließend deren Wirkung auf die überdauernde Motivstruktur der Person zu erkunden. 1.4 Zusammenfassung des 1. Teils
Der Analyse menschlicher Motivation kommt besonderes Interesse zu, da es dadurch möglich erscheint, die komplexe Vielfalt beobachtbaren Verhaltens auf einfachere Strukturen und Abläufe zurückzuführen und das Verhalten dadurch besser zu erklären und zu beeinflussen. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob dies für Verhalten innerhalb formal strukturierter Organisationen auch gilt, da das hier beobachtbare Verhalten weitgehend durch zweckrationale Pläne erklärt und modifiziert werden kann. Die Analyse der Motivation des Verhaltens in Organisationen erscheint hier vor allem dann nützlich, wenn Abweichungen des Verhaltens von der Norm untersucht werden, oder wenn die subjektive Erlebnisweit des Arbeitenden um ihrer selbst willen interessiert. Dies dürfte vor allem dann der Fall sein, wenn Maßnahmen in der Organisation nicht nur am Grad der Leistung, die dadurch erreicht wird, bewertet werden, sondern auch an Kriterien wie Zufriedenheit und Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung. Leistung, Zufriedenheit und Selbstverwirklichung sind auch die Kriterien, an denen im Rahmen der vorliegenden Arbeit Maßnahmen bewertet werden sollen, die Anreiz für Arbeitsmotive sein können. Zwischen den drei Zielen, denen gewählte Maßnahmen dienen sollten, besteht nicht notwendigerweise ein Gegensatz. Es ist jedoch Konflikt zwischen ihnen möglich, der einen Kompromiß bei der Gestaltung der Anregungsbedingungen erforderlich macht.
1.4 Zusammenfassung des 1. Teils
37
Die Wirkung der Anregungsbedingungen auf das motivierte Verhalten wird in einem Modell dargestellt, das zugleich Gliederungsprinzip des vorliegenden Buches ist: Eine Person mit einer bestimmten Motivstruktur nimmt eine umgebende objektive Situation in personspezifischer Weise wahr, wobei bestimmte Wahrnehmungen zum Anreiz werden und zur Aktivierung spezifischer Motive führen. Die Aktivierung führt bei der Person zu bestimmten Erwartungen bezüglich des Verhaltens und seiner Konsequenzen. In Abhängigkeit von den Erwartungen kommt es zu einer Verhaltensintention, die- neben den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Person und den Ermöglichungsbedingungen der Situation das nachfolgende Verhalten bestimmt. Das Verhalten führt zu Konsequenzen, die - gemessen an den Erwartungen - als Belohnung oder Bestrafung erlebt werden und· als emotionale Reaktionen Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit nach sich ziehen. Diese wiederum haben Einfluß auf die Einstellungen jenen Bedingungen in der Organisation gegenüber, die nach Meinung der Betroffenen dafür verantwortlich waren, wodurch wiederum die überdauernde Bereitschaft zur Motivaktivierung modifiziert wird.
Zweiter Teil
2. Allgemeinpsychologische Fundierung Der Begriff der Motivation, obwohl er inzwischen Eingang in die Umgangssprache gefunden hat, wird häufig so unterschiedlich verstanden, daß es ratsam erscheint, vor einer Analyse der überdauernden arbeitsrelevanten Motive der Person in der Organisation die wesentlichsten Begriffe zu klären und- unter dem hier gewählten Aspekt- wichtigste Ergebnisse der allgemeinen Motivationspsychologie vorzustellen. 2.1 Begriffsklärungen: Motiv - Motivstruktur - aktiviertes Motiv- Motivation
Der Mensch zeigt in interindividuell unterschiedlicher Weise die Bereitschaft, auf bestimmte wahrgenommene situative Merkmale hin in spezifischer Weise zu reagieren. Ein Teil dieser Verhaltensbereitschaften zeigt sich nach ihrer Aktivierung in Drang- und Antriebsphänomenen. Hat man diese Verhaltensbereitschaften, die in vielfältiger Weise miteinander verflochten erscheinen, nach irgend einem Prinzip klassifiziert, so sollen die innerhalb der Klassifikation isoliert erscheinenden Verhaltensbereitschaften als Motive, das Insgesamt der Verhaltensbereitschaften einer Person als ihre Motivstruktur bezeichnet werden. Motiv und Motivstruktur sind reine Erklärungsbegriffe. Sie umfassen keine der Beobachtung zugänglichen Phänomene und sind somit innerhalb einer empirischen Wissenschaft nicht unmittelbar erfaßbar. Motiv und Motivstruktur sind Konstruktionen, die innerhalb eines bestimmten theoretischen Kontextes zur Erklärung eines beobachtbaren Phänomens - in diesem Falle des zielgerichteten Verhaltens in spezifischen Situationen - dienen, und auf deren Ausprägung nur vom beobachtbaren Phänomen oder mit ihm korrelierenden 1\Lrkmalen her geschlossen werden kann. Man wird also im Regelfall eine bestimmte Verhaltensbereitschaft von spezifischer Ausprägung bei einer Person annehmen, wenn diese ein bestimmtes Verhaltenin-im Vergleich zu Normdaten- bestimmter Häufigkeit der Intensität auf angehbare Anregungsbedingungen hin zeigte. Motiv und Motivstruktur ließen sich im Sinne von Lersch (1956) auch als spezifische Dispositionen verstehen. "Unter Disposition
2.1 Begriffserklärungen: Motiv
39
... ist also zu verstehen die Bereitschaft und Neigung zum Vollzug bestimmter seelischer Erlebnisse (Form des Fühlens, des Handeins usw.), sofern die Bereitschaft nicht von Augenblick zu Augenblick wechselt, sondern eine jedenfalls relative Dauer hat" (Lersch, 1956, S. 41 f.). Lersch scheint allerdings in den Dispositionen keine theoretischen Konstruktionen zu sehen, denen innerhalb eines bestimmten theoretischen Konzepts Erklärungswert zukommt, sondern er scheint in ihnen psychische Realitäten zu erblicken: "Jede Disposition stellt eine Reaktionsbasis dar und ist als solche entweder angeboren oder - wie beim gebrannten Kind, das das Feuer scheut,- erworben'' (Lersch, 1956, S. 42). Da aber auch Lersch (1956, S. 42) zugesteht: "Dispositionen lassen sich nicht unmittelbar feststellen, sondern nur aus den immer wiederkehrenden Reaktionen der Menschen erschließen", muß die Frage ihres Realitätsgrades als eines psychischen Tatbestandes zumindest offen bleiben. Stößt nun ein Mensch, der im oben gekennzeichneten Sinne durch bestimmte Verhaltensbereitschaften gekennzeichnet ist, also Motive in bestimmten Stärkeverhältnissen und somit eine spezifische Motivstruktur hat, unter bestimmten Voraussetzungen - das der Verhaltensbereitschaft entsprechende Verhalten darf beispielsweise lange nicht mehr gezeigt worden sein - auf eine bestimmte Situation, so wird ein Drang, dieses Verhalten auszuüben, bewußt. Dem folgt in der Regel ein entsprechendes Verhalten - das motivierte Verhalten. Die spezifischen situativen Gegebenheiten, die vom Hande:lnden wahrgenommen worden waren und seine Verhaltensbereitschaft aktivierten, werden als Anreiz oder Anregungsbedingungen bezeichnet. Diese Anregungsbedingungen sind in der Regel die in der Wahrnehmung repräsentierten gegenwärtigen Bestandteile der Situation (beispielsweise ein Plakat der Wirtschaftswerbung, das den Wunsch, ein Auto zu erwerben, bewußt werden läßt). Wird eine innerhalb eines bestimmten Klassifikationssystems isoliert erscheinende spezifische Verhaltensbereitschaft, die als Motiv zu kennzeichnen wäre, durch bestimmte Anregungsbedingungen zum Drangerlebnis aktiviert, so soll hier von einem aktivierten Motiv gesprochen werden. Werden mehrere Verhaltensbereitschaften zugleich aktiviert, die in einer komplexen Situation als Beweggründe des beobachtbaren Verhaltens angesehen oder erlebt werden, so soll von Motivation gesprochen werden. Sucht man das Verhältnis von Motiv, Motivstruktur, aktiviertem Motiv und Motivation zueinander zu veranschaulichen, so ergibt sich eine Struktur, wie sie Darstellung 3 zeigt. Es handelt sich beim Motiv und der Motivstruktur um Erklärungsbegriffe und nicht um Phänomene, die der Beobachtung unmittelbar zugänglich sind. Ein aktiviertes Motiv - bedenkt man die relative Feinmaschigkeit der verbreitetsten polythematischen Ordnungsversuche innerhalb der Motivationspsychologie (vgl. Thomae, 1965 e, S. 425) -
40
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung DarsteLlung 3
Das Verhältnis zwischen Motiv, Motivstruktur, aktiviertem Motiv und Motivation Innerhalb eines bestimmten Klassifikationssystems sich als Zusammenhang mehreisoliert darstellender rer Bestandteile darstelTatbestand lender Tatbestand durch bestimmte Anregungsbedingungen aktivierte Verhaltensbereitschaft
aktiviertes Motiv
der unmittelbaren Beobachtung nicht zugängliehe spezifische Verhaltensbereitschaft
Motiv
Motivation
-Motivstruktur
zeigt sich nur bei starker selektiver Betrachtung oder bei extremer Einschränkung der Anregungsbedingungen in der experimentellen Situation als Beobachtungsphänomen. So wird die Motivation zum entscheidenden Phänomen, das zum Verstehen beobachtbaren Verhaltens herangezogen werden kann. Es handelt sich also im Regelfall um eine Vielzahl aktivierter Motive, die in einer komplexen Situation ein beobachtbares Verhalten erlebnismäßig bedingen. Der Begriff der Motivation soll daher weiter untersucht werden. 2.2 Problemfelder der Motivationspsychologie
2.2.1 Probleme des Motivationsbegriffs
Fragt man nach der Motivation, so fragt man nach den Beweggründen menschlichen Verhaltens, man fragt nach dem Warum (Thomae, 1965 b, S. 14). "Wie auch immer Motivation definiert werden mag, ihr Studium betrifft die Begründung unseres Verhaltens, meint immer dasjenige in und um uns, was uns dazu bringt, treibt, bewegt, uns so und nicht anders zu verhalten" (Graumann, 1969, S. 1). Eine so weite Fassung dessen, was Motivation ist, muß dann auch dazu führen, daß eine Vielzahl sprachlicher Bezeichnungen für Beweggründe des Verhaltens, die alle in das Feld dessen fallen, das Rohracher (1951, S. 68 f.) mit "psychischen Kräften" umschreibt, als gleichbedeutend - oder doch wenigstens nur als unterschiedliches Akzentuieren dessen - zu verstehen sind, was man in der Psychologie als Motivation bezeichnet. Einige wichtige dieser Be-
2.2 Problemfelderder Motivationspsychologie
41
zeichnungen seien hier genannt: Trieb, Triebfeder, Drang, Wunsch, Bedürfnis, Strebung, Wille, Antrieb, Neigung, Instinkt, Beweggrund, Begierde, Intention, Lust, Verlangen. Die Reihe wäre fortsetzbar. Wenn hier die Motivation als der Beobachtung unmittelbar zugängliches Phänomen erscheint, so zeigt es sich zuallererst im Erleben, wird also am unmittelbarsten der eigenen Introspektion faßbar und kann mittelbar anderen Personen durch - etwa sprachliche - Darstellung introspektiv erfaßter Phänomene zugänglich gemacht werden. Man könnte aufgrund dieser Beobachtungen von der Motivation sagen, "daß jeder Antrieb, jeder Drang erlebt wird in der Form einer besonderen Zuständlichkeit oder Befindlichkeit, eines bestimmten Zumuteseins. Wir erleben im Drang einen Zustand des Mangels, der Bedürftigkeit, über den wir hinausstreben: so im Hunger, im Durst, aber auch im Drange nach Geltung und Macht und ebenso in den höheren Strebungen, etwa im Falle der sogenannten Gemütsbedürfnisse oder in dem des metaphysischen Bedürfnisses, in dem Schopenhauer die Grundlage aller Weltanschauung sieht" (Lersch, 1956, S. 94). Während die Sprache die Motivation vom beobachtbaren Verhalten klar abhebt und das eine als Beweggrund des anderen darstellt, zeigen sich beide Phänomene der Beobachtung vielfach verflochten. Die Motivation erlischt nicht, wenn das Verhalten beginnt, sondern begleitet dieses, indem sie dabei beständig modifiziert und spezifiziert wird. Sieht man daher die Erlebniseinheit, die Motivation und Verhalten umfaßt, was Graumann (1969, S. 6 f.) in seinem "Paradigma einer motivational ausgeprägten Situation" durch die nachfolgend genannte Abfolge gekennzeichnet sieht: a) Mangelerlebnis b) Antizipation der Behebung des Mangelzustandes c) Verhalten mit dem Ziel der Behebung des Mangels d) Endhandlung e) Zustand der Befriedigung, auf den nach einiger Zeit wieder der Mangelzustand folgen kann so zeigt sich der Zusammenhang deutlich. Beleg 4 veranschaulicht diesen Ablauf. Beleg 4 'Vie man Durst erleben kann Wenn immer wir Durst verspüren oder aber in der Lage sind, zweifelsfrei von einem anderen Lebewesen, sei es Tier oder Mensch, auszusagen, daß es
42
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
Durst habe, durstig sei, so heißt "Durst" erst einmal: die- sei es selbst spürbare oder an anderen beobachtbare- Tendenz zu trinken. "Selbst spürbar", d. h. unmittelbar und in charakteristischer Weise erlebt. Die charakteristische Weise des Dursthabens dürfte bekannt genug sein, als daß sie noch einzeln beschrieben werden müßte. Nur auf zweierlei sei aufmerksam gemacht: (a) Auf die Empfindungen der Trockenheit im Mund- und Rachenraum, die "durstige Kehle"; (b) auf die Tatsache, daß wir uns als Durstige mehr für das interessieren, was unseren Durst zu löschen vermag, als etwa für noch so köstliche, aber trockene Speisen. "Interessiert", das heißt hier, daß gewisse Gegebenheiten unserer Welt (Getränke, Kühlschränke, Restaurants, Kios~e, saftiges Obst) uns in einem stärkeren Maße beschäftigen, als das im Zustande des Nichtdurstes der Fall gewesen sein mag. "Beschäftigen" wiederum will sagen, daß wir sie aber eher wahrnehmen, sie uns als zu erreichende oder überhaupt erst zu beschaffende vorstellen, sie aussuchen und uns beschaffen, schließlich trinken, bis wir gesättigt oder befriedigt sind: die Empfindung der Trockenheit ist vorbei. Schon aus dieser Skizze unserer eigenen Dursterfahrung dürfte deutlich geworden sein, daß das vom Bedürfnis zu trinken und von der Tatsache, daß unsere Welt prinzipiell Trinkbares enthält, her bestimmte Erleben und Verhalten einen Verlaufscharakter hat, der nach Phasen artikulierbar erscheint: (1) der Erfahrung eines Mangels, als Empfindung oder Gefühl und gegebenenfalls als Urteil, hier Durstgefühl, folgt unter Umständen, wenn nicht schon gleichzeitig mit (1), (2) die Erwartung, daß wenn das und das jetzt getan wird, der Durst gelöscht werden wird. Mit anderen Worten werden die Befriedigung des empfundenen Mangels (das Ziel) und gegebenenfalls die Mittel zur Erreichung dieses Ziels (Zwischenziele) vorweggenommen. Es handelt sich dabei in der Regel nicht um eine Antizipation schlechthin ; vorweggenommen wird vielmehr, daß der Mangelzustand behoben werden kann, vorausgesetzt, ein bestimmtes, zweckmäßiges Verhalten wird in die Wege geleitet. Ob diese Antizipations- oder Erwartungsphase sehr ausdrücklich erlebt wird oder nicht, so gehört doch zu dem nun folgenden Verhalten nicht nur der dahinterstehende "treibende" Mangelzustand, sondern auch die wie immer geartete Erwartung eines ("Ziel"-)Gegenstandes, in Richtung auf den hin ich mich auf den Weg machen muß. Mit anderen Worten treten ein Von-etwas-getrieben sein und ein Auf-etwas-gerichtet-sein zusammen. Über die hiermit verbundene Problematik wird noch zu reden sein. Das Verhalten, das getrieben und gerichtet in Gang kommt, und das heißt ja wörtlich "motiviert" ist, muß wiederum artikuliert werden und zwar dreifach: (3) Der Gang zum Kühlschrank, der Ruf nach einem Bier oder die überlegung, ob noch Trinkbares außer Leitungswasser im Hause ist, sind vorbereitende Verhaltensweisen oder besser instrumentelles Verhalten. Dieses Verhalten hat hinsichtlich des Zweckes, des Trinkens, Mittelcharakter: Es hat seinen Sinn in der Ermöglichung oder Herbeiführung des den Mangelzustand behebenden Verhaltens. (4) Das Löschen des Durstes im Trinken nennen wir in Anlehnung an einen eingebürgerten psychologischen Sprachgebrauch konsumatorisches Verhalten: Das Bedürfnis Befriedigende wird konsumiert. Der allgemeinere Ausdruck für diesen "consumatory act", die Endhandlung, zeigt zugleich an, daß mit diesem Verhaltensakt das konkret motivierte Verhalten zu einem Abschluß kpmmt. Erlebnisdeskriptiv auf unsere eigenen Dursterfahrungen zurückgreifend, müssen wir jedoch als Endphase dieses Motivationsgeschehens (5) den auf das Trinken folgenden Zustand nehmen, in dem wir keinen Durst mehr haben. Das, was die Umgangssprache mit vielerlei Ausdrücken Wlt:
2.2 Problemfelder der Motivationspsychologie
43
Erquickung, Erfrischung, Labung bezeichnet, sei hier allgemein als Zustand der Sättigung charakterisiert. Graumann, C. F.: Einführung in die Psychologie, Bd. 1 - Motivation -, Frankfurt/Bern/Stuttgart 1969, S. 6- 7. Die Motivationen aus dieser Einheit des Ablaufs herauszulösen bedeutet, sie als "Abstraktionen aus dem Aktivitätskontinuum des Organismus I der Persönlichkeit dar(zu)stellen" (Thomae, 1965 b, S . 42). Daß die Sprache die Trennung von Verhaltensgründen und Verhalten nahelegt, wäre für die wissenschaftliche Arbeit kein ausreichender Grund, dies nachzuvollziehen. Als Rechtfertigung dürfte dagegen gelten, wenn dadurch dem wissenschaftlichen Bemühen um Reduktion der nahezu unbegrenzt vielfältigen Formen motivierten Verhaltens Rechnung getragen werden könnte und in jenen Phänomenen, die als Motivation abgehoben werden, bei weiteren Analysen einheitliche Strukturmerkmale entdeckt werden könnten, die in den der Beobachtung sich so verschieden darbietenden Handlungen, die etwa durch "Genußstreben", "Geltungsdrang", "erotische Liebe" oder die "Strebung der schaffenden Teilhabe" (vgl. Lersch, 1956) bestimmt sind, nicht oder nur schwer aufgefunden werden können. Der aus der Reduktion erwachsene Motivationsbegriff könnte dann zur Erklärung des vielfältigen individuellen Verhaltens dienen. Krech, Crutchfield und Ballachey (1962, S. 68 f.) sehen insbesondere in der - bei wechselnden situativen Bedingungen - zu beobachtenden Wahl einer Richtung des Handeins bei der Zurückweisung anderer Alternativen und in der Beharrlichkeit beim Beibehalten eines Handlungsablaufs das motivational Kennzeichnende eines motivierten Verhaltens. Heckhausen (1963, S. 3 f.) sieht bei der Analyse verschiedener Handlungen, Handlungsarten, bei denen auf den Motivationsbegriff verzichtet werden kann, dagegen andere, für die er zur "Denknotwendigkeit" wird. "Es lassen sich mindestens fünf verschiedene Phänomengruppen aufzählen, zu deren Erklärung der Motivationsbegriff unerläßlich zu sein scheint: .,1. Interindividuelle Unterschiedlichkeit und relative Situationsunabhängigkeit des Verhaltens ...
2. Starker und langanhaltender Kräfteeinsatz, besonders wenn sich Hindernisse in den Weg stellen 3. Gerichteter oder geordneter Phasenablauf der psychischen und motorischen Gesamttätigkeit bis ein "natürlicher Abschluß" erreicht ist ... 4. Auffällige Abweichung der psychischen Funktionsleistungen vom Vorgegebenen, Üblichen, Zweckmäßigen, besonders kraß etwa in sog. Fehlleistungen . . .
44
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
5. Binnenerlebnisse von emotionaler bzw. dranghafter Natur, die sich auf bestimmte Objekte oder Ereignisse richten ... " Graumann (1969, S. 20 f.) nennt an gemeinsamen Merkmalen des motivierten Verhaltens die folgenden, deren Auftreten durch die Motivation erklärbar erscheint. Er zeigt, daß spezifische Verhaltensweisen durch die Motivation überhaupt erst in Gang kommen oder durch sie im Grade ihrer Ausprägung intensiviert werden, daß das Verhalten durch die Motivation Richtung und Beharrung erfährt, daß Entstehen oder Wechsel von Bedeutung und Bedeutsamkeit situativer Gegebenheiten durch sie bedingt und daß schließlich im Vollzuge des Lernens Bekräftigung, Schwächung und Aufhören bestimmter Verhaltensweisen als motivationaler Effekt anzusehen sind. Rechtfertigen diese Phänomene es auch, die Motivation aus dem Verhaltenskontinuum herauszulösen und sie zur Erklärung bestimmterhier genannter - Besonderheiten sonst höchst unterschiedlichen Verhaltens heranzuziehen, so sei darüber nicht vergessen, daß erlebnismäßig es ein entscheidendes Kennzeichen der Motivation ist, bestimmte Verhaltensabläufe als verständliche Zusammenhänge (vgl. Thomae, 1965 b, S. 43) erscheinen zu lassen, die phänomenal durch einen Beginn, eine bestimmte Ablaufgestalt und ein Ende gekennzeichnet sind, wie es das in Beleg 4 dargestellte Beispiel veranschaulicht. Wir schließen uns daher auch der bei Thomae (1965 b, S. 43) gegebenen Definition an, die besagt, daß "Motivationsprozesse ... Abstraktionen aus dem Sinnzusammenhang der menschlichen Aktivität (sind), die in ihrem (sinnvollen) Zusammenhang mit Veränderungen jener Aktivität in bezug auf Intensität, Richtung und Form gesehen werden." Damit entfällt auch jene denkbare Differenzierung, nur die eigene, der Introspektion zugängliche Motivation als "unmittelbar beobachtbare oder erschlossene Ereignisse" (Thomae, 1965 b, S. 42) anzusehen, in der Motivation des anderen dagegen, da sie der Introspektion nicht unmittelbar zugänglich ist, jedoch eine hypothetische Disposition zu sehen. Bei phänomenaler Betrachtung wird im fremden beobachtbaren Verhalten Motivation oft unmittelbar sichtbar und läßt jenes Verhalten in seinen Veränderungen in bezug auf Intensität, Richtung und Form als sinnvollen Zusammenhang erscheinen. Das Argument, man könne sich dabei täuschen und in das fremde Verhalten unzutreffende Motivationen hineinsehen (vgl. v. Rosenstiel, 1972, S. 29), ist einerseits naheliegend. Die auf andere Weise erhellte Motivation des anderen- z. B. durch dessen mitgeteilte, introspektiv beobachtete Erlebnisse - kann sich gänzlich anders darstellen. Es ist andererseits aber nicht zutreffend, da das grundsätzlich gleiche Argument auch gegen die Introspektion ins Feld geführt werden kann: Motivationen, die introspektiv beobachtet wurden, können sich bei Verwendung andersartiger Methoden - etwa bei dQr
2.2 Problemfelder der Motivationspsychologie
45
psychoanalytischen Vorgehensweise (Freud, 191617) - anders darstellen und - wertet man die letztgenannte Methode höher - die introspektiv gewonnene Beobachtung als irrig ausweisen. Wesentlicher noch erscheint angesichts der hier bestehenden Hochschätzung der Introspektion das Argument, daß es nicht angemessen erscheint, ein grundsätzlich introspektiv unmittelbar beobachtbares Erlebnisphänomen nur deshalb zur hypothetischen Konstruktion zu erklären, weil es nicht introspektiv, sondern methodisch andersartig erfaßt wurde. Nur am Rande sei hier erwähnt, daß Zweifel am wissenschaftlichen Wert solcher Motivationsbegriffe, wie sie hier gezeichnet wurden, dazu geführt haben, den "Motivationsbegriff als irreführendes Konstrukt" (Kelley, 1970) zu bezeichnen oder- wie es die Behavioristen tateneine "Absage an traditionelle Motivationsbegriffe" (Bergius, 1965, S. 817) zu erteilen, wobei dann die Möglichkeit offen bleibt, Motivation operational durch objektiv meßbare Kriterien zu definieren, etwa den Grad des Hungers durch die Zeitdauer der Nahrungsdeprivation. Wenn hier die Motivation als Phänomen gesehen wird, das sich dem Erleben unmittelbar darbietet und der Motivationsbegriff innerhalb einer wissenschaftlichen Diskussion verwendet wird, weil ihm erheblicher Erklärungswert zuzukommen scheint, so soll einschränkend doch das folgende gesagt sein: Motivation zeigt sich- obwohl auch die Wahrnehmung in bestimmter, durch die Sozialisation geprägter Weise kategorisiert - dem Erleben in individueller und annähernd unverwechselbarer Ausprägung. Diese Individualität geht verloren, wenn man sich wissenschaftlich mit der Motivation auseinandersetzt, da man sich dabei einer, in der Anzahl ihrer Symbole begrenzten, künstlichen oder natürlichen Sprache bedienen muß und somit gezwungen ist, die beobachtbaren Phänomene zu kategorisieren und zu klassifizieren.
2.2.2 Motivation und Ziele Die Beobachtung der Motivation zeigt, daß sie durch den Drang auf bestimmte Ziele hin ausgezeichnet ist, die im Regelfall in der das Individuum umgebenden vorgestellten oder wahrgenommenen Welt liegen; motiviertes Verhalten kann somit nicht frei von allem Umweltbezug gesehen werden. Es bezieht sich in positiver- "hin zu" -oder negativer- "von weg"- Weise auf Ziele, die man entsprechend erreichen oder bewahren bzw. vermeiden oder verlassen möchte. "Das Ziel ist das, worum es im Antriebserlebnis geht. Sofern ein Gegenstand oder ein Zustand ein solches Ziel darstellt, seine Erreichung also die Erfüllung eines Bedürfnisses ist, repräsentiert er einen Wert. Triebe und Strebungen sind, so gesehen, immer Wertgerichtetheiten" (Lersch, 1956, s. 95).
46
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
Das Ziel im motivationspsychologischen Sinne darf nicht mit dem Ziel im System einer teleologisch denkenden Anthropologie verwechselt werden; d. h. Ziel sexueller Motivation muß keineswegs Erhaltung der Art sein, es kann vielmehr im Herbeiführen eines lustbringenden Kontakts mit einem Partner liegen; Ziel der Motivation des Hungers muß nicht Selbsterhaltung sein, es kann durchaus in der Aufnahme von Speisen liegen. So verstandene Ziele und Motivationen sind eng aufeinander bezogen. "Wünsche und Ziele sind interdependent - das eine existiert nicht ohne das andere" (Krech, Crutchfield &Ballachey, 1962, S. 69). Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß Ziele nicht unabhängig voneinander sind. Die Ziele einer Person stehen zueinander in einem komplexen, zum Teil hierarchischen Verhältnis. So gibt es häufig kurzfristige Ziele, deren Realisierung instrumentellen Charakter beim Erreichen eines gewichtigeren langfristigen Zieles hat. Die kurzfristigen Ziele können dabei in bestimmten Fällen austauschbar sein, wenn es mehrere Wege gibt, die zum langfristig angestrebten Ziel führen. Nicht immer sind die kurzfristigen Ziele Zwischenstationen auf dem Weg zum langfristig gesteckten Ziel. Sie können unter spezifischen Anreizsituationen relativ unabhängig vom überdauernden Zielsystem sein. "Kurzfristige Ziele dürften nur vorübergehend wirksam sein, wenn sie keine Beziehung zu den langfristigen Zielen haben. Unter bestimmten Umständen können die kurzfristigen Ziele in Konflikt mit den langfristigen geraten und dennoch für eine beschränkte Zeit wirksam sein" (Blum & Naylor, 1968, S. 361). In diesem Fall kommt es durch intrapersonellen Konflikt zur Behinderung beim Versuch, ein Ziel zu erreichen und somit zu einer Frustration. Frustrationen sind aber natürlich auch - und hier in besonderem Maße - denkbar, wenn die Zielerreichung durch eine in der Umwelt liegende Barriere vereitelt wird. Bei derartigen Frustrationen ist eine plötzliche Umstrukturierung des Zielsystems - wenn auch meist für kürzere zeitliche Abschnitte denkbar. Die besondere Bedeutsamkeit, die den Zielen der Motivation zukommt, wenn man bemüht ist, mit Hilfe des Motivationsbegriffes beobachtbares Verhalten vorherzusagen, dürfte auch der Grund dafür sein, daß der Versuch, Motive zu klassifizieren und in "Motivarten" (Thomae, 1965 e, S. 415 ff.) aufzuteilen, besonders häufig an den Motivzielen orientiert ist, obwohl es durchaus auch andere Klassifikationsaspekte - etwa Bewußtseinsgrad, genetischer Ursprung, Intensität - gäbe. Bei der Klassifikation nach Zielen entstehen erhebliche Probleme. Die Ziele, auf die Motive gerichtet sind, werden überwiegend in der Umwelt gelernt. Die Umwelt, mit der ein Individuum sich im Laufe seines Lebens auseinandersetzt, ist aufgrund kultureller und geographischer Besonderheiten,
2.2 Problemfelder der Motivationspsychologie
47
aufgrund spezifischer Gruppen- und Klassenzugehörigkeit, aber auch aufgrund anlagebedingter Eigenheiten für jeden eine andere. Damit dürfte es unmöglich sein, einen für verschiedene Menschen gültigen vollständigen Motivkatalog zu erstellen. Man müßte ihn also für jedes Individuum gesondert schreiben. Aber auch ein solcher Katalog hätte aufgrund der Veränderung des Individuums in der Zeit- letztlich nur für den Augenblick Gültigkeit, in dem er erstellt wurde. Zudem wäre ein derartiger Katalog äußerst unhandlich, bedenkt man die Vielfalt inhaltlich differenzierter Motive, die ein Individuum erwirbt. Einen Hinweis darauf, mit Zahlen welcher Größenordnung man zu rechnen hätte, gibt eine Untersuchung von Bernard. Der Autor analysierte 400 Veröffentlichungen und stieß dabei auf 5 684 Verhaltensweisen, die als instinktiv bezeichnet wurden, davon allein 853 aus dem Bereich des Sexuellen, 228 aus dem Bereich der Nahrungsaufnahme (vgl. Hofstätter, 1963). Es läge nun nahe, angesichts dieser Sachlage zu resignieren und auf jede inhaltliche Differenzierung der Motive zu verzichten. Man würde sich damit freilich zugleich der Möglichkeit begeben, von der Motivationspsychologie her einen Beitrag zur Vorhersage menschlichen Verhaltens in konkreten Situationen zu leisten. So ist es verständlich, daß immer wieder Versuche unternommen werden, durch Abstraktion zu einem Motivkatalog zu kommen, der interindividuell generalisierbar ist und praktisch keine Begrenzung in der zeitlichen Erstreckung (Kaminski, 1959) aufweist. Dies geschieht in der Regel durch Zusammenfassung verschiedener Ziele, die sich recht plausibel als ähnlich darstellen lassen, wodurch man zu einer begrenzten und praktisch für jede Person zu jeder Zeit gültigen Anzahl von Motiven gelangt. Man hat damit einen polythematischen Motivkatalog (vgl. Lersch, 1956, S. 99) geschaffen. Im Extremfall kann man bei der Verallgemeinerung so weit gehen, daß letztlich nur ein Motiv übrig bleibt, wodurch man zu einem monothematischen System (vgl. Lersch, 1956, S. 98) der Motive gelangt (vgl. Beleg 5). Beleg 5 Von der Schwierigkeit, Motive umfassend zu kategorisieren Es scheint auf den ersten Blick das nächstliegende zu sein, die Mannigfaltigkeit der Antriebe nach der Verschiedenheit ihrer konkreten Ziele zu gliedern. Doch kommt man sehT bald in Verlegenheit angesichts der Mannigfaltigkeit, mit der solche Ziele in den wechselnden Augenblicken erlebten Lebens wirksam sind. Bald wollen wir ruhen, bald tätig sein; wir suchen Nahrung, wenn wir Hunger, und Flüssigkeit, wenn wir Durst haben. Wir haben bald Lust auf Obst, ein andermal auf Fleisch; bald wollen wir reisen, bald zu Hause bleiben; es wechselt das Bedürfnis nach Geselligkeit mit dem Bedürfnis nach Alleinsein. Diese Reihe läßt sich beliebig fortsetzen, ohne daß wir dabei die Chance
48
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
hätten, die Zielrichtungen seelischer Antriebe in allen überhaupt möglichen Abwandlungen erschöpfend anzugeben. Es ist also offenbar aussichtslos, die Mannigfaltigkeit der Antriebserlebnisse von den im je gelebten Augenblick konkret gegebenen, von Situation zu Situation wechselnden Zielen her zu ordnen. Es ist deshalb zu fragen, ob es nicht ein allgemeinstes, noch weitgehend unspezialisiertes Ziel gibt, auf das die Dynamik des seelischen Lebens gerichtet ist und von dem aus wir zu einer Aufgliederung der Antriebe weiterschreiten können. Es gibt Psychologen, die für diese Frage eine einfache Lösung haben. Sie bestimmen das Ziel aller Strebungen in allgemeinster Form als Aufhebung des Zustandes der Bedürftigkeit, als Erfüllung der im Antrieb aktuellen Bedürfnisse, als Zurruhekommen der Spannung und Unruhe, mit der das Bedürfnis im Antriebserlebnis über die Gegenwart hinausdrängt. Und indem man die Aufhebung des Bedürfnisses unter den sehr vagen und allgemeinen Begriff der Lust stellt, kommt man zur Formulierung, Ziel aller seelischen Dynamik, also das, worum es in jeglichem Streben geht, sei die Erreichung von Lust und die Vermeidung von Unlust. Nun ist es fraglos richtig, daß die Antriebserlebnisse zu Ende gehen, wenn die sie begleitende Befindlichkeit eines erlebten Bedürfnisses und Dranges ausgeglichen wird, und daß dieser Ausgleich mit dem Erleben von Lust in einem höchst allgemeinen und vagen Sinne verbunden ist. Aber es ist ebenso klar, daß wir mit einer solchen Bestimmung des Antriebszieles zu keiner Gliederung der Antriebserlebnisse kommen; denn dieses Ziel gilt für alle Drangerlebnisse in gleicher Weise und gibt uns keine Unterscheidungsmerkmale an die Hand, nach denen wir die Mannigfaltigkeit der Strebungen ordnen können. Wir sind also mit der genannten Antwort so klug wie zuvor. Lersch, Ph.: Aufbau der Person, München 1956 S. 96.
Man sollte sich angesichts der in Beleg 5 angesprochenen Probleme die Frage stellen, ob der Begriff des Ziels nicht anders gefaßt werden sollte: stärker abgesetzt vom in der äußeren Situation liegenden Zielobjekt und stattdessen bestimmt an der Qualität des Befriedigungserlebnisses. Operationalisiert könnte dieser Ansatz beispielsweise dadurch werden, daß man Personen die Qualität dieser Erlebnisse im Polaritätenprofil skalieren läßt. Nach bestimmten Klassifikationsregeln könnten die so gewonnenen Kurven ihrer Ähnlichkeit entsprechend zusammengefaßt werden und Handlungen, die zu derartig bestimmten Befriedigungserlebnissen führten, als durch gleiche aktivierte Motive bestimmt bezeichnet werden. So könnte es sich also beispielsweise zeigen, daß drei äußerlich stark unterschiedene individuelle Handlungen wie der Spaziergang eines Menschen mit seinem Freunde, das Lesen in einem Roman und das Tagträumen sich als gleich motiviert erweisen, nämlich als durch das Kontaktbedürfnis bestimmt. Faktisch wird auch gelegentlich ansatzweise so vorgegangen. Wenn man etwa von einem Menschen sagt, er handle leistungsmotiviert, so ist nicht gemeint, daß er eine durch spezifische äußere Kennzeichen bestimmte Aktion auszuführen sucht, sondern daß er in ganz unterschiedlichen Handlungen- beispielsweise beruflicher Arbeit, dem Spiel in der
2.2
Problemfelder der Motivationspsychologie
49
Freizeit, dem gesellschaftlichen Umgang am Feierabend - Leistungswünsche zu realisieren sucht, die Beziehung zwischen Person und Situation also entsprechend der Leistungsthematik wahrnehmungsmäßig strukturiert. So ideenreich manche der monothematischen Theorien - etwa die Individualpsychologie Adlers (1928)- auch sein mögen, so differenziert auch einige der polythematischen Systeme- etwa das von Lersch (1956) uns erscheinen, durchgesetzt hat sich in der neueren Psychologie geht es um thematische Differenzierung der Motive- ein höchst pragmatischer Eklektizismus. Man untersucht jene Motive, die einem aus wissenschaftlichem Interesse oder aus der Besonderheit der konkret zu untersuchenden Situation heraus gerade bedeutsam erscheinen - etwa Leistungsmotivation oder Aggression - und verzichtet dabei auf ein Vollständigkeit beanspruchendes System. Freilich ist auch dabei nicht zu übersehen, daß hier nicht aktivierte Motive als inhaltlich höchst differenzierte, dem Individuum unmittelbar gegebene Erlebniseinheiten untersucht werden, sondern Abstraktionen daraus, die geeignet erscheinen, Erleben und Verhalten verschiedener Individuen in verschiedenen Situationen zu verschiedenen Zeiten zu kennzeichnen. Auch im Rahmen dieses Buches wird auf ein Vollständigkeit beanspruchendes System der Motive verzichtet werden. Thematisch bedeutsame Motive werden selektiv herausgegriffen und auf einer Abstraktionsstufe besprochen werden, die einerseits Generalisierbarkeit zuläßt, zum anderen die Nähe zum individuellen Erlebnisphänomen noch wahren soll. Ist dieser Verzicht - so bedauerlich er erscheinen mag - aus den zuvor genannten Schwierigkeiten heraus auch verständlich, so solltrotz dieser Probleme auf einen Aspekt der Differenzierung der Motive nach ihren Zielen doch nicht verzichtet werden, der bei der Diskussion der Selbstverwirklichung bereits angesprochen wurde. Es scheint, daß sich unter den vielfältigen Dimensionen, auf denen Motivziele sich abbilden ließen, eine befindet, an deren einem Ende starre und nicht veränderliche Ziele stehen, während sich auf dem anderen Extrem Ziele finden, die durch beständige Bewegung und Veränderung gekennzeichnet sind. Als Beispiel für ein Motiv auf dem erstgenannten Extrem mag das Bedürfnis zu atmen, nach Sauerstoff, stehen, das lebenslang in gleicher Weise nach Befriedigung verlangt. Bei den Motiven der Sexualität und des Hungers scheint die Starrheit der Ziele bereits aufgelockert, da sich Sexualität meist nicht nur - wie Freud es umschrieb - als Bedürfnis zeigt, Lust durch rhythmische Reizung von Hautregionen zu gewinnen, sondern darüber hinaus nicht selten ein Wunsch nach Abwechslung im sexuellen Verhalten dem gleichen Partner gegenüber oder gar ein Wunsch nach einem anderen Partner zu beobachten ist 4 Rosenstiel
50
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
und auch Hunger sich nicht nur im Bedürfnis nach Zuführen jeweils gleicher sättigender Stoffe in den Organismus zeigt, sondern sich innerhalb dieser Grenzen auch als Wunsch nach einer bestimmten Abwechslung konkretisiert. Auf der anderen Seite der hier angesprochenen Dimension stehen Ziele, die dadurch gekennzeichnet sind, daß sie sich in beständigem Wandel befinden, so daß spezifisch das Erreichen jeweils von den vorherigen unterschiedenen Umweltkonstellationen die Befriedigung des Individuums ausmacht. Als Beispiele mögen das Erkundungsstreben (Hunt, 1960), das im Aufspüren immer neuer Umweltkonstellationen seine Befriedigung findet, oder die Leistungsmotivation (vgl. Heckhausen, 1965), die häufig im Erreichen immer höher gesetzter Ziele auf einer für verbindlich gehaltenen Güteskala befriedigt wird, genannt sein. Als theoretisches Modell für die Erklärung der Wirkung von Motiven mit starren Zielen bietet sich die Homöostase, der Reglerkreis, geradezu an. Das Modell der Homöostase, das auf Cannon (1932) zurückgeht und bei der Darstellung theoretischer Ansätze noch einmal aufgegriffen werden soll, stellt sich letztlich als Versuch zur Erklärung der körperlichen Vorgänge dar. Für Cannon ist der Organismus ein offenes System, das sich selbst reguliert, um biochemisch im Gleichgewicht zu bleiben, also konstante Bedingungen innerhalb des Körpers zu erhalten sucht. Motive- man denke etwa an Hunger, Durst oder Sexualität- haben innerhalb eines solchen Modells die Funktion, ein Verhalten auszulösen, das geeignet ist, das gestörte biochemische Gleichgewicht innerhalb des Organismus wiederherzustellen. Dies muß dann zu der Vorhersage führen, daß die Motive nach ihrer Aktivierung das Verhalten in einer Weise steuern, daß es stets auf das Erreichen etwa gleicher Ziele in der Umwelt gerichtet ist. Alltagsbeobachtung und wissenschaftliche Analyse des motivierten Verhaltens zeigen nun jedoch, daß - wie oben ausgeführt - viele Motive dadurch gekennzeichnet sind, daß sie bei jeweils neuer Aktivierung ihre Ziele wechseln, was im Verhalten dazu führt, daß die Person sich mit jeweils neuen situativen Bedingungen auseinandersetzt und durch diese Begegnungen ihr Bewußtsein in einer für sie spezifischen Weise weitet. Dadurch bekommt das menschliche Verhalten das Kennzeichen der Expansion, "eine ,expansive' Thematik, die sich in das homöostatische Modell der Motivation nicht einzufügen scheint" (Thomae, 1965 e, S. 453). Für unsere weiteren Überlegungen ist diese Thematik jedoch von großer Bedeutung. Sie ist der wesentliche Beweggrund dafür, uns von den organisatorischen Umgebungsfaktoren der Person fordern zu lassen, daß sie Möglichkeiten für die Selbstverwirklichung der Organisationsmitglieder öffnen, ihnen also Autonomie zugestehen, damit sie in ihren
2.2
Problemfelder der Motivationspsychologie
51
expansiven Bestrebungen nicht zu früh an Barrieren stoßen. Die expansive Thematik ist es auch, die die Arbeit vieler Psychologen, die sich mit der Motivation des Verhaltens in Organisationen auseinandergesetzt haben oder aufgrund dieser Überlegungen Organisationskonzepte entwickelten (z. B. Maslow, 1943, 1954, Argyris, 1957, McGregor, 1960, Likert, 1961, 1967, Herzberg, 1966, Fromm, 1971), bestimmte. Die Unterscheidung von starrer und expansiver Zielsetzung hat geradezu eine Art von Dualismus bei der Betrachtung hervorgebracht, wie etwa die Gegenüberstellungen von Defizitmotivation - Wachstumsmotivation bei Maslow (1943, 1954, 1955) oder der Typen "Adam" "Abraham" bei Herzberg (1966) zeigen. "Man unterscheidet homöostatisch orientierte und nicht homöostatisch orientierte Motive oder Motivationseinheiten" (Thomae, 1965 e, S. 458). Es kann nun nicht geleugnet werden, daß auch Zielwechsel in der Zeit bei bestimmten Motiven in homöostatischen Modellen erklärt werden könnte. Da jedoch dafür einerseits recht komplexe Zusatzannahmen erforderlich wären, da auf der anderen Seite die Rückführung der unterschiedlichen Motivationen auf ein einheitliches Erklärungsmodell nichts an der gewichtigen Beobachtung ändern würde, daß bestimmte Motive in ihren Zielen starr, andere dagegen expansiv sind, scheint in dieser Unterscheidung ein wichtiger Aspekt bei der Kategorisierung der Motive nach Zielen zu liegen.
2.2.3 Der Bewußtseinsgrad der Motivation Es war ausgeführt worden, daß die Motivation - im Gegensatz zu den lediglich als Verhaltensbereitschaften zu verstehenden Konzepten Motiv und Motivstruktur-inder Introspektion unmittelbar zugänglich und bei phänomenologischer Betrachtung auch im fremden Verhalten offenbar werde. Spezifisch die Möglichkeit, Motivation mit Hilfe der Introspektion zu beobachten, setzt voraus, daß die Motivation sich im Erleben zeigt, das stets nur bewußtes Erleben sein kann (vgl. Rohracher, 1951, S. 7). Nun ist auf der anderen Seite nicht zu leugnen, daß - insbesondere wohl bedingt durch die außerordentlich große Bekanntheit der theoretischen Grundannahmen der Psychoanalyse Freuds auch außerhalb der psychologischen Fachwissenschaft - häufig von unbewußt motiviertem Verhalten gesprochen wird. Die "unbewußte Motivation" ist Bestandteil der impliziten Persönlichkeitstheorie sehr vieler Laien, aber auch Fachpsychologen geworden. Damit ist der Begriff des psychisch Unbewußten angesprochen, dessen Differenziertheit und Problematik hier nicht besprochen werden kann (vgl. jedoch Heiss, 1956; Lersch, 1956; Graumann, 1966 b; Franke, 1967). Auf eines jedoch soll aufmerksam gemacht werden: Wird Motivation als Erlebnistatbestand
••
52
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
gefaßt und somit als psychische Realität umschrieben, so muß man sehen, daß das Erleben als Inbegriff des Psychischen durch das Bewußtsein gekennzeichnet ist; Erleben und Bewußtsein könnten geradezu gleichgesetzt werden, da das Erleben sich zum Nichts auflöst, wenn ich nichts von ihm weiß, es mir nicht bewußt ist. Die Annahme eines unbewußt Psychischen als eines realen Tatbestandes wäre somit inhaltsgleich mit der Annahme eines unbewußten Bewußtseins und somit ein Widerspruch in sich (vgl. Franke, 1967). "Es ist klar, daß psychische Vorgänge, die nicht bewußt sind, nicht aus dem Erleben festgestellt werden können (sonst sind sie nicht mehr unbewußt). Das "unbewußte Seelenleben" ist somit keine aus der Erfahrung gewonnene Tatsache, sondern eine Annahme, und zwar eine Annahme, deren Richtigkeit niemals festgestellt werden kann, weil es sich um etwas handelt, dessen entscheidendes Merkmal gerade darin besteht, daß man nichts von ihm weiß .... Das Unbewußte im Freudschen Sinn ist keine wissenschaftlich festgestellte Tatsache, sondern eine Hypothese" (Rohracher, 1951, S. 455). Und -in weiterer Ablehnung dieser "Hypothese" -fährt Rohracher (S. 456) fort: "In Wirklichkeit sind die Triebe, wenn man sie nicht gerade in irgendeiner Form erlebt, nirgends vorhanden; vorhanden - und zwar immer - sind nur die Organe, aus deren 'Tätigkeit das bewußte Triebleben entsteht, sobald sie in Funktion treten." Es bleibt zu fragen, ob die einfache scharf abgrenzende Gegenüberstellung von Bewußtseinsvorgängen, die auf physiologischen Prozessen aufruhen, auf der einen Seite und den Organen des Organismus mit den in ihnen feststellbaren physiologischen Abläufen nicht doch zu undifferenziert ist, um dem hier angesprochenen Problem gerecht zu werden. Außer Frage steht allerdings, daß eine als vollständig unbewußt angenommene Motivation, da sie grundsätzlich als Erlebnisphänomen nicht beobachtbar erscheint, eine Hypothese im Sinne Rohrachers bleiben muß, oder - anders formuliert - sich als Konstruktion darstellen muß, der im Rahmen bestimmter theoretischer Konzepte erheblicher Erklärungswert zukommen kann. Ähnlich gilt dies ja für die Begriffe Motiv oder Motivstruktur, die hier absichtlich nicht als latente oder gar unbewußte Motive, sondern als Verhaltensbereitschaften gekennzeichnet werden. Nicht übersehen werden darf andererseits, daß sich das Erlebnis der Motivation in inter- und intraindividuell weiter Streubreite der Bewußtseinsklarheit zeigen kann. Aus der Tatsache, daß ein Mensch auf Befragen die Motivation einer von ihm selbst ausgeführten Handlung nicht zu nennen weiß, darf nicht geschlossen werden, daß dieser Handlung keine Motivation zugrundelag. Die Motivation kann einen so geringen Grad des Bewußtseins gehabt haben, daß sie sich der Reflexion darüber entzieht. "Die immer wieder hervorgehobene Reihe der Be-
2.2
Problemfelder der Motivationspsychologie
53
wußtseinsstufen läßt für die Erörterung der Psychologie der Motivation eine allzu scharfe Trennung eines Systems ,Unbewußtes' (einschließlich eines ,verdrängt Unbewußten' und eines ,Vorbewußten') von einem System ,Bewußtsein', wie sie auf Freud zurückgeht, als das Ergebnis einer Verallgemeinerung von Einzelbeobachtungen erscheinen" (Thomae, 1965 d, s. 216). Ist der Grad des Bewußtseins der Motivation so gering, daß die Motivation des Verhaltens vom Handelnden nicht genannt werden kann, obwohl er dazu bereit ist, so darf dies nicht in jedem Fall als Indikator dafür angesehen werden, daß diese Motivation sich im "schlichten Erleben" (Lersch, 1956, S. 530 f.) abspielte, da "das Kenntnis nehmende und feststellende Bewußtsein, die noetische Apperzeption" ausblieb (Lersch, 1956, S. 538 f.). Es muß durchaus als möglich angenommen werden, daß dynamische Prozesse im Sinne von Abwehrmechanismen (A. Freud, 1936) die Bewußtseinshelle der Motivation während oder nach der Handlung senkten, wie es die psychoanalytische Motivationstheorie (vgl. Mitscherlieh & Vogel, 1965, S. 759 ff.) nahelegt. Zur Erklärung dieser Dynamik kann grob vereinfachend gesagt werden, daß das Individuum dazu neigt, zu seiner Entlastung das Bewußtsein derartiger eigener Motivationen, die ihm auf der sozial geprägten Dimension des Wünschenswerten als nicht wünschenswert erscheinen, in ihrem Bewußtseinsgrad zu mindern (z. B. durch Verdrängung) oder in ihren Inhalten zu modifizieren (z. B. durch Rationalisierung), "wobei der Bereich des sozial Wünschenswerten oder nicht Wünschenswerten nicht auf eine Triebart zu beschränken ist" (Thomae, 1965 d, S. 217), wie es bei Freud mit seiner starken Betonung der Sexualität schwerpunktmäßig der Fall ist. Die soeben angestellten Überlegungen könnten Fragen, wie die nachfolgend genannten, selektiv herausgegriffenen legitim erscheinen lassen: -
Ist eine Motivation, die ein Mensch als Beweggrund einer Handlung erkennt, stets die zutreffende, oder ist es denkbar, daß andere, vom Handelnden nicht erkannte aktivierte Motive eine wichtigere oder gar die alleinige Rolle beim Zustandekommen der Handlung spielten?
-
Gibt es Handlungen, für die der Handelnde keine Gründe zu nennen weiß, deren Motivation ihm nicht nur nachträglich nicht, sondern zu keinem Zeitpunkt bewußt war?
Zur ersten Frage: Die Beantwortung des hier aufgeworfenen Problems hängt stark von der Bewertung der Methoden der Motivationspsychologie ab. Sieht man die Introspektion - zumindest in einer bestimmten, konkreten Situation - als alleingültige Methode an, so sind die mit ihrer Hilfe
54
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
ermittelten Motivationen meßtechnisch als die zutreffenden definiert. Gewichtet man dagegen - wiederum in einem bestimmten Kontext Methoden, wie sie beispielsweise die Psychoanalyse verwendet (z. B. freie Assoziation, Deutung von Widerstand und übertragung; vgl. hierzu Mitscherlieh & Vogel, 1965, S. 761 f.) höher, so kann sehr wohl ein Widerspruch zwischen den mit Hilfe der Introspektion und jenen mit Hilfe der psychoanalytischen Methoden ermittelten Motivationen ermittelt werden, wobei man dann aufgrund der vorgenommenen Wertung der Methoden jenen Ergebnissen den Vorzug gibt, die auf psychoanalytische Weise ermittelt wurden. Dabei kann sich dann zeigen, daß nicht stets jene Motive, die der Handelnde besten Wissens und Gewissens als Beweggründe seines Verhaltens erkennt, die tatsächlich relevanten Beweggründe waren, sondern andere, von ihm nicht erkannte, also nicht voll bewußte. Die vom Handelnden als Beweggründe erkannten und genannten stellen sich dabei beispielsweise als sogenannte Rationalisierungen dar (vgl. Heiss, 1956). Man denke etwa an einen Manager, der in die höchste Führungsebene drängt, da er, wie er -selbst davon voll überzeugt- versichert, Verantwortung suche. Eingehende tiefenpsychologische Analysen vermögen aber nun zu zeigen, daß es ihm fast ausschließlich um Geltung und Prestige geht, was er aber seines Selbstwertgefühls wegen vor sich und vor anderen nicht eingesteht. Freilich wird man selten Fälle finden, in denen die vom Handelnden besten Glaubens genannten Motive für das Verhalten gänzlich irrelevant waren. Hinter den meisten menschlichen Handlungen stehen mehrere Motive. Vor sich selbst und vor anderen wird man jene eher eingestehen, die mit dem Bild, das man von sich hat, leichter zu vereinbaren sind. Rationalisierungen sind hier nur als Beispiel der vielfältigen Ichabwehrmechanismen genannt, die entscheidend dafür sein können, daß wesentliche handlungsrelevante Motive nicht oder nicht voll bewußt wurden. Projektionen, Sublimierungen, Verdrängungen und andere Ichabwehrmechanismen können zu einem vergleichbaren Effekt führen (vgl. A. Freud, 1936). Zur zweiten Frage: Obwohl es häufig Simulation sein wird, wenn Angeklagte vor Gericht angeben, sie könnten keinerlei Motivationen ihrer Tat angeben, gibt es hier doch Fälle, in denen man diese Auskunft ernst nehmen muß. So mag es sehr wohl Ausnahmesituationen geben, in denen unter dem Einfluß starker Affekte oder Drogen, möglicherweise aber auch bei stark gewohnten, beinahe automatisierten Handlungen die Beweggründe des Verhaltens nur im schlichten Erleben gegeben waren und sich dem reflektierenden Bewußtsein nicht zeigten. Es ist auch denkbar, daß die
2.2 Problemfelder der Motivationspsychologie
55
Motivation zu Beginn der Tat bewußt war, die Erinnerung daran aber einem Verdrängungsprozeß zum Opfer fiel. Es liegen jedoch- und das ist das in diesem Zusammenhang besonders interessant - Berichte vor (vgl. Freud, 1904), die deutlich zeigen, daß der Handelnde sein Verhalten als reinen Zufall, als Versehen, also als nicht motiviert erlebte, obwohl nachträgliche Analyse zeigte, daß dieses als zufällig erlebte Verhalten den Zielen des Handelnden diente. Es ist somit nicht nur plausibel, sondern bei Anwendung bestimmter Methoden oder Erklärungssätze auf der Grundlage einer spezifischen Theorie auch durchaus angemessen, dieses Verhalten als motiviert zu bezeichnen. Es wäre aufgrund des gegenwärtigen Forschungsstandes unrealistisch anzunehmen, daß die Motivation menschlichen Handeins in allen Fällen so klar bewußt ist, daß der Handelnde sie - selbst wenn er dazu bereit und aufgrund seiner Beherrschung der Sprache dazu in der Lage wäre -nennen kann. Die Introspektion kann also selbst dort nicht unkritisch als beste oder einzige Methode der Motivationsforschung eingesetzt werden, wo sie grundsätzlich - da der Handelnde anwesend ist und gefragt werden könnte- anwendbar erschiene. Neben anderen Gründen ist es die inter- und intraindividuell höchst unterschiedliche Bewußtseinsklarheit der Motivationsphänomene, die dazu führt, daß Ergebnisse, die mit anderen als introspektiven Methoden gewonnen wurden, häufig zu besseren Erklärungsansätzen und Vorhersagen des Verhaltens führen, als Versuche, die sich ausschließlich auf introspektiv gewonnene Ergebnisse stützen.
2.2.4 Die Situationsabhängigkeit der Motivation "Es wird heute kaum noch bestritten, daß ein großer Teil (zumindest) der menschlichen Motivationen sich im Laufe des Lebens bildet und ändert" (Heckhausen, 1963, S. 5). Die Motivationen sind also nicht nur auf die die Person umgebende Situation bezogen, da die Ziele der Motivation in dieser liegen, sondern sie hängen auch in zumindest zweifacher Weise von ihr ab: -
Motive und Motivstrukturen im Sinne von Verhaltensbereitschaften werden, langfristig gesehen, in der Umwelt gelernt und sind somit von der Situation geprägt.
-
Bestehende Motive und Motivstrukturen können, kurzfristig gesehen, durch wahrgenommene Anregungsbedingungen, also über Anreize, aktiviert werden, wodurch es zu aktivierten Motiven oder Motivationen kommt.
Wenden wir uns zunächst der genetischen Frage, der langfristigen Prägung der Motivstruktur durch die Umwelt zu. Wenn Motive und Ziele nur interdependent existieren und man davon ausgeht, daß die
56
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
Ziele im Regelfall in der realen oder erinnerten und dann vorgestellten Umwelt liegen - beispielsweise als reales oder phantasiertes Glas Bier, als von fern erschaute oder in Tagträumen geschaffene Partnerin -, so wird man folgern können, daß die Ziele für den Menschen mit dem Kennenlernen seiner Umwelt entstehen und sich aufdifferenzieren, die einzelnen Motive also vom Menschen in der Auseinandersetzung mit der Umwelt gelernt werden. Dieser Satz soll nun nicht überstrapaziert werden. Es spricht vieles dafür, daß es biogene, primäre Motive gibt, die von Geburt an wirken oder durch Reifung - relativ unabhängig von einem Lernprozeß entstehen; man denke etwa an das Bedürfnis nach Nahrung, nach Wärme, nach Sauerstoff, nach sexueller Betätigung. Die konkrete Motivstruktur eines erwachsenen Menschen jedoch wird man - ohne einen schwerwiegenden Fehler zu machen - als erlernt bezeichnen dürfen. Sie ist weitgehend ein Gefüge sekundärer Motive (vgl. Brown, 1961). Die umgebende Welt des Individuums allein ist allerdings nicht Ursache für das Entstehen sekundärer Motive bei Mensch und Tier, sondern das Zusammenspiel der Umwelt mit primären oder anderen bereits gelernten Motiven. So kann - ähnlich wie gelernte Furcht vor einem weißen Käfig als Fluchtmotiv bei Tieren wirkt (vgl. Beleg Nr. 6) - Angst vor der bußgeldfordernden Polizei dann zum Motiv verkehrsgerechten Verhaltens werden, wenn Wunsch nach Geldbesitz als sekundäres Motiv bereits erworben wurde. Beleg 6 Ratten lernen ein Motiv In einem klassischen Experiment wies Miller das Erlernen eines neuen Motivs und seine Wir~ung nach. Miller sperrte Versuchstiere in einen zweigeteilten Käfig. Die eine Hälfte war weiß, die andere schwarz. Der Boden des weißen Käfigs war aus Metall und konnte unter Strom gesetzt werden. Zwischen beiden Hälften befand sich eine Tür. Im ersten Versuchsabschnitt wurden die Tiere im weißen Käfig durch kurze Stromstöße schmerzhaft gereizt. Die Tür stand offen. Die Tiere flohen in die schwarze Hälfte. Der zweite Versuchsabschnitt verlief entsprechend, unterschied sich jedoch dadurch vom ersten, daß die Tür geschlossen war und erst dann geöffnet wurde, wenn die Tiere sich ihr näherten. Der dritte Versuchsabschnitt begann, nachdem die Fluchtreaktion sich stabil ausgebildet hatte. Hier erfolgte im weißen Käfig kein Schlag mehr, dennoch flohen die Tiere in Richtung auf die geschlossene Tür, die sich öffnete, wenn sich die Tiere ihr näherten. Angst vor dem weißen Käfig - Schmerz wirkte ja in dieser Phase des Versuchs nicht mehr - zeigte sich bereits hier als erlerntes Motiv.
2.2 Problemfelder der Motivationspsychologie
57
Im vierten Versuchsabschnitt erhielten die Tiere ebenfalls keinen elektrischen Schlag. In diesem Versuchsabschnitt wurde die Tür zum schwarzen Käfig aber nicht mehr automatisch geöffnet, wenn das Tier in ihre Nähe kam. Das Tier mußte lernen, an einem kleinen Rad zu drehen, durch das die Tür geöffnet wurde. Es ließ sich bei dieser Aufgabe mit der Anzahl der Versuchsdurchgänge ein deutlicher Leistungsanstieg erkennen. Die Befriedigung des aus dem Schmerz abgeleiteten sekundären Motivs wirkte offensichtlich als Bekräftigung. In einem letzten Versuchsabschnitt schließlich mußten die Tiere eine andere Reaktion - die Betätigung eines Hebels - erlernen, um die Tür zu öffnen. Auch hier wirkte die Befriedigung des sekundären Motivs - wie der Leistungsanstieg im Zuge der Wiederholungen zeigte - im Sinne einer Bekräftigung. Miller, N. E.: Studies of fear as a acquirable drive: I, Fear as motivation and fear reduction as reinforcement in learning of new responses, Journal of Experimental Psychology 1948, 38, S. 89 -101. Zeigen bereits Versuche wie diese, die an Tieren vorgenommen wurden, daß Lebewesen, denen man üblicherweise erhebliche Starrheit in ihren Reaktionen auf die Umwelt nachsagt, und deren Verhaltensweisen man vor allem über kaum prägbare angeborene Auslösermechanismen (AAM) gesteuert sieht (vgl. Tinbergen, 1956), in der Lage sind, ihre Motivstruktur durch spezifische Begegnungen mit der Umwelt umzuformen, so darf man beim Menschen als ,.nicht festgestelltem Wesen", das durch "Weltoffenheit" gekennzeichnet ist (vgl. Gehlen, 1950), eine Prägbarkeit seiner Motivstruktur durch die Umwelt in weit höherem Maße erwarten. Wie weit diese unterschiedliche Prägung der Motivstrukturen dabei gehen kann, läßt sich aus den Schilderungen schließen, die die Kulturanthropologen (z. B. Kardiner, 1g.65; Mead, 1971) vom Verhalten in den verschiedensten Gesellschaften gegeben haben. Hier prägte die Umwelt Verhaltensweisen, die nicht nur vom jeweiligen Anreiz abhängen, sondern sich intraindividuell als stabil erweisen und somit durch zeitlich überdauernde geprägte Verhaltensbereitschaften, also sekundäre Motive, erklärt werden können (vgl. Beleg 7). Beleg
7
Prägung menschlichen Verhaltens durch die umgebende Kultur Der Tchambuli-Mann fühlt sich mit seinen sorgfältig frisierten Locken, seinem Lendenschurz aus der muschelgeschmückten Haut von Riesenfiedermäusen, seinem gezierten Gang und seinem selbstbewußten Ausdruck wie ein Schauspieler, der allerhand nette Rollen zu spielen hat. Seine Beziehungen zu allen übrigen Männern sind . . . heikel und schwierig . . . sein Verhältnis zu Frauen ist die einzige sichere, dauerhafte Gegebenheit in seinem Leben ...
58
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
Bei den Tchambuli (haben) die Frauen die eigentliche Macht. . . Für die Nahrung ist man von der Fischerei der Frauen abhängig.... Das wichtigste Gewerbe, die Herstellung der Moskitosäcke ... betreiben ebenfalls nur die Frauen ... Die Frauen überwachen auch den Erlös ... Im Gegensatz zum Leben der Männer, das angefüllt ist mit kleinen Streitigkeiten, Mißverständnissen, Wiederversöhnungen, Dementis und Beteuerungen, denen Geschenke folgen, ist das Leben der Frauen ungewöhnlich frei von Gehässigkeiten und Streit. Auf fünfzig Streitigkeiten der Männer kommt bei den Frauen höchstens eine. Mead, M.: Jugend und Gesellschaft in primitiven Gesellschaften, München 1971, Bd. 3, S. 225 ff. Einfacher strukturierte Beispiele sollen das Erwerben neuer Verhaltensbereitschaften, das Erlernen sekundärer Motive, demonstrieren: Wer gewohnt ist, für sein Bier und für vieles andere stets Geld zu bezahlen, der wird schließlich ein Bedürfnis nach Geld um seiner selbst willen entwickeln. Geld wird ihm am Ende möglicherweise gar wichtiger sein als Bier; er wird auf sein Bier verzichten, um Geld zu sparen, im Extremfall aus Geldgier gar verdursten, verhungern oder erfrieren. Das Mittel wurde zum Zweck. Allport (1937) spricht in diesem Zusammenhang von der funktionellen Autonomie der Motive, die er wie folgt umschreibt: "Die menschlichen Antriebe sind entwicklungsfähig und formbar; sie sind imstande, den Handlungen nachzuwachsen, die damit selber zu Bedürfnissen werden" (S. 384). Allport sieht allerdings diese Formbarkeit als so groß an, daß er auf die Nennung thematisch festgelegter sekundärer Motive verzichtet und einem athematischen Ansatz im Sinne Lerschs (1956) zuneigt. Etwas anders stellt sich der Fall bei der Differenzierung eines primären Motivs in unterschiedliche sekundäre Motive bei verschiedenen Menschen dar. Nimmt man an, daß Hunger ein angeborenes, also primäres Motiv sei, so läßt sich an einem einfachen Beispiel zeigen, wie sich aus seiner Verknüpfung mit bestimmten Erfahrungen sekundäre Motive bilden (vgl. v. Rosenstiel, 1972, S. 31 f.). Man denke sich drei Menschen, die, durch den Umstand bedingt, daß sie in China, Frankreich oder Norddeutschland zur Welt kamen und dort aufwuchsen, gewohnt sind, ihren Hunger schwerpunktmäßig mit Reis, Weißbrot bzw. Kartoffeln zu stillen. Nach einer gewissen Zeit erleben sie - falls sie nicht gerade in Extremsituationen geraten - nicht mehr Hunger als Bedürfnis nach Nahrung in einem allgemeinen Sinn, sondern einen so spezifischen Hunger nach Reis, Weißbrot oder Kartoffeln, daß sie eine ersatzweise Befriedigung ihres Hungers mit einem der jeweils anderen genannten Nahrungsmittel als frustrierend erleben würden. Sekundäre Motivationen wurden erlernt. Ein allgemeines Lernmodell, das zur Erklärung der hier beispielhaft beschriebenen Veränderungsvorgänge innerhalb des motivationalen Be-
2.2
Problemfelder der Motivationspsychologie
59
reichs geeignet sein könnte, ist das des Konditionierens (vgl. Foppa, 1970, S. 43 ff.). Es besagt, in diesem Zusammenhang spezifisch interpretiert, folgendes: "Geht der Befriedigung eines Motivs gehäuft ein bestimmtes Ereignis zeitlich unmittelbar voraus, so entsteht schließlich ein Bedürfnis nach diesem Ereignis um seiner selbst willen und zwar auch dann, wenn dieses Ereignis ursprünglich für das Individuum völlig belanglos war" (v. Rosenstiel, 1972, S. 31). Im letzten der beschriebenen Beispiele stand zeitlich vor der Befriedigung der primären Motivation Hunger die Begegnung mit einem spezifischen Nahrungsmittel, so daß ein Bedürfnis nach diesem zum sekundären Motiv wurde. Das Prinzip, nach dem die Bildung sekundärer Motive aus primären gedeutet wird, stellt sich somit höchst einfach dar: "In der Regel erklärte man die physiologisch fundierten zu solchen "primären" Trieben und leitete von ihrer Verknüpfung mit bestimmten typischen Erfahrungen einige allgemein vorzufindende "sekundäre" Triebe ab" (Thomae, 1965 e, s. 433). In behavioristischen Modellen (vgl. Bergius, 1965, S. 839) stellt sich dieses Erlernen häufig so dar, daß ein unspezifischer Antrieb (Drive = D) und spezifische durch die Erfahrung gewichtete Handlungstendenzen oder Gewohnheiten (Habit = H) miteinander in multiplikativer Weise verbunden werden (etwa bei Hull, 1943). Das aus dem Produkt D X H sich ergebende Reaktionspotential könnte als sekundäre Motivation, wie es hier beschrieben wurde, interpretiert werden. Etwas anders würde sich das Erlernen sekundärer Motive darstellen, wenn man das Modell der stellvertretenden Verstärkung (vgl. Bandura & Walters, 1970) zur Erklärung zugrunde legen würde, das freilich lerntheoretisch weit weniger klar als das des direkten Konditionierens strukturiert erscheint. Das Modell sucht die interindividuelle Übernahme von Verhaltensweisen und die sich daraus ergebende Ähnlichkeit des Verhaltens verschiedener, einander nahestehender Personen (z. B. Vater und Sohn) dadurch zu erklären, daß es folgendes annimmt: Das Verhalten einer Person, das zum Erfolg führt, wird von einer anderen Person, die dieses fremde erfolgreiche Verhalten beobachtete, übernommen. Dabei bleibt offen, ob die Erwartung, selbst mit diesem Verhalten Erfolg zu haben, d. h. Motivbefriedigung zu erleben, Voraussetzung der Verhaltensübernahme ist. Die beim Lernen von Verhaltensweisen nach dem Modellder stellvertretenden Verstärkung vorfindbare Konstanz des neuen Verhaltens ist nun wiederum durch bestimmte aktivierbare Verhaltensbereitschaften erklärbar, die man in diesem Kontext als sekundäre Motive bezeichnen kann. Sieht man die grundsätzlichen Aspekte des hier zum Erlernen von Motiven Gesagten zusammen, so ist durchaus vorstellbar, daß ein Mensch,
60
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
der einer Tätigkeit nachgeht, die in sich keinerlei Anreiz bietet, um sie als Mittel zum Erreichen bestimmter - ihn befriedigender - Ziele zu nutzen, sie schließlich als Selbstzweck akzeptiert und - etwa nach längerem Urlaub oder bei Pensionierung - geradezu ein Bedürfnis nach dieser Tätigkeit zeigt. Wie immer die beim Erwachsenen feststellbaren Motive auch gelernt sein mögen, man wird sie in ihrer inhaltlichen Aufdifferenziertheit sieht man von Extremfällen wie dem Bedürfnis nach Sauerstoff ab als Ergebnis der Interaktion zwischen individuell angelegter Möglichkeit und spezifisch erfahrener Umwelt interpretieren müssen. Das bedeutet wiederum, daß es nur bescheidenen Gewinn bringen dürfte, ohne Beachtung kultureller und sozialer Gegebenheiten Motive zu studieren. Will man über formale Gesetzmäßigkeiten hinausgehend inhaltlich konkretisierte Aussagen über die menschliche Motivation machen, so muß dies in bezug auf die soziokulturelle Umgebung geschehen, in der die Motivstruktur sich bildete. Der Einfluß der Situation auf die Motive zeigt sich aber nicht nur in ihrer zeitlich überdauernden Prägung, sondern auch in der aktivierenden Wirkung, die bestimmte Reizgegebenheiten der Situation, werden sie wahrgenommen, auf die Motive haben. Nun bedarf nicht grundsätzlich jedes Motiv zu seiner Aktivierung der äußeren Anregungsbedingungen. Gerade bei den sogenannten biogenen Motiven, deren physiologische Grundlagen recht gut untersucht und beim derzeitigen Stand der Forschungsmethoden untersuchbar sind, läßt sich auch ohne feststellbare Einwirkung situativer Anreize ein periodischer Wechsel von erlebnismäßigem Verschwinden des aktivierten Motivs aus dem Bewußtsein nach der Motivbefriedigung mit anschließender allmählicher Steigerung der Erlebnisintensität des wiederum aktivierten Motivs bis zur erneuten Sättigung feststellen. So beobachten wir etwa beim Durst, auch ohne einen adäquaten Anreiz wahrzunehmen, das Bewußtwerden eines - eben als Durst bezeichneten - spezifischen Mangelerlebnisses, das - falls es uns nicht gelingt, etwas Trinkbares zu erlangen - immer intensiver und quälender wird. Das dauert an bis wir das aktivierte Motiv schließlich durch eine adäquate Endhandlung - das Trinken einer durstlöschenden Flüssigkeit - befriedigen. Danach verschwindet der Durst vollständig aus unserem Bewußtsein, bis er nach einer bestimmten Zeit wiederum als Mangel bewußt wird, der als Drang die psychischen Energien auf Trinkbares hinlenkt. Hier wirkt also ein innersomatischer Störreiz aktivierend auf das Motiv, und somit ist jener Reiz auslösend, den Freud in "Triebe und Triebschicksale" (1915) als allein wesentlichen ansah und den er (S. 215) als "somatischen Vorgang in einem Organ oder Körperteil, dessen Reiz im Seelenleben durch den Trieb repräsentiert ist", umschrieb und vor
2.2 Problemfelder der Motivationspsychologie
61
dem, da er aus dem Inneren des Körpers kommt, keine einfache Fluchtbewegung schützen kann. Die hier angesprochene und beschriebene Rhythmik im Ablauf des Motivationsgeschehens darf nicht generalisiert werden. Es ist etwa denkbar, daß beim Ablaufen bestimmter erlernter Assoziationsketten Vorstellungen in das Bewußtsein treten, die ein korrespondierendes Motiv aktivieren. Außerdem "sind all jene Ablaufformen zu nennen, bei denen nicht ein ,innerer' Rhythmus, sondern ein äußerer Anlaß das Geschehen einleitet, ohne daß deswegen ein abrupter Übergang von einem zum anderen Geschehenstypus festzustellen wäre" (Thomae, 1965 d, s. 221). Das zuvor gewählte Beispiel des Hungers mag das verdeutlichen. Nicht nur ein körperinnerer - etwa durch den leeren Magen - ausgelöster Reiz kann das Hungermotiv aktivieren, sondern auch die Wahrnehmung einer schmackhaft erscheinenden Speise. Ist etwa die Rhythmik des Hungermotivs eines Menschen so ausgeprägt, daß ihm normalerweise zwischen 12 und 13 Uhr ein kräftiger Appetit bewußt wird, so kann diese Motivaktivierung auch gegen 11 Uhr bereits dadurch erreicht werden, daß man der Person zu diesem Zeitpunkt eine wohlduftende Mahlzeit auf den Tisch stellt oder sie gar nur mit einer sprachlichen oder bildliehen Symbolisierung derselben konfrontiert. Dabei muß allerdings als wahrscheinlich gelten, daß auch dieser Motivaktivierung ein innersomatischer Störreiz zugrunde liegt, der jedoch in diesem Falle nicht einer organismustypischen Rhythmik, sondern der Wahrnehmung eines Anreizes erwuchs. Die intensiven Interaktionen, die im Kontext einer durch einen äußeren Anreiz bestimmten Motivaktivierung zwischen Person und Situation bestehen, zeigen zwei weitere Problemkreise an: Zum einen zeigen die Untersuchungen der Wahrnehmungspsychologie innerhalb des speziellen Gebietes der "social perception" (vgl. Graumann, 1956, 1966 a), daß die Wahrscheinlichkeit, bestimmte Reizkonstellationen der Umgebung als Anreiz wahrzunehmen - und somit gezielte Wahrnehmungsselektion zu üben - ansteigt, wenn die Person durch entsprechende Verhaltensbereitschaften gekennzeichnet ist, zum anderen sinkt die Wahrscheinlichkeit, daß bestimmte wahrgenommene Reizkonstellationen als Anreiz wirken, wenn das durch den gleichen Anreiz aktivierte Motiv kurz zuvor befriedigt und somit gesättigt wurde. Im Kontext des zuvor genannten Beispiels würde dies wiederum heißen, daß jene Person, die um 11 Uhr durch den Anblick einer appetitlich angerichteten Mahlzeit in ihrem Hunger aktiviert worden war und durch ihren Verzehr diesen Hunger gesättigt hatte, durch die Wahrnehmung einer entsprechenden Mahlzeit um 11.30 Uhr nicht noch einmal in ihrem Hungermotiv zu aktivieren wäre. Hier zeigt sich also, daß "jede motivations-
62
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
psychologische Analyse sich im Kontext einer motivationalen Situation bewegen muß" (Graumann, 1969, S. 11). Es besteht sonst die Gefahr, die Motivation ausschließlich von der Person her zu sehen und zu bestimmen, während faktisch die intraindividuelle Varianz des motivierten Verhaltens einer Person einmal stärker durch die Person, das andere Mal stärker durch die Situation bedingt sein kann. Die Wahrscheinlichkeit, mit der die Motivaktivierung auf die Wahrnehmung bestimmter Reizkonstellationen erfolgt, dürfte je nach Motivart unterschiedlich sein. Während eine Vielfalt menschlicher Motive beispielsweise Hunger, Durst, Sexualität, Aktivitätsdrang-zu sättigen sind und unmittelbar nach der Sättigung nur schwer aktivierbar erscheinen, ist bei einer Reihe anderer Motive die Möglichkeit ihrer Sättigung zumindest fraglich, etwa bei den Bedürfnissen nach Geld, Macht, Geltung und Leistung. Jene Starrheit des Verhaltensablaufes, der bei bestimmten Formen tierischen Verhaltens (vgl. Leyhausen, 1965; Tinbergen, 1966; Lorenz, 1970) zu beobachten ist, wo auf einen spezifischen angeborenen Auslösermechanismus (AAM) eine Instinktbewegung- als angeborene Verhaltenskette, die unter normalen situativen Bedingungen selbst- oder arterhaltend wirkt und zur Befriedigung führt zu verstehen - ausgelöst wird, scheint jedoch beim Menschen nicht zu bestehen. Das liegt zum einen wohl daran, (1) daß der Mensch die seine Motive aktivierenden Bedingungen lernt und angeborene Auslösermechanismen bei ihm - von wenigen Ausnahmen abgesehen, wie etwa dem bewegten Schema des menschlichen Obergesichts, das beim Säugling Lächeln auslöst (Spitz, 1969) oder der rundlich-großköpfigen Proportion junger Säugetiere ("Kindchenschema"), die die Intention zu zärtlichem Verhalten aktiviert (Lorenz, 1970) - wohl nicht bestehen, (2) weiterhin daran, daß die Formen des motivierten Verhaltens in je unterschiedlicher Weise von ihm gelernt werden und somit zu einer interindividuell großen Streuung dieses Verhaltens führen (3) und schließlich auch daran, daß zwischen die Wahrnehmung der Anregungsbedingungen und das Verhalten vielfach ein "Hiatus der Bewußtheit" (Lersch, 1956, S. 435) steht, der dem Menschen - zumindest innerhalb der phänomenalen Ebene des Erlebens - die Freiheit der Wahlentscheidung gibt, ob er die Handlung, zu der er sich angeregt fühlt, nun auch ausüben möchte oder nicht. Selbst beim Tier ist die Ablaufform: (1) Wahrnehmung der Auslösungsbedingungen - (2) ablaufstarre Verhaltensfolge nicht der generalisierbare RegelfalL Die Unterschiede zwischen den Arten sind erheblich, aber auch innerhalb einer Art sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Verhaltensweisen groß. Bestimmte Anregungsbedingungen sind rasch, andere kaum ermüdbar; einige der Ablaufformen instink-
2.2 Problemfelder der Motivationspsychologie
63
tiven Verhaltens sind umweltstarr, andere wiederum stark durch die Umwelt prägbar - von der Möglichkeit der meisten Tierarten, auf erlernte Auslöser mit einer erlernten Verhaltensabfolge zu reagieren, einmal ganz abgesehen (vgl. Tinbergen, 1966}. Auch in bezugauf die Wahrnehmung der Anregungsbedingungen sind die Unterschiede groß. Bei zeitlich lange währender Deprivation kann die Schwelle zur Wahrnehmung der auslösenden Bedingungen stark erniedrigt werden, was so weit zu gehen scheint, daß bei extremer Deprivation die Anregungsbedingungen vom Tier in der Phantasie erschaffen oder von ihm halluziniert werden, wie es das Beispiel des in der vergleichenden Verhaltensforschung berühmt gewordenen "halluzinierenden" Stars veranschaulicht (vgl. Beleg 8}. Beleg 8 Wenn die Anregungsbedingungen fehlen Über eine zweifellos magische Erscheinung in der Umwelt eines Vogels berichtet ein befreundeter Forscher: Er hatte einen jungen Star im Zimmer aufgezogen. Der Vogel hatte keine Gelegenheit, je eine Fliege zu sehen, geschweige denn zu fangen. Da beobachtete er (Darstellung 4), daß der Star plötzlich auf einen unsichtbaren Gegenstand losfuhr, ihn in der Luft erschnappte, mit ihm auf seinen Sitzplatz zurückkehrte und nun mit dem Schnabel darauf loshackte, wie das alle Stare mit gefangenen Fliegen zu tun pflegen, und dann das unsichtbare Ding hinunterschluckte. Es bestand kein Zweifel darüber, daß der Star die Erscheinung einer imaginären Fliege in seiner Umwelt gehabt hatte. Offenbar war seine ganze Umwelt derart mit dem ,Freßton' geladen, daß auch ohne das Auftreten eines sinnlichen Reizes das sprungbereite Wirkbild des Fliegenfanges das Auftreten des Merkbildes erzwang, was zur Auslösung der ganzen Handlungsfolge führte. Uexküll, J. v.: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen, Reinheck bei Harnburg 1956, S. 89. Freilich bleibt gerade bei diesem Beispiel - man kann den Star ja nicht fragen - offen, ob er tatsächlich eine "Fliegenhalluzination" hatte, oder ob die Fliegenfanghandlung - ähnlich dem Niesen eines Menschen- mit ihm "durchging". Zeigte sich in den letzten Überlegungen selbst bei Tieren ein hoher Grad der Prägbarkeit und Abhängigkeit der Motivation von der Situation, so darf dieser beim Menschen als lernfähigstem und weltoffenstem Wesen als noch entschieden höher veranschlagt werden. Gerade im Rahmen der Analyse der motivationalen Bedingungen des Ver., haltens von Menschen in Konsum- und Leistungsgesellschaften kann dieser Punkt gar nicht hoch genug gewichtet werden. Wohl alle bei feinerer Differenzierung feststellbaren Motivarten, die das Konsum-
64
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung Darstellung 4 (zu Beleg 8)
Star und imaginäre Fliege
und Leistungsverhalten in unserer Gesellschaft bedingen, dürften im Zuge einer spezifischen Sozialisation gelernt und somit zu einem Teil als Spiegelbild eben dieser Gesellschaft interpretiert werden können. Die Aktivierung dieser Motive wird weitgehend nicht dem ungeplanten und in diesem Sinne zufälligen Auftreten von Anregungsbedingungen überlassen, sondern von mächtigen Gruppen dieser Gesellschaft gehandhabt, deren Macht sich zum Teil gerade dadurch definiert, daß ihnen diese Möglichkeit zusteht. So wird das Konsumverhalten gezielt über die Wirtschaftswerbung beeinfiußt, die ja als Anreiz anzusehen ist, der mit der Absicht eingesetzt wird, die Intensität und Häufigkeit bestimmter Konsumakte zu steigern. Innerhalb der Leistungsorganisationen werden situative Bedingungen geschaffen, die das Ziel haben, als Anreize zur Intensivierung des Leistungsverhaltens zu wirken. Mit der Analyse dieser zuletzt genannten Vorgehensweisen werden sich wesentliche Teile dieses Buches auseinandersetzen. 2.3 Theoretisdle Ansätze
Obwohl bereits die bisherigen Abschnitte erheblich über die reine Deskription der Motive hinausgingen und sich über weite Strecken mit theoretischen Aussagen befaßten, soll nachfolgend ausdrücklich zu bestimmten theoretischen Ansätzen Stellung genommen werden. Dabei scheidet eine umfassende Darstellung auch nur der wichtigsten Motivationstheorien aus, da die Skizzierung dieser vielfältigen unrl
2.3 Theoretische Ansätze
65
heterogenen Ansätze den hier gegebenen Rahmen sprengen würde. Verwiesen sei daher auf das von Thomae (1965 a) herausgegebene Sammelwerk und die Darstellung von Madsen (1968). Auf einige spezifische theoretische Grundkonzepte, die für die folgenden Überlegungen wichtig erscheinen, kann jedoch nicht verzichtet werden (vgl. Neuberger, 1974 a).
2.3.1 Der Stellenwert der Motivationen innerhalb eines theoretischen Modells der Persönlichkeit Zunächst soll nach dem Stellenwert der Motivation innerhalb eines theoretischen Grundkonzepts der Persönlichkeit gefragt werden. In fast allen Lehrbüchern und Gesamtdarstellungen der Psychologie trifft man die Gegenüberstellung der Motivation als Ursache des Verhaltens oder zumindest doch Ursache der Richtung (vgl. Kelley, 1970, S. 499 f.) dieses Verhaltens und der Kognition als Insgesamt der Wahrnehmungs- und Denkprozesse. Diese Zweiteilung wird- um ein besonders bekanntes Beispiel zu nennen - in der Gliederung des von Gottschaldt, Lersch, Sander und Thomae herausgegebenen Handbuchs der Psychologie in 12 Bänden deutlich. Der Band über Allgemeine Psychologie erschien in 2 Halbbänden, die sich mit den kognitiven Prozessen (Metzger, 1966) und der Motivation (Thomae, 1965 a) befassen. Die Modellvorstellungen, die hinter einer solchen Zweiteilung stehen, wurden in besonders klarer Form von Rohracher (1951) aufgezeigt (vgl. Beleg 9). Beleg 9 Psychische Funktionen und psychische Kräfte Wahrnehmung, Gedächtnis und Denken sind die Hilfsmittel, mit denen sich die Lebewesen in der Welt zurechtfinden ... - alles dies dient in erster Linie dazu, Nahrung zu beschaffen, Geschlechtspartner zu finden, Feinde abzuwehren, Gefahren zu vermeiden, kurz, das Dasein möglichst zu sichern. Dies gilt für alle Lebewesen in gleicher Weise: Mensch und Tier verfügen über eine gewisse psychische Ausrüstung zur Erkundung und Bewältigung der Außenwelt . . . Die ganze Gruppe der psychischen Prozesse, die nur Hilfsmittel darstellen, habe ich unter dem Namen "psychische Funk.tionen" zusammengefaßt; mit diesem Wort sollte gesagt sein, daß diese Vorgänge im System der psychischen Erscheinungen nicht selbständig sind, sondern dienenden Charakter haben; sie haben das auszuführen, was ihnen von anderen seelischen Vorgängen aufgetragen wird: Nahrung zu suchen, Geschlechtspartner zu finden, Feinde abzuwehren ... Wer stellt die Aufgabe? Wer gibt die Aufträge und setzt das Ziel, das erreicht werden soll? Die Antwort ist leicht; man braucht nur einige ganz primitive Beobachtungen an sich selbst zu machen, um sie zu finden. Was geschieht, wenn man Hunger hat? Man hält Ausschau, wo man etwas zu essen bekäme; man denkt nach, wie man am schnellsten und besten den Hunger stillt. Wahrnehmung und Denken treten in den Dienst des Nahrungstriebes ... Das ist ein sehr einfaches Beispiel und das Schema der Zusammenarbeit von Trieben und Funktionen, 5 Rosenstiel
66
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
das es illustrieren soll, ist sehr grob; trotzdem reicht es aus, um die meisten Handlungen der Tiere und sehr viele Verhaltensweisen der Menschen zu erklären. Außerdem hat es den Vorzug, daß es den Ansatz zu einem System darstellt, das den Vorgängen im wirklichen Seelenleben entspricht. . . . Man braucht sich nur an starke Trieberlebnisse zu erinnern und man wird nicht bestreiten können, daß die Triebe Kräfte im wahrsten Sinne des Wortes sind ... Der dynamische Charakter des Trieblebens steht außer Zweifel; deshalb werden die Triebe (und Interessen) ... den psychischen Funktionen als psychische Kräfte gegenübergestellt. Damit ist eine Gradeinteilung erreicht, die mit der Wir~ichkeit übereinstimmt und den ganzen Streit um die "Klassifikation" der psychischen Phänomene überflüssig macht. Rohracher, H.: Einführung in die Psychologie, Wien/Innsbruck 1951, S. 375 f.
Diese von Rohracher getroffene Unterscheidung ruht auf einer ehrwürdigen geistesgeschichtlichen Tradition auf. So unterschied Platon in der Politeia innerhalb eines Schichtenmodells das Begierdehafte und das muthaft Strebende vom Geistigen des Menschen, bei W olif finden sich das Vermögen zu erkennen und das Vermögen zu begehren oder zu wollen, in der Vermögenslehre die Grundkräfte "Erkennen" und "Wollen", zu denen allerdings das in der heutigen Psychologie stark vernachlässigte "Fühlen" kommt; bei Kant läßt sich eine Konfrontation zwischen dem Verstand und den Strebungen und Triebkräften feststellen. Diese heute allgemein bewährte Gegenüberstellung, die unter dem Namen der Motivation die aktivierenden Agentien und unter dem Namen des kognitiven Systems die lenkenden und richtungsbestimmenden Agentien versteht (vgl. Brown, 1961, S. 58), vermag bei differenzierterer Analyse des Motivationsphänomens kaum noch zu befriedigen, denn "hier wird die ganze Problematik einer naiven Handhabung introspektiver Klassifizierung des Erlebens deutlich. Man muß zunächst sehr viele Erkenntnisse ausschalten, um die hier vorgenommene Unterscheidung akzeptieren zu können: etwa jene, die Festinger anführte, um die Qualität kognitiver Dissonanzen (also von Wahrnehmungsvorgängen im Sinne Rohrachers) als Motivationseinheiten dartun zu können. Hier setzt das, was Rohracher als "Mittel" klassifiziert, ganz offensichtlich Ziele" (Thomae, 1965 c, S. 4 7). Die in diesem Zitat angesprochene Theorie der kognitiven Dissonanz Festingers (1957) soll kurz beleuchtet werden, da sie das hier aufgeworfene Problem besonders eindrucksvoll verdeutlicht. Die Theorie geht davon aus, daß zwei kognitive Inhalte des Bewußtseins einer Person sich dann in dissonanter Beziehung befinden, wenn bei isolierter Betrachtung der beiden das Gegenteil des einen Inhalts sich aus dem anderen ergeben würde. So würde beispielsweise kognitive Dissonanz ":>estehen, wenn ein Mensch der Meinung ist, praktisch nur des Geldes
2.3 Theoretische Ansätze
67
wegen zu arbeiten, er aber zugleich weiß, daß er anderen gegenüber zu behaupten pflegt, daß das Geld für ihn nur eine geringfügige Rolle spiele und es ihm bei der Arbeit vor allem um die Übernahme von Verantwortung und um Selbständigkeit gehe. Aus der Festingerschen Theorie läßt sich nun ableiten, daß ein Mensch eine so geartete kognitive Dissonanz als negativ bewertete Spannung erlebt und bestrebt ist, Dissonanz zu reduzieren und Konsonanz an ihre Stelle zu setzen. Für das Beispiel hieße dies, daß zu erwarten wäre, daß die genannte Person eine Neigung entwickeln würde, entweder ihre Meinung ihren Aussagl'!n oder ihre Aussagen ihrer Meinung anzupassen, wobei sich aus der Theorie auch Aussagen über die quantitative Ausprägung dieser Neigung ableiten ließen. Wesentlich für den hier diskutierten Zusammenhang ist jedoch vor allem, daß sich aus der Dissonanz zweier kognitiver Inhalte die Tendenz zu bestimmten Verhaltensweisen und somit eine Motivation ergibt. "In gleicher Weise wie Hunger motiviert, motiviert auch kognitive Dissonanz" (Festinger, 1958, S. 70). Die Trennung von Motivation und Kognition innerhalb eines theoretischen Modells der Persönlichkeit erscheint unter diesem Aspekt als wenig zweckmäßig. Eine weitere Überlegung soll die Problematik der Trennung von Motivation und Kognition aufzeigen. Nicht nur bei der - möglicherweise als Ausnahmefall zu kennzeichnenden - kognitiven Dissonanz erscheinen Motivation und Kognition zur nicht sinnvoll auflösbaren Einheit verschmolzen, sondern innerhalb eines motivierten Handlungsablaufs, den Graumann (1969, S. 6) als "Paradigma einer motivational ausgeprägten Situation" bezeichnet und den wir in Beleg 4 dargestellt hatten. Hier ergibt sich der Beweggrund des Handelns, das sich zunächst im zielgerichteten Verhalten zeigt, nicht allein aus einem Mangelerlebnis, sondern aus der Verbindung dieses Mangelerlebnisses mit der Antizipation des nachfolgenden Verhaltens. Die Kraft, die zur Handlung drängt, ergibt sich also nicht aus dem Mangelerlebnis allein, sondern aus der Kombination der im Mangelerlebnis bewußt werdenden Aktivierung eines Motivs mit einer spezifischen Erwartung in bezug auf das zur Befriedigung des Motivs führende Verhalten. Diese Erwartungen gehören nun fraglos dem Bereich der Kognition an. Die "psychische Kraft", wie Rohracher sie bezeichnet, ergibt sich also keineswegs allein aus dem "Trieb", sondern aus der Verbindung des Triebes mit einer "psychischen Funktion". Dabei wurde noch davon abgesehen, daß bei einem von außen kommenden Anreiz die Wahrnehmung, die ebenfalls zu den psychischen Funktionen zählt, entscheidend zum Zustandekommen der Kraft beiträgt. 5'
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
68
Die Verbindung von Motiv und Erwartung zur Vorhersage der Kraft des aktivierten Motivs in Richtung auf das Ziel führte zu der Formalisierung, sie ergebe sich aus dem Produkt aus Motiv und Erwartung (vgl. Atkinson, 1958). Für die Prognose der motivational bestimmten Kraft des in einer Organisation tätigen Menschen formulierte Vroom (1967, S. 18) die Beziehung wie folgt: "Die Kraft einer Person, eine Handlung auszuführen, ist eine monoton ansteigende Funktion der Produktsumme der Wertigkeiten aller Handlungsergebnisse und der Erwartungsstärke, daß die Handlung zur Zielerreichung führen wird." Leider ist die Aussage Vrooms besonders in der formalisierten, aber auch in der verbalen Form nicht ganz klar. Sie soll hier modifiziert werden: Die Anstrengung einer Person, eine Handlung auszuführen, ist eine monoton ansteigende Funktion der Summe jener Produkte, die sich aus den Wertigkeiten der damit verbundenen Handlungsfolgen und der subjektiven Wahrscheinlichkeit, sie erreichen zu können, ergeben. D. h.: A; = f; [ .~ (Eii · W;)] 1=1
dabei ist A; Eii
w1
=
die Anstrengung, die Handlung i auszuführen die subjektive Wahrscheinlichkeit (0 :::;: E;i :::;: 1), daß die Handlungsfolge j der Handlung i folgen wird die Wertigkeit der Handlungsfolge j
Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Wenn ein Student die Mitgliedschaft in einer studentischen Verbindung hoc.lJ. bewertet und glaubt, diese Mitgliedschaft durch seine Bewerbung mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit erreichen zu können, so wird er sich bei der Bewerbung besonders anstrengen. Dieses hier genannte Produkt aus motivational bestimmter Wertigkeit und kognitiv bestimmter subjektiver Wahrscheinlichkeit, das Vroom als Kraft (in der Modifikation: Anstrengung) definiert, unterstreicht die klassifikatorischen Probleme, die bei der Trennung von Motivation und Kognition innerhalb eines theoretischen Modells der Persönlichkeit entstehen. Die soeben dargestellte Modellvorstellung der motivationalen Kraft wirft zugleich die weitere Frage auf: Was ist inhaltlich unter jenem Teil des Produktes zu verstehen, den Vroom als Wertigkeit ("valence") kennzeichnet? Die Formalisierung, die Vroom (1967, S. 17) vorschlägt,und die letztlich auf Lewin (1938) zurückgeht - , führt nicht weiter. Sie lautet: "Die Wertigkeit eines Handlungsergebnisses für eine Person ist eine monoton steigende Funktion der Summe aller Produkte aus den Wertigkeiten anderer Verhaltensergebnisse und der wahrgenommenen
2.3 Theoretische Ansätze
69
Instrumentalität des Handlungsergebnisses zum Erreichen dieser anderen Ergebnisse." Auch hier sei wieder zur Verdeutlichung umformuliert: Die Wertigkeit einer Handlungsfolge für eine Person ist eine monoton steigende Funktion der Summe jener Produkte, die sich aus den Wertigkeiten bestimmter Ziele und der wahrgenommenen Instrumentalität der Handlungsfolge beim Erreichen dieser Ziele ergeben.
dabei ist W; = die Wertigkeit der Handlungsfolge j l;z = die wahrgenommene Instrumentalität (-1 :::; l;z :::; Handlungsergebnisses j für das Erreichen des Zieles z W z = die Wertigkeit des Zieles z Auch das sei am Beispiel aufgezeigt:
+ 1)
des
Fortsetzung des zuvor genannten -
Wenn der Student Kontakt zu ihm ähnlichen Personen, berufliche Karriere und gesellschaftliche Geltung hoch bewertet und jeweils glaubt, daß die Mitgliedschaft in einer studentischen Verbindung mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Erreichen der genannten Ziele führt, so wird die Mitgliedschaft in der Verbindung selbst eine hohe Wertigkeit erlangen. Da hier letztlich eine Wertigkeit durch eine andere Wertigkeit erklärt ist, bleibt die Frage nach dem Inhalt der Wertigkeit unbeantwortet. Die Formel enthält allerdings implizit eine Meßvorschrift, wie diese Inhalte ermittelt werden können. Einen solchen Weg sind etwa Georgopoulos, Mahoney und Jones (1957) gegangen, indem sie Arbeiter einer Haushaltsgeräte herstellenden Fabrik danach befragten (1) wie hoch sie bestimmte Ziele (z. B. den Aufstieg) einschätzten und (2) ob sie glaubten, daß hohe Leistung förderlich sei, die zuvor genannten Ziele zu erreichen. Vorhergesagt wurde, daß hohe Leistung für diejenigen eine höhere Wertigkeit haben müßte, die (1) die zunächst erfragten Ziele hoch einschätzten und (2) die Auffassung vertraten, daß hohe Leistung zum Erreichen dieser Ziele beitragen müßte, was weiterhin zur Prognose höherer Leistungen bei dieser Gruppe führte.
2.3.2 Grenzen des homöostatischen Prinzips Nun kann es allerdings nicht möglich sein, in einem "procedere ad 'infinitum" die:' Wertigkeit bestimmter Handlungsergebnisse aus der Wertigkeit anderer, für deren Erreichen sie subjektiv instrumentellen Charakter haben, abzuleiten. Man stößt sonst auf das Problem, das be-
70
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
reits Rudert (1942) angesprochen hat, indem er auf die "Kulissenhaftigkeit der Triebziele" verwies. Diese Kulissenhaftigkeit stelle sich so dar, daß sich hinter jedem Ziel ein Hintergrund finde, der dann jeweils als eigentliches Triebziel angesprochen werden könne; die Triebziele erweisen sich also als ineinander geschachtelt wie die Schalen einer Zwiebel. Dieser Problematik entgeht man, wenn man bei jenen Zielen, die bei der Besprechung der Klassifikation der Motive als relativ invariabel gekennzeichnet werden, auf eine zu feine Klassifikation verzichtet und sich metapsychologischer (Lersch, 1956, S. 101) Fragestellungen enthält. Sieht man also das Bedürfnis sich zu ernähren als Einheit- nicht untergliedert in Partialziele wie Bedürfnissen nach Wohlgeschmack, zu kauen oder dem Gefühl angenehmer Sättigung - , so wird es sich in der Regel als Selbstzweck zeigen und nicht als im Dienst anderer Motivbefriedigungen stehend aufzeigen lassen. Eine metapsychologisch denkbare Annahme, "daß die nicht mehr reduzierbare Thematik des Nahrungstriebes das biologische In-Form-sein ist" (Lersch, 1956, S. 101), dürfte in der Regel erlebnismäßig nicht präsent sein und kann somit als Motivziel oder Wertigkeit nicht genannt werden. Nur am Rande sei vermerkt, daß selbstverständlich auch der in diesem Beispiel genannte Nahrungstrieb partiell funktionalen Charakter erhalten kann, wenn nämlich eine Person ihn in der Verfolgung des Konzepts ihres Selbst beispielsweise in den Dienst der Entwicklung einer sportlich leistungsfähigen Körperlichkeit stellt. Als Theorie solcher Motivationsvorgänge, die sinnvollerweise auf psychologischer Ebene nicht weiter reduzierbar erscheinen und sich auf relativ invariable Ziele richten, erscheint die bereits kurz skizzierte, auf Cannon (1932) zurückgehende Homöostase geeignet. Dieses Prinzip taucht in der Psychologie häufig auch unter der Umschreibung auf, daß der Organismus darauf gerichtet sei, sein Gleichgewicht zu erhalten. Cannon selbst sah, über rein körperliche Abläufe hinaus, in den menschlichen Grundbedürfnissen wie Hunger und Durst zweckdienliche Einrichtungen des Organismus, die der Homöostase, dem Gleichgewicht innerhalb des Organismus, dienten. Die Homöostase wurde jedoch bei anderen Autoren (z. B. Freeman, 1939) keineswegs auf die Grundbedürfnisse beschränkt, sondern das Gleichgewichtsprinzip zur Theorie aller motivationalen Abläufe erhoben oder sogar- wie bei Stagner (1951)- zum Modell der gesamten Persönlichkeit erklärt. Der Nutzen, den ein solches Modell beim gegenwärtigen Forschungsstand für die Erklärung solcher Motive bringen könnte, die durch hohe Variabilität ihrer Ziele gekennzeichnet sind, erscheint jedoch zweifelhaft.
2.3 Theoretische Ansätze
71
Die Hornöostase ist ein nützliches Modell, wenn man zu erklären sucht, wieso das Verhalten eines Menschen auf das Erreichen von Nahrung, Wärme, Ruhe oder eines Ckschlechtspartners hindrängt. Mit Hilfe von Meßvorschrüten, die auf der Grundlage hornöostatischer Modellvorstellungen entwickelt wurden, dürften sich innerhalb dieser Gebiete recht gute Verhaltensprognosen erstellen lassen. Fraglich erscheint jedoch der Beitrag der Hornöostase zur Erklärung eines hier beispielhaft zu nennenden Vorgangs: Man stelle sich einen Menschen vor, bei dem der Großteil der Energie auf den Erwerb von Geld gerichtet war und der plötzlich bei völliger Vernachlässigung dieses Zieles in die politische Arbeit drängt, um die gesellschaftlichen Strukturen humaner zu gestalten. Zwar ist es denkbar, komplexe Zusatzannahmen zu entwickeln, die geeignet sein könnten, auch ein Geschehnis wie dieses "post hoc" hornöostatisch zu erklären; die gewichtigeren Verhaltensprognosen für Abläufe motivierten Verhaltens, wie sie hier beispielhaft skizziert wurden, erschienen auf hornöostatischer Grundlage - zumindest bislang - nicht möglich. Dies sei weiter verdeutlicht: Man kann sich "nicht darüber hinwegtäuschen, daß Menschen Spannungen und auch Unstimmigkeiten nur deswegen aushalten, weil sie sich ihrer nicht bewußt oder weil diese personal irrelevant sind. Daß Spannungen, besonders auch im Geistigen, geradezu aufgesucht werden, vielleicht um eben dieser Spannung willen, mag nicht für alle Menschen zutreffen, wird aber zur Kennzeichnung mancher Persönlichkeits-Strukturen hinzugehören. Der Kritik an den Gleichgewichtstheorien ... muß man gerade in dieser Hinsicht zustimmen ... Noch trägt kein motivationspsychologisches Modell dem Rechnung, daß nicht nur die Auflösung von Spannung immer wieder erstrebt wird. Auch das Aushalten von Spannungen, die keine unmittelbare Lösung im menschlichen Bemühen finden, vermag als geistiger Wert im Menschen zu Handlungen zu motivieren" (Graurnann, 1965 b,
s. 298 f.).
Es "ist festzustellen, daß die Hornöostase kein gutes, allseitig verwendbares Modell des Verhaltens darstellt. Wenn man den Begriff in sehr weitem funktionellem Sinne faßt, so wird dadurch das Vokabular unnötig erweitert. Wenn wir es in dem engen Sinne eines negativen Rückstoßrnechanisrnus gebrauchen, dann finden wir, daß das Modell nicht allen Tatsachen gerecht wird und dies auch nicht kann. Wir können es passend machen, indem wir eine Reihe von Erfindungen zu den beobachteten Tatsachen hinzufügen, aber es liegt kein ersichtlicher Grund vor, weshalb man so vorgehen sollte. Natürlich gibt es Hornöostase in bezug auf bestimmte Variable, und man sollte versuchen herauszufinden, um welche es sich dabei handelt. Aber sie ist als Spezialfall des allgerneinen Begriffs der Reaktion von Systemen auf Zuführen anzusehen. Es gibt
72
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
keine Notwendigkeit anzunehmen, daß der Organismus eine kunstvolle Maschine sei, die dem Zweck dient, sich selbst immer wieder in den status quo ante zu bringen" (Davis, 1970, S. 486). Lewin (1926), dessen Motivationstheorie ebenfalls als Gleichgewichtstheorie zu verstehen ist, zeigt eine Möglichkeit, auf welche Weise die wissenschaftliche Arbeit in diesem Punkte weitergehen könnte. Er sucht die Störung des Gleichgewichts, die motivierend wirkt, nicht innerhalb des Systems Organismus, sondern innerhalb eines als Einheit zu betrachtenden Systems aus Persönlichkeit und umgebendem Lebensraum. Die homöostatische Modellvorstellung in ihrer strengen Form ist freilich damit bereits aufgegeben, da sie sich ausschließlich auf den Organismus bezieht. Der Einwand, daß jene Teile der umgebenden Situation, die verhaltenswirksam werden, innerhalb des Organismus repräsentiert sein müssen, erscheint bedenklich, da durchaus nicht auszuschließen ist, daß auch objektive, innerhalb des Organismus nicht repräsentierte Bestandteile der Situation auf das motivierte Verhalten wirken. Zumindest ist es aber nicht möglich, alle das Gleichgewicht beeinflussenden Bestandteile der Situation an Kriterien des bewußten Erlebens oder - beim jetzigen Stand der Forschung - an physiologischen Kriterien zu bestimmen. Darüber hinaus warnt Lewin vor allzu naiven Gleichgewichtsannahmen, indem er betont, daß die Tendenz zur Herstellung des Gleichgewichtszustandes sich nur auf das Gesamtsystem beziehe, also die Möglichkeit gespannter Zustände in Untersystemen offen lasse und daß zudem die Wiederherstellung von Gleichgewicht keineswegs die Abwesenheit von Spannung implizieren müsse. Dies zeigte auch bereits das Zitat Graumanns auf. Für die Erklärung komplexerer Formen motivierten Verhaltens mit variablen Motivzielen, insbesondere derartiger, die innerhalb der Thematik der Selbstverwirklichung stehen und durch die Kriterien des Wachstums (vgl. Maslow, 1943, 1954, 1955; Herzberg, 1966) gekennzeichnet werden könnten, sei daher auf die Theorie der Homöostase verzichtet und nach anderen theoretischen Modellvorstellungen gesucht. Lersch (1956, S. 101) geht davon aus, "daß einerseits die Strebungen den Angelpunkt des seelischen Lebens bilden, und andererseits dieses seelische Leben ein Prozeß ist, in dem sich unser auf der Welt entworfenes Dasein von der Geburt bis zum Tode entfaltet und verwirklicht. Wenn diese beiden Voraussetzungen stimmen, dann müßte es möglich sein, die Strebungen über das je und je erstrebte, von Situation zu Situation wechselnde konkrete Ziel hinaus auf die Thematik dessen zurückzuführen, als was sich das menschliche Dasein zu verwirklichen sucht." Lersch nimmt die Bestimmung dessen, auf was hin menschliches
2.3 Theoretische Ansätze
73
Dasein sich zu verwirklichen suche, anthropologisch vor. Hier soll ein stärker empirisch ausgerichteter Standpunkt gewählt werden. Trifft ein Mensch mit seinen Anlagen und seinen jeweils geprägten Besonderheiten auf die ihn umgebende Welt, so entwickelt er aus der sich daraus ergebenden Interaktion im Zuge des Sozialisationsprozesses einen Entwurf seines Selbst, den zu verwirklichen er anstrebt (vgl. Brophy, 1959). Er kann sich im Zuge des weiteren Sozialisationsprozesses ändern und somit die beobachtbare Erscheinungsform sich wandelnder Ziele aufweisen. Dieses angestrebte Selbstkonzept stellt sich innerhalb der nach einer Klassifikation gewonnenen Dimensionen in Form von Wertigkeiten dar, die zwar genetisch ableitbar, jedoch nicht auf dahinter stehende Motivziele reduzierbar sind. Handlungsergebnisse, die instrumentellen Charakter für das Erreichen dieser Wertigkeiten haben, werden selbst anstrebenswert und führen in Abhängigkeit von der subjektiven Erwartung, das Ziel zu erreichen, zu einem Krafteinsatz, einer Intention, in Richtung auf dieses Ziel. Wenn also Vroom (1959, 1960) in empirischen Untersuchungen und theoretischen Erwägungen zeigen konnte, daß Personen, die sich mit Hilfe von Selbstbeschreibungsverfahren als gekennzeichnet durch hohes Bestreben nach Selbständigkeit und geringe Merkmale autoritärer Persönlichkeitsstrukturen beschreiben, auf das Angebot von erhöhter Autonomie am Arbeitsplatz mit gesteigertem Leistungseinsatz und höherer Zufriedenheit reagierten, als Personen, die sich in gegenteiliger Weise kennzeichneten, so läßt das die folgende Interpretation zu: Das Autonomieangebot aktivierte selbständige Zielsetzungen, denen instrumenteller Wert beim Erreichen des angestrebten Selbstkonzepts zugeschrieben wurde. Das Erreichen dieser Ziele implizierte höhere Leistung und zog- als Schritt auf ein erstrebtes Ziel hin- erhöhte Zufriedenheit nach sich. Sucht eine Person ein angestrebtes Selbstkonzept oder Zwischenziele auf dem Wege dorthin zu erreichen, so konkretisieren sich diese Ziele als Wertpunkte auf einer für die Person verbindlichen Skala, die empirisch zu ermitteln wäre. Erlebte Diskrepanzen zwischen dem wahrgenommenen Ist-Wert und dem angestrebten Wert, der als Sollwert zu bezeichnen wäre, werden innerhalb dieses Konzepts motivierend wirken und ein Verhalten auslösen, das auf Minderung dieser Diskrepanz ausgerichtet ist. Auf seelisches Wachstum gerichtete Motivation wird hier also in der Form verstanden, daß sich aus der Interaktion von Person und Situation -in dynamischer Fortentwicklung- ein Selbstbild strukturiert, das zu erreichen Ziel der Motivation ist. So schreibt Super (1953, S. 190) für den gerade in diesem Buch interessierenden Bereich des Verhaltens: "Der
74
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
Vorgang der beruflichen Entwicklung ist im wesentlichen der, ein Selbstbild zu entwickeln und zu verwirklichen."
2.3.3. Physiologische Grundlagen und Erlebnisrepräsentanz der Motivation Die hier grob vorgenommene Zweiteilung von Motivarten, deren eine Gruppe auf relativ invariante Ziele gerichtet ist, den Zustand des organismischen Gleichgewichts zu erhaltensucht und in diesemSinne "konservativ" ist und deren andere sich verändernde Ziele zeigt, auf die Verwirklichung des sich im Sozialisationsprozeß wandelnden angestrebten Selbstbildes gerichtet ist und in diesem Sinne "expansiv" ist, kannselbst wenn man die hier bestehenden fließenden Übergänge sieht - zu einem Mißverständnis führen. Dieses mögliche Mißverständnis besteht darin, daß man die erste Gruppe der hier angesprochenen Motive für physiologisch bedingt und somit somatogen hält, während man die zweite Gruppe für bedingt durch die soziale Umwelt und somit für soziogen oder auch psychogen hält und dabei somatogen und soziogen zu unvereinbarenden Prinzipien erklärt. Diese mißverständliche Sichtweise deutet sich sogar in der Fachliteratur gelegentlich an, wenn etwa Lersch (1956, S. 71) schreibt, "daß Erlebnisvorgänge und -zustände nicht nur in innerseelischen Zusammenhängen, sondern auch in leiblichen Prozessen die Bedingungen ihres Zustandekoromens haben können" oder wenn Blum und Naylor (1968, S. 329) folgendes aussagen: "Das spezifische Verhalten ... wird zum Teil durch physiologische Spannungen des Individuums, jedoch auch vom sozialen Druck abhängen. Zum Beispiel kann ein Mann Heißhunger auf ein Steak haben; wenn seine Religion es ihm jedoch verbietet, Freitags Fleisch zu essen, so wird er es nicht essen". Soll die Unterscheidung von somatogenen Motiven auf der einen und sozio- bzw. psychogenen Motiven auf der anderen Seite überhaupt einen Sinn haben, so den, daß die Beziehungen Extrempunkte auf einer kontinuierlichen Skala darstellen, die jeweils Ausprägungsgrade der Umweltprägsamkeit bestimmter Motive kennzeichnet. Diese Umweltprägsamkeit streut stark und ist etwa beim Bedürfnis nach Sauerstoff äußerst gering, bei Durst, Hunger oder dem Bedürfnis nach Ruhe etwas größer, bei der Sexualität wiederum größer und beim Leistungsmotiv oder den Bedürfnissen nach wissender, verpflichtender und enthebender Teilhabe sehr groß. Da man bei jenen Motiven, die als weniger prägsam gekennzeichnet wurden, die physiologischen Grundlagen erheblich besser kennt- auch hier ist Generalisierung verfehlt: so kennt man die physiologischen Grundlagen des Bedürfnisses nach Schlaf oder Ruhe weit weniger als die des Durstes, des Hungers oder der Sexualität - als bei den stärker prägsamen, ist der Irrtum naheliegend: Man nimmt von
2.4 Methoden zur Messung der Motivation
75
den einen an, daß sie durch körperliche Prozesse, von den anderen, daß sie durch soziale Gegebenheiten oder psychische Abläufe bedingt seien. Nichts rechtfertigt beim heutigen Stande des Wissens einen derartigen Standpunkt. Sollen Motive - wie sie im Rahmen dieses Buches verstanden werden - als psychische Gegebenheiten gelten, so zeigen sie sich bei ihrer Aktivierung- wenn auch mit unterschiedlicher Bewußtseinsklarheit- im Erleben. Tun sie dies nicht, so handelt es sich nicht um Motive. Sollte es physiologische Vorgänge geben, die ohne Repräsentation im Erleben Verhalten bedingen, so dürfen sie nicht als Motive, auch nicht als physiologische Motive, gekennzeichnet werden. Die - etwa bei Maslow (1943) - als physiologische Bedürfnisse gekennzeichneten Motive wie Hunger und Durst werden sehr wohl nach ihrer Aktivierung erlebt und sind - wie bereits betont - vermutlich nur dadurch zu ihrem Namen gekommen, daß ihre physiologischen Grundlagen recht gut erforscht und auch für den Laien unmittelbar plausibel sind. Auf der anderen Seite fehlt jede Berechtigung dafür, den stärker durch die Umweltprägsamen Motiven deshalb ihre physiologischen Grundlagen abzusprechen, weil sie bislang weniger bekannt sind und der methodische Zugang zu ihren physiologischen Grundlagen sich als äußerst schwierig darstellt. Wie alle psychischen Abläufe haben auch die Motivationsprozesse ihre physiologischen Grundlagen und ihre Erlebnisrepäsentanz. Dies bedeutet nicht, daß man die Motivation zum Epiphänomen körperlicher Vorgänge erklären muß. Man kann - etwa aus der philosophischen Tradition Spinozas kommend- Leib und Seele als "una substantia" annehmen, Psychisches und Körperliches als zwei Aspekte der gleichen Sache betrachten und somit wie Lersch (1956, S. 84 ff.) eine "Leib-Seele-Einheit" annehmen: "Organischer Leib und seelisches Leben sind aber gar nicht zwei gegeneinander geschlossene Seinsganze, sondern machen selbst ein Seinsganzes aus ... " (S. 86). Es ist aber auch denkbar, daß man - wie Nikolai Hartmann - die Ebenen der physiologischen Abläufe und des Erlebens als getrennte Formen des Seins betrachtet, wobei die hierarchisch niedrigere des Physiologischen zwar eine notwendige, aber keine zureichende Bedingung der hierarchisch höheren des Psychischen darstellt und dieser somit den Raum ihrer eigenen Gesetzmäßigkeiten gibt. 2.4 Methoden zur Messung der Motivation
Innerhalb einer empirischen Wissenschaft, wie sie die Psychologie heute ist, kann nur sinnvoll von der Motivation als realem, beobachtbarem Phänomen gesprochen werden, wenn es Methoden gibt, die Motivation zu messen. Der Begriff der Messung ist dabei weit. Er soll hier be-
76
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
deuten, daß Methoden Anwendung finden, die es gestatten, die Phänomene, die man zu messen beabsichtigt, in ihrer qualitativen Besonderheit und in ihrer quantitativen Ausprägung zu bestimmen. Für derartige Messungen stehen in der Psychologie bestimmte Meßverfahren zur Verfügung, die es erlauben, bestimmte Aspekte der beobachteten Phänomene so auf Skalen abzubilden, daß der sich ergebende Punkt auf der Skala mit der beobachteten Dimension des Phänomens in bekannter gesetzmäßiger Weise korrespondiert. Es existieren für diesen Zweck unterschiedliche Typen von Skalen (vgl. Torgerson, 1962; Sixtl, 1967). Während die Nominalskala lediglich zur Darstellung qualitativ voneinander abgehobener Inhalte dient und somit rein klassifikatorischen Charakter hat, dienen Ordinal-, Intervall- und Verhältnisskalen dem Zweck, den Ausprägungsgrad spezifischer Inhalte darzustellen. Unterschiedliche auf einer Ordinalskala abgebildete Ausprägungen sagen nichts über die Größe dieser Unterschiede aus, sondern sagen wird eine Ordinalskala in der Motivationspsychologie verwendet lediglich etwas darüber aus, ob der Ausprägungsgrad des Motivs in einem Fall größer oder kleiner war als beim anderen. Während also die Ordinalskala Aussagen über die Intervalle nicht zuläßt, sind derartige Aussagen möglich, wenn es gelang, die Motive auf einer Intervallskala abzubilden. Liegen beispielsweise drei Messungen eines Motivs aus drei unterschiedlichen Situationen vor, so ist es möglich zu sagen, daß der Unterschied von Messung 1 zu Messung 2 kleiner oder größer war, als der Unterschied von Messung 2 zu Messung 3. Da jedoch die Intervallskala über keinen echten Nullpunkt verfügt, ist es nicht möglich, Verhältnisaussagen über die einzelnen Meßergebnisse zu machen, also etwa anzugeben, daß die Ausprägung des Motivs bei Messung 3 doppelt so groß war als bei Messung 1. Diese Möglichkeit besteht, wenn man eine Skala zur Verfügung hat, die zusätzlich zum Intervallcharakter über einen echten Nullpunkt verfügt, so daß sich für derartige Skalen der Name Verhältnisskala eingebürgert hat. Die meisten der heute verfügbaren Meßverfahren in der Motivationsforschung gestatten lediglich Abbildungen des Ausprägungsgrades des untersuchten Motivs auf Ordinalskalen, obwohl die in Forschungsvorhaben übliche statistische Behandlung der mit diesen Verfahren gewonnenen Daten- z. B. die Berechnung der Produkt-Momentkorrelation, die Hauptachsenbestimmung oder auch nur die Berechnung arithmetischer Mittelwerte - Skalen höherer Ordnung erforderlich machen würden. Daraus ergeben sich schwerwiegende Probleme für die Interpretation und Wertung vieler vorliegender Forschungsergebnisse, die auch Bedenken gegen die nachfolgende Darstellung wachrufen müssen, die ebenfalls zu einem Teil auf Ergebnissen aufbaut, die strenger methodischer Kritik nicht standhalten würden.
2.4 Methoden zur Messung der Motivation
77
Die Beschreibung der Vielzahl der Forschungsmethoden, die innerhalb der Motivationspsychologie heute bestehen, kann hier nicht erfolgen. Wer sich speziell dafür interessiert, sei auf Cattell (1957) und Graumann (1965 a) verwiesen. Hier sollen lediglich die grundsätzlichen Zugänge zu den Motivationsphänomenen dargestellt werden. Dabei stellt sich wiederum die Frage, als was man die Motivation versteht. Sieht man sie als unmittelbar gegebenes psychisches Phänomen, das sich als sinnvolle Einheit durch spezifische Abstraktionsvorgänge aus dem Verhaltenskontinuum ergibt, so ist es - zumindest grundsätzlich - möglich, sie durch direkte Beobachtungsverfahren zu erfassen. "Bezeichnet nun aber ,Motivation' dasjenige, was zwischen einem bedingenden Ereignis A und einem bewirkten Verhalten C als intervenierende Variable (IV) anzusetzen ist, in IV aber nichts anderes eingehen darf, als was A- und C-Maße ergeben, dann werden A- und C-Variablen die alleinigen Indikatoren des Moiivationsgeschehens, dessen Geschehnis-Charakter damit völlig außer Betracht bleibt" (Graumann, 1965 a, S. 130). Bei einer derart konzipierten Auffassung muß man sich - wie Graumann es auch tut darauf beschränken, die Motivation an den Bedingungen und den Wirkungen zu definieren und zu messen, wobei die Introspektion grundsätzlich als Zugang zu Motivationsphänomenen ausgeschlossen sein muß, da die Motivation ja nicht als Phänomen, sondern als intervenierende Variable verstanden wird. Es wäre einer eigenen Untersuchung wert zu prüfen, inwieweit auch bei einem solchen Ansatz in die Messung der Bedingungen als Indikatoren der Motivation introspektiv erfaßte Motivationsphänomene- etwa über diagnostisch ermittelte Motivationslagen (vgl. Graumann, 1965 a, S. 155 f.) oder über Selbstbeurteilungsversuche (vgl. Graumann, 1965 a, S. 159 f.)- mit eingehen. Es wäre auch zu fragen, ob sich auch innerhalb der Messung der Wirkungen - etwa bei der Feinanalyse innerhalb experimenteller Vorgehensweisen (vgl. Graumann, 1965a, S. 164 ff.) oder innerhalb der diagnostischen Verfahren, Erhebungstechniken und Selbstbeurteilungsmethoden - introspektive Phänomenanalyse verbirgt. Innerhalb dieses Buches erscheinen die Motivationen definitionsgemäß als der Beobachtung grundsätzlich zugängliche Gegenstände; werden sie erfaßt, so "sind sie unmittelbar beobachtete oder erschlossene Ereignisse, nicht hypothetische Dispositionen" (Thomae, 1965 b, S. 42). Entsprechend werden die Methoden danach zu strukturieren sein, wie Motivationsphänomene unmittelbar beobachtbar oder aber erschlossen werden können, wobei sie auch im letztgenannten Fall, obwohl nicht unmittelbar zugänglich, als psychische Phänomene und nicht als hypothetische Konstrukte oder intervenierende Variable zu sehen sind. Erst das Zurückführen der langfristig zu beobachtenden Linien des Verhaltens eines Individuums auf überdauernde Verhaltensbereitschaften, die hier unter
78
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
dem Namen Motiv und Motivstruktur eingeführt wurden, rechtfertigt es, von hypothetischen Konstrukten zu sprechen. Graumann gesteht nun durchaus zu, daß Motivation auch als unmittelbar zugängliches Phänomen gesehen werden kann (1965 a, S. 131): "Prinzipiell lassen sich schließlich noch Züge einer motivationalen Situation abheben, die sich weder eindeutig in A- noch in C-Variablen transformieren lassen, weil sie sich nun tatsächlich zwischen dem bewirkenden Ereignis und dem bewirkten Handeln oder Handlungserfolg erstreckten. Als tatsächliche, reale Prozesse stehen sie der Erfahrung, etwa introspektiv, offen und sind damit keine hypothetischen constructa. Gemeint sind eher die erlebnisdeskriptiv als psychometrisch bestimmbaren Befindlichkeiten, Zuständlichkeiten, Gefühle, Anmutungen, etc. einer motivierten Person, zusammenfassend oft als deren Emotionalität bezeichnet." Graumann scheint diese Phänomene allerdings für so wenig relevant zu halten, daß er auf die Darstellung der für ihre Erfassung wesentlichen Methoden verzichtet. In der hier gegebenen Besprechung sollen dagegen derartige Methoden im Vordergrund stehen. Es ist dabei nicht einzusehen, wieso diese Methoden nicht oder auch nur weniger als die zur Erfassung von A- oder C-Variablen psychometrisch sein sollen. Die Skalierung innerhalb des Erlebens gehört seit der klassischen Psychophysik zu den wesentlichsten Methoden der Psychologie; Motivationsphänomene werden u. a. in der Psychodiagnostik mit Hilfe "subjektiver Verfahren" (Mittenecker, 1964) psychometrisch erfaßt, und für die psychometrische Ermittlung von Anmutungen ist etwa das von Osgood, Suci und Tannenbaum (1957) entwickelte semantische Differential ein prominentes Beispiel. Daher können auch für die hier zu beschreibenden Verfahren, die heute in der Psychologie für die Güte von Meßverfahren weitgehend anerkannten Kriterien gelten, wie sie Lienert (1969) mit speziellem Bezug auf die psychodiagnostischen Verfahrensweisen beschreibt. Mc Clelland (1958) hat versucht, derartige Kriterien gezielt für die Verfahren der Motivationsmessung zu entwickeln, denen allerdings, wie Graumann (1965 a, S. 129) resignierend bemerkt, "nur wenige Motivationsmaße ... völlig gerecht" werden. McClelland fordert: 1. Trennschärfe, d. h. das Verfahren soll empfindlich genug sein, um das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein eines Motivs bzw. Schwankungen in der Motivstärke widerspiegeln zu können,
2. Eindeutigkeit; d. h. das Verfahren soll Schwankungen nur des von ihm gemessenen Motivs widerspiegeln,
2.4 Methoden zur Messung der Motivation
79
3. Reliabilität; d. h. das Verfahren sollte für ein Individuum oder eine Gruppe unter annähernd gleichen Bedingungen zu annähernd gleichen Ergebnissen führen, 4. Validität; d. h. die mit Hilfe des Verfahrens ermittelten Werte sollten ergiebige Beziehungen zu anderen Kriterien zeigen; d. h. mit anderen Variablen korrelieren bzw. einen nennenswerten Teil der Varianz menschlichen Verhaltens erklären. Es stellt sich nun - obwohl die inhaltliche Seite dessen, was unter Motivation zu verstehen sei, bereits diskutiert wurde- die Frage, was man eigentlich mit den Verfahren zur Messung der Motivation in den Griff bekommt. Es sind dies gewiß nicht die Motive allein. "Wir wissen nichts von der Struktur des Trieblebens" - so zitiert Graumann (1965 a, S. 129) Dilthey (1960, S. 18)- "von der Mannigfaltigkeit der Reize: sie treten zusammen auf". Daraus folgt, daß "die Zeit der isolierten Betrachtung von Trieben, Bedürfnissen und Motiven ... Geschichte" wird (Graumann, 1969, S. 125). Sie muß es werden, wenn man darüber reflektiert, wie man mit den Methoden der Motivationsforschung seinen Gegenstand in den Griff bekommt. Das Motiv wird nur faßbar, wenn es aktiviert ist, also auf eine motivierende Situation stößt. Diese motivierende Situation ist häufig das Meßverfahren selbst oder die gesamte Untersuchungssituation. Damit wird "die Interaktion von motivierender Situation und motiviertem Subjekt" (Graumann, 1969, S. 125) zum Untersuchungsgegenstand, wobei allerdings die Akzente verschieden verteilt sein können. Liegt der Schwerpunkt bei der Person, so hat man es mit der diagnostisch ermittelten Motivation zu tun, der im Regelfall relativ überdauernde Motivstrukturen als hypothetische Konstrukte zugrundegelegt werden. Die motivierende Situation besteht dabei meist aus einem standardisierten psychodiagnostischen Verfahren, - faktisch besonders häufig: ein thematisches Apperzeptionsverfahren (vgl. Kornadt, 1964; Heckhausen, 1965), ein Formdeuteverfahren (vgl. Spitznagel & Vogel, 1964) oder ein Fragebogenverfahren (vgl. Mittenecker, 1964). Da die Verfahren als standardisiert gelten, wird die Varianz der Ergebnisse durch- bei interindividuellem Vergleich- Unterschiede zwischen Personen und- bei intraindividuellem Vergleich- Unterschiede zwischen Zuständen der Person zu verschiedenen Zeitpunkten erklärt. Bei entsprechend spezifizierter Fragestellung sind diese Persönlichkeitsunterschiede natürlich inhaltlich als Unterschiede der Motivation zu interpretieren. Liegt dagegen der Schwerpunkt bei der Situation, so hat man es mit experimentell-induzierten Motivationsphänomenen zu tun, denen man als hypothetische Konstrukte keine überdauernden Motivstrukturen zugrundelegt, sondern nur eine vergleichsweise kurze zeitliche Erstrekkung zuschreibt. Die Varianz der Ergebnisse wird bei der hier genann-
80
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
ten Vorgehensweise im Regelfall nicht durch Unterschiede in der Person oder zwischen Personen, sondern durch die systematische Variation der Situation, der Versuchsbedingungen also, erklärt. Typische Bedingungsvariationen innerhalb der Motivationsforschung sind etwa Variationen der Deprivation; das wäre also unterschiedlich intensiver oder unterschiedlich lang dauemder Entzug von situativen Bedingungen, die auf das Individuum befriedigend wirken, wie etwa Nahrung, Sexualpartner, Schlaf, Traum, Sauerstoff, Sinnesreiz oder Aktivität. Gewissermaßen als Gegenteil der Deprivation läßt sich das Setzen und Varüeren extrem starker motivierender Bedingungen in Form von Schlüsselreizen oder Anreizen interpretieren.
Es versteht sich aus dem zuvor Gesagten von selbst, daß die scharf abgrenzende Gegenüberstellung der diagnostisch ermittelnden und der experimentell induzierenden Verfahren innerhalb der Motivationsforschung eine unzulässige Vereinfachung darstellt. In beiden Fällen sind die Ergebnisse- wenn auch in unterschiedlicher Weise- durch Varianz der motivierten Person und Varianz der motivierenden Situation, die "eben nicht identisch mit (der) Reizkonstellation" ist (Graumann, 1969, S. 125), zu erklären. Da sich das Ergebnis, die gemessene Motivation, in diesem Sinne als Interaktionsphänomen darstellt, impliziert dies für die Planung, Auswertung und Interpretation von Forschungsvorhaben innerhalb der Motivationspsychologie komplexere überlegungen als man sie häufig in dem Grundgedankengang: "eine Ursache - eine Wirkung" antrifft. Ohne Rücksicht auf das Kontrolliertheitsniveau, das innerhalb spezifischer Forschungsansätze gewählt wurde - ob also die Motivation zufällig, systematisch oder mit Hilfe experimenteller Bedingungsvariation und -kontrolle beobachtet wurde - sollen hier vier grundsätzliche Zugänge genannt werden, die zur Verfügung stehen, wenn Motivationsphänomene unmittelbar beobachtet oder erschlossen werden sollen: -
Die Introspektion,
-
die Verhaltensbeobachtung, die Analyse der Verhaltensergebnisse, der physiologische Zugang.
Diese Aufteilung ähnelt der von Heckhausen (1963, S. 23 ff.) vorgeschlagenen in den ersten drei Punkten, der von Selbstbeurteilung, Fremdbeurteilung und Verhaltensresultaten spricht, sowie der von v. Rosenstiel (1972, S. 27 ff.) gewählten Dreiteilung, die den drei ersten hier genannten Punkten praktisch entspricht. Im vierten Punkt liegen also vermutlich die wesentlichsten Probleme. Heckhausen (1963, S. 28) nennt hier Phantasie-Gestaltungen. Nun ist die Fruchtbarkeit der Phanta-
2.4
Methoden zur Messung der Motivation
81
sie-Gestaltungen für die Motivationsanalyse gar nicht zu bestreiten und auch - innerhalb der wissenschaftlichen Psychologie - schon früh durch Freud (1900) im Rahmen der "Traumdeutung" betont worden. Es vermag dennoch nicht zu überzeugen, wieso Heckhausen die PhantasieDeutungen als eigenständigen Punkt behandelt. Phanstasie-Gestaltungen, soweit sie sich als Träume, gezielte gedankliche Produktionen oder Tagträumereien zeigen, sind der Introspektion zugänglich, soweit sie sich etwa als Rollenspiele, Ausdruckstänze oder verbale Äußerungen zeigen, innerhalb der Fremdbeobachtung erfaßbar, soweit sie sich als künstlerische Darstellungen etwa bildnerischer, literarischer oder musikalischer Art oder auch als Reaktionen auf mehrdeutiges standardisiertes Testmaterial (z. B. TAT-Tafeln) objektiviert haben, innerhalb der Analyse der Verhaltensergebnisse angehbar. Die von Heckhausen getroffene Einteilung wird somit wohl am ehesten verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß er sich in der genannten Arbeit (1963) ausdrücklich mit Phantasie-Gestaltungen auseinandersetzt, diesen Zugang somit wohl nicht auf drei Gruppen aufteilen wollte und aufgrund einer im Zuge seiner Arbeit situationsbedingten Selektivität der Wahrnehmung die geringfügigen Besonderheiten des Zugangs über die Phantasie-GestaUungen überprägnant wahrnahm. Der bei Heckhausen anzutreffende und auch vom Autor (1972) geübte Verzicht auf die Nennung eines eigenständigen physiologischen Zugangs kann ihn selbst nach längerer Überlegung nicht mehr befriedigen. Setzt man die Beobachtung der physiologischen Abläufe mit der Beobachtung des äußeren Verhaltens gleich und nennt als Zugang für beide Phänomene die Fremdbeobachtung, so wertet man zwei gewichtige Unterschiede zu gering: Zum einen ist das äußere Verhalten des Handelnden frei, willkürlich und generell in dessen Erleben repräsentiert, während sich die physiologischen Vorgänge im Regelfall als autonom darstellen und nicht im Erleben repräsentiert sind; zum anderen ist die Beobachtung des äußeren Verhaltens im Regelfall mit dem unbewaffneten Auge möglich, während es zur Beobachtung der physiologischen Abläufe zumindest in der Mehrzahl der Fälle - erforderlich ist, das Auge zu bewaffnen, also Apparate hinzuzuziehen, die die Beobachtung der genannten Vorgänge überhaupt erst ermöglichen.
- 2.4.1 Die Introspektion Es dürfte kaum zu übersehen sein, daß unser Wissen über menschliche Motivation - mag es sich nun auf den Ablauf oder mögliche Klassifikationen beziehen - in introspektiv gewonnener Erkenntnis seinen Ursprung hat. So richtig es ist, daß man aus experimentell manipulierter, unterschiedlich andauernder Nahrungsdeprivation und der Beobachtung 6 Rosenstiel
82
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
des nachfolgenden Nahrungsverhaltens zu einem hypothetischen Konstrukt oder aber einer intervenierenden Variablen mit dem Namen Hungermotiv gelangen kann, so unzweifelhaft scheint zu sein, daß man letztlich deshalb zur Annahme des Hungermotivs kam, weil man den Hunger aus der Introspektion kennt. Wie differenziert die Ergebnisse einer ausdrücklich introspektiven Motivationsforschung ausfallen können, belegen die Ausführungen Lerschs (1956, S. 93 ff.) zur Struktur und Dynamik der menschlichen Strebungen. Diese Ergebnisse zeigen aber zugleich Probleme des introspektiven Vorgehens. Die Methode erbrachte letztlich nur Ergebnisse für den Forscher selbst: ihm waren motivationale Phänomene in geschulter, auf die eigenen seelischen Regungen gerichteter Selbstbeobachtung unmittelbar gegeben. Sobald er darüber spricht, stellt sich für den wissenschaftlich Interessierten bereits die Frage, ob er die Aussagen als adäquate Abbildungen der Erlebnisphänomene - die als sprachliche Abbildungen natürlich bereits abstrahiert und klassifiziert sind - akzeptiert, oder ob er sie als beobachtbares Verhalten registriert, daß unter motivationspsychologischer Fragestellung der Interpretation bedarf. Schreibt der Forscher seine Daten auf, so stellt sich die Frage entsprechend, ob man dies als Erlebnisphänomen, das lediglich schriftlich fixiert wurde, oder als Ergebnis motivierten Verhaltens interpretieren will. Hier sollen als introspektiv gewonnene Ergebnisse der Motivationsforschung nicht nur die der sich selbst beobachtenden Person gegebenen Motivationsphänomene bezeichnet werden, sondern auch ihre Darstellung mit Hilfe von Zeichen und Symbolen - etwa in gesprochener oder geschriebener Sprache. Dabei wird vorausgesetzt, daß die Person, die sich selbst befragt oder von anderen befragt wird, die ihr unmittelbar oder retrospektiv gegebenen Erlebnisphänomene in angemessener Weise darstellt, was in der Tat sicherlich nicht immer der Fall sein wird. Sucht man Arten oder Intensitäten der Motivation einer Person mit Hilfe eines Gesprächs, etwa eines Interviews (vgl. König, 1962), einer Exploration, oder eines subjektiven Testverfahrens (vgl. Mittenecker, 1964) - z. B. eines spezifisch konstruierten Fragebogens, der Beweggründe des Verhaltens zu erfragen sucht- zu ermitteln, so stützt man sich auf introspektiv gewonnene Einsicht der befragten Person. Introspektiv gefundene Motivationsdaten ruhen zwar auf Erlebnisphänomenen auf, die der Person unmittelbar gegeben sind, sie bedürfen aber dennoch- sollen sie der Erklärung des Verhaltens dienen- der Interpretation. Nicht immer erscheinen, wie bei der kurzen Besprechung der Ichabwehrmechanismen bereits angeführt, jene Motivationen als die handlungsrelevanten, die von der handelnden Person besten Wissens dafür gehalten werden, es sei denn, man definiert introspektiv gewonnene Ergebnisse als grundsätzlich zutreffend. Lersch (1956, S. 58 ff.) schil-
2.4 Methoden zur Messung der Motivation
83
dert ausführlich die in der Introspektion - die er Selbstbeobachtung nennt -liegenden Gefahren, die er insbesondere darin sieht, -
daß Selbstbeobachtung häufig Selbstbeurteilung ist, das Erlebnisphänomen - das neutral-distanziert zu sehen schwer fallen muß, da es sich ja um eigenes Erleben handelt - also während der Beobachtung oder unmittelbar danach zugleich gewertet und im Sinne subjektiv höherer Bewertung uminterpretiert wird
-
daß die Sprache viel zu grob sei, um die differenzierten Erlebnisphänomene darzustellen
-
daß Selbstbeobachtung eine Verdoppelung der Subjekts fordere, da unser Erleben, insbesondere das intensive Erleben, uns ausfülle und keinen Platz für die Selbstbeobachtung lasse, so daß uns nur Raum bleibe, uns mit dem möglicherweise stark verblaßten "Erlebnisnachbild" zu befassen.
Lersch sieht in allen drei Einwänden Gefahren der introspektiven Methode aufgezeigt, insbesondere im letztgenannten- gegen den allerdings bereits Rohrachers (1951, S. 81) Aussage "klar bewußtes Erleben ist immer auch schon beobachtetes Erleben" steht- hält sie aber nicht für so gewichtig, daß deswegen die introspektive Methode zu verwerfen sei. Eine weitere gewichtige Schwäche, die in der introspektiven Methode liegt, dürfte im unterschiedlichen Grad der Bewußtseinsklarheit psychischer Phänomene liegen. Die damit zusammenhängenden Probleme zeigen sich drastisch in Experimenten mit dem sogenannten posthypnotischen Befehl (vgl. Heiss, 1956, S. 64 ff.). Dabei kann sich erweisen, daß ein Mensch im wachen Zustand einen nicht mehr bewußten Befehl, der ihm während der Hypnose gegeben wurde, ausführt, jedoch auf die spätere Frage nach dem Warum seines Handeins im besten Glauben gänzlich andere Beweggründe nennt oder keinerlei Gründe zu nennen weiß. Eine terminologische Schwierigkeit muß an dieser Stelle geklärt werden. Lersch spricht, wie eben betont wurde, ähnlich wie Heckhausen (1963, S. 23 ff.) von Selbstbeobachtung, wenn er jene Methode meint, die hier als Introspektion bezeichnet wird. Uns erscheint der Terminus der Introspektion in diesem Kontext von seiner Wortbedeutung her präziser zu sein. Introspektion ließe sich mit Innenschau übersetzen. Darin wird die Beobachtung von Erlebnisabläufen angesprochen, die dadurch gekennzeichnet sind, daß sie in direkter Weise grundsätzlich nur dem Erlebenden zugänglich sind, anderen dagegen nur mittelbar etwa über verbale Äußerungen des Erlebenden. Auf den Gegenstand des Erlebens soll die Methode der Introspektion beschränkt bleiben. Der Terminus der Selbstbeobachtung legt dagegen nahe, daß alles, was ein Individuum an sich selbst beobachtet, Gegenstand dieser Methode ist, 6•
84
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
also auch das äußere Verhalten. Es erschiene uns aber nicht gerechtfertigt, äußeres Verhalten von anderem äußeren Verhalten nur deshalb abzuheben, weil es das Verhalten des Beobachters ist. Für äußeres Verhalten gilt generell, daß es grundsätzlich mehreren Beobachtern zugänglich ist, während das Erleben nur für einen- den Erlebenden selbst - faßbar wird. Dies ist ein so schwerwiegender Unterschied, daß es angemessen erscheint, die Methode nach diesem Aspekt zu differenzieren. Um hierüber keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, wurde der Terminus der Introspektion hier dem der Selbstbeobachtung vorgezogen. Ist auch - wie eben betont wurde - das Erleben in der Introspektion unmittelbar zugänglich und als Erlebnisphänomen eine über jeden Zweifel erhabene Realität, so bedürfen introspektiv erfaßte Motivationen doch der Interpretation. Der Grund liegt vor allem darin, daß Menschen - wie das Beispiel des posthypnotischen Befehls zeigte - gelegentlich die relevanten Beweggründe ihres Verhaltens nicht zu kennen scheinen. Auch der Umstand, daß sie nicht selten die Beweggründe zwar kennen, aber- wie Lerschs zweiter Einwand verdeutlicht- nicht verbalisieren können, zwingt zur Vorsicht im Umgang mit Ergebnissen aus solchen Verfahren, die auf der Introspektion aufruhen; Interpretation der Er.{{ebnisse wird auch dadurch erforderlich. Wurde eben eine Grenze der introspektiven Methode innerhalb der Motivationsforschung darin gesehen, daß die Befragten ihre aktivierten Motive nicht äußern können, weil sie sie nicht kennen oder von ihnen T}icht zu verbalisieren sind, so zeigt sich eine weitere Grenze dort, wo sie sie nicht verbalisieren wollen. Dies kann sich so zeigen, daß die Person auf Befragen die Antwort einfach verweigert oder aber in mehr oder weniger bewußter Weise die Antwort so verfälscht, daß sie ihren spezifischen Zielen dienlich zu sein scheint. Es ist etwa denkbar, daß ein Mensch in einer Bewerbungssituation Angst oder Agressivität zu dissimulieren sucht (vgl. v. Rosenstiel, 1969 a), die er in einer unverbindlichen Forschungssituation durchaus zugeben würde. Eine Untersuchung von Klein, Maher und Dunnington (1967) weist in die gleiche Richtung. Die Autoren konnten zeigen, daß Arbeiter positivere Einstellungen zum Betrieb angaben wenn sie sie namentlich äußerten, als wenn sie es anonym taten. Verfälschte Beantwortung von Fragen ist jedoch auch dann nicht auszuschließen, wenn die zu untersuchende Person keine eng umschriebenen Ziele - wie in der Bewerbungssituation - verfolgt. Edwards (1957) wies eine Tendenz bei der Fragenbeantwortung nach, so zu reagieren, wie es sozial wünschenswert ("social desirability") erscheint.
2.4
Methoden zur Messung der Motivation
85
Gerade dieser zuletzt genannte Punkt ist spezifisch für die Motivationsforschung mit Hilfe introspektiver Verfahren wichtig. Die Vielfalt der standardisierten Testverfahren, die auf diesem Gebiet besteht, ist durch hohe Reliabilität, insbesondere auch hohe Wiederholungszuverlässigkeit gekennzeichnet (vgl. Heckhausen, 1963, S. 26). Dennoch ist ihr Beitrag zur Erklärung der Varianz menschlichen Verhaltens ungewöhnlich dürftig (vgl. Cattell, 1957). McClelland (1958) neigt bei Berücksichtigung der beiden hier angesprochenen Beobachtungen zu der Interpretation, daß nicht Motivationen, sondern an der Erwünschtheit ausgerichtete eher fixierte Einstellungen in den Fragebogenverfahren erfaßt werden. Daraus wird verständlich, daß eine Person bei einer Zweitbeantwortung ähnlich antwortet wie das erste Mal und dabei andererseits Veränderungen innerhalb der motivierenden Situation als Wandlungen der Anreizstruktur kaum berücksichtigt, obwohl diese die Motivation und somit das nachfolgende Verhalten stark prägen. Schon diese -hier nur beispielhaft genannten - Schwierigkeiten der introspektiven Methoden zeigen, daß mit ihrer Hilfe gewonnene Daten der Interpretation bedürfen, und sei es auch nur, um die Frage zu beantworten, ob die befragte Person sich bemüht hat, ihr in der Introspektion zugängliche Motivationsphänomene adäquat darzustellen oder nicht. Aus dem zuvor Gesagten versteht sich außerdem von selbst, daß die gewonnenen Ergebnisse im Hinblick auf die motivierende Situation interpretiert werden müssen. Ein spezifisches wissenschaftshistorisches Ereignis sei im Kontext der Besprechung introspektiver Methoden noch kurz erwähnt: Die Introspektion richtet sich auf Erlebnisphänomene, die grundsätzlich nur einem Beobachter - dem Erlebenden selbst - zugänglich sind. Der Grad der Objektivität - definiert durch den Grad der Übereinstimmung von zwei oder mehreren unabhängigen Beobachtern - läßt sich bei der Introspektion daher prinzipiell nicht feststellen. Wird also bei einem der hier als introspektiv bezeichneten Verfahren (z. B. bei einem Fragebogen, der sich auf Erlebnisphänomene richtet) vom Grad der Objektivität gesprochen, so wird damit lediglich der Grad der Übereinstimmung gekennzeichnet, den verschiedene Versuchsleiter bei der Arbeit mit diesem Bogen erzielten; es wird nicht gesagt, daß sie den Beobachtungsgegenstand- das Erleben- in gleicher Weise sahen. Die Unvergleichbarkeit des Erlebens für mehrere Beobachter war für die von Watson begründete Schule des Behaviorismus innerhalb der Psychologie der Grund, die Erforschung des Erlebens und zugleich die auf ihre Objektivität nicht überprüfbare Methode der Introspektion als unwissenschaftlich abzulehnen. Die heutigen Behavioristen - falls dieser Name überhaupt noch zutreffend angewandt werden kann -
86
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
sind der Methode gegenüber längst wieder toleranter geworden und operieren selbst gelegentlich mit Erlebnisbegriffen; dennoch kann eine gewisse Distanz jener heutigen Forscher, die dem Behaviorismus nahestehen (z. B. Skinner), der introspektiven Methode und dem Forschungsgegenstand des Erlebens gegenüber nicht übersehen werden.
2.4.2 Die Verhaltensbeobachtung Der Terminus der Verhaltensbeobachtung wurde hier statt des stärker verbreiteten der Fremdbeobachtung gewählt, um damit zum Ausdruck zu bringen, daß nicht nur das Verhalten Fremder, sondern generell äußeres Verhalten - also auch das des Beobachters selbst ---: der Gegenstand ist, der mit dieser Methode erfaßt werden soll. Selbst wenn man Äußerungen der Person über ihr introspektiv zugängliche Motivationen, die sie mit Hilfe der Sprache oder anderer Zeichen und Symbole macht, den introspektiven Verfahren zuzählt, bleibt dennoch eine Vielzahl von Verhaltensweisen, die beobachtbar sind und als Hinweis auf ein aktiviertes Motiv interpretiert werden können. Da in den aktivierten Motiven Beweggründe des Verhaltens gesehen werden und die Kenntnis der Motive zur Vorhersage des Verhaltens beitragen kann, darf man umgekehrt folgern, daß vom Verhalten der Rückschluß auf die zugrunde liegenden Motive möglich sein muß. Da sich aus zuvor Gesagtem ergibt, daß ein Motiv . bei Aktivierung zu verschiedenen Verhaltensweisen führen kann, gleiche Verhaltensweisen andererseits durch unterschiedliche Motive bedingt sein können, ist leicht ersichtlich, welche Schwierigkeiten entstehen, wenn man vom Verhalten auf das zugrunde liegende aktivierte Motiv schließen möchte. Wird mit Hilfe der Verhaltensbeobachtung Motivationsforschung betrieben, so sucht man auf diese Weise jene grundsätzliCh mehreren Beobachtern zugänglichen Handlungsweisen eines Menschen zu erfassen, die als "Verwirklichung eines Antriebszieles in der Welt" (Lersch, 1956, S. 409) gesehen werden können, die also als durch die Motivation bedingt oder gerichtet interpretiert werden. Ausgeschlossen sind somit all jene ebenfalls grundsätzlich auch mehreren Beobachtern zugänglichen menschlichen Reaktionsweisen, die autonom ablaufen und im Regelfall als physiologische Grundlagen oder Begleiterscheinungen der Motivaktivierung oder des motivierten Verhaltens angesehen werden. Ihre BeobaChtung mit dem Ziel, Motivationen zu erfassen, wird als physiologischer Zugang darzustellen sein. Da innerhalb der Verhaltensbeobachtung grundsätzlich mehrere Beobachter sich dem gleichen Gegenstand zuwenden können, ist es prinzipiell möglich, die Objektivität der Methode in spezifischen Situatio-
2.4 Methoden zur Messung der Motivation
87
nen zu überprüfen. Die Probleme derartiger Objektivitätsprüfungen sollen jedoch nicht übersehen werden. Soll diese Prüfung überhaupt einen Sinn haben, so setzt sie voraus, daß die Beobachter unabhängig voneinander zu ihren Beobachtungen kommen. Es stellt sich jetzt jedoch die entscheidende Frage, ob diese Unabhängigkeit durch Abwesenheit direkter oder indirekter Interaktion der Beobachter während des Beobachtungszeitraums ausreichend definiert ist. Heckhausen (1963, S. 27) verweist darauf, daß bei geschulten Beobachtern der Grad der Übereinstimmung sehr beträchtlich sein kann; er sieht jedoch eine mögliche entscheidende Ursache dieser Übereinstimmung in der gleichartigen theoretischen Ausbildung und den entsprechenden theoretischen Grundkonzeptionen der Beurteiler. Tatsächlich ist ja anzunehmen, daß sich diese nicht erst auswirken, wenn aus den Verhaltensbeobachtungen Motive erschlossen werden sollen, sondern bereits durch spezifisch gleichgerichtete Wahrnehmungsselektion bei der Wahrnehmung des äußeren Verhaltens. Es sei dabei zunächst davon abgesehen, daß man bei unvoreingenommener phänomenologischer Betrachtung nicht nur das äußere Verhalten als neutralen, maschinengleichen Ablauf wahrnimmt, sondern häufig auch die Motive des Verhaltens unmittelbar sieht. Als Beispiel für durch gleiche theoretische Grundkonzeptionen gesteuerte Wahrnehmung mag der Fall dienen, daß zwei psychoanalytisch Ausgebildete bei der Beobachtung eines Menschen "zwanghaftes Verhalten" an ihm feststellen, während Personen, die andersartige und jeweils unterschiedliche Berufsausbildungen hinter sich haben, das gleiche Verhalten mit anderer Akzentuierung sehen und mit stärker voneinander abweichenden Worten beschreiben würden. Noch schwieriger stellt sich das Problem dar, wenn es um das Erschließen der Motivation oder gar der Motivstruktur aus dem Verhalten geht. Derartige interpretative Akte erscheinen nur möglich, wenn man sie auf der Grundlage einer Theorie, zumindest einer impliziten Minimaltheorie, vornimmt. Die Objektivität der Interpretation kann also nur dann hoch sein, wenn die Ähnlichkeit zwischen diesen Theorien auch hoch ist, es sei denn, man denkt sich einen konstruierten Fall, wo man auf gänzlich unterschiedliche Weise zum schließlich gleichen Ergebnis kommt. Im Alltag, wo meist mit der Minimaltheorie gearbeitet wird, daß hinter einem inhaltlich spezifizierten Verhalten ein inhaltlich entsprechend spezifiziertes Motiv steht, erwachsen daraus selten Probleme. Sie stellen sich allerdings ein, wenn etwa Fachleute, die Anhänger unterschiedlicher Motivationstheorien sind, konkret beobachtbares Verhalten zu interpretieren suchen, ohne sich zuvor über ihre unterschiedlichen Standpunkte verständigt zu haben, oder wenn Laien einen Verhaltensablauf - etwa den Hergang eines Verbrechens - ! der unter un~e-
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
88
wöhnlichen Anregungsbedingungen zustande kam, auf seine Motivation hin untersuchen. Bei relativ einfach gelagerten Fällen, in denen die Anregungsbedingungen deutlich strukturiert sichtbar werden, bereitet die Interpretation meist keine Schwierigkeiten, wie Beleg 10 zeigt. Die Gründe, warum die Versuchsperson auf eines der Plakate starrte, dürften weit-gehend übereinstimmend genannt werden. Beleg 10 Die Aktivierung eines Motivs im Experiment Mit dem Verfahren der Bedürfnissteigerung soll der unterschiedliche Aufforderungscharakterverschieden gestalteter Warendarstellungen oder Warenanordnungen geprüft werden ... Die Versuchsperson bekommt in ihrem weiteren Gesichtsfeld die miteinander zu vergleichenden Werbemittel über längere Zeit simultan dargeboten. Gleichzeitig wird sie unter zunehmenden Bedürfnisdruck, der inhaltlich mit dem Warenangebot dieser Werbemittel in Beziehung steht, gesetzt und ihre Reaktionen gegenüber den Werbemitteln beobachtet bzw. hinterher explorativ erfaßt ... Bei extremen Bedürfnislagen . . . kann der Aufforderungscharakter sich dermaßen beherrschend in den Vordergrund schieben, daß es zum imaginären Zugriff kommt: immer wieder wird das abgebildete Objekt unter lebhafter Vorstellung aller Empfindungen in Gedanken dem Bild entnommen und die Bedürfnisbefriedigung in der Vorstellung lebhaft vollzogen ... Es wurde mit einem neuen Zigaretten-Plakat experimentiert, das übergroß eine fast frontal stehende Zigarettenpackung zeigte, aus der oben einige Zigaretten ein wenig herausragten; in der systematischen Variation lag u. a. ein Plakat vor, auf dem diese Packung nach vorne unten gekippt war, so daß die herausragenden Zigaretten mit voll sichtbarem Tabakquerschnitt auf den Beschauer zeigten. Die Versuchsperson - es wurden nur starke Raucher herangezogen - durfte ... nicht rauchen ... Als sie nach einiger Zeit bereits ein erhebliches Rauchbedürfnis verspürte, wurde . . . eine Plakatfläche ... aufgestellt, an der u. a. die beiden zu prüfenden Zigaretten-Plakate hingen. Nachdem schließlich die entsprechend hohe Bedürfnislage erreicht war, begann die Versuchsperson immer wieder für längere Zeit auf die Plakatwand - und zwar auf die variierte Ausführung des Plakates - zu starren, wobei, wie die spätere Exploration zeigte, der imaginäre Zugriff bewußt geworden war: Die Gedanken kreisten dauernd um diese Zigaretten, die Versuchsperson malte sich immer wieder ... aus, wie sie eine bestimmte Zigarette dort wegnehmen, wie sie sie zum Munde führen, anzünden und tief daran ziehen würde. Spiegel,
s. 150 ff.
B.:
Werbepsychologische Untersuchungsmethoden, Berlin 1970,
Der Beleg beschreibt den Handlungsablauf einer Versuchsperson in einem werbepsychologischen Experiment. Man wird das hier geschil-
2.4 Methoden zur Messung der Motivation
89
derte Verhalten, das schließlich zum gebannten Starren auf ein Plakat führte, als motiviertes Verhalten kennzeichnen. Berücksichtigt man nun das Zusammenspiel von Person und Situation, so wird man aus dem Verhalten interpretieren, daß hier als Motiv das Bedürfnis nach einer Zigarette aktiviert wurde. Bei komplexeren Versuchsanordnungen und der Berücksichtigung einer größeren Zahl von Variablen wird die Interpretation schwieriger. Sie kann sich bei derartigen Gegebenheiten zwar meist an empirischen Daten, etwa den Ergebnissen einer Kovarianzanalyse, orientieren, doch bleibt sie dennoch Interpretation. Korrelationskoeffizienten sprechen nicht für sich, sondern müssen interpretiert werden. Wie schwierig die Interpretation - gerade wenn sie sich auf Korrelationsdaten stützt - sein kann, zeigt ein Hinweis von Erengelmann (1963): Zwei Verhaltensweisen korrelieren recht deutlich negativ miteinander, so daß man zunächst nicht geneigt sein würde, sie für den Ausdruck des gleichen Motivs zu halten. Sie korrelieren aber beide mit diesem einen Motiv positiv und können daher begründetermaßen - da dies innerhalb einer bestimmten psychodynamischen Theorie sinnvoll erscheint -als Hinweis auf dieses eine Motiv interpretiert werden (s. Beleg 11). Beleg 11 Interpretation muß oft verschlungene Wege gehen Derselbe Trieb (Aggresivität) kann sich demnach als Verhalten alternativ manifestieren, indem er in einigen Personen zur "Oberschwenglichkeit und in anderen zur Irritabilität führt; oder indem er in derselben Person bei einer Gelegenheit das eine und bei einer anderen Gelegenheit das andere Verhalten verursacht. Die beiden Manifestationen der Aggressivität korrelieren nicht, wie zu erwarten, positiv, sondern negativ. Die Verhaltenskorrelation kann also irreführen, weil oberflächlich (phänotypisch) nicht zusammengehörige Merkmale durch dynamische (genotypische) Motivationen zusammengehalten werden können. Brengelmann, J. C.: Psychologische Methodi~ und Psychiatrie. In: Gruhle, H. W. et al. {Hrsg.): Psychiatrie der Gegenwart, Bd. I, 2, Berlin 1963, S. 134- 175. Fraglich ist allerdings, ob jede Form des Verhaltens bewußter Interpretation bedarf, wenn auf die dahinter stehenden Motive geschlossen werden soll. Es erscheint denkbar, daß es Verhaltensweisen gibt dies gilt besonders für das Ausdrucksverhalten - , deren Beweggründe einem aufgrund einer spezifischen angeborenen Fähigkeit unmittelbar einsichtig sind. Diese Auffassung wurde besonders pointiert von Lersch (1941, vgl. auch 1966) vertreten, der ausführt, daß in den Ausdruckserscheinungen als sinnlich gegebenen Phänomenen zugleich und unmittelbar der seelische Inhalt erfaßt wird. Kritik daran äußerte Mittenecker (1960). Doch selbst wenn man aus eigener Erfahrung weiß, daß einem
90
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung DarsteLlung 5 (zu Beleg 11)
Kompensatorische Manifestation eines Triebs Trieb (Einstufung durch Beobachtung)
Aggressivität
,a
Manifestation (Spezifische Verhaltensbeobachtung) Überschwenglichkeit
~
,________,
1-
BI
~----'
-~-~---------. L.:.:._j--
Irritabilität
die Motive, die hinter dem Todesschrei eines Menschen stehen, unmittelbar einsichtig sind, sollte man aus zwei Gründen die Forderung nach Interpretation nicht zurückweisen: -
als Evidenzerlebnis liegt zwar vor, daß man die Gründe des Verhaltens unmittelbar erkennt. Die Forschung hat aber bislang nicht nachweisen können, daß dem eine sichere Beziehung zwischen Verhalten und- mit anderen Methoden ermittelter- Motivation entspricht. Häufig ist sogar das Gegenteil der Fall. Die im Evidenzerlebnis deutlich werdende hohe subjektive Gewißheit kann, gemessen an Kriterien, die mit anderen Methoden gewonnen wurde, irren.
-
eine Verhaltensweise, die aufgrund eines Evidenzerlebnisses unmittelbar verstanden wird - sei es nun realitätsangemessen oder nicht - kann von einer handelnden Person aus einer spezifischen Intention heraus bewußt simuliert werden. Aufgabe der Interpretation wäre es hier zunächst - dem Evidenzerlebnis zum Trotz - zu prüfen, ob Simulation vorliegt.
Verhalten, wie es der Verhaltensbeobachtung zugänglich ist, bedarf also der Interpretation, wenn es Indikator der Motivation sein soll. Diese Interpretation ist nur möglich, wenn das Verhalten in Relation zur Situation gesehen wird, in der es stattfindet. Die motivierende Situation bestimmt einen erheblichen Varianzteil des motivierten Verhaltens. Hier ist auch der Grund dafür zu sehen, daß in experimentellen Situationen durch Manipulation der situativen Anreize Motive geradezu induziert werden können (vgl. Graumann, 1965 a, S. 151 ff.).
2.4
Methoden zur Messung der Motivation
91
Angesichts der vielfältigen Schwierigkeiten der Verhaltensbeobachtung, wie sie hier aufgeführt wurden, gelangt Heckhausen (1963, S. 26 f.) zu folgendem resignierendem Urteil: " ... abgesehen von einem mehr klinisch orientierten Erkundungswert, weist die Fremdbeurteilung zwei Mängel auf, die sie als Meßverfahren kaum brauchbar erscheinen lassen. Einmal ist es gewöhnlich wenig durchsichtig, wie das Urteil eines oder mehrerer Fremdbeurteiler zustandekommt. Ihnen liegt die mehr oder weniger komplexe Verhaltensbreite eines Menschen vor Augen ... Die Identifikation einer einzigen zentralen Einflußgröße scheint unter diesen Umständen kaum möglich. Dieser Mangel wird auch nicht dadurch behoben, daß nach genügender Schulung mehrere Beurteiler eine beträchtliche Übereinstimmung erzielen. Die Übereinstimmung geht häufig darauf zurück, daß die Beurteiler die gleichen vorgefaßten theoretischen Grundkonzeptionen teilen ... Damit sind wir bereits beim zweiten Mangel. Fremdurteile werden leicht für den Urteilenden unbemerkt von dessen Motiven, Einstellungen und Wertsystemen beeinfiußt." Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß wir nicht nur dann von Verhaltensbeobachtung sprechen wollen, wenn das durch sie Erfaßte registriert und gespeichert worden ist. Nur dann wird man diese Registrierungen - z. B. Forschungsberichte - als Ergebnisse eines Verhaltens ansehen, wenn die Zielsetzung wechselt und plötzlich die Motive des Forschers untersucht werden sollen.
2.4.3 Die Analyse der Verhaltensergebnisse Aus einer Unzahl von Kriminalromanen oder Kriminalfilmen weiß man, daß der Kommissar aus der Lage der Leiche und der Art und Weise, in der der Tod herbeigeführt wurde, auf die Motive des Täters schließt, ihn so identifiziert und schließlich zur Strecke bringt - getreu dem Bibelspruch: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Es ist eine vorwissenschaftliche Erkenntnis, daß man aus den Werken auf die Beweggründe dessen schließen kann, der sie schuf. Dieses Vorgehen wird nicht nur innerhalb der engen Grenzen der akademischen Psychologie angewandt, sondern auch in anderen Wissenschaften, etwa in der Geschichte, wo es nicht an Versuchen mangelt, aus den Pyramiden, den Eroberungen Alexanders des Großen oder dem Brand des Reichstages auf die Motivstruktur ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Urheber zu schließen. Motive werden in den Ergebnissen des Verhaltens nicht unmittelbar sichtbar, sondern müssen .interpretativ erschlossen werden. Dabei genügt es nicht, das Verhaltensergebnis allein zu beurteilen, man muß auch andere Variable erkennen, vor allem die Situation, in der es entstand.
92
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
Findet man etwa das unzweifelhaft von einem Menschen abgenagte Skelett einer Ratte, so wird man zu einem anderen interpretativen Schluß gelangen, wenn man weiß, daß dieser Fund aus einem Katastrophengebiet stammt, in dem schwere Hungersnot herrschte, als wenn man am Ende einer ausgelassenen Party in einer Wohlstandsgesellschaft darauf stößt. Hat man das spezielle Forschungsziel, aus den Verhaltensergebnissen auf die Motivstruktur im Sinne eines zeitlich relativ überdauernden Gefüges von Verhaltensbereitschaften des Urhebers zu schließen, so sollte man kennen: -
die nichtmotivationalen Merkmale der Person, die das Verhalten mitbestimmten, das zum vorliegenden Ergebnis führte. Zu denken ist dabei insbesondere an die Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Kenntnis der zeitlich überdauernden durchschnittlichen Ausprägung dieser Merkmale reicht nicht aus, da es auf ihre Ausprägung im Zeitpunkt des Verhaltens ankommt, die durch spezifische Einflüsse - z. B. Müdigkeit, Drogen, zeitlich unmittelbar vorhergehendes Training - modifiziert gewesen sein kann;
-
die Anregungsbedingungen als spezifisch wahrgenommene Bestandteile der Situation, die das zu ermittelnde Motiv aktivierten;
-
die objektiven Ermöglichungsbedingungen der Situation, die das von der Person intendierte Verhalten, das schließlich zum vorliegenden Ergebnis führte, förderten oder behinderten.
Es ist naheliegend anzunehmen, daß es - abgesehen von jenen Situationen, in denen bestimmte Verhaltensergebnisse, nämlich Testleistungen, durch kontrolliertes Verhalten in standardisierten Situationen unter standardisierten Anregungsbedingungen zustandekamen - nur höchst selten Fälle gibt, in denen man Verhaltensergebnisse bei auch nur annähernd gegebener Kenntnis der hier genannten Kriterien analysieren kann. Innerhalb dieses Kontextes ist das höchst bedeutsam, da bestimmte Verhaltensergebnisse in der Regel als Leistungskriterien definiert sind und es naheliegend zu sein scheint, von diesen Verhaltensergebnissen auf die Motivation zu schließen, die sie bedingte. Die psychologische Diagnostik kann am ehesten Bedingungen schaffen, die den hier erhobenen Forderungen genügen. Tatsächlich besteht eine Vielzahl diagnostischer Methoden, die aus Verhaltensergebnissen auf die Motivation oder die Stärke eines aktivierten Motivs zu schließen suchen. Die auch außerhalb der Psychologie wohl bekannteste dieser Verfahrensweisen ist die Analyse der Handschrift, die Graphologie. Der Umstand, daß die Graphologie zu Recht umsritten ist, weist auf die ~rheblichen Schwierigkeiten hin, die bestehen, wenn man aus den
2.4 Methoden zur Messung der Motivation
93
Ergebnissen eines Verhaltens auf die motivationalen Bedingungen des Verhaltens zu schließen sucht. Gerade die Graphologie genügt ja nun auch den hier erhobenen Forderungen meist nur wenig, da die Schriftprobe unter unkontrollierten Bedingungen zustande kam. In der Praxis wohl kaum und innerhalb der Forschung nur in wenigen sorgfältigen Untersuchungen (vgl. Brandstätter, 1969) wurde dieser Mangel gemildert. Testverfahren erscheinen also unter diesem Aspekt geeigneter, etwa Zielsetzungsverfahren zur Bestimmung motivationaler Grundlagen der Leistung (vgl. Heckhausen, 1963, S. 28). Aber nicht nur aus so vielfach untersuchten Verhaltensergebnissen wie der Handschrift oder innerhalb von Tests provozierten Folgen eines Verhaltens - wenn man etwa Kinder aus standardisiertem· Spielzeug etwas bauen läßt oder die eigene Familie in Tieren zeichnen läßt (vgl. Heiss, 1964) sucht der Psychologe auf die motivationalen Besonderheiten der Urheber zu schließen, sondern auch aus gänzlich anderen Verhaltensergebnissen, die auf den ersten Blick mit der menschlichen Motivation kaum etwas zu tun zu haben scheinen. Beispielhaft sei hier der Versuch von McClelland (1966) genannt, aus der Erzeugung von Elektrizität in den einzelnen Ländern auf die Leistungsmotivation und die durch diese mitbedingte Leistung ihrer Bewohner schließen zu wollen (s. Beleg 12). Beleg 12 Auch die Erzeugung elektrischen Stroms verrät etwas über die Motive der Erzeuger Die Analyse der Lesebücher hat sich als gar nicht so schlechte Methode für die Einschätzung des b Leistungsniveaus im Jahr 1925 erwiesen . .. Die Schätzwerte für b* Leistung stehen in positiver Korrelation zum anschließenden wirtschaftlichen Wachstum, und zwar in hoch signifikantem Ausmaß zu den Elektrizitätserzeugungs-Zahlen oder zu der Kombination der beiden Maßstäbe. Dagegen steht das aus den Lesebüchern von 1950 hervorgehende b Leistungsniveau nicht in Beziehung zu dem vorangegangenen wirtschaftlichen Wachstum. Die Differenz in den beiden Korrelationsreihen ist theoretisch besonders wichtig, weil sie die Frage des wirtschaftlichen Determinismus berührt. Es wäre schwierig, anhand dieser Daten zu behaupten, daß der materielle Fortschritt zuerst kam und ein größeres Bedürfnis nach Leistung hervorrief. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: hohe b Leistungsniveaus stehen in Zusammenhang mit anschließender rascherer wirtschaftlicher Entwicklung. Marx scheint voreilig gewesen zu sein, als er die Psychologie als eine wichtige Determinante in der Geschichte ablehnte. Die Beziehung ist durchaus greifbar und durch andere Methoden der Datenbearbeitung kaum aufzuheben. 78 Ofo der Länder mit überdurchschnittlicher b Leistung im Jahre 1925 waren "tJber-Leister" in bezugauf die Erzeugung von Elektrizität, dagegen nur 25 °/o der Länder, bei denen das b Leistungsniveau unter dem Durchschnitt lag; dieser Unterschied könnte nur in weniger als 5 von 100 Fällen zufällig entstanden sein.
94
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
McClelland, D. C.: Die Leistungsgesellschaft - Psychologische Analyse der Voraussetzungen wirtschaftlicher Entwicklung. Hrsg.: Wendt, I. Y. & Fleischmann, G., Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1966, s. 133 ff. * b steht für Bedürfnis; b Leistung wäre also Bedürfnis nach Leistung oder Leistungsmotivation (Anm. d. Verf.) So interessant es auch erscheint, ein so komplex zustandegekommenes Leistungsergebnis wie die Menge des erzeugten elektrischen Stroms als Indikator der Motivation der Erzeuger heranzuziehen, so problematisch erscheint es auch. Eine große Anzahl von Variablen, die neben der Motivation für dieses Ergebnis bestimmend waren, bleibt dabei unkontrolliert. Das denkbare Argument, daß diese Variablen sich zu Null summierten, da es sich um Analysen auf hohem Kollektivitätsniveau handle, kann man schon deshalb nicht akzeptieren, da man für die Motivation eine entsprechende Vermutung ja auch nicht zuließ. Bedeutsam erscheint jedoch auch das andere im Beleg 12 genannte Kriterium, die Lesebuchgeschichten. Man darf sie als Objektivationen von Phantasieaktivitäten betrachten. "Von allen denkbaren Tätigkeitsprodukten sind es ausgerechnet Phantasiegebilde, die bislang bei weitem am besten auf ihre Eignung zur Motivationsmessung erforscht sind. Aber es ist nicht von ungefähr und hat seine guten Gründe. Historisch gesehen lassen sie sich mühelos bis auf Freud zurückverfolgen. Freud erkannte früh, daß gerade in Phantasiegebilden Motive, Beweggründe und Wünsche zum Ausdruck kommen, insbesondere wenn diese unbefriedigt und verborgen sind ... Diese Erkenntnis ist allein schon in methodelogischer Hinsicht zu einer der umwälzenden in der Psychologie geworden" (Heckhausen 1963, S. 28). So erwies sich die Analyse moderner Lesebücher, der Literatur des antiken Griechenland oder Spaniens der frühen Neuzeit- als typischer Niederschlag der Phantasie eines Zeitabschnitts gesehen- als brauchbare Quelle zum Erschließen der durchschnittlichen Leistungsmotivation jener Epochen (McClelland, 1966). In der Psychologie wurden spezifische Verfahren entwickelt, die es gestatten, in standardisierter Situation durch die Phantasie bestimmte Verhaltensergebnisse eines Individuums zu gewinnen, deren nachträgliche Analyse einen Schluß auf die Motivation zuläßt (z. B. Rorschach, 1922, Murray, 1938). Verfahren, die zu derartigen Leistungsergebnissen - etwa spannender Geschichten zu verschwommenen Bildern - führen, werden meist als projektive Testverfahren bezeichnet (Frank, 1939), obwohl dieser Terminus wenig scharf und in manchen Fällen sogar irreführend
2.4 Methoden zur Messung der Motivation
95
wirkt (vgl. Hörmann, 1964, v. Rosenstiel, 1967). Der Begriff der Projektion ist mehrdeutig und selbst dann, wenn man ihn in dieser Mehrdeutigkeit akzeptiert, nicht zur Erklärung aller Verhaltensergebnisse geeignet, die in derartigen Testverfahren gewonnen werden. Auch der interpretative. Schluß von Verhaltensergebnissen, die sich spezifisch als Phantasiegebilde zeigen, auf zugrunde liegende Motive ist schwierig, was sich aus den auch hier geltenden zuvor erhobenen Forderungen ergibt. Nicht immer wird in der Phantasie das direkt aufgedeckt, was sich der Phantasierende wünscht. Nicht selten verhindern Ichabwehrmechanismen den direkten Ausdruck. Wie komplex die Beziehung zwischen Phantasie und Motivation sein kann, zeigt beispielhaft eine Studie von Lesser (1957), in der wahrscheinlich gemacht werden konnte, daß der Schluß von phantasierten Aggressionsgeschichten, die im Rahmen eines thematischen Apperzeptionstests (TAT) erzählt werden, auf das zugrunde liegende Motiv die Kenntnis des Erziehungsstils fordert, der die Mütter der Erzähler kennzeichnete (s. Beleg 13). Beleg 13 Verhalten und Phantasiegebilde entsprechen einander nicht immer Lesser untersuchte 44 Schulbuben zwischen 10 und 13 Jahren sowie ihre Mütter. Die zugrunde liegende Hypothese war die, daß die im TAT ausgedrückten aggressiven Tendenzen der Buben dann deutlicher mit dem offenen aggressiven Verhalten korrelieren müßten, wenn die Mütter offene Aggression der Buben geduldet oder gar gefördert hätten. Die Einstellung der Mütter zur Aggression ihrer Söhne wurde mit Hilfe einer mündlich strukturierten Befragung (z. B. "Ein Kind sollte dazu erzogen werden, in Kontakt mit anderen Kindern für seine Rechte zu k,ä mpfen." Gefragt war der Grad der Zustimmung) erfaßt. Phantasie-Aggression der Buben wurde durch Inhaltsanalyse der Erzählungen von 10 speziell für die Zielgruppe und den Untersuchungszweck konzipierten Bildern ermittelt. Offen aggressives Verhalten wurde durch ein modifiziertes soziametrisches Verfahren gemessen. Den Vpn wurden Aussagen vorgegeben (z. B. "da ist jemand, der stets Streit sucht"), und sie sollten daraufhin angeben, wer wohl damit gemeint sei. Während sich in der Gesamtgruppe der Buben zwischen Phantasie-Aggression und offener Aggression praktisch keine Korrelation (r = 0.07) fand, lag sie in der Gruppe jener 23 Buben, deren Mütter Aggressionen gefördert hatten bei r = 0.43, während sie in der Gruppe jener 21 Buben, deren Mütter Aggressionen unterdrückten, bei- 0.41lag. Die Hypothese wurde also bestätigt. Lesser, G. S.: The relationship between overt and fantasy aggression as a function of maternal response to aggression. J. Abnorm. Soc. Psychol., 1957, 55, 215- 221.
96
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
2.4.4 Der physiologische Zugang Im Kontext der Theoriediskussion war bereits darauf verwiesen worden, daß nichts die Annahme rechtfertigt, lediglich einige, etwa die primären Bedürfnisse hätten eine physiologische Grundlage, während andere, etwa die sekundären Bedürfnisse, also soziogene Bedürfnisse oder geistige Triebfedern keine physiologischen Grundlagen hätten. Wir sahen uns veranlaßt zu der Annahme, daß alle Motivationsprozesse physiologische Grundlagen haben, daß diese Grundlagen bei den einzelnen Motivarten jedoch in sehr unterschiedlichem Maße bekannt oder gar erforscht sind. Wenn also alle Motivarten auf der Grundlage physiologischer Vorgänge aufruhen, müßte man in diesen Vorgängen Indikatoren des Motivationsgeschehens sehen können. Die Messung physiologischer Abläufe und die Erforschung ihrer Beziehung zum Motivationsgeschehen müßte sich demnach als ein möglicher methodischer Zugang zur Motivation erweisen. Gewisse empirische Belege liegen dafür vor, daß dieser Zugang sich einmal als praktikabel erweisen könnte. So zeigten etwa die bereits erwähnten klassischen Arbeiten von Cannon (1932), daß bei spezifischen motivationalen Erregungszuständen wie Wut oder Angst die Absonderung des Nebennierenproduktes Adrenalin erhöht wird, wodurch wiederum Aktivitäten des Magen-Darm-Traktes herabgesetzt werden. "Das Trieb- und Gefühlsleben und die geistige Leistung ist an die Funktion bestimmter Drüsen gebunden ... Überfütterung mit Schilddrüsensubstanz oder Überfunktion der eigenen Schilddrüse hat Übererregbarkeit zur Folge. Wie weitgehend das gesamte psychische Leben von den Trieben und damit zu einem wesentlichen Teil von der Funktion der Geschlechtsdrüsen abhängt, zeigt im Bereich des Tierischen der Unterschied zwischen einem Stier und einem Ochsen so eindeutig, daß davon nicht weiter gesprochen zu werden braucht. Die Pubertät mit den bekannten psychischen Auswirkungen ist ein weiteres schlagendes Beispiel" (Rohracher, 1951, S. 16 f.). Fröhlich (1965, S. 359 f.) berichtet u. a. über folgende Forschungsergebnisse, die gleichgerichtete oder unterschiedliche physiologische Symptome bei Ärger und Furcht erbrachten: "1. Bei Furcht steigt der Blutdruck (Diastase) weniger als bei Ärger.
2. 3. 4. 5.
Die Herzfrequenz steigt bei Furcht deutlicher an als bei Ärger. Die Herzvolumenleistung steigt bei Furcht stärker an als bei Ärger. Die Oberflächenspannung sinkt bei Furcht stärker ab als bei Ärger. Die Leitfähigkeit der Haut (palmar gemessen, PGR) ist bei Furcht im Vergleich zu Ärger verstärkt. Bei Ärger zeigt sich dagegen eine
2.4 Methoden zur Messung der Motivation
97
größere Anzahl von Einzelausschlägen im PGR als bei Furcht (und Schmerz). 6. Die Atemfrequenz steigt bei Furcht stärker an als bei Ärger. 7. Die Muskelspannung (gemessen am musculus frontalis) vergrößert sich bei Furcht mehr als bei Ärger. 8. Die physiologischen Begleiterscheinungen der Furcht heben sich insgesamt von Schmerz und Ärger stärker ab, als dies bei Schmerz und Ärger selbst der Fall ist." Die generell fraglos gegebene Möglichkeit, Motivationsvorgänge an physiologischen Kriterien zu messen, konkretisiert auch Cattell (1957), indem er Möglichkeiten nennt, durch Messung der psychogalvanischen Reaktion, der Muskelspannung und der Veränderung des Grundumsatzes die Bedrohung eines Motivationsziels zu ermitteln, im Abfall der Fingertemperatur- bedingt durch Variation des peripheren Kreislaufs - die Frustration einer Einstellung zu sehen oder in der Veränderung von Reflexschwellen, die in der Erregung des Zentralnervensystems ihren Grund haben, einen Indikator für die Stärke von Motivationen zu erkennen. Sieht man auch in der Veränderungen der Pupillen des menschlichen Auges einen physiologischen Vorgang, was legitim erscheint, da es sich um die autonome Reaktion eines vorgewölbten Teils des Gehirns handelt, so findet man bei Graumann (1965, S. 177) ein interessantes Beispiel. Die Veränderung der Pupillenausdehnung läßt sich hier plausibel als Maßstab der motivationalen Reaktion auf einen spezifischen Reiz der Situation interpretieren (s. Beleg 14). Beleg 14 Der Körper verrät, was uns bewegt Ein sprachliche und andere willkürliche (Gegen-)Steuerungen weitgehend ausschließendes Verfahren zur Bestimmung der (unwillkürlichen) Bevorzugung gewisser Valenzen haben . . . Hess & Polt (1960) vorgestellt. Sie boten männlichen und weiblichen Vpn verschiedene Bilder zur Betrachtung an (einen Säugling, Mutter und Kind, einen nackten Mann, eine nackte Frau bzw. eine Landschaft darstellend). Das abgenommene Maß war die prozentuale Veränderung der mittleren Pupillenausdehnung (bei KontrollReizen). Die Ergebnisse (Darstellung 6) entsprechen den Erwartungen über die Bevorzugung der verschiedenen Valenzen. Graumann, C. F.: Methoden der Motivationsforschung. In: Handbuch der Psychologie, Allgemeine Psychologie, II Motivation, Hrsg. H. Thomae, Göttingen 1965, S. 177. Die Anzahl der genannten Beispiele mag ausreichen, um die Möglichkeiten des physiologischen Zuganges innerhalb der Motivationsforschung 7 Rosenstiel
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
98
Darstellung 6 (zu Beleg 14)
Veränderungen der mittleren Pupillengräße (in % der Zu- oder Abnahme gegenüber der Betrachtung von Kontrollbildern) als Funktion verschiedener Bild-Valenzen (Interessen) (nach Hess & Polt, 1960, S. 350). BETRACHTETE BILDER
+30
c
·-e ·-.. e~
~"' :::
..
Säug· ling
Mutter und Kind
Nackter Mann
Nackte
Frau
Landschaft
+20
c
:;] +10 .., c 0 "-g2 "..~
"0
"
~
:~i
>f.
-10
D
weibliche Versuchspersonen
~
männliche Versuchspersonen
zu demonstrieren. So faszinierend die Aussicht erscheint, ein so schillerndes und schwer faßbares Erlebnisphänomen an eindeutig objektivierbaren Vorgängen dingfest zu machen, so eindringlich muß vor allzu großem Optimismus auf diesem Gebiete gewarnt werden. Zum einen entbindet der physiologische Vorgang nicht von einer differenzierten Analyse der erlebten Motivationsphänomene selbst, da eine solche Analyse die Grundlage dafür schafft, die Motivationsphänomene physiologischen Abläufen zuzuordnen. Zum anderen ist - zumindest beim heutigen Forschungsstand - diese Zuordnung äußerst problematisch, da die physiologischen Vorgänge, selbst wenn man sie in Interaktion betrachtet, sich als mehrdeutig erweisen (vgl. Fahrenberg, 1964). Bestimmte physiologische Reaktionen lassen sich bislang lediglich als Indikatoren genereller Aktivität deuten, wobei inhaltlich unentscheidbar bleibt, ob es sich nun um aktivierte Aggressivität, Angst oder Freude handelt. Wenn Fahrenberg (1964) u. a. die physiologischen Meßverfahren der Psychodiagnostik mit dem Namen "objektive Verfahren" kennzeichnet, so sollte man sich vor den im Terminus "objektiv" möglicherweise mitschwingenden Bedeutungen des Eindeutigen und Zuverlässigen hüten. Objektiv werden diese Verfahren nur im Gegensatz zu jenen subjektiven (vgl. Mittenecker, 1964) genannt, die von der zu untersuchenden Person eine Stellungnahme zu ihren eigenen Erlebnisphänomenen fordern, wie das bei einem Fragebogen häufig der Fall ist. Dies ist nicht erforderlich, wenn man physiologische Kriterien
2.4 Methoden zur Messung der Motivation
99
zu Indikatoren der Motivation erhebt. Eindeutig und zuverlässig sind diese Kriterien jedoch nicht. Die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn man sie Erlebnisphänomenen zuordnen möchte, wurden bereits genannt. Die Zuverlässigkeit der meisten von ihnen erwies sich bei wiederholten Messungen als sehr viel geringer, als man es von einem brauchbaren Test erwarten darf und muß. Ohne Frage eröffnet der physiologische Zugang der Motivationsforschung neue und bedeutsame Wege. Routinemäßig anwendbare Verfahren lassen sich bislang daraus nicht ableiten. So ist auch der Psychologe, der außerhalb der speziellen Forschung physiologische Vorgänge als Indikatoren der Motivation berücksichtigen möchte, darauf angewiesen, im Rotwerden ein Zeichen für Scham, Freude oder Wut, im Erbleichen ein Symptom des Schreckens oder im Zittern einen Ausdruck der Angst zu erkennen, kurz, sich auf jene Hinweise zu verlassen, die Menschen seit erdenklichen Zeiten berücksichtigen, um Aufschluß über Motivationen ihrer Mitmenschen zu gewinnen.
2.4.5 Der Verzicht auf einen Zugang über die Organe Der an vorwissenschaftlicher psychologischer Erkenntnis orientierte Laie sieht nicht selten in seinem durch ein starkes Kinn gekennzeichneten Gesprächspartner einen Mann. auf dessen hohe Willenskräfte er sich einzustellen hat, im Fremden mit angewachsenen Ohrläppchen ein hinterhältiges Schlitzohr, vor dem er sich zu hüten hat, im Kaufmann mit einer fleischigen Nase einen geldgierigen Pfeffersack, der ihn zu übervorteilen sucht und im Mädchen mit roten Haaren und wulstigen Lippen eine erstrebenswerte Partnerin, deren hohe sexuelle Triebkräfte ihm ungeahnte Freuden verheißen. Für diesen Laien ist klar, daß er Motive und Motivstrukturen nicht nur über dynamische Prozesse wie Erleben, Verhalten und physiologische Abläufe und deren Objektivation im Verhaltensergebnis, sondern auch über die statische Ausprägung menschlicher Organe erschließen kann. Obwohl die grundsätzliche Möglichkeit dieses Zugangs nicht auszuschließen ist, soll hier auf seine Diskussion verzichtet werden, weil die bisherige psychologische Forschung, insbesondere die Vorurteilsforschung ihn als äußerst fragwürdig erscheinen läßt. Dies gilt nicht, wenn bestimmte Ausprägungen von Organen in ihrer statischen Gestaltung die Folge bestimmter motivierter Verhaltensweisen sind (vgl. Lersch, 1966). Zeigt also ein Mensch eine stark ausgebildete und durchtrainierte Muskulatur, so ist - bei Berücksichtigung der zuvor genannten zusätzlichen Bedingungsvariablen - der Schluß auf sportliche Interessen legitim. Die Ausprägung eines Organes ist in diesem Kontext als Verhaltensergebnis zu interpretieren. 7•
100
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
Gänzlich aburteilen sollte man den Versuch, über die Organe Aufschluß über Motive zu erlangen, jedoch nicht, um sich nicht selbst eines Vorurteils schuldig zu machen. Mag auch ein Versuch wie der von Gall (vgl. Hofstätter, 1957, S. 43) heutzutage befremdlich anmuten, in Ausformungen des Schädels Indikatoren spezifischer Persönlichkeitszüge zu vermuten, deren Sitz im Gehirn hinter den entsprechenden Regionen angenommen wird, so erscheint doch der Grundgedanke angemessen. Sieht man - und hier darf wieder an Nikolai Hartmann (1949) erinnert werden - in den Organen den Ermöglichungsgrund physiologischer Prozesse und in diesen wiederum den Ermöglichungsgrund der motivationalen Abläufe, so könnte man in den Organen Indikatoren - die vermutlich sehr vieldeutig sein würden - von Motiven sehen. Allerdings bereitet die Vorstellung Mühe, daß sich sekundäre Motive als Organveränderungen auffinden lassen sollen. Wenn jedoch Rohracher (1951, S. 30 f.) auf das überdurchschnittliche Gehirngewicht genialer Menschen hinweist, auf die im Fehlen spezifischer Drüsen bedingten Motivationsunterschiede zwischen Stier und Ochsen verweist (S. 17}, und man geneigt ist, nicht nur auf der Verhaltensebene, sondern auch auf der Organebene zwischen den genannten Extrempunkten zu interpolieren, so deuten sich hier Untersuchungsmöglichkeiten an. Dabei ergäbe sich spekulativ ein interessanter Aspekt. Die Organe sind zeitlich überdauernd gegeben. Das gleiche wurde von den hypothetisch angenommenen Motiven und Motivstrukturen gesagt. Nimmt man den Gedanken der Leib-Seele-Einheit ernst, so könnte in einem Modell Organ und Motiv als zwei Aspekte einer Sache angenommen werden, ähnlich wie physiologischer Ablauf und Motivation. Erscheint eine Beziehung zwischen inneren Organen und Motiven leicht denkbar, wenn nicht gar partiell plausibel, so ist eine Beziehung zwischen äußeren Organen und Motiven sehr viel weniger wahrscheinlich. Immerhin ist auch diese denkbar, so daß eine Annahme wie die Vetters (1966), daß die leibliche Gestalt Ausdruck menschlichen Wesens sei, zur prüfbaren Hypothese werden könnte. Untersuchungen, die sich damit befassen würden, hätten allerdings mit erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen, vor allem mit der Wirkung der sogenannten "self fulfilling prophecy" (Merton, 1965). Gerade in solchen Fällen, wo die allgemeine Erwartung für eine Beziehung zwischen äußerem Organ und motiviertem Verhalten spricht, könnte etwa eine denkbare Korrelation zwischen der Organausprägung und Verhaltensausprägung lediglich durch diese Erwartung bedingt sein (vgl. Schuler, 1972). Um das an dem zu Beginn dieses Punktes verwendeten Beispiel zu zeigen: Das junge Mädchen mit roten Haaren und wulstigen Lippen könnte sich - um nicht beständig die Erwartungen junger Männer zu ent-
2.5 Zusammenfassung des 2. Teils
101
täuschen - diesen Erwartungen anpassen, sich besonders triebhaft geben und somit in die erwartete Rolle hineinwachsen. Doch kehren wir zum Thema zurück. Beim derzeitigen Stand läßt sich vereinfachend sagen, daß es den Versuch, über die Ausprägung der menschlichen Organe die Motive zu erfassen, bei Laien noch immer und in der Wissenschaft noch nicht gibt. Dem tragen wir durch Verzicht auf diesen Zugang Rechnung. 2.5 Zusammenfassung des 2. Teils
Ein Motiv ist eine isoliert gesehene Verhaltensbereitschaft, die Motivstruktur das Insgesamt derartiger Motive einer Person. Wird ein Motiv aktiviert, so ist ein aktiviertes Motiv beobachtbar, wird eine Mehrzahl von Motiven aktiviert, so spricht man von der Motivation. Motivation und Verhalten sind sprachlich klar voneinander getrennt, im Erleben jedoch eine Einheit. Motivation ist somit zwar ein unmittelbar beobachtbares oder erschließbares Phänomen, zugleich jedoch Abstraktion, in der bestimmte Phänomene aus einem Sinnzusammenhang herausgelöst und bei wissenschaftlicher Analyse auf ein bestimmtes sprachliches Klassifikationsniveau gehoben werden. Die Klassifikation der Motive ist unter vielerlei Aspekten möglich. Am gebräuchlichsten sind Klassifikationen der Motive nach ihren Zielen, die auf mittlerem Abstraktionsniveau voneinander abgehoben werden. Bei den Zielen ist vor allem danach zu unterscheiden, ob sie im wesentlichen starr und unveränderbar, oder expansiv und sich verändernd erscheinen. Zur Erklärung einer auf starre Ziele gerichteten Motivation erscheinen homöostatische Motivationstheorien geeignet, während dies bei expansiven Motiven nicht der Fall ist. Unbewußte Motivationen sind kein der Beobachtung unmittelbar zugänglicher Gegenstand, sondern Konstruktionen, die im Rahmen bestimmter theoretischer Konzepte eine bessere Erklärung des beobachtbaren Verhaltens und Erlebens ermöglichen. Die Motivation ist in zweifacher Weise umweltabhängig. Zum einen werden Motive in der Umwelt erlernt, zum anderen werden bereits bestehende Motive durch bestimmte aus der Umwelt kommende Reize, die als Anreize wahrgenommen werden, aktiviert. Innerhalb der Persönlichkeitstheorie werden meist Motivation und Kognition einander gegenübergestellt. Diese Trennung ist bei differenzierter Analyse der Motivationsphänomene nicht durchzuhalten, da bestimmte kognitive Konstellationen motivierend wirken und kognitive Variablen wesentliche Bestandteile motivationaler Prozesse sind.
102
2. Teil: Allgemeinpsychologische Fundierung
Die Unterscheidung von körperlich und seelisch oder sozial bedingten Motiven ist nicht gerechtfertigt. Man darf annehmen, daß alle Motive nach ihrer Aktivierung physiologische Abläufe zur Grundlage haben und- mit unterschiedlicher Bewußtseinsklarheit- im Erleben repräsentiert werden. Die Methoden, die man zur Messung der Motivation verwendet, sind stark abhängig davon, ob man in der Motivation eine hypothetische Konstruktion oder ein grundsätzlich beobachtbares oder erschließbares psychisches Phänomen sieht. Da hier das zweite der Fall ist, bieten sich zur Erfassung der Motivation die Zugänge über die Introspektion, die Verhaltensbeobachtung, die Analyse der Verhaltensergebnisse und die Analyse der physiologischen Abläufe an. Probleme der Introspektion liegen darin, daß ihr Gegenstand - das Erleben - nur einem Beobachter zugänglich ist, Selbsttäuschungen möglich sind und die Güte der Ergebnisse von der Fähigkeit zu differenzierter Innenschau abhängt. In der Verhaltensbeobachtung sucht man vom beobachtbaren Verhalten her auf die zugrundeliegende Motivation zu schließen. Ein bewußter Schluß ist dabei nicht immer gegeben, da man phänomenal im Verhalten häufig die Motivation unmittelbar zu erkennen glaubt. Der Schluß vom Verhalten auf die Motivation ist schwierig, da das Verhalten nicht nur von der Motivation, sondern auch von der Situation und nichtmotivationalen Bedingungen der Person abhängt. Diese Schwierigkeiten erhöhen sich bei der Analyse der Verhaltensergebnisse dadurch, daß weder die Person - in ihren nichtmotivationalen Aspekten -, die die Ergebnisse .hervorbrachte, noch die Situation, in der sie zustandekamen, unmittelbar beobachtet werden und somit die Gefahr ihrer Vernachlässigung gesteigert wird. Da alle Motivationsprozesse auf physiologischen Prozessen aufruhen dürften, erscheint es möglich, aus physiologischen Daten auf die Motivation zu schließen. Beim jetzigen Forschungsstand sagen allerdings die physiologischen Daten meist nur grob etwas über den Grad der Aktivierung aus, so daß sie zur qualitativ differenzierten Motivationsanalyse wenig geeignet erscheinen. Grundsätzlich ist es auch denkbar, über die Analyse statischer Merkmale des Körpers, der Organe, etwas über die Motivation zu erfahren, doch erscheint dieser Zugang zur Zeit eher als Quelle Vorwissenschaftlichen Vorurteils denn als wissenschaftlich begründeten Urteils. Die mit den genannten Verfahrensweisen ermittelbaren Daten sprechen nicht für sich selbst. Sie bedürfen der Interpretation, wenn sie zu Aussagen über die Motivation führen sollen.
Dritter Teil
3. Die motivierte Person in der Organisation Der in einer Organisation arbeitende Mensch ist durch bestimmte Verhaltensweisen gekennzeichnet, die in mehr oder weniger starkem Maße abgehoben von seinem sonstigen Verhalten sind. Diese Verhaltensweisen ausschließlich durch die im Organisationsplan festgelegten Verhaltensvorschriften erklären zu wollen und- was naheliegend wäre - einen soziologischen Erklärungsansatz zu wählen, muß auf Grenzen stoßen: In der Organisation sieht sich der Mensch ganz spezifischen Rollenerwartungen gegenüber, die er durch seine persönlichen Eigenheiten in bestimmter Weise wahrnimmt und interpretiert. Die Rollenerwartungen selbst können in starkem oder weniger starkem Maße durch den formalisierten Gesamtplan der Organisation - spezifisch durch die Tätigkeits- bzw. Arbeitsplatzbeschreibung - determiniert sein. Die wahrgenommenen und interpretierten Rollenerwartungen werden für die Person nicht in vollem Umfang zur Richtschnur ihres Verhaltens, sondern sie tendiert durch ihre Motivation bedingt- gemessen an ihren Verhaltensintentionen - bereits partiell in andere Richtung und wird selbst dort, wo sie im Sinne ihrer Rolleninterpretation handeln möchte, in bestimmtem Maße durch ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie durch die objektiven Ermöglichungsbedingungen der Situation daran gehindert. Zwischen den im Organisationsplan festgelegten Verhaltensvorschriften und dem konkret beobachtbaren Verhalten eines Menschen in der Organisation kann daher eine erhebliche Distanz bestehen (vgl. v. Rosenstiel, Molt & Rüttinger, 1972). Es sind bestimmte Verhaltensbereitschaften - die Motive - die einen nennenswerten Varianzanteil des beobachtbaren Verhaltens erklären dürften, wenn gezeigt werden kann, daß Bestandteile der Organisation als Anreize wahrgenommen wurden und die Motive aktivierten. Diese Motive können als früh verfestigte Dispositionen von der Person in die Organisation miteingebracht worden sein oder sich im Zuge eines spezifischen Sozialisierungsprozesses erst in der Organisation gebildet haben (vgl. v. Rosenstiel, Molt & Rüttinger, 1972, S. 67 ff.). Damit sind wir bei dem von uns ~ewähltep Ansatz (v~l. Darstellun~ 2).
104
3. Teil: Die motivierte Person in der Organisation
Nachfolgend sollen jene Ausschnitte der Motivstruktur der Person untersucht werden, die in Organisationen besonders häufig aktiviert, frustriert und befriedigt werden und dadurch erheblichen Einfluß auf das Verhalten in der Organisation gewinnen. Dabei muß relativ willkürlich vorgegangen werden, da es hier nicht möglich ist, das Gesamtspektrum menschlicher Motivarten aufzuzeigen. Eigentlich wäre dies jedoch erforderlich, da der Mensch als Ganzheit auf komplexe Situationen reagiert. Bedenkt man andererseits die sehr spezifischen Anregungsbedingungen, die in Organisationen gesetzt werden, so darf man akzentuierend (vgl. Lersch, 1956, S. 22) sagen, daß es ganz bestimmte Motive sind, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit in Organisationen aktiviert werden und somit das motivierte Verhalten bestimmen. Sie sollen hier besprochen werden. Die Bedingungen innerhalb der Organisation, die in diesem Kontext zu Anreizen werden, sollen Gegenstand des danach folgenden Teils dieses Buches sein. 3.1 Interessen und Einstellungen
Durchforscht man die relevante Literatur nach den Beweggründen menschlicher Arbeit, so stößt man neben den Begriffen des Motivs bzw. der Motivation auf die der Interessen und der Einstellungen. Bedenkt man die weite Bestimmung, die wir dem Motiv als einer Verhaltensbereitschaft, die unter bestimmten Bedingungen aktivierbar ist, gegeben haben, so handelt es sich fraglos bei den Interessen und mit Einschränkungen auch bei den Einstellungen um Motive, die sich lediglich durch bestimmte Akzentsetzungen hervorheben. Auch Inter.:. essen und Einstellungen können in einem entsprechenden theoretischen Kontext als überdauernde Verhaltensbereitschaften angenommen werden, die durch angehbare oder äußere Bedingungen aktivierbar sind und dann das Verhalten mitbestimmen. Auf die spezifischen Unterscheidungskriterien zwischen den Motiven und Interessen einerseits und den Motiven und Einstellungen andererseits wird in den entsprechenden Abschnitten dieses Teils 3 eingegangen werden. Dabei wird es sich erweisen, daß die Interessen als spezifische Art von Motiven dem Oberbegriff Motiv subsumierbar sind, während die Einstellungen sich stärker von den Motiven unterscheiden. Sie bezeichnen Verhaltensbereitschaften unter anderem Aspekt, so daß die Begriffe Motiv und Einstellung sich nur zum Teil überlagern. 3.2 Beruflime Arbeit als gesellschaftlime Norm
Wenn hier von beruflicher Arbeit die Rede ist, so soll sie nicht- im Sinne der Physik - als Kraft mal Weg verstanden werden; auch physiologische :Bestimmungen brauchen hier nicht zu interessieren, son-
3.2 Berufliche Arbeit als gesellschaftliche Norm
105
dem es soll in bewußter Begrenzung auf die Gegebenheiten in höher entwickelten Industrienationen unter beruflicher Arbeit das Rollenverhalten eines Menschen verstanden werden, der eine Berufsrolle innehat (vgl. Vroom, 1967 S. 6). Es ist naheliegend anzunehmen, daß eine Berufsrolle nicht nur Verhaltensweisen umfaßt, die unmittelbar auf das innerhalb des impliziten oder expliziten Zielsystems der Organisation (vgl. Reinen, 1966) gegebene Leistungsziel bezogen sind, sondern auch Verhaltensweisen, die ihm nur mittelbar dienen, sich neutral zu ihm verhalten oder ihm gar widersprechen. Diese Verhaltensweisen können wiederum anderen - vom Leistungsziel unabhängigen - Zielen der Organisation dienen oder sich zu diesen neutral oder gar widersprüchlich verhalten. Innerhalb einer komplex strukturierten Organisation ist die Rollenerwartung einem einzelnen Mitglied gegenüber häufig nur noch schwer als Funktion des Zielsystems der gesamten Organisation aufzuzeigen. Das Wahrnehmen von Berufsrollen ist in den hochentwickelten Industrienationen weit verbreitet. Baneraft (1958) zeigte für die USA, daß dort annähernd 100 °/o derMännerund ca. 80 °/o der Frauen, zumindest zeitweilig in ihrem Leben, einem Beruf nachgehen. Für die BRD dürften sich ähnliche Zahlen aufzeigen lassen. Man könnte annehmen, daß ein Verhalten, das in so starker Verbreitung gezeigt wird, Fragen danach aufwirft, warum das so sei. Das Gegenteil ist der Fall. "Wir fragen eher danach, warum Menschen Berge ersteigen, Sportwagen fahren oder Selbstmord begehen, als die Frage nach den motivationalen Grundlagen der Entscheidung für die Arbeit aufzuwerfen" (Vroom, 1967, S. 29). Die in den Industrienationen so weite Verbreitung der beruflichen Arbeit dürfte gerade der Grund dafür sein, daß nach den Motiven - zumindest bei der Berufsarbeit der Männer - nicht gefragt wird (vgl. Lehr, 1970). Arbeit ist zur Selbstverständlichkeit geworden, und Selbstverständlichkeiten werden, wie Hofstätter (1972) zeigte, ungefragt akzeptiert und hingenommen. Fragen würde hier bereits Zweifeln und somit das Verunsichern einer sozialen Norm beinhalten, worauf die Gruppe mit negativen Sanktionen reagiert. Hier wollen wir dennoch fragen - und zwar im ansteigenden Differenzierungsgrad: - Warum gehen Menschen überhaupt einer Berufsrolle nach? - Warum übernehmen sie eine spezifische Berufsrolle? - Warum üben sie ihre Berufsrolle in der Organisation, in der sie tätig sind, in derbeobachtbaren Weise aus? Bei der Beantwortung der ersten Frage werden wir es vor allem mit allgemeinen Arbeitsmotiven, bei der Beantwortung der zweiten Frage mit Berufsinteressen und bei der Beantwortung der dritten Frage mit
106
3. Teil: Die motivierte Person in der Organisation
den spezifischen Arbeitsmotiven und den Einstellungen der Organisation gegenüber zu tun haben. Bass (1965, S. 77) beantwortet die Frage nach dem Grund, warum nahezu alle Menschen in unserer Gesellschaft arbeiten, in dreifacher Weise: "Wir arbeiten wenigstens aus drei Gründen: (1) weil es von uns erwartet wird. In unserer Gesellschaft ist ein erwachsener Hippie, der freiwillig nicht arbeitet, ein Ausgestoßener, ein Paria, und er scheint an milder Schizophrenie zu leiden; (2) weil Arbeit uns extrinsische Belohnungen sichert, wie etwa über das Notwendigste hinausgehende Bezahlung; und (oder) (3) weil Arbeit in sich selbst belohnend wirkt - eine Arbeit auszuüben macht aus sich selbst heraus Spaß und ist befriedigend." Der erste der von Bass genannten Gründe führt uns noch einmal auf das Normenproblem zurück. Wir fragen nicht nur deshalb nicht nach den Gründen der Arbeit, weil alle arbeiten. Es ist offensichtlich auch so, daß alle arbeiten, weil alle arbeiten. Die klassischen Untersuchungen von Sherif (1935) und Asch (1956), so wie die von ihm angeregten Studien (vgl. Krech, Crutchfield & Ballachey, 1962) zeigten deutlich die Wirkung des Konformitätsdrucks auf das individuelle Verhalten, das dadurch einer Gruppennorm angenähert wird. Dabei muß es keineswegs so sein, daß die Furcht vor Sanktionen der Gruppe bei Normabweichung die bewußte Ursache der Anpassung an die Norm ist, sondern für die Mehrzahl der Fälle darf angenommen werden, daß das Akzeptieren dieser Norm ein unreflektierter, konfliktfreier Vorgang ist, die Übernahme der Norm also ganz selbstverständlich erfolgt. Darüber hinaus sollte nicht vergessen werden, daß - sieht man von Zeiten raschen sozialen Wandels ab - jene Verhaltensweisen, die als Norm gelten, von der Mehrzahl der Personen in ähnlicher Weise wohl auch ohne Gruppendruck gezeigt würden. Die Normierung des Verhaltens mindert die Streuung des Verhaltens, hat aber geringen Einfluß auf den "Mittelwert" (vgl. Tannenbaum, 1969, S. 5). In diesem Sinn darf man annehmen, daß berufliche Arbeit auch aus existentieller Notwendigkeit von der Mehrzahl der Menschen ausgeübt würde, die hohe Konformität dieses Verhaltens- etwa Anzahl der Arbeitsstunden und Verteilung dieser Zeit in der Woche - aber durch soziale Normen determiniert ist. Das gilt nicht nur da, wo diese Normen zu Verhaltensvorschriften in Organisationen geworden sind und dem einzelnen abhängig Tätigen kaum Freiheitsraum geben, sondern auch dort, wo selbständig Tätigen die Wahl von Alternativen offen stünde. Erfolgt die Anpassung an die bestehenden Normen des Arbeitsverhaltens auch im Regelfall selbstverständlich und konfl.iktfrei, so sind sehr wohl Fälle denkbar, in denen ein Individuum die Normabweichung
3.2 Berufliche Arbeit als gesellschaftliche Norm
107
um ihrer selbst willen oder um einer bewußt gewählten Form anderer Gestaltung des eigenen Lebenswillen zu vollziehen sucht und Sanktionen der Gesellschaft es daran hindern. Man denke sich etwa die Reaktionen der Eltern und der Nachbarschaft auf das Verhalten eines jungen Mannes innerhalb der unteren Mittelklasse unserer Gesellschaft, der sich weigert, geregelter beruflicher Arbeit nachzugehen und beabsichtigt, sich mit gelegentlichem "Jobben" durchs Leben zu schlagen. Tatsächlich konnte Bakke (1940 a, b) zeigen, daß sogar Personen, die keineswegs freiwillig, sondern bedingt durch Arbeitslosigkeit keiner beruflichen Arbeit nachgingen, in der Achtung ihrer Nachbarn absanken und einen Teil ihrer Geltung verloren. Scheint auch Arbeit seit der Vertreibung aus dem Paradies - "Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen ... " (1. Mos., 3, 17- 19) - eine unangenehme Notwendigkeit zu sein, so ist sie es aufgrund häufig vorfindbarer gesellschaftlicher Strukturen doch nicht für jeden. Oft ist die Konstellation anzutreffen, daß Menschen für andere Menschen arbeiten. Während sich aber angesichts derartiger Konstellationen häufig für privilegierte Gruppen spezielle Normen entwickelten, die ihnen Arbeit geradezu untersagten und sie mit größter Selbstverständlichkeit nichtstuend die Bedienung durch Sklaven oder Knechte akzeptieren hießen (Tilgher, 1962), scheinen sich in den westlichen demokratischen Leistungsgesellschaften auch diejenigen zu beruflicher Arbeit verpflichtet zu fühlen, die das von der materiellen Absicherung ihres Lebens her nicht nötig hätten (vgl. Morse und Weiss, 1955). Besteht also in unserer Gesellschaft eine relativ feste und für alle verbindliche Norm, daß jedermann zu arbeiten habe, so scheint eine derartige Norm hinsichtlich der Inhalte dieser Arbeit nicht zu bestehen. Von einer ständestaatliehen Selbstverständlichkeit der Übernahme des Berufs des Vaters durch den Sohn kann nicht die Rede sein trotz des Faktums, daß es, wie Prossund Boetticher (1971) zeigten, nach wie vor der Regelfall in den westlichen Industriestaaten ist, daß der Sohn einen Beruf ergreift, der in seiner Qualifikationsstufe dem Beruf des Vaters entspricht. Dieser empirisch anzutreffende Umstand wird jedoch nicht mehr als Selbstverständlichkeit akzeptiert. Der Wunsch nach höher qualifizierter, mehr Befriedigung schenkender Arbeit für die eigenen Kinder oder gar sich selbst ist verbreitet (Morse & Weiss, 1955; Chinoy, 1955; Purcell, 1967) und insofern eine neu zu beobachtende Tendenz (Bass & Barrett, 1972, S. 66), als er nicht nur bei Angehörigen weniger qualifizierter Berufe, sondern auch bei Facharbeitern, Führungskräften und Selbständigen auftritt.
108
3. Teil: Die motivierte Person in der Organisation
Daß jedoch überhaupt gearbeitet wird, scheint in unserer Gesellschaft durch Nonnen stark determiniert zu sein. Es fragt sich jetzt, ob dieses normierte Verhalten noch als motiviertes Verhalten bezeichnet werden darf. Lückert (1970, S. 306) würde hier möglicherweise einen klaren Trennungsstrich ziehen, indem er das Verhalten "unter dem doppelten Aspekt der (psychischen) Motivation und (sittlich-ethischen) Normation" sieht. "Die Psychologie ist auf ein Außerphysisches verwiesen, auf eine Orientierung an den Nonnen der Gesellschaft, Kultur und an der Ethik." Allerdings sieht Lückert in den Normen objektiv geistige Gegebenheiten, einen sittlichen Imperativ und nicht - wie es hier der Fall ist - Objektivationen, die der Niederschlag motivierten Verhaltens sind. Die Frage, inwieweit normiertes Verhalten als motiviert gelten darf, soll vor allem am Erlebnisphänomen untersucht werden. Gegen die Annahme des normierten Verhaltens als motiviert spricht, daß es erlebnismäßig für das Individuum gar nicht zu einem motivierten Zustand kommt, zum anderen, daß die Erklärung und Vorhersage des individuellen Verhaltens hier sicherer durch Analyse der gesellschaftlichen Normen als durch Untersuchung der individuellen Motivationsstruktur gelingt. Für die Annahme, das nonkonforme Arbeitsverhalten sei motiviert, spricht auf der anderen Seite die Beobachtung, daß bei Verhinderung der Ausübung des Berufs jene Verhaltensbesonderheiten auftreten, die für die Deprivation eines Motivs typisch sind. Es herrscht der Zustand unbefriedigter Motivation. Es ist durchaus denkbar, die Unruhe und das Unbehagen, die bei Rentnern oder bei Personen, die arbeitslos wurden, zu beobachten sind, als die von der Person, die gesellschaftliche Normen introjiziert hat, ausgehenden selbstbestrafenden Sanktionen zu interpretieren. Damit ist jedoch nichts anderes ausgesagt. So neigen wir denn dazu, normkonformes Arbeitsverhalten in der Weise als motiviert zu betrachten, daß tägliche Arbeit - im Sinne der funktionellen Autonomie der Motive zum Selbstzweck, zum Ziel erlemter Motivation wurde. Obwohl die Normierung des Arbeitsverhaltens den täglichen Gang zum Arbeitsplatz als weitgehend automatisiert, erlebnismäßig nicht durch einen Motivationsprozeß gekennzeichnet, erscheinen läßt, dürfte die Interpretation zulässig sein, daß das sekundäre Motiv nach Arbeit eben deshalb nicht ins Bewußtsein tritt, weil es beinahe beständig befriedigt, ja übersättigt ist und - ähnlich wie der Hunger in unserer Gesellschaft - nur in Ausnahmesituationen zu einem Drangerlebnis führt. Trotz der unübersehbaren Bedeutung der gesellschaftlichen Norm für das Ausüben beruflicher Arbeit wäre es voreilig, hierin den einzigen Grund zu sehen. Selbst wenn man behaupten wollte, alle Menschen arbeiteten nur deshalb, weil alle arbeiten, könnte einen das Gedanken-
3.3 Die finanzielle Entlohnung
109
spiel, warum denn alle - vor Bildung entsprechender Normen- zu arbeiten begonnen hätten, auf andere Ursachen stoßen. Nach diesen Ursachen sei jetzt gefragt. 3.3 Die finanzielle Entlohnung
Die naheliegende Antwort auf die Frage nach dem Warum der Arbeit ist in unserer Kultur wohl, daß man eben Geld brauche, da Geld die Grundlage zur Befriedigung fast aller Bedürfnisse sei, man ohne Geld also praktisch nicht überleben könne. Das Modell des homo oeconomicus (vgl. Schack, 1924), des zweckrational nach Nutzen- und das ließe sich hier mit Geld übersetzen- strebenden Menschen, diente denn auch den Wirtschaftswissenschaften lange zur Erklärung menschlichen Markt- und Arbeitsverhaltens. Frühe organisationspsychologische Erklärungsversuche entsprechen dem. Innerhalb des "scientific management" (Taylor, 1911) wurde die Auffassung vertreten, daß hohe Leistung durch Rationalisierung mit Hilfe wissenschaftlicher Beobachtungsverfahren, angemessene Personalauslese sowie durch geplant eingesetzte finanzielle Anreize zu erreichen sei. Von der motivationalen Seite her gesehen wäre somit der Wunsch nach Geld das einzige Arbeitsmotiv. Der Mensch verkauft Arbeitskraft für Geld und verzichtet damit während der Arbeitszeit auf die Befriedigung anderer Motivationen. Diese Auffasung impliziert einen Aversions-Appetenz-Konflikt: Der Mensch ist faul und möchte nicht arbeiten, muß aber arbeiten, da Arbeit instrumentelles Verhalten für das Erreichen des lebensnotwendigen Geldes ist. Da die Motivstärke bei Deprivation - abgesehen von Extremzuständen- ansteigt, wäre weiter zu folgern, daß man- ist Leistung das Ziel - nur so viel Geld für die Arbeit zahlen sollte, daß der Arbeitende nahe am Existenzminimum dahinvegetiert; sein Wunsch nach Geld und somit seine Arbeitsbereitschaft wäre dadurch hochzuhalten. Sieht man im Wunsche nach Geld das einzige Arbeitsmotiv, so nimmt man damit zugleich an, daß Arbeit stets nur Mittel zu dem Zweck ist, andere Motive zu befriedigen, selbst aber keinerlei Befriedigung zu bieten vermag. Daraus folgen dann psychologische Grundlegungen von effektiven Organisationsformen des Betriebs, wie sie etwa McGregor (1960) in seiner "Theorie X" polemisch beschreibt: Aktivität und Verantwortung liegen allein beim Management, das den Arbeiter, da er träge, ohne Ehrgeiz und Verantwortungsbereitschaft ist, zur Arbeit anhalten muß. Bemerkenswert ist dabei, daß hier nur von Angehörigen der unteren hierarchischen Schichten des Betriebs angenommen wird, daß die Arbeit selbst für sie kein Anreiz sei, nicht dagegen von den Führungskräften. Es bedarf wohl keiner eingehenden Diskussion, um auf die Bedeutung des Geldes hinzuweisen; die ökonomischen Bedin-
110
3. Teil: Die motivierte Person in der Organisation
gungen in unserer Gesellschaft machen es erforderlich. Nicht haltbar wäre dabei die These, daß Geld nur als Mittel zum Zweck anzusehen sei, da es nur als Erfordernis zur Befriedigung anderer Motive gesehen werde. Die erfahrungsmäßig häufig gegebene Mittel-Zweck-Relation des Geldes läßt hier geradezu einen Prototyp der "funktionellen Autonomie der Motive" sichtbar werden. Man muß also annehmen, daß "die menschlichen Strebungen sich entwickeln können und formbar sind; sie können den Handlungen nachwachsen, die dadurch ihrerseits zu Bedürfnissen werden" (Allport, 1937, S. 384). Bezogen auf das Geld würde das bedeuten, daß die Verfügung über dasselbe - obwohl zunächst als Mittel zum Zweck gesehen- zum Selbstzweck und damit zum Bedürfnis wird. Die Introspektion der Mehrheit der erwachsenen Mitgliederdieser Gesellschaft dürfte dies bestätigen. So überrascht es nicht, daß finanzielle Entlohnung als häufigst genannter Kündigungsgrund (Smith & Kerr, 1953) von Organisationsmitgliedern gefunden und auch von deutschen Arbeitnehmern als überaus wichtiger Grund beruflicher Arbeit genannt wurde (vgl. v. Friedeburg, 1953; Sand, 1973). Allerdings scheint selbst innerhalb relativ überdauernd gegebener gesellschaftlicher Strukturen dieses Ergebnis eine Funktion der jeweils kurzfristig gegebenen spezifischen wirtschaftlichen und sozialen Lage und in noch stärkerem Maße eine Funktion der Methode zu sein. So fand Stagner (1950), daß bei direkten !rzberg, 1966), daß erfolgter Aufstieg die Zufriedenheit erhöht und sogar langfristig beeinftußt. Die Herzbergsehen Untersuchungen machen aber wahrscheinlich, was nicht aus den zuvor angesprochenen theoretischen Überlegungen folgt, daß der Aufstieg die Leistung positiv beeinftußt. Dieses Ergebnis könnte - sieht man von den Problemen der Herzbergsehen Methode ab - unterschiedlich interpretiert werden. Es ist durchaus denkbar, daß der nach dem Aufstieg ausgeübte Arbeitsinhalt mehr Möglichkeit zur Befriedigung intrinsischer Arbeitsmotive bietet und dadurch die Leistung fördert, oder daß das Mehrgehalt, das nach dem Aufstieg gezahlt wird, ein Gefühl der Überbezahlung erzeugt, so daß im Sinne der Theorie von Adams der Aufsteigende sich bemüht, durch erhöhte Leistung den Gleichgewichtszustand wiederherzustellen. Sieht man von diesen mit dem Aufstieg korrelierten Ereignissen ab, so ist eine Erklärung der erhöhten Leistung nach dem Auf-
4.5 Anreize der Arbeit selbst
327
stieg ebenfalls nach dem Ansatz von Adams denkbar: Der Aufsteigende will durch seine Leistung das Gleichgewicht zwischen subjektiven Kosten und Belohnungen wiederherstellen. Durch entsprechende Zusatzannahmen kann auch der Vroomsche Ansatz die erhöhte Leistung erklären. Der Leistung wird instrumenteller Charakter für das Erreichen des angestrebten Gleichgewichtsziels zugeschrieben. Zeigten die Untersuchungen von Herzberg und seinen Mitarbeitern, daß erfolgter Aufstieg die Zufriedenheit erhöht, so konnte Sirota (1959) nachweisen, daß Aufstiegsfrustration - definiert durch die Differenz zwischen gewünschtem und erwartetem Zeitpunkt des Aufstiegs -die Zufriedenheit mindert. Sieht man in den Fehlzeiten ein Kriterium der Unzufriedenheit, so bestätigte Patchen (1960) den ungünstigen Effekt der Aufstiegsfrustration auf die Zufriedenheit. Da es sich bei den bislang genannten Untersuchungen nicht um experimentelle Studien handelt, fällt ihre Interpretation besonders schwer. Eine experimentelle Untersuchung von Spector (1956), die im Labor durchgeführt wurde, kann hier klärend wirken. In diesem Laborexperiment erscheint der mögliche Einfluß der sonst in der Regel mit dem Aufstieg korrelierten Variablen vermindert. Spector fand, daß vor allem enttäuschte Aufstiegschancen besonders negativ auf die Zufriedenheit wirken, während unerwarteter Aufstieg sich besonders positiv darauf auswirkt (vgl. Beleg 43). Beleg 43 Erwarteter und unerwarteter Aufstieg In einem Laborexperiment untersuchte Spector den Einfluß von Aufstiegserwartung und -erfüllung auf die Zufriedenheit. Die Versuchspersonen wurden - zu Vier-Personen-Gruppen zusammengefaßt - vor spezifische Probleme gestellt, die es zu lösen galt: Geheime Code-Nachrichten sollten entschlüsselt werden. Durch die Versuchsanordnung war dafür gesorgt worden, daß die Gruppen unabhängig voneinander arbeiteten. In einigen Gruppen wurde mitgeteilt, daß drei Personen nach Lösung der ersten Aufgabe "aufsteigen" würden, während in anderen nur einem von vier Mitgliedern Aufstieg zugesagt wurde. Der Aufstieg erfolgte dann aber unabhängig von diesen Versprechungen gleichmäßig für die Gruppen, so daß sich die Versuchspersonen nach folgenden 4 Bedingungen unterscheiden ließen: Aufstiegserwartung hoch erfolgt
1
nicht erfolgt
3
Aufstieg
niedrig
I I
2 4
328
4. Teil: Die Organisation als Anreizsituation
Anschließend wurde die Zufriedenheit von allen Vpn auf einer sechspunktigen Skala angegeben. Personen mit geringen Erwartungen (2, 4) waren bei dieser nachträglichen Befragung zufriedener als solche, die eine hohe Erwartung gehabt hatten (1, 3). Personen, die aufstiegen (1, 2), waren zufriedener als solche, die nicht aufstiegen (3, 4). Eine Interaktion zwischen beiden Bedingungen fand sich nicht. Spector schließt daraus, daß es wohl günstiger sei, die Aufstiegschancen den auf Aufstieg Hoffenden gegenüber eher zu unter- als zu übertreiben. Spector, A. J.: Expectations, fulfillment, and morale. J. abnorm. soc. Psychol. 52, 1956, 51 - 56.
Vroom (1967, S. 155) bemerkt zu diesem Experiment, daß die Zufriedenheitswerte anders ausgefallen wären, wenn sie vor der endgültigen Aufstiegsentscheidung gemessen worden wären. Vermutlich wären dann jene zufriedener gewesen, die ihre Aufstiegschancen positiver einschätzten als jene, die in diesem Punkt pessimistischer urteilten. Eine Untersuchung von Morse (1953) spricht dafür. Die Autorin fand eine positive Korrelation zwischen den geschätzten individuellen Aufstiegschancen und dem entsprechenden Aspekt der Zufriedenheit. Der Rat Spectors, die Aufstiegschancen eher zu untertreiben, erscheint unter diesem Aspekt zweischneidig. Obwohl das Untertreiben nach erfolgter Aufstiegsentscheidung die Wahrscheinlichkeit der Unzufriedenheit senkt, macht es die Aufgabe selbst weniger attraktiv und senkt somit die Wahrscheinlichkeit, daß eine Stelle überhaupt angetreten wird und dürfte bis zum Zeitpunkt der Aufstiegsentscheidung - falls die Arbeit angenommen wurde- geringe Zufriedenheit bringen. Außerdem istwenn man bedenkt, daß im kognitiven Motivationsmodell die Leistungsintention nicht nur von der Bewertung des Ziels, sondern auch von der Wahrscheinlichkeitsschätzung, das Ziel auf bestimmte Weise zu erreichen, abhängig ist - ein negativer Effekt der Untertreibung auf die Leistungsintention anzunehmen, wenn Leistung als Mittel zum Zweck des Aufstiegs gesehen wird. Die Aufstiegserwartungen dürften komplex bedingt sein. Wesentliche Bedeutung dürfte ihrer Darstellung zu Arbeitsbeginn- z. B. im Zuge des Einstellungsgespräches -und der Wahrnehmung der Organisation -etwa ihrer Expansion, ihrer Alterspyramide und ihrer Fluktuationsrate - zukommen, aber auch individuellen Besonderheiten im Sinne überdauernder Eigenschaften - Erfolgsmotivierte pflegen von der Leistung abhängige positive Konsequenzen zu überschätzen (vgl. Heckhausen, 1965) - oder biographischer Besonderheiten. Hinweise dafür enthält eine Studie von Klein und Maher (1966), die sich allerdings schwerpunktmäßig mit dem finanziellen Vorankommen auseinandersetzte. Einschätzung der Chancen und Zufriedenheit in diesem Punkt erwiesen sich als abhängig vom Ausbildungsniveau. Je höher die Ausbildung, desto höher werden die Chancen des finanziellen Vorankom-
4.5 Anreize der Arbeit selbst
329
mens in einer anderen Organisation eingeschätzt und desto geringer war die Zufriedenheit in diesem Punkt in der Mitgliedsorganisation beim Vergleich innerhalb gleicher hierarchischer Ebenen. Man darf folgern, daß jene biographischen Merkmale, die in einer Gesellschaft als Voraussetzungen des Aufstiegs angesehen werden, zu einer hohen subjektiven Einschätzung der Aufstiegschancen führen. Leistungsfördernd dürften - auch das ließe sich aus dem kognitiven Motivationsmodell Vrooms ableiten - die Aufstiegserwartungen nur dann wirken, wenn die Leistung als Mittel zum Zweck des Aufstiegs wahrgenommen wird und dieser erstrebenswert erscheint. Die schon mehrfach zitierte Arbeit von Georgopoulos, Mahoney und Jones (1957) stützt diese Vermutung. Die Autoren verzichteten auf eine differenzierte Untersuchung der subjektiven Wahrscheinlichkeit, mit der Leistung das angestrebte Ziel zu erreichen, was zu präziseren Aussagen im Sinne des kognitiven Motivationsmodells geführt hätte. Versuchsaufbau und Ergebnisse zeigt Beleg 44. Beleg 44 Leistung als Mittel zum Zweck Georgopoulos und seine Mitarbeiter suchten psychologische Bedingungen der Leistung zu erhellen. Sie gingen von folgender Annahme aus: Individuelle Leistung ist, unter anderem, eine Funktion der Motivation, Leistung auf einem bestimmten Niveau zu erbringen; auf der anderen Seite hängt diese Motivation ab a) von den spezifischen Bedürfnissen des Individuums, wie sie sich in den Zielen zeigen, die es anstrebt und b) seiner Einschätzung der Brauchbarkeit von Leistungsverhalten als Hilfe oder Weg beim Erreichen dieser Ziele. Versuchspersonen waren 621 Arbeiter mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren. 78% von ihnen waren Männer. Jeder Arbeiter hatte die Möglichkeit, durch Steigerung seiner Leistung seinen Lohn zu erhöhen. Ein Teil der Gesamtgruppe wurde - mit Hilfe einer 5stufigen Skala gefragt, wie hilfreich oder hinderlich hohe Produktivität beim Erreichen gegebener Ziele sei. Der andere Teil der Gruppe beantwortete die Frage, wie hinderlich oder hilfreich niedrige Produktivität beim Erreichen der Ziele sei. Vorgegebene Ziele waren (1) auf lange Sicht mehr Verdienst, (2) gut mit der Arbeitsgruppe ausk.o mmen, (3) Aufstieg zu höherem finanziellem Ausgangsniveau. Für jedes Individuum wurden Skalenwerte ermittelt, die aussagen, wie bedeutsam ihm jedes dieser Ziele sei. Viel leistende Personen wurden hypothesengemäß häufiger innerhalb jener Gruppe gefunden, die geringe Leistung für hinderlich beim Aufstieg hielten, als bei jenen, die sie als irrelevant für den Aufstieg einschätzten. Signifikant waren die Unterschiede allerdings nur bei jener Personengruppe, die den Aufstieg für erstrebenswert hielt und zugleich soviel Autonomie bei der Arbeit hatte, daß sie durch ihren Einsatz die Leistungsmenge, der instrumentellen Wahrnehmung entsprechend, determinieren konnte.
330
4. Teil: Die Organisation als Anreizsituation
Georgopoulos, B. S., Mahoney, G. M., Jones, N. W.: A path-goal approach to productivity. J. of Appl. Psychol. 41, 1957, 345- 353. Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß in der Studie von Georgopoulos, Mahoney und Jones ebenfalls die finanzielle Komponente im Vordergrund stand, obwohl der Aufstieg vom reinen Mehrverdienst abgehoben wurde. Definiert war er jedoch nicht an der hierarchischen Position oder dem Kompetenzbereich, sondern an der finanziellen Ausgangslage, also dem Gehaltsgefüge der Organisation. Es ist daher denkbar, daß eher das Bedürfnis nach Geld als das Bedürfnis nach Wachsturn durch die den Aufstieg betreffende Frage angesprochen wurde. Erwies sich die Möglichkeit zum Aufstieg als mehrdeutig hinsichtlich der Motive, die sie zu befriedigen verspricht, so gilt für die Weiterbildungsmöglichkeiten Entsprechendes. Die Weiterbildungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz scheinen - wenn danach gefragt wird - hoch eingeschätzt zu werden (vgl. Bass, 1965, S. 46}. Diese Tendenz dürfte sich in dem Maße verstärken, in dem das für die Arbeit relevante Wissen sich wandelt und der Erwerb neuen Wissens nicht nur eine Voraussetzung dafür ist, beruflich weiterzukommen, sondern bereits dafür, die bisherigen Kompetenzen zu bewahren. Neuerwerb von Wissen und beruflichen Fertigkeiten gehört im Sinne Herzbergs (1966} entscheidend zum seelischen Wachstum und ist somit ein Ziel, das auf Wachstum gerichtete Motivation intrinsisch befriedigt. Es ist aber auch sehr wohl denkbar, daß die Weiterbildung als Mittel zum Zweck eines gesicherten Arbeitsplatzes, höheren Verdienstes, gesteigerten Ansehens oder besserer Aufstiegschancen gesehen wird. Einen knappen Überblick über die vielfältigen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in Organisationen geben Bass und Barrett (1972, S. 349 ff.}; über wesentliche motivationale Aspekte ganz spezifischer nämlich gruppendynamischer - Weiterbildungsmaßnahmen für Führungskräfte informiert Gebert (1972) im ersten Band dieser Reihe. Ohne hier ausführlich auf die Weiterbildungsproblematik eingehen zu wollen, seien doch zwei wesentliche Aspekte genannt, die motivationspsychologisch besonders bedeutsam erscheinen. Dies ist einmal die Erwartung von Weiterbildungsmaßnahmen, die im oben besprochenen Sinne Weiterbildung als Selbstzweck oder Mittel zum Zweck erstrebenswert erscheinen lassen können. Dabei kann die Weiterbildung in der Arbeit selbst - etwa bei "job rotation" oder sehr geringer anders bedingter Wiederholungsfrequenz -liegen. Sie kann aber auch lockerer mit dem Arbeitsinhalt verbunden sein, wenn sie beispielsweise bei guter Leistung als Maßnahme zur Vorbereitung der Übernahme erhöhter Kompetenzen eingesetzt wird. In diesem Falle ist die Erwartung der Weiterbildung im ähnlichen Sinne wie der Aufstieg ein Anreiz, der
4.5 Anreize der Arbeit selbst
331
bei entsprechender Wahrnehmung der Instrumentalität der Leistung leistungsfördernd wirken und die Zufriedenheit erhöhen kann, wenn das Ziel erreicht ist. Es ist jedoch auch ein anderer Aspekt zu bedenken: die motivationalen Wirkungen vergangener Weiterbildungsmethoden. Abgesehen soll also somit von jenen Effekten werden, die dadurch leistungssteigernd wirken, daß das neu erworbene Wissen oder die verbesserten Fertigkeiten die Leistungserstellung erleichtern. Motivational bedingte Leistungssteigerung kann - im Sinne der theoretischen Annahmen von Adams - damit erklärt werden, daß jemand die in ihn investierten Maßnahmen rechtfertigen möchte, um innere Spannung abzubauen und ein neues Gleichgewicht wiederherzustellen. Es bieten sich jedoch - berücksichtigt man die Ergebnisse der empirischen Forschung - andere Erklärungsansätze an. Danach scheint es, daß die in der Weiterbildung erlernten Inhalte selbst es sind, die den Anreiz zu ihrer Anwendung darstellen und die anzuwenden als befriedigend erlebt wird. Schon die Untersuchungen von Thorndike (1917), die im Zuge der Diskussion der Berufsinteressen besprochen wurden, zeigten, daß bei sich selbst vermutete Fähigkeiten und Fertigkeiten mit den Interessen hoch korrelieren. Wenn man diese hinsichtlich des Ursache-Wirkungszusammenhangs neutrale Aussage dahingehend interpretiert, daß die Fähigkeiten selbst die Motivation zu ihrer Anwendung in sich bergen, so darf man folgern, daß der einzelne zum Ausüben bestimmter Tätigkeiten motiviert wird, wenn er vermutet, ihre Beherrschung im Zuge der Weiterbildungsmaßnahmen erlernt zu haben. Die Möglichkeit, Fähigkeiten, die man hat, bei der Arbeit einzusetzen, erwies sich als korreliert mit der Ichbeteiligung bei der Arbeit, bestimmt durch den Grad der Neigung, auch außerhalb der Arbeitszeit über Probleme der Arbeit nachzudenken (Slater, 1959). Die entsprechend gemessene Ichbeteiligung differenzierte, wie in Beleg 42 gezeigt, zwischen den Leistungen in dem Sinne, daß bei hoher Ichbeteiligung die Leistungen höher waren (Vroom, 1962). Obwohl auch die Interpretation denkbar ist, daß die entsprechenden Fähigkeiten, die bei der Arbeit genutzt werden können, ausschließlich für die guten Leistungen bestimmend sind, darf doch als wahrscheinlich gelten, daß die von den erworbenen Fähigkeiten ausgehende Motivation ebenfalls entscheidend zur Leistungssteigerung beiträgt. Als Hinweis dafür darf mit Einschränkungen auch die bereits besprochene experimentelle Untersuchung von French (1955) gelten, in der die Autorin zeigen konnte, daß bei Aufgabenmotivation, die im Sinne erhöhter Ichbeteiligung interpretierbar ist, die Leistungen steigen. Man kann also folgern, daß das Bewußtsein, bestimmte Fertigkeiten erlernt zu haben und nun zu besitzen, zu höheren Leistungen bei solchen Tätigkeiten motiviert, von denen angenommen wird, daß die erlernten
332
4. Teil: Die Organisation als Anreizsituation
Fertigkeiten dabei gefordert werden. Man kann darüber hinaus folgern, daß das Ausüben von Tätigkeiten, die erlernte Fertigkeiten fordern, befriedigt. Die zitierte Arbeit von Vroom (1962) bestätigt dies. Die Überzeugung von Ölarbeitern, das, was sie erlernt hatten, bei der Arbeit auch anwenden können, korrelierte mit ihrer Zufriedenheit mit 0.59. Die Weiterbildungsmaßnahmen in einer Organisation dürften dann sowohl auf die Leistung als auch auf die Zufriedenheit einen positiven Einfluß haben, wenn der einzelne den Eindruck gewinnt, daß er das dabei Erlernte bei seiner Tätigkeit auch einsetzen kann. Je mehr erlernte Fähigkeiten dabei genutzt werden können, desto größer dürfte das Gefühl der Selbstverwirklichung bei der Arbeit sein. Auf der anderen Seite ist zu erwarten, daß das Erlernen von Fertigkeiten, von denen der einzelne nicht glaubt, sie bei der Arbeit nutzen zu können, keine gesteigerte Motivation zur Leistung herbeiführt und auch die Zufriedenheit bei der Arbeit nicht erhöht. Man darf im Gegenteil vermuten, daß der Grad der Frustration sich proportional zur wahrgenommenen Distanz zwischen Anforderungen der Arbeit und Struktur der erworbenen Fähigkeiten verhält. Dies lenkt den Blick auf grundsätzliche gesamtgesellschaftliche Probleme. Der Verbesserung der Bi~ dung in der Gesamtbevölkerung muß eine Erweiterung der Nutzungsmöglichkeit eigener Fähigkeiten am Arbeitsplatz entsprechen. Sonst kommt es zur "Überausbildung", d. h. zur wahrgenommenen Diskrepanz zwischen Fähigkeiten und Anforderungen und somit zur qualitativen Unterforderung (vgl. Soreher & Meyer, 1968). Frustration ist die Folge, die entsprechend bei hochausgebildeten Frauen, deren Arbeitsfeld sich auf Küche und Kinder beschränkt, zu beobachten ist. Die in Zeitungsberichten der letzten Zeit gehäuft auftretende Auseinandersetzung mit dem Widerstand gegen die Fließbandarbeit, ein Thema, das auch zu erhöhtem wissenschaftlichem Interesse ("Work in America", 1973) führte, kann als Symptom gelten. Es dürfte kein Zufall sein, daß dieser Widerstand besonders in Ländern mit hohem Ausbildungsniveau beobachtet wurde. Auf der anderen Seite muß die Frage gestellt werden, ob der Wunsch von Arbeitenden nach Wachstum durch Aufstieg und Weiterbildung als generelles Motiv innerhalb westlicher Leistungsgesellschaften angesprochen werden darf. Die empirischen und theoretischen Untersuchungen von Blood und Hulin (1967) sowie Hulin und Blood (1968) lassen es denkbar erscheinen, daß bei Personen, die erhebliche Distanz zu den Normen des bürgerlichen Mittelstandes zeigen, die Aktivierung derartiger Motive durch die Arbeit selbst nicht möglich ist. Das Konzept der Selbstverwirklichung bei der Arbeit ist möglicherweise von Wissenschaftlern, die durch
4.6 Anreize des organisatorischen Umfeldes
333
Mittelstandsnormen geprägt sind, unkritisch allen Gruppen der Bevölkerung zugeschrieben worden. Bedenkt man jedoch die Reaktionen, die bei europäischen Arbeitern in selbststeuernden Gruppen (Bibi, 1973) gefunden wurden, so neigt man doch zu der Annahme, den Wunsch nach Selbstverwirklichung bei der Arbeit zumindest in Nord- und Mitteleuropa nicht ausschließlich als mittelstandsspezifisches Motiv zu interpretieren. 4.6 Anreize des organisatorischen Umfeldes Der gesamte wahrgenommene organisatorische Rahmen, innerhalb dessen der einzelne tätig ist, kann von erheblicher motivationaler Bedeutsamkeit sein und somit die Leistungsintention und die Zufriedenheit des einzelnen entscheidend beeinflussen. Dies zeigt sich besonders drastisch, wenn man Organisationen mit erheblich voneinander abgehobenen Kontrollformen einander gegenüberstellt, wie es Etzioni (1965) tut. Die motivationalen Grundlagen des Verhaltens dürften grundsätzlich anders sein, wenn die Kontrolle durch Zwang - etwa wie im Zuchthaus -, durch Belohnung oder Belohnungsentzug - wie etwa in der Produktionsunternehmung- oder durch internalisierte Norm- und Wertsetzungen der Mitglieder- wie etwa innerhalb einer religiösen Sekte- erfolgt. Da im Rahmen dieses Buches, das Teil einer wirtschaftspsychologischen Reihe ist, der Schwerpunkt der Betrachtung auf Organisationen gerichtet ist, deren Kontrollform in der Belohnung bzw. im Belohnungsentzug liegt, sollen die überlegungen zum organisatorischen Umfeld der motivierten Person auf diesen Teilaspekt beschränkt bleiben. Doch selbst bei dieser Beschränkung wären vielfältige Aspekte zu nennen; es sind möglicherweise die Ziele der Organisation, ihre Politik und Verwaltung, ihr Ansehen, die jeweils entscheidend dazu beitragen dürften, ob das Individuum sich mit der Organisation identifiziert und sich an sie gebunden fühlt. Der Standort der Organisation kann entscheidend dazu beitragen, weil die durch die Organisation gesetzten Anreize, die dann jeweils in andersartiger Konkurrenz zu Anreizen der die Organisation umgebenden Situation stehen, gesehen werden. Porter und Lawler (1965) unterscheiden sieben wesentliche Merkmale der Organisation, die sie als relativ unabhängig voneinander annehmen und von denen vier Teilbereiche der Organisation, drei die Organisation als Ganzes betreffen. Es handelt sich um (1) die hierarchische Ebene innerhalb der Organisation, (2) Linie und Stab, (3) die Kontrollspanne, (4) die Größe von Untereinheiten sowie (5) die Größe der Gesamtorganisation, (6) Steilheit bzw. Flachheit des Aufbaues, (7) zentralisierte bzw. dezentralisierte Struktur. Die Autoren referieren Ergebnisse, die mit unterschiedlicher Eindeutigkeit die Interpretation in der Richtung zulassen, daß in höheren hierarchischen Ehe-
334
4. Teil: Die Organisation als Anreizsituation
nen, innerhalb der Linie, in kleinen Einheiten und in kleineren Gesamtorganisationen die Zufriedenheit größer ist, wobei sich unter spezifischen Aspekten auch gegensätzliche Effekte zeigen lassen. Auf die Behandlung aller dieser Fragen soll verzichtet werden. Statt dessen seien drei besonders wichtig erscheinende Gesichtspunkte herausgegriffen: die Größe der Organisation, die Struktur der Organisation und das Führungskonzept der Organisation. 4.6.1 Die Größe der Organisation Die motivationalen Wirkungen der Größe der Organisation sollen unter zwei Aspekten betrachtet werden, dem der Gesamtgröße der Organisation und jenem der Größe jener organisatorischen Teileinheit, innerhalb derer der einzelne tätig ist. Die Wirkung der Gesamtgröße der Organisation auf die Motivation wurde von Porter (1963 c) untersucht. Er suchte mit seiner bereits im Zuge der Besprechung der Motivationstheorie Maslows vorgestellten Methode die Wirkung der Größe auf die Bedürfnisbefriedigung und die Bedürfnisbedeutung von Angehörigen verschiedener hierarchischer Ebenen, die jedoch alle Führungsfunktionen ausübten, zu erfassen. Die Ergebnisse ließen sich in bezug auf die Bedürfnisbefriedigung - dichatomisiert man Organisationsgröße und hierarchische Position- vereinfacht wie folgt aufzeigen (vgl. Darstellung 13). Darstellung 13 Bedürfnisbefriedigung in Abhängigkeit von der Organisationsgröße und der hierarchischen Stellung Organisation groß
klein
hoch
Bedürfnisbefriedigung relativ hoch
Bedürfnisbefriedigung relativ niedrig
niedrig
Bedürfnisbefriedigung relativ niedrig
Bedürfnisbefriedigung relativ hoch
Position
Porter neigt zu der Interpretation, daß die Bedürfnisbefriedigung der unteren hierarchischen Ebenen in großen Organisationen deshalb so niedrig sei, weil die einzelnen dort eine größere Anzahl hierarchischer Ebenen über sich haben, als Angehörige kleinerer Organisationen, die vergleichbare Arbeiten leisten. So bleibt ihnen weniger Einfluß auf die eigene Tätigkeit ais den hierarchisch niedrig Eingestuften in der kleinen Organisation. Umgekehrt sieht es für die höheren hierarchischen Ebenen aus. Hier besteht in der großen Organisation mehr Einflußmöglichkeit, mehr Chance für Gestaltungen als in der kleinen. In der Anlehnung an
4.6 Anreize des organisatorischen Umfeldes
335
ein altes Sprichwort könnte man also sagen: "Lieber der erste in Rom als der erste im Dorf, aber lieber der letzte im Dorf als der letzte in Rom". Hinsichtlich der Bedeutung der einzelnen Bedürfnisse fanden sich keine Unterschiede zwischen Mitgliedern großer und kleiner Organisationen. Erlebnismäßig gewichtiger als die Größe der Gesamtorganisation dürfte für den einzelnen jedoch die Gruppe sein, in der er tätig ist. Die Durchsicht empirischer Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet läßt es relativ sicher erscheinen, daß kleine Gruppen etwas leistungsfähiger sind (Bass, 1965, S. 199 ff.) und ihre Mitglieder insgesamt zufriedener erscheinen (Porter & Lawler, 1965). Inwieweit die relativ höhere Leistungsfähigkeit der kleineren Gruppe motivationspsychologisch erklärt werden kann, muß offen bleiben. Möglicherweise sind starke Reibungsverluste durch die überproportional mit der Gruppengröße wachsenden Kommunikationswege dafür entscheidend mitverantwortlich. Gewisse motivationale Einflüsse sind jedoch wahrscheinlich. Dies zeigt sich etwa daran, daß die groß angelegte bereits zitierte Felduntersuchung von Seashore (1954) an Arbeitsgruppen höhere Kohäsion bei kleineren Gruppen nachwies. Diese höhere Kohäsion aber bewirkte wiederum engere Bindungen des einzelnen an die Normen der Gruppe, auch die Leistungsnormen, die allerdings auch nach unten weisen können. Da die Gefahren der Cliquenbildung und der Rivalität in kleineren Gruppen jedoch geringer sein dürften (vgl. Zaleznik, Christensen & Roethlisberger, 1958) und auch der Vorgesetzte eher in die Gruppe integriert werden dürfte, sind höhere Leistungsnormen in kleineren Arbeitsgruppen wahrscheinlicher. Zudem dürften die Mitglieder kleiner Gruppen eher durch Gruppenleistungslohn aktivierbar sein, da für sie - im Sinne des kognitiven Motivationsmodells von Vroom - die eigene Leistungsintention mit höherer Wahrscheinlichkeit die angestrebte Belohnung erbringt. Die erhöhten Leistungen kleiner Gruppen, die Mariott (1949) - wie beschrieben - bei kleinen nach dem Gruppenleistungslohn bezahlten Gruppen fand, ließen sich in diesem Sinne interpretieren. Die erhöhte Zufriedenheit in kleinen Gruppen dürfte mehrfach bedingt sein, insbesondere durch die höhere Attraktivität dieser Gruppen für die einzelnen, durch die Möglichkeit intensiver Kontaktnahmen und die geringere Wahrscheinlichkeit der Cliquenbildung. Diese Punkte sind nicht unabhängig voneinander. Spezifische Effekte der Gruppengröße auf Verhaltensweisen ihrer Mitglieder sind ebenfalls feststellbar, die nicht unmittelbar plausibel erscheinen. So fanden Vroom und Mann (1960), daß Fahrer, die in Großgruppen von 30- 50 Personen tätig waren, eine um so positivere Ein-
336
4. Teil: Die Organisation als Anreizsituation
stellung zu ihrem Vorgesetzten entwickelten, je autoritärer dieser war, während Personen, die für das Einordnen der Ladungen zuständig waren und in Gruppen von 8-10 Personen tätig waren, um so positivere Einstellungen ihrem Vorgesetzten gegenüber entwickelten, je geringer dessen autoritäre Struktur war (vgl. Beleg 45). Beleg 45 Gruppengröße und Zufriedenheit mit dem autoritären Vorgesetzten Vroom und Mann (1960) untersuchten 52 Arbeitsgruppen in einem großen Unternehmen: (a) 28 große Gruppen von 30 - 50 Mitgliedern, deren Aufgabe das Fahren von Lastfahrzeugen war, und (b) 24 kleine Gruppen von 8 - 10 Mitgliedern, deren Aufgabe das richtige Zuordnen der Pakete für die einzelnen Ladungen war. Der Grad der autoritären Struktur der Vorgesetzten wurde mit Hilfe einer F-Skala von Adorno und seinen Mitarbeitern gemessen; die Einstellungen und Wahrnehmungen der Gruppenmitglieder wurden mit Hilfe eines speziell entwickelten Verfahrens erfaßt. Diese Einstellungen erwiesen sich in unterschiedlichem Maße als abhängig von der autoritären Struktur des Vorgesetzten, wie Tabelle 20 zeigt. Tabelle 20
Korrelationen der Einstellungen der Gruppenmitglieder mit dem Grad der autoritären Struktur der Vorgesetzten
Einstellung der Gruppenmitglieder gegenüber
Große Gruppen der Fahrer (N
der Arbeitssituation .insgesamt .. dem Vorgesetzten ... ....... .... der AI,beitsgruppe . . ... . ... . .. .. der Bezahlung ................. der Unternehmensleitung .......
= 28)
Kleine GI"\JJppen der Einordner (N
= 24)
0.42
- 0.37
0.41
-0.41
I
Signifikanz des Unterschieds p p
~
0.01
~
0.01 0.10
0.47
0.01 - 0.19
p p
~
0.29
~
0.10
0.22
-023
p
~
0.10
Generell sind also in den großen Gruppen die Einstellungen um so positiver, je autoritärer die Struktur des Vorgesetzten ist, in den kleinen Gruppen um so negativer, je autoritärer die Struktur des Vorgesetzten ist. Insbesondere fällt auf, daß in den großen Gruppen der autoritär strukturierte Vorgesetzte selbst positiv, in den kleinen Gruppen dagegen negativ gesehen wird. Die Ergebnisse lassen den Schluß zu, daß entweder in den großen Gruppen die Verhaltensweisen der autoritären Vorgesetzten den Gruppenerwartungen besser entsprechen oder aber, daß sie sich dort anders verhalten als in den kleinen. Die Art und Weise, in der die Vorgesetzten von ihren Mitgliedern gesehen werden, spricht für die letztgenannte Annahme (vgl. Tabelle 21).
337
4.6 Anreize des organisatorisdlen Umfeldes
Tabelle 21 Korrelationen zwischen der Wahrnehmung der Vorgesetzten durch Untergebene und der autoritären Struktur der Vorgesetzten Kleine Gruppen der Einordner
~Signilika=
0.36
-0.58
p::; 0.01
-0.38
0.40
p::; 0.01
- 0.40
0.33
p::; 0.05
-0.38
0.19
p::; 0.05
Große Gruppen der Fahrer
Wahrnehmung
(N
der Bereitschaft des Vorgesetzten zur Partizipation des autoritären Drucks des Vorgesetzten .......... ....... der Spannungen mit dem Vorgesetzten ................. der Spannu!llgen zwischen den Vor.gesetzten und der Unternehensführung .......................... •
•••
•
•
••
••••••
0
•
•
••••
= 28)
(N
= 24
des nterschieds
Der Vorgesetzte wurde in der großen Gruppe um so positiver gesehen, je autoritärer seine Persönlichkeitsstruktur war, während es in den kleinen Gruppen umgekehrt war. Dies könnte audl als Beleg dafür gewertet werden, daß sich die autoritär strukturierten Vorgesetzten in den großen Gruppen anders- und zwar positiver im Sinne der sozialen Erwünschtheit- verhielten, und zwar partizipativer und weniger zu Druck und Spannungen neigend. Die Autoren meinen jedoch, daß die Unterstellten die von ihnen jeweils geschätzten Vorgesetzten im Sinne der sozialen Erwünschtheit positiv beurteilten, daß die Wahrnehmungsuntersdliede also nicht primär auf Verhaltensunterschiede des Vorgesetzten zurückzuführen seien. Eine weitere mögliche Erklärung der Ergebnisse liegt darin, daß die Persönlichkeitsstrukturen der Fahrer und der Einordner sich voneinander unterscheiden und sie aus diesen Gründen unterschiedliche Erwartungen den Vorgesetzten gegenüber entwickeln (vgl. Beleg 34). Es zeigte sidl jedoch, daß die Angehörigen der beiden Gruppen sich weder hinsichtlich ihres Bedürfnisses nach Unabhängigkeit noch hinsichtlich ihrer autoritären Persönlichkeitsstruktur voneinander unterschieden. So gelangen Vroom und Mann zu dem Schluß, daß Mitglieder großer Arbeitsgruppen mit geringer Möglichkeit zur Interaktion zwischen den gleichrangigen Mitgliedern sowie zwischen Unterstellten und Vorgesetzten und geringer Selbständigkeit des einzelnen positiver zur autoritären Führung eingestellt sind, während Mitglieder kleiner, interaktionsstarker Gruppen, in denen dem einzelnen mehr Selbständigkeit zugebilligt wird, demokratisdle Führung bevorzugen. Vroom, V. H. & Mann. F. C.: Leader authoritarianism and employee attitudes. Pers. Psychol. 13, 1960, 125 - 140.
4.6.2 Die Struktur der Organisation Unabhängig von der Größe einer sozialen Arbeitseinheit kann ihre Struktur unterschiedlich aussehen. Diese Struktur scheint wiederum 22 Rosenstiel
338
4. Teil: Die Organisation als Anreizsituation
von Bedeutung für die Motivation der Organisationsmitglieder zu sein (vgl. Porter & Lawler, 1965). Dies soll am Beispielzweier Strukturmerkmale gezeigt werden: der Stabs- bzw. Linienorganisation sowie der Steilheit hierarchischer Strukturen. Porter (1965 b) untersuchte mit seiner bereits beschriebenen an der Maslowschen Bedürfnishierarchie ausgerichteten Methode Führungskräfte, die vergleichbare Positionen innehatten, jedoch danach zu unterscheiden waren, ob sie innerhalb einer reinen Linienstruktur, einer gemischten Stab - Linien - Struktur oder einer reinen Stabstruktur standen. Die Unterschiede in bezugauf die Bedeutung der einzelnen Motive erwiesen sich als gering. Lediglich das Bedürfnis nach Selbständigkeit war für die Mitglieder des Stabes bedeutungsvoller. Dieses Ergebnis läßt sich relativ plausibel interpretieren, wenn man zum einen den häufig anzutreffenden Sozialisationsgang von Stabsmitgliedern im Zuge einer wissenschaftlichen Ausbildung und zum anderen die Motivation bei der Entscheidung für Stab oder Linie bedenkt. Größer waren die Unterschiede in bezug auf den Grad der Bedürfnisbefriedigung. Generell fand sich eine größere Befriedigung der Linienangehörigen im Vergleich zu den Angehörigen des Stabes. Dies überrascht nicht, wenn man bedenkt, daß Angehörige der Linie weit größere Chancen haben, das von ihnen in einer bestimmten Situation als richtig Erkannte durch eine für die Unterstellten verbindliche Entscheidung zu verwirklichen, während Stabsangehörige immer wieder erleben müssen, daß das von ihnen als richtig Empfohlene durch Linienmitglieder mit geringeren Fachkenntnissen zugunsten anderer Entscheidungen verworfen wird. Diese Interpretation der höheren Frustration der Stabsangehörigen wird dadurch gestützt, daß ihre Befriedigung bei den Bedürfnissen nach Selbstachtung und Anerkennung sowie nach Selbstverwirklichung am geringsten war. Interpretiert man von den Einflußmöglichkeiten her, die für die geringere Bedürfnisbefried1gung in größeren Gruppen, für die unteren hierarchischen Ebenen größerer Organisationen und für die Mitglieder von Stabsabteilungen besonders wesentlich zu sein scheinen, so wird man insgesamt vermuten, daß in steilen hierarchischen Organisationsstrukturen geringere Bedürfnisbefriedigung möglich ist als in flachen. Aufbauend auf früheren Untersuchungen zu diesem Thema (vgl. Porter & Lawler, 1965) untersuchten Ghiselli und Johnson (1970) die Beziehung zwischen Organisationsstruktur, Bedürfnisbefriedigung und Führungserfolg. Die Untersuchung wurde an insgesamt 413 Führungskräften durchgeführt; 217 von ihnen waren innerhalb einer flachen, 196 innerhalb einer steilen Organisationsstruktur tätig. Der Grad der Bedürfnisbefriedigung wurde mit Hilfe der bereits vielfach genannten und häufig angewandten Methode von Porter (1961) für die Bedürfnisse
4.6 Anreize des organisatorischen Umfeldes
339
nach Sicherheit, sozialer Zuwendung, Selbstachtung und Anerkennung, Selbständigkeit und Selbstverwirklichung gemessen. Als Erfolgskriterium wurde ein Aufstiegsmaß verwendet, das nicht an den absoluten Aufstiegsschritten, sondern an der Relativierung dieser Schritte bezüglich der Organisationsstruktur definiert war. Innerhalb der flachen Organisationsstruktur korrelierten Erfolg und Bedürfnisbefriedigung bei den hierarchisch niedrigen Motiven nicht; die Korrelationen stiegen jedoch mit der hierarchischen Höhe der Motive an und erreichten bei den beiden höchsten - den Bedürfnissen nach Selbständigkeit und Selbstverwirklichung - eine Größenordnung zwischen 0.30 und 0.40. Eine entsprechend ansteigende Tendenz der Korrelationen zwischen Erfolg und Bedürfnisbefriedigung war bei den innerhalb steiler Organisationen tätigen Führungskräften nicht zu beobachten. Hier blieben die Korrelationen unbedeutend und schwankten um den Wert von 0.10. In flachen Organisationsstrukturen trägt der Erfolg also mehr als in steilen zur Bedürfnisbefriedigung bei. Die höhere Möglichkeit zur Bedürfnisbefriedigung, die in der flachen Organisation für Führungskräfte verschiedener Ebenen gegeben zu sein scheint (vgl. Porter & Lawler, 1965), ist nicht auf spezifische Organisations- oder Persönlichkeitsmerkmale beschränkt, die innerhalb des nordamerikanischen Kulturkreises anzutreffen sind. Porter und Siegel (1965) fanden bei einem internationalen Vergleich der motivbefriedigenden Wirkung flacher und steiler Organisationen weitgehend übereinstimmende Werte. Allerdings dürfen die berichteten Ergebnisse zur flachen und steilen Organisation dennoch nicht beliebig generalisiert werden. Ihre Gültigkeit scheint auf kleine und mittlere Organisationen beschränkt zu sein. In sehr großen Organisationen von mehr als 5 000 Mitgliedern fand sich eine höhere Bedürfnisbefriedigung der Führungskräfte in der steilen Organisationsstruktur. Möglicherweise bietet die komplexere und für die höheren Ebenen nicht voll durchschaubare Aufgabenstruktur trotz der größeren Zahl der Ebenen genug Selbständigkeit und Einfiußmöglichkdt, verbunden mit dem Gefühl, schneller aufsteigen und mehrere Ebenen unter sich haben zu können. Aber nicht nur die vertikalen Strukturen der Organisation, auch die horizontalen Strukturen, wie sie innerhalb von Teamkonzepten (vgl. Grochla, 1972) betont werden, sind von erheblicher Bedeutung für die motivationalen Grundlagen des Verhaltens in Organisationen. Likert (1961, S. 104 ff.) hat die besondere Bedeutung der Horizontalverbindungen gegenüber den Vertikalverbindungen hervorgehoben. Sein Konzept der überlappenden Gruppen ist ja nicht nur durch die Doppelmitgliedschaft - abgesehen von der obersten und untersten Ebene - in hierarchisch höheren und tieferen Gruppen gekennzeichnet, sondern vor allem 22•
340
4. Teil: Die Organisation als Anreizsituation
durch die in klassischen hierarchischen Organisationsplänen vernachlässigten Querverbindungen. Likert vermutet, gestützt auf empirische Ergebnisse (S. 119 ff.), daß durch Bildung der Teams, in die die Vorgesetzten integriert sind, und die dadurch bedingte gemeinsame Entscheidungsfindung, effektive Gruppen entstehen, deren Mitglieder sich mit den Entscheidungen identifizieren, dadurch höhere Leistungen erreichen und somit insgesamt sowohlleistungsfähiger als auch zufriedener sind. Diese Vermutungen und Ergebnisse stehen scheinbar in Widerspruch zu den klassischen experimentellen Befunden von Bavelas und Barrett (1951), in denen sich bei der Kommunikationsstruktur des Kreises hohe Zufriedenheit und geringe Leistung fanden, bei der zentralisierten Kommunikationsstruktur des Sterns dagegen hohe Zufriedenheit nur innerhalb der Zentralposition, ansonsten Unzufriedenheit, dagegen aber hohe Leistungen. Man muß jedoch bedenken, daß die in der experimentellen Situation innerhalb der Kreisstruktur an Koordination fordernden Aufgaben sitzenden Personen weder eine besondere Identifikation mit der Aufgabe entwickeln, noch ein wirklich gruppenbildendes Wirgefühl entfalten, noch eine Führungsstruktur ausbilden konnten. Die effektive Arbeitsgruppe im Sinne Likerts - die zeitlich überdauernd besteht und trotz stark ausgeprägter Querverbindungen Führungspositionen kennt - ist daher mit der Kreisstruktur kaum vergleichbar.
4.6.3 Das Führungskonzept Führung zeigt sich nicht nur im unmittelbaren Kontakt zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern, worauf bereits eingegangen wurde, sondern ist auch ein Organisationsmerkmal, dem erhebliche motivationale Bedeutung zukommen dürfte. Neuherger wird in seinem Band darauf besonders eingehen, so daß hier einige kurze Hinweise genügen sollen. Die Entwürfe verschiedener Organisationsstrukturen durch Likert (1961, 1967) umfassen zugleich Führungskonzepte. Er unterscheidet dabei autoritative und partizipative Systeme, wobei sich die autoritativen in ausbeutende und in wohlwollend patriarchalische, die partizipativen in durch mitberatende und durch partizipativ entscheidende Gruppen gekennzeichnete differenzieren lassen. Innerhalb dieser vier Systeme werden nach Likerts Auffassung jeweils andere Motivarten in jeweils unterschiedlicher Weise aktiviert; es entwickeln sich verschiedenartige Einstellungen zur Organisation, die etwa beim ausbeutenden System feindlich, innerhalb der partizipativen Gruppe freundlich sind; die motivational bedingte Konfliktwahrscheinlichkeit nimmt mit der Zunahme partizipativer Strukturen ab; das Gefühl der Verantwortung erfaßt mit steigender Partizipation immer mehr hierarchische Ebenen; der Grad
4.6 Anreize des organisatorischen Umfeldes
341
der Zufriedenheit steigt ebenso mit dem Grad der Partizipation an, wie die Leistungsbereitschaft eines jeden Organisationsmitgliedes. Sicherlich ist dieses von Likert gezeichnete Bild zu optimistisch und zu wenig differenziert, da die Wirkung der verschiedenen Systeme ohne Berücksichtigung von Unterschieden der Aufgabe oder Unterschieden der Persönlichkeitsstruktur der Organisationsmitglieder erfolgt. Dennoch macht es deutlich, daß die Führung nicht nur in den vom Organisationskonzept losgelöst betrachteten Interaktionen zwischen Vorgesetzten und Unterstellten gesehen werden kann. Ein Vorgesetzter der mittleren hierarchischen Ebene kann seine Unterstellten kaum im Sinne eines partizipativen Konzepts führen, wenn er selbst autoritär geführt wird, da ihm in diesem Fall nicht der Entscheidungsspielraum zustünde, den er braucht, um die ihm Unterstellten ernsthaft an Entscheidungen zu beteiligen. Die Wirkungen verschiedener Führungskonzepte belegt die von Morse und Reimer (1956) durchgeführte und von dem an der Untersuchung beteiligten Tannenbaum (1969) in einigen Punkten differenzierter dargestellte Studie zu einem hierarchischen Programm und einem Autonomieprogramm. Darüber wurde bereits gesprochen. Es zeigte sich zumindest mittelfristig - eine gewisse Überlegenheit des hierarchischen Programms in bezug auf die Leistung, was als empirischer Beleg gegen die Annahmen Likerts gewertet werden könnte. Dagegen waren die Einstellungen innerhalb des Autonomieprogramms positiver geworden. Die Effekte wären - da sie auf angeordneten bzw. selbstgewünschten Personaleinsparungen beruhten - durch die individuellen Intentionen einzelner Vorgesetzter nicht aufgetreten, sondern wurden nur aufgrund umfassender Führungskonzepte möglich. Deutlicher noch demonstrieren bedeutsame empirische Untersuchungen von Pelz (1951, 1952) die Einbettung des Führungsverhaltens eines einzelnen in einen umfassenden Kontext. Es zeigte sich, daß ein die Bedürfnisse der Geführten berücksichtigender Führungsstil eines Vorgesetzten andere Folgen bei den Geführten hat, wenn der Vorgesetzte starken Einfluß auf nächsthöhere hierarchische Ebenen besitzt, als wenn das nicht der Fall ist. War er einflußreich, so waren seine Mitarbeiter besonders zufrieden, war er einflußarm, so waren sie besonders unzufrieden (vgl. Beleg 46). Beleg 46 Führungsstil und Einfluß Führung in isolierten Gruppen ist eine Sache; Führung in großen Organisationen kann eine andere sein. Sie muß zumindest mit unvoreingenommenen Augen betrachtet werden, betont Pelz und unterstreicht dies in einer empirischen Studie. Pelz gewann seine Daten in einem großen Unternehmen der Elektrobranche, in dem über 10 000 Personen tätig waren. 40 Arbeitsgruppen, die durch hohe
342
4. Teil: Die Organisation als Anreizsituation
Zufriedenheit und 30 Arbeitsgruppen, die durch geringe Zufriedenheit gekennzeichnet waren, wurden einander gegenübergestellt und Kriterien des Verhaltens der jeweiligen Vorgesetzten verglichen. Es fanden sich nur wenige signifik.ante Unterschiede. Darauf erfolgte eine zweite Analyse, die eine Interaktion zwischen den Vorgesetzten und den Mitarbeitern berücksichtigte und der Annahme Rechnung trug, daß nicht gleiches Vorgesetztenverhalten bei allen Geführten gleiche Reaktionen hervorruft. Jetzt zeigten sich zwar deutliche Unterschiede der Ergebnisse, die jedoch zum Teil widersprüchlich waren. Daraufhin wurde eine dritte Analyse durchgeführt, innerhalb derer dem Einfluß des Vorgesetzten innerhalb des größeren Rahmens besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Es wurde insbesondere vermutet, daß einflußreiche Vorgesetzte bei ihrem Versuch, Mitarbeitern zu helfen, erfolgreich sein werden, während einflußarme bei diesem Versuch kaum Erfolg haben dürften. Daraus wurden die Hypothesen abgeleitet, daß (1) das Ausmaß des die Unterstellten unterstützenden Verhaltens einflußreicher Vorgesetzter mit der Zufriedenheit der Unterstellten positiv korreliert, während (2) das Ausmaß des die Unterstellten unterstützenden Verhaltens einflußarmer Vorgesetzter mit der Zufriedenheit der Unterstellten deutlich geringer, wenn nidlt gar negativ korreliert. Die Ergebnisse bestätigen diese Vermutungen in den wesentlichen Punkten. Bei einflußreichen Vorgesetzten fanden sich positive Korrelationen zwischen dem Ausmaß ihres hilfreichen Verhaltens und der Zufriedenheit der Geführten, während die entsprechenden Korrelationen bei den einflußarmen Vorgesetzten tendenziell negativ waren. Pelz, D. C.: Leadership within a hierarchical organization. Journal of Social Issues 7, 1951, 49- 55. Die Ergebnisse, die Pelz berichtet, lassen sich motivationspsychologisch unschwer interpretieren. Hilfreiche Vorgesetzte machen den von ihnen Geführten Hoffnungen, lassen also das Erreichen der positiv bewerteten Ziele wahrscheinlich werden. Sind die Vorgesetzten einflußreich, so gelangen die Geführten mit ihrer Hilfe zum erhofften Ziel und sind zufrieden, sind sie einfiußarm, so werden diese Ziele häufig nicht erreicht, was Unzufriedenheit der Geführten nach sich ziehen muß. Pelz (1952) selbst stellt diesen Zusammenhang in vier theoretischen Aussagen dar: 1. Arbeitnehmer denken positiv über einen Vorgesetzten, der ihnen hilft, ihre Bedürfnisse zu erfüllen.
2. Hat der Vorgesetzte Einfluß, kann er seinen Mitarbeitern helfen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen.
3. Der Vorgesetzte kann seinen Einfluß zum Nutzen und zum Schaden seiner Mitarbeiter einsetzen. Nutzt er ihn zu deren Schaden, so wird Unzufriedenheit oder Furcht die Folge sein. 4. Hat der Vorgesetzte wenig Einfluß, kann er Mitarbeitern wenig nutzen und wenig schaden. Je mehr er aber versucht zu helfen, desto
4. 7 Die Wirkung der besprochenen Anreize
343
mehr werden erweckte Hoffnungen enttäuscht werden und desto größer wird die Unzufriedenheit sein. Die Ergebnisse der Untersuchungen von Pelz beinhalten durch den Nachweis der Interaktion von Einfluß und Führungsverhalten zugleich Argumente gegen die Auffassung, daß es lediglich der Kontakt mit Einflußreichen sei, der befriedigend wirke (vgl. Mann & Hoffman, 1960; Lawler & Porter, 1968; Hornstein, Callaham, Fisch & Benedict, 1968), eine Auffassung, die sich etwa so begründen ließe, daß die Identifikation mit dem einflußreichen Führer befriedigend sei (vgl. Hofstätter, 1972). Die Einbettung individuellen Führungsverhaltens in einen größeren Kontext, insbesondere die Abhängigkeit dieses Verhaltens von der nächsthöheren hierarchischen Ebene, machte eine Studie von Fleishman (1953) wahrscheinlich. Es zeigte sich bei der Analyse von Schulungsergebnissen zur considerativen Führung, daß die Einstellungen und Verhaltensweisen der Geführten im Sinne dieses Führungsstils ausgeprägter waren, wenn sie selbst in einem Klima arbeiteten, das an entsprechenden Grundsätzen orientiert war. 4.7 Die Wirkung der besprocllenen Anreize
Die hier besprochenen organisatorischen Bedingungen können unter motivationspsychologischem Aspekt als Anreize interpretiert werden, obwohl nicht in allen der zitierten Untersuchungen der motivationspsychologische Gesichtspunkt dominierte. Bei der hier gewählten Sichtweise interessierte vor allem die motivaktivierende Wirkung der genannten organisatorischen Bedingungen, wobei zwei Konsequenzen des durch die Aktivierung bedingten Verhaltens im Mittelpunkt standen: die Zufriedenheit und die Leistung. Die zitierten Untersuchungen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen aus. Dennoch lassen sich die Ergebnisse zur Zufriedenheit- ohne daß dadurch ein Widerspruch zu den gefundenen Daten entsteht - mehrheitlich in dem Sinne interpretieren, daß Zufriedenheit dann entsteht, wenn ein positiv bewertetes Ziel erreicht wird. Allerdings ist hier eine Einschränkung erforderlich. Einige der Untersuchungen lassen die Annahme wahrscheinlich werden, daß bereits die Erwartung, das positiv bewertete Ziel mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen zu können, die Zufriedenheit steigert. Demnach kann nicht nur die Zielerreichung, sondern es muß auch die gedankliche Vorwegnahme der Zielerreichung als Ursache der Zufriedenheit gesehen werden. Das dieser Arbeit zugrunde liegende Modell und die weiteren angeführten kognitiven Motivationsmodelle werden dadurch verkompliziert; experimentelle Untersuchungen zur Arbeitszufriedenheit, die dem Ursache- Wirkungszusammenbang besondere Beachtung schenken, dürften dadurch komplexer werden.
344
4. Teil: Die Organisation als Anreizsituation
Noch schwieriger sind die Ergebnisse- soweit überhaupt motivationspsychologisch erklärbar - hinsichtlich der Leistung zu interpretieren. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Ursache- Wirkungsverhältnisses. Einige der Untersuchungen gehen unmittelbar von kognitiven Motivationsmodellen im Sinne von Weg- Ziel- Annahmen aus. In diesen Arbeiten konnte gezeigt werden, daß die Leistung dann erhöht wird, wenn sie als Mittel zum Zweck des Erreichens eines als wertvoll erachteten Ziels wahrgenommen wird. Andere Untersuchungsergebnisse, die nicht explizit auf entsprechenden theoretischen Annahmen aufbauen, lassen sich unschwer in diesem Sinne interpretieren. Jener Sonderfall, in dem Weg und Ziel zusammenfallen, in dem also die Leistung selbst zum Ziel wird wie beim durch Leistungsmotivation bestimmten Verhalten, ist lediglich Grenzfall, aber kein Bruch des Prinzips. Dagegen sind jene Untersuchungen, in denen die höhere Leistung erst nach dem Erreichen des Ziels eintrat, nur mit Hilfe von Zusatzannahmen im Sinne des kognitiven Weg- Ziel- Modells zu interpretieren. So ist es etwa- wie beim Vergleich der Modelle von Vroom und Adams bereits angesprochen - denkbar, daß eine Person nach dem Erreichen einer Belohnung kognitive Dissonanz erlebt und Leistung als Mittel zu dem Zweck wahrnimmt, wiederum ein kognitives Gleichgewicht herzustellen. Allerdings sind bei zeitlich der Leistung vorausgehender Zielerreichung auch gänzlich andere motivationspsychologische Interpretationen möglich. Es ist denkbar, daß die Zielerreichung zu höherer allgerneiner Aktivierung führte, die ihrerseits die Leistung bedingte. Es ist ebenfalls vorstellbar und eine häufig vertretene Auffassung, daß die Zielerreichung die Zufriedenheit steigerte, die ihrerseits die Leistung bedingte. Beide Alternativinterpretationen sind innerhalb der kognitiven WegZiel- Modelle nicht unterzubringen, will man diese nicht durch gewichtige Zusatzmaßnahmen überfrachten. Die Frage jedoch, ob die Zufriedenheit möglicherweise die Leistung bedingt, wird im folgenden Teil ausführlicher behandelt werden müssen. 4.8 Zusammenfassung des 4. Teils
Motive des Arbeitenden werden in der ihn umgebenden Situation aktiviert und verhaltensrelevant. Die Situation umfaßt dabei die Organisation, in der der einzelne tätig ist und das weitere Umfeld. Hier erfolgte eine Beschränkung auf die Organisation, die auch lediglich unter dem Aspekt betrachtet wurde, wie ihre Wahrnehmung auf die Aktivierung und Befriedigung für die Arbeit relevanter Motive wirkt, nicht dagegen, inwieweit sie von ihrer objektiven Struktur her leistungsrelevantes Verhalten ermöglicht.
4.8 Zusammenfassung des 4. Teils
345
Unter dem genannten Blickwinkel wurde die Situation in vierfacher Weise betrachtet: -
welche finanziellen Anreize bietet sie? welche sozialen Anreize bietet sie? welche Anreize liegen in der Struktur der Arbeit, die innerhalb der Organisation geleistet werden muß? welche Anreize liegen in der Struktur der Organisation selbst?
Die Entlohnung ist nicht ein so wesentlicher Anreiz, wie in der Betriebswirtschaftslehre meist angenommen. Allerdings besteht in der Psychologie die Tendenz, diesen Punkt zu unterschätzen. Dem Anfangsgehalt kommt - solange weitere Informationen über die Organisation fehlen- erhebliche Bedeutung für die Entscheidung, einer Organisation beizutreten, zu. Ein ungünstiges Anfangsgehalt führt zu langfristigen negativen Einstellungen der Organisation gegenüber. Individueller Leistungslohn kann zu erheblicher Leistungssteigerung führen, allerdings nur bei spezifischen Aufgaben. Er bringt nicht selten Unzufriedenheit mit sich und kann auch als diskriminierende Lohnform erlebt werden. Zudem ist er mit der Gefahr verbunden, daß für die Leistungserstellung wichtige Verhaltensweisen, die im Leistungskriterium nicht erfaßt sind, vernachlässigt werden und Spannung in der Arbeitsgruppe verstärkt wird. Diese Gefahren mindert der Gruppenleistungslohn, der allerdings nur für kleine und homogene Gruppen, in denen dem einzelnen hoherEinfluß auf das Arbeitsergebnis möglich wird, geeignet erscheint. Eine Entlohnungsform für größere soziale Einheiten ist die Gewinnbeteiligung, die insbesondere bei Mitbestimmungsmöglichkeiten der Betroffenen ihre Identifikation mit der Organisation zu erhöhen scheint. Ob die Entlohnung hoch oder niedrig erscheint, hängt weniger von ihrer absoluten Höhe als von der relativen Höhe im sozialen Vergleich ab. Die Aspekte, unter denen verglichen wird, sind dabei unterschiedlich. Experimentelle Untersuchungen sprechen dafür, daß der einzelne zwischen erlebter Leistung und erlebter Gehaltshöhe ein subjektives Gleichgewicht herzustellen sucht, was durch Leistungsintentionen, die geeignet sind, Gefühle der Unter- oder Überbezahlung abzubauen, möglich wird. Auch die Gehaltserhöhung wird relativ zum Gehalt anderer und zum Ausgangsgehalt beurteilt. Auch wenn sie als relativ hoch erscheint, dürfte ihr Effekt auf die Zufriedenheit nur kurzfristig sein und auch ein Effekt auf die Leistung nur dann wahrscheinlich sein, wenn die Erhöhung als Belohnung für die Leistung und nicht als eine - etwa durch Tarifverhandlungen bedingte- Selbstverständlichkeit erlebt wird.
346
4. Teil: Die Organisation als Anreizsituation
Auch von selbstverständlich erscheinenden Zusatzleistungen - den Sozialleistungen - sind kaum motivationale Wirkungen zu erwarten. Darüber hinausgehende Leistungen werden in ihrem Wert meist unterschätzt; in spezifischen Situationen aber können sie wertvoller als eine objektiv gleichwertige Gehaltserhöhung erscheinen. Die Organisation bietet dem einzelnen meist Kontaktmöglichkeiten mit Untergebenen, Gleichgestellten und Vorgesetzten, sowie mit Personen, die der Organisation nicht angehören. Für Vorgesetzte kann der Kontakt mit Untergebenen Selbstzweck und somit befriedigend sein; er kann aber auch Mittel zum Zweck sein, um andere Ziele -etwa Macht oder Leistung- zu erreichen. Der Kontakt mit Gleichgestellten ist für die Organisationsmitglieder meist um so bedeutsamer, je weniger Bedürfnisbefriedigung ihre Aufgaben bieten. Intensive Kontakte zwischen den Gruppenmitgliedern erhöhen meist die Zufriedenheit und können auch die Leistung fördern, wenn die Einstellungen zum Vorgesetzten und zur Organisation positiv sind, im umgekehrten Fall machen sie Leistungsrestriktion wahrscheinlich. Die Kontaktmöglichkeiten zum Vorgesetzten hängen von dessen Führungsverhalten ab. Der Vorgesetzte kann mit seinem Führungsverhalten die Leistung und die Zufriedenheit der Geführten beeinflussen. Es hängt jedoch von der Persönlichkeitsstruktur der Geführten und von der Situation ab, welche Verhaltensweisen des Vorgesetzten zum Anreiz des Leistungsverhaltens und zur Ursache der Zufriedenheit werden. Auch der Grad der aktivierenden und befriedigenden Wirkung der Kontaktmöglichkeiten mit Personen, die der Organisation nicht angehören, dürfte stark durch die Persönlichkeitsstruktur bestimmt sein. Innerhalb einer arbeitsteiligen Gesellschaft ist der Arbeitsinhalt für viele durch hohe Wiederholungsfrequenz gekennzeichnet, was bei starker Ausprägung zu Monotonieerlebnissen, Unzufriedenheit und Leistungsrückgang führt. Man hat versucht, dem durch Möglichkeiten zu häufigem Arbeitsplatzwechsel und durch Ausweitung des Arbeitsinhalts entgegenzuwirken. Positive Effekte dieser Maßnahmen auf die Leistung und die Zufriedenheit sind vor allem bei jenen zu erwarten, die den Normen des Mittelstandes verpflichtet sind, weniger dagegen bei Angehörigen der großstädtischen Arbeiterschaft. Leistungsfördernd wirkt meist die Kenntnis der Ergebnisse eigenen Leistungsverhaltens, die für viele Arbeitsbereiche nur in Ansätzen oder gar nicht gegeben ist. Durch diese Kenntnis wird die Auseinandersetzung mit einem Leistungswert auf einem subjektiven Gütemaßstab und somit die Aktivierung der Leistungsmotivation möglich. Es ist nicht die
4.8 Zusammenfassung des 4. Teils
347
Kenntnis der eigenen Leistung unmittelbar, die Leistungserhöhung bedingt, sondern die dadurch möglich werdende konkrete Zielsetzung. Durch Autonomie am Arbeitsplatz und Mitwirkungsmöglichkeit bei Entscheidungen, die die eigene Arbeit betreffen, können Leistung und Zufriedenheit bei Personen, die Wert auf Selbständigkeit legen, gesteigert werden. Außerdem führt die relative Autonomie zu einer größeren Identifikation mit der Aufgabe. Es ist allerdings nicht die Mitbestimmungsmöglichkeit an sich, die das Leistungsverhalten beeinflußt, sondern spezifische Mitbestimmungsmöglichkeiten, die sich auf die Art der Leistungserstellung beziehen. In Skandinavien sind Versuche unternommen worden, nicht Einzelpersonen, sondern Gruppen mehr Autonomie einzuräumen. In der BRD hat man vor allem versucht, die Autonomie bei der Arbeitszeitgestaltung zu steigern. Aufstiegsmöglichkeiten steigern bei Aufstiegsmotivierten die Zufriedenheit. Sie erhöhen die Leistung dann, wenn sie als Mittel zum Erreichen des Aufstiegs wahrgenommen werden. Erreichter Aufstieg führt zu besonderer Befriedigung, wenn er nicht als selbstverständlich erwartet wurde, verfehlter Aufstieg frustriert besonders, wenn der Aufstieg erwartet wurde. Weiterbildungsmaßnahmen können als Mittel zum Zweck und als Selbstzweck Zufriedenheit und Leistungsverhalten beeinflussen. Übersteigt jedoch die nach den Weiterbildungsmaßnahmen gegebene Qualifikation die Anforderungen des Arbeitsplatzes stark, so ist erhebliche Frustration zu erwarten. Von der Organisationsstruktur kann motivierende und befriedigende Wirkung ausgehen. Kleinere Organisationseinheiten sind unter diesem Aspekt positiver zu beurteilen; dies gilt nicht für die hierarchisch hochstehenden Mitglieder, da ihnen größere Einheiten mehr Einfluß einräumen. Hierarchisch niedrigstehende Mitglieder größerer Einheiten scheinen autoritäres Führungsverhalten eher zu akzeptieren. Innerhalb der Linie scheint die Befriedigung höherer Motive eher möglich zu sein als innerhalb des Stabes; auch innerhalb flacher Organisationsstrukturen scheint der Grad der Bedürfnisbefriedigung höher zu liegen. Die Wirkungen des Führungsstiles auf die Geführten hängen vom Führungskonzept der Gesamtorganisation ab. Mitarbeiterorientiert Führende haben damit bei den Geführten nur Erfolg, wenn sie bei der nächst höheren Ebene dadurch nicht an Einfluß verlieren. Schulung in entsprechenden Verhaltensweisen ist nur erfolgreich, wenn ihre Inhalte dem Führungskonzept der Organisation entsprechen.
Fünfter TeiL
5. Motivaktivierung und Verhalten Im vierten Teil dieses Buches waren die situativen Bedingungen der Organisation, die, werden sie wahrgenommen, in persönlichkeitsspezifischer Weise zu Anreizen werden können, nicht nur beschrieben worden. Es war darüber hinaus auch darauf verwiesen worden, welche Konsequenzen das durch diese Anreize aktivierte Verhalten unter den Aspekten der Leistung und der Zufriedenheit hat. Auf diese jeweils anreizspezifischen Folgen der durch das Zusammenspiel von motivierter Person und motivierender Situation bedingten Verhaltensweisen soll differenziert nicht mehr eingegangen werden. Es soll jedoch grundsätzlich diskutiert werden, welche sich zu den Normen der Organisation konform, neutral, oder konträr verhaltenden Handlungsweisen entstehen können, wenn Bestandteile der Situation vom Individuum als Anreize wahrgenommen werden. Dabei soll von einer zunächst unspezifischen Motivaktivierung ausgegangen werden, der - als kognitivem Bestandteil der Motivation - bestimmte Erwartungen folgen, die wiederum zu einer nun spezifizierten Verhaltensintention führen, die als unmittelbare motivationale Bedingung des nachfolgenden Verhaltens angesehen werden kann. Daneben bestimmen - wie bereits mehrfach betontnoch andere Variablen der Person und der Situation das Verhalten. 5.1 Die Motivaktivierung
Wird ein Motiv aus der überdauernden Motivstruktur des Individuums aktiviert, so sind dabei zwei wesentliche Dimensionen zu unterscheiden; einmal die Richtung, die Intention, die durch die inhaltliche Bestimmung des Motivs mitgegeben ist, zum anderen die Intensität, häufig auch als Aktivation umschrieben, die von der Richtung relativ unabhängig ist und auch unabhängig davon - meist an physiologischen Zeichen (vgl. Graumann 1965 a;Schmidtke, 1965)-gemessen wird.Dieindikatoren der Aktivation können dann als Indikatoren dafür interpretiert werden, inwieweit die Situation für das Individuum zur motivierenden Situation geworden ist, was bedeutet, daß zwischen dem Anreiz und der Aktivation eine unmittelbare Beziehung besteht.
5.1 Die Motivaktivierung
349
Es sind allerdings nicht nur physiologische Variablen, die Aktivation verraten; es gibt auch eine Reihe von Variablen, die man akzentuierend als psychologische bezeichnen würde und die mit physiologischen Aktivationsindikatoren korrelieren. Zu nennen wäre hier beispielsweise die Tendenz, später zu Bett zu gehen und kürzer zu schlafen (Pawlik, 1963). So ist denn in der Aktivation- überblickt man bisherige Forschungsergebnisse - vor allem eine Steigerung der Aktivität als solcher zu sehen, wobei der Aspekt der Richtung weniger beachtet wurde (vgl. Graumann, 1965 a). Wenn wir in diesem Zusammenhang allerdings von Motivaktivierung sprechen, so ist der Aspekt der Richtung mitgedacht, da inhaltlich spezifizierte Motive gemeint sind, die grundsätzlich durch eine bestimmbare Umweltbezogenheit mitdefiniert sind. Das Problem einer unspezifischen Aktivation soll also hier nicht weiter vertieft werden, sondern es soll gefragt werden, was nach der Wahrnehmung einer situativen Gegebenheit, die für ein Individuum zum Anreiz wird, geschieht. Denkt man an einen Menschen, dessen überdauernde Motivstruktur durch eine starke Ausprägung des Geltungsmotivs gekennzeichnet ist, so wird das Gerücht, es sei eine Position zu besetzen, die mit dem Titel des Direktors verbunden sei, ihn in spezifischer Weise aktivieren, ohne daß unmittelbar Verhalten in Richtung auf dieses Ziel zu erwarten wäre. Der Aktivierte wird lediglich in spezifischer Weise hellhörig; er ist interessiert, will mehr über die Angelegenheit erfahren. Erst in einer zweiten Phase kommt es zu differenzierteren kognitiven Prozessen. Erwartungen entstehen- wie es Graumann (1969) in seinem Paradigma einer motivational getönten Situation beschreibt- hinsichtlich des Verlaufs, wie das Ziel zu erreichen wäre. Darüber hinaus dürften die Erwartungen jedoch auch häufig Schätzungen darüber enthalten, mit welcher Wahrscheinlichkeit das angestrebte Ziel wohl erreichbar sei. Erst aus derartigen komplexen Zusammenhängen entseht dann die Verhaltensintention, jene motivational bestimmte Kraft in Richtung auf ein Ziel, die sich bei Vroom (1967) aus dem Produkt der Wertigkeit der Handlungsfolgen und der Wahrscheinlichkeit, diese Handlung ausführen zu können, ergibt. Es muß allerdings gesehen werden, daß die hier getroffene Differenzierung von Motivaktivierung, Erwartung und Verhaltensintention häufig phänomenal für das Individuum nicht gegeben ist. Findet ein Mensch, der lange nicht gegessen hat, überraschend auf dem Küchentisch seiner Wohnung ein schmackhaft aussehendes Wurstbrot, so wird er unmittelbar zugreifen. Überlegungen zum Wert der Verhaltenskonsequenzen und zur Wahrscheinlichkeit, diese auf bestimmte Weise erreichen zu können, werden in diesem Fall wohl nur in Ausnahmefällen zu beobachten sein, etwa während einer Schlankheitskur.
350
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
Viele alltägliche motivierte Verhaltensweisen in der Organisation, etwa das Einlegen einer Zigarettenpause, das Gespräch mit einem Kollegen oder das Schimpfen über kritische Äußerungen eines Vorgesetzten werden phänomenal unmittelbar auf die Wahrnehmung des Anreizes erfolgen. Dort aber, wo in der Organisation geplant situative Veränderungen vorgenommen werden, um damit für die Organisationsmitglieder Anreize zu setzen, die plankonformes motiviertes Verhalten auslösen sollen, dürfte meist anderes zu beobachten sein. Die Einführung des Stücklohnes, der innerbetrieblichen Stellenausschreibung, betriebsinterner Schulungsseminare oder der Arbeitsplatzrotation dürfte zunächst eine relativ unspezifische Aktivierung zur Folge haben, die darauf spezifische kognitive Prozesse auslöst, bevor sie zu beobachtbarem Verhalten führt. Die Information über den Stücklohn kann dann- je nach dem, welche Konsequenzen mit welcher Wahrscheinlichkeit erwartet werden - zu erhöhter Leistungsintention oder zur Leistungsrestriktion führen. Die Aufforderung, sich auf innerbetrieblich ausgeschriebene Stellen zu bewerben, würde mit der Aufstiegsthematik zusammenhängende Motive aktivieren. Je nachdem aber, für wie wahrscheinlich eine Berücksichtigung der Bewerbungen gehalten wird und welche Vermutungen hinsichtlich der Konsequenzen einer erfolgten Bewerbung bestehen, kann eine Flut von Bewerbungen oder ein gänzliches Ausbleiben von Bewerbungen die Folge sein. 5.2 Die Erwartungen
Will eine Organisation spezifische plankonforme Verhaltensweisen ihrer Mitglieder herbeiführen, so reicht die Motivaktivierung der vermutlich hinter diesem Verhalten stehenden Motive nicht aus. Durch entsprechende Information sollte dafür gesorgt werden, daß die Erwartungen der einzelnen dazu führen, daß die Motivaktivierung auch eine Verhaltensintention bedingt, die plankonformes Verhalten wahrscheinlich macht. Drei Aspekte der Erwartungen erscheinen im hier skizzierten Zusammenhang bedeutsam, nämlich die Antworten auf die Fragen: -
Wie wertvoll erscheint mir das angebotene Ziel? Auf welchem Wege erreiche ich das Ziel? Mit welcher Wahrscheinlichkeit erreiche ich das Ziel?
Die Antwort auf die erste Frage könnte im hier angesprochenen Zusammenhang müßig erscheinen. Sieht ein Mensch, der lange nichts getrunken hat, ein Glas Wasser vor sich, so aktiviert dieser Anblick seinen Durst, weil das Glas Wasser im Wahrnehmungsakt selbst als Wert, der befriedigend zu sein verspricht, erscheint, also gerade dadurch zum Anreiz wird. Eine nachfolgende Bestimmung des Wertes erscheint nicht
5.2 Die Erwartungen
351
erforderlich. Bedenkt man jedoch, daß das Trinken des Wassers eine größere Anzahl unterschiedlicher Konsequenzen haben könnte, so kann das Werterleben sich modifizieren. Möglicherweise überlegt sich derjenige, dem das Glas Wasser zunächst so attraktiv erschien, daß angesichts des noch länger andauernden Marsches in der Sonne durch das Trinken ein starker Schweißausbruch gefördert würde, der ihm ein größeres negatives Gewicht zu haben scheint als das positive Gewicht der augenblicklichen Befriedigung des Durstes. Das Glas Wasser verliert an Wert. Entsprechend werden verschiedene organisatorische Maßnahmen zunächst in spezifischer Weise motivaktivierend wirken und als Wert oder Unwert erlebt werden, jedoch in nachträglichen kognitiven Prozessen umgewertet werden. Dies kann in verschiedener Weise geschehen. Der zunächst durch die Wahrnehmung einer ihm wertvoll erscheinenden Möglichkeit Aktivierte kann mit der Zeit Konsequenzen erkennen, die ihm das Ziel weniger erstrebenswert erscheinen lassen. Zum Beispiel kann derjenige, den ein Aufstiegsangebot zunächst verlockte, nach einigem Nachdenken erkennen, daß seine Stellung, sollte er auf das Angebot eingehen, sehr viel unsicherer ist als zuvor, da er erfährt, daß keiner der früheren Stelleninhaber länger als zwei Jahre in dieser Position belassen wurde. Es veränderte sich also die Wahrnehmung der Situation. Es ist jedoch noch ein tendenziell anderer Vorgang denkbar. Die Situation wurde zunächst nur undifferenziert gesehen; eine Aufstiegsmöglichkeit wurde ohne weitere Spezifizierung wahrgenommen und führte zur Aktivierung für den Aufstieg wesentlicher Motive. Längere Betrachtung zeigt dann jedoch, daß die inhaltliche Bestimmung des angebotenen Aufstiegs- etwa hinsichtlich der Kompetenzen oder des Gehalts- dem eigenen Anspruchsniveau nicht entspricht. Auf andere Weise kommt es auch hier zu einer veränderten Sicht der Situation. Über das Anspruchsniveau wurde im Kontext der Kenntnis der Resultate eigenen Tuns bereits gesprochen. Es wurde vor allem im Zusammenhang mit Leistungszielen untersucht (vgl. Heckhausen, 1965), ist jedoch keineswegs auf den Bereich des Leistungsverhaltens zu beschränken (vgl. Lersch, 1956). Es muß weiter gefaßt werden. Kaminski (1970, S. 207 f.) verdeutlicht das an einem Beispiel: "Wenn ... die Krankenschwester ein Ideal-Konzept für sich erarbeitet hat, ist dies ein recht komplexes, überdauerndes, d. h. in dieser Form immer wieder aktualisierbares, sozusagen zeitlos gültiges .. . normatives System . . . So mag dieses einheitliche Ideal-Konzept, diese ,Utopie', gleichsam den überdauernden Hintergrund bilden für zahlreiche einzelne und spezielle Selbst-Einstufungen und die daraufhin erfolgenden einzelnen und speziellen Aktionen einer Selbst-Erziehung. Im Hinblick auf solche je einzelnen Einstufungen könnte man auch bei der Krankenschwester von Zielsetzungen, Anspruchsniveausetzungen sprechen, die sie für sich vollzieht. Anspruchs-
352
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
niveausetzung wäre also auf ein relativ aktuelles und einzelheitliebes Nahziel bezogen, welches spezielle Aspekte des Ideal-Ziels, in diesem Falle also des komplexen idealen Rollen-Konzepts, betrifft." Eine wahrgenommene Situation kann also zunächst als Anreiz wirken, wenn sie mit diesem Ideal-Konzept zu korrespondieren scheint, wenn sie etwa durch Aufstieg dem Leitbild der selbständigen Entscheidungsmöglichkeit entgegenzukommen scheint. Differenzierte Betrachtung und Überlegung zeigt dann jedoch, daß sie den aktuellen und einzelheitliehen Anspruchsniveaus nicht entspricht. Gesetzt sei nun jedoch der Fall, daß die Erwartung besteht, daß das Erreichen des Ziels Bedürfnisse befriedigt, das Ziel also wertvoll ist, so erscheint die nächst wichtige Frage für die Verhaltensprognose, auf welche Weise der einzelne das Ziel zu erreichen glaubt. Hier entscheidet sich zu einem wesentlichen Anteil, ob der einzelne normkonformes, normneutrales oder normkonträres Verhalten zeigen wird. So kann man etwa prüfen, wie wichtig einem Organisationsmitglied das Akzeptiertwerden durch die Kollegen, finanzielle Verbesserung oder Aufstieg sind und zugleich skalieren lassen, in welchem Maße die Leistung in positivem oder negativem Sinn als Mittel zu dem Zweck angesehen wird, diese Ziele zu erreichen. Stellt man etwa fest, daß bestimmte Personen alle drei Ziele als wertvoll und gewichtig ansehen, jedoch die Leistung nicht als Mittel zu dem Zweck, Gehaltssteigerung oder Aufstieg zu erreichen, sondern lediglich in dem Sinne als Mittel zum Akzeptiertwerden durch die Kollegen interpretieren, daß geringere Leistungen dieses Akzeptiertwerden wahrscheinlicher machen, so ist normkonträres Verhalten - Leistungsrestriktion - zu erwarten (vgl. Georgopoulos, Mahoney & Jones, 1957). Wird dagegen Leistung als Mittel gesehen, den erwünschten Aufstieg zu erreichen, so ist bei Verbesserung der Aufstiegschancen Verbesserung der Leistung wahrscheinlich. Die drei hier genannten Ziele sind selbstverständlich nur als Beispiele zu verstehen. Zur Vorhersage spezifischer Verhaltensintentionen müßte geprüft werden, in welchem Maße das entsprechende Verhalten als Mittel zum Zweck der vielfältigen unterschiedlich bewerteten Ziele gesehen wird. Welche Ziele von Organisationsmitgliedern als besonders bedeutsam angesehen werden, wurde im dritten Teil dieses Buches dargelegt. Wichtig ist jedoch nicht nur die Wahrnehmung des instrumentellen Charakters bestimmten Verhaltens für die Zielerreichung, will man die Verhaltensintention prognostizieren, sondern auch die subjektive Wahrscheinlichkeit des einzelnen, das Ziel auf die erwartete Weise erreichen zu können. Es ist durchaus denkbar, daß ein einzelner in der guten Leistung den einzigen Weg sieht, den von ihm hoch bewerteten
5.3 Die Verhaltensintentionen
353
Aufstieg zu schaffen. Wenn er jedoch die Aufstiegschancen für minimal hält, da er keine frei werdenden Führungspositionen wahrnimmt, so ist durch erwarteten Aufstieg bedingte Leistungsintention unwahrscheinlich. Empirische Befunde zur Bedeutung der Erwartung für das motivierte Arbeitsverhalten liegen vor. Genannt sei noch einmal die Studie von Georgopoulos, Mahoney und Jones (1957), in der - wenn auch nicht durchgehend signifikant - nachgewiesen werden konnte, daß das Leisttmgsverhalten verbessert wird, wenn Aufstieg, Gehaltsverbesserung oder Akzeptiertwerden durch die Kollegen als wertvoll angesehen werden und hohe Leistung als Mittel zum Zweck angesehen wird, diese Ziele zu erreichen. Auch die Studie von Galbraith und Cummings (1967) kann hier zitiert werden, in der Stützung für die Hypothese gefunden wurde, daß Personen, die der Leistung instrumentellen Charakter beim Erreichen als wertvoll skalierter Ziele wie finanzielle Entlohnung, Rücksicht und Förderung durch den Vorgesetzten, Aufstieg und Akzeptiertwerden durch Kollegen zuschreiben, auch mehr leisteten. Eine Untersuchung von Wofford (1971) weist in die gleiche Richttmg. In der Untersuchung konnte gezeigt werden, daß die gezeigte Leistung sich als abhängig erwies von der Motivstärke tmd der Erwartung, durch Leistung zur Motivbefriedigtmg beitragen zu können. Das Leistungskriterium korrelierte dabei stärker mit der Erwartung, durch die Leistung Motivbefriedigung zu erlangen, als mit der Motivstärke selbst. Auch eine empirische Untersuchung von Farris (1971) spricht für die Bedeutung der Erwartung. Es konnte gezeigt werden, daß die Kündignngsrate mit der Annahme korreliert, durch die Kündigung die eigene Karriere voranzutreiben. 5.3 Die Verhaltensintentionen
In dem in Teil 1 vorgestellten Modell von Smith und Cranny (1968, S. 469) wurde die Leistung nicht unmittelbar abhängig von den Belohnungen - also den motivbefriedigenden Bedingungen - und den Befriedigungen - also der Motivbefriedigung selbst - gesehen. Als intervenierende Variable wurde die Anstrengtmg oder Intention angenommen, die ihrerseits bedingende Variable der Leistung sei. Auch innerhalb des Modells, das den Aufbau dieses Buches bestimmt, ist die Intention die motivationale Bedingung des Verhaltens und damit auch des Leistungsverhaltens. Dieses Verhalten selbst hängt jedoch nicht nur von der motivational bestimmten Intention, sondern auch von den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Person und den Ermöglichungsbedingnngen der Situation ab. 23 Rosenstiel
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
354
Auch Lawler und Porter (1967) haben die Bedeutung der Leistungsintention zur Erklärung des Leistungsverhaltens besonders hervorgehoben. Innerhalb der kognitiven Motivationstheorie von Vroom ergibt sich -wie bei ihrer Darstellung gezeigt wurde- die Kraft oder Verhaltensintention aus der multiplikativen Verknüpfung von Wertigkeit des Ziels und subjektiver Wahrscheinlichkeit, das Ziel zu erreichen. Vroom (1967, S. 192 ff.) hat an konstruierten Extremfällen das Zusammenspiel dieser beiden Variablen beim Entstehen der Kraft, Intention oder Anstrengung aufgezeigt. Beleg 47 zeigt die Beispiele. Beleg 47 Bedingungen der Anstrengung Vroom sucht an einfachen Modellbeispielen die motivationalen Grundlagen der Leistung zu illustrieren. Man stelle sich eine einfache Aufgabe vor, die lediglich zu zwei Leistungsergebnissen führen kann: x = hoch, y niedrig. Der Wert dieser Ergebnisse kann von vier Personen sehr unterschiedlich eingeschätzt werden, wie Tabelle 22 zeigt:
=
Tabelle 22
Bewertung verschiedener Leistungsergebnisse durch angenommene Personen
Wertigkeit für Personen 1 2 3 4
Leistungshöhe Leistungsergebnis
X
y
hoch niedrLg
I I
+1
0
0
0
- 1
0
0
+1
Für die Personen 1 und 2 hat die höhere Leistung auch die höhere Wertigkeit. Für Person 3 ist die Bewertung gleich, für Person 4 hat gar die niedrigere Leistung die höhere Wertigkeit (sie hat z. B. Angst, als "Streber" zu gelten). Möchte man Vorhersagen für die Leistungsanstrengung, die Kraft, machen, so muß man die Erwartungen der Personen kennen, das bewertete Ergebnis zu erreichen. Der Einfachheit halber soll von zwei unterschiedlich belastenden Handlungsarten a und b ausgegangen und die Beziehung an drei Fällen am Beispiel von Person 1 der obigen Tabelle demonstriert werden. Tabelle 23 zeigt das. Bei Fall 1 glaubt die Person an das Eintreffen des gewünschten Erfolgs ohne Rücksicht auf die Art der Handlung: a und b sind also gleich wahrscheinlich. Bei Fall 2 glaubt die Person nur bei a an Erfolg, bei b an Mißerfolg (Ergebnis mit Wertigkeit 0): a ist also wahrscheinlich.
=
355
5.3 Die Verhaltensintentionen Tabelle 23
Zu erwartende Handlung in Riehtung auf hohe Leistung (x) der Beispielperson 1 bei versehiedenen Erwartungen
Fall
Unterschiedlich belastende Handlungsarten a bzw.b
Ergebnis "x" (hohe Leistung) Wertigkeit = 1
1
a b
Erw.artung = 1.00 Erwartung= 1.00
Envartung =: .00 Erwartung= .00
1.00 1.00
2
a b
Erwartung= 1.00 Erwartung = 0.00
Erwartung =· .00 Erwartung= 1.00
1.00 .00
3
a b
I I I
Erwartung = 0.00 Erwartung = 0.00
I
Kraft (Anstrengung) = Wertigkeit xErwartung
Ergebnis "y"
I (nl""'""' Lel>tung) Wertigkeit= 0
I I
Erwartung = 1.00 Erwartung = 1.00
II
.00 ,{)0
Bei Fall 3 glaubt die Person an Mißerfolg, ganz gleich, wie sie handelt: a und b sind also gleich wahrscheinlich. Vroom, V. H.: The meaning of motivation for effective performance. In: Work and motivation. New York 1967, S. 192 ff.
Empirisch suchte Lawler (1966) die Notwendigkeit der Annahme der Verhaltensintention im Kontext des Leistungsverhaltens aufzuzeigen. Der Autor fand in einer Untersuchung an Führungskräften, daß bei Personen mit hohen Fähigkeiten die Korrelation zwischen der Entlohnung und der Leistung unterschiedlich ausfiel und sich als abhängig von der wahrgenommenen Bedingtheit des Gehalts durch die Leistungshöhe erwies. Dies rechtfertigt wiederum die Interpretation, daß die Unterschiede der Leistung nicht durch die Fähigkeiten, sondern durch unterschiedliche Anstrengungsbereitschaften bedingt waren. Die Streuung der Anstrengungsbereitschaft ergibt sich dabei plausibel aus dem kognitiven MotivationsmodelL Auch die empirischen Unter.suchungen, die im Abschnitt über die Erwartungen beprochen wurden und das Verhalten aus der Verknüpfung der Wertigkeit des Ziels und der Erwartung vorherzusagen suchten, können- obwohl die Fähigkeiten nicht kontrolliert wurden - am angemessensten interpretiert werden, wenn man als Ergebnis aus Wertigkeit und Erwartung unterschiedliche Intentionen annimmt, die ihrerseits - neben anderen Variablen - das beobachtete Verhalten bestimmten.
356
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten 5.4 Das Verhalten
Die Verhaltensintention kann als motivationale Bedingung des Verhaltens betrachtet werden, doch ist das Verhalten- wie bereits mehrfach betohnt - nicht nur motivational determiniert, sondern auch von den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Person und den Besonderheiten der Situation abhängig. Das Zusammenspiel von Fähigkeit und Motivation erwies sich in einer Studie von Ghiselli (1968) in seinem Einfluß auf das Verhalten in Organisationen. Untersucht wurden 271 Führungskräfte. An Fähigkeiten wurden Intelligenz, Führungsbefähigung und Selbstsicherheit gemessen, an Motiven die Bedürfnisse nach Sicherheit des Arbeitsplatzes, nach hoher finanzieller Entlohnung und nach Selbstverwirklichung. Die Motivationswerte erwiesen sich bei Medianteilung als Moderatorvariablen der Korrelation zwischen den Fähigkeiten und dem beruflichen Erfolg, was als Hinweis der Interaktion von Fähigkeiten und Motivation beim Verhalten gewertet werden darf. Sieht man von den nichtmotivationalen Determinanten des Verhaltens zunächst einmal ab, so bleibt dennoch die Frage, ob die einfache Betrachtung: Verhaltensintention als Ursache des Verhaltens - undifferenziert beibehalten werden kann. Gewiß ist es legitim, die Anstrengung als bedingende Variable des Verhaltens anzusehen, doch sollte nicht vergessen werden, daß dabei vielfältige wechselseitige Wirkungen zu beobachten sind. Die Intention zu einem bestimmten Verhalten kann sich etwa nach der Aufnahme des Verhaltens dadurch modifizieren, daß die Wertigkeit des Ziels durch das begonnene Verhalten gesteigert oder gemindert wird oder auch dadurch, daß die subjektive Wahrscheinlichkeit, das Ziel erreichen zu können, nach dem begonnenen Verhalten steigt oder fällt, weil der Beginn der Handlung eine Auseinandersetzung mit der Situation impliziert und somit bedingt, daß diese mit anderen Augen gesehen wird. Sieht man von dieser komplexen Verflechtung ab und betrachtet die Verhaltensintention als geschlossene motivationale Variable, die als Bedingung eines geschlossenen Handlungsablaufs anzusehen ist, so liegt die Vermutung einer direkten Proportionalität zwischen Verhaltensintention und Verhalten nahe (vgl. Vroom, 1967, S. 202). Kurzeüberlegung wird einen jedoch rasch an einer uneingeschränkten direkten Proportionalität zwischen den Ausprägungen von Verhaltensintention und Verhalten zweifeln lassen, da es einsichtig ist, daß bei hohem motivationalem Einsatz der Handelnde an Grenzen stößt. Diese Grenzen liegen zum einen in seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten, zum anderen in den Ermöglichungsbedingungen der Situation. Eine noch so ausgeprägte Intention des auf eine einsame Insel Verschlagenen, sich ein Floß zu bauen, wird zu keiner weiteren Ausprägung des zielgerichteten Verhaltens führen, wenn einfach die körperlichen Kräfte fehlen, umgestürzte Bäume ans Ufer zu zerren oder wenn das Werkzeug fehlt, Bäume zu fällen. Aus diesen Erwägun-
5.4 Das Verhalten
357
gen heraus erscheint es naheliegend, bei ansteigender Intention ein Ansteigen der Ausprägung des zielgerichteten Verhaltens bis zu jenem Punkt zu vermuten, an dem die Fähigkeiten lind Fertigkeiten der Person und die Ermöglichungsbedingungen der Situation eine nicht übersteigbare Grenze bilden. Da diese Grenze nicht punktuell auftritt, sondern sich in der Regel als beständig steigende Schwierigkeit für den einzelnen ankündigt, ist bei steigender Intention eine asymptotische Annäherung der Verhaltensausprägung an diese Grenze zu erwarten. Eine Untersuchung von Fleishman (1958) veranschaulicht das. Es konnte gezeigt werden, daß die Motivation, die als Intention im hier besprochenen Sinne interpretiert werden kann, vor allem bei solchen Personen die Leistungen beeinflußte, deren Fähigkeiten hoch waren, bei denen also von der Befähigung her ein größerE!r Spielraum für die Wirkung der motivationalbestimmten Verhaltensintention bestand (s. Beleg 48). Beleg 48 Die Motivation wirkt dort, wo die Fähigkeiten es zulassen Fleishman arbeitete mit zwei Gruppen von je 200 Vpn (Angehörigen der Luftwaffe), deren Grad an verhaltensrelevanter Motivation experimentell durch Vorgabe spezifischer Anreize manipuliert wurde. Hohe Motivation wurde in der einen Gruppe dadurch erzeugt, daß den 200 Vpn mitgeteilt wurde, daß ihre Leistung bei der Lösung der ihnen vorliegenden Aufgaben von entscheidender Bedeutung für ihre zukünftigen Aufgabenbereiche sei. Der zweiten wurde - um eine niedrigere Motivation zu erreichen - keine entsprechende Vorinformation gegeben. Die Fähigkeiten aller Gruppenmitglieder zur Lösung der entsprechenden Aufgaben waren zuvor unter neutralen Bedingungen ermittelt worden. Im eigentlichen Hauptversuch zeigte sich dann, daß die Leistung in der Gruppe hochmotivierter Personen besser war als die in der, die weniger motivierte Personen umfaßte. Eine weiter differenzierende Analyse der Ergebnisse machte jedoch außerdem folgendes deutlich: Die Differenz zwischen hochmotivierten Fähigen und niedrigmotivierten Fähigen war entschieden größer als die entsprechende Differenz zwischen den weniger Fähigen. Das heißt zugleich, daß die Leistungsstreuung bei der hochmotivierten Gruppe stärker war als bei der niedrigmotivierten. Hohe Motivation steigerte also spezifisch die Leistung der besonders Fähigen. Fleishman, E. A.: A relationship between incentive motivation and ability level in psychomotor performance. J. exp. Psychol. 56, 1958, 78 - 81. Empirische Untersuchungen lassen es uns jedoch durchaus zweifelhaft erscheinen, ob die Aussage generalisiert werden darf, daß steigende Verhaltensintention eine asymptotische Annäherung der Verhaltensintensität bis an einen person- und situationsspezifischen Optimalwert bedingt. Eine zu stark ausgeprägte motivationale Komponente scheint
358
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
unter bestimmten Bedingungen sogar eine absinkende Verhaltensintensität auslösen zu können. Dieses Problem ist insbesondere für die Ausprägung des Leistungsverhaltens diskutiert und untersucht worden. Als klassische und vielzitierte Untersuchung darf hier eine Arbeit von Patrick (1934) gelten. Der Autor stellte seine Versuchspersonen vor das Problem, aus einem Raum, der eine Vielzahl von Ausgängen hatte, zu entkommen. Nur einer der Ausgänge war benutzbar, die anderen verschlossen. Von Versuch zu Versuch variierte der offene Ausgang unsystematisch, so daß ein Lernen des Ausgangs nicht möglich war. Unter normalen Bedingungen, unter denen keine stark erhöhte Motivation, den Raum zu verlassen anzunehmen war, gingen die Versuchspersonen systematisch vor, um die Tür zu finden, die sich öffnen ließ. Sie vermieden es etwa, wiederholt zu versuchen, ob sich eine bestimmte Tür öffnen ließ, wodurch sie relativ rasch zum Erfolg gelangten. Wurde dagegen die Motivation der Versuchspersonen, den Raum rasch zu verlassen, durch unangenehme Reize- Besprühen mit kaltem Wasser, Schocks der Füße, unangenehme Gräusche - erhöht, so war die Suche nach dem Ausgang weit weniger systematisch und der Erfolg relativ geringer. Es liegt nahe, die an diesem Beispiel deutlich werdende Beziehung in der Form einer umgekehrten U-Funktion zwischen der Intention und dem Verhaltenskriterium damit zu erklären, daß die hohe Motivation mit Nervosität oder Angst verbunden ist, die leistungshemmend wirken (vgl. McClelland, 1951). In diesem Sinne lassen sich auch Ergebnisse von Brandstätter, Franke und v. Rosenstiel (1966) interpretieren. Die Autoren konnten an 102 Studienbewerbern, die sich einer Zulassungsprüfung unterzogen, nachweisen, daß Ängstlichkeit mit den Leistungen in belastenden Tests, die durch Zeitdruck als stärker motivierend bezeichnet werden können, deutlich negativer korreliert als mit weniger belastenden Tests und daß sich zudem die Leistungen in derartigen Testverfahren durch Intelligenzkriterien bei ängstlichen Personen schlechter vorhersagen lassen als bei nichtängstlichen. Diese Ergebnisse stehen in Übereinstimmung mit der verbreiteten Meinung, daß in Situationen, die wegen ihrer Bedeutung oder wegen der Eigenart der in ihr geforderten Aufgaben stark motivierend wirken, die Leistungen den sonst zu beobachtenden Fähigkeiten nicht entsprechen und häufig beträchtlich herabgesetzt erscheinen. Diese verminderte Vorhersagbarkeit der Herabsetzung des Leistungsniveaus wird dann meist durch sogenannte Prüfungsangst oder Lampenfieber erklärt. Bei mittlerer motivationaler Ausprägung erweist sich die Angstkomponente als leistungsfördernd, bei stärkerer als leistungshemmend. "Die leistungsfördernde Wirkung mäßiger Prüfungsangst besteht vermutlich in dem Ansporn, der mit der Furcht vor Mißerfolg verbunden
5.4 Das Verhalten
359
ist. Wenn dagegen die Prüfungsangst über ein Optimum hinaussteigt, nimmt die dadurch bedingte Beunruhigung den Pb (Probanden) so sehr in Anspruch, daß er von der Problemlösung abgelenkt wird. Die Leistung fällt" (Brandstätter, Franke, v. Rosenstiel, 1966, S. 184). In ähnlicher Weise vertritt McClelland (1951) die Auffassung, daß der Anstieg der Intensität der Motivation zunächst leistungssteigernd, bei weiterem Anstieg dagegen leistungshemmend wirkt. Zu geringe Motivation führe zu mangelndem Einsatz und zur Gleichgültigkeit, zu hohe auf der anderen Seite zu Störungen des psychischen Verlaufs, insbesondere zum Versuch einer Abwehr der Angst. Liegt eine Erklärung der möglichen Leistungsminderung bei extrem hoher Motivation also in der Annahme, daß sie mit leistungshemmender Angst verbunden sei, so liegt eine andere Erklärung darin, daß sie das kognitive Feld einschränke (vgl. Tolman, 1948) oder, wie es umgangssprachlich heißt, den Blick verenge. Es ist eine im Erleben häufig nachzuvollziehende Erfahrung, daß bei sehr hoher Motivation nur noch das Ziel der Motivation beachtet und andere Bedingungen der Umwelt nicht mehr berücksichtigt werden. Das ist etwa bei Kindern dann anzunehmen, wenn sie - obwohl sie sonst zu Umwegverhalten durchaus bereit sind - bei hoher Motivation, etwa in unmittelbarer Nähe des Ziels, nicht bereit sind, einen Umweg zu machen, um das Ziel zu erreichen. Die Motivation im Sinne der Intention auf das Ziel hin ist als eine Determinante des Verhaltens jedoch komplexer mit dem Verhalten verbunden, als man zunächst anzunehmen bereit ist. Spezifisch das Leistungsverhalten dürfte durch eine zwar hohe, aber nicht extrem hohe Intention am besten gefördert werden. ~eben dieser motivational bestimmten Intention sind es die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die die Leistung bestimmen und zur Vorhersage der Leistung häufig multiplikativ mit der motivationalen Komponente verbunden werden (vgl. Vroom, 1967, S. 203). Es muß darüber hinaus gesehen werden, daß die Leistung von den situativen Ermöglichungsbedingungen abhängt, so daß die Leistung (L) als Funktion der motivational bestimmten Intention (I), der Fähigkeiten und Fertigkeiten (F) und der situativen Ermöglichungsbedingungen (S) verstanden werden muß. Hält man den Gedanken an die multiplikative Verknüpfung aufrecht, so ist im einfachsten Fall
L
=
f (I >< F X S).
Bedenkt man jedoch, daß I, F und S je nach Bedingung in unterschiedlichem Maße die Leistung determinieren dürften, so wären diese Variablen mit Gewichtungsfaktoren zu versehen. Stellt man darüber hinaus in Rechnung, daß kurvilineare Beziehungen der drei Variablen - wie an der Intention aufgewiesen - zur Leistung den:kbar sind, so dürfte
360
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
es nicht ausreichen, konstante Faktoren in die Gleichung aufzunehmen. Komplexere Ausdrücke werden erforderlich. Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, daß die motivational bestimmte Intention zur Leistung, die für die Leistung erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie die situativen Bedingungen, innerhalb derer das zur Leistung führende Verhalten ermöglicht werden soll, nicht unabhängig voneinander sind. Dies soll unter den wesentlichsten Aspekten gezeigt werden: Die Intention, die als Kraft innerhalb des kognitiven Motivationsmodells hier besonders interessiert, ist zu einem Teil sowohl durch die Fähigkeiten und Fertigkeiten als auch durch die Situation bestimmt, und zwar durch die Wahrnehmung dieser Variablen. Bereits bei der Besprechung der Berufsinteressen war gezeigt worden, daß die Interessen weitgehend mit jenen Fähigkeiten übereinstimmen, von denen der einzelne annimmt, daß er sie besitzt. Die überlegungen zum Arbeitsinhalt machten entsprechend deutlich, daß eine Arbeit dann attraktiv erscheint, d. h. als· Anreiz für intrinsische Arbeitsmotive wirkt, wenn sie in der Wahrnehmung des Arbeitenden Fähigkeiten und Fertigkeiten fordert, über die er zu verfügen glaubt und die er hochschätzt. In diesem Sinne motivieren also die Fähigkeiten und Fertigkeiten zu ihrer Realisierung und konstituieren die Wertigkeit eines Handlungsziels, die neben der Erwartung entscheidend die Intention bestimmt. Die Erwartung, dieses Ziel mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen zu können, ist jedoch ebenfalls von den Fähigkeiten und Fertigkeiten, jedoch auch von der Situation bestimmt. Wer glaubt, die zur Zielerreichung unter den spezifischen wahrgenommenen situativen Bedingungen erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten in hohem Maße zu haben, wird die Wahrscheinlichkeit, das Ziel erreichen zu können, besonders hoch einschätzen. Die vielfältigen Abhängigkeiten zwischen "Nutzen und Wahrscheinlichkeit" hat Neuherger (1969) ausführlich und differenziert dargestellt. Es soll hier nicht eingehend diskutiert werden, ob es grundsätzlich hohe subjektive Wahrscheinlichkeiten sind, die zu einer Steigerung der Intention führen, wie es innerhalb des kognitiven Motivationsmodells anzunehmen ist, oder ob es Ausnahmen von dieser Regel gibt. Für derartige Ausnahmen würden Untersuchungen zur Leistungsmotivation sprechen (vgl. Heckhausen, 1965), die wahrscheinlich machen, daß für Erfolgsmotivierte eine subjektive Wahrscheinlichkeit von 0.5 das Ziel als besonders erstrebenswert erscheinen läßt. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten sind ebenfalls von der Situation abhängig. Da nicht nur Motivationen, sondern auch andere Eigenschaften von den situativen Anregungsbedingungen bestimmt sind, fragt es sich, inwieweit Fähigkeiten und Fertigkeiten der Person sich innerhalb der wahrgenommenen Situation entfalten. Untersucht muß werden, ob spe-
5.4 Das Verhalten
361
zifische für die Zielerreichung wesentliche Fertigkeiten, die die Person erworben hat, in der Situation genutzt werden, ob z. B. Lerntransfer stattfindet. Nach Aufnahme des zielgerichteten Verhaltens wird die Verflechtung der drei hier besprochenen Variablen noch intensiver. Die Intention kann steigen oder fallen, weil die Wertigkeit des Ziels sich im Verlaufe der Handlung ändern kann oder weil die Wahrscheinlichkeit, das Ziel zu erreichen, durch handlungsbedingte objektive Veränderungen der Situation oder modifizierte Wahrnehmung der objektiv gleich gebliebenen Situation oder aber durch subjektive oder objektive handlungsbedingte Modifikation der Fähigkeiten und Fertigkeiten eine andere geworden ist. Die für die Zielerreichung erforderlichen Fähigkeiten oder Fertigkeiten können durch Übungsgewinn oder Ermüdung besser oder schlechter werden, die Situation kann unter dem Einfluß der vorausgehenden Bemühungen, das Ziel zu erreichen, für diesen Zweck günstiger oder ungünstiger werden. Sucht man also das Verhalten- hier am Beispiel des Leistungsverhaltens dargestellt- aus den isoliert betrachteten Variablen der Intention, der Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie der Ermöglichungsbedingungen vorherzusagen, so geht man von einem vereinfachten Modell aus, das den komplexen Verflechtungen nicht voll gerecht wird. Am Verhalten von Individuen in Organisationen hat bislang vor allem interessiert, ob es der Erreichung der Organisationsziele hinderlich, also normkonträr ist, oder ob es das Erreichen dieser Ziele fördert, also normkonform ist. Normneutrales Verhalten - ob also beispielsweise Personen bei automatisierter Arbeit über das Wetter oder den Sport reden - hat wenig Interesse gefunden und soll auch hier nicht weiter untersucht werden.
5.4.1 Normkonträres Verhalten Es ist nicht ohne Willkür, bestimmte Verhaltensweisen, die sich in spezifischen Verhaltensfolgen niederschlagen, als normkonträres oder normkonformes Verhalten zu kennzeichnen, da die Umkehrung der gleichen Verhaltensweise die Klassifikation innerhalb der jeweils anderen Kategorie rechtfertigen würde. Die Fluktuationsrate - d. h. die relative Häufikeit der Kündigung - wird beispielsweise meist als Kriterium eines Verhaltens interpretiert, das den Normen der Organisation zuwiderläuft, obwohl es durchaus denkbar und ebenso plausibel wäre, die Betriebstreue als Kriterium i10rmkonformen Verhaltens zu untersuchen. Die Aufmerksamkeit scheint sich jedoch den verschiedenen Extremausprägungen bestimmter Verhaltensweisen in unterschiedlichem Maße zuzuwenden; in diesem Falle dem- gemessen an dem in Orga-
362
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
nisationen Erwünschten - negativen Pol. Entsprechend sollen hier als besonders beachtete Ausprägungsformen normkonträren Verhaltens die Leistungsrestriktion und die dauernde oder zeitweilige Abwesenheit vom Arbeitsplatz besprochen werden. 5.4.1.1 Die Leistungsrestriktion Die Leistungsrestriktion wurde im Kontext der sozialen Anreize bereits untersucht. Das Phänomen selbst wurde im Feld und im Experiment vielfältig beobachtet und analysiert (Mathewson, 1931; Roethlisberger & Dickson, 1939; Coch & French, 1948; Schachter, Ellertson, McBride & Gregory, 1951; Berkowitz, 1954; Seashore, 1954; Likert, 1961). Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse legen unter motivationspsychologischem Aspekt die Vermutung nahe, daß es vor allem die Furcht des einzelnen ist, von den übrigen Mitgliedern einer Gruppe nicht mehr akzeptiert zu werden, wenn er die niedrigen Leistungsnormen dieser Gruppe nicht mehr einhält, die seine niedrigen Leistungen bedingen. Insofern erweist sich hohe Kohäsion der Gruppe bei niedrigen Leistungsnormen der Gruppe als wesentlichste Voraussetzung der Leistungsrestriktion. Diese Interpretation impliziert somit Weg-Ziel-Annahmen, die den motivationspsychologischen Grundlegungen dieses Buches entsprechen. Die angemessene Vorgehensweise zur Vorhersage und Analyse der Leistungsrestriktion müßte somit an dem Ansatz orientiert sein, den Georgopoulos, Mahoney und Jones (1957) vorgelegt haben. Hier wurde unter anderem geprüft, wie wesentlich dem einzelnen das Akzeptiertwerden durch die Kollegen ist und in welchem Maße die Leistung sei es in positivem oder negativem Sinn - als Weg zum Erreichen des genannten Zieles angesehen wird. Bei hoher Bewertung des Akzeptiertwerdens und bei der Wahrnehmung des instrumentellen Charakters niedriger Leistung auf dem Wege zu diesem Ziel wäre also Leistungsrestriktion wahrscheinlich. Ergänzend müßte - geht man von den zuvor angesprochenen Annahmen aus - jedoch untersucht werden, für wie wahrscheinlich es generell gehalten wird, auf bestimmte Weise das Ziel erreichen zu können. Es ist denkbar, daß ein einzelner zwar in der reduzierten Leistung den einzig möglichen Weg sieht, die Zuwendung seiner Kollegen zu gewinnen, jedoch erhebliche Zweifel hat, ob ihm das überhaupt gelingen kann. Die Intention zur Leistungsrestriktion könnte dadurch entscheidend bestimmt sein. Es ist außerdem offensichtlich, daß die Frage nach der Bedeutsamkeit nur eines Motivziels des Akzeptiertwerdens durch die Kollegen - unzureichend ist. Georgopoulos, Mahoney und Jones untersuchten darüber hinaus die Ziele Aufstieg und finanzielle Verbesserung. Geht es um die motivationalen Grundlagen der Leistungsrestriktion, so wird man jedoch auch noch
5.4 Das Verhalten
363
andere Variablenaufgrund bisheriger empirischer Befunde und theoretischer Erwägungen berücksichtigen müssen: etwa die Wertschätzung durch den Vorgesetzten, die Bewahrung der bisherigen Mitgliedsgruppe oder die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes. Gerade der letztgenannte Punkt kann die Komplexität der zu erwartenden Beziehungen verdeutlichen. Eine hohe Bewertung der Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes sagt noch wenig darüber aus, ob Leistungsrestriktion zu erwarten ist oder nicht. Die spezifische implizite Theorie des einzelnen kann dahin gehen, daß er glaubt, gerade durch eigene gute Leistungen den Arbeitsplatz sichern zu können. Keine Herabsetzung der Leistung wäre demnach zu erwarten, wenn nicht andere hoch bewertete Ziele dadurch gefährdet erscheinen müßten - etwa der unversehrte Erhalt der bisherigen Mitgliedsgruppe oder die Zuwendung der Kollegen. Es ist andererseits denkbar, daß der einzelne annimmt, durch hohe Leistungen Personaleinsparungen wahrscheinlicher und damit den eigenen Arbeitsplatz unsicherer zu machen, was eine Neigung zu gesenkter Leistung nach sich ziehen würde. Die Untersuchung der Frage nach dem wahrgenommenen instrumtellen Charakter der Leistung beim Erreichen einer Vielzahl von Zielen ließe zugleich die Konfliktdynamik bei der Leistungsrestriktion des einzelnen erkennen. So mag ein Mitglied einer Gruppe mit geringen Leistungsnormen der hohen Leistung keinerlei instrumentellen Charakter für das Erreichen irgendwelcher von ihm hoch geschätzter Ziele zubilligen, während er die geringe Leistung als förderlich für das Erreichen des von ihm als bedeutsam erachteten Ziels ansieht, sich die Freundschaft der Kollegen zu erhalten. Die Leistungsrestriktion ist in diesem Falle weitgehend konfliktfrei motiviert. Ein anderer dagegen billigt der hohen Leistung instrumentellen Charakter beim Erreichen der ihm wesentlichen Ziele Gehaltserhöhung, Aufstieg und Sympathie des Vorgesetzten zu, der geringen Leistung dagegen in bezug auf Freundschaft der Kollegen, Erhalt der bisherigen Gruppe, Durchsetzung von Verbesserungen am Arbeitsplatz. Diese Punkte erscheinen ihm insgesamt wichtiger oder auch erreichbarer, so daß er geringe Leistung erbringt und nicht zum Normbrecher wird. Die Leistungsrestriktion ist jedoch bei ihm konflikthafter motiviert, wodurch sich zugleich Maßnahmen andeuten, wie seine Leistungsverweigerung zu überwinden wäre. 5.4.1.2 Die Fluktuation Abwesenheit vom Arbeitsplatz ist ein weiterer allgemein stark beachteter Punkt bei der Analyse normkonträren Verhaltens. Diese Abwesenheit kann dauerhaft erfolgen und zwar durch die Kündigung, wobei Kündigung vonseitendes Arbeitsnehmers hier allein interessiert.
364
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
Aus diesen Kündigungen ergibt sich - bezogen auf einen bestimmten Zeitraum- im Regelfall ein Jahr- die Fluktuationsrate einer Organisation. Die Abwesenheit vom Arbeitsplatz kann auch kurzfristig erfolgen, etwa durch erhebliche Krankheit, leichte Krankheit, die das Ausüben der Arbeit noch als angemessen erscheinen ließe, vorgetäuschte Krankheit oder andere Gründe. Die Krankheit kann auch bewußt oder - folgt man tiefenpsychologischen Überlegungen - unbewußt intendiert und durch einen Unfall am Arbeitsplatz herbeigeführt werden. Auch noch kürzere Abwesenheit- etwa bedingt durch spätes Erscheinen am Arbeitsplatz- kann unter diesem Aspekt gesehen werden. Durch die Berechnung der Zeitmenge - meist in Tagen ausgedrückt -der Abwesenheit vom Arbeitsplatz bei bestehendem Arbeitsverhältnis je Zeiteinheit - meist ein Jahr- ergibt sich ein Index der Fehlzeiten für das einzelne Organisationsmitglied, für Arbeitsgruppen oder auch für die Organisation als Ganzes. Hier soll zunächst die Fluktuation untersucht werden. Aus dem diskutierten Weg-Ziel-Ansatz, wie ihn das kognitive Motivationsmodell Vrooms (1967) nahelegt, ergibt sich, daß ein Individuum die Abwesenheit am Arbeitsplatz dann vorziehen wird, wenn es sie als besseres Mittel zum Erreichen hoch bewerteter Ziele ansieht, als die Anwesenheit an einem anderen Ort zur entsprechenden Zeit. Unter diesem Gesichtspunkt soll die Fluktuation betrachtet werden. Empirische Evidenz für eine Weg-Ziel-Interpretation der Fluktuation liegt, wie bereits aufgezeigt, vor. Farris (1971) konnte nachweisen, daß die Kündigungswahrscheinlichkeit bei Personen größer ist, die annehmen, auf diese Weise ihre Karriere besser zu fördern. Man darf also interpretieren, daß sie die Meinung vertreten, durch Anwesenheit am bisherigen Arbeitsplatz mit geringerer Wahrscheinlichkeit den Aufstieg zu erreichen, als durch Anwesenheit an einem andere Arbeitsplatz. Generell läßt sich folgern, .daß das Erreichen wesentlicher Ziele am Arbeitsplatz, Bedürfnisbefriedigung also, Zufriedenheit herbeiführen dürfte. Der Arbeitsplatz wird als Mittel gesehen, diese Zufriedenheit herbeizuführen, was zugleich bedeutet, daß ihm gegenüber eine positive Einstellung entwickelt wird. Um durch die Anwesenheit am Arbeitsplatz diese Zufriedenheit weiterhin zu erreichen, wird er behalten, also eine Kündigung nicht ausgesprochen. Je größer die Zufriedenheit, desto geringer dürfte also die Fluktuationsrate sein. Empirische Untersuchungen sprechen auch recht eindeutig für diese Annahme. Giese und Ruter (1949) fanden eine Korrelation von- 0.42 zwischen der Zufriedenheit und der Fluktuationsrate in einer Untersuchung an 25 Abteilungen einer Dienstleistungsorganisation. Weitz und Nuckels (1953) fanden, wie bereits beim Vergleich der direkten mit den indirekten Methoden dargestellt, im Rahmen einer schriftlichen Massenbefragung an Ver-
5.4 Das Verhalten
365
Sicherungsvertretern Korrelationen in erwarteter Richtung zwischen Zufriedenheitskriterien und der Fluktuation, die allerdings nur bei den mit den direkten Verfahren ermittelten Zufriedenheitskriterien signifikant waren. Nachfolgende Untersuchungen von Weitz und Nuckols (1955) zeigten bei einer Gegenüberstellung der Zufriedenheitskriterien von jeweils 99 Personen, die gekündigt bzw. nicht gekündigt hatten, deutliche Unterschiede in der erwarteten Richtung. So gaben etwa 56 OJo der Bleibenden an, Freiheit von Überwachung bei der Arbeit festzustellen, während nur 34 °/o der Kündigenden dieser Auffassung waren. Auf der anderen Seite beklagten nur 27 0Jo der Bleibenden die Unsicherheit beim Aufbau der beruflichen Position, während 47 OJo der Kündigenden dies beklagten. In ähnlichem Verhältnis standen die Daten zu einer Vielzahl anderer Kriterien zueinander. Weitz (1956) führte diese Arbeiten in interessanter Weise weiter, indem er den Aspekt der Erwartung experimentell unter Kontrolle zu bringen suchte. Eine Versuchsgruppe von 226 Bewerbern einer Versicherungsgesellschaft erhielt ein Informationsbüchlein, in dem realistisch über den beruflichen Alltag informiert wurde. 248 Personen einer Kontrollgruppe erhielten diese Information nicht. Die Untersuchung dauerte sechs Monate; in jedem der Monate lag der Ofo-Satz der Kündigungen in der Kontrollgruppe über dem entsprechenden in der Experimentiergruppe. Insgesamt kündigten 19 OJo der Mitglieder der Experimentiergruppe gegenüber 27 fl/ o der Mitglieder der Kontrollgruppe - ein Ergebnis, das sich als signifikant erwies. "Insgesamt ergab sich eine Verringerung der Kündigungsrate um rund 30 Ofo, ein für die Unternehmung bedeutungsvoller Wert" (S. 246). Man darf vermuten, daß das Informationsbuch angemessene Erwartungen, die als kognitiv repräsentierte Motivziele interpretiert werden können, setzte. Diese Ziele konnten durch das Beibehalten der Position eher erreicht werden als die vermutlich weniger realistischen Ziele der Mitglieder der Kontrollgruppe. Differenzierte Hinweise - die allerdings ebenfalls nur einen Aspekt der Ursachen der Kündigung herausstellen - enthält eine Untersuchung von Wickert (1951). Der Autor untersuchte annähernd 600 junge weibliche Angestellte, indem er biographische Daten, Persönlichkeitszüge - insbesondere Hinweise für neurotische Tendenzen - und Einstellungen zu verschiedenen Aspekten der Arbeit erhob. Entsprechende Daten wurden ebenfalls für solchf" Personen gewonnen, die gekündigt hatten. Diese Daten wurden als Prediktoren, die Kündigung als Kriterium interpretiert. Die Ergebnisse zeigten, daß sich vor allem die Auffassung, Einfluß auf Entscheidungen, die die eigene Arbeit betreffen, zu haben, als trennscharf erwies. "Diese Ergebnisse bezüglich der Einstellungen jener, die in der Unternehmung verblieben, im Vergleich zu denen Jener, die kündigten, können in der Aussage zusammengefaßt werden, daß eine klare und deutliche Differenz darin bestand, daß die Mädchen, die nicht kündigten, stärker
366
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
mit ihrer Arbeit identifiziert zu sein schienen. Sie hatten das Gefühl, die Möglichkeit zu haben, Entscheidungen über ihre Arbeit zu treffen und zum Erfolg der t:nternelunung beitragen zu können .. . Hier liegt ein Stück empirischer Bestätigung zugunsten der Demokratie in der Wirtschaft" (S. 196 f.). Nicht auszuschließen ist bei dieser Studie jedoch, daß die ungünstigen nach der Kündigung angegebenen Mitentscheidungsmöglichkeiten aus dem Abbau kognitiver Dissonanz nach der Trennung von der Unternehmung erwuchsen. Diese mögliche Fehlerquelle vermeidet eine Untersuchung von Ross und Zander (1957). Die Autoren untersuchten 2 680 weibliche Arbeiter aus 48 Abteilungen einer großen Unternehmung mit Hilfe eines Fragebogens. In der darauf folgenden Viermonatsperiode kündigten 169 Personen. Diese wurden mit einer parallelisierten Gruppe, die der Gesamtgruppe der im Arbeitsverhältnis verbliebenen Untersuchten entnommen wurde, verglichen. Auch hierbei zeigte sich, daß jene, die dann später kündigten, mit dem Grad ihrer Autonomie, ihrer Mitentscheidungsmöglichkeit, aber auch mit dem Ausmaß der Anerkennung, die sie fanden, besonders unzufrieden waren. Negative Korrelationen zwischen der Kündigungsrate und der Zufriedenheit wurden von Kerr, Koppelmeir und Sullivan (1951) sowie Fleishman, Harris und Burtt (1955) gefunden. Herzberg, Mausner, Peterson und Capwell (1957) weisen in ihrem Sammetreferat auf weitere Untersuchungen hin, die diese Ergebnisse stützen. Die höhere Wahrscheinlichkeit der Kündigung auf Unzufriedenheit bleibt auch dann bestehen, wenn äußere Einflußvariablen kontrolliert werden (Hulin, 1966). Besonders eindrucksvoll läßt sich der Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit und der Kündigungsrate aufweisen, wenn durch Variation objektiver situativer Gegebenheiten die Zufriedenheit gesteigert und die Kündigungsrate zugleich gesenkt werden kann. So berichtet Hulin (1968), daß durch Modifikation der Aufstiegs- und Entlohnungspolitik für weibliche Verwaltungsangestellte die Zufriedenheit gesteigert und die Kündigungsrate um annähernd 20 Ofo gesenkt werden konnte. Nicht auszuschließen ist allerdings in diesem Fall ein "Hawthorne-Effekt", d. h. steigende Zufriedenheit verbunden mit sinkender Fluktuation, weil bei den Angestellten der Eindruck entstand, daß überhaupt etwas getan wird. Der immer wieder anzutreffenden - und innerhalb des theoretischen Ansatzes auch zu erwartenden - negativen Beziehung zwischen der Zufriedenheit und der Kündigungsrate wegen ist es naheliegend, auf der Grundlage von Zufriedenheitsdaten individuelle Kündigungsvorhersagen zu machen. So fanden Taylor und Weiss (1969), daß 64 Ofo der Personen, die als potentielle "Kündiger" eingestuft wurden, im Beobachtungszeitraum tatsächlich kündigten, gegenüber knapp 20 Ofo de.r
5.4 Das Verhalten
367
als "Bleiber" eingestuften. Weitere empirische Untersuchungen zur Korrelation von Zufriedenheit und Kündigungsrate zitiert Neuherger (1974 b). Es ist allerdings zu bedenken, daß die Kündigung nicht ausschließlich durch die Unzufriedenheit determiniert wird. Überdauernde Persönlichkeitszüge scheinen ebenfalls die Kündigungswahrscheinlichkeit stark zu beeinflussen. Personen, die zur Kündigung neigen, sind eher aggressiv, unabhängig, extrovertiert, verstandesbetont, originell und künstlerisch, während Personen, die ihren Arbeitsplatz behalten, als ruhig, anpassungsbereit, realistisch, ernst und familiär gebunden beschrieben werden (vgl. Athanasiou, 1969, S. 92). Das Überwiegen einer der so klassifizierten Gruppen innerhalb einer Organisation kann bei unkritischer Analyse zu Fehleinschätzungen hinsichtlich der zufriedenheitsrelevanten Variablen der Organisation führen. Auch situative Bedingungen sind mitzubeachten. Das gilt insbesondere für die wirtschaftliche Situation. Dies zeigt eine Untersuchung von Berendt (1953) in Westeuropa. Die Autorin untersuchte Fehlzeiten und Kündigungen in 55 Fabriken in Großbritannien. Erfaßt wurden die Daten von etwa 38 000 Männern und 14 000 Frauen. Fehlzeiten- und Kündigungsdatenzweier wirtschaftlich unterschiedlicher Perioden werden einander gegenübergestellt: Die Daten aus einer Zeit von annähernd gegebener Vollbeschäftigung und die Daten aus einer Zeit mit vergleichsweise hoher Arbeitslosenzahl. Zwischen der Arbeitslosenzahl und dem Maß für Fehlzeiten und für Kündigungen fand sich ein umgekehrt proportionales Verhältnis. Die Autorin empfiehlt, bislang übliche Interpretationen von Kündigungen und Fehlzeiten unter dem Aspekt des genannten Ergebnisses mit anderen Augen zu sehen und die innerbetriebliche Einflußgröße nicht überzubewerten. Zwar lassen sich unterschiedliche Fluktuationsraten bei unterschiedlichen Arbeitsmarktlagen oder auch nur der Erwartung sich verändernder Arbeitsmarktlagen grundsätzlich motivationspsychologisch erklären. Die Bewertung jener Belohnungen, die der bisherige Arbeitsplatz bietet, fällt in Abhängigkeit von der Arbeitsmarktlage unterschiedlich aus. Belohnungen, die bei geringer Arbeitslosenzahl als selbstverständlich angesehen werden, gewinnen bei steigender Arbeitslosenzahl an Wert, während zugleich die subjektive Wahrscheinlichkeit, einen anderen oder gar befriedigenderen Arbeitsplatz zu finden, sinkt. Unterschiedliches Kündigungsverhalten ist bei einem motivationspsychologischen Erklärungsansatz zu erwarten. Dennoch macht die Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage den Vergleich der Fluktuationsraten als Kriterien der Zufriedenheit zu verschiedenen Zeitpunkten oder zwischen verschiedenen Regionen oder Branchen problematisch, wenn nicht gar unmöglich. Dies liegt besonders daran, daß Zufriedenheitsmaße vor allem innerbetriebliche Variablen berücksich-
368
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
tigen, während die Arbeitsmarktlage eine außerbetriebliche Variable darstellt, die allerdings möglicherweise die Wahrnehmung innerbetrieblicher Variablen beeinflußt. Der Warnung von Berendt kommt daher erhebliches Gewicht zu. So gewichtig die Auffassung dennoch erscheint, die Kündigung als letzte Konsequenz der Unzufriedenheit- verbunden mit der Hoffnung, an anderem Ort höhere Befriedigung zu finden zu interpretieren, so schwerwiegend müssen die Bedenken gegen einen ausschließlich motivationspsychologischen Erklärungsansatz erscheinen. Häufig dürfte die Kündigung motivationspsychologisch nicht sinnvoll zu interpretieren sein, da sie durch äußere Ereignisse bedingt ist und dem Individuum objektiv und subjektiv die Freiheit nimmt, sich anders zu verhalten. Man denke etwa an Kündigung, die bei Frauen, bedingt durch die Geburt eines Kindes, bei jungen Männern, bedingt durch den Einzug zum Militär, oder bei "abhängigen" Familienmitgliedern, bedingt durch Wohnungswechsel des Familienoberhauptes, ausgelöst wird. Bass und Barrett (1972, S. 102) verweisen denn auch darauf, daß die Beziehung zwischen der Kündigungsrate und der Unzufriedenheit besonders hoch ist, wenn "vermeidbare" Kündigung differenziert betrachtet wird und von der "unvermeidbaren" abgehoben wird. 5.4.1.3 Die Fehlzeiten Unzufriedenheit muß sich- wenn sie sich in der Distanzierung vom Arbeitsplatz niederschlägt- nicht immer in der Kündigung ausdrücken, sondern sie kann auch kurzfristige Abwesenheit vom Arbeitsplatz sein. Übereinstimmend werden daher auch die Fehlzeiten in einer Organisation als Zufriedenheitskriterium interpretiert (vgl. z. B. Anastasi, 1964; Bass, 1965; Vroom, 1967; Blum & Naylor, 1968 ; Bass & Barrett, 1972). Ähnlich wie bei der Kündigung scheint es jedoch auch bei den Fehlzeiten ratsam zu sein, zwischen vermeidbaren und unvermeidbarenvor allem durch schwerwiegende Krankheit bedingten - Fehlzeiten zu differenzieren. Besonders deutlich macht dies die bereits zitierte Untersuchung von Kerr, Koppelmeir und Sullivan (1951). Die Autoren fanden bei undifferenzierter Betrachtungsweise zwischen den Fehlzeiten und der Zufriedenheit eine positive Korrelation. Die erwartete negative Beziehung - in der Höhe von - 0.42 - fand sich jedoch dann, wenn ausschließlich die unentschuldigten Fehlzeiten berücksichtigt wurden. Eine positive Beziehungen zwischen den undifferenziert betrachteten Fehlzeiten und der .Zufriedenheit erscheint dann nicht unplausibel, wenn man bedenkt, daß ein längerfristig Kranker, dessen Arbeitsplatz erhalten bleibt, zur Abmilderung der sich daraus ergebenden kognitiven Dissonanz positive Einstellungen der Organisation gegenüber entwickelt.
5.4 Das Verhalten
369
Aus dieser Heterogenität der Gründe von ·Fehlzeiten heraus ist es verständlich, daß hier wenig differenzierende Untersuchungen nicht die erwartete deutlich negative Korrelation zwischen den Fehlzeiten und der Zufriedenheit nachweisen, sondern geringere oder stark streuende Beziehungen deutlich werden lassen. So kann beispielsweise bereits eine Grippewelle im Untersuchungszeitraum zu gänzlich verzerrten Ergebnissen führen (vgl. auch Neuberger, 1974 b). Ein Beleg für die geringen, um Null streuenden Korrelationen bei undifferenzierter Betrachtungsweise sind die von Mann, Indik und Vroom (1963) an 28 Gruppen von Fahrern und 24 Gruppen von Einordnern (vgl. hierzu Beleg 45 im Kontext der Diskussion der Gruppengröße) gefundenen Werte zwischen + 0.14 und - 0.32. Dennoch scheinen selbst bei nicht differenzierender Betrachtungsweise - negative Korrelationen innerhalb der bisher durchgeführten Untersuchungen zwischen den Fehlzeiten und der Zufriedenheit zu überwiegen (vgl. Vroom, 1967, S. 178 f.). Korrelationskoeffizienten in der Höhe von 0.25 (Fleishman, Harris & Burtt, 1951), 0.31 (Van Zelst & Kerr, 1953) sowie 0.38 (Harding & Bottenberg, 1961) zwischen den Fehlzeiten und dem Zufriedenheitskriterium in erwarteter Richtung werden mitgeteilt. Mann und Baumgartel (1953) berichten, daß Arbeiter um so seltener fehlten, je stärker sie sich als Teil der Gruppe fühlten und je stärker sie der Auffassung waren, daß die Gruppe einen guten Teamgeist habe und je größer ihre allgemeine Arbeitszufriedenheit ist. Patchen (1960) untersuchte in einer Ölraffinerie motivationale Gründe der Fehlzeiten. Er ging dabei besonders der Frage nach, ob die Befragten, die keine Führungspositionen innehatten, der Meinung waren, weiteren Aufstieg verdient zu haben oder nicht. "Es zeigte sich klar, daß Männer, die sich in bezug auf den Aufstieg fair behandelt fühlten, seltener abwesend waren als jene, die meinten, den Aufstieg verdient zu haben oder jene, die in dieser Beziehung Zweifel hatten. Die durchschnittliche Zahl der Abwesenheit im Jahr lag bei Männern, die mit ihrer Behandlung zufrieden waren (1.60), signifikant unter der Abwesenheitszahl (2.33) jener, die sich unfair behandelt fühlten und auch signifikant unter der durchschnittlichen Abwesenheitszahl jener (2.31), die in diesem Punkt Unsicherheit äußerten" (S. 354). Selbst wenn man vermeidbare und unvermeidbare Fehlzeiten trennt, wie es aufgrund der Ergebnisse von Kerr, Koppelmeir und Sullivan zu fordern wäre, erscheint eine weitere Differenzierung bedeutsam und zwar die nach dem Arbeitsinhalt oder der hierarchischen Position, was weitgehend überlappen kann. Es ist ein naheliegender Gedanke, daß Tätigkeiten, die keinen oder nur geringen Freiheitsspielraum zulassen, wie etwa die Fließbandarbeit eines Angehörigen der untersten hierarchischen Ebene, bei Unzufriedenheit mit der Arbeit eine andere 24 Rosenstiel
370
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
Abwesenheitswahrscheinlichkeit herbeiführen, als die erheblichen Freiheitsspielraumzulassenden Tätigkeiten eines höheren Vorgesetzten. Der Fließbandarbeiter kann sich seiner Tätigkeit nur durch Abwesenheit vom Arbeitsplatz entziehen, der Vorgesetzte kann zwischen verschiedenen Tätigkeiten wählen und darüber hinaus unter Umständen trotz Anwesenheit am Arbeitsplatz der beruflichen Tätigkeit durch Tagträumen, Zeitunglesen oder Telefonieren ausweichen, d. h. er kann "aus dem Felde gehen" (Lewin). Metzner und Mann (1953) gingen den hier angeschnittenen Fragen in einer empirischen Studie nach und fanden, daß die erwartete negative Beziehung zwischen der Zufriedenheit und der Abwesenheitsrate bei Angestellten niedriger hierarchischer Ebenen und Arbeitern anzutreffen war, jedoch nicht bei höheren Angestellten (vgl. Beleg 49). Beleg 49 Wer fehlt bei Unzufriedenheit? Metzner und Mann führten ihre Untersuchung in zwei Teilen äurch. Die erste Untersuchung umfaßte 163 männliche und 212 weibliche Angestellte ("white collar") der Buchhaltung einer stromerzeugenden Unternehmung. Die zweite Studie umfaßte 251 Arbeiter ("blue collar"), die zum Teil qualifizierte Elektroarbeiten, zum Teil einfachere Arbeiten ausführten. Als wichtigste Ergebnisse innerhalb der Vielzahl der Einzelbefunde zeigten sich: 1. Die negative Korrelation zwischen den Einstellungen der Arbeiter und
der Abwesenheit steigt an, wenn man als Abwesenheitskriterium nicht die Zahl der Abwesenheitstage zählt, sondern die Anzahl von Abwesenheitsperioden, also die Frequenz der Abwesenheit. Die Autoren interpretierten das Ergebnis dahingehend, daß durch dieses Verfahren das Gewicht von krankheitsbedingten Fehlzeiten minimiert, das Gewicht anderer Fehlzeiten maximiert wird. 2. Teilte man die Gruppe der männlichen Angestellten nach der Höhe ihrer beruflichen Stellung auf, so fand man für die Gruppe in gehobener Position keine negative Korrelation, während sie für die Gruppe in einfacher Position deutlich ausgeprägt war. Das Ergebnis ließe sich recht plausibel dahingehend interpretieren, daß Personen in gehobener Position andere Möglichkeiten als die Abwesenheit haben, um aus dem Felde zu gehen - etwa Zeitunglesen oder verlängerte Mittagspause. 3. Bei weiblichen Angestellten fand sich keine negative Korrelation zwischen Einstellung und Abwesenheit. Auch bei Aufteilung der Gruppe der weiblichen Angestellten konnte kein signifikantes Ergebnis, das jenen bei den Männern entsprochen hätte, nachgewiesen werden. Auch andere Unterschiede waren nicht feststellbar. Die Autoren neigen zu der Interpretation, daß für Frauen im Regelfall die Arbeit ein weniger bedeutsamer Faktor als andere Lebensumstände ist und somit die Abwesenheitsrate weit stärker von privaten Umständen abhängt. Möglicherweise aber könnten ähnliche Ergebnisse wie bei den Männern bei älteren berufstätigen Frauen und karrierebewußten Frauen gefunden werden.
5.4 Das Verhalten
371
Insgesamt erscheint den Autoren aufgrund ihrer Untersuchung die Generalisierbarkeit der Aussage, daß Umufriedenheit die Abwesenheitswahrscheinlichkeit erhöht, fragwürdig. Metzner, H. & Mann, F.: Employee attitudes and absences. Personnel. Psychol. 6, 1953, 467 - 485. Wie insgesamt bei Verhaltensweisen muß auch bei Fehlzeiten gesehen werden, daß sie nicht ausschließlich motivational determiniert sind. ffiich (1965) hat in seiner differenzierten zusammenfassenden Arbeit eine Vielzahl von Faktoren genannt, die in Verbindung mit den Fehlzeiten stehen und die von persönlichen li'aktoren wie Lebensalter, Geschlecht und Familienstand über die Länge des Arbeitsweges, die Betriebszugehörigkeit, die Ausbildung, Funktion und Leistung, periodische Einflüsse, die Arbeitszeit, finanzielle Einflußgrößen bis zu sozialpsychologischen Faktoren reichen. Nun ist es einerseits durchaus denkbar, als intervenierende Variable zwischen diesen Größen und den Fehlzeiten Unzufriedenheit anzunehmen. Es ist jedoch ebenfalls denkbar, dort wo die Unzufriedenheit und die dadurch bedingte Motivation als Ursache der Fehlzeiten nur allzu plausibel erscheinen, bewußt nach Alternativerklärungen zu suchen. Die beim heutigen Forschungsstand vielleicht gewichtigste ist die, daß Unzufriedenheit nicht zu einem motivierten Fernbleiben vom Arbeitsplatz führt, sondern Krankheit bedingt, die ihrerseits Ursache des Fernbleibens vom Arbeitsplatz ist. So schreibt Dahrendorf (1959), daß betriebliche Konflikte nicht zu willkürlicher Abwesenheit, sondern zu echter Krankheit führen. Die Psychoanalyse hat die Flucht in die Krankheit schon früh als einen möglichen unbewußt motivierten Weg beschrieben, sich Konflikten oder anderen unangenehmen Situationen zu entziehen. Auch Bass und Barrett (1972, S. 104) stimmen dem zu, indem sie darauf verweisen, "daß es gewisse Bestätigung dafür gibt, daß jene Arbeiter, die bei der Arbeit unglücklich sind, biochemische Veränderungen erleiden, die sie zur Krankheit prädisponieren können". Die Autoren verweisen auf eine Reihe empirischer Studien, die in diesem Sinne interpretierbar erscheinen. 5.4.1.4 Die Unfallhäufigkeit Es darf als unwahrscheinlich gelten, daß ein an seinem Arbeitsplatz unzufriedenes Individuum bewußt einen Unfall herbeiführt, um sich für längere Zeit vom Arbeitsplatz zu distanzieren. Wer jedoch tiefenpsychologischen Überlegungen nahesteht, wird annehmen können, daß Unfälle im Sinne von Fehlhandlungen (vgl. Freud, 1904) unbewußte motivationale Tendenzen realisieren, die darauf abzielen, sich vom Arbeitsplatz zu entfernen. 24*
372
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
Diese Realisierung dürfte dann um so eher gelingen, je mehr die Konzentration des einzelnen- etwa bedingt durch Unzufriedenheitherabgesetzt erscheint. Innerhalb eines so gearteten Erklärungsansatzes wäre der Unfall Ziel eines nicht voll bewußten motivierten Verhaltens. Abgesehen sei dabei von der Unfallneigung als nicht intendierter Begleiterscheinung spezifisch motivierten Verhaltens am Arbeitsplatz, wie es die Diskussion um die individuelle Prädisposition zum Unfall (vgl. Burkhard, 1970, S. 399) in den Vordergrund rückt. An der in diesem Sinne indirekt motivational bedingten Neigung zum Unfall kann kaum ein Zweifel bestehen. So konnten - um ein Beispiel zu nennen - Drösler und Ehlers (1963) nachweisen, daß die Unfallhäufigkeit von Personen mit hoher Risikobereitschaft und geringer Leistungsmotivation signifikant größer ist als die Unfallhäufigkeit von Personen mit geringer Risikobereitschaft und geringer Leistungsmotivation, während die Risikobereitschaft bei hoher .Leistungsmotivation hinsichtlich der Unfallhäufigkeit nicht differenzierte. Hier soll die Frage auf jene Situationen eingeengt werden, innerhalb derer der Unfall intendiert sein könnte, d. h. in denen der Unfall- wenn vielleicht auch nicht klar bewußt - als Mittel zu Zwecken angesehen wird, die attraktiver erscheinen als die Anwesenheit am Arbeitsplatz. Hill und Trist (1953) haben diesen Gedanken besonders betont. Sie neigen dazu, die motivationale Determiniertheit des Unfalls ähnlich zu interpretieren, wie die der Kündigung oder der Abwesenheit. Zur Stützung ihrer Vermutung untersuchten sie entsprechende Verhaltensweisen in einem englischen Stahlwerk mit annähernd 3 500 Mitarbeitern an 289 Personen. Diese gehörten nach einer Dienstzeit von vier Jahren noch der Firma an und konnten deshalb als stabilisierte Arbeitspopulation beschrieben werden, die dem Unfallrisiko innerhalb einer gleichen technischen und sozialen Umwelt über eine Zeitperiode hinweg ausgesetzt ist, in der sie ihre Aufgaben bewältigt und kennt. Sieht man bei dieser Gruppe Unfälle als direkt motivierte Formen des Fernbleibens vom Arbeitsplatz bei bestehendem Arbeitsverhältnis an, so ist zu erwarten, daß die Unfälle mit anderen Formen der Fehlzeiten verbunden sind. Die Vermutung bestätigte sich. Jene Personen, die Unfälle hatten, fehlten auch häufiger aus anderen Gründen, als jene, die unfallfrei blieben. Bei Differenzierung der Abwesenheitsformen ergab sich eine weitere Stützung der Grundannahme. Wie vorhergesagt, waren die Unfälle geringer mit jenen Abwesenheitsformen korreliert, die vorheriger Genehmigung bedurften, also den Organisationsnormen widersprachen, als mit jenen Abwesenheitsformen korreliert, die "unverschuldet" und "unvorhersehbar" auftraten, also nicht auf Sanktionen treffen. "Unfälle zu haben, krank zu werden oder sich freiwillig zu absentieren, kön·
5.4 Das Verhalten
373
nen unterschiedliche Formen negativer Reaktionen sein, die eine schlechte Beziehung (zur Organisation) beinhalten; diese können auf verschiedene Weisen im Individuum entstehen, die nicht voll eingestanden werden. Die Beziehung zwischen den beiden erstgenannten Formen der Abwesenheit, die als ,unfreiwillig' wahrgenommen werden, mit der letztgenannten, die als ,freiwillig' wahrgenommen wird, legt den Gedanken nahe, daß Krankheit und Unfall jeweils Formen motivierten Verhaltens sind, die jedoch als unbewußt motiviert angesehen werden müssen" (S. 377).
Stagner, Flebbe und Wood (1952) fanden Korrelationen bei Untersuchungen auf Gruppenniveau von r = - 0.42 (Rangkorrelation - 0.51) zwischen der Zufriedenheit und der Unfallhäufigkeit bei 10 Bereichen der Eisenbahn, bei 12 weiteren Untergliederungen lag der entsprechende Wert bei r = - 0.23 (Rangkorrelation = - 0.02). Betrachtete man die 7 größten dieser Untergliederungen mit jeweils über 500 Mitgliedern getrennt, so stieg der Wert auf r = -0.33 (Rangkorrelation = - 0.25). Diese Ergebnisse könnten zur Stützung der Vermutungen von Hill und Trist zitiert werden. Die Autoren selbst interpretieren sie jedoch wie folgt: "Die Eisenbahngesellschaften haben viel Energie investiert, um die Arbeit sicherer zu machen, und die Unfälle sind in ihrer Häufigkeit beständig abgesunken. Sie sind trotz allem für die Arbeiter wichtig geblieben. Wir waren daher interessiert daran, zu erkunden, ob die Unfallrate einer Gruppe von Arbeitern zuverlässig mit dem mittleren Zufriedenheitswert verbunden ist ... In jedem Fall waren die gefundenen Korrelationen negativ ... Wir vertrauen daher der Schlußfolgerung, daß Arbeit in einer Gruppe mit hoher Unfallrate dazu führt, den einzelnen Arbeiter ängstlich zu machen und die Zufriedenheit mit seiner Arbeit zu reduzieren" (S. 304 f.). Wichtig in dieser Diskussion um das UrsacheWirkungsverhältnis erscheint, daß man sich nicht auf die Alternative Unfallwahrscheinlichkeit ist Ursache der Unzufriedenheit gegen Unzufriedenheit ist Unfallursache festlegen läßt. Denkbar und plausibel ist natürlich auch jener Fall, der eine dritte Variable als bedingende beider ausweist. Es kann beispielsweise die Art der Arbeit zum einen Unzufriedenheit bedingen, zum anderen aber auch vermehrte Unfälle verursachen. Fleishman, Harris und Burtt (1955) fanden in ihrer schon mehrfach zitierten Untersuchung keine nennenswerte Korrelation zwischen der Unfallhäufigkeit und der Zufriedenheit. Auf der anderen Seite referiert Bass (1965, S. 37) Interviewstudien, mit Hilfe derer eine Beziehung zwischen Schwankungen der Unfallrate und Schwankungen der Stimmungslage der Interviewten nachgewiesen wurde. Eine Untersuchung von Kerr (1950) ließe sich ebenfalls dahingehend interpretieren, daß Unzufriedenheit die Unfallhäufigkeit steigert. Der Autor korrelierte 40 Merkmale der Organisation, die in 53 Abteilungen
374
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
einer Unternehmung der Elektrobranche ermittelt wurden, mit der Unfallhäufigkeit und der Unfallschwere als 41. und 42. Merkmal. Die Häufigkeit der Unfälle korreliert signifikant negativ mit der Mobilität innerhalb der Unternehmung, der Aufstiegswahrscheinlichkeit und positiv mit dem Lärmniveau und schließlich der Schwere der Unfälle, während die Schwere der Unfälle neben Merkmalen, die das Geschlechts- und das Altersverhältnis der Gruppe betreffen, negativ mit den eingebrachten Verbesserungsvorschlägen korreliert. Die negativen Korrelationen mit der innerbetrieblichen Mobilität, den Aufstiegschancen und den eingebrachten Verbesserungsvorschlägen ließen die Vermutung zu, daß Unzufriedenheit und Langeweile die Unfälle mitdeterminierten. Kerr fordert denn auch, daß innerhalb einer Organisation die psychologische Arbeitsumwelt unter dem Aspekt der Anreizgestaltung angereichert werden sollte. Ähnliche Ergebnisse fanden Keenan, Kerr und Sherman (1952) bei der Analyse der durch Unfall verlorenen Arbeitstage an 7 103 Personen, die 44 Abteilungen einer Traktorenfabrik angehörten. Der Beobachtungszeitraum umfaßte 5 Jahre. 10 Variablen wurden mit den Unfallkriterien korreliert. Berechnet wurden Partialkorrelationen. Neben Variablen der Arbeitsorganisation und des Arbeitsablaufs zeigten Aufstiegschancen und angenehmes Arbeitsmilieu die deutlichsten negativen Beziehungen zum Unfallkriterium. Burkhardt weist auf Arbeiten von Neuloh und Thiele (1967) hin, in denen negative Beziehungen zwischen der Lohnzufriedenheit und dem Unfallgeschehen namgewiesen wurden. Ergän~ende Information zur Beziehung zwischen Zufriedenheit und Unfallhäufigkeit gibt Neuherger (1974 b). Insgesamt darf also gesagt werden, daß gewisse empirische Evidenz für die Annahme einer negativen Korrelation zwischen der Zufriedenheit und der Unfallhäufigkeit vorliegt, die Beziehung aber keineswegs ganz eindeutig ist. Wichtiger noch als die Frage nach der Generalisierbarkeit dieser negativen Korrelation erscheint die Frage nach ihrer Interpretation. Müssen die Unfälle tatsächlich als sozial akzeptiertester Weg zur Abwesenheit vom Arbeitsplatz bei bestehendem Arbeitsverhältnis angesehen werden, wie Hili und Trist meinen? Das Ursache-Wirkungsverhältnis scheint durchaus fraglich. Vroom (1967, S. 180 f.) geht davon aus, daß Unfälle für die Betroffenen im Regelfall schmerzhaft und kostspielig sind, so daß nicht einzusehen sei, wieso sie als Weg gewählt werden sollen, sich einer unangenehmen Arbeitssituation zu entziehen. Die Neigung der Unzufriedenen, geringfügige Anlässe auszunutzen, um sich vom Arbeitsplatz zu entfernen, "bedeutet nicht, daß sie bewußt oder unbewußt motiviert sind, Unfälle zu haben". Vroom vertritt daher ähnlich wie Stagner, Flebbe und Wood- hinsichtlich des Ursache-Wir-
5.4 Das Verhalten
375
kungsverhältnisses eine umgekehrte Auffassung wie Hili und Trist, indem er meint, daß eine unfallträchtige Arbeitssituation die Zufriedenheit senkt. Diese Interpretation erscheint plausibel. Da jedoch fraglich bleiben muß, ob bei unbewußter Unfallmotivation die subjektiven Kosten des Unfalls rational mit dem subjektiven Gewinn der Abwesenheit vom Arbeitsplatz verglichen werden, kann eine auf den Unfall hinzielende Motivation- auch wenn sie wenig wahrscheinlich erscheint- nicht ausgeschlossen werden. Interessant erscheinen daher die von Burkhardt (1970, S. 404) genannten, an der Wirtschaftswerbung orientierten Slogans, die geeignet sein könnten, die Konsequenzen des Unfalls ins Bewußtsein zu heben und als subjektive Kosten deutlich werden zu lassen. Angesprochen können dabei beispielsweise das Bedürfnis nach Existenzsicherung und Existenzerweiterung- "Sicher arbeiten, besser leben"nach Anerkennung und Geltung - "Fachleute arbeiten so" - oder nach Schmerzvermeidung und körperlicher Unversehrtheit- "Für deinen Körper gibt es keine Ersatzteile"- werden. Ist eine Motivation zum Unfall in Leistungsorganisationen - von Extremfällen abgesehen, wenn etwa innerhalb des Heeres in Kriegszeiten durch Unfälle Selbstverstümmelungen herbeigeführt wurden - wenig wahrscheinlich wenn auch nicht auszuschließen, so ist eine spezifische Motivation, den Unfall zu vermeiden, durchaus wahrscheinlich und im Sinne des kognitiven Motivationsmodells leicht interpretierbar. Wer glaubt, durch das Vermeiden von Unfällen spezifische motivbefriedigende Ereignisse am Arbeitsplatz mit erhöhter Wahrscheinlichkeit herbeiführen zu können, wird Anstrengung zeigen, Unfälle zu vermeiden. Denkbar ist etwa, daß ein Individuum annimmt, durch die Vermeidung von Unfällen der Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes, dem beruflichen Aufstieg, der Zuwendung des Vorgesetzten oder dem Zusammenhalt der Arbeitsgruppe dienen zu können. Für die Wirkung der Sicherheit des Arbeitsplatzes auf die Unfallneigung nennt Burkhardt (1970, S. 408 f.) eine Reihe empirischer Belege: "Die Sicherheit des Arbeitsplatzes ist abhängig von der wirtschaftlichen Situation eines Betriebes oder eines Wirtschaftszweiges. Wirtschaftliche Situation und Unfallgeschehen entwickeln sich offenbar nicht unabhängig voneinander. (Ein Vergleich) der zeitlichen Entwicklung des Aktienindexes als ein Ausdruck für die Wirtschaftslage und die Entwicklung der Unfallhäufigkeit eines Hüttenbetriebes (zeigt) ein gewisses Ausmaß an Gleichartigkeit des Verlaufs ... Die Unfallhäufigkeit, insbesondere die Zahl der Ausfalltage, sinkt, wenn die wirtschaftliche Lage schlecht ist, bzw. steigt, wenn sie gut ist. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Faverge (1965), indem er den Haldenbestand mit den Kriterien des Unfallgeschehens korreliert. Die auf verfahrene Schichten 'bezogene Zahl der Unfälle korreliert negativ mit dem
376
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
Haldenbestand (r = - .69), die Unfallschwere dagegen positiv (r = .78). Diese Befunde sind über die psychologische Reaktion des Belegschaftsmitgliedes auf die mit der wirtschaftlichen Situation zusammenhängende Bedrohung des Arbeitsplatzes zu erklären. In Zeiten wirtschaftlicher Depression ist derjenige bedroht, der häufig fehlt". Dies erklärt auch die positive Korrelation mit der Unfallschwere. In Zeiten, in denen der Arbeitsplatz bedroht erscheint, werden nur schwere Unfälle gemeldet. Wenn sich aus dem Gesagten auch folgern läßt, daß spezifische motivationale Tendenzen, einen Unfall herbeizuführen denkbar und solche, einen Unfall zu vermeiden, wahrscheinlich sind, so muß man angesichts der Vielzahl nicht unmittelbar motivationaler Determinanten des Unfallgeschehens den direkten Einfluß der Motivation auf die Unfallhäufigkeit doch gering veranschlagen. Der objektiven Arbeitsumgebung, individuellen Fertigkeiten, der Ermüdung oder nicht direkt auf den Unfall bezogenem motiviertem Verhalten wie etwa der Risikobereitschaft oder dem Alkohol- und Drogengebrauch kommen vermutlich größere Bedeutung zu (vgl. Burkhardt, 1970, S. 385; Bass & Barrett, 1972, S. 464). 5.4.2 Normkonformes Verhalten
Schon die soeben besprochene Tendenz, Unfälle unter bestimmten wahrgenommenen Bedingungen explizit zu vermeiden, hätte als Verhalten im Sinne des Organisationsplanes und somit als normkonformes Verhalten dargestellt werden müssen. Es wurde lediglich der Geschlossenheit der Unfallthematik wegen gemeinsam mit der möglichen Neigung zum Unfall abgehandelt. Jenes Verhalten, das als normkonformes Verhalten innerhalb von Leistungsorganisationen besonderes Interesse gefunden hat, ist das Leistungsverhalten. Dabei wäre es durchaus möglich und sinnvoll, auch andere Formen normkonformen Verhaltens aufzuweisen, auf ihre motivationale Basis hin zu untersuchen und durch die Gestaltung gezielt anreizstiftender Bedingungen zu beeinflussen. Beispielsweise könnte die Betriebstreue untersucht und durch Bereitstellung von Werkswohnungen oder ein System progressiver Gewinnbeteiligung aktiviert werden (vgl. v. Rosenstiel, 1972). Es könnte auch die Gruppensolidarität analysiert und durch Mitbestimmung der Betroffenen bei der Gruppenzusammensetzung oder dem Arbeitsprogramm (vgl. Van Zelst, 1952; Bihl, 1973), durch Formen der Gruppenentlohnung (vgl. Babchuck & Goode, 1951) oder Gruppentraining (vgl. Gebert, 1972) gesteigert werden. Faktisch wird es jeweils an unternehmenspolitischen Entscheidungen der einflußreichen und hierarchisch hoch stehenden Personen in der Organisation liegen, welche Verhaltensweisen als normkonform und wesentlich erachtet werden, weshalb es nicht überraschen kann, daß in Leistungsorganisationen das Leistungsverhalten besondere Beachtung fand.
5.4 Das Verhalten
377
Da die vielfältigen Bedingungen des Verhaltens, von denen die Motivation nur eine ist, am Beispiel des Leistungsverhaltens abgehandelt wurden, muß darauf hier nicht noch einmal eingegangen werden. Lediglich einige Aspekte des auf Leistung gerichteten Verhaltens in Organisationen sollen aufgewiesen werden. Ein wesentlicher Aspekt liegt im Kriterium der Leistung. Während bei Arbeiten mit hoher Wiederholungsfrequenz, die aufgrund der Arbeitsteilung einfach strukturiert sind, Leistungskriterien relativ leicht definiert und die Leistung dann auch mit hoher intersubjektiver Übereinstimmung ermittelt werden kann, ist ein Leistungskriterium bei komplexen Tätigkeiten- etwa Führungsaufgaben- sehr viel schwerer zu definieren und die Leistung selbst schwerer an diesem Kriterium zu messen (vgl. v. Rosenstiel, Molt, Rüttinger, 1972, S. 82 f). Zwar kann auch die an der Stückzahl gemessene Leistung eines Akkordarbeiters in der Produktion, einer Schreibkraft oder eines Verkäufers hinsichtlich der Qualität unterschiedlich sein und wegen der jeweils gegebenen unterschiedlichen situativen Bedingungen die Vergleichbarkeit herabsetzen, doch erscheinen diese Schwierigkeiten gering, vergleicht man sie mit jenen, die entstehen, wenn man versucht, die Leistung eines leitenden Angestellten als Folge seines Verhaltens zu bestimmen. Die häufig mangelnde Eindeutigkeit des Leistungskriteriums kann nun zu höchst unterschiedlichen Wahrnehmungen der Leistung durch denjenigen, der sie bringt und andere Personen - etwa Angehörige höherer hierarchischer Ebenen - führen. Die mangelnde eindeutige Bestimmung der Leistung läßt ihre Wahrnehmung somit im Sinne von Frenkel-Brunswik (1949) stärker "person-centered" als "stimulus-centered" werden; d. h. die Wahrnehmung wird stärker durch Motivation und Einstellung der Person als durch die objektive Reizbeschaffenheit der Situation bestimmt. Die Wahrnehmung und Bewertung der Leistung wird somit im Extremfall zu einem projektiven Test (vgl. Hörmann, 1964; v. Rosenstiel, 1967) und sagt dann mehr über die wahrnehmende Person als über den wahrgenommenen Gegenstand aus. So ist etwa denkbar, daß eine mittlere Führungskraft die eigene Leistung als ausgesprochen gut ansieht, während eine mit dieser Person um den Aufstieg konkurrierende andere die gleiche Leistung als schwach wahrnimmt. Die Wünsche dieser beiden Personen ließen sich dabei möglicherweise aus ihren tendenziell verzerrten Wahrnehmungen diagnostizieren. Innerhalb einer kognitiven - am Weg-Ziel-Konzept orientierten Motivationstheorie muß diese mangelnde Möglichkeit, die eigene Leistung angemessen wahrnehmen zu können, besonders problematisch erscheinen. Ist für den einzelnen die Leistung extrinsisch motiviert, sieht er sie also als Mittel zum Zweck dafür an, .mit ihrer Hilfe ihm wertvoll erscheinende Ziele zu erreichen, so können Fehlwahrnehmungen der
378
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
Leistung erhebliche Frustrationen mit anschließendem Leistungsrückgang nach sich ziehen. Glaubt etwa der einzelne, seine Leistung entspreche den Anforderungen und erwartet er die als Folge guter Leistung zugesagten Belohnungen, so wird er, falls er seine Leistung überschätzt und darüber nicht aufgeklärt wird, enttäuscht werden. Da die Leistung faktisch den von der Organisation gestellten Anforderungen nicht entspricht, bleiben die erhofften Belohnungen für das Individuum aus. Da aber dieses seine Leistung als zureichend ansieht, wird es infolge eines Lernprozesses zu der Auffassung gelangen, daß gute Leistungen nicht zu den erhofften positiven Folgen führen und in Zukunft eine entsprechend schwächere Leistungsintention zeigen. Ein weiteres Problem ergibt sich bei intrinsischer Leistungsmotivation. In diesem Falle wird die Leistung nicht als Mittel zum Erreichen eines befriedigenden Zweckes angesehen, sondern das Ausführen der Leistung oder das Erreichen eines Leistungsziels wirkt selbst befriedigend. Das Leistungskriterium spielt jedoch bei der intrinsischen Motivation eine andere Rolle als bei der extrinsischen. Während bei der extrinsischen Leistungsmotivation in der Regel die Kontrolle über die nachfolgenden Belohnungen bei der Organisation liegt und der einzelne entsprechend bemüht sein wird, den von der Organisation gesetzten Leistungskriterien gerecht zu werden, besteht bei intrinsicher Leistungsmotivation eine andere Konstellation. Hier bemüht sich der einzelne, Leistungen auf einem von ihm selbst für verbindlic.h gehaltenen Gütemaßstab zu erzielen, der von jenem Gütemaßstab, den die Organisationsführung für verbindlich hält, beeinfiußt sein kann- insbesondere, wenn der einzelne an seiner Festsetzung beteiligt war (vgl. Coch & French, 1948; Morse & Reimer, 1956; Vroom, 1967, S. 220 ff.) -, jedoch keineswegs mit ihm übereinzustimmen braucht. So ist es also durchaus denkbar, daß ein intrinsisch Motivierter- falls er aufgrund der Aufgabenoder Informationsstruktur Kenntnis von den Ergebnissen seiner Leistungsintention erhält- befriedigt über das Ergebnis seiner Bemühungen ist, obwohl seine Leistung, gemessen an dem in der Organisation als verbindlich erachteten Maßstab, als unzureichend gelten muß. Entsprechend ist die umgekehrte Konstellation - subjektive Unzufriedenheit trotz Erreichens oder Überschreitens des Sollwertes- möglich. Ein weiterer Gesichtspunkt sei schließlich an dieser Stelle wegen seiner Bedeutsamkeit noch einmal konkretisiert, obwohl er bereits im Rahmen der theoretischen Vorüberlegungen ausführlich abgehandelt wurde. Es geht nicht an, die erbrachte Leistung ausschließlich psychologisch oder gar motivationspsychologisch zu begründen. Situative Faktoren spielen- nicht nur als situative Bestandteile der Anreize, sondern auch als objektive Ermöglichungsbedingungen - eine erhebliche Rolle. Der
5.4 Das Verhalten
379
Anteil der situativen Ermöglichungsbedingungen an der Leistung wird vermutlich je nach Interessenlage höchst unterschiedlich gewichtet, was bei der Wertung der Herzbergsehen Zweifaktorentheorie im Kontext der Überlegungen zur Arbeitszufriedenheit diskutiert werden wird. Es ist - im Sinne einer individuellen Abwehrreaktion - durchaus plausibel, daß ein einzelner gute Leistungen durch seine Fähigkeiten, Fertigkeiten und seinen hohen Einsatz erklärt, also mit individuell-psychologischen Faktoren, die er selbst zu verantworten, zumindest aber seiner Person zuschreiben kann, während er schlechte Leistungen durch situative Variablen zu erklären sucht, also Einflußgrößen, die phänomenal nicht nur außerhalb seiner Verantwortung und Willkür, sondern sogar außerhalb seiner Person liegen (vgl. Gurin, Veroff & Feld, 1960, S. 153). Bei einer Betrachtung von außen dürfte die Neigung, psychologische Faktoren beim Leistungsverhalten - etwa dem leistungsbehindernden, konfliktträchtigen Verhalten eines Vorgesetzten (vgl. v. Rosenstiel, Molt, Rüttinger, 1972, S. 59 f.) - zu iiberschätzen, ebenfalls stärker ausgeprägt sein als gegenteilige Tendenzen. Man darf jedoch vermuten, daß dabei eine kritische Reizschwelle für Wahrnehmungsunterschiede wirkt. Während die Neigung, Leistungsunterschiede psychologisch zu erklären, bei geringen Differenzen überwiegen dürfte, ist bei größeren Differenzen die Suche nach Erklärungen, die die Situation stärker berücksichtigen, wahrscheinlich. Faktisch ist selbstverständlich auch bei gleichen Leistungen höchst unterschiedliche psychologische und situative Determiniertheit anzunehmen und auch jene Fälle sind nicht selten, in denen eine im Endergebnis geringere Leistung hinsichtlich ihrer psychologischen Determination höher zu bewerten ist. Die Gefahr des Vernachlässigens situativer Faktoren bei der Interpretation von Leistungsunterschieden und somit des Psychologismus demonstriert ein von Hofstätterund Tack (1967) angeführtes Beispiel, in dem ein internationaler Vergleich der Leistungen von Bergarbeitern erfolgt (vgl. Beleg 50). Beleg 50 Wodurch sind Leistungsunterschiede bedingt? "selbst da, wo exakte Vergleichsdaten vorliegen, verlangt deren Interpretation große Vorsicht. (So) nahm der deutsche Kumpel- gemessen an der mittleren Schichtleistung pro Kopf - 1965 in den Ländern der Montanunion die Spitzenposition ein. Pro Mann und Tag förderte er mehr Steinkohle 2 705 kg- als seine Kollegen in Belgien (1 874 kg), Frankreich (2 039 kg), den Niederlanden (2 197 kg) und in Großbritannien (2 656 kg). Er ist eben - man weiß es - ein sehr arbeitsamer Mensch. Aber sein Kollege in den USA erbrachte in der gleichen Zeit mehr als die sechsfache Leistung, 16 800 kg pro Schicht (zit. nach Fischer-Weltalmanach 1967, S. 321). Wäre man aufgrund dieser Daten bereit, den deutschen Arbeiter für fleißiger zu halten aus den
380
5. Teil: Motivaktivierung und Verhalten
französischen, dann hätte man sich auch damit abzufinden, daß der amerikanische Arbeiter sogar sechsmal so arbeitsam ist wie der deutsche. Derlei Vergleiche führen aber in die Irre, denn mit Unterschieden der individuellen Begabung und des nationalen Charakters haben diese Resultate nichts mehr zu tun, wohl aber mit der Ergiebigkeit und der Zugänglichkeit von Lagerstätten sowie mit dem Ausmaß der technischen Investitionen." Hofstätter, P. R. & Tack, W. H.: Menschen im Betrieb. Stuttgart 1967, S. 164 f.
5.4.3 Zur Beziehung zwischen Zufriedenheit und Leistung Insbesondere bedingt durch die Hawthorne-Experimente (Roethlisberger & Dickson, 1939) vertraten Wissenschaftler und Praktiker die meist der "human-relations"-Bewegung zugerechnet werden, die These, daß zufriedene Arbeiter mehr leisten, Zufriedenheit also eine Ursache der Leistung ist. Es handelt sich dabei um eine These, die auch heute häufig einen Großteil der Argumentation bestimmt, wenn es darum geht, humanere Strukturen innerhalb einer Organisation zu schaffen und die auch gelegentlich noch in wissenschaftlichen Arbeiten vertreten wird (vgl. etwa Sand, 1973). Kritische Auseinandersetzungen mit dieser Auffassung, die insbesondere durch das klassische Sammelrefrat von Brayfield und Crockett (1955) zu diesem Fragenkreis angeregt wurden und in dem das Fehlen nennenswerter generalisierbarer Korrelation zwischen Zufriedenheit und Leistung nachgewiesen wurde, haben seither die These von der Zufriedenheit als Bedingung der Leistung in Organisationen innerhalb wissenschaftlicher Diskussionen zumindest stark relativieren können (vgl. Bass, 1965, S. 33 ff.; Vroom, 1967, S. 181 ff.; Blum & Naylor, 1968, S. 372 ff.; Tannenbaum, 1969, S. 35 ff; Bass & Barrett, 1972, S. 100 ff.). ,Außerhalb des engeren Fachgebiets aber erfreut sich die These einer weitgehend ungebrochenen hohen Beliebtheit, weshalb eine Auseinandersetzung mit ihr hier nicht unterbleiben soll. Innerhalb der durch das im ersten Teil vorgestellte Modell der Beziehungen vorgegebenen Gliederung erscheint diese Auseinandersetzung jedoch als Fremdkörper, da sich daraus unschwer ableiten läßt, daß zwar die Leistung relativ direkt die Zufriedenheit beeinflussen kann, die Zufriedenheit aber nur sehr indirekt über den Wandel der überdauernden Motivstruktur, insbesondere der spezifischen Einstellungen gegenüber der beruflichen Arbeit, die Leistung beeinflussen kann. Daraus ließe sich zwar eine - wenn auch nicht generell anzunehmende - positive Korrelation zwischen der Zufriedenheit und der Leistung ableiten, jedoch hinsichtlich des Ursache-Wirkungs-Verhältnisses nur sehr eingeschränkt etwas aussagen. Häufiger jedoch dürfte danach die Leistung Ursache der Zufriedenheit als die Zufriedenheit Ursache der Leistung sei.n. Wenn hier - gestützt auf empirische Untersuchungen - zur Beziehung von Zufriedenheit und Leistung etwas ausgesagt werden soll,
5.4 Das Verhalten
381
so entsteht ein spezifisches terminologisches Problem. Es ist zwar üblich, diesen Fragenkreis unter der Thematik "Leistung und Zufriedenheit" abzuhandeln, doch kann nicht übersehen werden, daß die Instrumente zur Messung der Zufriedenheit, die in den nachfolgend zitierten Untersuchungen verwendet wurden, nur zum kleineren Teil Zufriedenheit in dem Sinne, wie sie hier verstanden wird, messen, zum größeren Teil aber Einstellungen oder eine Mischform von Einstellungen und Zufriedenheit im hier verstandenen Sinne. Dies erscheint darum nicht als so gewichtig, weil hier Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit als eine wichtige, wenn auch nicht die einzige Entstehungsbedingung positiver bzw. negativer Einstellungen verstanden wird. Zufriedenheit ist also - mit bestimmten Einschränkungen- Einstellung in "statu nascendi". Meßinstrumente, die die Zufriedenheit mit bestimmten betrieblichen Bedingungen zu erfassen suchen, dürften also Daten erbringen, die hoch mit jenen Daten korrelieren, die mit Instrumenten gewonnen wurden, die Einstellungen den entsprechenden Bedingungen gegenüber zu erfassen suchen. Das sei am Beispiel dargestellt: Die Reaktionen, die man auf die Frage: "Denken Sie bitte an die Situation zurück, in der Sie Ihren letzten Wochenlohn ausgezahlt bekamen- waren Sie da zufrieden, weder zufrieden noch unzufrieden, unzufrieden?" erhält, dürften weitgehend jenen entsprechen, die man auf die Aussage: "Ich halte meinen Lohn für hoch, angemessen, zu niedrig" bekommt. Ein weiteres Problem sei kurz angedeutet, das die Gliederung dieses Buches betrifft. Wenn hier die Zufriedenheit als mögliche Ursache der Leistung besprochen wird, so gehört dieser Zusammenhang in die besprochene Thematik "Motivaktivierung und Verhalten", da die Zufriedenheit zu Einstellungen, die als Verhaltensbereitschaften verstanden werden, führt, die aktiviert werden und zu Verhaltenskonsequenzen führen können. Wird dagegen die Leistung als Ursache der Zufriedenheit interpretiert, so gehörte dieser Zusammenhang eigentlich unter die im nachfolgenden Teil dargestellte Thematik der "Folgen des Verhaltens". Der engen Verflechtung der beiden Aspekte wegen sollen sie jedoch gemeinsam dargestellt werden. Bass und Barrett (1972. S. 100 f.) sehen hinsichtlich der Beziehung zwischen Zufriedenheit und Leistung vier Möglichkeiten: "(1} Zufriedene Arbeiter sind produktiver, (2} produktive Arbeiter sind zufriedener, (3) Zufriedenheit und Produktivität sind unverbunden, (4) Zufriedenheit und Produktivität stehen in umgekehrter Proportionalität zueinander." Diese Aussagen erscheinen nicht ganz klar. Sie enthalten ohne stringente Trennung Vermutungen hinsichtlich der Korrelation und hinsichtlich des Ursache-Wirkungsverhältnisses. Trennt man hier, so stellen sich selbst bei generalisierenden Vermutungen komplexere Beziehungen dar, wie Tabelle 24 zeigt.
2 a) Geringe Leistung ·b edingt hohe Zufriedenheit. Beispiel: Ein Angestellter wird wenig g·efordert. Er leistet wenig,
1 a) Hohe Zufriedenheit ·bedingt geringe Leistung. Beispiel: Ein Angestellter hat sein AufstiegsZJiel erreicht, strengt
Zufriedenheit und Leistung korrelieren negativ miteinander
2 b) Geringe Leistung bedingt .geringe Zufriedenheit. Beispiel: Ein· Angestel-lter erreicht, bedingt durch seine schlechten Leistungen, die Ziele, die er anstrebt, nicht und i'St unzufrieden.
1 b) Geringe Zufriedenheit bedingt •g eringe Leistung. Beispiel : Ein unzufriedener Angestellter ist so lustlos bei der Arbei•t, daß die Leistung schirecht ist.
2. 2 a) Hohe Leistung bedingt hohe ZufDiedenheit. Beispiel: Ein intrinsisch motivierter Angestellter identifiziert sich mit den von der Organisation gesetzten Zielen, st·rengt sich an, um s'ie zu erreichen und ist zufrieden, wenn er die geforderte Leistung erbracht hat.
1.
Ursache-Wirkungsverhältnis
Zufriedenheit und Lei- 1 a) Hohe Zufriedenheit bestung korrelieren positiv dingt hohe Leistung. Beispiel: miteinander Der zufriedene Angestellte spricht auf die Anregungsbedingungen