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German Pages 260 [274] Year 2019
Herbergen der Christenheit Sonderband 25
Herbergen der Christenheit Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte Herausgeber und Redaktionsbeirat: Markus Hein mit Michael Beyer, Volker Gummelt, Wolfgang Krogel, Martina Scholz, Susanne Böhm und Christoph Werner Sonderband 25
Die Leipziger Disputation von 1519 Ein theologisches Streitgespräch und seine Bedeutung für die frühe Reformation
Herausgegeben von Markus Hein und Armin Kohnle
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
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Inhalt
7 Vorwort 9 Irene Dingel Die Leipziger Disputation 1519 in ihrem historischen Kontext Verfahren – Realisierung – Wirkung
25 Armin Kohnle Die Leipziger Disputation und ihre Bedeutung für die frühe Reformation 47 Markus Hein Die Leipziger Disputation in der Forschung 61 Christian Winter Die Protokolle der Leipziger Disputation 73 Axel Noack Der Ort der Disputation – die Pleißenburg 85 Enno Bünz Territorium – Stadt – Universität Das Umfeld der Leipziger Disputation 1519
109 Heiko Jadatz Herzog Georg von Sachsen und die Leipziger Disputation 125 Helmar Junghans† Martin Luther und die Leipziger Disputation 135 Stefania Salvadori Andreas Bodenstein von Karlstadt und die Leipziger Disputation 159 Johann Peter Wurm Johannes Eck und die Disputation von Leipzig 1519 Vorgeschichte und unmittelbare Folgen
175 Markus Cottin Das Bistum Merseburg zur Zeit der Leipziger Disputation 187 Volker Leppin Papst, Konzil und Kirchenväter Die Autoritätenfrage in der Leipziger Disputation 197 Michael Beyer Luthers Erinnerungen an die Leipziger Disputation Christoph Volkmar 205 Von der Wahrnehmun des Neuen Die Leipziger Disputation in den Augen der Zeitgenossen
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219 Doreen Zerbe Bilder der Leipziger Disputation 237 Christoph Münchow Die Leipziger Disputation und die Ökumene heute
256 Autorenverzeichnis 257 Abbildungsverzeichnis 260 Abkürzungsverzeichnis 262 Personenregister
Vorwort
Vorwort
Am 27. Juni 2019 jährt sich der Beginn der Leipziger Disputation zum 500. Mal. Das Streitgespräch zwischen Martin Luther, Andreas Bodenstein von Karlstadt und Johannes Eck, das im Sommer 1519 in der Hofstube der herzoglichen Burg zu Leipzig durchgeführt wurde, war eine Etappe in der frühen Reformationsgeschichte. Luther wurde sich seiner Distanz zur spätmittelalterlichen, im Papsttum gipfelnden römischen Kirche in Leipzig erst richtig bewusst. Sein Gegner Johannes Eck war nach Leipzig erst recht überzeugt, in Luther einen hussitischen Ketzer entlarvt zu haben, den man aus der Kirche ausschließen musste. Dafür setzte er sich in den Monaten nach Beendigung der Disputation mit aller Kraft ein. Ob ein solches Ereignis, das eher für Entfremdung als für Annäherung steht, ein Anlass zum Feiern ist, steht dahin. Wer kein Jubiläum begehen will, wird aber zumindest zugeben müssen, dass die knapp drei Wochen, die man in Leipzig mit dem Austausch von Argumenten verbrachte, für die Entwicklung von Luthers Denken über die Kirche und für den Verlauf der frühen Reformationsgeschichte einen solch hohen Stellenwert haben, dass sie nicht vergessen werden dürfen. Seit Mai 2017 erinnert die Stadt Leipzig an der Ostseite des Neuen Rathauses mit Portraitplaketten Martin Luthers und Johannes Ecks sowie mit einem erläuternden Schriftband an den Ort und die Bedeutung der Disputation.1 Im selben Jahr wurde
Abb. 1: Erinnerungsort zur Leipziger Disputation am Neuen Rathaus (siehe auch unten S. 60) 1 Vgl. die entsprechende Mitteilung der Stadt Leipzig vom 8. Mai 2017: https://www.leipzig. de/news/news/erinnerungsort-an-die-leipziger-disputation-1519-wird-enthuellt/ (abgerufen am 6.4.2019); dort auch eine Abbildung der Portraitplakette Martin Luthers und der Text des Schriftbands. Vgl. auch: Gedenktafeln für »Leipziger Disputation« am Neuen Rathaus angebracht. Leipziger Volkszeitung vom 12. Mai 2017 (http://www.lvz.de/Leipzig/ Lokales/Gedenktafeln-fuer-Leipziger-Disputation-am-Neuen-Rathaus-angebracht 7).
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Vorwort
im Nordflügel des Alten Rathauses eine Ausstellung zur Leipziger Disputation eröffnet.2 Hat die Disputation in der Erinnerungskultur der Stadt Leipzig damit ihren Platz gefunden, sind wissenschaftliche Untersuchungen nach wie vor selten. 2009, zehn Jahre vor dem runden Jubiläum, fand deshalb im Ratsplenarsaal des Neuen Rathauses ein Arbeitsgespräch von Historikern unterschiedlicher Disziplinen statt, um eine solide Basis für eine neue Beschäftigung mit der Disputation zu legen. Die Ergebnisse dieses Arbeitsgesprächs wurden in einem Band dokumentiert, der seither zum Referenzwerk für die Thematik geworden ist.3 Dieser Band ist jedoch seit längerem vergriffen. Deshalb entschlossen sich die Herausgeber zu einer Neuausgabe des Bandes von 2011 unter leicht verändertem Titel. Obwohl sich die Forschungslage inzwischen kaum geändert hat, kam ein bloßer Wiederabdruck nicht in Frage. Lücken, die damals bleiben mussten, sollten unbedingt geschlossen werden. Als besonders schmerzlich wurde das Fehlen eines Beitrags zur Rolle Karlstadts während der Disputation empfunden. Inzwischen wird an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen jedoch die kritische Gesamtausgabe der Schriften und Briefe Karlstadts erarbeitet, die in Band 2 der gedruckten Version auch die Texte zur Leipziger Disputation enthalten wird.4 Die Bearbeiterin, Stefania Salvadori, hat sich dankenswerter Weise bereit erklärt, für den vorliegenden Band einen Beitrag zu Karlstadt beizusteuern. Eine Fehlstelle war im Jahr 2011 auch ein Beitrag zum Disputationswesen um 1500. Für die Neuausgabe ist es gelungen, mit dem Beitrag von Irene Dingel auch diese wichtige Thematik abzudecken. Beiden Verfasserinnen sei an dieser Stelle herzlicher Dank gesagt. Unser Dank gilt aber auch den Beiträgerinnen und Beiträgern, die schon am Arbeitsgespräch von 2009 teilgenommen und ihre Referate für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hatten. Sie alle waren bereit, ihre damaligen Aufsätze noch einmal durchzusehen und zum Teil erheblich zu überarbeiten. Für Druckkostenzuschüsse danken wir der Arbeitsgemeinschaft für Sächsische Kirchengeschichte und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Der Beirat der Herbergen der Christenheit hat der Aufnahme des Bandes in die Reihe der Sonderbände zugestimmt. Auch dafür sagen wir herzlichen Dank. Leipzig, im Juni 2019
die Herausgeber
2 Luther im Disput: Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig/ hrsg. von Volker Rodekamp. Leipzig 2017. 3 Die Leipziger Disputation 1519: 1. Leipziger Arbeitsgespräch zur Reformation/ hrsg. von Markus Hein und Armin Kohnle (HCh Sonderband; 18), Leipzig 2011. 4 https://adw-goe.de/forschung/weitere-forschungsprojekte/karlstadt-edition/; https:// karlstadt-edition.org.
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Die Leipziger Disputation 1519 in ihrem historischen Kontext
Die Leipziger Disputation 1519 in ihrem historischen Kontext Verfahren – Realisierung – Wirkung Von Irene Dingel
Vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit hinein war die Disputation1 die wichtigste Art des akademischen Diskurses an den Universitäten.2 Formen und Verfahrensweisen des Disputationswesens jedoch waren vielfältig. Neben disziplinären und regional-institutionellen Varianten existierten funktionale Unterschiede. Dies zeigt sich z.B. in dem Nebeneinander von Disputationen, die ihren Ort im universitären Lehrbetrieb hatten, und solchen, die die Möglichkeit freier Themenwahl boten. Erst im Zuge des 17. Jahrhunderts entstanden Disputationshandbücher, die eine umfassende Normierung von Verfahren und Methodik in Gang setzten. Die in der disputatio ursprünglich angelegte Variationsbreite aber begünstigte eine Weiterentwicklung, die auch die nicht-akademische Öffentlichkeit einbezog, bis hin zur kommunikativen Form des Religionsgesprächs, die sich im 16. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute. Zwar hatte es auch im Mittelalter eine vergleichbare Art des Argumentenaustauschs gegeben, aber im Zeitalter der Reformation gewann die »Disputation«, das »Kolloquium« bzw. das Religionsgespräch als innerchristliches Phänomen eine neue Dimension.3 Denn den Beteiligten ging es im Allgemeinen um zweierlei: Wahrheitsfindung und Definition eines religiösen Grundkonsenses. Nie zuvor hatte man so große Erwartungen und Hoffnungen in Formen von disputativer Auseinandersetzung und Gespräch gesetzt wie in der Frühen Neuzeit. Man kann zu Recht die Frage stellen, ob diese Hoffnungen nicht letzten Endes stets enttäuscht wurden. Tatsache aber ist, dass im 16. Jahrhundert der Disputatio und allen von ihr abgeleiteten Gesprächsformen als Motor für interne und öffentliche Meinungsbildung ein nicht zu unterschätzender Stellenwert zukam. Dahinter steht eine Entwicklung, die vom Lehrformat spätmittelalterlicher Universitäten bis hin zu einem entscheidenden Paradigmenwechsel in der Leipziger Disputation von 1519 reichte 1 Die folgenden Ausführungen sind vor allem in der Einleitung sowie den Abschnitten I bis II deckungsgleich mit meinem Beitrag Irene Dingel: Von der Disputation zum Gespräch. LuJ 85 (2018), 61-84. Abschnitt III ist in seiner Fokussierung auf die Leipziger Disputation neu gefasst. Hier finden sich nur gelegentliche Parallelen. 2 Das Genre selbst kann bis in die griechische Antike zurückverfolgt werden, so Olga Weijers: In Search of the Truth: A History of Disputation Techniques from Antiquity to Early Modern Times (Studies of the Faculty of Arts: History and Influence; 1). Turnhout 2013, 22. 3 Zu den mittelalterlichen Religionsgesprächen zwischen Islam und Christentum sowie Judentum und Christentum und deren spezifisch anderer Ausrichtung vgl. Jacques Waardenburg: Art. Religionsgespräche II. Muslimisch christlich (TRE 28 [1997], 640-648); Ora Limor: Art. Religionsgespräche III. Jüdisch-christlich (TRE 28 [1997], 649-654).
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und schließlich dem späteren reichspolitischen Instrument des Religionsgesprächs den Weg ebnete. Dieser Beitrag versucht, diese Entwicklung zu skizzieren und dabei die ars disputandi in den Mittelpunkt zu stellen. Er beginnt mit einer kurzen Orientierung über die Disputation als Form des akademischen Diskurses, fährt fort mit einigen Überlegungen zu Verfahren und Ziel der Disputation und wendet sich dann dem in der Leipziger Disputation sich vollziehenden Wechsel zu, der auf reformatorischer Seite dazu führte, dass man die für akademische Disputationen typische syllogistische Argumentationsweise – vorübergehend4 – außer Kraft setzte. I Die Disputation als Form des akademischen Diskurses Die Disputation gilt unbestritten als »Leitmedium universitärer Wissenskultur«5 schlechthin. Neben der Vorlesung war sie die »zweite, entscheidende Form der Vermittlung akademischer Lehre«.6 Bereits seit dem Mittelalter waren die Unterrichtsformen disputatio und lectio an Hohen Schulen und Universitäten verbreitet. Bis heute werden sie im universitären Betrieb gepflegt, allerdings in abgewandelter Form.7 Was die Vorlesung angeht, so sind Kontinuität und Wandel offensichtlich; anders verhält es sich bei der Disputation. Hier erschließen sich die Kontinuitäten erst bei genauerer Betrachtung. Im engen Sinne begegnet sie heute nur noch in der Promotionsdisputation, in einem weiteren Sinne aber durchaus auch im Seminargespräch, das sich an Referat und evtl. Korreferat anschließt, die verhandelten Themen vertieft und Problemstellungen einer Lösung zuführt. Unter dieser Perspektive sind die Kontinuitäten der Lehrformate größer als man es vermutet haben mag, denn auch in Mittelalter und Früher Neuzeit bewegte sich die Disputation in ähnlich 4 Schon gegen Ende des 16. Jahrhunderts begann eine Wiederbelebung des Syllogismus auch im evangelischen Raum. In der von Kurfürst August von Sachsen im Jahre 1580 erlassenen Universitätsordnung für die Leucorea findet sich z.B. eine Ermahnung an die Professoren, dass sie »ihre discipulos mit fleis vermanen / das sie nicht in den Disputationibus predigen / sondern alle ihre argumenta in forma Syllogismi oder Enthymematis [= Argumenten] vorbringen …«. Zit. nach Kenneth G. Appold: Orthodoxie als Konsensbildung: das theologische Disputationswesen an der Universität Wittenberg zwischen 1570 und 1710 (BHTh 127). Tübingen 2004, 29. 5 So im Titel eines von Gindhart und Kundert herausgegebenen Sammelbands; vgl. Disputatio 1200-1800: Form, Funktion und Wirkung eines Leitmediums universitärer Wissenskultur (Trends in Medieval Philology 20)/ hrsg. von Marion Gindhart und Ursula Kundert. Berlin 2010. 6 So Marcel Nieden: Die Erfindung des Theologen: Wittenberger Anweisungen zum Theologiestudium im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung (SuR NR; 28). Tübingen 2006, 53. 7 Vgl. Hanspeter Marti: Kommunikationsnormen der Disputation: die Universität Halle und Christian Thomasius als Paradigmen des Wandels. In: Kultur der Kommunikation: die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter von Leibniz und Lessing/ hrsg. von Ulrich Johannes Schneider (Wolfenbütteler Forschungen; 109). Wiesbaden 2005, 318.
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Die Leipziger Disputation 1519 in ihrem historischen Kontext
weiten Realisierungsspielräumen. Rhetorische und wissenschaftsgeschichtliche Forschungen haben aufgezeigt, dass die Disputation als pädagogisches Medium, als Lehrmethode, als Forschungszugang und Übung zugleich dienen konnte. Sie war daher für den akademischen Unterricht nicht nur zentral, sondern auch universal einsetzbar. In der Vielfalt ihrer Typen war die Disputation in der Universität regelrecht ubiquitär.8 Aus dem 13. Jahrhundert ist eine Definition belegt, die die distinktiven Kriterien der Disputation umreißt. Sie stammt von dem Logiker Petrus Hispanus. Im 6. Traktat seiner Summulae Logicales, einem Kompendium der Logik, dessen Bestandteile er um 1240 verfasst hatte, führte er aus: »Die Disputation ist eine syllogistische Handlung des einen gegenüber dem anderen zum Zweck des Beweises einer Behauptung. Nun ist aber zu einer Disputation fünferlei erforderlich: jener, von dem die Handlung des Disputierens ausgeht, nämlich der Opponent, sodann derjenige, auf den die Handlung des Disputierens gerichtet ist, nämlich der Respondent, ferner die Behauptung selbst, über die disputiert wird, ebenso die Handlung des Disputierens selbst, schließlich das Werkzeug der Disputation.«9
Die so abgesteckten Koordinaten, zu denen die Akteure, Opponent und Respondent, die zu verhandelnde These, d.h. die propositio, schließlich das Verfahren und die Methodik, nämlich das syllogistische Argumentieren, gehörten, gewähren einen Blick auf die Disputation in »Reinkultur« bzw. auf die ideale Form. Der aktivere Part kam offenbar dem Opponenten zu, der die vom Respondenten zu verteidigende Behauptung mit Hilfe rhetorischer Technik auf den Prüfstand stellte, in Zweifel zu ziehen und zu widerlegen suchte. Ursprünglich entfaltete sich die ars disputandi im Überschneidungsbereich von Logik und Rhetorik. Aber durch die allmähliche Herausbildung von Regeln und Normen emanzipierte sich diese »Kunst« im Laufe der Zeit von diesen beiden Disziplinen und errang einen selbstständigen Stellenwert. Dieser Entwicklungsprozess erreichte im 17. Jahrhundert im Zuge der Wiederaufnahme der Aristotelischen Logik in Schulen und Universitäten seinen Höhepunkt, und zwar mit dem Erscheinen von Lehr- und Handbüchern zur Disputierkunst und -theorie. Unter den Autoren befinden sich u.a. die Theologen Johann Conrad Dannhauer und Abraham Calov mit ihren Werken »Idea boni disputatoris«, Straßburg 1629, und »De methodo docendi et disputandi«, Rostock 1637.10 Das Handbuch 8 Vgl. Weijers: In Search of the Truth (wie Anm. 2), 119-147. 9 »Disputatio est actus sillogisticus unius ad alterum ad propositum ostendendum. Cum autem ad disputationem quinque exigantur, – scilicet ille a quo est actus disputandi, scilicet opponens, et ille ad quem est actus disputandi, scilicet respondens, et ipsum propositum de quo disputatur, et ipse actus disputandi, et instrumentum disputationis […]«, Petrus Hispanus: Summulae Logicales cum Versorii Parisiensis Clarissmia Expositione (Repr. der Ausg. Venedig 1572). Hildesheim 1981, VII,1, 89. Die Übersetzung findet sich in: Petrus Hispanus: Logische Abhandlungen: Tractatus / Summulae Logicales/ aus dem Lateinischen von Wolfgang Degen und Bernhard Pabst. München 2006, 109. 10 Vgl. Idea Boni Disputatoris Et Malitiosi Sophistae: Exhibens Artificium, Non Solum Rite Et stratagematice disputandi; sed fontes solutionum aperiens, e quibus quodvis spinosissimum
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Dannhauers scheint besonders einflussreich geworden zu sein. Hier wurde nicht nur eine lange akademische Praxis kodifiziert, sondern auch eine Parallele zwischen dem Verfahren der Disputation und rechtlich-gerichtlichen Verhandlungen aufgezeigt. Auch Calov griff dies auf. Jetzt wurde festgeschrieben, was lange Praxis war, nämlich dass der Opponent die Beweislast zu tragen habe; der Respondent lediglich die Argumente des Opponenten auflösen müsse, indem er aufzuzeigen habe, dass die Dinge auch anders sein könnten. Man legte auch fest, dass zuvor ein Beweisstandard zu definieren sei, dem der Opponent gerecht zu werden habe und legte in einem status controversiae Inhalte und anzuwendende Prinzipien dar.11 Damit begann die Normierung des Disputationsverfahrens. Bis dahin aber war die Disputatio eine freie Form, die allen Beteiligten große Gestaltungsspielräume ließ. Angesichts dieser komplexen und schwer zu greifenden Sachlage sind die Forschungen zum Disputationswesen nach wie vor relativ begrenzt. Im Jahre 2005 stellte der Germanist und Mediävist Hanspeter Marti fest: »Die Erforschung des nachmittelalterlichen Disputationswesens steht für alle europäischen Länder erst am Anfang. Daher ist auch die Geschichte der frühneuzeitlichen disputatio für die deutschsprachigen Länder noch immer nicht geschrieben«.12
Selbst wenn die Beschäftigung mit diesem Thema durchaus nicht abgerissen ist und zahlreiche neuere Publikationen erschienen sind, so kann dieser Befund auch heute, über ein Jahrzehnt später, durchaus noch eine gewisse Aktualität beanspruchen. An der Forschungslage hat sich nämlich seitdem nicht sehr viel geändert. Auch aus theologischer Perspektive besteht durchaus noch Systematisierungs- und Klärungsbedarf. II Verfahren und Ziel der Disputation Die Vorstellung, »dass es einmal, tief im Mittelalter, eine einzige Disputationsform gegeben habe«, ist Illusion, so stellen Marion Gindhart und Ursula Kundert in ihrer Einleitung zu dem Sammelband »Disputatio 1200-1800« fest.13 Es habe sowohl fachliche als auch regionale Unterschiede gegeben, Varianten, die von der »obligatorischen Lehrform bis zur Forschungsmethode« reichten, sowie eine AusSophisma dilui possit / Auctore M. Johanne Conrado Dannhawero P. L. Caes. & Prof. Oratoriae Publico, Argentorati: Glaserus, 1629. – Tractatus Novus De Methodo Docendi & Disputandi: In quo de totius Encyclopaedias in communi, tum in specie, de Theologiae, Medicinae, Gnostologiae, Habitus intelligentiae, Metaphysicae, Pneumaticae, Physicae, scientiarum Mathematicarum, Philosophiae Practicae, de Thematum simplicium cuiusuis generis specialißime ... / Authore M. Abraham Calovio, Morunga-Porusso, Rostochii: Hallervordius, 1637. 11 Vgl. dazu Donald Felipe: Ways of disputing and principia in 17th century German disputation handbooks. In: Disputatio 1200-1800 (wie Anm. 5), 33-61. 12 Marti: Kommunikationsnormen … (wie Anm. 7), 317. 13 Disputatio 1200-1800 (wie Anm. 5), 11.
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richtung an den unterschiedlichsten Zwecken, angefangen bei privater Forschung bis hin zu schriftlicher Polemik.14 Hinzu komme eine mediale Vielgestaltigkeit der Disputation, die sich zwischen der ritualisierten Veranstaltung einerseits und der reinen Textgattung andererseits bewegt. Zwischen diesen beiden Polen entfaltete sich die Disputation in einem großen Variantenspektrum, was ihr wiederum eine bemerkenswert breite Wirkung ermöglichte. Allein von diesen Ausgangsbedingungen her war die Disputation dafür geeignet, den akademischen Raum zu überschreiten, über den Kreis der lateinisch-sprachigen Gebildeten hinaus zu wirken und sowohl in ritualisierten, öffentlichen Veranstaltungen wie Religionsgesprächen, aber auch in Scherzdisputationen, die sich beide der Volkssprache bedienten, das einfache Volk, Männer und Frauen gleichermaßen, zu erreichen.15 Als zweifellos »wichtigste Form des akademischen Diskurses«16 blieb die Disputation jedoch zugleich in die Wissenschaftskulturen jener Institutionen und Disziplinen eingebunden, in denen sie gehalten wurde. Disputationsverfahren verliefen im Allgemeinen in Übereinstimmung mit den Regeln und Gebräuchen, die an den jeweiligen Institutionen etabliert waren.17 Standard war18 – in Übereinstimmung mit der bereits angesprochenen Definition des Petrus Hispanus –, dass der Respondent, auch Proponent oder Defendant genannt, Thesen / propositiones zu formulieren und der Opponent Argumente zu finden hatte, um den Thesen zu widersprechen bzw. sie zu widerlegen. Dazu bediente er sich im Allgemeinen der Methode des Syllogismus. Der Respondent seinerseits hatte auf jede Prämisse, mit der der Opponent entgegnete, zu reagieren, indem er entweder der Prämisse zustimmte, sie ablehnte oder differenzierte. Die Rolle des Praeses dagegen scheint auf eine kurze Eröffnung, die Supervision des Verfahrens und eine knappe Conclusio am Ende beschränkt gewesen zu sein.19 In besonders wichtigen Disputationen traten auch mehrere Respondenten und Opponenten auf. Die Disputationsgegenstände konnten ganz unterschiedlicher Natur sein. Im akademischen Lehrbetrieb war dies u. U. eine Frage, die sich aus einer Textlektüre, aus auftretenden Widersprüchen 14 Vgl. ebd. 15 Vgl. ebd, 12 f. 16 Vgl. Appold: Orthodoxie als Konsensbildung (wie Anm. 4), 317, der zudem von einer »Vielfältigkeit und Unberechenbarkeit des Disputationswesens« spricht (ebd). 17 Vgl. Joseph S. Freedman: Published Academic Disputations in the context of other information formats utilized primarily in Central Europe (c. 1550-1700). In: Disputatio 1200-1800 (wie Anm. 5), 89-128, hier 112. 18 Dies bezieht sich auf die von Olga Weijers Thesen-Disputation genannte Veranstaltung (vgl. Weijers: In Search of the Truth [wie Anm. 2], 202), die sie von der Disputatio de quolibet abhebt, welche mehrere Disputanten zusammenführen und mehrere Sessionen und Tage lang dauern konnte. Jan Hus habe eine solche Disputatio de quolibet, die auf die Lehren Wyclifs ausgerichtet gewesen sei, im Jahre 1411 in Prag organisiert. Vgl. Weijers: In Search of the Truth (wie Anm. 2), 204. 19 Vgl. ebd, 202.
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oder gegensätzlichen Interpretationen ergab. Die Disputation zielte deshalb darauf, eine zutreffende Antwort, wenn nicht sogar die Wahrheit schlechthin zu finden,20 zumindest aber Deutungshoheit über ein Problem zu beanspruchen und auszuüben.21 Vom Mittelalter an bis in die Frühe Neuzeit hinein war man überzeugt davon, »dass argumentative Auseinandersetzung ein agonal organisiertes Verfahren ist, das auf die eindeutige Klärung eines Sachverhalts durch Bestätigung oder Verwerfen einer These abzielt. Ziel ist die eindeutige Entscheidung darüber, ob eine These allen erdenklichen Angriffen standhalten kann und damit gilt. Auf die Kontrahenten gewendet bedeutet dies, dass Sieg oder Niederlage die zwei Perspektiven des Ausgangs sind – und nicht etwa Konsens oder Kompromiss.«22
Die Übernahme der Funktion des Respondenten oder derjenigen des Opponenten geschah dabei unabhängig von der jeweiligen persönlichen Überzeugung. Dies scheint auch im 16. Jahrhunderts durchaus noch die Regel gewesen zu sein. Jedenfalls belegt dies der Fall einer Disputation an der Universität Wien, in den der Ingolstädter Professor Johannes Eck im Jahre 1516 gleich mehrfach involviert war. Die Geschichte, die hier kurz erzählt werden soll, wirft zudem ein Schlaglicht auf die damalige Disputationspraxis und ist auch insofern aufschlussreich: Eck wollte in Wien über die Zinsbelastung von Grundstücken disputieren, nachdem man es ihm nicht gestattet hatte, dieses Thema in Ingolstadt zu verhandeln, und nachdem eine von ihm geführte Disputation dazu in Bologna keinen klaren Ausgang erbracht hatte. Da ein Ingolstädter Kollege Ecks, der Jurist Franz Burckhart, aus anderen Gründen nach Wien reisen musste, entschloss sich Eck, ihn zu begleiten, um dort sein Thema, an dem ihm offenbar sehr gelegen war, zu präsentieren. Am 26. Juli 1516 kam er in Wien an. Über den Hergang der Dinge berichtete er später selbst in einem Brief an den Bischof von Eichstätt, Gabriel von Eyb, der ihm die Disputation
20 Vgl. ebd, 23. 21 Vgl. dazu Disputatio 1200-1800 (wie Anm. 5), 16: »Die Disputation ist demnach ein Medium universitärer Wissenskultur mit besonders starken paradigmatischen Implikationen. Sie gehört zu denjenigen Formen schriftlichen und mündlichen sozialen Handelns, in denen der Kampf um Deutungshoheit besonders klar vor Augen tritt. Die Form selbst und die Art ihrer Anwendung sind geeignet, diskursive Macht oder gar Gewalt auszuüben«. 22 Anita Traninger: Disputation, Deklamation, Dialog: Medien und Gattungen europäischer Wissensverhandlungen zwischen Scholastik und Humanismus (Text und Kontext. Romanische Literaturen und allgemeine Literaturwissenschaft; 33). Stuttgart 2012, 70. Nieden sieht in der Disputation lediglich eine »Inszenierung von Wissenschaft«: »Die ›disputatio‹ der mittelalterlich-spätmittelalterlichen Universität war gleichsam eine agonale Inszenierung von Wissenschaft, bei der es – entsprechend einem stark autoritätsgebundenen Wissenschaftsverständnis – weniger darum ging, eine bestimmte Wahrheit in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Ansichten erst zu ›finden‹, als vielmehr eine bereits erkannte Wahrheit nach bestimmten Regeln wiederzugeben, anzuwenden und im anspruchsvollsten Fall auf mögliche Konsequenzen und auf Kohärenz mit anderen Wahrheiten hin auszuloten«. Nieden: Die Erfindung … (wie Anm. 6), 53.
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Die Leipziger Disputation 1519 in ihrem historischen Kontext
über die Zins-Thematik seinerzeit in Ingolstadt untersagt hatte.23 Daher wissen wir, dass es Eck nach einigem Hin und Her tatsächlich gelang, in Wien die Erlaubnis zur Disputation zu erhalten, allerdings gebunden an die Auflage durch die dortige Theologische Fakultät, nicht nur den einen, sondern mehrere Vorschläge für eine Disputation einzureichen. Die Fakultät behielt sich nämlich vor, Thesen abzulehnen oder auch abzuändern. Von den drei Themen, die Eck benannte – eines die Trinitätslehre, ein weiteres die Engellehre betreffend und schließlich das Problem von Zinsgeschäften24 – wurde nun gerade nicht jenes gewählt, das ihm am Herzen lag, die Zinsthematik. Vielmehr entschied man, dass Eck – in Anlehnung an seinen ersten Vorschlag – über die Menschwerdung Christi und die Sakramente zu disputieren habe. Daraufhin erstellte Eck zügig Thesen, die ebenso zügig gedruckt und am darauffolgenden Sonntag vom Pedell verteilt wurden. Am 18. August 1516 fand die Disputation unter dem Vorsitz des Juristen Georg Besserer statt und verlief, nach dem Bericht Ecks, zu seiner vollen Zufriedenheit: »Die Doktoren, meine sehr verehrenswerten Lehrer, opponierten bescheiden, gelehrt und wohl unterrichtet gegen unsere Thesen, die sie, als ich die Einwände zurückwies, wiederum angriffen; und so dauerte die Disputation, die auf höchstem Niveau und mit großer Gelehrsamkeit geführt wurde, den ganzen Vor- und Nachmittag, so daß dieser gelehrte Wettstreit für jeden Gebildeten ein wahres Vergnügen sein mußte«.25 Das Verfahren hatte aber noch ein Nachspiel, das in eine weitere Disputation mündete. Denn am Vortag des 18. August waren anonym verfasste Thesen gegen Eck angeschlagen worden. Die Fakultät bestimmte daraufhin einen Kollegen (Ruprecht Hodel), am darauffolgenden Tag in die Rolle des Respondenten zu schlüpfen und 23 Der Brief ist ediert in: Johannes Eck: Disputatio Viennae Pannoniae habita (1517)/ hrsg. von Theresa Virnich (CC 6), Münster 1923, 2-26; eine deutsche Übersetzung findet sich in: Johannes Eck (1486-1543). Briefwechsel. Internet-Edition in vorläufigem Bearbeitungsstand/ hrsg. von Vinzenz Pfnür, bearb. von Peter Fabisch und Hans Jörg Gerste (Übersetzung ins Deutsche von Peter Fabisch), Ep. 32: http://ivv7srv15.uni-muenster.de/mnkg/pfnuer/ Eck-Briefe.html [7.4.2019]). Vgl. die ausführliche Schilderung bei Anita Traninger: Disputative, non assertive posita: zur Pragmatik von Disputationsthesen. In: Religiöser Nonkonformismus und frühneuzeitliche Gelehrtenkultur/ hrsg. von Friedrich Vollhardt (Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Antitrinitarismus und Sozinianismus in der Frühen Neuzeit; 2). Berlin 2014, 318-339; 327-329. 24 Eck verteidigte das Zinsnehmen. Vgl. dazu auch den Willibald Pirckheimer zugeschriebenen Eckius dedolatus, wo die Wiener Disputation satirisch wiedergegeben wird. 25 Eck, Ep. 32, zit. nach Traninger: Disputative … (wie Anm. 23), 328, die die Übersetzung von Fabisch (wie Anm. 21) zugrunde legt, aber leicht abwandelt. Vgl. http://ivv7srv15. uni-muenster.de/mnkg/pfnuer/Eckbriefe/N032.html [bei Anm. 90; 14.4.2018]: »Doctores ipsi, praeceptores mei summopere colendi, erudite, modeste ac doctissime impugnabant posita nostra, quae cum ego obiecta diluerem, ipsi rursus repugnabant; atque ita summa cum maturitate, doctrina non vulgari disceptatio antemeridianis et pomeridianis scholis tota die habita est, utt doctissimo cuique non potuerit non iucundissimus esse literatorius iste congressus.«
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diese anonymen Thesen zu vertreten. Der Kollege aber erwies sich als argumentativ so schwerfällig, dass Eck selbst den Part des Respondenten übernahm, also die gegen ihn gerichteten Thesen verteidigte, um sich dabei zugleich über seinen anonymen Gegner lustig zu machen und ihn als Dilettanten im Disputationsgeschäft zu diskreditieren. Denn – so Ecks Vorwurf an den anonymen Verfasser der Thesen – er gebe sich offenbar der irrigen Meinung hin, dass sich der Respondent mit seinen Thesen stets auch persönlich identifiziere. »Ich stieg in die Disputation ein, indem ich einiges über die Schlußfolgerungen dieser Thesen anmerkte, besonders gegen den lächerlichen Verfasser dieser Thesen, weil er in kindischer Art meinte, ich hielte alles für wahr, was ich in der Disputation ausgesprochen, und als wären das meine eigenen Ansichten, denn er wußte ja eigentlich schon am Anfang meiner Thesen, daß ich diese Paradoxa bloß zur Übung in der Disputation [exercitii gratia] vorgebracht hatte. Es war also diesem unwissenden Thesenschreiber die akademische Sitte unbekannt, daß zur Schärfung des Verstandes in Disputationen manchmal Schlüsse vorkommen, die dem Hergebrachten widersprechen, ja oft sich selbst entgegenstehen.«26 Nun ist zwar bekannt, dass Eck gerade im Blick auf die Zinsthematik auch eine eigene Position vertrat und mit den von ihm angeregten Disputationen erhärten wollte, aber seine Stellungnahme ist dennoch ein glaubwürdiger Beleg für die gängige Disputationspraxis, auch wenn die Veranstaltung vom Format her von der üblichen disputatio ordinaria abwich. Aussagekräftig ist diese Geschichte also zum einen, weil sie Einblick gibt in die unterschiedlichen fakultären Regularien, die mit der Veranstaltung einer Disputation verbunden sein konnten, zum anderen, weil sie die spontanen Realisierungsmöglichkeiten belegt, und zum dritten, weil sie die Frage nach der Identifikation des Respondenten mit den zu verhandelnden Positionen beantwortet – sie ist keineswegs vorauszusetzen; im Gegenteil. Der Respondent genoss die volle Freiheit des Experimentierens. Weiterhin ist wichtig zu sehen, dass es bei einer Disputation nicht um die Konfrontation von Thesen und Gegenthesen und ein schlichtes Gegeneinander von pro und contra, sondern um ein argumentatives Abarbeiten von – in diesem Falle – zwei verschiedenen Thesenreihen ging, die zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten, nämlich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, verhandelt wurden. Man stritt dabei über die Angriffe und Argumente des Opponenten; sie zu entkräften war die Aufgabe des 26 Eck, Ep. 32 (wie Anm. 23), http://ivv7srv15.uni-muenster.de/mnkg/pfnuer/Eckbriefe/ N032.html [bei Anm. 109; 14.4.2018]: »Ingressus ergo disputationem contra caudas positionum aliqua argumentatus sum, inprimis contra ridiculum conclusionum factorem, quod infantiliter existimasset omnia per Eckium in disputatione proposita eius fuisse sententiae tanquam asserta et ab eo firmiter tenta, cum in fronte disputationis videre debebat Eckium non, quod ita sentiret, verum exercitii gratia paradoxa haec disputasse collibitum erat, nec temere achademicorum more, ut, qui ipse peregrinabar, peregrinas item et vagantes adsertiones propugnarem. Nescivit forte ignobilis ille et subacidus conclusionum formator modum in disputatione observari solitum, quod pro acuendis ingeniis saepius disputando contra communem, conclusiones proponuntur interdum etiam contradicentes.«
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Respondenten, z.B. indem er seinem Gegner formale Fehler nachwies oder seine Argumentation mithilfe syllogistischen Geschicks ad absurdum führte. Die Rolle des Opponenten war also sehr anspruchsvoll. Er hatte ad hoc gute Argumente gegen die vorliegenden Thesen beizubringen, die der Respondent ebenfalls mit Hilfe syllogistischer Fertigkeit zurückzuweisen hatte. Beweise für die eigenen Thesen vorzulegen war nicht die Aufgabe des Respondenten und gehörte nicht in den regulären Ablauf der Disputation.27 III Der Weg in die Öffentlichkeit – die Leipziger Disputation im Kontext des III Disputationswesens des frühen 16. Jahrhunderts Einen ausschnitthaften Einblick in das frühneuzeitliche Disputationswesen geben die Statuten der Theologischen Fakultät der Universität Wittenberg aus dem Jahr 1508. Sie sehen drei Arten von Disputationen vor: zunächst Ordentliche Disputationen (= publice, solenniter et ordinarie), die jeder Professor einmal im Jahr halten sollte. Hinzu kamen die Zirkulardisputationen, die einmal wöchentlich in geschlossenem Kreis stattfanden. Die Zahl der Teilnehmer war festgesetzt; vermutlich fanden sie halböffentlich statt. Hier handelte es sich also um in gewissen Zyklen regelmäßig wiederkehrende Veranstaltungen. Und schließlich gab es die Prüfungsdisputationen (disputationes examinatoriae),28 zu denen insbesondere die Promotionsdisputationen (pro gradu) zu rechnen sind.29 Der Verfasser der Thesen, die einer solchen Disputation zugrunde zu legen waren, war meist der Praeses, aber der zu promovierende Kandidat konnte durchaus daran beteiligt sein.30 Aus Disputationseinladungen geht hervor, dass im allgemeinen eine Woche vor dem angesetzten Zeitpunkt eine Einladung erging, die sowohl den Termin als auch den Vorsitzenden und den 27 Vgl. dazu die aufschlussreichen Ausführungen von Traninger: Disputation … (wie Anm. 22), 76: »Die Disputation sieht also kein Ausspielen konträrer, aber gleichgestellter Positionen vor, vielmehr ist die Rollenverteilung zwischen Opponent und Respondent strikt asymmetrisch. Es wurde nicht über entgegengesetzte Thesen gestritten, sondern über die Argumente gegen jede einzelne Behauptung. Der Respondent verteidigt streng genommen auch nicht seine Thesen, sondern entkräftet oder vernichtet die Angriffe des Opponenten, indem er ihm vor allem formale Fehler nachweist. […] er muss nicht nur keine einzige seiner Thesen beweisen, er darf es regelgemäß gar nicht. Würde er beispielsweise versuchen, seine Thesen zur Abwehr des gegnerischen Angriffs mit weiteren Argumenten zu untermauern, würde ihm das als Ausflucht und Zurückweichen ausgelegt. Es war der Opponent, der über die inventive Kraft verfügen musste, ›gute‹ Argumente ex tempore beizubringen. Der Respondent musste freilich den Regelkanon der Syllogistik internalisiert haben, um Gründe für die Zurückweisung eines Angriffs parat zu haben.« 28 Vgl. Nieden: Die Erfindung … (wie Anm. 6), 53 f. 29 Erst ab den 1590er Jahren spricht man in den Fakultätsbestimmungen der Leucorea von disputationes publicae, privatae und pro gradu, vgl. Appold: Orthodoxie als Konsensbildung (wie Anm. 4), 78. 30 Vgl. ebd, 80-84.
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Kandidaten benannte, der als Proponent bzw. Respondent die Thesen gegen den oder die Opponenten zu verteidigen hatte.31 Daneben bestand selbstverständlich die Möglichkeit, auch außerhalb der so definierten Grundformen eine außerordentliche Disputation anzuberaumen. Die 95 Thesen Luthers von 1517 sollten einer solchen freien, aus den üblichen fakultären Regularien heraustretenden Form einer Disputation zugrunde liegen. Bekanntlich kam die beabsichtigte Veranstaltung nicht zustande. Aber auch ohne das Disputationsverfahren erlangen die 95 Thesen einen bis dahin für vergleichbare »propositiones« ungewöhnAbb. 2: Titelblatt von lichen Verbreitungsgrad Des Newen Bischofs zu der Lochaw disputation ..., 1522 und überschritten damit die Grenzen des universitären Bereichs. Ihre zahlreichen Nachdrucke und Übersetzungen in die Volkssprache sorgten dafür, dass sie auch in nicht-akademischen Kreisen rezipiert wurden.32 Damit hatte eine akademische Kommunikationstechnik den Weg in den Raum der nicht-akademischen Öffentlichkeit gefunden. Noch deutlicher wird dies bei der Leipziger Disputation von 1519. Auch sie überschritt die Grenzen des akademischen Raums und entwickelte sich tatsächlich zu einer prominent besuchten, öffentlichen Veranstaltung. Hier etablierten sich
31 Vgl. Volker Leppin: Art. Disputation / Disputationen. In: Das Luther Lexikon/ hrsg. von Volker Leppin und Gunda Schneider-Ludorff. Regensburg 2014, 166-172; 167. 32 Nachdrucke erschienen in Nürnberg, Leipzig und Basel. Vgl. dazu Falk Eisermann: Der Einblattdruck der 95 Thesen im Kontext der Mediennutzung seiner Zeit. In: Meilensteine der Reformation: Schlüsseldokumente der frühen Wirksamkeit Martin Luthers/ hrsg. von Irene Dingel und Henning P. Jürgens. Gütersloh 2014, 100-106. 261-264.
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zudem Verfahrensweisen, die man in den späteren Religionsgesprächen33 aufgriff und praktizierte. Interessant ist, wie sich in der Vorgeschichte der Leipziger Disputation von 1519 das Verfahren der Universitätsdisputation, hier der disputatio examinatoria, und dasjenige der außerordentlichen Disputation, der disputatio extraordinaria, miteinander zu verschränken begannen bzw. wie die eine aus der anderen hervorging. Dazu ist ein kurzer Blick auf Vorgeschichte und Abläufe34 aufschlussreich: Im Juni 1518 ließ Andreas Bodenstein von Karlstadt als Professor der Wittenberger Theologischen Fakultät 370 Thesen drucken, die sukzessive den unter seinem Vorsitz veranstalteten disputationes pro gradu zugundeliegen sollten.35 Sie waren u.a. gegen Ecks Obelisci gerichtet und sollten dem Erwerb eines theologischen Grads dienen. So trat am 14. Mai 1518 z. B. Nicasius Claji aus Herzberg als Respondent, d. h. Verteidiger eines Teils dieser Thesen auf, um den Grad eines Baccalaureus Biblicus zu erwerben. Am 7. Juli 1518 war es Bartholomäus Bernhardi aus Feldkirch, der mittels neu von Karlstadt auf die Obelisci zugeschnittener und zuvor angeschlagener Thesen »pro formatura« disputierte, um damit den dritten theologischen Grad nach dem Baccalaureus Biblicus und dem Sententiarius zu erwerben.36 Aber nun meldete sich auch Eck selbst zu Wort und ließ am 14. August in Augsburg Gegenthesen drucken.37 Schon zu jenem Zeitpunkt brachte er eine Disputation als Lösungs- und Schiedsinstanz für die Auseinandersetzung zur Sprache, und auch Luther, der sich damals vor Cajetan in Augsburg zu verantworten hatte, wurde nun von Eck angesprochen. Dass Luther der eigentliche Gegner Ecks war, legte dieser später mehr als deutlich offen, indem er an ihn schrieb: »Vides ex scheda disputatoria me non tam contra Bodenstein quam contra tuas doctrinas propositiones posuisse«.38 Während Eck, Luther und Karlstadt noch über einen möglichen Veranstaltungsort der avisierten Disputation 33 Vgl. Irene Dingel: Art. Religionsgespräche IV. Altgläubig – protestantisch und innerprotestantisch (TRE 28 [1997], 654-681). 34 Vgl. zur Vorgeschichte die ausführliche Darstellung von Kurt-Victor Selge: Der Weg zur Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck. In: Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte: kirchenhistorische Studien/ hrsg. von Bernd Moeller und Gerhard Ruhbach. Tübingen 1973, 169-210. 35 D. Andreae Carolstatini doctoris et archidiaconi Wittenburgensis CCCLXX et apologeticae conclusiones pro sacris literis et Vuittenburgensibus etc. Wittenberg: Johann Grunenberg, 1518. Zur Anzahl und Zählung der Thesen vgl. WA 2, 153, Anm. 1. 36 Vgl. WA 2, 154. Auf den Formatus bzw. Formandus Baccalaureus folgte als vierter theologischer Grad der Licentiatus, sodann die Promotion zum Doctor Theologiae als höchstem Grad. Vgl. Johann Christoph Erdmann: Lebensbeschreibungen und litterarische Nachrichten von den Wittenbergschen Theologen seit der Stiftung der Universität 1502, bis zur dritten hundertjährlichen Säkularfeyer 1802; aus den Matrikeln und andern glaubwürdigen Urkunden. Wittenberg 1804, 208-210. 37 Defensio Ioannis Eckii contra amarulentas D. Andreae Bodenstein Carolstatini invectiones. Augsburg: Siegmund Grimm und Marx Wirsung, 1518; vgl. WA 2, 154. 38 Eck an Luther, zit. nach WA 2, 155.
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verhandelten – zur Debatte standen Rom, Paris, Köln, sodann Erfurt und Leipzig – entspann sich zwischen ihnen eine schriftliche Kontroverse, die aus dem Wechsel von Thesen und Gegenthesen bestand. Potenzielle Disputationsthesen erhielten auf diese Weise den Rang von Streitschriften, die durch ihre lateinische Sprache jedoch immer noch dem akademischen Raum verhaftet blieben.39 Die Leipziger Disputation begann schließlich am 27. Juni 1519. Dass es sich um eine aus dem Rahmen der typisch innerakademischen Disputationen heraustretende Veranstaltung handelte, wird allein schon an verschiedenen äußeren Merkmalen deutlich. Zum einen ist zu beachten, dass der Veranstaltungsort nicht die Universität, sondern das herzogliche Schloss war. Die Theologische Fakultät der Universität Leipzig hatte nämlich das Disputationsgesuch Ecks und Karlstadts, zum Ärger Herzog Georgs, abgelehnt. Zwar nötigte der Herzog ihr noch nachträglich eine Zustimmung ab, konnte die Veranstaltung aber letzten Endes nur aufgrund obrigkeitlicher Machtvollkommenheit durchsetzen. Denn auch der zuständige Bischof, Adolf von Merseburg, stärkte der Fakultät durch ein kirchliches Verbot der Disputation den Rücken. Grund war, dass die für die Kontrahenten zuständige Jurisdiktions- und Lehrgewalt, die letzten Endes beim Papst und seinen Beauftragten gelegen hätte, nicht gegeben und nicht erreichbar war, um zu einem Schiedsspruch zu gelangen.40 Auf diese Weise rückte eine weltliche Obrigkeit in die Rolle des verantwortlichen Veranstalters; einen Schiedsspruch erhoffte man – auf Vorschlag Luthers – von den Universitäten Erfurt und Paris.41 Zum anderen gewann die Disputation einen bis dahin ungewöhnlichen Öffentlichkeitscharakter, indem sie nicht nur akademische Repräsentanten der Universitätsdisziplinen, akademische Würdenträger und Studenten versammelte, sondern auch Vertreter des Hofes und hohe Beamte in militärischer Begleitung. Petrus Mosellanus qualifizierte sie in seiner Eröffnungsrede als »Leute, die wegen ihres Ansehens und ihrer Gelehrsamkeit hochberühmt sind«, und sie kamen »ein jeder mit seinen Kriegsleuten«.42 Wenn man ihm Glauben schenken darf, muss es sich bei der Leipziger Disputation um eine elitäre Massenveranstaltung gehandelt haben. »Es befindet sich hier der durchlauchtigste Prinz von Pommern, Barnim, der Zeit Rector der Wittenbergischen Schule; wohl recht Magnificus. Es sind hier unseres herzoglichen Hofes hohe Beamte, Leute, die sowohl groß sind durch adeliges Herkommen, als hervorragend durch ausnehmende Klugheit, die unsern abwesenden durchlauchtigsten Fürsten Georg durch ihre Gegenwart vertreten. Es sind auch hier der hochansehnliche Rector dieser unserer berühmten Universität. Ihr seht auch den hochgeborenen Prinzen Georg von Anhalt, einen Zögling dieser unserer Schule, der sich besonders hervorthut. Es sind auch gegenwärtig die Väter der Universität von Erfurt; Leute, die nicht nur mit heiligem 39 Die Abfolge wird referiert in WA 2, 154-156. 40 So Selge: Der Weg zur Leipziger Disputation … (wie Anm. 34), 180. 41 Vgl. ebd, 205. 42 Des Perus Mosellanus auf dem Schloß gehaltene Rede, von der rechten Art, wie man von theologischen Sachen disputiren solle, in: W² 15, 849.
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Leben und Ansehen geziert sind, sondern auch den Ruhm einer besondern Gelehrsamkeit erlangt haben. Ja, es haben sich auch anderswoher noch andere sehr gelehrte Leute, deren ein jeder einen berühmten Namen hat, eingefunden, die alle ein so seltener Kampf herbeigelockt hat aus der Ferne. Es ist auch unsere ganze Schule selbst gegenwärtig: Theologen, die nebst der großen Gelehrsamkeit auch ein hohes ansehnliches Alter haben. Juristen von besonderer Klugheit; Mediciner von tiefer Einsicht und Erfahrung; Philosophen, die die Natur mit allem Fleiß erforschen. Es ist eine große Menge der studirenden Jugend zugegen; desgleichen auch der ehrbare Rath dieser Stadt«.43
Aus Wittenberg waren Luthers Freunde und Kollegen Philipp Melanchthon und Johann Agricola anwesend. Wenigstens zeitweise aber folgte auch Herzog Georg persönlich der Veranstaltung. Der Charakter der ernsten und feierlichen Suche nach der Wahrheit über eine außerordentliche akademische und zugleich öffentliche Disputation wurde durch einen regelrecht rituell gestalteten Auftakt verstärkt. Eck z. B. nahm am 23. Juni in priesterlichem Ornat sichtbar an der Fronleichnamsprozession in Leipzig teil, während die reformatorisch gesinnten Wittenberger erst tags darauf in Leipzig Einzug hielten, offenbar begleitet »von einer Schaar bewaffneter Studenten«.44 Auch der Besuch der Messe in der Thomaskirche und der feierliche Zug von dort in den großen Saal des Schlosses, in dem sodann die Disputation beginnen sollte, gehörte zur rituellen Inszenierung.45 Auch der Ablauf der Disputation folgte nicht den sonst üblichen universitären Gepflogenheiten, sondern war eigens auf die Kontroversekonstellation zugeschnitten. Am Vortag, dem 26. Juni, wurden Disputationsregeln aufgestellt, die einen kontinuierlichen Rollenwechsel zwischen Respondent und Opponent festschrieben und daher zugleich voraussetzten, dass man nicht über eine zuvor durch Anschlag veröffentlichte maßgebliche Thesenreihe, sondern über verschiedene ad hoc verfasste Thesen und Gegenthesen disputierte. Wörtlich wurde festgelegt: »Nemlich das doctor Eckius erstlich wider dye Conclusiones Doctoris Karlstadts, so vil er ym der den abend zuvorn zuschreyben wirdet, opponiren, Darauff Doctor Karlstadt respondiren sal, und volgenden tag sal doctor Karlstadt wider Doctoris Eckii conclusiones, so er ym den abend zuvorn auch zuschreyben wirdet, opponirn, Darauff Doctor Eckius respondiren, und also furder eynen tag umb den andern biß zu ende der disputation procediren«.46
Insgesamt lief die Disputation in drei Phasen ab, in denen sich zunächst – vom 27. Juni bis 3. Juli – Eck und Karlstadt gegenüberstanden und über den freien Willen 43 Des Perus Mosellanus auf dem Schloß gehaltene Rede. In: W² 15, 849 f. Eine Liste der Anwesenden hat Otto Clemen aus einem Bericht des Leipziger Magisters Sebastian Fröschel über die Disputation abgedruckt und die dort Genannten identifiziert. Vgl. Otto Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht über die Leipziger Disputation 1519. NASG 51 (1930), 44-57, bes. 45-55. 44 WA 2, 250. 45 Vgl. dazu WA 2, 250 f; das Zitat ebd, 250. 46 Zitiert nach WA 2, 250 f.; WA Br 1, Nr. 187, Beilage, 428 f.
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disputierten. Es folgte – vom 4. bis 14. Juli – die Konfrontation von Eck und Luther über die Themen päpstlicher Primat, Fegefeuer, Ablass, Buße und Absolution. In der dritten Phase – am 14. und 15. Juli – disputierten aufs Neue Eck und Karlstadt miteinander über die Fähigkeit des Menschen zum Guten und zu guten Werken.47 Diese Disputation und ihre inhaltliche Entwicklung gaben den Anstoß dazu, dass sich auf reformatorischer Seite der Umgang mit der akademischen Disputation entscheidend zu wandeln begann. Denn im Zuge des Austauschs zwischen Luther und Eck über den päpstlichen Primat, der noch ganz in den Bahnen der herkömmlichen syllogistischen Rhetorik und ihren Argumentationstechniken verlief, gelang es Eck, Luthers Positionen vor dem Hintergrund der durch die Kirchenväter verbürgten Theologie und auf der Basis des römischen Kirchenrechts sowie durch das Aufzeigen von Parallelen zu den verurteilten Ketzern John Wyclif und Jan Hus als häretisch zu brandmarken.48 Dem kurz nach der Disputation unautorisiert veröffentlichen Protokoll49 zufolge verteidigte Eck mit großem argumentativen Geschick die damals traditionelle, kirchliche Auffassung, dass der Papst »iure divino«, d. h. nach göttlichem Recht, Haupt der Kirche sei. Dem stellte Luther mit Verweis auf Christus als Haupt der als geistliches Reich zu verstehenden Kirche seine Position entgegen. Seiner Ansicht nach ließen sich weder das Papsttum noch der von ihm beanspruchte bzw. ihm zugewiesene Primat auf ein »ius divinum« zurückführen, das ja dann aus der Heiligen Schrift zu erheben sein müsste. Luther aber sah im Papsttum und seinem Primatsanspruch lediglich Produkte menschlichen Rechts. Diese Auffassung hatte weitreichende Konsequenzen. Denn damit stand zugleich der verpflichtende Charakter kirchlicher Gebote und des Gehorsams dem Papst gegenüber in Frage ebenso wie der heilsrelevante Charakter, den man deren Beachtung bzw. Erfüllung beimaß. Außerdem war damit zugleich die hierarchische Ämterstruktur der Kirche in Frage geraten, zumal Luther auch die aus göttlichem Recht hergeleitete Höherstellung des Episkopats bestritt. Mit einem historischen Argument stellt er unter Verweis auf das Leben der ersten Christen die Gleichwertigkeit des Priester- und des Bischofsamts heraus. All dies brachte ihn tatsächlich in argumentative Nähe zu John Wyclif und Jan Hus, so dass Eck die Gelegenheit nutzte, Luther unter Verweis auf verschiedene, auf dem Konzil von Konstanz 1415 verurteilte Sätze der beiden Kirchenkritiker ebenfalls Häresie anzulasten. Luthers öffentliches Beharren darauf, dass diese schon vor ihm geäußerte Missbilligung des päpstlichen Primats und der kirchlichen Ämterhierarchie 47 Vgl. WA 2, 251. Die WA druckt von den wohl noch im Dezember 1519 erschienenen Akten der Disputation lediglich den Teil ab, der den Austausch zwischen Luther und Eck dokumentiert: WA 2, 254-383; besser ediert: WA 59, 433-605. Das gesamte Protokoll findet sich – in deutscher Übersetzung – in: W² 15, 858-1130 (Nr. 377). 48 Vgl. WA 2, 274 f = W² 15, 935-936. Auf diesen Vorwurf der Übereinstimmung vor allem mit den »Böhmen« kam Luther bis zum Ende dieses Disputationsgangs immer wieder zurück. 49 Der Titel des Drucks WA 2, 252.
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als einwandfrei christlich und evangelisch zu bewerten sei, so dass diese Systemkritik eigentlich von keinem Generalkonzil hätte verurteilt werden dürfen, brachte zusätzlich die Frage der Autorität der Konzilien in die Debatte. Ecks Eintreten für die Irrtumslosigkeit eines legitim versammelten Konzils und auch deren Grundlegung im göttlichen Recht widersprach Luther aufs Neue, indem er nicht nur dem Papst, sondern auch den Konzilien eine solche Autorität absprach. Seiner Ansicht nach hatte das Konzil von Konstanz geirrt und Aussagen verurteilt, die eigentlich mit der Heiligen Schrift konform waren. Für Luther stand fest, dass keine kirchliche Instanz etwas für heilsnotwendig erklären konnte, wofür eine biblische Begründung fehlte.50 In einem Widmungsbrief an Spalatin, den Luther dem wenig später erfolgten Druck seiner für die Leipziger Disputation formulierten Thesen voranstellte, versuchte er, den gegen ihn gewandten Häresieverdacht zu entschärfen. Luther legte dar, dass er keineswegs im Unrecht gewesen sei, sondern dass vielmehr, seiner Einschätzung nach, sein Gegner Eck sich in Selbstwidersprüche verstrickt habe, als er den Häresievorwurf des Konstanzer Konzils gegen Hus verteidigt habe.51 Generell hielt Luther im Rückblick die gesamte Disputation für nichts anderes als eine nutzlose Farce. »Doch um dir genugzuthun«, so wandte er sich an Spalatin, »will ich die Sache selbst kurz der Wahrheit gemäß beschreiben, und so beschreiben, daß du erkennen kannst, daß diese Disputation ein Zeitverderben gewesen ist, nicht ein Erforschen der Wahrheit; sodann daß Eck und Ecks Anhänger heucheln in ihrem Rühmen und etwas ganz Anderes im Gewissen empfinden. Denn soviel an Eck lag, ist fast kein entscheidender Punkt (scopus) berührt worden. Wenn er aber berührt worden ist, so ist nur mit den bekanntesten und abgedroschensten Beweisgründen gestritten worden.«52 Diese von Luther vorgetragene Einschätzung der Leipziger Disputation wurde symptomatisch für die reformatorische Haltung gegenüber der akademischen, auf syllogistischen Argumentationsstrukturen fußenden akademischen Disputation als Mittel der Wahrheitsfindung. Tatsache war, dass Luther auf der Leipziger Disputation die Autorität von Papst, Episkopat und Konzilien in Zweifel gezogen hatte. Grundlage dafür war seine scharfe Unterscheidung von göttlichem Recht und menschlichem Recht gewesen. Die mit dieser Unterscheidung argumentierende Beweisführung war möglich geworden, weil er im Grunde unterschwellig bereits einen Paradigmenwechsel vollzogen hatte. Für Luther war, jenseits der logisch-rhetorischen Ableitungen und Lösungsversuche und über das syllogistische Argumentationsverfahren mit den herkömmlichen Autoritäten hinausgehend, ein inhaltliches Kriterium in den Vordergrund getreten, nämlich die Unterscheidung von Gotteswort und Menschenwort, die jeder Argumentation mit göttlichem Recht und menschlichem Recht vorausging. Auf dieser Basis hatte er die alten Autoritäten 50 Vgl. dazu Irene Dingel: Reformation: Zentren – Akteure – Ereignisse. Göttingen 2016, 54-56. 51 Vgl. WA 2, 398-400 = W², 1155-1158. 52 WA 2, 392,2-7 = W² 15, 1144.
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der kirchlichen Tradition entmachtet und sich so zugleich der Häresie verdächtig gemacht. Fortan traute man in reformatorischen Kreisen dem akademischen Disputationsverfahren nicht mehr zu, mit Hilfe rhetorischer Techniken zur Erkenntnis von Wahrheit und Unwahrheit in zu verhandelnden theologischen Streitfragen zu gelangen. An die Stelle des formal-wissenschaftlichen Beweisverfahrens rückte nun ein normengeleitetes Debattieren, das den Austausch von Argumenten in das Licht der Heiligen Schrift als Gotteswort und Quelle der Wahrheit stellte und die Argumente an ihr als oberster Autorität auf Stichhaltigkeit prüfte. IV Conclusio Die Leipziger Disputation von 1519 stellt darin, dass sie eine im akademischen Raum angesiedelte Disputationspraxis in den Raum der Öffentlichkeit transferierte und als ein vor großem Publikum vollzogenes Verfahren des Meinungsaustauschs und der Wahrheitssuche inszenierte, einen historischen Meilenstein dar. Während die als Disputationsgrundlage gedachten 95 Thesen Martin Luthers durch Nachdrucke und Übersetzungen den Weg aus der akademischen in die nicht-akademische Welt einschlugen, wurde durch die Leipziger Disputation auch das Verfahren selbst zu einem Vorbild für weitere, die Öffentlichkeit einbindende Gespräche und Auseinandersetzungen um die durch die Reformation aufgebrochenen theologischen Fragen. Das Format der akademischen Disputation erwies sich aufgrund seiner Variationsbreite und Realisierungsoffenheit als geeignet für eine solche problembezogene Weiterentwicklung. Aber der durch die Reformation eingeleitete Paradigmenwechsel, der sich im konsequenten Rückbezug auf das Wort Gottes bzw. die Heilige Schrift und gegebenenfalls in aus ihr abgeleiteten Bekenntnissätzen zeigt, veränderte die argumentative und kommunikative Realisierung. Dies und das Wandern der Disputation aus dem akademischen in den nicht-akademischen Kontext sind Entwicklungen, ohne die die vielen Kolloquien bzw. Reformationsdisputationen, die man vor der offiziellen Einführung der Reformation in Reichsstädten unter Einbeziehung einer breiten Öffentlichkeit veranstaltete, und die großen Reichsreligionsgespräche nicht denkbar gewesen wären. Denn sie griffen strukturelle Elemente der akademischen Disputation auf, um sie zugleich grundlegend zu verändern und den neuen Erfordernissen anzupassen. Nicht mehr die rhetorisch-logische Technik des Argumentierens mit Syllogismen stand im Vordergrund, sondern die Autorisierung des Arguments durch die Heilige Schrift als oberster Norm. Dieser Paradigmenwechsel brachte es aber auch mit sich, dass Wahrheitsfindung und Konsenssuche über das Gespräch nur dann erfolgreich praktiziert werden konnten, wenn beide Seiten diese Norm übereinstimmend auslegten. Dies aber war nicht mehr der Fall.
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Die Leipziger Disputation und ihre Bedeutung für die frühe Reformation
Die Leipziger Disputation und ihre Bedeutung für die frühe Reformation1 Von Armin Kohnle
»Zur Zeit der Disputation kam auch Herzog Georg nach Leipzig. Er lieh auch sein Schloß in Leipzig dazu und ließ die Hofstube ausräumen und zu einem Hörsaal herrichten und auf das schönste mit Kathedern schmücken, von denen [sich] zwei gegenüberstanden, und mit Bänken und Tischen, an denen die Notare saßen und die Argumente aufnahmen und alles aufschrieben. Er ließ alle Bänke und Katheder mit schönen Teppichen behängen, das der Wittenberger mit St. Martin und das des Doktors Eck mit dem Ritter St. Georg, denn Doktor Eck gedachte an den Wittenbergern Ritter zu werden und also wegen der Wittenberger zum Ritter geschlagen zu werden, wie er denn auch redlich von ihnen geschlagen worden ist, in und nach der Disputation.«2
So schildert Sebastian Fröschel, in jenen Sommertagen 1519 frisch zum Leipziger Magister Artium promoviert und Augenzeuge der Geschehnisse, die Vorbereitungen für das Ereignis, das Leipzig und die Reformation erstmals zusammenführte: die Leipziger Disputation. Fröschels Bericht verdanken wir viele weitere Einzelheiten, die verlorengegangen wären, wenn er sie nicht, freilich erst lange nach Luthers Tod, festgehalten hätte.3 Ein objektiver Zeuge ist er nicht – seine Meinung, dass der berühmte Ingolstädter Theologe Johannes Eck in der Disputation von den Wittenbergern Prügel bezogen habe, ist Beleg seiner Sympathien für die reformatorische Seite. Fröschel gehörte zu denjenigen, die durch die Disputation von der Wahrheit der durch Luther vertretenen Lehre überzeugt wurden. Eck, so berichtet Fröschel weiter, sei schon frühzeitig nach Leipzig gekommen und habe an der prunkvollen Fronleichnamsprozession am 23. Juni teilgenommen. Ein aus dem Umfeld Ecks stammender Bericht bestätigt die Ankunft des Ingolstädter Professors schon am 22. Juni und die Teilnahme an der Prozession, der auch Herzog Georg von Sachsen und sein Sohn Johann beiwohnten.4 Hier erfährt man auch, dass Eck bei Bürgermeister Be 1 Die folgenden Ausführungen verstehen sich als Einleitung zur vorliegenden Aufsatzsammlung. Der auf der 2011 publizierten Version fußende Text wurde im Jubiläumsjahr 2019 bei mehreren Gelegenheiten mündlich vorgetragen, für die schriftliche Fassung jedoch erweitert und bibliographisch aktualisiert. 2 Die Reformation in Augenzeugenberichten/ hrsg. von Helmar Junghans. Mit einer Einleitung von Franz Lau. Düsseldorf 1967 (Taschenbuchausgabe München 21980), 68. 3 Sebastian Fröschel: Vom Königreich Christi Jhesu/ Der Christen grösten und höhesten Trost […]. Wittenberg: Lorenz Schwenck, 1566 (VD 16 F 3094), Aijr-Biiijv (Vorrede an den Leipziger Rat, soweit sie die Leipziger Disputation betrifft). 4 Vgl. Otto Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht über die Leipziger Disputation 1519. NASG 51 (1930), 44-57, hier 45.
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nedikt Beringershain an der Ecke Petersstraße/Thomasgässchen sein Quartier nahm.5 Die Wittenberger Theologen kamen erst am folgenden Tag, dem 24. Juni, auf Wagen durch das Grimmaische Tor in die Stadt eingefahren, Andreas Bodenstein von Karlstadt voraus, Martin Luther und Philipp Melanchthon auf einem zweiten Wagen hinterher.6 Bewaffnete Wittenberger Studenten begleiteten sie. Am Tor zum Hof der Paulinerkirche angekommen, brach am Wagen Karlstadts ein Rad, der Doktor fiel in den Schmutz, während der Wagen Luthers vorbeifuhr. Nach Fröschels Darstellung nahmen die Abb. 3: Sebastian Fröschel (1497-1579) Leute dies als Omen, dass Luther in der Disputation siegen, Karlstadt aber unterliegen werde, wie es dann auch gekommen sei.7 In einem Gedenkblatt anlässlich der 300jährigen Jubelfeier zur Einführung der Reformation in Sachsen 1839 wurde die Szene im Bild festgehalten.8 Quartier bezogen die Wittenberger im Haus des Buchdruckers Melchior Lotter in der Hainstraße, wo sich heute eine Gedenkplatte an einem Nachfolgebau befindet.9 I Die Kontrahenten Drei Tage nach diesem Vorfall, am 27. Juni 1519, begann das große Ereignis, um das es hier gehen soll. Doch wie konnte ein theologisches Streitgespräch, das noch dazu auf Latein geführt wurde, »welthistorische Bedeutung«10 erlangen? Viel mehr 5 Vgl. ebd, 48 f: »zu dem Belgerßheim vff dem newenmargk«; die genaue Ortsbestimmung ebd, Anm. 40. 6 Vgl. Fröschel: Vom Königreich Christi (wie Anm. 3), Aiiijr-v; Die Reformation in Augenzeugenberichten (wie Anm. 2), 69. 7 Vgl. Fröschel: Vom Königreich Christi (wie Anm. 3), Aiiijv. 8 Leipzig und die Reformation/ hrsg. von Günther Wartenberg. Leipzig 1989, ohne Seitenzählung. Vgl. die Abb. 52 und 52a unten S. 230 im Beitrag von Doreen Zerbe. 9 Helmar Junghans: Die Leipziger Disputation. 27. Juni bis 15. Juli 1519: Luthers Weg zum Sola Scriptura. Amtsblatt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens 2009, B 29. Vgl. Zerbe unten S. 231 sowie die Abb. 56 S. 235. 10 Kurt-Victor Selge: Die Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck. ZKG 86 (1975), 26-40 (Zitat 28).
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als wir heute waren die akademisch Gebildeten des 16. Jahrhunderts an diese gelehrte Form der Wahrheitsfindung durch Austausch von Argumenten gewöhnt. Die Disputation11 war der in Spätmittelalter und Frühneuzeit übliche Weg, die Redegewandtheit, die Fähigkeit zu logischem Denken und nicht zuletzt das Geschick, ein Publikum von der eigenen Auffassung zu überzeugen, bei Schülern und Studenten auszubilden. Akademische Grade wurden in der Regel durch das Bestehen einer Disputation erworben. Solche Veranstaltungen waren öffentlich, zu ihnen wurde eingeladen, wobei im Vorfeld Thesen verbreitet werden konnten, die den Interessierten anzeigten, um welche Probleme es ging. Die Disputation selbst verlief nach vorher vereinbarten Regeln, sie war streng formalisiert, wobei der Schlagabtausch der syllogistischen Methode des Argumentierens folgte, die in der spätmittelalterlichen Scholastik entwickelt und erprobt worden war. Der Respondent, von dem die zur Diskussion stehenden Thesen ausgingen, hatte die Aufgabe, die Einwände und Gegenargumente, die der Opponent gegen seine Thesen vorbrachte, zu entkräften. Ziel der Disputation war es nicht, einen Ausgleich zwischen konträren Positionen herzustellen, sondern den Gegner bzw. das Publikum von der eigenen Wahrheit zu überzeugen. Bevor über die Disputation selbst zu sprechen ist, sind die Beteiligten vorzustellen und die Vorgeschichte zu behandeln. An Martin Luther denkt man zuerst, doch war bis wenige Tage vor der Abb. 4: Petrus Mosellanus (1493-1524) Disputation noch offen, ob er in Leipzig in den Ring steigen würde. 11 Uwe Gerber: Art. Disputatio. TRE 9 (1993), 13-15. Vgl. zum Folgenden auch Anselm Schubert: Libertas Disputandi: Luther und die Leipziger Disputation als akademisches Streitgespräch. ZThK 105 (2008), 411-442 sowie den Beitrag von Irene Dingel in diesem Band.
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Sein großer Kontrahent Johannes Eck aus Ingolstadt war etwas jünger als Luther und 1519 bereits ein gefürchteter Disputator, der sich rühmte, aus vielen Redeschlachten als Sieger hervorgegangen zu sein.12 Als Beteiligter weniger im allgemeinen Bewusstsein präsent ist Andreas Bodenstein aus Karlstadt, damals Luthers Kollege in Wittenberg und Mitstreiter für die Sache der Reformation, später immer mehr sein Kontrahent im evangelischen Lager. Petrus Mosellanus, dem bedeutenden Humanisten, der in Leipzig den Lehrstuhl für griechische Sprache innehatte und Augenzeuge der Disputation war, verdanken wir eine farbige Schilderung der Disputanten:13 Luther von Sorgen und Studien erschöpft, von mittlerer Größe und so hager, dass man alle Knochen in seinem Leibe zählen könne; gelehrt und kenntnisreich, redegewandt, umgänglich und fröhlich, aber auch bissig und unvorsichtig in der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern, so schildert er ihn. Karlstadt imponierte ihm nicht ganz so sehr: klein, dunkles Gesicht, unklare Stimme, schwaches Gedächtnis, jähzornig. An Eck gefielen ihm die hochgewachsene Gestalt und die volle, »ganz deutsche«, aber schroffe Stimme. Dann wörtlich: »Sein Mund, seine Ohren, überhaupt sein ganzes Gesicht sind derartig, daß man ihn gewiß eher für irgendeinen Fleischer oder karischen Soldaten als einen Theologen halten möchte. Was seinen Geist betrifft, so verfügt er über ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Wenn es in einen entsprechenden Verstand hineingefallen wäre, so wäre sein Geist ein Meisterwerk der Natur gewesen. Aber es fehlt ihm die geeignete Kraft, etwas einzusehen, und der Scharfsinn zum Urteilen, ohne den alle übrigen Gaben nichts sind. Und dies ist der Grund, warum er, wenn er disputiert, so viele Argumente, so viele Schriftstellen und so viele Schriftstellerzitate ohne jede Auswahl überhaupt zusammenträgt, wobei er nicht bemerkt, wie die meisten albern sind, wie sie in ihrem Zusammenhang richtig verstanden zur verhandelten Sache nichts austragen, wie sie ferner unglaubhaft und sophistisch sind. Denn es kommt ihm nur darauf an, den Hörern, die zum größten Teil stumpfsinnig sind, ein reichliches Mischfutter hinzustreuen, damit er ihnen etwas vormache und bewirke, daß man ihm den Sieg zuerkenne. Dabei besitzt er eine unglaubliche Frechheit, die er mit bewundernswerter Hinterlist zudeckt. Denn wenn er merkt, daß er dadurch in die Falle des Gegners gegangen ist, lenkt er die Disputation allmählich auf einen anderen Punkt hin. Manchmal aber nimmt er auch die Meinung des Gegners mit anderen Wor 12 Ecks Briefwechsel/ hrsg. von Vinzenz Pfnür, bearb. von Peter Fabisch und Hans Jörg Gerste (EBW) ist vorläufig erschlossen und benutzbar unter http://ivv7srv15.uni-muenster. de/mnkg/pfnuer/Eck-Briefe.html (Bearbeitungsstand 2011). Die Literatur zu Eck wurde in den letzten Jahren erheblich vermehrt. Vgl. insbesondere Johannes Eck. Scholastiker – Humanist – Kontroverstheologe/ hrsg. von Jürgen Bärsch; Konstantin Maier (Eichstätter Studien; 20). Regensburg 2014; Luther und Eck: Opponenten der Reformationsgeschichte im Vergleich/ hrsg. von Franz Xaver Bischof; Harry Oelke. München 2017. 13 Vgl. Petrus Mosellanus an Julius Pflug, 6. Dezember 1519: Julius Pflug Correspondance/ hrsg. von J. V. Pollet, Bd. 1: 1510-1539. Leiden 1969, 81-90 (Nr. 7), wo die auf die Leipziger Disputation bezogenen Passagen jedoch nur knapp paraphrasiert sind. Vollständig lateinisch: Johannes Schilter: De libertate ecclesiarum Germaniae libri septem. Jena 1683, 840-852; deutsche Übersetzung: Dr. Martin Luthers sämtliche Schriften/ hrsg. von Johann Georg Walch. St. Louis, Missouri 21880-1910 (ND Groß Oesingen 1987), 1194-1204 [Nr. 391]); auszugsweise: Die Reformation in Augenzeugenberichten (wie Anm. 2), 81-83.
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ten als die seine an und schiebt mit erstaunlicher Gewandtheit seine eigene, unsinnige Meinung dem Gegner zu.«14
Was Mosellanus an der Disputationsweise Ecks erboste, gehörte damals zur Grundausstattung eines jeden gewieften Disputators: Den Gegner mit Einzelheiten und Zitaten überhäufen, ihn gleichsam mit Detailwissen überfahren, womit man ihn schlecht aussehen lassen und gleichzeitig das Publikum beeindrucken konnte; ebenso dem Gegner Fallen stellen und sich selbst geschickt herauswinden, sollte man einmal mit Argumenten in die Enge getrieben werden. Mosellanus passte diese Art des Disputierens nicht, denn sie widersprach dem, was er am 27. Juni in seiner Eröffnungsrede den Kontrahenten ans Herz legte. Seine lange lateinische Rede trug in der gedruckten Form den Titel (Abb. 5): De Ratione disputandi, praesertim in re Theologica (Von der rechten Art, wie man von theologischen Sachen disputieren soll).15 Mosellanus rief dazu auf, sich auf die ernsthafte Wahrheitssuche zu machen, nicht zu zanken, nicht zu protzen, sondern bescheiden, zurückhaltend und einfältig um der großen Sache willen zu streiten, den Gegner überzeugen zu wollen und sich selbst überzeugen zu lassen, wenn der andere die besseren Argumente hat. Ganz deutlich wird hier, dass Mosellanus, der feinsinnige Philologe, von reinen Schaugefechten nichts hielt. So gehen Christen nicht miteinander um. Wie Petrus und Paulus solle man sich verhalten, die trotz sachlicher Differenzen keine Feindschaft aufkommen ließen, wie die Kirchenväter Gregor und Basilius, wie in neuerer Zeit Desiderius Erasmus und Jakob Faber Stapulensis. Sie alle hätten gezeigt, dass man in einer Sache streiten könne, ohne den anderen an seiner Ehre zu verletzen.16 MosellaAbb. 5: Titelblatt von Mosellanus: nus erweist sich hier als typischer De ratione disputandi …, 1519
14 Ebd, 82 f. Zu Eck als Disputator vgl. auch den Beitrag von Johann Peter Wurm in diesem Band. 15 Petrus Mosellanus: De Ratione disputandi, praesertim in re Theologica […]. Leipzig: Melchior Lotter, 1519 (VD 16 S 2174); deutsche Übersetzung: Dr. Martin Luthers sämtliche Schriften (wie Anm. 13). Bd. 15, 844-858 (Nr. 376). 16 Vgl. ebd, 855-858.
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Vertreter einer humanistischen Irenik, die nicht erkannte oder nicht wahrhaben wollte, dass Verbissenheit und Polemik in der theologischen Kontroverse nicht nur eine Frage des Charakters, sondern auch eine Folge der Ernsthaftigkeit waren, mit der in der Reformationszeit auf beiden Seiten gerungen wurde. In Leipzig war allen Beteiligten klar, dass es um brennend aktuelle Fragen, um Grundsätzliches ging. Vergegenwärtigen wir uns die Situation und blicken wir zurück auf den Weg, der zur Leipziger Disputation führte.17 II Der Weg zur Leipziger Disputation Durch den Anschlag der 95 Thesen über die Kraft der Ablässe am 31. Oktober 1517 und den daraus folgenden Ablassstreit war der Name des Augustinermönchs Martin Luther und der jungen Universität Wittenberg bald in aller Munde. Einer der ersten, die gegen Luthers Thesen auftraten, war Johannes Eck, mit dem Luther bis dahin eine gelehrte, aber nicht besonders intensive Freundschaft verbunden hatte. Eck nun verurteilte die Ablassthesen im Frühjahr 1518 in herablassender Weise in einer Schrift, den sogenannten »Obelisci« (Spießchen),18 in der er Luther der böhmischen Ketzerei verdächtigte und der Auflehnung gegen den Papst bezichtigte. Luther wiederum replizierte mit Asterisci, Sternchen, die er Eck zwar zur Kenntnis brachte, aber nicht veröffentlichte. In diese Auseinandersetzung mit Spießchen und Sternchen, den damals üblichen Anmerkungszeichen, mischte sich Karlstadt mit einer 370 Thesen umfassenden Druckschrift, in der er Eck scharf attackierte.19 Damit war die Sache nicht mehr klein zu halten. Eck forderte nicht etwa Luther, sondern Karlstadt zur Disputation heraus.20 Nun kam es darauf an, den Ort zu vereinbaren. Als Luther im Oktober 1518 zum Verhör vor Kardinal Cajetan in Augsburg war, traf er sich mit Eck und schlug gleichsam als Unterhändler Karlstadts die Städte Leipzig oder Erfurt als Austragungsorte vor.21 Eck, der selbst an Rom, Paris oder Köln gedacht hatte, sollte wählen 17 Vgl. zum Folgenden vor allem Helmar Junghans: Die Leipziger Disputation 1519. Der Sonntag 44 (1989) Nr. 18, 3; Kurt-Victor Selge: Der Weg zur Leipziger Disputation. In: Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte/ hrsg. von Bernd Moeller; Gerhard Ruhbach. Tübingen 1973, 168-210. 18 Dokumente zur Causa Lutheri (1517-1521)/ hrsg. und kommentiert von Peter Fabisch; Erwin Iserloh. Bd. 1 (CC; 41). Münster 1988, 376-447. Vgl. auch den Beitrag von Helmar Junghans in diesem Band. 19 Edition der Apologeticae Conclusiones Karlstadts: KGK 1.2, 789-794 (Nr. 85); vgl. auch den Beitrag von Stefania Salvadori in diesem Band. 20 Vgl. Selge: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 10), 27. 21 WA Br 1, Nr. 109; Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519: aus bisher unbenutzten Quellen historisch dargestellt und durch Urkunden erläutert. Dresden; Leipzig 1843, 112 f; ABKG 1, Nr. 62; Dr. Martin Luthers sämtliche Schriften (wie Anm. 13). Bd. 15, 809 f (Nr. 359).
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dürfen. Er entschied sich für Leipzig.22 Dies wiederum machte Verhandlungen mit denjenigen Instanzen und Personen nötig, die beteiligt sein oder zumindest ihre Zustimmung geben mussten. Einzubeziehen waren: 1. vor allem Herzog Georg von Sachsen als Landes- und Stadtherr; 2. die Universität Leipzig, die als Veranstalterin fungieren sollte; 3. die Theologische Fakultät der Universität Leipzig, in deren Verantwortung ein theologisches Streitgespräch speziell liegen und die Schiedsrichter sein sollte; 4. schließlich Bischof Adolf von Merseburg als zuständiger Diözesan und Kanzler der Universität. Die Schlüsselrolle spielte Herzog Georg,23 der Landesherr im albertinischen Sachsen. Für einen Fürsten des 16. Jahrhunderts war er ungewöhnlich gebildet, da er ursprünglich eine geistliche Karriere hatte einschlagen sollen und entsprechend vorbereitet wurde. Fragt man nach seinen Motiven, so lassen sich vor allem zwei ermitteln: Georg sah die Disputation in seiner Stadt Leipzig in erster Linie als Chance für seine Landesuniversität, sich Ruhm zu erwerben. Und er wollte sich durch die Disputation selbst ein Urteil bilden in den strittigen theologischen Fragen. Tatsächlich saß Georg während der meisten Sitzungen unter den Zuhörern und war offensichtlich in der Lage, dem Verhandlungsgang zu folgen. Irgendwelche Bedenken, mit der Veranstaltung in ein schwebendes Verfahren einzugreifen – schließlich führte man in Rom gerade einen Prozess gegen Luther wegen des Verdachts der Ketzerei –, hatte der Herzog nicht. Für ihn bestand im Gegenteil eine Verpflichtung seiner Universität, strittige Fragen in Disputationen zu klären. Das galt besonders für die Frage des Ablasses. In Leipzig, so argumentierte er, sei schon über vieles disputiert worden. Da müsse es doch auch erlaubt sein, über die Frage zu disputieren, ob es denn stimme, dass die Seele gen Himmel fahre, sobald der Pfennig im Becken klinge. Davon hänge nämlich ab, ob die Laien mit dem Ablass betrogen würden.24 22 Selge: Der Weg zur Leipziger Disputation (wie Anm. 17), 179. 23 Friedrich Wilhelm Bautz: Georg der Bärtige. BBKL 2 (1990), 209 f; Elisabeth Werl: Georg der Bärtige. NDB 6 (1964), 224-227; Christoph Volkmar: Reform statt Reformation: die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488-1525 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 41). Tübingen 2008. An neuerer Literatur zu Herzog vgl. Zwischen Reform und Abgrenzung. Die Römische Kirche und die Reformation/ hrsg. von Armin Kohnle; Christian Winter (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; 37). Leipzig/Stuttgart 2014 (mit Beiträgen von Christoph Volkmar, Christian Winter und Heiko Jadatz zu Herzog Georg); Armin Kohnle: Wandel fürstlicher Frömmigkeitspraxis in der Reformationszeit – der Fall Herzog Georgs von Sachsen. In: Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland. Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung »Umsonst ist der Tod«/ hrsg. von Enno Bünz; Hartmut Kühne (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; 50). Leipzig 2015, 65-80. Vgl. zum Folgenden auch den Beitrag von Heiko Jadatz in diesem Band. 24 ABKG 1, Nr. 75.
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Georg also wollte die Disputation, er wollte sie unbedingt aus persönlichem Interesse und als Profilierungschance für seine Universität Leipzig. Dabei ging er davon aus, dass die Disputation zwischen Eck und Karlstadt stattfinden und sich um den Ablass drehen würde. Die Universität willigte ein, doch die Theologische Fakultät wollte mit der Sache nichts zu tun haben. Ecks Anfrage, ob die Fakultät die Urteilerrolle übernehmen würde,25 wurde abschlägig beschieden. Dekan und Doktoren begründeten dies in einem Schreiben an den Herzog umständlich,26 wobei die Gründe teils prinzipieller Natur waren, teils offensichtlich der Furcht entsprangen, sich die Finger zu verbrennen: Man sei schon einmal von Albrecht von Mainz im Streit zwischen Luther und Tetzel um ein Gutachten gebeten worden und habe dies schon damals abgelehnt. Auch jetzt halte man es nicht für klug, sich in die Sache zu mischen. Ein solches Gezänk, wie es in Leipzig geplant sei, werde nur zu Weiterungen und Unruhe führen. Es könnte so weit kommen, dass die Universität sich die Ungnade des Kurfürsten von Sachsen auflade oder gar einen Konflikt zwischen Herzog Georg und Kurfürst Friedrich heraufbeschwöre. Die Streitparteien würden sich durch ein Urteil der Leipziger Theologen ohnehin nicht von ihrem Gezänke abhalten lassen, da die Universität Leipzig über sie keine Lehrgewalt habe. Da es in der Hauptsache nicht um Eck und Karlstadt, sondern um Luther gehe, stehe die Sache ohnehin beim Papst. Wenn die päpstlichen Kommissare die Leipziger beauftragen sollten, neben anderen Universitäten in dieser Sache zu urteilen, werde man sich darauf einlassen – gegen entsprechenden Kostenersatz, wie man nicht versäumte hinzuzufügen. Die Gründe oder besser Ausflüchte der Leipziger Theologen konnte sich der Herzog nicht anders erklären als damit, dass sie faul, verfressen, geldgierig und unfähig seien.27 Als Lehrer der Heiligen Schrift müsste es ihnen doch eine Lust sein, an den Tag zu bringen, was wahr oder falsch ist, so meinte er. Schiedsrichter brauchten die Leipziger gar nicht zu sein. Ganz Unrecht hatte er mit seinem negativen Urteil über die Leipziger Theologen nicht. Unter den Magistern und Doktoren der Fakultät gab es im Jahr 1519 nur einen, der herausragte: Hieronymus Dungersheim,28 The 25 Ebd, Nr. 62. 26 Ebd, Nr. 63. 27 Ebd, Nr. 74; vgl. auch Selge: Der Weg zur Leipziger Disputation (wie Anm. 17), 183. 28 Johann Karl Seidemann: Dungersheim, Hieronymus. ADB 5 (1877), 473 f; Ernst Walter Zeeden: Dungersheym, Hieronymus. LThK2 3 (1959), 601; Heribert Smolinsky: Art. Dungershei(y)m (Ochsenfart), Hieronymus. LThK3 3 (1995), 401; Ronny Baier: Dungersheim, Hieronymus. BBKL 22 (2003), 284-292; Theobald Freudenberger: Hieronymus Dungersheim. In: Katholische Theologen der Reformationszeit/ hrsg. von Erwin Iserloh. 5 Bde (KLK; 45). Münster 1984-1988. Bd. 2 (1985), 38-48; ders.: Hieronymus Dungersheim von Ochsenfurt am Main, 1465-1540: Theologieprofessor in Leipzig. Leben und Schriften (RST; 126). Münster 1988; Erhard Peschke: Kirche und Welt in der Theologie der Böhmischen Brüder. Berlin 1981, 179-184; Peter G. Bietenholz: Hieronymus Dungersheim. In: Contemporaries of Erasmus: a Biographical Register of the Renaissance and Reformation.
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ologe und Kirchenrechtler, der sich nach der Leipziger Disputation und vielleicht als deren Folge strikt von Luther abgrenzte, diesen in Schriften bekämpfte und reformatorische Regungen an der Leipziger Fakultät künftig unterdrückte. Wie Dungersheims weniger bedeutende Kollegen Matthäus Hennig, Nikolaus Apel oder Matthias Frauendienst29 damals zu Luther standen, ob sie überhaupt eine Meinung hatten, lässt sich kaum mehr feststellen; zu den Lutheranhängern zählten sie während und nach der Disputation jedenfalls nicht. Denkbar ist durchaus, dass der Herzog recht hatte, wenn er argwöhnte, die Leipziger Theologen lehnten die Disputation aus reiner Bequemlichkeit, Ängstlichkeit oder Unfähigkeit Abb. 6: Flugschrift gegen den Ablass, 1520 zu eigenem Urteil ab.30 Eine willkommene Ausrede lieferte ihnen allerdings der zuständige Diözesanbischof Adolf von Merseburg, der, kaum hatte er von der geplanten Disputation gehört, die Universität warnte, sich auf diese Sache bloß nicht einzulassen.31 Der Bischof erwartete schon um die Jahreswende 1518/19 eine Verurteilung Luthers durch den Papst, und später gehörte er zu den Gegnern der reformatorischen Theologie, die er in seiner Diözese unterdrückte. Die Disputation lehnte er ab, weil er der Meinung war, sie verstoße gegen ein päpstliches Verbot und gegen die Ablassdekretale vom 9. November 1518, mit der Papst Leo X. auf den Ablassstreit reagierte.32 Auch der Bischof ging demzufolge davon aus, dass es in Leipzig um Luther und den Ablass 3 Bde/ hrsg. von Peter G. Bietenholz; Thomas B. Deutscher. Toronto; Buffalo; London 1985-1987, hier Bd. 1. 1985, 412. 29 Vgl. Seidemann: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 21), 32; vgl. auch Dr. Martin Luthers sämtliche Schriften (wie Anm. 13). Bd. 15, Nr. 376 Sp. 839 Anm. 5. Zu Hennig vgl.: Die Professoren und Dozenten der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig von 1409 bis 2009/ hrsg. von Markus Hein; Helmar Junghans (BLUWiG; A 8). Leipzig 2009, 106 f; zu Apel vgl. ebd, 79 f; zu Frauendienst ebd, 97 f. Vgl. die reine Professorenliste bei Bünz unten S. 71. 30 Vgl. Franz Blanckmeister: Sächsische Kirchengeschichte. Dresden 21906, 104. 31 ABKG 1, Nr. 69. 78. Vgl. auch den Beitrag von Markus Cottin in diesem Band. 32 Bulle »Cum postquam«; vgl. Dokumente zur Causa Lutheri (1517-1521)/ hrsg. und kommentiert von Peter Fabisch; Erwin Iserloh. Bd. 2 (CC; 42). Münster 1991, 185-202.
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gehen sollte. Herzog Georg hingegen hielt derartige Bedenken für hinfällig, da es weder ein päpstliches Disputationsverbot gab noch grundsätzlich einzusehen war, warum man nicht die Wahrheit sollte erforschen dürfen, solange man sich nicht gegen Papst und Kirche wandte.33 Georg, so muss man wohl schließen, hatte ein Urteil in den strittigen Fragen für sich selbst noch nicht gefällt. Dass er sich außerdem eine derartige Einmischung des Bischofs nicht gefallen lassen wollte, ist auch ganz deutlich. Fast schon undiplomatisch erklärte er, dass schließlich er und nicht der Bischof der Landesherr sei und dass die Leipziger Theologen von ihm bezahlt würden. III Die Verhandlungen über Gegenstand und Ablauf der Disputation Mit der entschiedenen Haltung des Herzogs war die Durchführung gesichert. Doch worüber wollte man disputieren? In dieser Frage herrschte Unsicherheit, da die Kontroverse zwar aus dem Ablassstreit erwachsen war, sich in den anderthalb Jahren seit dem Thesenanschlag über diese Problematik aber hinaus entwickelt hatte. Außerdem war noch immer nicht geklärt, wer in Leipzig die Kontrahenten sein sollten, da die Sache zwar anfangs auf Eck und Karlstadt gestanden hatte, es aber immer offensichtlicher um Eck und Luther ging. Am Jahresende 1518 veröffentlichte Eck zwölf Thesen gegen Karlstadt, in denen er tatsächlich aber Aussagen Luthers angriff.34 In der letzten These spießte Eck eine von Luther eher beiläufig hingeworfene Bemerkung auf, nämlich dass es einmal eine Zeit gegeben habe (bis zu Papst Gregor dem Großen [590-604]), in der die römische Kirche nicht über den anderen Kirchen, zumindest nicht über denen Griechenlands, gestanden habe. Dem setzte Eck die These entgegen: »Wir leugnen, daß die Römische Kirche vor der Zeit Silvesters nicht über den anderen Kirchen gestanden habe. Vielmehr haben wir den, der den Stuhl des hl. Petrus innehatte und seinen Glauben besaß, immer als den Nachfolger Petri und allgemeinen Vicarius Christi anerkannt.«35
Luther reagierte verärgert, weil er sich angegriffen sah, und verfasste zwölf Gegenthesen.36 In der letzten These nahm er den Schlagabtausch auf dem von Eck angebotenen Schlachtfeld an, indem er formulierte, der Anspruch auf Superiorität der römischen über die anderen Kirchen werde erst in den albernen päpstlichen Dekreten der letzten vier Jahrhunderte erhoben, in den vorausgehenden elfhundert Jahren habe es ihn aber nicht gegeben. Als Beleg verwies er nicht nur auf die kirchengeschichtlichen Tatsachen, sondern auf die Bibel und das Konzil von Nicäa. 33 ABKG 1, Nr. 75; 81. 34 Zu Ecks Thesenreihe gegen Karlstadt vgl. Anm. 17 im Beitrag von Stefania Salvadori. 35 Selge: Der Weg zur Leipziger Disputation (wie Anm. 17), 186. Vgl. unten im Beitrag Junghans S. 127 bei Anm. 4 eine etwas andere Übersetzung. 36 WA 2, 155; vgl. Selge: Der Weg zur Leipziger Disputation (wie Anm. 17), 188.
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Im März 1519 antwortete Eck mit einer weiteren Thesenreihe,37 in der die ominöse These zum päpstlichen Primat als Nummer 13 erschien. Seine Thesen richtete Eck jetzt ausdrücklich auch gegen Luther. Der reagierte mit einer Flugschrift, die er »Resolutio (Auflösung) der 13. These über die Gewalt des Papstes« nannte.38 Man muss an dieser Stelle fragen, warum Eck die Kontroverse auf ein Feld verlagerte, auf dem man bisher nicht gefochten hatte. Denn jetzt ging es um die primatialen Ansprüche des Papsttums, und zwar nicht nur in der Theorie, sondern als historische Realität seit Petrus. Was wollte Eck damit erreichen? Musste er nicht wissen, dass seine Auffassung historisch nicht zu halten war? Oder war es etwa so, wie Kurt-Victor Selge gemeint hat,39 dass Eck hier einen Fallstrick versteckt hatte, indem er nicht wie Luther von Papst Gregor, sondern von Papst Silvester sprach, um Luther auf diese Weise zu verleiten, über die Konstantinische Schenkung zu disputieren und ihn damit auf ein vermintes Feld zu locken. Dann müsste man Eck die Absicht unterstellen, schon vor der Disputation nicht eine Einigung angestrebt, sondern den Plan verfolgt zu haben, Luther in die Ketzerecke zu drängen, indem er den Nachweis führen wollte, dass Luther wie die Hussiten die Autorität des Papstes angreife. Wenn es Eck tatsächlich von Anfang an darauf abgesehen haben sollte, ist sein Plan aufgegangen. Die Disputation wandelte schon im Vorfeld ihren Charakter von einem akademischen Gelehrtenstreit über die Spezialfrage des Ablasses zu einer grundsätzlichen und öffentlichen Auseinandersetzung über die in der Christenheit maßgeblichen Normen und Autoritäten. Das geplante Streitgespräch zwischen Eck und Karlstadt rückte spätestens zu diesem Zeitpunkt (März 1519) ganz an den Rand, denn nun ging es um brisantere Fragen als den Ablass. Doch Luther war als Disputant noch gar nicht zugelassen, und es bedurfte erheblicher Anstrengungen, um die Universität Leipzig und vor allem den Herzog zu bewegen, dies nachzuholen. Georg vermied es, Luther eine klare Zusage zu geben, verweigerte diese aber auch nicht.40 Offenbar wollte er sich ein Hintertürchen offen lassen. Eine offizielle Zulassung erhielt Luther nie; er kam in der Begleitung Karlstadts nach Leipzig und stand unter dem Schutz des Geleits, das der Herzog auch für die Begleiter Karlstadts ausgestellt hatte.41 Da Georg die Disputation noch immer wollte und gegen Versuche des Merseburger Bischofs, sie im letzten Augenblick doch noch zu verbieten,42 energisch einschritt, war für Luther der Weg nach Leipzig aber eher gefahrlos.
37 Dokumente zur Causa Lutheri (wie Anm. 32) Bd. 2, 247-253. 38 Dokumente zur Causa Lutheri (wie Anm. 32) Bd. 2, 256 f; Selge: Der Weg zur Leipziger Disputation (wie Anm. 17), 188; WA 2, (180) 183-240. 39 WA 2, (180) 183-240; Selge: Der Weg zur Leipziger Disputation (wie Anm. 17), 186-188. 40 Selge: Der Weg zur Leipziger Disputation (wie Anm. 17), 193-196. 41 ABKG 1, Nr. 113. 42 Ebd, Nr. 116. 118-121.
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Der Beginn der Disputation wurde auf den 27. Juni 1519 festgelegt. Von der Vorbereitung der Hofstube im herzoglichen Schloss war anfangs schon die Rede. Vom äußeren Erscheinungsbild der Lokalität gibt es zeitgenössische Abbildungen nicht, so dass es der Phantasie überlassen bleibt, wie das Schloss mitsamt der Hofstube und der Kapelle vor den Beschädigungen im Schmalkaldischen Krieg 1547 ausgesehen haben mögen; der Bauzustand des späteren 16. Jahrhunderts ist durch Stadtansichten aber einigermaßen bekannt.43 Bevor die Redeschlacht beginnen konnte, waren die genauen Regeln festzulegen. Eck wollte auf italienische Weise disputieren, das heißt in freier Rede und Gegenrede ohne wörtliches Protokoll. Luther und Karlstadt hingegen bestanden auf einer genauen Protokollierung.44 Dies hieß nun aber, dass man die Argumente so vortragen musste, dass die Schreiber möglichst alles notieren konnten. Für das Publikum war diese Form leichter zu verstehen, aber auch langweiliger, da viel Spontaneität auf der Strecke blieb. Das Verfahren kam jedoch der Genauigkeit der Aufzeichnungen zugute, was die spätere Beurteilung durch Schiedsrichter erleichterte. Neben den offiziellen vier Protokollen wurden zahlreiche inoffizielle Mitschriften angefertigt, insgesamt angeblich mehr als dreißig. Zwar vereinbarte man ein Druckverbot der Akten, bis die Schiedsrichter ihr Urteil gefällt haben würden, aber angesichts der zahlreichen unautorisierten Mitschriften ließ es sich nicht verhindern, dass schon 1519 eine erste Edition im Druck erschien. Über die Urteiler kam es zu keiner völligen Einigung:45 Eck und Luther verständigten sich auf die Universitäten Paris und Erfurt, Eck und Karlstadt nur auf Erfurt.46 Während aber Luther die gesamten Universitäten als Schiedsrichter einbezogen sehen wollte, akzeptierte Eck nur die Theologen. Herzog Georg entschied im Sinne Ecks für Theologen und Kanonisten. Am frühen Morgen des 27. Juni wurde die Disputation mit einer Begrüßung durch die veranstaltende Universität, vertreten durch den Juristen Simon Pistoris, im Großen Kolleg der Universität eröffnet.47 Dann ging man in die Thomaskirche, um eine Messe »De sancto spiritu« zu feiern und Musik zu hören, die der Thomaskantor Georg Rau eigens für diesen Anlass komponiert haben soll. So wurde jedenfalls bisher die Bemerkung Fröschels verstanden: »Und der Cantor Georgius Rhaw / unser Buchdrucker hernach / sunge ein Messe mit zwölff stimmen / die vorhin nie gehört war«.48 Andere Quellen vermerken zwar weder die Neuheit der Musik noch den Komponisten Rau, betonen aber ebenfalls den großen musikalischen 43 Vgl. die Abb. 27 unten S. 94 f und Abb. 29 S. 104 f zum Beitrag Bünz in diesem Band. 44 Der authentische Text der Leipziger Disputation (1519): aus bisher unbenutzten Quellen/ hrsg. von Otto Seitz. Berlin 1903, 1; WA Br 1, Nr. 187. Zur Frage der Protokollierung vgl. auch in den Beiträgen Winter unten S. 63 f und Wurm unten S. 167-169. 45 ABKG 1, Nr.123-125. 46 Ebd, Nr. 123. Die beste Edition der Vereinbarungen der Kontrahenten bietet WA Br 1, 428-431 (Beilagen zu Nr. 187). 47 Die Reformation in Augenzeugenberichten (wie Anm. 2), 70. 48 Vgl. Fröschel: Vom Königreich Christi (wie Anm. 3), Bv.
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Aufwand. 49 Welche Musik aufgeführt wurde, wird noch immer diskutiert, da sich eine von Rau komponierte zwölfstimmige Messe nicht erhalten hat.50 Nach einem Vorschlag des Musikwissenschaftlers Michael Maul könnte eine zwölfstimmige Messe des französischen Komponisten Antoine Brumel aufgeführt worden sein.51 Im Anschluss zog man gemeinsam zum herzoglichen Schloss, wo Wachen den Andrang der Interessierten kanalisierten. Dort hörte man die schon erwähnte Eröffnungsrede des Gräzisten Petrus Mosellanus.52 Die eigentliche Disputation zwischen Eck und Karlstadt begann am Nachmittag. Georg Rau führte zunächst mit Sängern und Stadtpfeifern das Veni Abb. 7: Titelblatt von Dispvtatio D. Ioannis Eccii, et sancte spiritus auf,53 bevor die P. Martini Lvther …, 1519 Theologen abwechselnd der eine gegen die Thesen des anderen opponierte beziehungsweise der andere auf die vorgebrachten Einwände respondierte.
49 Der anonyme Bericht: »omnes bono ordine divi Thome templum apostoli intrarunt ad sancti spiritus sacrificium, quod cum magnis ceremoniis, canticis, organis [folgt eine Lücke im Text]« (Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht [wie Anm. 4], 56); Mosellanus spricht von herrlicher Musik bzw. einer Messe mit allerhand Musik (Mosellanus an Willibald Pirckheimer, 3. August 1519, Dr. Martin Luthers sämtliche Schriften (wie Anm. 13). Bd. 15, 1191 und ders. an Julius von Pflug, 6. Dezember 1519, ebd, 1198). 50 Einige Bemerkungen zu diesem Problem finden sich in: Luther im Disput. Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig/ hrsg. von Volker Rodekamp. Leipzig 2017, 22. 51 Brumels »Erdbebenmesse« (Et ecce terrae motus) wurde von den Vokalensembles Amarcord und Calmus auf einer CD eingespielt, die mit »Leipziger Disputation« betitelt 2019 im Carus-Verlag Stuttgart erschien. 52 Siehe oben bei Anm. 12. 53 Vgl. Fröschel: Vom Königreich Christi (wie Anm. 3), Bijr.
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Im Mittelpunkt der von Eck und Karlstadt bestrittenen ersten Phase der Auseinandersetzung, die vom 27. Juni bis 3. Juli immerhin zwei volle und zwei halbe Tage54 umfasste, stand die Frage des freien Willens im Rechtfertigungsprozess. Karlstadt vertrat die Wittenberger Lehre von der Gnade Gottes und der Unzulänglichkeit des menschlichen Willens, aus sich heraus das Gute zu bewirken. Eck stimmte teilweise zu, ohne sich völlig überzeugen zu lassen. Zum Streit kam es immer wieder über Verfahrensfragen, zum Beispiel, ob Karlstadt Bücher mit zur Disputation bringen durfte, aus denen er beweisen wollte, dass Eck die Bibel und die Kirchenväter falsch zitierte.55 Eck setzte durch, dass die Bücher zu Hause blieben. Eck und Karlstadt trafen gegen Ende der Disputation, am 14. und 15. Juli, noch einmal aufeinander, wofür sie noch einmal einen vollen und einen halben Tag zur Verfügung hatten. Dass es sich auch in der zeitgenössischen Wahrnehmung nur um einen Nebenschauplatz handelte, wird daran ersichtlich, dass einige Drucke der Disputationsakten diesen Teil für entbehrlich hielten.56 Luther und Eck trafen zwischen dem 4. und dem 14. Juli an immerhin acht ganzen und zwei halben Tagen aufeinander. Schon dieses Zahlenverhältnis macht deutlich, wie sehr Luther seinen Kollegen Karlstadt als Hauptdisputator in Leipzig verdrängte. Die Disputation Luthers mit Eck57 drehte sich zunächst um das göttliche Recht des päpstlichen Primats, dann um die Lehre vom Fegefeuer, den Ablass und die Buße. Doch an der Primatsfrage allein hängt die Bedeutung der Disputation.58 Diese Auseinandersetzung begann schon vor Luthers Eingreifen in die Disputation. Auf Bitten des in seiner Funktion als Wittenberger Rektor angereisten Herzogs Barnim von Pommern sollte er am 29. Juni in der Schlosskapelle St. Peter und Paul über das Tagesevangelium Matthäus 16,13-19 predigen,59 also über jene Stelle, die traditionell für den päpstlichen Primat in Anspruch genommen wurde: »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen«.60 Das Publikumsinteresse bei dieser ersten Predigt Luthers in Leipzig61 war so groß, dass man aus der Kapelle in den Disputationssaal umziehen musste.62 Luther gründete 54 Vgl. ebd, Bv f. Hier berichtet Fröschel, dass die Wachen zweimal am Tag auf dem Schloss antreten mussten, um den Frieden zu gewährleisten, nämlich vormittags von 7 bis 9 Uhr und nachmittags von 2 bis 5 Uhr. Die Disputationsakten zeigen allerdings, dass die Anfangszeiten der Eck-Karlstadt-Disputation zwischen 7 und 8 Uhr morgens und zwischen 1 und 4 Uhr nachmittags schwankten. Am 29. und 30. Juni sowie am 2. Juli ruhte die Disputation. 55 WA Br 1, Nr. 187; Die Reformation in Augenzeugenberichten (wie Anm. 2), 73. 56 Vgl. unten im Beitrag Winter S. 66-69. 57 WA 2, (250) 254-383; neu ediert in WA 59, (427) 433-605. 58 Selge: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 7), 28. 59 WA 2, (241) 246-249. 60 Vgl. zu Luthers Auseinandersetzung mit dieser Stelle im Beitrag Junghans unten S. 128 f. 61 Vgl. zu Luthers drei in Leipzig gehaltenen Predigten Armin Kohnle: Luthers Leipziger Predigten. Luther 86 (2015), 128-134 62 Die Reformation in Augenzeugenberichten (wie Anm. 2), 79. Zweifel an dieser Darstellung äußert Noack unten S. 76.
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seine Predigt auf das Petrusbekenntnis in Vers 15: »Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn«, und auf Jesu Antwort: »Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel«. Fleisch und Blut vermögen nichts, so folgerte Luther aus dieser Stelle, der Mensch kann sich aus eigenem freiem Willen die Gnade nicht erwerben. Um diese Gnade hat der Mensch Gott zu bitten und darauf zu vertrauen, dass sie ihm geschenkt wird. Luther kommentierte an dieser Stelle gewissermaßen die Thematik der Eck-Karlstadt-Disputation und entschied sie im Sinne Karlstadts. Erst danach stellte er fest, dass Christus die Schlüsselgewalt nicht Petrus allein, sondern der gesamten Kirche gegeben habe, und negierte so die Beweiskraft der Bibelstelle für den Papstprimat. Eck stufte schon diese Predigt als »ganz böhmisch«,63 das heißt hussitisch und damit ketzerisch ein. IV Die Grundlinien der Debatte über das päpstliche Amt Die einige Tage später beginnende Disputation Luthers mit Eck kam sofort auf diesen Punkt zurück. Eck argumentierte auf der Basis einer Ekklesiologie, wonach unter Kirche die von Gott gestiftete und in ihrer monarchischen Struktur von Gott auch so gewollte Institution Kirche verstanden werden müsse, so wie sie dem spätmittelalterlichen Menschen konkret entgegen trat. Dabei war Eck kein Papalist, sondern ließ durchaus offen, ob die gottgewollte monarchische Form nicht auch im Konzil gipfeln könnte. Luther vertrat dem gegenüber einen Standpunkt, der gar nicht in erster Linie gegen die bestehende spätmittelalterliche Papstkirche gerichtet war, sondern sie als äußeres Gehäuse für die eigentliche Kirche bestehen ließ. Diese eigentliche Kirche war die Glaubens- und Liebesgemeinschaft der Christen mit dem menschgewordenen und gekreuzigten Gottessohn. Aus Liebe kann man auch den Papst ertragen, meinte er. Es ging Luther also nicht um das Papsttum als solches, sondern um die behauptete Stiftung durch Christus und um die behauptete Heilsnotwendigkeit des Papstgehorsams. Von dieser so unterschiedlichen ekklesiologischen Basis aus kam die Disputation dann schnell auf die Frage, wer sich für sein Kirchenverständnis auf die Autorität Christi berufen konnte und welche Kirche sich bei den Vätern und in der Kirchengeschichte historisch manifestiert hat. Die Felder, auf denen man sich bekämpfte, waren zum einen die Exegese der Schrift und der Väterliteratur und zum anderen die gesamte Kirchengeschichte, die beide Seiten für sich beanspruchten. Dadurch wurde alles zum Beleg: Bibelworte, Väterzitate, Kirchenrecht, historische Ereignisse. Es ging in erster Linie also um die Begründung des päpstlichen Primats aus der Bibel. Dies blieb das zentrale Thema der Disputation. Luther zeigte, dass die Schrift den vom Papsttum beanspruchten Primat ausschließt und dass auch das 63 WA Br 1, Nr. 187, Anm. 44; Die Reformation in Augenzeugenberichten (wie Anm. 2), 86 bezeichnet Eck Luthers Predigt als hussitisch.
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Felswort Matthäus 16,18-19 ihn nicht belegen kann. Eck hingegen interpretierte die Schrift im Lichte von Aussagen einiger Kirchenväter und der noch späteren kirchlichen Tradition und versuchte außerdem zu zeigen, dass Luthers Behauptung der Gleichrangigkeit aller Apostel hinsichtlich der Leitungsgewalt in der Kirche nicht zutreffe. Petrus sei den anderen Aposteln eben doch übergeordnet gewesen. Gegen diese Argumentation stellte Luther den hermeneutischen Grundsatz, dass kein Väterwort gegen ein Schriftwort Autorität beanspruchen dürfe und dass die Väter von der Schrift her zu verstehen seien, nicht umgekehrt. Daraus ergab sich die Frage, was die Väter bezüglich des päpstlichen Primats denn eigentlich gelehrt haben. War Eck in der Bibelexegese Luther unterlegen, war er in der Kenntnis der Kirchenväterliteratur ein durchaus gleichwertiger Gegner. Zwar ging er mit seinen Quellen teilweise kritiklos um und hielt spätere Fälschungen für echt, was ihm einige Humanisten arg verübelten, aber er konnte doch zeigen, dass gegen Luthers Auffassung eine breite und alte Tradition stand und nicht nur, wie Luther meinte, einige päpstliche Dekrete aus jüngerer Zeit. In diesen Zusammenhang gehört dann auch der größte Eklat der Disputation, der eintrat, als Eck die Rede auf das Konstanzer Konzil brachte. Luther hatte 1518 noch an das allgemeine Konzil appelliert. Jetzt wies ihm Eck nach, dass er Auffassungen vertrat, die schon auf dem Konzil zu Konstanz verurteilt worden waren. Damit stand die Frage der Autorität des Konzils in Glaubensfragen im Raum. Luther erkannte die Brisanz, musste aber zugeben, dass auch ein Konzil sich irren kann. Damit hatte Eck Luther dort, wo er ihn haben wollte. Luther musste sich der Frage stellen, ob das Konstanzer Konzil sich denn auch bei der Verurteilung des Jan Hus geirrt habe. In diesem Zusammenhang fiel die berühmte Bemerkung Luthers, dass nicht alle Artikel des Jan Hus irrig gewesen seien. V Zwiespältige Eindrücke Die Eindrücke, die die Disputation bei den Beteiligten und Zuhörern hinterließ, waren naturgemäß sehr unterschiedlich. Die als Schiedsrichter vorgesehenen Universitäten Paris und Erfurt gaben ein Urteil niemals ab.64 Wie bei heutigen Fernsehdebatten von Politikern ist die Frage des Siegers weniger eine Frage der besseren Argumente als vielmehr eine Frage der öffentlichen Wahrnehmung. Und auch hier waren die Eindrücke durchaus zwiespältig: Herzog Georg von Sachsen kam tatsächlich zu einem eigenen Urteil, nämlich gegen Luther und seine Lehre. 64 Die Pariser Sorbonne veröffentlichte zwar 1521 ein Gutachten gegen Luther, das aber inhaltlich nicht auf die Leipziger Disputation Bezug nahm, sondern Luthers Lehre insgesamt verurteilte. Vgl. Eyn Urteyl der Theologen tzu Pariß uber die lere Doctor Luthers […]. In: WA 8, 267-312; Determinatio oder Verurteilung der lutherischen Lehre durch die Doktoren Heiliger Schrift in Paris [1521]. In: Flugschriften gegen die Reformation (1518-1521)/ hrsg. von Adolf Laube unter Mitarb. von Ulman Weiß. Berlin 1997, 270-293.
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Wie der eingangs schon zitierte Sebastian Fröschel berichtet, empörte den Herzog vor allem, dass Luther auf Ecks Vorwurf der böhmischen Ketzerei antwortete: »Lieber Herr Doktor, nicht alle hussitischen Artikel sind ketzerisch«. Georg soll daraufhin laut gerufen haben: »Das walte die Sucht«, wobei er den Kopf schüttelte und beide Arme in die Seiten stemmte.65 Dies wurde bald als Schlüsselszene der Disputation verstanden. Herzog Barnim von Pommern hingegen, der die gesamte Disputation aufmerksam verfolgte, wurde in Leipzig wenn nicht für die Reformation gewonnen, so doch in seiner Sympathie bestätigt, was sich – allerdings erst eineinhalb Jahrzehnte später – konkret auswirkte, als er die Reformation in seinem pommerischen Landesteil einführte. Andere ließ die Veranstaltung in Leipzig mehr oder weniger unbeeindruckt: Die Leipziger Theologen, so berichtet Fröschel, hätten die ganze Zeit neben Eck gesessen und sanft geschlafen. »So fleißig hörten sie zu und so süße schmeckte ihnen die Disputation, daß man sie auch im allgemeinen aufwecken mußte, wenn man zu disputieren aufhörte, damit sie ihr Essen und ihre Mahlzeit nicht versäumten ...«.66
Ablehnung bis Gleichgültigkeit gegenüber der Reformation kennzeichneten dann auch das Verhalten der Fakultätsmehrheit bis zum Tod Herzog Georgs 1539.67 Philipp Melanchthon, damals erst ein Jahr in Wittenberg, hielt das Streitgespräch zwischen Eck und Karlstadt für ganz unfruchtbar.68 Den Streit über die Frage, ob der freie Wille nur das gute Werk annehme oder ob die Gnade allein das gute Werk hervorbringe, hielt er für eine Sackgasse. Nach Melanchthons Meinung hatte man damit eine ganze Woche vergeudet. Anders beurteilte er die Kontroverse Ecks mit Luther. Ob die Autorität des Bischofs von Rom aus dem göttlichen Recht zu erweisen war, stellte in seinen Augen ein wichtiges Problem dar. Ecks Versuch, eben dies aus der Bibel, den Kirchenvätern und den päpstlichen Dekreten nachzuweisen, hielt Melanchthon für gescheitert, Luthers bibelgestützte Argumentation für überzeugender.69 Luther selbst wunderte sich im Nachhinein sehr, dass die Ablassproblematik bei der Disputation mehr oder weniger unter den Tisch gefallen war, da es ur-
65 Vgl. Fröschel: Vom Königreich Christi (wie Anm. 3), Bijrv; Die Reformation in Augenzeugenberichten (wie Anm. 2), 70 f. Vgl. auch den Text bei Jadatz unten S. 109 Anm. 2; S. 122 f der überzeugende Nachweis, dass diese Reaktion des Herzogs einen längeren Vorlauf hatte. Volkmar vermutet unten S. 208 eine Interpolation Fröschels. 66 Die Reformation in Augenzeugenberichten (wie Anm. 2), 71 (nach Fröschel, Vom Königreich Christi [wie Anm. 3], Bijv). 67 Herbert Helbig: Die Reformation der Universität Leipzig im 16. Jahrhundert (SVRG; 171). Gütersloh 1953. 68 Die Reformation in Augenzeugenberichten (wie Anm. 2), 73 f. 69 Ebd, 74-77.
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sprünglich ja gerade um sie gehen sollte.70 Seinen Kontrahenten Eck hielt er für einen Aufschneider und unbeständigen Menschen, der sich in Widersprüche verwickelte, ohne sich daran auch nur zu stören. Die Gabe, das Publikum zu beeindrucken, sprach er ihm aber nicht ab. Ecks Methode, in der Disputation dem Gegner alles zuzugestehen, um am Ende dennoch den Sieg für sich zu beanspruchen, fiel Luther negativ auf. Petrus Mosellanus sah dies ähnlich.71 Luthers persönliches Fazit lautete: »Und so ist in jener Disputation fast nichts von Bedeutung verhandelt worden, außer meiner dreizehnten These«.72 Empört war er über die Leipziger Theologen, die Eck hofierten und die Wittenberger links liegen ließen. Luthers Befürchtung, Eck Abb. 8: Martin Luther (1483-1546) habe durch seine affektierte Art das Publikum für sich gewonnen, mag für die Leipziger Theologen zugetroffen haben, nicht aber für die Stadtbevölkerung, die durch ihren enormen Zulauf zu seiner Predigt nicht nur Neugier auf, sondern zumindest in Teilen auch Sympathie für die Sache der Reformation gezeigt hat. Und Luthers Disputationsgegner Johannes Eck? Eine gute Woche nach dem Ende der Disputation berichtete Eck an den Ketzermeister Jacob Hoogstraten,73 dass die Wittenberger in Leipzig ihrem Ruf sehr geschadet hätten, auch beim Volk. Bei den Gelehrten hätten sie gar keinen Kredit mehr. Blind und boshaft nennt er Luther und seine Anhänger: Luther leugne, dass Petrus das Oberhaupt der Apostel gewesen sei, er leugne, dass der kirchliche Gehorsam durch göttliches Recht legitimiert sei, er leugne, dass die Kirche auf Petrus gebaut sei, er folge nicht den Kirchenvätern, sondern wolle als Einzelner tausend widerstehen, »allein darauf gestützt, daß Christus das Fundament der Kirche sei und niemand einen anderen 70 Ebd, 77-80; WA Br 1, Nr. 187. Vgl. unten den Beitrag Beyer. 71 Vgl. oben bei Anm. 14. 72 Die Reformation in Augenzeugenberichten (wie Anm. 2), 78. 73 Vgl. Eck an Jakob Hoogstraten, 24. Juli 1519: Dokumente zur Causa Lutheri (wie Anm. 28) Bd. 2, (258) 262-265. EBW Nr. 91.
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Grund legen kann«. Und mehr noch (wörtlich Eck): »Über die Artikel der Böhmen sagte er, unter den vom Konzil zu Konstanz verdammten Artikeln seien einige sehr christlich und evangelisch. Durch diesen verwegenen Irrtum hat er viele erschreckt und veranlaßt, sich von ihm zu trennen, die ihm zuvor wohlgesonnen waren. Er sagte unter anderem, als ich mit ihm stritt, daß der Primat des Papstes allein menschlichen Rechts ist und auf dem Konsens der Gläubigen beruht; daher kam ihm dann die Rolle zu, die er heute spielt. … Er lehnte die Bettelorden ab und sagte vieles andere Skandalöse und Absurde: so zum Beispiel, daß das Konzil, weil es aus Menschen bestehe, irren könne; daß die Existenz des Fegfeuers nicht aus der Heiligen Schrift bewiesen werden könne usf.«74
Die Wittenberger, unter ihnen der arrogante Melanchthon, erschienen dem Ingolstädter Theologen insgesamt als ein verschworener Abb. 9: Eck (1494-1554) mit einem Spottvers Haufen, der alles mitschrieb, sich ständig beriet, die Köpfe in die Bücher steckte und seine, Ecks, Argumente nachprüfte. »Ich dagegen stand allein, nur von der Gerechtigkeit begleitet«.75 Eck war also zuversichtlich, in Leipzig eine gute Figur gemacht und seine Gegner überwunden zu haben.76 Er hat sich ebenso getäuscht wie Luther sich täuschte, als er einen allzu negativen Eindruck von der Leipziger Disputation zurückbehielt.
74 Die Übersetzung nach der zweisprachigen Internet-Ausgabe in EBW Nr. 91. Eine etwas anders lautende Übersetzung in: Die Reformation in Augenzeugenberichten (wie Anm. 2), 83-86. 75 Übersetzung nach EBW Nr. 91. 76 Zu Ecks Rückblick auf Leipzig vgl. auch im Beitrag Wurm unten S. 170 f.
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VI Das Ende der Disputation Die Leipziger Disputation endete am 15. Juli nachmittags mit einer längeren lateinischen Rede des Mediziners Johannes Lange aus Löwenberg in Schlesien.77 Auch die Schlussveranstaltung war von Musik begleitet, die der Kantor Rau mit Sängern und Stadtpfeifern aufführte.78 Die Choreographie der Leipziger Disputation schloss sich damit: Die Begrüßung war durch einen Juristen erfolgt, die Eröffnungsrede durch einen Artisten, die Veranstaltung selbst stand unter der Leitung der Theologen, die Schlussrede hielt ein Mediziner. So waren alle Fakultäten beteiligt. In seiner Lobrede auf die theologische Disputation79 betonte Lange, er maße sich nicht an, in einer so schwierigen Sache ein Urteil zu fällen, sondern es sei einzig seine Aufgabe, allen Beteiligten, den Disputanten ebenso wie den Zuhörern, zu danken. Sicher hatte er Recht, wenn er feststellte, dass man nicht sicher wissen könne, wer denn nun den Sieg aus der Disputation davontrage. Die öffentliche Meinung ist im 16. Jahrhundert eine ebenso schwer zu fassende Größe wie heute. Schaut man auf die sogenannten Humanisten, dann sieht die Bilanz für die reformatorische Seite nicht schlecht aus. Johannes Oekolampad und Lazarus Spengler zum Beispiel ergriffen in Flugschriften Partei für Luther, Willibald Pirckheimer verspottete Eck in der Satire »Der abgehobelte Eck«, Erasmus von Rotterdam soll Eck jetzt für einen Narren gehalten haben.80 Auch wenn man in diesen Kreisen eher Luther für den Sieger in der Disputation hielt, bedeutete dies nicht in jedem Fall, dass sich die Humanisten jetzt auch der Reformation anschlossen. Johannes Eck sah den Ausgang der Leipziger Disputation verständlicherweise anders. Und die Leipziger Bürger? Nicht nur der Ansturm auf Luthers Predigt am 29. Juni zeugt von dem großen Interesse, auf das die während der Disputation behandelten Fragen auch bei den Einwohnern stieß, die das lateinische Streitgespräch selbst nicht verfolgen konnten. Von Fröschel wissen wir, dass in den Herbergen der Wittenberger Studenten so heftig zwischen Wittenbergern und Leipzigern dispu-
77 Zu Lange (1485-1565) vgl. Ernst Gurlt: Lange, Johannes. ADB 17 (1883), 637-638 (Online-Version), wo die Leipziger Zeit und die Tatsache, dass Lange einmal Rektor der Universität war, übergangen sind. Lange stammte nicht aus Lemberg in Galizien, wie immer wieder zu lesen ist. Zum Zeitpunkt seiner Rede war er nicht mehr Rektor, da sein Rektorat im April 1519 geendet hatte. 78 Vgl. Fröschel: Vom Königreich Christi (wie Anm. 3), Biijr. 79 Johannes Lange: Oratio Ioannis Langii Lembergii, Encomium theologicae disputationis Doctorum Ioannis Echii, Andreae Carolostadii ac Martini Lutherii complectens, ... XVI. Iulij die recitata in frequentissima summorum virorum concione, Leipzig 1519 (VD 16 L 334). Der Druck gibt zwar an, die Rede sei am 16. Juli gehalten worden, dies muss aber ein Irrtum sein. Richtig unter dem 15. Juli steht die deutsche Übersetzung in Dr. Martin Luthers sämtliche Schriften (wie Anm. 13). Bd. 15, 1130-1142 (Nr. 379). 80 WA Br 1, 513-517 (Nr. 202) (über Eck 514). Vgl. den Beitrag Volkmar in diesem Band.
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tiert wurde, dass der Wirt81 einen bewaffneten Wächter am Tisch postieren musste, um den Frieden zu bewahren.82 Ein Dominikaner namens Baumgartner habe sich mit einem Adligen wegen Luther so gestritten, dass er daran gestorben sei.83 Als Eck 1520 mit der Bannandrohungsbulle gegen Luther nach Leipzig kam, war die Stimmung hier, wo er glaubte, alle überzeugt zu haben, bereits so deutlich gegen ihn, dass er sich nicht mehr sicher fühlte.84 Doch ihm blieb sein größter Erfolg: Die Festlegung Herzog Georgs gegen Martin Luther schloss das albertinische Sachsen bis 1539 von der reformatorischen Entwicklung aus beziehungsweise drängte die Anhänger Luthers in der Stadt Leipzig und auf dem umliegenden Land in den Untergrund. Sebastian Fröschel, der scharfsinnige Beobachter der Disputation, dem wir so viele farbige Einzelheiten verdanken, bekam die repressive Politik Herzog Georgs als einer der ersten zu spüren.85 Das also hatte die Disputation zu Leipzig in jedem Fall bewirkt: Viele Menschen, ob gelehrt oder nicht, begriffen, dass der reformatorische Aufbruch mehr war als leeres Theologengezänk. Sie verstanden, dass es um die wichtigsten Fragen christlicher Existenz ging und dass sie selbst davon betroffen waren. VII Thesen zur Bedeutung der Disputation für die Reformation Bleibt am Ende die Frage nach der Bedeutung der Leipziger Disputation für die Reformation insgesamt. Wirkungen sind vor allem auf vier Feldern zu konstatieren: 1. Die Leipziger Disputation war eine wichtige Etappe auf dem Weg der Herausbildung von Luthers reformatorischer Theologie. Die Frage nach den für den Christen maßgeblichen Normen und Autoritäten war 1519 nicht neu, man kann mit Kurt-Victor Selge die gesamte Frühphase der Reformation als Normen- und Autoritätenkonflikt interpretieren.86 In Leipzig wurde Luther aber gezwungen, sein Verständnis der Schriftautorität und ihr Verhältnis zur kirchlichen Tradition zu präzisieren. Ecks beständiges Insistieren auf den Aussagen der Väter und der 81 Vgl. Fröschel, Vom Königreich Christi (wie Anm. 3), Aiiijv f. 82 Fröschel nennt den Wirt Herbipolis und bezeichnet ihn als Buchdrucker. Vielleicht handelt es sich bei dieser bisher nicht näher identifizierten Person um den Baccalar und Buchdrucker Martinus Herbipolis, der im Mai 1490 ein Rechtsgeschäft vor dem Leipziger Rat tätigte; vgl. Die Leipziger Ratsbücher 1466-1500/ hrsg. von Henning Steinführer, 2 Halbbde. Leipzig 2003. Bd. 2, 54 (Nr. 1104). 83 Vgl. ebd, Br. 84 Ecks im Zusammenhang der Publikation der Bannandrohungsbulle stehende Briefe vgl. jetzt in der in der Internet-Ausgabe EBW. Zur Publikation der Bulle durch Eck vgl. auch Armin Kohnle: Reichstag und Reformation: kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte; 72). Gütersloh 2001, 48-75. 85 Sein ausführlicher Bericht in Fröschel, Vom Königreich Christi (wie Anm. 3), Biiijv-Fijr. 86 Kurt-Victor Selge: Das Autoritätengefüge der westlichen Christenheit im Lutherkonflikt 1517-1521. HZ 223 (1976), 591-617.
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scholastischen Tradition und sein völliges Unverständnis, dass auf Wittenberger Seite eben auch diese Tradition an der Bibel gemessen wurde, zeigen deutlich, wie breit die Kluft 1519 bereits war. 2. Die Leipziger Disputation erbrachte eine Klärung der ekklesiologischen Standpunkte, und zwar auf der Seite der Wittenberger ebenso wie auf der Seite ihrer Gegner. Der Kern der Leipziger Disputation war ein ekklesiologischer Grundkonflikt. Das reformatorische Verständnis der Kirche als der Gemeinschaft der Glaubenden unter dem einen Haupt Christus zwang Luther zum Nachdenken über die Frage, wie diese wahre Kirche zur hierarchischen Papstkirche des Spätmittelalters stand. Die Unvereinbarkeit ist Luther zwar erst nach Leipzig voll bewusst geworden, doch war diese Erkenntnis auch eine Folge der Disputation, die demzufolge als Impuls verstanden werden kann, der reformatorischen Theologie ein neues kirchliches Gehäuse zu schaffen. 3. Johannes Eck hingegen prägte mit seinem auf dem Petrusamt basierenden Kirchenverständnis die Ekklesiologie der römischen Seite während der Reformationszeit und danach. Wurde sich Luther in diesen Auseinandersetzungen seiner Nähe zu Jan Hus erst richtig bewusst, stand für Eck das Urteil über Luther nunmehr fest: Er war für ihn ein böhmischer Ketzer. Dass Luther mit Papst und Papstkirche in Leipzig schon endgültig gebrochen habe, wie man gelegentlich lesen kann, wird man aber nicht sagen können; zu weiteren Einsichten und letzten Konsequenzen kam Luther erst durch den im folgenden Jahr gegen ihn verhängten Kirchenbann. 4. Die Leipziger Disputation erbrachte eine Scheidung der Geister. In Leipzig wurden fast alle Fragen angesprochen, die die im 16. Jahrhundert entstehenden Konfessionen trennen sollten. Für das weitere Vordringen reformatorischen Gedankenguts in der Öffentlichkeit war sie zweifellos eine wichtige Etappe, doch die von Leipzig ausgehenden Wirkungen waren weder einseitig positiv noch einseitig negativ für die Sache des Evangeliums.
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Die Leipziger Disputation in der Forschung
Die Leipziger Disputation in der Forschung Von Markus Hein
Die folgende Skizze widmet sich allein denjenigen Forschungen zur Leipziger Disputation seit dem 19. Jahrhundert, deren Ergebnis sich in einer Untersuchung zu dem Gesamtereignis niedergeschlagen hat. Es kann festgestellt werden, dass man dabei durchaus von einem »Voranschreiten« dieser Forschung sprechen kann. Auf die Darstellung und Einordnung von Einzelaspekten – seien es Personen wie Andreas Bodenstein aus Karlstadt, der Disputator Johann Eck, Georg der Bärtige oder auch Ereignisse wie andere Disputationen und Vorladungen Luthers – wird verzichtet. Dies geschieht an anderer Stelle. Ausgangspunkt jeder Beschäftigung mit der Leipziger Disputation sind die Protokolle derselben.1 Hier bietet die Leipziger Disputation als Forschungsgegenstand eine sehr viel bessere Ausgangslage als viele andere bedeutende Ereignisse der Reformation im 16. Jahrhundert. Die beiden für die spätere Forschung wichtigsten Editionen und Ausarbeitungen dieser Niederschriften sind die des Dresdner Oberhofpredigers Valentin Ernst Löscher und die des Jenaer Theologieprofessors Johann Georg Walch. Löscher, bei dem sich der lateinische Text der Disputation im 3. Band seiner »Vollständigen Reformations-Acta und DocumenAbb. 10: ta …«2 findet, schöpfte aus dem, Titelblatt von Löscher: Vollständige was er in Vorbereitung auf eine Reformations-Acta …, 1729 1 Vgl. hierzu den Beitrag von Christian Winter. 2 Valentin Ernst Löscher: Vollständige Reformations-Acta und Documenta oder umständliche Vorstellung des Evangelischen Reformations-Wercks […]. Bd. 3: Auf das Jahr 1519. Leipzig 1729, 214-507 (Das achte Capitul, Von der berühmten Leipziger Disputation). 508-558 (Das neunte Capitul oder Beschreibung der Leipziger Disputation).
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Reihe Reformationspredigten, bei denen er 1717 in Dresden »die ReformationsGeschichte Stück-weise in den Sonntags-Predigten« vortrug, von allen Seiten her zusammengetragen hatte – »von alten und neuen Nachrichten und Erzehlungen«. Und er fügte hinzu: »Die göttliche Güte fügte es auch also, daß mir über meine Hoffnung sehr viele, theils ungedruckte, theils gedruckte und vergessene Documenta, […] zu denen ReformationsGeschichten zu handen kommen sind, […]«.3
Walch, in dessen Ausgabe der »Sämtlichen Schriften Luthers« in Band 15 der Text der Leipziger Disputation in deutscher Übersetzung geboten wird,4 führt seine Quellen akribisch auf, geht dabei auch bis in das 16. Jahrhundert zurück.5 Die zweite, in Teilen veränderte und verbesserte Ausgabe des Walch übernimmt zwar dessen genaue Anordnung, verzichtet aber auf seine Einleitungen und theologischen Ausführungen. Explizit wird dabei auf Johann Karl Seidemann Bezug genommen, der »in seinen ›Erläuterungen zur Reformationsgeschichte‹, S. 61, Anm., sagt: ›Eine neue bessere Ausgabe der Werke Luthers, als der treffliche Walch sie gab und geben konnte, thäte noth. Sie müßte chronologisch sein und die einschlagenden Urkunden in besonderem Bande chronologisch geben.«6
Zwar konnten die Forderungen Seidemanns nicht erfüllt werden, aber eine Verbesserung auch im Hinblick auf die Lesbarkeit war die zweite Ausgabe Walchs auf jeden Fall. Die Vorlagen der einzelnen Stücke wurden jetzt genannt. Auch wurden manche Texte neu übersetzt beziehungsweise neu hinzugefügt. Im Folgenden soll nun danach gefragt werden, wer die Personen waren und sind, die die Forschung zur Leipziger Disputation seit dem 19. Jahrhundert vorangetrieben haben und was ihr jeweiliger Anteil dabei war. Die Protagonisten sind – zumindest im Hinblick auf die Geschichte der Leipziger Disputation – nicht 3 Valentin Ernst Löscher: Vollständige Reformations-Acta und Documenta oder umständliche Vorstellung des Evangelischen Reformations-Wercks […]. Bd. 1: Auf das Jahr 1517. Leipzig 1720, Vorbericht. 4 D. Martin Luthers sowol in Deutscher als Lateinischer Sprache verfertigte und aus der letzern in die erstere übersetzte Sämtliche Schriften. Fünfzehnter Theil, Welcher die zur Reformationshistorie gehörige Documenten von 1517. bis 1524 enthält, …/ hrsg. von Johann Georg Walch. Halle im Magdeburgischen: Joh. Justinus Gebauer. 1745, 954-1637. (Das fünfte Capitel: Von der im Monat Juni 1519 zwischen D. Ecken, D. Carlstaden und D. Luthern zu Leipzig gehaltenen sehr berühmten Disputation, Dokumente 350-427); Nachdruck: Dr. Martin Luthers sämtliche Schriften/ hrsg. von Johann Georg Walch. St. Louis, Missouri, hier Bd. 15: Reformations-Schriften. Abth. 1: Zur Reformation gehörige Documente. A: Wider die Papisten. Aus den Jahren 1517 bis 1525. 2. Aufl. 1880-1910St. Louis 1899, 802-1379. 5 D. Martin Luthers sowol … (wie Anm. 4), 108-111 (zu Nr. 350-427). 6 Dr. Martin Luthers sämtliche Schriften (wie Anm. 5), VIII. Zitiert wird: Erläuterungen zur Reformationsgeschichte durch bisher unbekannte Urkunden/ hrsg. von Johann Karl Seidemann. Dresden 1844, 61.
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Die Leipziger Disputation in der Forschung
Abb. 11: Titelblatt von D. Martin Luthers Sämtliche Schriften …/ hrsg. von Walch, 1745
die typischen Forscher: Nahezu sämtliche einschlägigen Untersuchungen wurden nämlich von Pfarrern vorgelegt, die im Gemeindeamt standen, einige sogar ein Superintendentenamt bekleideten. I Karl Wilhelm Hering und Johann Karl Seidemann Wenig bekannt ist, dass Johann Karl Seidemann nicht der erste war, der sich intensiv mit der Leipziger Disputation beschäftigte, sondern auch schon auf Forschungen anderer aufbaute. Er setzte sich selbst bereits 1843 beim Erscheinen seiner Arbeit »Die Leipziger Disputation im Jahre 1519«7 mit einem Zeitgenossen auseinander: dem Superintendenten von Großenhain, Karl Wilhelm Hering.8 Hering hatte vier 7 Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519: aus bisher unbenutzten Quellen historisch dargestellt und durch Urkunden erläutert. Dresden; Leipzig: Arnoldische Buchhandlung, 1843. 161 S. 8 Hering wurde am 27. Januar 1790 in Freiberg geboren und starb 1871 in Dresden. Seit 1832 war er Superintendent von Großenhain, nachdem er zuvor Pfarrer in Wendischrottmar bei Werdau und in Zöblitz bei Marienberg gewesen war. Der Versuch, 1848 als Kirchen- und
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Abb. 12: Titelblatt von Hering: De Disputatione celeberrima …, 1839
Jahre zuvor eine Dissertation veröffentlicht unter dem Titel »De disputatione celeberrima sub auspiciis Georgii ducis Saxonici Lipsiae anno salutis MDXIX habita«.9
Schulrat nach Bautzen zu gehen, schlug fehl, so dass er bis zu seiner Emeritierung 1865 in Großenhain blieb. Gleichzeitig wurde ihm der Titel eines Konsistorialrates verliehen. 9 Karl Wilhelm Hering: De disputatione celeberrima sub auspiciis Georgii ducis Saxonici Lipsiae anno salutis MDXIX habita. Dissertatio historico-theologica, quam summe reverendo theologorum ordini in academia Lipsiensi inter jubila saecularia memoriae reformationis ecclesiae ante hos trecentos annos primo festi pentecostes die Lipsiae publiciter inchoatae … Leipzig: Reclam, 1839. 40 S.
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Allerdings bricht diese Untersuchung mit den Ereignissen am 27. Juni ab, und eine versprochene zweite Hälfte10 erschien nie. Seidemann urteilte über diese lateinische Schrift vernichtend: »Nun sind aber diese vierzig Seiten sehr unbrauchbar; sie lehren, wie Archive nie benutzt, Geschichte und Chronologisches in keinem Falle behandelt werden sollen.«11
Hering hatte seinen Ausführungen lediglich zwei Aktenstücke aus Dresden zugrunde gelegt und auch in keiner Weise so gelehrt (und manchmal auch eitel) wie Seidemann gearbeitet. Seidemann sah sich so bemüßigt, dieses Versäumnis anzuprangern und zu korrigieren, indem er auf die »dringende Notwendigkeit [seine Untersuchungen zu veröffentlichen, die er schon Jahre zuvor begonnen hatte,] damit Irrtum und Wirren möglichst ein Ende haben«,12
hinwies. Auch wenn Hering in der Tat immer wieder zitiert, ohne anzugeben, woher die Akte oder der Brief stammt, aus dem er wiedergibt, ist die vernichtende Kritik Seidemanns nicht ganz berechtigt. Hering war, was die Reformationsforschung angeht, in seiner Zeit durchaus kein unbeschriebenes Blatt. Seine nebenpfarramtliche Liebe galt deutlich der Geschichte beziehungsweise der Kirchengeschichte. Schon 1830 hatte er einen umfangreichen Band über »Das erste und zweite Jubelfest der Uebergabe der Augsburger Confession nach den Verhältnissen, unter welchen, und des Geistes, in welchem es die evangelische Kirche Deutschlands im Jahre 1630 und 1730 gefeiert hat«13 herausgegeben, der wohl wissenschaftlichen Ansprüchen genügen kann. Seine zweibändige Arbeit über die »Geschichte der kirchlichen Unionsversuche seit der Reformation bis auf unsere Zeit«, in der zwar auch nur sparsam Fußnoten und Nachweise zu finden sind, aber auch ein gemischtes Personen- und Sachregister beigegeben wurde, kann durchaus als ein seriös zu nennendes Werk betrachtet werden.14 Im gleichen Jahr wie die Dissertation erschien zudem seine »Geschichte der … Einführung der Reformation« im Markgrafentum Meißen.15 10 So lautete der letzte Satz seiner Arbeit: »Haec fuere, quae de iis, quae praeiverint disputationem Lipsiensem, ut erat in propositio, dicenda haberemus, cum de ipso, qui fuerit disputationi successu eventuque in altera hujus dissertationis parte simus exposituri.« Hering: De disputatione … (wie Anm. 9), 40. 11 Seidemann: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 7), V. 12 Seidemann: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 7), VI. 13 Karl Wilhelm Hering: Das erste und zweite Jubelfest der Uebergabe der Augsburger Confession nach den Verhältnissen, unter welchen, und des Geistes, in welchem es die evangelische Kirche Deutschlands im Jahre 1630 und 1730 gefeiert hat: nebst der Geschichte der Übergabe der Confession selbst. Chemnitz: Kretschmar, 1830. 358 S. 14 Karl Wilhelm Hering: Geschichte der kirchlichen Unionsversuche seit der Reformation bis auf unsere Zeit. Bd. 1. Leipzig 1836; 520 S.; Bd. 2 Leipzig 1838. 512 S. 15 Karl Wilhelm Hering: Geschichte der im Jahre 1539 im Markgrafenthume Meißen und dem dazu gehörigen thüringischen Kreise erfolgten Einführung der Reformation: nach
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Abb. 13: Titelblatt von Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519, 1843
Worauf sich Seidemanns grundsätzliche Kritik bezog, wird deutlich, wenn er dann in seiner Darstellung der Leipziger Disputation ganz bewusst auf das »dogmatische Element, lieber Moment«, wie es bei ihm heißt, verzichtete, das ihm bei Hering offensichtlich missfiel. Ganz im Sinne des aufkommenden Historismus urteilte er, die Kirchengeschichte sei bisher fast nur »mit dogmatischem Blicke« getrieben worden.16 Folgerichtig bat er den Leser, die – reichlich – beigegebenen handschriftlichen Urkunden des königl. sächs. Haupt-Staatsarchivs. Großenhain: Ludwig Gottlob Rothe, [1839]. 148 S. 16 Seidemann: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 7), VI.
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Abb. 14: Eschdorf zur Zeit Seidemanns
Fußnoten auch zu beachten, da dort nicht nur die Quellenangaben, sondern auch weiterführende Andeutungen und Literatur gegeben würden. Tatsächlich findet hier dann wirklich eine Auseinandersetzung mit Literatur und Quellen statt, wenn auch nicht alle Titel wohl gleich erschlossen werden können. Dem angekündigten Verzicht entsprechend, ging er tatsächlich auf dogmatische Fragestellungen so gut wie überhaupt nicht ein. Seine Briefbeilagen aber erweiterten die Forschungsgrundlage enorm, wenn auch deren Bezug manchmal etwas weiter hergeholt zu sein scheint. Mit Seidemanns Arbeit ist der wirkliche Beginn der Erforschung der Leipziger Disputation in der Neuzeit gegeben – zugleich aber auch ihr vorläufiger Höhepunkt, gab es in der Folge doch keine
Abb. 15: Johann Karl Seidemann (1807-1879)
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Untersuchung, zumindest in deutscher Sprache, die mit einem solch umfassenden Anspruch das Thema behandelte. Johann Karl Seidemann gilt zu Recht als »Begründer der modernen Lutherforschung«,17 wie Georg Müller formulierte. Als Sohn eines Musketiers und einer Köchin wurde er am 18. April 1807 in Dresden geboren. Trotz seiner eher »bescheidenen« Herkunft genoss Seidemann eine umfassende Bildung.18 In seinem Pfarramt fand er dann genau den Ort, den er brauchte, um seine Forschungen zu treiben. Müller, der Kenner der Verwaltungsgeschichte der sächsischen Landeskirche urteilte: »Das kleine Pfarramt gewährte S. reichliche Muße zu ausgedehnten Studien, die sich zunächst der Erforschung der reformatorischen Bewegung innerhalb der sächsischen Gebiete zuwandten. Mit unermüdlicher Ausdauer und zielbewußter Methodik las er die Quellenschriften der Reformationszeit, namentlich soweit sie sich auf Luther’s Leben und die Reformation in Sachsen bezogen und sammelte die in ihnen verstreuten Angaben über die einzelnen Persönlichkeiten, litterarischen Erscheinungen und geschichtlichen Vorgänge. […] Sein Pfarrdorf war von Dresden drei Stunden entfernt. Er hat den Weg oft am Morgen zurückgelegt, um nach angestrengter Arbeit im königlichen Hauptstaatsarchive am Abend zurückzukehren.«19
Seine Arbeiten, die den engen Kreis der Luther- und Reformationsforschung kaum verlassen, zeichnet dann auch eine große Quellennähe aus.20 Zum Reformationsjubiläum 1846 verlieh ihm die Leipziger Fakultät den Titel eines »Licentiaten der Theologie honoris causa«. Nun hat Seidemann aber nicht nur die oben beschriebene Kollegenkritik gegenüber Hering in Großenhain, der vielleicht mehr Wert auf die direkten Pfarramtsgeschäfte legte oder zumindest in seinem Amt deutlich mehr zu tun hatte, betrieben, sondern über seine Schüler auch auf die weitere Forschung zur Leipziger Disputation gewirkt.
17 Georg Müller: Seidemann, Johann Karl. ADB 33, 627. 18 Ein Freund des Vaters gab ihm kostenlos Unterricht, so dass sein Pfarrer Moritz Ferdinand Schmaltz – späterer Hauptpastor in Hamburg – auf ihn als Konfirmand aufmerksam wurde und ihm einen Platz am Kreuzgymnasium besorgte. Dieses schloss er 1826 als ein »omnino et prae ceteris dignus« ab, eher er die Leipziger Universität bezog. Nach kurzem Lehrerdasein bekleidete er von 1834 bis 1871 die Pfarrstelle in Eschdorf bei Dresden. Vgl. u. a. Franz Schnorr von Carolsfeld: Zur Erinnerung an Johann Karl Seidemann. NASG 1 (1880), 94-106. 19 Müller: Seidemann … (wie Anm. 17), 627. 20 Vgl. Johann Karl Seidemann: Thomas Münzer: eine Biographie, nach der im Königlich Sächsischen Hauptstaatsarchive zu Dresden vorhandenen Quellen bearbeitet. Dresden; Leipzig 1842. 161 S.
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II Felix Richard Albert Zu diesen Schülern Seidemanns zählt im Hinblick auf die Lutherforschung und auch mit Blick auf die Leipziger Disputation der spätere Grimmaer Superintendent Felix Richard Albert.21 Albert, geboren 1847 in Dresden, wo sein Vater eine Hutfabrik besaß, genoss an der Dresdner Kreuzschule eine solide Grundbildung, ehe er die Universitäten Leipzig und Tübingen bezog, um Theologie zu studieren. 1872 zum Dr. phil. promoviert, erhielt er 1881 auch die Licentiatenwürde. Nach einem kurzen Lehrerdasein in Dresden war er später Pfarrer in Reinersdorf bei Abb. 16: Großenhain und in Dresden, wo unter seiner Felix Richard Albert (1847-1925) Amtsleitung die Petrikirche gebaut wurde. Schließlich bekleidete er seit 1895 bis zu seiner Emeritierung 1916 das Superintendentenamt in Grimma. Die erwähnte philosophische Dissertation von 1873 ist es, die hier besonders interessiert, steht sie doch unmittelbar mit der Leipziger Disputation in Verbindung: »Aus welchem Grunde disputierte Johann Eck gegen Martin Luther in Leipzig 1519«.22 Erschienen zunächst in der Zeitschrift für historische Theologie, wurde sie dann aber auch als Separatdruck bei Perthes in Gotha vertrieben.23 Ausdrücklich dankte Albert seinem Lehrer Seidemann,24 aber auch der »königlichen Universitätsbibliothek in Leipzig«, der Bibliothek des Kreuzgymnasiums in Dresden, der Thomaskirche Leipzig, den Stadtbibliotheken Leipzig und Nürnberg und wies darauf hin: »Die hochwürdige theologische Fakultät in Leipzig gestattete sogar die Benutzung ihres Archivs.«25 Die Quellengrundlage bei Albert war gegenüber Seidemann also deutlich erweitert. 21 Felix Richard Albert (19. November 1847 Dresden – 22. Dezember 1925 Dresden). Vgl. zu ihm Amtskalender für evangelisch-lutherische Geistliche im Königreich Sachsen 31 (1901), 174 sowie Amtskalender für die Geistlichen der Sächsischen evang.-luth. Landeskirche 57 (1927), 108 (Foto). 113. 22 Felix Richard Albert: Aus welchem Grunde disputierte Johann Eck gegen Martin Luther in Leipzig 1519. Zeitschrift für die historische Theologie 43 (1873) 3, 382-441. 23 Felix Richard Albert: Aus welchem Grunde disputierte Johann Eck gegen Martin Luther in Leipzig 1519. Gotha: Perthes, 62 S. 24 »Zur vorliegenden Arbeit gab der hochverehrte Herr P. em. J. K. Seidemann. Lic. theol. in Dresden, nicht nur reiche Anregung, sondern unschätzbare Hilfe. Ihm zuerst sei auch der wärmste Dank ausgesprochen …« Albert: Aus welchem Grunde … (wie Anm. 22), 3. 25 Albert: Aus welchem Grunde … (wie Anm. 22), 3.
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Er ging in seiner Untersuchung der Frage nach, was Eck während der Leipziger Disputation zu seiner entschiedenen Haltung gegen alle Neuerungen auf kirchlichem Gebiet brachte, denn: »Die Antwort auf diese Frage ist der Schlüssel zur richtigen Beurtheilung von Ecks Leben.«26 Unter der Hand ging es Albert dabei auch um ein gewisses Korrektiv der 1865 erschienenen umfangreichen römisch-katholischen Darstellung Theodor Wiedemanns: »Dr. Johann Eck, Professor der Theologie an der Universität Ingolstadt: eine Monographie«.27 Einerseits fokussierte Albert im Geschehen der Disputation auf die Person Ecks, andererseits ging sein Vorgehen aber auch deutlich über die rein historische Darstellung hinaus, nicht nur bei der Quellengrundlage, sondern auch bei der Fragestellung. Damit überschritt er die Grenzen, die sein Lehrer Seidemann selbst gesetzt hatte, und hob den ›Verzicht‹ auf dogmatisches Fragen wieder auf, ohne die sorgfältige wissenschaftliche Herangehensweise seines Lehrers aufzugeben. Explizit ergänzte er Wiedemann noch durch »verbesserte und neue Data aus Johann Eck’s Leben«28 und brachte weitere vier Briefbeilagen. Albert nahm später seinen reformationsgeschichtlichen Arbeitsfaden noch einmal auf, als er 1908 den »Briefwechsel Heinrichs von Einsiedel mit Luther, Melanchthon, Spalatin und anderen«29 herausgab, widmete sich sonst aber auch anderen Themenfeldern. Als er 1901 sein 25-jähriges Amtsjubiläum feierte, hörte die Liste der vor allem auch öffentlichen Gratulanten kaum auf. Nicht nur als hochgeachteter Kirchenmann ehrte man ihn, sondern auch als angesehenen Forscher.30 Sein besonderes Augenmerk lag hierbei nun auf der Geschichte der Predigt, für die er bis kurz vor seinem Tode um Weihnachten 1925 arbeitete. Die ersten drei Bände seiner »Geschichte der Predigt bis auf Luther« waren 1892, 1893 und 1896 erschienen, den vierten Band beendete er noch kurz vor seinem Tod in der Klinik.31 III William Herman Theodore Dau Albert war in Deutschland für längere Zeit der letzte Forscher, der sich intensiv und ausführlicher mit der Leipziger Disputation auseinandersetzte. Es gibt auch keine späteren deutschsprachigen kirchengeschichtlichen Darstellungen der Leipziger Disputation, die sich mehr als nur Einzelaspekten widmen. Lediglich ein Deutsch 26 Albert: Aus welchem Grunde … (wie Anm. 22), 5. 27 Theodor Wiedemann: Dr. Johann Eck, Professor der Theologie an der Universität Ingolstadt. Regensburg: Pustet, 1865. VII. 720 S. 28 Albert: Aus welchem Grunde … (wie Anm. 22), 50-56. 29 Felix Richard Albert: Der Briefwechsel Heinrichs von Einsiedel mit Luther, Melanchthon, Spalatin und anderen: aus Handschriften dargestellt. Leipzig: Heinsius, 1908. 124 S. 30 Amtskalender für evangelisch-lutherische Geistliche im Königreich Sachsen 31 (1901), 174. 31 Felix Richard Albert: Die Geschichte der Predigt in Deutschland bis Luther. 3 Bde. Gütersloh: Berthelsmann, 1892. 1893. 1896 (Bd. 1-3 Nachdruck Adamant Media Corporation 2001).
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Amerikaner, William Herman Theodore Dau, ist hier noch zu nennen. Dau stammte aus Lauenburg in Pommern, wo er 1864 geboren worden war. Er siedelte mit 17 Jahren nach Amerika über und erhielt am Corcordia Seminary in St. Louis (Missouri) seine Ausbildung. Dorthin kehrte er als Professor zurück, nachdem er Pastor in verschiedenen Gemeinden gewesen war. 1926 wurde er der erste lutherische Präsident der Valparaiso University in Indiana. Für die Lutheraner in den Vereinigten Staaten ist Dau bis heute so etwas wie ein Gründervater. Ausdruck dessen ist unter anderem die »Dau Church History Library« in Detroit. 1919 unternahm er es, auf 256 Seiten das Abb. 17: William H. T. Dau (1864-1944) Geschehen der Leipziger Disputation darzustellen und zu interpretieren. Dabei wollte er nicht originell sein, sondern offensichtlich den amerikanischen Lutheranern helfen, ihre Herkunft besser kennen und verstehen zu lernen. Über seine Ausarbeitung schreibt er: »It is in the form of a tale, but it is all history, down to the minutiae of circumstance, and the evidence is given step for step. My aim has been, not only to tell what happend, but let the reader see how it happened. Much local coloring, and much personal portrayal, and much of what is human also great men has been thrown into this review.«32
Es ist nicht nur der gelungene Versuch, eine lebendige Darstellung zu liefern und gleichzeitig alle Nachweise zu bringen, was ihm – zum Teil auch die bisherige Forschung korrigierend – gelingt. Ein Register (Personen- und Sachregister) ist hier erstmals Ausdruck dafür, dass damit gearbeitet werden soll – es ist ganz auf den Leser ausgerichtet. Dabei ist das Buch sichtbar das Ergebnis einer akribischen Beschäftigung mit dem Thema. Dau, der ein hochgelehrter Mann war, konnte ihm an vielen Stellen aber auch eine Edition zugrunde legen, die Seidemann und Albert noch nicht zur Verfügung stand und die deutlich über Walch und Löscher hinausging.
32 William Herman Theodore Dau: The Leipzig Debate in 1519: Leaves from the Story of Luther’s Life. St. Louis, Mo. 1919, V.
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IV Otto Reinhold Seitz Otto Reinhold Seitz, dessen »Authentischer Text der Leipziger Disputation« die Grundlage für quellennahe Forschung zu diesem Ereignis bis heute ist, auch wenn dessen Erscheinen schon über einhundert Jahre zurück liegt,33 leistete seine Forschungen nicht im Pfarramt. Der 1872 als Sohn des königlichen Kanzleirates Karl Seitz in Eisleben geborene – dort vielleicht seine Liebe zu Luther findend – wurde später Pfarrer und auch Superintendent. Seine Forschungen allerdings fanden nahezu ausschließlich vor dieser Amtszeit statt. Die kritische Edition des Textes der Leipziger Disputation erschien 1903. Sie ist ganz offensichtlich die Frucht seiner knapp drei Jahre Inspektorentätigkeit am Predigerseminar Wittenberg, wo er seit 1901 angestellt war.34 Zuvor hatte er nach dem Besuch ebendieses Predigerseminars in Rom sein Brot als Hilfsprediger und Lehrer verdient. In Rom war er auch im Juli 1899 ordiniert worden. Nach Pfarrtätigkeit wurde er schließlich zunächst Superintendent in Hohenmölsen und später, 1925, Superintendent in Langensalza. Seinen Ruhestand erlebte er in Soest, wo er 1966 starb.35
Abb. 18: Otto Reinhold Seitz (1872-1966)
V 20. und 21. Jahrhundert Mit diesem Text stand nun auch eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Edition der Leipziger Disputation zur Verfügung, die später unmittelbar in die Neubearbeitung der Weimarer Ausgabe einging.36 Außer dem Amerikaner Dau scheint diese Quellenbasis bis heute keiner genutzt zu haben, um noch einmal 33 Der authentische Text der Leipziger Disputation (1519)/ aus bisher unbenutzten Quellen hrsg. von Otto Seitz. Berlin: C.A. Schwetschke und Sohn, 1903. 247 S. 34 Otto Dibelius: Das Königliche Predigerseminar zu Wittenberg: 1817-1917. BerlinLichtenfelde [1917], 253. 35 Vgl. zu ihm im Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen. Bd. 8: Biogramme SchrTo. Leipzig 2008, 212. 36 In WA 59, 427-606 erschien 1983, bearbeitet von Frans Tobias Bos, »Disputatio inter Ioannem Eccium et Martinum Lutherum. 1519« legt im Wesentlichen die Ausgabe von Seitz zugrunde. Ebd, 431 f.
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ein Gesamtbild dieses Ereignisses zu zeichnen. Erst in neuester Zeit ist mit dem Aufsatz von Anselm Schubert so etwas wie eine Gesamtbeschreibung der Leipziger Disputation gewagt worden,37 wobei allerdings Dau in seiner Aufzählung der Darstellungen der Leipziger Disputation nicht erwähnt wird.38 Schubert gibt, nach einer grundsätzlichen Klärung des Disputationsbegriffs den Verlauf der Disputation nach Tagen wieder, um zu zeigen, wie das Instrument der mittelalterlichen Disputation einerseits Anwendung fand, andererseits aber von beiden Disputanten dessen Grenzen überschritten wurden. Natürlich gab es immer wieder Forscher, wie zum Beispiel Otto Clemen39 und Theodor Brieger,40 die in Einzelbereichen durchaus die Forschungen zur Leipziger Disputation bereichert haben, ohne dass sie aber in längeren Aufsätzen das gesamte Ereignis in den Blick nahmen. In nahezu allen Fällen sind es Einzelfragen des Textes, der Korrektur, der zeitlichen Einordnung und der archivalischen Überlieferung, um die es geht.41 In jüngerer Zeit beschäftigte sich vor allem ein Wissenschaftler – und er soll als letzter ausdrücklich genannt sein – ausführlicher ereignisgeschichtlich und inhaltlich mit der Leipziger Disputation: der Berliner Kirchenhistoriker Kurt-Victor Selge. Auch er nahm sich eines Einzelthemas, der Autoritätenfrage,42 an und untersuchte das Vorfeld der Disputation.43 Sein eigentlich geplantes größeres Werk44 zur Leipziger Disputation ist noch nicht erschienen. 37 Anselm Schubert: Libertas Disputandi: Luther und die Leipziger Disputation als akademisches Streitgespräch. ZThK 105 (2008), 411-442. Konrad Amman: Die Leipziger Disputation von 1519 und die Reformation. In: Bayern und Europa: Festschrift für Peter Claus Hartmann zum 65. Geburtstag/ hrsg. von Konrad Amann u. a. Frankfurt am Main u. a. 2005, 57-73 ist im Hinblick auf die Disputation kein weiterführender Aufsatz, sondern belässt es bei einer recht allgemeinen Beschreibung der Disputation im Reformationsgeschehen. 38 Ebd, 411 Anm. 4. 39 Otto Clemen: Litterarische Nachspiele zur Leipziger Disputation. BSKG 12 (1897), 56-83; ders.: Ein gleichzeitiger Bericht über die Leipziger Disputation 1519. NASG 51 (1930), 44-57. 40 Theodor Brieger: Über die handschriftlichen Protokolle der Leipziger Disputation. In: Beiträge zur Reformationsgeschichte: Herrn Oberkonsistorialrat Professor D. Köstlin bei der Feier seines siebzigsten Geburtstages ehrerbietigst gewidmet. Gotha 1896, 37-48. 41 Zu weiteren Beiträgen vgl. die Aufzählung bei Schubert: Libertas Disputandi (wie Anm. 37), 411 f Anm. 4, der jeweils eine kurze Einschätzung bringt. 42 Kurt-Victor Selge: Das Autoritätengefüge der westlichen Christenheit im Lutherkonflikt 1517-1521. Historische Zeitschrift 23 (1976), 591-617. 43 Kurt-Victor Selge: Der Weg zur Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck im Jahr 1519. In: Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte: Festschrift Hans von Campenhausen/ hrsg. von Bernd Moeller; Gerhard Ruhbach. Tübingen 1973, 169-210; ders.: Die Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck. Zeitschrift für Kirchengeschichte 86 (1975), 26-40. 44 Vgl. Schubert: Libertas Disputandi (wie Anm. 37), 412 Anm. 4.
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VI Fazit Blickt man auf die Reihe der Arbeiten zur Leipziger Disputation, so ist festzustellen, dass, verglichen mit der Bedeutung, die ihr in der Geschichte der Wittenberger Reformation und für die Durchsetzung der reformatorischen Gedanken in der Gesellschaft zuzumessen ist, die Forschungslage nach wie vor unzureichend ist. Durch Johann Karl Seidemann ist bis heute die umfassendste Darstellung im deutschen Sprachraum gegeben worden. Er legte die Grundlage, auf der weitere Forschung aufbauen konnte. Dabei bestand der Fortschritt im Wesentlichen in einer immer dichter werdenden Quellenbasis, die mit der Edition der Disputationsakten durch Otto Seitz ihren Höhepunkt erreichte und durch den in WA 59 edierten Text nur noch ein Stück verbessert wurde. Mit dem Aufsatz von Anselm Schubert wurde erstmals wieder ein Gesamtblick auf die Disputation geworfen, zwar unter der speziellen Fragestellung nach dem Instrument der mittelalterlichen Disputation, aber doch das Ganze in den Blick nehmend. Was nach wie vor fehlt, ist eine die einzelnen Untersuchungen und Beiträge aufnehmende umfassende Studie zur Leipziger Disputation, zu der Kurt-Victor Selge schon den Anfang gemacht hat. Dieses Defizit ist nun bis 2019, wenn die Disputation sich zum 500. Mal jährt, leider immer noch nicht behoben.
Abb. 19 a-c: Erinnerungsort zur Leipziger Disputation am Neuen Rathaus (siehe auch oben S. 7)
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Die Protokolle der Leipziger Disputation
Die Protokolle der Leipziger Disputation Von Christian Winter
I Die Quellen zur Leipziger Disputation Für die Überlieferung zum Verlauf der Leipziger Disputation kann auf zwei Quellengruppen zurückgegriffen werden. Zum einen sind es briefliche Nachrichten und Berichte der Beteiligten sowie von Zuhörern der Disputation, die während der Leipziger Ereignisse, häufig aber auch erst einige Zeit später entstanden sind. Zunächst zu nennen sind die Schreiben der Disputanten selbst, insbesondere Luthers ausführlicher Bericht an Georg Spalatin.1 Auf der Gegenseite sind Briefe Ecks an die Ingolstädter Professoren Georg Hauer und Franz Burkhard, an den Dominikanerprior Jakob von Hoogstraten in Köln und auch an Kurfürst Friedrich den Weisen überliefert.2 Daneben sind nicht wenige Schreiben von Vertrauten und Zuhörern beider Seiten bekannt. Als Beispiele seien etwa der berühmte Brief Melanchthons an Johannes Oekolampad3 und Schreiben Melanchthons an Spalatin genannt.4 Johann Cellarius, späterer Superintendent in Dresden, berichtete an Wolfgang Capito in Basel.5 Petrus Mosellanus schrieb an Willibald Pirckheimer in Nürnberg6 und an Julius Pflug, den späteren Bischof von Naumburg.7 Dieses Schreiben enthält auch die berühmten Charakteristiken der Disputanten. Ein weniger prominentes Beispiel wäre Philipp Glühspieß, später Rhetorik-Professor in Wittenberg, der seine Eindrücke dem Stol 1 20. Juli 1519, WA Br 1, 421-428 (Nr. 187). 2 Vgl. Johannes Eck (1486-1543): Briefwechsel; Internet-Edition/ hrsg. von Vinzenz Pfnür, bearb. von Peter Fabisch; Hans Jörg Gerste. http://ivv7srv15.uni-muenster.de/mnkg/pfnuer/ Eck-Briefe.html (vorläufiger Bearbeitungsstand: 15. 11. 2018): Nr. 87 (Leipzig, 1. 7. 1519, Eck an Hauer und Burkhard); Nr. 91 (Leipzig, 24. 7. 1519, Eck an Jacobus Hoogstraten); Nr. 89 (Leipzig, 22. 7. 1519, Eck an Kurfürst Friedrich); Dokumente zur Causa Lutheri (1517-1521)/ hrsg. und kommentiert von Peter Fabisch; Erwin Iserloh. Bd. 2 (CC; 42). Münster 1991, 258-265. 3 Wittenberg, 21. Juli 1519, MBW T1, 132-141 (Nr. 59). 4 Vgl. MBW T1, 143 f (Nr. 61). 5 Vgl. Otto Clemen: Litterarische Nachspiele zur Leipziger Disputation. BSKG 12 (1897), 62-70. 6 Erfurt, 3. 8. 1519, Willibald Pirckheimers Briefwechsel. Bd. 4/ … bearb. u. hrsg. von Helga Scheible. München 1997, 69-73 (Nr. 614). 7 Meißen, 6. 12. 1519, Julius Pflug: Correspondance/ recueillie et éditée … par J. V. Pollet. Bd. 1: 1510-1519. Leiden 1969, 81-90 (Nr. 7).
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berger Rentmeister Wilhelm Reiffenstein übermittelte.8 Fast ein halbes Jahrhundert nach dem Ereignis gedruckt, wurde der oft zitierte Augenzeugenbericht9 von Sebastian Fröschel. Auf altgläubiger Seite sind dagegen etwa die Briefe und Reaktionen Hieronymus Emsers zu nennen.10 Die zweite Quellengruppe sind die Protokolle und Mitschriften von der Disputation selbst. Dabei ist wiederum zwischen den offiziellen Notariatsprotokollen und individuellen Mitschriften von Zuhörern zu unterscheiden. Von diesen soll es während der Disputation mehr als 30 gegeben haben,11 allerdings ist nur weniges auf uns überkommen. Ein Exemplar einer solchen bei der Disputation selbst gefertigten Mitschrift hat sich in einem Sammelband der Andreas-Möller-Bibliothek des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Freiberg erhalten.12 Diese Handschrift hat schon Valentin Ernst Löscher für seine Reformations-Acta randständig benutzt.13 Sie wird von Theodor Brieger14 und Otto Seitz15 in ihren Untersuchungen als eine sorgfältige, bis auf leicht erkennbare Versehen zuverlässige Nachschrift beurteilt, die unmittelbar während der Disputation angefertigt und nachträglich an wenigen Stellen ergänzt wurde. Die Person des Schreibers konnte bisher nicht ermittelt werden, es handelt sich aber jedenfalls nicht um das von einem der benannten Notare geführte offizielle Protokoll. Allerdings konnte bei den Untersuchungen zur Neuedition der Disputation zwischen Eck und Karlstadt gezeigt werden, dass es sich um eine während der Disputation unter Diktat angefertigte Niederschrift handelt, deren Schreiber einen Bezug zur »notariellen Umgebung der Leipziger Universität« hatte. Möglicherweise hat er die Disputation im Auftrag des Wolfgang Schindler
8 Vgl. Ed[uard] Jacobs: Brief eines Zeugen der Leipziger Disputation aus dem Kreise der Wittenberger über den Verlauf dieses Religionsgesprächs, vom 26. Juli 1519. Zeitschrift für die historische Theologie 44 (1874), 409-416. 9 Vgl. Sebastian Fröschel: Vom Königreich || Christi Jhesu/ Der Christen grösten || vnd höhesten Trost … Wittenberg 1566, Aiij-Bijv; Die Reformation in Augenzeugenberichten/ hrsg. von Helmar Junghans. 2. Aufl. München 1980, 68-71. 10 Zu Emser vgl. seinen auch im Druck ausgegangenen Brief an Johann Zack (ˆák), 15111525 Administrator des Prager Erzbistums; Hieronymus Emser: De disputatione Lipsicensi, quantum ad Boemos obiter deflexa est (1519)/ hrsg. von Franz Xaver Thurnhofer. Münster 1921 (CC; 4), 21-41. 11 Vgl. die entsprechende Angabe im Vorwort des Erfurter Druckes (siehe Anm. 26), Aiv. 12 Freiberg, Andreas-Möller-Bibliothek des Geschwister-Scholl-Gymnasiums, VII 4° 12. 13 Valentin Ernst Löscher: Vollständige Reformations-Acta und Documenta oder umständliche Vorstellung des Evangelischen Reformations-Wercks […]. Bd. 3: Auf das Jahr 1519. Leipzig 1729, 291-507, hier 291 f. 14 Theodor Brieger: Über die handschriftlichen Protokolle der Leipziger Disputation. In: Beiträge zur Reformationsgeschichte: Herrn Oberkonsistorialrat Professor D. Köstlin bei d. Feier seines siebzigsten Geburtstages ehrerbietigst gewidmet. Gotha 1896, 37-48. 15 Der authentische Text der Leipziger Disputation (1519)/ aus bisher unbenutzten Quellen hrsg. von Otto Seitz. Berlin 1903.
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von Elbogen (Cubito) protokolliert, welcher einer der beiden Professoren war, die der Fakultätsrat als für die Leipziger Disputation verantwortlich ernannt hatte. 16 Die Abschrift eines weiteren Augenzeugenberichts, der sich in den PirckheimerPapieren der Stadtbibliothek Nürnberg befindet, wurde von Otto Clemen ediert. Von besonderem Interesse ist darin eine Liste aller Mitglieder der Leipziger Universität, die bei der Eröffnung der Disputation anwesend waren. Es liegt damit eine wohl vollständige Liste des Leipziger Lehrkörpers im Jahre 1519 vor.17 II Die Protokollierung der Disputation Die Frage der Protokollierung ist nicht nur für die spätere und heutige Kenntnis der Disputation wichtig, sondern sie war bereits unter den Beteiligten selbst eine umstrittene Problematik. Zu Beginn der Disputation zeigte sich eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Disputanten über die Führung und weitere Behandlung des Disputationsprotokolls. Karlstadt hatte von Anfang an zur Bedingung gemacht, dass Notare die Disputation protokollieren sollten. Auf diese Regelung hatte man sich in der ursprünglichen Abmachung zur Disputation auch geeinigt.18 Dann aber versuchte Johann Eck in der Vorbereitungssitzung am 26. Juni bei Karlstadt zu erreichen, dass auf »italienische Weise« disputiert würde, das heißt in freier Rede und Gegenrede, ohne Rücksicht auf das Diktat für die protokollierenden Schreiber. Eck habe gehofft, er könne auf diese Weise durch sein Geschrei und seine Gebärden siegen, weil er darin ein Meister wäre, so das Urteil Luthers zu diesem Verhalten.19 Auch während der Disputation stritt man bekanntermaßen weiter über formale Fragen: So rügte Eck die umfangreiche Verwendung von Büchern durch Karlstadt, der alles nach Knabenart vorlese. 20 Karlstadt und Luther bestanden aber darauf, dass die Disputation – wie abgesprochen – von bestellten Notaren festgehalten würde. Eck musste schließlich nachgeben. Ein Protokoll im amtlichen Sinne – das durch beglaubigte Notare geführte Verlaufs- bzw. Wortprotokoll, welches das Gesprochene wörtlich aufzeichnet 16 Vgl. Kritische Gesamtausgabe der Schriften und Briefe Andreas Bodensteins von Karlstadt/ hrsg. von Thomas Kaufmann. Teil II (1519–1520), Nr. 131, Einleitung/ bearb. von Stefania Salvadori. http://dev2.hab.de/edoc/view.html?id=edoc_ed000240_103_introduction (19. 11. 2018). 17 Stadtbibliothek Nürnberg, Pirckheimer-Papiere PP 408; ediert: Otto Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht über die Leipziger Disputation 1519. NASG 51 (1930), 44-51. Ich danke auch Herrn Dr. Johann Peter Wurm, Schwerin, für den Hinweis auf diese Handschrift; vgl. auch Johann Peter Wurm: Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit 1513-1515. Münster 1997, 164. 18 Vgl. WA 59, 428; WA Br 1, 425 Anm. 9. 19 Vgl. Luther an Spalatin, 20. 7. 1519, WA Br 1, 421, 14-17 (Nr. 187). 20 Vgl. Eck an Georg Hauer und Franz Burkhard, 1. 7. 1519, Eck, Briefwechsel (wie Anm. 2), Nr. 87: »Ista elegit, et cum omnia sua in scheda conscripsisset et legeret puerorum more, ego restiti«.
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– ist strikt von den privaten Mitschriften anderer Zuhörer zu unterscheiden. Das Notariatsprotokoll – durch Unterschrift des Notars und Notarssignet beglaubigt – besaß Urkundenkraft und Rechtsgültigkeit und war von Anfang an als Grundlage für ein Urteil gedacht. Die Protokollführung verlangsamte zwar den Gang der Disputation, doch wurden dadurch gerade auch die Möglichkeiten eingeschränkt, durch äußerliche Mittel zu wirken, die man bei Eck befürchtete. Ein Protokoll sollte die Möglichkeit geben, ein objektives, sachkundiges Urteil über den Ausgang der Disputation zu erhalten, und nicht eines, das sofort nach dem Anhören von anwesenden Richtern gefällt würde. Am 26. Juni einigte sich Eck mit Karlstadt, am 4. Juli dann mit Luther auf folgende vertragliche Regelung: die Disputation solle von vier Notaren aufgezeichnet werden, jede Seite solle ein Exemplar des Protokolls erhalten, »doch der gestalt, das solche disputationes und derselben exemplar nicht sollen in druck bracht ader sust publiciret werden, es sey dann das sich beyde teyl eyns richters voreynigt und desselbigen spruch darauf publiciret und eroffent werde.«21 Auf diese Festlegung wird noch einzugehen sein. Die Protokolle sollten zunächst bei dem Rentmeister zu Leipzig, Georg von Wiedebach, hinterlegt werden. Über die Richter konnte man sich zunächst nicht einigen und verschob diese Frage auf das Ende der Disputation. Luther wollte gar keine Universität als Richter bewilligen und beklagte selbst die Zwickmühle, in die er geriet. Wollte er nicht die ganze Disputation wegen der Frage des Richters verweigern, musste er sich einem möglicherweise voreingenommenen und ungerechten Richter unterwerfen. Schließlich musste Luther Ecks Bedingung, wenn auch widerwillig, annehmen. Am 13./14. Juli einigte man sich schließlich darauf, dass Eck und Karlstadt ihre Disputation der Universität Erfurt, Eck und Luther die ihre den Universitäten Erfurt und Paris zum Urteil vorlegen. Dabei wurde festgelegt, dass die Augustinereremiten und die Dominikaner zu Erfurt nicht an der Urteilsfindung beteiligt werden sollten. Luther setzte zudem durch, dass ihm die Appellation an ein Konzil vorbehalten blieb und dass die Disputationsakten nicht zur Beurteilung an den päpstlichen Hof geschickt werden sollten. Luther hat außerdem gefordert, dass die Universitäten als Ganze das Urteil fällen sollten, nicht allein die Theologen und Kanonisten. Eck lehnte das in der Befürchtung ab, es könnte dadurch ein für Luther positives Urteil gefällt werden. Die Entscheidung dieser Frage wurde Herzog Georg dem Bärtigen übergeben, der in Ecks Sinne entschied, dass nur Theologen und Kanonisten als Richter fungieren dürften.22
21 ABKG 1, 91 f (Nr. 123); WA Br 1,428-430. 22 ABKG 1, 92-94 (Nr. 124 f).
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III Die Protokollanten der Disputation Man hatte sich auf eine Protokollführung durch vier Notare geeinigt. In dem Protokolldruck, auf den im weiteren näher einzugehen ist, werden aber nur zwei Notare namentlich genannt. Allerdings enthält jener Druck nur die Disputation zwischen Eck und Luther, nicht die mit Karlstadt. Es bleibt also offen, ob die Zahl der Notare reduziert wurde oder ob zwei weitere Notare die Disputation mit Karlstadt protokollierten, wie es Clemen in dem von ihm edierten Bericht nahelegt.23 Genannt werden im Druck Franz (Franziskus) Richter und Johannes Graumann. Richter, der aus Hainichen in Sachsen stammt, wurde 1497 in Leipzig immatrikuliert, wurde dort 1501 Baccalaureus und 1508 Magister. Später ist er als Licentiatus iuris utriusque an der Juristenfakultät und als Universitätsschreiber nachgewiesen.24 Prominenter noch ist die Vita des zweiten Notars. Graumann (Gramann, Poliander) stammt aus Neustadt an der Aisch, studierte ab 1503 in Leipzig, wurde 1516 Magister der Philosophie, später, nach der Leipziger Disputation, in Wittenberg Baccalaureus und Doktor der Theologie. 1516 wurde er Lehrer, 1520 dann Rektor der Thomasschule in Leipzig. Er gilt in der Disputation als Protokollant Ecks, doch beeindruckte ihn Luthers Auftreten offenbar nachhaltig. Schon im Wintersemester 1519 ist er in Wittenberg immatrikuliert. In seinem Nachlass finden sich zahlreiche Mitschriften von Predigten Luthers und Wittenberger Vorlesungen. 1523/24 wirkte Poliander als Prediger in Würzburg, 1525 ging er über Nürnberg nach Preußen, wo er evangelischer Pfarrer an der altstädtischen Kirche zu Königsberg und darüber hinaus Ratgeber Herzog Albrechts von Preußen in Kirchen- und Schulsachen wurde. Er starb 1541 in Königsberg.25
23 Vgl. Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht … (wie Anm. 17), 49 f. 24 Die Matrikel der Universität Leipzig/ … hrsg. von Georg Erler (im folgenden: MUL). Bd. 1: Die Immatrikulationen von 1409-1559. Leipzig 1895 (Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae; II 16), 420, 59: SS 1497: Franciscus Richter de Heynigen [Hainichen]; bacc. SS 1501 (MUL Bd. 2: Die Promotionen von 1409-1559. Leipzig 1897 [Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae; II 17], 381, 8); mag. WS 1508 (MUL 2, 442, 5). 25 Imm. WS 1503 (MUL 1, 458, 75), bacc. WS 1506 (MUL 2, 428), mag. WS 1515 (MUL 2, 507). Imm. Wittenberg WS 1519 (Album Academiae Vitebergensis. Bd. 1/ hrsg. von Carolus Eduardus Foerstemann. Lipsiae 1841. ND Aalen 1976, 87a). Vgl. Carl Alfred von Hase: Poliander, Johann. ADB 26 (1888), 388–389; Friedrich Wilhelm Bautz: Gramann (Poliander), Johann. BBKL. http://www.bautz.de/bbkl/g/gramann_j.shtml.
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IV Das Protokoll der Disputation Die offiziellen Protokollhandschriften der Notare sind verschollen. Ob die im Vertrag festgelegte Übergabe an den Leipziger Rentmeister Wiedebach tatsächlich erfolgt ist, lässt sich nicht belegen. Eine Handschrift des Protokolls hat sich in den 1530er Jahren aber noch im Besitz der Universität Leipzig befunden.26 Die Forschung kann sich also nur auf den Druck der Disputationsakten stützen. Allerdings geben alle älteren Ausgaben bis hin zur Weimarer Lutherausgabe, Band 2,27 einen Druck als »Protokoll« wieder, der gar kein solches ist. Sie stützen sich auf den relativ weitverbreiteten ersten Druck, der noch 1519 von Matthes Maler in Erfurt vorgenommen wurde.28 In dessen rein sachlichem Titel sind die Disputanten und die Daten der Disputationen angegeben. Die von Löscher und noch in WA 2 und von Clemen geäußerte Vermutung, es handle sich um einen Protokolldruck, rührt wohl zum einen daher, Abb. 20: Disputatio excellentium …, 1519 dass der Druckort Erfurt übereinstimmt mit dem Umstand, 26 Eck erbat sich 1531 von Herzog Georg eine Kopie der Disputationsakten, welche die Universität Leipzig von ihrem Notar Franz Richter auf Georgs Befehl anfertigen ließ. Vgl. Georg Ernst Waldau: Nachricht von Hieron. Emsers Leben und Schriften: Beytrag zur Reformations- und Litteraturgeschichte. Ansbach 1783, 16; Johann Erhard Kapp: Historia disputationis Lipsiensis a. MDXIX institutae aliquatenus supplet. Lipsiae [1739], VII. 27 WA 2, 153-161. 28 Abb. 20: Disputatio || excellentium. D. doctorũ Iohannis Eccij & || Andreę Carolostadij q̃ cepta est Lipsię || XXVII. Iunij. AN. M.XIX.|| Disputatio secunda. D. Doctorũ Iohãnis || Eccij & Andreę Carolostadij q̃ cepit || XV. Iulij.|| Disputatio eiusdem. D. Iohannis Eccij & || D. Martini Lutheri Augustiani q̃ || cepit. IIII. Iulij.|| [Erfurt 1519]. – VD16, E320 f, ZV 4858 [Erfurt 1520]. – Vgl. WA 59, 430 f.
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dass die Erfurter Universität als Richter fungieren sollte. Zum anderen hat Johann Eck selbst gegenüber Karlstadt den Vorwurf erhoben, sich heimlich ein von den Notaren geschriebenes Exemplar der Akten beschafft zu haben.29 Grundlage für den Erfurter Druck war aber nicht das offizielle Notarsprotokoll, sondern wohl eine der »mehr als dreissig« privaten Nachschriften, auf die im Vorwort des Druckes selbst verwiesen wird. Es ist davon auszugehen, dass Johann Lang, Prior und Luthers Nachfolger in Erfurt, der Herausgeber war. Ihm lag wohl die von ihm selbst angefertigte Nachschrift der Disputation vor. Dazu passt der Hinweis auf die Augenzeugenschaft des Herausgebers in der Vorrede. Allerdings finden sich zwei Stellen, an denen der Schreiber der Vorlage nachweisbar das Notariatsprotokoll zur Vervollständigung benutzt hat. Offenbar hatte der Schreiber eine Lücke in seiner Mitschrift gleich vor Ort nach dem Notariatsprotokoll ausgefüllt, wobei nicht zu entscheiden ist, ob ihm das endgültige kollationierte Protokoll oder eine während der Disputation niedergeschriebene Entwurfsfassung vorlag. 30 Von dem Erfurter Druck – er enthält 62 Blatt in Quartformat – erschienen in sehr kurzer Folge mindestens fünf Ausgaben, in denen verschiedene Korrekturgänge deutlich werden.31 Handelt es sich auch nicht um einen Protokolldruck, so ist der Wert dieser Quelle doch beträchtlich, denn sie geht eindeutig auf einen Augen- und Ohrenzeugen zurück. Ein besonderes Exemplar dieses Druckes hat sich in der Leipziger Universitätsbibliothek erhalten.32 Es befindet sich in einem Sammelband, der aus dem Besitz Arnold Wöstefeldes stammt, der im Sommersemester 1519 Rektor der Universität Leipzig war. Dieses Exemplar des Erfurter Druckes enthält mehrere hundert handschriftliche Verbesserungen und Einträge. Dabei handelt es sich um zeitgenössische Korrekturen, denen offenbar sowohl das offizielle Protokoll als auch weitere private Mitschriften zugrunde lagen. Der Korrektor zitiert bei seinen Textverbesserungen mehrfach die »exemplaria notariorum«. Abbildung 21 zeigt eine größere Ergänzung zu dem Streit um die von Karlstadt genutzten Bücher, welche die Datierung auf den 30. Juni 1519 [»die Jovis«] korrigiert.33 Der Umfang der Korrekturen ist allerdings auch nicht überzubewerten. Zwar gibt es auf ca. 3040 Prozent der Seiten des Leipziger Exemplars Anmerkungen – häufig handelt es sich aber auch nur um einzelne Wörter. 29 Vgl. Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht … (wie Anm. 17), 49-51; Der authentische Text … (wie Anm. 15), 8 f. 30 Kritische Gesamtausgabe … (wie Anm. 16) weist darauf hin, dass neben einer privaten Niederschrift auch eine während der Disputation in dictando angefertigte Niederschrift, also ein nicht kollationiertes Hörprotokoll der Disputation, als Quelle in Frage kommt. 31 Vgl. Kritische Gesamtausgabe … (wie Anm. 16). Hier werden die Ausgaben des Druckes detailliert dargestellt und ihre Unterschiede erläutert. 32 UB Leipzig, Kirch.gesch. 948. Der Band enthält 25 Schriften aus den Jahren 1518-1520. Vgl. Brieger: Über die handschriftlichen Protokolle … (wie Anm. 14), 39-42. 33 Blatt Aiiijv.
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Abb. 21: Korrekturen im Erfurter Druck, 1519
Schließlich ist jener Druck vorzustellen, der sich tatsächlich auf das amtliche Notariatsprotokoll der Disputation stützt. Dieser Druck ist ausgesprochen selten, und darin liegt wohl auch der Grund, dass er erst 1903 von Otto Seitz gewissermaßen wiederentdeckt wurde. Diese Quelle enthält nur die Disputation zwischen Luther 68
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und Eck. Für diesen mittleren Teil der Disputation (reichlich zwei Drittel des Gesamten) liegt in diesem Druck der Text des von den Notaren geführten Protokolls vor, wie Seitz nachweist.34 An mehreren Stellen ist der Schlusspassus des an dem betreffenden Tage geführten Protokolls mit Angabe der Zeugen und der Namensnennung des protokollierenden Notars in den Druck übernommen. Den Schluss des Textes bildet die amtliche Erklärung der beiden Notare, Franz Richter und Johannes Graumann, dass sie das vorstehende Protokoll selbst verfasst, unterschrieben und versiegelt haben. Diese Quelle wird auch in WA Band 5935 – als Korrektur zu WA 2 – wiedergegeben. Vermutete Seitz noch Leipzig als Druckort, konnte durch die Auswertung der von Felician Geß in den Akten und Briefen zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen wiedergegebenen Quellen36 sowie durch Vergleich der Drucktypen nachgewiesen werden, dass der Protokolldruck in Paris bei Josse (Jodocus) Badius erschienen ist. Der Titel lautet: Disputatio inter Egre || gios & praeclaros viros ac doctores, Ioannem Ecciū & Mar || tinum Lutherum in p̄sentia notariorum habita. Als Zeitpunkt des Druckes ist von Januar 1520 auszugehen. Der Druck umfasst 92 gezeichnete Blatt in Quart.37 Folgende acht Exemplare ließen sich nachweisen: Zwei in der Bibliothèque nationale de France in Paris,38 ebenfalls zwei in der British Library in London,39 eines in der Universitätsbibliothek Cambridge,40 eines in der Reformationsgeschichtlichen Forschungsbibliothek Wittenberg41, eines in Atlanta, GA, in der Richard C. Kessler Reformation Collection der Pitts Theology Library42 sowie eines in der Russischen Nationalbibliothek in St. Petersburg.43 IV Die Gutachten und weitere Reaktionen Wie ist nun der Druck in Paris zu erklären? Zur Beantwortung dieser Frage ist auf die Urteile und die weiteren Reaktionen auf die Disputation einzugehen. Zunächst zu Erfurt: Die Theologen dort werden bald nach Ende der Disputation eine Abschrift des Protokolls mit der Aufforderung erhalten haben, ihr Urteil abzugeben. Sie zögerten jedoch lange. Schließlich entschieden sie, sich eines Urteils zu enthalten. 34 Der authentische Text … (wie Anm. 15), 3 f. 35 WA 59, 427-605. 36 Vgl. Anm. 38-42. 37 Abb. 22. – VD 16 gibt in Bd. 25, 563 zu dem ursprünglichen Eintrag in VD 16, Bd. 5, 626 (E 313) eine Korrektur. Dort wird vermerkt: »Kein deutscher Druck, Paris«, allerdings wird das Jahr 1519 angegeben. 38 Rés. D 5832; Rés. P-R-908 (2). – Der Druck ist auch online als PDF über die Website der französischen Nationalbibliothek verfügbar (http://visualiseur.bnf.fr/CadresFenetre?O=NUMM114603&M bzw. https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k114603h). 39 General Reference Collection 697.d.8.(1.); 697.h.53. 40 Caius Lower Library, F.11.24. 41 4 HTh 150. 42 a-l* m*. 43 15.15.9.2
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Offensichtlich hat sich Johann Lang in Erfurt für diese Entscheidung eingesetzt, die Luthers Wünschen entsprach. Am 29. Dezember 1519 lehnte Erfurt gegenüber Herzog Georg schriftlich ein Urteil ab. Die Begründung der Erfurter ist kaum mehr als ein Vorwand: Die Universität sei nicht von allen Disputanten um ein Urteil ersucht worden. Außerdem beklagte man den Ausschluss der Dominikaner und Augustinereremiten. 44 Auch eine nochmalige Mahnung Herzog Georgs führte zu keiner anderen Reaktion.45 An die Pariser Universität wurden das offizielle Gesuch des Herzogs und die Disputationsakten erst am 4. Oktober 1519 abgesandt.46 Das Schreiben Herzog Georgs wurde dann am 22. November in einer Versammlung der Universität verlesen. Daraufhin wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt mit 24 Mitgliedern, die – anders als vom Herzog bestimmt – allen vier Fakultäten entstammten. Die Pariser Universität nun veranlasste den Druck des Protokolls durch den Pariser Universitätsdrucker Josse Badius.47 Da die Universität nur zu der Disputation zwischen Luther und Eck ein Urteil abgeben sollte, erklärt sich damit auch das Fehlen der Disputation zwischen Karlstadt Abb. 22: Titelblatt von und Eck in diesem Druck. Disputatio inter Egregios & …, 1520 Jedes Mitglied der Pariser Kommission sollte ein ge 44 ABKG 1, 113 (Nr. 149). 45 Dresden, 9. 1. 1520, ABKG 1, 114 f (Nr. 151). 46 ABKG 1, 100 f (Nr. 134). 47 Bericht von Thomas Gramaye aus Antwerpen, der die Weiterleitung der Dokumente nach Paris übernommen hatte, an Herzog Georg, vom 26. 12. 1519, ABKG 1, 109 f (Nr. 145), vgl. auch 102 f (Nr. 137).
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drucktes Exemplar der Akten erhalten. Über einen Mittelsmann in Antwerpen wurden von Herzog Georg für den Druck 20 Goldkronen gefordert, außerdem verlangte man für jeden der Gutachter eine Vergütung von 25 bis 30 Goldkronen.48 Die Medizinische Fakultät in Paris berichtet von einer Versammlung der ganzen Universität am 12. Januar 1520, auf der die Drucke verteilt wurden. 20 Exemplare des Druckes wurden am 20. Januar von dem »Quaestor Nationis Galli[cae]«, »M[agister] Io[annes] Nicolas«, für 32 Solidi Parisienses angekauft. Am 2. März 1520 beschloss die Universität auf eine von Noel Beda vorgelegte Nachfrage Kurfürst Friedrichs von Sachsen hin, keine Antwort auf irgendwelche Anfragen zu geben, wenn nicht zuvor die Entscheidung aller vier Fakultäten vorliege.49 Dieses Festhalten der Pariser Universität an der Konsultation aller vier Fakultäten stand im Widerspruch zu den Wünschen Ecks und Herzog Georgs und kam damit den Intentionen Luthers entgegen. Im Hintergrund stand allerdings die Befürchtung der Sorbonne, sich mit einem Urteil zugunsten Ecks zu sehr der Autorität des Papstes zu unterwerfen. Im Reich erwartete man das Urteil aus Paris mit großer Spannung. Aufgrund der dürftigen Nachrichten kursierten bald widersprüchliche Gerüchte über das mögliche Ergebnis.50 Aber ein Urteil aus Paris über die Leipziger Disputation kam nicht – auch wenn Herzog Georg im November 1520 noch einmal eine Verurteilung Luthers in Paris anmahnte.51 Erst im April 1521 wurde an der Sorbonne schließlich doch ein Urteil über die Schriften Luthers (unter Einschluss der Leipziger Disputation) gefällt.52 Dieses Urteil war jedoch erst nach einer erneuten Untersuchung und diesmal von der theologischen Fakultät allein zustande gekommen. Darin wurden 104 aus Luthers Schriften gezogene Sätze verdammt. Ein direkter Zusammenhang zur Leipziger Disputation bestand aber nicht mehr. Diese wurde mit keinem Wort genannt. Gedruckt wurde diese »Determinatio« auch bei Badius in Paris. Sie erfüllte im übrigen auch nicht die Erwartungen Herzog Georgs und Ecks, zumal Luthers Ansichten vom Papsttum – und damit eine zentrale Frage der Leipziger Disputation – sogar unerwähnt blieben. Zu diesem Zeitpunkt war die Bulle Exsurge domine gegen Luther zudem längst ausgegangen. Ob der Protokolldruck der Leipziger Disputation in dem Anfang 1520 wieder aufgenommenen Prozess gegen Luther in Rom vorgelegen hat, ist nicht
48 Vgl. Anm. 41. 49 César-Egasse Du Boulay: Historia universitatis Parisiensis. Bd. 6. Paris 1673 (Reprint Frankfurt 1966), 109. 116; vgl. James K. Farge: Orthodoxy and Reform in Early Reformation France: the Faculty of Theology of Paris, 1500-1543. Leiden 1985, 126. 50 Vgl. WA 8, 256-258. 51 Vgl. ABKG 1, 144-146 (Nr. 182). 52 Determinatio theologicę || Facultatis Parisieñ. super doctrina Lutheriana || hactenus per eam visa. [Paris]: Officina Ascensiana [Josse Badius, 1521]; vgl. WA 8, 255-312.
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nachzuweisen.53 Eck, der im März 1520 in Rom eintraf, war zumindest maßgeblich an der Erstellung der Bannandrohungsbulle beteiligt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit dem Pariser Druck eine zuverlässige Quelle für das amtliche Notariatsprotokoll der Disputation zwischen Eck und Luther zur Verfügung steht. Für die Disputation mit Karlstadt fehlt dieses. Mit den auf einem Augenzeugenbericht beruhenden Erfurter Drucken, besonders noch mit der handschriftlich korrigierten Leipziger Fassung, sowie der Freiberger Handschrift stehen aber auch hier Quellen zur Verfügung, die dem authentischen Text sehr nahekommen. Auch die vorhandenen Editionen von Seitz und WA Band 59 können als zuverlässig gelten. Für die Disputation Eck – Karlstadt ist auf die neue Edition in der Kritischen Gesamtausgabe der Schriften und Briefe Karlstadts zu verweisen, welche die fünf Ausgaben des Erfurter Druckes, den Pariser Druck sowie die Freiberger Handschrift zugrunde legt.54 Zur Frage der Protokolle sei abschließend Otto Seitz zitiert: »Die Wissenschaft aber hat vor allem Grund, den beiden Reformatoren [Luther und Karlstadt] für ihr Bestehen auf der verabredeten Kampfesweise dankbar zu sein: unsere Kunde von dem Verlauf der Leipziger Disputation würde wesentlich ungenauer sein, wenn Ecks Wünsche durchgedrungen wären.«55 – Denn dann hätten wir überhaupt keine Protokolle.
53 Vgl. Aloys Schulte: Die römischen Verhandlungen über Luther 1520: Aus den Atti Consistoriali 1517-23. Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 6 (1904), 47-52. 54 Kritische Gesamtausgabe … (wie Anm. 16). 55 Der authentische Text … (wie Anm. 15), 1.
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Der Ort der Disputation – die Pleißenburg
Der Ort der Disputation – die Pleißenburg Von Thomas Noack
Die erste deutsche Burg auf dem Territorium der späteren Stadt Leipzig konnte dank der engagierten Grabungs- und Forschungstätigkeit von Herbert Küas, dem Nestor der Leipziger Stadtkernforschung, lokalisiert werden.1 Auch wenn in Teilen heute widersprochen, so bilden seine Ergebnisse einer Rekonstruktion für die Mittelalterforschung in Leipzig eine wichtige Grundlage. Dagegen sind Geschichte und Gestalt der frühen Pleißenburg kaum erforscht. Dies liegt zweifelsfrei in der allgemein als undankbar angesehenen Quellen- und Fundlage begründet. Insbesondere durch die Ausgrabungen des Landesamtes für Archäologie Sachsen in den Jahren 1995/1996 auf dem Burgplatz, in der Lotter- sowie der Schulstraße konnte erstmals seit längerer Zeit wieder neuerliches Interesse an der ehemaligen Burg und späteren Festung Pleißenburg geweckt werden.2 Richtige Neugierde und eine beharrliche Weiterbeschäftigung mit dem Thema sind allerdings ausgeblieben. Doch ist damit nur eine Seite der Problematik »Pleißenburg« angesprochen. Im Zuge der nach Osten gerichteten Erweiterung seines Herrschaftsgebietes gelangten die Truppen König Heinrichs I. in den Jahren 928/929 bis zur Elbe. Otto I. fasste 932 die eroberten slawischen Gebiete zur Ostmark zusammen. Etwa zur gleichen Zeit wurde die Doppelsiedlung Libzi in das Burgwardsystem einbezogen und in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts zur »urbs« ausgebaut. Die dazugehörige Burganlage wurde an der Stelle eines bereits befestigten Platzes, auf dem hochwasserfreien Geländesporn im Bereich des späteren Matthäikirchhofes angelegt. Sie diente zuvorderst dem Schutz der Handelsstraßenkreuzung, wird wegen ihrer Lage an der via regia in der Forschung mitunter auch in Zusammenhang mit der königlichen Pfalz Merseburg gesehen. Durch die Zerstörung des Viertels im Zweiten Weltkrieg waren sowohl Möglichkeit als auch Notwendigkeit archäologischer Grabungstätigkeit gegeben. Die Resultate sind in dem 1976 erschienenen Buch »Das alte Leipzig in archäologischer Sicht« umfänglich dargestellt.3 Herbert Küas beschränkte sich als Initiator und Autor jedoch nicht auf die alleinige Darstellung der in den Jahren 1949 bis 1955 durchgeführten Grabungen, sondern versuchte die Entwicklung Leipzigs insgesamt zu beleuchten. Seine schematischen Darstellungen der Siedlungsbereiche, die Erläuterungen und Interpretationen bilden 1 Herbert Küas: Das alte Leipzig in archäologischer Sicht. Leipzig 1976. 2 Siehe u. a. Helge Svenshon: Stadtarchäologie in Leipzig: Überblick 1995-1996. Die Pleißenburg. archäologie aktuell im Freistaat Sachsen 4 (1996), 197-205. 3 Küas: Das alte Leipzig … (wie Anm. 1).
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noch immer die Grundlage der Stadtkernforschung in Leipzig und des zugehörigen interdisziplinären Meinungsstreites. Vermutlich unter Markgraf Konrad dem Großen erfolgte in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Umwallung des gesamten Siedlungskerns, der sich im Schutz der erwähnten ersten Burg entwickelt hatte. Durch diesen Wall wurden Haupt- und Nebenburgen miteinander verbunden. Zwischen 1156 und 1170 erhielt Leipzig den Stadtbrief einschließlich der Marktprivilegien durch Markgraf Otto den Reichen von Meißen; es handelt sich um die einzige in dieser Zeit erfolgte Stadtgründung der Wettiner. Zeitgleich mit der Eigenbefestigung des markgräflichen Stadtvogtes muss um 1180 die der Bürgerschaft obliegende Stadtbefestigung entstanden sein. Die mittelalterliche Siedlungserweiterung, die sich im wesentlichen mit dem heutigen Bereich der Innenstadt deckt, war abgeschlossen. Während regionaler kriegerischer Auseinandersetzungen gegen Ende des 12. Jahrhunderts galt Leipzig als gut gesicherte Stadt. Im Jahr 1212 beabsichtigte Markgraf Dietrich, mit der Gründung eines Augustinerchorherrenstifts an St. Thomae seinen Einfluss auf das städtische Gemeinwesen zu festigen. Dietrich hatte sich durch die Aneignung des Meißnischen Landes 1198 zahlreiche Feinde gemacht, wodurch die Anlage und der Ausbau geschützter Plätze zur Sicherung seiner Herrschaft notwendig wurden. In der vom Landesherrn initiierten Klostergründung sah die Bürgerschaft einen groben Eingriff in die errungene Selbständigkeit. Quellen berichten, dass die tags zusammengefügten Mauern des Thomasklosters von den Bürgern in der Nacht wieder abgetragen und schließlich die Baumaterialien zerstreut wurden.4 1215 kam es zum offenen Aufstand gegen den Landesherrn. Diesem gelang es mit Waffengewalt zunächst nicht, die Mauern und teilweise wassergefüllten Gräben zu überwinden und in die Stadt zu gelangen. Daraufhin leistete er Urfehde und der Landfrieden wurde bekräftigt. Der Bürgerschaft sicherte dies ihre ehemaligen Rechte und beinhaltete den Verzicht auf eine markgräfliche Befestigung in der Stadt. Durch eine List jedoch und das Eingreifen Friedrichs II. gelang es Dietrich im Jahr 1216, in die Stadt einzudringen und den Aufstand zu beenden. Auf seinen Befehl hin wurden die Mauern abgetragen und die Gräben verfüllt. Mit Hilfe dreier befestigter Plätze gedachte der Markgraf seinen errungenen Sieg zu manifestieren und neuerlichen Unruhen vorzubeugen. Um- und Ausbau der wehrhaften Anlage auf dem Gelände des späteren Matthäikirchhofes konnten – wie erwähnt – durch Herbert Küas archäologisch nachgewiesen werden. Eine zweite Befestigung befand sich im Bereich des Grimmaischen Tores, und als dritte Veste wider die Stadt entstand gegen Süden hin jene Zwingburg, die später das »Feste Schloss« oder wegen ihrer Lage an der Pleiße die »Pleißenburg« genannt wurde. Die in den 4 Vgl. Johann Jacob Vogel: Leipzigisches Geschicht-Buch oder Annales, Das ist: Jahr- und Tage-Buecher Der Weltberuehmten Koenigl. und Churfuerstlichen Saechsischen Kauff- und Handels-Stadt Leipzig. 2. Aufl. Leipzig 1756, 22.
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Quellen geführte Begrifflichkeit veranlasst viele Historiker zu der Annahme, dass es sich bei den erwähnten Befestigungen um kleine kompakte Anlagen mit einem wehrhaften und hohen Turm gehandelt hat. Herbert Küas suchte nach Begründungen, dass auch bei den zwei Letztgenannten möglicherweise lediglich eine Modernisierung bereits vorhandener Anlagen stattfand. Die Ecksituation und die Geländetopografie im Südwesten lassen vermuten, dass hier bereits eine wichtige Fortifikationsanlage gestanden hat, mit Sicherheit aber ein steinerner Turm. Dynastische Streitigkeiten nach dem Tode Markgraf Dietrichs des Bedrängten im Jahre 1221 eröffneten den Leipzigern die Möglichkeit, sich der Zwingburgen wieder zu entledigen. Im gemeinsamen Waffengang mit Landgraf Ludwig II. von Thüringen stürmten die Bürger 1224 die Leipziger Burg. Diese und auch die Anlage am Grimmaischen Tor wurden geschliffen und das Gelände den Franziskanern und Dominikanern jeweils für die Errichtung eines Klosters zur Verfügung gestellt. Nur die dritte Befestigung blieb bestehen. Heinz Weithaas stellt fest, dass eine Verortung der Burg an dem Standort, »wo sie sich noch heute befindet«, selbstredend die bauliche Situation um 1250 im Blick hat, als die Niederschrift im Pegauer Kloster erfolgte.5 Im Verlauf des 13. Jahrhunderts erfolgte ein umfassender Ausbau zur neuen markgräflichen Burg. In einer vom Vorgenannten erschlossenen Quelle wird vermerkt, dass durch das Entstehen der zahlreichen Gebäude und Anlagen vom »Schloß« gesprochen werden konnte. Dieses erstreckte sich »mit seinen Gebäuden, Ställen, Plätzen und Gärten vom Ausgang der Burgstraße bis an die Schlossmauer und bis zum Eingang der Schulstraße«.6 Und hier tritt die Schwierigkeit offen zu Tage, die genauen Ausmaße des Schloss- oder Burgareals benennen und archäologisch nachweisen zu können. Auch der 1547 gefertigte Holzschnitt eignet sich in dieser Beziehung nur bedingt zur Lösung des Problems, da die Ansicht auf die Stadt von Osten erfolgte. Dies belegt beispielsweise der recht kurze Abstand zwischen Burg und Thomaskirche (siehe Abb. 23). Von den Kriegen der Zeit blieb die Pleißenburg vermutlich unberührt, sie spielte auch als herrschaftliche Residenz keine wesentliche Rolle. In der Vogelschen Chronik finden die in den Jahren 1265, 1288, 1290, 1446, 1454, 1487, 1491 in ihren Mauern abgehaltenen Landtage eine kurze Erwähnung.7 Im 16. Jahrhundert nahmen sowohl die Anzahl der nach Leipzig einberufenen Landtage als auch die Beschreibung von Geschehnissen auf dem Schloss zu. Gustav Wustmann vermutet 5 Heinz Weithaas: Das alte Schloss, die Pleißenburg und das Nonnenkloster in Leipzig: ein Beitrag zur Frage der Standorte. In: Leipziger Almanach (2009/2010), 101-112, hier 105. Vgl. auch ders.: Beschreibung des Leipziger Stadtbildes von 1537. Leipziger Kalender (2003), 141-145. 6 Vgl. Weithaas: Das alte Schloss ... (wie Anm. 5), 105; Urkundenbuch Stadt Leipzig. Bd. 1/ im Auftrag der Königlich Sächsischen Staatsregierung hrsg. von K. Fr. von PosernKlett (CDS; II.8 I). Leipzig 1868, 215 (Anm. zu Nr. 276). 7 Nach Vogel: Leipzigisches Geschicht-Buch … (wie Anm. 4) zu den jeweiligen Jahren.
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Abb. 23: Ausschnitt aus der Darstellung Leipzigs vom Jahre 1547.
für das 14. und 15. Jahrhundert derartig umfassende Erweiterungen, dass diese einem Neubau gleichgekommen seien.8 Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts erfolgte der teilweise Neubau durch Arnold von Westfalen unter Nutzung der vorhandenen Bausubstanz. Er hielt sich 1480 in Leipzig auf und fertigte dabei auch Risse für das Leipziger Schloss. Nach der Leipziger Teilung 1485 sah die Pleißenburg häufiger fürstlichen Besuch. Auch Herzog Georg der Bärtige soll wiederholt von »unserem fürstlichen Schloss Pleißenburg« gesprochen haben. 1519 fand hier der Kurfürst von Brandenburg Herberge, der sich auf der Rückreise von der Frankfurter Kaiserwahl befand. Aus diesem Anlass musste die bereits drei Wochen andauernde Disputation beendet werden, die in der großen Hofstube der Pleißenburg zwischen Martin Luther, Andreas Bodenstein genannt Karlstadt sowie Johann Eck stattgefunden hatte. Am 29. Juni 1519 predigte Luther das erste Mal in Leipzig. Da die Schlosskapelle zu klein war, musste – so berichtet eine Quelle – in die große Hofstube ausgewichen werden.9 Doch sind hier nicht Zweifel berechtigt? Sollte die Hofstube wirklich größer gewesen sein als die Kapelle? Auf dem bis vor zwanzig Jahren als älteste Leipziger Stadtansicht geltenden Holzschnitt vom Januar 1547 ist die Pleißenburg erstmals scheinbar detailfreudig
8 Nachweis bei Gustav Wustmann: Der Leipziger Ratskeller. Leipzig, 1904. 9 Die Reformation in Augenzeugenberichten/ hrsg. von Helmar Junghans. Mit einer Einleitung von Franz Lau. Düsseldorf 1967 (Taschenbuchausgabe München 21980), 68.
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Abb. 24: Schematisierter Gesamtplan der Grabungen im Bereich der ehemaligen Pleißenburg
abgebildet.10 Trotz der sichtbaren Zerstörungen sind die Einbindung der Burg in die Stadtbefestigung, der Umfang und die Stattlichkeit einiger Gebäude dargestellt. Von besonderem Interesse ist der an der Südwestecke der Stadt vorgestellte Turm. Herzog Moritz gewährte nach dem Schmalkaldischen Krieg Leipzig sofort seine volle Aufmerksamkeit. Er befahl die Beseitigung der Gebäuderuinen auf der Burg und nahm das umfangreichste Befestigungswerk aller unter seiner Regierungshoheit stehenden Städte in Angriff. Mit der Ausführung der von Oberzeug- und Baumeister Caspar Vogt von Wierandt erarbeiteten Pläne für die neue Pleißenburg wurde 1549 der Ratsherr, kurfürstliche Baumeister und mehrmalige Bürgermeister 10 Siehe das gesamte Bild Abb. 27 unten bei Bünz auf Seite 94 f; Ausschnitt siehe Abb. 23 oben Seite 76.
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der Handelsstadt, Hieronymus Lotter, beauftragt. Zunächst war an die Errichtung einer nach modernsten Gesichtspunkten konstruierten Zitadelle vor dem Hallischen Tor gedacht und bereits mit ersten Vorarbeiten begonnen worden, letztlich wurde dann doch der »alte Standort« an der Südwestecke der Stadt bevorzugt. Es ist anzumerken, dass die dreieckige Grundrissdisposition eine beinahe einmalige Besonderheit im europäischen Festungsbau darstellt. Bei Ausschachtungsarbeiten für das Bauwenshaus zwischen Burgplatz und Schulstraße im Jahr 1992 wurden neben einem Stück der stadtzugewandten Pleißenburgmauer auch einzelne Werksteine aus Rochlitzer Porphyrtuff aufgefunden. Das Interesse an den Funden war gering; die Steine wurden vor Ort belassen, und ein Vergießen der Mauer mit Beton konnte erst im letzten Moment noch abgewendet werden. Im Sommer 1995 begann das Sächsische Landesamt für Archäologie unter der Leitung von Helge Svenshon mit umfangreichen Ausgrabungen auf dem Areal der ehemaligen Pleißenburg. Im Rahmen einer Fläche von insgesamt 4.000 qm konnten in zunächst drei Abschnitten – in der Schul- und der Lotterstraße sowie auf dem Burgplatz – wesentliche Bereiche unterschiedlicher Bauphasen der 1897/1898 abgebrochenen Festung freigelegt werden.11 Etwa drei Meter unter dem heutigen Straßenniveau der Lotterstraße wurde der Randbereich eines ungefähr in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Grabens angeschnitten und auf einer Länge von etwa elf Metern nachgewiesen. Nur wenige Zentimeter unter dem Hofpflaster des Lotterschen Festungsbaues fand sich innerhalb einer verdichteten Deckschicht die so genannte spätslawische Ware, die beispielsweise durch Grabungen in Barthels Hof bekannt ist. Diese in das 12. und 13. Jahrhundert zu datierende Keramik legt den Schluss nahe, die Mauern mit dem Bau Dietrichs des Bedrängten aus dem Jahr 1216 in Verbindung zu bringen. Zwölf Meter westlich des Grabens konnte in ca. 6,50 Meter Tiefe der 3,50 Meter lange Fundamentrest eines Mauerzuges freigelegt werden, der sich unter dem Kellerfußboden des Neuen Rathauses in südlicher Richtung rudimentär fortsetzt. Diese Mauer ist von sich aus nicht zu datieren, jedoch legt der nahezu parallele Verlauf einen Zusammenhang mit dem Graben nahe. Sowohl der Böschungswinkel als auch der Abstand zum Grabenrand lassen vermuten, dass die Mauer zur nachträglichen Befestigung im Bereich der Grabensohle diente. Der Graben selbst war gegen die Mauer verfüllt, im Westen blieb er als Angriffshindernis erhalten.
11 Vgl. hierzu auch: Helge Svenshon: Stadtarchäologie in Leipzig: Überblick 1995–1996. Die Pleißenburg. archäologie aktuell im Freistaat Sachsen 4 (1996), 197–205; ders.; Thomas Noack: Die Pleißenburg in Leipzig: Ergebnisse der archäologischen Rettungsgrabung. Burgenforschung aus Sachsen 10 (1997), 23–36; Helge Svenshon: Die Leipziger Pleißenburg: ein Vorbericht. Arbeits- und Forschungsberichte zur Sächsischen Bodendenkmalpflege 46 (2004), 495-524.
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In der Schulstraße brachten die Grabungsergebnisse Aufschluss über den Graben zwischen Festung und Stadt. Die Untersuchungen auf dem Burgplatz zeigten umfängliche Mauerreste der frühneuzeitlichen Pleißenburg. Vor dem Hauptportal des Trotzers und zwischen den im 19. Jahrhundert angefügten Silotürmen ist in wenigen Resten ein Mauerzug der mächtigen Schildwehr erhalten geblieben. Diese war bereits in einer frühen Umbauphase wieder entfernt worden. Außerdem konnte ein Teil der befestigten Brückenanlage über den Burggraben sichtbar gemacht werden. Im Gegensatz zu den akkurat gemauerten Steinfundamenten und Kellergewölben waren die bis auf etwa 1,50 Meter Höhe erhaltenen und zwischen 1,20 und 2,30 Meter starken Mauerzüge zum größten Teil aus grob und unregelmäßig gesetztem Ziegelbruch hergestellt. Vereinzelt fand sich einfaches Bruchsteinmauerwerk aus Braunkohlequarzit. An exponierten Stellen, wie beispielsweise den Zungen der Hofmauer, waren große Werksteinquader verbaut. Von Interesse dürfte sein, dass sich Laibungen des Hoftores als spätgotische Spolien erwiesen. Diese mit Hohlkehlen profilierten Werksteine waren mit Sicherheit ehemalige Fenstergewände der spätmittelalterlichen Vorgängerburg. In der Grundrissdisposition des Trotzers zeigten sich erhebliche Abweichungen gegenüber den erhaltenen, zum Teil idealisierenden Planzeichnungen der letzten zwei Jahrhunderte. Während die strenge Regelmäßigkeit der Kellergrundrisse die rationale Architektur der frühen Neuzeit dokumentiert, zeigen sich in der Schiefwinkligkeit und den schwankenden Mauerstärken gerade der Eingangssituation deutliche Spuren mittelalterlichen Bauens. Auch die Funde und Ergebnisse des vierten Grabungsabschnittes auf dem Areal südöstlich des Trotzers und der Burgzuwegung werden nach ihrer Auswertung nur Vermutungen über die Gestalt der mittelalterlichen Pleißenburg zulassen; eine konkrete und gesicherte Rekonstruktion wird wohl noch immer nicht möglich sein. Wenn von der Pleißenburg gesprochen wird, ist gemeinhin die unter Hieronymus Lotter12 errichtete dreiflüglige Anlage gemeint. Sie galt als die modernste Festung im mitteldeutschen Raum und wurde deswegen mit der für Oberitalien als Leitbau errichteten Mailänder Zitadelle verglichen, mit der sie jedoch kaum eine augenscheinliche Übereinstimmung besitzt. Ende des 19. Jahrhunderts musste sich das Vorwärtsstreben einer innovativen und selbstbewussten Bürgerschaft geradezu an den misslichen Zuständen reiben, die einem immer wieder überformten und zusammengeflickten, zudem noch als Kaserne inmitten der Stadt genutzten Baukomplex innewohnen: Am 21. April 1897 wurde mit dem Abbruch begonnen. Lediglich Reste des monumentalen Vorgängerbaues lassen sich benennen, die erhalten sind: (1) Bekannt ist, dass der Turmstumpf in einer Höhe von etwa 21 m von Hugo Licht in den Rathausbau einbezogen wurde. (2) Unter dem Burgplatz 12 Hieronymus Lotter (um 1497-1580), war mehrfach Bürgermeister der Stadt Leipzig und vor allem für den Umbau des Alten Rathauses und anderer Bauten in Leipzig verantwortlich. Im Dienste des Landesherrn war er maßgeblich an der Leipziger Stadtbefestigung ab 1551 beteiligt.
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Abb. 25: Ansicht der Stadt Leipzig von 1536/37
befinden sich ausgedehnte Keller der Renaissanceburg, die der Öffentlichkeit möglichst dauerhaft zugänglich gemacht werden sollten. (3) Im ersten Innenhof des Neuen Rathauses ist ein von Lotter entworfener Renaissanceerker wieder angebracht worden. (4) Geborgen wurde der Gedenkstein von der ehemaligen Schlossbastei zur Erinnerung an die umfassende Reparatur unter Kurfürst Johann Georg II. im Jahr 1664. (5) Das Stadtgeschichtliche Museum verwahrt einen kleinen Kopf aus Rochlitzer Porphyrtuff: das Vopelköpfchen genannt. Von der mittelalterlichen Burg ist letztlich also so gut wie nichts vorhanden. Eine Annäherung an »Luther 1519« kann nur über weitere Quellenforschung erfolgen oder über einen Glücksumstand, der jetzt angesprochen werden soll. Angelika Marsch aus Hamburg entdeckte in der Würzburger Universitätsbibliothek eine noch frühere Ansicht der Stadt Leipzig. Im Anton H. Konrad-Verlag Weissenhorn 80
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erschien die Publikation der wissenschaftlichen Sensation in einem ersten Band unter dem zugegebenermaßen sperrigen Titel: »Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/1537 von seinem Ritt von Neuburg/Donau über Prag nach Krakau und zurück über Breslau, Berlin, Wittenberg und Leipzig nach Neuburg«.13 Das aus dem Zisterzienserkloster Ebrach stammende Werk umfasst 50 Ansichten mit 70 Darstellungen von Orten und Burgen; Josef Biller gelang es in mühevoller Recherche, den reisenden Fürsten zu ermitteln, in dessen Auftrag die Zeichnungen entstanden. Der Historiker Frank-Dietrich Jacob, der bis zu seinem plötzlichen Tod 13 Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/1537 von seinem Ritt von Neuburg a.d. Donau über Prag nach Krakau und zurück über Breslau, Berlin, Wittenberg und Leipzig nach Neuburg/ hrsg. von Angelika Marsch mit Josef H. Biller; Dietrich Jacob. 2 Tle. Weißenhorn 2001.
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als Professor an der HTWK Leipzig Museologie lehrte, hatte sich mit großem Einsatz der Auswertung der Ansicht von Leipzig verschrieben. Nach seiner Meinung lassen sich an der Leipziger Ansicht »das Verhältnis von wirklichkeitsgetreuer und fiktiver Darstellung innerhalb einer Bildquelle des 16. Jahrhunderts und die damit verbundenen Probleme einer quellenkundlichen Auswertung gut demonstrieren. … Während der Zeichner auf der einen Seite etliche Bauten recht genau wiedergab, ist das bei anderen, bedingt durch Irrtümer und Verwechslungen, nicht der Fall«.14 Bei unserer Stadtansicht ist zunächst die Blickrichtung von großer Besonderheit und Seltenheit. Dass Frank-Dietrich Jacob von einer Ansicht aus Nordwesten spricht, wird beispielsweise von Weithaas vehement bestritten und mit Fakten unterlegt. Dem Stadtforscher und Pfarrer i. R. Heinz Weithaas sind wertvolle Hinweise bei der Betrachtung und Erörterung des Blattes zu danken; zudem werden im folgenden einige Quellenzitate herangezogen, die ebenfalls nur Dank seiner akribischen Forschungstätigkeit zu nennen möglich sind.15 Dies entspricht dem eigentlichen Anliegen unserer Arbeitstagung – nämlich Forschungsdefizite aufzuzeigen und Schwerpunkte zu definieren. Vertiefen Sie den Blick auf die wundervolle Ansicht der Stadt Leipzig, die zunächst einer nicht bestimmbaren Stadt gewidmet zu sein scheint. Gerade die böhmisch anmutenden Dächer einiger dominanter Gebäude geben der Vermutung Vorschub, dass der Zeichner nur einige ihm prägend erscheinende Dinge vor Ort flüchtig skizziert hat und hernach im warmen Kämmerlein die Szene in künstlerisches Licht und gestaltungsfreudige Freiheit setzte. Nach Weithaasscher Ansicht grüßt am linken Bildrand in der Ferne der Kuhturm, der in etwa dort stand, wo sich heute der Lindenauer Straßenbahnhof Angerbrücke befindet. Vor der Stadt in etwa der Bildmitte steht das Haus der Armbrustschützen, wobei wie zur Bestätigung eine Schießscheibe beigegeben ist. Ganz rechts die archivalisch belegbaren Ziegelscheunen (heute Standort des Landgerichts). Um es vorweg zu nehmen und den Einstieg in das Stadtbild zu erleichtern: der Urheber der Ansicht dürfte seinen Standpunkt etwa auf dem Grundstück des Alten Gewandhauses gehabt haben. Und nun blättert sich das Panorama Leipzigs um die Jahre 1536/1537 auf: Thomaskirche (mit dem noch spitzen Turmhelm; der Umbau erfolgte kurz nach der gefertigten Zeichnung im Frühjahr 1537);16 die Nikolaikirche, das Dominikanerkloster am Grimmaischen Tor, die Georgenkirche (mit deren Abbruch am 21. Juli 1543 begonnen wurde), die 14 Frank-Dietrich Jacob: Die älteste Ansicht der Stadt Leipzig von 1536/37. In: Leipzig im Kartenbild (Leipziger Kalender; Sonderbd. 2001/1). Leipzig 2001, 5-15; vgl. auch Gerhard Graf; Henning Steinführer: Anmerkungen zur neu entdeckten ältesten Leipziger Stadtansicht von 1536/37. In: Stadtgeschichte. Mitteilungen des Leipziger Geschichtsvereins (2002) Heft 1, 36-39. 15 Weithaas: Das alte Schloss … (wie Anm. 5). 16 Vgl. u. a. Die Bau- und Kunstdenkmäler von Sachsen: Stadt Leipzig: die Sakralbauten/ hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen. München 1995, 201.
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Matthäikirche mit dem mittigen Dachreiter. Wo aber liegt hier das Alte Schloss, das 1543 an den Rat der Stadt verkauft, jedoch erst mit der Fertigstellung der neuen Burg übergeben werden sollte? Das Nonnenkloster mit der Georgenkirche wurde vor den Mauern der Stadt errichtet, in unmittelbarer Nähe zur Burg. Der Markgraf seufzte: »die Nonnen könnten ihm ins Schlafgemach schauen«.17 Ganz so schlimm dürfte es nicht gewesen sein, denn der Höhenunterschied zwischen Schloss und Kloster machte dies unmöglich; zugegebenermaßen störten die Klostergebäude den freien Blick in die Aueniederung, und der Markgraf fühlte sich wohl durch die Geschäftigkeit der Nonnen gestört. Der hohe Turm rechts neben dem Kloster kann also nur jener der Burg zuzuordnende Turm sein, und somit wäre die zur nach 1547 erbauten Pleißenburg andere Lage des Alten Schlosses ersichtlich. Die wohl gewagteste Vermutung von Heinz Weithaas ist die Lokalisierung der Schlosskirche, die auf der Zeichnung zwischen Matthäi und St. Thomä zu stehen kommt. Es war bereits von Gärten innerhalb des Schlosses die Rede; eine Archivalie gibt en detail Auskunft über die am 12. Januar 1547 eingetretenen Schäden während des Belagerungs-Beschusses: »im Schloß [sind] Frauenzimmer und Fürstengemach, Kanzlei, Zeughaus und Schneiderei verderbt und die Burg hässlich zerschossen«.18 Am 15. Januar traf es die Schlosskirche. Nach der militärisch ergebnislosen Belagerung wurde der Neubau des Schlosses beschlossen und bis 1549 von der alten Anlage abgebrochen: »der viereckige Thurm hinter dem Schlosse an der Ecke [von der Stadt aus gesehen. T. N.] samt dem Bogen über die Schlossmauer, auf dem Schlosse selbst die Kirche bis an das hohe Haus«.19 Eine Urkunde im Stadtarchiv Leipzig von 1553 berichtet von der Aufforderung des Kurfürsten Moritz an Baumeister Lotter: »Er soll auch das alte Schloss soviel es Inen diz Jar hindert und Er steine bedürffen wirdet hinweg brechen und zu seinenn händen nhemen«.20 Als Ergebnis dieses kurzen Blicks auf die Pleißenburg als dem Ort der Leipziger Disputation ist festzuhalten: (1) Die momentan verfügbaren archäologischen Zeugnisse des interessierenden Themenschwerpunktes sind kurz umrissen. In nächster Zeit dürfte kaum mit einem Zugewinn an brauchbarem Material zu rechnen sein, wohingegen eine Auswertung bislang nicht exakt zuzuordnender Mauerreste oder Gruben mit Blick auf die Stadtansicht 1537 und historischer Schriftquellen sicher nicht ohne Ergebnisse bleiben dürfte.
17 Nach Weithaas: Das alte Schloss … (wie Anm. 5), 106. 18 Weithaas: Das alte Schloss … (wie Anm. 5), 107 nach Georg Voigt: Die Belagerung Leipzigs 1547. NASG 11 (1873), 225-324. 19 Weithaas: Das alte Schloss … (wie Anm. 5), 108 nach Urkundenbuch Stadt Leipzig (wie Anm. 6) Bd. 1, 215 (Anm. zu Nr. 276). 20 Leipzig: Stadtarchiv: Urkundenkasten 78.
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(2) Allein mit den beiden Stadtansichten von 1537 und 1547 sind – trotz der großen Authentizität und Detailfreudigkeit in der Darstellung – die Örtlichkeiten bezüglich der Reformations-Veranstaltungen 1519 und 1539 auf der Leipziger Burg nicht darstellbar. Weiteres Bildmaterial aus der Zeit vor 1547 ist nicht bekannt. (3) Sinnstiftend und zielführend dürfte die weitergehende Auswertung des archivalischen Schrifttums sein, das ich in meiner Magisterarbeit zur Geschichte der Pleißenburg21 nur in Ansätzen erschließen und Heinz Weithaas bezüglich seiner Belegsuche für Details der Leipziger Ansicht von 1537 auch nur in begrenztem Umfang auswerten konnte.
21 Thomas Noack: Die Pleißenburg in Leipzig. Leipzig 1994.
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Territorium – Stadt – Universität
Territorium – Stadt – Universität Das Umfeld der Leipziger Disputation 1519 Von Enno Bünz
Territorium, Stadt, Universität – mit diesen drei Begriffen ist die Perspektive der folgenden, notgedrungen knappen Ausführungen umrissen, soll es doch darum gehen, die territorialpolitischen, stadt- und universitätsgeschichtlichen Rahmenbedingungen und Hintergründe der Leipziger Disputation zu skizzieren.1 Auf das Ereignis selbst gehe ich schon aus Rücksicht auf die folgenden Vorträge mit keinem Wort ein. Vielmehr soll eine Momentaufnahme geboten werden, um deutlich zu machen, dass auch große Ereignisse durch ihre regionale, lokale und institutionelle Rückbindung besser verständlich werden. Entsprechend sollen zunächst der wettinische Territorialstaat (Abschnitt I), dann die zum albertinischen Herzogtum Sachsen gehörende Landstadt Leipzig (Abschnitt II) und schließlich die dortige Universität (Abschnitt III) ungefähr zum Zeitpunkt der Leipziger Disputation betrachtet werden. Generell waren der landesherrliche Territorialstaat und die Stadt wesentliche Faktoren, die den Verlauf der Reformation beförderten. Von den Universitäten hingegen hat allein Wittenberg eine maßgebliche Rolle gespielt, war dies doch das intellektuelle Zentrum von dem die Reformation Martin Luthers ihren Ausgang nahm. Dies verdeutlicht auch die Leipziger Disputation. I Der wettinische Territorialstaat ist im Laufe des späten Mittelalters zur Hegemonialmacht im mitteldeutschen Raum aufgestiegen.2 Ausgehend von den territorialen Kernländern der Markgrafschaft Meißen, der Landgrafschaft Thüringen und des dazwischen liegenden Osterlandes haben die Wettiner laufend ihr Territorium ausgedehnt, konkurrierende Herrschaftsträger ausgeschaltet und den Adel in den
1 Die Redefassung des am Reformationsfest 2009 in Leipzig gehaltenen Vortrags wurde beibehalten und nur um die wichtigsten weiterführenden Literaturhinweise ergänzt, die wiederum für die Neuauflage aktualisiert und erweitert wurden. 2 Rudolf Kötzschke; Hellmut Kretzschmar: Sächsische Geschichte. 2 Bde. Dresden 1935; 2., überarb. Aufl. in einem Band, Frankfurt a.M. 1965; Nachdruck zuletzt Würzburg 2002; Karlheinz Blaschke: Geschichte Sachsens im Mittelalter. München 1990; Katrin Keller: Landesgeschichte Sachsen. Stuttgart 2002; Die Herrscher Sachsens: Markgrafen, Kurfürsten, Könige 1089-1918/ hrsg. von Frank-Lothar Kroll. München 2004; Jörg Rogge: Die Wettiner: Aufstieg einer Dynastie im Mittelalter. Ostfildern 2005; Reiner Groß: Die Wettiner (Urban-Taschenbücher; 621). Stuttgart 2007.
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Herrschaftsverbund eingegliedert.3 Nach dem Aussterben der askanischen Kurfürsten von Sachsen-Wittenberg hat König Sigismund 1423 Markgraf Friedrich IV. den Streitbaren mit der sächsischen Kurwürde belehnt. Die Kurwürde hat den Wettinern eine reichspolitisch wertvolle Rangerhöhung, aber auch einen territorialpolitisch bedeutenden Zugewinn im Mittelelbegebiet eingebracht, nämlich die Kurlande um Wittenberg.4 Im wettinischen Territorium nahm das einstige Herzogtum Sachsen-Wittenberg stets eine Sonderstellung ein, weil die Kurlande gemäß den Bestimmungen der Goldenen Bulle von 1356 ungeteilt bleiben und mit der Kurwürde an den Erstgeborenen fallen mussten.5 Seit dem 15. Jahrhundert hat sich für den gesamten Herrschaftsbereich der Wettiner allmählich der Name »Sachsen« durchgesetzt, der durch die sächsischen Askanier von Lauenburg über Wittenberg elbaufwärts in den mitteldeutschen Raum gewandert war.6 Die Verleihung der Kurwürde an die Wettiner, der 1415 die Belehnung der zollerischen Burggrafen von Nürnberg mit dem Kurfürstentum Brandenburg vorangegangen war, verdeutlicht die Verschiebung der politischen 3 Herbert Helbig: Der wettinische Ständestaat: Untersuchungen zur Geschichte des Ständewesens und der landständischen Verfassung in Mitteldeutschland bis 1485 (Mitteldeutsche Forschungen; 4). Köln u. a. 2., unveränd. Aufl. 1980; Joachim Schneider: Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel: ein landschaftlicher Vergleich (Monographien zur Geschichte des Mittelalters; 52). Stuttgart 2003, über Sachsen, Altbayern und Franken; Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200 bis 1600): Formen – Legitimation – Repräsentation/ hrsg. von Jörg Rogge; Uwe Schirmer (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; 23). Leipzig 2003; Adlige Lebenswelten in Sachsen: Kommentierte Bildund Schriftquellen/ hrsg. von Martina Schattkowsky. Köln u. a. 2013; Sabine Holtz; Uwe Schirmer: Landstände und Parlamentarismus. In: Handbuch Landesgeschichte/ hrsg. von Werner Freitag; Michael Kißener; Christine Reinle; Sabine Ullmann. Berlin/Boston 2018, 335-369, hier zu Sachsen und Thüringen 351-357. 4 Friedrich Lorenz Beck: Herrschaft und Territorium der Herzöge von Sachsen-Wittenberg (1212-1422) (Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte; 6). Potsdam 2000; Mit Schwert und Kreuz zur Kurfürstenmacht: Friedrich der Streitbare, Markgraf von Meißen und Kurfürst von Sachsen (1370-1428)/ hrsg. von Jutta Charlotte von Bloh; Dirk Syndram; Brigitte Streich. München u. a. 2007. 5 Der lateinische Text der Goldenen Bulle mit deutscher Übersetzung ist bequem zugänglich in: Quellen zur Verfassungsgeschichte des Römisch-Deutschen Reiches im Spätmittelalter (1250-1500)/ ausgewählt und übersetzt von Lorenz Weinrich (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters; 33). Darmstadt 1983, 314-395 (hier Kap. 7, 345-349 zur Erbfolge der Kurfürsten), mit Nachweis der kritischen Ausgaben und weiterführender Literatur; Enno Bünz: Die Goldene Bulle von 1356. In: Mit Schwert und Kreuz zur Kurfürstenmacht … (wie Anm. 4), 130-133. 6 Joachim Ehlers u. a.: Sachsen (I. Frühgeschichte und Ethnogenese, II. Archäologie, III. Herzogtum 9. Jh. – 1180, IV. Herzogtum, jüngeres: 1180-1500). In: Lexikon des Mittelalters 7 (1995), 1223-1235; Manfred Kobuch: Der Weg des Namens Sachsen. In: Sachsen und die Wettiner: Chancen und Realitäten. Internationale wissenschaftliche Konferenz, Dresden vom 27. bis 29. Juni 1989/ hrsg. von Reiner Groß (Dresdner Hefte, Sonderausgabe). Dresden 1990, 29-35.
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Machtgruppierung im spätmittelalterlichen Reich. Das einstige Kolonialland zwischen Saale und Elbe hatte nicht nur politisch Anschluss an das Altsiedelland im Westen gefunden, sondern es holte den einstigen Abstand im Laufe des Spätmittelalters auch in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht auf.7 Im Laufe des späten Mittelalters wurde aus dem offenen Herrschaftsgebilde der Wettiner ein verdichtetes Territorium, das nicht nur aufgrund seiner Ämterund Gerichtsorganisation als »frühmoderner Staat« bezeichnet werden kann.8 Mit dem Streben nach einer durchorganisierten Territorialherrschaft standen aber stets die dynastischen Familieninteressen im Widerspruch,9 die dazu führten, dass die Wettiner ihre Länder im 14. und 15. Jahrhundert mehrfach geteilt haben, so 1382 in Chemnitz, 1445 in Altenburg und 1485 in Leipzig. Damals sah der Teilungsplan einen meißnisch-osterländischen Teil (mit 56 Städten, darunter Dresden und Leipzig) und einen thüringisch-fränkischen Teil (mit 70 Städten, darunter Weimar und Coburg) vor, nahm dabei aber bewusst in Kauf, dass beide Anteile ineinander verzahnt blieben (Abb. 26).10 Beiden Fürsten gemeinsam blieb die Nutzung der Bergwerke, die Herrschaft über das silberreiche Schneeberg und die wettinischen Erwerbungen in Schlesien und in der Niederlausitz. Auch Schulden, etwaige Anwart 7 Peter Moraw: Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung: das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490 (Propyläen Geschichte Deutschlands; 3). Berlin 1985; Akkulturation und Selbstbehauptung: Studien zur Entwicklungsgeschichte der Lande zwischen Elbe/Saale und Oder im späten Mittelalter. In Verbindung mit Eberhard Holtz und Michael Lindner hrsg. von Peter Moraw (Berichte und Abhandlungen/ hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften; Sonderbd. 6). Berlin 2001; Enno Bünz: Sachsen im spätmittelalterlichen Reich und in Europa. In: Des Himmels Fundgrube: Chemnitz und das sächsisch-böhmische Gebirge im 15. Jahrhundert/ hrsg. von Uwe Fiedler; Hendrik Thoß; Enno Bünz. Chemnitz 2012, 8-27. 8 Karlheinz Blaschke: Beiträge zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte: ausgewählte Aufsätze/ aus Anlaß seines 75. Geburtstages hrsg. von Uwe Schirmer; André Thieme (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; 5). Leipzig 2002; Heiner Lück: Die kursächsische Gerichtsverfassung 1423-1550 (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte; 17). Köln u. a. 1997; Brigitte Streich: Das Amt Altenburg im 15. Jahrhundert: zur Praxis der kursächsischen Lokalverwaltung im Mittelalter (Veröffentlichungen aus Thüringischen Staatsarchiven; 7). Weimar 2000; Jens Kunze: Das Amt Leisnig im 15. Jahrhundert: Verfassung, Wirtschaft, Alltag (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; 21). Leipzig 2007. 9 Jörg Rogge: Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation im fürstlichen Hochadel: das Beispiel der Wettiner von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts (Monographien zur Geschichte des Mittelalters; 49). Stuttgart 2002; Enno Bünz: Wettiner. In: Neue Deutsche Biographie, Band 27 (im Manuskript abgeschlossen). 10 Ernst Hänsch: Die wettinische Hauptteilung von 1485 und die aus ihr folgenden Streitigkeiten bis 1491. Phil. Diss. Leipzig 1909. – Vgl. dazu die Karte der wettinischen Länder im Jahre 1485 in: Blaschke: Geschichte Sachsens … (wie Anm. 2), 295; Karlheinz Blaschke: Die wettinischen Länder von der Leipziger Teilung 1485 bis zum Naumburger Vertrag 1554 (Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen, Beihefte zu Karte C III 1). Leipzig u. a. 2010, 15-50 (Edition der Teilungsurkunden/ bearb. von Matthias Kälble; Jana Moser).
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schaften und Lehen sollten gemeinsam beglichen beziehungsweise genutzt werden. Gemeinsam ausgeübt werden sollte auch die Schutzherrschaft über mehrere Städte wie Erfurt, dazu die Schutzherrschaft über das Hochstift Meißen. Die Schutzherrschaft über das Hochstift Merseburg sollte hingegen zum albertinischen Teil, die über das Hochstift Naumburg zum ernestinischen Anteil gehören. Kurfürst Ernst, der gerne in Dresden geblieben wäre, hatte wohl gehofft, dass Albrecht den thüringischen Teil wählen würde, doch hat sich dieser anders entschieden. Die ältere sächsische Historiographie hat beklagt, in Leipzig sei 1485 Sachsens künftige Großmachtstellung verspielt worden.11 Ernst und Albrecht folgten jedoch, wie frühere Generationen ihrer Familie, dynastischen Vorstellungen, indem sie über ihr Territorium wie über Familienbesitz verfügten. Dem entsprach auch das weithin noch persönliche Fürstenregiment, das sie in ihrem Herrschaftsgebiet ausübten. Das bedeutet nicht, dass ihnen landesherrliches Denken, das auf das Landeswohl gerichtet war, fremd gewesen wäre. Die Landesordnungen des 15. Jahrhunderts beweisen das Gegenteil.12 Die Wettiner gehörten zu den mächtigsten Fürstendynastien des spätmittelalterlichen Reiches: Sie waren rangmäßig hervorgehoben als Kurfürsten, machtpolitisch ausgestattet mit einem weitgespannten und wohlorganisierten Territorium in der Mitte Deutschlands und finanziell abgesichert durch gewaltige Silberfunde im Erzgebirge seit 1470/71, die der wettinischen Politik eine sichere Grundlage boten, obschon die Höhe der Bergerträge vielfach überschätzt worden ist.13 Unter Herzog Georg beliefen sich die jährlichen Einnahmen um 1515 auf durchschnittlich über 117.000 Gulden. Davon kamen ca. 25.000 Gulden aus den Ämtern und ca. 17.000 Gulden aus dem Bergbau. Äußerer Ausdruck dieser Aufwärtsentwicklung des Territoriums ist der 1471 begonnene Neubau der Albrechtsburg in Meißen, die erst 1510 vollendet wurde. Damals war schon Dresden die Hauptresidenz der albertinischen Wettiner.14 11 So noch Karlheinz Blaschke: Die Leipziger Teilung der wettinischen Länder 1485. Sächsische Heimatblätter 31 (1985), 276-280, wiederabgedruckt in: ders.: Beiträge zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte … (wie Anm. 8), 323-335. 12 Gregor Richter: Die ernestinischen Landesordnungen und ihre Vorläufer von 1446 und 1482 (Mitteldeutsche Forschungen; 34), Köln u. a. 1964; Enno Bünz; Christoph Volkmar: Das landesherrliche Kirchenregiment in Sachsen vor der Reformation. In: Glaube und Macht: Theologie, Politik und Kunst im Jahrhundert der Reformation/ hrsg. von Enno Bünz; Stefan Rhein; Günther Wartenberg (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt; 5). Leipzig 2005, 89-109. 13 Uwe Schirmer: Kursächsische Staatsfinanzen (1456-1656): Strukturen – Verfassung – Funktionseliten (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; 28). Leipzig 2006, bietet präzise Zahlenangaben. 14 Brigitte Streich: Zwischen Reiseherrschaft und Residenzbildung: der wettinische Hof im späten Mittelalter (Mitteldeutsche Forschungen; 101). Köln u. a. 1990; zu den einzelnen Residenzen der Wettiner siehe die Artikel in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich: ein dynastisch-topographisches Handbuch/ hrsg. von Werner Paravicini, be-
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Der Rang der Wettiner ist an ihrem Heiratskreis ablesbar.15 Kurfürst Friedrich II. der Sanftmütige war seit 1431 mit der Habsburgerin Margarethe von Österreich verheiratet. Von ihren beiden Söhnen wurde Ernst 1460 mit Elisabeth, einer bayerischen Wittelsbacherin, Albrecht 1459 mit Sidonie, einer Tochter des Böhmenkönigs Georg Podiebrad, vermählt. Albrechts Sohn Georg, mit dem wir uns noch näher beschäftigen müssen, war 1496 Barbara, die Tochter König Kasimirs IV. von Polen, angetraut worden, Georgs Bruder Heinrich wiederum war mit Katharina, einer Tochter Herzog Magnus’ II. von Mecklenburg, vermählt. In diesem Zusammenhang muss auch die Besetzung von Bischofsstühlen erwähnt werden, die ebenfalls dem Zweck diente, Herrschaftspositionen außerhalb des wettinischen Territoriums aufzubauen. Kurfürst Ernst gelang es 1476, seinen zweitgeborenen Sohn Ernst auf dem Magdeburger Erzbischofsstuhl zu platzieren, der dort bis zu seinem Tod 1513 gewirkt hat. Sein dritter Sohn Adalbert war seit 1481 Koadjutor, seit 1482 Administrator des Erzbistums Mainz, doch starb er schon vor der Bischofsweihe.16 Kein Wettiner hat länger regiert als der albertinische Herzog Georg, nämlich von 1488 bis 1539.17 Zunächst hat Georg für seinen Vater Albrecht den Beherzten, der 1488 kaiserlicher Generalstatthalter in Friesland wurde, die Regierungsgeschäfte geführt. Nach dem Tod Albrechts 1500 ist er ihm als Regent gefolgt. Georgs Bruder arb. von Jan Hirschbiegel und Jörg Wettlaufer. Teilbd. 2: Residenzen (Residenzenforschung; 15.I, 2). Stuttgart 2003, und in: Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800): Urbanität im integrativen und konkurrierenden Beziehungsgefüge von Herrschaft und Gemeinde, Abt. I: Analytisches Verzeichnis der Residenzstädte und herrschaftlichen Zentralorte, Band I/1: Der Nordosten des Alten Reiches/ hrsg. von Gerhard Fouquet u. a. Ostfildern 2018 (im Druck); Das Residenzschloss zu Dresden. Bd 1: Von der mittelalterlichen Burg zur Schlossanlage der Spätgotik und der Frührenaissance (Forschungen und Schriften zur Denkmalpflege; IV, 1). Petersberg 2013. 15 Otto Posse: Die Wettiner: Genealogie des Gesamthauses Wettin Ernestinischer und Albertinischer Linie mit Einschluß der regierenden Häuser von Großbritannien, Belgien, Portugal und Bulgarien. Mit Berichtigungen und Ergänzungen der Stammtafeln bis 1993. Leipzig 1994 (erweiterter Nachdruck der Ausgabe Leipzig; Berlin 1897); Uwe Schirmer: Die Hochzeit Herzog Georgs des Bärtigen mit der polnischen Prinzessin Barbara von Sandomierz (1496). In: Figuren und Strukturen: historische Essays für Hartmut Zwahr zum 65. Geburtstag/ hrsg. von Manfred Hettling u. a. München 2002, 183-204; Anne-Simone Knöfel: Dynastie und Prestige: die Heiratspolitik der Wettiner (Dresdner historische Studien; 9). Köln u. a. 2009, 87-100. 16 Kontinuität und Zäsur: Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg/ hrsg. von Andreas Tacke (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes SachsenAnhalt; 1). Göttingen 2005; Friedhelm Jürgensmeier: Adalbert, Herzog von Sachsen. In: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648: ein biographisches Lexikon/ hrsg. von Erwin Gatz unter Mitwirkung von Clemens Brodkorb. Berlin 1996, 2 f. 17 Helmar Junghans: Georg von Sachsen (1471-1539). TRE 12, 385-389; Enno Bünz; Christoph Volkmar: Die Albertinischen Herzöge 1485-1541. In: Die Herrscher Sachsens … (wie Anm. 2), 76-89. 327-329, hier 79-85.
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Heinrich wurde hingegen 1505 mit den Ämtern Freiberg und Wolkenstein sowie einer Rentenzahlung abgefunden. Die zweite Hälfte der langen Regierungszeit Georgs wird überschattet von der Reformation, die in den Jahren 1517 bis 1539 zur politischen und religiösen Wegscheide der wettinischen Territorien wurde. Während das ernestinische Kurfürstentum Sachsen unter Friedrich dem Weisen (1486-1525) und vor allem unter Johann dem Beständigen (1525-1532) als das »Mutterland der Reformation« (Heinrich Bornkamm) bezeichnet werden kann,18 blieb das albertinische Herzogtum Sachsen unter Georg dem Bärtigen dem alten Glauben treu und wurde zum »Mutterland des Kampfes gegen die Reformation« (Otto Vossler).19 Dabei stand auch Georg von Sachsen, geprägt von persönlicher Frömmigkeit und theologischer Bildung, dem Anliegen Martin Luthers nicht von Anfang an ablehnend gegenüber. Als Vertreter eines starken landesherrlichen Kirchenregiments förderte er die Reform der Weltgeistlichkeit und der Klöster und war bestrebt, kirchliche Missstände im Sinne einer katholischen Reform abzustellen. »Reform statt Reformation«, das ist die angemessene Formel, mit der Christoph 18 Thomas Klein: Ernestinisches Sachsen, kleinere thüringische Gebiete. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650/ hrsg. von Anton Schindling und Walter Ziegler. Bd. 4: Mittleres Deutschland (KLK; 52). Münster 1992, 8-39; Paul Kirn: Friedrich der Weise und die Kirche: seine Kirchenpolitik vor und nach Luthers Hervortreten im Jahre 1517. Dargestellt nach den Akten im Thüringischen Staatsarchiv zu Weimar (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance; 30). Leipzig u. a. 1926; Ingetraut Ludolphy: Friedrich der Weise: Kurfürst von Sachsen 1463-1525. Göttingen 1984; Bernd Stephan: »Ein itzlichs Werck lobt seinen Meister«: Friedrich der Weise, Bildung und Künste (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie; 24). Leipzig 2014; Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513 bis 1532. Reformation im Kontext frühneuzeitlicher Staatswerdung/ hrsg. von Armin Kohnle und Manfred Rudersdorf. Bd 1: 1513-1517, bearb. von Stefan Michel, Beate Kusche und Ulrike Ludwig unter Mitarbeit von Vasily Arslanov, Alexander Bartmuß und Konstantin Enge. Leipzig 2017; Enno Bünz: Getrennte Wege: die Reformation im Kurfürstentum und im Herzogtum Sachsen (1517-1539/40). In: Deutschland und die Britischen Inseln im Reformationsgeschehen.: Vergleich, Transfer, Verflechtungen/ hrsg. von Frank-Lothar Kroll; Glyn Redworth; Dieter J. Weiß (Prinz-Albert-Studien / Prince Albert Studies; 34 = Arbeiten zur Kirchengeschichte Bayerns; 97). Berlin 2018, 275-301, hier 277-291. 19 Otto Vossler: Herzog Georg der Bärtige und seine Ablehnung Luthers. Historische Zeitschrift 184 (1957), 272-291; wiederabgedruckt in: ders.: Geist und Geschichte: von der Reformation bis zur Gegenwart. München 1964, 9-26; Heribert Smolinsky: Albertinisches Sachsen. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650. Bd. 2: Der Nordosten/ hrsg. von Anton Schindling; Walter Ziegler (KLK; 50). 2. Aufl. Münster 1990, 8-32; Christian Winter: Der Reformationskonflikt im Haus Sachsen: Herzog Georg als Gegenspieler der ernestinischen Reformationsfürsten. In: Die Reformation: Fürsten – Höfe – Räume/ hrsg. von Armin Kohnle; Manfred Rudersdorf unter Mitarbeit von Marie Ulrike Jaros (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; 42). Leipzig 2017, 292-313; Bünz: Getrennte Wege (wie Anm. 18), 291-300.
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Volkmar die Politik Georgs umschrieben hat.20 Erst die Leipziger Disputation 1519 und der sich danach bei Herzog Georg verfestigende Eindruck, Luther sei ein Hussit, hat zum Bruch des Albertiners mit dem Reformator geführt. Die Beurteilung der langen Regierungszeit Herzog Georgs wird bis heute entscheidend von seinem letztlich vergeblichen Kampf gegen die Reformation bestimmt. Der Herzog betätigte sich über sein Territorium hinaus politisch auf Reichstagen und im Reichsregiment.21 Auch andere bedeutende Reichsterritorien wie Kurbrandenburg oder das Herzogtum Bayern standen bis in die 1530er Jahre der Reformation ablehnend gegenüber.22 Noch in den letzten Lebensjahren Georgs wurde jedoch deutlich, dass das Vordringen der lutherischen Lehre nicht aufzuhalten war. Nach dem Tod Georgs des Bärtigen hat sein Bruder Heinrich der Fromme (1539-1542) die Reformation im Herzogtum Sachsen eingeführt.23
20 Christoph Volkmar: Reform statt Reformation: die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488-1525 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation / Studies in the Late Middle Ages, Humanism and the Reformation; 41). Tübingen 2008. 21 Christine Roll: Das zweite Reichsregiment 1521-1530 (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte; 15). Köln u. a. 1996; Thomas Ott: Präzedenz und Nachbarschaft: das albertinische Sachsen und seine Zuordnung zu Kaiser und Reich im 16. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz. Abendländische Religionsgeschichte; 217). Mainz 2008; Enno Bünz: Sachsen und die Reichstage des 16. Jahrhunderts: zu den Fortschritten bei der Edition der Deutschen Reichstagsakten, Jüngere Reihe. NASG 81 (2010), 235-247; Christian Winter: Herzog Georg von Sachsen in seinen Beziehungen zu Kaiser und Reich. In: Zwischen Reform und Abgrenzung: die Römische Kirche und die Reformation/ hrsg. von Armin Kohnle und Christian Winter unter Mitarbeit von Michael Beyer (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; 37). Leipzig / Stuttgart 2014, 219-237. 22 Walter Ziegler: Die Entscheidung deutscher Länder für oder gegen Luther: Studien zu Reformation und Konfessionalisierung im 16. und 17. Jahrhundert. Gesammelte Aufsätze (RST; 151). Münster 2008; Eike Wolgast: Die Reichsbischöfe als geborene Gegner der Reformation. In: Die Reformation (wie Anm. 19), 330-343. 23 Günther Wartenberg: Landesherrschaft und Reformation: Moritz von Sachsen und die albertinische Kirchenpolitik bis 1546 (Arbeiten zur Kirchengeschichte; 10). Weimar 1987; Glaube und Macht: Sachsen im Europa der Reformationszeit. 2. Sächsische Landesausstellung Torgau, Schloss Hartenfels 2004. Katalog/ hrsg. von Harald Marx; Eckhard Kluth; Aufsätze/ hrsg. von Harald Marx; Cecilie Hollberg. Dresden 2004; Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen/ hrsg. von Helmar Junghans. 2. Aufl. Leipzig 2005; Herzog Heinrich der Fromme (1473-1541)/ hrsg. von Yves Hoffmann; Uwe Richter. Beucha 2007.
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II Leipzig gehörte im späten Mittelalter zu den bedeutendsten Städten im wettinischen Territorialstaat.24 Historische Nachrichten über das von Sorben besiedelte Gebiet zwischen Pleiße, Weißer Elster und Parthe setzen erst nach dem Beginn der deutschen Herrschaft in der Ottonenzeit ein. Der deutsche Burgward wird 1015 erstmals als »urbs Libzi« von Thietmar von Merseburg erwähnt, weil dort Bischof Eid von Meißen zufällig verstarb (kirchlich gehörte Leipzig schon damals zum Bistum Merseburg).25 In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstand eine Neustadt bei der Nikolaikirche, die von Markgraf Otto dem Reichen zwischen 1156/70 zur Bebauung ausgegeben und mit dem Magdeburgischen Recht begabt wurde.26 Im Laufe des 13. Jahrhunderts verdichtete sich die Topographie Leipzigs, die in ihren Grundzügen noch im heutigen Stadtgrundriss ablesbar ist. Eine Stadtmauer, die Leipzig als eigenständigen Rechtsbereich abgrenzte, scheint es bereits 1216 gegeben zu haben. Außerhalb des ummauerten Bereichs entstanden vor den vier Stadttoren Vorstadtsiedlungen, die aber keine große Bedeutung hatten. Die Einwohnerzahl Leipzigs dürfte um 1300 etwa 3.000, um 1400 etwa 5.000 und um 1500 etwas über 8.000 betragen haben; am Ende des Mittelalters war Leipzig die größte Stadt in Sachsen, zeitweilig höchstens überflügelt von der 1495 gegründeten, rapide wachsenden Bergstadt Annaberg im Erzgebirge.27 Leipzig entwickelte sich in enger Abhängigkeit von den wettinischen Stadtherren, den Markgrafen von Meißen, und war nach dem Niedergang Freibergs die bedeutendste Stadt in ihrem Machtbereich (Abb. 27). Als kommunales Selbstver 24 Gustav Wustmann: Geschichte der Stadt Leipzig: Bilder und Studien 1. Leipzig 1905; Henning Steinführer: Die Leipziger Ratsbücher 1466-1500: Forschung und Edition. 2 Bde. (Quellen und Materialien zur Geschichte der Stadt Leipzig; 1). Leipzig 2003; in Bd. 1, X-XXXIII: Abriß der Stadtgeschichte; Geschichte der Stadt Leipzig. Bd 1: Von den Anfängen bis zur Reformation/ unter Mitwirkung von Uwe John hrsg. von Enno Bünz. Leipzig 2015 . 25 Ernst Eichler; Hans Walther: Alt-Leipzig und das Leipziger Land: ein historisch-geographisches Namenbuch zur Frühzeit im Elster-Pleißen-Land im Rahmen der Sprach- und Siedlungsgeschichte. Leipzig 2010; Hans Walther: Der Name Leipzig in seiner Herkunft und Entwicklung. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 24) 73-76. 797. 26 Archäologie und Architektur: das frühe Leipzig/ hrsg. von Wolfgang Hocquél. Beucha 2003; Leipzig im Mittelalter: Befunde um 1300/ hrsg. von Henning Steinführer; Gerhard Graf (Leipziger Hefte; 16). Beucha 2004; 1015: Leipzig von Anfang an. Begleitband zur Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig 20. Mai – 25. Oktober 2015/ hrsg. von Volker Rodekamp; Regina Smolnik. Leipzig 2015; Enno Bünz: Entstehung und Entwicklung der Stadt im 12. und 13. Jahrhundert. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd 1 (wie Anm. 24), 123-143. 805-811. 27 Karlheinz Blaschke: Das Städtewesen vom 12. bis zum 19. Jahrhundert, Karte 1:400.000 und Beiheft (Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen; B II 6). Leipzig u. a. 2003, 16-28 mit Angaben zur Bevölkerungszahl um die Mitte des 16. Jahrhunderts; Enno Bünz: Bevölkerungszahl, Sozialtopographie, Vermögensverteilung. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd 1 (wie Anm. 24) 274-281. 841-844.
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Abb. 27: Stadtansicht von Leipzig während der Belagerung 1547 (Holzschnitt des 16. Jahrhunderts)
waltungsorgan ist im Laufe des 13. Jahrhunderts das Ratskollegium entstanden, das seit 1270 nachweisbar ist.28 Seit spätestens 1287 führte die Kommune ein eigenes Siegel mit der Umschrift SIGILLVM BVRGENSIVM DE LIPZK.29 Ein Bürgermeister wird erstmals 1292 genannt. Im Laufe des 13. Jahrhunderts ist Leipzig zu einer Bürgergemeinde geworden, die ihre inneren Angelegenheiten weitgehend selbständig verwaltet hat. Der Leipziger Rat bestand aus 36 Mitgliedern, von denen seit dem 14. Jahrhundert in jährlicher Rotation jeweils zwölf den sogenannten 28 Henning Steinführer: Der Leipziger Rat im Mittelalter: die Ratsherren, Bürgermeister und Stadtrichter 1270-1539 (Bausteine aus dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde; 3). Dresden 2005; ders.: Stadtverfassung. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 24), 183-201. 817-821; Walther Rachel: Verwaltungsorganisation und Ämterwesen der Stadt Leipzig bis 1627 (Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte; 8). Leipzig 1902. 29 Enno Bünz: Stadtsiegel und Stadtwerdung: zum ältesten Leipziger Stadtsiegel von 1287, in: Leipzig im Mittelalter (wie Anm. 26), 49-71; ders.: Das älteste Stadtsiegel. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 24), 143-146. 811.
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»sitzenden Rat« stellten, der die Amtsgeschäfte leitete. Mit den größeren und selbständigeren oberdeutschen Reichsstädten oder norddeutschen Hansestädten konnte Leipzig nie konkurrieren, doch gelang es dem Rat, überwiegend allerdings erst nach 1519, einen ansehnlichen Landbesitz mit mehreren Dörfern zusammenzubringen, der vor allem verarmten Adligen in der Umgebung der Stadt abgekauft wurde, doch ermöglichte die Klosteraufhebung in der Reformationszeit einen noch größeren Besitzzuwachs.30 Kirchenorganisatorisch gehörte Leipzig zum Bistum Merseburg.31 Die kirchlichen Verhältnisse der Stadt haben sich im späten Mittelalter kontinuierlich entfal 30 Wolfgang Emmerich: Der ländliche Besitz des Leipziger Rates: Entwicklung, Bewirtschaftung und Verwaltung bis zum 18. Jahrhundert (Aus Leipzigs Vergangenheit; 3), Leipzig 1936; Enno Bünz: Der Landbesitz der Stadt. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 24) 238-247. 831-833. 31 Karlheinz Blaschke; Walther Haupt; Heinz Wiessner: Die Kirchenorganisation in den Bistümern Meißen, Merseburg und Naumburg um 1500. Weimar 1969; Karlheinz Blaschke; Manfred Kobuch: Kirchenorganisation um 1500. Karte 1:400.000 und Beiheft (Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen; E II 1). Dresden; Leipzig 2008; Markus Cottin: Hochstift und Bistum Merseburg bis zur Reformation. In: Der Merseburger Dom und seine
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tet.32 Zwei Kirchen – St. Thomas und St. Nikolai – waren als Pfarrkirchen für den ummauerten Altstadtbereich zuständig. Der Pfarrbezirk einer dritten Kirche – St. Jakob – lag vor den Mauern im Nordwesten der Stadt. Zu den älteren Kapellen St. Peter, St. Katharinen und St. Marien traten im Laufe des späten Mittelalters weitere in der landesherrlichen Pleißenburg, im Rathaus und im Studienkolleg der Zisterzienser und dem St. Bernhards-Kolleg hinzu.33 Im Laufe des 13. Jahrhunderts ließen sich vier Ordensgemeinschaften in Leipzig nieder: Das Augustiner-Chorherrenstift St. Thomas (gegründet 1212/13), das Dominikanerkloster St. Paul (Ersterwähnung 1231), das Franziskanerkloster (Ersterwähnung 1253, aber wohl schon um einiges älter) und das vor den Mauern gelegene Benediktinerinnenkloster St. Georg, das vor 1230 (Ersterwähnung in Leipzig) aus dem Dorf Hohenlohe nach Leipzig verlegt worden sein muss.34 Vor den Mauern lagen schließlich auch die beiden städtischen Schätze: Zeugnisse einer tausendjährigen Geschichte/ hrsg. von den Vereinigten Domstiftern zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstiftes Zeitz. Schriftleitung und Redaktion Markus Cottin; Uwe John; Holger Kunde (Kleine Schriften der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz; 6). Petersberg 2008, 13-32; Markus Cottin: Leipzig und Merseburg. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 24) 435-453. 877-879. 32 Über die beiden Stadtpfarrkirchen innerhalb des Mauerrings siehe: Stadt Leipzig: Die Sakralbauten. Mit einem Überblick über die städtebauliche Entwicklung von den Anfängen bis 1989, bearb. von Heinrich Magirius u. a. 2 Bde. (Die Bau- und Kunstdenkmäler von Sachsen). München 1995, hier Bd. 1, 153-335 (St. Thomas, bearb. von Heinrich Magirius) und 337-474 (St. Nikolai, bearb. von dems.); 800 Jahre St. Thomas zu Leipzig: ein Gang durch die Geschichte/ hrsg. von Doreeen Zerbe. Leipzig 2013; St. Nikolai zu Leipzig: 850 Jahre Kirche in der Stadt/ hrsg. von Armin Kohnle. Petersberg 2015; über St. Jakob siehe Markus Cottin; Henning Steinführer: Die Leipziger Jakobskirche: ein Schlüssel zur frühen Stadtgeschichte? In: Der Jakobuskult in Sachsen/ hrsg. von Klaus Herbers; Enno Bünz (Jakobus-Studien; 17). Tübingen 2007, 97-112; Enno Bünz: Pfarreien und Kapellen. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 24) 454-481. 880-887. 33 Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 32), 475-481 (Peterskapelle, bearb. von Hartmut Mai); Gerhard Graf: … über die Lage der Katharinenkapelle: Gespräch. Stadtgeschichte: Mitteilungen des Leipziger Geschichtsvereins (1999) Heft 2, 31-33; ders.: Der Ort der Marienkapelle in Leipzig. In: Leipzig, Mitteldeutschland und Europa: Festgabe für Manfred Straube und Manfred Unger zum 70. Geburtstag/ hrsg. von Hartmut Zwahr; Uwe Schirmer; Henning Steinführer. Beucha 2000, 14-21; Enno Bünz: Die Leipziger Ratskapelle im späten Mittelalter. Stadtgeschichte: Mitteilungen des Leipziger Geschichtsvereins (2007), 17-61; ders.: Die Kapelle im Rathaus. In: 450 Jahre Altes Rathaus zu Leipzig: neue Forschungsergebnisse/ hrsg. von Markus Cottin; Doris Mundus (Leipziger Hefte; 18). Beucha u. a. 2009, 40-60; ders.: Kloster Altzelle und das Bernhardskolleg in Leipzig. In: Die Zisterzienser und ihre Bibliotheken: Buchbesitz und Schriftgebrauch des Klosters Altzelle im europäischen Vergleich/ hrsg. von Tom Graber; Martina Schattkowsky (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; 28). Leipzig 2008, 247-288, zur Kapelle 278 f.; Bünz: Pfarreien und Kapellen (wie Anm. 32) 475-481. 34 Die Leipziger Klöster sind schlecht erforscht, siehe: Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 32), 153-335 (Thomasstift, dann ev.-luth. Stadtpfarrkirche St. Thomas, bearb. von Heinrich Magirius); 483-678 (Dominikanerkloster, dann ev.-luth. Universitätskirche St. Pauli, bearb. von
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Hospitäler St. Georgen (Ersterwähnung 1213) und St. Johannes (1278), in denen es Kapellen gab. Die Pfarreien und Kapellen in der Stadt waren mit Ausnahme der Pfarrkirche St. Jakob und der Hospitalkapellen dem Thomasstift inkorporiert. Entsprechend nahm der Propst des Thomasstiftes eine starke, fast beherrschende Stellung im Kirchenwesen der Stadt bis zur Reformation ein. Die kirchlichen Strukturen Leipzigs waren so dicht wie in keiner anderen Stadt der Mark Meißen. Selbst die Bischofsstädte Merseburg und Meißen standen im 15. Jahrhundert nicht nur in dieser Hinsicht hinter Leipzig zurück. Die überragende Bedeutung der Stadt Leipzig im mitteldeutschen Raum um 1500 war allerdings nicht kirchlich, sondern wirtschaftlich bedingt. Entscheidend dafür waren die (seit 1458) drei Märkte, die nach Ostern (ab dem Sonntag Jubilate), im Herbst (ab dem Sonntag nach Michaelis) und an Neujahr für jeweils eine Woche stattfanden.35 Kaiser Maximilian hat diese drei Markttermine 1497 und 1507 bestätigt und erweitert. Zusammen mit der Peter- und Paulsmesse (29. Juni) in Naumburg bestand ein vierteljährlicher Marktzyklus in Mitteldeutschland. Die Marktorte Magdeburg, Erfurt und Halle wurden dadurch überflügelt. Die Markttermine und das landesherrliche System der Straßensicherung durch das Geleitswesen förderten die zentrale Stellung Leipzigs im überregionalen Warenverkehr zwischen
Elisabeth Hütter, Heinrich Magirius und Winfried Werner); 679-697 (Franziskanerkloster, dann ev.-luth. Matthäikirche, bearb. von Hartmut Mai). Über das spurlos verschwundene Georgenkloster nun Antje Janina Gornig: Das Nonnenkloster Sankt Georg vor Leipzig: ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Stadt- und Kirchengeschichte. 2 Teilbde. Phil. Diss. Leipzig 2015 (erscheint in: Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig, Leipzig 2019); Enno Bünz: Klöster und Stifte. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 24) 482-498. 888-890. Künftig zu allen Klöstern und Stiften auch die Artikel in: Sächsisches Klosterbuch: die mittelalterlichen Klöster, Stifte und Kommenden im Gebiet des Freistaates Sachsen/ hrsg. von Enno Bünz in Zusammenarbeit mit Sabine Zinsmeyer und Dirk Martin Mütze. Leipzig 2019 (in Druckvorbereitung). 35 Leipzig: Stadt der Wa(h)ren Wunder. 500 Jahre Reichsmesseprivileg/ hrsg. von Volker Rodekamp (Veröffentlichungen des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig). Leipzig 1997; Leipzigs Messen 1497-1997: Gestaltwandel – Umbrüche – Neubeginn. Bd. 1: 1497 – 1914/ hrsg. von Hartmut Zwahr; Thomas Topfstedt; Günter Bentele (Geschichte und Politik in Sachsen; 9/1). Köln u. a. 1999; Manfred Straube: Die Leipziger Messeprivilegien von 1497 und 1507 als rechtliche Basis für den Aufschwung zu Beginn der Neuzeit. In: Sächsische Justizgeschichte: Rechtsbücher und Rechtsordnungen in Mittelalter und früher Neuzeit (Sächsische Justizgeschichte. Schriftenreihe des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz; 9). Dresden 1999, 143-160; Markus A. Denzel: Die Leipziger Märkte vom 12. Jahrhundert bis zu den Privilegierungen von 1497, 1507 und 1514. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 24) 322-340. 855-858; Wirtschaftliche Frequenzen der Leipziger Großen Märkte/Messen: statistische Zeugnisse aus den Leipziger Stadtrechnungen 1471/72 bis 1814/15/ hrsg. und bearb. von Manfred Straube (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig; 9), Leipzig 2015.
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Mittel- und Ostmitteleuropa.36 Zugleich wurde Leipzig zu einem territorial und überregional bedeutenden Finanzplatz.37 Mit dem Waren- und Finanzverkehr korrespondiert eine hohe Mobilität der Einwohnerschaft Leipzigs um 1500. Von den Zuwanderern, die zwischen 1471 und 1550 das Bürgerrecht in Leipzig erworben haben, waren allein 281 im Handel tätig. Von 165 Kaufleuten ist die Herkunft bekannt, und sie kamen überwiegend aus Oberdeutschland, vor allem Nürnberg, aber auch aus Westdeutschland, z. B. aus Köln und Aachen.38 Im Jahr der Leipziger Disputation bestand der sitzende Rat aus dem Bürgermeister Magister Bartholomäus Abt und den Ratsherren Dr. Simon Pistoris, Gregor Mennichen, Andreas Mattstedt, Veit Wiedemann, Heinrich Beringershain, Thomas Arnolt, Hans Huter, Heinz Waibel, Hans Preußer, Hans Thümmel und Wolf Rothe.39 Abgesehen von den beiden Akademikern, die ein bemerkenswertes Zeugnis der Verflechtung von Stadt und Universität in dieser Zeit sind,40 waren fast alle Ratsmitglieder Handelsherren. Von den genannten war Veit Wiedemann aus Geislingen in Oberschwaben zugewandert, Wolf Rothe aus Nürnberg. Andreas Mattstedt, der aus Naumburg stammte, wirkte in Leipzig als Faktor des Augsburgischen Handelshauses Fugger.41 36 Manfred Straube: Zur Stellung der Leipziger Messen im überregionalen Warenverkehr zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1979) Teil 3, 185-205; ders.: Geleitwesen und Warenverkehr im thüringisch-sächsischen Raum zu Beginn der Frühen Neuzeit (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe; 42). Köln 2015; ders.: Funktion und Stellung deutscher Messen im Wirtschaftsleben zu Beginn der Neuzeit: die Beispiele Frankfurt am Main und Leipzig. In: Brücke zwischen den Völkern: zur Geschichte der Frankfurter Messe. Bd. 1: Frankfurt im Messenetz Europas: Erträge der Forschung/ hrsg. von Hans Pohl u. a. Frankfurt 1999, 191-204; ders.: Die Stellung Mitteldeutschlands im europäischen Handelsverkehr zu Beginn der Neuzeit. In: Europa in der Frühen Neuzeit: Festschrift für Günther Mühlpfordt. Bd. 1: Vormoderne/ hrsg. von Erich Donnert. Weimar u. a. 1997, 99-117. 37 Uwe Schirmer: Die Leipziger Messen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts: ihre Funktion als Silberhandels- und Finanzplatz der Kurfürsten von Sachsen. In: Leipzigs Messen 1497-1997 (wie Anm. 35), 87-107. 38 Gerhard Fischer: Aus zwei Jahrhunderten Leipziger Handelsgeschichte 1470-1650: die kaufmännische Einwanderung und ihre Auswirkungen. Leipzig 1929, 11-159; Ernst Müller: Leipziger Neubürgerliste 1471-1501 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; 6). Dresden 1969; ders.: Leipziger Neubürgerliste 1502-1556. 2 Tle. Bearb. von Annelore Franke. Leipzig 1981-1982; Enno Bünz: Kaufleute und Krämer. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 24) 299-318. 850-855. 39 Steinführer: Der Leipziger Rat … (wie Anm. 28), 131 und die Biogramme 35-91. 40 Dazu nun eingehend Alexander Sembdner: Stadt und Universität Leipzig im späten Mittelalter (BLUWiG, Reihe B; 17). Leipzig 2010; Enno Bünz; Alexander Sembdner: Alma mater Lipsiensis: die Universität. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 24) 550-567 und 900-905. 41 Bernhard Sommerlad: Die Faktorei der Fugger in Leipzig. Schriften des Vereins für die Geschichte Leipzigs 22 (1938), 38-67; Enno Bünz: Die Fugger und Leipzig: Messeplatz, Faktorei und landesherrlicher Hof an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. In: Leipzigs
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Der Warenverkehr auf den Leipziger Messen war einerseits geprägt vom Tuchhandel, andererseits auch vom Metallhandel vor allem mit Silber und Kupfer, womit auf die bedeutende Stellung Leipzigs zwischen den Bergbau- und Verhüttungszentren im Erzgebirge und im Mansfelder Land verwiesen ist.42 Die Bedeutung des Tuchhandels geht u. a. aus den Budengeldern hervor, die der Leipziger Rat während der drei Messetermine einnahm. Von den großen Buden im Gewandhaus, in denen Tuche verkauft wurden, kamen 1516/17 über 605 rheinische Gulden ein, von den kleinen Buden in den Gassen und Gewölben, wo andere Waren angeboten wurden, hingegen über 487 Gulden.43 Die wirtschaftliche Prosperität Leipzigs schlug sich in vielfältigen Baumaßnahmen nieder, die gerade in den Jahrzehnten um 1500 das Stadtbild nachhaltig verändert haben: 1477 bis 1482 wurde das Gewandhaus neu errichtet, 1482-1496 erfolgte der Neubau der Thomaskirche, seit 1485 der Neubau der Paulinerkirche, 1488 bis 1492 folgte die Barfüßerkirche, 1507 wurde der Grundstein für die neue Peterskirche gelegt, und 1513 erfolgte die Grundsteinlegung für den Neubau der Nikolaikirche.44 Daneben erfolgten gewiss zahlreiche Baumaßnahmen an den Bürgerhäusern, die sich im Einzelnen aber nicht fassen lassen. Da der Ausbau der Stadt auf den im 13. Jahrhundert festgelegten Mauerring beschränkt blieb, sich die Bevölkerung von 1300 bis 1500 aber mehr als verdoppelte, muss es in der Altstadt zu einer erheblichen Verdichtung der Bebauung gekommen sein, doch haben sich überirdisch keine nennenswerten Reste der Wohnbebauung erhalten.45 StadtanWirtschaft in Vergangenheit und Gegenwart: Akteure, Handlungsspielräume und Wirkungen (1400-2011)/ hrsg. von Susanne Schötz (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig; 3). Leipzig 2012, 73-94. 42 Ekkehard Westermann: Das Eislebener Garkupfer und seine Bedeutung für den europäischen Kupfermarkt 1460-1560. Köln u. a. 1971; ders.: Silberproduktion und -handel: mittel- und oberdeutsche Wirtschaftsverflechtungen im 15./16. Jahrhundert. NASG 68 (1997), 47-65; Manfred Straube: Über den Handel mit Eisen und Eisenwaren im thüringischsächsischen Raum im 15. und 16. Jahrhundert. In: Stadt und Eisen/ hrsg. von Ferdinand Opll (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas; 11). Linz 1992, 259-290. 43 Georg Buchwald: Auf der Leipziger Tuchmesse vor 450 Jahren. Mit Feststellung der Leipziger Tuchverkaufsgrundstücke von Ernst Müller. Schriften des Vereins für die Geschichte Leipzigs 22 (1938), 19-39; Bünz: Kaufleute und Krämer (wie Anm. 38), 315 f. 44 Die Baudaten nach: Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 32), 139; Enno Bünz: Zwei Grundsteinplatten aus der Nikolaikirche [Leipzig 1513]. In: Leipzig original (wie Anm. 24), 67 f; Ulrike Dura: Grundstein der Peterskirche. In: ebd, 68. 45 Zur Topographie und Hausgeschichte Ernst Müller: Die Häusernamen von Alt-Leipzig vom 15.-20. Jahrhundert mit Quellenbelegen und geschichtlichen Erläuterungen (Schriften des Vereins für die Geschichte Leipzigs; 15). Leipzig 1931; ders.: Häuserbuch zum Nienborgschen Atlas [= Beiheft zu: Nienborgscher Atlas: Description über die Grund-Legung und in richtigen Abriß gebrachte berühmte Handels-Stadt Leipzig] (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; 11). Berlin 1996; Thomas Westphalen: Leipzig: der Stadtkern. In: Leipzig und sein Umland: Archäologie zwischen Elster und Mulde (Führer zu archäologischen Denkmälern in Deutschland; 32). Stuttgart 1996, 115-124, hier 118-121;
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sichten aus der Zeit der Leipziger Disputation gibt es leider nicht, doch gestattet der von einem unbekannten Künstler 1547 angefertigte große Holzschnitt, der die Stadt von Südosten zeigt, eine annähernde Vorstellung vom Aussehen Leipzigs im ausgehenden Mittelalter.46 III Die Wettiner sind das einzige deutsche Fürstenhaus, das im 15. und 16. Jahrhundert drei Universitäten gegründet hat.47 Die Gründung der Universitäten Wittenberg 1502 und Jena 1548/58 war territorialpolitisch bedingt. Wittenberg entstand 1502 im Kurfürstentum Sachsen unter Friedrich dem Weisen und sollte der Universität Leipzig nach Ausbruch der Reformation erhebliche Konkurrenz bereiten. Die Gründung einer Hohen Schule im thüringischen Jena 1548 bzw. 1558 war hingegen die Folge der reichspolitisch bedingten Rangminderung der Wettiner, die 1547 mit der sächsischen Kurwürde auch die Kurlande mit Wittenberg verloren. Die Gründung der Universität Leipzig 1409 hängt mit den Vorgängen in Prag Anfang des 15. Jahrhunderts zusammen. Die Auseinandersetzungen zwischen den deutschen und den tschechischen Universitätslehrern kulminierten Anfang 1409 im Kuttenberger Dekret, welches die Stimmenverhältnisse zwischen den Universitätsnationen zugunsten der Tschechen verschob.48 Im Frühjahr 1409 sind Henning Steinführer: Bauen und Wohnen. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 24) 360-370. 860-862. 46 Über den bereits mehrfach reproduzierten Holzschnitt siehe zuletzt Birgit Hartung: Leipzig während der Belagerung im Schmalkaldischen Krieg 1547. In: Leipzig original (wie Anm. 24), 52 f mit Abbildung. Die ältere Ansicht der Stadt im Reisebilderalbum des Pfalzgrafen Ottheinrich von 1536/1537 ist für topographische Einzelheiten wenig aussagekräftig. Siehe die Reproduktion in: Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/1537 von seinem Ritt von Neuburg a.d. Donau über Prag nach Krakau und zurück über Breslau, Berlin, Wittenberg und Leipzig nach Neuburg/ hrsg. von Angelika Marsch mit Josef H. Biller; Dietrich Jacob. 2 Tle. Weißenhorn 2001, hier im Faksimileband Reisebild 41 und im Kommentarband 340-345 (von Frank-Dietrich Jakob, der S. 345 betont, es sei schwer, »Fiktives von Realem zu unterscheiden«); und in: Reise, Rast und Augenblick: mitteleuropäische Stadtansichten aus dem 16. Jahrhundert. Redaktion und Texte: Angelika Pabel u. a. Dettelbach 2002, 100-102; Gerhard Graf; Henning Steinführer: Anmerkungen zur neu entdeckten ältesten Leipziger Stadtansicht von 1536/37. In: Stadtgeschichte. Mitteilungen des Leipziger Geschichtsvereins (2002) Heft 1, 36-39; Henning Steinführer: Die älteste Stadtansicht von 1537. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 24) 680-682 und 924. 47 Helmut G. Walther: Von Leipzig nach Jena (1409-1548): Tradition und Wandel der drei wettinischen Universitäten. In: Johann Friedrich I.: der lutherische Kurfürst/ hrsg. von Volker Leppin; Georg Schmidt; Sabine Wefers (SVRG; 204). Gütersloh 2006, 129-153. 48 A history of Charles University/ hrsg. von František Kavka; Josef Petøán. Bd. 1: 13481802. Prag 2001; Universitäten, Landesherren und Landeskirchen: das Kuttenberger Dekret im Kontext der Epoche von der Gründung der Karlsuniversität 1348 bis zum
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mindestens 500 bis 800 deutsche Magister und Scholaren aus Prag abgewandert. Ein erheblicher Teil von ihnen hat sich nach Leipzig begeben. Die Universität Leipzig ist eine landesherrliche Gründung der Markgrafen Friedrich IV. und Wilhelm II. von Meißen, wurde aber auch von der Stadt Leipzig gefördert (Abb. 28).49 Die feierliche Eröffnung am 2. Dezember 1409 schloss eine mehrmonatige Gründungsphase ab. Die landesherrliche Ordnung, die an diesem Tag erlassen wurde, sieht wie in Prag vier Universitätsnationen vor. Der Lehrbetrieb fand in der Artistenfakultät und den drei höheren Fakultäten für Theologie, Rechtswissenschaft und Medizin statt. 20 Magister wurden durch besoldete Stellen in zwei Kollegienhäusern wirtschaftlich abgesichert. Bald nach der Gründung kamen zwei weitere Kollegien hinzu, nämlich das Liebfrauenkolleg der Polnischen Nation für sechs schlesische Magister und das St. Bernhardskolleg der Zisterzienser.50 Während die Universität Prag bald nach 1409 zur Bedeutungslosigkeit herabsank, gewann Leipzig schnell an Attraktivität und verfügte bis zum Ausbruch der Reformation über einen überregionalen Einzugsbereich mit entsprechend hohen Studentenzahlen. In steter Konkurrenz mit Wien, Köln und Erfurt hat Leipzig schon deshalb zu den bedeutendsten mitteleuropäischen Universitäten des späten Mittelalters gehört. Von 1409 bis 1539 haben an der Alma mater Lipsiensis über 38.000 Personen studiert.51 Berechnet man die Frequenz, also die Zahl der gleichzeitig an der Universität anwesenden Studenten, ergibt sich für die Zeit um 1500 eine Zahl von 700, mit steigender Tendenz. Zur Illustration mag eine Momentaufnahme zum Augsburger Religionsfrieden 1555/ hrsg. von Petr Svobodny; Jiøi Pešek; Blanka Zilynská (Historia Universitatis Carolinae Pragensis = Acta Universitatis Carolinae; 49/2). Praha 2010, 55-64; Enno Bünz; Martin Nodl: Von Prag nach Leipzig: die Leipziger Universitätsgründung 1409. Z Prahy do Lipska: Zalo˜ení lipské univerzity roku 1409. In: Sachsen Böhmen 7000 Sasko Èechy: Begleitband zur Sonderausstellung / Dprovodná publikace k výstavì. smac – Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz vom 28. September 2018 bis 31. März 2019/ hrsg. von Sabine Wolfram; Jiøi Fajt; Doreen Mölders; Marius Winzeler (Ausstellungskataloge des Staatlichen Museums für Archäologie Chemnitz; 2). Chemnitz; Prag 2018, 202-209. 49 Enno Bünz: Gründung und Entfaltung: die spätmittelalterliche Universität Leipzig 14091539. In: Geschichte der Universität Leipzig 1409-2009. Bd. 1: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit 1409-1830/31/hrsg. von Enno Bünz; Manfred Rudersdorf; Detlef Döring. Leipzig 2009, 17-325; ders.; Tom Graber: Die Gründungsdokumente der Universität Leipzig (1409): Edition – Übersetzung – Kommentar (Spurensuche: Geschichte und Kultur Sachsens; 3). Dresden 2010. 50 Beate Kusche: »Ego collegiatus«: die Magisterkollegien an der Universität Leipzig von 1409 bis zur Einführung der Reformation 1539: eine struktur- und personengeschichtliche Untersuchung. 2 Tlbde. (BLUWiG, Reihe A; 6). Leipzig 2009; Bünz: Kloster Altzelle und das Bernhardskolleg … (wie Anm. 33), passim. 51 Die Matrikel der Universität Leipzig/ hrsg. von Georg Erler. Bd. 1: Die Immatrikulationen von 1409-1559 (Codex diplomaticus Saxoniae regiae; 2/16-18). Leipzig 1895, XCXCVI; Franz Eulenburg: Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart. Leipzig 1904 (ND Berlin 1994).
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Abb. 28: Die Leipziger Universitätsbauten 1502-1539
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Zeitpunkt der Leipziger Disputation dienen: Im Sommersemester 1519, unter dem Rektorat des Magister artium und Bakkalars der Theologie Arnold Wöstefeldes von Lindau, haben sich in Leipzig 223 neue Studenten immatrikuliert, von denen 83 zur Meißnischen, 13 zur Sächsischen, 111 zur Bayerischen und 16 zur Polnischen Nation gehörten. Das Gewicht der vier Nationen hatte sich bereits in Folge zahlreicher Universitätsneugründungen im Laufe der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verschoben. Ursprünglich war der Anteil der Sächsischen Nation, also der Norddeutschen, noch deutlich höher gewesen, ebenso der Süddeutschen in der Bayerischen Nation, die aber bis 1539 in Leipzig tonangebend blieb. Erst in Folge der Reformation im albertinischen Sachsen nahm die Alma mater Lipsiensis stärker den Charakter einer Landesuniversität an, blieb aber überregional im protestantischen Deutschland als Studienort attraktiv. Der Leipziger Gelehrte Caspar Borner hat die Artistenfakultät 1540 einmal als »Mutter der ganzen Universität« bezeichnet,52 denn sie war die Eingangsfakultät, die alle Studenten durchlaufen mussten, und nur ein geringer Teil von ihnen hat nach dem Magisterexamen dann auch noch eine höhere Fakultät besucht. Das Studium in der Theologischen, Juristischen und Medizinischen Fakultät war deshalb ein sozial unterschiedlich akzentuiertes Elitephänomen. Am Anfang des 16. Jahrhunderts fallen zwei Vorgänge besonders ins Auge: seit 1502 die mehrfachen, nur teilweise geglückten Bemühungen Herzog Georgs um eine Universitätsreform und gleichzeitig die Förderung des Humanismus an der Universität, der sich als beherrschende Geistesströmung aber nicht durchsetzen konnte.53 Beide Bestrebungen manifestieren sich übrigens ausgerechnet 1519 in dem ersten gedruckten Vorlesungsverzeichnis Leipzigs, vielleicht dem ältesten aller deutschen Universitäten.54 Die Bemühungen um die Verbesserung der Lehre sind etwa daran ablesbar, dass Herzog Georg für die Theologische Fakultät angeordnet hatte, dass Vorlesungen zum Alten und Neuen Testament, zu den Kirchenvätern, aber auch zu den scholastischen Theologen angeboten werden sollten. Nicht verschwiegen sei in diesem Zusammenhang ein 52 Schriften Dr. Melchiors von Osse: Mit einem Lebensabriss und einem Anhange von Briefen und Akten/ hrsg. von Oswald Artur Hecker (Schriften der Sächsischen Kommission für Geschichte; 26). Leipzig u. a. 1922, 485. 53 Der Humanismus an der Universität Leipzig: Akten des in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte an der Universität Leipzig, der Universitätsbibliothek Leipzig und dem Leipziger Geschichtsverein am 9./10. November 2007 in Leipzig veranstalteten Symposiums/ hrsg. von Enno Bünz; Franz Fuchs. Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 23 (2008, ersch. 2009). 54 Otto Clemen: Das Vorlesungsverzeichnis der Leipziger Universität vom Jahre 1519. In: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur und für Pädagogik 20 (1907), 112-124; wiederabgedruckt in: ders.: Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1897-1944)/ hrsg. von Ernst Koch. Bd. 3: 1907-1911. Leipzig 1983, 28-40. Das einzige Exemplar des großformatigen Einblattdrucks ist in der Ratsschulbibliothek Zwickau leider nicht mehr auffindbar.
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Abb. 29: Stadtansicht von Leipzig, 1572
Diktum des Leipziger Juristen Georg von Breitenbach, der im Herbst 1519 Luther gegenüber bemerkt haben soll, einen Leipziger Theologen sehen, heiße so viel wie die sieben Todsünden sehen. Über das Personal der Universität sind wir bislang erst unzureichend unterrich55 tet. Die Masse der Lehrenden war als Magister in der Artistenfakultät tätig. Für die Magister beziehungsweise Doktoren der höheren Fakultäten setzte sich erst allmählich die Bezeichnung als Professor durch. Mangels Quellen lässt sich nur 55 Bünz; Graber: Gründungsdokumente … (wie Anm. 49), 48-75 mit Viten der Gründergeneration der Universitätslehrer; Kusche: »Ego collegiatus« (wie Anm. 50), Tlbd. 2, 485-842; Die Professoren und Dozenten der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig von 1409 bis 2009/ hrsg. von Markus Hein und Helmar Junghans (BLUWiG, Reihe A; 8). Leipzig 2009, 73-155; Emil Friedberg: Die Leipziger Juristenfakultät, ihre Doktoren und ihr Heim (Festschrift zur Feier des 500jährigen Bestehens der Universität Leipzig; 2). Leipzig 1909, bes. 113-135, ergänzend nun Marek Wejwoda: Die Leipziger Juristenfakultät im 15. Jahrhundert: vergleichende Studien zu Institution und Personal, fachlichem Profil und gesellschaftlicher Wirksamkeit (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; 34). Leipzig 2012; Karl Sudhoff: Die medizinische Fakultät zu Leipzig im ersten Jahrhundert der Universität: Jubiläumsstudien (Studien zur Geschichte der Medizin; 8). Leipzig 1909.
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selten für ein bestimmtes Stichjahr der gesamte Lehrkörper ermitteln.56 Die Theologische Fakultät hatte 1515, wie zufällig überliefert ist, zehn namentlich bekannte Mitglieder. Damals stand an der Spitze der Fakultät Dr. Matthäus Damerow aus Prenzlau, der Dekan. Weiter sind zu nennen Dr. Paulus Schiller aus Plauen, seit 1517 Prediger in Annaberg, Dr. Matthäus Hennig aus Großenhain, ein Bruder des Meißner Domdekans Johannes Hennig, Dr. Martin Meindorn aus Hirschberg in Schlesien, Dr. Magnus Hundt aus Magdeburg, seit 1512 auch Domherr in Meißen (gest. 1519), Dr. Hieronymus Dungersheim aus Ochsenfurt, Dr. Ulrich Pfister, Augustinerchorherr und Pfarrer von St. Nikolai, seit 1519 Propst des Thomasstiftes, Dr. Georg Dottanius aus Meiningen, ein Theologe mit humanistischen Neigungen, Dr. Paul Schwoffheim aus Görlitz und schließlich Dr. Hermann Rab, als Leipziger Dominikaner ein Mitbruder Johannes Tetzels.57 Wie die Lebensdaten zeigen, sahen 56 Ein besonderer Glücksfall ist der Quellenfund von Marek Wejwoda: »Anno domini mocccclvii in universitate Lipczensi subsequentes residebant doctores ac magistri«: ein neuentdecktes Verzeichnis des Lehrkörpers der Universität Leipzig in der St. Emmeramer Handschrift clm 14139. NASG 81 (2010) 25-58. 57 Siehe die Viten in: Die Professoren und Dozenten … (wie Anm. 55); Theobald Freudenberger: Hieronymus Dungersheim von Ochsenfurt am Main, 1465-1540: Theologieprofessor in Leipzig. Leben und Schriften (RST; 126). Münster 1988; Volker Honemann: Predigt und
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sich diese Theologieprofessoren alle noch mit dem Ausbruch der Reformation konfrontiert, waren sich aber – soweit dies zu erkennen ist – »einig in ihrer Treue zur Lehre der alten Kirche, wie es der Haltung und sicherlich den Wünschen des Herzogs Georg entsprach«.58 Dass sich diese Fakultät 1519 geschlossen der Leipziger Disputation verweigert hat, steht auf einem anderen Blatt und wird in den nächsten Vorträgen zu erörtern sein. Dass die Disputation 1519 nicht in der Universität stattfand, hatte neben dem sachlich begründeten Widerstand der Theologen vor allem praktische Gründe: Es fehlte an einem ausreichend großen Hörsaal.59 Die wichtigsten Universitätsgebäude waren das Große Kolleg an der Ritterstraße und das Kleine Kolleg, das 1456 ebenfalls dorthin verlegt worden war. Daneben spielte noch das Liebfrauenkolleg am Brühl eine Rolle, während das gegen-übergelegene St. Bernhards-Kolleg nur den Zisterziensermönchen offenstand. Die Juristen waren seit 1508 räumlich separiert im Collegium Juridicum (Petrinum) zwischen Burgstraße und Peterstraße untergebracht. Alle Kollegienhäuser sind um 1500 neu erbaut worden. Die Artistenfakultät erhielt außerdem 1515 das sogenannte Neue Kolleg an der Ritterstraße. Die Kollegienhäuser dienten der Unterbringung der Lehrenden und Studierenden, aber auch dem Lehrbetrieb, für den außerdem die Nikolaikirche und das Thomasstift herangezogen wurden. Die größten Vorlesungen der Artistenfakultät werden etwas über 100 Hörer gehabt haben, doch fanden sich in den meisten Veranstaltungen deutlich weniger Hörer ein. Für ein Auditorium maximum bestand also gar kein Bedarf.
geistliches Schrifttum im Leipziger Dominikanerkloster um 1500. In: Johann Tetzel und der Ablass: Begleitband zur Ausstellung »Tetzel – Ablass – Fegefeuer« in Mönchenkloster und Nikolaikirche Jüterbog vom 8. September bis 26. November 2017/ hrsg. von Hartmut Kühne; Enno Bünz; Peter Wiegand. Berlin 2017, 161-177. 58 Freudenberger: Hieronymus Dungersheim … (wie Anm. 57), 33. 59 Zu den spätmittelalterlichen Universitätsbauten und anderweitig genutzten Hörsälen siehe Beate Kusche; Henning Steinführer: Die Bauten der Universität Leipzig von 1409 bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges 1618. In: Geschichte der Universität Leipzig 1409-2009. Bd. 5: Geschichte der Leipziger Universitätsbauten im urbanen Kontext/ hrsg. von Thomas Topfstedt; Michaela Marek. Leipzig 2009, 11-50. Eine zeitgenössische Beschreibung der Universität bietet Conrad Wimpina: Almae vniversitatis stvdii Lipsiensis et vrbis Lipsiae descriptiones poeticae/ hrsg. von Christian Friedrich Eberhard. Leipzig 1802; Neuedition und Übersetzung von Fanny Münnich: Konrad Wimpinas Beschreibung der Stadt und Universität Leipzig: Edition und Übersetzung der Almae universitatis studii Lipczensis descriptio. NASG 82 (2011) 1-60.
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IV Dieser konzentrierte Überblick skizziert die landesgeschichtlichen Rahmenbedingungen der Leipziger Disputation, die bestimmt wurden durch ein großes, bedeutendes, wohlregiertes Territorium, eine prosperierende, wirtschaftlich boomende Handels- und Messestadt sowie eine traditionsreiche Universität, die zu den größten ihrer Zeit gehörte und aus ganz Mitteleuropa Zulauf fand. Als sich 1519 die Nachricht von der Leipziger Disputation im Reich verbreitete, dürfte wohl fast jedermann gewusst haben, wo Leipzig lag und welche Bedeutung diese Stadt hatte. Durch die Disputation, die vom 27. Juni bis 16. Juli 1519 stattfand, trat der Name Leipzigs schon früh in eine enge Verbindung mit der Reformation, die sich gleichwohl in der Stadt selbst wie im gesamten albertinischen Herzogtum Sachsen erst nach dem Tod Herzog Georgs des Bärtigen am 17. April 1539 durchsetzen sollte.60
60 Georg Buchwald: Reformationsgeschichte der Stadt Leipzig. Leipzig 1900; Heinrich Bornkamm: Kampf um das Evangelium: die Reformation in Leipzig. In: ders.: Das Jahrhundert der Reformation. Frankfurt am Main 1961, 184-210; Armin Kohnle: Der lange Weg zur Reformation 1517-1539. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 1 (wie Anm. 24) 648-667 und 918-921; ders.: Kirche und lutherische Orthodoxie 1539-1650. In: Geschichte der Stadt Leipzig. Bd. 2: Von der Reformation bis zum Wiener Kongress. unter Mitwirkung von Uwe John in Verbindung mit Henning Steinführer hrsg. von Detlef Döring (†). Leipzig 2016, 313-339. 876-881, bes. 313-317.
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Abb. 30: Figuren zur Leipziger Disputation am Gebäude Petersbogen in Leipzig zum Burgplatz hin, 2019 obere Reihe von links nach rechts: Petrus Mosellanus (1493-1524), Johannes Calvin (1509-1564), Johannes Lange aus Löwenberg (1485-1565) untere Reihe von links nach rechts: Johannes Eck (1486-1543), Herzog Georg von Sachsen (1471-1539), Martin Luther (1483-1546)
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Herzog Georg von Sachsen und die Leipziger Disputation Von Heiko Jadatz
Herzog Georg von Sachsen fand im Blick auf die Leipziger Disputation vor allem mit einem Ereignis einen Eintrag in die Geschichtsbücher, das uns der lutherische Theologe Sebastian Fröschel in einer Schrift von 15661 überliefert hat: »Eins aber muß ich sagen, das ich auch selber gehöret habe, das sich in der Disputation begeben hat in Beyseyn des Hertzog Georgen, der offtmahls in die Disputation kam und fleißig zuhöret, das auf einmahl D. Martin Luther seliger diese Worte saget zum D. Ecken, der ihn hart beschweret mit Johann Hussen: Lieber Hr. Doctor, Non omnes Articuli Hussitici sunt Haeretici. Darauff sprach Hertzog Georg mit lauter Stimme, laut, daß mans über das ganze Auditorium höret: Das walt die Sucht und schüttelt den Kopff und setzet beide Armen in beiden Seiten. Das habe ich selber gehöret und gesehen«.2
Da Fröschel zur Disputation in Leipzig anwesend war, kann der Bericht wohl als zuverlässige Quelle gelten.3 Sicherlich wird Herzog Georgs Befehl von 1523, Fröschel wegen evangelischer Predigten zu bestrafen,4 dazu beigetragen haben, den Albertiner im Nachhinein als ausgesprochen rabiaten Landesherrn darzustellen. Doch ist ohne Zweifel das Auftreten Martin Luthers in der Leipziger Disputation das Schlüsselerlebnis für Herzog Georgs entschiedene Positionierung gegen Luther und gegen die Wittenberger Reformation gewesen. Galt der Albertiner zunächst als Förderer der Leipziger Disputation und vor allem als Befürworter der Teilnahme Luthers als Disputant, drängt sich die Frage auf, welche Gründe und Motive ihn zu dieser radikalen religionspolitischen Wende bewogen. I Georgs Kindheit und Erziehung Ein Blick auf Georgs Kindheit und auf seine frühen Regierungsjahre kann dafür schon erste Ansatzpunkte bieten. Bereits seine Geburt im August 1471 war von religionspolitischen Vorgängen überschattet. Nur wenige Monate zuvor verstarb der Großvater, Böhmenkönig Georg von Podiebrad, der wegen seiner hussitischen 1 Sebastian Fröschel: Vom Königreich Christi Jhesu. Wittenberg 1566. (VD 16 F 3094). Der Bericht über die Leipziger Disputation befindet sich in der Widmungsrede an den Leipziger Rat – vgl. Otto Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht über die Leipziger Disputation 1519. NASG 51 (1930), 44. 2 Text nach Ingetraut Ludolphy: Die Ursachen der Gegnerschaft zwischen Luther und Herzog Georg von Sachsen. LuJ 32 (1965), 33. 3 Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht … (wie Anm. 1), 55. 4 ABKG 1, 558 f (Nr. 558).
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Politik 1464 von Papst Paul II. zum Ketzer erklärt worden war. Georgs Mutter, Herzogin Sidonia von Sachsen, war um das Seelenheil ihres Vaters höchst besorgt und versuchte, mit Bußleistungen die Strafe des gebannt Verstorbenen abzumildern. Der Untersuchung von Elisabeth Werl folgend, soll die schwangere Herzogin sogar geschworen haben, wenn sie einen Sohn bekäme, diesen Georg zu nennen und als einen DieAbb. 31 a: Herzog Georg von Sachsen ner der Kirche zu erziehen 5 und zu fördern. Es ist nur schwer zu beurteilen, ob Georg deshalb eine höhere – vielleicht theologische – Ausbildung erhielt6 und ihm 1484 ein Kanonikat ihn Mainz verliehen wurde, um so seine geistliche Laufbahn auf den Weg zu bringen.7 Vor allem aus Sidonias Briefen an ihren Sohn ist ersichtlich, dass sie einen besonderen Einfluss auf Georgs Frömmigkeit auszuüben suchte.8 So kün-digte sie im Dezember 1492 oder 14989 Georg die Ankunft des Generalvikars der Augustiner-Eremiten, Andreas Proles, mit den Worten an:
5 Elisabeth Werl: Herzogin Sidonia von Sachsen und ihr ältester Sohn Herzog Georg. HCh 2 (1959), 9. 6 Einige eigenhändige lateinische Briefe Georgs, darunter auch an den Humanisten Erasmus von Rotterdam, lassen auf einen höheren Bildungsweg schließen: ABKG 1, 450 f (Nr. 441). 673-675 (Nr. 662). 753 f (Nr. 742). 769 f (Nr. 757). ABKG 2, 527 f (1240). 681 f (Nr. 1376). ABKG 3 (Nr. 1696 [Papst Clemens]). (Nr. 1712). (Nr. 1783 [Papst Clemens]). (Nr. 1937 [Papst Clemens]). 7 Christoph Volkmar: Reform statt Reformation: die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488-1525. Tübingen 2008, 79. 8 Alexandra Kursawe: Die Briefe Sidonias von Sachsen. In: Briefe der Herzogin Sidonia von Sachsen (1449-1510) an ihren Sohn Georg (1471-1539)/ bearb. von Sven Rabeler; Alexandra Kursawe; Claudia Ulrich. (= Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Sonderheft 11). Kiel 2009, 31 f. 9 Die Briefe Sidonias an Georg sind bis auf einige Ausnahmen nicht auf das genaue Jahr datiert und können anhand des Inhalts zeitlich nur grob eingeordnet werden.
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»dem hab ich beffolen, das er eyn frommen menschen auß dir machen sol. Und wens auff Weyenachten kumt, bitt ich dych, du wollest ym beychten dy sund, dy du ym anfang des advents gebeycht hast, auch dy du synt der nechsten beycht gethan hast, ym uffenbaren.«10
Weiter schrieb die Herzogin, dass sie Proles ein Marienbild mitgebe, auf dem das Jesuskind die Gesichtszüge Georgs trägt, das solle er der Mutter zum Neuen Jahr wiedeAbb. 31 b: Herzog Georgs Gemahlin Barbara rum schenken. Allein aus diesen wenigen Briefzeilen spricht die überzogene Sorge der Herzogin, ihren Sohn fest verwurzelt in der spätmittelalterlichen Frömmigkeit zu wissen. In diesem Kontext steht auch das Anliegen, Georg zur Ablassteilnahme zu bewegen. Um 1500 schickte sie Georg ein Ablassbuch mit dem Hinweis: »daryn du sychst [siehst], was, wievil und auff welichen tag du aplas vordinen magst«.11 Es folgen genaue Anweisungen, was zu tun ist, und die konkrete Bitte, für den verstorbenen Kurfürsten Ernst Ablass zu erwerben. Dem Hintergrund einer ursprünglich angestrebten geistlichen Laufbahn und des energischen Einflusses der Mutter auf Georgs Frömmigkeit entspricht auch weitgehend die kirchenpolitische Haltung des jungen Herzogs. Der Albertiner, der seit 1488 in Abwesenheit seines Vaters, Herzog Albrechts, die Regentschaft ausübte und dem 1500 nach Albrechts Tod die Landesherrschaft übertragen wurde, war in seinem politischen Handeln von der spätmittelalterlichen Frömmigkeit und Kirche deutlich geprägt. Er inszenierte nicht nur das Idealbild eines frommen Fürsten, sondern entsprach diesem in seiner persönlichen Lebensführung, wie Christoph Volkmar in seiner Dissertation zu Recht feststellte.12 Blicken wir nun auf das für Georgs Kirchenpolitik entscheidende Ereignis der Leipziger Disputation, so müssen zwei weitere Aspekte näher betrachtet werden: 1. Georgs Haltung zum Ablasswesen. 2. Georgs Pläne für eine Universitätsreform. 10 Ebd, 86 f (Nr. 37). 11 Ebd, 103 f (Nr. 58). 12 Volkmar: Reform statt Reformation … (wie Anm. 7), 83.
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II Georgs Haltung zum Ablasswesen Der Albertiner stand dem Ablasswesen keineswegs kritisch gegenüber. Die drängenden Bitten Sidonias um Georgs Teilnahme am Ablass lassen nicht unbedingt darauf schließen, dass der Herzog diesen ablehnte. Sie stehen vielmehr in Zusammenhang mit dem starken Bemühen der Mutter um eine tiefe Frömmigkeit des Sohnes. Georg verband von Anfang an den Ablasshandel mit dem Aufbau des albertinischen Kirchenwesens. So verknüpfte er mit der Gründung der Stadt Annaberg die Pläne, durch einen päpstlichen Ablass den kostspieligen Bau der Annenkirche zu finanzieren. Bereits 1504 wurde der herzogliche Prokurator Günther von Bünau zu Schkölen (1457/58-1519) vergeblich mit dem Auftrag abgefertigt, einige päpstliche Indulgenzien für St. Annen zu erlangen.13 In den folgenden Jahren versuchte Georg über eine ganze Reihe von Prokuratoren, den päpstlichen Ablass durchzusetzen. Im Sommer 1516 wurde ein erneuter Versuch unternommen, einen Jubelablass für die Annenkirche sowie weitere Privilegien für die Stadt an der Kurie zu erlangen. Neben den herzoglichen Prokuratoren Nikolaus von Schönberg und Georg Pusch war es in erster Linie Nikolaus von Hermsdorff, der hier zum Durchbruch verhelfen sollte. So wurde im August 1516 eine der drei Supplikationen von Papst Leo X. unterzeichnet, in der die Annenbruderschaft und der Jubelablass gewährt wurden, allerdings mit Einschränkungen. Ein Bericht Hermsdorffs an Heinrich von Schleinitz meldete umgehend die Verhandlungserfolge sowie die von der Kurie vorgenommenen Streichungen.14 Der Ablass für die Annenbruderschaft wurde auf 500 Personen beschränkt. Für den Annaberger Jubelablass legte die Kurie fest, dass nur die Hälfte des Geldes dem Bau der Annenkirche zugute kommen sollte, die andere Hälfte aber für den Bau des Petersdomes abgeführt werden musste. Eine gewisse Enttäuschung konnte Hermsdorff nicht verbergen, dass er hier keinen größeren Anteil erzielen konnte, zumal er von anderen hörte, dass sonst ein Drittel als Abgabe für den Petersdom üblich sei. In die Enttäuschung mischte sich Misstrauen, wenn er dazu riet, die Ablösung über 1000 Dukaten für den Ablass nicht in einer Summe, sondern in jährlichen Raten vorzunehmen, damit »solcher ablas vnd begnadung diste ehr in seynen krefften bleyben vnd desteweniger von nochkommenden Bebsten reuocirt vnd auffgehoben« würde. Auch Herzog Georg zeigte sich nicht zufrieden mit den Zusagen der Kurie und beauftragte den erfahrenen Ablassprediger Johannes Tetzel, die Supplikation einschließlich der vorgenommenen Einschränkungen zu untersuchen. Gemäß Tetzels Instruktion15 sandte Georg im Dezember 1516 neue 13 Ebd, 143. 14 Felician Gess: Ein Gutachten Tetzel’s nebst anderen Briefen und Instruktionen den Ablaß auf St. Annaberg betreffend 1516/1517. ZKG 12 (1891), 535-539 (Nr. I). 15 Ebd, 543-547 (Nr. VI. A).
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Anordnungen für Hermsdorff nach Rom.16 Der Herzog forderte, dass nur ein Drittel des Geldes für den Petersdom abzuführen sei. Die Ablösesumme sollte zur Hälfte nach den ersten beiden Jubiläumsablässen, zur Hälfte nach den beiden folgenden Ablassjahren gezahlt werden. Zudem musste der Ablass nicht nur für Annaberg, sondern für alle Untertanen bestimmt sein. Gerade für die Gebirgsbewohner wäre er wichtig, so Georg weiter, weil sie wirtschaftlichen Handel »cum Behemis hereticis« treiben müssten und sich mit dem Ablass quasi der dadurch aufgeladenen Schuld entledigen könnten.17 Die Verhandlungen mit der Kurie um die Privilegien gestalteten sich »mit großer beschwerung«. Ein Bericht Hermsdorffs an Georg im Juli 1517 vermeldete zwar Verhandlungsergebnisse,18 machte aber zugleich die Einschränkung seitens der Kurie deutlich. Zudem wurden von den Fuggern nur 1600 Dukaten statt der veranschlagten 2000 Dukaten als Verhandlungssumme bereitgestellt, die von der päpstlichen Verhandlungspartei »zcugeben gedrungen«, bevor sie sich zu den herzoglichen Bedingungen äußerten. Im Ergebnis war der Annaberger Jubelablass auf 25 Jahre begrenzt, wovon 500 Dukaten für den Petersdom abzugeben waren. Hermsdorff gelang es nicht, die Abgabe auf zwei Termine aufzuteilen. Die Stiftung für die Annenbruderschaft konnte nur für 1000 Personen erreicht werden. Insgesamt führte Hermsdorff die Verhandlungen unter zeitlichem Druck, damit noch zum Annentag (26. Juli) 1517 der Ablasshandel beginnen konnte. Schließlich hatte Herzog Georg Mitte Juli 1517 sein Ziel erreicht und konnte seinen Räten mitteilen, dass die päpstliche Bulle über den Jubelablass für Annaberg bei ihm eingegangen sei und nun schnellstmöglich dem Meißner Domdekan Johannes Hennig übergeben werden solle, damit »solche gnade vor nehestkunfftigem Sant Annentagk publiciert vnd eroffent werden« könne.19 Hatte Herzog Georg im Sommer 1517 sein langgehegtes kirchenpolitisches Vorhaben zu Ende bringen können, hinterließen die Verhandlungen mit der Kurie um den Annaberger Ablass – besonders im Blick auf die Einschränkungen – einen »faden Beigeschmack«. Vor diesem Hintergrund ist zu erklären, warum Georg in seinem Territorium die Ausweitung anderer päpstlicher Ablässe unterbinden wollte. Bereits im Februar 1517 verhandelten albertinische und ernestinische Räte in Leipzig über das Verbot fremder Ablässe in ihren Gebieten.20 Als im März Herzog Georg bekannt wurde, dass im kursächsischen Buchholz ein Ablass für die 1515 abgebrannte Pfarrkirche im böhmischen Brüx abgehalten wurde, erinnerte er die ernestinischen Vettern an ihre Leipziger Vereinbarung und bat um Verbot des Handels.21 Während die Ernestiner denen von Brüx wegen der »erliden scheden … aus mitleiden« den 16 Ebd, 548-550 (Nr. VII). 17 Ebd, 549, Anm. 2: die Formulierung nach der Instruktion Tetzels. 18 Ebd, 553-560 (Nr. XIII). 19 Ebd, 561 (Nr. XV). 20 ABKG 1, 1 f (Nr. 2). 21 Ebd, 3 f (Nr. 6).
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Handel genehmigten,22 sah wohl Herzog Georg das Potenzial für den eigenen, noch an der Kurie schwer in Verhandlung stehenden Annenablass schwinden. So ist sein Verhalten nicht mit einer generellen Ablasskritik, sondern mit der Sorge zu begründen, fremde Ablässe könnten mit den eigenen zu sehr konkurrieren. Im albertinischen Sachsen ging der Herzog vor allem gegen Tetzels Ablasshandel für den Petersdom vor. In Leipzig untersagte er solange den Dominikanern die Ablieferung der eingenommenen Gelder, bis hinreichend geklärt sei, wohin das Geld fließe – weil »solch geld uftmals an die orter, dohin es gehort, nicht geantwurdt und zu andern sachen, dann es vorordent, gebraucht wirdet«.23 Mit gleicher Begründung verbot er auch Bischof Adolf von Merseburg, den Ablass im Hochstift zuzulassen beziehungsweise die Gelder nicht ohne seine Erlaubnis abzugeben.24 Während die Leipziger Dominikaner dem Herzog meldeten, dass die Gelder nicht im Kloster seien,25 kam aus Merseburg die Nachricht, dass der Bischof von Samland, Günther von Bünau, entgegen Georgs Befehl gewaltsam die Einnahmen an sich genommen habe.26 Nur wenige Tage nach der Meldung erging ein scharf formuliertes Schreiben an die Gesandten des samländischen Bischofs.27 Nach dem geschilderten Vorgehen gegen fremde Ablässe – zugunsten des eigenen Ablasshandels in Annaberg – erstaunt es nicht, dass der Albertiner Luthers 95 Thesen begrüßte und in seinem Territorium öffentlich anschlagen ließ. Dass hierin keine generelle Kritik am Ablasshandel, sondern vielmehr das Zurückdrängen »fremder Ablässe« zu sehen ist, zeigt das fast zeitgleiche Schreiben Georgs an den päpstlichen Nuntius Karl von Miltitz.28 Darin bat er, den Annaberger Jubelablass auf wesentlich mehr Tage im Jahr ausweiten zu dürfen. Zudem traf Luthers Vorwurf, die Ablassgelder würden nicht ihrer eigentlichen Bestimmung zugute kommen, den Nerv Georgs in der Auseinandersetzung mit dem Ablasshandel in Leipzig und im Hochstift Merseburg. III Georgs Pläne zur Universitätsreform Im Zusammenhang mit Georgs Kirchenpolitik stand auch das Bemühen, die Universität Leipzig humanistisch zu profilieren. Die Alma mater Lipsiensis war von ihrer Gründung an von der Abgrenzung zu Jan Hus und John Wiclif geprägt.29 22 Ebd, 5 (Nr. 8). 23 Ebd, 6 (Nr. 10). 24 Ebd, 7 f (Nr. 12). 25 Ebd, 8 f (Nr. 14). 26 Ebd, 10-13 (Nr. 15). 27 Ebd, 13 f (Nr. 16). 28 Ebd, 27 f (Nr 34) 29 Günther Wartenberg: Sachsen und die Universität Leipzig im Spätmittelalter. In: ders.: Wittenberger Reformation und territoriale Politik: ausgewählte Aufsätze/ hrsg. von Jonas Flöter und Markus Hein. Leipzig 2003, 247.
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Sie übernahm nicht nur rechtliche Statuten, wie die Nationenverfassung, sondern bestimmte auch die Lehrinhalte, vor allem in der Artistischen und Theologischen Fakultät, die noch ganz von der Scholastik geprägt waren. Beim Regierungsantritt Herzog Georgs befand sich die europäische Bildungslandschaft im allgemeinen Umbruch. Der Humanismus stellte die an den Universitäten übliche scholastische Lehrmethode nicht nur in Frage, sondern verdrängte sie allmählich. Nach 1500 kam es in Erfurt durch den Humanisten Nikolaus Marschalk sowie später durch Eobanus Hessus und Conradus Mutianus zu Auseinandersetzungen mit der Scholastik.30 In Frankfurt an der Oder war Kurfürst Joachim I. von Brandenburg an der 1506 von ihm gegründeten Viadrina um eine humanistische Profilierung bemüht.31 Bereits 1496 kam es zu ersten – wenn auch konservativ gearteten – Reformversuchen an der Universität Leipzig. Der Merseburger Bischof Thilo von Trota hatte mit Billigung Herzog Georgs eine stärkere Verbindlichkeit der Universitätsordnung durchgesetzt, um so den notorischen Problemen zu begegnen: Dem Rektor wurde die volle Gerichtsbarkeit übertragen, die Ordnung an den Kollegien gestrafft sowie die Regelmäßigkeit der Lehre eingeschärft.32 Bereits einige Jahre später begann Herzog Georg mit einer Universitätsreform. Ohne Zweifel war die Gründung der Wittenberger Universität im Oktober 1502 der Anlass, mit Reformen den Leipziger Lehrbetrieb zu verbessern. Am 8. November reagierte der Albertiner mit einem Reformprogramm, das allerdings nicht an den Lehrinhalten und Lehrmethoden rührte, sondern durch die Aufstockung der Dozenten allein den regelmäßigen Lehrbetrieb verbesserte.33 Ein voller Erfolg ging aus der Universitätsreform nicht hervor. Herbert Helbig bescheinigte den albertinischen Plänen, dass man »in der Vorbereitung des großen Bauplanes … nur tastend« voranging.34 Die Besetzungspläne an der Theologischen Fakultät wurden nicht verwirklicht. Den Universitätstheologen – unter ihnen Matthäus Hennig, Hieronymus Dungersheim, Martin Meyendorn – gelang es dagegen, die Etablierung humanistischer Gelehrter an der Universität zu behindern.35 Der Humanist Hermann von dem Bu 30 Helmar Junghans: Der junge Luther und die Humanisten. Weimar; Göttingen 1984, 31-49. 31 Gerd Heinrich: Frankfurt an der Oder, Universität. TRE 11 (1983), 336. 32 Herbert Helbig: Die Reformation der Universität Leipzig im 16. Jahrhundert. Gütersloh 1953, 16. 33 Ebd, 18 f: die Theologische Fakultät sollte durch zwei Theologen aus dem Leipziger Dominikanerkloster verstärkt werden; in der Juristischen Fakultät sollten drei Doktoren über kirchliches Recht und zwei über weltliches Recht lehren; die Medizinische Fakultät blieb schwach besetzt; die Artistische Fakultät unterlag in ihrer Besetzung einem komplizierten Wahlrecht, an dem die vier Nationen beteiligt waren. 34 Ebd, 20. 35 Zu den Universitätstheologen vor der Reformation vgl. Die Professoren und Dozenten der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig von 1409-2009/ hrsg. von Markus Hein und Helmar Junghans. Leipzig 2009, 73-155.
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sche kehrte von Wittenberg nach Leipzig zurück und genoss die volle Unterstützung des Herzogs Georg. Dennoch blieb er nicht lange an der Alma mater Lipsiensis. Ihm folgte 1507 Johannes Rhagius, genannt Aesticampianus, als Professor für Rhetorik. Der Humanist, der unter anderem Briefe des heiligen Hieronymus veröffentlichte,36 verurteilte deutlich die scholastischen Lehrmethoden der Theologen. Ein Streit um eine Hörsaalnutzung genügte für ein offenes Zerwürfnis mit der scholastischen Fraktion. Aesticampianus verließ Leipzig letztendlich 1511. Doch 1515 kam der humanistische Gelehrte Petrus Mosellanus an die albertinische Universität, der schließlich 1517 die Professur für Griechisch übernahm und bis zu seinem frühen Tod 1524 in Leipzig lehrte. Den humanistischen Universitätsgelehrten gelang es jedoch kaum, sich an der albertinischen Universität wirksam zu etablieren. Noch 1520 versuchte die Universitätsleitung zu verhindern, dass Mosellanus und der Rektor der Thomasschule, Johannes Graumann (Poliander), das Promotionsrecht für das Baccalaureat erhielten.37 IV Georg und die Leipziger Disputation Für Georgs Haltung vor, während und nach der Leipziger Disputation waren somit drei Momente bestimmend: die durch seine Mutter geprägte Frömmigkeitserziehung, seine ambivalente Haltung zum Ablasswesen sowie sein Bemühen um ein humanistisches Gelehrtenprofil an der albertinischen Landesuniversität. Der schriftlichen Bitte Johann Ecks vom 4. Dezember 1518 an Herzog Georg, mit Karlstadt in Leipzig über Luthers 95 Thesen disputieren zu dürfen,38 ging eine längere Auseinandersetzung der Disputationsparteien voraus. Eck, Theologieprofessor und Prokanzler an der Universität Ingolstadt, soll wohl nach der Lektüre von Luthers 95 Thesen bemerkt haben, er wolle mit dem Verfasser zehn Meilen gehen, um mit ihm darüber zu disputieren.39 Nach Gesprächen des Ingolstädter Theologen mit Bischof Gabriel von Eichstätt verfasste Eck schließlich Gegenbemerkungen zu Luthers Thesen, die sogenannten Obelisci (Spießchen),40 die als Abschriften verbreitet wurden. Luther erhielt Ecks Schrift Mitte März 1518, denn in einem Brief vom 24. März an Johann Sylvius (Egranus) werden Ecks »Propositiones Obeliscos« erwähnt und bedauert, dass Eck damit das Band ihrer Freundschaft so rasend zerrissen habe.41 Am 19. Mai 1518 schrieb Luther mit sehr deutlichen Worten an Eck42 und schickte ihm zugleich seine Gegenschrift »Asterici Lutheri 36 Septem divi Hieronymi epistolae … cum Johanni Aesticampiani carmine. Leipzig 1508. (VD16: H 3559). 37 ABKG 1, 30 f (Nr. 166). 38 ABKG 1, 47-49 (Nr. 62). 39 WA 1, 278. 40 Die Bezeichnung »Obelisci« wurde nicht von Eck, sondern von Luther gebraucht. 41 WA Br 1, 156-159 (Nr. 65). 42 WA Br 1, 177-179 (Nr. 77)
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adversus obeliscis Eckii«.43 Er betonte, dass er sie dem Ingolstädter nur privat schreiben wolle und von einem Druck absehe, doch nur deshalb, weil er die Schrift nicht sorgfältig genug verfasst habe; allein Wenzeslaus Linck erhielt eine Abschrift. Obwohl Eck Ende Mai in einem Brief an den Wittenberger Theologen Andreas Bodenstein (Karlstadt) beteuerte, er hätte es nicht gewollt, dass die Obelisci Luther in die Hände fallen,44 reagierte Karlstadt mit einer ganzen Reihe von Schriften auf den Angriff aus Ingolstadt.45 Dem schriftlichen Streit zwischen Eck und Karlstadt folgte die Absprache, darüber zu disputieren, wofür Eck Paris, Köln oder Rom als Disputationsort vorschlug. Karlstadt bat dagegen um eine mitteldeutsche Universität. In Augsburg einigten sich Luther und Eck schließlich darauf, für die Disputation Erfurt oder Leipzig zu favorisieren.46 In diesem Kontext steht der Brief Ecks vom 4. Dezember 1518 an Herzog Georg.47 Hierin wurde noch einmal der Verlauf der Auseinandersetzung geschildert: Eck hätte Luthers 95 Thesen in Ingolstadt gelesen und einige Artikel für nicht christlich befunden, worauf er dem Vizekanzler von Ingolstadt, Bischof Gabriel von Eichstätt, sein Gutachten (Obelisci) zustellte. Als auch Luther die Schrift in die Hände bekam, habe sich Karlstadt dagegen erhoben. Darauf hätte Eck angeboten, darüber zu disputieren, wofür Karlstadt Leipzig oder Erfurt vorschlug. Der Ingolstädter bitte nun den Herzog, eine Disputation in Leipzig zu genehmigen. Am selben Tag ging ein lateinischer Brief gleichen Inhalts an Rektor und Leitung der Leipziger Universität ab.48 Doch Dekan und Doktoren der Theologischen Fakultät lehnten die Disputation ab, wie sie einige Wochen später an Georg schrieben.49 Ihre Befürchtungen entsprachen streng genommen dem, was schließlich nach der Disputation auch eintrat. Die Leipziger Theologen vermuteten in der Zulassung der Disputation noch mehr Ärger und Irrtum, der schließlich einen Streit zwischen Kursachsen und dem Herzogtum hervorbringen würde. Die Luthersache müsste zudem nicht an der Leipziger Universität verhandelt werden, weil damit eine päpstliche Kommission betraut wurde.50 43 WA 1, (278) 281-314. 44 Walch 1, 957 f (Nr. 352); Johannes Eck (1486-1543) Internet-Edition in vorläufigem Bearbeitungsstand Briefwechsel: http://ivv7srv15.uni-muenster.de/mnkg/pfnuer/Eck-Briefe. html (05.08.2010), Nr. 60. 45 Zu den Kontroversschriften vgl. Johannes Eck: Defensio contra Amarulentas D. Andreae Bodenstein Carolstatini Invectiones (1518)/ hrsg. von Joseph Greving. Münster 1919, 7-15. (CC; 1); Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519: aus bisher unbenutzten Quellen historisch dargestellt und durch Urkunden erläutert. Dresden; Leipzig 1843, 22-24. 46 WA Br 1, 230 f (Nr. 109). 47 ABKG 1, 47-49 (Nr. 62). 48 Seidemann: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 45), 111 f (Beilage 6). 49 ABKG 1, 49-51 (Nr. 63). 50 Die Theologen beziehen sich damit auf das Verhör Luthers in Augsburg durch Kardinal Cajetan, bei dem Luther die 95 Thesen widerrufen sollte.
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Herzog Georg drängte jedoch auf die Zulassung der Disputation, entsprach dieses Angebot doch seinen Plänen, die Leipziger Universität humanistisch modern zu profilieren. Der Albertiner verstand Ecks Bitte einerseits als große Ehre für die Landesuniversität, andererseits sah er darin eine Chance, seinen Reformplänen Vorschub zu leisten. So antwortete der Herzog den Leipziger Theologen, dass aus solchem Angebot »merglicher ruf, lob und ere erwachsen sollte« und schon deshalb gar nicht abgelehnt werden könne.51 Andererseits erhoffte sich Georg auch die breitere Behandlung von Luthers 95 Thesen, wovon er sich die Stärkung der eigenen Ablassvorhaben zu Ungunsten des Petersablasses versprach. So gab er im Brief an die Universitätstheologen auch zu verstehen, dass man die Disputationsergebnisse der päpstlichen Kommission für die Bewertung von Luthers Thesen übersenden könne. Ohne eine Antwort der Fakultät abzuwarten, antwortete Georg dem Ingolstädter Theologen, dankte ihm für seine Anfrage, wünschte, »das solche disputation nicht geferlicher weyse, besonder alleyn zu erkundung der warheit« geschehen möge und teilte mit, dass er der Theologischen Fakultät Leipzig die Austragung der Disputation befohlen habe.52 Die Debatte um die Zulassung der Leipziger Disputation nahm im Januar 1519 an Schärfe zu, als sich Bischof Adolf von Merseburg als amtierender Universitätskanzler zu Wort meldete. Auch er sprach sich gegen die Disputation aus und berief sich dabei auf die päpstliche Weisung, keine Disputationen über den Ablass zuzulassen. Weil der Bischof dem Papst »mit schweren eyden zugethan«, sei er verpflichtet, in seinem Stift alles zu verhindern, »was seiner heyligkeit ehre und glimpf, auch der Romische kirchen entkegen gehandelt und belangen mag«. Adolf versuchte hier, den Einfluss des albertinischen Landesherrn zurückzudrängen, indem er sich allein dem Papst unterstellte. Hier wird deutlich, dass sich die mitteldeutschen Bischöfe in einer Zwischenstellung zwischen kirchlicher Hierarchie und den weltlichen Schutzfürsten befanden.53 Die Entgegnung Georgs in einer Instruktion für Cäsar Pflug, auch wenn Adolf Bischof sei, sei er doch nicht Fürst eines Landes,54 entspricht dem Charakter der albertinischen Kirchenpolitik, in der die Bischöfe eine untergeordnete Rolle spielten. Die Universitätstheologen zeigten sich über Georgs Beharren auf der Disputation »wunderhoch beswert« und wünschten, den Herzog in dieser Sache persönlich zu sprechen.55 Georg vermutete indes, dass die Leipziger Theologen hinterrücks die »Fäden ziehen«, um die Disputation zu verhindern. Denn nicht nur der Merseburger Bischof, sondern auch der Meißner Domdekan Johann Hennig sprach sich dagegen aus. Der Zorn des Albertiners über solche Vorgänge ist deutlich, wenn er an Bischof 51 ABKG 1, 52 f (Nr. 65). 52 ABKG 1, 53 (Nr. 66). 53 Volkmar: Reform statt Reformation … (wie Anm. 7), 191 f. 54 ABKG 1, 68 f (Nr. 87). 55 ABKG 1, 53 f (Nr. 68).
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Adolf schrieb, die Leipziger Theologen hätten nur Sorge, dass in der Disputation ihr eigenes Unvermögen herauskäme und sie deshalb um ihre Einkünfte bangen müssten.56 Verärgert schlussfolgerte der Herzog, er hätte lieber »alt weyber an irer stat, dy sungen [singen] vnd spunnen [spinnen]«. Auf anderer Ebene verhandelte Georg mit der Universitätsleitung. Hier ist weniger Widerspruch als vielmehr – angesichts der bischöflichen Einwände aus Merseburg – Rückversicherung am Dresdner Hof spürbar.57 Die Frage des Rektors, wann Georg endlich die Universitätsreform umsetze, zeigt deutlich, dass hier im Blick auf die Disputation weitgehend gleiche Interessen eine Rolle spielten. Denn anders als die Theologische Fakultät sah die Universitätsleitung in der Disputation durchaus eine Möglichkeit, um für ihre Alma mater »nutzbarliche besserunge und erhaftiges gerucht« hervorzubringen. Deutlich erkannte Georg die entgegenkommende Haltung der Universität und bat sie in seiner Antwort freundlich, neben dem Dresdner Hof Eck ebenfalls die Zulassung zur Disputation schriftlich mitzuteilen. Der Herzog »untermalte« seine Bitte mit der Zusicherung, dass sie »in tegelicher arbeyt« die angefangene Universitätsreform »In Eyne rechte Nuczliche vnd fruchtbare ordenunge« bringen würden.58 Hätten sie noch Änderungswünsche oder -vorschläge, sollten sie das dem Dresdner Hof mitteilen. Die schwierige Haltung der Universitätstheologen zu den Disputationsplänen und Georgs schwere Vorwürfe ihnen gegenüber verschwieg er. Die Ablehnung des Merseburger Bischofs wurde zwar genannt, aber deutlich heruntergespielt: der Dresdner Hof habe zu den bischöflichen Bedenken »eine widerschrift gethan«, damit es auch hier keine Vorbehalte zur Disputation mehr gäbe. Deutlich versuchte Georg, die Universitätsleitung milde zu stimmen und alle Bedenken auszuräumen, damit schnellstens eine positive Antwort sowohl vom Dresdner Hof als auch von der Leipziger Universität an Eck geschickt werden konnte. Tatsächlich gab es aber in der Verhandlung mit Bischof Adolf zu diesem Zeitpunkt noch kein zufriedenstellendes Ergebnis. Noch Ende Januar – während die Universitätsleitung bereits an einer Zusage arbeitete – waren Bischof und Herzog noch uneins. Während Adolf von Merseburg Georg bat, die Disputation zu verschieben und einen Gesandten nach Merseburg abzufertigen, dem er die Gründe persönlich vorbringen könnte,59 erklärte der Herzog mit Hinweis auf die Befürwortung durch die Universität weitere Verhandlungen für unnötig.60 Dabei machte er dem Bischof glaubhaft, dass auch »vnsere theologen« dem zustimmten, obwohl von den Universitätstheologen keine eigene Zusage vorlag. Georg wertete die Antwort der Universitätsleitung zugleich als Zustimmung der Theologischen 56 ABKG 1, 58 f (Nr. 74). 57 ABKG 1, 55 f (Nr. 70). 58 Seidemann: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 45), 121 f (Nr. 12). 59 ABKG 1, 64 (Nr. 78). 60 ABKG 1, 66 (Nr. 81).
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Fakultät. Sollte Adolf dennoch Einwände haben, müsste er einen Gesandten an den Dresdner Hof abfertigen, der persönlich – wie vom Bischof gewünscht – die Einwände vorbringen würde.61 Schließlich schickte Georg seinen Rat Cäsar Pflug nach Merseburg, um den Bischof anzuhören.62 Vor allem aber sollte verhindert werden, dass Adolf die Leipziger Universitätstheologen gegen die Disputation in Stellung brachte, denn die Zusage der Universitätsleitung an Eck war bereits in Ingolstadt eingetroffen.63 Jegliche Überschattung der Disputationspläne musste vermieden werden. Die Verhandlungen zwischen Pflug und Adolf von Merseburg verliefen anscheinend weniger kontrovers – so jedenfalls könnte der Bericht des Gesandten gedeutet werden, der Mitte Februar am Dresdner Hof einging und lediglich die Bestrafung eines Magisters zu Rochlitz beinhaltete.64 Insgesamt war es Georg wenige Wochen nach Ecks Anfrage gelungen, die kritischen Stimmen zumindest soweit zum Schweigen zu bringen, dass die Zusage für die Disputation in Leipzig gegeben werden konnte. Rektor und Universitätsleitung konnte er dabei für sich gewinnen, indem er Zusagen zur noch ausstehenden Universitätsreform machte. Universitätstheologen und Merseburger Bischof, die die Disputation möglichst verhindern wollten, gerieten dadurch in eine wenig aussichtsreiche Position. Der Umgang mit den Leipziger Theologen spiegelt Georgs Zweifel an deren Gelehrtenniveau wider. Die Zurückweisung der bischöflichen Einwände zeigt, wie gering der Einfluss des Merseburger Bischofs auf die landesherrliche Kirchenpolitik zu Beginn des 16. Jahrhunderts war. Nur wenige Wochen, nachdem die Disputation von Hof und Universität genehmigt wurde, zeichnete sich ein neues Problem ab. Am 15. Februar 1519 teilte die Universität Herzog Georg mit, dass Eck seine Disputationsthesen65 veröffentlicht und Luther in einer Schrift66 daraufhin angekündigt habe, in Leipzig persönlich gegen Eck zu disputieren.67 Die Universität empfand diese öffentliche Ansage als Anmaßung »wider E.F.G. schrifftlichenn befelh vnnd der gantzen löblichen Vniversiteth beschluß«.68 Sie befürchtete, dass mit dem Disputanten Luther, der nach 61 Ebd. 62 ABKG 1, 68. 63 Am 1. Februar 1519 teilte die Leipziger Universität Herzog Georg mit, dass sie das gewünschte Schreiben an Eck abgesandt habe. Das Schreiben verband sie mit der Beschwerde, dass Studenten bei Bürgern statt in den Kollegien wohnen würden. Ihre Mitarbeit an der Universitätsreform sicherte sie wiederholt zu – vgl. ABKG 166 (Nr. 82). 64 ABKG 1, 69 (Nr. 88). 65 Disputatio D. Johannis Eccij || et P. Martini Luther in || Studio Lipsensi.|| futura.|| Wittenberg 1519. (VD 16: E 318). 66 Disputatio [et] excusatio F.Mar=||tini Luther aduersus crimi=||nationes D.Johãnis || Eccij.||Wittenberg 1519 (VD 16: L 4452) – WA 2, (153)-161. 67 ABKG 1, 69 f (Nr. 89). 68 Seidemann: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 45), 126 (Nr. 18).
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geistlichem Recht »bestricket« sei, die Disputation nicht stattfinden könne und somit ein schlechtes Licht auf die Universität Leipzig falle. Hintergrund für Luthers Entscheidung, selbst gegen Eck in Leipzig zu disputieren, war eine Zuspitzung der theologischen Kontroverse um die Jahreswende 1518/1519. Als Luther Ecks Schrift mit den Disputationsthesen Anfang Januar 1519 in die Hände bekam, war er darüber entsetzt und fühlte sich darin über die Maßen angegriffen, wie aus einem scharf formulierten Brief an Eck hervorgeht.69 Befürchtete Luther noch im Januar, dass durch den Widerstand des Merseburger Bischofs und der Leipziger Universität die Abb. 32: Herzog Georg von Sachsen (1471-1539) Disputation nicht zustande käme,70 forderte er nun Eck regelrecht dazu heraus. Hatte Luther Anfang Januar in der Verhandlung mit dem päpstlichen Nuntius Karl von Miltitz erklärt, seine Gegner nicht weiter anzugreifen, solange diese ihn dazu nicht herausforderten,71 sah er sich mit den Thesen Ecks von diesem Versprechen entbunden und reagierte mit einer Gegenschrift, in der er ihm die Disputation anbot.72 Herzog Georg geriet durch die öffentliche Ankündigung Luthers in eine unbequeme Lage. Die Universität sah ihre Zusage zur Disputation von Luther hintertrieben und die Bedenken von Bischof und Universitätstheologen nun als gerechtfertigt an. Georg wollte dagegen an der Disputation festhalten und musste somit Luthers Vorgehen akzeptieren. Erst am 19. Februar, nachdem die Universität Leipzig ihn dazu 69 WA Br 1, 341 f (Nr. 150). 70 WA Br 1, 295-297 (Nr. 132). 71 WA Br 1, 289-291 (Nr. 128). 72 Wie Anm. 69.
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aufgefordert hatte,73 wandte sich Luther schriftlich an Georg und bat ihn um seine Zulassung,74 um den »vnvorwarntenn ryßen zcu empfaen«. Dass er erst nachträglich den Herzog ersuche, sei aus Rücksicht auf ihn geschehen, wofür er ihm »vorgebenn vnnd vorzcehenn« möge, so Luther in seinem Brief abschließend. Deutlich ging der Herzog nach diesen Vorgängen auf Distanz zu den Disputationsplänen. Eine direkte Genehmigung erteilte er Luther jedenfalls nicht, sondern verwies darauf, dass er nur die Disputation zwischen Eck und Karlstadt genehmigt habe, an die solle er sich wenden.75 Als Luther noch einmal den Herzog um die Zulassung sowie um sicheres Geleit bat, antwortete er kurz und unpersönlich. Dem Reformator entging die Distanzierung des Herzogs nicht, und er zeigte sich darüber besorgt. Luther schrieb deshalb wiederholt an Georg und bat darum, ihm nicht ungnädig zu sein.76 Georg räumte in seiner Antwort zwar die Befürchtung der Ungnade aus, zeigte aber dennoch eine gewisse Unzufriedenheit gegenüber Luther – so ist ihm »allerley vorkommen«, worüber er in Leipzig mit dem Wittenberger reden wolle.77 Dass schließlich im herzoglichen Geleitsbrief für die Wittenberger Luther nicht ausdrücklich genannt wurde, sondern nur Karlstadt »und den[en], die er mit sich pringen wirdet«, zeigt deutlich das anhaltende Spannungsverhältnis im Blick auf Luthers Teilnahme an der Disputation.78 Zudem war Herzog Georg im Frühjahr 1519 darum bemüht, den Ablasshandel für Annaberg sowie die Kanonisierung Bischof Bennos von Meißen79 an der päpstlichen Kurie durchzusetzen. Im März 1519 meldete der herzogliche Prokurator, Wilhelm von Enckenvoirt, in den Verhandlungen um Bennos Heiligenerhebung vorangekommen zu sein. Die Bemühungen um den Annenablass wurden bereits erwähnt. Am 19. Juni – nur wenige Tage vor Eröffnung der Leipziger Disputation – meldete der Prokurator Jakob Gertewitz, dass das Breve für den Annaberger Jubelablass vom Papst ausgestellt und übergeben wurde.80 Herzog Georg konnte es sich somit im Frühjahr 1519 auf keinen Fall leisten, die Beziehungen zur päpstlichen Kurie einzutrüben. Die Nachricht, dass neben dem Bischof von Merseburg auch der Papst ein Mandat wegen der Leipziger Disputation veröffentlichen lassen wolle, beunruhigte den Herzog spürbar.81 73 WA Br 1, 337-339 (Nr. 148). 74 WA Br 1, 341 f (Nr. 150). 75 WA Br 1, 355 (Nr. 158). 76 WA Br 1, 400 f (Nr. 177). 77 WA Br 1, 406 (Nr. 180). 78 Seidemann: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 45), 134 f (Nr. 25). 79 Christoph Volkmar: Die Heiligenerhebung Bennos von Meißen (1523/24), 94: Für das Bemühen um die Kanonisation Bennos war der Zeitraum zwischen 1519 und 1523 die entscheidende Phase. 80 ABKG 1, 88 f (Nr. 117). 81 ABKG 1, 88 (Nr. 116).
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Die Teilnahme Luthers war somit bereits im Vorfeld der Leipziger Disputation für Herzog Georg eine Belastung. Die eingangs geschilderte Reaktion des Albertiners auf Luthers Aussagen zur Verurteilung der Hussiten ist somit kein singuläres Moment, das aus dem Lutherbefürworter und Disputationsförderer plötzlich einen Luthergegner werden ließ. Die Reaktion des Herzogs hatte einen Vorlauf, der mit Luthers Teilnahmeerklärung an der Leipziger Disputation im Februar 1519 bereits begann. Das Zugeständnis Luthers in der Disputation, dass nicht alle Artikel der Hussiten als häretisch zu verurteilen sind, stieß bei Herzog Georg auf dessen antihussitische Haltung, die sich einerseits aus seiner Erziehung herleiten lässt, andererseits in den (kirchen-)politischen Konflikten mit den böhmischen Hussiten82 begründet lag. Vor allem aber sah Georg seine Kurienpolitik in Gefahr, die wichtige kirchenpolitische Vorhaben, wie den Annaberger Jubelablass und die Kanonisierung Bennos, ermöglichen sollte. Spätestens nach diesen Aussagen Luthers musste der Herzog reagieren. Es verwundert nicht, dass Georg nach der Disputation ein Urteil der Universitäten Erfurt und Paris erwirken wollte, um damit seine antilutherische Haltung zu untermauern. Der Herzog riet am 16. Juli 1519, die Disputationsprotokolle allein von Theologen und Juristen kanonischen Rechtes begutachten zu lassen, um ein Urteil mit Sachverstand zu erwirken.83 Anfang Oktober sandte der Dresdner Hof die Akten nach Paris84 und vermutlich zugleich nach Erfurt. Die Anstrengungen waren jedoch aussichtslos, denn aus Erfurt kam Ende Dezember eine Absage.85 Paris forderte die Unterlagen in 24 gedruckten Exemplaren für die vorgesehene Kommission an,86 wurde aber von Georg noch im November 1520 ermahnt, endlich ihr Gutachten zu schicken.87 Georg rechnete nicht mit einem baldigen Urteil über die Disputation, mit dem er die falsche Lehre Luthers öffentlich anklagen konnte. Als im Dezember 1519 »Ein Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heiligen wahren Leichnams Christi und von den Brüderschaften«88 erschien, nutzte der Herzog deshalb die Lutherschrift, um den Wittenberger Reformator als Hussiten zu überführen und andererseits sich selbst öffentlich als Luthergegner zu positionieren. Die Schrift wurde ihm durch Bischof Adolf von Merseburg zugestellt, der 82 Volkmar: Reform statt Reformation … (wie Anm. 7), 454 f: Volkmar spricht Georgs Reaktion in der Disputation eine bloße Herleitung aus seiner Erziehung ab und begründet diese vielmehr durch die Auseinandersetzung mit den böhmischen Hussiten im albertinischen Herrschaftsalltag. 83 ABKG 1, 94 (Nr. 125). 84 ABKG 1, 100 f (Nr. 134). 85 ABKG 1, 113 (Nr. 152). 86 ABKG 1, 109 f (Nr. 145). 87 ABKG 1, 144-146 (Nr. 182). 88 Eyn Sermon von dem Hochwirdi||gen Sacrament/ des heyligen waren Leychnamß Christi.|| Vnd von den Bruderschafften.|| D.M.L.A.|| F[ue]r die Leyen. Wittenberg: Johann Rhau Grunenberg 1519. VD 16: L 6387; gedruckt: WA 2 (738) 742-758; LStA 1, (270) 272-287.
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sie offensichtlich mit der Kritik an der Leipziger Disputation verband und sich damit in seinen vorausgehenden Befürchtungen bestätigt sah. Georg entgegnete dem Bischof, dass Luther vielmehr durch die Disputation als Irrlehrer in aller Öffentlichkeit entlarvt wurde – »wo angezeygte disputacion nicht gehalden vnd leute gewest, die ime seyn thun offentlich angefochten, er sollte seyns vornehemens noch mehr zu- und beyfall gehapt haben«.89
Umgehend beschwerte sich Herzog Georg bei Kurfürst Friedrich dem Weisen, weil er in der Schrift einen Schaden für den christlichen Glauben und eine Stärkung für die Hussiten sah.90 Zugleich bat er den Meißner Bischof Johann VII. um Maßnahmen gegen die Schrift.91 Das bischöfliche Mandat, das die Schrift verbot und ihre Beschlagnahmung forderte, folgte nur wenige Wochen später.92 Georgs politisches Handeln gegen Luther und gegen die Wittenberger Reformation stand nach diesen Vorgängen fest. Das Wormser Edikt von 152193 bildete für Georg schließlich die reichsrechtliche Grundlage, um gegen den Reformator vorzugehen. Zu Recht gilt die Leipziger Disputation deshalb als Schlüsselereignis für Georgs kirchenpolitisches Handeln ab 1520. Erhoffte sich der Albertiner zunächst mit der Auseinandersetzung um Luthers Ablasskritik Impulse für die Reform an der Leipziger Universität sowie für die Kirchenpolitik am Dresdner Hof, erkannte er bereits im Vorfeld, wie wenig vereinbar Luthers Lehre mit der römischen Kirche war. Da aber Georg auch kirchenpolitisch ganz an seiner Kirche festhalten wollte, war nun ein Bruch mit dem Wittenberger Reformator unvermeidbar geworden. Diese Erkenntnis setzte sich für Georg vor, während und nach der Leipziger Disputation so deutlich durch, dass sie selbst in kirchenpolitischen Krisensituationen bis zu seinem Tod bestimmend blieb.
89 ABKG 1, 115 f (Nr. 152). 90 ABKG 1, 110 f (Nr. 146). 91 ABKG 1, 113 f (Nr. 149). 92 WA 6, 151-153. 93 Zum Wormser Edikt vgl. Armin Kohnle: Reichstag und Reformation: kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden. Gütersloh 2001, 99-104; ders.: Art. Wormser Edikt. TRE 36, 287-291.
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Martin Luther und die Leipziger Disputation
Martin Luther und die Leipziger Disputation Von Helmar Junghans †
»Alle anderen, wenn sie sich zu wunderlichen Reden versteigen und nicht nur ganz rätselhafte Dinge, sondern auch ganz irrige Lehre vorbringen, haben so sehr diese Erlaubnis, dass ein großer Unterschied gemacht wird zwischen dem, was sie auf diese Weise vorführen, und dem, was sie schlicht im Volke lehren oder zu Hause vor sich hinreden. Luther ist der einzige, der herausgefordert und mit Gewalt zum Kampf, zur Disputation geschleppt wird und genötigt wird, zu reden und zugleich vor der Zeit Rechenschaft abzulegen, oder, wenn er disputieren will, doch so zu reden, dass es auch von Handwerksleuten verstanden werden kann. Und wenn ich das nicht tue, dann bin ich gleich ein Ketzer, Lästerer, Unruhestifter. Das ist mein Los, lieber Leser.«1
Diese Klage Luthers in der Vorrede zu seiner »Resolutio lutheriana super propositione decima tertia de potestate papae« offenbart Luthers Einstellung zur Leipziger Disputation unmittelbar vor deren Beginn: Er fühlt sich zur Verteidigung herausgefordert, ehe er seine Vorstellungen über die Macht des Papstes genügend durchdacht hatte. Wie geriet er in diese unerwünschte Situation? Ehe ich mich der Antwort auf diese Frage zuwende, möchte ich etwas zum Problem meines Beitrages sagen. Alle wichtigen Punkte der Leipziger Disputation sind nicht nur mit Luther, sondern auch mit allen denen verknüpft, für die noch ein eigener Beitrag vorgesehen ist. Um ermüdende Wiederholungen zu vermeiden, beschränke ich mich auf Luthers Vorbereitung auf die Disputation, wie sie sich vor allem in der oben genannten Resolutio niedergeschlagen hat. Es ist daraus zu ersehen, mit welchen Kenntnissen und mit welcher Haltung er in die Disputation eintrat und auf welchen Grundlagen seine Argumentation ruhte. Zunächst skizziere ich, wie Luther zur Leipziger Disputation »geschleppt« wurde, danach gehe ich auf seine Widerlegung eines päpstlichen Primats mittels der Heiligen Schrift, der Kirchenväter und Konzilien sowie der Kirchengeschichte ein. I Der Zugang zur Disputation Im März 1518 gelangte ein Gutachten des Ingolstädter Theologieprofessors Johann Eck in Luthers Hände, das seine 95 Thesen als irrig, leichtfertig, dreist, unbesonnen, falsch, unausgekocht und unverständig charakterisierte und der böhmischen Ketzerei verdächtigte. Luther empfand das als hinterlistig, denn Eck hatte zuvor über die Nürnberger Humanisten Luthers Freundschaft gesucht. Eck hatte einzelne Thesen mit Obelisci – Spitzsäulchen – markiert und jeweils Glossen hinzugefügt. 1 LDStA 3, 19, 4-15.
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Abb. 33: Seite aus Martin Luther: Resolutio lutheriana super propositione decima tertia de potestate Papae, 1519
Luther übernahm diese Methode, indem er in den Text von Eck Asterici – Sternchen – einfügte und seinerseits Glossen anhing. Im Begleitbrief ließ er die Möglichkeit einer Verständigung noch offen und erklärte, er werde diese Auseinandersetzung nicht in die Öffentlichkeit tragen, solange es Eck nicht tue. Eck hielt es für geraten, den Streit nicht fortzusetzen. Aber – wie es im Sprichwort heißt – »Wenn über eine Sache Gras gewachsen ist, kommt ein Rindvieh, das es wieder runterfrisst«. Diese 126
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Rolle übernahm Andreas Bodenstein aus Karlstadt, der als Dekan der Wittenberger Theologischen Fakultät deren Theologie angegriffen sah. Er veröffentlichte im Mai 1518 ohne Luthers Wissen »370 apologetische Thesen sowohl für die heiligen Wissenschaften als auch die Wittenbergischen«. Nachdem Bartholomaeus Bernhardi, ein Lutherschüler, am 7. Juli über Thesen gegen Ecks Bemerkungen disputiert hatte, forderte dieser Karlstadt zu einer Disputation auf. Während Luther 1518 in Augsburg war, wurde als Disputationsort Leipzig vereinbart. Ende Dezember kündigte Eck mit 12 Thesen auf einem Plakat seine Disputation mit Karlstadt an, ohne Luther zu nennen. Dieser ersah aus deren Inhalt, dass der Angriff eigentlich ihm galt. Darum kritisierte er Ecks Thesen öffentlich, so dass Eck bloßgestellt erschien. Dieser erweiterte eine Neufassung um eine These und nannte nun als ersten Gegner Luther. Daraufhin sah dieser sich veranlasst, etwas auszuführen, was er schon lange beabsichtigte, nämlich irgendwann eine ernsthafte Schrift gegen »Romanas lernas« zu richten.2 »Lerna« bezeichnet einen Hain mit vielen Quellen, wo Herkules die neunköpfige Hydra tötete. WA 2, 181 ist vom »römischen Giftpfuhl« die Rede, aber Luther könnte auch an die lernäische Schlange, an die Hydra, gedacht haben. Luther hatte zwar am 19. Februar bei Herzog Georg die Zulassung zur Disputation beantragt, aber keine positive Antwort erhalten. So blieb er im Ungewissen, ob er überhaupt daran teilnehmen dürfte. Wenn jemand glaubte, diese Ungewissheit werde Luther die Lust nehmen, sich gründlich vorzubereiten, hatte er sich getäuscht. Luthers Freunde waren entsetzt, dass er, der in Rom der Ketzerei verdächtigt war, den Primat des Papstes kritisch hinterfragte. Luther studierte intensiv die kanonischen Rechtsbücher und gelangte zu ihn überraschenden, erschreckenden Entdeckungen. Am 13. März 1519 vertraute er Georg Spalatin an: »Ich weiß auch nicht – ich sage das nur in Dein Ohr –, ob der Papst der Antichrist selbst oder sein Apostel ist, sosehr wird von ihm Christus – das heißt die Wahrheit – in seinen Dekreten entstellt und gekreuzigt.«3
Das Ergebnis dieser Studien war die oben genannte Resolutio zur dreizehnten These von Eck über die Papstgewalt: »Wir verneinen, dass die römische Kirche vor den Zeiten Sylvesters [I., 314-335] nicht den Vorrang vor den anderen Kirchen gehabt habe; sondern wir erkennen an, dass der, der den Stuhl und den Glauben des Seligen Petrus besaß, immer der Nachfolger Petri und der allgemeine Statthalter Christi war.«4
Sie erschien vor Beginn der Disputation. Luthers Meinung kam auf jeden Fall in die Öffentlichkeit, mit oder ohne Disputation. Luther hatte nur als Begleiter Karlstadts 2 WA Br 1, 315, 7-9 (141), Luther an Johann Lang am 3. Febr. 1519 aus [Wittenberg]. 3 WA Br 1, 359, 29-31 (161); Luther an Georg Spalatin am 13. März 1519 aus Wittenberg. 4 LDStA 3, 23, 35-38.
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mit nach Leipzig kommen können, wo er schließlich am 28. Juni, am Tag vor der feierlichen Eröffnung der Disputation, zu ihr zugelassen wurde. II Die Widerlegung eines Primats des Bischofs von Rom 1 mittels der Heiligen Schrift In seiner Resolutio knüpfte Luther an Argumente für den Primat des Papstes an, um sie dann zu entkräften. So beurteilte er die Tatsache, dass der Papst eine Vorrangstelle gegenüber anderen Bischöfen einnimmt, als Folge von Gottes Wirken. Er erklärte sogar: »Siehe, dies ist ein erster und für mich unüberwindlicher Grund, der mich dem Papst unterwirft und mich zwingt, seinen Primat zu bekennen.«5 Er brachte aber auch sogleich seine Überzeugung ein, dass der Papst diese Stellung kraft menschlicher Ordnung erlangt hat und er daher auch wie eine menschliche Obrigkeit zu erdulden sei. Nach diesem Zugeständnis ging er sogleich dazu über, aufzuzeigen, dass »die bisherigen Beweise nichts taugen«.6 Er nahm sich die Bibelstellen vor, die den Primat beweisen sollten. Dabei stellte er fest, dass die Juristen zu Matth. 16, 18 f sich widersprachen, indem einerseits manche den Primat des Petrus mit »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen« und »Ich will dir die Schlüssel des Himmelreiches geben« begründeten und andererseits manche dieser Begründung widersprechend »Weide meine Schafe« heranzogen.7 Er schloss daraus, dass die Dekrete keine Beweiskraft haben. Vor allem aber setzte er die verschiedenen biblischen Aussagen zueinander in Beziehung, um darzulegen, dass Petrus von Christus keine Vorrangstellung erhalten auch nie eine inne gehabt hat, sondern alle Apostel ebenbürtig waren. Eine besondere Rolle spielte für Luther die Heilige Schrift. Er beklagte die Vernachlässigung der Heiligen Schrift und behauptete: Gregor der Große »ist nämlich ungefähr der Letzte von denen gewesen, welche sich mit der Heiligen Schrift befasst haben«.8 Als er nach der Disputation seine Resolutio überarbeitet herausgab, schrieb er in der neuen Vorrede: »Denn das müssen sie zugeben, ob sie wollen oder nicht, dass die heiligen Schriften im Lehrbetrieb aller Schulen ganz und gar vernachlässigt worden sind, auch wenn sie sich brüsten, sie verstünden die Schriften auf frömmere Art, wenn sie sie nach dem menschlichen Sinn anderer statt nach deren eigenem Sinn verstehen.«9
Es ging ihm also dabei um die richtige Exegese, wonach sich die Heilige Schrift selbst auslegt. Was meinte er damit? Nach Abschluss seiner Psalmenvorlesung hatte
5 LDStA 3, 27, 27-29. 6 LDStA 3, 31, 14. 7 LDStA 3, 31, 21 f. 33. 8 LDStA 3, 57, 25 f. 9 LDStA 3, 21, 35-39.
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er 1516 an der Verwendung von »voluntas« in Ps 1, 2 deutlich gemacht, dass damit nicht entsprechend der aristotelischen Psychologie einzelne Willensakte gemeint sind, sondern die Stelle die gesamte Willensausrichtung eines Menschen anspricht, so dass er übersetzte: »sondern hat Lust am Gesetz des Herrn«. Daraus folgerte er, dass ein rechter Schriftausleger die ganze philosophische Begrifflichkeit ablegen muss, was auch die der scholastischen Theologie einbezog. Was er damit meinte, wird durch seine Kritik an einem Dekret deutlich, das behauptete: »Und Kephas, das ist das Haupt, sollte auch die Hauptstelle des Apostelamtes innehaben.«10 Hier wurde zur Deutung das griechische ke, Haupt, herangezogen, obgleich das syrische KEPHA, Fels, zugrunde lag. Luther berichtete zwar über den philologischen Ursprung nach Hieronymus, wichtiger war für ihn aber das »eindeutige und apostolische Zeugnis« J 1, 42: »Du wirst Kephas genannt werden, das heißt übersetzt: Fels.« Für Luther zeigte die irrige Deutung, »dass der Primat eher aus der Gier nach Macht als aus dem Eifer um die Wahrheit erstrebt wurde«,11 aber auch, »dass sie keine sorgfältigen Leser des Evangeliums gewesen sind«. Diesen Vorwurf wiederholte er dann in der Disputation auch gegenüber Eck: »Ich wünsche also, daß der ehrenwerte Herr Doktor die Heilige Schrift richtiger liest, ehe er sie so zitiert.«12 An einer anderen Stelle: »Es betrübt mich, daß der Herr Doktor so tief in die Heilige Schrift eindringt wie ein Wasserläufer ins Wasser, ja er scheint sogar vor ihr zu fliehen wie der Teufel vor dem Kreuz.«13
Und woher hatte Luther es gelernt, die Schrift richtig zu lesen? Er erwähnte, dass er von Laien gelernt habe, dass die an Petrus gerichtete Verheißung, er werde ihm die Schlüssel geben, allen Aposteln gelte.14 Die Laien, also Nichttheologen, waren Philologen, und zwar humanistische. Man kann verfolgen, wie Luther mit Beginn seiner exegetischen Vorlesungen durch seine auf die biblischen Ursprachen zurückgreifende philologische Methode in Widerspruch zu scholastischen Deutungen geriet und neue Einsichten gewann, wie bei dem Verständnis der Gerechtigkeit Gottes. In Vorbereitung auf die Leipziger Disputation stieß er in den Dekreten und Dekretalien, die oft einen Papst als Urheber nannten, auf eine Schriftbegründung, der er nur widersprechen konnte. Welche Konsequenzen sollte er daraus ziehen? Das gesamte Kirchenrecht verbrennen? Das geschah erst ein reichliches Jahr später, nachdem ihm der Bann angedroht worden war. In seiner Resolutio verfolgte er durchgehend eine andere Strategie. Er erklärte, er verdamme die Dekrete nicht, weil er sein Heil nicht verliere, 10 LDStA 3, 93, 8 f. 11 LDStA 3, 93, 9 f. 19 f. 12 WA 59, 455, 722 f. 13 WA 59, 602, 5341-5344. 14 LDStA 3, 33 - 35, 8.
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wenn er gewaltsame Schriftauslegung ertrage, »wenn nur daneben das wahre und rechtmäßige Verständnis bleibt«.15 Seine Toleranz war aber nicht von Gleichgültigkeit geprägt. Er bestand darauf, »dass wir lernen müssen, die Sache und unseren Glauben in beständiger und gründlicher Kenntnis zu festigen«,16 selbstverständlich mittels zutreffender Schriftauslegung. Schließlich bekannte er sogar: »Denn ich teile nicht die Meinung derer, welche glauben, dass die Päpste sich nicht geirrt haben und dass bei ihnen allein das wahre Verständnis der Schrift sei, zumal hier und in vielen anderen Stellen das genaue Gegenteil zu Tage tritt: …«17
Weil die Päpste »so offenkundig die Schrift nach einem ihr fremden Sinne behandeln«, gestand er ihnen nicht das Recht der Schriftauslegung zu.18 Das war eine glatte Absage gegenüber der Luther bekannten Überzeugung in Rom, dass der Papst nicht irren könnte und über der Schrift stehe.19 Er bestritt, dass das Recht der Auslegung der heiligen Texte allein bei den Päpsten liege. Daher müssten die Christen alles, was von den Päpsten kommt, »mit freiem Urteil« lesen.20 Trotz dieser grundsätzlichen Absage entschuldigte er mehrfach die Päpste, indem er vermutete, dass ihnen zugesprochene Texte nicht von ihnen verfasst worden seien, sondern von Mitarbeitern oder Schmeichlern.
2 mittels der Kirchenväter und Konzilien Luther argumentierte nicht nur mit der Heiligen Schrift, sondern auch mit Kirchenvätern. Dabei handelt es sich auch um Zitate, die sich in kirchenrechtlichen Bestimmungen finden. Das lässt erkennen, dass diese in Bezug auf einen Primat nicht übereinstimmen. Luther berief sich auf Hie-ronymus, der im 4. Jahrhundert an Euagrios von Antiocheia breit ausgeführt hatte, dass Presbyter und Bischof dasselbe ist. Und wo immer ein Bischof war, in Rom oder Gubbio – ein italienisches Bistum in Umbrien – oder Konstantinopel oder Reggio oder Alexandreia oder Tanis, »er hat die gleiche Auszeichnung und das gleiche Priestertum«.21 Luther nahm ein Dekret auf, das Beschlüsse des vierten Konzils von Karthago ent-hielt, die für die Gleichheit von Presbytern und Bischöfen sprechen. Stünden die Bischöfe nach göttlichem Recht über den Presbytern, wären diese Beschlüsse »häretisch, skandalös und aufrührerisch«. Luther meinte, sie sollten erst ihre eigenen Dekrete vernichten, die sie zu lernen zwingen. Und er fragte: »Was denn verdammen sie an uns, was sie selbst uns lehren?«22 15 LDStA 3, 61, 23-26. 16 LDStA 3, 61, 26-28. 17 LDStA 3, 61, 33-36. 18 LDStA 3, 103, 24-28. 19 WA 2, 22, 18 f. 20 LDStA 3, 109, 21-24. 21 LDStA 3, 141, 38-40. 22 LDStA 3, 147, 1-7.
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Luther legte an vielen Beispielen dar, wie Aussagen der Kirchenväter und Beschlüsse von Konzilien einem Primat des Bischofs von Rom widersprachen. Denn sie zeigten »klar, dass in Wahrheit Bischöfe und Presbyter untereinander gleich sind und dass allein aus Gründen des Brauches und der Kirche einer dem anderen vorgezogen werden soll«. 23 So entschieden Luther den Anspruch bekämpfte, es gebe einen Primat des Papstes aufgrund göttlichen Rechts, so bereitwillig gestand er zu, dass es faktisch einen Vorrang des Papstes infolge menschlichen Rechts gebe, aber eben nur menschlichen Rechts. Daraus folgte für ihn:
Abb. 34: Papst Leo X, Bulla contra errores Martini Lutheri …, 1520
»Wenn der Primat des Papstes beginnen sollte, zum Schaden der Kirche auszuschlagen, dann muss er ganz aus der Kirche entfernt werden, da menschliche Rechte und Gepflogenheiten der Kirche dienen müssen und nicht gegen die Kirche streiten dürfen.«24
Luther achtete den Papst, den er wie eine weltliche Obrigkeit ehrte und erduldete. Aber er erlaubte sich zugleich Kritik an Machtansprüchen, die nach seiner Überzeugung dem Evangelium widersprachen. Für ihn war es seine Pflicht, das Evangelium – also das göttliche Recht – gegen die Kirche als die das Evangelium verkündende und dienende Einrichtung Gottes zur Geltung zu bringen, einem sich Machtansprüche anmaßenden Papsttum zu widersprechen. 3 mittels der Kirchengeschichte
Luther setzte dem Primatsanspruch des Papstes die Wirklichkeit der Kirchengeschichte entgegen, 23 LDStA 3, 147, 7-10. 24 LDStA 3, 147, 10-14 (Hervorhebung vom Verfasser).
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»dass die römische Kirche niemals über allen Kirchen in der ganzen Welt war, auch nicht ist und jemals sein wird, obgleich sie über vielen ist. Sie war nämlich niemals über den Kirchen Griechenlands, Afrikas und Asiens, hat auch nicht deren Bischöfe bestätigt«,
was auch nicht erforderlich ist.25 Und obgleich die Autorität der Heiligen Schrift beweist, dass es keinen Primat aus göttlichem Recht gibt, führt er noch Meinungen anderer an, damit nicht der Anschein entstehe, er rühme sich allein. Luther führte die Argumentation des Cyprian von Karthago an, dass die Bischofswahl nicht in der Macht der Bischöfe liege, sondern bei dem Volk, das gegebenenfalls aus Gehorsam gegen Gottes Gebot sich auch von einem sündigen Vorgesetzten trennen muss. Er nahm dessen Bericht auf, wie die Nachbarbischöfe in der Gegenwart des Volkes einen Bischof wählten und einsetzten, ohne Rom. Luther führte Papst Gregor I. an, der vehement dagegen kämpfte, dass jemand den Titel »Universalbischof« erhielt. Er berichtete, dass zwar das Konzil von Chalkedon diesen Titel dem römischen Bischof angeboten habe, doch keiner von diesen hat das je angenommen, »damit nicht alle Priester der ihnen gebührenden Ehre beraubt würden«. Luther argumentierte auch aus der Geschichte der Urgemeinde. Petrus habe keinen Apostel in sein Amt gebracht. Auch Matthias wurde von keinem Apostel eingesetzt, sondern durchs Los erwählt. Nach Galater 2 wurde Petrus in Antiocheia durch Paulus getadelt, woraus Luther den Schluss zieht, »dass der römische Bischof jedem unterlegen ist, dessen Gedanken richtiger sind«. Es ist nicht etwas wahr oder gut, weil es der Papst sagt, sondern er ist Rechenschaft schuldig. »Das kann er fürwahr nicht immer, manchmal irrt er wie Petrus.«26 Kaiser Konstantin IV. habe zwar bei Benedikt II. festgesetzt, »dass der römische Bischof höher ist als alle anderen, was aber von den anderen Bischöfen nicht beachtet wurde«.27 Luther folgerte aus den beigebrachten Beispielen: Alle Bischöfe sind gleich. Er folgerte ad absurdum: Wäre der Papst nach göttlichem Recht genereller Stellvertreter in der ganzen Kirche, müssten alle Häretiker sein, die ihm nicht unterstanden. Wenn überhaupt eine Kirche die erste und die Mutter aller sei, dann die Jerusalemer Kirche, was auch das Konzil von Konstantinopel erklärte. Luther führte weitere Konzilien an, von denen keines dem römischen Bischof einen Primat einräumte. Er kommt zum Schluss seiner Widerlegung der 13. These Ecks: »Der Papst ist also nach göttlichem Recht weder höher als die Bischöfe noch der Bischof höher als der Presbyter. Dieser Schluss hält stand, denn das göttliche Recht ist unwandelbar, im Leben wie im Tod.«28
25 LDStA 3, 135, 5-13. 26 LDStA 3, 159, 35-40. 27 LDStA 3, 161, 14-16. 28 LDStA 3, 171, 9-12.
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III Schluss Luther verdankte der Leipziger Disputation eine gründliche Beschäftigung mit dem Papst-amt, die es ihm erleichterte, dem päpstlichen Bannstrahl zu widerstehen. Infolge seiner Herkunft aus dem Erfurter Bibelhumanismus hatte er mit großer Selbstverständlichkeit seine theologische Arbeit eng mit der Schriftauslegung verknüpft. Die Vorbereitung auf die Leipziger Disputation übte ihn ein, exegetische Traditionen kritisch zu überdenken und die Heilige Schrift gegen kirchliche Ansprüche und Zustände zur Geltung zu bringen. Dabei ging er von der Überzeugung aus, dass das rechte Schriftverständnis zur Kritik berechtige, ja verpflichte. Während der Durchführung der Disputation formulierte er das berühmte »sola scriptura«. Die Beschäftigung mit seiner Vorbereitung lässt erkennen, dass dies keine grundsätzliche Ablehnung der Tradition bedeuten sollte. Er nahm sie ja auf, wo sie der Heiligen Schrift entsprach. Aber die Heilige Schrift war für ihn das entscheidende Kriterium, das durch nichts Anderes außer Kraft gesetzt oder in Fragen des ewigen Heils durch irgendwen ergänzt werden kann.
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Abb. 35: Lutherfigur am Gebäude Petersbogen in Leipzig zum Burgplatz hin, 2019
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Andreas Bodenstein von Karlstadt und die Leipziger Disputaion
Andreas Bodenstein von Karlstadt und die Leipziger Disputation Von Stefania Salvadori
Die Rolle Andreas Bodensteins von Karlstadt bei der Leipziger Disputation ist paradox: Obwohl er zu den Protagonisten und sogar im engeren Sinne zu den Initiatoren der Disputation gehörte, trat er nahezu sofort nach deren Beginn in den Hintergrund, bis er schließlich nur noch eine Nebenfigur im Schatten der Auseinandersetzung Luthers mit Eck war. Die Widersprüchlichkeit dieser Entwicklung wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass Karlstadt gerade während der letzten Wochen, in denen darüber entschieden wurde, eine öffentliche Disputation zu organisieren und diese in Leipzig zu veranstalten (zwischen Ende 1518 und Anfang 1519), nicht nur die letzten Passagen seines Kommentars zu De spiritu et Litera des Augustinus1 (ein grundlegender Text in der Entwicklung seiner neuen theologischen Perspektive) veröffentlichte, sondern auch mit der ebenfalls Ende Januar 1519 abgeschlossenen Epitome2 einen weiteren Schritt in der Darlegung seiner Lehre von Gnade und Buße vollzog. Als er in Leipzig eintraf, hatte Karlstadt somit bereits eine Phase radikaler theologischer Neuorientierung abgeschlossen, und die Begegnung mit Eck konnte sein methodisches Verfahren (die Heilige Schrift als einzige Quelle göttlicher Wahrheit) und sein theologisches Prinzip (die Zentralität der göttlichen Gnade als einziger Quelle des Heils) eigentlich nur bestätigen. Dennoch wurde sein wichtiger Beitrag zur aufbrechenden Reformation, die zunehmend mit der Person Luthers identifiziert wurde, in den Darstellungen der Leipziger Disputation historiographisch marginalisiert. Der vorliegende Aufsatz möchte die Rolle Karlstadts vor, während und nach der Leipziger Disputation historisch nachzeichnen und die zu Karlstadts Marginalisierung führenden Elemente hervorheben, die bereits bei den zeitgenössischen Disputationszuhörern und den Lesern der Protokolle zu beobachten ist. Zu diesem Zweck sind die Interaktion der polemischen Ziele und Absichten der drei Protagonisten der Disputation zu berücksichtigen sowie die Differenzen der Intentionen und rhetorischen Strategien der beiden Wittenberger Theologen aufzuzeigen. 1 Siehe die Einleitung zum Augustinkommentar in: Kritische Gesamtausgabe der Schriften und Briefe Andreas Bodensteins von Karlstadt. Bd. 1: 1507-1518. Tlbd. 1: 1507-1517 [im Folgenden KGK 1.1]. Tlbd. 2: 1518 [im Folgenden KGK 1.2]/ hrsg. von Thomas Kaufmann. Gütersloh 2017; hier KGK 1.2, 537-559 (Nr. 64). 2 Ediert in Kritische Gesamtausgabe der Schriften und Briefe Andreas Bodensteins von Karlstadt. Bd. 2: 1519 [im Folgenden KGK 2]/ hrsg. von Thomas Kaufmann. Gütersloh 2019, Nr. 103.
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I Die Vorgeschichte Die Leipziger Disputation war die direkte Folge der langen Auseinandersetzung zwischen Eck und Karlstadt im Sommer und Herbst 1518, der sie – zumindest formell – ein Ende setzen sollte.3 Auf die Obelisci des Ingolstädter Theologen gegen Luther4 hatte Karlstadt im Sommer 1518 zunächst mit den Apologeticae Conclusiones5 und mit den Thesen Contra Eckium6 reagiert. Eck antwortete im August 1518 mit einer Defensio und äußerte in der Schlussrede nochmals seinen bereits im Mai formulierten Wunsch,7 sich mit dem Wittenberger in einer öffentlichen Diskussion an den Universitäten Rom, Paris oder Köln auseinanderzusetzen.8 Dazu erklärte sich Karlstadt in seiner Defensio im September/Oktober 1518 bereit.9 Die vermittelnde Rolle zwischen Eck und Karlstadt übernahm kurz darauf Luther selbst, der sich im Oktober mit Eck im Augsburger Karmeliterkloster10 am Rande des Reichstages traf und mit ihm den Ort der geplanten Disputation zwischen Eck und Karlstadt besprach.11 In seinem späteren Bericht an Kurfürst 3 Vgl. hierzu den Beitrag von Johann Peter Wurm. 4 Bei einem Besuch des Eichstätter Bischofs Gabriel von Eyb an der Universität Ingolstadt führte Eck ein langes Gespräch mit diesem über Luthers 95 Ablassthesen; auf Bitten des Bischofs fasste er kurz danach seine Meinung auch schriftlich in 18 Thesen – den sogenannten Obelisci – zusammen, die nur privatim kursieren sollten. Ecks Obelisken lagen Luther seit Mitte März 1518 vor. Vgl. Dokumente zur Causa Lutheri: 1517-1521. Bd. 1: Das Gutachten des Prierias und weitere Schriften gegen Luthers Ablaßthesen (15171518)/ hrsg. und komm. von Peter Fabisch und Erwin Iserloh. Münster 1988, 376-447. Die Obelisci und die – von Luther als Antwort verfassten – Asterisci wurden erst 1545 von Georg Rörer im ersten Band der Wittenberger Gesamtausgabe der lateinischen Werke Luthers veröffentlicht. Zu dieser Edition und vor allem zur Vorgeschichte sowie zur – erstmals 1518 beabsichtigten – Drucklegung der Asterisci siehe Ulrich Bubenheimer: Andreas Karlstadts und Martin Luthers frühe Reformationsdiplomatie: Thesenanschläge des Jahres 1517. Luthers »Asterisci« gegen Johannes Eck und Wittenberger antirömische Polemik während des Augsburger Reichtages 1518. Ebernburg-Hefte 52 (2018), 31-68. 5 Anfang Juni 1518 erschienen. Siehe die Einleitung zu den Apologeticae Conclusiones von Ulrich Bubenheimer und Alejandro Zorzin in KGK 1.2 (wie Anm. 1), 789-794 (Nr. 85). 6 Eine Separatausgabe der Thesen 102-213 gegen Eck aus den Apologeticae Conclusiones; siehe die Edition in KGK 1.2 (wie Anm. 1), 871-898 (Nr. 88). 7 Siehe den Brief Ecks an Karlstadt vom 28. Mai 1518 in KGK 1.2 (wie Anm. 1), 785-787 (Nr. 84). 8 Johannes Eck: Defensio contra amarulentas D. Andreae Bodenstein Carolstatini […] invectiones/ hrsg. von Joseph Greving. Münster/Westfalen 1919, 81 f. 9 Vgl. KGK 1.2 (wie Anm. 1), 907 (Nr. 90). 10 Hier logierte Luther vom 7. bis 20. Oktober, während er auf Weisung des Papstes vom römischen Kardinal Cajetan verhört wurde. Vgl. u. a. Christopher Spehr: Luther und das Konzil: zur Entwicklung eines zentralen Themas in der Reformationszeit. Tübingen 2010, 76-91. 11 Vgl. Dokumente zur Causa Lutheri: 1517-1521. Bd. 2: Vom Augsburger Reichstag 1518 bis zum Wormser Edikt 1521/ hrsg. und komm. von Peter Fabisch und Erwin Iserloh. Münster 1991, 242. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Helmar Junghans.
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Friedrich schreibt Eck, Luther habe schon während dieses Gesprächs die Städte Erfurt oder Leipzig vorgeschlagen, wohingegen er selbst zunächst eine Absprache mit Karlstadt forderte.12 Luther kehrte am 20. Oktober nach Wittenberg zurück und informierte Eck einige Wochen später brieflich, dass Karlstadt mit der Augsburger Abmachung einverstanden sei und die Entscheidung zwischen Erfurt und Leipzig sowie die Festsetzung des Beginns gerne dem Ingolstädter Theologen überlasse.13 Die langwierige Vorbereitung der Leipziger Disputation begann bereits am 4. Dezember 1518, als Eck Herzog Georg von Sachsen14 und die Universität Leipzig um Genehmigung der Disputation mit Karlstadt bat.15 Obwohl sich die Theologische Fakultät am 26. Dezember weigerte, in der Auseinandersetzung eine aktive Rolle einzunehmen, entschied sich Georg von Sachsen trotzdem für die Zulassung der Disputation, worüber er den Ingolstädter Theologen am 31. Dezember in Kenntnis setzte.16 Eck hatte diese Zusage mit einer solchen Sicherheit erwartet, dass er noch vor deren offiziellem Eingang einen Einblattdruck – eine schedula – unter dem Titel In studio Lipsensi disputabit […] propositiones infra notatas contra D. Bodenstein Carlestadium veröffentlichte,17 in dem er zur Vorbereitung auf die Disputation zwölf Thesen gegen die »neue Lehre« der Wittenberger formulierte. Auch wenn sich die Thesen primär gegen Karlstadt richten sollten, griffen sie, wie Eck in seinem Widmungsbrief vom 29. Dezember 1518 an den Salzburger Koadjutor Matthäus Lang von Wellenburg zugibt, inhaltlich auch Luther und dessen Auffassung über Buße 12 Vgl. Johannes Eck: Briefwechsel/ hrsg. von Vinzenz Pfnür. Internet-Edition Münster 2011 (http://ivv7srv15.uni-muenster.de/mnkg/pfnuer/Eck-Briefe.html; im Folgenden EBW), Nr. 97 vom 8.11.1519. 13 Vgl. den Brief Luthers an Eck vom 15. November 1518 in: WA Br 1, 230 f (Nr. 109). 14 Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen. 4 Bde./ hrsg. von Felician Gess u.a. Köln u.a. 1985-2012. Bd 1: 47-49 (Nr. 62); angehängt wurde auch eine Kopie des Briefes Luthers an Eck vom 15. November. 15 In ähnlicher Weise wie im Brief an Herzog Georg bat Eck nach einer kurzen Zusammenfassung der Vorgeschichte seines literarischen Streites mit Karlstadt um die Genehmigung der Disputation. Ein dritter Brief an die theologische Fakultät zu Leipzig ist verschollen. Siehe Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519: aus bisher unbenutzten Quellen historisch dargestellt und durch Urkunden erläutert. Dresden; Leipzig 1843, 111 f (Beilage 6) und Akten und Briefe … (wie Anm. 14) 1, 49 Anm. 1. Der zu etwa gleicher Zeit verfasste Brief Luthers an die theologische Fakultät ist ebenfalls verschollen; vgl. ebd, 50,20-23 (Nr. 63) und Anm. 1. 16 Ebd, 49-51 (Nr. 63). 52 f (Nr. 65). 53 (Nr. 66). 17 Johannes Eck: In studio Lipsensi disputabit Eckius propositiones infra notatas contra D. Bodenstein Carlestatium […]. o.O.: o.Dr., 1518. Der Autor selbst berichtet im März 1519, sie sei noch vor Januar in Augsburg erschienen: Johannes Eck: Disputatio et excusatio […] Adversus criminationes. F. Martini Lutter ordinis Eremitarum. Leipzig: Martin Landsberg, 1519, fol. A2r: »Scheda mea fuit impressa Auguste ante mensem Januarium, dum illac iter ad patriam facerem.«.
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und Ablass (Thesen 1-10) an und verteidigten vor allem die – von Karlstadt in jener Zeit nie in Frage gestellte18 – Autorität des Papstes und der Kirche (Thesen 11-12). Noch am 1. Februar, als die Universität Leipzig dem Herzog berichtete, sie habe dem Ingolstädter Theologen endlich eine positive Antwort zukommen lassen,19 wusste Luther nichts von dieser schedula Ecks.20 Erst einen Tag später, am 2. Februar,21 erfuhr er von dem in Augsburg erschienenen Plakatdruck Ecks und musste dabei feststellen, dass der Ingolstädter Theologe nun ihn, Luther, und seine Äußerungen zum Hauptgegenstand der Disputation erhoben hatte. Sofort beschloss er, eigene Thesen gegen Eck zu verteidigen,22 und verfasste eine Antwort an ihm, welche unter dem Titel Disputatio D. Iohannis Eccii et P. Martini Luther in studio Lipsensi futura23 bereits am 7. Februar vorlag.24 Die Schrift druckte Ecks Widmungsbrief an Matthäus Lang sowie seine zwölf Thesen ab; darauf folgten ein fiktiver offener Brief an Karlstadt und erst am Ende Luthers zwölf Gegenthesen. Entscheidend ist der offene Brief Luthers an Karlstadt, in dem er Ecks Angriff als eine derartige Herausforderung darstellt, dass nun nicht mehr der Wittenberger Kollege, sondern Luther selbst zur Leipziger Disputation zugelassen werden müsse, damit er dort seine Thesen persönlich verteidigen könne.25 Am 18. Februar forderte Luther Eck ebenfalls brieflich dazu auf, einen Termin für ihre Disputation festzulegen.26 Der Bitte kam dieser unverzüglich in einem auf 18 Siehe Ulrich Bubenheimer: Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae: Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation. Tübingen 1977, 118-120. Siehe auch unten S. 140 f. 19 Vgl. das Schreiben der Universität an Georg von Sachsen am 1.2.1519 in Seidemann: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 15), 124 (Beilage 15); Auszug auch in Akten und Briefe … (wie Anm. 14) 1, 66 (Nr. 82). 20 Zur gesamten Korrespondenz vgl. ebd, 65-81. 53-66. 21 Wann genau Luther das Exemplar des Einblattdruckes Ecks aus Nürnberg von Pirckheimer erhielt, ist unsicher, jedoch sandte er es noch am selben Tag an Egranus weiter. Schon Mitte Januar erfuhr Pirckheimer von Bernhard Adelmann von Adelmannsfelden, dass Eck, trotz der von Christoph Scheurl vermittelten Aussöhnung, Luther immer wieder als Ketzer bezeichnete (Brief, datiert 15. Januar 1519, in: Willibald Pirckheimer: Briefwechsel. 7 Bde./ hrsg. von Emil Reicke u.a., ab Bd. 3 bearb. von Helga Scheible. München 1940-2009, hier Bd. 4, 8,6-9.16 [Nr. 579]). Dass Pirckheimer ein Exemplar des Einblattdruckes an Luther sandte, bestätigt Luther selbst in seinem Brief an Pirckheimer am 20. Februar 1519 (WA Br 1, 348,13 f [Nr. 154]; Pirckheimer: Briefwechsel. Bd. 4, 22,15 f [Nr. 587]). 22 WA Br 1, 314,33-38 (Nr. 140). Angehängt an den Brief Luthers an Egranus waren auch die letzten Bögen des Augustinkommentars (siehe Anm. 1) und die Epitome (siehe Anm. 2) Karlstadts. 23 Martin Luther: Disputatio in studio lipsensi futura. Wittenberg: Johann Rhau-Grunenberg, 1519. 24 Die Schrift ist dem Brief Luthers an Spalatin vom 7. Februar 1519 beigefügt (WA Br 1, 325,12-19 [Nr. 144], hier 325,14 f). 25 Der (fiktive) Brief Luthers an Karlstadt ist ediert in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 105. 26 WA Br 1, 340 (Nr. 149).
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den darauffolgenden Tag datierten Brief an Luther nach. Vermutlich hatte Eck am 19. Februar Luthers gegen ihn gerichtetes Büchlein noch nicht gesehen, aber von der Universität Leipzig endlich die Zulassung erhalten und den 27. Juni als Disputationstermin vorgeschlagen.27 Darüber hinaus gestand auch Eck in seinem Antwortbrief ein, dass Karlstadt nur Luthers Vorkämpfer, letzterer der Hauptkontrahent der Disputation sei, dessen Lehre zur Debatte stünde; aus diesem Grund habe Eck in seiner schedula28 vom Dezember 1518 Thesen »non tam contra Bodenstein, quam contra tuas [Luthers] doctrinas« formuliert und hielte es für erstrebenswert, dass in Leipzig auch Luther seine Lehre verteidige.29 Bereits in den ersten Monaten des Jahres 1519 wurde also die Rolle Karlstadts herabgemindert, indem die beiden anderen Protagonisten – Eck und Luther – eine direkte Konfrontation ihrer Thesen zur Priorität der Leipziger Disputation erklärten. Dennoch wurde auch Karlstadt kurz danach aufgefordert, bezüglich der bevorstehenden Disputation öffentlich Stellung zu beziehen. Parallel zur angeregten Korrespondenz mit den Leipzigern und mit dem Herzog im Zuge der Vorbereitung der Disputation in den Monaten März bis Mai 151930 trat auch die schriftliche Auseinandersetzung zwischen den drei Theologen in eine neue Phase ein. Auf die Gegenthesen Luthers antwortete Eck Mitte März mit einer sowohl im Plakatdruck31 als auch im Buchformat32 veröffentlichten Schrift Disputatio et excusatio Domini Johannis Eccii Adversus criminationes F. Martini Lutter ordinis Eremitarum. Unter anderem widersprach Eck in ihr dem Vorwurf, er habe Karlstadt in seinem früheren Plakatdruck zwar erwähnt, ihn aber nicht berücksichtigt. In dem auf den 14. März 1519 datierten Widmungsbrief berichtet Eck,33 er habe auf dem im Dezember veröffentlichten Zettel die strittigen Themen der Disputation klar formuliert, dabei aber die These über den freien Willen und den Glauben – das zwischen Eck und Karlstadt zur Debatte stehende Thema – vergessen, weshalb er 27 WA Br 1, 342-344 (Nr. 151), hier 343,5-13 (= EBW Nr. 76). Eck schlägt im Brief vor, beide Parteien sollten sich bereits am 26. Juni treffen, um den Ablauf der Disputation zu vereinbaren. 28 Eck fügte seinem Brief an Luther auch eine Kopie seines im Dezember 1518 herausgegebenen Einblattdruckes bei (WA Br 1, 343,22 [Nr. 151]). 29 WA Br 1, 343,14-19 (Nr. 151). 30 Auf Luthers öffentliche Ankündigung, an der Disputation teilnehmen zu wollen, reagierte die Leipziger Universität mit Ablehnung: Sie suchte mehrmals den Rat des Herzogs und bat darum, die Schiedsrolle für eine solche Disputation nicht übernehmen zu müssen – auch angesichts der ungeklärten Rechtslage bezüglich des römischen Prozesses Luthers. Herzog Georg ermutigte seinerseits Luther dazu, sich mit Eck zu einigen. Obwohl er keine Einverständniserklärung erhielt, bat Luther mindestens dreimal um Zulassung und Geleit. Vgl. WA Br 1, 341 (Nr. 150). 373 f (Nr. 168). 400 f (Nr. 177). 31 Exemplar in BSB München, Einbl. VII,34. 32 Johannes Eck: Disputatio et excusatio […] Adversus criminationes F. Martini Lutter ordinis Eremitarum. Leipzig: Martin Landsberg, 1519. 33 EBW, Nr. 79; abgedruckt auch in WA Br 1, 319-322 (Nr. 142).
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diese These nun in seine somit auf dreizehn erweiterte Thesenreihe aufnehme.34 Darüber hinaus versicherte Eck, er habe von Anfang an beabsichtigt, Karlstadts Auffassungen offen zu disputieren und auf dessen Attacke zu reagieren; es sei eine Lüge, wenn die Wittenberger behaupteten, er wolle hinterlistig unter dem Deckmantel eines Schriftkrieges mit Bodenstein in Wahrheit Luther angreifen.35 Dennoch marginalisierte Eck Karlstadts Rolle ein weiteres Mal, wenn er ihn nur als Luthers Vorkämpfer (propugnator) und konfrontationscheuen Gegner36 bezeichnet. Darauf reagierte nicht nur Luther, der Mitte Mai seine Schrift Disputatio et excusatio F. Martini Luther adversus criminationes D. Johannis Eccii – ähnlich wie Eck sowohl im Plakatdruck37 wie auch im Buchformat gedruckt38 – herausgab, sondern auch Karlstadt, der zwischen Ende April und Anfang Mai seine siebzehn Thesen für die Disputation verfasste und veröffentlichte: Conclusiones […] contra Eccum Lipsiae xxvii Junii tuende.39 Tatsächlich hatte Karlstadt in den ersten Monaten des Jahres auf Ecks Angriffe und auf Luthers Ankündigung, als Hauptdisputator in Leipzig teilnehmen zu wollen, öffentlich nicht reagiert. Die Verschärfung und die zunehmende Resonanz der Kontroverse mit dem Ingolstädter Theologen sowie einige der von Luther infrage gestellten Punkte (auch angesichts der ungeklärten Rechtslage bezüglich des römischen Prozesses) hielt Karlstadt für gefährlich. In seinem Brief an Spalatin vom 24. Februar berichtete Karlstadt, er habe Luther von vornherein davon abgeraten, die 12. (bzw. 13.40) These bezüglich der päpstlichen Autorität zu veröffentlichen,41 da zumindest griechische Kirchenväter die Lehre Ecks bestätigen würden.42 Gleichzeitig kündigte Karlstadt gegenüber Spalatin an, er wolle auf Ecks 34 Es handelt sich um die 7. These in der neuen erweiterten Liste; vgl. Eck: Disputatio et excusatio … (wie Anm. 32), fol. A3v: »Errat qui liberum arbitrium hominis negat dominum actuum hominis/ ex eo quia ipsum habeat se active ad malum. ad bonum vero tamen passive. sicut non est errore qui fidem quolibet crimine corrumpi contra scholasticam existimat nec sine maximo errore, qui nulla contritionis habita ratione/ in sola fide quem absolvi procaciter praedicat.«. 35 Eck: Disputatio et excusatio … (wie Anm. 32), fol. A2r. 36 Eck behauptet, Karlstadt habe sich geweigert, in Rom, Paris oder Köln mit Eck zu disputieren und sich dort beurteilen zu lassen; und selbst nachdem Eck ihm mit Leipzig entgegengekommen sei, habe Karlstadt noch immer versucht, die Disputation abzulehnen und sich in Wittenberg zu verschanzen. Vgl. Eck: Disputatio et excusatio … (wie Anm. 32), fol. A2r. 37 Exemplar ULB Halle, Ib 3607. 38 Martin Luther: Disputatio et excusatio […] adversus criminationes D. Johannis Eccii. Wittenberg: Johann Rhau-Grunenberg, 1519; ediert auch in WA 2, 158-161. 39 Ediert in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 117. 40 Siehe unten Anm. 46. 41 Nicht nur Karlstadt hatte Luther davon abgeraten; vgl. Luther an Johann Lang vom 13. April 1519, WA Br 1, 369,27-35 (Nr. 167). 42 Vgl. den Brief Karlstadts an Spalatin, ediert in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 108: »Caeterum Reverendo Patri Martino Luthero consuluerim abstinuisse a XII. conclusione, iam vero post editam evidentissimis rationibus loricandum; clam tum, et domi suasi, quod sciam,
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Abb. 36: Titelblatt von Conclusiones carolostadij contra D. Johannem Eccum …, 1519
Angriffe »cum gloria Romani Pontificis« reagieren.43 Diese doppelte Interessenlage Karlstadts – nicht über die Autorität des Papstes und der Kirche debattieren zu wollen, wohl aber seine Auffassungen gegen Eck zu verteidigen – bestätigt auch Luther knapp zwei Monate später in seinem Brief an Johann Lang vom 13. April: Eck habe die Thesen Luthers gezielt in seiner schedula angesprochen, entweder um zu erreichen, dass Karlstadt im Zuge von deren Verteidigung das Risiko der Papstbeleidigung einginge – ein (so Luther) unerträgliches Unglück für einen Pfründeninhaber wie Karlstadt –,44 oder damit Eck über den vorsichtigen Karlstadt leichter triumphieren
Graecos scriptores Sancto Petro apicem et fastigium apostolatus concessisse. Putas autem fieri posse, ut crassulus acutissimo suadere queat?«. 43 Vgl. Brief Karlstadts an Spalatin ediert in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 108. 44 Vgl. z.B. KGK 1.2 (wie Anm. 1), 744 (Nr. 70). Karlstadts Archidiakonatsstelle am Allerheiligenstift in Wittenberg war mit einer guten Pfründe dotiert: »Der Archidiacon hat jerlichen einkumens hundert xxvij gulden« (Hermann Barge: Andreas Bodenstein von Karlstadt. 2 Bde., Leipzig 1905, ND Nieuwkoop 1968, hier Bd. 2, 530).
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könne.45 Luther versicherte jedoch, Karlstadt wolle über Dinge, die nichts mit der Autorität des Papstes46 oder dem Ablass zu tun hätten, disputieren.47 Trotz alledem verweilte Karlstadt bezüglich der bevorstehenden Disputation zunächst in publizistischer Stille. Zwischen Mitte März und Anfang Mai widmete er sich der Fertigstellung seiner deutschen Fassung des Wagen und der Auslegungsflugschrift, in denen er auch Eck und vor allem die Leipziger Theologen indirekt angriff.48 Als aber der Ingolstädter Mitte März seinen neuen, auf 13 Thesen erweiterten Disputationszettel veröffentlichte,49 reagierte Karlstadt letztlich doch und verfasste zwischen Ende April und Anfang Mai seine Conclusiones, von denen er bereits am 6. Mai ein Exemplar an Spalatin sandte.50 Am 17. Mai ließ Karlstadt Spalatin noch zwei zusätzliche Exemplare zukommen51 und eine Woche später, am 22. Mai, schickte er seine Thesen schließlich auch an Eck.52 In seinem auf den 24. April datierten Widmungsbrief zu den Conclusiones wendet sich Karlstadt, nach einer Loyalitäts- und Liebeserklärung an Christus, den Papst und die Kirche, an Eck und beschuldigt den Gegner, die Schrift und die Argumente der Wittenberger verdrehen zu wollen, um mit Sophistereien und Beleidigungen zu triumphieren. Aus diesem Grund bittet Karlstadt im zweiten Absatz den Leser direkt darum, ausschließlich den zur Debatte stehenden Sachverhalt auf Grundlage der Wahrheit Gottes zu betrachten und zu prüfen. Die von Eck angestrebten Konflikte, in denen mehr Ruhm als Wahrheit gesucht werde, wolle Karlstadt vermeiden und sich lieber kleinen Diskussionen widmen, in denen der verborgene Sinn der Schrift erforscht werde; er sehe sich aber durch den Ingolstädter dazu gezwungen, sich dessen Angriffen zu widersetzen – nicht mit Geschrei und Gewalt, sondern wie ein tapferer Soldat im Vertrauen allein auf Gottes Hilfe. In seinen dem Widmungsbrief nachfolgenden Conclusiones festigt Karlstadt erneut seinen Standpunkt und fasst in siebzehn Disputationsthesen die Aussagen aus seiner im Herbst 1518 erschienenen Defensio zusammen, die Eck falsch interpretiert habe.53 Die ersten fünf Thesen thematisieren das Wesen der Buße, dem sich auch die im Januar erschienene Epi 45 WA Br 1, 368,19-23 (Nr. 167). 46 Diesem heiklen Thema widmete Luther kurz vor der Leipziger Disputation seine Resolutio Lutheriana super propositione sua decima tertia de potestate papae (WA 2, 180-240). Vgl. dazu Luther an Johann Lang, 6.6.1519 (WA Br 1, 415,8-14 [Nr. 184]). 47 WA Br 1, 368,23 f (Nr. 167). 48 Die Texte des lateinischen Currus und des deutschen Wagens sind ediert in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 110 und 120; deren Auslegung in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 124. Siehe auch den oben erwähnten Brief Luthers an Johann Lang vom 13.4.1519, WA Br 1, 369,63-66. 49 Eck: Disputatio et excusatio … (wie Anm. 32). 50 Ediert in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 121. 51 Ediert in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 125. 52 Ediert in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 127. Selbst Luther hatte am 24. Mai Spalatin darum gebeten, die Conclusiones Karlstadts und seine eigene Schrift – die Disputatio et excusatio … (wie Anm. 38) – an Eck zu senden: WA Br 1, 407,4-7 (Nr. 181). 53 Ediert in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 117.
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tome Karlstadts widmete. Die folgenden fünf Thesen vertiefen daraufhin das damit verbundene Thema der Natur der Sünden. Eigentlicher Gegenstand der Leipziger Disputation aber sollte vor allem der abschließende Block von sieben Thesen werden, der die Frage nach dem freien Willen und der Gnade ins Zentrum stellt.54 II Letzte Vorbereitungen auf die Leipziger Disputation Nicht nur in publizistischer, sondern auch in organisatorischer Hinsicht blieb Karlstadt während der Vorbereitung der Leipziger Disputation zurückhaltend: Er vertraute Luther vollständig die Verhandlungen mit Eck, der Universität Leipzig und sogar mit Herzog Georg an. Letzterer bestätigte in seinem Antwortschreiben an Luther vom 23. Mai, dass Karlstadt nie offiziell um eine Erlaubnis nachgesucht habe; nur Eck habe diese im Namen beider Disputanten erbeten und erhalten.55 Erst kurz danach wird Karlstadt dem Herzog geschrieben haben. Einen Hinweis darauf gibt ein auf den 3. Juni 1519 datierter Eintrag in einer Urkundenabschrift,56 der das Eintreffen der – heute verschollenen – Bitte des Wittenberger Theologen um einen
54 Ediert in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 117: »10. Deinde Prophetae Apostoli et tu Christe Salvator cavete, quod improprietate sermonis vestri, eo subvecti sumus, quod in quolibet opere bono nos peccare putamus. 11. Liberum arbitrium ante gratiam per spiri‘tum‘ S‘anctum‘ infusam, nihil valet nisi ad peccandum. hoc autem terrenum non credit impostor meus, quomodo crederet si dicerem coelestia. 12. Imo voluntas nostra quae non regitur a divina voluntate, tanto citius a⟨p⟩propinquat iniquitati, quanto acrius intendit actioni. 13. Dominus Ioan‘nes‘ cum sua maxima, suorum disputatorum, potest facere, quod in se est, id est obicem et impedimentum ad gratiam tollere, hoc est lapideum cor emollire contra Ezechielem et iam predictam conclusionem Ambro‘sii‘⟨.⟩ 14. Dominus Io‘annes‘ non videns, quomodo bonum opus sit totum a deo, et dei opus, adhuc scripturam per velamen Moysi legit et accipit. 15. Postremo nemo non intelligit eruditionem D‘omini‘ Ioan‘nis‘ in Theologia, qui fecit nescio quot centones in Crysopasso suo de praedestinatione et inficiatur auctoritates de praedestinatione, pertinere posse ad opera coronanda. 16. D‘ominus‘ Ioan‘nes‘ Bern‘hardum‘ dicentem. Tolle lib‘erum‘ arbitrium et non est quod salvetur, contra me citans, probaturus liberum arb‘itrium‘ esse potentiss‘imum‘⟨,⟩ legit, quod, pro quo, et satis demonstrat, quanto iudicio Ecclesiasticos pervidet, facit autem se omnibus studiosis suspectum depravatorem. 17. D‘ominus‘ Io‘annes‘ dicens salutem ita in canonibus consistere. si quispiam ex liberi arb‘itri‘ facultate fecerit quae iubent, Iudaisat, et sectando legem iusticiae, suam iusticiam constituit.«. 55 Vgl. Herzog Georg an Luther, 23. Mai 1519: »Und ist wol war, das wir von doctor Karlstadt auch nicht seyn angesucht worden; es hat uns aber doctor Egke durch seyn schreyben vormeldet, das er sich angezeygter disputacion halben mit ime voreyniget.« (Akten und Briefe … [wie Anm. 14] 1, 86,1-4 [Nr. 111]). 56 Heute in dem Bestand »Kopiale der Statthalter und heimgelassenen Räte« (mit Signatur SHStA Dresden, 10004 Kopiale), sammelt der Band Nr. 129, in welchem die hier erwähnte Urkundenabschrift enthalten ist, zahlreiche Einträge, datiert vom 23. Mai bis zum 27. Juni 1519.
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Geleitbrief für ihn und seine Begleiter belegt.57 Die Antwort des Herzogs folgte am 10. Juni: Georg kam dem Wunsch Karlstadts nach und versprach nicht nur ihm, sondern allen, die ihn begleiten würden, ein sicheres Geleit auf dem Weg nach Leipzig, um an der geplanten Disputation mit Eck teilzunehmen. Damit konnte auch Luther, der sich seit April erfolglos darum bemüht hatte,58 als Begleiter Karlstadts nach Leipzig reisen, wie es wenige Wochen später geschah. Am 22. Juni traf zunächst Eck in Leipzig ein,59 zwei Tage später, am 24. Juni, Karlstadt und seine Begleiter, zu denen sicher auch Luther gehörte.60 Laut Sebastian Fröschels Bericht61 fuhren die Wittenberger durch das Grimmaische Tor zum Hof der Paulinerkirche, wo plötzlich ein Rad des ersten Wagens brach und Karlstadt, der in diesem saß, herausstürzte, während Luther und Melanchthon in einem anderen Wagen vorüber fuhren.62 Anscheinend interpretierten schon die Zeitgenossen diesen Unfall als ein böses Omen für Karlstadt63 bzw. zumindest als eine der Ursachen seines angeschlagenen Zustandes während der Disputation.64 Die Wittenberger bezogen in der Hainstraße bei Melchior Lotter65 Quartier, Eck »im Hause des Bürgermeisters Benedikt Beringershain oder Belgershain an der 57 SHStA Dresden: 10004 Kopiale Nr. 129, fol. 12r: »Freytag nach Ascensionis domini [3. Juni 1519] […] haben die Rethe Meynem g. h. doctor Andreas Bodenstein von Karlstadt schriefft, bey seynem bothen, beneben yrem schreyben zugeschikt. In welchem er eyn vhelich sicher ungeferlich glait fur sich und die synen zur disputation gegen leyptzigk zu khommen gebethen.«. 58 Siehe den Brief vom 28. April 1519, Akten und Briefe … (wie Anm. 14) 1, 81,30-33 (Nr. 105) (= WA Br 1, 373,15-17 [Nr. 168]): »Auch dieweyl myr die matery ferlickeit meyns lebens und vil feyndschaft gemacht, bitt ich um gottes willen, E.F.G. wolt uns mit E.F.G. sicherem geleyt zu und abe vorsorgen.«. 59 Siehe den Beitrag von Johann Peter Wurm. Vgl. vor allem Otto Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht über die Leipziger Disputation 1519. In: NASG 51 (1930), 44-57, hier 45: »In vigilia Corporis Christi advenit Lipsiam clarissimus doctor Johannes Eccius.«. 60 Vgl. Sebastian Fröschel: Vom Königreich Christi Jhesu [
]. Wittenberg: Lorenz Schwenck, 1566, fol. A4r. Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht … (wie Anm. 59), 46 bestätigt die Anwesenheit der Wittenberger in Leipzig am Samstag, den 25. Juni. 61 Sebastian Fröschel, damals Magister in Leipzig, war ein Augenzeuge der Disputation; obwohl er seinen Bericht erst Jahrzehnte später, in der Vorrede zu seiner 1566 erschienenen Schrift Vom Königreich Christi Jesu (wie Anm. 60), verfasste, gelten seine Erinnerungen als verlässlich und sind immer wieder in der Literatur herangezogen worden. Die Glaubwürdigkeit des Berichtes Fröschels wird auch von seiner Übereinstimmung mit einem von Otto Clemen edierten nürnbergischen anonymen Bericht (siehe Anm. 60) untermauert. Zu Sebastian Fröschel siehe MBW 12, 99. 62 Vgl. Fröschel: Vom Königreich … (wie Anm. 60), fol. A4r-v. 63 Vgl. Fröschel: Vom Königreich … (wie Anm. 60), fol. A4v. 64 Vgl. z.B. Johannes Ulrich Schulherr: Adversus nugacem Mathei Hiscoldi Benedictini epistolam […] verissima De Lipsica disputatione Epistola Exegetica. Ingolstadt: Andreas Lutz, 1519, fol. B4r. 65 Vgl. Fröschel: Vom Königreich … (wie Anm. 60), fol. A4v. So auch in Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht …(wie Anm. 60), 47: »[…] hi cum d. doctore Martino Luthero in hospitio
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Ecke der Peterstraße und des Thomasgäßchens«.66 Bevor die Disputation beginnen konnte, musste eine Vereinbarung67 zwischen Eck und den Wittenbergern getroffen werden, die nur mühsam und stufenweise erreicht wurde. Am Sonntag, dem 26. Juni,68 trafen sich Eck und Karlstadt zum vertraulichen Gespräch unter dem Vorsitz des Kanzlers Johann Kochel,69 des Amtmanns und Rentmeisters zu Leipzig Georg von Wiedebach70 sowie des Rektors Arnold Wöstefeldes,71 an dem auch die Magister und Doktoren der Universität teilnahmen. Zunächst wurde der Ablauf der Disputation festgelegt: Eck sollte am Montag als Erster gegen die ihm von Karlstadt am Abend zuvor übermittelten Thesen sprechen, der Wittenberger dann darauf antworten. Am folgenden Tag war in umgekehrter Weise zu verfahren und danach, diesem Schema folgend, alternierend bis zum Ende der Disputation. Als viel komplizierter erwies sich die Einigung bezüglich des nächsten Teils der Vereinbarung, nämlich der Frage nach der Protokollierung der Disputation. Schon Melanchthon, in seinem Brief an Oecolampadius,72 und Luther, in seinem Brief an Spalatin,73 hatten geschrieben, dass Eck alles dafür getan habe, zügig –
Melchioris Lothers de Aw«. Siehe dazu Friedrich Seifert: Die Reformation in Leipzig: zur 400 jährigen Geburtstagsfeier Dr. Martin Luthers herausgegeben. Leipzig 1883, 42. 66 So lautet die Erläuterung (Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht … [wie Anm. 59], 49 Anm. 40) der Notiz in dem nürnbergischen Bericht: »hospitio Eccii zu dem Belgerßheim uff dem newenmargk« (ebd, 48 f). 67 Der Text ist ediert in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 130. 68 In der Datumsangabe stimmen der Nürnberger und Fröschels Bericht zwar überein, nicht aber in der Ortsangabe. Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht … (wie Anm. 59), 48 f: »In hospitio Ecii zu dem Belgerßheim uff dem newenmargk exin dominica post festum Corporis Christi domini doctores Eccius ac Carolostadius convenerunt super contentione disputationis […]«; vgl. Fröschel: Vom Königreich …(wie Anm. 60), fol. B1r: »Am Sonnabent nach Corporis Christi kam Bock Emser [= Hieronymus Emser] […]. Derselbige Bock Emser kam zu mir und zu andern jungen Magistris mehr/ und bat uns von wegen des Rectors und der Universitet/ das wir auff den Sontag/ bey dem Doctor Ecken wolten stehen/ und mit jm auff das Schlos gehen/ da man handelt und schliessen wuerde/ Wie und wenn die Disputation solte angefangen und gehalten werden und in welcher gestalt […]«. 69 Zu Johann Kochel aus Görlitz (Sachsen), 1505-1507 Oberstadtschreiber, 1513-1525 albertinischer Kanzler, 1523/24 Ordinarius der Juristenfakultät, 1523-1525 Syndikus des Leipziger Rates, siehe Uwe Schirmer: Untersuchungen zur Herrschaftspraxis der Kurfürsten und Herzöge von Sachsen: Institutionen und Funktionen (1485-1551). In: Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200-1600): Formen – Legitimation – Repräsentation/ hrsg. von Jörg Rogge und Uwe Schirmer. Stuttgart 2002, 59. 70 Zu Georg von Wiedebach, aus Venusberg bei Marienberg, ab 1494/95 Amtmann von Leipzig und bis zu seinem Tod (1524) auch Rentmeister, siehe Uwe Schirmer: Kursächsische Staatsfinanzen (1456-1656): Strukturen, Verfassung, Funktionseliten. Stuttgart 2006, 232 f. 71 Arnold Wöstefeldes von Lindau, Humanist und Professor in Leipzig. 72 MBW T 1, 135,51-56 (Nr. 59). 73 WA Br 1, 421,14-16 (Nr. 187).
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d.h. nur mündlich – disputieren zu können.74 Karlstadt habe jedoch diesen Wunsch Ecks entschieden abgelehnt und auf die bereits im Briefwechsel der vorherigen Monate getroffenen Abmachungen bezüglich einer Protokollierung der Gespräche verwiesen.75 Am Ende musste Eck nachgeben: Vier Notare sollten die Disputation schriftlich festhalten, die Protokolle am Ende miteinander vergleichen und beim Leipziger Rentmeister hinterlegen; eine Kopie des – vermutlich verglichenen und endgültigen – Protokolls sollte außerdem jeder Streitpartei übermittelt werden. Allerdings hatte Eck erfolgreich in dieser ersten Phase der Abmachung von Karlstadt das Zugeständnis eingefordert, jede Veröffentlichung des Protokolls solange zu verbieten, bis die dazu ausgewählten Schiedsrichter ihre Stellungnahmen abgegeben hätten.76 Eck lehnte diese Darstellung der Wittenberger stets ab und behauptete, er habe sich vor den herzoglichen Räten keineswegs geweigert, die Disputation notariell protokollieren zu lassen, sondern habe sich nur privat darüber beschwert, dass eine solche Vorgehensweise die Disputation erheblich verlangsamen würde.77 Jedenfalls sollten laut Vereinbarung die Protokolle nur veröffentlicht werden dürften, wenn die Wittenberger und Eck sich auf einen Richter einigen könnten, dessen Richtspruch sodann ebenfalls veröffentlicht werden sollte.78 Dieses Ergebnis der ersten direkten Verhandlung Karlstadts mit Eck im Rahmen der Vorbereitung der Leipziger Disputation stimmte die Wittenberger und vor allem Luther sehr unzufrieden: Sie konnten den Streit nicht mehr ablehnen, waren sich aber zugleich bewusst, dass das Urteil der Theologen ihnen nur schaden werde.79 Während Karlstadt den ersten Teil der Vereinbarung schon am 26. Juni unterzeichnete, dauerten die Einigungsgespräche mit Luther aus diesem Grund noch an, der erst am 4. Juli – wenn auch unwillig80 – in die von Karlstadt bereits akzeptierten Bedingungen einwilligte.81 74 Siehe auch die Resolutiones Lutheriane super propositionibus suis Lipsiae disputatis: »Non voluit potius Eccius noster sine Notariis meris et liberis clamoribus rem agi.« (WA 2, 393,1 f). 75 Vgl. WA Br 1, 451,17 f (Nr. 187). Vgl. auch Luther in seinen Resolutiones lutherianae super propositionibus suis Lipsiae disputatis (1519), in WA 2, 392,37-40. Vgl. auch den Beitrag von Christian Winter. 76 Vgl. Philipp Melanchthon: Epistola (1519), fol. A2r (MBW T 1, 136,66-69 [Nr. 59]). 77 Johannes Eck: Excusatio […] ad ea que falso sibi Philippus Melanchton grammaticus Vuittenbergensis super Theologica disputatione Lipsica adscripsit. Ingolstadt: Andreas Lutz, 1519, fol. B1v (CR 1, 98). 78 Zu den Protokollen und deren partieller Veröffentlichung in der Pariser Ausgabe der Leipziger Disputation sowie zum Erfurter Druck der Leipziger Disputation siehe die Einleitung zur Edition der Disputation zwischen Eck und Karlstadt in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 131. 79 WA Br 1, 421,19-27 (Nr. 187). 80 Vgl. Eck an Christoph Tengler vom 26. August: »Disputavimus per tres septimanas. Luther non libenter disputavit, coegi tamen hominem, quod oportet dicere: optime contra eos militavi, sicut omnia scripta sunt per notarios« (EBW, Nr. 92). 81 Luther gelang es lediglich, dass die Aufrechterhaltung seiner Protestation und der Ausschluss der Römischen Kurie bewilligt wurden.
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Abb. 37: Anfangsseite der zweiten Disputation zwischen Karlstadt und Eck aus: Disputatio excellentium … Erfurt 1519
Der heikelste Punkt blieb jedoch weiterhin offen und wurde erst am 14. Juli – in einer dritten Phase der Abmachung – endgültig geregelt. Unmittelbar nach der Disputation mit Luther und am Tag des Beginns der zweiten Disputation mit Karlstadt drängte Eck darauf, die geplante Richterwahl noch in Anwesenheit Herzog Georgs vorzunehmen.82 Bekanntlich wurde zwischen Luther und Eck ein Konsens auf Erfurt und Paris als Schiedsinstanzen erreicht. Eck und Karlstadt hingegen konnten sich auf Erfurt einigen, wo sich noch Bezugspersonen der Wittenberger aus deren Erfurter Studienzeit aufhielten.83 Vermutlich auch aus diesem Grund beharrte der Ingolstädter darauf, dass die (Erfurter) Augustiner nicht an der Urteilsfindung beteiligt sein dürften; die Wittenberger wiederum forderten ein ähnliches Verbot für die 82 Vgl. den Brief des Johannes Cellarius an Wolfgang Capito vom 31. Juli: »Qua finita sugessit Eckius Illustris. principis consiliariis. ut presente adhuc duce Georgio (qui Illustrissi. princeps sepe disputationi interfuerat) iudices deligerentur.« (Wolfgang Capito: The correspondence of Wolfgang Capito. Bd. 1/ ed. and transl. by Erika Rummel. Toronto u.a. 2005, 57 [Nr. 31]). 83 U.a. Justus Jonas d. Ä. und Johann Lang. Siehe die Edition der Vereinbarung in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 130.
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Dominikaner.84 Dass sich eine gewisse Diskrepanz der Stimmungen und Prioritäten unter den Wittenbergern entwickelt haben könnte, lässt der zusätzliche, am Ende der Leipziger Disputation entstandene Konflikt zwischen Eck und Luther vermuten, an dem Karlstadt anscheinend nicht beteiligt gewesen war: Während Luther alle Fakultäten der beiden ausgewählten Universitäten zur Beurteilung auffordern wollte, bestand Eck darauf, nur die Entscheidung der Theologen zu akzeptieren. Den Konflikt löste Herzog Georg bereits am 16. Juli, indem er ankündigte, nur Theologen und Kanonisten als Schiedsrichter genehmigen zu wollen. Auch in diesem Fall jedoch nahm Karlstadt öffentlich vorerst keine Stellung. III Die Leipziger Disputation zwischen Karlstadt und Eck Nach Ankunft aller Teilnehmer in Leipzig und der Unterzeichnung des ersten Teils der Vereinbarung85 begann am 27. Juni um 14.00 Uhr,86 nachdem der Cantor das Veni sancte spiritus gesungen hatte,87 die erste Disputation zwischen Karlstadt und Eck.88 Am darauffolgenden Tag, dem 28. Juni, wurde die Disputation um 7 Uhr morgens wiederaufgenommen und vermutlich bis 9 Uhr fortgesetzt. Ob Eck und Karlstadt sich auch am Nachmittag trafen, bleibt unklar.89 In diesen ersten zwei Tagen – nach der üblichen Versicherung der Disputanten, sich nicht gegen die Lehre der Kirche zu wenden – wurde das Thema des freien Willens traktiert. Eck formulierte als Erster seine These mit Berufung vor allem auf Sir 15,14-19: Der freie Wille, d.h. der menschliche Wille, besitze eine produktive Kraft zu den guten Werken und sei in der Lage, frei zwischen Gut und Böse zu entscheiden. Karlstadt betonte dagegen immer wieder die ausschließliche Freiheit des Menschen zu sündigen, während bezüglich der guten Werke die Notwendigkeit göttlicher Wirkung und Regierung bestehe. Um den Vorwurf pelagianischer Ketzerei zu vermeiden, hob
84 Vgl. ebd. Siehe Capito: The Correspondence … 1 (wie Anm. 82), 57 (Nr. 31). 85 Siehe oben S. 145-148. 86 Der ganze Vormittag war mit der feierlichen Eröffnung der Disputation verbracht worden. 87 Fröschel: Vom Königreich … (wie Anm. 60), fol. B2r: »Nach mittag Hora 2. fieng man an die Disputation/ da war Georg Rhaw der Cantor/ mit seinen Cantoribus und mit den Stadpfeiffern bestellet/ die fiengen an zu singen und darein zu blasen das Veni sancte Spiritus. Darauff fiengen sie an die Disputationem/ am ersten Doctor Carlstad/ mit dem Doctore Ecken«. 88 Vgl. den Beitrag Kohnles oben S. 25-46. Laut Fröschel: Vom Königreich … (wie Anm. 60), fol. B1v-B2r waren unter den Anwesenden auch »ein vierteil den Bürgern/ die ware alda in irem Harnisch/ mit iren besten Wehren/ und mit irem Fenlin«, um während der Disputation für Ordnung zu sorgen. Sie begaben sich zweimal täglich in das Schloss: »Zu morgens umb 7. Hora bis umb 9. Nach mittage/ Hora 2. bis uff 5.«. 89 Sowohl im Erfurter Druck als auch im Freiberger Manuskript der Leipziger Disputation gibt es keinen Hinweis darauf. Der Bericht Fröschels (wie Anm. 60) lässt nicht mit Sicherheit darauf schließen, dass auch am Nachmittag disputiert wurde. Vgl. den Text der Disputation zwischen Eck und Karlstadt in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 131.
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Eck in Abgrenzung zu Karlstadt noch stärker die Wechselwirkung der göttlichen Gnade mit dem menschlichen Willen hervor: Durch die Unterstützung der ersten wirke der zweite mittels seiner natürlichen Kraft produktiv, Gutes hervorzubringen. Mit diesem Argument wurde die Verlagerung des Schwerpunktes der Debatte auf den folgenden Tag, den 28. Juni, vorbereitet, an dem Karlstadt als erster das Wort ergriff und gegen die von Eck postulierte Zusammenarbeit zwischen Gnade und freiem Willen die Diskussion auf Christus hinführte: Die einzige Gerechtigkeit, die der postlapsarische Mensch leisten könne, sei all jenes, was Christus selbst in ihm hervorbringe und wozu er ihn anleite. Mit Bezug auf 1. Kor 15,10 und andere Stellen der paulinischen Briefe argumentierte Bodenstein außerdem, dass alles Gute ausschließlich von Gott und nicht vom Menschen komme. Damit wurden der Rahmen für die gesamte nachfolgende Diskussion und die Hauptthesen der gegensätzlichen Positionen endgültig definiert. Den ganzen 28. Juli, gerahmt von ironischen Bemerkungen bezüglich der Argumentationsweise des Gegners und Kommentaren zur geeignetsten hermeneutischen Methode im Verständnis der Schriften, bemühten sich die Disputanten, ihre Thesen zu begründen und griffen dabei auch auf die Kirchenväter zurück. Auf den Vorwurf Karlstadts, dass Eck eine semipelagianische Lehre vertrete, präzisierte letzterer mit Verweis auf das 3. Buch des pseudoaugustinischen Hypognosticon, dass der Wille in der Seele im Vergleich zu den niederen Kräften ein König sei, im Vergleich zur göttlichen Gnade aber lediglich ein Diener und Knecht. Gleichzeitig rückte Eck aber nicht von seiner These der Zusammenarbeit von Gnade und freiem menschlichen Willen ab und führt eine Passage von Bernhard an, in der Paulus nicht nur als Diener, sondern auch als socium cooperantem gratiae per consensum definiert wird, um zu beweisen, dass Menschen gute Werke mit Gottes Hilfe leisten können, insofern Gnade und freier Wille mixtim non singillatim wirken. Diese schriftlichen Autoritäten zum Verhältnis von gratia und liberum arbitrium standen für den Rest des Tages im Mittelpunkt der Diskussion, in der Karlstadt darum bemüht war, die Zitate in Bezug auf andere Bibelverse und kirchenväterliche Belegstellen zu interpretieren und damit seine Lehre zu untermauern: Die göttliche Gnade sei die einzige aktive Kraft am guten Werk, der menschliche Wille hingegen bleibe nur passiv; sogar der consensus zur Gnade werde erst von derselben gespendet. Mehr als auf theologischer und inhaltlicher Ebene wurde der Streit zwischen den beiden Theologen jedoch von Anfang an auf rhetorischer Ebene ausgetragen, gekennzeichnet durch den ständigen Versuch, sich gegenseitig zu diskreditieren. Eck und seine Anhänger berichten von einem ermatteten, im Gespräch sehr verwirrten Karlstadt.90 Schulherr ging davon aus, die Ursache sei der Wagenunfall 90 Vgl. Eck an Georg Hauer und Franz Burckhart, 1. Juli 1519 (EBW, Nr. 87). Siehe aber auch den Brief Mosellanus’ an Pirckheimer, 3.8.1519 (Pirckheimer: Briefwechsel (wie Anm. 21) 4, 69 f [Nr. 614]).
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gewesen, der sich bei der Ankunft der Wittenberger in Leipzig ereignet hatte.91 Laut Eck habe Karlstadt Schwierigkeiten gehabt, den am ersten Tag der Disputation vorgetragenen Belegen zu folgen, weshalb er aus Büchern zu lesen begann.92 Um einen reibungslosen Ablauf der Disputation zu gewährleisten, übermittelte Eck am Vorabend dem Wittenberger Theologen darum diejenigen Thesen, die er am Tag darauf besprechen wollte.93 Dennoch erschien Karlstadt am 28. Juni mit vier Zetteln zur Disputation, aus denen er seine Argumente vorlas; es stellte sich heraus, dass er ebenso eine Kopie der Protokolle vom Vortag von den Notaren erhalten hatte.94 Dies ist zumindest das Bild, das Eck vermittelt, der sogar behauptet, er habe nur darum nicht gegen Karlstadts Verhalten protestiert, weil er eine Unterbrechung der Disputation unbedingt vermeiden wollte – die Karlstadt nur noch mehr Zeit zur Vorbereitung gegeben hätte.95 Jene Ereignisse, auf die die Quellen nur vereinzelt hinweisen, bilden jedenfalls den Ausgangspunkt für den Streit, der die Disputation zwei Tage später unterbrechen sollte. Am 29. Juni, an dem das Fest Peter und Paul gefeiert wurde, konnten beide Gegner eine kurze Atempause einlegen.96 Erst am darauffolgenden Tag, am 30. Juni um 14 Uhr,97 sollten sie nochmals gegeneinander antreten. Als Karlstadt, der die Debatte eröffnen sollte, allerdings erneut von einem Zettel vorzulesen begann, wurde er sofort von Eck unterbrochen, der laut zu protestieren begann. Diese Episode wird sowohl durch den Erfurter Druck98 als auch durch die zeitgenössischen
91 Vgl. Schulherr, Epistola (wie Anm. 64), fol. B4r. 92 Eck an Georg Hauer und Franz Burckhart, 1. Juli 1519: »Ex continenti replicavi, nil poterat assumere, sed magnam habebat catervam assidentium, et iam ex uno, iam ex alio libro legebat, cum maximo sui contemptu.« (EBW, Nr. 87). 93 Ebd. In seinem Bericht an Georg Hauer und Franz Burckhart behauptet Eck, er habe einen Fehler gemacht, als er seine Thesen an Karlstadt übergab, damit sich dieser besser vorbereiten konnte. Der Austausch der zur Disputation stehenden Thesen war jedoch in der Vereinbarung abgemacht worden. Vgl. den Text der Disputation zwischen Eck und Karlstadt in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 131. 94 Eck an Georg Hauer und Franz Burckhart, 1. Juli 1519 (EBW, Nr. 87). Ob der Wittenberger Theologe seine Argumentation tatsächlich auf Zetteln zusammengefasst hatte und sie vorlas, ist in keiner anderen Quelle belegt. Dass Karlstadt eine Kopie der Protokolle bekommen hatte, deutet Eck aber auch während der Disputation an, vgl. den Text der Disputation zwischen Eck und Karlstadt in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 131. Eck meinte, dies geschah »contra pacta«; in der Vereinbarung war aber lediglich die Veröffentlichung, nicht das Kursieren der Protokolle unter den Disputanten verboten. 95 Vgl. Eck an Georg Hauer und Franz Burckhart, 1. Juli 1519 (EBW, Nr. 87). 96 Luther predigte indes in der Schlosskapelle über das Matthäusevangelium, vgl. WA 2, 246249. Siehe auch den Bericht in Fröschel: Vom Königreich … (wie Anm. 60), fol. B3v-B4r. 97 Anscheinend fand keine Disputation am Vormittag des 30. Juni statt. 98 Vgl. den Text der Disputation zwischen Eck und Karlstadt in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 131.
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Berichte99 und indirekt auch durch das Freiburger Manuskript bestätigt.100 Eck beteuerte, dass entschieden worden war, auf »italienische Weise« (modus italicus), ohne Verwendung von Büchern, zu disputieren und sich nur auf das eigene Gedächtnis zu verlassen. Karlstadt bemühte sich, mäßigend auf diesen Protest – den der dem Wittenberger wohlgesonnene Herausgeber des Erfurter Druckes der Protokolle sofort als Beweis für Ecks Hochmut interpretierte – zu reagieren, doch ließ sich der Streit nicht beilegen, und die Entscheidung wurde den anwesenden principes und magistratus überlassen: Sie bestätigten das Verbot der Verwendung von Büchern, wie Cäsar Pflug101 in einer kurzen deutschen Rede bekannt gab. Karlstadt jedoch wollte die Entscheidung nicht akzeptieren, auch wenn Eck »auß sonderlicher bitt nachgelassen dem doctori Carolostadio nach heint [!] außm zedel zu pronunciren wollen«102 zugestanden hatte. Am darauffolgenden Tag aber sollte ohne Bücher disputiert werden. Weil diese Entscheidung von Karlstadt kategorisch abgelehnt wurde, wuchs die Furcht vor einem frühzeitigen Abbruch der Disputation. Da jedoch viele, unter anderem auch berühmte Zuhörer von weit hergekommen waren und man zudem verhindern wollte, dass solche Lächerlichkeiten eine derart wichtige Thematik überschatteten, wurde die Disputation trotz alledem am nächsten Tag fortgesetzt. Am Freitag, dem 1. Juli, am Vormittag zwischen 8 und 10 Uhr103 wurde noch einmal die Diskussion über den freien Willen aufgegriffen. Zunächst versuchte Karlstadt, die Widersprüche aufzudecken, in die Eck sich an den Vortagen verstrickt hatte, als dieser das Wesen des freien Willens manchmal als natürliche und autonome Fähigkeit, manchmal als der Gnade untergeordnet beschrieben hatte, und bezog sich dabei vor allem auf die von Eck angeführte Passage Bernhards über die vermischte (mixtim) Wirkung der Gnade und des menschlichen Willens am guten Werk. Darauf 99 Vgl. z.B. Matthäus Hitzschold: Epistola de lipsica disputatione. Wittenberg: Johann Rhau-Grunenberg, 1519, fol. A3r-v. Siehe auch Melanchthon an Oekolampad, MBW T 1, 132–141 Nr. 59; Schulherr, Epistola (wie Anm. 64), fol. B3v-B4r und Johannes Rubius: Solutiones ac responsa Wit. Doctorum in publica disputatione Lipsica contra fulmina Eckiana. Leipzig: Martin Landsberg, 1519, fol. B3v-B4r. 100 Der unbekannte Schreiber des Freiberger Manuskripts der Leipziger Disputation hatte bereits begonnen, die Worte Karlstadts – eine Wiederholung der vorangehenden Antwort Ecks – niederzuschreiben. Sobald aber die Disputation unterbrochen wurde, setzte der Schreiber ab und strich dasjenige durch, was er zuvor geschrieben hatte. Erst am darauffolgenden Tag, als die Disputation fortgesetzt wurde, setzte auch die Protokollführung wieder ein. Was sich aber noch am selben Tag ereignete, wird nur im Erfurter Druck berichtet. Der Schreiber des Freiberger Manuskript ergänzte nur zu einem späteren Zeitpunkt den im Erfurter Druck enthaltenen Bericht in Teilen am unteren Rand auf fol. 240r, in Teilen auf einem zusätzlichen Blatt, fol. 240ar-v. Siehe auch den Text der Disputation zwischen Eck und Karlstadt in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 131. 101 Cäsar Pflug/Pflugk, herzoglicher Rat Georgs von Sachsen. 102 Siehe den Text der Disputation zwischen Eck und Karlstadt in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 131. 103 Ebd.
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antwortete Eck mit einer weiteren Unterscheidung: Beim Zusammenwirken von Gnade und Wille bringe jede der beiden Ursachen das gute Werk ganz (totum), nicht aber gänzlich (totaliter) hervor. Von Karlstadt als philosophische Antwort abgelehnt, wurde diese Unterscheidung von Eck sogleich auf Gott angewendet, der die guten Werke totum, aber nicht totaliter vollbringe. Die Diskussion verschob sich damit in der zweiten Hälfte des Tages schnell in Richtung der scholastischen Autoren, deren Interpretation Gegenstand heftiger Diskussionen wurde. Nach einem weiteren Tag der Unterbrechung – am Samstag, dem 2. Juli, wurde Mariä Heimsuchung gefeiert – endete schließlich die erste Disputation zwischen Eck und Karlstadt am Sonntag, dem 3. Juli.104 Beide strebten danach, ihre Positionen nochmals durch Hinzuziehung zahlreicher Bibelstellen und kirchenväterlicher Zitate zu bekräftigen, die der jeweils andere wiederum Schritt für Schritt widerlegte. Abermals wurde der rhetorische Charakter des Konflikts offenbar: Gegenseitig warfen Eck und Karlstadt sich sowohl mangelnde Argumentationsfähigkeit als auch Unkenntnis der Heiligen Schrift vor; gleichzeitig provozierten sie sich gegenseitig mit Behauptungen, die die Befriedigung darüber ausdrückten, dass der Gegner nun endlich mit der eigenen These übereinstimme. Dieser rhetorische Charakter (der mehr der medialen Überzeugung der Zuschauer und der Öffentlichkeit als der inhaltlichen Diskussion theologischer Wahrheit diente) wurde am Ende der ersten Disputation zwischen Eck und Karlstadt immer dominanter. Am 4. Juli begannen sodann Luther und Eck zu disputieren. Ihre Auseinandersetzung endete am Donnerstag, dem 14. Juli kurz vor 8 Uhr morgens.105 Direkt im Anschluss, noch am selben Tag, sollten sich Eck und Karlstadt für ihre zweite Disputation treffen. Beide gerieten jedoch bereits am frühen Morgen, noch vor Beginn des letzten Tages der Disputation Luthers und in Anwesenheit Johann Langs in eine Auseinandersetzung: Eck deutete nochmals provokativ darauf hin, dass Karlstadt anders als Luther mit ihm im Wesentlichen übereinstimme.106 Kurz danach, gegen 8 Uhr, begann endlich die zweite und letzte Disputation zwischen Karlstadt und Eck, die am Freitag, dem 15. Juli, endete. Vor Beginn der Diskussion resümierte Karlstadt noch einmal die Grundzüge seiner Auseinandersetzung mit Eck über den 104 Siehe ebd. Die letzte Sitzung der ersten Disputation zwischen Eck und Karlstadt begann um 6 Uhr morgens. Es ist zu vermuten, dass die Theologen an diesem Tag nur vormittags disputierten. 105 Am 14. Juli disputierten Eck und Luther noch eine letzte Stunde. Unmittelbar danach, gegen 7 Uhr morgens, begann die zweite Disputation zwischen Eck und Karlstadt. 106 Andreas Bodenstein saß mit Johann Lang in dem für die Disputation hergerichteten Saal, als Eck zu ihnen kam und eine angebliche Übereinstimmung zwischen seinen und Karlstadts Thesen andeutete und danach sogar behauptete, es sei durchaus sinnvoll, während der Disputation in anderer Weise vor dem Volk zu reden als während einer Predigt. Dieser kurze Wortwechsel versprach in den folgenden Monaten zu einem weiteren Streitpunkt zwischen den Wittenbergern und dem Ingolstädter Theologen zu werden. Vgl. Andreas Bodenstein von Karlstadt: Verba Dei. Wittenberg: Melchior Lotter d.J., 1520, fol. A2v.
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freien Willen – die betreffenden Thesen waren in der ersten Disputation bereits behandelt worden – und kündigte schließlich das Thema der zweiten Disputation an: Es sollte bewiesen werden, dass der Mensch immer sündige, wenn er tue, was in seinen eigenen Kräften stehe. Als erstes wurde die 13. These Karlstadts diskutiert: Wenn der Mensch bei seinen Taten dem folge, was in ihm liege, dann sündige er notwendigerweise. Ecks Widerlegung mündete letztendlich in der Feststellung, der freie menschliche Willen könne aus seiner natürlichen Kraft heraus ausschließlich zum Bösen gelangen, zum Guten aber nur durch die Unterstützung der Gnade – eine Behauptung, die von Karlstadt freudig als ein klares Zugeständnis Ecks anerkannt wurde. Am letzten Tag beabsichtigte Karlstadt, Ecks zweite These107 zu widerlegen, um dem Menschen, sei er auch ein Heiliger, jeden Grund für Stolz und Vertrauen in seine eigenen Werke zu nehmen und allein die Gnade Gottes als für alles Gute verantwortlich herauszustellen. Ins Zentrum ihrer Auseinandersetzung stellten beide Disputanten die Bibelstelle Pred 7,21 und führten zudem Belege aus den Werken der Kirchenväter an. Entgegen Ecks Bemühungen, den freien menschlichen Willen (schwach, aber immer noch zum Guten fähig) mit der Gnade zu verbinden, argumentierte Karlstadt vehement dafür, die postlapsarische menschliche Natur (die in den Gerechten, in den Heiligen und sogar in den Märtyrern sündhaft bleibe) in einen vollkommenen Gegensatz zur erlösenden Wirkung der göttlichen Gnade zu stellen. Sowohl Eck als auch Karlstadt bekräftigten damit ihre bereits am ersten Tag formulierten gegenseitigen Positionen, und die Disputation endete ohne einen eindeutigen Gewinner oder Verlierer.108 Nach einer öffentlichen Schlussrede Johannes Langes aus Löwenberg109 wurde am Nachmittag das Te Deum laudamus gesungen,110 wonach alle Anwesenden sowie die Wittenberger die Heimreise antraten, nur Eck hielt sich noch elf weitere Tage in Leipzig auf. IV Nachwirkungen und Rezeption Die Tatsache, dass die Leipziger Disputation ohne klares Ergebnis, ohne Gewinner oder Verlierer endete, führte dazu, dass in den Monaten unmittelbar nach ihrem Ende eine Vielzahl von Berichten Anwesender – teils in Form von Briefen, teils in Form ausführlicher Schriften – gedruckt wurde: Sie stellten ein Medium dar, mit dessen 107 Eck: In studio Lipsensi disputabit … (wie Anm. 17): »2. Et si peccata venialia sint quottidiana. tamen iustum semper peccare in omni opere bono. etiam bene moriendo negamus[.] Sicut erroneum dicimus/ iustum manente iustitia. peccare posse mortaliter aut in puero post baptismum aliene voluntatis peccatum remanere.«. 108 Vgl. dazu Fröschel: Vom Königreich … (wie Anm. 60), fol. B3r. 109 Johann Lange: Oratio […] Encomium theologicae disputationis, Doctorum, Ioannis Eckii, Andreae Carolostadii, ac Martini Lutheri complectens […] xvi. Iulii die recitata […]. Leipzig: Melchior Lotter d.Ä., 1519. 110 Siehe den Text der Disputation zwischen Eck und Karlstadt in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 131.
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Hilfe jede Partei versuchte, ihre eigene Deutung des Geschehenen durchzusetzen und sich als Sieger darzustellen.111 Der Konflikt zwischen den Wittenbergern und Eck erlangte eine ganz neue öffentliche und publizistische Dimension und wurde – in Erwartung einer offiziellen Entscheidung der als Richter gewählten Universitäten Paris und Erfurt – im Verlauf der Zeit immer radikaler. Bereits am 22. Juli eröffnete Eck, der noch in Leipzig war, die direkte Konfrontation, indem er einen Bericht an Kurfürst Friedrich III. sandte, der von seinen Untertanen Luther und Karlstadt bisher noch keine Nachricht erhalten hatte.112 Der Ingolstädter Theologe verfolgte in seinem Brief an den Kurfürsten eine doppelte polemische Linie. Zum einen marginalisiert er ein weiteres Mal merklich die Rolle Karlstadts in der Leipziger Disputation: Er wirft ihm nicht nur vor, aus Argumentationsschwäche und wegen des Lesens aus Büchern ihm klar unterlegen gewesen zu sein, sondern bezichtigt ihn auch, mehr zur einfachen Beleidigung seiner Gegner zu neigen als zur theologischen Disputation; insbesondere beschwert sich Eck über das Wagen-Flugblatt, bezüglich dessen er – fälschlicherweise – behauptet, Karlstadt habe ihn damit namentlich gekränkt. Andererseits attestiert der Ingolstädter Theologe Luther eine größere Argumentationsfähigkeit und eine bessere inhaltliche Vorbereitung, die dieser aber leider in den Dienst einer falschen, auch ketzerischen (d.h. hussitischen) Lehre gestellt habe.113 Während er die von Karlstadt diskutierten Themen kaum erwähnte, identifizierte und verurteilte Eck gegenüber Friedrich III. punktuell die Differenzen zwischen ihm und Luther. Diese asymmetrische Darstellung wird darauf in der nachfolgenden offiziellen Antwort der beiden Wittenberger Theologen an den Kurfürsten aufgenommen:114 Obwohl diese Verantwortung von beiden unterzeichnet wurde, 111 Vgl. Otto Clemen: Litterarische Nachspiele zur Leipziger Disputation. BSKG 12 (1897), 56-83. Ein Überblick ist zu finden auch in Martin Brecht: Martin Luther. Bd. 1. Stuttgart 1981, 307-332; Barge: Andreas Karlstadt … (wie Anm. 44) 1, 163-180. 112 EBW, Nr. 89. Der Brief ist ediert auch als Beilage zum Brief Karlstadts an Kurfürst Friedrich III. von Sachsen vom 31. Juli 1519 in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 132. 113 EBW, Nr. 89: »[…] aber allein der Wahrheit des heiligen Glauben zu gut, darzu mich D. Carlstat großlich geursacht auch hat, conclusiones durch den Druck mit viel verachtlichen und Schmach-Worten wider mich offenlich hat lassen ausgehn, wiewohl er nit darnach geschickt ist, daß er die Leut dermaßen schimfenteiren sollte. Aber des D. Martinus halb, mit dem ich ein Mitleiden hab, daß sein schon ingenium in solch singularitates kommen ist und auf sollich Materii sich geben hat, […].Wollt Gott, E.Ch.G. sollte mein Gmüt in diesem Fall ganz erkennen, ohn Zweifel würde solichs meines Fürnehmens ein gnädigs Gefallen tragen; dann ich mich ungern in sollicher oder dergleichen Leichtfertigkeit merken wollt lassen, in den Druck ein Wagen zu geben, wie E.Ch.G. Doctor Carlstat tan hat und mich ganz spöttlich mit ausgedruckten Namen darin verschmächt. Ich künt auch wohl ein wagen machen, aber ich wollt ihn nit darinnen setzen, aber das ist kein Kunst.«. 114 Am 18. August 1519 schickten die Wittenberger Theologen durch Spalatin ihren – von Karlstadt schon am 31. Juli angekündigten (vgl. KGK 2 [wie Anm. 2], Nr. 132) – Bericht zusammen mit einem kurzen Begleitschreiben (vgl. KGK 2 [wie Anm. 2], Nr. 135) an
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fügte Karlstadt nur ein paar Absätze hinzu, und zwar diejenigen, die zur Verteidigung gegen die bissigen Anschuldigungen Ecks unbedingt notwendig waren.115 Der restliche Text der Verantwortung wurde allein von Luther verfasst, der nicht nur die brennendsten Themen – diejenigen bezüglich des päpstlichen Primats und der Lehre des Jan Hus – mit einer breiten, die Argumente der Disputation noch vertiefenden Beweisführung verteidigte, sondern zugleich den Beitrag Karlstadts marginalisierte, indem er den Sieg des Kollegen zwar anerkannte,116 dabei aber dessen Position nicht detailliert darlegte, sondern nur zur Unterstützung seiner eigenen Argumentation gegen Eck heranzog.117 Die gleiche rhetorische Tendenz findet sich in Luthers zeitgenössischen (im August 1519 verfassten) Resolutiones super propositionibus suis Lipsiae disputatis, welche die Verantwortung weitgehend lediglich neu formulieren, wenn nicht gar direkt übersetzen.118 Vor allem in seinem Widmungsbrief zu den Resolutiones an Spalatin119 wiederholt und vertieft Luther die entscheidenden Passagen seines bereits Ende Juli übermittelten Berichts über die Leipziger Disputation: Er stellt nicht nur seinen, sondern auch Karlstadts Beitrag dar, betont dabei vor allem den Sieg des Kollegen innerhalb der Konfrontation über den freien Willen (die nur oberflächlich zusammengefasst ist) und den unerfreulichen Streit am 30. Juni mit Eck, der Bodenstein verbieten wollte, aus Büchern vorzulesen.120 Diese letzte Episode sollte tatsächlich in der Rezeption der Leipziger Disputation sowohl in den Anschuldigungen von Eck (der ihr einen paradigmatischen Charakter zum Beweis der Unfähigkeit Karlstadts zuspricht) als auch in der Verteidigung der Wittenberger immer wieder thematisiert werden. Luther übernahm also im Sommer 1519 die Aufgabe, offiziell zu berichten und mit dem Kurfürsten zu verhandeln – ähnlich wie dies schon zu Beginn des Jahres bei der Vorbereitung der Disputation der Fall gewesen war. Erneut sprach Luther im Namen Karlstadts, bzw. im Namen der Wittenberger Universität insgesamt, die als eine geschlossene Gruppe auch gegenüber dem Kurfürsten auftrat. Letztendlich brachte er aber hauptsächlich seine eigenen Ansichten und Prioritäten zum Ausdruck, auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie von seinen Kollegen Friedrich III. Damit wollten Luther und Karlstadt auf die von Eck am 22. Juli formulierten Beschuldigungen (siehe oben Anm. 112) reagieren und der darauffolgenden kurfürstlichen Forderung zur Verantwortung nachzukommen (ediert als Beilage in KGK 2 [wie Anm. 2], Nr. 132). 115 Siehe die neue Edition der Verantwortung in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 134. 116 Die Behauptung, Karlstadt habe über Eck triumphiert, vertritt Luther auch in seinem Bericht an Spalatin vom 20. Juli (WA Br 1, 422,51-57 [Nr. 187]) und in den Resolutiones (WA 2, 394,14-22). 117 KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 134. 118 WA 2, 391-435. 119 WA 2, 391-403. 120 WA 2,393,25-394,5.
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diskutiert und zuvor abgesegnet worden waren. Erneut stand Luther – ganz im Sinne Ecks – im Vordergrund der Nachwirkung der Leipziger Disputation und dominierte die öffentliche Auseinandersetzung. Erneut verharrte Karlstadt zunächst in publizistischer Zurückhaltung.121 Als Karlstadt sich endlich Ende Oktober 1519 in seiner Epistola gegen Eck äußerte, ließ er Ärger und Frustration freien Lauf: Es wurde eine Schrift voller scharfer Attacken gegen den Ingolstädter, die Ecks Vorwürfe, Karlstadt habe ein cholerisches Temperament, in einer paradoxen Ironisierung aufnahm und übersteigerte.122 Zusammenfassend scheint schon damals, im unmittelbaren polemischen Nachgang der Leipziger Disputation, die Rolle Karlstadts gegenüber derjenigen Luthers zurückzutreten. Dies entsprach sowohl dem von Luther im Februar 1519 bei der Drucklegung seiner Thesen formulierten Ziel, er selbst und nicht Bodenstein wolle in Leipzig als Hauptdisputator antreten, als auch der von Eck bereits im Dezember 1518 erklärten Absicht, Karlstadt in die Rolle eines Vorkämpfers (propugnator) seines wahren Gegners, Luthers, zu drängen.123 Diese Übereinstimmung von rhetorischer Strategie und thematischen Prioritäten zwischen dem Ingolstädter Theologen und Luther findet sich schließlich auch in der Rezeption dieser entscheidenden Ereignisse der aufbrechenden Reformation durch ihre Zeitgenossen wieder.124 Fast alle Berichte – auch die den Wittenbergern freundlich gesinnten, die entschlossen waren, den Sieg Karlstadts zu verkünden – sehen in der Konfrontation zwischen Luther und Eck das eigentliche Kernstück der Disputation. Dass dies tatsächlich die Wahrnehmung der zeitgenössischen Leser war, zeigt sich in den Kopien des Erfurter Druckes, wo die Konfrontation zwischen Eck und Luther deutlich mehr handschriftliche Unterstreichungen und Kommentierungen enthält. In seinem Exemplar der Oratio von Johannes Lange aus Löwenberg125 strich Georg Rörer nicht nur den Namen Karlstadt auf dem Titelblatt und auf fol. A2r, sondern auch die Passage der Schlussrede über ihn auf fol. B2r.126 Ebenso 121 Karlstadt reagierte nur mit einem Brief an Kurfürst Friedrich III., datiert 31. Juli, in dem er zunächst auf den Vorwurf antwortet, er sei der Disputation mit Eck nicht gewachsen gewesen. Er verweist auf den Triumph bei der Verteidigung seiner Thesen und wirft dem Gegner eine mangelhafte Kenntnis der patristischen Quellen vor, welche durch die von Eck während der Disputation herangezogenen, falschen und ungenauen Zitate offengelegt worden sei. Schließlich kündigt er dem Kurfürsten die baldige Zusendung einer detaillierten Antwort (d.h. der Verantwortung) an. Vgl. KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 132. 122 Zu dieser Schrift siehe die Einleitung von Harald Bollbuck in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 140. 123 Siehe oben S. 137-140. 124 Vgl. hierzu den Beitrag von Christoph Volkmar. 125 Lange: Oratio … (wie Anm. 109). 126 Im Sammelband 6463 aus dem Stadtarchiv Kamenz. Freundlicher Hinweis von Prof. Ulrich Bubenheimer, Reutlingen. Online abrufbar (am 18.12.2018): https://archive.thulb.uni-jena.de/collections/rsc/viewer/HisBest_derivate_00001559/ RN_0041_0394.tif .
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trägt der Sammelband, der das Freiberger Manuskript der Leipziger Disputation127 bewahrt, eine Aufschrift auf dem Rücken, die heute kaum noch lesbar ist, dennoch mit Brieger128 folgendermaßen entziffert werden kann: »De Disputatione Lipsiensi inter Iohannem Eckium et Doctorem Martinum Lutherum. Oratio Mosellani de ratione disputandi«. Der Name Karlstadt wurde schlicht weggelassen. Wer heute die Literatur bezüglich der Leipziger Disputation durchgeht, erkennt, dass diese Tendenz zur Marginalisierung von Karlstadts Rolle im Wesentlichen unverändert geblieben ist. Eine solche Interpretation und Rezeption der Leipziger Disputation ist historisch unausgewogen: Auch wenn Karlstadt in der Vorbereitung und in der anschließenden medialen Nachwirkung zurückhaltend blieb, war er ein Hauptakteur dieses historischen Ereignisses. Der Grund für diese fortschreitende Marginalisierung, die bereits bei seinen Zeitgenossen einsetzte, bedarf einer kritischen Untersuchung, zumal wenn man bedenkt, dass sich Karlstadt selbst nicht systematisch gegen diese Tendenz zur Wehr setzte. Eine Antwort auf diese Widersprüchlichkeit ist somit nicht nur auf historiographischer Ebene zu suchen, sondern erfordert darüber hinaus auch eine Gesamtbewertung der Entwicklung des theologischen Denkens Karlstadts in jenen Monaten. Die zeitgleiche Veröffentlichung der letzten Lieferungen des Augustinkommentars und der Epitome Anfang 1519129 gibt tatsächlich entscheidende Hinweise auf eine Neuausrichtung seiner theologischen Prioritäten: nicht mehr der Streit um scholastische Autoritäten und Sentenzen (nachweisbar in den Schriften von 1517/1518),130 nicht einmal die Interpretation patristischer Quellen (die den Kern des Augustinkommentars darstellen),131 sondern eine eindeutige Fokussierung auf die Heilige Schrift als einzige Quelle göttlicher Wahrheit und damit christlicher Praxis (wie es schon in Epitome deutlich wird)132 stand nun im Vordergrund seines Denkens. Als Karlstadt in Leipzig eintraf, scheint die Diskussion mit Eck, die sich 127 Siehe die Beschreibung des Sammelbandes durch Matthias Eifler (Handschriftenzentrum Leipzig) im Rahmen des DFG-Projekts »Erschließung von Kleinsammlungen mittelalterlicher Handschriften in Ostdeutschland«, vgl. http://www.manuscripta-mediaevalia.de/ info/projectinfo/kleinsammlungen_ostdeutschland.html. Zum Manuskript der Leipziger Disputation siehe auch die Einleitung zu KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 131. 128 Theodor Brieger: Über die handschriftlichen Protokolle der Leipziger Disputation. In: Beiträge zur Reformationsgeschichte: Herrn Oberkonsistorialrat Professor D. [Julius] Köstlin bei der Feier seines siebzigsten Geburtstages gewidmet von [Otto] Albrecht u.a. Gotha 1896, 43. 129 Siehe oben S. 135 Anm. 1 und 2. 130 Siehe Harald Bollbuck: St. Thomas in Wittenberg: Thomism before and in the Early Reformation. The Case of Karlstadt. Angelicum 93 (2016) Fasciculum 2, 281-295. 131 Zum Augustinkommentar siehe Stefania Salvadori: Der Augustinkommentar des Andreas Bodenstein von Karlstadt zwischen der Stilisierung einer Bekehrungsgeschichte und der (Wieder-)Entdeckung der biblisch-patristischen Quellen. Ebernburg-Hefte 52 (2018) Andreas Bodenstein von Karlstadt und die frühe Wittenberger Reformation, 7-30. 132 Vgl. die Einleitung von Alejandro Zorzin in KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 103.
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bereits in den Schriften vom Herbst 1518 erschöpft hatte,133 in gewisser Weise für ihn bereits überholt gewesen zu sein, zwar nicht unbedingt inhaltlich (das Thema der Gnade und des menschlichen Willens bleibt auch in späteren Schriften zentral), sicher aber methodisch: Die Auseinandersetzung mit Eck über die verschiedenen möglichen Interpretationen der einzelnen Passagen der Kirchenväter – deren Bedeutung je nach Kontext, in den sie eingefügt wurden, leicht uminterpretiert werden konnte – entsprach in Karlstadts Augen nur noch einer unnützen Rhetorikprüfung oder einem Gedächtniswettbewerb, hatte aber sicherlich nichts mehr mit der Suche nach theologischer Wahrheit zu tun, die für ihn zu diesem Zeitpunkt bereits nur noch im direkten Lesen und Hören der Schrift offenbar wurde.134 Die Kontroverse mit Eck setzte sich zwar fort, auch mit radikalen Attacken,135 aber wie die Schriften ab Ende 1519 belegen, verschiebt Karlstadt seine Prioritäten entscheidend, sowohl inhaltlich mit der Neuformulierung seiner theologischen Vision auf Grundlage der Schrift und der Gnade als auch mit Blick auf seine Gesprächspartner, die immer mehr unter den deutschsprachigen Laien oder den einfachen Gläubigen zu finden sind.136 Die Rolle Karlstadts während der Leipziger Disputation und vor allem ihre Rezeption sowie ihre historiographische Bedeutung verdienen es allerdings nach diesen Erwägungen, vor einem breiteren Hintergrund betrachtet zu werden, auf den die zukünftige Forschung hoffentlich mit einer neuen, umfassenderen Analyse der intellektuellen Entwicklung dieses Autors und seines zentralen Beitrags zur anbrechenden Reformation eingehen wird.
133 Vor allem in der Defensio Karlstadts, ediert in KGK 1.2 (wie Anm. 1), 903-994 (Nr. 90). 134 Schon in der Auslegung (KGK 2 [wie Anm. 2], Nr. 124), dann deutlicher und konsequenter in Andreas Bodenstein von Karlstadt: De Canonicis scripturis libellus. Wittenberg: Johannes Rhau-Grunenberg, 1520. 135 Vgl. z.B. die im Februar erschienene Schrift Karlstadts Verba Dei (wie Anm. 106) und Andreas Bodenstein von Karlstadt: Confutatio […] adversus defensivam epistolam Ioannis Eckii. Wittenberg: Melchior Lotter, 1520. 136 Schon die Epitome widmete Karlstadt drei Leipziger Laien, dem Arzt Simon Pistoris d.Ä. und dessen Söhnen Simon d.J. und Christoph; vgl. KGK 2 (wie Anm. 2), Nr. 103. Zunehmend verfasste er ab 1520 deutsche Schriften, die hauptsächlich Laien gewidmet wurden.
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Johannes Eck und die Disputation von Leipzig 1519
Johannes Eck und die Disputation von Leipzig 1519 Vorgeschichte und unmittelbare Folgen Von Johann Peter Wurm
I Biographie bis 15171 Geboren am 13. November 1486 in Egg an der Günz als Sohn des ottobeurischen Klosterhauptmanns Michael Maier studierte Johannes Eck seit 1498 in Heidelberg, Tübingen, Köln und Freiburg Theologie. Daneben hörte er Jura, Geographie, Mathematik und Astronomie. 1510 promovierte er zum Doktor der Theologie2 und erhielt an seinem 24. Geburtstag die Professur der Heiligen Schrift in Ingolstadt. Sein theologisches Erstlingswerk »Chrysopassus praedestinationis« erschien 1514 in Augsburg. Darin maß er dem freien Willen entscheidende Bedeutung zu. Seine Rechtfertigungslehre war prägend für seine später gegen die Reformatoren bezogenen Positionen.3 Eck galt früh nicht nur als streitbarer Schriftgelehrter, sondern auch als einer der schärfsten Disputanten seiner Zeit. Im Auftrag Jakob Fuggers übernahm er 1514 die theologische Verteidigung der festverzinslichen Handelsgesellschaftseinlage. Der 1 Eine moderne Biographie ist immer noch Desiderat. In seiner Vollständigkeit noch nicht ersetzt: Theodor Wiedemann: Dr. Johann Eck: Professor der Theologie an der Universität Ingolstadt. Regensburg 1865. (Unvollständiges) Werkverzeichnis in: Tres orationes funebres in exequiis Ioannis Eckii habitae: accesserunt aliquot epitaphia in Eckii obitum scripta et catalogus lucubrationum eiusdem (1543), nach den Originaldrucken mit bio-bibliographischer Einleitung, einer Untersuchung der Berichte über Ecks Tod und einem Verzeichnis seiner Schriften/ hrsg. von Johannes Metzler (CC; 16). Münster 1930, LXXI-CXXXII. Auf den Verweis auf ältere Literatur und Editionen wird im Folgenden weitgehend verzichtet. Moderne Kurzbiographie: Erwin Iserloh: Johann Eck (1486-1543): Scholastiker, Humanist, Kontroverstheologe (KLK; 41). 2. Aufl. Münster 1985. Über den jungen Eck bis zum Eintritt in die Causa Lutheri zuletzt: Johann Peter Wurm: Eck (von, Eccius, Eckius, Maier, -or, -yer), Johannes. In: Deutscher Humanismus 1480-1520: Verfasserlexikon/ hrsg. von Franz Josef Worstbrock. Bd. 1. Berlin; New York 2008, 576-589, mit weiterführenden Literaturangaben. 2 Im Zusammenhang mit den Leipziger Disputationskontrakten vom 26. Juni 1519 ist erstmals auch Ecks Doktortitel im kanonischen Recht bezeugt. Wann und wo er ihn erwarb, ist nicht bekannt. Er selbst verwendete ihn erst ab 1523; Johann Peter Wurm: Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit 1513-1515 (RST; 137). Münster 1997, 164-165 Anm. 422. 3 Zur Bedeutung des Chrysopassus zuletzt Manfred Gerwing: Gnade uns Gott: zur Theologie des Johannes Eck. In: Johannes Eck (1486-1543): Scholastiker – Humanist – Kontroverstheologe/ hrsg. von Jürgen Bärsch; Konstantin Maier (Eichstätter Studien NF 70). Regensburg 2014, 84-105.
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Johann Peter Wurm
unentschiedene Ausgang des Zinsstreits war für Eck zwiespältig. Zwar steigerte er seinen Bekanntheitsgrad außerordentlich, fügte dem Ansehen des vermeintlichen ›Fuggerknechts‹ jedoch nachhaltigen Schaden zu.4 Trotz Affinität zum humanistischen Zeitgeist sowie anfänglich zahlreicher Briefkontakte mit Vertretern des Humanismus war Eck kein Humanist. Seit früher Jugend war er durch eine traditionelle scholastische Bildung geprägt. In den Humaniora galt seine eigentliche Leidenschaft der Philosophie, näherhin der Logik, die besonders in der Kritik der Humanisten stand. In seinen Aristoteleskommentaren (Augsburg 1517) wandte er sich zwar gegen eine allzu sophistische Scholastik, doch war seine Kritik im Gegensatz zu der Luthers nicht auf die Substanz der rezipierten Lehre gerichtet.5 II Luther – ein Freund Ecks? Am Anfang der kurzen Humanisten-Amicitia zwischen Johannes Eck und Martin Luther stand, wie so oft, Christoph Scheurl, Ratskonsulent zu Nürnberg und führendes Mitglied der Humanistengesellschaft »Sodalitas Staupitiana«. Der Freundschaftsenthusiast fungierte geradezu als Drehscheibe und Kontaktbörse des deutschen Humanismus. War er 1514-1515 im Oberdeutschen Zinsstreit noch einer der wichtigsten Strippenzieher der Partei der Zinsgegner, hatte er 1516 mit Eck Frieden, ja sogar Freundschaft geschlossen, wofür ihn Willibald Pirckheimer und andere noch lange mit Spott und Verdächtigungen verfolgen sollten.6 Die Kontaktaufnahme ging gleichwohl von Eck selbst aus, der Scheurl um die Jahreswende 1516/17 zur Weitergabe, u. a. an Luther, Thesenzettel seiner Wiener
4 Wurm: Johannes Eck und der … (wie Anm. 2), bes. 207-210. 5 Arno Seifert: Logik zwischen Scholastik und Humanismus: das Kommentarwerk Johann Ecks (Humanistische Bibliothek I; 31). München 1978, 73; Heribert Smolinsky: Der Humanismus an den Theologischen Fakultäten im katholischen Deutschland. In: Humanismus und die oberen Fakultäten/ hrsg. von Gundolf Keil (Mitteilungen Kommission für Humanismusforschung; 14). Weinheim 1987, 21-42, 32; Manfred Schulze: Johannes Eck im Kampf gegen Martin Luther: mit der Schrift der Kirche wider das Buch der Ketzer. LuJ 63 (1996), 39-68. 39-43. 67; Hans-Jörg Gerste; Johann Peter Wurm: »Non me praeterit, candide lector: Johannes Eck und sein Interesse an der Historie. Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt 106 (1997), 145-161. 145-147. 156 Anm. 29. Zu den humanistischen Prägungen Ecks siehe jetzt Peter Walter: Johannes Eck (1486-1543) und der Humanismus. In: Johannes Eck … (wie Anm. 3), 106-130, der eher dafür plädiert, Ecks Werdegang mit »Vom Humanisten zum Kontroversthelogen« zu überschreiben; ebd, 130. 6 Z. B. Willibald Pirckheimer: Eckius dedolatus / Der enteckte Eck: Lateinisch / Deutsch/ hrsg. von Niklas Holzberg (Universal-Bibliothek; 7993). Stuttgart 1983, 18. Zu Scheurls Verhältnis zu Eck und Luther vgl. Wilhelm Graf: Dr. Christoph Scheurl von Nürnberg (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance; 43). Leipzig; Berlin 1930, 75-104.
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Disputation vom August 1516 überlassen hatte.7 Als hierauf keine Reaktion erfolgte schrieb Scheurl am 1. April 1517 mit mehr Nachdruck an Luther: »Da er [Eck] sich nach Deiner Freundschaft sehnt, richtete er nicht allein Briefe an Dich, sondern schickt Dir auch eine Schrift mit seinen Disputationen [womit das inzwischen in Augsburg im Druck erschienene Diarium der Wiener Disputation8 gemeint war]. Ich zweifle nicht, daß Du ihm antworten und mein Versprechen erfüllen wirst […] Ich bitte Dich […] freundlich, Du möchtest ihm schreiben, da ich ihn Deiner Freundschaft für würdig halte.«9
Luther verkehrte aber weiterhin nur über Scheurl mit Eck. Am 11. September 1517 schickte er Scheurl seine Thesen gegen die scholastische Theologie, die er an Eck weiterleiten könne, um zu Abb 38: Johannes Eck (1494-1554) hören, wie dieser reagiere.10 In seiner am 24. Januar 1518 vollendeten Ausgabe der Physik des Aristoteles bestätigt Eck, die Thesen gelesen zu haben, und bezeichnet Luther als »amicus noster«.11 7 Christoph Scheurl’s Briefbuch: ein Beitrag zur Geschichte der Reformation und ihrer Zeit/ hrsg. von Joachim Karl Friedrich Knaake; Franz Freiherr von Soden. Bd. 2. Potsdam 1872 (ND Aalen 1962), 2-3; Johannes Eck (1486-1543): Briefwechsel/ hrsg. von Vincent Pfnür, bearb. von Peter Fabisch; Hans-Jörg Gerste (http://ivv7srv15.uni-muenster.de/mnkg/ pfnuer/Eck-Briefe.html) (künftig zitiert als EBW), Nr. 39. 8 Johannes Eck: Disputatio Viennae Pannoniae habita (1517) (CC 8)/ hrsg. von Therese Virnich. Münster 1923. Volker Leppin hat jüngst auf den bisher kaum erkannten Einfluss hingewiesen, den Ecks Buch und die darin enthaltenen Wiener und Bologneser Disputationsthesen in formaler Hinsicht auf die »Wittenberger Disputationskultur« ausübten. Dies gilt insbesondere für Luthers Disputation gegen die scholastische Theologie vom 4. September 1517 und Karlstadts 151 Thesen zur Rechtfertigung vom 26. April 1517; Volker Leppin: Luther und Eck: Streit ohne Ende? In: Johannes Eck (1486-1543) … (wie Anm. 3), 131-160, 138-141; ders.: Der Einfluss Johannes Ecks auf den jungen Luther. Luther 86 (2015), 135-147; auch Ingo Klitzsch: Autoritätenverwendung in der »Disputatio contra scholasticam theologiam«. In: Reformatorische Theologie und Autoritäten: Studien zur Genese des Schriftprinzips beim jungen Luther/ hrsg. von Volker Leppin (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 85). Tübingen 2015, 39-86; 49-54. 9 Christoph Scheurl’s Briefbuch (wie Anm. 7), 12; WA Br 1, 91-92; Übersetzung in Iserloh: Johann Eck … (wie Anm. 1), 23. 10 Christoph Scheurl’s Briefbuch (wie Anm. 7), 24; WA Br 1, 105-108. 11 Johannes Eck: Aristotelis Stagyritae acroases physicae libri VIII. Ioan. Argyropolio interprete. Augsburg 1518 (Metzler, wie Anm. 1, 16), f. XXXVIr.
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III Ecks Eintritt in die »Causa Lutheri« In den ersten Tagen des selben Monats sandte Scheurl Luthers Ablassthesen nach Ingolstadt, und schon am 8. Januar konnte er einem Freund mitteilen, Eck habe ihm geschrieben, er würde gerne zehn Meilen weit gehen, um mit Luther über diese Thesen zu disputieren.12 Offensichtlich sah sich auch Luther Eck durch Freundschaft verbunden. Dies erklärt seine Betroffenheit, als er Mitte März 1518 Ecks polemische »Annotationes« (von Luther als »Obelisci« bezeichnet) zu seinen Ablassthesen in die Hand bekam.13 Eck hatte sie Mitte des Vormonats als Glossen Luthers Thesen hinzugefügt, indem er die kritisierten Thesen mit sog. Spießchen oder »Obelisci« als irrig kennzeichnete. Die Glossen waren als Folge einer Unterhaltung mit dem Eichstätter Bischof Gabriel von Eyb entstanden und ursprünglich nur für den Gebrauch des Bischofs, der offensichtlich zunächst mit Luthers Thesen sympathisiert hatte, intendiert. Vielleicht waren sie auch deshalb so scharf und unverblümt formuliert. So bezeichnete Eck darin Luthers Thesen unter anderem als irrig, »roh und abgeschmackt, um nicht zu sagen, daß sie nach Böhmen schmecken«, ja »böhmisches Gift ausstreuen«.14 Ob damit bereits ein expliziter Häresievorwurf ausgesprochen war, ist in der Forschung umstritten.15 Durch die Indiskretion eines Vetters des Bischofs, der niemand anderer war als Ecks Intimfeind im Eichstätter Domkapitel Bernhard Adelmann von Adelmannsfelden, gelangten die »Obelisci« an den Nürnberger Humanistenkreis, darunter den Augustinerprediger Wenzeslaus Linck, und von diesem an Luther. Vergeblich beschwor Scheurl Eck, der sich zeitgleich in eine Kontroverse mit Erasmus von Rotterdam versponnen hatte, sich zurückzuhalten, und versuchte zu vermitteln.16 Am 26. April 1518 verteidigte Luther auf dem Ordenskapitel der Augustiner in Heidelberg unter großem Beifall seine Ablassthesen. Die daraus hervorgegangene Verteidigungsschrift der »Asterici« oder Sternchen (kritische Zeichen, die zur Hervorhebung besonders wertvoller Textstellen dienten) sandte er vier Tage nach seiner Rückkehr, am 19. Mai, privat an Linck, dem er die Entscheidung überließ, sie an Eck weiterzuleiten.17 Scheurl bemühte sich vergebens um ein Exemplar, das 12 Christoph Scheurl’s Briefbuch (wie Anm. 7), 43-44. 13 WA Br 1, 156-159. 14 WA 1, 296,36. 302,15-16. 305,6 und 311,2; Iserloh: Johann Eck … (wie Anm. 1), 24; ausführlich kommentierte Edition in: Dokumente zur Causa Lutheri (1517-1521)/ hrsg. von Peter Fabisch; Erwin Iserloh. 2 Bde. (CC; 41 f). Münster 1988. 1991; hier Bd. 1, 376-447. 15 Kurt-Victor Selge: Der Weg zur Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck im Jahre 1519. In: Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte. Kirchenhistorische Studien/ hrsg. von Bernd Moeller; Gerhard Ruhbach. Tübingen 1973, 169-210, 174 Anm. 16, verneint dies; dagegen Schulze: Johannes Eck im Kampf … (wie Anm. 5), 41, Anm. 9. 16 Christoph Scheurl’s Briefbuch (wie Anm. 7), 45-48; WA Br 1, 175-179; EBW Nr. 54. 57. 17 WA Br 1, 175-177.
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er Eck zuschicken wollte.18 Zu tief war inzwischen das Misstrauen der Wittenberger gegenüber dem Nürnberger Allerweltsfreund. In einem Brief vom gleichen Tag sprach Luther schließlich Eck gegenüber selbst seine Enttäuschung und Verärgerung über die Obelisci offen aus.19 Im Zentrum von Ecks Kritik an Luthers Thesen stand nicht die Lehre vom Ablass. Eck hatte vor allem jene Themengebiete aufgegriffen, auf denen er sich – »auch nach seinem eigenen Urteil« – bereits als »ein hervorragender Kenner der scholastischen Diskussion über Prädestination und Rechtfertigung« ausgewiesen hatte.20 In Ecks »Chrysopassus praedestinationis« von 1514 sieht Heiko A. Oberman daher auch den Hauptgrund für seinen Eintritt in die Causa Lutheri. Seine Spekulationen, Eck hätte sich sonst möglicherweise neutral verhalten, da ihn mit Luther sowohl das aufkommende Nationalgefühl als auch eine nicht kurialistische Ekklesiologie verbanden,21 erscheinen jedoch allzu bemüht. War aufkommendes Nationalgefühl schlicht ein Zeitphänomen, das viele teilten, war Ecks frühe Ekklesiologie konziliaristisch und damit der Luthers immer noch diametral entgegengesetzt. Volker Leppin sieht dagegen vielmehr Luthers Abwertung der scholastischen Lehre zu bloßen Lehrmeinungen als bestimmend für Ecks Wahrnehmung Luthers an.22
18 Christoph Scheurl’s Briefbuch (wie Anm. 7), 47-48; EBW Nr. 57. 19 »Es sind an mich gewisse ›Obelisci‹ gelangt, in denen Du versucht hast, meine Thesen über den Ablaß zu widerlegen. Das ist der Beweis für Deine treue Freundschaft, die Du mir kürzlich angeboten hast, ja für Deine christliche Liebe, der zufolge wir gehalten sind, den Bruder zuerst zu ermahnen, ehe wir ihn verurteilen. Wie sollte ich als aufrechter Mensch glauben oder ahnen können, daß Du so hinter meinem Rücken vorgehen würdest, der Du mir so ins Angesicht hinein geschmeichelt hast? […]Eine ein wenig in Zorn geratene Dirne würde nicht in solcher Art und Weise ihre Schimpfworte und Ehrabschneidungen ausspeien, wie Du es mir gegenüber getan hast!« Außerdem kündigte er ihm die private Zusendung der »Asterisci« durch Linck an. Dazu gezwungen, sei er aber auch bereit, sich öffentlich zu verteidigen; WA Br 1, 177-179; EBW Nr. 59 (dort Übersetzung). 20 Heiko A. Oberman: Wittenbergs Zweifrontenkrieg gegen Prierias und Eck: Hintergrund und Entscheidungen des Jahres 1518. ZKG 80 (1969), 331-358. 334. 342-358; Neuabdr. in: ders.: Die Reformation: von Wittenberg nach Genf. Göttingen 1986, 113-143. 117. 125-143. 21 Oberman: Wittenbergs Zweifrontenkrieg … (wie Anm. 20), 342-346; ders.: Die Reformation (wie Anm. 20), 125-129. 22 Volker Leppin: Die Genese des reformatorischen Schriftprinzips: Beobachtungen zu Luthers Auseinandersetzung mit Johannes Eck bis zur Leipziger Disputation. In: Reformatorische Theologie und Autoritäten … (wie Anm. 8), 99-139, 102. Er folgt hierin der Einschätzung, die Scholastik habe »den direkten Gegensatz zum theologischen Ansatz der Wittenberger« gebildet bei Jens-Martin Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform: die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516-1522 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; 187). Mainz 2002, 165.
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Die Auseinandersetzung23 konnte bis zu diesem Zeitpunkt im Rahmen gehalten werden. Noch war ein öffentlicher Streit vermeidbar. IV Anlass und Vorbereitung der Disputation Ausgelöst wurde die Eskalation bekanntlich durch Luthers streitbaren Kollegen Andreas Bodenstein von Karlstadt, damals Dekan der Theologischen Fakultät Wittenberg. Während Luther noch auf dem Ordenskapitel in Heidelberg weilte, beabsichtigte Karlstadt am 9. Mai 1518 ohne Luthers Wissen 370 Thesen zu dessen Verteidigung zu veröffentlichen. Von den in der Druckfassung auf 406 vermehrten Thesen richteten sich über 100 gegen Ecks »Obelisci« und dessen Rechtfertigungsund Prädestinationslehre, welche auch als Sonderdruck erschienen.24 In einem Brief an Karlstadt vom 28. Mai zeigte sich Eck von der Veröffentlichung überrascht. Im Gegensatz zu Johannes Tetzel und den Frankfurter Theologen seien seine Bemerkungen zu Luthers Thesen nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen. Keineswegs habe er Luther verletzen wollen. Er bittet Karlstadt, die Veröffentlichung zu unterlassen. Abschließend erklärt er sich zu einer Disputation bereit, würde aber lieber darauf verzichten. 25 Höflich, aber in der Sache hart fiel die ablehnende Antwort Karlstadts vom 11. Juni aus.26
23 Bereits in diesem frühen Stadium der Auseinandersetzung zeigt sich jedoch, wie Martin Brecht: Martin Luther: sein Weg zur Reformation 1483-1521. Stuttgart 1981; Berlin 1986, 206-207, feststellt, »daß zwischen den beiden Kontrahenten schon fast alles strittig war. Auf der einen Seite werden die Scholastiker ins Feld geführt, auf der anderen Bibel und Kirchenväter. Was für Eck feststeht, gilt Luther als unbegründete Voraussetzung, die er nicht teilt. Ecks schwere Geschütze und Waffen sind für Luther – Papier. […] Wegen ihres bereits beträchtlich auseinandergehenden Heilsverständnisses verstanden die beiden Parteien einander vielfach falsch und redeten oft aneinander vorbei. Die negativ qualifizierende Polemik Ecks und dann auch die Luthers verschärften die Dissonanzen. Luther übertrug seinen ganzen Affront gegen die Scholastik, der sich nunmehr deutlich als der eigentliche Hintergrund des Ablaßstreits erweist, auf Eck.« 24 Andreas Karlstadt: Apologeticae Conclusiones pro reverendo patre Martino Luther. Wittenberg 1518; Johannes Eck: Defensio contra amarulentas D. Andreae Bodenstein Carolstatini invectiones (1518)/ hrsg. von Joseph Greving (CC; 1). Münster 1919, 12-15. Wiedergabe der gegen die »Obelisci« gerichteten Thesen aus Karlstadts Sonderdruck ebd, 38-45. 53-62. 73-75; Dokumente zur Causa Lutheri … (wie Anm. 14) Bd. 2, 381. 25 »Weiterhin heißt es, daß Du gegen Eck eine ›Monomachia‹ vorbereitest. Ich kann das kaum glauben! Wenn Du das aber zu tun vorhast, wundere ich mich, warum Du Dich nicht über Deine Nachbarn in Frankfurt an der Oder oder den Inquisitor Tetzel ereiferst, die hundertfach in gedruckten und veröffentlichten Flugschriften darlegen, daß Martin irrt und zuweilen Törichtes sagt, wütet und sich wie toll gebärdet«; EBW Nr. 60. 26 EBW Nr. 61. Hermann Barge: Andreas Bodenstein von Karlstadt. Bd. 1. Leipzig 1905, 125 f, spricht von »einem merkwürdigen Schreiben, in welchem das Verlangen, höflich zu bleiben, mit einer nur schwer verhaltenen Kampfesfreude streitet«.
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Am 15. Juni äußerte Luther gegenüber Scheurl sogar Verständnis für die Lage, in der sich Eck durch den gegen seinen Willen erfolgten Angriff Karlstadts befand. Er gehe davon aus, dass Eck jetzt nicht mehr schweigen werde. Er solle aber Karlstadt in maßvoller Weise antworten.27 Am 7. Juli wurde ein Sonderdruck, der nur die gegen Eck gerichteten Thesen enthielt, veröffentlicht. Nach eigenem Verständnis immer noch um Mäßigung bemüht, antwortete Eck mit seiner am 14. August in Augsburg herausgegebenen »Defensio«. Darin forderte er Karlstadt zu einer öffentlichen oder privaten Disputation vor dem Apostolischen Stuhl oder den Universitäten in Rom, Paris oder Köln auf. Die dortigen Gelehrten sollten am Ende als Richter über die Disputation urteilen. Die Disputation sollte noch vor Ablauf des Jahres stattfinden. Die von Karlstadt dabei so hartnäckig verfolgte Prädestinationsfrage hielt er jedoch für »an den Haaren herbeigezogen«. Sie habe mit der eigentlichen Debatte nichts zu tun. Man könne hierüber gerne gesondert disputieren. Im übrigen verweist er Karlstadt auf seinen »Chrysopassus«.28 Karlstadt erhielt Ecks »Defensio« am 28. August. Noch am selben Tag verfasste er die Widmung und das Vorwort für eine Gegenschrift.29 Eck replizierte hierauf nicht mehr. Vielmehr bekräftigte er am 20. September Luther gegenüber erneut seine Bereitschaft zur Disputation mit Karlstadt, da er »schon lange ein kriegerisches Zusammentreffen gewünscht habe«.30 Eine Disputation war nunmehr unausweichlich. Die von Eck vorgeschlagenen Austragungsorte, Rom, Paris oder Köln, waren für die Wittenberger freilich in mehrfacher Hinsicht inakzeptabel. Im Oktober trafen sich Luther und Eck am Rande des Reichstags im Augsburger Karmeliterkloster, um die Rahmenbedingungen einer Disputation zwischen Eck und Karlstadt zu vereinbaren. Aus Gründen der Sicherheit der Wittenberger entschieden sie sich für Erfurt oder Leipzig als Austragungsort. Eck blieb dafür die Wahl zwischen den beiden Orten überlassen.31 Karlstadt stimmte dem Verfahren zu. Eck sprach sich für Leipzig aus.32 Leipzig barg für Eck zahlreiche Vorteile: Er kannte vielleicht die zwar kritische, doch grundsätzlich bejahende Haltung des Fürsten, Herzog Georgs, zum 27 WA Br 1, 182-184. Ein Brief ähnlichen Inhalts an Eck ist verloren. Er erschließt sich aus dem Vorwort von Eck: Defensio … (wie Anm. 24), 36. 28 Eck: Defensio … (wie Anm. 24), 65-66. 29 EBW Nr. 62; Andreas Karlstadt: Defensio adversus eximii D. Eckii Theologiae Doctoris et ordinarii Ingolstadiensis Monomachiam. Wittenberg 1518. Am 14. September schloss er die Arbeit mit einem Eck gewidmeten Nachwort ab; EBW Nr. 63. 30 Karlstadt solle lieber in die Arena hinabsteigen, anstatt »sich wie ein altes Weiblein auf neues Gekeife [zu] beschränken und bei Ungelehrten und Unerfahrenen Zustimmung [zu] suchen«; WA Br 1, 204-205; EBW Nr. 64. 31 WA Br 1, 230-231; EBW Nr. 66. 32 EBW Nr. 68.
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Ablasshandel.33 Er besaß in Leipzig im Gegensatz zu Erfurt, wo seine Zinsthesen 1514 auf die Ablehnung Jodocus Trutfetters gestoßen waren, Mitstreiter und Gesinnungsgenossen,34 und er konnte mit einem gewissen landsmannschaftlichen Rückhalt bei der über 100 Studenten zählenden Natio Bavarica rechnen.35 »Zudem baute Eck wohl auf die unterschwellig konservative Gesinnung der Leipziger Professoren und erkannte das Ruhebedürfnis der Universitätsleitung als Umstürzen abgeneigt«.36 Während der Disputation war er sich schließlich sogar sicher, dass die Leipziger Theologen ganz auf seiner Seite ständen.37 Übrigens suchte Eck in Augsburg sechsmal vergeblich um eine Audienz bei Kurfürst Friedrich dem Weisen nach.38 Leider wissen wir nicht, mit welcher Absicht. Am 4. Dezember wandte sich Eck mit der Bitte um Genehmigung der Disputation und Übernahme des Richteramtes an Herzog Georg und die Universität Leipzig.39 Die Theologische Fakultät lehnte unterstützt durch Bischof Adolf von Merseburg beides ab. Erst nach langem Hin und Her überließ die Fakultät die Entscheidung dem Herzog, welcher die Universität aufforderte, Eck einzuladen, was dann auch geschah.40 Zwischen den Jahren hatte Eck in Augsburg zwölf Thesen in Plakatformat in Druck gehen lassen. Die Thesen wandten sich nur nominell an Karlstadt,41 faktisch an Luther, der dadurch selbst Gegenstand der Kontroverse wurde. Luther erhielt am 2. Februar 1519 über Pirckheimer Kenntnis von den zwölf Thesen.42 Empört über das seiner Meinung nach falsche Spiel Ecks ließ er umgehend seinerseits zwölf Gegenthesen drucken und kündigte in einem offenen Brief an seine Wittenberger Kollegen Petrus Lupinus und Karlstadt sehr zum Verdruss der Leipziger
33 Christoph Volkmar: Reform statt Reformation: die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488-1525. Tübingen 2008, 448-452; vgl. Jadatz in diesem Band. 34 Konrad Ammann: Die Leipziger Disputation von 1519 und die Reformation. In: Bayern und Europa: Festschrift für Peter Claus Hartmann zum 65. Geburtstag. Frankfurt am Main 2005, 69, nennt Johannes Tetzel OP, der sich zu dieser Zeit in Leipzig aufhielt, und Augustin von Alfeld OFM († um 1535). Hinzuzufügen wären Hieronymus Dungersheim (1465-1540) und Hermann Rab OP († 1534). 35 Ammann: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 34), 69. Tatsächlich meinte Eck in Leipzig feststellen zu können, die Natio sei ihm günstig gesinnt, wenn sie ihn auch aus Ängstlichkeit meide; EBW Nr. 87. 36 Ammann: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 34), 69. 37 EBW Nr. 87. 38 WA Br 1, 231, Anm. 1. 39 EBW Nr. 68. 40 Hierzu ausführlich Selge: Der Weg … (wie Anm. 15), 179-184; vgl. Cottin in diesem Band. 41 Johann Eck: In studio Lipsiensi disputabit Eccius propositiones infra notatas contra D. Bodenstein Carlestadium Archid. et Doct. Viteb. Augsburg 1518 (Metzler, wie Anm. 1, 18 [1]). 42 WA Br 1, 313-314.
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Theologischen Fakultät43 eigenmächtig seine Teilnahme an der Disputation an. Man solle die Disputation jeweils zwei Notaren in die Feder diktieren, damit Eck später keine Möglichkeit zur Prahlerei habe und die protokollierten Aussagen »dem Apostolischen Stuhl, den Bischöfen und dem Urteil der ganzen christlichen Welt dargeboten werden« könnten.44 »Im Bewusstsein, die Leipziger Fakultät werde die Disputation zwar ausrichten, aber nicht das Urteil fällen, ging Luther«, so jüngst Anselm Schubert, schon zu diesem Zeitpunkt »davon aus, es werde eine ›freie‹ Disputation ohne gelehrte Richter stattfinden und das Urteil der christlichen Öffentlichkeit übertragen werden können.«45 An das Anfang Januar mit Nuntius Karl von Miltitz getroffene Stillhalteabkommen fühlte sich Luther aufgrund von Ecks Angriff nicht mehr gebunden. Am 18. Februar forderte er Eck, den er einen heuchlerischen Freund nannte, auf, einen Termin für die gemeinsame Disputation festzulegen und ihm mitzuteilen.46 Einen Tag später nannte Eck der Theologischen Fakultät Leipzig den 27. Juni 1519 als ersten Disputationstag und bat erneut, die Leipziger Gelehrten möchten das Richteramt übernehmen. Er wollte auch Luther auffordern, in Leipzig zu erscheinen.47 Noch am selben Tag – die Mahnung aus Wittenberg vom Vortag hatte ihn noch gar nicht erreicht – setzte er Luther vom Disputationstermin in Kenntnis. Unumwunden bestätigte Eck Luthers Vermutung, seine zwölf Thesen vor allem gegen ihn, Luther, aufgestellt zu haben. Denn er wäre doch der wahre Hauptgegner (»principalis«), der die neuen Lehren in Deutschland aussäe, Karlstadt nur sein Vorkämpfer (»propugnator tuus«).48 Erst jetzt, am 19. Februar, suchte Luther selbst bei Herzog Georg um Zulassung zur Disputation nach, was dieser unter der Bedingung der Zustimmung Ecks gewährte.49 Die geforderte Einwilligung stellte Eck jedoch trotz Mahnung Luthers50 nicht aus. Bis zu seinem Eintreffen in Leipzig ließ er Luther so – ob aus taktischen Gründen, ob aus kleinlicher Rachsucht – über die Zulassung zur Disputation im Ungewissen. Am 14. März gab Eck einen um eine angeblich vergessene, Karlstadt betreffende These über den freien Willen erweiterten Disputationsthesenzettel, die »Disputatio et excusatio«, in Druck. Im Widmungsbrief an den Abt von Wessobrunn und den Propst von Polling stimmte er der Forderung Luthers nach notarieller Protokol 43 WA Br 1, 337-339. 44 WA Br 1, 315-319. Die Thesen erschienen zusammen mit dem Brief am 7. Februar im Druck; WA 2, 156. 45 Anselm Schubert: Libertas Disputandi: Luther und die Leipziger Disputation als akademisches Streitgespräch. ZThK 105 (2008), 423. 46 WA Br 1, 340; EBW Nr. 74. 47 EBW Nr. 78. 48 WA Br 1, 342-343; EBW Nr. 76. 49 WA Br 1, 341-342 u. 355. 50 WA Br 1, 365-366; EBW Nr. 82.
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lierung und Veröffentlichung der Disputation öffentlich zu, was Luther auch als Zustimmung zu der von ihm ausbedungenen freien Disputation verstand. Am 26. April veröffentlichte Karlstadt seine »Conclusiones« und Mitte Mai Luther seine Disputationsthesen.51 Am 13. Mai ließ Eck in einer internen Ingolstädter Universitätsdisputation mit der These über die erbsündliche Concupiscentia zum ersten Mal eine These Luthers disputieren, allerdings ohne dessen Namen zu nennen.52 V Leipzig Offensichtlich aus Angst vor Übergriffen von Anhängern der Wittenberger wich Eck bei der Anreise vom »Königsweg« nach Leipzig, der von Frankfurt a. M. kommend über Erfurt führte, ab und wählte die Route über Gera und Weißenfels. Er langte am 22. Juni nur in Begleitung des Regensburger Benediktiners Johannes Ulrich Schulherr in Leipzig an, wo er im Gegensatz zu den Wittenbergern auf Kosten des Herzogs Herberge nahm. Seine übrigen Ausgaben wurden ihm sehr wahrscheinlich nachträglich durch die Universität Ingolstadt erstattet. Eck schildert später genüsslich, wie er auch sonst von offizieller Seite bevorzugt wurde. Zwei Tage nach Eck trafen die Wittenberger ein, mit großem Gefolge, ca. 200 Personen. Nach nächtlichen Ausschreitungen Wittenberger Studenten vor Ecks Herberge musste diese bewacht werden. Offensichtlich aus Sorge um sein leibliches Wohlergehen wird Eck elf Tage nach der Disputation die Stadt »haimlich« verlassen.53 Doch war auch Eck offensichtlich nicht ohne heimatliche Unterstützung. So wurde Peter Burckard, Professor für Medizin in Ingolstadt, beim Präsidenten der Disputation, Cäsar Pflug, verdächtigt, Eck vor der Disputation unerlaubt Propositionen Luthers zugespielt zu haben.54 Anselm Schubert betont, dass die Kontrahenten mit unterschiedlichen Vorstellungen über den äußeren Rahmen der Disputation nach Leipzig gereist waren, wo sie, wie vereinbart, am 26. und 27. Juni zusammen kamen, um die Rahmenbedingungen vertraglich festzuhalten. »Nach Luther entbrannte der Streit, als Eck versuchte, das wörtliche Protokoll der Disputation zu verhindern. Karlstadt habe unter Hinweis auf die in den offenen Briefen vereinbarten Bedingungen dagegen protestiert, Eck seinerseits dann aber durchgesetzt, 51 Editionen in: Dokumente zur Causa Lutheri … (wie Anm. 14) Bd. 2, 241-257; EBW Nr. 79 u. 84; Schubert: Libertas Disputandi (wie Anm. 45, 424. 52 Reinhard Schwarz: Johann Ecks Disputationsthesen vom Mai 1519 über die erbsündliche »concupiscentia«: ein Angriff auf Martin Luthers Sündenverständnis. In: Im Schatten der Confessio Augustana: die Religionsverhandlungen des Augsburger Reichstages 1530 im historischen Kontext/ hrsg. von Herbert Immenkötter; Gunther Wenz (RST 136). Münster 1997, 127-168. 53 EBW Nr. 87. 92; Brecht: Martin Luther (wie Anm. 23), 295-296. 54 EBW Nr. 89.
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dass die Protokolle nicht veröffentlicht werden sollten, solange nicht gelehrte Richter die Determinatio vorgenommen hätten. Luther bezeichnete dies als Vertragsbruch, weigerte sich, dem von Eck mit Karlstadt ausgehandelten Kontrakt beizutreten, beharrte auf der seiner Ansicht nach vereinbarten ›libertas disputandi‹, die Protokolle der ganzen Welt zum Urteil vorzulegen, und drohte die Disputation platzen zu lassen.« 55
Auch wenn Schubert zu dem Ergebnis kommt, dass »streng genommen« Luthers Vorwurf des Vertragsbruchs durch Eck nicht zutreffe, da nur Luther davon ausgegangen war, es werde keine Determinatio geben und Eck dies nirgends bestätigt hatte, so meine ich doch, Eck ein bewusstes und arglistiges Täuschungsmanöver unterstellen zu können. Die Wittenberger waren ihm in die Falle gegangen und dadurch – hier schließe ich mich Schubert wieder an – in eine Zwickmühle geraten: »Wenn sie Ecks Bedingungen ablehnten, schien es, dass sie die Auseinandersetzung über ihre Thesen scheuten, nahmen sie an, unterstellten sie sich dem Urteil einer altgläubigen Fakultät. Angesichts seines eigentlichen Disputationsziels, den Primatsanspruch des römischen Bischofs als Machwerk des Antichristen zu entlarven, war es für Luther faktisch unmöglich geworden, aus der Disputation formal als Sieger hervorzugehen. Eine Determinatio durch universitäre Theologen kam einem Präjudiz in seinem Ketzerprozess gleich. Nur auf Zureden seiner Gefährten konnte er deshalb bewogen werden, Richter zuzulassen.«56
Am Ende seiner Disputation einigte er sich schließlich mit Eck auf die Universitäten Erfurt und Paris. Die Forderung, alle Fakultäten sollten entscheiden, wurde freilich von Eck entschieden zurückgewiesen, womit er sich bei Herzog Georg auch durchsetzen konnte. Ohnehin wäre es sehr fraglich gewesen, ob insbesondere die Pariser Theologen Luthers Forderung zugestimmt hätten, wie Eck in seiner Stellungnahme wohl zurecht zu bedenken gibt. 57 Da im vorliegenden Band hierfür bereits eigene Referate vorgesehen sind, wird der Verlauf der Leipziger Disputation, die vom 27. Juni bis 16. Juli auf der Pleißenburg stattfand, hier übergangen.58
55 Schubert: Libertas Disputandi (wie Anm. 45), 424-425. 56 Schubert: Libertas Disputandi (wie Anm. 45), 426. 57 EBW Nr. 88. 58 Seit Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519: aus bisher unbenutzten Quellen historisch dargestellt und erläutert. Dresden; Leipzig 1843, ist keine deutschsprachige Monographie zum Thema mehr erschienen. In der neueren Literatur enthalten ausführlichere Untersuchungen: Kurt-Victor Selge: Die Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck. ZKG 86 (1975), 26-40; Brecht: Martin Luther (wie Anm. 23), 295-307; Iserloh: Johann Eck … (wie Anm. 1), 31-46; Schulze: Johannes Eck im Kampf … (wie Anm. 5), 44-57; Schubert: Libertas Disputandi (wie Anm. 45), 419-440; Leppin: Die Genese … (wie Anm. 8), 119-138. Zur Forschung vgl. auch den Beitrag von Hein in diesem Band.
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VI War Leipzig also ein Sieg Ecks? Eck resümiert seinen Leipzigaufenthalt am 26. August wie folgt: »[Bei der Ankunft] hielten die Leipziger nicht viel von mir, da sie entweder Lutheraner59 waren oder fürchteten, ich könne mich gegenüber LUTHER und KARLSTADT nicht behaupten. Als es aber zur Disputation kam, gewann ich so ziemlich alle Leipziger für mich und nahm sie für mich ein, so daß der allerchristlichste Fürst, Herzog GEORG, seine Räte, die Universität und alle Räte der Stadt wünschten, mich bei sich zu haben.«60
Während die Wittenberger Leipzig für reine Zeitverschwendung hielten und gleich nach dem Ende der Disputation abreisten – »wutschnaubend und grußlos«, wie Eck höhnisch bemerkte, – blieb Eck noch elf Tage in Leipzig, um den vermeintlichen oder tatsächlichen Triumph auszukosten, an Disputationen teilzunehmen, Einladungen (unter anderem durch Markgraf Joachim I. von Brandenburg) anzunehmen und auszusprechen sowie gegen Luther zu predigen.61 All dies wurde ihm später vielfach übel angerechnet. Hinzu kamen die leichtfertigen Bemerkungen, die Eck in seinem Brief vom 1. Juli an seine Ingolstädter Universitätskollegen über das Leipziger Bier und die schönen Venuspriesterinnen (»Venereae Veneres«) in Leipzig machte. Der Brief wurde offensichtlich von Sympathisanten der Wittenberger abgefangen und kam auch Luther zur Kenntnis.62 Die Vorwürfe der Trunksucht und Wollust waren seitdem aus keiner der zahlreich kursierenden Satiren auf Eck mehr wegzudenken.63 Tatsächlich hatte Eck von seinem Standpunkt aus auch allen Grund, den Ausgang der Disputation – ein offizielles Ergebnis gab es ja noch nicht – als persönlichen Sieg zu empfinden. Wenn er sich auch meist am Rande und nicht selten jenseits des bei einer akademischen Disputation Zulässigen bewegt hatte, so war es ihm damit 59 »Lutherani« EBW Nr. 92. Dabei handelt es sich um die Zweitnennung dieses Begriffs, nicht die Erstnennung, wie von mir in der 1. Auflage noch vermutet. Die Erstnennung von »Lutterani« erfolgte in Ecks unten genannten abgefangenen Brief vom 1. Juli 1519 aus Leipzig an seine Universitätskollegen Gregor Hauer und Franz Burkhart; EBW Nr. 87; Albrecht Beutel: »Wir Lutherischen«: zur Ausbildung eines konfessionellen Identitätsbewusstseins bei Martin Luther. In: ZThK 110 (2013), 158-186; 159 f; Joachim Ufer: Johannes Oekolampads Flugschrift »Canonici indocti Lutherani« (1519): die erste Veröffentlichung, in der sich Anhänger Luthers als »Lutherani« bekennen. In: Ebernburg-Hefte 52 (2018), 69-88. 60 EBW Nr. 92. 61 EBW Nr. 92. 62 EBW Nr. 87. In seiner viel gelesenen Antwortschrift auf die Bannandrohungsbulle spottete Luther 1520: »wen du die augen so fleyssig in die bucher kerest, als du sie auff die veneras veneres zu Leyptzg hafftest, davon du schreybst gen Ingolstadt, und der truncke dich messigist, szo mochstu zu letzt erkennen dein falsch ungeleret hertz, mundt und feder«; WA 6, 583. 63 Hierzu Johann Peter Wurm: Der »Eccius Philargyrus sive avarus« von 1523: Willibald Pirckheimers dritte Komödie gegen Johannes Eck. Mitteilungen des Vereins für Geschichte Nürnbergs 83 (1996), 33-55.
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doch gelungen, Luther zu einigen waghalsigen – mit Blick auf den gegen diesen laufenden Prozess geradezu halsbrecherischen – Thesen zu verleiten, die den Verdacht der Häresie klar zu bestätigen schienen. Eck hatte Luther in aller Öffentlichkeit zu Aussagen genötigt, die die Amtskirche in ihrer bisherigen Form grundsätzlich in Frage stellten.64 Erwin Iserloh resümiert vom katholischen Standpunkt: »Bei der Disputation waren Eck sein gutes Gedächtnis und seine dialektische Gewandtheit sehr zustatten gekommen. War es seine Gefahr, durch kalte Schärfe den Gegner erst zu häretischen Konsequenzen zu treiben und auf den Irrtum festzulegen, so hat er andererseits das Verdienst, angesichts der dogmatischen Unklarheit seiner Zeit deutlich gemacht zu haben, daß Luther nicht Reform, sondern Angriff auf die Struktur der Kirche bedeutete.«65
War es eine Gefahr Ecks oder Absicht – er hatte Luther damit jede Möglichkeit des Ausweichens genommen. Luther blieb nur noch die Flucht nach vorn, oder, positiver ausgedrückt, der konsequente Weiterverfolg des einmal eingeschlagenen Weges. Insofern vermutet Konrad Amann, die Leipziger Disputation könnte das ausschlaggebende Ereignis für die drei großen Schriften Luthers aus dem Jahre 1520 gewesen sein.66 Eck, der sich in Leipzig als Sieger über die reformatorische Bewegung wähnte, erkannte gleichwohl, wie wichtig es war, die Gunst der Stunde zu nutzen. Von seinem Eintreten im Oberdeutschen Zinsstreit her wusste er noch allzu gut, wie schwer sich Hochschulen taten, in heiklen Fragen zu eindeutigen Urteilen zu gelangen. Erwartungsgemäß reagierten auch die zur Determinatio der Leipziger Disputation aufgeforderten Erfurter und Pariser Theologen und Kanonisten nur zögerlich. Während die Erfurter Theologen vorgeblich aus formalen Gründen beschlossen, keine Entscheidung zu treffen, legte die Sorbonne erst 1521 ein ausführliches Gutachten der Theologischen Fakultät vor, das aber bereits die Entwicklungen seit 1520 mit einbezog und aufgrund des Ausbleibens des Urteils aus Erfurt für eine Determinatio nicht ausreichte.67 Insbesondere in Hinblick auf Erfurt, wo die Wittenberger bereits zahlreiche Sympathisanten besaßen, dürfte dies Eck schon von Anfang an befürchtet haben. Noch in Leipzig bemühte er sich daher, die Entscheidung zu beschleunigen. In seiner Stellungnahme gegenüber Kurfürst Friedrich, sechs Tage nach dem Ende der Disputation, erklärt er seine Bereitschaft, mit Luther in Köln, Löwen oder Paris weiterzudisputieren, – Disputationsorte, die Luther geradezu als absurd erscheinen mussten.68 64 Ammann: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 34), 71. 65 Iserloh: Johann Eck … (wie Anm. 1), 46. 66 Ammann: Die Leipziger Disputation … (wie Anm. 34), 71 f. 67 Brecht: Martin Luther (wie Anm. 23), 321-322; Iserloh: Johann Eck … (wie Anm. 1), 46. 68 EBW Nr. 89. Nur wenige Wochen später, am 30. August, sollte die Theologische Fakultät Köln auf Ersuchen der Löwener Fakultät ein Votum zu der in Basel im Februar des Jahres erschienenen Sammlung von Lutherschriften veröffentlichen, das forderte, die Schriften zu verbieten und den Verfasser zum öffentlichen Widerruf anzuhalten. Am 7. November
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Am 24. Juli, dem Tag vor seiner geplanten Abreise, schrieb Eck an den aufgrund seiner Anklägerrolle im Reuchlin-Prozess berüchtigten Dominikanerinquisitor Jakob von Hoogstraeten, gewissermaßen das Haupt der Kölner »Dunkelmänner«. Er bat ihn, er möge, da die Universität Köln enge Beziehungen zur Universität Paris unterhalte, dorthin Kontakt aufnehmen und Herzog Georgs Gesuch um ein Urteil über die Disputation unterstützen.69 Es war allgemein bekannt, dass Hoogstraeten bereits am 7. April des Jahres in einem Widmungsbrief an Papst Leo X. heftige Anklage gegen Luther erhoben hatte, wenn auch ohne dessen Namen zu nennen, worauf Luther ihn in seiner Antwort als blutgierig und ärgsten Ketzer, der je gelebt habe, bezeichnete.70 Es ist nun interessant zu beobachten, wie Eck, der sich bis dato in der Sache neutral verhalten hatte,71 jetzt plötzlich als scharfer Anti-Reuchlinist auftritt. Die Reuchlinisten (»grammaticelli«) seien es, die Irrlehren in die Kirche einführten. Hätte der Papst härter gegen die »elenden Sprachlehrer« durchgegriffen, die Wittenberger hätten sich in Leipzig nicht so aufführen können.72 Sei es, dass Eck sich mit dieser Bemerkung lediglich bei Hoogstraeten einschmeicheln wollte, sei es, dass er nun, wo er es sich mit den allermeisten Humanisten ohnehin endgültig verdorben hatte, mit seiner wahren Meinung nicht mehr hinter dem Berg hielt. Vermeintlich erbost über Ecks Darstellung der Disputation in dessen Brief an Kurfürst Friedrich fühlte sich Luther nicht mehr an die am Ende der Disputation getroffene Vereinbarung gebunden, vor Bekanntwerden der Urteile der Universitäten Erfurt und Paris nichts zu veröffentlichen. Tatsächlich konnte es sich Luther mit Blick auf den gegen ihn laufenden Prozess gar nicht leisten, stillschweigend das Urteil, das für ihn ohnehin nur negativ ausfallen konnte, abzuwarten. Eck sah den Vertragsbruch freilich auf Luthers Seite und fühlte sich nun seinerseits nicht mehr an die Abmachung gebunden. Nicht nur den Aufenthalt in Leipzig, auch die Rückreise schien Eck auszukosten. Sie führte ihn in drei Wochen über Erfurt, Bamberg, Nürnberg und Regensburg zurück nach Ingolstadt. Mitte August erwartete ihn in Nürnberg allerdings wieder Ungemach in Gestalt von Druckfahnen von Luthers Brief an Georg Spalatin vom 10. des Monats und einem Teildruck der »Resolutiones Lutherianae super propositionibus suis Lipsiae disputatis«.73
folgten auf Veranlassung der Kölner, insbesondere Jakob von Hoogstraetens, die Löwener Theologen mit der Veröffentlichung ihrer »Condemnatio doctrinalis«; Brecht: Martin Luther (wie Anm. 23), 322-323; Dokumente zur Causa Lutheri … (wie Anm. 14) Bd. 2, 258-259. 69 EBW Nr. 91. 70 Dokumente zur Causa Lutheri … (wie Anm. 14) Bd. 2, 258. 71 Iserloh: Johann Eck … (wie Anm. 1), 19; Wurm: Eccius Philargyrus (wie Anm. 63), 35-36. 72 EBW Nr. 91. 73 EBW Nr. 93.
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Gleich nach seiner Rückkehr nach Ingolstadt griff auch Eck wieder zur Feder. Am 2. September veröffentlichte er eine ausführliche Replik auf Luthers Resolutiones, die »Expurgatio adversus criminationes F. Martini Lutter«. Nach einem kurzen parallel verlaufenden Schlagabtausch über den Jüterboger Kanzelstreit triplizierte Luther Ende Oktober kurz mit einer »Epistola super expurgatione Ecciana«.74 Der Streit und eine gleichzeitige in Grobheiten eskalierende schriftliche Auseinandersetzung mit Karlstadt zogen sich noch bis in den April 1520 hin.75 Die Disputation wurde nun in schriftlicher Form fortgeführt.76 Wir haben das Ende von Ecks Leipzigaufenthalt erreicht und verlassen hier den Gang der Ereignisse: Eck hatte nach Leipzig erkannt, dass die »Lutherani« allein mit den Mitteln der akademischen Disputation nicht zu bekämpfen waren. Den nächsten und letzten Schritt musste nun Rom tun. Dabei empfahl sich Eck durch seinen Disputationsbericht an die Kurie und sein neues, Papst Leo X. gewidmetes Werk »De primatu Petri« selbst als Sachverständiger für den 1520 wieder aufgenommenen Luther-Prozess.77
74 Dokumente zur Causa Lutheri … (wie Anm. 14) Bd. 2, 266-315. 75 Hierzu ausführlich Brecht: Martin Luther (wie Anm. 23), 309-315. 76 Schon am 26. August finden wir Eck bei der Arbeit an seinem ersten größeren systematischen Werk. Nicht zufällig griff er mit »De primatu Petri« den Kernpunkt der Auseinandersetzung mit Luther auf. Am 1. April 1520 konnte er das Manuskript des Papst Leo X. gewidmeten Werks in Rom persönlich überreichen; Iserloh: Johann Eck … (wie Anm. 1), 46-49. 77 Iserloh: Johann Eck … (wie Anm. 1), 49.
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Johann Peter Wurm
Abb. 39: Figur Johann Ecks am Gebäude Petersbogen in Leipzig zum Burgplatz hin, 2019
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Der Merseburger Bischof Adolf und die Leipziger Disputation
Der Merseburger Bischof Adolf und die Leipziger Disputation Überlegungen zu Möglichkeiten und Grenzen kirchenpolitischen Handelns des Bischofs in Bistum und Hochstift1 Von Markus Cottin Am Freitag vor Palmarum 1517, also dem 3. April, bestellte der Merseburger Rat den Bader der Merseburger Saalstube mit seinem Gesinde ein und befragte diese zu ihrem Wasserzieher Kunz. Dieser war in das Gefängnis gesetzt worden, da er »dye romissche bebistliche gnade vorsprochen und gelastert […] und in der kirchen sancti Maximi geruffen und geschr[ieen] und geblocket als eyne unvernunfftig thier.«2
Diesem Vorwurf widersprachen die Befragten, über das weitere Schicksal des Wasserziehers ist indes nichts bekannt. Dieser Merseburger Vorgang im Jahr des Thesenanschlags ist offenbar ein Beleg für die aufgeladene religiöse Stimmung und legt nahe, einen Blick auf das Merseburger Bistum und dessen Bischof Adolf von Anhalt im Zeitalter der Leipziger Disputation und der frühen Reformation zu werfen. Immerhin erstreckte sich das Bistum Merseburg über Teile des »Mutterlandes der Reformation«, wobei es gleich ist, ob man damit das albertinische oder ernestinische Territorium meint. Das Bistum reichte, grob gesprochen, von einem kurzen Streifen westlich der Saale bis an die Mulde.3 Damit schloss es von West nach Ost das Hochstift Merseburg sowie albertinische und ernestinische Ämter ein. So lag inmitten des Bistums die Stadt Leipzig mit ihrer Universität, deren Kanzlerschaft der Merseburger Bischof innehatte.4 Bischof Adolf von Anhalt war demnach mit den verschiedensten Entwicklungen der Reformation, sei es durch die Erstreckung seines Bistums oder die Zuständigkeit für die Universität Leipzig, konfrontiert.5 1 Text des Vortrags auf der Arbeitstagung »Leipziger Disputation« vom 31. Oktober 2009 im Neuen Rathaus zu Leipzig. Die Vortragsform wurde beibehalten und lediglich wichtige Literatur- und Quellenangaben ergänzt. 2 Historisches Stadtarchiv Merseburg, Rep. K 811 »Stadtbuch 1507-1524«, fol. 233v. 3 Vgl. die Karte von Karlheinz Blaschke und Manfred Kobuch »Hochstift und Bistum Merseburg bis zur Reformation« in: Der Merseburger Dom und seine Schätze: Zeugnisse einer tausendjährigen Geschichte (Kleine Schriften der Vereinigten Domstifter zu Merseburg, Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz; 6). Petersberg 2008, 16 f. 4 Vgl. dazu nun Enno Bünz: Gründung und Entfaltung: die spätmittelalterliche Universität Leipzig 1409-1539. In: Enno Bünz; Manfred Rudersdorf; Detlef Döring: Geschichte der Universität Leipzig 1409-2009. Bd. 1: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit 1409-1830/31. Leipzig 2009, 21-325, hier 67. 5 Dazu immer noch grundlegend Albert Fraustadt: Die Einführung der Reformation im Hochstift Merseburg, größtentheils nach handschriftlichen Quellen dargestellt. Leipzig 1843 sowie Heiko Jadatz: Wittenberger Reformation im Leipziger Land: Dorfgemeinden im Spiegel der evangelischen Kirchenvisitationen des 16. Jahrhunderts (HCh Sonderbd.; 10). Leipzig 2007. Einen Überblick bietet Alexander Lehmann: Reformation und evange-
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Markus Cottin
Abb. 40: Epitaph des Bischofs Adolf von Anhalt (1458-1526)
Der Widerstand Adolfs von Anhalt gegen die Disputation ist sattsam bekannt, sei jedoch hier nochmals nachvollzogen. Anschließend soll der Versuch unternommen werden, die Position des Bischofs im Blick auf sein sonstiges kirchenpolitisches Handeln verständlich zu machen und zudem seine Handlungsspielräume auszuloten. lische Geistlichkeit im Hochstift Merseburg: kritische Forschungsbilanz und Ausblick auf Protostrukturen eines evangelischen Klerus im 16. Jahrhundert. Magisterarbeit (masch.). Halle 2009.
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Der Merseburger Bischof Adolf und die Leipziger Disputation
Adolf von Anhalt trat, seit ihm die Absicht der Disputation zur Kenntnis gegeben worden war, als deren entschiedener Gegner auf. Damit geriet er in heftigen Gegensatz zu Herzog Georg, dem er sonst freundschaftlich verbunden war, denkt man insbesondere an gemeinsame kirchenpolitische Maßnahmen.6 In einem Brief Bischof Adolfs an Herzog Georg vom 11. Januar 1519 zeigte er diesem an, dass er Kenntnis von der geplanten Disputation bekommen habe. Er bemerkte, dass der Ablass, der ja Gegenstand der Disputation sein sollte, »vil ergernis under dem gemeynen volke und ferlickeyt der selen«7 hervorbringen würde. Ob darüber zu disputieren sei, dazu äußerte sich Bischof Adolf schließlich nicht, doch brachte er vor, dass der Papst verfügt habe, dass über den Ablass nicht öffentlich zu disputieren sei. An dieses päpstliche Verbot sah sich der Merseburger Bischof gebunden, da er dem Papst »mit schweren eyden zugethan und vorpflicht«8 sei. Gegenüber der Universität Leipzig hatte Bischof Adolf darauf gedrungen, eine solche Disputation nicht zuzulassen.9 Er fürchtete, dass nicht nur der römischen Kirche als Ganzer, sondern insbesondere seiner Merseburger Kirche durch eine Auflehnung gegen den Papst Schaden erwachsen könne. Diese Äußerung des Bischofs mag man in Zweifel ziehen, doch hat gerade die jüngere Forschung deutlich gemacht, dass die mitteldeutschen Bistümer an der Schwelle zur Reformation keineswegs romfern agierten.10 Man denke nur an die päpstlichen Möglichkeiten der Stellenbesetzung, die freilich bis dato selten auf Veranlassung der Kurie geschahen. Zugleich pflegte Bischof Adolf selbst einen guten Kontakt nach Rom, womöglich mit Hilfe der Prokuratoren Herzog Georgs. Hierbei kann zum Beispiel der Merseburger Dompropst Günther von Bünau, der spätere Bischof von Samland, erwähnt werden, der Adolf von Anhalt zu seinem Testamentsvollstrecker bestimmte. 11 Schließlich zeigt der Briefwechsel Adolfs mit seinem Bruder Magnus, seinem Nachfolger als Magdeburger Dompropst, dass er über die römischen Verhältnisse stets gut unterrichtet war.12 Die Ablehnung der Disputation aufgrund päpstlicher Bedenken war demnach keine bloße Ausflucht des Merseburger Bischofs. 6 Vgl. Christoph Volkmar: Reform statt Reformation: die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488-1525 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 41). Tübingen 2008, 190-225. Zu verweisen ist an dieser Stelle auf die Beiträge von Heiko Jadatz und Christoph Volkmar im vorliegenden Band. 7 ABKG 1, 54, Nr. 69. 8 Ebd. 9 Vgl. dazu aus Sicht der Universität Bünz: Gründung und Entfaltung (wie Anm. 4), 232-235. 10 Siehe dazu Volkmar: Reform statt Reformation (wie Anm. 6), 112-153 sowie Götz-Rüdiger Tewes: Die römische Kurie und die europäischen Länder am Vorabend der Reformation (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; 95). Tübingen 2001. 11 Vgl. Christoph Volkmar: Mittelsmänner zwischen Sachsen und Rom: die Kurienprokuratoren Herzog Georgs von Sachsen am Vorabend der Reformation. Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 88 (2008), 244-309, hier 286-288. 12 Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau, GAR, NS. F. Adolf, Nr. 1 und 2.
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Herzog Georg verwunderte die Ablehnung des Bischofs indes, wobei er auch auf dessen Bedenken wegen der päpstlichen Verfügung einging. Er betonte jedoch die Freiheit der Universität, wo schon vielfach über verschiedene theologische Fragen disputiert worden war.13 Herzog Georg hoffte, dass der Bischof die Disputation zulasse, zumal damit die Laien unterwiesen werden könnten. Dies könne, so Georg, dem Papst nicht zuwider sein. Bischof Adolf verneinte seinerseits den Vorwurf, er würde den Leipziger Theologen mit seiner Weigerung einen Gefallen tun.14 Seine Gründe lägen anders, ließ er den Herzog wissen, dies wolle er allerdings mit einem Vertrauten unter vier Augen besprechen. Georg antwortete nunmehr knapp, er wünsche, dass die Disputation gehalten werde, und Adolf solle einen Vertrauten schicken, falls er es für nötig halte.15 Der Ton zwischen Georg und Adolf wurde damit unfreundlicher. Der Merseburger Bischof mahnte schließlich nochmals die Sendung eines Vertrauten an und betonte die ursprünglich genannten Beweggründe, nämlich die sich ergebenden nachteiligen Folgen für die Merseburger Kirche. Herzog Georg sah die Dringlichkeit ein und fertigte Cäsar Pflug an den Merseburger Bischof ab. Hintergrund dessen war jedoch insbesondere, dass er fürchtete, eine fernere Weigerung des Merseburger Bischofs könnte den Leipziger Theologen, die sich ebenfalls gegen die Disputation wandten, Auftrieb geben. Zudem ließ Georg seinen Gesandten wissen, dass »abwol seine lieb bischof zu Merseburgk« sei, »so ist sie dannoch nicht eyn furst des landes«.16 Georg hätte das landesherrliche Kirchenregiment und damit die Kräfteverhältnisse in Bezug auf das herzogliche Territorium und die Universität Leipzig kaum deutlicher formulieren können. Der Fortgang der Auseinandersetzungen zeigte jedenfalls deutlich, dass Herzog Georg am längeren Hebel saß. Im Juni 1519 schrieb er an den Bischof, dass er durch Cäsar Pflug Kenntnis habe, dass der Merseburger Bischof ein Mandat wider die Disputation wolle anschlagen lassen. Geschickt verwies er darauf, dass auch der Papst die Veröffentlichung eines Schreibens zur geplanten Disputation plane. Er bat darum, dass Adolf von Anhalt mit der Veröffentlichung seines Mandats warte, bis das päpstliche angeschlagen sei. Sollte keine päpstliche Bekanntmachung erfolgen, wolle man das Merseburger Mandat veröffentlichen. Geschickt versuchte der Herzog damit, die Veröffentlichung des bischöflichen Willens zu verhindern, und konnte sich dabei auf den Papst berufen. Bischof Adolf verwies in einem weiteren Schreiben vom 20. Juni nochmals auf den päpstlichen Willen und erklärte sich bereit, das von ihm geplante Mandat zu übersenden.17 Dies geschah am 25. Juni mit der Bitte an den Herzog, es am 13 ABKG 1, 58-62, Nr. 74 f. 14 ABKG 1, 64, Nr. 78. 15 ABKG 1, 66, Nr. 81. 16 ABKG 1, 68 f, Nr. 87, hier 68. 17 ABKG 1, 89, Nr. 118.
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Der Merseburger Bischof Adolf und die Leipziger Disputation
Schloss, wo die Disputation stattfinden sollte, anschlagen zu lassen.18 Da er darin die Disputation unter Androhung der Exkommunikation verbot, stieß das Mandat beim Herzog nicht auf Gegenliebe. Zwar antwortete er dem Bischof moderat, doch ließ er seine Räte Pflug und Kochel wissen, dass die zur Disputation reisenden Parteien vor den Übergriffen des Merseburger Bischofs zu schützen seien.19 Es gelang dem Merseburger Bischof somit nicht, die Disputation zu verhindern. Trotz der Kanzlerschaft des Bischofs für die Leipziger Universität und dem guten Verhältnis zu den Leipziger Theologen hatte sein Wort weniger Gewicht als das des Landesherrn. Dieser ließ vom Leipziger Rat die Mandate des Bischofs abnehmen und bereitete somit der Disputation den Weg. Noch 1522 äußerte sich Adolf von Anhalt abfällig über die Ergebnisse der Disputation, indem er darin eine Ursache dafür sah, dass sich die lutherische Lehre weiter ausbreiten konnte. Leipzig als der bedeutendsten Stadt des Merseburger Bistums kam dabei unzweifelhaft eine große Strahlkraft zu, die durch die Messen noch verstärkt wurde.20 Adolf von Anhalt, der häufiger in Leipzig weilte, wird dies von vornherein erkannt haben, was ein Grund für seine Ablehnung gewesen sein wird. Der Gang der Auseinandersetzungen um die Leipziger Disputation, dies sei nochmals betont, wird in diesem Band an anderer Stelle behandelt. Schwerwiegend war für den Merseburger Bischof der päpstliche Einspruch und die damit verbundene Furcht, die Merseburger Kirche könne bei einem Zuwiderhandeln Schaden nehmen. Ferner muss dem Bischof die öffentliche Wirkung der Disputation bewusst gewesen sein, obgleich dies im Laufe der Auseinandersetzungen keine überragende Rolle spielte. Insgesamt zeigte sich der Primat der weltlichen Gewalt gegenüber der geistlichen Zuständigkeit, mithin das landesherrliche Kirchenregiment.21 Der Merseburger Bischof wurde indes nicht erstmalig mit dieser Realität konfrontiert, sondern war sich der Grenzen seines Handelns durchaus bewusst und hat zudem diese Abhängigkeit auch bewusst zu seinem Vorteil nutzen können. Die bischöfliche Kirchenpolitik ist an dieser Stelle grob zu skizzieren, um die bischöflichen Vorbehalte besser zu verstehen und seinen eigenen Handlungsspielraum abschätzen zu können. Das eingangs genannte Beispiel der »Kirchenkritik«, die dem Merseburger Stadtrat zu Ohren gekommen war, verweist darauf, dass der Bischof auch in seinem 18 ABKG 1, 89, Nr. 119. 19 ABKG 1, 90, Nr. 120 f. 20 Vgl. Helmut Bräuer: Von der Leipziger Teilung zum Westfälischen Frieden (1485-1648). In: Neues Leipzigisches Geschicht-Buch/ hrsg. von Klaus Sohl. Leipzig 1990, 72-99. 21 Vgl. dazu Enno Bünz; Christoph Volkmar: Das landesherrliche Kirchenregiment in Sachsen vor der Reformation. In: Glaube und Macht: Theologie, Politik und Kunst im Jahrhundert der Reformation/ hrsg. von Enno Bünz (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt; 5). Leipzig 2005, 89-109.
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Hochstift auf Mithilfe angewiesen war. In diesem Falle war es der Stadtrat, der wohl den Wasserzieher einvernommen hatte, um dessen Verfehlungen zu ermitteln. Antiklerikale Bestrebungen hatten sich indes im Bistum Merseburg schon früh gezeigt. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass das Bistum als geistlicher Einzugsbereich des Bischofs bereits im späten Mittelalter weitgehend ausgehöhlt war.22 Dabei muss gar nicht auf den unbestreitbaren Quellenmangel zur geistlichen Amtsführung der Bischöfe verwiesen werden. Vielmehr traten die Archidiakone als Amtswalter des Bischofs bereits seit dem 14. Jahrhundert kaum noch in Erscheinung und war der Merseburger Bischof bei der Durchsetzung von Kirchenstrafen außerhalb seines Hochstifts auf die Hilfe der wettinischen Amtleute oder Stadträte angewiesen. Kurzum: die kirchenrechtliche Exekutive des Bischofs war schwach, was allerdings selbst am Bischofssitz, also in Merseburg, spürbar war. Über die Verhältnisse hier sind wir insbesondere durch ein 1507 einsetzendes Stadtbuch exzellent informiert. Die Hauptkirche der Stadt, im Blick auf die hier getätigten Stiftungen die eigentliche Bürgerkirche, war St. Maximi. Hier hatte der Merseburger Dompropst das Patronatsrecht, die Bestimmung der Altarleute, also der Verwalter der Fabrik und der Messstiftungen oblag indes bereits dem Merseburger Rat.23 Spätestens seit 1516 bemühte sich der Merseburger Rat auch um das Besetzungsrecht für die Maximikirche. Dazu befand man sich in Verhandlungen mit dem Merseburger Dompropst, der allerdings höchst selten in der Stadt beziehungsweise Domfreiheit weilte.24 Das kirchenpolitische Engagement Bischof Adolfs, aber auch seine Ohnmacht zeigte sich unter anderem an einem Ereignis 1516. Am Donnerstag nach Elisabeth (20. November) dieses Jahres besuchte der Bischof in eigener Person das Merseburger Rathaus, ließ allerdings seinen Hauptmann Sigismund von Brandenstein seine Forderungen vortragen.25 So beklagte dieser, dass »vyle ebrecherey sey in der stadt und unczucht dye der radt uß sunderlichem empfehel seyner fürstlichen gnaden straffen und rechtfertigen solde«.
Diese Maßnahme zeigt, wie gesagt, das Engagement des Bischofs, doch deutet sich an, dass selbst am Bischofssitz eine wirksame Exekutive fehlte. Der Bischof musste auf den Stadtrat zurückgreifen, um Strafmaßnahmen durchzusetzen. Über die Wirksamkeit der bischöflichen Anweisung kann man sich 1518 ein Bild machen. In diesem Jahr ließ der Bischof nunmehr ein eigenes Gefängnis für die Vergehen der Ehebrecherei und Unzucht einrichten.26 Zudem schärfte er dem Stadtrat nochmals 22 Vgl. dazu Markus Cottin: Hochstift und Bistum Merseburg bis zur Reformation. In: Der Merseburger Dom und seine Schätze (wie Anm. 3), 13-32. 23 Vgl. dazu auch die Rechnungsüberlieferung der Kirche St. Maximi, Historisches Stadtarchiv Merseburg, Registratur über Einnahme und Ausgabe der Kirchgemeinde St. Maximi 1503-1559. 24 Historisches Stadtarchiv Merseburg, Rep. K. 811, fol. 171r. 25 Historisches Stadtarchiv Merseburg, Rep. K. 811, fol. 216r. 26 Historisches Stadtarchiv Merseburg, Rep. K. 811, fol. 290r.
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ein, auf derartige Verstöße gegen das Kirchenrecht ein sonderliches Aufsehen zu haben. Schließlich veranlasste der Merseburger Bischof seit 1517 an zahlreichen Orten die Aufrichtung von Galgen als sichtbare Zeichen der Obergerichtsbarkeit und der Strafandrohung.27 Ob man diese Unternehmen der Sozialdisziplinierung bereits in den Kontext der frühen Reformation setzen kann, muss zunächst dahingestellt bleiben. Eine weitere Maßnahme Bischof Adolfs von 1519 wird man jedoch problemlos zur Leipziger Disputation in Beziehung setzen können. Aus diesem bewegten Jahr datiert nämlich das Gestühl im Langhaus des Merseburger Doms, das das Wappen Bischof Adolfs zeigt. Im gleichen Jahr oder wenig früher war die geschnitzte Kanzel des Domes entstanden.28 Beide Ausstattungsstücke dienten mithin der Aufwertung der Predigt im Dom, wobei das Gestühl offenbar für die Honoratioren der Stadt gedacht war. Schließlich sind es nämlich schriftliche Quellen, die belegen, dass sich die Predigten nicht allein an die Bewohner der Domfreiheit, sondern vor allem auch an die Bürger Merseburgs richteten. Das Stadtbuch hält fest, dass bereits 1518 regelmäßig gemahnt wurde, fleißig die Predigt im Dom zu besuchen.29 Dem Bischof lag demnach an einer Unterweisung durch das Wort, wobei wir keinerlei Wissen über die Predigtinhalte und deren Wirkung auf die Zuhörer haben. Bischof Adolf muss jedoch bewusst gewesen sein, dass die Predigt und Disputation offenbar scharfe Waffen in den Auseinandersetzungen der Reformation waren. Es ist wohl kein Zufall, dass der Bischof im Jahr der Disputation den Besuch der Predigten im Dom durch die Anschaffung eines Gestühls wesentlich attraktiver gestaltete! Auf ein weiteres Ausstattungsstück des spätmittelalterlichen Domes sei verwiesen, da es ebenfalls eine kirchenpolitische Dimension besitzt. Am Übergang von der Vorhalle in das Schiff des Domes befindet sich eine Plastik, die ebenfalls in die Zeit Bischof Adolfs gehört.30 Sie zeigt Mose mit zwei Gesetzestafeln, von denen eine die Zehn Gebote in lateinischer Sprache, die andere in der deutschen Übersetzung zeigt. Die Platten waren einst grün gefasst, die erhabenen Buchstaben golden. Der Anbringungsort der Plastik war so gewählt, dass sie jedem Eintretenden sofort ins Auge fiel und damit auch den Besuchern der Predigten. Derartige belehrende Schrifttafeln finden sich seit dem 15. Jahrhundert auch in vielen Pfarrkirchen.31 Diese besondere Form der Unterweisung der Laien ist insbesondere durch Hartmut Boockmann in die Diskussion um die Kirchenreformen 27 Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Standort Wernigerode, Rep. A 30a I, Nr. 9, fol. 8v. 133v. 224r. 28 Vgl. dazu: Der Merseburger Dom und seine Schätze (wie Anm. 3), 151-156, Nr. I. 22 f (Markus Hörsch). 29 Historisches Stadtarchiv Merseburg, Rep. K. 811, fol. 289v. 30 Der Merseburger Dom und seine Schätze (wie Anm. 3), 141, Nr. I. 19 (Markus Cottin). 31 Hartmut Boockmann: Über Schrifttafeln in spätmittelalterlichen deutschen Kirchen. In: Hartmut Boockmann: Wege ins Mittelalter: historische Aufsätze/ hrsg. von Dieter Neitzert; Uwe Israel; Ernst Schubert. München 2000, 227-238.
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des 15. Jahrhunderts eingeführt worden. Nun wird man einer einzelnen Tafel kaum eine große, noch dazu messbare Wirkung zuschreiben können. Im Falle des Mose aus dem Merseburger Dom handelt es sich jedoch um die Initiative eines Bischofs, und es wird nicht überraschen, dass auch dieses Ausstattungsstück mit einer weiter greifenden Maßnahme des Bischofs verknüpft war. So ließ Adolf den jährlich beim Ratswechsel in Merseburg verkündeten Artikeln der Gemeinde den Wortlaut und eine kurze Erklärung der Zehn Gebote voranstellen.32 »Der stat cristlich regiment unnd ordnunge«, so der Bischof, aber auch alle Bürger und Einwohner, sollten stets die 10 Gebote vor Augen haben. Die Schrift fährt schließlich fort: »Auff das aber kein entschuldigunge der unwissenheyt, dye in dissem fall streflich unnd verthunlich ist furgewandt magk werden, wirt volgende eins iglichen gebots mit der erklerunge unsers seligmachers auff seynen heyligen worten unnd ewangelio kurczlich aussgeczogenn, angeczeigt.«
Tatsächlich folgen darauf die Zehn Gebote mit jeweils kurzen Erklärungen, die auf das Neue Testament gestützt sind, wobei Marginalien gar die genauen Bibelstellen vermerken. Man wird diese Maßnahme Bischof Adolfs wohl – die Ordnung ist leider undatiert – in die 1520er Jahre weisen können. Ob der Bischof bewusst das reformatorische Prinzip »sola scriptura« übernahm, bleibt dahingestellt. Wichtig ist das immer wieder aufscheinende Prinzip der direkten Unterweisung. Nun mag man einwenden, dass die Bischofsstadt Merseburg und der Dom schlechte, weil einmalige Beispiele für das kirchliche Wirken Bischof Adolfs sind. Dieser Einwand hat seine Berechtigung, verlangt aber meines Erachtens nach Differenzierung. Die Beschränkung der Maßnahmen auf Merseburg zeigt das eingeschränkte Handlungsfeld des Bischofs. Nicht das Bistum, sondern offenbar nur das Hochstift war seit dem späten Mittelalter ein sicherer Aktionsradius. Vielleicht muss man dies sogar noch auf die unter dem Patronat von Bischof und Domkapitel stehenden Kirchen einschränken, doch fehlen dafür beweiskräftige Quellen.33 Eine Verordnung wie die Mahnung zur Predigt oder die Ergänzung der Stadtartikel durch den Bischof war also nur in den Städten des Hochstifts möglich, für Leipzig ist eine solche Maßnahme undenkbar. Es sei der Schluss ex negativo gestattet: Für Leipzig findet sich eine solche bischöfliche Anordnung in der überreichen Schriftlichkeit des Stadtarchivs34 jedenfalls nicht. Somit kommen die Merseburger Verordnungen Bischof Adolfs nicht als Verordnungen eines geistlichen Oberhirten daher, sondern vielmehr als landesherrliche Gebote und Ordnungen. Weder der romtreue Herzog Georg noch der lutherisch gesinnte sächsische Kurfürst Friedrich der Weise hätten 32 SHStA Dresden, Kopial 1293 »Copial das Stifft Merseburg betreffende, Anno 1522-1559«, fol. 67r-70v, die Bemerkungen zu den Zehn Geboten fol. 67r-69r. 33 Immerhin belegen die späteren Auseinandersetzungen im Zuge der Reformation, dass Kirchen unter adligem Patronat selbstbewusst mit evangelischen Predigern besetzt wurden. 34 Übersicht über die Bestände des Stadtarchivs Leipzig (Leipziger Kalender, Sonderbd. 2002/1). Leipzig 2002.
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in ihren Territorien, die teilweise zum Merseburger Bistum gehörten, ein derartiges Engagement des Merseburger Bischofs geduldet. Jedenfalls war er auf das Wohlwollen dieser Landesherren angewiesen, wollte er kirchenpolitische Maßnahmen durchsetzen. Die frühen Entwicklungen unmittelbar nach 1517 zeigen dies recht deutlich.35 In das ernestinische Borna wurde 1519 Wolfgang Fuß als Prediger berufen. In Grimma, das ebenfalls zum ernestinischen Herrschaftsbereich gehörte, konnte die Reformation seit 1520 eindringen. Beide Städte sind insofern von Bedeutung, als der Merseburger Bischof Adolf hier 1524 eine Visitation vornahm. Er fand dabei lutherische Pfarrer vor, die ihre Standpunkte hartnäckig verteidigten. In Borna hatte sich die Lage des Rates insofern gebessert, als es 1522 gelungen war, das Patronat über die Stadtkirche St. Marien vom Benediktiner-Kloster Pegau zu erwerben. In Borna ließ sich der Domprediger des Merseburger Bischofs in einen heftigen Streit mit dem Pfarrer ein. Es kann kaum besser verdeutlicht werden, wie stark das Selbstbewusstsein der lutherischen Prediger gewachsen war. Zudem lässt sich das gleiche Muster des Zugriffs erkennen wie in Merseburg. Neben den Pfarrern verhandelte der Bischof auch mit den Stadträten, also der weltlichen Obrigkeit. So empfahl er dem Grimmaer Stadtrat, auf das Fleischverbot in der Fastenzeit ein Aufsehen zu haben. In Borna verhandelte Bischof Adolf lange mit dem Stadtrat sowie dem Geleitsmann Michael von der Straßen. Dies bestätigt wiederum, dass es dem Bischof für die Ausübung seiner geistlichen Aufgaben vollkommen an einer wirksamen Exekutive mangelte. Seine Empfehlungen an die Räte und landesherrlichen Beamten sowie eine Schrift über das Fasten blieben jedoch wirkungslos. Als im Januar 1526 das Amt Borna visitiert wurde, war dort ein Großteil der Pfarrer evangelisch gesinnt. Anders lagen freilich die Verhältnisse in jenem Teil des Bistums Merseburg, der zum albertinischen Herzogtum zählte. Der Dissens über die Leipziger Disputation hatte Herzog Georg und Bischof Adolf nicht entzweien können. Die stürmische Entwicklung der Reformation zeigte die beiden in der Folge vielmehr stets Seite an Seite. Bekannt ist insbesondere die harte Haltung gegenüber den Predigern und ihren Anhängern in der Bürgerschaft, die seit 1522 in Leipzig auftraten. Nur mit Mühe gelang es Herzog Georg, diese Leipziger Bewegung einzudämmen, was insbesondere nach dem Bauernkrieg harte Strafmaßnahmen erforderte. Auch hier spielte der Merseburger Bischof keine sonderlich aktive Rolle, sondern konnte sich nur auf den Herzog stützen. Besonders deutlich wird dies, als 1523 in Ölzschau von Adolf von Zehmen ein lutherischer Prediger eingesetzt wurde. Auch hier konnte der Bischof nicht auf eigene Faust vorgehen, obgleich der Ort unmittelbar an der Ostgrenze des Hochstifts lag. Vielmehr veranlasste er Herzog Georg zum Eingreifen gegenüber dem Prediger sowie dem lutherisch gesinnten Patronatsherrn. 35 Vgl. dazu die in Anm. 5 genannte Literatur. Auf Einzelnachweise wird verzichtet.
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Schließlich belegt ein Ereignis im Hochstift Merseburg, in welcher Spannungssituation sich der Merseburger Bischof befand. Als sich im Mai 1525 Merseburger Bürger und einige Einwohner umliegender Dörfer gegen Bischof und Domkapitel erhoben, flüchteten diese in den Schutz des albertinischen Herzogs nach Leipzig.36 Unter den zahlreichen Forderungen der Merseburger Bürgerschaft befand sich auch die nach einem evangelischen Prediger. Die Schutzherrschaft der Albertiner über das Hochstift Merseburg wurde jedoch voll wirksam. Herzog Georg ließ die Stadt besetzen und einen Großteil der Anführer des Protests hinrichten. Wiederum hatte sich deutlich gezeigt, wie wenig Handhabe der Merseburger Bischof für die Durchsetzung seiner Kirchenpolitik hatte. Sieht man von diesem singulären Ereignis ab, so gab es für den Bischof seit 1517, deutlicher aber noch seit 1519 Anzeichen für ein Anschwellen der reformatorischen Bewegung in seinem Bistum. Die Weihematrikel des Merseburger Bischofs verrät, dass die Zahl derer, die in Merseburg einen der vier höchsten Weihegrade erhielten, beständig sank.37 Insbesondere durch die Nähe zur Universität Leipzig verfügte der Merseburger Bischof rein territorial über ein sehr großes Einzugsgebiet. Hinzu kam, dass er auch an Personen aus dem Erzbistum Magdeburg und den Bistümern Naumburg und Meißen regelmäßig Weihen vornahm. Die Matrikel ist damit ein guter Gradmesser für das Vordringen der reformatorischen Bewegung. Insbesondere seit 1519 zeigt sich ein deutlicher Abbruch bei der Zahl der Priesterweihen. An den vier Weiheterminen des Jahres erschienen insgesamt kaum noch 30 Priesterkandidaten. Angesichts einer Zahl von über 200 Pfarrkirchen im Bistum war dies freilich viel zu gering. Dem Bischof war dies bewusst, so dass er 1524 an seine Schwägerin Margarethe von Münsterberg schrieb, »dass zcu Magdeburg und fahst yn allen stifften und kirchen keyne fullekomen standt und nucz zcugeht«, also kaum geeignete geweihte Geistliche vorhanden seien.38 Der Anlass seines Schreibens war die von ihm vorzunehmende Weihe seines Neffen Georg zum Subdiakon.39 Im Jahre 1524 weihte der Bischof insgesamt nur 37 Personen – dies entsprach vor 1517 zeitweilig der Zahl der Priesteranwärter zu einem Weihetermin! Wenn der Bischof also einmal rückblickend bemerkte, die Leipziger Disputation habe der lutherischen Sache genutzt, so tätigte er diese Aussage offenbar auch mit Blick auf das geistliche Personal. 36 Vgl. dazu die Quellen in Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland. Bd. 2/ hrsg. von Walther Peter Fuchs (Aus den Schriften der Sächsischen Kommission für Geschichte; 37). Jena 1942. 37 Die Matrikel des Hochstifts Merseburg 1469 bis 1558/ hrsg. von Georg Buchwald. Weimar 1926. 38 Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau, GAR, NS. F. Adolf, Nr. 6, fol. 82r. 39 Vgl. zu diesem nun 500 Jahre Georg III. Fürst und Christ in Anhalt/ hrsg. von Achim Detmers; Ulla Jablonowski (Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde, Sonderbd. 2008). Köthen 2008.
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Der Merseburger Bischof Adolf und die Leipziger Disputation
Auch beim gemeinen Mann im Hochstift Merseburg muss es ein steigendes Misstrauen gegenüber der alten Kirche gegeben haben. Ablesen lässt sich dies beispielhaft an den Kirchenrechnungen der Markranstädter Bartholomäuskirche, die unter dem Patronat des Bischofs stand. Die 1518 einsetzenden Rechnungen verraten,40 dass in jener Zeit ein neues Kirchenschiff gebaut wurde, wofür die Kirche die Erlaubnis zum Spendensammeln vom Bischof erhalten hatte. Die aus den umliegenden Dörfern sowie dem Städtchen Markranstädt einkommenden Gelder nahmen sich jedoch stets sehr bescheiden aus. Dies geriet insbesondere bei der Anschaffung und Vergoldung eines Schlusssteins fast zum Desaster. Der Kauf eines neuen Bettelbriefs beim Merseburger Bischof für einen Gulden überstieg die eingekommenen Gelder bei weitem! So deutet sich meines Erachtens exemplarisch an, dass die reformatorische Bewegung auch im Hochstift bereits zu einer gewissen Zurückhaltung und Distanz gegenüber der alten Lehre und ihren dinglichen Ausprägungen geführt hatte. Besonders deutlich wird dies freilich erst, als mit dem Tod Herzog Georgs 1539 der letzte Rückhalt der Merseburger Bischöfe weggefallen war und nach dem Tode Bischof Sigismunds 1544 allenthalben evangelische Prediger im Hochstift berufen wurden. Im Blick auf die Leipziger Disputation und Bischof Adolf ergibt sich aus dem Angeführten ein seltsamer Zwiespalt. Zum einen lehnte er die Disputation ab, zum anderen setzte er selbst zahlreiche Hebel in Bewegung, um den gemeinen Mann zu unterweisen. Die Befürchtungen des Bischofs bezüglich der Disputation waren offenbar stark auf die Universität Leipzig gerichtet, die ihm ja als Pflanzstätte für die Geistlichkeit seines Bistums gelten musste. Tatsächlich brach der Zustrom von dort, blickt man auf die Klerikerweihen, fast vollkommen ab. Bedenken mögen den Bischof auch bezüglich der Öffentlichkeitswirksamkeit der Stadt Leipzig beschlichen haben. Die bedeutende Stadt im albertinischen Herzogtum war von ungemeiner Strahlkraft, die nicht nur den Einzugsbereich des Merseburger Bistums betraf. Möglicherweise traten die theologischen Bedenken Bischof Adolfs hinter diese Wirkungen sogar zurück. Seine eigene Kirchenpolitik war ja geprägt von möglichst öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen der Unterweisung. Die angeführten Beispiele des Erscheinens im Merseburger Rathaus und der Verkündung und Erklärung der Zehn Gebote sprechen darüber Bände. Eine dezidierte theologische Haltung des Bischofs lässt sich daraus freilich noch nicht gewinnen, hierzu müssen künftig weitere Quellen herangezogen werden. Aus der eingangs angeführten Begebenheit wurde deutlich, dass dem Merseburger Bischof Kritik an der römischen Kirche bekannt war. Ob er allerdings in die Reihe reformorientierter Bischöfe des ausgehenden Mittelalters einzuordnen ist oder erst unter dem Druck der reformatorischen Bewegung die hier skizzierten Maßnahmen der Laienunterweisung einleitete, kann (noch) nicht entschieden werden. 40 Pfarrarchiv Markranstädt, Alt-Archiv, Sign. 16.01. »Kirchenrechnungen 1518-1586«.
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Markus Cottin
Die Erkenntnis, dass der Bischof bei diesen Maßnahmen auf die Unterstützung benachbarter Landesherren angewiesen war, ist keinesfalls neu. Bedenklich ist jedoch, dass er selbst im eigenen Hochstift, ja sogar in der Bischofsstadt auf die Mithilfe weltlicher Gewalten, wie der Stadträte, angewiesen war. Somit konnte er zwar noch in den Grenzen seines Hochstifts kirchenpolitisch wie ein Landesherr agieren, blieb aber häufig ohne Unterstützung. Die in den frühen 1520er Jahren eingeleiteten Visitationen41 zeigten Adolf von Anhalt deutlich, dass er, um es pointiert zu formulieren, ein Bischof ohne Bistum war.
41 Die Quellen für die Visitationen in Leipzig 1522 sind noch weithin unbeachtet; Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Standort Wernigerode, Rep. A 30a I, Nr. 411, fol. 313r-322v.
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Papst, Konzil und Kirchenväter
Papst, Konzil und Kirchenväter Die Autoritätenfrage in der Leipziger Disputation1 Von Volker Leppin
Es ist fast zu einem Gemeinplatz geworden, dass Luther keine Trennung von der mittelalterlichen Kirche und keine Gründung einer neuen Kirche angestrebt hat. Dass dennoch eben dies das Ergebnis seiner reformatorischen Theologie war, hat seine Gründe nicht zuletzt darin, dass die Entwicklung, die sein Denken in den ersten, rasanten Jahren seiner professoralen Tätigkeit in Wittenberg durchgemacht hat, in kurzer Zeit mit zudringender Konsequenz auf die Frage nach der in der Kirche geltenden Autorität zugespitzt wurde.2 Dies passivisch zu formulieren, ist schon allein deswegen nötig, weil man es hier mit einem Prozess zu tun hat, in dem Luther ebensosehr Täter wie Getriebener war,3 und eben diese zweiseitige Dynamik kulminierte in der Leipziger Disputation. Martin Brecht hat deren Bedeutung klar zusammengefasst: »In der Auseinandersetzung über den päpstlichen Primat, die es bis dahin in der Geschichte des Christentums in diesem Ausmaß nicht gegeben hatte, liegt die epochale Bedeutung der Leipziger Disputation«.4
1 Vgl. aus ausführlicher hierzu jetzt auch: Volker Leppin: Die Genese des reformatorischen Schriftprinzips: Beobachtungen zu Luthers Auseinandersetzung mit Johannes Eck bis zur Leipziger Disputation. In: ders.: Transformationen: Studien zu den Wandlungsprozessen in Theologie und Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter und Reformation. Studienausgabe (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 86). Tübingen 2018, 355-397. 2 Vgl. zu dieser Argumentationsverschiebung, die von Seiten der Gegner Luthers forciert wurde, Hellmut Zschoch: Luther und seine altgläubigen Gegner. In: Luther Handbuch/ hrsg. von Albrecht Beutel. Tübingen 2005, 115-121, 118; zur Entwicklung der Autoritätenfrage Kurt-Victor Selge: Normen der Christenheit im Streit um Ablaß und Kirchenautorität 1518–1521. Habil.schrift Heidelberg 1968; Reformatorische Theologie und Autoritäten: Studien zur Geschichte des Schriftprinzips beim jungen Luther/ hrsg. von Volker Leppin (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 85). Tübingen 2015. 3 Vgl. in diesem Sinne auch Jens-Martin Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform: die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516-1522. Mainz 2002, 212, der darauf verweist, dass die Frage nach dem päpstlichen Primat »nicht zu den eigentlichen Kernpunkten des theologischen Ansatzes der Wittenberger Reformer« gehörte. 4 Martin Brecht: Martin Luther. Bd. 1: Sein Weg zur Reformation 1483-1521. 3. Aufl. Stuttgart 1990, 302; vgl. auch die Hervorhebung der Bedeutung der Leipziger Disputation im Rahmen einer sehr differenzierten Bestimmung des Verhältnisses Luthers zur vorgegebenen Kirche bei Kurt-Victor Selge: Das Autoritätengefüge der westlichen Christenheit im Lutherkonflikt 1517 bis 1521. HZ 223 (1976), 591-617, 615 f.
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Volker Leppin
Auch wenn man angesichts der lang anhaltenden und von Jürgen Miethke gut dokumentierten Debatte um die päpstliche Autorität im späten Mittelalter5 die Neuheits- und Epochenrhetorik etwas abschwächen mag: Unzweifelhaft bildet die Leipziger Disputation für die Debatte um kirchliche Autorität einen gewichtigen Schritt, vor allem deshalb, weil sie Teil eines Gesamtprozesses ist, in dem aus der theologischen Überzeugung von der Irrtumsfähigkeit von Konzilien und Päpsten kirchen- und gesellschaftsveränderndes Handeln wurde. Mit den Thesen gegen den Ablass vom 31. Oktober 1517 hatte Luther für sensible Ohren durchaus bereits die Autoritätenfrage angesprochen. Wiederholt hatte er sich auf eine den Christen zu lehrende Position des Papstes bezogen und in These 77 die verträgliche Ansicht, dass der Papst dem Evangelium untergeordnet ist, in die kühne Wendung gebracht, auch der Papst habe »maiores«.6 Wenn mithin die Autoritätenfrage angesprochen war, so war sie doch ebenso offenkundig nicht der eigentliche Zielpunkt einer Argumentation, in der es darum ging, bußtheologische Fragen zu klären,7 um ein seelsorgliches und ethisches Dilemma zu lösen, das er in der Ablasspraxis8 und zu Teilen der Ablasstheorie erkannte. Der Prozess gegen Luther aber geriet schon rasch in die Hände von Vertretern einer solchen Ausrichtung spätmittelalterlicher Theologie und Kirchenrechts, die in besonderer Weise papalistisch dachten und darin den Spuren des Dominikanerkardinals Juan de Torquemada und seiner »Summa de ecclesia« folgten.9 Zu ihnen gehörte Torquemadas Ordensbruder Silvester Mazzolini, genannt Prierias, der mit
5 Jürgen Miethke: De potestate papae: die päpstliche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen Theorie von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham. Tübingen 2000; vgl. unter den älteren Arbeiten v. a. Brian Tierney: Origins of Papal Infallibility 1150-1350: a Study on the Concepts of Infallibility, Sovereignity and Tradition in the Middle Ages. Leiden 1972. 6 WA 1, 237, 13 f; eine zugespitzte Deutung schon der Ablassthesen als reformatorischer Text bietet Berndt Hamm: Der frühe Luther: Etappen reformatorischer Neuorientierung. Tübingen 2010, 109-11, der entsprechend auch von einem »Fundamentalangriff auf die Jenseitsrelevanz des Papsttums und der Kirchenhierarchie« in diesem Zusammenhang spricht (ebd, 91). 7 Zur theologischen Einordnung siehe Volker Leppin: »omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit«: zur Aufnahme mystischer Traditionen in Luthers erster Ablaßthese. ARG 93 (2002), 7-25. 8 Vor einer zu engen Verknüpfung mit Luthers eigenen seelsorgerlichen Erfahrungen warnt wohl zu Recht Lothar Vogel: Zwischen Universität und Seelsorge: Martin Luthers Beweggründe im Ablassstreit. ZKG 118 (2007), 187-212. 9 Johannes de Turrecremata: Summa de ecclesia contra impugnatores potestatis summi pontificis. Rom: Eucharius Silber, 1489; siehe hierzu Heribert Smolinsky: Successio apostolica im späten Mittelalter und im 16. Jahrhundert. In: Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge. Bd 1: Grundlagen und Grundfragen/ hrsg. von Gunther Wenz; Theo Schneider. Freiburg 2004, 357-375, 361-363.
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dem römischen Gutachten in der Luthersache betraut wurde.10 Bekanntlich ist dieses selbst nicht erhalten, aber der »De potestate papae dialogus« des Prierias lässt die Stoßrichtung hinreichend erkennen, besonders in dem Spitzensatz, der sich geradezu als Gegenthese zu den möglichen Implikationen der 77. Ablassthese verstehen lässt: »Quicumque non innititur doctrinae Romanae ecclesiae, ac Romani pontificis, tamquam regulae fidei infallibili, a qua etiam sacra scriptura robor trahit et auctoritatem, haereticus est.«11
Sofern und soweit man annehmen darf, dass diese Auffassung in welcher modifizierten Weise auch immer in das Gutachten eingegangen ist, wurden damit darin Auffassungen leitend, die weder dogmatisiert noch allgemeiner Konsens waren, die aber die Autoritätenfrage betrafen. Mag man es noch als besonderes Unglück betrachten, dass in Prierias ausgerechnet ein solcher schroffer Papalist in das Zentrum der »causa Lutheri« rückte, so wird man es doch nicht als Betriebsunfall abtun dürfen, denn dass die Autoritätenfrage in sehr umfassender Weise gestellt war, zeigte sich schon alsbald im Augsburger Verhör im Herbst 1518, dessen Verlauf Luther bekanntlich in den Acta Augustana bekannt gemacht hat.12 In der Beschreibung des Disputs zwischen ihm und Kardinal Cajetan13 über die als Extravagante in das Kirchenrecht eingegangene Bulle »Unigenitus« des Papstes Clemens VI. erklärte Luther im Nachhinein referierend frank und frei: »Respondi tunc, mihi non solum istam Clementis esse diligenter visam, sed et alteram eius emulam et analogam Sixti quarti […], verum non habuisse eam apud me satis auctoritatis, cum aliis multis tum ea maxime causa, quod scripturis sanctis abutitur et verba (si modo sensus usitatus subsistere debet) audacius torquet in alienum sensum, quem suo loco non habent, immo contrarium habent. Ideo scripturas, quas ego in propositione mea sequor, esse ei praeferendas omnino«.14
Luther hat, so sein Bericht, nicht nur die offenkundige Insinuierung Cajetans, sich nicht hinreichend im Kirchenrecht auszukennen, souverän zurückgewiesen, sondern gleich in doppelter Hinsicht das gültige Autoritätengefüge in Frage 10 Zu ihm Michael Tavuzzi: Prierias: the Life and Works of Silvestro Mazzolini da Prierio, 1456-1527. Durham; London 1997. 11 Dokumente zur Causa Lutheri (1517-1521). Bd. 1/ hrsg. von Peter Fabisch; Erwin Iserloh. Münster 1988, 55. 12 Siehe hierzu Volker Leppin: Martin Luther. 2. Aufl. Darmstadt 2010, 137-139. 13 Vgl. hierzu Charles Morerod: Cajetan et Luther en 1518. Fribourg 1994. 14 WA 2, 8, 1-9: »Darauf antwortete ich, dass ich nicht allein die Extravagante des Clemens VI. genau betrachtet hätte, sondern auch die andere gleichlautende oder ähnliche des Sixtus IV. […]. Sie hätte aber bei mir nicht genügend Autorität, sowohl aus vielen anderen als auch besonders aus diesem Grund, dass sie die Heilige Schrift missbrauchen und die Worte (wenn nur ihr gebräuchlicher Sinn bestehen sollte) frech in einen fremden Sinn verdrehten, den sie an ihrer Stelle nicht haben, ja dessen Gegenteil sie sogar bedeuten. Deshalb müsse die Schrift, der ich in meiner These folgte, der Extravagante entschieden vorgezogen werden«.
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gestellt: Die Schrift war dem Kirchenrecht wie einer päpstlichen Aussage vorzuziehen. Beides war in sich jenseits der papalistischen Kreise durchaus kein Skandal, und doch deutete sich hier etwas an, was den Normalvollzug autoritativer Lehrentscheidungen auszuhebeln drohte. Der Gedanke, dass eine kirchliche Lehrentscheidung aus der Bibel nicht unmittelbar ableitbar wäre, ja auch der, dass sie nicht die wahrscheinlichste und plausibelste Lehrauffassung war, war durch die Diskussionen um die Transsubstantiationslehre durchaus schon länger bewusst.15 Aber der von Luther nun vorgetragene Gedanke einer Differenz von kirchlicher Autorität und Bibel stellte grundlegend die bislang aufrechterhaltene Auffassung einer Harmonie zwischen Schrift und kirchlicher Lehre in Frage. Die sich hier schon andeutende, freilich noch nicht voll ausgeführte Wendung des Autoritätsdenkens bedeutete, dass die Schrift aus ihrer Rolle als tragender Grund alle autoritativen Entscheidungen in ein kritisches Prinzip derselben einrückte. Und dass dies an einer kirchenrechtlich sanktionierten Regelung vollzogen wurde, war auch deswegen von besonderer Relevanz, weil damit eben die Autorität, die zur Feststellung von Häresie faktisch entscheidend war, ihrerseits unter einen höheren Maßstab gestellt wurde – so sehr dies eine konsistente und konsequente Folge aus der 77. Ablassthese ist, so sehr war damit doch auch ein ganzes Bündel von Selbstverständlichkeiten mittelalterlicher Kirche und Theologie in Frage gestellt. Noch war diese Position allerdings nicht in aller Schärfe vorgetragen – hierzu bedurfte es der Leipziger Disputation und eines so scharfsinnigen Gegners wie Johannes Eck. Heiko A. Oberman hat dabei auch darauf hingewiesen, dass die Konfrontation mit Eck dem Gespräch eine andere inhaltliche Wendung bringen konnte, als es bei dem bloßen Gegenüber mit Prierias allein der Fall gewesen wäre. Zwischen beiden bestand ein sehr markanter Unterschied hinsichtlich des Kirchenverständnisses, insofern Eck die päpstliche Autorität um vieles eingeschränkter definierte, als Prierias dies tat.16 Hieraus folgte ein ganz anderes Maß an Gesprächsfähigkeit mit der reformatorischen Seite, als dies bei Prierias gegeben gewesen wäre. Eck steuerte den Gesprächsgang der Leipziger Disputation mit Luther in mehreren Anläufen auf die Ekklesiologie und mit ihr auch die Autoritätenfrage zu. So wurden klassische Differenzpunkte aus der konziliaristischen Debatte noch einmal neu angesprochen: Das Corpus-Bild des Apostels Paulus für die irdisch existierende Gemeinde deutete Eck in dem Sinne, dass der Papst das Haupt sei,17 während Luther 15 Siehe etwa zu Ockhams Position in dieser Frage Volker Leppin: Wilhelm von Ockham: Gelehrter, Streiter, Bettelmönch. Darmstadt 2003, 82-84. 16 Heiko A. Oberman: Wittenbergs Zweifrontenkrieg gegen Prierias und Eck: Hintergrund und Entscheidungen des Jahres 1518. In: ders.: Die Reformation: von Wittenberg nach Genf. Göttingen 1986, 129. 17 WA 59, 441, 251-264; vgl. zum Papstverständnis Ecks in der Leipziger Disputation auch Benedikt Peter: Der Streit um das kirchliche Amt: die theologischen Positionen der Gegner
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dies für Christus reklamierte.18 Ebenso gehörte zu den vielfach debattierten Fragen die Deutung vom Felswort in Mt 16 auf Petrus, so mit der mittelalterlichen Papstideologie Johannes Eck, oder, wie Luther mit Cyprian erklärte, auf alle Bischöfe.19 Weniger diese material ekklesiologischen Fragen selbst als ihre argumentative Begründung warf nun die Frage nach der Autorität auf. Als Luther unter Verweis auf 1Kor 1,12 f erklärte, dass allein Christus das Haupt der Kirche sein könne,20 berief sich Eck auf Hieronymus, der in Contra Jovianum erklärt hatte, dass Petrus das Haupt der Kirche sei.21 Hier argumentierte Luther ganz im Sinne seiner Auseinandersetzung mit Cajetan: »Non patior propter minorem auctoritatem inductam me divelli a maiore«.22 Den Duktus muss man sich klar machen, um die weitere Entwicklung zu verstehen: Noch wird keineswegs eine ausschließliche Autorität gegen die anderen gestellt, sondern eine »auctoritas maior« gegen eine »auctoritas minor« abgewogen. Das entsprach durchaus dem mittelalterlichen Usus, in dem eine Gewichtung der Autoritäten in diesem Sinne vorgenommen werden konnte, und zwar gerade im Blick auf die Kirchenväter, für die die Sachlage anders stand als für das in Augsburg strittige Verhältnis zum Kirchenrecht. Luther machte hier nur von eben jenen hermeneutischen Regeln Gebrauch, wie sie seit der Etablierung der scholastischen Methode selbstverständliches Gemeingut waren, auch wenn sie selten in der Konkretion formuliert worden waren, wie Abaelard dies in »Sic et Non« getan hatte. Entsprechend überrascht es nicht, dass Eck Luther in der Hierarchisierung der Autoritäten vollauf zustimmte23 – schon in dieser Konzession zeigt sich, dass die eigentliche Differenz zwischen Luther und Eck zu diesem Zeitpunkt noch nicht offenkundig in der Abstufung der Autoritäten lag, sondern in unterschiedlichen Zuordnungsmodellen, die ich als »Harmoniemodell« bei Eck und als »Differenzmodell« bei Luther beschreiben möchte.24 Alle Aussagen über eine Hierachisierung waren solange unproblematisch, wie die Hermeneutik darauf zielte, den tieferen gemeinsamen Sinn der abgestuften Autoritäten zu erheben. Aber ein Problem entstand dort, wo man die Abstufung als Kriterium anwandte, das DifMartin Luthers. Mainz 1997, 93 f; Leif Grane: Martinus Noster: Luther in the German Reform Movement 1518-1521. Mainz 1994, 93. 18 WA 59, 445, 397-407. 19 WA 59, 465, 1018-1027; vgl. hierzu Erwin Iserloh: Johannes Eck (1486-1543): Scholastiker, Humanist, Kontroverstheologe. 2. Aufl. Münster 1985, 38 f. 20 WA 59, 437, 149-154. 21 WA 59, 441, 259-264. 22 WA 59, 445, 397 f. 23 WA 59, 450, 566-568. 24 In den konkreten Äußerungen zu kirchlichen Lehrentscheidungen führte dies dazu, dass deutlich wurde, dass die ferner liegende, ältere Tradition der Kirche eher auf Seiten Luthers stand, er hingegen mit der jüngeren Tradition in Dissens stand (so die erhellende Unterscheidung bei Kurt-Victor Selge: Die Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck. ZKG 86 [1975], 26-40, 35-37.
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ferenzen zu entscheiden hatte. Das war bei Hieronymus als einer hochgeachteten, prinzipiell aber durchaus fehlbaren Autorität noch vergleichsweise unproblematisch, die Strategie Ecks zielte aber auf ein anderes, nämlich die Debatte über ekklesiale Autorität. Es war Johannes Eck, der einen grundlegenden Zusammenhang zwischen Ekklesiologie und Autoritätenfrage sah25 und offenlegen wollte, dass bei Luther das Verhältnis von Kirche und Bibel im autoritativen Horizont differenzhermeneutisch gedeutet wurde und damit letztlich in der Gefahr stand, die biblische Autorität gegen die kirchliche zu stellen. Diese mögliche Denkweise Luthers hatte sich in Augsburg angedeutet, war hier aber noch nicht voll zum Tragen gekommen, da innerhalb des mittelalterlichen Denkens dem einzelnen Papst durchaus Fehlbarkeit zugesprochen werden konnte. Ein anderes war es mit einem formal korrekt berufenen Konzil. So trieb Eck die Debatte auf die Diskussion über Entscheidungen des Konzils von Konstanz zu. Dieses in den Mittelpunkt zu stellen, war theologisch so klug wie politisch. Theologisch handelte es sich beim Konzil von Konstanz um ein solches, das der Not der Stunde mit ihren drei Päpsten gehorchend die Oberhoheit in der Kirche repräsentiert hatte, als die Leitung durch einen Papst offenkundig ausgefallen war. In dem für Eck leitenden Schema mittelalterlicher Debatten musste dieses Konzil selbst für jene Bindekraft besitzen, die den papalistischen Theorien eines Torquemada oder Prierias gänzlich fernstanden. Taktisch war also der Ansatzpunkt ganz anders als bei Prierias: Dieser hatte Luther von einer Warte aus beurteilt und kritisiert, die seinen eigenen Auffassungen denkbar fern lag – Eck ließ sich zwar nicht auf Luther selbst ein, dessen eigenes reformatorisches Anliegen er wohl kaum angemessen erfasst hatte, sondern testete seine Übereinstimmung mit einer Position, von der er annehmen durfte, dass sie innerhalb des als rechtgläubig anerkennbaren Spektrums Luther am nächsten kam. Politisch aber war der Hinweis auf das Konzil von Konstanz und die dort verhandelte Hussitenfrage deswegen von größter Brisanz, weil man an der Universität des Reichs, die 1409 wegen des Auszugs der deutschen »magistri« aus Prag gegründet worden war und die Böhmen nicht fern lag, nicht nur um die Häresie, sondern auch um das Gewaltpotential der in Konstanz verurteilten Hussiten sehr genau wusste: Auch wer den theologischen Subtilitäten Ecks und Luthers nicht folgen konnte, konnte erahnen, dass eine Debatte über die Verurteilung der Hussiten die Frage des Aufruhrs implizierte.26 25 Vgl. zum Gesamtzusammenhang Remigius Bäumer: Die Ekklesiologie des Johannes Eck. In: Johannes Eck (1486-1543) im Streit der Jahrhunderte: internationales Symposion des Corpus Catholicorum aus Anlaß des 500. Geburtstages des Johannes Eck vom 13. bis 16. November 1986 in Ingolstadt und Eichstätt/ hrsg. von Erwin Iserloh. Münster 1988, 129154. 26 Zu dieser Bedeutung der Hussitenfrage im albertinisch-sächsischen Kontext siehe Christoph Volkmar: Reform statt Reformation: die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 14881525. Tübingen 2008, 453-455; Grane: Martinus Noster (wie Anm. 17), 100-102.
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Abb. 41: Martin Luther und Jan Hus
So schoss die Debatte um Petrus als das Haupt der Kirche und die Autorität des Hieronymus über zur Debatte über die Autorität des Konzils: Denn zur siebten Vormittagsstunde des 5. Juli legte Eck Luther einige »pestiferi errores« des Johannes Hus vor, die in Konstanz verurteilt worden waren, unter ihnen eben jenen Satz, zu dem Luther sich eben erst in Auseinandersetzung mit Eck bekannt hatte »Petrus non est nec fuit caput ecclesiae sanctae catholicae«,27 und Luther antwortete prompt so, wie es sein Gegner wünschte, dass dieser Artikel nämlich zu einer ganzen Anzahl von »articuli Christianissmi et evangelici« des Hus und der Böhmen zähle.28 27 WA 59,461,883 f. 28 WA 59, 466, 1049.
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Die Konsequenz dieser Aussage aber sah Eck, wohl weil er hierauf gezielt hatte, deutlicher und rascher als Luther: Er bezichtigte Luther, sich zum Beschützer der Hussiten zu machen,29 während Luther sich gegen das Offenkundige sperrte: Er lege eine Protestation ein, nach der es nicht wahr sei, dass er sich gegen das Konzil von Konstanz geäußert habe.30 Eck führte in aller Gelassenheit aus, dass generell die Autorität eines Konzils ins Wanken gerate, wenn es, wie von Luther behauptet, in christlichen Wahrheiten geirrt habe,31 und Luther wurde immer stärker in die Defensive gedrängt: Noch am 6. Juli bestritt er, verderbliche Artikel der Hussiten christlich genannt zu haben,32 doch am 7. Juli war er an dem Punkt, an dem Eck ihn haben wollte, wenn auch noch in höchst gewundener Form: Er stimmte Eck einerseits zu, dass die Statuten der Konzile zu halten seien, benannte dann aber eine bemerkenswerte Einschränkung: »Hoc solum mihi reservo, quod et reservandum est, concilium aliquando errasse et posse errare, praesertim in his quae non sunt fidei. Nec habet concilium auctoritatem novorum articulorum condendorum in fide«.33
Das hier gebrauchte »praesertim« ist offenkundig keine ausschließende Formulierung, sondern eine abstufende. Luther rekurrierte damit auf eine kirchenrechtliche
29 WA 59, 461, 900-908; 468, 1108-1110. 30 WA 59, 472, 1237 f. Die Annahme von Thomas Kaufmann: Jan Hus und die frühe Reformation. In: Biblische Theologie und historisches Denken: wissenschaftsgeschichtliche Studien/ aus Anlass der 50. Wiederkehr der Basler Promotion von Rudolf Smend hrsg. von Martin Kessler; Martin Wallraff. Basel 2008, 62-109, 74 Anm. 34, dass Luther sich schon in der »Disputatio et excusatio« vom Mai 1519 »eindeutig positiv zu einem rite et recte verurteilten Häretiker der römischen Kirche gestellt« habe (ebd, 73), findet im lateinischen Text der »Disputatio et excusatio« keinen Anhalt: »Nam ut venenati sui enigmatis scandalo non laedaris, scias, mi lector, inter articulos Ioannis Huss censeri etiam a nonnullis hunc, quod Romani Pontificis papalem excellentiam a Caesare esse dixerit, quod et Platina manifeste scribit« (WA 2,159,16-19; vgl. DS 1209). Luther referiert diese These von Hus, nachdem er sich gegen Ecks Vorwurf, Häretiker und Böhme zu sein, verwahrt hat (WA 2,159,4-7) und sich hinsichtlich der päpstlichen Monarchie zum Konsens der lateinischen Kirche bekannt hat (ebd. Zeile 8-11). Zudem setzt er unmittelbar im Anschluss fort: »Ego vero non Caesareis, sed pontificiis decretis eandem monarchiam probari posui«, betont also seinen Gegensatz zu Hus. Der bekennt sich nicht zu Hus, sondern distanziert sich von ihm; zu Luthers bis in die Leipziger Disputation reichende klare Distanz zum Hussitismus vgl. auch Christopher Spehr: Papst und Allgemeines Konzil: die Argumentation Luthers. In: Luther und Eck: Opponenten der Reformationsgeschichte im Vergleich/ hrsg. von Franz Xaver Bischof; Harry Oelke. München 2017, 75-89, 82. 31 WA 59, 473, 1250-1252. 32 WA 59, 475, 1314-1317 33 WA 59, 500, 2081-2083. Eine sehr emphatische Deutung dieser doch überaus vorsichtigen Aussage Luthers hat Bernd Moeller: Luther und das Papsttum. In: Luther Handbuch/ hrsg. von Albrecht Beutel. Tübingen 2005, 106-115, 112, vorgelegt.
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Position, die ihm schon vor der Leipziger Disputation bewusst gewesen war34: Nicolaus de Tudeschis († 1445), nach seinem Erzbischofssitz Palermo Panormitanus genannt, hatte in seinem Kommentar zur Dekretale »Significasti«35 erklärt: »et concilium potest errare sicut alias erravit super matrimonium contrahendum inter raptorem et raptam«36. Die Irrtumsfähigkeit eines Konzils also war im Kirchenrecht durchaus nicht nur als allgemeiner Gedanke präsent, sondern Panormitanus hatte sie im Blick auf eine konkrete Konzilsentscheidung behauptet, freilich eine solche, die nicht zu Fragen des Glaubens gehörte. Eben diese Möglichkeit nun ließ Luther durch seine Formulierung mit »praesertim« wenigstens offen und setzte noch hinzu, dass das, was ein Konzil lehre, nicht dem »ius divinum« zuzurechnen sei.37 Mit diesen Aussagen hatte Luther, getrieben durch Eck, die Konsequenzen aus seinen bisherigen Reflexionen gezogen, die ihm freilich erst nach und nach zur Gänze deutlich wurden. Er hatte mit der Bestreitung der Unfehlbarkeit der Konzilsautorität, nachdem er schon zuvor Gleiches für die päpstliche Autorität getan hatte, jegliche kirchlich-menschliche Autorität bestritten und sich damit faktisch aus dem Autoritätengefüge der Kirche seiner Zeit gelöst.38 Christopher Spehr hat hervorgehoben, dass er damit einerseits einer Auslegung des Kirchenrechts folgte, nach welcher »die Meinung eines Privatmannes mehr gelte als der römische Papst oder die Kirche, wenn er sich auf ein besseres Zeugnis oder einen besseren Grund stütze«, sich andererseits aber darin auch schon die Betonung der herausragenden Bedeutung der Heiligen Schrift, um die Luther in dieser Zeit rang, abzeichnete.39 Eck hatte Luther eine solche Zuspitzung als unausweichliche Konsequenz seiner bisherigen Überlegungen aufgewiesen, und zwar in einem theologischen Bereich, der die Gegner Luthers weit mehr interessierte als diesen selbst: der Ekklesiologie. Dass Luther selbst die Rolle Ecks so stark veranschlagte, zeigt eine spätere Bemerkung zum Augsburger Reichstag: »Eccius, ut video, vult etiam Augustanus 34 Siehe WA 1,656,30-33: »Nec satis ibi esse credo etiam factura ecclesiae (quanquam hic non sit factum ecclesiae), quia tam Papa quam concilium potest errare, ut habes Panormitanum egregie haec tractantem li. i. de const. c. significasti.« 35 Corpus Iuris Canonici/ hrsg. von by Emil Friedberg. Pars 2. 2. Aufl. Leipzig: Tauchnitz 1881, 49 f. 36 Nicolaus de Tudeschis: Lectura super quinque libros decretalium. I : Super primum decretalium librum, [Basel : Wenssler, Ruppel und Richel 1477, [92r a] ; vgl. hierzu Christopher Voigt-Goy: »dictum unius privati«. zu Luthers Verwendung des Kommentars der Dekretale Significasti von Nicolaus de Tudeschis. In: : Orientierung für das Leben: kirchliche Bildung und Politik in Spätmittelalter, Reformation und Neuzeit. FS Manfred Schulze (Arbeiten zur historischen und systematischen Theologie; 13). Bern u. a. 2010, 93-114. 37 WA 59, 508, 2309-2311. 38 Entsprechend nennt Iserloh: Johannes Eck … (wie Anm. 19), 43, dies eine »verhängnisvolle, faktisch kirchentrennende These« – was angesichts der vielfachen spätmittelalterlichen Reflektionen auf die Möglichkeit irrender Konzilien wohl eher eine Bestimmung ex eventu darstellt. 39 Spehr: Papst…. (wie Anm. 30), 82 f.
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Volker Leppin
fieri victor, sicut fuit Lipsicus«.40 Eck als Sieger von Leipzig, so musste er es empfinden, weil er zu Aussagen gekommen war, die er von sich aus nicht hätte tätigen wollen.41 So schrieb Luther seinem Kurfürsten später, als ihm schon die Erkenntnis gekommen war, dass er sich mit seinen Aussagen tatsächlich aus dem Lehrkonsens des Mittelalters hinausbewegt hatte: »Also gibt man uns ins Maul, daß wir, wir wollen oder wollen nit, sagen müssen: Das Concilium hat geirret«.42
Doch Eck als Sieger von Leipzig ist nur die eine Seite der Medaille. Für die reformatorische Theologie bedeutete Leipzig gleichwohl eine wichtige Wegmarke: Was Luther auf diese Weise gesagt hat, war allerdings der Sache nach nur die nachdrückliche Konsequenz aus jener Differenzhermeneutik, durch die er sich schon zuvor von Eck und anderen unterschieden hatte. So bedeutete die Leipziger Disputation für Luther und die reformatorische Theologie insgesamt auch, dass neben der Ablehnung der weltlichen Autoritäten die positive Autoritätenlehre der Reformation in neuer Deutlichkeit entfaltet werden konnte. Wenige Monate nach der Leipziger Disputation legte Melanchthon seine Thesen zur Erlangung des theologischen Baccalaureates vor, die sehr klar formulierten, dass nichts heilsnotwendig sein könne, was nicht in der Heiligen Schrift stehe. Das »Sola-scriptura-Prinzip« als Konsequenz der Differenzhermeneutik hat damit einen klaren Ausdruck gefunden, und Luther hat ihm zugestimmt: » Philippi positiones […] auduculas, sed verissimas«.43 40 WA Br 5, 586. Zur Reaktion auf Eck an der Leipziger Theologischen Fakultät siehe jetzt Enno Bünz: Gründung und Entfaltung: die spätmittelalterliche Universität Leipzig 14091539. In: Geschichte der Universität Leipzig. 1409-2009. Bd. 1: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit. 1409-1830/31. Leipzig 2009, 21-325, 234, der mit kritischen Charakterisierungen Ecks (»überhebliches Auftreten«, »Der nicht uneitle Dr. Eck«) nicht spart (vgl. zu deren forschungsgeschichtlichen Hintergründen Johannes Burkhardt: Das Bild des Johannes Eck in der Geschichtsschreibung. In: Johannes Eck [1486-1543] im Streit der Jahrhunderte: Internationales Symposion des Corpus Catholicorum aus Anlaß des 500. Geburtstages des Johannes Eck vom 13. bis 16. November 1986 in Ingolstadt und Eichstätt/ hrsg. von Erwin Iserloh. Münster 1988); zu der vorwärtstreibenden Rolle Ecks siehe Leppin: Martin Luther (wie Anm. 12), 144-147. 41 Anselm Schubert: Libertas Disputandi: Luther und die Leipziger Disputation als akademisches Streitgespräch. ZThK 105 (2008), 411-442, 427, hat erneut (vgl. Grane: Martinus Noster [wie Anm. 17], 87) darauf hingewiesen, dass Luther durch seine Rolle als Respondent in eine argumentativ missliche Lage gebracht worden war, in der er auf die Argumente Ecks zu reagieren und nicht eigene Argumente positiv zu entfalten hatte. Dass er damit freilich nicht die Möglichkeit gehabt habe, »eigene Themen zu besetzen« (ebd, 432), unterschätzt wohl doch etwas die Möglichkeit, die dem Respondenten durch die Formulierung der Thesen gegeben war (siehe die eigenen Ausführungen ebd, 417-419). 42 WA Br 1, 471, 218 f (Nr. 192). 43 WA Br 1, 514, 33 f (Nr. 202); vgl. zur Bedeutung dieser Thesen für das Schriftprinzip Kruse: Universitätstheologie… (wie Anm. 3), 227
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Luthers Erinnerungen an die Leipziger Disputation
Luthers Erinnerungen an die Leipziger Disputation Von Michael Beyer
Der Versuch, die Frage nach den Erinnerungen zu beantworten, die Luther selbst mit der Leipziger Disputation verbunden hat, gehört zur Rezeption des Ereignisses vom Sommer 1519 hinzu. Denn der Grad oder die Deutlichkeit solcher Erinnerung und auch die Anzahl der Gelegenheiten, bei denen er auf seinen Wortkampf mit Johann Eck zurückkam, qualifizieren das Ereignis entweder als nebensächlich oder heben es in den Rang eines zunächst persönlichen Erinnerungsortes, der über die LutherRezeption in die großen Erinnerungsorte »Luthers Reformation« oder »Wittenberger Reformation« einmündet. Naturgemäß können wir nur die schriftlich festgehaltenen Erinnerungen zur Kenntnis nehmen. Aber welches Leben ist in Schriften, Briefen, Predigten und aufgezeichneter mündlicher Überlieferung so gut dokumentiert wie das Martin Luthers? Wie oft der Reformator neben den überlieferten Reminiszenzen an den alten Kampf dachte, lässt sich schlichtweg nicht sagen. Für seine LeipzigReise im Mai 1539 – sie galt keiner Nebensächlichkeit, sondern einer wirklichen Haupt- und Staatsaktion, nämlich der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen und hätte gerade deshalb Anlass zu einem gewissen Triumphgefühl geben können – informiert uns eine Tischreden-Überlieferung gerade nicht über ein erinnerungsschweres Vergegenwärtigen der 20 Jahre zurückliegenden Disputation. Nein, sie übergeht dieses Jubiläum sogar vollständig. Stattdessen überliefert sie einen Bericht darüber, wie der Doktor Martinus vom Wagen herab wohlgefällig auf das aufkeimende Getreide blickte und erbaulichen Gedanken nachhing: »Da D. M. Luther aufm Wege nach Leipzig fuhr, und sahe die Saat, daß sie so schön und lieblich, und geil im Felde stund, betet er und dankte, und sprach: ›Ah, lieber Herr Gott, du willt uns ein gut Jahr geben, wahrlich nicht um unser Frömmigkeit willen, sondern um deines Namens willen. Gib, lieber Vater, daß wir uns bessern, und in deinem Wort wachsen und zunehmen, denn das sind nichts Anders, denn Wunderwerk, daß du aus der Erden, ja, ausm Sande, das zumalmete Kieselsteine sind, bringest Halmen und Aehren.‹«1
1 WA TR 3,366,24-30 (Nr. 3507) – relativ genaue deutsche Übersetzung Johannes Aurifabers nach Anton Lauterbachs Sammlung von 1539: WA TR 4, 467, 1-7 (Nr. 4751).
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Michael Beyer
Abb. 42: Detail des Titelblattes von Colloquia oder Tischreden …, 1593
I Die Tischreden Bleiben wir zunächst bei den Tischreden, die nach der Anzahl der Stellen – nach dem Register von WA TR sind es nur drei mit zwei Parallelüberlieferungen – auf den ersten Blick relativ unergiebig zu sein scheint. Aus dem Jahr 1533 stammt eine Cordatusnachschrift, bei der eigentlich Luthers Intimfeind Johannes Cochlaeus im Fokus des Interesses steht: Noch immer halte sich Cochlaeus seine Disputationskunst gegenüber Luther in Worms 1521 zugute, woran aber nicht viel sei. Denn auf dem Augsburger Reichstag von 1530 habe ihn wegen seiner Art zu Reden selbst Johannes Eck wiederholt ausgelacht. Der Gesprächspartner Gregor Brück erregt sich über Cochlaeus’ Polemik gegen Luther in einem gerade in Dresden erschienenen Buch. Auf die »Dummkühnheit des Kochlöffels« wie Aurifaber übersetzt – Cochlaeus hatte Luther als »einen wechsel balck vnd bademagt son« bezeichnet –, reagiert Luther gelassen als Philologe: Entweder das eine oder das andere, entweder ein uneheliches oder ein verwechseltes Kind. Dem Herzog Georg könne man zu seinem Hofprediger Cochlaeus nur gratulieren: 198
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Mit ihm werde er soviel Glück haben wie mit dem einzigen Gut, das ihm aus seiner Zeit in Friesland geblieben sei: Lediglich einen Narren habe er erobert, der entweder von Beruf Hirte gewesen sei oder den Namen »Pastor« trug. Und hier folgt dann auch die Reminiszenz an die Leipziger Disputation. Sein Narr habe Georg »Lipsiae saepius obiecit in disputatione: Ego non sum pastor, ein hiertte, sed sum caesar, der grosse schatz aus Frieslandt; was hastu sonst raus bracht? Dux Georgius trugk einen narren in seinem wammest hienein.«2 –
Georg war also selbst ein Narr, als er nach Friesland ging. Eine kürzere Parallelüberlieferung, die auch von Cordatus stammt, bringt die Pointe deutlicher auf den Punkt: »Hertzog Georg wird so vil am yhn gewinnen wie am Friesland; da trug er ein narren in seinem wambs hin ein vnd furet ein narren Pastor mit namen heraus.«
Für diese Tischrede ist die Leipziger Disputation nicht einmal der Anlass gewesen, aber sie bietet unter anderem eine lebendige Erinnerung Luthers aus deren Umfeld und bindet sie als kleinen Baustein in eine vielschichtig-ironische, durchaus geistvolle Unterhaltung ein. Die zweite Tischredenüberlieferung, Ende der 30er Jahre, wird vom Thema »arrogantia«, der »eitlen Ehrsucht«, bestimmt. In diesem Kontext erinnert sich Luther an Martin Bucer und Johannes Eck, insbesondere aber an Andreas Bodenstein aus Karlstadt und illustriert mit einem Bericht von dessen Verhalten während der Leipziger Disputation den Charakter des ehemaligen Bundesgenossen und seine negativen Folgen für die Ausbreitung der evangelischen Botschaft. Arrogantia sei in den weltlichen Belangen eine relativ ungefährliche Eigenschaft, in der Theologie sei sie allerdings eine tödliche Seuche. Denn in der Theologie ginge es um Gottes, nicht um die eigene Ehre. Deshalb sei Luther seinerzeit sehr erschrocken gewesen, von Karlstadt zu hören: »Jch habe gleich so gern ehr als ein annder!« Karlstadt habe Luther in Leipzig – aus Sorge um die eigene Ehre – nicht den Vorzug lassen wollen. Luther hätte ihm Ehre gegönnt, nämlich ein glücklicheres Bestehen der Disputationsgänge mit Eck. Doch Karlstadt »legt schannde fur ehr ein zu Leipzig, quia est infelicissimus disputator«, mit – wie Aurifaber übersetzte –: »einem wüsten, starrigen Kopf«. Karlstadt habe über eine »angenehme Materie« zu disputieren gehabt; ihm, Luther, wären allein Ecks Thesen über den Papstprimat und die über Johannes Hus geblieben. Immerhin habe ihm Eck, ein »homo imperiosus, immo impudens et impudicus«, ein »vermessener, unverschämter und unzüchtiger Mensch«, bei Herzog Georg das freie Geleit erwirkt, damit er überhaupt zu Leipzig habe disputieren können. Denn er sei ursprünglich lediglich unter »Karlstadts Flügel und Geleit« mit nach Leipzig gekommen. Von der mit Karlstadt verbundenen Leipziger Thematik schlägt Luther schließlich noch einen Bogen zu noch länger zurückliegenden Wittenberger Erfahrungen aus seiner frühen Zeit als Professor, die an dieser Stelle wiederum Karlstadt näher charakterisieren und 2 Vgl. zu diesem und den folgenden Zitaten WA TR 3, 293, 6 - 294, 35 (Nr. 3367a/b).
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die Leipziger Erfahrung verstärken soll: Karlstadt sowie der Artistik- und spätere Theologieprofessor Petrus Lupinus wären »primo tempore euangelii acerrimi […] contra me hostes« gewesen. Später, nachdem Luther in Disputationen die Richtigkeit seiner Lehre nachgewiesen hätte und beide mit Hilfe von Augustinus überwunden worden waren, hätten auch sie Augustinus gelesen. Daraufhin wären die beiden »acriores fuerunt in hac causa quam ego«. Luther schließt den Abschnitt mit: »Aber die scheutzliche arrogantia betrug den Carolstadt.«3
Aus einer Tischredensammlung der vierziger Jahre stammt ein kurzer biographischer Abriss, der nach dem Titel »Ex autographo Domini Doctoris« auf Luther selbst zurückgeht. Luther notierte stichwortartig und in der Chronologie nicht immer ganz irrtumsfrei: »1484 natus sum Mansfeldiae, certum est. 1497 Magdeburgam in scholam missus; ibi annum fui. 1501 ab Isanach Erphurdiam; 4 annos fui Isanach. 1505 Magister in principio anni. 1505 monachus in fine anni eiusdem. 1508 Wittembergam veni. 1510 fui Romae, ubi est sedes Diaboli. 1517 incepi disputare de indulgentiis. 1519 disputatio Lipsica. 1525 uxorem duxi. 1540 fui 56 annorum. 1518 Augustae, 1521 Wormatiae, 1529 Marburgi.«4
Unter den für ihn selbst wichtigen Stationen seines Lebens: zwischen seiner Geburt, den ihn prägenden Lateinschulen, dem Magisterabschluss an der Erfurter Artistenfakultät, dem Eintritt in den Orden, dem ersten Wittenberg-Aufenthalt, der Romreise, der Ablassdiskussion auf der einen und seiner Hochzeit sowie einem Nachtrag mit den Auseinandersetzungen mit Cajetan, vor dem Kaiser und mit Zwingli auf der anderen Seite, fügt Luther an der richtigen Stelle auch die Leipziger Disputation ein. Quellenkritische Überlegungen bieten sich hier natürlich an: Ist der Autograph richtig wiedergegeben? Fehlt aus unserer Perspektive nicht die Erwähnung des Theologiestudiums, der Professur, der reformatorischen Entdeckungen, des Bauernkrieges und anderes mehr? Neben vielen möglichen Erwägungen scheint der Mittelteil der Aufzählung besonders aussagekräftig zu sein: Mönch – Universität Wittenberg – Romerfahrung – Ablassthesen – Leipziger Disputation – Heirat. Luthers eigene, rhetorische Exegesepraxis war übrigens unter anderem besonders auf das Wahrnehmen der Anordnung und Verbindung von Wörtern in Texten ausgerichtet.5 Umgekehrt kann gelten, dass er der Anordnung und Verbindung von Wörtern ebenso in den eigenen Texten besondere Beachtung schenkte: Bevor der Mönch heiraten konnte, mussten sich alteingeführte, feste Koordinaten seiner Lebens- und Geisteswelt grundlegend verändern. Luther ist bei diesem Umbruch nicht nur »dabei gewesen«: er war persönlich unmittelbar 3 Vgl. WA TR 4, 186, 15 - 188, 19 (Nr. 4187). 4 WA TR 5, 76, 24 - 77,3 (Nr. 5347), unsichere Mathesius-Nachschrift vom August 1540. 5 Vgl. z. B. die »Praefatio« zum ersten Band der lateinischen Reihe in der Wittenberger Ausgabe, 1545; WA 54, 186, 3 f: »[…] connexionum verborum attenderem, […]«; vgl. LDStA 2, 506, 1 f / 507, 2.
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von ihm betroffen. Die Leipziger Disputation steht hier für Luthers Autoritätskonflikt mit der Papstkirche und dessen Lösung. Dieser Konflikt hatte im Gefolge der Ablassdiskussion mit den, nach Luthers Meinung von römischer Seite eingebrachten nichttheologischen Faktoren immer schärfere Formen angenommen und in Leipzig letztlich zu einem klaren Bruch mit dem Papsttum geführt. Die Leipziger Disputation wurde in Luthers Erinnerung zum persönlichen Erinnerungsort mit epochaler Bedeutung und stand in unmittelbarer Beziehung zu einem späteren überaus öffentlichkeitswirksamen Ereignis: die Hochzeit eines Mönchs mit einer Nonne! In der antilutherischen Polemik war dieses schockierende Ereignis sehr schnell ein beliebtes Bildmotiv geworden. Für Luther selbst stand das Unerhörte als notwendige biographische Konsequenz direkt hinter dem sechs Jahre zuvor in Leipzig offenkundig geworden Bruch. II Einige Erinnerungen aus Briefen und Schriften Luther hat sich aufgrund der Berichtspflicht gegenüber seinem Kurfürsten, die er durch den Briefwechsel mit Spalatin einlöste, notgedrungen relativ schnell an Einzelheiten der Disputation erinnern müssen. Ein Aspekt des ausführlichen Berichts betrifft Luthers Beurteilung der Disputation als einen unerwünschten Beitrag zur »discordia«, wo man doch um der »concordia« willen disputiert habe.6 Luthers Klage gehört in den Kontext einer besonderen, von ihm erwünschten und zu diesem Zeitpunkt durchaus als realistisch einzuschätzenden Verbindung zwischen den Universitäten Wittenberg und Leipzig. An beiden Standorten herrschten in Bezug auf die durch Humanisten wie Philipp Melanchthon und Petrus Mosellanus repräsentierten Griechischprofessuren und der erweiterten Möglichkeit zu altsprachlich gestützter Schriftauslegung durch junge Magister beider Artistenfakultäten materialiter annähernd gleiche Bedingungen. Durch den Verlauf der Leipziger Disputation wurden den Leipzigern mehr und mehr und zuletzt vollständig die Hände gebunden, die Schriftauslegung nach Wittenberger Vorbild auszubauen, zumal die Leipziger Theologische Fakultät diese innovative Weise des Theologietreibens ablehnte. In Wittenberg dagegen wurde der notwendige Zusammenhang der in der Artistenfakultät fest etablierten altsprachlichen Studien durch die reformatorische Exegese an der Theologischen Fakultät bestätigt und ausgebaut.7 6 WA Br 1,424,145-149 (Nr. 187): »Et quia disputatione ista Eccius & Lipsienses gloriam suam, non veritatem quaesiverunt, nihil mirum, si male inceperit & peius finierit. Nam cum speranda fuisset concordia inter Wittenbergenses & Lipsienses, hac Invidia fecerunt, timeo, ut discordia & displicentia primum videatur nata.« 7 Vgl. Michael Beyer: Auseinandersetzungen Luthers mit der Leipziger Universität und ihrer Theologischen Fakultät zu Beginn der Reformation. In: Die theologische Fakultät der Universität Leipzig: Personen, Profile und Perspektiven aus sechs Jahrhunderten Fakultätsgeschichte/ hrsg. von Andreas Gößner unter Mitarb. von Alexander Wieckowski. Leipzig 2005, 48-62. (BLUWiG: Reihe A; 2)
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Die Klage darüber, was »die disputation hat frucht bracht«, erscheint auch noch einmal im Zusammenhang des Streitschriftenkrieges zwischen Hieronymus Emser, dem »Bock zu Leipzig« und Luther, dem »Stier zu Wittenberg«. In »Auf des Bocks zu Leipzig Antwort« von 1521 berichtet Luther darüber, dass es die »Eckische praktick« gewesen sei, die dazu geführt hätte, dass die Disputationsabläufe »zu seinem vorteil und meinem nachteil« ausgehandelt wurden. Luther nennt auch den Ort und fügt aus Referenzgründen das eigene Erinnerungsvermögen an: »Es ist geschehen zu Leypzick auff dem Schloss in der Cancelley (denn ich hab des ein frisch, gut gedächtnis)«. Hier taucht übrigens bereits das oben in Bezug auf Karlstadt angesprochene Thema »Ehrsucht« auf. Sie habe die ganze Disputation bestimmt. Zu diesem frühen Zeitpunkt hat Luther Karlstadts Namen noch nicht expressis verbis mit der Ehrsucht verbunden beziehungsweise verbinden wollen, auch wenn er ihn mitgemeint haben sollte. Oder die erwähnte, spätere Tischrede verstärkte absichtlich diese Frage beinahe allein auf den, nunmehr eindeutig als »Rottengeist« identifizierten Karlstadt. Luther weiter: »Da sprach ich mit kleglichen wortten und betrubten gemut‚ das ding ist nit in gottes namen angefangen, es wirt auch nit in gottes namen ausgahn, wie dan dasselb ausgang beweyset hatt.«
Übrigens sei es Eck gewesen, der die ganze Sache überhaupt angefangen habe. Luther sei hier wie auch sonst der Passive gewesen: »bin altzeit unwillig [weg] gerissen und [weg]getrieben von nutzlichen, heilsamen geschefften«.8 Aus der lebendigen Erinnerung an die Disputation überarbeitete Luther sofort seine bereits vor der Disputation erschienene »Resolutio Lutheriana super propositione decima tertia de potestate papae«, die jetzt in neuer Edition und deutscher Übersetzung im dritten Band der Lateinisch-deutschen Studienausgabe vorliegt. Luthers Erweiterung betraf auch die Vorrede, die beinahe dreimal länger ausfiel als die zur ersten Auflage. Ihr nun überaus heftiger Ton zeigt insbesondere die Betroffenheit Luthers über den Ketzervorwurf, den Eck gegen ihn erhoben hatte. Denn ein leichtfertiger Ketzereivorwurf sei mit der Sünde wider den Heiligen Geist vergleichbar. Zudem entschuldigte Luther sich relativ weitschweifig, dass die zweite Fassung der »Resolutio« bewusst stark polemisch gehalten sei, und nimmt dann die Entschuldigung wieder zurück. Man könne jene nicht sanft tadeln, die aus dem Tempel Gottes eine »spelunca latronum« und aus Gottes Schrift ein »negotium hominum« gemacht hätten. Jesus und Paulus hätten in analoger Situation ebenso heftig reagiert: mit der Tempelaustreibung beziehungsweise mit einem Aufruf zum harten Ton gegen die Widersacher.9 Abschließend muss hingewiesen werden auf eine ebenso späte wie ausführliche und prominente Reminiszenz Luthers an die Leipziger Disputation. Es handelt 8 Vgl. WA 7, 272, 11 - 273,1. 9 Vgl. WA 2, 183, 1 - 184, 23; vgl. LDStA 3, 18, 23 / 19, 30 - 22, 24 / 23, 31.
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sich um ein längeres Stück aus Luthers berühmter Praefatio zum 1. Band seiner lateinischen Schriften in der Wittenberger Ausgabe. Auch sie liegt jetzt neu ediert und übersetzt im 2. Band der Lateinisch-deutschen Studienausgabe vor. Die Praefatio gehört zu den bis in die Gegenwart immer wieder diskutierten schriftlichen Äußerungen Luthers. Das große Interesse gründet vor allem in der emphatischen Schilderung der Entdeckung des Unterschiedes von Gesetz und Evangelium anlässlich von Luthers Paulusstudien vor der zweiten Psalmenvorlesung, also wohl während der Römerbriefauslegung, die als Luthers »reformatorischer Durchbruch« bezeichnet worden ist. Rolf Schäfer verdanken wir den Hinweis, dass es sich bei dieser Praefatio um eine Art ausführlich annotierter Inhaltsangabe des Bandes handelt, Luther also punktuell Auskunft gab über wichtige Ereignisse, die er für das Umfeld seiner Schriften für erwähnenswert hielt.10 Luther berichtet, dass Eck Karlstadt und ihn selbst herausgefordert habe, Luther selbst jedoch keinen Schutz seitens des Herzogs Georg erhalten habe, was zur Folge hatte, das Luther als Zuschauer unter dem Schutz des Karlstadt gewährten Geleits hätte teilnehmen müssen. Georg selbst wäre aber für dieses Vorgehen nicht verantwortlich gewesen, denn zu diesem Zeitpunkt sei er Luther – und das wisse er genau – noch nicht feindselig gesonnen gewesen. Weiterhin berichtet Luther von Ecks Besuch bei ihm, woraufhin Eck, der ja eigentlich nur wegen der Disputation mit Luther angereist war, ihm den Schutz Georgs verschaffte. Nun kommt wieder das bereits bekannte EhrsuchtMotiv zum Tragen. Eck wollte Ruhm erwerben. Nur deshalb habe er überhaupt mit Luther disputieren wollen. Luther selbst habe ihm mit seiner These »in qua negabam, Papam esse iure divino caput ecclesiae« dafür die Steilvorlage geliefert. Eck habe sich beim Papst beliebt machen und Luther vernichten wollen: »Aber er hat seine Thesen nicht erhärtet und meine nicht widerlegt.« Denn Herzog Georg habe bei einem gemeinsamen Frühstück gegenüber beiden gesagt, dass es nicht darauf ankomme, ob der Papst nach göttlichem oder menschlichen Recht Papst sei: »ipse est Papa« – »der Papst sei einfach Papst«! Und Luther schloss daraus, dass Georg in dieser Frage weder Eck noch ihm Sieg oder Niederlage zugesprochen habe. Luther beschließt diese Passage mit einer längeren Erwägung über die Macht von Gewohnheiten, von der auch sein theologischer Werdegang geprägt gewesen sei. Bis zur Leipziger Disputation habe er zwar bereits daran gezweifelt, dass das Papsttum eine Einrichtung gemäß göttlichen Rechts sei und habe es entsprechend dieser Anmaßung auch bekämpft. Aber er sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht soweit gewesen, die Konsequenz zu ziehen,
10 Rolf Schäfer: Zur Datierung von Luthers reformatorischer Erkenntnis. (1969). In: Der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis bei Martin Luther: neuere Untersuchungen/ hrsg. von Bernhard Lohse. Stuttgart 1988, 134-153. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz: Abteilung Abendländische Religionsgeschichte; 25)
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»Papam necessario esse ex diabolo. Denn: Quod enim ex Deo non est, necesse est ex diabolo esse.«11
Die angeführten Stellen, die noch vermehrt werden können, zeigen ein durch die Jahre relativ konstantes und homogenes Bild von der Leipziger Disputation in Luthers Erinnerung. Immer wieder taucht das Motiv der Ehrsucht auf, die vor allem Eck bestimmt habe, wo es doch um etwas ungemein Wichtigeres, nämlich um die Wahrheit gegangen sei. Die kurze, Lebensdaten auflistende Tischrede und die relativ umfangreichen Ausführungen aus der Praefatio verweisen darüber hinaus auf den hohen autobiographischen Stellenwert in Verbindung mit einzelnen Etappen der Wittenberger Reformation, den die Leipziger Ereignisse von 1519 in Luthers Erinnerung hatten.
11 Vgl. LDStA 2, 498, 26 / 499, 35 - 502, 5 / 503, 7; vgl. WA 54, 183,1 - 184, 11.
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Von der Wahrnehmung des Neuen
Von der Wahrnehmung des Neuen Die Leipziger Disputation in den Augen der Zeitgenossen Von Christoph Volkmar
Hinterher ist man immer schlauer. Es ist eine Binsenweisheit, dass sich historische Entwicklungen aus der Rückschau besser einordnen lassen als unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse. Denn nur sehr selten ist die Tragweite des Zeitgeschehens sofort erkennbar. Der 9. November 1989 vor 20 Jahren war auch in dieser Hinsicht außergewöhnlich. Schon in den Tagesthemen um 22.45 Uhr konnte Hanns Joachim Friedrichs damals sagen: »Dieser 9. November ist ein historischer Tag.«1 Typischer für die unmittelbare Wahrnehmung der Ereignisse sind hingegen Daten wie der 11. September 2001. Sicher waren die meisten Zeitzeugen schockiert von den furchtbaren Ereignissen dieses Tages, aber wohl kaum jemand vermochte die weltpolitischen Folgen dieses Grauens sofort abzusehen. Die Geschichte als Wissenschaft und die Historiker als Zunft leben jedenfalls ganz gut davon, dass sich die Bedeutung der Ereignisse oft erst aus der Rückschau erschließt. Sie sind aber gerade deshalb aufgefordert, sich den Abstand, ja zuweilen sogar die Diskrepanz zwischen zeitgenössischer und historischer Perspektive zu vergegenwärtigen und in ihren Konsequenzen – etwa für das Handeln der historischen Akteure – sichtbar zu machen. Die Leipziger Disputation gilt uns heute als eine Wegmarke der Reformationsgeschichte, als eine wichtige Etappe auf Luthers Weg zur Erneuerung der Kirche. Wieso sonst sollte man ihrer 490. Wiederkehr gedenken? Aber haben dies die Zeitgenossen schon so gesehen, haben sie es schon so sehen können? War für die Zuhörer, die sich im Sommer 1519 in die große Stube der Pleißenburg drängten, erkennbar, dass hier Geschichte geschrieben wurde? Dieser Frage soll hier nachgegangen und dabei in groben Strichen skizziert werden, welches Forschungs- und Erkenntnispotential die zeitgenössische Wahrnehmung der Leipziger Disputation birgt. Die Bedeutung des Ansatzes liegt auf der Hand, wenn wir verstehen wollen, warum Luthers neue Theologie einen epochalen Transformationsprozess auslösen konnte. Wenn es richtig ist, dass sich der Erfolg der Reformation auf ihrer Fähigkeit zur Kommunikation gründete, wenn es zu ihren Besonderheiten gehörte, dass sie wie kaum eine kirchliche Erneuerungsbewegung vor ihr in kurzer Zeit breite Massen für einen religiösen Aufbruch begeistern konn-
1 Vgl. Hans Henning Kaysers; Jo Brauner: Sieben Tage im November: die Woche, in der die Berliner Mauer fiel. Berlin 200.
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te, dann verdient gerade die Beobachtung der Leipziger Disputation als einer der ersten Etappen auf diesem Weg unsere ganze Aufmerksamkeit.2 Dabei ist zunächst eine Fülle von Ausgangspunkten denkbar. Lohnen könnte bereits eine Betrachtung der öffentlichen Meinung im Vorfeld. In welcher Form wurde der Wunsch nach einer Klärung der Ablassfrage laut und welche Erwartungshaltungen gab es an eine Disputation? Als nächstes wäre wohl zu fragen, wie die Zeitgenossen den Verlauf des Streitgespräches beurteilten, das bekanntlich eine ganz eigene Dynamik entfaltete. Geradezu klassisch könnte die Frage nach dem Sieger der Disputation folgen. Sie hat schon die zeitgenössische Wahrnehmung besonders bewegt, wobei die Bewertung je nach Standpunkt des Betrachters sehr konträr ausfiel. Zu untersuchen wäre schließlich die Bedeutung der Disputation als Etappe auf dem Weg zur Reformation, aber auch ihre Langzeitwirkung als Modell für die vielen Religionsgespräche des 16. Jahrhunderts und nicht zuletzt als gescheiterter Versuch, die beginnende religiöse Spaltung auf dem Wege akademischer Wahrheitsfindung zu überbrücken. Das so skizzierte Arbeitsvorhaben muss zunächst Programm bleiben. Doch soll in dieser Vorstudie zumindest eine der Kernfragen kurz diskutiert werden: Welchen Stellenwert besaß die Disputation für die Zeitgenossen? Markierte sie einen spürbaren Einschnitt, ist sie als Zäsur, als Anfang von etwas Neuem empfunden worden? Lassen wir dazu zunächst zwei Stimmen aus dem Lager der Luthergegner zu Wort kommen. Gerade der Blick der Gegenseite ist als Korrektiv von Interesse, wenn es um die Einordnung der Leipziger Ereignisse geht. Die Bedeutung der Disputation als Fixpunkt wird zum Beispiel aus einer Äußerung des altgläubigen Flugschriftenautors Petrus Sylvius ersichtlich. Sylvius sieht in dem Leipziger Schlagabtausch den Anfang einer breiten öffentlichen Ablehnung Luthers. Gerade weil ihm dies als allgemein anerkannte Tatsache gilt, glaubt er, seinen eigenen Eifer damit belegen zu können, dass er schon »vor der Leipziger Disputation lateinisch auf sechs Bogen« eine Schrift gegen Luther verfasst habe, die nur aus Geldmangel nicht erscheinen konnte.3 2 Zu dieser Sicht auf die Reformation vgl. exemplarisch Berndt Hamm: Die Reformation als Medienereignis. Jahrbuch für Biblische Theologie 11 (1996), 137-166; Bernd Moeller: Die frühe Reformation als Kommunikatiosprozeß. In: Kirche und Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts/ hrsg. von Hartmut Boockmann (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-Hist. Klasse, Folge 3; 206). Göttingen 1994, 148-164; Johannes Burkhardt: Das Reformationsjahrhundert: deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung. 1517-1617. Stuttgart 202. 3 Zitiert nach Nikolaus Paulus: Die deutschen Dominikaner im Kampfe gegen Luther (1518–1563) (Erläuterungen und Ergänzungen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes; 4.1; 4.2). Freiburg 1903, 55. – Zu Person und Werk des Petrus Sylvius (Peter Penig aus Forst/Niederlausitz) vgl. Heribert Smolinsky: Augustin von Alveldt und Hieronymus Emser: eine Untersuchung zur Kontroverstheologie der Frühen Reformationszeit im Herzogtum Sachsen (RST; 122), Münster 1983, 346-35.
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Von der Wahrnehmung des Neuen
Abb 43 Spottbild auf die Gegner Luthers, darunter Emser und Eck
Auch Herzog Georg von Sachsen, der weltliche Schirmherr der Disputation, erlebte diese als Wendemarke. In einem vielzitierten Brief an Luther aus dem Jahre 1525 schildert er sie als Schlüsselereignis, das seine anfängliche Sympathie für die Wittenberger Reformansätze in eine kritische und bald entschieden ablehnende Haltung umschlagen ließ.4 Tatsächlich sah Georg, der die Disputation zunächst als ein Forum für die Kirchenreform unterstützt hatte, deren Bedeutung im Nachhinein im öffentlichen altgläubigen Widerspruch gegen Luther: »Und zweyfeln nicht«, so schreibt er im Januar 1520 an den Bischof von Merseburg,
4 »Wir seint auch dorbey gewest, do du von doctor Eck beschuldiget als eyn patron der Behemischen secten; das hast du die zeyt mit großer ungestumigkeyt creftiglich widerfochten, wiewol du dich horen list, etlich des Hussen artikel, darumb er vordammet, wern aufs Cristlichste. Wir haben getan als eyner, der deyne sache gern gut sege und haben dich warlich aus trauem herzen zu uns gefordert, alleyn mit dir geredt, do dir deyn gelympf und ungelympf unsers vorsehens vormeldt, dich bruderlich vormanet, dieweyl dir gar nicht gelibet die Behemisch secta, du wollest darwider schreyben. […] Es seint auch bald darnoch schrieft von dir ausgangen, in welchen du allen irtumb Hussens, Wickleff und aller Pycarden lobest und bestetigest und alle unsere vorfarn des h. consiliums zu Costenitz lesterlich geschmeet. […] Sint des sein wir deyner meynung nye holt gewest, den wir seint darbey erzogen […], das alle die do handeln und tun wider den gehorsam und sundern sich von der Cristlichen kirchen, das die vor ketzer und abgesunderte geacht gewest und noch seyn, dan sie sein durch die h. consilia also erclert.« Brief Herzog Georgs von Sachsen an Martin Luther, Dresden, 28. Dezember 1525, ABKG Bd. 1: 1517-1524. Bd. 2: 1525-1527/ hrsg. von Felician Gess (Schriften der Königlich Sächsischen Kommission für Geschichte; 10. 22). Leipzig; Berlin 1905. 1917, Bd. 3: 1528-1534. Bd. 4: 1535-1539/ hrsg. von Heiko Jadatz; Christian Winter. Köln; Weimar; Wien 2010. 2012, hier: Bd. 2, 472-478.
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»wo angezeygte disputacion nicht gehalden und leute gewest, die ime [Luther] seyn thun offentlich angefochten, er sollte seyns vornehemens noch mehr zu- und beyfall gehapt haben.«5
Eine differenzierte Beurteilung dieser Stimmen darf freilich nicht außer Acht lassen, dass sie die Disputation bereits mit dem Abstand von einigen Monaten oder sogar Jahren bewerten. Tatsächlich datiert einer der am häufigsten zitierten Augenzeugenberichte, jener von Sebastian Fröschel, sogar erst aus dem Jahre 1566.6 Andererseits dürfte es zumindest im Falle Herzog Georgs keinen Zweifel am unmittelbaren Eindruck der Ereignisse geben. Dies gilt selbst, wenn die von Fröschel überlieferte Szene, nach der Georg auf Luthers Aussage »Lieber hr. doctor, non omnes articuli Hussitici sunt haeretici«, empört die Arme in die Seiten gestemmt und laut ausgerufen habe »Das walt die sucht!«,7 eine nachträgliche Interpolation sein sollte. Denn Luther und Georg berichten unabhängig voneinander über ein Vier-Augen-Gespräch, in dem der Fürst dem Wittenberger wegen seiner Thesen zu Hus Vorhaltungen machte und ihn aufforderte, sich öffentlich von den Böhmen zu distanzieren.8 Die Stimmen gerade auch der altgläubigen Seite weisen also darauf hin, dass die Disputation tatsächlich als Zäsur wirkte. Gleichzeitig führen sie auf die für unsere Fragestellung wichtigsten Quellengattungen hin. Vor allem Flugschriften und Briefe bieten einen guten Zugang zur zeitgenössischen Wahrnehmung. Dabei liegen beide Quellentypen recht nahe beieinander. Mancher Briefwechsel wurde als Flugschrift veröffentlicht, und noch häufiger bedienten sich Flugschriftenautoren der Konventionen des Briefes und richteten ihre Werke an konkrete Adressaten. Die Quellenlage für die Fragestellung ist damit tatsächlich einmal günstig zu nennen, selbst der Erschließungsstand kann befriedigen. Das Corpus der Flugschriften ist über die verbesserte Onlineausgabe des VD 16 gut zu bibliographieren, verschiedene Editionen, allen voran die Weimarer Ausgabe und die Mikrofiche-
5 Brief dess. an Bischof Adolf von Merseburg, Dresden, 13. Januar 1520, ABKG 1, 115 f. – Zu Georgs Sicht auf Luther und die Reformation vgl. Christoph Volkmar: Reform statt Reformation: die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen. 148-–1525 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 41). Tübingen 2008, 446-47. 6 Sebastian Fröschel: Vom Königreich Christi Jhesu […]. Wittenberg 1566 (VD16 F 3094). 7 Ebd, zitiert nach Ingetraut Ludolphy: Die Ursachen der Gegnerschaft zwischen Luther und Herzog Georg von Sachsen. LuJ 32 (1965), 28-44, hier 33. Soweit ich sehe, wird Georgs bekannt gewordener Ausruf nur von Fröschel überliefert. 8 Vgl. Brief Georgs an Luther (wie Anm. 4); Brief Martin Luthers an Georg Spalatin, Wittenberg, 20. Juli 1519. WA Br 1,421-424. Die Aufforderung, gegen die Hussiten zu schreiben, findet sich nur in Georgs Darstellung. Da diese aus einem Brief an Luther selbst stammt, ist allerdings kaum anzunehmen, dass der Fürst hier bewusst interpoliert. Vgl. dazu Volkmar: Reform statt Reformation (wie Anm. 5), 448-459.
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Edition von Hans-Joachim Köhler, machen die Drucke greifbar.9 In den nächsten Jahren dürften noch zahlreiche Flugschriften als Digitalisate online verfügbar werden, zum Beispiel im Rahmen des VD 16 und anderer Digitalisierungsprojekte. Die zweite Quellengattung, die Briefe, ist über die maßgeblichen Briefwechsel wichtiger Akteure wie Luther, Melanchthon oder Georg von Sachsen zu benutzen.10 In diesem Zusammenhang sei auch die an ein breiteres Publikum gerichtete Quellensammlung »Die Reformation in Augenzeugenberichten« von Helmar Junghans genannt.11 Schließlich wird man noch immer ältere Editionen mit Gewinn heranziehen, neben den Werken von Seidemann vor allem Valentin Ernst Löschers Sammlung, die allein zur Disputation mehr als 600 Druckseiten bietet.12 Die für unser engeres Thema vorliegende Literatur ist hingegen überschaubar. Zu nennen sind der einschlägige Aufsatz von Otto Clemen,13 die druckgeschichtlichen Arbeiten von Helmut Claus,14 der Überblick in der Lutherbiographie von Martin Brecht,15 die Ausführungen von Heribert Smolinsky zu Emsers Flugschriften16 sowie die Arbeiten von Gerhard Müller und Thomas Fuchs, die die Disputation in ihrer Vorbildwirkung für die Religionsgespräche der Reformationszeit untersucht haben.17 Zukünftige Arbeiten über die zeitgenössische Wahrnehmung der Leipziger Disputation sollten an die breite Forschungsdiskussion um die Reformation als Medienereignis anschließen. Immerhin markiert die Leipziger Debatte zusammen mit dem Ablassstreit den Beginn der viel beschworenen reformatorischen Öffentlichkeit.18 Sie darf schon deshalb besonderes Interesse beanspruchen, weil durch 9 Vgl. VD 16, jetzt zu benutzen über die fortlaufend aktualisierte Onlineausgabe unter www. vd16.de; WA, besonders Bd. 2; Flugschriften des frühen 16. Jahrhunderts (15011530)/ hrsg. von Hans-Joachim Köhler. Zug 1978-1990. 10 WA Br; MBW; ABKG 1-4. 11 Vgl. Die Reformation in Augenzeugenberichten/ hrsg. von Helmar Junghans. Düsseldorf 1967. 12 Vgl. Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519. Dresden; Leipzig 1843; Vollständige Reformations-Acta und Documenta. Bd. 3/ hrsg. von Valentin Ernst Löscher. Leipzig 1729, 214-819. 13 Vgl. Otto Clemen: Litterarische Nachspiele zur Leipziger Disputation. BSKG 12 (1897), 56-83. 14 Helmut Claus: Das Leipziger Druckschaffen der Jahre 1518-1539 (Veröffentlichungen der Forschungsbibliothek Gotha; 26). Gotha 1987; ders.: Untersuchungen zur Geschichte des Leipziger Buchdrucks von Luthers Thesenanschlag bis zur Einführung der Reformation in Sachsen (1517-1539). 2 Bde. Phil. Diss. (Ms). Berlin 1973. 15 Vgl. Martin Brecht: Martin Luther. Bd. 1. Stuttgart 1981, 307-332. 16 Vgl. Smolinsky: Augustin von Alveldt … (wie Anm. 3). 17 Vgl. Gerhard Müller: Die Religionsgespräche der Reformationszeit (SVRG; 191). Gütersloh 1980; Thomas Fuchs: Konfession und Gespräch: Typologie und Funktion der Religionsgespräche in der Reformationszeit (Norm und Struktur: Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit; 4). Köln 1995, 144-187. 18 Zu der breiten Forschungsdebatte siehe die Literatur in Anm. 2; vgl. auch Rainer Wohlfeil: »Reformatorische Öffentlichkeit«. In: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und
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die jüngsten Forschungen deutlich geworden ist, dass die Flugschriftenkriege der Reformationszeit an ältere Vorformen anschließen konnten.19 Besondere Bedeutung dürfte dabei dem Umstand zukommen, dass sich in Leipzig um 1500 ein leistungsfähiges Druckgewerbe etabliert hatte, das in der Lage war, das lokale Ereignis schnell in alle Welt zu tragen.20 Bemerkenswert und weitere Untersuchung lohnend erscheint in diesem Zusammenhang die Dominanz lateinischer Drucke unter den Flugschriften über die Disputation. Sie entspricht einerseits dem akademischen Charakter der Veranstaltung und hebt sich andererseits deutlich vom (später) üblichen Muster der reformatorischen Streitschriften ab, die auf ein deutschsprachiges Laienpublikum ausgerichtet waren. Auch das relativ ausgewogene Verhältnis von pro- und antilutherischen Stellungnahmen passt nicht ganz in das bekannte Bild und könnte als weiteres Indiz dafür gewertet werden, dass sich die reformatorische Öffentlichkeit 1519 noch in statu nascendi
in der Reformationszeit/ hrsg. von Ludger Grenzmann; Karl Stackmann (Germanistische Symposien-Berichtsbände; 5). Stuttgart 1984, 41-52; Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit/ hrsg. von Hans-Joachim Köhler (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit; 13). Stuttgart 1981; Mark U. Edwards, Jr.: Printing, Propaganda and Martin Luther. Berkeley 1994; in einem weiteren Kontext: Andrew Pettegree: Reformation and the Culture of Persuasion. Cambridge u. a. 205. 19 Vgl. Falk Eisermann: Bevor die Blätter fliegen lernten: Buchdruck, politische Kommunikation und die ›Medienrevolution‹ des 15. Jahrhunderts. In: Medien der Kommunikation im Mittelalter/ hrsg. von Karl-Heinz Spieß (Beiträge zur Kommunikationsgeschichte; 15). Stuttgart 2003, 289-320; ders.: Der Ablaß als Medienereignis: Kommunikationswandel durch Einblattdrucke im 15. Jahrhundert. In: Tradition and Innovation in an Era of Change/ hrsg. von Rudolf Sutrup; Jan R. Veenstra (Tradition und Innovation im Übergang zur Frühen Neuzeit (Medieval to early modern culture; 1). Frankfurt am Main 2001, 99-128; Konrad Repgen: Antimanifest und Kriegsmanifest: die Benutzung der neuen Drucktechnik bei der Mainzer Stiftsfehde 1461/63 durch die Erzbischöfe Adolf von Nassau und Diether von Isenburg. In: Studien zum 15. Jahrhundert: Festschrift für Erich Meuthen. Bd. 2/ hrsg. von Johannes Helmrath; Heribert Müller. München 1994, 781-803; Bücher, Drucker, Bibliotheken in Mitteldeutschland: neue Forschungen zur Kommunikationsund Mediengeschichte um 1500/ hrsg. von Enno Bünz (Schriften zur Sächsischen Geschichte und Volkskunde; 15). Leipzig 2006. 20 Vgl. Claus: Das Leipziger Druckschaffen … (wie Anm. 14); ders.: Untersuchungen … (wie Anm. 14); Thomas Döring: Der Leipziger Buchdruck vor der Reformation. In: Bücher, Drucker … (wie Anm. 19), 87-98; Falk Eisermann: Leipziger Einblattdrucke des 15. Jahrhunderts. Ebd, 373-399; Christoph Volkmar: Druckkunst im Dienste der Kultpropaganda: der Buchdruck als Instrument landesherrlicher Kirchenpolitik am Beispiel der Kanonisation Bennos von Meißen. Ebd, 439-460; Falk Eisermann: Die schwarze Gunst: Buchdruck und Humanismus in Leipzig um 1500. In: Der Humanismus an der Universität Leipzig/ hrsg. von Enno Bünz; Franz Fuchs (= Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 23 [2008]). Wiesbaden 2009, 149-80.
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befand. Vielleicht aber deutet sich hier auch schon Leipzigs Rolle als Zentrum des literarischen Kampfes gegen Luther an.21 Schließlich verrät das Corpus der Flugschriften auch etwas über die Langzeitwirkung der Disputation. Religionsgespräche wurden im Zeitalter der Reformation und der Konfessionalisierung zu einer wichtigen Form des lokalen wie des überregionalen Diskurses. Gibt man im VD 16 das Titelstichwort »Disputation« ein, liefert das Verzeichnis 186 Druckausgaben. Nur fünf von ihnen beziehen sich auf die Leipziger Veranstaltung von 1519.22 Aber dennoch ist in ihr ein Erfolgsmodell zu sehen: Die Transformation der akademisch geprägten Disputation zum öffentlichen Religionsgespräch mit politischer Bedeutung nahm in Leipzig Gestalt an.23 Welches Bild zeichnen nun die Flugschriften von der Leipziger Disputation? Einflussreich, aber für unsere Fragestellung eher sekundär, waren die Schriften der Protagonisten selbst. Luther, Eck und Karlstadt publizierten zeitnah über die Disputation und versuchten dabei, die strittigen Themen zu ihren Gunsten zu entscheiden. Da das Urteil der Universitäten Paris und Erfurt auf sich warten ließ, galt es, die Meinungsführerschaft über die Ergebnisse des Streitgesprächs zu gewinnen.24 Freilich war in den Flugschriften kein unmittelbarer Dialog mehr möglich. So hatten die Wortmeldungen der Leipziger Hauptakteure vor allem den Effekt, die gegenseitigen Abgrenzungen zu zementieren und die Öffentlichkeit zur Parteinahme herauszufordern. Die allgemeine Wahrnehmung der Disputation wird man aus ihnen kaum eruieren können. Einen besseren Indikator für die Bedeutung, die die Zeitgenossen der Leipziger Disputation beimaßen, dürften die Flugschriften aus der Feder Dritter bieten. Schon Otto Clemen hat nicht weniger als 18 Flugschriften zusammengestellt, die in unmittelbarer Reaktion auf die Disputation im Herbst/Winter 1519 erschienen und zum Teil mehrere Auflagen erlebten. Als bedeutendste Autoren stechen die Leipziger Professoren Petrus Mosellanus und Johannes Cellarius und ihre Wittenberger Kollegen Philipp Melanchthon und Johann Hessus Montanus heraus.25 Clemens Liste
21 Vgl. Mark U. Edwards, Jr.: Catholic Controversial Literature: 1518–1555. Some Statistics. ARG 79 (1988), 189-205; Christoph Volkmar: Turning Luther’s Weapons against him: the Birth of Catholic Propaganda in Saxony in the 1520ies. In: The Book Triumphant.: PPrint in Transition in the Sixteenth and Seventeenth Centurie40/ hrsg. von Graeme Kemp; Malcolm Walsy. (Library of the Written Word; 15)., Leiden 2011, 115-–1g]; ders.: Reform statt Reformation (wie Anm. 5), 554-593. 22 Vgl. www.vd16.de (Abfrage vom 7. Oktober 2009, beschränkt auf das Titelstichwort »Disputation«). Die fünf Treffer mit Bezug auf Leipzig sind vier Lutherdrucke (VD 16, L 6192. 6195. 6831 f) sowie der Bericht des Johannes Rubius (VD 16, R 3409). Zu diesem siehe unten, Anm. 30. 23 Wie Anm. 17. 24 Vgl. zusammenfassend Brecht: Luther (wie Anm. 15), 307-312. 25 Vgl. Clemen: Litterarische Nachspiele … (wie Anm. 13).
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bietet eine gute Basis, sie ließe sich aber noch fast beliebig erweitern. Unbedingt einbezogen werden sollte die Schrift von Hieronymus Emser.26 Clemen zu ergänzen heißt nicht, ihm einen Vorwurf zu machen, denn welche Schriften dem Komplex der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit der Disputation zuzuordnen sind, ist oft eine Frage subjektiver Grenzziehung. Die Ursache liegt in der Sache selbst. Die Disputation war Teil des Kommunikationsprozesses der frühen Reformation, ein wichtiger Bezugspunkt ohne Zweifel, aber kein isoliertes Ereignis. Die ohnehin anschwellende Flut von Flugschriften nahm auf die Disputation Bezug, aber kaum ein Beitrag erschöpfte sich in der Behandlung des Leipziger Gesprächs, dem nicht zuletzt wegen des ausstehenden Urteils eine gewisse Unabgeschlossenheit eigen war. Außerdem nahmen die Flugschriften oft aufeinander Bezug. Schnell gewannen die Debatten ein Eigenleben und entfernten sich durch Repliken und Gegenschriften immer weiter von ihrem Ausgangspunkt. So entscheidet sich zum Beispiel Martin Brecht, lutherfreundliche Schriften von Johannes Oekolampad, Lazarus Spengler und Willibald Pirckheimer (und zwar dessen bekannte Satire »Eccius dedolatus«, der »enteckte Eck«) den Nachwehen der Disputation zuzuordnen, allein weil sie in Reaktion auf Verteidigungsschriften Ecks entstanden.27 Interessante Aufschlüsse über die zeitgenössische Wahrnehmung versprechen gerade die Schriften aus der zweiten Reihe. Deren Autoren gehörten zumeist nicht zum Kern der einen oder anderen Partei, und so war ihnen ein eigenständigerer Blick möglich. Wenige Tage oder Wochen nach den Leipziger Ereignissen veröffentlicht, versuchten sie das unmittelbare Informationsbedürfnis der Zeitgenossen zu befriedigen. Die Eröffnungsrede des Mosellanus verließ sogar noch während der Disputation die Leipziger Pressen.28 Ein Überblick über diese Flugschriften macht augenscheinlich, auf welch unterschiedlichen Wegen und von welch unterschiedlichen Blickhöhen die Leipziger Ereignisse betrachtet wurden. Der Leser erfährt in ihnen regelmäßig etwas über Ecks Scharfsinnigkeit und über Luthers Charisma, aber nur selten sahen sich die Autoren veranlasst oder auch nur in der Lage, den theologischen Kern der Disputation und seine Implikationen zu referieren.
26 Hieronymus Emser: De disputatione Lipsicensi, quantum ad Boemos obiter deflexa est. Leipzig: Melchior Lotter d. Ä. 1519. In: Hieronymus Emser, De disputatione Lipsicensi, quantum ad Boemos obiter deflexa est (1519), A venatione Luteriana aegocerotis assertio (1519)/ hrsg. von Franz Xaver Thurnhofer (CC; 4). Münster 1921, 27-41. 27 Vgl. Brecht: Luther (wie Anm. 15), 319 f. 28 Petrus Mosellanus: De ratione disputandi praesertim in re theologica. [Leipzig: Melchior Lotter d. Ä. 1519] (VD 16, S 2173 f). Vgl. dazu Clemen: Litterarische Nachspiele … (wie Anm. 13), 68; Reinhold Weier: Die Rede des Petrus Mosellanus »Über die rechte Weise theologisch zu disputieren«. Trierer Theologische Zeitschrift 83 (1974), 232-24.
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Als Beispiel für eine zeitgenössische Einordnung sei hier nur das schon von den Zeitgenossen29 viel geschmähte Reimgedicht des Johannes Rubius zitiert, der an einer seiner niveauvolleren Stellen immerhin folgendes Resümee wagt: »Dan Eckius lernet und beschreybet christlich mit seynem mundt / daz unser eltern und vorfarn haben geglaubet off disze stund. /Aber die ander zwen grosz gelarten doctores lernten, das do ist neu / glauben wirsz, ich forcht es musz uns ewig gerew.«30
Von Interesse kann natürlich auch sein, was die Flugschriften nicht erwähnten. So wurde, soweit ich sehe, der konkrete Schauplatz der Ereignisse zwar beschrieben, aber nicht weiter diskutiert.31 Dabei war die Hofstube einer landesherrlichen Burg sicherlich kein typischer Ort für eine akademische Disputatio. War daran allein der Mangel an eigenen Räumlichkeiten der Universität schuld?32 Wäre es nicht dennoch angemessener gewesen, das theologische Streitgespräch in einem regelmäßig von der Universität genutzten kirchlichen Raum, sei es im Paulinerkloster oder im Thomasstift, auszutragen? Oder waren die politischen Weichenstellungen im Vorfeld allgemein bekannt, so dass es niemanden wunderte, wenn Georg von Sachsen als politischer Patron des Streitgesprächs auch als sein Gastgeber fungierte?33 Viele der nach Leipzig veröffentlichten Flugschriften, auch dies mag überraschen, interessierte die Disputation vor allem als ein Ereignis des öffentlichen Lebens. Gerade die humanistisch gesinnten Autoren hielten sich kaum mit den Inhalten auf, sondern nahmen das Geschehen zum Anlass, um in seinem Lichte ihren eigenen (oft recht narzisstischen) Fehden Bedeutung zu verleihen. Otto Clemen, der sich der Mühe unterzogen hat, diese »litterarischen Nachspiele« der Disputation zusammenhängend darzustellen, kann denn auch seine wachsende Frustration nicht ganz verbergen: »Im übrigen enthielten beide Schriften sinnlosen Wortschwall«, schreibt er an einer Stelle, und es wird nicht ganz klar, ob er hier noch eine Quelle 29 Schon Hieronymus Emser äußerte sich trotz der gemeinsamen lutherkritischen Grundhaltung abfällig über das Urteilsvermögen des Rubius. Vgl. Smolinsky: Augustin von Alveldt … (wie Anm. 3), 226. 30 Johannes Rubius: Eyn neu buchlein von d[er] loblichen disputation offentlich gehalten vor fursten vnd vor hern vor hochgelarten vnd vngelarten yn der werden hochgepreysten stat Leyptzick […]. [Leipzig: Valentin Schumann] 1519 (VD 16, R 3409), zitiert nach: Flugschriften der frühen Reformationsbewegung (1518–1524)/ hrsg. von Adolf Laube u. a. Berlin 1983, 1257-1284, hier 1264. 31 Ausführlich beschreibt Sebastian Fröschel die aufwändige Herrichtung der Hofstube. Vgl. das Zitat bei Junghans: Augenzeugenberichte … (wie Anm. 11), 68. 32 Vgl. Geschichte der Universität Leipzig 1409-2009. Bd. 5: Geschichte der Leipziger Universitätsbauten im urbanen Kontext/ hrsg. von Michaela Marek; Thomas Topfstedt. Leipzig 2009. 33 Zur Rolle Herzog Georgs beim Zustandekommen der Disputation vgl. Kurt-Victor Selge: Der Weg zur Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck im Jahr 1519. In: Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte: Hans Freiherr von Campenhausen gewidmet zum 70. Geburtstag/ hrsg. von Bernd Moeller; Gerhard Ruhbach. Tübingen 1973, 169-210; Volkmar: Reform statt Reformation (wie Anm. 5), 378-384. 451.
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paraphrasiert oder schon ein eigenes Urteil fällt.34 Einige Seiten später heißt es dann über eine Flugschrift des Hebraisten Cellarius: »Den Inhalt wiederzugeben verlohnt sich nicht.«35 Den in deutschen Versen abgefassten Bericht des Bakkalaren Rubius kann Clemen schließlich nur noch als »unglaublich albern und langweilig«36 beschreiben – ein Urteil, dem ich mich nach tapferem Selbstversuch in der Lektüre vollinhaltlich anschließen muss. Wenn aber selbst solche qualitativ fragwürdigen Schnellschüsse unter die Presse genommen wurden, so ist das immerhin ein starkes Indiz dafür, dass die Zeitgenossen die Disputation als herausragendes Ereignis wahrnahmen, an dem reges Informationsbedürfnis bestand. Schon Clemen resümierte mit Blick auf Rubius: »Lediglich aus dem Interesse, welches das Publikum allem, was mit der grossen Leipziger Disputation in Zusammenhang stand, entgegenbrachte, kann man es erklären, dass dieses stümperhafte Machwerk Verleger (zwei Ausgaben!)37 und Käufer fand.«38
Bemerkenswert ist schließlich, wie die Flugschriften die Leipziger Ereignisse in die großen Debatten der Zeit einordnen. Denn ihr Blick unterscheidet sich oft deutlich von den uns vertrauten Kategorien. Für viele Autoren war die Causa Lutheri im Sommer 1519 eben noch nicht das alles beherrschende Thema, geschweige denn, dass sie die Tragweite der Reformation hätten absehen können. Sie deuteten die Disputation daher in anderen, zum Teil stark selbstreferentiellen Zusammenhängen, die ihnen näher lagen: dem Richtungsstreit zwischen Humanismus und Scholastik etwa,39 der Konkurrenzsituation zwischen den sächsischen Landesuniversitäten Leipzig und Wittenberg40 oder der Hussitenfrage. Gerade anhand des Stichworts Hussiten kann exemplarisch deutlich gemacht werden, wie sehr sich die unmittelbare Wahrnehmung der Zeitgenossen von der nachträglichen Sicht der Geschichte unterscheiden kann. Für die Gastgeber in Leipzig, allen voran Herzog Georg von Sachsen, wurden Luthers Bemerkungen zu den Hussiten schnell zum Dreh- und Angelpunkt des Streitgesprächs überhaupt. Schon Georgs spontaner Wutausbruch coram publico zeigte dies. Unmittelbar nach der Disputation erschien in Leipzig eine ganz auf die Hussitenfrage konzentrierte Flugschrift, die schon wegen ihres Autors, des Dresdner Hofkaplans Hieronymus Emser, offiziösen Charakter beanspruchen konnte. Mit der beträchtlichen Auflage 34 Clemen: Litterarische Nachspiele … (wie Anm. 13), 70. 35 Ebd, 74. 36 Ebd, 75 f. 37 Ein Nachdruck der Leipziger Ausgabe erschien noch 1519 in Augsburg. Vgl. VD 16, R 3408. 38 Ebd, 76. 39 Zur konkreten Situation in Leipzig vgl. die Beiträge in: Der Humanismus … (wie Anm. 20). 40 Vgl. Felician Gess: Leipzig und Wittenberg: ein Beitrag zur sächsischen Reformationsgeschichte. NASG 16 (1895), 43-93.
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von 1000 Exemplaren von vornherein auf besondere Breitenwirkung angelegt, hob sie an zu berichten »von der Leipziger Disputation, was dabei in Bezug auf die Böhmen abgelehnt worden sei«.41 Schon der Titel der Schrift muss hellhörig machen. Zum einen präsentiert er die Hussitenfrage als den zentralen Gegenstand der Disputation. Zum anderen aber nimmt Emser das Ketzerthema mit einer ganz anderen Stoßrichtung auf, als dies Eck in der Disputation getan hatte. Statt Luther über seine Aussagen in der Primatsdebatte als (böhmischen) Häresiarchen zu entlarven, legte Emser in seiner Flugschrift eingehend dar, dass sich der Wittenberger ungeachtet seiner kontroversen Thesen scharf von der böhmischen Sonderkirche distanziert habe.42 Dies ist für ihn schlicht die wichtigste Botschaft der Disputation. Alle Gerüchte über einen Schulterschluss Luthers mit den Hussiten gingen in die Irre, vielmehr habe der Augustiner mit seiner Abgrenzung deutlich gemacht, dass die Hussiten völlig isoliert seien und selbst papstkritische Theologen nichts mit ihnen zu schaffen haben wollten.43 Wieso aber bemühte sich Emser, bekanntlich schon in Leipzig kein Lutherfreund und bald darauf einer seiner lautstärksten Gegner, unmittelbar nach der Disputation noch so inständig, Luther vom Verdacht des Hussitismus reinzuwaschen? Wieso zielte die Stoßrichtung seiner Flugschrift weniger auf den Wittenberger als auf die Hussiten? Die Antwort ist im Horizont zeitgenössischer Wahrnehmung zu suchen. Stets fällt es leichter, Ereignisse in vertraute Muster (und das heißt hier: Feindbilder) einzuordnen, als noch offene, zukünftige Bezüge zu erkennen. Im konkreten Fall war Luther für Emser und seinen Dienstherrn Georg von Sachsen im Sommer 1519 noch nicht jener kirchenpolitische Hauptgegner, als den sie ihn wenig später sehen sollten. Noch galt ihnen der Wittenberger als ein wenn auch besonders scharfer innerkirchlicher Kritiker, ein Mahner zur Reform etwa im Umgang mit der Ablasspraxis. Die Leipziger Ereignisse leiteten hier erst einen Prozess des Umdenkens ein.44 Hingegen stand ihnen eine andere Bedrohung ganz plastisch vor Augen, weil sie seit Jahren ihre kirchenpolitischen Aktivitäten bestimmte: die Hussiten. Anders als etwa für Eck waren die Böhmen für die Sachsen nicht einfach irgendwelche fremden Ketzer. Sie waren vielmehr direkte Nachbarn und damit eine sehr konkrete Bedrohung. Dies galt zwar nicht mehr im militärischen Sinne, wenngleich die Hussitenkriege des frühen 15. Jahrhunderts als Vermächtnis und Traditionslinie 41 Freie Übersetzung des lateinischen Titels der Emserschrift. Siehe Anm. 26. 42 Zur Einordnung der Aussagen Luthers vgl. Kurt-Victor Selge: Die Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck. ZKG 86 (1975), 2640. 43 Vgl. Emser: De disputatione Lipsicensi … (wie Anm. 26). Zur Einordnung vgl. Hieronymus Emser, De disputatione … (wie Anm. 26), 9-21; Smolinsky: Augustin von Alveldt … (wie Anm. 3), 221-238. 44 Vgl. ausführlicher zu dieser Frage Volkmar: Reform statt Reformation (wie Anm. 5), 446473.
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im kollektiven Bewusstsein des Landes und seiner Eliten fest verankert waren.45 Dafür bestimmte es umso mehr die albertinische Kirchenpolitik, die die Ketzer auf der anderen Seite des Erzgebirges als ernste Gefahr für das Seelenheil der eigenen Bevölkerung ausgemacht hatte. Noch verstärkt wurde diese Wahrnehmung durch die persönliche Prägung Herzog Georgs, der über seine Mutter Zedena (Sidonia), die Tochter des Hussitenkönigs Georg von Podiebrad, von Kindesbeinen an vom Konflikt der Böhmen mit der römischen Kirche geprägt worden war.46 Tatsächlich gab es auch jenseits der Familiengeschichte des Fürsten prominente Präzedenzfälle, die die Gefahr einer hussitischen Unterwanderung als akut erscheinen ließen. 1501 wurde mit dem Weihbischof Dr. Johannes Pfennig ein hochrangiger sächsischer Geistlicher als heimlicher Hussit enttarnt und floh nach Böhmen. Pfennig hatte eine neuralgische Position innegehabt, denn er war der erste Pfarrer in der gerade gegründeten Bergstadt St. Annaberg gewesen, in die nicht zuletzt Bergleute aus Böhmen strömten. Herzog Georg übernahm persönlich die Verfolgung des Abtrünnigen, ließ Pfennig in Böhmen durch Häscher ergreifen und vor das geistliche Gericht des Bischofs von Meißen stellen, in dessen Haft er Jahre später starb.47 In der Folgezeit bemühte sich Herzog Georg intensiv um das kirchliche Leben in Annaberg, gewillt der Gefahr eines Übergreifens der böhmischen Sekte auf die grenznahe Bergstadt entgegenzuwirken. Da eine physische Abgrenzung schon aus Versorgungsgründen unmöglich war, wurde die symbolische Distanzierung umso wichtiger. Dem diente zum Beispiel der aufwändig gestaltete Bau der Annaberger Pfarrkirche.48 Als Georg 1508 in dieser Angelegenheit beim Papst um römische 45 Herzog Georg nahm in seiner Korrespondenz mit den Ernestinern mehrfach auf das Vermächtnis der Hussitenkriege Bezug. Vgl. ebd, 461 f. Zum Stellenwert im historischen Gedächtnis des Landes vgl. einführend Ralph Guntram: Döbeln und die Hussiten: die Brandkatastrophe einer Stadt im Spannungsfeld historischer Konstruktion und lokaler Legendenbildung. NASG 79 (2008), 1-26. 46 Dieser Aspekt ist in der Forschung häufig beachtet, wohl aber etwas isoliert zum einzigen Argument erhoben worden. Vgl. Ludolphy: Die Ursachen … (wie Anm. 7), 33-35; Otto Vossler: Herzog Georg der Bärtige und seine Ablehnung Luthers. HZ 184 (1957), 272-291, hier 285 f; Elisabeth Werl: Herzogin Sidonia und ihr ältester Sohn Herzog Georg. HCh 2 (1959), 8-19. Der Briefwechsel zwischen Georg und seiner Mutter liegt jetzt in einer neuen Edition vor. Vgl. Briefe der Herzogin Sidonia von Sachsen (1449-1510) an ihren Sohn Georg (1471-1539)/ bearb. von Sven Rabeler; Alexandra Kursawe; Claudia Ulrich (Mitteilungen der Residenzen-Kommission, Sonderheft; 11). Kiel 209. 47 Vgl. Volkmar: Reform statt Reformation (wie Anm. 5), 460 f. 48 Vgl. ebd, 357-372; ders.: Zwischen landesherrlicher Förderung und persönlicher Distanz: Herzog Georg von Sachsen und das Annaberger Heiltum. In: »Ich armer sundiger mensch«: Heiligen- und Reliquienkult am Übergang zum konfessionellen Zeitalter/ hrsg. von Andreas Tacke (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt; 2). Göttingen 2006, 100-124. – Zu Architektur und Ausstattung der Annenkirche vgl. Heinrich Magirius: Zur Ausbreitung der Renaissance in Mitteldeutschland in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Glaube und Macht: Sachsen im Europa der Reformationszeit (2.
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Ablassgnaden nachsuchte, formulierte er ausdrücklich, der repräsentative Kirchenbau solle helfen »multos Boemos scismaticos ad obedientiam s[anctae] Romanae ecclesiae« zurückzuführen.49 Darüber hinaus nutzte der Fürst die Propagandamöglichkeiten des Buchdrucks. Noch bevor Flugschriftenkontroversen in der Reformationszeit beherrschende Bedeutung erlangten, veranlasste Georg den Druck von antihussitischen Propagandaschriften. 1514 publizierte der Leipziger Theologieprofessor Hieronymus Dungersheim eine »Confutatio apologetici cuiusdam sacre scripture falso inscripti«.50 Der Fürst selbst habe ihn, so schreibt Dungersheim in der Vorrede, auf eine in Nürnberg gedruckte Apologie hussitischer Glaubenssätze aufmerksam gemacht und ihn mit einer Widerlegung beauftragt, um seine Untertanen vor den falschen Lehren zu schützen.51 Schließlich pflegte der albertinische Hof enge Kontakte zu der in Böhmen verbliebenen romtreuen Minderheit. Dies zeigt sich auch in Emsers Schrift über die Leipziger Disputation, denn diese präsentiert sich als offener Brief an Dr. Johannes Zack (ˆák), der als Administrator des Erzbistums Prag an der Spitze der papsttreuen Partei in Böhmen stand.52 Es gehört zu den Ironien in der Geschichte der Leipziger Disputation, dass Martin Luther die Intention Emsers nicht ernst genommen und die Schrift vielmehr als einen versteckten Angriff auf sich selbst interpretiert hat. In dieser Einordnung Sächsische Landesausstellung, Torgau 2004). Aufsätze / hrsg. von Harald Marx; Cecilie Hollberg. Dresden 2004, 155-174; Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen. Bd. 4: Amtshauptmannschaft Annaberg/ bearb. von Richard Steche. Dresden 1885, 10-39. 49 Brief Herzog Georgs an Papst Julius II., Dresden, 17. November 1508, ABKG 1, LXXX, Anm. 1. 50 Vgl. Hieronymus Dungersheim: Confutatio apologetici cuiusda[m] sacre scripture falso inscripti: ad illustrissimu[m] p[ri]ncipem Georgium: Saxonie duce[m] etc. a magistro Hieronymo Dungerßheym de Ochssenfart, sacre theologie professore, edita. Leipzig: Wolfgang Stöckel, 1514 (VD 16, D 2947). Zur Person vgl. Theobald Freudenberger: Hieronymus Dungersheim von Ochsenfurt am Main (146-–1540): Theologieprofessor in Leipzig (RST; 126). Münster 198. 51 »Hoc tu princeps catholice vigilanter advertens, et ob eos qui ditioni tue haud distanter incumbunt hereticos, Picardos vulgo appellatos, subditis tuis nedum de temporali pace, quod optimi praesidis est, sed et pro tua in deum observantia, de fidei stabilitate, sine qua nec pax vera aut salus constare potest, fideliter providere volens, tractatum quendam pestiferum, apologiam sacrescripture falso et mendaciter praetitulatum, Nuremberge quod plurimum miror, sed furtim ut estimo nuper impressum eorundem Picardorum heresibus totum respersum, discutere mihi demandasti.« Dungersheim: Confutatio … (wie Anm. 50), Bl. A IIa-A IIIa. Tatsächlich war 1511 eine hussitische »Apologia sacrae scripturae« in Nürnberg gedruckt worden. Vgl. Freudenberger: Hieronymus Dungersheim … (wie Anm. 49), 54-56. 52 Vgl. Volkmar: Reform statt Reformation (wie Anm. 5), 454 f. 463 f. 567-569; Smolinsky: Augustin von Alveldt … (wie Anm. 3), 36-39.
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ist ihm die Reformationsgeschichtsschreibung übrigens weitgehend gefolgt.53 Weil Luther das Pamphlet zum Anlass nahm, mit einer Gegenschrift einen Flugschriftenkrieg gegen Emser zu eröffnen, kann es aus der Retrospektive sogar als Beginn der antilutherischen Publizistik aus dem albertinischen Sachsen erscheinen, die bald überregionale Bedeutung erlangen sollte. Doch selbst wenn antihussitische und antilutherische Propaganda hier gewissermaßen fließend ineinander übergingen, gilt es die ursprünglichen Intentionen und damit eben die ganz unterschiedlichen, individuell geprägten Wahrnehmungen des Ereignisses von Leipzig ernst zu nehmen. Im Übrigen wirkte der in Leipzig von Eck geschickt geschürte Verdacht, Luther erliege der Häresie der Hussiten, auch im albertinischen Sachsen weiter. Ausschlaggebend für die Entscheidung Herzog Georgs gegen Luther war aber erst dessen »Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heiligen wahren Leichnams Christi« vom Jahresende 1519, den Georg als prohussitisches Plädoyer für den Laienkelch verstand.54 Dies führte zu einer nun ungebrochenen Identifikation des neuen Gegners mit der alten Gefahr aus Böhmen, die den Grundstein legte für das exzeptionell frühe und energische Engagement des eigentlich für eine kirchliche Erneuerung eintretenden Fürsten gegen die Reformation. Tatsächlich sollte sich die albertinische Kirchenpolitik in der Folgezeit nie von der Wahrnehmung Luthers als Hussiten lösen. Insofern entfaltete die Leipziger Disputation erst mit einer gewissen Zeitverzögerung ihre ganze politische Tragweite. Herzog Georg benannte sie bald ausdrücklich als Ausgangspunkt für seinen Kampf gegen die Reformation im albertinischen Sachsen.55 Mit Blick auf die zeitgenössische Wahrnehmung erscheint sie somit nicht nur als wichtige Etappe der Reformation, sondern auch als Bezugspunkt für die Gegenreformation als politisches, mit den Mitteln des Territorialstaates betriebenes Projekt. Fazit In der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen markierte die Leipziger Disputation einen Einschnitt, eine Etappe auf dem Weg zu etwas Neuem. Doch war zunächst kaum erkennbar, wohin die Reise gehen würde. Deshalb lagen die Urteile über das spektakuläre Streitgespräch weit auseinander. Vielleicht haben die Gegner Luthers die Konsequenzen sogar deutlicher gesehen als seine Anhänger, jedenfalls markiert gerade für sie Leipzig einen Wendepunkt. Die zukünftige Forschung wird gut daran tun, der Disputation neue Aufmerksamkeit zu schenken, wenn sie die Reformation als einen epochalen Umbruch besser verstehen will. 53 WA 2, 655-657; Gustav Kawerau: Hieronymus Emser: ein Lebensbild aus der Reformationsgeschichte (SVRG; 61). Halle 1898, 31-33. 54 Vgl. dazu Volkmar: Reform statt Reformation (wie Anm. 5), 456-465. 55 Siehe die Zitate in Anm. 4 und im Haupttext zu Anm. 5.
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Bilder der Leipziger Disputation Illustration und Interpretation Von Doreen Zerbe
Wie bei so vielen historischen Ereignissen ist unsere heutige Vorstellung von der Szenerie der Leipziger Disputation im Jahr 1519 hauptsächlich geprägt von den Inventionen der Historienmaler des 19. Jahrhunderts. Deren Bilder begleiten moderne Lexikoneinträge und Internetartikel zu diesem Thema. Ein zeitgenössisches Bild der Veranstaltung mag es im damals gerade etablierten Printmedium des Flugblattes gegeben haben, überliefert hat es sich nicht. Auch die örtlichen Maler nahmen sich anscheinend des Themas nicht an. Es blieb den nachfolgenden Generationen überlassen, sich ein Bild davon zu machen, wie sie wohl aussah, die Leipziger Disputation des Jahres 1519. Bis zum 19. Jahrhundert bestand wenig öffentliches Interesse am Leipziger Streitgespräch und damit auch an Bildern davon. Andere Ereignisse der Reformation wie das Auftreten Luthers auf dem Reichstag zu Worms blieben dagegen immer im historischen Gedächtnis, wurden zu allen Zeiten in Schrift und Bild kommentiert. Nur in Ausnahmen kam das Ereignis der Disputation zur Darstellung und dann auch nur im Zusammenhang mit weiteren Stationen des Lebens Martin Luthers. Damit ist auch schon ein wesentliches Merkmal der Disputationsdarstellungen angesprochen: Sie sind immer gebunden an Bildfolgen zum Leben Martin Luthers, sie kommen fast ausschließlich in diesem Zusammenhang vor.1 Die Geschichte des Bildes von der Leipziger Disputation muss somit zwangsläufig den Pfaden der Lutherverehrung und der modernen Lutherforschung folgen. I Das historisierende Bild Bildliche Darstellungen zur Reformation in der Frühen Neuzeit waren bestimmt von der Verehrung für den Reformator Martin Luther. Diese Verehrung äußerte sich seit dem 17. Jahrhundert in der Verbreitung von Bilderbögen (Abb. 44) und Sammelbildern ähnlich dem katholischen kleinen Andachtsbild.2 Solche Bögen 1 Zu den Darstellungen Martin Luthers in der Bildkunst vgl.: Luthers Leben in Illustrationen des 18. und 19. Jahrhunderts: Katalog der Ausstellung auf der Veste Coburg 1980/ hrsg. von Joachim Kruse; Minni Maedebach. Coburg 1980; Henrike Holsing: Luther – Gottesmann und Nationalheld: sein Image in der deutschen Historienmalerei des 19. Jahrhunderts. Diss. Köln 2004. 2 So schuf Elias Baeck (gen. Heldenmuth, 1679-1747) um 1730 eine Reihe kleiner, emblematisch interpretierter Lutherbilder, vgl. Elias Baeck: Luthers Leben in 15 Darstellungen und einem Titelblatt. Augsburg 1730, abgebildet bei: Luthers Leben in Illustrationen … (wie
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Abb. 44: Luthers Leben in 16 Szenen, 17. Jahrhundert
Abb. 45: Paulus auf dem Areopag und Leipziger Disputation, 1730
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Abb. 45a: Die Leipziger Disputation 1519 (Detail aus Abb. 45)
und Bildchen illustrierten die Lutherlegende in volksnaher Version, sie diente der Bildung sowie der religiösen Erbauung. Als wichtigste Stationen im Leben des Reformators wurden hier der Thesenanschlag, Luther vor Cajetan, die Verbrennung der Bulle und Luther in Worms vorgestellt. Eingerahmt wurden diese Szenen von Darstellungen der Geburt und des Sterbens des Reformators, begleitet zudem von dramatisch-mystischen Szenen wie dem Tod von Luthers Freund Alexius im Gewitter oder der Auseinandersetzung mit dem Teufel auf der Wartburg.3 Die Leipziger Disputation kam in diesen Zyklen nicht vor. Ausnahmsweise nahm sie nur Johann Michael Roth in eine Kupferstichfolge zum Jubiläum der Confessio Augustana 1730 mit auf (Abb. 45). Auf dem Kupferstich ist im Vordergrund die Anm. 1), Kat. 8. Zum Künstler vgl. Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart/ hrsg. von Ulrich Thieme; Felix Becker, ab Bd. 16 hrsg. von Hans Vollmer. 37 Bde. Leipzig 1907−1950 (im Folgenden ThB); hier ThB 2 (1908), 337. Überlegungen zum protestantischen Bildgebrauch finden sich immer noch grundlegend bei Martin Scharfe: Evangelische Andachtsbilder: Studien zu Intention und Funktion des Bildes in der Frömmigkeitsgeschichte vornehmlich des schwäbischen Raumes. Stuttgart 1968. Scharfe beschrieb die Schaffung von »Volksbildern«, die unter anderem auch der Verehrung der Person Martin Luthers Ausdruck gaben, vgl. ebd, 62-64. 215-218. 311-315. 3 Zur Darstellung kam hier die Erzählung von Luthers Wurf seines Tintenfasses nach dem Teufel. Zu den mystischen Szenen vgl. auch Holsing: Luther … (wie Anm. 1), 163, 345349, 583-587.
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biblische Geschichte der Pauluspredigt in Athen (Apg 17,16-34) dargestellt, am Haus im linken Hintergrund sieht man Luther und Eck in der Leipziger Disputation vor Herzog Georg von Sachsen (Abb. 45a). Hier verbanden sich in typologischer Manier Bild und Gegenbild, indem die Paulusgeschichte mit der Geschichte der Reformation verknüpft wurde: So wie Paulus auf den Stufen des Areopag in Athen geredet hat, so hat Luther in Leipzig auf der Pleißenburg gesprochen.4 Zunehmende Verbreitung erfuhren diese Bilderbögen und Bildfolgen in der Zeit nach den Befreiungskriegen von 1813. Mit der Ausbildung des nationalen Gedankens wuchs das Interesse an der Person Martin Luthers als deutschem Helden.5 Unterstützt wurde diese Entwicklung durch das 300jährige Reformationsjubiläum 1817 sowie das 300jährige Jubiläum des Augsburger Bekenntnisses 1830, in deren Rahmen man Luther als nationale Identifikationsfigur etablierte. Nach der 1830er Revolution in Frankreich erstarkte auch in Deutschland die nationale Bewegung, Liberalismus und Nationalismus gingen mit dem Protestantismus eine Verbindung ein, die sich in der Erhebung Luthers zum Nationalhelden äußerte. Es begann der Aufbau Luthers zur Identifikationsfigur der Deutschen. Die nun vielfältig verbreiteten Bilderbögen standen in der Tradition einer um 1800 entwickelten Historienmalerei, die unter der napoleonischen Fremdherrschaft staatsbürgerliche Tugenden und Vaterlandsliebe wecken sollte.6 Innerhalb dieser Bögen wird man die Szene der Leipziger Disputation jedoch wiederum vergeblich suchen. In den Zeiten des nationalen Aufbruchs waren es wieder die großen, emotionalen Themen, die in den Bildern angesprochen wurden. Unterstützt wurde die Stilisierung Luthers zum Nationalhelden der Deutschen durch die historische Forschung. In den 1840er Jahren, in der Zeit des Vormärz, verstärkten sich die Forschungen zur Geschichte der Reformation, und es wurden mehrere Abhandlungen zur Reformationsgeschichte beziehungsweise zum Leben Martin Luthers herausgegeben. Als einflussreichste Publikation ist dabei Leopold von Rankes »Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation« anzusehen, die ab 1839 in sechs Bänden erschien.7 In dieser und in den vielen zeitgleichen Lutherbiographien wurde auch das Ereignis der Leipziger Disputation ausführlich besprochen, und da diese Abhandlungen meist mit Illustrationen versehen waren, wurde nun auch das Bild zum Ereignis entworfen. Auf etablierte Vorlagen konnte man dafür nicht zurückgreifen, so dass den Künstlern die Möglichkeit zur Neuschaffung eines Motivs gegeben war. 4 Bild und Gegenbild sollten sich laut Roth gegenseitig erläutern und rechtfertigen, vgl. dazu: Luthers Leben in Illustrationen … (wie Anm. 1), 34. 5 Dazu bei Holsing: Luther … (wie Anm. 1), 156-169. 6 Zu Beispielen für Bilderbögen des 19. Jahrhunderts vgl.: Luthers Leben in Illustrationen … (wie Anm. 1), Nr. 25, 26 und 41. 7 Leopold von Ranke: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. 6 Bde. Berlin 1839-1847.
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Unter dem Einfluss der Reformationsgeschichte Rankes begann um 1840 der Maler Gustav König, einige Bilder zum Leben Luthers zu gestalten.8 Im Zeitraum 1845 bis 1848 schuf er dann 48 Radierungen, die innerhalb einer Lutherbiografie des Historikers Heinrich Gelzer veröffentlicht wurden.9 Unter den Illustrationen befand sich auch Abb. 46: Die Leipziger Disputation 1519, um 1844/45 eine Darstellung der Leipziger Disputation (Abb. 46). Die Szene zeigt den Saal der Pleißenburg während der Disputation. Luther und Johann Eck stehen sich an Pulten gegenüber, Luther gerade in großer Geste sprechend, Eck mit verkniffenem Gesicht zuhörend und nach einer Erwiderung suchend. Herzog Georg hört unter einem Baldachin sitzend aufmerksam zu. Hinter seinem Sessel steht der amtierende Wittenberger Universitätsrektor Herzog Barnim von Pommern. Etliche Personen bilden im Hintergrund ein lebhaftes Auditorium. Unscheinbar, im Schatten, hockt ein Hofnarr unter dem Pulte Ecks. Philipp Melanchthon und Andreas Bodenstein aus Karlstadt sitzen zu Luthers Füßen. Während Karlstadt, ähnlich den Beratern Ecks, hektisch die Bücher wälzt, hört Melanchthon in gelassener Pose zu. Schon im Jahr 1841 war im Verlag Poenicke und Sohn in Leipzig »Das Leben Dr. Martin Luthers« von Friedrich Wilhelm Genthe erschienen.10 Für dieses Buch entstanden 26 Stahlstiche, welche die Stationen von Luthers Lebensweg mit den ent-
8 Zu Gustav König (1808-1869) vgl. ThB 21 (1927), 149-151. 9 Johann Heinrich Gelzer: Martin Luther. Hamburg 1847. König hatte seine Entwürfe an Leopold von Ranke gesandt und diesen gebeten, einen geeigneten Partner für die Veröffentlichung der Bilder zu finden. Ranke hatte König dann an Gelzer verwiesen. Vgl. dazu auch: Luthers Leben in Illustrationen … (wie Anm. 1), 180. 10 Friedrich Wilhelm Genthe: Das Leben Dr. Martin Luthers. Leipzig 1841.
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Abb. 47: Dr. M. Luther disputirt zu Leipzig auf der Pleißenburg über seine Sätze, um 1840
sprechenden Illustrationen versahen.11 Auch hier findet sich eine Szene zur Leipziger Disputation (Abb. 47). Der Einfluss der etablierten Motive »Luther vor Cajetan« oder »Luther in Worms vor dem Kaiser« ist in dieser Komposition noch deutlich erkennbar. Das Wesen der Disputation als eines wissenschaftlichen Streitgesprächs, wie es Gustav König in seinem Bild darstellt, wird hier noch nicht deutlich; Luther steht eher dem Herzog Rede und Antwort als dass er mit Eck disputiert. Es war daher die spätere Invention Königs, die weitere Verbreitung fand und andere Künstler inspirierte, wie auch den Maler Carl Friedrich Lessing, der in den 1860er Jahren die Kunsthalle Karlsruhe leitete und eine Reihe von Historiengemälden schuf, darunter auch Darstellungen der Disputation auf der Basis von Königs Inventionen (Abb. 48).12 Das 1867 entstandene Gemälde zeigt die beiden 11 Die Vorlagen dafür schuf hauptsächlich Georg Emanuel Opitz (1775-1841), vgl. ThB 26 (1932), 28 f); einige Blätter zeichnete Johannes Theodor Zumpe (1819-1864), vgl. ThB 36 (1947), 598. Gestochen wurden die meisten Blätter von dem Engländer Henry Winkles, vgl. ThB 36 (1947), 69. 12 Zu Carl Friedrich Lessing (1808-1880) vgl. ThB 11 (1927), 149-151. Zum Gemälde ausführlich bei Holsing: Luther … (wie Anm. 1), 415-423. Eine Variation dieser Szene bot Julius Benno Hübner (1806-1882) in einem großformatigen Gemälde von 1864, das heute zerstört ist. Allerdings hat sich der Entwurfskarton in den Kunstsammlungen Weimar erhalten, vgl. Holsing: Luther … (wie Anm. 1), 408-415 und Abb. 156. Gleichermaßen findet sich eine ähnliche Szene als Relief am Sockel des 1879-82 von Rudolf Siemering
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Abb. 48: Die Leipziger Disputation 1519, 1867
Kontrahenten gegenüberstehend an Pulten. Herzog Georg bildet hier das Zentrum der Komposition, der jugendliche Herzog Barnim von Pommern sitzt an seiner Seite. Zu Füßen Johann Ecks sitzt wieder der polemisch zu deutende Narr. Und es ist wiederum Luther, der gestikulierend von seinem Pult aus spricht. Das, was Luther eindringlich vorträgt, lässt die gegnerische Seite um Eck zurückweichen, und auch das eigene Lager ist in Unruhe. Herzog Georg stützt gar die Hände in die Seiten. Stärker noch als bei König ist hier ein bestimmter Moment der Disputation, nämlich Luthers Aussage zu Hus und die Empörung des Herzogs, eingefangen, wird eine Geschichte (Historie) im Dienst der politischen Bildung erzählt. Es ist dieser interpretative Moment, der den Charakter des Historienbildes bestimmt. Diese Art der Bilder sollten nicht nur die Schriften der Historiker illustrieren, sondern auch didaktisch in die eigene Zeit hineinwirken, indem entscheidende Momente der Geschichte dargestellt und im aktuellen Sinne interpretiert wurden. Die heroischen Historienbilder des 19. Jahrhunderts dienten vor allem der Stärkung eines nationalen Bewusstseins.13 Historische Personen wie Luther wurden damit als geschaffenen Eislebener Lutherdenkmals, vgl. Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler: Sachsen-Anhalt II/bearb. von Ute Bednarz u. a. Berlin 1999, 475. 13 Im aufkommenden Kulturkampf verband sich dies mit der Aufgabe, ein protestantisches Geschichtsbild zu vermitteln und die nationale Identität als protestantisch zu definieren; vgl. dazu auch Holsing: Luther … (wie Anm. 1), 191-207.
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nationale Helden und Identifikationsfiguren im kollektiven Gedächtnis verankert.14 Im Vorwort der Ausgabe von Pönicke stand dementsprechend: »Hermann [der Cherusker] und Luther! Namen von Männern, auf welche der Deutsche mit Recht stolz sein darf.«15
Luther sollte als Vorbild dienen, und der Anspruch war groß: »Keiner steht in einer solchen sittlichen Vollkommenheit da, keiner war zusammengenommen als Mensch, Gelehrter und Staatsbürger so groß als er.«16
Den Ereignissen der Leipziger Disputation war allerdings kaum das Bild des heroischen Ausnahmemenschen abzugewinnen – jedenfalls nicht so leicht wie den Geschehnissen in Worms oder der Verbrennung der päpstlichen Bulle. Das über viele Tage dauernde Ereignis der Disputation war schwer auf einen dramatischen Punkt zusammenzuziehen. Wohl auch deshalb stand die Leipziger Disputation bis dahin als Bildthema nie allein, sondern war immer Teil von Bildreihen zu Luthers Leben beziehungsweise der Geschichte der Reformation gewesen. Allerdings versuchten Historiker wie Ranke, auch für die Disputation einen zentralen Moment herauszubilden, und die Inventionen von König oder Lessing lieferten die Bilder dazu: Sowohl Königs als auch Lessings Darstellungen zeigen eine Fokussierung der Ereignisse auf einen Punkt, der in der Reformationsgeschichte Rankes wie folgt beschrieben ist: »Der unerschütterliche Luther schwankte keinen Augenblick. Er wagte zu sagen: unter den Artikeln des Johann Huß […] seien einige grundchristliche und evangelische. Ein allgemeines Erstaunen folgte. Herzog Georg, der zugegen war, stemmte die Hände in die Seite; kopfschüttelnd rief er seinen Fluch aus: ›das walt die Sucht‹.«17
Mit der Beschreibung dieser Episode gab es endlich einen heroischen Moment der Gewissensentscheidung, durch den auch dieses Motiv in den Reigen didaktischer Lutherbilder aufgenommen werden konnte. II Der »Leipziger Einzug« Neben dem geschickt konstruierten »das walt die Sucht«-Motiv gab es noch eine andere Szene, die sich im Laufe der Zeit zum repräsentativen Bild der Leipziger Disputation entwickelte. Es handelt sich dabei um den Einzug der Reformatoren in 14 Martin Scharfe nannte dies den »Nach-Luther«, der zur Projektionsfläche verschiedener Ideen von einer deutschen Nation wurde, vgl. Scharfe: Evangelische Andachtsbilder … (wie Anm. 2), 11; Holsing: Luther … (wie Anm. 1), 10. 15 Genthe: Das Leben … (wie Anm. 10), 1. Hermann der Cherusker, der gegen die Römer die germanischen Stämme in den Kampf führte, und Luther werden hier als Befreier des deutschen Volkes von der Zwingherrschaft Roms gewürdigt. 16 Genthe: Das Leben … (wie Anm. 10), 9. 17 von Ranke: Deutsche Geschichte … (wie Anm. 7), 308.
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die Stadt Leipzig. Auf offenen Rollwagen, zu Fuß begleitet von Studenten, die zum Schutz des Zuges mit Hellebarden, Spießen und Beilen bewaffnet waren, zogen die Disputanten am 24. Juni 1519 in die Stadt Leipzig ein. Johann Jacob Vogel beschrieb in seinem »Leipzigischen Geschichtsbuch« von 1714 das Ereignis im Detail und mit dem Vorkommnis, dass Karlstadts Wagen vor dem Paulinerkloster Radbruch erlitt, bei dem Karlstadt stürzte und sich ein Bein brach.18 Den Beinbruch hat es so nicht gegeben, allerdings laborierte Karlstadt wohl einige Zeit an den Folgen des Sturzes.19 Der Radbruch an Karlstadts Wagen wurde in fast allen Beschreibungen zur Leipziger Disputation als Omen und Anekdote kolportiert, der Historiker Leopold von Ranke allerdings schwieg zu alledem. Das Ereignis des Einzugs erfuhr auch mittels dieses Unfalls eine starke Emotionalisierung und setzte sich im historischen Gedächtnis Sachsens fest. Das vierhundertjährige Jubiläum der Disputation 1919 wurde mit einem Festumzug begangen, der den Einzug der Reformatoren nachempfand.20 In der Bildkunst hatte sich schon im 19. Jahrhundert neben dem beschriebenen »das walt die Sucht«-Motiv das Bild vom »Einzug der Reformatoren« etabliert. Im 1840 erschienenen Buch »Leben und Wirken Dr. Martin Luther’s« von Ernst Jäkel standen beide Szenen, Einzug und Disputation, als Illustrationen beieinander (Abb. 49 und 50).21 In dem drei Jahre später durch Moritz Meurer verfassten Buch »Luthers Leben aus Quellen erzählt« fand sich nur der Einzug der Reformatoren als Bild zur Disputation (Abb. 51).22 Die Disputation an sich wurde nicht dargestellt; das Bild vom Einzug konnte offenbar das Ereignis der Disputation insgesamt repräsentieren.23 18 Johann Jacob Vogel: Leipzigisches Geschichtsbuch oder Annales. Leipzig 1714, 97 (Ex. Stadtgeschichtl. Museum Leipzig, Bibl. Sign. A 351). Nach Vogel fand der Einzug schon am 17. Juni statt. 19 Vgl. Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519. Dresden 1843, 40. 20 Zu diesem Ereignis hat sich im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig eine Photographie erhalten, vgl. dort unter der Inventarnummer PK 136. 21 Ernst Theodor Jäkel: Leben und Wirken Dr. Martin Luther’s im Lichte unserer Zeit. 3 Bde. Leipzig 1840. Die Illustrationen in diesem Buch inspirierten wohl auch Gustav König. Dessen Darstellung des Einzugs in Worms ähnelt kompositorisch dem Leipziger Einzug bei Jäkel, vgl.: Luthers Leben in Illustrationen … (wie Anm. 1), 61.4 und 62.20. Ebenso scheint der Narr für die Szene der Disputation hier seine Wurzeln zu haben. Dazu bei: Luthers Leben in Illustrationen … (wie Anm. 1), Nr. 61. 22 Moritz Meurer: Luthers Leben aus Quellen erzählt. Dresden 1843. Das Buch war mit 20 Lithographien illustriert, zu denen u. a. Ludwig Richter die Vorlagen zeichnete. Dazu bei: Luthers Leben in Illustrationen … (wie Anm. 1), Nr. 59. 23 Das ging so weit, dass der Leipziger Baumeister und Bibliophile Maximilian Poppe (gest. 1877) in sein reich illustriertes Exemplar des »Leipziger Geschichtsbuches« zwischen die Porträtstiche von Tetzel, Eck und Karlstadt die Grafik einer Reisegesellschaft im chinesischen Wasserbüffelwagen einbinden ließ, um damit den Einzug der Reformatoren nach Leipzig zu visualisieren. Die Diskrepanz zwischen Text und Bildinhalt muss Poppe bewusst
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Abb. 49: Der Einzug zur Leipziger Disputation 1519, um 1840
Abb. 50: Die Leipziger Disputation 1519, um 1840
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Kompositorische Vorbilder für die Darstellungen vom Einzug der Reformatoren lieferten die schon länger in den Lutherleben etablierten Motive Luthers Einzug in Worms und Luther im Reisewagen bei seiner Entführung auf die Wartburg.24 Für den Einzug nach Leipzig erfolgte daran orientiert eine konsequente Reduktion des Zuges auf nur einen Wagen mit Luther und Melanchthon. Andreas Bodenstein von Karlstadt, der eigentliche Disputant, fand meist keinen Platz. Bei Jäkel (Abb. 49) ist er noch in der Rückenfigur zu vermuten, bei Meurer (Abb. 51) ist er nicht abgebildet. Dies geschah sicher auch, weil letzteres Bild nicht nur als Einzug zur Disputation zu verstehen ist, sondern den Einzug der Reformation in Leipzig versinnbildlichen sollte. Die triumphal überhöhte Einfahrt Abb. 51: Luthers Einzug in Leipzig 1519, sollte synonym für den damit in Gang um 1843 gesetzten Prozess der Reformation in Sachsen stehen. Diese Wertung unterstützt auch eine im Jahr 1839 im Verlag Polet in Leipzig erschienene »Gedenktafel an die dreihundertjährige Jubelfeier der Einführung der Reformation in Sachsen« (Abb. 52).25 Der Bilderbogen zeigt Szenen aus der Ereignisgeschichte der Leipziger Reformation, unter anderem stellt er der Ablasspredigt Tetzels in der Paulinerkirche 1516 die Reformationspredigt Luthers am 25. Mai 1539 in der Thomaskirche (hier wie so oft mit der Nikolaikirche verwechselt) gegenüber. Der Leipziger Disputation wird in diesem Zusammenhang ein hoher Ereigniswert eingeräumt; sie ist mit zwei Bildfeldern – dem Einzug der Reformatoren und der Abhaltung der Disputation – vertreten. Wesentlich ist hier die Gewichtung der Ereignisse: Der Einzug der Reformatoren zur Leipziger Disputation samt gewesen sein, doch siegte hier offenbar die Lust an der Illustration über die historische Korrektheit. Vgl. Vogel: Annales … (wie Anm. 18) 24 Die bildliche Darstellung des Einzuges in Worms bzw. der Entführung auf die Wartburg hat ihre Anfänge wohl um 1800, vgl. dazu: Luthers Leben in Illustrationen … (wie Anm. 1), Nr. 11.10; 15.3; 19.7; 24.2. Anders als bei der Leipziger Disputation blieb die Darstellung des Einzuges in Worms immer untrennbar verbunden mit der Darstellung der Szene Luthers vor dem Kaiser, vgl. auch ebd. 34.6 und 34.9; 38.5 und 8. 25 Luthers Leben in Illustrationen … (wie Anm. 1), Nr. 53.
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Abb. 52: Bilderbogen Gedenktafel an die dreihundertjährige Jubelfeier der Einführung der Reformation in Sachsen, 1839 Abb. 52a: Der Einzug der Disputanten 1519 (Detail aus Abb. 52)
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Radbruch wird als das zentrale Ereignis der Reformationsgeschichte im Zentrum des Blattes und größer als die anderen Szenen dargestellt. Der Radbruch war gleichsam der ›Knackpunkt‹, an dem die Reformation in Leipzig begann. Hier bildete sich ab, was sich im kollektiven Bewusstsein verankert hatte: Die Leipziger Disputation wurde als der Beginn der Reformation in Leipzig verstanden. Somit konnte letztlich der Einzug der Reformatoren in die Stadt synonym für den ganzen folgenden Prozess der lutherischen Reformation geschildert werden. Das damit etablierte Abb. 53: Programm zum Reformationsjubiläum 1983 Bild wirkte lange nach und bis in die Erbe-Kultur der DDR hinein: Im Jahr 1983 wurde anlässlich des fünfhundertsten Geburtstags Martin Luthers ein Festjahr ausgerufen, das von vielfältigen Veranstaltungen und Ausstellungen begleitet war. In Leipzig plante man zur Ehrung Luthers die Anbringung einer Gedenktafel für die Leipziger Disputation. Ein erhaltener Programmentwurf beschreibt einen Umzug in historischen Kostümen und Fahrzeugen nach dem Vorbild des Einzugs der Reformatoren 1519. Der Festzug führte bis zum Nachfolgebau des Hauses von Melchior Lotter in der Hainstraße, wo Luther und Melanchthon 1519 logierten; hier wurde die Gedenktafel enthüllt.26 Den Titel des Programms illustrierte eine Graphik nach dem Vorbild der Inventionen des 19. Jahrhunderts (Abb. 53). 26 Die Tafel ist noch heute am Haus Hainstraße 16 zu finden. Sie zeigt das Konterfei Luthers und die Inschrift: »An dieser Stelle stand das Wohnhaus des Buchdruckers Melchior Lotter, in dem Martin Luther zusammen mit Philipp Melanchthon waehrend der Leipziger Disputation 1519 wohnte.« Siehe die Abb. 56 unten Seite 235.
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Abb. 54: Das Marburger Religionsgespräch 1529, 1555/56
III Das authentische Bild Die Historienmalerei des 19. Jahrhunderts erhob nicht den Anspruch auf historische Wahrheit, sie wollte intellektuell und emotional anregen. Sie transportierte die Bedeutung des Ereignisses, nicht das Ereignis selbst, und sie interpretierte das historische Ereignis im Sinne des Geschichtsbildes des 19. Jahrhunderts zum heroisierenden Bild um. Nach dem historischen Bild zur Leipziger Disputation wurde in dieser Epoche nicht gefragt. Dennoch berief man sich in Fragen der Details auf historische Genauigkeit, und man versuchte, durch Porträthaftigkeit sowie Realismus der Kostüme und des Umfeldes Historizität zu suggerieren. Das 20. Jahrhundert brachte ein verändertes Verständnis von Geschichte und Geschichtsforschung und stellte unter dem Eindruck der historisch-kritischen Methode die Frage nach dem authentischen Bild. Die interpretativen Inventionen des 19. Jahrhunderts wurden nun abgelehnt, die Historiker suchten im 16. Jahrhundert nach »wahren« Bildern zur Reformationsgeschichte. Eine Publikation zum Leben Martin Luthers aus dem Jahr 1983 illustrierte den Abschnitt zur Leipziger Disputation laut Untertitel mit einem »zeitgenössischen Holzschnitt«.27 Zeitgenössisch bedeutet in diesem Fall allerdings ca. 35 Jahre nach der Disputation entstanden, denn es handelt sich um eine Illustration aus Ludwig Rabus’ »Historien der heyligen außerwölten 27 Udo Rössling; Paul Ambros: Reisen zu Luther. Berlin 1983, 86.
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Abb. 55: Die Leipziger Disputation 1519, 1555/56.
Gottes Zeugen, Bekenern vnd Martyrern«, die 1555 bis 1556 in Straßburg in fünf Bänden erschienen (Abb. 54).28 Band vier der Publikation widmet sich dem Leben Martin Luthers und ist mit etlichen illustrierenden Holzschnitten versehen. Diesem Band wurde das »zeitgenössische« Bild entnommen, es ist somit wieder Teil einer Bildfolge zum Leben Luthers. Neben der Radierung Gustav Königs aus dem 19. Jahrhundert ist es diese Grafik aus Rabus’ Historien, die zur Zeit meist die Artikel zur Leipziger Disputation in der Literatur und im Internet begleitet. Schlägt man allerdings Rabus auf, dann findet man dieses Bild als Illustration zum Marburger Religionsgespräch von 1529.29 Offenbar setzt sich hier ein irgendwann einmal begangener Fehler beharrlich fort. Nun gibt es bei Rabus tatsächlich eine Illustration zur Leipziger Disputation, die der Grafik zum Religionsgespräch sehr ähnlich sieht (Abb. 55).30 Die Teilnehmer sitzen in großer Runde, Herzog Georg führt anscheinend am Tisch den Vorsitz der Zusammenkunft. Die Kolorierung lässt Martin Luther vorn rechts vermuten, und auch Karlstadt ließe sich mit viel gutem Willen noch identifizieren, danach 28 Ludwig Rabus: Historien der heyligen außerwölten Gottes Zeugen, Bekenern vnd Martyrern. 5 Bde. Straßburg: Emmel, 1555/1556. Das Bild ist bei Rössling; Ambros: Reisen zu Luther (wie Anm. 27) seitenverkehrt abgedruckt. 29 Vgl. Rabus: Historien … (wie Anm. 28) 4, fol. 150r. 30 Vgl. Rabus: Historien … (wie Anm. 28) 4, fol. 43v.
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wird es aber schwierig. Wo findet sich der grundsätzlich bartlose Johannes Eck? Ebenso irritiert die Person des Herzogs im Gelehrtenmantel und mit aufgeschlagenem Buch. Enttäuscht muss man zudem feststellen, dass einige Seiten weiter das gleiche Bild nochmals erscheint, hier illustriert es die 1536 in Wittenberg erfolgte Zusammenkunft oberdeutscher Städte, bei der die Wittenberger Konkordie verabschiedet wurde.31 Demnach müssten auf dem Bild eigentlich Luther und Melanchthon, zudem Bugenhagen, Martin Bucer oder Friedrich Myconius zu sehen sein. Letztendlich muss man also feststellen: Die Grafik bei Rabus beschreibt kein konkretes Ereignis – sie illustriert eine Situation und war daher für gleichwertige Situationen wiederum einsetzbar. Auch das Bild zum Marburger Religionsgespräch (Abb. 54) stellt den Betrachter vor Probleme bei der Identifizierung der teilnehmenden Personen, und auch diese Grafik fand wenige Seiten später, im Zusammenhang mit der Beschreibung zum Konvent von Schmalkalden im Jahr 1537, nochmals Verwendung.32 Die Durchsicht des Bandes zeigt, dass Rabus innerhalb der »Historien« ihm zugängliche Druckstöcke unterschiedlicher Herkunft verwandte und sie nach seinen Vorstellungen illustrierend einfügte.33 Das Wiedererkennen von Ort, Handlung und Personen lag dabei allein im Auge des Betrachters – war also reine Interpretation. Damit ist das »zeitgenössische« Bild der Leipziger Disputation bei Rabus nicht authentischer als die Bilder des 19. Jahrhunderts. Alle vorgestellten Visualisierungen der Leipziger Disputation sind Interpretationen ihrer Entstehungszeit und wurden als Illustrationen dem Anliegen eines Textes folgend gestaltet. Wie es wirklich aussah, als Luther und Eck im Jahre 1519 in der Pleißenburg disputierten, das bleibt auch weiterhin unserer Vorstellungskraft überlassen. Die Suche nach dem »wahren« Bild zur Disputation ist damit sicherlich nicht abgeschlossen, wohl aber aussichtlos. Selbst ein unmittelbar im Umfeld des Streitgespräches entstandenes Bild wäre – dafür hat uns die historisch-kritische Forschungsmethode sensibilisiert – schon die Interpretationsleistung eines außenstehenden Betrachters. Zudem haben wir in Folge der medialen Revolution ein neues Verhältnis zur »Wahrheit der Bilder« gewonnen: Authentizität kann offenbar selbst 31 Vgl. Rabus: Historien … (wie Anm. 28) 4, fol. 187v. 32 Zu sehen wäre den historischen Berichten zum Religionsgespräch nach Landgraf Philipp von Hessen zwischen Martin Luther und Ulrich Zwingli, begleitet von einigen Anhängern. In Frage kämen hier einerseits Melanchthon, Justus Jonas, Andreas Osiander, Johannes Brenz und Johann Agricola, andererseits Johannes Oekolampad, Martin Bucer und Caspar Hedio. Alle diese verbürgten Begleiter sind nur sehr schwer oder gar nicht zu identifizieren. Die Wiederverwendung als Illustration zum Konvent von Schmalkalden birgt einen noch stärkeren Widerspruch zum tatsächlichen Ereignis, vgl. ebd., fol. 195r. 33 Die Illustrationen zeigen sich insgesamt uneinheitlich. Neben den Lutherszenen, die von einer Hand stammen, finden sich auch ein Cranach nachempfundenes Lutherporträt anderen Formates sowie weitere illustrierende Szenen aus einem anderen Zusammenhang.
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das digitale Bild nicht gewährleisten.34 Auch ein Foto von diesem Großereignis der Weltgeschichte böte alle Möglichkeiten der Interpretation.
Abb. 56: Gedenktafel am Haus Hainstraße 16 in Leipzig
34 Zur Problematik der Authentizität von Bildern im Zeitalter der digitalen Medien finden sich verschiedene Überlegungen in Thomas Knieper; Marion G. Müller: Authentizität und Inszenierung von Bilderwelten. Köln 2003.
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Abb. 57: Flugblatt gegen Papst und Ablass, 16. Jahrhundert
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Die Leipziger Disputation und die Ökumene heute
Die Leipziger Disputation und die Ökumene heute Von Christoph Münchow
Dieses Thema lenkt unseren Blick auf die gegenwärtige Relevanz der Leipziger Disputation für die Ökumene und für die Kirche. Dabei stehen die ökumenischen Bemühungen um Annäherungen in der Lehre im Mittelpunkt, weniger das gemeinsame Handeln der Konfessionen, die missionarische Ökumene, der Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung oder der vom Ökumenischen Rat der Kirchen 2013 in Busan ausgerufene »Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens«. Die Leipziger Disputation wird als entscheidend für Luthers Bruch mit dem Papsttum und mit der römisch-katholischen Kirche angesehen. Zugleich ist sie ein ökumenisches Ereignis besonderer Art, weil Luther im Horizont der »ganzen Christenheit auf Erden«1 argumentiert. Daher bezieht sich die folgende Skizze exemplarisch auf Dokumente des ökumenischen Dialogs der evangelisch-lutherischen Kirche mit der römisch-katholischen Kirche, der evangelischen Kirchen mit orthodoxen Kirchen sowie der römisch-katholischen Kirche mit orthodoxen Kirchen. Das einzige ökumenische Dokument aus jüngerer Zeit, das sich nach meiner Kenntnis ausdrücklich auf die Leipziger Disputation bezieht, ist das Studiendokument der Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit »Die Apostolizität der Kirche«. Es entstand in den Jahren 1999 bis 2006 und erschien 2009 in deutscher Übersetzung.2 Der Abschnitt »Kirche, die in der Wahrheit erhalten wird, in der Perspektive der lutherischen Reformation« (S. 169-186) erwähnt ausführlich Luthers Position, einschließlich der Bestreitung, dass für die Lehre vom Fegfeuer biblische Gründe 1 Vgl. das Lied Martin Luthers »Wir glauben all ein einen Gott«. Evangelisches Gesangbuch: Ausgabe für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens. Leipzig 1995, Nr. 183. 2 Die Apostolizität der Kirche: Studiendokument der Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit. Paderborn; Frankfurt am Main 2009. Das Dokument versteht sich als Weiterarbeit an den in der »Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre« (1999) als klärungsbedürftig benannten Fragen. Das Dokument »Vom Konflikt zur Gemeinschaft: Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017. Bericht der Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit«. 4. erg. Aufl. Leipzig 2016 erwähnt die Leipziger Disputation lediglich in einer historischen Skizze der lutherischen Reformation (30, Ziff. 49), greift aber neben den Themen Rechtfertigung und Herrenmahl auch die Themen Amt, Schrift und Tradition auf (46 ff, 79 ff). Ziff. 52 konstatiert, dass der Konflikt um den Ablass sich rasch zu einem Autoritätenkonflikt entwickelt, das Dokument geht indes bei den Ausführungen zum Amt (67 ff) nur am Rande auf das Papstamt ein.
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geltend gemacht werden könnten. Der Abschnitt »Die katholische Lehre vom biblischen Kanon, von der Auslegung der Schrift und vom Lehramt« (S. 186-202) greift Johannes Ecks spätere Frage auf, woher denn die Reformatoren wüssten, dass die Schriften kanonische Geltung haben, wenn nicht von der Kirche.3 Aus der Disputation über das Fegfeuer am 8. Juli 1519 wird Luthers Satz erwähnt, dass die Kirche einem Buch nicht mehr Autorität zuschreiben könne, als dieses durch sich selbst habe.4 Obwohl offensichtlich der ausdrückliche Bezug auf die Leipziger Disputation in ökumenischen Dokumenten gering ist, sind die Kernfragen dieser Disputation ohne explizite Hinweise auf das Geschehen von 1519 in den derzeitigen ökumenischen Gesprächen präsent, beispielsweise wenn die unüberbietbare Autorität der Heiligen Schrift debattiert wird oder die Selbstdurchsetzungskraft des Wortes Gottes gegenüber Autoritäten, denen eine solche Autorität, wie sie beanspruchen, nicht zugebilligt werden kann. Die Thematik der Leipziger Disputation ist gegenwärtig bei der Frage nach dem Ursprung und der Quelle theologischer Lehre und bei der Bekräftigung der Vorrangigkeit des Wortes Gottes gegenüber jeglichen Lehrinstanzen. Es geht letztlich um die Freiheit und um die Autorität des Evangeliums der Freiheit, damit es wirken kann, wozu es bestimmt ist. Zahlreiche ökumenische Gespräche zeigen, wie sinnvoll es ist, diejenigen Kernpunkte der Leipziger Disputation unweigerlich oder bewusst wieder aufzugreifen, die zur Kritik an kirchlichen Entscheidungsfindungen und später zur dezidierten Absage an das Papsttum führten und die Entstehung der evangelischen Kirche beförderten. Das Besondere der Leipziger Disputation in ökumenischer Sicht ist ihr ökumenischer Charakter und die ökumenische Weite. Mehrfach verweist Luther auf die griechische Kirche und die »heiligen Griechen«.5 Er widerspricht Eck, der die griechische Kirche als häretisch abqualifizieren möchte. Mit der Leipziger Disputation tritt auf besondere Art die Kirche des Ostens in das Blickfeld der Reformation. Es ist bekannt, dass Melanchthon Verbindungen zu Vertretern der griechischen Kirche pflegte. Ihm verdanken wir die griechische Übersetzung der Confessio Augustana. Bekannt ist auch der Briefwechsel der Tübinger Theologischen Fakultät mit Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel in den Jahren 1573 bis 1581.
3 Johannes Eck: Enchiridion locorum communium adversus Lutherum et alios hostes ecclesiae (1525-1542)/ hrsg. von Pierre Fraenkel (CC; 34). Münster 1979, 27-31 (Loc I, Antwort auf Einwand 3). 4 Die Apostolizität der Kirche (wie Anm. 2), 172, Ziff. 361; vgl. da Anm. 101 mit Verweis auf WA 59, 529, 2985 f: »non potest ecclesia plus tribuere auctoritatis aut firmitatis libro quam per seipsum habeat«. 5 WA 59, 439, 209; 447, 477-502; 462, 916-934; 475, 1318-1321; 528, 2941 f; 478, 1417 u. ö.
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In Kronstadt (Siebenbürgen) erschien 1544 und 1550 der Katechismus Valentin Wagners in griechischer Sprache.6 Weniger bekannt ist indes, dass im 19. Jahrhundert ein russischer Briefpartner den ökumenisch gesonnenen katholischen Historiker und Religionsphilosophen Franz von Baader wissen ließ, dass die Erwähnung der orthodoxen Kirchen durch Luther die stärkste Position gewesen sei, die dieser bei der Leipziger Disputation vertreten habe.7 Ich versuche im Folgenden zu skizzieren, wo und in welcher Weise die Anliegen und Themen der Leipziger Disputation im gegenwärtigen ökumenischen Dialog ihren Ort haben. I Der Primat der Schrift und die an der Schrift zu prüfende Tradition I der Kirche Es ist ausdrücklich zu würdigen, dass die ökumenischen Dialoge und die daraus entstehenden Texte in jüngster Zeit einer profunden Exegese mehr Raum einräumen anstatt so genannte »Belegstellen« aneinander zu reihen. In dieser Hinsicht ist das bereits erwähnte Dialogergebnis »Die Apostolizität der Kirche« ein stilbildendes Beispiel. Lutherische, römisch-katholische, reformierte und evangelisch-methodistische Bibelwissenschaftler haben gemeinsam daran gearbeitet, die Darlegung der biblischen Grundlagen in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zu verbreitern, um neben dem Corpus Paulinum das Zeugnis des Alten Testaments und der neutestamentlichen Schriften in die biblische Begründung der Rechtfertigungsbotschaft stärker einzubeziehen.8 Zugleich ist zu bedenken, dass den Ergebnissen der historisch-kritischen Bibelwissenschaft nicht selbstverständlich und nicht überall in der Ökumene gefolgt und der ihnen gebührende Platz in der Schriftauslegung eingeräumt wird, besonders in der Orthodoxie. 6 Jenö Sólyom: Zwei Bekenntnisse – ein Glaube. In: Reformation in Europa/ hrsg. von Oskar Thulin. Berlin 1967, 153; Andreas Müller: Kronstadt/Brasov – Johannes Honterus und Valentin Wagner. In: Europa reformata: Reformationsstädte Europas und ihre Reformatoren/ hrsg. von Michael Welker, Michael Beintker und Albert de Lange, Leipzig 2016, 218 f; Mehedintu Viorel: Der Dialog, der zum Monolog wurde: zum Briefwechsel zwischen den Tübinger Theologen und dem Patriarchen Jeremias II. von Konstantinopel. In: Im Dialog mit der Orthodoxie: Festschrift für Reinhard Thöle/ hrsg. von Petra Bosse-Huber, Martin Illert, Roland Fritsch, Philipp Walter/ hrsg. von Petra Bosse-Huber. Beih. ÖR; 104 (2016), 241-256. 7 Wilhelm Kahle: Vorahnung der Ökumene (Jerusalem, Konstantinopel, Moskau). In: Reformation in Europa/ hrsg. von Oskar Thulin. Berlin 1967, 310. 8 Biblische Grundlagen der Rechtfertigungslehre: eine ökumenische Studie zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre: Im Auftrag des Lutherischen Weltbundes vorgelegt von einer Arbeitsgruppe alttestamentlicher, neutestamentlicher und systematischer Theologinnen und Theologen/ hrsg. von Walter Klaiber, Leipzig 2012.
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Die Dialoge der evangelischen beziehungsweise der evangelisch-lutherischen Kirchen mit orthodoxen Kirchen haben die Frage der Schriftautorität und des Verhältnisses der Schrift zur Tradition zumeist bereits in der Anfangsphase thematisiert. Beispielhaft ist auf die Dialoge der EKD mit dem Moskauer Patriarchat (»Arnoldshainer Gespräche« seit 1959) zu verweisen oder auf die Dialoge des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR mit dem Moskauer Patriarchat (»Sagorsker Gespräche« seit 1974).9 Es ist bezeichnend, dass bereits im 1. Dialog in Sagorsk 1974 Vorträge über die Predigt im Gottesdienst der Russischen Orthodoxen Kirche (Bischof Michail von Astrachan) und über die Predigt im Gottesdienst der Gemeinde (Bischof Werner Krusche, Magdeburg) diskutiert wurden. Für die orthodoxen Kirchen ist das Schriftwort wesentlich an den Vollzug der Liturgie und an die Auslegung durch die Liturgie gebunden und steht auf diese Weise im Zusammenhang der Auslegung durch die Väter. Das Schriftverständnis ist für Orthodoxe kein Thema akademischer Theologie, sondern ein Thema des kirchlichen Lebens. Die Frage des Umgangs mit der Heiligen Schrift stand auch am Anfang der bilateralen Theologischen Dialoge der EKD mit der Rumänischen Orthodoxen Kirche (»Goslar Dialog«) im November 1979 mit einem Vortrag von Bischof Vasile Coman aus Oradea »Die Bedeutung der Heiligen Schrift und der Tradition im gottesdienstlichen Leben der Kirche«. Gemeinsam wurde formuliert: »Die Heilige Schrift des Neuen Testaments ist Niederschlag und Ausdruck der grundlegenden apostolischen Tradition«.10 Für Orthodoxe sind Schrift und Tradition nicht identisch, aber sie sind im Blick auf den Inhalt identisch. Beide haben die göttliche Offenbarung zum Inhalt. Daher eignet neben der Heiligen Schrift der Überlieferung der ersten acht Jahrhunderte und der »Göttlichen Liturgie« die gleiche Verbindlichkeit. Das von der Liturgie geprägte Schriftverständnis mag ein Grund sein, dass im weiteren Verlauf die evangelisch-orthodoxen Dialoge neben der Frage nach dem kirchlichen Amt, nach der apostolischen Sukzession und nach dem Wesen der Kirche vorzugsweise Fragen der Sakramente und des gottesdienstlichen Lebens 9 Sagorsk, im Rahmen der antikirchlichen Pressionen in den Jahren 1930 bis 1991 nach dem russischen Revolutionär Wladimir Sagorski benannt, heißt wieder Sergiev Possad. Zum Ganzen: Hans-Dieter Döpmann: Begegnung mit der Orthodoxie. In: Über Grenzen hinweg zu wachsender Gemeinschaft: Ökumene in der DDR in den achtziger Jahren. Beih. ÖR 62 (1991), 38-48; Martin Illert: Dialog-Narration-Transformation: die Dialoge der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR mit orthodoxen Kirchen seit 1959. Beih. ÖR 106 (2016). 10 Heinz Ohme: Die Heilige Schrift, die Tradition und das Bekenntnis: Anmerkungen zum Ersten Theologischen Gespräch zwischen der Rumänischen orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland. ÖR 29 (1980), 231; vgl. Die Heilige Schrift, die Tradition und das Bekenntnis: eine Dokumentation über das 1. Theologische Gespräch mit der Rumänischen Orthodoxen Kirche in Goslar 1979. Beih. ÖR 42 (1982).
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aufgreifen, so der seit 1981 geführte internationale Dialog der Gemeinsamen Lutherisch-Orthodoxen Kommission des Lutherischen Weltbundes.11 Die Bilaterale Arbeitsgruppe der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelischen Kirche Deutschlands veröffentlichte im Jahr 2000 das seit 1987 erarbeitete Lehrgesprächsergebnis »Communio Sanctorum«, das angesichts festgefahrener Positionen neue Zugänge formulieren möchte. In Ziffer 48 heißt es: »Weil die Heilige Schrift das Wort Gottes bezeugt, ist sie die letzte Norm des Glaubens und genießt höchste Verehrung […]. Wir lehren gemeinsam die unüberbietbare und unersetzbare Autorität der Heiligen Schrift […]. Von der ganzen Heiligen Schrift gilt, dass sie nach gemeinsamer Überzeugung die ›norma normans non normata ist‹.«12
Das sind erstaunliche Sätze wachsender Übereinstimmung katholischer Theologie mit der reformatorischen Lehre. Allerdings wird die Freude gedämpft, wenn man das Thema des Verhältnisses von Schrift und Tradition in seinen ekklesiologischen Kontext stellt. Es ist zu lesen: »Schrift und Tradition können […] weder voreinander isoliert noch gegeneinander gestellt werden.«13
An anderer Stelle heißt es: »Die Bibel darf niemals isoliert, sondern sie muß immer auch im Zusammenhang der Glaubens- und Zeugnisgemeinschaft der Kirche befragt werden.«14
Schließlich wird formuliert: »Gemeinsam bezeugen wir, dass die Tradition eine Norm ist, die von der normativen Heiligen Schrift bestätigt werden muß (d. h. eine norma normata).«15
Es bleibt bei dieser Formulierung unbestimmt, ob die Tradition von der Heiligen Schrift kritisiert werden darf und muss, weil die Kirche selbst Traditionsinstanz ist. Damit stellt sich die ekklesiologische Grundfrage, auf die in ihrer Stellungnahme zu 11 Vgl. aus der Anfangszeit dieser lutherisch-orthodoxen Dialoge die Erklärungen der gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission »Die göttliche Offenbarung« (1985), »Schrift und Tradition« (1987), »Kanon und Inspiration der Heiligen Schrift« (1989) in: Lutheran-Orthodox Dialogue: Agreed Statements. Geneva 1992. Die Gemeinsame lutherisch-orthodoxe Kommission hat auf ihrer 17. Plenarsitzung vom 7. bis 14. November 2017 in Helsinki eine Erklärung zur Frage ordiniertes Amt/Priestertum angenommen. Mit der Vorlage dieser Erklärung zu dem Unterthema ordiniertes Amt/Priestertum hat die internationale Dialogkommission die Arbeit seit 2000 an dem allgemeinen Thema »Das Mysterium der Kirche« abgeschlossen. 12 Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands: Communio Sanctorum: die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen. Paderborn 2000, 34. 13 Ebd, 35 (Ziff. 53). 14 Ebd, 34 (Ziff. 50). 15 Ebd, 36 (Ziff. 54).
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»Communio Sanctorum« die Theologische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen dezidiert hingewiesen hat, dass »ein und dasselbe Geschehen – das Wirken des Heiligen Geistes durch die viva vox evangelii … – den Glauben und die Glaubensgemeinschaft – die Kirche – schafft und erhält.«16
Diese Gleichursprünglichkeit des persönlichen Glaubens und der Kirche aus dem Wort Gottes als creatura verbi divini wird in »Communio Sanctorum« nicht hinreichend beachtet.17 Der bleibende Dissens besteht darin, dass die Kirche und kirchliche Autorität nicht über dem Wort stehen dürfen, sondern sich selbst der Kritik des Wortes Gottes stellen müssen. Der römische Katholizismus indes beansprucht auf unterschiedliche Weise den Lehrprimat auch gegenüber der Schriftauslegung, so dass letztlich die Freiheit und die Selbstdurchsetzungskraft des Wortes Gottes gebunden sind. Die Frage nach der Autorität der Schrift entscheidet sich daran, ob und in welcher Weise Autoritäten über die Auslegung der Heiligen Schrift entscheiden dürfen.18 Wie in der Leipziger Disputation ist die Frage nach der Autorität der Schrift nicht von der Frage nach der kirchlichen Autorität zu trennen. II Kirchliche Autorität, der Primat des Papstes und verbindliches Lehren In der Leipziger Disputation lässt Luther das Papstamt generell noch gelten. Er bestreitet aber, dass die Vorrangstellung des Papstes »iure divino« begründet werden kann. Erst im Sommer 1520 gelangt Luther zu der Auffassung, dass der Papst der Antichrist sei. In gegenwärtigen ökumenischen Gesprächen richtet sich bei Verständigungsbemühungen um das Wahrnehmen kirchlicher Autorität immer 16 Communio Sanctorum: evangelische Stellungnahmen zur Studie der Zweiten Bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands/ hrsg. von Oliver Schuegraf; Udo Hahn im Auftr. der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Hannover 2009, 211-266 (Evangelisch-Theologische Fakultät der EberhardKarls-Universität Tübingen), hier 218; vgl. ebd das Urteil, dass in Communio Sanctorum eine Kirche beschrieben wird, »die anderen Ursprungs als der Glaube ist und die daher eine dem Glauben vorgegebene Größe ist«. 17 Vgl. hierzu im Kleinen Katechismus Martin Luthers die Erklärung zum 3. Artikel. 18 Vgl. Bilaterale Arbeitsgruppe … (wie Anm. 12), 40 f (Ziff. 67): »Nach katholischer Überzeugung ist das Lehramt der Bischöfe und des Papstes unter bestimmten genau festgelegten Bedingungen mit der Prärogative der Unfehlbarkeit ausgestattet. Lutherischerseits sind die Lehrentscheidungen auf Anerkennung durch die Gemeinden (Rezeption) angewiesen und grundsätzlich an der Heiligen Schrift überprüfbar. Das Bleiben der Kirche in der Wahrheit ist hier ›nicht an ein bestimmtes Verfahren oder eine stets vorgegebene Instanz gebunden‹ (Zitat aus: Kirchliches Lehren in ökumenischer Verpflichtung, hrsg. von Herrmann Brandt, Stuttgart 1986, S. 133).« Communio Sanctorum« beschreibt in Ziff. 66 (ebd, 40), wie nach lutherischer Auffassung die Kirche ihre Verantwortung für die Lehre wahrnimmt.
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wieder der Focus auf das Papstamt. Daher erscheint es sachgemäß, in dieser Skizze zur Bedeutung der Leipziger Disputation in ökumenischen Gesprächen in der Gegenwart auch Diskussionen um das Papstamt einzubeziehen. Im Jahr 1995 bekräftigte Papst Johannes Paul II. in seiner Ökumene-Enzyklika »Ut unum sint« einerseits die römisch-katholische Auffassung vom Primat des Bischofs von Rom, lud andererseits zu einem offenen Gespräch über die Formen dieses Amtes ein.19 Als um den Jahreswechsel 2000 Bayerns Landesbischof Dr. Johannes Friedrich von einer möglichen Anerkennung des Papstamtes als eines Einheitsdienstes für die Kirche sprach, fand diese Äußerung ein breites, auch kontroverses Echo in der Presse, die zumeist die von Landesbischof Dr. Friedrich genannten Bedingungen verschwieg. Die Bedingungen für eine Anerkennung des Papstamtes als Einheitsdienst benannte eine 1985 veröffentlichte Studie der Gemeinsamen Ökumenischen Kommission aus Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz, des römischen Sekretariats für die Einheit der Christen und des Rates der EKD. Die Kommission erörterte im Blick auf die Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts die Frage »Lehrverurteilungen – kirchentrennend?«. Sie kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Bezeichnung des Papstes als Antichrist das heutige Papstamt nicht mehr treffe und nicht mehr zutreffe.20 Mit anderen evangelischen Landeskirchen hat die 23. Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in einer gleichlautenden Stellungnahme dazu im April 1995 bekräftigt: »Ein Papstamt, das sich nicht über, sondern unter die Heilige Schrift stellt (LV 168, 28; 169, 7-9), und dessen Lehrentscheidungen folglich an der Heiligen Schrift zu prüfen und zu messen sind (LV 75, 26-31), wird von den Verwerfungen der Schmalkaldischen Artikel (BSLK, S. 430 f.), der Papst sei der Antichrist, nicht getroffen. Es ist eine offene 19 Enzyklika Ut unum sint von Papst Johannes Paul II. über den Einsatz für die Ökumene. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 121. Bonn 1995, 63-68, In Ziff. 95 (ebd, 67) schreibt Johannes Paul II., dass er »die an mich gerichtete Bitte vernehme, eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet.« Zu den unterschiedlichen Positionen in der ökumenischen Diskussion vgl. Papstamt – pro und contra: geschichtliche Entwicklungen und ökumenische Perspektiven/ hrsg. von Walter Fleischmann-Bisten (Bensheimer Hefte; 97). Göttingen 2001. 20 Lehrverurteilungen – kirchentrennend?: I: Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute/ hrsg. von Karl Lehmann und Wolfhart Pannenberg (Dialog der Kirchen; 4). Freiburg; Göttingen 1986; vgl. ebd, 194 im »Schlussbericht«: »Durch den Abbau der Gegensätze in der Rechtfertigungslehre und in der Lehre von der Eucharistie sowie überhaupt durch die Veränderungen im Verhältnis der Kirchen zueinander sind jedoch heute die Anlässe für das Urteil der Reformation über das Papsttum entfallen, und die evangelischen Kirchen können akzeptieren, dass die Bezeichnung des Papstes als ›Antichrist‹, der seine eigene Autorität über die der Schrift und des Evangeliums erhebt, nicht angemessen ist«.
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Frage, wie die Unterordnung des Papstamtes unter das Wort Gottes angesichts des im I. Vatikanum definierten Anspruchs unfehlbarer Lehrgewalt verwirklicht werden kann.«21
Die genannte Studie »Communio Sanctorum« aus dem Jahr 2000 erwägt, wie auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft evangelischerseits das Papstamt als ein Dienst an der Einheit der Kirche anerkannt werden könnte.22 Sie klammert jedoch bewusst die »Fragen nach der politischen, kirchenrechtlichen und historisch bedingten Ausgestaltung und Konkretisierung des Petrusdienstes« aus.23 Die Lehrentscheidungen des 1. Vatikanischen Konzils über den Jurisdisktionsprimat und die Unfehlbarkeit des Papstes haben einschneidende Veränderungen im Verständnis des Papstamtes im Vergleich zur Zeit der Leipziger Disputation zur Folge. Daher kommt das Votum der Kammer für Theologie der EKD über die Aussagen zu einer möglichen Anerkennung des Papstamtes in »Communio Sanctorum« zu dem Ergebnis: »Gegenüber der Situation im 16. Jahrhundert bedeuten die dogmatischen Festlegungen des Ersten Vatikanischen Konzils über den Jurisdiktionsprimat und die Unfehlbarkeit des Papstes eine prinzipielle Verschärfung. Diese macht die damals durch die Reformatoren erwogene Anerkennung des Papsttums iure humano evangelischerseits unmöglich.«24 Bereits 1991 hatte die Stellungnahme der VELKD und des DNK/LWB zum Dokument »Lehrverurteilungen – Kirchentrennend« zugestanden, dass der Dienst an der Einheit der Kirche ein Anliegen ist, welches die evangelischen Kirchen heute 21 Beschlusstext wie: Gemeinsame Stellungnahme der Arnoldshainer Konferenz, der Vereinigten Kirchen und des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes zum Dokument »Lehrverurteilungen – kirchentrennend?«. In: Amtsblatt der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Bd. 6/ hrsg. vom Lutherischen Kirchenamt. Hannover 1994, 249-251 (Stück 20 vom 31. Dezember 1994); vgl. insgesamt: Stellungnahme des Gemeinsamen Ausschusses der VELKD und des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes zum Dokument »Lehrverurteilungen – kirchentrennend?« (Texte aus der VELKD; 42). Hannover 1991. 22 Bilaterale Arbeitsgruppe … (wie Anm. 12), 97 (Ziff. 194): »1. Gegen einen gesamtkirchlichen ›Petrusdienst‹ als pastoraler Dienst an der weltweiten Gemeinschaft der Kirchen und ihrer gemeinsamen Bezeugung der Wahrheit gibt es keine grundsätzlichen Einwände. 2. Dieser Dienst müsste in Strukturen kollegialer und synodaler Gesamtverantwortung verpflichtend eingebunden sein, und er müsste die Eigenständigkeit der regionalen Teilkirchen – einschließlich ihrer konfessionellen Prägung – achten. 3. In Lehrfragen müssten die Überordnung der Heiligen Schrift sowie die Gesamtverantwortung aller Getauften gewahrt sein.« 23 Vgl. Bilaterale Arbeitsgruppe … (wie Anm. 12), 97 f (Ziff. 197), vgl. ebd, 77-99 zum »Petrusdienst«. Dieser Unterabschnitt in Kap. V »Gemeinschaft der aus Gnade Geheiligten« (ebd, 53-99) ist der ausführlichste der gesamten Studie. 24 Stellungnahme der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). In: Communio Sanctorum … (wie Anm. 16), 143-160, hier 158. In diesem und anderen Zusammenhängen wird deutlich, dass der in der Leipziger Disputation erörterte Dissens zwischen »iure humano« und »iure divino« weiterhin die ökumenische Diskussion bestimmt.
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stärker in den Blick nehmen als früher. Aber es kann »keine bestimmte institutionelle Gestalt geben, in der der Dienst an der Einheit nach göttlichem Recht (iure divino) ausgeübt werden müsste«. Dabei brauchte ein päpstliches Amt, sofern es als Amt menschlichen Rechtes (iure humano) verstanden würde, grundsätzlich »nicht ausgeschlossen zu werden«. Allerdings wird vom evangelischen Kirchenverständnis her betont, »dass in evangelischer Sicht konziliare Lösungen für den Dienst an der Einheit der Kirche sachlich angemessener sind.«25 Die für den Fortgang der Leipziger Disputation prägende Unterscheidung »iure divino« und »iure humano« im Blick auf kirchliche Autorität ist auch in der gegenwärtigen theologischen Diskussion sachlich und terminologisch weiterhin präsent. Die angesprochene Konziliarität ist ein fundamentales Anliegen orthodoxer Theologie. Orthodoxe Theologen verweisen darauf, dass die Beschlüsse der altkirchlichen ökumenischen Konzilien erst nachdem sie durch die ganze Kirche als verbindlich und autoritativ angenommen wurden, durch einen Rezeptionsvorgang, der über die Kompetenz des Konzils hinausgeht, ihre »katholische«, also allumfassende Verbindlichkeit erhielten.26 25 Gemeinsame Stellungnahme der Arnoldshainer Konferenz … (wie Anm. 21), 96 f. Hingewiesen sei auf die Stellungnahme der Evangelischen Fakultät Tübingen zu »Communio Sanctorum«, ebd, 94 (Ziff. 189), »ob ein gesamtkirchlicher ›Petrusdienst‹ angemessen, möglich oder gar notwendig ist«: »Notwendig für das Sein der Kirche oder ihr Bleiben in der Einheit in der Wahrheit ist er ganz und gar nicht. Möglich ist er, wenn er theologisch richtig bestimmt und praktisch richtig durchgeführt wird. Ob er in der heutigen Lage angemessen ist oder ob nach wie vor die Aussage der ASm [Schmalkaldische Artikel II, 4 , BSLK 429, 3, C.M.]) gilt, dass die Kirche besser ohne dergleichen bliebe, kann erörtert werden.«; vgl. Communio Sanctorum … (wie Anm. 16), 253 f (Ziff. 144) 26 Viorel Ionita: Die Bedeutung und Autorität der ökumenischen Konzilien in der Sicht der orthodoxen Kirchen. In: Die Ökumenischen Konzilien und die Katholizität der Kirche: das elfte Gespräch im bilateralen theologischen Dialog zwischen der Rumänischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland/ hrsg. von Dagmar Heller; Johann Schneider. Beih. ÖR 83 ( 2009), 70-85; ebd, 75 f: »In der Überzeugung, dass die Beschlüsse der ökumenischen Konzile ihren Ursprung in der göttlich-apostolischen Tradition haben, mit der sie im Einklang stehen und die sie nur weiter erklären, und dass jene Beschlüsse unter der Wirkung des Heiligen Geistes formuliert wurden, haben die Kirchenväter die Autorität dieser Beschlüsse als gleichgesetzt mit der Autorität der Heiligen Schrift betrachtet. […] Die Bestätigung der Apostolizität eines ganzen ökumenischen Konzils samt all seinen Beschlüssen war eine Angelegenheit der ganzen Kirche durch den wichtigen Prozess der Rezeption über die Kompetenz des Konzils hinaus. Erst dann fungierten die betreffenden Beschlüsse als verbindlich und autoritativ für den Glauben der ganzen Kirche, das heißt die betreffenden Beschlüsse bekamen eine ›katholische‹ Dimension, oder besser gesagt, brachten die Katholizität der Kirche zum Ausdruck. Wenn die Beschlüsse eines Konzils diesen Status erreichten, war es nicht mehr nötig, sie anhand der Heiligen Schrift immer wieder nachzuprüfen.« Der zwölfte bilaterale Dialog zwischen der EKD und der Rumänischen Orthodoxen Kirche (Goslar XII) im März 2010 im Kloster Sambata de Sus (Rumänien) behandelte das Thema
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Zur Frage des Einheitsdienstes halten die orthodoxen Teilnehmer eines Doktorandenseminars des »Zentrums für ökumenische Forschung der LudwigMaximilians-Universität München (Sommersemester 2001) zu den Darlegungen in »Communio Sanctorum« fest: »Aus orthodoxer Sicht ist ein personales und universales einheitsdienendes Amt nicht notwendig, kann aber als sachentsprechend angesehen werden. Der Einheitsdienst ist insbesondere mit synodalen Strukturen zu verbinden. […] Aus orthodoxer Sicht gibt es eine biblische und theologische Begründung weder für die Notwendigkeit eines solchen Einheitsdienstes noch für eine Verknüpfung mit dem Bischof von Rom. Ein solcher Dienst ist jedoch als ein der Einheit der Kirche dienendes Element unter bestimmten Voraussetzungen annehmbar, dazu gehören insbesondere die Überordnung der Heiligen Schrift, das Prinzip der Synodalität und der Vorrang des Bischofs von Rom als ›primus inter pares‹ ohne Anspruch auf universale Jurisdiktion.«27
Auch die seit 1980 regelmäßig zwischen der römisch-katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen geführten Dialoge sind von Fragen nach der kirchlichen Autorität bestimmt. Die 60 Mitglieder der Gemeinsamen Internationalen Kommission für den Theologischen Dialog zwischen der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche in Ravenna nennen am Ende ihres Abschlussberichtes »Kirchliche Communio, Konziliarität und Autorität« vom 13. Oktober 2007 folgende offenen Fragen: »Was ist die besondere Funktion des Bischofs des ›ersten Sitzes‹ in einer Ekklesiologie der koinonia und im Hinblick darauf, was wir über Konziliarität und Autorität in diesem Text gesagt haben? Wie sollte die Lehre des ersten und des zweiten Vatikanischen Konzils über den universalen Primat verstanden und gelebt werden angesichts der kirchlichen Praxis des ersten Jahrtausends? Das sind entscheidende Fragen für unseren Dialog und für unsere Hoffnung, die volle Communio zwischen uns wiederherzustellen.«28
Der Dialog in Ravenna wurde davon überschattet, dass die Vertreter des Moskauer Patriarchats aufgrund innerorthodoxer Kontroversen über die Anwesenheit von Vertretern der estnischen orthodoxen Kirche, die sich von Moskau getrennt und dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel unterstellt hatten, vorzeitig abgereist waren. Wenig später kündigte der russische orthodoxe Bischof Hilarion von Wien und Österreich an, dass man das Dokument genau prüfen werde. Mit Blick auf die Passagen über den Vorrang des Bischofs von Rom meinte er:
»Apostolizität der Kirche«, vgl. Theologischer Dialog mit der Rumänischen Orthodoxen Kirche/ hrsg. Martin Illert, Martin Schindehütte. Beih. ÖR 97 (2014), bes. 43-82. 27 Stellungnahme des Zentrums für ökumenische Forschung der Ludwig-MaximiliansUniversität München. In: Communio Sanctorum … (wie Anm. 16), 267-293; 283. 286. 28 Ziff. 45 in: The Ravenna Statement, October 2007. The Pontifical Council for Promoting Christian Unity: Information Service Nr. 126 (2007), 178-184, hier 184.
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»Wir sind in einer Falle. Es sieht so aus, als suchten die Katholiken nach einem ökumenischen Kirchenmodell, bei dem die Rolle des ersten Bischofs dem entspricht, was der Papst von Rom in der modernen Römisch-katholischen Kirche ist.«29
Der 11. Dialog vom 16. bis 23. Oktober 2009 in Paphos auf Zypern ging zu Ende, ohne dass sich eine Einigung im Verständnis des Papstamtes abzeichnete. Man vertagte sich nach Wien für den Herbst 2010 und hörte später versöhnlichere Töne.30 Nach diesen Irritationen brachte die von der 14. Vollversammlung der Gemeinsamen Internationale Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und der Orthodoxen Kirche in Chieti (Italien) am 21. September 2016 beschlossene Erklärung »Synodalität und Primat im ersten Jahrtausend auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis im Dienst an der Einheit der Kirche« einen bemerkenswerten Fortschritt. Alle orthodoxen Kirchen mit Ausnahme des Patriarchats Bulgarien waren vertreten.31 Die Erklärung hebt Verflochtenheit von Synodalität und Primat in der Geschichte der Kirche im 1. Jahrtausend hervor und beschreibt die Bedeutung der Bischöfe für die lokalen Gemeinden und der Bischofssynoden für die Gemeinschaft von Kirchen auf regionaler und universaler Ebene. Die Grundlegung dafür besteht darin, dass die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, deren Haupt Christus ist, in der eucharistischen Versammlung einer Lokalkirche unter ihrem Bischof gegenwärtig ist. Darauf aufbauend soll angesichts der Verschiedenheiten in Ost und West das Thema Synodalität und Primat in der Kirche des Ostens und des Westens im zweiten Jahrtausend weiter verhandelt werden.32
29 Quelle: radio vaticano, 17. November 2007; vgl. Stimme der Orthodoxie/ hrsg. vom Mitteleuropäischen Exarchat des Moskauer Patriarchates (2009) Nr. 11, 14 f. 30 Vgl. ebd; ferner Katholische Nachrichtenagentur vom 19. Mai 2010 zum Besuch des Leiters des Außenamtes, Metropolit Hilarion von Wolokolamsk, beim Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Einheit, Walter Kardinal Kasper. 31 https://www.ecupatria.org/wp-content/uploads/2016/09/Chieti-Document.Sept-21.2016. pdf. (10. 06. 2019). Das georgische Patriarchat gab ein kritisches Sondervotum ab. 32 In einer gemeinsamen »panorthodoxen« und »pankatholischen« Tagung des Instituts für höhere Studien in orthodoxer Theologie in Chambésy und der Theologischen Fakultät Fribourg im dortigen Zentrum für Ökumenische Studien wurde im November 2017 das Thema «Synodalität und ihre praktische Umsetzung – ein theologischer Topos für die Kirche in Ost und West«, verhandelt. Dabei lag der Schwerpunkt auf der synodalen Praxis einschließlich der Fragen nach der Verantwortung des Vorsitzenden (Protos) und der Repräsentation des kirchlichen Lebens in der Synode auch durch Laien. Kurz danach überbrachte am 30. November Kurt Kardinal Koch in Istanbul dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., eine Grußbotschaft, in der Papst Franziskus seinen Willen zu einer kritischen Debatte über das Papstamt bekräftigte. http://cc.bingj. com/cache.aspx?q=Bonn+30.11.2017+Franziskus+Papstamt&d=4660118629846367&mkt =de-DE&setlang=de-DE&w=p3vmyaJR0qpHLXO2XQBVzOtFmlTzTEwX (30.11.2018).
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III Ablass und Fegfeuer im gegenwärtigen ökumenischen Gespräch Bei der Leipziger Disputation war am 8. Juli 1519 über das Fegfeuer, am 11. Juli über den Ablass gestritten worden, dann nachfolgend über Buße und Absolution. Konnten noch während des Zweiten Vatikanums Konzilsbeobachter die Meinung vertreten, »der Ablass ist keine wichtige Frage mehr«,33 so wurde auch in ökumenischen Zusammenhängen und in weiteren Kreisen die Frage des Ablasses nach der Veröffentlichung der apostolischen Konstitution Papst Pauls VI. »Indulgentiarum doctrina« vom 1. Januar 1967 wieder intensiver diskutiert.34 Erneute Erörterungen folgten auf die Verkündigungsbulle »Incarnationis mysterium« vom 19. November 1998. In ihr dekretierte Papst Johannes Paul II. als wesentlichen Bestandteil der Feiern des Großen Jubiläums der Jahrtausendwende einen vollkommenen Ablass.35 Nachdem mit der Gemeinsamen Offiziellen Feststellung und den präzisierenden Erläuterungen im Anhang (Annex) zur Gemeinsamen Offiziellen Feststellung 1999 die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre möglich geworden war, gab es erhebliche Irritationen, da das zum Heiligen Jahr 2000 in neuer Auflage herausgegebene »Enchiridion Indulgentiarum« eine neue Bestimmung enthält, derzufolge beispielsweise die Teilnahme an der Gebetswoche für die Einheit der Christen in der dritten Januarwoche die Gewährung eines Ablasses erwirkt.36 Zum Weltjugendtreffen im Jahr 2005 in Köln verkündete Benedikt XVI. vollkommenen Ablass denjenigen, die »in Köln aufmerksam und andächtig an Andachten oder Gottesdiensten und an seinem feierlichen Abschluss teilnehmen.«37 Erneute Irritationen brachte im Zusammenhang mit dem von der römisch-katholischen Kirche ausgerufenen Paulusjahr 2009 die Gewährung eines besonderen vollkommenen Ablasses, der nicht nur in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern in Rom, 33 Johann Christoph Hampe: Die Autorität der Freiheit. Bd. 1. München 1967, 436; vgl. Ferdinand Barth: Das Papstamt und der Ablaß: von der Renaissance des Mittelalters. In: Papstamt – pro und contra (wie Anm. 19), 238-283. 34 Vgl. u. a. Helmar Junghans: Die Ablasskonstitution vom 1. Januar 1967 und Luther (1967). In: ders.: Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen: ausgewählte Aufsätze/ hrsg. von Michael Beyer; Günther Wartenberg (AKThG; 8). Leipzig 2001, 305-318. 35 Incarnationis mysterium: Verkündigungsbulle des Großen Jubiläums des Jahres 2000. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 136/ hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn 1998, bes. Ziff. 9-11 sowie nachfolgend »Anweisungen über die Erlangung des Jubiläumsablasses«; vgl. die umfangreiche Literaturzusammenstellung in: Reinhard Brandt: Lasst ab vom Ablass: ein evangelisches Plädoyer. Göttingen 2008, 16, Anm. 16 f. 36 Vgl. Dorothea Sattler: Thesen zum Ablass: ein ökumenisches Wagnis im Jahr 2017. In: Schuld und Vergebung: Festschrift für Michael Beintker zum 70. Geburtstag/ hrsg. von Hans-Peter Großhans, Herman J. Selderhuis, Alexander Dölecke und Matthias Schleiff. Tübingen 2017, 325-339; 336 f. 37 Brandt: Lasst ab … (wie Anm. 35), 15 mit Quellenangabe.
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sondern auch in allen Diözesen gewonnen werden konnte, so auch im Bistum Dresden-Meißen.38 Es wurde außerdem in Verbindung mit dem 10. Jahrestag der Unterzeichnung der Gemeinsamen Offiziellen Feststellung zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) im Oktober 2009 erneut die Frage gestellt, wie sich die pastorale Praxis und die römisch katholische Lehre vom Ablasse zu der in diesem Dokument festgestellten Übereinstimmung in wesentlichen Punkten der Rechtfertigung verhalten.39 Die ökumenische Verständigung zu den miteinander verschränkten Themenbereichen Ablass und Fegfeuer wird dadurch erschwert, dass theologische und iurisdiktionelle Aspekte miteinander verwoben sind.40 Nach wie vor ist nicht einleuchtend gezeigt, mit welchem Schriftgrund der Ablass als Nachlass zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist, kirchenamtlich dekretiert, gewährt und durch bestimmtes Verhalten erlangt und gewonnen werden kann. Es handelt sich um eine Norm, die weder in der Schrift enthalten ist noch von der Schrift bestätigt werden kann, allerdings in der Frömmigkeit nach wie vor tief verankert ist. Erhellend dafür ist die Begründung in »Indulgentiarum doctrina« (Ziff. 7, 1): »Aufgrund der Überzeugung der Kirche, dass die Hirten der Herde des Herrn durch Zuwendung der Verdienste Christi und der Heiligen die einzelnen Gläubigen von den Überbleibseln der Sünden befreien können […] kam Fortschritt, nicht Änderung in der
38 In Wahrnehmung der von der Apostolischen Pönitentiarie durch Dekret vom 10. Mai 2008 erlassenen Bestimmungen hat Diözesanbischof Joachim Reinelt für das Bistum DresdenMeißen am 18. Februar 2009 u. a. dekretiert: »1. Zum Abschluss des Paulus-Jahres am 29. Juni 2009 kann der vollkommene Ablass in jeder Kirche oder Kapelle innerhalb der Diözese gewonnen oder fürbittweise den Seelen der Verstorbenen zugewendet werden, wenn man dort andächtig an einer heiligen Messe oder an der öffentlichen Feier des Stundengebetes beziehungsweise einer Andacht zu Ehren des heiligen Paulus teilnimmt. 2. Einmal täglich kann der vollkommene Ablass während des Paulusjahres darüber hinaus in bestimmten Kirchen gewonnen oder den Seelen der Verstorbenen zugewandt werden …«. Dazu sind zwölf Kirchen im Bistum ernannt worden; vgl. Kirchliches Amtsblatt für das Bistum Dresden-Meißen 19 (2009), 54 f (Nr. 3 vom 18. Februar). Ein Dekret über Ablässe im Jahr des Glaubens von Oktober 2012 bis November 2013 wurde am 15. November 2012 erlassen, Kirchliches Amtsblatt für das Bistum Dresden Meißen 22 (2012), 115 ff (Nr.13 vom 18. Dezember). 39 Vgl. u. a. Friedrich Weber: Ablass und kein Ende?: warum die theologische Auseinandersetzung geführt werden muß. VELKD-Informationen (2009) Nr. 124 vom 30. September, 1-5. 40 Codex iuris canonici: Lateinisch-deutsche Ausgabe. 4. Aufl. Kevelaer 1994, 445 (Can. 992): »Ablass ist der Nachlass zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist; ihn erlangt der entsprechend disponierte Gläubige unter bestimmten festgelegten Voraussetzungen durch die Hilfe der Kirche, die im Dienst an der Erlösung den Schatz der Sühneleistungen Christi und der Heiligen autoritativ verwaltet und zuwendet.«
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Lehre und der Lebensordnung der Kirche. Und so ist aus der Wurzel ein neues Gut zum Nutzen der Gläubigen und der ganzen Kirche entstanden.«41
Im theologischen Gespräch der orthodoxen Kirchen mit der römisch-katholischen Kirche ist offenkundig, dass die dogmatische Fixierung des Ablasses erst als Ergebnis der Auseinandersetzungen zwischen der lateinischen und der griechischen Kirche auf dem Zweiten Konzil von Lyon 1274 und auf dem Konzil zu Florenz 1447 erfolgte. Als während des Zweiten Vatikanischen Konzils das Schema »De indulgentiis recognoscendis« debattiert wurde, formulierte Maximos IV. Saigh, Patriarch der mit Rom unierten Melchiten, sein Unverständnis: »Jenes theologische Denken, das die spätere Einführung der Ablässe im Abendland zu rechtfertigen sucht, bietet nach unserer Meinung nur eine Sammlung unzulässiger Schlussfolgerungen, in der jeder Schluss ein wenig über seine Vordersätze hinausgeht.«42
Dieses grundsätzliche Dilemma konnte auch das intensivierte Nachdenken römisch-katholischer Theologen über Lehre und Praxis der Ablässe nicht beheben.43 Es geht, so die neueren Interpretationen mit pastoraler Ausrichtung, nicht um den Loskauf von der Sünde oder einzelnen Sünden, sondern um den Umgang mit den Folgen der Sünde, den sogenannten ›Sündenstrafen‹. Offen bleiben muss allerdings die Qualität, genauer: das meritorische Moment solchen Handelns in Verbindung mit dem Bußsakrament. Der Klärung bedarf auch das Verhältnis des pastoralen Anliegens zu dem kirchenamtlich-juridischen Handeln,44 dass nämlich der Papst oder der Diözesanbischof für einen Teilablass oder einen vollkommenen Ablass Voraussetzungen qualitativer oder quantitativer Art festlegen können. Weiterhin umstritten ist die römisch-katholische Auffassung, 41 Dazu Brandt: Lasst ab … (wie Anm. 35), 258-274. 42 Maximos IV. musste der Geschäftsordnung des Konzils zufolge seinen Redebeitrag zuvor einreichen und wurde vom Generalsekretär aufgefordert, diesen Satz nicht vorzutragen, vgl. ebd, 261. 43 Karl Rahner hat sich besonders der christologischen Zentrierung und der pastoralen Zielsetzung des Ablasses zugewandt. Im klassischen Verständnis betrifft der Ablass den auf die Schuldvergebung im Bußsakrament folgenden Nachlass von zeitlichen Sündenstrafen, bewirkt also eine Minderung der aus dem sündigen Verhalten folgenden Strafen oder zerstörerischen Tatfolgen. Rahner suchte den Ablass als tätigen Ausdruck einer aktiv werdenden Bußgesinnung zu verstehen. Die zeitlichen Sündenstrafen versteht er nicht einfach als von Gott verhängte Strafmaßnahmen, sondern als »leidschaffende Sündenfolgen«, also Zerstörungen im Sünder selbst und in dessen Mitweltbeziehungen, die durch die göttliche Vergebung nicht einfach beseitigt sind, sondern aufgearbeitet werden müssen. Rahner legt den Akzent auf die Möglichkeit des leiblich-geistlichen Reifens und Neuwerdens im Erleiden oder Minimieren der Folgen des sündigen Verhaltens; vgl. bes. Karl Rahner: Zur heutigen kirchenamtlichen Ablaßlehre. In: Schriften zur Theologie. Bd. 8. Einsiedeln 1967, 488-518, dazu auch Brandt: Lasst ab … (wie Anm. 35), 163-168. 44 Vgl. Edward Schillebeeckx: Sinn der katholischen Ablasspraxis. Lutherische Rundschau 17 (1967), 328-353, 336: »Amtliche Fürbitte bei Gott und ein jurisdiktioneller Akt (Erlaß oder Minderung kirchlicher Strafen) laufen, historisch gesehen, im Ablaß zusammen.«
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dass jeder Gläubige Teilablässe oder vollkommene Ablässe für sich selbst gewinnen oder fürbittweise Verstorbenen zuwenden kann.45 Die Existenz eines Läuterungsortes bzw. Läuterungszustandes war auch der griechischen Theologie der ersten Jahrhunderte nicht unbekannt. Jedoch bestand, um die Apokatastasis-Lehre des Origines abzuwehren, stets größte Zurückhaltung bei der Ausgestaltung der Lehre von einer postmortalen Läuterung. Orthodoxe Theologen kennen die Fürbitte für die Verstorbenen, lehnen indes eine jenseitige Läuterung durch Strafe und Sühne, ein Läuterungsfeuer und den Ablass für die Verstorbenen gänzlich ab. In der neueren katholischen Theologie ist unbestritten, dass die auch in der Leipziger Disputation herangezogene Belegstelle 2 Makk. 12,40-46 nicht auf eine jenseitige Läuterung bezogen werden kann.46 Gleichwohl werden katholischerseits theologische Interpretationen vorgelegt, dass es über den Tod hinaus einen Prozess personaler Reifung gebe, in dem »der Mensch sich auf eine endgültige Vollendung noch hinbewegt.« Dabei geht es nicht nur um die einzelne fürbittende Zuwendung, sondern um die Übertragung von Verdiensten der Heiligen auf die Verstorbenen im Fegfeuer in einer »amtlich-autoritativen Fürbitte«.47 Besonders hieran entzündet sich orthodoxe Kritik: »Diese Anwendung der Lehre von der Übertragbarkeit der Verdienste der Heiligen ist unannehmbar. Denn diese Verdienste – so groß sie auch sein mögen – können niemals als supererogatorisch oder superabundant betrachtet werden oder als dienlich zur Tilgung der Missetaten anderer.«48 In evangelisch-katholischen Dialogen der letzten Jahre begegnet die Frage des Ablasses und des Fegfeuers ausführlicher in »Communio Sanctorum«, und zwar unter der Hauptüberschrift »Gemeinschaft der Heiligen – Über den Tod hinaus«. Dort werden »spezifisch katholische Bereiche der Frömmigkeit dargelegt mit dem Ziel,
45 Vgl. Codex iuris canonici … (wie Anm. 40), 445 (Can. 994). 46 Vgl. WA 59,527,2931 - 528,2943; vgl. Lexikon der katholischen Dogmatik. Freiburg 1987; Leipzig 1989, 428. 47 Vgl. dazu Brandt: Lasst ab … (wie Anm. 32), 237-243, vgl. ferner Karl Rahner: Art. Fegfeuer. V.: zur Systematik. LThK 4 (2. Aufl. 1960), 53 f; ebd, 51 die Bemerkung, das Wesen des Ablass bestehe »in dem besonderen Gebet der Kirche, das sie für ihre Glieder […] immer um die volle Entsühnung ihrer Glieder verrichtet und im Ablaß feierlich und in besonderer Weise einem bestimmten Glied zuwendet. Insofern dieses Gebet das der heiligen Kirche schlechthin ist und auf ein Gut geht, das eindeutig dem Willen Gottes gemäß ist, ist es von sich aus […] immer der Erhörung sicher.« 48 Emilianos Timiades: Zur apostolischen Konstitution über die Neuordnung der Ablässe. In: Stimmen der Orthodoxie zu Grundfragen des II. Vatikanums/ hrsg. von Damaskinos Papandreou. Wien 1963, 319-351, hier 336.
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evangelische Zugänge zu ihnen zu schaffen«.49 Der Abschnitt »Das Gebet für die Verstorbenen« geht auch auf die katholische Lehre vom Purgatorium ein, verschweigt nicht Missverständnisse und Missbräuche und folgert: »Der inzwischen erreichte Konsens im Verständnis der Rechtfertigungsbotschaft muß sich deshalb gerade auch hier bewähren.«50 Das Fazit bedient sich einer beachtlichen Formulierungselastizität: »Gemeinsam können wir heute von einer Läuterung im folgenden Sinne sprechen: Die Gemeinschaft in Christus, in die der Mensch berufen wird, bleibt auch in Tod und Gericht erhalten und wird dadurch vollendet, dass er durch den Schmerz über sein Versagen im irdischen Leben hindurch der Liebe Gottes die vollendete Antwort seiner Liebe geben kann. Dass dieses geschehe, darum darf die Gemeinschaft der Glaubenden auf Erden auf Grund des allgenugsamen Opfers Christi Gott allezeit bitten. Dieses ihr Gebet ist wie die Verehrung der Heiligen liturgischer Ausdruck ihrer eschatologischen Hoffnung.«51
Diese Formulierungen lassen fast alle Elemente der klassischen römisch-katholischen Lehre vom Ablass und vom Fegfeuer anklingen, auch die jurisdiktionelle Seite der Zuwendung des Verdienstes der Heiligen. Die bereits erwähnte Tübinger Stellungnahme wendet sich wie nur wenige der Stellungnahmen auch diesem Abschnitt in Communio Sanctorum zu. Sie lehnt die Auffassung ab, »dass das Gebet für die Toten deren postmortale ›Läuterung‹ fördern solle und könne. […] Wie die Kritik der Reformation nicht nur der mit der Vorstellung vom ›Fegfeuer‹ verbundenen ›kirchlichen Praxis‹ (CS 226), den ›Missbräuchen‹ (CS 225) des Ablaßwesens und der Messen für die Verstorbenen, sondern der Sache selbst galt, ist alldem auch heute aus evangelischer Sicht grundsätzlich zu widersprechen«.52
In Vorbereitung und während des Reformationsjubiläums 2017 haben sich zahlreiche Beiträge mit dem Ablass befasst, teils mit dem Ziel einer vertieften und nicht pauschal als Negativfolie dienenden Kenntnis der Ablasspraxis und -theologie im 15. und 16. Jahrhundert sowie zur Frömmigkeitsgeschichte am Vorabend der Reformation und zur Herausbildung der Theologie Martin Luthers.53 Neben straffe Repristinierungen der kirchlichen Lehre, um dem Ablass wieder zu stär 49 Bilaterale Arbeitsgruppe … (wie Anm. 12), 128 (Ziff. 272). 50 Bilaterale Arbeitsgruppe … (wie Anm. 12), 109 (Ziff. 226). 51 Bilaterale Arbeitsgruppe … (wie Anm. 12), 110 (Ziff. 228). 52 Stellungnahme der Tübinger Fakultät, in: Communio Sanctorum … (wie Anm. 16), 256 f (Ziff. 151 f). Die Stellungnahme lehnt einen Läuterungsprozess ab, der dem gnädigen Urteil des Richters vorausginge. Der gewisse Grund des Heils ist das Opfer Christi und nicht ein Gebet als Opfer für die Verstorbenen. 53 Vgl. u. a. Berndt Hamm: Ablass und Reformation: erstaunliche Kohärenzen. Tübingen 2016; Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland: Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung »Umsonst ist der Tod!«/ hrsg. von Enno Bünz, Hartmut Kühne (Schriften zur Sächsischen Geschichte und Volkskunde; 50). Leipzig 2015; Wolfgang Breul: Luthers Visitation im Augustinerkloster Grimma und seine frühe Ablasskritik; »nun will ich der Pauke ein Loch machen«. HCh 32/33 (2008/2009, ersch. 2011), 7-27; Christiane Laudage: Das Geschäft mit der Sünde: Ablass und Ablasswesen im Mittelalter. Freiburg 2016.
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kerer Akzeptanz zu verhelfen 54 treten vor allem Bemühungen, die pastorale Seite des Ablasses als Teil des Bußsakraments zu stärken und neu zu fassen, um neue Impulse für die katholische Seelsorge in heutiger Zeit zu geben. Das wird deutlich an der Verkündigungsbulle »Misericordiae vultus« von Papst Franziskus vom 11. April 2015 zum Ausrufen des Heiligen Jahres - als außerordentliches Jubiläum der Barmherzigkeit -, das herkömmmlich mit der Gewährung von besonderen Ablässen verbunden ist. Die strikt seelsorgerliche Intention rief jedoch Kritiker hervor, dass man in der Bulle das Wort Ablass suchen müsse und nur vage gesagt werde, was Ablass ist, und das Wort Ablass nur als synonym für Sündenvergebung Gottes gebraucht werde. 55 Weiterführend sind die Überlegungen von Markus Lersch, der anstatt einer Repristination eine Neuformulierung der katholischen Ablasslehre fordert. In Aufnahme von Erwägungen Karl Rahners stellt er die primär seelsorgerliche Motivation ins Zentrum. Er erinnert daran, dass es schwere kanonische Bußleistungen als stellvertretende von der Kirche verhängte Vindikativstrafen, die eines Erlasses oder einer mildernden Kompensation bedürften, schon lange nicht mehr gebe. Es bestehe Konsens zwischen Luthers Auffassungen und neuerer katholischer Lehre, dass sich die Jurisdiktion von Kirche und Papst nicht auf das Purgatorium erstrecken könne. Obwohl für die Vergebung der Sündenschuld auch nach katholischem Verständnis keine Genugtuung geleistet werden könne und die Schuld sola gratia vergeben wird, bleiben die »konnaturalen Sündenfolgen«, so dass der Ablass als Arbeit an der beschädigten Beziehung des Sünders zu sich selbst und zu seinen Mitmenschen zu verstehen ist, die in ihrem praktischen Vollzug durch Mitmenschen Erleichterungen und Hilfestellungen einschließlich der Fürbitte erfahren können.56 54 Peter Christoph Düren: Der Ablass in Lehre und Praxis. 4. erw. Aufl. Augsburg, 2013. 55 »Im Sakrament der Versöhnung vergibt Gott die Sünden, die damit wirklich ausgelöscht sind. Und trotzdem bleiben die negativen Spuren, die diese in unserem Verhalten und in unserem Denken hinterlassen haben. Die Barmherzigkeit Gottes ist aber auch stärker als diese. Sie wird zum Ablass, den der Vater durch die Kirche, die Braut Christi, dem Sünder, dem vergeben wurde, schenkt und der ihn von allen Konsequenzen der Sünde befreit, so dass er wieder neu aus Liebe handeln kann und vielmehr in der Liebe wächst, als erneut in die Sünde zu fallen«, Misericordiae vultus: Verkündigungsbulle von Papst Franziskus zum Außerordentlichen Jubiläum der Barmherzigkeit (Verlautbarungen des Apostolischens Stuhls; 200). Bonn 2015, 31 f. Nur in einem erläuternden Schreiben gebe der Papst Anweisungen, dass der Jubiläumsablass weltweit gewonnen werden kann, auch für Verstorbene (Sandro Magister, https://katholisches.info/2015/12/21/papst-franziskus-und-die-verschwundenenwoerter-ablass-strafe-fegefeuer-und-gericht/ (20.04.2018). 56 Der Ablass wird so zur »Buß- und Aufarbeitungshilfe eigener Schuld durch Inanspruchnahme der Solidarität und Fürbitte der anderen«, d. h innerhalb des solidarischen Leibes Christi, der Communio Sanctorum in der »gemeinschaftlich-solidarischen Arbeit an den Folgen der Sünden durch Tat und Gebet«. Markus Lersch: Der Ablass nicht mehr der ökumenischen Rede wert? Catholica 70 (2016) 247-265; ebd, 262 f. Er legt dabei zugrunde, dass Berndt Hamm (wie Anm. 53) eine Kohärenz in der seelsorgerlichen Ausrichtung als Frage
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Die Lehre vom Ablass und die Lehre vom Fegfeuer können derzeit nicht als zentrale Themen in der römisch-katholischen Dogmatik angesehen werden. Sie zeigen aber die bleibende Bedeutung der Kontroversen der Reformationszeit, wie sie in der Leipziger Disputation gegenwärtig werden und bis heute lebendig sind, weil in ihnen weiterhin unaufgebbare Kernfragen zum Prüfstein werden: die Frage der Autorität des Wortes Gottes und menschlicher Autorität, das Verhältnis der Schrift zur Tradition, schließlich die Frage nach menschlicher Aktivität und der Alleinwirksamkeit Gottes unter dem Eingeständnis, dass ich »nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann«.57 Es steht folglich weiterhin die Aufgabe, das Thema Ablass im ökumenischen Dialog zu besprechen, um ausgehend von historischen Konstellationen und verbliebenden Kontroversen das für Katholiken und Evangelische gemeinsame Verständnis von rechtfertig, Taufe, Buße und persönlicher Verantwortung deutlicher fassen und leben zu können. IV Schlussbemerkung In dieser Skizze war zu zeigen, dass mit der Leipziger Disputation Kernthemen des ökumenischen Gesprächs angesprochen sind, die auch angesichts gewachsener ökumenischer Übereinstimmung weiterer Verständigung und Klärung bedürfen und Kernthemen bleiben. Die Leipziger Disputation zeigt beispielhaft, dass es für ökumenische Gespräche auch einer bewussten und gewollten ökumenischen Grundhaltung bedarf, die sich der ganzen Christenheit auf Erden verpflichtet weiß. So wird es notwendig sein, auch bei den bilateralen Gesprächen in Hochschätzung des jeweiligen Gesprächspartners und trotz der wünschenswerten notwendigen Eingrenzung von Kontroverspunkten künftig stärker als bisher bei bilateralen Gesprächen auch die anderen ökumenischen nach dem Gewinn von Gewissheit sowohl für das sich wandelnde klassische katholische Ablassverständnisses wie für die reformatorische Innovation herausstellt. Die pastorale Sicht des Ablasses zielt auf eine Öffnung und Zuwendung zu Gott und die Mitmenschen, auf die Lebenden und auf die Arbeit an generationsübergreifenden Sündenverhängnissen und Sündenfolgen, die Geschichte und Gegenwart bestimmen. Damit bleiben indes kritische Fragen an die weithin geübte Ablasspraxis virulent, beispielsweise wenn beim Segen »urbi et orbi“ der Papst allen in Rom versammelten Gläubigen und jenen, die seinen Segen durch das Radio, durch das Fernsehen und durch die neuen Kommunikationsmittel empfangen, einen vollkommenen Ablass nach den von der Kirche vorgeschriebenen Regeln erteilt. So bleibt die Frage »in welcher gewandelten Gestalt die Ablasspraxis eine gewandelte Bedeutung haben könnte“, denn »die stark formalisierten und mit Nachdruck gegebenen präzisen Auskünfte über den Erwerb eines vollkommenen Ablasses oder eines Teilablasses sind theologisch kaum zu rechtfertigen«, Dorothea Sattler (wie Anm. 36) 327. 337. 57 Erklärung Martin Luthers zum 2. Artikel des Glaubensbekenntnisses im Kleinen Katechismus (1529).
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Die Leipziger Disputation und die Ökumene heute
Gesprächspartner im Blick zu halten, wie es auf Seiten Luthers in der Leipziger Disputation beispielgebend zu erkennen ist. Auf dem Feld der Ökumene ist gesät und geackert worden, und es kann schon – Gott sei Dank – reichlich geerntet werden. Aber es bleibt reichlich zu tun. Im ökumenischen Dialog ist es erlaubt, kritische Fragen an die Gesprächspartner zu stellen. Das erfordert zugleich, dass wir kritische Fragen an uns selbst stellen. Das betrifft beispielsweise unsere eigene Praxis und Haltung zu Konziliarität und Synodalität, die in der römisch-katholischen und orthodoxen Diskussion zunehmend in den Brennpunkt rücken. Luther streitet in der Leipziger Disputation für die unüberbietbare Autorität der Schrift um des Evangeliums und der Freiheit des Evangeliums willen. Wir haben uns selbst zu fragen, in welcher Weise und in welchen Gestaltungsformen wir dieser unüberbietbaren Autorität der Schrift Raum geben. In welcher Weise ist das evangelische Schriftprinzip lebendig in der Theologie, in der Kirche, in der Predigt, in der Gemeindearbeit und im persönlichen Leben der Christen? Wie steht es mit der Übernahme von Verantwortung angesichts des verbreiteten vulgär-theologischen Dispenses – unter Berufung auf die geschehene Sündenvergebung – vom aktiven Tun zur Wiedergutmachung (falls dies überhaupt partiell möglich ist) und zur Übernahme verantwortlichen Handelns, um als Auswirkung der Rechtfertigung sola gratia zur Begrenzung der lebenszerstörenden Folgen persönlichen oder gemeinschaftlichen sündhaften Handelns und des generationenübergreifenden Sündenverhängnisses beizutragen? Wie steht es um die aktive Bibelkenntnis, wie um das gemeinsame Gespräch über die Bibel und über der Bibel? Wie intensiv ist die hermeneutische Reflexion und wie vorwärts drängend ist die hermeneutische Kraft, um die biblischen Texte angesichts der Herausforderungen unserer Zeit gelingend in die Gegenwart zu übersetzen und sie nicht lediglich als »Stichwortgeber« für die Predigt zu »benutzen« oder es bei einer »Oberflächenberührung« zu belassen. Mit Blick auf Johannes Eck bemängelt Luther in der Leipziger Disputation: »Es betrübt mich, dass der Herr Doktor so tief in die Heilige Schrift eindringt wie ein leichter Wasserläufer ins Wasser, ja er scheint sogar vor ihr zu fliehen wie der Teufel vor dem Kreuz.«58
Die intensive und tiefe gemeinsame Bemühung um das Wort der Heiligen Schrift kann und muss unser Beitrag zur ökumenischen Annäherung sein unter der Verheißung: »Verbum enim dei super omnia verba hominum est.«59
58 WA 59, 602, 5341-5344. 59 WA 59, 445, 406 f.
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Christoph Münchow
Autorenverzeichnis
Dr. Michael Beyer Schönbach / Leipzig Prof. Dr. Enno Bünz Universität Leipzig, Historisches Seminar, Lehrstuhl für Sächsische und Vergleichende Landesgeschichte Markus Cottin, M. A. Domstiftsarchiv und -bibliothek, Merseburg Prof. Dr. Irene Dingel Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz Dr. Markus Hein Leipzig Pfr. Dr. Heiko Jadatz Roßwein Prof. em. Dr. Dr. h. c. Helmar Junghans DD † Prof. Dr. Armin Kohnle Theologische Fakultät der Universität Leipzig, Institut für Kirchengeschichte, Lehrstuhl für Spätmittelalter, Reformation und territoriale Kirchengeschichte Prof. Dr. Volker Leppin Theologische Fakultät der Universität Tübingen, Institut für Spätmittelalter und Reformation, Lehrstuhl für Kirchengeschichte (mit Schwerpunkt Mittelalter und Reformation) Oberlandeskirchenrat i. R. Dr. Christoph Münchow Dresden Thomas Noack, M. A. Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, Leipzig Dr. Stefania Salvadori Akademie der Wissenschaften zu Göttingen PD Dr. Christoph Volkmar Stadtarchiv Magdeburg Dr. Christian Winter Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Dr. Johann Peter Wurm Landeskirchliches Archiv, Schwerin Dr. Doreen Zerbe Leipzig
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Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Erinnerungsort zur Leipziger Disputation am Neuen Rathaus in Leipzig (Foto: Markus Hein) 2 Des Newen Bischofs zu der Lochaw disputation mit Doctor Ochssenfart vor dem Bischoff von Meyssen Zů der Lochaw geschehen In Saxen Im M. D. vnnd XXII. Jar, Titelblatt (VD 16 V779) 3 Sebastian Fröschel (1497-1579), Holzschnitt des 16. Jahrhunderts 4 Petrus Mosellanus (1493-1524), Zeichnung des 18. Jahrhunderts (Heinrich Schultz: Ausführliche Lebens-Beschreibung des berühmten M. Petri Mosellani, sonst Schade genannt. Leipzig 1724, Vorsatz) 5 Petrus Mosellanus: De ratione disputandi, praesertim in re Theologica. [Leipzig] 1519, Titelblatt (UB Leipzig) 6 On Aplas von Rom kan man wol selig werden, Illustrierte Flugschrift, 1520, Titelseite 7 Dispvtatio D. Ioannis Eccii, et P. Martini Lvther in studio Lipsiensi fvtvra, 1519, Titelblatt 8 Martin Luther als Mönch, nach einem Stich Lukas Cranachs von 1520 9 Johann Eck mit einem Spottvers, nach einem Kupferstich des 16. Jahrhunderts 10 Valentin Ernst Löscher: Vollständige Reformations-Acta und Documenta. Bd. 3. Leipzig 1729, Titelblatt (UB Leipzig) 11 Dr. Martin Luthers … Sämtliche Schriften/ hrsg. von Johann Georg Walch. Tl. 15. Halle 1745, Titelblatt (UB Leipzig) 12 Karl Wilhelm Hering: De disputatione celeberrima sub auspiciis Georgii ducis Saxonici Lipsiae anno salutis MDXIX habita. Leipzig 1839, Titelblatt (UB Leipzig) 13 Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519. Leipzig 1843, Titelblatt (UB Leipzig) 14 Eschdorf zur Zeit Seidemanns aus: Sachsens Kirchen-Galerie. Bd. 4: Die Inspectionen Pirna, Altenberg und Dippoldiswalde. Dresden1840), . 15 Johann Karl Seidemann (1807-1879), Portrait (Foto: Hein) 16 Felix Richard Albert (1847-1925), Portrait (Amtskalender für die Geistlichen der Sächsischen evang.-luth. Landeskirche 57 [1927], 108) 17 William Herman Theodore Dau (1864-1944), Portrait (Dau Church History Library, Historic Trinity Lutheran Church, Detroit, Michigan) 18 Otto Reinhold Seitz (1864-1966), Portrait (Otto Dibelius: Das königliche Predigerseminar zu Wittenberg 1817-1917. Berlin-Lichtenfelde [1917], nach 268) 19 a bis c: Erinnerungsort zur Leipziger Disputation am Neuen Rathaus in Leipzig (Foto: Markus Hein) 20 Disputatio excellentium. D. doctorũ …, [1519], Titelblatt (http://daten.digitale-sammlungen. de/bsb00013416/image_1) 21 Korrekturen in: Disputatio excellentium. D. doctorũ …, [1519] (UB Leipzig) 22 Disputatio inter Egregios & pra(e)claros viros ac doctores, Ioannem Ecciũ & Martinum Lutherum … habita, 1520, Titelseite (Bibliothek Predigerseminar Wittenberg: 4 HTh 150) 23 Ausschnitt aus der Darstellung Leipzigs vom Jahre 1547 (siehe Abb. 27) 24 Schematisierter Gesamtplan der Grabungen im Bereich der ehemaligen Pleißenburg 25 Ansicht Leipzigs 1536/37 (Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichs aus den Jahren 1536/1537 … Faksimileband/ hrsg. von Angelika Marsch u. a. Weißenhorn 2001, Reisebild 41)
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26 Die wettinischen Länder im Jahre 1485 (Karlheinz Blaschke: Geschichte Sachsens im Mittelalter. München 1990, 295) 27 Stadtansicht von Leipzig während der Belagerung 1547. Holzschnitt eines unbekannten Künstlers (Leipzig original: Stadtgeschichte vom Mittelalter bis zur Völkerschlacht. Katalog zur Dauerausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig im Alten Rathaus. Tl. 1/ hrsg. von Volker Rodekamp. Altenburg 2006, 52 f) 28 Die Leipziger Universitätsbauten 1502-1539 (Geschichte der Universität Leipzig 14092009. Bd. 5: Geschichte der Leipziger Universitätsbauten im urbanen Kontext/ hrsg. von Thomas Topfstedt; Michaela Marek. Leipzig 2009, 36) 29 Leipzig, Stadtansicht 1572 (Vogelschauplan, Kupferstich) (Georg Braun; Franz Hogenberg: Civitates orbis terrarum ... Bd. 1. Köln 1572, 28) 30 Figuren zur Leipziger Disputation am Gebäude Petersbogen in Leipzig, 2019 (Foto: Martin Jehnichen, Leipzig – www.jehnichen.de) 31 a und b: Herzog Georg von Sachsen und seine Gemahlin Barbara. Relief, Oschatz, Rathaus (Fotos: Armin Kohnle) 32 Herzog Georg von Sachsen, Holzschnitt des 16. Jahrhunderts 33 Seite aus Martin Luther: Resolutio lutheriana super propositione decima tertia de potestate Papae, 1519 34 Papst Leo X.: Bulla contra errores Martini Lutheri et sequacium. Rom: Jacobus Mazochius 1520 35 Lutherfigur am Gebäude Petersbogen in Leipzig, 2019 (Foto: Martin Jehnichen, Leipzig – www.jehnichen.de) 36 Conclusiones carolostadij contra D. Johannem Eccum … Lipsiae xxvii Junii tuende. [Wittenberg] 1519 37 Anfangsseite der zweiten Disputation aus: Disputatio excellentium .D. doctoru[m] Iohannis Eccij & Andre[a]e Carolostadij q[uae] cepta est Lipsi[a]e XXVII. Iunij. Erfurt 1519 38 Johannes Eck im Alter von 43 Jahren, Kupferstich von Peter Weinher d. Ä. 1572 39 Figur Johann Ecks am Gebäude Petersbogen in Leipzig, 2019 (Foto: Martin Jehnichen, Leipzig – www.jehnichen.de) 40 Epitaph des Bischofs Adolf von Anhalt (1458-1526), Merseburg, Dom 41 Martin Luther und Jan Hus. Holzschnitt des späteren 16. Jahrhunderts 42 Detail des Titelblattes von Colloquia oder Tischreden Doctor Martini Lutheri … durch Johannem Aurifabern. Frankfurt am Main 1593 43 Spottbild auf die Gegner Luthers, unter ihnen Hieronymus Emser und Johann Eck, 16. Jahrhundert 44 Luthers Leben in 16 Szenen. Unbekannter Künstler des 17. Jahrhunderts, Radierung, 18,9 x 30,75 cm, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg (Luthers Leben in Illustrationen des 18. und 19. Jahrhunderts: Katalog der Ausstellung auf der Veste Coburg 1980/ hrsg. von Joachim Kruse; Minni Maedebach. Coburg 1980, Nr. 1) 45 Paulus auf dem Areopag und Leipziger Disputation. Illustration zu Johann Michael Roth: Augspurgisches Friedens-Gedächtnis, Augsburg 1730, Kupferstich und Radierung von Karl Remshardt 1719, 24 x 31 cm (Ex. Kunstsammlungen Veste Coburg Inv.-Nr. III,81,4) 45 a Die Leipziger Disputation 1519 (Detail aus Abb. 45) 46 Die Leipziger Disputation 1519. Illustration zu Heinrich Gelzer: Luthers Leben. Hamburg 1847. Radierung von Gustav König um 1844/45, 10,85 x 11,7 (Luthers Leben in Illustrationen des 18. und 19. Jahrhunderts: Katalog der Ausstellung auf der Veste Coburg 1980/ hrsg. von Joachim Kruse; Minni Maedebach. Coburg 1980, Nr. 62.18.1) 47 Dr. M. Luther disputirt zu Leipzig auf der Pleißenburg über seine Sätze. Illustration zu F. W. Genthe: Das Leben Dr. Martin Luthers. Leipzig 1841. Stahlstich von Georg Emanuel Opitz
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um 1840, 12,45 x 17,05 cm (Luthers Leben in Illustrationen des 18. und 19. Jahrhunderts: Katalog der Ausstellung auf der Veste Coburg 1980/ hrsg. von Joachim Kruse; Minni Maedebach. Coburg 1980, Nr. 58.13) 48 Die Leipziger Disputation 1519. Carl Friedrich Lessing 1867, Gemälde, 308 x 438 cm (Robert Scholz: Volk, Nation, Geschichte: deutsche historische Kunst im 19. Jahrhundert. Rosenheim [1980], 114) 49 Der Einzug zur Leipziger Disputation 1519. Lithographie 8,2 x 11,5 cm, unbekannter Künstler um 1840, Illustration zu Ernst Theodor Jäkel: Leben und Wirken Dr. Martin Luther’s im Lichte unserer Zeit. Bd. 1. Leipzig 1840, 394 f 50 Die Leipziger Disputation 1519. Lithographie 8 x 11, 3 cm, unbekannter Künstler um 1840, Illustration zu Ernst Theodor Jäkel: Leben und Wirken Dr. Martin Luther’s im Lichte unserer Zeit. Bd. 1. Leipzig 1840, 388 f 51 Luthers Einzug in Leipzig 1519. Illustration zu Moritz Meurer: Luthers Leben aus Quellen erzählt. Dresden 1843. Lithographie nach einer Zeichnung von Ludwig Richter um 1843, 12,6 x 8, 15 cm (Luthers Leben in Illustrationen des 18. und 19. Jahrhunderts: Katalog der Ausstellung auf der Veste Coburg 1980/ hrsg. von Joachim Kruse; Minni Maedebach. Coburg 1980, Nr. 59.4) 52 Bilderbogen Gedenktafel an die dreihundertjährige Jubelfeier der Einführung der Reformation in Sachsen. Unbekannter Künstler (Verlag C. B. Polet Leipzig) 1839, Lithographie, 36,2 x 47,3 cm, Kunstsammlungen Veste Coburg (Luthers Leben in Illustrationen des 18. und 19. Jahrhunderts: Katalog der Ausstellung auf der Veste Coburg 1980/ hrsg. von Joachim Kruse; Minni Maedebach. Coburg 1980, Nr. 53 52 a Der Einzug der Disputanten 1519 (Detail aus 52) 53 Programm zum Reformationsjubiläum 1983 (Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inv.-Nr. 3892/29) 54 Das Marburger Religionsgespräch 1529. Holzschnitt aus Ludwig Rabus: Historien der heyligen außerwölten Gottes Zeugen, Bekenern vnd Martyrern. 5 Bde. Straßburg: Emmel, 1555/1556. Bd. 4, fol. 150r (Ex. Lutherhaus Wittenberg) 55 Die Leipziger Disputation 1519. Holzschnitt aus Ludwig Rabus: Historien der heyligen außerwölten Gottes Zeugen, Bekenern vnd Martyrern. 5 Bde. Straßburg: Emmel, 1555/1556. Bd. 4, fol. 43v (Ex. Lutherhaus Wittenberg) 56 Gedenktafel am Haus Hainstraße 16 in Leipzig (Foto: Armin Kohnle) 57 Das sibenhabtig pabsttier …, illustriertes Flugblatt gegen Papst und Ablass, 16. Jahrhundert
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Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
ABKG Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen ADB Allgemeine deutsche Biographie AKThG Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte Anm. Anmerkung ARG Archiv für Reformationsgeschichte Auflage Aufl. BBKL Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon Bd./Bde. Band/Bände bearb. bearbeitet Beih. Beiheft BHTh Beiträge zur Historischen Theologie Bl. Blatt BLUWiG Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte BSKG Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte BSLK Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche CC Corpus Catholicorum CR Corpus Reformatorum DDR Deutsche Demokratische Republik ders./dies. derselbe/dieselbe DNK/LWB Deutsches Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes DS Heinrich Denzinger: Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum … Ebd/ebd Ebenda/ebenda EBW Johannes Eck: Briefwechsel (Onlineversion) EKD Evangelische Kirche in Deutschland Ep. Epistola / Brief erg. ergänzt/ergänzte fol. Blatt HCh Herbergen der Christenheit hrsg. herausgegeben HTWK Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur HZ Historische Zeitschrift KGK Kritische Gesamtausgabe der Schriften und Briefe Andreas Bodensteins von Karlstadt Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung KLK LDStA Martin Luther: Lateinisch-Deutsche Studienausgabe LThK Lexikon für Theologie und Kirche LuJ Lutherjahrbuch 260
Abkürzungsverzeichnis
Luth./luth. Lutherisch/lutherisch LStA Martin Luther Studienausgabe masch. maschinenschriftlich MBW Melanchthons Briefwechsel: Regesten MBW T Melanchthons Briefwechsel: Texte NASG Neues Archiv für Sächsische Geschichte (und Alterthumskunde) ND Neudruck NDB Neue Deutsche Biographie ngw. nachgewiesen ÖR Ökumenische Rundschau RST Reformationsgeschichtliche Studien und Texte SHStA Sächsisches Hauptstaatsarchiv SuR Spätmittelalter und Reformation SVRG Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte Tl./Tle. Teil/Teile TRE Theologische Realenzyklopädie u. a. unter anderem / und anderswo / und anderen UA Universitätsarchiv UB Universitätsbibliothek VD 16 Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts VELKD Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands verb. verbesserte vgl. vergleiche WA Dr. Martin Luthers Werke: kritische Gesamtausgabe WA Br Dr. Martin Luthers Werke: kritische Gesamtausgabe. Briefwechsel WA TR Dr. Martin Luthers Werke: kritische Gesamtausgabe. Tischreden ZKG Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für Theologie und Kirche ZThK zusgest. zusammengestellt
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Personenregister
Personenregister
Abt, Bartholomäus (†1533) 98 Adolf von Anhalt, Bischof von Merseburg (1458-1526) 20. 31. 33-35. 114. 118-121. 162. 166 175. 177-179. 181-185. 207 f Agricola, Johann (1494-1566) 234 Albert, Felix Richard (1847-1925) 55-57 Albrecht, Herzog von Sachsen, der Beherzte (1443-1500) 65. 89. 90. 111 Albrecht IV. von Brandenburg, Erzbischof von Mainz (1490-1545) 32 Alexius, Freund Luthers (†1505) 221 Alfeld, Augustin von (um 1480 - um 1535) 166 Ambros, Paul 232 Ammann, Konrad 166 Apel, Nikolaus (†1537) 33 Appold, Kenneth G. 10 Arnold von Westfalen (†1480/1) 76 Arnolt, Thomas (ngw. 1504-1536) 98 August, Kurfürst von Sachsen (1526-1586) 10 Augustinus von Hippo (354-430) 135. 200 Aurifaber, Johannes (um 1519-1575) 197. 199 Baader, Franz von (1765-1841) 239 Badius, Josse (Jodokus) (1462-1535) 69-71 Baeck, Elias (gen. Heldenmuth) (1679-1747) 219 Baier, Ronny 32 Barbara von Polen, Herzogin von Sachsen (1478-1534) 90 Barge, Hermann 141. 164 Barnim IX., Herzog von Pommern (1501-1573) 38. 41. 223. 225 Barth, Ferdinand 247 f Basilius der Große (†379) 29 Bäumer, Remigius 192 Baumgartner (Dominikaner, 16. Jh.) 45 Bautz, Friedrich Wilhelm 31. 65
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Beck, Friedrich Lorenz 86 Beda, Noel (um 1470-1537) 71 Benedikt II., Papst (†685) 132 Benedikt XVI. 248 Benno, Bischof von Meißen (um 1010-1106) 122 Beringershain, Benedikt (†1526) 25 Beringershain, Heinrich (ngw. 1504-1532) 98 Bernhard Adelmann von Adelmannsfelden (1457/9-1523) 138. 162 Bernhardi, Bartholomaeus (1487-1551) 19. 127 Besserer, Georg (1544-1604) 15 Beyer, Michael 42. 201 Bietenholz, Peter G. 32 Biller, Josef 81 Blanckmeister, Franz (1858-1936) 33 Blaschke, Karlheinz 85. 87. 89. 93. 95. 175 Bodenstein, Andreas aus Karlstadt (1482-1541) 19. 21. 26. 28. 30. 32. 34-39. 41. 47. 63. 65. 67. 70. 72. 76. 116 f. 122. 127. 135-158. 164-167. 169. 199 f. 202 f. 211. 223. 227. 229. 233 Bollbuck, Harald 157 Boockmann, Hartmut 181 Borner, Caspar (um 1492-1547) 103 Bornkamm, Heinrich (1901-1977) 91. 107 Bos, Frans Tobias 58 Boulay, César-Egasse Du (um1610-1678) 71 Brandenstein, Siegismund von (16. Jh.) 180 Brandt, Reinhard 247 f Bräuer, Helmut 179 Brauner, Jo 205 Brecht, Martin 154. 164. 187. 209. 212 Brenz, Johannes (1499-1570) 234 Brieger, Theodor (1842-1915) 59. 62. 157 Brück, Gregor von (1485-1557) 198 Brumel, Antoine 37 Bubenheimer, Ulrich 136. 156 f
Personenregister
Bucer, Martin (1491-1551) 199. 234 Buchwald, Georg (1859-1947) 99. 107 Bünau, Günther von (†1518) 114. 177 Bünz, Enno 86. 90. 94. 96. 99. 101. 175. 179. 196 Burckard, Peter (ca. 1461-1526) 168 Burkhard, Franz (um 1490-1539) 14. 61. 149. 150 Burkhardt, Johannes 196. 206 Busche, Hermann von dem (1468-1534) 115 Cajetan, Thomas, Kardinal (1469-1534) 19. 30. 117. 189. 191 f. 221. 224 Capito, Wolfgang (1478-1541) 61. 147 Calov, Abraham (1612-1686) 11 f Caspar Vogt von Wierandt (um 1500-1560) 77 Caspar von Wessobrunn, Abt (16. Jh.) 167 Cellarius, Johannes (um 1496-1542) 61. 147. 211 Claji, Nicasius 19 Claus, Helmut 209 Clemen, Otto (1871-1946) 21. 25. 59. 61. 63. 65 f. 103. 109. 144. 154. 209. 211. 213 f Clemens VI., Papst (um 1290-1352) 189 Cochlaeus, Johannes (1479-1552) 198 Cordatus, Konrad (um 1480-1546) 198 f Cottin, Markus 95 f. 180 Cranach, Lukas d. Ä. (um 1475-1553) 234 Cyprian, Bischof von Karthago (um 200-258) 132. 191 Damerow, Matthäus (†1520) 105 Dannhauer, Johann Conrad (1603-1666) 11 Dau, William Herman Theodore (1864-1944) 56-58 Dehio, Georg (1850-1932) 225 Dibelius, Otto (1880-1967) 57 Dietrich, Markgraf von Meißen, der Bedrängte (1162-1221) 74 f. 78 Dingel, Irene 9. 19. 23 Döpmann, Hans-Dieter 239. 240 Döring, Detlef 175 Döring, Thomas 210 Dottainus, Georg (um 1467-1537) 105 Dungersheim, Hieronymus (1465-1540) 32. 105. 115. 217 Dura, Ulrike 99
Eck, Johannes (1486-1543) 9. 14-16. 19. 2123. 25. 28-30. 32. 34-43. 45-47. 55 f. 61. 63-67. 69-72. 76. 109. 116-122. 125-127. 129. 135-162. 165-168. 170172. 190-195. 197 f. 202 f. 211 f. 215. 218. 223. 225. 227. 234. 238 Edwards, Mark U. 210 f Ehlers, Joachim 86 Eichler, Ernst 93 Eid I., Bischof von Meißen (955-1015) 93 Eifler, Matthias 157 Einsiedel, Heinrichs Hildebrand von (1497-1557) 56 Eisermann, Falk 18. 210 Elisabeth von Bayern, Kurfürstin von Sachsen (1443-1484) 90 Emmerich, Wolfgang 95 Emser, Hieronymus (1478-1527) 62. 66. 202. 212-215 Enckenvoirt, Wilhelm III. (1464-1534) 122 Erasmus (Desiderius) von Rotterdam (1465-1536) 29. 44. 110 Erdmann, Johann Christoph (1733-1812) 19 Ernst, Kurfürst von Sachsen (1441-1486) 89 f. 111 Euagrios, Bischof von Antiochia (†392/93) 130 Eulenburg, Franz (1867-1943) 101 Faber Stapulensis, Jacobus (1450/55-1536) 29 Farge, James K. 71 Felipe, Donald 12 Fischer, Gerhard 98 Frauendienst, Matthias (†1530) 33 Fraustadt, Albert (1808-1883) 175 Freudenberger, Theobald 32. 105. 217 Friedberg, Emil (1837-1910) 104 Friedrich II., Kaiser (1194-1250) 74 Friedrich II., Kurfürst von Sachsen, der Sanftmütige (1412-1464) 90 Friedrich III., Kurfürst von Sachsen, der Weise (1463-1525) 32. 61. 71. 91. 100. 124. 136. 154-156. 166. 171 Friedrich IV., Markgraf von Meißen, der Streitbare (1370-1428) 86. 101 Friedrich, Johannes 243 Friedrichs, Hanns Joachim 205 Fröschel, Sebastian (1497-1570) 21. 25. 41. 62. 109. 143-145. 148. 208. 213
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Personenregister
Fuchs, Thomas 209 Fugger, Jakob (1459-1525) 159 Fuß, Wolfgang (1487-1551) 183 Gabriel von Eyb, Bischof von Eichstätt (1455-1535) 14. 116 f. 136. 162 Gelzer, Johann Heinrich 223 Genthe, Friedrich Wilhelm (1805-1866) 223 Georg, Herzog von Sachsen, der Bärtige, (1471-1539) 20 f. 25. 31 f. 34-36. 40. 45. 47. 64. 66. 69-71. 76. 89-92. 103. 106 f. 109 f. 112-124. 127. 137-139. 143. 147 f. 151. 165-169. 177 f. 183. 185. 198 f. 203. 207-209. 213-216. 218. 222-225. 233 f Georg I. Podiebrad, König von Böhmen (1420-1471) 90. 109. 216 Georg III. von Anhalt-Dessau, der Gottselige (1507-1553) 184 Georg von Breitenbach (erw. 1501-1539) 104 Gerber, Uwe 27 Gerste, Hans-Jörg 160 Gertewitz, Jakob 122 Geß, Felician (1861-1938) 69. 112. 214 Glühspieß, Philipp 61 Gornig, Antje Janina 97 Graber, Tom 101 Graf, Gerhard 82. 96. 100 Graf, Wilhelm 160 Gramaye, Thomas 70 Grane, Leif (1928-2000) 191 Graumann, Johann (Poliander) (1487-1541) 65. 69. 116 Gregor von Nazianz (330-390) 29 Gregor I., der Große, Papst (um 540-604) 29. 34. 128. 132 Grindhart, Marion 12 Groß, Reiner 85 Günther von Bünau zu Schkölen (1457/58-1519) 112 Guntram, Ralph 216 Gurlt, Ernst 44 Hamm, Berndt 206 Hampe, Johann Christoph 248 Hänsch, Ernst 87 Hartung, Birgit 100 Hase, Carl Alfred von 65
264
Hauer, Georg (um 1484-1536) 61. 149 f Haupt, Walther 95 Hedio, Caspar 234 Heinrich, Gerd 115 Heinrich I., fränkischer König (876-936) 73 Heinrich von Sachsen, der Fromme (1473-1541) 90. 92 Helbig, Herbert 41. 86. 115 Hennig, Johannes 105. 113. 118 Hennig, Matthäus (†1525) 33. 105. 115 Herbipolis, Martinus (16. Jh.) 45 Hering, Karl Wilhelm (1790-1871) 49. 51. 54 Hermann der Cherusker 226 Hermsdorff, Nikolaus von 112 f Hessus, Eobanus 115 Hieronymus (347-420) 129 f. 192 Hieronymus Dungersheim (1465-1540) 166 Hilarion, Metrolpolit von Wolokolamsk 246 Hitzschold, Matthäus 151 Hodel, Ruprecht (15./16. Jh.) 15 Holsing, Henrike 219. 225 Hoogstraten, Jakob von (um 1460-1527) 42. 61. 172 Hübner, Julius Benno (1806-1882) 224 Hundt, Magnus 105 Hus, Jan (1369-1415) 13. 22. 40. 46. 109. 114. 155. 193 f. 199. 225 f Huter, Hans (16. Jh.) 98 Ioannes Nicolas, Magister (16. Jh.) 71 Iserloh, Erwin (1915-1996) 159. 171. 191 Jacob, Frank-Dietrich 81 Jacobs, Eduard 62 Jadatz, Heiko 31. 41. 175 Jäkel, Ernst Theodor (19. Jh.) 227. 229 Jeremias II., Patriarch von Konstantinopel (1530/5-1595) 238 Joachim I., Kurfürst von Brandenburg (1484-1535) 115. 170 Johann, Kurfürst von Sachsen, der Beständige (1468-1532) 91 Johann, Herzog von Sachsen d. J. (1498– 1537) 25 Johann VII. von Schleinitz, Bischof von Meißen 124 Johann Georg II., Kurfürst von Sachsen (1613-1680) 80
Personenregister
Johann Sylvius (Egranus) (um 1480-1535) 116 Johannes Paul II., Papst (1920-2005) 243. 248 Jonas, Justus (1493-1555) 147. 234 Julius II., Papst (1443-1513) 217 Junghans, Helmar (1931-2010) 26. 30. 38. 90. 115. 137. 209. 248 Jürgensmeier, Friedhelm 90 Kahle, Wilhelm (1914-1997) 239 Kapp, Johann Erhard (1696-1756) 66 Karlstadt siehe Bodenstein, Andreas Karl von Miltitz (ca. 1490-1529) 167 Kasimir IV., König von Polen (1427-1492) 90 Kasper, Walter (Kardinal) 247 f Katharina von Mecklenburg, Herzogin von Sachsen (1487-1561) 90 Kaufmann, Thomas 194 Kawerau, Gustav (1847-1918) 218 Kaysers, Hans Henning 205 Keller, Katrin 85 Kessler, Richard C. 69 Kirn, Paul (1890-1965) 91 Klein, Thomas (1933-2001) 91 Knieper, Thomas 235 Knöfel, Anne-Simone 90 Kobuch, Manfred 86. 95. 175 Kochel, Johannes (16. Jh.) 144 f. 179 Köhler, Hans-Joachim 209 Kohnle, Armin 31. 38. 45. 124 König, Gustav (1808-1869) 223 f. 226 f. 233 Konrad I., Markgraf von Meißen, der Große (1098-1157) 74 Konstantin IV., oström. Kaiser (um 650-685) 132 Köstlin, Julius (1826-1902) 59. 62 Kötzschke, Rudolf (1867-1949) 85 Kretzschmar, Hellmut (1893-1965) 85 Krusche, Werner (1917-2009) 240 Kruse, Jens-Martin 187 Kruse, Joachim 219 Küas, Herbert (1900-1983) 73 Kundert, Ursula 12 Kunze, Jens 87 Kursawe, Alexandra 110 Kusche, Beate 101. 106
Landsberg, Martin 137. 139. 151 Lang, Johann (um 1486-1548) 67. 70. 127. 140-142. 147 Lang von Wellenburg, Matthäus, Erzbischof von Salzburg (1469-1540) 137 f Lange, Johann (Mediziner) (1485-1565) 44. 108. 152 f. 156 Lau, Franz (1907-1973) 25 Lauterbach, Anton (1502-1569) 197 Lehmann, Alexander 175 Leo X., Papst (1475-1521) 33. 112. 17 f Leppin, Volker 18. 188-190 Lessing, Carl Friedrich (1808-1880) 224. 226 Licht, Hugo (1841-1923) 79 Limor, Ora 9 Linck, Wenzeslaus (1483-1547) 117. 162 Löscher, Valentin Ernst (1672-1749) 47. 57. 62. 66. 209 Lotter, Hieronymus (1497-1580) 78 f. 83 Lotter, Melchior 29. 144 Lotter, Melchior (um 1490-1542) 26. 231 Lück, Heiner 87 Ludolphy, Ingetraut (1921-2014) 91. 109. 208 Ludwig II., Landgraf von Thüringen (1128-1172) 75 Lupinus, Petrus (†1521) 166. 200 Luther, Martin (1483-1546) 19. 21-25. 27. 29-31. 33-36. 38-42. 45-48. 54-56. 63-65. 67 f. 70 f. 76. 92. 104. 109. 114. 116. 118. 120. 122-125. 127132. 135-148. 152. 154-157. 160168. 171 f. 187-189. 191-198. 200203. 205-207. 209. 211 f. 214-219. 221-223. 225-227. 229. 231-234. 237 f. 242. 254 Lutz, Andreas 146 Maedebach, Minni 219 Magirius, Heinrich 96 Magnus II., Herzog zu Mecklenburg (1441-1503) 90 Magnus von Anhalt, Dompropst von Magdeburg (1455-1524) 177 Maier, Michael Maier, Michael 159 Mai, Hartmut 96. 97 Maler, Matthes (†1536) 66
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Personenregister
Margarethe von Münsterberg, Fürstin von Anhalt (1473-1530) 184 Marsch, Angelika 80 Marschalk, Nikolaus (um 1470-1525) 115 Marti, Hanspeter 10. 12 Mathesius, Johannes (1504-1565) 200 Mattstedt, Andreas (†1535) 98 Maul, Michael 37 Maximilian, Kaiser (1459-1519) 97 Maximos IV. Saigh 250 Mazzolini, Silvester (Prierias) (1456-1523) 188 Meindorn, Martin (†1538) 105 Melanchthon 144. 145 Melanchthon, Philipp (1497-1560) 21. 26. 41. 43. 56. 61. 146. 196. 201. 209. 211. 223. 229. 231. 234. 238 Mennichen, Gregor (†1537) 98 Metropolit Hilarion von Moskau 247 f Meurer, Moritz (1806-1877) 227. 229 Meyendorn, Martin (†1538) 115 Michail, Bischof von Astrachan 240 Miethke, Jürgen 188 Miltitz, Karl von (um 1490-1529) 114. 121 Moeller, Bernd 194. 206 Montanus, Johann Hessus (1486-1558) 211 Moraw, Peter 87 Morerod, Charles 189 Moritz, Herzog und Kurfürst von Sachsen (1521-1553) 77. 83 Mosellanus, Petrus (1493-1524) 20. 28 f. 61. 116. 201. 211 f Müller, Ernst (1894-1972) 98 f Müller, Georg (1850-1938) 54 Müller, Gerhard 209 Müller, Marion G. 235 Münnich, Fanny 106 Mutianus, Conradus (1470-1526) 115 Myconius, Friedrich (1490-1546) 234 Nieden, Marcel 10. 14 Noack, Thomas 78. 84 Oberman, Heiko A. (1930-2001) 163. 190 Oekolampad, Johannes (1482-1531) 44. 61. 212. 234 Ohme, Heinz 240 Opitz, Georg Emanuel (1775-1841) 224 Osiander, Andreas (um 1494-1552) 234
266
Ottheinrich, Kurfürst von der Pfalz (1502-1559) 81 Ott, Thomas 92 Otto I., Kaiser (912-973) 73 Otto, Markgraf von Meißen, der Reiche (1125-1190) 74. 93 Paul II., Papst (1417-1471) 110 Pauls VI., Papst (1897-1978) 248 Paulus, Nikolaus (1853-1930) 206 Penig, Peter siehe Sylvius, Petrus Peschke, Erhard (1907-1996) 32 Peter, Benedikt 190 Petrus Hispanus (†1277) 11. 13 Pettegree, Andrew 210 Pfennig, Johannes (†1506) 216 Pfister, Ulrich (1465-1530) 105 Pflug, Cäsar von (1450/55-1524) 118. 120. 151. 168. 178 Pflug, Julius von (1499-1564) 28. 61. 179 Philipp I., Landgraf von Hessen (1504-1567) 234 Pirckheimer, Willibald (1470-1530) 15. 44. 61. 138. 160. 166. 212 Pistoris, Christoph (16. Jh.) 158 Pistoris, Simon d.Ä (†1523) 98. 158 Pistoris, Simon d. J. (†1562) 36. 158 Poppe, Maximilian (1804-1877) 227 Posse, Otto 90 Preußer, Hans (ngw. 1518-1539) 98 Proles, Andreas (1429-1503) 110 f Pusch, Georg (16. Jh.) 112 Rab, Hermann (Dominikaner, †1534) 105. 166 Rabus, Ludwig (1523-1592) 232-234 Rachel, Walther 94 Rahner, Karl (1904-1984) 250 f Ranke, Leopold von (1795-1886) 222 f. 226 f Rau, Georg (1488-1548) 36 Reiffenstein, Wilhelm (um 1482-1538) 62 Repgen, Konrad 210 Rhagius, Johannes (Aesticampianus) (1460-1520) 116 Rhau-Grunenberg, Johann 140. 158 Richter, Franciscus de Heynigen (16. Jh.) 65 f. 69 Richter, Gregor 89
Personenregister
Richter, Ludwig (1803-1884) 227 Rogge, Jörg 85. 87 Roll, Christine 92 Rörer, Georg 136. 156 Rössling, Udo 232 Roth, Johann Michael (18. Jh.) 221 f Rothe, Wolf (†1539) 98 Rubius, Johannes (16. Jh.) 151. 213 f Rudersdorf, Manfred 175 Salvadori, Stefania 34. 157 Schäfer, Rolf 203 Scharfe, Martin 221. 226 Scheurl, Christoph (1481-1542) 160-162. 165 Schillebeeckx, Edward (1914-2009) 250 Schiller, Paulus (†1521) 105 Schilter, Johannes 28 Schindler, Wolfgang von Elbogen (Cubito) (†1538) 62 Schirmer, Uwe 89 f. 98 Schleinitz, Heinrich von (16. Jh.) 112 Schmaltz, Moritz Ferdinand (1785-1860) 54 Schneider, Joachim 86 Schönberg, Nikolaus von (1472-1537) 112 Schubert, Anselm 27. 59 f. 167-169. 196 Schulherr, Johannes Ulrich (16. Jh.) 144. 168 Schulte, Aloysn (1857-1941) 72 Schulze, Manfred 160 Schwarz, Reinhard 168 Schwenck, Lorenz 144 Schwoffheim, Paul (†1539) 105 Seidemann, Johann Karl (1807-1879) 30. 32. 48 f. 51. 53 f. 56 f. 60. 117. 137. 169. 209. 227 Seifert, Arno 160 Seifert, Friedrich 145 Seitz, Karl (19. Jh.) 58 Seitz, Otto Reinhold (1864-1966) 58. 60. 62. 68. 72 Selge, Kurt-Victor 19. 26. 30. 35. 45. 59 f. 162. 169. 187. 191. 213. 215 Sembdner, Alexander 98 Sidonia von Podiebrad, Herzogin von Sachsen (1449-1510) 90. 110-112. 216 Sigismund, Kaiser (1368-1437) 86 Sigismund von Lindenau, Bischof von Merseburg (†1544) 185
Silvester, Papst (285-335) 34 f Smolinsky, Heribert 32. 91. 160. 188. 206. 209 Sólyom, Jenö 239 Sommerlad, Bernhard 98 Spalatin, Georg (1484-1545) 23. 55. 61. 127. 140. 142. 145. 154 f. 172 Spengler, Lazarus (1479-1534) 44. 212 Steinführer, Henning 82. 93 f. 96. 100. 106 Stephan, Bernd 91 Straube, Manfred 97-99 Streich, Brigitte 87. 89 Sudhoff, Karl (1853-1938) 104 Svenshon, Helge 78 Sylvius, Petrus = Peter Penig (um 1470-1536) 206 Tavuzzi, Michael 189 Tengler, Christoph 146 Tetzel, Johannes (1465-1519) 32. 105. 164. 166. 227. 229 Tewes, Götz-Rüdiger 177 Thietmar von Merseburg (975-1018) 93 Thilo von Trotha, Bischof von Merseburg (1443-1514) 115 Thümmel, Hans (ngw. 1519-1532) 98 Tierney, Brian 188 Timiades, Emilianos 251 Traininger, Anita 14 f Trutfetter, Jodocus (um 1460-1519) 166 Turrecremata, Johannes de 188 Vasile Coman, Bischof von Oradea 240 Vogel, Johann Jacob (1660-1729) 74. 227 Vogel, Lothar 188 Voigt, Georg (1827-1891) 83 Volkmar, Christoph 31. 89-92. 110 f. 122. 166. 177. 179. 192. 208. 210 f Vossler, Otto (1902-1987) 91. 216 Waardenburg, Jacques 9 Wagner, Valentin 239 Waibel, Heinz (ngw. 1513-1532) 98 Walch, Johann Georg (1693-1775) 47 f. 57 Waldau, Georg Ernst (1745-1817) 66 Walther, Hans 93 Walther, Helmut G. 100 Wartenberg, Günther (1943-2007) 92. 114 Weber, Friedrich 249
267
Personenregister
Weier, Reinhold 212 Weithaas, Heinz 75. 82 f Wejer, Olga 9. 13 Wejwoda, Marek 104 f Wellenburg, Matthäus Lang von 137 Werl, Elisabeth (1898-1983) 31. 110. 216 Westermann, Ekkehard 99 Westphalen, Thomas 99 Wiclif, John (um 1330-1381) 22. 114 Wiedebach, Georg von (†1524) 64. 66. 145 Wiedemann, Theodor (1823-1901) 56. 159 Wiedemann, Veit (†1527) 98 Wiessner, Heinz 95 Wilhelm II. von Meißen, der Reiche (1371-1425) 101 Wimpina (Koch), Konrad (1460-1531) 106 Winkles, Henry (1801-1860) 224 Winter, Christian 146
268
Winter, Friedrich 5 Wöstefeldes, Arnold von Lindau (14771540) 67. 103. 145 Wohlfeil, Rainer 209 Wurm, Johann Peter 63. 159-170 Wustmann, Gustav (1844-1910) 75. 93 Zack, Johann (16. Jh.) 62. 217 Zeeden, Ernst Walter 32 Zehmen, Adolf von (16. Jh.) 183 Zerbe, Doreen 26 Ziegler, Walter 92 Zinngießer, Johannes, Propst von Polling (1499-1523) 167 Zorzin, Alejandro 136. 157 Zschoch, Hellmut 187 Zumpe, Johannes Theodor (1819-1864) 224 Zwingli, Huldich (1484-1531) 200. 234
Ingolf U. Dalferth God first Die reformatorische Revolution der christlichen Denkungsart 304 Seiten | Paperback | 14 x 21 cm ISBN 978-3-374-05652-1 EUR 28,00 [D]
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Ulrich H. J. Körtner Luthers Provokation für die Gegenwart Christsein – Bibel – Politik 176 Seiten | Paperback | 14 x 21 cm ISBN 978-3-374-05700-9 EUR 25,00 [D]
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Armin Kohnle Martin Luther Reformator, Ketzer, Ehemann 224 Seiten | Hardcover | 21 x 28 cm mit zahlr. Abb. ISBN 978-3-374-04107-7 EUR 29,95 [D]
Martin Luther ist eine Gestalt der Weltgeschichte. Das heraufziehende Refor mationsjubiläum des Jahres 2017 hat Luther wieder stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rücken lassen. Dies gilt für Verehrer und Kritiker des Reformators gleichermaßen. Wer sich auf Luther einlässt, muss Gegensätze aus halten. Das vorliegende Buch ist der Versuch, Luther einem breiteren Publikum aus kirchenhistorischer Perspektive nahezubringen. Unreflektierte Bewunderung und bloße Ablehnung sind dabei gleichermaßen schädlich. Wer Luther verstehen will, muss sich auf seine vielschichtige Persönlichkeit ebenso einlassen wie auf seine Theologie. Biographie und Theologie produktiv zusammenzubringen, ist ein Anliegen dieses Buches. Luthers Theologie trägt bis heute, anderes ist zeitbedingt und damit obso let. Bleibendes und Überholtes zu unterscheiden, vor allem aber Luther als einen Menschen des 16. Jahrhunderts in seinem Kontext zu betrachten, sind weitere Ziele dieses reich illustrierten Bandes.
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Irene Dingel | Armin Kohnle Stefan Rhein Ernst-Joachim Waschke (Hrsg.) Initia Reformationis Wittenberg und die frühe Reformation Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie (LStRLO) | 33 448 Seiten | Hardcover | 15,5 x 23 cm ISBN 978-3-374-05140-3 EUR 68,00 [D]
Das Reformationsjubiläum lenkt den Blick nicht nur auf Martin Luther als Person, Universitätsprofessor, Theologe und Prediger, sondern auch auf die Bedingungen, die sein Wirken ermöglichten, sowie auf das Umfeld, in dem er agierte. Dafür sind die Anfänge der Reformation und der Ort der »Initia Reformationis«, Wittenberg, von besonderem Interesse. Die in diesem Band versammelten Beiträge widmen sich den Kontexten, den entwicklungsgeschichtlichen Bedingungen sowie den durch die frühe Reformation freigesetzten Impulsen und deren – langfristiger – Wirkung. Die übergreifenden politischen, theologischen, frömmigkeits- und me diengeschichtlichen Bedingungen kommen ebenso zur Sprache wie das Leben in der Stadt und der Universität Wittenberg als Mikrokosmos der frühen Reforma tion.
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