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German Pages 202 Year 1999
Schriften zur Rechtsgeschichte Band 78
Die lex Falcidia und das Erbrecht des BGB Eine kritische Würdigung der Entscheidung des historischen Gesetzgebers, das Rechtsinstitut der falcidischen Quart aufzugeben
Von
Michael Hennig
Duncker & Humblot · Berlin
MICHAEL HENNIG
Die lex Falcidia und das Erbrecht des BGB
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 78
Die lex Falcidia und das Erbrecht des BGB Eine kritische Würdigung der Entscheidung des historischen Gesetzgebers, das Rechtsinstitut der falcidischen Quart aufzugeben
Von
Michael Hennig
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hennig, Michael: Die lex Falcidia und das Erbrecht des BGB : eine kritische Würdigung der Entscheidung des historischen Gesetzgebers, das Rechtsinstitut der falcidischen Quart aufzugeben / von Michael Hennig. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zur Rechtsgeschichte ; H. 78) Zugl.:Köln, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09520-0
Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-09520-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Die lex Falcidia ist heute auch bei Juristen, die sich mit dem Erbrecht näher beschäftigen, wenig bekannt. Dies ist kaum verwunderlich, sucht man doch die sogenannte falcidische Quart sowohl im Gesetz als auch in den aktuellen Lehrbüchern und Monographien zur geltenden Erbrechtsordnung vergebens. Dies war nicht immer so. Noch am Ende des letzten Jahrhunderts nahmen Dogmatik und Kasuistik dieses dem antiken römischen Recht entstammenden Instituts, das sich über einen Zeitraum von nahezu zwei Jahrtausenden entwikkelt hatte, einen breiten Raum in den Darstellungen des Erbrechts ein. Mit dem Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 verschwand jedoch die lex Falcidia , da ihr die Schöpfer unserer geltenden Erbrechtsordnung keinerlei Bedeutung mehr zumaßen. Diese Entscheidung des historischen Gesetzgebers, das Rechtsinstitut der falcidischen Quart aufzugeben, wurde bislang nicht ernsthaft diskutiert. Mit der vorliegenden Arbeit soll nunmehr der Versuch unternommen werden, Versäumtes nachzuholen in Gestalt einer kritischen Würdigung der lex Falcidia in ihrem Verhältnis zur Erbrechtsordnung des BGB. Für die Anregung zu dieser Arbeit und die im Laufe ihrer Entstehung gewährte Unterstützung möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Jens Peter Meincke, Dank sagen. Zu großem Dank bin ich darüber hinaus meiner Frau Suyin verpflichtet, in der ich stets eine kritische und konstruktive Gesprächspartnerin fand. Schließlich danke ich meinen Eltern, die während der Entstehung der Arbeit große Geduld mit mir bewiesen haben.
Köln, August 1998
Michael Hennig
Inhaltsverzeichnis Α. Einführung und Fragestellung
15
B. Die historische Entwicklung der lex Falcidia bis zum Inkrafttreten des BGB
20
I. Die Entwicklung der lex Falcidia bis in die Spätantike
20
1. Die Schaffung der lex Falcidia und der ursprüngliche Inhalt der Regelung
20
2. Die Entwicklung der lex Falcidia bis zu ihrer Kodifikation unter Justinian
22
3. Die lex Falcidia und das römische Pflichtteilsrecht
25
Π. Die Entwicklung der lex Falcidia bis ins 18. Jahrhundert
27
1. Die lex Falcidia von der Spätantike bis ins Mittelalter
27
2. Die Rezeption der lex Falcidia im ius commune
29
IÏÏ. Die lex Falcidia in den partikularen Erbrechtsordnungen
35
1. Allgemeine Tendenzen
35
2. Die partikularen Erbrechtsordnungen im Überblick
36
a) Bayern
36
b) Württemberg
37
c) Preußen
37
d) Sachsen
38
e) Hessen
39
f) Baden
39
g) Österreich
39
h) Schweiz
40
nsverzeichnis
C. Die Abschaffung der lex Falcidia durch den BGB-Gesetzgeber I. Das Erbrecht des fünften Buches des BGB
42 42
1. Die Entstehung der Erbrechtsordnung des BGB
42
2. Der Charakter der Erbrechtsordnung des BGB
47
Π. Die Gründe für die Abschaffung der lex Falcidia
50
1. Die Begründung der 1. Kommission
50
2. Die Aufnahme der Entscheidung der 1. Kommission
53
ΙΠ. Die Analyse der Begründung
54
1. Der rechtspraktische Aspekt der Begründung a) Die Gestalt und Anwendungsweise der lex Falcidia am Ende des 19. Jahrhunderts
55 56
aa) Die berechtigten Personen
57
bb) Die von der lex Falcidia betroffenen letztwilligen Zuwendungen
58
cc) Die Berechnung der falcidischen Quart dd) Die Berechnung der falcidischen Erben oder Erbteilen
59
Quart bei einer Mehrheit von 62
ee) Der maßgebliche Wertansatz
65
ff) Die Durchführung der Kürzung
66
gg) Die Ausschlußtatbestände
68
b) Kritische Würdigung des rechtspraktischen Aspekts der Begründung 2. Der rechtssystematische Aspekt der Begründung a) Der Sinn und Zweck der lex Falcidia in der Sichtweise der Motive
71 73 74
aa) Die Auffassung der herrschenden Meinung im 19. Jahrhundert vom Sinn und Zweck der lex Falcidia
76
bb) Die antiken Quellen zum Sinn und Zweck der lex Falcidia
77
b) Das Fehlen der „inneren Rechtfertigung" der lex Falcidia aus der Sicht des BGB-Gesetzgebers
81
c) Kritische Würdigung des rechtssystematischen Aspekts der Begründung
84
nsverzeichnis
9
IV. Die Ratio legis der lex Falcidia
85
1. Die herrschende Lehre und ihre Kritiker im 19. Jahrhundert
85
a) Die Theorie Lassalles
85
b) Die Argumentation Dernburgs
90
2. Erblasser oder Erbe - wessen Schutz bezweckte die lex Falcidia in erster Linie? a) Die Zuverlässigkeit der Darstellung in Gaius Inst. 2, 224 - 227 aa) Der historische Ausgangspunkt: Die Erschöpfung des Nachlasses durch letztwillig angeordnete Legate bb) Die Regelungen der leges Furia und Voconia
93 94 100
cc) Der Zusammenhang zwischen den leges Furia und Voconia und der lex Falcidia dd) Der Charakter der Darstellung in Gaius Inst. 2, 224 - 227 b) Der vorrangige Regelungszweck der lex Falcidia neueren Forschung
93
102 103
im Lichte der 104
V. Die Krititk der Entscheidung des BGB-Gesetzgebers
108
VI. Exkurs: Die lex Falcidia in der Erbrechtsordnung des Züricher Gesetzbuches von 1855
111
D. „Brauchen wir die lex Falcidiai" I. Der mit Vermächtnissen beschwerte Erbe im BGB 1. Der nicht pflichtteilsberechtigte Erbe a) Kürzungsrechte des Erben gegenüber den Vermächtnisnehmern aa) Das Kürzungsrecht nach § 1992 BGB in Verbindung mit §§ 1990, 1991 Abs. 4 BGB bb) Das Kürzungsrecht nach § 2318 Abs. 1 BGB cc) Das Kürzungsrecht nach § 2322 BGB b) Die formale Rechtsstellung des mit Vermächtnissen überschwerten Erben 2. Der pflichtteilsberechtigte Erbe a) Die Regelung des Gesetzes aa) Der mit Vermächtnissen beschwerte Erbteil ist größer als der Pflichtteil - § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB (1) Das Wahlrecht gemäß § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB
114 114 115 116 117 120 122 123 126 127 127 128
10
nsverzeichnis
(2) Das Kürzungsrecht des pflichtteilsberechtigten Erben gemäß § 2318 Abs. 3 BGB bb) Der mit Vermächtnissen beschwerte Erbteil entspricht dem Pflichtteil - § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB b) Der entstehungsgeschichtliche Hintergrund der Regelungen des §2306 Abs. 1 BGB aa) Die allgemeine Konzeption des Pflichtteils im BGB bb) Die Entstehung der Regelungen des § 2306 Abs. 1 BGB 3. Der Charakter der Rechtsstellung des mit Vermächtnissen beschwerten Erben nach den erbrechtlichen Vorschriften des BGB Π. Der mit Vermächtnissen beschwerte Erbe im Rechtsvergleich 1. Die Rechtsstellung des Erben in der Erbrechtsordnung des österreichischen ABGB
130 132 134 134 136 139 140 141
a) Der nicht pflichtteilsberechtigte Erbe
142
b) Der pflichtteilsberechtigte Erbe
143
2. Die Rechtsstellung des Erben in der Erbrechtsordnung des schweizerischen ZGB
144
a) Der nicht pflichtteilsberechtigte Erbe
145
b) Der pflichtteilsberechtigte Erbe
146
3. Zusammenfassende Würdigung ΙΠ. Die Notwendigkeit der falcidischen Quart
147 147
1. Die Kritik an der Konzeption der Rechtsstellung des mit Vermächtnissen beschwerten Erben im BGB
147
a) Die Kritik an der Rechtsstellung des pflichtteilsberechtigten Erben
148
aa) Die Regelung des § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB aus der Sicht v. Tuhrs
148
bb) Die Regelung des § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB im Rahmen der Bestrebungen zur Reform des Pflichtteilsrechts während des Nationalsozialismus
150
cc) Die Kritik an der Regelung des § 2306 Abs 1 S. 2 BGB in neuerer Zeit
152
b) Stellungnahme: Die vom Erblasser nicht beabsichtigte Überschwerung des Erben mit Vermächtnissen als allgemeines Problem
153
nsverzeichnis
11
2. Das Verhältnis zwischen Erbe und Vermächtnisnehmer aus der Sicht des BGB-Gesetzgebers
156
a) Der Erbe als Vermögensnehmer des Erblassers
157
b) § 2318 BGB als gesetzliche Regelung zum Schutz des materiellen Inhalts der Erbenstellung gegenüber dem Vermächtnisnehmer
160
c) Der „allgemeine" Fall einer vom Erblasser nicht beabsichtigten Überschwerung des Erben mit Vermächtnissen aus der Sicht des BGB-Gesetzgebers
162
3. Die Möglichkeiten eines allgemeinen Erbenschutzes gegenüber einer vom Erblasser nicht beabsichtigten Überschwerung durch Vermächtnisse im BGB
164
a) Das Bedürfnis eines allgemeinen Erbenschutzes gegenüber den Vermächtnisnehmern aus heutiger Sicht
164
b) Das Instrumentarium zum Schutz des Erben im Verhältnis zu den Vermächtnisnehmern nach heutiger Rechtslage
166
aa) Das sogenannte Quotenvermächtnis
166
bb) Die Testamentsauslegung nach § 2084 BGB
167
cc) Die Anfechtung des Testaments nach § 2078 BGB
170
4. Stellungnahme: Das BGB bedarf einer gesetzlichen Regelung, die dem Erben grundsätzlich einen gewissen Anteil der Erbschaft unbeschwert von Vermächtnissen sichert IV. Die Gestalt einer falcidischen Quart im Rahmen des BGB
173 176
1. Der allgemeine Charakter der Regelung
177
2. Der Inhalt der Regelung
179
a) Der von der Regelung begünstigte Personenkreis
179
b) Die von der Regelung betroffenen letztwilligen Zuwendungen
179
c) Der Umfang des dem Erben unbeschwert verbleibenden Anteils der Erbschaft
181
d) Die Geltendmachung des unbeschwerten Anteils der Erbportion und die Durchführung der Kürzung
183
e) Das Verhältnis zum Pflichtteilsrecht
184
E. Ergebnis
186
Literaturverzeichnis
194
Personen- und Sachregister
200
Abkürzungsverzeichnis ABGB Abs. Abschn. AcP ALR ArchBürgR Art. Aufl. BayObLG Bd. BGB BGH Β GHZ Bull. BVerfG civ. Cod. Dig. DR f., ff. Fn. GG Halbbd. Hrsg. Inst. IURA i. V. m. JZ Kap. KG Max. MDR MünchKomm m. w. N. n. Chr. NJW
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Absatz Abschnitt Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten Archiv für bürgerliches Recht Artikel Auflage Bayrisches Oberstes Landesgericht Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bulletino dell'Istituto di diritto romano Bundesverfassungsgericht Civilis Codex Digesta Deutsches Recht folgend(e) Fußnote Grundgesetz Halbband Herausgeber Institutions Rivista internazionale di diritto romano e antico in Verbindung mit Juristenzeitung Kapitel Kammergericht Maximilianeus Monatschrift für Deutsches Recht Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit weiteren Nachweisen nach Christus Neue Juristische Wochenschrift
Abkürzungsverzeichnis
Nov. Rdnr. RE RG RGZ S. s. sächs. StuW SZ Rom. Abt. TE v. v. Chr. vgl. Vol. WM ZblFG ZGB ZGR Ziff.
Novellae Randnummer Paulys Realenziklopädie der Classischen Altertumswissenschaft Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Seite, Satz Siehe Sächsisch Steuern und Wirtschaft Zeitschrift der Savignystiftung (Romanistische Abteilung) Teilentwurf von vor Christus vergleiche Volumen Wertpapier-Mitteilungen Zentrallblatt für freiwillige Gerichtsbarkeit und Notariat Zivilgesetzbuch (Schweiz) Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Ziffer
13
Α. Einführung und Fragestellung In der Erbrechtsordnung des Bürgerlichen Gesetzbuches, oder kurz des BGB, das im Jahre 1896 verabschiedet wurde und am 1. Januar 1900 in Kraft trat, ist nach dem Willen seiner Verfasser das Prinzip der Testierfreiheit verwirklicht. Auf der Grundlage des genannten Prinzips besitzt der Erblasser das Recht, über sein Vermögen von Todes wegen zu verfugen. Dieses Recht wird - sofern es nicht zum Abschluß eines Erbvertrages gemäß §§ 1947, 2274 ff. BGB kommt - regelmäßig durch ein einseitiges Rechtsgeschäft in der Form einer testamentarischen Anordnung gemäß §§ 2064 ff. BGB ausgeübt. Im Wege der testamentarischen Anordnung hat der Erblasser die Möglichkeit, eine oder mehrere Personen zu Erben einzusetzen und auf diese Weise - abweichend von der gesetzlich vorgesehenen, aber im Verhältnis zur gewillkürten Erbfolge nur subsidiär geltenden Verwandtenerbfolge - die Rechtsnachfolge von Todes wegen entsprechend seinen eigenen Vorstellungen regeln. Das dem Erblasser aufgrund der Testierfreiheit eingeräumte letztwillige Verfugungsrecht ist jedoch nicht auf die bloße Regelung der Erbfolge gemäß § 1937 BGB beschränkt. Vielmehr kann der Erblasser durch testamentarische Anordnung daneben gemäß § 1939 BGB nach seinem Gutdünken Vermögensbestandteile in Form von Vermächtnissen letztwillig zuwenden, ohne den in dieser Weise Bedachten zum Erben einzusetzen. Die Anordnung eines solchen Vermächtnisses bewirkt dabei rechtstechnisch stets eine Beschwerung des Erben. 1 Denn mit dem Tode des Erblassers steht der Erbe als Schuldner dem Vermächtnisnehmer gegenüber, dessen Anspruch aus dem Vermächtnis eine Minderung des Erbes mit sich bringt oder im Extremfalle sogar eine völlige Aufzehrung des dem Erben letztlich verbleibenden Nachlasses zur Folge hat. 2 Mit dieser rechtlichen Konzeption folgt die Erbrechtsordnung des BGB wie es bereits v. Schmitt in der Begründung seines „Entwurfes eines Rechtes der Erbfolge für das Deutsche Reich" aus dem Jahre 1879 ausdrücklich her-
1 Das BGB bringt dieses Rechtsverhältnis in § 1967 Abs. 2 BGB zum Ausdruck, wo es den Vermächtnisnehmer zum Kreis der Nachlaßgläubiger zählt, die dem Erben, als dem Nachlaßschuldner, gegenüberstehen. 2 So v. Lübtow, Erbrecht, 1. Halbbd., S. 368.
16
Α. Einführung und Fragestellung
vorhob 3 - dem Vorbild des antiken römischen Erbrechts, das in der Gestalt des sogenannten ius commune, oder Gemeinen Rechts in weiten Teilen Deutschlands bis zum Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 Geltung beanspruchte. Auch diese Erbrechtsordnung wurde seit den Tagen römischen Republik vom Gedanken der Testierfreiheit geprägt, der in dem Satz seinen Ausdruck fand: 4 „uti legassit suae rei, ita ius esto" „Wie über sein Vermögen verfügt hat, soll es rechtens sein." Wie in der heutigen Erbrechtsordnung des BGB hatte der römische Erblasser das Recht im Wege der testamentarischen Anordnung Personen seiner Wahl zu Erben einzusetzen. Darüberhinaus hatte der Erblasser auf der Grundlage des zitierten Rechtssatzes die Freiheit, Vermögensbestandteile ohne eine entsprechende Erbeinsetzung im Sinne der heutigen Vermächtnisse in Gestalt von sogenannten Legaten, beziehungsweise Fideikommissen zuzuwenden. Hier wie dort fanden sich der Erbe und der Legatar, beziehungsweise der Fideikommissar dabei in den Rollen von Schuldner und Gläubiger wieder. 5
3
Vgl. v. Schmitt, Entwurf eines Rechtes der Erbfolge für das Deutsche Reich, S. 39 ff. - nachfolgend zitiert als TE (Begründung); der bayrische Richter Gottfried v. Schmitt gehörte der „Ersten Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich" an und betreute dort als Redaktor den Bereich des Erbrechts. Der von ihm erarbeitete Erbrechtsentwurf bildete den Ausgangspunkt der Beratungen sowohl der 1., wie auch der 2. Kommission und wurde auf diese Weise schließlich zur Grundlage der Erbrechtsordnung des BGB. Vgl. dazu Coing/Dölemeyer, Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, 3. Bd., S. 1572 ff. 4 Dieser Rechtssatz entstammte dem sogenannten Zwölftafelgesetz, das um 450 v. Chr. erlassen wurde, und aus dem heraus sich das antike römische Privatrecht des ius civile entwickelte. Der zitierte Zwölftafelsatz 5, 3 wurde in der oben zitierten Weise von Gaius, Inst. 2, 224 sowie von Pomponius, Dig. 50, 16, 120 nach eigenem Bekunden wörtlich überliefert und galt nach Letzterem - zumindest seit der späten Republik - „et heredis instituendi et legata et libertatis dandi, tutelas quoque constituendi", also für die Erbeinsetzung, die Vergabe von Legaten und Freilassungen sowie für die Begründung von Vormundschaften. Vgl. dazu Schanbacher, Ratio legis Falcidiae, S. 14 ff. m. w. N. 5 Die römische Erbrechtsordnung unterschied in formaler Hinsicht zwischen dem im Testament angeordneten legatum und dem durch ein sogenanntes Kodizill zugewandten fideicommissum. Inhaltlich entsprechen beide Arten von letztwilligen Zuwendungen dem Vermächtnis des BGB, das die formale Unterscheidung aufgegeben hat, vgl. Lange/Kuchinke, Lehrbuch des Erbrechts, S. 581.
Α. Einführung und Fragestellung
Aber auch wenn die Testierfreiheit in dem geschilderten Sinne in formeller Hinsicht das prägende Charakteristikum der römischen Erbrechtsordnung war, so erfuhr doch diese Freiheit des Erblassers, den Erben mit letztwilligen angeordneten Zuwendungen an Dritte zu beschweren, im Hinblick auf den Umfang, sprich unter einem materiellen Aspekt, eine Einschränkung durch die sogenannte lex Falcidia .6 Dieses Gesetz wurde von Paulus, einem römischen Juristen des 3. Jahrhunderts n. Chr., 7 in seinem „liber singularis ad legem Falcidiam" in folgender Gestalt überliefert: 8 „Lex Falcidia lata est, quae primo capite liberam legandi facultatem dedid usque ad dodrantem his verbis: qui civis Romani sunt, qui eorum post hanc legem rogatam testamentum facere volet, ut earn pecuniam easque res quibusque dare legare volet ius potestasque esto, ut hac lege sequenti licebit. secundo capite modum legatorum constituit his verbis: quicumque cives Romanus post hanc legem rogatam testamentum faciet, is quantum cuique civi Romano pecuniam iure publico dare legare volet, ius potestasque esto, dum ita detur legatum, ne minus quam partem quartam hereditatis eo testamento heredes capiant, eis, quibus quid ita datum legatumve erit, earn pecuniam sine fraude sua capere liceto isque heres, qui earn pecuniam dare iussus damnatus erit, earn pecuniam debeto dare, quam damnatus est." „Es ist das falcidische Gesetz gegeben worden, welches in seinem ersten Kapitel die Freiheit gestattete, Legate zu hinterlassen, mit den folgenden Worten: Alle diejenigen, welche römische Bürger sind, wer von ihnen nach dem Zustandekommen dieses Gesetzes ein Testament machen will, der soll Recht und Befugnis haben, Geld und Sachen, wem auch immer zu vermachen, wie es im folgenden Gesetze gestattet werden wird. Im zweiten Kapitel bestimmt es das Maß der Legate mit folgenden Worten: Jedweder römische Bürger, der nach dem Zustandekommen dieses Gesetzes ein Testament errichten wird, der soll Recht und Befugnis haben, wieviel er jedwedem römischen Bürger nach ius publicum vermachen will, vorausgesetzt, daß das Vermächtnis dergestalt gegeben werde, daß die Erben aus dem Testamente nicht weniger als den vierten Teil der Erbschaft erwerben: ihnen, welchen etwas so zugewandt oder vermacht sein wird, soll erlaubt sein, dieses Vermögen ohne Nachteil für sich zu erwerben: und der Erbe, der dieses Vermögen zu geben geheißen und verpflichtet sein wird, soll dieses Vermögen geben, zu welchem er verpflichtet worden ist." Die lex Falcidia , die in ihrem ersten Kapitel ausdrücklich die Freiheit des Erblassers anerkannte, durch testamentarische Anordnungen letztwillig über 6
Mit der lex Falcidia wollte der römische Gesetzgeber nicht von dem Grundsatz der Testierfreiheit abrücken. Das Gesetz bestätigte vielmehr dieses Prinzip und gestaltete es lediglich inhaltlich aus, vgl. dazu Schanbacher, S. 29 ff. 7 Zur Person des Julius Paulus, vgl. Stolleis (Hrsg.), Juristen, S. 477 ff. 8 Vgl. Paulus Dig. 35, 2, 1 pr. 2 Hennig
18
Α. Einführung und Fragestellung
sein Vermögen zu verfugen, stellte danach sicher, daß dem Erben grundsätzlich ein Viertel seiner Erbportion unbeschwert von letztwilligen Zuwendungen an Dritte in Gestalt von Legaten verblieb. Um die Wirkungsweise dieses Gesetzes anschaulich zu machen, sei das folgende Beispiel gebildet: Erblasser E hinterließ bei seinem Tod ein Vermögen von 60.000. In seinem Testament hatte er A zum Alleinerben eingesetzt und zugunsten von B, C und D letztwillige Zuwendungen in Gestalt von Legaten in Höhe von jeweils 20.000 angeordnet. Ohne die Regelung der lex Falcidia ergäbe sich durch diese testamentarische Anordnungen des E die Konsequenz, daß dem Erben A kein Vermögensvorteil aus der Erbschaft verbliebe, da er das gesamte ererbte Vermögen an B, C und D herausgeben müßte. Nach der lex Falcidia war der Erblasser jedoch nur ermächtigt über drei Viertel des Nachlaß in Form von Legaten rechtswirksam zu verfügen. Überschritt der Erblasser diese Ermächtigung, wie im vorliegenden Falle, so konnte der Erbe die letztwilligen Zuwendungen soweit sie das verbleibende Viertel minderten, im Wege der verhältnismäßigen Kürzung auf das zulässige Maß herabsetzen. Die testamentarischen Anordnungen des Erblassers blieben insoweit wirksam. Danach standen A als dem Alleinerben 60.000 χ 1/4 = 15.000 als unbelastete Erbportion zu. Der Erblasser E konnte in Gestalt von Vermächtnissen nur über 60.000 χ 3/4 = 45.000 rechtswirksam verfügen. Da die angeordneten Zuwendungen an B, C und D diese Grenze um 15.000 überschritten, konnte A sie um diesen Betrag kürzen. Bei verhältnismäßiger Aufteilung dieses Betrages auf B, C und D ergab sich, daß deren Vermächtnisse von jeweils 20.000 auf 15.000 vermindert wurden. A war daher aufgrund des letztwilligen Anordnungen des E nur verpflichtet jeweils 15.000 an die letztwillig bedachten B, C und D auszuzahlen, während er selbst 15.000 als Erbe behalten durfte. Auch in der heutigen Zeit dürfte unter der Bevölkerung die Anschauung vorherrschen, daß - soweit der Erblasser überhaupt Vermögenswerte hinterläßt, über die er letztwillig verfügen kann - mit einer Erbschaft für den Erben grundsätzlich stets ein Vermögensvorteil verbunden ist. Die moderne Erbrechtsordnung des BGB kennt allerdings ein solches Rechtsinstitut, wie es die lex Falcidia darstellte, aufgrund dessen dem zum Erben Berufenen grundsätzlich ein bestimmter Anteil seiner Erbportion unbeschwert von Vermächtnissen erhalten wird, nicht mehr. Die lex Falcidia beanspruchte zwar in weiten Teilen des Deutschen Reiches von 1871 bis zum Inkrafttreten des BGB Geltung, jedoch übernahm der BGB-Gesetzgeber das Rechtsinstitut der falcidischen Quart nicht in die neugeschaffene erbrechtliche Kodifikation.
Α. Einführung und Fragestellung
19
Nach der Erbrechtsordnung des BGB hat der Erblasser im Prinzip das Recht, den Erben durch die Anordnung von Vermächtnissen derart mit Ansprüchen der Vermächtnisnehmer zu beschweren, so daß diesem im Extremfalle nach deren Erfüllung überhaupt kein Vermögensvorteil aus der Erbschaft verbleibt. Zwar wird dem Erben - namentlich durch die Vorschriften der § 2305 BGB und § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB - im Verhältnis zu den Vermächtnisnehmern ein Vermögensvorteil aus der Erbschaft garantiert. Die genannten Regelungen bewirken jedoch - anders als es die lex Falcidia tat keinen grundsätzlichen Schutz des Erben, da sie nicht allgemein an die Erbenstellung als solche anknüpfen, sondern nur den Erben zugute kommen, die zu den pflichtteilsberechtigten Personen im Sinne des § 2303 BGB zählen. 9 Mit der vorliegende Untersuchung soll nun im Folgenden den Gründen nachgegangen werden, die den BGB-Gesetzgeber vor hundert Jahren bewogen, die lex Falcidia nicht in den Kreis der erbrechtlichen Vorschriften des BGB aufzunehmen. Daran anschließend soll schließlich erörtert werden, ob das Erbrecht im fünften Buch des BGB tatsächlich keiner allgemeinen Regelung bedarf, die grundsätzlich jedem Erben im Verhältnis zu den vom Erblasser angeordneten Vermächtnissen einen gewissen unbeschwerten Teil der Erbschaft sichert. Oder mit anderen Worten - es soll versucht werden, eine Antwort auf die Frage zu geben: „Brauchen wir die lex FalcidiaT
9 Auch im Rahmen des Pflichtteilsrecht zählen die Regelungen des §§ 2305, 2306 Abs. 1 S. 1 BGB - wie die vorliegende Untersuchung erweisen wird - lediglich zu den Ausnahmetatbeständen.
2*
Β. Die Entwicklung der lex Falcidia bis zum Inkrafttreten des B G B I. Die Entwicklung der lex Falcidia bis in die Spätantike 1. Die Schaffung der lex Falcidia
und der ursprüngliche Inhalt der Regelung Die lex Falcidia wurde im Jahre 40 v. Chr. in Form eines Plebiszits erlassen und leitete ihren Namen von dem zu diesem Zeitpunkt amtierenden Tribun Publius Falcidius ab, der das Gesetz in die Volksversammlung einbrachte.1 Der konkrete Anlaß für den Erlaß des Gesetzes sei hierbei - so eine von RudorfP in der Mitte des 19. Jahrhunderts begründete und in neuerer Zeit von Watson3 und Meincke 4 erneut aufgegriffene Theorie - ein letztlich allerdings nicht zur Ausführung gelangter Plan gewesen, eine Erbschaftssteuer in Rom einzuführen. Diese Theorie stützt sich im wesentlichen auf einen Bericht des römischen Historikers Appian 5 , wonach das damals herrschende sogenannte zweite Triumvirat zur Finanzierung des Krieges gegen die Pompeianer beabsichtigte, den testamentarischen Erwerb einer Steuer zu unterwerfen. Um den fiskalischen Erfolg dieses Planes zu gewährleisten habe man, wie Rudorff annahm, den amtierenden Tribun bewogen, die lex Falcidia einzubringen, durch welche die Grundlage der Besteuerung sichergestellt worden sei.6
1
Vgl. Steinwenter, RE 12. Bd., S. 2346; für die Datierung der lex Falcidia vgl. insbesondere Schanbacher, S. 28, Fn. 64 m. w. N. 2 So Rudorff,; Römische Rechtsgeschichte, 1. Bd., S. 58; ders. ZGR Bd. 12, S. 386 f. 3 Vgl. Watson , The Law of Succession in the later Roman Republic, S. 171. 4 Vgl. Meincke , StuW 1978, S. 358. 5 Vgl. Appian, bell, civ., 5, 67. 6 Steinwenter , S. 2347, kritisiert diesen Ansatz. Nach seiner Auffassung können steuerpolitische Überlegungen nur den „letzten Anstoß" für den Erlaß der lex Falcidia dargestellt haben, während der „tiefere Grund" für das Gesetz „in der Entwicklung, welche Erbsitte und Erbrecht gegen Ende der Republik genommen haben" zu suchen sei; gegen den steuerrechtlichen Hintergrund des Gesetzes auch Schanbacher, S. 34, Fn. 18.
. Die Entwicklung der lex Falcidia bis n d e
Die ursprüngliche Regelung der lex Falcidia wandte sich ausschließlich an den ex testamento berufenen Erben, während das Gesetz im Rahmen der Intestaterbfolge keine Anwendung fand. Die Regelungsobjekte dieses Gesetzes waren die in einem formellen Testament nach dem ius civile angeordneten Legate,7 mit denen der Erblasser Teile des Nachlasses - seien es bestimmte Geldbeträge oder seien es einzelne Gegenstände - letztwillig zuwenden konnte, ohne die in dieser Weise Bedachten, sprich die Legatare, damit zu Erben einzusetzen.8 Das Gesetz stand damit - zumindest im Hinblick auf den Gegenstand der Regelung - in einer Reihe mit den älteren Gesetzen der lex Furia 9 aus der Zeit zwischen 204 und 169 v. Chr., beziehungsweise der lex Voconia 10 aus dem Jahre 169 v. Chr., die ebenfalls eine Beschränkung der Legate bewirkt hatten und von der lex Falcidia schließlich abgelöst wurden. 11 Die lex Falcidia bestimmte nunmehr, daß die vom Erblasser letztwillig angeordneten Legate höchstens drei Viertel des Nachlasses ausmachen durften, während ein Viertel dem beziehungsweise den ex testamento berufenen Erben grundsätzlich unbeschwert zu verbleiben hatte. 12
7
Von Anfang an waren aus der Regelung der lex Falcidia die sogenannten Soldatentestamente ausgenommen, vgl. Scaevola Dig. 35, 2, 96. 8 Das römische Recht unterschied hierbei zwischen dem legatum per damnationem, das dem Bedachten einen obligatorischen Anspruch auf eine Geldsumme oder andere Leistungen gegen den Erben gab und dem dinglich wirkenden legatum per vindicationem, mit dem bestimmte Gegenstände vermacht wurden. Beide bedurften zu ihrer Wirksamkeit der formalen, einen bestimmten Wortlaut beachtenden, Anordnung im Testament, vgl. Käser, Römisches Privatrecht, 1. Abschn., S. 743 m. w. N. Im Gegensatz dazu stand die letztwillige Zuwendung in Gestalt des formlos wirksamen fideicommissum, welche allerdings zur Zeit der Entstehung der lex Falcidia grundsätzlich noch nicht einklagbar war, vgl. Käser, 1 Abschn., S. 757 m. w. N. 9 Die lex Furia verbot es bestimmten Legataren, Legate anzunehmen, die den Wert von 1000 As überschritten, vgl. Käser, 1. Abschn. S. 756. 10 Die lex Voconia bestimmte, daß ein Legatar aus einem Legat eines Bürgers der 1. Zensusklasse nicht mehr annehmen darf, als die eingesetzten Erben zusammen erhalten. Vgl. Käser, 1. Abschn. S. 756. 11 So Wacke in Medicus/Seiler (Hrsg.),Studien im römischen Recht, S. 213, Fn. 19; Schanbacher, S. 33, Fn. 16 m. w. N.; demgegenüber nimmt Käser an, daß die älteren Gesetze nur außer Übung gekommen seien, vgl. 1. Abschn., S. 757. 12 Überschritt der Erblasser die gesetzliche Vorgabe, lediglich 3/4 des Nachlaß mit Vermächtnissen zu belasten, so wurden die Vermächtnisse „per legem ipso iure", wie es bei Gaius Dig. 35, 2, 73, 5 heißt, also von Gesetzes wegen auf den zulässigen Anteil herabgesetzt. Im Falle des dinglich wirkenden legatum per vindicationem erwarb der Erbe nach Paulus Dig. 35, 2, 49, pr. in Höhe des durch die lex Falcidia garantierten Viertels Miteigentum an dem vermachten Gegenstand. Daraus schließt eine verbreitete Ansicht, daß es sich bei der lex Falcidia um eine sogenannte lex perfecta gehandelt habe, die vor Gericht von Rechts wegen zu berücksichtigen gewe-
2 2 Β .
Die Entwicklung der lex Falcidia bis zum Inkrafreten des BGB
Allerdings sah bereits die ursprüngliche Regelung der lex Falcidia hinsichtlich einzelner Legate, die besonders privilegierten Zwecken dienten, Ausnahmen vor. Neben den beiden von Paulus überlieferten und oben in der Einfuhrung zitierten Kapiteln umfaßte die ursprüngliche lex Falcidia mindestens ein weiteres Kapitel, in dem - wie sich aus Gaius Dig. 35, 2, 81, 2 ergibt - unter anderem Legate von der Regelung ausgenommen wurden, mit denen der Erblasser seiner Ehefrau Gegenstände letztwillig zuwandte, die während der Ehe fur sie selbst angeschafft worden waren. 13
2. Die Entwicklung der lex Falcidia
bis zu ihrer Kodifikation unter Justinian Nach dem Erlaß des Gesetzes erfuhr die ursprüngliche Regelung der lex Falcidia bis zu ihrer Kodifikation im 2. Titel des 35. Buches der unter Justinian (527 - 565 η. Chr.) in Jahren 530 bis 533 n. Chr. geschaffenen Digesta zahlreiche Veränderungen. Auf der einen Seite wurde in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten der Anwendungsbereich des Rechtsinstituts - der zu Anfang nur den testamentarisch eingesetzten Erben sowie die formell im Testament angeordneten Legate umfaßte - immer weiter ausgedehnt.14 Schritt für Schritt erfaßte die lex Falcidia im Laufe der Zeit die gebräuchlichsten Rechtsinstitute, mit denen der Erblasser nach römischem Recht Vermögenswerte von Todes wegen neben der Erbeinsetzung zuwenden konnte. So wurden mit dem senatusconsultum Pegasianum aus der Zeit Vespasians (69 - 79 n. Chr.) die Fideikommisse, die seit Anfang des 1. Jahrhunderts n. Chr. einen klagbaren Anspruch gegenüber dem Erben begründeten, der lex Falcidia unterworfen. 15 Desweiteren erfaßte die lex Falcidia seit Septimus Severus (193 - 211 n. Chr.) auch die sogenannte donatio mortis causa, das heißt die Schenkung von Todes
sen sei; in diesem Sinne Wache, S. 249; Schanbacher, S. 34, Fn. 20 m. w. N.; dagegen Schwarz, SZ Rom. Abt., Bd. 63, S. 314 ff. 327. 13 Vgl. Steinwenter, S. 2346 m. w. N. 14 Nach v. Jhering geschah dies, um angesichts einer Erweiterung der rechtlichen Möglichkeiten des Erblassers, letztwillige Zuwendungen ohne entsprechende Erbeinsetzung anordnen zu können, eine Umgehung des Gesetzes zu verhindern, vgl. v. Jhering, Geist des römischen Rechts, 3. Teil, S. 263. 15 So Gaius Inst. 2, 254; die Regelung galt dabei sowohl für den Partikularfideikommis, mit dem einzelne Nachlaßgegenstände zugewandt werden konnten, als auch für den sogenannten Universalfideikommis, der im römischen Erbrecht die Funktion des Rechtsinstituts der Nacherbschaft im Sinne der heutigen §§ 2100 ff. BGB übernahm, vgl. Steinwenter, S. 2349 f.
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wegen. 16 Darüber hinaus erfuhr die lex Falcidia dadurch, daß die Geltendmachung der falcidischen Quart nicht mehr ausschließlich an den Eintritt der testamentarischen Erbfolge geknüpft wurde, eine Erweiterung im Hinblick auf den zum Abzug berechtigten Personenkreis. Seit Antoninus Pius (138 161 n. Chr.) konnte auch der Intestaterbe, welchem im Wege des formlosen Kodizills ein Fideikommis auferlegt worden war, hinsichtlich dieser Beschwerung die lex Falcidia in Anspruch nehmen. 17 Andererseits beinhaltete die lex Falcidia aber auch Einschränkungen. So galt die Regelung nicht im Hinblick auf die sogenannten Soldatentestamente, die - im Gegensatz zum ordentlichen Testament nach dem ius civile - formlos errichtet werden konnten. 18 Weiterhin stand dem Erben schon früh die Möglichkeit offen, auf die Anwendung der lex Falcidia zu verzichten. 19 Dieser Verzicht konnte dabei sowohl auf einer ausdrücklichen Erklärung des Erben beruhen 20 , als auch stillschweigend in dem Falle erfolgen, daß der Erbe die vom Erblasser angeordneten Vermächtnisse in vollem Umfang erfüllte. 21 Die Wirksamkeit des Verzichts setzte allerdings voraus, daß der Erbe dabei mit Wissen um die Überschwerung seiner Erbportion handelte.22 Die Gesetzgebung unter Justinian im 6. Jahrhundert n. Chr. - die allerdings nicht mehr im gesamten Bereich des römischen Reiches Geltung erlangte, sondern weitgehend auf die östliche Reichshälfte beschränkt blieb 23 brachte im Zusammenhang mit der lex Falcidia schließlich zahlreiche weitere Veränderungen mit sich. 24 Sie führte auf der einen Seite zur Erweiterung des Anwendungsbereiches der Regelung auf die Leistungen, die der Erbe auf16
So Papinian Dig. 39, 6, 42, 1; vgl. dazu Käser, 2. Abschn., S. 561 f. Fn. 80. So Paulus Dig. 35, 2, 18, pr.; vgl. dazu Käser, 2. Abschn., S. 561 f. Fn. 80. 18 So Scaevola Dig. 35, 2, 96; Ulpian Dig. 36, 1, 3, 1; vgl. Käser, 1. Abschn., S. 681, Fn. 38. 19 Vgl. dazu Wacke, S. 227 f. 20 So Ulpian Dig. 35, 2, 46, wonach sich der Erbe durch das im Wege der Stipulation gegebene Versprechen, die Anordnungen des Erblassers zu erfüllen, seines Rechtes auf die falcidische Quart begab. Allerdings war ein solches Versprechen vor dem Tod des Erblassers und dem Eintritt des Erbfalls nichtig, Papinian Dig. 35, 2, 15, 1. 21 So Scaevola Dig. 35, 2, 16; vgl. Wacke, S. 227, Fn. 91. 22 Vgl. Wacke, S. 227, Fn. 94 m w. N. 23 Vgl. Käser, Römische Rechtsgeschichte, S. 241 f. 24 Vgl. dazu allgemein Käser, Römisches Privatrecht, 2. Abschn., S. 561 f. m. w. N., Justinian stellte Legate und Fideikommisse rechtlich gleich und hob das senatus consultimi Pegasianum auf. Für Partikularfideikommisse galt die lex Falcidia nunmehr unmittelbar, während für den Universalfideikommis wieder das senatus consultum Trebellianum Anwendung fand, das dem beschwerten Erben ähnlich der falcidischen Quart die sogenannte trebellianische Quart garantierte, vgl. Inst. 2, 23, 7. 17
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Β. Die Entwicklung der lex Falcidia bis zum Inkraftreten des BGB
grund letztwilliger Anordnungen des Erblassers zur Erfüllung einer Bedingung oder Auflage erbrachte, der sogenannten condicionis implendae causa datum, 25 und fugte andererseits den bislang geltenden Ausnahmen im Hinblick auf Legate und Fideikommisse, die besonders privilegierten Zwecken dienten, weitere Ausnahmetatbestände hinzu. So wurden nun auch die letztwillig angeordneten Zuwendungen, welche wohltätigen 26 oder frommen Zwecken 27 dienten, nicht mehr von der lex Falcidia erfaßt. Die wohl bedeutsamsten Modifikationen lex Falcidia , die das Bild des Gesetzes grundlegend veränderten, führte Justinian allerdings mit der Nov. 1 im Jahre 535 n. Chr. herbei. Dort legte er fest, daß der Erbe sein ihm von der lex Falcidia eingeräumtes Recht auf ein unbeschwertes Viertel des Nachlasses verlor, wenn er es unterließ ein Inventar des Nachlasses zu errichten. 28 Weiter bestimmte Justinian, daß sich der Erbe dann nicht mehr auf die lex Falcidia berufen konnte, sobald er auch nur ein einziges Vermächtnisse in voller Höhe und im Wissen um eine Überschwerung des Nachlasses geleistet hatte. 29 Schließlich verwandelte er die Regelung der lex Falcidia vollends in ein dispositives, nunmehr auch dem Willen des Erblassers unterworfenes Rechtsinstitut, indem er in Nov. 1, 2, 2 anordnete: „(...) Si vero expressim designaverit non velie heredem retinere Falcidiam, necessarium est testatoris valere sententiam, et aut volentem eum parere testatori, forsan etiam quaedam iusta et pia relinquenti, lucrum non in percipiendo, sed solummodo pie agendo habentem, et non videri sine lucro huiusmodi esse hereditatem, aut si noluerit, eum quidem recedere ab huiusmodi institutione (...)" „(...) Sobald er aber ausdrücklich erklärt hat, daß der Erbe das falcidische Viertel nicht haben soll, so muß auch notwendig der Wille des Testators gelten, und wenn dann der Erbe dem Verstorbenen, der vielleicht in einer gebührenden und frommen Absicht etwas hinterlassen hat, gehorsam sein will, so mag sein Gewinn nicht das Empfangene, sondern allein seine pflichtgemäße Handlungsweise sein, und mag darum eine solche Erbschaft nicht weniger vorteilhaft ansehen; im Fall er aber dem
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So Cod. 6, 50, 18 aus dem Jahre 531 n. Chr. So Cod. 1, 3, 48, pr. aus dem Jahre 531 n. Chr. 27 So Nov. 131, 12 aus dem Jahre 545 n. Chr. 28 Nach Nov. 1,2, 1, hatte zur Wahrung der Rechte aus der lex Falcidia die Inventarerrichtung vor den aufgebotenen Vermächtnisnehmern, oder drei zuverlässigen Zeugen zu geschehen. Die Regelung in Nov. 1, 2, 1 steht im Zusammenhang mit der Einführung des sogenannten beneficium inventarli durch Cod. 6, 30, 22 im Jahre 531 n. Chr., wodurch der Erbe seine bis dahin unbeschränkte Haftung auf den Nachlaß beschränken konnte, vgl. dazu Käser, 2. Abschn., S. 562, Fn. 89. 29 So Nov. 1,3. 26
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Willen des Testators nicht genüge leisten will, so mag er von einer solchen Erbschaft zurücktreten (...)"
3. Die lex Falcidia und das römische Pflichtteilsrecht Die lex Falcidia kann zwar nicht unter die Vorschriften gezählt werden, die in der römischen Erbrechtsordnung das Pflichtteilsrecht regelten, denn die Regelung des Gesetzes bezog sich nicht nur auf die sogenannten sui heredes, also die agnatischen Angehörigen des Erblassers, - auch wenn aufgrund der damaligen Testierpraxis die ex testamento berufenen Erben überwiegend aus dem Kreis der Abkömmlinge des Erblassers entstammten.30 Das Rechtsinstitut der falcidischen Quart erfaßte darüber hinaus auch den sogenannten extraneus heres, also den familienfremden Erben. Gleichwohl bestanden zwischen der lex Falcidia und gewissen Rechtsinstituten des römischen Pflichtteilsrechtes, namentlich der sogenannten querela inofficiosi testamenti, enge Beziehungen.31 Die querela inofficiosi testamenti bildete seit dem Ende Republik einen festen Bestandteil der römische Erbrechtsordnung. Dieses Rechtsinstitut ermöglichte den nächsten Verwandten - also sowohl den nach dem ius civile zur Intestaterbfolge berufenen sui heredes als auch den nach prätorischem Recht berücksichtigten liberi - sofern der Erblasser sie ohne ausreichenden Grund 32 überhaupt nicht beziehungsweise nur in unzureichendem Maße 33 30
Vgl. v. Woess, Das römische Erbrecht und die Erbanwärter, S. 144; Wieacker, Hausgenossenschaft und Erbeinsetzung, S. 44; sowie Paulus, Die Idee der postmortalen Persönlichkeit im römischen Testamentsrecht, S. 55, Fn. 59 f., der nachweist, daß die Erbeinsetzung der Kinder dem gesellschaftlichen Ideal entsprach. Bis in die Spätzeit der römischen Republik mag dies darauf zurückzuführen sein, daß zur Fortsetzung des häuslichen Larenkultes ein Familienangehöriger notwendig war. Dieses Idealbild des familienangehörigen Erben blieb indes auch erhalten, nachdem im Laufe der Zeit dessen religiöse Funktionen in den Hintergrund getreten waren, wie zahlreiche Fundstellen beweisen, vgl. nur Papinian Dig. 38, 6, 7, 1; Paulus Dig. 48, 20, 7, pr31 Vgl. allgemein dazu Steinwenter S. 2351 f. m. w. N. 32 Erst unter Justinian in Nov. 115 aus dem Jahre 542 n. Chr. wurden eine erschöpfende Aufzählung der Gründe vorgenommen, die alle entweder eine schwere Verfehlung gegenüber dem Erblasser, oder ein sittenwidriges Verhalten zum Inhalt hatten, vgl. zum vorherigen Zustand Krüger, SZ Rom. Abt., Bd. 57, S. 94 f. 33 Später konnten die nur unzureichend bedachten Pflichtteilsberechtigten durch die sogenannte actio ad supplendam legitimam die Ergänzung ihres Erbteils bis zur Höhe des Pflichtteils verlangen, vgl. Cod. 3, 28, 32 aus dem Jahre 528 n. Chr.; vgl. dazu Steinwenter, S. 2352 m. w. N.
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letztwillig bedacht hatte, die Anfechtung des Testaments mit der Folge, daß nunmehr die Intestaterbfolge eintrat. 34 Um einer Anfechtung des Testaments aufgrund der genannten Regelung vorzubeugen, blieb dem Erblasser nur die Möglichkeit, den genannten Personen mindestens ein Viertel der Intestaterbportion zu hinterlassen. Dies konnte in Form einer entsprechenden Erbeinsetzung, aber auch in Gestalt eines Legats, eines Fideikommisses oder einer Schenkung von Todes wegen geschehen. 35 Dabei orientierte sich die römische Erbrechtsordnung hinsichtlich der Höhe dieses Pflichtteils ganz offenbar an dem Viertel, welches die lex Falcidia dem ex testamento berufenen Erben garantierte. 36 Deutlich wird diese enge Verbindung zwischen dem Anfechtungsrecht der querela inofficiosi testamenti und der lex Falcidia insbesondere an dem Verhältnis in dem die beiden Rechtsinstitute zueinander standen. Denn ein testamentarisch zum Erben berufener Angehöriger des Erblassers, dessen Erbschaft durch letztwillig Legate erschöpft wurde, konnte das Testament nicht aufgrund der querela inofficiosi testamenti anfechten, wenn ihm bereits aufgrund der lex Falcidia ein Viertel der Intestatportion unbeschwert zustand. 37 Dieser Zusammenhang zwischen der lex Falcidia und der querela inofficiosi testamenti fuhrt in der Folgezeit dazu, daß der Pflichtteil häufig mit der falcidischen Quart begrifflich gleichgesetzt und ebenfalls als „Falcidia" bezeichnet wurde. 38 Namentlich unter Justinian erfuhr das Pflichtteilsrecht in der römischen Erbrechtsordnung dann eine entscheidende Weiterentwicklung, die darauf abzielte, das Testament soweit wie möglich aufrechtzuerhalten und einer Anfechtung aufgrund der querela inofficiosi testamenti die Grundlage zu entziehen. 39 So ordnete er in Cod. 3, 28, 30 pr. f. aus dem Jahre 528 n. Chr. an, daß, wenn einem Angehörigen des Erblassers ex testamento weniger als ein Viertel seiner Intestaterbportion hinterlassen wurde, diesem anstelle der Anfechtung des Testaments die Ergänzung des Pflichtteils im Wege der sogenann-
34 Vgl. allgemein zur querela inofficiosi testamenti Käser , 1. Abschn., S. 709 ff. m. w. N.; die Anfechtung scheint indes nicht die Nichtigkeit des gesamten Testaments herbeigeführt zu haben, sondern nur insoweit, als der jeweils anfechtende suus heres obsiegt hatte. 35 Vgl. Käser, 1. Abschn., S. 711 m. w. N. 36 Vgl. Krüger, Bull. 47, S. 73; ders. SZ Rom. Abt. 57, S. 98. 37 So Ulpian Dig. 5, 2, 8, 9; dieser Zusammenhang kommt in gleicher Weise bereits am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. bei Plinius, epistulae 5, 1 zum Ausdruck. 38 Vgl. Steinwenter, S. 2352; Krüger, Bull., Bd. 47, S. 73. 39 Vgl. Käser, 2. Abschn., S. 367 m. w. N.
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ten actio ad supplendam legitimam zustehen sollte. 40 Weiter bestimmte Justinian im Jahre 529 n. Chr. in Cod. 3, 28, 32, daß alle Beschwerung und Belastungen, die der Erblasser letztwillig angeordnet hatte, unwirksam sein sollten, soweit diese das Pflichtteilsviertel betrafen 4 1 Für das Verhältnis dieser Pflichtteilsregelung zur lex Falcidia galt dabei weiterhin das Verbot der Doppelbegünstigung, wenn auch jetzt in umgekehrter Weise das Recht auf die falcidische Quart ausgeschlossen war, soweit diese bereits durch den Pflichtteil gedeckt wurde. 42 Angesichts dieser Entwicklung zog namentlich Steinwenter die Schlußfolgerung, daß die lex Falcidia weitgehend bedeutungslos geworden sei, da dem Rechtsinstitut der falcidischen Quart nurmehr lediglich beim familienfremden extraneus heres eine wirkliche Bedeutung zukam, während es für die Angehörigen des Erblassers weitestgehend seine pflichtteilserhaltende Wirkung eingebüßt hatte 4 3
II. Die Entwicklung der lex Falcidia bis ins 18. Jahrhundert 1. Die lex Falcidia von der Spätantike bis ins Mittelalter In dem Zeitraum vom Untergang des weströmischen Reichs im 5. Jahrhundert n. Chr. bis in das Mittelalter hinein war das Rechtsinstitut der falcidischen Quart in der Bedeutung, die es im klassischen römischen Recht besessen hatte, im deutschsprachigen Raum, das heißt im heutigen Deutschland,
40
Vgl. Käser, 2. Abschn., S. 367. Nach Cod. 3, 28, 32 war es gleich, ob das Pflichtteilsviertel in Gestalt einer Erbeinsetzung, eines Vermächtnisses oder eines Fideikommisses hinterlassen wurde, vgl. Käser, 2. Abschn., S. 367, Fn. 26. Schließlich veränderte Justinian durch Nov. 18, 1 von 536 n. Chr. das Pflichtteilsrecht weiter, indem er die Pflichtteile auf ein Drittel, beziehungsweise auf die Hälfte der Intestaterbportion erhöhte, wenn mehr als vier Abkömmlinge zur Intestaterbfolge berufen wären. Im oströmischen, dem späteren byzantinischen Reich trat im Zuge dieser Erhöhung auch im Rahmen der lex Falcidia an die Stelle der ursprünglichen Quart ein Drittel, vgl. Schanbacher, S. 52, Fn. 98 m. w. N. 42 Vgl. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, 3. Bd., S. 345, Fn. 49, der auf Cod. 6, 50, 10 verweist. 43 Zur Begründung seiner Auffassung führt Steinwenter Nov. 1, 1 aus dem Jahre 535 n. Chr. an, in welcher ausdrücklich unterschieden wurde zwischen dem familienfremden Erben, der im Falle einer nicht rechtzeitigen Errichtung eines Inventars seinen Anspruch auf die falcidische Quart verlor, und dem Abkömmling des Erblassers, dessen Anspruch auf das Pflichtteilsviertel davon unberührt blieb, vgl. Steinwenter, S. 2352. 41
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Β. Die Entwicklung der lex Falcidia bis zum Inkraftreten des BGB
der Schweiz und Österreich, überwiegend unbekannt. 44 Für diese Entwicklung sind im wesentlichen zwei Faktoren als ursächlich anzusehen. Einerseits hatte das antike römische Erbrecht, dessen Kern die Erbfolge ex testamento darstellte, in weiten Teilen des hier zu betrachtenden Gebietes niemals Wurzeln gefaßt. Statt dessen galten dort die germanische Erbrechtstraditionen fort, denen eine auf dem Erblasserwillen beruhende und durch testamentarische Verfugung geregelte Erbfolge fremd war. Charakteristisch für die auf germanischen Rechtsvorstellungen beruhende Erbrechtsordnung war die außerordentlich enge rechtliche Bindung des sogenannten „Hausgutes" - welches den landwirtschaftliche Betrieb mit Grund und Boden sowie lebendem und totem Inventar umfaßte und das in der agrarisch strukturierten Gesellschaft den wesentlichen Vermögenswert darstellte - an den Familienverband, wobei deren Mitglieder eine Gesamthandsgemeinschaft bildeten. Starb ein Familienmitglied, wuchs dessen Anteil grundsätzlich den anderen Angehörigen zu. Infolge der mangelnden Verfugungsfreiheit des Erblassers blieb für letztwillige Zuwendungen mittels Testament und damit auch für die Anwendung der lex Falcidia kein Raum, da dieses Rechtsinstitut von dem Recht des Erblassers abhing, testamentarisch verfügen zu können. 45 Andererseits hatte die Regelung der lex Falcidia ihre ursprüngliche Bedeutung aber auch in den Gebieten weitgehend verloren, wo sich das Erbrecht an römischen Vorbildern orientierte und der Erblasser dementsprechend die Befugnis besaß, im Wege der testamentarischen Anordnung letztwillig zu verfugen. 46
44
Die Gesetzgebung Justinians im Corpus iuris civilis, die das Rechtsinstitut der falcidischen Quart in seiner ursprünglichen Bedeutung verstand, erreichte den Westen, insbesondere die nördlich der Alpen gelegenen ehemaligen Provinzen des römischen Reiches nicht mehr. Vgl. dazu Dilger, SZ Rom. Abt., Bd. 99, S. 338. 45 Die germanische Erbrechtsordnung hat bereits Tacitus , Germania 10, durch den Satz charakterisiert: „heredes tarnen successoresque sui cuique liberi, et nullum testamentum." Auf diese germanischen Erbrechtstradition verwies auch das Rechtssprichwort, „der Nächste im Blut, der Nächste im Gut", das noch im 19. Jahrhundert weit verbreitet war, vgl. v. Lübtow, Erbrecht, 1. Halbbd., S. 2, Fn. 4 m. w. N. 46 Römische Erbrechtstraditionen wurden insbesondere in den Kodifikationen aufrechterhalten, die nach dem Untergang des weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert n. Chr. unter den germanischen Eroberern geschaffen wurden. Es handelte sich dabei insbesondere um die lex romana Visigothorum, die nach Alarich II. auch Breviarium Alaricianum genannt wird, die lex Burgundionum des Burgunderkönigs Gundobad sowie die lex romana Raetica Curiensis. Diese Kodifikationen nahmen das spätantike, vorjustinianische Vulgarrecht auf und verstanden - mit Ausnahme des Breviarium Alaricianum - die lex Falcidia nicht mehr in ihrer ursprünglichen Bedeutung, sondern
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Augenfälliges Merkmal dieser Entwicklung ist eine Begriffsverschiebung, der die falcidische Quart, oder einfach die Falcidia - beziehungsweise Falsitia, wie sie vielfach genannt wurde - unterworfen war. Denn mit diesem Begriff bezeichnete man nun in erster Linie nicht mehr das, dem testamentarischen Erben gebührende, von letztwillig angeordneten Beschwerungen unbelastete Viertel der Erbportion. Vielmehr wurde die Bezeichnung Falcidia überwiegend auf das Pflichtteil der Intestaterben, gelegentlich sogar - unabhängig von erbrechtlichen Bezügen überhaupt - auf ein Vierteil allgemein angewandt.47 Diese Tendenz zur Uminterpretation des Begriffs der falcidischen Quart zum Pflichtteil hin war bereits in vorjustinianischer Zeit zu beobachten und verstärkte sich in den westlichen Gebieten des ehemaligen römischen Reiches mit dem Übergang von der Spätantike zum Mittelalter. 48 Eine Ursache hierfür ist in einem gewandelten Testierverhalten zu suchen, das sich auf der Grundlage des spätantiken Vulgarrechts entwickelte, welches die Formen des klassischen römischen Erbrechts abgestreift hatte. Das Testament enthielt nunmehr immer seltener eine Erbeinsetzung, sondern erschöpfte sich in der bloßen Anordnung von Vermächtnissen, während sich die Erbfolge selbst regelmäßig nur innerhalb des Kreises der pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge ab intestato vollzog. 49
2. Die Rezeption der lex Falcidia im ius commune Im Verlaufe des allgemein als Rezeption50 bezeichneten Prozesses der Übernahme antiker römischer Rechtssätze und Vorstellungen gegen Ende des als bloßes Pflichtteilsviertel, vgl. dazu Dilger, S. 336 ff.; Käser, Römische Rechtsgeschichte, S. 235 f.; Bretone , Geschichte des römischen Rechts, S. 249 ff. 47 So in fränkischen, burgundischen sowie langobardischen Urkunden und Formelsammlungen aus dem 8. und 9. Jahrhundert, vgl. v. Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, Bd. Π, S. 122 f., 129 u. 234; Dilger, S. 337. Die Erhöhung des Pflichtteils durch Justinian in Nov. 18, 1 aus dem Jahre 536 n. Chr. erreichte diese Erbrechtsordnungen nicht mehr, sondern blieb auf das oströmische, das spätere byzantinische Reich beschränkt. 48 Belege für die Interpretation der falcidischen Quart als Pflichtteilsviertel der nächsten Angehörigen finden sich bereits im spätantiken Codex Theodosianus am Anfang des 5. Jahrhunderts n. Chr., vgl. dazu Käser, Römisches Privatrecht, 2. Abschn., S. 562 Fn. 83 f. m. w. N. 49 Zur Veränderung des Testierverhaltens im vulgarrechtlich geprägten Westteil des römischen Reiches, insbesondere zur Aufgabe des im klassischen römischen Erbrecht geltenden Grundsatzes, daß ein Testament stets eine Erbeinsetzung enthalten mußte, vgl. Käser, 2. Abschn., S. 562 Fn. 85. 50 Vgl. zur Rezeption des römischen Erbrechts allgemein Coing , Europäisches Privatrecht, Bd. I, S. 559 ff.
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Β. Die Entwicklung der lex Falcidia bis zum Inkraftreten des BGB
Mittelalters kam die lex Falcidia in ihrer ursprünglichen Bedeutung - nämlich dem testamentarisch berufenen Erben ein Viertel seiner Erbportion unbeschwert zu erhalten - auch im deutschsprachigen Raum zur Geltung. 51 Gegenstand der Rezeption waren die unter Justinian im 6. nachchristlichen Jahrhundert geschaffenen Gesetzeswerke, - also der Codex, die Institutiones, die Novellae sowie insbesondere die umfangreichen Digesta 52 - in welchen er der Vulgarisierung, der die römische Erbrechtsordnung in der Spätantike unterworfen gewesen war, Einhalt geboten und die erbrechtlichen Institute vielfach wieder auf ihre von der klassischen römischen Jurisprudenz entwikkelten Grundlagen zurückgeführt hatte. 53 Auf der Grundlage dieser später insgesamt als Corpus iuris civilis 5 4 bezeichneten Gesetzeswerke bildete sich namentlich unter dem Einfluß der rechtswissenschaftlichen Fakultäten der seit dem Mittelalter überall entstandenen Universitäten 55 - das sogenannte ius commune oder Gemeine Recht heraus. In dieser Erbrechtsordnung kamen dabei neben den aus der antike überlieferten römischen Rechtsvorstellungen auch Einflüsse sowohl aus der überkommenen germanischen Rechtstradition, als auch aus dem kanonischen Recht zum Tragen. Letzterem ist insbesondere für Entwicklung der Regelung der Testamente und Vermächtnisse im Mittelalter große Bedeutung zuzumessen.56
51
Vgl. dazu Coing, Bd. I, S. 578 m. w. N.; zu den einzelnen Partikularrechten, die die lex Falcidia übernahmen vgl. TE (Begründung), S. 311 f. 52 Das Gesetzeswerk Justinians ist nicht als Ganzes aus der Antike überliefert worden. Die Digesta, oder Pandekten, als der mit 50 Büchern wohl umfangreichste Teil, wurden in der sogenannten Florentine, einer Handschrift aus dem 6. oder 7. Jahrhundert überliefert und befanden sich seit 1407 in Florenz. Die übrigen Teile des Corpus iuris civilis wurden in unterschiedlichen Handschriften, zum Teil nur bruchstückhaft überliefert, vgl. dazu Käser, Römische Rechtsgeschichte, S. 251, 252 ff. 53 Vgl. allgemein zur dieser Entwicklung im spätantiken römischen Erbrecht Käser, Römisches Privatrecht, 2. Abschn, S. 463 ff. 54 Das aus den Institutiones, den Digesta, dem Codex sowie den Novellae bestehende Gesetzeswerk Justinians trug ursprünglich keine zusammenfassende Bezeichnung. Der Titel Corpus iuris civilis, oder Corpus iuris Justiniani fand erstmals im Jahre 1583 für die Gesamtausgabe dieses Gesetzeswerkes von Godofredus Verwendung, vgl. Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, S. 45. 55 Eine herausragende Rolle spielte dabei die Rechtsschule von Bologna, an welcher erstmals seit der Antike wieder das gesamte Corpus iuris civilis Gegenstand von Forschung und Lehre wurde, vgl. Laufs, S. 47. 56 Der Einfluß des kanonischen Rechts prägte sich insbesondere im Hinblick auf die Vermächtnisse ad piae causae und die testamentarischen Verfügungen von Klerikern aus, da in diesen Bereichen die kirchlichen Gerichte die Zuständigkeit beanspruchten, vgl. Coing , Bd. I, S. 560 f.
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Allerdings vermochte gerade auf dem Gebiet des Erbrechts das aus dem Rezeptionsprozeß hervorgegangene Gemeine Recht - anders als es die Bezeichnung vermuten läßt - keine umfassende Rechtsvereinheitlichung herbeizuführen. Für das Erbrecht im deutschsprachigen Raum war vielmehr ein Zustand der Rechtszersplitterung charakteristisch, der die politische Zersplitterung des Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation mit seiner Vielzahl von faktisch unabhängigen Territorien und Reichsstädten widerspiegelte. Die dort geltenden lokalen Erbrechtsordnungen, die in den verschiedensten Kodifikationen und Statuten niedergelegt wurden und die die römischrechtlichen Vorstellungen in unterschiedlich starkem Maße umsetzten,57 beanspruchten vor den erbrechtlichen Grundsätzen des ius commune Geltung. Diese Entwicklung hatte zur Konsequenz, daß das Gemeine Recht stets nur als subsidiäre Rechtsquelle Anwendung fand und das Erbrecht des Corpus iuris civilis überwiegend ein Gelehrtenrecht blieb. 58 Dieser charakteristische Zustand der Rechtszersplitterung läßt sich insbesondere auch im Bezug auf das Rechtsinstitut der falcidischen Quart beobachten. Denn auf der einen Seite beanspruchte die Regelung der lex Falcidia nicht in allen partikularen erbrechtlichen Kodifikationen Geltung, die im Zuge des Rezeptionsprozesses in Anlehnung an die Vorschriften des Corpus iuris civilis entstanden. So verzichtete die sogenannte Nürnberger Reformation aus dem Jahre 1564 - auch wenn sie ansonsten dem Gemeinen Recht entsprach - von Anfang an auf die lex Falcidia. Auch die erbrechtlichen Statuten der Hansestädte Lübeck und Hamburg enthielten das Rechtsinstitut der falcidischen Quart nicht. Gleiches galt weiter von der ansonsten den überkommenen Regelungen des Corpus iuris civilis folgenden churkölnischen Rechtsordnung aus dem Jahre 1663. 59 Auf der anderen Seite beinhaltete das Rechtsinstitut der falcidische Quart in den partikularen Erbrechtsordnungen, in die es Eingang gefunden hatte, hinsichtlich bestimmter Fallgestaltungen voneinander abweichende, zum Teil sogar den Rechtssätzen des Corpus iuris civilis widersprechende Regelungen. Diese Abweichungen waren darauf zurückzuführen, daß in den einzelnen Erbrechtsordnungen neben dem römischen Erbrecht des corpus iuris civilis in unterschiedlich starkem Maße fremde Einflüsse - insbesondere aus dem kanonischen Recht - wirksam wurden. Um diese Problematik anschaulich zu machen, sei der folgende Beispielsfall gebildet:
57
Die erbrechtlichen Vorschriften des ius commune wurden vielfach dazu verwandt, lokale Erbgebräuche zu modifizieren und zu systematisieren, vgl. Coing , Bd. I, S. 560. 58 Vgl. zur dieser allgemeinen Entwicklung Coing , Bd. I, S. 561. 59 Vgl. die Übersicht im TE (Begründung), S. 312 m. w. N.
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Die Entwicklung der lex Falcidia bis zum Inkraftreten des BGB
Erblasser E hinterließ ein Vermögen in Höhe von 60.000 sowie, als einzigen Angehörigen, seinen Sohn A. Diesen hatte E testamentarisch zum Erben eingesetzt, jedoch letztwillig zugunsten des Β ein Vermächtnis in Höhe von 40.000 angeordnet. Bei Anwendung der Vorschriften des justinianischen Corpus iuris civilis, ergab sich für diesen Fall die folgende Lösung: Der Erblasser E konnte, entsprechend der Regelung des justinianischen Pflichtteilsrechts, seinen Sohn A als Erben insoweit wirksam mit Vermächtnissen beschweren, als diese nicht mehr als zwei Drittel der Erbschaft umfaßten und so dem Erben ein Drittel verblieb. Dies hatte E hier getan, denn das Vermächtnis zugunsten des Β in Höhe von 40.000 überschritt diese Grenze nicht, sondern entsprach genau zwei Dritteln der Erbschaft. Da A dementsprechend genau ein Drittel der Erbschaft in Höhe von 20.000 verblieb, stand ihm auch aufgrund der lex Falcidia hinsichtlich des Vermächtnisses kein Kürzungsrecht zu, denn durch das Pflichtteil wurde die falcidische Quart gedeckt. Demgegenüber sah das Bayrische Landrecht des Codex Maximilianeus Bavaricus civilis aus dem Jahre 1756 bei Vorliegen einer solchen Fallgestaltung eine andere Lösung vor, 6 0 denn es ordnete in § 14 Ziff. 10 des 6. Kapitels im 3. Teil an, daß „(...) 10. (...) auch nebst der Not-Gebührnis statt , dergestalt, daß der Not-Erbe erstlich seine Legitimam, sodann aber von der übrigen Erbschaft die Falcidia abzieht." Danach wurde dem Erben, soweit es sich bei diesem um einen Pflichtteilsberechtigten, sprich Noterben, handelte, die falcidische Quart zusätzlich zu seinem Pflichtteilsdrittel gewährt. Aufgrund des Bayrischen Landrechts ergab sich daher für den Beispielsfall die folgende Lösung: Der Erbe A konnte vom Nachlaß des E, als pflichtteilsberechtigter Sohn, daß ihm zustehende Pflichtteilsdrittel in Höhe von 20.000 in Abzug bringen. Auf den danach verbleibenden Betrag in Höhe von 40.000 fand dann die Regelung der falcidi sehen Quart Anwendung. Nach der lex Falcidia durfte der Erblasser E lediglich über drei Viertel dieses Betrages, also 30.000 letztwillig in Form von Vermächtnissen wirksam verfügen, damit die falcidische Quart dem Erben unbeschwert verblieb. E hatte jedoch zugunsten des Β ein Vermächtnis in Höhe von 40.000 angeordnet. Mithin ergab sich hinsichtlich der den Betrag von 30.000 übersteigenden 60 Die Pflichtteilsregelung in § 15 des 3. Kapitels im 3. Teil des Bayrischen Landrechts entsprach der justinianischen Regelung, vgl. v. Roth, Bayrisches Civilrecht, 3. Teil, S. 459 f.
. Die Entwicklung der lex Falcidia bis
n a r n d e
10.000 ein Kürzungsrecht des A. Im Ergebnis erhielt daher der Vermächtnisnehmer Β lediglich 30.000, während dem Erben A 20.000 als Pflichtteil und 10.000 aufgrund der falcidischen Quart, also insgesamt 30.000 verblieben. Dieser Lösungsansatz, der dem Erben den Pflichtteil und die falcidische Quart zubilligte, entsprach nicht der herrschenden Meinung in der gemeinrechtlichen Literatur. 61 Die Regelung stand vielmehr im Widerspruch zu den Vorstellungen des justinianischen Corpus iuris civilis, denn dort galt, gemäß Ulpian Dig. 5, 2, 8 und 9 der Grundsatz, daß eine Doppelbegünstigung des Erben durch den Pflichtteil und die falcidische Quart ausgeschlossen sein sollte. Die Vorschrift des § 14 Ziff. 10 des Bayrischen Landrechts ging auf eine Vorschrift des mittelalterlichen kanonischen Rechts zurück, 62 in welcher die eher in der germanischen, als in der römischen Erbrechtstradition wurzelnde - Vorstellung zum Ausdruck kam, daß die Pflichtteile der nächsten Angehörigen der Verfugungsbefiignis des Erblassers überhaupt entzogen seien. Danach vollzog sich die Rechtsnachfolge in diese besonderen Anteile des Nachlasses völlig unabhängig von der testamentarisch angeordneten Erbfolge, so daß ein testamentarisch berufener Erbe, wenn er gleichzeitig zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen zählte, den Teil seines Erbes, welcher dem Pflichtteil entsprach, im Wege einer Sondererbfolge und den übrigen Teil unabhängig davon - aufgrund der letztwilligen Anordnungen des Erblassers erhielt. 63
61
Vgl. dazu Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 3. Bd, S. 624, Fn. 5 m. w. N. 62 Es handelt sich dabei um die Dekretale X, 3, 26, 16 de Testamentis, die unter Papst Innozenz III. (1198 - 1216) erlassen wurde. In dieser Dekretale wurde bestimmt, daß ein Erbe, der mit einem Universalfideikommis beschwert wurde, - welches wiederum unter Bedingung stand, daß der beschwerte Erbe ohne Kinder verstirbt - neben der bei Universalfideikommissen zur Anwendung kommenden trebellianischen Quart auch sein Pflichtteil abziehen könne. Das Bayrische Landrecht sah darin einen allgemeinen Rechtsgrundsatz und erweiterte die Regelung, die ursprünglich nur die trebellianische Quart erfaßte, auch auf den Anwendungsbereich der falcidischen Quart. Vgl. dazu v. Roth, Bayrisches Civilrecht, 3. Teil, S. 345, Fn. 49 m. w. N; zur Behandlung dieses doppelten Abzugsrechts der pflichtteilsberechtigten Erben in der Literatur zum ius commune vgl. auch Coing, Bd. I, S. 578, Fn. 9 m. w. N. 63 Vgl. dazu Windscheid/Kipp, S. 624, Fn. 5 m. w. N.; dem römischen Erbrecht war eine in testamentarische und Intestaterbfolge aufgespaltene Rechtsnachfolge fremd, denn es galt gemäß Inst. 2, 14, 5 der Satz: „(...) neque enim idem ex parte testatus et ex parte intestatus decedere potest (...)." 3 Hennig
3 4 Β .
Die Entwicklung der lex Falcidia bis zum Inkraftreten des BGB
Diesem Rechtsgedanken blieb indes eine weitere Verbreitung versagt. 64 Denn im Gegensatz zu der Regelung in § 14 Ziff. 10 des Codex Maximilian e n Bavaricus civilis orientierten sich die meisten anderen auf dem Gemeinen Recht basierenden Kodifikationen angesichts der im Beispiel vorgegebenen Fallgestaltung ganz überwiegend an den aus der Antike überkommenen Grundsätzen des Corpus iuris civilis, die eine Doppelbegünstigung des pflichtteilsberechtigten Erben ausschlossen. So bestimmte das Württembergische Landrecht aus dem Jahre 1610: 65 ,3s gebühret aber solche Gerechtigkeit der Falcidien nicht allen, sondern allein denjhenigen Erben, welchen kein Pflichttheil verordnet werden muß: derowegen die Eiter, Kinder und Eheleut mit ihrem verordneten Pflichttheil ersättigt und vergnügt sein sollen, (...)" Auch die - unmittelbar an das ius commune anknüpfende - Erbrechtsordnung des Entwurfes zum österreichischen Codex Theresianus, der aus dem Jahre 1767 stammte,66 billigte dem pflichtteilsberechtigten Erben die falcidi -
64
Die Regelung des Codex Maximilianeus Bavaricus civilis fand selbst auf dem Territorium des zu Anfang des 19. Jahrhunderts entstandenen Königreiches Bayern nicht überall Anerkennung. So gewährte die gemeinrechtliche Fränkische Landgerichtsordnung dem pflichtteilsberechtigten Erben zum Pflichtteil nicht noch zusätzlich die falcidische Quart, sondern ordnete im 69. Titel an: „1. Der Abzug des viertel Theils oder Falcidia hat erstlich nicht statt in den Erben in ab- oder aufsteigender Linien (...) dann diesen ist durch ihre Legitimam oder Pflichttheil Fürsehung getan. 2. Auf den Fall aber ermelte Personen in ab- oder aufsteigenden Linien, die unseren Landrechten nach keinen Pflichttheil oder Legitimam zu erwarten hätten, zu einer solchen beschwerten Erbschaft kommen, wöllen wir daß dieselbigen gleich den fremden und anderen Erben die Falcidiam zu behalten und einen vierten Teil abzuziehen Macht haben sollen (...)"· Auch das Hohenloher Landrecht folgte der Regelung des Bayrischen Landrechts in § 14, 10 nicht, vielmehr ordnete es unter § 6, 7. Kap., 4. Teil an: „Jedoch ist der bemelte Abzug des vierten Theils oder Falcidiae nicht erlaubt in folgenden Fällen 1. bei denen Erben, welche den Pflichttheil aus der Verlassenschaft erheben, gestalten ihnen neben dem Pflichttheil zugleich auch die Falcidiae nicht zukommen soll (...)". Vgl. dazu v. Roth, S. 342, Fn. 30. Lediglich die Erbrechtsordnung des schweizerischen Kantons Tessin gestattete dem pflichtteilsberechtigten Erben, falcidische Quart und Pflichtteil zu behalten, vgl. TE (Begründung), S. 312, Fn. 2. 65 Vgl. dazu Dilger, S. 335. 66 In diesem Entwurf spiegelte sich das ius commune wider, wie es in der zeitgenössischen Kommentarliteratur zum römischen Recht verstanden wurde. Allerdings wurde der Entwurf in dieser Gestalt niemals Gesetz, sondern auf Betreiben des Staatskanzlers Kaunitz einer erneuten Überarbeitung unterzogen, wobei dann das Rechtsinstitut der falcidischen Quart abgeschafft wurde, Vgl. dazu Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, Bd. 1, S. 6 f.
ΠΙ. Die lex Falcidia in den partikularen Erbrechtsordnungen
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sehe Quart nicht zusätzlich zum Pflichtteil zu, sondern ordnete im 16. Kapitel unter § 30 Ziff. 421 an, daß „421. Nur die Notherben, welchen allschon der Pflichttheil von Unseren Gesetzen beschieden ist, können sich keiner zweifachen Wohltat anmassen, sondern haben sich mit dem Pflichttheil allein zu begnügen, ohne noch darüber ein besonderes Erb viertel abziehen zu dörfen."
I I I . Die lex Falcidia in den partikularen Erbrechtsordnungen 1. Allgemeine Tendenzen Mit der Rezeption der auf dem römischen Recht des Corpus iuris civilis beruhenden Erbrechtsordnung und der Herausbildung des ius commune im deutschsprachigen Raum war - wie oben dargestellt - die lex Falcidia ein Bestandteil einer Vielzahl derjenigen erbrechtlichen Kodifikationen geworden, die in der Folgezeit entstanden. Im Zuge der Aufklärung im 18. Jahrhundert setzte dann eine Entwicklung ein, das Erbrecht zu vereinfachen, zu „rationalisieren" und damit zu modernisieren. 67 Die auf dieser Grundlage geschaffenen Gesetzeswerke - allen voran die Erbrechtsordnungen des preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 und des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs aus dem Jahre 1812 - übernahmen, auch wenn sie ansonsten, namentlich im Hinblick auf die Systematik dem römischen Vorbild folgten, einzelne Rechtsinstitute des Gemeinen Rechts nicht mehr. Der Grund hierfür lag darin, daß diese Rechtsinstitute als lediglich historisch zu verstehende Eigentümlichkeiten des antiken römischen Erbrechts aufgefaßt wurden, deren ursprüngliche Zweckrichtung
67
Den dabei zu beachtenden Grundsätzen, verlieh der österreichische Staatskanzler Kaunitz in seinem Antrag zur Überarbeitung des schon erwähnten Entwurfes zum Codex Theresianus - der ausschließlich die Rechtsvorstellungen des ius commune enthielt - im Jahre 1772 in folgender Weise Ausdruck: „(...) 2. alles in möglichster Kürze gefaßt, die casus rariores übergangen, die übrigen aber unter allgemeinen Sätzen begriffen; jedoch 3. alle Zweideutigkeit und Undeutlichkeit vermieden werden; 4. in den Gesetzen selbst soll sich nicht an die römischen Gesetze gebunden, sondern überall die natürliche Billigkeit zum Grunde gelegt: endlich 5. die Gesetze soviel möglich simplificirt, daher bei solchen Fälle, welche wesentlich einerlei sind, wegen einer etwa unterwaltenden Subtilität nicht vervielfältigt werden." Vgl. dazu Unger , S. 7; zum Einfluß der Aufklärung auf die Entwicklung der Erbrechtsordnung des ius commune insgesamt, vgl. Coing , Europäisches Privatrecht, Bd. Π, S. 629 ff. 3*
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Die Entwicklung der lex Falcidia bis zum Inkraftreten des BGB
mit der Zeit verlorengegangen war. Zu den „Opfern" dieser Entwicklung zählte dabei auch die lex Falcidia. 6* Diese Tendenz, das Rechtsinstitut der falcidischen Quart aufzugeben, setzte sich im Anschluß das gesamte 19. Jahrhundert hindurch fort. Nahezu alle in dieser Zeit geschaffenen erbrechtlichen Kodifikationen verzichteten darauf, die lex Falcidia in den Kreis ihrer Erbrechtsvorschriften aufzunehmen. 69 Angesichts dessen erscheint die Entscheidung des BGB-Gesetzgebers gegen das Rechtsinstitut der falcidischen Quart nachvollziehbar, zog er doch damit für den Rechtsraum des Deutschen Reiches von 1871 lediglich den Schlußstrich unter eine Entwicklung, die bereits mit dem preußischen Allgemeinen Landrecht ihren Anfang genommen hatte.
2. Die partikularen Erbrechtsordnungen im Überblick Der Zustand der Rechtszersplitterung, in welchem sich das Erbrecht in dem vorliegend zu betrachtenden Raum befand, macht es nahezu unmöglich, hinsichtlich der Geltung der lex Falcidia in den deutschsprachigen Gebieten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts einen zusammenfassenden Überblick zu geben. Es ist daher sinnvoll, das Schicksal der lex Falcidia bis zum Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 in den einzelnen Gebieten jeweils gesondert zu untersuchen. Der Überblick muß sich dabei auf die größeren Partikularstaaten des Deutschen Reiches von 1871 beschränken und soll darüberhinaus auch Österreich und die Schweiz erfassen, waren diese - obgleich sie nicht mehr von der anschließenden Kodifikation des BGB berührt wurden doch hinsichtlich der lex Falcidia mit der gleichen Problematik konfrontiert der Frage nämlich, ob das Rechtsinstitut der falcidischen Quart beizubehalten oder abzuschaffen sei.
a) Bayern Das Rechtsinstitut der falcidischen Quart war in dem gesamten vorliegend zu betrachtenden Zeitraum ein fester Bestandteil der Erbrechtsordnung des Bayrischen Landrechts. Die erbrechtlichen Vorschriften des Codex Maximilianeus Bavaricus civilis aus dem Jahre 1756 lehnten sich noch eng an das auf 68
Vgl. dazu Coing , Bd. Π, S. 612. Eine Ausnahme von dieser Tendenz mache dabei lediglich das Züricher Gesetzbuch aus dem Jahre 1855. 69
ΠΙ. Die lex Falcidia in den partikularen Erbrechtsordnungen
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dem Corpus iuris civilis beruhende gemeinrechtliche Erbrecht an. Die lex Falcidia beanspruchte daher in der Gestalt, die sie in den §§14 und 15 des 6. Kapitels des 3. Teils dieser Kodifikation gefunden hatte, auf dem Gebiet des ehemaligen Kurfürstentums bis zum Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 Geltung. 70 Darüber hinaus stellte die lex Falcidia in den Gebieten, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts an das nunmehrige Königreich Bayern kamen, bis zum Inkrafttreten des BGB beispielsweise im Rahmen der Fränkischen Landgerichtsordnung und des Hohenloher Landrechts geltendes Recht dar, während die sogenannte Nürnberger Reformation bereits im 16. Jahrhundert auf das Rechtsinstitut der falcidischen Quart verzichtet hatte. 71
b) Württemberg Die falcidische Quart gehörte über die ganze Zeit zum Kreis der Rechtsinstitute des Württembergischen Landrechts, das im Jahre 1610 unter Zugrundelegung der Erbrechtsordnung des ius commune kodifiziert worden war. Die lex Falcidia blieb daher im Königreich Württemberg bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in Kraft. 7 2
c) Preußen Im dem auf die Rezeption folgenden Zeitraum hatte die lex Falcidia im Rahmen einer Vielzahl erbrechtlicher Statuten, die in den in den einzelnen Territorien des preußischen Staatsgebildes erlassenen worden waren, geltendes Recht dargestellt. Namentlich in Brandenburg hatte das Rechtsinstitut der falcidischen Quart Eingang in die auf der sogenannten constitutio Joachimica von 1527 beruhende Erbrechtsordnung gefünden, welche weitgehend - insbesondere im Hinblick auf das Testamentsrecht und das Recht der Vermächtnisse - dem Vorbild des Gemeinen Rechts gefolgt war. 73 Dieser Zustand erfuhr erst im Zuge der Bemühungen zur Rechtsvereinheitlichung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Veränderung. Unter dem Einfluß der Aufklärung, die insbesondere auf dem Gebiet des 70
Vgl. TE (Begründung), S. 312 u. S. 8. Die Regelung der falcidischen Quart in der Fränkischen Landgerichtsordnung unterschied sich jedoch bei der Behandlung des pflichtteilsberechtigten Erben vom Bayrischen Landrecht, vgl. v. Roth, 3. Teil, S. 342, Fn. 30. 72 Vgl. Dilger, S. 332; TE (Begründung), S. 312 u. S. 6. 73 Vgl. Dernburg, S. 407; TE (Begründung), S. 312. 71
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Β. Die Entwicklung der lex Falcidia bis zum Inkraftreten des BGB
Erbrechts eine Tendenz zur Vereinfachung der Rechtsinstitute und zur Distanzierung von den Vorschriften des antiken Corpus iuris civilis mit sich brachte, wurde die lex Falcidia in dem Entwurf des sogenannten Corpus iuris Fridericiani aus dem Jahre 1751 insgesamt aufgegeben. 74 Bei der anschließenden Kodifikation der erbrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten (ALR), das im Jahre 1794 in Kraft trat, griff man diese Entscheidung auf und verzichtete darauf, das Rechtsinstitut der falcidischen Quart in die neugeschaffene Erbrechtsordnung aufzunehmen. 75 In diesem Zusammenhang bleibt allerdings zu berücksichtigen, daß die Vorschriften des ALR unmittelbar nur in den nach 1814 zum Königreich Preußen hinzugetretenen Gebieten galten. In den anderen Gebieten - namentlich in Brandenburg - stellten die Regelungen des ALR gegenüber der alten gemeinrechtlichen Erbrechtsordnung nur eine subsidiäre Rechtsquelle dar, so daß die lex Falcidia dort bis zum Ende des 19. Jahrhunderts geltendes Recht darstellte. 76
d) Sachsen Ähnlich der Entwicklung in Preußen, hatte auch in Sachsen das Rechtsinstitut der falcidischen Quart im Zuge des Rezeptionsprozesses Eingang in die dortigen Erbrechtsordnungen gefunden. Die lex Falcidia war auf diese Weise bis ins 19. Jahrhundert hinein ein Bestandteil der erbrechtlichen Kodifikationen gewesen, die - basierend auf dem sogenannten sächsischen Gemeinen Recht - sowohl im Kurfürstentum, dem späteren Königreich Sachsen, als auch in den übrigen sächsischen Territorien galten. Mit den im 19. Jahrhundert in Sachsen geschaffenen Gesetzeswerken setzte sich dann - die bereits in Preußen zu beobachtende - Tendenz fort, das Rechtsinstitut der falcidischen Quart aufzugeben. So verzichtete das sogenannte Gothaer Gesetz von 1844 darauf, die lex Falcidia in den Kreis seiner erbrechtlichen Vorschriften aufzunehmen. Auch in die Erbrechtsordnung des
74
Vgl. Dernburg, S. 407; TE (Begründung), S. 312. Vgl. Dernburg, S. 407; Förster/Eccius, Theorie und Praxis des heutigen gemeinen preußischen Privatrechts, IV. Bd., S. 613; TE (Begründung), S. 312. 76 Vgl. TE (Begründung), S. 14; eine Ausnahme hiervon bildete die preußische Rheinprovinz, in welcher bis zum Inkrafttreten des BGB die Erbrechtsordnung des französischen Code civil galt. 75
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königlich sächsischen bürgerlichen Gesetzbuches aus dem Jahre 1863 fand das Rechtsinstitut der falcidischen Quart keine Aufnahme mehr. 77
e) Hessen Zwar gelang es in Hessen - vor dem Inkrafttreten des BGB - nicht mehr eine eigene umfassende Zivilrechtskodifikation zu schaffen, so daß dort bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verschiedene aus dem Rezeptionsprozeß hervorgegangene gemeinrechtliche Erbrechtskodifikationen Geltung beanspruchten, in denen die lex Falcidia zur Anwendung kam. Indes sah der entsprechende Entwurf aus dem Jahre 1845 eine Erbrechtsordnung vor, die auf das Rechtsinstitut der falcidischen Quart verzichtete. 78
f) Baden Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verloren in Baden die auf dem Gemeinen Recht beruhenden Erbrechtsvorschriften ihre Geltung. Damit verschwand auch das Rechtsinstitut der falcidischen Quart. Die neue Erbrechtsordnung des französischen Code civil, der in der Folge der Entstehung des vom napoleonischen Frankreich dominierten Rheinbundes im Jahre 1809 an die Stelle der älteren gemeinrechtlichen Kodifikationen trat und das badische Zivilrecht bis zum Ende des Jahrhunderts bestimmen sollte, sah eine Regelung, wie sie die lex Falcidia beinhaltet hatte, nicht mehr vor. 7 9
g) Österreich In den einzelnen Territorien der habsburgischen Monarchie, namentlich in den deutschsprachigen Gebieten, hatte seit dem ausgehenden Mittelalter die Erbrechtsordnung des ius commune - und mit dieser auch die lex Falcidia im Rahmen einer Vielzahl von lokalen Kodifikationen und Statuten Geltung beansprucht. Dies änderte sich im Zuge der Bestrebung zur Schaffimg einer 77
Vgl. TE (Begründung), S. 312; Schmidt, Vorlesungen über das in dem Königreiche Sachsen geltende Privatrecht, 3. Bd., S. 249; zu den Gründen fur die Abschaffung der lex Falcidia, vgl. „Spezielle Motive zu dem Entwürfe eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen", S. 913. 78 Vgl. TE (Begründung), S. 312 u. S. 10. 79 Vgl. TE (Begründung), S. 312. Die Erbrechtsordnung des französischen Code civil galt darüber hinaus auch in der preußischen Rheinprovinz, vgl. dazu ΤΈ (Begründung), S. 19.
4 0 Β .
Die Entwicklung der lex Falcidia bis zum Inkraftreten des BGB
einheitlichen, auch das Erbrecht umfassenden Zivilrechtsordnung für die österreichischen Erbländer, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzte und mit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches am 1. Januar 1812 ihren Abschluß fanden. Zwar war das Rechtsinstitut der falcidischen Quart in Gestalt der Regelung des § 30 im 16. Kapitel noch Bestandteil der erbrechtlichen Vorschriften des Entwurfes zum sogenannten Codex Theresianus aus dem Jahre 1767 gewesen, der im wesentlichen die Auffassungen der zeitgenössischen Kommentarliteratur zu den Vorschriften des Corpus iuris civilis widergespiegelt hatte. 80 In den darauffolgenden Entwürfen, die sich entsprechend den Vorstellungen der Aufklärung nicht mehr ausschließlich am ius commune orientierteii, sondern in denen „die natürliche Billigkeit zum Grunde gelegt" wurde, fand die lex Falcidia jedoch keine Aufnahme mehr in den Kreis der erbrechtlichen Vorschriften. 81 Das Rechtsinstitut der falcidischen Quart verschwand daher als das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten Deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie (ABGB) am 1. Januar 1812 schließlich in Kraft t r a t . 8 2
h) Schweiz In der Schweiz verschwand das Rechtsinstitut der falcidischen Quart, das dem zum Erben Berufenen - unabhängig davon, ob er zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen zählte oder nicht - einen bestimmten Teil der Erbportion unbelastet von letztwillig angeordneten Vermächtnissen garantierte, mit dem Inkrafttreten der für die gesamte Eidgenossenschaft geltenden Erbrechtsordnung des schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) am 1. Januar 1912. 8 3 Bis zu diesem Zeitpunkt fanden in der Schweiz, insbesondere aufgrund der gesetzgeberischen Unabhängigkeit der einzelnen Kantone, eine Vielzahl von Erbrechtsordnungen Anwendung. In deren Rahmen - namentlich in den älteren, eng an die Vorschriften des ius commune angelehnten Gesetzeswerken -
80
Dieser Entwurf, der in § 30 des 16. Kap. das Rechtsinstitut der falcidischen Quart beinhaltete, erlangte nie Gesetzeskraft, vgl. Unger, Bd. 1, S. 7. 81 So verzichtete der Entwurf von Martini aus dem Jahre 1794 auf die lex Falcidia und billigte in § 43 des 13. Hauptstücks dem Erblasser ausdrücklich die Befugnis zu, den gesamten Nachlaß durch Anordnung von Vermächtnissen zu erschöpfen. Vgl. dazu auch Unger , Bd. 1, S. 7 f. 82 Vgl. dazu TE (Begründung), S. 312; Unger Bd. 6, S. 284, Fn. 2. 83 Vgl. dazu Piotet, Erbrecht, 1. Halbbd., S. 143 f.
Die lex Falcidia in den partikularen Erbrechtsordnungen
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hatte auch die lex Falcidia Geltung beansprucht. 84 Wie bereits in den anderen in diesem Zusammenhang untersuchten Gebieten, verzichteten jedoch die neueren, im 19. Jahrhundert geschaffenen erbrechtlichen Kodifikationen ganz überwiegend auf das Rechtsinstitut der falcidischen Quart, wobei sie sich zumeist an den Vorschriften des französischen Code civil oder den Regelungen des österreichischen ABGB orientierten. 85 Eine Ausnahme von dieser allgemeinen Tendenz bildete dabei allein das Züricher Gesetzbuch aus dem Jahre 1855, welches eine Regelung im Sinne der lex Falcidia in den Kreis seiner erbrechtlichen Vorschriften aufnahm, den Anteil der Erbportion, der dem Erben unbeschwert zu verbleiben hatte, aber von einem Viertel auf ein Zehntel verringerte. 86
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So gehörte die lex Falcidia in Gestalt der Art. 562 ff. zu den erbrechtlichen Vorschriften der baseler Gerichtsordnung aus dem Jahre 1719, vgl. TE (Begründung), S. 312, Fn. 2; insgesamt dazu auch Piotet, S. 144. 85 Zu den vom österreichischen ABGB beeinflußten Gesetzeswerken zählte insbesondere die erbrechtliche Kodifikation von Luzern. Dagegen standen die Gesetzeswerke von Aargau und Bern unter dem Einfluß der Erbrechtsordnung des Code civil. Vgl. TE (Begründung), S. 312, Fn. 2 u. S. 26 f. 86 Vgl. dazu Schneider, Das zürcherische Erbrecht, S. 108; obwohl das Gesetzbuch von Schafihausen aus dem Jahre 1865 die Regelungen des Züricher Gesetzbuches weitestgehend übernahm, folgte es diesem hinsichtlich der lex Falcidia indes nicht, sondern verwarf das Rechtsinstitut, wie die anderen bereits genannten schweizerischen Kodifikationen des 19. Jahrhunderts. Vgl. TE (Begründung), S. 312, Fn. 2.
C. Die Abschaffung der lex Falcidia durch den BGB-Gesetzgeber Der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, oder kurz des BGB, läßt sich mit seiner Entscheidung auf das Rechtsinstitut der falcidischen Quart zu verzichten, - wie der vorangegangene historische Abriß gezeigt hat - in eine Reihe stellen mit den Verfassern der allermeisten neueren Erbrechtskodifikationen, die vom Ausgang des 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts geschaffen worden waren. Im folgenden Teil der vorliegenden Untersuchung ist nunmehr im einzelnen den Gründen nachzugehen, die dieser Entscheidung zugrunde lagen, die lex Falcidia nicht in den Kreis der erbrechtlichen Vorschriften des BGB zu übernehmen. Zuvor sollen indes die Entstehung fünften Buches jenes Gesetzeswerkes und der Charakter der dort geschaffenen Erbrechtsordnung kurz nachgezeichnet werden.
I. Das Erbrecht des fünften Buches des BGB 1. Die Entstehung der Erbrechtsordnung des BGB Als am 18. Januar 1871 mit der Proklamation des preußischen Königs zum Deutschen Kaiser das Deutsche Reich gegründet wurde, befand sich namentlich das Erbrecht - wie der im vorangegangenen Kapitel gegebene Überblick zeigt - in Deutschland in einem Zustand der Rechtszersplitterung. In den einzelnen Partikularstaaten dieses neu entstandenen Bundesstaates beanspruchten die verschiedensten Erbrechtsordnungen - ausgehend vom ius commune in den süddeutschen Königreichen Bayern und Württemberg sowie in Teilen Preußens bis hin zum Code civil im Großherzogtum Baden und der preußischen Rheinprovinz - Geltung.1 Der Weg zu einer Rechtsvereinheitlichung wurde angesichts der im Deutschen Reich herrschenden föderalen politischen Struktur erst eröffnet, als der Gesetzgeber - in Gestalt des Reichstages und des aus den Vertretern der ein1
Zur Übersicht über die auf dem Gebiet des Deutschen Reiches von 1871 bis zum Inkrafttreten des BGB geltenden oder projektierten Erbrechtsordnung vgl. TE (Begründung), S. 1 - 22, vgl. auch Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, S. 1 ff.
I. Das Erbrecht des fünften Buches des BGB
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zelnen Partikularstaaten gebildeten Bundesrates - im Dezember 1873 auf die Anträge der Reichstagsabgeordneten Miquel und Lasker hin beschloß, die Kompetenz für eine „gemeinsame Gesetzgebung über das gesamte bürgerliche Recht" und damit auch die Gesetzgebungskompetenz für den Bereich des Erbrechts, auf das Reich zu übertragen. 2 Auf der Grundlage dieser sogenannten lex Lasker berief der Bundesrat am 28. Februar 1874 eine Vorkommission, die im Rahmen eines Gutachtens den Plan und die Methode erarbeitete, nach welcher der Entwurf einer umfassenden, für das gesamte Deutsche Reich geltenden zivilrechtlichen Kodifikation angefertigt werden sollte.3 In diesem Zusammenhang hatte die Vorkommission insbesondere die Frage zu entscheiden, ob dem zu schaffenden Bürgerlichen Gesetzbuch eine bereits vorhandene partikulare Kodifikation zugrunde gelegt werden solle, oder ein neuer selbständiger Entwurf zu erstellen sei.4 Die Entscheidung fiel letztlich zugunsten eines neuen selbständigen Entwurfes aus.5 Zu dessen Ausarbeitung wurde, nachdem das von der Vorkommission erstellte Gutachten durch den Bundesrat am 22. Juni 1874 gebilligt worden war, durch den dortigen Justizausschuß am 2. Juli 1874 eine weitere Kommission - die sogenannte 1. Kommission - eingesetzt.6 Entsprechend der in dem genannten Gutachten empfohlenen Vorgehensweise hatten einzelne zu Redaktoren ernannte Mitglieder dieser Kommission unter Berücksichtigung aller in- und ausländischen Kodifikationen sowie des Gemeinen Rechts 2
Vgl. Coing/Dölemeyer, Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, 3. Bd. 2. Teilbd., S. 1577 f.; Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, S. 27 ff.; Mertens, S. 5 jeweils m. w. N. 3 Vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1578 f.; diese Vorkommission bestand aus 5 Mitgliedern: dem Rechtstheoretiker Goldschmidt sowie den Rechtspraktikern Neumayr, v. Kübel, v. Weber und Schelling, vgl. dazu auch Schubert, S. 69 f. 4 Goldschmidt hatte ein Exposé als Arbeitsgrundlage der Vorkommission angefertigt und darin die u. a. die folgenden Fragen zur Diskussion gestellt: 1. Vorhandenes Gesetz oder Projekt als Grundlage oder selbständiger Entwurf, 2. Ausarbeitung durch Kommissionen, Redaktoren oder Einzelredaktor, 3. prinzipales oder subsidiäres Gesetzbuch, 4. umfassendes Gesetzbuch des gesamten bürgerlichen Rechts oder Teilkodifikationen sowie 5. leitende Prinzipien mit Folgesätzen und Ausnahmen oder Kasuistik, vgl. Exposé vom 19.03.1874 in Schubert, S. 163 f.; vgl. auch Coing/Dölemeyer, S. 1579. 5 Vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1580. Für die Redaktion wurde eine „Verbindung von selbständiger Einzelarbeit" der Redaktoren „und zusammenfassender Gemeinarbeit" einer Kommission vorgeschlagen. Weiter sollte die neue Kodifikation einen prinzipalen Charakter aufweisen und - mit einigen Ausnahmen, wie ζ. B. dem Handelsrecht das gesamte bürgerliche Recht umfassen, wobei sie neben den leitenden Prinzipien nur die wichtigsten Ausnahmen, aber keine Kasuistik enthalten sollte. Vgl. Gutachten der Vorkommission zitiert als Gutachten nach Schubert, S. 170 ff 6 Vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1579.
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C. Die Abschaffung der lex Falcidia durch den BGB-Gesetzgeber
Teilentwürfe für die verschiedenen Rechtsgebiete des Zivilrechts - wie den Allgemeinen Teil, das Schuldrecht, das Sachenrecht, das Familienrecht und schließlich das Erbrecht - zu erstellen, die anschließend von der gesamten Kommission beraten werden sollten.7 Der aus elf Mitgliedern bestehenden 1. Kommission gehörten überwiegend Rechtspraktiker an, das heißt hohe Richter und Ministerialbeamte 8, während der Aspekt der Rechtstheorie nur durch zwei Professoren vertreten war. 9 Für den Bereich des Erbrechts übertrug die 1. Kommission die Aufgabe, einen entsprechenden Teilentwurf zu fertigen, dem bayrischen Ministerialrat und späteren Oberlandesgerichtspräsidenten Dr. Gottfried v. Schmitt und ernannte diesen zum Redaktor. 10 Bis zum Jahre 1879 hatte v. Schmitt zusammen mit den ihm von der 1. Kommission beigegebenen „Hilfsarbeitern" 11 den „Entwurf eins Rechtes der Erbfolge für das Deutsche Reich nebst „Begründung" 12 erarbeitet. Schließlich legte er, als das Erbrecht in den Jahren 1886 bis 1888 - als letztes Teilrechtsgebiet - zur Beratung kam, der 1. Kommission eine redigierte Fassung vor, die in terminologischer Hinsicht die bereits gefaßten Beschlüsse zu den anderen Rechtsgebieten aufnahm. 13 Für seinen Entwurf zog v. Schmitt die verschiedenen im Deutschen Reich sowie insbesondere in Österreich und in den einzelnen Kantonen der Schweiz geltenden Erbrechtsordnungen heran. Wie die seinem Entwurf beigefugte Begründung zeigt, setzte er sich dabei insbesondere mit dem preußischen ALR, dem österreichischen ABGB, dem sächsischen BGB und dem französischen Code civil sowie nicht zuletzt in sehr starkem Maße mit den erbrechtlichen Vorschriften des ius commune auseinander. 14 Dabei stützte er sich hinsichtlich des Gemeinen Rechts namentlich auf die Darstellungen in Windscheids „Lehrbuch des Pandektenrechts" und v. Roths Werk „Bayrisches 7
Vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1580. Vorsitzender der 1. Kommission war Pape\ bei den übrigen Mitgliedern handelte es sich um Derscheid, Gebhard, Johow, v. Kübel, Kurlbaum und Planck, vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1581; zu den einzelnen Personen vgl. auch Schubert, S. 72 f. 9 Bei den Professoren handelte es sich um Windscheid und v. Roth, vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1582. 10 Vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1585 f.; zur Biographie v. Schmitts, vgl. Mertens, S. 7 ff. 11 Es handelte sich dabei um Neubauer, Martini und v. Liebe, vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1585. 12 Zitiert als TE, sprich Teilentwurf, (Begründung). 13 Vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1585 f., Mertens, S. 14 f. 14 Vgl. Coing/Dölemeyer, S 1585.; Mertens, S. 11 f 8
I. Das Erbrecht des fünften Buches des BGB
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Civilrecht". 15 Außer den damals geltenden - oder in einzelnen Partikularstaaten projektierten - Erbrechtskodifikationen zählte daneben Friedrich Mommsens „Entwurf eines Deutschen Reichsgesetzes über das Erbrecht nebst Motiven" zu den Materialien, mit denen sich v. Schmitt in seinem Entwurf auseinandersetzte. 16 Mommsens Entwurf, der aufgrund eines Preisausschreibens der Juristischen Gesellschaft zu Berlin vom 1. März 1874 entstanden war, übte dabei einen großen Einfluß auf die Arbeit von v. Schmitt aus. 17 Aus den einzelnen Teilentwürfen der Redaktoren ging im Anschluß an die vom 1. Oktober 1881 bis zum 16. Dezember 1887 dauernden Beratungen der 1. Kommission der erste Entwurf des BGB hervor, der - versehen mit den sogenannten Motiven, die die Begründungen zu den Teilentwürfen sowie die in den Sitzungsprotokollen niedergelegten Ergebnisse der Beratungen widerspiegelten - am 5. Januar 1888 dem Justizausschuß des Bundesrates vorgelegt und auf dessen Veranlassung veröffentlicht wurde. 18 Das Vorwort zu dieser Veröffentlichung enthielt hierbei eine Aufforderung an die Allgemeinheit, - das heißt „nicht nur die Vertreter der Rechtswissenschaft und die zur Rechtspflege Berufenen, sondern auch die Vertreter wirtschaftlicher Interessen" - Bemerkungen und Vorschläge für die weitere Beratung abzugeben.19 Diese Aufforderung fand in der Öffentlichkeit ein starkes Echo. 20 Dabei sind aus der großen Anzahl der daraufhin erschienenen Schriften für den Bereich des Erbrechts insbesondere die kritischen Anmerkungen und Gegenvorschläge von v. Gierke 21 und Bähr 2 2 zu nennen. Am 4. Dezember 1890 beschloß der Bundesrat, den Entwurf des BGB einer nochmaligen Beratung zu unterziehen, und zu diesem Zweck eine neue,
15
Vgl. dazu Mertens, S. 12. Vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1586\ Mertens, S. 12. 17 Zwar hatte v. Schmitt - entsprechend der von der Vorkommission empfohlenen Vorgehensweise - einen neuen und eigenständigen Erbrechtsentwurf zu fertigen, jedoch läßt seine Arbeit in ihren Grundzügen eine weitreichende Übereinstimmung mit Mommsens Entwurf erkennen, vgl. Andres, Der Erbrechtsentwurf von Friedrich Mommsen, S. 95 ff; zur Person Mommsens vgl. Andres, S. 20 ff 18 Vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1587 ff.; zu den Beratungen der 1. Kommission, vgl. Schubert, S. 206 - 309; Mertens, S. 14 ff. m. w. N. 19 Vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1589 m. w. N. 20 Vgl. Coing/Dölemeyer, S 1589 m. w. Ν.; Mertens, S. 17 f.; vgl. dazu auch die „Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches" zitiert als Gutachtliche Äußerungen, Bd. V, Erbrecht. 21 Vgl. v. Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches und das deutsche Recht; zur Person Otto v. Gierkes, vgl. Stolleis (Hrsg.), Juristen, S. 232 ff. 22 Vgl. Bähr, ArchBürgR, Bd. 3, S. 141 ff. 16
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C. Die Abschaffung der lex Falcidia durch den BGB-Gesetzgeber
die sogenannte „Kommission für die zweite Lesung" oder 2. Kommission, zu bilden. 23 Im Zuge der Beratungen der 2. Kommission, die ihre Tätigkeit am 1. April 1891 aufnahm und bis zum 8. Februar 1891 tagte, wurde der erste Entwurf vor allem in formaler Hinsicht einer Reihe von Änderungen unterzogen, von denen auch das Erbrecht betroffen war. 2 4 In diesem Zusammenhang stieß insbesondere die Gliederung der erbrechtlichen Vorschriften des ersten Entwurfes, in welcher die Regelungen zur testamentarische Erbfolge an den Anfang gestellt worden waren, auf Ablehnung. Die Mitglieder der 2. Kommission stellten statt dessen im Abschnitt „Erbfolge" allgemeine Bestimmungen sowohl zur gesetzlichen, wie zur gewillkürten Erbfolge voran, an welchen sich der Abschnitt über die rechtliche Stellung des Erben anschloß. Erst in den darauffolgenden Abschnitten wurden die Einzelheiten im Zusammenhang mit den Testamenten und den Erbverträgen geregelt, woran sich schließlich der Abschnitt über das Pflichtteilsrecht sowie die Abschnitte zu den übrigen Aspekten des Erbrechts - wie zum Beispiel die Regelungen zum Erbverzicht anschlossen.25 Zwar wurden, wie die Protokolle der Beratungen der 2. Kommission zeigen, darüber hinaus auch inhaltliche Veränderungen vorgenommen, eine tiefgreifende materiellrechtliche Umgestaltung des ursprünglichen Erbrechtsentwurfes fand indes nicht statt. Der aus der Tätigkeit der 2. Kommission hervorgegangene Entwurf wurde am 24. Oktober 1895 dem Bundesrat zur Beratung vorgelegt und dort am 16. Januar 1896 in Gestalt einer Fassung angenommen, welche die vom Justizausschuß zum zweiten Entwurf gefaßten Beschlüsse berücksichtigte. In den daran anschließenden Beratungen des Reichstages riefen die erbrechtlichen Vorschriften des Entwurfes keine kontroverse Diskussion hervor, so daß die neue einheitliche Erbrechtsordnung, in der Gestalt, die sie in den Beratungen der 2. Kommission gefunden hatte, schließlich am 1. Juli 1896 im Rahmen der Schlußabstimmung über das BGB verabschiedet wurde. 26
23
Vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1590 ff; zur 2. Kommission, die unter dem Vorsitz des jeweiligen Staatssekretärs im Reichsjustizamt tagte, zählten 11 ständige sowie 13 nicht ständige - nach parteipolitischen sowie berufsständischen Gesichtspunkten ausgewählte - Mitglieder. Zu den einzelnen Kommissionsmitgliedern vgl. Schubert, S. 91 ff. 24 Vgl. Coing/Dölemeyer, S. 1593. 25 Vgl. dazu Mertens, S. 19 f., 39 m. w. N. 26 Vgl. Mertens, S. 20 f. m. w. N.
I. Das Erbrecht des fünften Buches des BGB
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Das gesamte Gesetzeswerk des BGB trat dann, nachdem es von Kaiser Wilhelm II. am 18. unterzeichnet und am 24. August 1896 im Reichsgesetzblatt veröffentlicht worden war, am 1. Januar 1900 in Kraft. 2 7
2. Der Charakter der Erbrechtsordnung des BGB Das im fünften Buch des BGB schließlich verwirklichte Erbrecht folgt in seiner Einteilung und der technischen Behandlung der Rechtsnachfolge von Todes wegen in wesentlichen Zügen den im Corpus iuris civilis zum Ausdruck kommenden Vorstellungen des römischen Rechts. Auch wenn hierbei einzelne Rechtsinstitute nicht auf römischrechtliche Grundlagen zurückgehen - wie beispielsweise die des Testamentsvollstreckers in den §§ 2197 ff. BGB 2 8 und des Erbvertrages in den §§ 2274 ff. BGB 2 9 und andererseits bestimmte römischrechtliche Institute hinsichtlich ihrer Form und ihres Inhalt lediglich in einer veränderten Gestalt übernommen wurden, - wie zum Beispiel das Testament, dessen Form im Verhältnis zum römischen Vorbild in den erbrechtlichen Vorschriften des BGB vereinfacht und in der Weise modifiziert wurde, daß gemäß § 1938 BGB die Anordnung einer Erbeinsetzung für dessen Wirksamkeit nicht mehr erforderlich ist 3 0 - so sind doch die grundlegenden Prinzipien des römischen Erbrechts für das BGB prägend geworden. 31 Die Erbrechtsordnung des BGB steht damit in der Tradition der am Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum entstandenen Kodifikationen, die - wie namentlich das preußische ALR und das österreichische ABGB - das aus der Rezeption hervorgegangene römische Erbrecht des ius commune zwar modifiziert, seine Grundsätze jedoch weitgehend beibehalten hatten. Dieser deutlich konservative Charakter der erbrechtlichen Vorschriften des BGB wurde maßgeblich bereits durch die im Gutachten der Vorkommission empfohlene Art und Weise des Vorgehens bedingt, nach welcher sich der Redaktor v. Schmitt bei der Ausarbeitung seines Erbrechtsentwurfes zu rich27
Vgl .Coing/Dölemeyer, S. 1596. Vgl. Lange/Kuchinke, Erbrecht, S. 625. 29 Vgl. Lange/Kuchinke, S. 321; wie schon beim Testamentsvollstrecker handelt es sich beim Rechtsinstitut des Erb Vertrages um eine Schöpfung des Mittelalters, vgl. Coing , Europäisches Privatrecht, Bd. I, S. 587 ff., 597 ff. 30 Vgl. Lange/Kuchinke, S. 319 Fn. 24. 31 Insbesondere der Vorrang der gewillkürten Erbfolge und damit des Erblasserwillens, vgl. Lange/Kuchinke, S. 7 f 28
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C. Die Abschaffung der lex Falcidia durch den BGB-Gesetzgeber
ten hatte, der die Grundlage der weiteren Beratungen darstellte und letzten Endes in der Erbrechtsordnung des BGB seinen Niederschlag fand. Zwar sollte der BGB-Gesetzgeber entsprechend den Vorstellungen der Vorkommission im Bereich des Erbrechts - wie auch in den übrigen Teilrechtsgebieten des zu schaffenden BGB - einen neuen, zeitgemäßen Entwurf anstreben, in welchem die „den Verhältnissen der Gegenwart entsprechenden Rechtsprinzipien" 32 zur Geltung kommen sollten. Jedoch geschah dies - wie es im Gutachten formuliert wurde - unter „schonender Rücksicht auf das überlieferte Recht und eigenthümliche örtliche Verhältnisse" 33 , denn „an den bewährten gemeinschaftlichen Instituten und Sätzen der innerhalb des Deutschen Reiches bestehenden Civilrechtsystemen" 34 sollte festgehalten werden. Zu diesen „bewährten gemeinschaftlichen Instituten", die v. Schmitt dementsprechend in seinen Erbrechtsentwurf aufnahm, zählte dabei an allererster Stelle das dem römischen Erbrecht entstammende Prinzip der Testierfreiheit, welches dem Erblasser das Recht einräumte, über sein Vermögen sowohl durch Einsetzung von Erben, als auch im Wege der Anordnung von Zuwendungen ohne entsprechende Erbeinsetzung - sprich in Gestalt von Vermächtnissen - letztwillig zu verfugen. Der Erbrechtsentwurf des Redaktors Schloß sich in dieser Hinsicht der Konzeption des Gemeinen Rechts und den darauf gründenden Erbrechtsordnungen des preußischen ALR und des österreichischen ABGB an. Eine - vom Willen des Erblassers unabhängige - Familienerbfolge im Sinne des ursprünglichen, germanischen Erbrechts, wie sie im 19. Jahrhundert in der Rechtsphilosophie Hegels und seiner Schüler propagiert 35 und in eingeschränktem Maße im französischen Code civil 3 6 verwirklicht worden war, der dem Erblasser das Recht, letztwillig zu verfügen, nur hinsichtlich eines Teils des Nachlasses zugestand, während der überwiegende Anteil von Gesetzes wegen an die Familienangehörigen fiel, lehnte v. Schmitt ab. 37 Für ihn war die im Grundsatz der Testierfreiheit zum Ausdruck kommende römischrechtliche Vorstellung von der „individuellen, selbst über das Leben hinaus wirksamen Willensherrschaft" ein unverzichtbares Merkmal einer privatrecht-
32
Vgl. Gutachten nach Schubert, S. 170. Vgl. Gutachten nach Schubert, S. 170. 34 Vgl. Gutachten nach Schubert, S. 170. 35 Vgl. TE (Begründung), S. 48 m. w. N.; vgl. dazu auch Mertens, sowie die Darstellung bei Tschäppeler, Die Testierfreiheit, S. 49 ff 36 Vgl. TE (Begründung), S. 43 ff. m. w. Ν 37 Vgl. TE (Begründung), S. 51 f 33
S. 32 m. w. N.;
I. Das Erbrecht des fünften Buches des BGB
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liehen Erbrechtsordnung 38, wie sie das Erbrecht des BGB verkörpern sollte wenn nicht gar ein naturrechtliches Prinzip, wie es nicht zuletzt die Verfasser des preußischen ALR angenommen hatten. 39 Dementsprechend stellte er für den von ihm erarbeiteten Erbrechtsentwurf den Doppelgrundsatz auf: 40 „Jedem steht das Recht zu, von Todes wegen über sein Vermögen zu verfugen, und der eingesetzte Erbe ist, soweit die Einsetzung reicht, vor Anderen zur Nachfolge berufen." Diese Grundprinzipien der zu schaffenden Erbrechtsordnung des BGB erfuhren in den Beratungen der 1. Kommission breite Zustimmung und fanden auf diese Weise Eingang in den 1. Entwurf. Allerdings ließ sich die 1. Kommission zur Begründung der Vorrangstellung der Erbfolge nach dem Willen des Erblassers gegenüber der gesetzlichen Erbfolge der Angehörigen in stärkerem Maße, als v. Schmitt dies getan hatte, von rechtspraktischen Überlegungen leiten. Eröffnete das Recht zur testamentarischen Erbenberufung doch dem Erblasser eine Möglichkeit, der Zersplitterung des Vermögens und Streitigkeiten bei der Erbteilung vorzubeugen, die im Falle der gesetzlichen Erbfolge aller Familienangehörigen nicht zu umgehen wären 4 1 Zwar fand der Erbrechtsentwurf nach seiner Fertigstellung eine größere Zustimmung in der Öffentlichkeit als der 1. Entwurf zu den übrigen Teilrechtsgebieten. 42 Jedoch kritisierte namentlich v. Gierke dessen - seiner Auffassung nach - zu enge Anlehnung an das römische Recht und die mangelnde Berücksichtigung deutschrechtlicher Vorstellungen, die zu einer
38
Im TE (Begründung), S. 52, formulierte es v. Schmitt so: „Alles Privatrecht beruht auf der Herrschaft des Individuums. Soll das Erbrecht einen privatrechtlichen Charakter bewahren, so muß es diesem Zuge folgen." Im übrigen verkannte v. Schmitt hierbei die Bedeutung des Erbrechts für die Institution der Familie nicht, denn er schrieb S. 55: „Was endlich von der größten Bedeutung sein muß, ist der Zusammenhalt der Familie. Den Schwerpunkt derselben indes in die absolute unbeschränkte Gleichberechtigung der Familienglieder und die Beschränkung des Familienhauptes zu legen, ist sicherlich und nach aller Erfahrung der beste Weg nicht. Die in der Testierfreiheit enthaltene Stärkung der Autorität verbürgt mehr als alles andere eine gedeihliche Entwicklung der Gegenwart, wie der künftigen Generationen." 39 Vgl. TE (Begründung), S. 47 f.; Mertens, S. 31 f. m. w. N.; hinsichtlich der naturrechtlichen Theorien zur Rechtfertigung der Testierfreiheit, vgl. auch Tschäppeler, S. 26 ff. 40 Vgl. TE (Begründung), S. 55. 41 Diese Einschätzung der 1. Kommission wird besonders bei der Diskussion um die Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts deutlich, vgl. Motive, Bd. V, S. 387. 42 Vgl. Mertens, S. 17 m. w. Ν 4 Hennig
50
C. Die Abschaffung der lex Falcidia durch den BGB-Gesetzgeber
Überbetonung des individualistischen Charakters geführt habe, der nichts vom sozialen Wesen des Erbrechts spüren lasse.43 In diesem Zusammenhang lehnte v. Gierke insbesondere die Konzeption des Entwurfes ab, welche den Vorschriften über die testamentarische Erbfolge im Verhältnis zur gesetzlichen Familienerbfolge den Vorrang eingeräumt hatte. Nach der Vorstellung v. Gierkes, sei es die soziale Aufgabe und innere Berechtigung des Erbrechts, eine dem Aufbau der Familie entsprechende Aufeinanderfolge der Generationen sicherzustellen. Die Testierfreiheit stelle dabei lediglich ein Mittel dar, die Familienerbfolge ausnahmsweise abzuändern, um in besonders gelagerten Einzelfallen Unbilligkeiten zu vermeiden. 44 Die 2. Kommission veränderte - wie bereits angesprochen - formal die Stoffordnung des Erbrechtsentwurfes, indem sie die gesetzliche Verwandtenerbfolge an den Anfang des Gesetzes stellte. Den Charakter der von v. Schmitt entworfenen Erbrechtsordnung, welche der Freiheit des Einzelnen, letztwillig über sein Vermögen verfügen zu können, und damit der Verwirklichung des Erblasserwillens inhaltlich den Vorrang eingeräumt hatte, änderte sie indes nicht. 45
II. Die Gründe für die Abschaffung der lex Falcidia 1. Die Begründung der 1. Kommission Nachdem die 1. Kommission im Anschluß an den Teilentwurf des Redaktors v. Schmitt den Grundsatz der Testierfreiheit und damit das Recht des Erblassers, über sein Vermögen nach seinen Vorstellungen verfugen zu können, zum Kernprinzip der zu schaffenden Erbrechtsordnung des BGB erhoben hatte, mußte sie konsequenterweise allen Rechtsinstituten, die im Ergebnis bestimmten Personengruppen von Gesetzes wegen, grundsätzlich unabhängig von einem entsprechenden Erblasserwillen einen Anteil des Nachlasses garantierten und dadurch insoweit die Testierfreiheit des Erblassers letzten Endes einschränkten, skeptisch gegenüberstehen. Diese skeptische Haltung der 1. Kommission läßt sich zwar sowohl hinsichtlich des Pflichtteilsrechts der allernächsten Angehörigen, 46 als auch im Hinblick auf die lex Falcidia beobachten, gleichwohl fand das Rechtsinstitut 43
Vgl. v. Gierke, S. 505, vgl. dazu auch Mertens, S. 38. Vgl. v. Gierke , S. 507; vgl. dazu auch Mertens, S. 38. 45 Vgl. Mertens, S. 39 m. w. Ν 46 Vgl. zu dieser kritischen Haltung gegenüber dem Pflichtteilsrecht TE (Begründung), S. 57 f.; Motive, Bd. V, S. 382. 44
Π. Die Gründe für die Abschaffung der lex Falcidia
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des Pflichtteils Eingang in die neugeschaffene Erbrechtsordnung, während die falcidische Quart mit dem Inkrafttreten des BGB verschwand. Diese unterschiedliche Behandlung der beiden Rechtsinstitute beruhte sicherlich zum einen darauf, daß das Pflichtteilsrecht zum Kreis der „bewährten gemeinschaftlichen Institute" gehörte, deren Erhaltung sich der BGBGesetzgeber sich zum Ziel gesetzt hatte. Zählte das Recht der allernächsten Angehörigen, also insbesondere der Abkömmlinge des Erblassers, auf einen bestimmten Anteil des Nachlasses - entweder in Gestalt eines Pflichtteilsrechts, welches den Berechtigten hinsichtlich des Nachlasses einen bloßen Geldanspruch verschaffte, oder in der Form eines Noterbrechtes - doch zu den Prinzipien, die allen in Deutschland geltenden Erbrechtsordnungen angefangen beim ius commune bis hin zum Code civil eigentümlich waren. 47 Im Gegensatz dazu war die lex Falcidia nicht allen Erbrechtsordnungen gemein. Vielmehr hatten - wie bereits dargestellt - fast alle neueren Erbrechtsordnungen, angefangen beim preußischen ALR, über das österreichische ABGB und den französischen Code civil, bis hin zum sächsische Bürgerlichen Gesetzbuch auf das Rechtsinstitut der falcidischen Quart verzichtet, während es lediglich in einem Teil der älteren gemeinrechtlichen Kodifikationen, wie zum Beispiel dem bayrischen Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, bis ins 19. Jahrhundert hinein Geltung beanspruchen konnte. Bereits aus diesem Grunde mußte eine Übernahme der lex Falcidia in die Erbrechtskodifikation des fünften Buches des BGB, mit welcher entsprechend den im Gutachten der Vorkommission aufgestellten Grundsätzen eine Rechtsvereinheitlichung unter weitestgehender Beibehaltung des in Deutschland geltenden Rechts angestrebt wurde, bedenklich erscheinen. Der entscheidende Grund für die unterschiedliche Behandlung der beiden Rechtsinstitute des Pflichtteils und der falcidische Quart ist jedoch in erster Linie in den Rechtsinstituten selbst zu suchen. Denn während die Gewährung eines Pflichtteils und die dadurch bedingte Einschränkung der Testierfreiheit letztlich in der familiären Bindung des Erblassers auch die inhaltliche Rechtfertigung fand, 48 so konnte dies, nach der Auffassung des Redaktors v. Schmitt sowie der übrigen Mitglieder der 1. Kommission, für die lex Falcidia nicht gelten. Beinhaltete die überkommene Regelung der falcidischen Quart nach der in der Begründung seines Teilentwurfes zum Ausdruck kommenden Auffassung des Redaktors v. Schmitt doch inhaltliche Aspekte, die sowohl in rechtssystematischer, als auch in rechtspraktischer Hinsicht gegen eine Auf47
Vgl. die Übersicht über die Erbrechtsordnungen, welche Pflichtteils-, bzw. Noterbrechte beinhalteten in TE (Begründung), S. 645 ff. 48 Vgl. dazu nur die Ausführungen im TE (Begründung), S. 653 ff ; Motive, Bd. V, S. 7 u. 382 ff 4*
52
C. Die Abschaffung der lex Falcidia durch den BGB-Gesetzgeber
nähme der lex Falcidia in den Kreis der erbrechtlichen Vorschriften des BGB sprachen. 49 In diesem Zusammenhang übernahm v. Schmitt in den wesentlichen Zügen eine Argumentation, mit welcher zuvor bereits Mommsen im „Entwurf eines Deutschen Reichsgesetzes über des Erbrecht" von 1876 seine Entscheidung, auf das Rechtsinstitut der falcidischen Quart zu verzichten, begründet hatte. 50 In den Beratungen, die der Erstellung des ersten Entwurfes zum BGB vorangingen, machte sich die 1. Kommission die Entscheidung v. Schmitts zu eigen und rechtfertigte diese - unter weitestgehender Beibehaltung der dem Teilentwurf des Redaktors beigegebene Begründung - in den Motiven zu den §§ 1881, 1882 des 1. Entwurfes folgendermaßen: 51 „Das gemeine Recht sichert den beschwerten Erben und Universalfideikommissar gegen Ueberschwerung und schreibt überdies vor, daß ihm noch die sog. Falzidische oder Trebellianische Quart verbleiben muß. Ihm folgen noch die älteren Gesetzgebungen. Von den neueren Rechten ist das Institut aufgegeben. Der Entwurf folgt den neueren Rechten. Nicht zu verkennen ist, daß eine gewisse Billigkeit dafür spricht, dem beschwerten Erben etwas zu hinterlassen, und daß durch Vorschriften solchen Inhalts die Fälle der Ausschlagung vermindert werden. Allein gegen das Institut spricht vor Allem, daß der Zwang gegen den Erblasser der inneren Rechtfertigung entbehrt. Das gemeine Recht schließt die Quart bei dem Soldatentestamente aus und gestattet dem Erblasser, den Abzug zu verbieten, macht auch den Abzug von der Inventarerrichtung abhängig. Die Schwierigkeiten der Regelung - bekanntlich ist dieses Institut eines der an Streitfragen reichsten - in Verbindung mit dem Umstände, daß auch da, wo dasselbe nicht gilt, der Fall der Ausschlagung nicht gerade häufig ist, und mit dem weiteren Umstände, daß nach dem Entwürfe das Vermächtnis in seiner Wirksamkeit nicht von dem Erwerbe seitens des Beschwerten abhängig ist, läßt die Beseitigung wünschenswerth und nicht bedenklich erscheinen.ct Nach dieser Argumentation stellte die lex Falcidia eine nicht rechtfertigende Einschränkung des im Erbrecht des BGB verwirklichten Prinzips Testierfreiheit dar, welches dem Erblasser das Recht einräumt, über sein Vermögen von Todes wegen nach eigenen Vorstellungen zu verfugen.
4y
Vgl. TE (Begründung), S. 312 f. Mommsen, Entwurf eines Deutschen Reichsgesetzes über das Erbrecht nebst Motiven, S. 393 f. 51 Vgl. Motive, Bd. V, S. 204 f. 50
Π. Die Gründe für die Abschaffung der lex Falcidia
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2. Die Aufnahme der Entscheidung der 1. Kommission Nachdem der erste Entwurf zum BGB im Jahre 1888 veröffentlicht worden war, rief die Entscheidung der 1. Kommission, das Rechtsinstitut der falcidischen Quart nicht in den Kreis der Vorschriften des fünften Buches des BGB aufzunehmen, im Kreise der Öffentlichkeit nahezu keinen Widerspruch hervor. Allein Bähr äußerte an der Abschaffung der lex Falcidia Kritik. 5 2 Ohne dabei auf die in den Motiven zugunsten der Abschaffung des Rechtsinstituts vorgebrachten Argumente im einzelnen einzugehen, sprach er sich unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit für die Aufnahme einer der lex Falcidia entsprechenden Regelung in die Erbrechtsordnung des BGB aus und begründete dies in folgender Weise: 53 „Der rechtfertigende Grund für eine Vorschrift dieser Art liegt nicht bloß darin, daß sonst leicht Ausschlagungen von Erbschaften zu gewärtigen sind, sondern vor allem auch darin, daß es als ein Hohn gegen den Erben erscheint, wenn man ihm die Aufwendung von Mühen und Übernahme von Gefahren im Interesse der Erbschaft zumuthet, gleichzeitig aber ihn nöthigt, auf jeden Vortheil aus der Erbschaft zu verzichten und diese ganz wieder an Andere herauszugeben." Ob der Anteil der Erbschaft, der dem Erben im Verhältnis zu den vom Erblasser letztwillig angeordneten Vermächtnissen unbeschwert erhalten zu bleiben hatte, wie in der ursprünglichen Regelung der lex Falcidia , ein Viertel betragen, oder, wie im Züricher Gesetzbuch aus dem Jahre 1855, lediglich ein Zehntel des Nachlasses ausmachen sollte, ließ Bähr in diesem Zusammenhang allerdings offen. 54 Die kritischen Äußerungen Bährs fanden jedoch in den nachfolgenden Beratungen der 2. Kommission keine Resonanz. Tatsächlich wurde die Entscheidung der 1. Kommission dort - wie die Protokolle zu den §§ 1881, 1882
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Vgl. Bähr, ArchBürgR, Bd. 3, S. 172; vgl. dazu auch „Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches", Bd. V, S. 37. 53 Vgl. Bähr. 54 Bähr verweist im Zusammenhang mit der auf ein Zehntel reduzierten falcidischen „