110 52 31MB
German Pages 333 Year 1982
ULRICH MANTHE
Die lihri ex Cassio des Iavolenus Priscus
Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen HerauBgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechuvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität. Freiburg i. Br.
Neue Folge· Band 4
Die libri ex Cassio des Iavolenus Priscus
Von
Dr. Ulrich Manthe
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1982 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berl1n 61 Printed in Germany
© 1982 Duncker
ISBN 3 428 05083 5
Vorwort Diese Untersuchung hat im Sommer 1980 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg als Dissertation vorgelegen; seither erschienene Literatur ist bis Mitte 1981 berücksichtigt worden. Mein sehr herzlicher Dank gilt meinem verehrten Lehrer und Betreuer dieser Arbeit, Herrn Professor Joseph Georg Wolf. In seinen Vorlesungen und Seminaren hat er mein Interesse am Römischen Recht schon früh geweckt und mich seit meinem Studium in jeder Hinsicht gefördert; er hat sich für diese Arbeit bis hin zur Drucklegung mit großem Interesse, kritischem Rat und stets bereiter Hilfe eingesetzt. Wertvolle Hinweise verdanke ich auch den Herren Professoren Hans Julius Wolff, Elmar Bund, Detlef Liebs und Dietrich V. Simon sowie besonders Herrn Professor Mario Lauria in Neapel; den Mitdoktoranden am Freiburger Rechtsgeschichtlichen Institut, Bernd Eckardt, Jost Jung, Hannes Lehmann, Klaus-Peter Müller, Jürgen Rastätter, danke ich für viele anregende Diskussionen. Für die Aufnahme dieses Buches in die Reihe "Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen" danke ich den Herausgebern und dem Verleger, Herrn Professor J. Broermann, für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Ulrich Manthe
Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel
Einleitung § 1. Werkcharakter und Textkritik. . . . ... . . .. . . . .. . . . .. . . . . . . . . ... . . ..
I. AufgabensteIlung .......................................... II. Textkritik.................................................. 111. Exegese .................................................... § 2. Leben und Werk Javolens ........................................
I. Herkunft .................................................. 11. Ämterlaufbahn .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Rom ...................................................... IV. Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 13 13 14 16 16 19
28 31
2. Kapitel
Ex Cassio § 3. Der Werktitel Ex Cassio ..........................................
I. Libri ex .................................................... II. Libri iuris civilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. § 4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
I. II. 111. IV.
Iav.47 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Iav.49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Iav.22/1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Iav. 12 pr ..................................................
§ 5. Doppelüberlieferungen
32 32 37 38 38 45 53 57
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Iav.9 ...................................................... 61 II. Iav. 55 und 54 .............................................. 67 111. Iav.56 73 IV. Iav.43 .................................................... 84 V.Iav.42pr .................................................. 85 90 VI. Iav.42/1 VII. Iav. 65 pr .................................................. 93 94 VIII. Iav.53 103 IX. Iav.19
Inhaltsverzeichnis
8
§ 6. Die libri ex Cassio und Cassius .................................. 110
I. Ergebnisse ................................................ 110 11. Cassius .................................................... 112 3. Kapitel
Die Werkgattung der libri ex Cassio § 7. Literaturgattung und Leserkreis .................................. 114
I. Problemstellung ............................................ 114 11. Literaturgattungen ........................................ 114
III. Gang der Untersuchung .................................... 119
§ 8. Lehrsätze ........................................................ 120
I. Lehrsätze mit Begründungen: ein Modellfall (Iav.51 und 52).. 120
11. Lehrsätze mit Begründungen: weitere Beispiele (Iav. 5, 8, 36,
41) ........................................................ 111. Lehrsätze mit Begründungen und Einwendungen: quamvis (Iav. 48, 61/1, 38) ............................................ IV. Lehrsätze mit schlagenden Begründungen (Iav. 30, 32/1 - 2,45, 22 pr) ...................................................... V. Lehrsätze mit Begründungen durch Hinweis auf unerwünschte Ergebnisse (Iav. 18, 59) ...................................... VI. Ehemalige Kausalsätze (Iav. 24, 25, 21) ...................... VII. Sätze ohne Begründung (Iav. 6, 7, 44, 15, 63, 12/1, 68) ........ VIII. Definitionen (Iav. 67, 23) ....................................
128 135 142 150 154 158 170
§ 9. Distinktion und Anlehnung ...................................... 178
I. Variation des Ausgangsfalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. II. Abwandlung des Tatbestandes mit gleicher Rechtsfolge (Iav. 29, 62) ................. " ................................. 111. Abwandlung des Tatbestandes mit verschiedener Rechtsfolge (Iav. 14, 39, 61 pr, 4, 3) ...................................... IV. Tatbestand mit komplexer Rechtsfolge (Iav. 16).. . . . . . . . . . . .. V. Schlußfolgerungen .......................................... § 10. Längere Textpartien
I. Voraus 11. Iav.32 111. Iav.28 IV. Iav.40 V.Iav.37 VI. Zusammenfassung ..........................................
178 181 187 195 196 200 200 200 203 214 222 226
§ 11. Das historische Interesse der libri ex Cassio ...................... 228
I. Alte Rechtsworte: Iav.31
.................................. 229
11. Alte Rechtsinstitute: Iav.60 ................................ 236
111. Alte Gesetze: Iav. 239, 228 a, 57, 58 .......................... 241 IV. Zeitgebundenheit: Iav.65, 27 ................................ 254 V. Folgerungen für den Werkcharakter ........................ 257
Inhaltsverzeichnis
9
§ 12. Das Ordnungsschema der libri ex Cassio .......................... 259
I. Vorbemerkungen zu einer Systemrekonstruktion ............ lav. 1, 2 .......................................... lav. 10, 13, 11 ...................................... IV. Liber 3 .................................................... V. Liber 4 - lav.17 ............................................ VI. Liber 5 - lav. 20 ............................................ VII. Liber 6 - lav. 26 ............................................ VIII. Liber 7 - lav. 33, 34 ........................................ IX. Liber 8 - lav. 35 .. , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. X. Liber 9 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. XI. Liber 10 .................................................... XII. Liber 11 - lav. 46 .......................................... XIII. Liber 12 - lav. 50 .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. XIV. Liber 13 .................................................... XV. Liber 14 .................................................... XVI. Liber 15 - lav. 64, 66, 69 .................................... XVII. Das System ................................................ 11. Liber 1 111. Liber 2 -
259 263 268 275 277 280 286 289 293 297 298 299 302 305 305 305 308
§ 13. Schlußbetrachtung ....................................... . . . . . . . .. 313
I. Werkgattung und Entstehungsweise ..... . .................. 313
11. Verhältnis zu Cassius ...................................... 316 111. Textstufen ............................................ , ... 317
Quellenregister ....................................................... 319
Abkürzungen Die Zitierweise von Zeitschriften, Reihen und Sammelwerken folgt gewöhnlich der der Kaserschen Handbücher RP und RZ, auf deren Abkürzungsverzeichnisse wir daher generell verweisen. Daneben werden folgende nicht aus sich selbst heraus verständliche Abkürzungen verwendet: van Alphen, Spicilegia
Arangio-Ruiz, Scritti
Bas. BK Bremer
BS BSE BT CAHXI CGL Cuiacius
DE Dessau
Dig. ed. Gebauer / Spangenberg
Dig. ed. Mil. Donatuti, Studi Donellus, Op. omn.
DS Eckardt
Spicilegia de Iavoleno Prisco iurisconsulto ... (Utricht 1768), in: Thesauri Novi Dissertationum iuridicarum selectissimarum in Academiis Belgicis habitarum Volumen III, t. 1, pp. 1 - 94, curante Gerhardo Oelrichs (Bremae 1779) Scritti di diritto romano, edd. Biondi / Labruna I - IV (1974 - 1977) siehe BS, BT, Heimbach siehe unten § 12 Fn. 1 Iurisprudentiae Antehadrianae quae supersunt I (1896), II 1 (1898), II 2 (1901) Basilicorum libri LX. Series B Scholia, edd. Scheltema / Holwerda (1953 ff.) Bol'saja Sovetskaja Enciklopedija (Große Sowjetische Enzyklopädie) Basilicorum Libri LX. Series A Textus, edd. Scheltema / van der Wal (1955 ff.) Cambridge Ancient History XI: The Imperial Peace (2. Auf!. 1954) Corpus Glossariorum Latinorum, ed. Goetz I - VII (1888 - 1923) Jacobi Cuiacii JC. Tolosatis Opera ad Parisiensem Fabrotianam Editionem diligentissime exacta in Tomos XIII distributa auctiora atque emendatiora (Prati 1836 - 1844) - siehe unten § 1 Fn. 8 de Ruggiero, Dizionario epigrafico di antichita romane (1895 ff.) Inscriptiones Latinae Selectae I - III (1892 - 1916) Corpus Iuris CiviIis, edd. Gebauer / Spangen berg (1776) Digesta Iustiniani Augusti recogn. et edd. Bonfante / Fadda / Ferrini / Riccobono / Scialoia (Milano 1960) Studi di diritto romano, ed. Reggi, I/lI (1976/1977) Donellus, Opera omnia I - XII (Lucca 1762 - 1770) Daremberg / Saglio, Dictionnaire des antiquites grecques et romaines I - V (1877 - 1919) Iavoleni epistulae (1978) Hieronymus van Alphen,
Abkürzungen Feldm. (La.) (Th.)
Festgabe Dernburg Festschr. Lenel (1921) fr. Funaioli
11
Bluhme / Lachmann / Rudorff, Die Schriften der römischen Feldmesser I/lI (1848/52) Corpus Agrimensorum Romanorum, ed. Thulin (1913)
Festgabe für Heinrich Dernburg zum fünfzigjährigen Doktorjubiläum (Berlin 1900) Festschrift für atto Lenel zum fünfzigjährigen Doctorjubiläum (Freiburg 1921) siehe unten § 1 Fn. 9 Grammaticae Romanae Fragmenta, ed. Funaioli
(1907) Gebauer / Spangenberg siehe Dig. ed. Gebauer / Spangenberg Georges, HandAusführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterwörterbuch buch, 1/11 (8. Aufl. 1913/18) GI. Glossa ordinaria GL Glossaria Latina, edd. Lindsay et al. I - V (19261931) Gramm. Lat. Grammatici Latini, ed. Keil I - VIII (1857 - 1870) Haloander zitiert nach Brenkmann bei Gebauer / Spangen berg Heimbach Basilicorum libri LX post Annibalis Fabroti curas ... edidit C. G. E. Heimbach I - V (1833 - 1850) Heimbach, Man. Manuale Basilicorum, Basilicorum ... tom. VI (1870) 217-434 Heimbach, Proleg. Prolegomena, Basilicorum ... tom. VI (1870) 1 - 215 Heimbach, Suppl. I, Supplementum editionis Basilicorum Heimbachianae ... ed. C. E. Zachariae a Lingenthal (1846) 11 Basilicorum ... tom. VII (1897). Editionis Basilico-
rum Heimbachianae supplementum alte rum, edd.
heth. Heumann / Seckel,
Handlexikon
Hofmann / Szantyr, Lat. Grammatik 11
Hommel redivivus
ie.
d'Ippolito, Ideologia
IusGR
Jh.Jb. Jörs / Kunkel Kaser, RP Kaser, RZ
KP
Krüger, Geschichte
Ferrini / Mercati
keilschrifthethitisch Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts (11. Aufl. 1971) Leumann / Hofmann / Szantyr, Lateinische Grammatik II. Lateinische Syntax und Stilistik (1965) Schimmelpfeng, Hommel redivivus I - 111 (18581859)
indoeuropäisch Ideologia e diritto in Gaio Cassio Longino (1969) lus Graecoromanum, cura J. Zepi et P. Zepi I - VIII
(1931)
Iherings Jahrbücher für Dogmatik = Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts (1857 ff.) Römisches Recht (3. AufI. 1949) Das römische Privatrecht 1/11 (2. Auf I. 1971/75) Das römische Zivilprozeßrecht (1966) Der kleine Pauly, bearb. und hrsg. von Ziegler / Sontheimer I - V (1964 - 1975)
P. Krüger, Geschichte der Quellen und Litteratur des Römischen Rechts (2. Aufl. 1912)
12
Abkürzungen
Kühner / Stegmann,
Kühner / Stegmann, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache. Satzlehre I/lI (4. Aufl. hrsg.
Malcouati
Oratorum Romanorum Fragmenta, ed. Malcouati (2. Aufl. 1955) I papiri diplomatici (1805) Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich I - V (1888) uon Nägelsbach, Lateinische Stilistik (9. Aufl. bes. von Iwan Müller 1905) Neues Handbuch der Literaturwissenschaft 3 (1974); Römische Literatur, von Fuhrmann u. a. Corpus luris Civilis ins Deutsche übersetzt von einem Vereine Rechtsgelehrter I - VII (1830 - 1837) Thesaurus Juris Romani, ed. Otto I - V (1725 - 1735) Prosopographia Imperii Romani, edd. Groag / Stein / Wickert / Petersen (1933 ff.) Protokolle der 11. Kommission I - VII (1897 -1899), nach Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB I - V (1899) Rendiconti della Accademia di Archeologia, Lettere e Belle Arti (Napoli) Scaenicae Romanorum Poesis Fragmenta I/lI (1871/
Satzlehre
Marini
Motive Nägelsbach, Lat.
Stilistik NHL3
Otto / Schilling / Sintenis Olto, Thesaurus
PIR Protokolle Rend. Acc. Nap. Ribbeck
RIDA RIGI RISG RL St. Kaser St. Lane St. Schupfer Th.L.L. Tip.
TP VIR ZGR
Thierjelder 1962)
73)
wo nicht anders vermerkt = RIDA3 Rivista indo-greco-italica di filologia, lingua, antichita (Napoli 1917 ff.) Rivista italiana per le scienze giuridiche (Torino, Milano) Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten. Bearb. Bopp, redig. Weiske I - XV und Repertorium (1839 - 1862) Studien im römischen Recht. Max Kaser zum 65. Geburtstag (1973) Studies in Historical Linguistics in Honour of George Sherman Lane (Chapel Hill 1967) Studi giuridici dedicati e offerti a Francesco Schupfer deI 35 anno deI suo insegnamento (1898) Thesaurus Linguae Latinae (1900 ff.) M.
X(HTOÜ TOÜ IIIlT~ii Tl1tOUXElTOcp, ciAA' f)vtxa tXEAEuoi)1J
il
öoiiva~ nmijoat 't~. L\1ivU'tUl nQoo'tLf1üv 'tov xa'ta nQonE'tE~aV cinoÄE~q>i)Ev'ta 't
C ===> Eigentumserwerb
Javolen berichtet die Entscheidung des Cassius ohne eigene Stellungnahme.
1. Die Entscheidung ist im allgemeinen (von radikalen Interpolation&annahmen abgesehen 34) als Ausfluß einer Spezial regelung für Geldvermengung im klassischen Recht angesehen worden. Wir wollen, ohne auf Einzelheiten einzugehen35 , die Rechtsverhältnisse an vermengten festen Stoffen betrachten. Werden Getreidekörner zweier Eigentümer von ihnen willentlich vermengt, so entsteht gemeinsames Eigentum, und die Auseinandersetzung geschieht durch die actio communi dividundo 36• Geschieht die Vermengung aber zufällig und können die Getreidekörner faktisch nicht mehr voneinander getrennt werden37 , dann entsteht kein Miteigentum; vielmehr bleibt das bisherige Eigentum bestehen. Die Auseinandersetzung geschieht mittels der vindicatio pro parte, mit der ein Anspruch auf eine entsprechende Menge verfolgt wird 38 : VIp. 16 ad ed. 549 D. 6.1.5 pr. Idem Pomponius scribit: si frumentum duorum non voluntate eorum confusum sit, competit singulis in rem actio in id, in quantum paret in illo Pampaloni 47 f., hierzu Kaser, TR 29,189 Fn. 66. Hierzu Bonfante 122 f., Kaser, TR 29, 186 ff. und RP I 430. 36 Ulp.-Pomp. D. 6.1.5 pr, I. 2.1.28. Bedenken gegen die Klassizität bei van Warmelo, TR 25 (1957) 134. 37 Das ist selbstverständlich und wird daher in Ulp. D. 6.1.5 pr nicht besonders mitgeteilt. Wenn Leonhard, RE IV 873, diese Stelle und I. 2.1.28 auf trennbare Vermengung bezieht, so ist dies lebensfremd und widerspricht zugleich dem Quellenbefund: Ulp. D. 6.1.5 pr gibt nur eine vindicatio, in quantum paret suum esse, nicht quod paret, ebenso I. 2.1.28: actio pro modo frumenti. 38 Aus I. 2.1.28 erfahren wir ausdrücklich, daß kein Miteigentum entsteht, während der klassische Text D. 6.1.5 pr nur von der Auseinandersetzungsklage spricht, ohne zu den Eigentumsverhältnissen ausdrückliche Stellung zu beziehen. Jedoch läßt die vindicatio pro parte auf Alleineigentum, die actio communi dividundo auf Miteigentum schließen. Wenn an vermengten Getreidekörnern das alte Eigentum bestehen bleibt, während doch an ungewollt vermischten Flüssigkeiten immer Miteigentum entsteht (Ulp. D. 6.1.3.2, I. 2.1.27, Gai. D. 41.1.7.8 - eine entsprechende Aussage Gajus' für feste Stoffe fehlt), so hat die Unterscheidung ihren Grund darin, daß die Getreidekörner ihre individuelle Existenz behalten, während die vermischten Weintropfen sie verlieren - vgI. Wolf!, Das Sachenrecht (9. AufI. 1932) 233 Fn. 13. Daß die Unterscheidung der Rechtsfolgen von conjusio und commixtio in I. 2.1.27 f. keine Entsprechung bei Gai. D. 41.1.7.8 gefunden hat, ist kein Argument dafür, daß das klassische Recht sie nicht getroffen hätte. 34
35
§ 4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
47
acervo suum cuiusque esse: quod si voluntate eorum commixta sunt, tune oommunicata videbuntur et erit communi dividundo actio. Javolen durchbricht in D. 46.3.78 diese Regelung, welche wir für die Vermengung fester Stoffe kennengelernt haben. Man würde erwarten, daß auch bei untrennbarer Vermengung von Geld 39 das Alleineigentum des A bestehen bliebe und er gegen C eine vindicatio hätte, welche wegen der faktischen Untrennbarkeit pro parte und nicht in totum wäre. So versteht Niemeyer4° den Text. Dies widerspricht allerdings dem klaren Wortlaut der Stelle, denn mit eius fien, qui accepit ist eine Vindikation gegen C nicht vereinbar. Wir müssen darum Iav. 49 als Sonderregelung für Geld ansehen41 • 2. Die ratio der lex specialis liegt in der Konsumption des Geldes durch die Vermengung42 •
a) Geld ist ohne Zerstörung seiner Sachsubstanz verbrauchbar. Während andere verbrauchbare Sachen (Wein, Öl, Getreide, Kleidung) physisch aufgezehrt werden, liegt der besondere Verbrauch des Geldes in seiner Weitergabe als Zahlungsmittel: 1. 2.4.2
... quae ipso usu consumuntur ... quo numero sunt vinum, oleum, frumentum, vestimenta. quibus proxima est pecunia numerata: namque in ipso usu adsidua permutatione quodammodo extinguitur. b) Wird fremdes Geld gutgläubig durch Weitergabe konsumiert, so erwirbt der Empfänger Eigentum. Wenn der Dieb B gestohlenes Geld solvendi/credendi causa an seinen Gläubiger/Darlehensnehmer C gibt, so erwirbt dieser mit dem Empfang noch kein Eigentum am Geld43 und kann es auch nicht ersitzen. Gibt C aber das Geld gutgläubig an D weiS9 Die untrennbare Vermengung von Geld war bei den Römern im Gegensatz zu unseren heutigen Gepflogenheiten - nicht so selbstverständlich, vgI. Fuchs 196 ff., Kaser, TR 29, 175 ff. Größere Geldsummen wurden gewöhnlich in versiegelten Säckchen gesondert aufbewahrt und nicht vermengt. Die Vindikation dieser nummi integri oder salvi (Kaser, TR 29, 179) war ebenso gewöhnlich wie die Vindikation anderer vertretbarer gesonderter Sachen, während heute Geld üblicherweise vermengt wird, so daß §§ 948, 947 BGB zum Zuge kommen. 40 A.a.O. 32 ff. Dagegen: Fuchs 188 ff., Kaser, TR 29, 189, Wacke, BulI. 79, 118 Fn. 293. 41 So schon GI. acceperit D. 46.3.78: solutio, speciale est hic in pecunia, anders Cujaz VII 381 f., 1068; vgI. Fuchs 191, Kaser, TR 29, 189 und RP I 431 Fn.51. 42 So die "Konsumptionstheorie": GI. acceperit D. 46.3.78: quasi sunt C01,sumpti per immixtionem cum aliis; Dernburg, Heidelb. krit. Zschr. a.a.O.; Wacke, BuH. 79, 49 ff., bes. 123 zu Fn. 310. 43 Ulp. 769 D. 12.1.13 pr.
48
§ 4.
Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
ter, so erwirbt D, der letzte in der Kette, Eigentum44 • Der Verbrauch des Geldes durch Weitergabe an D hat noch eine weitere Wirkung: wenn B dem C das Geld zur Zahlung einer Schuld gegeben hat, wird er jetzt ihm gegenüber befreit45 , hat B dem C das Geld credendi causa gegeben, erwirbt er jetzt eine condictio gegen C46: furtum
A----- B
solutum
>
C
numeratum
>
D
Befreiung furtum
A----- B
creditum
>
C
numeratum
>
D
Eigentumserwerb
Eigentumserwerb
Darlehensklage
Vor der Konsumption durch C hätte A das Geld von C vindizieren können, da der bösgläubige B dem C kein Eigentum verschaffen konnte; nach der Konsumption ist die Vindikation gegen D ausgeschlossen, da D nunmehr Eigentümer ist 47 • Ob dem A wenigstens eine condictio gegen C zusteht, sei zunächst dahingestellt (unten 3). c) In unserem Fall Iav. 49 hat C das Geld nicht an D weitergegeben, sondern es mit dem seinen untrennbar vermengt. Nach Cassius tritt bei C Eigentumserwerb am Geld ein: furtum A----- B
solutum
mixtum
C
===>D
Eigentumserwerb
Wenn man die Vermengung als Unterfall der Konsumption auffaßt, so vermag dies den Eigentumsübergang befriedigend zu erklären; Verbraucher C und Empfänger C sind ein und dieselbe Person. Daß Konsumption eigentlich Substanzverlust verlangt, steht nicht im Wege; denn wenn schon die Weitergabe des Geldes in den allgemeinen Verkehr als Verbrauch durch C angesehen wird (I. 2.4.2), so ist die Vermengung mit anderem Geld bei C noch eher Verbrauch, da die species "diese nummi des A" in ihrer Substanz in der Gattung "Geld" aufgeht48 • 44 Kaser, TR 29, 201 ff. mit Nachweisen. Daß D Eigentum erwirbt, ist in keiner Quelle ausgesprochen; wir schließen es e contrario daraus, daß die Weitergabe durch den bösgläubigen B dem C kein Eigentum verschafft. 45 Pomp. 671, hierzu unten c; Lit. bei Kaser, TR 29, 195 Fn. 84. 48 Ulp. 769 D. 12.1.13 pr-I, Paul. 1397 D. 46.1.56.2. 47 Vgl. oben Fn. 44.
§ 4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
49
Wenn C durch die Vermengung konsumiert, so wird B, der an ihn solvendi causa gezahlt hat, durch die Vermengung befreit, ebenso wie er durch Konsumption im Wege der Weitergabe von C an D befreit wird; über die Befreiung von B erfahren wir von Pomponius, der einen cassianischen Konsumptionsfall ergänzt: Pomp. 19 ad Sab. 671
= Cass. 129 D. 46.3.17
Cassius ait, si cui pecuniam dedi, ut eam creditori meo solveret, si suo nomine dederit, neutrum liberari: me, quia non meo nomine data sit, illum, quia alienam dederit. ceterum mandati eum teneri. Sed si creditor eos nummos sine dolo malo consumpsisset, is, qui suo nomine eos solvisset, liberatur, ne, si aliter observaretur, creditor in Iucro versaretur. Wenn nur die gutgläubige Weitergabe durch C zum Eigentumserwerb durch den letzten Empfänger D und zur Befreiung des Vormannes B führt, so können wir daraus schließen, daß auch nur die gutgläubige Vermengung durch C zum Eigentumserwerb des C und zur Befreiung des B führt. Unsere Annahme, daß C in Iav. 49 gutgläubig ist, wird dadurch bestätigt, daß der Text nur von der actio furti gegen B spricht: wäre C wenigstens bei der Annahme des Geldes im bösen Glauben gewesen, so hätte der Text sicher nicht verschwiegen, daß die Diebstahlshaftung auch ihn träfe49 • Die Rechtsfolge der bösgläubigen Vermengung durch C steht offen; vermutlich bleibt - in Anwendung der allgemeinen Regel (D. 6.1.3.2; 5) - das Eigentum des A und damit die vindicatio pro parte des A gegen Cerhalten60 • 3. Cassius nennt als Folge der gutgläubigen Vermengung durch C die actio furti des A gegen B51. Fraglich ist, ob dem A daneben noch eine weitere Klage gegen B zusteht und ob A sich auch an C halten kann.
a) Wer dolos fremdes Geld verbraucht, und das hat B getan, haftet auch aus der condictio ex causa furtiva; sie wird mit der actio furti gehäuft52 . 48 Ganz anschaulich verstehen die Römer unter corpus nummorum einen ganz bestimmten, gesondert verwahrten Geldhaufen als Stück, während die quantitas pecuniae nur der Betrag aus der Gattung ist, vgl. D. 30.34.1, 3, 4 und Fuchs, Iusta causa 195 f. sowie Mel. Meylan I (1963) 135. Die weiteren Argumente Kasers (TR 29, 197 ff.) - der sich schließlich doch der Konsumptionstheorie anschließt (199) - gegen die Subsumtion der Vermengung unter den Verbrauch sind nicht schwerwiegend. 49 Kaser, TR 29, 185 f., 203. 50 So auch Kaser, TR 29, 185 f. 61 Haymann 189 f. will lita - tin.] streichen, ohne rechten Grund, vgl. Ulp. 1042 = Iul. 341 D. 47.2.52.16. 62 Fuchs 220, Kaser, TR 29, 203 und RP I 618, Liebs, Die Klagenkonkurrenz im römischen Recht (1972) 92 ff.
4 Manthe
§ 4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
50
b) Kaser5 3 nimmt an, daß C nach gutgläubigem Verbrauch (also auch nach der Vermengung) dem A aus der condictio hafte. Dies ist nicht mit den Quellen vereinbar. Dioel. 293 C. 4.34.8 Si is, qui depositam a te peeuniam accepit, eam suo nomine vel cuiuslibet alterius mutuo dedit, tam ipsum de implenda suseepta fide quam eius suecessores teneri tibi certissimum est. adversus eum autem, qui accepit, nulla aetio tibi competit, nisi nummi extant: tune enim contra possidentem uti vindicatione potes. Nach der Konsumption erlischt die Vindikation gegen den Verbraucher C, und es entsteht keine Kondiktion. Die Kondiktion ist nämlich grundsätzlich kein Ersatz für eine weggefallene Vindikation": bei bösgläubigem Verbrauch bleibt die actio ad exhibendum erhalten (Ulp. D. 12.1.11.2), bei gutgläubigem Verbrauch verliert der Eigentümer A mit dem Eigentumsübergang seinen Anspruch gegen C. C verläßt also mit der Konsumption des Geldes die Haftungskette. Mehrere klassische Entscheidungen führen zum selben Ergebnis. aa) Ulp. 26 ad ed. 769 = Pap. 8 quaest. 144 D. 12.1.13 pr - 1 Nam et si fur nummos tibi credendi animo dedit, accipientis non facit, sed consumptis eis nascitur condictio. (1) Unde Papinianus libro octavo quaestionum ait: si alienos nummos tibi mutuos dedi, non ante mihi teneris quam eos eonsumpseris ... Der Dieb B gibt gestohlenes Geld dem C als Darlehen. Da er dem C kein Eigentum an den nummi fuTtivi verschaffen kann, bleibt C zunächst der vindicatio des Eigentümers A ausgesetzt. Mit der Konsumption durch C entsteht aber eine condictio des BII6: furtum
A----- B
creditum
---->
consumptum
C
>
condictio
bb) Pomp. 6 ex Plaut. 353 D. 12.1.12 . .. Et si alienam pecuniam credendi causa quis dederit, deinde furere coeperit et consumpta sit ea pecunia, condictionem furioso adquiri.
Pomp. sing. reg. 374 D. 44.7.24.2 Item si alienam pecuniam credendi causa quis dederit deinde compos mentis esse desierit, postea consumpta ea furioso condictio adquiritur.
TR 29, 203. von MaYT, Die Condictio des römischen Privatrechts (1900) 296, Fuchs, Me!. Meylan I 135 f.; zu C. 4.34.8 neuerdings Wacke, Bull. 79, 86 ff. GG Vgl. auch Paul. 1397 D. 46.1.56.2. Wir lassen es hier dahingestellt, ob B die condictio aus Darlehen oder aus rechtsgrundloser Zuwendung erhält, vgl. Kaser, TR 29, 205 f.; im ersteren Fall wäre das mutuum durch die Konsumption konvalesziert (so die ältere Lehre), im zweiten nur die traditio nummorum (so die neuere Ansicht, besonders Kaser). Hier kommt es nur darauf an, daß der condictio jedenfalls ein Darlehenstatbestand zugrundeliegt. 53
54
§ 4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
51
Der Fall liegt wie oben aa, nur verliert B zwischen Darlehenshingabe und Konsumption seine Geisteskraft. Dennoch erwirbt B die condictioS8 • In beiden Fällen liegt ein Darlehensgeschäft zwischen Bund C zugrunde, und B erwirbt nach C's Konsumption die condictio.
ce) Der Fall wird nur dann anders gelöst, wenn B der Sklave des A ist: Ulp. 26 ad ed. 769 D. 12.1.11.2 Si fugitivus servus nummos tibi crediderit, an condicere tibi dominus possit, quaeritur. et quidem si servus meus, cui concessa est peculii administratio, crediderit tibi, erit mutua: fugitivus autem vel alius servus contra voluntatem domini credendo non facit accipientis. quid ergo? vindicari nummi possunt, si extant, aut, si dolo malo desinant possideri, ad exhibendum agi: quod si sine dolo malo consumpsisti, condicere tibi potero. B, Sklave des A, kreditiert C unbefugt mit A's Geld. Er kann dem C kein Eigentum an den nummi furtivi verschaffen; so bleibt C der vindicatio des A und bei bösgläubigem Verbrauch der actio ad exhibendum ausgesetzt. Hat C aber das Geld gutgläubig verbraucht, so entsteht gegen ihn eine condictio, die hier nicht B, sondern A zusteht, weil B als Sklave nicht in eigener Person aktiv legitimiert sein kann57 : furtum
creditum
A----- B
----------------->
consumpturn C
=---=>
condictio
dd) Sehen wir von der besonderen Fallgestaltung ce ab, so hat jeweils B als Darlehensgeber die Kondiktion erworben. Es ist kaum denkbar, daß daneben auch noch A kondizieren könnte; denn dann wäre C einer doppelten Haftung ausgesetzt und B wäre neben dem bestohlenen A unbillig begünstigt. Durch die gutgläubige Konsumption des Geldes bei C erlosch der Anspruch des A gegen C. Dasselbe Prinzip galt auch dann, wenn B nicht credendi, sondern solvendi causa an C zahlte. Das entnehmen wir: Iul. 10 dig. 150 D. 12.1.19.158 Si pupillus sine tutoris auctoritate crediderit aut solvendi causa dederit, consumpta pecunia condictionem habet vel liberatur non alia ratione, quam quod facto eius intellegitur ad eum, qui acceperit, pervenisse ... nam omnino, qui alienam pecuniam credendi causa dat, consumpta ea, habet obligatum eum, qui acceperit: item qui in solutum dederit, liberabitur ab eo, qui acceperit. Vgl. Kaser, TR 29, 216 mit Nachweisen. Vgl. auch Afr. 95 D. 19.1.30 pr: C kauft von A den Sklaven B mit seinem peculium; B hat noch vor der übergabe dem A Geld entwendet, welches B für Pekuliargeld hält, an sich nimmt und konsumiert. A kann gegen C kondizieren. Auch hier ist das Geld nicht über die Person eigenen Rechts B (die es nicht gibt, weil B Sklave ist), an C gelangt, sondern unmittelbar von A an C, daher die direkte Kondiktion. 58 Der hier ausgelassene Mittelteil ist empfindlich gestört, Nachweise bei Kaser, TR 29, 210. 58 57
52
§ 4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
Das Mündel B kreditiert oder zahlt zur Erfüllung einer Schuld an den Darlehensnehmer oder Gläubiger C ohne auctoritas. Die Konsumption des Geldes durch C überwindet den Mangel der Zustimmung. Hat B credendi causa gezahlt, so erwirbt es jetzt die condictio: B----- C
consumptum
>
----> condictio
Bei Zahlung solvendi causa wird B befreit: solutum
B----- C
---->
consumptum
>
liberatio
Da B Eigentümer des Geldes ist, versteht es sich, daß condictio und liberatio in seiner Person eintreten. Die Stelle zeigt aber die vollkommene Parallele von Darlehensklage und Befreiung; im Solutionsfall hat B nach Konsumption durch C keine Kondiktion gegen CI'. übertragen wir dieses Prinzip auf die ganz analogen Fälle der Zahlung mit fremdem Geld (wie der Schlußsatz der Julianstelle, der allerdings durch seine allgemeine Fassung und besonders nach dem sicher gestörten, hier nicht abgedruckten Mittelteil verdächtig ist), so folgt, daß B, der solvendi causa gezahlt hat, durch die Konsumption ebenso befreit wird, wie er bei Zahlung credendi causa eine condictio erwirbt - ein Ergebnis, welches durch die schon oben angeführte Stelle Pomp. 671 bestätigt wird. Wie aber bei Zahlung credendi causa eine condictio des A gegen C auszuschließen war, ist dies folgerichtig auch bei Zahlung solvendi causa zu tun. c) Die anfangs (oben 3) aufgeworfene Frage, ob A nach C's Konsumption noch von C kondizieren könne, ist daher zu verneinen; A ist auf die Diebstahlsklagen gegen B beschränkt und C ist aus der Haftungskette ausgeschieden. So entschied das klassische Recht, und so entschieden auch Cassius und Javolen60 • 6' Dieselbe Entscheidung findet sich bei Gai. 267 D. 26.8.9.2, Ulp. 2377 D. 46.3.14.8; der Lösung widerspricht nur Ulp. 2 disp. 44 D. 12.6.29 - mit Kaser, TR 29, 208, und den dort Fn. 129 angeführten Autoren halten wir das
Fragment zumindest für verstümmelt. - Ob der condictio des kreditierenden Mündels B die Konvaleszenz des unwirksamen Darlehensvertrages oder nur die der traditio nummorum (so Kaser, Wacke, Bul1. 79, 62) zugrundeliegt, kann auch hier offen bleiben. 60 Wie hier: v. Mayr, Condictio 296, Pflüger, Ciceros Rede pro Q. Roscio comoedo (1904) 36 ff., Haymann, Jh. Jb. 77, 199, Fuchs, Iusta causa 221. Anders: Hohenemser 29, Dernburg / Sokolowski I 357 Fn. 13, Betti, Bull. 28 (1915) fj7, Kaser, TR 29, 203.
§ 4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
53
III. Iav.22/1 In der dritten Stelle wendet Javolen sich gegen seinen Lehrer: Iav.6 ex Cassio 22 D. 40.7.28.1 61 Statuliber, antequam condicio libertatis obtigerit, si quid comparasset, peculio legato non cessurum in libris Gaii Cassii scriptum est, nisi id legatum in tempus libertatis collatum esset. Videamus, ne, cum peculium et accessionem et decessionem habeat, augmentum quoque eius peculii, si modo ab herede ei ablatum non sit, legato cessurum sit: et magis hoc iure utimur. Einem Bedingtfreien ist sein Sondergut vermacht worden. Was er bis zum Eintritt der Freiheitsbedingung zum peculium hinzuerwirbt, fällt nach Cassius nicht in das Legat, es sei denn, das Legat wäre auf den Tag der Freiheit ausgesetzt. 1. Es sieht so aus, als ob das Legat ohne Bedingung ausgesetzt sei, denn dem Grundfall wird die Variante nisi id legatum in tempus libertatis eollatum esset entgegengesetzt62• Dann ist der dies legati eedens, da es einem statuliber vermacht ist, der Tag des Erbschaftsantritts63 • a) Nimmt man an, daß die Freiheitsbedingung erst nach dem Erbschaftsantritt erfüllt wird, so ist das Pekulienlegat nach Julian und Ulpian unwirksam: da der statuliber am dies legati eedens Sklave des Erben ist, erwirbt er für seinen Herrn, so daß Schuldner und Gläubiger des Legats identisch sind. Die Konfusion macht das Legat unwirksam64 • Cassius vertrat dieselbe Lösung, wenn auch mit anderer Begründung:
81 Beseler, SZ 54 (1934) 24; Donatuti, La Statulibero (1940) 158 f.; d'Ippolito, Ideologia (1969) 72 Fn. 14; Wieling, Testamentsauslegung im römischen Recht (1972) 78; ManteZlo Beneficium servile - debitum naturale (1979) 314 f. Fn. 193; Viarengo (0. § 2 Fn. 1) 39 ff. IZ Nach Donatuti 158 ist das Pelrulienlegat derselben Bedingung unterworfen wie die Freilassung; so wie uns der Text von Iav. 22/1 vorliegt, kann dies nicht sein, da die Aussetzung auf den Freiheitstag nur Ausnahmefall ist. 83 Ulp. 2605 D. 36.2.7.6: nam servo legati reZieti ante aditam hereditatem
dies non cedit; 2663 D. 36.2.8: nam cum libertas non pTius eompetat quam adita hereditate, aequissimum visum est nee legati diem ante cedere; Iul. 534 I. 2.20.20 (vgl. Tryph. 29 D. 15.1.57.1, Ulp. 2680 D. 33.8.8.8): Iulianus ait, si quidem ipsi manumisso peculium legatum fueTit, omne, quod ante aditam hereditatem adquisitum est, legataTio eedere, quia dies huius legati ab adita hereditate cedit. Julian beruft sich zur Begründung auf die späte cessio diei zugunsten des testamente manumissus; wir nehmen an, daß dieses Prinzip
schon vor ihm Geltung hatte. M Iul. 520 D. 30.91.1 = D. 35.1.86.1; Ulp.2663: ... inutile fieret legatum ...
quod evenit, si servo pure legetur et liber esse sub condicione iubeatur et pendens condicio inveniatur et post aditum hereditatem.
§ 4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
54
Cass. 135 Gai. 2.244 An ei, qui in potestate sit eius, quem heredem instituimus, recte legemus, quaeritur. Servius recte legari putat, sed evanescere legatum, si, quo tempore dies legatorum cedere solet, adhuc in potestate sit; ideoque sive pure legatum sit et vive testatore in potestate heredis esse desierit, sive sub condicione et ante condicionem id acciderit, deberi legatum. Sabinus et Cassius sub condicione recte legari, pure non recte putant; licet enim vive testatore possit desinere in potestate heredis esse, ideo tamen inutile legatum intellegi oportere, quia, quod nullas vires habiturum foret, si statim post testamentum factum decessisset testator, hoc ideo valere, quia vitam longius traxerit, absurdum esset ...
Der Erblasser hat dem Sklaven des eingesetzten Erben legiert. Nach Servius ist das Legat zunächst gültig; wird der Sklave vor dem dies Zegati cedens frei, so bleibt es gültig, andernfalls wird es unwirksam. Cassius verneint in jedem Falle die Gültigkeit eines unbedingten Legates: wenn der Erblasser sofort nach Testamentserrichtung stürbe, so fiele das Legat an den Sklaven des Erben, und die Konfusion träte sofort ein; ein späterer Tod kann aber ein solches von Anfang an ungültiges Legat nicht retten. Dagegen ist ein bedingtes Legat wie bei Servius gültig und bleibt es auch, wenn der Bedachte vor dem dies cedens - also dem Bedingungseintritt - frei wird. Das Ergebnis ist mit demjenigen identisch, welches spätere Juristen durch die Anwendung der regula Catoniana erreichten: unbedingte Legate werden nach dem Zeitpunkt der Testamentserrichtung beurteilt85 , auf bedingte Legate wird die regula nicht angewandt88 , so daß der Sklave die Chance hat, noch vor dem dies cedens frei zu werden. Wenden wir das Prinzip 67 des Cassius aus Gai. 2.244 auf unseren Fall an, so muß das unbedingte Legat an den statuliber nach dem Zeitpunkt ,der Testamentserrichtung beurteilt werden; dann ist aber der statuliber noch Sklave des Erblassers, und das Legat ist nie wirksam geworden. So wäre das Pekulienlegat unwirksam, und die Frage nach der Höhe des Sonderguts könnte gar nicht gestellt werden. Spätere Juristen gewährten dem statuliber die Rechtswohltat, den dies cedens eines ihm ausgesetzten Legats erst bei Erbschaftsantritt anzunehmen68 ; wenn 15
Ulp. 2622 D. 30.41.2 i. f.
I' Ulp. cit., Pap. 242 D. 34.7.3.
17 Wenn Gajus in seinem Kontroversenbericht die reguZa Catoniana nicht erwähnt, so muß man daraus schließen, daß sie dem Cassius nicht oder nicht unter dieser Bezeichnung bekannt war; mit ihrem Namen wird sie zuerst bei Cels. 250 D. 34.7.1 genannt. Alles deutet darauf hin, daß sie überhaupt ,erst eine Entwicklung des 2. Jhdts. n. Chr. war und die Entscheidung von Sabinus und Cassius in ihrer Zeit keine Allgemeingültigkeit hatte; vgl.
Hausmaninger, TR 36 (1968) 471. 88
Oben Fn. 63.
§
4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
55
schon Cassius diese Ansicht vertreten hätte, wäre gleichwohl der statuliber am dies cedens immer noch unfrei, und das Legat unwirksam, weil er ja seine eigene Freiheitsbedingung noch nicht erfüllt hat. b) Auch die Annahme, daß die Freiheitsbedingung bereits vor dem Erbschaftsantritt erfüllt wurde, führt zu Schwierigkeiten. Julian und Ulpian hatten in diesem Fall keine Bedenken gegen die Gültigkeit des Legats69 ; Cassius dagegen mußte auch jetzt das Legat für unwirksam ansehen, weil es eben pure legatum war und es für ihn keine Rolle spielte, ob die Freiheitsbedingung vor dem dies cedens (ganz gleich, ob dieser beim Tod des Erblassers oder beim Erbschaftsantritt eintrat) erfüllt werden konnte: licet enim vivo testatore possit desinere in potestate heredis esse. c) Es ist unwahrscheinlich, daß der Cassius der Gajus-Stelle eine andere Meinung vertrat als der Cassius unserer Javolen-Stelle. Daher müssen wir nisi id legatum in tempus libertatis collatum esset Cassius absprechen. Nur dann löst sich der Widerspruch: das vermachte Sondergut ist auf den Freiheitstag ausgesetzt, und am dies cedens wird der Sklave frei und kann sofort sein Legat erwerben. Daß das Legat ein bedingtes sei, mußte nicht besonders erwähnt werden, hatten doch Labeo und Trebaz bereits ein unbedingtes Legat an den statuliber wie ein unter die Freiheitsbedingung gesetztes angesehen, was Javolen in der Epitome aus Labeo berichtePO; zumindest für Javolen war es daher selbstverständlich. Der nisi-Satz dürfte aus einer Randnotiz in den Text geraten sein; sie muß von einem Leser stammen, dem es nicht gegenwärtig war, daß das legatum peculium jedenfalls auf den Tag des Freiheitserwerbs ausgesetzt war, und der glaubte, distingieren zu müssen71 • d) Das peculium kann wachsen und abnehmen; wann immer es den Eigentümer wechselt, ist ein Stichtag für die Berechnung seines Bestandes erforderlich. Julian72 , dessen Ansicht sich durchsetzen sollte, berechnete das Pekulienlegat an einen testamentarisch Freigelassenen mit dem Bestand am dies legati cedens, das Pekulienlegat an einen Dritten mit dem Bestand am Todestag des Erblassers. Es ist zu vermuten, daß Cassius den für den statuliber jeweils ungünstigsten Stichtag vorsah. Der statuliber bekam das Sondergut mit dem Bestand am Oben Fn. 64. Iav. 172 = Lab. 2 post. a Iav. ep. D. 32.30.2. 71 Ein gewisses Indiz für die Unechtheit des nm-Satzes mag man darin erblicken, daß Dorotheos in seinem Index den Satz nicht so, sondern sinnändernd übersetzt, Sch. 2 zu Bas. 48.5.29 BS 2906.29 ff. 72 Iul. 534 (oben Fn. 63). 89
70
§ 4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
56
Todestag des Erblassers; Zuwachs bis zum Erwerb des Legats verblieb beim Erben, Abnahme seit dem Tode ging dagegen zu Lasten des statuZiber. 2. Javolen empfand diese Lösung als evident73 ungerecht und wandte sich gegen seinen Lehrer. Als Stichtag setzte er den Tat des Eintritts der Freiheitsbedingung; da nach Iav. 32.30.2 das Legat - wie wir sahen - unter derselben Bedingung stand, war dieser Tag auch der dies legati cedens. Bis zum dies cedens konnte das Legat mit dem peculium abnehmen und (quoque) wachsen74, unbeschadet der Macht des Eigentümers, dem Sklaven jederzeit das pecuZium zu entziehen: si modo ab herede ei ablatum non sit7ö • Julians Lösung, welche wir oben (1 d) kennengelernt haben, orientierte sich wie die Javolens am dies cedens. War der dies cedens des dem statuliber ausgesetzten Legats (lav. 22) der Tag, an dem die Freiheitsbedingung eintrat, so war er beim Vermächtnis an den praesenti die manumissus (Iul. 534) der Tag des Erbschaftsantrittes. Am Prinzip hat Julian nichts geändert; Javolens hoc iure utimur konnte bestehen bleiben7G • Eine von Javolen auch sonst gebrauchte 77 und auch bei anderen Juristen beliebte78 rhetorische Wendung leitet die Abkehr von der Meinung des Cassius ein: videamus, ne ... augmentum quoque ... legato cessurum sit: "auch der Zuwachs d ü r f t e zum Vermächtnis fallen"7t1.
Wieling 78. Der bekannte Topos des Marcian (276 D. 15.1.40 pr) findet sich auch hier; über die philosophischen Wurzeln vgl. Cuiacius, Ad Afr. tract. IX, ad D. 12.1.38, IV 389. 75 Vgl. Pomp. 514 D. 15.1.4 pr. 78 Donatuti 158 f. hält den Schlußsatz für unecht, da die herrschend gewordene Lösung erst von Julian stamme. Das ist jedoch nicht richtig, denn die Festlegung des Stichtages auf den dies cedens ist javolenisch, und daran hat Julian trotz weiterer Differenzierung in Iul. 534 festgehalten. Vielmehr ist gerade eine Wendung wie "hoc iure utimur" ein "Indiz für Problemsituationen" (Kaser, Zur Methodologie der römischen Rechtsquellenforschung, SBer. Ak. Wien 277.5 [1972] 23) und paßt genau in ein Fragment, welches sich mit einer überholten Lehrmeinung kritisch auseinandersetzt. 77 Iav. 2 post. Lab. 186 D. 35.1.40.2, 5 post. Lab. 210 D. 41.2.51, beide Male als von Labeo herrührend zitiert. 78 Nachweise für videamus, ne "es dürfte wohl" (und videndum, ne) in VIR V 1347.25 - 34 und 1349.1 - 10, mit einigen Fehlzeiten VIR IV 48.18 - 51. 78 Videamus, ne heißt eigentlich "wir wollen prüfen, daß nicht", in dieser Bedeutung ist die Wendung dem griech. ol,>u, f.t1] verwandt (so auch BS 2907.1 T]f.ttL~ öe 'LÖCOf.ttV, f.t1]1ton), aber kaum ein spezifischer Gräzismus. In der weiteren Bedeutung "es dürfte wohl" dient die Wendung besonders der Einschränkung des Vorhergehenden, z. B. Iul. 375 D. 37.6.32, 845 D. 33.3.1, der Differenzierung, z. B. Proc. 6 D. 41.1.55, der Ablehnung einer Differenzierung, so immer bei Javolen (22, 186, 210); vgl. auch Kühner / Stegmann, Satzlehre 11 255, Kalb, Wegweiser in die römische Rechtssprache (1912) 94 f. Das dem 73
74
§ 4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
57
IV. Iav. 12 pr Auch im letzten Fragment wird Cassius indirekt zitiert und auch hier wendet sich J avolen ausdrücklich von ihm ab. Iav. 2 ex Cassio 12 D. 35.1.54 pr80 Si quis legata, quibus dies adposita non esset, annua bima trima die dari iussit et alicui, cum pubes esset, pecuniam legavit, id quoque legatum annua bima trima die post pubertatem praestandum esse in commentariis Gaii scriptum est, quia magis condicio quam dies legato adiecta esset. Contra ego sentio, quia fere dies ponitur ad proroganda ea, quae ad praesens tempus, non etiam quae in futurum legata sunt, diesque pubertatis habet aliquam temporis demonstrationem. Um den Erben bei der Auszahlung von Legaten nicht übermäßig zu belasten, pflegte man bei Vermächtnissen vertretbarer Sachen eine Klausel beizufügen, wonach alle Legate, die nicht schon ohnehin später fällig waren, erst in drei Jahresraten zu zahlen waren81 : Quas pecunias legavi, quibus dies adpositus non est, annua bima trima die heres meus dare damnas esto. In unserem Falle hatte der Erblasser diese Klausel im Testament gebraucht und einem Legatar Geld vermacht, wenn er mündig sei. Es fragte sich, ob die Bestimmung .. cum pubes erit" ein .. dies" im Sinne der Klausel sei, so daß keine Ratenzahlung eintrete. 1. Cassius verneinte die Frage, da die Mündigkeit des Vermächtnisnehmers eher eine Bedingung als eine Befristung sei; folglich sei dem Legat kein dies hinzugefügt und die Klausel finde Anwendung. Cassius steht damit ganz in der Linie der klassischen Jurisprudenz. Die Bestimmung .. eum pubes erit" paßt sich nicht so leicht in die gängige Unterscheidung82 von condido .. Bedingung" (incertus an) und dies .. Termin, Befristung" (certus an) ein. Rechnete der Erblasser sicher damit, daß der Bedachte den Tag seiner Mündigkeit erlebte, so meinte er seine Bestimmung als aufschiebende Befristung (dies certus an et quando), wollte er aber das Legat nur für den Fall aussetzen, daß der Bedachte videamus folgende ne ist die finale Konjunktion, Kühner / Stegmann 252 Fn. I, Kalb 94, VIR IV 48.18 ff., falsch Heumann j Seckel, Handlexikon 362
s.v.ne.
80 Glück / Mühlenbruch, Pandecten 41 (1840) 61 f. Fn. 2; Kniep, Der Rechtsgelehrte Gajus und die Ediktskommentare (1910) 34; Eckardt (1978) 23. 81 Wortlaut: Ulp. 2535 D. 30.19 pr, 2597 D. 30.30 pr. Die Klausel wird geradezu als vulgaris clausula bezeichnet, Afr. D. 33.4.4, Ulp. D. 30.30.4; vgl. Watson, Suecession (1971) 155 f. 82 Die Abgrenzung certusjincertus an geht in dieser Form auf das gemeine Recht zurück, vgl. v. Savigny, System III (1840) 208, Windscheid / Kipp I 503 f. Fn. 4, 6; dem Inhalte nach galt sie aber auch im römischen Recht, Jörs / Kunkel 84, Grosso, Legati (1962) 422, Kaser, RP I 253, 258.
§ 4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
58
den Tag seiner Mündigkeit erlebte, so wollte er eine aufschiebende Bedingung (dies incertus an, certus quando). Die klassischen Juristen begriffen Legate, welche auf die Mündigkeit des Bedachten ausgesetzt waren, als bedingte83 , Fideikommisse dagegen, welche erst bei Mündigkeit aus gefolgert werden sollten, als befristete8". Die Auslegung nach dem Willen des Erblassers geschah offenbar leichter bei Fideikommissen85 • Zwei Reskripte schufen widersprechendes Recht: Septimius Severus und Caracalla bezeichneten sowohl die Legate als auch die Fideikommisse, die auf ein bestimmtes Alter ausgesetzt waren, als bedingt, Alexander Severus dagegen als befristet88 • 2. Javolen: In aller Regel diene ein dies dazu, ein jetzt bereits fälliges Legat aufzuschieben, nicht aber, ein erst in Zukunft fälliges weiterzuschieben. Dieses Argument ist nur verständlich, wenn man dies (ponitur) auf die Terminierung der Ratenklausel und nicht auf den Mündigkeitstag bezieht. Ein unbefangener Leser könnte annehmen, dies meine den Mündigkeitstag, da nach contra ego sentio erwartet wird, daß J avolen diesen Tag im Gegensatz zu Cassius als dies ansieht. Doch ist mit dem durch dies aufgeschobenen Objekt "ea, quae ad praesens tempus, non etiam, quae in futurum legata sunt" das Legat gemeint, welches durch "cum pubes erit" bestimmt ist; der dies, welcher "ea, quae, cum pubes erit, legata sunt" aufschiebt, ist dann die Ratellklausel. Dem Argument Javolens liegt der Zweck der Ratenklausel, nämlich die Entlastung des Erben, zugrunde; entlastet werden soll er nur von sofort fälligen Legaten. Da der Mündigkeitstag jedenfalls in der Vorstellung des Testators noch nicht eingetreten ist, ist das Legat "cum pubes erit" noch nicht fällig und wird von der Ratenklausel nicht berührt. Erst hieraus folgt, daß "cum pubes erit" ein dies ist. Die Argumentation arbeitet nicht mit einer Definition von "dies" und einer Subsumtion von "cum pub es erit" unter "dies"; vielmehr kommt es Javolen gar nicht darauf an, ob "cum pub es erit" dies oder condido sei, sondern nur darauf, ob der Erbe bei legata, cum pubes eTit Entlastung verdiene. Die teleologische Auslegung führt zu J avolens Ergebnis.
83
Iul. D. 40.4.16, Pomp. D. 36.2.22 pr, Paul. D. 36.2.21 pr, Ulp. 2642 D.
30.49.2.
84 Iav. 130 D. 36.1.48 (hierzu Eckardt 21 ff.), Scaev. D. 34.1.18.2, Pap. 621 D. 36.2.26.1 und (differenzierend) 630 D. 40.5.23.3. 85 Siber, SZ 48 (1928) 762, Wieling (0. Fn. 61) 89 ff., Eckardt 23. 81 Sev. et Ant. 204 C. 6.53.3 (Eckardt 23 Fn. 12 bezweifelt diese Aussage de~ Reskripts), Alex. 226 C. 6.53.5.
§ 4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
59
Die Lösung steht im klassischen Recht vereinzelt da; andere Juristen waren durch die Subsumtion von "cum pubes erit" unter "condicio" (incertus an) gezwungen, die Ratenklausel anzuwenden. Javolens Entscheidung löste sich von der formalen Argumentation und orientierte sich an der Interessenlage. 3. Der zweite Teil der Begründung - diesque pubertatis habet aliquam temporis demonstrationem - vermag hingegen nicht zu befriedigen. Während die teleologische Auslegung nach der ratio der Ratenklausel interessengemäß und gerecht erscheint, klingt dieser Satz wie ein Rückfall in das allzu Begriffliche; schlimmer noch, er genügt in seiner Verschwommenheit den strengen Anforderungen einer schlüssigen Deduktion nicht87 • Dennoch versagen wir uns die Annahme eines nachklassischen oder kompilatorischen Einschubs; der Satz erklärt sich nämlich, wenn man bedenkt, daß J avolen gegen die vorherrschende Meinung, die den dies pubertatis nicht als Befristung geIten ließ, anging. Es scheint nämlich, daß Javolen mit dem letzten Satz auf eine Tradition Bezug nahm, welche den Mündigkeitstag als dies auffaßte. Spuren der Argumentation dieser Lehre finden sich in einer Bemerkung Ulpians: Ulp. 19 ad Sab. 2597 D. 30.30.5 Cui congruit, quod Trebatius existimat, si cui legetur, quando annorum viginti erit, vulgarem hanc clausulam cessare. Die Ratenzahlungsklausel findet nach Trebaz keine Anwendung, wenn ein Legat mit der Bestimmung ausgesetzt ist, "quando annorum XX erit". Trebaz versteht also, wie später Javolen, die Aussetzung auf ein bestimmtes Lebensalter als dies, so daß dem Legat "dies adpositus est". Ulpian ist, wie schon viele vor ihm, anderer Meinung88 • Die Argumentation des Trebaz können wir vielleicht erschließen, wenn wir Ulpians "cui congruit" nachgehen; er teilt uns nämlich mit, daß Trebaz' Ansicht mit einer anderen übereinstimme, welche er im vorhergehenden Paragraphen dargestellt hat: Ulp. 2597 D. 30.30.4 Sed et si sub condicione sit legatum relictum, potest dici cessare annuam adiectionem, quia dies incertus appellatur condicio. Auch bei einem bedingten Legat könne man die Meinung vertreten, daß die Ratenklausel nicht anwendbar sei. Ulpian, der sich von dieser Ansicht 87 Sintenis bei atto / Schilling / Sintenis 111 619 übersetzt präzisierend "und so begreift auch der Eintritt der Mündigkeit die Bezeichnung eines [künftigen] Zeitpuncts." Daß Javolen aber aliquam tutun temporis demon.strationem gemeint haben sollte, so daß der Schlußsatz nur die Ausführung der in quia fere etc. begonnenen Deduktion wäre, können wir dem Text nicht entnehmen. 88 Ulp. 2642 D. 30.49.1 - 3.
§ 4. Fragmente, in welchen Cassius zitiert wird
60
vorsichtig distanziert (potest dici), liefert auch ihre Begründung: die condicio heiße nämlich auch "dies incertus". Wenn ein Legat, welchem ein dies beigefügt ist, nicht in Raten zahlbar ist, dann ist ein Legat sub condicione von der Ratenklausel ausgenommen, da ja ein dies, nämlich ein dies incertus (wie die condicio genannt wurde) beigefügt ist. So würde ein bedingtes Legat nie unter die Ratenklausel fallen. So einfach ist es aber nicht; vielmehr führt der Zusammenhang zu der Erkenntnis, daß Ulpian nur von einer bestimmten Kategorie der dies incerti spricht. nämlich von den dies incerti an, certi quando, wie die Erreichung eines bestimmten Lebensalters, sonst wäre die überleitung "cui congruit" in § 5 zum Fall des Trebaz nicht einleuchtend. Auch Paulus bezeichnet gerade eine Bestimmung "CUDl pubes erit" als Beifügung eines dies incerfus8°. Der Kernpunkt der trebazischen Mindermeinung, nämlich die Bezeichnung des Mündigkeitstages als dies incertus, findet sich bei Javolen wieder: diesque pubertatis habet aliquam temporis demonstrationem. 4. In unserem Fragment folgt der teleologischen Argumentation eine begriffliche Begründung, welche - wie wir annehmen - aus der Tradition des Trebaz stammt. Diese Annahme wird durch die Beobachtung gestützt, daß nach Labeo Trabaz (über die Vermittlung von Labeo) der von Javolen meistzitierte Autor ist: in insgesamt 208 Zitaten führt Javolen 23 Juristen an, davon Trebaz 32mal, nur noch übertroffen von Labeo (87 Zitate)9o. Als Javolen von Cassius abwich,· genügte ihm die selbst gefundene Begründung nicht, sondern er fügte noch einen bei Labeo aufgefundenen Topos des Trebaz zum selben Fall hinzu 91 .
Paul. 2068 D. 36.2.21 pr; die Rechtsfolge ist aber die der condicio. Honore, Gaius (1962) nach S. 153; die Trebazzitate auch bei Bremer I 386 f., 390 f., vgl. Berger, Trebatius (Nr. 7), RE Suppl. VII (1940) 1620.39. 89
00
91 Auch oben (zu Fn. 70) sahen wir, wie Javolen in der Lehre von den bedingten Legaten auf Trebaz zurückgriff.
§ 5. Doppelüherlieferungen Nach den vier Fragmenten, in welchen Cassius von Javolen zitiert wurde, wenden wir uns nun einigen Stellen zu, in denen sich Spuren cassianischen Gedankenguts durch Parallelüberlieferungen in den Digesten nachweisen lassen. I. Iav.9 Die Javolenstelle steht in einer Katene; da sie nur aus diesem Zusammenhang verständlich ist, ist es angezeigt, den Kontext wiederzugeben. Paul. 4 ad Sab. 1669 D. 33.7.9 De grege ovium ita distinguendum est, ut, si ideo comparatus sit, ut ex eo fructus caperetur, non debeatur: si vero ideo, quia non aliter ex saltu fructus percipi poterit, contra erit, quia per greges fructus ex saltu percipiuntur. Ulp. 20 ad Sab. 2608 D. 33.7.10 Si reditus etiam ex meUe constat, alvei apesque continentur. Iav.2 ex Cassio 9 D. 33.7.111 Eadem ratio est in avibus, quae in insulis maritimis aluntur. Nach Iav. fr. 11 gilt für die Vögel, welche auf Meeresinseln gehalten werden, dasselbe wir im vorangehenden fr. 10, nämlich daß sie zum instrumentum legatum gehören, wenn Einkünfte auch aus ihnen erzielt werden. 1. Ulpian behandelt im 20. Buch ad Sabinum den fundus cum instrumento veZ uti instructus est Zegatus 2• Sabinus hatte in einem Ziber ad ViteZZium die Bestandteile des instrumentum fundi mit 1 Bremer II 2 (1901) 48 Nr. 45, 441 Nr. 5; Steinwenter, Fundus eum instrumento, SBer. Ak. Wien 221.1 (1942) 35 Fn. 4. 2 Die Rubrik geht wohl auf Sabini Zibri ad ViteZZium zurück, vgl. LeneZ, Das Sabinussystem, Festgabe Jhering (Straßburg 1892) 46; Schulz, SabinusFragmente in Ulpians Sabinus-Commentar (1906) 47 ff. Zur Herkunft des justinianischen Titels D. 33.7 aus dem Sabinussystem siehe Soubie, Recherches sur les Origines des Rubriques du Digeste (1960) 74, und Solazzi, Seritti III 531 f.
62
§ 5. Doppelüberlieferungen
DIp. 20 ad Sab. 2607 D. 33.7.8. pr ea ... quae fructus quaerendi cogendi conservandi gratia parata sunt definiert3 ; unter die quaerendi gratia parata fallen unter gewissen Voraussetzungen auch die zum Grundstück gehörenden Tiere. Für die Bienen teilt Ulp. 2608 mit, daß sie samt ihren Bienenstöcken zum instrumentum fundi gehörten, wenn die Einnahmen aus dem Grundstück aue h durch Honig erzielt würden; "etiam" weist auf den Gegensatz zum vorhergehenden fr.9, in welchem Paulus eine Schafherde nur dann zum instrumentum zählt, wenn sie als ein z i g e s Mittel zur Bodenverwertung angeschafft worden ist. Aus "etiam" schließen wir, daß Ulpian sich in dem nicht exzerpierten Teil vor Ulp. 2608 mit Paulus' Ansicht über die Schafherde auseinandergesetzt hat, sie vieUeicht zitiert hat und nun mitteilt, daß Bienen nicht nur dann zum instrumentum legatum gehören, wenn sie einziges Mittel sind, sondern schon dann, wenn sie neben anderen Mitteln zur Bodenverwertung dienen. An kurz darauf folgender Stelle findet sich eine zweite Spur der Kontroverse: während Paul. D. 33.7.22 pr = PS 3.6.45 die Jagdgeräte nur dann zum instrumentum fundi rechnet, wenn die Einnahmen aus dem Grundstück hauptsächlich durch die Jagd geschehen, gehören Jagdsklaven und -gerät für Ulpian schon dann zum instrumentum, wenn überhaupt Jagden auf dem Grundstück stattfinden (Ulp. 2609 D. 33.7.12.12, 13). 2. J avolens Vögel, die auf Meeresinseln gehalten werden, lassen sich eindeutig als Pfauen identifizieren. Pfauen zählten seit dem ersten vorchristlichen Jahrhundert zum feineren Tafelluxus, und ihre Zucht war ein einträgliches Geschäft. Um sie am Fortfliegen zu hindern, hielt man sie auf küstennahen Inseln4 • Ebenso wie Bienen mit ihren Bienenstöcken, so gehörten auch Pfauen auf den Inseln zum instrumentum fundi, wenn sie (und das war regelmäßig bei ihnen der Fall) überhaupt der Gewinnziehung dienten. Der Analogieschluß von den Bienen auf die Vögel geht auf Sabinus und Cassius zurück, wie wir aus DIp. 2609 = Cass. 78 D. 33.7.12.13 ... nec mirum, cum et aves instrumento exemplo apium contineri Sabinus et Cassius putaverunt erfahren. Der Schluß setzt voraus, daß der Vordersatz (Zugehörigkeit der Bienen zum instrumentum) zu Sabinus' Zeit bereits Gültigkeit hatte; folglich geht DIp. 2608 auch auf Sabinus zurück5 • DIpian dürfte 3 Zum Nachleben der Formel bis in die byzantinische Zeit vgl. Astolji, Studi suU'oggetto dei legati in diritto romano 11 (1969) 11 Fn. 23. 4 Colum. re rust. 8.11.1, Varro re rust. 3.6.2. Ausführlich behandeln die Pfauenzucht Orth, Geflügelzucht, RE VII (1910) 912 ff., Hehn, Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa (8. Aufl. 1911) 361, Steier, Pfau, RE XIX (1938) 1414 ff.; Toynbee, Animals in Roman Life and Art (1973) 250 ff. Schon die Glosse (GI. insulis D. 33.7.11) wußte, daß es sich bei Javolens Vögeln um Pfauen handelte. 5 Vgl. Astolfi, Studi 11 8 Fn. 18.
§ 5. Doppelüberlieferungen
63
die Meinung des Sabinus in dessen libTi ad Vitellium gefunden haben, an welche Ulpian auch sonst die Behandlung des Instrumentenlegats geknüpft hat; Cassius hat über den von seinem Lehrer gefundenen Analogieschluß vermutlich in den libri iuris civilis berichtet, da er in Iav. 9 durchscheint. 3. Das tertium comparationis, welches den Sabinus zu seinem Ana10gieschluß führte, ergibt sich aus folgendem Zusammenhang. Zum natürlichen Eigentumserwerb lehrt Gajus, daß Bienen von Natur aus wilde Tiere seien, jedoch in die Kategorie der gezähmten und damit eigentumsfähigen Tiere übergingen, sobald sie sich im Bienenstock befänden; Pfauen seien deshalb von Natur aus wild, weil sie wegflögen und wiederkehrten, denn auch die Bienen, für die es feststehe, daß sie wild seien, verhielten sich ebenso: Gai. 2 rer. cott. 491 D. 41.1.5 (2) Apium quoque natura fera est: itaque quae in arbore nostra consederint, antequam a nobis alveo concludantur, non magis nostrae esse intelleguntur quam volucres, quae in nostra arbore nidum fecerint ... (5) Pavonum et columbarum fera natura est nec ad rem pertinet, quod ex consuetudine avolare et revolare solent: nam et apes idem faciunt, quarum constat feram esse naturam ... Unausgesprochen ist die Folgerung, daß Pfauen wie Bienen dann eigentumsfähig werden, wenn sie nicht mehr entfliehen können. Bienen fliegen nicht mehr weg, wenn sie einen Bienenstock haben; Pfauen bleiben am Ort, wenn sie auf einer Insel leben. Beide Tierarten sind dann als gezähmte erkennbar, wenn sie in einem abgegrenzten Raum untergebracht sind - die Bienen im Stock, die Pfauen auf der Insel. Diese Lehre von der Eigentumsfähigkeit klingt bei Ulpian und Javolen D. 33.7.10 und 11 an: alvei apesque und avibus in insulis - die Juristen befanden es jeweils für notwendig, das materielle Substrat mitzuerwähnen. Sabinus hat den Schluß von den Bienen auf die Vögel vielleicht aus der Eigentumslehre entnommen: so wie die Pfauen eigentumsfähig werden, wenn sie durch die Unterbringung auf einer Insel am Wegfliegen gehindert werden, so gehören die Pfauen zum instrumentum, wenn sie auf einer Insel der Gewinnziehung dienen. 4. Das oben erwähnte Cassiuszitat Cass. 78 ist angegriffen worden'. Es steht in folgendem Zusammenhang: Ulp. 20 ad Sab. 2609
=
Cass. 78 D. 33.7.12.12 - 13
(12) Si in agro venationes sint, puto venatores quoque et vestigatores et canes et cetera, quae ad venationem sunt necessaria, instrumento contineri,
• Beseler, Beiträge IV (1920) 197, vgl. auch III (1913) 63: cum c. ind.
64
§ 5. Doppelüberlieferungen
maxime si ager et ex hoc reditum habuit. (13) Et si ab aucupio reditus fuit, aucupes et plagae et huius rei instrumentum agri instrumento continebitur: nec mirum, cum et aves instrumento exemplo apium contineri Sabinus et Cassius putaverunt. In der Tat ist es sonderbar, wenn die Zugehörigkeit der Jagdsklaven zum instrumentum mit der Zugehörigkeit der Vögel begründet wird. Auf den ersten Blick erscheinen die aves als Objekt des aucupium, mithin als die Vögel, die gejagt werden. Dann ist der Schlußsatz als Begründung für das Vorhergehende aber nicht tauglich. Sieht man dagegen in den aves die Mittel zur Jagd, so fügt sich das Cassiuszitat in den Zusammenhang ein: nachdem Ulpian sich in § 12 von Paulus' Lehre, nur bei überwiegender Jagdnutzung gehöre das Jagdinventar zum instrumentum7 , distanziert hat, fügt er in § 13 modo subalternationis8 hinzu, auch Vogelfangsklaven und -netze gehörten zum instrumentum fundi, wenn überhaupt Vogeljagden stattfänden; der Schlußsatz (nec mirum - putaverunt) ist als Argument dann tragbar, wenn die aves dem Vogelfang dienen, also jagende oder Lockvögel sind. Doch spielte die Falknerei im Italien der frühen Kaiserzeit keine Rolle9 , und es wäre höchst verwunderlich, wenn hier Jagdvögel gemeint wären. Eher kann man an LockvögePO denken, deren Zugehörigkeit zum J agdwerkzeug unmittelbar einleuchtet. Allerdings stört die unspezifische Bezeichnung "aves" statt - wie man erwarten würde - "illices" oder "allectores" . Daher ist nec mirum - putaverunt eher als Texteinschub erklärbar, welcher aus einem Zusammenhang "aves = Vögel als Objekt von Jagd oder Tierhaltung" in diesen Zusammenhang "aves = Vögel als Mittel zur Jagd" geraten ist. Der Vergleich mit Iav. 9 D. 33.7.11 läßt vermuten, daß ein nachklassischer Leser kurz zuvor dem Text entnommen hatte, daß Sabinus (D. 33.7.10) und Cassius (D. 33.7.11) die Vögel den Bienen verglichen, und nun ein Glossem einfügte, welches später in den Text geriet. Dieser Leser vergegenwärtigte sich nicht, daß die aves in insulis (fr. 11) Pfauen waren, die mit den Jagdmitteln, als welche die aves in fr. 12.13 verstanden werden müssen, nichts gemein haben; oder er verstand die aves seines Glossems als jagdbare Vögel, dann übersah er die Paul. D. 33.7.22 pr, PS 3.6.41,45, vgl. Astolji, Studi 11 20, 25. Vom allgemein bejahenden Urteil wird auf das partikulär bejahende geschlossen (ad subalternatum): wenn SaP, dann SiP, vgl. Arist. Top. B 1.2, 109a3, Bochenski, Formale Logik (2. Aufl. 1962) Nr. 16.10. o Sie ist im römischen Reich überhaupt erst gegen Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. und in größerem Umfang nur in Afrika aufgekommen, vgl. Hehn (oben Fn. 4) 378, Schrader bei Hehn 381, Reinach, Venatio, DS V (1919) 693. 10 Zu den Lockvögeln vgl. Blümner, Die römischen Privataltertümer (1911) 526 f. 7
8
§ 5. Doppelüberlieferungen
65
Unzulässigkeit seines Schlusses von den Jagdobjekten auf die Jagd... mittel und die grundsätzliche Verschiedenheit der gezüchteten Vögel (fr. 11) von den gejagten (fr. 12.13)11. Auch ein weiteres Glossem in Ulp. D. 33.7.12, nämlich das berühmte "Cassius apud Vitellium"12, hat SChUZZ 13 als Lesernotiz aus Paul. 2070 D. 33.7.18.11 schlagend nachgewiesen: Ulp. 20 ad Sab. 2611 D. 33.7.12.27 ... et Sabinus [definit et Cassius] apud Vitellium notat ... Eine Notierung des Cassius zu Vitellius hat es also nie gegeben; vielmehr hat ein Leser des 20. Buchs ad Sabinum Verweisungen angemerkt. 5. Die Feststellung des Glossems bei Ulp. D. 33.7.12.13 führt zu einer wichtigen Erkenntnis für die Textgeschichte der libri ex Cassio. Wenn nämlich der Leser eine Notiz in § 13 eingefügt hat, so hat er sie am ehesten aus eben derselben Buchrolle gewonnen, welche er gerade las; der zitierte Schluß von apes auf aves dürfte also auch in Ulp. 20 ad Sab. gestanden haben. Betrachten wir die Ulpiankette im Titel De instrumento veZ instructo legato, so wird die Arbeitsweise der Kompilatoren deutlich: D.33.7.8 D.33.7.9 D.33.7.10 D.33.7.11 D.33.7.12
Ulp. Paul. Ulp. Iav. Ulp.
20 ad Sab. 2607 zitiert: Sab. ad Vit. 4 ad Sab. 1669 20 ad Sab. 2608 "etiam" 2 ex Cass. 9 20 ad Sab. 2609 - 2611 zitiert zahlreiche ältere Juristen.
Honore 14 hat aus statistischen Gründen vermutet, daß die zahlreichen Textketten, welche aus ineinander verwobenen Fragmenten der Sabinusbücher von Ulpian, Paulus und Pomponius bestehen15 , zum größeren 11 LeneZ, Palingenesia I 278 Fn. 1 und Il 1082 Fn. 2, sieht den Zusammenhang zwischen D. 33.7.11 und D. 33.7.12.13. Bremer trennt hingegen die beiden Fragmente, weil er sich am hinkenden Vergleich stört; Iav. 9 habe ursprünglich das Legat von Vögeln (vgl. PS 3.6.76) behandelt (Il 2,48) - an anderer Stelle (Il 2, 441) weist er Iav. 9 dem ususfructus Zegatus zu (vgl. Ulp.-Cass. D. 7.1.9.5 und PS 3.6.22). Da Iav. 9 in den Digesten unter der Rubrik des Instrumentenlegats erscheint, ist es grundsätzlich am wahrscheinlichsten, daß der javolenische Text dieses und nichts anderes behandelt hat. 12 Vgl. Jörs, Cassius (Nr. 60), RE III (1899) 1738.25, Bremer Il 2, 30 f., Krüger, Geschichte (1912) 160 Fn. 46. 13 SchuZz, Geschichte (1961) 262 Fn. 2; anders Guarino, Bull. 66 (1963) 16 zu Fn. 87, AstaZfi, IURA 16 (1965) 115 ff., Liebs, St. Volterra V (1971) 66 Fn. 63, ANRW Il 15 (1976) 210 zu Fn. 82. 14 SZ 80 (1963) 362 ff., 377. 15 Die Bücher 1 bis 3 der Sabinusmasse; seine Untersuchung bezieht sich auch auf Ulp., Paul. ad ed., Gai. ad ed. prav. Jedoch gehen die Textketten auch außerhalb dieser Buchgruppen häufig auf Zitate, die schon in den Klassikern vorhanden waren, zurück, so Paul.-Afr.-Paul. D. 19.1.43 - 45, vgl. fr. 45 pr.: Africanus refert (Hanare 363), Ulp.-Iul.-Ulp. D. 29.2.40 - 42, vgl. fr.
5 Manthe
66
§ 5. Doppelüberlieferungen
Teil nicht erst von den Kompilatoren geschaffen wurden, sondern auf Zitate in den von ihnen benutzten Klassikerausgaben zurückgehen, welche von ihnen nachgeschlagen und aus Zitaten in direkte Auszüge verwandelt wurden. Diese Vermutung wird durch unseren Befund bestärkt. Schon oben (1) haben wir erschlossen, daß Ulp. 2608 eine Auseinandersetzung mit Paulus vorausging; wahrscheinlich hat Ulpian die in Paul. 1669 vertretene Ansicht zitiert; von den Kompilatoren wurde dieses Zitat nachgeschlagen und als eigenes Fragment D. 33.7.9 ausgeschrieben16 • Auch Iav. 9 führen wir auf ein ursprünglich bei UIpian vorhandenes Zitat zurück, welches dann direkt als D. 33.7.11 exzerpiert wurde. Der Urheber des Glossems in Ulp. D. 33.7.12.13 hat seine Kenntnis aus Ulp. 2608 (dessen Inhalt wohl auf Sabinus zurückgeht) und ,,2608 a" (Cassius) bezogen; bei Ulpian muß noch erkennbar gewesen sein, daß die Sätze über die Bienen und Vögel auf Sabinus und Cassius zurückgingen. Der Ausschnitt aus Ulp. 20 ad Sab. läßt sich dann etwa so rekonstruieren: Ulp.
2607 2607a 2608 2608a 2609 - 2611
Zitat bei Ulp. Sab. ad Vit. (Paul. 4 ad Sab.) (Sab. ad Vit.) (Iav. 2 ex Cass.) [nec mirum etc.] [definit et Cassius]
Dig.
33.7.8 [33.7.9] 33.7.10 [33.7.11] 33.7.12 33.7.12.13 33.7.12.27
Art der Textgestaltung direkte Exzerption Zitat gestrichen17 direkte Exzerption Glossem aus 2608, 2608 a Glossem aus Paul. 2070.
6. Unsere Untersuchung hat erbracht, daß Javolen mit aves, quae in insulis maritimis aluntur Pfauen meinte. Diese wurden dann zum instrumentum eines vermachten Grundstücks gezählt, wenn sie der Gewinnziehung dienten. Ihre rechtliche Behandlung glich der der Bienen: sie waren als wilde Tiere wie die Bienen nur dann eigentumsfähig, wenn sie durch ihre Unterbringung ortsfest waren, und sie gehörten wie die Bienen nur dann zum instrumentum, wenn sie der Gewinnziehung dienten.
42 pr.: Iulianus libro vicesimo sexto digestorum scripsit, ganz deutlich Iul.Pomp. D. 28.5.41 - 42, vgl. Lenel, Palingenesia 11 153 Fn. 1. 18 Fitting, Alter und Folge der Schriften römischer Juristen von Hadrian bis Alexander (2. Aufl. 1908) 100, beobachtet, daß Ulpian niemals Paulus zitiert. Dies auf Rivalität gegenüber Paulus zurückzuführen (wie Fitting), ist
kaum möglich; wäre dem so, so würde man eher erwarten, daß Ulpian seinen Kollegen auf Schritt und Tritt widerlegte und nicht einfach totschwiege. Vielmehr erklärt sich der Befund dadurch, daß die Exzerptaren regelmäßig in den ihnen leicht zugänglichen Pauluswerken nachschlugen und alle Zitate direkt auszogen; vgl. auch Berger, Iulius (Nr. 382), RE X (1918) 694.9 ff. 17 Wie Ulp. 2607 dürfte auch 2608 nicht aus den libri iuris civilis, sondern aus den libri ad Vitellium entnommen sein, oben Fn. 2.
§ 5. Doppelüberlieferungen
67
Außerdem konnten wir die Entstehung der Ulpiankatene D. 33.7. 8 -12 erklären: die eingerückten Fragmente Paul. fr. 9 und Iav. fr. 11 gehen auf Zitate bei Ulpian zurück. Dies wird einerseits durch das Glossem in D. 33.7.12.13 erwiesen, welches voraussetzt, daß fr. 11 zur Zeit der Glossierung Teil des Ulpiantextes war, andererseits durch die Polemik von Ulp. fr. 10 gegen Paul. fr. 9, aus der wir schließen, daß Ulpian den Satz des Paulus zitiert hatte. II. Iav. 55 und 54 1. Bei zwei benachbarten Fragmenten ist die Verarbeitung eines cassianischen Falls wahrscheinlich.
a) Iav. 13 ex Cassio 55 D. 50.17.198 18 Neque in interdicto neque in ceteris causis pupillo nocere oportet dolum tutoris sive solvendo est sive non est. Zumeist wird das Fragment auf das interdictum de tabuZis exhibendis bezogenl9 : § 232 EP Quas tabulas Lucius Titius ad causam testamenti sui pertinentes reliquisse dicetur, si hae penes te sunt aut dolo mal.o tuo factum est, ut desinerent esse, ita eas illi exhibeas. Bei der Behandlung desselben Falles hat Paulus die gleiche Entscheidung getroffen: Paul. 69 ad ed. 775 D. 43.5.420 Si sint tabulae apud pupillum et dolo tutoris desierint esse, in ipsum tut.orem competit interdictum: aequum enim est ipsum ex delicto suo teneri, non pupillum. Ein Vormund hat arglistig ein Testament, welches im Besitz des Mündels war, beiseite geschafft. Das Interdikt richtet sich in diesem Falle nicht gegen das Mündel, sondern gegen den Vormund; denn der 18 Cuiacius, Comm. in 1. 20 quaest. Pap., ad D. 26.9.3, IV 1440 f., Rec. sol. ad 1. 19 Dig., ad D. 19.1.13.7, VII 1225, Rec. sol. ad 1. 50 Dig., ad D. 50.17.198, VI 2144, Comm. rep. prae1. ad tit. D. 50.17., ad 1. 198, VI 1970; Faber, Rationalia in primam et secundam partem Pandectarum I (1631) 563 ff., Glück, Pandecten 31 (1829) 25 f., Bremer 11 2 (1901) 77, Schulz, SZ 27 (1906) 125, 43 (1922) 258, Solazzi, Scritti I 506 Fn. 1, 510 = Bull. 24 (1912) 117 Fn. 1, 123; Albertario, Studi IV 330 = RIL 46 (1913) 575 ff.; Niederländer, Die Bereicherungshaftung im klassischen römischen Recht (1953) 133 f. Fn. 10; MayerMaly, Labeo 6 (1960) 23 Fn. 90; Glück-Ubbelohde, Pand. 43/4 I (1889) 411. 19 Faber, Glück, Bremer, Solazzi, abwägend Cujaz IV 1440 f., VI 1970, 2144 unter Verweis auf D. 43.24.11.6 (hierzu unten 2). 20 Vielleicht 64 ad ed., Lenel, Palingenesia I 1084 Fn. 3.
5·
68
§ 5. Doppelüberlieferungen
Haftungsgrund ist deliktischer Natur, und das Mündel muß für das Verhalten seines Vormundes nicht einstehen 21 • b) Das andere Fragment gehört zum selben Buch und behandelt ausdrücklich das interdictum de tabulis exhibendis: Iav. 13 ex Cassio 54 D. 43.5.5 22,
23
De tabulis proferendis interdictum competere non oportet, si hereditatis controversia ex his pendet aut si ad publicam quaestionem pertinet: itaque in aede sacra interim deponendae sunt aut apud virum idoneum. Das Interdikt ist nicht zulässig24 , wenn eine controversia hereditatis oder eine öffentliche Strafklage anhängt; das Testament muß daher für die Zwischenzeit in einem Tempel oder bei einem zahlungsfähigen26 Sequester hinterlegt werden. Das Interdikt ermöglicht jedem, der ein Interesse am Testament hat, den Besitzer des Testaments zu zwingen, dieses beim Prätor vorzuweisen. Der Interdiktengegner kann zwar bestreiten, daß er das Testament besitze28 , oder zwar den Besitz zugeben, aber seine Vorweisungspflicht 27 bestreiten; der Interdiktenbefehl wird gleichwohl erteilt und das Vorbringen des Gegners erst im Nachverfahren (actio ex interdicto) geprüft. Da also die Berufung auf exhibere non oportere den Interdiktenbefehl nicht hindert, kann mit "controversia hereditatis" dieser 21 Vgl. Schmidt, Das Interdiktenverfahren der Römer (1853) 195 f., Niederländer, a.a.O. 22 Glück, Pandecten 31 (1829) 26, Glück / Mühlenbruch, Pandecten 43 (1843) 383 ff., Heimbach, Interdicte, RL V (1844) 579, Schmidt, Interdiktenverfahren (oben Fn. 21) 223, Muther, Sequestration und Arrest im Römischen Recht (1856) 173 ff., Demelius, Die Exhibitionspflicht in ihrer Bedeutung für das classische und heutige Recht (1872) 234, Arangio-Ruiz, Scritti I 74 f. = AG 76 (1906) 486 f., Berger, Interdictum, RE IX (1916) 1649, Solazzi, L'estinzione dell' obbligazione nel diritto romane (2. Aufl. 1935) 157 f. Fn. 1, Biscardi, Interdictum de tabulis exhibendis, NNDI VIII (1962) 806, Voci, DER 11 (2. Aufl. 1963) 107 Fn. 8, 108 Fn. 22, Vidal, RH 43 (1965) 553; Glück-Ubbelohde, Pand. 43/4 I 480, III (1891) 254 ff. 23 Westphal, zitiert bei Glück 31, 26 Fn. 58, emendiert ut si für aut si; die sinnändernde Emendation ist nicht erforderlich. Für pertinet emendieren (mit Bezug auf tabuZae) pertinent Vulgata und HaZoander (nach Brenkmann bei Gebauer / Spangenberg), von Brenkmann und Mommsen (ed. maL) ge-
billigt.
24 Krüger, ed. ster., gefolgt von Berger, RE IX 1649.37, verdächtigt competere. 25 Ein vir idoneus ist ein zahlungsfähiger, zur persönlichen Sicherung tauglicher Mann, vgl. Kübler, St. Albertoni I (1935) 306 ff. 28 Ulp. D. 43.5.1.1: si negat se exhibere posse; D. 29.3.2.8: neget penes se tabulas esse. 27 Ulp. D. 43.5.1.1: veloportere; D. 29.3.2.8: non patiatur inspici et describi. Zu den Stellen, vgl. Biscardi, La protezione interdittale nel processo romano
(1938) 85 und NNDI VIII 806.
§ 5. Doppelüberlieferungen
69
Einwand nicht gemeint sein; vielmehr muß controversia hereditatis ein Streit über das Bestehen eines Rechtsverhältnisses außerhalb des exhibere oportere sein28 • Die controversia ist der eigentliche Erbschaftsstreit (hereditatis petitio), in welchem es um die Pflicht des Beklagten zur Herausgabe einer Erbschaft geht. In diesem Erbschaftsstreit ist der Beklagte nicht verpflichtet, eine Urkunde (also auch ein Testament) vorzuweisen, aus welcher sich das Recht des Klägers ergeben soll; vielmehr ist es Sache des Klägers, seine Beweismittel herbeizuschaffen29 • Wenn der Erbschaftskläger die Vorlage eines ihm günstigen Testaments nicht einmal im ordentlichen Verfahren des Formularprozesses verlangen kann, so kann er diese Vorlage auch nicht mit dem interdictum de tabulis exhibendis erzwingen. Der Prätor wird also die Erteilung des Interdikts ablehnen, wenn der Interdiktengegner zugleich Beklagter eines Erbschaftsprozesses ist, da der Gegner sich sonst schaden müßte 30 • Der Schlußsatz (itaque - idoneum) überrascht. Wenn der Interdiktengegner das Testament ohnehin nicht vorlegen muß, ist es nicht einzusehen, warum er es dann noch hinterlegen soll. Arangio-Ruiz31 streicht daher den Schlußsatz, welchen er als nachklassischen Einschub (im Hinblick auf PS 4.6.1) ansieht. Auch im klassischen Recht findet sich aber eine sinnvolle Erklärung für den Schlußsatz. Wenn nämlich der AntragssteIler des Interdikts ein anderer ist als der Erbschaftskläger, so kann zwar dem Interdiktengegner solange nicht zugemutet werden, das Testament vorzuweisen, als er fürchten muß, durch die Vorweisung (wenn auch gegenüber einem Dritten) einen Nachteil in 28 So die jüngeren Autoren seit Muther. Schmidt begreift die Stelle so, daß dem Interdiktengegner, der aus besonderen Gründen sein exhibere oportere bestreite, eine exceptio eingeräumt werde; unsere Stelle erklärt das Interdikt jedoch überhaupt für unzulässig, was bei einem bloßen Bestreiten der Vorweisungspflicht nicht möglich sein kann (oben Fn. 27), und competere non oportet gibt einer exceptio keinen Raum. Demelius bezieht competere non oportet auf den Fall, daß der Interdiktengegner das Testament bereits arglistig beiseite geschafft habe, so daß er es nicht mehr in Natur exhibieren könne und der Befehl des Prätors ins Leere gehe; dies ändert jedoch nichts daran, daß der Gegner weiterhin verpflichtet bleibt, das Testament vorzuweisen, selbst wenn es nicht mehr existiert (si haec penes te sunt aut dolo malo tuo factum est, ut desinerent esse), und im Nachverfahren dann verurteilt wird, weil er die Vorweisungspflicht nicht erfüllen konnte; auch wäre die Hinterlegung eines beiseite geschafften Testaments sinnlos. 29 Nemo tenetur edere contra se (vgl. Arangio-Ruiz, Seritti I 75). Eine explizite Formulierung des Prinzips scheint in den Quellen nicht aufzufinden zu sein, aber vgl. Ant. Pius 155, Ant. 212, 225 C, 2.1.1, 4, 8. Der Satz muß schon von Hadrian existiert haben, da dieser eine Ausnahme zu Gunsten des Fiskus zuläßt (Call. D. 49.14.2.1, vgl. auch § 2); vgl. Dioel. 293 C. 4.20.7 = cons. 6.14; Muther, Sequestration 174 Fn. 2.
30 31
Muther 174. Arangio-Ruiz I 75.
70
§ 5. Doppelüberlieferungen
dem anhängigen Erbschaftsprozeß zu erleiden32 ; ist aber der Erbschaftsprozeß mit dem Erbschaftskläger zu Ende, so kann der Erbschaftsbeklagte in seiner Rolle als Interdiktengegner dem AntragssteIler das nemo tenetur edere contra se nicht mehr entgegenhalten. Zur Sicherung des künftigen Rechtes auf Vorweisung ist die Hinterlegung des Testaments geeignet33 • Arangio-Ruiz vermißt bei dieser Erklärung 34 einen Hinweis im Text, daß J avolen an zwei Prozesse gedacht habe. Der Einwand verschlägt jedoch nicht, da Javolen auch in der zweiten Alternative (ad publicam quaestionem) zwei verschiedene Prozesse vor Augen hat, nämlich das Interdiktenverfahren und den öffentlichen Strafprozeß. Schwebt neben dem Interdiktenverfahren ein Strafprozeß de talsis, so kann auch hier der Interdiktengegner dem exhibere oportere erfolgreich mit dem Einwand, er schade sich im Strafprozeß, begegnen35 • Wie Javolen den Einwand aus der publica quaestio gegen das Interdikt zuläßt, so gestattet er auch den Einwand aus einem Erbschafts streit mit einem anderen Kläger gegen das Interdikt. Diokletian ließ in einem ähnlichen Fall eine cautio genügen (293 C. 6.42.24); da unter Diokletian, als die Sequestration ihren höchsten Aufschwung erlebte, kaum ein milderes Recht gegolten haben dürfte als bei Javolen, wird Javolen wohl auch eine einfache cautio des Interdiktengegners zugelassen haben, welche später weggestrichen wurde SG • Ob die cautio bei Javolen nur als Alternative zur Hinterlegung gestanden hat oder erst nachklassisch durch die Hinterlegung ersetzt worden ist, kann aus der Quellenlage nicht entschieden werden; mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nehmen wir an, daß Javolen beide Mittel zuließ37. 32 Vgl. Call.-Hadr. D. 49.14.2.1: nec alias dubitari oportet, quin non in aliam rem nocere debeant, quam in eam, qua desiderata sunt. Zwar kann der Fiskus auch Exhibition von Urkunden durch den Beklagten verlangen (oben Fn. 29), aber nur dann, wenn sie ihm nicht in einem anderen Prozeß schaden. S3 Zur Hinterlegung im Tempel, vgl. Ulp. D. 10.2.4.3 (klassisch, Kaser, RP I 693, gegen Arangio-Ruiz I 78), D. 31.77.26 = Vat. 257, Muther 363 ff., Voci, DER 11 107 f. Die grundsätzliche Verdächtigung der deposito in aede bei Solazzi, Estinzione 157 f. Fn. I, überzeugt nicht. 84 Heimbach, RL V 579, Muther 275, Biscardi, NNDI VIII 806. 35 Ebenso schließt Call.-Divi Fratres D. 49.14.2.2 das Recht des Fiskus aus, Urkunden zu verlangen, welche den Beklagten in einem Kapitalprozeß belasten könnten. Glück 31, 26, nimmt an, daß gegen die Echtheit des Testaments Zweifel entstanden seien, so daß das Interdikt so lange ausgesetzt werde, bis die Zweifel behoben seien. Zweifel an der Echtheit sind aber grundsätzlich kein Grund, das interdictum de tabulis exhibendis nicht zu erteilen: Ulp. D. 43.5.1.3, Afr. D. 48.10.6 pr, Heimbach, RL V 579 Fn. 544, Biscardi, NNDI VIII 805. SG Vgl. auch Mac. D. 1.18.16 für den Provinzialprozeß. Muther 175 und Arangio-Ruiz I 75 nehmen ebenfalls an, daß Javolen an eine cautio gedacht habe. Wenn Arangio-Ruiz allerdings einerseits Muthers Theorie von zwei verschiedenen Prozessen verwirft und daher den Schlußsatz streicht, ande· rerseits aber für eine ursprüngliche cautio im Javolentext eintritt (die doch nur im Fall zweier Prozesse Sinn hat), so erscheint dies nicht ganz folge~ richtig.
§ 5. Doppelüberlieferungen
71
Neben dem Wegfall der cautio ist eine zweite Textveränderung möglich, aber nicht sicher: wenn die controversia hereditatis nur dann einen Einwand gegen das Interdikt hergibt, wenn der Erbschaftsprozeß mit einem Dritten geführt wird, wäre im Sachverhaltsbericht ein Hinweis auf diesen Dritten zu erwarten. Dieser Hinweis mag in lav. 54 gestanden haben und dann weggefallen sein; er mag aber auch durch den vorhergehenden Kontext überflüssig gewesen sein. Nur im ersten Fall ist eine Textveränderung zu vermuten. 2. Die nahe Verwandtschaft von Iav. 55 mit Paul. 775 und Iav. 54 macht es wahrscheinlich, daß auch der Kontext von Iav. 55 im interdictum de tabulis exhibendis zu suchen ist. Andererseits ist ein ganz ähnlicher Satz des Cassius aus anderem Zusammenhang überliefert:
Ulp.71 ad ed. 1596 = Cass. 121 D.43.24.11.6 38 Si tutoris iussu aut curatoris factum sit, cum placeat, quod Cassius probat, ex dolo tutoris vel curatoris pupillum vel furiosum non teneri, eveniet, ut in ipsum tutorem curatoremque aut utilis actio competat aut etiam utile interdictum, certe ad patientiam tollendi operis utique tenebuntur pupillus et furiosus. Die Stelle behandelt das interdictum quod vi aut clam; wer auf dem Grundstück eines anderen gewaltsam gegen dessen Verbot oder heim.. lich gegen dessen Willen eine Anlage errichtet hat, ist zur Beseitigung verpflichtet; wer die Anlage innehat, ohne Täter zu sein, muß die Beseitigung dulden39 • Hat ein Mündel auf Geheiß des Tutors die Interdiktsvoraussetzungen erfüllt, so ist es der Vormund, welcher für den Interdiktenbefehl passiv legitimiert ist4o • Da der Haftungsgrund deliktischer Natur ist, muß der Vormund selbst für sein Handeln einstehen41 ; gegen ihn richtet sich das interdictum 42 • 37 Wenn die cautio bei Diocl. D. 6.42.24 eine sogenannte prätorische Stipulation (Kaser, RZ 335 ff.) sein sollte, wäre nur BürgensteIlung und keine Hinterlegung möglich (Ulp. D. 46.5.7); es besteht jedoch kein Anlaß, eine solche für das Interdiktenverfahren anzunehmen (Arangio-Ruiz 75). 38 Textkritik bei Niederländer (oben Fn. 18) 135 Fn. 10, vor allem Schulz, SZ 43 (1922) 258 f. Daß curator und furiosus interpoliert sein sollen (Schulz), leuchtet angesichts tenebuntur (Plural!) nicht recht ein; daß Javolen in lav. 55 D. 50.17.198 nur vom tutor spricht, ist auch dann kein Argument, wenn lav. 55 und Cass. 121 auf dieselbe Quelle zurückgehen sollten, denn der curator kann in der javolenischen Epitome auch weggefallen sein; schließlich ist eine erst kompilatorische Einfügung des curator neben dem tutor grundsätzlich nur dort zu erwarten, wo sich die beiden Rechtsinstitute angenähert haben (z. B. tutela impuberis und cura minoris, Kaser, RP 11 223), nicht dort, wo das justinianische Recht die klare Abgrenzung des klassischen Rechts fortsetzt (cura furiosi, Kaser, RP 11 236 f.). 3D § 256 EP, Kaser, RP I 409. 40 Die ähnliche Entscheidung Ulp.-Lab. D. 43.24.5.10 behandelt nicht den Fall iussu tutoris, sondern nur die Prozeßvertretung des Mündels durch den Vormund (alieno nomine interdici posse), Schmidt, Interdiktenverfahren 216. 41 Niederländer 133 f. Fn. 10, Kaser, RP I 409.
72
§ 5. Doppelüberlieferungen
Zur Begründung zitiert Ulpian die Regel des Cassius "ex dolo tutoris ... pupillum non teneri". Aus der Stelle ergibt sich jedoch nicht, ob Cassius diese Regel auch im Zusammenhang mit dem interdictum quod vi aut clam oder in anderem Zusammenhang angewandt hat43 • 3. Mit "sive solvendo est sive non est" in Iav. 55 wendet Javolen sich gegen eine zu seiner Zeit aufkommende Lehrmeinung, nach welcher das Mündel dann für die Handlungen seines Vormundes einzu... stehen hat, wenn dieser zahlungsfähig ist, so daß der Rückgriff gesichert bleibt44 • Javolen bezieht das Mündel jedenfalls dann nicht in die Haftung mit ein, wenn der Vormund deliktisch gehandelt hat; demnach hat der Satz Iav. 55 einen weiteren Anwendungsbereich als nur das interdictum de tabulis exhibendis. So wie er uns überliefert ist, könnte er die in Regelform ge faß te Begründung einer konkreten Entscheidung sein45 • Eben dies läßt sich aber auch vom Satz des Cassius "ex dolo tutoris pupillum non teneri" sagen; auch dieser Satz gehört nicht unbedingt nur in den Zusammenhang des interdictum quod vi aut clam, sondern ist in seiner regelhaften Allgemeinheit als Begründung für mannigfaltige konkrete Entscheidungen tauglich. Genau so hat Ulpian den cassianischen Satz verwendet. Die Aussage der bei den Sätze ist nahezu gleich; man kann daher annehmen, daß Ulp. 1596 und Iav. 55 auf dieselbe Stelle in den libTi iuris civilis des Cassius zurückgehen. Da beide überlieferungen sich im Interdiktenrecht befinden, ist die Regel des Cassius auch dieser Materie zuzuordnen. 42 futile] interdictum: Lenel, EP 482 Fn. 13, Schulz, SZ 43, 259, zweifelnd Kaser, RZ 321 Fn. 35. Die utilis actio dürfte die justinianische Klage von I. 4.15.8 (Kaser, RZ 525 Fn. 17) sein, welche für die Interdikte eintrat (RZ 416 Fn. 28, Schulz, a.a.O.). 43 Bremer II 2, 47, will Cass. D. 43.24.11.6 nicht zum int. quod vi aut clam
stellen, da Cassius dieses Interdikt gar nicht behandelt habe; jedoch gehört Cass. 120 D. 43.24.3.7 zum int. q. v. a. c. (Ulp. 71 ad ed.l), was Bremer (77 Nr. 23) zu unde vi ordnet (das wäre Ulp. 69 ad ed.). 44 Nach Sabinus haftet das Mündel aus dem Handeln des Vormundes in Höhe seiner Bereicherung (Pap. D. 26.9.3, ebenso Sab. ebenda und bei Ulp. D. 21.2.4.1); Aristo (Pomp. D. 26.7.61) und Pomp. (ebenda und D. 26.9.1, bei Ulp. D. 15.1.21.1 und D. 14.4.3.1) vertreten die neuere Lehre, wonach das Mündel haftet, wenn der Rückgriff gesichert ist; Ulpian differenziert nach der Art des Geschäftes: D. 26.9.4: extrinsecus, D. 44.4.4.23: dummodo rem (seil. pupilli) administret. Zum Problem vgl. Cuiacus, Obs et em 25.30, I 1143, Glück 31, 18 ff., Rudorff, Das Recht der Vormundschaft II (1833) 340 ff., Schulz, SZ 27, 125 ff., Solazzi, Seritti I 506 ff., Albertario, Studi IV 323 ff., Niederländer (oben Fn. 18) 129 ff., Kaser, RP I 361 Fn. 10. 45 Neque in ceteTis causis wird als Glossem angesehen (Faber, Solazzi, Niederländer). Allerdings wäre dann nur "neque" statt "neque ... neque" zu erwarten, da Glosseme die Satzstruktur meist nicht ändern.
§ 5. Doppelüberlieferungen
73
III. Iav.56 Iav. 14 ex Cassio 56 D. 50.16.11346 Morbus sonticus est, qui cuique rei nocet. Der morbus sonticus ist eine Krankheit, welche allem schadet. In dieser Allgemeinheit ist die Definition unbrauchbar; die Kompilatoren haben sie aus einem Zusammenhang genommen, den wir erschließen müssen. Es lohnt, hier weiter auszuholen. 1. Der morbus sonticus begegnet uns in zwei verschiedenen Bereichen: a) Die Zwölf Tafeln (2.2) ordneten Vertagung an, wenn der Richter oder eine Partei vom morbus sonticus befallen wurde: morbus sonticus ... aut status dies euro hoste ... quid horum fuit (vitium) [unum] iudici arbitrove reove, eo dies diffisus esto. Das klassische Zivilprozeßrecht kannte den morbus sonticus als einen der Disposition der Parteien entzogenen zwingenden Vertagungsgrund47 : Iul. 5 dig. 75 D. 42.1.60 ... morbus sonticus etiam invitis litigatoribus ac iudice diem differt. sonticus autem existimandus est, qui cuiusque rei agendae impedimente est ... b) In den Kommentaren zum Ädilenedikt wird der morbus sonticus ebenfalls erwähnt, ohne daß wir Genaueres erfahren: Ulp. 1 ad ed. aed. cur. 1760 = Pomp. 167 D. 21.1.4.5 Illud erit adnotandum, quod de morbo generaliter scriptum est, non de sontico morbo, nec mirum hoc videri Pomponius ait, nihil enim ibi agitur de ea re, cui hic ipse morbus obstet. Bemerkenswert ist, so Ulpian, daß im Edikt von Krankheit im allgemeinen die Rede ist, nicht von der "sontischen" Krankheit. Nach Pomponius ist das auch nicht verwunderlich, denn im Edikt (ibi) geht es nicht um diejenigen Angelegenheiten, welchen der morbus sonticus 46 (Nur juristische Literatur): Cuiacius, Rec. sol. in lib. 50 Dig., ad D. 50.16.113, VI 1711 ff.; Bremer 11 2 (1901) 56; Petat, Le detaut in judicio dans la procedure ordinaire romaine (1912) 84; Berger, ACIR I (1934) 67; Impallomeni, L'editto degli edili curuli (1955) 8 Fn. 13; Martini, Le definizioni dei giuristi romani (1966) 158. 47 Kaser, RZ 288 Fn. 39. lul. 5 dig. bildete die Einleitung zur Behandlung von tit. XIV EP De iudiciis (LeneZ, EP 145 Fn. 1). Zur Vertagung wegen morbus sonticus vgl. noch Ulp. 1653 D. 2.11.2.3 zu § 269 EP Si quis vadimoniis non obtemperavit, vgl. Behrends, Der Zwölftafelprozeß (1974) 75 Fn. 254; Paul. 1284 D. 5.1.46 zu § 59 EP De vacatione, vgl. Ulp. 707 D. 5.1.18 pr und LeneZ, EP 167 Fn. 2; lex Urson. cap. 95.
74
§ 5. Doppelüberlieferungen
typischerweise entgegensteht. Ulpian macht darauf aufmerksam, daß ein morbus im Sinne des Sklavenedikts und der morbus sonticus nichts miteinander zu tun haben; ob der morbus sonticus anzeigepflichtige Krankheit im Sinne des Edikts ist, wird hier also nicht berichtet48 • Allerdings schließt Ulpian im vorausgehenden § 4 die Redhibition wegen eines animi tantum vitium aus; der Zusammenhang könnte darin bestehen, daß der unmittelbar darauf genannte morbus sonticus ein geistiger Fehler wäre und keinen Redhibitionsgrund darstellte, was dann Ulpian in § 5 klarstellen würde. Diese Möglichkeit scheint gestützt zu werden durch49 Ven. 5 act. 2 = Cass. 61 D. 21.1.65 pr-l Animi potius quam corporis vitium est, veluti si ludos adsidue velit spectare aut tabulas pictas studiose intueatur, sive etiam mendax (sit) aut similibus vitiis teneatur. (1) Quotiens morbus sonticus nominatur, eum significari Cassius ait, qui noceat: (sontes enim nocentes dici): nocere autem intellegi, qui perpetuus est, non qui tempore finiatur: sed (et) morbum sonticum eum videri, qui inciderit in hominem, postquam is natus sit: [sontes enim nocentes dici]. Venulejus behandelt zunächst die animi vitia, welche nicht zur Gewährleistung führen, und dann den morbus sonticus. Auch hier legt der Zusammenhang nahe, im morbus sonticus ein vitium animi zu vermuten. Was er aber ist, erfahren wir nicht. Nach Cassius war er der "morbus, qui noceat", was mit der Gleichung "sontes nocentes" begründet wird 50 ; nocere aber könne man von einer Krankheit nur sagen, wenn sie andauere (woraus man schließen muß, daß der morbus sonticus für Cassius nicht oder nur schwer zu heilen ist). Außerdem (sed) könne der morbus sonticus wohl auch erst nach der Geburt auftreten. Wie sich aus dem Ace. eum Inf. ergibt, stammt der Gedankengang des 1 § vollständig von Cassius; würde Venulejus von sed ... an sprechen51 , 48 Petot 82; die Interpolationsvermutungen (Ind. Itp.) gehen auf Beseler, Beitr. IV 195 zurück, wo der Text völlig verändert wird. Versteht man mit Schneider bei atto / Schilling / Sintenis 11 523 und Petot 82 ,,(in edieto) de morbo generaliter scriptum", so erhält unsere Stelle Sinn. 49 (sit) Haloander; (et) Huschke, Zur Pandektenkritik (1875) 57: sed et ) s'et) sed; eine ähnliche Textverdebnis findet sich etwa in D. 31.87.4: sed (et) si, vgl. Fitting, SZ 26 (1905) 50 f. Die Versetzung des Schlußteiles sontes enim nocentes dici hinter noceat geht auch auf Huschke, a.a.O., zurück. 50 Sontes enim nocentes dici schreibe ich mit Huschke dem ersten Teil zu. Hierfür sprechen die zu erwartende Gedankenführung "... qui noceat, (quia) sontes = nocentes; sed ..." und der Textbefund: Fl dici, F2PVU dicuntur. Die lectio difficilior "diei" ist von Mommsen zu Recht in den Text genommen worden; F2 und (aus F2) S meinten, daß dici am Ende der langen Periode nicht mehr zum Zitat gehören könne, und emendierten daher in dicuntur. Wenn allerdings sontes - dici unmittelbar an noceat angeschlossen ist, stößt der Infinitiv nicht mehr an. Zur Herkunft der Definition sontes nocentes siehe unten 2 b bb. 51 Dies meint Impallomeni, Editto 8 Fn. 13.
§ 5. Doppelüberlieferungen
75
so müßte es heißen sed morbus sonticus is videtur ... Der zweite 'Teil des Gedankens widerspricht auch nicht dem ersten: Unheilbarkeit der Krankheit schließt nicht aus, daß die Krankheit erst nach der Geburt auftreten könne. Cassius scheint sich aber doch nicht sicher gewesen zu sein, was der morbus sonticus denn eigentlich sei (dici, intellegi, videri). Seine Annahme, er sei perpetuus, widerspricht jedenfalls dem klassischen Recht, wonach der morbus sonticus ein Vertagungsgrund ist. Was kann die Vertagung noch bewirken, wenn der Hinderungsgrund ewig bestehen wird 52 ? Lepri53 möchte auch aus diesem Grunde nocere autem intellegi, qui perpetuus est, non qui tempore jiniatur als Glossem ansehen; er ist dann aber auch gezwungen, in der Festusglosse Paul. Fest. 99.15 L. Ins 0 n s extra eulpam; a quo diei morbus quoque existimatur sontieus, quia perpetuo noeeat
perpetuo als Zusatz des Paulus Diaconus zu erklären. Ein VenulejusBearbeiter hätte jedoch intellegitur statt intellegi an den Rand geschrieben; und Paulus Diaconus ging bei der Exzerption fast nie über die Vorlage des Festus hinaus 54 • Es erscheint daher wahrscheinlicher, daß zur Zeit des Festus (und also auch zur Zeit des Verrius Flaccus) und des Cassius die Perpetuität als Merkmal des morbus sonticus diskutiert wurde. 2. Um näheren Aufschluß über den morbus sonticus zu erhalten, werfen wir einen Blick auf die Wortfamilie sons - insons - sonticus.
a) Die Schriftsteller gebrauchen sons selten, stets im Sinne von "schuldig, Straftäter, Verbrecher"55; häufiger ist insons "unschuldig" 58. Die Glossographen übersetzen sons/insons mit nocens/innocens "schuldig/unschuldig" : Paul. Fest. 99.15 L. Ins 0 n s extra eulpam ... (siehe oben); Fest. 382.13 L. (S 0 n s) noeens, ut ex e(odem verbo insons in)noeens; 52 Rein, Das Privatrecht und der Zivilprozeß der Römer von der ältesten Zeit bis auf Justinian (2. Aufl. 1858) 157 Fn. I, Leerivain, Morbus sontieus, DS III (1904) 2000, Lepri, Sero Ferrini II (1947) 131 Fn. 1 (133). 63 A.a.O. 54 Schanz / Hosius, Geschichte der römischen Literatur II (1935) 365, Lindsay, GL IV 235, sieht perpetuo in Insans 99 L. als echt an. 55 Zuerst Plaut. Capt. 476; Cie. Tuse. 2.41, leg. 3.3.6, off. 1.23.82, Phil. 2.8.18, ad fam. 4.13.3; Ovid. met. 11.268, 13. 563; Verg. Aen. 10.854; Stat. Theb. 4.475,
641, 5.489, 610. 58
Th. L. L. VII 1941.3 ff. insans mit zahlreichen Belegen.
§ 5. Doppelüberlieferungen
76
hieraus PauI. Fest. 383.5 L. 5 0 n s nocens, insons innocens; schließlich Fest. 372.5 L. ... quod sonte(s) significat nocentes ... Die beiden letzten Stellen (382.13, 372.5) gehören der Gruppe von Wörtern an, welche Verrius Flaccus als Nachtrag zu bereits alphabetisch geordneten Wörtern zusammengestellt hatte und die bei Festus ihre Herkunft durch ihren Platz als zweite Gruppe innerhalb des Buchstabens verraten57 • Aus Festus haben spätere Glossographen geschöpft, zum Beispiel58 : GI. Abstrusa CGL IV 173.21 = GL III 79 SO 22 sontes nocentes, hieraus dann: GI. Abavus CGL IV 392.31 = GL II 111 SO 28 sontes nocentes, GI. Abba CGL IV 287.15
=
GL V 125 SO 44
sontes nocentes, GI. AA CGL V 482.38 = GL V 357 SO 605 sontes nocentes. b) Sonticus ist eine Ableitung von sons. Die Adjektive auf -(i)cus wurden im Italischen zuerst für Begriffe der politischen und militärischen Amtssprache gebraucht50 ; nur in diesem Bereich findet sich auch sonticus. Als Rechtswort der Zwölf Tafeln war das Wort in klassischer 57 Schanz / Hosius 11 364; zu 372.5 vgI. Reitzenstein, Verrianische Forschungen (1887) 76 Anm. 1. 58 Die Glossae Abstrusa sind auf dem um 750 n. Chr. geschriebenen (Lindsay, GL 111 praef. XV und 93, gegen Goetz, CGL IV praef. VII) cod. Vatic. 3321 erhalten; über die Abhängigkeit von Festus vgI. Wessner, CGL I 346. Die Gleichung sons nocens findet sich häufig in den Glossaren, vgI. den Index in CGL VI und VII; direct aus Festus geschöpft haben noch PS.-Philoxenus, CGL 11 186.17 = GL 11 271 SO 54 (vgI. Goetz, CGL I 28 § 11, Laistner, GL 11 130 ff., Lindsay, GL IV 78 und zu den Stellen bei Festus), ferner GI. Abolita, GL 111 169 SO 4 (vgI. Lindsay, GL IV 392 zu sonticum, zu lesen ist SO 4 statt SO 14), GI. Abstrusa, CGL IV 173.28 (vgI. Wessner, CGL I 346). Neben den im Index zu CGL (insons, sons, sonticus) ausgewiesenen Stellen finden sich noch GL I 305 IN 1132, 310 IN 1575 - 1577, 531 SO 238 - 242, V 273 IN 707 - 709. 58 Leumann, Lateinische Grammatik I (5. AufI. 1926) 229 § 172 XII C; differenzierter in der 6. Aufl. (1977) 337 § 303 I A.
§ 5. Doppelüberlieferungen
77
Zeit zwar bekannt, wurde aber offenbar nicht mehr verstanden, da es bei jedem Vorkommen definiert wurde. Die Definitionen sind nicht präzise; sie lassen erkennen, daß auch die klassische Rechtswissenschaft nur eine vage Vorstellung von der Bedeutung des Wortes hatte. Drei Bedeutungsgruppen lassen sich unterscheiden: aa) "rechtfertigend", bb) "schädlich, hinderlich", ce) "wahr". aal Die älteste Überlieferung versteht den morbus sonticus als Rechtfertigungsgrund, sonticus also als "rechtfertigend". So Aelius Stilo (fr. 36 Funaioli) zu den Zwölf Tafeln bei Fest. 372.5
L.60
s 0 n t i cu m m 0 rb u m in XII significare ait Aelius Stilo certum cum iusta causa. Quem nonnulli putant esse, qui noceat, quod sonte(s) significat nocentes. Naevius ait "sonticam esse oportet causam quam ob rem perdas mulierem" .
Bei Cato (fr. 215 Malcovati) ist die sontica causa ein Hinderungsgrund für alle Geschäfte: Fest. 464.28 L. (S 0 n t i ca) ca usa dicitur a morbo (sontico, propter quam, quod est) gerendum, agere (desistimus. M. Porci)us Cato de re A. Atili: ("Quid dicam causae exti)tisse timidus ne (sis? an impedimento t)ibi causam sonticam (fuisse?" Hierher sind auch die juristischen Fragmente zu zählen: Ulp. D. 2.11.2.3, 21.1.4.5 und Paul. D. 5.1.46 definieren den morbus sonticus nicht, gehen aber deutlich davon aus, daß er ein Hindernis darstellt61 • Julian zieht eine Verbindung zwischen einer schweren Krankheit und der daraus folgenden Verhinderung: Iu1. 5 dig. 75 D. 42.1.60 ... sonticus autem existimandus est, qui cuiusque rei agendae impedimento est. litiganti porro quid magis impedimento est quam motus corporis contra naturam, quam febrem apellant ... si quis sanus alias ac robustus tempore iudicandi levissima febre correptus fuerit ... poterit dici morbum sonticum non habere. 110 Paulus Diaconus exzerpiert (P. Fest. 373.1 L.): So n ti c u m iustum. Naevius: "Sontieam esse oportet eausam quamobrem perdas mulierem." Die übersetzung des Naevius-Zitates (fr. 128 Ribbeek) ist nicht ganz einfach, vielleicht "es muß schon ein rechtfertigender Grund sein, weswegen man die Frau aufgibt". Warmington, Remains of Old Latin 11 (1961) 141: "you ought to have a serious cause fur ruining a woman"; Muller-Jzn, Altitalisches Wörterbuch (1926) 436 übersetzt hier sonticus mit "wirklich, zu Recht bestehend". 01 Ebenso lex Urson. eap. 95 und Gell. noet. att. 16.4.4.
§ 5. Doppelüberlieferungen
78
Nur ein heftiges Fieber ist mOTbus sonticus und kann von der Wahrnehmung von Terminen befreien. Auch Cassius (D. 21.1.65.1) und Afrikan (siehe unten) legen Wert auf die Feststellung, daß der morbus sonticus andauernd oder schwer sei62 • bb) Die zweite Gruppe erklärt sonticus etymologisch aus sons nocens, wobei nocens nicht im Sinne von "schuldig, Missetäter", sondern in der Bedeutung "schädlich, hinderlich" zu verstehen ist. In dieser Bedeutung steht sonticus als Attribut zu mOTbus und ähnlichen Wörtern: Hierher gehört Cass.61 D. 21.1.65.1 ... morbus sonticus ... qui noceat: (sontes enim nocentes dici) ... , ebenso die nonnulli bei Fest. 372.5 L. (sonticum morbum) ... quem nonnulli putant esse, qui noceat, quod sonte(s) significat nocentes
82 Ganz untechnisch wird morbus sonticus in der Bedeutung "schwere Krankheit" von Tibull 1.8.51 gebraucht. Plinius identifiziert als erster den morbus sonticus mit der Epilepsie, nato hist. 36.34.142: (Gagates lapis) deprendit sonticum morbum et virginitatem suftitus "der Rauch (des angezündeten Gagats = Pechkohle) läßt Vortäuschungen von morbus sonticus und Jungfrauenschaft erkennen"; die Parallele mit Dioscur. de materia media 5.128 (ed. Wellmann 111 96) BO"·tL öe )tut tltLA1Jl1lt'tL)trov n..Ei'XO~ UltO~UI1LU~Et~ "geräuchert ist er ein Epilepsietest" läßt die Identifikation von morbus sonticus mit der Epilepsie als sicher erscheinen. Plinius und Dioskurides haben beide aus Sextius Niger IIEQt ÜA1J~ geschöpft, vgl. Wellmann, Dioskurides, RE V (1903) 1133.20 ff.; Deichgräber, Sextius Niger, RE Suppl. V (1931) 972.4 f.; Schanz / Hosius, Geschichte der römischen Literatur 11 359, 774; Kroll, Plinius d. A., RE XXI (1951) 405.37. Dies verkennen die übersetzer, zuletzt Pliny, Natural History, ed. with an Engl. trans. by Eichholz, X (1962) 144; richtig mit Verweis auf Dioskurides Cujaz VI 1711 f., vgl. auch Lesky, Epilepsie, RAC V (1962) 820. Dagegen ist Gell. noct. att. 20.1.27 (hierzu sogleich) kaum ein Beleg für morbus sonticus = "Epilepsie", falsch Lesky, a.a.O., und die übersetzer, zuletzt Aulus Gellius, The Attic Nights, ed. with an Engl. trans. by Rolfe, 111 (4. Aufl. 1967) 416 Fn. 4 und 140 Fn. 3. Die nächste Gleichsetzung des morbus sonticus mit der Epilepsie finde ich erst in den Glossarien, zuerst PS.-Philoxenus, CGL 11 186.20 = GL 11 271 SO 57 sonticus morbus LEQU VOO"O~; dann CGL 11 331.9, 489.4, IV 392.33 = GL 11 111 SO 30. Diese Gleichung kann im klassischen Recht nicht gegolten haben: Iav. 161 D. 21.1.53 rechnet die Epilepsie unter die morbi temporarii (Ulp.-Pomp. D. 21.1.6 pr) des Sklavenedikts, während Cassius den morbus sonticus als perpetuus bezeichnete (D. 21.1.65.1); ferner war die Epilepsie anzeigepflichtig (Iav. D. 21.1.53; vgl. FIRA 111 429.5, 435.27), während Ulpian (D. 21.1.4.5) die Anzeigepflichtigkeit des morbus sonticus offenläßt. Vgl. auch Scipio Gentilis, Dtto, Thes. 4 (1729) 1369.
§ 5. Doppelüberlieferungen
79
und bei Paul. Fest. 99.15 L. Ins 0 n s extra culpam; a quo dici morbus quoque existimatur sonticus, quia perpetuo noceat, ferner Sex. Caecilius (Africanus63 ), von dem wir erfahren, daß die Kommentarliteratur zu den Zwölf Tafeln unter morbus sonticus eine sehr schädliche Krankheit verstand: Gell. noct. att. 20.1.27 Ceteroqui morbum vehementiorem, vim graviter nocendi habentem, legum istarum scriptores alio in loco, non per se "morbum", sed "morbum sonticum" appellant, schließlich noch der Dichter Novius (fr. 37 Ribbeck) bei Non. 2.17 M. Novius Gallinaria: operaeque, actor, cantor, cursor, senium sonticum "schädlicher Verdruß" . ce) Erst spät findet sich sonticus in der Bedeutung "wahr": PS.-Philoxenus CGL 11 186.18 sonti(c)us aA.1]ih]~.
= GL 11 271 SO 55 84
c) Aus dem vorgestellten Material ergibt sich, daß unter morbus sonticus jede Krankheit verstanden werden konnte, welche so schwer war, daß der Erkrankte dringend notwendige Geschäfte wie Terminswahrnehmung nicht verrichten konnte. Die Identifizierung des morbus sonticus mit der Epilepsie, die sich im Mittelalter durchsetzte, läßt sich zwar schon beim älteren Plinius nachweisen 65 , hat aber sonst in der Antike keine Spuren hinterlassen. Unsere oben (1 b) geäußerte Vermutung, der morbus sonticus sei kein morbus, sondern ein animi vitium, wird durch den weiteren Befund nicht gestützt und daher nicht weiter verfolgt. Die etymologische Ableitung aus sons nocens führte ebenfalls zur Bedeutung "rechtfertigende Krankheit", da nur eine "schädliche" Krankheit schwer genug sein kann, um das Versäumnis zu rechtfertigen. G3 Sex. Caecilius bei Gell. n. a. 20.1 wird allgemein mit Afrikan gleichgesetzt, vgl. Cuiacius Obs. et em. 7.2, I 266, Ad Afric. tract. I initio, IV 11; Jörs, Caecilius (Nr. 29), RE 111 (1897) 1193. M Hieraus CGL IV 392.32 = GL 11 111 SO 29 sonticus verax, CGL V 610.7 (aus Isidor?) sonticus verax. 8S Plin. nato hist. 36.34.142 ist vereinzelt und hat keine Spuren in den folgenden Jahrhunderten hinterlassen, vgl. oben Fn. 62.
80
§ 5. Doppelüberlieferungen
Die Sprachgeschichte bestätigt die antike Etymologie, zeigt aber auch, daß die Entwicklung einigermaßen kompliziert verlaufen ist. aal Lat. sons ist seiner Bildung nach ein Partizip zu esse "sein"8B. Dieses Partizip "seiend" ist schon für das Indoeuropäische erwiesen67 • Die davon abgeleitete Bedeutung "wahr" ist ebenfalls bereits für das Indoeuropäische anzunehmen6B • Die Glossen sonticus verax mögen ein später Nachklang der ursprünglichen Bedeutung von sons sein. bb) In der Verbindung mit "Ursache, Grund, Rechtfertigungsgrund" entwickelte sich die Ableitung sonticus über "wahr, bewiesen" zu "rechtfertigend". Dies geschah ohne die Zwischenstufe "schädlich"; dafür sprechen die Boobachtung, daß die Bedeutung "rechtfertigend" früher als die Bedeutung "schädlich" belegt ist und die germanische Parallele germ. *naudiz sundi "wahre Not, rechtfertigende Not" als Bezeichnung eines rechtfertigenden Versäumnisgrundes genau der lat. causa sontica entsprichtBD• ce) Im Strafprozeß entwickelte sich die Bedeutung sons "der, der es ist", "der Wahre" bald zu "der Schuldige", auch hierfür gibt es Parallelen im Germanischen70 • 6ft So zuerst Clemm, Curtius' Studien 3 (1871) 328; weitere Literatur in den etymologischen Wörterbüchern; ferner Watkins, Studies Lane (1967) 186 ff., Seebold, Die Sprache 15 (1969) 35, Szemerenyi, Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft (1970) 152, 292; aus der rechtsgeschichtlichen Literatur: Ceci, Le etimologie dei giureeonsulti romani (1892) 113 Fn. 1, Petot, Le defaut (oben Fn. 46) 78 Fn. 2, von See, Altnordische Rechtswörter (1964) 222 ff. 67 le. *sön, gen/sg *s'(l.t-6s, aee/sg *s6nt-m; das Lateinische hat in den obliquen Kasus nach dem aee/sg die o-Vollstufe hergestellt (kurzes 0, vgl. Gramm. Lat. IV 6.11, 28.26; 11 319.21; VI 479.18) und einen sigmatischen nom/ sg eingeführt (Szemerenyi gegen Leumann, Lat. Grammatik I [1926] 329; vgl. auch Leumann I [1977] 523). 88 Altind. sant- "wahr", Rigveda 7.104.12 (aus ie. *sont-), satya- "wahr" (aus ie. *s'(l.t-i6-); altnord. sannr "wahr" aus germ. *sanpa-z aus ie. *sonto-); heth. asant- "wahr". 89 Germ. *naudiz sundi (woraus altwestnord. naut5syn, mittelniederl. nootsin, altfries. nedskin) hat als zweites Glied das Partizip sundi (wie Seebold, a.a.O., gezeigt hat); diese Form läßt sich direkt auf den ie. nom/sg/fem *snt-i zu *sön zurückführen. Lat. sonticus ist eine Ableitung von ·sont-. Weitere Parallelen im Germanischen führen von See und Seebold sowie A. Schmidt, Echte Not (1888) 5 ff. auf; ein später Nachklang ist insbesondere die österreichische Figur des "Scheinboten" , der sich vom althochd. sunniboto (der die sunne "wahre [Not]" meldete, vgl. das latinisierte sunnis in der lex Saliea) zum "Scheinvertreter" vor Gericht entwickelt hat, Schmidt 11 f., 123 ff., neben den Nachweisen bei Schmidt vgl. noch Fischer, Schwäbisches Wörterbuch V (1920) 745 s. v. Scheinbote. 70 Altnord. sannr heißt sowohl "wahr" als auch "schuldig" (hierzu von See 223 ff., Seebold 26); das Abstraktum althochd. suntea "Sünde" aus germ. *sunp-iö entspricht einer indoeurop. -iä-Bildung (*s'(l.t-iä) wie etwa lat. audac- ia, temperant-ia. Umbr. persuntru, was Ribezzo, RIGI 20 (1936) 82 aus ·per-sont-ro "Sündopfer" herleitet und mit ·sont- verbindet, ist wohl eher fernzuhalten, vgl. Poultney, The Bronze Tables of 19uvium (1959) 263, einerseits und Devoto, Tabulae 19uvinae (3. Aufl. 1962) 243, Pisani, Manuale storieo della lingua latina IV (2. Aufl. 1964) 165, andererseits. Die Bedenken, welche Watkins, St. Lane 191 ff. gegen die Entwicklung "der, der es war" zu "schuldig" äußert, sprechen nicht gegen unsere Dar-
§ 5. Doppelüberlieferungen
81
dd) Der Zusammenhang zwischen den parallelen Bedeutungsentwicklungen von "seiend, wahr" zu sonticus "rechtfertigend" und sons "schuldig" wurde immer gespürt; Zeugnis hierfür ist die antike Etymologie, welche sonticus als nocens "schädlich" verstand und damit die Bedeutung "rechtfertigend" erklärte. Diese Etymologie konstruierte jedoch eine einheitliche Entwicklungslinie "schuldig" -
"schädlich" -
"hinderlich" -
"rechtfertigend" ,
während sich die Bedeutungen tatsächlich bereits bei "wahr" getrennt und in "wahr" -
"rechtfertigend"
und "wahr" -
"schuldig"
verzweigt haben. 3. Stellen wir unser Javolenfragment 56 in den Zusammenhang der überlieferung zum morbus sonticus, so zeigt sich, daß es in der "etymologisierenden" Literaturtradition steht, welche sich von der anderen "funktionalen" Tradition deutlich scheidet. Während nämlich Aelius Stilo (Fest. 372.5 L.), Julian (D. 42.1.60), Paulus (D. 5.1.46) und Ulpian (D. 2.11.2.3, 21.1.4.5) sich damit begnügen, nur die juristische Funktion des morbus sonticus als Rechtfertigungsgrund aufzuzeigen, führt J avolens Tradition den morbus sonticus auf den etymologischen Zusammenhang mit sons "nocens" zurück. a) Vergleicht man nämlich Fest. 372.5 L. S 0 n t i c u m m 0 rb um ... quem nonnulli putant esse, qui noceat, quod sonte(s) significat nocentes .. . mit Cass. 61 D. 21.1.65.1 Quotiens morbus sonticus nominatur, eum significari Cassius ait, qui noceat: (sontes enim nocentes dici): nQcere autem intellegi, qui perpetuus est ... stellung; die von ihm dagegen aufgewiesene hethitische Parallele im 2. Pestgebet des Mursilis § 10.6 a§an-at iyanun-at "seiend (ist) es; ich tat es", welche in der Tat ein frühes Geständnisritual bezeugt (Text bei Götze, Kleinasiatische Forschungen 1 [1929] 216 f., Literatur bei Götze, Kleinasien [1957] 151 Fn. 2), scheint uns nicht genügend, um die Entwicklung von lat. sons "schuldig" zu erklären: lat sons bezieht sich auf den Verbrecher, während heth. asän-at die Sünde (wastul) als "seiende, wahre" bezeichnet. Die Frage der vQrgeschichtlichen Entwicklung von sons bedarf jedoch weiterer Untersuchung, insbesondere im Hinblick auf die weiteren bemerkenswerten Hinweise bei Watkins; hier muß es genügen, die Problematik aufzuzeigen und die Fundstellen nachzuweisen. Vgl. auch Pisani, St. Scherillo 11 (1972) 920. 6 Manthe
§ 5. Doppelüberlieferungen
82
und Paul. Fest. 99.15 L. Ins 0 n s extra culpam (= innocens 383.5 L): a quo dici morbus quoque existimatur sonticus, quia perpetuo noceat, so ist der Zusammenhang ganz augenfällig. Die übereinstimmung zeigt sich in drei Punkten: -
Als Etymologie wird der Plural sontes genannt, obwohl das Wort auch im Singular gebraucht werden konnte 71 • Cassius und Paulus Diaconus nennen perpetuus als Merkmal des morbus sonticus, obwohl dies dem klassischen Recht widerspricht. Dies berechtigt allerdings nicht, perpetuus als späteren Einschub anzusehen, da ein solcher dann für zwei voneinander unabhängige Textgeschichten gefordert werden müßte; eher gehen Cassius und Paulus Diaconus (über Festus und Verrius Flaccus) auf dieselbe Quelle zurück72 • Diese Quelle ist uns nicht namentlich bekannt: Festus (372.5) und Paulus Diaconus (99.15) nennen nicht die Urheber der Meinung "sonticus perpetuo nocens" (nonnulli putant, dici existimatur); und auch Cassius nennt sie nicht, der dieses Wortverständnis nicht als eigenes ausgibt, sondern von ihm berichtet (ait dici, intellegi).
Die Gewährsleute des Cassius und die nonnulli des Verrius Flaccus stehen in derselben Tradition, welche sonticus als Ableitung von sons "nocens" mit der Bedeutung "ständig schadend" definiert: Morbus sonticus est, qui perpetuo nocet, quod sontes significat nocentes. b) Während die Kette nonnulli - Verrius Flaccus - Festus - Paulus Diaconus vollständig isF3, können wir die Kette nonnulli - Cassius weiter verfolgen: Iav. 56 D. 50.16.113 Morbus sonticus est, qui cuique rei nocet zeigt deutlich die Abhängigkeit von Cassius (morbus sonticus, qui noceat), fügt aber doch mit cuique rei ein neues Element hinzu. Für Javolen hindert der morbus sonticus an der Verrichtung jeder Angelegenheit, während er für Pomponius und Ulpian nur einer bestimmten Angelegenheit entgegensteht: 11 Ovid. metam. 11.268, 13.563. Der nom/sg scheint allerdings ungebräuchlich gewesen zu sein, Probus, Gramm. Lat. IV 28.26. 12 Wäre die Festusglosse Insons, von der wir nur den Auszug des Paulus besitzen, erhalten, so könnte das Problem vielleicht entschieden werden. 13 Außer den Glossographen, welche aus Festus exzerpiert haben, vgl. oben Fn. 58.
§ 5. Doppelüberlieferungen
Pomp. 167
83
= Ulp. 1760 D. 21.1.4.5
nihil enim agitur de ea re, cui hic ipse morbus obstet. Die Ansicht, daß der morbus sonticus jeder Tätigkeit entgegenstehe, findet sich aber auch bei Javolens Schüler Julian: Iul. 75 D. 42.1.60 Sonticus autem existimandus est, qui cuiusque rei agendae impedimento est. Dessen Schüler Afrikan wendet sich vom Gedanken der tatsächlichen Hinderung an jeder Sache ab und nimmt die Etymologie sonticus von sons "nocens" in der Bedeutung "schädlich" wieder auf: Gell. 20.1.27 ... morbum vehementiorem, vim graviter nocendi habentem ... morbum sonticum appellant. c) Mit Sicherheit geht Iav. 56 auf eben die Definition des Cassius zurück74 , welche bei Ven. D. 21.1.65.1 überliefert ist. Nicht sicher ist der Zusammenhang, aus welchem das Cassiuszitat des Venulejus und das Javolenfragment entnommen sind.
Petot75 sieht den Zusammenhang in der Behandlung des Ädilenedikts; diese Annahme stützt sich jedoch nur darauf, daß die Kompilation die Venulejusstelle in den Titel D. De aedilicio edieto (21.1) aufgenommen hat. Von diesem Fragment kennen wir jedoch nicht seinen ursprünglichen Ort bei Venulejus78 ; und selbst wenn es in den Digesten suo loeo stünde, könnte wiederum das von Venulejus angeführte Cassius-Zitat aus einem anderen Zusammenhang kommen; schließlich erscheint der morbus sonticus im Kaufrecht sonst nur dann, wenn von ihm gesagt wird, daß er eigentlich gar nicht hineingehöre: Ulp. 1760 D. 21.1.4.5 Illud erit adnotandum, quod de morbo generaliter scriptum est, non de sontico morbo. Ulpian will vielleicht einer übereifrigen Kautelarjurisprudenz entgegenwirken, welche den morbus sonticus in Kaufformulare hineinsetzt.
Lenel stellt das Fragment in der Palingenesia unter die Rubrik De lege XII tabularum. Folgt man dieser Einordnung, so hat J avolen im 14. Buch ex Cassio verschiedene Gesetze (XII tab., Aqu., Falc., eine.) behandelt. H
75 78
6"
So auch Mommsen, ed. mai., und Bonfante et al., ed. Mi!. Le detaut 84 Fn. 3. Vg!. Lenel, Palingenesia II 1207 Fn. 3 zu Ven.
§ 5. Doppelüberlieferungen
84
Wir stellen die palingenetische Einordnung zurück77 und begnügen uns hier mit der Feststellung, daß die einigermaßen umfangreiche Erklärung des Cassius bei Javolen zu einem kurzen Satz geschrumpft ist.
IV. Iav.43 Iav. 10 ex Cassio 43 D. 39.3.1878 Si in publico opus factum est, quo aqua pluvia noceret, agi non potest: interveniente loco publico agi poterit. causa eius rei haec est, quod ea actione non tenetur nisi dominus solus. (I) Sine permissu principis aqua per viam publicam duci non potest. 1. Mit der dezemviralen actio aquae pluviae arcendae konnte der Eigentümer eines Grundstückes vom Nachbarn die Beseitigung solcher Anlagen verlangen, welche ein verstärktes Einströmen von Wasser zur Folge hatten. Die Klage richtete sich nur gegen den Eigentümer des Grundstückes, von welchem die Beeinträchtigung ausging79 • Der Staat konnte kein Eigentümer eines schädigenden Grundstückes sein, da er kein Subjekt des ius civile war 80 ; ein locus publicus stand daher nullius in bonis8 1• Somit war der Staat nicht passiv legitimiert, wenn die schädigende Anlage auf Staats grund errichtet war 82 •
Andererseits stand es einer Klage nicht entgegen, wenn zwischen dem störenden und dem gestörten Grundstück ein locus publicus lag: der Eigentümer des störenden Grundstückes haftete vielmehr auch dann, wenn ein nicht unmittelbar angrenzendes, sondern entfernter liegendes Grundstück gestört wurde 83 , und es kam nicht auf die Privatrechtsfähigkeit des Zwischengrundstückes an84 • Siehe unten § 11 zu Fn. 113. Literatur zum pr.: Cuiacius, Rec. sol. in 1. 49 Pauli ad ed., ad D. 39.3.2 pr, V 1061; Glück / Burckhard, Pandecten 39/40 III (1881) 200 ff., 406; Baviera, Scritti Giuridici I (1909) 146; Lenel, EP (1927) 375 Fn. 5; Schönbauer, SZ 54 (1934) 246 Fn. 5; Sargenti, L'actio aquae pluviae arcendae (1940) 165; d'Ippolito, Ideologia (1969) 76 Fn. 16; Sitzia, Ricerche in tema di "actio aquae pluviae arcendae" 77
78
(1977) 22, 174. Zum § 1: Guiacius, Rec. sol. ad Dig. tit. 8.1, ad D. 8.1.14.2, VII 634 f.; Burckhard 353; Solazzi, Scritti 11 386 = RIL 54 (1921) 179 ff.; Karadge-Iskrow, Les choses publiques en droit romain (1928) 88, 98; d'Ippolito 76 Fn. 16; Viarengo (0. § 2 Fn. 1) 42 f. 79 Burckhard 406 f., Lenel, EP 375 f., Kaser, RP I 126, 407 mit Fn. 36. 80 Kaser, RP I 304 zu Fn. 9. 81 Gai. 2.11, D. 1.8.1 pr; vgl. auch Pomp. D. 18.1.6 pr: res extra commercium. 8t Ebenso Ulp. 1286 D. 39.3.3.3. 83 Sab. bei Ulp. D. 39.3.6 pr.
§ 5. Doppelüberlieferungen
85
Der Fall Javolens kann nicht ohne weiteres der Tradition des Cassius zugerechnet werden85 • Die gelegentliche Annahme einer Parallelüberlieferung bei Paulus88 trifft nicht zu. Die Lehren von der actio aquae pluviae arcendae sind jedoch bereits in republikanischer Zeit ausgebildet worden87 , außerdem ist die Entscheidung auch von Labe0 88 überliefert; und schließlich hat Cassius sich wiederholt zu diesem Themenkreis geäußert89 • Daher darf man doch annehmen, daß J avolen auch hier aus Cassius geschöpft hat. 2. § 1 führt uns von der actio aquae pluviae arcendae zur Servitut aquae ductus; der Zusammenhang ist nicht ungewöhnlich und hat sich
auch in der ediktalen Ordnung niedergeschlagen90 . Wer eine Wasserleitung über das dienende Grundstück führen will und eine öffentliche Straße überqueren muß91, bedarf der Erlaubnis des Kaisers. Angesichts zahlreicher paralleler Belege92 - wenn auch zumeist aus späterer Zeit - besteht kein Grund, an der Zuständigkeit des princeps zu zweifelnD3 •
V. Iav. 42 pr Im folgenden Fragment läßt sich der cassianische Bestandteil vom javolenischen Zusatz trennen: Iav. 10 ex Cassio 42 D. 8.6.14 pr94 Si locus, per quem via aut iter aut actus debebatur, impetu fluminis occupatus esset et intra tempus, quod ad amittendam servitutem sufficit, allu84 Ebenso Lab. bei Ulp. D. 39.3.3.3. Sabinus (fr. 6 pr) läßt auch den Eigentümer des locus interveniens haften; dies ist nach unserer Stelle ausgeschlossen, wenn es ein locus publicus ist; vgl. Burckhard 209. 85 Dies tut d'Ippolito. 88 Cass. 98 = Paul. 49 ad ed. 632 D. 39.3.2.3: Cassius autem scribit, si qua
opera aquae mittendae causa pubZica auctoTitate facta sint, in aquae pluviae arcendae actionem non venire in eademque causa esse ea, quorum memoTiam vetustas excedit. Wer auf einem privaten Grundstück, aber auf eine lex agTi (Burckhard 353 ff., Sitzia 86 f.) oder unvordenkliche Verjährung (Burckhard 364, Sitzia 106) gestützt, eine störende Anlage errichtet, haftet nicht aus der ao. a. p. a. Eine direkte Verbindung unserer Javolenstelle mit dem aus Cas-
sius überlieferten Satz ist wegen der verschiedenen Tatbestände nicht möglich, so Burckhard 200 f. Fn. 79, 352 ff., 364; unscharf Schönbauer, SZ 54, 245 zu Fn. 7. 87 Fitting, SZ 29 (1908) 281 f.; Schönbauer, SZ 54, 238. 88 Ulp. D. 39.3.3.3. 89 Cass. 97 - 99 D. 39.3.1.8, 9, 10, 11, 19; 2.3; 11.1; Bremer II I, 69 f. 90 Tit. XXX EP behandelt Wasserleitungsdienstbarkeit und Wasserabwehrklage, ebenso D. tit. 39.3, vgl. Paul. 630/634 D. 39.3.11 pr-I, 631/636 D. 50.17.167 pr-l und Lenel, EP 373 f. 91 Vgl. mit gleichem Tatbestand Proc. D. 8.5.13. 92 Vgl. Paul. D. 8.1.14.2, Ulp. D. 43.8.2 pr, 10, 16; 43.20.1.42; 43.24.3.4, hierzu Mommsen, Römisches Staatsrecht II (3. Aufl. 1887) 1053 Fn. l. 83 Solazzi, Scritti II 386, verdächtigt pTinceps; anders Mommsen a.a.O. Auch wenn die Genehmigung praktisch vom curator viae erteilt wird (Ven. D. 43.23.2, vgl. Mommsen 1079, Viarengo 42, zu den Aufgaben des curator vgl. auch Ertmann, A Study of the Superintendents of Highways in Ancient Rome, Ph. D. Buffalo [1976] 96), so handelt dieser doch im Auftrag und Zuständigkeitsbereich des pTinceps.
86
§ 5. Doppelüberlieferungen
vione facta restitutus est, servitus quoque in pristinum statum restituitur: quod si id tempus praeterierit, ut servitus amittatur, renovare eam cogendus est. Ein mit einer Wegeservitut belastetes Grundstück wird vorübergehend überschwemmt. Ist die Versitzungszeit95 noch nicht abgelaufen, so bleibt die Servitut bestehen98 und kann weiterhin ausgeübt werden; ist sie aber in der Zeit der überschwemmung abgelaufen, so erlischt die Servitut durch non usus. Der Eigentümer des dienenden Grundstückes ist dann aber zur Neubestellung verpflichtet. Dieser Fall ist von den Juristen immer wieder diskutiert worden; zum Verständnis unserer Stelle gehen wir auf einige der vorjavolenischen Lösungen ein. 1. Für Q. Mucius führte jede überschwemmung eines Grundstückes zum Verlust des Eigentums und des darauf liegenden Nießbrauchs97 :
Pomp. 26 ad Q. M. 293 D. 7.4.23 Si ager, cuius usus fructus noster sit, flumine vel mari inundatus fuerit, amittitur usus fructus, cum etiam ipsa proprietas eo casu amittatur: ac ne piscando quidem retinere poterimus usum fructum. sed quemadmodum, si " Cuiacius, Comm. in lib. 7 quaest. Pap., ad D. 8.3.34.1, IV 774, Rec. sol. ad 1. 8 Dig., ad D. 8.4.9, VII 714; Glück, Pandecten 10 (1808) 260 Fn. 25; Elvers, Die römische Servitutenlehre (1856) 759 Fn. c; Riccobono, St. Schupfer (1898) 223; Pampaloni, Bull. 22 (1910) 119 Fn. 11; Guarneri, Reviviscenza e quiescenza nel diritto romane = Ann. Messina I (1927) 71 ff.; Solazzi, Specie ed estinzione delle servitu prediali (1948) 189 ff.; Biondi, Le servitU prediali nel diritto romano (2. Aufl. 1954) 324 f., 337; Sargenti, Bull. 68 (1965) 240 ff,; Grosso, Le servitU prediali nel diritto romano (1969) 261 f., 276 f.; Maddalena, Gli incrementi fluviali nella visione giurisprudenzziale classica (1970) 25 Fn. 35, 104 f.; Glück-Ubbelohde, Pand. 43/4 IV (1893) 352 f. D5 Javolen schrieb (intra biennium) statt [intra tempus, quod ad amittendam servitutem sufficit], Lenel, Palingenesia I 283 Fn. 1. Im klassischen Recht konnte die Freiheit von der Servitutsbelastung innerhalb von 2 Jahren ersessen werden (PS 1.17.1); Justinian setzte mit C. 3.34.13 (18.10.531) eine Frist von 10 Jahren unter Anwesenden oder 20 Jahren unter Abwesenden und löste dadurch die noch längere theodosianische Verjährung ab {Kaser, RP II 301). Diese doppelte justinianische Verjährung findet ihren Ausdruck in tempus ad amittendem servitutem sufficit; eine genaue Zeitdauer konnte nicht genannt werden, da nicht sicher war, ob der non usus unter Anwesenden oder Abwesenden geschah. Vgl. auch Krampe, Proculi Epistulae (1970) 20. 98 Restituere setzt bei Javolen Weiterdauern während der Nichtausübungs:zeit voraus, vgl. lav. 189 ius quoque usus fructus restitutum esse Labeoni videtur, quia id solum perpetuo eiusdem iuris mansisset (zu dieser Stelle sogleich), Maddalena 104; vgl. auch Levy, SZ 68 (1951) 364 Fn. 18. 87 Der zweite Satz (sed quemadmodum ... ) gehört wahrscheinlich zu Pomponius, der die rigorose Ansicht des Q. Mucius modifiziert: die Worte si eodem impetu discesserit aqua ... restituitur werden durch Pomp. 796 (hierzu sogleich) eodem impetu recessu fluminis restitutus als pomponianisch erwiesen, vgl. Sargenti, Bull. 68, 203, 227, 244.
§ 5. Doppelüberlieferungen
87
eodem impetu discesserit aqua, quo venit, restituitur proprietas, ita et usum fructum restituendum dicendum est. Anders entschied Labeo: nach dem Rückgang der überschwemmung werden Nießbrauch und Servituten wiederhergestellt9s : Iav. 3 ex post. Lab. 189 D. 7.4.24 pr-1 Cum usum fructum horti haberem, flumen hortum occupavit, deinde ab eo recessit: ius quoque usus fructus restitutum esse Labeoni videtur, quia id solum perpetuo eiusdem iuris mansisset. ita id verum puto, si flumen inundatione hortum occupavit: nam si alveo mutato inde manare coeperit, amitti usum fructum existimo, cum is locus alvei publicus esse coeperit, neque in pristinum statum restitui posse. (1) Idem iuris in itinere et actu custodiendum esse ait Labeo: de quibus rebus ego idem quod in usu fructu sentio. Wie Labeo entschied auch Sabinus, der als erster das Wort alluvio für die Landgewinnung nach der überschwemmung gebrauchte99 : Pomp. 34 ad Sab. 796 D. 41.1.30.3 Alluvio agrum restituit eum, quem impetus fluminis totum abstulit. itaque si ager, qui inter viam publicam et flumen fuit, inundatione fluminis occupatus esset, sive paulatim occupatus est sive non paulatim, sed eodem impetu recessu fluminis restitutus, ad pristinum dominum pertinet: flumina enim censitorum vice funguntur, ut ex privato in publicum addicant et ex publico in privatum: itaque sicuti hic fundus, cum alveus fluminis factus esset, fuisset publicus, ita nunc privatus eius esse debet, cuius antea fuit. Für Q. Mucius, Labeo oder Sabinus kam es nicht auf die Dauer der überschwemmung oder auf einen Flußbettwechsel an; sie lehnten entweder das überdauern der Servitut ab (Mucius) oder nahmen es uneingeschränkt an (Labeo, Sabinus). Hierfür legen die weiterführenden Bemerkungen ihrer Bearbeiter Zeugnis ab. Pomp. 293 mildert die rigorose Ablehnung des Q. Mucius: bei nur kurzzeitiger überschwemmung ohne Flußbettänderung bleibe Eigentum und Nießbrauch erhalten; Pomp. 796 schränkt die undifferenzierte Lösung des Sabinus ein: nur bei kurzzeitiger überschwemmung ohne Flußbettänderung bleibe das Eigentum erhalten. Ganz ähnlich ist für Iav. 189 entscheidend, ob der Fluß sein Bett wechsele oder nicht. 88 Zu restituere vgl. Fn. 96. Ab ita id ... (pr) bzw. de quibus ... (§ 1) rührt der Text von Javolen her, Bremer, Iur. Anteh. II 1. 198 f. 88 Von Sabinus ist nur der Beginn bis abstulit, vgl. Sargenti, Bull. 68, 215 ff. und oben Fn. 97. Das Wort alluvio ist nicht technisch im Sinne einer allmählichen originären Landgewinnung (Gai. 2.70), sondern bezeichnet die faktische Wiedergewinnung des Landes nach dem Rückgang des Wassers, Elvers 759 Fn. c, Sargenti, Bull. 62, 241, Maddalena 25 Fn. 35; anders Guarneri 74.
§ 5. Doppelüberlieferungen
88
2. Im Lichte dieser Entwicklung 100 betrachten wir unser Fragment. Als neues Entscheidungskriterium bringt Javolen den Ablauf der Versitzungszeit ein; im übrigen stimmt die Entscheidung mit denen das Labeo und des Sabinus fast wörtlich überein. Mit Labeo bezeichnet Javolen den Tatbestand als occupatio, die Wiederherstellung der dinglichen Belastung mit restituere; beiden ist selbstverständlich, daß das Grundeigentum wiederauflebt, daher quoque. Wie Sabinus nennt Javolen Ansturm und Zurückweichen des Flusses impetus und aZluvio. Lab. (Iav. 189)
Iav.42
Sab. (Pomp. 796)
(hortum)
Si loeus, per quem via aut iter aut aetus debebatur, impetu fluminis oecupatus esset et ... alluvione facta restitutus est, servitus quoque in pristinum statum
(agrum)
in itinere et aetu flumen oeeupavit
ius usus fruetus quoque (in pristinum statum Iav.) restitutum esse
restituitur ...
impetus fluminis (abstulit) alluvio restituit (ad pristinum dominum Pomp.)
Der in der Mittelspalte abgedruckte Kern unseres Fragments ist Gemeingut der Rechtswissenschaft des ersten Jahrhunderts. Wir können ohne weiteres annehmen, daß es so oder ähnlich schon bei Cassius gestanden hat; insbesondere dürfte Cassius der Mittler der terminologischen Verbindung impetus jluminis - alluvio sein, welche nur bei Sabinus und Javolen erscheint, und in der späteren Jurisprudenz auch gar nicht mehr möglich war, da alluvio bald eine engere technische Bedeutung gewann und mit dem Tatbestand einer plötzlichen Veränderung unvereinbar wurde101 • 100 Alf. 4 dig. a Paulo ep. 65 D. 41.1.38 gibt für die Erklärung von Iav. 42 keinen weiteren Aufschluß; zur Stelle vgl. Dirksen, Hinterl. Schriften I 180 ff. (urspr. 1851), Sargenti, Bull. 68, 204 ff., 245 f., Watson, Property (1968) 76 f., Maddalena 112 ff. Ebensowenig ist Cass. 143 Feldm. 124.11 ff. La. = 87.12 ff. Th. einschlägig, hierzu Sargenti, 236 ff., Maddalena 59 ff. 101 Gai. 2.70 ... per adluvionem autem id videtur adici, quod ita paulatim
jlumen agro nostro adicit, ut aestimare non possimus, quantum quoquo momento temporis adiciatur, vgl. Gai. D. 41.1.7.1, I. 2.1.20, Bonjante, Corso 11 2 (1928) 90, Maddalena 21 ff., zum untechnischen Gebrauch 25 Fn. 35. Cassius gebrauchte aZluvio nicht im technischen Sinne (dies übersieht Guarneri 74), sondern bezeichnete das allmähliche Anwachsen mit lambiseere "lecken": quidquid aqua lambiscendo abstulerit Feldm. 124.15 f. La. - die Form ist nur hier und nicht sicher belegt: lambiscendo La., Th.: lambissendo B, Zambiendo
G und Ps.-Boethius 399.24 La., vgl. auch Th. L. L. VII.2.897.84; 898.14; 900.60.
§ 5. Doppelüberlieferungen
89
Die Veränderung des labeonischen Exzerpts durch Javolen ist klar erkennbar: er hebt - im Gegensatz zu Labeo - auf die Beibehaltung oder Veränderung des Flußbettes ab. Dieses Kriterium spielt jedoch in Iav. 42 keine Rolle; dies ist auch nicht zu erwarten, wenn im Ausgangsfall des Cassius der Fluß am Ende in sein altes Bett zurückgekehrt ist. Auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Flußbettes weist auch alluvione facta restitutus hin. Die Neuerung Javolens in Iav. 42 ist die Einführung des Zeitmoments. Bis zum Ablauf der Versitzungszeit bleibt die Servitut bestehen und kann nach dem Abfließen des Wassers wieder ohne weiteres ausgeübt werden; nach Ablauf der zwei Jahre - und hier überrascht die Entscheidung - geht sie zwar verloren, doch besteht ein Anspruch auf Neubegründung. Das praktische Ergebnis ist vor und nach Ablauf der Zeit letzten Endes das gleiche; die rechtstechnische Abwicklung trägt dem Umstand Rechnung, daß die dingliche Rechtsposition nach zwei Jahren verloren ist. Es fehlt nicht an Stimmen, welche diese Aussage der Stelle einer nachklassischen oder kompilatorischen Textveränderung zuschreiben. Zunächst wird beanstandet, daß Iav. 189 den Flußbettwechsel als Kriterium ansehe, während in Iav. 42 davon keine Rede seP02. Dieses Argument berücksichtigt nicht, daß die Fragmente aus verschiedenen Kontexten stammen - im einen war nach dem Einfluß der Veränderung der Bodengestalt gefragt, im andern wird der Einfluß des Zeitablaufs erörtert. Schwerer wiegt der Vorwurf, der Fall in Iav. 42 sei lebensfremd103. In der Tat kann man sich nicht vorstellen, daß eine überschwemmung, welche zwei Jahre überdauert, keinen Flußbettwechsel zur Folge hat. überschwemmungen sind jahreszeitlich bedingt; entweder zieht sich der Fluß in der Periode der Trockenheit wieder in sein altes Bett zurück, und dann ist die überschwemmung nach spätestens wenigen Monaten vorüber, oder der Fluß sucht sich ein neues Bett, und dann liegt der Tatbestand von Iav. 189 vor, wonach die Servitut erlischt. Der Fall quod si id tempus praeterierit kann dann gar nicht eintreten: entweder ist der Fluß in der ersten Trockenheit wieder in sein Bett zurückgekehrt, so daß die Versitzungszeit (nach der Iav. 42 entscheidet) keine Rolle spielt, oder er ist es nicht, so daß nach Iav. 189 die Wiederherstellung der Servitut nicht in Betracht kommt; weder im einen noch im andern Fall kann die Schwebezeit zwei Jahre andauern. Die Variierung des Sachverhaltes kann aber nicht den Kompilatoren Justinians zugeschrieben werden; denn eine Ansicht, welche Neubegründung der Servitut nach zwanzig (l) Jahren (justinianisches Recht) 102 103
Vgl. Guarneri 74, Sargenti 248. Vgl. Sargenti 248.
90
§ 5. Doppelüberlieferungen
verlangt, ist kaum vorstellbar104 • Auch für die Annahme eines vorjustinianischen Eingriffs fehlt es an sicheren Hinweisen105 • Würde man die Variante beseitigen, so wäre das Fragment Javolens ohne jede neue Aussage; nähme man eine tiefgreifende Textveränderung an106 , so müßten hierfür Gründe angeführt werden. So bleibt nichts anderes übrig, als die Ungereimtheit Javolen selbst zuzuschreiben. Unsere Ansicht wird durch die Beobachtung Eckardts gestützt, daß auch die Episteln Javolens gewisse Anschauungsmängel aufweisen; Eckardt hat nachgewiesen, daß J avolen zuweilen praktische Konsequenzen übersehen hat, welche einen Fall unausführbar machen101 • Wenn Javolen selbst Urheber von fingierten Varianten ist, so verwundern solche Mängel nicht. In unserem Fragment kommt es J avolen nur darauf an mitzuteilen, daß die Dauer der Überschwemmung keinen Einfluß auf den Untergang einer Servitut habe (da ja der Flußbettwechsel das entscheidene Kriterium ist); die zu erwartende Frage, ob denn nicht wenigstens nach dem biennium die Servitut verloren gehe, beantwortet er damit, daß sie zwar in ihrer dinglichen Position verloren gehe, aber ein Anspruch auf Neubegrundung erhalten bleibe. Die Entscheidung Javolens deckt sich mit einem Reskript, das Augustus oder Cäsar erlassen hat, wonach ein aquae ductus, dessen Quelle jahrelang versiegt war, durch non usus zwar untergehe, aber zu restituieren seP08. VI. Iav.42/1 Auch der folgende Paragraph kann auf Cassius zurückgeführt werden: Iav. 10 ex Cassio 42 D. 8.6.14.1 108 Cum via publica vel fluminis impetu vel ruina amissa est, vicinus proximus viam praestare debet.
Grosso 276, aber Sargenti 249. Daß der letzte Satz ohne Subjekt ist, ist nichts besonaeres, aber Guarneri 77, Biondi 337; am ehesten könnte man den Ausfall eines Satzes vor quod si ... annehmen, Grosso 276. 108 Wie etwa Guarneri 76. 107 Vgl. Iav. 77 D. 8.4.5, hierzu Eckardt 79 f., 162. lOB Pap. 131, Paul. 1212 D. 8.3.34.1; 35; Biondi 337, Sargenti, Bull. 68, 250 Fn. 42, Grosso 265, vgl. auch 277. Das prozessuale Mittel war wohl eine in integrum restitutio, vgl. Cervenca, Labeo 7 (1961) 201 ff., Kaser, RZ 391 Fn.72. 109 Pernice, SZ 5 (1884) 81; Ferrini, Op. 11 81 (urspr. 1886); Bonfante, Corso 11 1 (1926) 261 f.; de Robertis, La espropriazione per pubblica utilita nel Diritto romano (1936) 139 f. mit ält. Lit.; Wieacker, SZ 57 (1937) 475; Levy, VL (1951) 106; d'Ippolito, Ideologia (1969) 75; Capogrosso Colognesi, La struttura deUa proprieta e la formazione dei "iura praediorum" neU'eta repubblicana 11 (1976) 399 Fn. 74; Viarengo (0. § 2 Fn. 1) 42. 104 lOS
§ 5. Doppelüberlieferungen
91
1. Wenn die öffentliche Straße nicht benutzbar ist, muß der nächste Nachbar den Durchgang über sein Grundstück gestatten.
Notwege sind auch sonst bekannt: wer nicht zu seinem Acker gelangen Kann, kann vom Nachbarn die Gestattung eines Notweges fordern 110 ; wer nicht auf andere Weise zum Grabe der Angehörigen kommen kann, erhält nach einem Reskript von Severus und Caraealla vom nächsten Nachbarn preeario einen Weg gestattet111• Hier handelt es sich um einen Notweg für den Fall, daß die öffentliche Straße durch Überschwemmung oder Einsturz zerstört worden ist. Die Pflicht zu persönlichen Wegebesserung, welche nach Zwölftafelrecht bestanden hat112 , ist längst durch die collatio viae, den Anliegerbeitrag, abgelöst worden113 ; die Plficht zur Notweggestattung ist als Naturallast geblieben. Wir können aus der Stelle nicht herauslesen, daß nur der nächste Nachbar berechtigt sein soll114; der Text sagt eindeutig, daß jeder, der die öffentliche Straße benutzen will, auch den Notweg benützen darf. Das Recht auf den Notweg wird mit administrativen Maßnahmen durchgesetzt, wie wir aus Ulp. 68 ad ed. 1499 D. 43.8.2.25 Si viae publieae exemptus eommeatus sit vel via eoartata, interveniunt magistratus. wissen. Über das Verfahren ist Genaueres nicht bekannt; vermutlich zwingt die Behörde den Eigentümer, den Durchgang precario zu gestatten115 •
Sie. Flaee. Feldm. 146.15 La. = 110.15 Th., vgl. Levy 107. Ulp. 737 D. 11.7.12 pr, vgl. Levy 107. 112 XII Taf. 7.7 Viam muniunto: ni sam delapidassint, qua volet iumento agito. 113 Vgl. Pernice 81, Bonjante 261 f., Wieacker, RIDA 3 (1956) 476 f. 114 Dies vermutet Wieacker, SZ 57, 475, ohne Begründung. Zwar besteht der Notweg bei Sie. Flaee. (oben Fn. 110) nur zugunsten der Nachbarn, aber dort hat ja auch nur der Nachbar ein schutzwürdiges Interesse, auf das abge:5chnittene Grundstück zu gelangen, während in unserem Fall jedermann ein Interesse haben kann, die öffentliche Straße zu benutzen. De Robertis 139 Fn. 4 versteht mit Aecarias, Precis de droit romain I (4. Aufl. 1886) 513 und Perozzi, Istituzioni I (2. Aufl. 1928) 638 die Stelle so, daß der Notwegberechtigte einen Weg bauen kann; aber viam praestare heißt nur "Durchfahrt dulden". v. Mayr geht in seiner Monographie über "praestare", SZ 42 (1921) 198 ff., nicht auf die genaue Bedeutung von viam praestare ein (219 Fn. 4). 115 Vgl. ähnlich Ulp. D. 11.7.12 pr und hierzu Levy 107 f.; aus "non quasi preeario" in D. 43.19.1.6 kann wohl nichts geschlossen werden - der Einschub "non quasi preeario usum, sed quasi nec usum" ist doch sehr verdäch-tig. Zu D. 43.19.1.6 siehe sogleich. 110
111
92
§ 5. Doppelüberlieferungen
Aus einem Vivianzitat bei Ulpian erfährt man, daß der Notweg jedenfalls nicht durch ein Interdikt geschützt ist: Ulp. 70 ad ed. 1556 = Viv. 14 D. 43.19.1.6118 Vivianus reete ait ewn, qui propter ineommoditatem rivi aut propterea, quia via publiea interrupta erat, per proximi vicini agrum iter feeerit, quamvis id frequenter feeit, non videri omnino uswn, itaque inutile esse interdietum, non quasi preeario uswn, sed quasi nee uswn. (idem erit dieendwn, et si non erat via publiea, sed iter privatum; nam et hic eadem quaestio est.) ergo secundum hoc neutro usus videtur: multo enim minus illo usus est, per quem non ivit propter incommoditatem rivi aut propterea, quia via praerupta erat. [Idem erit - quaestio est.] Das interdictum de itinere actuque privato 117 sei deshalb kein tauglicher Rechtsbehelf zum Schutz des Notweges, weil es gegen den Eigentümer des Grundstückes nur denjenigen schütze, der einen Weg zur Ausübung einer Servitut118 benutze. An dieser Zweckbestimmung fehlt es nämlich beim Notweg; denn das Recht auf den Notweg ist keine Servitut.
2. Wenn uns auch das Vivianzitat keinen positiven Aufschluß darüber gibt, wie das Recht zum Notweg geschützt wird, so hilft es uns doch, den Ort unserer Stelle Iav. 42/1 zu erklären. Vivian hat denselben Fall vor Augen, teilt ihn uns aber ausführlicher mit119• Es ist anzunehmen, daß die übereinstimmung kein Zufall ist, sondern auf einer echten Doppelüberlieferung eines cassianischen Falls beruht, welcher sowohl in das Werk Vivians als auch in das des Javolen eingegangen ist. In diesem Fall dürfen wir das Vivianzitat in Anspruch nehmen, um den Kontext der Javolenstelle zu rekonstruieren. Javolen behandelt im 10. Buch ex Cassio Dienstbarkeiten; zu diesem Thema gehören auch die Rechtsbehelfe zum Schutz der Servituten, so auch das interdictum de itinere actuque privato, welches die faktische Ausübung120 von iter und actus schützt. Wenn Javolen in diesem Zusammenhang den Notweg nennt, so kann er damit nur darauf hinweisen, daß der Notweg keinen Interdiktenschutz besitzt, weil er nicht servitutsfähig ist. Dies wird durch Vivian bestätigt. 116 Der letzte Satz (idern erit quaestio est) gehört in die Mitte: Mommsen, ed. mai., Lenel, Palingenesia. Zur Textkritik vgl. neben Ind. Itp. hauptsächlich Solazzi, La tutela e il possesso delle servitu prediali (1949) 56 f. (nicht in allem überzeugend) und Capogrossi II 397 Fn. 73. Das Fragment kommentiert die Worte "quo itinere actuque ... usus es". 117 § 250 EP: Quo itinere actuque, q. d. a., hoc anno nec vi nec clam nec precario ab illo usus es, quo minus ita utaris, vim fieri veto. 118 Zwar muß für das Interdikt nicht bewiesen werden, daß eine Servitut besteht; jedoch muß der Weg zur Ausübung einer Servitut benutzt worden sein, vgl. Cels. D. 43.19.7 und unsere Vivianstelle. So Caravella, Le limitazioni deI dominio per ragioni di vicinanza in diritto romano (1904) 52, Berger, Interdictum, RE IX (1916) 1639. 56 ff., Capogrossi II 397 f., 400. 119 Vgl. schon Ferrini, Op. II 80. 120 Kaser, RP I 447.
§ 5. Doppelüberlieferungen
93
Das Notwegerecht wird also nur nebenbei, zu Abgrenzung, erläutert. Es ist daher nicht erlaubt, in dieser Stelle einen Nachhall einer Vorliebe des Cassius für die utiZitas pubZica zu erblicken121. VII. Iav. 65 pr Eine Parallelüberlieferung bei Vivian haben wir auch zu: Iav. 15 ex Cassio 65 D. 4.6.34 pr 122 Miles commeatu accepto, si domo sua est, rei publicae causa abesse non videtur. Ein Soldat, welcher sich im Urlaub zu Hause befindet, gilt nicht als von Staats wegen abwesend. Er muß also, wenn er geladen ist, vor dem Prätor erscheinen, um nicht nach dem Edikt "Qui absens iudicio defensus non fuerit" die Versteigerung seiner Güter zu riskieren; auf Abwesenheit von Staats wegen kann er sich nicht berufen123. Grundsätzlich ist der dienende Soldat rei pubZicae causa abwesend, sogar wenn er in Rom Dienst tut, da er stets bei der Fahne bleiben muß124. Im Urlaub ist er von dieser Pflicht entbunden; also kann und daher muß er vor Gericht erscheinen. Etwas ausführlicher lesen wir in der Parallelstelle: Viv. 3 = Paul. 3 leg. Iul. et Pap. 939 D. 4.6.35.9 Et dum eat in castra et redeat, rei publicae causa abest, quod et eundum sit in castra militaturo et redeundum. Vivianus scribit Proculum respondisse militem, qui commeatu absit, dum domum vadit aut redit, rei publicae causa abesse, dum domi sit, non abesse. Das dritte Buch des Paulus über die augusteischen Ehegesetze behandelt die Ausnahmen von den Erwerbsbeschränkungen125. Unter anderem ist auch der rei pubZicae causa absens ausgenommen128 ; ein typischer r. p. c. ab sens ist der Soldat. So aber d'Ippolito 75. Glück, Pandecten 6 (1800) 30 Fn. 20; Lenel, Palingenesia I 285 Fn. 2. 123 §206 EP. Unser Fragment dürfte sich auf diese Ediktsbestimmung beziehen, vgl. unten § 12 XVI. 124 Vgl. Ulp. 427 D. 4.6.7 (zu § 44 EP), auch 287 D. 49.16.1 (zu § 16 EP), Scaev. 197 D. 4.6.45. 125 Lenel, Palingenesia, Ferrini, Op. 11 239 f.; zur Sache Astolfi, La lex lulia et Papia (1970) 187 ff. 124 Vgl. UE 16.1: Aliquando vir et uxor inter se solidum capere possunt: velut ... si vir (rei publicae causa) abest, et [donec abest etl intra annum, postquam abesse desierit. Ergänzung nach Ferrini, Op. 11 239, Schulz, Die Epitome Ulpiani des Codex Vaticanus Reginae 1128 (1926) 40; Bremer 11 2, 106, Astolji 188. 121
122
§ 5. Doppelüberlieferungen
94
Wahrscheinlich haben Javolen und Vivian dieselbe Quelle benutzt. Javolen zitiert Proculus häufig, zumeist zustimmend 127 ; daß auch hierin Iav. 65 pr - eine Proculusansicht vorliegt, die in der cassianischen Schule diskutiert wurde, ist gut möglich128 • Leider wissen wir nicht, aus welchem Zusammenhang Paulus das Vivian-Proculus-Zitat entnommen hat129 • Die absentia rei publicae causa kann in verschiedenen Bereichen rechtliche Bedeutung haben - für die leges Iulia et Papia (so Paul. 939), für das Kontumazialverfahren nach § 206 EP (so Iav. 65), für die Infamie nach § 16 EP (so Ulp. 287), für die restitutio in integrum (so Ulp. 427 und die Digestenredaktion von Paul. 939, Iav. 65, Ulp. 427). Das System der libri ex Cassio behandelte die rei publicae causa absentia wohl beim Kontumazialverfahren l30 • VIII. Iav. 53 Die Spur des Cassius läßt sich auch in einem weiteren Fragment erkennen: Iav. 13 ex Cassio 53 D. 41.2.22 131 Non videtur possessionem adeptus is, qui ita nactus est, ut eam retinere non possit. 1. Das 13. Buch ex Cassio behandelt die Interdikte; aus dem Frag-
ment selbst können wir seinen genauen Ort nicht feststellen. Parallelstellen führen weiter.
a) Paul. 54 ad ed. 674 = Cass. 110 D. 41.3.4.25 Si dominus fundi possessorem [vi] (armis) deiecerit, Cassius ait non videri in potestatem eius redisse, quando interdicto unde vi restituturus sit possessionem. lav. 101, 108, 166, 173/2, 173/3, 186/5, 225, ablehnend nur 228. Vgl. Viv. 11 = Scaev. D. 29.7.14 pr - Diskussion einer Meinung des Proculus durch Sabinus und Cassius, von Vivian überliefert. 129 Lenel, Palingenesia bei Proc. 54: "loci incerti". Vivian zitiert Proculus noch an anderen Orten, ohne daß man Genaueres über den Kontext erfährt: Viv. 1 coll. 12.7.8, hierzu Ferrini, Op. 11 72, Wo I!!, Scritti Ferrini IV (Milano 1949) 74 Fn. 1, Wieacker, Textstufen 242, Liebs, ANRW 11 15 (1976) 200 Fn. 10; Viv. 10 D. 21.1.17.4; Viv. 11 D. 29.7.14 pr. 180 Siehe oben Fn. 123. Bremer stellt auch Viv. 3 D. 4.6.35.9 unter die Klausel "Qui absens iudicio" (11 2. 245). 181 Cuiacius, Obs. et em. 24.12, I 1087 f., Rec. sol. in 1. 54 Pauli ad ed., ad D. 41.3.4.22, V 1177, Rec. sol. in 1. 41 Dig. ad D. 41.2.22, VI 1279, Rec. sol. in 1. 50 Dig., ad D. 50.16.13, VI 1599; Bechmann, System des Kaufs nach gemeinem Recht 11 1 (1905) 15 Fn. 3; Seckel/ Levy, SZ 47 (1927) 227 Fn. 5 = Levy, Ges. Schriften 11 (1963) 237 Fn. 48; Amb, 11 possesso (1936) 330; Kaser, SZ 70 (1953) 151 Fn. 70; Dekkers, St. Albertario I (1953) 160. 127 128
§ 5. Doppelüberlieferungen
95
Paulus erörtert in 54 ad ed. Besitz und Ersitzung132 ; bei der Behandlung der usucapio (PauI. 662 ff.) kommt er zu den ersitzungsunfähigen Sachen (673 ff.), worunter auch der fundus vi possessus fällt (674). Die lex Atinia schließt die Ersitzung gestohlener Sachen aus, bis sie wieder in die potestas des Eigentümers zurückgekehrt sind133 : Quod subruptum erit, nisi in potestatem domini revertatur, eius rei aeterna auetoritas esto. Das Gesetz ist nur auf bewegliche Sachen anwendbar; es gibt im klassischen Recht keinen Diebstahl von Grundstücken134 , und "sub rumpere" meint nur die heimliche Wegnahme von Mobilien, während die Entsetzung aus einem Grundstück mit "deieetio" bezeichnet wird135 • Die Lücke wird von den leges Plautia et lulia de vi geschlossen, wonach geraubte Sachen (res vi possessae) den gestohlenen gleich gesetzt werden, also bis zur Rückkehr zum Eigentümer unersitzbar sind13s • Hierunter fallen nun auch die Grundstücke. Paulus trägt der Unterscheidung Rechnung, indem er zunächst in PauI. 673 D. 41.3.4.6 - 21 die gestohlenen Mobilien, welche unter die lex Atinia fallen, sodann in PauI. 674 D. 41.3.4.22 - 28, 43.16.8 die fundi vi possessi abhandelt. Aus unserer Stelle (§ 25) erfahren wir, daß auch Grundstücke wieder ersitzbar werden, wenn sie in die potestas des Eigentümers zurückkehren, daß also die leges Plautia et lulia eine Reversionsklausel besitzen. So wie die res furtivae aber nur dann in die potestas des Eigentümers zurückgekehrt sind, wenn dieser fehlerlosen Besitz erworben hat 137 , so erwirbt der Eigentümer auch nur dann die potestas am Grundstück 132 Aus dem System fallend zwischen § 186 und § 187 EP; derselbe Einschub in das Ediktsystem findet sich schon bei lul. 44 dig. 607 - 623 und den anderen Digestensystemen: Cels. 195 - 200, Mare. 192 - 198, Seaev. 108 - 110, 166, Pap. 305 - 311, 636 - 642, ferner bei Gai. ad ed. provo 333 - 334. Ob der Exkurs wirklich nur ein "gelegentlicher" (Lenel, EP 25) ist, der keine konkreten ediktalen Vorschriften widerspiegelt, ist mehr als fraglich, da er sich schon beim Redakteur des EP findet und sich in die ganze weitere Literatur fortsetzt. 133 Bei Gell. noet. att. 17.7.1 fehlt der Mittelsatz nisi - revertatur, er ist aber durch Paul. 673 D. 41.3.4.6 und 926 D. 50.16.215 gut bezeugt, vgl. MayerMaly, Usueapio, RE IX A (1961) 1105 f., Watson, Property (1968) 26, Kaser, RP I 137 Fn. 32, Pugsley, The Roman Law of Property and Obligations
(1972) 49.
134 Gai. 2.51, D. 41.3.37.1; 38; I. 2.6.7; Ulp. D. 47.2.25; Niederländer, SZ 67 (1950) 253 ff., Kaser, RP I 615 Fn. 8. 135 Für subrumpere wird später subripere gebraucht, Niederländer, SZ 67, 190 f. Der Unterschied in der Terminologie wird ganz deutlich bei Paul. 673 (mobilia) und 674 (fundus). 138 Gai. 2.45, lul. D. 41.3.33.2, I. 2.6.2. Vgl. Bonfante, Corso 11 2 (1928) 235 f., Berger, Lex Plautia (Nr. 5) de vi, RE Suppl. VII (1940) 403 ff., Niederländer, SZ 67, 192 f., Mayer-Maly, RE IX A 1107. 137 Paul. 673 D. 41.3.4.12: Tune in potestatem domini redisse dieendum est, cum possessionem eius naetus sit iuste, ut avelli non possit ...
§ 5. Doppelüberlieferungen
96
zurück, wenn er es wieder fehlerlos in Besitz nimmt. Wer also, so verstehen wir Cassius zunächst, sein entsetztes - und damit ersitzungsunfähiges - Grundstück mit Gewalt zurückholt, hat keine potestas erworben; sein Besitz ist fehlerhaft, da er dem interdictum unde vi des vorherigen Besitzers ausgesetzt ist. Das Interdikt gewährt demjenigen Besitzer, der von seinem Grundstück vertrieben ist, Restitution, es sei denn, er besitze selbst vi, clam oder precaTio vom Interdiktengegner: § 245 EP Unde vi Unde in hoc anno tu illum vi deiecisti aut familia tua deiecit, cum ille possideret, quod nee vi nee c1am nee preeario a te possideret, eo illum quaeque ilIe tune ibi habuit restituas. Im Text von Paul. 674 kann indessen nicht v i gestanden haben. Paulus behandelt nämlich im Zusammenhang der usucapio die Rückkehr in die tatsächliche Gewaltausübung des Eigentümers; diese ist aber nur dann rechtlich relevant, wenn es sich um ein ersitzungsunfähiges Grundstück handelt, denn genau dann kann das redire in potestatem domini die Ersitzungsunfähigkeit aufheben (nisi in potestatem domini revertatur). Bei Paul. 674 geht es also bereits um ein Grundstück, das schon vi besessen wird und aus dem der Eigentümer den Besitzer vertreibt. Nimmt der Eigentümer dem vi possessor das Grundstück gewaltsam ab, so ist er gerade dem interdictum unde vi des Be·· sitzers nicht ausgesetzt, denn dieses Interdikt steht nur dem fehlerlosen Besitzer zu: quod nec vi nec clam nec precario a te possideret138 • Da der dominus dem interdictum unde vi nicht ausgesetzt ist, hätte Cassius das redire in potestatem bejahen müssen. An anderer Stelle bestätigt uns gerade Cassius noch einmal, daß dem vi posessor gegenüber Gewalt erlaubt ist139 : Ulp. 69 ad ed. 1526
= Cass. 118 D. 43.16.1.27
Vim vi repellere lieere Cassius seribit idque ius natura eomparatur: apparet autem, inquit, ex eo (et) arma armis repellere lieere l40 • 138
LeneZ, EP 464 zu Fn. 1, 465.
Schol. 41 zu Bas.60.17.1.27 (0. 43.16.1.27): "EÄEYEV Ö };aßivo~ (1), vgl. Pernice, Labeo 11 1 (2. Auf!. 1895) 76 Fn. 3 und Bremer 11 1 (1898) 579. Heimbach schreibt das Scholion dem Index des Dorotheos zu (Manuale ad h. 1.). Jedoch ist es durch Sternchen als secunda manu ausgewiesen. Die neue Ausgabe von Scheltema muß abgewartet werden; da es allerdings Tischendorf war, der den Codex kollationiert hat (Heimbach V p. VI), ist kaum eine andere Lesung 139
zu erwarten. 140 (et) nach Bas. und Bonfante, ed. Mil. Anders Mommsen, ed. mai.: (quod in interdicto de vi armata recepta est), nach D. 43.16.3.9.
§ 5. Doppelüberlieferungen
97
Das Fragment behandelt die exceptio vitiosae possessionis (quod nec vi nec clam nec precario a te possideret) des interdictum unde Vi 141 • Derselbe Cassius, der hier (Cass. 118) Gewalt gegenüber dem gewaltsamen Besitzer gestattet, kann nicht dort (Cass. 110) dem gewaltsamen Besitzer das Interdikt zusprechen. Die Interpolationsvermutung [vi] (armis) in Cass. 110 löst das Problem: gegenüber dem gewaltsamen Besitzer darf der Eigentümer keine Waffengewalt anwenden, er setzt sich sonst dem interdictum de vi armata aus, welches keine exceptio vitiosae possessionis enthä}t142: § 245 EP De vi armata Unde tu illum vi hominibus coactis armatisve deiecisti aut familia tua deiecit, eo illum quaeque ille tunc ibi habuit restituas.
Justinian, der nur noch ein einziges rekuperatorisches Besitzinterdikt (unde vi) bestehen und die exceptio vitiosae possessionis nicht wieder aufleben ließ143, interpolierte vi für armis144 ; unde vi statt de vi armata mag dagegen schon im klassischen Text gestanden haben, da dieses Interdikt nur eine Unterart von jenem war. Cassius sagt, daß die Besitzerlangung durch den Eigentümer mit Waffengewalt nicht geeignet sei, das Grundstück wieder ersitzbar zu machen, obwohl es an den Eigentümer zurückgekehrt ist. Die praktische Folge liegt auf der Hand: verkauft und übergibt der fehlerhaft besitzende Eigentümer das Grundstück, so kann der Käufer es jedenfalls nicht durch usucapio pro emptore erwerben; der frühere unrechtmäßige Besitzer hat es mit einfacher Gewalt besessen, und der Makel bleibt wegen der Waffengewalt bestehen. J avolens Satz läßt sich auf die cassianische Entscheidung zurückführen und damit dem interdictum unde vi zuordnen l45 • b) Damit ist allerdings noch nicht gesagt, daß Cass. 110 ursprünglich in der Rubrik Unde vi (und nicht in De usucapione) gestanden hat. Wenn wir jedoch annehmen, daß das cassianische System sich eher in der Stoffanordnung des Javolen als in der Ordnung des Paulus widerspiegelt, dann können wir Cass. 110 dem interdictum unde vi zuordnen. 141 LeneZ, EP 464. Die Berufung auf das Naturrecht ist angesichts Cic. pro Milone 4. 9, 10 nicht zu beanstanden, vgl. Mayer-MaZy, Vis, HE IX A (1961) 316 ff., anders BeseZer, TH 10 (1930) 188. 142 Lenel, EP 467 ff., Mayer-Maly, Vis 325, Kaser, HP I 400 Fn. 46. Der possessor selbst besitzt nur vi cottidiana, da sonst gegen ihn (wenigstens sofort) Waffengewalt erlaubt ist, Ulp.-Cass. D. 43.16.1.27; 3.9. 143 Die exceptio war bereits durch Konstantin (319) beseitigt, C. Th. 9.10.3; Kaser, HP I 257 Fn. 8; zu Justinian vgl. I. 4.15.6, vgl. Thomas, The Institutes of Justinian (1975) 324 f., Kaser, HP I 399 Fn. 43, II 260. 144 Ind. Itp., Dekkers 161, Mayer-Maly, HE IX A 1106.28. 145 So schon Cujaz VI 1599.
7 Manthe
§ 5. Doppelüberlieferungen
98
Die Annahme erhält eine weitere Stütze durch die Beobachtung, daß Cassius noch an mindestens zwei weiteren Stellen das interdictum unde vi behandelt hat, nämlich in dem bereits oben zitierten Fragment Cass. 118 D. 43.16.1.27 zur exceptio vitiosae possessionis und in: Cass. 118
= Ulp. 69 ad ed. 1524 D. 43.16.1.14
Sed et si, quod alius deiecit, ratum habuero, sunt, qui putent secundum Sabinum et Cassium, qui ratihabitionem mandato comparant, me videri deiecisse interdictoque isto teneri, et hoc verum est: rectius enim dicitur in maleficio ratihabitionem mandato comparari. Ulpian schließt sich der sabinischen und cassianischen Ansicht an, wonach derjenige, der eine deiectio genehmigt, sich selbst zum interdictum unde vi passiv legitimiert146 • Ulp. 1524 D. 43.16.1.9 - 22 kommentiert die Worte des Edikts147 (unde in hoc anno) tu illum vi deiecisti aut familia tua deiecit ... Der Vergleich der Genehmigung der Entsetzung mit dem Auftrag ist nur in einem Kontext sinnvoll, der nicht vom Auftrage handelt; deshalb kann der Satz des Cassius in seinem Werk nur im Zusammenhang des Interdikts und nicht des Auftrags gestanden haben148 • c) Zweimal wird Cassius bei Ulpian zum interdictum unde vi zitiert: Ulp. 1524 = Cass. 118/14, Ulp. 1526 = Cass. 118/27; unser Javolenfragment läßt sich als Verkürzung von Paul. 674 begreifen und ist vermutlich mit Paul. 674 = Cass. 110 demselben Interdikt zuzuordnen. 2. Im übrigen scheint Cassius auch in diesem Zusammenhang Spuren bei Vivian hinterlassen zu haben, die wir hier kurz anführen wollen. a) Viv. 13 = Ulp. 69 ad ed. 1529 D. 43.16.1.41 . .. nam et Vivianus refert in hoc interdicto omnia, quaecumque habiturus vel adsecuturus erat is, qui deiectus est, si vi deiectus non esset, restitui aut eorum litem a iudice aestimari debere eumque tantum consecuturum, quanti sua interesset se vi deiectum non esse. Ulpian kommentiert hier den Restitutionsbefehl des Interdikts ... (eo illum quaeque ille tune ibi habuit) restituas14o. Das Vivianzitat ist bereits dem darauf folgenden Zusammenhang entnommen; denn es beschreibt das officium iudicis bei der nachfolgenden 148 147
Zur Sentenz verkürzt, findet sich der Satz auch in D. 50.17.152.2. Lenel, EP 462 Fn. 4; genauer: §§ 9 - 14: tu ... deiecisti, §§ 15 - 21: aut
familia tua, § 22: illum.
Anders Bremer 11 2, 75: Mandat. Daß § 41 bei Ulpian noch zu "restituas" gehört (Lenel, Palingenesia), geht daraus hervor, daß § 42 noch deutlich das "restituas" behandelt; undeutlich Medicus, Id quod interest (1962) 253. 148 149
§ 5. Doppelüberlieferungen
99
actio ex interdicto, welche per jormulam arbitrariam erteilt werden kann150 : handelt der Interdiktengegner dem Interdikt zuwider, so verurteilt ihn der Richter zu quanti interest possidere161•
b) Noch einen Schritt weiter führt eine zweite, längere Anführung von Vivian bei Ulp. 69 ad ed. 1531 = Viv. 13 D. 43.16.1.45 - 47, welche das neben dem agere per jormulam arbitrariam auch mögliche agere per sponsionem kommentiert162• Ohne auf den sachlichen Inhalt einzugehen, genügt es zu betrachten, wie Vivian hier zitiert wird: (45) •.. quod apud Vivianum relatum est ... (46) Idem Vivianus refert: ... diei ait ... (47) Quid dieturi essemus, traetat (seil. Vivianus) ... quatenus res, inquit, esset? Ego verius puto ... Vivian berichtet (relatum, rejert), bezieht sich auf Aussagen anderer (dici ait), behandelt das Problem (tractat) und wirft schließlich eine Frage auf, ohne sie zu beantworten (inquit). Ulpian antwortet statt seiner. e) Aus den Fragmenten ergibt sich, daß Vivian das interdictum unde vi behandelte und von Ulpian soweit ausgezogen wurde, als er seiner-
seits andere Juristen zitierte. Die Vermutung, daß Vivian überhaupt als FundsteIle für frühere Juristen, sozusagen als Promptuarium, benutzt wurde, bestätigt sich sofort, wenn wir einen Blick auf die übrigen Vivianfragmente werfen. Von Vivian sind 28 Paragraphen überliefert 163 ; er ist dreimal von Paulus, einmal von Seaevola, einmal im fragmentum de formula Fabiana und sonst von Ulpian ausgezogen worden154• Häufig dient er seinen Lesern nur als Quelle für weitere Zitate. Neben den von uns schon angeführten Stellen Viv. 13 D. 43.16.1.41,45 - 47 betrachten wir noch: -
Viv. 1 Ulp. 18 ad ed. 623 eoll. 12.7.8 (D. 9.2.27.10)155 ... libro VI ex Viviano relatum est ... et ait Proeulus. Viv. 3 Paul. 3 ad leg. Iul. et Pap. 939 D. 4.6.35.9 11M1 Vivianus seribit Proeulum respondisse ... Viv. 5 Ulp. 14 ad ed. 469 D. 4.9.1.6 ... Inde apud Vivianum relatum est ..•
150 Gai. 4.141, Lenel, EP 465 zu Fn. 1, Kaser, Quanti ea res est (1935) 15 Anm. 7 und RZ 329. 151 Vgl. Paul. 17 ad ed. 268 D. 43.16.6, urspr. zu interdictum utrubi, vgl. Kaser, Quanti 19 Anm. 10, und Medicus, Id quod interest 274 Fn. 45. 152 Gai. 4.141, Lenel, EP 465.
153 Davon zwei doppelt (Viv. 1 und 7), gezählt sind die Paragraphen von Viv. 1 - 15 sowie Auet. ine. 9 (Palingenesia 11 1231). 154 Viv. 4 D. 4.8.21.11 und 8 D. 13.6.17.4 lassen erkennen, daß Ulp. und Paul. das Vivianzitat über Celsus und Pomp. bezogen haben, vgl. Krüger, Geschichte 172 Fn. 107, 108. Auch Oktaven scheint ihn gekannt zu haben, D. 9.2.27.25, vgl. Krüger 172 Fn. 103. 155 Hierzu oben Fn. 129 sowie Krüger 172 Fn. 104, Wieacker, Textstufen 243 Fn. 109, Schulz, Geschichte 235 Fn. 2 mit weiteren Nachweisen. 158 Vgl. oben § 5 VII zu Iav. 65 pr.
7·
100 -
§ 5. Doppelüberlieferungen
Viv. 10 Ulp. 1 ad ed. aed. cur.1761 D. 21.1.17.3,4 (3) Item apud Vivianum relatum est .. . (4) Idem ait: interrogatus Proculus .. . Viv. 11 Scaev. 8 quaest. 160 D. 29.7.14 pr Quidam referunt, quanto repeto apud Vivianum, Sabini et Cassii et Proculi ... controversiam .•. Viv. 12 Ulp. 81 ad ed. 1753 D. 39.2.24.9 Item apud Vivianum relatum est ... Viv. 15 Ulp. 71 ad ed. 1597 D. 43.24.13.5 ... et est apud Vivianum saepissime relatum ...
Von 28 Stellen ist Vivian zwölfmal nur weiterführende Quelle; es scheint, daß sein Werk eine gelehrte Kompilation früherer Juristenschriften war, auf die man zurückgriff, ohne die Originale nachzuschlagen t57 • d) Aus den oben zum interdictum unde vi angeführten Stellen Viv. 13 § 41, 45 - 47 geht nicht hervor, daß Vivian gerade von Cassius berichtet. Betrachtet man die überlieferung nach der Palingenesie, so hat Vivian aus Proculus viermal (1, 3, 10, 11) geschöpft158 , aus Cassius nur einmal (11). Das Bild wandelt sich aber sofort, wenn man die Kontexte berücksichtigt: -
Viv. 3 bezieht sich, wie wir oben (§ 5 VII) bereits ausgeführt haben, auf eine auch bei Cassius behandelte Frage; - Viv. 4 Ulp. 13 ad ed. 460 D. 4.8.21.11 behandelt eqenso wie Iav. 47 D. 4.8.39 die Frage, ob die Erscheinungspflicht der Parteien zum Termin im Schiedsgerichtsverfahren eine opera praebenda und damit der Vertragsstrafe ausgesetzt sei15D ; - Viv. 7 Ulp. 28 ad ed. 798 Cass. 44 D. 13.6.1.1 (vgl. Ulp. 804 D. 19.5.17 pr) ... idque et Cassius existimat. Vivianus amplius etiam ... ait ist deutlich als vivianische Ergänzung (ampZius) zu Cass. 44 erkennbar; - Viv. 10 Ulp. 1761 Cass.60 D. 21.1.17.2,3 (2) Cassius quoque ... scribit ... (3) Item apud Vivianum relatum est. .. und - Viv. 12 Ulp. 1753 Cass. 95 D. 39.2.24.8,9 (8) Cassius quoque scribit ... (9) Item apud Vivianum relatum est ..• erwecken ganz den Eindruck, als habe Ulpian das vorausgehende Cassiuszitat bei Vivian gefunden; - Viv. 11 nennt Cassius direkt; 167 Vgl. Ferrini, Op. 11 72 f. und 219 f., Bremer 11 2, 241, Liebs, ANRW 11 15 (1976) 215. 1G8 Liebs, ANRW 11 15, 200 Fn. 10, sieht Viv. daher als Schüler des Proc. an; allerdings beziehen sich zwei der von Liebs angeführten 6 Stellen vielleicht nicht auf Proc.: Viv. 15 und fr. de form. Fab. 1. 159 Vgl. oben § 4 zu Fn. 9.
§ 5. Doppelüberlieferungen
101
-
Viv. 14 Ulp. 70 ad ed. 1556 D. 43.19.1.6 ist ebenso wie Viv. 3 und 4 trotz "Vivianus recte ait" wohl ein verdecktes Cassius-Zitat1GO ; schließlich stammt - Viv. 15 Ulp. 1597 D. 43.24.13.5 aus einer längeren Ulpiankatene (Ulp. 1591 1600 = D. eod. 1, 3, 5, 7, 9, 11, 13, 15), in welcher Cassius in großer Nähe zu Vivian zitiert wird: Ulp. 1592 D. eod. 3.7, 1595 D. eod. 11.1, 1596 D. eod. § 6, 1597 D. eod. §§ 11, 12). Wir haben demnach folgenden Befund: - 3 Fragmente, in denen Vivian eine Ansicht des Cassius weiterführt (Viv. -
7,10,12);
3 Fragmente, für die Parallelüberlieferungen bei Iav. ex Cassio nachweisen, daß Vivian aus Cassius geschöpft hat (Viv. 3, 4, 14); 1 Fragment, in dem Vivian Cassius namentlich anführt (Viv. 11); schließlich 1 Fragment, in dem Vivian mit großer Wahrscheinlichkeit Cassius benutzt hat (Viv. 15).
Selbst wenn man Viv. 15 als unsicher außer Betracht läßt, so bleiben in 28 Paragraphen immer noch 7 Bezüge auf Cassius und nur 4 auf Proculus. Damit entfällt der Grund für die Annahme, Vivian sei Proculusschüler gewesen160a. e) Der Nachweis, daß Cassius Vivians Hauptquelle war, macht wahrscheinlich, daß auch Viv. 13 auf Cassius' Behandlung des interdictum unde vi zurückgreift. 3. Die vorstehenden Untersuchungen über das interdictum unde vi bei Cassius (1) und Vivians Abhängigkeit von Cassius (2) lassen für unser Fragment Iav. 53 eine Reihe von Schlüssen zu. a) Iav. 53 ist nicht ohne weiteres palingenetisch einzuordnen; aus der Stellung in Buch 13 ergibt sich zunächst nur, daß der Text von einem Interdikt handelt. Der augenfällige Zusammenhang mit Paul. 674 = Cass. 110 läßt vermuten, daß er zu unde vi gehört. Diese Vermutung wird bestärkt durch die Beobachtungen, daß Cassius an zwei weiteren Stellen über das Interdikt unde vi handelt (Cass. 118 = Ulp. 1524, 1526) und daß der viermal zitierte unbekannte Autor zu unde vi bei Vivian (13) am ehesten mit Cassius zu identifizieren ist. Wir stellen Iav. 53 daher zum interdictum unde VP61. b) Nicht unmittelbar für Javolen, wohl aber für die Palingenesie des Cassius ist das lange Vivianzitat bei Ulp. 1529 - 31 = Viv. 13 aufschlußVgl. oben zu Fn. 119. Vgl. oben Fn. 158. 101 Anders Bechmann (oben Fn. 131), welcher Iav. 53 ins Kaufrecht stellt (dazu Seckel / Levy, oben Fn. 131), und Kaser (oben Fn. 131), welcher trotz der technischen Ausdrücke adeptus und retinere den Zusammenhang mit den Interdiktskategorien ausschließen will. 1110
lOOa
§ 5. Doppelüberlieferungen
102
reich. Da, wie wir sahen, Vivian mindestens siebenmal auf Cassius zurückgeht, aber nur viermal auf Proculus und von diesen vier Proculuszitaten wiederum zwei (Viv. 3, 10) offenbar über Cassius zu Vivian gelangt sind, können wir auch Viv. 13 Cassius zuschreiben. Damit ergibt sich ein dichtes Bild des Cassiuskommentar zum interdictum unde vi: - Cassius 118/14 (Ulp. 1524) gehört zu "tu ... deiecisti", - Cassius 118/27 (Ulp. 1526) zur exceptio vitiosae possessionis, - Vivian 13/41 (Ulp. 1529) zum agere per jormulam arbitrariam und - Vivian 13/45 - 47 (Ulp. 1531) zum agere per sponsionem. Nicht genau einzuordnen ist Cass. 110 (Paul. 674, Iav. 53). Es mag mit Cass. 118/27 zur exceptio vitiosae possessionis gehören (vgl. die folgende übersicht). Kommentarliteratur zu § 245 EP Ulp.69 Einleitung Unde in hoc anno tu (deiecisti) illum vi deiecisti aut fam. t. d. cum ille possideret quod nec vi
necclam nec precario a te possideret eo illum quaeque ilZe tune ibi habuit restituas ao. per form. arb. ao. per spons. ao. in factum
Paul. 65 Gai.25
1522 1523 1528 1524.9 -14 1524.22 1524.15 - 21 1525.23 - 26 1526
1531 1532
118/14 = Ulp.1524
354 752 753
656
118/27 = Ulp. 1526 = Paul. 674 Iav.53
110
355
1525.10
1527.31 - 33 1527.34 - 38 1527.37 - 38 1529
Iul. 48 Cass.
657 658 (268) 754,755
Viv. 13/41 Viv. 13/45 - 47
c) Die Untersuchung liefert außerdem eine Anschauung von der Verarbeitung des Cassius durch Javolen. Paul. 674 zitiert Cassius in folgender Weise: ... non videri in potestatem eius redisse, quando interdicto unde vi restitu turus sit possessionem182.
§ 5. Doppelüberlieferungen
103
Dieser Satz wird in Iav. 53 zu folgender Regel verallgemeinert: Non videtur possessionem adeptus is, qui ita nactus est, ut eam retinere non possit l113 • Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, diesen Befund zu deuten. Entweder sind das Cassiuszitat bei Paul. 674 und die Regel bei Iav. 53 Kondensate einer breiten Erörterung, wie wir sie uns nach Viv. 13 vorstellen können, oder aber Cassius hat schon selbst die lehrsatzartige Form, wie wir sie in Paul. 674 und Iav. 53 finden, geschaffen. Auch Ulp. 1526 zitiert einen Cassiussatz von regelhafter Form: qui ratihabitionem mandato comparant. Darum ist es eher wahrscheinlich, daß auch die Regelform schon auf Cassius zurückgeht. Wir kommen hierauf in § 6 zurück. Zwei Stellen aus dem Gebiete der Prozeßvertreterbestellung lassen die Verwandtschaft der cassianischen mit der javolenischen Darstellungsform erkennen: IX. Iav.19 Iav. 5 ex Cassio 19 D. 26.2.24184 Si plures tutores sint, a praetore curatorem posci litis causa supervacuum est, quia altere auctore cum altero agi potest. 1. Ein Mündel hat mehrere Vormünder16ll • Gegen einen strengt es eine Klage an oder wird von ihm beklagt166 ; in diesem Prozeß kann ein anderer der tutores auktorieren. 182 Zu quando als kausaler Konjunktion vgl. Kühner / Stegmann, Satzlehre 11 382 f., Hofmann / Szantyr, Lateinische Grammatik 11 607, Kalb, Wegweiser in die römische Rechtssprache (1912) 111. Es bezeichnet den feststehenden konkreten Grund, der keiner weiteren Erläuterung bedarf. 1113 Der Indikativ im kausalen Relativsatz weist ebenfalls auf einen bereits feststehenden Grund hin, der als "wirkliche Tatsache" dargestellt werden soll, Kühner / Stegmann 11 294, Hofmann / Szantyr 11 559. 1M Cuiacius, Scholia in 1. lInst. Just., ad I. 1.21, 11 716; Glück, Pandecten 29 (1827) 133 Fn. 11 und 30 (1828) 96 Fn.95; Rudor!!, Das Recht der Vormundschaft I (1832) 392 Fn. 10; Wlassak, Römische Prozeßgesetze 11 (1891) 190 Fn. 14; Peters, SZ 32 (1911) 231; Solazzi, Curator impuberis (1917) 150 Fn. 2; Bonfante, Corso I (1925) 425 Fn. 3; Solazzi, Scritti 111 457 (urspr. 1935); Watson, Persons (1967) 128; Guzman, Dos estudios en torno a la historia de la tutela romana (1976) 87 Fn. 24. ISS Dies kann bei allen drei Arten der Vormundbestellung (gesetzlich, testamentarisch, magistratisch) geschehen, Kaser, RP I 362. le8 über die verschiedenen Formen des Prozesses zwischen Vormund und Mündel vg1. Kaser, RP I 363 ff. Ich verstehe "cum altero agi" auch für die Beklagtenrolle wie in UE 11.27, vg1. Kaser, RZ 150 Fn. 20 mit Nachw. und Zannini, Studi sulla tutela mulierum I (1976) 95; Ulp. D. 26.1.3.2: sive agant
sive conveniantur.
104
§ 5. Doppelüberlieferungen
Da tutores legitimi immer nur gemeinsam die auctoritas erteilen konnten167 , können die plures tutores keine gesetzlichen sein. Ebenso können wir auch magistratische tutores ausschließen, da auch sie nach klassischem Recht nur gemeinsam auktorieren168 konnten. Die plures tutores sind daher testamentarisch eingesetzte, und das Fragment ist von der Kompilation im Digestentitel De testamentaria tutela richtig eingeordnet worden169 • Die Entscheidung ist vernünftig: wenn ein Vormund vorhanden ist, der die Klage gegen einen anderen Vormund auktorieren kann, braucht kein weiterer bestellt zu werden170 ; sie läßt sich auch aus der Regel "tutorem habenti alius tutor dari non potest" ableiten171 • Die Begründung, die der Text selbst gibt, ist unmittelbar einsichtig. 2. Der Text setzt als Grundfall voraus, daß das Mündel nur einen einzigen Vormund hatte. Wenn das Mündel gegen diesen tutor klagen wollte, wurde ihm, wie wir dem Text entnehmen müssen, auf Antrag ein curator bestellt.
Die Klassizität des curator wird indessen angezweifeIt172. Unter vergleichbaren Umständen wurde nämlich ein tutor bestellt. So bestellte nach Gai. 1.184 der Prätor einen tutor, wenn Frauen oder Unmündige im Legisaktionenverfahren gegen ihren ordentlichen tutor prozessierten; nach derselben Quelle war aber umstritten, ob für das iudicium legitimum des Formularverfahrens auch ein solcher tutor praetoriu~ bestellt werden mußte: Gai. 1.184 Olim, cum legis actiones in usu erant, etiam ex illa causa tutor dabatur, si inter tutorem et mulierem pupillumve lege agendum erat; nam quia ipse tutor in re sua auctor esse non poterat, alius dabatur, quo auctore legis actio perageretur; qui dicebatur praetorius tutor, quia a praetore urbano dabatur. Sed post sublatas legis actiones quidam putant hanc speciern dandi tutoris in usu esse desisse; aliis autem placet adhuc in usu esse, si. legitimo iudicio agatur. UE 11.26, lust. 531 C. 5.59.5 pr, Kaser, RP I 88 Fn. 24, 362 Fn. 19. Wir gehen hierauf nicht näher ein, vgl. Peters, SZ 32, 231, Lecomte, La pluralite des tuteurs en droit romain (1928) 82, Kaden, SZ 49 (1929) 558. 189 Peters 231. 170 Ebenso Ulp. D. 27.3.9.4 (itp.?, vgl. Peters 239), Anton. 214 C. 5.44.1; Gord. 267 C. 5.44.4 erklärt sich durch die Annahme, daß es sich um contutores legitimi handelt, vgl. Rudorff I 392 Fn. 11, Peters 229 Fn. 1. 171 Zur Regel und den Ausnahmen Kaser, RP I 359 Fn. 76 und SchmidZin, Die römischen Rechtsregeln (1970) 29 f., 85. 172 Ind. Int.; ältere Literatur bei Glück, Pandecten 29 (1827) 133 Fn. 11 und 30 (1828) 96 Fn. 95, Wlassak, Prozeßgesetze 11 (1891) 190 Fn. 14; sonst Kaser, RP I 359 Fn. 78, 11 226 Fn. 24, RZ 150 Fn. 24 und 453 Fn. 47. 187
188
§ 5. Doppelüberlieferungen
105
Die Bestellung eines tutor praetorius war im Legisaktionenverfahren unausweichlich, da keine Prozeßvertretung zulässig war173 und Frauen und Unmündige für die Prozeßführung auctoritas tutoris unbedingt benötigten174 • Auch im iudicium legitimum des Formularverfahrens konnten Frauen und Unmündige nur tutore auctore prozessieren175 ; und UE 11.24 wird entnommen176, daß in dieser Verfahrens art Frauen und Unmündige sich auch nicht vertreten177 lassen konnten: UE 11.24 Moribus tutor datur mulieri pupillove, quo cum tutore suo lege aut legitimo iudicio agere vult, ut auctore eo agat (ipse enim tutor in rem suam auctor fieri non potest), qui praetorius tutor dicitur, quia a praetore urbis dari consuevit. Danach war wie im Legisaktionenverfahren, so auch im formularen
iudicium legitimum die Bestellung also stets erforderlich. Auch die
justinianischen Institutionen berichten uns, daß dem Pupill, der gegen seinen tutor prozessierte, einst ein zweiter tutor bestellt wurde: I. 1.21.3
Si inter tutorem pupillumve iudicium agendum sit, quia ipse tutor in rem suam auctor esse non potest, non praetorius tutor, ut olim, constituitur, sed curator in locum eius datur, quo interveniente iudicium et eo peracto curator esse desinit. Nach diesen Zeugnissen scheint in unserer Javolenstelle 178 in der Tat
curatorem für tutorem ausgewechselt worden zu sein.
3. Diese Interpolationsvermutung ist jedoch nicht schlüssig. Der Bericht des Gajus spricht nämlich nur vom iudicium legitimum. Was im iudicium imperio continens179 galt, wissen wir nicht. Darum ist denkbar, daß das Mündel in diesem Prozeß ohne auctoritas selbst klagen konnte (a), daß auch hier dem Mündel ein tutor praetorius bestellt werden mußte (b), oder schließlich, daß ihm ein curator bestellt wurde, welcher nomine pupilli klagte (c). 173 DIp. 488 D. 50.17.123 pr zum noch in klassischer Zeit gebräuchlichen Legisaktionenprozeß vor den centumviri, vgl. Lenel, EP 142; Gai. 4.82 und I. 4.10 pr mit den Ausnahmen, die aber hier nicht betreffen (vgl. Kaser, RZ 46). 174 UE 11.27. 175 UE 11.27. 178 Wlassak, PG 11 190 f., Peters, SZ 32, 223, Pugliese, 11 processo civile romano 11 1 (1963) 301 Fn. 36 (S. 302). 177 Zur Bestellung des procurator ist keine Auktorierung notwendig, Paul. Vat.327. 178 Und an anderen Stellen: Serv., Cels., Pomp., Cass. bei Ulp. 2837 D. 26.1.3.2 - 4; Pomp. 641 D. 26.1.5; DIp. 2837 D. 26.1.3.2 - 4. 178 Gai. 4. 105, Kaser, RZ 116.
106
§ 5. Doppelüberlieferungen
a) Gai. 1.184 (und daraus schöpfend UE 11.24, I. 1.21.3) läßt offen, ob im iudicium imperio continens Frauen und Unmündige sine auctoritate prozessieren konnten. UE 11.27 scheint jedoch zu dem Schluß zu führen, daß Frauen und Unmündige im iudicium imperio continens selbst und ohne Auktorierung klagen konnten: UE 11.27 Tutorls auctoritas necessaria est mulieribus quidem in bis rebus: si lege aut legitimo iudicio agant, si se obligent, si civile negotium gerant, si libertae suae permittant in contubernio alieni servi morari, si rem mancipi alienent. Pupillis autem hoc amplius etiam in rerum nec mancipi alienatione tutoris auctoritate opus est. Der Text spricht nur von lege aut legitime iudicio agere. Wir haben keinen Grund zu zweifeln, daß wenigstens die Frau einer Auktorierung nicht bedurfte. Das Verzeichnis der zustimmungsbedürftigen Rechtsgeschäfte in UE 11.27 ist zwar unvollständig 180 ; Frauen konnten jedoch nach klassischem Recht ohne weiteres rechtsgeschäftlich handeln; nur für bestimmte Geschäfte bedurften sie der auctoritas; und zu diesen Geschäften gehörte offenbar nur das Prozessieren in einem iudicium legitimum181 • Anders lag es beim Unmündigen. Bei ihm war auctoritas grundsätzlich und darum wahrscheinlich auch für ein iudicium imperio continens erforderlich, da er nur Geschäfte, welche ihn begünstigten, selbst führen durfte. Wenn der Katalog in UE 11.27 diesen Verfahrenstyp nicht aufführt, so können wir leicht annehmen, daß der Epitomator des vierten Jahrhunderts keine Anschauung mehr vom iudicium legitimum hatte und mit "lege aut legitimo iudicio" jedes Verfahren meinte182, 183. b) Andererseits sagt Gajus 1.184 deutlich, daß die Bestellung eines
tutor praetorius selbst für das iudicium legitimum von einigen für obsolet gehalten werde. Diese quidam haben dann für das iudicium 180 Schulz, Epitome Ulpiani (oben Fn. 126) zu 11.27, Kaser, RP I 277 f., Zannini (oben Fn. 166) 193. 181 Ältere Literatur bei Peters, SZ 32, 240, ferner Pugliese, PC 11 1, 299. Aus Gord. 239 C. 3.6.1 geht nicht hervor, daß Frauen auch im iudicium imperio continens auktoriert werden mußten; vielmehr handelte es sich bei
der Adressatin um eine Unmündige. 182 Vgl. Schulz, Epitome 38 zu 11.27. 183 Auch andere Stellen gehen wie selbstverständlich davon aus, daß der Unmündige in j e dem Prozeß der auctoritas bedürfe: Ulp. D. 26.7.2 (es handelt sich um ein iud. imp. cont., da der tutor nomine pupilli klagen kann, Peters, SZ 32, 241); Gord 239 C. 3.6.1 (Provinzialprozeß, also iud. imp. cont.); Diocl. 294 C. 3.6.2 (hierzu vorsichtig Kaser, RZ 150 Fn. 20). Die Interpolationsvermutung Ulp. D. 26.1.3.2 [litern] (lege aut legitimo iudicio) (Ind. Int. und Kniep, Gai Institutionum I [1911] 292, vgl. auch Kaser, RP I 359 Fn. 78) basiert auf UE 11.27 und hat daher keinen Beweiswert.
§ 5. Doppelüberlieferungen
107
imperio continens sicher keinen Tutor bestellt. Auch aus den justinianischen Institutionen (I. 1.21.3) kann nicht gefolgert werden, daß für jeden Prozeß des Mündels ein tutor praetorius bestellt werden muß t e. In I. 1.21.3 ist vielmehr die Beschränkung auf lege aut legitimo iudicio gestrichen worden, wie der Vergleich mit Gai. 1.184 ergibt. Aus den Institutionen erfahren wir also nur, daß ein tutor praetorius durch einen rurator ersetzt wurde, nicht jedoch, in welchen Fällen in klassischer Zeit der tutor praetorius bestellt werden mußte.
Eine allgemeine überlegung spricht gegen die Bestellung eines tutor praetorius gegen den ordentlichen tutor für das iudicium imperio continens. Der Vormund des römischen Rechts wurde nicht nur zum Schutze und im Interesse des Mündels bestellt, sondern auch - und ursprünglich in erster Linie184 - im eigenen Interesse. Nur ein außerordentliches Mündelinteresse konnte den Eingriff in die Rechtsstellung des ordentlichen Vormundes rechtfertigen, den die Bestellung eines zweiten Vormundes bedeutete. So erklärt sich die Regel "tutorem habenti alius tutor dari non potest"185; und deshalb bedurfte auch die magistratische Vormundsbestellung, welche sich über den altzivilen Vormundschaftserwerb durch Testament oder nach Zwölftafelsatz188 hinwegsetzt, der ausdrücklichen Ermächtigung durch ein Gesetz, ein Senatuskonsult oder eine Kaiserkonstitution187. Aus Gai. 1.184 und UE 11.24 wissen wir, daß die (gesetzliche ?) Ermächtigung nur für das Legisaktionenverfahren und das formulare iudicium legitimum die Einsetzung eines prätorischen gegen den legitimen188 Vormund deckte. Nach alledem erscheint es kaum möglich, daß der Prätor auch für iudicia imperio continentia einen außergewöhnlichen Vormund bestelVgl. Kaser, RP I 85 f., 360. Vgl. Schmidlin, Rechtsregeln (oben Fn. 171) 30. 188 Dieser folgte der Intestaterbfolge. Nach den XII Tafeln wurde Vormund, wer beim Tode des Mündels sein nächster Erbe war, nämlich der adgnatus proximus: XII Taf. 5.4,5,6. Vgl. Kaser, RP I 88 Fn. 21, 22 und 86 zu Fn. 3. 197 Ulp. D. 26.1.6.2. 188 Der tutor testamentarius ist, da seine Einsetzung sich auch auf Zwölftafelsatz gründet (5.3), ebenso "legitim" wie der unmittelbar kraft Rechtsatzes berufene tutor legitimus (im engeren Sinne). Uns erscheint daher die Zurechnung des tutor testamentarius zu den tutores ex aliqua lege, also legitimi (UE 11.2,3,14), als durchaus konsequente und rechtstheoretisch bedeutsame Weiterentwicklung der gajanischen Einteilung in testamentarische, legitime und magistratische Vormundschaft, so daß sie ein abschätziges Urteil wie etwa bei Kaser, RP I 354 Fn. 1, nicht verdient; andererseits dürfte "moribus" in UE 11.24 dem Vollständigkeitsbedürfnis des Epitomators entspringen, der in seiner Vorlage keine andere Rechtsquelle für den tutor praetorius fand, vgl. Guzmtin, Dos estudios (oben Fn. 164) 122, auch Watson, Persons 112. 184 186
108
§ 5. Doppelüberlieferungen
len konnte 189• Daher nehmen wir an, daß unsere Javolenstelle D. 26.2.24 190 nicht interpoliert ist. e) Da der Unmündige gegen seinen Vormund nicht selbst klagen konnte (a), und da die Bestellung eines Gegenvormundes im iudicium imperio continens wohl nicht möglich war (b), so konnte der Unmündige nur Rechtsschutz erlangen, wenn ein curator nomine pupilli gegen den tutor klagte. Diese Möglichkeit ist bei Ulpian191 überliefert. 4. Der Fall unserer Javolenstelle wurde offenbar bei Cassius erörtert. Ulpian berichtet nämlich, daß Cassius im 6. Buch seines ius civile den curator praetorius behandelte: Cass. 2 = Ulp. 37 ad Sab. 2837 D. 26.1.3.2 Si pupillus pupillave euro iusto tutore tutorve euro eorum quo litern agere vult et curator in eam rem petitur, utrum ipsis poscentibus datur an vero et adversario? et scienduro est, sive agant sive eonveniantur, dari hunc euratorem posse, sed non alias, quam si ipse petat, cui dari eum oportet. Denique Cassius libro sexta scripsit talern curatorem neminem dari posse nisi praesentem neque cuique nisi praesenti et postulanti, itaque infanti non potest dari. idem Cassius ait, si pupillus curatorem poscere non vult, quo minus curo eo agatur, eogi eum a praetore debuisse. a) Bei der Bestellung eines Prozeßkurators müssen das Mündel und der curator selbst anwesend sein. Das Mündel muß die Bestellungen beantragen; weigert sich ein beklagtes Mündel, diesen Antrag zu stellen, so kann es der Prätor dazu zwingen. Der Erörterung des Prozesses gegen den einzigen Vormund folgte bei Cassius wahrscheinlich die Erörterung des Falls, daß das Mündel mehrere Vormünder hatte. Aus diesem Zusammenhang hat Javolen unsere Stelle exzerpiert.
b) Die Struktur des Javolentextes entspricht der des Cassiuszitates bei Ulpian. Iav. 19
Cass.2 . .. talern curatorem neminem dari posse nisi praesentem neque cuique nisi praesenti et postulanti ...
189 Denselben Schluß für das iud. imp. cont. zieht bereits von Vangerow, Pandekten I (7. Aufl. 1863) 500. 190 Dasselbe gilt für: Ulp. D. 26.1.3.2 - 4, Pomp. 26.1.5, Ulp. D. 27.3.9.4,5 itp.?, vgl. Ind. Int., Paul. D. 26.1.4, Anton. 213 C. 5.44.1, Alex. 224 C. 5.44.2, GaU. 265 C. eod. 3, Diocl. 294 C. eod. 5 und 5.62.21. Andere Quellen sprechen vom tutor ad litem: Tryph.-Iul. D. 26.2.27.1, Iul. D. 27.1.20, GaU. 267 C. 5.44.4. Man möchte höchstens die beiden Julianfragmente auf das iudicium legitimum beziehen. 191 Der curator kann nomine pupilli klagen, Ulp. D. 46.7.3.6, vgl. Lenel, SZ 35 (1914) 199. Dem zerstörerischen Gang durch die Digesten in Solazzis Curator impuberis kann ich nicht folgen.
§ 5. Doppelüberlieferungen
Si plures tutores sint, a praetore curatorem posci litis causa supervaeuum est, quia altere auctore cum altere agi potest.
109
... si pupillus euratorem poscere non vult, quo minus eum eo agatur, cogi eum a praetore debuisse.
Beide Texte haben den Konditionalsatz mit knappem Tatbestand und kurzer Rechtsfolge. J avolen fügt eine Begründung an; nur dadurch unterscheidet er sich von Cassius.
§ 6. Die lihri ex Cassio und Cassius I. Wir haben bisher die Fragmente vorgestellt, für welche eine Verbindung zum Werk des Cassius sicher bezeugt oder doch mit genügender Wahrscheinlichkeit erschließbar ist; diese Fragmente können am ehesten zur Klärung der Werkbezeichnung !ibn ex Cassio beitragen. Einige Fragmente erlauben uns, den cassianischen Text zu erkennen1 •
1. a) Nur ein Fragment ist ein wörtliches Zitat: Iav. 47 D. 4.8.39 pr Idem: Contumaciam litigatoris arbiter punire poterit pecuniam eum adversario dare iubendo. Drei weitere Cassiussätze sind wenigstens in abhängiger Rede erhalten: Cass. 9 = Iav. 12 D. 35.1.54 pr (Si quis legata, quibus dies adposita non esset, annua bima trima die dari iussit et alicui, cum pubes esset, pecuniam legavit), id quoque legatum annua bima trima die post pubertatem praestandum esse (in commentariis Gaii scriptum est), quia magis condicio quam dies legato adiecta esset. Nur der Nachsatz ist bei Iav. 12 pT durch den Acc. c. Inf. als Zitat ausgewiesen, während der Vordersatz offenbar von Javolen gebildet worden ist. Für Cassius muß aber ein ähnlicher Vordersatz vermutet werden; der Wechsel von direkter zu indirekter Rede deutet wohl an, daß der zweite Teil des Satzes sich enger an den Wortlaut der Vorlage anschließt als der erste. Cass. 10 = Iav. 22 D. 40.7.28.1 Statuliber, antequam condicio libertatis obtigerit, si quid comparasset, peculio legato non cessurum (in libris Gaii Cassii scriptum est), nisi id legatum in tempus libertatis collatum esset. 1 Neben den in §§ 4 und 5 aufgeführten Fragmenten gibt es noch weitere mehr oder weniger nahe Bezüge von den Zibri ex Cassio zur sonstigen Cassius-üebrlieferung. In Iav. 2 = Cass. 69 werden beide Juristen nebeneinander zitiert, das Fragment gibt jedoch keine Hinweise zu Werk, Kontext und Wortlaut der Quellen (vgl. unten § 12 II 2); Iav. 37 D. 11.1.14 behandelt einen auch bei Cassius 36 D. 9.4.15 erörterten Fall (vgl. unten § 10 Fn. 98), doch kann das Verhältnis der beiden Fragmente nicht genauer bestimmt werden. Vgl. auch unten § 9 Fn. 101.
§ 6. Die libri ex Cassio und Cassius
111
Der nisi-Satz kann auch javolenisch oder unecht sein. Cass.11 = Iav. 49 D. 46.3.78 ... si mixti essent, ita ut diseemi non possent, eius fieri, qui aeeepit (in libris Gaii seriptum est), ita ut aetio domino eum eo, qui dedisset, furti eompeteret. b) Doppelüberlieferungen geben eine Anschauung von Veränderungen bei J avolen: Cass. 110 D. 41.3.4.25
Iav. 53 D. 41.2.22
Si dominus fundi possessorem [vi] (armis) deieeerit, Cassius ait non videri in potestatem eius redisse, quando interdieto unde vi restituturus sit possessionem.
Non videtur possessionem adeptus is, qui ita naetus est, ut eam retinere non possit.
Die verallgemeinernde Darstellung bei Javolen ist unverkennbar; ebenso verkürzt und generalisiert er den cassianischen Satz in: Cass.61 D. 21.1.65.1
Iav. 56 D. 50.16.113
(Quotiens morbus sonticus nominatur), eum signifieari (Cassius ait), qui noeeat: (sontes enim noeentes dici): noeere autem intellegi, qui perpetuus est, non qui tempore finiatur: sed (et) morbum sontieum eum videri, qui inciderit in hominem, postquam is natus sit.
Morbus sonticus est, qui cuique rei noeet.
In anderen Fragmenten sind Erweiterungen deutlich: Cass. 78 D. 33.7.12.13 ... aves instrumento exemplo apium eontineri (Sabinus et Cassius putaverunt).
Iav.9 D. 33.7.11 Eadem ratio est in avibus, quae in insulis maritimis aluntur.
Cass. 121 D. 43.24.11.6
Iav. 55 D. 50.17.198
Ex dolo tutoris vel euratoris pupillum vel furiosum non teneri ...
Neque in interdieto neque in eeteris eausis pupillo noeere oportet dolum tutoris, sive solvendo est sive non est.
In diesen bei den Fällen hat sich Javolen weiter von seiner Vorlage entfernt. Das Verhältnis der anderen Javolenstellen (19, 42, 43, 65) zu ihrer Vorlage kann nicht mehr festgestellt werden. 2. Zumeist dürfte J avolen der Meinung seines Lehrers gefolgt sein: In Iav. 9, 53, 55, 56 wird dies durch die Doppelüberlieferung Cass. 78, 110, 121, 61 bezeugt; in Iav. 49 liegt kein Hinweis auf eine abweichende
§ 6. Die libri ex Cassio und Cassius
112
Meinung des Javolen vor. In anderen Fragmenten weicht er dagegen deutlich ab: in lav. 47 zeigt die Problemerörterung, daß Javolen sich dem Vorschlag seines Lehrers nicht anschließt; in lav. 12 pr und 22/1 heißt es ausdrücklich contra ego sentio und videamus, ne; lav. 42 pr wurde als eine einschränkende Weiterführung des cassianischen Satzes erkannt. Besonders interessant ist das Verhältnis von lav. 12 und lav. 22: lav. 22/1 schließt mit et hoc magis iure utimur - in der Tat ist Javolens Lösung im klassischen Recht durchgedrungen (§ 4 II 2); in lav. 12 pr blieb Cassius' Ansicht siegreich - das Fragment schließt folgerichtig auch nicht mit einem hoc iure utimur. Es muß offen bleiben, ob hoc iure utimur javolenisch oder unecht ist2 ; eine solche Anmerkung ist in der Epitome zu den posteriora Labeonis häufig und keineswegs überall als unecht erwiesen3 • 11. In § 3 ist erörtert worden, ob die libTi ex Cassio den lemmatischen Kommentaren oder den kommentierenden Epitomae zuzurechnen seien'. Die bisherige Untersuchung hat für einen Lemmakommentar nichts erbracht; die einzige Stelle, in welcher Cassius wörtlich zitiert wird, ist ein Zitat im Kontext einer eigenständigen javolenischen Darstellung. So erscheinen die libri ex Cassio als selbständige Bearbeitung auf der Grundlage des Cassiuswerkes mit Anmerkungen, Auslassungen, Änderungen und Polemik; sie können nur der Gattung der Epitomae zugerechnet werdens. Eine andere Frage ist, in welchem Umfang Javolen das Grundwerk neu bearbeitet hat: ob die libri ex Cassio nämlich die verkürzte Ausgabe eines umfangreicheren Werkes waren oder eine Neuausgabe, welche den Umfang des Grundwerks im wesentlichen bewahrte, die Lehren aber in eigener und der fortschreitenden Rechtsentwicklung angepaßter Form darstellte. Wo andere Autoren Cassius zitieren,_ wird er in kurzer, regelhafter Form angeführt. Diesen Befund haben wir beobachtet in: Ulp.2609
=
Cass. 78 D. 33.7.12.13
... et aves instrumento exemplo apium contineri (Sabinus et Cassius putaverunt), S. oben § 4 Fn. 76. Iav. 1 ex post. Lab. 166 D. 29.2.62 pr ego puto ... Proculus idem eoque iure utimur; Iav. 5 ex post. Lab. 207 D. 18.1.79 ego contra puto ... eoque iure utimur; Iav. 6 ex post. Lab. 224 D. 23.5.18.1 puto potius ... quo iure utimur. Die Stellen stammen alle aus der mit Iavolenus inskribierten Serie, in welcher im Gegensatz zur Labeo-Serie die Meinungen diskutiert werden und ein abschließendes Urteil, welche die herrschende sei, ganz natürlich ist. 4 Schulz, Geschichte 269, ließ dies offen. 5 Somit erübrigt sich die Entscheidung zwischen Schulz und Liebs (oben § 3 12 e). 2
3
§ 6. Die libri ex Cassio und Cassius
113
Ulp. 1596 = Cass. 121 D. 43.24.11.6 ... (Cassius probat) ex dolo tutoris vel euratoris pupillum vel furiosum non teneri ... , Ven.2 = Cass.61 D. 21.1.65.1 ... morbus sonticus '" eum significari (Cassius ait), qui noeeat: (sontes enim noeentes dici): noeere autem intellegi, qui perpetuus est, non qui tempore finiatur: sed (et) morbum sontieum eum videri, qui inciderit in hominem, postquam is natus sit. Paul. 674 = Cass. 110 D. 41.3.4.25 Si dominus fundi possesorem [vi] (armis) deieeerit, (Cassiu ait) non videri in potestatem eius redisse, quando interdieto unde vi restituturus sit possessionem. Ulp. 1526 = Cass. 118 D. 43.16.1.27 Vim vi repellere lieere (Cassius seribit). Ulp. 1524 = Cass. 118 D. 43.16.1.14 (seeundwn Sabinum et Cassium, qui) ratihabitionem mandate comparant. Hier wird Cassius überall mit kurzen, vergleichsweise hoch generalisierten Sätzen zitiert. Den Befund bestätigt ein Blick auf die anderen Cassiusfragmente in Lenels Palingenesie: es sind durchweg Normen, welche aus den Werken des Cassius entnommen werden, und keine Fallösungen. Die Beobachtung, daß die Parallele zu Iav. 42/1 bei Viv. 14 (§ 5 VI) verhältnismäßig ausladend ist, ist kein Einwand; denn diese Doppelüberlieferung zeigt vielmehr, daß Vivian eine Norm aus Cassius entnommen hat, und die ausführliche Textgestalt mag von Vivian sein. So ergibt sich, daß Javolen das Werk des Cassius ohne Bewahrung des Wortlautes mit einzelnen Erläuterungen, Abkürzungen6 oder Erweiterungen7 ausgezogen hat. Den Auszug darf man sich indessen nicht als die komprimierte Wiedergabe eines ausführlicheren Textes vorstellen. Wenn die libri iuris civilis des Cassius wie die des Sabinus8 axiomatisch und bemerkenswert knapp gefaßt waren, kam eine Summe nicht in Betracht. Tatsächlich hat die Epitome dieselbe sprachliche Struktur wie das Grundwerk. Darum ist wahrscheinlich, daß der Auszug keine Verkürzung, sondern eine Auswahl war; wir kommen auf diese Frage zurück9 •
8 7 8 S
Abgekürzt in Iav. 53, vgl. oben I 1. Erweitert in Iav. 42 PT, vgl. oben § 5 V. Sehulz, Geschichte 141, 186. Vgl. unten § 13 11.
8 Manthe
3. Kapitel
Die Werkgattung der libri ex Cassio § 7. Literaturgattung und Leserkreis 1. Während Javolens Epitome der posteriora Labeonis, die Neuausgabe nachgelassener Schriften mit Meinungsdiskussionen, ihren Zweck der wissenschaftlichen Durchdringung des von Labeo hinterlassenen Materials leicht verrät 1 und während J avolens epistulae als problemorientierte Lehrschrift in Briefform erkannt sind2 , sind Literaturgattung und Zweckbestimmung der libri ex Cassio noch im unklaren. Ein Vorwort3 ist nicht erhalten; der Titel des Werkes gibt nur Aufschluß über die äußere Form (kommentierende Epitome), nicht aber über den Zweck. Die erhaltenen Textstücke lassen nicht ohne weiteres erkennen, ob Javolen die libri iuTis civilis des Cassius lediglich aufbereitete, ohne deren Zweckbestimmung zu verändern, oder ob er mit seiner Epitome eigene, von denen des Cassius verschiedene Ziele verfolgte 4 • 11. Die libri ex Cassio können nicht so leicht in eine der Literaturgattungen der klassischen Jurisprudenz eingeordnet werdens. 1 Die zweite Ausgabe (B bei Schulz, Geschichte 258) hatte reichlich Literaturzitate, sie scheint eine erweiterte Neufassung der ersten Ausgabe gewesen zu sein, vgl. Liebs, St. Volterra V (1971) 66 Fn. 61, Schiller, Roman Law (1978) 332 Fn. 11. Original und Bearbeitung gehören der Gruppe der Problemataschriften an, Schulz 286, 289. ! Schulz 288, Eckardt 112, so auch die epistulae des Proculus: Krampe, Proculi Epistulae (1970) 60. 3 Vorworte zu juristischen Schriften sind selten erhalten, so etwa zu Gajus' Zwölftafelkommentar, Gai. 418 D. 1.2.1, oder zu Modestins excusationes, Mod. 54 D. 27.1.1 pr, vgl. Schulz 230 Fn. 2, 320; auch zu Maecians assis distributio; ferner Ulp. 2252 D. 1.13.1, hierzu Wieacker, Textstufen 408. , Schulz 269 reiht die libri ex Cassio undifferenziert in die übrigen Kommentare zu Juristenschriften ein; 289 gehören sie zu den Problemataschriften; Liebs, ANRW 11 15 (1976) 218, 220, nimmt lehrhaften Charakter an. 6 Ich folge hier im allgemeinen der Einteilung von Liebs, NHL 3 (1974) 196 ff.: K a s u ist i s ehe Li t e rat ur (die Problemataschriften Schulz') , Kom m e n t are (welche seit der Hochklassik zu wahren Enzyklopädien wurden), L ehr s ehr i f t e n (Schulz: Isagogische Literatur, Regulae) und Ein z eId ars tell u n gen (Schulz: Instruktionsschriften, kleine Schriften). Die letzte Kategorie wird von unserer Untersuchung nicht betroffen
§ 7. Literaturgattung und Leserkreis
115
1. Die Kom m e n ta r e erläutern Gesetze oder Werke bedeutender Juristen. Noten und Lemmakommentare ordnen sich dem Grundwerk unter und wollen neben dem Grundwerk und zu seiner Ergänzung gelesen werden6 ; die kommentierende Epitome (zu der die libri ex Cassio gehören 7) hat sich von ihrem Grundwerk weiter entfernt und will an seiner Stelle gelesen werdens. Während jene dem Ziel des Grundwerks folgen, ist diese ein eigenes Werk, dessen Ziel durchaus von dem des Grundwerks abweichen kann. Labeos Quaestionensammlung9 , die libri posteriores, wurde in der Bearbeitung Javolens zu einer Fundgrube der Meinungsdiskussion, ohne allerdings die Gattung der kasuistischen Literatur zu verlassen; Sabinus' Grundriß des ius civile, eine Lehrschrift, diente Ulpian als Grundlage zu einer groß angelegten enzyklopädischen Darstellung des gesamten ius civile unter Einschluß auch anderer Materien10 • Für solche eigenständigen Kommentarwerke ist die Einordnung unter die Kategorie des Grundwerks oder unter die allgemeine Kategorie "Kommentar" nicht sinnvoll. Darum muß auch die Gattung der libri ex Cassio bestimmt werden.
2. Das zweite Jahrhundert kannte mit den Institutionen des Florentin und des Gajus systematische Darstellungen des Privatrechts, die L ehr s ehr i f t e n für Anfänger waren. Die ältere systematischell Literatur war von anderer Art: das ius civile des Sabinus war eine Sammlung von Axiomen und Theoremen, in welcher die Begründung und Ableitung der Sätze keine große Rolle spielte; so mag die Vorlage des Rechtslehrers für die Vorlesung ausgesehen haben, die erst im Vortrag Leben gewann, oder die abstrahierende Mitschrift des fortgeschrittenen Studenten12 • Man hat angenommen13 , auch das ius civile und bleibt im folgenden außer Betracht. Zu Klassifizierungen vgl. auch Schulz 166ff. und Schiller, Roman Law 385 ff. e § 3 12 a. § 6 11. § 3 zu Fn. 24. • Schulz 286.
7
B
10 Zum Beispiel stammt die Rubrik De instrumento veZ instructo legato nicht aus den libn iuris civilis, sondern geht auf die libn ad Vitellium zuruck, Bluhme, ZGR 4 (1820) 303 f. und oben § 5 Fn. 2. über andere Quellen der !ibn ud Subinum vgl. Jörs, Domitius (Nr. 88), RE V (1903) 1481, SchuZz, Sabinus-Fragmente in Ulpians Sabinus-Commentar (1906) 3. 11 SchuZz, Geschichte 186 ff., stellt die Institutionen in dieselbe Gruppe wie die Grundrisse des ius civile; während sich aber die Institutionen an den Anfänger wenden, sind die Grundrisse nur für den vorgebildeten Leser brauchbar und können daher kaum als "isagogische" Literatur klassifiziert werden (so auch Liebs, NHL 3, 204). 12 Schulz 187 erkennt in den !ibn H1 iuris civilis des Sabinus eine posthun. veröffentlichte Sammlung von Vorlesungen; dieses Urteil kann man nur insoweit aufrechterhalten, als es nur ein Gerüst und kein ausgearbeitetes Manuskript war. 13 Liebs, NHL 3, 204. Unten § 13 11.
8"
116
§ 7. Literaturgattung und Leserkreis
des Cassius sei ein solches Gerüst gewesen, und wir haben oben (in § 6) denselben Eindruck gewonnen. Alle Zibri iuris civilis folgten einem System, welches zuerst bei Q. Mucius begegnet und von den Verfassern der Grundrisse nach ihren Bedürfnissen modifiziert wurde 14 • 3. Anschaulicher und auf andere Weise als die Grundrisse des ius civile behandeln die k a s u ist i s ehe n Werke ihren Stoff. Während jene das dogmatische Skelett des Privatrechts bieten, gehen diese induktiv von Fällen und Entscheidungen aus; jene sind am System, diese am Problem orientiert. Typisch für diese Gattung der "Problemataschriften" (Schulz) ist die äußere Form des Responsenschemas und die Vorliebe für den komplizierten Fall 15 • Die Responsensammlungen geben zunächst Entscheidungen aus der (eigenen ?) Praxis wieder; daneben konstruiert der Autor theoretische Fälle 18 ; außerdem werden in zunehmendem Maße die Lösungen anderer Juristen besprochen 17 • Sie heißen wegen ihrer Herkunft aus der Problembestimmung, Beratung und Entscheidung quaestiones, disputationes und responsa, wegen der Art ihrer Zusammenstellung digesta, wegen ihrer literarischen Form epistulae. Sie folgen gern dem sogenannten Digestensystem18 • Vom üblichen Schema der kasuistischen Literatur haben sich die Responsen Papinians19 am weitesten entfernt; Problembericht und Lösung sind auf das Wesentlichste reduziert, dagegen wird gewöhnlich - im Unterschied zu anderen Werken dieser Gattung - eine, wenn auch knappe, Begründung geliefert. Die kunstvolle und äußerst bündige Sprache führt zu der lapidaren Sprache der längst vergangenen Grundrißliteratur zurück. 4. Papinians Responsen bilden so ein Bindeglied zu einer vierten Gattung der juristischen Literatur des zweiten Jahrhunderts: den re g u l a e. Die regulae-Literatur ist unter diesem Namen seit dem Beginn des zweiten Jahrhunderts (Neraz) faßbar 20 • Zu dieser Zeit wurden die Grundrisse des ius civile 21 von zwei neuen Gattungen ab14
über die Abhängigkeit des Sabinus-Systems vom mucianischen vgl.
17
In größerem Umfang seit den Digesten des Celsus.
Schulz 153, 188, kritisch hierzu Liebs, ANRW II 15, 223 Fn. 146. 15 Schulz 283. 18 Eckardt 112 f.
Lenel, Palingenesia II 1255 f., Schulz 153 f., 285. Daß schon Javolens epistulae dem Ediktssystem folgten, erwies Eckardt 227. 18 Schulz, Geschichte 299, Liebs, NHL 3, 197. 20 Schmidlin, Die römischen Rechtsregeln (1970) 123 ff., führt mit guten Gründen die libri regularum auf Labeos pithana zurück, während Liebs, NHL 3, 198, die pithana mit Schulz 286 den kasuistischen Problemataschriften zuordnet. Cenderelli, SD 44 (1978) 412, hat jetzt auch das Werk des Sex. 18
Pedius als Regelwerk identifiziert.
§ 7. Literaturgattung und Leserkreis
117
gelöst: den anspruchsloseren Institutionen, die endlich den Bedürfnissen des Elementarunterrichts entsprachen22 , und eben den regulae, welche sich nach Form und Inhalt weiterhin an den Fortgeschrittenen wandten. Ihre Merkmale sind die folgenden: - Die Fragmente bestehen gewöhnlich aus hypothetischen Sätzen, welche eine Grund-Folge-Beziehung bezeichnen. Diese in der Tiefenstruktur vorhandene Beziehung hat verschiedenen Ausdruck in der sprachlichen Oberfläche gefunden: der Vordersatz kann konditionaler oder temporaler Adverbialsatz oder Relativsatz sein oder im Subjektsbegriff (heres, tutor, nemo) enthalten sein23 • Diese Sätze sehen aus wie die in allgemeine Worte gekleideten, konzentrierten und abstrahierten Ergebnisse von Fallösungen, vergleichbar den Leitsätzen der modernen Rechtsprechung. Eine Anschauung von der Entstehung solcher "Lehrsätze"24 oder "kasuistischen Regeln"25 hat Eckardt 26 aus dem Vergleich zweier Fragmente der (kasuistischen) epistulae des J avolen gewonnen: Iav. 119 D. 45.1.108 pr Iav. 80 D. 8.6.15 (1) (2)
(3) Si ... (Tatbestand), (4) ... (Rechtsfolge), (5) quia ... (Begründung).
(casus)
(quaestio):
si ... (Tatbestand),
... (Rechtsfolge),
nam cum ... (Begründung).
Der Sachverhalt von Iav. 119 (1) wird im Bedingungssatz (3) in leicht veränderter, zum Tatbestand hin präzisierter Form wiederholt; die Entscheidung (4) ist auf die Anfrage (2) hin konzipiert und wird mit einem allgemeineren Lehrsatz (5) begründet. Schneidet man aus dem Responsenschema von Iav. 119 die nicht unbedingt notwendigen Teile (1) und (2) heraus, so ist der Text immer noch aus sich heraus verständlich; eben dies ist in Iav. 80 geschehen. Das Ergebnis der gedanklichen Konzentration des Responsums (1 - 5) ist der Lehrsatz (3 - 5). -
Die meisten Lehrsätze sind nicht begründet 27 •
21
Gründe für das Absterben des Titels ius civile bei Liebs, ANRW 11 15
22
Zum Aufkommen der Elementarliteratur gerade zu dieser Zeit siehe
(1976) 225.
Liebs, ANRW 11 15, 229 f.; systematische Gesamtdarstellungen wurden später
in den Großkommentaren seit Pomponius verkörpert. 23 Zu den Strukturformen vgl. Schmidlin (oben Fn. 20) 133 ff., 146 ff. Z( So Eckardt 73. 25 So Schmidlin 143. 26 Eckardt 72, vgl. auch Schmidlin 150 ff.; Bund, Untersuchungen zur Methode Julians (1965) 11 Fn. 23. 27 Nur Marcians libri regularum begründen die Lehrsätze häufig, wie überhaupt die Fragmente dieses Werkes im Vergleich zu den anderen Regelwerken erheblich länger sind. Die andern Regelwerke sind mit Begründungen überaus sparsam; Labeos pithana (oben Fn. 20) haben überhaupt keine Begründungen.
118
§ 7. Literaturgattung und Leserkreis
- Wie in den kasuistischen Lehrschriften wird der Ausgangsfall gerne abgewandelt, um das darzustellende Dogma präziser zu fassen 28 ; umgekehrt werden Einwände, die ein anderes Ergebnis als möglich erscheinen lassen, häufig in Konzessivsätzen ohne weitere Argumentation abgewehrt29 • - Neben hypothetischen Sätzen des konditionalen Schemas haben auch kategorische Definitionen ihren festen Platz in den Regelwerken30 ; sie sind das notwendige systematisierende Gegengewicht zu den nur das Ergebnis festhaltenden kasuistischen Regeln. - Wie später die Sprache von Papinians Responsen (oben 3), klingt die Sprache der regulae-Literatur an den bündigen und lapidaren Stil der alten Juristen an: eine notwendige Folge des hohen Abstraktionsgrades der regulae 31 • - Es fehlt - im Gegensatz zur kasuistischen Literatur - fast jede Auseinandersetzung mit anderen Juristen: typisch für Sätze, welche das Ergebnis festhalten wollen und vielleicht zum Auswendiglernen bestimmt sind32 • - Einige regulae-Werke folgen einem System, welches vielleicht von Neraz entwickelt33 und später von den regulae des Paulus und des Licinius Rufus und dem Ziber singularis regularum Ulpians 34 angewandt wurde; dieses System ist mehr oder weniger identisch mit dem gajanischen Institutionensystem. Diese Regelwerke sind am ehesten wie die ius-civile-Grundrisse dem Unterricht für die fortgeschrittenen Studenten zuzuordnen. Wahrscheinlich stellen sie das Vorlesungsgerüst dar, welches im Unterricht durch Falldiskussionen ausgefüllt wurde 35 ; daneben geben sie Lehr28 Beispiele aus den Zibri IV reguZarum Scaevolas: 198 sed si, 199 hi vero, 202 senatores autem, 207 excipiuntur autem, 210 frater autem; aus Licinius Rufinus' Zibri XII reguZarum: 1 si autem, 8 si autem, 9 quod si. 28 So schon in Labeos pithana: quamvis (206, 208, 215), vgl. auch nihiZ interest (201, 202), nihiZo magis (218); in Paulus' Zibri VII regularum: Zicet
(1426, 1427).
SchmidZin 138 ff. Man vergleiche etwa die Regelwerke des Paulus oder des Modestin mit den Fragmenten aus dem ius civiZe des Sabinus; so auch Liebs, ANRW 11 15, 227 mit Fn. 165. 32 Zum Auswendiglernen vgl. Krüger, Geschichte 142 zu Fn. 13. 33 Greiner, Opera Neratii (1973) 131, und Horak, SZ 92 (1975) 321, ziehen daraus den falschen Schluß, daß die reguZae des Neraz unecht seien; richtig Honore, TR 43 (1975) 237 f. und Liebs, NHL 3, 205 mit Fn. 13, ANRW 11 15, 308 Fn. 144; vgl. SchmidZin, ANRW 11 15, 120 f. Fn. 68. U Liebs, ANRW 11 15, 232 ff. 35 Krüger, Geschichte 141 f., ordnet sie dem Anfängerunterricht zu. Gerade weil zur Zeit der reguZae-Werke bereits eine eigentliche Institutionenliteratur 30 31
§ 7. Literaturgattung und Leserkreis
119
sätze zum Auswendiglernen. Die Darstellungsweise berührt sich mit den Grundrissen des ersten Jahrhunderts, die problemorientierte Stoffdarbietung mit den kasuistischen Werken (Zwischenglied ist Papinians Responsensammlung), der Bezug auf den Unterricht mit den Institutionen (Zwischenglied sind die etwas ausführlicheren regulae Marcians). III. Die libri iuris civilis des Cassius bilden mit dem ius civile des Sabinus eine eigene Gattung 36 ; Javolens libri ex Cassio werden dagegen verschieden eingeordnet. Krüger und Berger halten sie für einen unselbständigen, sich im wesentlichen auf Wiedergabe beschränkenden Auszug37 ; wir sahen jedoch schon, wie die libri ex Cassio mit ihren Anmerkungen, Auslassungen, Änderungen und ihrer Polemik sich weit vom Grundwerk entfernt haben 38 • Schulz 39 erwägt ihre Einordnung bei den Lemmakommentaren, doch sind die libri ex Cassio nicht bemüht, den Wortlaut des Grundwerkes zu bewahren und zu erläutern. Größere Wahrscheinlichkeit hat dagegen die Vermutung, die libri ex Cassio gehörten zu den kasuistischen Lehrschriften (Problematawerken)40; Spuren des für diese Kategorie typischen Responsenschemas haben wir jedoch bisher nicht ausmachen können. Durch ihre knappe und prägnante Ausdrucksweise stehen die libri ex Cassio sowohl den Grundrissen des ersten wie auch den regulae des zweiten Jahrhunderts nahe 41 • Es bleibt zu untersuchen, ob die Fragmente - wie die Regeln - auch "Lehrsätze" sind, ob sie für den Schulunterricht bestimmt waren und ob sie vielleicht dem Anordnungssystem anderer regulae-Werke folgen. Tatsächlich zeigen die libri ex Cassio alle Merkmale eines Regelwerkes: die Fragmente haben die hypothetische Satzstruktur (§ 8) und die kennzeichnende Variation des Grundfalles (§ 9); auch die wenigen längeren Fragmente bilden keine Ausnahme (§ 10). Historisches Interesse, das allenthalben begegnet, ist ein Indiz für den Lehrcharakter der Schrift (§ 11). Schließlich werden wir versuchen, das System der libri ex Cassio zu rekonstruieren (§ 12). aufkam, waren sie noch mehr als die Grundrisse (oben Fn. 11) nur für den fortgeschrittenen Hörer-/Leserkreis gedacht und brauchbar. 36 Bremer 11 2 (1901) 31, Berger, Octavius (Nr. 59), RE XVII (1937) 1834.25 ff. ("Regeln" 1), Liebs, NHL 3, 204, ANRW 11 15, 225; unten § 13 11. 37 Krüger 169, Berger, RE XVII 1833 f. 38 Siehe oben 11 1. 39 Schulz 269; ähnlich schon Bremer 11 2,439. 40
Schulz 289.
Liebs, ANRW 11 15, 220, ordnet sie (implizit) den Vorlesungsgerüsten zu, Berger (oben Fn. 36 f.) deutet auf den regelhaften Charakter des Grundwerks, der dann auch die Epitome mitumfassen muß. 41
§ 8. Lehrsätze In den 91 Paragraphen der libri ex Cassio finden sich 3 kategorische Definitionen und 88 hypothetische Sätze (im logischen, nicht im grammatischen Sinne)1; von diesen haben 33 eine Begründung. Diese Begründung wird überwiegend in einem Kausalsatz gegeben, der mit quia2 , seltener mit quoniam, cum oder quod 3 eingeleitet wird; vereinzelt findet sich die Parataxe mit enim oder nam'. Einmal steht die Begründung in einem selbständigen Satz5 ; zweimal weist eine unerwünschte Folge als argumentum ad absurdum auf die richtige Lösung hin6 • Wir betrachten zunächst einige Fragmente mit expliziter Begründung (I - V); sodann folgt die Untersuchung einiger Lehrsätze ohne Begründung (VI - VII), schließlich die der kategorischen Definitionen (VIII).
I. Lehrsätze mit Begründungen: ein Modellfall
Iav. 12 ex Cassio 51 D. 15.3.27 Qui nummis aeeeptis servum manumisit, agi eum eo de in rem verso non potest, quia dando libertatem loeupletior ex nummis non fit.
Ein Sklave hat mit geliehenem Geld seine Freiheit erkauft. Der Patron haftet dem Darlehensgläubiger nicht aus der actio de in rem verso; da er den Sklaven verloren hat, ist er durch das Geld nicht bereichert. 1. Wer seinem Sklaven ein Sondergut zur selbständigen Bewirtschaftung überlassen hat, haftet aus der actio de peculio für alle rechtsgeschäftlichen Schulden seines Sklaven bis zum Wertbetrag des peculium, gleichviel, ob die Schulden mit dem peculium zusammenhängen oder nicht. Diese Haftung versagt, wenn der Wert des peculium 1 Die hypothetischen Sätze werden oben in § 7 zu Fn. 23 beschrieben; die kategorischen ebenda zu Fn. 30. Zu letzteren gehören nur Iav. 23, 56 und 67. 2 Iav. 3, 5, 8, 11, 12 pr, 19, 27, 34, 36, 37 pr, 41, 48, 51, 60, 61/1, 66. 3 Quoniam: 22 pT, 30, 32/1, 32/2; cum: 20, 22/1, 29 pT; quod: 40 pT. , Enim: 28/1, 31/1, vgl. auch 21, 24; nam: 2, 28/2, 40/2, 58/1. fi 43 pT. e 18/1,59. 7 MandTY, Das gemeine Familiengüterrecht 11 (1876) 469; Grimm, Ocerki po uceniju ob obogascenii 111 (S. Peterburg 1893) 68 f., 88 ff. (Skizzen zur Bereicherungslehre); von Tuhr, Aetio de in rem verso (1895) 178 ff.; Gay, Varia 2 (1956) 197.
§ 8. Lehrsätze
121
nicht ausreicht, um alle Forderungen zu befriedigen, wenn der Gewalthaber seinem Sklaven das Sondergut ohne Arglist weggenommen hat, oder wenn ein Jahr nach Ende des Gewaltverhältnisses vergangen ist. Genau in diesen Fällen hilft die actio de in rem versos, die allerdings als weitere Voraussetzung verlangt, daß der Herr durch das Geschäft des Sklaven bereichert ist. Nach der Bereicherung9 bestimmt sich gewöhnlich, ob "in rem versum" vorliegt oder nicht:
Ulp. 29 ad ed. 856 D. 15.3.3.2; 5.3 10 ... ut aut meliorem rem dominus habuerit aut non deteriorem ... (5.3) quotiens servus rem domini gerens locupletiorem eum facit nummis peculiaribus. Ulpian fügt ein weiteres Kriterium hinzu: den Regreß, den der Sklave nehmen könnte, wenn er frei wäre und als Beauftragter oder Geschäftsführer ohne Auftrag etwas dem Herrn zugewendet hätte: Ulp. 29 ad ed. 856 D. 15.3.3.2 Et regulariter dicimus totiens de in rem verso esse actionem, quibus casibus procurator mandati vel, qui negotia gessit, negotiorum gestorum haberet actionem ... Ulpian kehrt jedoch in den folgenden Worten sogleich von der "Regreßtheorie" zur "Bereicherungstheorie" zurück: ... quotiensque aliquid consumpsit servus, ut aut meliorem rem dominus habuerit aut non deteriorem. Die Annahme, daß der Beginn des Fragments interpoliert sePt, ist nicht begründet. Ulpian wollte offenbar den naturalen Aufwendungsersatz als weitere Voraussetzung für die acHo de in rem verso einführeni!, ohne die Bereicherungslehre ganz aUfzugebenl3 • 8 Ulp. 855 D. 15.3.1.1,2. Die Aktionen haben ein e Formel mit zwei alternativen Tatbeständen; dumtaxat de peculio ... vel si quid in rem Ni. Ni. inde versum est, vg1. Lenel, EP 282. 9 Vg1. Mandry 11 469, Jörs / Kunkel 267, Niederländer, Die Bereicherungshaftung im klassischen römischen Recht (1953) 43, Kupisch, Die Versionsklage (1965) 12 f., Kaser, RP I 607 mit Fn. 16. 10 Hierzu Niederländer 44 (zu fr. 3.2), 46 (fr. 5.3). Vg1. auch Pomp. 130 = Ulp. 856 D. 15.3.10.7; Ulp. 350 D. 3.5.8 (unecht nach Lenel, SZ 39 [1918] 132, Niederländer 121 f. Fn. 38); Tryph. 3 D. 15.3.6. Das Tryphoninfragment stammt jedenfalls nicht aus 1 disp. (Lenel, Palingenesia ad h.1.: Haec nescio quo pertineant: falsa est fortasse fragmenti inscriptio): Tryph. behandelt die ao. de pec. (§ 104 EP) in 8 disp., vielleicht ging die Erklärung in 9 disp weiter, so wäre eine Textverderbnis IXDISP in IDISP erklärlich. 11 Ind. Int., Jörs / Kunkel 267, Arangio-Ruiz, 11 mandato in diritto romane (1949) 64 ff., Niederländer 44. 12 Vg1. Mandry II 472 Fn. 2, Gay 187. Harmonisierungsversuche schon bei Stephanos, Schol. 10 und 17 zu Bas. 18.7.3.2,6 (BS 1153.1 ff., 1153.31 ff.), Regreßtheorie bei Kyrillos, Schol. 3 zu Bas. 18.7.3.1 (BS 1152.1 ff.). Die Lehre des gemeinen Rechts steht auf dem Standpunkt der Regreßtheorie nach Ulp. D. 15.3.3.2, Nachweise bei Mandry II 472 Fn. 2 und von Thur 3 ff.; später
122
§ 8. Lehrsätze
Unser Fragment Iav. 51 folgt der Bereicherungslehre. Der Sklave hat Geld aufgenommen und sich mit dem geliehenen Gelde freigekauft. Nach der Freilassung zahlt er, aus welchen Gründen auch immer, das Geld nicht zurück. Der Gläubiger wendet sich an den ehemaligen Eigentümer des Sklaven. Dieser ist ihm nicht verpflichtet: zwar ist das Geld an ihn geraten, doch ist er nicht bereichert, denn er hat ja den Sklaven gegen das Geld ausgetauscht. 2. Die oben angeführte Ulpianstelle D. 15.3.3.2 enthält einen bemerkenswerten Widerspruch zum principium desselben Fragments: Ulp. 29 ad ed. 855 D. 15.3.3 pr Quod si servus domino quantitatem dederit, ut manumittatur, quam a me mutuam aeeepit, in peeulium quidem hane quantitatem non eomputari, in rem autem videri versum, si quid plus sit in eo, quod servus dedit, quam est in servi pretio. Das Fragment schließt in den Digesten unmittelbar an Iav. 51 D. 15.3.2 an; ihm folgt mit Ulp. D. 15.3.3.1 ff. eine ausführliche Erörterung über "in rem versum" zu § 104 EP. Lenel hat in der Palingenesia zwischen D. 15.3.3 pr und § 1 eine Trennungslinie gezogen und fr. 3 pr mit fr. 1 als Ulp. 855, fr. 3.1 mit fr. 3.2 - 10; 5; 7; 10; 13 zu Ulp. 856 geordnet. a) In der Tat ist der Trennungsstrich gerechtfertigt. Während Ulp. 855 den Anwendungsbereich der aetio de in rem verso als Ergänzung zur aetio de peculio beschreibt, kommentiert Ulp. 856 im einzelnen die Worte "in rem versum" von § 104 EP. D. 15.3.3 pr knüpft mit in peculium quidem hane quantitatem non eomputari an das in Ulp. 855 D. 15.3.1.2 erörterte Problem der Konkurrenz zwischen Pekuliar- und Versionsklage an und gehört daher in den Zusammenhang des Anwendungsbereiches. Ulpian kommt es in fr. 3 pr offenbar nur auf diesen Anwendungsbereich an. Der zweite Teil der Entscheidung (in rem autem videri versum, si quid plus sit in eo, quod servus dedit, quam est in servi pretio) entspricht nämlich nicht der ulpianischen Lehre. In D. 15.3.3.2 gibt Ulpian dann die Versionsklage, wenn der Sklave, wäre er frei, selbst einen Aufwendungsersatzanspruch hätte; das heißt, die Version durch den Sklaven an den Herrn führt nach Ulpian nur dann zur aetio de in rem verso, wenn sie zugleich eine natur ale Forderung des noch von Tuhr pass., Seckel, Festg. Bekker (1907) 331 f., Pringsheim, SZ 42 (1921) 300 ff. Daß der aetio de in rem verso die Bereicherungshaftung als Prinzip zugrundeliegt, wurde von Mandry II 454 ff. eindringlich begründet; ihm folgt der größte Teil der späteren Literatur. 18 Eine andere Erklärung gibt von Tuhr 293 und 16 f.
§ 8. Lehrsätze
123
Sklaven gegen den Herrn begründet. In fr. 3 pr ist aber gerade das nicht der Fall; denn der Sklave hat nur gezahlt, was er im Freilassungsvertrag zugesagt hat; er hat auch kein Geschäft eines Herrn geführt, aus welchem ihm Aufwendungsersatzansprüche erwachsen wären, sondern ein eigenes14 • Vom Standpunkt der Regreßtheorie, welche Ulpian sich in D. 15.3.3.2 zu eigen macht, ist auch für einen überschuß keine Version anzunehmen. In D. 15.3.3.2 mag der den Tatbestand einschränkende Satz quibus casibus - actionem, der die Regreßmöglichkeit fordert, interpoliert sein15 • Aus dem Prinzip der Bereicherung, welches nach Ansicht der Textkritiker in fr. 3.2 alleine echt sein soll, ließe sich erklären, daß in fr. 3 pr der überschuß den Herrn bereichert hat und somit ein in rem versum ist. Ähnlich argumentiert Ulpian in D.15.3.10.7. Aber selbst bei Annahme der Interpolation in D. 15.3.3.2 (der wir nicht folgen) kann die Entscheidung D. 15.3.3 pr nicht Ulpians eigene sein. Folgt man nämlich der Lösung des Falles im pr, so könnte der Sklave den Herrn mit einer exorbitanten Summe zur Freilassung bewegen; die notwendigen Geldmittel könnte er sich leicht von einem Dritten leihen, für den die Sache ganz ungefährlich wäre; denn ganz gleich, wie hoch der Loskaufpreis und damit das Darlehen wäre, könnte der Gläubiger alles, was den wahren Wert des Sklaven überschritte, vom Eigentümer mit der Versionsklage wiederholen; der Eigentümer wäre immer betrogen16 • Dann aber würde der Sklave die lides verletzen, welche die Freilassungsverträge beherrscht17 und die Macht des Sklaveneigentümers, einen beliebig hohen Freilassungspreis zu verlangen18 , wäre illusorisch. Es ist daher kaum zu glauben, daß Ulpian in D. 15.3.3 pr die Versionsklage gibt. b) Von Tuhr 19 löst das Problem von der anderen Seite, indem er in D. 15.3.3 pr den Schlußsatz [si quid plus sit - pretio], welcher nicht zum Regreßprinzip des § 2 paßt, durch (si dominus non manumiserit) ersetzt. Solange der Sklave noch nicht freigelassen sei, habe er aus dem Freilassungsvertrag eine naturale condictio, welche (Regreßtheo-
Mandry 11477, von Tuhr 179, Grimm 11189. Oben Fn. 11. 18 Vgl. von Tuhr 181. 17 Marci. 2 inst. D. 40.1.5 pr und hieraus Herrn. D. 5.1.53; Pernice, Labeo 1 {1873) 157, von Tuhr 181 f. Solazzi, Bull. 18 (1906) 243 f. (= Scritti 1 218 f.), gefolgt von Niederländer 48 Fn. 17, sieht unter Verweis auf Pap. D. 15.1.50.3 keinen jides-Bruch dort aber handelt es sich um die Freilassung eines servus alienus bona fide .serviens, wofür andere Maßstäbe gelten. 18 Paul. D. 44.5.2.2; Pap. D. 40.12.36 und von Tuhr 182 Fn. 11. 18 von Tuhr 182. 14
15
124
§ 8. Lehrsätze
rie!) die actio de in rem verso begründe. Die Kompilatoren hätten,_ dem lavor libertatis folgend, die Nichterfüllung des Freilassungsversprechens gestrichen und dafür aus eigenem Rechtsverständnis eineLösung gesetzt, welche die Lösung des vorhergehenden Fragments 2 (Iav. 51) einschränkte. c) Von Tuhrs Vermutung setzt voraus, daß die Kompilatoren die Zeit und auch den Ehrgeiz hatten, einen Satz, der nicht mehr in das justinianische Recht paßte, durch einen vielleicht an Ulp. D. 15.3.10.7 orientierten Satz zu ersetzen. Die Kritiker von fr. 3.2 20 tragen dagegen der lides-Verletzung nicht hinreichend Rechnung und sehen im Anklang an die "nachklassische Animuslehre"21 ein Indiz für spätere überarbeitung; dieses Argument hat heute an Wirkung verloren22 . Wir schlagen eine andere Lösung vor, welche auf den Vorschlag23 des russischen Romanisten David Grimm24 zurückgeht. Auch Grimm stößt sich an der Unvereinbarkeit von D. 15.3.3 pr mit § 2. Für ihn kommen nur zwei Lösungen in Frage: entweder sei Ulpian in fr. 3 pr von einem besonderen Motiv geleitet (sei es, daß er dem Darlehensgeber zu Hilfe eilen will, sei es, daß er den Eigentümer, der sich an der Not des Sklaven bereichert, bestrafen will) oder aber fr. 3 pr stamme nicht von Ulpian. Grimm hält die zweite Möglichkeit für wahrscheinlicher und führt als Indiz an, daß fr. 3 pr gleichsam das unmittelbar voraus20 21 22 23
Oben Fn. 11, besonders Beseler, Beiträge 111 (1913) 193, Niederländer 44. Jörs 1 Kunkel 267, Niederländer 44. Kaser, RP I 588 Fn. 17, 11 418 Fn. 26. Trotz Referat bei von Tuhr 179 Fn. 6 (vgl. auch 12 Fn. 19) blieb dieser
Vorschlag in der Literatur unbeachtet. 24 Russische Romanisten sind im Westen weitgehend unbekannt; David Davidovic Grimm verdient dies nicht. Grimm (1864 - 1941) begann 1889 seine akademische Laufbahn als Privatdozent im estnischen Dorpat, seit 1891 lehrte er an der Rechtsschule zu St. Petersburg und wurde 1901 zum Ordinarius der St. Petersburger Universität berufen. Die kurze Zeit seines Rektorats (1910/11) wurde durch Streit mit dem Kultusminister um die Autonomie der Universität verdüstert; er trat 1911 vorzeitig zurück und wurde 1913 seines Lehrstuhls enthoben. Der Rückkehr auf den Lehrstuhl (1917 - 1920) folgte bald die Emigration des politisch engagierten Gelherten (Mitglied der Konstitutionell-Demokratischen Partei - Kadetten), zunächst nach Prag (1920 - 1927), schließlich ins freie Estland, WQ er von 1927 - 1934 Professor in Dorpat war. Seine Hauptwerke sind neben Ocerki po uceniju ob obogascenii (oben Fn. 7) I, 11 (Derpt 1891), 111 (S. Peterburg 1893) noch: Kurs rimskago prava (Lehrgang des römischen Rechts) I (S. Peterburg 1904), Lekcii pO! dogme rimskago prava (Vorlesungen über die Dogmatik des römischen Rechts) (1907, 6. Aufl. 1919), Lekcii po istorii rimskogo prava (5 Bände, 1923 - 1926); Deutscher Beitrag in St. Riccobono IV (1936) 173 ff. Die Große Sowjetische EnzyklQpädie nennt ihn noch in der 1. Auflage: BSE XIX (1930) 382, nicht mehr in der 2. - XII (1952) - und 3. - VII (1972) -. Daten zu seinem Leben aus BSE sowie Enciplopediceskij Slovar', ed. Gambarov u. a., 7. Aufl., Band XVII (1914?) 134 f., Eesti Entsüklopeedia 111 (Tartu/Dorpat 1934) 530, Eesti Nöukogude Entsüklopeedia 11 (Tallinn/Reval 1970) 457.
§ 8. Lehrsätze
125
gehende fr. 2 Javolens ergänze und die Entscheidung dieses Fragments einschränke. Bei der "Schluß revision" sei fr. 3 pr versehentlich vom J avolentext abgetrennt und dem Ulpiantext zugeschlagen worden. Javolen habe in fr. 2 die Ansicht des Cassius referiert und sie in fr. 3 pr mit einer einschränkenden Anmerkung versehen25 • Dieser Argumentation kann noch hinzugefügt werden, daß Javolen auch in anderen Fragmenten26 eine Sachverhaltsvariante mit quod si einleitet. Der Ace. c. Inf. in fr. 3 pr deutet ferner darauf hin, daß der Autor nicht seine eigene Ansicht, sondern die eines anderen wiedergibt. d) Grimm kann allerdings nicht erklären, wie es geschehen konnte, daß fr. 3 pr von fr. 2 beim Vorgang der Schlußrevision abgetrennt wurde 27 • Eine Abtrennung bei der Schluß redaktion ist auch sehr unwahrscheinlich. Nach Vollendung der Exzerption lagen den Redakteuren Zettel mit Inskription und exzerpiertem Text vor, die nach Digestenrubriken sortiert und innerhalb der Rubriken in der Reihenfolge der Exzerption belassen waren; die Schlußredaktion schichtete einige Zettel um und diktierte die Zetteltexte in der sonst nicht veränderten Reihenfolge auf Kodexblätter. Da zu diesem Zeitpunkte die Fragmente bereits voneinander getrennte räumliche Einheiten waren28 , war ein Sprung von einem Fragment zum andern kaum mehr möglich. Wahrscheinlicher ist indes eine andere Erklärung. An anderer Stelle29 haben wir die Möglichkeit erörtert, daß Javolen von Ulpian im Sabinuskommentar zitiert war und vom Exzerptor nachgeschlagen und in ein selbständiges Fragment umgeschrieben wurde. Eben dies scheint bei Iav. 51 auch der Fall zu sein. In fr. 3 pr spricht Ulpian in der abhängigen Rede, obwohl kein regierendes Verb zu sehen ist und obwohl er in 855 fin. D. 15.3.1.2 und 856 in. D. 15.3.3.1 die indikativische Form der direkten Rede verwendet. Fr. 3 pr ist ein Zitat und der zitierte Autor ist bei der Kompilation weggefallen. Es kann niemand anderes sein als Javolen. Zur Darstellung des Falles von fr. 3 pr brauchte UIpian den Ausgangsfall, den J avolen in fr. 2 bietet. Es liegt nahe, daß er diesen Fall mit seinem Autor zitierte. Ulpians Darstellung könnte etwa folgendermaßen ausgesehen haben: Ich referiere einigermaßen wörtlich aus Ocerki III 88 f. (oben Fn. 7). Vgl. Iav. 28/2, 28/3, 31 pr, 40/2, 42 pr, 57 pr. 37 Daran stößt sich auch von Tuhr 179 Fn. 6, der der Lösung fast auf der Spur ist, ohne allerdings seine richtige Anschauung (Javolen schon bei Ulpian zitiert) weiter zu verfolgen. 28 Anschaulich zu den Vorgängen Honore, SZ 90 (1973) 263 ff., Tribonian (1978) 175 f. 29 Iav. 9, oben § 5 I. 25
28
126
§ 8. Lehrsätze
Ulp.855 ... ceterum si non praestiterit, manet actio de in rem verso. Iavolenus libro duodecimo ex Cassio (scribit)30, qui nummis acceptis servum [manumisit] (manumiserit), agi cum eo de In rem verso non [potest] (posse), quia dando libertatem locupletior ex nummis non [fit] (fiat); quod si servus domino quantitatem dederit, ut manumittatur, quam a me mutuam accepit, in peculium quidem hanc quantitatem non computari, in rem. autem videri versum, si quid plus sit in 00, quod servus dedit, quam est in servi pretio. (856) In rem autem versum videtur ... Der Exzerptor trennte das J avolenzitat fehlerhaft schon hinter fiat ab, setzte den ersten Teil in die direkte Rede um, versah ihn mit der Inskription und verzettelte ihn separat. Er nahm an, ohne den Acc. c. Inf. zu beachten, daß Ulpian ab quod si wieder selbst spreche, und beließ das folgende auf dem Zettel "Ulp. fr. 3". Dieser Abtrennungsfehler spricht dafür, daß der Exzerptor die libri ex Cassio nicht selbst nachgeschlagen hat. Nach dieser Rekonstruktion bestand der javolenische Text also ursprünglich aus zwei, durch quod si voneinander getrennten Alternativen: Iav.51 Qui nummis acceptis servum manumisit, agi cum eo de in rem verso non potest, quia dando libertatem locupletior ex nummis non fit; quod si servus domino quantitatem [dederit] (dedit), ut manumittatur, quam a me mutuam accepit, in peculium quidem hanc quantitatem non [computari] (computatur), in rem autem [videri] (videtur) versum, si quid plus sit in eo, quod servus dedit, quam est in servi pretio. Das Lehrsatzschema ist deutlich: einem Relativsatz, der den Tatbestand nennt, folgt die Rechtsfolge mit kurzer Begründung, welche auf die zugrundeliegende Lehre (Bereicherung) hinweist. Mit quod si wird der Tatbestand variiert; das entscheidende Element der Variante (si quid plus sit) kommt allerdings erst ganz zum Schluß. e) Wir mußten oben (2 a am Ende) die Fallösung in fr. 3 pr Ulpian absprechen. Jetzt, da das principium als javolenisch erkannt ist, richtet sich der Vorwurf, die Lösung erlaube dem Sklaven, den freilassenden Herrn zu betrügen, gegen Javolen. Javolen hat den Fall nicht genügend durchdacht31 ; er hat die fides, die von der späteren Jurisprudenz den Freilassungsverträgen zugrunde gelegt wurde 32 , nicht berücksichtigt. 30 In einem ähnlichen Fall (Ulp. 350 D. 3.5.5.2 Iulianus libro tertio digestorum scTibit) haben Fund S (PVL erweist S: Schulz, Einführung 14) irrtümlich ein neues Fragment abgetrennt; daß § 2 indessen zu fr. 5 gehört, beweist Bas. 17.1.5, vg1. Mommsen, ed. mai. ad h. 1., Scheltema, BT 848.7 adnot. crit. 31 Vg1. oben § 5 zu Fn. 107. 12 Siehe oben Fn. 17.
§ 8. Lehrsätze
127
3. Aus demselben Buch ist uns ein weiteres Fragment zur actio de in
rem verso erhalten:
Iav. 12 ex Cassio 52 D. 15.3.933 Si vero pater dotem daturus non fuit, in rem patris versum esse non videtur. a) Der Satz ist erkennbar die zweite Hälfte eines doppelgliedrigen Rechtssatzes. Ein Gewaltunterworfener hat für seine Tochter (oder seine Schwester, Nichte) eine Mitgift bestellt und hierzu ein Darlehen aufgenommen. Der Darlehensgläubiger will, da offenbar die actio de peculio ausfällt, mit der actio de in rem verso vom pater famiZias die Rückzahlung. Wenn der pater famiZias die Mitgift nicht hätte geben wollen, so ist die Bestellung durch den Gewaltunterworfenen keine Version (da der pater famiZias nicht durch Ersparung einer Aufwendung bereichert ist). Der überlieferte Satz des Javolen setzt die Variante .. si pater dotem daturus fuit" gedanklich voraus; hätte der pater famiZias die Mitgift geben wollen - so schließen wir zunächst e contrario -, ist die actio de in rem verso begründet. b) Was wir aus Iav. 52 erschließen, wird sogleich durch einen Blick auf die Ulpiankatene, welche die umliegenden Fragmente bildet, bestätigt: DIp. 29 ad ed. 856 D. 15.3.7.5 Si filius familias pecuniam mutuatur pro filia sua dotem dederit, in rem versum patris videtur, quatenus avus pro nepte daturus fuit. quae sententia ita demum mihi vera videtur, si hoc animo dedit ut patris negotium gerens. Paul. 30 ad ed. 469 D. 15.3.8 Et nihil interesse Pomponius ait, filiae suae nomine an sororis veI neptis ex altero filio natae dederit. idem ergo dicemus, et si servus mutuatus fuerit et domini sui filiae nomine in dotem dederit. Iav. 12 ex Cassio 52 D. 15.3.9 Si vero pater dotem daturus non fuit, in rem patris versum esse non videtur. Der in der väterlichen Gewalt stehende Sohn hat mit geliehenem Gelde seine Tochter mit einer Mitgift ausgestattet; der Darlehensgläubiger kann die Versionsklage anstrengen, soweit der Großvater der Braut (und pater famiZias) diese Mitgift gegeben hätte. DIpian 33 Glück, Pandecten 14 (1813) 409; Mandry, Das gemeine Familiengüterrecht 11 (1876) 493, 496; von Tuhr, Actio de in rem verso (1895) 184 Fn. 17; Gay, Varia 2 (1956) 193 Fn. 50.
128
§ 8. Lehrsätze
schränkt diesen Satz, den er offenbar einem anderen Autor entnommen hat 34, ein: der Sohn müsse ein negotium patris geführt haben wollen35 • Pomponius weitet den Tatbestand analogisch aus; J avolen schließt sich Ulpian darin an, daß nur dann vertiert sei, wenn der pater famiZias auch eine Mitgift bestellt hätte. Wir haben gleiche Entscheidungen auch von anderen klassischen Juristen 36 • Da die Mitgiftbestellung nur eine sittliche, keine rechtliche Pflicht ist 37 , kann eine Dotierung gegen den Willen des pater famiZias als aufgedrängte Bereicherung (Bereicherungstheorie) oder Geschäftsführung gegen den wirklichen Willen (Regreßtheorie) keine Versionsklage begründen. c) 1av. 52 hat - verkürzt - dieselbe Struktur wie 1av. 51. Dem Bedingungssatz mit dem Tatbestand schließt sich im Nachsatz die Rechtsfolge an. Der Tatbestand ist aus sich heraus nicht ganz leicht, wohl aber aus den vorausgehenden Fragmenten D. 15.3.7.5; 8 verständlich. Möglicherweise hat Javolen den Tatbestand ausführlicher (wohl mit der Alternative, die jetzt in DIp. fr. 7.5 verkörpert ist) geschildert und die Rechtsfolge wohl auch mit einem kurzen Satz begründet. Der Platz des Fragments in der Ulpiankatene legt die Vermutung nahe, daß der Javolensatz bei Ulpian zitiert war und von den Kompilatoren in ein selbständiges Javolenfragment verwandelt wurde. 11. Lehrsätze mit Begründungen: weitere Beispiele Eine ganze Reihe von Stellen folgt dem Lehrsatzschema, das wir soeben in 1av. 51 beobachtet haben: Tatbestand - Rechtsfolge - Begründung. 34 Es muß nicht unbedingt Labeo sein, der zuletzt in D. 15.3.7.4 genannt ist. Die Namen der von Ulpian zitierten Autoren wurden häufig gestrichen, vgI. colI. 12.7.8: D. 9.2.27.10, hierzu Wieacker, Textstufen 242 ff. 36 Also im Sinne der ulpianischen Regreßtheorie. Ganz typisch ulpianisch ist ita demum: von 43 Zeilen im VIR (11 161.43 ff.) gehören 20 zu Ulpian. Auch wenn ita demum im Gefolge einer Textstörung auftritt (z. B. Ulp. 624 D. 9.2.27.17 = coll. 2.4.1, Wieacker, Textstufen 233 f., Ulp. 613 coll. 7.3.2, Wieacker 235 ff.) muß es nicht unbedingt nachulpianisch sein. Die Doppelüberlieferung der charakteristischen Stelle Ulp. 624 schließt zumindest aus, daß ita demum kompilatorischen Ursprungs ist. Ob hoc animo die Spur eines nachklassischen Glossems darstellt (so zuletzt Broise, Animus Donandi 11 [1975] 180, bisherige Itp.-Vermutungen bei Broise 171 Fn. 95) lassen wir dahingestellt; vgl. aber auch oben zu Fn. 22. 38 Paul. D. 14.6.17; andere Juristen sprechen in diesem Fall von einer dos profecticia, was auch zur Versionsklage führen muß: Servo bei Lab. D. 23.3.79 pr, Ner. bei Ulp. D. 23.3.5.8. Ökonomische überlegungen führen bei Cels. D. 37.6.6 zu einer anderen Entscheidung, hierzu von Tuhr 184 Fn. 15, Horak, Rationes decidendi I (1969) 110. 37 Kaser, RP I 335; Dotierungszwang erst nach einer Konstitution der Kaiser Severus und Antonius bei Marci. D. 23.2.19.
§ 8. Lehrsätze
129
1. Zur Konkurrenz zwischen Legat und Freilassung desselben Sklaven äußert J avolen sich in Iav. 1 ex Cassio 5 D. 31.3738 Qui testamente inutiliter manumissus est, legari eodem testamente potest, quia totiens efficacior est libertas legato, quotiens utiliter data est. Der Erblasser hat einen Sklaven freigelassen, und die Freilassung ist aus irgendeinem Grunde unwirksam39 • Wenn er im selben Testament den Sklaven auch vermacht hat, ist das Legat wirksam, weil es nur einer wirksamen Freilassung weichen muß. Ob die testamentarische Freilassung ein im selben Testament ausgesetztes Vermächtnis desselben Sklaven immer ungültig macht oder nur dann, wenn sie dem Legat nachfolgt, ist Gegenstand einer längst erkannten Klassikerkontroverse40 ; Javolen teilt hier nur mit, daß jedenfalls eine unwirksame Freilassung das Legat nicht vernichten kann. Ob Javolen der wirksamen Freilassung den unbedingten Vorrang einräumt, kann aus der Stelle nicht entschieden werden41 • 2. Einen Fall der Zwischenverfügung treffen wir in Iav. 2 ex Cassio 8 D. 33.5.1442 Si, cum optio servi ex universa familia legata esset, heres aliquem, priusquam optaretur, manumisit, ad libertatem eum interim non perducit, servum tamen, quem ita manumiserit, amittit, quia is aut eleetus legato eedit aut relietus tune liber ostenditur. Jemandem ist die Wahl eines Sklaven aus einem Gesinde vermacht; vor der Ausübung der Wahl läßt der Erbe einen Sklaven frei. Obwohl er ihm bis zur Wahl die Freiheit nicht verschaffen konnte, verliert er ihn doch, und zwar im Zeitpunkt der Wahl; denn dann wird der Sklave entweder ausgewählt oder frei. 38 CuiaGius, Comm. in 1. 8 resp. Pap., ad D. 33.7.3.1, IV 2359, Ree. sol. ad 1. 30 Dig., ad D. 30.44, VII 1649, ad 1. 31 Dig., ad D. 31.14, VII 1779; Beseler, SZ 56 (1936) 67; Astolfi, SD 25 (1959) 136; GuaTino, Lab. 9 (1963) 17. 39 Anschauliches Beispiel einer unwirksamen Freilassung bei Afr. D. 30.108.9: ein fremder Sklave wird testamentarisch freigelassen und vermacht; die Freilassung ist unwirksam, das Zegatum per damnationem (GaL 2.196, zweifelnd VoGi, DER 11 578) ist gültig. 40 Hierzu Astalfi, SD 25, 128 ff., Talamanca, St. Biondi 11 (1965) 313 ff.; Medicus, SZ 79 (1962) 473 f., GuaTina, Lab. 9, 7 ff., VaGi, DER 11 570 f., Kaser, RP I 755 Fn. 20, 11 561 Fn. 76. 41 [quia-finJ Beseler. Der etwas unglückliche Ausdruck ist jedoch kein Indiz für die Unechtheit der Stelle. 42 CuiaGius, Rec. sol. ad 1. 33 Dig., ad D. 33.7.14, VII 2298; Bernstein, SZ 1 (1880) 166; FerTini, Op. IV (1930) 290 (urspr. 1885); BuckZand, The Roman Law of Slavery (1908) 582; Wlassak, SZ 31 (1910) 294 Fn. 1; Vasalli, Studi giuridici I (1960) 231 = Bull. 27 (1915) 200 f.; Beseler, SZ 43 (1922) 551; Guarneri Citati, St. Bonfante 111 (1930) 454 Fn. 59 (456); VaGi, Teoria dell'acquisto deI legato secondo il diritto romano (1936) 101; d'Ors, AHDE 18 (1947) 192 f.
9 Manthe
130
§ 8. Lehrsätze
Wählt der Legatar den in der Zwischenzeit freigelassenen Sklaven aus, so ist die Freilassung ungültig. Die optio legata wird nämlich wie ein bedingtes Legat behandelt43 , daher ist eine Zwischenverfügung wie bei Bedingungseintritt44 ungültig. - Im andern Fall ist die Freilassung wirksam. Auch hier entscheidet Javolen kaum im Gegensatz zu anderen klassischen Juristen; wenigstens für den Fall der Zwischenverfügung über einen unbedingt vermachten Gegenstand wissen wir aus anderen Quellen, daß sie bei Legatsausschlagung wirksam wird 45 , und Javolen geht davon aus, daß dies auch bei der optio legata so ist. Allerdings wird die Forderung erst dann wirksam, wenn es feststeht, daß der Sklave nicht gewählt wird (ad libertatem interim non perducit«6). Das Fragment befaßt sich nicht in erster Linie mit der Gültigkeit der Freilassung, sondern setzt die dargestellte Lehre voraus. Die Frage der Gültigkeit kann in der ersten Alternative (der Sklave wird gewählt) angesichts der gut bezeugten übereinstimmung der Klassiker kaum problematisch gewesen sein; J avolen hat eher an den Fall gedacht, daß der Sklave nicht gewählt wird und nun der Erbe die Gültigkeit der Freilassung deshalb bezweifelt, weil sie ja in der ersten Alternative ungültig gewesen wäre. Nur dann könnte man überhaupt daran denken, daß der Sklave beim Erben bliebe. J avolen antwortet kategorisch: wenn auch die Freilassung bis zur Wahl unwirksam bleibt, so erstarkt sie doch mit der Ausschlagung. Also verliert der Erbe den Sklaven jedenfalls. Das Fragment zeigt dieselbe Struktur wie die bisher besprochenen. Der Tatbestand ist in einen Konditionalsatz gekleidet, die Rechtsfolge knapp gefaßt (servum tamen amittit), umgeben von einem möglichen Einwand (ad libertatem eum interim non perducit), der sogleich dilemGai. D. 40.9.3. Freilassung des bedingt vermachten Sklaven: Gai. D. 40.9.29.1, Paul. D. 40.1.11; Veräußerung: Gai. D. 30.69.1; Legat über eine bedingt vermachte Sache: Pomp. D. 35.1.105; Bestattung in ein bedingt vermachtes Grundstück: Paul. D. 11.7.34. Der Zwischenverfügung über eine bedingt vermachte Sache steht die Verfügung über eine (unbedingt) vermachte Sache vor Legatsannahme gleich, sie ist ebenfalls mit der Legatsannahme unwirksam: Veräußerung: Marci. D. 34.5.15; Freilassung: Ulp. D. 40.1.2, Marci. D. 29.1.31, beide auch Vat. 84. 45 D. 29.1.31, 34.5.15, 40.1.2. In Gai. D. 30.69.1 (bedingtes Legat) deutet nihilominus darauf hin, daß auch Gajus von der Wirksamkeit der Zwischenverfügung bei Bedingungsausfall ausgeht. Die übrigen Stellen äußern sich hierzu nicht. 4G Wir sehen die Freilassung daher als schwebend unwirksam im Sinne der modernen Terminologie an. Vgl. auch Voci, Teoria 101 und Kaser, RP I 255 zu Fn. 31. Tune Ziber ostenditur muß nicht unbedingt heißen "er erweist sich als von Anfang an frei", sondern kann ebenso gut "er erweist sich nunmehr als frei" bedeuten; Beselers Vermutung {ostenditur] (fit) ist daher nicht zwingend, vgl. WZassak, a.a.O. 48
44
§ 8. Lehrsätze
131
matisch" abgewiesen wird: es bleibe gleich, ob der Sklave gewählt werde oder nicht, auf jeden Fall stehe er dem Erben nicht mehr zu. 3. Das Lehrsatzschema ist weiter ausgeführt in Iav. 8 ex Cassio 36 D. 3.5.28 (27)48 Si quis mandatu Titii negotia Seii gessit, Titio mandati'U tenetur lisque aestimari debet, quanto60 [Seii etl SI Titii interest: Titii autem interest. quantum is Seio praestare debet, cui vel mandati vel negotiorum gestorum nomine obligatus est. Titio autem aetio eompetit eum eo, eui mandavit aliena negotia gerenda, et antequam ipse quicquam domino praestet, quia id ei abesse videtur, in quoSI obligatus est. Jemand hat im Auftrage des Titius die Geschäfte des Seius geführt. Für schlechte Geschäftsführung53 haftet er dem Titius; dessen Interesse bestimmt sich nach dem Betrag, den er seinerseits dem Seius für schlechte Geschäftsführung (mit oder ohne Auftrag) zahlen muß. Offenbar erkennt Javolen keine Durchgriffshaftung an, denn er weist aus47 Die Beweisform des Dilemmas (wenn p, dann q oder r; nun ist weder q noch r, also nicht p) ist den Alten wohl bekannt; sie wird allerdings fast nur in der Polemik als Sophisma verwendet, so der "Gehörnte" (von dem wohl die Bezeichnung syllogismus cornutus für das Dilemma stammt) bei Diog. Laert. 7.187, auch Gell. noet. att. 16.2.9; der Streit zwischen Protagoras und Euathlos bei Gell. 5.10; so die Verurteilung Trajans durch Tertullians Apologeticum 2.8; weiteres bei Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung II 1 (5. Aufl. 1922) 264 Fn. 2; Fröbes, Traetatus logieae formalis (1940) 242 ff.; Kleinknecht / Wüst, Lehrbuch der elementaren Logik 1 (1976) 78 f. Vgl. auch unten Fn. 56. 48 Nasalli Rocca, 11 mandato (1902) 48; Collinet, NRH 34 (1910) 157 f.; Partseh, Studien zur Negotiorum Gestio I (1913) 15; Bortolucci, Bull. 18 (1915) 199; Solazzi, Scritti II 527 = RISG 66 (1922) 101; Beseler, SZ 46 (1926) 271; Kreller, SZ 59 (1939) 408, 66 (1948) 59 ff.; Arangio-Ruiz, 11 mandato in diritto romano (1949) 164; Burdese, st. ArangiQ-Ruiz I (1953) 232; Watson, Contraet of Mandate (1961) 118 f.; Medicus, Id quod interest (1962) 190 f.; Seiler, Der Tatubestand der negotiorum gestio im römischen Recht (1968) 116 f.; Honsell, Quod interest im bonae-fidei-iudicium (1969) 153 Fn. 12; Litewski, Bull. 78 (1975) 207 f. 49 Ind. Int., Kreller, SZ 66, 59 Fn. 42: [mandatiJ. Anders Medicus 190 Fn. 10, Seiler, 117 Fn. 1. Vgl. unten zu Fn. 57. 50 Quanto FP: quant[oJ(i) Ind. Int., Dig. ed. Mil., Kreller, 66, 59 Fn. 43, Arangio-Ruiz 164 Fn. 3, Burdese 232. Zwar ist quanti die gewöhnlichere Form als quanta (Hofmann / Szantyr, Lateinische Grammatik II 129 f.), aber es kommt auch der Ablativ vor: Ulp. D. 19.2.19.3 quanta conductons intererat. So erscheint uns die Verbesserung (quanti) nicht zwingend. 51 Siehe unten zu Fn. 55. 52 in qua F: in qua(d) Mammsen, ed. mai., ed. Mil., Ind. Int., Arangia-Ruiz 164. Quanta interest und in qua abligatus est passen zusammen und können daher gut auf denselben Autor zurückgehen. Wir tragen keine Bedenken, die stilistische (nicht grammatische) Abweichung vom gewöhnlichen Sprachgebrauch Javolen zuzuschreiben. 53 Der Interesseterminus paßt nur auf den Schadensersatzanspruch, nicht auf den Herausgabeanspruch, Medicus 186 f.
9"
132
§ 8. Lehrsätze
drücklich darauf hin, daß es Titius sei, der zur Klage gegen Jemand legitimiert sei. Titius muß auch nicht warten, bis er seinerseits von Seius in Anspruch genommen wird, sondern kann sein Interesse bereits jetzt liquidieren; sein Interesse besteht nämlich in der Vermögenseinbuße, welche er durch den gegen ihn bestehenden Anspruch des Seius erleidet54 • Quanto Seii et Titii interest ist offensichtlich falsch. Titius kann überhaupt nur sein Interesse liquidieren; und dies stellt Titii autem interest ... klar. Mit der allgemeinen Meinung halten wir daher [Seii etJ für ein in den Text geratenes Glossem eines verständnislosen Lesers oder eines justinianischen Kompilators. Die Basilikenentsprechung, welche nur "Titii" hat, hat den Digestentext wider berichtigt; der Verfasser der Summe hat emendiert oder kannte die bessere vorjustinianische überlieferung55 •
Um einen kurzen Kernsatz (Si quis mandatu Titii negotia Seii gessit, Titio mandati tenetur) rankt J avolen eine Fülle weiterer Informationen. Aus dem Kernsatz erfahren wir zunächst die richtige Klageart: actio mandati56 • Es folgt eine Aussage über die Höhe des Anspruchs: er geht auf das Interesse des Titius. Dieser Begriff wird ausgefüllt durch den Rekurs auf die Haftung des Titius gegenüber Seius, denn Titius ist dem Seius jedenfalls57 verpflichtet; der Relativsatz (cui - obligatus est) steht als kurze Begründung: da Titius dem Seius aus mandatum oder negotium gestum verpflichtet ist, haftet er ihm. Dem naheliegenden Einwand, warum Seius nicht selbst klage, begegnet Javolen mit dem doktrinären Satz Titio autem actio competit cum eo, cui mandavit; der Satz wird nicht weiter begründet, aber es ist zu vermuten, daß Javolen bereits in der vorausgehenden Darstellung das Prinzip behandelt hat, daß im Dreipersonenverhältnis der fernere Anspruch des Seius durch den näheren des Titius ausgeschlossen werde 58 • Schließlich 54 Medic:us 190 Fn. 18 weist zu Recht darauf hin, daß das Interesse nicht mit dem Schaden des Titius (der erst nach dem Prozeß des Seius gegen Titius eintritt), sondern mit der Gefahr der Schadensrealisierung identisch ist. Die Gefahr ist bereits gegenwärtig. 55 Bas. 17.1.27 BT 854.13: ... EVExn fJ.OL et; lSaov IlUlljlEQEL fJ.OL ••• teneris mihi, quanti mea interest. Daher {Seii etl Ind. Int. und Kreller, SZ 59, 408; 66, 59, Arangio-Ruiz 164, Burdese 232, Watson 119, Medic:us 190 Fn. 10, Seiler 117 Fn. 3. Anders Beseler, SZ 46, 2711 58 Wer mandati für einen nachklassischen oder justinianischen Einschub (oben Fn. 49) hält, nimmt dem Satz seine Pointe, die sich daraus ergibt, daß Jemand Titio mandati und nicht Seio negotiorum gestorum haftet. Daher ist mandati sachlich nicht unbedeutend (anders Medic:us, oben Fn. 49). 57 Dilemmatisch: vel mandati vel negotiorum gestorum nomine, vgl. oben Fn.47. 58 Diese für unseren Fall entscheidende Norm war anfangs schon mit Titio mandati tenetur angedeutet und wird jetzt nachdrücklich wiederholt. Die
§ 8. Lehrsätze
133
kommentiert et antequam ipse quicquam domino praestet das anfängliche mandati tenetur mit dem Hinweis, daß er schon jetzt klagen könne, und Javolen begründet dies damit, daß Titius' Vermögen bereits jetzt um die Verpflichtung gegenüber Seius gemindert sei. Dies alles macht den Eindruck eines Lehrbuchtextes. An den Ausgangs fall werden kurze Lehrsätze zu verschiedenen Problemen geknüpft: Klageart, Klagehöhe, Aktivlegitimation, Klagezeit. Die Begründungen sind, wenn überhaupt, knapp und setzen Vorwissen voraus.
4. In das Recht der Servituten führt Iav. 10 ex Cassio 41 D. 8.4.459 Caveri, ut ad eertam altitudinem monumentum aedifieetur, non potest, quia id, quod humani iuris esse desiit, servitutem non recipit: sieut ne illa quidem servitus eonsistere potest, ut eertus numerus hominum in uno loeo humetur. Was aufgehört hat, res humani iuris zu sein, kann nicht mit einer Servitut belastet werden; daher kann man sich nicht schuldrechtlich verpflichten60 , das Grabgrundstück mit einer servitus altius non tollendi81 zu belasten, denn es ist res religiosa62 , und die Erfüllung der Verpflichtung ist unmöglich. Klassiker entscheiden durchweg ebenso, Paul. 191 D. 3.5.20.3, vgl. zuletzt
Seiler 116 ff., 125 ff. (auch zu den wenigen Ausnahmen) und Kaser, HP 11 417 f. Fn. 21. 69 Elvers, Die römische Servitutenlehre (1856) 124, 136 Fn. d; Grosso, SD 3
(1937) 308, Le servitu prediali nel diritto romano (1969) 71, 141, 263 Fn. 11, ANHW I 2 (1972) 149; Solazzi, Speeie ed estinzione delle servitu prediali (1948) 69; Kaser, SZ 70 (1953) 144 Fn. 40.
GO Cavere ist hier am ehesten in der Bedeutung "sich stipulationsweise versprechen lassen" zu verstehen; gemeint ist entweder das Versprechen künftiger Servitutsbestellung oder die schuldrechtliche Verpflichtung, sich ebenso zu verhalten, wie wenn eine Servitut bestellt wäre (vgl. Kaser, HP I 444 Fn. 51 f.). Andere sehen in caveri bereits eine Sicherheitsleistung: Sintenis in Otto / Schilling / Sintenis I (1830) 736, d'Ors u. a., EI digesto de Justiniano I (1968) 360. 61 Ad eertam altitudinem "(nur) bis zu einer bestimmten Höhe]; zu diesem Sprachgebrauch vgl. Paul. D. 40.12.39.1 ad modum exilii ferre sententiam "bis zu Strafe des Exils erkennen", weitere Nachweise bei Heumann / Seckel, Handlexikon s. v. ad 4 b. Gedacht ist an die servitius altius non toZZendi, Grosso, SD 3, 301. G2 Das monumentum wird nach der Bestattung zum sepulchrum, Ulp. 728 D. 11.7.2.5,6; Flor. 12 D. 11.7.42; Anton. 215 C. 8.16.3. Ganz recht vermerkt Aeeursius (GI. ad h. 1. monumentum) den untechnischen Gebrauch von monumentum für das religiöse Grab, da der Tote ja bereits (desiit, Perf.) bestattet ist (sed hie improprie ponitur, seiZicet monumentum pro sepulchro: ut probatur ibi, quia id quod ete.), und verweist auf die Parallele Alex. 223 C. 3.44.4 pr: Si sepulchrum monumenti appeZZatione signijieas, seire debes iure dominii id nuZZum vindieare posse, sed et, si familiare fuH, ius eius ad
134
§ 8. Lehrsätze
Der zentrale Rechtssatz (caveri ... non potest) wird durch Schluß aus allem allgemeineren Rechtssatz begründet. Der Obersatz entspricht der herrschenden Lehre; das las, welches die res divini iuris (= id, quod humani iuris esse desiit) beherrscht, erlaubt keine privatrechtliche Nutzung und daher auch keine dingliche Belastung63 • In dem von Javolen nicht ausgeführten Untersatz wird das Grabmal als res religiosa unter die res divini iuris subsumiert. Ebenso kann nicht einmal eine Servitut, nur eine bestimmte Anzahl von Toten zu bestatten, auf ein Grab gelegt werden. Solazzi64 hat gegen die Echtheit des Satzes eingewandt, ein Interesse eines Nachbarn an der Höhe eines Grabmals sei zwar noch denkbar, nicht jedoch an einer Höchstmenge von Bestatteten. Aber warum sollte ein Nachbar, über dessen Grundstück ein iter ad sepulchrum führt, den er nicht sperren darf, nicht über eine Dienstbarkeit versuchen, den lästigen Durchgangsver kehr einzuschränken? Ein ähnlicher Fall bei Paulus wird heute für echt gehalten": Paul. 27 ad ed. 422 D. 11.7.11 Quod si locus monumenti hac lege venierit, ne in eum inferrentur, quos ius est inferri, pactum quidem ad hoc non sufficit, sed stipulatione id caveri oportet. Ein pactum adiectum68 genügt nicht, um den Käufer zu hindern, das gekaufte Grundstück als Grabstätte zu verwenden; dagegen erfüllt eine Stipulation diesen Zweck'7. Die Stipulation läßt nicht nur die Strafsumme verfalomnes heredes pertinere nec divisione ad unum heredem redigi potuisse. Daß allerdings die strenge Unterscheidung Florentins im juristischen Sprachgebrauch Allgemeingültigkeit beanspruchen konnte, muß man angesichts Diocl. 286 C. 6.37.14 und der häufigen Formel Hoc monumentum heredem non sequetur, wo mit monumentum doch das sepulchrum gemeint ist, bezweifeln. Andererseits scheint Porphyr. ad Hor. od. 1.2.15 (monumentum non sepulchrum tantum dicitur, sed omnia, quidquid memoriam testatur) auf die Unterscheidung anzuspielen. Vgl. auch de Visscher, Le droit des tombeaux romains (1963) 304. 83 Marci. 74 D. 1.8.6.2. Daß heilige Orte nicht mit einer Servitut belastet werden können, begründet Paul ausdrücklich mit dem Widerspruch zum las: Paul. 1215 D. 39.3.17.3 ... loco sucro vel religiose vel sancto interveniente, quo las non sit uti, nulla eorum servitus imponi poterit. Hierzu Elvers 123 f., Grosso, SD 3, 301, Solazzi, Specie 69 mit Fn. 148, Biondi, Le servitil prediali nel diritto romano (2. Auf!. 1954) 111 f., Grosso, Le servitu 71,141. M Specie 69 Fn. 148. 86 Literatur bei de Visscher (oben Fn. 62) 66 Fn. 5, Schindler, Justinians Haltung zur Klassik (1966) 119 Fn. 29. 11 Schindler 118 f. nimmt an, daß das pactum einer mancipatio beigefügt sei. Wir halten dies für zweifelhaft, da wir hac lege sonst als nuncupatio, lex mancipio dicta, verstehen müßten, welche kaum wirkungsloser sein kann als eine stipulatio. Eher scheint die Abrede ein pactum venditioni adiectum zu sein wie etwa "ut manumittatur" u. a. 87 Ebenso läßt Pomp. 531 D. 2.14.61 ein pactum venditioni (9 ad Sab.!) adiectum nicht genügen, um den Käufer mit dinglicher Wirkung an der
§ 8. Lehrsätze
135
len wenn der Käufer seiner Verpflichtung zuwider auf dem Grundstück bestattet, sie erlaubt auch indirekt dem Verkäufer, den Käufer faktisch (etwa durch Sperrung des iter ad sepulchrum) an der Bestattung zu hindern, ohne daß er die actio in factum aus § 92 EP fürchten müßtet8 • Eine solche Stipulation dürfte dann praktisch gewesen sein, als der Verkäufer sonst fürchten mußte, nach dem Reskript von Severus und Caracalla ein iter ad sepulchrum gewähren zu müssen81 • Ganz ähnlich ist die Interessenlage von Iav. 41; Javolens Entscheidung wird verständlich, wenn man annimmt, daß über das Grundstück des Grabnachbarn bereits ein iter ad sepulchrum führt und das Grab schon religiosum ist. Jetzt ist es - anders als bei PauI. 422 - zu spät7o• III. Lehrsätze mit Begründungen und Einwendungen: quamvis 1. Mit einem stilistischen Kunstgriff scheidet Javolen in der Falldarstellung die erheblichen Sachverhaltselemente von den unerheblichen in:
Iav. 11 ex Cassio 48 D. 45.1.10471 Cum servus pecuniarn pro libertate pactus est et ob earn rem reum dedit: quamvis servus ab alio manumissus est, reus tarnen recte obligabitur, quia non quaeritur, a qua manumittatur, sed, ut manumittatur. Ein Sklave hat seinem Herrn Geld für die Freilassung versprochen; da er sich selbst nicht dem Herrn gegenüber wirksam verpflichten kann, der Herr aber Sicherheit für das naturale Versprechen haben will, tritt ein Dritter in die Verbindlichkeit ein, wirtschaftlich gesehen als Bürge, juristisch aber als Hauptschuldner (reus). Dies ist ein ganz übliches Geschäft gerade bei Freilassungsverträgen72 • Der Sklave wird aber von einem anderen freigelassen, sei es, daß er zuvor von seinem Herrn mit der Auflage ut manumittatur an den anderen veräußert Bestattung zu hindern, vgI. Schindler 118. Zur Reformkonstitution Justinians C. 4.54.9, welche die dingliche Wirkung solcher Nebenabreden anordnete, vgI. Schindler 116 ff. 88 PauI. 27 ad ed. gehört zu § 92 EP Si quis mortum inferre prohibitus esse
dicetur.
DIp. 25 ad ed. 737 D. 11.7.12 pr, vgI. oben § 5 Fn. 111. So erklärt schon die Glosse (ad D. 8.4.4 Ioco) den Unterschied zwischen D. 8.4.4 und D. 11.7.11. 71 Cuiacius, Comm. in tit. 45.1 Dig., ad 1. 104, VI 804; Pernice, SZ 9 (1888) 218 Fn. 2; Lotmar, SZ 33 (1912) 309 Fn. 6; Pringheim, SZ 41 (1920) 257 Fn. 10; Buti, Studi sulla capacita patrimoniale dei "servi" (1976) 124 Fn. 122; Eckardt (1978) 194 Fn. 15. 72 Pro libertate pacisci ist der technische Ausdruck für Freilassungsverträge, vgI. DIp. D. 4.3.7.8, Gai. D. 16.1.13 pr, Ulp. D. 33.8.8.5, Alf. D. 40.1.6, PauI., IuI. D. 41.4.2.14; 9 pr. Der Dritte heißt gewöhnlich reus (D. 4.3.7.8) zuweilen auch expromissor (D. 4.3.7.8; 16.1.13 pr), vgI. Pringsheim, SZ 50 (1930) 361 ff., 365, Kaser, RP I 652 Fn. 48. Zu den Freilassungsverträgen überhauot: Prinqsheim. SZ 41, 257 ff., und Kaser, RP I 287 Fn. 43. 81
70
136
§ 8. Lehrsätze
worden ist, sei es, daß der Herr gestorben ist und der Erbe eine fideikommissarische Freilassung ausführt, sei es, daß der Sklave auf andere Weise an einen anderen geraten ist und dieser ihn ohne Verpflichtung freiläßt. Der Dritte beruft sich gegenüber der Klage des ursprünglichen Herrn (oder seines Erben) aus der Stipulation darauf, daß nicht der Gläubiger, sondern ein anderer die Freilassung vorgenommen habe. Das aber - so Javolen - tut nichts zur Sache, entscheidend ist die Tatsache der Freilassung. Der Konzessivsatz "quamvis servus ab alio manumissus est" führt den Leser auf das Problem hin; der Schlußsatz "quia non quaeritur, a quo manumittatur, sed ut manumittatur"73 gibt die Begründung; offenbar ist stipuliert worden "si servus manumissus erit, centum dari?" . Das übliche Schema Tatbestand - Rechtsfolge - Begründung ist hier, um das Besondere hervorzuheben, durch einen Einräumungssatz erweitert, der den möglichen Einwand abschneidet. 2. Im folgenden Fragment treffen wir den Konzessivsatz wieder an; im Kausalsatz findet sich eine schulmäßige Auslegung eines Rechtsbegriffes mit Subsumtion: Iav. 15 ex Cassio 61 D. 47.2.72 (71).17' Eius rei, quae pro herede possidetur, furti actio ad possessorem non pertinet, quamvis usucapere quis possit, quia furti agere potest is, cuius interest rem non subripi, interesse autem eius videtur, qui damnum passurus est, non eius, qui lucrum facturus esset. a) Seit der jüngeren Republik sind neben dem Eigentümer auch diejenigen zur actio furti aktivlegitimiert, welche ein besonders gelagertes Interesse an der gestohlenen Sache haben, nämlich diejenigen Fremdbesitzer, welche dem Eigentümer für custodia einstehen75, und die gutgläubigen Eigenbesitzer, welche ein Nutzungs- und Retentionsinteresse an der Sache haben können76 . Dem pro herede possessor gewährt J avolen keine actio furti, da er kein schutzwürdiges Interesse habe. Suchen wir die ratio seiner Entscheidung, so möchten wir sie zunächst mit einem anderen von Javolen behandelten Fall vergleichen: 73 Die Verbesserung ut(rum) manumittatur (an non) (Bremer 11 2, 452) erscheint uns nicht zwingend geboten. 74 Glück, Pandecten 4 (1976) 435 Fn. 16; Huschke, Z. gesch. RW. 14 (1848) 191; F. Mommsen, Beiträge zum Obligationenrecht 11 (1855) 135; v. Savigny / Rudorff, Das Recht des Besitzes (7. Aufl. 1865) 445 Fn. 1 = 4. Auf!. (1822) 416 Fn. 1; Schulz, SZ 32 (1911) 96; Monro, Digest XLVII.2 De furtis (1927) 100; Bonfante, Corso 11 2 (1928) 261; Buckland, TR 10 (1930) 129; Jolowicz, Digest XLVII.2 De furtis (1940) 109; Medicus, Id quod interest (1962) 309 Fn. 11; Olde Kalder, TR 38 (1970) 122; Rascon, Pignus y custodia en el derecho romano cläsico (1976) 157. 75 Jörs / Kunkel 255, Kaser, RP I 617. 76 Ulp. 1042 D. 47.2.52.10, Paul. 564 D. 47.2.54.4, Iav. 93 D. 47.2.75.
§ 8. Lehrsätze
137
Iav.4 ep. 93 D. 47.2.75 (74) Furtivam ancillam bona fide duorum [aureorum] (milium sestertium) emptam cum possiderem, subripuit mihi Attius, cum quo et ego dominus furti agimus: quaero, quanta aestimatio pro utroque fieri debet. respondit: emptori duplo, quanti eius interest, aestimari debet, domino autem duplo, quanti ea mulier fuerit. nec nos movere debet, quod duobus poenae praestabitur, quippe, cum eiusdem rei nomine praestetur, emptori eius possessionis, domino ipsius proprietatis causa praestanda est. Eine gestohlene Sklavin wird verkauft und ein zweites Mal, nämlich dem Käufer von Attius gestohlen. Attius haftet dem Eigentümer auf das Doppelte des Wertes der Sklavin, dem gutgläubigen Käufer auf das Doppelte seines Besitzinteresses. Da der Käufer die furtive Sklavin jederzeit an den Eigentümer hätte herausgeben müssen und sie nie hätte ersitzen können, kann der Besitz als Nutzungs- und Usukapionsgrundlage kein Interesse begründen. Sein Besitzrecht wird nur dann dem Eigentümer gegenüber wirksam, wenn er Verwendungen auf die Sklavin gemacht hat; für diese Verwendungen hat er ein Zurückbehaltungsrecht, und die Höhe des Verwendungsersatzes ist sein Interesse 77 • Wenn wie hier ein gutgläubiger Käufer, dem die Ersitzung verwehrt ist, für sein Retentionsinteresse die actio turn anstrengen kann, so möchte man annehmen, daß in unserem Ausgangsfall dem pro herede possessor, der ja als möglicher Usukapient eine bessere und damit schutzwürdigere Rechtsstellung hat, die acno turti zustehe. Doch fällt Javolen seine Entscheidung ausdrücklich gegen den Gesichtspunkt der Ersitzungsmöglichkeit: quamvis usucapere quis possit. Als schutzwürdiges Interesse auch des pro herede possessor ist daher nur das Retentionsinteresse denkbar. Da es von Javolen nicht berücksichtigt wird, müssen wir der Frage nachgehen, ob dem pro herede possessor ein Zurückbehaltungsrecht überhaupt zustand. Der Erbschaftsbesitzer muß während der Ersitzungszeit dem wahren Erben weichen; der hereditans penno kann er seine Verwendungen auf die Erbschaft nur entgegenhalten, wenn er gutgläubig ist78 • Die Lösung von Iav. 61/1 stimmt daher mit der von Iav. 93 nur dann überein, wenn der Erbschaftsbesitzer bösgläubig war. Der bösgläubige Erbschaftsbesitzer kann zwar ersitzen (Javolen schrieb vor dem hadrianischen Senatuskonsult, welches die usucapio des bösgläubigen Erbschaftsbesitzers aufhob), er kann aber keine Verwendungen liquidieren; somit fehlt ihm ein Retentionsinteresse. Wenn Javolen in Iav. 61/1 demselben Prinzip gefolgt ist wie in Iav. 93, so muß in 61/1 ein mala tide ausgefallen sein. Diese Vermutung würde an Wahrscheinlichkeit gewinnen, 77 78
So Eckardt 41 ff., vgl. Paul. D. 47.2.54.4. Kaser, RP I 738 Fn. 33, 547 Fn. 25.
138
§ 8. Lehrsätze
wenn für den gutgläubigen Erbschaftsbesitzer nachgewiesen werden könnte, daß ihm die actio furti zustand (b), wenn sich weiterhin ergäbe, daß die Nichtberücksichtigung des Usukapionsinteresse gerade gegen den bösgläubigen Erbschaftsbesitzer gerichtet war (c), und wenn schließlich der Ausfall von mala tide erklärt werden könnte (d). b) Der gutgläubige zivile Erbschaftsbesitzer war, wie wir von Julian79 erfahren, vor und nach dem SC Iuventianum zur actio legis Aquiliae legitimiert; es ist kaum denkbar, daß ihm die actio turti nicht zustand. Dem prätorischen Erben wurden zur Zeit des Gajus80 fiktizische Klagen gewährt; so hat wohl auch dem gutgläubigen bonorum possessor eine actio furti ficticia zugestanden81 • Diese fiktizischen Klagen des Edictum Perpetuum waren sicher keine Neuschöpfung Julians. Daher dürfen wir annehmen, daß zu Javolens Zeit der gutgläubige Erbschaftsbesitzer zur actio furti legitimiert war. c) Die ratio des Responsums Iav. 93 sprach dafür, die Entscheidung unseres Fragments Iav. 61/1 auf den bösgläubigen Erbschaftsbesitzer zu beschränken (a); auch konnten wir aus der Parallele zur aquilischen Klage die Aktivlegitimation des gutgläubigen Erbschaftsbesitzers zur Diebstahlsklage erschließen. Eine weitere Beobachtung unterstützt diese Annahme. Javolens Argument "interesse autem eius videtur, qui damnum passurus est, non eius, qui lucrum facturus esset" findet sich nämlich fast wörtlich wieder in Pom. 38 ad Q. M. 322 D. 47.2.77 (76).1 82 Si quis alteri furtum fecerit et id, quod subripuit, alius ab eo subripuit, curo posteriore fure dominus eius rei furti agere potest, fur prior non potest, ideo quod domini interfuit, non prioris furis, ut id, quod subreptum est, salvum esset. haec Quintus Mucius refert et vera sunt: narn licet intersit furis rem salvam esse, quia condictione tenetur, tarnen (tum) [cum eo] is, cuius interest, furti habet actionem, si honesta ex causa interest. nec 79 Nach Iul. 6 dig. 82 D. 5.3.20.4 muß der Erbschaftsbesitzer, der mit der ao. leg. Aquil. nach Litiskreszenz (vgl. Ulp. 617 D. 9.2.23.10) doppelten Schadensersatz erstritten hat, dem wahren Erben nur das simplum herausgeben; nach Iul. 60 dig. 746 D. 5.3.55 muß er im selben Fall alles, also das duplum, herausgeben. Das 6. Buch der julianischen Digesten ist vor dem SC Iuventianum geschrieben worden, vgl. Kaser, SZ 72 (1955) 107 mit Fn. 53. Iul. 60 dig. ist nach dem SC luvent. verfaßt und erörtert dieses Senatuskonsult (Palingenesie). 80 Gai. 4.34, vgl. Kaser, RP I 676 Fn. 32. 81 Gai. 4.37 erwähnt eine actio turti jicticia des Peregrinen; also ist eine actio turti jicticia des bonorum possessor gut vorstellbar. 82 cum eo F: tum? Mommsen, ed mai. (nach Paul. D. 47.2.11), esse FXYC, interesse MbO, inc. Ma: Gothofredus in nota, Mommsen, ed. mai. interesse? Das interesse der Vulgathandschriften ist vielleicht nicht nur eine Konjektur von Mb, sondern könnte als "authentische Emendation" (vgl. unten Fn. 260) auf einen besseren Text zurückgehen.
§ 8. Lehrsätze
139
utimur Servii sententia, qui putabat, si rei subreptae dominus nemo exstaret nee exstaturus esset, furem habere furti aetionem: non magis enim tune eius (inter)esse intellegitur, qui luerum faeturus sit ••• Eine gestohlene Sache wird dem ersten Dieb von einem zweiten Dieb nochmals gestohlen. Nach Q. Mucius und Pomponius hat nur der Eigentümer ein berechtigtes Interesse für die Diebstahlsklage, nicht aber der erste Dieb; denn, so führt Pomponius im Anschluß an Q. Mucius aus, das interesse rem salvam esse muß man so interpretieren, daß auch eine honesta causa vorliegen muß; wer aber wie der Dieb auf lucrum aus ist, hat keine honesta causa83 • Die Nähe von non magis enim tunc eius interesse intellegitur, qui lucrum facturus sit zu J avolens Formulierung ist augenfällig. Es handelt sich hier um eine schulmäßige Definition des interesse rem salvam esse, welche mehr oder weniger wörtlich tradiert wurde 84 • Pomponius (und Paulus) versagten die Diebstahlsklage wegen mangelnder honesta causa dem lucrum facturus - dem Dieb; es liegt nahe, auch den lucrum facturus des Javolen pejorativ zu verstehen - als bösgläubigen Besitzer. Javolens strikte Ablehnung des Usukapionsinteresses mit quamvis usucapere quis possit in unserer Ausgangsstelle scheint sich dadurch zu erklären, daß er den bösgläubigen Besitzer im Auge hatte, dessen Usukapionsinteresse nicht schützenswert ist.
d) Wenn nur dem gutgläubigen Erbschaftsbesitzer ein Retentionsinteresse zugestanden wurde (a), wenn er andere deliktische Klagen erhielt (b) und wenn schließlich lucrum facturus auf Bösgläubigkeit hinweist (c), so muß man wohl annehmen, daß Javolen nur dem malae fidei possessor die Diebstahlsklage verweigerte. Der javolenische Text könnte etwa gelautet haben: Eius rei, quae pro herede possidetur, furti aetio ad possessorem (, qui seit alienam hereditatem se possidere,) non pertinet Dieser Text konnte so aber nicht in die Digesten aufgenommen werden; denn die bösgläubige Erbschaftsersitzung war schon seit vierhundert Jahren nicht mehr möglich. Indessen wurde der Text auch durch die Streichung nicht dem neuen Recht angepaßt, da der gutgläuEbenso Paul. 1791 D. 47.2.11: Tum is, cuius interest, turti habet actionem, Mommsen, ed. mai.: (ex) nach D. 47.2.77.1. 84 Mit Gothofredus, nota ad D. 47.2.77.1 esse, T. Mommsen, ed. maior, F. Mommsen, Beiträge zum Obligationenrecht II 136 Fn. 31, ist die Vulgatlesung interesse der florentinischen (oben Fn. 82) vorzuziehen. Zur Tradierung VQn Regeln im Bereich der Diebstahlslehre vgl. HuveZin, :F:tudes sur le furtum I (1915) 339 Fn. 4. 83
si honesta (ex) causa interest. -
140
§ 8. Lehrsätze
bige Erbschaftsbesitzer den Dieb von Erbschaftssachen verfolgen konnte (oben b)8s. 3. In Iav. 61/1 stellt Javolen mit dem Konzessivsatz quamvis usucapere quis possit den nur scheinbar wesentlichen Gesichtspunkt heraus, um ihn abzulehnen; in einer weiteren Stelle finden wir dieselbe Technik:
Iav. 9 ex Cassio 38 D. 17.1.5186 Fideiussor quamvis per errorem ante diem pecuniam solverit, repetere tamen ab eo non potest ac ne mandati quidem actionem, antequam dies solvendi veniat, cum reD habebit.
Der Bürge hat irrtümlich eine betagte Schuld vor Fälligkeit bezahlt. Bevor die Fälligkeit nicht eingetreten ist, kann er das Geld weder zurückfordern noch Regreß beim Hauptschuldner nehmen, obwohl er bereits bezahlt hat. a) Im Innenverhältnis ist der Hauptschuldner diesem Bürgen aus Auftrag verpflichtet, für dessen notwendige Aufwendungen aufzukommen. Wenn der Beauftragte vor Fälligkeit die Schuld des Auftraggebers zahlt, so ist die vorfristige Zahlung keine notwendige Aufwendung. Folglich kann der Beauftragte entweder die aufgewendete Summe unter Abzug des Interesses, das der Auftraggeber an der termingerechten Erfüllung hat, sofort verlangen oder die ganze Summe erst am Fälligkeitstage. Beide Lösungen werden vertreten, die zweite, Javolens Lösung, wird später auch von Paulus gebilligt87 . b) Aus dem Text geht nicht ohne weiteres hervor, wer der Schuldner des repetere sein soll. Mommsen (ed. maL) schlug a reo für ab eo vor, gefolgt von Lenel87a ; gemeint wäre die Rückforderung aus der actio depensi sechs Monate nach Zahlung. Dann wäre auch fideiussor in sponsor zu emendieren87b, da die actio depensi nur diesem zusteht. Diese Konjektur 88 ist mit dem folgenden Text nicht vereinbar: nach einem a reo non po test wäre cum reo vor habebit überflüssig. 85 Den Anachronismus vermerken v. Savigny, Besitz, ab der 4. Aufl. 416 Fn. I, Buckland, TR 10, 129 f., Jolowicz (oben Fn. 74) 109. 88 Cuiacius, Comm. in 1. 8 quaest. Pap., ad D. 12.6.66, IV 807, Comm. in 1. 32 Paul. ad ed., ad D. 17.1.22, V 746; Donatuti, Studi I 342 = Ann. Perugia 38 (1927) 141, Studi I 360 Fn. 50 = Ann. Per. 39 (1939) 18 Fn. 1; Sachers, SZ 59 (1939) 438 Fn. 7; Solazzi, Scritti IV 143 = Atti Napoli 59 (1939) 61; Schwarz, Die Grundlage der condictio im klassischen römischen Recht (1952) 39 (Fehlzitat: 17.1.5.1 statt 17.1.51), 79. 87 Paul. 32 ad ed. 487 D. 17.1.22.1. 87a Palingenesia I 282 Fn. 3. 87b So Lenel, a.a.O. Fn. 2.
§ 8. Lehrsätze
141
Glücklicher ist die Ergänzung KTÜgers 89 ab eo (, cui solvit): danach steht nicht die actio depensi zur Diskussion, vielmehr ist mit repetere die condictio indebiti des jideiussor gegen den Gläubiger gemeint, und diese greift bei vorzeitiger Erfüllung einer betagten Schuld nicht durch; so unser § 813 Ab. 2 BGB, so Paulus für die zu früh gegebene Mitgift: Paul. 7 ad Sab. 1761 D. 12.6.10 In diem debitor adeo debitor est, ut ante diem solutum repetere non possit. Zwar hat der Bürge irrtümlich eine nicht geschuldete (nämlich eine noch nicht geschuldete) Leistung erbracht; gleichwohl kann er nicht kondizieren, denn er kann sich nicht auf eine perpetua exceptio 90 , sondern nur auf eine dilatoria berufenD1 • KTÜgers Konjektur wird durch die Beobachtung gestützt, daß repetere ein technischer Ausdruck für die Kondiktionsforderung istD2 • Ebenso hat der Scholiast zu Bas. 14.1.51 die Stelle verstanden93 • c) Im quamvis-Satz findet sich nicht nur der Tatbestand, sondern auch ein möglicher Einwand: per errorem ist eine Voraussetzung der condictio indebiti94 ; dennoch hilft der Irrtum nicht, da es an der exceptio perpetua fehlt.
4. In den besprochenen (wie auch in anderen95) Stellen räumt der Konzesessivsatz eine Einwendung aus: in Iav. 48 kommt es nicht darauf an, von wem der Sklave freigelassen worden ist; in Iav. 61/1 wird das Usukapionsinteresse nicht geschützt; in Iav. 38 kann die condictio indebiti nicht darauf gestützt werden, daß eine betagte Schuld vorzeitig erfüllt worden ist. Die Argumente, die im Konzessivsatz vorgebracht 88 Anders Iav. 71 D. 17.1.52, wo die Interpolation aus spopondit hervorgeht; hierzu Lenel 285 Fn. 1, Donatuti, Studi I 340, Eckardt 61 Fn. I, auch Wesener, Lab. 11 (1965) 343. Dagegen ist Iav. 234 D. 46.1.46 nicht interpoliert, vielmehr ist die fideiussio schon Labeo zuzuschreiben, Levy, Sponsio, fidepromissio, fideiussio (1907) 123. 88 Ed. ster., ebenso Donatuti, Schwarz. 00 Pap. 146 D. 12.6.56, Ulp. 774 D. 12.6.26.3,7, vgl. Schwarz 31 ff., Kaser, RP I 596 Fn. 35. 91 So Schwarz 79. 82 Schwarz 39; andererseits meint repetere in Iav. 71 die actio depensi, Eckardt (oben Fn. 88). 93 Schol. 1 zu Bas. 14.1.51 BS 784.2 ff. Der Scholiast stellt auch klar, daß der Bürge in diem gebürgt hat und ante diem zahlt, ebenso wie im FaIr Paul. 487 D. 17.1.22.1 - Sachers, SZ 59,438 Fn. 7, stellt Iav. 38 zu Paul. D. 17.1.22 pr, dort hat aber der Bürge sich pure verbürgt, und der Fall liegt anders. Die Verbindung von Paul. D. 17.1.22.1 und Iav. D. 17.1.51 wird vom Schol. 1 zu Bas. 14.1.22.1 BS 825.22 bestätigt.
94 95
Schwarz 79.
Siehe unten § 13 Fn. 18.
142
§ 8. Lehrsätze
werden, sind für die Entscheidung nicht erheblich; dennoch werden sie von Javolen genannt, offenbar, um gewöhnlich erhobene, jedoch nicht durchschlagende Einwendungen auszuschalten. IV. Lehrsätze mit schlagenden Begründungen Die meisten Begründungssätze werden durch die Konjunktur quia eingeleitet"; daneben kommt häufiger quoniam vor, welches deutlicher als quia auf einen ausgemachten und feststehenden Grund hinweist97 und das Theorem, aus welchem der Lehrsatz abgeleitet ist, stärker hervorhebt. 1. Iav. 7 ex Cassio 30 D. 18.6.17 (16)98
Servi emptor si eum conductum rogavit, donec pretium solveret, nihil per eum servum adquirere poterit, quoniarn non videtur traditus is, cuius possessio per locationem retinetur a venditore. Periculum eius servi ad emptorem pertinet, quod tarnen sine dolo venditoris intervenerit. Ein Mietkaufverhältnis sichert den Verkäufer bis zur Zahlung des Kaufpreises 99 • In der Zwischenzeitl°o fällt der Erwerb des Sklaven dem Verkäufer zu, die Gefahr ist aber bereits auf den Käufer übergegangen. a) Der für die Zwischenzeit bedungene Mietzins ist das Äquivalent für die operae des Sklaven101 , nicht für die Stundung des Kaufpreises102 • Oben Fn. 2. Zu quoniam vgl. Kühner / Stegmann, Satzlehre II 383, Hofmann / Szantyr, Lateinische Grammatik II 627 f.; ähnlich quando, oben § 5 Fn. 162. 88 Cuiacius, Rec. sol. ad. I. 19 Dig., ad D. 19.1.3 pr VII 1177, ad D. 19.1.13.21, VII 1239; Bechmann, Der Kauf nach gemeinem Recht III 1 (1905) 213; Amb, St. Scialoja I (1905) 349; Haymann, SZ 40 (1919) 266, 41 (1920) 119 f., 48 (1928) 335; Seckel / Levy, SZ 47 (1927) 219, 228 Fn. 1; Beseler, TR 8 (1928) 297; Hoetink, Periculum est emptoris (1928) 144 ff.; Ehrhardt, Justa causa traditionis (1930) 151; KTÜckmann, SZ 59 (1939) 25; 60 (1940) 54 f., 58 f.; de Zulueta, The Roman Law of Sale (1949) 33; Arangio-Ruiz, La compravendita in diritto romane II (1954) 275 Fn. 1; Meylan, Iura 6 (1955) 196; Mayer-Maly, Locatio conductio (1956) 62; Tondo, Lab. 5 (1959) 197 Fn. 59; Benöhr, Das sogenannte Synallagma in den Konsensualkontrakten des klassischen römischen Rechts (1965) 90; Betti, SZ 82 (1965) 8; Knütel, Studien Kaser (1973) 43 ff. 98 Als Sicherungsmittel kamen Mietkauf (vgl. noch Paul. D. 19.2.20.2 und Iav. 124 D. 19.2.21), Pfand und precarium in Betracht, vgl. Pringsheim, SZ 98
87
50 (1930) 407, Mayer-Maly 61.
100 Es kann hier offenbleiben, ob der Kaufvertrag selbst bedingt abgeschlossen ist, oder nur der Eigentumsübergang aufschiebend bedingt oder befristet ist, Vgl. Ehrhardt 151 (Bedingung), anders Schulz, SZ 52 (1932) 542; Bechmann III I, 213 (Befristung) mit Seckel / Levy 219, Haymann, SZ 48, 336; KTÜckmann, SZ 59, 25; 60, 55, 59 (unentschieden). 101 So Cujaz VII 1239, wo aus diesem Grunde auch die Anwendbarkeit des kanonischen Zinsverbotes auf den Mietkauf abgelehnt wird.
§ 8. Lehrsätze
143
Der quoniam-Satz weist auf die Prämisse hin, aus welcher die Rechtsfolge abgeleitet wird: nur dem quiritischen oder bonitarischen Eigentümer fällt der Erwerb des Sklaven zu. Hier aber ist nicht einmal bonitarisches Eigentum begründet, da es an der traditio fehlt; denn die übergabe geschah nicht ex causa venditionis, sondern ex causa loca-
tionis.
b) Andererseits soll der Käufer schon die Preisgefahr tragen. Dies ist die Folge der allgemeinen Regel, wonach die Gefahr mit Abschluß des Kaufvertrages übergeht 103• c) Beide Entscheidungen erklären sich als strikte Ableitungen von Theoremen im dogmatischen System. Vordergründig scheint es sich zu widersprechen, wenn der Käufer zwar die Gefahr tragen soll, aber nicht den Erwerb des Sklaven erhält. Aus dem Mietverhältnis gebühren dem Käufer eben nur die operae; und der Gefahrübergang ist unabhängig von der faktischen übergabe eingetreten. Zur Entscheidung unseres Falles bedarf es nicht eines Rückgriffes auf die bona jides 104, sondern nur der schulmäßigen Deduktion. 2. Iav. 7 ex Cassio 32 D. 41.2.21.1 - 2106 Quod ex naufragio expulsum est, usucapi non potest, quoniam non est in derelicto, sed in deperdito. (2) Idem iuris esse existimo in bis rebus, quae 102 So Eckardt 46 zu Iav. 124 (oben Fn. 99) und Knütel 46 mit Fn. 53. Wäre der Mietzins als Äquivalent für die Stundung des Kaufpreises gedacht, dann hätte man doch ein Darlehensverhältnis vereinbart. 103 Quod tarnen sine dolo venditoris ist verdächtig. Ein periculum, quod dolo venditoris intervenerit ist ein Unding, die Feststellung "wenn die Gefahr nur ohne Arglist des Verkäufers eingetreten ist" zumindest mißverständlich (Seekel / Levy). Doch ist das einschränkende tarnen "jedoch nur" javolenische Stileigenheit, so Iav. 194 D. 28.8.11 si tarnen "jedoch nur, wenn", Iav. 232 D. 47.10.44 si tarnen "jedoch nur, wenn", so auch hier: periculum ..., quod tarnen "die Gefahr ... , jedoch nur die, welche", vgI. Kalb, Roms Juristen nach ihrer Sprache dargestellt (1890) 32, Hofmann / Szantyr, Lateinische Grammatik 11 496 a, 673 e. Beselers Annahme periculum (tarnen) - pertinet [-] verkennt diese Bedeutung von tarnen. Haymanns Vermutung (SZ 40, 266), die Kompilatoren hätten versehentlich dolus nicht in culpa verwandelt, trifft auch nicht: culpa steht in der Nachfolge der custodia, nach der faktischen übergabe war aber auch schon im klassischen Recht kein Raum mehr für custodia, also lag kein Tatbestand vor, der zur justinianischen culpaHaftung hätte führen müssen. Nimmt man an, der Schluß teil sei verkürzt (Seekel / Levy, Hoetink 146, Tondo, Benöhr 90 Fn. 30, Knütel 44), so müßte man doch erklären können, was notwendigerweise im Text habe stehen müssen. So dürfte der Schlußsatz wohl eher echt sein; die unpräzise Formulierung müssen wir dem Konto Javolens zuschreiben. 104 Die Berücksichtigung der bona fides als Entscheidungsgrundlage sehen Haymann, SZ 48, 336, und KTÜckmann, SZ 60, 58. Während aber Iav. 124 D. 19.2.21 die bona lides ausdrücklich erwähnt, ist dies in Iav. 30 nicht der Fall. lOS Cuiacius, Rec. sol. ad I. 41 Dig., ad D. 41.1.21, VI 1279; Riccobono, BuH. 7 (1894) 267; Bonfante, Scritti 11 339 (1894), Corso 11 2 (1928) 198 Fn. 3, III (1933)
144
§ 8. Lehrsätze
iaetae sunt: quoniam non potest videri id pro derelicto habitum, quod salutis causa interim dimissum est. a) Der Lehrsatz lautet: Dinge, welche bei Schiffbruch abhanden kommen, sind nicht derelinquiert, sondern verloren (denn der animus derelinquendi fehW0 6). Daher können sie auch nicht pro derelicto usukapiert werden; selbst wer annimmt, sie seien derelinquiert, kann nicht usukapieren, da die klassische Rechtswissenschaft keinen Putativtitel pro derelicto anerkennt107. Für den Leser des Lehrsatzes, der sich über den animus derelinquendi und das Problem des Putativtitels108 im klaren ist, ist die knappe Begründung schlagend, die Sachen seien verloren und nicht derelinquiert. Dasselbe gelte, so Javolen, auch für den Seewurf: wer nämlich in der Not Ladung über Bord werfe, handele nur zur eigenen Rettung und nicht, um das Eigentum an der Ladung endgültig aufzugeben109. b) Bonfante bezieht Iav. 32/1 auf res mancipi und Iav. 11 ex Cassio 45 D. 41.1.58110 Quaecumque res mari extraeta est, non ante eius incipit esse, qui extraxit, quam dominus eam pro derelicto habere eoepit. auf res nec mancipi111 ; seine Annahme ist gut begründet. In Iav. 32/1 lesen wir usucapi, in Iav. 45 eius incipit esse; dies weist auf die unterschiedliche Behandlung der derelinquierten res mancipi und res nec mancipi hin. Für res nec manicipi, welche auch sonst durch einfache traditio übereignet werden können, genügt occupatio zum endgültigen Eigentumserwerb, während res mancipi usukapiert werden müssen, wie ja auch ihre traditio kein ziviles Eigentum verschaffen kann112 •
Berger, Bull. 32 (1922) 166 Fn. 4, 176 ff.; Meyer-Collings, Derelietio, Diss. jur. Erlangen (1932) 66; Romano, Studi sulla derelizione nel diritto romano (1933) 34, 139 ff.; H. Krüger, Mnemosyne Pappulias (1934) 177. 101 Dieser ist klassisch: Kaser, RP I 426 Fn. 12, II 89 Fn. 35. 107 Iul. D. 41.7.6, vgl. Bonfante, Sero II 555, Krüger, Mnem. Papp. 177, Mayer-Maly, Das Putativtitelproblem bei der usueapio (1962) 37 f. 108 Das Problem des Putativtitels war jedenfalls schon Cassius geläufig: Ulp. D. 41.9.1.4 zur usucapio pro dote, vgl. Mayer-Maly 52. 108 Wie Javolen noch Iul. 2 ex Min. 857 D. 41.7.7 und 14.2.8 (wohl gegen Minieius, vgl. Riccobono 264 ff., Romano 141), Paul. 34 ad ed. 521 D. 14.2.2.8 und Gai. 2 rer. eott. 491 D. 41.1.9.8 = I. 2.1.48. Umgekehrt vermutet Ulpian beim Seewurf den animus derelinquendi, vgl. Ulp. 2870 D. 47.2.43.11, wo das juristische Problem als solches mit "quaestio" gekennzeichnet wird, wie auch Javolen vorsichtig "existimo" sagt. 110 Bonfante, Seritti II 339, 555 und Corso II 2, 198 Fn. 3; Berger, Bull. 22, 166 Fn. 4; Meyer-Collings, Derelietio 66, 70; Romano, Studi 35. 111 Sero II 339, Corso II 2, 198 Fn. 3. 112 Kaser, RP I 426 und Fn. 14 mit Lit., besonders Bonfante, Sero II 327 ff., Jörs / Kunkel 130 Fn. 3. Die Lehre H. Krügers (Mnem. Papp. 155 ff.), wonach
328;
§ 8. Lehrsätze
145
Wenn demnach Iav. 45 auf res nec mancipi gemünzt ist, kann quaecumque res nicht richtig sein. Dieser Beobachtung trägt Bonjante mit der Annahme Rechnung, daß die Kompilatoren hinter quaemcumque res ein (si res nec mancipi sit> gestrichen hätten113 • Der von ihm ebenfalls vorgeschlagene Einschub aLVE'faL '(0 3t(läYfLa a' VOfUafl.cl'(oov xat fl.LX(lep 3tAEtovO;'. "Hnov yal' EAEYE '(Tj; ä.ATJ~LVTj; 3toao'(TJ"Co; Ö üX'(OOl' öLa '(OV xtvöuvov 'fTj; 3tAOUa3tE'tulovo;.
Hoc est non adicere et dicere "digna erat aureis V plurisve". Hoc ait iurisconsultus innuens veterem formularum formam ita sese habentem: "Si 30 Cuiacius, übs. et em. 17.12, I 768; Rec. sol. in I. 4 Cod. Just., ad C. 4.8 Rubr., IX 353, in I. 6, ad C. 6.2 Rubr., IX 936, Rec. sol. ad. 1. 44 Dig., ad D. 44.7.34.1, VI 1399, ad I. 50 Dig., ad D. 50.16.192, VI 1786, ad D. 50.17.130, VI 2113, Comm. rep. praeI. ad tit. D. 50.17, ad I. 130, VI 1941; Notae ad Digesta ad D. 12.3.9, III 407; Glück, Pandecten 12 (1809) 419 Fn. 37, 426; Zachariae v. LingenthaZ, Kleine Schriften 11 (1973) 341 ff. = SZ 8 (1887) 208 ff.; KarZowa, Röm. Rechtsgeschichte 11 1 (1901) 1324; Hitzig, SZ 23 (1902) 326 f.; Biondi, Studi sulle actiones arbitrariae e l'arbitrium iudicis I (1913) 163 Fn. 1; Betn, RISG 56 (1915) 47 ff.; ds., Studi sulla litis aestimatio deI processo civile romane I (1915) 62 Fn. 96; Lenel, EP (1927) 329; Kaser, Quanti ea res est (1935) 137 und RZ (1966) 261 Fn. 47, 48; Provera, Contributi allo studio deI iusiurandum in 1item (1953) 53 ff. und La plurispetitio nel processo romano I (1958) 170 f. Fn. 13; Broggini, St. Betti 11 (1962) 250 ff. = Coniectanea (1966) 220 ff.; Frezza, SD 34 (1968) 363 f.; Wlassak, Rechtshistorische Abhandlungen (1965) 198 ff.; G. Sacconi, La "pluris petitio" nel processo formulare (1977) 113 ff. 31 {cum turti agitur] (qui turn acturus est) WZassak, Abh. 201 Fn.424; Iiurare] (iuraTi) Kaser, Quanti 137 - der Inf. Akt. nach oportet ist jedoch nicht ungebräuchlich, Kühner / Stegmann, Satzlehre I 718 Anm. 7; eo F: tot ZachaTiae, SZ 8, 208 nach D. 47.2.19.3 - die Emendation ist allgemein anerkannt, vgI. zuletzt Wlassak, Abh. 198 Fn. 412. Betn, RISG 56, 47 ff. Fn. 1, will eo pluTisve durch Gleichsetzung mit eove pluTis halten, was jedoch sprachlich nicht möglich ist, vgI. Lenel, EP 329 Fn. 5; [quod] (quae) Haloander. 3! SchoI. 4 zu Bas. 22.6.9 (= D. 12.3.9) BS 1491.3 ff.; das Scholion ist wahrscheinlich von Stephanos und geht nach ZachaTiae, SZ 8, 209, auf den alten Index des Theophilos zurück. Der aureus steht justinianisch für 1000 HS (I. 3.7.3, Heumann / SeckeZ s. v. sesternus, aureus) , anders (falsch) ZachaTiae 209 (1:100).
238
§ 11. Das historische Interesse der libri ex Cassio
paret rem CC aureorum esse vel etiam paulo pluris". Nam minus dicebat vera quantitate actor propter periculum pluspetitionis. Der Zusatz plurisve diente also dazu, die Gefahr der Zuvielforderung zu vermeiden. Aus der uns überlieferten Formel der actio furti nec manifesti ist diese Gefahr allerdings nicht ohne weiteres ersichtlich. Die in factum ohne demonstratio konzipierte FormeP3 lautete: Si paret Ao. Ao. a No. No. opeve consilio Ni. Ni. furtum factum esse paterae aureae, quam ob rem Nm. Nm. pro fure damnum decidere oportet, quanti ea res fuit, cum furtum factum est, tantae pecuniae duplum iudex Nm. Nm. Ao. Ao. condemnato, si non paret, absolvito. Dies ist die in factum konzipierte Formel ohne demonstratio. Die Gefahr der Zuvielforderung lief der Kläger aber nur, wenn er in der intentio einen bestimmten Betrag benannte34 . Ein Zusatz "plurisve" war daher nur in einer intentio sinnvoll, welche einen bestimmten Betrag benannte. Der Kläger, der den Wert der gestohlenen Sache nicht genau angeben konnte oder fürchtete, ihn nicht beweisen zu können, wird daher in der Klage einen Wert angegeben haben, den die Sache jedenfalls hatte. Stellte sich vor dem iudex ein höherer Wert heraus, so konnte dem Kläger allerdings nur der in der intentio genannte Betrag zugesprochen werden; einer weiteren Klage auf den Rest stand die exceptio Zitis dividuae entgegen. Diesem unerwünschten Ergebnis half der Prätor ab, indem er dem Kläger gestattete, sein Begehren trotz intentio certa durch ein "plurisve" unbestimmt zu machen. Der iudex durfte dann in das duplum eines Wertes verurteilen, welcher höher lag, als der angegebene Betrag. Mißbräuchen wehrte eine Beschränkung auf kleine Streitwertkorrekturen: Ulp. 37 ad ed. 1044 D. 50.16.192 35 Haec adiectio "pluresve" non infinitam pecuniam continet, sed modicam, ut taxatio haec .. [solidos] (HS) decem plurisve" ad minutulam summam referatur.
Lenel, EP 328. Gai. 4.53 f., Kaser, RZ 247. In der condemnatio schadet pZuris petitio nichts, Gai. 4.57. 35 Die Stelle behandelt die actio furti nec manijesti. Frezza, SD 34, 366, vergleicht plurisve mit /lLXQOltAEOV des Sklavenkaufs von Askalon (FIRA III 434 Nr. 135.14: öv't(I w~ hwv MX(I 'tEIJIJclQOlV /lLXQOltAEOV) und sieht darin das syrische Latein Ulpians. Dies würde bedeuten, daß plurisve nicht der Schriftformel zugesprochen werden kann. Frezza ist jedoch der schon von Heineccius widerlegten Semitismustheorie zum Opfer gefallen (vgl. Volterra, SD 3 [1937] 158 ff., Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen [1967] 251). MLXQOltAEOV heißt nämlich .. mehr oder weniger; ungefähr" (Prei88
34
§ 11. Das historische Interesse der libri ex Cassio
239
Die Formel der actio turti mit Wertangabe könnte etwa geiautet haben38 : Si paret ... furtum factum esse paterae aureae, quae fuit HS X plurisve (cum furtum factum est?), quam ob rem ... damnum decidere oportet, quanti ea res fuit, cum furtum factum est, tantae pecuniae duplum c. s.n.p. a. Stephanos hat in seiner Erklärung die alte Formel nicht genau zitiert37 • Javolen wollte einem Mißverständnisse abhelfen: "plurisve" war nur sinnvoll und notwendig in der intentio, während eine Zuviel schätzung im Eid keine Plurispetitionsfolgen hatte, so daß die vorsichtige Formulierung "tot plurisve" im Eid überflüssig war. Nach dieser Erklärung der Stelle läßt sich auch die kontroverse38 Frage beantworten, ob dieser Eid als iusiurandum in litem vor dem iudex oder vor der Litiskontestation im Sühneverfahren (pro Jure damnum decidere) stattfand. Es ist kaum vorstellbar, wie beim Eid apud iudicem überhaupt ein Gedanke an Zuvielforderung auftauchen konnte, weil doch der Richter, wenn er den Eid gestattete, in die Eidessumme verurteilte 39• Vielmehr konnte ein übervorsichtiger Kläger nur vor der litis contestatio, vor der Festlegung der in der intentio benannten Summe die pluris petitio fürchten; daher formulierte er auch im vorprozessualen Eid "tot plurisve". Dieser vorprozessuale Eid scheint dazu gedient zu haben, dem Beklagten das Sühnegeld zu benennen, mit welchem er sich ohne Infamiefolge40 von der Diebstahlshaftung befreien konnte 41 • Verweisigke, Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden 11 105 s. V., vgl. auch Mommsen, Ges. Schriften VII 807), wie auch die lateinische Parallele plus minus zeigt (TR 14 [1935] 399 arbores quatuor pl(us) m(inus) siteccia, ed. Wolff, aber anders in FIRA 111 444 Fn. 8), und hat nichts mit dem plurisve
Ulpians zu tun, welches "um ein weniges mehr" bedeutet: ftL)tQi!i 1CÄEtOVO~ Steph., auch Cujaz VI 1786. Auch ZachaTiaes Vergleich (SZ 8, 43 Fn. 1) von plurisve mit U1CEQ .OU~ 1CEV.iJ)tov.a )tat 1CÄEOV EVLau.ou~ "über 50 und mehr Jahre" (Sch. 1 zu Bas. 8.1.28 = C. 2.7.16 BS 79.18, hierzu zuletzt Simon, RIDA 17 [1970] 283) hält nicht stand, da die Eigentümlichkeit dieses Ausdrucks im Index des Thalelaios im Pleonasmus U1CEQ ••• )tat 1CÄEoV liegt, den Ulp. D. 50.16.192 nicht zeigt. 38 Vgl. Lenel, Palingenesia 11 677 Fn. 4. Eine condemnatio auf einen bestimmten Betrag, wie sie Betti, RISG 56, 47 f. Fn. I, vorschlägt, ist nicht notwendig, da ja in der Tat ein incertum (HS X plurisve) eingeklagt wird und daher die quanti-tanti-Kondemnatio genau ihren Zweck erfüllt. 37 ZachaTiae, SZ 8, 209, Wlassak 202. 38 Auffassung als ius iurandum in litem in der neueren Literatur: Provera, Contr. 53 ff. und Pluris 171 Fn. 13. Broggini, St. Betti 11 152. Vorprozessual: Lenel, EP 329, Kaser, Quanti 137, RZ 261 Fn. 47 f. Wlassak 201 Fn.424. Wenigstens im justinianischen Recht bezog sich D. 12.3.9 auf den Eid apud iudicem, vgl. D. tit. 12.3 Rubr. und Schol. 2 zu Bas. 22.6.9 BS 1490.21. 38 Kaser, RZ 261 zu Fn. 43. 40 Ulp. D. 3.2.6.3, vgl. Wlassak 147 Fn. 305, 199 Fn. 419.
240
§
11. Das historische Interesse der libri ex Cassio
gerte sich der Beklagte dem damnum decideTe, so konnte die Summe des Dezisionseides gleich in die intentio eingesetzt werden. Um jetzt eine genaue Schadensabrechnung zu ermöglichen, konnte der Kläger die oben vorgeschlagene intentio ceTta mit pluTisve wählen. Natürlich blieb es ihm unbenommen, die prozessual ungefährliche intentio inceTta zu wählen, welche allerdings die Höhe des Schadensersatzes in das Ermessen des iudex stellte'2.
2. Wlassak'3 erklärt die Stelle anders. Er nimmt an, daß der erste Teil unserer Fomel - si paTet ... pateTae aUTeae, quae fuit RB X pluTisve - keine intentio, sondern eine demonstratio gewesen sei. Diese Vermutung \stützt er auf: Ulp. 40 ad Sab. 2856 D. 47.2.19 pr In actione furti sufficit rem demonstrari, ut possit intellegi. Nach seiner Interpretation ist demonstraTe technisch zu verstehen, nämlich als Hinweis auf eine demonstratio. Eine pluTis petitio in der demonstratio schadete grundsätzlich nicht'4. Eine ältere Lehre (quidam) machte jedoch für infamierende Klagen eine Ausnahme: bei pluTis demonstratio sollte die Klage mit Konsumtionswirkung abgewiesen werden45 • Hierauf bezieht Wlassak unser Fragment; Iav. 60 würde dann die Erinnerung an die ältere Lehre von der pluTis demonstTatio bewahren. Die von Gajus als demonstTationes benannten Formelteile beginnen indessen alle mit quod"; daher ist es nicht wahrscheinlich, daß der mit si paTet beginnende Formelteil der in factum concepta actio fuTti eine demonstTatio ist47. Vielmehr hat Ulpian in 2856 pT entweder demonstraTe untechnisch verwendet oder eine formula in ius concepta der actio fuTti nec manifesti gemeint, welche etwa gelautet haben könnte48 : Quod Ao. Ao. a No. No. opeve consilio Ni. Ni. furtum factum est sestertium X pluriumve, quam ob rem Nm. Nm. pro fure damnum decidere oportet, Kaser, Quanti 137 Fn. 17, RZ 261, Wlassak 199. Kaser, RZ 260 f., Lenel, SZ 48, 20. 43 Wlassak, Abh. 200. " Gai. 4.58 f., Kaser, RZ 246. " Gai. 4.60; Wlassak, Abh. 31 ff., Kaser, RZ 249 mit Fn. 31. Zu den quidam vgl. auch Solazzi, Scr. V 420 f. 4i1 Gai. 4.40; Kaser, RZ 240, Sacconi 115. 47 Anders: Betti, RISG 56, 47, Lenel, EP 329, SZ 48, 18, Kaser, Quanti 137 Fn. 18 (anders wohl SZ 83 [1966] 40 f.), Wlassak, Abh. 148, 200. 48 Ich erschließe sie aus der actio depositi in ius concepta (Gai. 4.47); wenn Gai. 4.60 die demonstratio der actio depositi in einem Atemzug mit der infamierenden Klagen nennt, ist es nicht zu weit gegriffen, für diese eine demonstratio anzunehmen, die jener parallel war. 41
42
§ 11. Das historische Interesse der libr! ex Cassio
241
quidquid ob eam rem Nm. Nm. Ao. Ao. dare faeere oportet, eius iudex duplum Nm. Nm. Ao. Ao. e. s. n. p. a.
Nur auf eine solche mit quod beginnende Formel kann sich die Lehre der quidam beziehen; diese Formel hat nach dem Zeugnis Ulpians (2856 D. 47.2.19 pr - 3) aber nur bei Geld und unverarbeitetem Metall eine Wert angabe in der demonstratio 41 • Ein Schätzeid, von welchem J avolen spricht, ist dagegen nur bei anderen Gegenständen sinnvoll, deren nicht unmittelbar evidenter Wert eidlich festgestellt werden so1l50. lav. 60 meint also nicht die Formel mit demonstratio (quod ...), welche nur bei Geld und Metall den Wert beziffert, sondern jene ohne demonstratio (si paret ...), in der der Wert der gestohlenen Sache beziffert werden kanns1 • In lav. 60 findet sich daher keine Spur einer alten Lehre. IH. Alte Gesetze Der morbus sonticus, welchem Cassius und J avolen ein Fragment widmeten (Iav. 56, oben § 5111), gehört dem Recht der XII Tafeln an. Zwei weitere Fragmente der Werke Javolens (Iav. 239, 228 a), wenn auch nicht als aus ex Cassio überliefert, können jedenfalls dem Zwölftafelrecht und v i e 11 eie h t den libri ex Cassio zugewiesen werden. 1. Iav. 239
= Gai. 4 ad L. XII tab. 438 D. 50.16.236.1 S2
"Glandis" appellatione omnis fruetus eontinetur, ut lavolenus ait, exemplo Graeei sermonis, apud quos omnes arborum species aXQ6öQua appellantur.
Das Fragment behandelt wahrscheinlich53 die Zwölftafelbestimmung 7.10 Plin. nato hist. 16.6.15 ... ut glandem in alienum fundum procidentem lieeret eolligere. 48 Besonders § 3: Signati argenti numerum debebit complecti veluti (denarios) laureos] tot pluresve furto ei abesse. 50 Kaser, RP I 159 zu Fn. 40. 51 Zachariae, SZ 8, 210 f., bezieht D. 12.3.9 offensichtlich auf eine Formel mit demonstratio auf quod ... 52 Cuiacius, Ree. sol. ad 1. 50 Dig., ad D. 50.16.236, VI 1827; Berger, ACIR I (1934) 59; Lauria, lus Romanum I 1 (1963) 42 f.; Watson, The Law of Property (1968) 120 Fn. 2. 53 Vielleicht auch 8.7 (de pastu pecoris), vg1. Ulp. 2867 D. 19.5.14.3 und FIRA I 55 ad h. 1.; dagegen dezidiert Lauria 42 f. Berger, ACIR I 59, spricht
der Stelle den Bezug zu den XII Tafeln überhaupt ab, dagegen (überzeugend)
Watson, Property 120 f. 16 Manthe
242
§ 11. Das historische Interesse der libri ex Cassio
Die Zwölf Tafeln erlaubten, die Eicheln54 des eigenen Baumes, welche auf ein fremdes Grundstück gefallen waren, einzusammeln. Die spätere Jurisprudenz55 subsumierte unter glans "Eichel" Früchte aller Art66 • Das prätorische Recht schützte die Ausübung der alten Legalservitut mit dem interdictum de glande legenda57 • Zu diesem Interdikt erläutert Ulpian wie schon Javolen: Ulp. 71 ad ed. 1613 D. 43.28.1.1 "Glandis" nomine omnes fructus continentur. Die auffallend gleiche Ausdrucksweise zeigt, daß wir es mit einer Definition zu tun haben, welche "Gemeingut der römischen Rechtswissenschaft"58 geworden war; Gajus hatte Javolen noch zitiert, Ulpian hielt es offenbar nicht mehr für erforderlich. Als Quelle des Javolenzitats in Gai. 438 kommt Iav. 208 D. 18.1.80.2 kaum in Betracht. Dieses Fragment behandelt zwar auch den Fruchtüberfall; es trägt jedoch die Inskription Labeo libro quinto a Iavoleno epitomatorum und gehört damit zu den Fragmenten, in welchen Labeo selbst spricht. Gajus hätte dann wohl Labeo selbst und nicht Javolen zitiert. Da andererseits die libri ex Cassio häufig das ältere Recht einbeziehen, halten wir für wahrscheinlicher, daß Gajus das Javolenzitat den libri ex Cassio entnommen hat. Als Fundort kommt wie für Iav. 56 das 14. Buch (De legibus) in Frage. 2. J avolen wird auch in der spätnachklassischen Definitionensammlung PSI XIII 1348 genannt69 : 54 Gemeint ist wohl eher das Viehfutter Eicheln (von quercus und ilex), so Watson 120; anders Voigt, Die XII Tafeln II (1883) 645: das menschliche Nahrungsmittel Eichel (von aesculus). 65 Spätestens Servius bei Iav. 208 = Lab. 5 post. a Iav. ep. D. 18.1.80.2, vgl. Watson, Property 120 f. 68 Die spezielle Bezeichnung glans wurde also auf die Gattung ausgedehnt; umgekehrt verfuhr die Jurisprudenz zu Tafel 8.11, wo das Gesetz den generellen Begriff arbor nennt, vgl. Düll, Das Zwölftafelgesetz (3. Auf!. 1959) 89. 67 Hierzu Heimbach, RL V (1844) 546 ff., Berger, RE IX (1916) 1638. 68 Vgl. Jörs, Domitius (Nr. 88), RE V (1903) 1474.31. 69 Ed. pnnceps Segre, St. Bonfante III (1930) 419 ff.; später Arangio-Ruiz, PSI XIII (1953) 1348 S. 196 ff. mit Addenda von Bartoletti, PSI XIII S. XV (zu den Addenda vgl. Preaux, Chronique d'Egypte 29 [1954] 335), nachgedruckt in Arangio-Ruiz, Studi epigrafici e papirologici (1974) 390 ff., leider ohne die Addenda; schließlich Sierl, Supplementum ad Ottonis Lenel Palingenesiam Iuris Civilis (1960) pass. Segre hält die Definitionen für Notizen aus dem Schulunterricht, Schulz, Geschichte 389 für einen privaten Vorläufer von D. 50.16, ähnlich Wieacker, Textstufen 162 Fn. 186, Liebs, St. Volterra V (1971) 87, Seidl, Rechtsgeschichte
§ 11. Das historische Interesse der libri ex Cassio
243
Iav. 228 a PSI 1348 p'ag. 1 verso60 (24) [ (25) [.••• II E P I]E X ETA 1 .[
ca. 1511.
(26) .
ca. 1511.
~
A . . . . . 1 N E 1 T E E[
(27) EI TE .. [.]. N·I A B B Ü T
n
N[
(28) 4i F U R·f D·I . RE·;) P H E N S U[
]
]
(29) TEL U M 0 M N E A P P E L L A T [ (30) D U S I T S I V E F E R R S I V E L [I G N (31) K
~
(32)
AI. • Y •
~
H M ...
~
4i A
:e:
A 1A E
r
ETA [I
n
Dieser Text wird heute rekonstruiert e1 : ~ /Sn 'tfj 'toii ßelov; 1tQoafJyoQt~ (25) na:v'ta 1teQLEx,naL ••• ehe aL6fJQo; EhE sulo'V eLn lUto; lab(olenus) ß(Lßltcp) iJ (8) 'too'V ••• XE