Die Implementation der Reformation in Braunschweig (1528–1599) [1 ed.]
 9783737013536, 9783847113539

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Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens

Band 53

In Verbindung mit Birgit Hoffmann, Thomas Kück, Inge Mager und Mareike Rake herausgegeben von Hans Otte

Malte de Vries

Die Implementation der Reformation in Braunschweig (1528–1599)

Mit 15 Abbildungen

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte. © 2021 V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Titelblatt der Braunschweiger Kirchenordnung von 1528. © Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: Gn 1782 Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 0938-5924 ISBN 978-3-7370-1353-6

Inhalt

Vorwort und Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Stadt und Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Reformation in Braunschweig . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Verwendete Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Die Reformation bis 1528 im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Braunschweiger Kirchen- und Verfassungsstruktur um 1520 . 1.5.2 Die Reformation und ihre Ereignisse bis 1528 . . . . . . . . . 1.5.3 Bugenhagen und die Einführung der Kirchenordnung . . . . 1.6 Die Kirchenpolitische Entwicklung Braunschweigs bis 1599 . . . .

11 11 17 17 23 27 31 35 35 43 51 55

2. Änderungen auf Ökonomie- und Verfassungsebene 1528–1599 . . 2.1 Konstituierung neuer Institutionen 1528–1599 . . . . . . . . . 2.1.1 Der Rat als neuer »Summus Episcopus« . . . . . . . . . . 2.1.2 Der Schatzkasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Der Armenkasten und das Diakonatsamt . . . . . . . . . 2.1.4 Die Kurrende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Das Geistliche Ministerium . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5.1 Entstehung und Konstituierung . . . . . . . . . . . 2.1.5.2 Zuständigkeit und Einfluss . . . . . . . . . . . . . 2.1.5.3 Die Ministerialbibliothek . . . . . . . . . . . . . . 2.1.6 Vom Offizialsgericht zum Konsistorium . . . . . . . . . . 2.1.7 Umgestaltung der Lateinschulen . . . . . . . . . . . . . . 2.1.8 Einrichtung lutherischer Mädchenschulen . . . . . . . . . 2.1.9 Besoldung, Wohnung und Rechtslage von Predigern und deren Witwen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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65 65 65 70 76 87 94 95 102 110 115 127 134

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138

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6

Inhalt

2.1.9.1 Besoldung und Wohnung der Prediger . . . . . . . . . 2.1.9.2 Besoldung von Koadjutor und Superintendent . . . . 2.1.9.3 Versorgung kranker und altersschwacher Prediger . . 2.1.9.4 Versorgung der Pfarrwitwen . . . . . . . . . . . . . . 2.1.9.5 Bürgerschaft, Schoßpflicht und Rechtslage der Geistlichen nach 1528 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Auflösung und Umgestaltung altkirchlicher Institutionen bis 1599 . 2.2.1 Benediktinerkloster St. Ägidien . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Zisterzienserinnenkloster St. Crucis . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Die Mendikantenklöster der Dominikaner und Franziskaner . 2.2.4 Die Kollegiatstifte St. Blasius und St. Cyriacus . . . . . . . . . 2.2.5 Ordensniederlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Hospitäler und Beginenhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.7 Bruderschaften und Kalande . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.8 Vikarien und Memorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.8.1 Von der Vikarie zum Stipendium . . . . . . . . . . . . 2.2.8.2 Memorien und Feste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.9 Umgang mit der Kirchenausstattung . . . . . . . . . . . . . . 2.2.9.1 Bilder, Figuren und Messaltäre . . . . . . . . . . . . . 2.2.9.2 »Vasa sacra« und »vasa non sacra« . . . . . . . . . . . 2.2.9.3 Reliquien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.9.4 Messgewänder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Jus Patronatus und Vokationsprozedere . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die fürstlichen Stadtpfarreien 1528–1569 . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die fürstlichen Stadtpfarreien 1569–1599 . . . . . . . . . . . 2.3.3 Der Sonderfall St. Petri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Das Prozedere der Vokation und Ordination . . . . . . . . . 2.3.5 Die Wahl der Kirchen- und Schuldiener . . . . . . . . . . . . 2.3.6 Die Wahl von Koadjutor und Superintendent . . . . . . . . . 2.3.7 Entsetzung von Predigern und Kirchendienern . . . . . . . . 2.4 Reformation des städtischen Landgebietes . . . . . . . . . . . . . . 3. Personen und Ämter im Spannungsfeld 1528–1599 . . . . 3.1 Lutherische Pfarrer und Schuldiener . . . . . . . . . . 3.1.1 Die lutherischen Prediger . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Prediger und ihr medialer Einfluss: Geistliche als publizistische Akteure . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Die lutherischen Schuldiener . . . . . . . . . . . 3.1.4 Die Stipendiaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Kastenherren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139 145 146 148 152 158 160 167 177 191 203 208 215 224 224 233 237 238 245 248 250 257 257 265 271 277 292 295 300 311

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321 321 321

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332 336 339 342

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7

Inhalt

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349 354 356 363 373 374 385 397 405 408

4. Die reformatorischen Ideale im Diskurs 1528–1599 . . . . . . . . . . 4.1 Stadt und Landesherr: Streit um das Summepiskopat . . . . . . . 4.2 Stadtgemeinde und Konfessionsbekenntnis . . . . . . . . . . . . 4.3 Das Corpus Christianum und die »Judenfrage« . . . . . . . . . . 4.4 Predigten und Liturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Sünden- und Strafzucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Geistliche Sündenzucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Weltliche Strafzucht nach 1528 . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Verlobung und protestantisches Eherecht . . . . . . . . . . . . . 4.7 Ehe, Kloster und Erziehung: Reformation und Geschlechterrollen 4.8 Bettel und Almosen: Wer ist »bedürftig«? . . . . . . . . . . . . . 4.9 Der letzte große Kirchenstreit (1596–1599) . . . . . . . . . . . . .

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411 411 425 431 442 451 451 468 474 484 493 504

5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Implementation der Reformation in Braunschweig . . . . . . . . . 5.2 Ausblick: Einordnung der Ergebnisse im Hinblick auf andere Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

517 517

6. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Tabellen und Grafiken . . . . . . . . 6.2 Abgedruckte Quellen . . . . . . . . . 6.3 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . 6.4 Quellen- und Literaturverzeichnis . 6.4.1 Ungedruckte Quellen . . . . . 6.4.2 Gedruckte und edierte Quellen 6.4.3 Literatur . . . . . . . . . . . .

535 535 554 564 565 565 567 572

3.3 Die Armenkastenherren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Innerprotestantische Devianz . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Lutherische Konsolidierungsphase (1528–1535) . . 3.4.2 Die Zeit der lutherischen Orthodoxie (1535–1599) 3.5 Altgläubige nach 1528 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Altgläubige Laien, Ratsherren und Kanoniker . . . 3.5.2 Das Schicksal der Mönche und Nonnen . . . . . . 3.5.3 Die Vikare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.4 Die Pfarrherren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Rückkehr verbannter Lutheraner . . . . . . . . . . . . .

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528

Vorwort und Danksagung

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine für die Drucklegung überarbeitete Fassung meiner 2020 bei der Georg-August-Universität Göttingen eingereichten Dissertation. Im Zuge des Promotionsprozesses und der Drucklegung habe ich von vielen Seiten große Unterstützung erfahren. Danken möchte ich an dieser Stelle zunächst meinem Erstbetreuer Prof. Dr. Arnd Reitemeier vom Institut für Historische Landesforschung Göttingen sowie meinem Zweitbetreuer Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Kaufmann von der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen für ihre hilfreiche und äußerst engagierte Betreuung. Mein besonderer Dank gebührt darüber hinaus auch Dr. Henning Steinführer vom Stadtarchiv Braunschweig, auf dessen Anregung die Fragestellung dieser Arbeit überhaupt erst entstanden ist. Während der täglichen Arbeit habe ich im Institut für Historische Landesforschung immer wieder wertvolle Anregungen und Literaturhinweise erhalten. Besonders danken möchte ich an dieser Stelle meinem Bürokollegen Uwe Ohainski sowie Dr. Niels Petersen. Hinsichtlich der Korrekturarbeiten danke ich Mareike Beulshausen, Benjamin Sasse und Jonas Goltz. Dem Evangelischen Studienwerk Villigst bin ich für seine finanzielle Unterstützung ebenfalls zu großem Dank verpflichtet. Durch das großzügige Stipendium konnte die Arbeit rasch und dennoch ohne zeitlichen Druck beendet werden. Schließlich sei der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte gedankt, die meine Arbeit in ihre Reihe aufgenommen und die Drucklegung finanziell unterstützt hat. Meiner Mutter Kala de Vries, die mich beim Entstehungsprozess immer unterstützt hat und meinem 2016 leider viel zu früh verstorbenen Vater Erwin de Vries ist diese Arbeit gewidmet. Göttingen, Mai 2021

Malte de Vries

1.

Einleitung

1.1

Fragestellung

Dass die Festigung der (städtischen) Reformation ein bisweilen langwieriger Prozess war, ist in der Forschung bereits früh erkannt worden. So betonte Schilling 1979: »Die Sozialgeschichte der Reformation muß auch im Falle Braunschweigs eingebettet sein in die Analyse eines übergreifenden Zeitraums von etwa anderthalb Jahrhunderten.«1 Doch nicht nur aus sozial-, sondern auch aus wirtschafts- und verfassungsgeschichtlicher Perspektive stellt die Reformation mit ihren Folgen ein längerfristiges Ereignis dar. Bislang wurde auf diesen Sachverhalt zu wenig hingewiesen: Meist enden stadtreformatorische Untersuchungen bei der Verabschiedung einer Kirchenordnung (KO) oder kurz darauf. Fraglos wurde mit der Etablierung einer Kirchenordnung ein großer Schritt in Richtung einer verfassungsgemäßen Neugestaltung des Kirchenwesens getan. Gemäß Paulus (1. Kor. 14,33 u. 14,40) hatte man damit das Kirchenwesen in einen gottgefälligen Zustand der Ordnung überführt.2 Folglich galt auch das kanonische Recht in vielen Aspekten als abgeschafft. In diese entstehende Lücke mussten zunächst die frühen Kirchenordnungen treten, bevor sie auf dogmatischer Ebene u. a. durch die Confessio Augustana, dann das entsprechende Cor1 Schilling, Heinz: Die politische Elite nordwestdeutscher Städte in den religiösen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts, in: Mommsen, Wolfgang u. a. (Hrsgg.): Stadtbürgertum und Adel in der Reformation. Studien zur Sozialgeschichte der Reformation in England und Deutschland, Stuttgart 1979 (= Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 5), S. 235–308, hier S. 259. Zu einem ähnlichen Schluss kommt Körber im Allgemeinen, wenn sie bemerkt, dass die »gesellschaftliche Durchsetzung reformatorischer Normen […] oft noch Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte« andauerte. Vgl. Körber, Esther-Beate: Die Reformation im Ostseeraum als Kommunikations- und Verkehrsereignis, in: NOA N. F. 13 (2004), S. 15–44, hier S. 38. 2 Vgl. Arend, Sabine: »Lassets alles züchtiglich vnd ordentlich zugehen«. Vorstellungen von »guter Ordnung« in den evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, in: Dingel, Irene; Kohnle, Armin (Hrsgg): Gute Ordnung. Ordnungsmodelle und Ordnungsvorstellungen in der Reformationszeit, Leipzig 2014 (= Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, 25), S. 31–48, hier S. 33.

12

Einleitung

pus Doctrinae (CD) und schließlich die Konkordienformel ergänzt wurden. Mit Rückbezug auf Karl Barth kam Sprengler-Ruppenthal daher verkürzt zu der Formel »Kirchenordnung = Kirchenrecht«.3 Entsprechend der normativen Relevanz solcher Ordnungen wurde die städtische Reformation daher in der Forschung zumeist mit Verabschiedung einer KO als beendet angesehen.4 Dieser Definition zufolge wird unter »Reformation« im städtischen Kontext künftig auch nur jener Prozess verstanden, der bis zur Einführung der KO – oder ähnlicher rechtlicher Bestimmungen – eine lutherische Stadtkirche etablierte. Die langfristige Durchsetzung und Festigung dieser fraglos noch regelungsbedürftigen Verhältnisse wird mit Landwehr als »Implementation« bezeichnet.5 Eben jene langfristige Implementation der Reformation hat bis heute indessen nur wenig Beachtung erfahren. Obgleich die Darstellungen zur Stadtreformation gemäß obiger Definition meist mit Annahme der KO – oder sogar davor6 – enden, ist zu wenig darauf hingewiesen worden, dass diese KOO keineswegs juristisch fundierte Grundgesetze darstellten. Sie waren vielfach nicht von Juristen, sondern von Theologen (Aepin, Brenz, Bucer, Bugenhagen, Rhegius, etc.) erstellt worden7 – überwiegend nahezu in Einzelarbeit und in kürzester Zeit. 3 Sprengler-Ruppenthal, Anneliese: Bugenhagen und das protestantische Kirchenrecht, in: Heckel, Martin (Hrsg.): Anneliese Sprengler-Ruppenthal. Gesammelte Aufsätze. Zu den Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Tübingen 2004 (= Ius ecclesiasticum. Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht, 74), S. 122–152, S. 122. Sicherlich ist diese Formel – wenn auch im Kern zutreffend – etwas knapp formuliert. Passender wäre wohl die Aussage: Die Kirchenordnung ist ein zentraler Teil des jeweiligen Kirchenrechts. 4 Nach Pabst war der »Abschluss« einer Stadtreformation bereits durch »eine Kirchenordnung« hergestellt, die damit »ein eigenständiges Kirchenwesen« bewirkte. Vgl. Pabst, Martin: Die Typologisierbarkeit von Städtereformation und die Stadt Riga als Beispiel, Frankfurt a.M. 2015 (= Kieler Werkstücke, G 7), S. 38. 5 Vgl. Landwehr, Achim: Policey im Alltag. Die Implementation frühneuzeitlicher Policeyordnungen in Leonberg, Frankfurt a.M. 2000 (= Studien zu Policey und Policeywissenschaft, [8]), S. 4ff u. S. 33; zur Weiterentwicklung des Begriffs vgl. Staudenmaier, Johannes: Zur Implementation frühneuzeitlicher Handwerksordnungen. Das Beispiel der Bamberger Hafnerordnung von 1582, in: Häberlein, Mark; u. a. (Hrsgg.): Bamberg in der Frühen Neuzeit. Neue Beiträge zur Geschichte von Stadt und Hochstift, Bamberg 2008 (= Bamberger historische Studien, 1), S. 49–76, hier S. 54. Staudemaier geht demnach davon aus, dass die »Normimplementation zwei Bestandteile hat, nämlich zunächst die Normgebung durch Ordnungen, Mandate und Reskripte und darauf folgend die Normanwendung durch Kontrolle und Sanktionierung.« 6 Vgl. z. B. Gößner, Andreas: Weltliche Kirchenhoheit und reichsstädtische Reformation. Die Augsburger Ratspolitik des »milten und mitleren weges« 1520–1534, Berlin 1999 (= Colloquia Augustana, 11); Postel, Reiner: Die Reformation in Hamburg: 1517–1528, Gütersloh 1986 (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 52). 7 Freilich gab es auch hier Ausnahmen, wie z. B. die KO Rostocks (1531), die vermutlich durch den Syndikus Oldendorp erstellt wurde. Vgl. Schoß, C. W. Huismann: Das evangelische Geistliche Ministerium im 16. Jahrhundert. Eine Untersuchung norddeutscher Stadtministerien unter Einbeziehung des Predigerministeriums in Frankfurt am Main und des Geistlichen Ministeriums in Regensburg, Diss., Heidelberg 1983, S. 137.

Fragestellung

13

Hinzu kam, dass die Theologen zumeist mit den örtlichen Verhältnissen nur bedingt vertraut waren. Ohnehin schien es ein äußerst ambitioniertes Unterfangen zu sein, eine neuartige lutherische Kirchenverfassung8 zu erstellen und diese ad hoc in eine schriftliche KO zu überführen. Es ist daher nicht erstaunlich, dass viele Ordnungen rasch wieder revidiert,9 ergänzt oder vollständig ersetzt worden sind und bisweilen nur in geringem Maße Anwendung fanden.10 Gegenüber den weltlich-strukturierenden Artikeln der Ordnungen (Administranda) machten die agendarischen und dogmatischen Abschnitte (Agenda/Credenda) üblicherweise den weitaus größeren Anteil aus: »Dass in der Mehrheit Theologen die maßgeblichen Autoren der Kirchenordnungen gewesen sind, hat dazu geführt, dass die Kirchenordnungen sich als Lehrdokumente ausweisen.«11 Auch Bugenhagens »Kirchenverfassung« war damit »mehr der Predigt verwandt als dem Gesetz.«12 In dieser Hinsicht stellten die frühen Kirchenordnungen also zunächst einmal Glaubensbekenntnisse der jeweiligen Städte – und Territorien – dar. Der Fokus lag auf der Festigung von Dogmatik und Liturgie, weniger auf Struktur und Aufbau der neuen (Kirchen-)verfassung.13 Diese wurde vorerst meist nur sehr grob umrissen, obgleich gerade hier faktisch sehr tiefe Eingriffe stattfanden.14 Eine inhaltliche Ausgestaltung und praktische Differenzierung der in der KO beschriebenen Artikel blieb damit den künftigen Politikern und Theologen vorbehalten. So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass die Kirchenordnungen – ähnlich wie auch Policeyordnungen dieser Zeit – nur bedingt die nachfolgende Lebenswelt und »Realität« widerspiegeln. Zudem war die Im8 Unter dem Begriff »Kirchenverfassung« soll künftig sowohl die institutionelle als auch die normativ- und gewohnheitsrechtliche Ausgestaltung der kirchlichen Aufgabenbereiche verstanden werden. 9 Revidiert wurden z. B. die Ordnungen Goslars und Mindens. Zu Minden vgl. Sehling, Emil (Begr.), Arend, Sabine (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Einundzwanzigster Band: Nordrhein-Westfalen I, Tübingen 2015, S. 111. 10 So etwa in Lübeck, Bremen und Osnabrück. Vgl. zu Osnabrück: Sehling, Emil (Begr.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 7: Niedersachsen. II. Hälfte: Die außerwelfischen Lande. I. Halbband, Tübingen 1963, S. 242. 11 Nawar, Alexander: Ordinationsliturgie und Amtsverständnis zwischen Beauftragung und Sakrament. Zu den Gottesdiensttraditionen evangelisch-lutherischer Landeskirchen, Regensburg 2014, S. 74 12 Lorentzen, Tim: Johannes Bugenhagen als Reformator der öffentlichen Fürsorge, Tübingen 2008 (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 44), S. 33. 13 Die Calenberger KO von 1542 kommt z. B. vollständig mit einem agendarischen Teil aus. Ein administrativer Aspekt fehlt hier vollständig. Vgl. Sehling, Emil (Begr.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 6: Niedersachsen. I. Hälfte: Die Welfischen Lande. II. Halbband, Tübingen 1957, S. 703: »Die KO regelte nur Lehre, Katechismus und Zeremonien; daher waren weitere Ordnungen notwendig […].« 14 Eine Ausnahme bildet das oft sehr präzise geregelte Schulwesen, insbesondere bei den Ordnungen Rhegius’. Im Vergleich zu anderen Reformatoren behandelt Bugenhagen in seinen KOO die weltlichen Verfassungsänderungen (Schulwesen- und Armenwesen, Besoldung, Kasten, Pfarrwahl) sogar verhältnismäßig umfangreich.

14

Einleitung

plementation solcher Ordnungen zumeist ein »reziproker Vorgang« zwischen Normgeber und Normempfänger und musste im künftigen Vollzug noch ausgehandelt werden.15 Dies lässt sich mit den Worten Monhaupts auf den Punkt bringen: »Es gehörte zur Eigenart dieser und ähnlicher Rezesse und Ordnungen, daß sie zumeist nur eine grundsätzliche Regelung für die neu zu gestaltende Materie boten, ohne für alle Fälle zweifelsfreie Bestimmungen zu schaffen. Erst in der Praxis entzündete sich sodann der Streit an mehrdeutigen Bestimmungen oder ungeregelten Fragen […].«16 Für ländliche Territorien wurde die langfristige Durchsetzung der Reformation bereits untersucht,17 gleiches gilt zudem für jene Städte, in denen sich konfessionelle Konflikte abspielten – verwiesen sei hier z. B. auf die ausführliche Arbeit Kipps zur Landstadt Wesel,18 die tiefgreifenden Untersuchungen zum bikonfessionellen bzw. paritätischen Augsburg,19 zu Biberach,20 Alzey,21 Opp-

15 Landwehr, Achim: »Normdurchsetzung« in der Frühen Neuzeit? Kritik eines Begriffs, in: ZfG 48,2 (2000), S. 146–162, hier S. 153. Vertiefend hierzu vgl. ders.: Impelentation, S. 4ff. Auch: Plath, Christian: Die städtischen Verordnungen Hildesheims im 17. und 18. Jahrhundert, in: NdSächsJb 73 (2001), S. 295–350. 16 Monhaupt, Heinz: Stadtverfassung und Verfassungsentwicklung, in: Denecke, Dietrich; Kühn, Helga-Maria (Hrsgg.): Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt. Von den Anfängen bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, Bd. 1, Göttingen 1987, S. 228–259, hier S. 259. Die Aussage bezieht sich auf den Göttinger Rezess von 1611, lässt sich aber auch problemlos auf die Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts übertragen. 17 Für Norddeutschland bietet hierzu Reitemeier den aktuellsten Überblick: Reitemeier, Arnd: »…rechte erkanntnus, anruffung und dienst gottes« – Zur Implementation der Reformation in Norddeutschland, in: Salzgitter Jahrbuch 32 (2017), S. 7–18. Ausführlicher ders.: Reformation in Norddeutschland. Gottvertrauen zwischen Fürstenherrschaft und Teufelsfurcht, Göttingen 2017. Zum Hochstift Hildesheim, wenngleich eher eine Zustands- denn Entwicklungsbeschreibung, vgl. Dürr, Renate: Politische Kultur in der Frühen Neuzeit. Kirchenräume in Hildesheimer Stadt- und Landgemeinden 1550–1750, Göttingen 2006. 18 Vgl. Kipp, Herbert: »Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes«. Landständische Reformation und Rats-Konfessionalisierung in Wesel (1520–1600), Bielefeld 2004 (= Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar, 12). 19 Für Augsburg sind insbesondere die zahlreichen Arbeiten von Eberhard Naujoks (zur paritätischen Verfassung) und Roecks (zur Parität) sowie jene von Warmbrunn (1548–1648) und François (1648–1803) zu nennen. Gerade letztere ist aufgrund ihrer guten Quellenbasis besonders herausragend, obgleich sie sich mit einem späteren Zeitraum befasst: François, Etienne: Die unsichtbare Grenze. Protestanten und Katholiken in Augsburg 1648–1806, Sigmaringen 1991 (= Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg, 33). Vgl. für die Zeit vor 1648: Warmbrunn, Paul: Zwei Konfessionen in einer Stadt. Das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in den paritätischen Reichsstädten Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkelsbühl von 1548 bis 1648, Wiesbaden 1983. 20 Vgl. Riotte, Andrea: Diese so oft beseufzte Parität. Biberach 1649–1825. Politik – Konfession – Alltag, Stuttgart 2017 (= Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, B 213). Zu den konfessionellen Verhältnissen vor 1648 vgl. Warmbrunn, Zwei Konfessionen.

Fragestellung

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enheim22 und Aachen23 sowie die zahlreichen Arbeiten Heinz Schillings (Lemgo, Emden, Dortmund, etc.). Das Interesse an der langfristigen Durchsetzung der Reformation nahm indes graduell ab, je weniger konfessionelle Differenzen sich in den entsprechenden Städten nachweisen ließen. So wurden mithin jene norddeutschen Städte, die von interkonfessionellen Streitigkeiten weitestgehend verschont blieben,24 selten über ihre unmittelbare Reformationszeit hinaus analysiert – ohnehin ließ man eine systematische Untersuchung der sich neu entwickelnden Kirchenverfassung als Ganzes meist unberücksichtigt. Fraglos wurden auch für die norddeutschen Städte seit dem 18. Jahrhundert umfangreiche Kirchengeschichten verfasst, die über den reformatorischen Umbruch weit hinausgingen. So geschehen z. B. für Lübeck (Starck/Hauschild/Jannsch), Goslar (Hölscher/Seven), Lüneburg (Bertram), Magdeburg (Brandt), Hildesheim (Lauenstein) oder Braunschweig (Rehtmeyer), doch weisen all diese Arbeiten einen durchweg chronikalischen Charakter auf und sind zudem stark auf die Konsolidierung der Konfession fokussiert (Interim, Corpus Doctrinae, Konkordienformel, etc.). Eingehende systematische Analysen des nachreformatorischen innerstädtischen Kirchenwesens im 16. Jahrhundert fehlen für sämtliche dieser Städte. Dies bezieht sich insbesondere auf eine systematische Erarbeitung der Kirchenverfassung in all ihren Einzelheiten: Ministerium, Konsistorium, Pfarre/Patronat, Armen- und Schatzkasten, Kurrenden, Ehewesen, Klöster/Stifte, Schulen, etc. sowie dem Schicksal der partizipierenden Personengruppen im Anschluss der Reformation (Pfarrer, Schuldiener, Prediger, Vikare, Mönche/ Nonnen, Kastenherren, Katholiken, etc.). Es wird daher ein Anliegen dieser Arbeit sein, die langfristige Durchsetzung einer Stadtreformation zu untersuchen, die ihre Konfession bis über das 16. Jahrhundert hinaus beibehalten und ihre grundlegende Kirchenverfassung somit nicht mehr geändert hat. Der Fokus liegt also nicht vornehmlich auf der sonst üblichen Untersuchung konfessioneller Entwicklungen, sondern auf der Umsetzung der protestantischen Reformvorstellungen im Stadtgefüge sowie deren langfristiger Ausgestaltung. Dabei soll die kontinuierliche Entwicklung im 21 Vgl. Heller-Karneth, Eva: Drei Konfessionen in einer Stadt. Zur Bedeutung des konfessionellen Faktors im Alzey des Anҫien Régime, Würzburg 1996 (= Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte, 60). 22 Vgl. Zschunke, Peter: Konfession und Alltag in Oppenheim. Beiträge zur Geschichte von Bevölkerung und Gesellschaft einer gemischtkonfessionellen Kleinstadt in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 1984 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 115). 23 Vgl. Kirchner, Thomas: Katholiken, Lutheraner und Reformierte in Aachen 1555–1618. Konfessionskulturen im Zusammenspiel, Tübingen 2015 (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 83). 24 Von solchen Streitigkeiten betroffen waren z. B. Emden, Bremen, Aachen und z. T. Lemgo und Hildesheim.

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Kirchenwesen einer Stadt nachvollzogen werden, die keine eklatanten Brüche in ihrem kirchlichen Ausgestaltungsprozess aufwies (wie z. B. Konfessionswechsel, Verfassungsumbruch, neue KO, etc.). Die normierte Ordnungsvorgabe der Kirchenordnung als Programmtext soll dem Praxisvollzug gegenübergestellt werden. Hierbei ist davon auszugehen, dass die Vorgaben der KO keinesfalls sämtlich aus dem »Nichts« geschaffen wurden und entsprechend auch nicht zwingend ein absolutes Novum darstellten. Einige Aspekte (z. B. Schul- und Armenwesen, Klosterverwaltung) waren schon vor 1528 im Umbruch – die KO führte diese Entwicklungen nur konsequent weiter. Um längere Diskurs- und Entwicklungsstränge also adäquat nachvollziehen zu können, wird die folgende Arbeit, wenn nötig, auch immer wieder auf jene Entwicklungen vor 1528 eingehen, die den Entstehungsprozess der KO beeinflusst haben (vgl. Kapitel 1.4). Die kirchenpolitischen Abläufe der innerlutherischen Konfessionalisierung, welche im Zuge des Interims, der innerlutherischen Streitigkeiten, der Lüneburger Artikel und des Konkordienwerkes stattfanden, treten somit in dieser Arbeit eher in den Hintergrund. Sie werden für Braunschweig zu Beginn der Untersuchung in einem chronologischen Kapitel skizziert und sind bisweilen natürlich – gerade bei der Untersuchung der konfessionellen Personengruppen – von Bedeutung, stehen aber nicht im Fokus der späteren Analyse. Stattdessen werden nach einem kurzen Abriss der Braunschweiger Reformationsgeschichte in einem ersten Schritt die nachreformatorischen Änderungen auf Ökonomieund Verfassungsebene analysiert (Kapitel 2). Hierzu zählen die Schaffung neuer sowie die Umgestaltung vorhandener Institutionen, ferner die Entwicklungen im Patronats- und Vokationsrecht. In einem zweiten Schritt sollen sodann jene Personen und Ämter untersucht werden, die im Anschluss an die Reformbemühungen eine besondere Rolle spielten – darunter z. B. die lutherischen Prediger, Kastenherren, Mönche/Nonnen und Vikare (Kapitel 3). Anschließend folgt in Kapitel 4 eine Darstellung derjenigen Aspekte, die im Anschluss an die Reformation im städtischen Diskurs ausgehandelt werden mussten. Die Untersuchung wird mit einem Fazit sowie einer kontextuellen Einordnung der Ergebnisse im Rahmen weiterer Städte abschließen. Die Arbeit möchte folglich die prozesshafte Entwicklung des reformatorischen Kirchenwesens in Braunschweig nach Einführung der KO untersuchen und damit auch die Konsolidierung des neuen Kirchenwesens zwischen 1528 und 1599 möglichst umfassend und systematisch herausarbeiten. Drei Hauptaspekte sollen dabei verstärkt Berücksichtigung finden: (1a.) Welche Probleme und Schwierigkeiten traten im Prozess der Reformationsdurchsetzung auf und wie wurden sie gelöst? (1b.) Wie wurden in diesem Zusammenhang all jene Aspekte im Alltag tatsächlich ausgestaltet, die Bugenhagen in seiner KO nur schematisch umrissen oder gar ausgelassen hatte (Ministerium, Kolloquium, Predigerwahl, Witwenversorgung, etc.)? (2.) Welche Rolle spielten Rat, Gemeinde, Geistlichkeit

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und Herzog im Gefüge des neuen Kirchenwesens und welche Personen hatten die neuen protestantischen Ämter inne (Kastenherr, Diakon, Prediger etc.)? (3.) Welche Diskurse begleiteten die Festigung des Braunschweiger Kirchenwesens im 16. Jahrhundert? Waren diese jeweils innovativ und entsprangen sie den protestantischen Reformvorstellungen oder griffen sie lediglich in Entwicklung begriffene Kontroversen auf und führten diese weiter? Darauf aufbauend wird schließlich die Frage zu beantworten sein, wie die Bugenhagische KO bis zum Ende der Stadtfreiheit (1671) in Geltung bleiben konnte, ohne revidiert oder gar ersetzt werden zu müssen.

1.2

Forschungsstand

1.2.1 Stadt und Reformation Bevor Quellenlage und Methodik der Arbeit nähere Betrachtung finden, soll an dieser Stelle zunächst ein knapper Überblick über die Forschungssituation zum Themenkomplex »Stadt und Reformation« sowie zur Braunschweiger Reformationsforschung erfolgen. Die auf Rüth basierende, etwas überspitzte Aussage von Isaiaz/Pohlig, dass der »Themenkomplex Stadt und Reformation« als »einer der besterforschten Bereiche der alteuropäischen Geschichte gelten« müsse, ist zugegebenermaßen einleuchtend, jedoch vielleicht ein wenig hoch gegriffen.25 Während etwa fraglos die reichsstädtische Reformation nahezu erschöpfend seit den 1960er Jahren untersucht worden ist, steht demgegenüber die landstädtische Reformationsforschung immer noch deutlich zurück, obgleich auch hier in den letzten drei Jahrzehnten wichtige Untersuchungen vorgelegt worden sind. Noch 1997 resümierte Merz, dass die Reformation der Reichsstädte zwar genügend untersucht worden sei, »die Entwicklung in den Landstädten aber lediglich ansatzweise, obwohl sehr viele Autoren betonen, daß es sich bei den untersuchten Reichsstädten nur um eine verschwindende Minderheit aller Städte handele.«26 Zwei Jahrzehnte später, im »Reformationsjahr 2017« wurden zwar zahlreiche Arbeiten 25 Isaiasz, Vera; Pohlig, Matthias: Perspektiven der Forschungsrichtung »Stadt und Religion«, in: Isaiasz, Vera; u. a. (Hrsgg.): Stadt und Religion in der frühen Neuzeit. Soziale Ordnungen und ihre Repräsentationen, Frankfurt a.M./New York 2007 (= Eigene und fremde Welten: Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel, 4), S. 9–32, hier S. 15. Gleiches sagt Rüth, Bernard: Reformation und Konfessionsbildung im städtischen Bereich. Perspektiven der Forschung, in: ZdSSfR 77 (1991), S. 197–282, hier S. 204. 26 Merz, Johannes: Landstädte und Reformation, in: Schindling, Anton; Ziegler, Walter (Hrsgg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 7, Münster 1997 (= Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 57), S. 107–135, hier S. 107.

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zur Reformation vorgelegt, neue bahnbrechende Untersuchungen hinsichtlich der städtischen Reformation waren allerdings kaum darunter. Pohlig stellt daher in seinem umfassenden Überblick zum Forschungskomplex Reformation (2017) ernüchtert fest, dass die städtische Reformationsforschung insgesamt seit der Jahrtausendwende »eingeschlafen zu sein« scheint.27 Tatsächlich lassen sich für die letzten zehn Jahre kaum größere Untersuchungen zur städtischen Reformation vorfinden, sieht man von wenigen Ausnahmen einmal ab.28 Dabei entwickelte sich die städtische Reformationsforschung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst zu einem äußerst produktiven Teilbereich der Reformationsforschung. Hierbei stand, ausgehend von Moellers »Reichsstadt und Reformation« (1962), vor allem noch die städtische Reformation und deren Beginn im Fokus, weniger die sich daran anschließenden Folgen.29 So spielten – wie etwa in der Moeller/Brady-Kontroverse – vornehmlich Fragen nach den maßgeblichen »Träger- und Führungsschichten« der Stadtreformation sowie deren Antriebsmotivation eine Rolle, die Moeller im »Corpus Christianum«,

27 Pohlig, Matthias: Jubiläumsliteratur? Zum Stand der Reformationsforschung im Jahr 2017, in: Zeitschrift für Historische Forschung 44 (2017), S. 213–274, hier S. 247. 28 Zu erwähnen ist hier u. a. der Ansatz von Pabst, ein durch Fragen gerastertes Typologisierungsverfahren städtischer Reformation zu entwickeln. Aufgrund der letztendlichen Vielzahl an Fragen ist dieser Ansatz aber doch nur bedingt zweckdienlich und führt schließlich zu jeweils singulären Einzelbeschreibungen der entsprechenden Städte. Vgl. Pabst, Typologisierbarkeit (2015). Zu Nordhausen vgl. Koch, Ernst: Geschichte der Reformation in der Reichsstadt Nordhausen am Harz, Nordhausen 2010 (= Schriftenreihe der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung, 21). Koch geht in seiner detaillierten Untersuchung auch über das Reformationsjahr 1524 bis zum Interim hinaus, bleibt nachfolgend dann jedoch überwiegend auf der politischen Betrachtungsebene. Zu Aachen vgl. Kirchner, Katholiken (2015) sowie zu Hessen: Seim, Matthias: Reformation und Stadtverfassung. Die inneren Auseinandersetzungen in den Städten der Landgrafschaft Hessen im frühen 16. Jahrhundert, Marburg 2017 (= Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag, 33). Letztere Arbeit behandelt die Städte aber wieder lediglich bis zur Reformation. Vgl. überdies die Arbeit Engels zur Reformation der Städte in Brandenburg: Engel, Felix: Stadt und Reformation in der Mark Brandenburg, Berlin 2020 (= Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, 24). Vgl. auch den zusammenfassenden Aufsatz: Engel, Felix: Die Reformation in den Städten der Mark Brandenburg, in: Göse, Frank (Hrsg.): Reformation in Brandenburg. Verlauf, Akteure, Deutungen, Berlin 2017 (= Schriften der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg, 8), S. 135–158. Zur Reformation Lüneburgs (bis 1535) vgl. die Arbeit von Cordes, Jan-Christian: Politik und Glaube. Die Reformation in der Hansestadt Lüneburg, Göttingen 2020 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 304). 29 Vgl. Moeller, Bernd: Reichsstadt und Reformation. Neue Ausgabe, Tübingen 2011. In diese Epoche fallen vor allem die frühen Arbeiten Moellers, Scribners (Köln), Bradys (Straßburg), Jahns (Frankfurt a.M.) etc. In jene Forschungsrichtung lassen sich auch die zeitlich späteren Arbeiten Postels (Hamburg), Müllers (Hannover) und Mörkes (Göttingen/Lüneburg/ Braunschweig) einordnen.

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Brady hingegen vor allem im »social movement« lokalisierte.30 Mittlerweile werden sowohl Moellers wie auch Bradys Argumente für notwendig erachtet, um städtische Reformationsprozesse adäquat zu erklären.31 Insofern hat die Kontroverse einen bis heute wichtigen Beitrag zum Verständnis der Komplexität stadtreformatorischer Prozesse geleistet.32 Zudem ließ sich bereits in den 1980er Jahren rückblickend zusammenfassen, dass die städtische Reformation ihre Triebfeder in der Gemeinde und nicht bei den Stadträten gefunden hat,33 was H. R. Schmidt 1990 nochmals eindrücklich bestätigte.34 In Anlehnung an Moeller konzentrierte sich die städtische Reformationsforschung geografisch zunächst überwiegend auf den süddeutschen Raum und dort insbesondere auf die Reichsstädte, während man den nördlichen Landstädten wenig Beachtung schenkte. Dies änderte sich seit den 1970/80er Jahren, als die »Landstadtreformation«35 zunehmend ins Blickfeld rückte:36 Untersuchungen über Städte wie Lemgo, Kitzingen, Hamburg, Göttingen, Braunschweig, Lüneburg, Münster und später Danzig, Elbing, Thorn und Wesel erschlossen zunehmend auch dieses Forschungsfeld.37 Ergänzt wurden sie durch die Analyse der 30 Vgl. Blickle, Peter: Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300–1800, München 1988 (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte, 1), S. 69; Mörke, Olaf: Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung, 3. aktualisierte und um einen Nachtrag erweitere Auflage, Göttingen 2017 (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte, 74), S. 95–98. 31 Vgl. Mörke, Reformation, S. 98. 32 Vgl. ebd. 33 Vgl. Blickle, Unruhen, S. 70. 34 Schmidt stellte die Gemeindereformation der bislang immer wieder als Beispiele der Ratsreformation herangezogenen Städte Nürnberg und Bern heraus. Vgl. Schmidt, Heinrich Richard: Stadtreformation in Bern und Nürnberg – ein Vergleich, in: Endres, Rudolf (Hrsg.): Nürnberg und Bern. Zwei Reichsstädte und ihre Landgebiete, Erlangen 1990 (= Erlanger Forschungen, A 46), S. 81–119, hier S. 117. 35 Hier mit Merz/Engel definiert als Reformation von wenigstens (teil)autonomen Stadtkommunen im Gegensatz zu ihrem Landesherren. Fürstlich initiierte Reformationen von Landstädten können mit Merz und Engel nach wie vor unter den Begriff der »Fürstenreformation« gefasst werden. Vgl. Engel, Reformation, S. 137 u. 158. 36 Den Forschungsstand bis 1985 hat Greyerz umfassend zusammengetragen: Greyerz, Kaspar von: Stadt und Reformation. Stand und Aufgaben der Forschung, in: ARG 76 (1985), S. 6–63. Zu den bis 1985 erfolgten Forschungen hinsichtlich landstädtischer Reformation siehe dort S. 35–36. 37 Schilling, Heinz: Konfessionskonflikt und Staatsbildung. Eine Fallstudie über das Verhältnis von religiösem und sozialem Wandel in der Frühneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe, Gütersloh 1981 (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 48); Rublack, Hans-Christoph; Demandt, Dieter: Stadt und Kirche in Kitzingen. Darstellung und Quellen zu Spätmittelalter und Reformation, Stuttgart 1978 (= Spätmittelalter und frühe Neuzeit: Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung, 10); Postel, Reformation; Jürgs, Jana: Der Reformationsdiskurs der Stadt Hamburg. Ereignisabhängiges Textsortenaufkommen und textsortenabhängige Ereignisdarstellung der Reformation in Hamburg 1521–1531, Marburg 2003; Mörke, Olaf: Rat und Bürger in der Reformation. Soziale Gruppen und kirchlicher Wandel in den welfischen Hansestädten Lüneburg, Braunschweig und Göttingen, Hildesheim

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gescheiterten Landstadtreformationen, etwa in Neuss, Kempen, Linz und Andernach.38 Heute ist man durch die Ergebnisse jener Untersuchungen zu dem Schluss gekommen, dass sich die Reformationsvorgänge von Reichs- und Landstädten kaum voneinander unterschieden: »Überspitzt könnte demzufolge die Quintessenz aus Moellers Überlegungen lauten: Das einzig spezifische Moment der Reichsstadtreformation war der Niedergang der städtischen Genossenschaft nach 1548, da dieser (auch) dem Reichsstadtstatus geschuldet war.«39 Der Fokus der meisten Untersuchungen lag indessen nach wie vor auf der Reformation und ihren Anfängen, weniger auf ihren Folgen. Ein vermehrtes Interesse an den längerfristigen Auswirkungen städtischer Reformation, wie sie in der vorliegenden Arbeit untersucht werden sollen, setzte erst in den 1980ern und frühen 1990ern ein. Diese waren der Zeit entsprechend entweder a) sozialgeschichtlich geprägt (Müller,40 Mörke, Schilling) und konzentrierten sich dementsprechend auf die langfristige Zusammensetzung der Räte und Bürgerausschüsse oder sie fokussierten sich b) auf die konfessionellen Entwicklungen. Als überwiegender Schwerpunkt langfristiger Stadtreformationsforschung kristallisierte sich dann zunehmend letztere Herangehensweise heraus, nachdem von Schilling/Reinhard das Paradigma der »Konfessionalisierung« geprägt worden war. Dieser, von Schilling als »gesellschaftlicher Fundamentalvorgang« definierte Prozess, war demnach keinesfalls um 1555 abgeschlossen, sondern fing hier erst an.41 Er bildete damit zwar die nahtlose Überleitung von Moellers »Reichsstadt und Reformation« zur städtischen Reformationsforschung der zweiten Jahrhunderthälfte des 16. Jahrhunderts, setzte aber freilich auch andere Akzente. So ist schon Anfang der 1990er Jahre festgestellt worden, dass die Konfessionalisierung in den Städten keinesfalls als zweiter Schritt einer Reformation folgte und

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1983 (= Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, 19); Müller, Michael G.: Zweite Reformation und städtische Autonomie im königlichen Preußen. Danzig, Elbing und Thorn in der Epoche der Konfessionalisierung (1557– 1660), Berlin 1997 (= Publikationen der Historischen Kommission zu Berlin); Kipp, Landstädtische Reformation; Cordes, Politik. Vgl. Laux, Stephan: Reformationsversuche in Kurköln (1542–1548). Fallstudien zu einer Strukturgeschichte landstädtischer Reformation (Nuess, Kempen, Andernach, Linz), Münster 2001 (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 143). Freitag, Werner: Autonomiestädte und Reich im Zeitalter der Reformation – Das Beispiel Westfalen, in: Lau, Thomas; Wittmann, Helge (Hrsgg.): Reichsstadt im Religionskonflikt. 4. Tagung des Mühlhäuser Arbeitskreises für Reichsstadtgeschichte. Mühlhausen 8. bis 10. Februar 2016, Nordhausen 2017 (= Studien zur Reichsstadtgeschichte, 4), S. 111–124, hier S. 113. Vgl. Müller, Siegfried: Stadt, Kirche und Reformation. Das Beispiel der Landstadt Hannover, Hannover 1987. Schilling, Heinz; Ehrenpreis, Stephan: Die Stadt in der Frühen Neuzeit, Berlin/Boston 2015 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, 24), S. 95. Auch: Schilling, Heinz: Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: HZ 246 (1988), S. 1–45, hier S. 6.

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von ihr damit nicht losgelöst als gesonderter Prozess zu betrachten ist. Denn würde man die Konfessionalisierung in den Städten als »bloßen Ausklang städtischer Reformation« ansehen, so würde man »eine Komponente« aus dem »historischen Geschehen herausbrechen«.42 Während also die ältere Reformationsforschung die Zeit nach 1548/55 als reaktionäre Entwicklung begriff (»Gegenreformation«), begann man ab den 1980er Jahren auch längerfristige Entwicklungen im konfessionellen Stadtgefüge vom Zeitpunkt der Reformation bis über die 1550er Jahre hinaus zu untersuchen.43 Dazu zählen etwa die oben bereits erwähnten Untersuchungen zu multikonfessionellen Städten wie Augsburg, Aachen, Wesel, Biberach und Alzey.44 Geprägt waren aber auch diese Analysen oftmals von einem eher etatistischen Konfessionalisierungsbegriff,45 der sich zudem durch die Abgrenzung des jeweils Fremden und die damit einhergehenden interkonfessionellen Zwistigkeiten definiert. Mit dem Abebben der städtischen Reformationsforschung zu Beginn der 2000er wurde das von Kaufmann in den 1990er Jahre weiterentwickelte Paradigma der »Konfessionskultur«, welches den etatistischen und zugleich auf Abgrenzung basierenden Konfessionsbegriff kritisiert,46 bislang nur unzureichend in die Stadtreformationsforschung einbezogen (so z. B. für Hildesheim und Aachen).47 Aus dieser Skizze des Forschungsstandes48 ergibt sich, dass der Fokus der frühen Stadtreformationsforschung eher auf den Anfängen der Reformation gelegen hat. Dementgegen wurde die langfristige Durchsetzung der Stadtrefor42 Rüth, Reformation, S. 206f. 43 Vgl. ebd., S. 205. 44 Vgl. zu Augsburg: Warmbrunn, Zwei Konfessionen; François, Grenze. Zu Biberach: Warmbrunn, Zwei Konfessionen; Riotte, Parität. Zu Alzey: Heller-Karneth, Konfessionen. Zu Wesel: Kipp, Landstädtische Reformation. Zu Aachen: Kirchner, Katholiken. 45 Vgl. Schmidt, Heinrich Richard: Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung, in: HZ 265 (1997), S. 639–682. 46 Vgl. Kaufmann, Thomas: Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts, Tübingen 2006 (= Sptämittelalter und Reformation: Texte und Untersuchungen, 29), S. 13. 47 Vgl. Kaufmann, Thomas: Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft – Sammelbericht über eine Forschungsdebatte (Teil 1), in: ThLZ 121,11 (1996), Sp. 1008–1025; ders.: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur, Tübingen 1998 (= Beiträge zur historischen Theologie, 104); ders.: Konfession und Kultur, S. 14–16; vgl dazu auch: Pohlig, Matthias: Harter Kern und longue durée. Überlegungen zum Begriff der (lutherischen) Konfessionskultur, in: ARG 109 (2018), 389–401, hier S. 397. Ein Beispiel für den Einbezug der Konfessionskultur in Hildesheim bietet Plath, Christian: Konfessionskampf und fremde Besatzung. Stadt und Hochstift Hildesheim im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (ca. 1580–1660), Hildesheim 2005 (= Schriftenreihe des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Hildesheim, 32). Vgl. überdies zu Aachen: Kirchner, Katholiken, S. 417–438. 48 Der Forschungsstand zum Thema »Stadt und Reformation« kann hier unmöglich in seinen Einzelheiten vollständig wiedergegeben werden. Dies ist aufgrund seiner Weitläufigkeit an dieser Stelle auch nicht zielführend.

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mationen bisher fast ausschließlich unter dem Paradigma der Konfessionalisierung betrachtet. In der Forschung wurde sie bis in die 1990er Jahre geradezu damit verbunden: So ist laut Hamm die »›Konfessionalisierung‹ und ›Konfessionsbildung‹ der langfristige Prozeß, in dem sich die durch ihre unterschiedlichen Bekenntnisse definierten Kirchentümer dogmatisch, verfassungsrechtlich und institutionell verfestigen.«49 Während gerade ersteres (Dogmatik/Konfession) in der Tat häufiger Untersuchungsgegenstand war, ist die Entwicklung der nachreformatorischen Kirchenverfassung einer Stadt bisher nahezu unberücksichtigt geblieben. Lediglich die außenpolitisch-diplomatische Absicherung der Stadtreformation (Reichstage, Schmalkaldischer Bund, Interim etc.) wurde neben der konfessionellen Entwicklung noch eingehender untersucht.50 Arbeiten über die systematische Entwicklung und den Aufbau einer städtischen Kirchenverfassung nach der Reformation sucht man indes vergebens. Schon Merz beklagte 1997 in seinem Überblick zur landstädtischen Reformationsforschung: »Es geht also beim Forschungskomplex ›Stadt und Reformation‹ generell um die Reformation, nicht um die Stadt. […] Nähme man diese Diskrepanz in der modernen Geschichtswissenschaft als ernsthaften Hinweis auf die realhistorische Entwicklung, dann würde dies bedeuten, daß die Stadt für die Reformation sehr wichtig, die Reformation für die Stadt hingegen eher von untergeordneter Bedeutung gewesen sei.«51

Damit hat Merz das Defizit der vergangenen (und aktuellen) städtischen Reformationsforschung auf den Punkt gebracht: Die Bedeutung, die der Vorgang der Reformation im städtischen Gefüge hatte, wurde bislang zu sehr hinsichtlich seiner Rückwirkungen auf das gesamte Reformationsgeschehen eingeordnet. Wie sich die Reformation auf die jeweilige Stadtgeschichte in Form einer gänzlich veränderten Stadtkirchenverfassung letztlich dauerhaft auswirkte und intern

49 Hamm, Berndt: Bürgertum und Glaube. Konturen der städtischen Reformation, Göttingen 1996, S. 15. 50 Vgl. z. B. Koch, Geschichte sowie Schmidt, Heinrich Richard: Reichsstädte, Reich und Reformation. Korporative Religionspolitik 1521–1529/30, Stuttgart 1986 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 122); Close, Christoph: The Negotiated Reformation. Imperial Cities and the Politics of Urban Reform, 1525–1550, New York 2009; Lucke, Helmut: Bremen im Schmalkaldischen Bund 1540–1547, Bremen 1955 (= Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen, 23); Blume, Gundmar: Goslar und der Schmalkaldische Bund 1527/31–1547, Goslar 1969 (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar, 26); Jahns, Sigrid: Frankfurt, Reformation und Schmalkaldischer Bund. Die Reformations-, Reichs- und Bündnispolitik der Reichsstadt Frankfurt am Main 1525–1536, Frankfurt a.M. 1976 (= Studien zur Frankfurter Geschichte, 9); Haas, Irene: Reformation – Konfession – Tradition. Frankfurt am Main im Schmalkaldischen Bund 1536–1547, Frankfurt a.M. 1991 (= Studien zur Frankfurter Geschichte, 30); Berwinkel, Roxane: Weltliche Macht und geistlicher Anspruch. Die Hansestadt Stralsund im Konflikt um das Augsburger Interim, Berlin 2008 (= Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, 8). 51 Merz, Landstädte, S. 107–109.

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entwickelte, ist bislang – abgesehen von der Konfessionalisierungsforschung – unberücksichtigt geblieben.

1.2.2 Reformation in Braunschweig Die langfristigen Folgen der Reformation wurden für Braunschweig bis heute nicht untersucht – im Gegensatz zu anderen Städten auch nicht aus der Perspektive des Konfessionalisierungsparadigmas. Das mag damit zusammenhängen, dass es in Braunschweig bereits wenige Jahre nach der Reformation nur noch wenige konfessionelle Konflikte gab: Braunschweig verschrieb sich künftig dem orthodox-lutherischen Bekenntnis. Doch auch Arbeiten zur Reformation Braunschweigs ließen lange Zeit auf sich warten. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bildete die (Anfang des 18. Jahrhunderts verfasste) Kirchengeschichte Rehtmeyers nach wie vor die einzige umfassende Abhandlung zur Reformation in Braunschweig.52 Ergänzt wurde sie durch wenige Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert, die jedoch meist personenzentriert blieben oder nur kleinere Schlaglichter auf das Gesamtgeschehen warfen.53 Zwar begann Beck Anfang des 20. Jahrhunderts mit seiner umfangreichen Monographie »Geschichte der Reformation in der Stadt Braunschweig«, doch wurden seine Arbeiten, deren handschriftliche Skizzen sich noch im Stadtarchiv befinden, nie veröffentlicht.54 Bis in die 1960er Jahre stellte das Thema damit ein Desiderat der Braunschweiger Stadtgeschichtsforschung dar. Dieser Zustand änderte sich im Wesentlichen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nachdem Spieß seine umfassende Stadtgeschichte der Zeit von 1495–1671 veröffentlicht hatte (1966), folgten kurze Zeit später – angestoßen durch den neuen Forschungseifer hinsichtlich Stadt und Reformation – auch Arbeiten zur Braunschweiger Kirchen- und Reformationsgeschichte. Den Anfang machte Jünke 1977/78, als er einige der ersten evangelischen Prediger näher

52 Vgl. Rehtmeyer, Philipp Julius: Historiae Ecclesiasticae inclytae urbis Brunsvigae pars III, oder: Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen=Historie […], Bd. 3, Braunschweig 1710. 53 Vgl. z. B. Hessenmüller, Carl: Heinrich Lampe, der erste evangelische Prediger der Stadt Braunschweig. Ein auf Quellenstudium beruhender Beitrag zur Reformationsgeschichte der Stadt Braunschweig, Braunschweig 1852; Hänselmann, Ludwig: Zwei Gedichte aus der Reformationszeit, in: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 9 (1883), S. 83– 94; Beste, Johannes: Album der evangelischen Geistlichen der Stadt Braunschweig mit kurzen Nachrichten über ihre Kirchen, Braunschweig/Leipzig 1900. 54 Titel und Gliederung der geplanten Arbeit finden sich auf den ersten beiden Seiten von Becks Traktat: Beck, Henry: Bugenhagens Person in seiner Kirchenordnung für die Stadt Braunschweig, Braunschweig 1928.

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Einleitung

untersuchte.55 Überdies erschienen 1978 im Rahmen einer Festschrift zum 450jährigen Reformationsjubiläum weitere Aufsätze, die sich mit der Reformation in Braunschweig auseinandersetzten.56 Wenige Jahre später folgte Mörke mit seiner tiefgreifenden, aber eher vergleichenden Untersuchung der Städte Braunschweig, Lüneburg und Göttingen.57 Zudem erschienen fortan kleinere Untersuchungen zu Einzelaspekten (KO, Interim, etc.),58 bis 2003 durch Jünke/Jürgens erneut zwei längere Aufsätze zur Braunschweiger Reformation veröffentlicht wurden.59 Parallel hierzu untersuchte man in den 1980er Jahren, ausgehend von der Müntzerforschung (Bubenheimer/Bräuer), den Beginn der reformatorischen Strömungen und deren Netzwerke in Braunschweig.60

55 Vgl. Jünke, Wolfgang A.: Des Prädikanten Johann Kopmann Bekenntnis, ein bisher unbekanntes Dokument der stadtbraunschweigischen Reformationsgeschichte, in: BsJb 58 (1977), S. 31–42; ders.: Schweinfuss und Knigge: Die Rolle der ersten evangelischen Prediger an der St. Ulricikirche nach Annahme der Kirchenordnung Bugenhagens in den Jahren 1528/1529, in: Evang.-luth. Pfarramt Brüdern-St. Ulriki, Braunschweig (Hrsg.): Historische Beiträge aus Brüdern-St. Ulrici, Braunschweig 1978, S. 1–10. 56 Vgl. Kuhr, Hermann (Hrsg.): Die Reformation in Braunschweig. Festschrift. 1528–1578, Braunschweig 1978. 57 Vgl. Mörke, Rat und Bürger. 58 Krumwiede, Hans-Walter: Bugenhagens Braunschweiger Kirchenordnung (1528) als Dokument des Protestantismus zwischen Reformation und Revolution, in: ZGNKG 77 (1979), S. 13–24; Lane, Frank P.: Johannes Bugenhagen und die Armenfürsorge in der Reformationszeit, in: BsJb 64 (1983), S. 147–156; Jünke, Wolfgang A.: Luther und die Stadt Braunschweig 1517–1546, in: Braunschweigische Heimat 69/3 (1983), S. 66–78; Mager, Inge: Die Stadt Braunschweig und ihr geistliches Ministerium vor der Herausforderung durch das Interim, in: Sicken, Bernhard (Hrsg.): Herrschaft und Verfassungsstrukturen im Nordwesten des Reiches. Beiträge zum Zeitalter Karls V., Köln/Weimar/Wien 1994 (= Städteforschung Reihe A: Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster, 33), S. 265–274. 59 Vgl. Jürgens, Klaus: Um Gottes Ehre und unser aller Seelen Seligkeit. Die Reformation in der Stadt Braunschweig von den Anfängen bis zur Annahme der Kirchenordnung 1528, in: Landeskirchenamt Wolfenbüttel (Hrsg.): Die Geschichte der Reformation in der Stadt Braunschweig, Wolfenbüttel 2003 (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der EvangelischLutherischen Landeskirche in Braunschweig, 13), S. 7–82; Jünke, Wolfgang A.: Bugenhagens Einwirken auf die Festigung der Reformation in Braunschweig (1528–32), in: Landeskirchenamt Wolfenbüttel (Hrsg.): Die Geschichte der Reformation in der Stadt Braunschweig, Wolfenbüttel 2003 (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig, 13), S. 83–110. 60 Vgl. Bubenheimer, Ulrich: Thomas Müntzer und der Anfang der Reformation in Braunschweig, in: Nederlands archief voor kerkgeschiedenis 65 Nr. 1/2 (1985), S. 1–30; ders.: Thomas Müntzer in seinem vor- und frühreformatorischen Umfeld in Braunschweig, in: Hoffmann, Birgit; Pöppelmann, Heike; Rammler, Dieter (Hrsgg.); Reformation: Themen, Akteuere, Medien. Beiträge zur Ausstellung »Im Aufbruch. Reformation 1517–1617« vom 7. Mai-19. November 2017 in Braunschweig, Braunschweig 2018 (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig, 26), S. 45–66; Bräuer, Siegfried: Der Beginn der Reformation in Braunschweig. Historiographische Tradition und Quellenbefund, in: BsJb 75 (1994), S. 85–116. Dass Beck dieses Netzwerk schon

Forschungsstand

25

Für die Geschichte der städtischen Kollegiatstifte waren in den letzten Jahrzehnten vor allem die beiden Monographien über das herzogliche Blasiusstift von größerer Bedeutung,61 während zu den vier städtischen Klöstern jeweils nur wenige kurze Aufsätze entstanden.62 Seit dem 19. Jahrhundert widmete man überdies den Braunschweiger Herzögen Heinrich d.J. (reg. 1514–1568),63 Julius (reg. 1568–1589)64 und Heinrich Julius (reg. 1589–1613)65 sowie deren Verhältnis zu ihrer »rebellischen« Landstadt66 eine Reihe von Arbeiten, die immer wieder

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Anfang des 20. Jahrhunderts erarbeitet hatte, zeigt die Gliederung seiner geplanten, doch nie veröffentlichten Arbeit in: Beck, Bugenhagens Person, S. 1. Vgl. Haas, Irmgard: Leben im Kollegiatstift St. Blasii in Braunschweig. Die liturgischen Stiftungen und ihre Bedeutung für Gottesdienst und Wirtschaft, Braunschweig 2011 (= Braunschweiger Werkstücke, Reihe A 54); Döll, Ernst: Die Kollegiatstifte St. Blasius und St. Cyriacus zu Braunschweig, Hamburg 1967 (= Braunschweiger Werkstücke, 36). Zur ausführlichen Literatur siehe die entsprechenden Kapitel zu den jeweiligen Klöstern. Zu Herzog Heinrich d.J. u. a.: Reller, Horst: Die Auseinandersetzungen zwischen Herzog Heinrich d.J. und Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg in den Jahren 1553–1568, in: JGNKG 67 (1969), S. 91–106; Petri, Franz: Herzog Heinrich der Jüngere von BraunschweigWolfenbüttel. Ein niederdeutscher Territorialfürst im Zeitalter Luthers und Karls V., in: ARG 72 (1981), S. 122–158; Täubrich, Rainer: Herzog Heinrich der Jüngere von BraunschweigWolfenbüttel (1489–1568). Leben und Politik bis zum Primogeniturvertrag von 1535, Braunschweig 1991 (= Quellen und Forschungen zur braunschweigischen Geschichte, 29). Zu Herzog Julius u. a.: Bodemann, Eduard: Herzog Julius von Braunschweig. Kulturbild deutschen Fürstenlebens und deutscher Fürstenerziehung im 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte 4 (1875), S. 193–239; Sack, Karl Wilhelm: Herzog Julius von Braunschweig als Student und gehuldigter Regent. Ein Beitrag zur Fürsten- und Sittengeschichte des 16. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde 2,4 (1869), S. 40–95; Wagnitz, Friedrich: Der Lebensweg von Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel bis zum Regierungsbeginn 1568, Wolfenbüttel 1999. Dazu auch die Aufsätze von Kraschewski und anderen in: Graefe, Christa (Hrsg.): Staatsklugheit und Frömmigkeit. Herzog Julius zu Braunschweig-Lüneburg, ein norddeutscher Landesherr des 16. Jahrhunderts, Hannover 1989 (= Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek, 61) sowie Reitemeier, Arnd: Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg (Wolfenbüttel): Herrscher und Herrschaft, in: Ohainski, Uwe; Reitemeier, Arnd (Hrsgg.): Das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel im Jahr 1574. Der Atlas des Gottfried Mascop, Bielefeld 2012 (= Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, 57), S. 43–63. Zum derzeitigen Forschungsstand auch: Reitemeier, Arnd: Das Testament von Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg, 1582, in: Graf, Sabine; Rößner, Regina; Steinwascher, Gerd (Hrsgg.): Archiv und Landesgeschichte. Festschrift für Christine van den Heuvel, Göttingen 2018 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 300), S. 285–295, hier S. 286–287. Zu Herzog Heinrich Julius u. a.: Lietzmann, Hilda: Herzog Heinrich Julius zu Braunschweig und Lüneburg (1564–1613), Braunschweig 1993 (= Quellen und Forschungen zur braunschweigischen Geschichte, 13) sowie den Sammelband: Braunschweigischer Geschichtsverein (Hrsg.): Herzog Heinrich Julius zu Braunschweig und Lüneburg (1564–1613). Politiker und Gelehrter mit europäischem Profil, Braunschweig 2016 (= Quellen und Forschungen zur braunschweigischen Landesgeschichte, 49). Vgl. Hassebrauk, Gustav: Heinrich der Jüngere und die Stadt Braunschweig 1514–1568, in: Jahrbuch des Geschichtsvereins für das Herzogtum Braunschweig 5 (1906), S. 1–61; ders.: Herzog Julius und die Stadt Braunschweig 1568–1589, in: Jahrbuch des Geschichtsvereins für

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Einleitung

auch auf die politische Dimension der Reformationsfolgen zu sprechen kamen. Allerdings waren einige Untersuchungen noch bis in neuere Zeiten geprägt durch die keinesfalls wertneutrale Geschichtsschreibung des 16./17. Jahrhunderts (Algermann, Meibom, u. a.):67 So wird Herzog Heinrich nach wie vor vielfach als der aggressiv-kriegerische, Julius als der ökonomisch-friedliebende und Heinrich Julius als der höfisch-verschwenderische Landesfürst angesehen.68 Ähnlich wertend arbeitete zumeist auch die Braunschweiger Reformationsforschung: Bis heute blieb diese letztlich geprägt von einer dezidiert lutherischen Geschichtsschreibung. Ausgehend von Rehtmeyer und anderen wurde selten eine wertneutrale Darstellung der kirchengeschichtlichen Entwicklungen dargelegt: Die lutherische Sichtweise evozierte damit für Braunschweig bis zum heutigen Tag ein Bild der papsthörig-altmodischen Katholiken, der aufrührerischen Reformierten und ordnungsliebenden Lutheraner.69 Im letzten Jahrzehnt entstanden keine größeren Arbeiten zur städtischen Reformationsgeschichte Braunschweigs mehr. Nachdem Steinführer 2014 einen Forschungsüberblick über die Situation der Reformationsgeschichte Braunschweigs erstellt hatte,70 kam es zwar im Zuge des Reformationsjubiläums 2017/ 18 noch einmal zu einer größeren Zahl entsprechender Aufsätze.71 Viel Neues

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das Herzogtum Braunschweig 6 (1907), S. 39–78; Steinführer, Henning: Herzogtum ohne Hauptstadt. Die Auseinandersetzungen zwischen der Stadt Braunschweig und Herzog Heinrich Julius, in: Arnold, Werner u. a. (Hrsgg.): Herzog Heinrich Julius zu Braunschweig und Lüneburg (1564–1613): Politiker und Gelehrter mit europäischem Profil, Braunschweig 2016, S. 76–92. Weitere ergänzende Literaturangaben hierzu folgen an entsprechender Stelle in Kapitel 1.6. Vgl. Strombeck, Friedrich Karl von (Hrsg.): Leben des Herzogs Julius zu Braunschweig und Lüneburg von Franz Algermann, Helmstedt 1825; Meibom, Heinrich: Außführlicher Warhaffter/ Historischer Bericht/ darin zu befinden/ Wie sich bey Regierung des Hochwürdigen/ Durchleuchtigen, Hochgebornen Fürsten vnd Herrn/ Herrn Henrici Ivlii […] die Stadt Braunschweig/ gegen S.F.G. Wiedersetzig vnd Rebellisch bezeigt habe. Ander Teil, [o.O.] 1607. Vgl. zu dieser Problematik: Reitemeier, Testament, S. 285. Zur Fehleinschätzung von Heinrich Julius’ Person vgl. Lietzmann, Herzog Heinrich Julius, S. 89. Zu Heinrich d.J. vgl. Petri, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 122. Besonders erkennbar bei Spieß, Werner: Geschichte der Stadt Braunschweig im Nachmittelalter. Vom Ausgang des Mittelalters bis zum Ende der Stadtfreiheit (1491–1671), 2 Bde., Braunschweig 1966. Steinführer, Henning: Die Geschichte der Stadt Braunschweig im Zeitalter der Reformation. Anmerkungen zu Stand und Perspektive der Forschung, in: JGNKG 112 (2014), S. 7–26. Vgl. die Aufsätze in: Hoffmann, Birgit; Pöppelmann, Heike; Rammler, Dieter (Hrsgg.): Reformation. Themen, Akteure, Medien. Beiträge zur Ausstellung »Im Aufbruch. Reformation 1517–1617« vom 7. Mai–19. November 2017 in Braunschweig, Braunschweig 2018. Hervorzuheben ist darin vor allem der aktuellste Überblick zur Braunschweiger Reformation von Steinführer, vgl. Steinführer, Henning: Zur Geschichte der Reformation in der Stadt Braunschweig – Ein Überblick, in: Hoffmann, Birgit; Pöppelmann, Heike; Rammler, Dieter (Hrsgg.); Reformation: Themen, Akteuere, Medien. Beiträge zur Ausstellung »Im Aufbruch. Reformation 1517–1617« vom 7. Mai–19. November 2017 in Braunschweig, Braunschweig 2018 (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in

Verwendete Quellen

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stellte sich hierin für die Stadt Braunschweig indes nicht heraus; im Wesentlichen wurden die bereits vorhandenen Erkenntnisse gebündelt, thematisch fokussiert und durch vereinzelte Quellen ergänzt.72 Der obige Abriss des Forschungsstandes verdeutlicht demnach Folgendes. Zum einen hat sich die Forschung abseits der Konfessionalisierungsdebatte mit längerfristigen Auswirkungen der Reformation im Stadtgefüge noch nicht eingehender befasst. Zum anderen endet auch die Braunschweiger Reformationsforschung zumeist noch in den späten 1520er Jahren. Eine Ausnahme bildet lediglich Jünke, der einzelne Aspekte bis ins Jahr 1530/32 weiter nachvollzog. Während mit Jürgens, Bräuer und Bubenheimer gerade der Beginn der Braunschweiger Reformation verstärkt ins Blickfeld geriet, sind die Auswirkungen der KO auf die Stadtverfassung und damit einhergehende Entwicklungen bisher nicht umfassend behandelt worden. Hierin unterscheidet sich Braunschweig, wie oben beschrieben, in Vielem nicht von anderen Städten.

1.3

Verwendete Quellen

Die Quellenlage der Braunschweiger Kirchengeschichte des 16. Jahrhunderts ist als durchaus ambivalent zu bezeichnen.73 Einerseits haben sich gerade aus der Anfangszeit der Reformation (1528–1532) äußerst dichte Überlieferungen erhalten (Verhandlungen des Rates mit den Gildemeistern und Hauptleuten).74 Andererseits fehlen aber dezidiert kirchliche Akten bis 1549 fast gänzlich, da das Geistliche Ministerium erst nach 1550 begann, eigenes Schriftgut zu archivieren.75 Auch die Korrespondenzen zur Pfarrvokation, welche sich z. B. umfang-

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Braunschweig, 26), S. 67–87. Einen kurzen Überblick bietet zudem der Aufsatz von Biegel: Biegel, Gerd: Braunschweig und die Reformation – regionalgeschichtliche Aspekte, in: International Dialogues on Education Past and Present 4,2 (2017), S. 78–87. Lediglich für das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel gab es hinsichtlich Reformation und Kirchengeschichte mehrere Arbeiten: Z. B. Gauger-Lange, Maike: Die evangelischen Klosterschulen des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel 1568–1613, Göttingen 2018 (= Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, 49); Zech, Julia: Reformation als Herausforderung. Konflikte und Alltag des Superintendenten Jacob Jovius im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel 1569–1585, Göttingen 2018 (= Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, 50). Zu den Beständen des Braunschweiger Stadtarchivs siehe die neuerliche Zusammenstellung von Steinführer. Vgl. Steinführer, Henning (Hrsg.): Die Bestände des Stadtarchivs Braunschweig. Bearbeitet von Katja Matussek, Hartmut Nickel, Mark Opalka, Anne Kathrin Pfeuffer, Henning Steinführer; unter Mitwirkung von Carola Zaske, Britta Hemme, Katharina Beckmann, Ines Kandora, Enrico Kullrich, Meike Buck, Vanessa Witte, Braunschweig 2018 (= Braunschweiger Werkstücke, 115). Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1–1,2; StadtA BS, B I 5 Nr. 2; StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1. Das erste erhaltene Archivrepertorium des Ministeriums stammt aus der Zeit um 1607. Anhand der dort verzeichneten Akten lässt sich schließen, dass nahezu alle Akten des Mi-

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Einleitung

reich für Göttingen überliefert haben,76 sind in Braunschweig bis 1560 nicht mehr vorhanden. Gleiches gilt für Korrespondenzen mit den zuständigen Bischöfen und anderen Städten in Reformationsbelangen,77 was den Nachvollzug umfangreicher Diskurse erschwert. Aus den 1530er und 1540er Jahren weiß man daher vor allem aus den Ratsprotokollen, einigen auswärtigen Reformationskorrespondenzen78 sowie den zahlreichen Klageschriften des Superintendenten Nikolaus Medler an den Rat79 über das Kirchenwesen Bescheid. Hinzu kommen neben wenigen Einzelakten80 und Akten der Pfarrarchive noch mehrere Chroniken81 aus dem 16./17. Jahrhundert und einige, bei Rehtmeyer im frühen 18. Jahrhundert edierte Schriftstücke, die heute nicht mehr im Original überliefert sind. Mittels dieser Archivalien lässt sich die institutionelle Entwicklung der Kirchenverfassung durchaus umfassend analysieren. Eingehende Verwaltungsinformationen der Jahre zwischen 1528–1599 bieten schließlich die seit 1528/29 relativ vollständig erhaltenen Rechnungen der kirchlichen Schatzkästen, das »Gotteshausregister« sowie die zahlreichen Prozessakten über die altkirchlichen Vikarien.82 Anhand dieser Quellen lassen sich nahezu sämtliche Kastenherren, Armenkastenherren, Rektoren und Prediger sowie eine größere Zahl an Vikaren nachweisen, was eine tiefere prosopographische Untersuchung ermöglicht. Ab der Zeit um 1550 fließen die Quellen dann weitaus dichter. Erste Akten des Ministerialarchivs sind aus den 1550er Jahren erhalten, daneben nun auch Bestallungsakten der Prediger, Ordnungen etc. Von besonderer Bedeutung sind überdies die Generalkolloquienprotokolle des Geistlichen Ministeriums, die sich (lückenhaft) seit Februar 1554 erhalten haben.83 Sie bieten einen einzigartigen Einblick in das »Innenleben« der Stadtkirche, welcher gerade für die Fragestellung dieser Arbeit von besonderer Bedeutung ist: Der Institutionalisierungs-

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nisteriums bis 1600 erhalten geblieben sind – leider begann man diese aber wie gesagt erst um die Mitte der 1550er Jahre zu archivieren. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 4r–10v. Vgl. StadtA GÖ, Kirchensachen, Nr. 5207. Einzig die umfangreichen Verhandlungen mit dem Schmalkaldischen Bund ab 1531 haben sich großteils erhalten sowie wenige Briefe bzgl. des Interims. Dies sind aber jeweils politische Diskurse, die der Fragestellung dieser Arbeit nur wenig dienlich sind. Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6. Diese Korrespondenzen fanden überwiegend mit dem Wolfenbütteler Herzog statt. Vgl. StadtA BS, Revidenda Nr. 155. Die Briefe Medlers sind bisher von der Kirchengeschichte nicht beachtet worden, da sie sich in einem unsortierten Revidenda-Konvolut mit der Aufschrift »Schulsachen« befinden. Vgl. z. B. StadtA BS, B III 15 Nr. 3; StadtA BS, B IV 11 Nr. 23; B IV 6 Nr. 2; StadtA BS, B IV 12 Nr. 5; StadtA BS, B IV 11 Nr. 143; StadtA BS, B IV 11 Nr. 5; StadtA BS, B IV 11 Nr. 14. Vgl. z. B. StadtA BS, H III 7 Nr. 1; StadtA BS, H III 2 Nr. 4; StadtA BS, H III 2 Nr. 24,1. Vgl. StadtA BS, F I 1–7; Gotteshausregister unter StadtA BS, B I 14 Nr. 2. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 162–165; StadtA BS, Revidenda Nr. 67; StadtA BS, H V 218, pag. 353–356.

Verwendete Quellen

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prozess der Stadtkirche wird in ihnen deutlich greifbar. Ergänzt werden die Protokolle von dem um 1569 begonnenen Band »Rev. Ministerium Verbi«, in älterer Literatur meist das »Braune Buch« genannt.84 Er wurde bis in die 1580er Jahre von Chemnitz persönlich und später von anderen Mitgliedern des Ministeriums geführt und verzeichnet zahlreiche wichtige Begebenheiten, die sich in der Braunschweiger Kirche zugetragen haben. Ein Prediger ergänzte kurz nach 1600 diesen Band um einen weiteren, die »Catalogi ministrorum verbi divini in ecclesia Brunsvicensi«: Dieses Buch enthält Informationen über sämtliche Prediger seit 1528 sowie zur Geschichte des Ministeriums.85 Anhand obiger Quellen und weiterer Akten ist somit ab 1550 eine relativ genaue Untersuchung der institutionellen Entwicklung z. B. von Ministerium, Kurrende und Konsistorium86 möglich, die auch genau in diesem Zeitraum begann. Das große Problem der Braunschweiger Aktenlage sind die zahlreichen unsystematischen Konvolutbände zum Kirchenwesen, die Akten von der Reformationszeit bis ins 17. Jahrhundert enthalten.87 Hier findet man neben Briefkorrespondenzen der Superintendenten und Kircheninventaren bis hin zu Vertragsabschriften und Vikarienverhandlungen alles Erdenkliche zum Kirchenwesen des 16. Jahrhunderts – nur entsprechend durchweg unsystematisiert. Zu diesen Aktenbeständen können auch einige Revidenda sowie die drei Sack’schen Sammelbände aus dem 19. Jahrhundert gezählt werden, die ebenfalls zahlreiche Originale und Abschriften enthalten.88 Neben den Akten des Stadtarchivs wurden auch Bestände des Niedersächsischen Landesarchivs sowie der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel für die Arbeit hinzugezogen. Braunschweig war zwar im politischen Agieren de facto eine Reichsstadt,89 nominell aber nach wie vor Landstadt der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg.90 Diesen gehörten überdies die beiden Stifte St. Blasius 84 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6. So genannt etwa bei Rehtmeyer, Tunica und Beste. 85 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 5. 86 Für die Entwicklung des Konsistoriums wurden allerdings darüber hinaus noch zahlreiche Prozessakten von Eheprozessen, sowie Protokollbücher des Obergerichts (ab 1552) gesichtet (StadtA BS, B I 18 Nr. 1ff.). 87 So z. B. StadtA BS, B III 15 Nr. 1a, Nr. 2, Nr. 9,1, Nr. 11, Nr. 12, Nr. 18 sowie StadtA BS, B III Nr. 15,2. 88 Vgl. StadtA BS, H V Nr. 217–219. 89 Freilich nur bezogen auf den Autonomiestatus – Ein Sitz im Reichstag etc. blieb Braunschweig vorenthalten. 90 Im kürzlich erschienenen Repertorium der Freien- und Reichsstädte ist Braunschweig dementsprechend – anders als z. B. Verden und Erfurt! – auch nicht aufgeführt. Vgl. Bühner, Peter: Die Freien und Reichsstädte des Heiligen Römischen Reiches. Kleines Repertorium, Petersberg 2019 (= Schriftenreihe der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung, 38). Zur Frage der städtischen Autonomie vgl. die derzeit aktuellste Überblicksdarstellung: Steinführer, Henning: Zwischen Reich und Fürstenherrschaft – Die Städte Braunschweig und Magdeburg im Ringen um ihre Selbstständigkeit zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert, in: Kälble, Mathias;

30

Einleitung

und St. Cyriacus, sodass sich entsprechende Gegenüberlieferungen zur Reformation der Stifte – insbesondere aus den 1530er-40er Jahren – tradiert haben. Die Korrespondenzen mit den Wolfenbütteler Herzögen befinden sich heute im Niedersächsischen Landesarchiv Wolfenbüttel, jene mit den Lüneburger Herzögen bzw. der Stadthalterregierung (1542–47) im Niedersächsischen Landesarchiv Hannover. Auch hinsichtlich der fünf größten Stadtpfarrkirchen, deren Patronat dem Wolfenbütteler Herzog zustand, haben sich im Zuge der Streitkorrespondenzen kleinere Gegenüberlieferungen erhalten – insbesondere im Landeskirchlichen Archiv Wolfenbüttel. Wenige ergänzende Quellen wurden darüber hinaus aus dem StadtA Hannover, dem StadtA Hildesheim, dem StadtA Göttingen, dem LASA Magdeburg und dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden verwendet – in den meisten Fällen handelt es sich hierbei um (kirchen)politische Korrespondenzen bzw. Vokationen. All diese auswärtigen Akten sind somit vonnöten, um die Verfassungsentwicklung Braunschweigs adäquat untersuchen zu können. Zuzüglich der handschriftlichen Quellen wurde auch eine Reihe gedruckter bzw. edierter Quellen für die Arbeit verwendet. Neben der Weimarer Ausgabe (WA) der Lutherwerke und dem durch Voigt91 veröffentlichten Briefwechsel Bugenhagens, sind dies vor allem die Editionen der durch Sehling begründeten Kirchenordnungen, die Urkundenbücher der Stadt Braunschweig sowie die von Koldewey edierten Schulordnungen der Stadt. Vereinzelte edierte Quellen von Hänselmann, Kurnatowski und Rehtmeyer wurden ebenfalls hinzugezogen. An zeitgenössischen Drucken haben sich nur wenige erhalten, die für die Braunschweiger Reformationsgeschichte von Relevanz sind. Dies liegt neben der geringen medialen Produktivität der Braunschweiger Geistlichkeit vor allem am Fehlen einer städtischen Offizin zwischen 1525 und 1584.92 Jeweils eine Schrift von Corvinus (1529) und Rhegius (1536), einige Verantwortungsschreiben der Stadt Braunschweig gegen Heinrich den Jüngeren (1541), eine Flugschrift Medlers (1549) sowie einige Drucke Mörlins, Chemnitz’ und des Geistlichen Ministeriums wurden für diese Arbeit verwendet.93 Von besonderer Bedeutung sind

Wittman, Helga (Hrsgg.): Reichsstadt als Argument. 6. Tagung des Mühlhäuser Arbeitskreises für Reichsstadtgeschichte Mühlhausen 12.bis 14. Februar 2018, Petersberg 2019 (= Studien zur Reichsstadtgeschichte, 6), S. 151–176. 91 Eine ordentliche Gesamtausgabe der Bugenhagischen Werke ist immer noch nicht erschienen. Anneliese Bieber-Wallmann arbeitet in ihrem Editionsprojekt seit einigen Jahren am Band 1,2 der Bugenhagischen Werke (1525–1526), lediglich Band 1,1 (1515–1524) ist derzeit bereits veröffentlicht: Bieber-Wallmann, Anneliese (Hrsg.): Johannes Bugenhagen. Reformatorische Schriften, Bd. 1 (1515/16–1524), Göttingen 2013. 92 Vgl. dazu Kapitel 3.1.2. 93 Vgl. dazu für genauere Angaben das Quellenverzeichnis unter Kapitel 6.4.2.

Methodik

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überdies die durch Meibom bis 1607 zusammengetragenen Abschriften der Korrespondenz zwischen Braunschweig und Herzog Heinrich Julius.94 Die wörtlich zitierte Wiedergabe der handschriftlichen Quellen wird sich nachfolgend im Wesentlichen an den »Richtlinien für die Edition landesgeschichtlicher Quellen« von Heinemeyer orientieren.95 Eindeutige Kürzungen96 oder lateinische Abbreviationen sowie Ligaturen werden demnach kommentarlos aufgelöst, unsichere Auflösungen in eckigen Klammern kenntlich gemacht. Vereinzelte Kommata werden bisweilen zur flüssigeren Lesbarkeit hinzugefügt. Eine generelle Kleinschreibung außer bei Satzbeginn, Eigennamen und zeitgenössischen Druckschriften wird eingehalten. Einzig die ursprüngliche Schreibweise von »v« und »j« sowie die Beibelassung arabischer Ziffern wird unverändert übernommen. Wörtliche Quellenzitate werden durch Kursivsetzung gekennzeichnet. Übernommene Quellenzitate aus der Literatur werden wort- und zeichengetreu wiedergegeben. Die Zeitangaben nach 1582 werden dabei gemäß der stadtinternen Braunschweiger Verhältnisse weiterhin nach dem Julianischen Kalender angegeben.

1.4

Methodik

Im vorigen Abschnitt ist bereits deutlich geworden, dass viele Braunschweiger Reformationsquellen überwiegend auf institutionelle Verfassungs- und Ökonomiefragen rekurrieren. Städtische Reformationsgeschichte nach Einführung der KO ist gemäß Braunschweiger Quellenlage im Wesentlichen eine Geschichte um Besitz- und Vermögensrechte sowie den Umgang mit kirchlich-schulischen Institutionen. 1. Da eben hier auch die Defizite in der städtischen Reformationsforschung am deutlichsten hervortreten, wird sich die folgende Arbeit zunächst schwerpunktmäßig unter dem Aspekt der institutionellen Verfassungsgeschichte mit der Entwicklung des Kirchenwesens befassen. Der Fokus soll hierbei auf der Entwicklung sowohl alter als auch neu gegründeter kirchlich-schulischer Institutionen97 liegen. Dem von Merz oben dargelegten, nach wie vor gültigen, Desiderat, laut welchem es »beim Forschungskomplex ›Stadt und Reformation‹ generell um die Reformation, nicht um die Stadt« geht,98 soll somit entgegen94 Vgl. Meibom, Bericht II, S. 1ff. 95 Vgl. Heinemeyer, Walter (Hrsg.): Richtlinien für die Edition landesgeschichtlicher Quellen, 2. Auflage, Marburg/Hannover 2000, S. 19–24. 96 So z. B. die Endsilben -en, -an, -er. 97 Institution: Hier verstanden als rechtlich vom Rat sanktionierte Korporation – üblicherweise mit eigener Ordnung. 98 Vgl. Merz, Landstädte, S. 107–109.

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Einleitung

getreten werden: Im Fokus steht die Stadt und die Frage nach der langfristigen Auswirkung der Reformation auf deren Institutionen, Verfassung und Verwaltungsstruktur. Damit wird der sonst übliche kirchengeschichtliche Fokus durch jenen der Verfassungsgeschichte ergänzt, welcher die städtischen Institutionen und deren Zusammenspiel beleuchtet und ihre Entwicklung vor, während und nach der Reformation in den Blick nimmt. Durch diese diachrone Analyse der einzelnen Institutionen werden sowohl Kontinuitäten als auch Entwicklungsbrüche aufgezeigt, die sich im Zuge der reformatorischen Ereignisse ergeben haben. Hierbei treten zwangsläufig auch die jeweiligen Akteure99 zutage, welche den Fortgang der (nach)reformatorischen Entwicklungen maßgeblich prägten: Superintendenten, Ratsherren und Syndici innerhalb der Stadt, aber auch außerstädtische Akteure wie der Herzog, Reformatoren (Rhegius, Bugenhagen, etc.), Adelsfamilien, Universitäten, etc. 2. Nicht erfasst wird bei obiger verfassungsgeschichtlicher Betrachtung indessen die Bedeutung all jener Gruppen, die sich im Zuge der Reformation neu aus der Bürgerschaft rekrutierten: Lutherische Prediger, Kastenherren, Diakone und Lehrer, aber auch jene Einwohner, die im Glauben von den Normen der KO abwichen. Da sich diese Ämter und Gruppen um 1528 neu konstituierten, wird mittels prosopografischer Methoden in einem zweiten Schritt untersucht, aus welchen sozialen Schichten sich die Gremien der neuen Amtsträger künftig zusammensetzten und ob es hier Unterschiede zur vorreformatorischen Zeit gab – so etwa bei Alterleuten und Kastenherren.100 Herkunft, Bildung, Werdegang und Einflussmöglichkeiten dieser Personengruppen näher zu ermitteln wird dabei die vornehmliche Aufgabe sein und zuvor dargelegte Erkenntnisse über die nachreformatorischen Institutionen ergänzen. 3. In einem dritten Schritt widmet sich die Untersuchung all jenen Diskursen und Streitfragen, die im Zuge der bisherigen Abschnitte nicht eingehend behandelt werden konnten. Auf Basis des vorliegenden Quellenmaterials101 soll dabei herausgestellt werden, welche Themen innerhalb Braunschweigs 1528– 99 Unter »Akteur« wird im Folgenden eine bestimmte Anzahl von »Wesen mit Handlungsträgerschaft« verstanden. Es kann sich damit je nach Lage sowohl um ein einzelnes, zielgerichtet handelndes Subjekt (Superintendent), als auch um eine einheitlich agierende, kollektive Organisation mehrerer Subjekte (Geistliches Ministerium, Rat) handeln. Vgl. dazu: Schimank, Uwe: So viel zu Akteuren! Ein Minimalkonzept zur Beantwortung einer Vorfrage soziologischer Erklärungen, in: Lüdtke, Nico; Matsuzaki, Hironori (Hrsgg.): Akteur – Individuum – Subjekt. Fragen zu ›Personalität‹ und ›Sozialität‹, Wiesbaden 2001, S. 23–45, hier S. 27. 100 Hierzu zählen aber auch katholische Pfarrer und die neuen lutherischen Prediger sowie Ratsherren. 101 Dieses ist für Braunschweig hinsichtlich innerstädtischer Diskurse verhältnismäßig als eher dürftig einzuschätzen, weshalb die Diskurse auch erst in einem dritten Kapitel ergänzend hinzutreten.

Methodik

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1599 auf der politischen wie diskursiven Agenda standen und durch welche Akteure sie getragen wurden. Dabei soll eine Beschränkung auf jene Diskurse stattfinden, die sich innerhalb der Stadt bzw. zwischen Stadt und Herzog zutrugen und damit die direkten Verhältnisse und Entwicklungen des städtischen Kirchenwesens betrafen. Allgemeine theologische Diskurse der Zeit, an denen Braunschweiger Theologen ebenfalls beteiligt waren, werden nur insoweit miteinbezogen, wie sie sich auf den innerstädtischen Diskurs auswirkten.102 Die in diesem Dreischritt erarbeiteten Ergebnisse werden abschließend zusammengefasst, verglichen und sodann den Entwicklungen der Nachbarstädte gegenübergestellt. Durch diese abschließende Einordnung in den räumlichen Kontext sollen sowohl die Braunschweiger Eigenheiten herausgestellt werden, als auch jene Verläufe, die im nachreformatorischen Entwicklungsverlauf der Städte durchaus typisch waren. Das Untersuchungsgebiet wird sich im Wesentlichen auf die Stadt Braunschweig beschränken, welche sich aufgrund ihrer exponierten Stellung als größte Hansestadt im Nordwesten des Reiches zur Analyse anbot. Da das städtische Landgebiet bzw. dessen Reformation für die Fragestellung dieser Arbeit eine eher nachgeordnete Rolle spielt, wird es nur am Rande in einem gesonderten Unterkapitel Erwähnung finden.103 Gemäß der Fragestellung soll die Arbeit den Verlauf der nachreformatorischen Ereignisse über einen längeren Zeitraum betrachten. Geeignet scheinen hierfür die Jahre zwischen 1528 und 1599 zu sein. Ersterer Zeitpunkt ergibt sich von selbst, stellt er doch die offizielle Übernahme des lutherischen Glaubens durch die Stadtgemeinde mittels KO dar. Damit wird dem von Bräuer als »historiografischem« Modell bezeichneten Ansatz gefolgt, nach welchem die KO den rechtlichen Abschluss des reformatorischen Geschehens seitens der städtischen Kommune darstellt.104 Allerdings sind diese Abläufe um und nach 1528 nicht ohne ihre jeweilige Tradition bzw. Vorgeschichte zu verstehen, bilden bisweilen sogar einen relativ nahtlosen Übergang. Daher wird zu gegebener Stelle jeweils auch die Zeit vor 1528 in die Betrachtung miteinbezogen. Da die Zeitspanne überschaubar und bearbeitbar bleiben muss, bietet sich das Jahr 1599 als Endpunkt der Betrachtung an. Es stellt aber überdies auch eine kleinere Zäsur im Kirchenwesen der Stadt dar: 1599 trat eine langjährige Vakanz 102 Vor allem die kontroverstheologischen Diskurse der 1570er-1590er Jahre können hierzu gezählt werden. Diese finden in der Untersuchung zwar bisweilen Erwähnung, spielen aber in den innerstädtischen Diskursen nur 1596–1599 eine Rolle, was wiederum in einem eigenen Kapitel abgehandelt wird. Anderweitige Diskurse sind – soweit sie die Konkordienformel betreffen – bereits eingehend untersucht worden. Für den Braunschweiger Raum vgl. Mager, Inge: Die Konkordienformel im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel. Entstehung – Rezeption – Geltung, Göttingen 1993 (= Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, 33). 103 Vgl. Kapitel 2.4: »Reformation des Städtischen Landgebietes«. 104 Vgl. Bräuer, Beginn, S. 86.

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im Superintendentenamt ein, kurz darauf kam es zu Bürgerunruhen und später auch zur Veränderung der Ratsverfassung.105 Wie schon der Anfangspunkt der Untersuchung, so ist auch das Jahr 1599 als Betrachtungsendpunkt nicht absolut zu verstehen: Gewisse singuläre Prozesse – etwa im Patronatswesen – waren noch über die Zeit um 1600 nicht abgeschlossen, weshalb gelegentlich über das Jahr 1599 hinausgegriffen werden muss, sofern dies notwendig erscheint. Abschließend seien hier noch einige Begrifflichkeiten erläutert, deren präzise Arbeitsdefinition für ein künftiges Verständnis der Schilderungen notwendig ist. Der »Prädikant« wird nachfolgend in seiner zeitgenössischen Quellenbedeutung gebraucht: Es handelte sich hierbei demnach um einen lutherischen Prediger. Gemeint ist folglich nicht der in Norddeutschland ohnehin kaum auftretende Prädikant einer gestifteten Laienprädikatur.106 Die Bezeichnung »Pfarrer« wird gemäß zeitgenössischer Definition und Rechtslage lediglich dann verwendet, wenn es sich um einen mit den Pfarrpfründen regulär belehnten Prediger handelt. Das war in Braunschweig erst seit 1570 der Fall und galt an den größeren Kirchen auch nur für einen der beiden jeweiligen Prediger – in allen anderen Fällen wird daher vom »Prediger« bzw. »Prädikant« gesprochen. Die Zuschreibungen »katholisch« wie auch »altgläubig« werden dabei künftig für jene Personen verwendet, die dem päpstlichen – heute »katholischen« – Glauben anhingen. Hierin soll keine Wertung impliziert sein. Der Begriff der »Gemeinde« ist ebenso schillernd wie unpräzise – so enthält das Lexikon für Theologie und Kirche z. B. allein sieben Definitionen, von der systematisch-theologischen, über die kirchenrechtliche (= Pfarrei) bis hin zur politisch-soziologischen (= sozialer Gemeinschaftsverband, Kommune).107 Sofern nicht ausdrücklich anders erwähnt, wird nachfolgend letztere Definition als Grundlage genommen: Gemeinde wird demnach, ausgehend von Blickles Begriff der »Gemeindereformation«, als politische Vertretung »des ›gemeinen Mannes‹ in den Städten und auf dem Lande« verstanden und steht damit der »politischen Herrschaft«, also dem Rat gegenüber.108 Damit wird die Gemeinde gemäß Blickle nach oben hin vom Rat als Obrigkeit abgegrenzt, nach unten hin von den außerständischen »Einwohnern« (Knechte, Mägde, etc.), welche bei der Implementation der Reformation in Braunschweig – soviel sei bereits vorweggenom105 Vgl. Kapitel 1.6. 106 Vgl. Hölzel-Ruggiu, Hildegund: Der Prediger Dr. theol. Heinrich Toke, in: Mertens, Volker; u. a. (Hrsgg.): Predigt im Kontext, Berlin/Boston 2013, S. 523–544, hier S. 526: »Für die nördlicheren Gebiete Deutschlands ist keine städtische Prädikatur bekannt.« Ausnahmen bildeten demnach lediglich die Prädikaturen an den Domstiften (zumeist als »Lekturen« bezeichnet), die freilich keine Laienstiftungen waren – so etwa in Hamburg, Lübeck oder Magdeburg. 107 Vgl. Zelinka, Udo: Art. Gemeinde, in: Kaspar, Walter (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. Vierter Band. Franca bis Hermenegild, 3. Auflage, Freiburg 2009, Sp. 417–423. 108 Vgl. Hamm, Bürgertum, S. 185 [Fußnote 15].

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men – keine sichtbare Rolle mehr gespielt haben.109 Entsprechend werden in den Diskursen sämtliche Ausschüsse zur »Gemeinde« subsummiert, die sich als Gegenüber zum Rat auf der einen und der Geistlichkeit auf der anderen Seite verstanden (Hauptleute, Gildemeister, Geschickte, Abgeordnete der Bürgerschaft, Kirchenvertreter110). Denn dieses »Kräftedreieck« (Schilling) von Rat/ Geistlichkeit/Gemeinde war es, welches bei den künftigen (nach)reformatorischen Auseinandersetzungen noch eine maßgebliche Rolle spielen sollte.111

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1.5.1 Braunschweiger Kirchen- und Verfassungsstruktur um 1520 Um die späteren Prozesse und Veränderungen im Kirchen-, Armen- und Schulwesen adäquat einordnen zu können, ist es zum besseren Verständnis unablässig, vorab das Kirchen- und Verfassungswesen Braunschweigs am Vorabend der Reformation kurz zu skizzieren. Braunschweig war als Landstadt ursprünglich allen Welfenherzögen unterstellt. Um 1500 war die Stadt aber theoretisch nur noch zwei Linien des Welfenhauses Braunschweig-Lüneburg zur Huldigung verpflichtet: den Fürsten von Lüneburg und jenen von Braunschweig-Wolfenbüttel. Die beiden anderen, damals existierenden welfischen Linien (Göttingen-Calenberg und Grubenhagen), hatten bereits im 15. Jh. auf ihre Ansprüche verzichtet.112 Gleichwohl fühlte sich als Lehnsherr hauptsächlich der Herzog des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel zuständig, in dessen Territorium die Stadt lag.113 Spätestens seit dem 15. Jahrhundert übten die Herzöge aber praktisch keinerlei Regierungsgewalt mehr über Braunschweig aus – aufgrund zahlreicher Privilegien konnte die Stadt sich um 1500 in Sachen Autonomie mit den meisten Reichsstädten messen und 109 Vgl. Blickle, Peter: Gemeindereformation. Die Menschen des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil, München 1987, S. 18. Vgl. allgemein zur Thematik auch: ders. Kommunalismus. Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform. Band 1: Oberdeutschland, München 2000. 110 Die Pfarrgemeinde entsprach in Braunschweig überwiegend der jeweiligen kommunalen Weichbildgemeinde, da die meisten Weichbilde (bis auf die Altstadt und z. T. der Sack) identisch mit ihren Pfarrbezirken waren. 111 Vgl. zum Begriff: Schilling, Konfessionskonflikt, S. 99. 112 Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 26. Calenberg hatte erst 1495 auf alle Ansprüche verzichtet, Grubenhagen bereits 1428. Vgl. zu Letzerem: Hassebrauk, Heinrich der Jüngere, S. 5. 113 Im 16. Jh. huldigte die Stadt aber z. B. auch dem Lüneburger Herzog Ernst (1540). Interessanterweise ist der Huldigungsvertrag von 1540 zwischen der Stadt Braunschweig und Herzog Ernst in der Forschung kaum wahrgenommen worden. Vgl. StadtA BS, A I 1 Nr. 1438. Ebenso die sich daran anschließende, degradierende Titulation Heinrichs d.J. als nunmehrigen Mitlandesfrüsten (an Stelle des vorherigen Landesfürsten).

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übertraf sie bisweilen sogar:114 »Die Hoheitsrechte waren schon im 14. und 15. Jahrhundert an die Stadt übergegangen, im Grunde verblieb dem Herzog nur noch die Huldigung durch die fast autonome Landstadt.«115 Nicht umsonst wurde für diese – in Norddeutschland recht übliche – Gattung einer quasi unabhängigen Landstadt der »Typus der halbautonomen Stadt« bzw. der Autonomiestadt eingeführt.116 Für den Reformationsvorgang innerhalb dieser Städtegruppe prägte Schilling den keinesfalls unumstrittenen Typus der »Hansestadtreformation«.117 Diplomatisch wie militärisch sollte sich das Verhältnis jedoch zwischen 1494–1671 in zahlreichen bewaffneten Auseinandersetzungen und Rechtsprozessen zwischen Stadt und Herzog auswirken.118 Die Hansestadt Braunschweig war im Hoch- und Spätmittelalter aus fünf selbstständigen Weichbilden zu einer Gesamtstadt zusammengewachsen. Dies waren die patrizisch geprägte Altstadt, der ebenfalls wohlhabende Hagen, die Neustadt und die beiden ärmeren, vom Handwerk geprägten Weichbilde Altewiek und Sack. Alle fünf Weichbilde besaßen ihren eigenen Weichbildrat, der insbesondere im niederen Verwaltungswesen nicht unerhebliche Befugnisse119 innehatte, sowie ein Rathaus und eine eigene Kämmerei. Die Mitglieder sämtlicher Weichbildräte bildeten wiederum zusammen den Rat der Gesamtstadt (= »Voller Rat«). Dieser tagte im Neustadtrathaus. Von den insgesamt 103 Ratsherren des Gesamtrates übte jeder sein Amt aber (üblicherweise) nur ein Jahr aus und pausierte die nächsten zwei Jahre, wodurch jährlich also nur 1/3 der Ratsherren tatsächlich regierte (= »Gemeiner Rat«). Da sich auch der Gemeine Rat als zu unflexibel erwiesen hatte, übernahm das alltägliche Geschäft der sog.

114 Vgl. Barges, Willi: Die Entwicklung der Autonomie der Stadt Braunschweig, in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde 25 (1892), S. 289–331. 115 Täubrich, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 34. 116 Laux verwendet diese Bezeichung z. B. für Braunschweig, Hannover, Göttingen, Lüneburg, Osnabrück, Wismar, Rostock und Stralsund. Vgl. Laux, Reformationsversuche, S. 34. 117 Vgl. Schilling, Heinz: The Reformation in the Hanseatic Cities, in: The Sixteenth Century Journal 14/4 (1983), S. 443–456, hier S. 444. Zur Kritik: Merz, Landstädte, S. 122: Den »Begriff der ›Hansestadtreformation‹ sollte man wegen seiner sachlichen Begrenzung zur Bezeichnung des Gesamtvorgangs nicht verwenden.« Dazu auch Rüth, Reformation, S. 249f. sowie Pabst, Typologisierbarkeit, S. 41. Pabst kritisiert – wie schon Rüth – die Eindimensionalität der Typologisierung Schillings (nämlich den externen Rahmen als Kategorisierungsmerkmal). 118 Vgl. dazu u. a.: Grüter, Maria Elisabeth: »Getruwer her, getruwer knecht«. Zur Politik der Stadt Braunschweig im Spannungsfeld von Kaiser, Reich und Landesfürst in der Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Sicken, Bernhard (Hrsg.): Herrschaft und Verfassungsstrukturen im Nordwesten des Reiches. Beiträge zum Zeitalter Karls V., Köln/Weimar/Wien 1994 (= Veröffentlichungen des Instituts für Vergleichende Städtegeschichte in Münster, 35), S. 241– 252; Steinführer, Herzogtum; ders., Reich und Fürstenherrschaft; Hassebrauk, Heinrich d.J. 119 Z. B. Anstellung von Bediensteten, Bauaufsicht über die örtlichen Bauvorhaben, Kontrolle des Wallabschnitts, nach 1528 auch Wahl der Prediger.

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»Küchenrat«120, ein Ausschuss sämtlicher Weichbildbürgermeister und der Kämmerer von Altstadt und Hagen. Jeder Ratsherr amtierte gewöhnlich zunächst auf Lebenszeit, konnte aber im Alters- oder Krankheitsfall ein Abdankungsgesuch stellen. Abgedankt und gewählt wurde der Rat alle drei Jahre am Dreikönigstag (6.1.) durch 28 Hauptleute und 28 Gildemeister.121 Diese beiden Stände waren durch die spätmittelalterlichen Schichten (Aufstände) 1386–1445 zu politischer Partizipation gelangt.122 Seitdem durften die Hauptleute 25 Ratsstühle besetzen, die Gildemeister sogar 78.123 Die Hauptleute selbst repräsentierten wiederum die gildelose Gemeinde und wurden von ihr jedes dritte Jahr vor der Ratswahl, am Andreasabend (29.11.), gekoren, während die zünftischen Bürger zugleich jeweils ihre Gildemeister wählten.124 Nach 1500 bürgerten sich überdies jährlich zwei ständische Treffen zwischen Rat, Gildemeistern und Hauptleuten ein, die im Frühjahr und Herbst durchgeführt wurden. Hier konnten die Gilden und Gemeinden ihre Beschwerdepunkte vorbringen, während der Rat seinerseits wichtige Entscheidungen wie Steuererhöhungen, Verfassungsänderung oder politische Angelegenheiten mit den Ständen verhandelte. Diese Treffen sollten später, insbesondere in den Verhandlungen der Reformationszeit, noch von zentraler Bedeutung sein. Schließlich trat dem Rat 1513 als Finanzverwaltung das Gremium der Zehnmänner an die Seite.125 Bis 1614 sollte sich diese Ratsverfassung nun nicht mehr ändern. Im 16. Jahrhundert zählte Braunschweig etwa 15.000–18.000 Einwohner126 inkl. etwa 500 Kleriker127 und lässt sich damit den zeitgenössischen Großstädten 120 Der Name leitete sich vom mittelalterlichen Sitzungszimmer über der Küche des Neustadtrathauses her. Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 526. Im 17. Jahrhundert wurde er dann bisweilen auch als »Enger Rat« bezeichnet. 121 Eine minutiöse Beschreibung des Wahlablaufs im 16. Jahrhundert hat sich in einer Chronik von 1603 erhalten. Vgl. StadtA BS, H V Nr. 282 [o.P.]. Erste sieben Seiten des Bandes. 122 Vgl. Puhle, Matthias: Die Braunschweiger »Schichten« (Aufstände) des späten Mittelalters und ihre verfassungsrechtlichen Folgen, in: Garzmann, Manfred (Hrsg.): Rat und Verfassung im mittelalterlichen Braunschweig. Festschrift zum 600jährigen Bestehen der Ratsverfassung 1386–1986, Braunschweig 1986 (= Braunschweiger Werkstücke, 64), S. 235–251, hier S. 247. Zur Verfassungsentwicklung bis 1445/46 auch Spieß, Werner: Die Ratsherren der Hansestadt Braunschweig 1231–1671, Braunschweig 1970 (= Braunschweiger Werkstücke, 42), S. 22–31. 123 Dieser Wahlmodus sollte sich erst nach der Revolution von 1614 und endgültig 1621 wieder etwas ändern. 124 Dazu ausführlich vgl. Walter, Jörg: Rat und Bürgerhauptleute in Braunschweig 1576–1604. Die Geschichte der Brabandtschen Wirren, Braunschweig 1971 (= Braunschweiger Werkstücke, 45), S. 13–17. 125 Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 541. 126 Zu den Einwohnerzahlen: Mörke, Rat und Bürger, S. 34, geht von 13–16000 Einwohnern aus. Steinführer setzt die Zahl sehr hoch bei ca. 20.000 an, da die u. a. auch bei Spieß angegebenen 13–16000 Einwohner auf das Städtebuch von 1550 zurückgingen, in welchem Jahr Braun-

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zurechnen. Sie war überdies Mitglied im Städtebund der Hanse und beherbergte eine bedeutende Anzahl an Fernhandelskaufleuten, die insbesondere in der Altstadt – und z. T. im Hagen – ansässig waren. Entsprechend reich war es daher auch um das Kirchenwesen bestellt. Zunächst einmal gab es sieben Pfarrkirchen in der Stadt. Die Weichbilder von Hagen, Neustadt und Altewiek entsprachen in ihrer Gliederung jeweils einer Parochie. Das Weichbild Hagen gehörte zur Parochie der Kirche St. Katharinen, die Neustadt bildete die Gemeinde von St. Andreas, die Altewiek war der St. Magnikirche zugeordnet. Das Weichbild Sack besaß in seinem Gebiet zwar keine Kirche, doch war es, zusammen mit einem kleinen Teil der Altstädter Bürger,128 der St. Ulricikirche in der Altstadt zugeteilt. Die reiche Altstadt besaß dementgegen gleich drei eigene Kirchen und war demgemäß in mehrere Parochien gegliedert: St. Martini, St. Petri und St. Michaelis. In halbjährlichem Turnus wurden an allen Kirchen von den amtierenden Pfarrherren neue Predigerkapläne eingestellt – Die Pfarrer selbst scheinen um 1520, wenn überhaupt, nur wenig zelebriert zu haben.129 Die Patronate lagen für diese Kirchen überwiegend beim Herzog des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel.130 Lediglich für St. Michaelis konnte die Altstadt als

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schweig durch Krieg und Pest wohl mehrere Tausend Todesopfer zu beklagen gehabt hätte. Vgl. Steinführer, Geschichte, S. 8. Rosseaux nennt 18.000 Einwohner um 1500 und 16.000 Einwohner um 1550, vgl. Rosseaux, Ulrich: Städte in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006, S. 9. Diese Daten dürften u. a. der Volkszählung von 1551 entnommen sein (16192 Personen). Vgl. zu den Einwohnerzahlen der Weichbilde 1551: Vechelde, Carl Friedrich von (Hrsg.): Tobias Olfen’s, eines braunschweigischen Rathsherrn, Geschichtsbücher der Stadt Braunschweig, Braunschweig 1832, S. X [Vorwort]. 1629 wurden während der Pest nur 15.100 Einwohner angegeben (B III 6 Nr. 3, Bl. 407r). Man kann also im 16. Jahrhundert wohl am ehesten von einer Zahl zwischen 15.000 und 18.000 Einwohnern ausgehen. Vgl. Rahn, Kerstin: Religiöse Bruderschaften in der spätmittelalterlichen Stadt Braunschweig, Braunschweig 1994 (= Braunschweiger Werkstücke, 91), S. 91. Freilich ist dies wohl eine äußerst grobe Schätzung. Allerdings könnte sie zutreffen: So konnten allein für St. Martini im Jahr 1519 schon 40 Kleriker nachgewiesen werden: Ein Pfarrer, sieben Kapläne, drei Prädikanten, vier Pfarrschüler und 25 Vikare. Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 4, pag. 861. Es handelte sich hierbei um die St. Ulrici Bauerschaft, die im Westen bis zur Gördelinger Straße reichte. Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 1: Die pastores, die so vonn den fürsten mitt der pfare beligenn waren, preddigeten nicht selbest, wennich ausgenommen […]. StadtA BS, H III 7 Nr. 5 Vol. 2, pag. 15: Omnes autem, sive praesentes, sive absentes, suas parochias elecarunt [sic!] aliis mercenariis, qui certum censum de bonis ecclesiasticis pastoribus suis solvebant, de relique, ut et de quotidianis accidentibus vivebant cum suis ministeris. Vgl. zu den Patronatsrechten ausführlich: Hergemöller, Bernd-Ulrich: Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Klerus und Stadt im spätmittelalterlichen Braunschweig, in: Garzmann, Manfred R.W. (Hrsg.): Rat und Verfassung im Mittelalterlichen Braunschweig. Festschrift zum 600jährigen Bestehen der Ratsverfassung 1386–1986, Braunschweig 1986 (= Braunschweiger Werkstücke, 64), S. 135–186, hier S. 136–146. Einen aktuelleren Überblick bietet überdies: Kuper, Gaby: Stadt und Kirche in Braunschweig vor der Reformation, in: Hoffmann, Birgit; Pöppelmann, Heike; Rammler, Dieter (Hrsgg.): Reformation. Themen,

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Patron selbst den Pfarrherrn nominieren und präsentieren. Das Patronat für St. Petri lag beim Kollegiatstift St. Cyriaci, jenes für St. Magnus beim Benediktinerkloster St. Ägidien. Die Anzahl der monastischen Einrichtungen war – gemessen an der Größe Braunschweigs – eher moderat:131 Es gab vier Klöster und zwei Stifte. Am bedeutsamsten war das Benediktinerkloster St. Ägidien, dessen Stifter und Patrone die Braunschweiger Herzöge waren. Es bildete, direkt an der Altewiek gelegen, eine eigene Klosterfreiheit und war erst im 15. Jahrhundert durch die erweiterte Stadtmauer in die Stadt aufgenommen worden. Daneben gab es das Zisterzienserinnenkloster St. Crucis, welches auf dem Rennelberg im Nordwesten vor der Stadt gelegen war. Es diente vornehmlich als Versorgungsanstalt der wohlhabenderen Braunschweiger Bürgertöchter sowie umliegender Adelsfamilien. Im Hochmittelalter hatten sich überdies die Mendikantenorden der Franziskaner und Dominikaner in der Stadt niedergelassen. Im Zentrum, direkt neben dem Sack, lag das bedeutsame (herzogliche) Kollegiatstift St. Blasius, in dessen Freiheit der Herzog sämtliche Justizrechte für sich beanspruchte.132 Im Süden vor der Stadt war schließlich auf einer Anhöhe (Berg) das kleinere Kollegiatsstift St. Cyriacus angesiedelt, dessen Patron ebenfalls der Herzog war. Neben den Klöstern, Stiften und Pfarrkirchen gab es freilich noch unzählige Kapellen; zu nennen sind hier als bedeutendste u. a. St. Nikolai, St. Bartholomäus, Heiliggeist, St. Matthäi, St. Johannis, St. Jacobi und St. Auctor. Auch hier waren die Patrone vielfach die Klöster und Stifte der Stadt, einige Kapellen wurden indes auch von Kalanden, Bruderschaften und Orden (Johanniter) genutzt. Das Kloster Riddagshausen besaß zudem einen eigenen Klosterhof (»Grauer Hof«) in der Stadt. Ebenfalls in das kirchliche Netz eingebunden waren schließlich die zahlreichen Beginenhäuser und Hospitäler, die vielfach eigene Kapellen besaßen. Um 1500 zählte Braunschweig ca. 20 solcher Einrichtungen.133 Die höheren Geistlichen der Stadt waren bis 1528 zu einer Gemeinschaft, der sog. »Union« (bzw. »Unio cleri«) zusammengeschlossen. Diese setzte sich aus Akteure, Medien. Beiträge zur Ausstellung »Im Aufbruch. Reformation 1517–1617« vom 7. Mai-19. November 2017 in Braunschweig, Braunschweig 2018 (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig, 26), S. 13–44. 131 Während Braunschweig inkl. St. Crucis lediglich vier Klöster beherbergte, wies Nürnberg z. B. allein sieben Männerklöster auf, das kleinere Regensburg sogar elf. Vgl. weitere Zahlen bei Ziegler, Walter: Reformation und Klosterauflösung. Ein ordensgeschichtlicher Vergleich, in: ders. (Hrsg.): Die Entscheidung deutscher Länder für oder gegen Luther. Studien zu Reformation und Konfessionalisierung im 16. und 17. Jahrhundert. Gesammelte Aufsätze, Münster 2008 (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 151), S. 355–392, hier S. 358. 132 Letzteres sollte ab 1539 zunehmend vom Rat durch einen eigenen Vogt angefochten werden. Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 251v. 133 Vgl. Kapitel 2.2.6.

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den sieben Pfarrherren, den Dekanen der beiden Kollegiatsstifte, sowie Propst und Abt von St. Crucis bzw. St. Ägidien zusammen.134 Die Union kümmerte sich um die geistlichen Belange innerhalb der Stadt und wachte über etwaige kirchliche Veränderungen.135 Dabei konkurrierte sie jedoch bisweilen mit dem in der Stadt residierenden, bischöflichen Offizial. Da Braunschweig durch die Oker in zwei Diözesen136 geteilt war, hatten sich die zuständigen Bischöfe von Hildesheim und Halberstadt 1391 entschlossen, einen gemeinsamen Offizial einzustellen, der in der Stadt residierte und auch von dieser unterhalten wurde. Seitdem mussten die Bürger in kirchlichen Dingen nicht mehr die auswärtigen Sendgerichte in Stöckheim und Atzum aufsuchen, sondern konnten sich direkt an den städtischen Offizial wenden. Wie in anderen Städten,137 so lassen sich auch in Braunschweig um 1500 lebhafte Frömmigkeitsformen nachweisen.138 Deutlich wird dies an verschiedenen Phänomenen, insbesondere aber an der Stiftungsfreudigkeit. Allein zwischen 1500 und 1527 ließen sich 28 neu gestiftete Kommenden an den Pfarr-

134 Vgl. Dürre, Hermann: Geschichte der Stadt Braunschweig im Mittelalter, Wolfenbüttel 1875, S. 374 sowie Kuper, Stadt, S. 17. Auch StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 1: Das kirchen regementh is also gefasset gewesenn, das die vornemesten prelatenn der abbet zw sancte Egidien, der dechen zw sanct Blasij, der dechenn zw sancte Ziriacus auff dem berge vor Brunschwich, pastor sancte Mertinn, Petri, Andreas, Mangni, Vllericij, Michelij, comporitus zum Heilligen Creutz sich also in einicheitt zw samde hilten […] vnd dis hiss man die Vnio. 135 Reller hat im späteren »Kolloquium« von 1529 eine Art evangelische Fortführung der katholischen Unio gesehen. Vgl. Reller, Horst: Vorreformatorische und reformatorische Kirchenverfassung im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, Göttingen 1959 (= Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, 10), S. 96. Diese (freilich einleuchtende) Verknüpfung ist jedoch problematisch, da die Unio lediglich aus jenem »Hochklerus« bestand, der 1528ff. ausnahmslos abgesetzt wurde. Auch die Tatsache, dass evangelische Kolloquien in den meisten Städten gegründet wurden, weist hier m. E. eher auf eine logische Notwendigkeit, denn auf einen zwingenden Zusammenhang von Unio und Kolloquium hin. 136 Die Weichbilde Altstadt, Sack und Neustadt im Westen der Oker gehörten zur Diözese Hildesheim, die Weichbilde Hagen und Altewiek im Osten zur Diözese Halberstadt. Vgl. dazu ausführlicher Kapitel 2.1.6. 137 Im benachbarten Goslar wurden z. B. von 85 Messpfründen allein 14 in den Jahren 1510– 1519 errichtet. Diese »Überfülle religiösen Lebens und Strebens« am Vorabend der Reformation ist mitlerweile weithin bekannt. Vgl. Graf, Sabine: Von der Pfründe zur Pfarrerbesoldung. Die Finanzierung der Pfarrseelsorge in Goslar vor und nach der Reformation, in: JGNKG 94 (1996), S. 21–50, hier S. 27. Auch in Hannover hatte die Spendenbereitschaft von 1491–1510 ihren Höhepunkt. Vgl. Müller, Stadt, S. 38 138 Vgl. Patze, Hans: Bürgertum und Frömmigkeit im mittelalterlichen Braunschweig, in: Johanek, Peter; Schubert, Ernst; Werner, Matthias (Hrsgg.): Ausgewählte Aufsätze von Hans Patze, Bd. 2, Stuttgart 2002 (= Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte, 50), S. 563–585, hier S. 585. Auch: Steinführer, Henning: Braunschweiger Bürgertestamente als Quellen zur Frömmigkeitsgeschichte um 1500, in: Bünz, Enno; Kühne, Hartmut (Hrsgg.): Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland, Petersberg 2013, S. 307–324, hier S. 324.

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kirchen und Kapellen belegen.139 1507 wurde darüber hinaus z. B. vom Altewiekrat zu St. Magnus ein neues »großes Fest«140 (groten feste) für den Sonntag nach Hlg. Leichnam gestiftet, bei welchem künftig hohe Präsenzgelder für alle Geistlichen der Kirche bereitgestellt wurden.141 Auch der Ablasshandel blühte in Braunschweig zunächst noch durchaus, wie Vogtherr anhand der beiden Ablasskampagnen des päpstlichen Legaten Peraudi (1488/1503) feststellte: »Braunschweig und Peraudi: Das ist auch ein Anschauungsbeispiel der tiefen ›Frömmigkeit in Deutschland um 1500‹ […].«142 So wurden in der Hansestadt 1503 durch Peraudi immerhin 3895 Gulden eingenommen:143 Eine damals verhältnismäßig noch durchaus stattliche Summe.144 Allerdings dürfte auch in Braunschweig nach 1503 eine allmähliche Ablassverdrossenheit eingesetzt haben, wie sie mittlerweile für die Zeit vor 1517 angenommen werden kann. Auch wenn einzelne Stimmen (Wiegand, Kühne, Vogtherr) noch für eine ungebrochene Ablassfrömmigkeit bis 1517 plädieren:145 Überwiegend herrscht mittler-

139 Dies wurde eigens zusammengetragen aus zahlreichen Urkunden, Kopialbüchern und dem »Fundationsbuch«, erhebt allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist anzunehmen, dass es sogar noch mehr Stiftungen in diesem Zeitraum gegeben hat – überdies wurden Klöster und Stifte bei dieser Erhebung außen vor gelassen. 140 Es handelte sich also um ein Fest höherer Stufe, in welchem auch Orgelspiel, Kerzen, etc. verwendet wurden. Vgl. Haas, Leben, S. 312ff. 141 Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 8, Bl. 8r–8v. So heißt es dort am Ende (Bl. 8v): Jtem duth fest is geset vnde bestedet van dem rade in der Olden wyck vnde van den olderluden mydt willen des perners jn dem jare xvc vnd vii an dem dage der Hilligen Drevoldicheit. 142 Vogtherr, Thomas: Kardinal Raimund Peraudi als Ablaßprediger in Braunschweig (1488 und 1503), in: BsJb 77 (1996), S. 151–180, hier S. 172. Zu den verschiedenen Braunschweiger Ablässen der 1470er-1510er Jahre vgl. Piekarek, Roderich: Die Braunschweiger Ablaßbriefe. Eine quellenkundliche Untersuchung über die Finanzierung der mittelalterlichen Kirchenbauten im Hinblick auf die damalige Bußpraxis, in: BsJb 54 (1973), S. 74–137, hier S. 112–136. Zu Peraudis Wirken vgl. auch ausführlich: StadtA BS, H III 2 Nr. 24,2 pag. 236– 237. 143 Vgl. Vogtherr, Kardinal, S. 168. 144 Zur relativen Einordnung der in Braunschweig eingenommenen Ablassgelder vgl. Winterhager, Wilhelm Ernst: Ablaßkritik als Indikator historischen Wandels vor 1517. Ein Beitrag zu Voraussetzungen und Einordnung der Reformation, in: ARG 90 (1999), S. 6–71, hier S. 29. 145 Vgl. Vogtherr, Thomas: Seelenheil und Sündenstrafen. Der Ablass im spätmittelalterlichen Niedersachsen, in: NdSächsJb 75 (2003), S. 35–52, hier S. 45 u. S. 51: »Noch ist kaum eine Spur grundsätzlicher Kritik an diesem Angebot der Kirche spürbar, ganz im Gegenteil: Gerade die letzten Ablasskampagnen unmittelbar vor den ersten Regungen der Reformation brachten bis dahin ungeahnten Zulauf.« Aktuell vertritt auch Wiegand in Ablehnung Winterhagers hinsichtlich Sachsens die Ansicht, dass bei der Bevölkerung bis 1517 noch »weiterhin ein gesundes Vertrauen in kirchliche Indulgenzen vorherrschte.« Vgl. Wiegand, Peter: Marinus de Fregeno – Raimund Peraudi – Johann Tetzel. Beobachtungen zur vorreformatorischen Ablasspolitik der Wettiner, in: Rehberg, Andreas (Hrsg.): Ablasskampagnen des Spätmittelalters, Berlin/Boston 2017 (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 132), S. 305–336, hier. S. 332. Überdies vgl. Kühne, Hartmut: Magdeburg und der Ablass am Vorabend der Reformation, in: Ballerstedt, Maren; Köster, Gabriele; Poenicke, Cornelia

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weile – ausgehend von Winterhager – die Auffassung vor, dass die Ablasskritik seit 1500 stetig zugenommen hat (Kaufmann, Schilling, Leppin). Zu sehen ist dies demnach einerseits an den Aussagen Luthers selbst, andererseits an den stetig sinkenden Einnahmen der Ablasskampagnen bis 1517.146 In der Tat lässt sich eine vorreformatorische Ablasskritik auch für Braunschweig belegen. Deutlich wird sie anhand des mit Thomas Müntzer in Kontakt stehenden Bürgers Heinrich Hanner. Aus einem seiner Briefe, den er im Juni 1517 an Müntzer schrieb, wird ersichtlich, »dass in Braunschweig bereits vor den Wittenberger Ablassthesen Luthers ein Potential an Unklarheiten und Zweifeln an der gängigen Ablasspraxis entstanden war, an das der reformatorische Einspruch anknüpfen konnte.«147 Hanner war sich z. B. unsicher, wie weit die Vollmacht des Papstes zur Sündenvergebung reichte, ob der Ablass aus dem Schatz der Kirche herrühre und was unter »Ablass von Strafe und Schuld« zu verstehen sei.148 Neben Hanner haben Bräuer und Bubenheimer einen ganzen Zirkel »frühprotestantischer« bzw. kirchenkritischer Bürger um den Fernhändler Hans Pelt in Braunschweig ausfindig gemacht, die bereits um 1520 in regem Austausch standen:149 In jenen Kreisen rezipierte man lutherische Bücher, kritisierte das Ablasswesen sowie die Heilsvorstellung der Scholastiker und aß bereits Fleisch in Fastenzeiten. Allerdings geschah dies bislang offensichtlich noch im privaten häuslichen Rahmen. Von lutherisch geprägten Predigten wird jedenfalls bis 1520 noch nichts berichtet.

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(Hrsgg.): Magdeburg und die Reformation. Teil 1. Eine Stadt folgt Martin Luther, Halle 2016 (= Magdeburger Schriften, 7), S. 23–55, hier S. 44. Zu Ablasskritik und abnehmendem Ablassverkauf vor 1517 vgl. Winterhager, Ablaßkritik, insb. S. 29–34 sowie Kaufmann, Thomas: Der Anfang der Reformation. Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung, 2. durchgesehene und korrigierte Auflage, Tübingen 2018 (= Sptämittelalter, Humanismus, Reformation, 67), S. 169–176. Ebenfalls zustimmend, aber mit einer stärkeren Betonung divergierender spätmittelalterlicher Frömmigkeitsformen, in denen auch Ablasskritik aufgetreten sei, vgl. Leppin, Volker: Das ganze Leben Buße. Der Protest gegen den Rahmen von Luthers früher Bußtheologie, in: Rehberg, Andreas (Hrsg.): Ablasskampagnen des Spätmittelalters, Berlin/Boston 2017 (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 132), S. 523–564, hier. S. 552 [Fußnote 131]. Kühne, Hartmut; Brumme, Carina: Ablässe und Wallfahrten in Braunschweig und Königslutter. Zu einem Detail des Briefes Heinrich Hanners an Thomas Müntzer, in: Kühne, Hartmut, u. a. (Hrsgg.): Thomas Müntzer – Zeitgenossen – Nachwelt. Siegfried Bräuer zum 80. Geburtstag, Mühlhausen 2010 (= Veröffentlichungen der Thomas Müntzer Gesellschaft e.V., 14), S. 39–71, hier S. 39. Dazu auch: Bubenheimer, Thomas Müntzer und der Anfang, S. 18. ders.: Thomas Müntzer in seinem vor- und frühreformatorischen Umfeld. Kühne/Brumme, Ablässe, S. 39. Vgl. Bubenheimer, Thomas Müntzer und der Anfang, S. 7.

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1.5.2 Die Reformation und ihre Ereignisse bis 1528 Die ersten Nachrichten über reformatorische Predigten in Braunschweig datieren auf die Jahre 1521–1523.150 In dieser Zeit begann Gottschalk Kruse,151 ein Mönch des Braunschweiger Ägidienklosters, im Refektorium mit der Auslegung des Matthäusevangeliums. Kruse hatte auf Anraten seines Priors152 in Erfurt und Wittenberg studiert und war von der dortigen reformatorischen Bewegung erfasst worden. Bereits 1523 musste er jedoch auf Druck der Geistlichkeit und des Herzogs aus der Stadt weichen und wandte sich schließlich nach Celle. Kruse war damals in Braunschweig jedoch nicht der Einzige, der für die lutherischen Lehren empfänglich war. In Kontakt mit Luthers Schriften kam er durch den Bürger Peter Hummel. Dieser korrespondierte wiederum mit dem Fernhandelskaufmann Hans Pelt und auch mit Thomas Müntzer.153 Hinzu traten der Zollschreiber Marsilius, Amtsnachfolger des bekannten niederdeutschen Chronisten Hermann Bote, der Kaufmann Hinrick Reinhusen, Hans Kettler, Nikolaus Decius sowie Hans und Peter Horneburg.154 Seit 1523 waren überdies auch der Patrizier und Kaufmann Bertram von Damm sowie sein Freund, der Humanist und Arzt Euricius Cordus in der reformatorischen Bewegung aktiv.155 150 Über die Ereignisse ist man im Wesentlichen von Kruse selbst unterrichtet. Vgl. Hänselmann, Ludwig (Hrsg.): D. Gottschalk Krusens Klosterbruders zu St. Aegidien in Braunschweig Unterrichtung, warum er aus dem Kloster gewichen. Nach dem Urdruck mit einer geschichtlichen Einleitung und einem Glossar, Wolfenbüttel 1887. Bzw. der Originaldruck im VD16: VD16 ZV 9237. Dazu auch Rehtmeyer, Historiae III, S. 18. Zu den drei Modellen, wann der Beginn der Reformation in Braunschweig anzusetzen sei, vgl. Bräuer, Beginn, S. 86–93. 151 Zu Gottschalk Kruse auch ausführlich: Rüttgardt, Antje: Klosteraustritte in der frühen Reformation. Studien zu Flugschriften der Jahre 1522 bis 1524, Heidelberg 2007 (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 79), S. 211–254. Darüber hinaus: Lange, Bernhard: D. Gottschalk Kruse in seiner Bedeutung für die Reformation in der Stadt Braunschweig und dem Fürstentum Lüneburg, JGNKG 56 (1958), S. 97–149 sowie Zimmermann, Gottfried: Der Mönch Gottschalk Kruse, Initiator der reformatorischen Bewegung in Braunschweig, in: Stadtkirchenverband Braunschweig (Hrsg.): Die Reformation in Braunschweig 1528–1978. Festschrift 1528–1978, Braunschweig 1978, S. 19–24. 152 Prior Hermann Boeckheister musste bei Kruse Überzeugungsarbeit leisten. So wollte dieser zunächst nicht einmal Luthers Auslegung des 109. [110.] Psalms lesen, denn als ick dat boek to mick genomen hebbe unde geseyn, dat et in duitscher tungen gescreven, hebbe ick dat nicht beholden willen unde mick entschuldiget, dat ick duitsch to lesende nicht vormogende were, meyst darumme […] dat ick mick schemede (so noch vele don) duitsch to lesen. Vgl. Hänselmann, Unterrichtung, S. 16–17. 153 Vgl. Bubenheimer, Thomas Müntzer und der Anfang, S. 24. Dazu auch ders.: Thomas Müntzer. Herkunft und Bildung, Leiden/New York/Köln u. a. 1989 (= Studies in medieval and reformation thought, 46), S. 66–145. 154 Vgl. Bubenheimer, Thomas Müntzer und der Anfang, S. 7 sowie Bräuer, Beginn, S. 96, 99 u. 109. 155 Vgl. Damm, Richard von: Bertram v. Damm, ein braunschweigischer Zeit- und Streitgenosse Luthers, in: ZGNKG 18 (1913), S. 184–187.

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Cordus verließ Braunschweig um 1526 jedoch wieder – enttäuscht in seinen reformatorischen Erwartungen, nachdem die papistische iugend offt mit koht und steinen auf ihn geworffen hatte.156 Um 1524 begannen auch almelich die lutterische bücher […] in die sthat zw kommen.157 Erste Bürger verließen in diesem Jahr bereits regelmäßig die Stadt, um im lüneburgischen Adenbüttel das Sakrament in beiderlei Gestalt zu empfangen. Obgleich der Rat die Einfuhr lutherischer Bücher und auch das Herauslaufen der Bürger an andere Orte verbot, hielten sich immer weniger Braunschweiger an diese Verordnungen.158 Bis 1525 gab es dann bereits vier lutherische Prediger: Ludolf Petersen zu St. Martini, Kurt Dume(n) zu St. Andreas, Johann Kopmann zu Unser Lieben Frauen (einer Hospitalkapelle) und Kurt Grotewohl, welcher jedoch kurz darauf wieder entlassen wurde.159 Hinzu trat im selben Jahr später noch Heinrich Lampe (St. Michaelis). Der katholische Klerus versuchte selbstverständlich, die immer stärker werdende evangelische Bewegung in der Stadt einzudämmen. Hierbei traten vor allem die Bettelorden hervor. Nachdem sie 1524 bezüglich ihres weiteren Vorgehens einen Konvent in Braunschweig veranstaltet und dort mit einigen Bürgern eine Disputation abgehalten hatten,160 setzten die Mendikanten seit 1525 ebenfalls verstärkt auf kontroverse Predigten. Diese Aufgabe übernahmen der Franziskaner Dr. Eberhard Runge161 und der Dominikaner Dr. Andreas Lüder: Die münche warneten das folck vor der lutterischen ketzerei, die vorgenanten preddiger vormanten

156 StadtA BS, H III 2 Nr. 24,1, pag. 259–260. Vgl. Jürgens, Gottes Ehre, S. 22–24; Cunze und Fuhse geben als Abreisejahr Cordus’ abweichend 1527 an. Vgl. Fuhse, Franz: Hygiene und Heilkunst in der Stadt Braunschweig während des 16. Jahrhunderts, in: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 4 (1926), S. 23–44, hier S. 31; Cunze, Friedrich: Ein Brief des Euricius Cordus aus Braunschweig (1523), in: Jahrbuch des Geschichtsvereins für das Herzogtum Braunschweig 1 (1902), S. 103–107, hier S. 104. Zu Cordus siehe auch Biegel, Gerd: Euricius Cordus. Ein Humanist am Vorabend der Reformation in Braunschweig, in: Einert, Benedikt; Ploenus, Michael (Hrsgg.): Aus dem Nähkästchen des Historikers. Miniaturen für Matthias Steinbach, Braunschweig 2016, S. 12–22. 157 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 3. Die folgenden Entwicklungen bis 1528 hat Rehtmeyer nahezu wörtlich der hier zitierten, anonym verfassten, Chronik entnommen. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei dem Verfasser um Heinrich Lampe. 158 Vgl. ebd. sowie (inhaltlich identisch) Rehtmeyer, Historiae III, S. 20. 159 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 5. 160 Die Disputation von 1524 zwischen den Mendikanten (Runge/Luder) und den Bürgern (Johannes Hubertus, Peter Horneburg, Marsilius und Johannes Lafferdes) findet sich lediglich bei Hamelmann. Vgl. Hamelmann, Hermann: Secunda Pars Historiae Ecclesiasticae Renati Euangelii Per Inferiorem Saxoniam & VVestphaliam, [o.O.] 1587 [VD16 H 390], Bl. 38v. 161 Vermutlich dürfte mit dem in der Chronik genannten »Dr. Runge« der Franziskaner Eberhard Runge gemeint sein, der 1532 auch in Hannover nachzuweisen ist.

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widervmb ire zwhorer vor der papisterei vnd müncherey.162 Da den Mönchen mit ihren Predigten nur mäßiger Erfolg beschieden war, wurden 1526 alle Prädikanten durch die Union in das Kapitelhaus zu St. Ägidien geladen und in einer Ansprache heftig ermahnt, lutherische Bücher und deren Lehren endlich abzuschaffen. Die fünf lutherischen Prediger horten sie wol mit an, blieben geleichwol bei ihrer vorigen meinung vnd ler.163 1527 sollte schließlich das entscheidende Jahr für den Durchbruch der lutherischen Lehre in Braunschweig werden. Die Zahl der lutherischen Prediger hatte sich auf sieben vermehrt, Heinrich Lampe war dabei von St. Michaelis zu St. Magnus in die Altewiek gewechselt. Dieses Weichbild avancierte rasch zum Zentrum der protestantischen Bewegung in Braunschweig. Neben Lampe war 1527 der altgläubige Johann Groffen (oder Grove) als zweiter Prediger tätig. Nachdem ersterer mit seinen Predigten die Begeisterung der Altewieker geweckt hatte, wollte die Gemeinde Groffen nicht länger dulden und wandte sich mit ihrem Wortführer, dem Juristen Autor Sander,164 an den Weichbildrat. Dieser nam solche bitthe guttwillich ahn und die Ratsherren rededen des mitt dem pastor.165 Als sich Groffen aber nicht besserte und in der Osterpredigt Aristoteles zitierte, stand ein Zuhörer – der Schuster Hans Becker – auf und läutete die Wächterglocke.166 Groffen musste seine Predigt abbrechen und verließ anschließend fluchtartig die Stadt. Dieses öffentlich ausgetragene »Konfliktspektakel« (Kaufmann) bewirkte eine Weichenstellung für die reformatorische Bewegung innerhalb der Altewiek, da die Patronatsrechte der Magnikirche künftig nachhaltig umgangen wurden.167 Groffens Nachfolger, der altgläubige Prädikant 162 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 6. Auch Jürgens, Gottes Ehre, S. 30 bezieht sich für diese Stelle wohl auf Rehtmeyer, der seine Informationen aus vorgenannter Chronik hat – ohne sie jedoch explizit zu nennen. 163 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 6. 164 Zu Autor Sander vgl. Tschackert, Paul: Autor Sander, der ›große Freund des Evangeliums‹, ein Mitarbeiter an der Reformation zu Braunschweig, Hildesheim und Hannover, in: ZGNKG 9 (1904), S. 1–21, hier S. 4–15. Auch: Sander, Autor: Vnderrichtung ym Rechten Christeliken Gelouen vnde leuende/ an de Christen tho Hildesem, Magdeburg 1528 [VD16 S 1598]. Sander hatte selbst in Wittenberg studiert und war eifriger Anhänger Luthers. 165 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 9. Dazu auch: Gasmerus, Johann: Oratio de Vita et obitv reverendi & doctißimi viri D. Henrici Lampadii, Senioris ministerii Ecclesiae Brunsuicensis, & totos 58. annos ad S. Magnum pastoris Euangelici primi, in qua simul Ecclesiae Brunsuicensis ab idolomaniis papisticis repurgatae initia & progressus exponuntur, [o.O.] 1590, Bl. B5iiiv-Cr. 166 Becker tat dies seinen Freunden gegenüber mit der Begründung, der preddiger nente auff der cantzel den Arestotelem, den woltten sie vorvesten, vnd nicht mer in der kirchen lidden. Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 9. 167 Zum Begriff des »Konfliktspektakels« als Katalysator der Stadtreformation vgl. Kaufmann, Thomas: Norddeutsche Stadtreformation. Einige Beobachtungen und Überlegungen, in: JGNKG 116 (2018), S. 103–124, hier S. 108–110. Zum obigen Braunschweiger Konfliktspektakel um Johann Groffen vgl. ebd., S. 112–113.

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Laurentius Reimers, wurde von der Gemeinde ebenfalls nicht akzeptiert und musste daher die Stadt in Richtung Osterwieck verlassen. Die Abschrift von Reimers Entlassungsurkunde (4. 10. 1527) ist bis heute unentdeckt geblieben. Sie enthält aber höchst interessante Informationen, da sie verdeutlicht, dass der Rat auch im Oktober 1527 noch durchaus nicht mehrheitlich lutherisch gesinnt war. Das Ratszeugnis – welches damit bereits die wachsende ratsherrliche Kirchenkontrolle ankündigte – fiel für den altgläubigen Reimers demnach äußerst positiv aus, denn wereth ok synes besten gewesen sik alhir by vns lenger to entholden, hedden wy one gerne geleden vnd wor he ok noch by vns jn tokunfftigen tiden dechte to wonen, wusten wy ane vnser stadt woninge frigen vth vnd jnganck nicht to weigernde.168 Zusammen mit Reimers Nachfolger, dem Hamburger Lutheraner Johann Oldendorp, wurde in St. Magnus durch Lampe endgültig die lutherische Lehre eingeführt.169 Beide Prediger begannen während der Adventszeit 1527 das Abendmahl in beiderlei Gestalt zu reichen, überdies wurden die ersten Taufen auf Deutsch vollzogen.170 In diese Zeit ist auch eine bisher unbekannte Abmachung zu datieren, die in der evangelischen vornierunge ein[en] stillestandt gewährleisten sollte.171 Vereinbart zwischen Rat und Bürgervertretern diente der Stillstand u. a. dazu, den Gebrauch von Vigilien und Seelenmessen in den Pfarrkirchen stark einzuschränken. Auch Beimessen durften demgemäß fortan nur noch gelesen – und nicht mehr gesungen – werden; überdies gestattete man lediglich noch das Lesen einer einzigen Beimesse zur Zeit. Das zeitgleiche Zelebrieren an mehreren Nebenaltären war damit künftig untersagt. Eine letzte Offensive der Altgläubigen, die daraufhin den Magdeburger Prediger »Dr. Sprengel« nach Braunschweig beriefen, blieb trotz dessen hochtrabender Ankündigung erfolglos.172 Schmachvoll musste er seine Predigt über Mt 18 abbrechen und

168 StadtA BS, B I 3 Nr. 3, pag. 159. Zu Reimers Entlassung auch StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 9. 169 Lampe musste sich diesbezüglich 1527 vor dem Rat verantworten, kam jedoch aufgrund der Fürsprache des lutherisch gesinnten Stadtsyndikus Levin von Emden mit einer Verwarnung davon. 170 Vgl. zu den Umständen ausführlich: Halvorson, Michael J.: Baptismal Ritual and the Early Reformation in Braunschweig, in: ARG 102 (2011), S. 59–86, hier S. 68–69. 171 Vgl. StadtA BS, B I 3 Nr. 3, pag. 160–161: […] dat wy de radt radssworen gildemester vnd hovetlude eindrechtliggen hebben bewogen vnd besloten dat nw hinfurder jn der evangelischen vornierunge ein stillestandt schal geholden vnd nu fortmher jn voranderunge dem olden hergebrochten kercken gebruke nicht nadeliges vorgenomen vnd attemptert werden […]. Der Hinterbliebene sollte nicht mehr dan eyne vigilie jm huse edder kercken tobestellende schal vorplychtiget wesen […]. Die Beimessen sollten gelesen vnd nicht gesungen werden. 172 Vgl. den Bericht Corvinus’: Corvinus, Anton: Warhafftig bericht/ Das das wort Gotts ohn tumult/ ohn schwermerey/ zu Gosler vnd Braunschweigk gepredigt wird, Wittenberg 1529, Bl. Dir [VD16 C 5438]. Auch StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 11. »Sprengel« hatte angekündigt,

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Braunschweig umgehend verlassen, nachdem ihm der Bürger Henning Rischau mit dem beliebten Luthergesang »Ach Gott vom Himmel sieh darein« lauthals ins Wort gefallen war.173 Eben jene lutherische Auslegung von Psalm 12 sollte auch in weiteren norddeutschen Städten als Kampfgesang noch eine wichtige Rolle spielen.174 Bis zum Januar 1528 hatte sich in Braunschweig schließlich ein Ausschuss der Gemeinden gebildet (»Geschickte«). Ihr Vorsteher, der Jurist Autor Sander, übte stetigen Druck auf die Regierung aus und trug so zu einem aktiven Handeln des noch unentschlossenen Rates bei. Diese »Geschickten« kamen aus allen Weichbilden, wobei Altewiek und Sack – gemessen an ihrer wirtschaftlichen Bedeutung – überrepräsentiert waren.175 Dies lag vermutlich an der oben bereits angedeuteten Vorreiterrolle der Altewiek hinsichtlich der reformatorischen Entwicklungen. Auch die Bürgerhauptleute waren als ständische Institution in den Ausschuss der »Geschickten« aufgenommen worden. Eine solche Verquickung von bestehenden Verfassungsorganen und neuem, revolutionärem Ausschuss war bei städtischen Reformationen eher ungewöhnlich.176 Dass es in Braunschweig zu diesem Zeitpunkt nicht wie in anderen Städten zu einem politischen Umsturz gekommen ist, zeugt demnach von einer »bemerkenswerten Flexibilität der Braunschweiger Verfassung.«177 Auf Drängen der Geschickten verkündete der Rat zwar im Januar 1528, dass von nun an alle Prädikanten »das Wort Gottes lauter, klar und rein zu predigen« hätten.178 Nichtsdestominder wurde ihnen jedoch weiterhin das Zelebrieren der Lichterweihe für das kommende Fest am 2.2. (Mariä Reinigung) geboten – bei

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das Volk nach nur drei Predigten umzustimmen – scbon nach einer Predigt musste er Braunschweig jedoch verlassen. Dazu auch: Gasmerus, Oratio, Bl. C2v. Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 11. Nachweisen lässt er sich z. B. in Lübeck (1529) und Lüneburg (1530), vermutlich wurde er auch 1538 in Hameln gesungen. Vgl. Reitemeier, Reformation in Norddeutschland, S. 86 (zu Lübeck); Vogtherr, Hans-Jürgen: Die Durchsetzung der Reformation in Lübeck, Lüneburg und Uelzen. Ein Vergleich. Vortrag im Martin-Luther-Haus Uelzen am 26. September 2017, Uelzen 2017 (= Uelzener Hefte, 2), S. 10 (zu Lüneburg); Otto, Henrik: Hamelner Reformation »in nuce«: Das Protestsingen im Bonifatiusmünster von 1538, in: JGNKG 101 (2003), S. 41–53, hier S. 50. Zum Singen in Braunschweig, Lübeck und Lüneburg vgl. auch Mager, Inge: Lied und Reformation. Beobachtungen zur reformatorischen Singbewegung in norddeutschen Städten, in: Dürr, Alfred; Killy, Walther (Hrsgg.): Das protestantische Kirchenlied im 16. und 17. Jahrhundert. Text-, musik- und theologiegeschichtliche Probleme, Wiesbaden 1986 (= Wolfenbütteler Forschungen, 31), S. 25–38, hier S. 36. Kaufmann nimmt an, dass die reformatorischen Singbewegungen »vornehmlich ein norddeutsches Phänomen gewesen zu sein« scheinen. Vgl. Kaufmann, Stadtreformationen, S. 114. Vgl. Mörke, Rat und Bürger, S. 207. Die »Geschicktenliste« findet sich unter: StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 16r. Vgl. Mörke, Rat und Bürger, S. 206. Schilling, Elite, S. 261. Zit. nach: Jürgens, Gottes Ehre, S. 41.

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Unterlassung drohten Strafen.179 Hieran zeigte sich ein letztes Mal die Unentschlossenheit des in Teilen noch altgläubigen Rates. Allerdings stand dieser von außen auch fortwährend unter Druck: So erreichte ihn z. B. am 2. 1. 1528 eine harsche Drohschrift des Mainzer Erzbischofs Albrecht.180 Im selben Monat ermahnte Herzog Heinrich die Stadt auf dem Salzdahlumer Landtag, keinesfalls von der »wahren« Religion abzulassen.181 Innenpolitisch drängte dementgegen die Gemeinde zum Handeln. Mehrfach wurde der Rat in den folgenden Wochen von den »Geschickten« um einen lutherischen Prediger gebeten – die Forderungen wurden jedoch vorerst aus obigen Ursachen zurückgewiesen.182 Als der Druck der Gemeinde unvermindert anhielt, ließ man Anfang Februar den lutherischen Magister Heinrich Winkel aus Jena berufen, um die Neuordnung der kirchlichen Belange zu forcieren.183 Winkel war vormals Prior des Halberstädter Johannisklosters gewesen, hatte sich jedoch rasch den Lehren Luthers geöffnet und anschließend in Wittenberg studiert.184 Während die lutherischen »Geschickten« ihre Boten (Sander und Allhusen) nach Halberstadt sandten, um Winkel vom Rat freizubitten, wurde der altgläubige Stadtschreiber Dietrich Prütze direkt zu Winkel nach Jena geschickt, wo dieser sich zusammen mit der Wittenberger Universität gerade aufhielt.185 Dass es sich hierbei – wie vormals vielfach behauptet – um einen Versuch der Altgläubigen gehandelt habe, Winkel doch noch von seinem Kommen abzuhalten, ist neuerdings angezweifelt worden.186 Nach seiner Ankunft im Februar wurde Winkel bis auf weiteres im Haus des altgläubigen Ratsherrn Arndt Volckmerodt einquartiert.187 Auch nach Winkels Ankunft blieb der Rat hinsichtlich kirchlicher Veränderungen zunächst noch zurückhaltend, fürchtete er doch nach eigenen Angaben

179 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 12. Zu St. Katharinen und BMV hielt man sich daran. Vgl. ebd. 180 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 28v: Albrecht befahl darin, jr wollet hierjn ewer seel seligkeit bedencken vnd die vordampten newen leer bey euch keins wegs zupredigen zu leeren vnd zupflantzen gestatten […]. 181 Zum Folgenden auch übersichtlich: Jürgens, Klaus: Das Zeitalter der Reformation im Lande Braunschweig, in: Weber, Friedrich; Hoffmann, Birgit; Engelking-Hans Jürgen (Hrsgg.): Von der Taufe der Sachsen zur Kirche in Niedersachsen. Geschichte der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig, Braunschweig 2010, S. 129–181, hier S. 135–140. 182 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 13. 183 Zu Biographie und Wirken Winkels vgl. den nach wie vor grundlegenden Beitrag von Jacobs, Eduard: Heinrich Winkel und die Einführung der Reformation in den niedersächsischen Städten Halberstadt, Braunschweig, Göttingen und Hildesheim, in: ZHV 61 (1896), S. 133– 314. Zur Braunschweigischen Berufung siehe vor allem S. 191ff., sowie Jürgens, Gottes Ehre, S. 41. 184 Vgl. Jacobs, Heinrich Winkel, S. 133ff. 185 Vgl. ebd., S. 192. 186 Vgl. Jürgens, Gottes Ehre, S. 41–42. 187 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 13.

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de acht vnd overacht des Kaisers.188 Als Winkel am 1. 3. 1528 seine Antrittspredigt gehalten hatte, schlug der Rat eine noch eher vermittelnde, 18 Punkte umfassende Interimsordnung vor, laut der mith den vthwendigen ceremonien vnd kerckengebruken noch eine tidt langk medeldinge gehalten werden sollten (11. 3. 1528):189 So durfte man zwar künftig das Abendmahl in beiderlei Gestalt einnehmen und auf Deutsch taufen lassen – die andern swacken gelovigen konnten die Sakramente demnach aber vorerst noch in gewohnter Weise empfangen.190 Dass die Gemeinden und Gilden in ihren Antworten auf die Ratsvorschläge deutlich weiter gingen, geht aus den Verhandlungsprotokollen hervor. Inwieweit die 18 Punkte daher tatsächlich umgesetzt oder nicht doch noch ausgeweitet wurden, ist nicht bekannt.191 Da diese Ordnung noch nicht den Wünschen der Lutheraner entsprach, wurden in den Folgemonaten lange Verhandlungen zwischen Rat und Ständen durchgeführt.192 Insbesondere die Hägener – denen sich die Altewieker anschlossen – legten dem Rat im Frühjahr (wohl Ende März) ein langes »Reformprogramm« vor, in welchem bereits Forderungen nach einem Gemeinen Kasten, Armenkasten, Liturgiereform und Predigerwahl durch Rat und Gemeinde auftauchten:193 Daneben wurde der Umgang mit Klöstern, Stiften, vasa sacra und Bildern angesprochen. Der Rat versprach, sich um diese Anliegen zügig zu kümmern.194 Parallel hierzu entschied man sich jedoch dafür, den Wittenberger Stadtpfarrer und Beichtvater Martin Luthers, Johannes Bugenhagen, zu berufen.195 Die Verhandlungen begannen vermutlich Ende Februar bzw. Anfang März, doch erst am 20.4. machte sich schließlich eine Ratsdelegation (Johannes Alhausen und Lüdeke Sander) auf den Weg nach Wittenberg, um das Berufungsschreiben persönlich zu übermitteln.196 Am 20.5. kam Bugenhagen sodann 188 Vgl StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 20v. 189 Ebd., Bl. 22r. Verhochdeutscht sind die Beschlüsse in Teilen abgedruckt bei Jürgens, Gottes Ehre, S. 46–48 sowie vollständig bei Lentz, Carl Georg Heinrich: Braunschweigs Kirchenreformation im sechzehnten Jahrhunderte. Ein historischer Versuch als Beitrag zum dritten Reformationsjubiläum der Stadt Braunschweig 1828, Wolfenbüttel/Leipzig 1828, S. 89–95. 190 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 18v. 191 Vgl. Jürgens, Gottes Ehre, S. 52. Die Erfahrungen, die der reisende Bruder Göbel Ende März 1528 in Braunschweig machte, deuten eher auf eine weiterführendere lutherische Abmachung hin. Vgl. ebd., S. 57. 192 Zu den Verhandlungen Jürgens, Gottes Ehre, S. 44–61. Auch StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 20r– 53v. 193 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 51r–53v. Verhochdeutscht abgedruckt bei: Jürgens, Gottes Ehre, S. 53–56. 194 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 48r–49v. 195 Vgl. zu Bugenhagens Person: Leder, Hans-Günter (Hrsg.): Johannes Bugenhagen Pomeranus – Nachgelassene Studien zur Biographie. Mit einer Bibliographie zur Johannes-Bugenhagen-Forschung, Berlin/Bern/Wien [u. a.] 2008 (= Greifswalder theologische Forschungen, 15). 196 Vgl. Jürgens, Gottes Ehre, S. 62.

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in Braunschweig an und wurde tags darauf durch Winkel in sein Amt eingeführt. Anschließend thate [er] groß arbeit, nicht allein in predigen des fiertages, besondern er selber predigte alle wochen dreimal, saß beichte vnd laß in der kurtzen zeit die er hir war die epistel zu den Romern vnd zu den Thimot[heus]: in seiner herberge schreib [sic!] er die kirchen ordnung.197 Auszüge seiner Predigten, die er neben Sonn- und Feiertagen offensichtlich am Dienstag, Donnerstag und Samstag hielt, haben sich bis heute erhalten.198 Bevor Bugenhagen seine Kirchenordnung fertigstellte, setzte er zuvor eine Korthe vortekeninge als Zusammenfassung auf und übergab sie dem Rat, der sie wiederum den Ständen zur Beratung anheim gab.199 Sie umfasste im Wesentlichen die spätere KO in gestraffter Form. Nach relativ einmütigen Verhandlungen zwischen Rat und Ständen konnte auch hier im August rasch eine Übereinkunft getroffen werden:200 Die Inhalte der Korthen vortekeninge wurden von den Ständen überwiegend akzeptiert, es gab »nirgends ein Nein«, wie Jürgens richtig betonte.201 Mit der Gottesdienstordnung, der Predigerzahl, dem Superintendentenamt sowie der angesetzten Strafe für Ehebruch war man durchweg zufrieden. Lediglich einige, von den Gemeinden geforderte Kleinigkeiten wurden letztlich angepasst: So ließ man etwa das Predigtamt zu ULF entgegen der Wünsche Bugenhagens weiterhin bestehen und auch die vorgeschlagenen Schulgelder wurden zwar nicht – wie von den Gemeinden erbeten – vermindert, dafür aber die Option des kostenfreien Unterrichts für Arme ermöglicht. Überdies forderten einige Bürgervertreter ein dauerhaft höheres Gehalt verheirateter Prediger (45 Gulden), was Bugenhagen später ebenfalls in der KO umsetzte.202 Einzig bei der Pfarrwahl richtete sich der Reformator nicht nach den Wünschen der Stände: Während diese ein Wahlrecht unter Beteiligung der Gemeinde vorgeschlagen hatten, beließ Bugenhagen es bei Rat und Kastenherren als Wahlgremium.203 Die Mönche und deren Klöster, über welche man sich seitens der Gemeinden vielfach beklagt hatte, wurden in der Ordnung schlichtweg außen vor gelassen. Dennoch konnten sich die Stände mit diesen Kompromissen schließ-

197 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 17–18. 198 Abgedruckt in: Vogt, Karl August Trautgott (Hrsg.): Johannes Bugenhagen Pomeranus: Leben und ausgewählte Schriften, Elberfeld 1867, S. 274ff. 199 Die Korthe vortekeninge befindet sich im Archiv unter StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 63r–71r. Sie ist auch abgedruckt bei Hänselmann, Ludwig: Bugenhagens Kirchenordnung für die Stadt Braunschweig, Wolfenbüttel 1885, S. LXXII–LXXXIII (Vorwort). Zur Vorgeschichte der Braunschweiger KO vgl. auch knapp: Hesse, Otmar: Ein Beitrag zur Vorgeschichte von Bugenhagens Braunschweiger Kirchenordnung von 1528, in: JGNKG 64 (1966), S. 62–69. 200 Zu den Verhandlungen im Detail vgl. Jürgens, Gottes Ehre, S. 44–80. 201 Ebd., S. 75. 202 Vgl. ebd. 203 Vgl. ebd., S. 77.

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lich durchaus zufriedengeben: Anfang September 1528 hatte Bugenhagen damit seine erste und zugleich einflussreichste Kirchenordnung fertiggestellt.

1.5.3 Bugenhagen und die Einführung der Kirchenordnung Die Braunschweiger KO sollte nachfolgend neben der Brandenburg-Nürnbergischen (1533), der Mecklenburgischen (1552) und der Württembergischen KO (1553) zu einer der vier »überregional wichtigen Ordnungen« avancieren.204 Sie nahm dank dieser »hervorragenden Stellung«205 folglich einen wichtigen Platz innerhalb der städtischen KOO ein und diente nicht nur in Niedersachsen206 sondern auch in Westfalen für zahlreiche Städte als »Vorbild«.207 Entsprechend wurde sie auch mehrfach im Druck publiziert: Noch 1528 ließ man in Wittenberg die niederdeutsche KO drucken, 1531 und 1563 wurden hochdeutsche Übersetzungen herausgegeben.208 Bisweilen ist in der Forschung die einmütige Annahme der Bugenhagischen Kirchenordnung vom 5. 9. 1528 hervorgehoben worden.209 Dass dem nicht so gewesen sein kann, bezeugt allerdings schon die Tatsache, dass bei der nächsten Ratswahl 1529/30 knapp ein Fünftel der Ratsherren aufgrund von Glaubensgründen210 ausschieden. Diese »Ratsläuterung« (Schilling/Mörke) 204 Arend, Vorstellungen, S. 39. Auch ebd.: »Diese vier Regelwerke prägten zahlreiche andere Kirchenordnungen und entfalteten somit nachhaltige Wirkung […].« 205 Frantz, Adolf: Die evangelische Kirchenverfassung in den deutschen Städten des XVI. Jahrhunderts, Halle 1876, S. 65. Vogt bezeichnet die Ordnung gar etwas übertrieben als »eines der wichtigsten Documente für die Geschichte der deutschen Kirchenreformation.« Vgl. Vogt, Johannes Bugenhagen, S. 281. 206 Tschackert hat die Braunschweiger KO als »für ganz Niedersachsen epochemachende« Ordnung bezeichnet. Vgl. Tschackert, Autor Sander, S. 6. 207 So u. a. in Minden, Soest und Lemgo. Vgl. Freitag, Werner: Die Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz, Münster 2016, S. 112–113. 208 Vgl. Sehling, Emil (Begr.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 6: Niedersachsen. I. Hälfte: Die welfischen Lande. I. Halbband, Tübingen 1955, S. 338; Hänselmann, Kirchenordnung, S. LXVIII (Vorwort). 209 U. a. Hessenmüller, Lampe, S. 65. Zurück geht diese Annahme auf Bugenhagen selbst, der diese Aussage in der gedruckten Fassung der Kirchenordnung festgehalten hat, vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 455. Dagegen aber z. B. Jürgens, Um Gottes Ehre, S. 81; Tunica, Wilhelm: Zur Geschichte des Klosters S. Crucis zu Braunschweig (II), in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde 16 (1883), S. 271–318, S. 284. Zur Frage, ob die Ordnung am 5. oder 6. September in Kraft trat, vgl. Beck, Bugenhagens Person, S. 22. 210 Es ist bis heute nicht einwandfrei bewiesen, dass dies tatsächlich aus Glaubensgründen geschah. Allerdings kann hiervon ausgegangen werden, da die Ratsherren ihrer Ehre unschädlich entlassen wurden – also sich nichts zu Schulden hatten kommen lassen. Auch waren Abdankungsbewilligungen im 16. Jahrhundert sehr rar: Die Ratsprotokolle zeigen, dass nur ein Bruchteil der Gesuche zur Abdankung im 16. Jh. tatsächlich vom Rat akzeptiert worden ist. Ein so hoher Anteil wie 1/5 spricht folglich dafür, dass konfessionspolitische Gründe vorlagen.

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ist relativ eindeutig auf konfessionspolitische Ursachen zurückzuführen.211 Es ist folglich kaum annehmbar, dass jene Ratsherren einer evangelischen Kirchenordnung zuvor freiwillig zugestimmt haben. Zudem kann insbesondere abseits der politischen Institutionen davon ausgegangen werden, dass bisweilen noch eine große Anzahl altgläubiger Bürger existierte, die »nicht wagten, ihre Stimme dagegen zu erheben, da sie mißhandelt zu werden befürchteten.«212 In der Tat berichtet eine zeitgenössische Chronik bzgl. der Annahme der Kirchenordnung: [O]bwol ettliche vnter dem hauffen waren, den der handel nicht mitt war, dorfften sie dennoch nichtes dar widder redden.213 Dass die Annahme der KO nicht einmütig war, zeigt auch ein Auflauf Altgläubiger, der sich am 10. 3. 1529 zutrug. Er ist in der Forschung bislang übersehen worden, stellte jedoch eine Weichenstellung auf dem Weg der Reformation dar. Der Rat berichtete hiervon in einem Schreiben an den Herzog wie folgt: Er gab zu, dat wol vnse borger tho samende gekomen, vnd vns hebben antzeigen laten, jn saken dat wort goddes belangen, noittorftigen bericht tovormelden; derhalven ok gutlige handelinge vorhanden, dat also gode loff, dusse dingk to neinen vpror gekomen.214 Demnach hatte der Rat also einen Aufruhr der Altgläubigen nach Annahme der KO gerade noch einmal abwenden können. Kurz darauf klagten auch die Gemeinden, dat opentlik befunde wart, dat jtlike personen jm rade […] sik heren laten, dat se nicht vorwilliget hebben jn vnse angenomene ordinantie.215 Nachweisen lässt sich schließlich auch, dass selbst in den 1540er Jahren noch eine katholische Minderheit im Rat existiert hat, auch wenn dies bis heute übersehen worden ist.216 Es handelte sich also selbst nach 1529 nicht um einen »nunmehr einheitlich lutherische[n] Rat«, wie Jünke konstatierte.217 All dies deutet darauf hin, dass Bugenhagens Kirchenordnung durchaus noch viele Widersacher gehabt haben dürfte. Freilich waren diese politisch im Sommer 1528 nicht mehr einflussreich genug, um eine Einführung der evangelischen Ordnung zu verhindern.

211 212 213 214

Vgl. Schilling, Elite, S. 266 sowie Mörke, Rat und Bürger, S. 284. Tunica, Geschichte II, S. 284. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 22. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 3v. Schreiben vom 12. 3. 1529. Auch ebd., Bl. 31r: So js hier auch kein dringen, noch zwingen, zu einer oder andern lere, aber die burger haben sich vor diesen Ostern, des vntir anderm gutlich voreiniget […]. 215 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 117r. 216 Hierzu zählen z. B. Gerke Pawel und Weddege von Velstede, die beide 1541/42 abdanken wollten – mit der Begründung, sie könnten die lutherische Politik des Rates als Katholiken nicht mehr mittragen. Bei Velstede blieb dies ohne Erfolg. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 226v u. 227r: Gercke Pawel borgemeister [hat] affgedancket vth drierlige orsaken […] tom andern dat he noch d[er] olden religion were vnd jn betrachtunge des wes curf. fursten vnd andere religions vorwanten oculj vergangen etc. 38 alhie voravschedit hedden. Auch: Wedige Velstede [hat] darumb, dat he d[er] olden religion geneigt […] gedanckt. 217 Jünke, Bugenhagens Einwirken, S. 101.

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Die Kirchenordnung Bugenhagens sah einige gravierende Änderungen in der Braunschweiger Stadtverfassung vor.218 Zunächst wurden Schatz- und Armenkästen in jedem Weichbild aufgerichtet, welche die zielgerichtete Versorgung kirchlicher Belange sowie hausarmer Bedürftiger gewährleisten sollten. Bugenhagen konnte hierbei an zahlreiche Vorbilder anknüpfen, insbesondere hinsichtlich der Armenkästen: So waren zuvor z. B. schon in Wittenberg (1520/21 und 1522), Leisnig (1523), Nürnberg (1523), Straßburg (1523), Magdeburg (1524) und Bremen (1525) Kastenordnungen aufgerichtet worden,219 kürzlich auch zu St. Nikolai in Hamburg (1527).220 Innovativ an Bugenhagens Braunschweiger Konzept war indessen die strikte Trennung von Kirchengut und Armenversorgung.221 Der Schatzkasten war ausschließlich zur Unterhaltung von Kirchendienern, Lehrern, Gottesdienst und Kirchengebäuden gedacht. Er speiste sich entsprechend aus dem vormaligen Vermögen der Kirchenfabriken sowie neuerlich eingezogenen Stiftungen (Memorien, Vikarien, etc.). Anstelle der zwei Alterleute standen dem Schatzkasten künftig vier »Kastenherren« vor. Der Armenkasten wiederum war von diesem Vermögen getrennt, um eine höhere Spendenbereitschaft zu fördern: Er speiste sich nur aus wöchentlichen Spenden und milden Stiftungen, hatte aber im Gegenzug auch lediglich die Versorgung der Armen zur Aufgabe. Damit war er keinesfalls »klar nach dem Muster der Leisniger Kastenordnung angelegt«, wie Peters behauptet,222 da das Leisniger Modell sowohl Schatz- als auch Armenkasten in einem gewesen war. Als Vorbild mag Bugenhagen die Leisniger Ordnung aber dennoch gedient haben.223 Verwaltet wurde der Armenkasten von drei Armenkastenherren (Diakonen).224

218 Vgl. zur KO auch Krumwiede, Kirchenordnung. 219 Vgl. Peters, Christian: Der Armut und dem Bettel wehren. Städtische Beutel- und Kastenordnungen von 1521–1531, in: Dingel, Irene; Kohnle, Armin (Hrsgg.): Gute Ordnung. Ordnungsmodelle und Ordnungs-vorstellungen in der Reformationszeit, Leipzig 2014 (= Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, 25), S. 239–255, hier S. 241–252. Dazu auch Kreiker, Sebastian: Armut, Schule, Obrigkeit: Armenversorgung und Schulwesen in den evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Bielefeld 1997 (= Religion in der Geschichte: Kirche, Kultur und Gesellschaft, 5), S. 43– 116. Überdies: Rammler, Dieter: Eine neue Idee von Stadt? – Bugenhagens Ordnung der Fürsorge, in: Hoffmann, Birgit; Pöppelmann, Heike; Rammler, Dieter (Hrsgg.): Reformation. Themen, Akteure, Medien. Beiträge zur Ausstellung »Im Aufbruch. Reformation 1517– 1617« vom 7. Mai – 19. November 2017 in Braunschweig, Braunschweig 2018 (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig, 26), S. 89–108, hier S. 99. 220 Vgl. Postel, Reformation in Hamburg, S. 276–288; Lorentzen, Johannes Bugenhagen, S. 298. 221 Vgl. Kreiker, Armut, S. 56. 222 Peters, Armut, S. 253. 223 Vgl. Rammler, Idee, S. 98. 224 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 451.

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An den sieben Pfarrkirchen wurden anstelle der vormals 1–3 Prediger225 jeweils zwei, bzw. an St. Michaelis und St. Petri ein Prediger angestellt und vom Schatzkasten besoldet. Es handelte sich hierbei nahezu ausnahmslos um die bereits zuvor von den Pfarrherren angestellten Prädikanten – auswärtige Berufungen aus Wittenberg o. ä. waren daher zunächst nicht nötig (vgl. Kapitel 3.1.1). Die Berufungen sollten künftig Weichbildrat und Schatzkastenherren übernehmen. Auch die Ehegerichtsbarkeit oblag fortan dem Rat. Die Opfermesse wurde abgeschafft, stattdessen entwarf Bugenhagen eine eigene Agende. An jedem Tag fanden von nun an Predigten statt, die am Wochenende eine, werktags nur eine halbe Stunde dauern sollten.226 Auch wurden Katechismuspredigten und wöchentliche Lektionen eingerichtet. An Tageszeiten/Stundengebeten wurden die (weiterhin überwiegend lateinische) Mette und die abendliche Vesper beibehalten. Jedoch dienten diese, ihrer neuen Intention gemäß, nun eher praktischen Übungszwecken der Schüler (Lateinaussprache) und weniger den Besuchern.227 An der Spitze der neuen Stadtkirche stand als städtischer Beamter ein bestallter Superintendent, dem ein Koadjutor zur Unterstützung beigegeben wurde. Die Amtskonzeption des »Superintendenten« wies bei Bugenhagen durchaus innovative Züge auf, die es in dieser Weise zuvor (etwa in Rostock und Magdeburg) nur bedingt gegeben hatte. Nicht ohne Grund wird Bugenhagen daher neben Melanchthon als »einer der ›Väter‹ des Superintendentenamtes« bezeichnet.228 Zum ersten Superintendenten wurde auf Anraten Bugenhagens Martin Görlitz berufen, dessen Familie am 3. 10. 1528 in Braunschweig eintraf.229 Bezüglich der Klöster, Stifte und Ordensniederlassungen wurden jedoch vorerst keine Regelungen getroffen, auch blieben die Pfarrherren zur Konfliktvermeidung noch unerwähnt. Interessanterweise ließ Bugenhagen eine große Anzahl an Marienfesten auch nach der Reformation laut KO weiterhin bestehen.230 Denn diese Tage sollte man vyren, nicht umme der dage willen, sonder umme des predigens willen, dewile de historien in den evangelien begrepen synt unde bedrapen unsen Heren Christum etc.231 Diese Feste wurden auch offensichtlich 225 Um 1523 unterhielten die Pfarrer folgende Anzahl an predicanten: Zu St. Martini = 3, St. Katharinen = 3, St. Andreas = 2, St. Magnus = 1, St. Ulrich = 1, St. Petri = 1, St. Michaelis = 1 (»Kaplan«), ULF = keinen, nur der Pfarrer. Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 2. 226 Vgl. hierzu die Tabelle der Predigtzeiten im Anhang. 227 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 399. 228 Goldenstein, Valentin: Die Entstehung des Superintendentenamtes in der Reformationszeit, Erlangen 2015 (= FAU-Studien aus der Philosophischen Fakultät, 4), S. 291. 229 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 1, Bl. 4r: Anno 1528 den 3 dach octobris gaff jc dem vormann, de des superattendenten husfrowen sampt orem husgerade brochte wente hir […]. 230 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 396. Beibehalten wurden demnach: Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Neujahr, Epiphanias, Mariä Reinigung, Mariä Verkündigung, Himmelfahrt, Johannis Baptista, Mariä Berggang. 231 Ebd.

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gemäß KO tatsächlich beibehalten: Denn »noch in nachreformatorischer Zeit ertönte das mittlere Geläut mit einer großen und mehreren kleinen Glocken an den Marienfesten: Mariä Reinigung, Verkündigung, Heimsuchung, sowie am Tage der Heiligen drei Könige«, wie Pfeiffer herausstellte.232 Selbst 1549 wurde der Oppermann zu St. Martini noch dafür bezahlt vor dat Ave Maria tho luden.233 Die skizzierten Regelungen der KO waren offiziell bis zur Unterwerfung Braunschweigs im Jahre 1671 gültig234 – erst anschließend sollten sie durch die herzogliche KO sowie die Verordnungen von 1682, 1691, 1697 und 1704 abgelöst werden.235 Ergänzt wurde die städtische KO bis 1671 zeitweise (wenn auch ohne faktische Konsequenz) durch die zusätzliche Annahme der herzoglichen KO von 1569236 sowie durch zahlreiche weitere städtische Zusatzordnungen und Bekenntnisse, vor allem aber durch die Wahlkapitulationen der Superintendenten und verschiedene Gewohnheitsrechte. Offiziell revidieren ließ man die Braunschweiger Kirchenordnung bis zu ihrer Ablösung trotz alledem nicht mehr.

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Bevor nun die Durchsetzung dieser Kirchenordnung in ihren Einzelheiten analysiert wird, soll zuvor ein knapper Überblick über die weitere kirchenpolitische Entwicklung Braunschweigs bis 1599 gegeben werden.237 Die hierbei in aller Kürze umrissenen Aspekte (z. B. Schmalkaldischer Bund, Interim238, Konkordienwerk) wurden nur bedingt in den eigentlichen Untersuchungsteil der Arbeit aufgenommen, da sie sich auf das innerstädtische Kirchenwesen abseits der Lehrdoktrin kaum auswirkten. Für Braunschweig hatten sie somit eher politische 232 Pfeifer, Hans: Die Kirchenglocken der Stadt Braunschweig II, in: ZGNKG 31 (1926), S. 53–72, hier S. 62. 233 StadtA BS, B II 4 Nr. 107, Bl. 16r. Ob zu diesem Zeitpunkt allerdings noch tatsächlich eine liturgische Handlung hinter dem Ave Maria-Läuten bestand, ist indessen höchst fraglich. Noch 1736 gab es in der St. Katharinenkirche eine Marien=Glocke. Vgl. StadtA BS, G II 4 Nr. 9, pag. 26. 234 Vgl. Jürgens, Gottes Ehre, S. 80. 235 Vgl. StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 67–78. 236 So wurde z. B. die Liturgie der Stadtbraunschweigischen Kirche auf Chemnitz’ Ansuchen auch nach 1569 beibehalten und richtete sich nach der KO von 1528, nicht nach der fürstlichen KO von 1569. Herzog Julius stimmte dem Ansinnen bereitwillig zu. Vgl. StadtA BS, G I 2 Nr. 50, Bl. 6v. 237 Den aktuellsten Kurzüberblick zur Braunschweiger Stadtgeschichte im Allgemeinen bietet derzeit: Steinführer, Henning: Kurze Geschichte der Hansestadt Braunschweig, Braunschweig 2017. 238 Das Interim wird in diesem Abschnitt gegenüber den anderen Aspekten etwas ausführlicher behandelt, da es im Untersuchungsteil hierfür völlig ausgespart wurde. Aufgrund seiner mangelnden Auswirkung auf das innerstädtische Kirchenwesen in BS erschien es aber nicht sinnvoll, ein eigenes Analysekapitel zu erstellen.

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und dogmatische, denn kirchenorganisatorische Bedeutung. Sie sollen aber nachfolgend dennoch in gebotener Kürze skizziert werden, dienen sie doch dem Verständnis der anschließenden Untersuchung. Obgleich Braunschweig sich mit Annahme der KO offiziell zum lutherischen Glauben bekannt hatte, so gab es doch zunächst noch eine beachtliche altgläubige Minderheit im Rat. Dies änderte sich erst mit der »Ratsläuterung« (Schilling) von 1529/30: Insgesamt mussten 29 (von 103) Ratsherren ihre Ämter zur Verfügung stellen und wurden anschließend durch lutherische Kandidaten ersetzt.239 Festzuhalten ist dabei jedoch, dass hier kein sozial-revolutionärer Austausch des Ratsregimentes stattfand, wie es etwa in Göttingen und Hannover später der Fall war;240 längerfristig blieben nämlich überwiegend jene Familien an der Macht, die auch zuvor bereits häufig Mitglieder in den Rat entsandt hatten.241 Nachdem sich der Wolfenbütteler Herzog schon zuvor beklagt hatte, wurde ihm natürlich spätestens mit der »Ratsläuterung« das Ausmaß der Reformation in Braunschweig bewusst. Der altgläubige Herzog wollte den Glaubensabfall seiner Stadt indessen nicht einfach hinnehmen: Für ihn war die »Reformation damals gleichbedeutend mit gesellschaftlichem Umsturz«, wie er später noch eindrücklich in seinem Umgang mit Wullenwever demonstrieren sollte.242 In der Folge kam es daher zu vielfältigen Konflikten zwischen Heinrich d.J. und »seiner« Landstadt,243 weshalb Braunschweig sich rasch den evangelischen Ständen annäherte, den Augsburger Reichsabschied (1530) ablehnte244 und 1531 offiziell dem Schmalkaldischen Bund beitrat.245 Dies forcierte die massiven Auseinandersetzungen mit Herzog Heinrich d.J., welche insbesondere durch den 1538 in Braunschweig abgehaltenen Bundestag der Protestanten wieder neu auflebten: Der Herzog klagte umgehend, er habe die list zu dem handel eynes raths wol erkannt, sich militärisch zu rüsten.246 Allerdings wurde auf dem Bundestag auch kirchenpolitisch und juristisch bereits gegen die Position des Herzogs gearbeitet – Bucer entwarf ein entsprechendes Gutachten zur Kirchengüterfrage.247 Poli239 240 241 242 243 244 245 246 247

Vgl. Schilling, Elite, S. 266; Mörke, Rat und Bürger, S. 284–285. Vgl. Schilling, Elite, S. 265–267; zu Hannover vgl. Müller, Stadt, S. 129. Vgl. Mörke, Rat und Bürger, S. 288. Petri, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 134–135. Vgl. dazu: Hassebrauk, Heinrich der Jüngere; Täubrich, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 128–131 u. 169–172. Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 39r: Vnd deme na kunnen, eder willen wi dussen avescheidt nicht annemen […]. Urkunde unter der Signatur: StadtA BS, A I 1 Nr. 1376. Zu den weitläufigen Verhandlungen vgl. auch: Blume, Goslar. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 38r. Vgl. Bucer, Martin: Gutachten für den Schmalkaldischen Bund. Das Bedencken vonn Kirchengüeterenn, zu Braunschwig den Stenden furgegeben, 13. Juli 1538, in: Stephen Buckwalter (Barb.): Schriften zu Kirchengütern und zum Baseler Universitätsstreit (1538–1545), Gütersloh 2007, S. 25–32.

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tisch gedeckt durch die folgenden Bundestage wurde Braunschweig in seinem Agieren gegen den Herzog und seine beiden Stifte immer kühner, sodass sich die (vielfach kirchenpolitischen) Konflikte entsprechend ausweiteten. Im Mai 1540 wurde die Reformation im städtischen Landgebiet gegen den herzoglichen Willen durchgeführt. Braunschweig begann sich nun auch militärisch zu rüsten, was den Herzog zunehmend alarmierte. Er wandte sich an den Kaiser: Dessen Vizekanzler Held stellte sich Anfang 1540 in allen von Heinrich dargelegten Konfliktpunkten auf seine Seite und befahl der Stadt per kaiserlichem Edikt, unverzüglich zur alten Religion zurückzukehren.248 Der Rat dachte gar nicht daran. Stattdessen erklärte er Heinrich, der die Gunst des Kaisers mittlerweile wieder verloren hatte,249 am 18. 7. 1542250 die Fehde und vertrieb den Herzog – zusammen mit den Schmalkaldener Bundesgenossen – aus seinem Herzogtum. Unverzüglich wurde hier, wie auch in der Stadt Hildesheim, die Reformation eingeführt, gleiches galt für die Braunschweiger Stifte. Bis 1547 stand das Herzogtum fortan unter der Regierung einer Statthalterherrschaft der Bundeshauptleute Hessen und Kursachsen. Der schlecht geplante Versuch Heinrichs, sein Herzogtum militärisch zurückzugewinnen scheiterte 1545.251 Im selben Jahr nahm der Braunschweiger Rat Nikolaus Medler als Superintendenten an. Fortan entwickelte sich ein enger brieflicher Austausch zwischen Braunschweig (Medler) und Wittenberg (Melanchthon).252 Nach der Niederlage der Schmalkaldener in der Schlacht bei Mühlberg erhielt Heinrich d.J. sein Herzogtum 1547 schließlich zurück und der Schmalkaldische Bund löste sich auf.253 1548 wurde auf dem Augsburger Reichstag sodann das Interim beschlossen. Die dogmatischen und teiweilse auch außenpolitischen Dimensionen des Inte248 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 260r. Zu den Auseinandersetzungen vgl. Hassebrauk, Heinrich der Jüngere. Auch: Demandt, Dieter: Die Auseinandersetzungen des Schmalkaldischen Bundes mit Herzog Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel im Briefwechsel des St. Galler Reformators Vadian, in: Zwingliana 22 (1995), S. 45–66, hier S. 49. 249 Vgl. Petri, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 142–145. 250 Der Fehdebrief datiert auf den 17. 7. 1542, er wurde indessen erst am Folgetag durch einen berittenen boden opintlig mit einem trummutter vp einem stocke wech na wulff[enbuttel] geschickt. StadtA BS, B I 5 Nr 1,1, Bl. 238r. Der Sächsische Fehdebrief ist gedruckt digital im VD16 einsehbar: VD16 S 1001. 251 Vgl. Sissakis, Manuela: Das Wachstum der Finanzgewalt. Kriegs- und Herrschaftsfinanzierung im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel zur Regierungszeit des Herzogs Heinrich d.J. (1515–1568), Hannover 2013 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 270), S. 175–187. 252 Allein in der Zeit zwischen 1545–1549 konnten 22 Briefe von Melanchthon an Medler in den Regesten ausfindig gemacht werden. Vgl. hierzu die Regesten des Briefwechsels, welche mittlerweile online verfügbar sind: https://www.haw.uni-heidelberg.de/forschung/forschu ngsstellen/melanchthon/mbw-online.de.html [Abruf: 5. 6. 2020]. Dass der Braunschweiger Kontakt zu Melanthon auch nach Medlers Wegzug 1551 bestehen blieb, dazu vgl. Clemen, Otto: Sechs Briefe aus Braunschweig an Melanchthon, in: ZGNKG 43 (1938), S. 110–116. 253 Vgl. Petri, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 150.

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rims sind für Braunschweig mittlerweile – wenn auch nicht erschöpfend – doch recht ausführlich untersucht worden.254 Braunschweig hat das Interim bekanntermaßen nicht angenommen, ja es sogar so konsequent wie kaum eine andere Stadt im Reich abgelehnt. Dennoch wurde hier, anders als in der Nachbarstadt Magdeburg,255 mangels Offizin kein einziger Druck wider das Interim herausgegeben.256 Im Mai 1548 wandte sich der Kaiser an Braunschweig und gestattete der Hansestadt lediglich eine Frist von 24 Tagen zur Positionierung bezüglich des Interims.257 Während Lübeck ein solches Schreiben gar nicht erst erhielt, hatte man den Seestädten Lüneburg und Hamburg immerhin 30 Tage für eine Antwort gewährt.258 Superintendent Medler stand in dieser Phase im engen brieflichen Austausch mit seinem ehemaligen Lehrer Melanchthon.259 Dieser riet Mitte Juni 1548 in einem Schreiben, das Interim zweifach beurteilen zu lassen: Einmal durch den Rat, dann wiederum durch die Theologen.260 Dabei sollten sich die Intentionen beider Gutachter nicht vermischen. Die Theologen wurden angewiesen, nach streng theologischen Kriterien zu urteilen, der Rat – wie es von ihm verlangt wurde – nach streng politischen. Dies lief also auf eine konsequente Trennung der »Regimente« hinaus, welche Melanchthon selbst allerdings in seinen Leipziger Artikeln später weitgehend ignorieren sollte. Die nun am 28. Juli verfasste adhortatio der Braunschweiger Theologen an den Rat stellte sodann vermutlich eine der ersten niedersächsischen Äußerungen zum Interim dar und war strikt gnesiolutherisch ausgerichtet.261 Gegenüber dem kaiserlichen Schreiben reagierte der Rat zunächst ausweichend und antwortete nicht direkt.262 Die so ge-

254 Vgl. u. a. Mager, Die Stadt Braunschweig. Auch: Postel, Reiner: Die Hansestädte und das Interim, in: Schorn-Schütte, Luise (Hrsg.): Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, Gütersloh 2005 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 203), S. 192–204 sowie Harms, Hans Heinrich: Niedersächsische Antworten auf das Augsburger Interim, Diss. masch., Göttingen 1941. 255 Vgl. zu Magdeburg und dessen Publikationsraten im Anschluss des Interims zusammenfassend Kaufmann, Thomas: Magdeburgs »Hergotts Kanzlei« im Kampf gegen das Interim, in: NdSächsJb 75 (2003), S. 53–70, hier S. 59. 256 Vgl. zu den Braunschweiger Publikationen Kapitel 3.1.2. 257 Vgl. StadtA BS, B III 5 Nr. 25, Bl. 237r. Schreiben vom Mai 1548. 258 Der Vertreter Lübecks, Stadtsyndikus Johann Rudel, hatte in Augsburg fatalerweise die Annahme des Interims bereits zugesagt und wurde dafür später vom Rat – der durchaus nicht gewillt war, das Interim einzuführen – streng gescholten. Vgl. Harms, Antworten, S. 6. 259 Vgl. Mager, Die Stadt Braunschweig, S. 272. 260 Vgl. Postel, Hansestädte, S. 196; auch Mager, Die Stadt Braunschweig, S. 267. 261 Vgl. Mager, Die Stadt Braunschweig, S. 270. 262 Die bei Mager indirekt erschlossene Antwort für August 1548 (Mager, Die Stadt Braunschweig, S. 270) kann hier widerlegt werden. Im ersten überlieferten Ablehnungsschreiben der Stadt an den Kaiser vom 1. 1. 1549 heißt es klar: Vnd dat wi darup vor dusser tidt J[rer] K[aiserlichen] Ma[ajestä]t nicht beantwordt js vth dem vorbleven, dat wi de sulven sake […]

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wonnene Zeit wurde u. a. genutzt, um zusammen mit den wendischen Städten und den Seestädten am 6. 8. 1548 in Mölln zwecks einer gemeinsamen Antwort an den Kaiser zu verhandeln.263 Braunschweig stellte im Vorfeld dieser Verhandlungen einen informativen Knotenpunkt der sächsischen Städte dar.264 Brauchbare Ergebnisse lieferte das Treffen der Städte für Braunschweig jedoch nicht – zu einer gemeinsamen Antwort kam es folglich ebenfalls nicht.265 Dem Kaiser blieb die ausweichende Haltung des Braunschweiger Rates nicht verborgen. Zur Durchsetzung des Interims hatte er u. a. die Bischöfe von Hildesheim und Halberstadt beauftragt. Valentin von Teutleben, dem Bischof von Hildesheim, befahl er am 12. 10. 1548, auf die Durchsetzung des Interims in den zu seiner Diözese gehörigen Teilen der Stadt Braunschweig strenge Aufsicht zu haben.266 Dem Bischof kam diese Aufforderung nur recht, hatte er doch bereits zuvor schon versucht, »sein eigenes ›Interim‹« in seiner Diözese durchzusetzen.267 Die äußerst drohende Schrift, die er daraufhin am 14.11. an den Braunschweiger Rat verfasste, fruchtete nicht – auch hier erbat sich der Rat mehr Zeit, da die Umsetzung einer solch hochwichtigen Angelegenheit jn dusser jle mit fougen nicht geschein könne.268 Obgleich die Braunschweiger Geistlichkeit bereits im Sommer 1548 ein rundweg ablehnendes Gutachten zum Interim verfasst hatte, wartete man städtischerseits mit einer offiziellen Absage noch einige Monate. Erst am 1. 1. 1549 kam es zu einer klaren Ablehnungsschrift an den Kaiser. Da man ane grote blotvorgetunge jn dusser groten gemene keine Religionsveränderung mehr durchsetzen könne, wolle man lieber bei hergebrachten Gebräuchen bleiben: So bidden wi juwe kai mat vnderdeniglig, de wille vns alse de gehorsamen bi vnser angenomen vnd erkanten religion, de wi so lange her vnd noch jtzo predigen vnd leren aller gnedigst bliven, dar bi schutten vnd hanthaven laten.269 Damit hatte der Rat auch offiziell die Annahme des Interims verweigert. Die Ablehnung erfolgte aber sowohl aus politischen, wie auch aus theologischen Gründen. Obgleich Mager die theologischen Aspekte berechtigterweise für die

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to jtligen malen bewogen, daraner sick dan dusse antwort wente anher vortogen. StadtA BS, B IV 2b Nr. 2, Bl. 61r. Vgl. StadtA BS, B III 5 Nr. 25, Bl. 274r. Das Treffen der Hansestädte in Mölln begann am 1. 8. 1548. Im Januar 1549 kam es dort zu einem zweiten Treffen. Zur ablehnenden Haltung der wendischen Städte bei diesem Treffen vgl. Berwinkel, Macht, S. 77. Vgl. die entsprechenden Schreiben und Antworten der niedersächsächsischen Städte: StadtA BS, B III 5 Nr. 25, Bl. 239r–269r. Die Ostseestädte Rostock, Stralsund und Wismar lehnten ein gemeinsames Vorgehen sogar schließlich mit Verweis auf ihre Landesherrn ganz ab. Vgl. Berwinkel, Macht, S. 80. Vgl. StadtA BS, B IV 2b Nr. 2, Bl. 2r. Harms, Niedersächsische Antworten, S. 20. Siehe dazu das Edikt vom 1. 8. 1538. Der Versuch scheiterte. StadtA BS, B IV 2b Nr. 2, Bl. 1r. Schreiben des Braunschweiger Rates an den Bischof vom 25. 11. 1548. Ebd., Bl. 61v.

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entscheidenden hält,270 darf nicht übersehen werden, welche Unruhe und damit evtl. verbundene grote blotvorgetunge ein Religionswechsel tatsächlich innerhalb der Bevölkerung hätte auslösen können.271 Nach dem Augsburger Reichsabschied vom 14. 2. 1551 begann der Kaiser erneut, sich für die Sache des Interims einzusetzen und ermahnte die Städte, darunter auch Braunschweig, das Interim durchzuführen. Im März 1551 erkundigte er sich daher ein letztes Mal beim Braunschweiger Rat, wie vnd welcher gestalt, jr egemelter vnser declaration vnd ordnung des jnterims angericht, vnd ob, vnd was euch daran für vorhinderung furgefallen.272 Der Braunschweiger Rat hatte zu diesem Zeitpunkt freilich noch keinerlei Anstalten getroffen, irgendeine Maßnahme zur Umsetzung des Interims einzuleiten. Kurz darauf erübrigte sich das Problem dann jedoch von selbst: Der Fürstenaufstand und der daraufhin am 2. 8. 1552 erfolgte Abschluss des Passauer Vertrages setzten das Interim wieder außer Kraft. Braunschweig hatte sich diesem vier Jahre lang erfolgreich entzogen. Für den Herzog war hingegen der Krieg gegen seine Landstadt Braunschweig 1547 noch nicht beendet: Erst nach zwei erfolglosen Belagerungen in den Jahren 1550 und 1553 wurde 1553 ein Friedensvertrag geschlossen: Braunschweig durfte bei seinem evangelischen Glauben bleiben, beide Seiten sollten sich gegenseitig in ihren religiösen Praktiken nicht beeinträchtigen.273 Mit dem Passauer Frieden und jenem gegenüber Heinrich d. J. war Braunschweig seit längerer Zeit erstmals wieder politisch abgesichert. Nachdem 1551 der zweite städtische Superintendent Nikolaus Medler (1545–51) gestorben war, wurden mit Joachim Mörlin (1553) und Martin Chemnitz (1554) zwei bedeutsame Theologen in die Ämter des Superintendenten bzw. Koadjutors berufen. Damit begann für die Stadt innerkirchlich eine ruhigere Zeit der Konsolidierung. 1563 stellte Braunschweig sein eigenes Corpus Doctrinae zusammen, das ab dem 21. 6. 1564 jeder angehende Prediger zu unterschreiben hatte.274 Noch 1563 wurde es zusammen mit der 270 Vgl. Mager, Die Stadt Braunschweig, S. 273. 271 Vgl. StadtA BS, B IV 2b Nr. 2, Bl. 61v: Befürchtung des Rates vom 1. 1. 1550. Diese Befürchtung des Rates resultierte nicht zu Unrecht aus der äußerst ablehnenden Haltung der Gemeinden (Hauptleute und Gildemeister) hinsichtlich des Interims. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,2, Bl. 383v. 272 StadtA BS, B IV 2b Nr. 2, Bl. 82r. 273 Der Vertrag von 1553 findet sich vollständig abgedruckt bei: Bünting, Heinrich; Rehtmeyer, Julius: Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Oder: Historische Beschreibung der Durchlauchtigsten Herzogen zu Braunschweig und Lüneburg […], Bd. 2, Braunschweig 1722, S. 924–929. Vgl. auch StadtA BS, H III 4 Nr. 66. 274 Zum Corpus Doctrinae zählten: Der hochdt. Druck der Bugenhagischen KO (1531), CA und Apologie in Justus Jonas dt. Übersetzung, die Schmalkaldischen Artikel und Melanchthons Traktat von der Gewalt und Obrigkeit des Papstes. Vgl. Mager, Inge: Das Corpus Doctrinae der Stadt Braunschweig im Gefüge der übrigen niedersächsischen Lehrschriftensammlungen, in: Stadtkirchenverband Braunschweig (Hrsg.): Die Reformation in der Stadt Braunschweig. Festschrift 1528–1978, Braunschweig 1978, S. 111–122, hier S. 113. Zur Annahme

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hochdeutschen Fassung der KO im Druck herausgegeben. 1567 verließ Mörlin Braunschweig und ging nach Königsberg, sein Nachfolger als Superintendent wurde nun der vorherige Koadjutor Martin Chemnitz. Kurz darauf verstarb Herzog Heinrich d.J., nachdem dieser in seinem Fürstentum 1567 erstmals das Abendmahl unter beiderlei Gestalt gestattet hatte.275 Sein lutherischer Sohn Julius übernahm 1568 die Herrschaft. Er führte sogleich die Reformation ein und regelte mit der Stadt im Huldigungsvertrag (1569) die bestehenden Probleme hinsichtlich der städtischen Pfarren. Die städtische Braunschweiger Autonomie blieb hierbei jedoch weitestgehend bestehen. Unter Chemnitz’ Superintendentur erfuhr das Braunschweiger Kirchenwesen aufgrund zahlreicher neuer Ordnungen eine konstitutive Festigung. Zeitgleich entwickelte sich das Ministerium zu einem Bollwerk der (gnesio-)lutherischen Strömungen. 1570 gaben die Geistlichen ein eigenes, strikt lutherisches Bekenntnis heraus,276 1571 überdies eine gedruckte Streitschrift wider den als calvinisch verschrienen »Wittenberger Katechismus« (1571).277 Darüber hinaus war Chemnitz in der Folgezeit maßgeblich an der Erstellung des Niedersächsischen Bekenntnisses (1571),278 der Konkordienformel (FC), sowie anschließend auch an ihrer Apologie beteiligt.279 Für Braunschweig haben sich die entsprechenden Unterschriften des Konkordienbuches von 1588–1671 vollständig erhalten.280 Beides, Konkordienformel wie Apologie, wurde städtischerseits angenommen, während Herzog Julius die FC zwar inhaltlich nicht ablehnte (aber nicht unterschrieb), die Apologie hin-

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und Unterschrift des Corpus Doctrinae durch die Geistlichen am 21. 6. 1564 vgl. StadtA BS, G I 2 Nr. 75, Bl. 1r. Vgl. Reitemeier, Arnd: Zwischen Dynastie und Konfession. Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel und der Erlass einer Abendmahlsordnung 1567, in: Ellermann, Julia; Hormuth, Dennis; Seresse, Volker (Hrsgg.): Politische Kultur im frühneuzeitlichen Europa. Festschrift für Olaf Mörke zum 65. Geburtstag, Kiel 2017 (= Geist und Wissen, 26), S. 83–111. Vgl. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Nr. Loc. 07263/18, Bl. 1r: Einfältige christliche erklärung und bekenntnis des ministeriums und der kirchen zu Braunschweig von den vornehmsten artikeln, davon jetziger zeit disputiert, wie darin nach Gottes wort und der Augsburgischen Konfession eine einhellige, gottselige und beständige einigkeit zu treffen. Zur Streitschrift von 1571 vgl. Chemnitz, Martin: Bedencken der Theologen zu Braunschweigk von dem newen Wittenbergischen Catechismo gestellet der gantzen Christenheit zur Warnung ausgangen, [Jena] 1571, Bl. Aiiv [VD16 C 2156]. Vgl. [o. A.]: Wiederholte Christliche Gemeine Confeßion vnd Erklerung. Wie in den Sechsischen Kirchen vermöge der heiligen Schrifft/ vnd Augspurgischen Confession […] gelehret wird, Wolfenbüttel 1571 [VD16 C 2229]. Vgl. Mager, Konkordienformel, S. 410. Vgl. StadtA BS, B I 14 Nr. 15, Bl. 399r–406v. Der Eidestext wird im Anhang unter Text 7 erstmals abgedruckt. Die letzte Unterschrift leistete 1671 der Magniprediger (Georg) Ludwig Rahtgen (bzw. Radeken).

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gegen ausdrücklich verwarf. Konflikte über die Ubiquitätslehre zwischen Braunschweig und den Herzögen waren die Folge (1580er-1590er). Diese setzten sich insbesondere nach dem Tod von Herzog Julius und unter der Nachfolge seines Sohnes Heinrich Julius ab 1589 fort und vermengten sich überdies mit zahlreichen politischen Konflikten, die 1600 in einen kriegsartigen Zustand mündeten. Immerhin war Braunschweig aber seit 1597 außenpolitisch in seiner Konfession endgültig abgesichert: Auf dem Salzdahlumer Landtag hatte Herzog Heinrich Julius den Ständen seines Herzogtums per Religionsassekuration zugesichert, dass sie fortan unabhängig vom regierenden Herzog beständig bei ihrem Glauben gemäß CA und KO (1569) verbleiben durften.281 Diese Zusicherung wurde bis ins späte 18. Jahrhundert von den regierenden Herzögen wiederholt und beinhaltete ein bemerkenswert frühes Abtreten vom Grundsatz cuius regio, eius religio. Aufgrund der Streitigkeiten zwischen Stadt und Herzog kam es aber 1605 und 1615 dennoch zu zwei Belagerungen, die Braunschweig erfolgreich abwehren konnte. Auch innenpolitisch geriet die alte Braunschweiger Verfassung seit den 1580er Jahren in arge Bedrängnis: Die Bürgerhauptleute wollten die Macht des Stadtregimentes im Namen der Gemeinden sukzessive an sich ziehen, was ihnen zunächst teilweise auch gelang.282 In den folgenden Konflikten zwischen Rat und Bürgerhauptleuten stellte sich die Geistlichkeit klar auf Seiten des Rates und exkommunizierte schließlich die Bürgerhauptleute.283 1604 wurden die Anführer der Hauptleute – darunter Henning Brabandt – hingerichtet und das alte Ratsregiment vorerst wieder hergestellt. Schließlich brachen auch für das Kirchenwesen der Stadt nach dem Tod von Chemnitz (1586) unruhige Zeiten an.284 Sein Nachfolger als Superintendent, Johann Heidenreich (1586–88), sympathisierte mit dem sächsischen Kryptocalvinismus und wurde vom städtischen Syndikus Mascus darin bestärkt.285 Es kam zu mehreren Konflikten mit den orthodox lutherischen Predigern, insbesondere mit dem 1588 zum Koadjutor ernannten Polycarp Leyser. Dabei drohte gerade der zu dieser Zeit allgemein schwelende Ubiquitätsstreit das Ministerium zu 281 Vgl. Wallmann, Johannes: Herzog August zu Braunschweig Lüneburg als Gestalt der Kirchengeschichte. Unter besonderer Berücksichtigung seines Verhältnisses zu Johann Arndt, in: Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus 6 (1980), S. 9–32, hier S. 10. Auch: Krumwiede, Hans-Walter: Kirchengeschichte Niedersachsens. Erster und zweiter Teilband, Göttingen 1996, S. 141. 282 Vgl. Walter, Rat. 283 Vgl. Helmuth, Johann L.C.: Über den Antheil des geistlichen Ministerii der Stadt Braunschweig an den daselbst im Jahre 1604 vorgefallenen Unruhen, in: Vaterländisches Archiv für Hannoverisch-Braunschweigische Geschichte Jg. 1833 (1834), S. 307–337. 284 Vgl. zu Chemnitz Testament: Mager, Inge: Das Testament des Braunschweiger Stadtsuperintendenten Martin Chemnitz (1522–1586), in: BsJb 68 (1987), S. 121–132. 285 Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 131–137.

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spalten: Während Superintendent Heidenreich die Allgegenwart (Ubiquität) der menschlichen Natur Christi außerhalb von Sakrament und Kirchenraum ablehnte, betonten Koadjutor Leyser und ein Großteil des Ministeriums dessen universelle Gegenwart. Der Rat schloss sich der Auffassung Leysers an und stellte nach langer Diskussion schließlich folgende Lehrmeinung mit Bezug auf CD und Konkordienbuch als gültig dar: Vnd das also Christus, wo er jst, da sey nicht seine halbe person, oder alle die helffte, oder nur ein teil seiner person, als die gothait allein, besonders vnd bloß, ohn vnd ausser seiner angenomenen vnd personlich vorringerten menschheit, […] sondern seine gantze person, nemlich als Gott vnd mensch nach art der personlichen voreinigunge mit der menscheit.286

Da Heidenreich diese Ansichten nicht akzeptieren wollte, wurde er 1588 unter Vorwänden (= Unbeliebtheit bei der Gemeinde) seines Amtes enthoben,287 woraufhin Leyser kurzzeitig selbst Superintendent wurde (1589–1594).288 Nachdem Leyser unter politisch turbulenten Umständen nach Sachsen heimgekehrt war, wählte man als seinen Nachfolger den vormaligen Koadjutor Lukas Martini (1595–1599). Unter seiner Amtszeit wurde die Braunschweiger Kirche von vielfachen Auseinandersetzungen im Kolloquium gestört, die schließlich das bewährte Kirchensystem zu sprengen drohten.289 Verhindert wurde dies u. a. durch eine vorzeitige Krankheit Martinis und dessen daraus resultierenden Tod im Jahr 1599. Die Superintendentur sollte für die nächsten sieben Jahre vakant bleiben.290 Mit dieser Vakanz endet auch der vornehmliche

286 StadtA BS, H V Nr. 218, pag. 416. 287 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 299: Ein erbar kuchenrhat hat neben den grossen kastenhern einhellig geschlossen, hern D. Johan Heidenreich itzigen superintendenten, weill es bis daher in der kirchen nichts gebauwett, viell weniger ihme die zuhoerer folgen, den dienst vfzukündigen, wie auch geschehen ist, actum den 16. septembris anno 88. 288 Nach der Abdankung Heidenreichs wollte man den Ubiquitätsstreit durch eine Synode mit dem Ministerium Tripolitanum (Lübeck, Hamburg, Lüneburg) außenpolitisch beilegen. Lübeck lehnte dieses Treffen im Oktober 1588 ab, da man es nicht für ratsam erachtete, diese Streitfragen in die eigene Gemeinde zu tragen. Vgl. StadtA BS, Revidenda Nr. 67 [o.P.]. Schreiben an Lübeck vom 4. 10. 1588 und Antwort Lübecks vom 12. 10. 1588. 289 Insbesondere der Konflikt um den sog. Hubersimus, dem Martini angeblich zusammen mit dem Prediger Melchior Leporinus anhing, wurde ab 1597 brisant. Vgl. Kapitel 4.9. 290 Geprägt war diese Zeit (1599–1606) kirchengeschichtlich u. a. von den Streitigkeiten um den Martinipfarrer Johann Arndt und dessen Werk vom »Wahren Christentum«. Vgl. Schneider, Hans: Der Braunschweiger Prediger Johann Arndt. Sein Leben auf dem Hintergrund der deutschen Kirchengeschichte 1555–1621, in: Otte, Hans; Schneider, Hans (Hrsgg.): Frömmigkeit oder Theologie. Johann Arndt und die »Vier Bücher vom wahren Christentum«, Göttingen 2007 (= Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, 40), S. 13–25, hier S. 18– 19. Dass diese Zeit mit Arndt jedoch nicht von der vielfach diskutierten »Frömmigkeitskrise um 1600« (Zeller) geprägt war, dazu Matthias, Markus: Gab es eine Frömmigkeitskrise um 1600?, in: Otte, Hans; Schneider, Hans (Hrsgg.): Frömmigkeit oder Theologie. Johann Arndt

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Betrachtungszeitraum, den die nachfolgende Untersuchung nun näher beleuchten wird.

und die »Vier Bücher vom wahren Christentum«, Göttingen 2007 (= Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, 40), S. 27–43, hier S. 43.

2.

Änderungen auf Ökonomie- und Verfassungsebene 1528–1599

Obgleich man die Reformation 1528 mit der KO offiziell eingeführt hatte, so standen der Stadt doch auf Verfassungsebene noch vielfältige Änderungen bevor. Begleitet waren diese von juristischen und ökonomischen Wandlungsprozessen: Neue Institutionen mussten etabliert, alte Kirchengüter hingegen verkauft, umstrukturiert und verwaltet werden; auch Patronats- und Kirchenrechte bedurften gegenüber Bischof und Herzog einer Neudefinierung. Da Vermögenswerte damals wie heute hohe Aufmerksamkeit genossen, ist es nicht verwunderlich, dass sich gerade die ökonomisch-juristischen Veränderungen der Institutionen in den Quellen umfangreich niedergeschlagen haben. Letztlich lassen sich fast alle größeren Entwicklungen nach 1528 (auch) auf rechtliche oder ökonomische Interessen zurückführen. Zunächst sollen daher in diesem Abschnitt Aufbau und Entwicklung der neuen Institutionen beleuchtet werden, anschließend die Aufhebung oder Umgestaltung der »altkirchlichen«. Daran anschließend wird in einem dritten Schritt die nachreformatorische Entwicklung der Patronatsrechte sowie der Pfarrwahl- und Entlassung näher untersucht.

2.1

Konstituierung neuer Institutionen 1528–1599

2.1.1 Der Rat als neuer »Summus Episcopus« Wie viele andere norddeutsche Landstädte beanspruchte auch Braunschweig mit Einführung der Reformation die bischöflichen Episkopalrechte für sich.291 Diese lagen gemäß lutherischer Vorstellung in den Händen der Obrigkeit, also jenen des Rates. Damit verbunden waren die geistliche Gerichtsbarkeit, Ehegerichtsbarkeit und (nach Meinung des Rates) die Hoheit über das Kirchenwesen im Allgemeinen – inklusive Pfarrbesetzung. So behauptete der Rat im Streit um die 291 Vgl. zu den außenpolitischen Streitigkeiten um das Summepiskopat mit Bischöfen und Herzog Kapitel 4.1.

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Änderungen auf Ökonomie- und Verfassungsebene 1528–1599

Pfarrbestellung zu St. Petri 1598 rückblickend: Die bestellung [der Kirchen M.V.] müste mit consens des episcopi geschehen, nun sei der rath episcopis, habe jura episcopalia 70 jarhin.292 Die Rolle, welche der Rat nun seit 1528 selbstbewusst einnahm, führte in der Folge nicht selten zu Auseinandersetzungen, sei es mit den Gemeinden, dem Ministerium oder dem Landesherrn, wie die nachfolgenden Kapitel zeigen werden. Es folgte überdies eine Zentralisierung zahlreicher Ämter und Institutionen, die dem Rat stärker als bislang verbunden wurden: Eine stetige Konsolidierung und Verdichtung herrschaftlicher Rechte von Seiten des Rates war die Folge. Obgleich dem Magistrat laut KO – zusammen mit den Kastenherren – quasi sämtliche kirchlichen Rechte übertragen worden waren, erkannte er schnell, dass er diese Aufgaben nicht alleine bewältigen konnte. Entsprechend wurden einzelne Aufgaben sukzessive ausgelagert, etwa an das sich neu formierende Geistliche Kolloquium und Ministerium oder das spätere Konsistorium. Das letzte Einspruchsrecht lag allerdings bei allen Entscheidungen nach wie vor in Ratshänden. Dieser schaltete sich lediglich dann ein, wenn Probleme im Ministerium oder Konsistorium auftraten – vermehrt war dies erst seit den 1580er Jahren der Fall. Eine erste wichtige Aufgabe fand der Rat nach Einführung der Reformation in der Überführung zahlreicher »kirchlicher« Ämter unter Ratsaufsicht. Dies bot zwar neuen Einfluss, war aber auch eine bisweilen lästige Verpflichtung. Dennoch lässt sich feststellen, dass die Ratskontrolle für viele Ämter nach 1528 sukzessive zunahm. Die Rechte hierzu meinte der Rat in der KO begründet zu finden. Dies betraf – neben den ohnehin schon um 1520 ratsabhängigen Klostervorstehern293 – z. B. die Prediger, Scholarchen,294 Schreibschulmeister, Kastenherren, Armenvögte (1550 geschaffen), Kurrendeherren (1571 geschaffen) und Hebammen. Die KO erwähnte bereits viele dieser Ämter und unterstellte sie erstmals der Zuständigkeit des Rates.295 Allerdings waren die Angaben hier zunächst noch sehr vage und verfestigten sich erst im Laufe der Zeit, was exemplarisch anhand der Hebammen und Schreibschulmeister nachvollzogen werden soll.

292 StadtA BS, B III 17 Nr. 7, Bl. 95v. 293 Die Klöster zu St. Ägidien, St. Crucis sowie das Franziskanerkloster, waren bereits vor der Reformation stark vom Rat und dessen Klostervorstehern abhängig gewesen. Vgl. die entsprechenden Kapitel. 294 Die Scholarchen waren ein Schulaufsichtsamt, übernommen von fünf Ratsherren. Vgl. Kapitel 2.1.7. 295 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 359: Darumme wil eyn erbar radt dorch vorstendige wive vorschaffen […] erfarener heveammen, alse van nöden hyr wert syn. Ebd., S. 370: De beyden düdeschen scholemestern, van deme erbarn rade angenamen, schal me des jares uth der gemeynen schatkasten geschenke geven.

Konstituierung neuer Institutionen 1528–1599

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Die Hebammen (Bademomen) sollten laut KO vom Rat angestellt werden und etlike benömede hulpe als Zahlung bekommen, um im Gegenzug auch den Armen ihre Hilfe anzubieten.296 Vor der Einstellung hatte sie der Superintendent zu belehren. Diese Regelung war unpräzise, band die Hebammen nicht ausreichend an den Rat und ließ weiterhin Spielraum für Korruption und mangelnde Bildung – etwa hinsichtlich der Nottaufe.297 Zunächst einmal musste der Rat aber dafür Sorge tragen, dass überhaupt lutherische Hebammen in ausreichender Zahl verpflichtet wurden. Daher ließ er 1531 einen Ausschuss aus Rats- und Kastenherren zusammentreten, welcher die vorhandenen Hebammen vorzuladen hatte. Letztere sollten dann im Falle ausreichender Qualifikation jtlige fruwen to sik thein vnd leren, da bute swerlige welcke to bekomende sin.298 Pro Weichbild wurden nun nachweislich zwei Hebammen verpflichtet – jedoch weiterhin ohne Eid und ohne Gehalt. Die in der KO erwähnte hulpe bestand aus einem jährlichen Obolus von einer (bzw. ab den 1560er Jahren zwei) Mark seitens der Schatzkästen.299 Allerdings war die Regelung der KO nicht ausreichend; der geringe Obolus und die fehlende Beeidigung ließen die Hebammen nur reiche Bürgerinnen versorgen, von denen sie sich eine bessere Bezahlung erhofften. Um die Vorschriften von Rat und KO kümmerten sie sich nur wenig. So klagte Chemnitz rückblickend: Die hebammen waren nicht voreidet vnd weil sie nichts davon hatten ex publico, trug sich viel vnrats zu bei armen weibern.300 Nach vielfältigen Bitten des Ministeriums im Generalkolloquium entschloss sich der Rat deshalb 1571, eine präzise Ordnung zu erstellen und beauftragte das Ministerium mit dieser Aufgabe. Chemnitz erstellte im September eine Hebammenordnung, welche die Amtsinhaberinnen am 12. 9. 1571 vor dem Rathaus anzunehmen hatten.301 Mit dieser Ordnung wurden die Hebammen endgültig als festbeeidete Ratsbedienstete angestellt. Fortan gab es zwei Hebammen in jedem Weichbild, welche jeweils einen Eid auf die KO und die Hebammenordnung abzulegen hatten. Darüber hinaus wurde ihnen endlich ein festes Gehalt von 20 Gulden gezahlt.302 Vor ihrer Bestätigung wurden sie vor die herrn des colloquij vndt die 296 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 359. 297 So waren die Hebammen durch die Belehrung zwar informiert, doch ob sie die theologischen Erklärungen des Superintendenten verstanden hatten, war nicht sicher. Dies änderte sich erst später mit den Examen. 298 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 18v. 299 Vgl. StadtA BS, F I Nr. 10, Bl. 26r; StadtA BS, F I 1 Nr. 21, Bl. 22v. Die Schatzkästen erhielten diese Summen aber vom Rat, sodass es sich hier quasi um ein direktes Ratsgehalt handelte, vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 25, Bl. 9r. 300 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 31 [Tintenpaginierung]. 301 Die bislang unbekannte Ordnung findet sich unter StadtA BS, B I 15 Nr. 9, Bl. 13r–18r. Sie ist im Anhang unter Text 5 erstmals abgedruckt. 302 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 225–226.

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herrn doctores phisicis vndt kasten herrn geladen, dort examiniert und nach dem besagten Eid als städtische Hebammen angenommen. Gemäß der Ordnung wurden ihnen künftig mürrische oder abergläubische wortt und segenerey untersagt. Auch sollten sie sich nun nicht mehr verleugen laßen und die armen weiber vertreiben, wie offt geschieht.303 Laut ihres Eides mussten sich die Hebammen überdies als Ratsangestellte tags vndt nachts der nüchterkeit befleißen vndt alles vbrigen trunks gentzlig eußern.304 Bis zum Ende der Stadtfreiheit sollte es nun bei diesen Regelungen bleiben305 – Probleme mit den Hebammen lassen sich aber auch später noch regelmäßig bezeugen.306 Ähnlich wie bei den Hebammen übernahm der Rat künftig auch verstärkt die Aufsicht über die Schreibschulmeister.307 Hierbei handelte es sich gleichfalls um ein Amt, das der Rat zuvor großteils ignoriert hatte – selbst Bugenhagen hatte es in seiner KO in nur wenigen Sätzen abgehandelt. Nichtsdestotrotz stritt man die Bedeutung solcher Schulen für die christliche Erziehung der Jugend keinesfalls ab. Traditionell gab es zwei deutsche Schreibschulmeister in Braunschweig: Einen in der Altstadt (nach 1528 im Brüdernkloster)308 und einen im Hagen an der langen brück.309 Die Besoldung erfolgte ausschließlich durch das Schulgeld. Anders als die Lateinschullehrer wollte die KO ihnen jährlich kein Gehalt, sondern nur geschenke zukommen lassen, was aber nur selten tatsächlich geschah.310 Erst mit der Anstellung Christoph Wiltfogels (1562) änderte sich dies: Wiltfogel erhielt 1570 erstmals einen Bestallungsvertrag, eine Wohnung und 40 Gulden Gehalt sowie zwei Scheffel Roggendeputat.311 303 StadtA BS, B I 15 Nr. 9, Bl. 13v u. 15r. 304 StadtA BS, B IV 6 Nr. 6 [o.P.], Bl. 1r [eig. Pag.]. Abschrift des Eides, um 1600. Auch unter: StadtA BS, B I 15 Nr. 9, Bl. 18v–19r. 305 Vgl. die Vermerke zur Eidabnahme der Hebammen 1642–1685: StadtA BS, B I 15 Nr. 9, Bl. 19v–20r. 306 Zu den Problemen: StadtA BS, B I 3 Nr. 24,2, pag. 689 (1580); StadtA BS, B III Nr. 15, Nr. 10, Bl. 48v (1597); StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 10r (1600); StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 11v, Bl. 12v, Bl. 13r, Bl. 20v, Bl. 29r (1607). 307 Inwiefern die Schreibschulmeister schon vor 1528 vom Rat abhängig waren, ist strittig. Koldewey vermutet jedenfalls auch vor der Reformation bereits eine Abhängigkeit der Schreibschulmeister vom Rat, allerdings ohne Beleg. Vgl. Koldewey, Friedrich (Hrsg.): Braunschweigische Schulordnungen von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1828, Bd. 1, Berlin 1886 (= Monumenta Germaniae paedacogica, 1), S. XLI (Vorwort). 308 Die Schreibschule der Altstadt wurde nach der Reformation ins Brüdernkloster verlegt. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 168, Bl. 72v; StadtA BS, B IV 11 Nr. 53, Bl. 7r; StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 199r. 309 Vgl. StadtA BS, Revidenda Nr. 67, [o.P.], Bl. 19r [eig. Pag. im Dokument]. Sitzung vom 9. 3. 1558. 310 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 370. Z. B. wurde 1531 dem Hagener Schreibschulmeister die Hausmiete gezahlt. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 27. 311 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 168, Bl. 6r ff., auch abgedruckt bei Koldewey, Schulordnungen, S. 120. 1576 wurde dieses Gehalt auf 72 Gulden (24 Mark) erhöht. Vgl. StadtA BS, F I 2 Nr. 27, Bl. 15v.

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Zudem lässt sich bei Wiltfogel erstmals ein Glaubensexamen für den künftigen Schreibmeister nachweisen: So musste er auf Befehl des Rates vor dem führenden Kastenherrn und Superintendent Mörlin zum Verhör antreten. Der Superintendent, als des episcopus huius ecclesiae, wollte daraufhin wissen, ob er der sakramentschwermer, wedderdoper, adiaphoristen vnd maioristen vnd andere rotten anhängig wäre.312 Wiltfogel gab daraufhin zur Antwort, dass er keiner rotten vorwandt sei, sondern bi der lere leben vnd sterben wolle, wie die D. Luther seliger hette an den dag gebracht.313 Mit der ordentlichen Bestallung hatte der Rat aber nun auch die Handhabe, bezüglich der Schulgelder Vorschriften zu machen; 1584 wurde daher erstmals eine bisher unbekannte Ordnung vff das schreiblohn jn den teutschen schuelen beschlossen: Den Schreibmeistern wurde darin u. a. vorgeschrieben von jedem knaben so schreiben, lesen vnd rechnen lernet, das halbe jar vber einen thaler, […] von dem aber, so nur schreiben vnd lesen lernet, das halbe jar vber einen halben thaler vnd nicht darüber zu nehmen.314 Dies wurde künftig auch in die Bestallungsverträge der Schreibmeister aufgenommen.315 Als Lehrgrundlage diente der Katechismus Luthers.316 Damit waren die deutschen Schreib- und Rechenmeister 1584 endgültig zu Ratsbediensteten geworden. Wie bei anderen Gewerben bildeten sich nachfolgend auch hier einzelne Schreibmeisterdynastien, wie etwa jene der Familie Pöpping.317 Die beiden Beispiele der Ämter »Hebamme« und »Schreibmeister« stellen nur eine Auswahl der stetigen Zentralisierung dar, die der Rat als neuer »Summus Episcopus« nach 1528 betrieb. Durch Eide, Bestallungsverträge und Ordnungen regelte er fortan Befugnisse und Zuständigkeiten aller (laut KO im weitesten Sinne) kirchlich-sozialen Ämter. So etablierte sich im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts neben dem Hebammen- und Schulmeistereid auch der Eid von Kastenherren, Armenkastenherren, Kurrendeherren, Hospitalvorstehern, Pröbsten und Klosterprovisoren.318 Einzig für die Konsistorialräte hat sich kein spezieller Eid überliefert – dennoch war auch das Konsistorium samt Ehewesen dem Rat unmittelbar unterworfen. Selbst die Prediger waren dem Rat künftig per 312 StadtA BS, G II 1 Nr. 31, Bl. 296r–296v. 313 Ebd., Bl. 296v. 314 StadtA BS, B I 6 Nr. 2, Bl. 143r–143v. Auch wurden jegliche Geschenke zwecks Bestechung untersagt. 315 StadtA BS, G II 1 Nr. 98, Bl. 1r–1v (Bestallungsvertrag 1586): Der Schreibmeister soll vonn eines bürgers sohn welcher allein schreiben lernet, des jahrs nicht meher als einen thaler, vnd von einem bürgers sohn, der schreiben vnd rechenn lernet, das jahr zwenn daler nehmen. Bei fremden Schülern stand das Schulgeld aber frei. 316 Vgl. zur Verwerfung der anderen Katechismen: StadtA BS, B III 15 Bd. 10, Bl. 198v. 317 Vgl. Schubert, Christian: Conrad Pöpping (1588–1657), Schreib- und Rechenmeister in der alten Stadt Braunschweig, in: Gebhardt, Rainer (Hrsg.): Arithmetische und algebraische Schriften der frühen Neuzeit, Freiberg 2005 (= Schriften des Adam-Ries-Bundes AnnabergBuchholz, 17), S. 127–140, hier S, 134. 318 Vgl. StadtA BS, B I 15 Nr. 9, Bl. 2v–11v bzw. StadtA BS, B IV 6 Nr. 6.

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Bestallungsurkunde verbunden – die frühste Urkunde dieser Art hat sich für Braunschweig aus dem Jahr 1541 erhalten.319 Gegenüber den Herzögen vermochte der Rat zwischen 1528 und 1671 seine volle kirchliche Souveränität unter heftigen Disputen ebenfalls beizubehalten, wie weiter unten noch darzulegen sein wird.320 Der Rat sah sich folglich nach 1528 durchweg als Summus Episcopus an und nahm diese Rolle gemäß der KO auch wahr. Die engere Bindung der verschiedenen schulischen- und kirchennahen Ämter an den Magistrat war aber – wie oben exemplarisch zu sehen – ein längerer Prozess: Eide mussten konzipiert, neue Ordnungen erstellt und Bezahlungsmodi bestimmt werden. Das zog sich z. B. bei den Hebammen und Schreibmeistern über Jahrzehnte hin – andere Ämter wie Armenvögte (1550), Konsistorialräte (1561) oder Kurrendeherren (1571) mussten erst noch neu geschaffen werden.321 Der Rat festigte folglich seine Position, indem er seine Stellung nach innen über die beeidete Ämterstruktur konsolidierte, während er nach außen dem Herzog strikt jegliches Recht in Kirchendingen absprach. Welchen Spielraum der Rat dabei letztlich den neuen kirchlichen Institutionen (Schatz- und Armenkasten, Kurrende, Geistliches Ministerium, Konsistorium) im Einzelnen beließ und welche Probleme dabei auftraten, wird in den nachfolgenden Kapiteln deutlich werden.

2.1.2 Der Schatzkasten Noch im Jahr 1528 wurden vom Rat die ersten beiden protestantischen Institutionen ins Leben gerufen: Der Armen- und der Schatzkasten. Bugenhagen lagen für diese Einrichtungen um 1528 mehrere Vorbilder als Modell vor,322 doch stellte seine Trennung von Kirchenvermögen und Almosengeldern durchaus eine Innovation dar.323 An jeder Pfarrkirche ließ man nun einen Schatzkasten aufstellen. Sinngemäß standen diese Schatzkästen in der Tradition der Kirchenfabriken. Deren Aufgabenbereich324 war allerdings weitaus beschränkter gewesen als jener der neuen Schatzkästen: So hatten letztere z. B. fortan neben dem Unterhalt des 319 Vgl. Text 1 im Anhang. 320 Vgl. Kapitel 4.1. 321 Zu den diesbezüglichen Prozessen siehe im Detail die entsprechenden nachfolgenden Kapitel. 322 Vgl. Peters, Armut, S. 241–252; Rammler, Idee, S. 99. Es existierten z. B. die Ordnungen von Wittenberg (1522), Augsburg, Nürnberg, Leisnig, Altenberg, Regensburg und Straßburg (1523) sowie Bremen (1525). 323 Vgl. Kreiker, Armut, S. 56. 324 Vgl. zu den Aufgaben der Kirchenfabriken ausführlich: Reitemeier, Arnd: Pfarrkirchen in der Stadt des späten Mittelalters. Politik, Wirtschaft und Verwaltung, Stuttgart 2005 (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 177), S. 479–522.

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Kirchenbetriebes auch die Prediger- und Schulbesoldung zu gewährleisten, hinzu kamen Gelder für Stipendien, Unterhalt von Schul- und Pfarrgebäuden sowie die Besoldung von Hebammen, Koadjutor und Superintendent. Entsprechend umfangreicher waren auch die Einnahmen der Schatzkästen: Alle Stiftungen, Memorien, Kalande, Vierzeitenpfennige und die Gelder der ehemaligen Kirchenfabriken sollten dem Kasten zufallen. In der Verwaltungstätigkeit entstand trotz dieser scheinbar gewahrten Kontinuität ein klarer Bruch: Die beiden Alterleute (Olderlude) der ehemaligen Kirchenfabrik dankten jeweils ohne Ausnahme ab und wurden durch vier Provisoren pro Schatzkasten ersetzt – dieser rigorose Personalaustausch sollte anschließend noch zu massiven Problemen führen (s. u.).325 Wie üblich, so war auch in Braunschweig nach der Reformation das Geld zum Unterhalt der Kirchendiener äußerst knapp.326 Der Einzug obiger Gelder und Güter bedurfte jahrelanger Arbeit; so konnten die Schatzkästen vorerst mehr schlecht als recht bestehen. Das lag nicht zuletzt auch an vielfachen außerordentlichen Ausgaben, die den ehemaligen Kirchenfabriken und jetzigen Schatzkästen durch die Reformation entstanden. So mussten z. B. bereits 1528 die Umzugsgelder von Koadjutor und Superintendent allein aus den Kästen finanziert werden.327 1529 hatte der Schatzkasten zu St. Martini größere Summen aufzubringen, um die Wände und Pfeiler wedder tho witkende dar jtlike hilgen gestan hadden.328 Die größten Ausgabenposten machten indessen Gelder für die nunmehr neuartige Besoldung der Schul- und Kirchendiener aus, während im Gegenzug die Gelder aus altkirchlichen Stiftungen nur schleppend in den Schatzkasten flossen.329 Aufgrund der Geldnöte musste bereits 1530 der Schatzkasten zu St. Petri dem Schatzkasten von St. Martini 34 Gulden übertragen – dar de mi midde tho hulpe kumpt, wie der Kastenherr St. Martinis resümierte.330 Problematisch war insbesondere die mangelnde Übersicht der Kastenherren im Hinblick auf die vorherige Vermögensverwaltung. Neben der Tatsache, dass 325 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 454. Zu den Alterleuten der Kirchenfrabiken und den Kastenherren vgl. ausführlich Kapitel 3.2. 326 Zur prekären Lage in Goslar vgl. z. B. Graf, Pfründe, S. 47; zu Göttingen vgl. Petke, Wolfgang: Oblationen, Stolgebühren und Pfarreinkünfte vom Mittelalter bis ins Zeitalter der Reformation, in: Boockmann, Hartmut (Hrsg.): Kirche und Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts, Göttingen 1994 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen Folge 103, 206), S. 26–58, hier S. 57. 327 So etwa für den Umzug der Familie Görlitz (StadtA BS, F I 1 Nr. 1, Bl. 4r): Anno 1528, den 3 dach octobris gaff jc dem vorman, de des superattendenten husfrowen sampt orem husgerade brochte wente hir […], jtem noch sende jc den 21 dach october dem superattendenten jn sin hus, dat sin hussfrowe vnderwegen vortert hatte, dat ist iii fl. 328 StadtA BS, F I 1 Nr. 1, Bl. 5v. 329 Lediglich die Opperleute waren zuvor bisweilen durch die Kirchenfabrik bereits besoldet worden. 330 StadtA BS, F I 1 Nr. 8, Bl. 13r.

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sämtliche Amtsträger 1528 neu gewählt worden waren, trug hierzu vor allem das Fehlen von Verwaltungsschriftgut bei. So wurden den Schatzkästen z. B. erst im Frühjahr 1530 die Bursenregister der ehemaligen Alterleute ausgehändigt. Gleiches galt für die segel vnd bref vnd gerechtigkeit der kercken.331 Diese wurden fortan in der entsprechenden Kirche verschlossen. Zwei Schlüssel zur Kiste erhielten die Ratsherren des Weichbildes, zwei die Kastenherren – wo von olders her.332 Noch ein Jahr später, am 3. 1. 1531, wurde dem Schatzkasten zu St. Katharinen dann weiteres Verwaltungsschriftgut ausgehändigt. Dies bestand aus einem fundarien boeck over de lene, einem tynß boeck sunte Katharine, den copien etliker vorsegelder breven, einem boeck van festen, memorien vnd van tinßen sowie einem latinß memorien boeck und dem jnventarium der kercken godere.333 Selbst jetzt hatten aber nicht alle Kastenherren die notwendigen Bücher vorliegen. Im folgenden August beschwerte sich eine Abordnung derselben erneut vor dem Rat: Segil vnd breve, hovetboke register over kerckenguder sin vaken gefordert, wes one aver jn den wickbilden wederfarn weit me sik to erjnnern.334 Diese Bücher waren aber höchst notwendig, denn tatsächlich waren die Briefe und Siegel der Fundationen z. T. noch in den Privathäusern der Ratsherren untergebracht und damit ohne Verwaltungsschriftgut nur schwer bis gar nicht auffindbar. Um 1531/32 klagten die Kastenherren aller Weichbilde, dass yn her Henny Scheppenstedes huse eyn kaste synn, des rades vicarienn angehorich, zu welchem man nun endlich Zutritt verlange.335 Da also die Schatzkastenherren dank ihrer Neuwahl anfänglich wenig Erfahrung mit der Kirchengüterverwaltung besaßen und auch keine Unterlagen zur Verfügung standen, war dem Schatzkasten als Institution ein schwieriger Start vorherbestimmt. Permanent mussten die Kastenherren zwischen 1528 und 1532 beim Rat um Audienzen bitten und hielten diesen damit von seinen ohnehin vielfältigen Amtsgeschäften ab.336 Insbesondere die Gemeinden klagten hierüber 1531 beim Rat: Me late sik ok heren, se maken mit den kastenhern ores andragens so vehil, dat se dar mede ander radis gescheffte vorhindert.337 Auf der anderen Seite hatten die Kastenherren aber richtig erkannt, dass eine Rückendeckung des Rates für ihre Amtsgeschäfte unabdingbar war, denn aufgrund ihrer undankbaren Aufgabe waren sie zahlreichen Anfeindungen von Seiten der Bürgerschaft ausgesetzt. So klagten sie etwa im August 1531, man beschimpfe die kastenhern

331 332 333 334 335 336 337

StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 3v. Ebd. StadtA BS, F I 4 Nr. 26, Bl. 1v. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 17r. Ebd., Bl. 32v. Vgl. z. B. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 4r (1531) sowie ebd. Bl. 94r (1532). Ebd., Bl. 4r.

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als schelcke, vorreder vnd bosewichte.338 Johann Budekers ließ sich im selben Jahr vernehmen, man solle den Kastenherren doch syn gellt nicht geven, er gedenke den dach noch tho [er]levenn dat man eyn clinge twischenn halse vnde cragenn der kastnhern her gann lathen werde. Auch von anderen Seiten wollte man die Kirchengüter den madigenn lusigenn hundenn den kastherrn nicht aushändigen.339 So ist es denn auch verständlich, dass die Schatzkästen in den Anfangsjahren arge finanzielle Engpässe aufwiesen, da man mit dem Einzug der Kirchengüter nicht sonderlich erfolgreich war. Insbesondere der Einzug von Vikarsstiftungen bereitete Schwierigkeiten,340 doch gleiches gilt letztendlich auch für die Memorien, Kapellen-, Kalands- und Pfarrgüter. Dies führte in der Folge dazu, dass der Schatzkasten nur bedingt fähig war, den Predigern ihren Sold rechtzeitig auszuzahlen. Der Rat wollte das nicht einsehen und erklärte 1531, die Kästen wären durchaus fähig zur Besoldung der Kirchendiener, wenn nur die Kirchengüter fleißig eingefordert würden. Zu diesem behouff scholde hinfurder sodan kercketins mit einem jnlager341 gefordert werden, vnd de so jngelecht worden, scholden nicht weder vtogande vorlovet werden, jd geschege mit weten des kastenhern vnd des lutken borgermesters des wigbildes, dar jnne de jngelechte schuldener beseten were.342 Damit hatten die Schatzkästen endlich ihre gewünschte Rückendeckung vom Rat erhalten, deren Mangel die Bürger zuvor in Verweigerungshaltung gebracht hatte. Nun waren allerdings umfangreiche Verhandlungen nötig, um die übrigen Gelder einzuziehen. Der Rat warnte: Vnde wo de ghedacht kistehern solcks [Geld M.V.] lude de ordenunge nicht konden bekomen wortt de ordeninge vallenn vnde tho nichte werdenn.343 Die Verhandlungsprotokolle der Kastenherren mit den kirchlichen Lehensinhabern haben sich in Teilen erhalten und verdeutlichen eine nun weitreichend durchgeführte Verhandlungstätigkeit mit hunderten Personen.344 Doch selbst wenn die Kastenherren hier mit Einzelpersonen Abmachungen treffen konnten, wurden diese vielfach im Anschluss schlichtweg gebrochen.345 Auch im Folgejahr 1532 mussten sich daher die Kastenherren im August vor dem Rat beschweren. Wieder wurden ihre vielfachen Ratsaudienzen gerechtfertigt: Es täte den Kastenherren 338 339 340 341 342 343 344 345

Ebd., Bl. 17r. Ebd., Bl. 33v. Vgl. das Kapitel 3.5.3. Einlager bedeutete die Verpflichtung eines Schuldners dem Gläubiger gegenüber, sich bei Zahlungsverzug zuhause oder in einem vorbestimmten Ort so lange aufzuhalten, bis die Summe erlegt wurde (= Schuldhaft). StadtA BS, B III 9 Nr., 1,1, Bl. 18r. Die Kastenherren hatten darum selbst gebeten: Der Rat solle nicht dat jnlegger vp vns allene wenden dar dorch doch sust de borger vp vns thom vnfrede gheritzet werdenn. Ebd., Bl. 34v. Vgl. ebd., Bl. 35r. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1. Vgl. ebd., Bl. 25r.

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leid, wenn sie den Rat damit von anderen Geschäften abhielten, doch gehe es hier schließlich um wertvolle Kirchenzinse.346 Die Bürger wollten dementgegen offenbar eine gänzliche Abschaffung des Schatzkastens erwirken und wieder Alterleute bestellen oder doch wenigstens die Zahl der Kastenherren auf jeweils zwei verringern.347 Man war – so schien es – in den Gemeinden mit der neuen Institution vielfach unzufrieden. So wurde etwa vorgegeben, die Kastenherren hätten jn iiii jahren nein rekenschop gedan.348 Die Bürger brachten ihre Anschuldigungen mithilfe einiger erzürnter Abgeordneter vor. 1532 war dies ein Ausschuss von insgesamt 27 Personen: Vom Patrizier (z. B. Bode Glümer) bis hin zum Radmacher (Peter Wilkens) ließen sich Vertreter aus fast allen Gesellschaftsschichten finden.349 Allerdings sollte man vorsichtig sein, diese Klagen ausschließlich auf eine schlechte Amtsführung der Kastenherren zurückzuführen. Vermutlich spielten darüber hinaus auch konfessionelle Hintergründe der Klagenden eine Rolle. So waren Glümer, Lafferde, Vechelde, Volkmerodt und Rode beispielsweise 1529 als Papisten aus dem Rat gewählt worden, Albert Budeker wurde 1533 als »Lästerer« angezeigt, Peter Wilkens 1535 als Sakramentarier. Mit Hans Broistede befindet sich überdies ein – vermutlich altgläubiger – Altermann unter den Klagenden, der 1528 abgesetzt worden war.350 Unschwer lässt sich hier eine Front aus vornehmlich altgläubigen Bürgern erkennen, die mit der neuen lutherischen Kirchenverwaltung, aus welchen Gründen auch immer, unzufrieden war und diese gerne beseitigt sehen wollte. Dessen ungeachtet mag die Kritik dieser Bürger am Schatzkasten aber dennoch auch inhaltlich nicht ganz unbegründet gewesen sein. So hieß es rückblickend in der Vorrede eines 1554 angelegten Rechnungsbuches (St. Martini): Gercke Pawel [hat M.V.] dit kerckenboeck pro se et successoribus gemaket vnd vorferdigen laten, dan de vonn ohme jn dem ambte gewesen waren, hadden ohre privatas annotationes oder regestraturn, weren lose schateken, de bi ohne vnd ohren erven darnach all tidt bleven.351 Die obigen Bürger mögen also mit ihren Anschuldigungen einer unsystematischen und wenig transparenten Amtsfüh-

346 Vgl. ebd., Bl. 92v. 347 Vgl. ebd., Bl. 94r. Vgl. dazu auch das Kapitel zu den Kastenherren. 348 Ebd., Bl. 93r. Dies ist allerdings eher unwahrscheinlich, liegen doch die Rechnungen für viele Kirchen auch aus der Zeit zwischen 1528–1532 noch vor. Vgl. z. B. StadtA BS, F I 1 Nr. 1. 349 Die Klagenden hießen: Hans Vechelde, Bartold Lafferde, Bode Glümer, Hans Busmann, Albert Bodicker, Hirnick von Kemme, Tile Lesse, Hans Walpken, Henning Westphal, Hans Mess, Peter Ludeken, Hinricks Avemann sowie der Knecht der Schuttschen, Arnd Folcmerodt, Borgert Beier, H. Broistede, Henni Rode, Tile Zcermemann, Ludecke Top, Hini Velhauwer, Olrick Banck, Peter Wilkens, Henning von Göttingen, Jürgen Schede, Hans Ebberdes, Cord Schoneborn und Hans Sanders. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 92v–93r. 350 Vgl. StadtA BS, B I 14 Nr. 2, Bl. 93v (1528) u. Bl. 94v (1529). 351 StadtA BS, G II 1 Nr. 31, Bl. 1r.

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rung der Kastenherren nicht ganz unrecht gehabt haben.352 Entsprechend mussten die Kastenherren dann auch (1532) bekennen: Dar ys aver nocht vele dat yn de schattkasten vorodent ys vnde dar hen gehorett dat an de schattkastenhern nocht nicht ghekommen.353 1532 stand die neue Institution des Schatzkastens damit bereits auf Messers Schneide. Der Rat stellte sich nun jedoch fest hinter seine Kastenherren und der Schatzkasten blieb damit gemäß KO weiterhin bestehen. Die klagenden Bürger konnten sich mit ihren Forderungen nicht durchsetzen. Allerdings zeigen die Verhandlungen der 1530er Jahre deutlich, dass der Schatzkasten als Institution vollständig vom Rat und dessen Exekutionsgewalt abhing – ohne Ratshilfe stand die Handlungsfähigkeit der Kästen von vornherein in Frage. Auch noch in den folgenden Jahren wird dies ersichtlich, obgleich im Laufe der 1530er Jahre vermehrt der ordentliche Gerichtsweg eingeschlagen wurde. So prozessierte der Schatzkasten zu St. Martini z. B. 1538 gegen eine Witwe wegen verweigerter Zahlungen aus einem Memorientestament,354 der Schatzkasten zu St. Katharinen 1542 gegen die verweigerte Kornzinsabgabe kirchlicher Pächter.355 Spätestens ab den 1540er/50er Jahren besserte sich dann allmählich der finanzielle Zustand der Schatzkästen – dies hing einerseits mit dem halben (1553) bzw. vollständigen (1569/70) Einzug der Pfarrlehen zusammen, auch waren andererseits mittlerweile nahezu alle Ratsvikarien eingezogen. Eidlich blieben die Kastenherren aber weiterhin an den Rat gebunden und waren ihm zu jährlicher Rechnungslegung verpflichtet, auch wenn die täglichen Geschäfte nun zunehmend ohne Ratshilfe durchgeführt werden konnten.356 Obwohl aus dem oben Beschriebenen eine starke Abhängigkeit der Schatzkästen gegenüber dem Rat deutlich wird, so entwickelten sie sich doch zu eigenen, rechtsfähigen Körperschaften. Deutlich wird dies insbesondere an einem Prozess zwischen dem Schatzkasten St. Martini und der Altstadt Hildesheims ab 1569. Er hat sich in mehreren hundert Seiten Aktenmaterial erhalten und bietet sich daher als ausführliches Beispiel für die Rechtsfähigkeit der Schatzkästen an. Der Vikar Heinrich Becker zu St. Martini hatte 1477 ein geistliches Lehen am Altar St. Nikolai fundiert und die entsprechende Hauptsumme von 200 guten Rheinischen Gulden beim Rat der Hildesheimer Altstadt angelegt.357 Bis in die 352 Tatsächlich haben sich aus den 1530er Jahren abseits der Rechnungen keine Verwaltungsbücher der Kastenherren erhalten. 353 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 32r. 354 Vgl. StadtA BS, B I 17 Nr. 1, Bl. 20v. 355 Vgl. StadtA BS, B IV 6 Nr. 67, Bl. 29r. Die Pächter hatten das Korn twe jar her nach Wolfenbuttel geföret. 356 Vgl. Hänselmann, Ludwig (Hrsg.): Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Bd. 1: Statute und Rechtebriefe 1227–1671, Braunschweig 1873 [künftig zitiert als: UB Braunschweig I], S. 567 (Der kastenheren aydt). Auch: StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 1r. 357 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 74r.

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1560er Jahre blieb nun das Vikarslehen noch in Privatbesitz. Als es jedoch vom Schatzkasten schließlich eingezogen wurde, verlangte dieser 1564 die Zinsen vom Rat der Hildesheimer Altstadt. Aufgrund der Münzverschlechterung des 16. Jahrhunderts wollte man jedoch von den Hildesheimern nun plötzlich die pfunde jn dem schrott vnd korn wie es vor hundert jharn vngeferlich gewesen.358 Da sich die Hildesheimer verständlicherweise weigerten, gelangte der Streit 1569/70 zunächst vor das fürstbischöfliche Gericht, anschließend wurde der Prozess bis an das Reichskammergericht getragen. Als Kläger fungierten hier ausnahmslos die provisoren vnd olderleutten der kirchen S. Martini zue Braunschweigk, wobei beide Begriffe hier synonym verwendet wurden und die Kastenherren meinten.359 Der Rat selbst wird nicht einmal erwähnt – somit ist der Status als rechtliche Körperschaft für die Schatzkästen eindeutig feststellbar.360

2.1.3 Der Armenkasten und das Diakonatsamt Der Armenkasten war ökonomisch weitaus weniger bedeutsam als der Schatzkasten, aber dafür umso wichtiger für das künftige Fürsorgewesen. Die These von Lorentzen, der Armenkasten der Altstadt sei (wie z. B. in Hamburg) bereits vor Abschluss der KO eingerichtet worden, ist anhand der Quellen durchaus plausibel. Laut der Rechnung von 1528 wurde der Altstädter Armenkasten sogar schon um Jakobi 1527 aufgerichtet, was Lorentzen aber – wohl zu Recht – als Schreibfehler deutet.361 Dennoch hatten die Diakone bei der Rechnungsabnahme kurz nach Weihnachten 1528 bereits 225 Gulden eingenommen362 – eine Summe, die auch in den Folgejahren nicht wesentlich höher war und somit keinesfalls in der kurzen Zeit zwischen Annahme der KO (5. 9. 1528) und Dezember 1528 zusammengekommen sein dürfte. So heißt es denn auch schon im Ratsbeschluss vom 11. 3. 1528: Erstlich wilme de artikels mith vorordenunge eines gemenen kisten to behuff armer hus armen mit jw wol enich wesen vnd willen dar to welcke vorordnen […].363 Dass somit bereits im Frühjahr oder Sommer 1528 wenigstens in der Altstadt ein Armenkasten errichtet wurde, ist durchaus anzunehmen – die 358 Ebd., Bl. 83r. 359 Ebd., Bl. 78r. 360 Der Prozess zog sich im Übrigen, wie vor dem RKG üblich, noch bis ins 17. Jahrhundert hinein. 361 Vgl. Lorentzen, Johannes Bugenhagen, S. 303. Tatsächlich erscheint die Einrichtung eines Armenkastens zu St. Martini im Sommer 1527, als die Mehrheit der Stadt noch katholisch war, sehr unwahrscheinlich. Freilich ist dies aber auch nicht völlig auszuschließen, da Fürsorgereform und Protestantismus nicht zwangsläufig Hand in Hand gingen.Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 2, Bl. 3r. 362 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 2, Bl. 3r. 363 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 48r.

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anderen Armenkästen dürften in der Tat erst im August/September 1528 aufgerichtet worden sein.364 Obgleich jeder Armenkasten laut Bugenhagen ursprünglich durch vier Vorsteher verwaltet werden sollte,365 so ließ man die Zahl in der KO schließlich doch auf drei reduzieren. In jedem der fünf Weichbilde existierte folglich spätestens seit September 1528 ein Armenkasten, der von drei bürgerlichen Diakonen beaufsichtigt wurde.366 Der von Bugenhagen intendierte Hauptkasten, in den die Überschüsse aller Armenkästen für Notzeiten zusammengetragen werden sollten,367 kam indes – wie auch in Lübeck – nie zur Ausführung. Immerhin führte man aber zum Ausgleich später eine jährliche Versammlung der Diakone ein, in welcher die älteste[n] kastenherren die andern järlich zusammen forderte[n], damit jn außteilung der almosen gutte ordnung gemacht werde.368 Gemäß KO sollte das Geld aus den Opferstöcken eines jeden Weichbildes in der entsprechenden Sakristei (garwenkamere), eder sus wör aufbewahrt werden.369 Offensichtlich eignete sich der spätere Aufbewahrungsort der Armenkästen aber nur bedingt; mehrfach haben sich Einbrüche und Diebstähle überliefert, wie z. B. 1561 zu St. Katharinen: Jn sunte Wytti nacht yß der armen kasten ein hol yngesneden vnde dar vth genomen alleß weß dar ynnewaß.370 Eine Ausnahme im künftigen System der Armenkästen bildete der dem Blasiusstift unterstellte Burgbezirk. Da das herzogliche Stift lange Zeit katholisch blieb, wurde hier zunächst kein (institutionalisierter) Armenkasten eingeführt. Erst ab 1553 liegen regelmäßige Rechnungen vor. Demnach wurde der Kasten, welcher in Bugenhagens Ordnung freilich keine Erwähnung fand, durch zwei Diakone verwaltet: Einer hiervon war immer Bürger im Sack, der andere Vikar des Blasiusstiftes.371 Die Rechnungsablage fand vor dem jeweiligen Stiftsprediger statt. Tatsächlich waren die jährlichen Einnahmen dieses Armenkastens jedoch gegenüber jenen der anderen Pfarreien sehr bescheiden (33–50 Gulden) und bestanden lediglich aus Spendeneinnahmen.372

364 Dies sieht man an den geringen Einnahmen der dortigen Rechnungen vom SeptemberOktober 1528. Sie betrugen jeweils nur 1/10 der Folgejahre (oder sogar weniger). Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 2, Bl. 3r ff. 365 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 68v–69r. 366 Die fälschliche Annahme Lanes, die Braunschweiger Diakone seien Geistliche gewesen, beruht sicherlich auf einer Fehlinterpretation der KO. Vgl. Lane, Johannes Bugenhagen, S. 152. Vgl. Kapitel 3.3. 367 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 452. 368 StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 20v (1607). 369 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 451. 370 StadtA BS, F I 4 Nr. 469, Bl. 204v. Der gestohlene Geldbetrag belief sich auf neun Mark. 371 Vgl. NLA WF, 4 Alt 3 Blas Nr. 5671 [o.P.], Bl. 1r [eig. Pag.]. 372 Vgl. dazu Tabelle 6 im Anhang.

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In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, aus welchen Geldern sich die fünf großen Armenkästen der Weichbilde eigentlich speisten. Laut KO mussten natürlich zunächst alle willige offere in den Armenkasten fließen, zudem alle testamente unde willige milde gaven.373 Auch das vorreformatorische, städtische St. Autorsopfer für Bedürftige sollte künftig in den Armenkasten gegeben werden. Schließlich wurde angemahnt, die üblichen Oblationen zu Hochzeiten und Beerdingungen sowie Gebühren für das Glockengeläut bei Begräbnissen weiterhin zu geben – die Oblationen sollten künftig nicht mehr dem Priester, sondern den Bedürftigen zugutekommen. Nicht zum Armenkasten hinzugezogen wurden die Güter der Hospitäler und Beginenhäuser.374 Sie blieben im Gegensatz zu anderen Städten auch nach der Reformation in Braunschweig als ökonomisch unabhängige Institutionen bestehen. Auf der anderen Seite kam jedoch das in der KO intendierte, neu zu errichtende Armenhospital unter Aufsicht der Diakone nicht zustande.375 Nachdem die Diakone nun die oben beschriebenen Einnahmen zusammengetragen hatten, mussten sie diese gemäß KO wöchentlich an einem bestimmten Tag den Hausarmen auszuteilen, deren namen und hüse auf einer Liste bescreven und festgehalten werden sollten.376 Tatsächlich lassen sich die oben genannten Einkünfte in der Folgezeit sämtlich für den Armenkasten nachweisen. Lediglich das Geld zum Glockenläuten wurde von Beginn an entgegen der KO dem Schatzkasten und nicht dem Armenkasten entrichtet, wie es im Übrigen auch in Bugenhagens späteren Ordnungen vorgeschrieben wurde.377 Trotz der erwarteten Testamentszuwendungen und Legate waren diese Einnahmen jährlich aber äußerst beschränkt – die Spendenbereitschaft ließ in dieser Hinsicht nach 1528 zu wünschen übrig. Von den gut 207 Mark Gesamteinnahmen, die der Armenkasten zu St. Martini z. B. 1564 verzeichnete, entstammten etwa 190 Mark den wöchentlichen Toten- und Spendensammlungen, lediglich der kleine Rest entfiel auf direkte Legatszuwendungen oder entsprechende Zinsen und Immobilienrenten.378 Korrekt resümiert daher Klabunde für die ersten Jahre nach der Re373 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 450. 374 Vgl. Sandfort, Elisabeth: Das Beginenwesen der Stadt Braunschweig im Mittelalter und in der Neuzeit, Braunschweig 2017, S. 86. 375 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 452. Vgl. auch Lorentzen, Johannes Bugenhagen, S. 325. 376 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 452. 377 Vgl. Lorentzen, Johannes Bugenhagen, S. 242. So z. B. für Lübeck. In späteren Ordnungen Bugenhagens fiel das Geläutgeld dem Kirchenbau zu, lediglich in Pommern fehlte es ganz. 378 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 442, Bl. 2r–8r. Einen Überblick über die Legatszuwendungen der Braunschweiger Armenkästen bietet: Klabunde, Susanne: Armut und Wohltätigkeit. Formelle und informelle Fürsorgestrategien im frühneuzeitlichen Braunschweig 1528–1606, Diss., Bd. 2, Bielefeld 2008 [Onlinepublikation: https://pub.uni-bielefeld.de/download/268 5495/2685502/Dissertation_Klabunde_2.pdf, Abruf: 4. 10. 2020], S. 202.

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formation bis in die späten 1560er: Die »Armenkastenlegat[e] waren in diesen Phasen nicht der Rede wert.«379 Der Rat bemerkte diesen Umstand bereits früh. So ließ er z. B. 1529 vnsen stadtschriverenn bevelen, wanner se testamente tobeschrivende gefordert werdenn, dat se by den testamentemakeren der armen kasten nicht vorgetenn vnd de sake mith flite promoveren vnd vortsettenn.380 Wie gesehen fruchtete diese Maßnahme zwar nur mäßig – es gab jedoch Ausnahmen. Die bedeutsamste war sicherlich das Testament des Valentin Heinemann, welches kurz nach der Reformation (1530) aufgesetzt wurde und dem Armenkasten zu St. Martini ein neues Hospital unterstellte. Heinemann war bereits zu katholischen Zeiten ein eifriger Spender gewesen und hatte z. B. 1512 eine Memorie für seine Familie gestiftet: Nach der Messe sollten zwölf arme Menschen, welche seine Gedächtnisfeier besucht hatten, Kost im Wert von drei Pfennigen und einen Pfennig auf die Hand sowie etwas Brot im Wert von einem weiteren Pfennig erhalten.381 Nachdem Heinemann protestantisch geworden war, richtete er 1530 in Anlehnung an ältere städtische Fürsorgemodelle382 ein Hospital für zwölf arme olde (Handwerks-)Bürger ab einem Alter von 40 Jahren ein.383 Dieses Hospital, welches nahe der Brüdernkirche neu gebaut wurde, verdient besondere Aufmerksamkeit, da es als vorerst einzige Stiftung direkt dem Armenkasten unterstellt wurde und zudem die erste protestantische Hospitalstiftung Braunschweigs war. Die Diakone führten die Rechnungen des Konvents zwar separat,384 hatten aber dennoch vollkommene Kontrolle über den Konvent. So behielten sie die Aufsicht über die Stiftungsgüter, stellten den Hausmeister (vorstender) ein, überprüften (zusammen mit zwei Gildemeistern) dessen Rechnungsführung und bestätigten die jeweils neu präsentierten Insassen, sobald eine Kammer freigeworden war. Die Präsentation erfolgte hier nach Gilden geordnet. Altstadtrat und Armenkasten zu St. Martini sollten die ersten beiden Kammern besetzen dürfen, die restlichen zehn Kammern waren den Handwerksgilden zur Präsentation zugeordnet.385 Die zwölf Armen sollten neben ihrer Kammer eine gemeinsame Stube erhalten, welche von Galli bis Ostern zweimal täglich, um 8 und 17 Uhr 379 380 381 382

Klabunde, Armut II, S. 207. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 152v. Vgl. StadtA BS, A III 1 Nr. 265; Abschrift unter StadtA BS, G III 1 Nr. 4, pag. 827. Am bekanntesten mag hier die ebenfalls auf ältere Handwerker ausgerichtete Mendelsche Zwölfbrüderhausstiftung in Nürnberg (1388) sein, welche als Vorbild wiederum zahlreiche weitere Stiftungen dieser Art in Oberdeutschland nach sich zog. Vgl. Wagner, Margarete: Nürnberger Handwerker. Bilder und Aufzeichnungen aus den Zwölfbrüderhäusern 1388– 1807, Wiesbaden 1978. 383 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 6, Bl. 90v. NLA WF, 40 Slg, Nr. 25, Bl. 2r [Abschrift]. Vgl. dazu auch zur Übersicht: Spieß, Nachmittelalter, S. 666. 384 Vgl. StadtA BS, F II 9 Nr. 1–73. Jährliche Rechnungen von 1539 bis 1901. 385 Dies waren für Kammer Nr. 3 die Schneider, sodann die Schmiede, Beckenwerker, Lakenmacher, Bäcker, Kramer, Schuhmacher, Knochenhauer, Kürschner und Böttcher. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 6, Bl. 6v; NLA WF, 40 Slg, Nr. 25, Bl. 2r.

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eingeheizt wurde. Um 17 Uhr abends ließ man ihnen eine Kerze (licht) anzünden, welche bis 20 Uhr brennen sollte, dann war Schlafenszeit. Täglich gab es ein Roggenbrot sowie zwei Quartier Bier. Freitags wurde außerdem etwas Weißbrot und samstags ein halbes Pfund Butter ausgeteilt. Viermal im Jahr wurde den Armen ein Festessen bereitet.386 Schließlich ließ man den Bewohnern einen Abort bauen, tho orem behove dat se dar schullen vpgaen wanner se so krank syn, dat se nicht kunen vthgan.387 Als Gegenleistung wurde den Männern aber vorgeschrieben nicht openbar vor den doren trüggelen [zu] gan jn der stadt.388 Deutlich wird die neue protestantische Haltung des Stifters gerade daran, dass er von den Bedürftigen keinerlei Gegenleistung erwartet – weder Dank, noch Gebet: Ihnen wurden die Gaben slicht vme goddes wyllen thogesecht vnde gegeven […] allene dat he dem almechtigen godde vor solke vnde alle woldath flitigen dancke.389 Die Akten weisen auf eine erstaunlich strikte Einhaltung dieser Ordnung hin, die auch immer wieder kopiert wurde: Noch 1594 trafen sich z. B. extra die drei Diakone im Armenhaus und ermahnten die Insassen aufgrund des (doch eher unbedeutenden) Umstandes, dass die Kerze nicht wie vorgeschrieben bis 20 Uhr angezündet bleibe.390 Zweierlei wird an der Heinemannschen Stiftung ersichtlich: 1. Die Spendenbereitschaft mag, wie Klabunde richtig festgestellt hat, nach der Reformation nachgelassen haben, doch gab es immer wieder vermögende Stifter, die dem Armenkasten und anderen Institutionen dennoch große Vermächtnisse zur Verwaltung hinterließen.391 2. Überdies erfuhr der Armenkasten (bzw. dessen Diakone) eine Aufgabenerweiterung; nicht nur die in der KO angesprochene Vermögensverwaltung der Spendengelder gehörte fortan zu den Aufgaben der Diakone, auch separate Fundationen wie obiger Heinemannkonvent mussten verwaltet und beaufsichtigt werden. Die Diakone verpflichteten sich in dieser Hinsicht 1530 zur vormünderschop vor sick vnd ore nakomen[den] kastenhern auf ewige Zeiten.392 Die Bedeutung des Armenkastens und seiner Diakone hat hierdurch im Anschluss an die Reformation stetig zugenommen. Aufgrund der anderweitig durchaus hohen Spendenbereitschaft konnten überdies auch aus dem Armenkasten selbst viele Bedürftige ernährt werden. Wirkliche finanzielle Engpässe hat es lediglich bis in die frühen 1530er Jahre

386 Bis 1594 waren die Festessen durch Geldzuwendungen (9 Mariengroschen) ersetzt worden. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 67 [o.P.]. 387 StadtA BS, B IV 11 Nr. 6, Bl. 90v. Dazu sehr ausführlich: ebd., Bl. 22v. 388 Ebd., Bl. 6r. Trüggelen (trüggeln) = betteln. 389 Ebd., Bl. 91r. 390 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 67 [o.P.], Bl. 4v [eig. Pag.]. 391 So z. B. auch die Stiftung des Wolf Rohrs (1567). Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 238, Bl. 73r. 392 StadtA BS, B IV 11 Nr. 6, Bl. 5r.

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gegeben und anschließend (bedingt) in den 1560ern.393 Da die KO für die interne Verwaltung des Armenkastens keine Vorschriften machte, entwickelte sich aus der Gewohnheit heraus rasch eine Zweiteilung der Ausgaben. Der erste Posten war den Hausarmen vorbehalten, die wöchentlich – oft über Jahre hinweg – regelmäßig ein Almosen empfingen. Diese Gruppe war einigermaßen konstant und bewegte sich in den Jahren 1530–1555 (im Hagen) zwischen 40 und 65 Personen,394 in der reichen Altstadt betrug sie 1597 ebenfalls 65 Personen.395 Normalerweise lag das jeweilige Almosen, welches den Hausarmen immer freitags zugeteilt wurde, zwischen 6–18 Pfennig. Damit wird der ökonomisch positive Eindruck des Armenkastens gründlich relativiert: Zwar war dieser fast nie mit seinen Geldern im Minus, doch war die Gruppe der regelmäßigen Spendenempfänger mit zumeist 40–50 Personen im Hagen auch äußerst gering, lebten hier doch 1551 – im Anschluss einer Pestwelle – immerhin noch 3989 Menschen.396 Regelmäßig wurden damit nur gut 1 % der Hagener Bevölkerung aus dem Armenkasten versorgt. Allerdings zeigen Rechnungsauswertungen der Jahre zwischen 1550–1570, dass das wöchentliche Spendenaufkommen eine höhere Zahl an regelmäßigen Almosenempfängern dort auch gar nicht zuließ.397 Der vermögendste Armenkasten zu St. Martini (Altstadt) versorgte mit ca. 65 Personen in den 1590er Jahren ebenfalls nur etwa 1,2 % der Altstädter Bevölkerung (1551 = 5316398 Einwohner). Dabei muss beachtet werden, dass Altstadt und Hagen noch die beiden reichsten Weichbilde waren. Stellt man dem hingegen zeitgenössische Analysen gegenüber, nach denen z. B. in Trier 23–26 % der Bevölkerung als arm galten399 und in Braunschweig selbst (um 1400) 50 % zur Unterschicht zählten,400 so scheint die hier geförderte Personenanzahl eindeutig zu gering – selbst wenn man die begrenzten Hospitalplätze401 im Hinterkopf 393 Vgl. dazu die ausführlichen Tabellen bei: Lorentzen, Johannes Bugenhagen, S. 511–519. Zu einem ähnlichen Resultat für den Hagener Armenkasten kommt auch: Lane, Johannes Bugenhagen, S. 154. 394 Die obigen Daten basieren hauptsächlich auf den mehreren hundert wöchentlichen Auszahlungen, die sich aus dem Hagen mit namentlicher Nennung der Armen von 1530–1555 erhalten haben. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 468 u. 469. Ab 1556 wurden wöchentliche Austeilungen leider ohne Nennung der Personen nur noch als Geldbetrag verzeichnet. 395 Davon waren in der Altstadt 1597 43 % Alleinstehende/Witwen, 23 % Ehefrauen, 20 % Kinder und nur 14 % Männer. (Auswertung von StadtA BS, F I 1 Nr. 473). Obgleich sich seit 1540 Armenkastenrechnungen zu St. Martini erhalten haben, enthalten diese immer nur Einnahmen. Ausgaben wurden erst ab den 1590ern notiert. 396 Vgl. Vechelde, Geschichtsbücher, S. X [Vorwort]. 397 Vgl. dazu Grafik 2 im Anhang. 398 Vgl. Vechelde, Geschichtsbücher, S. X [Vorwort]. 399 Vgl. Schmidt, Gott, S. 76. Er legt hier Berechnungen von W. Laufer und M. Ackels zugrunde. 400 Vgl. Rammler, Idee, S. 108. 401 Nach einer Zählung wiesen die Hospitäler 1635 insgesamt 357 Insassen auf. Vgl. StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 66. Boldt kommt zu dem Schluss, dass 1608 insgesamt ca. 8000 Bedürftige (= 50 % der Bevölkerung) den damals 356 Hospitalplätzen gegenüberstanden. Vgl. Boldt,

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behält. Im Gegensatz dazu wurden z. B. im (katholischen) Köln zur gleichen Zeit regelmäßig über 700 Arme versorgt,402 im (lutherischen) Frankfurt a.M. ca. 400403 – Braunschweig wird vermutlich in allen Weichbilden durch den Armenkasten nicht mehr als 200–250 Hilfsbedürftige (dauerhaft) unterstützt haben.404 Auch war die Zuwendung im teils einstelligen Pfennigbereich für mehrköpfige Familien pro Woche vermutlich alles andere als ausreichend. So mögen die Armenkästen auf den ersten Blick finanziell nach 1528 zwar immer solvent gewesen sein, wie Lane behauptet hat.405 Allerdings wurde der Armut damit nur in sehr beschränktem Maße entgegengetreten. Dies zeigt exemplarisch auch das spätere Schicksal der Ölrikschen: Dieselbe, sagte der herr superintendent, sey bey ihm gewesen, habe geklagt, das sie grosse armut leide mit jhren kindern, hette in 14 tagen kein brot im hause gehabt, würde abgewiesen, man wolle ihr auß der armen kasten nichts geben […].406 Dass mit dieser Vergabepolitik Bettelei und Armut – wie in der KO gefordert – gänzlich abgeschafft werden sollte, war wenig realistisch und schlug letztlich aus diesem Grunde wohl auch fehl. Daneben gab es jedoch noch einen zweiten Ausgabenposten, dessen Bedeutung mindestens ebenso groß wie der erste war. Er entfiel auf jene Gruppe, die Bugenhagen in seiner KO zwar erwähnt, jedoch nur grob umrissen hatte: Fremde, Schüler, Kranke, Vertriebene, Brandgeschädigte, usw. Hier wurden keine regelmäßigen Leistungen an Einzelpersonen ausgeteilt, sondern lediglich einmalige Spenden vergeben (die gegebenenfalls aber natürlich mehrfach gezahlt werden konnten). Anhand dieser Sparte wird ganz besonders deutlich, wie dehnbar die Vorgaben der KO gerade im Bereich des Armenwesens waren. Denn obgleich

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Annette: Die Fürsorgepolitik des Braunschweiger Rates im 14. und 15. Jahrhundert. Eine Übersichtsskizze, in: Garzmann, Manfred R.W. (Hrsg.): Rat und Verfassung im Mittelalterlichen Braunschweig. Festschrift zum 600jährigen Bestehen der Ratsverfassung 1386– 1986, Braunschweig 1986 (= Braunschweiger Werkstücke, 64), S. 1–38, hier S. 141. Zur Thematik auch Klabunde, Susanne: Armut und Wohltätigkeit. Formelle und informelle Fürsorgestrategien im frühneuzeitlichen Braunschweig 1528–1606, Diss., Bd. 1, Bielefeld 2008 [Onlinepublikation: https://pub.uni-bielefeld.de/download/2685495/2685501/Disserta tion-_Klabunde_1.pdf, Abruf: 4. 1. 2020], S. 4. Vgl. Jütte, Robert: Obrigkeitliche Armenfürsorge in deutschen Reichsstädten der Frühen Neuzeit. Städtisches Armenwesen in Frankfurt am Main und Köln, Köln/Wien 1984 (= Kölner historische Abhandlungen, 31), S. 125. Vgl. ebd., S. 122. Hier konnte zudem allein aus den Brotspenden laut Jüttes Berechnungen für 1 % der Bevölkerung (= 120 Personen) der gesamte Nahrungsbedarf vollständig gedeckt werden. Vgl. ebd., S. 127. Da die Armenkästen im Hagen mit ca. 50 und in der Altstadt mit ca. 65 regelmäßig versorgten Armen die beiden reichsten Kästen darstellten, kann getrost von einer Zahl unter 250 Hausarmen ausgegangen werden, die in allen fünf Weichbilden regelmäßige Almosen erhielten. Vgl. Lane, Johannes Bugenhagen, S. 155. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, S. 67r (1611).

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Bugenhagen vorgeschrieben hatte, Schüler und fremde Bettler abzuweisen,407 so erhielten diese beiden Gruppen doch regelmäßig außerordentlich hohe Zuwendungsbeträge. Der Hagener Armenkasten, dessen differenzierte Austeilungen sich für diesen Posten lediglich erhalten haben, zeigt dies sehr deutlich. Von den 2.319 Austeilungen,408 welche die Diakone zwischen 1550–1570 vornahmen, gingen hier immerhin 209 (9,01 %) an stadtfremde Bedürftige und 217 (9,36 %) an Schüler. Die übrigen Almosen erhielten vorwiegend Kranke (32,47 %) sowie einige Hospitalinsassen (8,62 %) und arme Bürger als Holzgeld (3,45 %); daneben wurden Auszahlungen für Armenbegräbnisse (3,32 %), als Brautschatz für arme Bräute (3,15 %) oder als Hilfe zum Wegzug aus der Stadt (1,08 %) vergeben. Bei den restlichen ~ 29,5 % der Auszahlungen lagen keine einheitlichen Gründe vor: Meist handelte es sich um Zahlungen für Schuhe, Kleidung, Waisenhilfe oder die Ursache wurde schlicht nicht notiert. Selbst in den Jahrzehnten zwischen 1550– 1570 wurden also immerhin noch 9,01 % der außerordentlichen Ausgaben für stadtfremde Bedürftige aufgewandt. Ein erstaunlich hoher Anteil, wenn man bedenkt, dass stadtfremde Bettler seit 1528 eigentlich zunehmend vertrieben und abgewiesen werden sollten. Die große Frage nach 1528 war nun zunächst, wer über die Vergabe der Almosen entscheiden durfte. Während für die wöchentlichen Auszahlungen vermutlich die Diakone das Recht zur Auswahl hatten, gestaltete es sich bei den oben analysierten, zufälligen Ausgaben (tovelligen gaven) deutlich flexibler und vielfältiger. Grundsätzlich benötigten fremde Bettler zunächst einen Fürsprecher oder Fürsprachebrief – sei es vom Rat, einer fremden Regierung, den Lehrern, Predigern, Superintendenten oder von angesehenen Bürgern. Ähnlich verhielt es sich bei Schülern. Die Bevölkerung konnte hiermit aktiv in die Vergabestrategien der Armenkästen eingreifen und diese in eine bestimmte Richtung lenken – einmal mehr ein Hinweis darauf, dass mit den Armenkästen durch den Rat eben keine obrigkeitliche Sozialdisziplinierung angestrebt wurde, wie vormals oft behauptet – jedenfalls nicht primär.409 Insbesondere wird der Einfluss der 407 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 452. Dies wurde in der neuen Armenordnung von 1550 wiederholt: StadtA BS, B IV 13d Nr. 2, Bl. 3v–4r. 408 Vgl. Grafik 1 im Anhang. Die Berechnungen basieren auf StadtA BS, F I 4 Nr. 469, Bl. 17r– 343r. Lediglich die jährliche Opferpfennigspende wurde als Austeilung in der Berechnung nicht berücksichtigt. Da sich die Sparten vielfach überschnitten haben, wurde pro Person immer nur das zentrale Austeilungskriterium registriert. Das Kriterium »Krankheit« wurde dabei am hochrangigsten gewertet (z. B. kranker Schüler, kranker Hospitalinsasse = Kranker). Stadtfremde wurden immer unter die »Fremden« gerechnet, auch wenn es sich um Kranke oder Schüler handelte. 409 Zu diesem Schluss kommen für Braunschweig auf anderem Wege auch Lorentzen, Johannes Bugenhagen, S. 9 u. 306 sowie Klabunde, Armut I, S. 125. Insgesamt hierzu auch: Dinges, Martin: Armenfürsorge als Sozialdisziplinierung? Probleme mit einem Konzept, in: Geschichte und Gesellschaft 17/1 (1991), S. 4–29, hier S. 9.

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Prediger deutlich, die jeweils für ihre armen Pfarrerkollegen baten. Allein 68 der 217 zwischen 1550 und 1570 unterstützten Fremden (31,34 %) waren arme oder vertriebene Prediger, für welche entweder die Geistlichen oder Superintendent Mörlin gebeten hatten. Ihr Einfluss auf die Vergabe wird damit recht eindeutig ersichtlich. Allerdings konnte die häufige Fürbitte der Geistlichen bisweilen auch zu Konflikten mit den Diakonen führen, welche dann auf den Schultern der Bedürftigen ausgetragen wurden: Weil des bettelns […] viel wird, vnd allezeit den predigern auff dem beutel vnd hende stehen, wird gebeten, wan die prediger solchen an die armen kasten hern mit zetteln weisen, daß sie den herüber nicht wolten vngeduldig werden, vnd sagen sie sollen hingehen vnd dem prediger den zettel wieder für die füsse werffen, sondern daß sie den solchen armen wolten ein allmosen mittheilen.410

Eine weitere Aufgabe des Armenkastens, die sich im Laufe der Zeit zu einem Problem entwickelte, war die Versorgung der Waisenkinder – speziell der Findlingskinder. Im Gegensatz zu südlicheren Großstädten wie Köln,411 Straßburg, Würzburg oder München412 existierten in den norddeutschen Städten der welfischen und hildesheimischen Gebiete bis weit ins 17. Jahrhundert hinein keine Waisenhäuser. Das erste sollte 1643 in Hannover entstehen, während Braunschweig mit dem BMV erst 1677 ein eigenes Waisenhaus einrichtete.413 Aufgrund dieser Umstände ließ Bugenhagen die Waisenkinder gemäß KO klar und deutlich unter die Obhut der neuen Armenkästen stellen. Die wedewen unde weysen, de nichts hebben, sollte der Armenkasten fortan so weit wie möglich unterstützen.414 Der Rat schloss sich diesem Ansinnen einige Jahre später zunächst an. 1537 erließ er gemäß KO den Bescheid, dass die beiden derzeit vorhandenen Findelkinder aus den zwei reichsten Armenkästen zu St. Martini und St. Katharinen unterhalten und aufgezogen werden sollten. Es sollte dar mede vortmehr de muntsmede vorschonet werden.415 Sofern künftig ein neues Findel410 StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, pag. 91. Weitere Konflikte dieser Art lassen sich aus den Angaben in Chemnitz’ Antrittsproposition zum Superintendentenamt vermuten (StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 14v): Vndt weil die sorge der armen, den predigern mit befohlen ist Gal: 2 das die diaconi der prediger zeuchniße forderen, wen die almosen zu geben sindt, vnd der prediger vorbidt für arme nicht stracks abschlagen würde. Außerdem: StadtA BS, B I 4 Nr. 75, pag. 550. 411 Vgl. Jütte, Armenfürsorge, S. 269. 412 Zu Straßburg, Würzburg, München u. a., vgl. Meumann, Markus: Findelkinder, Waisenhäuser, Kindsmord. Unversorgte Kinder in der frühneuzeitlichen Gesellschaft, München 1995 (= Ancien Régime, Aufklärung und Reformation, 29), S. 259 [Fußnote 2]. 413 Vgl. Meumann, Markus: Unversorgte Kinder, Armenfürsorge und Waisenhausgründungen im 17. und 18. Jh. Eine sozialgeschichtliche Einführung, in: Sträter, Udo; Neumann, Josef N.; Wilson, Renate (Hrsgg.): Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2003 (= Hallesche Forschungen, 10), S. 1–22, hier S. 10. 414 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 445. 415 StadtA BS, B I 2 Nr. 5, pag. 7.

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kind aufgefunden werde, solle dieses, so der Rat, vom Armenkasten zu St. Andreas – also der drittreichsten Kirchenkommune – aufgezogen werden. Zuvor waren die Findelkinder bis 1537 offensichtlich also von der Münzschmiede (d. h. von der Stadtkämmerei) unterhalten worden, fortan sollte dies der KO entsprechend durch die Armenkästen geschehen, was sich aber finanziell auf Dauer als nicht tragbar herausstellen sollte. Interessanterweise positionierten sich nun gerade die Geistlichen vehement gegen diese Regelung. Die Findelkinder wurden gemäß der protestantischen Ehe- und Ethikvorstellungen sukzessive den »Hurenkindern« gleichgesetzt; diese dürfe man doch keinesfalls aus dem Armenkasten versorgen, ansonsten würde es heißen, man fördere durch die milden Gaben das unsittliche und gottlose Leben der Prostituierten und vernachlässige die tatsächlich Bedürftigen. 1559 monierten die Prediger im Generalkolloquium die Versorgungspraxis aus dem Armenkasten und schlugen vor, für den Unterhalt der Findlinge jene Gelder zu verwenden, die durch Strafzahlungen der Prostituierten auf der Bruchstube zusammenkämen.416 Andernfalls könne man davon ausgehen, das ohne zweyffel niemands zu geben würde lust haben, wan man das erfür, das man den hueren zu[m] bleiben jre kinder darvon nehren wolte. Es wären zwar in der Tat arme ehlende kinder, nichtsdestominder sei der Armenkasten hierfür nicht zuständig und solle hiervon gefälligst verschont bleiben.417 Der Rat ging auf diese Klagen, die sich künftig noch wiederholten sollten, vorerst nicht ein. Man beharrte zunächst auf den Vorgaben der KO und ließ die Findlinge weiterhin durch die Armenkästen ernähren und erziehen. Dass diese Erziehung vom Armenkasten jährlich stattliche Summen forderte, wird aus den Rechnungen klar ersichtlich. So zahlte der Armenkasten zu St. Katharinen im Jahr 1563 allein für die Unterhaltung eines einzigen Findelkindes, welches man Pflegeeltern überantwortet hatte, die stattliche Summe von vier Mark und zehn Schillingen (= 13 Gulden). Im Rechnungsbuch heißt es dazu: Olrich Wagenfoer geven tho kostgelde vor dat arme kint, welches vth vnser kesten erthogen wert, Des heft Olrich Wagenfoer gelovet, he wolle den selbigen medeken kleder vnd schoi vorsorgen, ock so vele lathen leren, dat vnser kestehen fürder darmit schulle vorschonet bliven.418 Neben diesem Kind, das gemäß Abschied von 1537 allein durch den Kasten zu St. Katharinen erzogen wurde, gab es zudem mittlerweile eine regelmäßige Steuer, welche alle Armenkästen jährlich zur Erziehung und Verpflegung zweier weiterer Pflegekinder zu leisten hatten.419 Die stetige Zunahme der Anzahl an Findelkindern ließ jedoch das Bugenhagische Konzept langsam in sich zusammenfallen. Als im Laufe der 416 417 418 419

Vgl. StadtA BS, Revidenda Nr. 67 [o.P.], Bl. 19r [eig. Pag. im Dokument]. Sitzungen von 1559. Ebd. StadtA BS, F I 4 Nr. 469, Bl. 237v. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 469, Bl. 239r u. Bl. 292v. Diese Abgabe betrug 2 Mark, 20 Schilling.

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Zeit immer mehr verlassene Kinder in der Stadt aufgefunden wurden, wandten sich 1570 die Armenkastenherren selbst an den Rat. Sie erbaten sich eine finanzielle Unterstützung durch die Stadt, welche ihnen der Rat jedoch mit der Begründung ausschlug, man könne sich unter den Armenkästen ja absprechen, sodass die vnkost aus allen armen kasten zugleich, aber doch nach einer jeden gelegenheitt bestritten werden sollte.420 Lediglich im Falle einer andauernden Zunahme an Waisenkindern versprach der Rat Hilfe. Als die Findlingszahl in den 1570er Jahren weiterhin zunahm, musste der Rat schließlich aber doch nachgeben. 1574 wandten sich Ministerium und Diakone an den Küchenrat und baten –mit der gleichen Begründung wie schon 1559 – die Findelkinder fortan durch den Rat und nicht den Armenkasten unterhalten zu lassen.421 Der Rat sah nun ein, dass die Armenkästen die gestiegenen Unterhaltssummen nicht mehr zahlen konnten. Offenbar war auch in der Bevölkerung kund geworden, dass größere Geldsummen der Armenkästen für die Findlingserziehung aufgezehrt wurden. Der Rat befürchtete den durch die Geistlichen bereits angedrohten Rückgang der Spenden. So wurde 1574 beschlossen, dass die Findlinge künftig jn das arme hauß422 gebracht vnd nicht vff die armen kasten gewiesen werden sollten; die finanzielle Unterhaltung hatte dabei ex communi fisco zu geschehen – also durch die städtische Kämmerei.423 Inspiriert worden war man dabei nach eigenen Angaben durch das Vorgehen der Städte Straßburg und Nürnberg, wo Findelkinder ebenfalls in ein dafür bereitgestelltes Haus gegeben wurden.424 Dass man diesen Plan nachfolgend tatsächlich durchführte, bezeugt ein Fall von 1577, bei dem sich der Rat eines in der Burg gefundenen Findelkindes selbst annahm.425 Ein Waisenhaus im institutionellen Sinne (wie in Straßburg und Nürnberg) wurde vom Rat jedoch bis ins 17. Jahrhundert hinein nicht realisiert. Es blieb bei der (durch die Kämmerei finanzierten) häuslichen Fürsorge der Findelkinder mittels Pflegefamilie. Das Bugenhagische Konzept der Waisenerziehung per Kastenfinanzierung war damit – jedenfalls für Findlinge – seit 1574 nicht mehr in Kraft und der Armenkasten von dieser finanziellen Last endgültig befreit.

420 StadtA BS, B I 2 Nr. 13, Bl. 224r. 421 Vgl. StadtA BS, B I 4 Nr. 75, pag. 543. 422 Ein »Armenhaus« im institutionellen Sinne ist (wie eingangs beschrieben) vor 1677 in Braunschweig nicht nachweisbar. Vermutlich ist hier das Haus einer entsprechenden Pflegefamilie gemeint, die das Findelkind gegen Bezahlung aufnahm. 423 StadtA BS, B I 4 Nr. 75, pag. 548 u. 550. 424 Vgl. ebd., pag. 545: Sagt, zu Straßburg, Nürnberg vnd andere orttern, da wehren heuser da die fundelkinder gegeben werden […]. 425 Vgl. StadtA BS, B I 6 Nr. 4, Bl. 231r: Ein kindt ist gefunden worden jnn der burg, welches ein erbar rhat […] aufferziehen lassen will.

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2.1.4 Die Kurrende Tragischerweise hatte Bugenhagen eine besonders wichtige Gruppe von Bedürftigen fast vollständig vom oben beschriebenen Armenkasten ausgeschlossen: Die mittellosen Schüler. Der Reformator hatte sich hierüber noch wenig Gedanken gemacht, als er 1528 den Abschnitt zum Armenwesen seiner KO verfasste. So hieß es dort schlicht: Scholere overs scholen nicht umme bröt gan, eyn jewelick vöde syne kyndere sulvest, is id em nicht mogelick, so werden de diakene wol darto gedenken, datme so der bederken lös werde, de under deme scholernamen de lüde vor den dören vexeren.426 Nur in absoluten Ausnahmefällen – und mit vorheriger Begutachtung – sollte also künftig ein Schüler noch um Almosen betteln dürfen. Mit dieser Regelung hatte Bugenhagen vor den eigentlichen Problemen die Augen verschlossen. Natürlich ließ sich dem obigen Anspruch auch nicht gerecht werden: Viele Eltern waren aufgrund ihres zu geringen Einkommens nicht in der Lage, ihre Kinder zu ernähren und zugleich deren Schulbildung zu fördern. Es verwundert daher kaum, dass eine Regelung wie die oben dargelegte, rasch aus den späteren Kirchenordnungen der Städte verschwand: »Jedenfalls war die Ablehnung der Kurrende nicht von langer Dauer und blieb auf die frühen Kirchen- und Schulordnungen beschränkt.«427 Dennoch muss festgehalten werden, dass Bugenhagens KO bezüglich der fehlenden Kurrende keine Ausnahme darstellte: Die frühen evangelischen Kirchenordnungen vermieden durchweg die Bildung einer Kurrende, was u. a. aus der grundsätzlichen Ablehnung des Bettels resultierte.428 In Braunschweig lässt sich, im Gegensatz zu anderen Städten,429 vor der Reformation keine fest organisierte Kurrende nachweisen. Auch wenn es vor 1528 gewisse Ansätze hierfür gegeben haben dürfte,430 wurden diese durch Bugenhagens Anordnungen rasch im Keim erstickt. Natürlich ließ sich durch das Verbot eines (Schul-)Kinderbettels keinerlei Besserung der Zustände auf den Gassen erreichen. Die Geistlichkeit beklagte unter ihrem zweiten Superinten426 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 452. 427 Biester, Matthias: Armut, Bettel und Gesang. Die Geschichte des Armenwesens und die Entwicklung der Kurrende der Stadt Hameln, Hameln 2003, S. 84. 428 Vgl. Kreiker, Armut, S. 184–185. 429 Freilich hat es aber auch vor der Reformation bereits Kurrenden gegeben. Vgl. z. B. zu den (vor)reformatorischen Kurrenden in Sachsen: Rautenstrauch, Johannes: Luther und die Pflege der kirchlichen Musik in Sachsen (14.–19. Jahrhundert). Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Brüderschaften, der vor- und nachreformatorischen Kurrenden, Schulchöre und Kantoreien Sachsens, Leipzig 1907, S. 97. 430 Solche Ansätze, bzw. Vorformen einer Kurrende hat es vermutlich tatsächlich gegeben. So ist etwa in den Jahren 1446 und 1478 die Rede von den armen intraneis, de hostitatim hir pro pane gan. Zitiert nach: Niemöller, Klaus, Wolfgang: Untersuchungen zur Musikpflege und Musikunterricht an den deutschen Lateinschulen vom ausgehenden Mittelalter bis um 1600, Regensburg 1969 (= Kölner Beiträge zur Musikforschung, 54), S. 173.

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denten Medler daher kontinuierlich die unhaltbaren Bedingungen, unter denen sowohl Erwachsene, als auch die Bettelkinder zu leben hätten. So trug das Ministerium 1549 in seiner Klage an den Rat unter anderem vor, dass nimandt auff die pettelkinder achtgebe, welche den leuten fur den thuren vordrislich sein.431 Die vom Rat daraufhin beschlossene Bettelordnung untersagte 1550 zwar erneut den Kinderbettel, bot aber doch eigentlich nach wie vor keine Lösung des Problems. In der Folgezeit wurde somit deutlich, dass die Ansichten von Geistlichkeit und Rat differierten: Während der Rat den Kinderbettel weiterhin untersagen wollte, drängten Geistlichkeit und Bürgerschaft – bedingt durch die unhaltbaren Zustände in den Gassen – auf die Erstellung einer neuen Ordnung. Dies war umso mehr notwendig, als dass die Kinder der armen Bürger entgegen der KO nicht kostenlos unterrichtet wurden, wie sich die Bürgerschaft der Altstadt u. a. 1557 beim Rat beklagte.432 Zu Beginn der 1560er Jahre schlugen die Prediger im Generalkolloquium (1561) deshalb erstmals die Errichtung einer allgemeinen Kurrende vor. Man bemängelte die Unordnung beim Kinderbettel und hielt es folglich für angebracht, das Almosensammeln – da man es doch nicht abschaffen könne – wenigstens zu regulieren. Das Ministerium verwies als mögliche Grundlage hierfür auf die benachbarte Magdeburger Ordnung.433 Wie zuvor wiegelte der Rat jedoch ab und beschloss, künftige Fälle armer Schüler weiterhin situativ nach den Umständen der Bedürftigkeit zu prüfen.434 Freilich war der Rat zu diesem Zeitpunkt noch unschlüssig: Sollte er – entgegen seiner protestantischen Auffassung – den Bettel der Schulkinder in geordneten Bahnen wieder gestatten oder sollte er versuchen, auch künftig mit repressiverem Vorgehen den Bettel zu unterdrücken? Wenigstens die Kastenherren waren seit 1564 von den Ansichten des Ministeriums überzeugt. Nachdem Letzteres 1564 erneut gefordert hatte, das man die current verordenen wolle, gaben auch die Kastenherren zu, das es ain greulich vnordenung were mitt den schülern und man den Rat daher bitten müsse, damitt die current mochte angerichtet werden.435 Weitere Diskussionen der 1560er Jahre verliefen aufgrund der Pestepedemie (1565/66) aber zunächst im 431 StadtA BS, B IV 11 Nr. 22, Bl. 10v. 432 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 3,1, Bl. 15r: Oldestadt: Beschweren sick, dat der armen burger kinder in den scholen gar nicht gelert werden […]. 433 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 162, Bl. 2v–3r: So ist gros vnordenug jm almusen samblen, wirdt begeret, das man die feine ordnung, zu Magdeburg gehalten, mochte hie auch an die hande nehmen, das allein etliche tage die schuler fein jn jrer ordnung vnd procession gesamblet, die andern tag weren von der straßen bleiben. 434 Tatsächlich wurden in den Jahren 1550–1570 vom Armenkasten zu St. Katharinen immerhin 217 Austeilungen an arme Schüler für Bücher, Kleidung, etc. vergeben. Das entsprach knapp 10 Prozent der außerordentlichen Austeilungen. Hinzu kommen noch jene Schüler, die aus Krankheitsgründen Gelder erhielten. Vgl. Kapitel 2.1.3. 435 StadtA BS, Revidenda Nr. 67, [o.P.], Bl. 1r–2r [eig. Pag. im Dokument].

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Sande,436 bis man 1570 schließlich mit ernsteren Überlegungen zum Aufbau einer Kurrende begann.437 Dass eine solche Kurrende tatsächlich notwendig war, belegen die Verzeichnisse der armen Schüler, die daraufhin von jeder Schule angefertigt wurden. Der catalogus der armen schüler aus S. Marthins schulen verzeichnet um 1570 ganze 112 bedürftige Schüler. Lediglich 13 dieser Schüler waren allerdings Bürgerkinder, bei dem Rest handelte es sich nach eigenen Angaben um fremde Schüler.438 Ebenso schlimm waren offensichtlich die Verhältnisse in der Katharinenschule: Hier waren insgesamt 113 elemosynarij, davon lediglich 12 Bürgerkinder (cives) und 101 Auswärtige (extranei).439 Die Ägidienschule wies mit 73 armen Schülern (pauperes) zwar deutlich weniger Bedürftige auf, allerdings handelte es sich auch um eine weitaus kleinere Lehranstalt.440 Immerhin 25 dieser Kinder waren Bürgersöhne. Insgesamt sahen die drei Rektoren also 298 Schüler als so arm an, dass man sie den potenziellen Kurrendekandidaten zurechnete. Kein Wunder also, dass der Straßenbettel unter diesen Umständen einen großen Störfaktor bilden musste. Tatsächlich konnte sich der Rat dem Problem also nicht mehr verschließen. Aus diesem Grunde war nun auch die Obrigkeit endlich bereit, dem haltlosen Kinderbettel durch eine geordnete Einrichtung den Boden zu entziehen und hatte sich damit von seinem grundsätzlichen Bettelverbot für Kinder verabschiedet.441 Allerdings bestand nach wie vor Uneinigkeit hinsichtlich der Frage, in welcher Gestalt die neue Kurrende eingerichtet werden sollte. Der Magistrat ließ daher ein ausführliches Gutachten durch die Martinischule einholen, in dem die Gewohnheiten der Kurrenden umliegender Städte zusammengefasst und auf die Braunschweiger Verhältnisse übertragen wurden.442 Unstimmigkeiten entstan436 Vgl. z. B. StadtA BS, B IV 11 Nr. 162, Bl. 135r (1565). 437 Nach Sack wurde die Kurrende zwar bereits 1567 aufgerichtet; einen Nachweis für diese Behauptung liefert er allerdings leider nicht. Quellen oder andere Literaturangaben, die sich auf dieses Datum beziehen, fehlen. Vgl. Sack, Karl Wilhelm: Geschichte der Schulen zu Braunschweig von ihrer Entstehung an und die Verhältnisse der Stadt in verschiedenen Jahrhunderten, Erste Abteilung, Braunschweig 1861, S. 48. Indes ist die gängige Annahme, einer Kurrendebildung im Jahr 1570 weitaus wahrscheinlicher. In diesem Jahr wurde einerseits die Kurrendeordnung beschlossen, andererseits kaufte der Schatzkasten zu St. Martini eine eeken laden tho behoif der currenden. StadtA BS, F I 1 Nr. 24, Bl. 23v. 438 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 99, Bl. 13r–13v. 439 Vgl. ebd., Bl. 5r–6v. 440 Vgl. ebd., Bl. 15r–15v. 441 Damit ist der bisherigen, inhaltlich wenig Sinn ergebenden Forschungsmeinung um Spieß zu widersprechen, dass man 1570 eine »Kurrende ins Leben« gerufen habe, da »der ordentliche Musikunterricht für die oft hochgesteckten Ziele, die man sich setzte« nicht ausgereicht habe. Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 676. 442 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 99, Bl. 11r–12v: Verzeichnung, wie es mit der currenden an anderen orten, da sie gebreuchlich vnd angerichtet, gehalten wirt. Die hier vorgeschlagenen Punkte wurden offensichtlich aber nur sehr bedingt übernommen. Vgl. Koldewey, Schulordnungen, S. 140–143 (Schulordnung von 1597).

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den nun aber insbesondere bezüglich der Frage, wie man die Zuständigkeiten der einzelnen Kurrenden regeln sollte. Einig war man sich lediglich darüber, dass jede der drei Lateinschulen (St. Martini, St. Katharinen und St. Ägidien) eine eigene Kurrende erhielt. Der Rat plante zudem, entsprechend der Schullage, die Laufwege der Kurrenden auf die jeweiligen Weichbilde zu beschränken. Dies wiederum rief insbesondere von der Lehrerschaft der ärmeren Ägidienschule scharfe Proteste hervor, die sich von ihrem umgebenden Weichbild, der Altewiek, nur wenige Einnahmen erhoffen durfte. Es hat sich ein langer Klagebericht aus der Zeit um 1570 erhalten, in dem rector et collegae scholae Aegidiane ihre Bedenken zur separaten, nach Schulen getrennten Kurrende äußerten.443 Das Schreiben beginnt mit der Bemerkung, eine Kurrende wäre durchaus förderlich – wen allen schulen mochte gleich viel damid gedienet vnd nicht de eine dadurch erbauwed vnd gemheret, de andern aber dadurch zerüttet werden.444 So würden die anderen beiden Schulen jeweils zwei große Weichbilde (Altstadt/Sack sowie Hagen/Neustadt) umfassen, die Ägidienschule hingegen nur die Altewiek. Bedeutsam war demnach vor allem die Problematik der ungleich verteilten Besitzstände innerhalb der Bezirke: So ist auch eine grosse vngleicheit vnder den bürgern, de[nn] in den andern gerichten sein viele patritij, stathliche hendelers vnd reiche handtwercks leuthe auch reiche brauwer, solcher aber haben wir in der Althenwigk auch nicht so gar viele.445 Dies würde natürlich überdies konsequenterweise bedeuten, dass auch die Schüler zu St. Ägidien tendenziell ärmer wären und damit der Kurrende umso mehr bedürftig seien.446 Da aus diesem Grunde zumeist über hundert Bettelschüler vorhanden wären, bedürfe es des Mitwirkens der anderen Weichbilde.447 Es würde auch nicht ausreichen, von diesen eine Hilfszahlung zu erhalten, sondern man müsse die gesamten Einnahmen aller Kurrenden zusammenlegen und anschließend an alle Kurrendemitglieder der Stadt – je nach Bedürftigkeit – verteilen. Chemnitz selbst schloss sich dieser Überlegung offensichtlich an. Auch er wollte vom Rat in einem Schreiben über die anzurichtende Kurrendeordnung erfahren, ob das eingenommene Geld zentral für alle Schüler oder doch in jeder 443 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 99, Bl. 2r–4r. Die folgenden Akten (wie auch die vorigen Armenschülerzahlen) sind der Forschung bislang verborgen geblieben. Grund hierfür ist die falsche Beschriftung des Bestandes: »Kurrende u. ä. 1623–1657«. Tatsächlich sind die Akten aber (obgleich undatiert) zweifelsohne aus der Zeit um 1570. Dies bezeugen sowohl die vorkommenden Namen (z. B. die Prediger Johann Ripen u. Johannes Guden, Koadjutor Pouchemius sowie Bürgermeister Franz Kale) als auch die von Chemnitz eigener (unverwechselbarer) Hand verfassten Schreiben! 444 Ebd., Bl. 2r. 445 Ebd., Bl. 2v. 446 Hinzu käme noch: [A]lles was in S. Martens vnd S. Catharinen schule keinen vnderhalt bekommen kann, lauffen zu vns in de Althewigk. Vgl. ebd., Bl. 2v. 447 Ebd., Bl. 3r: […] der mendicanten bei vns so viele vnd oft vber de hundert sein […].

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Schule separat ausgeteilt werden sollte.448 Der Rat legte sich aber (trotz der Klagen aus der Altewiek) darauf fest, eine getrennte Finanzverwaltung der drei Kurrenden durchzusetzen.449 Immerhin räumten die Martinianer der Ägidienkurrende zum Ausgleich einige Laufwege ein, die strenggenommen im Bezirk der Martinikurrende gelegen hätten.450 Von den so abgesprochenen Laufplänen aller drei Kurrenden sind genaue Aufzeichnungen aus der Zeit um 1570 erhalten geblieben.451 So sollten die Kurrendeschüler zu St. Martini ihr Gebiet (Altstadt und Sack) in zwei verschiedenen Durchläufen abgehen. Der erste Gang verlief dabei durch den westlichen und nördlichen Teil der Altstadt, während der zweite Gang den östlichen Altstadtbereich und den Sack umfasste.452 Die Kurrende zu St. Katharinen hatte sich ebenfalls auf zwei verschiedene Routen geeinigt: Route eins umfasste – grob gesprochen – das Weichbild der Neustadt, die zweite Route führte quer durch den Hagen. Entsprechend ihrer geringeren räumlichen Kapazitäten legte die Ägidienkurrende lediglich eine Route durch die Altewiek fest. Ob diese intendierten Routen schließlich auch tatsächlich umgesetzt wurden, ist indes ungewiss, da sich weitere Angaben bedauerlicherweise nicht überliefert haben. Noch im selben Jahr wurde am 30. 7. 1570 von Chemnitz schließlich die erste Kurrendeordnung in Kraft gesetzt. Mit ihr ließ man zugleich zwei Kurrendeherren bestellen und vermutlich auch bereits beeidigen.453 Diese Ordnung hat sich leider nicht erhalten. Lediglich ihr Beschluss wurde von Chemnitz im Gedenkbuch des Ministeriums festgehalten: Eodem anno [1570 M.V.] 30 julij ist die ordnung mit der currende der schulen angefangen vnd ins werck gerichtet worden.454 Dies ist nach wie vor der einzige Beleg für die Existenz einer solchen Kurrendeordnung. Ihre Inhalte sind daher nicht überliefert. Die hohen Erwartungen, welche man nach solch intensiven Planungen an die Kurrende stellte, erfüllten sich trotz der Kurrendeordnung offensichtlich nicht. Schon 1574 klagten Geistliche und Gemeinden, dass den Kurrendeschülern nicht

448 Vgl. ebd., Bl. 16r. 449 Vgl. dazu die entsprechenden Rechnungen, z. B. StadtA BS, F I 4 Nr. 493 (1597); StadtA BS, F I 4 Nr. 494 (1598). 450 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 99, Bl. 10r: Der Dam, Hodtfilter, vnd der Brok sein ausgelassen, konten currend aus S. Aegidienschulen sulche orte zu besserer vnterhaltung eingereumet werden. 451 Zu den Laufwegen vgl. Grafik 14 im Anhang. 452 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 99, Bl. 9r–9v. 453 Ein Eid der Kurrendeherren hat sich allerdings erst aus den 1590er Jahren überliefert. Vgl. StadtA BS, B I 15 Nr. 9, Bl. 10v. Auch abgedruckt im UB Braunschweig I, S. 567. 454 StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 16v. Die hier zitierten Angaben wurden sinngemäß wiederholt bei: Rehtmeyer, Historiae III, S. 314; Sack, Geschichte der Schulen, S. 49; Klabunde, Armut II, S. 226. Auch diesen Forschern war folglich keine Ordnung bekannt, sondern lediglich die hier zitierte Information. Da Rehtmeyer keine Einzelheiten nennt, wird die Kurrendeordnung wohl im 18. Jahrhundert bereits verschollen gewesen sein.

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so viel als jm anfang gegeben würde.455 Die Spendenbereitschaft sei auf freiwilliger Basis schlicht zu niedrig. Man verpflichtete daher künftig jeden Bürger, der unter Gesang der ganzen Schule bestattet werden wollte, sechs Gulden für die Kurrende zu »spenden«; Beerdigungen im Beisein der halben Schule sollten nur zur Spende von eineinhalb Gulden verpflichten.456 Auch dies verhalf der Kurrende nur bedingt aus ihrer schwierigen finanziellen Lage. Hierzu trug – sofern man den zahlreichen Klagen Glauben schenken darf – eine verstärkte Korruption der Kurrendeherren und Lehrer bei. Erstmals beklagte dies die Gemeinde 1577: Man solle Achtung darauf haben, das die currende nicht mißgebraucht vnd von den praeceptorii dieselbe vorkaufft werde.457 Gerade das Verkaufen freier Kurrendeplätze an die Meistbietenden – ein bei bedürftigen Kindern ohnehin fragwürdiges Verfahren – wurde nachfolgend stark bemängelt. Daher befahl der Rat den Kurrendeherren schließlich (1584), dass sie keinen, so die currende nicht bedorfftig, darein nehmen, sondern die sie darin nehmen wollen, sollen vonn jhrer obrigkeit erstlich schein pringenn, das ein jeder der almusen bedurfftig.458 Damit lag die Aufnahme in die Kurrende künftig nicht mehr allein in der Hand der Kurrendeherren. Im Zuge der großen Schulordnung von 1596 wurde das Kurrendewesen schließlich nochmals genau normativ festgelegt. Zunächst ließ man den Kurrenden laut Schulordnung zwei Provisoren (bzw. Kurrendeherren) beiordnen. Diese mussten zu Ostern und Martini (in Gegenwart des Superintendenten, der Schulvisitationskommission und des jeweiligen Rektors) neue Kinder in die Kurrende eintragen, bzw. »unwürdige« Kinder wieder austragen. Die Kurrende sollte dabei allezeit bey einer gewissen zahl pleiben.459 Unter den Kurrendanern wurden – wie allgemein üblich – so auch in Braunschweig, Ämter vergeben. Die praefectos verzeichneten die Anwesenden, die divisores sollten das Brot nach dem Umsingen entsprechend des jeweiligen Anspruches wiegen und austeilen. Die collectores hatten aller gassen und heuser gelegenheit zu wissen und trugen vermutlich zudem die Körbe und Geldbüchsen.460 Mittwoch und Samstag zogen die Kurrenden singend durch die Gassen, 455 StadtA BS, B I 5 Nr. 3,1, Bl. 149r. 456 Ebd., Bl. 166r. Arme Familien sollten von dieser Regelung freilich befreit sein. 457 StadtA BS, B I 5 Nr. 3,2, Bl. 252r. Auch spätere Klagen haben sich erhalten, so z. B. von 1609 (StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 35v): Den currenden herrn jm Hagen vnd jnn der Neustad zu vermahnen, damitt das currendengeltt nicht zu seigern, stricken etc: sondern allein den knaben jnn der currende angewendet werde. Weitere Klagen diesbezüglich: StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 35v, Bl. 53v, Bl. 57v (1611) und Bl. 91r (1615). 458 StadtA BS, B I 6 Nr. 2, Bl. 135r. 459 Vgl. Koldewey, Schulordnungen, S. 140. 460 Ebd., S. 141. Das Gutachten der Martinischule hatte diesbezüglich um 1570 vorgeschlagen (StadtA BS, G II 1 Nr. 99, Bl. 11v): Den korb tragen anders wo zween schüler zwischen sich. Wirt aber dieses orts sich vieleichte besser schicken, das zween tragkorbe genomen werden. Jn dieser beider korbe einen wirt zum ersten gesamlet, bis so lange derselbige foll ist worden,

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während ihnen Donnerstag und Sonntag um 14 Uhr der Anteil an Einkünften ausgeteilt werden sollte. Dafür durften die Kurrendaner außerhalb der Kurrende niemandt fur den thuren liegen und betlen.461 Die Bettelvögte wurden allerdings in Braunschweig, im Gegensatz zu anderen Städten und Territorien, nicht in das Kurrendewesen integriert und fanden daher in der Ordnung auch keine Berücksichtigung.462 Mit der neuen Schul- und Kurrendeordnung begann 1596/97 erstmals die städtische Archivierung von Kurrenderechnungen.463 Leider sind somit vor diesem Jahr keine Abrechnungen überliefert – vermutlich wurden sie nach der Rechnungsablage kassiert. Trotz der oben erwähnten Klagen waren die Kurrenden beizeiten doch äußerst finanzkräftige Einrichtungen. Allein durch das Umsingen nahm z. B. die Kurrende zu St. Katharinen 1598 gut 524 Gulden ein – zuzüglich des ausgeteilten Brotes. Hinzu kamen knapp 20 Gulden aus laufenden Zinseinnahmen und Testamenten.464 Die Gelder wurden jährlich meist vollständig an die Kurrendaner ausgeteilt. Allerdings ließ man den Schülern im Gegenzug keinerlei Kleidung oder Schulbedarf aushändigen, wie es z. B. in Hameln der Fall war.465 Überdies musste noch bis 1639 jeder Schüler von seinen Almosen das volle Schulgeld entrichten.466 Mochten aber die finanziellen Zustände der Kurrendeschüler nicht die besten sein, so hatten sich im Gegenzug auch die Obrigkeiten ständig über die Mutwilligkeit der Jugendlichen zu beklagen. So hieß es etwa in einem Bericht des Kolloquiums: Bey den currendarijs ist vnordnung, lauffen auf den gaßen vnd singen gar vnordentlich, die grossen bleibenn endweder daheim, oder da sie mitgehen schemen sie sich zu singen,

461 462

463 464 465 466

Alsdan gehet er abe, nach der schulen vnd wirt folgende in den andren gesamlet, jst es nötig könnte der erste jn des ausgelehret werden, vnd dan wider zum hauffen kommen. Ob diese Überlegungen in Braunschweig tatsächlich so durchgeführt wurden, ist jedoch unbekannt. Koldewey, Schulordnungen, S. 141. Nach den Rechnungen (ab 1597) scheinen die Kurrendaner aber am Donnerstag/Sonntag sowohl gesungen als auch ihre Anteile erhalten zu haben. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 495, Bl. 1v–2r (1599). So galt etwa für Mühlhausen: »Jede Person, die sich an der Kurrende beteiligte und Almosen einsammelte, sollte im Quartal 3 d an den zuständigen Bettelvogt geben.« Vgl. Mandry, Julia: Armenfürsorge, Hospitäler und Bettel in Thüringen in Spätmittelalter und Reformation (1300–1600), Wien/Köln/Weimar 2018 (= Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 10), S. 196. Auf der Vorderseite der Kurrenderechnung St. Katharinen von 1597 (StadtA BS, F I 4 Nr. 493) heißt es: Dis ist de erste rechnung der currende darvon de copie bi e[inem] e[hrbaren] rade alhir gebleven. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 494. Die Testamentseinnahmen waren vielfach auch deutlich höher als 1598. Vgl. Biester, Armut, S. 89. Vgl. StadtA BS, C IX Nr. 100 [o.P.], Eintrag zum Jahr 1639: Weil die currenden schüler von jhren almosen den schuhlcollegen das gebürende schuhlgeldt geben müßen, soll ander anordnung gemacht werden, das die armen schüler jhre almosen gantz behalten, vndt gleichwol die praeceptores jhre befugnüs sonsten bekommen.

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vnd weil die kleinen eine gasse auf, die ander nieder gehen, suchen sie richte wege, vnd wollen gleichwol mit genissen, die grosse immodestia verursacht, das von den bürgern jhnen auch wenig gegeben wirdt.467

Solcherlei Probleme waren in den Kurrenden des 16./17. Jahrhunderts jedoch nicht unüblich, sodass daraus nicht zwangsläufig ein »Verfall« dieser Institution geschlossen werden muss, wie es die Geistlichen zuweilen taten. Ähnlich wie auch schon beim Armenkasten funktionierte die Kurrende nach ihrer Einrichtung freilich nicht perfekt. Denn wie die meisten neu etablierten Institutionen, so hatte auch diese ihre Schwächen und wurde durch Korruption, Habgier und den Unwillen der Schüler bisweilen arg strapaziert. Trotz alledem förderte man aber durch diese – letztlich typisch lutherische – Einrichtung die Bildungschance armer Kinder doch enorm. Allein durch den Armenkasten hätte dies nicht gelingen können, denn dieser verzeichnete im Jahrzehnt vor Etablierung der Kurrende (1560–1570) zwar 143 außerordentliche Geldzahlungen an Schüler – doch waren dies jeweils meist kleine Pfennigbeträge für Bücher, Papier o. ä. Bezogen auf ein ganzes Jahrzehnt mögen solche Leistungen einigen ausgewählten Schülern einen finanziellen Zuschuss ermöglicht haben. Zum Leben reichte dies jedoch keinesfalls, insbesondere, wenn man sich nochmals die 298 armen Schüler vor Augen führt, die um 1570 als potenzielle Kurrendekandidaten aufgeführt wurden. Insofern stellte die Kurrende von 1570 eine konsequente und notwendige Ergänzung des 1528 eingerichteten Armenkastens dar. Umso erstaunlicher scheint daher der Umstand, dass die nachreformatorische Kurrende und ihre institutionelle Etablierung in der Forschung bislang kaum Aufmerksamkeit erfahren haben, obgleich erstere doch gerade in frühen KO fast nie Erwähnung fand.468

2.1.5 Das Geistliche Ministerium Die wohl bedeutsamste Institution, die sich im Anschluss an die Reformation neu bildete, war indessen weder der Armenkasten noch die Kurrende, sondern das verhältnismäßig einflussreiche Geistliche Ministerium. Dieses setzte sich aus den Predigern der städtischen Kirchen sowie dem Koadjutor und Superintendenten zusammen. Sowohl Entstehung als auch Zuständigkeit des Ministeriums sollen im Folgenden untersucht werden. 467 StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 66r. 468 Vgl. Kreiker, Armut, S. 184–185. Eingehende Untersuchungen zur Etablierung nachreformatorischer, städtischer Kurrenden, fehlen bislang m.W. noch gänzlich. Einen Überblick bietet neben Kreiker lediglich die über hundert Jahre alte Darstellung von Rautenstrauch über Sachsen (vgl. Rautenstrauch, Luther) sowie die ebenfalls schon 70 Jahre alte Darstellung Niemöllers (vgl. Niemöller, Untersuchungen).

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2.1.5.1 Entstehung und Konstituierung Während die ländlichen Pfarrsitze im 16. Jahrhundert oft meilenweit entfernt lagen, wirkte in den Städten zumeist eine Vielzahl von Geistlichen. Städtische Kommunen stellten damit im Gegensatz zur weitläufigen Landpfarrei Netzwerke verdichteter Kommunikation dar.469 Erst auf dieser Basis (Disputationen, Predigten, etc.) dürfte die reformatorische »Vorreiterfunktion« der Städte überhaupt möglich gewesen sein.470 Bereits seit 1526 gab es in Braunschweig einen Zirkel von fünf lutherischen Prädikanten, 1527 waren es dann sieben. Laut einer Chronik des 16. Jahrhunderts tauschten sich die sieben Prediger schon ein Jahr vor der Reformation intensiv aus: Diesse sieben hilten sich zw samde, beretten sich offt mitt einander, vnd wurden eins was sie widder die münche preddigenn wolten.471 Dass sich dieser enge Austausch unter den Geistlichen auch nach Einführung der Reformation fortsetzte, ist daher keineswegs verwunderlich. In Braunschweig – wie auch in anderen lutherischen Städten Nord- und Mitteldeutschlands – geschah dies vielfach durch Einrichtung eines regelmäßigen Kolloquiums, aus dessen Sitzungen sich dann in der zweiten Jahrhunderthälfte sukzessive das Geistliche Ministerium konstituierte. In der KO von 1528 hatte Bugenhagen (vielleicht in Anlehnung an die zuvor bestehende »Unio cleri«472) eine gemeinschaftliche Zusammenarbeit der Prediger angeordnet. Bei Lehrstreitigkeiten sollten demnach Superintendent und 469 Natürlich hat es mit den Kalanden vor der Reformation auch teils Netzwerke unter den Landpfarrern gegeben, doch waren diese zwangsläufig aus Gründen räumlicher Distanz nicht so intensiv ausgeprägt. Vgl. hierzu als Beispiel der Marienkaland Wolfenbüttel: Rahn, Kerstin: »Zu Trost und Gewinn… unserer und unserer Kinder Seele«. Die Memorialgemeinschaft der Wolfenbütteler Marienbruderschaft im 15. Jahrhundert, in: Schwarz, Ulrich (Hrsg.): Auf dem Weg zur herzoglichen Residenz: Wolfenbüttel im Mittelalter, Braunschweig 2003 (= Quellen und Forschungen zur braunschweigischen Landesgeschichte, 40), S. 161–179. 470 Vgl. dazu im Überblick: Hamm, Bürgertum, S. 78ff. Demnach seien Städte »kommunikative Zentren von einzigartiger Ausstrahlung« gewesen, ebd., S. 92. Umfassender: Moeller, Bernd; Stackmann, Karl: Städtische Predigt in der Frühzeit der Reformation. Eine Untersuchung deutscher Flugschriften der Jahre 1522 bis 1529, Göttingen 1996 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Folge 3, 220). Dazu auch: Reinhard, Wolfgang: Luther und die Städte, in: Iserloh, Erwin; Müller, Gerhard (Hrsgg): Luther und die politische Welt. Wissenschaftliches Symposion in Worms vom 27. bis 29. Oktober 1983, Stuttgart 1984 (= Historische Forschungen, 9), S. 87–112. 471 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 8. Die zitierte, vermutlich von Heinrich Lampe verfasste Chronik dürfte eine der Hauptquellen für die Darstellung der frühen Reformation bei Rehtmeyer sein. 472 Ob die Unio tatsächlich als Vorbild für das Kolloquium diente, wie u. a. Reller annimmt, ist fraglich, denn das Kolloquium war keineswegs ein Braunschweiger Phänomen. Vgl. Reller, Kirchenverfassung, S. 96. Überdies bestand ja schon parallel zur Unio wie oben beschrieben ein Austausch der lutherischen Prediger vor 1528. Zur Union vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 1 sowie Dürre, Geschichte, S. 374.

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Koadjutor sämtliche Prediger und die beiden Rektoren von St. Martini und St. Katharinen hinzuziehen, um sich mit ihnen zu beraten.473 Solche Beratungen fanden zunächst anscheinend auch gelegentlich statt.474 Allerdings war weder ein regelmäßiges Kolloquium noch dessen institutionelle Rechtsstellung geplant – dies war im Übrigen in den frühen norddeutschen KOO ohnehin nicht vorgesehen. Dass gar ein städtisches Geistliches Ministerium geschaffen werden sollte, sah – bis weit in die zweite Jahrhunderthälfte – keine einzige norddeutsche KO vor.475 1529 wurde sodann im Zuge konfessioneller Streitigkeiten durch Superintendent Görlitz und Syndikus Levin van Emden das regelmäßige, 14-tägige Kolloquium ins Leben gerufen.476 Auslöser waren vor allem die Unstimmigkeiten zwischen den (angeblich) zwinglianisch geprägten Predigern an St. Ulrici und St. Andreas auf der einen, sowie den restlichen Geistlichen auf der anderen Seite gewesen. Dem neuen Kolloquium gehörten fortan nur die Prediger der städtischen Kirchen (= membrum colloquii), nicht aber der Landpfarreien an (= membrum ministerii civitatis).477 Die Brisanz der neuen Einrichtung tritt erst vollständig vor Augen, wenn man sich vergegenwärtigt, was ein regelmäßiges Versammlungsrecht in der vormodernen Stadt eigentlich bedeutete: Außer Rat, Hauptleuten und Gilden war es üblicherweise keinem städtischen Bürgerorgan gestattet, eigene regelmäßige politische Versammlungen abzuhalten.478 Die Hauptleute, deren Zusammenkunft nur zwei Mal jährlich gestattet war, hatten diesbezüglich schon vielfach mit dem Rat gestritten und taten es auch weiterhin

473 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 374. 474 Vgl. StadtA BS, I 5 Nr. 2, Bl. 35v: [S]chullen de twe predicanten jn beiden kloistern to den Barvoten vnd Pewelern, to der vnderredunge der predicanten, ock gefordert vnd des schul also enicheit vorgenommen werden. 475 Zur Entwicklung der Geistlichen Ministerien allgemein, vgl. Schoß, Ministerium, S. 1–15. 476 Die Chronisten legen jeweils die Betonung mal eher auf van Emden (StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 57v und StadtA BS, H III 2 Nr. 4, Bl. 112r sowie H. Hamelmann) mal eher auf Görlitz (vgl. Rehtmeier, Historiae III., S. 87–88). Es dürften wohl beide daran beteiligt gewesen sein. Hamelmann schreibt in seiner Chronik dazu: Et ut in posteru pacificè & quiete inter se viverent ministri instituerunt menstrua inter se colloquia, de consilio Levini ab Embden Syndici civitatis. Vgl. Hamelmann, Secunda pars Historiae, Bl. 42r. Tatsächlich irrt Hamelmann jedoch, da die Kolloquien halbmonatlich stattfanden. 477 Dies blieb auch im 17. Jh. so. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 23v (1607). Auch: Schoß, Ministerium, S. 62. 478 Vgl. Schilling, Elite, S. 259. Die vorherigen Versammlungen der Bruderschaften/Kalande seien hier ausgenommen, da sie im wesentlichen Gastmäler darstellten. Zum Versammlungsrecht der Hauptleute und Gildemeister vgl. Dürre, Geschichte, S. 312. Zu diesen Bestimmungen verfügte der Rat 1528 nochmals eindeutig: De wile jn sunderheit jm echt[en] dinge vorsamlinge to maken bi dage edde bi nacht vorboden, so schal bi d[er] pene des echten ding[es] vorbod[en] sin, lude to hope to fordern vnd vorsamelinge to maken, were aver so iemand, de warumb to sprekende foige hedden, weren de jn gilden mochten se or gildemester, wer de vth d[er] gemene, mochten se ore hovetlude darumb ansprecken, de worden eins jdenn feil einem erbarn rade wol entdecken. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 19r.

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das ganze 16. Jahrhundert hindurch.479 Insofern stellte das 1529 etablierte Kolloquium nicht nur kirchenrechtlich sondern auch verfassungsrechtlich ein Novum in der Stadtgeschichte dar. Schließlich handelte es sich bei dessen Mitgliedern nicht mehr (wie noch in der »Unio cleri«) um exemte Kleriker, sondern (offiziell seit 1539) um städtische Bürger. Überdies ist Braunschweig, soweit bekannt, eine der ersten protestantischen Städte, die ein solches geistliches Beratungsorgan mit regelmäßigem Treffen einrichtete. Andere Städte wie Rostock (1531), Hamburg (um 1548), Hildesheim (1560), Göttingen (1570) und Augsburg (vor 1591) zogen deutlich später mit ordentlichen Kolloquien nach.480 Im Braunschweiger Kolloquium sollten fortan Pfarrangelegenheiten vorgebracht und über Reinheit und Konformität der Lehre gewacht werden. Tatsächlich aber wurden die konfessionellen Streitpunkte, derentwegen die Einrichtung geschaffen worden war, zunächst doch noch außerhalb des Kolloquiums gelöst.481 Auch handelte es sich beim Kolloquium noch nicht um eine Institution mit irgendwelchen Befugnissen, wie sie dem späteren Geistlichen Ministerium zukommen sollten. Nichtsdestominder etablierte sich immerhin schon früh eine klare Sitzordnung im Kolloquium, zudem galt jedes Votum gleich viel.482 Ohne feste Verhaltensordnung musste es in diesen Sitzungen freilich rasch zu Unstimmigkeiten kommen. Zahlreiche Spannungen im Kolloquium aus der Zeit des zweiten Superintendenten Nikolaus Medler (1545–51) haben sich daher in Briefen überliefert. Medler stand 1547 kurz davor, sich ganz vom Kolloquium fernzuhalten. Er forderte daher, das im colloqiuo der predicanten ein ordnung gehalten werde […], sollte aber diese weyß nicht gehalten werden, so gedechte auch der superattendennt, daß colloquium ferner nicht zu besuchen […].483 Bei den innerkolloquialen Streitigkeiten ging es meist um ungebührliches Verhalten sowie unhöfliches und lautes Auftreten einzelner Prediger. Insbesondere beklagte sich Medler 1547 vor dem Rat, das die andern heren predicanten nichts in irem colloquio hinter dem superattendenten vnd one sein 479 Ab den 1570er Jahren hielten die Hauptleute dann zeitweise sogar illegale Versammlungen ab. Vgl. Walter, Rat, S. 48ff. 480 Die Quellenlage für die Einrichtung der evangelischen Predigerkolloquien ist äußerst miserabel. Die obigen Fälle stellen die einzigen Städte dar, zu denen ein (einigermaßen) konkreter Termin der Kolloquienaufrichtung ermittelt werden konnte. Wie für Lüneburg gibt es meist lediglich einen Terminus ante quem: »Sicher greifbar ist es 1549 mit den 12 Unterschriften seiner Mitglieder […].« Vgl. Wiesenfeldt, Christoph: Kirche in der Stadt: Das Geistliche Ministerium Lüneburg. Ein Kapitel Lüneburger Kirchen- und Stadtgeschichte, in: Lüneburger Blätter 35 (2016), S. 7–116, hier S. 13. 481 Vgl. StadtA BS, H V Nr. 218, pag. 15–25. Dazu auch: Jünke, Bugenhagens Einwirken, S. 99– 109. 482 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 1a, Bl. 282v: Haben die herren nach ordnung, wie sie zusitzen pflegen, man bey man eintrechtig ausgesagt. Zu Konflikten um die Sitzordnung (1611–1616) vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 55r. 483 Vgl. StadtA BS, R-155 (Revidenda Schulen) [o.P.]. Briefe an den Rat vom 3. 9. 1547.

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vorwissen schlißen mochten.484 Aus diesen Klagen werden bereits einige der Probleme deutlich, die zehn Jahre später durch Mörlin in den Leges Ministerii gesetzlich geregelt werden sollten. Medler blieb zwar zeitlebens unzufrieden mit den Zuständen im Kolloquium, nahm an dessen Versammlungen aber bis zuletzt teil. Neben dem Kolloquium wurde 1530 auch erstmals das halbjährlich stattfindende Generalkolloquium geschaffen – hierbei traten sämtliche Kastenherren zum Kolloquium hinzu und beide Gruppen trugen ihre jeweiligen Klagepunkte vor. Tagungsort war für gewöhnlich die Brüdernkirche.485 Das Generalkolloquium war als Verbindung der Geistlichkeit zum Rat gedacht, denn viele Kastenherren waren Ratsherren und trugen die Belange der Geistlichkeit – im Idealfall – dann weiter an den Rat. Seit 1554 mussten laut Ratsbeschluss (auf Anfrage des Kolloquiums) auch die Landpfarrer am Generalkolloquium teilnehmen.486 Obgleich sich 1613 im Kolloquium eine heftige Debatte über die Sinnhaftigkeit des Generalkolloquiums entspann, blieb es doch darüber hinaus weiterhin bestehen.487 Tatsächlich hat es seine Bedeutung seit Etablierung des Konsistoriums (1561) aber schrittweise eingebüßt. Aus dem Kolloquium konstituierte sich – vornehmlich unter der Superintendentur von Mörlin und seinem Nachfolger Chemnitz (1553–1586) – sukzessive das »Geistliche Ministerium«. Da Kolloquium und Ministerium in der KO gar nicht erwähnt waren, mussten nach und nach interne Verhaltensregeln für die Kolloquien etabliert werden; dies hatten bereits die Probleme unter Medler gezeigt. Mörlin schuf daher 1557 mit den »Leges Ministerii« die erste Ordnung für das Kolloquium und deren Mitglieder.488 Es handelte sich um sechs Gesetze, die fortan jedes Mitglied des Kolloquiums vor Amtsantritt zu unterschreiben hatte: Man sollte demnach gemäß den Lehrschriften (ab 1564 des CD)489 predigen (§1), »falsche« Ansichten verdammen (§2) und für Harmonie und Einigkeit im Ministerium Sorge tragen (§3). Darüber hinaus durfte der Prediger am Ritus nichts ohne Bewilligung des Kolloquiums ändern (§4) und hatte sich nüchtern, 484 Ebd. 485 Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 119r: Jtem denn 4 martzi anno 62 js jm generall coloquium tonn Brodern van allen kastenherren bewilliget vnd besloten, dat men van denne de orenn doden willen luden laten, nycht weiniger wen eynen daler der kerken tom besten nehmen schall […]. 486 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 98r–99v. Inwiefern dies künftig eingehalten wurde ist fraglich. 487 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 76r. 488 StadtA BS, B IV 11 Nr. 20, Bl. 20r. Als Faksimile abgedruckt bei Schoß, Ministerium, S. 281– 283 (Anlage). 489 Das Corpus Doctrinae wurde 1563 verfasst, die Geistlichen mussten sich jedoch erst ab dem 21. 6. 1564 darauf verpflichten. Vgl. StadtA BS, G I 2 Nr. 75, Bl. 1r. Auch: Stadtbibliothek BS, M 644 [o.P.] letzte Seiten.

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pflichtbewusst und bescheiden zu verhalten (§6). Mit den Leges begann demnach eine Konstituierungsphase des Kolloquiums, dessen Körperschaft der Geistlichen sich gemäß ihres Amtsbewusstseins ab den 1550er/1560er Jahren »(Geistliches) Ministerium« nannte.490 Das Ministerium konstituierte sich lediglich aus den Sitzungen des Kolloquiums und war damit nicht dessen Nachfolger, wie in der Forschung gelegentlich behauptet wurde.491 Mit den Leges von 1557 lässt sich in Braunschweig (soweit ersichtlich) das erste rechtlich sanktionierte Geistliche Ministerium fassen, weshalb Schoß es auch als »Archetyp« unter den protestantischen Geistlichen Ministerien bezeichnet hat.492 Zugleich wurde in den 1550er Jahren durch Mörlin mit der Archivierung der Ministerialakten begonnen – ein Repertorium von 1607 hat sich noch erhalten.493 Seit der zweiten Jahrhunderthälfte musste dann auch jeder Braunschweiger Prediger sowohl dem Geistlichen Ministerium beitreten, als auch an dessen Kolloquium teilnehmen, wie ein Streit aus dem Jahr 1570 bezeugt: Nachdem Senior Heinrich Lampe den Umgang der Mitbrüder im Beichtstuhl kritisiert hatte, wurde er im Kolloquium durch den späteren Koadjutor Andreas Pouchemius mit lauten Worten angefahren. Daraufhin entschied sich Lampe, dem Kolloquium ferner nicht mehr beizuwohnen, da er sich einen solchen Umgangston im Alter nicht mehr bieten lasse. Dies wurde ihm jedoch verwehrt, mit der Begründung, es solte keinem gestattet werden, das er wollte alhie im ministerio sein vnd nicht im colloquio sein.494 Pouchemius entschuldigte sich und Lampe trat dem Kolloquium wieder bei. Fälle von aus dem Kolloquium (zeitweise) ausgeschlossenen Predigern hat es zwar gegeben, sie sind jedoch erst seit dem frühen 17. Jahrhundert überliefert.495 490 Auch zuvor taucht der Name des Ministeriums bzw. »Ministerium verbi« zwar bisweilen auf, doch ist dann nicht die Institution, sondern eindeutig das als Berufung verstandene Amt des lutherischen Predigers gemeint: »Dies verweist auf den theologischen Ursprung dieses Begiffs. Seine Mitglieder waren ›Diener des Wortes‹.« Vgl. Wiesenfeldt, Kirche, S. 16. 491 Vgl. z. B. Schorn-Schütte, Luise: Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit. Deren Anteil an der Entfaltung frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft. Dargestellt am Beispiel des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, der Landgrafschaft Hessen-Kassel und der Stadt Braunschweig, Gütersloh 1996 (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 62), S. 61. Sie gibt darüber hinaus als Entstehungsjahr des Ministeriums die Jahreszahl 1573 an und zitiert hierfür Spieß, der diese Zahl jedoch gar nicht nennt (sie ist auch ohne jede Bedeutung für das Ministerium, jedenfalls konnte diesbezüglich keine Quelle ausfindig gemacht werden). 492 Vgl. Schoß, Ministerium, S. 16. Weitere »Leges Ministerii« sind mir nur aus Lüneburg, Bremen, Rostock und Wismar bekannt. Die meisten Städte vermieden eine Konstituierung der Geistlichen mittels »Leges Ministerii«. 493 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 3r–10v. 494 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 14v. Der Konflikt ist teilweise abgedruckt bei: Hessenmüller, Lampe, S. 72–73 (Fußnote). 495 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 89r (Johann Gilberti, 1615) sowie ebd., Bl. 108r (Fabianus Natus, 1631). Einzig Melchior Leporinus und Lukas Martini besuchten das Kolloquium im 16. Jh. (1597) zeitweilig nicht.

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1571 überarbeitete und erweiterte Chemnitz die Leges sodann umfassend – vielleicht mag der obige Streit im Kolloquium hierzu Anlass gegeben haben.496 Auch in der redigierten Fassung wurde der Prediger aufgefordert, privat mit seiner Familie so zu haushalten, dass die Ehre des Ministeriums gewahrt blieb (§9).497 Zudem sollten keine fremden Lehren befördert werden (§4 und §5) und wichtige Vorfälle in seiner Parochie hatte der Prediger mit dem Ministerium zu beraten (§7). Insbesondere das erstmals festgehaltene Verbot eines unerlaubten Fehlens bei Kolloquiensitzungen (bzw. die Verpflichtung zur Teilnahme) stellte eine gewichtige Neuerung dar (§6): Ad communes ministerii conventus sive ordinarios sive extraordinarios accedat.498 Dies wurde 1596 nochmals betont, als die Ordnung in Verfall zu geraten drohte: Vnd erstlich was das colloquium belange, da hetten wir zwo leges, 1. das wir die colloquia stetts sollen besuchen, vnd keiner außebleiben, wo nicht, solle er vrlaub bitten. [2.] das auch ein jeder auff den klockenschlag sich solle einstellen, vnd mitt bey dem gebete sein, wo nicht, das er seine straffe darumb gebe.499 In der überarbeiteten Form von 1571 blieben die Leges bis über das Jahr 1671 hinaus gültig. Rechtlich standen damit seit den 1550er Jahren auf Basis der Leges Superintendent, Koadjutor und sämtliche Prediger innerhalb des Ministeriums auf einer Stufe: So sei es gewesen [seit] tempore D. Morlini et D. Chemnitij [… dass] von dem superinten: biß zu dem geringsten […] man also alle für einen man stehe.500 Als es in den 1580er Jahren zu Streitigkeiten innerhalb des Ministeriums kam, mussten die Leges indessen nochmals durch eine zusätzliche Ordnung ergänzt werden. Aufgrund der Ubiquitätsstreitigkeiten zwischen dem Ministerium sowie dem Superintendenten Heidenreich war es im Laufe der 1580er Jahre zu verstärkten Spannungen im Kolloquium gekommen, sodass es zeitweilig gänzlich ausgesetzt wurde. Koadjutor Leyser verfasste daher (weil nötig, daß das colloqum wider auffgerichtet werde) mit Zustimmung des gesamten Ministeriums 1588 eine Ministerialordnung, welche die Leges noch einmal präzisierte.501 Diese wurde Superintendent Heidenreich zur Unterschrift vorgelegt. Obgleich er un496 Ediert bei Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 471. Auch Rethmeyer, Historiae III, Beylage, S. 217. 497 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 471: Vitam suam ita instituat et familiam ita gubernet ne cuiquam sit offendiculo, sed dignitatem ministerii morum gravitate ornet. 498 Vgl. ebd. 499 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 47v. 1608 wurde als Strafe für das Zuspätkommen ein Matthiergroschen festgelegt, für Fehlen ohne erhebliche vrsache ein Mariengroschen. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 26v. 500 StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 35r. Daher hatten die Prediger 1597 auch vngerne vernomen, das der her superinten: das ministerium abtheilet in zwei part, erstlich der superinten[dent] vndt coadiutor ein theill sein: vndt darnach die anderen fratres das ander. Welches in dieser kirchen nicht gebreuchlich […]. 501 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 51, Bl. 10v–11v. Vorschlagsentwurf des Ministeriums und Begründung.

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terschrieb, wurde er kurz darauf dennoch aus anderen Gründen seines Amtes enthoben. Die so geschaffene Ordnung wurde aber vom Rat rundweg befürwortet und durch ihn als öffentlich gültiges Gesetz schließlich ratifiziert. In sechs Artikeln wurden damit die Chemnitz’schen Leges nochmals bekräftigt.502 Damit war das Ministerium als Institiution durch den Rat endgültig legitimiert und bestätigt. Die Verordnung legte fortan für die Kolloquiensitzungen Folgendes fest: 1) Jeder sollte seine Meinung ruhig vortragen und den anderen ausreden lassen. 2) Jedes Mitglied hatte die Entscheidungen und Urteile des Ministeriums anzunehmen. 3) Was das Ministerium beschloss, war von allen Mitgliedern kollektiv einzuhalten, eine Beschlussänderung war nur durch Abstimmung des ganzen Kolloquiums zulässig (auch wenn hier das Mehrheitsrecht galt). 4) Es sollte nichts, was im Kolloquium diskutiert wurde, an Dritte weitererzählt werden = absolute Schweigepflicht. 5) Das Ministerium sollte seine Entscheidungen kollektiv vertreten und nach außen nicht deutlich machen, wer evtl. diese Meinung nicht vertrat. Schließlich musste man sich 6) alles vorachtenß vndt vorckleinerlichen nachredens seiner Kollegen bey ehrlichen leuten endthalten.503 Ob diese Gesetzesausführung intern allerdings je in Kraft trat, ist fraglich. So hieß es bereits in den 1590er Jahren: Die Leges Polycarpanae sindt niemals alle volkommen von allen fratibus approbirt vnd gewilligt worden.504 Immerhin wurden diese Leges aber per Ratsdekret öffentlich verabschiedet, sind damit also wenigstens juristisch durchaus in kraft gangen.505 Endgültig festgelegt wurde die Stellung des Ministeriums schließlich in einem Vertrag, der 1597 anlässlich erneuter Streitigkeiten vor dem Rat vollzogen wurde. Man erkannte nun seitens des Ministeriums abschließend und für alle Zeiten die KO und Konkordienformel an und bestätigte nochmals die Mörlin’schen und Chemnitz’schen Leges. Schwärmerei und Rottiererei wollte man künftig nicht mehr gestatten. Etwaige Verstöße sollten zunächst vor dem Kolloquium und alsdann erst vor dem Rat beigelegt bzw. geahndet werden. Sämtliche Prediger unterschrieben den Vertrag eigenhändig – überdies setzte erneut auch der Rat sein städtisches Siegel unter die Urkunde. Sowohl Rat als auch Ministerium erhielten ein eigenes Exemplar – beide haben sich bis heute im Original erhalten.506 Somit hat man es hier folglich

502 Es existieren zwei Abschriften: 1) StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 630r–634v; 2) StadtA BS, H V Nr. 218, pag. 425–433. 503 StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 632v. 504 Ebd., Bl. 31v. 505 Ebd., Bl. 31v. 506 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 69, Bl. 18r–20r (Exemplar des Ministeriums) sowie StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 326r–329r (Exemplar des Rates). Es handelt sich bei beiden Exemplaren um die Originalverträge.

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mit dem rechtlich-formalen Abschluss der konstitutionellen Ausbildung des Ministeriums zu tun!507 Auch über die Leges hinaus festigte sich aber die Struktur des Ministeriums noch maßgeblich bis um 1600 weiter. 1596 wurde erstmals ein Protokollant für die Kolloquiensitzungen eingeführt508 – zuvor waren bisweilen lediglich die Generalkolloquien vom Superintendenten protokolliert worden. Der Protokollant war künftig immer der amtierende Pfarrer zu St. Michaelis. Im selben Jahr wurde ein zweiter Schlüssel für das Ministerialarchiv angefertigt, sodass fortan nicht allein der Superintendent Zugriff auf die Akten besaß.509 Auch ein eigenes Protokollbuch wurde 1607 eingeführt und ersetzte die zuvor gängigen (losen) Papierbögen. In diesem wurde zugleich das erste Repertorium des Ministrialarchivs angelegt. Damit kann die Konstituierungsphase des Ministeriums eigentlich als abgeschlossen gelten. Lediglich das Ministerialsiegel wurde erst 1672 angefertigt und verdeutlicht damit nochmals den rechtlichen Geltungsanspruch dieser Institution: So hatte man beschlossen, das sigillum ministerii Brunsvicensis zu verfertigen; das zeichen sol seyn Angelus Apocalypticus.510 2.1.5.2 Zuständigkeit und Einfluss Die »Leges Ministerii« von 1557 und 1571 sowie die Ratsordnungen von 1588/ 1597 regelten nun zwar die inneren Verhältnisse des Ministeriums, boten hingegen weiterhin keine Antwort auf die Frage, welche Kompetenzen dieser neuen geistlichen Versammlung eigentlich zustanden. Auch die KO, die ja ein »Geistliches Ministerium« noch gar nicht vorgesehen hatte, lieferte verständlicherweise hinsichtlich dieser Frage keine Regelungen. In lange andauernden Aushandlungsprozessen wurden – vornehmlich während der Generalkolloquien der 1560/ 70er Jahre – die Befugnisse des Ministeriums als Institution ausgehandelt – jedoch großteils bis 1671 nie schriftlich fixiert! Es kam zur Bildung von Gewohnheitsrechten. Bis in die späten 1550er Jahre waren die Generalkolloquien zunächst noch wenig ergiebig: Es wurden halbjährlich die gleichen Probleme vor

507 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 69, Bl. 19v: Zu wahrer vhrkund vnd zeugens, das solchs vnser aller hertz vnd gewiße meinung sej, vnd das wir solchem vnverbrüchlich nachzukommen gedencken, haben wir semptlich vnser nahmen diesem schrifftlichen vertrag wißentlich vnd guttwillig vnterschrieben, vnd vnsere herrn einen erbarn rath solches mit jhrer statt jnsigell bekrefftigen laßen […]. 508 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 50v. 509 Vgl. ebd., Bl. 56r: Das er [der Superintendent M.V.] die acta colloquij nicht allein für sich habe […] vnd das derhalben zwo schlüssel zu dem schapfe sein, darin die acta verwahret werden, vnd dz man darinne lasse, was man von Morlino, Chemnitio vnd sonst hatt, zur nachritung. 510 StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 273.

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die Kastenherren gebracht.511 Diese trugen die Anliegen der Geistlichen aber meist nicht an den Rat weiter und wenn doch ohne Konsequenzen; Ratsaudienzen wurden ebenfalls nicht gewährt, was in den 1540er Jahren bereits unter Medler beklagt worden war. So monierte Mörlin 1559 schließlich: Vertrießlich ist es, das wier so offt im colloqui, von nicht geringen artikeln vns vnterredet, darvon wier zu allem tail bekennen, das es sehr notige stück sindt, vnd dannach werden wier aintweder zu kayner audienz admittirt, oder doch ahn antwort gelassen, wan nuhn vnsere colloquia nicht solten mehr frucht schaffen, vnd allain otiosi congressus512 sein, so wolt es zuletzt schwere gedancken machen. Bitten derhalben, weyl der castenherren viel, eben nicht die geringste p[er]sonen jm rath sindt, sie wollen helffen die sachen befordern, das wier doch zum wenigsten antwort kriegen, was man thuen, oder nicht thuen will […].513

Tatsächlich machte sich Mörlin, der u. a. auch die Protokolle der Jahre 1557–1559 verfasste, vielfach nicht einmal mehr die Mühe, die seit Jahren immer wieder vorgetragenen Klageartikel noch genauer auszuführen. Unter den jeweils notierten Punkten tauchen in den Protokollen lediglich noch die entsprechenden Stichwörter auf.514 Als der Rat 1560 aufgrund der Beschwerden die Zusammenarbeit mit dem Ministerium intensivierte, kam es dann doch endlich zu einigen Neuerungen. Nachdem 1560 zunächst über das Bestrafungsrecht diskutiert worden war, ließ man 1564 eine Beteiligung des Ministeriums an der Wahl der Kirchendiener und (sehr bedingt) der Kastenherren verabschieden.515 1561 wurde dem Ministerium vom Küchenrat bestätigt, dass künftig die Bewerber von Hospitalpfründen vorab durch das Kolloquium examiniert werden sollten; vorausgegangen waren diesbezügliche Unstimmigkeiten im Hospitalwesen.516 Eine große Verantwortung brachte für das Ministerium sodann das Jahr 1586 mit sich: Im Zuge der Bestallungsverhandlungen des Superintendenten Heidenreich 511 Die positive Zusammenarbeit von Rat und Ministerium, die Schoß den Generalkolloquien attestiert, übersieht die überaus schlechte und ergebnislose Zusammenarbeit der 1550er Jahre. Vgl. Schoß, Ministerium, S. 46. Zu den ergebnislosen Kolloquien der 1550er: StadtA BS, Revidenda Nr. 67; StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 97r–100v. Auch StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 5r: D. Morlini klag über die colloq. general. zu seinen zeiten. Dieweill selten audientz noch anttwortt auf eingebrachte punct gegeben wirdt, sein die colloquia festi otiosi gewesen. Noch 1574 gab es klagen: So wüsten sie [das Ministerium M.V.] nicht wie es eine gelegenheit haben müchte vmb die executores das sie nicht vleissiger vfsehen haben. StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 313. 512 Eine wörtlich exakt gleiche Klage sollte ein halbes Jahrhundert später von Superintendent Wagner (1607) erneut an die Kastenherren vorgebracht werden: Der herr superint. protestiret, daß man nicht müge otiosos congressus aus diesen [general M.V.] colloquiis machen. StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 12. 513 StadtA BS, Revidenda Nr. 67, [o.P.] Bl. 19r [eig. Pag. im Dokument]. 514 So z. B. ebd., Bl. 8v: montags predig[t] und visitatio der schulen. 515 Vgl. die Kapitel 2.3.5 und 3.2. 516 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 162, Bl. 3v u. 7r.

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wurde vom Rat in Übereinstimmung mit dem Ministerium beschlossen, dass fortan kein Bürger mehr theologische Schriften veröffentlichen durfte, sofern diese nicht vom Ministerium zuvor gelesen und freigegeben worden waren.517 Eingeführt in der Hochphase der Konfessionsstreitigkeiten mochte sich dies insbesondere gegen konfessionell anrüchige Schriften richten. Freilich stellte der Beschluss aber auch eine Einschränkung – gerade für die Prediger der Stadt – dar.518 Die Geistlichen erkannten das rasch und beklagten sich in den 1590er Jahren mehrfach, doch die Zensur durch das Ministerium blieb bestehen.519 1558 und nochmals 1566 wurde darüber hinaus festgelegt, dass sich fortan jeder Ehebrecher und Totschläger (unabhängig von der strafrechtlichen Konsequenz) vor dem versammelten Kolloquium verantworten musste, bevor er wieder in die Kirche gelassen wurde.520 Dies war eines der wenigen Rechte des Ministeriums, die der Rat in der Policeyordnung von 1573/79 auch schriftlich sanktionierte; hinzu kamen im Zuge dieser Ordnung neben Ehebrechern und Totschlägern auch noch diejenigen, welche die Dienste von Zauberern und Wahrsagern beanspruchten.521 Nicht schriftlich fixiert, aber de facto gehandhabt, wurde zudem die Aussöhnung vor dem Kolloquium, wenn der Täter einen Geistlichen attackiert hatte.522 Der Delinquent musste künftig nach geleisteter weltlicher Strafe einen Bescheinigungszettel vom Rat erwirken und sich für das nächste Kolloquium um Audienz anmelden.523 Sodann wurde er mit zwei Zeugen vorgeladen, hart gerügt und anschließend absolviert. Dies wurde spätestens seit 1567 auch tatsächlich bei obigen vier Delikten konsequent so gehandhabt und bis ins 18. Jahrhundert beibehalten.524 Bei schweren Delikten wurde im Kolloquium in praesentia ci517 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 419. Ähnliche Bestimmungen finden sich auch in anderen Städten, z. B. in Osnabrück, vgl. Sehling, Kirchenordnungen VII 2,1, S. 293: Zum siebenden, das sie imgleichen zum truck oder offentlicher verlesung keine schrift ohne ihres superioris und des ganzen ministerii furwißen einstellen […]. 518 Hierüber entstanden nachfolgend mehrere Auseinandersetzungen, so z. B. mit dem Prediger Friedrich Petri (1587/88) und dem berühmten Humanisten und Rektor zu St. Martini Nikodemus Frischlin (1589). 519 Vgl. die Klage von 1591: StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 99. Noch 1608 beklagte der Superintendent die enorme Arbeit, die er und das Ministerium durch das Lesen der Drucke hätten. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 27r. 520 Vgl. StadtA BS, Revidenda Nr. 67 [o.P.], Bl. 10r [eig. Pag. im Dokument]; StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 144v; StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 11r–11v. 521 Vgl. UB Braunschweig I, S. 406 und S. 410. 522 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 22r. 523 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 22r: Beschloßen worden, der organist Conradius ein adulter, solle ein zettel oder beweiß a senatu außbringen, worauß ein ministerium zuersehen hette, daß er […] außgesöhnt sey. 524 Vgl. z. B. StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 11r (1567); StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 22 (1571) u. pag. 24 (1574); StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 184v–186v (1574–78); StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 102 (1592); StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 60r (1611); StadtA BS, B IV 11 Nr. 232, Bl. 1r–2r

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statiorum (also in Anwesenheit der Kastenherren) gestraft.525 Verweigerte ein Delinquent die Aussöhnung mit der Kirche vor dem Kolloquium, so wurde er, wie in einem Fall von 1571 ersichtlich, der Stadt verwiesen – trotz Ableistung der weltlichen Strafe.526 Bis zur kirchlichen Aussöhnung durfte der Missetäter zudem den städtischen Gottesdienst nicht besuchen, sondern wurde vom Superintendenten an die Kirchen im Landgebiet verwiesen.527 Abgesehen von diesen Fällen wurde jedoch – insbesondere von der Gemeinde – strengstens darauf geachtet, dass niemand vor das Kolloquium geladen wurde, der nicht eines der genannten Verbrechen begangen hatte. Schon bei Einführung der obigen Regelung hatte die Gemeinde zunächst befürchtet, als wäre es eine neuerung, dadurch man den päbstischen bann wiederum einführen wolte.528 Chemnitz hatte sie jedoch mit dem Hinweis beschwichtigen können, dass ja lediglich Totschläger und Ehebrecher vor das Kolloquium zitiert würden. Konfessionelle »Abweichler« wurden indes ebenfalls nach Gewohnheitsrecht vor das Ministerium gefordert: Vnd weill das ministerium alhie anbevholenenn ampts halben bemechtiget, auch dergestalt herbracht, alle personen diesen kirchen einvorleibt do vnter denselben ihrer lehre vnd lebens halben ichtswas vordechtiges fürfallen müchte, vor sich zubescheiden […].529 Als das Ministerium aber 1599 versuchte, auch den des Calvinismus verdächtigten Andreas Pawel vor das ganze Kolloquium zu laden, führte das sowohl von Seiten des Rates, als auch des Angeklagten zu massiven Protesten. Der Versuch des Ministeriums, das Vorladungsrecht sämtlicher Sünder in der KO nachzuweisen,530 schlug fehl: [D]er rhat konne aber dathun mit examplis in dieser kirchen daß extra casum homicidij et adulterij men niemandt furs colloquium fordern dorffe.531 Die Prediger durften fortan Sakramentarier u. ä. nur vor einen Ausschuss, nicht aber vor das ganze Kolloquium laden – lediglich Schulund Kirchendiener hatten sich hier zu verantworten. Damit war auch künftig die Vorladung von Delinquenten auf eine überschaubare Deliktanzahl begrenzt. Alle anderen Fälle mussten durch die jeweiligen Prediger privat in der Sakristei gerügt werden. Nur in Ausnahmefällen – etwa bei Blasphemie und Gotteslästerung –

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(1616); Rethmeyer, Historiae III, S. 312 (1710). Im Jahr 1568 war es beim Fall des Ehebrechers Hans Stockfisch nochmals zu Uneinigkeiten zwischen Rat und Ministerium gekommen. Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 116–117; auch: Rehtmeyer, Historiae III, S. 309–312. Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 26r. [Tintenpaginierung]. Verhandlung von 1578. Vgl. ebd., Bl. 22r [Tintenpaginierung]; zur Vorgeschichte dieses Falles: StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 228. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 87v. Rehtmeyer, Historiae III, Beylage, S. 150. Dazu auch: StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 7v [Tintenpaginierung]. StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 441. Das Ministerium behauptete ohne klaren Bezug zum Kolloquium: Die kirchenordnung vermuge, daß solche gesellen sollen furbeschieden werden […] weil es wieder gottes wort lauffe. Vgl. StadtA BS, B I 11 Nr. 74, Bl. 5r. Ebd, Bl. 3v.

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konnte der Rat per Beschluss einen Delinquenten vor das ganze Kolloquium beordern.532 Dies lag dann aber zuvor im Ermessen des Rates – nicht des Ministeriums. Die Stellung des Ministeriums hinsichtlich der Vorladung von Missetätern war damit spätestens seit den 1570er Jahren geklärt und 1599 erneut bestätigt worden. Hierdurch hatte sich das Geistliche Ministerium einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Rehabilitierung von Verbrechern gesichert, den es schon mindestens seit der Zeit Medlers (1545–1551) angestrebt hatte. Eine weitere Frage betraf die Kompetenz des Ministeriums in Ehestreitigkeiten gegenüber dem Konsistorium. Zwar verfasste das Ministerium hier gelegentliche Gutachten für den Rat, doch konsistoriale Befugnisse konnte es im Gegensatz zu anderen städtischen Ministerien nicht erlangen.533 Hier blieb der Rat, bzw. später das städtische Konsistorium weiterhin die einzig gültige Instanz. Zur außergerichtlichen Schlichtung von Ehe- und Verlöbnisproblemen mochten zwar die zuständigen Pfarrer gelegentlich intervenieren,534 doch dem Ministerium selbst waren hier die Hände gebunden: Außer bei den oben dargelegten vier Delikten (und nachlässigen Kirchenbedienten) durfte es ja keine Personen vor sein Kolloquium beordern. Allerdings saßen im Konsistorium (ab 1561) auch einige Theologen des Ministeriums, sodass die Ehesachen nicht gänzlich in den Händen der weltlichen Gerichtsbarkeit lagen. Weitreichende Befugnisse erwirkten die Geistlichen dementgegen in liturgischen Belangen. Zwar war der Rat laut KO hier weisungsberechtigt, doch ließ er das Ministerium zumeist recht frei gewähren. Dies reichte von der Ablegung der Messgewänder 1530535 bis hin zur Abschaffung einiger Nachmittagspredigten 1588.536 Da die KO noch keine Kolloquien kannte, musste sich auch für den Fortgang dieser Treffen erst noch ein fester Ablauf herausbilden. In den 14-tägigen Kolloquiensitzungen des Ministeriums wurden vor allem inhaltliche Fragen zum Kirchenwesen und anschließend die »Pfarrsachen« besprochen. Ersteres betraf z. B. die Länge der Predigten (1560), das Vorgehen bei Nottaufen (1564), öffentliche Beichte (1571),537 Verordnung zusätzlicher Betstunden und deren Zei532 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 15r (1570): Darneben ist Henrich Güver dem colloquo fürgestellet, den derselbige hatte im grossen wetter aus trunckenheit wort geredet widder das wetter vnd gotte, vnd wiewol er so vol gewesen das er nicht gewust was er geredet […] ist er a senatu eingelegt vnd darnach ans colloquio zur aussönung geweiset vom erbarn radte, welche gescheen im beisen der castenhern ausm Hagen. 533 Dies war z. B. in Rostock und Erfurt der Fall. Vgl. Schoß, Ministerium, S. 154 u. 233. 534 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 55, Bl. 4v–5v. 535 Vgl. dazu Kapitel 2.2.9.4. 536 Zur Abschaffung der Nachmittagspredigt vgl. Rehtmeyer, Philipp Julius: Historiae Ecclesiasticae inclytae urbis Brunsvigae pars IV, oder: Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen=Historie […], Bd. 4, Braunschweig 1715, S. 41. 537 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 30v. Auch Rehtmeyer, Historiae III, S. 379–381.

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ten (1605/7) sowie allgemeine Fragen zum sonntäglichen Predigttext: Bey diesem colloquio vermeldete der herr superintendent anfenglich […] wie es diß jhar, weil zwene sontag zwischen weinachten vnd der hl. dreykonig tage gefielen, solte gehalten werden wes man predigen solte?538 Selbst das städtische Konsistorium war später in Liturgiefragen auf das Ministerium angewiesen: Als man z. B. dort den Segen vom Ende des Gottesdienstes, an den Anschluss der Predigt verlegen wollte, betonte der anwesende Superintendent, darüber müssten die herrn geistlichen erst in colloqio gedencken vnd jhr meinung […] einbringen.539 Ähnlich verhielt es sich, als der Rat eine geänderte Gebetsformel für den neuen Kaiser einzuführen gedachte. Er musste diese Formel zunächst dem Superintendenten übergeben, der es in einem colloquium extraordinarium verlas. Dass es sich hierbei nicht um eine reine Formalität handelte, die das Kolloquium einfach abzunicken hatte, zeigt der weitere Verlauf: [N]ach dem sie verlesen wurde, wurden etliche wort, weils zu weitleuffig war, ausgeleschet, etliche geendert, und wurd also dem raht wieder zugeschickt.540 Die »Pfarrsachen«, welche sich in den einzelnen Parochien zugetragen hatten, wurden in den Sitzungen anschließend reihum von jedem Kolloquienmitglied vorgestellt. Sie beinhalteten zumeist Vergehen einzelner Gemeindemitglieder: Ehebruch/Unzucht, Trunkenheit, Selbstmord, Häresie, Gewalt sowie magische Praktiken und vermeintliche Zauberei. Hier diente das Kolloquium schon seit seiner Einrichtung 1529 als Beratungsinstanz. In einer Art Supervision wurde über die vorgetragenen Fälle beratschlagt und abgestimmt – nach dem Ergebnis hatte sich der betreffende Pfarrer anschließend zu richten.541 Das Ministerium fungierte damit zunehmend als interne Polizei- und Ermittlungsbehörde. Vielfach wurde dem vortragenden Prediger aufgetragen, sich eingehender zu erkundigen ob sichs so verhalte.542 Eine enge Zusammenarbeit mit dem Rat lehnte das Ministerium unter diesem Aspekt allerdings meistens ab, obgleich man über die »Delinquenten« recht gut Bescheid wusste: Hier wurde von den Theologen strikt zwischen geistlichem und weltlichem Strafamt unterschieden.543 Eine weitere Befugnis des Ministeriums stellte die Mitwirkung an der Schaffung kirchlicher Ordnungen dar.544 Solche Ordnungen gingen – wie auch viele 538 539 540 541

StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 67r. StadtA BS, C IX Nr. 100 [o.P.], Sitzung vom 19. 1. 1639. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 68v. Vgl. Leges Ministerii §7: Non existimet se suae parochiae plena et exemta autoritate pontificem esse sed quaecunque inciderint ea refarat ad colloquium. Et quae cognoverit in aliis parochiis etiam digna esse deliberatione de iis vel pastores admoneat vel ad colloquium referat. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 471. 542 StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 76r. 543 Vgl. Kapitel 4.5. 544 Ausgenommen waren jene Ordnungen, die das Ehewesen betrafen; sie unterstanden dem Konsistorium.

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Edikte zur Sittenzucht545 – normalerweise auf die Initiative des Ministeriums zurück und waren vielfach sogar von diesem bzw. dem Superintendenten verfasst. Hierzu zählen z. B. die Ägidienschulordnung (1535), die Bettelordnung (1550), die ländliche Pfarrwitwenordnung (1563), die Kurrendeordnung (~ 1570), die Vokationsordnung (1571), die Hebammenordnung (1571), die Klosterordnung St. Crucis (1571) und die Schulordnung (1596). Fraglos musste der Rat all diese Ordnungen approbieren und hatte meist kleinere Änderungen an den Konzepten der Geistlichen vorzunehmen; inhaltlich gehen diese Ordnungen jedoch – teils wörtlich – auf die Vorschläge des Ministeriums zurück, teils wurden sie auch einfach angenommen und vom Rat bestätigt (z. B. Pfarrwitwenordnung 1563, Hebammenordnung 1571). Die Mitwirkung der Geistlichkeit an der Ausgestaltung und Festigung der nachreformatorischen Kirchenverfassung kann folglich gar nicht hoch genug angesetzt werden. Die Initiative ging für ausnahmslos alle obigen Ordnungen vom Ministerium aus. In einigen Fällen beschloss das Kolloquium sogar von sich aus Edikte: So wurde etwa 1555 ein Dekret verabschiedet, nach welchem jenen Verstorbenen, die länger als zwei Jahre das Abendmahl verweigert hatten, kein ehrliches Begräbnis zuteil werden sollte.546 Hierzu heißt es von Mörlins eigener Hand: Jst den 17. Julij jm colloquio also beschloßen, vnd dominica sexta sequente von allen cantzeln abgekündiget.547 Der Rat wird nicht erwähnt, obgleich man wohl ohne Zweifel wenigstens dessen Kenntnis und Billigung des Edikts voraussetzen darf. 1564 waren die pastores fur mittag beysamen gewesen jn vnserm colloqui.548 Hier wurde bezüglich der Nottaufe Folgendes aintrechtig verordnet: Künftig sollten jene Kinder, die ihre Nottaufe unter währendem Gebet empfangen hatten, dennoch in die Kirche getragen werden, damit publica testimonia der Taufe sichergestellt würden.549 Bei Nottaufen ohne Gebete sollten letztere anschließend in der Kirche vom Pfarrer ohne Exorzismus ordnungsgemäß vollzogen werden. Auch bei diesem Beschluss findet der Rat keine Erwähnung. Gleiches gilt schließlich für ein Edikt, welches die öffentliche Beichte neu regeln sollte. Dieses wurde 1571 im Kolloquium ohne Initiative des Rates beschlossen (decretum fuit in colloquio).550 Andersherum konnte das Ministerium auch den Beschluss kirchlicher Ordnungen durch den Rat bisweilen verhindern: Als der Rat z. B. 1624 vorschlug, Privatkopulationen 545 Vgl. dazu Kapitel 4.5.6. 546 Zur Ausführung dieser unehrenhaften Begräbnisse vgl. Schütte, Otto: Begräbnisse in Braunschweig im 16. und 17. Jahrhundert, in: Braunschweigisches Magazin 11 (1906), S. 127– 130. Dazu auch: Rauls, Wilhelm: Das Begräbnis in der Geschichte der Evang.-luth. Landeskirche in Braunschweig, in: JGNKG 78 (1980), S. 115–144. 547 StadtA BS, B IV 11 Nr. 20, Bl. 7r. 548 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 128r. 549 Ebd. 550 StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 30v [Tintenpaginierung].

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fortan per Dekret zu gestatten, lehnte das Ministerium dies entschieden ab und setzte sich hiermit auch vorerst durch.551 Zur Unterstützung seiner Aufgaben erhielt das Ministerium seit der zweiten Jahrhunderthälfte zunehmend Geldzuwendungen in Form von Legaten frommer Bürger. Damit wird nochmals der juristisch eigenständige Status deutlich, den das Ministerium in den 1550er Jahren erreicht hatte. Hervorzuheben ist insbesondere die bedeutsame Stiftung Fritz von der Schulenburgs, der dem Ministerium ein Legat von 1000 Reichstalern vermachte. Dieses wurde 1590 zu einem Zinssatz von 50 Talern angelegt, welche dann jährlich unter den Mitgliedern des Ministeriums ausgeteilt wurden.552 Ein gleiches Legat hinterließ kurz darauf auch Schulenburgs Witwe Ilse von Saldern (1000 Taler). Das Ministerium gedachte die Summe beim Rat anzulegen und für die Zinsen einen eigenen Prediger anzustellen, der bei Krankheitsfällen und Vakanzen aushelfen sollte.553 Der Rat lehnte dies jedoch ab und es blieb bei der vorigen Predigeranzahl. Bis in die späten 1590er Jahre konnte das Geistliche Ministerium also, wie zu sehen, eine beachtliche Bedeutung gewinnen. Zwar hatte es keinen direkten Einfluss auf die Ehegerichtsbarkeit, doch wurde es beteiligt am Strafamt, der Pfarr- und Kirchendienerwahl, der Erstellung von Ordnungen im Kirchenwesen und diente überdies als Beratungsinstanz – sowohl für den Braunschweiger Rat, als auch für zahlreiche Ministerien anderer Städte. Darüber hinaus war es mit den Ministerialordnungen von 1557, 1571 und 1588/1597 endgültig vom Rat als Institution anerkannt und besaß fortan eine innere Organisation. Sowohl nach außen wie nach innen waren die Verhältnisse des Geistlichen Ministeriums folglich bis 1599 sehr klar ausdifferenziert worden. Bedenkt man die frühe Etablierung des Kolloquiums 1529 und die Klagen Medlers in den 1540er Jahren, so scheint diese Entwicklung sehr langwierig vonstatten gegangen zu sein; tatsächlich stellte das Braunschweiger Geistliche Ministerium aber einen Vorreiter in der konstitutionellen Ausbildung dar – andere Stadtministerien folgten erst deutlich später. Erstaunlicherweise ist in der Forschung bislang noch kaum darauf hingewiesen worden, wie wenig die ersten städtischen KOO die späteren Kirchenverfassungen tatsächlich rechtlich abgedeckt und widergespiegelt haben. Denn in keiner überlieferten KO wurde ein Geistliches Ministerium konstituiert,554 obgleich eben dieses – wie oben ersichtlich wurde – in den meisten norddeutschen 551 Vgl. Rauls, Wilhelm: Eheschließung und Trauung in der Geschichte der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig, in: JGNKG 77 (1979), S. 97–126, hier S. 112. 552 Vgl. StadtA BS, A III 1 Nr. 335. 553 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 1, Bl. 106r–109r. Die Antwort ist nicht erhalten, doch ist kein neuer Prediger belegt. 554 Vgl. Schoß, Ministerium, S. 1–3. Jedenfalls nicht bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts hinein.

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Städten eine zentrale Funktion im späteren Kirchenwesen übernahm. Das erklärt auch die Entstehung vieler neuer KOO in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts: Hier ging es oft nicht – wie bei ihren Vorgängern – um die Einführung von Neuem, sondern um die schriftliche Fixierung der sukzessive etablierten Gewohnheiten und damit auch gerade um den Status des neuen Geistlichen Ministeriums. Ein prägnantes Beispiel für diesen Prozess liefert das Vorwort der zweiten Lüneburger KO (1575): Als haben wir [… die Ordnung in der Kirche M.V.], damit dieselbe (weil man sie bis dahero nicht so sehr durch schriftliche nachrichtunge vorwahret als durch vleissige observationes in gutte acht genommen) nicht in vorgessen oder nach langheit der zeit, wie es gemeinlich pflecht zuzugehen, vorfallen, […] aufs papir bringen und aufschreiben wollen.555 Revision, Appendix oder Erneuerung der KOO war in norddeutschen Städten vielfach den sich neu entwickelnden Ministerien geschuldet. Obgleich die Braunschweiger KO aber ebenfalls kein Ministerium erwähnt, ließ man sie doch bis 1671 unverändert bestehen. Die Rechte dieser neuen Institution waren folglich nur aus einer Vielzahl verschiedener Ordnungen zusammenzutragen, wie sie sich seit 1528 sukzessive entwickelten. Einige Regelungen sollten bis 1671 und darüber hinaus auch dauerhaft Gewohnheitsrecht bleiben: Einen groben Überblick boten in dieser Hinsicht lediglich die seit 1567 erstellten und zunehmend ausdifferenzierten Wahlpropositionen der neuen Superintendenten.556 2.1.5.3 Die Ministerialbibliothek Ähnlich langwierig wie die institutionelle Bildung des Geistlichen Ministeriums verlief auch die Entstehung der zugehörigen Ministerialbibliothek. Um die Reformation dauerhaft und nachhaltig durchsetzen zu können, war nach 1528 natürlich eine Vielzahl neuer Bücher erforderlich. Ein tieferes, insbesondere dogmatisches Wissen über die neue Konfession konnte schließlich nur durch den Erwerb weiterer, aktueller Schriften gefestigt werden. Doch sowohl Schuldiener als auch Prediger vermochten den nötigen finanziellen Aufwand – jedenfalls nach eigenen Angaben – nicht alleine zu tragen.557 So wurde bereits 1531 von den 555 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 651. 556 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 3r–16r (Chemnitz); ebd., Bl. 35r (Heidenreich); StadtA BS, A III 1 Nr. 334 (Leyser); StadtA BS, B III 15 Nr. 18, Bl. 418r–427r (Martini); Ebd. Bl. 542r–549r (Wagner); StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 52r–59r (Mönchemeyer). Die Wahlkapitulationen regelten die Befugnisse des Superintendenten und Ministeriums und wurden mit jedem Mal umfangreicher. Hatte z. B. Heidenreichs Kapitulation (1586) noch lediglich sechs Paragraphen umfasst, so waren es bei Wagner (1606) bereits neun, die überdies jeweils weitaus umfangreicher waren. 557 Wenigstens in späteren Jahren scheinen aber auch die Geistlichen einen beachtlichten Eigenbesitz an Büchern zusammengetragen zu haben. So erwähnte der Prediger Johann Lefferdes bei einer Schoßerhebung 1547: Alle myne boyke, groth, middelmatich vnd klene

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Geistlichen gefordert, die Kosten für die Neubeschaffung von Büchern im Predigersold mitzubedenken: Sint schuldich worden jn dusser duringe, bidden den solt tovorbettern, dat se boker kopen konden vnd hushalten.558 Tatsächlich setzte sich aber ein anderes Vorgehen durch: Den Predigern wurden keine Solderhöhungen für Bücher zuteil; stattdessen ließ man zahlreiche Bücher durch die Kirchen (Schatzkästen) erwerben und stellte sie den Geistlichen zur Verfügung. Dieses Vorgehen mündete schließlich 1570 in der Bildung einer Ministerialbibliothek. Dabei handelte es sich aber um einen langwierigen Prozess, wie unten noch zu sehen sein wird. In Braunschweig bestand mit der Liberey an der St. Andreaskirche zwar eine für die Zeit um 1500 außerordentlich hochwertige Bibliothek,559 doch enthielt sie überwiegend Handschriften und Inkunabeln aus dem 15. Jahrhundert – natürlich waren hier reformatorische Werke Mangelware. Bugenhagen war sich der Bedeutung von Büchern für die dauerhafte Festigung der Reformation durchaus bewusst. So nahm er die Liberey als eigenen Unterpunkt in seiner KO auf und wies den Rat an: De librye by Sunte Andrees schal me nicht vorvallen laten, sonder lever mit der tidt wat guder böke mehr upschaffen […]. Disse librye mit öreme tobehöre schal allen schatkastenheren in allen paren bevalen syn.560 Allerdings verfiel die Liberey trotz der Anordnung Bugenhagens und wurde im späten 16. Jahrhundert schließlich sogar zeitgleich als Latrine genutzt.561 Nicht ein einziges neues Buch für diese Bibliothek lässt sich in den Rechnungen der Schatzkästen ab 1528 nachweisen, obgleich letzteren doch gemäß KO die Förderung der Bibliothek anbefohlen worden war. Nentwig kommt daher zum ernüchternden Schluss: »Wenn aber Herr von Heinemann darauf hinweist, in wie hohem Grade befruchtend und anregend die Kirchenreformation in diesem Bezuge [des Bucherwerbs M.V.] gewirkt hat, so mag das nach seinen Ausführungen für das herzogliche Braunschweig zugegeben werden, für die Stadt und Bürgerschaft gilt es doch nur mit erheblichen Einschränkungen.«562 Man muss sich fragen, ob dieses Urteil für Braunschweig tatsächlich zutrifft. Denn wie bildeten sich dann die Geistlichen nach 1528 im reformatorischen Geiste weiter fort?

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bunden, vnghebunden, wu se syn jn breden, papp edder pergament vnd wes dar tho mydd by vnd angehorich js, wenn me de sulvigen gebruketh, de synth my leff lx gulden. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 143, Bl. 3v. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 17v. Vgl. Haucap-Nass, Anette: Der Braunschweiger Stadtschreiber Gerwin von Hameln und seine Bibliothek, Wiesbaden 1995 (= Wolfenbütteler Mittelalter-Studien, 8), S. 140. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 396. Vgl. den eindrücklichen Bericht bei Nentwig, Heinrich: Das ältere Buchwesen in Braunschweig. Beitrag zur Geschichte der Stadtbibliothek. Nach archivalischen Quellen und anderen Urkunden, Leipzig 1901 (= Zentralblatt für Bibliothekswesen. Beiheft 25), S. 34–35. Ebd., S. 38.

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Wie die eingangs erwähnte Klage der Prediger von 1531 zeigt, waren die Geistlichen anfänglich vermutlich noch nicht in der Lage, persönlich alle wichtigen und erforderlichen Werke zu erwerben – erst im Laufe des 16. Jahrhunderts sollte sich dies ändern.563 Bereits gleich nach Einführung der Reformation begann daher der neue Schatzkasten zu St. Martini, sukzessive Bücher anzukaufen. Dies geschah sowohl zu Fortbildungszwecken der Geistlichen, als auch der Schüler. Noch im Jahr 1528 erwarb man umgehend das Alte- und Neue Testament.564 Die Sprache wurde nicht vermerkt, doch muss es sich wenigstens beim Alten Testament – sofern es neben dem Pentateuch auch die anderen Bücher umfasste – um eine lateinische Ausgabe gehandelt haben. Daraufhin stockte der Buchkauf an St. Martini zunächst für einige Jahre – vielleicht resultierend aus den finanziellen Startschwierigkeiten des Schatzkastens. 1531 baten die Kastenherren aller Weichbilde den Rat, die Klosterbibliotheken visitieren zu lassen, um den Kirchen die brauchbaren Werke zu übertragen. So hieß es in einer Bitte: So ys yn vnser ordeninge van eyner ghemenen librie vorordnet, dar vp de opera der doctorenn so yt gotliger schrift vornemlich beshcaffet werden, Js vnser bede, dat man vnß […] de liberie yn beiden closteren vnde tho S. Egidien wolle openen tho besichtigenn, so wes durchtiges dar vppe were.565 Die Mendikantenklöster dürften (wie es auch andernorts nicht unüblich war)566 tatsächlich Bücher zu den Pfarrbibliotheken beigesteuert haben.567 Vermutlich übernahm man die Bibliothek des Brüdernklosters sogar als Grundstock der Bibliothek zu St. Martini.568 563 So hat z. B. der Pfarrer Tile Krüger 1543 immerhin schon über 160 Bücher hinterlassen; Peter Netze hat bis zu seinem Tod 1580 allein 433 Bücher in seiner Bibliothek besessen. Andere Pfarrer erwarben gar noch mehr Bücher. Im Schnitt hat Mohrmann einen Besitz von 348 Büchern bei Braunschweiger Stadtgeistlichen des 16./17. Jahrhunderts festgestellt. Vgl. Mohrmann, Ruth-E.: Alltagswelt im Land Braunschweig. Städtische und ländliche Wohnkultur vom 16. bis zum frühen 20. Jahrhundert, Bd. 1, Münster 1990 (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, 56,1), S. 247–248. 564 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 1, Bl. 4r; StadtA BS, F I 1 Nr. 8, Bl. 4r. 565 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1 Bl. 24r. Mit den beiden closteren sind das Franziskaner- und Dominikanerkloster gemeint. 566 Vgl. Springer, Klaus-Bernward: Die Deutschen Dominikaner in Widerstand und Anpassung während der Reformationszeit, Berlin 1999 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens, 8), S. 350–351. Zur Auflösung der Klosterbibliotheken im Zuge der Reformation vgl. auch Moeller, Bernd: Die Anfänge kommunaler Bibliotheken in Deutschland, in: Moeller, Bernd; Patze, Hans; Stackmann, Karl (Hrsgg.): Studien zum städtischen Bildungswesen, Göttingen 1983 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Folge 3, 137), S. 136–151, hier S. 145. 567 Dafür spricht u. a. das direkt im Anschluss (1532) erstellte Bibliotheksinventar. Vgl. dazu Camerer, Luitgard: Die Bibliothek des Franziskanerklosters in Braunschweig, Braunschweig 1982 (= Braunschweiger Werkstücke, 60), S. 14–21. 568 Dies erhellt sich aus den unten beschriebenen Angaben der Neuerwerbungen, denen gemäß alle neu gekauften Bücher ab 1535 jeweils vp de liberj thon brodern gebrecht wurden. Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 3, Bl. 15v. Zu den diesbezüglichen Unklarheiten über den Verbleib der Bücher vgl. Camerer, Bibliothek, S. 32.

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Im Ägidienkloster aber »wurde der Bücherbestand nicht angetastet« und blieb bis 1660 vor Ort.569 1534 setzte man den Büchererwerb an St. Martini fort: Gleich nach ihrem Erscheinen wurde die erste niederdeutsche Gesamtbibel aus Lübeck gekauft.570 Aus Leipzig ließ man im selben Jahr die neutestamentlichen »Annotationes« des Erasmus von Rotterdam erwerben und in zwei Bänden einbinden.571 Im folgenden Jahr kaufte der Schatzkasten eine weitere Bibel – diesmal auf Latein. 1536 wurde schließlich eine umfassende Ausgabe der Werke Augustins in fünf Bänden de predicanten tho studeren gekopfft.572 Das ließ sich der Kasten immerhin 12 Gulden 9 Pfennig kosten – eine im Vergleich damals äußerst hohe Ausgabe für Bücher. 1537 erwarb man von einem Lüneburger Buchführer eine ganze Reihe von Kirchengeschichtswerken: Die Ecclesiastica historia des Bischofs und Kirchenvaters Eusebius, De rebus ecclesiastici von Theodoricus sowie De gestis germanorum des Humanisten Beatus Rhenanus.573 Überdies erstand der Schatzkasten auch einige, nicht näher bestimmbare opera Siprianj des Karthager Bischofs Cyprian. Kurz darauf, an Pfingsten, ließ man sich schließlich noch ii boke opera origenij binden, die man in Leipzig gekauft hatte.574 1540 – und hier soll der kleine Einblick in den Bucherwerb des Schatzkastens enden – wurden der Bibliothek einige namentlich nicht genauer benannte Bände des Reformators Johannes Brenz sowie eine Weltkarte (mappe vnd spera mundij) hinzugefügt.575 Neben diesen Bibliothekserwerbungen für die Geistlichkeit ließ der Schatzkasten zu St. Martini freilich auch Bände für den Kirchen- und Schulgebrauch ankaufen, bzw. übernahm deren Kosten. So z. B. 1539 für eine latiniscke bibelen tho behoef den schileren Sunte Marten,576 1545 für ein Choralbuch577 sowie mehrere Bibeln und zwei Psalter, daruth de kinder lesen vnd singen.578 Auffällig ist allerdings, dass in den Rechnungen die Werke Luthers gänzlich fehlen. 1557, als die Prediger erstmals um die Einrichtung einer gemeinsamen Bibliothek baten, wünschte man sich ainen bequemen ort an den man den edelen 569 Römer-Johannsen, Ute: Braunschweig, St. Aegidien, in: Faust, Ulrich (Bearb.): Die Benediktinerklöster in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen, München 1979 (= Germania Benedictina, 6), S. 33–56, hier S. 45. 570 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 2, Bl. 13r. 571 Vgl. ebd., Bl. 10v. 572 StadtA BS, F I 1 Nr. 3, Bl. 15v. Dies erstaunt, da die meisten Werke Augustins bereits in der Franziskanerbibliothek in der Brüdernkirche vorhanden waren – wohin man auch die Neuerwerbungen der Augustinischen Werke bringen ließ. Vgl. Camerer, Bibliothek, S. 15. 573 StadtA BS, F I 1 Nr. 4, Bl. 15r. Mit letzterem Titel dürfte vermutlich Rerum germanicarum libri tres gemeint sein, eine Frühgeschichte der Deutschen. 574 Ebd., Bl. 18r. 575 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 7, Bl. 16r und StadtA BS, F I 1 Nr. 8, Bl. 305r. 576 StadtA BS, F I 1 Nr. 8, Bl. 277r. 577 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 11, Bl. 6v. 578 StadtA BS, F I 1 Nr. 14, Bl. 12r.

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schatz der opera lutheri darein brechte.579 Dass diese Werke Luthers zum Gutteil eben noch nicht in den Kirchenbibliotheken vorhanden waren, zeigt die Bitte der Prediger im Folgejahr (1558): Der liberey halber bitten wier, sie wollen helffen die sachen forderen, damitt repositoria gemacht, die vnnutzen bucher heraber verschafft, vnd mitt einkauff der tomae Lutheri werde nachgefolget.580 Die Kastenherren versprachen, sie wollten bedacht sein, wie man es auff das beste kunthe verordenen und jährlich nicht allain zu den tomis Lutheri, sondern auch zu anderen wichtigen Bänden etwas beisteuern.581 Wollten die Geistlichen also zu diesem Zeitpunkt die Werke Luthers rezipieren, so mussten sie nach wie vor auf ihre Privatbestände zurückgreifen – ein durchaus erstaunlicher Befund. Tatsächlich handelt es sich bei den obigen Forderungen auch um die ersten Belege, die eine Bildung einer gemeinsamen geistlichen Ministerialbibliothek verlangen. Die oben aufgezählten Bücher zu St. Martini waren sämtlich vp de liberj thon Brodern gelecht worden,582 die anderen Kirchen hatten ihre Bände jeweils vor Ort gelagert. So war die Bibliothek im Brüdernkloster dank des reichen Schatzkastens zu St. Martini zwar am umfangreichsten, doch handelte es sich dabei noch keinesfalls um eine gemeinsame Bibliothek des Geistlichen Ministeriums. Die seit den 1550er Jahren angestrebte Ministerialbibliothek wurde dann schließlich erst 1570 durch Chemnitz in der St. Martinikirche aufgerichtet, von dort aber kurz darauf wegen enge des raums, in dem sall des colloquij nach der brüdern kirchen verlegt.583 Es gab fortan auch einen Bibliothekar: Dieses Amt hatte immer der jüngere Prediger zu St. Martini auszuüben.584 Tatsächlich wurden ab dem Jahr 1570 auf den Messen zu Frankfurt, Köln und Leipzig fast jährlich größere Mengen an Büchern für die gemeinsame Ministerialbibliothek angekauft: 1570 waren es z. B. 15 Bücher,585 1577 acht,586 1579 sie579 580 581 582

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StadtA BS, Revidenda Nr. 67, [o.P.], Bl. 9r [eig. Pag. im Dokument]. Ebd., Bl. 11r. Ebd. StadtA BS, F I 1 Nr. 4, Bl. 16v. Nach der Transferierung von St. Ulrici in das Brüdernkloster (1544) wurde vermutlich auch die Bibliothek zu St. Martini von dort ausgelagert. In einer Rechnung von 1554 ist jedenfalls vom Brüdernkloster keine Rede mehr: Jtem vor de liberie tho sunte Marten tho keren. Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 16, Bl. 11v. StadtA BS, G II 1 Nr. 81, pag. 2. Vgl. ebd. Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 24, Bl. 27r. Es waren dies folgende Werke: Catena in Exodum, Gregorius Naziansenus lati paris, De probatis sanctorum historijs, Chronicon Moscoviae, Concilium Tridentinum, Vitae vicerum Mustium, Chronicon Meieri, Curionis leisto sarracenica, Vitae patrum aloisij, Leonici historia, Onophrij Roma pontificum epitome, Aemilius probus de vita, Onophrij pavini fasti und Eusebij histro. ecclesiastica latine. Darüber hinaus kaufte man noch in dessen Erscheinungsjahr den ersten veröffentlichten Atlas Orbis Theatrum Terrarum für ganze 10 Gulden: Ein äußerster Luxus! Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 25, Bl. 22v. Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 28, Bl. 28r.

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ben587 und 1580 zehn Bücher:588 Eine eigene Druckerei besaß Braunschweig zwischen 1525–1584 nämlich nicht, sodass die Bücher in diesem Zeitraum sämtlich importiert werden mussten (vgl. Kapitel 3.1.2). Die Kosten dieser gemeinsamen geistlichen Bibliothek bestritt der Schatzkasten zu St. Martini gänzlich alleine. Entsprechende Bitten der Kastenherren zur Kostenteilung wurden von den anderen Schatzkästen 1589 mit drastischen Worten zurückgewiesen: [D]a haben sich die anderen weichbild in so schimpflichs vernemen laßen, daß die hern jn der alten stadt dahin geschloßen, sie wolten noch ferners die liberey für die kirchen bey [dem Schatzkasten M.V.] S. Martin behalten.589 Aus diesem Grunde einigten sich die Mitglieder des Ministeriums wohl am 11. 11. 1589 auf eine neue Regelung zur Bestandserhöhung der Bibliothek: Darin wurde festgelegt, dass jedes Mitglied des Ministeriums zu Lebzeiten der Bibliothek wenigstens ein Buch vermachen müsse.590 Abgesehen hiervon blieb es jedoch beim Beschluss von 1570, der den finanziellen Aufwand, aber auch die administrative Kontrolle der Bibliothek beim Schatzkasten zu St. Martini beließ. Mit der Anlage des ersten Bibliothekskataloges durch den Bibliothekar Johann Arndt kam die Entwicklung der Bibliothek im Jahr 1600 schließlich zum Abschluss.591 Insgesamt lässt sich somit resümieren, dass sich der Aufbau der Ministerialbibliothek über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten hinzog: Von der Pfarrbibliothek St. Martini zur Bibliothek des Geistlichen Ministeriums sollten 42 Jahre vergehen. Sowohl die Entstehung des Geistlichen Ministeriums, als auch seiner Bibliothek war damit insgesamt ein äußerst langwieriger Prozess.

2.1.6 Vom Offizialsgericht zum Konsistorium Parallel zur Konstituierung des Geistlichen Ministeriums und dessen Bibliothek verlief nach 1528 auch die Bildung eines städtischen Konsistoriums, wenngleich es in Braunschweig nie einen konstitutionell unabängigen Status – wie etwa in Goslar oder Hildesheim – erlangt hat.592 Zunächst musste hierfür allerdings das bischöfliche Offizialsgericht bzw. das Amt des Offizials aufgelöst werden. 587 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 30, Bl. 28v. 588 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 31, Bl. 27v. Überdies schenkten die Kastenherren zu St. Martini der Bibliothek fortan jährlich ein neues Buch. Vgl. Rehtmeyer, Historiae I, S. 188. 589 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 156v–157r. 590 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 62v. 591 Vgl. Rehtmeyer, Philipp Julius: Historiae Ecclesiasticae inclytae urbis Brunsvigae, oder: Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen=Historie […], Bd. 1, Braunschweig 1707, S. 190. 592 Zu Hildesheim vgl. Dürr, Kultur, S. 314. Zu Goslar: Titz-Matuszak, Ingeborg: Eherecht und Ehealltag im Goslar der Frühen Neuzeit, in: Hauptmeyer, Carl-Hans; Rund, Jürgen (Hrsgg.):

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Bis ins frühe 16. Jahrhundert hinein stellte Braunschweig noch einen eher unüblichen, wenn auch keinesfalls einzigartigen Fall innerhalb der geistlichen Justiz dar: Die Stadt war befreit von jeglichen Forderungen der Archidiakone, auf einem der Sendgerichte zu erscheinen.593 Stattdessen hatte man 1390 vom Papst ein »Privilegium de non evocando« erworben.594 Mit den Bullen vom 8. 8. 1391 und 5. 7. 1395 war dieses Privileg bestätigt worden. Seitdem mussten Braunschweiger Bürger und Geistliche in kirchlichen Justizangelegenheiten nicht mehr vor den Archidiakonen in Atzum (Diözese Halberstadt) und Stöckheim (Diözese Hildesheim) erscheinen.595 Stattdessen wurde ab 1391 ein städtischer Offizial genehmigt, der von beiden Bischöfen gemeinsam gewählt und von der Stadt bezahlt wurde. Darüber hinaus errichtete man ihm ein eigenes Wohn- und Gerichtshaus.596 Bereits im Mittelalter scheint die Institution des gemeinsamen geistlichen Richters zweier Diözesen nicht glücklich gewesen zu sein und es kam vielfach zu Zwistigkeiten.597 Überdies war der Einfluss des Offizials allem Anschein nach auch innerhalb der Stadt beschränkt.598 Schon vor 1528 hatte er in Sachen der Ehegerichtsbarkeit keine alleinige Verfügungsgewalt mehr. Insbesondere »Ehescheidungen« – also rückwirkende Ungültigkeitserklärungen der Ehe – wurden im 15. Jahrhundert oft durch Verhandlungen vor dem Rat vollzogen. Bisweilen geschah dies in Anwesenheit und mit Bewilligung des Offizi-

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Goslar und die Stadtgeschichte. Forschungen und Perspektiven 1399–1999, Bielefeld 2001 (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar. Goslarer Fundus, 48), S. 137–160, hier S. 138. Dies war zwar selten, aber keineswegs ein Einzelfall. So hatte z. B. auch die Reichsstadt Goslar einen ständigen Kommissar (Offizial) in ihrer Stadt erwirkt. Vgl. Müller-Volbehr, Jörg: Die geistlichen Gerichte in den Braunschweig-Wolfenbüttelschen Landen, Göttingen/Zürich/ Frankfurt 1973 (= Göttinger Studien zur Rechtsgeschichte, 3), S. 29. Gleiches gilt für Nordhausen. Vgl. Koch, Geschichte, S. 20. Zur Thematik auch Machens, Joseph: Die Archidiakonate des Bistums Hildesheim im Mittelalter. Ein Beitrag zur Rechts- und Kulturgeschichte der mittelalterlichen Diözesen, Hildesheim/Leipzig 1920 (= Beiträge für die Geschichte Niedersachsens und Westfalens, 8), S. 336–355. Das Privilegium ist abgedruckt im UB Braunschweig I, S. 195. Vgl. Müller-Volbehr, Gerichte, S. 233. Natürlich behielten jedoch die Archidiakone weiterhin ihre Investiturgewalt. So wurden Pfarrer und Vikare noch im frühen 16. Jahrhundert nach erfolgter Präsentation vor dem Archidiakon investiert. Vgl. u. a. NLA WF, 8 Urk Nr. 371 und StadtA BS, A III 4 Nr. 116. Noch 1533 präsentierte Heinrich d. J. den katholischen Pfarrherren von St. Ulrici dem Stöckheimer Archidiakon. Vgl. StadtA BS, A III 2 Nr. 74. Zu den damals üblichen Versuchen der Städte, Einfluss auf das geistliche Gerichtswesen zu gewinnen, vgl. Isenmann, Eberhard: Die deutsche Stadt im Mittelalter (1115–1550). Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, 2. durchgesehene Auflage, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 614. StadtA BS, B IV 11 Nr. 7. Vgl. Hilling, Nikolaus: Die Offiziale der Bischöfe von Halberstadt im Mittelalter, Stuttgart 1911 (= Kirchenrechtliche Abhandlungen, 72), S. 55. So waren z. B. städtische »Richteherren« zur Kontrolle bei den Sendgerichtssitzungen des Offizials anwesend. Vgl. Müller-Volbehr, Gerichte, S. 236.

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als,599 vielfach ließ man ihn jedoch erst später konsultieren. Bei Ehebruch wurde der Offizial hingegen durchaus aktiv und ging ihm auch selbstständig nach, wie ein Fall von 1440 beweist.600 Die genaue Rolle des Rates bei den Eheprozessen vor 1528 lässt sich allerdings mangels hinreichender (insbesondere auch normativer) Quellen nicht abschließend rekonstruieren. Seit 1507 bekleidete der Wernigeröder Dechant Johannes Kerckener das Amt des Offizials.601 1523 wurden ihm nach Absprachen von Heinrich d.J. und dem Halberstädter Bischof auch die gesamten Gebiete des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel unterstellt, soweit sich dieses innerhalb der Diözese Halberstadt erstreckte.602 Fortan waren dort somit in gerichtlichen Angelegenheiten nicht mehr die Archidiakone erstinstanzlich anzurufen, sondern der Braunschweiger Offizial. 1528 wurde nun die Ehegerichtsbarkeit zwar in die Obhut des Rates übergeben (Obergericht), doch wurde durch die KO kein Konsistorium eingerichtet. Auch blieb Johannes Kerckener weiterhin bis zu seinem Tode 1541 städtischer Offizial. Der lutherische Rat zahlte ihm daher bis 1541 nach wie vor das seit 1398 bestätigte Offizialsgehalt von 10 Mark.603 Schon im August 1528, vor Abschluss der KO, hatten die Gemeinden betont, dath men den official syneß ambtes halven genslyck nycht lyden kann.604 Im März 1529 verlangten die Hagener, man solle kündigem ohme de losung vnd geven ohm ock nene solde mehr.605 Der Rat bat die Gemeinden daraufhin am Osterabend 1529, Kerckener wenigstens bis Michaelis (29.09.) noch in der Stadt zu dulden – doch noch im selben Jahr wurde ex officio beschlossen, das Thema um ein weiteres Jahr zu verschieben.606 Benötigt wurde allerdings nichtsdestominder das Haus des Offizials, welches man als städtisches Eigentum betrachtete und zur Wohnung des Superintendenten umgestalten wollte. Am 599 Vgl. Hänselmann, Ludwig (Hrsg.): Mittelniederdeutsche Beispiele im Stadtarchive zu Braunschweig. Zweite, veränderte und um Register vermehrte Auflage, Braunschweig 1932 (= Werkstücke aus Museum, Archiv und Bibliothek der Stadt Braunschweig, 6), S. 65. 600 Vgl. ebd., S. 35f. Der Offizial berichtete von diesem Fall erst 20 Jahre später (1460). Demnach habe er, nachdem ome angebrocht worde, wu Henning Lange in overtale leghe myd Metelen [denselben] Henninge vor sek to gerichte lete[n] vorboden. 601 Kerckener traf 1520 in Wittenberg mit Luther zusammen, doch bewirkte es bei ihm die völlige Abwendung von Luthers Lehren. Vgl. Jacobs, Eduard: Aus dem Rechnungsbuche des Wernigeröder Dechanten und bischöflich Halberstädtischen und Hildesheimischen Offizials zu Braunschweig Johann Kerckener (1507–1541), in: Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde 27 (1894), S. 593–613, hier S. 597. 602 Vgl. Müller-Volbehr, Gerichte, S. 238. 603 Vgl. StadtA BS, B II 1 Nr. 83, Bl. 36r. So wurden etwa 1535 jeweils 5 Mark an Her Johan Kerckener official gegeven fridach na corpus christi. Zum Braunschweiger Offizialsgehalt um 1398 vgl. Hilling, Offiziale, S. 54. 604 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 125v. 605 Ebd., Bl. 113v. 606 Vgl. ebd., Bl. 156r u. 177v.

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Heiligabend 1529 kündigte der Rat Kerckener daher an, dass er sein Haus bis Ostern 1530 zu räumen habe und im Gegenzug eine andere Behausung erhalte.607 Kerckener lehnte ab und verwies am 20. 1. 1530 auf die Offizialsprivilegien sowie die Zuständigkeit des Erzbischofs von Magdeburg in dieser Angelegenheit.608 Wie zu erwarten verweigerte Erzbischof Albrecht in einem Schreiben vom 14. 2. 1530 die Herausgabe des Offizialhauses. Obgleich der Rat daraufhin als Ersatz das ehemalige Pfarrhaus der Kapelle St. Bartholomäus anbot, wies Erzbischof Albrecht dies als unzureichend zurück.609 Dort hätten zwar, wie vom Rat angedeutet, zeitweilig zwei hohe Kanoniker gewohnt, jedoch nur auf ihrer Durchreise. Ein Ersatz für das Offizialshaus sei das Pfarrhaus folglich nicht, denn es sei klein, baufällig vnd vnförmlich, auch sonderlich nach nothdurft dieses amten bequemlich nicht zugerichtet.610 Der Rat konnte sich hier also vorerst nicht durchsetzen. Der überlieferte Briefwechsel bricht an dieser Stelle ab, spätestens mit dem Tod Kerckeners 1541 ging das Haus dann aber in den Besitz des Rates über. Kerckener war 1528–1541 keinesfalls »arbeitslos«, wie man vielleicht annehmen könnte: In Braunschweig nahm er weiterhin sein Amt in Notariatsfragen wahr.611 Im herzoglichen Landgebiet übte er nach Angaben seines Rechnungsbuches auch die Ehegerichtsbarkeit aus.612 In der Stadt musste er diese wohl weitestgehend an den Rat abtreten. Während eines Streites um die ehegerichtliche Zuständigkeit für einen in Halberstadt gefassten Ehebrecher argumentierte der Rat noch 1539, der betreffende Braunschweiger solle nicht vor das dortige Bonifatiusstift, sondern gemäß städtischer Privilegien hyr vor vnsen officialn gefordert werden.613 Inwieweit dies vom Rat nur Verhandlungsrhetorik zur Ausübung der entsprechenden Rechtskompetenzen war, bleibt indes ungewiss. Zu vermuten ist eher, dass der Rat den Offizial hinsichtlich der städtischen Ehegerichtsbarkeit nach 1528 weitestgehend ausgeschlossen hat. Als Johannes Kerckener 1541 starb, wollte der Halberstädter Koadjutor Johann Albrecht in Absprache mit dem Hildesheimer Bischof (Valentin von Teutleben) 1542 einen neuen officialn, mit namen Casparn Vden, bestellen und

607 Vgl. StadtA BS, H V Nr. 74, pag. 95 u. 100. Es haben sich nur die Abschriften der Originalbriefe erhalten. 608 Albrecht von Brandenburg war als Mainzer- und Magdeburger Erzbischof zugleich Bischof von Hildesheim und Halberstadt. 609 Vgl. StadtA BS, H V Nr. 74, pag. 88 u. 92. 610 Ebd., pag. 91. 611 Vgl. z. B. StadtA BS, B I 2 Nr. 2, pag. 34. Auch: NLA HA, Cal. Or. 5 Nr. 70. 612 Vgl. Butt, Arne: Von Angesicht zu Angesicht. Eherecht und Ehegerichtsbarkeit im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel vor dem 30-jährigen Krieg, in: JGNKG 112 (2014), S. 51– 74, hier S. 58. Dazu auch Müller-Volbehr, Gerichte, S. 239. 613 LASA Magdeburg, A 13 Nr. 1162.

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annehmen lassen.614 Der damals 42-jährige Uden hatte 1532 in Wittenberg studiert und scheint damit der neuen Lehre bereits recht früh zugeneigt gewesen zu sein.615 Überdies sollten die herzoglichen Visitatoren später über seine Abendmahlspraxis aussagen: Ibi [in Hessen M.V.] sub duabus, postea sub una, nunc iterum sub utraque specie.616 Es wird somit eine konfessionell indifferente Haltung Udens deutlich, wie sie damals durchaus noch üblich war.617 Vielleicht mögen sich die bischöflichen Vertreter aufgrund des konfessionell ambivalenten Verhaltens Udens eine größere Akzeptanz städtischerseits erhofft haben, doch führte dies dennoch nicht zum gewünschten Erfolg. Der Rat wies das Anbringen mit einem Verweis auf den Nürnberger Anstand nachdrücklich zurück, da es hier um Angelegenheiten ginge, de ane alle middel jn de religion gehorn.618 Somit dürften keine Änderungen vom Bischof in Religionssachen vollzogen werden. Es ist allerdings fraglich, inwieweit sich die Änderungen im Offizialswesen mit dem Nürnberger Anstand619 von 1532 tatsächlich vereinbaren ließen: De facto handelte es sich ja vielmehr um einen Verstoß seitens der Stadt, da das Offizialsamt 1532 existierte und damit gemäß Anstand nicht einfach beseitigt werden durfte.620 Der Einfall der Schmalkaldener beendete aber die Auseinandersetzung ohnehin und ließ sie obsolet werden. Das Amt wurde nicht wieder besetzt. Damit war das städtische Offizialsgericht in Braunschweig 1542 endgültig aufgelöst.621 Entsprechend wichtig war folglich die Etablierung einer eigenen städtischen Ehegerichtsbarkeit. Bugenhagens KO (1528) hatte dazu wenig beizutragen und beließ es bei der Betonung einer absoluten Ratszuständigkeit: Wen ehesaken to hadere komen […] sulks alle wil eyn erbar rädt by sick beholden unde schaffen eyneme jewelikeme recht. Ville övers eyn casus vohr, swär to ordelen, so wil eyn erbar radt den superattendenten besöken laten edder en darto tehn.622 Eine solch 614 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 231r. Vgl. auch Rehtmeyer, Historiae III, S. 151–152. 615 Vgl. Samse, Helmut: Die Zentralverwaltung in den südwelfischen Landen vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Verfassungs- und Sozialgeschichte Niedersachsens, Hildesheim/Leipzig 1940 (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, 49), S. 155. 616 Zitiert nach Samse, Zentralverwaltung, S. 155. 617 Vgl. Warmbrunn, Zwei Konfessionen, S. 358. Uden starb denn 1568 auch als bekennender Lutheraner (recedit a papatu). Vgl. Samse, Zentralverwaltung, S. 155. 618 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 232r. 619 Gemäß des Nürnberger Anstands sollten u. a. vorläufig auf beiden Seiten keine weiteren Religionsänderungen vorgenommen und religiös motivierte RKG-Prozesse sistirt werden. Vgl. Körber, Kurt: Kirchengüterfrage und Schmalkaldischer Bund. Ein Beitrag zur deutschen Reformationsgeschichte, Leipzig 1913 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 111/112), S. 100–104. 620 Man interpretierte aber vermutlich städtischerseits immer noch ausgehend vom Abschied zu Speyer (1526), als dessen Aufrechterhaltung man die Anstände in Frankfurt/Nürnberg ansah. 621 Vgl. Müller-Vollbehr, Gerichte, S. 240. 622 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 384.

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unmittelbare Ratszuständigkeit bei Ehesachen war in den norddeutschen KOO äußerst selten vorgesehen.623 Lediglich die von Braunschweig abhängigen KOO in Hamburg (1529), Minden (1530) und Soest (1532) sprachen dem Rat ebenfalls eine direkte Ehegerichtsbarkeit zu. »Hingegen in allen übrigen Kirchenordnungen sind Ehegerichte durch den Rath eingesetzt«, wie Frantz richtig feststellte.624 In den weitaus meisten Städten waren damit mittelbare Ehegerichtsgremien (= Ausschüsse) konstitutionell festgelegt worden, die zwar oft aus Ratsmitgliedern bestanden, jedoch eine gewisse Unabhängigkeit behielten.625 Da in Braunschweig keine solche Kommission per KO angeordnet worden war, übernahm der Rat als Ganzes umgehend die ihm aufgetragene Verpflichtung und beschloss am 1. 9. 1529 dat vp einen bidach alle elude de von ander sin, schullen tokomenden dinstdag vp dat niestadthus vorbodet vnd jegenander gehort werden.626 Im 1532 überarbeiteten »Echteding« (einem Stadtrecht) wurde der Ratshoheit in Ehesachen gleichfalls Rechnung getragen: Ehebruch und Unzucht wurden hier vom Rat unter Strafe gestellt.627 Eine wirklich geregelte ehegerichtliche Instanz gab es jedoch zunächst nicht. Auch der Versuch Bugenhagens, in seiner KO für Braunschweig-Wolfenbüttel (1543) ein Konsistorium aus den Mitteln des Stifts St. Blasius aufzurichten, scheiterte am Widerstand der anderen Welfenfürsten.628 Ohne geregelte Ehegerichtsbarkeit kam es daher zwangsläufig zu Komplikationen. Der Rat hatte zumeist – insbesondere bei unklaren Verlöbnisstreitigkeiten – nicht das nötige Wissen, adäquat vorzugehen. Hinzu kam, dass das zuständige Obergericht ohnehin viel zu ausgelastet war und das Ehewesen vernachlässigte. Superintendent Medler beschwerte sich schließlich zusammen mit den Geistlichen 1549 über diesen Zustand und erklärte ihn wie folgt: Diß aber vnd andere irrung vnd ergernuß mer des heiligen ehestandes kumpt darvon her, das man das geistliche recht vmb der pfaffen mißbrauch willen auff gehoben, vnd doch nun in solchen geistlichen sachen, das gewissen belangende, kein ander consistorium oder recht dagegen geordent oder uffgericht hat.629

Der Rat sah diese Klage durchaus ein, doch die Errichtung eines Konsistoriums plante er weiterhin nicht. Stattdessen verordnete er 1549 fünf Bürgermeister als

623 Vgl. Frantz, Kirchenverfassung, S. 54. 624 Ebd., S. 55. 625 Da diese Ausschüsse meist nur aus weltlichen Mitgliedern (Ratsherren, evtl. Syndikus) bestanden und sie überdies in starker Abhängigkeit vom Rat agierten, kann hier noch nicht von einem Konsistorium im klassischen Sinne gesprochen werden. 626 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 178v. Die Gemeinde hatte dies zuvor auch vehement gefordert: Ebd., Bl. 143v u. 146r. 627 Vgl. UB Braunschweig I, S. 340. 628 Vgl. Reller, Kirchenverfassung, S. 105; Butt, Angesicht, S. 60. 629 StadtA BS, B IV 11 Nr. 22, Bl. 12v.

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Ausschuss, die sich um besagte Eheangelegenheiten zu kümmern hatten.630 Damit war auch Braunschweig dem Weg der meisten anderen Städte gefolgt. Die direkte ratsherrliche Ehegerichtsbarkeit war zugunsten einer mittelbaren Lösung per Ausschuss – wie man sie in einer Vielzahl von KOO vorfindet631 – aufgegeben worden. Dies war zwar gewissermaßen der Beginn eines konsistorialen Ausschusses, doch fehlte weiterhin eine geistliche Beteiligung. Daher gaben sich die Prediger mit der Maßnahme auch noch nicht zufrieden. Denn obgleich die unter das Kriminalrecht fallenden Ehebrüche von obigem Ratsausschuss abgeurteilt wurden, trug man doch zivilgerichtliche Eherechtsfragen zu Verlöbnissen, Ehehindernissen, etc. offensichtlich nach wie vor überwiegend an die Geistlichen heran. Diese allerdings betonten, die Leute kämen zwar häufig mit ihren Fragen zu ihnen, doch könnten sie diesbezüglich nicht wirklich weiterhelfen.632 Unter Superintendent Mörlin bat das Ministerium während der 1550er Jahre kontinuierlich vmb ain consistorium, dan die ehsachen bleiben hengen.633 Dies geschah u. a. während der Generalkolloquien von 1556, 1557 und 1558.634 1556 wurde als Begründung für diese Forderung z. B. angeführt: Jsts ja kaine newerung, sondern ain notwendiger alter gebrauch aus Gott[es] ernstem befehl, jn heyraten vnd ehsachen seuberlichen vnd schoen zu fahren, derhalben auch je vnd alle wegen bey der kirchen ordeliche consistoria bestellet, darbey man rath gesucht, wolten nuhn vnsere herren das auch thuen, solt es an vnserem tail nicht mangeln.635

Obgleich die Antworten des Rates zu diesen Forderungen nicht überliefert sind, so muss es doch aufgrund dieser permanenten Klagen um 1560 schließlich zur Bildung eines offiziellen konsistorialen Ausschusses gekommen sein. Tatsächlich scheint es um den Zustand des Ehewesens um 1560 auch sehr bedenklich gestanden zu haben, wenn das folgende Zitat Mörlins wohl auch übertrieben sein dürfte (1560): Es wahren etliche burger jn Braunschweig, die nicht allain fur sich selbst ehbruch vnd hurerey getrieben, sondern hatten ainer, zwei, drey, ja vier maid jn bestallung gehabt.636 Der Erstbeleg für ein bestehendes städtisches Konsistorium stammt sodann vom 3. 1. 1561: Veneris 3 januarij anno 1561 ward ein consistorium gehalten

630 Vgl. ebd., Bl. 19v. 631 Vgl. Frantz, Kirchenverfassung, S. 54. 632 Vgl. StadtA BS, Revidenda Nr. 67, [o.P.], Bl. 3v [eig. Pag. im Dokument]: Die Geistlichen betonten, solange es kein Konsistorium gäbe khomet es auff vns, vnd kunden wier nicht rathen. 633 StadtA BS, Revidenda Nr. 67, [o.P.] Bl. 8r [eig. Pag. im Dokument]. Sitzung von 1557. 634 Vgl. StadtA BS, Revidenda Nr. 67, [o.P.] Bl. 3v [eig. Pag. im Dokument] (1556), Bl. 8r (1557) und Bl. 10r (1558). 635 Ebd., [eig. Pag.], Bl. 3r–3v. 636 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 113v.

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[…].637 Dass es sich bei dieser Sitzung um eine der ersten Konsistorialsitzungen gehandelt haben dürfte, zeigt auch die Tatsache, dass in diesem Fall die Mitglieder des Konsistoriums namentlich aufgezählt wurden. In fast keiner Sitzung der nächsten Jahrzehnte wurde dies als nötig erachtet – oder wenn doch nur, um Abweichungen anzumerken. Es handelte sich bei dieser ersten vermerkten Konsistorialsitzung – wohl nicht ganz zufällig – um einen der strittigsten Verlobungsfälle der Braunschweiger Stadtgeschichte, Katharina Tutzelmann contra Zacharias Dethmar.638 Da diese Sitzung vom Januar 1561 in unterschiedlichen Aktenbeständen übereinstimmend als consistorium bezeichnet wird, darf hier eine begriffliche Unschärfe (also z. B. die namentliche Verwendung »Konsistorium« durch den Schreiber für eine gerichtliche Verhandlung in Ehesachen) ausgeschlossen werden.639 Auch wurde im Folgejahr eine klage fur die verordneten des consistorij vnd von dannen an ainen erbarn rath gebracht.640 Eine Trennung von Rat und Konsistorialbeamten wird hier deutlich, auch wenn beide letztendlich noch sehr eng zusammen gewirkt haben dürften. Wer saß nun in diesem neuen Konsistorium? Städtischerseits hatte sich seit 1549 nichts geändert: Man beließ es bei einem Ausschuss von fünf Bürgermeistern. Hinzu kamen nun noch die (beiden) Syndiki als Juristen. Auch das Ministerium hatte einen Ausschuss zum Konsistorium beizusteuern: Superintendent, Koadjutor und der erste Senior bildeten fortan bis weit ins 17. Jahrhundert einen Bestandteil dieser Institution.641 Damit umfasste das Konsistorium insgesamt 10 Personen. Im 17. Jh. trat bisweilen noch der zweite Senior hinzu, bis dies 1635 wieder strittig wurde.642 Während der Superintendent fast immer in den Konsistorialsitzungen saß, begleiteten ihn Koadjutor und Senior wohl nur in schwierigeren Fällen. Tagungsort war für gewöhnlich die Münzschmiede,643 eine feste Tagungszeit gab es hingegen nicht – man traf sich je nach Bedarf. 1570 sprach man dann bereits vom verordente[n] praesident vnd beisitzer des consistorij ecclesiastici jnn dieser stadt Braunschweig.644 Vermutlich dürfte der hier genannte Präsident (den Braunschweiger Gewohnheiten entsprechend) ein 637 638 639 640 641

StadtA BS, B I 18 Nr. 6, Bl. 1r. Vgl. Kapitel 4.6. Vgl. StadtA BS, B I 18 Nr. 6, Bl. 1r; StadtA BS, B IV 11 Nr. 33, Bl. 1v. StadtA BS, B IV 11 Nr. 33, Bl. 16v. Vgl. StadtA BS, B I 18 Nr. 6, Bl. 1r (1561); StadtA BS, B IV 11 Nr. 33, Bl. 1v (1562); StadtA BS, B IV 15a, Nr. 81, Bl. 5r und Bl. 42r (1567). Auch: Rehtmeyer, Historiae III, Beylage, S. 363 (1584): Wie auch dieser Casus zuvor durch den Herrn Superintendenten, Coadiutorn und Seniorn, so aus unsern Colloqvio zum General-Consistorio allhier gebraucht werden/ an uns ins Colloqvium gebracht ward […]. Vgl. zum 17. Jh.: StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 44r (1610); ebd., Bl. 113v (1635). 642 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 113v (1635). 643 Vgl. StadtA BS, B IV 15a Nr. 81, Bl. 85r (1567); StadtA BS, B IV 15a Nr. 98, Bl. 14r (1591). Es gab aber Ausnahmen. 644 StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 404r.

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großer Bürgermeister der Altstadt gewesen sein,645 doch lässt sich dies nicht belegen, denn es hat nie eine Konsistorialordnung o. ä. gegeben. Dies ist nicht ungewöhnlich und lässt sich vermutlich mit dem Braunschweiger Status einer Landstadt erklären – durch eine Konsistorialordnung hätte man den Herzog, der das Konsistorium nicht anerkannte, weiter unnötig gereizt.646 So verhallte noch 1594 die Forderung des angehenden Superintendenten Lukas Martini ungehört: Weil der superint: neben dem coadiutor vnd senior […] in den erb: küchenrath kommen, vnd den consistorialsachen beywonen müssen, vnd aber bishero vnser consistorium, so nicht mit der zahl der assessoren aus beiden standen vnd denen causis, die allerseits ins consistorij rath fallen vnd gehören gefasset ist, wie andern consistoria: Jst nötig zuerkundigen: Ob hierin […] eine richtige ordnung verfasst werden könne.647 Der Rat ging auf diese Bitte nicht ein; bis zum Ende der Stadtfreiheit 1671 hat es keine Konsistorialordnung gegeben. Umso mehr stellt sich daher die Frage nach den Kompetenzen und Aufgaben des Konsistoriums. Da sie nicht schriftlich fixiert waren, mussten sie sich sukzessive unter Abgrenzung zum Rat einerseits und dem Geistlichen Ministerium andererseits ergeben. Die Tatsache, dass Konsistorialprotokolle erst seit 1611 überliefert sind,648 erschwert freilich die Ermittlung der konsistorialen Zuständigkeit.649 Allerdings wurden einige Konsistorialsitzungen der 1560er und 1570er Jahre noch in den Obergerichtsprotokollen (unter der jeweiligen Überschrift Actum in consistorio) verzeichnet, sodass sich ab diesen Jahren ein schematisches und ab den 1610er Jahren ein präzises Bild der konsistorialen Zuständigkeiten nachzeichnen lässt. Wie üblich gehörten auch vor das Braunschweiger Konsistorium seit den 1560er Jahren sämtliche Eheprozesse, da das Konsistorium ab diesem Zeitpunkt als geistliches Gericht in Matrimonialsachen fungierte. Unzählige solcher Prozesse haben sich überliefert. Hierzu zählten Verlöbnisstreitigkeiten, Ehehinder645 Dass der Präsident nicht (wie z. B. in Goslar) der Superintendent war, lassen die Konsistorialprotokolle vermuten, die dem Superintendenten keinesfalls eine führende Rolle in dieser Institution beimessen. 646 Ähnliches lässt sich z. B. für das Konsistorium in Hildesheim feststellen: Auch hier schuf man erst 1678 eine Ordnung, nachdem das 1651 geschaffene landesherrliche Konsistorium des Bischofs die Rechte des städtischen Konsistoriums in Frage stellte. Vgl. Dürr, Kultur, S. 316. Reichsstädte wie z. B. Goslar konnten hingegen in der Regel bereits früh (1555) eine solche Ordnung einführen. Vgl. Titz-Matuszak, Eherecht, S. 138. 647 StadtA BS, B IV 11 Nr. 16, Bl. 41v. 648 Vgl. StadtA BS, C IX Nr. 100; StadtA BS, B IV 11 Nr. 232; StadtA BS, B IV 15a Nr. 97. 649 Schoß war daher für Braunschweig sogar fälschlich der Ansicht: »Quellen, die näheren Aufschluß über die rechtliche Ausgestaltung, über die Besetzung und Funktionsbestimmung dieses städtischen Konsistoriums geben könnten, sind – soweit ersichtlich – nicht überliefert.« Vgl. Schoß, C.W. Huismann: Die rechtliche Stellung, Struktur und Funktion der frühen evangelischen Konsistorien nach den evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Diss., Juristische Fakultät, Heidelberg 1980.

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nisse (z. B. Verwandtschaftsgrade), Gewalt in der Ehe, Zusammenführung getrennter Eheleute und Citationen, Ehescheidung650 sowie die separatio mensae et thori (Scheidung von Tisch und Bett).651 Eine Ausnahme bildeten allerdings die im Echteding (1532) und der Policeyordnung (1573/79) behandelten Delikte des Ehebruchs und der Unzucht, welche als Kriminaldelikte vom Rat geahndet wurden.652 Verirrte sich tatsächlich mal ein solcher Fall vor das Konsistorium, so wurde er umgehend an das hierfür zuständige Obergericht (also den Gemeinen Rat) weitergeleitet.653 Solange jedoch keine der Parteien einen Akkusationsprozess anregte und kein Inquisitionsprozess notwendig war, beließ das Konsistorium die Schlichtung der Ehestreitigkeiten vorerst den Geistlichen.654 Umgekehrt achtete das Ministerium aber sehr genau darauf, welche Fälle vom Superintendenten vor das Konsistorium gebracht wurden, wie eine Aussage von 1596 bezeugt: Wolle auch nicht die sache, die ins colloquium gehören, ins consistorium bringen. Sintemal es hie viel ein ander arth mitt dem consistorio sey, alß anders wo vnd hiedurch ahlmehlich dem colloquio ein mercklicher abbruch geschehen würde, vnd es endlich gar fallen.655 Neben der Ehegerichtsbarkeit war das Konsistorium gegen Ende des 16. Jahrhunderts zunehmend als Organ der Kirchenadministration auch für die Verordnung von Edikten im Bereich der Kirchenzucht und des Ehewesens zuständig. Dies war auch notwendig, denn die KO hatte bezüglich des Eherechts nahezu keinerlei Angaben gemacht: Unklar war, wann Ehen geschlossen werden durften, wann geschieden werden durfte oder wie man zu Winkelverlöbnissen stand. Das Konsistorium verabschiedete diesbezüglich im 16. Jh. einige Edikte – wenn auch vergleichsweise nur sehr wenige: So wurden etwa die Winkelverlöbnisse verboten und die matrimonio in tertio gradu affinitis in linea wurde per Beschluss von 1569 für unzulässig erklärt,656 schließlich ließ man auch die Eheschließung für Bürger außerhalb der Stadt 1607 verbieten.657 In den Protokollen des frühen 17. Jahrhunderts lassen sich darüber hinaus weitere Fragen nachweisen, die im Konsistorium verhandelt wurden: Sollte ein neuer Bettag eingeführt werden? 650 Ehescheidungen wurden in Braunschweig nur im Falle von Ehebruch oder »böslichem« Verlassen ausgesprochen. Vgl. StadtA BS, B I 18 Nr. 9, Bl. 139r (1569); ebd., Bl. 339v (1571); ebd., Bl. 400v (1572); StadtA BS, B I 7 Nr. 8, Bl. 129r (1590): Hans Schulte […] befriet sick mit Hinrick Khars fruwen, so desulve vorlaten hefft vnd vam consistorio darvan absolvert iß. 651 Vgl. z. B. StadtA BS, B I 18 Nr. 9, Bl. 116v. Auch: Bl. 139r, Bl. 149r, Bl. 214r, Bl. 242r, Bl. 285r, Bl. 339r und Bl. 352–366. 652 Vgl. UB Braunschweig I, S. 340 (Echteding 1532); UB Braunschweig I, S. 416–417 (Policeyordnung 1573). 653 Vgl. StadtA BS, B I 18 Nr. 9, Bl. 149v. 654 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 55, Bl. 5r. 655 StadtA BS, B III 15 Nr. 20, Bl. 55v. 656 StadtA BS, B I 2 Nr. 13, Bl. 199r. 657 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 22v.

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Musste Pfarrer Gilberti wegen ungebührlichen Amtsverhaltens entlassen werden? Durfte eine vorbenannte Komödie aufgeführt werden? Letzteres wurde zunächst ins Kolloquium getragen, dort entschied man aber, es würde fürs consistorium gehören weil die politici hirin ihr interesse mit hetten.658 Obgleich nie eine offizielle Konsistorialordnung verabschiedet wurde, entwickelten sich dennoch inoffizielle Rituale und Gebräuche, wie ein anschauliches Beispiel zur Eidablage aus dem frühen 17. Jahrhundert verdeutlicht: Darauff seindt die gewöhnlichen consistorial ceremonien zu ablegung des eydts gebraucht, zween liechter angesteckt, ein sammitten lacken auff die taffel, vnd darauff die biebel gelegt, die fenster vnd thür auffgemacht, der clägerinn die warnung des mein eydts ausführlich vorgelesen, zween finger in die bibel auf den text in Malachio Jch will ein schneller zeuge sein etc. gehalten […].659 Sowohl Herzog Heinrich d.J. als auch Julius ließen das Konsistorium zunächst unbehelligt gewähren. Als es aber mit der Regierungsübernahme Heinrich Julius’ (1589) zu erneuten Streitigkeiten zwischen Stadt und Herzog kam, wurde die Existenzberechtigung des städtischen Konsistoriums plötzlich angezweifelt. Der Herzog teilte durch seinen Statthalter am 24. 9. 1590 mit, dass kürzlich ein Schreiben angekommen sei, auß welchem wir vernohmmen, das jhr euch nun auch des tittels eines geistlichen consistorij vnbefugter weise anzumaßen vnterstehet.660 Dies sei nicht legitim, da Braunschweig keine Reichsstadt sei. Man hat den nun folgenden Briefwechsel zwischen Stadt und Herzog in der Forschung bislang fälschlich als eine Anmaßung seitens der Stadt interpretiert.661 So wird etwa bei Sehling vermutet: »Das städtische Konsistorium, mit dem der Rat 1590 auf den Plan trat, ist lediglich als Demonstration gegen das herzogliche Konsistorium anzusehen […].«662 Auch Schoß nahm irrtümlich an, das Konsistorium sei »1590 aus politischen Gründen errichtet« worden.663 Vermutlich kam diese Deutungsweise ursprünglich durch den zeitgenössischen (herzoglichen) Chronisten Heinrich Meibom zustande, der damit seine Intention der städtischen Diffamierung über Jahrhunderte hinaus erfüllt hat.664 Tatsächlich verhielt es sich aber gerade umgekehrt. Obgleich sich Herzog Julius seit 1568 nicht am städtischen Konsistorium gestört hatte, war es seinem Sohn vollkommen zuwider, stellte es doch eine Infragestellung seiner landes658 659 660 661 662 663 664

StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 54v (1611). StadtA BS, C IX Nr. 100 [o.P.], Sitzung vom 1. 4. 1637. StadtA BS, B IV 11 Nr. 228, Bl. 2r. So z. B. Schoß, Stellung, S. 85; Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 344. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 344. Schoß, Stellung, S. 354. Vgl. Meibom, Bericht II, S. 84: Wie sie dann auch aus einem lautern Vbermuth vnd Bawrstoltz dem vorigen Herkommen zu wider/ dadurch […] sich eines sonderbaren eignen Consistorj sich angemasset […].

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herrlichen Autorität dar. Noch 1569 hatte der Rat in den Huldigungsverhandlungen mit Herzog Julius offen von dem consistorio zu Braunschweig gesprochen, wogegen der Herzog an keiner Stelle protestiert hatte.665 Da sich Heinrich Julius nun aber ohnedies seit 1589 in offenem Konflikt mit seiner Landstadt befand, rollte er auch die Frage nach der zuständigen Ehegerichtsbarkeit wieder auf und schrieb dem Rat 1590 einen zornigen Brief. In diesem bestritt er der Stadt das Recht, in Ehesachen zu entscheiden und befahl, das Konsistorium, welches gegen jedes Reichsrecht errichtet worden sei, umgehend wieder aufzulösen. Zuvor hätte man sich dieses Titels schließlich niemals angemaßt, sondern immer nur den des Geistlichen Ministeriums gebraucht. Die Antwort des Rates am 2. 10. 1590 folgte prompt: Man habe die geistliche Jurisdiktion bereits seit 1528 hier ausgeübt und sei dem fürstlichen Konsistorium in keiner Weise unterworfen.666 Zudem wurde (verständlicherweise) fälschlich behauptet, das Konsistorium habe schon seit Abschaffung der päpstlichen Religion durchgängig bestanden. Wie so oft führte der Briefwechsel schließlich zu keinem Ergebnis, lediglich der Gesprächston wurde rauer – so bezeichnete der Rat das am 14. 10. 1590 von den Statthaltern erhaltene Schreiben z. B. als offentlichen vnfug.667 Dass Heinrich Julius die unterschiedliche Stellung von Geistlichem Ministerium und Konsistorium nicht wirklich verstanden hat, erweist sich aus einem Befehl, den er 1598 an das Geistliche Ministerium ausgehen ließ: Darin verlangte er, die Konsistorialakten eines städtischen Eheprozesses, der per Appellation vor das Hofgericht getragen worden war, nach Wolfenbüttel zu übersenden.668 Das Ministerium notierte hierzu lediglich, die prediger hetten mit dem consistorio nichts zu thun, wer acta wolt haben, der solt sie bey dem ordinario consistorio gebührlich abfordern.669 Festzuhalten bleibt somit: Das Braunschweiger Konsistorium wurde weder 1590 kurzfristig geschaffen670 (wie bisher in der Forschung behauptet), noch verfiel es kurz darauf auf Druck des Herzogs wieder. Nachdem Bugenhagen in seiner KO die Ehegerichtsbarkeit in die Hände des Rates gelegt hatte, entwickelte 665 StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 108r. 666 Vgl. LKA OA 36 Braunschweig; auch: StadtA BS, B IV 11 Nr. 228, Bl. 3v–22r. 667 StadtA BS, B IV 11 Nr. 228, Bl. 26v. Schreiben vom 20. 10. 1590. Am 11. 12. 1596 erhielt der Rat auf Anfrage von seinem Rechtsberater Johann Dauth ein Gutachten zur Konsistorialfrage. Dieses fiel für die Stadt aber negativ aus und half dem Rat somit wenig. Ohnehin spielte die Debatte mit Einsetzen der Kriegswirren keine größere Rolle mehr (Bl. 33v.). 668 Zwar ist durchaus anzunehmen, dass der Herzog dem Konsistorium seine Legitimität absprach und daher die Akten dort nicht erbat. Hätte er aber den Aufbau des städtischen Kirchenwesens verstanden, so hätte er gewusst, dass das Geistliche Ministerium hiermit nichts zu tun hatte und sich eher direkt an den Rat wenden müssen. 669 Vgl. StadtA BS, B H III 7 Nr. 6, pag. 117. 670 Auch die bisweilen vorkommende Behauptung, dass das Konsistorium erst jetzt (1590) nach außen hin offiziell als Konsistorium gewirkt hat, ist nicht richtig. Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, Beylage, S. 363.

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sich das Konsistorium sukzessive aus einem speziellen Ausschuss des Küchenrates, der erstmalig 1549 durch fünf Bürgermeister fassbar ist; seit Januar 1561 lässt es sich dann auch namentlich kontinuierlich belegen. Damit entspricht die Entwicklung in Braunschweig dem typischen Entstehungsmuster norddeutscher Stadtkonsistorien. So resümiert z. B. Schoß: »Die städtischen Konsitorien entstanden zumeist gewohnheitsrechlich aus bereits in den Anfängen der Reformation errichteten städtischen Ehegerichten, die zuerst ausschließlich mit Verordneten des jeweiligen Rates besetzt waren […]. Erst allmählich wurden diesen Stadtgerichten auch Geistliche ad hoc und nur in beratender Funktion oder sogar – seltener – in ständiger Mitgliedschaft beigeordnet.«671 Allerdings erlangte das Braunschweiger Konsistorium juristisch nie einen körperschaftlichen Status mit eigener Ordnung, wie dies insbesondere bei den Reichsstädten (z. B. Goslar, Speyer, Rothenburg o.T. und Regensburg) oder einigen wenigen autonomen Landstädten (z. B. im 17. Jh. Hildesheim) der Fall war.672 Trotzdem blieb es auch ohne eigene Ordnung bis zum Ende der Stadtfreiheit bestehen. Erst 1671 ist das Konsistorium aufgelöst und 1682 durch das städtische Geistliche Gericht ersetzt worden, welches wieder einen quasi autonomen Status als erste Appellationsinstanz unter Aufsicht des herzoglichen Konsistoriums einnahm.673 Diesem Geistlichen Gericht gehörten fortan neben einem Bürgermeister als Gerichtspräsident674 und einem Syndikus, der Superintendent (ab 1683) und der Senior nebst einem Schreiber an.675 Es blieb in dieser Form bis ins 19. Jahrhundert bestehen.676

2.1.7 Umgestaltung der Lateinschulen Mit der Reformation gelangte neben der geistlichen Jurisdiktion auch das Schulwesen fast gänzlich in die Hände des Rates.677 Zwar hatte der Rat vor 1528 bereits eine Schulordnung herausgegeben (1478), doch ließ sie den Schulen und 671 Schoß, Stellung, S. 345–346. 672 Zu den städtischen Konsistorien vgl. Schoß, Stellung, S. 294–306. 673 Vgl. das Reglement vom 10. 12. 1691. Abschrift unter: StadtA BS, H III 7 Nr. 5 Vol. 3, Bl. 135v– 136v. Dazu auch ein Schreiben von 1700: StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 83 sowie Ribbentrop, Carl Philipp: Vollständige Geschichte und Beschreibung der Stadt Braunschweig, Bd. 2, Braunschweig 1796, S. 105. 674 Vgl. das Reglement von 1682. StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 67. 675 Vgl. Stübner, Johann Christoph: Historische Beschreibung der Kirchenverfassung in den Herzogl. Braunschweig=Lüneburgischen Landen seit der Reformation. Erster und zweiter Theil, Goslar 1800, S. 543. 676 Vgl. ebd., S. 544. 677 Lediglich die »Verstaatlichung« der dt. Schreibmeister sollte sich prozesshaft ereignen. Vgl. Kapitel 2.1.1.

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Rektoren noch relativ freie Hand.678 Eine Besoldung der Lehrer gab es städtischerseits nicht, ebensowenig war eine staatliche Schulaufsicht vorgesehen.679 Stattdessen lebten die Rektoren ausschließlich vom Schulgeld, wie die Aussage eines Zeitgenossen (um 1494) belegt: Magister, vero qui ipsis praeest, modicam ab auditoribus collectam recipit, ex publico nihil.680 Laut Ordnung von 1478 war dieses Geld vom Rat wie folgt festgelegt worden: [A]lz van deme riken ii schillinge nige, van den medicoribus ii schillinge olt unde van den armen […] eynen nigen schilling Brunswikescher weringe.681 Diese Regelungen sorgten um 1500 verstärkt für Misstände im Schulwesen, wie ein Zeitgenosse bezeugte.682 Daher befasste sich Bugenhagen in seiner KO ausführlich mit dem Lateinschulwesen, behandelte hier aber lediglich das Martineum und das Katharineum. Die klösterliche Ägidienschule sowie die zunehmend an Bedeutung verlierende Stiftsschule zu St. Blasius683 blieben unberücksichtigt. Inklusive Kantor wurde die Lehrerzahl 1528 auf drei (Katharineum) bzw. vier (Martineum) festgelegt.684 Ein festes Gehalt zwischen 20–50 Gulden wurde den Lehrern nun von den Schatzkästen entrichtet, das Schulgeld sollte bestehen bleiben und wurde auf jährlich 8 Mariengroschen (für Reiche) bzw. 12 Matthiasgroschen (für Arme) fixiert. Unterteilt wurden die Schulen in zwei (Katharineum) bzw. drei (Martineum) Klassen – die Schulaufsicht oblag fortan dem Superintendenten, der die Schulen zusammen mit fünf Ratspersonen und den Kastenherren zwei Mal jährlich visitieren sollte. Schon 1528 war Bugenhagen bei der Konzeption dieser Ordnung mit einigem Unmut konfrontiert worden, da sich die Bürger der Altewiek benachteiligt 678 Einen knappen Überblick zur Lage der Schulen vor 1528 bietet auch: Steinführer, Henning (Hrsg.): Stadt – Schule – Kirche. Martino-Katharineum 1415–2015. Eine Ausstellung zu den Gründungsurkunden im Altstadtrathaus und zur Schulgeschichte in der Martinikirche, Braunschweig 2015, S. 6–34. 679 Die Schulordnung ist abgedruckt bei: Koldewey, Schulordnungen, S. 21–23. 680 Zitat nach: Kintzinger, Martin: Das Bildungswesen in der Stadt Braunschweig im Hohen und Späten Mittelalter. Verfassungs- und institutionengeschichtliche Studien zu Schulpolitik und Bildungsförderung, Köln/Wien 1990 (= Archiv für Kulturgeschichte. Beihefte 32), S. 362. 681 Koldewey, Schulordnungen, S. 21. 682 Vgl. Dürre, Geschichte, S. 577. 683 Die Stiftsschule an St. Blasius spielte nach der Reformation praktisch keine Rolle im Schulleben der Stadt mehr. Eine Anfrage der Schmalkaldener ergab 1546 folgende Antwort des Kapitels: Es seindt zu zeiten 8 oder 10 korschuler bei der kirchen gehalten wurden […] seindt aber jn langen jaren weinig schuler alhier zu schule komen, dan es vielleicht dem rathe zu Braunschweig nit mit gewesen, das jre kinder, jn des stifts Blasi schule gehen sollten […]. StadtA BS, B IV 11 Nr. 14, Bl. 17v. Die Besoldung des dortigen Schulmeisters wurde 1542 auf 60 Gulden festgelegt. Zudem sollte er noch ein gesel auff der schule halten. Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 7, pag. 263. Zu späteren diesbezüglichen Besoldungsklagen (1584) vgl. StadtA BS, IV 11 Nr. 143, Bl. 43r. 684 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 365.

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fühlten: Men achtet swar to fiende, den kinderen vthe der Oldenwigk szo verne togaende.685 Die handwerklich geprägte Altewiek lag in der Tat am weitesten von der ihr laut KO zugeteilten Martinischule entfernt. Mit Auflösung des Ägidienklosters bestand auch die örtliche Klosterschule schon bald nicht mehr. Daher baten im März 1529 die Einwohner der Altewiek dat men vns wylle vorgunnen, dat men vnße kynder mocht jn Oldenwick schole to S. Egidien leren, doch betonte die Gemeinde, dat men vns dat nicht wolde reken, alß dat wy des wyllens weren de ordenunghe tobrekenn. Als Begründung für die Notwendigkeit dieser Schule führte man den verliken wech vnd de menichfoldighe wanderung zu den beiden anderen Lateinschulen an.686 Der Rat erklärte sich mit dieser Forderung einverstanden, dewile dar van jn der ordenunge nein groth mangel beiegeven kann.687 Noch im Frühjahr 1529 begannen daher die Umbauarbeiten am Schulgebäude.688 Spätestens seit 1529/30 hatte man schließlich eine kleine Lateinschule am ehemaligen Kloster St. Ägidien eingerichtet.689 Sie bestand zu Beginn (1529) lediglich aus einem Rektor (magister) und (seit 1531) aus einem weiteren Lehrer (scholgesellen); beide erhielten ein vergleichsweise geringes Gehalt aus dem Schatzkasten zu St. Magnus.690 Kurz darauf, 1535, wurde eine neue Schulordnung für die drei Lateinschulen publiziert.691 Sie enthielt überwiegend Verhaltensanweisungen für die Lehrer und präzisierte die Angaben zu den Prüfungen der Schüler. Parallel hierzu traten drei verschiedene Lehrpläne für die jeweiligen Schulen in Kraft,692 die man 1547/1548 erneuern ließ. 1596 wurde schließlich eine große Schulordnung für die drei 685 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 65r. 686 Ebd., Bl. 131v. Die folgende Begründung Sacks scheint demnach korrekturbedürftig: »Weil aber die beiden Stadtschulen zu überfüllt dadurch werden mochten, so wurde auch diese [Ägidienschule, M.V.] bald nachdem wieder hergestellt.« Vgl. Sack, Geschichte der Schulen, S. 44. 687 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 152v. 688 Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 77, Bl. 6r. 689 Vgl. ebd., Bl. 4r (1529): v gr dem scholmester deß mandageß na dem nye jare. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 32v (1531): Tho sunthe Egiddienn wortt de schole vor der borgerkinder yn der Oldenwick mit enem ghelerden rector vnde scholgesellen vth der schattkasten erholden. Dürres Behauptung, die Schule sei erst 1535 eröffnet worden, ist damit widerlegt: »Dazu kam, daß die in der Kirchenordung nirgends erwähnte Aegidienschule […] 1535 unter dem Rector Bernhard Vogelmann als städtische Schule wieder eröffnet wurde.« Dürre, Hermann: Geschichte der Gelehrtenschulen zu Braunschweig. Abteilung 1. Vom 11. Jahrh. bis 1671. Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt Braunschweig für das Jubeljahr 1861, Braunschweig 1861, S. 23. So irrt auch Spieß, Nachmittelalter, S. 671. Er beruht vermutlich auf Dürre. 690 Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 78, Bl. 7v. Der Magister erhielt 1531fünf Gulden, sein Lehrer lediglich drei. 691 Vgl. StadtA BS, Revidenda Nr. 155 (Schulen II) [o.P.]. Gedruckt: Koldewey, Schulordnungen, S. 47–49. 692 Abgedruckt bei Koldewey, Schulordnungen, S. 49–58. Ergänzt wurde dies durch die Schulordnung von 1596.

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Lateinschulen verabschiedet. Damit wurde die KO diesbezüglich quasi ihrer Gültigkeit enthoben.693 Insbesondere galt das auch für Anzahl und Gehalt der Schuldiener. Da die Reformation, abgesehen von der Umwandlung der Ägidienschule, nicht für mehr Lehranstalten gesorgt hatte, so musste der nun einsetzende Bildungseifer anderweitig kompensiert werden. Dies geschah durch den Ausbau der bestehenden Schulen. Hatte z. B. das Martineum 1528 gemäß KO noch vier Lehrer besessen, so stieg die Zahl in den 1530er Jahren zunächst auf fünf. Zwischen 1546–1548 wurde kurzzeitig durch Superintendent Medler ein Pädagogium aufgerichtet – dies blieb allerdings eine Episode ohne größere Auswirkungen auf die weitere Schulentwicklung.694 Seit den 1560er Jahren gab es mit dem Infimus und dem Adiunctus alphabetarius dann bereits sieben Lehrer am Martineum. Hinzu trat seit 1575 als achtes noch der Supernumerarius apud alphabetarios, welcher aber schon rasch nicht mehr außerordentlich (»überzählig«) blieb, sondern bald die Rolle des Infimo übernahm, während die anderen Lehrer den mittlerweile bis zur Septima reichenden Klassen zugeordnet wurden.695 Es verwundert daher auch nicht, dass für das gewachsene Kollegium und die große Schüler- bzw. Klassenzahl 1592–95 ein neues Gebäude errichtet werden musste.696 Daneben nahm auch die Lehrerzahl des Katharineums nach 1528 sukzessive zu. In den frühen 1530er Jahren waren hier nur ein Rektor und ein Kantor tätig – einen drudden gesellen hatte man entgegen den Vorschriften der KO zunächst nicht eingestellt.697 Dies geschah erst im Frühjahr 1536, als man mit Petrus erstmals neben Rektor und Kantor einen zusätzlichen Lehrer besoldete.698 Im Winter 1564 wurde das Kollegium nochmals um zwei weitere Lehrkräfte vergrößert.699 Seit 1593 gab es schließlich auch einen sechsten Lehrer, den Infimo für 693 Inwiefern die Schulordnung von 1596 tatsächlich Gültigkeit erlangte, ist umstritten. Sie wurde jedenfalls bereits während ihrer Verabschiedung von den Geistlichen angefochten. Laut Heusinger wurde sie nie wirklich befolgt und 1621 schließlich verbessert. Vgl. Heusinger, Konrad: Einige Nachrichten vom Schulwesen überhaupt, und besonders von dem hiesigen Martineum und der großen herzoglichen Schule in Wolfenbüttel, in: Braunschweigisches Magazin 24 (1818), Sp. 369–584, hier Sp. 377. 694 Eine tiefgreifendere Untersuchung des Pädagogiums muss an dieser Stelle, vor allem aufgrund eines nahezu vollständig fehlenden Quellenbestandes, leider unterbleiben. Das wenige, was sich überliefert hat, ist dargestellt bei Spieß, Nachmittelalter, S. 677f. Lehrpläne des Pädagogiums bei Koldewey, Schulordnungen, S. 73–81. 695 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 1 bis Nr. 46. Zu den Klassen (Lehrplan von 1603): Koldewey, Schulordnungen, S. 151. 696 Für den Bau wurden u. a. eingezogene Vikarien verwendet: StadtA BS, G II 1 Nr. 71, Bl. 14v. Zum Schulbau vgl. Dürre, Gelehrtenschulen S. 26; Spieß, Nachmittelalter, S. 672; Heusinger, Nachrichten, Sp. 377–378. 697 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 366. Zur tatsächlichen Lehrerzahl siehe z. B. StadtA BS, F I 4 Nr. 26, Bl. 8v. 698 Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 32, Bl. 8r. 699 Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 63, Bl. 8r.

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die unterste Klasse.700 Damit hatte sich die Lehrerzahl seit 1528 verdreifacht. Auch die Ägidienschule umfasste in der zweiten Jahrhunderthälfte bereits einen Rektor, einen Konrektor einen Kantor sowie (teils mehrere) Lehrer.701 Dass es also – wie bei Dürre behauptet – in Braunschweig zu viele Schulen gegeben habe, ist sicherlich so nicht korrekt.702 Das Gegenteil darf anhand der zunehmend steigenden Lehrer- und Klassenzahlen angenommen werden. Auch die zahlreichen nach 1528 bestehenden Winkelschulen deuten auf eine nicht ausreichende reguläre Schulversorgung hin.703 Neben der Anzahl der Schuldiener stieg zugleich ihr Sold im 16. Jahrhundert inflationsbedingt enorm an. Augenscheinlich wird dies am Gehalt der Rektoren.704 Bekam der Rektor zu St. Martini 1528 noch gemäß KO 40 Gulden, so waren es 1534 bereits 50. Anfang der 1560er Jahre hatte sich das Gehalt auf 120 Gulden mehr als verdoppelt und 1601 wurde es nochmals auf 130 Gulden erhöht. Gleiches gilt für den Rektor zu St. Katharinen: Nachdem er bis 1539 noch 30 Gulden gemäß KO empfangen hatte, erhöhte sich sein Einkommen auf 40 Gulden (1540), um dann zwischen 1556 und 1562 sukzessive auf 80 Gulden anzusteigen. Ab 1571 betrug das Gehalt 100 Gulden, 1573 war er seinem Kollegen am Martineum mit 120 Gulden sogar gleichgesetzt.705 Das Schulgeld wurde in der großen Schulordnung von 1596 zwar im alten gebrauch gelassen, doch hatte es sich offensichtlich bereits in den letzten 68 Jahren nach Einführung der KO verändert:706 Für den Besuch der Prima zahlte ein Schüler halbjährig einen Orts-Taler (¼ Taler), für die Sekunda und Tertia sechs Mariengroschen und für die Quarta bis Septima drei Gute Groschen (bzw. als Fremder sechs Groschen). Die Klagen um eine angeblich zu geringe Besoldung setzten sich bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes fort. Noch 1589 beschwerte sich der berühmte Humanist und Rektor zu St. Martini, Nikodemus Frischlin, in einem Brief, er habe seine »saure Arbeit« mit seinem »eigenen Gelde bezahlen müssen«.707 700 701 702 703

704 705 706 707

Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 79, Bl. 11r. Vgl. Dürre, Gelehrtenschulen, S. 70–75. Vgl. ebd., S. 23. Zu den Klagen vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 34v (1531); StadtA BS, Revidenda 155 (Schulen II) [o.P.] (1535); StadtA BS, B IV 11 Nr. 162, Bl. 2r (1561); StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 42v (1609); StadtA BS, B IV 11 Nr. 168, Bl. 79r–83r (1648). 1673 gab es dann 38 Winkelschulen, deren Bestehen den Behörden bekannt war. Vgl. ebd., Bl. 96r–104r. Von sieben dieser Schulen ist die Größe überliefert: Sie schwankte demnach zwischen 7–28 Schülern. Der obige Beleg von 1609 bezeugt zudem, dass auch die Winkelschulen teils ein sehr hohes Niveau aufwiesen. Vgl. dazu Grafik 4 im Anhang. Hinzu kamen freilich noch kleinere Deputatleistungen sowie das Schulgeld. Vgl. Koldewey, Schulordnungen, S. 144. Nach einem verdeutschten Zitat von Strauß, David Friedrich: Leben und Schriften des Dichters und Philologen Nicodemus Frischlin. Ein Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte in der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1856, S. 439.

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Wie zu sehen, hatte sich bis in die 1590er Jahre das Schulsystem gegenüber den Vorschriften der KO fast vollständig gewandelt: Die Zahl der (Latein)schulen, Klassen und Lehrer hatte sich erhöht, der Lehrplan war 1535 und 1596 umgestaltet worden und auch Schulgeld und Sold der Lehrer hatte man massiv angehoben. Es stellt sich somit die Frage, was von der alten Ordnung überhaupt noch effektiv in Kraft blieb. Die zentrale Neuerung der KO war eine Unterordnung des Schulwesens unter die Aufsicht des Superintendenten gewesen. Die damit geschaffene Oberaufsicht der Geistlichen blieb bis 1671 auch tatsächlich bestehen. Die Schuldiener wurden daher zunehmend dem Geistlichen Ministerium unterstellt, nachdem sich dieses konstituiert hatte. Ergänzt wurde diese Aufsicht nach 1528 aber durch die aus dem Rat hierfür verordneten Schulherren, später »Scholarchen« genannt.708 Jährlich ließ man die Lateinschulen gemäß KO709 zwei Mal durch den Superintendenten, den örtlichen Prediger, die Kastenherren und fünf Scholarchen des Rates visitieren.710 Da man merkte, dass es mit den Visitationen allein nicht getan war, wurden diese in den 1530er Jahren mit einem Examen verbunden.711 Folglich wurde jeder Schüler ein Mal im Halbjahr (Ostern/Michaelis) durch die Visitationskommission geprüft. Um den Schülern und dem visitierenden Prediger die Prozedur etwas zu »versüßen«, gab es spätestens seit der zweiten Jahrhunderthälfte Leckereien bzw. für die Lehrer ein Festmahl. Bezahlt wurde dies vom jeweiligen Schatzkasten, wie ein Beispiel der Martinischule von 1580 verdeutlicht: Den 5 Septemb. ward die visitation der scholen verrichtett, vnd jst den predikanten vf der apoteken an condit, pfepperkuchen vnd auqa vitae gereicht […] noch an confect den kleinen knaben vthgedeilet 5 ℔ [Pfund] sucker […] dat convivium scholasticum ward averst didh jhor nicht geholden.712 Mit der Schulordnung von 1596 wurde der Verlauf des Examens normativ festgehalten.713 Der Rektor hatte die Schüler zunächst nach Anweisung der Visitatoren über den Lernstoff des letzten Halbjahres zu befragen. Daraufhin sollten die Schüler memoriter recitiren und clara voce, sepositis libris et versa facie ad inspectores auf die Fragen ant708 Zu den Aufgaben der Scholarchen und ihren Zuständigkeitsstreitigkeiten mit dem Superintendenten vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 52r–52v. 709 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 365. 710 Vielfach kam es zu Klagen des Ministeriums, dass die Kastenherren sich nicht genügend an den Visitationen beteiligen würden. Vgl. z. B. StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 64r. Hier hob man die Problematik dieses Umstands wie folgt hervor: [W]as achten die schulmeister des ministerij, sie geben jhn keine besoldung, sie müsten sich aber für den kastenherrn fürchten, darumb jhre gegenwart alhier zum hochsten vonnöthen. 711 Die Ordnung von 1535 gibt hierüber weitere Auskünfte. Vgl. Koldewey, Schulordnungen, S. 47–49. 712 StadtA BS, F I 1 Nr. 31, Bl. 22v. Zur zweiten Visitation in diesem Jahr: StadtA BS, F I 1 Nr. 31, Bl. 26v. 713 Das Examen selbst war bereits in der kurzen Schulordnung von 1535 festgeschrieben worden.

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worten.714 Benötigte ein Schüler zu lange für die Antwort, so sollte der nächste Junge befragt werden. Die Antworten hatten die Visitatoren mit Datum und Namen schriftlich zu verzeichnen – damit kan der begangene unfleis nicht vertuscht werden.715 Auch die Oberaufsicht der Schuldiener durch den Superintendenten und später durch das Ministerium wurde bis ins 17. Jahrhundert konsequent eingehalten. Bei Klagen über die Lehrer wurden diese seit 1529 immer erst vor das Kolloquium geladen. Ein sehr ausführliches Protokoll hat sich hierüber z. B. kurz nach unserem Betrachtungszeitraum (1607) erhalten. In diesem Jahr wurden alle drei Rektoren vor das Kolloquium beordert und ihnen ein langer Katalog von acht größeren Missständen vorgeworfen. Der Einfluss und die geforderten Kompetenzen des Ministeriums zum Ende des Betrachtungszeitraumes werden daraus ersichtlich.716 Es sollten (1) sine consensu des Superintendenten keine neuen lectiones angeordnet werden. Auch durften (2) ohne Zustimmung des Ministeriums keine festa scholastica gehalten werden. Die Lehrkräfte durften sodann (3) nicht ohne vorherige Abmeldung beim Superintendenten verreisen und hatten (4/5/6) die Schüler zum fleißigen Predigtbesuch anzuhalten bzw. auf ihre Kleidung achtzugeben. Schließlich durfte (7) die Gebühr für das Mieten einer Schule bei Beerdigungen ohne bewilligung des colloquii nicht von den Rektoren verändert werden und die Unterrichtsstunden hatten (8) bei Strafe pünktlich anzufangen. Wie zu sehen, war damit praktisch der gesamte Schulalltag der regulierenden Kontrolle des Ministeriums bzw. des Superintendenten unterworfen. Der Rat schaltete sich später lediglich bei jenen Misständen ein, die vom Ministerium nicht gelöst werden konnten. Obgleich also ein großer Teil der KO im Bezug auf das Lateinschulwesen schon sehr bald nicht mehr in Gebrauch war, so etablierte und festigte sich doch die Aufsicht der Geistlichkeit über das Bildungswesen der Stadt. Die Bugenhagische Absicht einer geistlichen Oberaufsicht über das Schulwesen verstärkte sich mit der Bildung des Ministeriums sogar noch, denn Ermahnungen der Lehrer vor dem ganzen Kolloquium gab es in der Folgezeit sehr häufig. Bezüglich der vermittelten Lehrinhalte stellte die Reformation in Braunschweig allerdings keinen Bruch dar: »In den Unterrichtsfächern unterschieden sich die Lateinschulen nach 1528 viel weniger, als man zunächst anzunehmen geneigt ist, von denen der vorreformatorischen Zeit.«717 Lediglich einige humanistische Kenntnisse wie Griechisch und (rudimentär) Hebräisch traten künftig neben dem Katechismus

714 715 716 717

Koldewey, Schulordnungen, S. 136. Ebd. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 23v. Spieß, Nachmittelalter, S. 675.

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als neue Lehrinhalte hinzu. Der Lehrstoff wurde dann im Laufe der Jahre immer mehr auf die einzelnen (neuen) Klassen verteilt.

2.1.8 Einrichtung lutherischer Mädchenschulen Während die Lateinschulen ausschließlich den Jungen vorbehalten blieben, plante Bugenhagen in seiner KO auch die Errichtung von Mädchenschulen. Vier dieser Schulen sollten demnach geschaffen und deren Schulmeisterinnen vom Rat angenommen werden.718 Zuvor hatte es in Braunschweig derlei städtische Einrichtungen für Mädchen nicht gegeben.719 Wer seine Tochter erziehen lassen wollte, tat dies entweder privat im eigenen Haus oder mittels einer Klosterschule. Der Inhalt des neuen Mädchenunterrichts (der nach Bugenhagen nur 1–2 Stunden pro Tag währen sollte720) bestand demnach im Lernen biblischer Geschichten, dem Singen von Psalmen und Liedern sowie dem Lesen lernen: Schreiben wurde nicht als notwendig erachtet.721 Nach 1–2 Jahren hatte das Mädchen gemäß Bugenhagen dann ausgelernt. Intention dieser Schulen war demnach, dass man nutlike, geschickede, frölike, gehorsame, gadesfürchtende, nicht bylövische und egenköppesche hüsmoderen erzog.722 So erhoffte man sich überdies, dass die zukünftigen Kinder schon in frühen Jahren durch ihre gebildeten Mütter in gehorsame, eren unde gadesfrüchten aufgezogen würden.723 Erwartet wurde hierdurch eine Festigung des lutherischen Glaubens künftiger Generationen. In der Forschung hat es für Braunschweig hinsichtlich der Mädchenschulen bisher keinerlei faktische Belege gegeben. Während Spieß noch in Ansehung der KO aber ohne weitere Belege davon ausging, dass vier Mädchenschulen errichtet worden seien,724 war Friedrichs später der Ansicht, dass Braunschweiger Mädchen – abgesehen von den Winkelschulen – »überhaupt keine formale Erziehung

718 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 370. 719 Vgl. Koldewey, Schulordnungen, S. LII [Vorwort]. 720 Damit lehnte sich Bugenhagen an die Forderungen Luthers an, der 1524 ebenfalls verlangt hatte, Jungen mindestens 1–2 und Mädchen eine Stunde täglich zu unterrichten. Vgl. Westphal, Siegrid: Reformatorische Bildungskonzepte für Mädchen und Frauen. Theorie und Praxis, in: Kleinau, Elke; Opitz, Claudia (Hrsgg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Bd. 1, Frankfurt/New York 1996, S. 135–151, hier 139–140. 721 Dass diese Vorgabe tatsächlich praktiziert wurde, lässt sich insbesondere am Frauenkonvent St. Leonhard gut erkennen: Als dieser 1568 vom Rat visitiert wurde, war keine der sieben Klosterfrauen im Stande zu Schreiben – selbst die Domina (Anne Plonen) war lediglich des Lesens mächtig. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 30, Bl. 3r–4r. 722 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 371. 723 Ebd. 724 Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 679.

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in der Stadt« erhalten hätten.725 Mädchenschulen habe es demnach keine gegeben. Schon Koldewey hatte bezüglich der Mädchenschulen angenommen: »Fast scheint es, als wären sie, wenn sie überhaupt ins Leben traten, bald wieder verschwunden.«726 Die bisherige Forschungstendenz ist indessen nicht zu bekräftigen, wie noch zu sehen sein wird. Tatsächlich widmeten sich die Ratsherren zunächst »wichtigeren« Problemen, wie z. B. dem Einzug der Kloster- und Vikarsgüter, der Errichtung neuer Schatzkästen, etc. So waren denn auch im Frühjahr 1529 noch keine Mädchenschulen eingerichtet. Aus diesem Grund besprachen sich die Ratsherren der juncfruwenschole halven und ließen am 14. 4. 1529 jtligen borgemestern jn der Oldenstadt vnd jm Hagen befehlen, mit den castenhern to reden na bequemen scholen to trachten.727 Allerdings scheint auch diese Kommission zunächst nicht viel bewirkt zu haben. Einige Monate später, am 6. 12. 1529, musste der Rat nämlich eingestehen, dass er aufgrund seiner zahlreichen anderweitigen Arbeiten schlicht nicht zur Einrichtung der Mädchenschulen gekommen sei.728 Man übertrug daher den Kastenherren die unliebsame Aufgabe – da de artikel vp den radt jn der ordenunge nicht gestalt, besunder den castenhern bevolen worde, dat se sick darmede wolden bemoigen vnd dene tor dait stellen.729 Tatsächlich sollte es nun nicht mehr lange dauern, bis erste Arbeiten an einer neuen Mädchenschule begannen. Nur wenige Monate später, am 4. 3. 1530, wurde ein Handwerker entlohnt, der tho den Brodern tho der jungfrauwenschole eine geeignete Unterrichtsstätte herrichten sollte.730 Die Altstädter Kastenherren hatten sich folglich dafür entschieden, ihre Mädchenschule im soeben leer gewordenen Franziskanerkloster einzurichten. Ein Unterrichtsbeginn lässt sich dementgegen erst seit 1531 sicher nachweisen: Für das entsprechende Schuljahr 1531/32 zahlten die Kastenherren zu St. Martini eine vorehringe von zwei Mark und zwanzig Schillingen.731 Dies war freilich keine sehr hohe Summe, doch hatte die KO auch neben dem üblichen Schulgeld lediglich geschenke aus dem Schatzkasten vorgesehen.732 Der Unterricht muss demnach also im Zeitraum zwischen 1530 und 1531 begonnen haben. Bezahlt wurde in der Altstadt jährlich nur eine Lehrkraft. Zwar resümierte Jacobi: »Über das Geschlecht des Lehrper725 Friedrichs, Christopher R.: Deutsche Schulen nach der Reformation. Einige Belege aus Braunschweig, in: BsJb 63 (1982), S. 127–136, hier S. 129. Dies ist freilich selbst ungeachtet der tatsächlich eingerichteten Jungfrauenschulen falsch: So richtete man bekanntermaßen im Frauenkonvent zu St. Crucis eine Mädchenschule ein. Vgl. Kapitel 2.2.2. 726 Koldewey, Schulordnungen, S. LII [Vorwort]. 727 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 176v. 728 Ebd., Bl. 184r: […] de wile de radt mit velen andern stadtsaken beladen […]. 729 Ebd. 730 StadtA BS, F I 1 Nr. 8, Bl. 9v. 731 Vgl. Ebd., Bl. 52v. Diese Summe lässt sich bis 1549 in den Kastenrechnungen belegen. 732 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 370.

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sonals für den Elementarunterricht und besonders für den Mädchenunterricht herrscht in der bildungsgeschichtlichen Literatur zur Frühen Neuzeit große Unklarheit.«733 Für die Braunschweiger Mädchenschule im Franziskanerkloster ist dies jedoch anders: Es gab hier ausschließlich Lehrerinnen, keine Lehrer. Zu Beginn unterrichtete bis min. 1534 die Knorsche.734 Seit 1536/37 lässt sich dann Anna Remberds als Lehrerin nachweisen.735 Wie lange sie im Amt blieb, ließ sich nicht ermitteln, allerdings ist auch nachfolgend durchweg von einer scholmesterin die Rede.736 Über weitere Mädchenschulen ließen sich (auch in den Rechnungen der anderen Weichbilde) keinerlei Informationen finden. Es dürfte aber neben der Schule im Brüdernkloster wohl noch zeitweilig mindestens eine weitere Mädchenschule gegeben haben, denn nachfolgend wird von den Mädchenschulen im Plural gesprochen. Allerdings hatten die Schulen schon von Beginn an mit den konkurrierenden Klipp- und Winkelschulen zu kämpfen. Vermutlich dürften diese schon vor der Reformation eine Möglichkeit zur Mädchenerziehung geboten haben, weshalb diese Schulen weiterhin gut florierten. Die Kastenherren beklagten sich hierüber vehement, sodass man 1531 beschloss: Jtem nota juncfr[owen]schole worden dorch de bischolen vornichtit, darumb wilme de clipscholen ok vorbeden vnd de juncfrowenschole wisen […].737 Interessant ist zudem die nun neu festgelegte Definition, welche Lehrinhalte einer unautorisierten Frauenschule (= Winkelschule) künftig noch gestattet werden sollten. Diese beschränkten sich ausschließlich auf Nähen und Sticken (allene negen vnd sticken leten scholde fri sin).738 Alles andere durften hinfort nur noch die offiziellen Mädchenschulen lehren. Damit wird im Umkehrschluss deutlich, was die neuen Mädchenschulen in ihren Inhalten vornehmlich ausmachte: Denn »alles andere« hieß vor allem eine religiös-moralische Erziehung sowie Singen und Lesen lernen. Erneut wurde die Aufgabe zur Umsetzung und Aufsicht dieser Beschlüsse den Kastenherren übertragen.739 Der Rat hielt sich beim Aufbau dieser Mädchenschulen weiterhin erstaunlich stark zurück, ja entzog sich sogar jeglicher Verantwortung. Ob dies – wie vom Rat behauptet – aufgrund von arbeitstech733 Jacobi, Juliane: Zwischen »nöthigen Wissenschaften« und »Gottesfurcht«. Protestantische Mädchenschulen von der Reformation bis zum 18. Jahrhundert, in: Musolff, Hans-Ulrich; Jacobi, Juliane; Le Cam, Jean-Luc (Hrsgg.): Säkularisierung vor der Aufklärung? Bildung, Kirche und Religion 1500–1750, Köln/Weimar/Wien 2008 (= Beiträge zur historischen Bildungsforschung, 35), S. 253–274, hier S. 261. 734 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 2, Bl. 17v. 735 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 4, Bl. 23r. 736 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 14, Bl. 7v. 737 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 18v. 738 Ebd. 739 Vgl. ebd.: [D]usse artikel der juncfro[wen] schole belangen js gentzlige den kastenhern bevolen.

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nischer Überbelastung oder einer Geringschätzung740 der Schulen geschah, lässt sich nicht abschließend beantworten. Erfolgreich waren die Kastenherren bei der Abschaffung und Eindämmung der Winkelschulen jedenfalls nicht: Solche Schulen scheinen weiterhin Bestand gehabt zu haben – und es wurde dort trotz Verbot mehr gelehrt als nur Nähen und Sticken. Klagen über die Winkelschulen lassen sich z. B. aus den Jahren 1535, 1561, 1596, 1609, 1615, 1616 und 1648 finden.741 Noch im Jahr 1673 wurden in einer Erhebung der Winkelschulen allein 13 Lehrerinnen aufgeführt, die Mädchen (und z. T. auch Jungen) unterrichteten.742 Die Winkelschulen bildeten somit auch das 16./17. Jahrhundert hindurch einen zentralen Bestandteil des elementaren (Mädchen)schulwesens. Eben aufgrund solcher Winkelschulen scheinen in Braunschweig die regulären Mädchenschulen keinen ausreichenden Zulauf gewonnen zu haben. Die Rechnungen weisen in ihren Ausgaben immerhin noch bis 1549743 eine Schulmeisterin für Mädchen im Brüdernkloster auf, ab 1550 verschwindet diese Zahlung. Ein paar Jahre haben die Mädchenschulen anschließend dennoch weiter Bestand gehabt. So wurde im Generalkolloquium z. B. 1558 über den Zustand der deutschen Schreib- und Mädchenschulen geklagt. Die Kastenherren baten die Prediger schließlich, man wolle doch bitte die Schreibschulen so wol als der maidlein schulen helffen visitirn.744 Immerhin scheinen damit noch Mädchenschulen bestanden zu haben. Bereits 1562 heißt es aber dann in einer Klage der Prediger, es wäre nunmehr kayne rechtschafne junckfrawschuel furhanden.745 Es stellt sich somit die Frage nach den Gründen für das Scheitern der städtischen Mädchenschulen. Die Kastenherren führten hierzu folgende Problematik an: Es habe sich lediglich um kinderschulen gehandelt; wenn man den Mädchen aber umfassendere Stoffe lehren wolle, so wer es muhe vnd arbeyt.746 Die Kastenherren stimmten den Predigern letztlich zu, dass Mädchenschulen nützlich und notwendig seien. Auf dem bisherigen Niveau könne man sie aber mangels 740 Die zeitgenössische Geringschätzung der Mädchenschulen durch Stadträte zeigt sich vielfach – so z. B. auch in Thüringen. Vgl. Dietmann, Andreas: Der Einfluss der Reformation auf das spätmittelalterliche Schulwesen in Thüringen (1300–1600), Köln 2018 (= Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 11), S. 437. 741 Vgl. StadtA BS, Revidenda Nr. 155 [o.P.], Kastenherrenklage von 1535; StadtA BS, B IV 11 Nr. 162, Bl. 2r u. 3r (1561); Koldewey, Schulordnungen, S. 183 (1596); StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 42v (1609); StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 140 (1615); StadtA BS, B I 5 Nr. 20, Bl. 93v (1616); StadtA BS, B IV 11 Nr. 168, Bl. 79r–83r u. 97r (1648). 742 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 168, Bl. 99r–104v. Da die Frauen in ihren Winkelschulen 1673 teils koedukativ unterrichteten, kann ein ausschließliches Vermitteln von Nähen und Sticken freilich ausgeschlossen werden. Darüber hinaus wird explizit vermerkt, dass die Lehrkräfte die metgnes lehren beten undt das A.B.C. (Bl. 104v). 743 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 14, Bl. 7v. 744 StadtA BS, Revidenda Nr. 67, [o.P.], Bl. 12v [eig. Pag. im Dokument]. 745 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 120r. 746 Ebd., Bl. 120v.

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Attraktivität weder aufrechterhalten, noch seien sie wirklich förderlich. Die Kastenherren baten daher auff wege zugedencken, damitt nicht allain kinderschulen, sondern auch junckfrawenschulen mochten angerichtet werden.747 Letztlich kam es aber zu keiner erneuten Einrichtung städtischer Mädchenschulen. Sie blieben ab den 1560er Jahren abgeschafft und wurden auch – soweit es sich feststellen ließ – bis 1671 nicht mehr eingerichtet. Lediglich die Klöster St. Crucis und St. Leonhard, welche 1571 eine umfassende Schulordnung erhielten, gewährten somit in der zweiten Jahrhunderthälfte eine öffentliche Bildungsmöglichkeit für Mädchen. Daneben mögen zwar noch einige Witwen private Kinderlehre auf niedrigem Niveau betrieben haben748 – um obrigkeitlich finanzierte Schulen handelte es sich hierbei aber nicht mehr.

2.1.9 Besoldung, Wohnung und Rechtslage von Predigern und deren Witwen Um die oben beschriebenen, neu gebildeten Ämter und Institutionen erhalten zu können, war seit 1528 eine angemessene Bezahlung der Kirchendiener erforderlich. Die Besoldung der evangelischen Prediger stellte jedoch in Braunschweig, wie auch anderen Städten, die größte und langfristig gesehen wohl problematischste Aufgabe dar. Drei Faktoren waren hierbei maßgeblich: 1) Die extreme, nicht vorherzusehende Inflation des 16. Jahrhunderts – früher oft überspitzt als »Preisrevolution« bezeichnet,749 2) die Münzreformen des 16. Jahrhunderts und die sich hierbei ständig wandelnden Gold- und Silberverhältnisse750 sowie 3) der mangelnde Referenzrahmen für die Besoldung von 747 Ebd. 748 Vgl. z. B. StadtA BS, B I 7 Nr. 8, Bl. 88r (1586): Anna Obberßhusen, eines borgers dochter bey S. Peter, hadde sick vor 21 jaren laten beslapen, dardorch se de borgerschop was vorfallen, weill se sick aver mit kinderlernen hadde wol vorhalden, iß ohr de borgerschop tho 10 fl vam erbaren gemenen rade gelaten […]. 749 Vgl. Gerhard, Hans-Jürgen: Ursachen und Folgen der Wandlungen im Währungssystem des Deutschen Reiches 1500–1625. Eine Studie zu den Hintergründen der sogenannten Preisrevolution, in: Schremmer, Eckhart (Hrsg.): Geld und Währung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Stuttgart 1993 (= Vierteljahrschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Beihefte 106), S. 69–84. Zu den Verhältnissen im Braunscheig-Wolfenbüttel des 16. Jahrhunderts vgl. ders.: Die Geld- und Währungsgeschichte von 1500 bis zum Ende des Alten Reiches, in: Kaufhold, Karl Heinrich; Leuschner, Jörg; Märtl, Claudia (Hrsgg.): Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Braunschweigischen Landes vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Bd. 2, Hildesheim/Zürich/New York 2008, S. 73–124, hier insb. S. 78–92. Zur Münzgeschichte auch: Roth, Stefan: Geldgeschichte und Münzpolitik im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg im Spätmittelalter, Göttingen 2018 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 293). 750 Vgl. Gerhard, Hans-Jürgen: Niedersachsen und das deutsche Geld- und Währungsgeschehen der frühen Neuzeit, in: NdSächsJb 64 (1992), S. 71–88, hier S. 79. Für Braunschweig wirkten sich die Währungsreformen auf die Besoldung der Prädiger direkt aus und ge-

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Predigern. Eine adäquate Predigerbesoldung war in den 1520er Jahren von den Protestanten noch nicht ermittelt worden: Zuvor hatten Pfarrherren u. a. von Pfründen, Oblationen und Akzidentiengeldern (Stolgebühren) gelebt.751 Eine direkte Umrechnung in feste Geldbeträge, wie sie nun von den Reformatoren angestrebt wurde, erwies sich somit als äußerst problematisch, zumal nun auch noch Familien mit ernährt werden mussten.752 2.1.9.1 Besoldung und Wohnung der Prediger In Braunschweig wurden die von den Pfarrherren angestellten Predigerkapläne durch den Rat fast vollständig übernommen und ab Herbst 1528 wurde ihnen ein in der KO festgelegtes Gehalt ausgezahlt. Für die Übergangszeit vor Einrichtung der Schatzkästen (Ostern bis Martini 1528) erhielten die Prediger rückwirkend lediglich ein geschengck von fünf Gulden.753 Ab Martini 1528 belief sich ihr Gehalt dann gemäß KO auf jährlich 35 Gulden für unverheiratete und 45 Gulden für verheiratete Prediger; der Koadjutor sollte 50, der Superintendent jährlich 100 Gulden erhalten.754 Entrichtet wurden diese Summen von den neu aufgerichteten Schatzkästen, denn das Pfarrvermögen lag zunächst noch außerhalb der städtischen Verfügungsgewalt. Die Finanzlage war indes zunächst äußerst prekär: Bugenhagen selbst musste in Braunschweig Schulden aufnehmen, da ihn die Stadt ad hoc offensichtlich nicht ausreichend zu versorgen wusste.755 Schon 1529 musste überdies dem Prediger zu St. Michaelis vme der düringe willen ein Scheffel Roggen als Deputat boven synen solt gegeven werden, welches die folgenden Jahre noch erhöht wurde.756 Ein führender Kastenherr zu St. Magnus resümierte rückblickend, man hätte bzgl. des Soldes dann doch jnn folgender tidt

751 752 753 754 755

756

reichten der Stadt letztlich zum Nachteil: Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 7r–7v. Herzog Heinrich hatte 1556 seinen Landesgulden aufgewertet, und auch die Stadt hatte diesen angenommen und zahlte seinen Predigern 100 Gulden Gehalt. Da die Bürgerschaft der hzgl. Währungsreform nachfolgend nicht zustimmte, das Gehalt von 100 Gulden aber nicht wieder rückgängig gemacht werden konnte, musste den Predigern das Gehalt in alter, schwerer Münze gezahlt werden (= 133 Braunschweiger Gulden). Vgl. Petke, Oblationen. Vgl. zu diesbezüglichen Konflikten in Frankfurt a.M. 1538: Haas, Reformation, S. 46. Zu den Konflikten in Goslar: Graf, Pfründe, S. 102. Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 1, Bl. 4v: Jtem noch gaff jc her Hynrick vnsem predicanten to einem geschengcke, dat he vann Passchen wente to Michaelis geprediget hadde, ist v fl. Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 376. Die Umsetzung lässt sich gemäß der Rechnungen bestätigen. Vgl. Vogt, Otto (Hrsg.): Dr. Johannes Bugenhagens Briefwechsel. Gesammelt und herausgegeben durch Otto Vogt, mit einem Vorwort und Nachträgen von Eike Wolgast, Hildesheim 1966 (= Baltische Studien, 38), S. 141. Dort schreibt Bugenhagen in einem Brief: Auch hat derselbe Doctor Bruck, da ich noch in Pomern war, meinem Weibe in E. g. namen geschenkt die 20 taler, die ich zu Brunswig in meiner not von im nam, wedder zugeben. StadtA BS, F I 2 Nr. 2, Bl. 3v.

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bevundenn, dat sodanes tho orer husholde to ringe gewesen.757 Auch Bugenhagen scheint der zu geringe Lohn später aufgefallen zu sein, doch berichtet eine zeitgenössische Chronik später: Das er [= Bugenhagen M.V.] aber den preddigern dar jegen so geringe sthibendium vor ohrdenett hat, des hat er sich offt beklagett, das er zw der zeitt nicht mer hat erhalten kunnen.758 Luther selbst befand denn auch 1530 die Braunschweiger Predigerbesoldung als ungenügend.759 Um die Löhne erhöhen zu können, schlugen die Kastenherren daher 1531 vor, eff nith wise to drepende were, dat der predicanten mochten ringer gemaket werden.760 Grund hierfür war u. a. die träge verlaufende Einziehung von Vikarspfründen, während die Pfarrgüter den Kästen noch gänzlich entzogen waren. Hieraus entstanden längerfristig akute Geldnöte. Eine Verringerung der Prädikantenanzahl wurde anschließend aber abgelehnt, obgleich sich die Kastenherren beschwerten, sie könnten die Prediger nicht ordentlich besolden. Schließlich klagten dann auch die Prediger 1531 selbst beim Rat und gaben hier als Gründe ihrer Finanznot die Teuerung und anfallende Ausgaben für neue Bücher an.761 Der Rat mahnte nun alle Kastenherren, die Zinsen mit Ernst einzutreiben, notfalls das Einlager einzusetzen. Zudem sollte allen Predigern während der Teuerung ein Scheffel Korn als Deputat zugezahlt werden. Die finanziellen Engpässe der Schatzkästen lassen sich auch auf eine weitere Problematik zurückführen: Neben der Besoldung mussten unter enormem Kostenaufwand zugleich auch Häuser für die Prediger angemietet oder neu gebaut werden – denn die Pfarrhäuser waren weiterhin bis 1542/43 von den belehnten Pfarrherren – bzw. deren Gesinde – bewohnt.762 Zu diesem Zweck boten sich die nach und nach freiwerdenden Vikarshäuser an, welche den Stiftungen vielfach zugehörig gewesen waren. So wohnte z. B. der erste Magniprediger Heinrich Lampe seit 1529 im ehemaligen Vikarshaus der Horneborch’schen Kommende, worin ihm sein späterer Kollege Dietrich Meyer folgte.763 Für den zweiten Prediger, Johannes Oldendorp, musste 1531 eine Dornse neu gebaut werden, die sogar einen hochwertigen Kachelofen erhielt:764 Zuvor hatte man ihn 757 758 759 760 761 762

StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 5r. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 19. Vgl. WA Br. 5, S. 207. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 18v. Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 18r. Erst 1543 wurde das Pfarrhaus zu St. Magnus inventarisiert und Heinrich Lampe konnte als Prediger erstmals dort einziehen vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 8r. Vgl. dazu auch StadtA BS, B III 9 Nr. 9,1, Bl. 26r. 763 Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 44v: [T]o dussem lhene hefft her Harmesborch dat hus vp dem kerchove dar her Detrech vnse predeger jnn wont gegeven, de jt ock sulvest gebuwet hadde vnd an dussem hus heff de karck jarlig 1 m tins vnd hefft jt ock alle tidt jnn bw vnd beter geholdenn van anfanck des ewangeli do erstmall vnser herrn her Henrick Lampenn vnse prediger dar jnn gewysenn anno 1529 van der tidt heff jd de karck jn p[o]sses vnde gebruck gehadt. 764 Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 78, Bl. 9v–10r.

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in einem von Karsten Wylden eigens angemieteten Haus untergebracht – gegen jährlichen Hauszins von vier Gulden.765 Erst 1555 holte der katholische Pfarrherr Tile Blancke zu St. Magnus schließlich sein Hausgerät aus der Pfarre und erhielt fortan als Ausgleich einen Hauszins – hierfür durfte der (seit 1542 dort eingezogene) lutherische Prediger Heinrich Lampe in der Pfarre wohnen bleiben. Ähnliche Regelungen traf man für das Pfarrhaus von St. Martini.766 Auch das Pfarrhaus zu St. Petri war vor 1549767 immer noch im Besitz des Pfarrherrn, sodass der Rat dem Prediger ein Haus am Kirchhof anmieten musste. Erst 1549 löste der Weichbildrat die Zinspflicht des Hauses von dessen Besitzer Bartold Vischer aus.768 1566, nach dem Tod des katholischen Pfarrherrn, wurde der evangelische Prediger zu St. Petri erstmals mit der Pfarre – und dem zugehörigen Pfarrhaus – belehnt.769 Trotz des unentgeltlichen Wohnens verschlimmerte sich die finanzielle Lage der Prediger (nach eigenen Angaben770) jedoch immer mehr. Grund hierfür war nach Ansicht der Prediger vor allem die Beseitigung der Akzidenziengelder. Da der feste Predigersold anfänglich noch auszureichen schien, ließ der Rat im Generalkolloquium bereits kurz nach Einführung der KO sämtliche Stolgebühren abschaffen: Die Prediger mussten derhalben alle andere axsentalia (wie sie es nanten) fallenlassen, Solches warth innen allen im generall colloquio vonn den dar zw vorordenten hern bie vorlust ihres dinstes angemeldet vnd gebotten, das sie wider in der beichte odder bei den krancken odder sunst von den leutten nichtes nehmen solten, Es warth auch dar auff so

765 Vgl. ebd., Bl. 8r. 766 Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 463, Bl. 3r auch StadtA BS, B IV 11 Nr. 23, Bl. 1v. Zum Schoß in Braunschweig vgl. Fahlbusch, Otto: Die Finanzverwaltung der Stadt Braunschweig von 1374– 1425, Breslau 1913 (= Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, 116), S. 102–120. 767 Effektiv natürlich nur bis 1542. Denn mit der schmalkaldischen Besetzung wich auch der dortige Pfarrherr Heinrich Stappensen bis 1547. Rechtlich war er jedoch bis 1549 im Besitz des Pfarrhauses. 768 Vgl. StadtA BS, B II 4 Nr. 107, Bl. 18r. 769 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 35. 770 Faktisch nachweisen lässt sich ein finanzieller Notstand der Prediger im 16. Jh. nicht wirklich – dies belegen u. a. die Nachlässe der verstorbenen Geistlichen. So hinterließ der 1543 verstorbene Pfarrer Tile Krüger zu St. Michaelis 453 Gulden an Vermögen und Peter Netze zu St. Ulrici (1580) sogar 1635 Gulden. Vgl. Mohrmann, Alltagswelt, S. 246–247. Der Prediger Johann Lafferdes schätzte 1547 allein sein Hausgerät (ohne Barvermögen und Immobilien) auf ca. 400 Gulden Wert ein. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 143, Bl. 3v. Auch der private Buchbesitz der Prediger, der im Schnitt 348 Bände umfasste, lässt nicht auf einen finanziellen Notstand schließen. Vgl. Mohrmann, Alltagswelt, S. 247–248. Die Klagen der Prediger dürfen demnach eher relativer Natur gewesen sein: Aufgrund der Inflation und einer zunehmenden Einbindung der Geistlichen in die höheren Gesellschaftsschichten der Stadt, stiegen deren Ausgaben an – was aber nicht zwingend hieß, dass die Prediger am Hungertuch genagt hätten.

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gar genaw achtung dar auff gegeben, das sie gar keine zwvelle habben scholden von den coppelatien der brauth […].771

Bis wann die Akzidenziengelder genau abgeschafft blieben, ließ sich nicht feststellen, da die Schatzkastenrechnungen diesbezüglich natürlich nichts verzeichnen. Sie wurden aber vermutlich sehr bald, spätestens jedoch während der zweiten Hälfte des 16. Jahrunderts wieder eingeführt, als die zunehmende Inflation diesen Schritt notwendig erscheinen ließ. Jedenfalls wurde der Beichtpfennig in den 1590er Jahren bereits als selbstverständlich angesehen,772 Taufgebühren lassen sich spätestens ab dem 17. Jh. sicher nachweisen, ebenso solche für Beerdigungen.773 Aufgrund der mangelnden Einnahmen setzten sich auch in den 1530er Jahren die Klagen der Prediger beständig fort. Selbst Urbanus Rhegius, der im April 1538 in Braunschweig weilte, bat beim Rat erfolglos um eine Solderhöhung der Prediger.774 Rat und Kastenherren konnten die Bittgesuche der Prediger jedoch nicht dauerhaft ignorieren: Die Besoldung der Braunschweiger Geistlichen war auch im Vergleich zu anderen Städten um 1540 keineswegs mehr adäquat, vielmehr war sie es nie gewesen. Rhegius hatte dies bereits 1531 erkannt und seine Lüneburger KO demzufolge konzipiert: Hier bekam schon ein einfacher Prediger 120 Gulden ausgezahlt. Ein Sold, neben dem sich »die Besoldungsvorschläge der Braunschweiger Kirchenordnung bescheiden« ausnahmen.775 Selbst die Prediger kleinerer Nachbarstädte wie etwa Helmstedt oder Gandersheim sollten nach Ansicht der Visitatoren 1542 immerhin 80 Braunschweiger Gulden erhalten;776 der Pfarrer zu Schöningen gar 88 Gulden.777 Nachteilig auf die Braunschweiger 771 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, Bl. 20. 772 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 5, Vol. 2, pag. 176: Ob nun wol die beichtpfennige, neben ander verehrung bey vielen hochgeschätzet, und eine zimliche hülffe der ordentlichen besoldung geachtet werden köndte […] so befinden wir doch an unserm orte [= im Sack M.V.], daß solche der pfarrkinder hülffe und handreichung von iahren zu iahren mercklich abnimpt: viele können sich ein gantzes iahr mit einem beichtpfennig behelffen. Auch 1636 waren sie in Gebrauch. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 181. 773 Vgl. StadtA BS, G III 2 Nr. E 188 Teil 2, pag. 1: Wen ein kindt gebohren wird […] so müßen sie dem prediger für selbiges kindt zu tauffen geben 18 mgr vnd dem opperman 9 mgr. Angabe aus einem Taufregister von 1661. Zu den Beerdigungskosten im 17. Jahrhundert vgl. Kurnatowski, Wolf-Dietrich: St. Leonhard vor Braunschweig. Geschichte des Siechenhospitals, der Kirche und des Wirtschaftshofes, Braunschweig 1958 (= Braunschweiger Werkstücke, 23), S. 35 [Fußnote]. 774 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 10 [o.P., letztes Blatt]. 775 Gerecke, Richard: Studien zu Urbanus Rhegius’ kirchenregimentlicher Tätigkeit in Norddeutschland. Teil 2: Die Neuordnung des Kirchenwesens in Lüneburg, in: JGNKG 77 (1979), S. 29–95, hier S. 82. 776 Vgl. Kayser, Karl (Hrsg.): Die reformatorischen Kirchenvisitationen in den welfischen Landen 1542–1544. Instruktionen, Protokolle, Abschiede und Berichte der Reformatoren, Göttingen 1897, S. 61 u. 76. 777 Vgl. ebd., S. 66.

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Lohnfrage wirkte sich vor allem ein ganz konkretes Problem aus: Im Laufe der 1530er und 1540er Jahre verhandelten die Prediger üblicherweise jeweils einzeln mit ihren zuständigen Kastenherren. Hierbei entstand ein diffuses Konglomerat verschiedener Löhne und Deputate, bei dem natürlich gerade die Prediger der ärmeren Gemeinden hinter ihren Kollegen der reicheren Kommunen weit zurückstanden. Dies wurde umso virulenter, als die Löhne sich 1543 z. B. in St. Martini auf 100 Gulden778 mehr als verdoppelt hatten, während sie bei St. Magnus auf einem weitaus niedrigeren Niveau verharrten (vgl. zur Lohnentwicklung 1528–1599 Grafik 4 im Anhang). Die Prädikanten wussten ob dieser ungleichen Behandlung und klagten fortwährend, zumal die Lohndifferenzen beim Austausch im Kolloquium deutlich geworden waren.779 1554 kam es dann endlich zu einer Resolution des Küchenrates, der beschloss, eynn gelike besolde allen predicanten […] to maken alse, dat men eynem jtliken predicanten jerlich schulde geven hundert gulden to 20 margr [= Mariengroschen M.V.] vnd dre scheppell roggen.780 Aufgrund der rasanten Preisentwicklung wurden die Prädikantenlöhne aber auch in der Folgezeit massiv angehoben. Von besagten 100 Gulden im Jahr 1554 wurde der monetäre Lohn zunächst versehentlich aufgrund von Münzwirren auf 133 Gulden erhöht (1556),781 sodann von 180 Gulden (1566) auf 200 Gulden (1575) und schließlich pendelte sich der Geldlohn bis 1599 auf 210 bzw. 220 Gulden ein.782 Hinzu kamen ein massiv ansteigendes Korndeputat sowie zahlreiche Legate aus Testamenten frommer Bürger, schließlich auch die bald wieder erhobenen Stolgebühren und Leichenlaken.783 Die Klagen zur Predigerbesoldung wurden ab den 1550er Jahren zumeist im Generalkolloquium oder vor dem Rat durch die Superintendenten vorgetragen – insbesondere die Superintendenten Mörlin und Chemnitz setzten sich in diesem 778 Diesen Lohn zu St. Martini dürfte Bugenhagen auch im Kopf gehabt haben, als er von Braunschweig 1544 nach Hildesheim reiste, um die dortige KO zu erstellen, laut welcher die Pfarrer ebenfalls 100 Gulden erhielten. Vgl. Dürr, Kultur, S. 141. 779 Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 6v. 780 Ebd. Lange hielt dies nicht. Im 18. Jh. war die Ungleichheit dann schließlich wieder eklatant: StadtA BS, G I 2 Nr. 58, Bl. 3r–14r. 781 Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 7r–7v. Nachdem Heinrich d.J. den Gulden aufgewertet hatte, wurden auch den Predigern 100 neue Gulden gezahlt. Die Bürgerschaft stimmte nachfolgend der hzgl. Währungsreform jedoch nicht zu. So mussten den Predigern weiterhin 100 hzgl. Gulden (= 133 Braunschweiger Gulden) gezahlt werden. 782 220 Gulden erhielt der erste Prediger, 210 Gulden der zweite. Vgl. hierzu Grafik 4. Die Zahlen, auf die Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 533 kommt, erschließen sich mir nicht. Das Grundeinkommen lag generell bei 210 bzw. 220 Gulden – hinzu traten lediglich verschiedene Einnahmen durch Legate etc. 783 Die Prediger durften die Leichenlaken nach den Beerdigungen behalten. StadtA BS, G II 1 Nr. 31, Bl. 297r (1562). Eigenhändige Auskünfte zu den umfassenden Predigereinkünften inkl. Legaten, Opfergeldern usw. existieren für Braunschweig erst ab dem 18. Jahrhundert. Vgl. StadtA BS, G I 2 Nr. 58, Bl. 3r.

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Punkt für die Geistlichen ein. So lassen sich denn auch zahlreiche Lohnstreitigkeiten und Dispute seit 1554 nachweisen, die bisweilen mit den Solderhöhungen korrespondierten: 1554/55, 1561, 1563, 1565, 1569, 1571, 1573, 1574, 1584, 1590, 1594, 1596 und 1597.784 Doch waren die vielfachen Klagen der Geistlichen wirklich begründet? Tatsächlich ließ sich für Braunschweig eine zunehmende Inflation anhand rapide steigender Getreidepreise feststellen, wie auch die beigefügte Grafik 6 im Anhang bezeugt: Von ca. einem Gulden pro Scheffel Roggen um 1530 stieg der Preis in Braunschweig um das Sechsfache auf 6–7 Gulden pro Scheffel um 1599 an.785 Solderhöhungen scheinen damit in der Tat unumgänglich gewesen zu sein. Obwohl aber die Löhne aufgrund der Inflation stark angehoben wurden, so war doch das Gehalt im Verhältnis anderer Großstädte selbst 1596 wohl noch zu gering: Herr Wagner sagte mit betrübtem gemüth, das ehr diesen zustandt nicht gehoffett hat, dann ehr zuvor beßer besoldung ann anderen orten gehabt als hir.786 Hart verhandelt wurde daher zwischen 1528–1599 vor allem um das Vierzeitenopfer. Dieses wurde, wie oben beschrieben, seit der Reformation in Braunschweig nicht mehr dem Pfarrer ausgezahlt, sondern gemäß der KO direkt von den Schatzkästen eingezogen. Es war in den größeren Pfarrkirchen Braunschweigs keineswegs unbedeutend: So nahm etwa der Kasten zu St. Martini 1570/ 71 immerhin 134 Gulden an den vier Opfertagen ein. Zwar war die Spendenbereitschaft nach 1528 vorerst ein wenig geringer als in vorreformatorischer Zeit, sie stieg jedoch rasch auf ein deutlich höheres Niveau als vor 1528 an (vgl. Tabelle 5 im Anhang).787 Trotz zahlreicher Klagen der Geistlichen um den Vierzeitenpfennig,788 insbesondere um 1589/90, behielten sich die Kastenherren noch lange Zeit diese Einnahmen vor: Der vierzeitpfennig könde den predigern nicht zugewendet werden, den der wer jn der kirchenordnung anderswohin gewendet (1589).789 Als unbedeutender Ausgleich etablierte sich seit der 2. Hälfte des 16. Jh. ein Stübchen Wein als Geschenk für die Prediger.790 Erst im Laufe des 17. Jahr-

784 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 98r–99v (1555); StadtA BS, B IV 11 Nr. 162, Bl. 4r (1561); ebd. Bl. 142r (1565); StadtA BS, B IV 11 Nr. 20, Bl. 63r (1573); StadtA BS, B I 4 Nr. 75, pag. 309 (1574); StadtA BS, B IV 11 Nr. 143, Bl. 43r (1584); StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 164r (1590); StadtA BS, B I 4 Nr. 2, pag. 636 (1594); StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 16v (1596); StadtA BS, H III 7 Nr. 5 Vol. 2, pag. 176–177 (ca. 1597/98). 785 Vgl. Grafik 6 im Anhang. 786 StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 16v. 787 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 20: [D]er vir zeitt pfenning brachte auch zw der zeitt nicht vill, vnd die weil wie vorvormeldet die besoldung ein gross ansehenth hatte, lis sich ein ider bedüncken es were ime nicht vonnoten. 788 StadtA BS, B IV 11 Nr. 162, Bl. 4r (1561): Verhofften […] sie mocht[en] den vier zeyt pfennig vnder sich tailen. 789 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 154v. 790 Vgl. ebd., Bl. 152v.

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hunderts wurde eine fixe Ausgleichssumme für den Vierzeitenpfennig etabliert, die ebenfalls sehr gering war und sich im Bereich weniger Taler bewegte.791 2.1.9.2 Besoldung von Koadjutor und Superintendent Eine Ausnahme bei der Besoldung bildeten die beiden Ratsämter Koadjutor und Superintendent. Deren Sold war 1528 mit 50 bzw. 100 Gulden ebenfalls deutlich zu niedrig veranschlagt worden. So erhielt z. B. der Superintendent Goslars (Paul vom Rode) 1531 bereits 300 Gulden.792 Folglich stiegen die Soldzulagen dieser Ämter rasch in schwindelerregende Höhe, insbesondere, als mit Nikolaus Medler der erste promovierte Superintendent in Braunschweig angestellt wurde. Aber auch Chemnitz, der wegen seiner vielfachen Vokationen aus Dänemark, Österreich, Lübeck, Helmstedt/Wolfenbüttel und Preußen nur schwer in Braunschweig zu halten war,793 ließ in zahlreichen neuen Bestallungsverträgen das Gehalt des Superintendenten massiv ansteigen (vgl. Grafik 4).794 Von den ursprünglich 100 Gulden im Jahr 1528 stieg z. B. das Gehalt des Superintendenten bis 1542 auf 150 Fl., dann auf 296 Fl. (1546), 320 Fl. (1553), 476 Fl. (1563) und 730 Fl. (1571). Bis 1576 hatte sich das Gehalt bereits auf 836 Fl. erhöht, in den 1590er Jahren betrug es schließlich 900 Gulden. Die Verhandlungen fanden immer nach einem eingegangenen Vokationsschreiben statt und Mörlin, Chemnitz wie auch Pouchemius nutzten diese Situationen durchaus zu ihren Gunsten.795 Neben dem Sold und freier Wohnung etablierten sich nach und nach weitere bedeutende Zulagen für Koadjutor und Superintendent: Jährlich ein feister Ochse, Holz- und Buttergeld sowie mehrere Scheffel Korndeputat. Dennoch nannte Koadjutor Pouchemius 1574 die angeblich nach wie vor mangelhafte Besoldung als Grund seines Wegzuges nach Lübeck: Sagt, [er] sei auch dieses jahr vber zweyhundert thaler [in] schuldt gerathen, weil ehr nun nach seinem absterben seine fraw vnd kinder jn armut lassen müste, derowegen jme nicht verdencken konnen, das ehr sich an andere ortter begeben müchte.796 791 1755 bekamen die Prediger z. B. pro Quartal einen Taler, 18 Mariengroschen. Vgl. StadtA BS, G I 2 Nr. 58, Bl. 7r. 792 Vgl. Hesse, Otmar: Die Superintendenten Goslars 1528–1552, in: JGNKG 94 (1996), S. 95– 108, hier S. 102. 793 Vgl. Mager, Inge: »Ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel«. Zum Amtsverständnis des Braunschweiger Superintendenten und Wolfenbüttelschen Kirchenrats Martin Chemnitz, in: BsJb 69 (1988), S. 57–69, hier S. 61. Zur dänischen Vokation (1564) vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 11 [o.P.]. 794 Vgl. dazu auch Mager, Testament, S. 122. 795 Vgl. zu Chemnitz’ verbesserten Bestallungsverträgen: StadtA BS, B I 2 Nr. 7, pag. 699 (1566); ebd., pag. 781 (1571); StadtA BS, G II 1 Nr. 4, pag. 991–995 (1576) auch StadtA BS, B I 6 Nr. 4, Bl. 120r–125r. Zu Pouchemius: StadtA BS, B IV 11 Nr. 39, Bl. 32r–32v. 796 StadtA BS, B IV 11 Nr. 39, Bl. 33v.

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Die Herkunft der Soldzahlungen für beide Ämter war in der KO nicht festgelegt. Anfänglich ging man deshalb 1528 dazu über, dem reichsten Schatzkasten (St. Martini) die Bezahlung des Superintendenten, dem zweitreichsten Schatzkasten (St. Katharinen) den Unterhalt des Koadjutoren aufzutragen. Durch den massiven Soldanstieg seit dem zweiten Superintendenten Medler war aber an den alleinigen Unterhalt durch die beiden Kästen nicht mehr zu denken. Ab 1553/54 (Mörlin/Chemnitz) wurde die Hälfte des Superintendentensoldes von der Münze (= Stadtkämmerei) übernommen, ¼ übernahm eine unbenannte Quelle (vermutlich ein Kloster) und nur ¼ der Schatzkasten St. Martini selbst. Die Verbuchung lief aber nichts desto trotz weiterhin über den Schatzkasten. Ab 1562/63 kam es dann zu einer Viertelung: ¼ übernahm die Münze, ¼ das Kloster St. Ägidien, ¼ das Kloster St. Crucis und ¼ weiterhin der Kasten.797 1588 erfolgte dann schließlich auch die Abrechnung über die Stadtkämmerei selbst – die Schatzkästen zahlten lediglich noch ihren Anteil (¼) an die Münze.798 Auch dieser Anteil des Schatzkastens wurde ab 1589 aufgehoben. Die Besoldung lag ab da ganz bei der Stadt. Nun fiel es der Kämmerei jedoch zunehmend schwer, die äußerst hohen Summen alleine aufzubringen – um 1588 bekamen Superintendent und Koadjutor zusammen bereits 1192 Gulden. Nachdem 1623 kriegsbedingt bereits eine Zehnpfennigsteuer für die Kirchen und Hospitäler zum Unterhalt beider Ämter eingeführt worden war,799 ließ man 1631 schließlich einen neuen Bezahlungsmodus einrichten, der das Gehalt (von bereits 3150 Gulden) auf sämtliche geistliche Institutionen der Stadt (Klöster, Kirchen, Hospitäler, Armenkästen) verteilte.800 Hierbei sollte es nun vorerst bleiben. 2.1.9.3 Versorgung kranker und altersschwacher Prediger Nach 1528 war zunächst noch unklar, wie abwesende, alte oder kranke lutherische Prediger versorgt bzw. vertreten werden sollten. Vor der Reformation hatte sich die Stadt nicht um diese Problematik kümmern müssen: Der Pfarrer blieb in Amt und Pfründen und ließ seine Aufgaben einfach von seinen angestellten Kaplänen verrichten.801 Das änderte sich jedoch 1528, als die Versorgung der lutherischen Prediger in die Verantwortung des Rates gelangte. Die KO vermeldete hinsichtlich der alten und kranken Prediger unspezifisch: Unde wen en ock krankheit edder older ankumpt, dat se nicht mehr konen uns denen, so wille wy se doch vorsorgen mit aller notroft.802 Doch wie wurde dies künftig geregelt? 797 798 799 800 801 802

Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 18, Bl. 9v. Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 38, Bl. 11r. Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 81r. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 99 [o.P.], Bl. 1r [eig. Pag.]. Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, Bl. 1r. Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 376.

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Im 16. Jahrhundert ließen die Braunschweiger in solchen Fällen noch selten einen festen Adjunkten anstellen, wie es andernorts üblich war803 und später auch hier üblich werden sollte.804 Stattdessen etablierte sich eine relativ festgelegte Vorgehensweise, nach welcher der Prediger sein Gehalt weiterhin ausgezahlt bekam. So erhielt Johann Ripen 1574, nachdem er aufgrund seines Alters von schwachheit geplagt war, sein volles Gehalt von 200 Gulden und vier Scheffeln Korn bis zu seinem Tode, obgleich ein neuer Prädikant eingestellt wurde. Gezahlt werden musste diese enorme zusätzliche Summe nach langen Verhandlungen anteilig von allen Klöstern und Kästen.805 Bei nicht permanenten Krankheiten der Prediger wurden entweder Lehrer oder Landpfarrer der umliegenden Dörfer als Aushilfsprediger engagiert, wie etwa 1581, als der Rüninger Pfarrer Jebus den kranken Johann Levericus (St. Katharinen) zu vertreten hatte.806 Der Prediger Johann Lossius vermochte seit 1596 aus Altersschwachheit ebenfalls nicht mehr zu predigen. Auch er erhielt nach einem entsprechenden Bittgesuch sein gewöhnliches Gehalt von 200 Gulden weiter.807 Derweil ließ man ihn vom Konrektor zu St. Martini beim Predigen vertreten und entrichtete diesem dafür einen kleinen Obolus von fünf Talern aus dem Schatzkasten.808 Die so dargelegte Praxis der Altersversorgung wird in einem späteren Fall von 1609 nochmals eindrücklich zusammengefasst: Weil herr Jürgen Schlüter nicht mehr fortkommen kunte wegen seiner langwierigen schwachheitt: Damitt ehr sich aber nicht zubeschweren haben möchte, wehren sie [= die Ratsherren M.V.] des erbietens, ihm die zeitt seines lebens seine besoldung, wie sonst einem prediger, zureichen, seine wohnung zu lassen, vnd sonst allen geneigten willen nach vermügen zubeweisen […].809

Aus ökonomischen Gründen konnte man jedoch Koadjutoren und Superintendenten in einem solchen Falle nicht ihr volles Gehalt weiterzahlen. Als Superintendent Lukas Martini 1598 erkrankte, schloss der Rat 1599 mit dessen Frau einen Vertrag, der ihm bis zu seinem Tod 400 Gulden (+ Deputat) zusicherte, überdies hatte er das Pfarrhaus dem potenziellen neuen Superintendenten zu räumen.810 Das entsprach etwa der Hälfte seiner vorherigen Besoldung (500

803 Vgl. Würth, Hanna: Pfarrwitwenversorgung im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin von der Reformation bis zum 20. Jahrhundert, Diss., Göttingen 2005. [Onlinepublikation: http://hdl .handle.net/11858/00–1735–0000–0006-B394–2, Abruf: 18. 4. 2021], S. 14–21. 804 Vgl. z. B. StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 359 (1731). 805 Vgl. StadtA BS, B I 6 Nr. 5,2, Bl. 319r–319v. Vgl. auch ebd., Bl. 347v. 806 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 216, Bl. 16r. 807 Zu Lossius Rücktrittsgesuch: StadtA BS, B IV 11 Nr. 153, Bl. 58r. Lossius verweist in seinem Bittgesuch auf den oben zitierten Absatz der KO als Begründung (Bl. 59r). 808 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 44, Bl. 33v. 809 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 42r. 810 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 20, Bl. 23v.

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Goldgulden). Die Predigten der Koadjutoren und Superintendenten übernahmen während einer Vakanz oder Abwesenheit die Prediger – dabei blieb es nachweislich bis ins 17. Jahrhundert.811 Bei einer ordentlichen Vakanz durch Hinscheiden oder Wegzug der Geistlichen, vertraten die Prediger das jeweilige Amt ein Jahr kostenlos – anschließend wurde der Rat um eine entsprechende Ausgleichsbestallung angehalten.812 Bei länger währender Vakanz war der Rat daher gezwungen, die Predigten des vakanten Amtes durch das Ministerium übernehmen zu lassen. Hierfür waren dann natürlich regelmäßige Entschädigungszahlungen an die Prediger zu leisten, wie z. B. zwischen 1552–1554: Denn predicanthen indttsameth vorertth darffor, datt sze datt ampt des coadjuthors hebben vorhegett.813 2.1.9.4 Versorgung der Pfarrwitwen Eine weitere Problematik, die es zu lösen galt, war die Versorgung der Pfarrwitwen. Dieser »wundeste Punkt des neuen evangelischen Pfarrstandes« führte zu vielerlei Verhandlungen.814 Vor 1528 war verständlicherweise keine Versorgungsinfrastruktur für die Hinterbliebenen der Pfarrer notwendig gewesen. Mit dem Heiratsgebot der protestantischen Prediger änderte sich dies jedoch. Bugenhagen schrieb hierzu in der KO unspezifisch: Unde so se [= die Prediger M.V.] dorch stervent afgingen, wille wy ören frauen unde kyndern helpen, so lange se id konen beteren unde sulvest to eyner neringe kamen, dardorch se werden vorsorget.815 Doch wie sollte diese Hilfe aussehen und umgesetzt werden? Bereits 1531 trat mit der Witwe des verstorbenen Hermann Hoyer zu St. Andreas die erste Pfarrwitwe auf. Die Kastenherren baten daraufhin, sie vorerst aus den Klostergütern des noch bestehenden Dominikanerklosters zu versorgen.816 Allerdings konnte dies keine dauerhafte Lösung darstellen. Nachdem es bis in die 1540er Jahre weiterhin keine festgelegte Pfarrwitwenversorgung gegeben hatte,817 bür-

811 Vgl. StadtA BS, F I 4, Nr. 51, Bl. 8r (1553); StadtA BS, G II 1 Nr. 31, Bl. 297v (1562); StadtA BS, B I 4 Nr. 2, Bl. 851r (1594); auch: StadtA BS, C IX Nr. 100 [o.P.]. Sitzung vom 29. 8. 1640. 812 Vgl. StadtA BS, B I 4 Nr. 2, Bl. 851r. 813 StadtA BS, F I 4 Nr. 51, Bl. 8r. 814 Vgl. Mager, Inge: Drei Frauen halten ihren Männern den Rücken frei. Walpurga Bugenhagen, Anna Rhegius und [Anna] Margarethe Corvin, in: JGNKG 97 (1999), S. 237–248, hier S. 241. 815 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 376. 816 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 2r. 817 Noch 1549 lassen sich keine Versorgungsbezüge der im April 1549 verwitweten Frau von Ludolf Petersen in den Kastenrechnungen nachweisen. Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 14, Bl. 7r. 1551 ließ sich erstmals ein Gnadenhalbjahr zu St. Magnus belegen. Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 5v.

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gerte sich deshalb in Braunschweig – wie in anderen Territorien818 – um 1550 schließlich das »Gnaden(halb)jahr« für Pfarrwitwen ein. 1563 wurde es auch im Pfandgericht Asseburg per Edikt eingeführt.819 Zwei Quartale nach Versterben des städtischen Predigers wurde dessen Sold weiterhin seiner Familie ausgezahlt – während dieser Zeit stellte man daher noch keinen weiteren Prediger ein, sondern ließ die Stelle durch das Geistliche Ministerium (unentgeltlich) verwalten. Die Regelungen scheinen nicht unüblich gewesen zu sein, denn sie sind etwa zur selben Zeit auch in der Nachbarstadt Goslar eingeführt worden (1550).820 Die Prediger akzeptierten solche Auflagen trotz des Mehraufwandes an Arbeit, da hierdurch auch die Zukunft ihrer eigenen Familie abgesichert wurde. In Einzelfällen ließ man dieses Gnadenhalbjahr zudem auf die hinterlassenen Waisen übertragen – so etwa 1551, 1594 und 1609 – doch geschah dies aus Wohlwollen von Rat und Geistlichkeit und war keineswegs obligatorisch.821 Zusätzlich zum Gnadenhalbjahr erhielt die Pfarrwitwe eine kostenfreie Wohnung. Anders als in Goslar, wo die Witwen nur während des Gnadenjahrs noch im Pfarrhaus wohnen bleiben durften, stand den Braunschweiger Witwen bis zur Wiederverehelichung eine eigene Wohnung zu.822 Dementsprechend bedurfte man eigens zu diesem Zweck bereitgestellte Pfarrwitwenhäuser, die erst noch errichtet werden mussten – stellten Pfarrwitwen doch ein Novum der Reformation dar. In der Altstadt scheint es indessen noch bis in die 1550er Jahre keine festen Witwenhäuser für die Predigerfrauen gegeben zu haben. Da sich der Rat nicht um eine Besserung der Lage kümmerte, nahm sich schließlich der Prediger zu St. Martini, Johann Coleander des Problems an.823 Durch umfangreiche Spendensammlungen und Aufrufe von der Kanzel brachte er die nötigen Ressourcen für neue Witwenhäuser von den erbarn guthertzigen vnd godtfürchtigen leuten der Altstadt zusammen.824 Von den Spenden ließ Coleander 1559 sogleich drei Pfarrwitwenhäuser an der Echternstraße (zur Michaelispfarre gehörig) errichten. Nachdem der Rat hierüber informiert worden war, erkannte auch er die Vorteile dieser neuen Witwenhäuser an. Der Altstädter Rat besprach 818 So etwa in Braunschweig-Wolfenbüttel oder Mecklenburg. Vgl. Würth, Pfarrwitwenversorgung, S. 45. Auch Goslar kannte seit 1550 das Gnadenhalbjahr für Pfarrwitwen. Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VII 2,2,2, S. 209. Das Gnadenjahr war nicht dezidiert reformatorisch, insb. die Stifte gebrauchten es schon seit dem Mittelalter. 819 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 5, pag. 169–171; auch: StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 71–73; StadtA BS, B IV 11 Nr. 143, Bl. 55r. Im Gericht Asseburg durfte demnach seit 1563 die Witwe den Pfarrhof ½ Jahr weiterhin verwalten, die beiden nächsten Pfarrer versorgten derweil den Pfarrdienst. Zum Eichgericht: StadtA BS, H V Nr. 142 [o.P.]. 820 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VII 2,2,2, S. 209. 821 Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 5v (1551); StadtA BS, B I 4 Nr. 2, pag. 665 (1594); StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 37v–38r (1609). 822 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VII 2,2,2, S. 324. Verordnung von 1566. 823 Vgl. dazu auch: StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Vol. 2, pag. 64. 824 StadtA BS, A III 1 Nr. 305.

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sich daraufhin mit dem Küchenrat und den Zehnmännern und beschloss, diese Häuser künftig von Seiten der Stadt öffentlich als Pfarrwitwenhäuser der Altstadt zu nutzen: Dies galt folglich für die Witwen der Prediger zu St. Martini, St. Petri und St. Michaelis.825 Damit verbunden war eine vollständige Befreiung der Häuser von Steuern und bürgerlichen Lasten. Die Verwaltung und Instandsetzung übernahm der Schatzkasten von St. Martini. Allerdings machte der Rat den Pfarrwitwen auch Auflagen: Da auch eine oder etzlich derselben witwen zur andern ehe gereiffen, oder sonst, des doch nicht vermutlig, ein schandbar vnd boses leben füeren worden, vnd nach einer oder mehren vermanung sich nicht bessern wolten, sollen obberürte wohnung vnd freiheit gentzlig verlustig sein.826 Noch besser sah es demgegenüber für das Weichbild Sack aus. Die Kirchenfabrik zu St. Ulrici besaß gleich fünf Wohnhäuser und brachte diese nach der Reformation in den Schatzkasten ein. So konnte man die Häuser vermieten und doch bei Bedarf zinsfrei an etwaige Pfarrwitwen übergeben. 1556 erhielt z. B. zeligen her Ludolf Peters, des predicanten fruwen, eine der Wohnungen.827 In die zweite der fünf Wohnungen wurde 1560 des magisters her Lafferdes fruwe de wonynge wedder jngedan, tyns fry, na lude vnser ordynantyn.828 Nach dem Tod der Witwe Lafferdes’ erhielt 1588 die Witwe des Predigers Friedrich Peters das gleiche Wohnhaus und zwar so lange se ihn orem wedewensthande bleff.829 Allerdings wurde diesen Häusern nicht wie in der Altstadt ein exklusiver PfarrwitwenhausStatus zuteil: Da der Schatzkasten sie nebenbei auch anderweitig vermietete, mussten sämtliche Abgaben der Häuser regulär an den Rat entrichtet werden. Auch für die Altewiek lässt sich schließlich – wenn auch erst spät – ein Pfarrwitwenhaus bei St. Magnus nachweisen. Nachdem man vermutlich bislang kein eigenes Pfarrwitwenhaus besessen hatte, beschloss man 1591 auch hier, eine Wohnung für die Witwen im ehemaligen Kaplanshaus einzurichten.830 An entsprechenden Wohnungen für Witwen bestand damit spätestens seit der zweiten Jahrhunderthälfte kein Mangel mehr. Ungeachtet der Wohnung blieb die weitere Sustentation der Witwen nach verwichenem Gnadenhalbjahr jedoch nach wie vor ungeklärt und situationsabhängig. Chemnitz versuchte dies 1571 in Ratsverhandlungen zu ändern und schlug eine jährliche Pro-Kopf-Versorgung von einem Scheffel Korn je Person 825 826 827 828 829 830

Vgl. ebd. Ebd. StadtA BS, G II 7 Nr. 27, Bl. 74r. Ebd, Bl. 77r. Ebd. Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 9v [Tintenpaginierung]: Der 9 martij a 91 ist von den oldesten des rades vnd den kastenhern in der Oldewick beradtschlaget vnd beschloten worden, dat men dat kappelans huß mit mit [sic!] einer plancken vp den phar hove schal afwercken vnd der witwen eine bequeme wo[n]in[g] dar vth maken laten.

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(also Witwe + Kinder) vor. Er erreichte sein Ziel jedoch nicht – im 1571 abgeschlossenen Vertrag zur Versorgung der Pfarrwitwen wurde erneut nur festgeschrieben, dass den Witwen nach gelegenheit der antzall der personen zimlige zulage widerfaren solle.831 Chemnitz selbst resümierte angesichts dieser unverbindlichen Zusagen enttäuscht, er habe die hoffnung, das es mit der zeit köndte gebessert werden.832 Es ist somit irreführend, wenn bei Sehling die Behauptung aufgestellt wird, dass 1571 »die Versorgung der Pfarrwitwen und -waisen sichergestellt« worden sei.833 An der Witwe Johann Coleanders lässt sich 1567–1577 die nach wie vor ungleichmäßige Versorgung nachvollziehen: Sie bekam bis zu ihrem Tod 1577 jährlich laut den Kastenrechnungen verschiedene Mengen an Korn (0,5 bis 3 Scheffel).834 Eine feste Summe etablierte sich also auch nach dem Vertrag von 1571 ganz offensichtlich nicht. Um wenigstens die sichere Versorgung für ein ganzes Jahr zu gewährleisten, versuchte das Ministerium 1590 schließlich, das Gnadenhalbjahr auf ein Gnadenjahr auszudehnen.835 Der Rat schlug das Ansinnen jedoch aus.836 Erst 1591 erreichte man endlich nach harten Verhandlungen, dass Pfarrwitwen im Anschluss an ihr Gnadenhalbjahr eine jährliche Zahlung von 10 Gulden und zwei Scheffel Korn erhalten sollten. Doch auch dies musste 1593 nochmals vom Ministerium im Generalkolloquium angemahnt werden.837 Erst ab 1597 lässt sich die Umsetzung dieser Regelung anhand der Kastenrechnungen wirklich nachweisen,838 doch blieb die Regelung anschließend immerhin von Dauer: Noch 1656 und 1663 erhielten Predigerwitwen jährlich die 831 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 7, pag. 785. Auch von Chemnitz’ eigener Hand: StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 28r. Weitere Abschriften: StadtA BS, H V Nr. 142 [o.P.] sowie StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 20r. Die Rechnungen erweisen allerdings, dass zu diesen Zulagen z. B. auch der Brautschatz als Aussteuerbeihilfe zählte, etwa 1571 im Falle der Tochter des verstorbenen Johann Colander. Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 25, Bl. 24r. 832 StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 28r. 833 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 343. 834 Vgl. z. B. StadtA BS, F I 1 Nr. 23, Bl. 13v. 835 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 1, Bl. 108v–109r: Die weill wir auch vnsern widwen vnd weisen, wenn die vnsern todt ableben, wenig deß sie sich vnserntwegen khönnen zuerfrewen haben, verlassen khönnen, so ist gleichsfals hiemitt vnsere demütige bitt vnd suchen, e. e. w. vnd g. wolte denselben, nach vnserm absterben, ein gantz gnaden jar (wie anderer örter gebreuchlich) einreumen vnd folgen lassen: Vnd dann ferner sie, wie bißher den vörigen widerfharen, veterlich versorgen. 836 Die Antwort des Rates ist zwar nicht überliefert, aber spätere Gewohnheiten zeigen, dass es bis zum Ende der Stadtfreiheit beim Gnadenhalbjahr geblieben ist. Vgl. StadtA BS, B I 4 Nr. 2, pag. 665 (1594); StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 45v (1610); StadtA BS, G II 7 Nr. 4, pag. 103 (1660er). 837 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 170v. 838 Für 1597 lässt sich in der Kastenrechnung von St. Katharinen erstmals – und ab da kontinuierlich – der Eintrag finden: Jtem beiden predicanten witwen der Leffreigschen vndt Wulfswinckelschen zu jahrgelde geben auf ahnordnunge des radts jeder zehen gulden den 18 aprilis. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 81, Bl. 4r.

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festgelegten 10 Gulden und ein (mittlerweile auf einen Scheffel Roggen reduziertes) Korndeputat.839 Eine Pfarrwitwenkasse, wie sie z. B. 1590 im benachbarten Göttingen840 oder auch in Braunschweig-Wolfenbüttel841 eingerichtet wurde, entstand in Braunschweig jedoch bis zum Ende der Stadtfreiheit nicht.842 2.1.9.5 Bürgerschaft, Schoßpflicht und Rechtslage der Geistlichen nach 1528 Neben Besoldung und Unterhalt blieb parallel auch die Steuer- und Rechtslage der Geistlichen zunächst noch ungeklärt. Mit dem Privilegium fori waren die Kleriker dem Stadtverband vor der Reformation rechtlich noch weitestgehend entzogen. Dies wurde durch die steuerliche Abgabenfreiheit (Privilegium immunitatis) ergänzt und führte schon vor der Reformation in vielen Städten zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Bürgerschaft und Klerus.843 Interessanterweise lassen sich solche Konflikte für Braunschweig unmittelbar vor der Reformation nicht belegen. Der Grund lag jedoch wohl nur bedingt in der bereits bestehenden Schoßpflicht der Geistlichkeit, wie sie Haucap-Nass für das 15. Jahrhundert annimmt.844 Freilich hat Fahlbusch richtig festgestellt, dass bereits im 14./15. Jahrhundert die geistlichen Steuerprivilegien sukzessive durch 839 1656 hieß es, daß bey der kirchen zu St. Martini die herrn vorsteher sich vernehmen lassen, daß sie des sehl. herrn senioris Nicolai Firnekrantzes nachgelassenen wittwen die 10 mfl. und ein scheffel korn, so bishero die prediger wittwen alle iahr bekommen, nicht zu geben gedächten, mit vorwandt, daß sie, weil sie reich, dessen nicht bedurffte. StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 251. Vgl. auch StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 108r (1663). 840 Vgl. Würth, Pfarrwitwenversorgung, S. 162. 841 Vgl. Zech, Julia: Die Konflikte der ersten lutherischen Superintendenten in Halle (Weser) 1569–1585. Jacob Jovius’ Konzeptbücher, in: JGNKG 116 (2018), S. 125–146, hier S. 140–142. 842 Vgl. Wunder, Bernd: Pfarrwitwenkassen und Beamtenwitwen-Anstalten vom 16.–19. Jahrhundert. Die Entstehung der staatlichen Hinterbliebenenversorgung in Deutschland, in: HZ 12,4 (1985), S. 429–498, hier S. 434; Würth, Pfarrwitwenversorgung, S. 162. 843 So etwa in Goslar (1525), vgl. Hölscher, Uvo: Die Geschichte der Reformation in Goslar nach dem Berichte der Akten im städtischen Archive, Hannover/Leipzig 1902 (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, 7), S. 19. Zu Hamburg (1526) vgl. Postel, Reformation in Hamburg, S. 219. Zu Hannover (1528ff.), vgl. Müller, Stadt, S. 34. Einen (wenn auch etwas älteren) Überblick zum Themenkomplex bietet: Moeller, Bernd: Kleriker als Bürger, in: Max-Planck-Institut für Geschichte (Hrsg.): Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag am 19. September 1971, Bd. 2, Göttingen 1972 (= Veröffentlichungen des Max-Plank-Instituts für Geschichte, 36,2), S. 195–224, hier S. 201ff. Dazu auch: Isenmann, Stadt, S. 618–624. Noch heute stellt der Themenkomplex Geistlichkeit und Bürgerrecht nach der Reformation weitestgehend ein Forschungsdesiderat dar. Zu Konfession und Bürgerrecht vgl. Litten, Mirjam: Bürgerrecht und Bekenntnis. Städtische Optionen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung in Münster, Hildesheim und Hamburg, Hildesheim 2003 (= Historische Texte und Studien, 22). Litten untersucht allerdings eher die Laien als das Bürgerrecht der ehemaligen katholischen Geistlichkeit. 844 Vgl. Haucap-Nass, Stadtschreiber, S. 47. Haucap-Nass stützt sich bei dieser Aussage auf Frensdorff, der jedoch an besagter Stelle nichts über eine Schoßpflicht der Kleriker schreibt. Zum tatsächlichen Konflikt im 15. Jahrhundert vgl. Kuper, Stadt, S. 31–32.

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den Rat beschnitten worden sind.845 Dies zeigt überdies auch ein Vertrag, der 1521 zwischen Rat und Konvent des Klosters St. Ägidien abgeschlossen worden ist.846 Allerdings waren bei solchen Maßnahmen vornehmlich die Liegenschaften und Testamente betroffen, personelle Steuerfreiheiten der Geistlichen – sowie sämtliche Bürgerpflichten – waren hiervon ausgenommen: »Sie selbst geniessen Steuerfreiheit«, wie Fahlbusch bezüglich der Geistlichen feststellte.847 So notierte auch der Braunschweiger Zollschreiber Hermann Bote in seinem Zollbuch noch 1503: Alle geyslick guth, geyslike fursten, prelaten, papen, monneke, studenten vnde guth, dat to kerken vnde closteren cappellen schal komen, dat ist tollen frӱ […].848 Auch ließen sich in den Schoßregistern vor 1528 keine der namentlich bekannten Geistlichen ausfindig machen. Die Steuer- und Zollfreiheit des Klerus scheint damit zu Beginn des 16. Jahrhunderts trotz vieler Einschränkungen noch in Gebrauch gewesen zu sein.849 Bugenhagen erwähnt in seiner KO Bürgerschaft, Rechtslage und Schoßpflicht der Geistlichkeit nicht – da man aber eine Steuerfreiheit der Geistlichkeit nach 1528 keinesfalls mehr akzeptieren wollte, bestand gerade hier ein dringender Handlungsbedarf. Mit Zunahme der protestantischen Bewegung wurden schließlich auch die Forderungen nach einer Gleichstellung der Geistlichen lauter. Erstmals wird dies im März 1529 deutlich. Hier sprachen sich sämtliche Gilden und Gemeinden gegen eine Befreiung der Geistlichen von den Bürgerpflichten aus. So war etwa die Gemeinde im Sack der Ansicht: Ock js gylde vnd gemeyne ernstlyke meyninge, dath alle de papen de nycht vp der fryheith wonen, vnde dar eyn erbar radt gebeyde over hefft, dath de de borgerschop wynnen vnde borger recht don.850 Die Altewiek fügte diesbezüglich hinzu, dat alle papen jn allenn wickbilden, dede nicht vp vnsers g[nädigen] h[errn] friheide wonen, borger 845 Vgl. Fahlbusch, Finanzverwaltung, S. 111–115. Zur Steuerpflicht der Kirchenfabriken ab 1404 vgl. Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Bd. 16: Die Chroniken der niedersächsischen Städte, hrsg. von der Historische Kommission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften, Braunschweig, Bd. 2, Leipzig 1880., S. LXII. 846 Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 158r (1521). Die Bewohner der klösterlichen Häuser sollten demnach künftig den ordentlichen Schoß entrichten, doch solte ihnen vogunet werden, dass sie von wachte, dorsittende vnd vthtoge jn herfarde alleine fry syn schullen. 847 Fahlbusch, Finanzverwaltung, S. 114. 848 Steinführer, Henning: Hermann Botes Braunschweiger Zollbuch. Edition und Kommentar, in: Steinführer, Henning; Heitzmann, Christian; Scharff, Thomas (Hrsgg.): 500 Jahre Schichtbuch. Aspekte und Perspektiven der Hermann-Bote-Forschung, Braunschweig 2017 (= Braunschweiger Werkstücke, 116), S. 145–235, hier S. 166. 849 Das zeigen auch die Forderungen der Gilden 1529, dat alle papen jn allenn wickbilden dede nicht vp vnsers g[nädigen] h[errn] friheide wonen, borger recht schoten vnd waken sollen. Hier ist also die mangelnde Schoßpflicht dezidiert angegeben. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 131r. Zu den aber bereits im frühen 15. Jahrhundert einsetzenden Versuchen, die Steuerfreiheit der kirchlichen Institutionen zu beschränken sowie das Problem der »toten Hand« zu umgehen vgl. Kuper, Stadt, S. 31–32; Fahlbusch, Finanzverwaltung, S. 112. 850 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 124r.

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recht schoten vnd waken sollten.851 Der Rat versprach, dieser Forderung so weit wie möglich nachzukommen. Tatsächlich bemühte sich der Stadtrat in den folgenden Monaten, sämtliche papen in das Bürgerrecht zu drängen und sie somit zur Schoß- und Wachtpflicht zu zwingen. Im Dezember 1529 meldete der Rat auf Anfrage der Gemeinden, er habe alle papen, die unter seiner Botmäßigkeit stünden, auf das Neustadtrathaus zitiert und zur Bürgerschaft gefordert.852 Offensichtlich war diese Aktion von gewissem Erfolg gekrönt, denn im weiteren Verlauf des Artikels spricht der Rat von einem Stadtverweis, sollten sich die Geistlichen nicht an die Abmachungen halten.853 1532 handelte man schließlich auch mit dem Johanniterorden: Der Prior versprach, die Bewohner des Johanniterhofes sollten nunmehr thor borgerschop vnd tho anderer vnplicht gelick den borgern gefordert werden.854 Um 1538 wurde zudem offiziell per Bescheid die Schoßfreiheit kirchlicher Güter aufgehoben, obgleich sie vermutlich schon vorher überwiegend beseitigt worden sein dürfte;855 zugleich ließ man die Güter der papen nochmals ausdrücklich für schoßpflichtig erklären.856 Doch wer waren die papen, mit denen verhandelt worden war? Allein der Begriff lässt bereits annehmen, dass es sich dabei neben den Ordensmitgliedern eher um die zahlreichen Vikare und Messdiener gehandelt haben dürfte, nicht aber um die lutherischen Prediger, welche noch im Kirchendienst tätig waren. Tatsächlich wird dies in einer etwas differenzierteren Forderung der Neustädter und Hägener Gemeinde von 1529 deutlich: Vicarien de borger nerunge don, wolden [wir,] dat se vnplicht don.857 Der Rechtsstatus der Vikare und Ordensgeistlichen war damit zu Beginn der 1530er Jahre geklärt worden – trieben sie bürgerlichen Nahrungserwerb, so hatten sie auch das erforderliche Bürgerrecht zu erwerben.858 Der geistliche Status war ihnen damit aberkannt worden. Eine Ausnahme bildeten lediglich die Kleriker des herzoglichen Blasiusstifts auf der Burgfreiheit – doch versuchte man selbst diese seit 1539 ins Bürgerrecht zu drängen.859 851 Ebd., Bl. 131r. 852 Vgl. ebd., Bl. 180v. 853 Leider ist dies nicht nachprüfbar, da sich die Neubürgerbücher zwischen 1517–1530 nicht überliefert haben. 854 StadtA BS, B III 15 Nr. 13 [o.P.], Bl. 2v [eig. Pag.]. 855 Für St. Ägidien ist dies bereits aus dem Jahr 1521 belegt. Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 158r. 856 Vgl. UB Braunschweig I, S. 345. 857 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 85r. 858 Dies zeigt sich auch an den Neubürgerbüchern, welche sich (bis 1513) und dann wieder ab 1530 erhalten haben. In letzterem Buch (StadtA BS, B I 7 Nr. 6) sind seit 1530 keine Hinweise auf verbürgerlichte Kleriker zu finden. Der Aufnahmeprozess ins Bürgerrecht muss also 1529 abgeschlossen worden sein. 859 Zum Streit um das Bürgerrecht des Kanonikers Georg Gossel vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 197v–201r.

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Damit stellt sich vor allem die Frage, was mit jenen Geistlichen geschah, die fortan kirchliche Dienste im protestantischen Sinne versahen: den lutherischen Predigern. Tatsächlich lebten diese Prädikanten noch ein ganzes Jahrzehnt außerhalb des Bürgerrechts. Erst 1539 wurde ihnen in einem Vertrag die Bürgerschaft verehrt. Das war erstaunlich spät, bedenkt man, dass z. B. in Straßburg bereits 1523/24 mit Martin Bucer, Wolfgang Capito und Caspar Hedio die wichtigsten Geistlichen ins Bürgerrecht aufgenommen worden waren.860 Was letztlich in Braunschweig den Ausschlag gab, nahezu sämtlichen Prädikanten der Stadt kollektiv das Bürgerrecht zu verleihen, ist den Quellen nicht mehr zu entnehmen. Um geschener anforderunge vnd vorbede willen, heißt es im Neubürgerbuch, sei den Prädikanten mitsamt ihren Frauen und Kindern die Freiheit der Bürgerschaft gewährt worden.861 Der Akt ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: einmal, weil es sich um eine kollektive Aufnahme von gleich 13 Personen ins Bürgerrecht handelte und zum anderen, weil bis 1599 kein weiterer Prediger in das Neubürgerbuch eingeschrieben worden ist.862 Das alte Privilegium immunitatis wurde allerdings mit dieser Handlung nur bedingt aufgehoben. Zwar unterstanden die Prediger von nun an auch offiziell dem Rat als Gerichtsinstanz. Solange aber die Prediger im Amt blieben, sollten sie gemäß dem Vertrag von 1539 von jeglicher weltlichen Bürgerpflicht befreit sein. Hierzu zählten Wach-, Wehr- und Schoßdienst sowie die Annahme städtischer Ämter. Die Prediger waren von all diesen Aufgaben aber nicht nur befreit – sie wurden ihnen künftig sogar ausdrücklich untersagt!863 Entsprechend wurde von den Geistlichen auch nicht der sonst obligatorische Besitz einer Wehr verlangt, was wohl schlicht aus den kanonischen Gewohnheiten übernommen worden war.864 860 Vgl. Moeller, Kleriker, S. 212. 861 StadtA BS, B I 7 Nr. 7, Bl. 82v. Eine Abschrift findet sich auch unter: StadtA BS, H V Nr. 142 [o.P.]. Es handelt sich um folgende Geistliche: Martin Görlitz (Superintendent), Heinrich Winkel (Koadjutor), Ludolf Petersen, Henricus Osterrode, Johannes Ribeling, Conrad Fröhlich, Bernhard Mo(e)ne, Heinrich Lampe, Johannes Oldendorp, Andreas Hoyer, Georg Drosenius, Franziskus von der Wedewen und Johann Dravanus. 862 Letzteres ist merkwürdig, da die Geistlichen nachweislich Bürgerrechte erworben haben. So neben Johann Lafferdes (1542) z. B. auch Peter Netze zu St. Ulrici, dem 1577 zugesagt wurde, er soll[e] schweren vnd schossen gleich anderen bürgern. Vgl. StadtA BS, B I 6 Nr. 5,1, Bl. 294v. Gleiches gilt für den Prediger Johann Halbschmidt zu St. Crucis (1584), der im Neubürgerbuch aber nirgends erwähnt wird. Vgl. StadtA BS, B I 6 Nr. 2, Bl. 171r. Lediglich Rektoren lassen sich im Neubürgerbuch bisweilen nachweisen (s. u.). 863 Vgl. StadtA BS, B I 7, Bl. 82v: Die Prediger sollten sick von solken borgerpflichten watliker handelunge wethen tho entholden. Dies heißt im Umkehrschluss auch, dass die Prediger politisch nicht aktiv werden durften. 864 Laut Bürgereid wurde von allen Bürgern verlangt, bei der Eidablage ohre wehre darup se gesettet vnd dem erbaren rade vnd der stadt tho gude tho holden gewilliget, by sick [zu] hebben. Vgl. UB Braunschweig I, S. 565. Dass dies ausnahmslos geschehen ist, lässt sich den Bürgerbüchern entnehmen. Vgl. z. B. StadtA BS, B I 7 Nr. 8. Zu den kanonischen Bestimmungen des Kriegsverzichts der Geistlichen, vgl. Möller, Kleriker, S. 200.

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Die obigen Privilegien galten im Übrigen nicht allein für die Prediger.865 Selbst die Rektoren der drei Lateinschulen wurden interessanterweise zukünftig als Geistliche angesehen – eventuell lässt sich dies durch ihre Vertretungspredigten für kranke Prediger erklären. Jedenfalls kamen ihnen bei einer Aufnahme in die Bürgerschaft die gleichen Rechte zugute wie ihren Kollegen in den Kirchen. So heißt es etwa bei der Bürgerrechtsverleihung des Rektors zu St. Katharinen (1591): Magister Carolus Bauman wardt nie borger […] js mitt der wehre verschonet, dewile he ein geistlich[er] vnnd rector tho S. Catarinen was.866 Wie eingangs bereits angedeutet, war die fiskalische Besteuerung der Prediger seit jeher einer der zentralen Kritikpunkte der Gemeinden gewesen. Was aber bedeuteten nun die Regelungen des Vertrages von 1539 in der Praxis? Das Schoßtagebuch des Predigers Johann Lafferdes gewährt hier einmalige Einblicke. Lafferdes führte seine akribischen Aufzeichnungen über einen Zeitraum von gut zehn Jahren (1542–1553). Nach dem Tod seines Vaters (1542) und dem damit durch Erbe bedingten Eigenbesitz eines Hauses, wurde Lafferdes gezwungen, das Bürgerrecht zu erwerben. 1542, so Lafferdes, byn ick borgerlich wedd[er] tho dem schote geforderth.867 Allerdings erhielt Lafferdes als Prediger nach eigenen Angaben deutliche Sonderrechte in der Schoßabgabe. Zwar musste er neben dem Vorschoß868 gleich seinen Mitbürgern die Hauptsummen aller zu Weichbild liegenden Leibrenten (Zinsgeschäfte) sowie Grund- und Immobilien in der Stadt verschoßen. Dafür blieben aber sämtliche mobile Besitztümer vollständig vom Schoß, der ja eigentlich einer Vermögenssteuer gleichkam, befreit. Hierzu zählten z. B. Geld (sofern es nicht angelegt war), Schmuck, Kleidung, Stoffe, Bücher und Möbel.869 Lafferdes notierte hierzu: Allenth wes ich mer hedde ahn gelde, vnd 865 Es ist erstaunlich zu sehen, dass selbst einige Pfarrer der ländlichen Stadtgebiete in das Bürgerrecht aufgenommen wurden, so etwa 1556 der Pfarrer zu Ampleben: Wi borgemester vnd rath der Stadt Brunswigk bekennen openbar in dussem breve […], so vnd alse vns dat parlehen tho Ampleve dorch den doetligen avegangk zeligen doctor Johan Harneborger vorledigt, dat wy, dewile vns dat jus pattronatus tho kumpt […] Bartoldum Himsteden, vmb seiner vlitigen bede willen, angesehenn vnd begnadent hebben […] vnd schall hirmit de burgerschap, vor sick sine husfruwen vnd kinder fry hebben, doch wo se dingkpflichtige guder an sick bringen worden, schullen vns desulvigen jerligs vorschotet vnd vortholaget werden […]. StadtA BS, B I 2 Nr. 7, pag. 435–436. 866 StadtA BS, B I 7 Nr. 8, Bl. 137r. 867 StadtA BS, B IV 11 Nr. 143, Bl. 1r. 868 Der Schoß in Braunschweig unterteilte sich in Vorschoß und Schoß (Dingschoß). Der Vorschoß war eine jährlich festgelegte – relativ geringe – Summe. Im Zeitraum 1542–1552 betrug er jährlich zwei Schilling. Der Schoß hingegen war eine Vermögenssteuer: Von dreißig Mark (= 90 Gulden) Wert an liegenden Besitztümern und Renten musste man um 1550 jährlich einen Gulden (= 1/90 des Besitzwertes) als Schoß entrichten. Zu den ähnlich ablaufenden Vorgängen im spätmittelalterlichen Braunschweig vgl. ausführlich: Fahlbusch, Finanzverwaltung, S. 102–120. 869 Anhand einer außerordentlichen Zulage von 1547, die ausnahmsweise auch die Prediger zu zahlen hatten, lassen sich die oben genannten, zu verschoßenden Güter feststellen. Lafferdes

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gude scholde ich amptshalfe glick eynem andren predicanten fry hebben.870 Reste der alten Privilegien haben sich in Braunschweig für die Prediger somit auch nach der Reformation erhalten, wie ja schon anhand der Wehrpflichtsfreistellung deutlich geworden ist. Die steuerlichen Privilegien bezogen sich indessen nicht nur auf den mobilen Besitz. Neben dem ordentlichen Schoß stellten gerade jene außerordentlichen Zulagen, die in Notfällen von der ganzen Stadtgemeinschaft zu leisten waren, eine spürbare Belastung des privaten Vermögens dar. Die Prädikanten blieben als Geistliche von solchen Zulagen auch künftig üblicherweise befreit. Gerade in der Zeit nach der Reformation kam es aufgrund der schwierigen außenpolitischen Lage zu zahlreichen Steuerzulagen. Allein in der Zeit des Schmalkaldischen Krieges und des Augsburger Reichstages (1548) wurden zwischen 1546 und 1548 nicht weniger als zehn Zulagen von der Bürgerschaft gefordert.871 Obwohl diese gerade im Dienste der Religion bewilligt wurden, mussten die Prediger als Geistliche nur in einem einzigen Fall (1547) ihren Beitrag leisten – in den anderen neun tholage[n] synth alle predicanten vmb ohres denstes, des hilligen evangelij willen, dorch sunderlighe gude gunsth eynes erbarn rades, vnd gnedigen schickung des almechtigen fry gewesth.872 Noch mehr Privilegien bzw. Bürgerrechtsschenkungen erhielten überdies die Superintendenten und Koadjutoren gemäß vereinbarter Einzelverträge.873 Abgeschlossen wurde die bürgerrechtliche Privilegienentwicklung der Geistlichen schließlich 1570, als der Rat per Dekret verabschiedete, dass alle in der Bürgerschaft geborenen Prediger auch nach ihrem Wegzug die Bürgerschaft weiterhin behalten durften. Hierzu mussten sie lediglich den jährlichen Vorschoß von zwei Schillingen zahlen.874 Wie zu sehen, wurden die Geistlichen also zwar ab 1539 offiziell in den Bürgerverband integriert; aufgrund der zahlreichen Sonderrechte und Privilegien entwickelte sich jedoch auch bei den evangelischen Predigern ein eigenes Standesbewusstsein. Schorn-Schütte hat dies treffend als »Sonderbewusstsein« be-

870 871 872 873 874

musste alle myne boyke, myne clenodien sowie kledung vnd nottrofft und myner leven husfruwe kleder, hyradt vnd vnse beddegewanth, schließlich auch allerleye hußgeradth verschoßen. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 143, Bl. 4r. Vgl. ebd., Bl. 10r. Vgl. ebd., Bl. 3v–6v. Ebd., Bl. 7v. Diese Befreiung galt auch noch im Dreißigjährigen Krieg. Vgl. Rehtmeyer, Historiae IV, S. 462. Vgl. z. B. zu Mörlin (1565): StadtA BS, B I 2 Nr. 7, Bl. 669r. Zum Bürgerrecht Mörlins und seiner Familie auch nach seinem Wegzug aus Braunschweig vgl. StadtA BS, H V Nr. 142 [o.P.]. Dekret vom 17. 1. 1568. StadtA BS, H V Nr. 142 [o.P.]. Dekret vom 2. 3. 1570. Auch: StadtA BS, B I 2 Nr. 13, Bl. 207r.

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zeichnet.875 Der Rat bestärkte nach der Reformation diese Tendenz, indem er z. B. in der Policeyordnung von 1573 eigens einen Artikel (§6) Von vorachtunge der prediger goͤ ttlichs worts verabschieden ließ, nach welchem üble Nachrede oder Beleidigung von Predigern besonders hart geahndet wurde.876 Superintendent und Koadjutor rangierten zusammen mit ihren Frauen gemäß Kleiderordnung gar auf der Stufe der Geschlechter und standen damit seit spätestens 1573 gesellschaftlich noch über den reichen Fernhandelskaufleuten (Stand der »Weißen Ringe«).877 Es lässt sich damit resümieren, dass die Prediger im Anschluss der Reformation zwar durchaus in den Stadtverband integriert wurden – einen gesonderten Status hatten die Geistlichen rechtlich wie steuerlich aber nach wie vor inne. Wie zu sehen, waren also weder Besoldung noch Rechtslage der Kirchendiener durch die KO von 1528 ausreichend geregelt worden. Die festgelegten Summen in der Ordnung, welche in anderen KOO ohnehin selten expliziert wurden, ließen sich nachfolgend nicht umsetzen. Auch die Herkunft der Gelder musste – wie im Falle des Koadjutors und Superintendenten – mehrfach geändert werden. Zu stark stiegen im Laufe des 16. Jahrhunderts die Gehälter für studierte oder gar promovierte Theologen, die Geldentwertung trug ihr Übriges dazu bei. Eine feste Ordnung für die Versorgung der Hinterbliebenen wurde für die Geistlichkeit bis zu den Regelungen der 1590er Jahre nicht durchgesetzt, trotz der Anstrengungen von Chemnitz in den 1570ern.

2.2

Auflösung und Umgestaltung altkirchlicher Institutionen bis 1599

Neben der Etablierung neuer Institutionen und deren Verfahrensweisen kam es selbstverständlich auch zu einer Umgestaltung und teilweisen Auflösung jener kirchlichen Institute, die dem reformatorischen Grundverständnis widersprachen. Dies betraf insbesondere die beiden Kollegiatstifte, die Kalande, Vikarien, Ordensniederlassungen und Bruderschaften, sowie die vier Klöster. Im Folgen875 Vgl. Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 399 und Dürr, Kultur, S. 132. Zusammenfassend hierzu: Kaufmann, Thomas: Frühneuzeitliche Religion und evangelische Geistlichkeit, in: ZHF 26,3 (1999), S. 381–391. Der Begriff des »Sonderbewusstseins« mag indessen neben Privilegien und Standesbewusstsein auch die verstärkte Unterordnung unter die Gebote der Heiligen Schrift implizieren: So vor allem hinsichtlich des Strafamtes der Geistlichen, in dessen Kontext die Prediger immer wieder auf ihre Sonderstellung zwischen Gott und weltlicher Obrigkeit rekurrierten. 876 UB Braunschweig I, S. 406. 877 Vgl. ebd., S. 436–437. Lediglich einer der Pfarrer, nämlich der aus Hamburg migrierte David Ziegenhagen, konnte nachweislich ebenfalls den goldenen Span (»Ring«) sein Eigen nennen und zählte damit zur ersten Schicht. Vgl. Mohrmann, Alltagswelt, S. 251.

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den soll der postreformatorische Umgang mit diesen Institutionen nachvollzogen werden. In der KO werden sie – sieht man von den Kalanden ab – nicht erwähnt, was eine genauere Untersuchung des Umgangs mit ihnen umso lohnenswerter macht. Insgesamt lässt sich, wie noch zu sehen sein wird, ein ausgesprochen behutsames Vorgehen des Braunschweiger Rates mit den altkirchlichen Gütern feststellen. Erstaunlich ist dies, da Braunschweig zu Beginn der 1530er Jahre aufgrund politischer Entwicklungen und einer duringe so jtlige jarher gestanden, in eine finanzielle Krise geraten war.878 Zusätzliche Ausgaben für die Mitgliedschaft im Schmalkaldischen Bund zehrten darüber hinaus am Finanzhaushalt. Die einfachste und naheliegendste Lösung des Schuldenproblems schien natürlich die Veräußerung von Kirchengütern zu sein. Entsprechend wurden diese Vorschläge prompt von den Gilden und Gemeinden vorgetragen, sobald der Rat (seit 1532) um eine weitere Steuerzulage bat: Die Kirchenkleinodien sollten zu Geld gemacht und »überflüssige« Glocken eingeschmolzen und verkauft werden. Das Kloster St. Crucis baten die Gemeindevertreter aufzulösen und die Klostergüter einzuziehen. Die Nonnen solle man in die Stadt übersiedeln. Auch geistliche Hospitäler wie das »Zu Unser Lieben Frauen« seien aufzulösen und deren Güter zur Schuldentilgung aufzuwenden.879 Daneben erhoffte sich die Gemeinde durch eine umfangreiche Veräußerung von Kaseln, Bildern und Kalandsgütern eine Reduzierung der Schulden. Trotz dieses Drängens lehnte der Rat fast all diese Vorschläge – teils aus Furcht vor Herzog und Adel, teils aus anderen Gründen880 – rundweg ab. Lediglich einige überflüssige, nicht von Adel oder Herzog gestiftete Messgewänder und Kirchenkleinodien ließ man in dieser Zeit verkaufen – und auch diese Gelder kamen nicht nur der städtischen Kämmerei, sondern den Schatz- und Armenkästen sowie Wegen und Stegen zugute (s. u.). Der Rat konnte die Stände schließlich dazu überreden, einer erneuten Zulage zuzustimmen.881 So ist denn Braunschweig insgesamt als Beispiel für einen bemerkenswert umsichtigen und vorausschauenden Umgang mit seinen Kirchengütern anzusehen, wie nachfolgend im Detail noch zu sehen ist.

878 Vgl. StadtA BS, B I 5 Bd, 1,1, Bl. 73r. 879 Vgl. ebd. Bl. 66v. 880 Das Hospital BMV brauche man z. B. noch als Pfründenanstalt für alte, unfähige Ratsdiener. Die Glocken wollte man zunächst aufbewahren, um sie später evtl. zu Kanonen umzugießen. 881 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 79r.

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2.2.1 Benediktinerkloster St. Ägidien Als erste altkirchliche Institution öffnete sich das Ägidienkloster der Reformation. Das für Braunschweig vielfach als »Wiege der Reformation«882 bezeichnete Benediktinerkloster setzte der protestantischen Bewegung ab 1528 kaum mehr erkennbaren Widerstand entgegen. Dabei sollte man für St. Ägidien um 1528 durchaus keine nachlässige Klosterdisziplin annehmen: Erst kürzlich (ca. 1500– 1525) hatte man hier offensichtlich eine strengere Ordnung aufgerichtet, welche die Horen, Speisezeiten, Fastenzeiten, Schlafregeln, Strafen für Vergehen und Klausurbestimmungen aufs strengste erneuerte bzw. bekräftigte.883 Der Rat hatte diese Ordnung mit dem Abt zusammen abgeschlossen und somit das Kloster – sofern man dem Schriftstück Glauben schenken darf – bereits vor der Reformation quasi in seine Obhut übernommen. Ein Vertrag von 1521 rundete den Einfluss des Rates am Ägidienkloster sodann ab: Künftig hatten alle Bewohner der Klostergebäude gleich den Bürgern zu schoßen, auch waren die Klostergüter nicht mehr steuerfrei. Lediglich von Bürgerpflichten (Wachdienst etc.) wurden die Bewohner der Klosterfreiheit weiterhin ausgenommen.884 Trotz der obigen Regelungen hatte sich ein Teil des Klosters wohl schon in den 1520er Jahren der lutherischen Religion geöffnet. Die frühen Einwirkungen Gottschalk Kruses auf Abt und Prior, aber auch die Verbundenheit zum Rat, wie sie in obigen Verträgen deutlich wird, mögen hierzu beigetragen haben. So beklagte sich Herzog Heinrich denn auch bereits im Herbst 1528 beim Konvent, er habe gehört, dass die alten Zeremonien nachgelassen hätten und

882 Spieß, Nachmittelalter, S. 642; vgl. auch Bräuer, Beginn, S. 92. Dies bezieht sich dann jeoch auf das frühe protestantische Wirken des Ägidienmönches Gottschalk Kruse in Braunschweig. Einen prägnanten Überblick über die Klostergeschichte bis zur Reformation bietet u. a. die Einleitung von Hänselmann, Ludwig (Hrsg.): Legenden und Geschichten des Klosters St. Aegidien zu Braunschweig, Wolfenbüttel 1900, S. 3–50. 883 Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 81r–89r. Die copia reformationis, so ein rat to Brusnwigk mit todait jtliger anderer dem closter Egidij gemakt, ist leider undatiert. Sie wurde von der Forschung bisher vollständig ignoriert und daher auch noch nicht genauer untersucht. Da in der Ordnung als vorherige Äbte Berthold [Meier] und Johannes [V.] Stange erwähnt werden, muss sie aber nach 1497 aufgeschrieben worden sein, da Stange 1497 laut Römer-Johannsen noch als Abt nachweisbar ist. Vgl. Römer-Johannsen, St. Ägidien, S. 49. Der mit dem Kloster abgeschlossene Vertrag über die Schoßpflicht (1521) entstammt der gleichen Hand wie die Ordnung. Möglicherweise wurde somit auch die Klosterordnung um 1521 beschlossen. Ob diese Reformatio tatsächlich in Kraft trat, ist indes ungewiss. Die Rolle des Rates als mitwirkende Instanz erscheint an dieser Stelle etwas merkwürdig und lässt die Durchführung der copia wenigstens fragwürdig erscheinen. Genauere Untersuchungen stehen an dieser Stelle aber noch aus: Das Urkundenbuch von St. Ägidien wird derzeit von Joseph Dolle noch bearbeitet, dem ich von dieser Ordnung berichtet habe. 884 Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 158r.

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wolle, dass dies wieder rückgängig gemacht werde.885 Die Antwort des Klosters vom Oktober 1528 fiel ausweichend aus: Man sei sich bewusst, dass einige Zeremonien nicht mehr in der Art und Weise praktiziert werden könnten wie zuvor, dennoch habe man sie na aller moghlycheith durchgeführt. Insbesondere das Ende der Seelenmessen war vom Herzog beanstandet worden. Der Konvent bat jedoch, offte ja etlycks so vullenkommen nycht werenn edder konden werden geholden, vmb des nycht […] jn vngnaden zu fallen.886 Überdies wurde Heinrich mitgeteilt, man wolle sich gänzlich nach seinen Anordnungen richten, sofern er selbst aus der Schrift Beweise dafür anführe, dass die derzeitigen Handlungen wider Gott seien.887 Das Gewissen regiere jedoch alleine Gott und nicht der Fürst. Die Antwort enthält ganz offensichtlich lutherische Argumente. Unklar ist jedoch, ob der Konvent die Belehrung des Herzogs aus der Heiligen Schrift als Argumentationshilfe gegen die Lutheraner wünschte oder selbst bereits lutherisch geworden war, bzw. erst durch eine überzeugende Erklärung aus der Schrift wieder zu den alten Zeremonien zurückzukehren gedachte. Möglich ist auch eine Mischung aus beiden Faktoren; ein späteres Schreiben des Abts deutet auf die zweite Lesart hin.888 Fest steht jedoch, dass das Kloster dem Rat trotz der Mahnung Heinrichs relativ rasch seine Tore öffnete, obgleich es in der KO nicht erwähnt worden war. Bereits am 10. 11. 1528, wenige Monate nach Beschluss der KO, wurde einer Delegation des Rates – bestehend aus dem Sekretär Dietrich Prütze und fünf Ratsmännern – Einlass ins Kloster gewährt. Im Beisein des Abts ließ man ein Inventar der Wertgegenstände (Klenode) des Klosters erstellen.889 Bis 1532 hatte der Rat diese Schmuckstücke samt Briefen und Siegeln dann auch in seine Verwahrung genommen.890 Allerdings wurde bei der Besichtigung des Klosters das Gemach des Abts außen vor gelassen, was später noch zu Reibereien führen sollte.891 Die Wertgegenstände wurden in einer Truhe verwahrt, zu der der 885 Dieses Schreiben ist nicht erhalten und lediglich indirekt aus einem Antwortbrief des Klosters von 1528 sowie aus späteren Schreiben des Abtes zu erschließen. Demnach habe der Herzog dem Abt des ihars xvc xxviij […] ein hart mandat vnd bevehl, bei den pflichten, damit ich seiner f. g. vorwandt zu bleiben geschickt, mit harthem anhange vnd drawen […]. StadtA BS, B III 16, Nr. 15, Bl. 22r. Brief des Abts an den Rat vom 24. 2. 1540. 886 NLA WF, 11 Alt Aegid Fb. 1 Nr. 3, Bl. 2r. 887 Ebd.: Wuste ock j[hre] f[ürstlich] g[naden] vth dem worde goddes myth loffafftyge schryfft vnns anders tho belerende dath wy mer doen konden edder mochten, wold[en] wy vns des na aller behor ghehorsamlyken hebben vnd wysen lathen […]. 888 StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 22v. 889 Ebd., Bl. 146r. 890 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 83v (1532): De wile de meisten vnd besten klenodia ock etlicke breve vnd segel von Sanct Egiden closters dorch den radt jn bewarunge angenomen vnd de andern klenodia […] dat doch nicht sunderlikes js, mit sampt etlicken breven vnd segellen de men ock hefft over sein laten ein radt ock mede vorsluten vnd jn vorwarunge nemen lathen […]. 891 Vgl. Kapitel 3.5.2.

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Rat den einen, der Abt den anderen Schlüssel verwahrte.892 Die Antwort des Herzogs ließ allem Anschein nach nicht lange auf sich warten. Sie ist nicht mehr erhalten, doch hat sie laut eines späteren Briefs des Abts wohl eine derart harsche Drohung an den Abt Dietrich Koch enthalten, dass dieser kurz darauf (wohl im Frühjahr 1529) aus dem Kloster gewichen ist.893 Kaum hatte die Reformation das Ägidienkloster erfasst, da begann darüber hinaus ein großer Streit um die Klostergüter und Renten. Auf fast keinem Gebiet war der Rat zunächst so machtlos, wie dem der Güterverwaltung von St. Ägidien, da der Besitz vielfach außerhalb von Stadt und Landwehr angesiedelt war.894 Es bildeten sich um 1529 gleich vier verschiedene Konfliktparteien – durchaus mit verschiedenen Intentionen, doch ging es letztendlich allen Parteien darum, möglichst stark von den Gütern zu profitieren. Da war zunächst der Braunschweiger Rat, welcher sich sofort all jener Güter bemächtigte, die in seinem Einflussgebiet lagen. Auf der anderen Seite stand Herzog Heinrich, der vorerst bedacht war, die Klostergüter – soweit es eben möglich war – zusammenzuhalten. Demgegenüber stand sein Vetter, Herzog Ernst, welcher im Sommer 1529 sämtliche Klostergüter beschlagnahmte, die in lüneburgischen Gebieten lagen.895 Schließlich beklagte sich auch fortwährend der entflohene Abt Dietrich Koch beim Rat. Dieser wollte Renten und Besitztümer als Abfindung garantiert bekommen, erschwerte dem Rat die Sichtung und Zusammentragung der Rentbriefe und wiegelte die geistigen Führungsgremien der umliegenden Städte gegen den Rat auf.896 Zunächst zu Ernst von Lüneburg. Obgleich im Lüneburgischen die Klöster bis 1531 noch überwiegend in Betrieb waren,897 so war Herzog Ernst doch bemüht, die neue Situation in Braunschweig für seine Zwecke zu nutzen und dem hochverschuldeten Herzogtum einen Vorteil zu verschaffen. Er hatte (wie sein späteres Vorgehen zeigt) durchaus keine Skrupel, sich an Klostergütern zu bereichern und hat dies nach der Reformation auch beim Kloster St. Ägidien versucht. Freilich wird die Reformation hier als Auslöser des Konflikts mit keinem 892 StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 168r. 893 Vgl. den Brief des Abts vom 24. 2. 1540. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 22r. 894 Nach den Zinsbüchern u. a. in Atzum, Linden, Süpplingenburg, Königslutter, den Gerichten Schöppenstedt, Jerxheim, Asseburg, Beddigen und Evesen. Vgl. NLA WF, 11 Alt Aegid Fb. 1 Nr. 15. 895 Vgl. Klage des Konvents vom 3. 10. 1529: StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 141r. 896 Vgl. ebd., Bl. 136r. Hierzu an anderer Stelle mehr. 897 Ende 1531 wurden als erstes zwangsweise die Klöster Oldenstadt und Scharnebeck aufgehoben. Vgl. Wrede, Adolf: Die Einführung der Reformation im Lüneburgischen durch Herzog Ernst den Bekenner, Göttingen 1887, S. 208. Anders stand es freilich mit den nicht-benediktinischen Mendikantenklöstern, die bereits ab 1528 aufgelöst wurden, z. B. in Winsen (Luhe), Vgl. Klahn, Jürgen; Mertens, Wilfried (Hrsgg.): Quellentexte zum Winsener Franziskanerkloster, Winsen 2013, S. 3.

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Wort erwähnt und doch ist sehr deutlich zu erkennen, dass Ernst die verworrene Situation des Klosters zum Ende der 1520er Jahre ausnutzte, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Im Verlauf des Jahres 1529 ließ er zunächst sämtliche Besitztümer des Klosters in seinem Territorium mit Kummer belegen. Das bedeutete eine Einfrierung der Renten und Zinse, also Pfändung. Der Vorwand für diese Handlung bot sich ihm, als eine von den Landständen bewilligte Zulage zum Schuldenabbau von den Vorstehern St. Ägidiens nicht gezahlt wurde. Ernst hatte aufgrund der reichen Klostergüter einen Pauschalbetrag von 1000 Gulden veranlasst898 – eine abnorme Summe für das damals bereits wirtschaftlich schwächelnde Kloster und zudem laut Klagen des Konvents boven olde herghebrachte privilegia.899 Der Braunschweiger Rat, der in den Konflikten um die Klostergüter voll auf Seiten des Konvents stand, verdächtigte hingegen Abt Dietrich, einen faulen Handel mit Ernst abgemacht zu haben. Man erachtete es als wahr, dass juwe erw kort verscheine wile bi vnsem gnedigen fursten vnd hern von Luneborg gewesen vnd sick handels vnderfangen, de guder, so jm furstendome luneborch gelegen, vppe liffegedinge laten tovorandern.900 Die Befürchtung des Rates war wohl – obgleich nicht ohne Grund geschehen – doch unnötig. In den Akten lassen sich keinerlei Hinweise darauf finden, dass der Abt (und vor allem Herzog Ernst) tatsächlich einen solchen Plan verfolgt haben sollen. In diese Richtung weist auch das Antwortschreiben, das der Abt dem Rat am 17. 3. 1531 zustellte. Hierin beklagte er sich wegen der hohen Auflagen beider Fürsten, insbesondere der 1000 Gulden, durch Herzog Ernst, welche man unbedingt bis zu Ostern zahlen müsse, da sonst zu befürchten wäre, dass die Ländereien vom Fürsten gänzlich kassiert würden.901 Er war folglich durchaus darauf bedacht, dass die lüneburgischen Güter dem Kloster wieder zufielen. Dementgegen ging Herzog Ernst bereits um 1529/30 dazu über, die Klostergüter St. Ägidiens seinen Ämtern – allen voran dem Haus Campen – einzuverleiben. Das Dorf Volckmerode wurde gänzlich dem Amt Campen zugeschrieben, Zinsen wurden vom herzoglichen Rentschreiber eingezogen, angeblich waren bis 1531 auch bereits die Seen leergefischt.902 Der örtliche Pfarrer wurde nun von Heinrich von Cramme eingesetzt, obgleich das Patronat ursprünglich dem Kloster zugestanden hatte. Auch Gerechtigkeiten an Haus-, Hof-, Wiesen-, und Gartenzinsen in anderen Dörfern sowie Zehnten wurden dem Kloster systematisch vorenthalten.903 Im Huldigungsvertrag mit Herzog Ernst ließ der Rat sich 1540 notge898 899 900 901 902 903

Vgl. NLA WF, 11 Alt Aegid Fb. 1 Nr. 7, Bl. 7r. StadtA BS, B III Nr. 16 Nr. 15, Bl. 141r. Schreiben vom 3. 10. 1529 an den Rat. Ebd., Bl. 152r. Vgl. ebd., Bl. 136r. NLA WF, 11 Alt Aegid Fb. 1 Nr. 7, Bl. 10r. Vgl. NLA WF, 11 Alt Aegid Fb. 1 Nr. 7, Bl. 10r. Es handelte sich laut Angaben des Klosters vorwiegend um folgende Dörfer: Flechtorf, Weddel, Bernstorf, Gardensen, Isenbüttel, Rode,

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drungen zu einem Stillstand überreden – die nächsten drei Jahre sollten alle im Lüneburgischen gelegenen Klostergüter weiterhin vom Herzog eingezogen werden.904 Geändert hat sich dieser Umstand soweit ersichtlich aber nicht mehr. Heinrich d.J. versuchte dementgegen die Klostergüter soweit es ging zusammenzuhalten. Auf Bitten des Konvents schrieb er seinem Vetter Ernst zwischen 1530–1534 zahlreiche Briefe, mit der Bitte, die im Lüneburgischen gelegenen Klostergüter wieder an das Kloster zurückzugeben.905 Auf der anderen Seite stand auch Herzog Heinrich in stetigem Konflikt mit dem Rat. Beide Parteien stritten fortwährend um die Verwaltung und Nutzung der Klostergüter.906 Zunächst war die Verwaltung vom Herzog noch unangefochten: Bis 1534 verwaltete Propst Tilemann Witmershagen das Kloster, nach dessem Weggang der ehemalige Senior Ludolf Bonen, der nun vom Rat zum Klosterprokurator ernannt wurde. Faktisch kamen ab diesem Zeitpunkt die Klostergüter bereits der Stadt zugute. Da die Verwaltung aber offiziell noch beim Konvent lag, griff der Herzog nicht ein. Nach dem Tod des letzten – noch dem Konvent entstammenden – Klosterprokurators Ludolf Bonen (1537) kam es dann aber erneut zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Rat und Herzog um die Güterverwaltung.907 Der Herzog verfügte den Deutschordenskomtur Burkhart von Pappenheim zusammen mit Abt Lambert von Riddagshausen als Kuratoren und Zinseinnehmer der Klostergüter.908 Die Zuständigkeit dieser Kuratoren erkannte der Rat indessen nicht an und übertrug nun seinerseits die gesamte Klosterverwaltung den vier Klostervorstehern, welche bereits seit (spätestens) 1532 den Klosterprokurator überwacht hatten.909 So kam es zu einer Trennung des Klostervermögens: Das Kloster(gebäude) und die innerstädtischen Besitztümer verwalteten die städtischen Klostervorsteher. Das im Territorium gelegene Klostergut hingegen wurde von den herzoglichen Kuratoren eingezogen.910 Streitigkeiten – etwa um den Wald auf dem Heidberg – waren die Folge. In den Jahren bis zur Vertreibung des Herzogs (1542) versuchte jede Seite einen möglichst großen Teil der Gütereinnahmen für sich zu gewinnen. Dabei wurde vor einem profanen Gebrauch der

904 905 906 907 908 909 910

Bockelskamp, Meine, Beienrode, Edesbüttel Bevenrode, Ehmen, Ribbesbüttel, Dannenbüttel, Wettmershagen, Gestorf, Hamensen (?) und »Hustrope«. Vgl. StadtA BS, B III 8 Nr. 20, Bl. 6v. Vgl. NLA WF, 11 Alt Aegid Fb. 1 Nr. 7, Bl. 2r–11r. Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 11v (1534); StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 16r (1537); StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 261v (1539); StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 244v (1540). Vgl. Hassebrauk, Heinrich der Jüngere, S. 23. Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 16, Bl. 13v; StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 239v. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1 Bl. 83v. Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 261v.

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Einnahmen von beiden Seiten nicht zurückgeschreckt.911 Der Konflikt um die Klostergüter und dessen Kuratoren wurde dann schließlich 1541 auch in die mediale Öffentlichkeit getragen.912 Allerdings übertrug der letzte Abt, Dietrich Koch, kurz nach Vertreibung des Herzogs, das Koster mit allen seinen Gütern am 10. 10. 1542 gegen eine Geldabfindung an den Rat und trat als Abt zurück.913 Diese Entsagung des Abtes war wohl rechtswidrig, denn sie widersprach dem seinerzeit geleisteten Eid und Koch hatte wohl auch keine Vollmacht vom Konvent eingeholt.914 Da es aber nach Vertreibung des Herzogs keine Widersacher mehr gab, blieb das Kloster nun beinahe vollständig mit allen Gütern im Besitz des Rates. So konnte dieser 1542–1547 sämtliche Klostereinkünfte – ausgenommen der lüneburgischen Güter – unbehelligt einnehmen. Erst nach Rückkehr des Herzogs wurden die städtischen Klostervorsteher bei der Einnahme der Klostergüter (1547–1553) wieder etwas turbirt.915 Im Nachhandlungsvertrag des Friedensvertrages zwischen Herzog und Stadt (23. 10. 1553) wurde sodann abgesprochen, dass die Klostergüter St. Ägidiens vorerst bis auf weitere Absprache im Besitz der Stadt bleiben sollten.916 Anschließend wurden vom Herzog für die ländlichen Klostergüter aber doch wieder eigene Kuratoren bestellt. Im Huldigungsvertrag mit Herzog Julius ließ man 1569 (§5) schließlich vereinbaren, dass Rat und Herzog die Güter endgültig vereinigen sollten. Ein Abt als Prälat mit Landtagssitz sollte aus der Braunschweiger Bürgerschaft gewählt und das Kloster unter seiner Obhut wieder aufgerichtet werden.917 Wenn möglich hatte dieser auch das Predigtamt in der Ägidienkirche zu übernehmen, andernfalls sollte ein Klosterprediger vom Rat nominiert und vom Herzog konfimiert werden. Da sich Rat und Herzog jedoch hinsichtlich des neuen Abtes nicht einig werden konnten, wurde diese Absprache niemals umgesetzt. Der Rat schlug nämlich Paul Chemnitz vor, Sohn des Superintendenten Martin Chemnitz, mit welchem sich der Herzog schon bald überwarf.918 So entschied sich denn Julius 1579 dafür, die fürstlichen Klostergüter seiner neu gegründeten Universität in Helmstedt zuzuschreiben.919 Koadjutor Kaufmann resümierte dazu später: Es wehren auch anno 1579 alle des closters Egidij güttere vnd gefelle jm fürstenthumb 911 Vgl. Hassebrauk, Heinrich der Jüngere, S. 23. Auch z. B.: StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 224v– 245r. 912 Vgl. Hortleder, Handlungen, Bd. 1, S. 1428. 913 Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 190r. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.5.2. 914 Vgl. Gottschalk, Joseph: Die Geschichte des Benediktinerklosters St. Ägidien und seines Münsters zu Braunschweig, Braunschweig 1948, S. 16. Auch Römer-Johannsen, St. Ägidien, S. 44. 915 StadtA BS, H III 4 Nr. 66, Bl. 25v. 916 Vgl. ebd. 917 Vgl. ebd., Bl. 45r. 918 Vgl. Beste, Album, S. 99. 919 Vgl. Römer-Johannsen, St. Ägidien, S. 41.

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Braunschweig eingezogen vnd nichts mehr dabej geplieben, alß was in der landwehr vnd jn der stad vorhanden, davon man kümerlich prediger vnd schueldiener besolden, vnd das closter in tach vnd fach haltten könnte.920 Welches Schicksal aber wurde dem Kloster selbst, abseits seines Güterbesitzes, zuteil? Aufgelöst wurde es – entgegen vieler Behauptungen – nach 1528 vorerst nicht und der Rat »vertrieb die Mönche« keinesfalls.921 Bis 1540 bestand St. Ägidien als Konvent durchaus fort – freilich ohne altkirchliche Zeremonien, da diese bereits im Oktober 1528 eingestellt worden waren. Über das Leben im Kloster wachten seit spätestens 1532 die vier vom Rat ernannten Klostervorsteher, denen aufgetragen worden war tho sende, dat jm closter ein gude cristlicke ordenunge moge geholden werden.922 Eine Klosterordnung, wie sie z. B. für St. Crucis 1532 erlassen wurde, ließ der Rat allerdings nie aufstellen. Dies war auch nicht notwendig, löste sich der Konvent doch rasch von selbst auf. Die verbliebenen Brüder scheinen den evangelischen Glauben bereitwillig angenommen zu haben. Von etwaigen Klagen ist jedenfalls nichts überliefert. 1538 lebten nur noch drei ehemalige Mönche im Kloster.923 Die letzten beiden verbliebenen Brüder (Cord Zellemann und Bruder Steffen) wurden im April 1540 umgesiedelt. Laut Angaben des Rates wurden sie nicht gedrungen, sunder vnrath zu vorsparen mit jhnen an freuntschafft gehandelt, das sie jerlichs ein genant kost gelt nach ohrem willen bekommen […] die weil sie selbst jm closter lenger zu pleiben nit lust gehat, vnd lengst den habitt verlassen.924 Ein Teil der Gebäude sowie der Innenhof wurde in den angehenden kriegerischen Auseinandersetzungen als Geschützlager genutzt. Nach Angaben des Rates ließ man hier vier Geschütze, die zuvor auf dem Stadtwall gestanden hatten, lagern.925 Den ursprünglichen Bildungs- und und Sozialversorgungsauftrag des Klosters versuchte man auch an St. Ägidien weiterhin bis ins 17. Jahrhundert fortzusetzen. So war in einem Gebäude des Klosters künftig die neue Lateinschule untergebracht, welche der Rat 1530 gegründet hatte (s. o.). An allen Fastentagen wurden überdies jeweils zwölf arme Schüler dieser Lehranstalt aus dem Klostervermögen mit Heringen und Kringelgebäck gespeist und auch eine regelmäßige Armenspende (Geld, Brot, Schuhe) wurde am Kloster ausgeteilt.926 Zwischen 1545 und

920 921 922 923 924 925

StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 417v–418r. Vgl. Beste, Album, S. 98. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1 Bl. 83v. Vgl. NLA WF, 11 Alt Aegid Fb. 1 Nr. 17, Bl. 27r. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 241v. Vgl. [o. A.]: Warhafftige vorantwortunge vnd ablenunge eins Erbarn Raths der Stadt Braunschweig/ wieder Hertzog Heinrichs zu Braunschweig vnd Lüneburg etc. vngnedig vnerfintlich ausschreiben […], [Magdeburg] 1540, Bl. B iiijr. 926 Vgl. StadtA BS, F II 1 Nr. 1, Bl. 52v.

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1571 ließ man dann zudem die Frauen des zerstörten Kreuzklosters im Ägidienkloster wohnen. Die Ägidienkirche wurde nach 1528 weiterhin als Gotteshaus genutzt. Die Parochie umfasste fortan die alte Klosterfreiheit und der angestellte Prediger wurde nicht vom Kastenvermögen eines Weichbildes unterhalten, sondern von jenem des Klosters.927 Mit Dreyer und Dravanus waren ehemalige Mönche des Klosters als erste Prediger tätig.928 Überdies wurde das 16. Jahrhundert hindurch jeden Sonntag auch eine Koadjutorenpredigt in der Ägidienkirche gehalten.929 1615 sollte in St. Ägidien schließlich dann auch wieder ein Konvent eingerichtet werden: Nachdem die Jungfrauen zu St. Leonhard ihre Klostergebäude im Krieg verloren hatten, wurden sie in das Ägidienkloster übergesiedelt und lebten dort für die nächsten 200 Jahre in klosterähnlicher Gemeinschaft.930

2.2.2 Zisterzienserinnenkloster St. Crucis Gleich den anderen Klöstern hatte Bugenhagen auch das Frauenkloster St. Crucis, das auf dem Rennelberg vor der Stadt lag, nicht in die KO mit einbezogen. Es war – wie bei den Frauenklöstern üblich931 – der Reformation äußerst ablehnend gegenüber eingestellt. Dies machte sich umso stärker bemerkbar, als dass die wenige Jahrzehnte zuvor einsetzende Bursfelder Reform auch im Kreuzkloster mittelbar zu einer disziplinierteren und strenger an der Ordensregel angelehnten Lebensweise geführt hatte.932 Umso mehr stand das Kloster, dessen Konventua927 928 929 930

Vgl. StadtA BS, F II 1 Nr. 1, Bl. 46r. Vgl. Beste, Album, S. 100. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 20, Bl. 17r. Vgl. Beste, Album, S. 99; Kurnatowski, St. Leonhard, S. 10. Noch die Klosterordnung von 1740 zeugt von einer strengen monastischen Disziplin dieses ehemaligen Beginenkonvents. Vgl. NLA WB 11 Alt Aegid Fb. 1 Nr. 47, Bl. 10r–15r. Im 16. Jahrhundert wurden die Jungfrauen zu St. Leonhard sogar »Nonnen« genannt. 931 Vgl. Sauerbrey, Anna: Die Straßburger Klöster im 16. Jahrhundert. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Geschlechtergeschichte, Tübingen 2012 (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 69), S. 268 und Vollrath, Markus: Welfische Klosterpolitik im 16. Jahrhundert. Ein Spiegelbild der Fürstenreformation im Reich?, Hannover 2012 (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, 135), S. 39 sowie Brenneke, Adolf; Brauch, Albert: Die calenbergischen Klöster unter Wolfenbütteler Herrschaft 1584– 1634, Göttingen 1956. Zur Geschichte des Kreuzklosters bis zur Reformation vgl. auch Tunica, Wilhelm: Zur Geschichte des Klosters S. Crucis zu Braunschweig (I), in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde 16 (1883), S. 129–164. 932 Vgl. Schlotheuber, Eva: Klostereintritt und Bildung. Die Lebenswelt der Nonnen im späten Mittelalter. Mit einer Edition des ›Konventstagebuchs‹ einer Zisterzienserin von HeiligKreuz bei Braunschweig (1484–1507), Tübingen 2004, S. 76. Zwar war das Kreuzkloster nicht direktes Mitglied der Windsheimer oder Bursfelder Reformen gewesen, doch hatten sich davon beeinflusst auch in St. Crucis entsprechende Maßnahmen ergeben.

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linnen überwiegend dem niederen Adel und dem gehobenen städtischen Bürgertum entstammten,933 damit in offenem Gegensatz zu den Idealen der Reformatoren. Bereits im Frühjahr 1529 schlugen die Gilden und Gemeinden dem Rat vor, das Kloster aufzulösen und die Nonnen zwecks besserer Kontrolle in das Paulinerkloster zu transferieren.934 Obgleich der Rat eine Umsiedlung der Nonnen ablehnte, initiierte er doch erste Maßnahmen im lutherischen Sinne. Am 26. 3. 1529 ließ er aber von acht Abgeordneten das Kloster visitieren und erklärte den junckfruwen vp dat fruntligste die neuen Zeremonien, in der Hoffnung, diese würden die neuen Gebräuche alsbald freiwillig annehmen.935 Der katholische Gottesdienst wurde verboten, die Bücher der Nonnen verschlossen.936 Maßgeblich scheinen an dieser Visitation die Bürgermeister Ludeke Krage und Klaus Segemeier beteiligt gewesen zu sein, die sich auch bei den Aktionen gegen die Mendikanten später noch profilieren sollten.937 Jedenfalls wurden sie später von altgläubiger Seite für ihr Vorgehen massiv angefeindet.938 Am folgenden Tag stellte der Rat dann in seinen middel vnd vorschlegen einen evangelischen Prediger für das Kloster in Aussicht und verfestete (= verbannte) Propst und Priester von St. Crucis.939 Schließlich wurden am 17. 5. 1529 auch die Messaltäre vthghebrocken und im selben Jahr Klostervorsteher ernannt.940 Begleitet waren diese Aktionen seit März 1529 von Drohungen und Mahnungen seitens der bischöflichen Räte zu Hildesheim, Herzog Heinrichs d.J. sowie der adeligen Familie von Campe, die sich als Fundatorenfamilie des Klosters ansah.941 Auch die Familie von Sampleben,942 die eine Tochter im Konvent untergebracht hatte, scheint sich

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Vgl. ebd., S. 39. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 111v. Ebd., Bl. 156r. Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 16, Bl. 3r. Vgl. Kapitel 2.2.3. Vgl. das Spottlied von ca. 1533 (StadtA BS, B I 14 Nr. 6, Bl. 442r–442v): Ludeke Krage sprack vnvorsaget/ gevet my werde domina jwe handt […] gy moten myn fangen wesen […] Szegemeyger, de rechte Hans worst/ wat dot jw de nunnen tho leyde/ dat jw so na orem blote dorstet? Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 155v. Auch: StadtA BS, B III 16 Nr. 16, Bl. 3r. Vgl. Hassebrauk, Heinrich der Jüngere, S. 17. Die Wirtschaftsführung übernahmen jetzt zunächst die Nonnen selbst unter Leitung der Äbtissin. Der Rat sah in der Verfestung des Probstes offensichtlich auch kein größeres Rechtsproblem, war er doch seit jeher schon für dessen Wahl zuständig. Vgl. UB Braunschweig I, S. 162; Schlotheuber, Klostereintritt, S. 46. Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 16, Bl. 3r. Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 10r–18r. Vgl. auch das abgederuckte Schreiben in: Campe, H.A. August Freiherr von (Hrsg.): Regesten und Urkunden des Geschlechtes von Blankenburg-Campe II. Aus der Zeit von 1301–1607, Berlin 1893, S. 362–363 (Nr. 939) [künftig zitiert als: UB Campe]. Vgl. Scholtheuber, Klostereintritt, S. 512–513.

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beim Rat hinsichtlich der getroffenen Maßnahmen heftig beklagt zu haben.943 Allerdings antwortete der Magistrat auf alle Schreiben beschwichtigend und verleugnete die angebrachten Klagen, was die Korrespondenzen letztlich geschickt im Sande verlaufen ließ. In den Frühjahrsbeschlüssen wurden am 8. 3. 1530 weitere Verordnungen für St. Crucis getroffen.944 Der neue Klosterprediger sollte zugleich die Pfarre des in der Landwehr gelegenen Dorfes Lehndorf übernehmen; die Patronatsrechte überließ man den Klostervorstehern (mit Zuziehung des Weichbildrates).945 Diese (fünf) Vorsteher wurden auch sogleich ernannt: Zwei aus dem Rat und drei aus den Geschickten – jeweils einer aus jedem der fünf Weichbilde stammend. Unter ihnen war auch der Jurist Autor Sander, welcher der reformatorischen Bewegung 1527/28 zum Durchbruch verholfen hatte.946 Gemäß Abschied wurden nun zudem die Klosterpforten zugeschlossen und die zu nutzenden Eingänge fortan streng bewacht, sodass nun niemand mehr ohne Einwilligung der Vormünder das Kloster betreten konnte. Dies richtete sich insbesondere gegen die vielfältigen bisherigen Besuche altgläubiger Bürger.947 Die Vormünder sollten überdies die Aufsicht über die Finanzwirtschaft des Klosters übernehmen und unnötige (katholische) Gesangbücher wegschließen sowie das Kloster zusammen mit dem Klosterprediger vierzehntägig na ore gelegenheit visiteren.948 Nonnen und Konversen mussten nun den Predigten zwangsweise beiwohnen – sie durften aber aus dem Kloster austreten. Nach diesem Abschied gab es 1530 zunächst noch viele verschiedene Klosterprädikanten: Das Amt wurde wechselweise mal von diesem, mal von jenem Prediger ausgeübt, was eine schnelle und effiziente Bekehrung der Nonnen freilich erschwerte.949 Auch hatte man noch lange der kleye halve mit den Nonnen zu streiten, denn nach wie vor weigerten sie sich, ihren Habit abzulegen.950 Die Klagen der Fundatorenfamilie von Campe über die seit 1529 eingeleiteten Neuerungen verhallten 1530 erfolglos; der Rat setzte seine reformatorischen Bestrebungen weiter fort.951 943 Vgl. StadtA BS, B I 14 Nr. 6, Bl. 442v: Nu kune gij wol vi junckfrowen vangen […] de van Sampleve schal jw wedder langen. 944 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 5v–6r. 945 Dies wurde faktisch so gehandhabt. Erstmals schriftlich belegt findet sich diese Praxis indessen erst 1634: Hier spricht ein Protokoll des Kolloquiums über die vorsteher des klosters St. Crucis, die das ius patronatus über diese pfarre haben. StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 171. 946 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 5v. 947 Noch 1531 hieß es, die Nonnen hebben anlop van der wertkenstedische jtem von dem wachmester, was man gefälligst künftig unterbinden solle. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 5r. 948 Ebd., Bl. 5v. Bei Bedarf durften für die Visitationen auch Koadjutor oder Superintendent hinzugezogen werden. 949 Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 16, Bl. 3r. 950 Ebd. Kleye = Kleider (Nonnenhabit). 951 Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 16, Bl. 13v. Auch: UB Campe, S. 362–363 (Nr. 939).

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Mit der starken Gegenwehr der Nonnen hatten die neuen Vormünder allerdings nicht gerechnet. Am 2. 1. 1531 klagten sie vor Vertretern der Gemeinden und Gilden, dat se jn orem ampte werden vorhindert.952 Am Folgetag trugen sie dem Rat zahlreiche Beschwerden vor, die ihnen im Laufe des letzten Amtsjahres begegnet waren: Wenn das Sakrament in beiderlei Gestalt gereicht werde, so würden die älteren Nonnen den jüngeren mitteilen, se entfangen vp solik wise den duvel sulvest, seggen, se sullen stille stan wente na Lechtmissen, id will so nicht henvth alse jd vorgenomen si.953 Entgegen des Abschieds von 1530 wurden auch die Klosterpforten nach wie vor nicht im Sinne der Lutheraner kontrolliert: [J]d gan henjn de dem evangelio towederen sin […], wan aver we kumpt, de de evangelio geneigt is, dar wert von den olden juncfruwen over geklagit, de probst will de probist nicht waren, des vth vnd jngang si tovel.954 Zur Rechnungslegung hatten die Nonnen ihre Register nicht dabei, sodass kein Rechnungsabschluss zustande kam, die Briefe und Siegel waren nach Steterburg ins Kloster gebracht worden. Verbotene katholische Gesangbücher, Psalter und Anniversarienbücher (tideboke) wurden im Besitz austretender Nonnen gefunden, woraus man schloss, dass die Nonnen im Kloster weiterhin ihre Bücher versteckten. Auch die Visitationen waren nicht von Erfolg gekrönt: Als die älteren Nonnen to tiden sulff dridde sulff ander visitert wurden und van orem gebede, geloven vnd sacramenten beschet geven sollten, sin se wechgegan.955 Zudem hielten die alten Nonnen die jüngeren von den Visitationen fern und die conversen gan nicht tom sermon.956 Der Konvent wurde daraufhin vom Rat beschickt, doch betonten die Zisterzienserinnen hartnäckig, se willen orir regulen folgen, dar over erwarden aller wat one mochten bewegen.957 Als die Klostervormünder diese Antwort vernahmen, wollten sie resigniert von ihren Ämtern zurücktreten.958 Der Rat willigte hierin aber offensichtlich nicht ein, jedenfalls lassen sich die entsprechenden Amtsträger auch 1532 noch als Vorsteher belegen. Dafür wurde aber nochmals angeordnet, die Pforten des Klosters zu versperren und der Rat beschloss, basierend auf den Klagepunkten der Vormünder, einge härtere Maßnahmen: Besuche durften fortan nur noch nach dem Gottesdienst (Sermon) im Chor geschehen. Die Äbtissin (domina) sollte künftig abgesetzt und die Rechnungsbücher den Vormündern übergeben werden, doch wurde dem Konvent vergönnt, mit 952 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 4r. Das Folgende zum Jahr 1531 ist in der Forschung vollständig übersehen worden; der zitierte Band wurde bisher zu Forschungszwecken erstaunlicherweise nie genutzt (auch nicht von Tunica). 953 Ebd., Bl. 4v. 954 Ebd., Bl. 4v. 955 Ebd. 956 Ebd., Bl. 5r. 957 Zum Folgenden vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 5r–5v. 958 Ebd., Bl. 5r: Darup de vormunder gedanckt, de slotil willen [sie] overantworden […] de ok ampte der kasten hebben, dancken dar von des geligen.

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Ratszustimmung selbst eine neue Äbtissin zu wählen. Die bisherigen Inhaberinnen der klösterlichen Verwaltungsämter sollte der Konvent affsetten [und] jn ore stede [Personen,] de dem evangelio geneigt, setten.959 Der Zwang zum Gottesdienstbesuch und die Klausur wurden unter Strafe von 15 Groschen insbesondere den Konversen anbefohlen. Ärgerliche Bücher und Bilder sollten der Superintendent und sein Koadjutor aus dem Kloster entfernen. Alle vier Wochen hatte zudem künftig eine Klostervisitation stattzufinden. Insgesamt war der Rat aber noch recht milde, was den Druck auf die Nonnen betraf: Willen sick de olden nicht visitern laten, dat me dat ein tidtlangk geschein lete vnd de visitere, de des begeren.960 Diese Beschlüsse vom 3. 1. 1531 wurden am 8. 1. 1531 von Gemeinden und Gilden bestätigt und traten damit umgehend in Kraft.961 Schon im März 1531 mussten Rat und Gemeinden indessen feststellen, dass auch der Beschluss vom Frühjahr 1531 nicht recht gefruchtet hatte. So weigerten sich die Nonnen insbesondere hartnäckig, ihre altgläubige Äbtissin, Gertrud Holle, wie befohlen abzuwählen: Ein erbar radt hefft bevorn de junckfruwen thom Hilligen Crutze beschickt, so willen se ore domina ores amptes nicht entsetten.962 Aufgrund dieses Ungehorsams verlangten die Gemeinden und Gilden im März 1532 erneut eine gänzliche Auflösung des Klosters, was der Rat mit Verweis auf die Adelsfamilien und Herzog Heinrich allerdings nach wie vor zurückwies. Da das Kloster nur wenig Besitz innerhalb der geschützten Landwehr habe, sei andernfalls zu befürchten, dass die vielfältigen ländlichen Klostergüter bei einer institutionellen Auflösung von den Fundatorenfamilien und dem Herzog eingezogen würden.963 Unbegründet waren die Befürchtungen tatsächlich nicht, was zahlreiche Schreiben des Herzogs und derer von Campe aus dem Jahr 1532 belegen.964 Nichtsdestoweniger war der Rat erneut zum Handeln gezwungen. Zunächst wurde am 15. 5. 1532 die alte Äbtissin Gertrud Holle gemäß dem Abschied des Vorjahrs endlich von der Wirtschaftsführung des Klosters enthoben und zeitweilig inhaftiert.965 Die Register ließ man am Folgetag von den Vorste959 960 961 962 963

Ebd., Bl. 5v. Ebd. Vgl. ebd., Bl. 14r–15r. Ebd., Bl. 12r. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 66v–67r: So were to besorgen, dat furstlige hochheit ok de vom adil, de sik des klosters vormenen antonemen, mochten sik der guder, so buten der lantwer gelegen, vnderfangen […]. 964 Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 16, Bl. 2r–7r. 965 Vgl. ebd., Bl. 3r. Man entsetze die Äbtissin demnach nicht auf eigenen Wunsch von der Wirtschaftsführung (wie es im Abschied steht). In den Klageartikeln derer von Campe heißt es, Die Äbtissin sollte entlassen werden und die Register aushändigen, dat de d[omi]na sampt denn andernn nicht wolde vullborden, wurume se eyn er: radt sulff seste vencklick nam vnd letse in klein huss besluten vnd van twen marckmestern sulff achte ware, dar se szet went an dem teynd dach. Vgl. ebd., Bl. 3v. Entsprechend lässt sich die Rechnungsführung der Vormünder ab 1532 erstmals belegen: StadtA BS, B I 14 Nr. 2, Bl. 98v. Gefangenschaft und

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hern einziehen. Allerdings scheint Holle dem Kloster anschließend – wenn auch nicht wirtschaftlich – doch noch eine ganze Weile als Äbtissin vorgestanden zu haben: Bis zum 11. 11. 1536 wurden Klosterurkunden noch nachweislich unter dem Namen von Gertrud Holle myth des klosters vorstenders wethen vnd willen gesiegelt, erst ab dem 25. 11. 1536 unterschrieb die frühere Priorin Alheidt Lafferde (Adelheyd ebbedische).966 Dem gewaltsamen Austritt der Äbtissin folgten allein im Jahr 1532 elf weitere Frauen, nachdem 1530 bereits zwei erste Nonnen das Kloster verlassen hatten.967 Daraufhin sah sich der Rat genötigt, die Abfindungen für ehemalige Nonnen und Konversen genauer festzulegen. Im Juni 1532 wurde beschlossen, dass allen austretenden Nonnen fortan ihre ehemalige Mitgift von 30 Gulden und weitere zehn Gulden gereicht werden sollten; austretende Konversen erhielten 25 Gulden.968 Die Einopferung von Kindern ins Kloster wurde überdies durch das neue Echteding von 1532 bei Strafe von fünf Pfund verboten.969 Nachdem der Widerstand des Klosters somit sichtlich erschüttert war, ließ man nun eine dritte und vorerst letzte Klosterordnung aufstellen.970 Demnach gab es weiterhin fünf Klostervorsteher (einer aus jedem Weichbild), denen der Rat einen versiegelten Brief zur Zinsaufnahme aushändigte – federführend sollte aber nun der Vorsteher aus der Altstadt sein. Die Äbtissin hatte keinerlei Rechnungsbefugnis mehr und war wohl (wenn überhaupt) lediglich noch für die innere Klosterzucht zuständig. Im Prinzip wurden die vorherigen Anordnungen von 1531 in dieser Ordnung nur wiederholt: 14-tägige Visitation des Klosters, Zuschließen der Pforten, Abschaffen gottloser Zeremonien, Erlaubnis zum Austritt aus dem Kloster. Der nun fest angestellte Prediger Luleff Witte, den man 1531 von Rats wegen zum Klosterprediger verordnet hatte, wurde aus dem ehemaligen Probsteigut des Klosters unterhalten.971 Außerdem wurde verfügt, es

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Absetzung scheinen aber nur übergangsweise gewesen zu sein, zumindest dem inneren Klosterleben stand sie bis 1536 weiter vor (s. u.). Vgl. StadtA BS, G II 15 Nr. 1, Bl. 9r u. 9v. Vgl. auch Schlotheuber, Klostereintritt, S. 498. Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 16, Bl. 4r: Jtem xj vorlopen ij noch dar bynnen. Klage derer von Campe. Auch teilweise abgedruckt bei: Hänselmann, Zwei Gedichte, S. 86. Dazu StadtA BS, B I 14 Nr. 6, Bl. 442r: Myt gansem here toge[n] se tho den nunen/ Ludeke krage sprack vnvorsaget/ gevet my werde domina jwe handt/anderen xi junckfrowen to eynem panth [die das Kloster verlassen hatten]. Die dreizehn zwischen 1530–1532 ausgetretenen Nonnen waren: Getrud Holle (Äbtissin), Geske Bergens, Anna Wartkenstede, Katharina Holle, Mette Beckers, Dorte Dammans, Magdalene Lessen, Margarete Hamerlad, Strobicken Tochter, Eukendals Tochter, Tellien Engelken jungen dochter, des olden probst suster dochter, des abbes von riddag frundin. Vgl. StadtA BS, A I 1 Nr. 1371; A I 1 Nr. 1372; B III 16 Nr. 16, Bl. 3v; B I 5 Nr. 1,1, Bl. 86v; G II 15 Nr. 1. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 86r–86v. Vgl. UB Braunschweig I, S. 331. Auch StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 53r. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 84r–86r. Die Originalurkunde: StadtA BS, A I 1 Nr. 1381. Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 19v; StadtA BS, B I 14 Nr. 6, Bl. 443r.

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schullen sick ock bede, junckfruwen vnd conversen, nenes arbeides vom sermone entschuldigen, besundern de alle kranckheit halven nicht werden vorhindert, so men dar prediget tho orer beterunge flitigen thohorn vnd her deff jn den koer gahin.972 Trotz der aus diesen Zeilen indirekt anklingenden Verweigerungshaltung hatten sich aber mittlerweile bereits einige Nonnen der neuen Lehre geöffnet,973 viele waren überdies Ende Juni 1532 aus dem Kloster ausgetreten. Um den Klosteraustritt zu beschleunigen, erhöhte der Rat nun die Aussteuer für Nonnen auf 50 Gulden. Für die Konversen blieb es bei 25 Gulden – zu bezahlen waren diese Gelder aus dem Klosterbesitz.974 Auch bezüglich des inneren Klosterlebens wurden nun einige Vorschriften getroffen: Fortan sollten die Fastengesetze aufgehoben werden und auch Fleisch u. a. auf dem Speiseplan stehen, allerdings ließ man es einer jclicken fri, sin fleisch, visch, lottern edder oel toehten.975 Zur weiteren lutherischen Bekehrung sollte den Nonnen dat nye testamente na ein ander vnder orem ethen gelesen werden.976 Kirche und Chortreppe waren bereits im Juni 1532 verschlossen worden und erstere wurde nur für die evangelischen Sonntagspredigten geöffnet – vermutlich um die katholischen Horen zu unterbinden.977 Damit lag im September 1532 die Kontrolle über das Kloster endlich fest bei den fünf Vorstehern. Dass diese Kontrolle auch tatsächlich funktionierte, belegen die Klagen derer von Campe.978 Wirklich zufrieden waren Gemeinden und Gilden aber offensichtlich auch weiterhin nicht mit dem Kloster, da sich de nunen nicht wolden schicken.979 Aus diesem Grund traten sie im März 1533 erneut vor den Rat und wie im Vorjahr wurde eine Klosterauflösung verlangt. Der Rat blieb jedoch bei seiner vorherigen Ansicht, dass man das Kloster nicht auflösen dürfe – dan wan dat geschege, 972 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 85r. 973 Dies wird aus der Formulierung innerhalb der Ordnung ersichtlich: Mit den bereits zum Evangelium bekehrten Nonnen sollte der Superintendent demnach fleißig reden und sie im Glauben festigen. 974 Zuvor (Juni 1532) war den austretenden Nonnen das Geld noch anderweitig organisiert worden: Jtem tho behoiff der suma […] scholen hundert gulden van der barschop vefftich gulden van roggen vnd noch hundert gulden van caselen kappen vnd sulverwercke so men verkopen schal gefurdert vnd bruket werden, ok will men mit Henninge vam Damme dem Jungern reden. StadtA BS, B III 15 Nr. 3 [o.P.], Bl. 8v [eig. Pag.]. 975 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 85v. 976 Ebd. 977 Ebd., Bl. 87r: [D]e wile befunden, dat se tom sermoin jn den kor nicht heraffergaen so schal ock de treppe jn dem kore torsparret vnd togedan werden vnd des sondages schal jn der kercken dat gotlicke wordt gepredigt werden. 978 Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 16, Bl. 3v. 979 Ebd., Bl. 104v. Das Verhalten der Nonnen verwundert allerdings nicht, wenn man der Klage Herzog Heinrichs auf dem Gandersheimer Landtag (1534) Glauben schenken darf. Demnach wurden die Frauen von den Bürgern mit worten geschmehet, geschulten, vnordentlich leben bey jne gefurt vnd sich in aller vppigkait vnd frevel eigens mutwillens gehalten. Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 11v.

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worden den furst vnd adel orsake geven, dat ore f[ürstlich] g[naden] vnd se de hant an de gud[er] slagen.980 So lassen sich auch 1535 neben der Äbtissin Gertrud von Holle und Priorin Alheid Lafferde noch mindestens vier Nonnen nachweisen: Adelheid Damborg, Ilsebe Damborg, Gese Gilzem und Hilborg von Holle.981 Das Kloster blieb folglich weiterhin leidlich bestehen und auch die Gemeinden fanden sich schließlich damit ab. 1542 gelangten dann auch endlich die Briefe und Siegel des Klosters in den Besitz des Rates, nachdem die Schmalkaldener das Wolfenbütteler Archiv erobert hatten.982 Heinrich d.J. hatte zuvor die (vom Konvent nach Steterburg geretteten) Urkunden 1531 weiter nach Wolfenbüttel überführen lassen, da er annahm dath desülven Breve tho Stidderborch nicht so seker darghewest syn.983 Dass der kriegsbedingte Abbruch der Klostergebäude im Jahr 1545 nicht die Auflösung des Klosters bedeutete, zeigt, wie gefestigt die Stellung von St. Crucis als evangelischer Frauenkonvent mittlerweile war. Als dies zunehmend deutlich wurde, baten im selben Jahr sechs ausgetretene Nonnen wieder um Aufnahme in das Kloster, was ihnen der Rat jedoch verwehrte.984 Zu diesem Zeitpunkt umfasste der Konvent neben der Äbtissin lediglich noch sechs Chorjungfrauen und 14 Konversen.985 Schon bald förderte der Rat aber wieder die Aufnahme neuer Nonnen – sowohl in St. Crucis als auch zu St. Leonhard. Entsprechend wurde auch §8 des Echtedings (1532) der verlangt hatte, dass nein borger syne kinder jn ein kloster geuen solle, im neuen Echteding nicht mehr übernommen.986 Die verbliebenen Konventualinnen durften nach 1545 zunächst im leeren Ägidienkloster leben, bis sie am 16. 5. 1571 in ein schlichteres, neu erbautes Gebäude auf dem Rennelberg zurückkehren konnten. Chemnitz selbst schrieb dazu: Anno 1571 May 16. do in der newerbaweten kirchen zum heilygen creutz sollten die predigen angefangen werden, jst dieselbige […] eingeweihet worden. Die fürnemiste personen des raths vnd des ministery seind neben den vorstehern im chor gewesen vnd das gemeine volck in der kirchen (es ist do bestellet gewesen die musica) vnd eine predigt gethan von der kirchweihe […].987

Im Zuge dieser Neueinweihung wurde von Chemnitz 1571 auf Bitten des Rates auch endlich eine Schul- und Klosterordnung entworfen: Chemnitz selbst vermerkte, es sei deduciret worden, wie das kloster zu einer christlichen nützlichen

980 981 982 983 984 985 986 987

StadtA BS, B III 16 Nr. 16, Bl. 3v. Vgl. Schlotheuber, Klostereintritt, S. 489 u. S. 495. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 14, Bl. 10r. Revers Heinrichs d.J. von 1531. Abgedruckt bei: Rehtmeyer, Historiae I, Beylage, S. 25. Vgl. Tunica, Geschichte II, S. 305. Vgl. ebd., S. 304. Vgl. UB Braunschweig I, S. 331 (Echteding 1532) bzw. ebd. S. 406 (Echteding 1573). StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 17r.

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iungfrawen schule reformiret werden solte.988 Die Ordnung galt ihrem Inhalt nach bis heute als verschollen, doch hat sich ihr Entwurf per Zufall in einem Aktenstapel der Martinipfarre aus dem 17.–19. Jahrhundert erhalten.989 Es handelt sich dabei um Chemnitz’ eigene handschriftliche Skizze. Mit dieser Ordnung, die im Dokument als reformatio des closters zum H. Creutz bezeichnet wird,990 schloss man aus zeitgenössischer Sicht die institutionelle Reformation991 des Klosters endlich ab. Man richtete den Konvent vollständig auf seine Funktion als Mädcheninternat aus. Damit entsprach man dem Ansinnen der Bugenhagischen KO, Mädchenschulen in der Stadt einzurichten, wie Chemnitz zum Schluss seines Konzeptes selbst darlegte: Vnd were im grunde eben dasselbige, das in vnser kirchenordnung von der megdleinschule gesetzt ist.992 Tatsächlich hatte man die in der KO geforderten Mädchenschulen zwar neu gegründet, doch war ihr Betrieb um 1560 schließlich eingestellt worden.993 Der Bugenhagischen Intention einer lutherischen Mädchenbildung wurde damit erst 1571 wieder Genüge getan, als man mit der neuen Klosterordnung das Kreuzkloster in ein strenges Mädcheninternat umwandelte. Die Konzeption dieser Schule war dem Chemnitz’schen Entwurf entsprechend zusammenfassend folgende: Neue Konventualinnen sollten fortan nur noch hinsichtlich ihrer Lehrbefähigung ins Kloster aufgenommen werden, mussten lesen/schreiben (sowie bestenfalls auch nähen) können und fromm, sittlich sowie ehrlichen Herkommens sein. Auch durften sie nicht alzu iung eingenommen werden und mussten im Katechismus geübt sein.994 Um zu verhindern, dass die neuen Konventualinnen durch den papistischen sawrteig oder von anderen verfürischen secten eingenommen waren, wurde vor ihrer Aufnahme ein Glaubensexamen abgehalten.995 Für die Dauer des Klosterlebens galt der celibatu, doch stand jeder Konventualin frei, sich nach Absprache mit ihrer Verwandtschaft aus dem Kloster und in das 988 Ebd. 989 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 119, Bl. 249r–253r. Die abschließende Klosterordnung hat sich leider nicht erhalten, doch ist anzunehmen, dass der aufgefundene Entwurf eine genaue Abschrift der vom Rat approbierten Ordnung darstellt. So schreibt Chemnitz in seinen Aufzeichnungen selbst, eine copia derselbigen ordnung ist in der clausur des colloquii. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 17r. Tunica (Tunica, Geschichte II, S. 313) verweist nur auf den »Catalogus rev. minist. pg. 17«, was dem heutigen (obigen) Band StadtA BS, H III 7 Nr. 6 entspricht. 990 StadtA BS, G II 1 Nr. 119, Bl. 153r. 991 Natürlich waren die Nonnen sämtlich evangelisch – gemeint ist daher mit dem Abschluss der »Reformation« wohl eher die Umsetzung des ursprünglichen protestantischen Klosterideals: Die Bildung einer Mädchenschule. Gemäß Arbeitsdefinition wäre hier somit eher von einer abschließenden »Implementation« der Reformation zu sprechen. 992 StadtA BS, G II 1 Nr. 119, Bl. 153r. 993 Vgl. Kapitel 2.1.8. 994 StadtA BS, G II 1 Nr. 119, Bl. 249v. 995 Ebd.

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Eheleben zu begeben.996 Als Vorsteherin sollte der Konvent nach alter Tradition eine Domina oder Mater wählen, welche die Aufsicht über Konventualinnen und Schülerinnen haben sollte. Bezüglich der Mädchen wurde jeder einzelnen Konventualin aufgetragen, dass sie die kinderchen fleissig wartet vnd pfleget was belanget essen, trinken, ausziehen, anziehen, börsten, fleigen etc.997 Morgens, nach dem Aufstehen, hatten sich die Kinder in einer Reihe mit gefalteten Händen aufzustellen und den Morgensegen sowie fünf Stücke des Katechismus aufzusagen. Es folgte die Lesung eines Psalms, der Kollekte und ein abschließendes Gebet. Vor dem Essen wurde ein Benediktus gesprochen, während der Mahlzeit sollte ein Kapitel aus der Bibel gelesen werden. Nach dem Essen wurden Gratias, ein Gebet und ein Psalm auswendig gebetet, abgeschlossen wurde mit dem Gesang eines weiteren Psalms: Des würde also gehalten zue mittags vnd abendmalzeit.998 Anschließend, während die kinder ihre arbeit thun, können dar personen einen feinen geistlichen psalm anheben das die kinder lernen mitsingen.999 Vormittags und nachmittags sollte jeweils eine halbe Stunde im Chor für christliche Übungen genutzt werden. Um diese neue Ordnung zu gewährleisten, sollte das Kloster halbjährlich von den Vorstehern, dem Superintendent, dem Koadjutor und dem Klosterprediger visitiert werden.1000 Wie zu sehen, blieb also der klösterliche Hintergrund dieser Schulanstalt maßgeblich erhalten. Die letztendliche Intention dieser Einrichtung war laut Chemnitz, das sie [die Mädchen M.V.] solchhe christliche gottselige gewonheit aus dem closter in die heusser bringen mögten.1001 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts schwankte die Zahl der Konventualinnen vermutlich zwischen zehn und zwanzig: 1589 lebten 12 Frauen im Kloster, 1619 waren es 17.1002 Sowohl einheimische als auch fremde Mädchen konnten hier künftig gegen eine Gebühr von 27 Gulden (Einheimische) bzw. 32 Gulden (Fremde) pro Jahr den Unterricht besuchen.1003 1589 umfasste die Schule 15 Mädchen, 1601 waren es 17 – laut Tunica überwiegend aus Patrizier- und Pastorenhaushalten.1004 Dementsprechend sollte um 1600 bei der Aufnahme neuer Konventualinnen nochmals verstärkt auf deren Bildung und Lehrbefähigung acht gegeben werden.1005

996 997 998 999 1000 1001 1002 1003 1004 1005

Vgl. ebd., Bl. 150r–150v. Ebd., Bl. 251r. Ebd., Bl. 251v. Ebd. Vgl. ebd., Bl. 253r. Ebd., Bl. 253r. Vgl. Tunica, Geschichte II, S. 314. Vgl. ebd., S. 315. Vgl. ebd. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 90v (1615): Es wollen auch die hern in einnemung der jungfrawen nicht alleheit auff geld, sondern auff die geschicklichkeit der jungfrawen sehen,

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Im Gegensatz zum Männerkloster St. Ägidien blieb St. Crucis damit als klösterliche Anstalt mit Bildungsauftrag bestehen. Verwaltet wurde es seit spätestens 1545 von einem weltlichen Probst, der dem Rat per Eid verbunden wurde.1006 Den Probst wiederum kontrollierten die bereits erwähnten fünf Vorsteher bzw. Vormünder, welche spätestens seit den 1540ern zugleich oftmals dem Rat angehörten.1007 Ähnlich wie St. Ägidien musste aber auch St. Crucis dem Rat im 16. Jahrhundert vielfach als Kapitalbetrieb dienen. 1537 wurde erstmals Getreide zur Armenversorgung vom Kloster gefordert.1008 Spätestens seit den 1560er Jahren musste St. Crucis auch ¼ des Gehalts zur Besoldung des Superintendenten beitragen, was zunehmend schwerer fiel.1009 Die neue Grundregelung zur Besoldung von Koadjutor und Superintendent bestimmte schließlich 1631, dass St. Crucis neben dem Marienhospital mit 600 Talern fortan den höchsten Beitrag aller kirchlichen Institutionen zu leisten hatte.1010 Als evangelischer Konvent, Mädchenschule und Wirtschaftsbetrieb blieb das Kreuzkloster damit auch im 16./17. Jahrhundert noch ein zentraler Bestandteil der ökonomischen und geistlichen Infrastruktur Braunschweigs.

2.2.3 Die Mendikantenklöster der Dominikaner und Franziskaner Wurde St. Ägidien und St. Crucis in der Forschung immerhin noch eine gewisse Aufmerksamkeit zuteil, so lässt sich dies für die beiden Bettelordensklöster der Dominikaner und Franziskaner nicht feststellen. Wohl kein Thema der Braunschweiger Reformationsforschung ist so stiefmütterlich behandelt worden wie das Schicksal der Bettelorden nach 1528. Verwunderlich ist dies keinesfalls, ging man doch bis heute – basierend auf Hamelmanns Angaben – noch vielfach davon aus, dass Dominikaner und Franziskaner bereits spätestens bis 1529 die Stadt

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so sich in die kloster begeben wollen, ob sie auch also qualificirt, daß sie den kindern mit nutz vorstehen können. Vgl. zum Eid: UB Braunschweig I, S. 552–554. Zu den Aufgaben der Pröbste: StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 351–355. Zu den Namen der Pröbste seit 1545 vgl. Tunica, Geschichte II, S. 315. Eine Liste der Vorsteher von 1545–1610 befindet sich in der Akte: NLA WF, 11 Alt Crucis, Nr. 86, Bl. 2r–2v. 1584 waren u. a. zwei Kämmerer und ein Bürgermeister Vorsteher. Vgl. StadtA BS, B I 6 Nr. 2, Bl. 141r. Zur Kritik, dass Probst und Vorsteher bisweilen verwandt waren vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 3,3, Bl. 466r (1583). Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 123v. Vgl. eine Klage des Klosters von 1574 bzgl. des Deputats hierzu z. B. StadtA BS, B I 6 Nr. 3 (1,2), Bl. 281v. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 99 [o.P.], Bl. 3r [eig. Pag.]. Von den 1631 insgesamt zu entrichtenden 3150 Fl. zahlten überdies u. a.: St. Martini, St. Ulrici, St. Ägidien, St. Leonhard je 200 Fl., St. Michaelis, St. Petri, das Paulinerkloster, St. Thomae und die Martinikurrende je 100 Fl. St. Andreas zahlte 150 Fl. und St. Magnus 50 Fl.

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verlassen hätten.1011 Römer nahm gar an, die Dominikaner hätten noch im Reformationsjahr 1528 das Kloster verlassen.1012 Eine lange nachreformatorische Geschichte impliziert dies folglich nicht. Allerdings fügte Römer hoffnungsvoll hinzu: »Wie es zum Fortgang der Dominikaner 1528 aus Braunschweig kam, läßt sich vielleicht noch näher erhellen.«1013 Jünke vermutete 2003 erstmals, dass die Dominikaner nach den Franziskanern die Stadt verlassen haben müssten, konnte hierfür aber damals nur einen indirekten Hinweis aus dem Jahr 1530 anbringen.1014 2018 scheinen ihm dann die relevanten Briefe zumindest bekannt gewesen zu sein, denn hier wird der längere Verbleib der Mendikanten erstmals kurz angemerkt.1015 Es lässt sich jedoch nachweisen, dass der Konvent noch 1531 überwiegend intakt war und selbst 1535 immerhin noch Dominikaner in ihrem Kloster lebten, wie später noch zu sehen sein wird.1016 Tatsächlich lassen die Forderungen der Jahre 1528/29 zunächst anderes vermuten. Gilden und Gemeinden sahen nicht ein, weshalb sie jene Mendikanten, 1011 Krumwiede, Kirchengeschichte, S. 124; Steinführer, Henning: Braunschweig – Dominikaner, in: Dolle, Joseph (Hrsg.): Niedersächsisches Klosterbuch, Teil 1, Bielefeld 2012, S. 158– 163, hier S. 160; Dürre, Geschichte, S. 528; Schmies, Bernd: Braunschweig – Franziskaner, in: Dolle, Joseph (Hrsg.): Niedersächsisches Klosterbuch, Teil 1, Bielefeld 2012, S. 144–150, hier S. 145. Jünke, Bugenhagens Einwirken, S. 102. Dieser stellt mit Bezug auf Becks Forschungen erstmals verwundert fest, dass 1530 möglicherweise »noch immer Dominikaner in der Stadt« gewesen seien. Steinführer nimmt bereits ein späteres Verwaisen (1533) der Franziskaner an, verwechselt aber Franziskaner und Dominikaner. Die Franziskaner waren unmöglich noch 1533 im Barfüßkloster ansässig und das Dominikanerkloster wurde keinesfalls bereits im September 1528 aufgelöst. Vgl. Steinführer, Henning: Vertrieben aber ordentlich verwaltet, in: Pöppelmann, Heike; Rammler, Dieter (Hrsgg.): Im Aufbruch. Reformation 1517–1617, Braunschweig 2007, S. 335–336 [Kommentar zum Ausstellungskatalog]. 1012 Vgl. Römer, Christof: Die Dominikaner in Braunschweig. Vom mittelalterlichen Paulinerkloster zum St.-Albertus-Magnus-Kloster. Ein Beitrag zum Albertus-Magnus-Jahr 1980, Braunschweig 1980 (= Veröffentlichungen des Braunschweiger Landesmuseums, 25), S. 21. Ders.: Dominikaner und Landesherrschaft um 1300. Die Gründung der Ordenshäuser Göttingen und Braunschweig durch Herzog Albrecht II. und Meister Eckhart, in: Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart 49 (1981), S. 19–32, hier S. 31. 1013 Römer, Dominikaner in Braunschweig, S. 21. 1014 Vgl. Jünke, Bugenhagens Einwirken, S. 102. 1015 Jünke, Wolfgang A.: Konfessionelle Minderheiten in Braunschweig nach 1528, in: Hoffmann, Birgit; Pöppelmann, Heike; Rammler, Dieter (Hrsgg.): Reformation. Themen, Akteure, Medien. Beiträge zur Ausstellung »Im Aufbruch. Reformation 1517–1617« vom 7. Mai-19. November 2017 in Braunschweig, Braunschweig 2018 (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig, 26), S. 109– 130, hier S. 118. 1016 Dies hatte auch der Dominikanerforscher Löhr schon 1930 erkannt, nur blieben seine Hinweise bislang von der Braunschweiger Geschichtsforschung unberücksichtigt. Vgl. Löhr, P. Gabriel M.: Die Kapitel der Provinz Saxonia im Zeitalter der Kirchenspaltung 1513–1540, Leipzig 1930 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens, 26), S. 54*-55* [Sternnummerierung ist beabsichtigt, da Löhr in seiner nachfolgenden Edition eine neue Seitenzählung ohne Stern beginnt].

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die sich schon seit den frühen 1520er Jahren als strikte Luthergegner profiliert hatten,1017 weiterhin versorgen sollten.1018 Nachdrücklich bestärkt wurden sie in ihrer Haltung durch die antimonastischen Predigten Johann Kopmanns zu St. Marien.1019 Da die protestantische Ethik grundsätzlich vorsah das Bettelwesen abzuschaffen, galt dies auch in besonderem Maße für die Mendikanten. Eine Auflösung der beiden Klöster erschien der Gemeinde überdies weniger gefährlich, als ein Eingriff in die benediktinisch geprägten Klöster: Wie bei den Mendikanten üblich, existierte hier kein Patron, auf dessen Haltung man hätte Rücksicht nehmen müssen.1020 Allerdings war der Rat im März 1528 noch bestrebt, die beiden Klöster in die Reformation mit einzubeziehen und erhoffte sich wohl einen Umschwung in der Gesinnung der Dominikaner und Franziskaner. Folglich ließ er die Prädikanten beider Klöster zu den Versammlungen der lutherischen Stadtgeistlichen hinzutreten.1021 Zugleich verordnete er allerdings ein Verbot für die Aufnahme weiterer Mönche.1022 Auch sandte er Heinrich Winkel zusammen mit einem weiteren Prädikanten in die Klöster, um diese von der neuen Lehre zu überzeugen.1023 Hinsichtlich der Mendikanten war man nämlich bislang noch der Ansicht: Wenne de love kumpt vth dem horen, dat horent vth dem worde, wo scullen se glowen, so se nycht horen […].1024 Offensichtlich hatten diese Überzeugungsmaßnahmen aber wenig Erfolg. Die Stimmung wandte sich daher zuungunsten der Mendikanten. Seitens der Gildemeister der Schmiede verlangte man in den Frühjahrsbesprechungen 1528, dass die Klöster geschlossen und die darin enthaltenen Kleinodien vom Rat verwahrt werden müssten. Alte Mönche sollten dort aber weiterhin versorgt werden; wer aus dem Kloster austreten wolle, dürfe dies tun.1025 Dem schloss sich die Gemeinde aus der Neustadt an.1026 Die Kürschner äußerten sich gemäßigter: Sie wollten lediglich sichergestellt wissen, dass die Mendikanten gemäß dem Evangelium predigten, vp dat me to one nicht

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Vgl. Bubenheimer, Thomas Müntzer Herkunft, S. 118. Vgl. dazu auch: Klabunde, Armut I, S. 57ff. Vgl. StadtA BS, B I 14 Nr. 6, Bl. 443r. Zur Problematik des fehlenden Patronats von Mendikantenklöstern in der Reformationszeit vgl. Springer, Dominikaner, S. 336. Allerdings sollte sich auch in Braunschweig später die Familie von Bothfeld in die Streitigkeiten um das Franziskanerkloster einmischen, da die von Bothfeld nach eigenen Angaben zur Stiftung des Klosters beigetragen hatten (s. u.). StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 35v. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 48v. Im Echteding 1532 dann auch gesetzlich festgeschrieben. Vgl. UB Braunschweig I, S. 331. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 48v. Ebd., Bl. 52v. Ebd., Bl. 41v. Ebd., Bl. 85r.

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segge monnik du lugst.1027 Gleiches verlangten die Gilden im August: Demnach hätten die Mendikanten durch hemelike tucke dat volk vorforen vnd dem evangelio affwendich machen wollen.1028 Sie würden öffentlich ihre »gottlosen« Gesänge wie das Alma Redemptoris und das Salve Regina weiter singen – den Zuhörern zum Spott, allen voran Bugenhagen höchstselbst. Der Rat beschloss daher einen styllestanth mit beiden Klöstern zu vereinbaren.1029 Die zwei vngelerdesten Mönche durften das Kloster fortan täglich verlassen – wohl um die Versorgung zu garantieren, aber dennoch die Bürger nicht mit intelektuellrhethorischem Geschick »bekehren« zu können. Die anderen Mönche sollten dementgegen bis zu einer anderweitigen Lösung im Gebäude verharren. Sie hielten sich aber nicht an die Vereinbarung sondern wirkten weiterhin in der Stadt, sodass die Lage auch im Herbst 1528 noch keinesfalls geklärt war. Dennoch ging Bugenhagen in seiner Kirchenordnung vom September 1528 nicht auf die Mendikantenklöster ein. Es herrschte folglich dringender Lösungsbedarf. Dies war umso mehr der Fall, als dass die Bettelmönche aus Sicht der Protestanten eine Gefahr für die Bürgerschaft darstellten. Nach Angaben der Gemeinde im Hagen (Frühjahr 1529) würden die Mönche das Gewissen (conscientie) der Bürger mit unchristlichen Reden beschweren. Sie hielten sich demnach nicht an die göttliche Schrift und lästerten dem Evangelium. Schließlich würden sie auch durch Gassen und Häuser laufen, um die Bürger wieder zum alten Glauben zu bekehren. Daher verlangte auch die Gemeinde im Hagen, die jungen Mönche zum Handwerk anzuhalten, die älteren in passenden Gebäuden einzuschließen.1030 Am 3. 1. 1529 sandte der Rat eine städtische Delegation ins Paulinerkloster und ließ das dortige Archiv sowie die liturgischen Gewänder und Messgeräte der Dominikaner inventarisieren;1031 Ähnliches geschah bei den

1027 Ebd., Bl. 44v. 1028 Ebd., Bl. 60r. 1029 Der Stillstand ist leider schriftlich nicht überliefert und lässt sich nur aus der Klage des Sacks vom Frühjahr 1529 erschließen: ebd., Bl. 123v. 1030 Ebd., Bl. 111v. Dies ist auch ein Indiz dafür, dass die Mönche im Frühjahr 1529 noch nicht vollständig im Kloster eingeschlossen waren. Anders: Klabunde, Armut I, S. 58. Die Behauptung des Rats aus dem Frühjahr/Sommer 1528 (StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 48v), die Klabunde als Hinweis einer Abriegelung der Klöster in diesem Jahr deutet, ist vom Rat zunächst wohl nicht durchgehalten worden (s. u.). 1031 Vgl. Steinführer, Henning: Ein Urkundeninventar des Braunschweiger Dominikanerklosters aus dem Jahr 1529, in: Graf, Sabine; Rößner, Regina; Steinwascher, Gerd (Hrsgg.): Archiv und Landesgeschichte. Festschrift für Christine van den Heuvel, Göttingen 2018 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 300), S. 115–133, hier S. 119. Dort ist ein Teil des Inventars ediert. Das Original findet sich unter StadtA BS, B IV 11 Nr. 176. Allerdings wurde das Inventar im Januar 1529 nicht »unmittelbar nach dem Weggang der Mönche« (Steinführer, Urkundeninventar, S. 119) niedergeschrieben. Die Mönche waren 1529 nämlich durchaus noch zahlreich vor Ort.

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Franziskanern.1032 Kurz darauf, am 16. 3. 1529, wurde nun von den Gemeinden auch vorgeschlagen, die Nonnen aus dem Kreuzkloster in den Paulinerkonvent überzusiedeln, hierfür sollten die Dominikaner (Pauliner) in das offensichtlich bereits in Auflösung begriffene Franziskanerkloster ziehen – der Rat lehnte dies rundweg ab.1033 Noch lebten allerdings in beiden Klöstern einige Mönche. Mittlerweile hatte auch der Herzog Kunde von den Plänen der Bürgerschaft bekommen. So gelangte am selben Tag (16. 3. 1529) ein Schreiben Heinrichs an den Rat, in welchem er gegen Drohung einer anzustrengenden Reichsacht verlangte, keinesfalls weiter die kloister personen zum Barfüssern vnd Paulern vnd andern auszujagen.1034 Nachdem sich der Rat jedoch bei der Bürgerschaft in seinem Kurs abgesichert hatte, machte er Ende März trotz herzoglicher Drohung ernst. In seinen middel vnd vorschlege[n] vom 27. 3. 1529 wurde nun das künftige Schicksal der Bettelklöster grundsetzlich festgelegt. Im Großen und Ganzen hielt sich der Rat dabei sehr genau an die Forderungen der Gilden und Gemeinden, lediglich die Verlegung der Dominikaner ins Franziskanerkloster wurde nicht durchgeführt. Man wollte stattdessen beide Klöster beschicken und ihnen Folgendes ansagen lassen: 1. Wollte man auf unbestimmte Zeit de beiden kloister gentzligen to sluten.1035 2. Diejenigen, die das Kloster verlassen wollten, sollten das Kloster auch verlassen dürfen – dann allerdings endgültig. Diese sollten sich anschließend an die Kastenherren wenden und dort je nach Gelegenheit etwas Geld zum Studium oder dem Erlernen eines Handwerks empfangen. 3. Alte Mönche sollten im Kloster weiterhin geduldet bleiben, jedoch mussten sie ore gotlose wesent vnd misse holdent nalaten, vnd jegen vnse ordnunge nicht seggen edder handelen.1036 Da denjenigen, die im Kloster bleiben wollten, das Verlassen des Gebäudes verboten wurde, bestellte der Rat einen vngelerden, der die Mönche mit allem Notdürftigen versorgen sollte. Dieser vngelerde hatte die Lebensmittel bei den Bürgern zu erbitten, allerdings sollte er dafür die Kelche des Klosters einfordern. Ob es sich bei diesem Ungelehrten (wie im Stillstand) um einen Mönch handelte, ist ungewiss. Anders gesagt: Die Mönche wurden auf unbestimmte Zeit im Kloster eingeschlossen und mussten ihren Lebensunterhalt durch die sukzessive Herausgabe ihrer Kleinodien gewährleisten. Ähnlich verfuhr man auch in anderen Städten 1032 1033 1034 1035 1036

Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 222. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 119v. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 7r. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 161v. Ebd., Bl. 162r. Vgl. zu dem Abschied auch den nachträglichen Bericht Heinrich Lampes: [W]er dar aber lust im chloster hette zw bleiben, der solte im closter vorsperth vnd vorschlossen werden vnd ihnen zw irer vnterhaltung zimlicher nottorff nach geschafft werden, aber wenich namen das an; die gelarth waren zogen in ander klosster vnd irer wenich lerten hantwercker Also warth man zw der zeitt der beidder münche orden aus vnser sthatt loss. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 15.

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mit den Mendikanten – so etwa in den Nachbarstädten Göttingen, Osnabrück, Magdeburg, Höxter und Hildesheim.1037 Spätestens nun verließen auch die letzten Franziskaner ihren Konvent. Wenige Tage später, am 6. 4. 1529 beschwerte sich bereits die adelige Familie der von Bothfeld beim Rat. Man habe die Franziskaner aus ihrem Kloster gedrängt und dieses anschließend verschlossen, obgleich doch ein großer Teil des Klosters durch die Spenden ihrer Vorfahren errichtet worden sei. Zudem höre man, der Rat sei hinfüeder villichte willens, (wu vns angebracht) an dem kloister jtwas to breken.1038 Letzteres war eine Fehlinformation, doch die Franziskaner waren bereits tatsächlich aus dem Kloster gewichen. Die Familie von Bothfeld bat nun, den Mönchen wieder den Eingang in das Kloster zu gewähren. Dementgegen betonte der Rat in seinem Antwortschreiben (10. 4. 1529), dass man mit den Brüdern friedlich gehandelt habe und diese freiwillig das Kloster geräumt hätten.1039 Die Mönche hätten gerne im Kloster bleiben können, doch wäre dies von ihnen abgelehnt worden. Natürlich entsprach das nur bedingt der Wahrheit: Die Alternative zum Klosteraustritt war schließlich eine Haft auf unbestimmte Zeit, von freiwilligem Wegzug konnte somit nicht die Rede sein. Tatsächlich bekamen aber einige (evtl. auch alle?) Mönche für ihren Verzicht immerhin eine leidliche Abfindung zuerkannt. So wurden etwa dem Franziskaner Hermann Eggerdes am 22. 4. 1530 zehn Gulden ausgezahlt. Hierfür musste er in der Quittanz alle Rechte und allen Besitz an den Klostergütern aufgeben.1040 Dem Guardian der Franziskaner, Marten Barwardi, wurde 1534 dafür, dass er sich dem Ansinnen des Rates so bereitwillig gebeugt (und den protestantischen Glauben angenommen) hatte, sogar ein Haus auf Lebenszeit verschrieben.1041 Der Franziskanerkonvent war damit ab April 1529 aufgelöst. Rechtlich bestand das Kloster – ähnlich wie auch das Dominikaner- und Ägidienkloster – dennoch zunächst weiter. Im Frühjahr 1530 wurde der (Bäcker?)gilde vom Rat gestattet, die Klosterhöfe des Franziskaner- und Dominikanerklosters künftig als

1037 Vgl. Springer, Dominikaner, S. 141 (Göttingen); Sehling, Kirchenordnungen VII 2,1, S. 237 (Osnabrück); zu Magdeburg vgl. Ziegler, Walter: Die deutschen Franziskanerobservanten zwischen Reformation und Gegenreformation, in: ders. (Hrsg.): Die Entscheidung deutscher Länder für oder gegen Luther. Studien zu Reformation und Konfessionalisierung im 16. und 17. Jahrhundert. Gesammelte Aufsätze, Münster 2008 (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 151), S. 315–354, hier S. 331–332; zu Hildesheim und Höxter vgl. Nickel, Ralf: Franziskaner-Konventualen und Reformation. Neue Erkenntnisse und Thesen zur Stadtpaderborner Kloster- und Reformationsgeschichte, in: Westfälische Zeitschrift. Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 144 (1994), S. 225– 248, hier S. 242. 1038 StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 17r. 1039 Ebd., Bl. 18r. 1040 StadtA BS, A I Nr. 1369. 1041 Vgl. StadtA BS, B I 3 Nr. 4,1, pag. 260.

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Kornlager zu nutzen.1042 Dies war jedoch lediglich ein gutwilliges Zugeständnis des Rates – so sollte sick de gilde in den cloistern dorch dit nagevent nenes eigendoms beroven.1043 Verwaltet wurde das Franziskanerkloster nun von einem Klosterschreiber (verweser).1044 Die jährlichen Einnahmen waren für die Stadt allerdings mehr als unbedeutend: So nahm der Klosterschreiber Tile Rüschen 1541 insgesamt lediglich 31 Gulden, sieben Mattier und 2,5 Pfennig auf, 1542 waren es 48 Gulden und 10,5 Mattier.1045 Kein Vergleich zu den Hospitälern, Kalanden oder gar den benediktinisch geprägten Klöstern St. Crucis und St. Ägidien.1046 Verwundern wird die schwache Finanzkraft des Klosters indessen nicht, da die Franziskaner, ähnlich den Dominikanern, eigentlich über keinerlei Habe verfügen sollten. Dies umso mehr, als dass die Braunschweiger Franziskaner offensichtlich bereits 1493 – in Einvernehmen mit dem Rat – die Annahme einer strengeren Observanz vereinbart hatten, die im Wesentlichen den martinianischen Grundsätzen entsprach,1047 auch wenn dies nicht offen ausgesprochen wurde. Demnach durften sie nur noch vom Bettel nach Viktualien leben – also Brot, Fisch und Fleisch – während die Geldspenden (sowie vermutlich auch die Memoriengelder) von zwei Ratsvorstehern verwaltet wurden.1048 Mit größeren

1042 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 4v: Dat de erligen gilde to den Pewelern vnd Barvoten korne vpgeten mogen js wol to lident […]. 1043 Ebd. 1044 So heißt es etwa 1532 bei der Inventarisierung der Franziskanerbibliothek: Inventarium der boiker szo vp der liberye thon Brodern befunden, […] dar to verordent vnd gebeden vnd mester Valentin verweser des gemelten klosters […]. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 319r. Vgl. dazu auch Camerer, Bibliothek, S. 14. 1045 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 12, Bl. 12r (1541) u. Bl. 6r (1542). 1046 So nahm etwa das Kloster St. Ägidien allein im Wirtschaftsjahr 1566/67 insgesamt 3020 Gulden sowie große Mengen an Roggen, Hafer, Weizen und Gerste ein. Vgl. StadtA BS, F II 11 Nr. 2, Bl. 38r. 1047 Jedenfalls schlossen sich die Braunschweiger Franziskaner 1517 trotz ihrer strengeren Observanz nachweislich nicht dem observanten Zweig der Franziskaner (Provinz Saxonia St. Crucis) an. Vgl. Ziegler, Franziskanerobservanten, S. 346. 1048 Der Vertrag der Observanz (1493) – der in der Forschung, soweit bekannt, bisher übersehen wurde – ließ sich lediglich in einer Abschrift der Sack’schen Sammlung ausfindig machen und ist folglich mit gebührender Skepsis zu begegnen. Es heißt in der Abschrift u. a.: [M]it wellende des ersamen rades der stad Brunswigk, hebben se de broder der barvoten dusser stad to der regelen der observatien gegeven, de denne vnder andern vormach neyn geldt sunder almess […] von den luden to entfangende vnde darinne ore lifneringe to sokende, will one van noeden syn itlike brodere vor de gemeynen scharnen vn vischmolden to schickende vnde eyne küsten in ore kerken to settende brot darin to gevende […]. Auch gab man ihnen vorstendere, de sek gode to eren vn Santo Francisco oren leven patronen vmme bede willen des rades vthe allen vif wickbelden darto gegeven hebben, one dat to vorwarende. StadtA BS, H V 174, pag. 119. Doch auch nach der Observanz erhielten die Brüder durchaus höhere Geldzuwendungen für Seelenmessen. So stiftete z. B. noch 1527 Antonin Brandenhagen in seinem Testament zwei Gulden an die Franziskaner und eine halbe Bremische Mark an die Dominikaner. Hierfür sollten die Bettelmönche Vigilien und Seelenmessen

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Klostergütern war somit um 1528/29 von vornherein nicht zu rechnen gewesen. Es war dem Rat demnach vermutlich tatsächlich eher darum gegangen, die katholischen Mönche von der Bevölkerung fernzuhalten, als an deren Besitz zu gelangen. Inventar und Möbel des Klosters wurden in den folgenden Jahren sukzessive verkauft. Vor allem in der Rechnung von 1541 finden sich diesbezüglich zahlreiche Angaben: Demnach verkaufte man u. a. ii olde kole vete, i olt schap, iii olde brede, i olt eken bret, i olde dor, iii olde schranke, i olt schap und olde brede vnd dore.1049 Nach 1544 verschmolz schließlich die juristische Person des Franziskanerklosters »Zu den Brüdern« mit der dort neu bestellten Pfarrkirche St. Ulrici, als Pfarrkirche des Sackes, nachdem die alte Kirche St. Ulrici auf dem Kohlmarkt abgetragen worden war. Die restlichen Klostergebäude wurden künftig als Versammlungsort des Kolloquiums, Bibliothek (ab 1571 Ministerialbibliothek) und kurzzeitig (1545–1549) als höhere Schule (Pädagogium) genutzt. Damit endete die Existenz des Franziskanerklosters 1544 auch auf institutioneller Ebene. Anders erging es jedoch dem Dominikanerkloster. Im Gegensatz zu den Franziskanern wählten die meisten Dominikaner vorerst nicht den Austritt aus dem Konvent, sondern ließen sich in ihrem Kloster einschließen und harrten beständig aus. Die »konservative Beharrung« am Ort entsprach dem üblichen Vorgehen der Dominikaner im Anschluss der städtischen Reformation: »Wichtigstes Moment jeder Beharrung war die dauerhafte Anwesenheit eines oder mehrerer Fratres in einem Konvent. Sonst hatten die Obrigkeiten mitunter leichtes Spiel, wenn sie die leerstehenden Ordenshäuser einer neuen Verwendung zuzuführen [sic!] wollten.«1050 Allerdings blieben die Konventualen dabei in stetiger Verhandlung mit dem Rat, von dem sie sich die Aufhebung ihrer Haft erhofften. Diplomatisch erwuchsen aus diesem Zustand jedoch zunehmende Auseinandersetzungen mit dem Herzog, da der Prior des Klosters zugleich Beichtvater von Herzogin Marie1051 war. Als der Dominikanerprior im Mai 1529 wie üblich nach Wolfenbüttel zur Herzogin reisen wollte, verwehrten ihm die erzürnten Bürger laut eines herzoglichen Schreibens die Ausfahrt: [A]ls derselbig vff den wagen gestigen, jst er von euwern bürgern gesperret, vnd heraus zekomen gehindert wurden.1052 Unversehens musste er daher wieder in seine klösterliche »Haft« zurückkehren. Heinrich war über dieses Verhalten nicht wenig erbost. Am 25. 5. 1529 befahl er dem Rat, er solle vorgonnen, das der gute prior zu jrer lieb heraus komen moge, darumb wir jme jtz

1049 1050 1051 1052

halten und nicht vergessen, ihn in ohr dodenregistere tho schrivende. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 392v. StadtA BS, B IV 11 Nr. 12, Bl. 12r. Springer, Dominikaner, S. 319. Marie von Württemberg war seit 1515 die erste Gemahlin Heinrichs des Jüngeren. Dazu ausführlich: Täubrich, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 31–33. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 25r.

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geschrieben, vnd da bei einen wagen zugeschigkt. Diese Forderung käme nicht von ungefähr, denn die Herzogin sei jn meinung, sich jegen den fron leichnams tag mit andacht zubeweisen; darzu jre lieb des priors zugebrauchen willens.1053 Den Akten lässt sich nicht entnehmen, dass dem Prior tatsächlich noch eine Ausreise gestattet worden wäre. Als Heinrich daraufhin ein Mandat beim Kaiser erwirkte, erklärten die Ratsverordneten dem Kammerrichter die Lage in einem Schreiben wie folgt (9. 6. 1529): Mit den münnichen vnser zwier betler kloister hat es die gestalt, das jre kloister personen, wie auch in andern vielen orten, nicht wol gelitten, haben sich doch jrer vielen ausgehens düsser zeit nicht willen enthalten, noch messigen, also das jres außgehens halber, hir ein vnlust wol hette entstehen konnen, so jst jnen vor Ostern, negistvorgangen, ad evitandum scandalum, angesagt worden, sich jn diesen leuffen jres ausgehendes zuenthalten […].1054

Tatsächlich scheint sowohl dieser Brief als auch vor allem jener des Herzogs darauf hinzudeuten, dass die Mönche, sofern man ihnen den Ausgang erlaubt hätte, zu Unmut und Reibereien Anlass gegeben hätten. Damit lassen sich für die Isolation der Dominikaner also vornehmlich zwei Gründe annehmen: Einerseits der »Schutz« der Bevölkerung vor dem Einfluss der altgläubigen Prediger, zum andern der allgemeine Erhalt des Stadtfriedens. Ob man die Dominikaner mit dieser Maßnahme überdies zum Klosteraustritt zwingen wollte, lässt sich nicht belegen, ist jedoch ebenfalls anzunehmen. 1528 war dementsprechend auch das letzte Provinzialkapitel der Saxonia, an welchem die Braunschweiger Dominikaner noch teilnahmen: Im folgenden Kapitel von 1530 sollten sie dann aufgrund ihrer »Haft« erstmals fehlen.1055 Zugleich begann der Rat nun aber auch mit der Inbesitznahme des Klostervermögens, welches man ja bereits im Frühjahr 1529 inventarisiert hatte.1056 Dieses war durchaus bedeutsamer als jenes der (seit 1493 nach strengerer Observanz lebenden) Franziskaner.1057 Sämtliche Besitztümer des Konvents (Briefe und Siegel) wurden daher konfisziert und in einer Kiste auf der Münzschmiede verschlossen.1058 Der Baumgarten1059 (bomhoff) des Klosters wurde im Frühjahr 1053 1054 1055 1056 1057

Ebd. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 33r. Vgl. Löhr, Kapitel, S. 196–210. Vgl. Steinführer, Urkundeninventar, S. 119. Dass dies üblich war, dazu vgl. Springer, Dominikaner, S. 342: »Aufgrund ihres Armutsideals verzichteten die Dominikaner wie alle Bettelorden auf herrschaftsbegründenden Besitz. Allerdings besaßen die Predigerbrüder im Gegensatz zu den Franziskanern seit den Anfängen des Ordens Gemeinschaftseigentum in geringem Umfang.« 1058 Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 24r. 1530 lagen sie demnach bereits vp der mundte besloten in ener kisten. 1059 Den Baumgarten hatten die Dominikaner 1361 von Herzog Ernst pfandweise erhalten, seit 1428 gehörte er dauerhaft zum Besitz des Klosters. Vgl. Steinführer, Urkundeninventar, S. 119.

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1530 zwangsverpachtet, sodass man von den Zinsen die eingeschlossenen Mönche finanzieren konnte.1060 Den Klosterwald nutzte künftig der Stadtrat. Wie bereits erwähnt, ließ man nun auch den Klosterhof als Kornlager nutzen. Bei einigen Immobilien scheint der Rat indessen zu spät gehandelt zu haben – in weiser Voraussicht hatten die Dominikaner trotz diesbezüglichen Verbots wohl mehrere Häuser bis Ende März 1529 bereits verkauft. Der Rat versuchte den Handel zwar noch rückgängig zu machen, doch ist nicht überliefert, ob dies geglückt ist.1061 Anfang April 1531, zwei Jahre nach Verschluss des Klosters, schickte man städtischersits schließlich die Bürgermeister Lüdecke Krage und Klaus Segemeier zwecks Verhandlung zum Dominikanerkloster.1062 Beide Bürgermeister erwarben sich zur selben Zeit auch im Zuge der Reformation des Klosters St. Crucis einen bei Altgläubigen überaus schlechten Ruf.1063 Der Rat machte diesen Schritt offensichtlich keinesfalls freiwillig, denn es scheint Unmutsbekundungen von Seiten der Bürger gegeben zu haben, welche die Haft der Mönche mittlerweile nicht mehr befürworteten, bzw. aus Sicht des Rates falsch verstanden (de borgere dregen des ok vordreth).1064 Die Abordnung des Rates wollte nun mit den Mönchen einen Vertrag (avedracht) abschließen und machte hierfür folgende Vorschläge:1065 1) Einem jeden Klosterbruder sollte bis an sein Lebensende eine Leibrente (loffgedingk) gezahlt werden. 2) Die Kleinodien des Klosters, die der Rat zu sich genommen hatte, sollten dazu verwendet werden, die procuratorn, die das Kloster bisher versorgt hatten, damit zu frieden zustellen. 3) Schließlich sollte das Kloster sodann geöffnet und den Mönchen ein freier Ein- und Ausgang erlaubt werden. Dies jedoch nur in weltlichen Kleidern, d. h. die Mönche sollten ihren Habit ablegen und den Ordensgelübden damit entsagen. Am 7. 4. 1531 antwortete daraufhin das Kloster durch einen schriftlichen Bericht, den man dem Rat durch einen Boten übermitteln ließ – auch hierfür wurde den Mönchen das Verlassen des Klosters nicht gestattet. Das Schreiben war eine einzige Klage gegen den Rat. Man habe sich in gutem Vertrauen jn dem closter besluten laten und erwartet, ordentlich versorgt zu werden.1066 Dem sei jedoch keinesfalls so. Der Rat solle doch ok hunger vnd kummer, den wi degelickes dregen, willen beth beharten, vnd mit bereten vorrade (wi wente her geschein) besorgen oder besorgen laten, wi des hungers gereddet

1060 1061 1062 1063 1064 1065 1066

Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 4v. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 149r. Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 47v. Vgl. StadtA BS, B I 14 Nr. 6, Bl. 442r–442v. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 47v. Vgl. ebd. Ebd., Bl. 47v.

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werden.1067 Den Ordenshabit könne man nicht ablegen und dem Kloster ebenfalls nicht entsagen, denn die Befugnis hierzu stünde nur ihren Oberen zu. Man bitte aber – sofern der Rat sie nicht besser versorgen wolle – das Kloster wieder zu eröffnen und den Mönchen zu erlauben, sich ihren Lebensunterhalt bei frommen Bürgern zu erbitten. Die Mönche unterschrieben mit Prior vnd convent des closters Sancti Pauli binnen Brunswigk, der Konvent mag also noch einigermaßen intakt gewesen sein.1068 Das sollte nun aber nicht mehr lange so bleiben. Der Schreiber, der diesen Brief ins Gedenkbuch übertrug, fügte bereits die Anmerkung bei, es handele sich hier um einen Brief, in dem sich die Pauliner ohne Fug und zu Unrecht beschweren würden.1069 Dem nun folgenden Druck in ihrer Klausur konnten die Dominikaner offensichtlich nicht mehr lange standhalten: Sie verließen in den nächsten vier Jahren zu großen Teilen das Kloster.1070 Am 20. 10. 1535 traf schließlich ein Brief von Herzog Heinrich d.J. beim Rat ein. Ihm war am 3.10. eine Beschwerde des Ordensprovinzials der Provinz Saxonia überbracht worden, in der sich der Orden aufs Höchste beim Rat beklagte. Dem Schreiben fügte der Provinzial ein Buch bei, in dem sich die Ordensbrüder ebenfalls beschwerten – dieses ist leider, soweit ersichtlich, nicht mehr überliefert. Zunächst beklagte sich der Orden, dass ein großer Teil des Konvents in Braunschweig nun aus forchte habe weichen müssen, die meisten Brüder hätten gar die Stadt verlassen sollen. Das Kloster wäre fast verlassen, ausgenommen zweier alten vorlebten menner.1071 Die Befürchtung des Ordens war es – und dies war wohl der eigentliche Grund des Schreibens – dass nach Absterben dieser beiden Mönche das Kloster gänzlich verwaist sein würde. Der Rat habe dann leichtes Spiel, das Kloster und die Besitztümer vollkommen in seine Gewalt zu bringen. Daher bat man Heinrich, beim Rat zu erwirken, dass den ausgedrungenen Mönchen wieder ein freier Eintritt ins Kloster gestattet werde. Beigefügt wurde ein kaiserliches Privileg des Ordens.1072 Das Vorgehen des Konvents, einige ältere Brüder aus Besitzrechtsgründen im Konvent zurückzulassen, war nicht ungewöhnlich: Nicht selten »hatten die ins Exil geflohenen Dominikaner mitunter einige Mitbrüder im Ordenshaus zurückgelassen. Ihre Anwesenheit dokumentierte den bestehenden Besitzanspruch, während die

1067 Ebd. Über eine ähnliche Behandlung klagten auch die Magdeburger Franziskaner: »[V]on der Obrigkeit eingeschlossen, von den Wohltätern verlassen, hatten sie seit vielen Tagen kein Stück Käse, kein Gerstenmehl und keinen Schluck Bier mehr.« Vgl. Ziegler, Franziskanerobservanten, S. 332. 1068 StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 48r. 1069 Ebd., Bl. 47v. 1070 So wandte sich z. B. Bruder Thomas Molitor 1534 nach Halberstadt. Vgl. Löhr, Kapitel, S. 216 sowie ausfürhlich dazu Kapitel 3.5.2. 1071 StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 41r. 1072 Vgl. ebd., Bl. 42r–46r.

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Abwesenheit des Priors als des rechtsrelevanten Repräsentanten des Konvents eine Übertragung des Klosters erschwerte.«1073 Wie schon vier Jahre zuvor, so war der Rat auch nun diesen Anschuldigungen keineswegs geständig, denn wi hebben onen alle, so dar to lust gehadt, jm cloister to blivende vorhengit, vnd vnderhaldunge vorsproken, wo dan ok noch jtzunder, de dar jnne sin, mit noittorfftiger vorpleginge werden vorsorgit.1074 Der Rat dachte auch gar nicht daran, das Kloster wieder zu öffnen, bis dass ein freies Konzil dies in anderem Sinne entschieden habe. Er hatte bereits im Frühjahr 1535 einen Vertrag mit den letzten verbliebenen Mönchen geschlossen.1075 Leider haben sich die Inhalte dieses Vertrages nicht überliefert. Die letzten beiden, noch im Oktober 1535 vorhandenen Mönche, dürften in den nächsten Jahren entweder gestorben sein oder ebenfalls das Kloster verlassen haben. Konkrete Informationen über die beiden Mönche gibt es allerdings in der Folgezeit nicht mehr,1076 es lassen sich nurmehr Vermutungen anstellen. 1539 entstand eine heftige Auseinandersetzung um einen Wald des Dominikanerklosters. Sowohl der Rat, als auch Herzog Heinrich d.J. beanspruchten den Wald für sich. Letzterer hatte es nach eigenen Angaben denen von Bartensleben als Lehen übergeben, welche sich nun wiederum beschwerten, dass der Rat in ihrem Wald Holz schlüge.1077 Der Rat argumentierte, dass es sich hier um einen Wald des Klosters handele und dieser sei zu notturfftiger vndterhaltunge der closter personen vnd besserung des gebauwes genutzt worden.1078 Was hier mit den Klosterpersonen gemeint ist, ist unklar. Es können schlicht die Angestellten und Verwalter des »Klosterbetriebs« gemeint gewesen sein, möglich ist aber auch, dass die beiden alten Mönche tatsächlich noch dort lebten.1079 Die Streitigkeiten um den Klosterwald fielen in eine Phase (1538–42), die sich durch stetig verschlimmernde Auseinandersetzungen zwischen Herzog und Rat auszeichnete. Der Rat bestand darauf, diese sache der religion anhengig zu sehen, während der Herzog verärgert antwortete, es sei seltzam zuhoren das jr daraus ein religion sachen machen wolt, welchs mit der religion vnd vnserm glauben nichts zethun 1073 1074 1075 1076

Springer, Dominikaner, S. 340. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 46v (Schreiben des Rates an den Herzog vom 25. 10. 1535). Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 121r. Auf welcher Quellenbasis Jünke zu der Aussage kommt, die beiden letzten Mönche hätten 1536 die Stadt verlassen, ist schleierhaft. In der Endnote gibt Jünke lediglich einen Emailverkehr zwischen ihm und Wolfgang Stickler sowie einen gehaltenen Vortrag des Letzteren an. Vgl. Jünke, Konfessionelle Minderheiten, S. 118 u. 129. Die eigenen Recherchen haben keine entsprechende Quelle zutage gebracht. Jünkes Aussage könnte zwar womöglich zutreffen – nachweisen lässt sie sich indes nicht. 1077 StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 172v (Schreiben des Rates an den Herzog vom 1. 10. 1539). 1078 Ebd. 1079 Dagegen spräche jedoch, dass ab 1537 die Konventsgebäude von der Katharinenschule genutzt wurden. Evtl. ist dies somit das Jahr, in dem die beiden Mönche ausgetreten oder verstorben waren. Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 673.

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hat.1080 Es ist offensichtlich, worum sich der Rat hier bemühte: Die Auseinandersetzungen mit Herzog Heinrich d.J. musste er als eine reine Religionssache herausstellen, um bei den Schmalkaldener Bundesverwandten Maßnahmen gegen den Herzog erwirken zu können.1081 Hierfür wurden auch die Konflikte um die Klöster instrumentalisiert. Die Auseinandersetzungen um den Klosterwald verliefen sich dann aber in den Wirren des Jahres 1542, als der Herzog aus seinem Land fliehen musste. Interessanterweise wurden 1543 die Klostergüter des Dominikanerklosters von den Schmalkaldischen Besatzern als geistliche Güter anerkannt und damit von sämtlichen Landschatzungen befreit.1082 Denn im Gegensatz zum Franziskanerkloster wurde das Dominikanerkloster als Wirtschaftsbetrieb und juristische Instanz dauerhaft aufrechterhalten und mit keiner Pfarrkirche verschmolzen. Einen langfristigen Nutzen für die Klostergebäude fand die Stadt hingegen nur bedingt. 1571 vermietete sie einzelne Wohnungen im Kloster an wohlhabende Privatpersonen.1083 Den Klostergarten hatte ein Jahr zuvor Herzogin Hedwig, die Frau von Herzog Julius erworben.1084 Schließlich verpachtete der Rat 1588 auch den Westflügel des Kreuzganges an die Gemeinschaft der städtischen Kesselführer – vermutlich zu Lagerzwecken.1085 Immerhin wurden Teile der Konventsgebäude ab 1537 für die Katharinenschule genutzt und kamen damit nach protestantischer Ansicht wieder christlichen Zwecken zugute.1086 Die bisherige Annahme, der Koadjutor habe seit der Reformation seine Wochenpredigten bis ins 17. Jahrhundert in der Paulinerkirche gehalten,1087 muss jedenfalls für die Zeit ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als widerlegt gelten. In der Tat hatte Bugenhagen in seiner KO die Predigt des Koadjutors in der Paulinerkirche vorgesehen.1088 Bereits 1567 klagte das Ministerium aber vor dem Rat, dass man doch bitte die Paulinerkirche reparieren solle, damit hier wieder Katechismuspredigten gehalten werden könnten.1089 Sicherlich wurden schon zu diesem Zeitpunkt seit geraumer Weile die Predigten zu St. Katharinen anstelle von St. Pauli gehalten – nach Rehtmeyer war es sogar

1080 StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 173v (Schreiben des Herzogs an den Rat vom 11. 10. 1539). 1081 Vgl. ausführlich zu diesen Bestrebungen auf den verschiedenen Bundestagen durch Goslar und Braunschweig: Blume, Goslar, S. 47ff. 1082 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 14, Bl. 10r. 1083 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 7, Bl. 275r. 1084 Vgl. Römer, Dominikaner in Braunschweig, S. 21. Vermutlich handelte es sich hierbei um den bereits oben erwähnten bomhoff (= Baumgarten). 1085 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 16, Bl. 115r. 1086 Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 673. Dazu auch StadtA BS, B I 5 Nr. 1,2, Bl. 278r (1543): […] dat de schole to den pewelern blive, aver datmen de visitation d[er] schole na des rats ordenunge nicht wille laten fallen. 1087 Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 673; Steinführer, Urkundeninventar, S. 119. 1088 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 374. 1089 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 162, Bl. 14r.

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schon ab 1546 üblich, doch gibt er hierfür leider keine Quelle an.1090 Seit 1575 (Wegzug von Pouchemius’) wurde die Koadjutorenpredigt dann nachweislich in der Katharinenkirche gehalten, was sich über die nächsten hundert Jahre nicht mehr ändern sollte.1091 In den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts wurde die baufällige Paulinerkirche somit nicht mehr zu kirchlichen Zwecken genutzt. 1631, als ein neuer Bezahlungsmodus für Superintendent und Koadjutor vom Konsistorium angeordnet wurde, musste auch das Dominikanerkloster 100 Gulden beitragen und befand sich damit finanziell im Mittelfeld der auferlegten Abgaben. Als Geistliche Institution ist das ehemalige Kloster jedoch nie wieder genutzt worden, obgleich in der Kirche später gelegentlich wieder vereinzelte Gottesdienste abgehalten wurden. Wie zu sehen, war der Konflikt um die Braunschweiger Mendikantenklöster langwieriger als bislang in der Forschung angenommen.1092 Zwar waren die Mendikanten in Braunschweig – wie allgemein üblich – aufgrund ihrer prekären ökonomischen und rechtlichen Lage am leichtesten angreifbar.1093 Doch obgleich die Mendikanten auch hier bereits früh durch die reformatorisch gesinnten Bürger kritisiert worden waren, zog sich die endgültige Schließung der Konvente noch über einige Zeit hin. So wurde das Dominikanerkloster nicht 1529/30 oder gar 1528 aufgelöst, wie bis heute vielfach behauptet und auch das Franziskanerkloster wurde erst im April 1529 als klösterliche Institution aufgehoben. Bis 1529 traf der Rat die Regelungen bzgl. der Klöster noch mit den Hauptleuten und Gildemeistern gemeinsam, ab den 1530er Jahren trat er dann allein in Verhandlungen mit den Dominikanern. Dies entspricht der allgemeinen Vorgehensweise des Rates, der die Stände seit den 1530er Jahren bei stadtinternen Kirchenfragen zunehmend ausschloss. Während man das Franziskanerkloster inklusive Kirche nachfolgend für verschiedene kirchliche Zwecke gebrauchte, wusste man mit dem zunehmend verfallenden Dominikanerkloster langfristig nicht mehr viel anzufangen und nutzte es in Teilen als Schule (St. Katharinen).1094

1090 Vgl. Rehtmeyer, Historiae IV, Supplementa, S. 83. 1091 StadtA BS, B III 15 Nr. 20, Bl. 7v (Bestallung des Koadjutoren Johann Zanger 1577). 1092 Dies gilt im Übrigen nicht nur für die Braunschweiger Mendikanten. Auch für andere Städte stellt sich zunehmend heraus, dass Mendikanten länger als gedacht in ihren Klöster verharrt haben. Vgl. z. B. Nickel, Franziskaner-Konventualen, S. 246–247. 1093 Vgl. Springer, Dominikaner, S. 294–295 u. 336. 1094 Ab dem frühen 18. Jahrhundert nutzte man das Kloster schließlich als Zeughaus. Der Chor ist noch erhalten und steht seit 1902 am Südflügel des Ägidienklosters. Vgl. Römer, Dominikaner in Braunschweig, S. 21.

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2.2.4 Die Kollegiatstifte St. Blasius und St. Cyriacus Neben den vier Klöstern existierten noch zwei größere herzogliche Kollegiatstifte im Stadtgebiet: St. Blasius im Stadtzentrum und das auf einer Anhöhe vor der Stadt gelegene St. Cyriacusstift. Vor allem das im Burgbezirk befindliche Blasiusstift bildete inmitten der Stadt als herzogliche Freiheit einen Fremdkörper. So ist nur verständlich, dass es von Seiten der Stadt schon bald nach der Reformation zu vielfältigen Auseinandersetzungen und Konflikten mit dem Stift kam, das mit seinen 22 Kanonikern, 42 Vikaren und zahlreichen Kommenden1095 weiterhin die katholischen Riten praktizierte.1096 Zunächst traf man städtischerseits noch keinerlei Maßnahmen und war optimistisch, dass sich die Bürger freiwillig vom Gottesdienst im Blasiusstift fernhalten würden. So lehnte z. B. die Gemeinde im Sack (August 1528) ein separates Verbot zum Besuch des Stiftsgottesdienstes dezidiert ab – schließlich habe sich doch die ganze Gemeinde hierzu bereits gudtwyllych voreynigeth.1097 Fast zeitgleich wurden aber im Sommer 1528 die Klagen anderer Weichbildsvertreter laut, dass die Altgläubigen ihre Sakramente nach wie vor in der Burg empfangen würden.1098 Im Gegenzug ermahnte der Herzog im Oktober 1528 das Kapitel des Blasiusstifts, keinesfalls vom Gottesdienst abzulassen. Die Kanoniker versprachen dies, mussten jedoch zugeben, dass sie äußerliche Zeremonien (Prozessionen u. a.) aus eigener Sicherheit hätten einstellen müssen.1099 Da die Klagen der Gemeindevertreter bezüglich des Blasiusstifts anhielten, sah sich der Rat schließlich zum Handeln gezwungen. Infolgedessen wurden 1529 fünf Wächter aus den Gemeinden ernannt, die insbesondere an Sonntagen und bei den Hochfesten – zu denen das Sakrament verstärkt empfangen wurde – Aufsehen auf den Burgbereich haben sollten.1100 Jedes Weichbild hatte einen

1095 Zum Unterschied zwischen den Vikarien und Kommenden vgl. NLA WF, 11 Alt Blas Nr. 392, Bl. 4v. Demnach waren Vikarien beneficia perpetua, Kommenden jedoch zeitlich begrenzte Lehen (für Schüler z. B.). 1096 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 14, Bl. 16r–16v. Eine dezidierte Auflistung der Vikare im 16. Jahrhundert bietet NLA WF, 11 Alt Blas Nr. 392, Bl. 1r–12r. Vgl. überdies Schillinger, Jörg: Die Statuten der Braunschweiger Kollegiatsstifte St. Blasius und St. Cyriacus im späten Mittelalter, Hannover 1994 (= Quellen und Studien zur Geschichte des Bistums Hildesheim, 1), S. 166. Zu den Kanonikern im Spätmittelalter vgl. Schwarz, Ulrich: Braunschweiger Bürgersöhne als Stiftsherren von St. Blasius um 1400, in: Arend, Sabine; u. a. (Hrsgg.): Vielfalt und Aktualität des Mittelalters. Festschrift für Wolfgang Petke zum 65. Geburtstag, 2. durchgesehene Auflage, Bielefeld 2007 (= Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, 48), S. 167–190. 1097 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 126r. 1098 Vgl. ebd., Bl. 81v. 1099 Vgl. NLA WF, 11 Alt Blas Nr. 1, Bl. 1r. Schreiben vom 23. 10. 1528. 1100 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 178v. Beschluss vom 2. 11. 1529.

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Wächter zu stellen.1101 Personen, die bei einem Besuch des Stiftsgottesdienstes ertappt wurden, sollten dem zuständigen Bürgermeister gemeldet und von diesem durch eine empfindliche Geldbuße gestraft werden. Die dritte Ermahnung zog schließlich den Stadtverweis nach sich. Obgleich also bereits direkt nach der Reformation passiv-repressive Maßnahmen auf das Blasiusstift und seine katholischen Anhänger ausgeübt wurden, wollte man doch nicht aktiv gegen den dortigen altkirchlichen Gottesdienst vorgehen. Während zudem in den Stiftskirchen anderer norddeutscher Städte bisweilen ein Nebeneinander von altem und neuem Ritus praktiziert wurde,1102 blieb St. Blasius aus Angst vor herzoglichen Maßnahmen weiterhin rein katholisch.1103 Die obigen Maßnahmen hatten die befreundete Stadt Magdeburg zum Vorbild, auf die sich die Braunschweiger Gemeinden mehrfach beriefen.1104 Die Begründungen für das Verbot des Stiftsbesuchs waren im theologischen Stil erstaunlich versiert und lassen Autor Sander und andere gebildete Juristen/ Humanisten als Verfasser vermuten. Allerdings wurde in dieser Frühzeit noch nicht das unsittliche Leben der papen zum Vorwand genommen, um den Besuch der Stifte zu verbieten – dies ließ man erst später hervorheben. Stattdessen betonte man immer wieder, dass das Seelenheil der gesamten Gemeinde auf dem Spiel stünde, sofern man nichts gegen die Stiftsherren unternehme. Andernfalls würde vnß god, alß vngehorsampe sineß wordes, grofflikenn […] straffen, wente yth ys eine grote sunde, dat se [die Stiftsherren M.V.] ohne [= Christus M.V.] noch eynmal vor de levendighenn vnd doden oppern, welkeß doch eynmal geschenn yss yhm cruce vor al vnse sunde.1105 Dies könne man insbesondere am Hebräerbrief des Paulus nachvollziehen. Eine eingehendere Bibelkenntnis der Gemeinden deutet sich aus jener Begründung bereits an. In den 1530er Jahren blieb man zunächst bei dieser Haltung, unternahm keine Maßnahmen gegen die beiden Stifte und ließ die Kanoniker gewähren. Mehrfach wurde der Herzog beschickt, jedoch verständlicherweise ohne Erfolg. Im August 1531 wurde die Strafe für den 1101 Vgl. ebd., Bl. 180r. Beschluss vom 6. 12. 1529. 1102 So etwa in der Halberstädter Stiftskirche St. Bonifatius oder der Stiftskirche St. Lamberti in Oldenburg. Vgl. Schäfer, Rolf: Hamelmann und die Anfänge der oldenburgischen Reformation. Einführung, Text und Übersetzung, in: JGNKG 99 (2001), S. 69–100, hier S. 78. Zu Halberstadt: Odenthal, Andreas: »Die evangelische Dom undt Collegiat kirchen […]«. Gottesdienstliche Kontinuität und Diskontinuität im Halberstädter und Naumburger Dom nach Einführung der Reformation, in: Wendland, Ulrike (Hrsg.): Das Heilige sichtbar machen. Domschätze in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Regensburg 2010 (= Arbeitsberichte: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, 9), S. 349– 370. 1103 1529 beschlossen Rat, Hauptleute und Gildemeister, dat me vnsem g[nädigen] fursten jn sine overigheit nicht wolde gripen vnd de stiffte mit orem wesende vngeerret laten werde. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 171r. 1104 Vgl. StadtA BS, I 5 Nr. 2, Bl. 111r. 1105 Ebd.

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Gottesdienstbesuch zu St. Blasius neu festgesetzt: Es drohte künftig sofortiges Einlager. Wollte man daraus entlassen werden, so hatte man ein Bußgeld von fünf Schillingen zu entrichten.1106 Freilich trugen sich auch in dieser Zeit vielfache Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und Stiftsangehörigen zu. Bereits im Herbst 1528 waren Kanoniker des Blasiusstifts von Bürgern belästigt worden, doch laut Kapitel hatte sich der erbar rayt tegen etlike, de vns belestiget, myth temeliker straffe bewyset.1107 1529 war sodann ein Chorschüler des Stifts in einer Keilerei zwischen Chorschülern und Bürgern stark verwundet worden.1108 Im selben Jahr hatte ein Bürger in der Stiftskiche St. Blasius einen priester, als er das heilig ampt, der meß hat angefangen wollen, hirumb mit gewalt geztoigen vnd jme das nit hat wollen gestatten zw vollenbringen.1109 1530 waren sodann vier Knechte aus der Altewiek in den Stiftsbezirk eingedrungen und hatten dort gewaldt gedreven.1110 Sie wurden vom Rat der Stadt verwiesen, reizten die Stiftsangehörigen jedoch vermutlich zu Gegenprovokationen. Überdies klagten Hauptleute und Gildemeister 1531, dass trotz des Verbotes, den Gottesdienst in der Burg zu besuchen, immer noch zahlreiche Bürger der dortigen Messe beiwohnen würden, ohne die ausgeschriebene Strafe zu erhalten. Aufgrund dieser Nachlässigkeit fahre der dortige Priester Cord Lochte ungestört mit seinem duvelsdenste fort.1111 Der Rat beschwichtigte und verwies mit Henning Banßleve d.Ä. umgehend einen Altgläubigen, der trotz mehrmaligem Einlager immer wieder den Gottesdienst im Dom besucht hatte (1531).1112 Überdies wurde den Gemeinden im August 1531 versichert, dass man mit den stiftpapen, de gots wort vorlestern vnd vnse borger ergern, verhandeln wolle, um sämtliche Sticheleien fortan zu beseitigen.1113 Kanoniker, die sich dann nicht an die Abmachungen halten würden, wolle man sodann der Stadt verweisen. 1106 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 19r. 1107 NLA WF, 11 Alt Blas Nr. 1, Bl. 1r. Schreiben vom 23. 10. 1528. 1108 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 23v–24r. Laut dem Rat lag die Schuld bei den Chorschülern: Es sint de fullen druncken korscholer mit vnstümmcheit an se [die Bürger M.V.] gefallen, einen vner sich geworffen, vnd alse de ander sinen gesellen hat willen van dem, der an auff dem leve gelegen rette[n], si ome mit einem hessen [= Knüppel M.V.], eine grosse wunde jn dem kop gehawen worden vnd ab nu geleich mit demselben hessen, der dem detter vth der handt entfallen si, einer wederumb ein weinich jn rugken gehawen worden, so aber doch das, zuvor vorhalt, vnd noitliger rettunge geschein […]. 1109 Ebd., Bl. 8v. 1110 StadtA BS, B I 15, Nr. 14, Bl. 7v. 1111 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 35r. 1112 Vgl. StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 6v: Henningk Banßleve de olde schal vmme dusser orsake vorvestit werden, dat he jtlige male js jngelecht, darumb, dat he jn der borchkercken gewesen vnd dennoch sodan des erb[aren] rades jnlager vorachtit vnd nich geholden vnd also vngehorßam js geworden. 1113 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 19r.

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Der Stadtverweis von Stiftskanonikern war jedoch zu diesem Zeitpunkt alles andere als eine denkbare Option für den Rat. Trotz des Eintritts in den Schmalkaldischen Bund war die Zusicherung der Bundesgenossen noch viel zu vage, um tatsächliche Maßnahmen gegen das Stift und den Herzog ergreifen zu können. So agierte man zunächst noch auf diplomatischem Wege und schloss 1534 mit dem Stift einen Vertrag, nach welchem künftig nur noch mit Zustimmung des Rates Personen auf dem Burgbezirk des Stifts wohnen durften.1114 Bis 1538 wurde zudem vereinbart, dass sich das Kapitel in der Stadt jeglicher geistlichen Tätigkeit enthalten solle – gleiches galt nun auch für das (vor den Stadttoren gelegene) Cyriacusstift, mit welchem bislang noch keine größeren Auseinandersetzungen entstanden waren.1115 Gegen Ende der 1530er Jahre verschlechterte sich die Lage der beiden Stifte dann jedoch zusehends. Verantwortlich hierfür waren in erster Linie das schlechte Verhältnis zwischen Fürst und Stadt sowie die zunehmend politisch abgesicherte Position des Braunschweiger Rates durch äußere Bündnispartner. Beide Aspekte sollten dazu führen, dass bereits im Jahr 1540 – also noch vor der Besetzung des Landes durch den Schmalkaldischen Bund – der letzte katholische Widerstand in der Stadt Braunschweig beseitigt wurde. Die Stiftsmitglieder beider Stifte hatten zeitweilig herzoglicherseits keine Befugnis mehr, die Stadt zu betreten und waren somit gezwungen, sich außerhalb des Stiftsbezirks aufzuhalten. Zunächst ging dem jedoch ein heftiger Zwist ab den späten 1530er Jahren voraus, den gleichermaßen Blasius- wie Cyriacusstift zu spüren bekamen.1116 Entscheidend für das plötzlich so aggressive Verhalten des Rates war eine Übereinkunft, die man auf den Bundestagen zu Frankfurt und Arnstadt 1539 geschlossen hatte. Diese enthielten verschiedene Beschlüsse, darunter hieß es u. a., dass eine Reformation der eigenen Gebiete sowie der darin befindlichen Klöster und Stifte durchweg zulässig sei – bei Widerstand sollte der Bund hinzutreten.1117 Neben einer Legitimierung zur Reformation des Braunschweiger Landgebietes war nun also auch ein verstärktes Vorgehen gegen das Stift St. Blasius politisch abgesichert. Dies umso mehr, als dass sich der Rat auf den folgenden Bundestagen in Arnstadt (1539) und Schmalkalden (1540) konkrete Zusagen der Bundesmitglieder sicherte, die eine Intervention und Reformation beider Stifte guthießen und im Bedarfsfall Hilfe zusicherten.1118 Tatsächlich 1114 Ausgeschlossen hiervon waren natürlich die Stiftspersonen. Vgl. Hassebrauk, Heinrich der Jüngere, S. 25. 1115 StadtA BS, B I 3 Nr. 6, Bl. 99ff. Es handelte sich vermutlich eher um eine Zusage denn um ein Vertrag. Er ließ sich entsprechend auch nicht als Urkunde auffinden. 1116 Auch den Kanonikern des Cyriacusstifts wurde ab 1540 der Eintritt in die Stadt verwehrt. 1117 Vgl. dazu Spieß, Nachmittelalter, S. 74, auch Hassebrauk, Heinrich der Jüngere, S. 30. 1118 Vgl. das Extrakt aus dem Arnstedter Bundesabschied (1539): HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv) Nr. Loc. 7256/10, Bl. 3r–3v: So ist denen von Braunschweig vf die ge-

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umgesetzt wurde diese Hilfe im Frühjahr 1540, als eine große Anzahl Bundestruppen – Herzog Heinrich spricht von mehreren Tausend – der Stadt Braunschweig zu Hilfe gesandt wurden.1119 Die städtische Miliz wurde überprüft und im Juni schloss man zudem ein Militärbündnis mit Herzog Ernst.1120 Die Stadt wusste sich folglich gut gerüstet, was auch dringend notwendig erschien, kamen doch aus Sachsen vermehrt Gerüchte über Mordbrenner auf, die – vom Herzog angeheuert – in Richtung Braunschweig zögen.1121 Darüber hinaus war man auch theologisch weithin abgesichert. Auf der Schmalkaldischen Bundesversammlung in Frankfurt war man bemüht gewesen, die dort anwesenden Theologen von der Rechtmäßigkeit des stadtbraunschweigischen Agierens zu überzeugen. Hierzu hatten die Braunschweiger Gesandten eine Anklageschrift des Herzogs gegen die Stadt mitgebracht, woraufhin sich der Straßburger Reformator Martin Bucer die

melten felle, so sie von hertzog Heinrichenn mit der that beschwerdt werden wolten, jnhalt der vorstenden hülf erkennet, daran es alsdann antzweifel auch nit mangel sein wirdet […] Vnd dieweil der stift Sancti Blasij jnn der stadt Braunschweig gelegenn ist, so dem hertzog Philips vnd hertzog Ernst, samptlich oder sonderlich, als mithern des stiefts, die ceremonien daslebst zuendern vnderstehen würden, so ist bedacht, das die von Braunschweig jren f.g. darzue helffen mochten, vnd saynen f[ürstlich] g[naden] oder jnen derwegem beschwerung begegnen wolt, das alsdan gemeine stende, als in religionsachen, jnen pillich hülff thun solt, vermüge der aynung. Dieses Versprechen erwähnt auch Kurfürst Johann Friedrich selbst in einem Schreiben an Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg (2. 5. 1540): Will dan gedachtem rath zu Braunschwig vf dem tage zu Arnstedt, vf den falh, do e[uer] l[iebden] neben gedachten vnsern oheim hertzog Phillipssen, als mithern des stiffts Blasij, die ceremonie, do selbst endern vnd sie datzu helffen würden, vnd jn d[er] halben beschwerung begegenen sollten helff als jn einer religion sache, zuerkant vnd vf izt gehaltenem tage, zu Schmalkalden, von den stende rethe, vnd pothschafften, nochmals für guth angesehen worden. NLA HA, Celle Br. 51 Nr. 1, Bl. 59r–59v. 1119 StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 233v. 1120 StadtA BS, B I 2 Nr. 7, pag. 238. 1121 Dies teilte der sächsische Kurfürst dem Rat im Herbst 1540 mit, woraufhin die Torwacht verstärkt wurde. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1 Bl. 206v. Zu den entsprechenden peinlichen Verhörprotokollen des sächsischen Kurfürsten vgl. HstA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv) Loc. 9713/11, Bl. 1r–1v: Es hat sich jm jhar wenigern zahl xl mancherlej mordtbrennns jnn der chur vnd fürsten auch anderer stende der augspurgischen confession vnd protestation vorwante gebietenn erajget vnd zugetragen […] deßhalb etzliche vbehltheter so darvber begriffen […] vnd alls sie jnn gemein vmb die jhenigen befragt welche sie dazu befehlt [haben sie…] jnn sonderheit aber vff hetzog Heinrich zu Braunschweig vnd den grossen vogt zu Wulffenbüttel vnd s[einer] f[ürstlich] g[naden] amptmann zu Schening, auch andere mehr bekhannt […]. Insgesamt wurden 23 Zeugen verhört, die großteils Herzog Heinrich d.J. und dessen Großvogt als Auftraggeber ihrer »Mordbrennerei« benannten. Gleiches bekannte auch ein in Güte befragter Schweineschneider in Wernigerode. Vgl. Jacobs, Eduard: Gerichtliche Zeugenaussagen vom 10. und 11. Januar 1541 über Brandlegungen in evangelischen Städten im Sommer des Jahres 1540, in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde 44 (1911), S. 149–158, hier S. 152. Dazu auch Koch, Geschichte, S. 228ff.

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Mühe machte, sämtliche Anklagepunkte des Herzogs in einem Gutachten sukzessive zu widerlegen.1122 Erste Konflikte begannen bereits im August 1538, als der Rat zunächst zwei Stiftspriester von St. Blasius verbannte, die einem sterbenden Braunschweiger Bürger die Sakramente in katholischem Ritus gespendet hatten. Dies hatte einen langen Briefwechsel mit Herzog Heinrich zur Folge, der sich bitter über den Stadtverweis beschwerte.1123 Selbst der Reformator Urbanus Rhegius, der soeben (April 1538) in der Stadt geweilt hatte, verfasste in diesem Zusammenhang 1539 ein persönliches Gutachten im Sinne der Stadt.1124 Der Herzog reagierte jedoch mit einem Landesverweis des Braunschweiger Stadtschreibers Dietrich Prütze und eines weiteren Ratsherrn, die er für den Stadtverweis seiner Geistlichen verantwortlich machte. Als diese dennoch im Fürstentum gesichtet wurden, ließ Heinrich sie kurzerhand verhaften. In einem Treffen zu Leiferde (15. 6. 1539) schlugen die herzoglichen Räte sodann vor, Prütze freizulassen, sofern man dafür die beiden Priester wieder in die Stadt aufnähme. Die Ratsgesandten gingen hierauf nicht ein.1125 Im Gegenzug brachten sie ihre Kritik an den Stiftskapiteln auf die Agenda: Das unzüchtige Leben der Kanoniker mit ihren kochynne vnd dienstpotten.1126 Auch hier wurde ein Briefwechsel mit Herzog Heinrich eingeleitet, der am 16. 3. 1539 schließlich dem Kapitel zu St. Blasius befahl, man solle sich messigen vnd dasselbig [unzüchtige Leben M.V.] abstellen, um nicht weitere Zwietracht zu provozieren.1127 Das Kapitel schrieb darauf am 26. 3. 1539 man habe sich gebessert. Dennoch verstärkte der Rat den Druck auf die Kanoniker. Im Juli wurde auch den Mägden mit Bürgerrecht, die auf der Domfreiheit arbeiteten, der Besuch des katholischen Domgottesdienstes verwehrt.1128 Sodann erschien am 10. 7. 1539 eine Gesandtschaft des Küchenrates vor dem Kapitel: Durch die beiden Priester, die das Sakrament in einerlei Gestalt gereicht hätten, habe man die getroffene Zusage gebrochen, sich der geistlichen Tätigkeit in der Stadt zu enthalten. Das Stift müsse folglich 1. die herzogliche Ungnade gegenüber der Stadt bereinigen und sich 2. jeglicher geistlichen Tätigkeit zukünftig enthalten. Am 1122 Vgl. Bucher, Martin: Deutsche Schriften. Martin Bucers Deutsche Schriften, Bd. 12, hrsg. von Gottfried Seebaß und Christoph Strohm, Gütersloh 2007, S. 100. Das Gutachten Bucers ist erst 2007 entdeckt und veröffentlicht worden. Die Braunschweiger Stadt- und Reformationsforschung hat dieses Gutachten bis heute nie zur Kenntnis genommen. 1123 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 43r–64r. 1124 Vgl StadtA BS, B III 15 Nr. 1a, Bl. 231r–255r. Vgl. dazu ausführlicher Kapitel 4.1. 1125 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr., Bl. 193r. 1126 Ebd., Bl. 77r. 1127 Ebd. Das Kapitel begriff richtig, man solle e[uer] f[urstlich] g[naden] (vns durch die jren reformiren zulassen) nicht vrsach geben (Bl. 78r). 1128 StadtA BS, B I 3 Nr. 6, Bl. 124r: Nv hefft sick ok begeven, dath de brökehern hadden den papen megeden, dat borgerinen weren, bi einem burmester anseggen laten, dath se sick des kerckgandes jn den dom scholden entholden.

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22.7. kamen der Dekan zu St. Blasius und vier Kanoniker wiederum auf die Münzschmiede und meldeten dem Rat, sie hätten das capitel reformeret, de horen vth dem huse jn de kamer gewiset – doch die dem Kapitel zwangsweise aufoktroyierte Aussöhnung von Rat und Herzog misslang.1129 Am 30. 1. 1540 wurde daher eine Visitation von St. Blasius durch die welfischen Herzöge Philipp und Ernst beschlossen.1130 Deren Räte verlasen dem Stift im Februar ein vorformuliertes Schreiben, nach welchem Vigilien künftig abzuschaffen seien und nur das Evangelium gepredigt werden solle; man bot auch die Versendung eines entsprechend gelehrten Predigers zu diesem Zweck an.1131 Mit Rückendeckung Herzog Heinrichs lehnte das Stift diese »Stiftsreformation« am 3. 3. 1540 rundheraus ab und bekam durch mehrere kaiserliche Mandate vorerst noch Unterstützung,1132 obgleich Heinrichs Einfluss beim Kaiser bereits arg gelitten hatte.1133 Der Rat reagierte prompt und verwies im März/April zwei weitere Stiftspriester von St. Blasius, die Bürgern das Abendmahl in einerlei Gestalt gereicht hatten, der Stadt.1134 Angesichts der drohenden Auseinandersetzungen zwischen Stadt und Herzog versuchten nun auch die Landstände zu vermitteln: Ein Treffen wurde vereinbart. Am 8. 10. 1540 sandte der Rat an den Ständeausschuss vor dem Ägidientor seine Gesandten, doch blieb er in seinen Forderungen an den Herzog unnachgiebig: Man nehme die Stiftspriester erst dann wieder in die Stadt auf, so forder se de borger nicht an sick togen und mit unreiner lehre unvorvoiret leten.1135 Schon während dieses (letztlich erfolglosen) Ständetreffens plante man von Rats wegen, die Stiftskirche St. Blasius zu schließen – dies wurde am Abend des nächsten Tages (9.10.) dann in die Tat umgesetzt.1136 Die Pforten des Domes wurden durch Ratsdiener versperrt, kurz darauf ließ man auch den Gottesdienst im Cyriacusstift verbieten.1137 Eine wütende Schrift des Herzogs vom selben Tag verhallte wirkungslos: Am 30.10. stimmten auch Hauptleute und 1129 Ebd., Bl. 121v. Der Rat bestand darauf, das Kapitel müsse der Stadt die Gunst des Herzogs wieder vermitteln. Der Dekan versuchte dies (28. 7. 1539), bekam jedoch vom Herzog eine erzürnte Antwort, die man dem Rat am 1. 08. 1539 auf der Münze mitteilte. 1130 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 183v. 1131 Vgl. StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 276r u. 276v. 1132 Vgl. NLA WF, 11 Alt Blas 3, Bl. 1r. Mandate des Kaisers: NLA HA, Celle Br. 53, Bl. 29r. 1133 Vgl. Petri, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 142–143. Nachdem Heinrichs Verbündeter, der kaiserliche Vizekanzler Dr. Held, in Ungnade gefallen war, erhielten Stadt und Herzog im Frühjahr und nochmals im Oktober 1540 die Anordnung, sich jeder Gewalt zu enthalten. 1134 Vgl. StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 17r und StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 269r. 1135 StadtA BS, B III 1 Nr. 11, Bl. 56r, dazu auch Becker, Manuel: Friedensstifter oder fürstliche Parteigänger? Die Wolfenbütteler Landstände als Mittler zwischen Herzog Heinrich dem Jüngeren und der Stadt Braunschweig in der Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Mitteilungen der Residenzen-Kommission. Sonderheft 2 (2017), S. 107–126, hier S. 117. 1136 NLA HA, Cal. Br. 21, Nr. 406, Bl. 1r. Dazu auch zusammenfassend: Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 219. 1137 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 206v.

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Gildemeister der bereits durchgeführten Kirchenschließung zu und wiesen die herzoglichen Forderungen einer Wiedereröffnung der Kirchen zurück.1138 Der Rat wusste sich folglich auch innenpolitisch abgesichert. Angesichts dieses radikalen Vorgehens veranlasste der Herzog nun seinerseits, dass das Kapitel ab Oktober 1540 nicht mehr in Braunschweig wohnen durfte – wohl aus Furcht vor rechtlichen Übergriffen des Rates – und ließ eine harsche Rechtfertigungsschrift drucken.1139 Erst vor dem Hintergrund des Regensburgischen Friedens wurde den Kapitularen herzoglicherseits am 26. 9. 1541 auf 18 Monate wieder das Wohnen in der Stadt vergönnt.1140 Allerdings veränderte sich die Situation noch vor Ablauf dieser 18 Monate, denn am 12. 8. 1542 wurde Wolfenbüttel und damit auch das entsprechende Fürstentum vom Bundesheer erobert. Bereits am 16.8. ließ der Rat die Kanoniker von St. Blasius und St. Cyriacus ohne Ursachenangabe öffentlich aus der Stadt verbannen.1141 Nur aufgrund von Bittschriften der Stiftspatrone und Bundeshäupter war der Rat wieder zur Aufnahme des Kapitels – ausgenommen des Dekans – bereit, die am 4. 9. 1542 erfolgte.1142 Bereits kurz nach der Rückkehr der Kapitularen machte sich der Rat sodann daran, das Blasiusstift wie auch das Cyriacusstift zu reformieren. Am 10. 9. 1542 wurden beide Kapitel durch Abgeordnete der Patrone beschickt, um durch zahlreiche Fragen die genauen Umstände beider Stifte zu ermitteln.1143 Die Stiftskirchen wurden inventarisiert und der Schreiber konnte vermerken: Die vicarien haben jhre mißgewante, casel vnd alben was darzu gehort vff die ger-

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Ebd., Bl. 206r. Vgl. Hortleder, Handlungen, Bd. 1, S. 1422. NLA HA, Cal. Br. 21, Nr. 406 [o.P.], Bl. 1r [eig. Pag.]. StadtA BS, B IV 11 Nr. 14, Bl. 2v. Der vorgebliche Grund lag evtl. in den 2000 Goldgulden, die das Stift dem Rat noch schuldete und nicht zurückgezahlt hatte. NLA HA, Cal. Br. 21, Nr. 414 [o.P.], Bl. 1r [eig. Pag]. Nach einer anonymen Chronik geschah die Stadtverweisung der Kanoniker sogar bereits am 26. 7. 1542, wenige Tage nach Versendung der Fehdebriefe an Heinrich. Evtl. wurde der Stadtverweis aber erst einige Wochen später exekutiert. Vgl. StadtA BS, H III 2 Nr. 4, Bl. 114v. 1142 NLA HA, Celle Br. 53 Nr. 28/2, Bl. 63r. 1143 Vgl. NLA HA, Cal. Br. 21 Nr. 411, Bl. 8r–9v. Die 24 Fragen lauteten u. a.: 1. Was der probstei einkomen sei, 2. Weher das dechanat zuvorleihen habe, 3. Was des decanats einkohmen sei, 4. Wievil prebenden sein vnd ob sie vnderschidlich namen haben, 5. Was der prebenden einkomen seien, 6. Ob probst, dechant, senior vnd capittel andere lehne zuverleihen haben […], 7. Ob sie einen gemeinen monitoren haben […], 8. Wie die possessores der prebenden heisszen, 9. Wievil derselbigen vaciren vnd was vrsachen, 10. Ob ein predicant gehalten sei worden, vnd was seine einkomen, vnd vnderhaltung gewesen sei, 11. Wievil vicarien vnd comenden jn der stifftkirchen seien vnd wie sie heisszen, 12. Was jhre einkomen seien, 13. Wehr jhre possessores sein, 14. Wieviel chorales gehalten sein worden, 15. Auch andere offitianten, 16. Vnd was derselben einkomen sei vnderschidlich anzuzeigen, 17. Ob scholemeister gehalten worden vnd was seine vnderhaltung gewesen sei, Was des custers vnd dergleichen diener einkomen vnd vnderhaltung gewesen, 19. Was der fabricae einkomen sei, 20. Was sonst jerliche einkomen der kirchen zu wachs, licht vnd andern geprauch seien […].

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kamer gepracht.1144 Am 23. 10. 1542 ließ man sodann dem Kapitel St. Blasius offiziell die Reformationsvorschriften antragen und die Kapitularen im Zuge dessen einen Treueeid auf die lutherischen Patrone schwören.1145 Die ordeninge, was in der kirchen soll gesungen vnd gelesen werden, wurde indessen noch nicht verfertigt, da die theologen auch nit bej der handen gewesen.1146 Sie sollte später nachgereicht werden. Daneben entstanden nun ernste Pläne, aus den Pfründen des Blasiusstifts ein Konsistorium sowie eine höhere Schule aufzurichten, doch wurden beide Absichten aufgrund des harschen Widerstandes der welfischen Patrone rasch wieder aufgegeben.1147 Im Fokus stand anfänglich vor allem die Klärung der Besitzverhältnisse. Um diese zu gewährleisten, hatte man zu St. Blasius eine Truhe mit den herzoglichen Briefen und Siegeln durch Beihilfe eines Kleinschmieds zu öffnen – denn die Schlüssel waren nicht vorhanden.1148 Das Stift bat im Gegenzug seine neuen Patrone, fortan keine Bürgersöhne als Kanoniker mehr zuzulassen – eine Angst, die Unabhängigkeit von der Stadt zu verlieren, wird hierin ersichtlich.1149 Der Superintendent Martin Görlitz legte 1542 – trotz gegenteiliger Bitten der anderen Geistlichen – sein Amt nieder und wurde hierfür nun erster lutherischer Stiftsprediger zu St. Blasius.1150 Das Bestallungsrecht des Stiftspredigers, welches zuvor laut Kapitel beim Dekan gelegen hatte, wurde damit vorläufig vom Rat übernommen.1151 Görlitz hielt daraufhin am 28. 10. 1542 die erste lutherische Predigt

1144 NLA HA, Cal. Br. 21 Nr. 413, Bl. 13r. 1145 Vgl. NLA HA, Cal. Br. 21 Nr. 411, Bl. 22r–26v. Der Inhalt der Ordnung war zusammengefasst: 1. Beilegung der Streitigkeiten zwischen Stift und Rat, 2. Bestätigung von Görlitz als Prediger, 2b. Künftige Suche nach einem geeigneten Theologen als Lektor, 3. Plan, Kleinodien einzuschmelzen und Messgewänder zu veräußern, 4. Von den Vikarien sollten 16 zu Stipendien umgewandelt werden, allerdings erst nach Absterben der aktuellen Inhaber, 5. Die restlichen Vikarien sollten als solche bestehen bleiben, doch sollten die Inhaber den Predigern künftig beim Administrieren der Sakramente behilflich sein, 6. Ausgenommen hiervon waren vier Vikarien, die dem Kapitel inkorporiert und zur Gehaltsaufbesserung von Schulmeister und Lektor verwendet werden sollten. 1146 Ebd., Bl. 23v. 1147 Vgl. Reller, Kirchenverfassung, S. 105; Butt, Angesicht, S. 60; Koldewey, Schulordnungen, S. LVII u. 58ff. 1148 Vgl. NLA HA, Cal. Br. 21 Nr. 411, Bl. 3r. 1149 Vgl. NLA WF, 11 Alt Blas Nr. 8, Bl. 1r. 1150 Vgl. Neophanus, Melchior: Catalogvs et Historia concionatorvm, qvi repvrgatione doctrinae Euangelij in Ecclesia Brunsuicensi docerunt […], Hamburg [1590] [VD16 N 1364], Bl. A4r: Atq[ue] Ministerij pro parte gravamine tanti Deposito, Blasij pastor in aede fuit. Zu den folgenden lutherischen Stiftspredigern vgl. Freist, Friedrich-Wilhelm: Die Domprediger an Sankt Blasii zu Braunschweig seit der Einführung der Reformation im Jahre 1542, Wolfenbüttel 1975. 1151 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 14, Bl. 17r: Es hat der dechant pro tempore zu sich ordiniren, vnd zubestellen einen pfarrer, jn die kirchen S. Blasj, welcher das prediger ampt vorwaltet, vnd den pfarleuten, jn die burgk gehörig, sacramenta ministrirt hat […].

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im Dom.1152 Die altkirchlichen Horen blieben trotz alledem bis ins 19. Jahrhundert hinein bestehen. Noch im 17. Jahrhundert vermerkte der Bürgermeister Tobias Olfen in seiner Chronik hinsichtlich der Kirche zu St. Blasius: Die im Papsthume gebräuchliche Hora ist beibehalten, und wird noch täglich zwei Mal, als des Morgens früh von 7 bis 8 Uhr und Nachtmittags von 2 bis 3 Uhr begangen, wo denn von den Canonicis und Vicariis die Psalter und andere Gesänge Katholischer Gewohnheit abgesungen werden.1153

Zeitgleich zur Stiftsreformation begann man auch hinsichtlich jener Kapellen zu verhandeln, die das Stiftskapitel als Patron zu bestellen hatte und welche seit 1528 leerstanden.1154 Besagte Kapellen (St. Bartholomäus und St. Jacobi) sollten gemäß einem Vertrag vom 20. 10. 1542 an den Rat fallen.1155 Der Vertrag trat jedoch nicht in Kraft: Zwar maßte sich der Rat anschließend die cura animarum an, doch blieben die Patronatsrechte (inkl. Güterverleihung) vorerst beim Kapitel.1156 Noch in den 1570er Jahren, als Chemnitz mit dem Kapitel erneut um die Rechte an den Kapellen verhandelte, musste daher eingeräumt werden, dass die beiden alten kirchen nach wie vor desolatae seien.1157 Zwar übertrug das Kapitel St. Blasius dem Rat schließlich die Patronatsrechte der beiden Kapellen, doch blieben sie bis ins 18. Jahrhundert hinein geschlossen.1158 In den Jahren 1542/43 waren sich die Kanoniker aber offensichtlich trotz der Verträge hinsichtlich der Endgültigkeit der Reformation noch keinesfalls sicher – dies belegen zeitgenössische Testamente.1159 Nach wie vor hoffte man demnach auf eine Rücknahme der eingeleiteten Reformen. Tatsächlich haperte es beträchtlich an der liturgischen Umsetzung der Reformation. Noch am 14. 08. 1544 1152 Vgl. Beste, Johannes: Geschichte der Braunschweigischen Landeskirche von der Reformation bis auf unsere Tage, Wolfenbüttel 1889, S. 52 sowie Vechelde, Geschichtsbücher, S. 38. 1153 Vechelde, Geschichtsbücher, S. 39. 1154 Letzter Rektor zu St. Jacobi war Conrad Lampe gewesen. Vgl. Schmidt, Johann August Heinrich: Versuch einer historischen Darstellung der successiven Entstehung der Vicariatspräbenden beim Stifte St. Blasii in Braunschweig, in: Braunschweigisches Magazin 30 (1817), Sp. 689–702, hier Sp. 697. 1155 Vgl. NLA HA, Celle Br. 53 Nr. 28/2, Bl. 61r–62v. 1156 Vgl. NLA WF, 11 Alt Blas Nr. 16, Bl. 2r–2v. 1157 Ebd. 1158 Vgl. Schmidt, Versuch, Sp. 697 u. 702. Zu St. Bartholomäus im 17. Jahrhundert (1607) vgl. StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 135r: Damals wurde vergebens erbeten, das die verwüstete kirch S. Bartholomaei den eingepfarrten zun Brüedern [als Friedhofsplatz …] gegonnet werden mochte [… doch wurde beklagt,] das die capitularn S. Blasij diese kirch alß ob sie jhrem stifft incorporirt in anspruch genommen […]. St. Bartholomäus wurde schließlich 1708 Pfarrkirche der neuen reformierten Gemeinde. Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 80. 1159 Vikar Bernd Tellemann wollte z. B. 1543 einen Teil seiner Rente als Memorie angelegt wissen, vorausgesetzt, dass wedder thogelaten worde, datmen in unser kercken Sancti Blasii vigilie und zelemyssen holden mochte. Zitat nach: Haas, Leben, S. 168.

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schrieben die Statthalter an Herzog Erich, man habe Bedenken, dass die Stifte wieder in »Papisterei« verfielen, daher wolle man die Patrone am 7.9. nach Braunschweig berufen und dort mit den andern mitpatronen die angefangene vnd nicht vollfürte reformation der stifftkirchen Sancti Blasi helffen vernemen vnd vollend zum ende zu bringen vnd dann die reformation der stifftki[r]chen Sanct Ciriaci, so noch nicht angefangen, auch anfangen.1160 Hierzu kam es jedoch nicht, denn der Konvent des Blasiusstifts wurde – vorgeblich aufgrund unbezahlter Schulden – noch im September 1544 erneut aus der Stadt verbannt.1161 Tatsächlich dürfte die Furcht vor der Konspiration des Kapitels mit dem Herzog den Ausschlag gegeben haben, welcher ja auch tatsächlich einen Angriff plante.1162 Das verdeutlicht ein Schreiben des Kapitels aus dem Halberstädter Exil: Darwiden solche geferliche handlung vnd das jrer jtliche noch vnser religion vngewogen, hertzog Heinrich anhengen vnd sich vngleichs mit beschwerlichen newen zeitungen schleppen.1163 Die Stiftskirche blieb allerdings geöffnet, denn nach Görlitz’ Wegzug am 15. 6. 1545 wurde Conrad Bergius vom Rat als neuer Prediger am Dom eingestellt.1164 Nach langen Verhandlungen der Patrone mit dem Rat wurde dem Kapitel am 13. 12. 1545 wieder der Einlass in die Stadt erlaubt, am 8. 2. 1546 wurden auch die Siegel und Briefe vom Rat zurückerstattet.1165 Schlimmer traf es im Zuge des herzoglichen Angriffs das Kapitel St. Cyriacus: Die Bürger hatten 1545 aus Angst vor einer Belagerung die Stiftsgebäude vor den Stadtmauern kurzerhand niedergebrochen.1166 Das Stift siedelte bis zu seiner Auflösung in den Burgbezirk über, der fortan beide Stifte beherbergte – als Stiftskirche des Cyriacuskapitels diente künftig die Kapelle St. Johannis.1167 Nachdem der Herzog 1547 wieder zurückgekehrt war, verlangte dieser vom Rat, unverzüglich wieder einen katholischen Pfarrer am Dom anzustellen. Die Stadt musste daher notgedrungen ihren lutherischen Prediger Conrad Bergius 1548 entlassen.1168 Als aber 1550 auf Drängen des Herzogs der katholische Gottesdienst wieder eingeführt werden sollte, liefen »zahlreiche Handwerksgesellen nach der Kirche, verjagten die Pfaffen mit Steinen und nahmen die Lichter von 1160 1161 1162 1163 1164 1165

NLA WF, 11 Alt Blas. Nr. 8, Bl. 24r. Der Tag wurde auf den 28.9. verschoben. Vgl. NLA HA, Celle Br. 53 Nr. 28/1, Bl. 90r. Der Angriff wurde indessen auf 1545 verschoben. NLA HA, Celle Br. 53 28/2, Bl. 58v. Vgl. NLA WF, 11 Alt Blas. Nr. 18, Bl. 4v. Zu Bergius vgl. auch Freist, Domprediger, S. 2. Vgl. zum Treffen: NLA HA, Celle Br. 53 28/2, Bl. 21r, zur Siegelübergabe: NLA HA, Cal. Br. 21, Nr. 414. 1166 Einen sehr anschaulichen Bericht zu diesen Ereignissen bietet die spätere Chronik des Bürgermeisters Gerke. Vgl. Garzmann, Manfred R.W. (Hrsg.); Pingel, Norman-Mathias (Bearb.): Teiledition der Chronik des Braunschweiger Bürgermeisters Christoph Gerke (1628–1714), Braunschweig 2000 (= Quaestiones Brunsvicenses: Berichte aus dem Stadtarchiv Braunschweig, 11/12), S. 66–68. 1167 Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 222. 1168 Vgl. NLA WF, 11 Alt Blas. Nr. 10, Bl. 1r. Brief Heinrichs an das Stift vom 13. 6. 1548.

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den Kronen.«1169 Die Kirche blieb daraufhin bis 1553 für den Gottesdienst verschlossen. Bereits im April 1552 erbat das Stiftskapitel zwar, das die fürstlichen patronen sich vf die wege vnd mittel gnediglichen muchten vergleichen, durch welche die stifftkirche S. Blasij geoffnet, vnd darin widerumb Gotts wordt gepredigt, die sacramenta administrirt vnd auch christlich gesungen vnd gelesen mochte werden.1170 Allerdings ließ man die Kirche städtischerseits nach wie vor nicht öffnen. Dies änderte sich erst, als der lutherische Söldnerführer Graf Vollrad von Mansfeld der Stadt und dem Stift mit Androhung von Plünderung befahl, wieder einen lutherischen Prädikanten im Dom zu bestellen.1171 Nachdem sich das Stift bei seinen Patronen Rat geholt hatte, wandte man sich zwecks eines neuen Predigers an Lüneburg. Zuvor hatte man an sämtliche Stiftspatrone geschrieben, die bis auf Philipp Magnus (dem Sohn Heinrichs d.J.) alle für die lutherische Neueröffnung votiert hatten. Man ließ daraufhin den Lutheraner Friedrich Wedemeier als neuen Stiftsprediger anstellen, doch blieb dieser nach wie vor ohne Sitz im Kolloquium.1172 Am 2. 2. 1553 wurde die Kirche sodann erneut feierlich eröffnet.1173 Nach der Niederlage Vollrads von Mansfeld war man schließlich gezwungen, sich endgültig mit Herzog Heinrich zu einigen. Eine katholische Wiedereröffnung musste schon an der Stadtbevölkerung scheitern und so hielt man im Friedensvertrag vom 10. 10. 1553 fest, dass das Stift lutherisch bleiben solle: So will auch hertzog Heinrich gnediglich vorhuetten, das den kirchhernn S. Blasij für obgemellter vorgleichung der religionsachen, durch vnordnung der ceremonien zum aufflauff oder rumor des gmeinen mans keine vrsache geben werden müge.1174 Gleiches galt für das nun ebenfalls im Burgbezirk befindliche Stift St. Cyriacus. Das volle Patronat über die Stelle des Stiftspredigers wurde jedoch vom Rat dem Kapitel St. Blasius wiederum überlassen, weshalb der Stiftsprediger auch zunächst kein Mitglied des städtischen Ministeriums war.1175 Ähnlich wie das Kloster St. Crucis besaßen damit auch die Stifte nach der Reformation einen

1169 Beste, Geschichte, S. 56. Der Rat musste allerdings hinnehmen, dass das Kapitel in der Kirche zwei Mal am Tag die Hora sang. Vgl. Tunica, Geschichte II, S. 311 [Fußnote]. 1170 NLA WF, 11 Alt Blas. Nr. 11, Bl. 1r. Bittschrift vom 2. 4. 1552. 1171 Vgl. NLA WF, 11 Alt Blas. Nr. 2, Bl. 14v. 1172 Vgl. NLA HA, Celle Br. 53 Nr. 1, Bl. 113r. 1173 Vgl. NLA WF, 11 Alt Blas. Nr. 18, Bl. 4v. 1174 StadtA BS, H III 4 Nr. 66, Bl. 14v. Auch (fehlerhaft) abgedruckt bei Bünting/Rehtmeyer, Chronica, S. 927. 1175 Eine entsprechende Urkunde hat sich zwar nicht erhalten. Aus einem Konflikt um die Stiftspredigerbesetzung (1594) gehen aber die genauen Bestimmungen zur Vokation hervor: Das Kapitel hatte das Ius Nominandi und Praesentandi, musste den Kandidaten aber – nach erfolgreicher Probepredigt vor Kapitel und Adel – in einer bestimmten Frist dem Herzog präsentieren. Stimmte dieser zu, so kam es zur Investitur. Vgl. LKA WF, OA 86 Braunschweig Dom, Bl. 1r u. 19r.

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gesonderten Status – sie standen außerhalb der eigentlichen städtischen Kirchenverfassung. Nach 1553 wurden beide Stifte dann sukzessive protestantisch. Noch die gesamte zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts hindurch ließen die Kanoniker allerdings einzelne Memorien fundieren, zudem lassen sich noch bis in die 1570er Jahre katholische Kanoniker nachweisen.1176 Dies deutet somit auf eine gewisse Assimilation des katholischen Stifts mit der neuen evangelischen Lehre über mehrere Jahre hin. Obgleich es nun in den folgenden Jahrzehnten durchaus noch zu gelegentlichen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Stiften und dem Rat kam, so waren diese doch nahezu ausschließlich säkularer Natur und betrafen zumeist Finanzgeschäfte. Einzig der Konflikt um die 1542 aufgelöste Parochie der Stiftskirche St. Blasius wurde seit 1578 vergeblich vom Kapitel neu aufgerollt.1177 Insgesamt lässt sich mit der Reformation und ihrer Implementation langfristig gesehen ein dauerhafter Bedeutungsverlust der beiden Stifte erkennen: »Nach Einführung der Reformation verlagerte sich der geistliche Schwerpunkt von St. Blasii auf die Bürgerkirchen […]. Dies zeigt sich deutlich auch an der Gewichtung der Inschriften; St. Martini und St. Katharinen weisen jeweils etwa doppelt so viele Inschriftenträger auf wie der Dom St. Blasii.«1178

2.2.5 Ordensniederlassungen Neben den Klöstern und Stiften existierten in Braunschweig zu Beginn der Reformation zwei stadtfremde Ordensniederlassungen. Dies war einerseits der Prioratshof des Johanniterordens, andererseits der »Graue Hof« des Zisterzienserordens (Kloster Riddagshausen).1179 Der Umgang mit diesen stadtfremden Wirtschaftshöfen gestaltete sich nach der Reformation meist recht kompliziert, wie Schindling bereits festgestellt hat: 1176 Zu den Memorien vgl. Haas, Leben, S. 169. So etwa 1580, 1592, 1596 und 1597. Zu den katholischen Kanonikern vgl. etwa den Konflikt um das Epitaph des katholischen Kanonikes Galli im Jahr 1577. Dieser war als bekennender Katholik gestorben und hatte zu St. Katharinen ein Epitaphium mit einer Abbildung von sich im pfaffenrock aufstellen lassen. Vgl. StadtA BS, B I 4 Nr. 75, pag. 223ff. Dazu auch ebd. pag. 233: Zum sechstenn, das epithaphium canonici Galli anlangt, wüste man sich zubescheidenn, das derselbige ein papist vnd ein offentlicher lesterer des sacraments vnd ehestandes gewesenn […]. 1177 Nach 1542 hatte die Stadt die kleine Gemeinde der Stiftskirche St. Blasius zur Gemeinde von St. Ulrici gelegt. Das Kapitel wollte jedoch die veteres limites seiner Pfarre wieder erhalten. StadtA BS, B III 16 Nr. 6, Bl. 11v. 1178 Wehking, Sabine (Bearb.): Die Deutschen Inschriften. Die Inschriften der Stadt Braunschweig von 1529–1671, Wiesbaden 2001 (= Die deutschen Inschriften, Göttinger Reihe, 9), S. XVII [Vorwort]. 1179 Zum Tempelhof, der indirekt noch den Johannitern gehörte, de facto aber vom St. Matthäus Kaland verwaltet wurde, vgl. das Kapitel 2.2.7.

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»Die […] Kommenden des Deutschen Ordens und des Johanniterordens sowie die Wirtschaftshöfe außerstädtischer geistlicher Institutionen wurden auch von den entschiedensten neugläubigen Magistraten stets mit großer Vorsicht behandelt, zumindest was das Eigentum und die Einkünfte betrifft. Die Messe in den dazugehörigen Kirchen oder Kapellen versuchte man freilich meist zu unterbinden […].«1180

Ähnlich wie Schindling es hier für Nürnberg, Straßburg und Frankfurt beschrieben hat, verlief auch der Umgang mit den Braunschweiger Ordensniederlassungen. Erstmals befassten sich Rat und Stände im Frühjahr 1529 mit den Niederlassungen der geistlichen Orden, allen voran dem »Grauen Hof« des nahe der Stadt gelegenen Zisterzienserklosters Riddagshausen. Das Verhältnis zwischen Stadt und Kloster war zu diesem Zeitpunkt noch durchaus positiv, weshalb Riddagshausen – wie auch dessen Klosterhof – von etwaigen reformatorischen Ausschreitungen noch bis in die 1540er Jahre verschont bleiben sollte.1181 Gemäß den Wünschen der Gilden und Hauptleute sollte das Kloster für seinen »Grauen Hof« eine hulpe vnd sture tor stadtveste geben, da er sich schließlich innerhalb der beschuttinge der Stadtmauern befände.1182 Auch sollte der Abt versprechen, auf dem Klosterhof nichts zu gestatten, das wider die Kirchenordnung sei. Der Rat hielt ein zu hartes Vorgehen gegen den »Grauen Hof« jedoch keinesfalls für angemessen, im Gegenteil: Man wollte dem Abt zwar die Bitte der Gemeinden und Gilden von Rats wegen pflichtbewusst antragen, doch sollten die Bürger es dem Abt nicht verübeln, sofern er das Anbringen abschlage. Man dürfe der woldarth nicht vorgethen, de vnsen borgeren vnd jnwoneren beiegent, jn deme he jerlickes dem gemeine den roggen vmme einen liderligen penningk by himpten vnd halven schepelen affmidt vnd dat der vnsen vele alle dage mith den oren vor deme closter to Ridderßhusenn gespiset werdenn.1183 Allerdings wolle man dem Abt auferlegen, dass er auf seinem Klosterhof ferner nichts mehr praktizieren dürfe, was der KO entgegen sei. Überdies plante man, ihn um einige Bauhölzer für Wege und Stege zu bitten. Mit diesen milden Forderungen hatte der Rat Erfolg. In der nächsten Herbstzusammenkunft am 2. 11. 1529 konnte er den Ständen mitteilen, dass der 1180 Schindling, Anton: Die Reformation in den Reichsstädten und die Kirchengüter. Straßburg, Nürnberg und Frankfurt im Vergleich, in: Sydow, Jürgen (Hrsg.): Bürgerschaft und Kirche. 17. Arbeitstagung in Kempten 3.–5. November 1978, Sigmaringen 1980 (= Stadt in der Geschichte: Veröffentlichungen des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung, 7), S. 67–88, hier S. 81. 1181 Dazu dürfte vor allem aber auch die Angst vor Gegenmaßnahmen Herzog Heinrichs beigetragen haben, unter dessen Schutz das Kloster stand. Vgl. Zimmermann, Gottfried: Das Kloster Riddagshausen und die Stadt Braunschweig in ihren wechselseitigen Beziehungen, in: BsJb 62 (1981), S. 9–20, hier S. 16. 1182 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 108v. 1183 Ebd., Bl. 147v.

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Abt versprochen habe, keine Handlungen auf seinem Grundstück vorzunehmen, die der evangelischen KO entgegen seien. Zudem versprach er, zum Bau einiger Wege und Stege im Hagen Holz zu liefern und künftig vom Grauen Hof eine jährliche Steuer zu entrichten. Damit hatte er freiwillig auf das Privilegium immunitatis verzichtet. Um weiteren Forderungen von Gilden und Gemeinden zuvorzukommen, betonte der Rat nun nochmals: Der Abt spiset degeliges vnse armen vnd noittorfftigen vor dem closter.1184 Man bat die Bürger daher, von einem härteren wirtschaftlichen Vorgehen gegen den Klosterhof abzusehen, um die Mildtätigkeit des Abtes nicht zu gefährden. Eine durchaus ungewöhnliche Situation, in der Braunschweig auch nach der Reformation weiterhin von der milden Werkfrömmigkeit des katholischen Zisterzienserklosters zu profitieren gedachte. Die Bürger gaben sich mit dem Anbringen des Rates letztlich zufrieden. Obgleich sich die Lage zwischen Stadt und Kloster später wieder drastisch verschlechtern sollte,1185 so war doch die Situation des Klosterhofes um 1530 damit vorerst geklärt: 1543 sollte Abt Lambert nochmals sein Wohnrecht im »Gauen Hof« ausdrücklich auf Lebenszeit bestätigt werden.1186 Seit 1588 diente der »Graue Hof« dann den Herzögen als Abstiegsquartier bei ihren Besuchen; die Kapelle wurde später als Hofkapelle genutzt.1187 Allerdings blieb die Bindung des Hofes zum Kloster Riddagshausen auch nach dessen offizieller Abtretung an den Herzog (kurz nach 1671) noch bestehen.1188 Langwieriger gestaltete sich dementgegen der Handel mit dem »Johannishof« des Johanniterordens. Auch hier hatten sich Rat und Stände seit Frühjahr 1529 für eine umgehende Einstellung jeglicher antiprotestantischer Praktiken eingesetzt.1189 Im November 1529 versprach Prior Hermann Gernegast schließlich, sich fortan in keinem Punkte mehr wider die KO zu verhalten. Da die Johanniter aber nach wie vor katholisch waren, blieb ihnen demgemäß nur die Schließung ihrer Kapelle übrig. Dies wiederum störte die Gemeinde der Altstadt, welche den 1184 Ebd., Bl. 178v. 1185 StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 23v. 1534 beklagte sich der Abt beim Herzog, die Braunschweiger seien in sein Gehölz eingefallen. Der Rat erwiderte dem Herzog in Gandersheim, die Bürger hätten nur ihr Hopfen in die Stadt bringen wollen, da seien jnen etzliche monche von Rittershausen nachgeeilt […], dieselben nit fern von der stat niedergeschlagen, darunter einer todt gebliben, haben sich die burger nach erfarner sachen hinaus den monchen nachzutrachten begeben wollen, Aber solchs furnemen sey jnen durch burgermeister Valberger mit zuschliessung der pforten vnd andern gutten gegeben worten geweret worden. Zu den späteren Zerstörungen des Klosters durch die Braunschweiger seit den 1540er Jahren vgl. Zimmermann, Kloster, S. 16–17. 1186 Vgl. Zimmermann, Kloster, S. 17. 1187 Vgl. Beste, Album, S. 122–123; Vechelde, Geschichtsbücher, S. 98. 1188 So betonte z. B. Ribbentrop 1796: Jm vergangenen Jahre ist bei der Grauenhofskapelle der Abt von Riddagshausen wieder als Hofprediger angestellt, welcher an Son= und Feiertagen den Gottesdienst versiehet. Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 40 u. 67. 1189 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 109r.

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Leerstand des Gotteshauses ohne entsprechende Gegenvergütung nicht hinnehmen wollte. Am 22. 3. 1531 beschwerte sie sich daher beim Rat und bat, dass man dem prior tho S. Johanße, dewile he nu neynen slete edder predicanten holt, thom gebuwe wat tho gevende anseggen moghe.1190 Der Rat versprach daraufhin, sich an den Prior zu wenden.1191 So kam es 1532 auch hier zu einem Vertrag, der die Rechts- und Steuerlage des Hofes regelte. Der Prior sollte für Hof und Kapelle jährlich eine Steuer entrichten und damit auf sein Privilegium immunitatis verzichten. Gleichzeitig mussten künftig auch alle anderen Geistlichen auf dem Johannishof thor borgerschop vnd tho anderer vmplicht gelick den borgern gefordert werden.1192 Im selben Jahr kam es nun jedoch erstmals zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Rat und der Komturei zu Süpplingenburg, der das Priorat Braunschweig unterstand. Nachdem der letzte Prior, Hermann Gernegast, verstorben war, nahm sich der vorstehende Komtur (Achim Holsten) zu Süpplingenburg der Priorei selbst an.1193 Überdies erteilte er den Befehl, die vasa sacra aus der Johanniskapelle zu entnehmen und sie umgehend nach Süpplingenburg zu überführen.1194 Der Rat protestierte dagegen und wandte vor, die Kleinodien hätten doch denn merer teil jre bürger dahin gegeben, weshalb sie dem Orden keineswegs zustünden.1195 Die bürgerlichen Stiftungen waren ein übliches Argument, welches der Rat ja auch bereits bei den Klöstern herangezogen hatte. Nichtsdestotrotz blieben die Kirchengeräte im Besitz des Komturs. Nun machte auch der Rat ernst: Sämtliche Zinsen der dem Prioratshof unterstehenden Wohnhäuser wurden aufgehalten und nicht mehr an den Prior – der ja mittlerweile zugleich Komtur war – entrichtet. Dieses Vorgehen war freilich nicht rechtens, weshalb der Orden umgehend einen Reichskammergerichtsprozess gegen den Rat anstrengte, der sich noch über die nächsten Jahre hinziehen sollte.1196 Da die oben beschriebenen Konflikte zwischen Rat und Komtur nicht dauerhaft anhalten konnten, traten beide Parteien 1543 auf Vermittlung der braunschweigisch-wolfenbüttelschen Statthalter zu einer gütlichen Vereinigung zusammen.1197 Am 29. 11. 1543 kam schließlich ein Vertrag zwischen Komtur Matthias Diricken und dem Rat zustande, der die Zukunft des Johannishofes 1190 1191 1192 1193 1194 1195 1196 1197

StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 10r. Vgl. ebd., Bl. 14v. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 80v. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 214, Bl. 72r. Siehe dazu auch: Rehtmeyer, Historiae I, S. 140. Vgl. die Angaben in: StadtA BS, B I 2 Nr. 7, pag. 323–325. Ebd., pag. 323. Vgl. ebd., pag. 325–327. Zum Folgenden auch (wenngleich verkürzt): Schmidt, Johann August Heinrich: Über die vormalige Johanniskirche in Braunschweig, in: Braunschweigisches Magazin 29 (1816), Sp. 569–584, hier Sp. 381–382.

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regeln sollte. Der erste Punkt betraf die Johanniskapelle, welche ettliche jar her zugestanden, das kein gottes dienst darinne gescheen ist, weshalb sich die Anwohner daher beschwert, auch dem compter ettliche zins vorenthalten, vnd begert haben, das der rechte ware gottesdienst in solcher kirchen durch den compter wider solt angericht werden.1198 Obgleich sich der Komtur zu Süpplingenburg 1542 vor der Visitationskommission der Wolfenbütteler Statthalter zur Reformation seiner Kommende verpflichtet hatte,1199 wollte er doch nicht selbst für einen evangelischen Gottesdienst in der Ordenskapelle St. Johannis sorgen. Stattdessen übergab er dem Rat nun die Schlüssel zur Johanniskapelle, sodass dieser selbst einen Prediger, der das gotliche wort predige vnd die christliche sacrament reiche, in dieselb kirch verordnen konnte.1200 Um dem Rat dies auch finanziell zu ermöglichen, wurde vereinbart, dass der Orden jährlich 15 Gulden aus dem Prioratseinkommen entrichten sollte. Als Gegenleistung wurden dem Komtur sämtliche Steuern für den Prioratshof erlassen und er durfte seine Fenster und Türen, die zur Kirche hinausgingen, zumauern, um seine Privatssphäre zu gewährleisten.1201 Überdies wurde der Rat für die 1532 entwendeten Kirchenkleinodien entschädigt, indem ihm zum Bau des neuen Zeughauses ein Stück des Johannitergartens eingeräumt wurde. Zugleich einigten sich auch beide Parteien darauf, den Reichskammergerichtsprozess gütlich einzustellen. Damit waren die grundsätzlichen Konflikte zwischen Rat und Komtur endlich aus der Welt geräumt. Trotz des Vertrages wurde in der Johanniskirche aber nach wie vor kein Gottesdienst durch den Rat eingerichtet. Zudem verblieb der Prioratshof bis in die 1560er Jahre noch im Besitz des Ordens. Sodann wurde er von den Johannitern an die Adeligen Dietrich von Quitzow und Fritz von der Schulenburg verpachtet. Da der Rat aber 1543 lediglich den Ordensanhängern das weitere Wohnrecht auf dem Hof gestattet hatte, mussten die Nachkommen der beiden Adeligen mit dem Rat am 2. 11. 1570 ihre neuen Wohnrechte vertraglich regeln. Sie übernahmen hierbei für 60 Jahre die Verpflichtung, jährlich 20 Gulden zu vnterhaltung der kirchen embter vnd ministerien und zu bestellung der christlichen predigten in der kirchen S. Johannis zu zahlen.1202 Trotz dieser bereits 1198 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 7, pag. 322. Der Vertrag ist mit einigen Fehlern auch abgedruckt bei Rehtmeyer, Philipp Julius: Historiae Ecclesiasticae inclytae urbis Brunsvigae pars II, oder: Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen=Historie […], Bd. 2, Braunschweig 1710 [Beylagen zu Teil 1], S. 115–118. 1199 Vgl. Berwinkel, Roxane: Süpplingenburg, in: Dolle, Joseph (Hrsg.): Niedersächsisches Klosterbuch. Verzeichnis der Klöster, Stifte, Kommenden und Beginenhäuser in Niedersachsen und Bremen von den Anfängen bis 1810, Teil 3, Bielefeld 2012, S. 1403–1408, hier S. 1404. 1200 StadtA BS, B I 2 Nr. 7, pag. 322. 1201 Vgl. ebd., pag. 322. 1202 Ebd., pag. 767. Eine weitere Kopie des Vertrages ist einsehbar unter: StadtA BS, B IV 11 Nr. 214, Bl. 2r–4r. Der 60-jährige Vertrag von 1570 wurde kurz vor seinem Ablauf 1629

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ab 1543 geleisteten Zulage stand die Johanniskirche seit 1529 leer und blieb verschlossen. Der Rat war nun – vermutlich aufgrund des neuen Vertrages – wieder auf die Kapelle aufmerksam geworden: So befahl er Chemnitz schließlich, am 22. 9. 1571 den Einweihungsgottesdienst in der Kirche durchzuführen.1203 43 Jahre nach der Reformation wurde somit die erste evangelische Predigt zu St. Johannis gehalten. Künftige Prediger in der Kapelle wurden die beiden Geistlichen zu St. Ulrici. Fortan hielten sie in der Kapelle jeden Dienstag eine Wochenpredigt, wofür ihnen die oben genannten 20 Gulden zugestanden wurden.1204 Damit war die Implementation der Reformation auch zu St. Johannis nach 43 Jahren endlich abgeschlossen.

2.2.6 Hospitäler und Beginenhäuser Weniger ereignisreich als für die Klöster, Stifte und Ordensniederlassungen verlief die Reformation und deren Implementation für die Hospitäler und Beginenhäuser. Während sich in einigen Städten für diese Institutionen im Zuge der Reformation einiges änderte,1205 blieb in Braunschweig nach 1528 grundsätzlich fast alles beim Alten. Wie Sandfort resümiert, »griff der Reformator« insbesondere »in die ökonomische Selbstständigkeit und Selbstverwaltung« der Beginenhäuser und Hospitäler nicht ein.1206 Überraschend ist dies, da Bugenhagen sich bereits kurz darauf in seiner Hamburger Zeit (1529) negativ zum Beginenwesen äußerte: Nunnen edder Begynen schal me nicht mehr maken.1207 Da

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unter ähnlichen Bedingungen zwischen dem Braunschweiger Rat und den von Quitzows sowie den von Rautenbergs für weitere 60 Jahre verlängert. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 214, Bl. 99r–101v. 1655 erwarb der Rat dann die eine Hälfte des Hofes von der Familie von Quitzow. Vgl. ebd., Bl. 104rff. Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 383. Schmidt gibt als Weihejahr 1573 an. Vgl. Schmidt, Johanniskirche, Sp. 382. Da er sich auf Rehtmeyer beruft, dürfte es sich hierbei um einen Schreibfehler handeln. Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 383. Dies war noch um 1700 der Fall, wie eine zeitgenössische Predigtverordnung ausweist: Dienstags Vormittags wird […] eine Woche um die ander zu S. Johannis eine Predigt von 8. biß 9. Uhr gehalten. Vgl. HAB WO Xb 146 (32) [VD17 23:250686H]. So z. B. in Nürnberg, Hamburg, Lübeck und z. T. Frankfurt a.M., wo die Vermögensmassen der Hospitäler teils eingezogen, teils unter einer Almosenbehörde zentriert wurden. Vgl. Knefelkamp, Ulrich: Über die Pflege und medizinische Behandlung von Kranken in Spitälern vom 14.–16. Jahrhundert, in: Matheus, Michael (Hrsg.): Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicher Hospitäler im europäischen Vergleich, Stuttgart 2005, S. 175– 194, hier S. 182 u. 184. In Lübeck war die Verwaltung der Hospitalgüter in einem gemeinen Kasten wenigstens gemäß KO vorgesehen. Vgl. Hauschild, Wolf-Dieter: Kirchengeschichte Lübecks. Christentum und Bürgertum in neun Jahrhunderten, Lübeck 1981, S. 196. Sandfort, Beginenwesen, S. 86. Zitiert nach: Lorentzen, Johannes Bugenhagen, S. 412.

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Bugenhagen aber zuvor offensichtlich noch nicht dieser Ansicht gewesen war, blieben die Beginenhäuser und Hospitäler bestehen. Überdies wurde den ca. 201208 Hospitälern und Beginenhäusern auch die eigenständige Rechnungsführung überlassen, welche üblicherweise vom Hofmeister geregelt und durch die beiden Vorsteher1209 zusammengestellt bzw. dem Rat präsentiert wurde. Kurzfristig wurden mehreren Hospitälern zwar – ähnlich dem Kreuzkloster – fünf Gemeindevorsteher bestellt, doch scheinen diese kurz darauf wieder abgeschafft worden zu sein und es blieb bei den vorigen Zuständen.1210 Damit änderte sich 1528 aus ökonomischer Perspektive – jedenfalls äußerlich – nur wenig. Ähnlich wie später die Klöster, so hatten nach Bugenhagen aber auch die Hospitalinsassen dem Gemeinwohl zu dienen: Werden overs sulke frauen nicht willen vor lohn waren de kranken unde konden doch wol, alse gesecht is, so late me se nicht mehr in hospitalen […].1211 Daneben wurde nun verstärkt auf die Förderung christlicher Frömmigkeit in den Anstalten achtgegeben. Gemäß KO sollten die Prediger 1–2 Mal in der Woche die Hospitäler besuchen und die Insassen mit Gottes Wort fruntlick vermanen.1212 Auch sollte fortan, umme des evangelien willen, mehr auf diejenigen Insassen achtgegeben werden, die mit Lästerworten 1208 Um 1600 gab es 22 Hospitäler mit 357 Insassen, da aber vereinzelte Anstalten (z. B. Valentin Heinemanns Hof) erst nach der Reformation gegründet bzw. umfunktioniert wurden (z. B. das Alexiushaus), existierten um 1528 knapp 20 Hospitäler. Vgl. StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 65–66. Dazu auch Sandfort, Beginenwesen, S. 33–60. Beginenhäuser sind um 1500 insgesamt neun Stück nachweisbar. Vgl. Sandfort, Elisabeth: Das Braunschweiger Beginenwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Voigt, Jörg; Schmidt, Bernward; Sorace, Marco A. (Hrsgg.): Das Beginenwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Stuttgart 2015, S. 176–198, hier S. 182. Boldt resümiert: »Für Spätmittelalter und Frühe Neuzeit sind bis 1700 hier 21 Anstalten, ohne St. Thomae und den Herrendorf Konvent, zu behandeln.« Vgl. Boldt, Fürsorgewesen, S. 213. 1209 Diese Vorsteher waren keinesfalls immer Ratsherren, normalerweise aber zugleich wenigstens Kastenherren einer Kirche. Bei der Rechnungsablage des Hospitals St. Leonhard (1557/58) war z. B. lediglich ein Vorsteher zugleich im Kastenherrenamt (Andreas Schmidt), der zweite Amtsträger (Jordan Lutken), aus der Schicht der Weißen Ringe, hatte kein weiteres Amt inne, saß auch ebenfalls nicht im Rat. StadtA BS, Revidenda Nr. 90 [o.P.], Bl. 1r [eig. Pag.]. Vgl. zur Familie Lutken/Lütken: Spieß, Werner: Die Ratsherren der Hansestadt Braunschweig 1231–1671, Braunschweig 1970, S. 162. Damit widersprach man der KO, die gefordert hatte, dass ein Vorsteher jeweils Kastenherr, der zweite Ratsherr sein sollte: Alle beyde vorstendere, de eyne vamme rade, de andere van der gemeyne, scholen syn, alse van den diaken gesecht is […]. Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 454. 1210 Zum BMV Hospital 1532: To vnser leven fruwen sin viff erlige personen […] verordnet worden, de […] alle jar vpname vnd vtgave rekenschop doin (StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 82v). Diese lassen sich auch anhand der Rechnungen ab 1532 namentlich nachweisen. Vgl. StadtA BS, B I 14 Nr. 2, Bl. 98r. Es handelte sich um: Hans Becker, Hans Lüders, Hinrick Hohoff, Tile Pepper und Hans Gysecop. In den 40er Jahren rechneten nur noch drei Vorsteher. Vgl. ebd., Bl. 116v. Zum Vorgehen bei St. Leonhard vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 105. 1211 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 383. 1212 Ebd., S. 384.

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der »wahren« Religion zuwider waren. Für Geld sollte niemand mehr im Hospital aufgenommen werden – Bugenhagen gedachte damit einer tendenziellen Verpfründung entgegenzuwirken. Bereits 1530 lassen sich aber wieder vom Rat aus Gunst verliehene Hospitalpfründe nachweisen: Hans Ruder wilme mith ener proven to Vnse Leiffen Fruwen vmme ores geschanis deinsts vnd geschener vorbede willen begnaden.1213 Bezüglich das Marienhospitals verfügte der Rat sodann zwei Jahre später, dass sich die Insassen dem worde goddes lickformig holden, edder men wil se dar nicht wetten.1214 Auffällig ist jedoch, dass mit der Reformation und ihrer Implementation praktisch keine neuen Hospitalordnungen einhergingen, wie sie vielleicht zu erwarten gewesen wären. Dies ist erstaunlich, war doch das Hospitalleben im 16. Jahrhundert durchaus auch noch religiös geprägt. Die einzige, zeitnah zur Reformation herausgegebene »Hospitalordnung«, war – abgesehen von der des neuen Heinemannhofes (1530)1215 – jene für die Klus zu St. Leonhard im Jahr 1532. Bereits im März 1529 hatte man die St. Leonharder Beginen – wie auch das Kreuzkloster – von acht Abgeordneten aus Rat und Bürgerschaft visitieren lassen.1216 Es ist die einzige Visitation, die sich für ein Hospital oder Beginenhaus in Braunschweig fassen lässt. Offensichtlich ist der Grund für diesen Schritt aber im zeitgenössischen Selbstverständnis dieser Anstalt zu suchen: Die Klus zu St. Leonhard wurde mittlerweile eher als Klosterkonvent denn als Beginenhaus eingeordnet. Die dortigen »Beginen« wurden demgemäß künftig zumeist auch als »Nonnen«,1217 die Anstalt selbst als closter bezeichnet.1218 Aus diesem Grunde war es 1529 auch zusammen mit dem Zisterzienserinnenkloster visitiert worden. So begann denn auch die Ordnung von 1532 wie folgt: Weil diese clausa von altershero eine geistliche stifftung ist, so hätten Rat und Vorsteher eine Ordnung erlassen, nach welcher sich die jungfrawen künftig richten sollten.1219 Laut der Ordnung hatten die ansässigen Jungfrauen häufig die Kirche zu besuchen, möglichst oft zum Sakrament zu gehen und den Gottesdiensten mit Andacht

1213 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 2r. 1214 Ebd., Bl. 80r. Auch wollte man de, so neine borger edder borgershen sin dar tho nicht gestaden (Bl. 79v). 1215 Hier handelte es sich aber auch um eine private Neustiftung eines Hospitals durch Valentin Heinemann von 1530 (vgl. ausführlich dazu Kapitel 2.1.3). Auch diese Ordnung enthält keine dezidiert protestantische Programmatik. 1216 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 156r: Des geligenn sundt ok achte personen to sunte Lenerde geschigket, welckoren js alle noittorfft den junckfruwen antoseggende, wo vor bevolen worden. Aussage vom 27. 3. 1529. 1217 So wurde 1555 z. B. den nonnen to Sunte Leonert eine Spende des Armenkastens zuteil. StadtA BS, F I 4 Nr. 469, Bl. 89v. Auch 1566 wurde die übliche Roggenzuteilung an die nunnen zu S. Lenhart gegeben. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 31r. 1218 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 30, Bl. 3r. 1219 Kurnatowski, St. Leonhard, S. 101.

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beizuwohnen.1220 Mit dem lutherischen Prediger der Hospitalskirche sollte man von nun an die Tagesgebete absprechen. Der Rat setzte dem Konvent überdies eine geeignete (lutherische) mater, die darauf zu achten hatte, dass sich die Jungfrauen in aller gottesfurcht und gottseligheit christlich, eingetzogen, still, züchtig und ehrlich verhielten.1221 Männer durften den Konvent nun nicht mehr betreten und die Frauen durften ihn ohne Erlaubnis auch nicht mehr verlassen – schon gar nicht nachts. Viel Wert wurde auf die aktive Rezeption der Heiligen Schrift gelegt. So sollte man morgens, mittags und abends mit Rat des Predigers einen Text aus dem Psalter beim Essen vortragen und sich auch im Katechismus fleißig üben. Sodann wurde in der Klus eine Schule für Mädchen in protestantischem Sinne eingerichtet, deren Niveau aber laut einer Visitation von 1568 äußerst gering gewesen sein muss.1222 Nichtsdestominder bemühte sich der Rat, den Konvent mit allen Mitteln am Leben zu erhalten. So gab die ehemalige Schafferin Anna Plonen z. B. in der Visitation von 1568 an, nach der Pestwelle 1566/67 hätten ohr die herren vorstender dorch den schriver vormelden lathen, dath sie jn dem kloster bliven scholde damit jdt nicht waise stunde, de herren wolden ohr andere personen tho vorordenen.1223 1571 erhielt das Kloster zusammen mit dem Kreuzkloster dann auch eine neue Kloster- und Schulordnung.1224 Abseits der 1532/1571er Ordnung entstanden aber in den Jahrzehnten nach der Reformation keine weiteren Ordnungen für Hospitäler oder Beginenhäuser mehr.1225 Selbst in altkirchlichen Instituten wie dem Alexiushaus,1226 die bislang gar keine schriftliche Ordnung besessen hatten, sah sich der Rat nicht genötigt, eine neue Regelung zu konzipieren. Erst 1584 hielt man es für angebracht, eine 1220 Vgl. ebd., S. 101. 1221 Ebd, S. 101–102. 1222 Von den sieben 1568 angetroffenen Konventualinnen konnten lediglich fünf überhaupt lesen und keine konnte schreiben – auch die Mater (Anne Plonen) nicht! Die meisten waren lediglich im Nähen und Sticken geübt. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 30, Bl. 3r–4r. 1223 Ebd., Bl. 3r. 1224 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 17r: Demnach sei die Ordnung zu St. Crucis in der clausur des colloquii vnd gleichfalls ists auch hier mit S. Leonhart geordnet worden, welche copie auch in vnser clausura. 1225 Lediglich von 1573 hat sich noch eine Speiseordnung des BMV-Hospitals erhalten. Vgl. Sack, Karl Wilhelm: Die Thoren oder Jrrsinnigen und das Alexius=Haus zu Braunschweig, in: Braunschweigisches Magazin, 76, 51 (1863), S. 521–550, hier S. 527. 1226 Die Alexiusbrüder widmeten sich vor- wie nach der Reformation der Krankenpflege und bekamen dafür einen Platz im Alexiushaus. Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 667. Es handelte sich im Schnitt um 4–6 Personen. Dass angeblich der letzte Alexiusbruder, ein gewisser »Ulrich Unverzagt«, nach der Reformation gestorben und das Haus sodann einggangen sei, wie Bode unbelegt behauptet, ist nicht korrekt. Vgl. Bode, Wilhelm: Beitrag zu der Geschichte der Stadt Braunschweig, besonders die Errichtung der Hospitäler und die gegen die Pest und andere ansteckende Krankheiten in älteren Zeiten ergriffenen Maßregeln betreffend (Schluß), in: Braunschweigisches Magazin 44/39 (1831), Sp. 617–630, hier Sp. 624.

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solche schriftlich zu fixieren: Dieweyl wie S. Paulus zeugett 1. Cor: 14 Gott nicht ist eyn Gott der vnordnung […].1227 Gerade für das Alexiushaus erstaunt allerdings die späte Normierung von Verhaltens- und Glaubensnormen. Denn diese Einrichtung stellte ob seiner Umwandlung vom Bruderkonvent zum Hospital durchaus einen Ausnahmefall in der Hospitallandschaft dar. Hier hatte es auch nach der Reformation lange Zeit einen Hort des altgläubigen Widerstandes gegeben. Noch 1529 hatte man den Alexiusbrüdern durch Superintendent und Syndikus ansagen müssen, sie sollten endlich de kappen van sick leggen. Ein Großteil der Brüder hatte sich daraufhin zum lutherischen Glauben bekannt, andere aber syn al vngehorßam, dar vth wy werde vor orsaket de sulvige yn vnßer cristlyke gemeine nicht to lidend – besonders schlimm scheint Bruder Hinrick Giseke gewesen zu sein.1228 So kam es auch weiterhin zu Klagen – etwa die der Gemeinde in der Neustadt: Tom achteinden, dewile twispensticheit vnder dene trülbrodern1229 befunden, vnd dat se sick nicht willen nach der angenomenen ordinantie richten, vnd der visitatie so von den hochgelarden werdigen Pomerano vnd Winkel samt den geschickeden des e[rbaren] rades verachten, sei man genötigt, die betreffenden Personen zu bestrafen.1230 Letztlich konnte man dann doch wohl nahezu alle Alexiusbrüder – selbst Hinrick Giseke – im Konvent behalten und sie zum Ablegen ihres Habits überreden. Ihr altgläubiger Prediger wurde allerdings vom Rat seines Amtes enthoben.1231 Die Bürger waren nach wie vor unzufrieden mit dem Fortbestand des Alexiushauses: Sie hätten lieber dessen Aufhebung gesehen. Allerdings hatte der Rat Bedenken gegen eine gänzliche Auflösung des Hauses: 1547 musste er erneut betonen, es sei vonnöten, dass de alexiusbroder tobehouff der krancken erholden werden mogen.1232 Eine geregelte Ordnung erachtete man indessen nach wie vor nicht für nötig. Erst 1584 wurde zu St. Alexius dann erstmalig eine Ordnung veröffentlicht, welche biß dahero nicht schrifftlich auf gezeignett worden war.1233 Jetzt – über 50 Jahre nach der Reformation – wurde normativ festgelegt, dass die fratreß des Hauses täglich zu hauß jn wahrer anruffung Gottes, so viel die zeitt jmmer leyden kan, den buchen, sonderlich aber der biblien, vnd catechismo Lutherj studieren 1227 StadtA BS, G II 1 Nr. 119, Bl. 1r. 1228 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 112r: […] dar vth wy werde vor orsaket de sulvige yn vnßer cristlyke gemeine nicht to lidend, de wile ße vorfoeren mith ohre cleide de swacken to [ärgern …] vnd sunderliken broder Gyseke, de eyn groeth lasterer godeß wordes vnd vnser predicanten gefunden wert will wy genslyken nicht liden. 1229 »Trollbrüder« war neben »Lollarden«, »Lullbroder« eine der vielfältigen Bezeichnungen der Alexiusbrüder. 1230 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 119v. 1231 Vgl. ebd., Bl. 180r: De artikel der lullborder js vam erbarn rade vorfolget, orem papen sin gotlose wesent vorboden […]. 1232 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 322r. 1233 StadtA BS, G II 1 Nr. 119, Bl. 1r.

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sollten, damit sie die Kranken um so besser seelsorgerisch betreuen könnten.1234 Auch mussten sie – änhlich der obigen Anordnung zu St. Leonhard – die Predigten fleißig besuchen und regelmäßig die Sakramente empfangen. Zur Überprüfung wurden die Alexianer quartalsweise von den Predigern und Vorstehern visitiert und man erkundigte sich, ob sie jn der lehr vnd leben vffrichtig seyn.1235 Da die Alexiusbrüder nach der Reformation – aufgrund ihrer vermeintlichen Betteltätigkeit – nur noch wenig Ansehen unter den Bürgern genossen, wurden im Haus künftig auch stadtfremde Alexianer aufgenommen, um die Zahl der Brüder wieder zu stabilisieren.1236 Direkt im Anschluss der Reformation lassen sich damit also keine neuen Hospitalordnungen und auch nur drei Hospitalvisitationen nachweisen: Die obige Bestimmung des Marienhospitals ist zusammen mit den Anordnungen für die Klus St. Leonhard sowie der Alexiusbrüder einer der wenigen Hinweise darauf, dass sich die Stadt um 1530 überhaupt in religiöser Hinsicht mit den Hospitälern befasst hat. Und auch hier nahmen die Jungfrauen zu St. Leonhard, bzw. die Alexianer, wie zu sehen war, eher eine Sonderstellung im künftigen Hospital- und Beginenwesen ein: Die einen waren zur Schultätigkeit erforderlich, die anderen zur Armenpflege, weshalb sich der Rat auch für den Erhalt beider altkirchlichen Anstalten einsetzte. Dementgegen scheint in den regulären Hospitälern kein sonderlicher (neuer) Ordnungsbedarf aufgetreten zu sein. Insofern erstaunt auch das Urteil Boldts hinsichtlich des von ihr untersuchten Thomashospitals nicht: »Abgesehen von dem Wechsel vom ›papistischen‹ zum reformatorischen Bekenntnis hat die Reformation keine Folgen für die Schutzbefohlenen des Hospitals gehabt.«1237 Tatsächlich lässt sich dies nach Durchsicht der erhaltenen Quellen auch für die weiteren Anstalten nicht anders vermuten. So heißt es überdies weiter bei Boldt: »Für St. Thomae liegt jedoch keine schriftlich faßbare Überlieferung vor, aus der heraus man auf Störungen des Lebensrhythmus innerhalb des Hauses infolge religiöser Verunsicherung der Konventualen, auf mögliche Differenzen mit dem angestellten Priester oder mit dem Pfarrer von St. Petri, überhaupt auf die Durchführung der Reformation in dieser Anstalt schließen könnte.«1238 Klabunde widerspricht Boldt zwar an dieser Stelle 1234 Ebd, Bl. 1v. 1235 Ebd., Bl. 3r. Es folgten sodann noch Angaben zur Lebensweise, Umgang mit Feuer, Krankenpflege etc. 1236 So etwa 1592: Henning Lackstidde […] van Remeling ward nie borger […] dewile he ein trullbroder im Alexhuse gewesen ist, schal vnd will he gelick andern trulbrodern tho dage vnd nacht deinen den borgern, hefft angelovet de andern broder nicht tho vorachten. StadtA BS, B I 7 Nr. 8, Bl. 145v. Dass die Maßnahmen nur bedingt fruchteten, zeigen Daten von 1615/1635: 1615 lebten gerade einmal noch zwei Brüder im Alexiushaus, 1635 waren es vier. Vgl. StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 69r (1615); StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 65–66 (1635). 1237 Boldt, Fürsorgewesen, S. 67. 1238 Boldt, Fürsorgewesen, S. 29.

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und vermutet größere Auseinandersetzungen innerhalb der Hospitäler – doch führt sie lediglich eine Stelle der KO als indirekten Beleg für vorherige Konflikte an.1239 Da keinerlei tatsächliche Hinweise auf größere Streitigkeiten – auch abseits normativer Quellen – existieren, kann hier wohl eher Boldts Ansicht gefolgt werden. Die einzige Veränderung im Hospitalwesen, die das Jahr 1528 tatsächlich nachweislich mit sich brachte, betraf – neben den erzwungenen Konversionen der Insassen – die Besetzung der Hospitalseelsorger mit lutherischen Kandidaten. Allerdings gab es hier auch lediglich vier Hospitäler mit eigenen Seelsorgern: Der Pfarrer des Marienhospitals, Johann Kopmann, galt schon vor 1528 als lutherisch.1240 Auch der Geistliche zu St. Leonhard, Johann Bessel, zählte schon vor der Reformation zu den eifrigsten Anhängern Luthers und war 1527 zusammen mit seinem Kollegen Heinrich Lampe zwecks Amtsenthebung vor den katholischen Rat geladen worden.1241 Die Fürsprache des lutherisch gesinnten Syndikus Levin von Emden hatte seine Entlassung damals abgewendet. So erstaunt es nicht, dass auch er – wie Kopmann – über das Jahr 1528 hinaus im Amt verbleiben konnte.1242 Einzig der Seelsorger von St. Thomas wurde 1528 durch einen protestantischen Geistlichen ersetzt.1243 Gleiches gilt wie gesagt auch für den Geistlichen des Alexiushauses (1529), obgleich hier zu diesem Zeitpunkt nur bedingt von einem »Hospital« gesprochen werden kann. Dort wurde überdies auch kein neuer lutherischer Prediger mehr angestellt – die Pfarrstelle zu St. Alexius blieb fortan vakant. Resümiert werden kann damit, dass sich in Folge der Reformation für die Braunschweiger Hospitäler und Beginenhäuser augenscheinlich nur wenig1244 geändert hat – insofern gab es hier auch keine weiteren notwendigen Implikationen im weiteren Implementationsprozess der Reformation. Die Hospitalinsassen hatten sich lediglich gemäß der KO zu verhalten, was jedoch nur den 1239 1240 1241 1242

Vgl. Klabunde, Armut I, S. 84. Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 5. Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 30. 1528 bat die Gemeinde: Dem moncke von Sunte Tillen tovorbeden, sick to entholden to Sunte Lenherde misse to holden vnd Bessel sinen vthstandt solt toentrichten, de ome billig Lenerd halven fallen scholde. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 86v. Mit Sunte Tillen ist hier das »Ottilienkloster« bzw. St. Ägidien gemeint. 1243 Vgl. Boldt, Fürsorgewesen, S. 29. Freilich scheint diese Stelle nach 1528 aber nicht mehr lange existiert zu haben. Einen eigenen Prediger hat St. Thomas nach 1530 jedenfalls nicht mehr besessen. 1244 Indirekte Auswirkungen führt Boldt z. B. per Zitat für das vorher überwiegend durch Pilger besuchte Hospital St. Thomas an: »[…] Da nun Anno 1528 die Wallfahrt der Ackeschen Pilgrimschaft gäntzlich aufgehört, die Pröven aber für Alte bürger und bürgerinnen wie auch für Andere Nohtleidende welche ein Raht von Alten Zeiten dabey verordnet« noch vorhanden seien, wären schwere Zeiten für das Hospital angebrochen. Vgl. Boldt, Fürsorgewesen, S. 30.

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lutherischen Glauben betraf und folglich auch für alle anderen Einwohner der Stadt galt. Einzig die beiden klosterähnlichen Gemeinschaften zu St. Alexius und St. Leonhard bedurften auch nach 1528 noch einer gewissen Zuwendung.

2.2.7 Bruderschaften und Kalande Anders als die größeren geistlichen Institutionen verschwanden die Bruderschaften mit der Reformation ohne viel Aufsehen aus dem gesellschaftlichen Leben der Stadt. Eine Verbindung von Bürgern zur gemeinsamen Fürbitte verstorbener Angehöriger erschien aufgrund der gewandelten Vorstellungen von Jenseits und Fegefeuer nicht mehr notwendig. Bugenhagen hatte in der KO 1528 angemerkt: Wy twivelen ock nicht, dat de erliken gilden unde bröderschoppen werden allent, wat se tovoren an wasse, memorien vigilien unde selemissen to holden in de kerken gegeven hebben, in dissen kasten kamen unde bringen laten.1245 Entsprechend schildert auch der durchreisende Laienburder Göbel von Köln die Lage, als er im März 1528 Braunschweig besucht: Unde ouck tho Bruinsswick ist nu leyder gans vorkert […]. Den klosteren hebben se dat ouck verboden, dat se nicht mogen preken off mysse doin off broderschoff begain etc.1246 Wie viele Bruderschaften um 1528 tatsächlich existierten, lässt sich nur schwer ermitteln, da Listen o. ä. fehlen. Bis 1500 dürften sich indessen laut Rahn etwa 35 Laienbruderschaften gebildet haben.1247 Lediglich durch indirekte Hinweise erfährt man in den späten 1520er und frühen 1530er Jahren von zahlreichen Auflösungen – so z. B. 1529 von jener der Steinhauerbruderschaft,1248 1531 vom Ende der multerbroderschop.1249 Im Jahr darauf beschlossen die Schuhmacher und Schuhknechte die Auflösung ihrer Bruderschaft und legten das zuvor für Memorien genutzte Geld in den Ausbau eines kleinen Krankenhauses für ihre Gildemitglieder an.1250 Kurze Zeit später, am 27. 11. 1532, übergab auch die Bruderschaft der Spielleute (spelude broderschop) ihr Vermögen von 38 Gulden zur Armenförderung an den Schatzkasten zu

1245 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 453. Dazu auch Bugenhagens Meinung in der Korthe[n] Vortekeninge (eine zur Disposition gestellte Zusammenfassung der KO) aus dem August 1528. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 67v. Abgedruckt bei: Hänselmann, Kirchenordnung, S. LXXII–LXXXIII (Vorwort). 1246 Rüthing, Heinrich (Hrsg.): Die Chronik Bruder Göbels. Aufzeichnungen eines Laienbruders aus dem Kloster Böddeken 1502 bis 1543, 2. Auflage, Bielefeld 2006 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, 44,7), S. 283. 1247 Vgl. Rahn, Bruderschaften, S. 63. 1248 Vgl. ebd., S. 163. 1249 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 7r. 1250 Vgl. StadtA BS, A I Nr. 1380.

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St. Martini.1251 Die Mariengilde überwies 1534 ihren Besitz der St. Autorkapelle.1252 Schließlich übertrug auch die Bruderschaft Unser Lieben Frauen am Franziskanerkloster 1534 ihre Besitztümer – vermutlich an den Rat. Jedenfalls wurde im Beisein von vier Bruderschaftsvorstehern1253 und zwei Ratsmännern um Ostern 1534 ein Inventar erstellt und dieses vom Rat in Verwahrung genommen. Es enthielt – neben einem bescheidenen Besitz von 23 Gulden in einer Kiste des Brüdernklosters – vorwiegend Ausstattungsgegenstände1254 in einem gemieteten Privathaus sowie einen Bierkeller inkl. Bierfässern und eine kleine gemietete Kammer.1255 Neben den Laienbruderschaften existierten in Braunschweig außerdem drei Kalande. Diese speziellen Bruderschaften zeichneten sich durch einen höheren Grad an Organisation (Ämterhierarchie) und Klerikerbeteiligung aus, was eine Auflösung nach der Reformation zunächst behinderte.1256 Am bedeutendsten und nachreformatorisch umstrittensten war hierbei der Kaland St. Matthäi (bzw. St. Spiritus). Seine Leitung bestand traditionell aus einem Dekan, einem Kämmerer, zwei Priestern und zwei Laien. Hof und Kapelle St. Matthäi hatte der ursprünglich »St. Jürgen« genannte Kaland 1367 vom Johanniterorden erworben – anschließend ging der Name »St. Matthäi« auch auf den Kaland selbst über.1257 Allerdings behielt sich der Johanniterorden die Bestätigung des Dekans vor, lediglich das Jus praesentandi überließ er dem Hagener Rat, bzw. später dem Kaland selbst.1258 Bedeutsam sollte nach der Reformation eine damals noch weniger zentrale Klausel werden: Verghinghe aver de kaland, des ghod nicht enwille, so scholde de vorgheschrevene hov myt der capellen unde myt allen vickeryen […] wedder vallen unde komen tho unseme ordene.1259 Da dieser Vertrag auch nach 1528 noch galt, musste der Rat eigentlich befürchten, mit Auflösung 1251 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 8, pag. 50. Ein anderes Datum (1533) nennt: StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 7r. 1252 Vgl. Rahn, Bruderschaften, S. 161. Die Trägerbruderschaft übertrug noch 1540 einen Rentbrief an St. Ulrici. 1253 Dies waren Hinrick Remeling, Peter Dyrick, Jacob Tymmen und Ebelingk Roer. 1254 Schüsseln, Kummen, 80 Pfund Wachs, 26 Handtücher, ein Buch in Pergament, eine Lade mit Briefen und Siegeln, 30 hölzerne Teller, etc. 1255 Vgl. StadtA BS, B I 21 Nr. 1, Bl. 12r. 1256 Hierzu ausführlicher vgl. Prietzel, Malte: Die Kalande im südlichen Niedersachsen. Zur Entstehung von Priesterbruderschaften im Spätmittelalter, Göttingen 1995 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 117), S. 411–415. 1257 Vgl. Rehtmeyer, Historiae I, S. 152. Die Johanniter hatten den Besitz zuvor von den Templern erworben, weshalb der Kalandshof noch im 16. Jahrhundert »Tempelhof« genannt wurde. 1258 Vgl. ebd., S. 154–155. 1259 Dolle, Josef (Hrsg.): Urkundenbuch der Stadt Braunschweig Bd. 6, Hannover 1998 (= Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens im Mittelalter, 23), S. 434. Das Original ist einsehbar unter: StadtA BS, A III 9 Nr. 109.

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des Kalands sämtliche seiner Güter an die Ordenskomturei in Süpplingenburg zu verlieren. Allerdings übte die Bürgerschaft schon im Reformationsjahr 1528 diesbezüglich Druck auf den Rat aus. Die Hagener Lakenmacher plädierten für folgende Lösung: Es sollte die vpkunpst der kalande vn brudschoppe alle yn de gemeyne keste gelecht werde[n], vnd dat men de personen, de dar ynne sin vorbetschoppe[n] late, vn myth de eyne entlyke affschet make.1260 Der Rat ging daher gezwungenermaßen recht forsch vor und hielt sich im Wesentlichen an die Vorschläge der Bürgerschaft: So erzwang er bereits am 21. 3. 1529 vom Kämmerer Peter Reineke die Urkunden und Briefe des Kalands – im Gegenzug sollten die calandesherrn ohre leven lang […] vp dem houe wonen vnnd der guder bruken.1261 Künftig sollten aber keine neuen Mitglieder aufgenommen werden und nach dem Tod des letzten Bruders sollte der tempelhoff mitt aller thobehoringe binnen vnd buten der stadt Braunschwig an den erbaren radt fallen.1262 Insbesondere letztere Aussage deutet eine zeitgenössische Unkenntnis – oder Ignoranz – des Rates bezüglich der obigen Vertragsklausel an, denn direkt an den Rat konnten die Kalandsgüter freilich nicht fallen, was später noch deutlich werden sollte. Seit 1530 wurden gemäß Abkommen auch die Einkünfte der verstorbenen Kalandsmitglieder an den Schatzkasten zu St. Katharinen abgeführt.1263 Trotz des Abkommens von 1529 bemühte man sich städtischerseits aber, den Kalandsherren noch weitere Zugeständnisse abzuringen. Hierzu zählte z. B. der Versuch, dem neuen Koadjutor in den Kalandsgebäuden eine Wohnung einzurichten, was die Brüder 1531 ablehnten.1264 Das kirchlich-spirituelle Gemeinschaftsleben von St. Matthäi war zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig zum Erliegen gekommen – die Kalandsrechnungen weisen seit 1528 nahezu keine Aufwendungen für Memorien mehr auf,1265 die Kapelle St. Matthäi blieb bis ins 19. Jahrhundert geschlossen.1266 Da die vasa sacra somit nicht mehr vonnöten waren, schickten Rat, Gilden und Gemeinden zunächst am 26. 3. 1532 eine Abordnung auf den Tempelhof, um die cleinodia des Kalands einzufordern.1267 Dies stieß auf einige Vorbehalte, denn der Dekan 1260 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 75r. Auch wurde von anderen Gilden verlangt, na affstervend der kalands herenn de guder der armen zu geben. Ebd., Bl. 58r. Auch hier wird die – nachvollziehbare – Unkenntnis der Brüger bzgl. des Vertrags von 1367 deutlich, der eine Auflösung des Kalands und den Einzug der Güter nicht gestattete. 1261 StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 334r. 1262 Ebd., Bl. 334v. 1263 Erstmals nachweisbar. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 27, Bl. 7v (Rechnung von 1530/31): Düth nascreven iß van den vorstorven heren deß kallanß sunte matheij vp dem tempelhove na lude vnser ordenung. 1264 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 17r. 1265 Vgl. Rahn, Bruderschaften, S. 161. 1266 Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 227. 1267 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 335v.

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verwies auf die Johanniter, denen der Besitz jener Wertgegenstände nach ihrem Tod zustünde: Der Kaland war sich des 1367er Vertrags also durchaus bewusst. Auch betonten der Dekan Peter Reineken und der Kämmerer Hinrick Duvel, dass die Güter im Fürstentum vom Landesherrn als Stifter eingezogen werden könnten, sofern sich der Rat dem Kalandsbesitz bemächtige. Die städtische Abordnung wies diese Einwände zurück und stellte den Kalandsherren einen Schadlosbrief aus – anschließend wurden die vasa sacra mitgenommen. Drei Monate darauf, am 26. 6. 1532 kam eine erneute Abordnung und forderte nun auch Messgewänder, Bücher und Altarlaken.1268 Wie sich herausstellte, waren die Befürchtungen der Kalandsherren nicht unbegründet gewesen, denn tatsächlich bekümmerte Herzog Heinrich bereits 1534 die ländlichen Güter von St. Matthäi – vorgeblich aufgrund von Zinsrückständen,1269 was vermutlich erst 1542 endete. Die jeweils im Besitz des Kalands befindlichen Güter wurden seit 1532 von zwei neu eingerichteten Vorstehern beaufsichtigt und vom Kaland selbst verwaltet.1270 Spätestens in der zweiten Jahrhunderthälfte, als der alte Kaland ausgestorben war, ging die Güterverwaltung dann ganz in die Hände der beiden Vorsteher über.1271 Es handelte sich hierbei immer um Mitglieder des Rates.1272 Die Einkünfte das Kalands wurden künftig nicht mehr für Vigilien und Seelenmessen ausgegeben, stattdessen wurden Allmosen gereichet an die Current=Knaben, Beguinen und andere Armen (ersteres seit den 1570er Jahren).1273 Mittlerweile hatte natürlich auch der Rat von der alten Klausel erfahren und damit realisiert, dass eine durch Aussterben herbeigeführte Auflösung des Kalands nicht im Sinne der Stadt sein konnte. Man ging folglich dazu über, die nach und nach absterbenden Mitglieder von St. Matthäi wieder durch lutherische Kirchenbedienstete aus dem Hagen zu ersetzen. Dabei ließ der Rat lediglich den vormaligen »Verwaltungsapperat« von Dekan, Kämmerer und vier Geistlichen/ Laien bestehen.1274 Als 1566 mit dem Dekan Henning Bungenstede1275 schließlich 1268 Vgl. ebd., Bl. 334v. Gefordert wurden: casel, chorkappen, vnd antipendia der altaren: vnd twe kalensnore. 1269 Vgl. StadtA BS, B IV 13a Nr. 1. Das diesbezgügliche Schreiben Heinrichs d.J. ist abgedruckt bei: Gebhardi, Julius Justus: Der mit dem Matthäus-Stifft verbundene grosse Caland zum H. Geist. Oder Historische Nachricht von dem Stiffte S. Matthäi in Braunschweig […], Braunschweig 1739, S. 153. 1270 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 81v. Vgl. auch Gebhardi, Matthäus-Stifft, S. 157: Und Summa: die Administratio der Güter wäre bey dem Decano und Camerario des Kalands, welchem vom Anfang der fundation, zween Fürsteher von Raths wegen zugeordnet wären. 1271 Dies lässt sich z. B. am Handeln der Vorsteher von 1571 sehen. Vgl. Gebhardi, MatthäusStifft, S. 161. 1272 1532 waren es Ludolf Bode und Frederick Vaders, 1571 Albert Kalm und Lorentz Hessen. 1273 Gebhardi, Matthäus-Stifft, S. 169. 1274 Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 228. 1275 Bungenstede war geweihter Priester und lässt sich schon 1539 als Kalandskämmerer bezeugen (vgl. Gebhardi, Matthäus-Stifft, S. 153). 1544 wurde er mit dem Hauptaltar zu

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der letzte in päpstlicher Zeit gewählte Dekan und Kalandsbruder verstarb, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen dem Komtur von Süpplingenburg und dem neu gewählten Dekan, Koadjutor Martin Chemnitz.1276 Der Rat hatte laut Chemnitz diese Konfrontation bereits befürchtet, konnte jedoch nicht verhindern, dass der Komtur, Stefan von Bredow, am 5. 2. 1567 die Neubelehnung des präsentierten Dekans verweigerte. Wie zu erwarten, verwies er auf die Clausulam und bedeutete Chemnitz, daß er die gesuchte Confirmation oder Belehnung zu thun, nicht schuldig noch bedacht wäre, denn vermüge verlesener fundation, weil der Kaland abgangen, wäre der Tempel=Hoff mit allen Gütern und Einkommen an den Johanniter=Orden gefallen […].1277 Dies sei rechtens, denn der Kaland bestehe de facto nicht mehr, da keine Vigilien mehr gehalten würden, das Corpus aufgelöst sei und der Rat im Hagen die Güter eingezogen habe. Letztere Punkte entsprachen freilich nicht den Tatsachen, was Chemnitz dem Komtur auch verdeutlichte. Schließlich konnte von Bredow doch dazu überredet werden, der Investitur zuzustimmen. Er versprach sogar, die Papistische Clausulen in der formula confirmationis im Sinne der Protestanten zu corrigiren.1278 Allerdings sollten hierfür seitens der Stadt Gegenleistungen erfolgen: Da der Johannishof in Braunschweig nicht mehr zur Komtur gehörte, war dem Orden eine neue Wohnstätte in Braunschweig vonnöten. Der Kaland sollte daher auf dem Tempelhof eine Wohnung für den Komtur und sein Gesinde einrichten, in der dieser bei Bedarf übernachten konnte. Chemnitz übermittelte die Verhandlungspunkte daraufhin dem Hagener Rat. Zwar war dieser über den Verlauf der Verhandlungen erfreut, doch wies er die letzte Bedingung des Komturs nichtsdestominder zurück. Nachdem am 13./14. 2. 1567 die Investitur abgeschlossen war, schlug man daher dem Komtur seinen Wunsch nach einer eigenen Wohnung rundweg ab. Allerdings versprach man, ihm bei entsprechendem Bedarf eine Unterkunft für seine eigene Person herzurichten – angeboten wurde z. B. die Wohnung des Katharinenpredigers Johann Lentz. Der Komtur zeigte sich damit zufrieden. Hierdurch hatte sich der Kaland St. Matthäi seine Existenz für die nächsten Jahrhunderte bewahrt, denn trotz gelegentlicher Reibereien wurde der protestantische Kaland künftig von den Johannitern als rechtlich legitim anerkannt. St. Matthäi investiert (vgl. StadtA BS, A III 9 Nr. 161). Seit 1545 war er überdies Hagener Ratsherr (vgl. Spieß, Ratsherren, S. 284). Letzteres deutet auf eine evangelische Gesinnung Bungenstedes hin. Von einem Gottesdienst nach 1528 ist für St. Matthäi nichts bezeugt. 1276 Folgendes nach dem handschriftlichen Bericht Chemnitz’. Abgedruckt u. a. bei: Gebhardi, Matthäus-Stifft, S. 155–161. Ebenfalls bei Rehtmeyer, Historiae I, S. 160–170. Fehlerhaft ist er gedruckt bei: Blumberg, Christian G.: Abbildung des Kalandes, oder derer so genannten Kaland-Brüderschaften […], Chemnitz 1721, S. 182–205. 1277 Gebhardi, Matthäus-Stifft, S. 156. 1278 Vgl. ebd., S. 158.

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Interessanterweise wurde der Kaland aber auch in protestantischer Zeit nicht zur reinen Wirtschaftsinstitution degradiert, sondern blieb – und hier ähnelt er den altkirchlichen Kalanden – weiterhin eine Verbindung der Hagener Kirchendiener. Noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts hielten die Kalandsherren alle Sontage von 1 ½ bis 2 Uhr ihren Gottesdienst in der Catharinenkirche.1279 Dekan war entweder der Koadjutor (welcher ja bis in die 1580er Jahre vom Hagen unterhalten worden war und daher als Hagener zählte) oder ein Prediger zu St. Katharinen (Hagen).1280 Schon in den Bestallungsverträgen der Koadjutoren wurde daher seit 1571 der Tempelhof des Kalands als Wohnsitz festgehalten, wie dieselbige vorgemelter er Kemnitius, als er coadiutor gewest, gehabt hat […], doch ausserhalb der dechaney.1281 Weitere Mitglieder waren neben dem Koadjutor dann zumeist die Prediger zu St. Katharinen sowie die entsprechenden Oppermänner, Kantoren, Rektoren und einzelne Ratsherren des Hagens (denn mindestens zwei Mitglieder des Kalandvorstands waren ja seit jeher Laien). Die Herkunft der Kalandsmitglieder aus dem Hagen blieb jedoch bis ins frühe 17. Jahrhundert noch – wie so häufig in Braunschweig – Gewohnheitsrecht. Erst 1607 wurde vertraglich zwischen Rat und Kaland beschlossen, daß nun hinfort keine Vicarei oder ander Lehen, vielweniger aber das Decanat oder das Amt eines Camerarii zum Calande gehörende, aus [= außerhalb M.V.] dem Weichbilde Hagen vorstattet werden dürfe.1282 Auch der im Burgbezirk gelegene Kaland St. Gertrudis gelangte nach der Reformation zunehmend in Ratshände. Um 1528 bestand er neben zahlreichen Laien aus 16 Geistlichen. Von letzteren waren drei als Vikare an den Altären der Kalandskapelle St. Gertrudis tätig (St. Gertrudis, St. Thomae, ULF).1283 Der altkirchliche Messdienst endete hier aber bereits vor Abschluss der KO, wie der 81jährige Henning Bungenstedt 1565 auf Befragung resümierte: Demnach seindt anno acht vnd zwantzig feria quinta ante Laetare [19. 03. 1528 M.V.] die divina gefallen, darauff die verenderung dieser zeit erfolgt.1284 Bei den Verhandlungen um die Kalandsgüter hatte St. Gertrudis in der Folge nicht unerhebliche Unter1279 Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 228 (1796). 1280 Vgl. Kapitel 2.1.9.2. Eine Ausnahme machte man lediglich bei Chemnitz, der 1567 vom Koadjutor zum Superintendenten aufstieg und dennoch Dekan blieb, sowie beim Prediger an St. Katharinen, Rudolph Hildebrand, der 1591–1609 Dekan war. Schließlich beließ man 1664 auch den zum Superintendenten ernannten Koadjutoren Andreas H. Buchholtz (ähnlich wie seinerzeit Chemnitz) nach langem Disput im Amt des Dekans. Vgl. StadtA BS, H V Nr. 142 [o.P.]. Kopie des Schreibens von 1664. 1281 StadtA BS, B III 15 Nr. 18, Bl. 379r. Für folgende Bestallungsverträge auch: StadtA BS, B III 15 Nr. 20. 1282 Gebhardi, Matthäus-Stifft, S. 165. Zu den Wahlen der Kalandsdekane im 17. Jahrhundert siehe die abgedruckten Quellen bei Gebhardi, ebd., S. 167–176. 1283 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 220, Bl. 141r. Das Nominationsrecht dieser Vikarien hatten der Dekan zu St. Blasius (St. Gertrudis und St. Thomae) bzw. der Propst zu St. Gertrudis (ULF). 1284 Ebd., Bl. 129r.

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stützung durch Heinrich d.J., da sich der Herzog als Schirmherr des Kalands ansah.1285 Dessen ungeachtet entwendete der Rat in der Osterwoche 1533 zunächst sämtliche Briefe und Siegel des Kalands.1286 Nachdem der Herzog jedoch mehrere Drohbriefe geschickt hatte und die Kalandsvorsteher1287 versprachen, die Dokumente nicht aus der Stadt zu bringen, ließ der Rat ihnen im Frühjahr 1534 sämtliche Urkunden wieder zustellen.1288 Als Ende der 1530er Jahre erneut Streit zwischen dem Kapitel und dem Rat aufkam, entwendete letzterer (1538) nun endgültig sämtliche Siegel und Briefe des Kalands – vorgeblich, weil der Propst (Johann Papstdorf) die Einkünfte missbraucht und schlecht verwaltet habe.1289 Erneut beklagte sich der Herzog 1539, doch diesmal blieb es beim Einzug der Urkunden durch den Rat.1290 Papstdorf wurde am 4. 5. 1540 durch den Rat inhaftiert,1291 die Kalandsherren kurz darauf von ihren Gütern vertrieben. So warf man dem Rat später vor, daß beclagter rathe vnd kistenherren des vielberurten calandts siegel vnd brieff an sich genomen, auch desselbigen geltzinse jnebehalten, darzu auch deß calands heuser haben eingezogen, vnd also d[en] calandhern nicht gestatten wollen, sich auff dem jhren zuenthalten.1292 Der Konflikt wurde sogar öffentlich als Teil eines weitläufigen publizistischen Streits zwischen Rat und Stadt bis Anfang der 1540er Jahre weitergeführt.1293 Zur gleichen Zeit begann der Rat, frei gewordene Kalandsstellen mit altgedienten Stadtbeamten zu besetzen und St. Gertrudis damit als Pfründenvergabestelle zu nutzen. So durfte etwa der Sekretär Johann Allhusen 1541 de tidt synes levendes eine portion des kalandes Gertrudis beziehen, zuzüglich eines dortigen Altarlehens zu St. Thomae, 1285 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 25r. u. 30r (1531) Aufgrund der Lage im hzgl. Burgbezirk sah Heinrich den Kaland als in seinem Einflussbereich gelegen an, zudem seien seine Vorfahren Mitstifter des Kalands gewesen. 1286 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 298v. Der Rat gab als Rechtfertigung beim Herzog an, Papstdorf (der Propst des Kalands) habe die Kalandsgüter schlecht verwaltet und sei willens, sie zu entwenden. Vgl. dazu auch Rehtmeyer, Historiae I, S. 180. 1287 Kalandsvorsteher waren 1534: Johann Papstdorf (Propst), Hinrick Hammern, Arnoldus Heisede und Goeswinus Drosten. 1288 Vgl. StadtA BS, A III 9 Nr. 92. Kopien: StadtA BS, B I 2 Nr. 7, pag. 104 und StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 301r. 1289 Vgl. den Brief des Rates an den Herzog vom 14. 8. 1539: StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 106r. Auch StadtA BS, B IV 11 Nr. 220, Bl. 268r: Anno 1534, 35, 36, 37, 38, 39, 40 hebben de kalandes heren alle seygeln vnd breve yn betreynge gehadt, na ludes des ynventorij, vnde ock ohrer gegeven hantschryft, vnde nycht by dem rade. 1290 Streitkorrespondenz unter StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 105r–108v u. Bl. 130r–130v. 1291 Vgl. NLA WF, 1 Alt 29 Nr. 64, Bl. 7v. Papstdorf wurde zusammen mit weiteren herzoglich Gesinnten während der Hochzeit von Peter Weinschenk durch den Rat gefangengenommen und inhaftiert. 1292 StadtA BS, B IV 11 Nr. 220, Bl. 146v–147r. 1293 Abgedruckt bei Hortleder, Handlungen, Bd. 1, S. 1438. Zum ausufernden publizistischen Streit zwischen Stadt und Herzog vgl. Hinz, Walter: Braunschweigs Kampf um die Stadtfreiheit 1492–1671. Bibliographie, Bremen/Wolfenbüttel 1977 (= Repertorien zur Erforschung der Frühen Neuzeit, 1).

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so dorch den dethliken affgang ern Hermann Switzowen zeligen vacert vnd vorleddiget.1294 Während der Abwesenheit des Herzogs zwischen 1542–1547 konnten tatsächlich auch die im Fürstentum gelegenen Kalandsgüter zu Kirchenzwecken eingezogen werden. Nach wie vor stand der Rat allerdings im Streit mit dem Propst Johann Papstdorf, sodass insbesondere nach der Rückkehr Herzog Heinrichs (1548) dringender Handlungsbedarf herrschte. So kam es 1554, nachdem auch Papstdorf 1553 in die Stadt zurückgekehrt war, schließlich zu einem Vertrag zwischen ihm und den Kastenherren St. Ulricis. Dieser Vertrag sollte langfristig das Ende des Kalands einläuten:1295 Sämtliche Kalandsgüter St. Gertrudis wurden nun offiziell dem Schatzkasten St. Ulricis übertragen, vermöge der vorgemelten ordinantien.1296 Papstdorf hatte zudem, in seiner Eigenschaft als Propst, beim Herzog dafür zu sorgen, dass die Kastenherren künftig auch die im Fürstentum gelegenen Kalandszinsen aufnehmen konnten. Im Gegenzug durften die Kalandsmitglieder bis zu ihrem Tode jeweils ihre althergebrachten Einkünfte behalten. Angewendet werden sollte das Geld vom Schatzkasten fortan, um darmede de deiner vnd predicanten na lude der vpgerichtetenn ordinantien tho erholdende.1297 1556 wurde dieser Vertrag spezifiziert und erneuert.1298 Nach dem Tod Papstdorfs (1559) blieb in der Stadt mit Johann Alhusen lediglich ein Kalandsherr übrig.1299 Zugleich ließ der Herzog 1560 sämtliche Güter im Fürstentum bekümmern und belehnte aus eigener Vollmacht zwei Personen – Johann Werden und Andreas Müller – zu neuen Kalandsherren.1300 Es entstand nun ein größerer Konflikt zwischen den neuen (herzoglichen) Kalandsherren auf der einen und den Kastenherren zu St. Ulrici auf der anderen Seite.1301 Die Kalandsherren waren der Ansicht, die Macht zum Beschluss eines Abtretungsvertrages sämtlicher Kalandsgüter hätte bei M. Johan Bapstorff nicht gestanden und sei auch nicht cum consensu der übrigen Kalandsherren geschehen, weshalb 1294 StadtA BS, B I 2 Nr. 7, pag. 335–336. 1295 Der Vertrag ist abgedruckt bei: Olorino, Constantin: Historische Nachlese von der ehemaligen Kalandsbrüderschaft der H. Gertrudis, in der Burg zu Braunschweig, in: Braunschweigische Anzeigen 13 (1750), Sp. 249–255, hier Sp. 253–255 sowie ders.: Schluß der historischen Nachlese vom Kalande St. Gertrudis zu Braunschweig, in: Braunschweigische Anzeigen 16 (1750), Sp. 313–318. 1296 StadtA BS, B IV 11 Nr. 220, Bl. 46r. 1297 Ebd. 1298 Ebd., Bl. 47r. 1299 Vgl. ebd.: Anno 1559 entsleyp her Johan Papstorp yn godt, vnde leydt keyn kalandeshern na syck, denne Johan Alßhusen allene. 1300 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 220, Bl. 168v: Vnde anno 60 hydt de hartyghe van Brunswigk alle tynsse ym fürstendom jn kummer toleggen, de der broderschop anhorych weren, dat doch wedder de vordrage ys. 1301 Vgl. ebd., Bl. 111r. Streitakte von 1565. Dazu auch: NLA WF, 11 Alt Aegid, Fb. 1 Nr. 17, Bl. 40r.

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berürter vertrag an jm selbst nichtig vnd also von keiner wirckung sei.1302 Sie beauftragten daher einen Syndikus und strengten 1565/66 einen Prozess am herzoglichen Hofgericht zu Wolfenbüttel an. Der Ratssyndikus war dementgegen der Ansicht, die beiden Kläger seien gar keine Kalandsherren, da der Herzog nicht das Recht habe, Belehnungen im Kaland durchzuführen. Als Grundlage wurden u. a. Urkunden herangezogen, die bescheinigten, dass das Ius nominandi der drei Vikarien in der Kalandskapelle von alters her beim Dekan zu St. Blasius, bzw. dem Propst des Kalands gelegen hatte. Der Prozess kam jedoch in den folgenden Jahren nicht voran. Ähnlich wie schon im Streit um den Kaland zu St. Matthäi, so war auch hier der Rat bald zu der Ansicht gelangt, dass eine vollständige Niederlegung des Kalands keinesfalls geraten schien, da dies zu weiteren rechtlichen Konflikten mit dem Herzog geführt hätte. Nachdem Julius 1568 die Regierung seines Vaters übernommen hatte, drängte er den Rat zu einem Ausgleich. Die im Fürstentum gelegenen Kalandsgüter wurden hierfür in Aussicht gestellt, sofern sich der Rat mit dem Kapitel des fürstlichen Stifts St. Blasius vergleiche. Man vereinbarte daher ein Treffen mit dem Stiftskapitel – auf dessen Grund die Gertrudenkapelle des Kalands ja auch stand – und besetzte in einem gemeinsamen Vertrag 1573 die vakierenden Stellen der 16 geistlichen Kalandsmitglieder neu.1303 Der Rat benannte zwei seiner Diener als Inhaber der beiden vakierenden Vikarsstellen: Andreas Meinherr zum Hauptaltar St. Gertrudis und Petrus Foelix zu ULF – zu St. Thomas blieb der letzte noch vorhandene Kalandsherr Johannes Alhusen im Amt. Überdies besetzte der Rat – wie auch später bei St. Matthäi – die übrigen 13 geistlichen Posten des Kalands mit geistlichen Personen neu: Darunter waren u. a. die beiden Prediger und der Küster zu St. Ulrici (Peter Netze, Friedrich Petersen und Johannes Ulrichs), der Dekan, Küster, Konrektor, Kantor und Prediger zu St. Blasius sowie ein Alexiusbruder (Ulrich Büring).1304 Einige Rats- bzw. Kastenherren wurden überdies gemäß mittelalterlicher Kalandssatzung zu Laienmitgliedern ernannt.1305 Die Vergabe der Kalandspfründe beließ man gemäß den mittelalterlichen Statuten: So sollte vermuge des calandes statutem intra quidenam vonn den dreihen obersten beneficiaten vndt anderen dreitzehenn fratribus die electio oder nominatio geschehen, von dem herrn decano die praesentatio erfolgen.1306 Mit diesem Vertrag setzte man sich städtischerseits bewusst über die Vorschriften der KO hinweg, die ja einen Anfall der Kalandsgüter in die Schatzkästen vorsah. Über einen neu aufgerichteten Gottesdienst in der Gertrudenkapelle ist allerdings nichts bekannt – vermutlich blieb 1302 1303 1304 1305 1306

StadtA BS, B IV 11 Nr. 220, Bl. 142r–142v und Bl. 144r. Vgl. NLA WF, 11 Alt Aegid, Fb. 1 Nr. 17, Bl. 41r. Vgl. ebd. Dies waren Hans Becker, Author Schridde, Jürgen Floher und Hans Luders. NLA WF, 11 Alt Aegid, Fb. 1 Nr. 17, Bl. 41v.

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die Kapelle nach wie vor geschlossen. Bis 1599 sollte sich dieser Zustand nicht mehr ändern. Die bisherige Ansicht, der Kaland zu St. Gertrudis sei kurz nach den 1560er Jahren endgültig desolat geworden, ist damit eindeutig nicht korrekt.1307 Allerdings muss er im Laufe des 17. Jahrhunderts aufgelöst worden sein, denn Rehtmeyer schreibt 1707 diesbezüglich bereits, die Brüderschafft aber ist längst abgekommen.1308 St. Petri, der kleinste Kaland, überstand die Reformationszeit hingegen nicht. Über ihn ließ sich mangels Quellen nicht viel ermitteln. Seine Güter wurden aber teils vom Herzog eingezogen, teils gelangten sie in den Besitz der Stadt.1309 Mit St. Matthäi und St. Gertrudis blieben aber somit langfristig auch nach der Reformation immerhin zwei Kalande bestehen. Obgleich dies zu vielfältigen Auseinandersetzungen führte und ursprünglich nicht intendiert war, hielt man damit also selbst im nachreformatorischen Braunschweig an einigen Relikten mittelalterlicher Frömmigkeitskultur fest.

2.2.8 Vikarien und Memorien 2.2.8.1 Von der Vikarie zum Stipendium Nicht nur die Bruderschaften und Kalande, auch die Vikarien in Form von Kaplaneien, Befehlungen und geistlichen Lehen hatten mit der Reformation ihre sinnstiftende Funktion verloren.1310 Da das Fegefeuer dogmatisch nicht mehr beibehalten und zugleich auch die Werkgerechtigkeit zugunsten der forensischen Rechtfertigung aufgegeben worden war, erschien ein Messdienst für das Seelenheil der Stifter künftig als unnötig. Querfurth konnte bis zum Beginn der Reformation anhand von Stiftungsurkunden 165 Altäre in den Kirchen und Kapellen der Stadt nachweisen.1311 Ob diese (seit dem 13. Jahrhundert gestifteten) Altäre um 1528 aber noch vollzählig bestanden, ist fraglich und leider nicht nachzuweisen – Verzeichnisse über die amtierenden Vikare, wie sie für Lübeck, 1307 1308 1309 1310

Vgl. Olorino, Schluß, Sp. 318. Rehtmeyer, Historiae I, S. 181. Vgl. ebd. Zum umstrittenen Rechtsstatus der verschiedenen Stiftungstypen (z. B. Kaplanei, Befehlung, Lehen), welcher nach der Reformation (nahezu) keine Rolle mehr spielte, vgl. zunächst Heepe, Johannes: Die Organisation der Altarpfründen an den Pfarrkirchen der Stadt Braunschweig im Mittelalter, in: Jahrbuch des Geschichtsvereins für das Herzogtum Braunschweig 12 (1913), S. 1–68, hier S. 6–8. Zur Kritik an dieser Einteilung Heepes vgl. vor allem Hergemöller, Beziehung, S. 154–166. Demnach liege bisher noch keine »konsensfähige Synthese« vor (S. 154). Diese Einteilung ist für diese Untersuchung jedoch nur von geringer Relevanz. Wichtiger ist die Frage nach den Stiftungspatronen, denen das Nominationsrecht auch im Anschluss der Reformation weiterhin zustand. 1311 Ungedrucktes Manuskript: StadtA BS, H III 7 Nr. 58, Bl. 4r–43r.

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Goslar oder Hamburg existieren, fehlen für Braunschweig leider.1312 Einen Eindruck vermitteln aber die nachzuweisenden Vikarien einzelner Kirchen. So betrug z. B. 1519 die Zahl der Vikare an St. Martini insgesamt 25,1313 um 1528 betrug sie an St. Katharinen ca. 20–25,1314 an St. Magnus insgesamt 13,1315 zu Unser Lieben Frauen acht,1316 an der Klosterkirche St. Ägidien fünf, an der Kapelle St. Nikolai vier1317 und an St. Bartholomäus zwei.1318 Hinter der großen Anzahl an Seelstiftungen stand natürlich ein gewaltiges ökonomisches Kapital. Allein die Einkünfte der 13 vorhandenen Vikarien an der (tendenziell eher ärmeren) Kirche St. Magnus verdeutlichen dies: Der jährliche Zinsertrag dieser Stiftungen betrug 121 Mark und 10 Schillinge. Hinzu kamen 16 Scheffel Roggen und zwei Scheffel Weizen. Das Kapital lag bei 8 Hufen Land und ca. 3000 Mark.1319 Ergänzt wurde diese Summe durch zahlreiche kleinere Stiftungen für Memorien und Salve Reginae. Es verwundert daher nicht, dass die Vikarien früh nach dem Einsetzen der reformatorischen Ereignisse ins Blickfeld des Rates rückten. Schon seit dem beginnenden 15. Jahrhundert hatte sich dieser verstärkt um die Kontrolle der neu gestifteten Kirchenlehen bemüht.1320 1528 begannen nun auch die Gilden und Gemeinden, Druck auf den Rat auszuüben, der ihrer Meinung nach die Verwaltung der geistlichen Lehen übernehmen sollte. So hieß es im Sommer 1528, kurz vor Abschluss der KO:

1312 Zu Hamburg, wo 1525 insgesamt 400 Vikarien und 278 Vikare existierten vgl. Postel, Reformation in Hamburg, S. 77. Zu den 207 Vikarien in Lübeck vgl. Prange, Wolfgang: Vikarien und Vikare in Lübeck bis zur Reformation, Lübeck 2003 (= Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck, B 40), S. 87. Vgl. auch insbesondere die Tabelle auf S. 88. 1313 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 4, pag. 860: […] dar de perner myt den predickern vnd cappellanen ock viffvndttwintich vicarien de itzunt jn der kercken betediget […]. Vgl. dazu auch Dürre, Geschichte, S. 450. 1314 Gemäß der Rechnungsbücher. Bei fünf Stiftungen war der rechtliche Charakter der Pfründe in den Rechnungen nur unklar ersichtlich, daher die vorsichtige Angabe zwischen 20 und 25. 1315 Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 40v. 1316 Hier existierten 1529 sieben Altäre mit insgesamt acht Stiftungen. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 5, Bl. 8r–8v. 1317 Vgl. zu den beiden letzten Kirchen vgl. ebd., Bl. 40r. 1318 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 58, pag. 11; StadtA BS, G II 1 Nr. 71, Bl. 2r u. 21r–22r; StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 355r. 1319 Die Informationen sind aus verschiedensten Quellen zusammengetragen. Maßgeblich ist das Kopialbuch StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 41r–45v sowie das Fundationsbuch (StadtA BS, B I 14 Nr. 4) und die Stiftungsurkunden. Die Anlagesumme von einer der 13 Stiftungen konnte nicht ermittelt werden. Da der jährliche Ertragszins aber bekannt war, ließ sich die ungefähre Hauptsumme aus den zeitgenössisch üblichen Zinssätzen zurückberechnen. 1320 Vgl. Hergemöller, Beziehungen, S. 151–154; Kuper, Stadt, S. 31–32; Heepe, Organisation, S. 14.

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Thom erstenn is vnse truwe meynung, eyn erbar radt wylle gutwillighenn, de fundation der lhenn, dar nheyne mehr denn eyn radt patronenn seyn, jn de gemeynen kasten leggen […] so aver dusser lhene welke vorlenth weren, dat man denne de personen de belenth synt vorladenn late vnnd mit ohm gutlikenn handele, so dat se orhe truelick eynhenkomenth hebben, doch denn dridden edde ferdenn pennigk jn de kasten geve. So averst noch etlicke lehne by dem rade dalhgelecht vnnd vnder den fundatorenn, durch etlike vorlenung, erholdenn werde, bidden wy, eynenn erbarenn rad wyllenn mit denn patronen effte eruen soliker commissien gutliken handelenn, dat na dem afstervenden der belenden parsonen de lehne jn de gemeyne kasten gekert werden.1321

Bugenhagen war gemäß KO ebenfalls der Ansicht, die Stiftungen müssten dem Gemeinen Kasten einverleibt werden. Lediglich jenen Vikaren, die noch to chore gän to singen und sich zugleich fromm verhielten, durften demnach ihre lehne navolgen öre leventlank.1322 Es sollte sich indes rasch herausstellen, dass eine Umsetzung dieser Beschlüsse schwieriger war als gedacht. Einerseits hielten die Stifterfamilien und die belehnten Vikare hartnäckig an ihren Rechten fest, sodass dem Rat keine andere Möglichkeit blieb, als gütlich mit den Parteien zu verhandeln. Andererseits fehlte den Kastenherren zunächst schlicht der Überblick: Dutzende Fundationen mit verschiedenen Rechtshintergründen und teils verwickelten Besitzverhältnissen galt es zu überprüfen – und dies ohne jegliche Übersichtsliste o. ä. Die Trinitatisvikarie an St. Marien mag die diesbezüglichen Schwierigkeiten exemplarisch verdeutlichen. 1482 hatte der Patrizier Cord von Bothmer am Marienhospital eine Vikarie gestiftet.1323 Turnusgemäß sollte die Stifterfamilie je zwei Nominationen besitzen, anschließend die Hospitalvorsteher eine. Sodann waren die von Bothmer wieder zwei Mal an der Reihe usw. Im Zuge der nachreformatorischen Unordnung war aber solches durch vnwissenheitt gedachter vorstender nicht mehr bekannt – jedenfalls wurde auch die dritte Nomination durch die Familie ausgeführt und Ernst von Bothmer mit der Stiftung belehnt.1324 Als den Vorstehern dies während der 1550er Jahre hinein schließlich bewusst wurde, unterbanden sie die weitere Zinszahlung an Ernst von Bothmer. Erst ein förmlicher Vertrag konnte dieser Uneinigkeit 1561 Abhilfe verschaffen: Ernst sollte dem Hospital vier Gulden Offiziantengeld entrichten und dafür im Besitz des Lehens bleiben.1325 Nach seinem Ableben begannen die Streitigkeiten jedoch erneut.1326 Verstärkt wurde die mangelnde Übersicht der Kastenherren noch dadurch, dass die Fundationsbriefe oftmals nicht in der Sakristei lagerten, sondern bei 1321 1322 1323 1324 1325 1326

StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 58v. Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 453. Vgl. StadtA BS, A III 10 Nr. 338. StadtA BS, B IV 11 Nr. 32, Bl. 8r. Ebd., Bl. 8r. Vgl. ebd., Bl. 11r–31r.

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verschiedenen Privatpersonen: Ock schall yn her Henny Scheppenstedes huse eyn kaste synn des rades vicarienn angehorich dat dar by alseboldich vnde recht moge ghehandelt werden.1327 So konnte zunächst, nach Abschluss der KO, noch nicht mit den Vikaren verhandelt werden – es fehlte den neuen Kastenherren schlicht der Überblick. Erst Anfang der 1530er Jahre wurde daher ein umfassender Versuch gestartet, alle Vikarien sukzessive in den Besitz des Rates zu überführen. Entsprechende Schriftstücke der Jahre 1531/32 haben sich glücklicherweise erhalten.1328 Die – zunehmend verzweifelten – Kastenherren merkten nun schnell, dass eine Übernahme der Stiftungen keinesfalls flächendeckend möglich war. Juristisch existierten nämlich drei verschiedene Stiftungstypen. 1. Die »Ratsvikarien«, an denen der Rat gemäß Fundationsbrief das Patronat inklusive Nominationsrecht erhalten hatte, 2. diejenigen Fundationen, die der Stifterfamilie noch eine beschränkte Anzahl an Nominationen zugesichert hatten, bevor das Patronat dann endgültig an den Rat fallen sollte und 3. jene Stiftungen, die bis zum Aussterben des Geschlechts im Besitz der Stifterfamilie zu bleiben hatten. Lediglich bei den Ratsvikaren konnten die Kastenherren strengere Anforderungen stellen, obgleich auch hier die Pfründeninhaber bis zu ihrem Tod praktisch alle im Besitz der Lehen blieben. Um sie dennoch an der Finanzierung des neuen Kirchenwesens zu beteiligen, wurde um Weihnachten 1531 beschlossen, dat alle ander radß viccarn vnd beneficarn, dar noch nicht mede gehandilt, schullen vor sacrifitiums gelt vnd offitiatur den dridden d[enar = Pfennig M.V.] orir lene dem kastenhern tokommen laten.1329 Die eingangs zitierte Forderung der Gemeinden, einen Dritten Pfennig für jene Vikare einzuführen, die nicht am Kirchendienst mithalfen, war damit – für die Ratsvikare – endlich umgesetzt worden, während sie in der KO noch keine Beachtung gefunden hatte. Tatsächlich wurde in den anschließenden Verhandlungen mit jedem Ratsvikar ein solches »Offiziantengeld« ausgehandelt. Diese neue »Steuer« machte in den nächsten Jahrzehnten eine nicht unerhebliche Einnahmequelle der Schatzkästen aus.1330 Juristisch war dies eine geschickte Regelung des Rates: Da der Vikar seinen Messdienst nicht ausübte, hatte er den Betrag, welchen er sonst einem 1327 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 32v (1531). Solcherlei Klagen lassen sich in den Akten häufig vernehmen. 1328 Sie sind der Forschung bisher unbekannt gewesen. Es handelt sich um StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1. 1329 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 27v. 1330 Allein zu St. Katharinen nahm man 1535 z. B. 54,5 Gulden Offiziantengeld ein (Düth nascreven yß officianten vnd sacraficien gelt van den affwesenden vicarien). StadtA BS, F I 4 Nr. 31, Bl. 5v. Mit Absterben der Inhaber und Einzug der Ratsvikarien sank das Offiziantengeld dort bis 1545 auf 14 Gulden, 1 Schilling und 4 Pfennig. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 43, Bl. 5v. Ab 1546/47 waren alle vorreformatorischen Ratsvikare gestorben, sodass nun die vollen Pfründe dieser Stiftungen dem Schatzkasten zu St. Katharinen zugute kamen. Es handelte sich dabei um insgesamt 26 Stiftungen. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 45, Bl. 5r.

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Offizianten zu zahlen schuldig gewesen wäre, den Alterleuten der Kirchenfabrik (= dem neuen Schatzkasten) zu entrichten. Überdies sollte er natürlich trotzdem im Chordienst mithelfen. Für jene Stiftungen, in denen die Höhe des potenziellen Offiziantengeldes nicht festgelegt worden war, ließ man pauschal den obigen Dritten Pfennig als Steuer erheben. Ausgenommen hiervon blieben lediglich jene Vikare, die sich derzeit im Studium befanden.1331 Für das Studium ungeeignete Vikare mussten die Steuer indes vollständig entrichten. So hieß es z. B. Ende 1531 bezüglich eines Lehens an St. Katharinen, dat ein avescheit gemaket, de wile de besitter des lens to studern vngeschickt js, dath de dridde d des lhens schulle jn den kasten komen, so lange he to studeren duchtig werde.1332 Schon früh deutet sich demnach die Absicht des Rates an, Vikariestiftungen für Bildungszwecke zu nutzen – wie es in Einzelfällen ja bereits vor der Reformation gelegentlich praktiziert worden war.1333 In der ersten nachreformatorischen Phase (1530–1560) wurden nun fast alle Ratsvikarien nach Absterben ihrer Inhaber vom Magistrat eingezogen und teils zu Stipendien umfunktioniert, häufiger aber dem Schatzkasten zugute geführt. Letzteres geschah z. B. mit den 25 geistlichen Stiftungen an St. Katharinen, die der Kirche seit 1547 eine jährliche Einnahme von ca. 182 Gulden und vier Pfund bescherten.1334 Eine Ausnahme bildeten aber u. a. fünf Vikarien der Altstadt, die ab 1532 zur Gehaltsaufbesserung der städtischen Schreiber genutzt wurden – dar mit de schrivere dem erbarn rade den bürgern vnd gemener stadt deste truweliker vnd flitiger deinen moge.1335 Hier musste der Rat jedoch vorsichtig sein, denn die Kirchengüterpolitik des Schmalkaldischen Bundes lehnte eine Entfremdung kirchlicher Güter zu weltlichen Zwecken üblicherweise ab.1336 Allerdings vergab man auch die zu Stipendien umgewandelten Stiftungen in den ersten Jahrzehnten gerne an Söhne von städtischen Bediensteten. Dies geschah z. B. 1539 bei Johannis Koch, Sohn des langjährigen Stadtsekretärs Johann Koch, dem die ehemalige Trinitatisvikarie an St. Martini zum Studium übertragen wurde.1337 1331 Vgl. z. B. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 26v: [J]s vorlaten, dat he de gantzen rente des lens sine[m] son tom studio dar van to holden achte jarlanck de jtzo schullen angan jnneme vnd beholden schal […]. 1332 Ebd., Bl. 28r. 1333 Vgl. Bubenheimer, Thomas Müntzer und der Anfang, S. 4. 1334 Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 45, Bl. 5r. 1335 StadtA BS, B III 15 Nr. 3 [o.P.], Bl. 3r [eig. Pag.]. Die Lehen kamen Dietrich Prütze (dem späteren Stadtsyndikus), Johannes Alhusen, Johann Kock, sowie dem (namentlich ungenannten) Zoll- und Richtschreiber zugute. 1336 Vgl. Seebaß/Strohm (Hrsgg.), Deutsche Schriften, S. 17ff; Körber, Kirchengüterfrage, S. 83ff. 1337 Vgl. StadtA BS, A III 1 Nr. 300. Dies geschah, da Koch vns vnd gemeiner stadt Brunswigk eltike jar her truwelick vnd flitich gedeinet hatte, weshalb dessulvigen vmb syner bede willen synem sohnen Johanni Kock de renthe vnd tinse gehorende thom ersten missen altar Trinitatis übertragen wurde, zur beforderunge synes studij.

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Die Umwandlung zum Stipendium gestaltete sich bei Ratsvikarien normalerweise relativ unspektakulär, da der Rat ja Patron dieser Stiftungen war. Anders sah es indessen bei jenen Vikarien aus, deren Patronat weiterhin den Stifterfamilien oblag. Das war insbesondere dann problematisch, wenn es sich um einflussreiche Familien aus den Geschlechtern handelte. Überwiegend war dies in der Altstadt der Fall: Die Kastenherren kamen die nächsten Jahrzehnte in den seltensten Fällen zu einer konfliktfreien Übereinkunft mit den Patriziern (Pawel, Broitzem, von Damm, von Vechelde, etc.).1338 Nur in Ausnahmefällen ließen sich die Stifterfamilien tatsächlich auf Verhandlungen ein – wie etwa Bartold Apelstedde, der 1553 das Recht seiner innehabenden Vikariestiftung an Rat und Schatzkasten abtrat: Als Gegenleistung sollte er die nächsten acht Jahre eine Jahresrente von zehn Gulden erhalten.1339 Das war allerdings eher die Ausnahme und folglich vor allem den Geistlichen, die sich des enormen ökonomischen Potenzials der Stiftungen für das Kirchenwesen bewusst waren, ein Dorn im Auge. 1561 beklagten sich die Prediger daher erstmals nach langer Zeit wieder bezüglich der geistlichen Lehen und baten die Kastenherren, das die erledigte[n] lehen zum gottesdienst verordnet werden sollen.1340 Gemeint war damit ein kirchlicher Gebrauchszweck der ehemaligen Vikariestiftungen. Da die Prediger auch im Folgejahr die Lehensfrage wieder vor das Generalkolloquium brachten, gaben die Kastenherren 1562 eine ausführliche Antwort, in der sie dem Ministerium die schwierige Rechtssituation darlegten: Seyen die lehen dreyerlay, [1.] etliche die ain erbar rat zuverleyhen hatt, des raths caplanen, die sind an die kirchen kohmen, 2. Sind etliche von den familijs gestifftet, haben daran nominationes, die man jnen nicht nehmen khan, sind auch bis daher darbey geblieben, vnangesehen das zanck vnd hahder zwischen ainem erbarn rath vnd denselbigen gewesen, aber man hatt jnen die zu nehmen khain fueg noch recht 3. Sind etliche gar p[er]petuirt ad familias, weyl die weren, wo man nuhn vernehme, das man die mißbraucht, weren sie zu vermahnen, sonst were wol furzusehen, vnd zuverhueten, damitt khain vntrw angerichtet werde, so weren dennoch auch mehrestails jn die kirchen gefallen, aber alle lehen, so belehent, geben alle tertia partium ad lihtam.1341

Die Ratsvikarien waren zu diesem Zeitpunkt also bereits überwiegend in den Besitz des Magistrats und der Schatzkästen gelangt, was sich in den Rechnungen überwiegend auch belegen lässt: Zu St. Katharinen war das Korpus der letzten

1338 Vgl. z. B. StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 303r (Broitzem); StadtA BS, G II 1 Nr. 71, Bl. 5r (von Vechelde); ebd. Bl. 64r–67r sowie StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 368r u. 400r–410r (Pawel) ; StadtA BS, G II 1 Nr. 71, Bl. 6v (von Damm). 1339 Vgl. StadtA BS, G II 4 Nr. 1, Bl. 3r. 1340 StadtA BS, B IV 11 Nr. 162, Bl. 10r. 1341 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 118v–119r.

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Ratsvikarie z. B. 1547 eingezogen worden.1342 Über die anderen beiden Stifungstypen besaßen die Fundatorenfamilien trotz harter Verhandlungen aber nach wie vor vielfach die Kontrolle. Ungeachtet der von den Kastenherren dargelegten, schwierigen Rechtsverhältnisse, ließ das Ministerium nicht locker. Im März 1565 verlangten die Geistlichen erneut – diesmal vor dem Küchenrat – man möge sich mit den Zehnmannen zusammensetzen und bewirken, dass die prophanirte[n] lehen wieder für gottesdienstliche Zwecke eingezogen würden.1343 Man bat überdies, hierfür eine Kommission einzurichten. Der Rat versprach zwar sich darum zu kümmern, doch wurde – wie in den Vorjahren – faktisch nichts in die Wege geleitet. Dies änderte sich erst 1570. Warum der Rat gerade jetzt, nach jahrelangem Stillstand beschloss, dem Drängen der Geistlichen nachzugeben, lässt sich nur vermuten. Es ist anzunehmen, dass der Huldigungsvertrag, den der Rat 1569 mit dem neuen Herzog Julius schloss, einen gewissen Druck in dieser Hinsicht ausgeübt hat. So verlangte Julius nämlich in §6 des Vertrages vom Rat, dieser solle vleissige nachkundigung haben, ob etwas von vicarien […] bey ihren bürgern vnd privatpersohnen oder sonst vorhanden, daß dieselben nicht verschwiegen, sondern […] bey die kirchen vnndt pfarren mogen gepracht vnndt gelegt werden.1344 Auch der 1567 zum Superintendenten gewählte Martin Chemnitz mag in dieser Sache auf die Ratsherren eingewirkt haben. Jedenfalls ließ der Magistrat 1570 endlich einen Ausschuss zum Umgang mit den geistlichen Lehen bilden. Diesem gehörten folgende Personen an: Von Seiten des Ministeriums wurden Superintendent Martin Chemnitz, Koadjutor Andreas Pouchemius sowie die beiden Senioren Heinrich Lampe (St. Magnus) und Johann Lente (St. Katharinen) berufen. Fünf Bürgermeister aus den jeweiligen Weichbilden traten von Seiten des Rates hinzu; für die juristische Expertise nahm man auch die städtischen Syndiki Johann Rosbeck und Johann Daut in den Ausschuss auf.1345 Das Gremium entsprach damit im Wesentlichen der weiter oben dargelegten Grundbesetzung des Konsistoriums. Doch auch dieser Ausschuss scheint zunächst wenig Wirkung gezeigt zu haben. Es lassen sich für die nächsten vier Jahre weder Verhandlungsprotokolle mit den Stiftern noch entsprechende Verträge finden.1346 So klagte Chemnitz im 1342 1343 1344 1345

Vgl. zu St. Katharinen z. B. Grafik 3. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 162, Bl. 10r. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 114r–114v. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 391r: Zum auschus die geistlichen lehen betreffend seind vorordent von wegen des ehrenwirdigen vnd des erbarn rads der stadt Braunschweig, folgende personen. D. Martinus Kemnitius superintendens, M. Andreas Pouchemius coadiutor, herr Heinrich Lampe zu S. Magnus, herr Johann Lentius zu S. Cathrin, beide seniores colloquij, D. Johan Rosbeck, M. Johan Daut, sindici, Albert Calm, Autor Valberg, Gerlof Cale, Albert Busman, Heinrich Holstein, bürgermeister aus allen fünf weichbild[en]. 1346 Einzige Ausnahme: StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 410r (gescheiterte Verhandlung vom 11. 7. 1570).

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September 1574 denn auch vor dem Rat: [O]b wol zu richtigmachung solches lehenn vom erb: kuchen rhat vor vier jahr ein ausschuß gemacht, so sei aber darin kein richtiger proceß fürgenommen […].1347 Man könne, so Chemnitz, mit jenen Familien, die kein dauerhaftes Jus Patronatus, sondern nur allein etzliche nominationes hätten, so verbleiben, dass sie ihr Lehen lediglich mit Zustimmung des Rates verleihen dürften.1348 Aber auch diejenigen Familien, die ein dauerhaftes Jus Patronatus besäßen, müssten ihre Lehen zum Wohle der Stadt, entweder als Universitätsstipendium oder zu Armenzwecken vergeben. So geschähe es auch bereits in anderen Städten. Der Rat stimmte Chemnitz grundsätzlich zu: Das Jus patronatus aber anlangt konnen keinem nehmen, die andernn sachen aber kone mit jhnen gehandelt werden.1349 Endlich nahm der Ausschuss seine Arbeit auch tatsächlich auf. Obgleich vom nachfolgenden Wirken dieses Ausschusses nur wenig überliefert ist, deuten doch mehrere Verträge aus den Familienarchiven auf eine erfolgreiche Arbeit hin.1350 Als Beispiel kann hier der Aushandlungsvertrag bezüglich einer Vikarie der Familie von Broitzem angeführt werden (1575). Hinsichtlich der Unterhändler des Rates wird in dieser Urkunde ausdrücklich auf den obigen Ausschuss verwiesen und alle Beteiligten werden namentlich nochmals genannt.1351 Der Familie von Broitzem wurde sodann ihr seit 1434 innehabendes Jus Patronatus an der Stiftung nach wie vor zugestanden, denn dieses konnte ihnen der Ausschuss rechtlich nicht entziehen. Allerdings mussten sich die Familienmitglieder trotz ihres Patronats künftig verpflichten, das Lehen nur noch als Stipendium zu vergeben und alle nominierten Kandidaten vor der Investitur dem Geistlichen Ministerium zu präsentieren.1352 Damit hatte man auch diese private Stiftung einem öffentlichen Zweck zugeführt und sich zudem eine gewisse Kontrolle über das Lehen gesichert. Ähnlich verfuhr der Ausschuss auch in den anderen überlieferten Verträgen. Besonders in den beiden vorderen Weichbilden Altstadt und Hagen war man mit dieser Vorgehensweise letztlich offenbar erfolgreich. So resümierte Chemnitz 1577 im Konsistorium, das fast alle vnrichtigkeit jnn der Altenstadt verrichtet, auch jm Hagen fürgenohmenn worden 1347 1348 1349 1350 1351

StadtA BS, B I 4 Nr. 75, pag. 305. Vgl. StadtA BS, B I 4 Nr. 75, pag. 308. Ebd., pag. 311. Z. B. StadtA BS, G II 1 Nr. 71, Bl. 64r; StadtA BS, A III 1 Nr. 321. Vgl. StadtA BS, A III 1 Nr. 321: […] Das derentwegen solchem allem nach heut dato durch die verordente des ehrwirdigen colloquij vnd des außschusses zu den geistlichen lehen, als nemlich den herrn superintendenten doctorem Martinum Kemnitium, margistrum Andream Puchenium coadiutoren, herrn Heinrichen Lampen zu S. Magnus vnd herrn Johan Lentium zu S. Catharina, pfarherrn, Albrecht Calmen, Autor Volberg, Gerloff Kalen, Alberten Bußman, vnd Heinrichen Holstein, alle fünff bürgermeistere aus den fünff weichbilden, auch doctor Johan Roßbecken vnd mgr. Johan Davtten syndicos […]. 1352 Vgl. ebd.

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wäre.1353 Da aber in den drei hinteren Weichbilden immer noch mit einigen Lehensinhabern nicht gehandelt worden war, bat Chemnitz nun, der Ausschuss möge sich künftig – nachdem man sich im letzten Jahr kaum getroffen habe – jeden Montag zusammensetzen.1354 Da sich nach 1580 für die hinteren Weichbilde weder weitere Klagen noch etwaige Aushandlungsverträge nachweisen lassen, kann davon ausgegangen werden, dass auch dort mit fast allen Stifungspatronen verhandelt worden war. Einen Überblick der Stiftungen zu St. Martini gewährt das 1584 begonnene Lehensverzeichnis des Kastenherrn Gerloff Kale. Es beinhaltet nach eigenen Aussagen all jene lehne jnn der Oldenstadt, de endtwedder ein erbar radt daselbest oder aber die patronen vnnd testamentarien, doch midt wetten vnd willen des herren superintendenten, coadutoris, der prediger vnd provisoren der kercken S. Martinij tho vorlenende vnd tho confererende hebben.1355 Hierbei handelt es sich um jene – insgesamt 12 – Lehen, die sich in der Altstadt bis 1584 als Pfründe erhalten hatten. Die anderen Stiftungsgelder waren vermutlich überwiegend direkt an den Schatzkasten gefallen. Einige geistliche Lehen – wie das des kursächsischen Rates Dr. Andreas Pauli (= Pawel)1356 – sind zwar in diesem Verzeichnis offenbar übersehen worden. Dennoch zeigt die Liste, dass zumindest alle aufgeführten Lehen als Stipendium genutzt wurden. War der Rat Patron, so wählte er direkt einen Kandidaten und ließ ihn vom Superindententen examinieren. Besaß hingegen eine Familie das Patronat, so durfte sie einen Kandidaten nominieren, der anschließend vom Superintendenten bezüglich seiner Eignung überprüft wurde. Lediglich ein einziges Lehen wurde in Ausnahmefällen bisweilen zu anderen Zwecken genutzt. Es handelte sich hierbei um das Velsteddische Lehen, das 1592 für den Bau der neuen Martinischule herangezogen wurde, während es bereits 1588 der kirchen zum besten gebraucht worden war.1357 Nach den 1580er Jahren lassen sich keine grundlegenden Streitigkeiten hinsichtlich der alten Vikarsstiftungen mehr feststellen. Konflikte ergaben sich hier lediglich noch in weltlichen Dingen zwischen Kapitalanlegern und Zinsleistern. Dies war etwa im langen Streit der Kastenherren St. Martinis mit dem Hildes-

1353 1354 1355 1356

StadtA BS, B I 4 Nr. 75, Bl. 233r. Vgl. ebd. StadtA BS, G II 1 Nr. 71, Bl. 1r. Der Vertrag mit Andreas Pauli (1575) lässt sich samt Inhalt indirekt aus einem Briefwechsel mit dem Rat erschließen (1583). Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 71, Bl. 64r. Er gleicht inhaltlich dem Vorwort des Lehensregisters. Die Pfründe sollten darüber künftig ad certos et aeque pios usus verwendet und die collation lediglich mit Bewilligung von Rat und Geistlichem Ministerium vergeben werden. 1357 StadtA BS, G II 1 Nr. 71, Bl. 14r–14v.

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heimer Rat der Fall, nachdem die Inflation hier zu Unstimmigkeiten in der Anlagesumme geführt hatte.1358 Erwähnenswert ist abschließend noch eine Urkunde des Jahres 1596.1359 Sie wurde bisher in der stadtbraunschweiger Forschung übersehen, stellt jedoch ein konfessionelles Unikum dar: Es handelt sich um die Stiftungsurkunde einer Memorie des Stiftsvikars Albertus Cweningius. Dieser hatte beschlossen, zu St. Ulrici eine vnvergängliche memorien vndt ewiges gedechtnüs zu stiften – in perpetuam sui suorumque memoriam.1360 Hierfür wurden aus einem bereitgestellten Haus auf dem Hagenmarkt jährlich 12 Gulden Zinsen zur Verfügung gestellt. Diese sollten zu Lebzeiten noch ihm und seiner Frau selbst zugute kommen, nach beider Tod überdies sechs Jahre ihren Kindern. Anschließend aber durften die Kastenherren besagte 12 Gulden einziehen und damit feine gebrauchliche lichter jerlichs […] zu rechter gebuhrlicher zeit auf vier Kerzenleuchter stellen, die Albertus ebenfalls gestiftet hatte.1361 Daneben wurde noch eine taffeln (wohl ein Epitaph) aufgehängt. So sollte man sich jährlich anhand der brennenden Kerzen an den Stifter erinnern. Natürlich handelt es sich in diesem Fall keineswegs um eine »Memorie« im katholischen Sinne, da entsprechende liturgische Handlungen fehlen. Dennoch kommt diese Stiftung ihrer Intention nach doch sehr nahe an die alten Memorien heran und wird interessanterweise in der Urkunde auch ebenso benannt. Der Rat, welcher die Stiftung durch einen Ausschuss billigte, sah vermutlich auch lediglich die positiven Aspekte für die Kirche und störte sich weniger am Begriff der Memorie. Denn nur drei der zwölf Gulden sollten jährlich für die Kerzen ausgegeben werden, während die restlichen neun Gulden dem kirchlichen Schatzkasten zugute kamen. Auch waren ja per se Epitaphien keineswegs unerwünscht. So wurde mit dieser Stiftung gewissermaßen an die katholische Frömmigkeitspraxis der Seelenmesse durch die lutherische Form des Gedenkens angeknüpft. 2.2.8.2 Memorien und Feste Neben den Vikarien gab es auch die deutlich kleineren Stiftungen der ewigen Memorien und Salve Regina. Üblicherweise wurden Memorien auch in Braunschweig des avendes myt vigilien vnd des negestfolgenden dages mit selenmyssen und commendacie abgehalten.1362 Vielfach hatten die Alterleute der Kirchenfa-

1358 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 73rff. Der Fall zog sich von den 1560er Jahren bis ins 17. Jahrhundert. 1359 Vgl. StadtA BS, A III 2 Nr. 87. 1360 Ebd. 1361 Ebd. 1362 StadtA BS, G II 1 Nr. 4, pag. 855.

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briken laut Stiftungsbriefen die Aufgabe, ewige Memorien zu verwalten und für deren ordnungsgemäße Durchführung Sorge zu tragen.1363 Allgemeine Aussagen zu den Verhandlungen nach 1528 lassen sich nur bedingt treffen, da mit jedem Stifter gesonderte Abmachungen getroffen wurden. Allerdings trug der Rat den Kastenherren 1531 allgemein folgende Vorschriften auf: Vp de memorien, de von oren oldern gestifftit, to wisen de to entrichten; de aver memor[ien] sulvest gestifftit hebben, mit dene wilme handeln vnd schal geschein vor kokenhern vnd theinen ok den kastenhern.1364 Tatsächlich scheint man, wie die obige Ratsanordnung schon vermuten lässt, erst zu Beginn der 1530er Jahre mit den Geistlichen bezüglich Memorien- und Salve Regina-Stiftungen gehandelt zu haben. Aus den Jahren 1528–1530 lassen sich jedenfalls keine diesbezüglichen Urkunden oder Protokolle ausmachen. So willigte z. B. der ehemalige Kämmerer Cord Schorkop erst im Dezember 1531 ein, seine Zinsen für Memorien, die er an St. Andreas und St. Martini halten sollte, in die entsprechenden Schatzkästen zu überführen.1365 Als weiteres Beispiel sei hier der Priester Bartold Wulveskopp angeführt. Dieser hatte offensichtlich noch bis 1532 die Einnahmen für ein ewiges Salve Regina, das sein Vetter Marten Wulveskopp an St. Ulrici gestiftet hatte, eingenommen. Vielleicht mag er das Gebet bis dahin sogar tatsächlich noch gehalten zu haben. Jedenfalls wurde im nun vereinbarten Vertrag mit Bürgermeistern und Kastenherren beschlossen, dass Wulveskopp das Salve Regina fortan fallen lathen solle.1366 Dafür übergab er die Briefe der Stiftung den Kastenherren sowie eine Zinsverschreibung über 16 Schillinge, die ihm vormals von den Alterleuten zur Ausrichtung von zwei Memorien entrichtet worden war. Als Ausgleich erhielt Wulveskopp bis zu seinem Tod eine Rente von fünf Gulden. Allerdings scheinen sich die meisten Geistlichen den Kastenherren widersetzt zu haben. So baten letztere den Rat 1532 um Unterstützung und bemerkten, dat jtlige prester vnd borger von oren lenen scholden bliven vnd ok des geliken von memorien, de se jn gutlige handelunge wenthe anher nicht heffen willen laten.1367 Vielfach waren die Hauptsummen der Gedächtnisstiftungen fest bei den Weichbildräten gegen jährliche Zinszahlungen hinterlegt worden. Hiermit hatten die Stifter versucht, eine langfristige Finanzierung ihrer Gedächtnismessen zu gewährleisten. Aufgrund dieses Umstandes lässt sich nachweisen, dass die Weichbildräte noch bis in die 1550er Jahre jährlich hohe »Memoriengelder« an die geistlichen Empfänger auszuzahlen hatten. Ähnlich wie schon bei den Vik1363 Vgl. z. B. StadtA BS, A III 1 Nr. 239 (1499). Dazu ausführlich auch: Reitemeier, Pfarrkirchen, S. 361–380. 1364 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 29r. 1365 Vgl. ebd., Bl. 27r. 1366 Vgl. StadtA BS, A III 2 Nr. 73. 1367 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 36r.

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arien scheint damit auch der kollektive Einzug von Memorienstiftungen zu städtischen Zwecken nur mittelfristig geglückt zu sein. So zahlte die Kämmerei der Altstadt noch 1549 zahlreiche Gelder an Inhaber alter Memorienstiftungen: Etwa jährlich 7 ß tho twen memorien corporis Christi Lucas Marens, Hans Elers oder 10 Schilling Hans Kalen memoria jn die Leonardj tho Sunte Marten sowie 12 Schilling tho Sunte Marten tho twen memorien Johan vnd Johan Kalen.1368 Bis zur Jahrhundertmitte war es Rat und Kastenherren damit offensichtlich noch nicht geglückt, die Briefe und Siegel sämtlicher Memorienstiftungen an sich zu bringen.1369 Ebenfalls schwierig gestalteten sich auch die Verhandlungen mit den Klerikergemeinschaften an den Pfarrkirchen – vor allem an der größten Pfarrkirche St. Martini. Wollte man im frühen 16. Jahrhundert eine ewige Memorie zu St. Martini stiften, so hatte man die Wahl, sie entweder – wie üblich – den Alterleuten oder aber der Gemeinschaft der Kleriker anzuvertrauen. Letzteres war ein Stiftungsfond, der den an der Pfarrkirche tätigen Geistlichen zustand, bestehend aus Pfarrherr und Vikaren und geleitet von vier Prokuratoren – üblicherweise dem Pfarrer und den ältesten Vikaren. Diesem Gemeinschaftsfond zur Verwaltung von Memorien, der des sondages brodes vnd der woldeder memorienn genannt wurde, übertrugen seit dem frühen 16. Jahrhundert zahlreiche Bürger die Verwaltung ihrer neuen Stiftungen.1370 Dementgegen organisierte die Gemeinschaft eigenständig das rechtzeitige Abhalten der Memorien und verteilte Präsenzgelder sowie Spenden.1371 Sie war es auch, die die entsprechenden Stiftungsbriefe und Urkunden verwahrte. Aus diesem Grund mussten sich die neuen Kastenherren nach Verabschiedung der KO direkt an die Memoriengemeinschaft zu St. Martini wenden. Diese dachte natürlich nicht daran, ihre Briefe und Zinsverschreibungen dem Rat oder den Kastenherren freiwillig zu übertragen. Da aber die meisten Einnahmen der Memorienstiftungen aus Zinsverschreibungen an der städtischen Münzschmiede (= Kämmerei) resultierten, ließ der Rat die Zinsen einfach einfrieren.1372 Damit wurde zugleich das weitere Abhalten von Memorien unterbunden, was ohne eine Auszahlung der Kleriker nicht mehr erfolgen konnte. Auf Dauer wollte der Rat aber mit dieser Lösung nicht zufrieden sein, war man doch städ1368 StadtA BS, B II 4 Nr. 107, Bl. 15v. 1369 Dementgegen leistete z. B. die Kämmerei des Sackes ihre ausstehenden Memorienzahlungen im selben Jahr bereits sämtlich an die jeweiligen Schatzkästen der Kirche. Hier waren die Verhandlungen damit offensichtlich erfolgreicher gewesen. Vgl. StadtA BS, B II 4 Nr. 607, Bl. 12r. 1370 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 4, pag. 824. Nachweisen lässt sich die Gemeinschaft seit 1507: StadtA BS, A III Nr. 256. 1371 Die Vorgehensweise wurde 1510 neu geregelt. Vgl. StadtA BS, A III 1 Nr. 260. 1372 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 28r.

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tischerseits nach wie vor nicht im Besitz der Zinsbriefe. Nachdem dieser Zustand drei Jahre angedauert hatte, kam es 1531 schließlich zu Verhandlungen zwischen dem Pfarrer Cord Gossel und den zwölf beteiligten Vikaren1373 auf der einen, sowie Kasten- und Ratsherren auf der anderen Seite. Das Vermögen der Memoriengemeinschaft belief sich zu diesem Zeitpunkt auf stattliche 1180 Gulden.1374 Es wurde nun vereinbart, dass die Kleriker sämtliche bisher eingefrorene Zinsen, die über drei Jahre hinweg bei den Bürgern angehalten worden waren, einfordern sollten. Überdies erhielten sie eine Entschädigungssumme von vier Groschen pro Person. Künftig sollten nun aber alle Briefe und Siegel an die Kastenherren übergeben werden, die jetzt auch die Einnahmen zu verwalten hatten. Dafür sollte jeder der verzeichneten Geistlichen bis zu seinem Tod eine Ausgleichszahlung von jährlich zwei Gulden erhalten.1375 Pfarrherr Gossel schloss noch einen gesonderten Vertrag, da er selbst bereits eine große Summe für Memorien in diesen Fond eingezahlt hatte – der Rat erstattete ihm dieses Geld wieder zurück.1376 Damit war die Memoriengemeinschaft an der Martinikirche ab 1531 aufgelöst. Tatsächlich lässt sich die vertragsgemäße Auszahlung der zwölf Vikare und des Pfarrers für die nächsten Jahre auch in den Rechnungen nachweisen.1377 Gossels Nachfolger im Pfarramt beklagte die obigen Verhandlungen zwar aufs Schärfste und verlangte eine Rückgabe der Stiftungsbriefe: Demnach habe man hernn Conradt Gossel seligenn ab getrot prieff vndt sigel für ailffhundert guldenn gutter, so durch hernn Conradj, vndt armenn priestern auß testamenten ist zw einer memorij gegeben, der die pfarherrn feri curatores vnd eynnehmher gewesenn, vnersucht vndt vnve[r]billigt m[einem] g[nädigen] h[errn].1378 Allerdings erwies sich die Forderung als realitätsfern, da ja die obigen Ausgleichszahlungen längst über Jahre hinweg getätigt worden waren. Es blieb folglich beim Vertrag von 1531. Man kann also bei den Memorien wie auch bei den Vikarien den erstaunlichen Befund festhalten, dass substantielle Verhandlungen erst mehrere Jahre nach Abschluss der KO stattgefunden haben: Überwiegend war dies 1531–1532 der Fall, bei den Vikarien z. T. auch erst Jahrzehnte später. So lange hatte es nach 1373 Die beteiligten Vikare waren: Tile Polmann, Hinrick Steynbeck, Johan Reynbolt, Gherwyn Smalian, Andreas Wulff, Dideryck Velenfysch, Hinrich Gyse, Bernt Haselinden, Henning Damman, Goeswyn Körtegoes und Herr Wyckboldt sowie der Oppermann. Vgl. die kleine eingeklebte Liste vor Bl. 25r/v unter StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 25a sowie die Angaben im Rechnungsbuch StadtA BS, F I 1 Nr. 8, Bl. 27v–28r. Die Listen unterscheiden sich leicht: Laut Rechnungsbuch wurden Hinrick Steynbeck und Herr Wyckboldt nicht ausgezahlt, dafür Richard Schweinfuß. 1374 Vgl. StadtA BS, B I 3 Nr. 4,1, pag. 74. 1375 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 28r. 1376 StadtA BS, B I 3 Nr. 4,1, pag. 74. 1377 StadtA BS, F I 1 Nr. 8, Bl. 27v–28r. 1378 StadtA BS, B IV 11 Nr. 14, Bl. 6r.

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Angaben der Kastenherren überhaupt erst gedauert, um sich mit den Einnahmen der Kirchen einigermaßen vertraut zu machen. Dies war abzusehen gewesen, hatte man doch sämtliche Alterleute beurlaubt und hierfür neue Kastenherren gewählt, die überdies anfänglich noch keinen Zugang zu Memorienregistern, Bursenregistern, etc. besaßen.

2.2.9 Umgang mit der Kirchenausstattung Nicht nur kirchliche Stiftungen, sondern auch die üppige materielle Ausstattung der Pfarrkirchen und Kapellen wurde nach 1528 zu einer gewünschten Bereicherungsquelle für Rat und Kastenherren. Die Kapellen waren von der materiellen Enteignung am stärksten betroffen: Da sie zu kirchlichen Zwecken nicht mehr benötigt wurden, ließ man sie überwiegend versperren1379 und ihre Ausstattung – soweit sie dem Rat zugehörte – den größeren Kirchen zuführen. Dies betraf die gesamte Ausstattung, bisweilen sogar die Kirchenbänke. So beschloss man etwa 1532 in der Altstadt, die bencke to foren, van dem Hyllygen Geyste1380 to Sunt Mychel, das restliche Inventar inklusive vasa sacra gelangte 1538/39 in die Paulinerkirche.1381 Weitaus reicher waren allerdings die großen Pfarr- und Klosterkirchen ausgestattet. Die spätmittelalterliche Frömmigkeit hatte in den Braunschweiger Kirchen zu einem prächtigen und materiell nicht unbedeutenden Kircheninventar geführt. Hierzu gehörten neben den zahlreichen Altären u. a. die Bilder/ Figuren, vasa sacra und vasa non sacra, Reliquien und Messgewänder.1382 Doch wie verfuhr man nun ab 1528 seitens des Rates mit dieser Kirchenausstattung und was waren die entsprechenden Reaktionen der Bevölkerung? Für die meisten Städte ist über diese Vorgänge praktisch nichts bekannt. Für Ulm resümierte Filtzinger z. B.: »Wie diese Vorgänge [des Verkaufs der Kirchenausstattung M.V.] von der Ulmer Bürgerschaft aufgenommen wurden, ist leider nicht mehr zu 1379 Nachzuweisen etwa für Heilig Geist, St. Bartholomäus, St. Jakobi , St. Nikolai und bis 1570 St. Johannis. 1380 St. Spiritu bzw. Heilig Geist, war eine vor den Stadttoren gelegene Kapelle, die 1538/39 abgerissen wurde. 1381 StadtA BS, F I 2 Nr. 4, Bl. 4v. Später (1538/39) wurden die restlichen Einrichtungsgegenstände der Heiliggeistkapelle ins Paulinerkloster transferiert: Dinsdach na Margaretae [1539 M.V.] londe jck einem smede dat Gerhuß thom Hilligen geiste tho open, dat darinne waß, wart gefoiret jn de kercken S. Pauwel. StadtA BS, F I 1 Nr. 8, Bl. 274r. Zudem: Fridach na Margarete, gaff jck dem wechter allerlei tuch vnd kesten vth deß Hilligen Geistes gerkammer thofoiren jn S. Pauwel kercken […] londe jck noch vor belge vnd ander orgelen tuch jn S. Pauwelß kercken tho foiren. Vgl. ebd., Bl. 274v. 1382 Letztere werden hier der Zweckdienlichkeit halber gesondert aufgeführt, auch wenn Messgewänder bisweilen zu den »vasa sacra« gerechnet wurden.

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rekonstruieren.«1383 Auch hinsichtlich der Braunschweiger Verhältnisse gab Steinführer 2018 an: »Die Säkularisierung des Kirchengutes in der Stadt Braunschweig ist bislang noch nicht eingehend untersucht worden.«1384 Die nächsten Kapitel werden sich daher dem Umgang mit der Kirchenausstattung widmen. Am provokativsten, weil visuell wahrnehmbarsten, waren hierbei zweifelsohne die Bilder, Figuren und Wandmalereien – obgleich ihr faktischer Wert jenem der vasa sacra deutlich nachstand. 2.2.9.1 Bilder, Figuren und Messaltäre Die Forschung hat für den Umgang mit Bildern in Braunschweig zumeist die Haltung Luthers als Grundlage der nun eintretenden Bilderentfernung zu Rate gezogen.1385 Natürlich war aber vor allem die Haltung Bugenhagens für den weiteren Umgang mit den Braunschweiger Bildern verantwortlich. War Bugenhagen im Grundsatz nicht gegen die Entfernung aller Abbildungen, so mussten doch wenigstens all jene Werke beseitigt werden, die auf papistische Frömmigkeitsmuster schließen ließen. Hier war Bugenhagen auch entsprechend radikal, wie aus seinen Briefen hervorgeht.1386 Ansonsten vertrat er jedoch wie auch Luther eher gemäßigte Ansichten und ließ die Bilder laut KO solange zu pädagogischen Zwecken bestehen, wie sie keinen Anstoß bei den Gläubigen erregten: Van den bilden synt gude böke gescreven, dat id nicht unrecht edder unchristlick sy, bilden to hebben, besundergen dar me inne mach sehn historien unde geschefte.1387 Man sollte sich daher auch die Braunschweiger Kirchen nach der Reformation nicht gänzlich bildentleert vorstellen. Stattdessen dürften hier – ähnlich wie z. B. in Lübeck, Nürnberg oder Berlin1388 – nur jene Bilder entfernt 1383 Filtzinger, Barbara: Ulm, eine Stadt zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg. Studien zur gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung, Diss., München 1993, S. 152. 1384 Steinführer, Urkundeninventar, S. 116 [Fußnote 4]. 1385 Vgl. Wandersleb, Martin: Luthertum und Bilderfrage im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel und in der Stadt Braunschweig im Reformationsjahrhundert, [Helmstedt 1996], S. 17. 1386 Deutlich wird dies am Bilderstreit im Dom zu Roskilde 1537. Hier befand sich eine LucianStatue (ein Papst und Heiliger), die Bugenhagen entfernt wissen wollte. Er schrieb dazu am 28. 12. 1537 an Christian III. von Dänemark, man solle den Domherren als Ersatz für die Heiligenstatue zwei fuder feuerholzs dafur geben denn der götz ist so gross und vermugen, das er solch unkost reichlich und reddelich wol bezalen kann im kachelofen. Vgl. dazu Vogt, Bugenhagens Briefwechsel, S. 165. 1387 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 445. 1388 Vgl. Heal, Bridget: Kirchenordnungen und das Weiterbestehen religiöser Kunstwerke in lutherischen Kirchen, in: Arend, Sabine; Dörner, Gerald (Hrsgg.): Ordnungen für die Kirche – Wirkungen auf die Welt. Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Tübingen 2015 (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 84), S. 157–174, hier S. 157.

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worden sein, die negatives Aufsehen erregten und zugleich in der Bibel keinerlei Begründung hatten.1389 Ob im Anschluss der Braunschweiger Reformation ein Ikonoklasmus stattgefunden hat, ist in der Forschung bis heute höchst umstritten. Die ältere Literatur ist durchaus der Ansicht gewesen, es habe ein wütender Bildersturm in Braunschweig getobt, Quellenbelege wurden jedoch kaum genannt.1390 Jünke, der sich zuletzt mit diesem Thema befasste, hat seine eigene Ansicht, die in den 1970ern gleichfalls zu einem Bildersturm tendierte, in einem späteren Aufsatz von 2003 wieder revidiert.1391 Ein erfolgter Bildersturm könne demnach für Braunschweig nicht nachgewiesen werden. Tatsächlich muss jedoch von einem (wenn auch auf die Altäre beschränkten) Ikonoklasmus ausgegangen werden, der indessen später stattfand, als bislang gedacht. Der lutherische Prediger Heinrich Lampe erinnerte sich, dass nach Bugenhagens Abreise ein Bildersturm in Braunschweig stattgefunden habe. Demnach hätten die Bürger zur Ausbesserung der Stadtmauer die Steine der Altäre und Gräber erbeten. Weiterhin berichtet Lampe: Solches warth dorch bitt erhalten, der rat hat solches erleubett, do hat man die altar abgebrochen vnd die stheine von den altaren vnd auch die leichsteinne nach dem niensthatt dor gefaren vnd vor bouwett vnd zw der mauren so vor dem walle gemacht warth gebrauchett. Wie man aber also vil von einem erbar rade vorloff hatte, griffen sie weitter alse ihm war vorleubt, den sie brachen nidder nicht allein die altar, besunder die schonen thaffelen, marienbilde, crutzifix vnd wes des mer war dar die kirchen mit waren gezirett.1392

Lampe setzt diesen Vorgang in seiner Chronik ins Frühjahr 1528 – balt nach des Winckels ankunfft.1393 Tatsächlich irrt er sich damit aber, wie die Ratsprotokolle bezeugen. So erbaten Gilden und Gemeinden der Altewiek erst am 10. 3. 1529,

1389 Vgl. dazu weiter unten ausführlicher. 1390 Vgl. u.a: Hänselmann, Zwei Gedichte, S. 85 sowie Römer-Johannsen, Ute: Der Kirchenschatz des Braunschweiger Benediktinerklosters St. Aegidien und sein Schicksal nach der Reformation, in: Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart. Zeitschrift des Vereins für Heimatkunde im Bistum Hildesheim 49 (1981), S. 33–56, hier S. 40. Zuletzt: Wandersleb, Luthertum, S. 64–70 sowie Jürgens, Gottes Ehre, S. 51–52. Gleiches behaupteten aber auch u. a. Rehtmeyer, Tunica, Spieß und zunächst auch Jünke. 1391 Vgl. Jünke, Bugenhagens Einwirken, S. 87: »Jedoch ist es dem Verfasser nunmehr nicht mehr möglich, 1528 in Braunschweig einen Bildersturm gelten zu lassen, mit demselben Begriff wie der in Wittenberg […].« Konkrete Gründe für sein Umdenken in Form neuer Quellen bietet Jünke allerdings kaum. Es handelt sich überwiegend um indirekte Schlüsse aus normativen Darstellungen – etwa in der KO (Doch dat wy nicht mögen bildenstormere syn = Es habe bisher noch kein Bildersturm stattgefunden). Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 445. 1392 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 14. 1393 Ebd.

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dass man die Stadtmauer, welche in kurz verschienenen Tagen1394 (!) merklichen Schaden genommen habe, myth lycksteynen, altarenn vth allen kercken vnd lycksteynenn van allen kerckhoven ausbessern solle.1395 Die von Lampe geschilderte Szene kann damit unmöglich im Frühjahr 1528 stattgefunden haben: Denn der Rat lehnte die Bitte selbst am 27. 3. 1529 zunächst noch mit der Begründung ab, es seien zurzeit ausreichend Steine zum Festungsbau vorhanden.1396 Vermutlich hat die von Lampe beschriebene Szene daher erst später stattgefunden, nachdem der städtische Vorrat an Steinen aufgebraucht war. Vieles deutet auf den 17. 05. 1529 hin, da an diesem Tag nachweislich auch die Messaltäre aus dem Kreuzkloster ausgebrochen und im Stadtgraben verbaut wurden. In einem Lied (ca. 1533) heißt es dazu: Die Bürger seien in de kerken gelopen/ alle altar myt groter macht gewunnen/ jn de grunt gans nedder broken/ de steyne denen wol jn der stadt graven.1397 Der durchziehende Laienbruder Göbel verzeichnet sodann für April 1530 im Tagebuch: Item tho Brunsswick steyt et noch gans ovel; se brecken noch alle dage altar, kerken aff unde geiten bussen van den klocken.1398 Dass ein solcher »Bildersturm«, wie Lampe ihn beschreibt, an den Altären also stattgefunden hat, steht damit ungeachtet seiner zweifelhaften Datierung außer Frage. Auch Herzog Heinrich wusste kurz darauf von einem vorgefallenen Bildersturm zu berichten: Auf dem Gandersheimer Landtag (1534) trug er eine Klageschrift vor, nach welcher die Bürger alle zerde, kleinote, mezgewandt vnd ander kirchen ornamenta aus seiner f.g. kirchen vnd pfarren weggenommen und schließlich die pilder gesturmet hätten.1399 Schließlich dürften sodann die Aussagen der Olf ’schen Chronik1400 sowie diejenigen Rehtmeyers auf eben diesen »Bildersturm« anspielen.1401 Dass ein großer Teil der Bilder bei diesen Ausschreitungen vernichtet wurde, ist indessen zu bezweifeln. Die Ausschreitungen dürften eher begrenzt und auf die Altäre und einige Bildtafeln beschränkt gewesen sein; auch muss man sich das Vorgehen – entgegen jenem süddeutscher Städte – wohl weniger tumultartig vorstellen. Dass Bugenhagen die Kirchen bei seiner Ankunft schon »weithin 1394 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 134r: [W]y wetten, dath yn ko[r]th vorschenen dagenn vnser stadt festen mercklick schade ankomenn […]. 1395 Ebd. 1396 Vgl. ebd., Bl. 153r u. 171v. Auf Bl. 153r heißt es: Vnd dewile ok noch jtzundes to dem buwe der stadt veste steins genoch vorhandenn, so achtetmen noch tor tidt van vnnoden, dar to der althar vnd licksteine to gebrukende. 1397 StadtA BS, B I 14 Nr. 6, Bl. 443r. 1398 Rüthing, Chronik, S. 327. 1399 StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 11v. 1400 Vgl. Vechelde, Geschichtsbücher, S. 8: Als nun Lutheri reine Lehre angenommen war, wurden […] aus den Kirchen die Bilder der selbstgemachten Heiligen gerissen, und an den Wänden das, was den Evangelischen nicht gefiel, ausgelöscht. 1401 Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 49. Rehtmeyer bezieht sich indes vermutlich auf den Bericht Lampes.

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entleert vorgefunden« habe, wie es Wandersleb annimmt, darf daher angezweifelt werden.1402 Sehr viele Abbildungen haben diese Übergriffe jedenfalls zunächst schadlos überstanden (s. u.).1403 Auch in den Ratsprotokollen lassen sich keine Ermahnungen finden, die etwaige Ausschreitungen tadeln würden. Man muss sich daher diesen »Bildersturm« entegegen der älteren Forschung wohl in seiner Intensität deutlich abgemildert vorstellen. Vergleichbares wurde in den letzten Jahren auch für andere lutherische »Bilderstürme« wie etwa jenem in Wittenberg festgestellt, dessen Ausmaße ebenfalls eher gering gewesen sein dürften.1404 Wie aber ging man seit 1528 von offizieller Seite mit den Bildern um? Politisch spielten die kirchlichen Abbildungen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Bereits seit den Verhandlungen zwischen Rat und Bürgerschaft im Frühjahr 1528 standen daher die Bilder zur Diskussion. Aus den Protokollen lässt sich von Anfang an eine grundlegende Linie des Rates erkennen: Diese beinhaltete einen äußerst behutsamen und planmäßigen Umgang mit den Bildern. Ein Bildersturm war demnach unter allen Umständen zu vermeiden.1405 So hieß es von Seiten des Rates bereits zu Beginn der Verhandlung (11. 3. 1528): De bilden, de ergerlich sin mochten, dar me vortiden sunderlige toflucht vnd hulpe gesocht hefft, de schullen forchliger weise bisettet werden, so werden de predicanten dath volk wol vnde richten, wath dar von to holden edder nicht.1406 Auch die Hauptleute der Altewiek sahen dies in ihrer Antwort ähnlich und betonten, es wäre wichtig, jdermennigen to warnen nene bilde to stormende.1407 Der Rat versprach dies in seinem Frühjahrsbeschluss von 1528. Sofern noch irgendwo ergelige bilde vorhanden seien, würde man diese auf Anfrage beiseite räumen.1408 Tatsächlich wurden erste Bilder und Figuren nun offensichtlich nach und nach aus dem Kirchenraum entfernt und zur Lagerung in die Sakristei gebracht bzw. veräußert. 1402 Wandersleb, Luthertum, S. 65. 1403 Jünke hat aufgrund der Tatsache, dass nach 1528 noch Bilder in den Kirchen hingen, geschlossen, es könne kein Bildersturm stattgefunden haben. Vgl. Jünke, Bugenhagens Einwirken, S. 88. Er übersieht, dass Bilderstürme vielfach nur sehr punktuell blieben und daher keinesfalls alle Bilder zerstört haben. 1404 Vgl. Leppin, Volker: Kirchenausstattungen in territorialen Kirchenordnungen bis 1548, in: Arend, Sabine; Dörner, Gerald (Hrsgg.): Ordnungen für die Kirche – Wirkungen auf die Welt. Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Tübingen 2015 (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 84), S. 137–155, hier S. 140. Leppins Aussagen beruhen auf den neueren Untersuchungen von Natalie Krentz. 1405 Eine Abneigung der Obrigkeit gegenüber Bilderstürmen war angesichts der »revolutionären Brisanz« solcher Aktionen durchaus üblich. Nicht umsonst konnte sich ein solches Vorgehen »schnell auch gegen die Würde der Obrigkeiten kehren«. Vgl. Goertz, HansJürgen: Bildersturm im Täufertum, in: Blickle, Peter; u. a. (Hrsgg.): Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte, München 2002 (= Historische Zeitschrift. Beiheft 33), S. 240–252, hier: S. 242. 1406 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 36r. Das wörtlich identische Ansinnen findet sich auch auf Bl. 18r. 1407 Ebd., Bl. 46r. 1408 Ebd., Bl. 48r.

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So gab man etwa in der St. Martinikirche 1528/1529 vor wende tho wilken, dar jtleke hilgen gestaen hadden, mehrere Schillinge aus.1409 Tatsächlich zog sich der Prozess der Bilderentfernung aber noch länger hin. Einerseits klagten auch im August 1528 noch zahlreiche Bürger, dass sich weiterhin viele ärgerliche Bilder in den Kirchen befänden.1410 Andererseits ist man über die Ausstattung der Kirchen im Frühjahr 1529 relativ gut unterrichtet, da nun die Inventare für alle Kirchen und Kapellen angelegt wurden. Insgesamt lassen sich in diesen Inventaren 50 bildliche Darstellungen in Form von Figuren, Bildern oder Schnitzwerk ausmachen.1411 Zumeist handelt es sich dabei um einen der 12 Nothelfer oder Maria, gelegentlich auch um ein Jesusbildnis als Salvator oder ein Agnus Dei. Die zunächst gering erscheinende Zahl von 50 Bildnissen bekommt eine andere Gewichtung, wenn man sich den Zweck der Inventare vor Augen führt: Es handelte sich lediglich um Verzeichnisse der Kleinodien, also der materiellen Wertgegenstände. So wurden z. B. sämtliche hölzerne Figuren entweder gar nicht erwähnt, oder nur beiläufig, sofern sie wertvolle Bestandteile enthielten (silberner Sockel, Rahmen o. ä.). Neben den Frühjahrsregistern von 1529 hat sich aus der Kirche St. Andreas glücklicherweise ein Gesamtinventar vom 8. 9. 1529 erhalten, welches deutlich umfangreichere Informationen gewährt. Neben Messgewändern, Büchern und Möbeln sind hier ebenfalls die Kleinodien und Bilder verzeichnet. An dieser Auflistung wird zweierlei deutlich: 1. hatte man das halbe Jahr seit dem Frühjahrsverzeichnis anscheinend genutzt, um weitere Bilder zu veräußern, so z. B. jenes der heiligen Dorothea, das im Verzeichnis nicht mehr aufgeführt wird;1412 2. tauchen hier demgegenüber aber Holzfiguren auf (z. B. iij holtende hovede sancti Andree1413), die im Frühjahrsinventar nicht verzeichnet waren – mit großer Wahrscheinlichkeit aufgrund des fehlenden materiellen Wertes.1414 Nachdem sich die Gemeinden 1530 wiederum beschwert hatten, dass nach wie vor ärgerliche Bilder in den Kirchen vorhanden seien, versprach der Rat im selben Jahr: So noch ergerlige crutifixe edder bilde jn den kercken vorhanden, wan de von den kastenhern dem rade vormeldet, wil ein erb radt sampt den kastenhern de ordentlige wise wechnemen.1415 Demnach wurden also tatsächlich nur jene Bilder aus den Kirchen entfernt, die Anstoß bei den Gemeindemitgliedern (oder Pfarrern) fanden. Zugleich zeigt sich aber in dieser 1409 1410 1411 1412

StadtA BS, F I 1 Nr. 8, Bl. 5v. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 61r. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 5. Im Frühjahr 1529 war das Bild noch vorhanden: vgl. ebd., pag. 7. Im September 1529 nicht mehr: StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 307vff. 1413 Ebd., Bl. 313r. 1414 Zur Geringschätzung künstlerischer Arbeit in den kirchlichen Werken durch die Protestanten vgl. den oben zitierten Brief Bugenhagens, der eine Heiligenfigur nach ihrem Feuerholzwert bemisst. Vgl. auch: Vogt, Bugenhagens Briefwechsel, S. 165. 1415 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 4r.

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Aussage, dass eben noch potenziell ärgerliche Bilder vorhanden waren. Ein weiteres Indiz dafür, dass ikonoklastische Ausschreitungen abseits der Altarretabeln eher begrenzt gewesen sein müssen. Noch 1532 ließ man in den Sakristeien zahlreiche Marien- und Heiligendarstellungen aufbewahren, die man offensichtlich nach wie vor nicht veräußert hatte.1416 Sie lassen sich lediglich aufgrund ihres materiellen Wertes fassen und wurden auch nur nach ihrem Gehalt an Silber und Gold ausgewogen. Hierzu war 1532 eine Kommission aus fünf Bürgermeistern und je zwei Geschickten aus jedem Weichbild bestellt worden.1417 Einzelne Einkünfte von verkauften Bildern lassen sich sodann für die Folgejahre in den Kastenrechnungen nachweisen. So erhielt man z. B. zu St. Katharinen 1533 vor eynen alter flugel drei Schillinge, 1534 für zwei gemalte taffelen 13 Schillinge und 1536 immerhin 18 Gulden und 3 Schillinge für drei bebilderte Schatullen (bussen) die jm hogen altar stunden.1418 Was mit den »ärgerlichen« Bildern und Figuren ohne materiellem Wert geschah, bleibt nach wie vor unklar. Vermutlich ließ man sie, sofern man keine Käufer fand, schlicht in den Sakristeien stehen. Denn Fakt ist, dass sich noch im 18. Jahrhundert einige Heiligenbilder im Besitz der Kirchen befanden.1419 Keinesfalls wurden demnach die Bilder rasch nach der Reformation »verramscht« und auch der Ikonoklasmus, von dem berichtet wird, muss sich doch sehr in Grenzen gehalten und vermutlich auf einige Altarrentabeln beschränkt haben. Demgegenüber ist ein behutsames Vorgehen des Rates in den Protokollen und Inventaren abzulesen, was umso erstaunlicher ist, hatten die Kastenherren doch anfangs mit enormen Liquiditätsproblemen iherer Kästen zu kämpfen. Auch die »ärgerlichen« Bilder im Kloster St. Crucis wurden seit 1531 offensichtlich ordentlich entfernt: De ergerligen boken vnd bilde willen de sup[er]att[endent] vnd sin adiutor vitd dem chor, zellen vnd wor se sin wech nehmen.1420 Damit entspricht das gemäßigte, an Bugenhagen und Luther ausgerichtete Vorgehen des Braunschweiger Rates im Wesentlichen jenem der benachbarten Städte, auch wenn

1416 Z. B. dath grote marienbilde oder sunte Marten myt dem roße. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 291v. 1417 Vgl. ebd., Bl. 291r. Im Übrigen ist damit die von Schilling bereits vermutete Existenz der von der Gemeinde abgesandten »Geschickten« über das Jahr 1530 heraus bewiesen. Vgl. Schilling, Elite, S. 260. 1418 StadtA BS, F I 4 Nr. 29, Bl. 6r (1533); StadtA BS, F I 4 Nr. 30, Bl. 6r (1534); StadtA BS, F I 4 Nr. 32, Bl. 5r (1536). 1419 Aus einem Kopialbuch von St. Katharinen ergibt ein Inventar von 1736 u. a. zwey geschnitzte Bilder Maria und Johannes (pag. 29), sowie 3 geschnitzte Brüst=Bilder. StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 27. 1420 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 5v. Allerdings verzögerte sich dieses Vorhaben anscheinend. Noch 1532 verabschiedete der Rat erneut, dass aus dem Kloster St. Crucis alle ergerlicke bilde vth dem wege genomen werden sollten. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 87r.

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man sich der Aussage Maiers (»Bilderstürme bleiben in Niedersachsen die Ausnahme«) für Braunschweig nur bedingt anschließen kann.1421 Im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts behielten Bilder und Kruzifixe nach wie vor eine bedeutende Rolle in der Raumgestaltung der Braunschweiger Kirchen. Epitaphien, Christusdarstellungen, Kruzifixe und Gedächtnisbilder blieben teils erhalten und wurden überdies vielfach neu gestiftet.1422 Auch in Braunschweig sollte sich damit letztlich jenes positive Bildverständnis ausdifferenzieren, das sich in der zweiten Jahrhunderthälfte nach interkonfessionellen Auseinandersetzungen zum Bestandteil lutherischer Konfessionskultur entwickelte.1423 Superintendent Chemnitz selbst war es, der den dreifachen Bildgebrauch in Abgrenzung zum Tridentinum schließlich in seinem bedeutsamen »Examen Concilii Tridentini« darlegte: Bilder dienten demnach 1. der Erinnerung, 2. der historisch-didaktischen Lehrvermittlung sowie 3. als Kirchenschmuck.1424 Damit war ihr künftiger kirchlicher Gebrauch auch für die Braunschweiger nochmals argumentativ begründet.

1421 Maier, Konrad: Protestantischer Kirchenbau in Niedersachsen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Meckseper, Cord von (Hrsg.): Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150–1650, Bd. 4, Stuttgart 1985, S. 467–484, hier S. 484. Zu solchen »Ausnahmen« gehörte z. B. die Reichsstadt Goslar. Vgl. Koch, Ernst: »Zwinglianer« zwischen Ostsee und Harz in den Anfangsjahren der Reformation (1525–1532), in: Zwingliana 16/6 (1985), S. 517–545, hier S. 530. Auch: Hölscher, Geschichte, S. 58. Anders sah es hingegen in den Städten an der Ostseeküste aus, wo sich während der 1520er Jahre – ausgenommen Lübeck, Hamburg, Rostock und Greifswald – in allen Städten sehr frühe und heftige Bilderstürme nachweisen lassen. Vgl. Michalski, Sergiusz: Bilderstürme im Ostseeraum, in: HZ Beihefte 33 (2002), S. 223–237, hier S. 227. 1422 Am bemerkenswertesten und konfessionell erstaunlichsten ist in dieser Hinsicht definitiv die Stiftung einer vnvergängliche[n] memorien von 1596: Der lutherische Stifter ließ vier meßingsleuchter vndt taffeln seines gefallens machen. Sein Bildnis auf den taffeln sollte jährlich durch die vier Leuchter mittels Kerzen zu seinem Gedächtnis erhellt werden. Finanziert wurde die Stiftung durch eine Rente von jährlich 12 Gulden. Vgl. StadtA BS, A III 2 Nr. 87 sowie Kapitel 2.2.8.1. Zu den Epitaphienstiftungen nach 1528 vgl. Wehking, Inschriften, S. XXIX [Vorwort]. Noch heute haben sich zu St. Martini das bebilderte Taufbecken (1616) und die bebilderte Kanzel (1617–21) erhalten sowie zahlreiche Epitaphien aus dem 16. Jahrhundert, teils mit gekreuzigten Christusdarstellungen. 1423 Zur entsprechenden Widerlegung des Klischees vom visuellen Katholizismus im Gegensatz zum auditiven Luthertum vgl. Heal, Bridget: The Catholic Eye and the Protestant Ear: The Reformation as a Non-Visual Event?, in: Opitz, Peter (Hrsg.): The Myth of the Reformation, Göttingen 2013 (= Refo500 academic studies, 9), S. 321–355, hier S. 321ff. 1424 Vgl. Kaufmann, Thomas: Die Bilderfrage im frühneuzeitlichen Luthertum, in: Blicke, Peter; u. a. (Hrsgg.): Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte, München 2002 (= Historische Zeitschrift. Beiheft 33), S. 407– 454, hier S. 419. Dass die Bedeutung der Bilder in der Praxis bisweilen über die Chemnitz’schen Gebrauchsgründe hinausging und auch in der Frömmigkeitskultur eine Rolle spielen konnte, dazu vgl. Heal, Eye, S. 338.

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2.2.9.2 »Vasa sacra« und »vasa non sacra« Ähnlich behutsam wie mit den Bildern verfuhr der Rat auch mit den vasa sacra, vasa non sacra und anderem kirchlichen Zierrat. Nach einem Ratsbeschluss waren bereits am 11. 3. 1528 die meisten klenodia vnd zirunge der kercken in Verwahrung genommen worden.1425 Allerdings müssen sie sich noch in den Kirchen befunden haben, denn die späteren Inventare wurden in den jeweiligen Kirchen erstellt. Vermutlich hatte man die wertvollsten Gegenstände in die Sakristei überführt, in welcher die vasa sacra ja ohnehin bereits sicher aufbewahrt wurden. Im Sommer selbigen Jahres verlangten u. a. die Gemeinden von Neustadt, Altewiek und Hagen, die Lakenmacher im Hagen sowie die Schmiedegilde vom Rat, alle kirchlichen Gegenstände von Wert umgehend zu Geld zu machen, damit die Stadt aus ihrer stetig ansteigenden Verschuldung errettet werde.1426 Der Rat willigte jedoch nicht ein, sondern versprach lediglich, zunächst eine Inventarisierung der gesammelten Kirchenkleinodien durchzuführen. Auch diese sollte sich nachfolgend über einige Monate hinziehen. Man begann am 15. 4. 1529 mit St. Katharinen und endete am 19. 7. 1529 mit der Hospitalkirche Zu Unser Lieben Frauen (BMV).1427 Hierbei fanden in der Altstadt auch erste Umverteilungsprozesse statt, die zeigen, was für einen geringen Bedarf an liturgischen Gegenständen der neue lutherische Gottesdienst nur noch aufwies. Sämtliche silberne/goldene vasa sacra und vasa non sacra der Altstadtkirchen wurden in der Sakristei der Martinikirche zusammengetragen und dort verschlossen. Zu St. Petri ließ man lediglich zwei Kelche (de men jn der kercken bruket), zwei kupferne Kreuze und eine Büchse zurück.1428 St. Michaelis behielt zwei Kelche, eine Patene und zwei Fistulae (sulvern roren) sowie eine Büchse.1429 Ein herber Rückgang gegenüber den 15 (St. Petri) bzw. zwölf (St. Michaelis) Kelchen, die man zuvor in den Kirchen verwendet hatte1430 – ganz zu schweigen vom übrigen liturgischen Gerät. 1425 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 48v. 1426 Vgl. ebd. Bl. 75r u. 86r. 1427 Nach StadtA BS, B IV 11 Nr. 5 waren die Inventarisierungstermine im Einzelnen folgende: 15. 4. 1529 (St. Katharinen, St. Elisabeth, St. Jost, St. Leonhard, St. Antonius), 16. 4. 1529 (St. Andreas), 20. 4. 1529 (St. Petri), 29. 4. 1529 (St. Magnus), 14. 5. 1529 (St. Michaelis, St. Autor, Heiliggeistkapelle, St. Thomas), 2. 7. 1529 (St. Martini) und 19. 7. 1529 (BMV). Das Inventar zu St. Ulrici fehlt. Vermutlich hatte man hier Angst vor dem Herzog, der sich als rechtmäßiger Patron der Kirche samt Inhalt ansah – evtl. hat sich das Inventar aber auch nur nicht überliefert. 1428 Ebd., Bl. 3v. 1429 Ebd., Bl. 4r. Interessant ist freilich die weitere Nutzung der Fistulae. Das belegt eine immerhin sehr konservativ-lutherische Haltung hinsichtlich der Sakramentsvorstellung. 1430 Die Kelche und Patenen decken sich überwiegend mit der Zahl der Vikarien in den Kirchen (zuzüglich eines Paares für den Hauptaltar). Es ist entsprechend davon auszugehen, dass die Kelch-Patenen Ensembles jeweils zu einer Kommende gehörten, wie es sich für

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Am 6. 12. 1529 konnte der Rat den Gilden und Gemeinden endlich offiziell mitteilen, dass vormoge der ordenunge nun von allen kercken klenodien ein gemene jnventarium beschreven worden sei.1431 Die Inventare wurden auf der Münzschmiede verwahrt und fortan durch das Finanzgremium der Zehnmänner beaufsichtigt. Es stellte sich seit 1530 aber zunehmend die Frage, wie mit diesem Kirchenschatz weiter umzugehen war. Bugenhagen hatte die kirchlichen Wertgegenstände in seiner KO nicht erwähnt und den Umgang mit ihnen folglich offen gelassen. Strenggenommen hätten die Einnahmen aus dem Verkauf der vasa (non) sacra den Schatzkästen zufließen müssen, doch sträubte sich der Rat verständlicherweise dagegen: Hier ging es schließlich um ein außerordentliches Vermögen. Nach wie vor ließ man die Gegenstände daher in den Sakristeien verwahren. Mit dem Eintritt in den Schmalkaldischen Bund (1531) änderte sich die Lage. Das finanziell ohnehin schwächelnde Braunschweig hatte nun auch noch die jährlichen Bundesbeträge zu entrichten, was den Haushalt enorm belastete. Die Kämmerei konnte diese hohen Ausgaben nur durch den Beibehalt einer Sondersteuer (Tolage) decken, deren Zahlung durch die Stände aber 1532 erneut genehmigt werden musste. Nachdem abzusehen war, dass sich die Gemeinde nicht vor der Zahlung dieser Sondersteuer drücken konnte, machte man dem Rat von Seiten der Hauptleute zur Bedingung, dass der altkirchliche Schatz, der sich seit 1528 in den Sakristeien befand, vermünzt werden müsse. Dieses Geld sollte dann ebenfalls zur Schuldentilgung angewandt werden, um die zu leistende Steuer wenigstens etwas abzumildern. Obgleich der Rat dies eigentlich hatte vermeiden wollen, blieb ihm nun nichts anderes übrig, als die vasa sacra und andere Kirchengeräte zu Geld zu machen – und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Offensichtlich war die spirituelle Ehrfurcht vor den ehemals heiligen Kultgegenständen einer eher nüchtern-pragmatischen Sichtweise gewichen. Der Rat versprach den Ständen daher am 19. 3. 1532, dass er alle sulvern gulden parlen vnd andere kercken klenodia besichtigen, taxeren, wegen werde vnd to gelde maken.1432 Tatsächlich wurde bereits zwei Tage darauf eine Kommission aus fünf Bürgermeistern und jeweils zwei Geschickten jedes Weichbildes in die Sakristei St. Marien im Inventar dezidiert nachweisen lässt. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 5, Bl. 8v–9r: Ad altare Marie Virginis hr Peter Strus 1 kelck mit der patenen, ad jdem altare her Hinrick Duvel 1 kelck mit der patenen 1 pacifical, ad altare Johannes Baptiste her Hermen Hypman 1 kelck eyn patene eyn pacificael, ad altare Barwardi Reymboldes 1 kelck eyn patene, ad jdem altare thor Sluterschen comenden 1 kelck mit der patenen, ad altare Romam vp dem olden koer her Volckmar Kock 1 kelck mit der patenen vnd eyn crutze, ad summum altare her Detert 1 kelck vnd patene eyn pacificael, ad altare Johannes Evangeliste Everhusen den kelck mit der patenen hefft Hermen Kalen, ad comendiam Johannis Evangeliste her Hermen Deeffholt […]. 1431 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 180r. 1432 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 66v.

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zu St. Martini gesandt. Dort ließ man die Kruzifixe,1433 Kelche, Patenen, Figuren, Monstranzen, Weihrauchfässer und anderes Kirchengerät sämtlicher Altstadtkirchen nach ihrem Silbergewicht auswiegen und erstellte ein entsprechendes Inventar.1434 Gleiches geschah einen Tag später (22. 3. 1532) auch zu St. Katharinen und St. Andreas.1435 Am folgenden Samstag (23. 3. 1532) wog man schießlich den Silbergehalt der vasa sacra zu St. Magnus und St. Ulrici.1436 Bis September 1532 hatte man so sämtliche Kirchenkleinodien tho hope gebracht.1437 Der Rat versprach der Gemeinde, dat de sulven klenodie schullen vormuntet werden.1438 Der reichhaltige Glockenschatz der Braunschweiger Kirchen wurde in diesem Zusammenhang übrigens ebenfalls teilweise eingeschmolzen und – in Anbetracht einer drohenden Kriegsgefahr – zu Kanonen umgegossen.1439 Vor allem betraf dies drei große Glocken der Katharinenkirche.1440 Die vasa sacra und andere liturgische Geräte fanden damit 1532 wohl ein unrühmliches Ende. Sie wurden eingeschmolzen und sodann vermünzt. Von einem Verkauf der Schmuckstücke in katholische Gebiete sah man demnach offensichtlich – wie auch bei den Reliquien – damals noch ab.

1433 Damit widerlegt sich die Behauptung Diederichs-Gottschalks, nach welcher die Beseitigung von Kruzifixen bei Lutheranern »eine unvorstellbare Blasphemie bedeutete, weil man dadurch die Imitatio Christi angetastet sah.« Vgl. Diederichs-Gottschalk, Dietrich: Lutherische und reformierte Schriftaltäre des 16. und 17. Jahrhunderts in Nordwestdeutschland, [Onlinepublikation: http://www.evangelischer-kirchenbauverein.de/ vortrag %20DDiederichsG.pdf, Abruf: 20. 5. 2019], S. 6. In Braunschweig wurden diese Kruzifixe gar eingeschmolzen und zu Münzen verarbeitet. 1434 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 291r. Dieses beinhaltete auch alle vasa sacra der Kirchen St. Petri, St. Michelis und der Altstadtkapellen, die ja 1529 in der Martinikirche zusammengetragen worden waren. 1435 Vgl. ebd., Bl. 293r–294r. 1436 Vgl. ebd., Bl. 295r–296r. 1437 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 79r. 1438 Ebd. 1439 StadtA BS, B III 15 Nr. 3, Bl. 1v: Drei grote klocken syn van Sunte Kattrinen torn jn M[e]nte hues gebracht, dat bussen dar van gegoten schullen werden, de andern groten klocken aver, so noch hen vnd wedder jn den thorme vnd kercken hangen, schullen hengende blyven, szo lange, datmen faichlick vnd bescheidtlick tho kopper vnd gelde komen vnd de ok vorgeiten moge, de grothe busse vp Sunte Martens kerkhove schal tho slagen vnd to kleinerem nuthbarlikem geschutte vpt forderlikeste gebruket vnd vergoten werden, de luchtere, kleine stilmeß klocken, wyekettel, becken, vnd was dartho horet, js vth allen kerken jn Sunte Autors kercken tho samende gebracht und scholen ok vorgoten werdenn. Zur weiteren Geschichte der Kirchenglocken vgl. Pfeifer, Hans: Die Kirchenglocken der Stadt Braunschweig I, in: ZGNKG 24 (1924), S. 86–100; ders.: Die Kirchenglocken der Stadt Braunschweig II, in: ZGNKG 31 (1926), S. 53–72; ders.: Die Kirchenglocken der Stadt Braunschweig III, in: ZGNKG 32/33 (1927/28), S. 50–75. 1440 Vgl. Pfeifer, Kirchenglocken II, S. 54–55.

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2.2.9.3 Reliquien Im Gegensatz zu den Bildern und vasa sacra haben sich hinsichtlich des Umgangs und Verbleibs der Braunschweiger Reliquien nur wenige Quellen erhalten. Auch in den zeitgenössischen Inventaren tauchen sie nur dann vereinzelt auf, wenn ihre kostbaren Behältnisse erwähnt werden.1441 Mit der Entfernung der Nebenaltäre, welche aus Platzgründen bereits recht früh durchgeführt wurde,1442 ließ man natürlich zugleich auch die darin befindlichen Reliquien aus dem Kirchenraum entfernen. Dass dies zu Protesten derjenigen führte, die den Gegenständen weiterhin sakralen Wert beimaßen, darf angenommen werden – für die meisten Städte fehlen hinsichtlich dieser Prozesse jedoch die Quellen. Für Braunschweig hat sich diesbezüglich immerhin ein äußerst interessanter Bericht erhalten, den Hermann Empsychovius festhielt und schließlich im Zusammenhang seiner kontroverstheologischen Berichte auf Latein drucken ließ.1443 Nachdem man gemäß Bugenhagens KO begonnen hatte, erste Altäre aus den Kirchen zu entfernen, kam es im Winter 1528/1529 laut des Berichts mehrfach zu größeren Menschenaufläufen vor Kirchen, Klöstern und auf Marktplätzen. Die teils noch altgläubigen Bürger waren erzürnt über den respektlosen Umgang mit den Reliquien und Heiligenfiguren – vielleicht ging dieses Vorgehen auch einigen lutherisch gesinnten Bürgern noch zu weit. Jedenfalls standen die aufgebrachten Bürger kurz vor einem Aufstand: Parum aberat, quo minus ad tumultum res progrederetur.1444 Der Däne Matthias, ein bekehrter Lutheraner, lief daraufhin zu Ludolf Petersen, Prediger an St. Martini, und berichtete diesem vom drohenden Aufruhr. Petersen müsse umgehend eine Predigt halten und den Leuten darlegen, was für Gegenstände es eigentlich wären, derentwegen sie sich so aufbrächten. Er selbst habe im Auftrag des Papstes vielfach bei der Gewinnung neuer Reliquien geholfen und dazu die Knochen von Schweinen (porcina) und Hammeln (vervecina) oder anderen Tieren verwendet. So wie er hätten auch viele andere Ordensleute gehandelt – man habe auch das Salböl bei Krämern erworben etc. Ob man dieser Behauptung Glauben schenken darf, oder sie nur zu Propagandazwecken erfunden war, sei dahingestellt. Trotz der teils zwielichtigen Praxis der mittelalterlichen Reliquiengewinnung1445 mutet sie doch augfrund des 1441 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 312v: i sulvern arm oder StadtA BS, B IV 11 Nr. 5, Bl. 1r: S: Barwardis patene vnd syn ving[er]. 1442 Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 64. 1443 Vgl. Empsychovius, Hermann: Solidum Responsum ad Georgii Braunii in Gradibus B. Mariae Colloniensis decani maledicum […], Tremoniae [= Dortmund] 1609, S. 273–276. Ein neuerer Auszug des Berichts wurde um 1690 als Einblattdruck herausgegeben. Vgl. VD17 3122:735949X. 1444 Vgl. Empsychovius, Solidum Responsum, S. 274. 1445 Zu den zahlreichen Fällen, in denen Reliquien aus Menschen- und Tierhinterlassenschaften gewonnen wurden vgl. Schreiner, Klaus: »Discrimen veri ac falsi«. Ansätze und

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päpstlichen Einbezugs sehr abenteuerlich an. Matthias vereinbarte daraufhin jedenfalls mit Petersen, dass dieser eine Predigt halten und dem Volk die dargelegte »Lüge« der Reliquien offenbaren solle. Matthias war als Zeuge zugegen und sollte demnach zu einer höheren Glaubwürdigkeit der Geschichte beitragen. Laut Empsychovius wurde hierdurch der Aufstand – welcher ja demnach nur in der Altstadt gedroht haben kann – abgewendet.1446 Verkauft wurden die Reliquien aber offensichtlich nicht – denn weder in den Kastenrechnungen, noch in jenen der Stadtkämmerei lassen sich Hinweise auf Einnahmen aus Reliquienverkäufen finden. Dabei bot sich ein solcher Handel ins nahe (katholische) Braunschweig-Wolfenbüttel oder ins Hochstift Hildesheim eigentlich an. In späterer Zeit hat es einen entsprechenden Reliquienhandel unter August von Braunschweig-Wolfenbüttel auch gegeben.1447 Vermutlich dachte man in Braunschweig zu diesem frühen Zeitpunkt aber noch nicht daran, die gerade »entlarvten« Kultgegenstände einem erneuten »Götzendienst« zuzuführen. Einige Reliquien mögen deshalb zusammen mit den Altären 1529 vernichtet worden sein, doch betraf dies nur einen (vermutlich kleinen) Teil der kirchlichen Reliquienbestände. Ribbentrop und Rehtmeyer geben noch im 18. Jahrhundert ein wahres Sammelsurium an erhaltenen Reliquien in den verschiedenen Kirchen an.1448 Für St. Ägidien notierte Rehtmeyer etwa 1707: Jch will hiebey die Reliqvien selbst/ so anitzo noch würcklich bey diesem Kloster gefunden/ hersetzen/ dabey aber bekenne/ daß sie noch besser untersuchet werden dürfen/ da ich sie nicht mehr als nur einmal in zimlicher Eile durchgesehen habe.1449 In der Folge zählte er dutzende Reliquien auf, u. a. jene des Heiligen Autor, St. Bartholomäus, St. Cosimae, St. Thebaeus, St. Nikolaus, St. Katharina (Arm und Rippenknochen), St. Panafrera, St. Gregor, St. Valentin, u.v.m. Gleiches stellte er auch – in etwas abgeschwächter Form – für St. Katharinen fest, wo er immerhin elf Reliquien na-

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Formen der Kritik in der Heiligen- und Reliquienverehrung des Mittelalters, in: Archiv für Kulturgeschichte 48 (1966), S. 1–53, hier S. 6–8. Dazu auch: Legner, Anton: Reliquien in Kunst und Kult. Zwischen Antike und Aufklärung, Darmstadt 1995, S. 49–54. Vgl. dazu auch den Bericht Rehtmeyers: Rehtmeyer, Historiae III, S. 63. Vgl. Heilmann, Birgit: Aus dem Heiltum wird Geschichte. Der Gandersheimer Kirchenschatz in nachreformatorischer Zeit, Regensburg 2009 (= Studien zum Frauenstift Gandersheim und seinen Eigenklöstern, 1), S. 75. Über den Reliquienhandel Augusts mit Herzog Wilhelm V. von Bayern ist man heute vor allem durch die Briefe des berühmten Augsburger Kunstagenten Philipp Hainhofer informiert. Dessen Reiseberichte werden derzeit in einem DFG-Projekt an der HAB Wolfenbüttel (online) ediert. Ein Überblick hierzu bietet Wandersleb, Luthertum, S. 129–130. Rehtmeyer, Historiae I, S. 77. Viele der Reliquien und Messgewänder von St. Ägidien verschenkte Herzog Anton Ulrich indessen seit 1707 an katholische Würdenträger. Vgl. Woker, Franz Wilhelm: Geschichte der Norddeutschen Franziskaner-Missionen der Sächsischen Ordens-Provintz vom hl. Kreutz, Freiburg 1880, S. 403.

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mentlich identifizieren konnte.1450 Einige davon lassen sich auch in einem wenige Jahre später verfassten Inventar wiederfinden, so u. a. 2 geschnitzte arme mit reliquien und 3 geschnitzte Brüst=Bilder mit reliq[uien], die sich im Besitz der Provisoren zu St. Katharinen befanden.1451 Zu St. Andreas, St. Magnus und St. Michaelis hatten sich laut Ribbentrop ebenfalls zahlreiche Reliquien bis ins späte 18. Jahrhundert erhalten, wovon sich einige noch heute im Braunschweiger Landesmuseum befinden.1452 St. Blasius besaß um 1707 ca. 30 Reliquien1453 und selbst das 1545 zerstörte Cyriacusstift hatte bis in die 1790er Jahre den Kopf des Heiligen Cyriacus bewahren können.1454 Einzig die Reliquien zu St. Ulrici (= Brüdernkirche) nahmen laut Ribbentrop die Mönche des Franziskanerklosters bei ihrer Flucht aus Braunschweig 1529 mit sich, sodass sie verloren gingen.1455 Es zeigt sich somit, dass man die Reliquien nach der Reformation offenbar nicht bewusst zerstört und schon gar nicht in ökonomischer Hinsicht mit ihnen gehandelt hat. Sie wurden überwiegend schlichtweg mangels Materialwerts ignoriert. So konnten noch bis ins 18. Jahrhundert hinein viele Reliquien bewahrt werden; glaubt man damaligen Beobachtern, so dürften damals noch weit über 50 Reliquien vorhanden gewesen sein.1456 2.2.9.4 Messgewänder Auch der Umgang mit den Messgewändern (Kaseln und Kappen) war 1528 nicht geregelt worden. Bugenhagen hatte – gemäß seiner eher konservativen Ansicht – die Messgewänder keineswegs abgelehnt, sondern deren weiteren Gebrauch in der Messe laut KO zugestanden: Alben unde caselen, de wy sus gerne darby bruken edder andern swacklövigen to willen, breken deme bevehle Christi nichts aff […].1457 Entsprechend wurden die Messgewänder weiterhin beim Reichen der Sakramente verwendet. Das Inventar der Kirche St. Andreas wies 1529 u. a. noch 38 Kaseln, 32 Amikten, 20 Chorkappen, 13 Alben, sieben Diakonröcke, drei

1450 Vgl. Rehtmeyer, Historiae I, S. 125ff: Es finden sich sonst in dieser Kirchen noch einige Reliqvien oder Heiligthümer/ so aus dem Pabstthum übrig gelassen sind/ darunter zweiffelsohn etliche zum Pauliner Kloster/ und Kaland St. Matthaei mögen gehöret haben. 1451 StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 29. 1452 Vgl. Wandersleb, Luthertum, S. 130 [Fußnote 679]. 1453 Vgl. Rehtmeyer, Historiae I, S. 103. 1454 Vgl. Wandersleb, Luthertum, S. 129–130. 1455 Vgl. Ribbentrop, Carl Philipp: Vollständige Geschichte und Beschreibung der Stadt Braunschweig, Bd. 1, Braunschweig 1796, S. 158: »[Die Mönche M.V.] verließen vielmehr Kirche und Kloster, entfernten sich und nahmen mit Documente, Reliquien und was sie sonst heimlich fortbringen konnten.« 1456 Die zeitgenössischen Angaben sind bisweilen sehr ungenau, weshalb eine präzise Auflistung nicht möglich ist. 1457 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 424.

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Subdiakonröcke und sechs Stolen auf.1458 Die Gemeinden und Gilden drangen jedoch bereits im März 1529 auf einen Verkauf der Gewänder: Obgleich man sie noch für liturgische Zwecke benötigte, so wurde doch nur noch ein Bruchteil der Messgewänder von den evangelischen Geistlichen verwendet, deren Zahl sich ja drastisch reduziert hatte. Die überflüssigen Kleidungsstücke sollte man nach dem Willen der Bürgerschaft verkaufen, dewile de vorderfflick seien.1459 Der Rat agierte jedoch vorsichtig, obgleich die neu eingerichteten Schatzkästen derzeit noch in arger finanzieller Bedrängnis waren. Auf Anregen der Kastenherren vereinbarte er im Herbst 1529, dass die von Fürsten und Adel gestifteten Messgewänder zunächst noch weiterhin verwahrt werden sollten, um etwaige Konflikte zu vermeiden. Der übrige Ornat durfte aber nun veräußert werden und musste den Armen zugutekommen. An Allerheiligen (1. 11. 1529) teilte man Gemeinden und Gilden diesen Beschluss mit.1460 Der Verkauf verzögerte sich zunächst, sodass der entsprechende Abschied Anfang 1530 nochmals wiederholt werden musste.1461 Im Laufe des Jahres 1530 kam es sodann zu einem Messgewänderstreit. Ganz offensichtlich herrschte innerhalb der lutherischen Prädikanten Uneinigkeit darüber, ob die Messgewänder als Adiaphoron beizubehalten waren – wie es die KO vorschrieb – oder ob sie besser abzuschaffen seien. Die Folge dieser Auseinandersetzung war schließlich, das die preddiger in allen kirchen die kassel vnd alven vnd andern geistlichen ornatt ablechen mussten.1462 Laut einer zeitgenössichen Chronik Heinrich Lampes hatte der Prediger Johann Ribeling eine Vorliebe für edle Kleidung und wollte den Messornat nicht länger gebrauchen, denn er schamde […] sich doch, das er den papistischen ornatt in der kirchenn dragen solte.1463 Nachdem er im Kolloquium in dieser Hinsicht jedoch nichts erreichen konnte, inszenierte er, zusammen mit dem Ulrikiprediger Andreas Hoyer, einen Vorfall während des Gottesdienstes. Es wurden durch Ribeling einige Gemeindemitglieder beauftragt, die ihm beim Gottesdienst das Messgewand vom Leibe reißen sollten. So geschah es dann auch und es kam ein borger zw, liff jnn der messe vnd schelde sich, alse wollte er ihm mitt gewalth die kledder abzihenn.1464 Diesen Vorfall trugen Ribeling und Hoyer umgehend dem Kolloquium vor. Obgleich es dort immer noch starke Vorbehalte gegen das Ablegen des Messornats gab, beschloss man, da es ein adiaporum were, die 1458 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 307v–312v. Daneben werden noch 40 »Stücke« erwähnt, womit evtl. Altarlaken o. ä. gemeint sein könnten. 1459 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 108r. 1460 Vgl. ebd., Bl. 178r. 1461 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 4r. 1462 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 34. 1463 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 35. Die Geschichte ist u. a. ohne Quellenangabe auch erzählt bei Rehtmeyer, Historiae III, S. 93f. und Jünke, Bugenhagens Einwirken, S. 102f. Rehtmeyer Beschreibung dürfte auf Lampes Chronik basieren. 1464 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 35.

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Gewänder eine Zeit lang abzulegen und dies auch zuvor von den Kanzeln zu verkünden.1465 In den Folgejahren wurden sogleich sämtliche Messgewänder verkauft – teils flossen die Einnahmen in die Schatzkästen, teils in die Armenkästen. Zunächst wurde jetzt der Verkauf der Messgewänder für Pfarrer und Vikare vorangetrieben und zwischen 1530 und 1531 großteils abgeschlossen. So nahm z. B. allein die Kirche St. Katharinen im Jahr 1530 die enorme Summe von insgesamt 20 Mark und 8 Schilling als tho fellyge vpname van kasel vnd kappen ein, 1531 nochmal 4 Mark van gheschyckeden van kasel vnd kappen.1466 Für 1530 haben sich sogar die 30 Käufer zu St. Katharinen namentlich überliefert: Es handelte sich um 19 Männer und 10 Frauen (der letzte Name ist leider nicht mitgeteilt). Erstaunlich ist vor allem das Klientel, welches sich die Kaseln und Kappen erwarb: Mindestens fünf Knechte/Mägde befinden sich nachweislich unter den 30 Käufern.1467 Ein anonymes Lied aus den Aufzeichnungen des Braunschweiger Offizials (ca. 1533) erklärt auch, wie dies möglich war: De Casel was teijn gulden wert/ men krech ohn vor iiii schilly/ wart he van eyne[m] kristen begeret.1468 Tatsächlich wurden die Gewänder zwar im Schnitt immerhin für zehn Schillinge (= 1 Gulden) verkauft, was aber freilich deutlich unter Wert war (der laut dem Lied ja zehn Gulden betrug): So profitierten auch die Mägde und Knechte von den Verkaufsaktionen, während sich angesehene Namen aus den Geschlechtern und der Schicht der Weißen Ringe nicht unter den obigen 30 Käufern finden lassen. Die hohe Anzahl an Mägden, die nun in den hochwertigen Stoffen der ehemals liturgischen Gewänder herumliefen, scheint in der Folgezeit auch öffentlich Aufmerksamkeit erregt zu haben. So hieß es in dem bereits erwähnten Lied hinsichtlich der Messgewänder in Braunschweig: Samyth hefft geziret der megede tydte/ de to jare[n] by der wegen sytten.1469 Die Klagen der Kastenherren bezeugen nun allerdings, dass der Verkauf der Gewänder – wie vom Rat befürchtet – zu großen Konflikten führte. Zwar behielt man die fürstlichen und adeligen Gewänder zunächst noch ein, doch veräußerte man vielfach prachtvolle, goldbestickte Kaseln, die von den Geschlechtern der Stadt gestiftet worden waren und deren Stifter anhand ihrer aufgestickten

1465 Ebd. 1466 Rechnung von 1530: StadtA BS, F I 4 Nr. 26, Bl. 6v–7r. Rechnung von 1531: StadtA BS, F I 4 Nr. 28, Bl. 5v. 20 Mark (= 60 Gulden) entsprachen um 1530 etwa drei Jahreslöhne eines Predigers. 1467 Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 27, Bl. 6v–7r. In den Rechnungen werden explizite Namen angegeben – nur bei den Knechten und Mägden steht dort van eyner maget oder van Hans Guden knecht etc., sodass ihre Profession klar ersichtlich wird. 1468 StadtA BS, B I 14 Nr. 6, Bl. 442r. Auch (leicht verändert) abgedruckt bei: Hänselmann, Zwei Gedichte, S. 86. 1469 StadtA BS, B I 14 Nr. 2, Bl. 442r. Auch abgedruckt bei: Hänselmann, Zwei Gedichte, S. 86.

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Wappen noch nachvollzogen werden konnten.1470 Der Verkauf fand überwiegend in den Rathäusern der Weichbilde statt,1471 seltener auch direkt in den Kirchen:1472 Die goldenen und silbernen Kirchengeräthe, wie auch die Messgewände und dergleichen, wurden herausgenommen, und ward der Seiden= und Sammet=Stoff derselben, nachdem man die Perlen, Steine und silbernen Spangen ausgeschnitten hatte, auf dem Altstadt=Rathause meistbietend verkauft, woraus denn das Frauenvolk Brusttücher, Koller und sonstige Kleidungsstücke machte.1473

Hierbei wurden die zuvor noch so ehrfürchtig behandelten Gewänder bisweilen in Stofflappen zerschnitten oder am Stück verkauft – so wie es der Käufer gerade begehrte.1474 Der hieraus resultierende Konflikt ist in der Braunschweiger Geschichtsforschung bisher praktisch übersehen worden. Die Kastenherren, welche den Verkauf organisierten, beschwerten sich am 22. 5. 1531, sie wären beim Verkauf vorklagt von jtligen geschlechtern: hebben [die Gewänder M.V.] laten von siden kremern vnd andern besichtigen. Men hebbe register von one gefordert des vorkopes, vp dat me se mochte fangen. Jtem ein gut Clawes heffe vor der kercken geflockt vnd drawort gebruket.1475 Die Patrizier waren demnach also keinesfalls gewillt, den Verkauf ihrer gestifteten Familiengewänder einfach hinzunehmen. Sie setzten die Kastenherren – denen die ungnädige Aufgabe des Verkaufs zugefallen war – zunehmend unter Druck. Olfen schreibt in seiner Chronik, die Stifter aus den Geschlechtern seien so verdrossen gewesen, dass es zu einem Auflauf gekommen sei, mit Wehr und Waffe in der Hand. Man drohte demnach bereits mit dem Stürmen der Schatzkästen. Auch war man erbost über jene Frauen, welche mit den umgeschneiderten Stoffen der ehemaligen Messgewänder umherliefen: Aber durch Gottes Güte und der Obrigkeit weise ward der Auf-

1470 Die fast überall aufgestickten Wappen lassen sich aus dem Andreasinventar von 1529 noch gut nachvollziehen. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 309r: i gron kaßell van samyt myt Barbken vnd Hodessens wapen […] i roth gulden stucke myt Brossens vnd der Schepenstede wapen […] i blaw samyt stücke myt Brossems vnd Hodessems wapen. Etc. 1471 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 37; StadtA BS, B I 14 Nr. 2, Bl. 442r. 1472 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 1r: Henny Brandes bor: hefft vorlovet, dat in der kercken tovorkopen; StadtA BS, B I 14 Nr. 2, Bl. 442r: De baner hebben se vth gesteken / jn allen kercken vnd klusen / vppe allen radthusen des geliken / se repen szo lude alle vnse. Mit »Banner« ist hier das Marktbanner als Zeichen des Verkaufes gemeint. 1473 Vgl. Vechelde, Geschichtsbücher, S. 8f. Vechelde hat die hier zitierte Version der Chronik (um 1650 geschrieben) sprachlich etwas modernisiert. 1474 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 37: […] do hatt man darnach die kirchen zirung an golth vnd silber, sammit vnd seiden leinen gerette […] alles auff die rattheuser gedragenn ein ider in seinem weich bilde vnd alda die kasselen, mesgewanth, altarlackenn, ein deill zw schnitten perlen silber dar von, ein deill gantz gelassen vnd verkaufft, wie das ein ider begerth hat zw keuffen […]. 1475 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 1r.

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stand bald gestillet, wie der spätere Bürgermeister Tobias Olfen erleichtert feststellte.1476 Überwiegend verschont blieben von diesen Verkäufen – neben den Stiften – lediglich die Ornatsbestände des Ägidienklosters, was sich an den zahlreichen späteren Inventaren aufzeigen lässt.1477 Vermutlich befürchtete man hier zunächst einen Eingriff des Herzogs, wie mehrfache Aussagen des Rates über die fürstlichen Kaseln bezeugen1478 – anders lässt sich diese Zurückhaltung nicht erklären. Tatsächlich beklagte sich der Herzog auch bitter über den Verkauf der Messgewänder in »seinen« Pfarrkirchen. Als er die Ratsgesandten 1534 auf dem Landtag zu Gandersheim empfing, hielt er ihnen unter anderem vor, dass sie mit den kirchen klaidungen, die sie doch dahin nit gegeben, einen grewel oder jarmargkt gehalten hätten.1479 Die Gesandten wiegelten jedoch beharrlich ab, weshalb der Herzog die Sache schließlich auf sich beruhen ließ – mit der Pfarrgüterfrage gab es derzeit ohnehin dringendere Probleme zu lösen. Nachdem der Gebrauch des Messornats abgeschafft worden war, beschwerte sich Bugenhagen am 27. 9. 1530 brieflich bei Superintendent Görlitz und verlangte – wie auch 1531 in Göttingen – die erneute Nutzung der Gewänder.1480 Dabei führte er als Argument an, daß die Kaseln in Gebrauch sein können, das bedeutet kein Ärgernis für die, die das Evangelium zu hören pflegen. Die andere (Lehre) ist eine Lüge des Satans aus den Lehren der Teufel: nämlich, daß Kaseln zu gebrauchen keinesfalls erlaubt sei […].1481 Bugenhagen hatte mit seinem Schreiben jedoch keinerlei Erfolg. 1533 wurden mit einigen Ausnahmen auch die letzten Restbestände der Gewänder aller Kirchen verkauft, hinzu kamen nun überdies die 1532 eingezogenen Ornate der Bruderschaften und Kalande, wie das Beispiel des Kalands St. Mattheis am Tempelhof bezeugt: Am dage Johannis & Pauli [1532 M.V.], do schickede de erbar radt der stadt Brunsweick erhafftige personen tho vns vp den tempelhoff, dat kerckentuch tho halende: benomliken

1476 Vechelde, Geschichtsbücher, S. 9. 1477 Vgl. Römer-Johannsen, Kirchenschatz, S. 40. 1478 Vgl. z. B. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 178r (1529): Tom 25 artikel hefft ein er radt mit den kastenhern geredet vnd vp d[er] kastenhern anregent sin vom rade dusse antworde gegeven, de casel vnd cappen, de von fursten vnd vom adel gegeven, moten vmb vnlust willen noch vorwart werden vnd js bevolen, dat de sullen vorwedert werden. 1479 StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 11v. 1480 Vgl. Vogt, Bugenhagens Briefwechsel, S. 98–99: Habetis ergo istic ecclesiam majorem quam hic nos, quia nos adhuc habemus casulas, vos autem non. Sed habent vestri praedicatores adhuc multa quae purgent ex vestra ecclesia ut ostendant in eis suum fidele ministerium, nempe organa, campanas etc. ultimo etiam templa. Vgl. zur Thematik auch Jünke, Bugenhagens Einwirken, S. 103. 1481 Brief Bugenhagens an Görlitz 27. 9. 1530. Hier zitiert nach der lat. Übersetzung von Piepkorn, Arthur: Die Liturgischen Gewänder in der lutherischen Kirche seit 1555, Marburg 1565 (= Ökumenische Texte und Studien, 32), S. 13.

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kasel, chorkappen, vnd antipendia der altaren: vnd twe kalensnore.1482 Der Erlös dieses Großverkaufs betrug 1200 Gulden.1483 Er wurde nach längerer Verhandlung, gemäß einem Abschied zwischen Rat, Gemeinde und Gildemeistern vom 23. 9. 1533 in drei Summen aufgeteilt. Je 1/3 sollte für Wege und Stege, für Kornvorräte und für die fünf Armenkästen ausgegeben werden.1484 Jünke gibt an, der Gebrauch des Messornats sei bald darauf gemäß KO wieder eingeführt worden, da man im 17. Jh. noch Messgewänder in den Inventaren nachweisen könne.1485 Diestelmann geht ebenfalls davon aus und stützt sich dabei auf die Tatsache, dass sich bis heute mehrere Kaseln aus der Martinikirche im Herzog Anton Ulrich-Museum erhalten haben.1486 Wurde der Ornat also – wie in der Forschung bislang behauptet – bereits kurze Zeit später gemäß Bugenhagen wieder eingeführt? Nikolaus Medler, der Görlitz als Superintendent nachfolgte, beklagte sich 1547 beim Rat u. a. über die zu schlichte Messausschmückung in der stadtbraunschweiger Kirche. Diesbezüglich bat er auch, das bey der wandlung des heyligen hochwirdigen sacraments vnsers hern vnd seligmachers Jesu Christi, ein vnterschidliche kleidung, vnd anbrennung zweyer licht der Wittebergischen kirchen gemeße gebraucht werden solle.1487 Medler wollte hiermit nach eigenen Angaben verhindern, dass frembde vnd einfeltige leut nicht dafur halten mochten, als ob in dieser kirchen das heylige sacrament zwinglischer weiß gehandelt würde.1488 Zu diesem Zeitpunkt war der Messornat folglich keinesfalls wieder in Gebrauch genommen worden. Es ist nicht überliefert, wie der Rat antwortete, doch lassen sich auch weiterhin das gesamte 16. Jahrhundert hindurch keinerlei Spuren von neuem Messornat, bzw. der Instandsetzung und Reinigung älterer Gewänder finden (Kastenrechnungen, Testamente, Stiftungen, etc.). Auch ein Beschluss zur erneuten Einführung der Messgewänder ist bis 1599 in keiner Quelle nachzuweisen.1489 Obgleich Jünke für das 17. Jh. und Rauls für das 18. Jh. Messgewänder in Inventaren belegen konnten, beweist dies keinesfalls deren liturgischen Gebrauch, jedenfalls nicht im 16. Jahrhundert – es wird sich hierbei lediglich um 1482 StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 335v. 1483 StadtA BS, B IV 11 Nr. 144, Bl. 2r. Ein Drittel (= 400 Gulden) fielen den Armenkästen der Stadt zu. 1484 Vgl. StadtA BS, B I 5 1,1, Bl. 109v. 1485 Vgl. Jünke, Bugenhagens Einwirken, S. 103–104: »Auch wenn das genaue Datum der Wiedereinführung der Messgewänder […] noch nicht aufgefunden worden ist, kann aus Kircheninventaren des 17. Jahrhunderts geschlossen werden, dass sie wieder in Gebrauch gekommen waren.« 1486 Vgl. Diestelmann, Jürgen: Die Feier der lutherischen Messe im 16. und 17. Jahrhundert nach den Wolfenbüttler Kirchenordnungen, [o.O] 2005, S. 30. 1487 StadtA BS, Revidenda Nr. 155 [o.P.]. Schreiben vom 3. 9. 1547. 1488 Ebd. 1489 Dies muss freilich nicht zwingend etwas heißen, da die Kolloquienprotokolle bis 1595 nicht überliefert sind.

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Reste der mittelalterlichen Gewänder handeln.1490 Die von Diestelmann als Beleg für den Gebrauch des Ornats herangezogenen Messgewänder von St. Martini stammen durchweg aus dem 14./15. Jahrhundert und haben sich nur durch Zufall in einem gemauerten Wandschrank durch die Zeiten erhalten.1491 Einen relativ sicheren Hinweis auf die dauerhaft abgestellte Nutzung der Messgewänder liefert aber schließich eine Nachricht von 1612. Die finanziell schwächelnden Kirchen zu St. Martini und St. Petri konnten sich in diesem Jahr keine angemessenen Altar- und Tauflaken mehr leisten. Aus diesem Grunde wurde gestattet, alte Kaseln aus der Sakristei von St. Martini als Zierlaken des Altars und Taufbeckens zu verwenden: Da aber in der sacristej zu S. Martenn in den beiden scheppen eine große antzahll caeßelnn und chorkleydern verhandenn, so aus dem pabsthumb auffgehoben, welche fast von motten undt würmern verderbet und gefreßen worden, So ist für rathsamb angesehen, von solchen caßelen, diesen baiden kirchen so viel folgen zulaßen, damit sie ihre altar zieren und bekleiden konnen […].1492

Das Zitat lässt eine zeitgleiche Benutzung der Messgewänder zu liturgischen Zwecken keineswegs realistisch erscheinen (= so aus dem pabsthumb auffgehoben). Gestützt wird dieser Befund noch durch eine Abbildung eines Braunschweiger Taufbüchleins (1591), das in einem Holzschnitt die Kindstaufe ohne Stola darstellt – wohl kaum hätte man das Messgewand beibehalten und zugleich die Stola abgeschafft.1493 Der von Bugenhagen gewünschte, bis 1530 auch noch geübte Gebrauch von Messgewändern, scheint somit tatsächlich dauerhaft abgeschafft worden zu sein.1494 Wie oben zu sehen, ging sowohl die Initiative als 1490 Vgl. Jünke, Bugenhagens Einwirken, S. 104; Rauls, Wilhelm: Vom Ornat in der EvangelischLutherischen Landeskirche in Braunschweig, in: JGNKG 74 (1976), S. 179–186, hier S. 184. 1491 Die 14 Messgewänder wurden erst 1836 im Zuge von Renovierungsarbeiten in der Sakristei zu St. Martini wiederentdeckt. Vgl. Helmuth, Johann L. C.: Über die in der Martinikirche zu Braunschweig aufgefundenen Messgewänder etc., in: Braunschweigisches Magazin 49 (1836), S. 197–202. Vgl. ausführlich: Wandersleb, Luthertum, S. 151. Die entsprechende Akte hierzu: StadtA BS, G II 1 Nr. 6, Bl. 3r–8r. Derzeit wird im Zuge eines Promotionsprojektes an der Uni Siegen von Maya Brockhaus der Hintergrund mehrerer dieser Kaseln aus objektgeschichtlicher Perspektive untersucht (Stand 2020). 1492 StadtA BS, G II 1 Nr. 6, Bl. 1r. 1493 Vgl. im Anhang inkl. Quellenangabe: Abbildung 1. Ob es sich hier um eine akkurate Braunschweiger Taufdarstellung handelt, kann freilich nicht belegt werden. Da das Buch aber vom Geistlichen Ministerium selbst verlegt wurde, liegt dieser Schluss nahe. 1639 hieß es dann gar, dass ein Studiosus, welcher zu S. Andreae die frühpredigt gehalten, mit dem degen, ohn mantel in die kirche und sacristey gangen wäre. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 192. 1641 legte der Koadjutor im Kolloquium dar, daß etliche von den herrn fratribus in der kleidung mit den andern nicht übereinkehmen, was anlanget die ermeln, kleine kragen etc. welches gleichwol der herr coadjutor selbst lapalia nennete, und also für seine person nicht starck urgiren wolte. Ebd., pag. 203. 1494 Vgl. dazu auch vorige Fußnote. Die lediglich auf Sehlings Editionen beruhende Angabe Piepkorns, nach welcher die Stadt Braunschweig 1575 wieder Messgewänder gebraucht

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auch die letztendliche Umsetzung in diesem Prozess allein von der Geistlichkeit aus. Im Gegensatz zu anderen Städten war hier nicht die Gemeinde ausschlaggebend und auch der Rat schaltete sich offensichtlich nicht ein – obgleich er den Beschluss des Kolloquiums vermutlich approbiert haben wird.

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Jus Patronatus und Vokationsprozedere

2.3.1 Die fürstlichen Stadtpfarreien 1528–1569 Eine der bedeutendsten Änderungen im Kirchenwesen nach 1528 betraf unbestritten die Wahl der neuen Prediger. Üblicherweise ging mit der Reformation auch die Übernahme der innerstädtischen Predigernomination- und Entlassung durch den Stadtrat einher. Während dies in vielen norddeutschen Städten (Hamburg, Magdeburg, Stralsund, Osnabrück, Lübeck, u. a.) zunächst eine regelrechte Okkupation der fremden Patronatsrechte bedeutete und teils lange Prozesse nach sich zog,1495 ließen andere Städte wie Hannover,1496 Göttingen,1497 Goslar1498 und Braunschweig die Kirchenpatronate und deren Pfarrpfründe juristisch unangetastet. Man beließ die ohnehin zumeist abwesenden Pfarrherren in Amt und Pfründen, sicherte sich aber – gegen den Protest der Pfarrer – die Auswahl der Kapläne (Prediger), die man nun freilich selbst besolden musste.

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habe, ist auf eine schlichte Verwechslung der KOO zurückzuführen, wie auch der Quellennachweis zeigt: Gemeint ist hier demnach offensichtlich die Lüneburger KO von 1575, gemäß derer die Verwendung des Messornats vorgeschrieben war. Vgl. Piepkorn, Gewänder, S. 20. Zum bis in die 1560er Jahre andauernden Prozess mit dem Hamburger Domkapitel vgl. z. B. Rosenfeld, Elisabeth: Johannes Bugenhagen und die Ordination, Husum 2016 (= Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, 59), S. 134–135. Zu Magdeburg: Koch, Zwinglianer, S. 526; zu Osnabrück: Sehling, Kirchenordnungen VII 2,1, S. 237 u. 241; zu Lübeck: Rosenfeld, Bugenhagen, S. 180. Dort wurde die Patronatsübergabe immerhin per Vertrag mit dem Kapitel 1530 geregelt. Die Pfarrherren zu St. Georgi und St. Ägidien wurden bis zum Verkauf des hzgl. Patronats unter Erich II. 1574 durch den Herzog ernannt. Sie erhielten sodann die Pfarrpfründe. Vgl. Schlegel, Johann C.F.: Kirchen- und Reformationsgeschichte von Norddeutschland und den Hannoverschen Staaten, Bd. 2, Hannover 1829, S. 74f. Dazu auch: Arndt, Georg: Das Kirchenpatronat in Hannover, in: Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 31 (1926), S. 32–52. Vgl. Petke, Wolfgang: Kirchenpatronate in städtischer Hand: Göttingen, in: Reitemeier, Arnd; Ohainski, Uwe (Hrsgg.): Aus dem Süden des Nordens. Studien zur niedersächsischen Landesgeschichte für Peter Aufgebauer zum 65. Geburtstag, Bielefeld 2013 (= Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, 58), S. 433–465, hier S. 442. Dazu auch Springer, Dominikaner, S. 139: »Offiziell wurde die bestehende Struktur nicht angetastet. Bis 1542 hatten alle Pfarreien einen altgläubigen Pfarrer, gleichzeitig allerdings auch einen neugläubigen Prädikanten.« Vgl. Graf, Pfründe, S. 38.

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Nach wie vor galt somit der Wolfenbütteler Herzog in Braunschweig als Patron von St. Martini, St. Katharinen, St. Andreas und St. Ulrici.1499 Mit Auflösung des Ägidienklosters ging auch das Patronatsrecht von St. Magni, das zuvor dem Abt zugestanden hatte, um 1529 an den Herzog über. Gleiches galt eigentlich auch für die zur Kapelle degradierte, ehemalige Pfarrkirche St. Nikolai – nur konnte sich der Herzog hier 1539 im Streit nicht gegen die Stadt durchsetzen und das Kapellenlehen gelangte in Ratshand.1500 Die Pfarrstelle zu St. Petri wurde vom Kapitel St. Cyriacus verliehen, einzig die kleine Kirche St. Michaelis stand seit jeher dem Altstadtrat als Patron zu. Da die meisten Pfarrherren weiterhin vom katholischen Herzog ernannt wurden, waren ab 1528 ihre Aufgaben vollständig auf die ehemaligen Kapläne übergegangen1501 – nicht jedoch die Pfarrlehen. So konnte der Rat dem Reichskammergericht 1529 berichten, das die pfarner selber das wort gottes nicht gepredigt, vnd also jrem von got bevoln ampt nicht genuch theten, doch jst jnen an jren zinsen vnd renten gar nichts von vns oder den vnsern entzogen, sonder seint grosser kosthaltunge entladen worden.1502 Während also der Rat die Prediger aller Kirchen gemäß der KO ernannte und besoldete, erwählten der Wolfenbütteler Herzog und das Kapitel St. Cyriacus weiterhin (katholische) Pfarrherren für die ihnen zustehenden Kirchen und belehnten sie mit den Pfarrpfründen. Obgleich die Problematik der Patronatsrechte somit zunächst umgangen wurde, barg die Trennung von Predigtamt und Pfarrpfründe ein Konfliktpotenzial, das sich noch über ein Jahrhundert lang negativ auf die Stadt auswirken sollte.1503 Auf die Wahl 1499 Die Patronatsrechte um 1500 sind vielfach verkehrt dargestellt worden, zuletzt bei Rosenfeld, Bugenhagen, S. 80. Angeblich hätte demnach z. B. das Blasiusstift die St. Andreaskirche, die Gemeinde St. Katharinen, St. Martini und St. Michaelis innegehabt. Zu den korrekten Verhältnissen vgl. Hergemöller, Beziehungen, S. 136–146. 1500 Die alten Patronatsrechte von St. Nikolai werden in einem Brief von 1523 deutlich: […] Johanse Kock, thor tidt regerender cappelen sancti Nicolaj […] binnen Brunschwig, vnd dem werdigen hern abte vnd convente des closters tho sunte Egidien darsulvest, alse patronen der vorgenanten capellen […] (StadtA BS, H V Nr. 142 [o.P.]). Das Lehen wurde vom Rat nach 1528 eingezogen und die Kapelle blieb fortan vakant. Zwar versuchte der Herzog 1539 hier einen eigenen Kaplan einzusetzen, jedoch ohne Erfolg. Vgl. StadtA BS, B III 16, Nr. 15, Bl. 172r–178r; StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 109r–113r sowie StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 242r. Das Pfarrlehen nutzte der Rat seit den 1530ern als Stipendium – zunächst für den Organistensohn Thomas Kellner (StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 113r). 1591 wurde das Lehen samt Kapelle, da die Bürger desulvege itziger tidt nicht bedürffen, an Jürgen Apelenstidde gegen Erbenzins verkauf – die Kapelle jedoch nur mit Vorbehalt. Vgl. StadtA BS, H V Nr. 142 [o.P.]. 1501 Dies war auch vor 1528 oftmals der Fall, wie ein Bericht Lampes rückblickend bezeugt: Die pastores, die so von den fürsten mitt der pfare beligenn waren, preddigeten nicht selbest, wennich ausgenommen, sie vorhurten aber die pfarren den mertzinaris [= Mietpredigern, früher »Heuerpfaffen« genannt]. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, Bl. 1r. 1502 StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 33r. 1503 Der Konflikt um die Pfarrbelehnung zog sich bis in die 1620er Jahre hin. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 229r. Siehe auch das folgende Kapitel.

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der in den Kirchen wirkenden Prediger hatte der Herzog nach 1528 allerdings de facto keinen Einfluss mehr und hat ihn bis 1671 auch nicht mehr erlangen können. Nichtsdestotrotz ging es ab 1528 um die enormen Vermögensmassen der Pfarrlehen, Pfarrhäuser und des Kirchenmobiliars. Bereits kurz nach seiner Rückkehr im März 1529 bekümmerte Herzog Heinrich die kirchlichen Güter der Braunschweiger innerhalb seines Territoriums.1504 Maßgeblich betroffen waren hier vor allem die Kirchenfabriken, Hospitäler und Vikare sowie die Güter des Kreuzklosters. Heinrich wollte damit die Stadt zur Herausgabe der innerstädtischen Pfarrzinsen seiner Geistlichen zwingen.1505 Nach längeren Bittgesuchen der Stadt gab Herzog Heinrich im November selbigen Jahres zunächst nach und hob den Kummer auf.1506 Doch muss er ihn kurz darauf wieder eingeführt haben, als der Rat den herzoglichen Geistlichen weiterhin die städtischen Zinse verweigerte. Damit war die Lage ab 1530 vorerst die, dass sämtliche in der Stadt liegenden Einkünfte der Pfarreien vom Rat eingezogen wurden, sämtliche außerhalb der Stadt liegenden vom Herzog (bzw. dessen Pfarrherren). Nach erfolgreichen Verhandlungen mit dem städtischen Juristen Dietrich Prütze, befahl Heinrich im November 1533 seinen Amtmännern erneut, den Kummer über die geistlichen Güter aufzuheben.1507 Im Gegenzug verlangten aber nun auch der Herzog und dessen Pfarrherren, ihre innerstädtischen Einnahmen ausgezahlt zu bekommen – so etwa Pfarrherr Dr. Michael Hess zu St. Martini. Dies geschah offensichtlich nicht und der Rat rechtfertigte sich im Januar 1534 damit, dass die Pfarrer nichts von dem geleistet hätten, was de parner jerlikes vor sodane tinse tho doende schuldig gewesen.1508 Entsprechend wollte der Rat den Pfarrern die städtischen Pfarrzinsen auch nur dann nachfolgen lassen, wenn diese ihr Amt pflichtgemäß ausübten. Nachdem am 21. 3. 1534 auch die Verhandlungen auf dem Landtag in Gandersheim keinen Erfolg gebracht hatten,1509 beklagte sich Heinrich schließlich im September beim Rat: Wan jr nu dieselben [Pfarrherren M.V.] widerumb restituiren vnd leiden konnet, das sie jre ceremonien wie von alter bey der heiligen christlichen kirchen herbracht widerumb bey euch vffrichten vnd halten könnten, dann würde der Herzog gerne dahin

1504 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 121r. 1505 Ein kleiner Teil dieses Konflikts findet sich – wenn auch bisweilen missverständlich – bei Täubrich wieder. Vgl. Täubrich, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 170–171. 1506 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 50r. 1507 Vgl. StadtA BS, B IV 2a Nr. 9, Bl. 2r. Auch: NLA WF, 1 Alt 29 Nr. 244, Bl. 1r. Vgl. zum Folgenden auch zusätzlich: Blume, Gundmar: Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel und die Stadt Braunschweig 1533–1535, in: ARG 74 (1983), S. 306– 313. 1508 NLA WF, 1 Alt 29 Nr. 190, Bl. 1v. 1509 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 10v u. 15r–15v.

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wirken, dass sie ihr Amt pflichtgemäß wieder ausübten.1510 Natürlich stand diese Option für die Braunschweiger keineswegs zur Debatte. Da der Rat aber auch keine Anstalten machte, die Pfarrzinsen zu entrichten, befahl Heinrich im Sommer die erneute Bekümmerung der städtischen Kirchengüter.1511 Nach langwierigen Verhandlungen kam es dann zunächst in Leiferde am 3. 12. 1534 zu einem gemeinsamen Ausgleichstreffen, das jedoch aufgrund von Formalitätsfragen scheiterte.1512 Nach erhöhtem Druck auf die Stadt, welche den Herzog während der Verhandlungen bewusst konfessionell provozierte,1513 wurde dann im Dezember erneut eine Tagung in Leiferde gehalten. Man legte dabei am 26. 12. 15341514 schließlich die Grundlagen für einen Vertrag zwischen Rat und Herzog fest, der in den Folgemonaten weiter ausgehandelt und 1535 mit Zustimmung der Gilden und Hauptleute auch durchgesetzt wurde.1515 Im Februar 1535 erhielt der Herzog den versiegelten Revers und befahl die Aufhebung des Kummers.1516 Der Vertrag war zunächst auf drei Jahre beschränkt und enthielt folgende Bestimmungen:1517 1. Den Klagen der Kapitularen und Pfarrherren über ihre Zinsen sollte der Rat bei seinen Bürgern nachkommen, nötigenfalls mit Einlager, sodann wollte der Rat 2. den Pfarrern und Kapitularen die Hälfte ihrer bei den städtischen Kämmereien angelegten Zinse fortan auszahlen. 3. Schuldangelegenheiten der Pfarrer und Kapitulare, die nicht Zinsgeschäfte betrafen, sollten fortan vor dem Gemeinen Rat verhandelt werden. 4. Alle Zinsstreitigkeiten sollten hingegen vor dem Untergericht geklärt werden. Hierfür ließ der Herzog nun den Kummer im Territorium erneut aufheben. Zufrieden dürften die Pfarrherren über diese Regelungen zwischen Stadt und Herzog nicht gewesen sein, erhielten sie doch fortan nur noch die Hälfte ihrer beim Rat angelegten Zinsen. Doch die Argumentation des Rates, dass die Pfarrer ja selbst nun nicht mehr für die Predi1510 StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 31v. 1511 Vgl. NLA WF, 1 Alt 29 Nr. 244, Bl. 8r. 1512 Vgl. ebd., Bl. 5r. Man konnte sich nicht einigen, wer seine Verhandlungspunkte zuerst vortragen müsse. 1513 Der Rat schlug als Verhandlungstermin den 8. Dezember (= Unbefleckte Empfängnis Marias) vor, wohl wissend, dass dies ein Feiertag für die katholischen Räte des Herzogs war: Nun jst der dinstag ein sallich fest, ob jr dasselbig nicht haltenn vnd aus dem gehorsam der hailigen cristlichen kirchenn geschritten, so gebürt vnns doch, demselben gehorsamlich zu gelebenn. StadtA BS, B IV 2a Nr. 9, Bl. 22r. 1514 Blume hat den Vertrag fälschlich in den Dezember 1535 datiert (vgl. Blume, Herzog, S. 312), die Abschriften stammen jedoch vom Stephanustag 1535 (26. 12. 1534) und das Konzept vom »Tag der Unschuldigen Kinder« 1535 (28. 12. 1534). Laut alter Zeitrechnung fielen beide nämlich (nach Weihnachten) bereits ins neue Jahr 1535. 1515 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 118r. 1516 Vgl. StadtA BS, B IV 2a Nr. 9, Bl. 20r. 1517 Der Vertrag ist in zwei Abschriften überliefert: StadtA BS, H V Nr. 217, pag. 129–130 und B IV 2a Nr. 9, Bl. 12r–13r.

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gerkapläne aufzukommen hätten, scheint gefruchtet zu haben. Beschwerden in Pfarrangelegenheiten sind jedenfalls bis 1538 nicht mehr überliefert. Der Vertrag dürfte damit innerhalb der festgelegten drei Jahre eingehalten worden zu sein. Ab 1538 begannen die Streitigkeiten bzgl. der Pfarren dann aber wieder von Neuem,1518 der Vertrag wurde nicht verlängert und Stadt bzw. Herzog behielten die Einkünfte aus ihrem jeweiligen Territorium. Welche Summen den belehnten Pfarrern durch die Stadt seit 1528 vorenthalten worden waren, verdeutlicht ein undatiertes, auf die Zeit um 1540 einzuordnendes Klageschreiben des Martinipfarrers.1519 Neben den Fundationssummen zahlreicher Memorienstiftungen hatte der Rat demnach angeblich etliche Zinsen nicht ausgezahlt, daneben 11 Gulden und 14 Scheffel Korn pro Jahr, dar vonn sie sollen licht vndt wachs vndt olie holdenn; sodann 100 Gulden aus den Vierzeitenopfern und Umgängen sowie 150 Gulden vonn seelmessen, prautlagern, kindertauff vndt ander accidentia.1520 Hierzu kamen die Einnahmen von zahlreichen Pachthöfen und weitere 100 Gulden aus Stiftungen und Kirchenfesten. Doch diese Klagen sollten schon bald obsolet werden. Mit der Vertreibung Heinrichs d.J. im August 1542 gelangten die städtischen Pfarren mit all ihren ländlichen Einnahmen bis 1553/55 gänzlich an die Stadt. Schon am 3. 9. 1542 hatten die beiden Bundeshauptleute Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen dem Rat auf dessen Anfrage hin gestattet, das sie die pfarrer christlicher weise selbst erwählen vnd setzen mügen. Sie sollen aber solche personen darzu setzen […] welche jn der heyligen schrieft nach christlichen verstandt wol erfahren gelert vnd berichtet.1521 Nur wenige Wochen später, am 29. 9. 1542, verfügten die neuen Statthalter in Wolfenbüttel daher, dass alle einkomen an zinsen vnd renthen, so zu den pfarren jn der stadt Braunschweig gewidmet vnd gehoret, den jenigen, die jn solchen pfarren das ampt der christlichen selsorge zutragen vnd anzurichten, verordnet werden solle.1522 Faktisch wurden die Pfarren damit nun im Dienste der Stadt verwaltet, während die Prediger weiterhin ihr festes Gehalt erhielten. Im Goddeshusregister lässt sich nachvollziehen, dass auch die Rechnungslegung der Kirchen ab 1543 sauber zwischen Schatzkasten und den neuen städtischen Pfarrgütern differenzierte. So ließ man z. B. die Schatzkastenherren zu St. Andreas einmal für die Kirche tho sunte Andreas abrechnen und in einem weiteren Schritt darüber hinaus noch van sunte Andreas par.1523 Das gleiche geschah ebenfalls für die sechs anderen großen Pfarrkirchen. Alle herzoglichen Pfarrherren galten überdies als abgesetzt – so 1518 1519 1520 1521 1522 1523

Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 41v. Vgl. den abgedruckten Text 2 im Anhang. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 14, Bl. 6r. StadtA BS, B IV 11 Nr. 13, Bl. 3r. StadtA BS, A III 1 Nr. 302, Bl. 1r–1v. Auch als Kopie: StadtA BS, G II 1 Nr. 4, pag. 917. StadtA BS, B I 14 Nr. 2, Bl. 110r.

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auch jener von St. Petri. Mit dem herzoglichen (noch studierenden) Pfarrer zu St. Ulrici, Johannes Kötterlin, wurde 1544 ein gesonderter Vertrag abgeschlossen, in welchem er sämtliche Rechte an der Kirche St. Ulrici dem Rat abtrat.1524 Auch dieser Vertrag kam nur auf Drängen Landgraf Philipps zustande, da sich Kötterlin bei seinem Landesherrn (er studierte in Marburg) diesbezüglich beschwert hatte. Kötterlin erhielt als Ausgleich für die nächsten vier Jahre vom Rat eine Rente zu je 20 Gulden. St. Ulrici wurde daraufhin noch 1544, angeblich wegen Baufälligkeit, abgerissen. Das Jus Patronatus wurde durch die Herzöge offiziell erst 1569 im Huldigungsvertrag wiedererlangt – nun über die Brüdernkirche, wohin die Parochie von St. Ulrici transferiert worden war.1525 Nach der 1547 erfolgten Restititution Heinrichs d.J. nahmen die Kastenherren zunächst weiterhin die Zinse und Renten der im Land gelegenen Stadtpfarreien auf. Der Herzog hatte offensichtlich zu diesem Zeitpunkt größere Sorgen als seine fünf städtischen Pfarreien. Jedenfalls herrschte in diesem Punkte nun wieder Rechtsunsicherheit. Die 1542 abgesetzten Pfarrherren mussten sich selbst darum bemühen, ihre Güter wieder in Besitz zu nehmen. So begann der Pfarrherr zu St. Andreas 1549 damit, de renthe vnnd tynse jm lande, so duth jar gefallen, ohne weitere Fragen selbst einzuziehen, wodurch schließlich für die Kastenherren de reykenschop so thom achteren gekommen war, dass sie sich vor dem Rat verantworten mussten.1526 Auf Dauer konnte dieser Zustand für beide Parteien nicht zufriedenstellend sein. Da der Herzog aber weiterhin keine Anstalten machte, sich der Pfarrgüterfrage anzunehmen, wurde diese zunächst in einzelnen Verträgen mit den Pfarrherren persönlich geregelt. Letztere wurden darin für die Jahre zwischen 1542–47 von den Kastenherren teils entschädigt.1527 Mit dem Herzog selbst verhandelte man hingegen erst im Zuge des Friedensvertrages von 1553. Demnach sollten die herzoglichen Pfarrer die eine Hälfte ihrer Pfarreinkünfte selbst aufnehmen, den anderen halben theill jhres jharlichen einkomens dero von Braunschweigk kirchen dienern folgen laßen.1528 Nachdem man sich am Freitag nach Himmelfahrt 1554 in Wolfenbüttel über die Bestimmungen dieses Artikels weiter beraten hatte,1529 wurden die genauen Konditionen bis 1555 mit den jeweiligen Pfarrern nochmals in Einzelverträgen ausgehandelt. Als Beispiel mag hier der Vertrag des Pfarrers zu St. Matrini (und St. Magnus), Tile Blancke 1524 1525 1526 1527

Vgl. StadtA BS, A III 2 Nr. 79. Vgl. Art. 18 des Huldigungsvertrages von 1569. StadtA BS, B I 14 Nr. 2, Bl. 124r. Der Pfarrer Friedrich Wedemeier zu St. Katharinen erhielt z. B. in einem Vertrag mit dem Rat 1548 pauschal 150 Fl. als Entschädigung. Vgl. StadtA BS, G II 4 Nr. 1, Bl. 165v. Auch der Pfarrer zu St. Petri beschwerte sich 1548 beim Stift St. Blasius (wo er neben St. Cyriacus ein Kanonikat besaß) über die vom Rat vorenthaltenen hinterstellingen sechs jerige zinse. LKA WF, OA Braunschweig St. Petri 19 [o.P. Schreiben vom 23. 6. 1548]. 1528 Vgl. StadtA BS, A I 1 Nr. 1524. Hier zitiert nach: StadtA BS, H III 4 Nr. 66, Bl. 8v. 1529 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 25.

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dienen. Dieser schloss am 1. 9. 1555 einen Vertrag mit den Kastenherren zu St. Martini, nach welchem er die Güter im Fürstentum aufnehmen sollte, die Kastenherren hingegen jene im städtischen Gebiet (inkl. Pfandgerichte).1530 Als Pfarrherr hatte Blancke weiterhin das Recht, die Meier der Pfarrgüter ein- und abzusetzen, das Pfarrhaus trat er jedoch an den Schatzkasten ab. Hierfür erhielt er eine jährliche Rente von sechs Gulden. Für die von der Stadt eingezogenen Memoriengelder und Oblationen erhielt Blancke hingegen keinen Ausgleich, da diese vom Rat als nicht zur Pfarre gehörig angesehen wurden – sie seien von den Bürgern gestiftet und stünden folglich der Stadt zu. Die Einkünfte aus der Lüneburger Sülze wurden anschließend laut Rechnung offensichtlich vom Kasten aufgenommen, ebenso die Kornzinsen zu Hedeper, Remelingen und Bortfeld – jene aus Kochingen und Salzdahlum nahm der Pfarrherr auf.1531 Jährlich wurde die Summe dann hälftig ausgeglichen. Einen ähnlichen Vertrag schloss Blancke auch für seine zweite Pfarre St. Magnus ab, gleiches gilt für die übrigen drei Pfarrer.1532 Bis 1569 sollte sich der Umgang mit den fünf Pfarren erst einmal nicht mehr ändern, obgleich weiterhin kleinere Konflikte auftraten.1533 Was für eine Rolle spielten nun aber die herzoglichen Pfarrherren nach 1528 noch? Hinsichtlich der Gemeindebedtreuung hatten die herzoglichen Pfarrer ihre Bedeutung freilich verloren. So wurde dem 1557 zu St. Martini belehnten Veit Krummen etwa auferlegt, dass ehr sich der mensche[n] der pharre nycht an nhemen oder [in] jenyerley wysse [denjenigen,] den eynn e radt von kyrchgenn dyners dar auff setzenn wyrth oder gesestzt hat, molestiren oder turbiren dürfe.1534 Auch musste er sich verpflichten, dass er die Gemeinde in der waren christlichen relygion nycht tu[r]biren solle.1535 Trotz alledem handelte es sich bei den Pfarrlehen aber auch nach 1528 nicht nur um eine einfache säkulare Pfründe, wie man vielleicht hätte annehmen können. So wurde z. B. der 1533 zum Pfarrer von St. Ulrici nominierte Johannes Kötterlin durch den Herzog ordnungsgemäß an den Archidiakon der Hildesheimer Diözese präsentiert1536 und anschließend vom Braunschweiger Offizial 1530 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 23, Bl. 1r–2r. Auch StadtA BS, G II 1 Nr. 31, Bl. 281r–281v. 1531 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 31, Bl. 221r–221v. Die Berechnung des Einkommens sämtlicher Pfarreien um 1600, die Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 529 vornimmt, ist meinerseits nicht nachvollziehbar: Die Schatzkästen entsprechen bekanntermaßen nicht den Pfarren, sondern einem Konglomerat aus Fabrik, Pfarrgütern und eingezogenen Kirchenlehen. Vollständige Angaben zu den Pfarreinnahmen liegen allerdings (bis auf wenige Ausnahmen) nicht vor. Zu einer solchen Ausnahme (von 1568) vgl. LKA WF, Voges 299, pag. 71–73. 1532 Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 463, Bl. 3r. 1533 Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 7, Bl. 1r–7r. Vertrag zwischen Pfarrer J. Blancke und den Kastenherren zu St. Magnus (1562). Es ging um Retardate und Blancke wollte fortan im Pfarrhaus residieren, was abgelehnt wurde. 1534 StadtA BS, G II 1 Nr. 31, Bl. 286v. 1535 Ebd. 1536 Vgl. StadtA BS, A III 2 Nr. 74.

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und Notar (Johannes Kerckener) vor Ort investiert.1537 Pfründe und Kirche blieben also auch nach 1528 noch miteinander verbunden, obgleich die (katholischen) Pfarrer nicht mehr aktiv in der Kirche tätig werden konnten. Dass sich dies über Jahrzehnte hinweg nicht änderte, zeigt die Investitur des Pfarrers Johann Mente.1538 Dieser wurde 1566 als neuer katholischer Pfarrer zu St. Andreas eingeführt. Hierzu gab der päpstliche Notar Quirius Taubeus an, er sei am mittage zu Braunschweig in Sanct Andreas kirchen forn an der thür negist dem chor […] erschienen vnd [habe M.V.] denselben zeugen […] auch volgents darauf alßbaldt mit anrürung oder angereiffung der kirchen oder thürrings, dieweil man zum rechten pfarr oder haupt altar nit hat kommen können […], die würkliche possession derselben pfarr vnd aller dartzugehöriger vfkünffte bestätigt.1539 Mit den »Zeugen« ist vor allem der Stellvertreter Mentes gemeint, denn der Jugendliche konnte aufgrund seiner Studien nicht in eigener Person erscheinen und ließ sich bei der Investitur vertreten. Nichtsdestominder verdeutlicht dieses Beispiel, dass Pfarrpfründe und Kirche – soweit es eben ging – miteinander verknüpft blieben, auch wenn man für die Investiturprozedur nicht in die Kirche vorgelassen wurde. Die Pfarre, welche mit sechs Hufen Landes dotiert war1540 blieb bis zum 21. 2. 1571 im Besitz Mentes, erst dann gab dieser die Investitururkunde gegen Empfang eines anderen Lehens wieder zurück.1541 Rat und Kastenherren mussten solcherlei Investituren zwar erdulden, doch war man alles andere als erfreut: Ob jhr [= Herzog Heinrich M.V.] aber für vnsern hern godt zuvorandtworten wisset, vnd ewer vnd ewers jungen sohnes gewissen damid eretten konnet, das jhr vns solchen vnmündigen knaben jn das hohe schwere ambt fürstellet, das ehr doch für seine person nicht vorwalten […] kann, das wollen wir euch als dem vorstendigen selbst freundlich zubedenken hingestalt haben.1542 Auch bei den anderen herzoglichen Pfarrern fiel das Urteil durch Rat und Kastenherren zumeist eher negativ aus, wie etwa im Falle des Pfarrers zu St. Martini, Johann Blancke (1558–1569 im Amt): Blancke was eyn junger geselle, de woll etwan gestudert hadde, aber dar beneven eyn roklos wildt levent forde, ok fast alles vorterde wat om sen vedder her Tele Blancke nagelaten hadde.1543 Die unerquickliche Trennung von Pfarrbelehnung und Predigern zog sich noch bis zum Tod des alten Herzogs Heinrich d.J. hin. Erst mit der Machtüber1537 Vgl. StadtA BS, A III 2 Nr. 76. 1538 Johann Mente war Sohn des bekannten Braunschweiger Zeugmeisters Cort Mente. Zu Cort Mente vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 322. Dieser war seit 1528 als Braunschweiger vermutlich lutherisch. Ob er (und sein Sohn) nach der Verbannung aus der Stadt auch 1566 noch lutherisch oder evtl. nun katholisch waren, ist unbekannt. 1539 LKA WF, OA Braunschweig St. Andreas 28. 1540 Vgl. LKA WF, Voges 299, pag. 71. 1541 Vgl. LKA WF, OA Braunschweig St. Andreas 28. 1542 StadtA BS, G II 1 Nr. 9, Bl. 12r. 1543 StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 151r.

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nahme seines protestantischen Sohnes Julius sollte sich die Lage 1568/69 vorerst ändern.

2.3.2 Die fürstlichen Stadtpfarreien 1569–1599 Am 1. 8. 1568 ließ der neue Herzog Julius offiziell per Edikt die päpstliche Messe verbieten und führte damit die Reformation im Fürstentum BraunschweigWolfenbüttel ein.1544 Wie bei den meisten nordwestdeutschen Landstädten war nun »zu klären, in wessen Verfügungsgewalt die neuentstandene Stadtkirche mit den anhängenden Rechten übergehen sollte: wurde sie eine weitere Ergänzung des autonomen städtischen Systems […] oder wurde sie ein Glied innerhalb der zentralistischen Bürokratie und damit zu einem weiteren Element landesherrlicher Präsenz«?1545 Während die Kirchenhoheit des Braunschweiger Rates vorerst unstrittig blieb, legte der 1569 abgeschlossene Huldigungsvertrag in §6 den weiteren Umgang mit den fünf herzoglichen Pfarren im Sinne des Landesherrn neu fest. Das Jus Patronatus blieb beim Landesfürsten, für die zerstörte Kirche St. Ulrici erhielt der Herzog das Patronatsrecht über die Brüdernkirche. Die Stadt sollte weiterhin ihre Prediger nach gewohnter Art wählen dürfen. Ein Prediger aus den fünf Pfarrkirchen musste von der Stadt aber jeweils dem herzoglichen Konsistorium mit einem Zeugnis des Kolloquiums zu examiniren zugeschickt werden.1546 Hatte man diesen im Examen für tüchtig und glaubenskonform befunden, so wurde er vom Herzog mit der Pfarre belehnt, nachdem er die herzogliche Kirchenordnung und das Corpus Doctrinae unterschrieben hatte. Die bisherigen Pfarrer, die doch das pfarr ampt selbsth nicht verrichtet noch vorwaltett haben, sollten ausnahmslos entsetzt werden.1547 Der von ihnen seit 1553 aufgenommene halbe theill von solchen belehntten sollte der Pfarre zugute kommen, die damit als Lehen wieder vervollständigt wurde. Weiterhin ließ man allerdings festschreiben, dass die Pfarrlehen nicht vom Pfarrer aufgenommen werden sollten: Darmith auch auß vngleicheit der besoldung kein zweispalt oder vnwille zwischen den kirchendienern erwachsen müge, sollten die Kastenherren die Pfarrgüter auf1544 Das Edikt ist als Faksimile abgedruckt bei: Meibom, Heinrich: Chronicon Marienthalense. Heinrich Meiboms Chronik des Klosters Marienthal 1138–1629, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Gottfried Zimmermann, Braunschweig 1988, S. 80. 1545 Schilling, Elite, hier S. 241. In höherem Maße als in Braunschweig wurden z. B. die Kirchen Rostocks nach den Huldigungsverträgen von 1573 und 1584 in das landesherrliche Kirchenwesen eingegliedert. Vgl. Schoß, Ministerium, S. 159. 1546 Vgl. StadtA BS, H III 4 Nr. 66, Bl. 47r. 1547 Ebd., Bl. 47v. Für St. Andreas ist die Entlassung des Pfarrers Mente von seinem Pfarrlehen belegt: LKA WF, OA Braunschweig St. Andreas 28.

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nehmen und jedem der Prediger seine volckomene besoldung entrichten.1548 Das Korpus der Pfarrlehen durfte von der Stadt nicht verändert, zerteilt oder verringert werden – hierüber sollten in den 1570er Jahren noch kleinere Streitigkeiten entstehen.1549 Am 6./7. 7. 1570 wurden schließlich die fünf ältesten Prädikanten der entsprechenden Kirchen vom Herzog als künftige Pfarrer belehnt.1550 Da sich die Kirchenzeremonien im Fürstentum von jenen in Braunschweig unterschieden, gewährte Herzog Julius den städtischen Pfarrern auf Chemnitz’ Bitte hin die Beibehaltung der stadtbraunschweigischen Kirchenliturgie.1551 Einen anschließenden (gesonderten) Pfarrbelehnungsvertrag mit dem Herzog (1572) hat es entgegen der Behauptung bei Sehling allerdings nie gegeben!1552 Damit entstand seit 1570 die neue und ungewöhnliche Situation, dass es an den fünf herzoglichen Kirchen jeweils einen Pfarrer und einen »Prädikanten« gab, die sich jedoch rechtlich (stadtintern) fast völlig auf einer Stufe befanden. So hatte der Pfarrer z. B. nachweislich trotz der Belehnung keine besondere Mitsprache bei der Wahl »seines« Prädikanten-Kollegen, auch stand ihm keine sonderliche Disziplinargewalt gegenüber diesem zu. Die übliche Unterteilung von Pfarrer und Kaplan/Diakon, wie sie z. B. im nachreformatorischen Goslar, Hamburg, Würtemberg oder Lübeck die Regel war,1553 existierte in Braunschweig nicht mehr – beide standen (nahezu) auf einer Stufe; im Kolloquium konnte sich das Verhältnis von Pfarrer und Prediger gar umkehren. Hierüber kam es im frühen 17. Jahrhundert zu einem langen und sehr heftigen Konflikt an St. Katharinen.1554 Daraus wird deutlich, dass es den sonst üblichen Titel des »Kaplans«, 1548 StadtA BS, H III 4 Nr. 66, Bl. 48r. 1549 Vgl. NLA WF, 1 Alt 29 Nr. 199, Bl. 3r–14: Die Kastenherren wollten einen Pfarrwald für 200 Taler verkaufen, was das Herzogshaus ablehnte. 1550 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 4, pag. 950, auch: NLA WF, 1 Alt 29 Nr. 199, Bl. 3r. 1551 Vgl. StadtA BS, G I 2 Nr. 50, Bl. 6v. 1552 Die Angabe bei Sehling, der Herzog habe sich »in einem Vertrage die Abmachungen des Friedensvertrages von 1569 von der Stadt bestätigen« lassen, ist eine Fehlinterpretation (Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 341). Bei dem dort zitierten Dokument (StadtA BS, B III 15 Nr. 4) handelt es sich keineswegs um einen Vertrag, sondern lediglich um die persönliche Belehnungsschrift des Herzogs für den Pfarrer Zanger zu St. Martini! Die aus dem 19. Jh. stammende Beschriftung der Aktenmappe mit »Vertrag« ist demgemäß irreführend. 1553 Vgl. zu Goslar: Graf, Pfründe, S. 34. Zu Würtemberg: Arend, Sabine: Pfarreranstellung im 15. und 16. Jahrhundert. Württemberg und andere Territorien im Vergleich, in: Arend, Sabine; Dörner, Gerald (Hrsgg.): Ordnungen für die Kirche – Wirkungen auf die Welt. Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Tübingen 2015 (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 84), S. 29–51, hier S. 34. Für Hamburg/Lübeck siehe in den jeweiligen KOO. Diese Unterteilung bestand auch in den meisten anderen Städten. Vgl. Frantz, Kirchenverfassung, S. 35. 1554 Es ging um die Position im Kolloquium. Pfarrer Gilberti sah sich seit 1611 erniedrigt, da der Kollege Eberhardus im Kolloquium seinen Sitzplatz vor Gilberti hatte. Er sei aber doch Pfarrer und der Ältere, ihm gebühre daher auch der vordere Platz. Das Ministerium entschied, Eberhardus sei eher dem colloquio sistiret worden, weshalb ihm der Sitzplatz wei-

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der ja einen Rangunterschied zum Pfarrer aufwies, in Braunschweig auch im 16. Jahrhundert nicht gegeben haben hat: Gilberti, Pfarrer an St. Katharinen, wurde 1616 z. B. vor dem städtischen Konsistorium beschuldigt, er habe [seinen M.V.] collegen vor einen diaconus jtem capellan gescholten da doch die odiosa nomina alhie abgethan.1555 Auch 1590 bezeichneten sich die beiden Prädikanten zu St. Andreas im Kirchenbuch nebeneinander schlicht als Pastor und Prediger.1556 Der Titel »Kaplan« existierte demnach tatsächlich nicht. So muss denn auch Mohrmanns Behauptung zurückgewiesen werden, wenn sie für die Zeit nach 1528 davon ausgeht, dass für die städtischen Pfarrer »die soziale Distanz zu den Führungsschichten der Stadt wohl weniger scharf gewesen sein [dürfte M.V.] als für die einfachen ›Heuerpfaffen‹ und Prediger.«1557 In den 1570er Jahren funktionierte das obige System vorerst relativ reibungslos. Die neuen Pfarrer wurden ordnungsgemäß durch den Rat an das fürstliche Konsistorium präsentiert und sodann vom Herzog belehnt.1558 Schon 1578 begann indessen ein Konflikt um die Auslegung des Wortes »Examen« im Huldigungsvertrag. Der Herzog sah hierin eine Probepredigt inbegriffen und forderte diese erstmals 1578 bei der Belehnung Johann Lossius’. Vom Herzog überrumpelt hielt Lossius die neue Predigt auch tatsächlich – der Rat protestierte dagegen und wies das Ansinnen des Herzogs für künftige Belehnungen scharf zurück.1559 In den 1580ern gingen noch mehrere Belehnungsgesuche des Rates an den Herzog aus, doch ist deren Annahme nicht nachweisbar.1560 1589 brach der Konflikt mit Herzog Julius dann jedoch endgültig aus. Letzterer hatte den Herzog im November 1588 gebeten, den neuen Pfarrer von St. Ulrich zu belehnen,

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terhin zustehe. Nur bei Pfarrsachen im Hagen gehörete M. Jacobo billich die oberste stelle als pastori, so müste M. Eberhardy weichen. Gilberti antwortete, es gebüret ihm vor seinem collegen die oberste stelle, den solches vermöchte die vocation wenn einer ihme dieselbe wolle brechen so müsse er weichen etc. aber er bekam die andword, es were ia der rede nicht werd, er ginge ia vnd sesse als pastor in seiner pfar, aber an das sitzen im colloquio ginge nicht auff die vocation sondern auff die praesentation. Im Zuge des Streits wurde Gilberti aus dem Kolloquium ausgeschlossen. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 55r–60v. StadtA BS, B I 5 Nr. 20, Bl. 84r. Auch dazu: StadtA BS, B IV 11 Nr. 232, Bl. 20r–22r u. 30r. StadtA BS, E 20 Nr. 1, pag. 1 [Titelblatt]. Dabei hatte der sich als »Pastor« bezeichnende Friedrich Petri das herzogliche Examen und die Probepredigt aufgrund des Streites zwischen Stadt und Herzog gar nicht absolviert und war unbelehnt (s. u.). Die Stadt behielt den Titel des »Pastors«/»Pfarrers« aber auch nach den Streitigkeiten ab 1589 bei, obgleich die Prediger strenggenommen bis weit ins 17. Jh. nicht mehr vom Herzog belehnt wurden. Mohrmann, Alltagswelt, S. 246. Vgl. z. B. StadtA BS, B I 5 Nr. 20, Bl. 84r (1570), StadtA BS, B IV 11 Nr. 16, Bl. 22r–26r (1572), StadtA BS, H V Nr. 126, pag. 43 (1573). Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 3r–7v. Vgl. z. B. die Gesuche des Rates: StadtA BS B I 3 Nr. 5, pag. 52–53 und NLA WF 1 Alt 29 Nr. 199, Bl. 24r (St. Ulriki, 1581); LKA WF Braunschweig Allgemein 17 (St. Magni, 1584, zwei Schreiben).

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woraufhin der Herzog natürlich auch die anderen unbelehnten Pfarrer zu examinieren und zu belehnen wünschte.1561 Nach weiteren Verhandlungen schickte der Rat am 3. 2. 1589 drei seiner Prediger zum Generalkonsistorium,1562 doch kam man in dieser Sitzung noch nicht einmal bis zur umstrittenen Probepredigt: Die strittigen Punkte betrafen hier (neben kleineren Zeugnisstreitigkeiten) vornehmlich die von den Stadtbraunschweigern angenommene Apologie der Konkordienformel1563 – damit zusammenhängend wurde der Streit um die Generalubiquität entfacht. Dieses in der Apologie der Konkordienformel gefestigte Dogma, vertrat – vereinfacht gesagt – die Ansicht, dass Christus in beiden Naturen überall und immer wesenhaft präsent sei. Die herzoglichen Räte waren anderer Meinung. Auch sei die Apologie in gemein nicht approbirt und man handle gegen den 69-jährigen Vertrag, wenn man einfach neue Lehrschriften einführe.1564 Denn weil kundlich zuerweisen ist, das die apologia ander frembde vnleidenliche formen zureden brauchet als die formula, vnd die general vbiquitet des leibes Christi assemire, sei man herzoglicherseits nicht bedacht, in diese einzuwilligen.1565 Die Braunschweiger Prediger hielten sie hingegen für nützlich, da sie die Ubiquitätslehre der Konkordienformel (FC) genauer definiere. Auch erklärten sie, in der FC stünde bereits klar auf Seite 245 und 307, dass Christus in beiden Naturen gegenwärtig wäre, was die Konsistorialräte1566 jedoch strikt zurückwiesen. Zusammengefasst wurden die verschiedenen Meinungen zur Ubiquität Christi durch die Konsistorialräte schließlich wie folgt: Es ist auch kein streit darüber sondern gewiß, das Christus die regierung nach beiden naturen verrichte, Sintemahl dem herrn Christo nach seiner menschait gegeben jst alle gewalt im himel vnd vff erden, jtem, das er durch solche regierung vberall geweltig sei vnd vermüge seiner allmacht mit seinem leibe sey vnd sein konne wo er wolle, auch vff einmahl an vielen orten. Dieß glauben vnd bekennen gemelte theologi bestendiglich. Das aber der herr Christus vber seine allmechtige vnd vberal gegenwertige regierung sonst noch mit seiner menschlichen natur allen creaturen auch außer der kirchen vnd heiligen abentmal gewiß gegenwertig sei, das konnen die fürstlichen theologi nicht annemen.1567 1561 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 11r. 1562 Die genauen Rechenschaftsberichte der Prediger finden sich unter StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 18r–22v. 1563 Zu den diesbzeüglichen Konflikten vgl. Mager, Konkordienformel, S. 403–475. Die Konkordienformel war von Chemnitz, Selnecker und Kirchner in Braunschweig vollendet worden – es verwundert daher, dass Julius über die Geltung dieser Apologie in Braunschweig noch 1589 augenscheinlich erstaunt war. Vgl. Mager, Konkordienformel, S. 410. 1564 LKA WF, OA Braunschweig allg. 36 [o.P.], Bl. 1r [eig. Pag.]. 1565 Ebd. 1566 Anwesende Konsistorialräte waren: Daniel Hoffmann, Basilius Sattler, Johannes Sötefleisch u. J. Coreander. Daneben waren Herzog Julius, Kanzler Jagemann und Bischof Philipp Sigismund von Verden anwesend. 1567 LKA WF, OA Braunschweig allg. 36 [o.P.], Bl. 4r [eig. Pag.].

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Herzog Julius, der in eigener Person am Generalkonsistorium teilnahm, verweigerte den Predigern daraufhin die Belehnung – seiner persönlichen Meinung nach war bzgl. Christus keine gegenwart mehr zu gelassen, als im h. abendmal und der kirchen.1568 Nach ihrem Scheitern wurden die Verhandlungen zur Belehnung zunächst auf den 24. 3. 1589, dann auf den 12. 4. 1589 vertagt. Trotzdem kam eine erneute herzogliche Vorladung der nunmehr vier Prediger erst am 18. 2. 1592 zustande. Das Examen wurde ihnen erlassen, da sie bereits 1589 eines gehalten hatten, auch erreichte man schließlich die erfolgreiche Beilegung der Differenzen in der Ubiquitätslehre.1569 Damit trat nun jedoch das alte Problem der Probepredigt wieder auf die Tagesordnung. Die Konsistorialräte forderten sie als noch ausstehenden Teil des Examens, (Jllustrissimus wolle ein vollkommen examen haben); die Prediger wichen dem Ansinnen aus, mit der Begründung, es sei ihnen von ihren obern vnd herrn verbotten sich mitt probepredigten belegen zu laßen.1570 Man habe wol vernommen, daß [sich] herr Lossius dazu bereden laßen, daß ehr alhie ein probpredigt gethan, aber alß der rath zu Braunß: es verehret, so hette ehr nicht großen dank verdienet.1571 Da die Prediger ohne Erlaubnis des Rates in keine Probepredigt einwilligen wollten, ging auch diese Sitzung ergebnislos aus, mit der herzoglichen Bitte, die Prediger sollten beim Rat um Erlaubnis für eine Probepredigt anhalten. Bereits am 30. 3. 1592 schrieben die Prediger dem Herzog jedoch, dass der Rat ihnen die Probepredigt strengstens untersagt habe und sie daher nicht erneut beim Konsistorium erscheinen könnten.1572 Zudem ließ die Stadt durch ihren ehemaligen Syndikus Dr. Johann Dauth ein Gutachten (14. 4. 1592) erstellen, das eindeutig der städtischen Meinung beipflichtete, da ein »Examen«, wie es in der Vokationsordnung von 1571 festgelegt sei, nicht zwingend eine Probepredigt beinhalte.1573 Die Verhandlungen gerieten nun ins Stocken. Am 3. 9. 1593 forderte Generalsuperintendent Sattler den Rat ultimativ auf, seine Prediger zur Probepredigt zu schicken und fügte gleich die entsprechenden Termine bei, der Rat lehnte jedoch erneut ab.1574 Nachdem im Oktober auch die Belehnung des neuen Predigers Rudolphi gescheitert war, bekümmerte der Herzog endlich die in seinem Herzogtum gelegenen Pfarrgüter der Braunschweiger Kirchen.1575 Den Titel 1568 1569 1570 1571 1572 1573

StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 21v. Vgl. LKA WF, Voges 0242, pag. 86 u. 119f. LKA WF, Voges 0242, pag. 113. Ebd., pag. 116. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 62r. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 63, Bl. 6r. 1593 wiederholte Dauth diese Meinung (StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 98r). 1574 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2., Bl. 72r und 83r. 1575 Vgl. ebd., Bl. 134r. Das genaue Datum war nicht zu ermitteln. Dauth spricht um 1599 in seinem zweiten Gutachten davon, dass er erst im Vorjahr vernommen habe, dass den kirchen jhre auffkünfften dieser irrungen halb eingezogen werden. Vgl. ebd., Bl. 133r. In den

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des Pfarrers behielt man in Braunschweig jedoch bei, trotz der mangelnden herzoglichen Belehnung. Dass sich die Streitigkeiten auch in den folgenden Jahrzehnten nicht lösen ließen, zeigt ein kurzer Ausblick ins frühe 17. Jahrhundert. Nachdem die Pfarreigüter vom Herzog seit 1598/99 überwiegend eingezogen worden waren, änderte sich an der Situation vorerst nichts mehr: Ab 1600 begannen feindliche Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und ihrem Herzog, die 1605 und 1615 in zwei langwierigen Belagerungen mündeten.1576 Erst nach dem Krieg konnte daher wieder mit Verhandlungen bzgl. der Pfarrgüter begonnen werden. Der Steterburger Friede von 1615 sah in §3 vor, dass der Herzog insgemein der Stadt, der Kirchen, Klöster, Schulen, Hospitals vnd der Bürger zu Braunschweig samt vnd sonders, wohin vnd weme auch solche gutter gehörig, wieder völlig einraumen solle.1577 Die Pfarrgüter zählten zwar theoretisch zu dieser Vermögensgruppe, hatten aber faktisch doch einen anderen Rechtsstatus, da auch Herzog Friedrich Ulrich als Patron gemäß 69-jährigem Vertrag nach wie vor auf ein Examen inklusive Probepredigt bestand. Dies machte er dem Rat, der bereits im Oktober 1616 um einen Examenstermin gebeten hatte, im folgenden Jahr deutlich. Er betonte darüber hinaus, dass die Pfarrgüter bereits vor der rebellion eingezogen gewesen und somit nicht unter den Steterburger Vertrag zu fassen seien.1578 Die Rechtslage hatte sich insgesamt auch auf Reichsebene deutlich zuungunsten des Rates entwickelt: Selbst der erneut hinzugezogene Jurist und ehemalige Stadtsyndikus Johann Dauth betonte nun (1618), daß probepredigten pars quaedam examinis seien und man die Forderung des Herzogs somit lieber akzeptieren solle.1579 Am 11., 12. und 13. 2. 1620 wurden schließlich drei Prediger (St. Martini, St. Katharinen, St. Ulrici) vor dem Konsistorium in Wolfenbüttel examiniert, nachdem der Rat endlich, am 5. 2. 1620, mit großem Bedenken einer Predigt zugestimmt hatte. Ob es sich dabei um eine Ehren- oder Probepredigt gehandelt hatte, darüber ließ sich in der Folgezeit vielfach diskutieren.1580 Durchführung und Verlauf der Examina wurden von allen drei Kandidaten aufs Genaueste verzeichnet und dem Rat schriftlich übergeben – demnach soll der sonst

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Rechnungen lässt sich dies erst seit 1600 eindeutig nachweisen: Noch zugekaufft, vndt mitt gelde bezalt, weill der kirchen zinse vom landesfürsten der kirchen sein furenthalten worden. Vgl. StadtA BS, F I Nr. 48, Bl. 11v. Vgl. dazu im Überblick u. a.: Steinführer, Herzogtum sowie Lietzmann, Herzog Heinrich Julius, S. 33–42. Zitiert nach: Bünting/Rehtmeyer, Chronica, S. 1243. Vgl. zum Ratsschreiben StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 146v, zum herzoglichen Schreiben von 1617: ebd., Bl. 150r. Ebd., Bl. 159r. Vgl. ebd., Bl. 222r–223r.

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durchaus kritische Basilius Sattler1581 mit den Geistlichen äußerst zufrieden gewesen sein. Der Herzog verlangte aber nun einerseits auch das Examen der anderen beiden Hauptprediger zu St. Magnus und St. Andreas, andererseits sollten die fünf Pfarrherren, wie auch die übrigen fünf Prediger dieser Pfarrkirchen, das herzogliche Corpus Doctrinae unterzeichnen. Diese Prozedur scheiterte in den Folgejahren mehrfach (1620 u. 1621), sodass 1623 vom herzoglichen Konsistorium ein letzter Anlauf unternommen wurde. Der Rat dankte und bat, diesem werck numehr mit ausantworttung der lehnbriefe in alter gewönlicher form […] gonstiglich abzuhelfen.1582 Zudem gab er seinen fünf Pfarrern entsprechende Verhaltensinstruktionen mit auf den Weg nach Wolfenbüttel.1583 Die Belehnung scheint sodann am 30. 1. 1623 tatsächlich durchgeführt worden zu sein: Aus den folgenden Jahren sind für 1626 und 1633 erneute Belehnungen überliefert.1584 Von den 1590er Jahren bis in die 1620er Jahre blieben die ländlichen Pfarrgüter der fünf herzoglichen Stadtkirchen damit in der Verfügungsgewalt der Herzöge und kamen erst 1623 wieder in städtische Hand. 1671 gelangten die Patronatsrechte über die fünf Pfarreien dann offiziell an den Rat, was aber freilich mit Kontrollrechten seitens des herzoglichen Konsistoriums verbunden blieb.1585 Ab 1744/45 wurde das Nominationsrecht der fünf Hauptpfarren schließlich durch ein neues 25-köpfiges Gremium von Kirchenvertretern ausgeübt, während die Bestätigung des Kandidaten durch den Rat erfolgte.1586

2.3.3 Der Sonderfall St. Petri Die Pfarre St. Petri stellt einen Sonderfall in der nachreformatorischen Entwicklung der Braunschweiger Pfarrkirchen dar: Ihr Patron war weder Stadt noch Landesfürst, sondern schon seit dem Mittelalter das Kapitel St. Cyriacus.1587 Vor der Reformation hatte das Kapitel bei sancte Petter einen prediger, ein kappelan

1581 Sattler war u. a. oberster Generalsuperintendent im Fürstentum. Zu den Verhören: ebd., Bl. 187r ff. 1582 Schreiben vom 29. 1. 1623. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 229r. 1583 Vgl. ebd., Bl. 251r. 1584 Vgl. Schreiben vom 20. 11. 1626 und vom 2. 10. 1633. Ebd., Bl. 254r u. 256r. 1585 Vgl. Benturini, Carl: Chronik des neunzehnten Jahrhunderts, 19. Band, Altona 1825, S. 315 sowie StadtA BS, G II 4 Nr. 11, Bl. 4r (1682): In diesem Schreiben bedankt sich der Rat beim Herzog, dass dieser uns ohnlängst das jus patronatus bey vorgedachter dero kirchen zu St. Catharinen gnädigst verliehen habe. 1586 Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 67. 1587 Vgl. StadtA BS, B I 14 Nr. 4, Bl. 105v (1470) oder auch die Stiftsstatuten von 1483. Vgl. Schillinger, Statuten, S. 98.

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[und] ein[en] schüller angestellt.1588 Der Pfarrer war stets Mitglied des Kapitels. Von 1507 bis 1521 war dies Johann Lamberti, von 1521–1565 der spätere Dekan zu St. Blasius Heinrich Stappensen. Der seit 1527 amtierende Predigerkaplan Henning Pape war bereits bei seinem Amtsantritt lutherisch1589 und blieb bis 1540 bei St. Petri im Amt, während der katholische Pfarrer (Stappensen) faktisch keine Pfarrdienste mehr ausübte. In dieser Zeit hatte das Kapitel weit größere Sorgen als seine Pfarre, sodass sich für die ersten nachreformatorischen Jahre noch keinerlei Streitigkeiten zwischen dem lutherischen Prediger und dem katholischen Pfarrer nachweisen lassen. Diese begannen vermehrt in den 1540er Jahren, als die Stadt nach der Flucht des Herzogs nicht nur die fürstlichen Pfarrgüter, sondern auch jene von St. Petri einzog und den Pfarrer Stappensen von seinen Gütern enthob. Gleich nach der Restituierung des Herzogs beschwerte sich Stappensen 1548 prompt bei seinem Kapitel St. Blasius (interessanterweise nicht bei St. Cyriacus). Er sei seiner pfar Petri binnen der stadt Braunschweig, one alle vorwirgkung vnd gegebene vrsache entsetzt vnd spoliert worden […] sechs gantze jar.1590 Im Falle einer Weigerung der Stadt zur Erstattung der rückständigen Zinse drohte Stappensen mit einem Prozess. Die Antwort des Rates hat sich leider nicht erhalten, doch konnte der katholische Pfarrer seine Güter in der Folgezeit wieder aufnehmen, bis er 1565 verstarb. Freilich blieben die von der Stadt laut KO erwählten Prediger in dieser Zeit nach wie vor im Amt: Stappensen durfte keine Pfarrdienste in der Stadt ausüben. Nachdem nun zunächst Streitigkeiten zwischen Herzog und Kapitel bezüglich der Wiederbesetzung der Pfarre vorgefallen waren,1591 wurde schließlich der bereits seit 1553 amtierende (lutherische) Prediger Johann Zanger im Juni 1566 zum Pfarrer von St. Petri ernannt und vom (nun ebenfalls lutherischen) Kapitel investiert. Damit war der Pfarrer zu St. Petri erstmals seit der Reformation zugleich auch selbst aktiv in der Kirche tätig. Das Notariatsdokument beschreibt, er sei durch den erw dechant her Johann Haferlandt, auf die knie sizendt, mit aufsezung eines sammeten barreds mit der pfar S. Petri wircklich belhenet worden; anschließend gingen zwei Kanoniker mit Johan vor den hohen altar, legten ihme seine hende darauff, vnd gaben ihme van ihres capittels wegen gewalt vnd macht in derselben kirchen.1592 Die Kastenherren 1588 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 2. 1589 Vgl. ebd., pag. 8. Zuvor war er 1526 kurzzeitig Prediger zu St. Michaelis gewesen. Vgl. Beste, Johannes: Album der evangelischen Geistlichen der Stadt Braunschweig mit kurzen Nachrichten über ihre Kirchen, Braunschweig/Leipzig 1900, S. 44. 1590 LKA WF, OA Braunschweig St. Petri 19 [o.P.]. 1591 Der Herzog hatte im Glauben an das eigene Patronatsrecht Cyriakus Lambert belehnt (NLA WF, 139, Urk Nr. 104), das Kapitel nahm dies nicht hin, vgl. LKA WF, OA Braunschweig St. Petri 19 [o.P., Briefe von 1566]. 1592 StadtA BS, B IV 11 Nr. 35, Bl. 3r. Das Notariatsinstrument ist auch abgedruckt bei Meibom, Bericht II, S. 113–116.

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der Altstadt sollten die Pfarrzinse von nun an laut Belehnung aufnehmen und Johann Zanger direkt übermitteln – damit hätte er neben dem regulären Sold und den Akzidentien auch zugleich die Pfarrpfründe innegehabt. Den Kastenrechnungen lässt sich diesbezüglich aber nichts entnehmen. Ab diesem Zeitpunkt, als mit Johann Zanger die (St. Cyriacus gehörige) Pfarre und das (dem Rat unterstehende) Predigeramt wieder verschmolzen, kam es bei ausnahmslos jeder Wahl eines neuen Predigers in St. Petri zu einem Streit zwischen Kapitel und Rat. Während der Rat gemäß der KO von 1528 und der Vokationsordnung von 1571 die Nominations- und Präsentationsrechte für sich beanspruchte, sah sich das Stift St. Cyriacus aufgrund der vollen Patronatsrechte gleichfalls als rechtmäßige Wahlinstanz an. Man erkannte die KO von Seiten des Kapitels in diesem Punkte nicht an, da sie in Rechte eingreife, die nicht dem Rat sondern seit jeher allein dem Kapitel vorbhalten gewesen seien. Bereits 1571 entstand daher schon ein neuer Streit zwischen dem Kapitel und der Stadt. Zanger war zur Pfarre St. Martini gewechselt, sodass St. Petri vakierte. Während die Stadt gemäß ihrer KO mit Melchior Neophanus einen neuen Prediger berief, warb auch das Kapitel unabhängig hiervon einen eigenen Pfarrer an – den Offenburger Andreas Dechmes. Letzterer wollte das Amt aber nur mit Zustimmung des städtischen Ministeriums annehmen.1593 Dieses verweigerte daraufhin offensichtlich die Annahme des Stiftskandidaten Andreas Dechmes, denn Neophanus wurde – entgegen des ursprünglichen Willens des Kapitels – Prediger zu St. Petri. Darüber hinaus wechselte Zanger zwar die Pfarre, wollte dem Kapitel jedoch die Pfründe zu St. Petri nicht einfach resignieren. Als Grund gab er an, dass er viel jahr vber die divina, jnn der pfahrr S. Petri verrichtet, aber dasselbe beneficium nicht gehabt.1594 Dies bezog sich auf seine Zeit als unbelehnter Prediger zu St. Petri (1553–1565), bevor er 1566 nach dem Tod Stappensens durch das Kapitel auch mit der Pfarre belehnt worden war. Die leicht verwirrende Situation wurde im März 1575 schließlich gütlich im Beisein der Kapitelherren gelöst: Zanger resignierte dem Kapitel sein Lehen zu St. Petri, wofür er sein Leben lang 40 Taler jährlich erhalten sollte.1595 Erst nach 1587, also nach dem Tod Zangers, konnte der neue Prediger Neophanus daher vom Kapitel auch mit den Pfarrgütern belehnt werden, da diese zuvor überwiegend für die obige Ausgleichszahlung Zangers aufgewandt werden mussten.1596 Die 1571 erfolgte Annahme Neophanus’ ohne zureichende Einbeziehung des Kapitels führte

1593 Vgl. LKA WF, OA Braunschweig St. Petri 19 [o.P.]. Briefe von 1571. 1594 StadtA BS, G II 1 Nr. 119, Bl. 486v. 1595 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 119, Bl. 487r; StadtA BS, B IV 11 Nr. 217, Bl. 50r; StadtA BS, B III 15 Nr. 20, Bl. 14r-v. 1596 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 217, Bl. 42r.

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in den 1570er Jahren überdies zu weiteren Zwistigkeiten um die Patronatsrechte zwischen Rat und Kapitel.1597 So war auch in den 1590er Jahren die spannungsreiche Lage um das Patronat der Pfarre St. Petri nicht geklärt, als Neophanus 1597 unverhofft an der Pest starb. Erwartungsgemäß entstand nun ein erneuter Streit um die Patronatsrechte zwischen Rat, Kapitel und Herzog, doch dieses Mal artete er massiv aus und mündete in einem Reichskammergerichtsprozess sowie beiderseitigen tätlichen Übergriffen.1598 Schon bald nach dem Tod Melchior Neophanus’ schlugen die gemeine in der pfarre vnd furhnehmen leute dem Kapitel St. Cyriacus Friedrich Neophanus – den Sohn des Vorgängers – als Pfarrer vor.1599 Das Kapitel trug diesen Vorschlag an den Rat weiter. Mit einem solch eigenmächtigen Vorgehen der Stiftsherren war der Rat allerdings keineswegs einverstanden. In einem Treffen am 1. 10. 1597 teilte er dem Dekan durch seinen Sekretär Valentin Krüger mit, dass ausschließlich Rat und Kastenherren gemäß der KO das jus nominandi vocandi, eligendi et praesentandi erworben hätten, das Kapitel hingegen lediglich noch das Jus confirmandi (also ein nicht genau umrissenes Bestätigungsrecht) besäße.1600 Man habe diese Rechte auch seit 70 Jahren unangefochten ausgeübt. Der Rat habe zwar nur die mercenariis (Kapläne) berufen, doch sei dies nach päpstlichem Recht ein Recht des Pfarrers – folglich seien damit zugleich die Pfarrrechte auf den Rat übergegangen. An dieser Stelle verdeutlichte der Rat auch die Bedeutungslosigkeit der Gemeinde bei der Predigerwahl – die ja zuvor dem Kapitel den Kandidaten selbst vorgeschlagen hatte: Eß wehre aber dieser sachen in der kirchenordnung dieser loblichen stadt richtige maß gegeben [… und es] gepuhret der gemein, viel weiniger dem ministerio mit nichten, fur sich personen zu nominiren oder fur zuschlagenn.1601 Zwar hatte der Rat durchaus nichts an Neophanus’ Person auszusetzen, doch sollte die Wahl – wie in den anderen städtischen Kirchen – durch Rat und Kastenherren regulär erfolgen. Die schriftliche Pfarrherrenpräsentation des Kapitels an das Ministerium (21. 2. 1598) wies der Rat daher am 7. 3. 1598 als runderhum rechtswidrig und wider die KO zurück.1602 Natürlich wollte aber das Kapitel als Patron nicht von seinem 1597 Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 6, Bl. 2v u. 5r. Städtischerseits plante man 1571, mit dem Kapitel die gleichen Vereinbarungen zu treffen, wie mit dem Herzog im Huldigungsvertrag. Was aus dieser Idee wurde ist ungewiss. 1598 Der Konflikt wird erstaunlich knapp in wenigen Sätzen abgehandelt bei: Rehtmeyer, Historiae IV, S. 184. 1599 StadtA BS, B IV 11 Nr. 217, Bl. 3r. 1600 Ebd., Bl. 3v. 1601 Ebd. Der Rat meinte unter der »Gemeinde« zu St. Petri indessen nur etzlicher zue S. Peter eingepfarten vnzuchtigen beginen ausfindig zu machen, denen er keine Wahlrechte zugestand. Die Gemeinde müsse schuldig sein, der persohnenn, welchen ein mahl auff getragen, damitt gewehren zulaßenn. Ebd., Bl. 11r–11v. 1602 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 217, Bl. 18r u. 41r.

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Recht zur Pfarrwahl abstehen und wandte sich an das herzogliche Konsistorium in Wolfenbüttel, welches sogleich auf Seiten des Stifts trat.1603 Das Konsistorium beschwerte sich daraufhin beim Stadtrat, der jedoch den fürstlichen consistorialibus durchauß der allergeringsten bottmessigkeit vber diese stat, vnd derselben kirchen regiment nicht gestendig war.1604 Im März 1598 lud der Rat Neophanus mehrfach vor und bezichtigte ihn im Beisein der Geistlichen des Ungehorsams gegenüber der städtischen Kirchenordnung.1605 Er solle die Vokation des Kapitels abschlagen und gemäß Kirchenordnung eine reguläre Vokation von Rat und Kastenherren abwarten. Neophanus betonte in den Sitzungen jedoch mehrfach, er sei von der Gemeinde höchstselbst zum Amt berufen und anschließend vom Kapitel »vokiert« (also berufen) worden. Gerade dies verärgerte den Rat aber besonders: Syndicus vorlaß die kirchenordnung, das der gemeine solchs nicht gebürtt, sondern es dem rath vffgetragen.1606 Am 8. 3. 1598 wurde Neophanus letztmalig vorgeladen, zugleich ließ man ein Schreiben an das Kapitel ausgehen, von der eigenmächtigen Wahl abzustehen. Da Neophanus trotz vielfachen Zuredens des Syndikus nicht von seiner Vokation abstehen wollte, wurde ihm anbefohlen, bei Sonnenschein unverzüglich die Stadt zu räumen. Am 9.3. wurde er schmachvoll verfestet und jm die schandglocke nachgeleutet.1607 Neophanus wandte sich daraufhin nach Benzingerode in der Grafschaft Regenstein und wurde dort Pastor.1608 Im Gegenzug beriefen Rat und Kastenherren der Altstadt am 3. 4. 1598 den Veltheimer Pastor Eberhard Steding und beriefen ihn zum Examen nach Braunschweig.1609 Kapitel und Herzog ließen sich das selbstherrliche Vorgehen des Rates nicht gefallen: Wie schon in den 1530er Jahren wurden nun (nach einem langen erfolglosen Schriftwechsel) die im Fürstentum gelegenen Kirchengüter St. Petris vom Herzog eingezogen und fortan an Neophanus gezahlt (1598).1610 Dieser erhielt nach bestandenem Examen vor dem fürstlichen Konsistorium am 24. 7. 1598 seine Belehnung durch das Kapitel St. Cyriaci und nahm die entsprechenden Pfarrzinse auf.1611 Über Jahrzehnte sollte sich dies nicht mehr ändern. Damit waren Pfarrgüter und Predigtamt erneut voneinander getrennt. Darüber hinaus 1603 Dies erklärt sich, neben der Tatsache, dass der Herzog Patron des Stifts war, allein schon aus der politischen Situation heraus: Der Krieg zwischen Stadt und Herzog bahnte sich bereits an. Vgl. Steinführer, Herzogtum, S. 83–84. 1604 StadtA BS, B III 16 Nr. 7, Bl. 86r. 1605 Vgl. ebd., Bl. 97v. Der Syndikus beschuldigte Neophanus u. a. ehr werffe des raths ordnung vbern hauffen. 1606 Ebd., Bl. 96v. 1607 StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 114. 1608 Vgl. LKA WF, OA Braunschweig 36 Allgemein [o.P.], Bl. 43r [eig. Pag.]. 1609 Vgl. LKA WF, OA Braunschweig St. Petri 19 [o.P.]. Schreiben vom 3. 4. 1598. 1610 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 47r. Auch: StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 115. 1611 Vgl. Meibom, Bericht II, S. 121.

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warnte das Wolfenbütteler Konsistorium am 10. 4. 1598 den städtischen Pfarrkandidaten Eberhard Steding, sein Gut in Veltheim nicht zu verlassen und die Pfarre St. Petri nicht aufzusuchen.1612 Als dieser dennoch sein Pfarramt antrat, arrestierte der Herzog am 19.4. den in Veltheim gelegenen Hof Stedings und nahm Frau und Kind in Gewahrsam.1613 Die Stadt reagierte erzürnt und strengte umgehend einen Prozess am Reichskammergericht an. In der Klageschrift wurden Herzog und Stift des widerrechtlichen Vorgehens gegen Steding beschuldigt.1614 In der Tat hatte Herzog Heinrich Julius mit der Bekümmerung der Stedingschen Güter das Privilegio de non arrestando gebrochen, welches der Rat vom Kaiser unlängst erneut verliehen bekommen hatte.1615 Der Prozess zog sich allerdings wie üblich über Jahre hin. Ein Urteil ist nicht überliefert – vermutlich wurde auch gar keines gefällt.1616 Eberhard Steding blieb trotz der Konflikte als unbelehnter Prediger von 1598 bis 1636 im Amt.1617 Die Streitigkeiten um das Nominationsrecht der Pfarre konnten trotz der Verhandlungen um 1600 offensichtlich nicht beigelegt werden.1618 Auch bei der Belehnung seines Nachfolgers und Sohnes – des städtischen Kandidaten Henning Steding – kam es 1636/37 zu Differenzen zwischen Rat, Stift und fürstlichem Konsistorium.1619 Nach wie vor gestand der Rat dem Stift St. Cyriacus gemäß KO kein Wahlrecht, sondern lediglich das Bestätigungsrecht zu. Das Kapitel sah sich jedoch dementgegen als Patron im Besitz des Nominations- und Präsentationsrechts. In diesem Schwebezustand der Rechtslage sollte

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Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 217, Bl. 68r. Vgl. ebd., Bl. 86r. Vgl. NLA WF, 6 Alt, Nr. 497. Vgl. Hassebrauk, Herzog Julius, S. 75. Am 12. 12. 1597 war auch der Herzog vom kaiserlichen Notar bezüglich des städtischen Privilegiums unterrichtet worden. Dieses schützte die Güter der städtischen kirchen, angehörige clöster [und] hospitalia gegen Strafe von 100 Goldmark vor Arrestierung. Vgl. NLA WF, 6 Alt, Nr. 497, pag. 19. Das Ursprüngliche Privileg vom 12. 5. 1568 ist in Abschrift einsehbar unter StadtA BS, B I 25 Nr. 1. Ein Definitivurteilsspruch des RKG kam äußerst selten vor. Ebeling konnte z. B. nur für 8 % seiner untersuchten niedersächsischen RKG-Prozesse ein Definitivurteil nachweisen. Vgl. Ebeling, Hans-Heinrich: »Appellieren, Supplizieren und Brotbetteln steht jedermann frei.« Reichskammergerichtsprozesse aus dem westlichen Niedersachsen – Untersuchungen zu Streitgegenstand, Prozeßverlauf und Urteilsdurchsetzung, in: BsJb 64 (1992), S. 89–129, hier S. 120 u. 123. Vgl. StadtA BS, G III 3 Nr. 1, pag. 11. Das um 1600 verfasste Konzept eines Vertrags zur Übertragung des Nominationsrechts an den Rat der Stadt (StadtA BS, B IV 11 Nr. 78) dürfte nie abgeschlossen worden sein (siehe nachfolgende Konflikte ab 1636). Vgl. StadtA BS, C IX Nr. 100 [o.P.]. Konsistorialsitzung vom 15. 10. 1636. Auch: StadtA BS, B IV 11 Nr. 217, Bl. 105r–109v.

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es daher noch bis zum Ende der Stadtfreiheit bleiben.1620 Der Widerspruch von KO und Stiftsstatuten ließ sich vorerst nicht mehr auflösen.

2.3.4 Das Prozedere der Vokation und Ordination Da sich der Rat trotz fehlender Patronatsrechte die Predigererwählung sämtlicher Stadtkirchen gesichert hatte, musste er darum bemüht sein, ein eigenes geregeltes Verfahren zur Predigerwahl festzulegen. Die Gemeindevertreter von Hagen und Altewiek baten den Rat bereits im März 1528 darum, dass man nene predigers nw vnd hyrnamals anneme, yth sche denne myt wetten vnd wyllen ock vulborde thom ersten eynes e[rbaren] r[ats] vnde [zum Zweiten M.V.] der gantze gemene offte geschyckten, wy de schryft na wysynge gyfft.1621 Sowohl der Rat als auch Bugenhagen standen einer zu direkten Beteiligung der Gemeinde indessen kritisch gegenüber: So sprach die KO nachfolgend lediglich noch von Rat und Kastenherren als Wahlgremium neuer Prediger. Anders als in seinen späteren Ordnungen erläuterte Bugenhagen den Ablauf von Pfarrwahl, Vokation und Ordination in der Braunschweiger KO nicht sehr präzise.1622 Lediglich ein Satz widmete sich dort diesem so wichtigen Prozedere: Wen me in eyneme wickbelde bedarf eynen prediker, so schal eyn erbar radt unde vorordente van der gemeyne alse de schatkastenheren des wickbeldes trachten nach eyneme framen manne […] unde densulvigen darna deme superattendenten unde syneme helpere overantwerden to vorhören […].1623 Je nach Urteil dieses Verhörs solle man die Prediger dann annehmen oder auch nicht. Diese knappen Angaben entsprechen den meisten KOO des 16. Jahrhunderts: Auch in ihnen wurde zur Pfarrwahl meist neben dem Rat und (bisweilen) dem Superintendenten ein Gremium der Gemeinde bestimmt. Ausnahmen bildeten hier lediglich die KOO der Städte Stralsund (1525), Basel (1529) und Goslar (1531), wo dem Rat die Pfarrwahl alleine zustand.1624 1620 Nach 1671 hat St. Cyriacus auch das Nominationsrecht wieder behaupten können. Vgl. Rehtmeyer, Historiae IV, S. 693. Zum Ablauf einer Pfarrwahl an St. Petri nach Ende der Stadtfreiheit (1682): StadtA BS, G III 1 Nr. 1, pag. 9. 1621 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 52r. 1622 Zu den Verhandlungen zwischen Rat und Gemeinde bzgl. der Pfarrwahlrechte vor Einführung der KO, vgl. Schorn-Schütte, Luise: »Papocaesarismus« der Theologen? Vom Amt des evangelischen Pfarrers in der frühneuzeitlichen Stadtgesellschaft bei Bugenhagen, in: ARG 79 (1988), S. 230–261, hier S. 245. Die Gemeinde konnte keine direkte Pfarrwahl durchsetzen. 1623 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 374. 1624 Vgl. Frantz, Kirchenverfassung, S. 28. Natürlich wurden die Bestimmungen der KOO bisweilen auch in anderen Städten nicht mehr eingehalten, etwa in Lübeck nach 1535. Vgl. Hauschild, Kirchengeschichte, S. 223.

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Dass mit der obigen Bestimmung ein Nominationsrecht für alle Kirchen – ausgenommen St. Blasius – de facto dem Rat zufiel, setzte Bugenhagen offensichtlich implizit voraus.1625 Dies verwundert nicht, denn bereits seit März 1528 hatten Rat und Gemeinde das Recht der Predigervokation – nicht aber der Pfarrerberufung! – für sich beansprucht.1626 Seit Luther erfuhr der um 1500 durchaus nicht unübliche Begriff »Vokation« eine »radikale Umgestaltung«.1627 Zunächst auch für die Berufung in weltliche Ämter genutzt, verengte sich die Bedeutung im protestantischen Raum auf die Wahl und Berufung der Geistlichen sowie das entsprechende Berufungsschreiben. Wie aber verliefen nun Predigerwahl und Vokation nach 1528 tatsächlich? Zunächst wurden nach Annahme der KO die vorherigen Kapläne der Pfarrherren (Prädikanten) als Prediger beibehalten. Bis auf den Pfarrer Tile Kröger1628 zu St. Michaelis übte nach 1528 keiner der Pfarrherren sein Predigtamt noch aktiv aus. Nach und nach mussten die Prädikanten aber aus verschiedenen Gründen ersetzt werden. Aus der Frühzeit nach der Reformation (1530/40er) ist leider nichts Genaues über das Wahlprozedere und die Vokation überliefert. Rechtlich fixiert wurde es in dieser Zeit abseits der KO vorerst noch nicht. Lediglich aus dem Sack sind Teile eines gewohnheitsrechtlichen Wahlvorgangs der Prediger

1625 Dauerhaft hiervon ausgeschlossen blieb (abgesehen von den 1540er Jahren) lediglich die Predigtstelle zu St. Blasius, deren Prediger durchweg vom Stiftskapitel nominiert und geprüft wurden (Vgl. LKA WF, OA 86 Braunschweig Dom, Bl. 1r). Dies war noch bis 1800 der Fall. Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 69. 1626 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 48r. Die katholischen (ohnedies abwesenden) Pfarrer blieben bis 1570 im Amt. Vgl. Kapitel 2.3.2. 1627 Müller, Hans Martin: Vokation, in: TRE, Bd. 35, München 2003, S. 187–190, hier S. 188. Luther unterscheidet noch die vocatio immediata bzw. vocatio interna (unmittelbare Berufung durch Gott = lediglich Christus und Propheten) und die vocatio externa, in welcher der Mensch durch die Gemeinde und deren Repräsentanten zu Gott berufen wird. Keinesfalls hat aber die Vokation unter Protestanten den Begriff der »Ordination« verdrängt, wie es Müller mit Hinweis auf Luther suggeriert. Vgl. ebd., S. 188. Denn während man vielfach an andere Orte »vokiert« werden konnte, wurde man als Geistlicher zeitlebens nur einmal ordiniert. 1628 Der 1515 investierte Pfarrherr Tile Kröger (Krüger) wurde lutherisch und war noch bis mindestens 1531 aktiv als Pfarrherr und Prediger tätig. Pfingsten 1541 wurde ihm noch ein Anteil des Vierzeitenpfennigs ausgezahlt. Vgl. StadtA BS, F I 2 Nr. 11, Bl. 4r. Er starb erst 1542. Vgl. Junghans, Helmar; Kohnle, Armin (Hrsg.): Thomas Müntzer Briefwechsel. Bearbeitet und kommentiert von Siegfried Bräuer und Manfred Kobuch, Bd. 2, Leipzig 2010 (= Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 25,2), S. 15 [Fußnote]. Kröger war wohl schon deutlich vor 1528 lutherisch, da er bis dahin nacheinander drei verschiedene lutherische Prediger einstellte. Vgl. Jürgens, Gottes Ehre, S. 30. Auch das lutherische Bekenntnis zum Abendmahl 1531 unterschrieb Kröger, vgl. Rehtmeyer, Historiae III, Beylage, S. 7. Dazu auch StadtA BS, H V Nr. 218, pag. 21.

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überliefert, der den dortigen Sonderbegebenheiten1629 Rechnung trug (1544): Wan auch ein neuwer prediger bei vnserer kirchen sol erwehlet werden, so haben die herrn des weichbildes Sack das jus praesentandi, das ist das sie etzliche persohnen den herrn in der Altenstadt in Ulrici bauerschaft vnd anderen vorstehern vorschlagen, Wan sie dan in der opperey od[er] sonst zu samen kommen, so proponiret der h[err] bürgermeister auß dem weichbild Sack das die und die persohnen in vorschlag kommen etc.1630 Die höher gewichtete Rolle der Ratsherren bzw. Bürgermeister (herrn des wichbildes) gegenüber den Kastenherren (vorstehern) wird hier bereits deutlich: Sie proponiren die Kandidaten, die Kastenherren dürfen über diese nur mit abstimmen. Ende der 1550er Jahre scheint es dann zu Unstimmigkeiten bei den Pfarrwahlen gekommen zu sein. So war sich denn auch der Predigerkandidat Christian Lutken im Juni 1560 nicht bewusst, dass er vor seiner Investitur noch ein Examen zu bestehen habe. Der Rat erläuterte ihm daraufhin in einem Schreiben, das es […] bei vns dermassen hergebracht vnd jm brauche gewesen sei, dass die von Rat und Kastenherren erwählte Person zuvor durch Superintendenten und Koadjutoren examiniert werde, was vor dem gesamten Kolloquium geschehe.1631 Dort werde dann geprüft, ob die Person in der Lehre rein sei, kein Trinker wäre und einen christlichen Lebenswandel führe – schließlich müsse sie dann den Reinigungseid (Juramentum) ablegen. Es mag kein Zufall sein, dass die – bislang unbekannte – erste städtische Ordnung de vocation der prediger betreffend kurz darauf am 4. 7. 1560 beschlossen wurde.1632 Sie war lediglich als Ergänzung zur Kirchenordnung gedacht und stellte sie somit nicht grundsätzlich in Frage, enthielt jedoch bereits viele Neuerungen – etwa das Kolloquium oder die Involvierung des Gesamtrates bei der Wahl. Nach der Wahl eines Predigers durch Weichbildrat und Kastenherren sollte demnach der potenzielle Kandidat dem Superintendenten und Koadjutoren angezeigt werden – erst nach deren Zustimmung sowie der des Gemeinen Rates (= aller der andern wichbelde) sollte die Vokation erfolgen.1633 Vor der Investitur hatte der Prediger dann das Examen vor 1629 Für St. Ulrici wählten nicht nur Kastenherren und Weichbildrat des Sackes, sondern auch Ratsleute aus der ebenfalls bei St. Ulrici eingepfarrten Ulricibauerschaft (Altstadt) die Prediger. Vgl. StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 17v. 1630 StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 9r. 1631 StadtA BS, B IV 11 Nr. 143, Bl. 34r. Damit war Lutken auch nicht schon 1559 Prediger zu St. Ulrici, wie es Beste behauptet. Vgl. Beste, Album, S. 73. 1632 StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 63–64. Die Ordnung ist erstmals als Transkript im Anhang (Text 3) beigefügt. Sie wurde inhaltlich bisher von der Forschung vollständig ignoriert: Von Rehtmeyer über Sack, Beste, Hänselmann, Spieß, Mörke und Schoß hat niemand diese Ordnung beachtet, bzw. von ihr Kenntnis gehabt. Gleiches gilt für Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 417. Neben Sehling (Kirchenordnungen VI 1,1, S. 340) hat neuerdings nur Rosenfeld die Ordnung kommentarlos erwähnt. Vgl. Rosenfeld, Bugenhagen, S. 114. 1633 StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 63–64.

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dem Kolloquium zu bestehen, das vom Superintendenten unter Beihilfe des Koadjutors geleitet wurde. Die Bestimmungen für dieses Examen waren im Prinzip die gleichen, wie sie Christian Lutken kurz zuvor mitgeteilt worden waren. Daneben entsprach das Berufungsprozedere dieser Ordnung auch den Grundsätzen, die Superintendent Mörlin kurz darauf 1565 in seiner Schrift »Von dem Beruff der Prediger« darlegte.1634 Ob er sie aus einem konkreten Anlass veröffentliche, lässt sich nicht feststellen, größere Konflikte in der Zeit um 1565 sind jedenfalls nicht überliefert. Bei der obigen Ordnung blieb es bis 1571. Im Mai 1571 hatte der Altstadtrat den Lehrer Gregor Ursinum zum Pfarrer von St. Petri gewählt ohne dies zuvor gemäß der Ordnung dem Superintendenten anzuzeigen, woraufhin sich Klagen erhoben.1635 Obgleich Ursinum anschließend im Examen nicht bestand und er daher ohnehin nicht als Pfarrer angenommen wurde, nahm Chemnitz dies laut Rehtmeyer zum Anlass, die Vokationsordnung neu herauszugeben und sie gegenüber der älteren Ordnung deutlich zu präzisieren. In seinem eigenhändigen Vorschlagsentwurf der Ordnung bezieht sich Chemnitz jedoch als Ursache nur auf das uneinheitliche Vokationsverfahren der einzelnen Weichbilde – demnach wäre seine Intention eine Vereinheitlichung des Wahlprozesses gewesen.1636 Die daraufhin am 12. 6. 1571 beschlossene Vokationsordnung sollte bis zur Eroberung der Stadt 1671 in Gebrauch bleiben.1637 Weder löste sie den Huldigungsvertrag von 1569 ab (wie Schoß irrtümlich behauptet1638) noch stellte sie ein Unabhängigkeitsstatement der Stadt gegenüber dem Herzog dar (wie bei Sehling angegeben).1639 Lediglich das innerstädtische Pfarrwahlprozedere sollte durch sie 1634 Vgl. Mörlin, Joachim: Von dem Beruff der Prediger […], Eisleben 1565 [VD16 M 5889]. Zu Umständen und Inhalt der Schrift vgl. auch Kaufmann, Konfession und Kultur, S. 95. 1635 Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 395f. Auch: StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 28v [Tintenpaginierung]. 1636 Vgl. StadtA BS, G I 2 Nr. 50, Bl. 7r–7v. 1637 Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 396. Die Originalurkunden sind einsehbar unter StadtA BS, B IV 11 Nr. 38 und StadtA BS, A III 1 Nr. 314. Die Ordnung hat sich im Stadtarchiv vielfach in Kopien erhalten. In der Folge wird nach Sehling Kirchenordnungen VI 1,1, S. 456–458 zitiert. Die Ordnung ist erstmals ediert bei Rehtmeyer, aber auch nachfolgend im UB Braunschweig I, S. 386ff. und bei Sehling (s. o.). Kopien finden sich z. B. unter StadtA BS, B IV 11 Nr. 198; StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 17r–20r; StadtA BS, G II 1 Nr. 9, Bl. 17r–20r und StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 12r–14r. 1638 Vgl. Schoß, Ministerium, S. 52f. Schoß ist (basierend auf Sehling VI 1,1) der Ansicht, die Vertragspunkte von 1569 hätten nur 2 Jahre Gültigkeit besessen und wären dann 1571 aufgehoben worden. Mit der in §6 des Vertrages von 1569 geregelten hzgl. Pfarrbesetzung hatte die Ordnung von 1571 aber gar nichts zu tun, da es hier um die innerstädtische Pfarrwahl (sprich die Nomination!) ging. Die daran anschließende Präsentation vor dem herzoglichen Konsistorium war ein gänzlich anderer Rechtsschritt. Vgl. oben, Kap. 2.3.2. Schorn-Schütte datiert die Vokationsordnung versehentlich auf das Jahr 1577. Vgl. SchornSchütte, Geistlichkeit, S. 417. 1639 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 341.

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von nun an endgültig festgeschrieben werden. Das bereits in der KO vorgeschriebene Gebet vor der Predigerwahl wurde nun verbindlich auf 1–5 Wochen vor der Wahl festgelegt und sollte durch den Rat verordnet werden.1640 Um Unordnung zu vermeiden sollten weiterhin Kastenherren und Weichbildrat die Nomination vornehmen – nicht die Pfarrgemeinde. Die entsprechenden Kandidaten waren daraufhin mündlich oder schriftlich dem Ministerium anzuzeigen. Dieses hatte dann seine Bedenken zu übermitteln, sofern es einzelne vorgeschlagene Personen ablehnte. Anschließend sollte die vom Weichbildrat (und Kastenherren) erwählte Person dem Küchenrat angezeigt werden. Erst nach dessen Bewilligung durfte eine Vokation verschickt werden. Mit der Vokation musste zugleich ein Termin für das Examen vor dem Ministerium mitgeteilt werden. Das galt von nun an nach gelegenheit der itzt geferlichen zeiten nicht nur für jene, die zuvor nicht als Prediger tätig gewesen waren, sondern auch für diejenigen Prediger, die von auswärts berufen wurden.1641 Anwesend bei diesem Examen waren neben den Pfarrherren nun neuerdings auch die Ratsherren des Weichbildes sowie die Kastenherren der entsprechenden Kirche.1642 Erstmals wurde zudem der Aufnahme des neuen Predigers ins Ministerium gedacht: Nach erfolgter Wahl wurde er vom Rat dem Kolloquium präsentiert, wo er KO und Corpus Doctrinae (später auch die Leges Ministerii und die Konkordienformel) zu unterschreiben hatte. Alsdann wurde er als membrum des colloquii auf und angenommen.1643 War die gewählte Person noch nicht ordiniert, so sollte der Superintendent eine Predigt halten, nach dessen Ende der Prediger ordiniert werden sollte – im Beisein des Rates und der Kastenherren des Weichbildes, die während der Predigt im Chor saßen. War der Kandidat bereits zuvor ordiniert worden, so hielt der Koadjutor eine Predigt, an dessen Schluss der neue Prediger seiner Gemeinde vorgestellt wurde. Freilich wurde auch diese Ordnung durch Gewohnheitsrechte nach und nach implizit leicht gewandelt, obschon sie bis 1671 offiziell ihre Gültigkeit beibehielt. Sie setzte also lediglich einen Normanspruch fest. Wie aber lief eine Vokation und Pfarrbesetzung in der Folgezeit tatsächlich ab? Wurde die Ordnung von 1571 anschließend eingehalten? Von 1571–1609 haben sich zahlreiche Vokationen und deren verschiedene Teilschritte erhalten. Um ein genaues Bild vom Ablauf einer Vokation nach 1571 zu erhalten, soll 1640 Vgl. ebd., S. 456. 1641 Ebd., S. 457. 1642 Dies war vorher ganz offensichtlich nicht der Fall gewesen! Nach dem ersten Examen von Ursinum 1571 setzten die Prediger extra noch ein zweites Examen an, da sie Ursinum (der offensichtlich ungeeignet war) nicht sogleich »durchfallen« lassen wollten: Laut Rehtmeyer befürchtete man, dass der Rat dies als Racheaktion deuten könne, da der Altstadtrat ja zuvor vergessen hatte, den Superintendenten bei Ursinus’ Wahl zu informieren. Folglich fand das Examen damals ohne Ratsherren statt. Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 395. 1643 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 457.

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nachfolgend das Prozedere einer solchen Braunschweiger Vokation in all seinen Schritten anhand der überlieferten Vokationen schematisch dargestellt werden. War der vorherige Prediger verstorben und hatte eine Witwe hinterlassen, so wurde zunächst ein halbes Jahr gewartet (= Gnadenhalbjahr der Witwen). Sodann ließ man mehrere Sonntage ansetzen, an denen in allen Pfarrkirchen für einen neuen gottgefälligen Kandidaten gebetet werden sollte. Ein Wahlvorgang, der bereits eine Woche nach dem Abgang des alten Predigers und somit ohne Bittgebet durchgeführt wurde, galt als wider die alte ordnung, kam aber in Notfällen (Pest u. a.) gelegentlich vor.1644 Für den Wahlvorgang trafen sich nun die Kastenherren und Ratsherren des Weichbildes in der betreffenden Pfarrkirche oder Opperei. Hier wurde dem gebrauche nach durch den führenden Kastenherrn des Weichbildes – der zumeist gleichzeitig der Bürgermeister oder Kämmerer war – der Wahldurchgang für eröffnet erklärt: Alle Herren hatten sich nun darauff ihres gemütes [zu] ercleren.1645 In einer Umfrage musste der Reihe nach jeder Stimmberechtigte einen Kandidaten vorschlagen oder einem bereits vorgeschlagenen Kandidaten beipflichten. Den Bürgermeistern kamen hierbei jeweils die ersten Stimmen zu. Hatte man sich auf geeignete Kandidaten geeinigt (in der Regel 1–3 Personen), so wurde ein Zettel mit den betreffenden Namen vom Kämmerer an den Superintendenten übergeben,1646 der die Angelegenheit ins Kolloquium brachte. Wusste man keinen geeigneten Kandidaten, so wurden Ministerium und Superintendent um einen Vorschlag gebeten, der jedoch immer nur eine ergänzende Hilfe darstellte und keinesfalls obligatorisch war.1647 Bis zum 17. Jahrhundert wurde dieses Vorschlagsrecht der Geistlichen aber zur Gewohnheit, sofern Rat und Kastenherren keine Kandidaten einfielen.1648 Die Ordnung von 1571 wurde diesbezüglich jedoch nie ergänzt. Im Kolloquium wurde daraufhin über die Kandidaten beraten, bisweilen wurden einzelne Personen auch abgelehnt.1649 Zu diesem Zeitpunkt hatten die auf dem Zettel angegebenen Personen oftmals noch keinerlei Kenntnis von ihrer 1644 StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 41r (1609). Eine Abschrift eines solchen Bittgebets (17. Jh.): StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 85r. Zur Pest in Braunschweig vgl. de Vries, Malte: Pestepidemien im Braunschweig des 16. und 17. Jahrhunderts. Alltag in Zeiten einer »Gottesstrafe«, in: BsJb 101 (2020), S. 27–50. 1645 StadtA BS, B IV 11 Nr. 129, Bl. 9v (1594). 1646 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 12r. Die Zettelübergabe erfolgte bisweilen auch erst nach der Probepredigt. 1647 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 99r; auch StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 33r. 1648 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 9, Bl. 21r: Wen bey vnser kirchen S. M[artini] eines predigers oder schuldieners stelle entlediget, haben sich die herrn zu weichbilde vnd provisoren zusamen gethan, eine andere persohn elegirt vnd nominirt; So auch etwan Sup[erintendent] wen die h[erren] keine wüsten consultiret; ist der caput unschadlich, wie bey itzigen rect[or] geschehen (Brief von 1645). Vgl. auch StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 14v (1609) u. Bl. 21v (1619). 1649 So u. a. der vorgeschlagene Prediger zu St. Ulrici M. Jebus. StadtA BS, B IV 11 Nr. 216, Bl. 13v (1581).

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Nomination.1650 Obgleich Bugenhagen die Voraussetzungen für die Wahl zum Pfarramt in seiner KO nicht angesprochen hatte, wurde es spätestens seit der Zeit Mörlins (1550er) in Braunschweig üblich, keine jungen gesellen, alßbalden sie ex academia gekommen, zum predigt ampt berueffen zu lassen.1651 Die jungen Theologiestudenten sollten zunächst im Schuldienst gearbeitet haben. Das Ministerium weitete diese Maßnahmen noch aus und lehnte all jene vorgeschlagenen Kandidaten zum Pfarramt ab, die nicht bereits für eine geraume Zeit an den Schulen (oder als Prediger) gearbeitet hatten.1652 Entsprechend wandelte sich aber auch die Sichtweise auf die Lehrkräfte: Da der Lehrerberuf als Übergang zum Predigtamt wahrgenommen wurde, waren es spätestens seit der zweiten Jahrhunderthälfte auch die Lehrer, die abwesende oder kranke Prediger zu vertreten hatten.1653 Sie halfen damit neben den Landpfarrern, den städtischen Pfarrbetrieb aufrecht zu erhalten und übten sich zugleich als angehende Pfarrer. Bisweilen können in dieser Hinsicht um 1600 fast vorreformatorische Zustände beobachtet werden – so klagten etwa zahlreiche politici, dass etliche auß den herren fratibus ihre arbeit durch andere bestelleten.1654 Ein Prediger hatte selbst am Michaelisfest beide predigten durch andere bestellen lassen.1655 Dass dies den Zuhörern nicht zum Vorteil gereichte, versteht sich von selbst. Eine Kontrolle 1650 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 44v. Zwei der Kandidaten waren baide wider ihr wissen aufgesetzt worden. 1651 StadtA BS, Revidenda Nr. 155 Schulen II [o.P.] (1595). Dokument, einer Anmerkung zur kommenden Schulordnung von 1596. Der Autor bezieht sich auf tempore D. Morlini et Chemnitij. 1652 So merkte das Ministerium etwa bei einer Pfarrwahl 1609 an, dass der Rektor zu St. Ägidien alß ein junger mann, noch nützlich der schul bleiben könne, vnd nach ettlichen jaren wann er sich etwa deß beßer übe, oder erzeige, befordert werden. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 33v. 1665 gab schließlich ein Pfarrer zu St. Ulrici im Kopialbuch seinen Nachfolgern mit auf den Weg (StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 110v): Wan künfftig nach Gottes willen eine stelle eines predigers solte erlediget werden, so sehen die nachfolgere im ambt ja zu, daßie [sic!] einen prediger erwehlen, der bereit im ambte gewesen ist, hat sonst mit den andern der noch nicht im ambte gewesen, sehr viel zu thun, experientia docet. 1653 Erstmals nachweisen lässt sich dies für Braunschweig 1556 (StadtA BS, Revidenda Nr. 67 [o.P.], Bl. 3r [eig. Pag.]). Geklagt wird über diese Praxis 1589 (StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 152v). Auch 1596 wird dies als üblich vorausgesetzt (StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 53r): Man habe die collegas an den schulen vermahnet, d[a]z sie sich bißweilen sollten exerciren in predigen. 1608 war es dann gar üblich, dass die Inferiores (Lehrer der untersten Klasse) für die Pfarrherren predigten (StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 26v). Gleiches galt in den 1590ern für Hildesheim. Vgl. Sehling, Emil (Begr.); Sprengler-Ruppenthal, Anneliese (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 7: Niedersachsen. II. Hälfte: Die außerwelfischen Lande. II. Halbband: 1. Teil, Tübingen 1980, S. 822. Anders war es hingegen z. B. in Goslar, wo seit 1566 die Pfarrer ihre Kollegen selbst vertreten mussten. Vgl. Sehling, Emil (Begr.); Dörner, Gerald (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 7: Niedersachsen. II. Hälfte: Die außerwelfischen Lande. II. Halbband: 2. Teil, Tübingen 2016, S. 325. 1654 StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 56v (1611). 1655 Ebd., Bl. 65v.

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dieser Aushilfsprediger durch das Ministerium gab es in Braunschweig – anders als in den Nachbarstädten – bis 1596 nicht.1656 So übte denn der Superintendent diesbezüglich im Kolloquium auch mehrfach Kritik: Damit nicht weiterhin ärgernis erfolgete, solte man solche personen aufstellen, welche sich zuvor im predigen wol geübet, damit sie nicht stecken blieben, als dem conrectori Aegidiano am vergangenen feste wiederfahren ist.1657 Doch nicht nur Lehrer und Rektoren, selbst die Schüler ließ man an den städtischen Kirchen bisweilen predigen – erst mit dem Kolloquialbeschluss vom 14. 12. 1608 wurde dies verboten.1658 Erfüllten die angezeigten Kandidaten nun die Voraussetzungen und waren vom Ministerium für akzeptabel befunden worden, so wurden sie vom Weichbildrat an den Küchenrat der Gesamtstadt mittels eines Zettels präsentiert.1659 Zwei solcher Zettel haben sich im Original erhalten.1660 Dass dieses Prozedere keine reine Formalität war, zeigt die Tatsache, dass die Personen auf beiden Zetteln schließlich nicht gewählt wurden, da der Küchenrat jeweils Einwände vorzutragen hatte. Im ersten Fall (1589) waren dies politische Gründe,1661 im zweiten Fall (1625) werden die Gründe der Ablehnung nicht genannt. Hatte der Küchenrat keine Einwände, so konnte die Vokation ad probam endlich erfolgen.1662 Sofern der Kandidat ein Auswärtiger war, ging das Schreiben im Namen

1656 So z. B. Rostock, wo nur diejenigen predigen durften, die das Ministerium zuvor approbiert hatte. Vgl. Strom, Jonathan: Das Rostocker Geistliche Ministerium und sein Archiv, in: MJ 110 (1995), S. 51–76, hier S. 69. Erst mit der Schulordnung von 1596 wurde in Braunschweig die Aufstellung der Lehrer als Prediger unter Kontrolle des Superintendenten gestellt – gegen massiven Protest des Ministeriums. Die Kastenherren hatten dies bereits 1589 im Generalkolloquium gefordert. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 152v. 1657 StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 79. 1658 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 32v: Einhellig beschloßen worden, daß man den schülern öffentlich zu predigen nicht verstatten solle, dieweil solches in despectum ministerij gereichen möge. Mit den collegis aber habs ein ander meinung. Man beachte, dass dies kein Ratsbeschluss war! 1659 Später, nachdem die Probepredigt eingeführt worden war, erfolgte dieser Schritt nach der Predigt. 1660 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 128, pag. 12r (von 1589) bzw. eine Abschrift davon StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 311 sowie StadtA BS, IV 11 Nr. 143 [o.P.] (von 1625). Eine Kopie von 1619 existiert noch unter StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 92r. 1661 Der Braunschweiger Pfarrer Heckelius war entlassen worden, da er den sächs. Kurfürsten seines Calvinismus halber gescholten hatte. Der Rat schlug nun 1589 einen sächsischen Prediger vor, den der calvinistische Kurfürst aufgrund seiner lutherischen Haltung vertrieben hatte. Der Rat wollte damit einen politischen Eklat verhindern. 1662 Der nachfolgende Prozess, der im engeren Sinne als »Vokation« bezeichnet wurde, ist für den norddeutschen Raum bisher quasi noch unerforscht. Hier besteht noch dringender Forschungsbedarf! In Braunschweig hat es bzgl. der Reihenfolge (Vokation, Probepredigt, Examen) in den 1580er Jahren vnordnunge in vocationibus vnd annemung der prediger gegeben. Vgl. StadtA BS, H V Nr. 218, pag. 253 (1587); StadtA BS, G I 2 Nr. 50, Bl. 23v (1588).

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des Weichbildrates in der Regel direkt an ihn selbst aus.1663 Allerdings musste sich der Rat immer vergewissern, dass auch die jeweilige Obrigkeit einer solchen Abberufung tatsächlich zustimmte. Tat der Rat dies nicht, so konnten unnötige Kosten und Konflikte heraufbeschworen werden. Das war etwa der Fall bei Magister Adam Crato, der aus Staßfurt vom Neustadtrat nach St. Andreas berufen worden war und auch eingewilligt hatte. Da der Administrator des Erzstifts Magdeburg seine Zustimmung versagte, musste die Vokation jedoch kurzerhand abgebrochen werden.1664 Andreas Schoppius,1665 der daraufhin vom Neustadtrat 1580 aus Erxleben nach St. Andreas berufen wurde, ohne dass die von Alvensleben als Patrone informiert wurden, musste ebenfalls unverrichteter Dinge wieder nach Erxleben zurückkehren, als die Patrone von der Vokation erfuhren und ihn zurückbeorderten.1666 Auch der 1599 zu St. Martini berufene Johann Arndt hatte ohne Wissen seiner Quedlinburger Patrone eine Probepredigt in Braunschweig gehalten und sich den Zorn der Obrigkeit zugezogen – ihm wurden daraufhin zunächst die Zeugnisse verweigert.1667 Sämtliche Kosten, die den Kandidaten entstanden (Reisekosten, Zehrungs- und Übernachtungskosten), mussten vom jeweiligen Schatzkasten vergütet werden. Gleiches galt anschließend auch für den Transport des privaten Hab und Guts der neuen Prediger.1668 Kam der gewählte Kandidat dann in Braunschweig an, so musste er sich bei den Kastenherren melden und seine Zeugnisse (Testimonia) vorlegen,1669 alsdann gingen die Kastenherren mit ihm zum Superintendenten, um dort mit der persohn zu discuriren, auch ein text zur probepredigt auffzugeben.1670 Diese Probepredigt war weder in der KO noch in den Vokationsordnungen von 1560 und 1571 erwähnt.1671 Sie lässt sich auch erstmals seit den 1580er Jahren nachweisen:1672 Ob 1663 Vgl. u. a. die Vokationen im Missivband StadtA BS, B III 1 Nr. 5, pag. 48 (1580), pag. 60 (1582), pag. 122 (1584) und pag. 234 (1586). 1664 Vgl. StadtA BS, B I 3 Nr. 5, pag. 48–49 (1580). 1665 Schoppius hatte zuvor lange in Braunschweig gelebt und dort eine wichtige Stadtchronik verfasst. 1666 Zur Vokation: StadtA BS, B III 1 Nr. 5, pag. 48 (1580). Zum Konflikt vgl. B III 15 Nr. 12.1, Bl. 641v. 1667 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 620r (1599). Erst nach langen Verhandlungen erhielt Arndt am 13. 7. 1599 ein Zeugnis. Vgl. Arndt, Friedrich: Johann Arndt, weiland GeneralSuperintendent des Fürstenthums Lüneburg. Ein biographischer Versuch, Berlin 1838, S. 43. Zu Arndt vgl. u. a. auch die zahlreichen Arbeiten Johannes Wallmanns sowie den Sammelband: Otte, Hans; Schneider, Hans (Hrsgg.): Frömmigkeit oder Theologie. Johann Arndt und die »Vier Bücher vom wahren Christentum«, Göttingen 2007 (= Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, 40). 1668 Vgl. z. B. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 2r (1577); StadtA BS, F I 4 Nr. 80, Bl. 15v (1594); StadtA BS, F I 1 Nr. 47, Bl. 39v (1599). 1669 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 619r (1599). 1670 StadtA BS, G II 1 Nr. 9, Bl. 21r. 1671 Ein Präsentationsformular von 1619 gibt merkwürdigerweise an (StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 92r): Aldiweil vermüege der ordnung de a[n]no 1571. den 12 junij zwischen e. e. rath vndt

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sie vor 1580 als Teil des formalen Prozederes durchgeführt wurde, ist somit zu bezweifeln.1673 Noch das Vokationsschreiben an Godefriedus (1577) enthält keine Erwähnung einer erfolgten Probepredigt, was ungewöhnlich ist, wurden doch offizielle Vokationen in Braunschweig ab den späten 1580er Jahren immer erst nach gehaltener (Probe)predigt verschickt (s. u.).1674 Vermutlich hatte daher der 1578 begonnene Konflikt mit Herzog Julius um die am fürstlichen Konsistorium neuerdings verlangten Probepredigten einen Einfluss auf die Einführung eigener städtischer Probepredigten.1675 Nachweisen lässt sich dies jedoch nicht, wenngleich die zeitliche Nähe es stark vermuten lässt. Erstaunlich ist allerdings die späte Einführung solcher offiziellen Predigten. In anderen Städten wurde die Probepredigt bereits zu Beginn der Reformation (1530er) konstitutiv festgesetzt;1676 für süddeutsche Prädikaturen war sie sogar im Spätmittelalter schon üblich.1677 Irgendeine Art von Probepredigt mag also auch in Braunschweig vor den 1580er Jahren vielleicht schon stattgefunden haben. Anhand der Quellen lässt sich dies indessen nicht belegen. Denjenigen Kandidaten, die sich als Braunschweiger Lehrer bereits im Predigen geübt hatten, wurde eine Probepredigt teils erlassen, ebenso den vormaligen Pfarrern der Pfahldörfer.1678 In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts

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e. ehrb. ministerio uffgerichtet, uff absterben eines predigers nach forhergehendem gebette 2. personen zur probpredigen vndt zur wahl gestellt werden sollen […]. Vgl. Text 8 im Anhang. In keiner der bekannten Abschriften dieser Ordnung von 1571 taucht jedoch eine Bestimmung zur Probepredigt auf. Woher der Verfasser dieses Textes (ein Prediger zu St. Ulrici) solche Angaben nimmt, ist also schleierhaft. Geändert wurde die 1571er Ordnung jedenfalls nicht mehr. So z. B.: StadtA BS, B I 2 Nr. 19, pag. 78 (1581), ebd., pag. 96 (1585); StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 158 (1591); StadtA BS, B IV 11 Nr. 63, Bl. 9r (1592); StadtA BS, B IV 11 Nr. 129, Bl. 9r (1594); StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 618r (1599); StadtA BS, B IV 11 Nr. 129, Bl. 32r (1609). Dies ist umso fraglicher, als in der Ordnung von 1571 nur ein examen erwähnt wird, eine Predigt aber nicht. Dass nach Ratsverständnis im Examen keine Probepredigt inbegriffen war, wird deutlich aus einem Ratskommentar im herzoglichen Streit um die Probepredigt von 1593: Vnd ob jhr [= hzgl. Räte] woll vermeinett, das vnter dem wortt Examina, welchs jm vertragh gesetztt, das predigen begriffen sein soll, so konnen wir [= Rat] es doch darfür nicht achten. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 93r. Allerdings wäre es dennoch verwunderlich, wenn nicht irgendeine Art von Probepredigt existiert hätte, obgleich sie formal nicht existierte. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 2r. Godefridus’ Antwort: StadtA BS, G II 1 Nr. 9, Bl. 24r (1577). Zu dem Konflikt: StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 3r–7v. Vgl. Nawar, Ordinationsliturgie, S. 235. Vgl. Rauscher, Julius: Die Prädikaturen in Württemberg vor der Reformation. Ein Beitrag zur Predigt- und Pfründengeschichte am Ausgang des Mittelalters, in: Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde 2 (1908), S. 152–211, hier S. 166. Im Norden gab es diese Prädikaturen aber nur an Domstiften. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 63, Bl. 9r (1592, Lehrer); StadtA BS, B III 1 Nr. 5, pag. 122–123 (1584, Landpfarrer).

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bürgerte sich dann zusätzlich noch die sogenannte »Gastpredigt« ein, welche der Kandidat vor der eigentlichen Probepredigt an einem gesonderten Termin zu absolvieren hatte.1679 Nachdem alle Kandidaten1680 ihre Probepredigt(en) absolviert hatten, wurde durch den Weichbildbürgermeister unter den Wahlberechtigten in der Pfarrkirche (seltener in der Opperei) eine Umfrage gestartet1681 – die Kandidaten kehrten derweil heim. Der Kandidat mit den meisten Stimmen erhielt ein offizielles Vokationsschreiben1682 und wurde zum Examen vor das Ministerium geladen. Dieses fand üblicherweise in der Brüdernkirche statt.1683 Gemäß der Ordnung von 1571 lassen sich die Kastenherren als beiwohnende Zeugen dieser Examen fortan regelmäßig belegen.1684 Seit 1588 waren per Ministerialbeschluss auch ausdrücklich Schüler und Lehrer als Zuschauer der Examen gewünscht und zugelassen.1685 Von den frühen Examen existieren zwar keinerlei Überlieferungen mehr (denn die erste Beschreibung stammt von 1581).1686 Vermutlich dürften

1679 Vgl. StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 108v (um 1660). Die »Gastpredigt« verdrängte in ihrer Bedeutung die Probepredigt: um 1650 wurden Probepredigt und Examen erst nach der offiziellen Vokation gehalten, die »Gastpredigt« nahm die vormalige Rolle der Probepredigt ein: StadtA BS, G II 1 Nr. 9, Bl. 34v (1655). 1680 Im Laufe des 17. Jahrhunderts (in St. Ulrici z. B. seit 1627) wurde es schließlich üblich, nur noch eine Person zur Probepredigt zu berufen. Vgl. StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 109r. 1681 StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 23v (1619): Vnd alß hieauf durch jtz regirenden bürgermeister im Sacke Andream Jngelman eine vmbfrage geschehen, seint alle stimmen einhellig auf ern Hironymum Probst gefallen. Für St. Ulrici waren hier entgegen der Ordnung sogar die Armenkastenherren stimmberechtigt! Vgl. ebd., Bl. 22v. Zur Probepredigt Johann Wagners (1591): Wagner lies sich in der Magni kirch im predigen hören am feste der verkündigung Mariae, als Hector Friderici gestorben war, alwo, ob er gleich den meisten zu St. Magni gefiel, absonderlich auch dem superint. D. Polycarpe Lysero, der auch die predigt mit angehört hatte; dennoch hatte Autor Rennebock mehr stimmen, der zugleich mit M. Bartholomaeo Sengbehrn daselbst die probepredigt gethan hatte. Darumb zog er [Wagner M.V.] weiter bis gen Rostock […]. 1682 Das Ministerium beklagte sich 1587/88 vergeblich, dass die Vokation erst nach bestandenem Examen (nicht schon nach der Probepredigt) verschickt werden sollte. StadtA BS, H V Nr. 218, pag. 353; auch: StadtA BS, G I 2 Nr. 50, Bl. 23v. 1683 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 19, pag. 96 (1585). Bzw. in der Liberey der Kirche: StadtA BS, G II Nr. 9, Bl. 10v (1591). Aus dem Jahr 1665 hat sich eine detaillierte Beschreibung vom Examensablauf erhalten. Vgl. StadtA BS, G II Nr. 4, Bl. 110v. Demnach fanden die Examen auch damals noch durchweg in der Brüdernkirche statt. 1684 Vgl. z. B. StadtA BS, B IV 11 Nr. 216, Bl. 4v (1581); StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 614v (1587); StadtA BS, G II Nr. 9, Bl. 10v (1591). Dies war auch im 17. Jh. noch üblich. Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 9, Bl. 21v (1645). 1685 Vgl. StadtA BS, G I 2 Nr. 50, Bl. 23r. Dies war auch in anderen Städten wie z. B. Goslar (1651) der Fall. 1686 Der Predigerkandidat M. Jebus beschrieb das Examen 1581 rückblickend wie folgt: Es hat mich auch der ehrwirdige vnd hochgelarete her doctor Chemnitio, mein lieber superattendens, selbst sampt den coadiutore vnd gantzen ehrwirdigen colloquio, in beysein anderen doctoren, bürgermeistern, vnd hern aus allen schulen rectorum collegorum, auch der für-

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sich die Verhöre inhaltlich aber eng an die Vorgaben von Superintendent Chemnitz angelehnt haben, welche er 1571 erstmals für Braunschweig-Wolfenbüttel veröffentlichte.1687 In diesem Werk wurde die forma examinis in vier Hauptstücke untergliedert: 1. Vom Beruf, 2. Von der Lehre des Wortes und der Sakramente, 3. Von christlichen Zeremonien und 4. Vom gottseeligen Leben und Wandel der Kirchendiener.1688 Eines war hierbei für Chemnitz selbstverständlich: [D]ie Examina werden vnnd sollen auch fürnemlich in Lateinischer Sprache gehalten werden.1689 In Braunschweig wurde die Examination auf Latein gemäß Chemnitz’ Vorstellungen auch tatsächlich gehandhabt. Die hohen1690 Anforderungen lassen sich am Examen Autor Rennebocks (1591) nachvollziehen. Diese vollständig auf Latein geführte Prüfung dauerte über 2 ½ Stunden und umfasste nahezu alle zentralen (und insbesondere strittigen!) dogmatischen Lehrfragen: Vnd [er] is vp latinesche frage examineret worden, erstlich van dem cathechismo, van dem gesette, van der sünde, van der sünde in dem hilligen geist, van guden werken, vom freien willen des menschen, van dem evangelio, vam geloven, vom gebeedt, van den sacramenten, van der absolution.1691 Bisweilen wurde der Kandidat dabei offensichtlich äußerst hart bedrängt, sodass die Kastenherren z. B. 1609 baten, wenn ein prediger solt examiniret werden, das man denselben nicht, [wie] neulich geschehen, stutzig vnd bestürtzt machen wollte.1692 Aufgrund des hohen Niveaus der Examen reichte es offensichtlich bereits »mittelmäßig« zu bestehen, um als Prediger angenommen zu werden: Jdem igitur M. Andreas cum mediocriter respondisset, et praetera articulos de concordia doctrinae […] stipulata […] in templo Ulricano et assessorii nostri colloquiis receptus est.1693 Allerdings waren die Examen für Landpfarrer (der Pfahldörfer und des Pfandbesitzes) deutlich leichter als jene für die städtischen Pfarren.1694 Bestand der Kandidat die Prüfung, so gingen die vorsteher zu dem prediger in seine herberge vnd zeig[t]en ihm an, nach dehme sie vernommen, das das examen so abgangen,

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nemb[sten] schülern, examiniert, durch alle locos communes durch alle heuptstücke der gantzen christlichen leer aufs fleisigste verhört. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 216, Bl. 4v. Auch im Fürstentum Grubenhagen griff man offiziell auf Chemnitz Examensschrift als Richtlinie zurück. Vgl. Arend, Pfarreranstellung, S. 42. Vgl. Chemnitz, Martin: Handbüchlein der fürnemsten Heuptstücke der Christlichen Lehre […], Magdeburg 1579, S. 4 [VD16 C 2179]. Chemnitz, Handbüchlein, S. Avii [Vorwort]. Ein Examen auf Latein war eigentlich eher unüblich. Während man Examen in Braunschweig-Wolfenbüttel, Grubenhagen, Verden, Württemberg und der Kurpfalz ebenfalls auf Latein abhalten ließ, wurden sie »in den meisten Gegenden in deutscher Sprache abgenommen« und durchgeführt. Vgl. Arend, Pfarreranstellung, S. 43. Vgl. StadtA BS, G II Nr. 9, Bl. 10v. StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 63v (1609). StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 50r [Tintenpaginierung]. Es handelte sich um das Examen Andreas Möllers (1586). StadtA BS, B IV 11 Nr. 216, Bl. 19v (1581); StadtA BS, G I 2 Nr. 51, Bl. 36v (1568).

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das man nichts zu tadeln gehabt habe, solle sich der Prediger mitsamt Familie nach Braunschweig verfügen.1695 Überdies erhielt der Examinant eine zweifach gesiegelte und vom ganzen Ministerium unterzeichnete Urkunde, die sein bestandenes Examen bescheinigte.1696 Bald darauf wurde eine Predigt gehalten, an deren Ende der Superintendent den neuen Pfarrer der Gemeinde vorstellte und ihn investierte (bzw. wenn nötig ordinierte). Das Verfahren der Ordination als Amtseinsetzung auf Lebenszeit existierte 1528 unter den Protestanten noch nicht und wurde daher in der KO auch nicht behandelt.1697 Insbesondere in den ersten Jahren nach der Reformation fiel die Notwendigkeit einer solchen rituellen Handlung nicht so sehr ins Gewicht, da die Braunschweiger Prediger noch überwiegend geweihte Kleriker waren.1698 So hieß es in einem Gutachten von Urbanus Rhegius, welches dieser dem Rat um 1539 gegen Herzog Heinrich verfasste: Vermerken wir, das e[uer] f[ürstlich] g[naden] vnser prediger villeicht zu bruch der sacramente, als vngewichte nit tüglich achtet; Antwort, hie seind vast1699 alle geweyht, wir wissen auch sonst nichts an jnen, vmb den willen sie zu dienst der sacramenten sollten vntüglich sein.1700 Auch zögerte man mit der Einführung einer rituellen Ordination vermutlich anfangs noch – wie Wendebourg annimmt – um nicht demonstrativ mit der bischöflichen Gewalt zu brechen: Schließlich war die »Übertragung des kirchlichen Amtes nach Tradition und geltendem Recht Sache der bischöflichen Hierachie.«1701 In den 1540er Jahren fanden sodann unter Melanchthon zwar laut Rehtmeyer drei Ordinationen statt, doch ist darüber nichts Zeitgenössisches überliefert. Auch dürfte es sich hierbei um eine – den Umständen entsprechende – Ausnahme gehandelt haben, was bereits die Tatsache bezeugt, dass die drei (längst 1695 StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 107v. Vielfach musste der Prediger auch im Chor warten und erhielt dort das Ergebnis direkt mitgeteilt, nicht erst in seiner Herberge. Vgl. ebd., Bl. 110v. 1696 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 216, Bl. 4v (1581). 1697 Vgl. Rietschel, Georg: Luther und die Ordination, 2. Auflage, Wittenberg 1889, S. 45ff. Zu Luthers Ordinationen von 1525, 1527 und 1529, die Ausnahmen darstellten und noch keine »rituelle« Bedeutung hatten, vgl. Wendebourg, Dorothea: Martin Luthers frühe Ordinationen, in: Ehrenpreis, Stefan; u. a. (Hrsgg.): Wege der Neuzeit. Festschrift für Heinz Schilling zum 65. Geburtstag, Berlin 2007 (= Historische Forschungen, 85), S. 97–115, hier insb. S. 97 u. 104. Die ersten Ordinationen nach heutigem Begriffsverständnis wurden in Wittenberg erst 1535 durchgeführt. Vgl. Krarup, Martin: Ordination in Wittenberg. Die Einsetzung in das kirchliche Amt in Kursachsen zur Zeit der Reformation, Tübingen 2006, S. 186–211. Der frühe Bugenhagische Ordinationsverlauf der Hamburger KO (1529) bezog sich nur auf das Amt in Hamburg und galt noch nicht lebenslang, vgl. ebd., S. 189. 1698 Zum Forschungsdiskurs, ob der Mangel an geweihten Priestern seit den 1530er Jahren zur Einführung der Ordination beigetragen habe, vgl. Wendebourg, Ordinationen, S. 108–109. Diese verneint einen Zusammenhang. 1699 Das vast wurde nachträglich am Rand hinzugefügt. 1700 StadtA BS, B III 15 Nr. 1a, Bl. 259r. Undatiertes Schreiben. Da die CA erwähnt wird, muss es nach 1530 verfasst worden sein. Der Kontext lässt die Zeit zwischen 1530–1535 vermuten. 1701 Wendebourg, Ordinationen, S. 111.

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amtierenden) Prediger zu diesem Zeitpunkt noch nicht ordiniert waren.1702 Der Ordinationsritus lässt sich dann für Braunschweig das erste Mal 1552 in knapper Form nachvollziehen, obgleich auch hier noch nicht klar ist, ob es sich um eine lebenslang gedachte Ordination handelte: Folgend [ist er] jnn der kercken Magni dorch her Henrick Osterodt [= Senior M.V.] an stadt eynes superatendenten jn bywesen her Harmen Prens1703 vnd her Henrik Lampen, twesken denn he vor dem fromyssen altar nedder knide, na gewontlike gebet vnd gesange bestiddigt worden.1704 Namentlich lässt sich die Ordination dann seit 1558 nachweisen.1705 In der Vokationsordnung von 1571 wurde sie erstmals auch rechtlich festgeschrieben und knapp umrissen; sie galt nun definitiv auf Lebenszeit und war klar von der einmaligen, örtlich gebundenen Amtseinführung (Investitur) getrennt. Bereits bis 1561 hatte sich hierzu zudem ein sehr präziser liturgischer Ablauf etabliert, wie eine ausführliche – bisher unbekannte – spätere Aufzeichnung aus der Zeit nach 1591 bestätigt (vgl. Text 6 im Anhang).1706 Von der Bugenhagischen Vorstellung wich sie stark ab, was im Vergleich zum Hamburger Ordinationsablauf (KO 1529) deutlich wird: So wurde z. B. in Hamburg laut KO nach dem üblichen »Veni sancte spiritus« nicht wie in Braunschweig das Versikel »In omnem terram« gesungen, auch hatte der Superintendent in Braunschweig eine deutlich prominentere Rolle inne. Mit ihrem Vorgehen wichen die Braunschweiger im Ordinationsablauf aber nicht nur von Bugenhagens Vorstellung, sondern auch von derjenigen Luthers ab.1707 Die Ordinationsansprache hingegen übernahm man in Braunschweig nahezu wörtlich dem ersten Ordinationsformular Luthers (1535).1708 Auch wurde die Ordination nicht zentralisiert, sondern fand in der jeweiligen Gemeindepfarrkirche unter Handauflegung statt – dies kam den ursprünglichen Gedanken Bugenhagens und Luthers nahe, die eine zentralisierte

1702 Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 179. Siehe hierzu insbesondere: Rosenfeld, Bugenhagen, S. 104. 1703 Hermann Primas war seit 1540 Prediger im Marienhospital der Altewiek. Vgl. Beste, Album, S. 105. 1704 StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 6r. 1705 Vgl. StadtA BS, G I 2 Nr. 51, Bl. 1rff. Auch: StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 2r. In diesen Fällen ordinierte das Ministerium stadtfremde Prediger, u. a. aus Holstein. Zwar taucht der Begriff »Ordination« schon früher in einer Chronik auf (StadtA BS, H III Nr. 1, pag. 33), doch ist damit nicht der rituelle Vorgang gemeint. Vgl. auch Rosenfeld, Bugenhagen, S. 98. 1706 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 3, Bl. 36r. Transkribiert im Anhang unter Text Nr. 6. Zur Rückdatierung des Ordinationsablaufs auf 1561 vgl. dortige Fußnote (Anhang) sowie StadtA BS, G II 4 Nr. 39, Bl. 1r. 1707 Vgl. Nawar, Ordinationsliturgie, S. 281. Luther schrieb ein anderes Versikel als das »In Omnem terram« vor. 1708 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 3, Bl. 37r. Zu Luthers Ordinationsformular vgl. WA 38, S. 425ff.

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Ordination stets kritisiert hatten.1709 Das Ordinationsformular von 1561 wurde bis zum Ende der Stadtfreiheit strengstens befolgt, wie ein protokollarischer Bericht der Ordination Valentin Häselers (1653) bezeugt.1710 Nach der Ordination/Investitur wurde der neue Prediger dem Ministerium durch die leitenden Kastenherren präsentiert, wodurch er schließlich nach Annahme der Leges Ministerii offiziell ins Ministerium aufgenommen wurde. Diese Prozedur fand im nächsttagenden Kolloquium statt. Auch ließ man dem Prediger nun eine Bestallungsurkunde ausstellen, in welcher sowohl Gehalt als auch Pflichten und Rechte des Pfarrers (u. a. lebenslange Bindung an den Rat1711) geregelt wurden. Für Braunschweig hat sich eine solche Urkunde im Zeitraum 1528–1599 lediglich ein Mal im Original erhalten – sie stammt aus dem Jahr 1541 und ist für Ludolf Petersen zu St. Martini ausgestellt.1712 Der so skizzierte Wahlablauf änderte sich bis 1671 fast nicht mehr und wurde auch nach Einnahme der Stadt nur wenig umgestaltet.1713 Die Gemeinde blieb bei dem gesamten Prozess also – wie zu sehen – bis zuletzt fast außen vor und wurde offiziell lediglich durch den Weichbildrat vertreten, auch wenn sich die Bürgerhauptleute ab den 1580er Jahren bisweilen erfolglos in Pfarrwahl und Entsetzung einzumischen versuchten. Die ebenfalls wahlberechtigten Kastenherren stammten (bis 1625) gleichsam überwiegend aus ratssässigen Familien und repräsentierten damit demographisch keinesfalls die Gesamtgemeinde; auch waren sie nicht von dieser gewählt. Dem einst von Ernst Wolf attestierten Charakter »einer Presbyterialverfassung« Bugenhagischer Kirchenordnungen muss in dieser Hinsicht mit Schorn-Schütte also klar widersprochen werden1714 –

1709 Vgl. Krarup, Ordination, S. 199; Wendebourg, Ordinationen, S. 113–114. Für die Kirchen der Altstadt fand die Ordination an St. Martini statt, für die Gemeinden der Pfahldörfer in der Pfarrkirche des zugehörigen Weichbildes. Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 19, pag. 97. 1710 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 9, Bl. 27v. 1711 In anderen Städten war ein Vertrag ohne Kündigungsfrist keinesfalls üblich. Vgl. die Bestallung Joseph Nasos in Bremen (1582) mit halbjähriger Kündigungsfrist: Sehling, Kirchenordnungen VII, 2,2,2, S. 567. Auf eine bestimmte Zeitspanne befristete Vokationen, lehnte man in Braunschweig wie auch anderswo hingegen strikt ab, vgl. das Schreiben des Ministeriums (1580) in: Rehtmeyer, Historiae III, Beylage, S. 345–347. 1712 StadtA BS, A III 1 Nr. 301 (1541). Erstmals im Anhang vollständig abgedruckt unter Text 1. 1713 Vgl. das herzogliche Mandat von 1697: Die Inhaber der Patronatsrechte sollten demnach den Kandidaten vorschlagen, dieser hielt in Braunschweig eine Probepredigt, wurde dann im Kolloquium (einschließlich Syndikus, Kastenherren und Bürgermeister) zum Examen verhört und in Braunschweig ordiniert/investiert. Lediglich die anschließende Huldigung des Predigers im fürstllichen Konsistorium war neu. Vgl. StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 77. 1714 Wolf, Ernst: Johannes Bugenhagen, Gemeinde und Amt, in: ders. (Hrsg.): Peregrinatio. Studien zur reformatorischen Theologie und zum Kirchenproblem, München 1954, S. 257– 278, hier S. 276. Vgl. auch: Schorn-Schütte, »Papocaesarismus«, S. 252.

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Gleiches gilt im Übrigen für Hamburg, Lübeck und auch Pommern.1715 Dies wenigstens insoweit, als dass sich die tatsächliche Auslegung der Ordnung nachfolgend als wenig gemeindeorientiert erwies. Wie zu sehen, ist also die von Bugenhagen noch sehr schematisch erwähnte Predigerwahl im Laufe des 16. Jahrhunderts zu einer durchaus komplexen Folge von einzelnen Abläufen angewachsen. Viele Aspekte der Pfarrwahl entwickelten sich dabei erst im Anschluss – so etwa die Probepredigt, die Ordination und die Beteiligung des ganzen Ministeriums. Rosenfeld resümierte diesbezüglich entsprechend: »Im Laufe der Jahre wurde die Lehrprüfung immer detaillierter festgelegt und eine Lehrverpflichtung gefordert.«1716 Dem ist durchweg zuzustimmen. Dennoch musste die KO aber nicht erneuert werden, sondern es blieb lediglich bei ergänzenden Ordnungen (1560, 1571) und Edikten (1588). Gewährleistet wurde der Bestand der KO durch Bugenhagens sehr offen gefasste Beschreibung der Vokation, wie sie eingangs im Kapitel zitiert wurde. Auch die durchaus flexible Handhabung der Vokation durch den Braunschweiger Rat, bei der die Geistlichkeit seit 1560 fast immer Berücksichtigung fand, verhinderte im 16. Jahrhundert größere Konflikte mit den Predigern, wie sie z. B. 1549 in Hamburg, 1550 in Göttingen und zwischen 1584 und 1591 in Augsburg auftraten.1717

2.3.5 Die Wahl der Kirchen- und Schuldiener Völlig unbeachtet blieb bei Bugenhagen 1528 die Wahl der weiteren Kirchendiener (Schuldiener, Kantoren, Küster/Organisten). Die KO spricht lediglich von den annemeren der Schuldiener, definiert sie aber nicht weiter.1718 Es bildete sich folglich sukzessive ein Gewohnheitsrecht, das verständlicherweise rasch zu Konflikten führte, da es normativ bis 1671 kaum festgehalten worden ist.1719 1542 musste der Rat erstmals vermitteln, weil ein Streit aufgekommen war, wer die unteren Schuldiener zu wählen habe. Kastenherren und Rektoren maßten sich jeweils das Recht an, die Lehrer zu erwählen. Der Rat entschied nun, dath de scholmester schullen gesellen annemen vnd vorloven mit weten der kastenhern; 1715 Vgl. Rosenfeld, Bugenhagen, S. 202 u. 219. Hier vor allem bezogen auf die Ordination. In Hamburg gestaltete sich die Pfarrwahl immerhin vor Einführung der KO (1526–1529) sehr gemeindezentriert. Vgl. Postel, Reformation in Hamburg, S. 224. 1716 Rosenfeld, Bugenhagen, S. 230. 1717 Vgl. zu Hamburg: Rosenfeld, Bugenhagen, S. 158. Zu Göttingen: Schoß, Ministerium, S. 87 und Petke, Kirchenpatronate, S. 444. Zu Augsburg: Warmbrunn, Zwei Konfessionen, S. 364–374. 1718 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 366. 1719 Sieht man von der wenig aussagekräftigen Passage über die Lehrerwahl in der 1597er Schulordnung ab (s. u.).

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sofern erneut errunge entstunde twischen den kastenhern vnd den scholmestern, sollte der Weichbildrat vermitteln.1720 Rektoren, Oppermänner und Kantoren wurden allerdings – ähnlich den Predigern – durch Superintendent, Weichbildrat und Kastenherren eingesetzt,1721 während die beiden deutschen Schreibschulmeister vom Gesamtrat und den Kastenherren berufen wurden.1722 Zweifellos unterschied sich dieses Prozedere maßgeblich von den üblichen Wahlbestimmungen der Zeit, in denen der betroffene Pfarrherr zumeist an der Kirchendienerwahl beteiligt war.1723 Das Ministerium beklagte sich darüber vielfach bei den Kastenherren im Generalkolloquium und wollte sich einen Anteil an der Wahl sichern. 1565 hatten die Geistlichen schließlich Erfolg: Es wurde von den Kastenherren bewilligt, das khain diener der kirchen oder schulen angenohmen oder enturlaubet werde ohn radt vnd mit wissen der pfarherren.1724 Chemnitz ließ sich dies 1567 bei seiner Wahl zum Superintendenten nochmals zusichern.1725 Sein Amtsnachfolger, Johannes Heidenreich, musste dem Ministerium im Zuge seiner Bestallung 1586 versichern, dass Organisten und Schuldiener nicht allein mit bewilligung des herrn superintendenten, sondern auch der prediger in einem ieden weichbilde gewählt werden sollten; so sei es bisher brauchlich gewesen.1726 Klagen des Ministeriums in den 1590er und 1600er Jahren belegen freilich, dass die Prediger – und selbst der Superintendent – zuweilen weiterhin nicht an den Wahlen beteiligt wurden.1727 Immerhin konnte durch den Superintendenten

1720 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 229r. 1721 Vgl. die Bestallungsurkunde des Organisten zu St. Martini 1577: Wir bürgermeister vnd radtt der alten stadt Braunschweig bekennen hiemit […] das wir mith vorwissen vnd bewilligung der alterleuthe […] Johannen Kellner für vnsern organisten vnd diener angenhommen vnd bestalt haben. StadtA BS, G II 1 Nr. 4, pag. 996. Zu den Rektoren, StadtA BS, G II 1 Nr. 31, Bl. 314v: Anno [15]67 den middewochen nach omnium sanctorum hatt der her superintendent M. Martinus Kemnitius, der her burg[ermeister] Hans Doring vnd jch Gerlof Cale camerer vnd provisor ecclesiae parrochialis S. Martini vth bevell des rathe vnd ministerij gehandlet mit dem schulmeistern […] dar he sich verplichtet, vnd verbunden heft vns vnd der scholen thodenende veer jhar […]. 1722 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 168, Bl. 44r sowie StadtA BS, G II 1 Nr. 31, Bl. 296r. Bei der Bestallung Wildfogels (1562) wurden aber z. B. Superintendent und Koadjutor nach der Wahl immerhin hinzugezogen und durften den Schreibmeister hinsichtlich seiner Glaubensansichten examinieren. 1723 Etwa in Goslar, Hamburg, Lübeck u. a., wo jeweils der Pfarrherr die Wahl mitbestimmte. 1724 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 144v. Gemeint sind hier eigentlich die Prädikanten, nicht die Pfarrherren. 1725 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 14v: Jn der bestellunge der schulen, opperleute v. organisten wolten sie [= Kastenherren M.V.] nichts ahn vndt wieder jhre pfarhern willen fürnehmen […]. 1726 StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 550v–551r. 1727 StadtA BS, B IV 11 Nr. 16, Bl. 42v (1594). Noch 1608 gab es mehrere Klagen, so z. B.: Weil dem opfferman zu S. Michael in senatu abgedanckt worden, ohne wißen vnd willen des superintendenten auch des pastoris des orts […] auch ein anderer ad probram zu singen

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spätestens seit den 1580er Jahren die Qualifikation der potenziellen Rektoren anhand von Probelektionen ermittelt werden.1728 Diese Lektionen waren öffentlich, wurden aber zwangsläufig im Beisein von Superintendent, Koadjutor, Ministerium und Lehrerschaft durchgeführt.1729 Auch bei Nichtbestehen des Examens behielt sich der Rat indessen das Recht vor, den Kandidaten trotzdem anzustellen – hierüber kam es im 17. Jahrhundert zu einem gewaltigen Streit mit dem Superintendenten.1730 Normativ festgelegt wurde der Wahlvorgang für höhere Schuldiener in der Schulordnung von 1596: Was die zael und annehmung der schuldiener belanget, bleibet es bey der ordnung welche vorlengst eingewilliget und bißdahero gehalten worden, das nemlich die furgeschlagenen personen nach erkundigung anhero beschrieben, durch den superintendenten befraget, zur probe gehoret und alßdann nach befindung einhellig vociret und publice eingewiesen werden.1731

Auch hier wurde aber, wie zu sehen, das eigentliche Wahlgremium vorsichtshalber umschrieben und die Beteiligten damit nicht normativ verankert. Lediglich die Probelektion vor dem Superintendenten war gesetzt. In den Bestallungspropositionen der Superintendenten Martini (1594) und Wagner (1606) ließ man die Wahlvorgänge jedoch erstmals etwas konkreter normativ fixieren. Die Schuldiener wurden demnach von Rat und Kastenherren mit consens des superintendenten vndt der prediger jedes ortts erwählt, die Oppermänner und Organisten (neben Rat und Kastenherren) mit conses der prediger jeder kirchen.1732 Die Wahl selbst blieb damit stets bei Rat und Kastenherren, lediglich die in ihrer Bedeutung nicht näher beschriebene Zustimmung der Geistlichkeit wurde konstitutiv festgehalten. Beispiele aus dem 17. Jahrhundert zeigen, dass die Mitwirkung der Geistlichen bei Bedarf aber vom Rat entweder umgangen oder deren Urteil einfach ignoriert wurde.1733 So hat sich hier das Fehlen genau

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fürgestalt worden, deme auch zusage geschehen sein solle vnd also senatus dem ministerio das seine hiermit nehme […]. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 30r. Die erste Lektion lässt sich 1583 nachweisen. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 70, Bl. 18v. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 234, Bl. 11r. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 107r. Der 1631 vom Rat berufene Rektor konnte die lateinischen Begriffe nicht einmal recht ablesen und hatte grobe vitia grammaticalia fürgebracht, daruber die jugend gelachet. Koldewey, Schulordnungen, S. 122. StadtA BS, B III 15 Nr. 18, S: 422r (1594). Zu Wagners Wahlproposition (1606): StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 56r. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 30r u. Bl. 107r. So wurde 1631 z. B. vom Rat gegen den Willen des Superintendenten, der Prediger und des Schulrektors ein Kantor (Berthold Borchert) bestallt, der in der Probelektion so grobe vitia grammaticulia [sic!] fürgebracht, darvber die jugend gelachet […]. In der vom Rat befohlenen zweiten Probelektion habe er es sogar ärger gemachet den die erste, vnd hette er ex charta, daraus er alles verzeichnet, nicht einmal recht ablesen können. Vgl. ebd., Bl. 107r. Dennoch ließ der Rat ihn gegen den Willen des Superintendenten auf Probe für ein halbes Jahr bestallen. Um die Introduktion,

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umrissener Prozessabläufe und Kompetenzen in der KO letztlich negativ auf die Entwicklung des Wahlprozederes ausgewirkt, das bis 1671 von Unklarheiten geprägt blieb.1734 Städtischerseits konnte man aber dennoch zufrieden sein: Den 1581 durch Herzog Julius verordneten Konsistorialexamina für angehende städtische Schuldiener wusste sich Braunschweig mit Verweis auf die eigene KO erfolgreich zu entziehen.1735 Die Wahlbefugnis der Kirchen- und Schuldiener blieb damit bis 1671 ganz in städtischer (Rats)hand.

2.3.6 Die Wahl von Koadjutor und Superintendent Wie die Wahl der Kirchen- und Schuldiener, so regelte Bugenhagen auch die Wahl der beiden leitenden Kirchenämter – Superintendent und Koadjutor – in seiner KO nur sehr knapp. Lediglich in einem Nebensatz wird erwähnt, dass der Superintendent dorch den erbarn radt unde de gemeyne darto vorordent werden soll, über die Wahl des Koadjutors wird gar nichts gesagt1736 Es musste sich folglich ein Gewohnheitsrecht zur Wahl entwickeln, dessen Resultate im Folgenden dargestellt werden sollen. Während sich von den äußeren diplomatischen Vokationsabläufen des Superintendenten bereits seit Nikolaus Medler (1545) einiges rekonstruieren lässt,1737 ist der stadtinterne Wahlprozess von Superintendent und Koadjutor erst mit Chemnitz ab den 1560er/70er Jahren richtig fassbar.1738 Freilich ist auch auf dieser Ebene, wie bei der Wahl von Kastenherren,

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welche der Superintendent verweigerte, entsponn sich daraufhin ein heftiger Streit. Zu einem weiteren Streit über die 1657 heimlich vom Rat durchgeführte Erwählung eines Kantors vgl. StadtA BS, B I 4 Nr. 63, pag. 493. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 107r: Weil der raht den opferman zu St. Michael abgedancket hette, ohne wissen und willen des superintendenten, auch des pastoris des orts, wie den auch ein ander die probe zu singen ist fürgestellet worden, deme auch zusage geschehen seyn solle […], so wurd gefraget was bey der sache zu thun wehre? […] Man solte in des sehl[igen] h[errn] D. Chemniti bestallung nachsuchen, ob darin etwas befunden, wornach man sich in hoc casu zu richten hette […]. Kolloquiensitzung von 1608. In der Konsistorialsitzung vom 10. 3. 1581 schlug der Kanzler vor, daß die stedte ohn des consistorij vorwißen die schulmeister nicht annehmen oder entsetzen sollten. Herzog Julius, der der Sitzung selbst beiwohnte, fand Gefallen an dem Vorschlag und fügte hinzu: also soll es mit den opperleuthen auch gehallten werden. Vgl. LKA WF, Voges 215, pag. 9 u. 11. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 373. Ob es sich hier bei der gemeyne tatsächlich um die Schatzkastenherren handelt, wie Schorn-Schütte annimmt, kann nur vermutet werden. Vgl. Schorn-Schütte, Papocaesarismus, S. 253 (Tabelle). Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 154. Gut unterrichtet ist man z. B. über die Wahlen Chemnitz’ (1567), Pouchemius (1571), Zangers (1577), Martinis (1594) und Wagners (1606) zu Koadjutoren, bzw. Superintendenten. Zum diesbezüglich leider wenig aussagekräftigen Vokationsschreiben des Rates an Mörlin, vgl. Roth, Erich: Ein Braunschweiger Theologe des 16. Jahrhunderts. Mörlin und seine Rechtfertigungslehre, in: JGNKG 50 (1952), S. 59–81, hier S. 80.

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Kirchendienern und Predigern, die Gemeinde entgegen der obigen Bestimmung nie zu Partizipationsrechten gelangt. Die Wahl beider Ämter, wie sie sich bis 1570 etabliert hatte, soll nachfolgend kurz skizziert werden. Die Amtsbezeichnung Koadjutor/Superintendent kann bei der Beschreibung des Wahlprozederes vice versa eingesetzt werden: Beide Wahlprozesse unterschieden sich nur unwesentlich. Bei eintretender Vakanz trachtete der Rat zunächst nach stadtfremden Theologen, denn da man eine person ex colloquio nostro dazu neme, möchte villeicht derselbige die autoritate nicht haben.1739 Um Vorschläge zu erhalten, wandte man sich bisweilen direkt an die Geistlichen oder bat vielfach auch in Wittenberg um geeignete Kandidaten.1740 Letzteres wurde selbst bei der Koadjutorenvokation von 1596 noch praktiziert, als Wittenberg seine führende Rolle in Teilen bereits eingebüßt hatte.1741 Blieb die Suche dennoch erfolglos, wurde vom Rat notgedrungen ein Kandidat aus dem Ministerium vorgeschlagen. Der potenzielle Kandidat musste als Voraussetzung beider Ämter mindestens einen Magistertitel aufweisen. Ein Doktortitel wurde – entgegen vielfacher Behauptungen in der Literatur – sowohl gemäß KO als auch de facto nie gefordert!1742 Entsprechend besaßen bei Amtsantritt zwischen 1528 und 1606 auch lediglich 50 % der Superintendenten einen Doktortitel, von den Koadjutoren konnte allein Polycarp Leyser diesen Titel aufweisen.1743 Hatte man nun entsprechend qualifizierte Theologen gefunden, so wählten die Ältesten (ein Ausschuss des Küchenrates) eine Person und riefen sodann den Superintendenten zu sich.1744 Stimmte der Superintendent nun der Nomination zu, so brachten die Ältesten die Entscheidung vor den Küchenrat, welcher zu1739 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 27r. Dazu vgl. Schoß, Ministerium, S. 37. 1740 So z. B. 1543. Johann Friedrich schlug daraufhin den Theologen Heinrich Lüneburger vor und bat Luther, den Kontakt zwischen Lüneburger und dem Braunschweiger Rat herzustellen. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 246, Bl. 8r. Letztlich wurde dann aber der ebenfalls über Wittenberg vermittelte Nikolaus Medler Superintendent. 1741 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 18, Bl. 431r. 1742 Vgl. z. B. Spieß, Nachmittelalter, S. 560. 1743 Schorn-Schüttes Angaben sind an dieser Stelle etwas korrekturbedürftig: Sie kommt nur auf zwei Superintendenten mit Magister (Martini, Wagner), vgl. Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 195. Tatsächlich waren auch Görlitz und Chemnitz (letzterer bei Amtsantritt) nicht promoviert. Lampe spricht z. B. vom wolgelarte[n] magister Martinus Gorlitius, vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 23. Doktoren waren Medler, Mörlin, Heidenreich und Leyser. Wie in Braunschweig so besaßen auch in Hildesheim (1550–1750) genau 50 % der Superintendenten einen Doktortitel. Vgl. Dürre, Kultur, S. 137. 1744 Pouchemius schulgen die eltesten des küchenradts vor (1571). StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 27r. Zanger wurde 1577 durch die eltesten gewählt und dann dem Küchenrat vorgeschlagen. Vgl. StadtA BS, B I 6 Nr. 5,1, Bl. 247r. Auch Martini wurde zunächst von den seniores ex senatu gewählt (1594). Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 76. Selbiges gilt für die (gescheiterte) Wahl des Dr. Georg Mylius zum Superindententen (1599). Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 18, Bl. 19v.

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stimmen oder ablehnen konnte. Jetzt erst wurden auch die Kastenherren aller Weichbilde hinzugezogen.1745 Nachdem diese ebenfalls zugestimmt hatten, wurde erneut der Superintendent benachrichtigt, der das Ergebnis dem Ministerium präsentieren sollte. Auch dieses musste vor der ausgehenden Vokation seinen Konsens geben. Vielfach wurden bei externen Vokationen durch einzelne Ratsabgeordnete oder den Syndikus vor Ort Erkundigungen über die Person des zu Berufenden eingeholt. Der Abgesandte hatte einigen Predigten des Kandidaten beizuwohnen und Informationen zu beschaffen, wie an der Instruktion des Syndikus zur (gescheiterten) Koadjutorenwahl von Theodor Fabrici (1596) ersichtlich wird: Darnegst vnd fürnemlich, soll sich vnser syndicus bey gutten leutten vnvormerckt erkunden, was bemelter herr M. Theodosius für ein jngenium habe, ob ehr auch friedsam, sittig vnd sedatus sey, vnd sich mit den andern hern des ministerij zu Göttingen in brüderlicher einigkeit begehe vnd kegen einen erbarn rhatt mit gebürender ehrerbietung bezeige […].1746

War man sich der Qualifikation des Kandidaten sicher, so konnte die Vokation ausgehen – bei der Wahl Pouchemius’ (1571) bestand Chemnitz hingegen zudem noch darauf, dass zuvor alle drei stende gemeinsam die Wahl bekräftigten; Vertreter der drei »Stände«1747 waren nach Chemnitz Ansicht der kuchenradt, ein auschuß aus dem colloquio vnd ein auschuß von den castenherren.1748 Tatsächlich hatte bei diesen drei »Ständen« die Gemeinde geringen Anteil, waren doch die Kastenherren vielfach selbst Ratsherren und auch nicht von der Gemeinde gewählt. Kam der Kandidat von außerhalb, so musste er zunächst noch (teils mehrere) Probepredigten erfolgreich ablegen.1749 Darauf folgte zumeist eine längere Verhandlung bezüglich des künftigen Gehalts,1750 darüber hinaus entwickelte sich seit der zweiten Jahrhunderthälfte (ab Mörlin) eine Art Wahlkapitulation (recapitulatio), die zwischen Superintendent und Rat im Zuge der 1745 Im Laufe des 17. Jahrhunderts haben sich allerdings auch zunehmend Wahlen überliefert, bei denen der Enge Rat (= Küchenrat) und die Kastenherren in einer gemainsamen Sitzung Kandidaten für das Superintendentenamt wählten. Vgl. z. B. StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 13r. 1746 StadtA BS, B III 15 Nr. 18, Bl. 365r–365v. 1747 Aus verfassungsrechtlicher Sicht waren die drei »Stände« in Braunschweig eigentlich: 1. Sitzender Rat, 2. Ratsgeschworene und 3. Gildemeister und Hauptleute. Vgl. Spieß, Ratsherren, S. 31. 1748 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 27r–27v. Hier wird das Verständnis der Zeitgenossen von der gemeyne deutlich: Das Kolloquium repräsentierte die Geistlichkeit, der Küchenrat den Rat, die Kastenherren die Gemeinde! 1749 Vgl. StadtA BS, H V Nr. 142 [o.P.], Vokationsschreiben Martinis (18. 2. 1590). Vgl. zu Leysers Probepredigt (1587): Rethmeyer, Historiae IV, S. 26. Auch: StadtA BS, B III 15 Nr. 18, Bl. 29r (1599). 1750 Die Bestallungsverhandlung Martinis (1594) hat sich protokollarisch erhalten. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 18, Bl. 398r–404r. Hierbei zeigt sich eine harte Verhandlung: Der Rat musste sein Ausgangsgehalt stark erhöhen.

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Bestallung ausgehandelt werden musste.1751 Gerade diese Wahlkapitulationen sind für die Fragestellung dieser Arbeit interessant, wurden sie doch nach und nach quasi zu Gesetzestexten, welche die Kirchenordnung massiv ergänzten und interpretierten! Nicht umsonst resümierte Chemnitz 1567, dass die Wahlkapitulation wichtig sei, da einige dieser Artikel nicht in der kirchenordnunge verleibet oder ja zur erklerunge vndt haltunge derselbigen dienstlich vndt notig wern.1752 Aushandlungsprozesse zu diesen recapitulationen haben sich von Chemnitz (1567), Heidenreich (1586), Martini (1594) und Wagner (1606) sowie späteren Superintendenten erhalten.1753 Insbesondere die Beibehaltung des geistlichen Strafamtes war demnach eine der wichtigsten Forderungen des neuen Superintendenten. Über diese hart ausgefochtenen Wahlkapitulationen konnten sich Superintendent und Ministerium gegenüber dem Rat im 16. Jahrhundert weitreichende Befugnisse dauerhaft garantieren lassen und taten dies auch erfolgreich.1754 Die Wahlkapitulationen wurden nach deren Ausfertigung im colloquio fürlesen, von allen fratribus approbirt vnd […] subscribirt.1755 Sie besaßen anschließend konstitutive Rechtskraft. Während die Einführung des neuen Superintendenten in Hamburg und Lübeck durch Bugenhagen sehr ausführlich geregelt wurde, ließ er sie in der Braunschweiger KO noch völlig offen. Entsprechend musste sich auch hier nach 1528 ein Prozedere entwickeln, welches ab den 1580er Jahren in minutiöser Form rekonstruierbar ist und sich bis mindestens 1636 in dieser Form belegen lässt.1756 Am Morgen des Investiturtages legte der neue Superintendent zunächst sein Glaubensbekenntnis (confession) in einer außerordentlichen Zusammenkunft des Kolloquiums auf Latein ab.1757 Anschließend versammelte man sich um 9 Uhr in der Brüdernkirche zur Amtseinführung.1758 Auf dem Chor war ein Ausschuss des Rates anwesend, hinzu kamen der Syndikus und sämtliche Prediger der Stadt sowie (wenn möglich) der städtischen Landgebiete. Auch die Schulbediensteten, Kastenherren und Diakone wohnten der Investitur bei. Der Ablauf der Veranstaltung wurde geleitet vom Syndikus, der auch die Einführungsrede hielt.1759 Dieser dankte den Anwesenden zunächst im Namen des Rates für ihr Erscheinen und präsentierte daraufhin den Geistlichen und Schuldienern ihren neuen Su1751 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 30r u. Bl. 52r. Auch: StadtA BS, A III 1 Nr. 334. 1752 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 15v. 1753 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 20, Bl. 39r–47r; StadtA BS, B IV 11 Nr. 51, Bl. 1r; StadtA BS, B IV 11 Nr. 16, Bl. 40r; StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 141. 1754 Vgl. zu den ausgehandelten Befugnissen des Ministeriums u. a. Kapitel 2.1.5.2 und 4.5. 1755 StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 143. 1756 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 180. 1757 Vgl. ebd. 1758 Vgl. ebd., pag. 76 u. 143 (sowohl bei der Investitur Martinis als auch Wagners). 1759 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 433; StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 143; StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 180.

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perintendenten. Man sollte sich fortan mit Fragen und Problemen an ihn wenden und ihn als ein caput huius ecclesiae ehren.1760 Sodann wandte sich der Senior (bzw. bei Investitur des Koadjutors der Superintendent) im Namen des Ministeriums an den neuen Amtsträger. Die ersten Worte galten hierbei allerdings zunächst dem Rat, welchem für die Neubestellung der Superintendentur gedankt wurde.1761 Sodann versicherte man dem soeben Präsentierten debitam reverentiam und erkannte ihn als neuen Superintendenten an, wünschte ihm auch Glück, Gesundheit und ein langes Leben und hoffte auf eine gute Zusammenarbeit.1762 Schließlich trat der Superintendent selbst hervor, bedankte sich ebenfalls bei den Anwesenden und betonte, dass er das Superintendentenamt eigentlich nicht habe annehmen wollen, es jedoch auf Drängen des Rates doch getan habe. Dies mag eine Bescheidenheitsformel gewesen sein, denn sie tritt bei allen nachweisbaren Superintendenten von Heidenreich bis Wagner auf (1586– 1606). Der Superintendent bat ferner alle Anwesenden um Beistand und eine gute Zusammenarbeit und versicherte dem Ministerium, sich seines ampts nicht zu vbernehmen, oder sie mit vngestüm zuüberfahren.1763 Zuletzt bestätigte er auch mündlich noch einmal die Annahme der »Artikel« (Wahlkapitulation) und erbat den Schutz und Segen des Heiligen Geistes: Hierauf haben die abgeordenten des rhats neben den kastenherren ihme einer nach dem anderen durch gebung der hende glück gewünsschet, vnd also darmit ihren abscheidt genommen.1764 Am folgenden Sonntag wurde der Superintendent/Koadjutor von allen Kanzeln bekanntgegeben.1765 Auch bei diesem Prozedere hat es zuweilen Probleme gegeben,1766 doch im Großen und Ganzen verlief die Wahl dieser beiden Ämter sehr konfliktfrei. Das war allein deshalb schon der Fall, weil die Geistlichkeit von Beginn an äußerst stark am Vokationsprozess beteiligt wurde. Vielfach war es gerade die Geistlichkeit, die auf Drängen (!) des Rates einen Kandidaten vorschlagen sollte, obgleich sie sich teils mit Verweis auf die KO dieser Verantwortung zu entziehen versuchte – so geschehen u. a. bei der Wahl Pouchemius’

1760 StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 434. 1761 Dies war freilich keine Selbstverständlichkeit und folglich keine leere Floskel! In zahlreichen Städten wurde im Laufe des 16./17. Jahrhunderts die Superintendentur zur Konfliktvermeidung durch den Rat abgeschafft. So z. B. in Hannover (1560), Magdeburg (1562), Hamburg (1593), Goslar (1599), Bremen (1656) u. Rostock (1675). 1762 StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 434. 1763 Ebd., pag. 436. 1764 Ebd., pag. 437. 1765 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 76. 1766 Etwa, als die Investitur Heidenreichs 1586 verschoben werden musste. Vgl. Rehtmeyer, Historiae IV, S. 4. Der größte Konflikt bestand bei der Wahl Johann Kaufmanns zum Koadjutoren (1597), als der Rat ohne Absprache mit Kastenherren und Ministerium Kaufmann berief. Dies war jedoch eine Ausnahme und der politischen Konfliktsituation der 1590er Jahre geschuldet. Vgl. Rehtmeyer, Historiae IV, S. 177.

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(1571),1767 Heidenreichs (1586)1768 und Martinis (1594).1769 Die Abläufe und Zuständigkeiten der Superintendenten- und Koadjutorenwahl wurden bis 1671 jedoch nicht rechtlich fixiert. Es blieb somit bei den oben beschriebenen Gewohnheitsrechten, die freilich um 1600 keinesfalls vage waren: Bis hin zur Uhrzeit der Investitur war jeder Schritt, wie oben zu sehen, sehr genau festgelegt – nur existierte diesbezüglich keine vom Rat approbierte Ordnung im Gesetzesrahmen. Sie musste sich im Anschluss an die KO erst gewohnheitsrechtlich herausbilden.

2.3.7 Entsetzung von Predigern und Kirchendienern Im Gegensatz zur Wahl der Kirchendiener konnte sich ein konstitutionell geregeltes Verfahren zur Entlassung der Kirchendiener bis zum Ende des Untersuchungszeitraums nicht entwickeln. Das mag auch an der vergleichsweise geringen Zahl von Predigerentlassungen in Braunschweig gelegen haben: Zwischen 1528–1599 wurden lediglich zehn lutherische Geistliche aufgrund eines Fehlverhaltens des Amtes enthoben – inklusive Alter/Krankheit betrug die Zahl 14.1770 Bereits im März 1528 hatten die Gemeinden von Hagen und Altewiek gefordert, sofern Prediger künftig wedder dat ewangelium oppentlyck predigenn offte nych lyckformych, scal men ße na twyer offte drier vormaninge van vorberoden e[inem] e[hrbaren] r[at] vnd der gemeyne ensettet werden, se synn we se willen.1771 Von einer direkten Beteiligung der Gemeinde sah man in der KO jedoch ab, lediglich die Schatzkastenherren wurden dem Rat als vermeintlicher »Gemeindeausschuss« beigeordnet. Bugenhagen stellte dann im September 1528 gemäß KO folgende Richtlinie auf: So ock anqueme sulke nöt, dat me eyneme sulken denere uth merkliker örsake moste örloff geven, so schol id ock geschehn mit dersulvigen wise dorch den radt, schatkastenheren unde de beyden predicanten etc.1772 Was Bugenhagen hier mit den beyden predicanten meinte, ist indes ungewiss. Vielleicht wurden darunter Superintendent und Koadjutor verstanden; die von der Vakanz betroffene Kirche konnte ja logischerweise keine zwei Prediger mehr aufweisen, da eine der maximal zwei Stellen unbesetzt war. So oder so sah Bugenhagen in der Ordnung jedenfalls eine Beteiligung der Geistlichen an

1767 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 27r: Darauff die eltesten begeret, das ich [= Chemnitz] inen möchte einen fürschlag thun, welchs ich mich beschweret. 1768 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 20, Bl. 85r. 1769 Vgl. StadtA BS, B I 4 Nr. 2, pag. 1002–1003; StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 76. 1770 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, Bl. 9r. Siehe auch Grafik 8. Lediglich Hoyer ist dort nicht eingerechnet, da dieser später vom Rat wieder angestellt wurde. 1771 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 52r. 1772 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 374.

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der Entsetzung von Predigern vor. Die Gemeinde blieb lediglich durch die Kastenherren im Prozess beteiligt, so jedenfalls die Theorie. In den ersten Jahren nach der Reformation (1529–40) fanden Entlassungen von Predigern vornehmlich aus konfessionellen Gründen statt – so wurden z. B. 1529 die Prediger Richard Schweinfuß und Heinrich Knigge von St. Ulrici nach einer Diskussion mit Bugenhagen beurlaubt.1773 Dabei richtete man sich allerdings zunächst nicht nach der KO. Entgegen der Ordnung wurden bei dieser Entlassung nicht nur die Kastenherren vom Rat hinzugezogen, sondern auch Gildemeister und Hauptleute. Letztere hatten hierbei sogar erstaunlich großen Einfluss, was sich am nächsten Prozess zeigt, der zwei Jahre später stattfand. Als es 1531 erneut zu Verhandlungen um das Bekenntnis zweier als Sakramentarier angeklagter Prediger1774 kam, ließen die Hauptleute den Angeklagten keine Bedenkzeit – entgegen des Willens der Bürgermeister: Es hat aber eine andere person, wie auch man wegen aller hauptleute ein hauptman Nein gesagt; es sollte den predigern keine bedenkzeit gegeben werden; da haben die [angeklagten M.V.] prediger in continenti sich müßen erklären.1775 Da die verdächtigten Cord Dume und Hermann Hoyer anschließend nicht zur Zufriedenheit der Anwesenden antworten konnten, wurde von den dreien ständen dahin geschloßen, daß man die beiden prediger zu St. Andreas, herrn Curd Dümen und herrn Hermann Hoyer sollte verabschieden, welches auch geschehen.1776 Ein Jahr später handelte man im Konflikt um die Lehre des linksreformatorischen1777 Predigers Johann Kopmann ähnlich – hier wurden nach Angaben einer späteren Chronik zunächst lediglich die Prediger und Kastenherren auf das Rathaus gefordert, später dann auch Gildemeister und Hauptleute.1778 Man entschied sich jedoch vorerst gegen eine Entlassung Kopmanns.1779 Im Verlauf der 1530er Jahre brachen weitere Zwis1773 Zu diesem Gespräch waren fünf Prediger vorgeladen worden (Schweinfuß, Knigge, Dume, Hoyer und Kopmann), nur Schweinfuß/Knigge erschienen jedoch, die anderen drei entschuldigten sich unter Vorwänden. 1774 Es handelte sich um Hermann Hoyer und Curd Dume zu St. Andreas. 1775 StadtA BS, H V Nr. 218, pag. 17. Zur Beteiligung der Gildemeister und Hauptleute vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 31. 1776 StadtA BS, H V Nr. 218, pag. 18. Laut Jünke wurde Dume verbannt, Hoyer entging dem Stadtverweis durch Unterschrift des städtischen Bekenntnisses, vgl. Jünke, Bekenntnis, S. 33. Ersteres lässt sich jedoch zumindest anzweifeln, da noch 1534 ein Cordt Dume als sacramentschender der Stadt verwiesen wurde, nachdem er bereits ein mal vom erbarn rade vormant worden sei. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 115r. 1777 Kopmann wird in zeitgenössischen Quellen wie auch in der Literatur (Beste, Album, S. 105) übereinstimmend als »Zwinglianer« bezeichnet, einmal sogar als ein Schwärmer gelick Munter (= Thomas Müntzer). StadtA BS, B I 14 Nr. 6, Bl. 443r. Koch ordnet ihn indessen entgegen der Ansicht Jünkes (Jünke, Kopmanns Bekenntis, S. 31–42) eher als einen Prediger »im Geist Schwenckfelds« ein. Vgl. Koch, Zwinglianer, S. 537. 1778 StadtA BS, H V Nr. 216, pag. 19. 1779 Die Angaben unter StadtA BS, H V Nr. 216, pag. 20 sind falsch. Demnach sei Kopmann 1531 entlassen worden.

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tigkeiten bezüglich der Lehre zwischen Kopmann und dem Superintendenten Görlitz aus. Letzterer konnte Kopmann aber nicht von der städtischen Lehre überzeugen,1780 weshalb hier Hilfe von außerhalb notwendig wurde. Im März 1538 erreichte Urbanus Rhegius Braunschweig und vermittelte bis April zwischen Görlitz und Kopmann. Die Inhalte dieser Unterredung sind leider nicht überliefert, doch wurde resümiert, Rhegius habe den vnwillen twischen dem supperattendenten vnd Jo[hann] Kopma[nn] bi gelecht.1781 Letztlich verließ Kopmann dann im Sommer 1539 Braunschweig, und zwar – und das ist erstaunlich – im Einvernehmen mit dem Rat.1782 Inwiefern hier gemäß KO weitere Vertreter neben dem Rat beteiligt waren, ist nicht überliefert. Im Laufe der Zeit ging der Rat jedoch dazu über, Hauptleute und Gildemeister nicht mehr im Falle einer Entlassung miteinzubeziehen und richtete sich damit sukzessive stärker an der KO aus. Das bekam z. B. 1553 Hektor Maler, Prediger an St. Leonhard, zu spüren, nachdem dieser sich in unziemlicher Weise mit den Jungfrauen seines anbefohlenen Konvents eingelassen hatte.1783 Vor allem aber wurde dies 1566 im Konflikt mit Johann Becker deutlich. Becker hatte sich während der 1560er Jahre zunehmend sowohl den Bremer Calvinisten als auch dem Majorismus zugewandt.1784 Er verteidigte die Lehren Hardenbergs, schickte seinen Schwiegersohn (als Pfarrer) in das als calvinistisch geltende Bremen und hatte selbst eine Vokation dorthin erhalten. Zunächst wurde der Fall vor dem Kolloquium verhandelt. Als dieses nichts ausrichten konnte, musste sich Becker am 28. 3. 1566 zunächst vor den Ältesten des Küchenrats verantworten, anschließend vor dem ganzen Küchenrat und den Zehnmannen – als Kläger fungierten Superintendent und Koadjutor.1785 Becker stritt die Verbindung nach Bremen nicht ab, ebenso wenig seine Vokation, hielt dem Rat aber vor das eben so 1780 So hieß es etwa 1531 in den stichpunktartig notierten Klagepunkten des Superintendenten kopmann schelt on vp der cantzil und sin vormanunge helpen nicht. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 22r. 1781 StadtA BS, B IV 11 Nr. 10 [o.P.]. 1782 Am 8. 8. 1539 wurde vereinbart, dass Kopmann eine ewige Leibzucht von 20 Gulden erhalten sollte, die er beim Hospital zu Unser Lieben Frauen einfordern durfte. Dafür wurden dem Rat etwaige noch ausstehende Forderungen Kopmanns bezüglich Besoldung und eines vom Rat zugesagten geistlichen Lehens erlassen. Zudem musste er die Stadt zwei Jahre verlassen und sollte anschließend nur mit Ratserlaubnis wieder die Stadt betreten dürfen. Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 7, pag. 139–141. Dass Kopmann (wie bei Jünke, Bekenntnis, S. 42 behauptet) erst 1540 die Stadt verlassen hat, ist demnach äußerst unwahrscheinlich und auch nicht nachzuweisen. 1783 Offiziell wurde er entlassen, weil er eine Jungfrau geschändet hatte (quod stuprasset virginem). Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, Bl. 9r. Auch: StadtA BS, H III 7 Nr. 5 Vol. 2, pag. 60. Demnach wurde Maler propter scortationem relegatus. 1784 So wurde Becker z. B. vorgeworfen, er habe im Buchladen heftig disputirt pro doctrina Maioris. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 16, Bl. 11v. 1785 Vgl. ebd., Bl. 13v. Becker wurde hierbei als sacramentarius und Anhänger des calvinismus angeklagt.

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wol alda das sacrament vnder baiderlay gestalt geraicht als hie und er ain Bremischen burger furgehabt, der jm bekannt, jm brot bey dem brott, mitt dem brott wurd jm geraicht der wahre leib christi.1786 Der Rat war durch Beckers Antwort beschwichtigt, meinte er doch zu sehen, dass Becker allenfalls etwas naiv war. Das Ministerium sah dies freilich anders, konnte sich aber gegen den Bescheid des Rates, Becker weiterhin als Prediger zu dulden, nicht durchsetzen. Es reagierte verärgert und gab dem Rat am 30. 3. 1566 zur Antwort, man habe sich mit dem Corpus Doctrinum nicht allain auff die affirmation also soll man lehren, sondern auch auf die negatiano, das soll man nicht lehren geeinigt.1787 Der Rat dankte zwar dem Kolloquium für die fleissige wacht, beließ den Prediger aber nach wie vor im Amt. Nachdem Becker dann jedoch am 9.4. ins »calvinistische« Bremen gereist war, sah auch der Rat die Notwendigkeit, Becker zu suspendieren: Am 22.4. beschloss er, Becker der Stadt zu verweisen. Binnen dreier Tage musste er die Stadt räumen, was er am 24. 4. 1566 schließlich auch tat.1788 Die Gemeinde und ihre Vertreter wurden also in diesem Prozess mittlerweile vollständig ignoriert, selbst die Geistlichkeit hatte offensichtlich nur beratende Funktion. Dies wurde auch in der Vokationsordnung von 1571 nochmals festgehalten. Die Kastenherren waren dort wiederum eindeutig als Vertreter der Gemeinde festgeschrieben, die Rolle der Geistlichkeit war hingegen unscharf definiert.1789 Nach den gängigen Theorien der Lutheraner war die Gemeinde in die Entscheidung einer Pfarrerentlassung miteinzubeziehen – dies machte etwa Chemnitz 1573 in einem Schreiben an die Magdeburger deutlich, in welchem er betonte: Denn wie der kirchen vnd der gemeine consenß vnd wille von nöten ist wen einer legetime vociret wird; Also kan auch one der kirchen consenß vnd willen keine verlassung der kirche mit guttem gewissen gescheen.1790 Bei der Freistellung Johann Henneckes, Pastor zu St. Ägidien, wurde die Gemeinde drei Jahre darauf (1576) jedoch trotzdem nicht miteinbezogen. Dieser beklagte sich über sein zu 1786 Ebd., Bl. 14v. 1787 Ebd., Bl. 15v. Dieses Verhalten des Rates gab Chemnitz 1567 den Anlass, bei seiner Wahlkapitulation als Superintendent darauf zu bestehen, dass in künftigen Fällen nicht wie bei M. Beccero gegen die Ansicht des Ministeriums gehandelt werden solle. Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, Beylage, S. 133. 1788 Vgl. ebd., Bl. 18r. Ein kurzer Bericht von Chemnitz zu diesen Vorfällen findet sich abgedruckt bei: Rehtmeyer, Historiae IV, Supplementa, S. 98–99. 1789 Da die Vokationsordnung eine Predigerentlassung mit keinem Wort erwähnt, ist der dort beschriebene Prozess der Vokation und die entsprechende Beteiligung des Ministeriums (Examen etc.) nicht ohne weiteres auf eine Predigerentlassung anzuwenden. Evtl. dachte Chemnitz bei Erstellung der Ordnung gar nicht an den Entlassungsprozess. Juristisch wurde bei den Streitigkeiten zur Predigerentlassung in den 1590ern jedoch vom Rat auf diese Ordnung rekurriert. Die Ordnung ist auch gedruckt bei: Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 456–458. 1790 StadtA BS, B IV 11 Nr. 20, Bl. 51v, auch abgedruckt bei Rehtmeyer, Historiae III, Beylage, S. 340.

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geringes Einkommen und hatte eine Vokation aus Hamburg erhalten, die er willens war anzunehmen.1791 Küchenrat und Kastenherren ließen Hennecke schließlich nach Absprache mit dem Superintendenten widerwillig ziehen, nachdem er die Versetzung auf eine größere Pfarre (St. Katharinen) abgelehnt hatte – auch hier war die Gemeinde (wie im Falle Malers und Beckers) nicht befragt worden. Ähnlich verlief ein Jahr zuvor die vom Koadjutor Pouchemius gewünschte Entlassung nach Lübeck – auch hier wurden Superintendent und Ministerium 1574/75 involviert, die Gemeinde hingegen außen vor gelassen.1792 Üblicherweise stieß diese seit den späten 1530er Jahren sukzessive etablierte Vorgehensweise des Rates durchaus auf Verständnis. Es herrschte keine revolutioniäre Umbruchsphase mehr, wie es noch 1528–32 der Fall gewesen war und so wurden Gilden und Gemeinde bei der Predigerentlassung nicht mehr hinzugezogen. Dies führte zunächst auch nicht zu Konflikten, denn Entlassungen wurden, wie man gesehen hat, zumeist dann vorgenommen, wenn der Prediger in seinen konfessionellen Ansichten oder in seiner Amtsführung nicht mehr toleriert werden konnte. Hier deckten sich die Ansichten von Rat und Gemeinde. Ab den 1580er Jahren änderten jedoch zwei Entwicklungen diesen Umstand: 1. verschärfte sich gerade in dieser Zeit die konfessionelle Polemik im Reich und führte verstärkt zu politischen Komplikationen durch kontroverstheologische Geistliche;1793 2. begannen zu dieser Zeit in Braunschweig die innenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen dem Rat und den Bürgerhauptleuten als Gemeindevertreter.1794 Diese Faktoren spielten bei den Entlassungen von Petri1795 (1587/88), Heckelius (1588), Leyser (1594) und Möller (1596) sowie dem (gescheiterten) Entlassungsprozess um Leporinus (1597–98) eine maßgebliche Rolle: Prediger, die lediglich aus politischen Gründen vom Rat nicht mehr akzeptiert werden konnten, waren bei der Gemeinde hierdurch noch lange nicht verpönt – im Gegenteil! Hier deckte sich die Meinung des Rates nicht mehr mit jener von Gemeinde und Geistlichkeit, was aufgrund mangelnder Richtlinien in der KO zwangsläufig zu Auseinandersetzungen führen musste. Der erste Streitfall bahnte sich im Winter 1587/88 um den Pfarrer Friedrich Petri an. Petri war der erste Prediger, der die 1586 eingeführte Zensur zur Veröffentlichung von theologischen Schriften zu spüren bekam.1796 1587 hatte er ein 1791 Vgl. StadtA BS, B I 6 Nr. 4, Bl. 68r–68v. 1792 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 39, Bl. 34r. 1793 Vgl. Schilling, Konfessionalisierung, S. 24. Er bezeichnet die Zeit der 1580er bis 1620er in seinem Modell als »Höhepunkt der Konfessionalisierung«. Zur Kritik an diesem Modell vgl. u. a. Plath, Konfessionskampf, S. 71. 1794 Vgl. Walter, Rat, S. 48ff. 1795 Petri wurde nur der Kanzel enthoben, nachdem er sich entschuldigte aber wieder als Prediger zugelassen. 1796 Vgl. dazu das Kapitel 3.1.2.

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lateinisches Gedicht in den Druck gegeben, durch welches sich die (derzeit kryptocalvinistische) Universität Wittenberg geschmäht fühlte.1797 Sie beschwerte sich beim Rat. Petri wurde daraufhin umgehend die cantzel verboten, aus den vrsachen, weil er wider des rahts gebot ein carmen in druck gegeben, darin er die Wittenberger geschmehet.1798 Ministerium und Gemeinde wurden hierbei nicht gefragt. Der sich nun anbahnende Konflikt konnte in diesem Fall aber noch einmal vermieden werden, da Petri gutwillig erklärte, daß er die Wittenberger damit nicht gemeinet; daraufhin wurde ihm vom Rat am 12. 2. 1588 die cantzel wieder vergönnet.1799 Der nächste Konflikt brach jedoch bereits im Herbst selben Jahres aus. Georg Heckelius, ein Prediger zu St. Martini, hatte 1588 einen Brief an seinen Freund Dr. Georg Müller in Wittenberg geschrieben. Darin beklagte er die konfessionelle Haltung des sächsischen Kurfürsten Christian, welcher dem Kryptocalvinismus anhing.1800 Christian erfuhr von dem Brief und verlangte nun vom Braunschweiger Rat, Heckelius zu einer schriftlichen Entschuldigung bzw. einem Widerruf zu zwingen (5. 10. 1588).1801 Umgehend wurde Heckelius vor die Ältesten des Rates geladen und bekannte sich dort zu dem Brief.1802 Am 18. 10. 1588 wurde er sodann vor den Küchenrat geladen – hier verbot man ihm nun die Kanzel, auch sollte er sich vorerst der Stadt enthalten. Gemeinde und Ministerium hatten zu diesem Zeitpunkt von der Handlung noch keinerlei Notiz genommen. Erst nachdem der städtische Syndikus Dr. Mascus das Ministerium am 19.10. über Heckelius informierte, wandte sich dieses am Tag darauf an den Rat und bat für den Prediger.1803 Man wolle sich nicht darin mengen, lege aber eine fürbitt für Heckelius ein und hoffe, dass der Fall wie hibevor immer gescheen im Kolloquium ausgehandelt werden dürfe.1804 Am 21.10. baten nun auch die pfarkinder zu S. Merten für Heckelius: Dass Prediger nicht wegen falscher lehre sondern vnthatenn halber verweiset worden, [… sei] so lange das evangelium durch gottes gnade vnd segen alhir bey vns nun in die siebentzig jahr gewesen nicht erhoret.1805 Die Intervention der Gemeinde blieb indessen ohne Erfolg. Eine weitere Klageschrift des Kurfürsten und eine erneute Vorladung vor den Rat (16. 11. 1588) folgten: 1797 1798 1799 1800

1801 1802 1803 1804 1805

Eine Abschrift des Gedichts findet sich unter: StadtA BS, H V Nr. 142 [o.P.]. Ebd. StadtA BS, H V Nr. 142 [o.P.]. Zu Christians konfessioneller Haltung, die maßgeblich von seinem Kanzler Krell beeinflusst wurde, vgl. Blaschke, Karl-Heinz: Religion und Politik in Kursachsen 1586–1591, in: Schilling, Heinz (Hrsg.): Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der »Zweiten Reformation«, Gütersloh 1986, S. 79–97, hier S. 82. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 3v. Vgl. ebd., Bl. 37v. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 53, Bl. 7v. Auch: StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 9v. StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 9v. Ebd., Bl. 19r.

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Heckelius erhielt acht Tage Bedenkzeit. Nochmals bat die Pfarrgemeinde zu St. Martini am 21.11. vergeblich für Heckelius und bot sogar die Veranlassung eines universitären Rechtsgutachtens auf eigene Kosten an. Der Rat lehnte auch dieses Ansinnen ab. Da Heckelius den Inhalt seines Briefes nicht widerrufen wollte, wurde ihm schließlich trotz aller Einsprachen am 27.11. vom Rat mitgeteilt, dass er binnen 5 Tagen die Stadt verlassen solle.1806 Von der Entlassung und Verbannung Heckelius’ erfuhr das Ministerium erst durch diesen selbst: Es war hierüber fast bestürtzt und verlangte, dass die Ratsherren die vrsache antzeigen konten, dan sie befahren, das jhnen vorgeworffen werden müchte, das man vonn den schrifften Morlini vom beruff der prediger abgeschritten, darin gesatzt, das die obrigkeit als ein mitglietmaß der kirchen nicht allein solche diner entsetzen konte.1807 Der Rat sah es nicht mal als notwendig an, dem Ministerium hierauf eine Antwort zu geben.1808 Dies ist erstaunlich, scheint die Gemeinde zu St. Martini doch so in Aufruhr gewesen zu sein, dass Heckelius bei seiner Verbannung anbefohlen wurde, er solle die Gemeinde bei seinem Wegzug nicht aufwiglen, wie sie dan auß der Altenstadt albereidt in zimlicher antzall in S. Martens kirchen gewesen.1809 Heckelius erhielt immerhin ein gutes Zeugnis seiner Lehre1810 und wandte sich damit nach Königsberg.1811 Konfessionelle Streitigkeiten waren auch bei der Entlassung des streng lutherischen Rektors an St. Martini, Nikodemus Frischlin, ausschlaggebend für Konflikte: Frischlin hatte sich 1589 in einer eigens publizierten Streitschrift hinter seinen Freund Polycarp Leyser gestellt und dabei die kursächsischen Kryptocalvinisten heftig kritisiert.1812 Beeinflusst vom kryptocalvinistischen Obersyndikus Michael Mascus wurde der Rat anschließend dazu bewegt, Frischlin seines Amtes zu entheben – gegen den ausdrücklichen Willen der gesamten Geistlichkeit und der Gemeinde.1813 Das positive Zeugnis, welches das 1806 Vgl. ebd., Bl. 40r. 1807 Ebd., 34r. Das Buch Mörlins »Von dem Beruff der Prediger« (1565) war eine von ihm privat veröffentlichte Schrift und kein Stadtgesetz o. ä. Zur dortigen Predigerentlassung vgl. Mörlin, Beruff, Bl. Ev. 1808 Der Ratsschreiber notierte in den Akten, man brauche keine Antwort geben und bedürffe jrer defension nicht, weil der rhat vf des Heckelij bekantnus, das ehr den brieff geschrieben, das gethan was jnen als obrigkeit gebürt. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 35r. 1809 StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 302. 1810 Vgl. StadtA BS, B I 3 Nr. 25, pag. 481–482. 1811 Heckelius kam im April 1591 nochmals nach Braunschweig, wurde aber mangels Versöhnungsbescheids (mit Kurfürst Christian I.) erneut mitsamt Familie der Stadt verwiesen. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 68r–69v. 1812 Vgl. Sühring, Hartmut: »Öffentliche widersprechung« (1590) – eine Protestschrift des Rats der Stadt Braunschweig und seines Syndikus’ Michael Mascus gegen die »Famosschrift« (1590) von Nikodemus Frischlin (1547–1590). Mit 2 Abbildungen, in: BsJb 63 (1982), S. 121– 125. 1813 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 11, Bl. 10r–11v.

Jus Patronatus und Vokationsprozedere

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Ministerium für Frischlin ausstellte, wurde vom Rat nachfolgend nicht anerkannt und führte zu weiteren Streitigkeiten.1814 Auch hier ließ sich der Rat demnach nicht durch Geistlichkeit und Gemeinde beeinflussen. Bei der Entlassung des Superintendenten Polycarp Leyser,1815 die sich über zwei Jahre (1592–94) hinzog, versuchten Geistlichkeit und Gemeinden erneut vergeblich zu intervenieren.1816 Die Hauptleute wandten sich mehrfach erbost an den Rat, obgleich dieser eigentlich nicht Intitiator des Weggangs Leysers war. Letzterer wollte, nachdem in Sachsen mit Christian II. wieder ein lutherisch gesinnter Fürst an die Macht gekommen war, die dortige lutherische Kirche stärken und hatte um seine Entlassung gebeten.1817 Freilich hätte der Rat ihm die Beurlaubung verweigern können und tat dies nicht – hiergegen wandten sich vornehmlich die Bürgerhauptleute. Diese votierten bereits am 30. 10. 1592 in der Versammlung gegen die Entlassung und wollten maximal eine zweijährige Beurlaubung akzeptieren – die Geistlichkeit schloss sich dem an. Im April 1593 übergaben die Hauptleute im Namen der Gemeinden erneut eine Schrift an den Rat, in welcher sie sich für Leyser aussprachen: Demnach betonte die ehrliche Bürgerschaft/ als ein fürnehmes Theil und Glied der Kirchen dieses Orts/ ausdrücklich/ sie setzten sich in diesem nicht wider E. E. Raht/ sondern derselbe/ als nur ein Gliedmaß der Christl. Kirche/ setze sich wider das Ministerium und gantze Corpus der Christl. Gemeine/ welches zwar nicht allein mit Schmertzen zu vernehmen/ sondern zu erbarmen sey/ daß die Unterthanen sich eines solchen über eine Christl. Obrigkeit beklagten.1818

Eindeutig sprach die Bürgerschaft damit dem Rat seine alleinige Befugnis in Vokationsfragen ab, da auch er nur ein Teil der Kirchengemeinde sei. Von Erfolg war diese Eingabe allerdings nur bedingt, wie Walter festgestellt hat: »Solchen Gedankengängen gegenüber verschloss der Rat die Ohren.«1819 Nach längeren Verhandlungen, die von einer aufgebrachten Volksmenge begleitet wurden, ließ sich der Magistrat zwar dazu bewegen, die ursprüngliche Entlassung in eine zweijährige Beurlaubung abzuändern:1820 Schließlich mussten die Stände dann aber dennoch akzeptieren, dass Leyser 1594 endgültig nach Sachsen zog. Zu heftigen Auseinandersetzungen kam es schon zwei Jahre darauf, als der Pfarrer Andreas Möller zu St. Ulrici im Anschluss seiner Weihnachtspredigt 1814 Vgl. ebd., Bl. 10v. 1815 Zu Leyser vgl. ausführlich: Sommer, Wolfgang: Die lutherischen Hofprediger in Dresden. Grundzüge ihrer Geschichte und Verkündigung im Kurfürstentum Sachsen, Stuttgart 2006, S. 115–136. 1816 Vgl. Walter, Rat, S. 56; Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 417–418. 1817 Zu den Verhandlungen vgl. u. a. StadtA BS, B I 4 Nr. 2, pag. 581–585. 1818 Zitiert nach: Rehtmeyer, Historiae IV, S. 115. 1819 Vgl. Walter, Rat, S. 56. 1820 Vgl. Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 418; Rehtmeyer, Historiae IV, S. 117ff.

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(1596) den Kaiser verunglimpfte.1821 Möller hatte gewettert, wenn nicht vnser gläubig andechtigs gebett den türcken zurück triebe, so würde es vnser verhurtter kayser mit seinen verhuerten vnd frantzösischen kriegsvock nicht ausrichten.1822 Nach den Feiertagen wurde Möller daher vor den Rat beordert, umgehend des Amtes enthoben und aus der Stadt verwiesen.1823 Nach ersten Klagen des Ministeriums wurde von Seiten des Rates betont, dass vnser kirchenordnung, wie oben angetzogen am 48. blat deutlich vermag, das solche sachen vns dem rhatt sampt den kastenhern, mit zuthun des superintendenten allein zustünden.1824 Dies bezog sich aber bei genauerer Betrachtung nur auf die Wahl der Prediger – den oben zitierten Passus zur Entlassung, bei welcher auch zwei Prediger hinzugezogen werden sollten, ließ der Rat zunächst unerwähnt.1825 Überdies fehlte das Ministerium in der KO ja noch gänzlich, sodass man üblicherweise (auch in der Vokationsordnung 1571) immer das ganze Ministerium – und nicht nur den Superintendenten – eingebunden hatte. Daher bedrängten sowohl das Geistliche Minsiterium1826 als auch die Bürgerhauptleute der Gemeinde den Rat nun derartig, dass dieser sich genötigt sah, im Februar 1597 ein Gutachten der juristischen Fakultät Wittenberg über die ratsherrlichen Rechte an der Pfarrentlassung in Auftrag zu geben.1827 Dieses fiel verheerend für die bisherige Kirchenverfassung Braunschweigs aus: Sonsten ist es wol an dem, das prediger vnd kirchendiener mit bewilligung aller dreyer stände, als nemlich der obrigkeit, des ministerii, vnd der gemeine beruffen, vnd auch entvrlaubet werden sollen […] gleichwol aber gebühret den vorstehern oder kasten herrn nicht, das jhrige ohne einigen respectum der gemeine zu suchen […]. Die prediger betreffende, scheinet aus der anno 71 gerichteten ordnunge, das sie [mehr] vmb glimpfs willen den aus guttem vertrawen den andern beyden ständen zimlig vil eingereumet haben. Es hätte bei der dimission zumindest ein Ausschuss des Ministeriums mitwirken müssen. Man könne daher den herren des ehrwirdigen colloquii nicht vordenken, wen sie an gedachter dimission ihre notdurft desideriren vnd beschiedentlich einwenden.1828

1821 Zu den Konflikten um Möller vgl. StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 506; StadtA BS, H III 7 Nr. 5, Vol. 2, pag. 272; StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 429v–447r; StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 77 [Tintenpaginierung]. 1822 Ebd., Bl. 429v. 1823 Möller erhielt 1597 immerhin vom Rat ein Zeugnis ausgestellt. Vgl. StadtA BS, B I 4 Nr. 4,2, pag. 25. 1824 StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 433r. 1825 Denn die dort u. a. als Wahlberechtigte genannten »zwei Prediger« hätten wenigstens Superintendent und Koadjutoren impliziert. 1826 Mit Ausnahme des Superintendenten und des Predigers Melchior Leporinus. Vgl. Beste, Album, S. 73. 1827 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 429v u. Bl. 444r. Brief des Rates an die Fakultät (25. 2. 1597) und Gutachten der Fakultät (23. 3. 1597). 1828 Ebd., Bl. 446r–447r.

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Auf Basis dieses Gutachtens bat daraufhin neben der Gemeinde auch das Ministerium, Möller wieder nach Braunschweig zurückzurufen.1829 Der Rat beurteilte die Lage jedoch anders als die Wittenberger Juristen und schlug die Bitte umgehend ab.1830 In seiner Verantwortung stellte er gegenüber Gemeinde und Geistlichkeit klar: Es saget unser christliche kirchenordnung, daß die gantze christliche gemeine einem ehrbaren raht vollkommene macht und gewalt aufgetragen habe, mit zuthun des herrn superintendenten und coadiutoris und der schatzkastenherrn, prediger anzunehmen und zu entuhrlauben.1831 Infolgedessen hielt der Ulrikiprediger Barthold Völkerling eine Strafpredigt gegen den Rat, in welcher er dessen eigenmächtige Predigerentlassung scharf attackierte: Möller sei zwar vom Rat aus Braunschweig ins Exil getrieben worden, aber ihr sollet wißen, daß ehr nicht von Godt von seinem ampt entsetzet.1832 Völkerling wurde daraufhin im März 1597 – ohne weitere Absprache mit den Ständen – vom Rat des Kanzeldienstes enthoben.1833 Überdies ließ der verängstigte Rat ein Schreiben an den Kaiser in Prag ausgehen, in welchem er diesem den Sachverhalt klarzustellen und sich für die Strafpredigten seiner Geistlichen zu entschuldigen versuchte.1834 Der Konflikt zog sich noch bis 1598 hin und verband sich bald mit der Frage nach der Entlassung des Predigers Melchior Leporinus (1597/98), die von den Bürgern gefordert, vom Rat aber letztlich abgelehnt und damit auch konsequent verhindert wurde.1835 Während die Bürgerhauptleute den Kastenherren bei einer Predigerentlassung nicht mehr die Gemeindevertretung zuerkennen wollten, verlangte das Geistliche Ministerium seinerseits klare Rechte und wollte, dass die Predigerentlassung künftig nur noch mit Hinzuziehung des Ministeriums durchgeführt werden solle (7. 9. 1598). So verlange es schließlich auch die Wahlkapitulation, die man 1567 mit Superintendent Chemnitz aufgestellt ha-

1829 StadtA BS, B I 4 Nr. 4,1, pag. 20: Die herrn des ministerij ubergeben supplication, bitten M. Andream Mullerum auß seinem exsilio zu removiren vnd zu seinem dienst wiederumb zugestatten. Die facultas theologica Wittenbergensis jntercediret vnd bittet gleichsfals. Klage des Ministeriums vor dem Rat am 14. 3. 1597. 1830 Vgl. ebd.: Decretum: supplicirten suchen vnd Wittebergensium jnterceßio seind abgeschlagen. 14. 3. 1597. 1831 StadtA BS, H III 7 Nr. 5, Vol. 2, pag. 272. Verwantwortung vom 14. 1. 1598. 1832 StadtA BS, B I 4 Nr. 4,1, pag. 27. 1833 Er durfte aber bald darauf wieder predigen. Vgl. Beste, Album, S. 73. 1834 Vgl. ebd. Dies war insbesondere im Hinblick auf den derzeit schwelenden Streit mit Herzog Heinrich Julius, der einen besonders guten Kontakt zum Kaiser pflegte, von ernormer politischer Relevanz. 1835 Vgl. u. a. StadtA BS, B III 15 Nr. 10 sowie Kapitel 4.9.

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be.1836 Wie im Jahr zuvor dementierte der Rat dies und legte KO und 67er Vertrag anders aus, als es das Ministerium tat. Ob sich die Prediger auf lange Sicht mit ihren Forderungen durchsetzen konnten ist ungewiss. Im Streit um die von einigen Bürgern gewünschte (und letztlich vom Rat vereitelte) Entlassung der beiden Prediger zu St. Magnus1837 (1598–1599) wurde jedenfalls vom Altewiekrat 1599 betont, man habe in einer newen ordnung1838 festgelegt, das kein diener gottlichs worts enturlaubet, oder seines ambts entsetztet werden solle, es geschehe dann vermöge der kirchenordnung, mit vorbewust deß herrn superintendenten vnd mit zuthun vnd bewilligung des rhats vnd der schatzkastenherren.1839 Ministerium bzw. die Hauptleute als Gemeindevertreter werden hier folglich nicht erwähnt. Fest steht zudem, dass der wegen schlechter Amtsführung angeklagte Pfarrer Jakob Gilberti am 16. 3. 1616 nach einem langen Prozess vor dem städtischen Konsistorium per Konsistorialdekret der Stadt verwiesen wurde.1840 Dies spräche dann immerhin für eine partielle Umsetzung des Gesuchs der Geistlichkeit, da im Konsistorium zumindest Superintendent, Koadjutor und Senior vertreten waren.1841 Nachdem die Bürgerhauptleute 1604 entmachtet worden waren, konnten diese (und damit die Gemeinde) keine Einflussmöglichkeiten bei der Pfarrentsetzung mehr erlangen. Wie auch bei der Pfarrwahl blieb die Gemeinde damit effektiv auch bei der Pfarrentlassung (rechtlich) unbeteiligt, sieht man von den Kastenherren einmal ab. Deren Bedeutung als Gemeindevertretung war aber ja, wie schon am obigen Streit ersichtlich wurde, äußerst umstritten. Ein geregeltes Verfahren zur Pfarrerentlassung hat sich bis 1599 demnach nur bedingt entwickeln können, obgleich sich Rat und Kastenherren schließlich durchaus gemäß KO behaupten konnten. Hatten anfänglich die Stände (Gildemeister, Hauptleute, Geschickte) entgegen der KO noch Mitspracherechte, so 1836 StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 600v. Auch andere Konflikte wurden in diesem Zusammenhang als Exempel herbeigezogen, etwa jener um die Pfarrerentlassung in Greifswald und Nürnberg. Ebd., Bl. 601v. 1837 Dies waren Autor Rennebock und Georg Oeding. Oeding war offensichtlich in der Tat bei einigen Bürgern verhasst. So ließ sich 1598 ein Bürger u. a. vernehmen, Oeding »hätte in seiner Samtmütze den Teufel, der ihn holen würde.« Vgl. Schütte, Otto: Zum Volksleben in Braunschweig vor dem Dreißigjährigen Kriege, in: Braunschweigisches Magazin 7 (1906), S. 78–82, hier S. 79. 1838 Was hier mit der newen ordnung gemeint ist, konnte nicht ermittelt werden. Weder in der PO von 1573/79 noch in der Vokationsordnung (1571) handelt der achte Artikel von der Entlassung der Geistlichen. 1839 StadtA BS, B IV 11 Nr. 72, Bl. 5v. 1840 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 232, Bl. 30r; vgl. zum Prozess: StadtA BS, B I 5 Nr. 20, Bl. 84r; StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 108r. 1841 Damit wäre dies auch ein Beispiel für den von Landwehr in seinem Modell beschriebenen reziproken Implementationsprozess von Ordnungsmustern, Vgl. Landwehr, Normdurchsetzung, S. 153.

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schloss man diese in der zweiten Jahrhunderthälfte von den Verfahren gänzlich aus, was insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten zu großen Spannungen führte: Die Gemeinde fühlte sich von den Kastenherren, die Bugenhagen als Gemeindeausschuss intendiert hatte, nicht vertreten, waren sie doch überwiegend selbst Ratsherren, die sich überdies teilkooptativ ergänzten.1842 Der Rat blieb schließlich in strittigen Fällen als alleinige Instanz für Pfarrentlassungen bestehen. Allerdings stand er außenpolitisch auch vielfach stark unter Druck: So wollte man z. B. die Gunst des Kaisers oder des sächsischen Kurfürsten verständlicherweise nicht verspielen. Aus diesem Grund ließ der Rat in politisch brisanten Verfahren keinerlei Einmischung zu – weder von Seiten der Gemeinde, noch von Seiten der Geistlichkeit. Zumindest Letzeres hat dem Geist der KO eindeutig widersprochen. Allerdings zeigt sich hierin ein typisches Merkmal der nachreformatorischen Stadtkirchenverfassung: Sobald es hart auf hart kam, war und blieb der Rat Summus Episcopus und setzte dies auch kompromisslos durch.

2.4

Reformation des städtischen Landgebietes

Während die Entwicklung der Kircheninstitutionen und der Vokation in der Stadt nach und nach geregelt wurde, nahm die Entwicklung im städtischen Landgebiet einen gesonderten Verlauf. Denn obgleich sich die reformatorischen Vorgaben im Stadtgebiet zunehmend verfestigten, so blieben doch die zugehörigen Landgebiete nach wie vor altgläubig. Zu sehr hatte man sich bislang vor Maßnahmen des Herzogs gefürchtet – und dies nicht zu unrecht, war der Herzog doch auf dem Land weitaus einflussreicher als der Rat. Als problematisch sollte sich dieser Umstand künftig deshalb erweisen, weil die wenigen altgläubigen Bürger nach 1528 – neben dem Dom St. Blasius – auch die katholischen Pfarrkirchen auf dem Land besuchen konnten – obgleich beides freilich verboten war. Im Vergleich zu den meisten südlichen Reichsstädten besaß Braunschweig um 1528 allerdings einen eher bescheidenen Landbesitz. Neben der Landwehr und den darin gelegenen Dörfern Lehndorf, Rüningen, Rüme, Ölper, Melverode, Mascherode und Rautheim hatte die Stadt noch pfandweise die herzoglichen Gerichte Asseburg und Eich inne. Hinzu kamen die Dörfer Ampleben, Vechelde und Schandelah.1843

1842 Vgl. dazu ausführlicher unten in Kapitel 3.2. 1843 Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 610–615. Zum Landgebiet der Stadt Braunschweig vgl. Germer, Heinz: Die Landgebietspolitik der Stadt Braunschweig bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts, Göttingen 1937 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 2). Von den sieben genannten Landwehrdörfern waren vier Pfahldörfer: Rüningen, Rüme, Ölper und Lehndorf.

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Bereits kurz nach Einführung der städtischen Reformation verlangten die Bürger vom Rat auch eine Änderung der Zeremonien in der Landwehr. Der Rat lehnte dies jedoch im Frühjahr 1529 mit dem Einwand ab, dat dusse dorper alse Olber, Rüningenn vnd Lehendorpe etc. nene grote vestunge vmme sick hebben vnd derhalven wol konden overidet werden.1844 Allerdings versprach er, dass die Einwohner dieser Dörfer, da letztere nicht weit von der Stadt entfernt lägen, hyr binnen mith deme worde goddes vnd den sacramenten so se des bericht werenn, wol konden vorsorget werden.1845 Den Bürgern und vor allem den Geistlichen reichte diese Maßnahme jedoch nicht. Weiterhin wurden im Stadtbraunschweiger Landgebiet katholische Riten praktiziert, der altgläubige Pfarrer Arnd zu Wittmar wiegelte im Gericht Asseburg die Altgläubigen gegen die städtischen Lutheraner auf.1846 Die Kastenherren trugen dem Rat daher 1531 vor, man sei mit dem Superintendenten, Koadjutor und sämtlichen Predigern übereingekommen, dass dieser Zustand nicht länger tragbar sei. Sie baten daher, alle Pfarrer des Gerichts Asseburg in die Stadt zu fordern, um sie durch die lutherischen Prediger in Gottes Wort unterrichten zu lassen.1847 Auch dies wurde – vermutlich aus Angst vor herzoglichen Maßnahmen – vom Rat unterlassen. Allerdings förderte letzterer durchaus im Rahmen seiner Möglichkeiten die Wiederbesetzung der Landpfarren mit lutherischen Pfarrern. Herzog Heinrich, der dies zunehmend wahrnahm, beklagte sich im August 1539 beim Rat, dass sich jtlige vormeinte prediger jn den gerichten vnd gepieten vnsers furstentumbs eingetrungen vnd sich vnterstein sollen, beswerliche neuwe doctrin vnd lere, dem cristlichen glauben vnd religion zuwidder, einzufüren […].1848 Heinrich kündigte daher eine Visitation seines Fürstentums an, in die auch das Landgebiet der Stadt Braunschweig einbezogen werden sollte. Wie zu erwarten lehnte der Rat dieses herzogliche Ansinnen aufs Schärfste ab, da man sich vor den vormeinten visitatoribus nicht hart konde[n] forchten.1849 Der Herzog ließ jedoch nicht locker: Weitere Mandate am 11. 10. 1539 und 2. 1. 1540 folgten, denen der Rat umso nachdrücklicher widersprach.1850 1844 1845 1846 1847

StadtA BS, B I 5 Nr. 2, pag. 142. Ebd. Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 34r. Vgl. ebd. Auch wurde in einer anderen Eingabe verlangt, den predicanten jm Asseborch gerichtet to seggen, dat gotlige wort reine to predigen. Vgl. ebd., Bl. 26r. 1848 StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 214r. Schreiben vom 30. 8. 1539. 1849 Ebd., Bl. 214r. Schreiben vom 30. 8. 1539. 1850 Vgl. ebd., Bl. 217r–237v. Der Rat verweigerte dem Herzog in einem Schreiben vom 25. 1. 1540 sogar, etwaige Informationen über das städtische Kirchenwesen zu übermitteln, um welche Heinrich gebeten hatte. Vgl. NLA HA, Cal. Br. 21 Nr. 228, Bl. 12r. Heinrich wollte sich daher beim Erzbischof Albrecht von Magdeburg hinsichtlich seines Bistums Halberstadt Unterstützung holen und bat diesen 1541 um eine Visitation des gesamten Fürstentums durch einen Archidiakon, da das Fürstentum Wolfenbüttel zum Teil von wegen der gaist-

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Politisch abgesichert durch die Beschlüsse des Schmalkaldischen Bundes1851 machte nun der Rat seinerseits ernst und setzte 1540 die Reformation in den städtischen Landpfarren (Asseburg/Eich) gewaltsam durch.1852 Schon im März 1540 wurde im Pfahldorf Rüningen mit Wissen und Willen des Rates ein Kind auf Deutsch getauft. Auch ließ man dort eine verstorbene Frau sunder pewestlig ceremonien beerdigen, d. h. ane vigilien vnd seelmessen und one geleutte.1853 Der Herzog wollte die Bewohner des Landwehrdorfes nun zur Strafe vor das Sendgericht zu Stöckheim vorbestellen, wogegen sich der Rat am 22. 3. 1540 empörte. Die Dorfbewohner hätten nicht aus eigenem Widerwillen so gehandelt – im Gegenteil! Es sei ihnen vom Rat nicht nur nicht untersagt worden, sunder viel mher zugelassen vnd haben das also wol macht gehat.1854 Das nun folgende Drohschreiben der herzoglichen Statthalter1855 bewog den Rat dazu, die politisch brisante Angelegenheit im April vor die Stände (Gildemeister/Hauptleute) zu tragen. Dort stellten sich die Gemeindevertreter, die ja bereits seit 1529 die Landreformation gefordert hatten, eindeutig hinter den politischen Kurs des Rates. Am 30. 4. 1540 versprachen sie, mit Leib und Gut für dessen Entscheidungen einzustehen.1856 Folglich sandte der Rat noch an selbigem Freitag seinen Landvogt Henning Meierhof aus, um die Pfarrer der städtischen Gerichte Asseburg und Eich umgehend in die Stadt zu beordern. Schon am nächsten Tag – Samstag, den 1. 5. 1540 – sollten die Pfarrer demnach um acht Uhr morgens auf

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lichen jurisdiction, dem stift Halberstatt vnd einstails auch dem stift Hildeshaim vnderworffen sei. Vgl. LASA Magdeburg, A 13 Nr. 74. Vgl. HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv) Nr. Loc. 7256/10, Bl. 3r. Demnach hieß es in dem Bundesabschied von Arnstadt (1539): Da die Stände Heinrichs vermeintliche Visitation auf dem Land und die Konflikte mit St. Blasius für religion sachen erkennen würden […] so ist denen von Braunschweig vf die gemelten felle so sie von hertzog Heinrichenn mit der that beschwerdt werden wolten, jnhalt der vorstenden hülf erkennet, daran es alsdann antzweifel auch nit mangel sein wirdet. Der folgende Abschied in Schmalkalden (1540) bekräftigte (ebd., Bl. 31r): Braunschweig solle die vnchristenlichen ceremonien vnd gottes dienste weder jn der stadt noch ausserhalb der stadt jn jren dorfern vnd obrigkeit, da sie dieselben abgeschaft vnd christenliche prediger verordnet, nit wider anrichten, sonder vber der rechtschaffene christenliche lere vnd ceremonien bestendiglich halten. Vnd do sie darüber beschedigt würden, sollten sie mit radt vnd hülf vermüge der aynung vnd vorfassung, welche zuerhaltung vnd ausbraittung des gotlichen worts vfgericht vnd gemeinth, nicht verlassen werden. Wie Sissakis zu der Aussage kommen konnte, »im Frühjahr 1539 begann dann die Stadt, auch in ihren Landgebieten zu reformieren, ab 1545 in den Pfandschaften« ist schleierhaft und nicht korrekt. Vgl. Sissakis, Wachstum, S. 156 [Fußnote]. Obgleich sie sich auf Spieß beruft, gibt dieser selbst den korrekten Zeitpunkt für den Beginn der Reformation auf dem Land an (1. 5. 1540). Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 74. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 167v; StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 227v u. Bl. 229v. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 228r. Vgl. ebd., Bl. 229r. Schreiben vom 23. 3. 1540. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 168v.

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der Münzschmiede erscheinen, um dort weiteren Anweisungen zu folgen – eine denkbar kurze Frist.1857 Nachdem der Küchenrat sie dort am Folgetag (wohl demonstrativ) drei Stunden hatte warten lassen, wurden die Landgeistlichen in die Ratsstube vor den versammelten Gemeinen Rat geführt. Bei den Geistlichen handelte es sich um die Pfarrer zu Denstorf, Timmerlah, Bortfeld, Sonnenfeld sowie sechs Pfarrern aus dem Gericht Asseburg.1858 Bürgermeister Gerlof Kale eröffnete nun den wartenden Pfarrern, dass Rat, Gildemeister, Hauptleute und Geschickte übereinstimmend Folgendes beschlossen hätten: Dass ihr, die erscheinende pfarner, alle jn beiten gerichten Asseburg vnd Eiche sollet Gots wort annemen vnd euch mit allen Gots diensten, ceremonien vnd kirchen gebreuchen stracks halten wie die alhir zu Braunschweig gehalten werden, die ceremonia nidderleggen, jn baiderley gestalt das sacrament ministriren, graben, tauffen, zusamen geben vf teutsch, wie zu Braunschweig die weise ist, messe, procession vnd heilgentracht nicht halten, sonder bethfarten halten, darjnnen zubitten, vor vnsern g[nädigen] landesfursten, einen stettigen friden vnd die frucht des feldes etc. Damit hat er sein rede einfeltiglich geendigt.1859

Da auf diesen Vortrag unter den Pfarrern ein missmutiges Murren und Geraune entstand, trat Syndikus Dietrich Prütze ungebeten neben den Bürgermeister und hielt eine weitere drohende Ansprache, mit dem Beschluss: Wer sich nicht an diese Vorgabe halte, solle aus dem Ratsgebiet verfestet (= verbannt) werden. Überdies ließ man nun der Reihe nach alle erschienenen Pfarrer namentlich verzeichnen. Die von den Pfarrern gebetenen 14 Tage Bedenkzeit schlug Syndikus Prütze aus. Schließlich erläuterte er, warum man (angeblich) erst nun, obwohl man sich mit jnen bisher wol zwolf jar vngeferlch geduldett habe, die Reformation auf dem Land durchsetze: Man habe lange Zeit gehofft, der Herzog würde das wahre Wort Gottes endlich annehmen – da dies aber wider Erwarten nicht der Fall gewesen sei, so könne man nun nicht länger zögern.1860 Mit einer abschließenden Ermahnung wurden die verunsicherten Landpfarrer aus dem Ratssaal entlassen. Die städtischen Landpfarrer, die bislang durchaus noch zu großen Teilen katholische Bräuche praktiziert hatten, waren nun verständlicherweise verunsi1857 Vgl. NLA WF, 1 Alt 29, Nr. 64, Bl. 4r. Das Nachfolgende ist einem Klageschreiben zweier Landpfarrer an Herzog Heinrich entnommen. Es hat sich in Kopie auch im Stadtarchiv erhalten unter StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 283–286v. Zudem ist der Vorgang in einem Ratsbuch verzeichnet: StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 340vff. 1858 Die Namen der Pfarrer waren: Johann Kerstenmacher (Bortfeld), Jost Weiger (Sonnenberg), Johann Eberding (Timmerlah) und Curd Arnds (Denstorf). Vgl. NLA WF, 1 Alt 29, Nr. 64, Bl. 4r. 1859 Ebd. 1860 Ebd., Bl. 5r.

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chert: Sollten sie gemäß herzoglicher Mandate die altgläubigen Zeremonien beibehalten oder sich dem Befehl des Rates unterordnen? In beiden Fällen drohte die jeweils andere Seite mit Vergeltung. So schickten denn die Landgeistlichen des Eichgerichts gleich am 2. 5. 1540 eine Abordnung nach Wolfenbüttel, bestehend aus den Pfarrern Jost Weiger und Johann Ebeling, die den Vorgang dezidiert darlegten und um hilf vnd trost baten.1861 Die Hofräte befahlen, die althergebrachten Zeremonien beizubehalten, denn der Braunschweiger Rat habe die beiden Gerichte lediglich pfandweise inne und somit keinerlei rechtliche oder gar religiöse Verfügungsgewalt. Sollte den Geistlichen dennoch irgendeine Bedrohung widerfahren, so werde man alles daran setzen, sie in anderen Pfarren des Herzogtums unterzubringen. Kurz darauf, am 4. 5. 1540 schickten auch die Asseburger Pfarrer den ertzpriester zu Achem mit Bitte um weitere Anweisungen an den Wolfenbütteler Hof. Ihnen wurde die gleiche Antwort gegeben wie zuvor schon ihren Kollegen aus dem Eichgericht.1862 Der Rat bemerkte die Weigerungshaltung der Landpfarrer durchaus. Er ließ sie daher am 23. 5. 1540 erneut auf die Münzschmiede laden und bei drohender Strafe ermahnen, die neuen Zeremonien anzunehmen, was wiederum neue Schriften der herzoglichen Räte provozierte.1863 Tatsächlich scheinen nun einige Pfarrer den Vorschriften Brauschweigs Folge geleistet zu haben. Dies mag auch weiteren Drohungen des Rates geschuldet gewesen sein: Man hatte städtischerseits jedem Besucher eines katholischen Gottesdienstes Bußzahlungen von einer Mark angekündigt.1864 Laut einer herzoglichen Klage waren es insbesondere die Bauern, welche nun (vermutlich eher aus Angst) die Geistlichen drängten, den lutherischen Gottesdienst durchzusetzen.1865 So mussten die herzoglichen Räte z. B. bereits am 25. 5. 1540 an den Pfarrer zu Groß Denkte einen Drohbrief ausgehen lassen, dass er sich gefälligst wieder zu den althergebrachten Zeremonien begebe.1866 Der Ratsschreiber verzeichnete jedoch neben der Briefkopie die Anmerkung: Aver ein radt hefft om bevolen sick daran nicht, sunder na des rades bevele to richten.1867 Am 28. 5. 1540 beklagten sich schließlich die herzoglichen Statthalter in einem langen Brief beim Rat und geboten, die althergbrachten und »löblichen« Zeremonien in den 1861 1862 1863 1864 1865

Ebd., Bl. 5v. Vgl. ebd., Bl. 7v. Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 340v und 341r. Vgl. StadtA BS, B IV 12 Nr. 5, Bl. 2v. Vgl. ebd., Bl. 2v–3r: Des wir vns abermals zu euch vnd vielweniger zu den bawern jn baiten gerichten gesessen, die sich sonderlich aus furhabenden lust darzu gebrauchen lassen, gar nicht versehen […] wo aber das nicht geschicht, eder die pawern die pfarner jn dem molestiren, vnd sich auch sunst mit leystung der alten gotts dienste nicht gehorsam wolten halten […]. 1866 Vgl. ebd., Bl. 4r. 1867 StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 346v.

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Landpfarren wieder einzuführen. Man habe ohnedies ein gegen gebot ausgehen lassen.1868 Der Rat antwortete mit einem erzürnten Schreiben, gemäß welchem er dem Herzog keinerlei Jurisdiktion oder Recht in den beiden Gerichten zustand. Hinsichtlich der ausgegangenen Gebote leugnete der Rat nichts, sondern bekräftigte im Gegenteil, dass wir vnsere vnderthanen der obbemelten gerichte ethwan bey vormeidunge einer genanten peen geboten, den pfarrern so noch wider das helle luthere evangelion predigen, die sacrament nach der eynsatzung Christi nicht reichten, vnd die beptische vnselige ceremonien vnd kirchengebreuch hielten, nicht zuvolgen […].1869 Dies sei die Pflicht des Rates als ordentlicher Obrigkeit gewesen; auch führte man wieder das übliche Argument an, dass Gott eben mehr zu gehorchen sei als den Menschen. Auf ein künftiges Konzil müsse man nicht länger warten, da Gottes Wort bereits jetzt schon den richtigen Weg zeige. Sollte sich der Herzog nicht an das Gebot des Rates halten, so müsse man sich bei Freunden und Bundesverwandten Hilfe holen. Interessant ist dieses Vorgehen des Rates vor allem deshalb, weil – wie schon 1528 – die Lage der Patronatsrechte ein solches Vorgehen eigentlich nicht gestattete: Über nahezu keine der betreffenden ländlichen Pfarren hatte die Stadt das Patronatsrecht inne.1870 Nachdem der Herzog 1542 vertrieben war, beschloss der Rat – unabhängig von den neuen Statthaltern – eine eigene Kirchenvisitation in seinen Gerichten durchzuführen (1546).1871 Die Ergebnisse dieser Visitation haben sich leider nicht überliefert. Im Friedensvertrag mit dem Herzog wurde 1553 sodann beschlossen, dass beide Seiten ungestört bei ihrem Glauben bleiben sollten. Allerdings wurde überdies ein Tausch vereinbart: Die Stadt gab das Eichgericht an den Herzog und erhielt im Gegenzug das Gericht Wendhausen, das bis 1671 in städtischem Besitz blieb.1872 Was daraufhin in religionspolitischer Hinsicht mit dem Eichgericht geschah, ist unbekannt,1873 Spieß nimmt jedoch an, dass es trotz des Vertrages faktisch bis 1569 im Besitz der Stadt blieb – in diesem Jahr wurde gemäß Huldigungsvertrag die Rückgabe des Eichgerichts an die Stadt beschlossen, während das Gericht Asseburg dauerhaft an den Herzog fiel.1874 Die 1868 StadtA BS, B IV 12 Nr. 5, Bl. 2v. 1869 Ebd., Bl. 1r. 1870 Eine der wenigen Ausnahmen war die Pfarre in Ampleben: Daselbst hat der rath der stadt Braunschweig das ius patronatus vnd pfarrlehen. Vgl. LKA WF, Braunschweig 36, Bl. 48r [eigene Paginierung]. Laut einer städtischen Pfarrbelehnung von 1556: So vnd alse vns dat parlehen tho Ampleve dorch den doetligen avegangk zeligen doctor Johan Harneborger vorledigt, dat wy, dewile vns dat jus pattronatus tho kumpt […]. Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 7, pag. 435–436. Auch LKA WF, Braunschweig Generalia 21, S. 22v (1590): Ampleben, die pfarre will dem consistorio [des Herzogs M.V.] nicht vnderworffen sein. 1871 Vgl. Reller, Kirchenverfassung, S. 97. 1872 Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 617. 1873 Vgl. Reller, Kirchenverfassung, S. 97. 1874 Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 617.

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Patrone der Pfarren (Herzog und Klöster) waren bis 1568 vielfach altgläubig – wie also hielt der Rat den Protestantismus in seinen Landpfarren dauerhaft aufrecht? Ein Beispiel liefert der Konflikt mit Äbtissin Magdalena von Gandersheim, die 1567 den katholischen Jobst aus Linden auf eine Pfarre zu Groß Denkte (Gericht Asseburg) präsentiert hatte. Rat und Ministerium konnten dem freilich nicht zustimmen und handelten einen Vertrag aus: Sie wollten für dieses Mal – unbeschadet der Patronatsrechte – einen eigenen lutherischen Pfarrer einsetzen und dafür dem Kandidaten der Äbtissin einmalig 30 Gulden und jährlich fünf Taler als Entschädigung zahlen – solange, wie ihm solch pfarrambt, selbst zuverwalten nicht zugestattet werden mag.1875 Ähnliches dürfte bisweilen auch in anderen ländlichen Pfarren ausgehandelt worden sein. Wichtig für unsere Fragestellung ist nun vor allem, welche Rolle die Landgebiete nach der Reformation in der städtischen Verfassung spielten. Ab der zweiten Jahrhunderthälfte lässt sich feststellen, dass der städtische Superintendent, das Geistliche Ministerium sowie später vor allem das (städtische) Konsistorium direkte Vorgesetzte der Landpfarrer waren. Ihr Einfluss und Aufgabenbereich hatte sich damit seit 1540 ernorm vergrößert. Freilich aber war die direkte Kontrolle der Landpfarren auch künftig eher mäßig. Nach 1546 hat es vorerst keine Kirchenvisitation mehr gegeben, obgleich das Ministerium seit 1554 jährlich darauf gedrungen hat.1876 Der Küchenrat äußerte diesbezüglich seine Bedenken, da es einigen wichtigen Amtsträgern sehr viel Zeit kosten und noch dazu ain groß geschray geben vnd viel auffsehens jm gantzen landt machen würde (1560).1877 Dies bezog sich natürlich auf Herzog Heinrich. Ein Gegenvorschlag des Rates wurde schließlich umgesetzt: Die Landpfarrer wurden nacheinander in die Stadt beordert und dort examiniert.1878 Faktisch hatten aber das Ministerium und der Superintendent auch ohne Visitation einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Landpfarrer. Die Patrone der jeweiligen Kirchen mussten ihre Kandidaten mit Einwilligung des Rates an den Braunschweiger Superintendenten schicken, welcher sodann im Kolloquium ein Examen durchführte, das Zeugnis ausstellte und den Kandidaten auf die städtische KO beschwor.1879 Bei den Pfahldörfern sah das Vokationsprozedere sogar noch 1875 StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 136–138. Dazu auch: StadtA BS, B I 2 Nr. 6, Bl. 35r–36r. 1876 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 98r. Zu den Bitten einer Landesvisitation 1556 vgl. StadtA BS, Revidenda Nr. 67, [o.P.], Bl. 3v u. 6v [eig. Pag. im Dokument]. Noch 1558 baten die Geistlichen eine visitatio jn jerem gericht furzunehmen, dan man alda vbel haushelt, vnd lebet, baide, pfarhern vnd andere, jn greulichen sünden. Ebd., Bl. 10r. 1877 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 21v. 1878 Vgl. ebd., Bl. 114r (1560). 1879 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 216, Bl. 11r (1581): Do mich die edlen ehrenfesten vnd gestrengen die von Quitzow vnd Schulenburg meine günstige junckern mit der pfar zu Bortzem belehnen wollten vnd einen brief der wegen nha dem hern doctor Chemnitium geschrieben, do hat mich der herr doctor mit gutem glatten süßen worten auch verheisungen abgesprochen

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strenger aus und unterschied sich prinzipiell nicht sonderlich vom Berufungsverfahren der städtischen Pfarrer: Probepredigt, Examen und Ordination fanden sämtlich in Braunschweig statt.1880 Auch schufen Superintendent und Ministerium Ordnungen für die Landgeistlichkeit – freilich immer im Einvernehmen mit dem Rat. Hierzu zählten u. a. eine Pfarrwitwenordnung (welche die Versorgung der ländlichen Pfarrwitwen noch vor jener der städtischen Pfarrwitwen regelte), eine Katechismusordnung sowie eine umfassende Gottesdienstordnung.1881 Fehlverhalten der Landpfarrer wurden ebenfalls vor den Superintendenten getragen1882 und ab dem frühen 17. Jahrhundert nachweislich durch das Konsistorium geahndet.1883 Aufgrund dieser umfassenden Aufgabenbereiche ließ man schließlich zur Arbeitsentlastung 1586 zwei Spezial-Superintendenten für das Eichgericht bestellen – auch hier lag die Wahl beim geistlichen Kolloquium.1884 Die so errungene Kirchenaufsicht über die Landgeistlichen ließ man sich auch bis ins 17. Jahrhundert nicht mehr nehmen: Noch 1638 ließ das städtische Konsistorium das Gericht Wendhausen visitieren, gleichfalls wurde angesagt, es soll den leuthen inhibirt werden, sich zu keinem examine des fürstl[lichen] superintend[enten] zustellen, vndt wollen die herrn künfftige woche selbst visitiren.1885 Damit verblieb die Kirchen-

1880 1881 1882 1883 1884

1885

[…]. Ein originales Zeugnis mit der Unterschrift des ganzen Ministeriums hat sich von 1568 erhalten: StadtA BS, B IV 11 Nr. B IV 11 Nr. 20, Bl. 34r. Der Kandidat verpflichtete sich handschriftlich: Jck Petrus Lynckolam van Collen bekennen [sic!] mith myner eygener handtschrifft welicher belangen ist dem predigampt des levendihge godes sons Jhesu Christi, vnd gloven dem ministerio die, na der ordnung tho Brunswig vnd Ausbursche Confeßio, glych als de ghalten haben, nemlich mit der lher vnsers heren Jesu Christi, welcher vorfatet is in den leven catachißmo Lutheri, dar by tho leven vnd tho sterven in in [sic!] Christo Jhesu. Des help vns godt alle amen. Zur Vokation in der Pfarre Denstorf (1584) vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 20, Bl. 48r. Zum Examensvorgang im Kolloquium (1608): H. Johann Thönen publicè jm colloquio examiniret: Ziemlicher maßen bestanden: Vnd folgenden sontag zu Denstdorff vom herrn superjntendenten jnn jegenwartt ettlicher van einem erbarn rhatt verordenten introduciert vnd der gemeine des orts zum pfarherren fürgesteltt vnd commendiert worden. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 25r. Vgl. den äußerst ausführlichen Bericht zur Vokation in Ölper (1585): StadtA BS, B I 2 Nr. 19, pag. 93–99. Auch: StadtA BS, B III 11 Nr. 33, Bl. 57r. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 20, Bl. 54r sowie StadtA BS, B I 2 Nr, 13, pag. 71–73 (Pfarrwitwenordnung); StadtA BS, B III 15 Nr. 2, Bl. 275r–277r (Gottesdienst- und Katechismusordnung). Erstere enthielt eine umfangreiche Agende. Vgl. StadtA BS, B I 24 Nr. 5,1, Bl. 102r–103r (1573). Vgl. StadtA BS, C IX Nr. 100 [ohne Paginierung]. Sitzung vom 16. 2. 1611. Strafverhandlung mit Pfarrer Henning Cusel, der eine Ehe ohne entsprechende Zeugnisse der Nupturianten und Aufgebot durchgeführt hatte. Vgl. Rehtmeyer, Historiae IV, S. 13–14. Die Spezial-Superintendenten waren eigentlich lediglich Pastoren des Eichgerichts, die Störfelle gütlich regeln und notfalls an den städtischen Superintendenten melden sollten. Sie waren damit quasi Pastoren mit Aufsichtsfunktion – keinesfalls waren sie zu vergleichen mit den Spezial-Superintendenten anderer Fürstentümer (Braunschweig-Wolfenbüttel u. a.). StadtA BS, C IX Nr. 100 [ohne Paginierung], Konsistorialsitzung vom 24. 11. 1638.

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aufsicht über jene Gerichte bis 1671 im Besitz des Rates – wenn auch unentwegt angefochten durch die Wolfenbütteler Herzöge.1886

1886 Eine Ausnahme bildete die Phase zwischen 1598 und 1615, in welcher die städtischen Landgerichte militärisch durch Heinrich Julius (später Friedrich Ulrich) besetzt wurden. Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 145.

3.

Personen und Ämter im Spannungsfeld 1528–1599

So wichtig die ökonomischen und verfassungstechnischen Änderungen im Kirchenwesen auch gewesen sein mögen: Ohne eine nähere Betrachtung der nachreformatorischen Kirchenämter und Personengruppen wäre eine solche Untersuchung unvollständig. Im nachfolgenden Abschnitt sollen indessen weniger einzelne Personen und ihre Rolle als Akteure aufgezeigt werden – dies ist im vorigen Abschnitt bereits indirekt geschehen. Besondere Bedeutung kommt dementgegen vor allem den Beschlüssen von Ministerium, Diakonats- oder Kastenherrengremium als Ganzem zu. Aus welchen sozialen Schichten rekrutierten sich diese neuen Ämter, wie gemeindenah waren sie und welche Rolle spielten sie im neuen Kirchenwesen? Was geschah überdies mit jenen Personen, die im Konzept des neuen Kirchensystems eigentlich keinen Platz mehr hatten und wie wurden sie in das lutherische Gemeinwesen integriert (innerprotestantische »Abweichler«, Vikare, Pfarrherren, Mönche/Nonnen, altgläubige Laien/Ratsherren)? Diese Fragen sollen im folgenden Abschnitt beantwortet werden.

3.1

Lutherische Pfarrer und Schuldiener

3.1.1 Die lutherischen Prediger Will man die langfristige Durchsetzung der Reformation adäquat untersuchen, so kommt man um eine Analyse der lutherischen Prediger und Schuldiener zweifellos nicht umhin. Gleich mehrere Gründe lassen sich hierfür anbringen. 1. Lässt sich nur mittels prosopographischer Methoden feststellen, wie nachhaltig das protestantische Bildungs- und Erziehungswiesen tatsächlich war: Wurde die Mehrzahl der Prediger von auswärts berufen oder handelte es sich um Braunschweiger Bürger? Bestand anfangs ein Predigermangel oder hatte Braunschweig diesbezüglich keine Schwierigkeiten? Zudem ist 2. die Qualifikation der Prediger letztlich ausschlaggebend für ein funktionierendes Kirchenwesen – welchen

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Personen und Ämter im Spannungsfeld 1528–1599

Bildungsstand wiesen die Braunschweiger Pfarrer also auf ? Hinzu kommt (3.): Welche Erfahrung konnten die Prediger in das sich neu formierende Kirchenwesen einbringen? Kamen sie eben erst von der Universität oder hatten sie sich zuvor bereits praktisch bewährt, wenn sie an eine Braunschweiger Kirche berufen wurden? Da Schorn-Schütte diese speziellen Fragen nur bedingt in ihrer umfangreichen Untersuchung angeschnitten hat,1887 soll im Folgenden der Pfarrstand nach der Reformation genauer analysiert werden. Dabei wurden nur die Mitglieder des Geistlichen Ministeriums in die Untersuchung aufgenommen – die beiden Prediger von St. Blasius und St. Crucis sowie die Pfarrer innerhalb der Landwehr wurden aus inhaltlichen Gründen außen vor gelassen.1888 Zwischen 1528 und 1599 ließen sich insgesamt 83 Prediger in Braunschweig ermitteln.1889 Ziel der Reformatoren war es bekanntermaßen, das Bildungsniveau der Pfarrer zu erhöhen; nicht mehr die Weihe, sondern eine ausreichende Bildung sollte fortan zum Predigtamt befähigen.1890 Im Falle Braunschweigs ist die Erhöhung des Bildungsniveaus sehr schnell und nachhaltig geschehen, sodass schon bald das »Bildungsniveau der Stadtgeistlichkeit […] deutlich über demjenigen der durchschnittlichen Geistlichkeit des Territoriums lag.«1891 Entsprechend hoch war das Ansehen des Braunschweiger Ministeriums daher auch bei den anderen Fürsten und Städten.1892 1887 Vgl. z. B. zur Bildung der Braunschweiger Prediger Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 193– 195. 1888 Dies hat vornehmlich bildungstechnische Gründe: Die nicht im Ministerium aufzunehmenden Prediger mussten deutlich geringere Bildungsstandards erfüllen – insbesondere jene der Landpfarreien. Vgl. Kapitel 2.3.4. Zu den Predigern an St. Blasius vgl. Freist, Domprediger, S. 1ff sowie Beste, Album, S. 82. 1889 Neben Archivalien (insb. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, Bl. 2r–3r) wurde für folgende Untersuchung vor allem verwendet: Freist, Friedrich-Wilhelm; Seebaß Georg: Die Pastoren der Braunschweigischen Evangelisch-Lutherischen Landeskirche seit Einführung der Reformation, 3 Bde., Wolfenbüttel 1969–1980 und Beste, Album. Daneben wurden einige Artikel aus dem Braunschweiger Stadtlexikon genutzt: Camerer, Luitgard; Garzmann, Manfred R. W.; Schuegraf, Wolf-Dieter (Hrsgg.): Braunschweiger Stadtlexikon, Braunschweig 1992. 1890 Vgl. Dürre, Kultur, S. 136. 1891 Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 194f. 1892 So ließ z. B. Herzog Julius 1568 vorerst seine neuen Prediger (bis zur Bildung des Konsistoriums) vom Geistlichen Ministerium examinieren und ordinieren. Vgl. StadtA BS, G I 2 Nr. 51, Bl. 36r–36v: Demnach hatt der durchleuchtige hochgeborne fürst vnd herr Julius hertzog zu Brunschweig vndtt Lüneborch etc. vnser gnediger her gegen wertige[n] herrn Geisse Lensche ahn vnser Ministerium Christi der kyrchen ihn Brunschweig vorschicken vnd gnedichlich gesinnen [lassen M.V.], dewile ehr zum pharampt gegen Adenstedt beruffen, ihne zuverhoren vnd wo ehr zu diesem amptt duchtich befunden werde, ohme die offentliche ordination für vnser kyrchen mithzuteilen […]. Überdies half das Ministerium auch bei Streitigkeiten in Goslar, Göttingen und anderen Städten aus. Chemnitz schrieb in seinem Testament, dass das Ministerium dieser Kirchen bey benachbarrten und auswertigen in zimlichem ansehen stehe. Zit. nach: Mager, Testament, S. 125–126. Zum guten Ruf um 1581 vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 216, Bl. 14r. Noch 1796 resümierte Ribbentrop: »Braunschweig

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Abzusehen war dies zunächst keinesfalls. Nach Einführung der KO im Jahr 1528 gab es mit Heinrich Knigge lediglich einen Prädikanten, der den Magistertitel aufweisen konnte – dieser wurde jedoch bereits 1529 als Sakramentarier der Stadt verwiesen. Der geringe Bildungsstand verwundert zu diesem Zeitpunkt nicht, hatte man doch 1528 fast ausschließlich die lutherischen Predigerkapläne der altgläubigen Pfarrherren als Prädikanten übernommen: Lediglich sieben Prediger mussten daher im »Reformationsjahr« 1528 neu berufen werden. Braunschweig scheint im Gegensatz zu anderen Städten auch keinerlei Schwierigkeiten gehabt zu haben, an neue lutherische Prediger zu gelangen: Alle sieben der freiwerdenden Predigerstellen wurden noch im selben Jahr durch neue Prediger besetzt, überwiegend aus der Nachbarschaft stammend.1893 Allerdings waren die Anforderungen des Rates zu diesem Zeitpunkt verständlicherweise auch noch deutlich geringer als eine Generation später: So konnten bis in die 1530er Jahre neben ehemaligen Mönchen auch unstudierte Buchbinder u. a. das Predigtamt erlangen.1894 Bis 1540 predigten dann immerhin bereits zwei Geistliche mit Magistertitel in der Stadt: Der 1529 berufene Braunschweiger Johann Lafferdes sowie der 1535 aus Vienrode berufene Johann Dravanus. In der Folgezeit nahmen die berufenen Prediger mit Magisterwürde deutlich zu: Zwischen 1541–1551 hatten immerhin vier der acht berufenen Prediger einen Magistergrad – eine außerordentlich hohe Zahl für diese Zeit.1895 Die Zahl der berufenen Prediger mit Magister schwankte seitdem in den Jahrzehnten bis 1599 zwischen 30–50 %. Zum Ende des Betrachtungszeitraumes nahm der Bildungsstand noch einmal leicht zu: Von den zehn zwischen 1589–1599 berufenen Predigern hatten immerhin sechs einen Magister erworben. Betrachtet man zusammenfassend die Zeit zwischen 1528 und 1599, so hatten insgesamt 30,12 % aller berufenen (bzw. seit 1528 amtierenden) Prediger einen Magistertitel. Superintendenten und Koadjutoren sind hier freilich nicht miteinbezogen.

hat seit der Reformation in der theologischen Welt durch seinen Martin Chemnitz und Johann Arndt, um nur diese unter mehrern Andern zu nennen, sich rühmlich ausgezeichnet.« Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 62. 1893 Es handelte sich um: Conrad Dreyer (Braunschweig), Henricus Osterode (Helmstedt), Georg Droesenius, Heinrich Knigge, Hermann Hoyer, Johann Wissel und Lüderus Greve. 1894 Vgl. Grafik 7 im Anhang. Der Buchbinder Hektor Mahler, der 1531 zum Prediger bei St. Leonhard berufen wurde, übte bisweilen auch weiterhin noch sein Buchbindergewerbe aus: So heißt es in den Kirchenrechnungen von 1536: Dinsdages na Mathei Ap[ostol]li londe jck Hector Maler von einem boeck de Opera Augustini jnthobinden. Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 8 Bl. 172v. Zu Mahler vgl. auch Beste, Album, S. 111. 1895 Allerdings konnte Engel auch für die brandenburgischen Stadtpfarrer nachweisen, dass der Magistertitel seit der zweiten Pfarrgeneration sukzessive obligatorisch geworden zu sein scheint. Vgl. Engel, Reformation, S. 153.

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Aufschlussreicher als der Magistertitel ist jedoch das Kriterium des absolvierten universitären Studiums. Bei mindestens 50 Predigern (= 60,24 %) ließ sich dies nachweisen – hiervon hatten wenigstens 27 in Wittenberg studiert, was 54 % aller studierten Prediger entspricht. Überhaupt waren – wie auch in Hamburg1896 – Wittenberg und Rostock bei weitem die beliebtesten Studienorte; ab den 1570ern sollte noch Helmstedt hinzukommen.1897 Seit spätestens 1541 war für eine Anstellung zum städtischen Predigtamt offensichtlich ein vorheriges akademisches Studium zwingende Voraussetzung, wenngleich es sich hierbei nicht unbedingt um ein Theologiestudium handeln musste.1898 Bei 43 der 53 zwischen 1541–1599 bestallten Prediger ließ sich der Universitätsbesuch sicher nachweisen (81,13 %) – die anderen dürften vermutlich ebenfalls studiert haben, doch fehlen hier schlicht die Informationen.1899 Ähnlich gut bestellt war es auch um die Geistlichen anderer lutherischer Städte – so hatten z. B. 43 der 71 zwischen 1501–1639 berufenen Münsterprediger (60,56 %) in Ulm an einer Universität studiert und in der Nachbarstadt Hildesheim besaßen um 1600 »so gut wie alle Stadtpfarrer« einen Magistertitel;1900 in Lüneburg hatten mindestens 26 der 55 bis 1600 amtierenden Prediger eine Hochschule besucht,1901 während in Hamburg nahezu alle Pfarrer der vier Hauptkirchen studierte Geistliche waren.1902 Damit unterschied sich das Niveau der lutherischen Stadtprediger – wenig erstaunlich – deutlich von dem des Umlandes. Im Zeitraum vom 16. Jahrhundert bis 1613 hatten z. B. nur 8,3 % der Kleriker des osnabrückischen Dekanats Vechta nachweislich eine Universität besucht.1903 Ähnlich schlecht scheint es auch um die Priester des Kleinen Stifts Hildesheim bestellt gewesen zu sein, wie eine Visitation von 1608/9 zeigte.1904 Die Geistlichen des Fürstentums Braunschweig-Wolfen-

1896 Vgl. Postel, Reiner: Hamburger Theologenausbildung vor und nach der Reformation, in: Selderhuis, Herman J.; Wriedt, Markus (Hrsgg.): Bildung und Konfession, Tübingen 2006 (= Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe, 27), S. 51–60, hier S. 59. 1897 Vgl. Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 194. 1898 So hatte z. B. selbst der späterhin gerühmte Johann Arndt, als er 1599 zu St. Martini berufen wurde, lediglich das Grundstudium und damit kein theologisches Studium absolviert. Vgl. Schneider, Prediger, S. 15–16. 1899 Neben den Darstellungen von Beste und Freist/Seebaß wurden für diese Ermittlungen u. a. die Matrikel der Universitäten Wittenberg, Helmstedt und Rostock gesichtet. 1900 Vgl. Filtzinger, Ulm, S. 288; zu Hildesheim: Dürr, Kultur, S. 137. 1901 Vgl. Cordes, Politik, S. 682. 1902 Vgl. Postel, Theologenausbildung, S. 58. Postel konnte nur bei vier Pastoren kein Studium nachweisen. 1903 Vgl. Freitag, Werner: Pfarrer, Kirche und ländliche Gemeinschaft. Das Dekanat Vechta 1400–1803, Bielefeld 1998 (= Studien zur Regionalgeschichte, 11), S. 81. 1904 Vgl. Plath, Konfessionskampf, S. 96. Hier vor allem bezogen auf die undifferenzierte Vorstellung der Geistlichen hinsichtlich ihrer konfessionellen Identität, was freilich einen Mangel an Bildung impliziert. Die Visitation von 1608/9 zeigte dort zudem: »Als Merkmal des katholischen Glaubens galt in den Augen der Seelsorger lediglich die Art des Abend-

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büttel waren bei der Visitation von 1568 gleichfalls so schlecht gebildet, dass »77 der visitierten Pfarrer (= 35,1 %) aufgrund ihrer Untüchtigkeit in Lehre oder Leben sogleich zu entlassen« waren.1905 Erstaunlich ist jedoch, dass auch die Prediger im orthodox-lutherischen Braunschweig – ungeachtet ihrer hohen Bildung – noch konfessionelle Unschärfen aufwiesen. So lassen sich im Besitz des seit 1597 amtierenden Pfarrers Autor Hustedt etwa mehrere Paternoster, ein Marienbild und verschiedene Wolfszahnamulette nachweisen; Pfarrer Harm Primas besaß ein silbernes Agnus Dei.1906 An der Wand des alten Pfarrers Heinrich Lampe – Reformator der ersten Stunde – hing noch zum Zeitpunkt seines Todes 1583 ein Bildnis der Heiligen Lucretia.1907 Eine gewisse Toleranz hinsichtlich katholischer Artefakte scheint somit auch bei den protestantischen Geistlichen durchaus bestanden zu haben.1908 Für die Fragestellung ist nun insbesondere der Werdegang der neuen Geistlichkeit von besonderer Relevanz. An qualifizierten Kandidaten hat es Braunschweig nach der Reformation offensichtlich nie gemangelt. Nur in den Anfangsjahren nach dem Umbruch (1520er/30er), als hochqualifizierte lutherische Prediger noch rar waren, wurde kein akademisches Studium erwartet. Für die erste Predigergeneration, die sich überwiegend aus den vorherigen Predigerkaplanen rekrutierte, ließ sich auch entsprechend bei den wenigsten ein Studium nachweisen.1909 Bis in die frühen 1530er Jahre wurden z. B. Prediger berufen, die zuvor Mönche gewesen waren (insgesamt sechs1910) oder auch ein Buchbinder – allesamt ohne nachweisbare akademische Bildung. Bereits ab den späten 1530er Jahren waren die Voraussetzungen für die Erlangung eines Predigtamtes in

1905

1906 1907 1908 1909 1910

mahls.« Vgl. ebd. Kein Vergleich also mit den hochqualifizierten Predigern der Braunschweiger Stadtgeistlichkeit. Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 168. Zur mangelnden Bildung der (katholischen) Landpfarrer vgl. Hersche, Peter: Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, Bd. 1, Freiburg 2006, S. 275: Die »Visitationsakten aus den ersten nachtridentinischen Jahrzehnten berichten bisweilen von einem unvorstellbaren Bildungsdefizit der Pfarrgeistlichen, die manchmal kaum ein wenig Latein konnten und sogar nicht einmal in der Lage waren, die Messtexte herzusagen oder die einfachsten kirchlichen Zeremonien korrekt vorzunehmen.« Vgl. Mohrmann, Alltagswelt, S. 251. Diese Gegenstände waren gemäß Aufbewahrungsort in den Testamenten der Pfarrer anscheinend bewusst gut versteckt worden, insbesondere die Wolfszähne, z. B. bei Pfarrer Peter Netze. Vgl. ebd., S. 252. Vgl. ebd., S. 253. Zur Bilderverehrung in der lutherischen Konfessionskultur vgl. auch Pohlig, Konfessionskultur, S. 393. Die Ausnahmen waren Heinrich Knigge zu St. Ulrici, Johann Wissel zu St. Katharinen und Henricus Osterrode. Letztere hatten beide in Rostock studiert und nur ersterer besaß einen Magistertitel. Später (1542) wurde mit Hermann Boeckheister ein weiterer ehemaliger Mönch (St. Ägidien) zum Prediger (St. Magnus) berufen, doch war er zuvor Prior gewesen und hatte in der Zwischenzeit in Wittenberg studiert.

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Braunschweig aber anscheinend schon außerordentlich hoch. Ein Student, der soeben sein Studium abgeschlossen hatte, durfte sich auf ein städtisches Pfarramt keinerlei Hoffnung machen – es ist nicht ein einziger Fall überliefert, in dem ein Student direkt von der Universität zum Predigtamt nach Braunschweig berufen worden wäre. Stattdessen war man in Braunschweig darauf bedacht, nur solche Kandidaten zu berufen, die bereits praktische Erfahrung aufwiesen, sei es als Lehrer oder (Land)pfarrer. Von den 83 amtierenden Predigern zwischen 1528–1599 waren 25 (= 30,12 %) vor ihrer Vokation bereits Pfarrer gewesen – zumeist auf dem Land oder in Kleinstädten.1911 28 (= 33,73 %) waren zuvor im Schuldienst tätig, davon zwölf als Rektoren, acht als Konrektoren und acht als Lehrer/Kantor. Von 21 (= 25,3 %) Predigern konnte der Beruf zum Zeitpunkt ihrer Braunschweiger Vokation mangels Informationen nicht eindeutig bestimmt werden. 13 dieser unbestimmbaren Prediger gehören dabei zur »Anfangsbesetzung« der Kirchen im Jahr 1528 – hier mag ein vorheriges Lehr- oder Predigtamt noch nicht vorausgesetzt worden sein. Damit belegt sich statistisch, was auch rein rechtlich spätestens seit den 1550er Jahren in Braunschweig praktiziert wurde. So war es üblich, seit tempore D. D. Morlini et Chemnitij […] aus hochbedencklichen wichtigen vrsachen keine junge gesellen, alßbalden sie ex academia gekommen, zum predigt ampt [zu] berueffen.1912 Stattdessen sollte man sie vorerst ad pistrinum scholasticum verweisen, daselbst jhre jndustriam et fidem in erudienda inventute ettliche jahr zu exploriren.1913 Derartige Vorgaben waren nicht unüblich und wurden auch in anderen Territorien so gehandhabt.1914 In der Ulricipfarre war man später sogar darauf bedacht, ausschließlich solche Pfarrer einzustellen, die bereits beizeiten im predigambt gewesen, woran dan bei solcher großen gemeine sehr sehr viel gelegen ist.1915 Ein solcher Lebenslauf – Schulbildung, Studium und ettliche jahr praktische Berufserfahrung – deutet auf ein fortgeschrittenes Alter der angehenden Braunschweiger Pfarrer hin. Dies hätte zweifelsohne aber auch eine erhöhte Reife der Kandidaten zur Folge gehabt, die für das Geistliche Ministerium im Allgemeinen höchst notwendig und zur Konfliktvermeidung auch seit 1571 gesetzlich gefordert war.1916 Die Braunschweiger KO ließ – wie fast alle anderen

1911 Vgl. dazu Grafik 7 im Anhang. 1912 StadtA BS, Revidenda Nr. 155 (Schulen II) [o.P.], Bl. 1r [eig. Pag.]. Anmerkung zur Schulordnung (1595). 1913 Ebd., Bl. 1v [eig. Pag.]. Dazu auch StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 53r, wonach sich die Lehrer exerciren in predigen sollten (1596). 1914 Vgl. Arend, Pfarreranstellung, S. 38. 1915 StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 109r. Die Aussage stammt zwar aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, doch wird hier angemerkt, dass dies die vorfahren auch in acht genommen hätten. 1916 Vergleich dazu die Leges Ministerii von 1571, insb. §9 (Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 471f.).

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KOO1917 – ein Mindestalter offen. Tatsächlich lag das Durchschnittsalter der in Braunschweig erstmalig berufenen Prediger bei 34,3 Jahren!1918 Der jüngste festzustellende Prediger war dabei 15251919 Heinrich Lampe mit 23 Jahren, der älteste Johann Dravanus, der 1535 60-jährig zum Prediger von St. Ägidien ernannt wurde.1920 Beides sind aber Ausnahmen: Die anderen Prediger sind bei Amtsantritt meist in ihren (späten) 20ern oder in ihren 30er Jahren gewesen. Nach Einführung der KO findet sich auch kein Prediger mehr, der bei seinem Amtsantritt nicht wenigstens 26 Jahre alt gewesen wäre. Dass es sich hierbei nicht ausschließlich um ein Alter handelte, das dem langen erforderlichen Bildungsweg geschuldet war, zeigen die Quellen deutlich. Noch 1609 wird dies bei der Wahl eines neuen Predigers zu St. Ägidien augenscheinlich. Nachdem zwei Lehrer (Konrektor und Rektor) vom Wahlgremium vorgeschlagen worden waren, wurde im Kolloquium vielfeltig gereth vnd von etzlichen fratibus erwogen vnd fürgewandt, wie solches catechismi predigampt woll zwar einen alten erfahrnen man vnd praedicum theologum erforderte vnd beide aufgesetzte persohnen noch etwas jungk seien.1921 Valentin Rademacher, der oben genannte »Rektor«, wurde zwar schließlich doch zum Pastor gewählt; trotzdem zeigen die obigen Überlegungen, dass das Alter durchaus in den Wahlprozess hineinspielte. Im Übrigen war Rademacher zu diesem Zeitpunkt (1609) immerhin schon 28 Jahre alt.1922 Damit glich sich das erforderliche Alter der Braunschweiger Predigerkandidaten dem vom Trienter Konzil vorgeschriebenen Alter von 25 Jahren für die Presbyterweihe an.1923 Lutheraner wie Katholiken scheinen demnach im 16. Jahrhundert das nötige Mindestalter angehender Geistlicher bei etwa 25–26 Jahren gesehen zu haben, obgleich es auch hier sicherlich Abweichungen gegeben haben mag. Zweierlei wird an den Altersbefunden und dem vorherigen Beruf der angehenden Prediger deutlich: Einerseits konnte es sich Braunschweig seit den 1530er Jahren offensichtlich zunehmend leisten, nur ältere, gut qualifizierte und er1917 Vgl. Arend, Pfarreranstellung, S. 39. 1918 Für diese Auswertung standen leider nur 27 der insgesamt 83 Prediger zur Verfügung, da von den meisten keine Geburtsdaten, sondern nur die Geburtsorte vorliegen. Prediger, die innerhalb Braunschweigs zu einer anderen Pfarre (z. B. von St. Petri zu St. Martini) wechselten, wurden hier nur für ihre erste Berufung gezählt. Andernfalls wäre der Altersschnitt sogar noch höher gewesen. 1919 Lampe zählt zu jenen protestantischen Predigern, die bereits vor der Reformation von den katholischen Pfarrherren als Prädikant berufen worden waren. Beginnt man die Alterszählung erst mit seinem offiziellen Wirken als vom Rat bestätigter Prediger (1528), so wäre auch Lampe hier bereits 26 Jahre alt gewesen. 1920 Zu Dravanus und Lampe vgl. Freist/Seebaß, Pastoren II, S. 71 u. 175 sowie Beste, Album, S. 100 u. 63. 1921 StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 42r. 1922 Vgl. Beste, Album, S. 101. 1923 Vgl. Arend, Pfarreranstellung, S. 39.

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fahrene Personen für die Kirchen einzustellen, die vielfach in Wittenberg oder Rostock studiert hatten. Andererseits wurde hierdurch auch ein solides und erfahrenes Geistliches Ministerium geschaffen, dessen Mitglieder zur weiteren Ausbildung der Kirchenstruktur konstruktiv beitragen konnten. Bugenhagen hatte in seiner KO 1528 die Hoffnung gehegt, mittels der städtischen Lateinschulen die Kinder so zu erziehen, dass daruth mit der tidt mogen werden gude scholemeystere, gude predigere […] de ock so vortan öre kynder tome besten mogen holden unde so vortan kyndeskynd.1924 Tatsächlich sollte sich diese Absicht später, wenn auch auf einer höheren Ebene, verwirklichen. Von den 83 Predigern waren immerhin (mindestens) 34 (= 40,96 %) zum Zeitpunkt ihres Dienstantrittes in Braunschweig beruflich tätig gewesen und hatten dort praktische Erfahrung erworben – fast durchweg im Schuldienst. 32 Prediger (= 38,55 %) wurden bis 1599 von außerhalb berufen,1925 für die restlichen ~20 % liegen keine Informationen vor. Damit hielten sich interne und externe Vokation in etwa die Waage. Das Verhältnis von interner und externer Vokation veränderte sich zwischen 1528–1599 überdies nicht signifikant. Es wurden also – was vielleicht zu erwarten gewesen wäre1926 – in späteren Jahren nicht mehr Braunschweiger Bürgersöhne zu Predigern ernannt als in den ersten Jahrzenten nach der Reformation. Anhand der Schatzkastenrechnungen können viele Lebensläufe der Prediger sehr weit zurückverfolgt werden. Es lassen sich hierbei Karrieremuster nachvollziehen, die meist vom anfänglichen Hilfslehrer bis zum Pastorat führten. Dabei sind grundsätzlich durchaus Übereinstimmungen mit dem idealtypischen Karrieremuster lutherischer Pfarrer zu konstatieren, nach welchem diese laut Cordes »vier Etappen« zu durchlaufen hatten: »[A]uf die Anstellung als Lehrer folgte eine Zeit als Pfarrer auf dem Land und dann als Vikar in der Stadt, bis am Ende das Amt des Stadtpfarrers ausgeübt wurde.«1927 Da in Braunschweig allerdings keine Vikariats- oder Kaplanstellen existierten, erfolgte hier der Karriereweg meist allein über die Laufbahn des Lehrers oder Landpfarrers. So wurde beispielsweise der aus Peine stammende David Pretorius 1565 zunächst Infimo1928 und im Folgejahr erster Schuldiener am Braunschweiger Martineum; 1569 stieg er dann zum Konrektor auf. Schließlich wurde er 1574 1924 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 364. 1925 »Außerhalb« kann in dieser Analyse auch Stadtbraunschweiger Bürgerkinder umfassen. Es ist hier nur der Ort gemeint, an dem die betreffende Person zum Zeitpunkt ihrer Vokation arbeitete. 1926 So etwa nachweisbar in Lüneburg, vgl. Cordes, Politik, S. 681. 1927 Ebd., S. 685. 1928 Der Infimo war eine (zwischen 1553 und 1562 geschaffene) Hilfslehrerstelle am Martineum und bildete vor dem Adiuncto alphabetarijs die zweitniedrigste Lehrerstufe. Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 18, Bl. 14r.

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zum Pfarrer der Marienkirche berufen.1929 Ein weiteres Besipiel bietet der lange Bildungsweg des Autor Hustedt. Im Alter von 24 Jahren wurde er 1582 zunächst zweiter Schuldiener (civi et tertiae classis praefecto)1930 am Martineum und stieg 1586 zum ersten Schuldiener auf. Nachdem er 1590 Martin Baremius als Konrektor abgelöst hatte, wurde er 1597 – mit 40 Jahren – Pfarrer zu St. Ägidien.1931 Ein letztes Beispiel für einen derartigen Karriereweg liefert Johann Heineke (Heunichius). Nachdem er 1563 erster Schuldiener (= Subconrectori) am Martineum geworden war,1932 stieg er 1566 zum Kantor an der Ägidienschule auf. Im Folgejahr wechselte er als Kantor zum bedeutenderen Katharineum, um 1569 wieder zur Ägidienschule zuückzukehren – nun jedoch als Rektor.1933 1572 wurde er schließlich Prediger zu St. Ägidien. Wie zu sehen dienten die drei protestantischen Lateinschulen damit nicht nur jungen Knaben zur Erziehung, sondern boten jungen Theologen eine Möglichkeit, sich praktisch weiterzubilden. Dass sich diese praktische Übung nicht nur auf das Unterrichten beschränkte, wurde oben bereits angesprochen:1934 Bis zum Ende des Betrachtungszeitraumes war es für die Lehrer üblich geworden, die Prediger bei Krankheit, Vakanz oder Abwesenheit gegen einen Obolus zu vertreten.1935 So wurden die Lehrer als künftige Prediger geübt und sammelten Erfahrung. Bis zur Jahrhundertmitte entwickelten sich damit gewisse Standards, die von den Kandidaten erfüllt werden mussten, um als Pfarrer im Geistlichen Ministerium der Stadt aufgenommen zu werden. Diese waren in der KO nicht festgelegt und etablierten sich auch lediglich auf Gewohnheitsebene. Der Kandidat durfte dementsprechend weder zu jung (unter ~26) sein, noch durfte es ihm an Berufserfahrung fehlen. Vorheriger Schul- oder Pfarrdienst waren Pflicht und auch ein Studium war bald schon Voraussetzung zur Erlangung eines Pfarramtes. Diese Standards waren nach 1528 jedoch auch dringend notwendig, denn im Zuge der Reformation handelte es sich bei den Predigern nicht mehr um einfache »Heuerpfaffen« der Pfarrherren. Mit Ausnahme der Domkapitel hat es vor der Reformation in Norddeutschland keine gestifteten Laienprädikaturen mit gut 1929 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 21–25. 1930 Die Bezeichnungen (erster/zweiter Schuldiener) wurden der KO und dem darin zugeordneten Gehalt entnommen. Sie existieren in dieser Form um 1580 nicht mehr – stattdessen gibt es aufgrund der deutlich erhöhten Klassenanzahl die obigen, jeweils in Klammern gesetztenTitel, die sich an den Klassen orientieren. 1931 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 33–44. 1932 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 18, Bl. 14r. 1933 Vgl. Dürre, Gelehrtenschulen, S. 68. 1934 Vgl. Kapitel 2.3.4. 1935 Vgl. z. B. einen Fall von 1556: Die kirche ad s. Egidien ist bis daher durch den schulmeister, so viel die predig belangedt bestellet […]. StadtA BS, Revidenda Nr. 67 [o.P.], Bl. 3r [eig. Pag. im Dokument]. Sitzung vom 4. 3. 1556.

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ausgebildeten Prädikanten gegeben, wie sie z. B. im Süden üblich waren.1936 Die an den norddeutschen Kirchen angestellten Prediger waren – im Gegensatz zu ihren vorgesetzten Pfarrherren1937 – »gemietete«, oft eher schlecht ausgebildete Prediger (mercenariis). Administrative Aufgaben im Rahmen der Kirchenverfassung hatten sie vor der Reformation nahezu keine. Nach 1528 wurde der lutherische Prediger nun aber auch Mitglied im Kolloquium/Ministerium und war entsprechend beteiligt an der Erstellung neuer Ordnungen, dem Verfassen von Gutachten und der Wahl neuer Kirchen- und Schuldiener. Außerdem musste er hochwertige Predigten konzipieren und diese dogmatisch sauber und einwandfrei vortragen können. Entsprechend hoch waren daher schon bald die intellektuellen Anforderungen an die neuen Geistlichen. Da die erste Generation der lutherischen Prediger diese Anforderungen zunächst nur bedingt erfüllte, wurden im Jahrzehnt bis 1540 noch vielfach Ratschläge stadtfremder Theologen wie Rhegius, Luther oder Corvinus eingeholt. Mit dem sukzessiven Nachrücken der neu ausgebildeten lutherischen Prediger gingen diese stadtfremden Ratschläge jedoch seit den 1540er Jahren stetig zurück. Verständlicherweise reichten drei Lateinschulen in Braunschweig nicht aus, um den hohen Bedarf an solch qualifizierten Predigern für insgesamt 10 Kirchen1938 zu decken, sodass etwa die Hälfte der Pfarrer 1528–1599 von auswärts berufen werden musste. Allerdings hat es in Braunschweig – im Gegensatz zu anderen Städten – trotz der hohen Anforderungen nie einen akuten Mangel an Predigern gegeben, wie oben bereits angedeutet wurde.1939 Stattdessen konnte die Stadt selbst in der Frühphase nach der Reformation vielfach Prediger entbehren, die dann entsandt 1936 Vgl. Hölzel-Ruggiu, Prediger, S. 526; Kaufmann, Stadtreformationen, S. 123. Dazu auch allgemein für Südwestdeutschland: Rauscher, Prädikaturen. In Augsburg trugen die durch die Zechpfleger kontrollierten Laienprädikanten (Rhegius u. a.) wie auch in anderen süddeutschen Städten sogar maßgeblich zur Einführung der Reformation bei. Vgl. Gößner, Kirchenhoheit, S. 32. 1937 Die Pfarrherren selbst sollten zwar nach einem Konkordat des Konstanzer Konzils (1418) bei einer Gemeinde von über 2000 Mitgliedern pflichtmäßig graduiert sein – allerdings waren sie in Braunschweig nicht selbst in den Kirchen tätig, sodass die faktische Auswirkung dieser »gebildeten« Pfarrherren eher gering gewesen sein dürfte. Im nachreformatorischen Braunschweig wurde zudem bis auf Tile Krüger kein Pfarrer für den Kirchendienst beibehalten. Vgl. zu den kanonischen Vorgaben: Bünz, Enno: »Die Kirche im Dorf lassen…«. Formen der Kommunikation im spätmittelalterlichen Niederkirchenwesen, in: Rösener, Werner (Hrsg.): Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Moderne, Göttingen 2000 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 156), S. 77–168, hier S. 116. 1938 Diese zehn Kirchen waren: St. Martini, St. Katharinen, St. Andreas, St. Magnus, St. Ulrici, St. Michaelis, St. Petri, St. Ägidien, St. Marien (Hospitalskirche) und St. Leonhard (Hospitalskirche). Außerhalb des Ministeriums kamen noch hinzu: St. Crucis und St. Blasius. 1939 Ausnahmen bilden Superintendent und Koadjutor und auch hier fand man schneller Ersatz als in manch anderen Städten – keines der beiden Ämter war bis 1599 länger als drei Jahre vakant.

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wurden, um die lutherische Bewegung der Nachbarstädte zu fördern. Nachdem z. B. der Göttinger Rat im November 1529 um einen Prediger bei den Braunschweigern angehalten hatte, wurde bereits 1530 Koadjutor Heinrich Winkel in die Nachbarstadt entsandt. Und dies sogar gegen den anfänglichen Widerstand Winkels, denn obgleich syn e.w. [= Winkel M.V.] beantwordet, dat he tho der esschinge tho düsser tidt gantz vnbeqwem […] hefft sick [Winkel] dennoch thom latesten vp vnse vorgewante flitige bede bewilliget, für einen Monat nach Göttingen zu ziehen, wie der Braunschweiger Rat den Göttingern mitteilte.1940 Winkel blieb letztlich sogar bis Mitte des Jahres 1530 in Göttingen.1941 Anschließend reiste er weiter nach Halberstadt, um auch dort die aufkeimende reformatorische Bewegung zu fördern.1942 Im August 1532 sandte der Braunschweiger Rat überdies die beiden Prediger Johann Lafferdes und Ludolf Petersen nach Hildesheim, wo sie von den dortigen Zünften der Gerber und Schuster – nicht aber vom Rat – erbeten worden waren.1943 Da der Hildesheimer Rat die beiden Geistlichen jedoch unter dem streng katholischen Bürgermeister Wildfüer der Stadt verwies, befahl man in Braunschweig wiederum erbittert: Vnd de wile vnse twe prediger to Hildensem nicht heff[en] mogen geleden werden, datmen de borger von Hildensem, so sik hir wonhafftig gesetten, weder vorwise.1944 Der Hildesheimer Rat warf den Braunschweigern im Gegenzug Anstiftung zur Meuterei vor.1945 Schon im Folgejahr 1533 halfen die Braunschweiger auch bei der erfolgreichen Einführung der Reformation in Hannover und sandten erneut Heinrich Winkel zusammen mit Andreas Hoyer in die Leinestadt, welche bis 1535 dort blieben.1946 Die Lemgoer wiederum schickten 1533 selbst ihren Pfarrer Piderit nach Braunschweig, um sich hier hinsichtlich der Kirchenordnung zu erkundigen.1947 1542 mussten dann die Prediger Lafferdes und Petersen sowie auch Winkel erneut nach Hildesheim – diesmal zur glücklichen Durchsetzung der dortigen Reformation.1948 So avancierte Braunschweig schon früh zu einem Angelpunkt der nordwestdeutschen Städtereformation. Die langfristige Durchsetzung der Reformation verlief hier diesbezüglich also verhältnismäßig reibungslos: Prediger 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948

StadtA GÖ, Kirchensachen, Nr. 5207, Bl. 5r. Vgl. ebd., Bl. 9r. Vgl. StadtA GÖ, Kirchensachen, Nr. 5207, Bl. 10r–11r. Vgl. Gebauer, Johann Heinrich: Geschichte der Stadt Hildesheim, Bd. 1, Hildesheim/ Leipzig 1922, S. 310. Dazu auch das Schreiben Lafferdes’ von 1532 unter StadtA HI, Best. 100–153 Nr. 68. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 90r. Vgl. Gebauer, Geschichte, Bd. 1, S. 311. Vgl. Jacobs, Heinrich Winkel, S. 226–227 und StadtA HA, 1.AA.2.01, Nr. 1805. Vgl. Schilling, Konfessionskonflikt, S. 99; Freitag, Reformation in Westfalen, S. 104. Der entsprechende Briefwechsel Braunschweigs mit Hildesheim findet sich abgedruckt bei: Lauenstein, Joachim Barward: Hildesheimische Reformationshistorie […], Braunschweig 1736, S. 73–77. Siehe zu den Umständen auch: Jacobs, Heinrich Winkel, S. 244 und Gebauer, Geschichte, Bd. 1, S. 324.

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waren seit 1528 in ausreichender Zahl vorhanden, sodass man sie sogar zeitweilig entbehren konnte. Lediglich die Suche nach qualifizierten Superintendenten und Koadjutoren gestaltete sich auch für die Braunschweiger in der Folgezeit meist eher schwierig.1949

3.1.2 Prediger und ihr medialer Einfluss: Geistliche als publizistische Akteure Wie bereits angedeutet wurde, hatten die Prediger innerhalb Braunschweigs im Rahmen des Geistlichen Ministeriums einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die innerstädtischen Entwicklungen. Doch während dies in anderen Städten maßgeblich durch Druck- und Streitschriften begleitet wurde, lässt sich in Braunschweig hiervon nichts feststellen. In der ersten Jahrhunderthälfte konnten – neben der Kirchenordnung – bis 1554 lediglich zwei Druckschriften ermittelt werden, die tatsächlich aus der Feder von Braunschweiger Geistlichen stammten: Einerseits das gemeinschaftlich aufgesetzte Bekenntnis vom Abendmahl (1531),1950 andererseits eine kurze, theologisch wenig bedeutsame Schrift des Superintendenten Nikolaus Medler von 1549.1951 Man ist zunächst leicht geneigt, diesen Umstand einer fehlenden Offizin in Braunschweig zuzuschreiben. Denn der erste nachweisbare Braunschweiger Drucker, Hans Dorn, beendete bereits um 1525 seinen Dienst in der Stadt.1952 In der wichtigen Phase zwischen 1525 und 1584 hat es in Braunschweig sodann keine dauerhafte Offizin gegeben – lediglich zwei reformatorische Schriften (ein niederdeutsches Erbauungsbuch und eine Schrift Urbanus Rhegius’) wurden hier 1539 durch Andreas Goldbeck veröffentlicht.1953 Ansonsten lässt sich erst mit Daniel Büring 1584–1597 wieder ein

1949 Man sieht dies einerseits an den Vakanzen der Superintendentur (1542–1545; 1551–1553; 1583–1586; 1599–1607), andererseits vor allem an den vielen erfolglosen Werbungen der Stadt (z. B. zunächst 1543 bei Medler) sowie an den zahlreichen erfolglosen Vokationsschreiben für neue Koadjutoren und Superintendenten 1596–1607 (StadtA BS, III 15 Nr. 18). 1950 [Div. Autoren]: Bekentnis von dem Sacrament des leibs vnd bluts Christi/ aller Predicanten zu Braunschweig/ durch D. Marti. Luther zu Wittemberg vberlesen/ vnd fur Christlich erkandt/ Mit einer kurtzen Vorrede D. Johannis Bugenhagij Pomerani, Magdeburg 1531 [VD16 B 1576]. 1951 Vgl. Medler/Pistorius, Zeychen. 1952 Vgl. zu den möglichen Gründen Kapitel 3.6. Zu Dorn vgl. Claus, Helmut: Hans Dorn. Erstdrucker in Braunschweig, in: Universitätsbibliothek Basel (Hrsg.): Basileae Ravaracorvm. Referate eines informellen ostwestlichen Kolloquiums, Basel 1991 (= Publikationen der Universitätsbibliothek Basel, 14), S. 33–57. 1953 Vgl. Camerer, Luitgard; Fischer, Ulrike (Bearb.): Der Buchdruck in der Stadt Braunschweig vor 1671, Braunschweig 1985, S. 5.

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dauerhafter Buchdrucker in Braunschweig nachweisen,1954 dessen Ansiedlung seit 1586 prompt eine neue Ratszensur theologischer Druckschriften zur Folge hatte.1955 Eine Untersuchung sämtlicher nachweisbarer Drucke, die von den Braunschweiger Geistlichen publiziert wurden, zeigt jedoch ein anderes Bild: Denn bis 1599 wurde lediglich ein einziges Buch eines Geistlichen direkt in Braunschweig veröffentlicht – selbst nach Einrichtung der Offizin 1584. Es handelte sich dabei um eine Leichenpredigt, die der Superintendent Polycarp Leyser vor Ort drucken ließ.1956 Demnach stellte der Mangel an örtlichen Druckern keine vornehmliche Ursache für die geringe publizistische Aktivität der Braunschweiger Geistlichkeit dar. Als zweites Ergebnis lässt sich überdies festhalten, dass keine der geistlichen Publikationen auf innerbraunschweigische Konflikte anspielte. Die Geistlichen mischten sich medial vornehmlich in die größeren konfessionellen Streitigkeiten der Zeit ein und versuchten somit, die Stellung des gnesiolutherischen Braunschweig auch nach außen hin wirksam zu vertreten bzw. zu festigen. Eine entsprechende mediale Aktivität lässt sich vor allem ab dem Eintreffen von Mörlin und Chemnitz 1553/54 feststellen. Im Anschluss daran waren die Braunschweiger Geistlichen zwischen 1554–1599 in nahezu alle größeren theologischen Fragen der Zeit medial involviert und vertraten dort überwiegend auch die Ansichten des Braunschweiger Geistlichen Ministeriums. Die publizistischen Aktivitäten begannen 1554 im Zuge des Osiandrischen Streits, dessen Auswirkungen Mörlin und Chemnitz noch aus ihrer preußischen Zeit gefolgt waren.1957 Daran anschließend beteiligten sich die Braunschweiger 1954 Vgl. ebd., S. 7. Büring wurde 1589 auch prompt Ausgangspunkt für einen Konflikt um die Druckprivilegien, welche Herzog Heinrich Julius der Stadt – die ja nur Landstadt war – gemäß des Speyrer Reichstagsabschieds von 1570 nicht zugestand. Demnach waren nur Reichs-, Universitäts- und Residenzstädte druckberechtigt. Vgl. NLA WF, 2 Alt Nr. 12365, Bl. 2r u. 11r. 1955 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 427. Es wurde festgelegt, das alle die jennigen, so in künftig bücher oder andere schrifften in theologia wollen außgehen lassen, ein glaubwirdigk exemplar dem hern superintendenten vnd dem gantzen ministerio auch zur nachfolge e[inem] e[hrbaren] rhat zustellen vnd als dan nach gehorttem des ministerij bedencken vnd e[ines] e[hrbaren] rhat[s] verwilligung solche schrifften ihn offentlichen druck außgehen lassen soltten. 1956 Leyser, Polycarp: Leichpredigt, bei dem begrebniß, des weiland […] Achatii von Veldtheim. Erbassen zu Harpke und Dernburg […], welcher den 12. Novembris des 88ten Jars zu Harpke […] eingeschlafen ist […], Braunschweig 1588 [VD16 ZV 20245]. Zur Ausgabe von 1589 vgl. VD16 L 1459. 1957 Vgl. u. a. Mörlin, Joachim: Historia, Welcher gestalt sich die Osiandrische schwermerey im lande zu Preussen erhaben/ vnd wie dieselbige verhandelt ist/ mit allen actis/ beschrieben Durch Joachim Mörlin D. vnd Superintendent zu Brunschwig […], Magdeburg 1554 [VD16 M 5879]; ders.: Das Osiandri Jrthumb mit keiner vorgessenheit zustillen/ oder hin zulegen sey. Joachimus Mörlin. D. […], [o.O.] 1555 [VD16 M 5865]; ders.: Trewliche warnung vnd

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Geistlichen publizistisch am Bremer Abendmahlsstreit von 1561,1958 dem Streit um die Lüneburger Artikel (1561),1959 dem Diskurs um den aufkommenden Jesuitenorden (1562–96),1960 der Frage der Predigerberufung (1565)1961 sowie den Unstimmigkeiten über die Ubiquität, die Zwei-Naturen-Lehre, dem Wittenberger Katechismus und dem Niedersächsischen Bekenntnis (1570–71).1962 Chemnitz ließ 1573 überdies eine ausführliche Stellungnahme zu den Beschlüssen des Tridentiner Konzils im Druck herausgeben.1963 Weitere theologische Konflikte, an denen die Braunschweiger publizistisch beteiligt waren, betrafen neben der Verhandlung des Konkordienwerkes die Einsetzung des Halberstädter Bischofs Heinrich Julius (1579),1964 den Kalenderstreit (1584)1965 sowie den Anhaltinischen Tauf- und Exorzismusstreit (1591–92).1966

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trost an die Kirchen in Preussen. Joachimus Mörlin D. […], Magdeburg 1555 [VD16 M 5886]; ders.: Ein Sendtbrieff D. Doctoris Joachimi Morlini an den Vogel/ eingedrungenen Prediger in der Stifftkirchen des Kniphoffs zu Königsberg in Preussen, Magdeburg 1556 [VD16 M 5885]. Zum heftigen Konflikt mit Vogel vgl. den Brief Mörlins vom 25. 9. 1556. NLA WF 298 N, Nr. 893 [o.P.]: Ein sendbrief doctoris Joachim Morlini an den Vogel […]. Darin behauptet Vogel u. a., Mörlin sei nicht der lehr halben, sondern von wegen rechtliches vngehorsams vom fürsten verjagt worden. Vgl. u. a. Chemnitz, Martin; Zanger, Johann: Die Reine gesunde Lehre/ von der wahren gegenwertigkeit/ des Leibs vnd Bluts Christi in seinem abendmal/ wie dieselbe in den Euangelischen kirchen/ der Augspurgischen Confession verwandt/ bißanher gelehret ist […] zusamen gezogen/ durch M. Martinum Kemnitz/ Prediger zu Braunschweig. Jetzundt aber […] ins deutsch verfertiget/ durch Johannen Zanger Oenipontanum, auch Prediger daselbst […], Leipzig 1561 [VD16 C 2212]; Chemnitz, Martin; Zanger, Johann: Leuterung der proposition oder schlusreden Alberti Hardenbergers/ von dem Abendmal des HErrn/ welche er auff dem Kreistag zu Braunschweig/ den Stenden des Nidersechsischen kreis vbergeben hat […] Zuuor in Latein gestellet durch Herrn M. Martinum Kemnitz. Jtzt aber ins Deutsche gebracht/ durch Johannem Zanger Oenipontanum, Eisleben 1561 [VD16 C 2149]. U.v.m. Vgl. u. a. Mörlin, Joachim: Verantwortung/ Der Prefation/ so fur die Lüneburgischen Artickel gestelt ist. Wider D. Maiors Vorrede. D. Joach. Mörlin […], Eisleben 1562 [VD16 M 5887]. Vgl. Chemnitz, Martin; Zanger Johann: Vom newen Orden der Jesuwider/ Was jr glaube sey/ vnd wie sie wider Jesum/ vnd wider sein heiligs Euangelion streitten/ […] zuuor in Latein durch M. Martinum Kemnitz gestelt/ Jetzt aber […] Ins Deutsch gebracht. Durch Johan. Zanger Oenipontanum, Eisleben 1562 [VD16 C 2219]; Leporinus, Melchior; Leyser, Polycarp: Historia iesvitici ordinis, das ist: Gründtliche vnd außführliche Beschreibung des Jesuitischen Ordens/ vnnd jhrer Societet […], Frankfurt a.M. 1594 [VD16 H 719] und 1596 [VD16 H 720]. Vgl. Mörlin, Beruff. Vgl. Chemnitz, Bedencken; ders.: De dvabvs natvris in Christ. De Hypostatica earvm vnione: De commvnicatione Idiomatum, Jena 1570 [VD16 C 2162]. U.v.m. Chemnitz, Martin: Examen Decretorvm Concilii Tridentini. In qvo ex sacrae scripturae norma, collatis etiam orthodoxis uerae et purioris Antiquitatis testimonijs ostenditur […], Frankfurt a.M. 1573 [VD16 C 2168]. Vgl. Chemnitz, Martin: Gründlicher Bericht/ Wie es mit der einführung vnd bestettigung des newen Bischoffs zu Halberstatt zugangen sey. Zusambt D.Martini Chemnitij Super-

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Am meisten taten sich hierbei eindeutig die Superintendenten und Koadjutoren hervor: Allen voran Mörlin, Chemnitz und Leyser und – weit weniger häufig – auch Heidenreich und Martini. Die Prediger waren dementgegen vorwiegend als Übersetzer vom Lateinischen ins Deutsche tätig – hierbei zeichnete sich in der zweiten Jahrhunderthälfte der Martiniprediger und spätere Koadjutor Johann Zanger aus. Mit ihrer kirchenpolitischen Aktivität beförderten die Geistlichen maßgeblich die in Braunschweig vorherrschende gnesiolutherische Einstellung im nordwestdeutschen Raum und sicherten damit auch die stadtbraunschweigische Kirche samt ihrer dogmatischen Lehransicht nach außen zunehmend ab. Nicht umsonst konnte Superintendent Chemnitz in seinem Testament daher resümieren, dass das Ministerium dieser Kirchen bey benachbarrten und auswertigen in zimlichem ansehen stehe.1967 Als Druckort spielte Braunschweig hierbei indessen, wie bereits angedeutet, keine Rolle: Von den insgesamt 101 nachweisbaren Schriften der Braunschweiger Prediger, wurden zwischen 1528–1599 mit 18 Werken die meisten Drucke in Magdeburg herausgegeben, gefolgt von Wolfenbüttel und Frankfurt am Main ( jeweils 13), Eisleben (12), Leipzig (8), Jena (7), Königsberg (4), Erfurt (2), Heidelberg (2), Braunschweig, Helmstedt, Rostock und Wittenberg ( jeweils ein Druck).1968 Ähnlich sah es auch bei dem Druck lutherischer Schulfibeln aus: Während im 16. Jahrhundert eine Großzahl an Schulfibeln – vor allem in Wittenberg, Nürnberg, Tübingen sowie (in bescheidenerem Maße) in Hamburg und Lübeck – gedruckt wurde, kam in Braunschweig nicht eine einzige Fibel auf den Markt.1969

1965 1966

1967 1968 1969

intendenten zu Braunschweig Iudicio an Hertzog Iulium zu Braunschweig, [o.O.] 1573 [VD16 C 2191]. Chemnitz, Martin: D. Martini Kemnicii: Bericht vom newen Bapstischen Gregoriano Calendario/ an den Landgraffen zu Hessen/ etc., [o.O.] 1584 [VD16 ZV 3229]. Vgl. [Braunschweiger Prediger]: Tauffbüchlein/ des Herrn D. Martini Lutheri. Zusampt Einer kurtzen/ Christlichen vnd einfeltigen Erklerung deselben. Gestelt durch die Prediger der löblichen Stadt Braunschweig, Magdeburg 1591 [VD16 A 827]; Leyser, Polycarp: Von abschaffung des Excorcismi Bey der heiligen Tauffe/ Jm Fürstenthumb Anhalt. Rath vnd Bedencken. Doctoris Polycarpi Leyseri, Superintendenten zu Braunschweig. Gestellet auff ansuchung etlicher Fürnehmer vom Adel/ Jm Fürstenthumb Anhalt. Vnd vom gantzen Ministerio zu Braunschweig/ approbiret vnd vnterschrieben. Alles zur rettung des Christlichen Tauffbüchleins Herrn Doctoris Martini Lutheri […], Erfurt 1591 [VD16 L 1438]; ders.: Vom Exorcismo. Ejn Christlicher/ nötiger vnd in Gottes Wort wolgegründter Bericht. Gestellet von Polycarpo Leysern D. Superintendenten in der Stadt Braunschweig. Zu widerlegung der langen vnd vngegründten Schrifft/ welche die Prediger des Fürstenthumbs Anhalt/ in diesem Artikel wider jhn publicieret haben, Jena 1592 [VD16 L 1473]. Zit. nach: Mager, Testament, S. 125–126. Vgl. dazu Grafik 9 im Anhang. Vgl. Teistler, Gisela: Fibeln als Dokumente für die Entwicklung der Alphabetisierung: Ihre Entstehung und Verbreitung bis 1850, in: Bödeker, Hans Erich; Hinrichs, Ernst (Hrsgg.): Alphabetisierung und Literalisierung in Deutschland in der Frühen Neuzeit, Tübingen

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Festhalten lässt sich somit zweierlei: 1. Bis 1553 waren die Braunschweiger Geistlichen, abgesehen von zwei Drucken, weder stadtintern noch außenpolitisch medial präsent und hielten sich erstaunlich zurück, was jedoch nicht auf die fehlende städtische Offizin zurückzuführen ist. 2. Ab 1553 beteiligten sich die Geistlichen – auch ohne örtliche Offizin – an den meisten größeren theologischen Streitigkeiten der zweiten Jahrhunderthälfte und sicherten Braunschweig und dessen theologischer Prägung damit eine nicht unbedeutende Rolle im überregionalen Diskurs. Innerstädtische Kirchendispute wurden indessen zu keinem Zeitpunkt medial ausgetragen – keine einzige Druckschrift rekurriert auf innerstädtische Fragen und Probleme. Als Druckstandort für geistliches Schriftgut spielte Braunschweig darüber hinaus keine Rolle, doch war dies für norddeutsche Städte nicht ungewöhnlich.1970

3.1.3 Die lutherischen Schuldiener Um den Nachwuchs an gebildeten lutherischen Predigern dauerhaft zu gewährleisten, waren auch entsprechend qualifizierte Lehrkräfte erforderlich. Das nachreformatorische Schulwesen war dabei in zweifacher Hinsicht von hoher Bedeutung für die Ausbildung angehender Prediger: Einerseits erwarben dort junge Schüler die nötigen Grundkenntnisse in Latein und Religion, andererseits konnten sich hier studierte Männer in praktischer Lehr- und Predigttätigkeit üben. Insofern kam den Lehrern bei der langfristigen Implementation der Reformation also eine Doppelrolle zu. Entsprechend wichtig war es, dass die zentralen Ämter innerhalb der Lateinschulen mit qualifizierten Theologen besetzt wurden. Nach der Bugenhagischen Ordnung hatte wenigstens der Rektor zu St. Martini ein magister artium zu sein.1971 Tatsächlich hielt man sich relativ strikt an diese Verordnung. Lediglich die beiden späteren Koadjutoren Johann Zanger und Andreas Pouchemius scheinen erst während bzw. nach der Zeit ihres Rektorats einen Magistertitel erworben zu haben.1972 Für die Katharinenschule hingegen konnte bis in die

1999 (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung, 26), S. 255–281, hier S. 260. Lediglich ein deutsches Rechenbuch erschien 1587 in Braunschweig. Vgl. Pöpping, Eberhard: Neues Rechenbüchlein auf Linien und Federn, Braunschweig 1587 [VD16 P 4258]. Vgl. dazu auch Schubert, Conrad Pöpping, S. 139. 1970 Zur geringeren Bedeutung des norddeutschen Druckgewerbes während der Reformationszeit vgl. Kaufmann, Stadtreformationen, S. 117–119. Eine Ausnahme bildete um 1547– 1552 bekanntlich die »Hergotts Kanzlei« in Magdeburg, vgl. Kaufmann, Hergotts Kanzlei. 1971 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 365. 1972 Dies lässt sich (mit gebotener Vorsicht) aus den Kastenrechnungen schließen, in denen beiden Rektoren der Magistertitel zum Zeitpunkt ihres Rektorats nicht vor den Namen

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1550er Jahre kein Rektor mit Magistertitel nachgewiesen werden. Seit 1557 hatte dann aber auch dort jeder Schulleiter die Universität wenigens mit einem »Magister artium« abgeschlossen. Bekanntermaßen war der Magistertitel für die zeitgenössischen Behörden zwar hilfreich zur Orientierung, einen hinreichenden Anhaltspunkt für die Qualifikation des Kandidaten bildete er jedoch nicht: »Da die akademischen Grade keinen zuverlässigen Leistungsnachweis vermittelten, begannen die Arbeitgeber in Kirche und Staat, selbst die Kandidaten für ihre Ämter zu examinieren.«1973 Diese Examen (inkl. Probelektionen) wurden daher – trotz des Magistergrades der angehenden Rektoren – spätestens ab der zweiten Jahrhunderthälfte auch in Braunschweig zur Voraussetzung des Rektorats. Wie bei den angehenden Predigern entwickelte sich überdies auch bei den Schulrektoren die Angewohnheit, keine Kandidaten zu berufen, die nicht zuvor bereits im Lehrberuf gearbeitet hatten. Von den 25 untersuchten Rektoren zu St. Martini und St. Katharinen1974 ließ sich für 13 ihr vorheriger Beruf/Stand ermitteln – dies war insbesondere bei den späteren Rektoren fast lückenlos der Fall. Hierbei zeigt sich, dass sieben zuvor in anderen Städten als Rektoren tätig gewesen waren, fünf als Konrektoren (meist in Braunschweig) und einer als Kantor. Bemerkenswert ist hierbei, dass sich unter den Rektoren und Konrektoren mit Johann Lohmann lediglich eine Person nachweisen ließ, die direkt aus Wittenberg nach Braunschweig gekommen war – bei den Kantoren war dies dementgegen häufiger der Fall.1975 Allerdings kamen auch in Braunschweig mehrere Lehrer auf Anraten der Wittenberger nach Braunschweig. So schlug z. B. Melanchthon 1545 den späteren Rektor zu St. Martini, Johann Petzolt aus Schweidnitz, als Lehrer vor und gab ihm ein eigenhändiges Empfehlungsschreiben an den Rat mit auf den Weg,1976 1546 kam aufgrund der Kriegswirren

1973

1974 1975

1976

gesetzt wird, während dies bei den vorherigen und auch späteren Rektoren, Konrektoren und Pfarrern der Fall ist – sofern sie einen Magistertitel besaßen. Frijhoff, Willem: Der Lebensweg der Studenten, in: Rüegg, Walter (Hrsg.): Geschichte der Universität in Europa, Bd. 2, München 1996, S. 287–334, hier S. 299. Vgl. hierzu auch insbesondere den Unterabschnitt »Akademische Grade als Qualifikationen zur Berufsausübung« (S. 298–303). Für das folgende Kapitel wurden lediglich die 25 Rektoren sowie die 31 Konrektoren zu St. Martini und St. Katharinen untersucht. Für die Ägidienschule musste auf eine solche Untersuchung mangels ausreichenden Datenmaterials leider verzichtet werden. So war man z. B. 1540 so verzweifelt auf der Suche nach einem Kantor, dass man aus Wittenberg trotz dat he mit schwarheit beladen war, einen olde[n] Cantor auf eigene Kosten nach Braunschweig fahren ließ. Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 8, Bl. 304. Auch der Nachfolger Nicolaus Zanger wurde aus Wittenberg angeworben. Vgl. Niemöller, Untersuchungen, S. 154–155. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 246, Bl. 12r–13v. Melanchthon erklärte im Brief, damit aber e[uer] w[ürden] sein gelegenheit des besser wisst, hab ich jhm diese schrifft mit geben, vnd bericht mit warheit, das dieser magister Johannes Petzolt sich ehrlich gehalden. Auch sei

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– ebenfalls auf Anraten Melanchthons – kurzzeitig Matthias Flacius als Lehrer nach Braunschweig.1977 Einige Monate später folgte Melanchthons Frau und schließlich 1547 Melanchthon selbst, wenn auch nur für kurze Zeit.1978 1557 wechselte der spätere Rektor zu St. Katharinen, der bereits erwähnte Johann Lohmann aus Wittenberg nach Braunschweig. Vermutlich geschah dies ebenfalls auf Anraten Melanchthons – jedenfalls waren beide gut befreundet und standen fortan in brieflichem Austausch.1979 Mit den oben beschriebenen Voraussetzungen an die Lehrer wurde der KO in jeder Hinsicht Genüge getan: Der künftige Rektor musste studiert haben, einen Magistertitel aufweisen, über berufliche Vorerfahrung verfügen und dennoch zusätzlich ein stadtinternes Examen (Probelektion) bestehen. Gemessen an diesen hohen Qualifikationen war der Arbeitsaufwand des Rektors sehr hoch und das Gehalt von anfänglich 30–40 Gulden eher niedrig. Für die meisten Theologen blieb dieses Amt damit eine Übergangsstelle – man war bemüht, möglichst schnell ein Pfarramt zu erhalten. Nur vier Rektoren bilden hier eine Ausnahme: Sie blieben zwischen 11 und 17 Jahre im Amt. Bei den restlichen Rektoren lag die Amtsdauer hingegen bei durchschnittlich 3,5 Jahren. Rechnet man die vier langjährigen Amtsinhaber hinzu, so lag der Gesamtdurchschnitt der Amtsdauer bei 4,9 Jahren. Diachron betrachtet lassen sich hierbei keinerlei Tendenzen in eine Richtung feststellen. Von zehn Rektoren ließ sich auch das Amtsantrittsalter ermitteln. Der Durchschnitt liegt hier bei 32 Jahren, wobei der jüngste Rektor 22, der älteste 42 Jahre alt war. Die Rektoren waren also verständlicherweise im Schnitt jünger als die städtischen Pfarrer. Noch kürzer war die Amtszeit der untersuchten Konrektoren: Sie lag im Schnitt bei 3,2 Jahren.1980 Für die Konrektoren ließen sich die vorherigen Berufe nur selten ermitteln (4x Konrektor, 4x Subkonrektor, 2x Student). Vermutlich dürften einige der Konrektoren tatsächlich erst von der Universität gekommen sein, sodass sie noch keine Berufserfahrung aufwiesen, was eine Recherche des vorherigen Berufs erschwert. Mindestens 14 dieser Konrektoren wiesen aber immerhin einen Magistertitel auf. Aus Wittenberg wurden sie – ähnlich wie die Rektoren – nicht bezogen.

1977 1978 1979 1980

Petzolt jm latin vnd grekischen sprach also gevbet, das ehr die jugent recht vnd loblich vnterweisen khann vnd ist jn christlicher lehr verstendig. Vgl. Melanchthons Brief an Medler vom 5. 12. 1546. Regest-Nr. 4484 im MelanchthonBriefwechsel. Die Regesten sind online einsehbar: https://www.hadw-bw.de/forschung/for schungsstelle/melanchthon-briefwechsel-mbw/mbw-regest?rn=4456 [Abruf: 18. 4. 2021]. Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 179. Vgl. Clemen, Briefe, S. 111–112. Hierzu wurden die Amtszeiten von den 27 Konrektoren seit 1537 ausgewertet (St. Martini und St. Katharinen). Die Amtsdauer von vier aufeinander folgenden Konrektoren ließ sich nicht ermitteln.

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Trotz der somit verhältnismäßig durchaus akzeptablen Bildung der Schuldiener scheint der nachreformatorische Schulalltag aber alles andere als konfliktfrei abgelaufen zu sein. Schütte hat allein für das 16. Jahrhundert dutzende gewaltsame Konflikte zwischen Braunschweiger Lehrern und Schülern ermitteln können.1981 Dass über die Lehrer nach 1528 auch immer wieder geklagt wurde, ist daher kaum verwunderlich;1982 gerade konfessionelle Divergenzen spielten dabei nicht selten eine Rolle.1983

3.1.4 Die Stipendiaten Zur Förderung und Bildung künftiger lutherischer Prediger und Schuldiener wurden seit 1528 verstärkt Stipendien bereitgestellt. Wie erwähnt, ließ man die Vikarien im Anschluss an die Reformation vielfach zu Universitätsstipendien umfunktionieren, sofern man sie nicht auflöste und direkt den Schatzkästen übertrug. Auch ließen Rat und private Stifter mehrere neue Stipendien einrichten.1984 Doch wer profitierte im Anschluss der Reformation tatsächlich von diesen neuen Stipendien? Und leisteten diese Stiftungen einen Beitrag zum personellen Aufbau des neuen Kirchenwesens? Schon im März 1529 wurden berede twe studenten borger kindere vom Rat tom studio geholden.1985 Der Schatzkasten zu St. Martini unterhielt 1537 ebenfalls zwei Studenten in Wittenberg.1986 Überdies wurden nach der Reformation an verschiedenen Universitäten eigene Studententische vom Rat unterhalten – so z. B. seit 1563 an der Univeristät Rostock.1987 Letztere war neben Erfurt, Leipzig und Wittenberg im 16. Jahrhundert ohnehin die beliebteste Universität der Braunschweiger Bürgersöhne.1988

1981 Schütte, Otto: Lehrer und Schüler in Braunschweig im 16. und 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde 45 (1912), S. 226–233, hier S. 226–227. 1982 Vgl. StadtA BS, Revidenda Nr. 155 (Schulen II) [o.P.]. Schreiben von M. Carulus Bumannus an den Rat 1587. 1983 Vgl. Kapitel 3.4.2. 1984 Eine geplante Umfunktionierung von 16 Stiftsvikarien (St. Blasius) in Stipendien, wie sie 1542 von den Schmalkaldenern angedacht wurde, ließ sich letztlich wohl nicht durchsetzen. Vgl. dazu NLA HA, Cal. Br. 21 Nr. 411, Bl. 24v–15r. 1985 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 163v. Ein Wittenberger Student (Lensen sohne) lässt sich 1532 im Hagen nachweisen, der vom Schatzkasten mit 2 ½ Mark ausgezahlt wurde. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 28, Bl. 10r. 1986 Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 4, Bl. 23r. 1987 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 5, pag. 163. Auch: StadtA BS, B IV 13 Nr. 7, Bl. 10r–15v. 1988 Vgl. Meier, Heinrich: Braunschweiger Bürgersöhne auf deutschen Universitäten vor Errichtung der Julius-Universität zu Helmstedt, in: Jahrbuch des Geschichtsvereins für das Herzogtum Braunschweig 7 (1908), S. 80–142, hier S. 82.

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Ein Verzeichnis zu St. Martini aus den 1580er Jahren gestattet tiefere Einblicke in den Nutznießerkreis der aus Vikarien umfunktionierten Stipendien.1989 Mit Hinzuziehung einiger anderer Quellen lassen sich hierdurch die Stipendiaten von 14 Altstädtischen Lehen zwischen den späten 1570er Jahren und 1599 ermitteln. Es handelt sich hierbei um 30 Personen, die ihr Stipendium im Schnitt zwischen 1–3 Jahren empfingen. Auffällig ist, dass viele Kinder ein Stipendium erhielten, deren Eltern finanziell vermutlich durchaus liquide gewesen wären. So entstammten allein vier der Stipendiaten (13,33 %) dem Patriziat und sieben der oberen Bürgerschicht bzw. der »Weißen Ringe« (23,33 %).1990 Vier weitere Stipendiaten entsprangen angesehenen Ratsgildefamilien, die jedoch im Handwerk tätig waren (13,33 %). Drei Stipendiaten kamen von außerhalb der Stadt und nur fünf Kinder ließen sich der (unteren) Mittelschicht (16,67 %) zuordnen. Es waren dies die Schneidersöhne Otto Dirk Smitt und Conradus Radeke, der Sohn des Apothekerknechts Georg Gebhart, der Sohn des Hofmeisters zu St. Leonhard, Fridericus Bußmann, der Kantorssohn David Palladio und der Sohn des Hagentorwächters Jodoco Magrio. Von sieben Stipendiaten konnte die Herkunft nicht bestimmt werden (23,33 %). Offensichtlich waren die Stipendien damit nach wie vor eher den gehobeneren Schichten vorbehalten. Dies verwundert jedoch nicht, mussten die künftigen Stipendiaten doch zuvor einen Eignungstest vor dem Superintendenten absolvieren und damit bereits eine entsprechende Bildung vorweisen, die den unteren Schichten vielfach versagt blieb. Für die Entwicklung der Kirchenverfassung ist nun vor allem die Frage entscheidend, inwiefern solche Stipendien tatsächlich zur Förderung der Nachwuchsprediger und Schulmeister beitrugen. Für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ist die Quellenlage leider noch zu dürftig. Ab den 1570er Jahren lassen sich aber zahlreiche Prediger und Schullehrer nachweisen, die ihre Studien mittels städtischer Stipendien beginnen bzw. fortsetzen konnten. So wurde z. B. 1574 dem damaligen Pfarrer Jakob Godefriedus eine Vikarie an der St. Martinskirche übertragen, zusätzlich erhielt er eine ehemalige Kommende an der Ägidienkirche zum Stipendium. Im Gegenzug hat er sich vorpflichtet, den kirchen alhie zu dienen vnd sonsten in keine frembde bestallung sich einzulassen.1991 Tatsächlich wurde Godefriedus, nachdem er noch 1574 in Tübingen den Magister erworben hatte, 1577 Pfarrer zu St. Martini. Autor Hustedt erhielt 1577– 1581 ebenfalls die Einnahmen einer alten Vikarie an St. Martini, die im 15. Jahrhundert von Wasmod von Kemme gestiftet worden war.1992 Auch er wurde später Pfarrer (1597 zu St. Ägidien), nachdem er zunächst als Schulgeselle 1989 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 71. 1990 Gemäß Kleiderordnung wurden hierunter auch die Predigersöhne und Sekretäre gerechnet. 1991 StadtA BS, B I 6 Nr. 1,2, Bl. 264r. 1992 Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 71, Bl. 12r.

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und dann als Konrektor am Martineum gewirkt hatte. Martin Baremius hatte 1583–1584 ein Stipendium genossen und wurde später Konrektor bzw. 1590 Rektor am Martineum.1993 Hermann Hobberdes, um ein letztes Beispiel zu nennen, erhielt 1586–1588 ein Lehen zu Studienzwecken übertragen.1994 In seinem Fall zeigt sich auch deutlich die Effektivität des Stipendiums. So resümierte Hobberdes selbst: Denn das ich bey deren studijs bin blieben vndt nicht zu meines vattern handtwerck bin gezogenn, da meine mutter sunst das gerber werck vndt narung nicht hette sollen treibenn, das ist aus günstigem vndt weisem erkentnüss eines ehrbaren rath geschehenn.1995 So wurde Hobberdes schließlich Rektor zu St. Ägidien, was nach eigenen Angaben allein aus günstiger beforderunge eines ehrnvestenn, ehrbarenn rath vndt der hochweisen herren bürgermeister vndt vorsteher S. Aegidij geschehenn sei.1996 Insbesondere von den Söhnen der Geistlichen erhoffte man sich eine Weiterführung des geistlichen Berufs. So hatte z. B. Dirk Kamman, der Sohn des Vikars Johann Kamman, vom Rat nach dem Tod seines Vaters dessen Vikarie als Stipendium übertragen bekommen, vp de condition, dat he jdt an sen studio vnd kerken denst wenden scholde.1997 Doch Kamman hielt sich nicht an die Auflage: Da er sich weltleke hantteri gebruket hatte, zog der Rat das Lehen resigniert wieder ein.1998 Auch Ludolf Petersen, dem neuen Prediger zu St. Martini versprach man 1541, dass man seinem Sohn welck van vnsen gemakeden stipendijs alsden tom ersten worde vorledigen der ein wolden eine tidtlang jnnemen.1999 Der Sohn des Magnipredigers Heinrich Lampe erhielt 1567 auf Ansuchen des Ministeriums zu seinem studio eine zulage vnd hülff vom Rat.2000 Wenige Jahre später wurden auch dem Sohn des Koadjutors Pouchemius 20 R zu seinem studiren zuhulff von dem rath gegeben.2001 Dem Kirchen- und Schuldienst halfen all diese Stipendien jedoch letztlich nicht weiter: Keiner der geförderten Pfarrersöhne wurde schließlich in den Braunschweiger Kirchen- oder Schuldienst übernommen.2002 Obgleich diese spezielle Strategie des Rates somit nicht fruchtete, konnte doch anhand der vorherigen Beispiele dargelegt werden, dass die Stipendien zur Förderung neuer Schul- und Kirchendiener im Allgemeinen 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

Vgl. ebd., Bl. 2r. Ebd., Bl. 3r u. 26r. StadtA BS, B IV 11 Nr. 242, Bl. 12v. Bericht von 1593. Ebd. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 45r. Ebd. StadtA BS, A III 1 Nr. 301. StadtA BS, B I 2 Nr. 6, pag. 79. StadtA BS, B I 6 Nr. 1,2, Bl. 289v. »Pfarrerdynastien« hat es im Braunschweig des 16. Jahrhunderts auch abseits der Stipendiaten quasi nicht gegeben. Zwei Ausnahmen bilden hier nur Johann und Melchior Neophanus sowie Johannes Guden Senior und Junior.

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durchaus beigetragen haben. Allerdings lässt sich dies vor allem erst seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts quellentechnisch belegen. Jungen aus unteren Gesellschaftsschichten profitierten von diesen Stipendien hingegen nur bedingt.

3.2

Die Kastenherren

Mit den Kastenherren hatte Bugenhagen 1528 ein Nachfolgeamt der »Alterleute« (Olderlude2003) geschaffen – freilich besaßen erstere im Vergleich massiv erweiterte Kompetenzen und Aufgaben. Ihre Hauptaufgabe war und blieb natürlich die finanzielle Verwaltung des Schatzkastens, der das Vermögen der vormaligen Kirchenfabriken, darüber hinaus aber auch jenes der eingenommenen geistlichen Pfründe sowie Testamente, Spenden, Begräbnis- und Vierzeitengelder sowie später der Pfarreien enthielt. Da die Schatzkästen außerdem für die Besoldung der Kirchendiener zuständig waren, ist es nicht verwunderlich, dass ohne Konsultation der Kastenherren auch kein Kirchendiener gewählt werden durfte – hierzu zählten u. a. Pfarrer, Rektoren und Lehrer, Schreib- und Rechenmeister, Lehrerinnen, Organisten, Oppermänner, Kantoren und Hebammen. Letztere vier Ämter wurden gar maßgeblich von den Kastenherren ausgewählt und besetzt. Bei der Prüfung von neuen Pfarrern, Schuldienern und Hebammen waren die Kastenherren anwesend, ebenso bei der Beeidigung letzterer. Wurden Kirchendiener entlassen oder gingen freiwillig, so waren die Kastenherren für die Erstellung eines Zeugnisses zuständig, was ihnen lediglich in strittigen Fällen untersagt wurde.2004 Änderungen im Kirchenwesen, die finanzielle Konsequenzen hatten, waren grundsätzlich nur unter Hinzuziehung der Kastenherren durchzuführen. Damit hatte sich das Aufgabenspektrum der Kastenherren gegenüber der vormaligen Alterleute deutlich erweitert. Die Alterleute, welche zuvor das jeweilige Fabrikvermögen der Kirchen verwaltet hatten, entstammten bis 1528 zumeist ratsnahen Kreisen, wie es auch in

2003 Die Bezeichnung taucht vornehmlich in Braunschweig und Hildesheim auf. Zu den weiteren Beizeichnungen der Kirchenmeister in anderen Städten vgl. Reitemeier, Pfarrkirchen, S. 102–103. 2004 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 242, Bl. 10v: Auch bitt ich in gleicher vntterdänicheitt, das die hochweisen herrn vorsteher, da es müglich ist vndt geschehen kann, mihr meines bey der schul Aegidij angewantenn dienstes zeignüss mittheilen wollen (Bittschrift des wegen Calvinismus entlassenen Ägidienrektors Hoberdes von 1593). Auch StadtA BS, B IV 11 Nr. 16, Bl. 17r: Haben jch vnd der coadiutor ain er: wolweysen rath ersucht, vnd gebeten, die kastenherren zu S. Vlrich zu vnderrichten, das sie M. Beckern khain zeugnis zugeben dan wo das geschehen sollte, würden wier nicht schweigen (1566).

Die Kastenherren

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anderen Städten nicht unüblich war.2005 Obgleich man sie in Braunschweig durch den Rat wählen ließ, waren die Alterleute selbst keinesfalls immer ratssässig.2006 Die Untersuchung aller sieben Hauptpfarrkirchen zwischen 1518–1528 ergab, dass lediglich zehn der 22 Amtsinhaber zugleich im Rat saßen.2007 An den größeren Kirchen (St. Martini, St. Katharinen, St. Andreas) wurde darauf geachtet, dass immer wenigstens einer der beiden Alterleute zeitgleich im Rat vertreten war – bei den beiden kleinsten Kirchen (St. Petri und St. Michaelis) lässt sich im gesamten Zeitraum lediglich Hans Busmann als Ratsherr nachweisen. Patrizier finden sich mit Gerlach und Harmen Kale, Tile von der Leine, Henning Peine und Ludolf Bode – wenig erstaunlich – ausschließlich unter den Alterleuten von St. Martini und St. Katharinen. Zu St. Martini entstammten die Alterleute sogar ausschließlich den Geschlechtern. 1528 wurde dieses Amt nun jedoch aufgelöst. An die Stelle der vormals zwei Alterleute traten nunmehr vier2008 Kastenherren pro Weichbild. Durch die Kastenherren sah Bugenhagen die Gemeinde als Stand (neben Geistlichkeit und Obrigkeit) im neuen Verfassungsgefüge gesichert.2009 Tatsächlich spielten sie bei der nachfolgenden Ausgestaltung des Kirchenwesens eine maßgebliche Rolle: Die Kastenherren stellten das Bindeglied zwischen Ministerium und Rat dar und prägten in den Generalkolloquien seit 1530 – zusammen mit den Geistlichen – die weitere kirchliche Entwicklung.2010 Darüber hinaus waren sie künftig auch an den Wahlen sämtlicher Kirchendiener beteiligt und meist auch an deren Entlassung. Ernst Wolf hat mithin »die Grundzüge einer Presbyterialverfassung« in Bugenhagens Kirchenordnungen hervorgehoben, da die Gemeinde hier durch die »Ältesten« an vielen Prozessen (vor allem der Pfarrwahl) beteiligt gewesen sei.2011 Bugenhagen selbst verwendet in der KO die Begriffe »Kastenherr« und »Gemeinde« tatsächlich quasi synonym und zeigt damit seine gemeindeorien-

2005 Vgl. Reitemeier, Pfarrkirchen, S. 118–119. 2006 Vgl. Historische Kommission, Chroniken dt. Städte Bd. 16 (Braunschweig II), S. LXII: […] so schullen de vormundere unde alderlude komen in dat wickbelde dar se inne wonen, vor den Rad de se darto gesad hefft […]. 2007 Die Daten wurden anhand des Goddeshuse Registers (StadtA BS, B I 14 Nr. 2, Bl. 86v–94r) gewonnen. 2008 Warum diese Zahl in der Forschung (mit 2–3) immer wieder falsch angegeben wird, obgleich sie doch sogar in der KO auf vier festgelegt ist, leuchtet nicht ein. Vgl. z. B. neuerdings: Sandfort, Beginenwesen, S. 83 [Fußnote]. Bis zum Ende der Stadtfreiheit blieb die Zahl der Kastenherren bei vier, die der Diakone bei drei. 2009 Zum »Problemdreieck« von Rat/Geistlichkeit/Gemeinde vgl. Schorn-Schütte, Papocaesarismus, S. 236 sowie Schilling, Konfessionskonflikt, S. 99. Letzterer nutzt dort die neutralere Bezeichnung »Kräftedreieck«. 2010 Vgl. dazu auch Kapitel 2.1.5.2. 2011 Wolf, Bugenhagen, S. 276.

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tierten Intentionen hinsichtlich des Kastenamtes.2012 Umso wichtiger ist es folglich zu ermitteln, inwieweit diese neuen Kastenherren wirklich die Gemeinde in Abgrenzung zum Rat vertraten. Der Anteil der Gemeinde bei der Ausgestaltung des künftigen Kirchenwesens lässt sich hierdurch erhellen. Wie »presbyterial« gestaltete sich die Entwicklung des Braunschweiger Kirchenwesens nach 1528 tatsächlich? Zunächst lässt sich Folgendes festhalten: Keiner der vorherigen Alterleute blieb nach 1528 in seinem Amt und wurde als Kastenherr seiner Kirche wiedergewählt. Von den damals 14 amtierenden Alterleuten der sieben Pfarrkirchen wurde später lediglich einer als Kastenherr einer anderen Pfarrkirche übernommen: Bürgermeister Ludolf Boden, Altermann zu St. Martini, war ab 1528/29 Kastenherr des Hospitals zu Unser Lieben Frau.2013 Alle anderen Alterleute wurden im Sommer 1529 offiziell abgedankt: Ihres ampteß halven der jare so onen van den ersamen rade bevolen waß […] hefft de ersame rade hyr mede gotlike ghedancket.2014 Dass diese Abdankung nicht vorwiegend aus konfessionellen Motiven erfolgte, zeigt dabei das Schicksal des Altermanns zu St. Ulrici, Henning Bardenwerper. Bardenwerper musste zusammen mit seinen Kollegen abdanken, obgleich er in einem Brief seines Freundes, des Reformators Anton Corvinus, als der fürnehmsten einer, so anfenglich das Evangelium zu Braunschweig gepracht habe, bezeichnet wird.2015 Was also das Motiv für die kollektive Entlassung aller Alterleute war, bleibt nach wie vor unklar. Das nicht sonderlich weitsichtige Vorgehen, alle ökonomischen Verwaltungsexperten zeitgleich abzudanken, widerspricht jedenfalls der Strategie, die der Rat in anderen Verwaltungsgremien der Stadt verfolgte.2016 Welche soziale Einbindung wiesen nun aber die neuen Kastenherren auf (vgl. Grafik 10)?2017 Von den insgesamt 85 amtierenden Kastenherren zwischen 1528 und 1599 wurden 37 nach Amtsantritt später auch Ratsherren. 22 Kastenherren 2012 Vgl. z. B. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 451: To disser kaste der armen scholen erwelet werden dre diakene vamme rade unde van den vorordenten der gemeyne in dem wickbelde […]. Gemeint sind hier mit »gemeyne« die Kastenherren. 2013 Die Daten dieser Auswertung wurden dem »Goddeshuse Register« entnommen: StadtA BS, B I 14 Nr. 2. Ein Henning Bardenwerper war zwar bis 1528 Altermann zu St. Ulrici und wurde 1530 in das Kastenherrenamt zu St. Magnus gewählt, doch mag es sich hier auch um einen der zahlreichen anderen Henning Bardenwerpers handeln. Vgl. Spieß, Ratsherren, S. 71. 2014 StadtA BS, B I 14 Nr. 2, Bl. 94r. Zitat aus der Abdankung der Alterleute zu ULF vom 21. 6. 1529. 2015 Zitiert nach: Tschackert, Paul (Hrsg.): Briefwechsel des Antonius Corvinus. Nebst einigen Beilagen, Hannover/Leipzig 1900 (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, 4), S. 166. 2016 Vgl. dazu Kapitel 3.5.1. 2017 Es gibt leider keine ordentlichen Listen der Kastenherren. Die Informationen wurden daher hunderten von jährlichen Kirchenrechnungen entnommen.

Die Kastenherren

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waren bereits bei ihrer Wahl zum Kastenherren entweder Ratsherr oder Zehnmann. 18 Kastenherren besaßen zwar keine Ratsämter, entstammten allerdings immerhin den ratssässigen Familien (Patrizier und Weiße Ringe).2018 Nur bei acht Kastenherren ließ sich keine direkte Herkunft aus den führenden Familien der Stadt nachweisen. Mindestens einer der vier amtierenden Kastenherren saß zugleich im Rat und bekleidete dort meist das Amt eines Kämmerers oder Bürgermeisters. Ersteres hatte Bugenhagen in seiner Ordnung auch so vorgesehen.2019 Vielfach waren jedoch auch zwei oder gar drei der vier Kastenherren zugleich Ratsherren – etwa zu St. Martini in den 1570er/80er Jahren.2020 Dem intendierten Gemeindecharakter dieses Amtes wurde damit faktisch also nicht wirklich entsprochen. Dass die Kastenherren, insbesondere in den ersten Jahren nach 1528, nicht dem Willen der »Gemeinde« entsprachen, wird zudem an den zahlreichen Klagen gegen die Amtsträger in den Jahren 1530–33 deutlich. So baten schließlich gilde vnd ghemeyne 1532 gar, das Amt wieder in seinen vorreformatorischen Zustand zurückzusetzen: [V]hon dhen kystenheren, habben de borger gebedden, dath se moegen vom ehrbaren rade vorringerth vnd twen manen jn jewelker kercken, dhe kerchengoedere alleine befholen werdhen.2021 Insbesondere die Bauernschaft zu St. Peter verlangte explizit die kastenhern to entsetten vnd olderlude weder to ordenen und auch aus der Hohentorbauernschaft hatten jtlige gesecht, se willen de kist[en]hern nicht liden.2022 Der Rat wies die Forderungen jedoch zurück und ließ das Kastenamt bestehen. Auch bezüglich der Dauer des Amtes wurde gehandelt, da sie in der KO nicht geregelt war. Hier entschloss sich der Rat 1531, fortan das Amt unbefristet zu vergeben, sofern der Amtsträger nicht als krank, altersschwach oder untüchtig befunden wurde – dies brachte jedoch für die Amtierenden keine Verpflichtung zu lebenslanger Amtsausübung mit sich, wie es etwa im Rat üblich war.2023 Im Schnitt waren daher die Kastenherren anschließend 12,8 Jahre im Amt. Dabei versahen manche Bürger lediglich ein Jahr diese Position, viele jedoch über Jahrzehnte. Die längste Amtsdauer wiesen Hans Frickem (1530–1566) und

2018 Zur Einteilung der beiden oberen Gesellschaftsschichten der Gelben und Weißen Ringe vgl. Spieß, Werner: Der Stand der Geschlechter und der Stand der weißen Ringe. Das Problem »Patriziat und Honoratiorentum« in der Stadt Braunschweig im 16. und 17. Jahrhundert, in: BsJb 30 (1949), S. 65–80. 2019 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 454: Unde mank dissen vehren schal syn eyne radespersone. 2020 Ratsherren waren: Gerloff Kale, Jürgen Cordes und Hans Dammann. Der vierte Kastenherr, Bartold Lafferde, war zudem Zehnmann. 2021 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 94r. 2022 Ebd., Bl. 92v. 2023 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 18r.

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Laurenzius Hessen (1537–min. 1573) auf. Beide waren 36 Jahre im Amt, Laurenzius Hessen eventuell sogar noch etwas länger. Entstammten nun die Amtsträger zumeist Ratsfamilien und waren oft selbst im Rat, so stellt sich immerhin noch die Frage nach ihrem Wahlprozess bzw. der diesbezüglichen Beteiligung durch die Gemeinde. Nach der KO sollten die Kastenherren vamme rade unde den vorordenten der gemeyne erwelet werden.2024 Dieser vermeintlich »presbyteriale« Zug entpuppte sich in seiner tatsächlichen Ausgestaltung als äußerst gemeindefern, denn die gemeyne repräsentierten in diesem Prozess nachfolgend die Kastenherren selbst. Ein präziser Ablauf der Wahl ist erst von 1625 und dann wieder (ca.) 1650 und 1666 aus dem Sack überliefert.2025 Demnach war es dort üblich, dass zunächst die Weichbildbürgermeister zwei Kandidaten nominierten und sie dann dem Wahlgremium vorsetzten.2026 Sodann zeigte der Oppermann den Predigern die begonnene Wahl an; die Prediger hatten anschließend die nächsten zwei Frei- und Sonntage das Bittgebet um einen guten Kandidaten von der Kanzel zu verlesen. Im Chor der Pfarrkirche wurde anschließend vom Wahlgremium einer der Kandidaten gewählt: [D]arauf gibt der bürgerm: sein votum, dan die zwen prediger, dan die camerary, rathshern, vorsteher vnd diaconj, der regierende B[ürgermeister] machet den schluß, zeiget den an, das die majora auf die persohn gefallen.2027 Nachmittags wurde dann der neue Vorsteher auf dem Weichbildrathaus vereidigt.2028 Unter den vier Kastenherren wurde unmittelbar vom Rat ein »Direktor« bestimmt.2029 Ihm wurde die Führung und Aufbewahrung der Register anver2024 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 454. 2025 Freilich mag das Wahlprozedere in den vier anderen Weichbilden evtl. etwas anders verlaufen sein, doch liegen hierfür – soweit bekannt – keine Quellen mehr vor. 2026 Vgl. StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 27v (1625) und Bl. 106r (um 1650): [Dann] vereinigen sich die hern bürgermeister des weichbilds Sack, zweyer persohnen, welche auf die wahl sollen gesetzet werden. Auch ebd., Bl. 186v (1666): Hat e[in] e[hrbar] rath des weichbilds Sack (die beiden bürgermeister des weichbilds) altem herkommen nach, zween personen nominiret und nach dem ordentlicher weise das gebet 2 mahl ofentlich deswegen geschehen, die herrn prediger […] die herrn des weichbilds Sack, als auch die herrn Ulrici bürgerschaft, wie auch die vorsteher des weichbildes, als auch S. Vlrici beuerschafft, zur wahl in die kirche citiren laßen […], als wie es für 50 vnd mehr jahren gebreuchlich gewesen […]. 2027 Ebd., Bl. 106r. 2028 Vgl. ebd. Bl. 186v. Der Kastenherreneid findet sich unter StadtA BS, B I 15 Nr. 9, Bl. 3v und beginnt wie folgt: Jhr sollet schweren, daß ihr das kastenherrn ambt vnd was dem angehorig ist, darzu ihr zu S. N. verordnet vnd gesetzet seit, trewlich verwalten, daß ihr auch von ewrem ambte wegen der kirchen N. vfkünften alle jahr rechnung thun, vnd der kirchen gelder vnd gutt ohne der raths wißenschaft nichts vnredlich genießen, sondern zu demselben ambte gebrauchen […] wollet […]. Auch vollständig abgedruckt im UB Braunschweig I, S. 567. 2029 Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 90v: Jtem jn obberordem jare vnd dage [1571] ist ok Hans Broisteden beneven mi thom kastenhern […] erwelet worden, vnd ohme de parregister von einem erbarn rade bevolenn. Die Bezeichnung »Direktor« bürgerte sich für das Amt des führenden Kastenherren erst um 1600 ein.

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traut. Das Wahlgremium variierte allerdings zeitgebunden ein wenig, bis es sich um 1600 auf die obigen Personenkreise festgelegt hatte. Nach 1528 waren zunächst nur die Kastenherren und Ratsherren des Weichbildes für die Wahl zuständig. 1531 kamen dann erste Beschwerden auf: Der Rat klagte, man habe von verschiedenen Seiten verlangt, auch die Prediger zur Wahl der Kastenherren hinzuzuziehen – dies entspräche jedoch nicht der Kirchenordnung, wie der Rat betonte.2030 Nach langen Verhandlungen im Generalkolloquium wurde dann in den 1560ern das oben erwähnte Bittgebet etabliert. Die Prediger beteuerten in dieser Debatte 1564 entgegen der Kastenherrenbefürchtungen: Solten sie vns recht verstehen, wier begerten nicht, das sie vns solten jn der wahl der diacen vnd kastenherren zu rath nehmen.2031 Man wolle lediglich ein christliches Gebet im Vorfeld der Wahl durch die Prediger einführen; allerdings wäre es durchaus sinnvoll, die Prediger vmb zeugnis fragen zu lassen und ihre Meinung einzubeziehen. Schließlich wurde dem Kolloquium 1564 tatsächlich die (informelle) Beisteuerung ihres Urteils (zeugnis) zu den Wahlkandidaten von den Kastenherren gestattet.2032 Chemnitz betonte in seiner Antrittsproposition zum Superintendenten 1567 daher: Daß auch in erwehlunge der castenhern vndt diacon daß gemein gebet man laße vorher gehen vndt d[as] die person, die zum castenampt erwehlet vndt bestellet, solle […] von jhren pfarhern gute zeuchniße haben, glaubens vndt lebens halben.2033 Zwischen 1564 und 1625 hat sich in einigen Gemeinden (z. B. im Sack) sukzessive auch die formelle Hinzuziehung der Prediger zum Wahlgremium entwickelt, wie im obigen Wahlverfahren zu sehen war. 1590 wurde dann in einer Wahl auch eyn erbar radt neben denn hovetluddenn vnd den groß kastenherrn als Wahlgremium eingesetzt.2034 Die Beteiligung der Hauptleute war und blieb allerdings eine kurze Episode der 1590er Jahre, die mit der verfassungsmäßigen Aufwertung dieses Amtes bis 1604 korrespondierte.2035 Nach dem Sturz Brabandts und anderer führender Hauptleute hatte diese Phase 1604 ein jähes Ende. In den Wahlbeschreibungen von 1625 und 1650 werden die Bürgerhauptleute dann auch nicht mehr erwähnt, stattdessen sind beständig die jeweiligen Prediger und z. T. auch die Armendiakone am Wahlprozess beteiligt gewesen.

2030 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 17r. 2031 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 130r. 2032 Vgl. ebd., Bl. 132r. Diese 1564 beschlossene Meinungsabfrage der Prediger vor der Wahl lässt sich noch 1629 belegen: […] Nomine senatus auf einem zettel 6 personen vbergeben, daraus die hern 2 vorsteher wehlen wolten vnd vnser [= der Prediger] bedencken vnd zeugnis von den personen erfordert. StadtA BS, G II 4 Nr. 7, Bl. 111v. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 92v. 2033 StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 15r. 2034 StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 92v. 2035 Vgl. Walter, Rat, S. 54ff.

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Die Gemeinde blieb folglich – sieht man von der kurzen Episode der 1590er einmal ab – bei der Wahl der Kastenherren außen vor. Selbst wenn man – entgegen der obigen Ergebnisse – die Kastenherren als Vertreter der Gemeinde deuten würde, so muss an dieser Stelle doch klar herausgestellt werden, wie gering die gemeindliche Einflussmöglichkeit bei der Neuwahl gewesen ist: In einem solch großen Wahlgremium, wie es nach 1600 auftritt, hatten die drei verbliebenen Kastenherren tatsächlich nur ein geringes Gewicht, stimmten sie doch laut Prozedere auch noch als eine der letzten Gruppen ab. Daneben war nur einer der beiden – bereits vorab vom Bürgermeister nominierten – Kandidaten zu wählen. Lediglich jene Kastenherren, die zugleich ratssässig waren, hatten maßgeblichen Einfluss auf die Wahl, repräsentierten dann jedoch wohl auch eher die obrigkeitlichen Interessen und nicht jene der Gemeinde. Eben aufgrund dieser Erkenntnisse lehnten sich die Gemeinden im frühen 17. Jahrhundert schließlich gegen die bestehende Ordnung auf: 1625 wurde festgelegt, dass alle geist: vnd weltliche embter dieser stadt, von engen vnd gemeinen rats personen ab: vnd auf gemeine bürger gelegt werden sollen.2036 Betroffen waren hiervon vornehmlich die Ämter der Kastenherren und Diakone. Man verstieß damit gegen die Vorschrift der KO,2037 doch wurde dies billigend in Kauf genommen. Damit repräsentierte dieses Amt erstmals tatsächlich die Gemeinde, obgleich auch weiterhin die Wahl der Kastenherren durch den Rat maßgeblich beeinflusst wurde. Die Bestimmungen von 1625 scheinen aber in der Folgezeit schnell wieder gelockert worden zu sein, denn im Laufe des 17. Jahrhunderts finden sich vielfach Bürgermeister und Kämmerer in den führenden Kastenämtern wieder. Um 1660 war es sogar wieder Pflicht, dass der leitende Kastenherr zugleich Kämmerer oder Bürgermeister war.2038 Festzuhalten bleibt jedoch, dass Ernst Wolf auf Basis der normativen Ebene (KO) die tatsächliche Ausprägung der Bugenhagischen Ordnung – jedenfalls für Braunschweig – nicht korrekt eingeschätzt hat. Der Einfluss der Gemeinde auf die Wahl der Kastenherren – und damit auf die weitere Ausgestaltung des Kirchenwesens nach 1528 – war denkbar gering. Zudem rekrutierten sich die Kastenherren bis 1625 überwiegend aus amtierenden oder künftigen Ratsherren der oberen Bürgerschichten. Ein tatsächlich presbyterialer oder gar gemeindlicher Charakter, wie er etwa für Hildesheim oder Erfurt bei Pfarrwahlen 2036 StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 26v. 2037 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 454: Unde mank dissen vehren schal syn eyne radespersone. 2038 StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 188r (ca. 1660): Das nach jhme der director vnter den kastenhern der jhm weichbilde Sack vorigem gebrauch nach vmb vieler vrsachen willen ein bürgermeister oder camerer sein muß […]. Und gemäß einer undatierten Quelle des 17. Jahrhunderts: […] Weil allezeit ein bürgermeister oder cämerer des weichbildes Sack zum obervorsteher erwehlet wirdt, wie bishero geschehen. Ebd., Bl. 9r.

Die Armenkastenherren

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nachweisbar ist,2039 entwickelte sich in Braunschweig demnach eindeutig nicht. Schorn-Schüttes »in aller Vorläufigkeit« formulierte These, die Kastenherren hätten »sozial gesehen zur gleichen Führungsschicht wie die das Ratsregiment tragenden Gruppen« gehört, lässt sich damit bestätigen.2040 So ist es auch nicht verwunderlich, wenn die Kastenherren in den Kolloquienprotokollen der Jahrhundertwende bereits durchweg als politici bezeichnet wurden und diese wiederum im Generalkolloqium ihre Tagesordnungspunkte im Namen des Rates vortrugen.2041

3.3

Die Armenkastenherren

Neben den Schatzkästen ließ man 1528 in jedem Weichbild auch einen Armenkasten aufrichten, der sich vorerst überwiegend durch Spenden finanzierte. Verwaltet wurden diese Kästen unentgeltlich durch jeweils drei Armenkastenherren, von denen zwei im Gottesdienst die Klingelbeutel tragen sollten. Über diese – zeitgenössisch in Anlehnung an die Urgemeinde als Diakone bezeichneten – Amtsträger ist bis heute für Braunschweig im Prinzip nichts bekannt, was in den letzten Jahrzehnten teils zu gravierenden Fehlurteilen hinsichtlich ihrer Zahl und Herkunft geführt hat.2042 Dabei ist die Frage, inwieweit die neuen Armenkastenherren gemäß KO künftig tatsächlich die Gemeinde repräsentierten oder doch eher ein Instrument des Rates waren, in der Forschung bereits mehrfach gestellt worden. Zuletzt resümierte Klabunde jedoch ernüchtert, dass vermutlich die These Ernst Schuberts zu bestätigen sei, »wonach die Armendiakone in erster Linie ein Instrument der obrigkeitlichen Herrschaftsausübung gewesen sind […]. Um an diesem Punkt zu einer abschließenden Bewertung zu kommen, wäre allerdings eine umfassende Analyse des sozialen Rekrutie-

2039 Zu Hildesheim: Dürr, Kultur, S. 186f. Zu Erfurt: Schoß, Ministerium, S. 225 [Fußnote]. 2040 Schorn-Schütte, Papocaesarismus, S. 256. 2041 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 46. Klage der Kastenherren im Namen des Rates (Generalkolloquium von 1609): Daß doch die herrn des ministerii friedlich mitteinander leben möchten, denn es hielten die herrn des rahts dafür, wenn dieses für dieser zeit geschehen wehre, so wehre einer, der jetzo nicht alhier, nicht weggezogen, damit ward gezielet auf Johan Arendts. 2042 Johannes Lane kommt z. B. irrtümlich zu der Behauptung: »Jeder Armenkasten sollte von drei Geistlichen verwaltet werden […].« Vgl. Lane, Johannes Bugenhagen, S. 152. Dies trifft natürlich keineswegs zu (s. u.), Geistliche waren im Gremium zu keiner Zeit vertreten. Vermutlich hat Lane an dieser Stelle die KO (Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 451) falsch verstanden. Spieß spricht fälschlich von lediglich »je zwei Diakonen«. Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 668. Boldt hingegen nennt irrtümlich vier Diakone pro Armenkasten. Vgl. Boldt, Fürsorgewesen, S. 310 u. 315.

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rungsfeldes der Braunschweiger Armenkastenherren notwendig.«2043 Dieser Frage soll nun nachgegangen werden. Tatsächlich lassen sich die Armenkastenherren im Gegensatz zu den Schatzkastenherren auf den ersten Blick nur sehr schlecht erschließen: Jährliche Einzelrechnungen o. ä., denen die Namen der Diakone zu entnehmen wären, haben sich leider außer für die Altstadt (ab 1541) nicht erhalten. Glücklicherweise hat sich aber ein Geldregister zu St. Katharinen überliefert, dem die Namen sämtlicher Hägener Armenkastenherren zwischen 1528 und 1570 präzise zu entnehmen sind.2044 Überdies gibt das arme lude register, (1528–1572) auch über die anderen drei Weichbilde wenigstens bis Anfang der 1570er Jahre einigermaßen genaue Auskunft über die jeweils amtierenden Diakone.2045 So lassen sich schließlich alle Namen der zwischen 1528–1572 amtierenden Diakone nachweisen, für die Altstadt sogar alle Diakone von 1528–1599. Es handelt sich hierbei um insgesamt 87 (durchweg männliche) Personen. Laut Bugenhagen sollten dre diakene vamme rade unde van den vorordenten der gemeyne in dem wickebelde sampt den diakenen der armen, de rede darsulvest imme ampte synt gewählt werden.2046 Diese mussten gemäß KO immerhin des Schreibens mächtig sein. Auf die zwischen 1528 und 1572 amtierenden Diakone traf dies mit Sicherheit durchweg zu. Obgleich vom Amt des Diakons schon bei seiner Einrichtung von Bugenhagen offensichtlich wenig Ehre erwartet wurde,2047 so entstammten doch die Amtsträger – wenigstens in der Altstadt und im Hagen – seit 1528 meist den gehobenen Familien. Aufgrund der durchaus verschiedenartigen Zusammensetzung der Diakonatsgremien in den fünf Weichbilden erscheint es allerdings angebracht, die Weichbilde nachfolgend einzeln zu betrachten. Unter den 23 Diakonen, die zwischen 1528 und 1599 in der Altstadt amtierten, lassen sich 69,56 % den Geschlechtern zuordnen. Dies zeugt durchaus von einer gewissen Bedeutung bzw. einem entsprechenden Ansehen, welches das Amt (trotz Bugenhagens Befürchtungen) in der Stadt nach 1528 genossen haben muss. Führende Familien wie die Kalm, Pawel, Velstede, Peine oder von Damm stellten teils mehrfach einen der Armenkastenherren. Noch deutlicher wird das Ansehen dieses Amtes, wenn man all jene Personen zählt, die einer gehobenen Rats- oder Zehnmannenfamilie entstammten: Dies waren zwischen 1528–1599 2043 2044 2045 2046

Klabunde, Armut I, S. 78. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 469, Bl. 1r. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 2. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 451. Zum exakten Wahlprozedere der Armendiakone im 17. Jahrhundert vgl. StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 106r (Wahl eines vorsteher oder diaconj). 2047 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 451: Item de diakene der armen scholen sick öres christliken unde gotliken amptes nicht schemen, sonder gän […] na der predige umme in der kerken mit büdelen, daranne eyn haveschelleken sy […].

Die Armenkastenherren

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immerhin 19 Amtsträger (86,95 %). Allerdings hatte das Amt des Armendiakons nach 1528 auch sukzessive in seiner ökonomischen Bedeutung zugenommen: Durch Legate, Spenden und testamentarische Zuwendungen war das zu verwaltende Vermögen schon längst nicht mehr auf die wöchentlichen Spenden beschränkt. Überdies war gerade der Altstädter Armenkasten besonders reich ausgestattet, da ihm die Spenden mehrerer Kirchen zuflossen: St. Martini, St. Michaelis, St. Petri, ULF, St. Crucis und z. T. der Brüdernkirche.2048 Insofern mögen Einfluss und ökonomische Bedeutung attraktiv auf die Oberschicht der Altstadt gewirkt haben. Immerhin 63,63 % der Altstädter Armenkastenherren waren entweder vor, während oder nach ihrem Diakonatsamt als Ratsherren tätig. Elf dieser Diakone übten ihr Kastenamt zeitgleich mit ihren Ratsgeschäften aus (47,82 %). Lediglich drei traten von ihrem Diakonatsamt zurück, nachdem sie in den Rat gewählt worden waren.2049 Eine zwingende Karriereleiter vom Diakon zum Ratsherrn konnte nicht festgestellt werden, auch wenn dies bisweilen vorkam (34,78 %). Auf der anderen Seite wurden aber z. B. auch mehrere bereits amtierende Ratsherren zu Armenkastenherren gewählt. Klabundes (und bedingt Mörkes) These einer entsprechenden Karriereleiter sind damit zu revidieren.2050 Von den 20 Diakonen, welche 1528–1572 im Hagen amtierten, entstammten lediglich drei (15 %) keiner Ratsfamilie.2051 Dass die Hägener Diakone bis auf Friedrich Bode nicht dem Patriziat2052 angehörten, lag allein an dessen Ausrichtung: Seit Mitte des 16. Jahrhunderts hatten sich die Geschlechter endgültig in die Altstadt zurückgezogen – dieser Prozess wurde mit Gründung der Altstädter Gelagsbrüderschaft 1569 abgeschlossen.2053 Dafür saßen immerhin 12 Diakone (60 %) vor, während oder nach ihrer Amtszeit als Armenkastenherr im Rat. Sieben dieser Diakone (35 %) waren während ihres Kastenamtes zugleich im Rat tätig.2054 Vier Armenkastenherren wurden nach ihrer Amtszeit in den Rat gewählt und lediglich Steffen Krickaw war bereits Ratsherr, als er 1565 das Diakonatsamt übernahm. Zwar zeigt sich auch hier keine wirkliche »Karrierelaufbahn« vom Diakon zum Kastenherrn, doch umgekehrt hat bis auf Krickaw ein gewählter Ratsherr anschließend nie das Amt des Diakons neu angenommen. Vergleicht man nun die Daten der beiden vorderen Weichbilde mit jenen der hinteren (Neustadt, Altewiek, Sack), so fällt sofort ins Auge, dass hier Ratsherren 2048 2049 2050 2051

Vgl. StadtA BS, F I 1 Nr. 422, Bl. 6r–10r. Dies waren: Bernd Schöppenstedt, Weddege Velstede und Hans Pawel. Vgl. Klabunde, Armut I, S. 79; Mörke, Rat und Bürger, S. 213–216. Dies waren Hermann Winder (1528–1529), Simon Bossen (1542–1553) und Eggert Becker (1544–1552). 2052 Hier mit Spieß definiert als all jene Geschlechter, die ab 1569 in der Gelagsbrüderschaft vertreten waren. Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 476 [Fußnote 7]. 2053 Vgl. ebd. 2054 Dies waren: Klaus Zegemeier, Heinrich Schrader, Benedikt Möller, Hans Becker, Ulrich Wagenfoer, Wilken Goetken und Cort Borchers.

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und auch Ratsfamilien deutlich seltener im Amt der Kastendiakone vertreten waren. Von den 43 (bis 1572) amtierenden Diakonen dieser drei Weichbilde saßen nur 16 zu irgendeinem Zeitpunkt im Rat (37,2 %). Einer Ratsherrenfamilie entstammten immerhin 27 Personen (62,79 %), aus den Geschlechtern kam hier niemand. Entsprechend der Weichbildstruktur dominierten in diesen drei Stadtteilen Handwerkerfamilien wie Schuster, Gerber oder Beckenwerker. Dabei weist zwar auch hier die Tatsache, dass 62,79 % der Diakone aus Ratsherrenfamilien kamen, auf ein verhältnismäßig gutes Ansehen des Diakonatsamtes hin. Allerdings steht dies in keinem Vergleich zu den knapp 87 %, die in der Altstadt einer Ratsherrenfamilie entstammten. Die Amtsdauer der 87 ausgewerteten Diakone war sehr verschieden. Im Durchschnitt betrug sie zwar 8,37 Jahre, doch spiegelt dies nur bedingt die übliche Amtsdauer wieder. Während viele Amtsträger wie Cord von Peine (Altstadt), Hermann Winder (Hagen) oder Peter Gyseke (Sack) nur gut ein Jahr Diakon blieben, gab es auch solche, die 20 oder mehr Jahre ihr Amt versahen. Am längsten blieb dem Armenkasten mit 25 Jahren Hans Schwülber erhalten (1567– 1592), gefolgt von Hans Sluther mit 24 Jahren (1531–1555). Letzteres deutet nicht darauf hin, dass das Diakonatsamt ein besonders schlechtes Ansehen genossen hätte, wie in der KO befürchtet. Hans Schwülber, der das Amt als Patrizier ein Vierteljahrhundert ausübte, hätte sich dieser lästigen Pflicht sonst mit Sicherheit vorher zu entledigen gewusst – denn eine lebenslange Amtspflicht herrschte nicht.2055 Hatte Bugenhagen 1528 für jedes Gremium der Kastenherren noch mindestens eine Ratsperson vorgeschrieben, so ließ er dies bei den Diakonen offen. Vielleicht wurde er dabei von seiner oben zitierten Befürchtung geleitet, dass das Diakonatsamt künftig kein sonderlich hohes Ansehen genießen würde und Ratsherren somit schwerlich für den Armenkasten zu verpflichten seien. Diese Befürchtungen waren indes nicht unbegründet. In Lübeck wollten z. B. die gewählten Diakone das Amt vielfach nicht einmal annehmen; so wurde dort bisweilen »der Überbringer des Wahlergebnisses gröblich beschimpft und zur Tür hinausgeworfen.«2056 Auch in Hamburg beschränkten sich die Oberalten inner2055 Im Gegensatz zu den Kastenherren finden sich diesbezüglich bei den Diakonen keine normativen Angaben. Da aber eine Vielzahl an Diakonen aus dem Amt schied und anschließend über Jahre im Rat tätig war, handelt es sich hier ganz sicher nicht um alters- oder krankheitsbedingte Beurlaubung. Insofern (und da auch viele Diakone bereits nach 1–2 Jahren aus dem Amt traten), muss eine mehr oder weniger freie Niederlegung des Amtes möglich gewesen sein. 2056 Lorentzen, Johannes Bugenhagen, S. 275. Dabei hatte die Lübecker KO gerade für die »niederen« Dienste der Diakone (Kollekte sammeln, Arme verzeichnen) zwei eigene Hilfsämter vorgesehen; einen schriver und einen ummelöper. Vgl. Sehling, Emil (Hrsg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 5, Aalen 1970 [= Leipzig 1913], S. 361.

Die Armenkastenherren

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halb des Diakonengremiums im Laufe der Zeit auf ihre politische Funktion und übertrugen den lästigen Umgang mit dem Klingelbeutel ihren jüngeren Kollegen.2057 Gleiches gilt für Lüneburg, wo sich 1611 die Diakone ebenfalls weigerten, die Hauskollekte vorzunehmen.2058 In der Praxis lässt sich für Braunschweig dementgegen aber feststellen, dass in den beiden vorderen Armenkästen (Altstadt/Hagen) seit 1528 nahezu durchgehend mindestens eine Person amtierte, die zugleich ratssässig war.2059 Entgegen der Befürchtung Bugenhagens gab es demnach also offensichtlich keine Schwierigkeiten, Kandidaten – auch höheren Standes – für das Diakonatsamt zu verpflichten. Damit hatte sich für den Armenkasten rasch als Gewohnheitsrecht durchgesetzt, was auch für den Schatzkasten per KO verordnet worden war. Ein die Gesamtgemeinde repräsentierendes Gremium bildeten folglich auch die Armenkastenherren nicht – jedenfalls in den beiden vorderen Weichbilden. Wie die Schatzkastenherren entstammten auch die Diakone meist dem Patriziat (Altstadt) bzw. den Rats- und Kaufmannsfamilien (Hagen), also eindeutig der Oberschicht. Dabei wurde auch hier darauf geachtet, möglichst solche Personen für das Amt zu gewinnen, die eine entsprechende Erfahrung in der Finanzverwaltung aufwiesen. Cort Rotermund war z. B. Kämmerer im Hagen, Hans Volckmeroth und Frike Nieding übten dieses Amt in der Altstadt aus. Henning Ricken aus der Altstadt gehörte dem städtischen Finanzgremium der Zehnmänner an. Erst 1625 kam es, wie schon bei den Kastenherren erwähnt, zu einem Beschluss, der sämtlichen Ratsangehörigen ein zeitgleiches Zusatzamt – auch das des Diakons – verbot.2060 Auch zu diesem Zeitpunkt kann daher erst vom Armenkasten als einer stärker gemeindeorientierten und ratsunabhängigen Institution gesprochen werden.2061 Da die Diakone im Gegensatz zu den Kastenherren aber im Kirchenwesen praktisch keinerlei politische Funktion ausübten,2062 blieb 2057 Vgl. Lorentzen, Johannes Bugenhagen, S. 274. 2058 Vgl. Schubert, Ernst: Die Antwort niedersächsischer Kirchenordnungen auf das Armutsproblem des 16. Jahrhunderts, in: JGNKG 89 (1991), S. 105–132, hier S. 122 [Fußnote 77]. 2059 In der Altstadt: 1531–1539 Hans Ketteler, 1539/40–1541 Cord von Peine, 1543–1551 Dietrich von der Leine, 1553–1560 Melchior von Strombeck, 1561–1573 Ludolf Boden, 1574– 1580 Henning Peine, 1572–1591/92 Hans Schwülber, 1595–1598 Hans Volckmeroth, 1599min. 1606 Frike Nieding, zudem 1601 Franz Kalm. Im Hagen: 1528–1529 Klaus Zegemeier, 1530 Hans Vaders, 1531–1532 Wilken Gortken, 1533–1536 Heinrich Schrader, 1537–1541 Hans Becker, 1542–1439 Benedikt Moller, 1550– 1560 Ulrich Wagefoer, 1569/70–1574 Cort Borchers. 2060 Vgl. StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 26v: Weil die ehrliche bürgerschaft aller fünf weichbilde wille, das alle embter bey gemeine bürger gelegt werden sollen […]. Dies wurde aber nicht lange beibehalten. 2061 Faktisch haben die Diakone allerdings auch vor 1625 durchaus häufig gegen die Interessen des Rates gehandelt und z. B. fremden Bettlern nicht selten Almosen zugeteilt. 2062 Lediglich zur Wahl neuer Diakone wurden sie hinzugezogen, außerdem stand ihnen seit 1550 die Wahl neuer Bettelvögte zu.

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der Gemeindeeinfluss durch dieses Gremium auch nach 1625 beschränkt – insbesondere, da die Gemeinde keinerlei Einfluss auf den Wahlvorgang besaß. Das Wahlprozedere der Diakone war zu diesem Zeitpunkt ohnehin bereits stark von der KO abgewichen: Neben den Ratsherren, Kastenherren und Armenkastenherren saßen mittlerweile auch die Prediger des Weichbildes im Wahlgremium des neuen Diakons.2063

3.4

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Unterstützt durch die neuen protestantischen Ämter der Prediger, Schulmeister, Kastenherren und Diakone, setzte sich in Braunschweig nach 1528 rasch eine relativ starke konfessionelle Geschlossenheit zugunsten der Lutheraner durch. Bugenhagen und Rhegius sowie Melanchthon2064 und Luther förderten diesen Umstand selbst durch Briefe und – im Falle ersterer drei – auch durch eigene Besuche.2065 Braunschweig avancierte damit langfristig zu einem streng lutherisch-orthodoxen Bollwerk im Nordwesten des Reiches.2066 Dennoch gab es auch selbst hier nach 1528 noch eine Vielzahl an Einwohnern, die den einhelligen Fortgang der Reformation »störten« und die Implementation der lutherischen Grundsätze damit erschwerten. Das lag weniger am Fortbestand einiger Altgläubiger (vgl. Kapitel 3.5.1) als an der Formierung innerprotestantischer Strömungen, die von Luthers Lehre abwichen und so zur Uneinigkeit in der Bevölkerung und Predigerschaft beitrugen.2067 57 solcher innerprotestantisch um2063 Vgl. StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 27v. Auch Bl. 106r: [D]arauf gibt der bürgerm[eister] sein votum, dan die zwen prediger, dan die camerary, rathshern, vorsteher vnd diaconj, der regierende B[ürgermeister] machet den schluß […]. 2064 Vgl. Clemen, Briefe, S. 110–116. 2065 Von Rhegius ist z. B. überliefert, er habe 1538 to Brunswigk van Reminiscere wente vp mandach jn dem Ostern anno d[omini] 38 gepredigt vnd von beiden sacramenten der dope vnd des altars ricklick gelert, de argumente der wedd[er]doper vnd sacramentarier wol vorlecht. StadtA BS, B IV 11 Nr. 10 [o.P.]. Auflistungsprotokoll der von Rhegius durchgeführten Arbeiten in Braunschweig 1538. Siehe dazu auch weiter unten. 2066 Das zeigt sich noch am Ende der Betrachtungsphase im Anhaltinischen Exorzismusstereit (1589–92): Die Braunschweiger stellten sich mit mehreren Druckschriften klar auf die Seite der strengen Lutheraner, die einen (doppelten) Exorzismus bei der Taufe für notwendig erachteten, während andere Strömungen – insbesondere im benachbarten Anhalt – den Exorzismus sukzessive beseitigten. Vgl. [Braunschweiger Prediger], Tauffbüchlein, Bl. A iiir sowie Leyser, Exorcismo, Bl. Aiiir. Zum Streit vgl. auch: Duncker, Heinrich: Anhalts Bekenntnisstand während der Vereinigung der Fürstentümer unter Joachim Ernst und Johann georg (1570–1606). Ein Beitrag zur deutschen Kirchengeschichte, Dessau 1892, S. 62. Zur Taufe in Braunschweig vgl. Rauls, Wilhelm: Die Taufe in der Geschichte der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig, in: JGNKG 73 (1975), S. 55–81. 2067 Wenig nachvollziehbar erscheint indes die Annahme Täubrichs: »Die Anwesenheit zwinglischer Prediger, die einen zweiten Aufenthalt Bugenhagens in Braunschweig nötig

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strittenen Personen ließen sich zwischen 1528–1599 namentlich ermitteln – erstaunlicherweise ausnahmslos Männer. Das Spektrum reichte hier von Zwinglianern, Schwenkfeldianern, »Wiedertäufern«2068 und Calvinisten, bis hin zu Majoristen, Flacianern und Huberisten. Die jeweiligen Bekenntnisse dieser Personen haben sich überwiegend erst für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts erhalten,2069 gewähren aber aufschlussreiche Einblicke in die Motive ihres »devianten« Glaubens – denn auch offiziell war ein Abweichen von der lutherischen Lehre nach §2 des neuen Echtedings von 1532 strengstens untersagt und führte nach einmaliger Ermahnung zur Verfestung (Stadtverweis).2070 Als konfessionelldogmatische Norm fungierten hierbei zunächst KO und CA, später dann das städtische Corpus Doctrinae (1563) und ab 1577 die Konkordienformel inklusive ihrer Apologie.2071 Mit §2 des neuen Echtedings (= Policeyordnung) von 1573/79 wurde das Verbot abweichender Glaubensvorstellungen nochmals bekräftigt und weiter ausdifferenziert.2072 Dies versuchte man auch fortlaufend durch Edikte in Erinnerung zu halten. So wurde z. B. am 9. 3. 1534 gemeinsam mit den Städten Hannover, Goslar, Magdeburg und Einbeck die Duldung von Täufern und »Sakramentsschändern« untersagt2073 und 1561 ließ man im Zuge des Hardenbergkonfliktes auch in Braunschweig nochmals per Edikt alle Täufer und Sakramentschwärmer verbieten, ähnliches geschah 1593.2074 Nachdem bis zu Beginn der 1530er Jahre eine Vielzahl schwingelische schwartecken vnd ergerliche bücher vnter die leutte gebracht worden waren,2075

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2074 2075

machte, läßt erkennen, daß der Protestantismus dort genug gefestigt war, um sich in unterschiedlichen Richtungen bekämpfen zu können.« Vgl. Täubrich, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 130. Nachfolgend wird der als Fremdzuschreibung entstandene Quellenbegriff »Wiedertäufer« zugunsten des neutraleren Begriffes »Täufer« vermieden. Ausnahmen bilden die Bekenntnisse Johann Kopmanns und Heinrich Knigges. Vgl. Koch, Zwinglianer, S. 531; Jünke, Bekenntnis, S. 34ff. Die Druckschrift von Knigges Bekenntnis findet sich unter VD16 K 1463, bezieht sich jedoch vornehmlich auf Knigges Zeit in Goslar. Vgl. UB Braunschweig I, S. 326. Dazu der entsprechende Ratsbeschluss: StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 36v. Im Braunschweig des 16. Jahrhunderts kam der rechtliche Begriff der »Verfestung« jenem der (zeitlichen) Verbannung fast gleich. Freilich mussten sich gerade die Prediger auch immer wieder an spezielle Bekenntisse halten: So z. B. die Braunschweiger Bekenntnisse von 1531 und 1570 oder das Niedersächsische Bekenntnis von 1571. Vgl. UB Braunschweig I, S. 405. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 116v. Anstelle von »Einbeck« hat Rehtmeyer hier fälschlich »Lübeck« gelesen. Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 114. Freilich ergibt dies im obigen Rahmen der Sachsenstädte keinerlei Sinn. Lübeck und die anderen Seestädte (Bremen, Rostock, Strahlsund und Lüneburg) trafen sich dementgegen im Folgejahr (1535) in Hamburg und beschlossen hier ihrerseits die »Hamburger Artikel«, welche eine Verwerfung der Täufer und ihrer Lehre beinhalteten. Vgl. Hauschild, Kirchengeschichte, S. 219. Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 5, Bl. 112r; StadtA BS, B IV 11 Nr. 162, Bl. 6r sowie Rehtmeyer, Historiae IV, S. 124. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 29.

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erhielten auch die Buchführer strikte Anweisung, keine verdechtigen Bücher in der Stadt mehr feilzubieten – 1530 ordnete der Rat zudem an, zwinglianische (und Emsersche) Bücher von Haus zu Haus durch die Bauermeister einfordern zu lassen.2076 Das Verbot solcher linksreformatorischen Bücher wurde u. a. 1534, 1584, 1593 und 1607 erneut bekräftigt bzw. verschärft.2077

3.4.1 Lutherische Konsolidierungsphase (1528–1535) Trotz der wiederholten Mandate gab es gerade in der Frühzeit nach der Reformation zwischen 1528 und 1535 eine nicht unbeträchtliche Zahl an Bürgern und Geistlichen, die sich den geforderten Glaubensnormen widersetzten. Virulent war hierbei vor allem die Phase zwischen 1529 und 1531: Mit Knigge/Schweinfuß (St. Ulrici) und Hoyer/Dume (St. Andreas) sowie Johann Kopmann (St. Marien) waren gleich fünf Prediger von der lutherischen Lehre abgewichen. Alle fünf plädierten u. a. im weitesten Sinne für einen rein geistlichen Empfang der Sakramente im Abendmahl. Knigge wie auch Kopmann standen dabei – entgegen zeitgenössischer Bezeichnungen – vermutlich eher den Lehren Schwenckfelds als jenen Zwinglis nahe.2078 Die Durchsetzung der lutherischen Reformation in Braunschweig schien damit bereits sehr früh in Frage zu stehen. Mit Hilfe einer öffentlichen Disputation durch Bugenhagen, der auf seiner Heimreise von Hamburg in Braunschweig Halt machte, wurden Knigge und Schweinfuß dann aber 1529 in ihrer abweichenden Lehre überführt und propter Zwinglianismum der Stadt verwiesen.2079 Zur gleichen Zeit ließ man auch weitere Anhänger der reformierten Abendmahlslehre verfesten – so etwa Roloff Osterbergh, welcher der swingelschen erringe anhengich gewesen (1530).2080 1531 wurden sodann auch die Prediger Hoyer und Dume auf das Neustadtrathaus geladen: Während ersterer ebenfalls der Stadt verwiesen wurde, gab Dume später nach und unterschrieb – wie auch Kopmann – das Bekenntnis von der Sakramentenlehre, wel2076 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 2v: Emsers testamente vnd Swinglij bokerde will ein erb radt bi den burmestern von husen to husen von einem jdern bi den eden, dar mede he dem rade vorwant, fordern laten. 2077 Vgl. ebd., Bl. 115v (1534); StadtA BS, B I 6 Nr. 2, Bl. 151v (1584): Den buchfürern wirt durch zwo bauermeister ernstlich angekündigt, das sie hinfüro keine calvinische vnd verdechtige bücher weder heim: oder offentlich feile haben sollen, bei vormeidung einer vorsatz, so oft sie dar wieder handlen würden. Auch: Rehtmeyer, Historiae IV, S. 124 (1593) sowie StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 143v (1607). 2078 Zu Knigge vgl. Koch, Zwinglianer, S. 533–534. Auch das Bekenntnis Kopmanns sieht das Sakrament nicht als bloßes Zeichen, sondern im Sinne Schwenckfelds eher als Geisthandlung: Wenn ich an Christum Glaube, so esse ich recht sein Fleisch und trinke sein Blut (zit. nach Jünke, Bekenntnis, S. 37). 2079 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, Bl. 9r. Vgl. auch Jünke, Bekenntnis, S. 32. 2080 StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 7r.

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ches Ostern 1531 alle städtischen Prediger aufgrund der Streitigkeiten zu unterzeichnen hatten.2081 Doch weiterhin blieb die Situation im Jahr 1531 angespannt. Reibereien zwischen den lutherischen und eher »zwinglianisch«2082 geprägten Bürgern schürten ein immer größeres Misstrauen, sodass selbst Superintendent Martin Görlitz schließlich in der Bevölkerung misstrauisch beäugt wurde. Man verwehrte ihm sogar zeitweilig die Kanzel.2083 Dies dürfte vornehmlich auf den Abendmahlsstreit zurückzuführen sein, den Görlitz und Kopmann 1531 öffentlich austrugen. Gildemeister und Hauptleute verlangten daher im Frühjahr und dann nochmals im September 1531, dass der Superintendent wie auch Kopmann endlich ihre Bekenntisse schriftlich einreichen sollten, sofern dies noch nicht geschehen sei.2084 Tatsächlich hatten die Geistlichen ihr Bekenntnis bereits einige Tage zuvor im August an den Rat übergeben, was der Gemeinde wohl lediglich zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war.2085 Der Rat hatte die Bekenntnisse daraufhin am 9. 8. 1531 direkt an Luther gesandt,2086 welcher Görlitz recht gab und Kopmanns Abendmahlslehre verwarf: Dieser habe ihm, Luther, die wort felschlich verkeret wie seine zedel beweiset, so doch meine wort gar viel andere meynung ynn meynen buchlin stehen.2087 Christus habe nicht, wie Kopmann lehre, unter seinen Einsetzungsworten nur 2081 Vgl. Jünke, Bekenntnis, S. 33. 2082 Der in den Quellen immer wieder verwendete Begriff »zwinglianisch« ist in seinem Aussagegehalt vermutlich eher beschränkt. Für den niedersächischen Raum ist ein zeitgenössisch-stereotyper Gebrauch des Begriffes »Zwinglianer« als »Sammelbezeichnung« (Koch) für all jene Personen anzunehmen, die dem Abendmahl eine rein symbolische, nichtsakramentale Funktion beimaßen. Ob diese Personen tatsächlich auch in anderen Punkten den Lehren Zwinglis folgten, sei dahingestellt. Vgl. Koch, Zwinglianer, S. 544–545. Als Quellenbeleg für diese These vgl. z. B. auch die Aussagen des niedersächsischen Kreistages im Hardenbergstreit (1561). Dort stellte man wenig differenzierend fest, dass D. Alb. Hardenberg/ ein Zwinglianer/ Calvinist und Sacramentirischer Lehrer sey. Zit. nach Rehtmeyer, Anitquitates III, S. 242. Zur Thematik auch: Soós, Béla v.: Zwingli und Calvin, in: Zwingliana 6/4 (1936), S. 306–327, hier S. 310. 2083 Vgl. StadtA BS, H V Nr. 218, pag. 20–21: Ferner ist im selben 31 jahre unter andern der erste superintendent M. Martinus Gorgolitius in verdacht geraden, als wäre er in der lehre im abendmahle nicht richtig; da ist ihm auf eine zeitlang verboten zu predigen, wie dem auch gedachtenn herrn Kaufmann und haben diese beiden nicht eher wieder auf die cantzel dürfen kommen, bis es ihnen erlaubt worden und sie sich gründlich gegen alle stände ihrer confeßion halber erkläret haben. An dieser Stelle ist allerdings unsicher, ob der Chronist nicht irrt: So heißt es in den zeitgenössischen Ratsprotokollen von 1531 nur, dass de supattenden eine titlangk swack vnd jn siner lectien vorhindert worden sei. Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 20r. Eventuell ist Görlitz demnach nur aufgrund seiner Krankheit der Kanzel fern geblieben. 2084 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1 Bl. 23v. Die Gemeinde verlangte dort, dass des suppatten[den]d vnd Kopmans bekantnesse geschege, so de rede nicht geschein were. 2085 Vgl. Jünke, Bekenntnis, S. 36. 2086 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 246, Bl. 5r. 2087 Ebd., Bl. 3r. sowie WA BW 6, S. 277. Vgl. auch Jünke, Bekenntnis, S. 39.

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das geistliche Essen des Sakraments verstanden, sondern auch das leibliche.2088 Die anderen Prediger hätten folglich ganz recht gelehrt. Görlitz war durch Luthers Anwort in seinem Ansehen offensichtlich wieder rehabilitiert, Kopmann wurde im Gegenzug zeitweilig die Kanzel untersagt. Öffentlich wurde er in einem Lied daraufhin gar mit Thomas Müntzer auf eine Stufe gestellt2089 – die Stadt verließ er allerdings erst 1539.2090 Auf der gleichen Herbstversammlung, in der die Gemeinden das Bekenntnis von Kopmann und Görlitz gefordert hatten, wurde zudem über die twe jm Hagen, de oren predicanten siner lere des sacraments halven gestraffet und mit ihm bezüglich swingels erdom diskutiert hatten, beraten.2091 Nicht umsonst resümierte daher der Magniprediger Heinrich Lampe später: Anno 1531 hat sich vill vnd mancherlei in religionssachen vnd in den kirchen irrunge er eugett vnd wen das colloqwio vnd general coloqwio nicht weren auffgerichtet, so hetten die sacramentirer in disser gemein zw Braunschweich mit irer falschen lere vil schadens gedan.2092

Doch die Auseinandersetzungen ließen vorerst nicht nach. In die dogmatischen Streitigkeiten mischten sich nun auch zwei bekannte Hoffmannschüler als Prediger ein: Johannes Wolf von Kampen und Johann Campanus. Das zeitlich dicht beieinanderliegende Auftreten der beiden namensähnlichen Prediger (1531/32) hat in der Forschung wie auch unter Zeitgenossen schon zu Verwechslungen geführt,2093 da sich aus Braunschweig selbst keine Quellen erhalten haben.2094 Gesicherte Informationen gibt es lediglich über das Auftreten des Täufers Jo-

2088 So befand Luther: […] denn wir auch wol wissen, das man geistlich mus Christus leib essen vnd sein blut trincken, das ist, an ihn gleuben, solchs darff er vns nicht leren, aber dennoch müssen die wort Christi darumb nicht falsch sein, da er spricht, nemet vnd esset, das ist mein leib, da er gewislich vom leiblichen essen redet vnd nennet desselb brod, das er leiblich dareicht. StadtA BS, B IV 11 Nr. 246, Bl. 3r. Auch: WA BW 6, S. 278. 2089 Vgl. StadtA BS, B I 14 Nr. 6, Bl. 443r: Her Kopman dy deyt ock behagen […] gelick Munter kanstu swarmen. Anonymes Lied von ca. 1533. 2090 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 7, pag. 139–141. Vgl. auch Kapitel 2.3.7. 2091 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 23r. 2092 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 36. 2093 Vgl. Jünke, Bugenhagens Einwirken, S. 107–108. Zur Verwechslungsproblematik vgl. Ehbrecht, Wilfried: Reformation, Sedition und Kommunikation. Beiträge und Fragen zum Soester Prädikanten Johann Wulff von Kampen, in: Köhn, Gerhard (Hrsg.): Soest. Stadt – Territorium – Reich. Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Vereins für Geschichte und Heimatpflege Soest, Soest 1981 (= Soester wissenschaftliche Beiträge, 41), S. 243–325, hier S. 318 [Endnote 118] und S. 292 (Brief von Amsdorf an Magdeburg). Zur folgenden Problematik Campanus/Campensis in Braunschweig vgl. auch Peters, Christian: Vom Humanismus zum Täuferreich. Der Weg des Bernhard Rothmann, Göttingen 2017, S. 19–27. 2094 Die überlieferten Informationen zu Campanus und Kampen entstammen (bis auf ein Braunschweiger Ratsschreiben) ausschließlich den Briefen Luthers, Bugenhagens und Melanchthons.

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hannes Wulff von Kampen (Campensis). Nachdem dieser im Oktober 15312095 in Braunschweig eingetroffen war, hatte sich derselbig Campensis zur Brunswig an lahr und leben ubel gehalden, wie Luther beklagte.2096 Der Braunschweiger Rat teilte den Soestern später auf Anfrage mit, dass he hirbevorn in seiner dorchreise einmal gepredigeth hätte (14. 12. 1532).2097 Allerdings hatte ihn dann nach Angaben Adam Packs Martinus van Brunswyck [= Martin Görlitz] schon bald wt der stadt geworpen.2098 Kampen wandte sich im Dezember 1531 nach Soest, wo er nachfolgend für Unruhe sorgen sollte. Das Wirken des Antitrinitariers Johann Campanus kann gemäß einem Lutherbrief an Martin Görlitz etwa in den November 1532 datiert werden.2099 Hierin wird Superintendent Görlitz durch Luther gewarnt, da dieser gehört habe, dass Johann Campanus in die Gemeinde »eingeschlichen« (irrepsisse) sei. Zugleich warnte Luther auch den in Lübeck weilenden Bugenhagen vor Campanus.2100 Dem schloss sich Melanchthon mit einer Warnung Bugenhagens an.2101 Ob es sich bei »Campanus« evtl. auch um eine Verwechslung mit dem Prediger Johann Kopmann handelt, darüber ist bereits spekuliert worden – doch weder das eine noch das andere lässt sich wirklich nachweisen.2102 Dass Campanus bei seinem Aufenthalt im Haus Johann Kopmanns gewohnt hat, wie Jünke ohne Quellenbeleg behauptet,2103 ist jedenfalls reine Spekulation, obgleich Kontakte zu den Braunschweiger »Sakramentariern« angenommen werden können. Auch im Folgejahr beruhigte sich die Lage nicht: 1533 lud man den Handwerker Jürgen Schmidt vor den Rat, da dieser das heilige Sakrament verlästert hatte.2104 Als sich die »linken« protestantischen Strömungen dann weiter auszubreiten drohten, ließ man 1534 in einem Massenprozess 30 »Sakramentierer« aburteilen und großteils der Stadt verweisen.2105 Allmählich fielen den Hauptleuten und Gildemeistern seit den 1530er Jahren auch erste täuferische Praktiken auf – so musste man etwa feststellen, dass im Hagen ein kint an der dope vorsumet worden war.2106 Mit diesen Vorfällen bahnte sich bereits ein Konflikt an, der schließlich 1535 die Stadt in Unruhe versetzen sollte: Der Prozess um den »Täuferkönig« von 2095 2096 2097 2098 2099 2100 2101 2102 2103 2104 2105 2106

Vgl. Ehbrecht, Reformation, S. 276. Vgl. den abgedruckten Brief ebd., S. 289. Ebd., S. 292. Ebd., S. 289–290. Der Brief Luthers an Görlitz’ stammt vom 27. 11. 1531. Vgl. WA 6, Sp. 1716, Nr. 1857. Vgl. Jünke, Bugenhagens Einwirken, S. 107. Vgl. Vogt, Bugenhagens Briefwechsel, S. 107. Zur obigen Vermutung vgl. Ehbrecht, Reformation, S. 319. Vgl. Jünke, Bugenhagens Einwirken, S. 107. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 113v. Vgl. ebd., Bl. 115r–115v. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 23v.

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Braunschweig, Hans Vette. Vette ist der Forschung bis heute unbekannt geblieben; die eigentlichen Korrespondenzen über den Fall (mit Paderborn) haben sich auch lediglich in einer Abschrift der Sack’schen Sammlung erhalten.2107 Weitere Erwähnungen Vettes im zeitgenössischen Verwaltungsschriftgut bestätigen jedoch die Abschriften in ihrem Inhalt.2108 Der aus Paderborn stammende Täufer und Zwinglianer2109 war im Frühjahr 1535 gefangen genommen worden. Er hatte behauptet, dass die prophezeihungen vom königreiche, so zu Münster mit vnwahrheit angegangen, auf ihn vnd vnsre stadt Braunschweig klare meldung thäten und war willens, das Königreich Braunschweig mit dem Schwert durchzusetzen.2110 Hierzu plante er, in St. Ulrici zu predigen und so die Bürgerschaft an sich zu ziehen, was ihm die Bürgermeister Kale und Pawel erlaubt hätten (diese bestritten es freilich, wohl mit Recht). Vette wurde daraufhin dem Rat gemeldet und aufgrund der von ihm ausgehenden akuten Gefahr umgehend verhaftet. Unter gütlichem Verhör erklärte er – wie unter Täufern nicht unüblich2111 – frei heraus seine religiösen und politischen Ansichten, welche er vorwiegend auf die Offenbarung des Johannes stützte. Zunächst betonte Vette, dass er sich zu der lehre Zwinglij öffentlich bekenne.2112 Was er darunter hinsichtlich des Abend2107 Vgl. H V Nr. 217, pag. 131ff. Sack gab als Randnotiz an: »Die Originale werden sich unter Superintendent Hessenmüllers Nachlasse befinden« (pag. 131). Leider scheinen die originalen Akten aber verschollen zu sein und konnten nicht gefunden werden. Es ist anzunehmen, dass Sack die nachfolgend angeführten Quellen bei seiner Abschrift aus dem Niederdeutschen ins Hochdeutsche übertragen hat. Jedenfalls scheint eine Korrespondenz zwischen Braunschweig und Paderborn Mitte der 1530er Jahre auf Hochdeutsch eher unwahrscheinlich zu sein. Gerichtsakten über den Prozess fehlen leider vollständig. 2108 Vgl. z. B. StadtA BS, I 5 1,1, Bl. 118r; ebd., Bl. 126v; StadtA BS, B IV 11 Nr. 10, [o.P.], letztes Blatt. 2109 Obgleich Vette die Kindstaufe befürwortete, sah er sich selbst – jedenfalls hinsichtlich der Abendmahlslehre – als Anhänger Zwinglis (s. u.). 2110 StadtA BS, H V Nr. 217, pag. 133–134: […] wie alle ordnung in vnserer stadt beide des zeitlichen vnd geistlichen nicht taugten, sondern fallen müßten, vnd daß er als ein könig die in beßerer ordnung bringen sollte. Dass man in Braunschweig sehr ausführlich über die Vorgänge in Münster informiert war, belegen u. a. die persönlichen Notizen des Braunschweiger Offizials Kerckener. Vgl. StadtA BS, B I 14 Bd. 6, Bl. 136r-v. Hier notiert Kerckener den »Hofstaat« zu Münster, die jeweiligen Frauen der hochgestellten Persönlichkeiten und das Aussehen der dortigen Münzen (die freilich nicht als Währung dienten). Zur abgeschafften Währung der Täufer vgl. Lutterbach, Hubertus: Das Täuferreich von Münster, Münster 2008, S. 76–77. Auch der Prediger Coleander zu St. Martini hatte das angehende Täuferreich im Frühjahr 1533 auf seiner Durchreise von Wittenberg nach Köln selbst miterlebt und dort einen heftigen Disput mit Bernd Rothmann über die Sakramentenlehre gehalten. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 239, Bl. 93r–94r. 2111 Vgl. etwa die Täufer zu Halberstadt (1535), welche ebenfalls ungezwungen ihren Glauben bekannten. LASA Magdeburg, A 13 Nr. 839, Bl. 5r sowie die Angaben bei Seebaß, Gottfried: Der Prozess gegen den Täuferführer Hans Hut in Augsburg 1527, in: Seebaß, Gottfried (Hrsg.): Die Reformation und ihre Außenseiter. Gesammelte Aufsätze, und Vorträge, Göttingen 1997, S. 227–243, hier S. 233. 2112 StadtA BS, H V Nr. 217, pag. 139.

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mahls verstand, machte er den Ratsherren deutlich: So ließ er sie wissen, er glaube nicht, daß vnsen heligen Jesu Christi wahrhafftig leib vnd blut im abendmahl gegenwärtig were vnd daß diejenigen, so daß ungeübet empfingen dadurch seelig würden, sondern es wäre ein schlächtes zeichen vnd bedingung.2113 Über Zwinglis Lehren hinausgehend erklärte er jedoch, Taufen im Kindesalter sei schändlich, denn die kinder wären nicht gelehrt, hätten keinen glauben.2114 Auf die Frage, wie er zu seinen Ansichten gelangt sei, antwortete Vette, es habe ihm der geist auf seinem boden offenbart.2115 Zudem verzeichnet die Protokollabschrift, Vette habe selbst gesagt, er sei der könig, der zu Braunschweig binnen vier Wochen ein neues Regiment aufzurichten gedächte.2116 Da Vette nicht abschwören wollte – die Gefahr zum Aufruhr seinerseits aber zu groß war – beschloss der Rat, ihn auf unbestimmte Zeit in einem lichtlosen Gemäuer zu inhaftieren, bis er seine Ansichten widerrufe. Damit vertrat auch Braunschweig jene »milde« Art der Täuferbestrafung, die den evangelischen Städten in den 1530er Jahren vielfach zu eigen war.2117 Die 1529 durch den Speyerer Reichstagsabschied geforderte Todesstrafe für »Wiedertäufer« kam bei ihm nicht zur Anwendung. Zuvor hatte sich der Rat hinsichtlich der Bestrafung an die Gildemeister und Hauptleute gewandt. Diese erwiderten auf der großen Frühjahrszusammenkunft am 19. 2. 1535: Vp den artikel des gefangen Hans Vetten leggten se de strafe bi einen erbarn radt, woraufhin der Rat Vette in Gewahrsam behielt, um nach eigenen Angaben ein blutvergießen zu verhindern.2118 Offensichtlich vermutete der Rat eine größere Anhängerschaft Vettes; so wollte man im Verhör u. a. wissen: Dieweil er bekennet: er sei der könig, ob er auch gesinde vnd vntersassen angenommen hätte, die ihn für seinen könig halten wollen, wer die seien. […] Ob er auch kürzlich zu Münster gewesen sey, oder ob 2113 2114 2115 2116 2117

StadtA BS, H V Nr. 217, pag. 137. Ebd. Ebd., pag. 138. Ebd. Viele andere evangelische Städte wie z. B. Ulm, lehnten eine Todesstrafe für Täufer kategorisch ab. Vgl. Wolgast, Eike: Stellung der Obrigkeit zum Täufertum und Obrigkeitsverständnis der Täufer in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Ders.: Aufsätze zur Reformations- und Reichsgeschichte, Tübingen 2016 (= Ius ecclesiasticum: Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht, 113), S. 506–536, hier S. 517. Von allen zwischen 1527–1533 nachweislich hingerichteten Täufern entfielen lediglich 10 % auf evangelische Herrschaftsbereiche, lediglich 7,2 % entfielen auf die Reichsstädte. Vgl. Clasen, Claus-Peter: Anabaptism. A Social History, 1525–1618, Ithaca/London 1972, S. 371– 373. Auch: Seebaß, Prozess, S. 227. Kerkerhaft bis zum Widerruf war z. B. wie in Braunschweig so auch in den protestantischen Städten Nürnberg, Straßburg und Augsburg üblich. Vgl. Clasen, Anabaptism, S. 387. Den aktuellsten Überblick über die Geschichte der Täufer bietet: Kaufmann, Thomas: Die Täufer. Von den radikalen Reformatoren zu den Baptisten, München 2019. 2118 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 118r; StadtA BS, H V Nr. 217, pag. 134.

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auch jemand von Münster hier bei ihm gewesen sei, der ihn in seinem glauben vnterwiesen.2119 Zahlreiche Bittgesuche2120 der Paderborner Verwandten konnten den Braunschweiger Rat daher auch in den folgenden Jahren nicht dazu bewegen, Vette aus der Haft zu entlassen, da dieser beharrlich auf seinen Ansichten bestand und sich als Erwählter betrachtete. Als im April 1538 Urbanus Rhegius für einige Wochen in Braunschweig weilte, versuchte auch er vergeblich, Vette von seiner »Irrlehre« zu überzeugen. Er ordnete jedoch an, dass man ome eine and[ere] fencknusse torichte, darjnne he d[at] licht gewone.2121 Noch bis zum Herbst 1541 schrieb der Vater Tile Vette aus Paderborn Bittgesuche für seinen nach wie vor inhaftierten Sohn. Eine solch langwährende Haftstrafe war selbst für Täufer eher ungewöhnlich und blieb üblicherweise den wichtigen »Anführern« vorbehalten.2122 Der Rat wollte Hans Vette allerdings nicht freilassen, da dieser weiterhin täuferische Ansichten vertrat und bi dem manne keiner beterunge to hopen sin will.2123 Die Quellen schweigen sich über die weitere Zukunft Vettes leider aus. Es ist zu vermuten, dass er sein Gefängnis zeitlebens nicht mehr verlassen hat. Mit der Verhaftung Vettes endeten in Braunschweig 1535 die größeren Konflikte zwischen Lutheranern und »Sakramentariern« – jedenfalls ist ab dieser Zeit vorerst keine Auseinandersetzung mehr überliefert. Auf die langsam abnehmende Konfliktschärfe deutet auch eine Anfrage der Gemeinde an den Rat hin. Man hatte den Rat 1535 offensichtlich gebeten, die verwiesenen »Sakramentarier« doch nun bitte wieder in die Stadt zurückkehren zu lassen. Vorerst erwiderte der Rat allerdings noch: Item vp de vorwiseden sacramentern js jn rade gefunden, dat de noch nicht schullen weder jngestadt werden, vnd so noch jemants von sodanen secten mer gefunden worde, schal ok wo dusse darumb gestrafft werden.2124 Welchen gesellschaftlichen Schichten entstammten nun aber diese konfessionellen »Abweichler«? Zunächst muss festgehalten werden, dass die meisten der überlieferten Namen des 16. Jahrhunderts aus der oben skizzierten Zeitspanne zwischen 1528–1535 erhalten geblieben sind. 44 Personen sind allein aus dieser Phase namentlich überliefert – allesamt nach zeitgenössischen Angaben »Sakramentarier« und »Zwinglianer«, die wohl den Lehren Zwinglis, teils aber 2119 StadtA BS, H V Nr. 217, pag. 139. Die Antworten des Verhörs haben sich leider nicht erhalten. 2120 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 126v; StadtA BS, H V Nr. 270, pag. 131 u. 145. 2121 StadtA BS, B IV 11 Nr. 10, [o.P.], letztes Blatt. 2122 Eine solch lange Haftstrafe blieb zwar üblicherweise den »Anführern« der Täufer vorbehalten, doch war sie in diesem Falle bestimmt durch die Bedrohung, die Vette darstellte. Vgl. Clasen, Anabaptism, S. 388f.: »In Protestant territories as a rule only leaders and Hutterite missionaries were imprisoned for long periods of times.« 2123 StadtA BS, H V Nr. 270, pag. 146. 2124 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 118r.

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auch Schwenckfeld oder Karlstadt nahegestanden haben mögen.2125 Wenige dieser Personen sind in ihrer sozialen Herkunft oder ihrem religiösen Bekenntnis exakt fassbar. Allerdings ist nicht ein einziger Anhänger der ratssässigen Familien darunter; die patrizischen Geschlechter spielten in der Anfangsphase unter den innerprotestantischen »Abweichlern« Braunschweigs – anders als bei den Altgäubigen – keine Rolle. Unter den 44 ermittelten »Sakramentariern« zwischen 1528 und 1534 waren mit Cord Dume, Hermann Hoyer, Richard Schweinfuß, Heinrich Knigge, Johann Kopmann, Johann Campanus und dem durchreisenden Johannes Wulff von Kampen immerhin sieben Prediger (= 15,9 %).2126 Diejenigen Personen, deren Berufsstände darüber hinaus überliefert sind, deuten allerdings eher auf einen großen Anhang der Sakramentarier in der (unteren) Mittelschicht hin. So waren etwa ein Rademacher, ein Torwächter, ein Kramer, ein Maler und ein Plattenschlägerknecht im Jahr 1534 unter den Angeklagten, während Ratsfamilien wie gesagt nicht unter den Namen auftauchen.2127 Der schon erwähnte, ursprünglich aus Paderborn stammende Täufer Hans Vette, dürfte auch in diese Mittelschicht zu rechnen sein – jedenfalls gehörte die Familie Vette im 16. Jahrhundert nachweislich nicht der Paderborner Oberschicht an.2128

3.4.2 Die Zeit der lutherischen Orthodoxie (1535–1599) Interessant ist nun allerdings der Vergleich mit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zwar sind aus dieser Zeit bis 1599 nur dreizehn Personen mit abweichenden Glaubensvorstellungen namentlich überliefert, doch ist ihnen allen gemein, dass sie der oberen Bildungselite angehörten – meist dem höheren Schul- oder Kirchendienst (61,53 %). Prozesse um einfache Handwerker, Tage2125 Dass es sich überwiegend (wie beim Prediger Kopmann) um Zwinglianer gehandelt habe (vgl. Jünke, Bekenntnis, S. 32), ist zweifelhaft (s. o.). Koch widerspricht Jünke diesbezüglich vehement und stellt dementgegen Parallelen zu den Lehren Schwenkfelds fest. Koch, Zwinglianer, S. 537. Die zeitgenössischen Akten sprechen dementgegen zwar recht einheitlich von »Zwinglianern« – doch inhaltlich lässt sich dies mangels zeitgenössischer Bekenntnisse nicht überprüfen. Außer Kopmann hat kein Bürger ein Bekenntnis hinterlassen, und lediglich Vette hat selbst zugegeben, sich zu der Lehre Zwinglis zu bekennen. StadtA BS, H V Nr. 217, pag. 139. 2126 Vgl. dazu Kapitel 2.3.7. 2127 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 115v. 2128 Vgl. Decker, Rainer: Bürgermeister und Ratsherren in Paderborn vom 13. bis zum 17. Jahrhundert. Untersuchungen zur Zusammensetzung einer städtischen Oberschicht, Paderborn 1977 (= Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte, 16). Überhaupt entstammten über 98 % der Täufer den Mittel- und Unterschichten, was Vettes Herkunft aus einer dieser Schichten noch wahrscheinlicher werden lässt. Vgl. Claasen, Anabaptism, S. 323: »More than 98 percent of all Anabaptists were common people, earning their livelihood on farms, in workshops, and by other forms of manual labor.«

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löhner, Bauern, o. ä. haben sich aus dieser Periode ebenso wenig erhalten wie die »Massenermahnungen« der 1530er Jahre.2129 Insbesondere die innerkonfessionellen Streitigkeiten der Lutheraner waren und blieben damit in dieser Phase vorwiegend ein Phänomen der oberen Schichten und betrafen nur wenige Einzelpersonen.2130 Gemein ist den meisten »Devianten« nach 1535 indessen, dass sie sich selbst durchaus als gute Lutheraner verstanden, obgleich ihnen das Braunschweiger Ministerium Gegenteiliges vorwarf: Damit tritt an dieser Stelle deutlich die innere Pluralität zutage, welche letztlich den jeweiligen Konfessionskulturen zu eigen war und sie eben nicht immer als kompakte dogmatische Einheit fassbar macht.2131 Mit Johann Becker (Calvinist), Petrus Eggerdes (Falicaner), Melchior Leporinus (Huberist) und Lukas Martini (Huberist) waren in dieser Phase immerhin vier Prediger unter den Angeklagten.2132 Hinzu kamen eine Reihe von Schulbediensteten, was durchaus üblich war:2133 Der Rektor zu St. Katharinen, Matthias Bergius (Majorist), der Rektor zu St. Ägidien, Hermann Hobberdes (Calvinist), der Konrektor/Rektor zu St. Martini, Martin Baremius und der Schulgeselle Antonius.2134 Die restlichen fünf Angeklagten entstammten dem gehobenen Bildungsbürgertum: Hierzu zählten der Täufer Zacharias Winkel sowie die 2129 Die Ausnahme bildet eine (vermutlich aus den 1560er Jahren stammende) klage über etzliche handtwerckß gesellen, wen sie außgelernet, daß sie einer den andern tauffen sollen, die das Ministerium im Generalkolloquium einbrachte. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 4r. 2130 Dass freilich bisweilen auch die einfache Bevölkerung Anteil an den innerlutherischen Konflikten nahm, zeigt sich am Beispiel der Flacianer: Döllinger, Johann J. I.: Die Reformation. Ihre innere Entwicklung und ihre Wirkungen im Umfange des Lutherischen Bekenntnisses, Bd. 3, Regensburg 1848, S. 488f. [insb. Fußnote 93]. 2131 Vgl. Kaufmann, Konfession und Kultur, S. 12 u. 16 sowie Pohlig, Konfessionskultur, S. 391. So begann der als Calvinist beklagte Henning Kloth 1555 seine Rechtfertigung z. B. mit dem Satz: Jm fal, dat ick rede ein sunderliche opinion (alze ick nicht weeth). Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 239, Bl. 44r. 2132 Zu Becker u. a.: StadtA BS, B IV 11 Nr. 16, Bl. 9r–18r; zu Eggerdes, welcher Aufnahme in Braunschweig suchte, aber 1585 auf Betreiben des Koadjutors der Stadt verwiesen wurde: StadtA BS, B IV 11 Nr. 20, Bl. 80r–84v; zu Baremius: StadtA BS, B IV 11 Nr. 20, pag. 89; zu Leporinus/Martini u. a.: StadtA BS, B III 15 Nr. 10 und StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 111–118 [Tintenpag.]. 2133 Wie Irene Crusius treffend auf breiter Quellenbasis festgestellt hat, waren solche »Auseinandersetzungen zwischen gnesiolutherischen Predigern und philippistischen Rektoren« nicht nur in Magdeburg ein »verbreitetes Phänomen«. Vgl. Nahrendorf, Carsten: Zwischen Humanismus und Reform. Das Magdeburger Gymnasium in den ersten vierzig Jahren seines Bestehens, in: Ballerstedt, Maren; Köster, Gabriele; Poenicke, Cornelia (Hrsgg.): Magdeburg und die Reformation. Teil 1. Eine Stadt folgt Martin Luther, Halle 2016, S. 239–259, hier S. 249. Das gleiche Phänomen beschreibt Freitag auch für Westfalen. Vgl. Freitag, Reformation in Westfalen, S. 309. 2134 Zu Bergius u. a.: StadtA BS, B IV 11 Nr. 143, Bl. 15r–30r; zu Hobberdes: StadtA BS, B IV 11 Nr. 242, Bl. 2r–10v; zu Antonius, dessen Nachname nicht genannt wird: StadtA BS, B I 6 Nr. 1,2, Bl. 310v.

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Calvinisten Henning Kloth,2135 Hieronymus Naeve (Syndikus), Michael Mascus (Syndikus) und Andreas Pawel. Letzterer gehörte überdies einem alteingesessenen Patrizier- und Ratsgeschlecht an.2136 Diese vereinzelten »Abweichler« konnten der lutherischen Kirche in Braunschweig freilich im Gegensatz zu den 1520er/30er Jahren zu keinem Zeitpunkt mehr wirklich gefährlich werden. Hierfür sorgte vor allem auch der unverzügliche und harte Prozess, der auf die Entdeckung eines dogmatischen Dissidenten hin eingeleitet wurde. Lediglich die Syndiki Naeve und Mascus vermochten sich aufgrund ihres kryptocalvinistischen Lavierens in den 1590er Jahren länger zu behaupten, mussten dann jedoch auf Druck der Massen dennoch aus der Stadt weichen.2137 Wie also wurde nun mit jenen Personen verfahren, deren abweichende Glaubenshaltung ruchbar geworden war? Für die Prädikanten ist das Prozedere bereits oben beschrieben worden (vgl. Kapitel 2.3.7). Es unterschied sich auch bei den Schulbediensteten und Laien nicht sonderlich vom Umgang mit den »ketzerischen« Predigern. Nach den »Massenprozessen« der ersten nachreformatorischen Jahre hatte sich in der zweiten Jahrhunderthälfte bereits ein sehr konformes Vorgehen etabliert, wie mit dem jeweiligen »Lästerer« umzugehen war: Zunächst wurde die Person vor einen Ausschuss des Ministeriums geladen, bzw. wenn sie im Schul- oder Pfarrdienst tätig war furm gantzen ministerio vnd colloquio zur rede gesetzet.2138 Konnte hier kein Widerruf bewirkt werden, so wurde der »Missetäter« dem Rat gemeldet. Daraufhin wurde eine Sitzung aus einem Ausschuss des Küchenrates, des Ministeriums und der Kastenherren (bzw. ab 1561 bisweilen auch des Konsistoriums) einberufen und der Angeklagte dort vorgeladen.2139 Hier verlangte man üblicherweise einen Widerruf des Delinquenten. Widerrief der Angeklagte nicht, so wurde ihm eine mehrtägige Bedenkzeit gewährt.2140 Vom Schul- und Pfarrdienst ließ man ihn in dieser Zeit suspendieren, sofern er diese Tätigkeit ausübte. In der folgenden Sitzung musste sich der Beschuldigte dann erklären: Widerrief er, so hatte er ein entsprechendes Schreiben zu unterzeichnen, widerrief er nicht, so musste er mit gravierenden Konsequenzen rechnen.

2135 Der Fall des Henning Cloth hat sich mit am umfangreichsten erhalten. Dieser wurde 1555 als ein heupt der sacramenterer in dieser loblichen stadt angesehen. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 239, Bl. 95v. 2136 Zu den Pawels vgl. Böttcher, Otto: Die Braunschweiger Patrizierfamilie von Pawel, in: Genealogisches Jahrbuch 34 (1995), S. 67–89. Auch: Spieß, Nachmittelalter, S. 447. Zum Prozess: StadtA BS, B IV 11 Nr. 74. 2137 Vgl. Rehtmeyer, Historiae IV, S. 124. 2138 Zitat aus dem Prozess um Hermann Hobberdes: StadtA BS, B IV 11 Nr. 242, Bl. 3v. 2139 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 239, Bl. 45r (1555); StadtA BS, B IV 11 Nr. 34, Bl. 19r (1563); StadtA BS, B IV 11 Nr. 242, Bl. 2r (1593); Rehtmeyer, Historiae IV, Beylage, S. 305 (1631). 2140 Vgl. z. B. StadtA BS, B IV 11 Nr. 34, Bl. 19r (1563); StadtA BS, B IV 11 Nr. 242, Bl. 8r (1593).

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Das Strafmaß, welches einem solchen Prozess bei mangelndem Widerruf folgte, war sehr einheitlich. Von den insgesamt 57 überlieferten Angeklagten zwischen 1528–1599 wurden allein 24 im Jahr 1534/35 vermahnt und mit zeitweiligem Einlager bestraft. 26 Beschuldigte wurden zu Prozessausgang verfestet und der Stadt verwiesen (45,61 %) oder verließen diese freiwillig – den Verurteilten blieb nach dem Urteil meist nur eine Frist von wenigen Tagen. Lediglich ein Haftbefehl wurde im Fall des mehrfach genannten Hans Vette als dauerhafte »Strafe« durchgesetzt. Fünf Widerrufe (1561, 1563, 1580, 1587, 1596) sind bekannt, wobei Matthias Bergius zwar 1580 seine Ansichten zunächst widerrief, später aber doch verbannt wurde. Im umgekehrten Fall von Henning Kloth musste dieser zwar 1555 die Stadt räumen, durfte aber 1561 aufgrund seines eingewilligten Widerrufes nach Braunschweig zurückkehren. Lediglich die Strafe Albert Bodekers2141 (1533) hat sich nicht überliefert, ebenso jene des Andreas Pawel (1599). Da Letzterer sich nicht vor dem Kolloquium einstellen wollte, wurde er zwar kurzerhand exkommuniziert;2142 die weltliche Strafe ist hingegen nicht bekannt. Es wird damit deutlich, dass der Rat zwar – auch in der Frühzeit – nicht zu drakonischen Strafen wie z. B. Hinrichtungen griff, die abweichenden Lehrmeinungen vermochte er aber dennoch durch Verbote und Stadtverweise effektiv zu unterdrücken. De facto gab es für den Angeklagten in dieser Art von Prozess nur zwei Möglichkeiten: Widerruf oder Verbannung. Eine Diskussion mit dem Ministerium hat in keinem der überlieferten Fälle zu einem Einlenken seitens der Geistlichkeit geführt. Dabei gelangten teilweise die merkwürdigsten Appelle an den Rat, wie etwa 1555 die auf Toleranz pochende Erklärung des »Sakramentariers«2143 Henning Kloth, weshalb man ihn weiterhin in der Stadt dulden solle: Jm fal, dat ick rede ein sunderliche opinion (alze ick nicht weeth) gevatet hebb, wo konde dat dusser lofflichen stad vnd gemeine so tho mal vndrechtlich vnd vnlidlich fallen? Hebben doch hyr vor korten jaren veel joden gewonth vnd werhen hyr lange jare geleden, men hat jtzunds noch (layder) veel papisten hyr, dartho welck mensch is fullen kommen edder ahne irdom? Ist aver alles noch disser lofflichen stadt vnd gemeine (God loff) nicht tomal vnbillich vnd vndrechtlich bekommen.2144 2141 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 99v u. 103r. 2142 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 74, Bl. 9r. Gemeint war mit der »Exkommunikation« in Braunschweig freilich die excommunicatio minor, also ein (kleiner) Bann, der von den Sakramenten ausschluss, im öffentlichen Leben jedoch keinerlei Beeinträchtigungen bedeutete. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 4.5. 2143 Kloth war der Überzeugung, der mund eße allain brot vnd trincke allain weyn, welche sind eusserliche zaichen des leibes vnd bluts Christi, so nicht alhie leiplich gegenwertig, sondern gehn himel gefahren, vnd nuhn zu der rechten hand Gottes sytze[n], das hertz aber entpfahe den leib vnd bluet Chri[sti] gaistlich, weyl es sich desselbigen durch den glauben trostet vnd tailhafftig machet. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 239, Bl. 45r. 2144 Vgl. ebd., Bl. 44r–44v.

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Kloth wandte sich mit seinem Bekenntnis schließlich hilfesuchend nach Wittenberg an Philipp Melanchthon – dieser wies das Schreiben jedoch zurück und stellte es ins Ermessen des Braunschweiger Rates.2145 Rat und Ministerium waren in solchen Fällen indessen äußerst konsequent, weshalb nur Widerruf oder Verbannung in Frage kamen, obige Argumentationsversuche hingegen ignoriert wurden.2146 Gerade das Ministerium fungierte dabei zumeist als Wächter des »reinen« Glaubens.2147 Tatsächlich war man in Braunschweig auch ohne Todesstrafe durch präventive Maßnahmen sehr erfolgreich, was allein schon die verhältnismäßig wenigen Glaubensprozesse zeigen, die sich bis heute überliefert haben. Konfessionelle Konflikte spielten – abseits von Einzelfällen – in Braunschweig zwischen 1535 und den 1590er Jahren zunächst keine große Rolle mehr.2148 Das mag u. a. auch am Rat gelegen haben, der gemäß Echteding eine sehr strikte Aufnahmepolitik vertrat. Auf eine besorgte Anfrage des Ministeriums hinsichtlich der Überprüfung von Neubürgern antwortete er z. B. 1564: Es geschehe nicht viel, das frembde leuth von fernen orten, als Schweytz oder dergleichen wurden eingenohmen, was gesellen weren, müsten zway jar hie gearbeytet, oder hie gelernet haben, wurden aber alle zuuor, durch etliche burgermaister, sindicum, secretarii etc. examiniret genugsam, vnd darynnen gar nichts nicht verseumet, oder versehen etc.2149 Eine stark abweichende Glaubensmehrheit vermochte sich unter der immer strenger werdenden Kontrolle des Ministeriums aber ohnehin nicht zu bilden. Zwar trafen auch in Braunschweig seit den 1570er-1590er Jahren bisweilen niederländische und französische Flüchtlinge und Handwerker ein, doch ging

2145 Vgl. StadtA BS, B I 18 Nr. 2, Bl. 141v; StadtA BS, B IV 11 Nr. 239, Bl. 83r. Henni Clotho hatt die verschikung aines erbarn Raths, darauff er doch sehr gedrungen, nicht erwarten wollen, sondern hatt seinen Sohn nach Wittenberg geschickt […], so hatt der Sohn zu lezt fleissig bey D. Philippo solliciret, das er jem doch etwas auff diese scripta zaichnen oder schreiben wollte [… doch] hatt D. Philippens geschrib[en], vngefehrlich die maynung, das er jn den zwischen kirchen keine vnainikait welte anrichten, wolte derhalb diesem man geratten haben, das er sich mitt dem doctor vn andern p[rä]dicant[en] zu Braunschweig solte fridlich halten. 2146 Dies wurde selbst im 17. Jahrhundert noch so gehandhabt, wie anhand des Konsistorialprozesses zwischen dem Ministerium und dem »Ketzer« Hans Engelbrecht – der nach einer Nahtoderfahrung vorgab, mit Gott gesprochen zu haben – deutlich wird. Im Prozess wurde Engelbrecht 1631 nach eigenen Angaben vom Konsistorium auferlegt, ich solte mich erklären, ob ich wollte widerrufen oder nicht, hier gilt kein disputiren. Zitat nach Rehtmeyer, Historiae IV, Beylage, S. 303. 2147 Vgl. Mager, Wächter, S. 58. Nur aufgrund des Ministeriums gelangten viele Fälle erst vor den Rat. 2148 Zu den Konflikten zwischen 1529–1532/35 sowie 1597–99 vgl. Kapitel 2.3.7. Einzig die Konflikte um die beiden kryptocalvinistischen Syndici Mascus und Naeve brachten 1590– 1593 noch für kurze Zeit Unruhe. 2149 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 129r.

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das Ministerium hiergegen rasch vor.2150 Dem 1576 kontinuierlich um Aufnahme bittenden, niederländischen Steinmetz Adam gewährte man z. B. lediglich eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung (= kein Bürgerrecht), nachdem er versichert hatte, kein Calvinist zu sein. Allerdings betonte der Küchenrat, er solle sich keiner frembden lehr anmassen vnd der calvinisterrey sich enthalten, denn wofern man erfahren würde, daß er etwa mit der calvinischen lehre befleket, müsse er umgehend die Stadt verlassen.2151 Nur eine einzige Bürgerrechtsverleihung eines calvinistischen Niederländers lässt sich für das 16. Jahrhundert in den Neubürgerbüchern belegen. Dieser Eintrag aus dem Jahr 1591 umfasst allerdings auch eine ganze Folioseite im Buch und zeigt damit seine außergewöhnliche Brisanz, die mit einem nota bene noch hervorgehoben wird: Dem Niederländer Johann de Mortier wurde aufgrund seines wichtigen Gewerbes gestattet, als Bürger in der Stadt zu wohnen, allerdings musste er seinem Bürgereid u. a. beifügen, dat he siner lehre vnd levens halven sick na düsser angenommenen christligen religion, kercken vnd stadt ordnung vorholden schal, by vormidung der darup geordenten straffe.2152 Johann sollte also vom calvinistischen zum lutherischen Glauben übertreten. Die Bevölkerung ging mit der strengen Haltung des Ministeriums offenbar durchaus d’accord. Sich offen zum Calvinismus zu bekennen war daher nicht ungefährlich. Als man z. B. 1593 von einem holländischen Trippmacher erfuhr, der in Braunschweig angeblich im Sinne der Kryptocalvinisten spioniert hatte, wurden kurzerhand durch etliche mutwillige jungen/ etliche Steine jme nach geworffen, weshalb er sich in das Haus einer alten Witwe retten musste, weil er sich stösse besorget.2153 Das Haus wurde daraufhin von einer wütenden Volksmenge belagert. Anschließend wurde der Holländer vom Rat aus der Stadt gewiesen.2154 Akten des frühen 17. Jahrhunderts zeigen zudem, dass es auch um 1600 vermutlich nicht viele Calvinisten in der Stadt gegeben haben wird: Ward angezeigt das in der Altenwick ein calvinist vorhanden, welcher sich in kemmerer N. Danbarers behausung auffhalte […]. Drauf ward dieser bescheid gegeben, daß die prediger zu weichbilde den calvinisten solten fur sich bescheiden, vnd ernstlig vermahnen, daß er solte von seinem jrrthumb abstehen, wo fern er aber solches nicht thun wollte solte es hernach dem hern superintendenten vnd coadjutori angezeigt werden […] der kemerer hatt gesagt, was wir prediger mit dem man zuthun hetten, er were hir ein gast vnd reisete ab vnd zue etc. Darauff geantwortet, weil er hie nicht wohnhafftig hette man

2150 Vgl. ebd., Bl. 166r (1591): Zuerinern, daß d[em] ministerium berichtet würde, wie das franzosen vnd niderländer hin vnd her jn der stadt eingelaßen. 2151 StadtA BS, B I 6 Nr. 5,1, Bl. 119r; StadtA BS, H V Nr. 175, pag. 59. 2152 StadtA BS, B I 7 Nr. 8, Bl. 134v. 2153 Leyser, Polycarp: Rettung der Ehren vnd Vnschuld D. Polycarpi Leisers/ Churfürstlichen/ Sächsischen Hoffpredigers […], Leipzig 1606 [VD17 23:645505 V], S. 86. 2154 Vgl. Rehtmeyer, Historiae IV, S. 124.

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zwar mit ihm nicht zuthun, aber man solte zusehen, daß er andere mit seiner ansicht nicht ansteckete.2155

Selbst durchreisende und nicht sesshafte Händler wurden folglich bereits argwöhnisch vom Ministerium beobachtet – gleiches galt sogar für die lutherischen Flüchtlinge aus dem reformierten Bremen, welche sich seit den 1560er Jahren zunehmend in Braunschweig niederließen. Auch sie wurden bisweilen des Kryptocalvinismus verdächtigt.2156 Sobald ein Calvinist ausfindig gemacht wurde, ließ das Kolloquium diesen umgehend vom zuständigen Prediger ansprechen. Bekehrte er sich zum Luthertum gemäß Konkordienformel (wie im 17. Jh. vielfach nachweisbar ist2157), so durfte er in der Stadt bleiben – wenn nicht, wurde er dem Rat angezeigt und anschließend gemäß PO der Stadt verwiesen.2158 Damit blieb der Calvinismus stadtintern laut KO von 1528 und PO von 1573/79 bis ins 17. Jahrhundert strikt verboten: Noch 1613 wurde dem Superintendenten gratulirt, das er keine calvinisten hette.2159 Einen offiziellen Duldungsvertrag des Rates mit Anhängern der reformierten Konfession, wie er in anderen norddeutschen Städten zustande kam, hat es in Braunschweig folglich bis ins 18. Jahrhundert nie gegeben.2160 Allerdings wurden nicht nur bekennende Calvinisten verfolgt. Auch jene Bürger, die zwar lutherisch sozialisiert waren, aber doch eigene – vom Dogma der Konkordienformel abweichende – Glaubens2155 StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 96v und 98v. Kolloquienprotokoll von 1615. 2156 Vgl. dazu z. B. den Fall des Bernhard Reineken. Dieser war zu Anfang der 1570er Jahre aufgrund seines großen »Knebelbartes« beim Abendmahlsempfang kritisiert worden, da er dort den Wein mit seinem Bart verspritzt habe. Aufgrund dieser »Unbesonnenheit« gab es laut Koadjutor Pouchemius bereits Bürger, die behaupteten, Reineke glaubete nicht, daß der leib vnd das blut Christi im sacrament were, denn [dann M.V.] würde er es ja also in seinem großen barte nicht vergießen wie andere gemeine Speise. Vgl. StadtA BS, H V Nr. 218, pag. 309–310. Pouchemius verwehrte Reineke schließlich gar die Absolution und der Fall kam vor den Rat. 2157 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 78v (1613): Es habe sich biß her ein calvinist, Matthias Baltzer, bey Rotger Horsten auffgehalten der habe sich bekehret […]. Auch ebd. Bl. 99v (1615): Ward angezeigt, das sich der alte calvinist von Stade so sich bei dem kemmerer Dankwart auffgehalten, nun bekeret, vnd ist dem abendmahl des hern vom hern seniore dienen lassen. Auch StadtA BS, G II 4 Nr. 7, Bl. 104r (1628): Jst […] forgefordert H. Christof Leverici, buchbinders geselle aus der Pfaltz bürtig […], weil er sich von der calvinischen relig[ion] zu unserer confess: begeben wollen. U.v.m. 2158 Dies geschah selbst mit hochqualifizierten Fachkräften, wie die Ausweisung des calvinistischen, aus Bremen stammenden Medikus Nebeltau (1607) zeigt. Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 144; StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 12v. Auch ebd. Bl. 71v: Nebeltau, weil er ein calvinist gewesen, habe nicht können geduldet werden. 2159 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 71r. Zugleich klagte der Superintendent aber, es kämen durchaus immer mehr Calvinisten in die Stadt, insbesondere Soldaten: [I]tzo seien andere tempora, man dulde calvinisten, man halte ehebrechern die stange, mit was recht, könne er nicht befinden, besorge, es solte des bösen wesens künfftiger zeit wol mehr werden. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 71v. 2160 Zum Rezess von 1605 vgl. Litten, Bürgerrecht, S. 249.

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Personen und Ämter im Spannungsfeld 1528–1599

vorstellungen entwickelten, wurden noch bis ins 17. Jahrhundert hinein vor das Konsistorium vorgeladen; die von Kaufmann postulierte konfessionskulturelle Binnenpluralität wird anhand dieses Aspektes somit besonders deutlich greifbar.2161 Die damit einhergehende Beobachtung, dass in der bedeutenden Hanse- und Handelsstadt Braunschweig keine nennenswerte, konfessionell abweichende Minderheit Fuß fassen konnte, ist durchaus erstaunlich. Braunschweig bildet damit einen eher ungewöhnlichen Fall von relativ umfassender konfessionellhomogener Geschlossenheit, welche in den umliegenden Städten Norddeutschlands bis 1600 vielfach nicht mehr aufrechterhalten werden konnte.2162 Während Bischofsstädte wie Hildesheim schließlich sogar Katholiken das Bürgerrecht gewährten (oder gar dazu drängten!), nahmen die Hansestädte Hamburg, Stade und Lübeck zum Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts entgegen ihrer KOO verstärkt niederländisch-calvinistische bzw. englische Kaufleute in ihre Städte auf und gewährten ihnen aus ökonomischen Gründen Schutzrechte.2163 So lebten z. B. bis zum offiziellen Schutzvertrag (»Fremdenkontrakt«) von 1605 bereits über 130 niederländisch-calvinistische Familien innerhalb Hamburgs – wenn auch ohne offizielles Bürgerrecht.2164 Hinzu kamen die seit 1594 umworbenen englischen Merchant Adventurers sowie portugisisch-jüdische Conversos.2165 Selbst der orthodoxe Lübecker Magistrat – der seit jeher eher restriktiv agierte und Andersgläubige im 16. Jahrhundert noch rundheraus abgewiesen hatte – vergab seit 1613 gemäß einem Vertrag mit den Generalstaaten auch an niederländische Calvinisten das Bürgerrecht; freilich gegen den Willen des Ministeriums und in sehr beschränktem Maße.2166 Frankfurt a.M., wo sich bereits 2161 So meinte z. B. der bekennende Lutheraner Hans Engelbrecht, daß kein Mensch in der Ewigkeit Christum solle anschauen von Angesicht zu Angesicht/ der ihn nicht zuvor in der Zeit angeschauet im Glauben/ im Geiste/ im Hertzen. Zitat nach Rehtmeyer, Historiae IV, S. 306. Diese Ansicht grenzte bereits an Werksgerechtigkeit. 2162 So z. B. in Aachen, Hamburg, Lübeck, Hildesheim, Frankfurt a.M. und Danzig. 2163 Vgl. dazu ausführlich: Litten, Bürgerrecht, S. 135ff. (Hildesheim) und S. 246 (Hamburg); Zu Hamburg überdies: Beneke, Otto: Zur Geschichte der nichtlutherischen Christen in Hamburg 1575 bis 1589, in: ZHG 6 (1875), S. 318–344. Zu Lübeck: Hauschild, Kirchengeschichte, S. 289. Neuerdings auch: Hammel-Kiesow, Rolf: Glaubenspolitik im Vergleich – Die Aufnahme von Glaubensflüchtlingen in Hamburg und Lübeck im späten 16. und 17. Jahrhundert, in: Lau, Thomas; Wittmann, Helge (Hrsgg.): Reichsstadt im Religionskonflikt, Petersberg 2017 (= Studien zur Reichsstadtgeschichte, 4), S. 289–314. Zu Stade: Sehling, Kirchenordnungen VII 2,1, S. 46. 2164 Vgl. Litten, Bürgerrecht, S. 249; Hammel-Kiesow, Glaubenspolitik, S. 292–293. HammelKiesow nimmt gar an, dass die niederländischen Migranten um 1600 evtl. 1/4 der Gesamtbevölkerung ausgemacht haben (S. 295). 2165 Vgl. Hammel-Kiesow, Glaubenspolitik, S. 293. 2166 Vgl. Hauschild, Kirchengeschichte, S. 289. Die wenigen Reformierten wurden hier aber, anders als in Hamburg, gesellschaftlich ausgegrenzt und waren nicht wilkommen. Vgl. Hammel-Kiesow, Glaubenspolitik, S. 297–299.

Innerprotestantische Devianz

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seit den Flüchtlingswellen der 1550er Jahre englische und niederländische Reformierte niedergelassen hatten, agierte zwar im Laufe des späten 16. Jahrhunderts ebenfalls immer ablehnender, nahm aber dennoch weiterhin reformierte Flüchtlinge in seinen Mauern auf; schließlich ließ der Magistrat den Reformierten (die mittlerweile auch das Bürgerrecht besaßen) vor dem Stadttor gar eine Kirche errichten, die aber 1608 wieder abbrannte.2167 Dass die Reformierten in den lutherischen Städten natürlich massiven Repressionen und Beschränkungen ihrer Glaubenspraktizierung ausgesetzt waren, muss hier nicht weiter dargelegt werden.2168 Aber allein durch die Tatsache, dass Andersgläubige in der Stadt dauerhaft geduldet wurden, unterschieden sich die angeführten Kommunen von Braunschweig. Dort blieb man dementgegen nämlich, wie oben zu sehen war, sehr strikt – der um 1570 einsetzende Niedergang des städtischen Handels mag hierbei eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben.2169 Dass nicht zuletzt die überzeugende Wortgewandheit der Superintendenten Chemnitz und Leyser zu dieser rigiden Haltung in der Bevölkerung beigetragen haben dürfte, zeigen noch die Protokolle der hessischen »Zweiten Reformation«: Als der reformierte Landgraf Moritz in Eschwege seine »Verbesserungspunkte« von 1605 einzuführen gedachte, verweigerten sich sogar 1608 noch Bürger dem Empfang des reformierten Abendmahls, mit der Begründung, man habe vormals auf Wanderschaft die Predigten Chemnitz’ und Leysers gehört, welche eindrücklich dargelegt hätten, dass die calvinistische Lehre unrecht sei.2170 Damit deutet sich zusammenfassend an, dass die wenigen »Sakramentarier« bis in die 1530er Jahre hinein eher aus den mittleren- bis unteren Bevölkerungsschichten gekommen sein dürften (s. o.), auch wenn sich hier abschließende Aussagen mangels Quellen nicht treffen lassen. Patriziergeschlechter finden sich jedenfalls in der frühen Phase nicht unter den Angeklagten. Während in dieser Zeit trotz der Verbote in KO und Echteding von einer größeren Gruppe konfessionell devianter Personen innerhalb der Bevölkerung ausgegangen wer-

2167 Vgl. Schilling, Heinz: Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert. Ihre Stellung im Sozialgefüge und im religiösen Leben deutscher und englischer Städte, Gütersloh 1972 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 187), S. 131. 2168 Vgl. ebd., S. 121. 2169 Andersherum wäre zu überlegen, ob Braunschweig möglicherweise – ähnlich wie Lübeck – gerade aufgrund der Ausgrenzungspolitik den wirtschaftlichen Anschluss verpasst hat. So stammten in Hamburg um 1619 bereits 2/3 der reichsten Kaufleute aus den Niederlanden. Vgl. Hammel-Kiesow, Glaubenspolitik, S. 294. Zu ähnlichen Überlegungen hinsichtlich Lübecks vgl. ebd., S. 300ff. Für Braunschweig fehlen entpsrechende Untersuchungen. 2170 Vgl. Arnold, Martin: Die mauritianische Reform in Eschwege. Landesherrliche Konfessionspolitik und bürgerschaftlicher Widerstand, in: Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde 111 (2006), S. 64–84, hier S. 78.

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den kann, die das junge Kirchenwesen durchaus noch gefährdete,2171 waren die Glaubensabweichungen der zweiten Jahrhunderthälfte anderer Natur: Hier handelte es sich eher um Einzelfälle innerhalb jener bildungsbürgerlichen Schichten, die sich verstärkt mit den dogmatischen Fragen des Luthertums auseinandersetzten – vielfach waren dies Lehrer, seltener auch Bildungsbürger aus Patriziat und Kaufmannschaft. Eine wirkliche »Gefahr« für die Einheit der neuen Braunschweiger Stadtkirche stellten diese vereinzelten »Störfälle« seit Mitte der 1530er Jahre allerdings bis in die 1590er Jahre zu keinem Zeitpunkt mehr dar: Einen größeren Einfluss auf die städtische Kirchenpolitik konnten sie jedenfalls nicht erlangen. Noch das gesamte 17. Jahrhundert hindurch sollte den Reformierten die Ausübung des Gottesdienstes in Braunschweig verwehrt bleiben.2172 Erst 1704 gestattete Herzog Anton Ulrich den mittlerweile zwölf ansässigen reformierten Familien Braunschweigs die öffentliche Ausübung des Gottesdienstes und leitete damit eine rasche gegenseitige Annäherung ein, die seit 1708 u. a. auch interkonfessionelle Ehen, Bürgerrecht und Gilderecht beinhaltete.2173 Das noch im 16. und frühen 17. Jahrhundert so streng orthodoxe Braunschweig nahm damit im

2171 So wurden z. B. allein im Jahr 1534 immerhin 42 Einwohner als »Sakramentarier« vorgeladen. 2172 Die wenigen, seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts immerhin geduldeten Reformierten, mussten das Abendmahl bis 1704 auswärts empfangen – zunächst in Halberstadt, später in Hornburg. Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 79–80. 2173 Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 80. Auch StadtA BS, C VI Nr. 321. Am 20. 8. 1704 fand in der zur Kirche geweihten Bibliothek des Grauen Hofes der erste reformierte Gottesdienst mit Abendmahlsempfang statt. Am Gottesdienst nahm auch die seit 1689 eingewanderte, französische Gemeinde der Hugenotten teil. 1708 erhielten die französische und die deutsche Gemeinde vom Herzog dann gemeinsam die ehemalige Kapelle St. Bartholomäus als neue Pfarrkirche. Verwaltet wurde diese fortan durch ein Presbyterium, das der Gemeinde auch neue Predigerkandidaten vorschlug. Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 81– 82. Begleitet wurde dies von einem erneuten Toleranzedikt des Herzogs (1708), das die Reformierten den Lutheranern rechtlich nahezu vollständig gleichstellte: So z. B. bezüglich Bürgerrecht, Gilderecht, Ämterrecht, Steuerrecht sowie dem Excercicium religionis. Vgl. das Toleranzedikt unter StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 300–315. Das Edikt von 1747, nach welchem die sämmtlichen Einwohner Reformirter Religion denen Landes=Eingesessenen durchaus gleich geachtet werden sollten, erweiterte diese Privilegien noch einmal. Vgl. das Zitat im Edikt unter VD18 10930892, pag. 7. Um 1796 umfasste die deutsche Gemeinde laut Ribbentrop ca. 280–300, die französische ca. 60–70 Mitglieder (Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 86–87), obgleich Beuleke um 1750 ca. 250 Hugenotten und 400 Deutschreformierte annimmt (s. u.). Um 1796 heirateten sich Lutheraner und Reformierte bereits ohne Bedenken. Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 64. Dazu auch z. B. die Hochzeit eines Lutheraners und einer Reformierten (1741) vgl. StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 357. Zu den Hugenotten in Braunschweig vgl. Beuleke, Wilhelm: Die Hugenottengemeinde Braunschweig III, in: BsJb 44 (1963), S. 85–118, hier S. 102. Vgl. auch Beulekes weitere Aufsätze Teil I–IV im BsJb 1961–1964.

Altgläubige nach 1528

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norddeutschen Raum erstaunlicherweise eine Vorreiterrolle in der frühaufklärerischen Glaubenstoleranz ein.2174

3.5

Altgläubige nach 1528

Also hatte die kirche zw Braunschweich gar ein erbarmlich ansehen, die weill das volck also zur deillett war[;] die papisten gingen nicht zw der kirchen, vil weniger zw der apsolutionn vnd sacramenth, die zwinglianer helden sich allen zw iren preddigern, vnd was noch von frommen vnd bestendigen kristen vor handen waren, worden auch zum deil geergerth vnd ihre gmeacht.2175

Prediger Heinrich Lampe zeichnet hier in seinen Erinnerungen ein außerordentlich düsteres Bild von der Braunschweiger Kirche um 1529. Und tatsächlich wurde es um Ostern 1529 für den Rat zunächst noch einmal heikel: Eine größere Gruppe verärgerter Katholiken hatte sich vor dem Rathaus versammelt, um mit dem Rat hinsichtlich des weiteren Vorgehens in Kirchensachen zu sprechen (10. 3. 1529).2176 Schließlich ließen sich die Versammelten durch den Rat dann aber doch beruhigen und eine gegenreformatorische Gefahr war vorerst gebannt – worum es in dieser Diskussion inhaltlich genau ging, ist leider nicht überliefert. In der Folge haben die Katholiken (anders als die innerprotestantischen »Glaubensabweichler«) rasch an Bedeutung verloren und waren ab Mitte der 1540er Jahre in der Öffentlichkeit quasi nicht mehr existent – obgleich es natürlich auch hier immer eine kleine Minderheit gegeben hat. Die entsprechenden Vorgänge sollen nachfolgend anhand der verschiedenen altgläubigen Gruppen (Laien, Mönche/Nonnen, Vikare, Pfarrherren) dargelegt werden.

2174 Zwar wurden in anderen Städten um 1700 auch reformierte Gemeinden gegründet, doch ließ die gewährte Toleranz meist zu wünschen übrig. Selbst das hart umkämpfte »Toleranzedikt« der Hamburger (1785) war nicht ansatzweise so tolerant wie das Toleranzedikt Anton Ulrichs (1708). Vgl. zu Hamburg: Whaley, Joachim: Religious Toleration and Social Change in Hamburg 1529–1819, Cambridge 1985 (= Cambridge studies in early modern history), S. 130ff. In Göttingen erfolgte die Gründung der reformierten Kirchengemeinde sogar erst 1751, die Fertigstellung der Kirche 1753, nachdem seit 1713 der Privatgottesdienst gestattet worden war. Vgl. Pitsch, Hans-Joachim: Die Geschichte der EvangelischReformierten Gemeinde Göttingen 1753–2003, in: Herlyn Ulfert (Hrsg.): 250 Jahre Evangelisch-Reformierte Gemeinde Göttingen. Festschrift, Göttingen 2003, S. 11–54, hier S. 12 u. 19. Die Reformierten in Hildesheim erhielten erst 1903 Gemeinderechte. Hannover und Hameln scheinen den Braunschweigern als Städte zwar vorangegangen zu sein: Hier gründeten sich die reformierten Gemeinden bereits 1697 bzw. 1690. Doch war die Situation der Reformierten dort weitaus weniger tolerant als in Braunschweig nach 1704. Vgl. Geyken, Frauke: 300 Jahre evangelisch-reformierte Kirchengemeinde Hannover 1703–2003. Festschrift zum Jubiläum, Langenhagen 2003, S. 39 u. 42. Zu Hameln vgl. ebd., S. 45. 2175 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 29. 2176 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 3v.

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Personen und Ämter im Spannungsfeld 1528–1599

3.5.1 Altgläubige Laien, Ratsherren und Kanoniker Hinsichtlich der Auseinandersetzungen mit den Altgläubigen war für das Stadtleben insbesondere die Zeit zwischen 1528 und 1530 brisant – jedenfalls wenn man den überlieferten Quellen Glauben schenken darf.2177 Mit gezielten Maßnahmen wurde daher anfangs versucht, Gottesdienst und Sakramentspende der Altgläubigen zu unterbinden – etwa indem man 1531 in der Altewiek das Weihwasser zusammentrug und damit vor allem neue katholische Taufen erschwerte.2178 Auch ließ man den Besuch des katholischen Stiftsgottesdienstes zu St. Blasius verbieten und die als »papistisch« geltenden Bücher systematisch zusammentragen. So kursierten z. B. bereits seit 1528 einige Exemplare des Neuen Testaments in der Übersetzung des katholischen Dresdener Hofkaplans Hieronymus Emser in Braunschweig. Interessanterweise muss es sich bei diesen Bänden noch um die oberdeutschen Ausgaben von 1527/28 gehandelt haben, denn die niederdeutsche Ausgabe erschien in Rostock bekanntlich erst 1530.2179 Da man Emsers Neues Testament unter Lutheranern zu unrecht als »papistisch« ansah,2180 verlangten bereits im Frühjahr 1529 die Hauptleute aller fünf Weichbilde, man solle strikt gegen die Ausgaben Emsers vorgehen.2181 So entschied sich denn der Rat auch schließlich im Frühjahr 1530, Emsers Neue Testamente bi den burmestern von husen to husen von einem jdern bi den eden, dar mede he dem rade vorwant, fordern zu lassen.2182 Allerdings reichte den Lutheranern dieses Vorgehen keinesfalls aus. Um die Katholiken in ihrem Einfluss zu beschneiden, begann man nach 1528, sie von offiziellen Posten und Ämtern gezielt zu entheben. Allerdings war ein abrupter Austausch sämtlicher Amtsträger und Eliten (die ja eine entsprechende Erfahrung aufwiesen) keine wirkliche Option. Als Beispiel seien hier die beiden städtischen Vögte2183 Albert Schwertfeger und Werner Koeten angeführt. Beide wurden schon im März 1529 von den Gemeinden als »Altgläubige« rundweg abgelehnt, wente se nicht cristlich na gods 2177 Vgl. hierzu auch den knappen Überblick von Jünke, Konfessionelle Minderheiten. 2178 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 26r: Jn de Oldenwigk de heimlich hefft dopen laten wilme darumb vor dem gemenen rade beschuldigen vnd dat he dat wi water to hope drege. 2179 Vgl. Sonderegger, Stefan: Geschichte deutschsprachiger Bibelübersetzungen in Grundzügen, in: Besch, Werner u. a. (Hrsgg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, 2. Auflage, 1. Teilband, Berlin/New York 1998 (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft), S. 229–283, hier S. 270. 2180 Die Übersetzung Emsers war jedoch eigentlich nur sprachlich dem Oberdeutschen angepasst und unterschied sich inhaltlich nur geringfügig von Luthers Übersetzung – welche Emser selbst für seine Arbeit genutzt hatte. 2181 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 107v. 2182 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 2v. 2183 Die Stadt besaß zwei Vögte: Vor der Untergerichtsreform (um 1530) war der eine für die Altstadt zuständig, der andere für die restlichen Weichbilde. Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 533.

Altgläubige nach 1528

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worde kunen richten.2184 Von nahezu allen Gilden und Gemeinden wurde daher in der Frühjahrsversammlung gefordert, Schwertfeger und Koeten umgehend ihrer Ämter zu entheben. Der Rat sah dies jedoch kritisch: Es wart bedacht, datme beider vogede vp ein mal to entsettende vmme gebrukes willen des gerichtes swerliken entraden mach.2185 Der Hagener Vogt, Werner Koeten, sollte daher nach Ansicht des Rates vorerst im Amt bleiben, während man den Altstädter Vogt (Schwertfeger) beurlauben ließ. Bereits wenige Tage später wurde mit Meine Busmann dann ein lutherisch gesinnter Bürger gefunden, der Schwertfeger zu ersetzen vermochte. Am 13. 4. 1529 ließ der Rat dies schließlich offiziell verkündigen.2186 Busmann, der einer durchaus respektablen Familie entstammte,2187 lässt sich denn auch noch bis mindestens 1553 als Gerichtsvogt nachweisen.2188 Obgleich sie eigentlich die Gemeinde vertreten sollten, so waren auch vereinzelte Hauptleute beim katholischen Glauben geblieben. Hierzu zählte u. a. der Patrizier Henning Pawel, den die Gemeinde 1529 aufgrund seines Glaubens henforder vor neinen vorspraken liden wollte.2189 Deneben waren auch Stadtwächter und Lehrer (1531) unter den Angeklagten. Ob die Betroffenen schließlich konvertierten oder ihre Ämter sämtlich neu besetzt wurden, geht aus den Quellen leider selten hervor. Vom Lehrer mester Berndt ist jedenfalls überliefert, dass er 1531 der Stadt verwiesen worden ist. Zweifellos konnte er als Katholik im Lehramt künftig nicht geduldet werden.2190 Der bischöfliche Offizial Johannes Kerckener blieb definitiv auch nach 1528 katholisch, was sich seinen eigenen Aufzeichnungen entnehmen lässt. Noch in den 1530er Jahren notierte er z. B. in seinen Notizen, als er sich privat mit dem Thema »Gottlosigkeit« auseinandersetzte: De godtloßenn werdenn, de godt leyff hebben, verfolgenn.2191 Allerdings wohnte er zunächst weiterhin im städtischen Offizialshaus. Wie oben bereits geschildert, war er bis 1541 offiziell im Amt – inwieweit er dieses aber noch tatsächlich ausübte, ist fraglich.

2184 2185 2186 2187

2188 2189 2190 2191

StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 115r. Ebd., Bl. 144r. Vgl. ebd., Bl. 176v u. Bl. 181r. Die Familie Busmann war in der Altstadt und Altewiek ansässig. Mit Hans Busmann saß 1515–41 ein Familienmitglied im Rat und war bis 1528 zugleich Altermann zu St. Martini. Frycke Busmann war 1566–72 Diakon zu St. Magnus, Zacharias Busmann 1590–91 Kastenherr zu St. Magnus und Henning Busmann seit 1598 Kastenherr zu St. Martini. Zu Meine Busmann vgl. auch überdies: StadtA BS, B IV 13a Nr. 25, Bl. 32r. Vgl. StadtA BS, B I 18, Nr. 1, Bl. 268v–269r (1553): Wen sie auch noch vor jr vbergehen, speie sie jnen nach, sonderlich dem vogte Meinen Busman […]. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 106v. Vgl. StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 7r. StadtA BS, B I 14 Nr. 6, Bl. 16v. Kerckener notierte darunter: Duth hebbe ick vth eynem herlikenn vnd nyen doctor gheschrevenn des nhamen my opp duth maell vorlopen, doch kann ick den nhamen woll bekomen, wan des nodich were.

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Personen und Ämter im Spannungsfeld 1528–1599

Informationen über die Katholiken der ersten Jahre nach 1528 haben sich überwiegend durch die Klagepropositionen der Gemeinden in den Ratsprotokollen überliefert. Entsprechend lückenhaft und bedingt aussagekräftig sind daher die folgenden Daten. Nur 37 Personen haben sich namentlich zwischen 1528–1541 in den Ratsprotokollen und anderen Quellen erhalten, die nachweislich als Katholiken identifiziert werden konnten.2192 Zwischen 1541 und 1599 sind keine Namen mehr überliefert, obgleich es nachweislich noch eine kleine altgläubige Minderheit in Braunschweig gegeben hat.2193 Unter den 37 Personen befinden sich lediglich fünf Frauen (13,51 %), deren Namen auch nur teils überliefert sind: Die Wertkenstedsche, Äbtissin Katharina Holle, Ilse vor dem Peters Tor, Anna Smalians sowie die Haushälterin des Kanonikers Steffen Borchert zu St. Blasius. Über die primäre soziale Herkunft der weiterhin dem alten Glauben anhängenden Einwohner lässt sich aus dieser geringen Personenzahl natürlich wenig sagen. Vom Prediger über den Bürgermeister, vom Alexiusbruder zum Torwächter und Handwerker: Alle Gesellschaftsschichten finden sich hier wieder.2194 Dass in den Klagen der Gemeinde vielfach die Namen von Patriziern genannt werden (~ 30 %), erstaunt letztendlich nicht. Gerade die Patrizier waren in wichtigen städtischen Ämtern vertreten, deren Ausübung man keinesfalls einem Katholiken belassen wollte. Über den »einfachen« Bürger klagte man indes vielleicht direkt vor dem Untergericht, seltener jedoch in den protokollarisch überlieferten Hauptversammlungen von Rat, Gildemeistern und Hauptleuten. Wie aber sah es nun im Rat nach 1528 aus, wenn doch offensichtlich viele der Patrizier nach wie vor dem alten Glauben anhingen? Obgleich Spieß, Schilling und nach ihm vor allem Mörke hier bereits wegweisende Untersuchungen vorgelegt haben, lohnt es sich doch, an dieser Stelle noch einige neue Erkenntnisse zu ergänzen. Im Winter 1529/30 wurden bekanntermaßen 29 der 103 Ratsherren neu ins Amt gewählt. Konsequenterweise wurde diese »Ratsläuterung« (Schilling/Mörke) als ein einmaliger Ausschluss sämtlicher Katholiken vom Rat an-

2192 Vgl. Tabelle 1. Bewusst wurden hier die Namen der 21 im November 1529 entsetzten Ratsherren ausgelassen und nur dann erwähnt, wenn sie als dezidiert katholisch in den Protokollen beklagt wurden. Gleiches gilt für die Klöster und Stifte. Zu den Gründen s. u. 2193 Vgl. z. B. StadtA BS, B IV 11 Nr. 239, pag. 44 (1555): Men hat jtzunds noch (layder) veel papisten hyr. StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 131v (1564): […] Wie nicht fur langer zeyt, in ainem furnehmen weichbild ain man fur ain kastenherren furgeschlagen […] derselbige sein lebelang nie beym sacrament, vnd […] ain bapist gewesen. Auch: StadtA BS, B I 4 Nr. 75, Bl. 233r–240r. Dort heißt es (Bl. 233r) im Streit um die Bewilligung eines Epitaphs (1577): Zum sechstenn das epithaphium canonici Galli anlangt wüste man […], das derselbige ein papist vnd ein offentlicher lesterer des sacraments vnd ehestandes gewesenn. Auch: StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 51r (1611). 2194 Vgl. Tabelle 1 im Anhang.

Altgläubige nach 1528

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gesehen.2195 Täuble konnte dementsprechend sogar die gewagte These äußern: »Im Rat der Stadt waren seit Januar 1530 keine Katholiken mehr vertreten.«2196 Tatsächlich lassen sich aber drei durchaus unterschiedliche Gruppen von Ratsherren ausmachen: Jene Ratsherren, die aufgrund ihres altgläubigen Fanatismus bereits vor der ordentlichen Abdankung im November 1529 zurücktreten mussten oder aus der Stadt wichen; jene, die bei der regulären Wahl im Winter 1529/30 abdankten (bzw. abgedankt wurden) und schließlich jene Minderheit, die sogar über das Jahr 1530 hinaus im Rat blieb – trotz ihres katholischen Glaubens. Betrachtet man die Liste der 1529 ausgeschiedenen Ratsherren, so fällt auf, dass lediglich 21 Ratsherren abdankten, jedoch 29 im Folgejahr neu gewählt wurden.2197 Obgleich bisher angenommen wurde, dass die restlichen Ratsherren aus üblichen Gründen (Krankheit, Alter, etc.) abgedankt worden sein müssen, so stellt sich doch bei näherer Analyse heraus, dass einige dieser acht Ratsherren gar nicht abdanken konnten, da sie den Rat bereits vor November 1529 aus Glaubensgründen verlassen hatten. Hierzu zählte u. a. der Ratsherr Henning Kalm aus dem Hagen. Dieser war (vor) März 1529 heimlich von hir getogen und hatte damit sine borgerschop vorlathen und verwirkt.2198 Dass dies vermutlich aufgrund seiner streng katholischen Haltung geschah, macht sein Testament von 1531 deutlich: In diesem ordnete er Vigilien und Seelenmessen in den Klöstern Dorstadt, Wienhusen, Heiningen und Heiligen Kreuz an.2199 Ähnliches gilt für den Kämmerer der Neustadt, Cort Schorkop d.J. Dieser war keinesfalls bereits 1527 aus dem Rat zurückgetreten, wie bei Spieß angegeben,2200 sondern er stand als glühender Katholik auch Anfang 1529 noch in Amt und Würden. Er kann wohl als einer der radikalsten Anhänger des alten Glaubens im Rat angesehen werden. So hatte sich Cordt Schorkop openthlik horen laten, dat vnse gekesede dener der evangelii, de superattendente vnd syn adiutor, dar to aller ander erwelde dener jn den parren ore predige dar hen richten […] vnd loggen vor de warheit predighenn. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass er jtliker schrifte heft laten vtgan wedder de reine leer Cristi.2201 Die Gemeinde verlangte, er solle seine Ansichten mit der Heiligen Schrift erweisen, andernfalls müsse er von Amt und Würden zurücktreten.2202 Unter den Ratsherren, die 1529 abdankten, ist Cort Schorkop nicht zu finden; er 2195 2196 2197 2198 2199 2200 2201

Vgl. Schilling, Elite, S. 266 sowie Mörke, Rat und Bürger, S. 284. Täuble, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 130. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 2. Auch Spieß, Ratsherren, S. 36–37. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 150r. Vgl. Rahn, Bruderschaften, S. 164 u. 262. Vgl. Spieß, Ratsherren, S. 209. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 130v. Dass Schorkopp zu diesem Zeitpunkt noch Kämmerer war, zeigt die zeitgleiche Klage, dass de kemmer Cordt Schorkop goddes wort muntlick ok schrifftlick lestern würde. Ebd., Bl. 108v. 2202 Vgl. ebd., Bl. 121r.

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Personen und Ämter im Spannungsfeld 1528–1599

muss – trotz Fürsprache des Rates – auf massiven Druck der Bevölkerung schon vor dem Andreastag 1529 zurückgetreten sein. In der Ratsperiode 1530–33 taucht er jedenfalls nicht mehr auf. Allerdings blieb er immerhin in der Stadt wohnen, denn noch 1531 handelte der Rat mit ihm bezüglich mehrerer Memorien.2203 Gleiches gilt ebenfalls für den Hagener Bürgermeister Hans Schrader. Dieser dankte (vermutlich im Frühjahr/Sommer) 1529 vorzeitig ab, da er dem alten Glauben anhing. Die Gemeinde bat daraufhin, dat mehn eynen andernn dem godlyken worde günstich yn sin ammeth wille erwelen.2204 Ein weiterer Ratsherr, der noch vor der offiziellen Wahl im November 1529 abdankte, ist der Säcker Bürgermeister Dietrich/Dirk Friegenhagen. Auch bei ihm kommt Spieß aufgrund der Tatsache, dass sich Friegenhagen nicht auf jener Liste der im November 1529 abgedankten Ratsherren befindet, zum Schluss, dass er in der vorherigen Wahlperiode (1527) bereits abgedankt haben müsse.2205 Tatsächlich war Frigenhagen bei Abschluss der KO aber noch im Amt. Als ebenfalls glühender Katholik konnte er die nächste Ratswahl jedoch nicht mehr abwarten und trat im März 1529 von seinen Ämtern zurück: Bormester Dyrck Frienhagen, nach deme he gedankt hefft, szo nehmen gylde vnd gemeyne den danck goetlyken an, vnd danken one ock wedder vme.2206 Die Bürger sahen das eigenwillige Abdanken und Verlassen der Stadt durch ihre Ratsherren teils nur widerwillig, auch wenn es sich hierbei um Altgläubige handelte. So verlangten im April 1529 die Altstädter Hauptleute im Namen ihrer Gemeinde: Sze bidden vnd begeren ok, dat eyn e[hrbar] radt den radespersonen, so vth der stadt gheweken, vpt forderlickeste schriven, dat sick ore e[hrwürden] wedder vmme thor stede vorfoigen.2207 Die Neustädter und Säcker schlossen sich dem Gesuch an. Anhand der vier obigen Beispiele wird deutlich, dass es eine kleine Gruppe von vier bis acht Ratsherren gegeben hat, die bereits vor der offiziellen Ratsneuwahl im Winter 1529/30 abdankten bzw. aus der Stadt wichen. Man kann an den Klagen der Bürger deutlich erkennen warum: Alle diese Ratsherren waren strikte Katholiken, wetterten teils öffentlich gegen die lutherischen Prediger und ließen – wie im Falle von Cord Schorkop – sogar antilutherische Streitschriften ausgehen. Dass diese strengen Katholiken nicht im Rat zur Festigung der Reformation beitragen wollten, versteht sich von selbst. Zwar war natürlich auch der mehrheitlich lutherisch gesinnte Rat nicht erfreut über das kämpferische Verhalten seiner katholischen Kollegen – abdanken lassen wollte man sie indes nur ungern und tat es schließlich nur aufgrund des Drucks von Gilden und Gemeinden. Die Ursache hierfür ist recht offensichtlich. Bereits die oben be2203 2204 2205 2206 2207

Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 27r. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 115r. Vgl. Spieß, Ratsherren, S. 110. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 125r. Ebd., Bl. 174r.

Altgläubige nach 1528

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schriebenen Personen vertraten zentrale Ämter: Schrader war Großer Bürgermeister im Hagen, Friegenhagen war Säcker Bürgermeister und Schorkop bekleidete das wichtige Amt des Neustädter Kämmerers. Hinzu kamen die üblichen städtischen Ämter (z. B. Bauherr, Mühlenherr, Zollherr, etc.). Mit Ausscheiden der Ratsherren vor der regulären Wahl blieben diese zentralen Ämter für längere Zeit unbesetzt, bis im Januar 1530 wieder neue Ratsherren hinzugewählt werden konnten. Gerade in der so schwierigen Zeit um 1529 nahm man solche Vakanzen obrigkeitlicherseits wohl nur ungern in Kauf. Die zweite Gruppe an katholischen Ratsherren zeichnet jene Amtsträger aus, die zwar eindeutig katholischen Glaubens waren, aber dennoch bis zur Ratsabdankung Ende 1529 regulär im Amt blieben. Dies dürfte auf die meisten der 21 Ratsherren zugetroffen haben, welche schließlich gemäß einer Liste von 1529 ordnungsgemäß und oren eren vnschetlig entlassen wurden.2208 Aus der Altstadt hat sich überdies eine spätere Aufzeichnung erhalten, welche bei fünf der dortigen Ratsherren explizit angibt, sie wären 1529 im novemb: wegenn ihrer beharlichen verthedigung der pabstlichen religion des rathstuels entsetzet vndt andere ann ihre stelle erkoren.2209 Es handelt sich hierbei um Bartold Lafferdes, Bodo Glümer, Hans Dammann, Hans von Vechelde und Arndt Volckmerodt.2210 Letzterer wird auch in der Chronik des Predigers Lampe als rechter papiste bezeichnet.2211 Die dritte Gruppe schließlich ist in der Forschung bisher – nicht nur für Braunschweig – stark vernachlässigt worden. Es handelt sich dabei um jene Ratsherren, die zwar katholisch blieben, diesen Glauben nach außen aber nicht exzessiv vertraten und dadurch weiterhin in Amt und Würden bleiben konnten. Natrürlich musste es sich dabei um eine klare Minderheit der Ratsherren handeln, außerdem lässt sich der »private« Glaube der Ratsherren oft nur schwerlich nachvollziehen.2212 Daher ist es nicht erstaunlich, dass über diese Gruppe für Braunschweig bisher nichts bekannt geworden ist. Als der Rat 1538 »einstimmig« die Verweisung zweier katholischer Priester verfügte, meinte Herzog Heinrich 2208 StadtA BS, B IV 11 Nr. 2. Die oben genannten Ratsherren befinden sich, wie gesagt, nicht auf dieser Liste. 2209 StadtA BS, H IV Nr. 282 [o.P.]. Siehe die Ratsherrenliste von 1527. 2210 Diese Personen stimmen lediglich großteils mit der obigen Liste der entsetzten Ratspersonen von 1529 (B IV 11 Nr. 2) überein. Vermutlich wurde statt Hans Dammann auf der Liste aus Versehen Henning Rode verzeichnet (vgl. Spieß, Ratsherren, S. 37). Der auf der Entsetzungsliste (B IV 11 Nr. 2) stehende Hans Monkemeyer ist laut der späteren Ratsherrenliste (H IV Nr. 282) allerdings erst im Folgejahr gestorben. Eine der Quellen scheint demnach fehlerhaft zu sein. 2211 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 13. 2212 Einblicke in die Glaubenshaltung der Bürger nach 1528, etwa anhand von Testamenten wie im Fall des Hennig Kalm, bilden eher die glückliche Ausnahme. Vgl. Rahn, Bruderschaften, S. 164 u. 262.

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aus sicherer Quelle belegen zu können, dass es aller vnd jeder rats personen will vnd mainung nit gewesen sei.2213 Er dürfte damit wohl nicht unrecht gehabt haben. Denn noch 1541 lässt sich eine kleine katholische Minderheit durch die Aussagen zweier altgedienter Ratsherren nachweisen. Im Dezember dieses Jahres wollten wie üblich einige Ratsherren abdanken. Darunter waren auch die dem Patriziat entstammenden Ratsherren Gerke Pawel und Weddege Velstede. Beide waren schon vor 1528 im Amt gewesen und begründeten ihr Rücktrittsgesuch damit, dass sie die derzeitige Politik des Rates aufgrund ihres katholischen Glaubens nicht weiter tragen könnten. Bürgermeister Gerke Pawel2214 gab an, er könne darum nicht weiterregieren, dat he noch der olden religion were vnd jn betrachtunge des wes curf[ürsten] fursten vnd andere religions vorwanten oculj vergangen 38 alhie voravschedit hedden.2215 Auch Velstede wollte abdanken, darumb dat he der olden religion geneigt.2216 Dass die religiöse Anschauung von beiden Ratsherren nur als Vorwand zur Abdankung genommen wurde, lässt sich natürlich nicht ausschließen. Zweifellos waren aber beide noch nach wie vor katholisch, denn sicherlich hätte ein Bürger in der Mitte des 16. Jahrhunderts kaum einen anderen Glauben vorgegeben, nur um vom Ratsamt abdanken zu dürfen. Überdies wurde hinsichtlich Pawels vp sine person geredet, dass jd to Bruns[chweig] nicht konde gudt werden, dewile he jm regimente were.2217 Auch dies mag sich – den politischen Umständen entsprechend – auf seinen katholischen Glauben bezogen haben. Es stellt sich nun allerdings die Frage, warum der Sinneswandel so plötzlich erfolgte, nachdem beide Ratsherren doch bereits über ein Jahrzehnt unter einem lutherischen Regiment gedient hatten. Sofern bei dieser Abdankung tatsächlich konfessionelle Ursachen maßgeblich waren, lässt sich dies vor allem mit der oben 2213 StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 56v. 2214 Wie Deufert bzgl. Gerke Pawel zur unbelegten Aussage »1528 vollzog er den Übertritt zur Lehre Martin Luthers« kommt, ist schleierhaft. Vermutlich beruht diese Angabe lediglich auf der Annahme, dass alle über 1529 hinaus regierenden Ratsherren zwangsläufig seit 1528 Lutheraner gewesen sein müssen. Vgl. Deufert, Diane: Matthias Bergius (1536–1592): Antike Dichtungstradition im konfessionellen Zeitalter, Göttingen 2011 (= Hypomnemata: Untersuchungen zur Antike und ihrem Nachleben, 186), S. 107 [Fußnote]. Zu G. Pawels Epitaphium von 1555, laut welchem er ein gottgefälliges Leben geführt habe, vgl. Wehking, Inschriften, S. 46f. Pawel setzte sich laut Epitaph »ob gravis caussas« zur Ruhe (S. 47), also aufgrund schwerwiegendener Ursachen. Vgl. darüber hinaus auch Spieß, Ratsherren, S. 176. Nach den Angaben eines späteren Chronisten (Andreas Pawel) hat Gerke Pawel wegenn seines hohen alters abgedancket donnerßtags na den wynachten anno 1541. Vgl. StadtA BS, H IV Nr. 282 [o.P.]. Liste von 1539. 2215 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 226v. Pawel spielt auf den Bundestag der Schmalkaldener an, der im April 1538 zu Braunschweig abgehalten wurde. Insbesondere in der Kirchengüterfrage wurden hier wegweisende Entschlüsse verabschiedet. 2216 Ebd., Bl. 227r. 2217 Ebd., Bl. 226v.

Altgläubige nach 1528

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bereits zitierten Kirchengüterpolitik des Schmalkaldischen Bundes (seit 1538) erklären. Aufgrund der Rückendeckung des Bundes hatte Braunschweig den Katholiken mit Schließung der Stiftskirche St. Blasius (9. 10. 1540) die letzte Möglichkeit genommen, einem katholischen Gottesdienst beizuwohnen2218 – auch wenn dies natürlich schon seit November 1529 unter Strafe stand und 1539 nochmals unter Androhung der Verbannung verboten wurde.2219 Es ist möglich, dass den Ratsherren Pawel und Velstede dies zu weit ging, insbesondere, da man städtischerseits bereits einen Angriff auf den katholischen Fürsten Heinrich d.J. plante. Allerdings muss es an dieser Stelle bei Spekulationen belassen werden – die tatsächlichen Gründe der späten Abdankung bleiben wohl im Dunkeln, ebenso die Frage, weshalb der lutherische Rat eine katholische Minderheit über solch lange Zeit hinweg geduldet hat. Nachdem der Rat aber um 1530 (bis auf obige Ausnahmen) weitestgehend konfessionell homogen geworden war, bestand in den 1530er und frühen 1540er Jahren vor allem Konfliktpotenzial durch die beiden katholischen Kollegiatstifte.2220 Während in Nachbarstädten wie Lüneburg nach der Reformation vornehmlich Kapellen für den altgläubigen Gottesdienst genutzt wurden,2221 bedienten sich die Katholiken in Braunschweig nach 1528 des Gottesdienstes an der Stiftskirche St. Blasii. Noch 1536 wurden jtlige borger vnd borgeschen, de jn der borch tor ersten misse tor kost gewesen waren, verhaftet und mit Einlager bestraft.2222 Obgleich die Stiftsherren daraufhin zusagten, sich wenigstens der geistlichen Tätigkeit innerhalb der Stadt zu enthalten, wurde dies doch nicht beachtet.2223 Im selben Jahr musste auch Urbanus Rhegius den Protestanten schriftlich beistehen, da es innerhalb der Bürgerschaft offensichtlich nach wie vor viele Altgläubige gab, derer man sich argumentativ nicht zu erwehren wusste. Aus diesem Grund wandte sich der Bürger Heyse Oschersleben an Rhegius und erbat sich Hilfe. Obwohl Rhegius selbst meinte, dass es nicht von nöten were/ mir gen Zell/ vmb einerley bericht/ oder verantwortung zu schreiben, wurde sein Antwortschreiben letztlich doch als so wichtig erachtet, dass die Schrift 1536 in 2218 Vgl. NLA HA, Cal. Br. 21, Nr. 406 [o.P.], Bl. 1r [eig. Pag.]. Dazu Kapitel 2.2.4. 2219 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 79r (1539): […] ein vormeint vnd nichtig verpott, das sie sich des kirchengangs in der thumbkirchen hinfuro bei vermeidung der vorfestung enthalten sollen gethan, vnd das ewer burmeister einer ettliche personen aus bemelter thumbkirchen gefuret, vnd ettlichen die mentel genomen […]. 2220 Für 1531 lässt sich überdies mehrfach die Bitte der Gemeinden finden, dass de vorsamelinge, so dorch de gotlosen gheholden, moge affgeschaffet werden. Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 9r. Es gab also auch zu diesem Zeitpunkt noch eine substantielle Minderheit an Katholiken in der Stadt. 2221 Vgl. dazu die neuerlichen Erkenntnisse in: Cordes, Politik, S. 678. 2222 StadtA BS, H V Nr. 217, pag. 143. 2223 StadtA BS, B I 3 Nr. 6, pag. 99ff. Eher wohl eine Zusage denn ein Vertrag. Er lässt sich entsprechend auch nicht finden.

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Personen und Ämter im Spannungsfeld 1528–1599

den Druck gegeben wurde.2224 Rhegius kam bei seiner Beantwortung der altgläubigen Argumente freilich nicht ohne Hohn aus: Wo haben die Papisten jre sinn hin gethan/ Jch mein sie schicken sie gehen Rom/ vmb Ablas brieff.2225 Auch mit dem altgläubigen Stiftskapitel St. Blasius blieb das Verhältnis angespannt. So ließ der Rat im August 1538 zwei Kapläne von St. Blasius verfesten, weil sie dem Bürger Heinrich Zweidorf das Sakrament in einerlei Gestalt gereicht hatten. Auch wurde von der Stadt hinsichtlich der Stifte moniert, das zu zeitten jhre glieder die burger vnd burgerschen an sich gezogen mit vngegrunter lehr, beichthoren vnd reichunge der sacrament vff jhre weise versehen vnd versorgen wollen.2226 1539 wurden von den städtischen Bauermeistern ettliche personen aus bemelter thumbkirchen gefuret, vnd ettlichen die mentel genomen.2227 Es scheint damit auch um 1540 noch einige Braunschweiger gegeben zu haben, die dem katholischen Gottesdienst im Dom beiwohnten. In der Folge wurden bis 1542 zahlreiche weitere Stiftsmitglieder und deren Anhänger verwiesen, darunter z. B. Steffen Borchert und dessen Haushälterin (1538)2228 sowie der Pfarrherr zu St. Blasius (1540).2229 1542 begann sodann mit der Reformation beider Stifte die Beseitigung der letzten altgläubigen Institutionen. Von konkreten Anklagen oder Stadtverweisen der Katholiken hört man anschließend nichts mehr. Jünke nimmt folglich wohl zu recht an: »Die 1528 jedenfalls noch deutlich fassbare Opposition gegen Bugenhagens Kirchenordnung war damit in knapp zwanzig Jahren weitestgehend

2224 Rhegius, Urbanus: Verantwortung dreyer gegenwurff der Papisten zu Braunswig, dar jnn fast jr gröster grund ligt/ zu dienst dem Ersamen Heisen Oschersleven/ D. Vrbanum Regium/ Celle Saxonum, Wittenberg 1536 [VD16 R 1995], Bl. Aiijr. 2225 Ebd., Bl. Aiijr. Die antilutherischen Argumentationen der Braunschweiger Papisten beruhten laut Rhegius’ Schrift vornehmlich auf drei wesentlichen Punkten: 1. Christus habe die Welt durch sein Opfer nicht von den nachfolgenden, sondern lediglich von den vergangenen Sünden (= Erbsünde) erlöst. 2. Die Lutheraner würden ihre Lehren nur auf Holz, Heu und Stroh bauen. 3. Evangelium und Kirche würden sich ergänzen, nur wenn man beidem folge, werde man letztendlich selig. Rhegius bemühte sich in seiner Schrift, alle drei Anschuldigungen nach lutherischer Manier ausführlich zu widerlegen. Dabei stellte er den ersten Punkt als Gotteslästerung schlechthin dar (Bl. Biir: Jst das nicht Gotteslesterung/ was ist denn Gottes lesterung?). Wenn Christus uns nur von einem Teil der Sünden erlöst habe, so würde sich der Mensch (durch das Vollbringen guter Sühnewerke) der Macht Christus gleichsetzen. Zum zweiten Punkt gibt Rhegius den Rat, man solle dieses Argument als Angriff auf die grundlose Lehre von der katholischen Werkgerechtigkeit nehmen und es somit umkehren. Den letzten Punkt weist Rhegius als schlicht unschriftgemäß ab: Die kirchlichen Dogmen und Lehrsätze (z. B. Fastengebote, Weihe, Abendmahl in einerlei Gestalt) ließen sich demnach durch die Schrift nicht belegen. 2226 StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 44v. 2227 Ebd., Bl. 79r. 2228 Vgl. StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 15r. 2229 Ebd., Bl. 17r: Da er jn der borch jtlige borgerschen sub vna specie c[omun]icert hadde. Dazu auch: StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 269r. Schreiben von Rat an Herzog vom 20. 4. 1540.

Altgläubige nach 1528

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erloschen.«2230 Trotzdem kam es auch nach 1550 noch vereinzelt zu konfessionellen Störfällen. Mit der Reformation der Stifte und des Braunschweig-Wolfenbüttelschen Territoriums war der heranwachsenden Generation bis zum Ende der 1540er Jahre jeglicher Kontakt mit den katholischen Bräuchen verwehrt geblieben. Braunschweig lag zu dieser Zeit eingebettet in protestantische Territorien. Das »Fremde« und »Geheimnisvolle« des katholischen Glaubens zog daher gerade zu Beginn der 1550er Jahre anscheinend viele jüngere Knechte, Mägde und Bürgerkinder an, die nun in das erneut katholische Braunschweig-Wolfenbüttel liefen, um dort den Zeremonien beizuwohnen – wohl mehr aus Sensationsgier, denn aus innerer Glaubensüberzeugung. Der Rat sah sich 1556 genötigt, diese Praxis mittels Mandat zu untersagen, bei Strafe einer Verfestung. Die Bürger sollten nicht mehr aus der Stadt laufen, um firmung, kirchen wyhen, kinder einopffern, procession und anderes fürwitzes spectakel vndt schone spiel zu betrachten.2231 In der Zeit zwischen 1556 und 1568 hat sich keine Wiederholung des Mandats erhalten, das Phänomen mag bis dahin also abgeflaut sein und scheint nie ernsthaft »bedrohliche« Ausmaße für die lutherische Stadtkirche angenommen zu haben. Dass es in Braunschweig dennoch auch um 1555 noch einige Katholiken gegeben haben muss, belegen zeitgenössische Aussagen, obgleich sich keine Namen aus dieser Zeit überliefert haben.2232 Ab 1568 lösten sich die obigen Probleme aber dann von selbst, nachdem Braunschweig mit der endgültigen Reformation Braunschweig-Wolfenbüttels erneut vollständig von protestantischem Territorium umschlossen wurde. Die wenigen Hinweise auf Katholiken nach 1568 deuten nur auf eine marginale Minderheit innerhalb der Stadt hin, die öffentlich keinesfalls geduldet wurde. Jeden einzelnen Katholiken – meist wandernde Handwerksgesellen – ließ man umgehend nach dessen Bekanntwerden vor die Prediger oder das ganze Kolloquium laden – bei starrer Haltung musste er die Stadt verlassen.2233 Sofern Spieß’ 2230 Jünke, Konfessionelle Minderheiten, S. 124. Ähnlich sah es in Lüneburg aus: Demnach »blieb auch ein altgläubiges Lüneburg bis mindestens drei Jahrzehnte nach der Einführung der Reformation in der Stadt lebendig.« Vgl. Cordes, Politik, S. 725. 2231 StadtA BS, B IV 11 Nr. 20, Bl. 10r–10v. Auch: StadtA BS, B I 2 Nr. 5, pag. 84 sowie StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 47. 2232 So behauptete etwa der 1555 als »Sakramentarier« angeklagte Henning Kloth als Relativierung seines eigenen abweichenden Glaubens: Men hat jtzunds noch (layder) veel papisten hyr, dartho welck mensch is fullen kommen edder ahne irdom? StadtA BS, B IV 11 Nr. 239, Bl. 44r. 2233 Vgl. z. B. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 48v (1610): Weil man erfahre, das handwercksgesellen, so nicht vnser religion zugethan, sich auffenhalten alhir bey den bürgern, solle man sie erinnern, sie endweder abzuschaffen oder zu ermanen, das sie vnsere religion annemen möchten. Ebd., Bl. 51r (1611): Herr Joh. Limperty berichtet, wie er mitt einem gesellen auff der Höhe, so papistisch gewesen, geredet [… welcher] gesagt, er befahe sich, wo er von der pabstischen religion abetreten würde, würde jhn sein vater enderben, der wegen wole er lieber das weiteste nehmen und von hinnen ziehen, welches den geschehen.

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Angaben – nach denen einige Ratsherren seit 1590 als bekennende Katholiken starben – stimmen sollten, ist davon auszugehen, dass besagte Ratsherren entweder erst kurz vor ihrem Tod konvertiert sind oder ihren Glauben zu Lebzeiten geheim hielten. Andernfalls hätte man sie – jedenfalls in den 1590er Jahren – wohl kaum im Rat geduldet. Ohnehin dürfte die geduldete katholische Minderheit in den 1590er Jahren nicht sehr groß gewesen sein. Vermutlich wird sie jene des benachbarten Hamburg untertroffen haben: Hier kam der florentinische Gesandte Allessandro della Rocca 1592 anhand seiner Einschätzungen auf eine Anzahl von insgesamt 130–160 Katholiken.2234 Auch wenn man den »Papisten« zunehmend aufgeschlossener gegenübertrat,2235 konnte sich demnach wohl bis ins 17. Jahrhundert hinein keine nennenswerte katholische Minderheit in Braunschweig mehr etablieren. Dies sollte sich erst Anfang des 18. Jahrhunderts ändern: Seit 1708 wurden für die ca. 100 Braunschweiger Katholiken erstmals katholische Gottesdienste im Keller des Ägidienklosters und später im Sackkeller gestattet.2236 Als Herzog Anton Ulrich dann 1709 selbst zum Katholizismus übertrat, genehmigte er mit St. Nikolai den ersten katholischen Kirchenbau (1710–1712).2237 Noch 70 Jahre sollten indes vergehen, bis der Magistrat 1783 schließlich auch das Verbot zum Erwerb städtischen Grundbesitzes für Katholiken endgültig aufhob.2238

2234 Vgl. Whaley, Toleration, S. 48. Über Braunschweig liegen aus dieser Zeit leider keine Zahlen vor, hundert Jahre später, um 1700 beliefen sich die Katholiken dort auf ca. 100 Personen. Vgl. Woker, Geschichte, S. 419ff. 2235 Insbesondere in den Jahren nach 1618 lässt sich ein Wandel im Umgang mit den Katholiken konstatieren. Vermutlich ist dieser u. a. auf die größere kriegsbedingte Mobilität und die damit zunehmenden Kontakte zwischen Braunschweigern und Katholiken zurückzuführen (Offiziere, Soldaten, kaiserliche Gesandte, etc., die in den Protokollen vielfach auftauchen). So hatte z. B. Chemnitz 1571 katholische Taufpaten noch dezidiert untersagt (StadtA BS, B IV 11 Nr. 20, Bl. 58v), während man 1640, 1641 und 1644 Kindstaufen von Katholiken durchführte, deren Gevattern (1641 u. 1644) Katholiken waren. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, pag. 201, 208 u. 224. 2236 Dies übernahmen halberstädtische Franziskanermissionare. Vgl. Woker, Geschichte, S. 417–419. Zum Aufruhr, den diese neuen katholischen Gottesdienste in der Bevölkerung auslösten, vgl. ebd., S. 419. Zur Katholikenzahl in Braunschweig vgl. ebd., S. 445 u. 477: Sie stieg demnach von ca. 100 (1710), auf 500 (1724) und weiter auf 790 (1754) bis sie um 1800 knapp über 900 Personen umfasste. 2237 Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 88. Ausführlich dazu: Aschoff, Hans-Gerorg: »… daß ich anitzo eben so wenig ein grober katholischer Orthodoxe sei, als ich vorhin ein lutherischer bin gewesen.« Herzog Anton Ulrichs Stellung zur Religion und seine Konversion zum Katholizismus, in: BsJb 96 (2015), S. 27–55, hier: S. 44ff. Zur Beteiligung der Franziskaner an der Neuetablierung des Katholizismus in Braunschweig vgl. ausführlich Woker, Geschichte, S. 415ff. 2238 Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 88.

Altgläubige nach 1528

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3.5.2 Das Schicksal der Mönche und Nonnen Innerhalb der Katholiken bildeten die (vormaligen) Mönche eine besondere Gruppe. Mit der sukzessiven Auflösung der Klöster stellte sich für die ehemaligen Klosterinsassen nach 1528 zunehmend die Frage, wie sie ihr zukünftiges Leben ausgestalten sollten. Die KO lieferte diesbezüglich – wie in den KOO üblich – keinerlei Vorschläge.2239 Der Konvent des Ägidienklosters löste sich innerhalb von zehn Jahren nahezu gänzlich auf: Ende 1538 befanden sich lediglich noch zwei Mönche auf dem Klostergelände.2240 Die Mendikanten verschwanden ebenfalls bis spätestens 1540 vollständig aus der Stadt. Obgleich der Frauenkonvent zu St. Crucis letztlich doch nicht aufgelöst wurde, so traten doch auch dort anfänglich – mehr oder weniger freiwillig – zahlreiche Frauen aus dem Kloster aus. Was also geschah mit den ehemaligen Mönchen und Nonnen? Wurden sie in den Stadtverband integriert oder wanderten sie in katholische Gebiete aus? Die Frage ist für Braunschweig – wie für manch andere Stadt – nicht einfach zu beantworten.2241 Es haben sich jeweils nur Einzelschicksale überliefert, was tiefgreifende prosopographische Analysen verhindert. Weder kennt man die absolute Zahl der Mönche/Nonnen um 1528 noch einen Großteil der Namen. Trotzdem lässt sich anhand der Einzelschicksale das künftige Leben der Klosterbrüder und -schwestern durchaus erahnen. Die meisten Informationen haben sich über den Konvent zu St. Ägidien erhalten. Der erste Mönch – Gottschalk Kruse – trat aufgrund seiner lutherischen Neigung gezwungenermaßen bereits 1523 aus dem Kloster aus. Er wandte sich nach Celle und wirkte dort unter Ernst dem Bekenner als Reformator, ab 1527 arbeitete er bis zu seinem Tod (1540) als Superintendent in Harburg.2242 Der restliche Konvent begann sich hingegen wohl erst nach 1528 aufzulösen. Zehn Mönche dieser letzten Konventsbesetzung ließen sich namentlich fassen und weiterverfolgen.2243 Während hiervon vier Mönche nachweislich bis zu ihrem

2239 Es ist auffällig, wie wenig KOO Regelungen zum Umgang mit den städtischen Klöstern enthalten. Dort wo dies geschah (z. B. Lübeck), gab es später Schwierigkeiten, die Regelungen umzusetzen. So wurden wie in Braunschweig, auch in anderen Städten (z. B. Goslar) die Klöster erst durch spätere Ordnungen in den Stadtverband integriert. Ursache für diesen Umstand waren natürlich zumeist die Patrone der Klöster/Stifte. 2240 Vgl. NLA WF, 11 Alt Aegid Fb. 1 Nr. 17, Bl. 27rff. 2241 Vgl. Springer, Dominikaner, S. 341. 2242 Vgl. Krumwiede, Kirchengeschichte, S. 131. 2243 Abt Dietrich Koch, Prior Hermann Boeckheister, Tile Witmershagen (später Prior), Ludolf Bonen (Senior), Cord Zellermann, Borchard Becker, Bruder Steffen, Heinrich Ossenborn, Heinrich Lampe und Konrad Dreyer.

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Tod bzw. dem Ende des Klosters im Konvent verblieben,2244 wählten vier Konventuale (inkl. Abt) später den Beruf des (lutherischen) Predigers.2245 Der um 1485 geborene Dietrich Koch, Abt und Vorsteher des Klosters, reiste – mit Bewilligung des Kapitels – bereits 1529 nach Wittenberg, um dort zu studieren. Er hatte sich damit ganz offensichtlich selbst der lutherischen Lehre geöffnet und entfloh – nach eigenen Angaben – auch nicht dem Rat, sondern dem drohenden katholischen Herzog.2246 Dass Koch bereits seit den frühen 1520er Jahren mit der reformatorischen Strömung sympathisiert hatte, wird u. a. aus einer Flugschrift Andreas Bodensteins (Karlstadt) von 1521 ersichtlich, welche damals explizit dem Braunschweiger Abt gewidmet worden war.2247 Von Wittenberg begab sich Koch schließlich zurück nach Braunschweig, was den katholischen Herzog als Klosterpatron enorm verärgerte: Auf dem Gandersheimer Landtag von 1534 forderte Heinrich d.J. daher die Auslieferung des aidlosen protestantischen Abtes.2248 Der Rat lehnte dies jedoch ab.2249 Trotzdem beabsichtigte Koch nicht, wieder ins Kloster zu ziehen, sondern reiste weiter nach Magdeburg. Dort wirkte er einige Jahre als Prediger, wofür er vom Magdeburger Rat begnadet vnd versorget wurde.2250 Von den Klostergütern erhielt der – offiziell immer noch amtierende Abt – jedoch bis dahin nur eine kleine Leibrente als Unterstützung. Schon 1539 ließ Koch den Rat daher durch den Magdeburger Superintendenten Nikolaus von Amsdorf sowie den Hannoveraner Syndikus Levin von Emden fragen, ob er nicht eine angemessene Altersrente aus den Klostergütern erhalten könne.2251 Desgleichen schrieb er 1540 auch dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, der ebenfalls eine Bittschrift an den Rat ausgehen ließ: Da der Abt mittlerweile dem evangelio und christlichen religionbekenntnus anheng[e] und ein alter vorlebter vnd vnvermuglicher mann sei, solle der Rat ihn ausreichend versorgen.2252 Die Antworten des Rates haben sich indes nicht erhalten. Relevant wurde dieses Anliegen aber ohnehin erst, als Dietrich Koch 1541 sein Predigtamt (nach eigenen Angaben) nicht mehr ausüben konnte, der Magdeburger Rat aber zugleich nicht gewillt war, ihn dennoch standesgemäß zu versorgen. Mit seinen 66 Jahren fühlte sich der Abt nicht mehr in der Lage, 2244 Ludolf Bonen, Cord Zellermann, Borchard Becker und Bruder Steffen. 2245 Dietrich Koch, Heinrich Ossenborn, Heinrich Lampe und Konrad Dreyer. 2246 Vgl. den Brief des Abts von 1539. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 92r: […] wu ick anno vc xxix vmme nativitatis mariae des nu even x iar ist, do ick wolde ja wol moste mick affgeven vnde in meynem kloster nicht lenger konde bliven verfolgung halven vnde frochten [sic!] den landesforsten […]. 2247 Vgl. Bubenheimer, Thomas Müntzer Herkunft, S. 114. 2248 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 11v. 2249 Vgl. ebd., Bl. 24v: […] nu sein sie des abts nit richter gewesen. 2250 Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 94r. 2251 Das Schreiben Amsdorfs siehe ebd., Bl. 90r. 2252 Ebd., Bl. 20v. Schreiben vom 13. 4. 1540.

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weiter zu predigen und bat den Braunschweiger Rat daher, ihm aus den Klostergütern Unterstützung zu gewähren oder ihm wenigstens ein angenehmes Amt zu übertragen. Dies habe er ja während seiner Klosterzeit jn so felen jaren wohl durchaus verdient, selbst wen ick schone dar jnne eyn kock offte sluter gewest weyre.2253 Seine ganze Jugend habe er dem Kloster geopfert und jn deme so offel hengebracht vnd byn vme de gekommen.2254 Insofern sei eine Unterhaltszahlung aus jenen Klostergütern, denen er seine Jugend geopfert habe, durchaus angemessen. Der Rat konnte zwar Verständnis für den Abt aufbringen, musste ihm aber am 8. 4. 1541 durch seine Klostervorsteher mitteilen, dass er dusser tidt nene ampte bi sick [hätte] dar mede j[uwer] erw[urden] na orir gelegenheit vorsorgit werden mochte.2255 Die möglichen Dienststellen, welche für den Abt in Frage kämen, seien bereits besetzt und der Posten des reitenden Schreibers könne vom Abt aufgrund seines Alters sicherlich kaum ausgeübt werden. Lediglich eine kleine jährliche Rente könne man ihm aus dem Klostervermögen anbieten. Nach längeren Verhandlungen wurde Koch schließlich am 10. 10. 1542 eine jährliche Rente von 40 Gulden sowie vier Scheffel Gerste gestattet, hinzu kam eine Wohnung im Pfarrhaus zu St. Nikolai.2256 Als Gegenleistung trat der Abt offiziell von seinem Klosteramt zurück und übergab St. Ägidien mit allen Gütern und Gerechtsamen dem Rat. Tatsächlich wohnte Koch aber nur eyne zeit langk im Braunschweiger Pfarrhaus von St. Nikolai, da es angeblich zu baufällig war. Daraufhin musste sich der ehemalige Abt nach eigenen Angaben in das elende wenden und zog zurück nach Magdeburg.2257 Noch 1546 lässt er sich dort nachweisen.2258 1549 verstarb der finanziell und gesundheitlich angeschlagene Abt schließlich im Alter von 74 Jahren.2259 Der Prior zu St. Ägidien, Hermann Boeckheister (oder Bockheister), hatte sich vermutlich bereits in den frühen 1520er Jahren der lutherischen Lehre geöffnet.2260 Nach seinem frühen Ausstritt aus dem Kloster wandte er sich zunächst 2253 2254 2255 2256

2257 2258 2259 2260

Ebd., Bl. 94v. Ebd. Ebd., Bl. 94v [unpaginierter Zwischenzettel nach Bl. 94v]. Vgl. ebd. Bl. 190r. Eine weitere Abschrift des Vertrages findet sich unter StadtA BS, B I 2 Nr. 7, Bl. 307ff. Bei letzterer Abschrift vewundert das Jahresdatum dre vnd vertig anstatt twe vnd vertig. Es wird sich um einen Schreibfehler handeln. Wie allerdings Römer-Johannsen bzgl. des Vertragsdatums auf den 16. 10. 1542 kommt, ist schleierhaft. Der dinstdage na dionisij fiel 1542 jedenfalls auf den 10. 10. 1542. Vgl. Römer-Johannsen, St. Ägidien, S. 40. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 46v. Vgl. ebd., Bl. 49r. Zum Todesdatum vgl. Römer-Johannsen, St. Ägidien, S. 49. Zum Alter vgl. die obige Eigenangabe Kochs, nach welcher er 1541 bereits 66 Jahre alt war. Boeckheister selbst war es z. B., der den Mönch und späteren Celler Reformator Gottschalk Kruse vom lutherischen Ablasssermon in Kenntnis setzte und ihn zum Studium in Wittenberg ermunterte. Vgl. Hänselmann (Hrsg.), Unterrichtung, S. 16ff.

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nach Heiligendorf, wo er einige Jahre als Pfarrer wirkte. 1542 berief ihn die Altewiek schließlich zum Prediger an St. Magnus. In diesem Amt blieb Boeckheister bis zu seinem Tod im Jahr 1551.2261 Senior Ludolf Bonen übernahm seit den 1530er Jahren im Auftrag des Rates den Posten des Klosterprokurators: In diesem Amt musste er nachfolgend für den Rat sämtliche Zinsen und Renten des Klosters in Stadt und Fürstentum einziehen und verwalten, was der Herzog ihm, als Konventsmitglied auch in seinem Territorium noch gestattete. Vermutlich war Bonen zuvor Kämmerer im Konvent gewesen und kannte sich daher mit der Klosterwirtschaft aus, was sich der Rat zunutze machte. Am 24. 10. 1537 verstarb Bonen schließlich.2262 Die Mönche Heinrich Ossenborn, Heinrich Lampe2263 und Konrad Dreyer traten allesamt 1528–1529 aus dem Ägidienkloster aus und bewarben sich um Predigerstellen an den städtischen Pfarrkirchen. Dreyer wurde 1528 der erste Prediger der nunmehr städtischen Pfarrkirche St. Ägidien (deren Sprengel lediglich die Klosterfreiheit umfasste). Lampe übernahm 1529 kurzzeitig das Predigeramt in der Hospitalskirche St. Leonhard. Kurz darauf wurde er jedoch von seinem ehemaligen Mitbruder Heinrich Ossenborn abgelöst, der 1529 ebenfalls Prediger zu St. Leonhard wurde und dies bis 1531 blieb.2264 Nach 1531 wandte sich Ossenborn zunächst nach Winnigstedt (im Braunschweigischen Amt Asseburg) und wurde später nach Goslar berufen.2265 Einige der älteren Mönche blieben im Gegensatz zu ihren jüngeren Brüdern bis zu ihrem Tod im Kloster. Nachweisen lassen sich hier Cord Zellemann, Borchard Becker und Bruder Steffen: Alle drei Brüder ließen sich während der 1530er Jahre von den Gütern des Konvents versorgen. Sie erhielten Kleidung, Schuhe, Nahrung und gelegentliche Geldzuwendungen, besaßen gar eine eigene Hausmagd.2266 Dies wird den drei Mönchen vermutlich nur aufgrund ihres Alters gestattet worden sein – denn ein wirklicher Klosterkonvent im religiösen Sinne bestand zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr. Es handelte sich folglich in gewisser Hinsicht um eine Altersversorgung. Der Rat gewährte diese Unterstützung wohl auch nur deshalb, weil sich die verbliebenen drei Mönche vor solcher zeit/ zu vnser Christlichen Religion begeben.2267 Infirmus Borchard Becker, der 1534 nach dem Amtsantritt Bonens als Prokurator dessen Stelle als

2261 2262 2263 2264 2265 2266

Vgl. Beste, Album, S. 63. Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 16r. Nicht zu verwechseln mit dem gleichnahmigen Prediger und späteren Senior zu St. Magnus. Vgl. Beste, Album, S. 110. Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 99; auch Beste, Album, S. 110. Vgl. NLA WF, 11 Alt Aegid Fb. 1 Nr. 17, Bl. 27r ff. Zum Nachlassinventar Borchard Beckers: StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 126v. 2267 [o. A.], Warhafftige vorantwortunge, Bl. B iiijr.

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Senior übernommen hatte,2268 starb im Frühjahr 1538. Bis dahin hatte er sich weiterhin der Krankenpflege verschrieben und war daher von den Klostergütern unterhalten worden. Seine beiden Mitbrüder verließen nach Verhandlungen mit dem Rat im Winter 1539/40 das Kloster.2269 Ob dieser Klosteraustritt ganz freiwillig vonstatten gegangen ist, lässt sich anhand der differierenden Behauptungen von Herzog und Rat nicht eindeutig herausstellen. Der Rat behauptete jedenfalls in seinem Schreiben vom 14. 4. 1540: Wir haben auch die zwo personen, so zum closter gehort, dar auch nicht gedrungen, sunder vnrath zu vorsparen mit jhnen an freuntschafft gehandelt, das sie jerlichs ein genant kost gelt nach ohrem willen bekomen, vnd sich jres gefallens, darvon, an andern orten, die weil sie selbst jm closter lenger zu pleiben nit lust gehat, vnd lengst den habitt verlassen, redelichen vnterhalten mogen.2270

Der Herzog war anderer Ansicht und behauptete, man habe die Klosterpersonen von Seiten des Rates gegen ihren Willen daraus getrungen.2271 Da sich etwaige Darstellungen der zwei Mönche nicht erhalten haben, müssen die beiden Meinungen nebeneinander stehen gelassen werden. Man darf annehmen, dass die Brüder tatsächlich das Kloster verlassen mussten, da man dieses nun als Zeughaus nutzen wollte. Sicherlich wird die Stadt aber, wie es der Rat auch angedeutet hat, eine entsprechende Rente als Entschädigung ausgezahlt haben – schließlich hatte man die Mönche auch in den letzten zehn Jahren durch die Klostergüter ordentlich versorgt.2272 Von den beiden Mendikantenklöstern der Franziskaner und Dominikaner sind im Gegensatz zum Ägidienkloster nahezu keinerlei Aufzeichnungen erhalten geblieben.2273 Ob die Brüder ihre Urkunden beim Verlassen des Klosters mitgenommen haben, wie gelegentlich behauptet wird, sei dahingestellt.2274 In 2268 Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 232v u. Bl. 237r. 2269 Die Rechnungen weisen aus, dass Steffen und Zellermann bis Oktober 1539 im Kloster lebten. Vgl. NLA WF 11, Alt Aegid Fb. 1 Nr. 17, Bl. 25r. Da der Herzog am 7. 4. 1540 seine Klageschrift über die Auflösung des Konvents verfasste, müssen beide Brüder zwischen Oktober 1539 und April 1540 aus dem Kloster gewichen sein. Vgl. auch Römer, St. Ägidien, S. 40. 2270 StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 241v. 2271 Vgl. ebd., Bl. 236v. 2272 Vgl. dazu die Klosterrechnungen unter NLA WF 11, Alt Aegid Fb. 1 Nr. 17. 2273 Vgl. Steinführer, Urkundeninventar, S. 115. Von den 38 Urkunden, die im Paulinerinventar aus dem Jahr 1529 erwähnt werden, haben sich bis heute lediglich zwei erhalten. Vgl. ebd., S. 131–132. 2274 Dies vermutet z. B. ein späterer Geschichtsschreiber: »Den Verlust dieser Urkunden kann man wohl füglich in die Zeiten der Reformation sezzen [sic!]. Denn als Braunschweig zur lutherischen Religion überging, wurden alle diejenigen, welche sich zu dieser Religion nicht bekennen wolten, vertrieben. Unter diesen nun waren auch viele Mönche, welche bei der Räumung ihrer Klöster alles mit sich fortnahmen, was sie besonders intereßierte. Hauptsächlich aber waren dies die Urkunden, welche auf die Einnahmen ihrer Klöster Bezug

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einem Bericht Lampes heißt es lediglich: [W]er dar aber lust im chloster hette zw bleiben, der solte im closter vorsperth vnd vorschlossen werden vnd ihnen zw irer vnterhaltung zimlicher nottorff nach geschafft werden, aber wenich namen das an; die gelarth waren zogen in ander klosster vnd irer wenich lerten hantwercker.2275 Nur über vier Franziskaner haben sich weitere Informationen erhalten: Marten Barwardi, Hermann Eggerdes, Konrad Fröhlig und Eberhard Runge. Erstere drei sind offensichtlich auch nach Auflösung des Konvents vorerst in Braunschweig geblieben. Nach dem – durchaus noch erzwungenen – Austritt aus dem Franziskanerkloster im April 1529 nahm der Guardian des Konvents, Marten Barwardi, schnell den protestantischen Glauben an. Er kann zuvor wohl nicht lange Guardian gewesen sein, denn 1526 wurde er noch als einer der beiden Lektoren des Klosters genannt.2276 1534 war er mit Ilsebe Barwardi verheiratet und wirkte nach wie vor in Braunschweig.2277 Aufgrund seiner bereitwilligen Übernahme des protestantischen Glaubens erhielt Barwardi 1534 vom Rat vth sunderliker gunst vnd guder neginge ein Haus, in welchem er bis zu seinem Tod zinsfrei leben durfte.2278 Vermutlich schlug sich Barwardi weiterhin als Geistlicher durch. Seit den 1540er Jahren war er jedenfalls Inhaber der Obergischen Kommende am unlängst reformierten Blasiusstift und hielt in der Annenkapelle die horas piatas de B[eate] Marie Virgine.2279 Vom Franziskanermönch Konrad Fröhlig ist überliefert, dass er ebenfalls protestantisch wurde und 1531, im Alter von knapp 31 Jahren, das Predigeramt zu St. Andreas in Braunschweig übernahm. Er wirkte in dieser Position bis zu seinem Tod 1571.2280 Der 1526 als Vizeguardian2281 bezeichnete Hermann Eggerdes blieb offensichtlich auch nach seiner Vertreibung aus dem Kloster (April 1529) noch eine Zeit lang in Braunschweig. Jedenfalls quittierte er dem Rat zu Ostern 1530 den Erhalt von 10 Gulden, durch welche er jegliche materielle Besitzrechte am Franziskanerkloster (vor allem die pannen, evtl. Dachpfannen) aufgab.2282 Interessant hieran ist vor allem Eggerdes unbeholfene und fehlerhafte Handschrift,

2275 2276 2277 2278 2279 2280 2281 2282

hatten […].« Vgl. StadtA BS, H V Nr. 126 [o.P.]. Zweifelhaft ist diese Theorie insofern, als dass laut Aktenlage 1530 die Briefe und Siegel des Dominikanerklosters vp der mundte besloten in ener kisten lagen. Vgl. StadtA BS, B III 16 Nr. 15, Bl. 24r. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 15. Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 4, pag. 882. Vgl. StadtA BS, B I 3 Nr. 4,1, pag. 260. Ebd. NLA WF, 11 Alt Br, Nr. 391, Bl. 5v (Verzeichnis von 1548). Vgl. Beste, Album, S. 54. Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 4, pag. 882. Vgl. StadtA BS, A I 1 Nr. 1369.

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die ihn als wenig geübten Schreiber – trotz seiner ehemaligen Stellung als Vizeguardian – ausweist!2283 Der kämpferische Franziskaner Eberhard Runge, welcher vermutlich nur kurzzeitig in Braunschweig wirkte, entwich noch während der reformatorischen Wirren nach Hannover. Zuvor hatte er heftig wider die lutherische Lehre gepredigt, wenn auch ohne Erfolg.2284 Seit 1532 lässt er sich dann in Hannover als Prediger des dortigen Minoritenklosters nachweisen, von Kreter als »personifizierte[r] Vertreter der Altgläubigen« bezeichnet.2285 Hier wetterte er ebenfalls so unversöhnlich gegen die Lutheraner,2286 dass er sich schließlich aufgrund der zunehmend protestantischen Bürgerschaft gezwungen sah, aus der Stadt zu weichen.2287 Sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Von den Mönchen des Dominikanerklosters haben sich die vier Schicksale von Dr. Andreas2288 Lüder, Heinrich (Henricus) Kindermann, Heinrich Hagenau und Thomas Molitor überliefert. Ein Bruder Lüder ist 1526 als predicator principalis reverendus magister im Dominikanerkonvent bezeugt.2289 Nachdem er noch 1526/27 mit allen Kräften gegen die Reformation gepredigt hatte,2290 muss er um 1528/29 aus Braunschweig geflohen sein. Jedenfalls findet sich 1529 Doctor Lüder, ein Pauliner Münch auß Braunschweig, laut Hamelmann als antilutherischer Prediger im noch überwiegend katholischen Halberstadt wieder.2291 Hier wurde er schließlich Vikar des Dominikanerinnenklosters.2292 Heinrich Kindermann wandte sich nach Braunschweig-Wolfenbüttel und wurde dort katholi2283 Die Urkunde ist vom Stadtschreiber aufgesetzt, doch unterschrieb Eggerdes diese wie folgt mit sehr ungelenker Hand: Jck Heman Eggerdes wo vorghemelt hebbe tho mer wysßenheyt dusse quidtanßiy myt myner egen hayt hant vnder ghe screven. StadtA BS, A I 1 Nr. 1369. 2284 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 6: Jn disser selbigen zeitt preddigeden doctor Runge, ein wol beretter münich zw den brüdderen, vnd doctor Andreas zw den paulernn, disser doctor Runge, weil er vornam, das das folck der altkenkisthen fabelen von Sancte Frantzisckus müde war vnd von seinen historien nicht mer horen mochte, nam er die epistolam at romanuß für, vnd tractirde die auff seine münchesche weisse vnd arth […]. 2285 Kreter, Karljosef: Hannover – Franziskaner, in: Dolle, Joseph (Hrsg.): Niedersächsisches Klosterbuch, Teil 2, Bielefeld 2012, S. 571–575, hier S. 572. 2286 Unter anderem auch gegen die aus Braunschweig gerufenen Prediger Heinrich Winkel und Andreas Hoyer. Vgl. Hoppe, Rudolph Ludwig: Geschichte der Stadt Hannover, Hannover 1845, S. 105. 2287 Vgl. Hoppe, Geschichte, S. 106. 2288 Lampe spricht in seiner Chronik 1526 von einem Dr. Andreas (StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 6). Auch Rehtmeyer spricht von »Dr. Andreas Lüder«. Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 24. In den Provinzialakten von 1526 findet sich für Braunschweig indessen lediglich ein magister Wychmannus Luderi im Braunschweiger Konvent. Vgl. Löhr, Kapitel, S. 165. 2289 Löhr, Kapitel, S. 186. Hier ist aber nur ein Wichmann Lüder verzeichnet, kein »Andreas«. Vgl. auch S. 165. 2290 Vgl. Gasmerus, Oratio, Bl. B5iiv sowie Rehtmeyer, Historiae III, S. 24–25. 2291 Hamelmann, Secunda pars Historiae, Bl. 20r. Dazu auch: Langenbeck, Wilhelm: Geschichte der Reformation des Stiftes Halberstadt, Göttingen 1886, S. 27. 2292 Vgl. Löhr, Kapitel, S. 55*.

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scher Pfarrer in Erkenrode (Arkenrode). Nach der schmalkaldischen Besatzung musste er – wie auch die anderen Priester – gezwungenermaßen heiraten. Nach der Rückkehr Herzog Heinrichs versprach Kindermann 1551, künftig wieder der alten Religion gemäß zu predigen.2293 Noch 1568 lässt er sich in Erkenrode als Pfarrer nachweisen.2294 Heinrich Hagenau (Hinrici Hagenou conventus Brunswicensis) verstarb 1530 vermutlich noch im Kloster,2295 während Thomas Molitor bis 1534 aus dem sich auflösenden Braunschweiger Konvent in den Halberstädter Konvent wechselte.2296 Davon, dass tatsächlich ein Dominikaner das Handwerk in Braunschweig ergriffen hätte, wie bisweilen pauschal vermutet wurde,2297 ist in den Akten nichts überliefert. Was mit den weiteren Mönchen geschehen ist, die Braunschweig verließen, kann vielfach nur vermutet werden. Der Chronist Christoph Gercke schreibt hierzu jedenfalls: Die eingesperrete Münche und Nonnen, auch die sonsten abgeschaffet waren, namen ihre zuflucht zu Hertzog Heinrich dem Jüngeren, welcher dann sehr bittere schreiben anhero schickete […].2298 Die Vermutung des katholischen Herzogs als erstem Anlaufpunkt der Ordenskleriker liegt in der Tat nahe – belegen lässt sie sich indes (abgesehen vom Schicksal Kindermanns) nicht mehr. Das Zisterzienserinnenkloster St. Crucis löste sich, wie bereits erwähnt, nach der Reformation nicht auf. Allerdings traten hier insbesondere in den Anfangsjahren nach 1528, als das Ende des Konvents noch zur Disposition stand, viele Nonnen aus dem Kloster aus – teils freiwillig, teils gezwungenermaßen. Bis dahin hatte sich der Konvent überwiegend aus dem niederen lokalen Adel sowie der bürgerlichen Oberschicht rekrutiert.2299 Äbtissin Gertrud Holle, die aus einer angesehenen Goldschmiede- und Patrizierfamilie der Stadt stammte,2300 konnte vorerst noch in ihrem Amt verbleiben. Aufgrund ihrer strikt katholischen Haltung wurde ihr aber 1532 die Wirtschaftsführung des Klosters entzogen. Bis 1536 lebte sie weiterhin unter dem Titel 2293 Vgl. LKA WF, V0450, Bl. 16v: Henricus Kinderman zw Arkenrode pastor, ist geweigter priester, ein religiosus predicatorum ordinis zw Braunschweig gewesen im monasterio S. Pauli, hat ein weib genomen, sagt habe solchs thun müßen, respondit generalio, jtzo helt er sich der christlichen alten religion gemeß, darbei er die tag seines lebens zw pleiben gemeint ob Gott will. Auch ediert in: Spanuth, Friedrich: Quellen zur Durchführung der Reformation im Braunschweig-Wolfenbüttelschen Lande 1551 bis 1568, in: ZGNKG 32 (1937), S. 241–288, hier S. 261. Vgl. auch: Springer, Dominikaner, S. 322. 2294 Vgl. Spanuth, Quellen, S. 287. 2295 Vgl. Löhr, Kapitel, S. 208. 2296 Vgl. ebd., S. 216: In conventu Halberstadensi assignamus fratrem […] Thomam Molitoris de conventu Brunswicensi […]. 2297 Vgl. z. B. Sack, Heinrich Lampe, S. 57. 2298 Garzmann, Teiledition, S. 65. 2299 Vgl. Schlotheuber, Klostereintritt, S. 39. 2300 Vgl. ebd., S. 498.

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der Äbtissin im Kloster, dann wurde sie von der ehemaligen Priorin ersetzt.2301 Vermutlich dürfte die zu diesem Zeitpunkt bereits über 60 Jahre2302 alte Äbtissin verstorben sein, doch hat sich kein Testament diesbezüglich erhalten.2303 Ihre Nachfolgerin im Amt der Äbtissin wurde Alheidt Lafferde. Die vormalige Priorin entstammte ebenfalls einem Patriziergeschlecht, wechselte aber nach der Reformation zum lutherischen Glauben und amtierte von 1536 bis mindestens 1540 als Äbtissin des Konvents.2304 Laut Tunica – der aber keinen Quellennachweis bringt – war sie auch 1545 noch als Äbtissin im Konvent tätig.2305 Von den Nonnen traten bis 1532 immerhin mindestens dreizehn aus dem Konvent aus. Die erste, von deren Austreten man namentliche Kenntnis besitzt, ist Tellien Engelken jungen dochter (4. 1. 1530).2306 Sie ging zurück zu ihrem Vater und erhielt vom Konvent ses gulden tho orir cledinge to sture, sowie 24 weitere Gulden, die aber erst als Aussteuer fällig werden sollten, sobald die junge Frau heiratete.2307 In der Zwischenzeit wurde die Hauptsumme vom Konvent angelegt und jährlich mit einem Gulden verzinst. Man erwartete also offensichtlich eine baldige Heirat der ehemaligen Nonne. Als nächstes traten am 21. 12. 1530 die ca. 40-jährige Geske Bergens und Anna Wartkenstede aus dem Kloster aus.2308 Geske ging zunächst ebenfalls zu ihrer Familie zurück und wurde mit einem klösterlichen Leibgeding versorgt, das sich noch 1535 nachweisen lässt.2309 Mitte 1532 wurde dann Katharina Holle, die mit der Äbtissin verwandt war, aus dem Kloster vertrieben. Sie war vermutlich, ebenso wie Gertrud Holle, keinesfalls gewillt, das Kloster zu verlassen. Jedenfalls berichtete die Adelsfamilie der von Campen kurz darauf erbost in einer Klageschrift: De frawen hebben eyne junckfrowen myt gewalt hir vth gevoret, Katerina Hollen by namen.2310 Vielleicht durfte Katharina aufgrund ebendieser Klage kurz darauf wieder ins Kloster eintreten – jedenfalls befindet sie sich unter jenen sechs Chorjungfrauen, die 1545 mit dem Rat einen Vertrag über die Umsiedlung des Konvents abschlossen.2311

2301 Vgl. StadtA BS, G II 15 Nr. 1, Bl. 9r u. 9v. Vgl. auch Schlotheuber, Klostereintritt, S. 498. 2302 Holle hatte 1488 ihre Oblation (vgl. Schlotheuber, Klostereintritt, S. 498), weshalb sie um 1536 mindestens über 60 Jahre alt gewesen sein muss. 2303 Vgl. das »Register zu den Testamenten und Inventaren« im Lesesaal des StadtA BS, S. 64 und S. 204. 2304 Vgl. StadtA BS, G II 15 Nr. 1, Bl. 11r; StadtA BS, B I 2 Nr. 19, pag. 12. 2305 Vgl. Tunica, Geschichte II, S. 304. 2306 Vgl. StadtA BS, A I 1 Nr. 1371. 2307 Ebd. 2308 Vgl. StadtA BS, A I 1 Nr. 1372. 2309 Vgl. Schlotheuber, Klostereintritt, S. 485. 2310 StadtA BS, B III 16 Nr. 16, Bl. 4r. 2311 Vgl. Tunica, Geschichte II, S. 304.

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Etwas mehr hat sich bezüglich Anna Bardenwarper überliefert,2312 der Tochter des ehemaligen Altermanns zu St. Ulrici, Henning Bardenwarper. Bardenwarper war überzeugter Protestant, was bereits daran ersichtlich ist, dass ihm als einzigem Altermann nach 1528 das Amt eines Kastenherrn anvertraut wurde.2313 1531 wollte er daher seine Tochter nicht länger im Kloster belassen und wandte sich an die Vorsteher. Anna verspürte offensichtlich wenig Neigung zum Austritt, insbesondere, da sie selbst ein leitendes Klosteramt innehatte.2314 Dennoch gestatteten Rat und Vorsteher ihrem Vater aufgrund seiner Anfrage: So Hennigk Bardewarper sine dochter eine tidtlangk to sick heruter fordert schal se ome folgen, Jdoch, so se bi ome nicht bliven wolde, scholde or weder fri jne closter togande vorgont werden.2315 Wie lange Anna nun wieder gezwungenermaßen bei ihrer Familie wohnen musste, ist unbekannt. Die Formulierung Bardenwarpers, er fordere seine Tochter ene tidt langk aus dem Kloster, deutet darauf hin, dass er selbst nicht ganz sicher war, ob seine Tochter zu diesem Zeitpunkt2316 für ein weltliches Leben noch geeignet war. Spätestens 1545 lässt sich Anna Bardenwerper aber wieder unter den nunmehr sechs verbliebenen, lutherischen Chorjungfrauen des Konvents nachweisen.2317 Das weltliche Leben scheint ihr also offensichtlich nicht behagt zu haben. Genau anders herum verlief es bei der ursprünglich aus der Neustadt stammenden Magdalene (von) Lessen. Diese hatte spätestens 1532 – offensichtlich aus eigener Motivation – das Kloster verlassen.2318 Hierfür erhielt sie am 29. 6. 1532 eine Aussteuer von 40 Gulden.2319 Ihr Vater, Tile Lessen, wollte die ausgetretene 2312 In den Quellen taucht Anna Bardenwarper immer nur ohne Vornamen als Tochter des Henning Bardenwerper auf. Erst 1545 wird von Anna Bardenwarper als Chorjungfrau gesprochen. Vgl. ebd., S. 304. 2313 Zu Henning Bardenwerper vgl. StadtA BS, A III 2 Nr. 67. Er war bis 1528 Altermann, ab 1530 dann Kastenherr von St. Magnus, zugleich auch Diakon daselbst (StadtA BS, B IV 11 Nr. 144, Bl. 2r.). 2314 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 4v: Henningk Bardewerper hefft sine dochter na lude des gestalten artikels von one ene tidt langk herutgebeden, aver de wile se ein offitialis mede js, js se ore[m] vad[er] vnd den vormunder vngehorsame geworden des se sik ok berede beklagit. 2315 Ebd., Bl. 15r. 2316 Da Anna ein Klosteramt innehatte, dürfte sie bereits seit einigen Jahren die Profess abgelegt und im Kloster gelebt haben. 2317 Vgl. Tunica, Geschichte II, S. 304. 2318 Reidemeister nennt Magdalene Lesse als Tochter Ludeke Lesses. Dies ist erstaunlich, denn in den vorliegenden Quellen wird wiederholt von einer Tochter des Tile Lessen gesprochen und 1532 trat eine Magdalene Lessen aus dem Konvent aus. Sofern es daher nicht zwei Konventualinnen aus der Familie von Lesse gegeben hat (was Schlotheuber, Klostereintritt, S. 507 nicht erwähnt), hat sich Reidemeister hier geirrt. Vgl. Reidemeister, Sophie: Genealogien Braunschweiger Patrizier- und Ratsgeschlechter aus der Zeit der Selbständigkeit der Stadt (vor 1671), Braunschweig 1948, S. 105. Vgl. auch Schlotheuber, Klostereintritt, S. 507. 2319 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 107r.

Altgläubige nach 1528

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Nonne jedoch nicht unterstützen. Lessen war zu diesem Zeitpunkt hochverschuldet,2320 weshalb ihm die Aufnahme seiner Tochter sicherlich äußerst ungelegen gekommen sein dürfte. Erschwert wurde dieser Umstand vermutlich auch dadurch, dass Magdalene bereits in betagterem Alter war und eine rasche Heirat damit nicht mehr wahrscheinlich erschien.2321 Da Tile seine Tochter nicht versorgen wollte, schickte er Magdalene im Frühjahr 1533 kurzerhand zurück ins Kloster. Hierüber beklagten sich nun am 12. 3. 1533 wiederum die Klostervorsteher, da der Klosteraustritt gemäß Klosterverordnung und Echteding jeder Nonne freistehen sollte. So verlangten sie, dat he sine dochter buten closters behoilde vnd or ein erlick klet anlegge.2322 Da Tile sich nach wie vor weigerte, seine Tochter aufzunehmen, beschlossen Rat und Vorsteher im Herbst selben Jahres (22. 9. 1533): De wile Tile Lesse sine dochter schal weder hebben to cloister gesant, om doch de kokenrat vorboden hedde vnd om anseggen latten, dat he se scholde bi sik beholden vnd or ein redlick klet anleggen.2323 Als auch diese zweite Warnung nicht fruchtete, verurteilte man Lesse als Verächter des neuen Echtedings schließlich zu Einlagerhaft.2324 Ob Magdalene anschließend bei ihrer Familie wohnen konnte, ist unbekannt, aus dem Kloster ist sie aber höchstwahrscheinlich ausgetreten.2325 Jedenfalls bedachte sie in ihrem Testament von 1538 das Kreuzkloster mit keinem Wort.2326 1532 traten überdies weitere Nonnen aus dem Kloster aus, deren Schicksal sich leider nicht überliefert hat: Mette Beckers, Dorte Damman, Margarete Hamerlad, Strobicken Tochter, Euckendals Tochter, des abbes von Riddags[hausen] frundinn und des olden probts suster dochter.2327 Bis 1535 lassen sich laut Schlotheuber 2320 Vgl. ebd., Bl. 107r (1533): Tile Lesse vnd ander rades schuldener schullen mith flite tor betalunge angeholden werden. Auch (StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 12v): Garwart Lesse hefft de stadt vorsworen vp vyff mileweges dusser nafolgenden orsake, erstlick als ein e radt synen vader [Tile Lesse] dar vmb, dat de jegen dat echte ding vnd des e rades vorbot syne dochter, de eine tidtlang vth dem kloster gewesen, wedder tho kloster gebracht, jngelecht, dat desulve Garwart Lesse derhalven vnd van synes vaders Tilen Lessen wegen vor de brokeheren gekomen […]. 1537 wurde Tile Lesse schließlich aus vielfachen Gründen der Stadt verwiesen. 2321 Da Magdalene bereits 1538 ihr Testament verfasste, ist anzunehmen, dass sie um 1532 bereits in fortgeschrittenem Alter gewesen sein dürfte, sofern sie nicht an einer Krankheit litt. 2322 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 107r. 2323 Ebd., Bl. 112v. 2324 Vgl. StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 12v. Das neue Echteding von 1532 besagte in §8: Who ouerst jemandth duͤ th vorachten vnd hir enbouen syne kinder jn eyn kloster geven edder jncleiden worde, de schal dem rade vif pundt tho brocke geuen vnd dath kyndth wedder tho sick vth dem kloster nehmenn. UB Braunschweig I, S. 331. Lesse musste vermutlich in Einlagerhaft, da er die fünf Pfund Strafe nicht zahlen konnte – oder wollte. 2325 Da ihr Bruder Gerwart 1536 verfestet wurde und ihr Vater Tile 1537, ist unsicher, wo Magdalene in dieser Zeit gelebt hat. Vgl. StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 12v ff. 2326 Vgl. Schlotheuber, Klostereintritt, S. 508. 2327 StadtA BS, B I 5 Nr. 2,1, Bl. 86v.

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Personen und Ämter im Spannungsfeld 1528–1599

noch Adelheid Damborg, Ilsebe [Else] Damborg, Gese Gilzem und Holborg von Holle als Chorfrauen nachweisen.2328 Hinzu kamen Anna Bardenwerper, Rickele Kramer, Catharina Holle, Ghese Dette, Anna Benrode und Gheseke Buttendahl, welche als letzte sechs Chorfrauen des alten Konvents noch 1545 im Kloster ansässig waren.2329 Dass sich die Quellenlage zum weiteren Verbleib der Mönche und insbesondere Nonnen sehr dürftig gestaltet, ist freilich keine Seltenheit – Braunschweig stellt hier keine Ausnahme dar.2330 Man wird sich zudem davor hüten müssen, die hier vorgestellten Schlaglichter überzubewerten. Allerdings wird doch deutlich, dass man sich städtischerseits, gerade in den Anfangsjahren nach 1528, der austretenden Mönche als potenzielles Reservoir für Prediger zu bedienen wusste. Immerhin entstammten gleich fünf Prediger der 1520er/30er Jahre den Braunschweiger Männerklöstern: Heinrich Ossenborn, Heinrich Lampe, Konrad Dreyer, Konrad Fröhlig und Hermann Boeckheister. Damit spielten die ehemaligen Mönche für den Aufbau einer neuen nachreformatorischen Geistlichkeit eine nicht unwesentliche Rolle. Unter den Rektoren und Konrektoren der zwei (bzw. später drei) Lateinschulen ließen sich jedoch keine vormaligen Mönche ausfindig machen. Während der männliche Ordensklerus nach 1528 somit vielfach Predigerstellen innerhalb und außerhalb der Stadt übernehmen konnte, waren die Nonnen vollständig auf eine angemessene Aussteuer sowie den Unterhalt ihrer Familien angewiesen, sofern sie nicht im Kloster blieben. Erstaunlich ist in dieser Hinsicht die Freiheit, welche der Rat den Nonnen zu Beginn der 1530er Jahre gewährte: Mit Anna Bardenwarper hat sich der Name einer Nonne überliefert, die gegen den Willen ihres Vaters wieder in das Kloster eintrat – durchaus mit Wissen und Willen des Rates, der dies zuvor ausdrücklich gestattet hatte.2331 Magdalene Lessen wollte hingegen aus dem Kloster austreten, weshalb der Rat sie unterstützte und ihren renitenten Vater mit juristischen Mitteln zwang, den Klosteraustritt seiner Tochter zu akzeptieren. Eine forcierende Haltung, die zu einer rascheren Auflösung des Konvents geführt hätte, lässt sich folglich im Ratshandeln nicht erkennen.

2328 Vgl. Schlotheuber, Klostereintritt, S. 489 u. 495. 2329 Vgl. Tunica, Geschichte II, S. 304. 2330 Vgl. Rüttgardt, Klosterausstritte, S. 13. Zu den Hessischen Klosterausstritten und den entsprechenden biographischen Schwierigkeiten trotz »vorzüglicher« Überlieferungslage vgl. Schilling, Johannes: Gewesene Mönche. Lebensgeschichten in der Reformation, München 1990, S. 6ff. Viele Erkenntnisse zu ehemaligen Klosterpersonen hat man daher eher den autobiographischen Druck- und Flugschriften zu verdanken – wie im Falle Braunschweigs am frühen Beispiel Gottschalk Kruses zu sehen. 2331 Es sollte Anna dennoch na jtligen dagen vorgont werdden, so fri herjntogan alse se herutergekomen were […]. Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 5v.

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3.5.3 Die Vikare Nicht nur das Schicksal der Mönche und Nonnen, auch jenes der Vikare sollte sich durch die Reformation grundlegend ändern. Es ist häufig die Annahme formuliert worden, mit der Reformation wären hunderte Geistliche plötzlich arbeitslos geworden, so etwa für Lübeck: »Alle Stadtkirchen, die bis dahin dem Dom unterstellt waren, wurden der Stadt übergeben, damit waren rund 300 katholische Kleriker arbeitslos, denn man brauchte nur 18 evangelische Pfarrer […].«2332 In der Tat wird auch für Braunschweig um 1528 eine Zahl von ca. 500 Geistlichen angenommen.2333 Das tatsächliche Schicksal der Vikare ist bis heute aber zumeist unbekannt, wofür nicht allein die schlechte Quellenlage, sondern vielfach auch schlicht Desinteresse verantwortlich gemacht werden muss. Denn die Informationen sind zwar spärlich – aber es gibt sie. Von den Offizianten ist tatsächlich wenig überliefert, lediglich über die belehnten Vikare erfährt man Näheres. Hier zeigt sich indessen, dass wenigstens die belehnten Vikare vielfach eben nicht »arbeitslos« wurden, auch blieb ihnen ihr Einkommen durchweg erhalten. Es ist in Braunschweig kein einziger Fall bekannt, bei dem der Rat einem Vikar sein Lehen einfach entzogen hätte. Eine grundsätzliche Übersicht der Vikarien hat sich für Braunschweig im Gegensatz zu Hamburg oder Lübeck leider nicht erhalten.2334 Die beste Quellenlage bietet sich zunächst in der Altewiek, da dort aufgrund eines Gedenkbuches wenigstens die vollständige Anzahl der Stiftungen überliefert ist. Hier existierten zum Zeitpunkt der Reformation insgesamt 21 geistliche Lehen. 13 waren in der Pfarrkirche St. Magnus fundiert,2335 fünf in der Klosterkirche St. Ägidien2336 und drei in der ehemaligen Pfarrkirche St. Nikolai, die nun als Kapelle genutzt wurde.2337 Von den 13 Lehen der Magnikirche und zweien der Nikolaikapelle ließen sich aus verschiedenen Quellen sämtliche Inhaber nachweisen, die das Beneficium um 1528 innehatten. Es handelt sich bei diesen Personen folglich um die letzten vorreformatorischen Lehensinhaber der Vikarien und Kommenden. Tatsächlich fand bei keinem einzigen dieser Vikare eine zeitnahe Übergabe des Lehens zugunsten des Rates oder anderer Personen statt. Sie blieben bis zu ihrem Tod Inhaber der Stiftungen. Daher wurden z. B. die Lehen in der Altewiek auch erst sukzessive zwischen 1534 und 1557 frei, jene zu St. Katharinen im Hagen zwischen 1528 und 1547. Doch auch nach dem Ableben der 2332 2333 2334 2335

Vogtherr, Durchsetzung, S. 8. Vgl. Rahn, Bruderschaften, S. 95. Zu Hamburg vgl. Postel, Reformation in Hamburg, S. 77; zu Lübeck: Prange, Vikarien, S. 88. Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 41r–45v. Um 1510 scheinen noch 14 Vikare an St. Magnus tätig gewesen zu sein. Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 8, Bl. 9r. 2336 Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 40r. 2337 Vgl. ebd.

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vorreformatorischen Vikare fielen die Lehen nicht zwangsläufig an den Rat. So gelangten z. B. drei Lehen zu St. Magnus im 16. Jahrhundert gar nicht mehr in den Besitz des Rates und verblieben langfristig bei den Stifterfamilien.2338 An sechs Lehen hatten die Stifterfamilien auch nach dem Absterben des Vikars noch Nominationen, sodass auch diese Lehen erst sehr spät (1552–1580er) an den Rat fielen.2339 Nur vier der Lehen gelangten direkt nach Absterben des letzten vorreformatorischen Vikars in Ratshand: Dies geschah in den Jahren 1534, 1541, 1543 und 1552. Welchen Hintergrund wiesen nun jene Vikare auf, die ab 1528 mit dem reformatorischen Geschehen konfrontiert wurden? Bezüglich der Altewiek lässt sich dies mit einiger Genauigkeit für die 15 namentlich bekannten Vikare nachweisen (13 an St. Magnus, zwei an St. Nikolai). Den führenden Ratsfamilien entstammten in diesem Weichbild lediglich drei Vikare: Hans Ripen, Johann Kamman und Bartold Kulstein. Hans Ripen war Sohn des seit 1519 im Altewiekrat sitzenden Goldschmieds Tile Ripen.2340 Im Zuge der Verhandlungen von 1531 versprach Hans, er wille de lateinische lectien vistern vnd so [ein] predicant behouff worde, so se den vor duchtich dar to worden angesehen vnd dar to geborliger wise gefordert, wolden se sik ok jm ampte der kercke gebruken laten vnd willen sus na orem vormoge de ordenunge fordern helpen.2341 Tatsächlich half Hans Ripen kurzzeitig im Chordienst der Kirche aus, doch endete dies vermutlich, als er 1534 – wie schon sein Vater – in den Rat der Altewiek gewählt wurde. Dort stieg er rasch zum Bruchkämmerer und schließlich 1542 sogar zum Bürgermeister auf.2342 Seine Vikarie behielt er gegen Erlegung eines jährlichen Offiziantengeldes bis 1551.2343 Ab diesem Jahr erhielt sein Sohn und späterer Prediger zu St. Andreas, Johann Ripen, das Lehen überschrieben.2344 Auch Johann Kamman entstammte, wie Ripen, einer angesehenen Goldschmiedefamilie, die zu den »Weißen Ringen« gezählt wurde und im 16. Jahrhundert vielfach Ratsherren stellte.2345 Als 1518 die »Hustettische« einen neuen Altar zu St. Magnus fundierte, wurde Kamman de erste besitter.2346 Als eigen2338 Dies waren die beiden Stiftungen des Lübecker Domherrn Dietrich Arndes (1470 u. 1472) und des Bürgers Johann Hermesborch (1506). 2339 Diese sechs Stiftungen waren jene von Bardenwerper/Horneborg (1479), Roland Danckwardi (2x 1492), Luder Detleffs (1506), der Hussteddischen (1518) und Arnd von Darlage (1523). 2340 Vgl. Spieß, Ratsherren, S. 188. 2341 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 26r. 2342 Vgl. Spieß, Ratsherren, S. 188. 2343 Dies betrug sechs Gulden. Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 78, Bl. 5v (1532) und StadtA BS, F I 6 Nr. 80, Bl. 4v (1538). 2344 StadtA BS, G II 6 Nr. 20, Bl. 1r. 2345 Vgl. Spieß, Ratsherren, S. 91. 2346 StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 45r.

Altgläubige nach 1528

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ständiger Vikar des Hustettischen Lehens (= nicht Ratsvikar) behielt auch Kamman seine Pfründe inklusive Vikarshaus weiter.2347 Er musste hierfür nach den Verhandlungen von 1531 lediglich zwölf Schilling Offiziantengeld entrichten.2348 Kurz darauf (zwischen 1533–35)2349 verstarb Kamman – sein Sohn Dirk sollte das Vikarslehen daraufhin gemäß Ratsverhandlung erhalten, vp de condition, dat he jdt an sen studio vnd kerken denst wenden scholde.2350 Da Dirk Kamman sick der schole vnd studio genslich begeven vnd weltleke hantteri gebruket hatte, zog der Rat das Lehen einfach ein, was in den 1550er Jahren zu Streitigkeiten führen sollte, da die Nominationsrechte der Stifter missachtet worden waren.2351 Bartold Kulsteins Vorfahren waren Wandschneider, was einen entsprechenden Fernhandel der Familie nahelegt. Kulstein selbst war seit 1527 Pfarrer zu St. Andreas und hatte daneben insgesamt gleich drei Vikarien inne. Diese hatte er schon vor 1528 nicht selbst verwaltet – hierfür entrichtete er noch bis 1529 zwei Mark Offiziantengeld, da er selbst ganz offensichtlich nicht anwesend war: ii mark van dem perner to Sunte Andree absentz vor syn leen to belesende anno xxix, wie es in der Rechnung hieß.2352 Nachdem die Kastenherren mit Kulstein gehandelt hatten, versprach dieser 1531, er wolle sick gheborlig holden gelick andern des rades vicarien und beim Chordienst mithelfen.2353 Ob er sich nachfolgend an dieses Versprechen gehalten hat, ist fraglich. Er entrichtete jedenfalls gemäß Abmachung weiterhin ein Offiziantengeld2354 bis er 1536 schließlich verstarb.2355 Weitere sechs der 15 Vikare ließen sich ebenfalls wie Kulstein zugleich als (teils höhere) Geistliche identifizieren. Es waren dies, Bartold Binder (Dekan zu St. Cyriacus), der Lübecker Bischof Heinrich III. Bockholt, Tile Blancke (später Pfarrer zu St. Magnus), Henning Dorn (Heuerpfarrherr zu St. Magnus), Arnd von Dalage (Heuerprediger zu St. Martini) und der Priester Heinrich Lampe (Lüneburg). Dekan Bartold Binder versah den Messdienst in der Nikolaikapelle freilich nicht selbst, sodass die Abschaffung der Seelenmessen für ihn keine Auswirkungen zeigte: Er zog sein Gehalt gegen Erlegung eines Offiziantengeldes weiterhin ein und widmete sich seinen Geschäften als Stiftsdekan. Gleiches gilt auch für den Lübecker Bischof Heinrich III. Bockholt, mit dem sich seit 1529 eine 2347 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 26r. 2348 Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 78, Bl. 5v (1532). 2349 In der Rechnung von 1532 zahlte Kamman noch Offiziantengeld, 1536 wurde schon der Zins des ganzen corpus des Huststettischen Lehens eingezogen. Kamman war folglich verstorben. Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 78, Bl. 5v (1532); StadtA BS, F I 6 Nr. 79, Bl. 5r (1536). 2350 StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 45r. 2351 Vgl. ebd., Bl. 45r–45v. 2352 StadtA BS, F I 6 Nr. 77, Bl. 3r. 2353 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 27v. 2354 Das Offiziantengeld betrug pro Jahr fünf Gulden. Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 78, Bl. 5v (1532). 2355 Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 49, Bl. 5r. Kulstein hatte bis 1536 das Bardenwerperlehen inne.

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Personen und Ämter im Spannungsfeld 1528–1599

schriftliche Disputation entspann. Heinrichs Oheim, Dietrich Arndes, hatte 1472 die nun im bischöflichen Besitz befindliche Kommende gestiftet.2356 Natürlich residierte der Bischof aber weiterhin in Eutin und ließ den Messdienst in Braunschweig bis 1528 von einem Offizianten bestellen.2357 Das eigentlich geforderte Offiziantengeld von einem Drittel der Einnahmen entrichtete er dem Rat seit 1529 ebenfalls nicht mehr.2358 Auch Tile Blancke hatte seine Vikarie von Verwandten übertragen bekommen. Um 1528 dürfte Blancke als angehender Geistlicher vermutlich gerade studiert haben. Jedenfalls war er nicht selbst in der Kirche anwesend. Stattdessen hatte er den Alterleuten zwei Mark übermittelt, womit jene einen Offizianten bestellen sollten. Dieses Offiziantengeld reichte Blancke nun rückwirkend den Kastenherren zu St. Magni als Nachfolgern der Alterleute – syn leen to belesen van Paschen wente to Sunte Michaelisdage anno xxviii.2359 Im September (Michaelis) 1528 hatte damit also gemäß KO der Messdienst geendet. Von nun an entrichtete Blancke das Offiziantengeld von fünf Gulden direkt an den Schatzkasten.2360 Ab der Zeit um 1540 ist er dann (mit Unterbrechung) als belehnter, katholischer Pfarrherr zu St. Magni und ab 1553 auch zu St. Martini nachzuweisen.2361 Ob der Heuerpfarrherr zu St. Magnus, Henning Dorn, seine Vikarien vor dem Einsetzen der Reformation selbst verwaltet hat, ist ebenfalls fraglich. Immerhin zog er die Pfründe dreier Messstiftungen ein und hatte zeitgleich noch die Arbeiten des Pfarrers zu verrichten. Gemäß der Ansicht der Kastenherren hatte auch Dorn nach 1528 beim Chordienst mitzuhelfen. Da er aber nicht in allen drei Kirchen, in denen er Vikarien besaß, zugleich helfen konnte, wurde mit ihm 1531 folgende Vereinbarung getroffen: Die beiden Lehen zu St. Ulrici (Vikarie St. Lucia) und St. Marien durfte er zwar behalten, allerdings musste er hierfür künftig pro Jahr 16 Gulden Offiziantengeld entrichten. Doch dat dritte lehn to S. Magnusse schal om fri bliven, dar vor schal he to kor gan, lateinsche lectien visteren vnd sik na lude der ordenunge cristlig vnd erlig holden.2362 Wenigstens zu St. Magnus musste Dorn also auch nach 1528, als seine Anstellung als Heuerpfarrherr obsolet geworden war, im Kirchendienst mithelfen. Hierfür wurde er von der Offiziantengebühr befreit. Um 1535 verstarb Dorn schließlich.2363 Sein Lehen wurde künftig gänzlich vom Schatzkasten zu St. Magnus eingezogen.2364 2356 Vgl. StadtA BS, A III 1 Nr. 292. 2357 Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 19, Bl. 3r; StadtA BS, F I 6 Nr. 77, Bl. 3r. 2358 Sein Name taucht entsprechend in den Rechnungen zuletzt 1529 auf. Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 77, Bl. 3r (1529). In späteren Rechnungen fehlt er: StadtA BS, F I 6 Nr. 78, Bl. 5v (1532) und StadtA BS, F I 6 Nr. 80, Bl. 4v (1538). 2359 StadtA BS, F I 6 Nr. 77, Bl. 3r. 2360 Vgl. Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 78, Bl. 5v (1532) und StadtA BS, F I 6 Nr. 80, Bl. 4v (1538). 2361 Vgl. Kapitel 3.5.4. 2362 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 25v. 2363 StadtA BS, B I 3 Nr. 4,1, pag. 403.

Altgläubige nach 1528

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Den alten, ehemaligen Heuerprediger zu St. Martini, Arnd von Derlage traf die Reformation besonders hart. Er hatte 1523 zu St. Magnus (quasi als Rentensicherung) eine Kommende gestiftet und diese zeitlebens – trotz seines fortgeschrittenen Alters – selbst verwaltet. Nachdem ihm dies 1528 verboten worden war, forderten die Kastenherren nun aber auch noch ein Offiziantengeld (1529). Derlage weigerte sich hartnäckig, dieses zu entrichten, woraufhin die entsprechenden Zinsen vom Schatzkasten einfach einbehalten wurden.2365 Im Zuge dieses Streites verstarb Derlage 1534.2366 Magister Heinrich Lampe schließlich residierte, wie so viele andere Vikare, ebenfalls nicht in Braunschweig. Er stritt sich bereits seit Dezember 1528 aufs Heftigste mit den Kastenherren, die das Offiziantengeld seiner Vikarie einbehalten wollten.2367 Lampe, der in Lüneburg wohnte, war Kanoniker im nahe Lüneburg gelegenen Stift Bardowick und sollte sich in der Lüneburger Reformationsgeschichte später als einer der hartnäckigsten Gegner des neuen Glaubens herausstellen.2368 Auch für ihn änderte die Reformation in Braunschweig daher nur wenig – er zog seine (nun leicht geminderten) Einkünfte aus der Vikarie ein und blieb vorerst weiterhin in Lüneburg. Neben den Geistlichen und Patriziern lassen sich unter den 15 Vikaren noch sechs weitere Bürger ausfindig machen. Es sind dies Hinrick Helpesengk, Hinrick Knyhenheken, Bawart Tafelmaker, Hainy Lussenbocker, Henrick Wiedenbrugge und Luder Koldemeyer. Der 1488 geborene Bawart Tafelmaker, Sohn des Handwerkers Hans Tafelmaker, studierte in Erfurt und versah seit 1518 das Amt eines Bauherrn für den Braunschweiger Rat.2369 In dieser Funktion hat er u. a. den

2364 Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 79, Bl. 5r (1536). Die jährlichen Einnahmen des Lehens betrugen 19 Gulden und 1,5 Schilling. 2365 Dies war möglich, da die Hauptsumme an der städtischen Münzschmiede angelegt war. Vgl. auch StadtA BS, F I 6 Nr. 78, Bl. 5v (1532). Die Rechnung verzeichnet zwar: Her Arndt gyfft van sinem lenhe v gulden iii ß iiii d. Von einem freiwilligen »geben« konnte jedoch laut des späteren Briefwechsels keinesfalls die Rede sein. 2366 Zu diesem Konflikt vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 8, Bl. 1r–14r. Auch: StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 44r. Anschließend entzündete sich an diesem Zinsverzug ein Streit mit dem nächsten Lehensinhaber, Werner Elerdes, dem späteren Superintendenten und Hofprediger zu Wolfenbüttel (während der Besatzungszeit). Dieser schaltete zeitweilig neben der Universität Frankfurt (Oder) gar den Brandenburgischen Kurfürsten ein, da er die 1529–34 zu Zeiten Derlages einbehaltenen Zinsen zurückforderte. Dies blieb allerdings ohne Erfolg. 2367 Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 19, Bl. 1r. Siehe dazu auch: StadtA BS, B I 21 Nr. 1, pag. 42–43. 2368 Vgl. Schlegel, Kirchen- und Reformationsgeschichte, S. 55–56. Auch: Schaer, Karl: Lüneburger Chroniken der Reformationszeit, ihre Quellen und ihre Verwertung für die Geschichte Lüneburgs, Hannover [o. J.], S. 17. Lampe war an beiden Lüneburger Disputationen gegen Rhegius beteiligt – die für ihn jeweils schlecht verliefen. 2369 Vgl. Spieß, Ratsherren, S. 213. Zur Person Tafelmakers auch: Doebner, Richard: Studien zur Hildesheimischen Geschichte, Hildesheim 1902, S. 233–235.

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Personen und Ämter im Spannungsfeld 1528–1599

Bau der berühmten St. Andreastürme beaufsichtigt.2370 Sein eigentliches Metier war hingegen der Brunnen- und Wasserbau. Im Zuge dieser Tätigkeit schuf er z. B. 1527 die Säcker Wasserkunst, welcher später noch weitere folgen sollten.2371 Insofern dürfte Tafelmaker seine Vikarie an St. Nikolai als Laie nicht selbst versehen haben. Dies war auch allein zeitlich schon nicht möglich, da Tafelmaker neben der Verwaltung des Bauamtes zugleich die Errichtung weit entfernter Wasserkünste beaufsichtigte – etwa in Leipzig, Tangermünde, Berlin und Pommern.2372 Noch 1540 half er bei der Errichtung des Rolandbrunnens in Hildesheim.2373 1565 starb Tafelmaker schließlich im Alter von 77 Jahren.2374 Der Vikar Luder Koldemeyer galt offensichtlich schon direkt nach der Reformation als eifriger Lutheraner. So schlugen die Kastenherren ihm und Hans Ripen 1531 vor, sie sollten vorerst weiterhin mit zum Chor gehen und die lateinischen Lektionen besuchen. Sofern sie sich anschließend als Prediger gebrauchen lassen würden, könne der Rat dies gerne leiden.2375 Koldemeyer scheint aber dann doch eine handwerkliche bzw. kaufmännische Laufbahn eingeschlagen zu haben. Die Tatsache, dass er seit spätestens 1536 selbst als rechnungsführender Kastenherr zu St. Magni amtierte, legt dies jedenfalls nahe.2376 Hinrick Helpsing schließlich hatte das 1409 durch Bernd Remeling gestiftete Lehen des »ersten Messaltars« inne. Nachdem Helpsing 1534 als letzter Inhaber der Ratsvikarie gestorben war, ging das Gesamtkorpus des Remelinger Altars in den Besitz der Kastenherren über.2377 Herkunft und Schicksal der weiteren drei Bürger bleiben leider mangels Informationen im Dunkeln. Dennoch lassen sich aus der obigen Stichprobe bereits einige vorsichtige Rückschlüsse zu den Vikaren um/nach 1528 ziehen. Von den 13 untersuchten Vikaren ließ sich nur bei Arnd von Derlage ein persönlich praktizierter Messdienst nachweisen: Derlage hatte, nach Angaben seines Nachfolgers, bis zu seinem Tod (1534) die selbst gestifften vicarien, selbst die zeit seins lebendes bele-

2370 Vgl. Zeller, Adolf (Bearb.): Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, Hannover 1912, S. 386. Vgl. zur Rolle Tafelmakers im Turmbau auch: Steinführer, Henning: Die Türme der Sankt Andreaskirche bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts – Mit einer Edition der zeitgenössischen Berichte über den Turmbau, in: Steinführer, Henning; Albrecht, Peter (Hrsgg.): Die Türme von Sankt Andreas zu Braunschweig, Hannover 2009 (= Braunschweiger Werkstücke, 112), S. 177–196, hier S. 178–180 sowie StadtA BS, A III 6 Nr. 128a (Bericht des »Barwart Tafelmaker«). 2371 Vgl. Appelt, Wilhelm; Müller, Theodor: Wasserkünste und Wasserwerke der Stadt Braunschweig, Braunschweig 1964, S. 49. 2372 Vgl. Doebner, Studien, S. 234. 2373 Vgl. Zeller, Kunstdenkmäler, S. 386. 2374 Vgl. Appelt/Müller, Wasserkünste, S. 68. 2375 Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 26v. Vgl. dazu oben das Zitat bei Hans Ripen. 2376 Vgl. StadtA BS, B I 14 Nr. 2, Bl. 103r. 2377 Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 79, Bl. 5r (1536): Remlinges altar iii Mark vi ß.

Altgläubige nach 1528

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sen.2378 Bei den anderen Vikaren scheint der Messdienst größtenteils aber nicht in eigener Person wahrgenommen worden zu sein: Während dies auf den Lübecker Bischof und Bardowicker Kanoniker sowie den Pfarrer zu St. Andreas definitiv zutrifft, kann man z. B. für Dekan Binder, Brunnenbaumeister Tafelmaker oder Heuerpfarrer Dorn wenigstens stark davon ausgehen. Für die meisten hier untersuchten Vikare hat sich damit nach 1528, aufgrund ihrer anderweitigen Tätigkeiten, kein sozialer »Bruch« ergeben – dieser dürfte entsprechend eher eine Ebene tiefer bei den Offizianten verspürt worden sein, die nun ihrer Messarbeit enthoben wurden. Da mit ihnen aber durch die Vikare selbst – ohne Mitwirkung des Rates – gehandelt wurde, haben sich entsprechende Informationen nicht überliefert. Im Übrigen wurde auch keiner der obigen Geistlichen in das protestantische Kirchensystem Braunschweigs integriert: Es ließen sich weder unter den Predigern noch den Schuldienern ehemalige Vikare aus der Altewiek ausfindig machen. Dies gilt aber nicht nur für die 13 untersuchten Vikare: Insgesamt lässt sich lediglich ein einziger Vikar belegen, der später ein Predigtamt übernommen hat: Richard Schweinfuß, Vikar an St. Martini, wurde ab 1527/28 Prediger zu St. Ulrici.2379 Obwohl mangels Quellen für die anderen Weichbilde keine vollständige Analyse der letzten vorreformatorischen Vikare erstellt werden konnte, so ist anhand der Verhandlungsakten auch dort ein Bild zu gewinnen, das keinesfalls von einer abrupten Massenarbeitslosigkeit zeugt, wie sie Vogtherr – nicht zu unrecht – vermutet hat.2380 Zu St. Martini, wo 1519 insgesamt 25 Vikare tätig waren,2381 wurde z. B. im Jahr 1531 verhandelt. Typischer Konsens zwischen Rat und Vikaren, der sich in den Protokollen vielfach nachweisen lässt, war demnach folgender: Radis viccar mester Hinricus Harmen, H[err] Tilen Polmann, H[err] Gotzwin, H[err] Gerwine Smarljan, H[err] Bernde js angesecht, dat se schullen den sonavent vnd sondach mede to chor gan vnd singen alse de cantor mit de jungen singet vnd schullen alle lateinsche lectien des sup[er]att[endenten] vnd sins adiutors visteren vnd jm ehe wan des von noden ene lectien lesen.2382

Da nachfolgende Klagen hinsichtlich mangelnder Mitarbeit der Vikare fehlen, scheinen diese den Abmachungen im Wesentlichen nachgekommen zu sein. Damit blieben sie dem Kirchendienst für die nächsten Jahre weiterhin erhal-

2378 2379 2380 2381

StadtA BS, B IV 11 Nr. 8, Bl. 4r. Vgl. StadtA BS, H III 2 Nr. 24,1, pag. 387. Vgl. Vogtherr, Durchsetzung, S. 8. Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 4, pag. 860: […] ock viffvndttwintich vicarien, de itzunt jn der kercken betediget, edder ore officianten […]. 2382 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 25v.

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ten.2383 In den Kastenrechnungen lässt sich der tatsächlich geleistete Chordienst auch vielfach belegen, so etwa 1529: Jtem jc gaff her Olrigck Pawest to drangckgelt, [dass] he van Passchen wente Michaelis mydde to koer gegan hadde van her Antonius lene, ist i fl.2384 Interessanterweise hatte Ulrich Pabst den Messdienst der Antoniusvikarie zuvor gar nicht selbst ausgeübt. Diese Arbeit hatte er seinem Offizianten Henny Meier übertragen.2385 Dennoch übernahm Pabst nun seit 1529 selbst den Chordienst und trat damit wieder in den Kirchendienst ein, um etwaige Zwangsabgaben an den Rat zu vermeiden. Dass die Vikare nebenher weitere Tätigkeiten ausgeübt haben düften, um ihr Einkommen aufzubessern, ist durchaus anzunehmen. So ist etwa aus dem Jahr 1532 bezeugt, dass sich der ehemalige Vikar und prester vpm broke, her Albert, jungen tho lehren unberechtigterweise unterfangen solle. Dies wurde ihm zwar verboten – wen aver eyne van den schriffscholen vorleddiget vnd he denne gude tuchnisse hebben worde, mag he na vorhoer wol vor ein schriffmester angenomen […] werden.2386 Damit unterschied sich die Lage der nachreformatorischen Vikare in dieser Hinsicht nicht wesentlich von der Situation der vorreformatorischen Vikare: So hat z. B. auch Thomas Müntzer 1515 als Vikar in St. Michaelis nicht allein vom Messdienst leben können, sondern wohl nebenbei privaten Schulunterricht erteilt.2387 Insofern muss hier für Braunschweig das Bild der abrupten, nachreformatorischen Massenarbeitslosigkeit etwas relativiert werden. Natürlich dürfte es nach 1528 auch eine ganze Reihe von Personen – insbesondere Offizianten – gegeben haben, die sang- und klanglos aus dem Kirchendienst ausschieden und vor einer unsicheren Zukunft standen. Bei den belehnten Vikaren scheint dies aber – wie oben zu sehen – nicht die Regel gewesen zu sein.2388 Anstatt des Messdienstes trat für sie nun zunächst der Chordienst, sofern sie sich keiner bürgerlichen Hantierung verschrieben – ihr Vikarsgehalt erhielten sie fast ausnahmslos weiter. 2383 Im Einzelnen umfasste der Kirchendienst der ehemaligen Vikare idealerweise Folgendes (1531): [D]at se tho ohrer beteringe de lection predige vnde chor visitheren wolden vnde biweilenn collecten lesenn dar dorch se yn den amptenn der kerken eynen ghebruck overkomenn, dat so idt vonnoden, dat eyner edder mehr vnser predicanten mit krankheidenn beladen, se den kerkenn yn den christligenn emptern konden wert wesen. Ebd., Bl. 34r. 2384 StadtA BS, F I 1 Nr. 1, Bl. 4v. Der geleistete Chordienst wurde damit sogar entsprechend finanziell honoriert. 2385 Vgl. Ebd. 2386 StadtA BS, B III 15 Nr. 3, Bl. 4v. 2387 Vgl. Bubenheimer, Thomas Müntzer in seinem vor- und frühreformatorischen Umfeld, S. 53. 2388 Natürlich bleibt bei dieser Aussage eine quellenspezifische Vorsicht geboten. Es gibt neben den oben dargelegten, vertraglichen Abmachungen zwischen Kastenherren und Vikaren kaum direkte Hinweise, die beweisen können, dass Vikare tatsächlich gemäß Vertrag beim Chordienst mitgeholfen hätten. Das hat allerdings nichts zu sagen, da die Quellenlage zur Ausübung des Gottesdienstes bis zum späten 16. Jh. äußerst dünn ist.

Altgläubige nach 1528

405

3.5.4 Die Pfarrherren Nicht nur für viele Vikare, auch für die Pfarrherren änderte sich nach der Reformation zunächst einmal eher wenig. Der Pfarrdienst stellte bei den um 1528 amtierenden Pfarrherren in Braunschweig durchaus keine aktiv praktizierte Tätigkeit mehr dar. In dem Bericht des Reformators Lampe heißt es dazu: Die pastores, die so vonn den fürsten mitt der pfare beligenn waren, preddigeten nicht selbest, wennich ausgenommen sie vorhurten aber die pfarren den mertzinaris […].2389 Doch traf diese Aussage auch wirklich zu oder war sie bereits ideologisch durch den lutherischen Chronisten gefärbt? Tatsächlich ist über das Schicksal der Pfarrherren im Anschluss der Reformation für die meisten Städte bisher noch wenig bis nichts bekannt.2390 Untersucht wurden vielmehr die neuen evangelischen Prediger und Prädikanten. Dies ist erstaunlich, blieben doch die Pfarrherren rechtlich auch nach der Reformation vielfach die eigentlichen Inhaber der Pfarreigüter. Faktisch hatten sie freilich – so auch in Braunschweig – nur noch marginalen Einfluss auf den Gottesdienst, da sie üblicherweise katholisch blieben und der Rat die Kirchenverwaltung schlicht okkupierte. Folgende Pfarrherren waren um 1528 Inhaber der sieben städtischen Hauptpfarren: Conrad Gossel (St. Martini),2391 Johann Kalm (St. Katharinen),2392 Bartold Kulstein (St. Andreas),2393 Georg/Jürgen Irrenberg (St. Ulrici),2394 Heinrich

2389 StadtA BS, H III 7 Nr. 1, Bl. 1r. 2390 Zu den bis heute mageren und bisweilen falschen Informationen über die Braunschweiger Pfarrer des 16. Jhs. vgl. zusammenfassend Junghans/Kohnle, Thomas-Müntzer-Ausgabe, S. 107 [Fußnote 64]. Die dortigen Informationen gehen überwiegend wohl noch auf Dürre zurück. Dürre selbst war aber völlig im Unklaren hinsichtlich der Pfarrherren und konnte z. B. für St. Katharinen im 16. Jahrhundert lediglich Johann Kalm im Jahr 1523 nachweisen. Vgl. Dürre, Geschichte, S. 462. 2391 Gossel war seit min. 1499 im Amt. Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 4, pag. 741. Er war Kanzler von Heinrich d.Ä. und ertauschte die Pfarre 1496. Vgl. NLA WF, 7 A Urk. Nr. 741. 2392 Erwähnungen als Pfarrer zu St. Martini: StadtA BS, H V Nr. 111 (1515); StadtA BS, A III 5 Nr. 60 (1522); StadtA BS, G II 4 Nr. 1, Bl. 157v (1527); StadtA BS, H III 7 Nr. 5 Vol. 2, pag. 15 (1528); StadtA BS, G II 4 Nr. 1, Bl. 159v (1530). 2393 Vgl. Dürre, Geschichte, S. 473 (1527); StadtA BS, H III 7 Nr. 5 Vol. 2, pag. 15 (1528). Sofern es sich bei dem als »N. Kulstein« fassbaren Pfarrer um Barthold Kulstein (Vikar an St. Magnus) handelt, ist dieser 1536 gestorben. 2394 Die Ersterwähnung als Pfarrer ist 1514 mittelst Inschrift nachzuweisen. Vgl. Boockmann, Andrea (Hrsg.): Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528, Wiesbaden 1993 (= Die deutschen Inschriften, Göttinger Reihe, 5), S. 355 sowie Dürre, Geschichte, S. 487 (1517); StadtA BS, A III 2 Nr. 71 (1520), Dürre Geschichte, S. 487 (1523). Auch: StadtA BS, H III 7 Nr. 5 Vol. 2, pag. 15 (um 1528). Hier wird aber nur ein Georg N. als Pfarrherr genannt. Die letzte zu ermittelnde Erwähnung datiert 1530: Betalt her Jürgen Jrrenberch perner tho Sunte Olrick gardtins van jar 28 vp […] michaelis anno 30 […]. StadtA BS, F I 2 Nr. 2, Bl. 3v.

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Stappensen (St. Petri),2395 Tile Krüger (St. Michaelis)2396 und (vermutlich) Werner Gralherr (St. Magni).2397 Tatsächlich zelebrierte aber lediglich Krüger selbst regelmäßig in seiner Pfarre.2398 Dieser war damit der letzte Pfarrer, dem zu St. Michaelis bis zu seinem Tod (1542/43) weiterhin die Pfarrpfründe gereicht wurden – ausbeschieden der Oblationen.2399 In den sechs anderen Pfarren blieben hingegen bis 1569/70 neben den eigentlichen lutherischen Predigern – gemäß den Patronatsrechten – auch herzogliche Pfarrherren bestallt, denen die Einkünfte der Pfarrlehen zufielen. Zwischen 1520–1570 waren dies insgesamt 26 Pfarrer.2400 Warum die Stadt sich nach 1528 nicht darauf einließ, jene Pfarrer auch als Prediger in den Kirchen zu gestatten, wird – neben ihrer vielfach eher katholischen Glaubenshaltung – vor allem auch anhand ihrer persönlichen Hintergründe nachfolgend deutlich. So waren von den 26 Pfarrern bei ihrer Investitur zwischen 1520–1570 immerhin vier noch unmündige Kinder, denen man herzoglicherseits das Pfarrlehen als Stipendium verliehen hatte (vgl. zu den Pfarrherren Tabelle 2 und Grafik 12 im Anhang).2401 Die Eltern dieser Kinder waren durchweg im herzoglichen Hofdienst tätig. Elf der Pfarrherren (= 42,3 %) waren sodann selbst Hofbedienstete Herzog Heinrichs d.Ä. bzw. Heinrichs d.J. Darunter waren z. B. der herzogliche Leibmedikus, Michael Hessen,2402 welcher Kanzler Conrad Gossel 2395 Zu den Wirkungszeiten vgl. NLA WF, 6 Alt 497 [o.P.]. Er war Dekan zu St. Blasius, zugleich Pfarrherr zu St. Petri und auch Kanzleirat (NLA WF, 139 Urk Nr. 104). Vgl. überdies: Samse, Zentralverwaltung, S. 154. 2396 Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 5 Vol. 2, pag. 15 (1528). Pfingsten 1541 wurde Krüger noch der Anteil des Vierzeitenpfennigs ausgezahlt. Vgl. StadtA BS, F I 2 Nr. 11, Bl. 4r. Am 31. 1. 1543 wurde sein Testament vollzogen. Vgl. Rudersdorf, Mandfred u. a. (Hrsg.): Thomas Müntzer Briefwechsel. Bearbeitet und kommentiert von Siegfried Bräuer und Manfred Kobuch, Leipzig 2010, S. 15 [Fußnote]. 2397 Ob Gralherr 1528 im Amt war ist den Quellen nur unsicher zu erschließen. Vgl. StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 146r. Vgl. zu Gralherr auch Samse, Zentralverwaltung, S. 209: Ab 1532 war er Sekretär in Wolfenbüttel. 2398 Für den Pfarrer von St. Andreas gibt es z. B. Quellenbelege, die eindeutig aufzeigen, dass er 1528/1529 nicht selbst in der Kirche tätig war. Vgl. StadtA BS, F I 6 Nr. 77, Bl. 3r; StadtA BS, B I 2 Nr. 5, Bl. 118r. 2399 Die Vierzeitenpfennige (als letzte noch bestehende Pfarroblationen) wurden fortan dem Schatzkasten zu St. Michaelis zugeteilt. Vgl. z. B. StadtA BS, F I 2 Nr. 1, Bl. 1v (1529) oder StadtA BS, F I 2 Nr. 2, Bl. 2v (1530). Der Vierzeitenpfennig zu St. Michaelis betrug allerdings zunächst lediglich 25–28 Schilling (also ca. 2,5 Mark). 2400 Es wurde nach Pfarren gezählt: Personen, die mehrere Pfarren innehatten, wurden für jede ihrer Pfarren als jeweils eigene Person gerechnet. 2401 Dies waren: Heinrich Hasenfuß (St. Martini), Jakob Krummen (St. Martini), Johann Mente (St. Andreas), Johannes Kötterlin (St. Ulrici). 2402 Hessen war Doktor der Medizin (StadtA BS, A III 2 Nr. 76) bzw. Phsysicus Hertzogen Heinrichs (vgl. Hortleder, Handlungen, Bd. 1, S. 1439). Seit 1533 war er Pfarrherr zu St. Martini (StadtA BS, B IV 2a Nr. 9, Bl. 3r) und starb 1543 (NLA HA, Cal. Br. 21 Nr. 1269). Vgl. zu Michael Hessen auch Samse, Zentralverwaltung, S. 152. Demnach kam er aus

Altgläubige nach 1528

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1533 als Pfarrer zu St. Martini ablöste oder auch vier Hofräte, ein Kammerangestellter, zwei Sekretäre sowie ein hzgl. Amtmann.2403 Überdies befanden sich nicht selten Stiftskanoniker und Pröpste unter den Pfarrherren, die außerhalb der Stadt residierten. Da diese Pfarrer also verständlicherweise dem Herzog ergeben waren und aufgrund anderweitiger Ämter gar nicht die Zeit besaßen, ein Pfarramt in eigener Person auszuüben, war es der Stadt bis 1569 nicht möglich, einen dieser Pfarrer als städtischen Prediger zu verpflichten. Dabei wäre dies ökonomisch durchaus sinnvoll gewesen, erhielten die Geistlichen doch bereits ihr Gehalt aus den herzoglicherseits eingezogenen Pfarrlehen und hätten folglich nicht besoldet werden müssen. Dies war ja anfänglich auch bei Tile Krüger (St. Michaelis) so gehandhabt worden. Allerdings konnte der Rat die vom Herzog belehnten Pfarrer zu Predigtzwecken auch charakterlich und intelektuell nicht gebrauchen, wie das an frührer Stelle bereits angebrachte Zitat über Johann Blancke (1558–1569) belegt: Er was eyn junger geselle, de woll etwan gestudert hadde, aber dar beneven eyn roklos wildt levent forde ok fast alles vorterde wat om sen vedder her Tele Blancke nagelaten hadde.2404 Aus diesen Gründen war neben dem bereits erwähnten Tile Krüger lediglich Johann Zanger seit 1566 zeitgleich belehnter Pfarrer und aktiver Prediger (St. Petri). Auch dies konnte nur geschehen, da die Pfarre St. Petri dem Patronat des seit den 1540er/50er Jahren sukzessive protestantisch gewordenen Cyriacusstifts unterstand und nicht dem katholischen Herzog. Im Gegensatz zu den altkirchlichen Vikaren, die wenigstens bisweilen noch im Chor- und Predigtdienst mithalfen, entzogen sich die Pfarrherren damit nach 1528 – bis auf Krüger – vollständig dem Aufbau des neuen Kirchenwesens. Abgesehen vom Einzug der Pfarrgüter haben sie jedoch allem Anschein nach immerhin nicht versucht, die Festigung der lutherischen Konfession zu behindern, wie dies bei den Stiftskanonikern und Mönchen der Fall war. Von etwaigen Klagen gegen die Pfarrherren ist jedenfalls abseits der ökonomischen Zwistigkeiten nichts überliefert.

Nürnberg und begleitete Heinrich 1542 auf seiner Flucht nach Nürnberg, wo er kurz darauf starb. 2403 Hofräte: Veith Krummen, Heinrich Stappensen an zwei Pfarren, Johann Lamberti. Kanzler: Konrad Gossel; Sekretäre: Johann Kock, Georg Irrenberg; Kammerangestellter: Tobias Rethen; Amtmann: Dietrich Eyne; Physikus: Michael Hessen. Die Informationen stammen u. a. aus Hortleder, Handlungen, S. 344 u. 1439 sowie Samse, Zentralverwaltung und zahlreichen Einzelquellen – vornehmlich Urkunden – des Stadtarchivs. 2404 StadtA BS, G II 6 Nr. 9, Bl. 151r.

408

3.6

Personen und Ämter im Spannungsfeld 1528–1599

Rückkehr verbannter Lutheraner

Abschließend soll in diesem Kapitel noch eine Personengruppe näher betrachtet werden, die in der Forschung üblicherweise wenig Aufmerksamkeit erfahren hat: Denn was geschah nach der Reformation mit jenen Einwohnern, die noch kurz zuvor unter dem alten Regiment als Lutheraner der Stadt verwiesen worden waren, in der KO jedoch keine Erwähnung fanden? Namenslisten der Verbannten o. ä. haben sich diesbezüglich leider nicht erhalten, sodass hier lediglich mit den Angaben der Ratsprotokolle gearbeitet werden kann. Aber auch diese bieten einige interessante Einblicke und zeigen auf, dass die Rückführung der Verwiesenen meist schwieriger und langwieriger vonstatten lief, als vielleicht zunächst gedacht. Die Initiative ging in diesem Fall – verständlicherweise – von den Angehörigen und Freunden der Verwiesenen innerhalb der Gemeinde aus. So bat man den Rat bereits im Frühjahr 1528 inständig, allen, die hiebevorn vmb des evangeliums willen der stadt vorwiset waren, weder den jnganck to vorloven.2405 Explizit wurde hierbei vor allem der Brauer Hans Horneburg genannt.2406 Dieser war als einer der frühsten Anhänger des Evangeliums und Freund Thomas Müntzers bereits seit 1521 angefeindet worden, nachdem er u. a. in der Fastenzeit Fleisch gegessen hatte.2407 Überdies hatten ihn die Franziskaner nach eigenen Angaben von der Kanzel als Ketzer beschimpft.2408 Daraufhin wurde er im Winter 1521/22 vom Rat der Stadt »als einer der ersten aus Braunschweig ausgewiesen«2409 und anschließend laut Kruse von herzoglichen Reitern vorwundet, gefangen unde jamerliken mit sick na Wulfenbuttel gefoert.2410 Die Bürger forderten nun vom Rat, man müsse Horneburg aus der Gefangenschaft des Herzogs befreien und in Ehren nach Braunschweig zurückführen – das mindeste, was man für diesen Vorreiter der Reformation tun könne.2411 Tatsächlich bemühte sich der Rat um 2405 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 46v. 2406 Vgl. ebd., Bl. 19r. 2407 Vgl. Bubenheimer, Thomas Müntzer in seinem vor- und frühreformatorischen Umfeld, S. 57. 2408 Vgl. Bubenheimer, Thomas Müntzer Herkunft, S. 118. 2409 Ebd., S. 121. Vgl. auch Rüttgardt, Klosteraustritte, S. 250. 2410 Hänselmann, Unterrichtung, S. 31–32. Dazu auch Bräuer, Beginn, S. 98. 2411 Entgegen Bubenheimers Angaben (Bubenheimer, Thomas Müntzer Herkunft, S. 122) war Horneburg demnach um 1530/31 durchaus noch in herzoglicher Haft, wenigstens aber im Exil und keinesfalls in der Stadt. Vgl. StadtA BS, B I 5 Bd. 2, Bl. 113r: Die Gilden baten, sie wolden alle, de vme goddeß wordeß willen vorwiseth sunt vnd kummen weren gnaden erlangen nomlyken Hans Horneborch […], dat se yn korth wedder moghen ynkommen […]. Der Rat antwortete (ebd. Bl. 144v): Hanse Horneborge hefftme offtmals by vnsem g[nädigen] h[ernn] muntlich vorbeden aver nocher nicht fruchtbariges erholden, wo siner etligen frunscop tom dele vnvorborgen js, so wilme ok to begevener tidt wider gerne flith don, jfftmen derhalven by vnserm g[nädigen] h[ernn] gnade finden mochte […].

Rückkehr verbannter Lutheraner

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Horneburg beim Herzog, konnte jedoch den Gemeindevertretern im Frühjahr 1529 lediglich mitteilen, dass man bisher nichts fruchtbaringes erreicht habe.2412 Dies änderte sich auch bis 1530 nicht, sodass man nun beschloss, eine schriftliche Supplikation an den Herzog zu richten.2413 Anscheinend konnte Horneburg bis 1531 schließlich wieder nach Braunschweig zurückkehren.2414 Doch Horneburg war nicht der Einzige, der aufgrund seines lutherischen Glaubens verbannt worden war, weshalb der Druck auf den Rat parallel anhielt. Besonders häufig genannte Namen waren dabei neben Horneburg vor allem Meister Hans der Varner, Tomas Flaken und Hans Bonntkenmaker. Auffälligerweise entstammte keiner der verzeichneten Namen einer angesehenen Patrizierfamilie – dies deckt sich mit den Erkenntnissen, dass die frühe Reformation in der Masse kaum von den städtischen Eliten getragen wurde.2415 Nach vielfachem Anhalten der Gemeinden versprach der Rat schließlich am 6. 12. 1529, dass man fortan all diejenigen wieder in die Stadt aufnehmen werde, die vth anderer nener orsake dan vmb gotliges wordes willen verwiesen worden seien.2416 Flaken und Bonntkenmaker waren nach ihrem Stadtverweis aber anscheinend – wie auch Horneburg – vom Herzog inhaftiert worden. Ein interessanter Hinweis darauf, wie gefährlich der Stadtverweis in der Frühzeit der Reformation für die Braunschweiger Lutheraner gewesen war. Daher verhandelte der Rat um die Jahreswende 1529/30 auch hier mit Wolfenbüttel.2417 Wer die Stadt explizit wieder betreten durfte, scheint indessen nicht so leicht zu entscheiden gewesen zu sein. Schließlich musste genauestens geprüft werden, ob die betreffende Person vormals aus kriminellen Gründen oder Glaubensgründen verbannt worden war. So ließ man den Handwerker Hinrick Mathias z. B. 1532 nicht wieder in die Stadt, da er offensichtlich in Unstimmigkeit mit dem Rat aus Braunschweig gewichen war.2418 Obgleich also der Rat bereits an der Wende des Jahres 1529/30 die Aufnahme der ehemals verbannten Lutheraner wieder forcierte, zogen sich die Verhandlungen vielfach noch bis 1532/33 hin. 2412 2413 2414 2415

Ebd., Bl. 144v. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 2v. Vgl. Bubenheimer, Thomas Müntzer Herkunft, S. 122. Vgl. Schilling, Elite, S. 303. Allerdings handelt es sich bei den Verwiesenen auch nur um eine eher kleine Anzahl von Namen, die explizit genannt werden. Die Stichprobe ist damit keinesfalls repräsentativ. Eine Ausnahme unter den Patriziern bildete Bertram von Damm, der sich bereits früh dem lutherischen Glauben verschrieb. Vgl. Damm, Bertram, S. 184ff. Für andere Städte lässt sich feststellen, dass die Reformation z. T. durchaus auch vom Patriziat mitgetragen wurde: Zumeist verliefen konfessionelle Spaltungen geradewegs durch die Familien. Zu Augsburg vgl. Warmbrunn, Zwei Konfessionen, S. 325; zu Ulm vgl. Filtzinger, Ulm, S. 155. 2416 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 181r. 2417 Vgl. ebd.: Flaken son vnd Bonnitkenmaker sin ok flitigen vorbeden wo wol orenthalven nocher nicht is erlanget worden. 2418 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 80r.

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Personen und Ämter im Spannungsfeld 1528–1599

Herausragend sind hierbei vor allem jene Bittgesuche, die sich 1533 für Hans Dorn einsetzten.2419 Es dürfte sich hierbei um jenen Hans Dorn handeln, der bis ca. 1525 als erster Buchdrucker in Braunschweig tätig gewesen war, dann jedoch spurlos – ohne Nachfolger – aus der Stadt verschwand.2420 Vermutlich war Dorn – der auch den lutherischen Sermon vom Ablass (1518) sowie Schriften der Reformatoren Gottschalk Kruse (1522) und Johann Eberlin (1525) gedruckt hatte2421 – um 1525 als Luthersympathisant aus der Stadt verwiesen worden. Nachdem aber vielfach von der Gemeinde angehalten worden war, Dorn wieder in der Stadt zu dulden, gab der Rat 1533 schließlich nach: Hanse Dorn wilme wol vorgunne[n] den jn vnd vthgangk der stadt.2422 Die Anfrage zur Aufnahme Dorns war jedoch die letzte, die sich in den Ratsprotokollen finden lässt. Damit übereinstimmend hatte der Rat auch im September 1532 verkünden lassen: De vorfesteden, so vmme evangeliums willen vorvestet, sin wedder begnadet vnd jngestadet worden.2423 Seit 1533 scheinen damit die meisten vor 1528 verwiesenen Lutheraner – sofern sie es begehrt hatten – wieder Aufnahme in die Stadt gefunden zu haben.

2419 2420 2421 2422 2423

Vgl. ebd., Bl. 96r u. 99v. Vgl. Camerer/Fischer, Buchdruck, S. 5. Vgl. Claus, Hans Dorn, S. 39. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 103v. Ebd., Bl. 80r.

4.

Die reformatorischen Ideale im Diskurs 1528–1599

Natürlich verlief die Implementation der reformatorischen Ideale nicht ohne hitzige Debatten. Zu einem gewissen Grade wurden letztere bereits im zweiten Abschnitt dieser Untersuchung deutlich, etwa hinsichtlich der Klöster, der Patronatsrechte oder der Pfarrwahl (bzw. Pfarrentsetzung). Im letzten Untersuchungsabschnitt sollen daher noch einmal einige der wichtigsten Braunschweiger Dispute aufgegriffen werden, die bislang in dieser Untersuchung noch unberührt geblieben sind. Wie bereits eingangs dargelegt, haben sich für Braunschweig nur wenige Quellenbestände erhalten, die tiefgreifendere Einblicke in die nachreformatorischen Kontroversen des 16. Jahrhunderts gewähren. Allerdings ließen sich bei genauerer Recherche durchaus einige Themenfelder ausfindig machen, die bisweilen sehr heftig diskutiert worden sind. Hierzu zählen neben dem Summepiskopatsstreit mit dem Landesherrn vor allem die Streitigkeiten um die Judenfrage, Predigten, geistliche Sündenzucht, Eherecht und das Bettelwesen. All diesen Streitigkeiten ist gemein, dass sie nicht in den 1520er/30er Jahren geklärt wurden, sondern das gesamte 16. Jahrhundert hindurch (und bisweilen weit darüber hinaus) virulent blieben. Am heftigsten gestaltete sich dabei vermutlich der Konflikt um das Summepiskopat zwischen Stadtrat und Landesherr.

4.1

Stadt und Landesherr: Streit um das Summepiskopat

Mit Übernahme der KO sah sich der Stadtrat plötzlich einem stark angewachsenen Aufgabenspektrum gegenüber. Dieses enthielt allerdings auch zahlreiche Rechte, die zuvor dem Bischof und dessen kirchlichen Vertretern oblegen hatten. Die zuständigen Bischöfe für Hildesheim und Halberstadt wandten sich dementsprechend umgehend mit Drohschriften an den Rat. Der erste Brief traf bereits am 2. 1. 1528 im Namen des Erzbischofs Albrecht ein, dessen Suffragandiözesen sowohl Hildesheim als auch Halberstadt waren. In seinem Schreiben verlangte der Erzbischof, dass man mit jeglicher Veränderung der Religion bis zu

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einem ordentlichen päpstlichen Konzil warten solle, denn der Rat habe zu einem Zeremonienwandel keinerlei Befugnis.2424 Erzbischof Albrecht befahl überdies als ewer ordinarj, dem kaiserlichen Mandat von Worms Folge zu leisten und die »lästernden« Prediger wieder abzuschaffen. Sofern der Rat aber dem nit nachkomen vnd vns als ewrem ordinario nicht anerkennen wolle, müsse man die entsprechenden Konsequenzen tragen – er, der Erzbischof, habe die Stadt nun gewarnt!2425 Der Rat, gedrängt von seinen Bürgern, ging auf die Warnung nicht ein. Mit Verweis auf den Speyerischen Reichsabschied fühlten Rat und Bürgerschaft sich frei, in der Religionsfrage nach bestem Gutdünken zu verfahren.2426 Interessanterweise schied der Bischof bereits jetzt schon aus dem sich entwickelnden Diskurs um die Kirchenhoheit aus – jedenfalls haben sich entsprechende Akten nicht überliefert. Stattdessen trat nun der Herzog, aus vornehmlich politischen Gründen, als vehementer Hüter der wahren Religion auf den Plan. Da sich die Bischöfe mehr und mehr zurückhielten, nahm Heinrich sukzessive all jene Kontrollfunktionen wahr, die ursprünglich der Kirche zukamen und griff damit in deren Rechtsraum ein. Auch hier bahnte sich dementsprechend bereits eine landesherrliche Territorialisierung an, die zwangsläufig zu Konflikten mit dem Rat führen musste.2427 Bereits wenige Monate nach Abschluss der KO sandte der Herzog einen Mahnbrief an den Rat (Februar 1529). Dieser habe, wie ihm zu Ohren käme, ein newe ordnung, was massen ein jeder sich jn geistlichen sachen, halten sol […] ausgehen lassen; nun würde der Stadt aber nicht gebühren, eine solche Ordnung selbstständig einzuführen, da ihr die rechtlichen Befugnisse hierzu fehlten.2428 Auch würde er, der Herzog, diejenigen, welche hiergegen handeln sollten, crafft vnser oberigkeit zu straffen wissen.2429 Damit hatte Heinrich bereits mittelbar in die bischöfliche Kirchenhoheit eingegriffen, standen ihm doch Vorschriften über klerikale Belange eigentlich nicht zu. Der Rat argumentierte entsprechend ähnlich. Zwar wolle er die fürstliche Oberhoheit in weltlichen Sachen nach wie vor anerkennen, doch sei man in Sachen des Gewissens (conscientien) und der Seelen Seligkeit allein dem Wort und Willen Gottes unterworfen. Politisch bezog man sich in den herzoglichen Antwortschreiben vom März 1529 wie so oft auf des jungisten ausgegangen vorberürten Spirschen abschiedts.2430 2424 2425 2426 2427

Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 20v. Ebd.. 29r. Vgl. ebd., Bl. 46v u. 128v. Zum Folgenden im Überblick vgl. auch Täubrich, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 130. Zu Heinrich d.J. als »Wegbereiter des frühneuzeitlichen Fürstenstaates« vgl. Petri, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 122 u. 126. 2428 StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 1v. 2429 Ebd., Bl. 2r. 2430 Ebd., Bl. 6r. Gemeint ist natürlich der Abschied von 1526, jener von 1529 sollte bald erst folgen.

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Natürlich sah der Herzog die Sache durchaus anders und war entsprechend unzufrieden über das Schreiben des Rates. Die tunckelhaffte antwurt verärgerte ihn zutiefst, wie er in einem Brief vom 16. 3. 1529 dem Rat unmittelbar mitteilte: Braunschweig sei als Landstadt keinesfalls im Speyerischen Abschied inbegriffen – denn es handele sich hierbei um keine Reichsstadt – stattdessen sei man als Landstadt ohne Mittel dem Landesfürsten unterworfen.2431 Nochmals befahl Heinrich Kraft seiner gegebenen Hoheit, die »Ketzer« – insbesondere die in der Fastenzeit fleischverkaufenden Knochenhauer – aus der Stadt zu vertreiben. Andernfalls würde er den Kaiser einschalten müssen. Da die Stadt nicht nachgeben und sich – bis zu einem Konzil – nur noch gemäß den Richtlinien des Evangeliums verhalten wollte, wandte sich Herzog Heinrich umgehend an König Ferdinand.2432 Dieser befahl daher im April, den Angaben Heinrichs Folge zu leisten, was der Rat mit der Begründung ablehnte, man könne nicht ewig auf ein mögliches Konzil warten.2433 Daher habe man die kirchliche Neuregelung auf Druck der Bürgerschaft hin selbst in die Hand genommen, was jn zeit des stehenden Speirischen reichsabscheits durchaus legitim gewesen sei.2434 Der Kaiser sah dies allerdings anders und erstellte am 5. 5. 1529 ein Mandat, das dem Rat am 3. 6. 1529 zugestellt wurde und in allen kirchlichen Streitfragen dem Herzog zustimmte. Dies verwundert nicht, war es doch ohne Wissen des Rates vom Herzog (vns jn rücken) erwirkt worden, weshalb der Rat es auch ablehnte und dagegen umgehend protestierte.2435 Man beauftragte stattdessen den Anwalt Friedrich Reifstock, die Kassierung des Mandats am Reichskammergericht zu erwirken. Interessant ist hierbei nun vor allem die Argumentation der vom Rat mitgeteilten Instruktion an den Anwalt. Offiziell maßte sich der Magistrat freilich nicht des Recht des Summepiskopats an, auch nicht den Status einer Reichsstadt, was juristisch natürlich umgehend entkräftet worden wäre. Mit dem Speyerer Abschied (von 1526) konnte man hier demnach ebenfalls vorerst nicht direkt argumentieren. Allerdings sei Herzog Heinrich – so der Rat – nicht der alleinige Landesfürst, weshalb man nicht nur seinen Weisungen, sondern auch denen des (evangelischen) lüneburgischen Herzogs Ernst zu folgen hätte. Dieser habe aber sein Herrschaftsgebiet – zu dem Braunschweig ja gehöre – nun evangelisch ausgerichtet. Braunschweig sei somit lediglich seinem (Mit-) Landesfürsten Ernst gefolgt: Diewile nu sein f[ürstlich] g[naden] die evangelische lere angenomen, so sein wir auch von den vnterthanen, die dem fürsten vnd stande des reichs vorwant sein, vnd mügen also wol vnter dem vorberortem h[errn] 2431 Ebd., Bl. 7r: Braunschweig sei nicht die commun, die ane mittel dem reich, sundern vns, alse euwerm landisfürsten vntirwurffen sei. 2432 Vgl. Täubrich, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 130. 2433 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 18v u. 22r. 2434 Ebd., Bl. 22v. 2435 Vgl. ebd., Bl. 29v.

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begriffen werden.2436 Damit bestritt die Stadt also nicht ihren Status als Landstadt, auf den Heinrich erneut verwiesen hatte, sondern begann geschickt, die Zugehörigkeit zu den beiden welfischen Linien für sich auszunutzen. Gewagt war diese Taktik des Rates aber allein schon deshalb, weil man Ernst dem Bekenner im Gegensatz zu Heinrich d.J.2437 bislang noch gar nicht gehuldigt hatte – dies geschah erst 1540.2438 Damit blieb vorerst eine argumentative Lücke, die der Rat mit einem Hinweis auf alte, vom Herzog nun angegriffene, städtische Privilegien zu überdecken suchte.2439 Es verwundert daher auch nicht, dass man dem Anwalt auftrug: Von meinem g[nädigen] fursten vnd hern von Lüneborch das ziehet nicht ehir an, jr sehet dan, das es von noden sein wil, wir wolten jo nicht gerne, vnsern g[nädigen] hern vff vns laden […].2440 Was weiter am Reichskammergericht verhandelt wurde, muss an dieser Stelle nicht weitläufig dargelegt werden. Im Ergebnis wurde das kaiserliche Mandat aber letztlich nicht kassiert. Der Rat trug dem Herzog daraufhin nach gehaltenem Landtag in Salzdahlum am 9. 6. 1529 die Bitte vor, das Mandat selbst sistieren zu lassen. Die Argumentation ließ allerdings inhaltlich mittlerweile doch zu wünschen übrig. Man scheint hier seitens des Magistrats keine wirkliche Aussöhnung mehr erwartet zu haben: Der Herzog solle den Rat doch in Religionssachen gewähren lassen; handle es sich um eine gottgemäße Entwicklung in Braunschweig, so würde die Stadt künftig weiter florieren, läge der Rat hingegen falsch und handle wider Gott, so würde dieser die Sache schon von selbst bald bereinigen.2441 Natürlich ließ sich der Herzog auf eine solche schwache Argumentation keinesfalls ein, sondern verkündete Braunschweig und den restlichen Ständen stattdessen auf dem Salzdahlumer Landtag (25. 2. 1531) offiziell den Augsburger Reichsabschied des Vorjahres, welchen Braunschweig mit Protest rundweg ablehnte.2442 Mit dem Eintritt Braunschweigs in das Schmalkaldische Bündnis (1531) endeten zunächst die stärkeren Auseinandersetzungen zwischen Stadt und Herzog – jedenfalls abseits von ökonomischen Fragen. Die größten Ände2436 Vgl. ebd., Bl. 30v: Man erkenne auch hern Ernste hertzogen zu Brunswigk vnd Lüneburg etc. auch für jren landisfürsten, dem sie auch müssen hulden, wens sein f[ürstlich] g[naden] begert. 2437 Die Huldigung Heinrichs d.J. erfolgte bereits am 26. 2. 1515. Vgl. die Huldigungsurkunde im UB Braunschweig I, S. 289–290. Zum Vorgang vgl. auch Täubrich, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 33–34. 2438 Vgl. StadtA BS, A I 1 Nr. 1438 (Originalurkunde vom 21. 06. 1540): So haben wir vns voreiniget vnd verglichen, das wir hertzog Ernnst die huldigung wollen nehmen vnd dar jegen denen von Braunschweig jre privilegia recht vnd gerechtigkeit mit reversalen confimiren […]. Kopie unter StadtA BS, B III 8 Nr. 20. Leicht fehlerhaft abgedruckt bei: Bünting/Rehtmeyer, Chronica, S. 1356–1357. 2439 StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 30v. 2440 Ebd., Bl. 31r. 2441 Vgl. ebd., Bl. 36v. 2442 Vgl. ebd., Bl. 38v–39r.

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rungen im Kirchenwesen der Stadt waren ohnehin bereits vollzogen und mit dem neuen Bündnis wollte sich Herzog Heinrich vermutlich vorerst nicht ohne gute Begründung einlassen. So sollte es noch Jahre dauern, bis 1538 erneute Streitigkeiten um das Summepiskopat aufkamen – diesmal aber provoziert von der Stadt selbst, die sich schon bald vom Schmalkaldischen Bund politisch gedeckt wusste.2443 Zwei altgläubige Priester des herzoglichen Blasiusstiftes hatten dem Bürger Henning Zweidorf auf dessen eigenen Wunsch hin das Sakrament in einerlei Gestalt gereicht. Hierfür hatte der Rat die beiden Priester im Sommer 1538 aus der Stadt vertrieben.2444 Aufgrund dieses Anlasses entspann sich rasch eine Grundsatzdiskussion: Einerseits um das Summepiskopat über die Stadt, andererseits um die richtige Abendmahlslehre. Herzog Heinrich war hinsichtlich der Priesterverbannung der Ansicht, das es gemeiner christlichen kirchen angenomener lere zu widder, szo seit jr auch des orts weder bischove noch pfarherr, das jr solchs zu thun, oder one derselben rath vnd anruffung hetten thun mogen.2445 Zwar gestand Heinrich zu, dass es einem Priester üblicherweise nicht gebühre, in eine andere Parochie überzugreifen, so wie es die beiden getan hätten. Doch aufgrund des mangel[s] anderer dergleichen christlichen gesalbten priestern innerhalb der Stadtpfarreien sei diese Handlung durchaus rechtens gewesen.2446 Der Rat teilte darauf dem Herzog mit, dass die Priester des Blasiusstifts sehr wohl in die Parochialrechte der städtischen Pfarreien eingegriffen hätten. Überdies sei der Rat ja die christliche Obrigkeit, sodass es ihm obliege, für die Reinheit des christlichen Glaubens in der Gemeinde zu sorgen.2447 Natürlich wies der Herzog dies mit Hinweis auf den Augsburger Reichsabschied zurück; auch sei – und das erscheint wenig aufrichtig – der glaub ein frei vnd vngezwungen ding.2448 Am 19. 12. 1538 schickte der Herzog nun eine viele Seiten umfassende Klageschrift und begann damit eine Grundsatzdiskussion, ob und inwiefern der Rat die Befugnis habe, sich der bischöflichen Rechte innerhalb der Stadt anzumaßen.2449 Zudem wurde in ihm die herzogliche Sichtweise der Sakramentenlehre dargelegt, nach welcher – der scholastischen Transubstantiationslehre entsprechend – auch im Leib Christi zugleich immer das Blut enthalten sei: Denn ein 2443 2444 2445 2446 2447 2448

Vgl. HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv) Nr. Loc. 7256/10, Bl. 3r. Dazu die herzogliche Gegenüberlieferung: NLA WF, 1 Alt 29 Nr. 145. StadtA BS, B III 1 Nr. 7, Bl. 53v. Schreiben an den Rat vom 19. 12. 1538. Ebd., Bl. 55r. Vgl. ebd., Bl. 49v. Ebd., Bl. 55r. Der Tonfall wurde rasch härter und zynischer. So schrieb Heinrich im Dezember 1538 (ebd., Bl. 58r): […] vn ewerm berümpten angenommenen evangelio zu entgegen, solt billicher nach heiliger evangelischer doctrien euch aus ewern augen zuvor den balcken ehe jhr andern den spreissen aus jren augen zu zehen vnterstanden ausnemen, das were mher evangelischer […]. 2449 Vgl. ebd., Bl. 58v.

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Körper enthalte verständlicherweise automatisch auch Blut – ergo empfange man im Brot auch das Blut Christi. Der Rat habe keinerlei Recht dieser Lehre entgegen zu handeln und die beiden Priester zu verbannen. Er überschreite seine Befugnisse und greife in jene von Kirche und Landesfürst ein. Nun wurde auch der Ton des Herzogs spürbar drohender. Der Rat erkannte die Gefahr, welche aus dieser ausartenden Grundsatzdiskussion erwachsen konnte. Die soeben mit der Reichsacht belegte Stadt Minden dürfte ihr als mahnendes Beispiel vor Augen gestanden haben.2450 Man ließ sich daher mit einer Antwort erst einmal Zeit und wandte sich an den Lüneburger Reformator Urbanus Rhegius. Rhegius bot sich als Gutachter durchaus an, wirkte er doch derzeit auch als Vermittler zwischen den zerstrittenen Parteien innerhalb Mindens (Januar 1539).2451 Vermutlich erhoffte man sich somit ein fundiertes und doch ausgleichendes Schreiben. Während seiner Predigttätigkeit in Minden (August 1538) war Rhegius jedenfalls bereits mit der gleichen Problemstellung konfrontiert worden und hatte schon dort verlauten lassen: Die Priester hetzen auch die weltlichen Oberkeit wider vns/ vnd vertilgten vns gern jnn einer stund.2452 Die in Minden herangezogenen Argumente wider die altgläubigen Priester konnte Rhegius leicht für die Braunschweiger Verhältnisse anführen und tat dies später auch. Zudem stand Rhegius in Braunschweig seit jeher in hohem Ansehen – nach Bugenhagens Abreise hätte man ihn Anfang der 1530er Jahre am liebsten als Prediger in die Stadt geholt.2453 Auch sind neben einer Braunschweig betreffenden Druckschrift gegen die Papisten2454 mehrere Korrespondenzen zwischen ihm und dem Rat bekannt sowie ein längerer predigtintensiver Besuch im März/April 2450 Die Reichsacht wurde dort am 9. 10. 1538 verhängt. Vgl. Müller, Andreas: Von den falschen Propheten. Die Predigt des Reformators Urbanus Rhegius in Minden 1538, in: Mitteilungen des Mindener Geschichtsvereins 77 (2005), S. 73–95, hier S. 76. 2451 Vgl. Müller, Propheten, S. 82. 2452 Vgl. Rhegius, Urbanus: Wie man die falschen Propheten erkennen ia greiffen mag/ Ein predig/ zu Mynden jnn Westphalen gethan/ durch D. Vrbanum Rhegium, Braunschweig 1539 [VD16 R 2022], Bl. Evii. 2453 Insbesondere zu der Zeit, als Superintendent Görlitz krank war. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 18r u. 20v (1531); StadtA BS, B III 15 Nr. 3, Bl. 3v (1532): Men wolde doctorem Vrbanum Regium tho fordern flite vorgenomen hebben, dewile jd sick overß also thogedragen, dat sick syne hochgelarte worde by einen erbarn radt tho Lüneborg jn deinsth begeven vnd dat de werdig vnd hochgelerte her Johan Pomer middeler tidt hir tho vnß gekomen vnd dat gotlike wort vorkundigtt, hebben wy sodane forderunge wenthe her vnderwegen gelatenn. 2454 Der Braunschweiger Bürger Heyse Oschersleben hatte sich nach der Reformation in Disputen vielfach katholischen Argumenten ausgesetzt gesehen, auf die er offensichtlich keine ausreichende Erwiderung wusste. Er sandte daraufhin dem in Braunschweig sehr hoch geschätzten Reformator Urbanus Rhegius drei Hauptstreitpunkte, die ihm selbst von den Papisten immer wieder entgegengebracht worden waren. Rhegius Antwortschreiben wurde umgehend gedruckt. Vgl. Rhegius, Verantwortung. Die Mindener Predigt von Rhegius (1538) war überdies eine der wenigen reformatorischen Schriften, die in Braunschweig vor 1550 gedruckt wurden. Vgl. Müller, Propheten, S. 84 und Kapitel 3.1.2.

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1538.2455 Die Rolle des Lüneburger Reformators für die Festigung der Reformation in Braunschweig ist damit bislang grundlegend unterschätzt worden. Aufgrund dieser engen Beziehungen nahm Rhegius die Bitte des Rates um ein theologisch fundiertes Gutachten nun jedenfalls sehr ernst. Im Frühjahr 1539 entwarf er ein fast 20 Folioseiten umfassendes Schriftstück, das im Original erhalten geblieben ist.2456 Damit der Rat gegenüber dem herzoglichen Schreiben, welches ja auch die Abendmahlslehre betreffe, nit gar inermis, wehrlos vnd bloß sei, habe er, Rhegius, eine aus Bibel und Kirchenvätern begründete Argumentation zusammengestellt.2457 Diese Argumentationslinie samt Bibel- und Kirchväterzitaten übernahm der Rat zum Teil fast wörtlich in sein herzogliches Antwortschreiben, weshalb hier nachfolgend nur das Gutachten Rhegius’ näher dargelegt werden soll. Zunächst stellte Rhegius klar, dass man Bischöfen und Päpsten so lange gefolgt sei, wie sie sich um ihre Schafe gekümmert und das Wort Gottes rein gepredigt hätten. Dies sei nun jedoch nicht mehr der Fall. Dass es daher der oberkheyt gepeur, sich der religion anzunemen vnd rechte lehr vnd bruch der sacrament zu handt haben, ließe sich leicht anhand des 50. Briefes des Augustin an Bonifatius sowie aus dem 2. Psalm ersehen.2458 Im benannten Brief lehre Augustin, dass eine Obrigkeit Gott auf zweierlei Weise dienen könne: Erstens als Privatperson durch Besuch der Messe und zweitens durch die gottgefällige Aufsicht über die Untertanen. Gemäß Röm 13 müsse überdies jedermann seiner Obrigkeit Untertan sein – die beiden verwiesenen Priester wären das nicht gewesen, da sie bei der Vergabe der Sakramente gegen ihre Obrigkeit (den Rat) gehandelt hätten.2459 Auch wäre es nicht richtig, was der Kaiser schreibe: Wenn in der religion zu endern vnd straffen sey, das gehören nit vns, sondern kayser vnd s[ein] f[ürstlich] g[naden] zur hand.2460 Der Braunschweiger Rat sei dementgegen sehr wohl selbst eine Obrigkeit und besitze das jmperium mixtum (= Hohe Zivilgerichtsbarkeit).2461 Basierend auf solcherlei Argumenten sollte sich in der

2455 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 10; StadtA BS, H V Nr. 217, pag. 163. Rhegius weilte gemäß dieser Quellen mindestens vom 17. 3. 1538 bis zum 22. 4. 1538 in Braunschweig. Zu Rhegius’ Kontakt mit den Braunschweiger Juden vgl. Kapitel 4.3. 2456 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 1a, Bl. 256r–265r. 2457 Ebd., Bl. 256r. 2458 Ebd., Bl. 257r. 2459 Vgl. ebd., Bl. 258r. 2460 Ebd., Bl. 358v. 2461 Ebd. , Bl. 259r. Vgl. zum Beriff des imperium mixtum: Hoke, Rudolf: Imperium merum et mixtum, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, Berlin 2011, Sp. 1195– 1196.

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zweiten Jahrhunderthälfte die städtische Behauptung, Braunschweig sei eine sogenannte »civitates mixtae«, entwickeln.2462 Der nächste Streitpunkt, auf den Rhegius sodann einging, betraf vornehmlich das Recht der protestantischen Prediger, Sakramente zu spenden. Dies hatte der Herzog den (lutherischen) städtischen Pfarrern ja rundweg abgesprochen, weshalb seiner Meinung nach ein Eingriff der beiden Priester in die Parochie der städtischen Pfarrer akzeptabel gewesen war. Rhegius legte nun dar, dass es einer Weihe eigentlich gar nicht bedürfe, obgleich auch die Braunschweiger Prediger noch vast alle geweyht seien.2463 Fünftens erläuterte der Reformator, warum man das Abendmahl in beiderlei Gestalt reichen müsse, auch wenn gemäß den Katholiken das Blut im Leib mit enthalten sei – Christus hätte es den Aposteln gemäß Mk 14 selbst so verordnet.2464 Auf die Frage nach dem althergebrachten Recht dieser Praxis antwortete Rhegius schlicht, die Kirche habe 1400 Jahre recht gehandelt und den Kelch gegeben, lediglich 120 Jahre (also seit dem Beschluss des Konstanzer Konzils 1415) sei dies nicht mehr der Fall. Wer hier folglich auf die ältere Tradition zurückblicken könne, liege auf der Hand.2465 Daher müsse man auch nicht auf ein Konzil warten, um Änderungen vorzunehmen, denn dass man gottgemäß handle, sei mit der Schrift und Tradition zu belegen. Das offizielle Antwortschreiben, das der Rat am 13. 2. 1539 an den Herzog ausgehen ließ, enthielt alle obigen Argumente.2466 Der Herzog lehnte im März sämtliche Begründungen rundheraus ab, denn es wäre offenbar vnd vnlaugbarlich, das die gaistlichen von der weltlichen oberkait, wie nit vnbillich als die vor ein teil gots gerechent werden, eximirt seien.2467 Bezüglich des Abendmahls wiederholte er lediglich die Ansicht, dass unter einerlei Gestalt im Leib auch das Blut enthalten sei, weshalb der Kelch für Laien unnötig wäre – man solle daher um der Ordnung Willen jegliche Uneinigkeit mit der Kirche vermeiden. Hinsichtlich des Markuszitats gab Heinrich zu bedenken, dass Christus dort nicht befohlen habe, Blut und Wein in zweierlei Gestalt zu sich zu nehmen, weshalb der Leib (inkl. Blut) vollkommen genüge. Der Herzog gedenke nun aber nicht, weitere Schriften mit 2462 Vgl. dazu: Rath, Jochen: »Alss gliedere eines politischen leibes trewlich meinen:« Die Hansestädte und die Konflikte Braunschweigs mit den Welfen im 17. Jahrhundert, Münster 2001, S. 26 u. 82; Schilling, Reformation of the Hanseatic Cities, S. 445; Steinführer, Reich und Fürstenherrschaft, S. 169. Nach älteren Darstellungen sind diese »civitates mixtae« oder »gemischten Städte eine Erfindung des Syndicus der Stadt Braunschweig […], deren sich derselbe 1558 zur Vertheidigung der Gerechtsame der Stadt gegen ihren Landesherrn beym Reichscammergerichte bediente.« Vgl. Häberlin, Carl Friedrich: Repertorium des Teutschen Staats und Lehnrechts, Vierter Teil P-R, Leipzig 1795, S. 605. 2463 StadtA BS, B III 15 Nr. 1a, Bl. 259r. 2464 Vgl. ebd., Bl. 259r. 2465 Vgl. ebd., Bl. 260r. 2466 Vgl. ebd., Bl. 59r–64r. 2467 Ebd., Bl. 67v.

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der Stadt über dieses Thema zu wechseln, da er dessen überdrüssig sei. Noch im Frühjahr brach er zum Kaiser auf. Nach seiner Rückkehr im Juli 1539 wurde es nun aber auch für die Stadt langsam ernst. Im August ließ Heinrich erste praktische Forderungen stellen, die seine Rolle als kirchlich-obrigkeitlicher Souverän betonen sollten: Die Stadt habe den künftig vom Herzog verordneten geistlichen Visitatoren die Tore zu öffnen und ihnen bei ihrer Arbeit behilflich zu sein. Städtischerseits wurde dieses Ansinnen wie üblich rundweg abgelehnt – man fürchte sich vor den Visitatoren keineswegs, wie der Rat betonte.2468 Die nüchterne Antwort des Herzogs vom 29. 9. 1539 lautete schlicht: Demnach wir dan in vnserm furstenthumb vnd obrigkeit ein christliche visitation furgenomen, vnd dieselbig an die stende vnsers furstenthumbs vnd in vnser furstlicher ausgeschrieben haben, vnd jr euch auch ewerm schreiben nach vns solcher visitation nit furchten, szo wollen wir vns versehen, jhr werdet derselben visitaion stat geben […].2469

Der Rat weigerte sich dennoch beharrlich und gab vor, die christliche Obrigkeit stehe ihm zu, da er für das Seelenheil seiner Untertanen zu sorgen habe. Heinrich wollte nun aber – wie zuvor aus seinen anderen Ämtern – auch von den Braunschweigern wenigstens einige Informationen zum Stand des Kirchenwesens erlangen. Hierzu erkundigte er sich nach dem Zustand der Pfründenbesetzung und dem Lebenswandel der Pfarrer, befahl zudem, jegliche Geistliche de sick bewivet hedden, nicht mehr in der Stadt zu dulden.2470 Am 25. 1. 1540 schrieb der Rat eine harsche Antwort: Hinsichtlich der Zustände solle sich der Herzog in der städtischen KO informieren, die man ja im Druck herausgegeben habe; dat wi aver de geistligen, so bi vns tor ehe gegrepen, vnser stadt vnd gebeden vorwisen scholden, dewile desulven sick dem gotligen worden, dat den ehestandt nicht vorbut, sunder tolet, gemes geholden, des achte wi nicht schuldig to sinde […].2471 Auch dieser Disput verlief sich letztlich wieder in zahlreiche Einzelheiten über den Rechtsstatus der Stadt, die hier im Detail nicht weiter von Belang sind. Interessant ist indessen, dass der Herzog mit dieser Visitation erstmals selbst in ein dezidiert kirchliches Recht einzugreifen plante.2472 Die Beziehungen zwischen Rat und Herzog waren um 1540 aber bereits vollständig zerrüttet, sodass sich der Rat nun die volle Kirchensouveränität anmaßte und jegliche Diplomatie schließlich zum Erliegen kam. Der Zeitpunkt war hierbei durchaus vorteilhaft gewählt: Heinrich war mittlerweile in der Gunst Karls V. gesunken. Während 2468 2469 2470 2471 2472

Vgl. ebd., Bl. 170v. Ebd., Bl. 171v–172r. Vgl. NLA HA, Cal. Br. 21 Nr. 228, Bl. 12r. Vgl. ebd., Bl. 12v. Allerdings wandte sich Heinrich 1541 nochmal mit der Bitte um eine auszuführende Visitation an den Erzbischof von Magdeburg/Mainz. Vgl. LASA Magdeburg, A 13 Nr. 74.

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Braunschweig noch im März ein Schutzbegehren gegen Heinrich durch den kaiserlichen Vizekanzler Dr. Held abgeschlagen worden war, gab der Kaiser im Oktober 1540 ein neues Edikt heraus, welches auf den Frieden beider Parteien abzielte.2473 Der Rat wusste dies umgehend für sich zu nutzen. Alle öffentlichen Bittgebete, die der Herzog den städtischen Predigern 1540–41 anbefahl, wurden streng zurückgewiesen – obwohl der Rat grundsätzlich durchaus von ihrer Notwendigkeit überzeugt war.2474 Parallel wurde nun 1540 bis 1541 öffentlich ein erbitterter Flugschriftenstreit zwischen Stadt und Herzog ausgefochten, in welchem der Rat erneut u. a. behauptete, ihm stehe die volle Kirchenhoheit über seine Bürger zu, da sich die Altgläubigen nicht um das Seelenheil ihrer Untergebenen gekümmert hätten. Auch hätte man ihnen das Abendmahl gemäß dem Neuen Testament in zweierlei Gestalt austeilen müssen – diese Aufgabe sei daher nun an den Rat als christliche Obrigkeit gefallen.2475 Hinsichtlich der Obrigkeitsrechte der Landstadt führte man nun aus: Das aber der Speirisch Reichs abschiede/ vns nicht begreiffen vns auch nicht gebüren solte/ endrung oder ordnung jn der kirchen zumachen/ in ansehung das wir kein stadt des Reiches/ keine Oberigkeit/ sunder entzelen personen/ vnd seiner F.D. gehuldigte vnderthanen/ vnd sie vnser einiger landisfürst sein solte &c. Darauf sagen wir/ das wir auch jnn vnserer Stadt ein frey gemein vnd Oberigkeit sein/ die Jurisdiction/ Gericht vnd Recht […] haben/ nicht weiniger als Hertzog Heinrich zu Wülffenbüttel mag haben/ Darümb begreifft vns der Speirisch abschied der von der oberigkeit sagt/ auch […].2476

Der Rat sah sich demnach durchaus als rechtliche Obrigkeit innerhalb der Stadt an und wollte damit den Verweis auf einen mangelnden Reichsstadtstatus entkräften. Überdies sei ja der Speyerische Abschied auch nicht aufgehoben, sondern durch die Anstände zu Nürnberg (1532) und Frankfurt (1539) bestätigt worden. Der Speyerische Abschied spreche nun auch nicht von Reichsständen, sondern lediglich von Untertanen. Tatsächlich handelte es sich bei der juristischen Behauptung, der Reichsabschied habe mit §4 lediglich die unmittelbaren reichständischen Obrigkeiten bezeichnet, um eine zumindest fragwürdige Position.2477 Doch man ging in der Argumentation noch weiter. Das obrigkeitliche 2473 Vgl. Petri, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 142–143. 2474 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 339v–340v (1540). Hierzu hieß es im städtischen Gedenkbuch: Vnd wowol ein erb radt vor sick sulvet bi oren predicanten vor alle noittorfft d[er] cristenheit bedeldage vorordent gehat vnd ok dath sulve jn oren gerichten Asseborch vnd Eike laten bestellen, so hefft men vorgerorte schrifft nicht vorantwordit, sunder dat bi eines erb rad cristliger bestellunge vnd vorordenunge gelaten. Vgl. auch: StadtA BS, H V Nr 217, pag. 204–205. 2475 Vgl. [o. A.], Warhafftige vorantwortunge, Bl. Bijr. 2476 [o. A.]: Eins Erbarn Raths der Stadt Braunschweig/ andere warhafftige/ bestendige/ vn[d] vnuorneinliche vorantwurtung […], [o.O.] 1541, Bl. M ijv. 2477 Der Abschied sprach in §4 nirgendwo von Reichsständen. Stattdessen hieß es, man habe sich dahingehend verglichen, dass ein ieglicher, in Sachen, so das Edict, durch Kayserl.

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Ratshandeln war laut Magistrat vor allem deshalb nötig geworden, weil viele unschuldige Seelen sonst inzwischen durch ihr Dahinscheiden der Verdammnis anheimgefallen wären, sofern man – wie vom Herzog befohlen – auf ein etwaiges Konzil gewartet hätte.2478 Wie zu erwarten, wies Herzog Heinrich all diese Behauptungen weit zurück und betonte erneut den mangelnden Status einer Reichsstadt. Insgesamt wurden bis zum Fehdebrief (1542) elf Wechselschreiben im Druck herausgegeben, welche die Ansicht der jeweiligen Partei öffentlich darlegten.2479 Neue Argumente gab es nach dem ersten Schriftwechsel allerdings kaum noch – lediglich der Ton wurde rauer. Als auch ein Vermittlungsversuch der Landstände zwischen Stadt und Herzog 1540 scheiterte,2480 musste letztlich alles unabweichlich auf einen bewaffneten Konflikt hinauslaufen. Nachdem Heinrich zwischen 1542–47 schließlich aus seinem Fürstentum vertrieben war und die Bischöfe 1548 erfolglos versucht hatten, das Interim in Braunschweig einzuführen,2481 ließ man im Friedensvertrag von 1553 auch die kirchlichen Rechte neu festschreiben. Hierin wurde nun dem Rat erstmals vom Herzog das kirchliche Summepiskopat zugestanden – bis zu einem etwaigen Konzil: Es sollen auch die von Braunschweig vnd die jennen an ihrer religion wie sie die selbigen noch haben […] nicht angefochten bekümmert oder beschwertt werden.2482 Herzog Heinrich begann nach 1555 sogar selbst mit der vorsichtigen Öffnung seines Territoriums für lutherische Glaubenspraktiken.2483 Damit gehörten größere religiöse Auseinandersetzungen zwischen Stadt und Landesherr vorerst der Vergangenheit an. Lediglich hinsichtlich der vom Herzog nach wie vor verordneten Bittgebete kam es bisweilen noch zu kleineren Reibereien.2484 Konfliktträchtig wurde die Lage für Braunschweig erst wieder, als das umliegende Fürstentum 1568 den protestantischen Glauben annahm und 1569 ein eigenes Konsistorium schuf. Herzog Julius erkannte 1571 zwar durchaus an, dass

2478 2479 2480 2481 2482 2483 2484

Majest. auf dem Reichs=Tag zu Wormbs gehalten, außgangen, belangen möchten, für sich also zu leben, zu regieren und zu halten, wie ein jeder solches gegen GOtt, und Kayserl. Majestät hoffet und vertraut zu verantworten. Zitiert nach: Senckenberg, Heinrich Christian von; Schmauß, Johann Jacob (Hrsgg.): Neue und vollständigere Sammlung der ReichsAbschiede, welche von den Zeiten Kayser Conrads des II. bis jetzo, auf den Teutschen Reichs-Tägen abgefasset worden […], Teil 2, [Frankfurt a.M.] 1747, S. 274. Vgl. [o. A.], Vorantwurtung, Bl. E iiijr: O wie viel tausent mal tausent menschen/ sein etzliche Jar her/ durch solche vnchristliche fürgeben/ man solle Gottes Wort nit annemen […] auffgehalten/ die mitler zeit verstorben […]. Zur Auflistung der Flugschriften vgl. Hinz, Kampf, S. 25–33. Vgl. Becker, Friedensstifter, S. 117ff. Vgl. StadtA BS, B IV 2b Nr. 2, Bl. 1r–4r. StadtA BS, H III 4 Nr. 66, Bl. 7v–8r. Vgl. Petri, Herzog Heinrich der Jüngere, S. 125; Reitemeier, Dynastie, S. 91. Vgl. z. B. ein verordnetes Mandat des Herzogs zur Abhaltung eines Bittgottesdienstes für bessere Feldfrüchte. StadtA BS, H V Nr. 217, pag. 293 (1560).

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die Braunschweiger seinem Konsistorium keineswegs unterworfen seien,2485 allerdings kam es dennoch in seinen letzten Regierungsjahren 1588/89 zu Streitigkeiten hinsichtlich der geistlichen Jurisdiktion innerhalb der Stadt.2486 Während Julius und seine Konsistorialräte den Braunschweiger Predigern ihre Unterschrift unter die lediglich eindimensional verstandene Ubiqituitätslehre abnötigen wollten, lehnte der Rat dies mit Verweis auf die eigene Kirchenjurisdiktion ab. Die Braunschweiger vertraten, wie oben dargelegt,2487 die Lehre einer vollständigen Ubiquität Christi in beiderlei Natur. Nach Ansicht des Rates durfte der Herzog den städtischen Predigern in dieser Hinsicht keinerlei dogmatische Auflagen machen: Man habe ein sonderbar ministerium, consistorium vnd kirchenordnung; obgleich es nun scheine, als ob ihr [der Herzog M.V.] euch vber vnser ministerium in solchen schweren religionssachen einer sonderbarenn jurisdiction antzumaßen gemeint, so sei dies dem alten herkommen zu wieder.2488 Schließlich habe man sich doch mit hertzogen Heinrichen christlicher angedechtnis dieses articuls halber in anno drei vndt fünffzig also vortragen, dass der Stadt die volle Jurisdiktion in Kirchensachen bis zu einem etwaigen Konzil zustehe.2489 Noch während der dogmatischen Streitigkeiten verstarb Julius 1589. Sein Sohn, Heinrich Julius, sprach daraufhin der Stadt die Geistliche Jurisdiktion im Allgemeinen ab, was u. a. am oben bereits dargelegten Streit um das städtische Konsistorium ersichtlich wird.2490 Daher beendete im Gegenzug nun auch die Stadt sämtliche kirchlich-konsistorialen Verbindungen zum Fürstentum. Noch bis 1589 hatte man z. B. die vom fürstlichen Konsistorium zugesandten Zitationsbriefe2491 in Ehesachen gutwillig am Rathaus anschlagen lassen.2492 Der zunehmende Konflikt in der Episkopalfrage bewegte den Rat jedoch dazu, sämtliche Konzessionen einzustellen, um damit etwaige Ansprüche des Herzogs rundweg zurückzuweisen. Das letzte Zitationsschreiben, das in Braunschweig am Rathaus angeschlagen wurde, datiert demgemäß auf den 21. 12. 1589.2493 Seit 2485 2486 2487 2488 2489 2490 2491

Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 374. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 13, Bl. 158rff. Vgl. Kapitel 1.6 und 2.3.2. StadtA BS, B III 15 Nr. 13, Bl. 175v–176r. Ebd., Bl. 176v. Vgl. Kapitel 2.1.6. Die Zitationsbriefe wurden beim »böswilligen Verlassen« des Ehepartners in umliegenden Ortschaften angeschlagen – mit der Bitte an den Ehepartner, sich im Konsistorium einzustellen. Tat er dies nicht, so konnte die Ehe unter Protestanten geschieden werden. 2492 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 227, Bl. 9r. So hieß es z. B. 1584 an den Herzog, man habe die offentliche citation empfangen, vnd nicht vnterlassen, dieselben alsbalden an vnser Altestadtrhathauß offentlich zu affigiren. 2493 Vgl. ebd., Bl. 40r. Auf der Rückseite (Bl. 40v) des Zitationsbriefes steht handschriftlich: Diese citation habe ich heut den 15 may ao. 90 aus dem weinkeller bekommen vnd ist offentlich angeschlagen gewesen.

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Frühjahr 1590 ließ man die eintreffenden Zitationsbriefe nicht mehr aufhängen, sondern teils an den Herzog zurücksenden, teils kassieren und aufbewahren.2494 Dies begründete der Rat in einem Schreiben an die herzoglichen Räte damit, dass das Aufhängen herzoglicher Zitationsbriefe in der Stadt nicht hergebracht wäre und allenfalls zum abbruch gemeiner stadt recht vnd gerechigkeit gereichen würde.2495 Die herzoglichen Konsistorialräte waren nicht wenig erstaunt, konnten sie doch das Gegenteil anhand vieler Akten beweisen: Nun gebähre sich die Stadt gegenüber dem Konsistorium gleich frembden, obwohl man dem Herzog als vnderthanen auch in diesen Kirchensachen verpflichtet sei.2496 Doch auch ein erneutes Zurücksenden des Zitationsbriefes vom Konsistorium an den Stadtrat fruchtete nicht: Der Rat weigerte sich beharrlich, die Briefe am Rathaus aufzuhängen – denn hierzu sei man dem Herzog und dessen Konsistorium nicht verpflichtet. Zeitgleich entstand überdies ein Streit über die vom Rat durchzuführenden Bittgebete für den Herzog. Heinrich Julius brach im April 1590 nach Dänemark auf, um dort die Tochter des dänischen Königs zu ehelichen – hierfür wünschten seine Räte, dass in allen Braunschweiger Pfarren Bittgebete für eine sichere Reise abgehalten wurden.2497 Das Schreiben ging aber nicht an den Stadtrat, sondern wurde gezielt direkt an das Ministerium gesandt. Hierdurch sah sich der Magistrat natürlich erneut in seinem Recht als Summus Episkopus angegriffen. Das Ministerium selbst war den Bittgebeten durchaus aufgeschlossen und plante bereits, diese bald durchzuführen. Es übermittelte den Ratsherren die herzogliche Forderung daher in Erwartung einer positiv ausfallenden Antwort. Der Rat fühlte sich jedoch vom Herzog übergangen und lehnte die Bittgebete aus politischen Gründen ab.2498 Da die Prediger es wiederum für ihre göttliche Pflicht hielten, dem Herzog die Bittgebete zu verrichten, kam es auch innerstädtisch zu heftigen Konflikten: Das Ministerium wollte die Gebete notfalls auch ohne Ratskonsens durchführen. Der Rat schickte daher am 10. 4. 1590 einen Juristen zu Superintendent Polycarp Leyser und ließ ihm ausrichten, er solle auf Befehl des Rates keinesfalls die Bittgebete auf den Kanzeln gestatten: Hierauf sagte Polyc[arp,] das ministerium hette geschlossen die verbit zuthun. Man sehe die politischen bedencken nicht so wichtig an, das sie deß wegen Gots bevelich einstellen solten.2499 Nur mittels harter Drohworte und der Versicherung, dass der Rat die Geistlichen wegen der verweigerten Bittgebete vor dem Herzog schützen 2494 Daher liegen noch sämtliche Zitationsbriefe des Jahres 1590 vor. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 227. 2495 Ebd., Bl. 15r. 2496 Ebd., Bl. 19r–20r. 2497 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 11, Bl. 23r. Schreiben vom 4. 4. 1590. 2498 Vgl. ebd., Bl. 27r–28r. 2499 Ebd., Bl. 160r.

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werde, gab Leyser schließlich nach. So konnte der Rat dem Herzog noch am gleichen Tag mitteilen, dass er die von den Räten verordneten Bittgebete nicht zulassen werde. Man erbot sich jedoch stattdessen, dem Ministerium von Rats wegen – und nicht aufgrund der herzoglichen Forderung! – die Anordnung zu erteilen, entsprechende Bittgebete durchzuführen.2500 Dies geschehe dann jedoch aus Gunst des Rates gegenüber dem Herzog. Um nochmals unmissverständlich zu demonstrieren, dass dies ein Gunstbeweis und keine kirchenrechtliche Pflicht war, sandte der Rat die vom fürstlichen Konsistorium übermittelte Gebetsformel umgehend zurück und ließ stattdessen einen eigenen Gebetstext aufsetzen.2501 Ähnliche Auseinandersetzungen erfolgten nun bei jedem neuen Bittgebet, das der Herzog den Braunschweiger Predigern befahl.2502 Seit den 1590er Jahren wurden die städtischen Pfarrer nun auch nicht mehr (wie 1569 vereinbart) an das Konsistorium nach Wolfenbüttel geschickt – im Gegenzug behielt der Herzog die Pfarrlehen ein. Der Rat betonte 1590 nochmals, man habe die episcopalem audientiam, geistlich colloquium vnd wolangeordentes consistorium nomine alio concurrente, bei vnsern kirchen.2503 Als der Herzog dennoch nicht locker ließ und seine Konsistorialräte dem Rat in verschiedenen Belangen weiterhin Anweisungen zu erteilen suchten, erklärte man schließlich mit Hinweis auf die eigene KO, dass man den fürstlichen consistorialibus durchauß der allergeringsten bottmessigkeit vber diese stat, vnd derselben kirchen regiment nicht gestendig sei.2504 Das war seitens der Stadt eine klare Ansage an das herzogliche Konsistorium. Obgleich Heinrich Julius diese vehement bestritt, so kam man doch während der 1590er Jahre zu keiner Einigung mehr.2505 Die jeweiligen Argumente waren dabei im Wesentlichen die oben dargelegten aus den 1530er/40er Jahren. Damit hatten beide Seiten schon bald alle Brücken abgebrochen. Es ließ sich keine einzige kirchliche Forderung des Herzogs nachweisen, auf die der Rat seit den 1590er Jahren noch tatsächlich eingegangen wäre. Bis zum Friedensvertrag von Steterburg (1615) blieb der Magistrat damit innerhalb der Stadt unumschränkter Summus Episkopus und unterschied sich in dieser Hinsicht auch nicht mehr von den Obrigkeiten souveräner Reichsstädte.2506

2500 2501 2502 2503 2504 2505

Vgl. ebd., Bl. 29r. Vgl. ebd., Bl. 38r. Vgl. z. B. die abgedruckten Korrespondenzen bei Meibom, Bericht II, S. 21. StadtA BS, B IV 11 Nr. 228, Bl. 9v. StadtA BS, B III 16 Nr. 7, Bl. 86r. Dies zeigt sich z. B. am herzoglichen Edikt zur Kirchenstrafe für Totschläger und Lästerer (1593), welches der Rat nicht akzeptieren und aushängen lassen wollte, da die Stadt ein eigen Consistorium und Jus statuendi hätten. Zit. nach Rehtmeyer, Historiae IV, S. 127. 2506 Zu den darauf folgenden Auseinandersetzungen ab 1600 vgl. Steinführer, Herzogtum, S. 78ff.

Stadtgemeinde und Konfessionsbekenntnis

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Um die Kirchenhoheit nach außen gegen den Herzog strikt verteidigen zu können, bedurfte es freilich auch einer inneren Geschlossenheit. Aus den innerstädtischen Diskursen zwischen Rat, Gildemeistern und Hauptleuten wird deutlich, dass eine solch harte außenpolitische Linie nur durch ein gutes Zusammenspiel im Inneren gewährleistet werden konnte. Während also der gemeindliche Einfluss am Aufbau des innerstädtischen Kirchenwesens (wie bereits angedeutet) schnell schwand, wurde die Bürgerschaft an allen größeren kirchlichen Entscheidungen außenpolitischer Natur bis in die 1550er Jahre durchaus noch einbezogen. Dieses Vorgehen kam gerade in der Frühzeit des stadtreformatorischen Geschehens keineswegs selten vor und entstammte noch den spätmittelalterlichen »Konfliktregelungsmechanismen«.2507 Tatsächlich hielten diese Absprachen von Rat und Bürgerschaft aber weit über die Reformationsentwicklung hinaus an und kamen erst mit der Entpolitisierung der Kirchenfrage seit 1555 zum Erliegen.2508 Marksteine waren für Braunschweig neben der Einführung der KO (1528/29) u. a. der Augsburger Reichstag (1530), die Aufnahme in den Schmalkaldischen Bund (1531) sowie dessen künftige Beschlüsse, die Annahme des Nürnberger Abschieds (1532), die Landtagstreffen zu Gandersheim und Rüningen (1533–35), die Reformation in den städtischen Landgebieten (1540), der Schmalkaldische Krieg (1546–47) sowie das Interim (1548). Immer wieder stand im Vorfeld dieser Ereignisse die Abwägung jedes Einwohners zwischen persönlichem Leibesrisiko und Aufgabe des lutherischen Glaubens. Schon bei der Annahme des lutherischen Bekenntnisses hatte der Rat den Bürgern im März 1528 zu bedenken gegeben, dass diese Kirchenreformation auch für jeden Einzelnen spürbare Konsequenzen haben könne. So wäre es etwa möglich, dat se vmme alle ore privilegien vnd friheide komen mochten.2509 Als mahnendes – wenn auch strenggenommen unkonfessionelles – Beispiel zog der Rat die Vertreibung Ulrichs von Württemberg heran: Alse den kortes vorgangener tidt der acht halven fursten Ulr. dux Würtemb. vnd heren vmme lande vnd lude gekomen.2510 Tatsächlich hatte sich zu diesem Zeitpunkt Herzog Heinrich d.J. aufgrund seiner Abwesenheit noch nicht zu Wort gemeldet – der Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg hingegen war bereits am 1. 1. 1528 mit einem harten Mahnschreiben an den Rat herangetreten.2511 Die Vertreter der Gemeinde waren sich nach eigenen Angaben der Gefahren bewusst und wollten dennoch die Reformation vorantreiben. 2507 2508 2509 2510 2511

Vgl. Hamm, Bürgertum, S. 42. Vgl. zur ähnlichen Lage in Lemgo auch Schilling, Konfessionskonflikt, S. 101ff. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 21r. Ebd., Bl. 21r. Vgl. ebd., Bl. 28r–29r.

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Am 24. 2. 1529 meldete sich nun erstmals nach seiner Heimkunft der Wolfenbütteler Herzog zu Wort und untersagte den städtischen Knochenhauern, Fleischprodukte während der Fastenzeit feilzubieten (bzw. den Bürgern, diese zu erwerben).2512 Damit war erstmals nach Annahme der KO die Gemeinde gefordert; der Rat konnte und wollte über eine derart tiefgreifende Entscheidung nicht alleine urteilen. Allerdings durfte er sich bereits im Vorfeld einer entsprechenden Rückendeckung von Gilden und Gemeinden gewiss sein: Von diesen war bereits im Sommer 1528 die Forderung gestellt worden, auch in der Fastenzeit wöchentlich an wenigstens drei Tagen einen Fleischverkauf zu gestatten (dewile ock neyn vnderscheid der spise na der leere Pauli schal geholden werden).2513 Da der Rat somit auf eine Unterstützung der Bürger bauen konnte, berief er Mitte März 1529 wie üblich die Stände (= Gildemeister und Hauptleute) zusammen und präsentierte ihnen die – mittlerweile vierte – Drohschrift des Herzogs,2514 die neben dem Fleischverzehr auch eine ratsherrliche Übernahme des Kirchenregiments im Allgmeinen anprangerte. Zusätzlich zum Drohschreiben des Herzogs traf im Mai noch ein kaiserliches Mandat aus Speyer ein, das neben anderen Klagepunkten gerade auch den Fleischverkauf der Metzger kritisierte. Gegen die Drohung der Reichsacht wurde vom Kaiser verlangt, dass Braunschweig die Neuerungen im Kirchenwesen und explizit auch den Fleischverkauf wieder abschaffe.2515 Entsprechend angespannt war die Lage im Frühjahr 1529, als Rat, Gilden und Hauptleute zur Beratung zusammentraten. Die Frage an Gilden und Gemeinden war nun, ob man sich städtischerseits gegen das Schreiben des Herzogs positionieren sollte. Tatsächlich waren sich die Bürger in dieser Hinsicht rasch einig, wie z. B. die Antwort des Sackes verdeutlicht. Sofern der Herzog beweisen könne dorch syne gelerden, dorch dat godtlyke worth, dass die Bürgerschaft im Fleischessen unchristlich handele, so wolle man sich gerne vnderrychten laten; andernfalls solle der Rat dem Herzog hingegen mitteilen, dass dieser die städtischen Kochenhauer nicht weiter nötigen oder bedrängen möge.2516 Im Falle aber, dass der Herzog den Knochenhauern gegenüber nicht nachgebe, szo wylle wy lyff vnde gudt by se [den Knochenhauern 2512 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 1v: Der Herzog klagte, das jn dieser fasten euwer bürger daruff einer neuwerung mit fleischfressen sich angenommen, vnd dasselbige zu feillen kauff, ane vnterlaß, jn den scharnen sollen auslegen, das doch denselben euwern, vnd aller euwer bürger zusagen, gantz vngemeß vnd zuwidder wissen […]. 2513 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 57v. 2514 Vgl. StadtA BS, B III 1 Nr. 6, Bl. 7r–9v. 2515 Vgl. NLA WF, 1 Alt 29 Nr. 238, Bl. 1: […] Auch, ferner vnd als sein lieb jn nechstvergangner fasten, durch euch den rate den mezgern ernstlich gepotten, die zeit keyn fleysch fayl zuhaben jr dem selben seiner lieb gepot, vngeachtet des, das die mezger von seiner lieb sonderlich befreihet nicht gelebt, vnd euch dem widersetzig vnd vngehorsamblich gemacht […]. 2516 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 123r.

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M.V.] vp setten.2517 Das war ein klares Statement aus dem Sack. Da sich deren Vertreter zuvor mit ihren Bauerschaften auch beraten hatten, ist diese Entscheidung durchaus als repräsentativ zu werten. Auch die Gilden und Gemeinden der Altewiek stimmten dem zu und gaben an, die friheit der spise müsse nun, da man das Evangelium angenommen habe, gewährleistet bleiben. Es handele sich bei den Fastengesetzen nämlich um mynschen lerenn, denen man laut der Heiligen Schrift nicht zu folgen brauche.2518 Man habe geschworen, nicht nach dem Fleische, sondern dem Geiste zu leben und wolle für diese Entscheidung mit dem Leben einstehen. Ähnlich argumentierten auch die Gemeinden der anderen Weichbilde. Als zentrales rechtliches Argument wurde neben dem allgemeinen Landfrieden vor allem immer wieder auf den Reichstagsabschied von Speyer (1526) verwiesen. Da die Gemeinde das religiöse Fasten folglich ablehnte, wies der Rat die herzoglichen Forderungen schließlich ebenfalls zurück. Auch künftig wurde damit der Fleischverkauf das ganze Jahr hindurch gestattet. Die Frage nach dem Fleischverzehr ist jedoch aufgrund ihrer äußerlich sichtbaren Wahrnehmung vor allem als symbolischer Streit um die neue evangelische (Kirchen)ordnung zu sehen. Diese hatte der Herzog – wie gesagt – zeitgleich angefochten und ihre umgehende Aufhebung gefordert (s. o.). Daher wollte sich der Rat im März 1529 auch in diesem Punkte bei seiner Bürgerschaft rückversichern. Gilden und Gemeinde im Sack erklärten nach eingehenden Beratungen, es hätte sie dath gotlyke worth [da]tho geforderth, zeitnah eyne ordynantien anthorichten, welche ja dem kaiserlichen Landfrieden auch nicht zuwider sei. An dieser Kirchenordnung wolle man einhellig festhalten, sofern der Herzog nicht bewisen konde, dath sze gegen gades worth were.2519 Auch die Gemeinde der Altewiek war dieser Ansicht und fügte hinzu, man solle die Ordnung – unangesehen der Kritik des Herzogs – einhalten und to der daeth stellen, da sie in der göttlichen Schrift gegründet sei.2520 Der Herzog dürfe die göttliche Ordnung nicht durch menschliche Gebote beschweren. Der Rat sah sich damit 1529 ausreichend bestätigt und beharrte aus diesem Grunde gegenüber dem Herzog auf seiner neuen KO. Die Folge war ein durch Heinrich d.J. angestrengter Reichskammergerichtsprozess, der noch im selben Frühjahr begann.2521 Auch hinsichtlich der Beschlüsse des Schmalkaldischen Bundes wird die Haltung der Gemeinden deutlich. 1532 wurde auf den Bundestagen erstmals die Frage diskutiert, inwiefern ein militärisches Eingreifen der Bundesgenossen eine mögliche Option gegen das aggressive Vorgehen der katholischen Fürsten sei. Der Braunschweiger Rat brachte diese Problematik an die Gilden und Gemein2517 2518 2519 2520 2521

Ebd., Bl. 123r. Ebd., Bl. 129r. Ebd., Bl. 123r. Ebd., Bl. 128r. Vgl. NLA WF, 1 Alt 29 Nr. 238, Bl. 1v–4v und NLA WF, 6 Alt Nr. 4, Bl. 2r–7r.

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den, um sich diesbezüglich für seinen außenpolitischen Kurs abzusichern. Die Ausrichtung des Bundes könne, so der Rat am 2. 2. 1532, ok de wege erreken, dat men ok mit luden helpen moste.2522 Hauptleute, Gildemeister und Geschickte bezeugten jedoch ihr Einvernehmen mit der Haltung des Schmalkaldischen Bundes. Da man sich gemeinschaftlich aus Gnade Gottes öffentlich zum göttlichen Wort bekannt und dies auch vor dem Rathaus mit Hand und Mund angelobt habe, sei man fest entschlossen, bei diesem Wort zu bleiben. Man setze Leib und Gut auf den Glauben und tue alles, damit man tor pewstlig affgoderige nicht weder komme.2523 Hierfür sei man auch bereit, entsprechende Hilfezahlungen zu leisten, sofern dies notwendig werden sollte. Der Rat konnte somit auch künftig offensiv agieren und seine Position auf den Bundestagen kundtun. Ähnliche Absprachen fanden auch nach Abschluss des Nürnberger Friedens (1532) statt. Hier stimmte die Gemeinde dem Abschied schließlich ebenfalls zu und nahm den Frieden mit allen diesbezüglichen Konsequenzen an.2524 Auch 1546, als die Lage schließlich tatsächlich in kriegerischen Auseinandersetzungen eskalierte, wurde die Gemeinde in die Beschlüsse einbezogen. Erneut stand die Frage im Fokus, wie weit die Bürgerschaft für ihren Glauben bereit war zu gehen. Stand das leibliche Wohl über dem geistlichen oder umgekehrt? Natürlich musste sich der Rat diesbezüglich der Rückendeckung seiner Bürger versichern. Er tat dies in einer direkten Ansprache, welche sich auch wörtlich überliefert hat: Ersamen leven borgere, gy wethen wat mathen de dach tho Vlm vp juwe gegeven fulmacht von den reden vnd gesanten der einungesvorwanthen thom besten bedacht, dat de genoitdrengte jegenwer mote beharret werden […].2525 Daraufhin wurden die Folgen der vermeintlichen päpstlichen Knechtschaft verdeutlicht, sollte man dem Kaiser nachgeben: Abschaffung der evangelischen Predigt, Verbannung lutherischer Bürger und Verlust von Leib und Gut. Außerdem bat der Rat im Falle einer Zustimmung des reformatorischen Kurses um eine Garantie für die Zukunft: Alles, was aufgrund der Beibehaltung des göttlichen Wortes thokünftig vororsaket werden mochte, sollte nicht dem Rat angelastet werden.2526 In diesem Falle müssten die Bürger hinter dem Rat stehen. Hauptleute und Gildemeister erhielten jeweils eine Abschrift der Ansprache und trugen diese der Bürgerschaft auf den Weichbildrathäusern vor, bevor sie sich wieder mit dem Rat zusammensetzten. Die Antwort der Bürgerschaft war eindeutig: Man wolle by Goddes worde wo jd hyr geprediget vnd by dem rade blyven 2522 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 55r. 2523 Ebd., Bl. 55v. 2524 Vgl. ebd., Bl. 89r: Nehmen den Norenberger Avescheit an vnd laten den jn sinen werden, mith beden, ein erb radt wille furder jn der sacke arbeides vnvordroten sin, darmede sodans der stadt to gude kome. 2525 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,2, Bl. 317r. 2526 Ebd., Bl. 318r.

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vnd by ohre erw lyff vnd guth vpsetten, vnd hebben dar vp alle de hant van sick gegeven.2527 Im Zuge dieser Verhandlungen bekannte die Gemeinde hinsichtlich des katholischen Glaubens, dass es beter were einmael tho sterven, dan jn solckem jammer tho leven.2528 Im Sommer 1548 spitzte sich die Lage erneut zu. Nachdem am 15. 5. 1548 das Augsburger Interim beschlossen worden war, ließen Kaiser und Bischof (von Hildesheim) jeweils Mahnungsschreiben zu dessen Annahme an den Rat ergehen. Schon bald darauf wurde jn der gemene vnd sunst darup allerleie geredet vnd also in dem [ein] mißvorstandt jegen den radt vorgefallen.2529 Einige Bürger waren demnach mit der riskanten Politik des Rates, der Annahme des Interims auszuweichen, nicht zufrieden. Auch jetzt musste wieder das leibliche Wohl mit dem geistlichen abgewogen werden. Der Rat argumentierte aber am 14. 7. 1548, man habe sich vor Jahren einhelligen zur evangelischen Religion bekannt. Nun müsse man auch des jnterims halven gleichsam für diese Sache einstehen – notfalls mit weltlichen Gütern.2530 Im Oktober wurden erneut Klagen laut, zahlreiche Bürger hätten in drunckenheit vielerlei vngeborlige rede wegen der Religion veranstaltet.2531 Auch diese bezogen sich vermutlich wieder auf das Interim. Nun gaben nochmals sämtliche Hauptleute und Gildemeister ihre Stellungnahmen ab: Mit Leib und Gut stehe man hinter dem politischen Kurs des Rates. Die Gemeinde des Sackes war gar der Ansicht, sie willen aver dat speit sulvest in de handt nhemen.2532 Damit wurde die Verwerfung des Interims nochmals sanktioniert und auch jeglicher Eingriff des neuerdings zurückgekehrten Herzogs von vornherein abgelehnt.2533 So konnte der Rat schließlich mit voller Rückendeckung von Gemeinde und Geistlichkeit dem Kaiser die (vorsichtig formulierte) Ablehnung des Interims mitteilen (1. 1. 1549).2534 Nicht umsonst war das Schreiben dann auch unterzeichnet mit borger vnd radt der stadt Brunswigk.2535 2527 2528 2529 2530 2531 2532 2533

Ebd., Bl. 308v. Ebd., Bl. 317v. Ebd., Bl. 377r. Ebd., Bl. 377r. Ebd., Bl. 382v. Ebd., Bl. 383v. Dieser hatte bezüglich der Religion in der Stadt aber ohnehin wenig Interesse, sondern war an ökonomischen Zugewinnen interessiert. Hinsichtlich der Religion versprach er der Stadt schon zu Beginn der Friedensverhandlungen (Frühjahr 1549): De religion belangend, wolte s[ein] f[ürstlich] g[naden] den rath darinnen für sich nicht molestiren […]. Vgl. ebd., Bl. 386v. 2534 StadtA BS, B IV 2b Nr. 2, Bl. 61v: So bidden wi juwe kai[serliche] ma[iäste]t vnderdeniglig, de wille vns alse de gehorsamen bi vnser angenomen vnd erkanten religion, de wi so lange her vnd noch jtzo predigen vnd leren, aller gnedigst bliven dar bi schutten vnd hanthaven laten. Es handelt sich hier um ein Konzept mit der Aufschrift: Der stadt Brunswigk antwort an de kai mat vp dat jnterim (Bl. 62v). 2535 Ebd.

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Nach Abschluss des Passauer Vertrages und des Religionsfriedens war jedoch die Kirchenpolitik von weltlichen2536 Konsequenzen weitgehend losgelöst. Dies zeigt sich insbesondere bei den folgenden Verhandlungen zu den Lüneburger Artikeln (1561–63) dem Corpus Doctrinae (1563/64) und der Konkordienformel (bis 1577). Nicht die Bürgerschaft musste in diesen Fällen mit dem Rat über die Annahme der Glaubenszeugnisse verhandeln, sondern das Geistliche Ministerium. So hieß es etwa bezüglich der offiziellen2537 Unterschrift der Lüneburger Artikel: Das nach vollendung derselbigen zusammenkunft den vi. augusti [1561] wir beide, superattendens vnd coadiutor, die gestelte formulam, vnsern freundlichen lieben herrn vnd brüdern, in vnserm colloquio vnd versamlung alhie, fürgelegt […]. Nach dem wir superattendens vnd coadiutor, brüderlich die herrn erinnert, das diß eine gemeine sach were, vnser aller ministerium vnd seligkeit belangendt […] haben die herrn nach ordnung, wie sie zu sitzen pflegen, man bey man eintrechtig ausgesagt, das sie damit wol zu friden […].2538

Nachdem auch der Rat dies approbiert hatte, galten die Lüneburger Artikel städtischerseits als angenommen, was am 8. 3. 1563 durch Unterschrift der Geistlichen nochmals formal bekräftigt wurde. Das persönliche Bekenntnis mit den Unterschriften der Prediger sollte kurz darauf auf Bitten der Kastenherren vom Ministerium allen Kirchvorständen ausgehändigt werden, ohne dass die Gemeinden dazu befragt worden wären: Am 10. 3. 1563 haben die kastenherren begert, jn ain jeder weichbild auch aines [= Bekenntnisformular] zugeben, cum nostra subcriptione, dess wir verwilliget, sofern sie die exemplaria schreiben lassen, etc.2539 Ähnlich verhielt es sich bei dem seit 1563 ausgehandelten und 1564 angenommenen städtischen Corpus Doctrinae.2540 Die Gemeinde wurde in diesen Dingen – soweit nachzuweisen2541 – fortan nicht mehr gefragt. Einerseits, weil sie nun nicht mehr mit Leib und Gut für diese Entscheidung einzustehen hatte, da seit 1555 keine akute Gefahr mehr bestand. Andererseits vermutlich auch des2536 Hier vor allem verstanden in ökonomischer und reichsrechtlicher Hinsicht. 2537 Die Artikel waren mündlich bereits am 6. 8. 1561 im Kolloquium akzeptiert worden, jedoch damals noch ohne entsprechenden Unterschriftennachweis. Dies wurde erst am 8. 3. 1563 nachgeholt. Das Dokument mit den originalen Unterschriften hat sich erhalten. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 1a, Bl. 282r–283v. 2538 StadtA BS, B III 15 Nr. 1a, Bl. 282r–283r. 2539 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 125v. 2540 Zu den Verhandlungen vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 125v–126r. Zur Annahme und Unterschrift des CD durch die Prediger am 21. 6. 1564 vgl. StadtA BS, G I 2 Nr. 75, Bl. 1r. Die Unterschriften von 1564 sind im Original noch auf den letzten Seiten des Durckexemplars des CD vorhanden. Vgl. Stadtbibliothek Braunschweig M 644. 2541 In den Verhandlungen der Stände aus den Jahren 1561–1564 haben sich keinerlei Diskussionen über die Annahme der Lüneburger Artikel oder das CD überliefert. Überhaupt fehlen hier religiöse Themen (bis auf das vebotene Fluchen) vollständig. Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 3,1, Bl. 46r–58r.

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halb, weil jene dogmatischen Kontroversen die theologische Bildung eines Großteils der Bevölkerung überstiegen. Da nur noch die Geistlichen jene Bekenntnisschriften unterzeichneten, standen auch nur sie mit ihrem Namen für die Einhaltung der Lehre gerade.2542 Dennoch ist erstaunlich, dass Hinweise zum Einbezug der Gemeinde an diesen Entscheidungen vollständig fehlen. Festzuhalten bleibt damit, dass sich der Rat für seine kirchenpolitischen Entscheidungen zuvor bei jenen Gruppen absicherte, die die entsprechenden Entscheidungen anschließend auch mitzutragen hatten. Zunächst war dies die Gemeinde, seit 1555 dann zunehmend nur noch das Geistliche Ministerium. Insbesondere bis in die 1550er Jahre konnte hierdurch eine stabile kirchenpolitische Ausrichtung gewahrt und ein striktes Vorgehen gegen etwaige episkopale Ansprüche von außen gewährleistet werden. Aus den Absprachen wird dabei deutlich: Das weltliche Wohl trat zugunsten des »rechten« Glaubens stets zurück. Ersteres war man bis 1555 durchweg bereit für den Erhalt von Letzterem zu riskieren.

4.3

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Seitens der Gemeinde stand man, wie oben ersichtlich wurde, für seinen neuen Glauben folglich mit allen Mitteln ein. Dies setzte für die Zeitgenossen zweifellos eine einheitlich lutherische Stadtgemeinde voraus. Doch durch eine Gruppierung fühlte sich die junge lutherische Gemeinde von Beginn an besonders gestört: die Juden. Neben der generellen Umbruchsituation und wirtschaftlichen Argumenten war gerade die Reinheit der religiösen Gemeinschaft eines der Hauptargumente für die Bürger und Theologen, um die restlichen jüdischen Bewohner nach 1528 zu vertreiben. Selbst die anfänglich noch tolerante Haltung Luthers milderte diesen Umstand auf Dauer keineswegs.2543 Im heutigen Niedersachsen bildete Braunschweig mit seinen noch ca. 100 jüdischen Einwohnern um 1500 eher die Ausnahme.2544 Städte wie Goslar, Helmstedt, Göttingen und z. T. Hil2542 Offiziell mussten natürlich auch die »Laien« allen Bekenntnisschriften gemäß leben (PO 1573/79). Allerdings ist kein Fall bekannt, in dem eine der späteren Bekenntnisschriften bei einem »Ketzerprozess« eines Laien tatsächlich eine Rolle gespielt hätte. Es ging in solchen Fällen meist um grundsätzlichere Fragen, die bereits durch die KO und CA geklärt worden waren (Abendmahlslehre, Kindertaufe, Bilderfrage etc.). 2543 Dazu ausführlich: Kaufmann, Thomas: Luthers Juden, 3. durchgesehene Auflage, Stuttgart 2017. Einen Überblick bietet ders.: Luther and the Jews, in: Bell, Dean Phillip; Burnett, Stephen G. (Hrsgg.): Jews, Judaism, and the Reformation in Sixteenth-Century Germany, Leiden/Boston 2006, S. 69–104. 2544 Zur Geschichte der Juden in Braunschweig allgemein vgl. Ebeling, Hans-Heinrich: Die Juden in Braunschweig: Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte von den Anfängen der Jüdischen Gemeinde bis zur Emanzipation (1282–1848), Braunschweig 1987 (= Braun-

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desheim hatten ihre jüdischen Gemeinden bereits im 15. Jahrhundert durch Steuerdruck u. ä. vertrieben; lediglich auf dem Land und in wenigen Kleinstädten wie Alfeld hatten sich einige jüdische Gemeinden halten können.2545 Unter den Reformatoren herrschte während der frühen 1520er Jahre zunächst noch keine sonderlich ablehnende Haltung gegenüber den Juden. Luther selbst hegte, nachdem er in Wittenberg die Konversion des vormaligen Rabbis Jacob Gipher (später Bernhardus Hebraeus) miterlebt hatte, die Hoffnung, Juden könnten in der Folgezeit vermehrt zum Christentum übertreten.2546 In seiner Schrift »Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei«, gab er 1523 seiner Annahme Ausdruck, nach der die Juden bislang lediglich nicht zum Christentum konvertiert seien, weil sie in päpstlicher Zeit gesehen hätten, dass der Christen ding eyn lautter geschwetz gewesen ist on alle schrifft.2547 Wie hätten sie also unter solchen Umständen mugen yhr hertz stillen und recht gutte Christen werden?2548 Mit dem nun neu gelehrten, schriftgemäßen Evangelium würde sich diese Haltung jedoch – so hoffte Luther – sicher bald ändern. Diese Erwartung wurde jedoch allein schon durch die Tatsache konterkariert, dass sich mit der Reformation auch bei den Juden verstärkte Hoffnungen auf ein Entgegenkommen seitens der Lutheraner regten: Es begann somit zunächst die »Zeit wechselseitiger Hoffnungen«.2549 Durch die »reformatorische Wende« im zeitgenössischen Judendiskurs kristallisierte sich hinsichtlich des Umgangs mit den Juden für die Lutheraner eigentlich »die Bekehrung als alternativlose Option« heraus.2550 Umso erstaunlicher ist es, dass sowohl in Braunschweig als auch in anderen Städten seitens der Bevölkerung nur wenige Anreize geschaffen wurden, dieses frühlutherische Ideal auch umzusetzen! In den meisten niedersächsischen Städten blieben jedenfalls

2545

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schweiger Werkstücke, Reihe A 22). Außerdem dazu ders.: »De Jodden, de hyr wonhafftich syn…« Judenschutz und Judenpolitik des Braunschweiger Rates im Spätmittelalter zwischen Pestverfolgung und Vertreibung 1350–1546, in: Garzmann, Manfred R.W. (Hrsg.): Rat und Verfassung im Mittelalterlichen Braunschweig. Festschrift zum 600jährigen Bestehen der Ratsverfassung 1386–1986, Braunschweig 1986 (= Braunschweiger Werkstücke, 64), S. 135–186. Dazu Ries, Rotraud: Zur Bedeutung von Reformation und Konfessionalisierung für das christlich-jüdische Verhältnis in Niedersachsen, in: Aschkenas 6,2 (1996), S. 353–419, hier S. 356–357. Im Reich lebten daneben lediglich in Frankfurt a.M., Worms, Friedberg und Prag noch größere Gemeinden. Vgl. Freimark, Peter: Juden in niedersächsischen Städten, in: Meckseper, Cord (Hrsg.): Stadt im Wandel, Bd. 3, Stuttgart 1985, S. 457–468. Vgl. Kaufmann, Luthers Juden, S. 67. WA 11, S. 315. Ebd. Detmers, Achim: Reformation und Judentum. Israel-Lehren und Einstellungen zum Judentum von Luther bis zum frühen Calvin, Stuttgart 2001 (= Judentum und Christentum, 7), S. 64. Kaufmann, Luthers Juden, S. 74.

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die strikten jüdischen Ansiedlungsverbote auch nach der Reformation der 1520er/30er Jahre bestehen.2551 Die Schrift Luthers von 1523, die im zeitgenössischen Flugschriftendiskurs durchaus stark rezipiert und adaptiert wurde,2552 scheint damit realpolitisch eher wenig einflussreich gewesen zu sein – so wie es zuvor auch die Reuchlindebatte nur bedingt gewesen war.2553 Schriften wie jene des konvertierten Juden Antonius Margaritha, der seinen ehemaligen Glauben 1530 in einer mehrfach aufgelegten Schrift auf das Schärfste diskreditierte, mögen zu dieser weiterhin judenfeindlichen Politik der Städte beigetragen haben.2554 In Braunschweig sahen sowohl KO als auch Echteding (1532) eine weitere Beschränkung oder Vertreibung der Juden zwar nicht vor, doch ging man auch nicht in den Dialog mit den ca. 100 Braunschweiger Juden. Stattdessen brachten die Hauptleute und Gildemeister umgehend nach Einführung der KO ihren Unmut gegen den vermeintlich jüdischen »Zinswucher« zum Ausdruck. Dabei war Braunschweig jedoch keineswegs ein Einzelfall in der Städtelandschaft. Dass der Ton gegen die Juden seitens der Gemeinden im Zuge reformatorischer Ereignisse schärfer wurde, war keine Seltenheit. Meist dominierten hierbei zunächst noch keine theologischen Argumente, sondern wirtschaftliche, wie der schon von Luther kritisierte Zinswucher:2555 So etwa in Hannover (1532), Goslar oder Hildesheim (1542).2556 Auch in Braunschweig beklagten sich 1529 die Gemeinden der Weichbilde darüber, dass den joden mith vnsen borgeren to wokerende vorbodenn werden müsse.2557 1531 wurde bemängelt, de jodden hebben vele hanterung vnd kopen vele sulvers den go[l]tsmeden tho vorfange.2558 Anschließend forderten die Hauptleute dann, die Juden ganz der Stadt zu verweisen. Nachdem man einen Großteil der Katholiken und Reformierten bereits vertrieben hatte, 2551 Vgl. Freimark, Juden, S. 464. 2552 Vgl. Kaufmann, Thomas: Luthers »Judenschriften«: Ein Beitrag zu ihrer historischen Kontextualisierung. 2. durchgesehene Auflage, Tübingen 2013, S. 79. 2553 Vgl. Battenberg, Friedrich J.: Juden als »Bürger« des Heiligen Römischen Reichs im 16. Jahrhundert. Zu einem Paradigmenwechsel im »Judenrecht« in der Reformationszeit, in: Decot, Rolf; Arnold, Matthieu (Hrsgg.): Christen und Juden im Reformationszeitalter, Mainz 2006 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 72), S. 175–198, hier S. 194. 2554 Vgl. Detmers, Reformation, S. 77–78. Es handelte sich um die Schrift »Der gantz Jüdisch glaub« (1530), welche aufgrund ihrer eingehenden (negativen) Brauchtumsbeschreibungen der Juden auch die späteren Judenschriften Luthers beeinflussen sollte, da der Konvertit Margaritha als »Insider« hohe Glaubwürdigkeit genoss. 2555 Luthers kleiner und großer »Sermon vom Wucher« (1519/20) sowie sein Traktat »Von Kaufhandel und Wucher« (1524) berührten die Juden zwar kaum, doch waren sie mit Holzschnitten jüdischer Wucherer illustriert. Vgl. Detmers, Reformation, S. 74 und Kaufmann, Luthers Juden, S. 56–59. 2556 Vgl. Ries, Bedeutung, S. 363–364; Müller, Stadt, S. 101–102. 2557 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 145v. Auch ebd., Bl. 181v. 2558 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 16r.

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sollte damit auch der letzte »Störfaktor« der jungen lutherischen Stadtgemeinde beseitigt werden. Keinesfalls waren die Braunschweiger also auf der Linie des frühen Luther, als sie sich für eine generelle Judenvertreibung ohne vorherige Konversionsversuche aussprachen. Der Rat stimmte mit der Forderung der Gemeinden allerdings nicht überein und beschied 1532, dat men se gantzlicken vth der stadt nicht wol vorwisen mag.2559 Als Grund hierfür wurden die Schutzverträge mit den Juden angeführt, die nicht einfach gebrochen werden könnten. Der Magistrat kam seiner Gemeinde aber insoweit entgegen, als dass er versprach, die Synagoge zu verschließen,2560 die Zahl der Juden sukzessive zu reduzieren, die jodeschen ceremonien sowie fremde Juden zu verbieten und den Wucher zu untersagen. Schließlich wurde den Juden (abermals) bei Strafe auferlegt, sich der lesterunge jegen Christum gänzlich zu enthalten.2561 Die Gemeinden waren mit dieser Regelung ganz und gar nicht zufrieden und fühlten sich sowohl ökonomisch als auch religiös von den Juden bedrängt, wie zahlreiche weitere Klagen der späten 1530er Jahre ausweisen. Mittlerweile hatte sich auch die allgemeine öffentliche Stimmung verstärkt zuungunsten der Juden entwickelt. Selbst Luther war – noch lange vor seinen bekannteren antijüdischen Schriften – gegen die Juden eingetreten.2562 Bereits im Dezember 1536 hatte er bezüglich der Juden in seinen Tischreden geäußert: Verdientermaßen werden diese Taugenichtse wegen [ihrer] Unbußfertigkeit und [ihres] Wuchers vertrieben. Als sie nämlich gehört hatten, daß wir uns mit ihrer Hebräischen Sprache beschäftigen, hofften sie sogleich, wir würden Proselyten. Luther zog daher das Fazit: Kurzum: Diese Taugenichtse und Diebe sind keiner Schonung oder irgendeines Mitgefühls wert.2563 Luther war in seinen Hoffnungen getäuscht worden – die antijüdische Stimmung begann sich im Laufe der 1530er Jahre allgemein wieder zu verstärken,2564 so auch in Braunschweig. 1538 bat die Gemeinde der Neustadt z. B., man solle keine Juden mehr in die Stadt lassen und when de vordracht vthe iß, dat me se nicht mehr lide.2565 In der Zwischenzeit müssten die Juden aber wenigstens höhere Steuern entrichten. Ob dieses neuerliche Ansuchen der Gemeinde mit dem Erscheinen der ersten grö2559 StadtA BS, B III 15 Nr. 13, Bl. 4r. Zugleich auch in: StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 82r. 2560 Dies wurde nicht durchgeführt, die Synagoge blieb geöffnet und noch 1538 wurde sie von Rhegius besichtigt. Siehe dazu weiter unten. 2561 StadtA BS, B III 15 Nr. 13, Bl. 4v. 2562 Deutlich wird dies auch am kursächsischen Judenausweisungsmandat von 1536, dem Luther offenbar nicht wiedersprach. Den um Aufhebung des Edikts bittenden Vertreter der Juden, Josel von Rosheim, wies Luther 1537 sogar rüde ab. Vgl. Kaufmann, Luthers Juden, S. 95 und Detmers, Reformation, S. 89. 2563 WA T 3, S. 370. Zitiert nach der deutschen Übersetzung aus dem Lateinischen bei Detmers, Reformation, S. 89. 2564 Vgl. Kaufmann, Luthers Juden, S. 97–98. 2565 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 148r.

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ßeren judenfeindlichen Schrift Luthers »Wider die Sabbather«2566 von 1538 in Beziehung steht, kann nicht nachgewiesen werden – auszuschließen ist es indessen nicht. 1540 wurde die Bitte der Gemeinde erneut vorgetragen. In diesem Gesuch wird auch deutlich, dass die Prediger offensichtlich verstärkt judenfeindlich auf die Gemeinde einwirkten; so wurde u. a. bemerkt, dass der Rat de velen vermanunge der predicanten [gegen die Juden M.V.] ansehen solle.2567 Nochmals erklärte der Rat, warum es sick nicht liden wolde, de joden, wo se meinden, dermaten tovorwisen.2568 Allerdings wurde die Stimmung gegenüber den Juden zunehmend schlechter.2569 Die Bürger sahen nicht ein, weshalb man Katholiken und Reformierte der Stadt verwies, die Juden jedoch nach wie vor verschonte. Überdies wetterten nun auch die Prediger gegen die vermeintlichen »Gotteslästerungen« der Juden und wiegelten die Gemeinde damit weiter auf.2570 So kam es 1541 offensichtlich zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, sodass die Hauptleute anschließend klagten, die joden schullen sick mit cristen bi den harn getogen hebben.2571 Parallel zu dieser sich immer weiter zuspitzenden Judenfeindschaft gab es aber auch Annäherungsversuche mit der jüdischen Gemeinde in Braunschweig. Von christlicher Seite geschah dies allerdings nicht durch die Braunschweiger selbst, sondern durch den Celler Theologen und Superintendenten Urbanus Rhegius. Er war dank seiner Hebräischinteressen – neben Andreas Osiander, Konrad Pellikan, Wolfgang Capito, u. a.2572 – einer der wenigen Reformatoren, die immer wieder Kontakt mit den Juden suchten, um diesen die christliche Lehre näherzubringen. Schon seit 1535 stand Rhegius nachweislich in brieflichem Austausch mit der jüdischen Gemeinde in Braunschweig.2573 Von einer Ausweisung der Juden aus Braunschweig hielt Rhegius nichts. Stattdessen erläuterte er 2566 Vgl. dazu Kaufmann, Judenschriften, S. 81–90; ders., Luthers Juden, S. 99–105; Detmers, Reformation, S. 82. 2567 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 191r. Vgl. auch Ebeling, Juden, S. 107. 2568 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 201r. 2569 Ob hierzu auch die seit den 1530/40er Jahren zunehmende »Preisrevolution« des 16. Jahrhunderts und damit eine verbundene Missgunst gegen die jüdischen »Wucherer« eine Rolle spielten, wie Detmers annimmt, sei dahingestellt. Vgl. Detmers, Reformation, S. 87. 2570 Vgl. Ries, Bedeutung, S. 368. 2571 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, S. 227v. 2572 Zur Haltung der einzelnen Reformatoren gegenüber den Juden vgl. u. a. die Aufsätze des zweiten Kapitels im Sammelband: Bell, Dean Phillip; Burnett, Stephen G. (Hrsgg.): Jews, Judaism, and the Reformation in Sixteenth-Century Germany, Leiden/Boston 2006. Zu Pellikan vgl. Burnett, Stephen G.: Jüdische Vermittler des Hebräischen und ihre christlichen Schüler im Spätmittelalter, in: Kaufmann, Thomas; u. a. (Hrsgg.): Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit: I. Konzeptionelle Grundfragen und Fallstudien, Berlin/New York 2009 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, 4), S. 173–188. 2573 Vgl. Hendrix, Scott H.: Toleration of the Jews in the German Reformation: Urbanus Rhegius and Braunschweig (1535–1540), in: ARG 81 (1990), S. 189–215, hier S. 197.

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der jüdischen Gemeinde 1535 in einem extra auf hebräisch verfassten Brief, dass Juden und Christen dasselbe Glaubensfundament hätten, insbesondere hinsichtlich der Propheten und Mose.2574 Ähnlich wie zuvor schon Luther, dessen »Schrift aus dem Jahre 1523 [Rhegius] vermutlich gekannt« hatte,2575 gestand Rhegius den Juden aber freilich keine wirkliche Gleichberechtigung zu, sondern verfolgte vielmehr das Ziel, sie zur Konversion zu bewegen. Rhegius’ Schreiben an die Braunschweiger Juden »sometimes smack of condescension«, wie Hendrix resümiert.2576 Ihnen ist überdies ein deutliches »Gefühl der Überlegenheit« anzumerken (Wiesenfeldt).2577 Entsprechend seiner missionarischen Absichten warnte Rhegius zu Ende seines Briefes denn auch eindringlich: Darum bitte ich euch inständig um eures Heiles willen, daß ihr euch ernsthaft dessen bewußt werdet, in welche Gefahr ihr euch begebt, wenn ihr den wahren Messias [sprich Jesus Christus] verwerft […].2578 Auch persönlich trat Rhegius mit den Braunschweiger Juden in Kontakt, so etwa bei seinem dortigen Aufenthalt während des Bundestages der Schmalkaldener 1538, als er auch die örtliche Synagoge besichtigte.2579 Er setzte sich darüber hinaus für einige Juden beim Stadtrat ein und bat 1539, dem Rabbi Samuel ein Haus auf dem Berg2580 vor der Mauer zu gestatten, damit dieser die christlichen Prediger im Hebräischen unterrichten könne. Dabei hob er hervor, dass diese sprach, zu grüntlichen verstand der heiligen schrift nützlich ja nöttig ist, wie jch selbs erfarn habe und Samuel, der gute Zeugnisse aus Straßburg und Hamburg vorweisen könne, nichts von vnsern heiligen glauben disputiret noch zancket.2581 Offensichtlich ging der Rat auf das Ansuchen auch ein, denn ein Jahr später erbat Rhegius dann sogar den Umzug des Rabbis in die Stadt.2582 Als Argument dienten ihm die Hebräischkenntnisse des Rabbis, die ihn als entsprechenden Lehrer dieser Sprache prädestinierten. Die möglichen Einwände des Rates nahm Rhegius in seinem Brief ebenfalls vorweg: Rabbi Samuel sei nicht schwierig im Umgang, wuchere nicht, er sei ruhig, bescheiden und bleibe bei seinen Büchern; 2574 Zum Inhalt des Briefes ausführlich: Wiesenfeldt, Hans-Jürgen: Urbanus Rhegius’ Stellung zu den Juden, in: Meiners, Jochen (Hrsg.): Zeichen setzen. 500 Jahre Reformation in Celle, Petersberg [2017], S. 80–93, hier S. 80–86. 2575 Vgl. Wiesenfeldt, Rhegius’ Stellung, S. 81. Zu Luthers Konversionshoffnung von 1523 vgl. WA 11, S. 315: Jch hoff, wenn man mit den Juden freuntlich handelt […] es sollten yhr viel rechte Christen werden […]. Zur Thematik vgl. Kaufmann, Luthers Juden, S. 48–62. 2576 Hendrix, Toleration, S. 198. 2577 Wiesenfeldt, Rhegius’ Stellung, S. 86. 2578 Zitiert nach der deutschen Übersetzung aus dem lateinischen Original bei Wiesenfeld, Rhegius’ Stellung, S. 81–82. 2579 Zur Anreise Rhegius’ nach Braunschweig siehe dessen Brief unter StadtA BS, H V Nr. 217, pag. 163. 2580 Vermutlich ist entweder der Rennelberg oder der Berg bei St. Cyriacus gemeint. 2581 StadtA BS, B III 15 Nr. 1a, Bl. 230r. 2582 Vgl. Hendrix, Toleration, S. 199.

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überdies vermittele er Interessierten die heilige Sprache (Hebräisch). Schließlich – und hier greift Rhegius den zeitgenössischen Braunschweiger Diskurs auf – solle der Rat Juden in Braunschweig das Wohnrecht dauerhaft gestatten, da man hoffen könne, dass sie sich eines Tages dem Christentum zuwendeten.2583 Zu diesem Zeitpunkt (1540) war die Lage in Braunschweig, wie oben angedeutet, aber bereits virulent. Rhegius wandte sich daher in einem Brief zugleich auch an den Superintendenten Martin Görlitz. Offensichtlich vermutete er bereits eine geplante Vertreibung der Juden – jedenfalls legte er mittels theologischer Argumente dar, weshalb eine Verbannung aus der Stadt keinesfalls der richtige Weg sei.2584 Als Bibelzitate führte Rhegius Hosea 3,4–5 sowie Lukas 21,32 und Römer 11 an. Dabei wird bereits anhand der Formulierungen deutlich, dass er mit starken Ressentiments der Braunschweiger Geistlichkeit rechnete, welche er anhand seiner ausgewählten Bibelpassagen zu widerlegen suchte. Hierfür wählte er z. B. Paulus’ Aussage, nach welcher die Juden ebenfalls unter den Erwählten seien und durch die Gnade Christi folglich errettet werden könnten. Auch die frühe Kirche habe die Juden bereits toleriert, wie auch Braunschweig die Juden immerhin 300 Jahre lang geduldet habe. Rhegius bat daher das Ministerium, an den Rat zu appellieren, damit dieser die Juden nicht vertreibe, sondern ihre Konversion befördere. Mit diesen Argumenten mag Rhegius möglicherweise2585 bei einigen Geistlichen Erfolg gehabt haben – die Gemeinde ließ solche Argumente aber nicht gelten. 1542 wurden aus allen Weichbilden wieder antijüdische Proteste laut, nachdem der Rat im selben Jahr einen erneuten jüdischen Schutzvertrag abgeschlossen hatte.2586 Die Lakenmacher im Hagen gaben an, de joden nicht wider to liden alse ere vorfarn gedan hebben und die Gemeinde im Sack sowie die Schmiede- und Schneidergilde baten, de joden wech to jagen.2587 Auch im Folgejahr hielten diese Forderungen der Gemeinde an.2588 Vor allem Gotteslästerung und Wucher wurde den Juden durch die Bürger vorgeworfen: So hatten die Braunschweiger laut Rhegius z. B. geklagt, die Juden hätten Christus in ihren Synagogen bewusst verschmäht und ihm gelästert.2589 Warum aber wurde die »Judenfrage« gerade Anfang der 1540er Jahre in Braunschweig so virulent? Es lassen sich nur Vermutungen anstellen, doch sticht 2583 Vgl. ebd, S. 200. 2584 Vgl. NLA WF, 2 Alt Nr. 13155. Der Brief ist auch abgedruckt bei Hendrix, Toleration, S. 209– 215. 2585 Ein Antwortschreiben ist leider nicht überliefert. Auch sind Quellen des Ministerialarchivs des Geistlichen Ministeriums leider erst ab den späten 1540er Jahren überliefert, sodass die Meinung der Geistlichkeit in dieser Zeit nicht ermittelt werden kann. 2586 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,2, Bl. 277v. 2587 Ebd. Bl. 252v u. Bl. 254v–255v. 2588 Vgl. ebd., Bl. 273r. 2589 Vgl. Wiesenfeldt, Rhegius’ Stellung, S. 89.

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die zeitliche Nähe zur Ausweisung bzw. Reformation der letzten katholischen Einrichtungen (St. Blasius und St. Cyriacus) ins Auge. Braunschweig war zu diesem Zeitpunkt bereits nahezu geschlossen lutherisch. Lediglich die Juden störten noch in diesem »Corpus Christianum«. Auch Ries macht die reformatorischen Auswirkungen mit ihrem »gestiegene[n] religiöse[n] Bewusstsein« für den plötzlich stark zunehmenden Judenhass in Braunschweig verantwortlich.2590 Überdies hatte der öffentliche Judendiskurs in den Jahren um 1540 parallel zu den Braunschweiger Ereignissen bedeutend an Schärfe gewonnen: Schriften Luthers (1538) wie auch Bucers publizierter »Judenratschlag« für Hessen (1539) traten mittlerweile für eine konsequente Vertreibung der Juden ein.2591 Der Braunschweiger Rat blieb interessanterweise nach wie vor bei seiner Ansicht, er könne die Juden nicht einfach ausweisen. Immer wieder berief er sich auf den (nun freilich erneuerten) Schutzvertrag von 1542. Auch wurde Ende Oktober 1543 angemerkt, es wäre nicht klug, die Juden nun, so kurz vor dem Reichstag (zu Nürnberg) auszuweisen, da derhalven allerleige vnraw erregit werden mochte.2592 Natürlich kam prompt die Rückmeldung der Gemeinde, man solle die Juden dennoch ausweisen, da darvth sonst wol twidracht erfolgen mochte – der Rat wies den Einwand aber wie üblich zurück.2593 Was folgte, waren erneute, religiös motivierte Übergriffe auf Juden.2594 Nun schaltete sich auch das Geistliche Ministerium zunehmend in den Diskurs ein. Vermutlich war man mittlerweile mit den judenfeindlichen Schriften Luthers aus dem Jahr 1543 vertraut.2595 Der Rat konnte sich dem Druck von Gemeinden und Theologen nicht länger entziehen. 1545 plante man vermutlich bereits die Ausweisung der Juden, als man allen Einwohnern per Edikt jegliche weitere Gemeinschaft mit ihnen verbot. Zugleich wurde den Christen aufgetragen, dat sick ein jeder dersülven twischen dato und Ostern qvidig maken wille, womit die künftigen Intentionen des Rates bereits deutlich ersichtlich wurden.2596 Nachdem das Edikt sowie eine Wiederholung desselben (1546)2597 nach Ansicht der Ratsherren nicht gewirkt hatten, war auch der Rat überzeugt davon, dass die Juden in der Stadt nicht länger 2590 Ries, Rotraud: Zum Zusammenhang von Reformation und Judenvertreibung. Das Beispiel Braunschweig, in: Jäger, Helmut u. a. (Hrsg.): Civitatum Communitas. Studien zum europäischen Städtewesen. Festschrift Heinz Stoob, Bd. 2, Köln/Wien 1984, S. 630–654 1984 (= Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster, 21,2), hier S. 630. 2591 Vgl. Detmers, Reformation, S. 92. 2592 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,2, Bl. 277v u. Bl. 279r. 2593 Ebd., Bl. 278v. 2594 Vgl. Ries, Zusammenhang, S. 638. 2595 Vgl. dazu Kaufmann, Judenschriften, S. 90–128. 2596 Das Edikt ist abgedruckt bei Rehtmeyer, Philipp Julius: Historiae Ecclesiasticae inclytae urbis Brunsvigae pars V, oder: Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchen=Historie […], Bd. 5, Braunschweig 1720, S. 82–84 [Supplementa]. 2597 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 5, Bl. 23r.

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zu dulden seien. Erstmals seit 1528 waren sich Gemeinde, Geistlichkeit und Rat damit einig. Um Johannis 1546 ließ man den neuen Superintendenten Nikolaus Medler zusammen mit Koadjutor Winkel vor den Küchenrat beordern und ihm ansagen: »Daß aus nöhtigen und wolbedachten Ursachen auf erstfolgenden Tag Luciae über ein halb Jahr die Juden Urlaub haben und weg sollten, mittler Weile könten und mögten sich mit ihnen abfinden, so Handlung mit ihnen hätten, damit solches der Gemeinde zuvor kund würde.«2598 Daraufhin wurde diese Entscheidung am folgenden Sonntag von allen Kanzeln verkündet und die letzten ca. 100 Juden bis Dezember 1546 der Stadt verwiesen.2599 Die Hintergründe dieser plötzlichen Sinneswandlung dürften letztlich auf einen verstärkten diskursiven Druck der Geistlichkeit auf den Rat zurückzuführen sein. Mit Medler war 1545 ein kämpferisch-orthodoxer Lutherschüler als Superintendent berufen worden.2600 Durch Chemnitz’ späteres Gutachten wird überdies rückblickend ersichtlich, dass man sich seitens des Ministeriums vor allem durch die zwei schone nutzliche, und in der schrift wol gegrundte bucher leiten ließ, die D. Luther anno 43 veröffentlicht hatte: »Von den Juden und ihren Lügen« sowie »Vom Schem Hamphoras«.2601 In ersterer Schrift hatte Luther resümiert, sofern die Juden nun nicht rasch vertrieben würden, so möchte sich etwa ein Reuterey samlen wider sie, weil sie aus diesem Büchlin lernen werden, was die Jüden sind, und wie man mit jnen umbgehen und jr wesen nicht schützen solle.2602 Luther gab daher u. a. den Rat: [W]o jr Prediger seid, da Jüden sind, da halt an mit vleis bey ewern Herrn und Regenten, das sie jr Ampt bedencken […].2603 Anhand solcherlei Aussagen hatte man in Braunschweig – so Chemnitz – seitens des Ministeriums ersehen, dass man durch Milde, Gemeinschaft und Schutz der Juden nichts gewinne, sondern sie in ihrem falschen Glauben und ihrer Gotteslästerung noch bestärke.2604 Nachdem die Prediger und Bürger immer stärker auf eine Ausweisung drängten, wandte sich der Rat schließlich an das Geistliche Ministerium um aus Gottes wort, so viel das gewissen belanget, sich

2598 Rehtmeyer, Historiae V, Supplementa, S. 83. Die Akten, aus denen Rehtmeyer hier offensichtlich paraphrasiert, haben sich leider nicht erhalten. 2599 Vgl. Ries, Zusammenhang, S. 639; Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 90. 2600 Nach Beste wurde Medler gar »von Luther unter seine drei echten Schüler gerechnet«. Vgl. Beste, Album, S. 10. 2601 Ries, Zusammenhang, S. 650. 2602 WA 53, S. 524. 2603 Ebd., S. 528. Resümierend schlug Luther zum Umgang mit den Juden überdies vor (S. 541– 542): Verbrenne jr Synagogen, Verbiete alles, was ich droben erzelet habe, Zwinge sie zur erbeit, Und gehe mit jnen umb nach aller unbarmhertzigkeit […]. Will das nicht helffen, So müssen wir sie, wie die tollen hunde aus jagen […]. 2604 Ries, Zusammenhang, S. 650.

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radts zu holen.2605 Mit Bezug auf Luthers Schriften war das Ministerium klar für eine Ausweisung. Auch die Gutachten anderer Städte, die der Rat nun auf Drängen der Geistlichen einholte, fielen offensichtlich überwiegend negativ für die Juden aus – leider haben sie sich nicht erhalten.2606 Ries führt die »Vertreibung der Juden aus der Stadt Braunschweig (1546) im Wesentlichen auf die Reformation und auf Luthers Empfehlungen« zurück.2607 Einer der Juden, die 1546 aus Braunschweig vertrieben wurden, sah dies ganz ähnlich. Er berichtete rückblickend: Wir wurden alle plötzlich vertrieben auf den Rat des schmutzigen Priesters Martin Luther […] und dass von dem Rest des Rates der Schurken und dieses Erzketzers hervorging und die von den verfluchten Rebellen überbracht wurden wegen der Menge unserer Sünden – dieses war die Ursache unserer Vertreibung.2608 Mangels weiterer zeitgenössischer Quellen wird sich die Frage nach dem tatsächlichen Einfluss der reformatorischen Lehre und Luthers auf die Vertreibung nicht abschließend beurteilen lassen. Doch hat die Reformation fraglos zu einer drastischen Verschlechterung der Beziehungen zwischen Juden und Christen in Braunschweig beigetragen. Dass sich der Rat, entgegen jahrelanger Ressentiments, schließlich in den 1540er Jahren doch für eine Vertreibung der Juden entschied, dürfte ebenfalls kein Zufall gewesen sein. Die Stadt war nach den Siegen des Schmalkaldischen Bundes über den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel (1542) politisch abgesicherter denn je; überdies war auch die Bevölkerung um 1546 endlich nahezu vollständig lutherisch. Ein jüdischer »Fremdkörper« in dieser neu erstrittenen Heilsgemeinschaft musste zwangsläufig stören. Durch Medler als orthodoxen Lutherschüler mag sodann auch der Rat schließlich mittels lutherischer Propaganda und bürgerlichem Druck davon überzeugt worden sein, die Juden aus der Stadt zu vertreiben – ungeachtet des noch bis 1549 laufenden Schutzvertrages. Braunschweig schloss damit 1546 die Bildung einer »rein« lutherischen Stadtgemeinde ab. Wie bei den Katholiken und Reformierten blieb der Rat auch den Juden gegenüber in den folgenden Jahrzehnten ungewöhnlich strikt. Während etwa Göttingen, Hamburg oder Hannover nach und nach wieder mit der Aufnahme von Juden begannen, beließ es der Braunschweiger Rat bis ins 18. Jahrhundert bei einem absoluten Judenverbot und bezog hierzu argumentativ immer wieder 2605 Ebd., S. 649. 2606 Vgl. ebd., S. 651: Der Rat habe den handel fleissich und gar woll erwogen, auch beij den benachparten evangelischen kirchen, christliche correspondentz mith denselben auch in diesem stuck zu halten, radts sich erholeth. 2607 Ebd., S. 631. 2608 Zitat übersetzt aus dem hebräischen Originaltext nach: Wiesenfeldt, Rhegius’ Stellung, S. 92. Erstmals angeführt bei: Ben-Sasson, Haim Hillel: The Reformation in contemporary Jewish Eyes, in: Proceedings of the Israel Academy of Sciences and Humanities 4 (1971), S. 239–326, hier S. 289.

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Stellung.2609 Auch nachdem Herzog Julius die Juden 1578 aus wirtschaftlichen Gründen erneut in seinem Fürstentum angesiedelt hatte,2610 sprach sich das Ministerium unter Chemnitz einhellig gegen die neuerliche Aufnahme der Juden aus.2611 Man solle doch, so Chemnitz, nur fur sich nehmen daß vorgemelte dritte teil deß buchs Lutheri ›von den Juden und ihren lugen‹, darin außfurlich erweiset wirdt, we[n] sie gleich eußerlich fur den Christen sich ihrer lesterung enthalten musse, waß sie gleichwol unter sich und ein jeder fur und bey sich, fur grewliche, teuffelische gottslesterung […] treiben.2612 Der Rat folgte diesem Gutachten und ließ das Verbot daher bestehen. So konnten die Juden nur für kurze Zeit in Melverode vor Braunschweig angesiedelt werden, bis sie durch Julius’ Sohn und Nachfolger Heinrich Julius erneut verbannt wurden.2613 Der Rat verstärkte in dieser Zeit seine Maßnahmen gegen die Juden sukzessive und verbot ihnen Schritt für Schritt mittels zahlreicher Edikte (1583–1590) immer mehr den Eintritt in die Stadt.2614 Mitte der 1580er Jahre war schließlich selbst das Betreten der Stadt für die verstockten judenn oder jüdinnen ohne Begleitung unter Strafe gestellt, was anschließend auch konsequent in der Praxis so gehandhabt wurde.2615 Dies sollte sich erst nach 1700 wieder allmählich ändern.2616 So spärlich die Quellen für den nachreformatorischen Braunschweiger Judendiskurs also auch fließen – zweierlei kann letztlich festgehalten werden. Die 2609 Erst ab 1707 sollten sich wieder erste Juden in Braunschweig ansiedeln. Vgl. Ebeling, Juden, S. 135ff. 2610 An Herzog Julius sei demnach fürbitt geschehen, den gemeinen juden widerumb ein freien sichern paß jn vnserm furstenthumb zuvergonnen, was Julius für richtig erachtet hätte, da er erwogen, das die juden Gottes geschepff vnd menschen eben so woll als wir christen seien, weshalb er ihnen erlaube, frei, sicher vehrlich vnd vnbeferlich geleidt jn vnserm furstenthumb vff gebuirlich zoll vnd gleidgelt zupassirren, zureisen, zuhandeln vnd zuwandeln. NLA HA Cal. Br. 21 Nr. 793, Bl. 86r–86v. 2611 Das oben auch schon erwähnte Gutachten des Ministeriums findet sich abgedruckt bei Ries, Zusammenhang, S. 649–654. 2612 Ebd., S. 652. 2613 Vgl. Ebeling, Juden, S. 111–133. 2614 StadtA BS, B I 6 Nr. 2, Bl. 83v (1583); ebd., Bl. 75r (1583): Juden jm fürstenthumb haben sich erbotten, darmit sie vor den leuten alhie vff der gassen gesichert sein muchten, alle quarttal ein jeder dem marckmeister einen thaler zugeben, aber solch jr erbieten ist nicht angenohmen, sondern es bei den publicirten edicten gelassen worden; StadtA BS, B I 6 Nr. 2, Bl. 159r (1584); ebd. Bl, 195v–196v (1585); Meibom, Bericht II, S. 43 (1590). 2615 StadtA BS, B I 6 Nr. 2, Bl. 196r. Ein Prozess von 1586 zeigt, dass in der Tat mit aller Härte gegen Juden vorgegangen wurde. So heißt es dort: Jsrael Schay, jude zue Melveroda, jst gefenglich eingetzogen, darumb das ehr jn die stadt vngeleitet gegangen, alldieweil ehr aber darum hiebevor ansuchung gethann vnd nicht anders von seinem botten berichtet, dan das ehr geleitet, soll ehr derowegen jegen erlegung kost vnnd schließgeldes der haffte hinwieder erlassen werden. Actum am 29. martij anno 86. Vgl. ebd., Bl. 229v. 2616 Der erste Jude (Alexander David) wurde 1707 als »Hofjude« in der Stadt aufgenommen, erst seit 1779 gab es wieder eine Synagoge. Vgl. Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 90–91 sowie Ebeling, Juden, S. 135ff.

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frühen Ansichten Luthers hatten für die Anfangsjahre nach der Reformation offensichtlich kaum politische Auswirkungen. Es findet sich zudem keine Quelle, die darauf hindeutet, dass die Braunschweiger mit den Juden in einen (missionarischen) Dialog getreten wären und auch aus anderen Städten sind solche Diskurse kaum bekannt. Lediglich Rhegius’ versuchte von Celle aus im Geiste des frühen Luther auf die Braunschweiger Gemeinde missionarisch einzuwirken. Dementgegen scheint der späte Luther mit seinen antijüdischen Schriften durchaus auch die städtische Politik zu einem Ausschluss der Juden aus dem Stadtverband ermutigt zu haben.

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Ein weiterer Aspekt, der die Gemeinde nach 1528 besonders berührte, war die neue protestantische Predigt. Neben dem Buch war schon in der frühen Reformationszeit die Predigt das zentrale Medium des neuen Glaubens. Sie wurde von den Reformatoren vielfach im Druck veröffentlicht und sollte damit – in Anlehnung an die Paulusbriefe – eine innere Glaubensfestigung der hinterlassenen Stadtgemeinde bewirken.2617 In der Predigt sollte die Heilige Schrift ausgelegt und so dem Prinzip »sola scriptura« genüge getan werden. Entsprechend nahm sie auch in der Braunschweiger Kirchenordnung eine zentrale Rolle ein. An jedem Tag der Woche wurde morgens, mittags und nachmittags an mehreren der verschiedenen Stadtkirchen gepredigt.2618 Allerdings ließ sich über die Predigt als solche schon von Beginn der Reformation an heftig streiten – Anzahl, Tageszeit, Länge und Inhalt waren die vornehmlichen Konfliktpunkte. Interessant ist dieses Diskussionsfeld vor allem aufgrund seiner Ambivalenz: Einerseits wollten die Gemeinden eine große Anzahl an Predigten (beibehalten), andererseits wurden die bestehenden Predigten aber nach Angaben der Prediger zunehmend schlechter besucht oder durch äußere Einflüsse gestört und waren zudem teuer, weshalb schließlich mehr und mehr Predigten einer Rationalisierungspolitik zum Opfer fielen.2619 Besondere Veränderungen und Streitigkeiten brachte das 16. Jahrhundert hinsichtlich der Predigtanzahl.2620 Die Gilde der Schrader verlangte bereits im 2617 Vgl. Moeller/Stackmann, Städtische Predigt. 2618 Vgl. für die Predigten um 1528 Tabelle 3 im Anhang. 2619 Gab es zunächst ab 1528 noch 21 Wochenpredigten (Mo-Sa), so waren es gegen 1599 nur noch 19, Ende des 17. Jahrhunderts gar nur noch neun! Auch die Sonntagspredigten wurden reduziert. Dementgegen führte man allerdings vermehrt regelmäßige Betstunden ein, die es 1528 offiziell zunächst noch nicht gegeben hatte. 2620 Zu den Predigten vor 1528 vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 7, pag. 2: Des sondages huff man in den pfarkirchen an die metten zw singen […], hora 5. nach der metten die primen dar nach die

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Sommer 1528, dass wenigstens jn allen parkercken alle dage ein mahl tho predigende sei.2621 Bugenhagen trug dem bei der Planung seiner KO zwar Rechnung – als er jedoch die Predigtstelle im Hospital zu Unser Lieben Frauen abzuschaffen gedachte (da man nicht vann noiden js, dar sulvest eine sunderlicken predicant toholdende), protestierten die Gilden und Gemeinden prompt.2622 Man bedürfe des Predigers zu Unser Lieben Frauen und könne ihn keinesfalls entbehren, dewyle he vele jnn dem worde gearbedeth hefft vnd dar dem krancken von node sei.2623 Überdies könne man die zeitgleich um 6 Uhr stattfindende Predigt der Stiftskirche St. Blasius nun wegen der päpstlichen Zeremonien nicht mehr aufzusuchen, sodass diese Predigt in der Hospitalskirche unentbehrlich sei.2624 Daher solle man dort einen Prädikanten besolden, gleich wie in den anderen Pfarrkirchen. Obgleich Bugenhagen anderer Meinung war, gab der Rat schließlich nach und ließ die Predigt zu Unser Lieben Frauen folglich bestehen. Zugleich wurden nun von Bugenhagen zu 23 verschiedenen Terminen in der Woche Messen, Predigten, Horen (Mette/Vesper) und Katechismuspredigten in den verschiedenen Kirchen angesetzt. Diese blieben in ihrer Ausstattung und Zeremonie äußerst konservativ: Man verwendete zunächst (bis 1530) weiterhin Messgewänder, zudem wurden nachweislich Weihrauch,2625 Altarlaken2626 und Blumengestecke2627 auf dem Altar genutzt und viele lateinische Gesänge/Lesungen2628 blieben bestehen. Die Gemeinden klagten aber auch nach der KO noch weiterhin über zu wenig Predigtangebote – so wurde in den 1530er Jahren die Betstunde an den Don-

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früe misse […]. Nach der preddich warth die früemesse volendett aussgesungen, dar nach hilt man den circuitam, pastor die homissen, disse zeremonien verzogen sich bis vmb zeine odder auff die grossen feste vmb ellffe, Des nachmittages hat man in den pfarkirchen nicht geprediget. Nur die Mendikanten predigten alle sundag vnd fest dage vmb 12 schlege. Um 14 Uhr war Vesper. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 43v. Ebd., Bl. 66v. Ebd., Bl. 55r. Vgl. ebd, Bl. 79v: So man vnser leven frawen nit predig sallen, kündin sie nit liden, na male men in der borch to seygers sechsen to predig plach, vnd men jn die gotlosen parre willen nicht gan. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 65, Bl. 12r; StadtA BS, F I 4 Nr. 66, Bl. 10v. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 74, Bl. 12r; StadtA BS, F I 1 Nr. 38, Bl. 21v; StadtA BS, G II 1 Nr. 6, Bl. 1r. Vgl. Die Altäre wurden an bestimmten Festen mit ruckelbuschen (Blumensträußen) geschmückt. Vgl. ebd. Noch 1598 wurde die Liturgie der Horen – wie in der KO festgelegt – überwiegend auf Latein durchgeführt. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 565v: Vnd hette ein junge vorm altar latein, so sie nicht verstehe, gelesen. Gesänge wie das Gloria und Agnus Dei blieben in der Messe ebenfalls lateinisch.

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nerstagen eingeführt.2629 Einen Gegenpol zur Gemeinde bildeten hingegen die Kastenherren, welche auf das Kirchenvermögen und die Besoldung der Prädikanten achtzugeben hatten. Im Gegensatz zu den Gemeinden wollten sie nicht mehr, sondern weniger Predigten in den Kirchen verrichten lassen, um Gelder einzusparen. Dies sei notwendig, da der Schatzkasten entgegen der Hoffnung Bugenhagens noch nicht über ausreichend Einkommen verfüge. Daher wandten sich die Kastenherren 1531 mit der Bitte an den Rat, eff nith wise to drepende were, dat der predicanten mochten ringer gemaket werden, ok der sermone weniger worde.2630 Der Rat stand hier aber ganz auf Seiten der Gemeinde und ließ das Ansinnen daher vth bewechligen orsaken den kastenhern affgeschlagen.2631 Man sieht hier verschiedene Strömungen innerhalb der Stadt: Die um den Finzanzhaushalt besorgten Kastenherren, welche die Predigten (und Prediger) am liebsten verringert hätten sowie Rat und Gemeinde, die das Predigtangebot aufrechterhalten wollten. Dies ist im Übrigen nochmals ein Hinweis darauf, dass die Kastenherren durchaus nicht immer den Willen der »Gemeinde« vertraten und demnach nur bedingt als deren Stellvertreter angesehen werden können. Nach wie vor war den Gemeinden das von Bugenhagen erstellte Angebot an Predigten bis in die frühen 1540er Jahre noch zu gering. Da der Rat es sich aber trotz der Wünsche der Gemeinden nicht leisten konnte, mehr Prediger zu besolden, ging man dazu über, dem Superintendenten (Medler) eine zusätzliche Predigt aufzubürden, denn die Predigten von Superintendent und Koadjutor erfreuten sich ohnehin äußerster Beliebtheit.2632 Hierüber begann in den 1540er Jahren ein langer Diskurs zwischen Medler und dem Rat. Streitpunkt war einerseits die zusätzliche Predigt Medlers, andererseits der Zeitpunkt dieser Predigten sowie die neu eingeführten Betstunden. Medler empfahl, seine Predigten wieder gemäß KO zu reduzieren und auch die Betstunden auf zwei Veranstaltungen in der Brüdernkirche (anstatt eines Termins in allen Kirchen) herabzusetzen. Dan wie gantz wenig volck sunderlich in etlichenn kirchen vorhanden ist, wen man pet fardt oder andere predigt zu halten pfleget, ist vor augen […].2633 Seine Predigten wolle er grundsätzlich lieber nachmittags als

2629 Vgl. StadtA BS, Revidenda Nr. 155 (Schulen) [o.P.]. Undatiertes Schreiben Medlers, ca. September 1547. 2630 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 18v. 2631 Ebd. 2632 Zu diesen Predigten kamen selbst die anderen Prediger als Zuhörer. Aus dem Jahr 1597 liegen grobe Besucherzahlen vor; sie wurden auf fünff oder sechs hundert zuhörer geschätzt. StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 424r. Von elf befragten Predigern hatten 1598 immerhin acht die sonntägliche Koadjutorenpredigt gehört. Vgl. ebd., Bl. 398r. Zu den zahlreichen Frauenstuhlkäufen, speziell für die Superintendentenpredigt, vgl. StadtA BS, G II 7 Nr. 78. 2633 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 22, Bl. 8r (1549). Ähnlich: StadtA BS, Revidenda Nr. 155 (Schulen) [o.P.]: Ob man aber nun auch in den anderen kirchen die petage hin fürtter

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vormittags halten. Die Klagen des Superintendenten hinsichtlich der Predigtzeiten gingen schließlich so weit, dass der Rat sich diesbezüglich 1548 an die Stände (Gildemeister/Hauptleute) wandte. Demnach beswere sick de d. superintendens, des namiddages sermons, nu sy darvon tho reden, ob man darumb siner entraden, edder de namiddages sermone mit andern predigern bestellen wille.2634 Glücklich war man über die Klagen des Superintendenten freilich nicht. Aber die Gemeinde kam dem Superintendenten am Ende dennoch entgegen: Man war dort nach wie vor gewillt, das Angebot der Predigten wenigstens auf dem gleichen Niveau zu halten. Medler sollte die Lektionen weiterhin nachmittags abhalten, dafür schloss man sich dem Rat an, der eine Bestellung der Nachmittagspredigten durch das Ministerium vorgeschlagen hatte. So konnte die Gemeinde vorerst noch einmal die Verminderung der Predigtanzahl verhindern. Es haben sich keine weiteren Antworten des Rates zu dieser Frage erhalten. Allerdings lässt sich das weitere Vorgehen aus den späteren Gegebenheiten in der Rückschau rekonstruieren: Man kam dem Superintendenten demnach dahingehend entgegen, dass man die Katechismuspredigten fortan durch den Prediger zu St. Ägidien bestellen ließ. Die anderen Nachmittagspredigten hatte der Superintendent hingegen weiterhin ordnungsgemäß zu versehen.2635 Der Rat lehnte darüber hinaus eine Veränderung der Predigtanzahl ab und auch die Betstunde ließ er in allen Kirchen bestehen – trotz des laut Medler unfleißigen Besuches durch das Volk. Der Superintendent klagte daher bereits kurz darauf er mercke aber sovil, das aus dieser kirchenordnung alhie, die doch sunst ein ider helt sovil im gefelt viele Missstände eingerissen wären – insbesondere bei den Predigten und ihren Zeremonien.2636 Von seiner fünften Predigt sei in der KO nicht die Rede, laut ihr müsse er nur vier Predigten halten, überdies sei auch die Betstunde nicht erwähnt. Zahlreiche Briefe mit den obigen Bitten wurden durch Medler bis 1548 an den Rat getragen – eingegangen wurde darauf jedoch nur bedingt, wie oben zu sehen war. Bereits in den Klagen Medlers deutete sich jedoch schon ein Umschwung in der Predigteuphorie der Gemeinden an: Der Hochpunkt war hier langsam aber sicher überschritten und eine allgemeine Müdigkeit zum Besuchen der zahlreichen Predigten machte sich breit. 1549 wollte Medler den Rat dazu anhalten, beim Volk zu verschaffen, dass so offt man prediget oder petfart hilt, aus ein idem haus nicht mehr dan ein einige person zum wenigsten, in die kirchen ging.2637 Natürlich war dieses Ansinnen utopisch und vom Rat keinesfalls durchzusetzen.

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haltten wolt, dieweyl daß volk so vnvleysig sey dar innen, das wolle Medler dem Rat anheimgestellt haben. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,2, Bl. 369r. Vgl. Tabellen 3 und 4 sowie StadtA BS, H III 7 Nr. 5 Vol. 2, pag. 35. StadtA BS, Revidenda Nr. 155 (Schulen) [o.P.]. Schreiben vom 1. 5. 1547. StadtA BS, B IV 11 Nr. 22, Bl. 8v.

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In den Folgejahren wurden systematisch mehr und mehr Predigten eingestellt – mit den unterschiedlichsten Begründungen und zumeist gegen den Willen der Gemeinden. So wurde z. B. die Samstagspredigt zu St. Martini noch bis 1560 gehalten, quae autem ao. 1560 propter strepitum ementium et vendentium in foro archaeopolitano omissa est.2638 Warum die Begründung des Marktlärms erst 1560 – nach 32 Jahren – zur Auflösung der Predigt führte, ist ungewiss, doch darf hier als eigentlicher Grund ein Rückgang an Besucherzahlen vermutet werden. Gleiches gilt für die Frühpredigt zu St. Blasius, welche unter dem Prediger Gerwin Wittekopp um 1560 abgeschafft wurde.2639 Auch die Montagspredigt des Koadjutoren wurde zunächst dem Prediger zu St. Ägidien übertragen und schließlich ganz beseitigt.2640 Allerdings tritt in diesem Zusammenhang wieder die Ambivalenz der Predigtbedeutung für die Bevölkerung zutage. Ersichtlich wird dies am Diskurs um die Auflösung der sonntäglichen Epistelpredigt zu St. Petri in den 1590er Jahren. Nachdem hier bereits die Freitagspredigt abgeschafft worden war, entschloss sich der Rat, auch die Epistelpredigt am Sonntag einzustellen, da die Pastoren eine Petition für den schwächelnden Pastor Neophanus eingereicht hatten, quod semper infirmo esset corpore.2641 Der Rat entsprach dieser Petition und ließ am Epiphaniassonntag die letzte Predigt verkünden. Die Gemeinde wollte dies freilich nicht gestatten und hielt die bisherige Zahl der Predigten für durchaus notwendig. Ministerium und Rat versuchten zu beschwichtigen, indem man betonte, es fände ja zeitgleich eine Epistelpredigt in der benachbarten Brüdernkirche statt – dorthin könne die Gemeinde ja umstandslos gehen. Allerdings gab sich die Pfarrgemeinde zu St. Petri damit nicht zufrieden. In einem Supplikationsschreiben betonte sie, die Predigt sei gemäß KO zu halten, nötigenfalls durch einen Diakon oder Schulkollegen. Im Zweifel wollten sich die Bürger gar dazu bereitfinden, selbst das Gehalt für einen solchen Prediger zu zahlen (et si templum non posset, se velle ipsi salarium solvere).2642 Der Rat gestattete diesen »Privatprediger« jedoch nicht. Die Argumente hierfür bleiben im Dunkeln, doch ist anzunehmen, dass hierdurch ein Kontrollverlust der Obrigkeit verhindert werden sollte: Hätte der Rat den Prediger durch die Gemeinde bezahlen lassen, so hätte er diese natürlich auch (entgegen der KO) an der Nomination beteiligen müssen. Da man dies verhindern wollte, blieb die Predigt von Rats wegen lieber dauerhaft ausgesetzt. Bis um 1600 waren damit eine ganze Reihe von Predigten abgeschafft (vgl. Tabelle 3 und 4). Den Rationalisierungsmaßnahmen fiel u. a. 2638 StadtA BS, H III 7 Nr. 5 Vol. 2, pag. 34. 2639 Vgl. ebd.: In templo cathedrali S. Blasii die martis tempore matudino concio fuit habita, quam postea M. Wittekop abrogavit. 2640 Vgl. ebd., pag. 34. 2641 Vgl. ebd. 2642 Ebd., pag. 34.

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auch die Pfarrstelle zu St. Leonhard zum Opfer. Diese wurde seit 1580 zugleich vom Pfarrer St. Mariens betreut.2643 Zwar wurden die obigen Maßnahmen einerseits fraglos aufgrund des geringeren Besucheraufkommens durchgeführt,2644 doch war der Bedarf nach Predigten andererseits offensichtlich weiterhin in den Gemeinden vorhanden, wie das Beispiel St. Petri noch in den 1590er Jahren verdeutlichte. Über die Zahl und den Zeitpunkt der Predigten wurde auch im 17. Jahrhundert weiterhin gestritten – mit der KO von 1528 hatten die Predigtzeiten um 1600 allerdings kaum noch was gemein. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wurden die Gottesdienste schließlich nochmals reduziert.2645 Ein weiterer Streitpunkt, der sich durch das gesamte 16. Jahrhundert zieht und von verschiedensten Gruppierungen bemängelt wurde, war die Dauer der Predigten. Sie war für die Sonntage in der KO auf eine Stunde begrenzt worden, für die Werktage auf eine halbe Stunde.2646 Dies wurde jedoch nachfolgend nur selten eingehalten. 1547 beklagte sich gar Superintendent Medler selbst bei den Kastenherren über die zu lange währenden Predigten, denn jn der ordenunge stait de werckeldag over j [= ½] stunde nicht to predigen.2647 Der innere Zwist zwischen Medler und der Geistlichkeit wird hier deutlich greifbar. Mehr als eine Ermahnung vermochten auch die Kastenherren gegenüber den Predigern nicht auszusprechen, obgleich sie vermutlich mit Medler einer Meinung waren, wie spätere Klagen vermuten lassen. Zwar wurden zur Zeitmessung auf den Kanzeln nun Stundengläser gebraucht,2648 doch blieben die zu langen Predigten auch in den 1550er Jahren ein ständiges Ärgernis. Daher beschwerten sich die Kastenherren 1560 im Generalkolloquium über die ausufernde Predigtdauer, nachdem sie vor der zeyt mehr dan ain mahl darumb die predicanten hetten angeredet.2649 Als Argument diente den Kastenherren die Versäumung der Ratsgeschäfte. Da von den Pfarrern etliche weyt bis vber die stunde von der cantzel nicht kehmen, würden sie wichtige Termine im Rathaus und am Gericht versäumen.2650 Auch dem gemeinen Mann seien die ausufernden Predigten ärgerlich, da er sein gesindt frw vmb finff jn die kirchen schickete, kunthe aber die vor nein schlegen

2643 Vgl. Beste, Album, S. 111. 2644 Dies ist auch die eigentliche Erklärung des zeitgenössischen Predigers und Chronisten Autor Hustedt: Cum autem postea annis labentibus fervor ad audiendum verbum die magis, magisque inciperet frigescere […] plures conciones sunt abgrogata […]. StadtA BS, H III 7 Nr. 5 Vol. 2, pag. 34. 2645 Vgl. Tabelle 5 im Anhang. 2646 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 381. 2647 StadtA BS, Revidenda Nr. 155 (Schulen II) [o.P.]. Schreiben Medlers vom 11. 10. 1547. 2648 StadtA BS, F I 4 Nr. 70, Bl. 18v: vij ß vor datt stunde glas vp de canttzell. Rechnung St. Katharinen von 1583. 2649 StadtA BS, Revidenda Nr. 67 [o.P.]. Kolloquienprotokolle, Bl. 23r [eig. Pag. im Dokument]. 2650 Ebd.

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schwerlich wider zuhause bekohmen.2651 Die Prädikanten sahen die Argumente der Kastenherren ein und antworteten ihnen am 13. 3. 1560, dass man auf die Länge der Predigten künftig mehr Achtung haben wolle. Allerdings bat das Ministerium, man wolle es doch bitte von Seiten der Zuhörer nicht allezeyt zu genaw nehmen.2652 Es stehe den Predigern zudem zeitlich frei, nach ihrer Gelegenheit von den Kanzeln abzutreten. Das entsprach freilich nicht der KO und wurde den Predigern auch so mitgeteilt, lediglich bei den Katechismuspredigten gewährte man ihnen auf eigene Bitte hin schließlich einen größeren zeitlichen Spielraum. Die Predigt war und blieb damit ein umstrittener Bereich innerhalb der gottesdienstlichen Ordnung. Während die Prädikanten sie – ganz der lutherischen Tradition entsprechend – für zentral und essentiell hielten, waren die Laien interessanterweise verstärkt auf die liturgischen Aspekte im Gottesdienst und deren ordnungsgemäße Durchführung bedacht. Als z. B. 1587 die Predigten so weit überzogen wurden, dass selbst Beichte und Litanei im Gottesdienst unvollendet blieben, beklagten sich die Kastenherren diesbezüglich beim Ministerium. Es solle die Predigt gefälligst abgekürzt werden, damitt die beichte des sontages abgelesen, vnd die litanie des wercktags gesungen werden könne.2653 Obgleich die Prediger dies zusagten, traten Beschwerden in dieser Richtung bereits 1589 erneut auf.2654 Hier wurde überdies bemängelt, dass die Prediger unpünktlich in die Kirchen kämen und sich bisweilen um eine halbe Stunde verspäteten, sodass die Ratsherren zu spate in den rhatsstuel komen vnd die hausveter zu lang auffgehalten werden.2655 Im April des Folgejahres traten diese Beschwerden nochmals zutage. Wieder wurde ein abkürtzen der predigten gefordert, insbesondere der Werktagspredigten.2656 Die Prediger würden aufgrund der langen Predigten anfänglich das Gloria nicht mehr singen, Epistel- und Evangelientexte würden ausgelassen und zeitbedingt nicht mehr vorgelesen. Es käme überdies vor, dass sonntags deshalb an einigen Kirchen die gemeine Beichte offt zween gantzen monaten nicht abgelesen werde.2657 Auch wenn die Prediger hier natürlich wieder ihr Verständnis bekundeten, so änderte sich doch auf lange Sicht wenig. Denn auch 1607 baten die Kastenherren im Generalkolloquium erneut, daß nach den gehaltenen predigten die beichte müge abgelesen werden, auch die praefation für dem altar gelesen, und die collecta pro pace

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Ebd. StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 106v. StadtA BS, H V Nr. 218, pag. 356. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 153r. Ebd., Bl. 152r. Ebd., Bl. 162r. Ebd.

Predigten und Liturgie

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gesungen werden.2658 Noch 1619 wurden die beiden Prädikanten zu St. Ulrici ermahnt, sie hätten künftig gefälligst darauf achtzuhaben, ihre Predigten in zeitlichem Rahmen zu halten, da sie dem Gottesdienst in dieser Länge eher schädlich denn förderlich seien und den Körper ermüdeten.2659 Man solle sich an der Frühzeit nach der Reformation orientieren: Damals sei die Predigtdauer bei den lieben vorfaren vleisig observirt vnd mit solch nutz abgangen, das die wochen predigten in solcher zeit viel volckreicher als jtzo leider geschiehet, besucht worden.2660 Zwar willigten die Prediger (wie üblich) ein, doch zeigen weitere Beschwerden späterer Jahre, dass die Predigt von ihnen nach wie vor als zentrales Element des lutherischen Gottesdienstes betrachtet wurde. Die Geistlichen ließen sich daher durch die vorgenannten Argumente nicht dazu bewegen, ihre Predigten zu kürzen, sodass der Gottesdienst entweder überzogen oder mit stark verkürzter Liturgie abgeschlossen wurde. Solche zunehmend ausufernden Gottesdienste mit Predigtzeiten von beinahe zwei Stunden waren indessen eine für das 17. Jahrhundert typische Entwicklung.2661 So sollte es schließlich dazu kommen, dass gegen Ende des 17. Jahrhunderts (wohl aufgrund der geringen Besucherzahlen) kaum noch Wochentagspredigten gehalten wurden.2662 Es wird damit deutlich, dass die Liturgie gerade den Gemeinden sehr wichtig gewesen zu sein scheint, wohingegen die Predigt als lutherisches Kernelement des neuen Gottesdienstes den Geistlichen besonders am Herzen lag. Hier auf einen Nenner zu kommen, war – wie zu sehen – nicht einfach. Immerhin lässt sich anhand der späteren Agenden nachweisen, dass die sonntägliche Messe von der Predigt bis zum Segen noch im späten 16. und 17. Jahrhundert streng nach der Bugenhagischen Konzeption aufgebaut war. Bezüglich der Liturgie bis zur Predigt (Psalmgesang – Kyrie – Gloria – Kollekte – Epistellesung – Gesang – Evangelienlesung – Credo)2663 gab es zwar, wie oben gezeigt, schon im 16. Jahrhundert kleinere Auseinandersetzungen;2664 die Liturgie vom Ende der Predigt bis zum Segen stand jedoch mit der KO Bugenhagens 2658 StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 12. 2659 Vgl. StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 25r–25v: Sollten derwegen der kirchenordnung erinnert, vnd zu jhrem selbst eigenen besten gebetten sein, weil lange predigten den leib abmatteten, vnd erzelter maß dem gottesdienste mehr schetlich als nützlich wehren, Dahin zugedencken, wie sie jhre predigten kurtz fassen, die sontags predigten mit einer stunde gentzlich endigen, die wercktags predigten aber mit einer halben stunde beschließen mochten etc. 2660 StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 25r. 2661 Vgl. Hölscher, Lucian: Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, S. 56. 2662 Insgesamt wurden um 1700 in allen Kirchen von Mo-Sa nur noch neun Predigten gehalten. Vgl. Tabelle 5. 2663 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 440. 2664 Dennoch lassen sich auch all diese liturgischen Gottesdienstbestandteile in den Quellen nach 1600 noch nachweisen. So z. B. das Kyrie zu Beginn des Gottesdienstes, sodann Gloria, Kollekte und Epistellesung (1667): Vgl. StadtA BS, G II 5 Nr. 39, Bl. 1v u. 6r.

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fest und blieb bis 1671 unumstritten in Gebrauch. Nach der Predigt folgten demnach zunächst die wöchentlichen Bekanntmachungen sowie die Ermahnung zur Obrigkeitstreue. Dem schloss sich der Gemeindegesang an, währenddessen sich die Kommunikanten im Chor versammelten (Frauen links, Männer rechts). Der Pfarrer hielt nun eine (vermutlich niederdeutsche2665) Exhortatio anstelle einer Präfation.2666 Ob hiervor das übliche »Dominus vobiscum«2667 gesungen wurde (wie von Bugenhagen vorgeschlagen), lässt sich anhand der Agenden nicht nachweisen, da diese meist erst bei der Exhortatio beginnen – es ist aber anzunehmen. Nach dem sodann gesungenen »Vater unser« wurde unter währendem Gesang zunächst das Brot und anschließend der Wein ausgeteilt – in den größeren Kirchen teilten sich die beiden Prediger diese Aufgabe.2668 Die Gemeinde sang unterdessen »Jesus Christus unser Heiland«. Es folgte das gesungene »Agnus Dei« sowie das Gebet »Wir danken dir, allmächtiger Herrgott«. Schließlich wandte sich der Pfarrer wieder zum Volk und beendete die Messe mit dem üblichen Segen.2669 Gelegentlich kam zu diesen Zeremonien noch die gemeine Beichte hinzu. Die Agenden lehnten sich folglich recht streng an die Ordeninge der misse, wie sie Bugenhagen 1528 in seiner KO formuliert hatte.2670 Damit bildete der liturgische Ablauf des Gottesdienstes einen der wenigen Punkte innerhalb der KO, die noch nach 1599 im Großen und Ganzen ihre praktische Anwendung fanden – jedenfalls laut Agende. Denn wie die Diskurse gezeigt haben, scheinen bisweilen einzelne Elemente dieses Gottesdienstes zeitbedingt der ausufernden Predigt zum Opfer gefallen zu sein.

2665 Es haben sich mehrere Exhortatiotexte in den Agenden auf Niederdeutsch erhalten. Vgl. z. B. StadtA BS, H III 7 Nr. 3, Bl. 6v (1591). Zur Anzahl der Kommunikanten vgl. Grafik 13 im Anhang. 2666 Schon Bugenhagen hatte an dieser Stelle in der KO eine Exhortatio als ausreichenden Ersatz für die Präfation angesehen: Sus mach wol totiden sulke prefatie unde Sanctus nabliven, wente de exhortatie is de rechte prefatie, dat is eyne vohrrede. Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 441. 2667 Vgl. ebd., S. 441. 2668 Vgl. StadtA BS, G II 4 Nr. 7, Bl. 103v. Hier reichte ein Prediger das Brot und sein Kollege den Wein. 2669 Zwar wurde im Konsistorium 1639 von den Ratsherren gebeten, den Segen schon nach der Predigt zu spenden, da Amtsgeschäfte das Verlassen der Messe in währender Kommunion erfordern würden (StadtA BS, C IX Nr. 100 [o.P.]. Sitzung vom 19. 1. 1639). Da aber spätere Agenden von 1661 den Segen nach wie vor am Ende verzeichnen, hat sich diese Forderung vermutlich nicht durchgesetzt. Vgl. StadtA BS, G II 4 Nr. 39, Bl. 16v. 2670 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 440.

Sünden- und Strafzucht

4.5

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Sünden- und Strafzucht

4.5.1 Geistliche Sündenzucht Verhielten sich die Gemeindemitglieder während der Predigt, an Feiertagen oder auch privat nicht gemäß protestantischer Sittenvorstellungen, so konnte einerseits der Rat mittels polizeilicher Maßnahmen intervenieren (»Strafzucht«), häufiger waren jedoch eigene Strafmaßnahmen der Geistlichen (»Sündenzucht«).2671 Den Predigern boten sich hierbei mehrere Möglichkeiten, diesem »Missstand« entgegenzuwirken. Mit dem geistlichen Strafamt bzw. der »Sündenzucht« war den meisten lutherischen Kirchenordnungen ein gewichtiger Passus einverleibt worden, ohne dass man zuvor dessen inhaltliche Bedeutung näher geklärt hatte. Es entsprach freilich nach zeitgenössischer Ansicht der lutherischen Trennung beider »Regimente«,2672 wenn man die kirchliche Justiz mittels Edikt, Haft- und Geldstrafe unter obrigkeitliche Kontrolle stellte, zugleich aber den Predigern ein Instrument kirchlicher Züchtigung an die Hand gab. Dabei zerfiel das geistliche Strafamt eigentlich in zwei verschiedene Aspekte. 1. Zentral abgehandelt, aber praktisch doch nur unzureichend ausdifferenziert, wurde in fast allen KOO die Neuinterpretation des kirchlichen Bannes.2673 2671 Nachdem die Disziplinierung »kirchlicher« Zuchtelemente lange Zeit nicht sauber differenziert wurde, hat erstmals Schilling 1989 das rein geistliche Strafamt (»Sündenzucht«) von der weltlichen Sittenstrafe getrennt, da bezüglich der fehlenden Trennschärfe zunächst 1977 durch Geoffrey Elton Kritik aufgekommen war. Vgl. Schilling, Heinz: Sündenzucht und frühneuzeitliche Sozialdisziplinierung. Die calvinistische presbyteriale Kirchenzucht in Emden vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, in: Schmidt, Georg (Hrsg.): Stände und Gesellschaft im Alten Reich, Stuttgart 1989 (= Veröffentlichungen des Inistituts für Europäische Geschichte Mainz, 29), S. 265–302. Diese Trennung wurde in Folge auch von der Kriminalforschung adaptiert. Vgl. Schnabel-Schüle, Helga: Kirchenzucht und Verbrechensprävention, in: Schilling, Heinz (Hrsg.): Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, Berlin 1994 (= Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 16), S. 49–64, hier S. 49. Obgleich Schwerhoff dieser »idealtypischen Unterscheidung« beider Strafämter in der Praxis eher skeptisch gegenübersteht (Stichwort Konsistorium), so lässt sie sich für Braunschweig mit entsprechender Vorsicht durchaus anwenden, da dem Konsistorium hier keine kirchliche »Sündenzucht« (Bann, etc.) zustand. Vgl. Schwerhoff, Gerd: Historische Kriminalitätsforschung, Frankfurt/New York 2011 (= Historische Einführungen, 9), S. 166–167. 2672 Es handelt sich hier um einen Quellenbegriff im Braunschweiger Diskurs der Zeit. Die Regimentelehre Luthers trägt bisweilen wenig zur Klärung des Sachverhaltes bei, sondern verwirrt ob seiner Undifferenziertheit vielfach eher, sodass er im Folgenden möglichst – abseits des Gebrauches als Quellenterminus – vermieden werden soll. 2673 So für Norddeutschland z. B. Minden 1530 (Sehling, Kirchenordnungen XXI 1, S. 137), Lüneburg 1531 (Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 682), Göttingen 1531 (Sehling, Kirchenordnungen VI 1,2, S. 910, Hannover 1536 (Sehling, Kirchenordnungen VI 1,2, S. 1008), Hildesheim 1542 (Sehling, Kirchenordnungen VII 2,2,1, S. 865), Osnabrück 1543 (Sehling, Kirchenordnungen VII 2,1, S. 252). Zum Bann in vorreformatorischer Zeit vgl. Dobras,

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Gemäß Math. 18,15–172674 sollten die Prediger Lästerer und Sünder (notfalls mehrfach) ermahnen und sie bei Unbußfertigkeit von den Sakramenten ausschließen. Dies entsprach – bei aller definitorischer Schwierigkeit – grob dem kleinen Bann (excommunicatio minor) des kanonischen Rechts.2675 Dieser sollte, anders als in katholischer Zeit,2676 meist nicht öffentlich unter Namensnennung und Bußleistung erfolgen, sondern anonym: De predikere scholen frylick sunde straffen, doch unvormerket de personen.2677 In Braunschweig wurde sodann (ab den 1560er Jahren) die »öffentliche« Versöhnung mit der Kirche »nur« vor dem Kolloquium und auch nur bei Ehebruch, Totschlag und Zauberei/Häresie vollzogen.2678 Die Exkommunikation (großer Bann oder excommunicatio maior), mit entsprechenden weltlichen Folgen, kam hier in ihrer ursprünglichen gratianischen Reinform nicht mehr zur Anwendung, blieb aber in einigen Territorien und Städten in abgemilderter Form durchaus bestehen.2679 Dabei stand dann jedoch gemäß den Ansichten Luthers nicht die Bestrafung des Sünders im Vordergrund, sondern dessen Disziplinierung mit dem letztlichen Ziel der Wiedereingliederung in die christliche Gemeinschaft.2680 2. Die zweite Strafmöglichkeit bestand in der öffentlichen Ausrufung und Zurechtweisung von Sündern während oder nach der Predigt. Diese sollte meist ohne Nennung der Namen erfolgen, aber doch so, dass jedermann wusste, wer gemeint war. Damit ergab sich natürlich bereits eine Grauzone – gleiches galt für

2674 2675

2676 2677 2678 2679

2680

Wolfgang: Ratsregiment, Sittenpolizei und Kirchenzucht in der Reichsstadt Konstanz 1531–1548. Ein Beitrag zur Geschichte der oberdeutsch-schweizerischen Reformation, Gütersloh 1993 (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 59), S. 276ff. Vgl. z. B. Braunschweig 1528 (Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 384), Minden 1530 (Sehling, Kirchenordnungen XXI 1, S. 137) oder Göttingen 1531 (Sehling, Kirchenordnungen VI 1,2, S. 910). Zu den diesbezüglichen definitorischen Unstimmigkeiten vgl. Dobras, Ratsregiment, S. 277–278: »Die Schwierigkeiten, die bei der Verwendung der Begriffe ›kleiner‹ und ›großer‹ Bann für die evangelischen Kirchen zutage treten, resultieren daraus, daß die reformatorischen Kirchen keine eigene Terminologie für die von ihnen neu begründete Exkommunikation entwickelt haben […].« Vgl. Neumann, Friederike: Öffentliche Sünder in der Kirche des Späten Mittelalters. Verfahren – Sanktionen – Rituale, Köln/Weimar/Wien 2008 (= Norm und Struktur: Studien zum Sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit, 28), S. 169. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 373 (Braunschweiger KO 1528). Vgl. dazu Kapitel 2.1.5.2. So etwa in Braunschweig-Wolfenbüttel (1569) und Goslar (1651). Die Grenzen zwischen kleinem und großem Bann waren aber in den späteren Ordnungen oft fließend (obgleich der Begriff »Exkommunikation« zunehmend wieder in Gebrauch kam): Denn auch beim kleinen Bann wurde, wie in Hamburg u. Lübeck, meist anbefohlen, mit den Sündern nur noch geschäftlich umzugehen, in andern dingen schollen se sick also van em holden, so vele idt mogelick is. Sehling, Kirchenordnungen V, S. 509. Fast wortgleich auch in Braunschweig. Vgl. Hammann, Konrad: Ecclesia spiritualis. Luthers Kirchenverständnis in den Kontroversen mit Augustin von Alveldt und Ambrosius Catharinus, Göttingen 1989 (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 44), S. 80.

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die Frage, ab wann und wie hart die Prediger ihre Obrigkeiten in den Predigten kritisieren durften. All diese Ungereimtheiten, die in der KO nicht genügend thematisiert wurden, führten in Braunschweig zu zahlreichen Konflikten. Zunächst zum Bann. Die Strafe des Bannes war in Braunschweig bereits 1528 durch die KO rechtlich sanktioniert worden, allerdings ohne jegliche formale Vorgehensweise. So verlangten etwa 1531 die neuen Vorsteher des Klosters St. Crucis vom Rat (!), alle halsstarrigen altgläubigen Nonnen jn den cristligen ban to donde.2681 Obgleich sich der Rat diesem Ansinnen verweigerte, wird allein aus einer solchen Forderung bereits ersichtlich, dass die Abgrenzung von neuem geistlichen und weltlichen Strafamt im Verständnis der Laien noch sehr vage war. Eine klare Trennung der weltlichen und geistlichen Sphäre sollte sich erst in der Folge noch entwickeln. Bis in die 1550er Jahre hatte sich die Geistlichkeit das Bannrecht dann aber offenbar gesichert. Aufgrund mangelnder Hinweise ist vor 1555 hierzu keine Aussage zu treffen. Als jedoch der »Sakramentarier« Henning Kloth 1555 heiraten wollte, verwehrten ihm die Prediger aus eigener Vollmacht die Sakramente sowie die Heiratszeremonie.2682 Da der Rat diese Praktik auch im folgenden Prozess weder bestritt noch thematisierte, muss das Bannrecht der Geistlichkeit zu diesem Zeitpunkt bereits Konsens gewesen sein. In den folgenden Jahren kam es dann aber insbesondere bezüglich der Ausübung des Bannes zu Streitereien: Inwiefern durften Sünder, welche die Prediger durch ihre Ermittlungen ausfindig gemacht und kirchlich gestraft hatten, auch der weltlichen Obrigkeit übermittelt werden? Und wie weit erstreckte sich in dieser Hinsicht das geistliche Strafamt? Der Rat sah rasch ein, dass die Informationen der Geistlichen auch von großem Nutzen für die weltliche Obrigkeit waren, welche ja ebenfalls mittels Policeyordnung (1573/79) und Zuchtmandat juristisch in die sittliche Disziplinierung eingriff. Trinker, Spieler, Ehebrecher oder (Tot)schläger wurden daher durch die Geistlichen in die Sakristei vorgeladen, um im Falle ihrer Halsstarrigkeit dem Kirchenbann zu verfallen und von allen Kirchenhandlungen ausgeschlossen zu werden.2683 Hatte der Geistliche solche Straftäter aber anschließend auch den Bruchherren (Untergerichtsbarkeit) bzw. dem Rat/Konsistorium (Obergerichtsbarkeit) mitzuteilen? Hier entstand insbesondere in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zunehmend Unklarheit. Der Rat wollte natürlich die Namen der Missetäter von den Geistlichen übermittelt bekommen. Tatsächlich kamen die Prediger dem zunächst auch nach und ettliche fell wurden dem Rat mitgeteilt.2684 Nach weiteren diesbezüglichen Anordnungen durch den Rat beklagte sich aber das Kolloquium (1560): Verhoffen wier, vnsere herren 2681 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 19v. 2682 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 239. 2683 Lediglich der Besuch des Gottesdienstes war – wie bei Protestanten üblich – trotz Bann gestattet. 2684 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 108r.

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werden christlich betrachten, das wier ja nicht kuntschafter sindt, vnd derhalben vns nicht aufferlegen, so zu vnserm ampt nicht gehoret, vnd wier auch darauff jr nicht bestellet sindt.2685 Andererseits wurde aber die Übergabe von obrigkeitlich abgeurteilten Straftätern (Ehebrecher, Totschläger, Zauberer) vom Ministerium gefordert (vgl. Kapitel 2.1.5.2).2686 Beide Seiten, Rat und Geistlichkeit, sahen sich also in ihrem Strafamt zu Beginn der 1560er Jahre beschnitten, bzw. baten die jeweils andere Seite, sie in ihrem Amt zu unterstützen. Wie also sollte vorgegangen werden? Worauf von den Geistlichen 1560 gedrängt wurde, war prinzipiell nichts anderes als eine strenge Trennung der »Regimente«. Diese Trennung hatte die KO zwar den Geistlichen vorgeschrieben,2687 bezüglich der Obrigkeit war hier jedoch keine klare Grenze gesetzt worden. Sowohl Rat als auch Geistlichkeit mussten sich in diesem Punkte also einigen, wie das jeweilige Amt auszuüben sei. Schließlich gaben sich beide Seiten mit einem Kompromiss zufrieden: Der Rat trug die Namen jener Missetäter, die sittliche/kirchliche Straftaten begangen hatten, zugleich an die Geistlichkeit weiter; im Gegenzug übermittelten die Prediger dem Rat etwaige Sünder, die sich einer weltlichen Strafe gemäß Policeyordnung schuldig gemacht hatten. Beiden wurde also ihr Strafamt offengelassen, sodass man im »Idealfall« den Delinquenten sowohl kirchlich als auch weltlich rügte. In dieser Hinsicht wurde z. B. 1599 zwei Frauen durch das Untergericht (Bruchdorntzen) vorgeschrieben, sich zur Strafe an ihren Prediger Johann Wagner zu verfügen, da sie bey zaubern vnd wahrsagern trost, hülffe vnd raht gesuchtt vnd deßen vberwunden worden waren. Wagner sollte ihnen ein gudt capitell lesen vnd anzeigen.2688 Andererseits wurden Sünder, welche in der Sakristei zur Ermahnung nicht erscheinen wollten, bey den hern [an]geclaget, die jhnen den bawermeister zuschicket[en] oder bisweilen ans Konsistorium übermittelt.2689 Diese Zusammenarbeit mit der Obrigkeit war auch notwendig, denn Zahlen aus den 1590er Jahren belegen, dass ein Großteil der in die Sakristei vorgeladenen Sünder nicht erschien.2690 Obgleich sich Rat und Obrigkeit also 2685 Ebd., Bl. 108r. 2686 Vgl. ebd., Bl. 144v. 2687 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 385. Hier heißt es im Anschluss des BannAbschnitts: Wat mehr to richtende is, kumpt den predicanten nicht to, sonder unser overicheit. Daraufhin wird dies ausdifferenziert. 2688 StadtA BS, G II 4 Nr. 7, Bl. 28v–29r [Es handelt sich hier um einen zwischenliegenden, unpaginierten Zettel]. 2689 Ebd., Bl. 99v. Zur Weiterleitung ans Konsistorium vgl. ebd., Bl. 44v. 2690 So erschienen z. B. von den dreizehn im Mai 1599 vorgeladenen Missetätern lediglich fünf in der Sakristei. Vgl. ebd., Bl. 31r. Dies erstaunt nicht, wenn man sich die dort stattfindenden Strafreden vor Augen führt, wie sie etwa einer der Unzucht beschuldigten Frau im Jahr 1600 gehalten wurden (ebd., Bl. 60v): Jr seid ein schandfleck dieser gemeine vnd vns vnd vnserer kinder […] vnd zu reden, jr seid [nichts] als eine gemeine stadthure.

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über die Zuständigkeit der geistlichen Straftätigkeit bis 1600 verglichen hatten, akzeptierten gerade die vorgeladenen Sünder dieses »Sakristeigericht«2691 vielfach nicht. Natürlich handelte es sich bei dieser Einrichtung um kein Gericht im institutionellen Sinne. Allerdings bürgerte sich in Braunschweig nach der Reformation sukzessive ein Recht der Prediger zur Vorladung sittlicher Sünder ein – unabhängig von der ohnehin üblichen Ermahnung im Beichtgespräch. Eine Vorladung in die Sakristei wurde meist im Anschluss an die Predigt ausgesprochen und basierte auf eigenen Nachforschungen der Prediger oder Anzeigen aus der Gemeinde. Der Delinquent hatte sodann zum angegebenen Zeitpunkt in der Sakristei zu erscheinen und wurde vom Prediger (bzw. im Falle der größeren Kirchen von mehreren Predigern) zurechtgewiesen sowie bei Streitigkeiten zur Güte gemahnt. Einen eindringlichen Bericht hierzu liefert das Selbstzeugnis einer (misshandelten) Ehefrau, die 1582 selbst zum Opfer dieser Einrichtung wurde: Darnach am dage Bartolomeus ist des opermans fraw von Sant Catarinen zu mir komen vnd gesagt M. Garstmerus lest euch bitten das ihr itzund möchte[t] zu ihme komen jn sant Katharinen kirche jn die sacristey, do ginge ich mit ihr hin, aber wie ich hin kam, do war ehr nicht allein sondern M. Friederich vnd M. Büsinus die warn auch da […]. Ja da hub M. Friderichs an vnd filtzs mich aus wie eine mißdetterin vnd M. Büsinus kam jm zu hülffe vnd weisetten mich an örter da man billich ander leute hin weisen magk aber nicht erliche weiber etc. M. Garsmerus der redet auch das seine darzu was da recht vnd billich ist, ehr straffet vnd fermandt aus gottes wort wie man sich ferhalten sollte […].2692

Aufgrund solcher Demütigungen blieb diese Form der Gerichtsbarkeit unter den Vorgeladenen bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes höchst umstritten. Bartoldt Haverlandt, der 1599 einen Bürger auf der Straße mit einem spies vberlauffen hatte, erklärte z. B. zornig, nachdem er in die Sakristei beschieden worden war, die sache gehore an den ort nicht, die gehore auff die brokdornze vnd für den rad […] vnd gehorte für vns nicht.2693 Die beiden Prediger zu St. Katharinen antworteten Haverlandt daraufhin, das wir vns dessen das zu dem gerichte vnd obrigkeit ampt gehorete, mittnichten nicht annemen, sondern wir redeten amptes halber von dem, das zu dem gewissen vnd zu der seelen gehoret.2694 Hierin 2691 Die Bezeichnung »Sakristeigericht« ist freilich kein Quellenbegriff, beschreibt die pastorale Vorladung der Sünder in der Sakristei aber sehr treffend. Die Rüge erfolgte hier eben nicht nur im Zuge der Beichte vor dem Abendmahl, sondern basierte auf einer Vorladung der Delinquenten durch Pfarrer oder Oppermann. In den Quellen findet sich hierfür der Begriff inquisitione pastorali. Vgl. ebd., Bl. 1r. Trotz häufigen Fernbleibens der Vorgeladenen akzeptierte die Bevölkerung aber wenigestens Teilweise diese Form der Streitschlichtungsinstanz und wandte sich bisweilen gar selbst an die Pfarrer (1595): Heinrich Schutten ist neben seinem weibe komen vnd klaget vber Andressen Olpken vnd sein weib […]. Vgl. StadtA BS, G II 4 Nr. 7, Bl. 6v. 2692 StadtA BS, B IV 11 Nr. 55, Bl. 5v. 2693 Ebd., Bl. 40r. 2694 Ebd.

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wird nochmals die Trennung der beiden Strafämter deutlich: Mit Begehung der Gewalttat hatte Haverlandt zwar einerseits eine juristische Straftat begangen, andererseits war er damit aber auch aus kirchlicher Sicht zum Sünder geworden. Beides wurde von den Geistlichen nach wie vor strikt auseinandergehalten und es kam – jedenfalls in dieser Hinsicht – eben nicht »zu einer gesteigerten Verflechtung von politica und ecclesia.«2695 Die Hilfe der Geistlichen gegenüber dem Rat hielt sich im Laufe der Zeit entsprechend in Grenzen und wurde meist nur dann gewährt, wenn den Predigern an einer rechtlichen Sanktion der unbußwilligen Sünder gelegen war. So ließ das Kolloquium dem Rat etwa zu Beginn des 17. Jahrhunderts mitteilen: Daß begehret worden, man solle hurer vnd ehebrecher nennen, daß sey ihres ampts nicht, die herrn möchten durch ihre diener selbst lassen fragen, so köndten sie es wol erfahren.2696 Die Zusammenarbeit zwischen Rat und Ministerium blieb also auch im weiteren Verlauf schwierig. Dies konnten sich die Prediger allein deshalb erlauben, weil sie im äußersten Falle immer noch selbstständig die Strafe des (kleinen) Bannes auszusprechen vermochten, sofern die Sünder dem oben beschriebenen »Sakristeigericht« fernblieben oder sich nicht besserten. Dieses (1567 vom Rat bestätigte) Recht2697 blieb bis ins 17. Jahrhundert unumstritten und uneingeschränkt in der Gewalt der jeweiligen Prediger, bzw. des Ministeriums.2698 Eine Notiz des Pfarrers zu St. Katharinen (1595) verdeutlicht dies: Als Hans Schwalenbergk zu gefattern gebeten vm Hans Becker bei dem graben meiner herren diener, habe ich, M. Rhodolphus, ime nicht admittiren wollen.2699 Die Machtfülle der Geistlichen kulminierte schließlich 1603 in der Aussprache des geistlichen Bannes über sämtliche Bürgerhauptleute, denen man von Seiten des Ministeriums Aufruhr vorwarf.2700 Der Rat war hieran nicht 2695 Hamm, Berndt: Reformation als normative Zentrierung von Religion und Gesellschaft, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 7 (1992), S. 241–279, hier S. 255. Vgl. als Gegenbeispiel etwa die Antwort des Katharinenpredigers an einen Sünder (1609): Aber ich antwortete im kurtz, wir handelten hie nicht politicae, sondern als Gottes diener. Vgl. StadtA BS, G II 4 Nr. 7, Bl. 91v. 2696 StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 89. 2697 Vgl. die Proposition von Chemnitz: StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 10v. 2698 Vgl. z. B. den Fall Henning Kloth (1555), StadtA BS, B IV 11 Nr. 239, Bl. 22r; Andreas Pawel (1599) StadtA BS, B IV 11 Nr. 74, Bl. 9r; Henning Sievern (1609) StadtA BS, G II 4 Nr. 7, Bl. 93v. Dazu auch: Helmuth, Antheil, S. 307–337. Dazu auch den Kolloquiumsbeschluss von 1603 (StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 28v): Junggesellen, die mit andrem verdechtigen gesinde haußhaltten, sollen von jhren predigern jnn der gehrkammer […] erstlich vermahnet werden […], wofern sie es aber nicht jn beßerung stellen würden, sollen sie von der communion, gevatterschafften vnd anderem abgewiesen werden. 2699 StadtA BS, G II 4 Nr. 7, Bl. 7v. 2700 Tatsächlich wurde dieser Bann auch vollzogen, entgegen späteren Vermutungen des 18. Jahrhunderts, er wäre nur angedeutet worden (StadtA BS, G II 4 Nr. 8, pag. 520). Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 133: Die suspension ist also bald ins werck gerichtet. 29. Sept. die Michaelis ward Berwerd Jegenhorst ratherr vnd heubtman im Hagen von der tauf abgewiesen. Auch durft man jm nicht anmuten Johan Nadelers braut zur kirchen zu leiten. […]

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beteiligt, sondern im Gegenteil sogar partiell hiervon betroffen, da einige Hauptleute zugleich ratssässig waren. Dieser eigenmächtige Einfluss der Geistlichen ist hingegen eher ungewöhnlich, mischten sich doch die Obrigkeiten anderer Territorien und Städte im Laufe des 16./17. Jahrhunderts verstärkt in die Verhängung des kirchlichen Bannes ein.2701 Insofern haben sich die Braunschweiger Prediger im Vergleich zu anderen lutherischen (oder gar reformierten) Territorien/Städten nach der Reformation ein äußerst eigenständiges Strafrecht gesichert. Der zweite Aspekt des Strafamtes bezog sich auf die öffentliche Strafe in der Predigt, welche (auch schon gemäß kanonischem Recht) den öffentlichen Sünden vorbehalten war. Es ist bezeichnend, wenn sich für nahezu alle norddeutschen Städte im Laufe des 16./17. Jahrhunderts in dieser Hinsicht erbitterte Konflikte feststellen lassen: Die Frage nach den Personen/Straftaten, die in den Predigten gerügt werden durften, war innerhalb der KOO nicht hinreichend geregelt worden. Insbesondere betraf dies das Strafamt gegenüber der Obrigkeit, das »Wächteramt«.2702 In zahlreichen Städten predigten die Geistlichen im Laufe des 16. Jahrhunderts wider ihre Obrigkeiten;2703 Diskurse und Streitigkeiten um das öffentliche Strafamt wurden so bis in die 1560er Jahre zum lokalen Politikum, weshalb sich 1562 selbst der Niedersächsische Reichskreis mit dem Thema be-

12. octobr. Peter Schrader rather vnd heubtman in der Newenstadt, 31. oct. Schwigbrecht Bartram heubtman in der Altenstadt von der tauf abgewiesen. Zum weiteren Verlauf vgl. Helmuth, Antheil, S. 307–337. 2701 In Territorien wie Braunschweig-Wolfenbüttel, aber auch Städten wie z. B. Goslar war eine Bannverhängung laut KO nicht ohne Zustimmung des vorgesetzten Spezialsuperintendenten bzw. des Konsistoriums erlaubt. Vgl. zu Braunschweig-Wolfenbüttel auch ausführlich: Schramm, Jonas Conrad: Synopsis Corporis Doctrinae Jvlii […], Helmstedt 1712, S. 82–86. In vielen oberdeutschen Städten wie z. B. Konstanz war »das gesamte Bannverfahren unter obrigkeitlicher Regie.« Vgl. Dobras, Ratsregiment, S. 284. In Nürnberg wurde der Bann nach 1533 für die Geistlichkeit sogar vollständig abgeschafft. Vgl. ebd., S. 295. Zu den Streitigkeiten um das Bannrecht in Rostock vgl. Strom, Jonathan: Kirchenzucht und Obrigkeitskritik. Religiöse Reform in Rostock 1648–1675, in: JGNKG 92 (1994), S. 125–138, hier S. 133–134. 2702 Vgl. Mager, Wächter, S. 60ff. 2703 Zu Stralsund: Berwinkel, Macht, S. 156ff. Zu Lübeck: Sehling, Kirchenordnungen V, S. 370– 372. Zu Rostock: Storm, Kirchenzucht, S. 125ff. Zu Hamburg (u. Lübeck): Hauschild, Kirchengeschichte, S. 264–265. Zum Paradebeispiel Magdeburg vgl. u. a.: Nahrendorf, Carsten: Humanismus in Magdeburg. Das Altstädtische Gymnasium von seiner Gründung bis zur Zerstörung der Stadt (1524–1631), Berlin/München/Boston 2015, S. 134–136. Auch: Schneider, Hans-Otto: Nikolaus von Amsdorf: An den Rat und die Bürgerschaft zu Magdeburg, in: Dingel, Irene (Hrsg.) Der Antinomistische Streit (1556–1571), Göttingen 2016 (= Controversia et confessio, 80), S. 174–199, hier S. 180.

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fassen musste.2704 Der alte, zähe Mythos des obrigkeitshörigen Lutheraners kann damit einmal mehr als unzutreffend abgelehnt werden.2705 In Braunschweig wurde das öffentliche Strafamt der Geistlichen immer dann zur Disposition gestellt, wenn sich angesehene Persönlichkeiten zu Unrecht diffamiert fühlten. Diese Fälle entwickelten sich nicht selten auch zum Politikum – insofern ist hier der Ansicht zu widersprechen, obrigkeitliche »Sozialdisziplinierung« und Sündenzucht hätten sich im konfessionellen Zeitalter zwangsläufig korporativ bedingt.2706 Dies mag in Einzelfällen durchaus so gewesen sein, vielfach richtete sich das geistliche Strafamt nach der Reformation aber eben gerade gegen die Obrigkeiten. Dies hatte dann bisweilen zur Folge, dass nicht die Obrigkeit ihre Untertanen disziplinierte, sondern die Geistlichkeit ihre Obrigkeit. Bugenhagen hatte in seiner KO 1528 u. a. festgeschrieben, dass de predigere hart straffen sollten, wedder de overicheit, se sy böse edder gut, unde wedder ander personen, se syn arm edder ryk.2707 Tatsächlich nahmen sich die Prediger dieses Strafamtes umgehend an und wetterten zunächst vornehmlich gegen den altkirchlichen Klerus. Der westfälische Laienbruder Göbel, der 1529 durch Braunschweig zog, bermerkte dazu in seiner Chronik: Unde ere predicanten stain up den prediestollen unde schenden unde vorachten den pavest myt allen pristeren so 2704 Vgl. Kaufmann, Konfession und Kultur, S. 94. Außerdem: Schorn-Schütte, Luise: Kommunikation über Politik im Europa der Frühen Neuzeit. Ein Forschungskonzept, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs (2007), S. 3–36, hier S. 17ff. 2705 Hierzu vgl. u. a. Park, Chang Soo: Luthertum und Obrigkeit im Alten Reich in der Frühen Neuzeit. Dargestellt am Beispiel von Tilemann Heshusius (1527–1588), Berlin 2016 (= Historische Forschungen, 109): »Die so genannte Sonderwegsthese, nach der es einen deutschen Sonderweg lutherischer obrigkeitsdienlicher Theologie zugunsten des absoluten Fürstenstaates gegeben hatte, muss endgültig verabschiedet werden.« Auch: Brecht, Martin: Protestantische Kirchenzucht zwischen Kirche und Staat, in: Schilling, Heinz (Hrsg.): Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, Berlin 1994 (= Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 16), S. 41–48, hier S. 43. Neuerdings auch Schilling, Heinz: Lutherischer Stadtrepublikanismus als zivilgesellschaftliches Erbe der Reformation – esseayistische Überlegungen zum fünfhundertsten Reformationsjubiläum 2017, in: Ellermann, Julia; Hormuth, Dennis; Seresse, Volker (Hrsgg.): Politische Kultur im frühneuzeitlichen Europa. Festschrift für Olaf Mörke zum 65. Geburtstag, Kiel 2017 (= Geist und Wissen, 26), S. 283–292, hier S. 290: »Die eingangs zitierte pauschale Diskriminierung Luthers und der deutschen Reformation als autoritätshörig bedarf somit der historischen Qualifizierung.« 2706 Dies ist auch bereits aus dem vorherigen Abschnitt zum Bann deutlich geworden: Die Geistlichkeit arbeitete bei der Sündenzucht nur bedingt mit der Obrigkeit zusammen. Sowohl die rein etatistische Sozialdisziplinierung als auch die von Blicke und Schmidt postulierte Kommunalismusthese treffen daher auf das lutherische Braunschweig nicht zu – die Geistlichen spielten in der Kirchenzucht einen durchaus selbstständigen Faktor. Allerdings ist hier mit Schilling sauber zwischen weltlicher und geistlicher Zucht zu trennen. Vgl. dazu: Schilling, Sündenzucht, hier S. 267. Zur Ablehnung des Sozialdisziplinierungsparadigmas in der Kirchenzucht vgl. Schmidt, Sozialdisziplinierung?, S. 639ff. 2707 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 380. Dazu auch ebd., S. 373.

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jemmerliken myt allen Goddes hillighen.2708 Natürlich bemerkten auch die Ratsherren die Schelte der Prediger auf katholische Geistliche, Fürsten und Adelige. So klagte man etwa 1531, dat de furste vnd adel vor deiffe vnd vorreder geschulden weren von den predicanten.2709 Doch schon damals ließen sich die Geistlichen in ihrem Strafamt nicht vom Rat beschränken. Überdies hatte man obrigkeitlicherseits zunächst wichtigere Probleme zu lösen: Den zunehmenden innerkonfessionellen Streit zwischen den verschiedenen Predigern. So wurde denn die immer wieder latent betriebene Kanzelschelte auch erst brisant, als sie begann, sich namentlich gegen einzelne Personen zu richten. Dies war in Braunschweig nachweislich 1535/36 der Fall und führte zu einem Streit mit dem Magdeburger/Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg. Einer der Braunschweiger Prediger hatte den Erzbischof von der Kanzel öffentlich gescholten mit lügen, scheldt, vnd schmehworthen.2710 Der erzürnte Erzbischof ließ daraufhin im Dezember 1535 das Geleitrecht sämtlicher Braunschweiger Kaufleute aufkündigen und wollte diese nicht durch sein Territorium zur anstehenden Messe nach Leipzig ziehen lassen.2711 Natürlich verlangte er von der Stadt überdies, den verantwortlichen Prädikanten umgehend zu entlassen. Der Geistliche habe nicht das Recht besessen, ihn von der Kanzel derartig zu schmähen. Der Rat musste nun lavieren, da er in dieser Frühphase kurz nach der Reformation noch keinen Prediger entbehren wollte. Er lud den besagten (leider nie namentlich genannten) Prediger deshalb vor und ließ ihm anbefehlen, künftig niemanden mehr namentlich von der Kanzel zu strafen. Tatsächlich hielt sich der Geistliche nicht an diese Vorgabe, sondern sah sein Strafamt als gottgegebene Pflicht an, weshalb er den Erzbischof weiter von der Kanzel als Ketzer beschimpfte. Albrecht wandte sich erneut an den Rat und beklagte sich am 4. 4. 1536 zugleich bei Herzog Heinrich. Da die von Braunswiegk ewer liebd[en] vndertahnen seyn, solle er dem Rat anbefehlen, dem Prediger jegliche Schelte auf seine Person zu verbieten.2712 Der Rat musste nun natürlich handeln, da sich der Fall zu einem Politikum größeren Ausmaßes auszuweiten drohte. Er berief daher sämtliche Prädikanten im Frühjahr 1536 zu sich und erteilte ihnen die strikte Auflage, fortan in den Predigten keine Personen mehr zu verunglimpfen, gleich welchen Standes diese seien.2713 Albrecht ließ sich davon allerdings nicht be2708 2709 2710 2711 2712

Rüthing, Chronik, S. 304. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 19v. LASA Magdeburg, A 1 Nr. 103, Bl. 10r. Vgl. ebd., Bl. 5r (Schreiben vom 21. 12. 1535). Ebd., Bl. 10r. Hier zeigt sich auch der mangelnde Informationsgrad des Erzbischofs, der sich der politischen Verhältnisse zwischen Stadt und Herzog offenbar nicht bewusst war. 2713 Vgl. ebd., Bl. 11v: Man habe den Predigern bevolen vnd jngebunden, dat se dat gotlike wort ahne alle vorlettunge der personen, wat standen vnd wesendes de syn mochten, lutter vnd reyne vorkündingen.

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sänftigen2714 und auch die Prediger verteidigten ihr in der KO gesichertes Strafrecht hartnäckig: Sagen, die prediger sind nymandt ergerlich gewest, sonder das lauter clar worth gottes wie er das aus den bucher gelesen gepredigt.2715 Der Schriftwechsel bricht hier ab, doch ist offensichtlich, dass sich die Geistlichen schließlich durchsetzten: Von einer Predigerentlassung ist jedenfalls – trotz des hartnäckigen Scheltens der Geistlichen – aus dieser Zeit nichts überliefert. Dennoch konnte man von Seiten des Rates das Verhalten der Prediger natürlich nicht billigen: Die Geistlichen brachten den Rat mit ihren Kanzelschelten zunehmend in arge politische Bedrängnis. Zwar war der Rat wohl durchaus der Ansicht, dass ein Strafen fremder Fürsten nicht ins geistliche Strafamt gehöre, doch die Prediger hielten hartnäckig dagegen. Wegen dieser und anderer Streitigkeiten wurde Urbanus Rhegius im Frühjahr 1538 von Celle nach Braunschweig gebeten. Rhegius nahm sich denn auch, als er am 15. 3. 1538 in Braunschweig eintraf,2716 der Sache umgehend an. Er stellte sich hierbei ganz auf Seiten des Rates: Freilich sei es einem Prediger nicht gestattet, Personen von der Kanzel zu strafen, die gar nicht zur eigenen Gemeinde gehörten. Rhegius legte den Predigern diese Ansicht persönlich in einer Predigt dar und nahm hierzu als Argumentationsgrundlage die biblische Berufung des Paulus (de vocatione) zu Hilfe.2717 Überdies vermahnte er die Geistlichen hinsichtlich ihres Amtes und betonte, sie sollten fortan fremd[e] potentate[n] vnd and[ere,] so vnd[er] ore vocation nicht gehoren verschonen.2718 Der oben beschriebene Konflikt flammte im Laufe der Zeit in verschiedener Form immer wieder auf, wurde jedoch nicht wirklich geklärt. Teils waren es auch die Bürger selbst, die sich aus Angst um politische Konflikte über den Eifer der Geistlichen beschwerten. Dies war etwa in der Hochphase der politischen Auseinandersetzungen der Fall (1546), als die Prediger erneut sämtliche Katholiken auf den Kanzeln »verketzerten«. Gilden und Gemeinden baten daher, dat se vp den predigstoilen vp de potentaten vnd andere so nicht namhafftich schelden mogen.2719 Die Geistlichen konnten sich jedoch immer wieder auf die KO berufen, nach welcher ihnen ein – nicht weiter spezifiziertes – Strafamt durchaus zustünde. Ihren Höhepunkt erreichte die Diskussion um das Geistliche Strafamt in Braunschweig aber während der 1560er Jahre. Der Zeitpunkt war hierbei kei2714 So lange der Prediger noch in der Stadt gelitten würde, mogen wir derselbige ewere entschuldigung nicht jm geringsten annehmen. Ebd., Bl. 12r. 2715 Ebd., Bl. 3r. 2716 Vgl. StadtA BS, H V Nr. 217, pag. 163. 2717 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 10 [o.P.]. Auflistungsprotokoll der von Rhegius durchgeführten Arbeiten in Braunschweig 1538. 2718 Ebd. 2719 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,2, Bl. 319r.

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nesfalls zufällig. Im Juni 1562 hatten sich die Stände des Niedersächsischen Reichskreises in Lüneburg versammelt, um über die Vereinbarungen der sog. Lüneburger Artikel (1561) zu beraten.2720 Die Lüneburger Artikel waren großteils unter Ausschluss der Fürsten zustande gekommen und besaßen eine deutliche Schlagseite gegenüber den sächsischen Philippisten. Maßgeblich beteiligt waren die Theologen der sieben Städte Lübeck, Hamburg, Lüneburg, Braunschweig, Bremen, Magdeburg und Rostock.2721 Die Fürsten wiederum kritisierten nun aber die dogmatisch-kämpferische Ausrichtung der in Lüneburg getroffenen Vereinbarungen. Unter anderem wurde daher auf dem Lüneburger Kreistag 1562 vereinbart, den Lüneburger Artikeln ihre kontroverstheologische Spitze zu nehmen, um damit politischen Reibereien vorzubeugen. Eine Folge des sodann abgeschlossenen Lüneburger Mandates (1562) war daher das Verbot kontroverstheologischer Strafpredigten sowie eine kreisweite Zensur theologischer Druckwerke.2722 Der erbitterte Widerspruch, mit dem sich Mörlin, Chyträus, Hesshusen, Flacius und andere bedeutende gnesiolutherische Theologen prompt publizistisch zu Wort meldeten, braucht an dieser Stelle nur am Rande erwähnt zu werden.2723 So vertrat Mörlin etwa in seinem 1562 veröffentlichten Judicium auf das Fürstliche Lüneburgische Mandat die Ansicht, dass die Obrigkeit zwar durchaus mutwilligen oder sektiererischen Predigern die Kanzel verbieten dürfe; dementgegen werde aber ihm und den Predigern mit diesem Mandat das Strafen der Sacramentschwärmer untersagt und hierdurch in unser Amt damit wider Gottes Wort und Befehl gegriffen: Denn die Theologen würden durch diese Maßnahmen von den Religions-Händeln gänzlich ausgeschlossen.2724 Entscheidend ist für diese Untersuchung vor allem die Frage, wie die Diskurse um das Strafamt nun innerhalb Braunschweigs verliefen. Auch hier kam es kurze Zeit später, vorbereitet durch den öffentlichen Disput der Theologen, zu einem er2720 Vgl. Kaufmann, Konfession und Kultur, S. 94; Hauschild, Kirchengeschichte, S. 264. 2721 Vgl. Hauschild, Kirchengeschichte, S. 263. 2722 Vgl. Keller, Rudolf: Die Confessio Augustana im theologischen Wirken des Rostocker Professors David Chyträus (1530–1600), Göttingen 1994 (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 60), S. 149–153. Diese Beschlüsse wurden auch in den einzelnen niedersächsischen Territorien, wie etwa Braunschweig-Lüneburg öffentlich per Edikt verkündet. Vgl. HStA Dresden, 10024 Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Nr. Loc. 07263/19 [o.P.]: Da sich das vngebürlich schelten vnd lestern auff der cantzel […] fromen christlichen predigern nicht getzimet, verbot man dort krafft obberürts Lüneburgischen kreis abscheides alles scheltens vnd lesterns […] bey vermeidung der verweisung. 2723 Vgl. u. a. Kaufmann, Konfession und Kultur, S. 94ff; Hauschild, Kirchengeschichte, S. 264; Rehtmeyer, Historiae III, S. 247. Ob es den Räten bei diesem Strafamtsstreit lediglich um »Ausbau und Zentrierung obrigkeitlicher Gewalt« ging (Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 401), darf mit Nahrendorf angezweifelt werden, insbesondere auch für Braunschweig. Vgl. Nahrendorf, Humanismus in Magdeburg, S. 135. 2724 Zitiert nach: Löschern, Valentin Ernst: Ausführliche Historia Motuum zwischen den Evangelisch= Lutherischen und Reformirten […], 2. Teil, Frankfurt/Leipzig 1723, S. 173.

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bitterten Streit um das kirchliche Strafamt zwischen dem Ministerium auf der einen und Rat/Kastenherren auf der anderen Seite. Der Auslöser des Konfliktes war indessen keine Kanzelschelte gegen »Sakramentsschwärmer«, sondern eine Predigt des Hagener Geistlichen Georg Stamke gegen die Kastenherren. Stamke hatte 1564 im Gottesdienst zu St. Katharinen heftig gegen die Verwalter des Schatzkastens gescholten – freilich ohne einzelne Namen zu nennen. Basierend auf 2. Tim. 2 hatte er insbesondere die Finanzverwaltung der Kastenherren, welche ja mit den Kirchengeldern auch für das Einkommen der Prediger zuständig waren, bemängelt. Gemäß dem Satz »Es soll aber der Ackermann, der den Acker baut, die Früchte am ersten genießen« (2. Tim. 2,6) schalt Stamke den Geiz der Kastenherren.2725 Diese würden die Gelder der Kirche verwalten und verprassen, während die Prediger, denen solche Gelder eigentlich zuvorderst zustünden, in diesen schweren Zeiten nur geringen Lohn bekämen: Anderst, dan als wie Christus von den henden Jude das brott nehmen, also musten wier es von vnsern kastenherren auch nehmen, aber die bißen würden vns zugezelet.2726 Natürlich ließen die Kastenherren eine solche Diffamierung nicht auf sich sitzen und klagten Stamke beim Hagener Rat an, sodass sich dieser schließlich am 5. 2. 1565 vor einem Gremium aus Ratsherren und Kastenherren verantworten musste.2727 Durch die dortige Zurechtweisung des Rates ließ sich Stamke allerdings nicht einschüchtern;2728 stattdessen wandte er sich Hilfe suchend ans Kolloquium und überreichte diesem am 7. 3. 1565 seinen Predigttext. Nachdem die Geistlichen den Text in ihrer Kolloquiensitzung verlesen und fur recht, in Gott wort gegrundet erkant hatten, stellten sie sich geschlossen hinter Stamke.2729 Sie forderten überdies, dass der Rat künftig keinen Prediger mehr ohne Hinzuziehung eines Ministerialausschusses wegen solcherlei Fragen ausfilzen dürfe.2730 Mörlin selbst begann nun gegen das Vorgehen der Kastenherren zu predigen.2731 Damit entwickelte sich ein heftiger Zwist zwischen Rat und Ministerium bezüglich der Frage, welche Personen man wie und aus welchen Gründen in der Predigt strafen dürfe. 2725 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 136r: M. Stamkin, hatt den text 2. Timoth. 2 in seiner ordelicken wochentlicken predig furgehabt, Es soll der ackerman die frucht am ersten genießen et. vnd angzaiget, das derhalben alhie wider Gott wort were, den predigern das jenige zuentziehen […]. 2726 Ebd., Bl. 141r. 2727 Vgl. ebd. 2728 Der Rat habe ain lang plauderment getrieben, das doch alles fridlich mochte zugehen […] Summa verstehestu das? Der rath will allein zu straffen haben, vnd sollen wier mehr nicht sein dan etc. Ebd., Bl. 141v. 2729 Vgl. ebd., Bl. 136r. 2730 Vgl. ebd., Bl. 136v. 2731 Dies lässt sich indirekt anhand einer Akte aus dem Repertorium der (nicht mehr erhaltenen) Ministerialakten erschließen: StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 6v: M. Stamken vndt D. Morlini, ecclesia contra diaconos, werden beide darumb besprochen, verantworten sich.

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Am 13.3. kam es zu einer Sitzung, der neben dem Weichbildrat und Kastenherren auch das gesamte Ministerium beiwohnte. Mörlin trug dem Rat zunächst weitläufig die Meinung des Kolloquiums vor, dass nämlich Stamkins Predigt durchaus in Gottes Wort gegründet sei – er verwies hierzu auf Galater 6.2732 Vermutlich argumentierte Mörlin dabei mit Vers 6: »Wer aber unterrichtet wird im Wort, der gebe dem, der ihn unterrichtet, Anteil an allen Gütern.« Der Rat war äußerst unzufrieden mit den Ausführungen der Geistlichen. Bei der Predigt habe es sich um eyttel affectionirte reden gehandelt, die Kastenherren hätten überdies bei ihrer Geldverwaltung auf Anweisung des Rates gehandelt. Zudem were es mitt rath vnd bedencken doctoris Pomerani vnd anderer viel trefflichen gelerter leuth also fur gute erachtet, das man das colloquium verordenet, auff das man der art furbrechte was ainer an dem anderen fur fail vnd mangel hette, vnd nicht dasselbige so bald auff die cantzel brechte.2733 Schließlich ließ der Rat den Predigern eine Passage2734 aus der Kirchenordnung verlesen, welche den Kirchendienern die namentliche Kanzelschelte untersage: Zum funfften, so wer es auch jn jrer kirchenordnung an ainem sondern ort dermassen versehen, das man nicht sollte dergestalt die personen auff die cantzel bringen, solche ordenu[n]g hetten wier vns ja selbst belieben lassen, vnd hatt Preuss darauff den gantzen paragraphum hergelesen.2735 Das Ministerium ließ sich durch diese Strafrede indes nicht einschüchtern, sondern hielt verbal dagegen. Man habe das ungebührliche Verhalten der Kastenherren vielfach im Generalkolloquium vorgetragen, was man anhand von Akten auch nachweisen könne – ergeben habe sich hieraus aber nichts. Man kenne den Paragraphen in der KO überdies sehr wohl, hätte aber ja keinesfalls dagegen verstoßen, da man keine Namen genannt habe.2736 Christus selbst habe seinen Jüngern gesagt, einer aus den Zwölfen werde ihn verraten, eine solche Rhetorik sei also durchaus legitim und beinhalte keine namentliche Nennung oder gar Diffamierung; insbesondere, da auch Bugenhagen in der KO zwischen öffentlicher und geheimer Sünde durchaus unterscheide.2737 Tatsächlich ließen sich die Angaben Bugenhagens über das öffentliche Strafamt, die sich verstreut in der ganzen KO wiederfinden, unterschiedlich deuten. Nachdem sich

2732 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 136v. 2733 Ebd., Bl. 137v. Gemeint ist an dieser Stelle offensichtlich das Generalkolloquium. 2734 Die betreffende Passage wird in den Protokollen nicht wörtlich genannt. Vermutlich handelte es sich aber um folgende Vorschrift (Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 373): De predikere scholen frylick sunde straffen, doch unvormerket de personen, wente beteren scholen se unde nicht schenden. 2735 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 138r. 2736 Vgl. ebd., Bl. 139r. 2737 Vgl. ebd.: Denn Pomerany in vnser ordenu[n]g vnderschaidet, zwischen dem was noch haimlich ist, vnd dem jenigen was grob vnd offentlich ist.

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der Rat anschließend nochmal ausdrücklich hinter die Kastenherren und deren Amtsführung gestellt hatte, gingen beide Seiten in Unmut auseinander.2738 Die Hintergründe dieser Streitigkeiten waren vielfältig. Neben der vermeintlich zu geringen Besoldung und der Inflation spielten vor allem auch die Totenlaken eine zentrale Rolle im Diskurs: Während die Prediger alle Laken, mit denen die Leichen zugedeckt wurden, als Teil ihrer Bezahlung ansahen, wollten die Kastenherren diese Leichenlaken gemäß vorreformatorischer Tradition dem Kirchenschatz einverleiben.2739 Auch hier ergaben sich daher Konflikte zwischen Ministerium und Kastenherren, erneute Strafpredigten waren die Folge. So wurden die Prediger am 21.3. wiederum vor den Rat geladen. Die Aussagen Mörlins zu dieser Sitzung liegen in Teilen noch vor: Wan etwas fur felt, sollen wir nicht damitt auff die cantzel, sondern es ainem er: rath anzuzaigen schuldig sein, questio, wahr zu? Sollen wier gleichwol nichts desto weniger mitt vnser muntlichen straff aus Gottes wort furtfahren, vnd von Gottes wegk, warzu dienet dan, das wirs ainem er[baren] r[at] zuuor antragen? Haben jr er[bar] w[ürden] sonst khaine kunth schafftter? Vnd warumb hohren sie es nicht jn der kirch? Soll es aber darzu geschehen, das ain er: rath straffe, vnd damitt genug sey, wie niehmet dan ain er[bar] rath nicht dem lieben herren Christo in seinem ministerio das straffamp[t,] will des allein zu thuen haben? Wo bleibet hie der vnderschaid baider empter?2740

Mörlin hatte damit einmal mehr den aus geistlicher Sicht wichtigsten Aspekt des kirchlichen Strafamtes angesprochen: Die Unterscheidung der weltlichen und geistlichen Strafgerichtsbarkeit. Von einer Dreiständelehre mit zusätzlicher Betonung der Gemeinde bzw. Hausväter (oeconomici), wie sie z. B. Hesshusen stark machte,2741 sah Mörlin folglich ab. Doch in diesem Punkte liefen die Meinung von Rat und Ministerium eigentlich auch gar nicht so weit auseinander, da der Rat ja den Predigern laut KO nicht das Strafamt per se absprach, sondern nur eine Debatte über die namentliche Diffamierung führen wollte. Allerdings legte Mörlin gerade diesen grundsätzlichen Punkt der Strafamtsunterscheidung noch 2738 Vgl. ebd., Bl. 139v: Es thete den herren wehe, das das colloquium Stamkins sermon iustificiret habe. 2739 Vgl. ebd., Bl. 142r. Zum schon 1562 schwelenden Leichentücherstreit vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 31, Bl. 297r: Dieweil auch jm nehesten colloquio generali ward geredet, von den schwartzem tuche oder gewande, das man bisweilen vber die leiche etlicher leute pflegete zuhengen, dieweil die hern predicanten sich bedunken liessen, das es jhnen billich bliebe, vnd die oldermenne darkegen fürwendeten, das nach altem gebrauch, der noch vom babstumb herkom, dieselbigen den kirchen solten gelassen werden, ward die sach domals vnd auch jtzo an einem erbarn rad geschoben. Am 8. 3. 1565 wurde vom Rat ein wenig vermittelndes Edikt bzgl. der Leichentücher erlassen, nach welchem die Laken der verstorbenen Adeligen und Nichtbürger der Kirche (= Kastenherren), jene der Bürger aber deren Erben zustehen sollten. Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 96. Die Prediger blieben entsprechend unzufrieden. 2740 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 140r–140v. 2741 Vgl. Park, Luthertum, S. 563 u. a.

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weiter aus. Der Unterschied zwischen geistlichem und weltlichem Strafamt sei – so Mörlin – nicht vornehmlich in der Strafe selbst zu suchen, sondern betreffe vor allem die dahinterstehende Intention. Während das weltliche regiment üblicherweise post factum (= nach der Tat) strafe, um für Ordnung und Sicherheit zu sorgen, würden die Prediger schon ante factum strafen, um die that zuverhutten.2742 Damit sei immer die rechtzeitige Besserung und Umkehr der Sünder intendiert, so auch bei den Kastenherren. Eine entsprechende – zwar indirekte aber doch klar ersichtliche – Bennenung der Täter sei aber damit natürlich unumgänglich. Der größte Widersacher Mörlins in diesem Streit war Bürgermeister Becker. Becker warf dem Ministerium mehrfach vor, es wolle dem Rat permanent Bedingungen und Artikel stellen, an die sich dieser halten müsse, um ungestraft zu bleiben. Dies sei jedoch vollkommen inakzeptabel.2743 Mörlin notierte daher erbittert in seinen Aufzeichnungen: Wo dis hinaußen stehe, verstehe jch wol, Magdeburg legt fur der thuer.2744 Gemeint war hiermit vermutlich der Streit zwischen dem Magdeburger Superintendenten Hesshusen und dem dortigen Rat, bei dem ersterer schließlich 1562 aus der Stadt vertrieben worden war.2745 Letztlich konnten sich weder Rat noch Ministerium in dieser Frage wirklich einigen. Auch hier verlief sich, wie bereits 1536, der Streit nach einiger Zeit. Allerdings gingen die Geistlichen offensichtlich gestärkt aus dem Konflikt hervor: Noch im selben Jahr (1565) wurde jedenfalls das Predigergehalt – an welchem sich der Konflikt ja losgebrochen hatte – deutlich erhöht.2746 Dass sich auch Stamke nachfolgend keinesfalls mit dem öffentlichen Kanzelstrafen zurückhielt, beweisen Nachrichten aus späteren Jahren. So wurde er z. B. 1570 vom Bürger Arndt Grunhagen vorsätzlich mit einer Waffe attackiert, nachdem er diesen wegen Völlerei und Trunkenheit zuvor auf der cantzell ins gemeine gestraffet hatte.2747 Wirklich zur Ruhe kamen die Auseinandersetzungen zwischen Rat und Geistlichkeit in dieser Hinsicht aber dennoch nicht. Nachdem die Besoldung erhöht worden war, richtete sich die öffentliche Kritik der Prediger zunehmend auf die konfessionellen Konflikte der Zeit. Erneut tat sich bei diesen Kontroverspredigten vor allem Superintendent Mörlin hervor. Anlass für die Auseinandersetzung war vermutlich die Politik des Magdeburger Altstadtrates gewesen. 2742 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 113r: Das weltliche regiment greifft zum gerichtlich Handel post factum, wier warnen ante factum, die that zuverhutten. 2743 StadtA BS, Revidenda Nr. 67 [o.P.], Bl. 1r [eig. Pag. im Dokument]. 2744 Ebd. 2745 Vgl. u. a. Nahrendorf, Humanismus in Magdeburg, S. 132ff.; Park, Luthertum, S. 50–51; Schoß, Ministerium, S. 211; Hauschild, Kirchengeschichte, S. 264. 2746 Vgl. Grafik 4 im Anhang. 2747 StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 228. Schreiben vom 20. 2. 1567.

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Dieser hatte 1562 Tilemann Hesshusen und kurz darauf auch andere Geistliche aus der Stadt verbannt. Mörlin und das Ministerium hatten den Rat der Magdeburger Altstadt daraufhin mehrfach hart von den Kanzeln attackiert und angeblich behauptet, die Magdeburger seien gar vnsinnich, tholl vnd thoricht gewordenn, was 1567 eine Streitkorrespondenz beider Städte auslöste.2748 Nach außen dementierte der Braunschweiger Rat gegenüber den Magdeburgern freilich, dass jemals eine solche Aussage auf den Kanzeln vorgetragen worden sei.2749 Innerstädtisch ließ er das Ministerium hingegen vorladen und mahnte die Prediger zur Mäßigung. Der nun entbrannte Strafamtsstreit verband sich mit weiteren Konfliktpunkten2750 und erregte Aufmerksamkeit bis in die süddeutschen Städte. So schrieb etwa der Neuburger Syndikus Johann Ringelheim 1567 besorgt an seinen Bekannten, den Braunschweiger Syndikus Dietrich Prütze, man erzähle sich in der Pfalz, dass der Rat doctorem Mörlin vnd alle andere kirchendiner daselbst zusamen erfordern vnd denselben fürhalten lassen, das sy sich des hefftigen predigens wider die papisten auch andere secten enthalte[n] vnd niemants an den cantzeln benennen sollen.2751 Ringelheim wollte nun wissen, ob dieses Gerücht wahr sei und die vornehmsten Kirchendiener tatsächlich aufgrund dieser Auseinandersetzungen nach Preußen auszuwandern gedächten. Die Antwort Prützes hat sich nicht erhalten, doch lässt sich aus Mörlins Abschiedsschrift schließen, dass wohl nicht nur der Strafamtsstreit den Ausschlag gegeben hat, die Vokation nach Preußen zu akzeptieren.2752 Für Koadjutor Chemnitz, der ebenfalls willens gewesen war, nach Preußen zu ziehen und der nun das Amt des Superintendenten übernahm, mündeten die Strafamtsstreitigkeiten 1567 jedenfalls in einer Reihe von Zusicherungen. Chemnitz hatte – wohl auf den Streit mit Stamke und Mörlin anspielend – zur Bedingung seines Amtsantritts gemacht, dass dem Ministerium das Strafamt künftig gemäß KO frei gelassen werde. Denn öffentliche Sünden müssten nach Pauli lehr auch offentlich gestraffet werden, es betrieffe großen Hanß oder kleinen Hanß, obrigkeit oder vntertanen.2753 Chemnitz begründete diese Forderung mit 2748 StadtA BS, H V Nr. 170, pag. 57–71. Zitat auf pag. 57. 2749 Vgl. ebd., pag. 70. So betonte der Braunschweiger Rat, dass gar kein beschwerlich wort darüber gefallen, sondern das der her superattendent, so woll alß andere predicanten, diese sache mit allem treuwenn ernst vnd eifern jn das gemeine gebet getzogen. Schreiben vom 1. 3. 1567. 2750 So hatte man etwa einen Vatermörder angeblich ohne Strafe ziehen lassen, wogegen Mörlin und das Ministerium am 13. 7. 1567 eifrig von den Kanzeln wetterten. Der Rat ließ Mörlin, Chemnitz, Pouchemius und Lampe am 14.7. vorfordern und ob ihrer Kanzelschelte rügen, was Mörlin zusätzlich zum obigen Konflikt verdross. Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 266. 2751 StadtA BS, B IV 11 Nr. 237, Bl. 20r. Schreiben vom 14. 9. 1567. 2752 So spielten demnach auch die Sehnsucht nach Preußen und der Wille, das dortige Kirchenwesen wieder neu »aufzurichten«, eine weitere Rolle bei der Annahme der Vokation, welche Mörlin zuvor mehrfach strikt abgeschlagen hatte. Vgl. ebd., Bl. 12r–14r. 2753 StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 9r. Auch abgedruckt bei: Rehtmeyer, Historiae III, Beylage, S. 128.

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den Propheten des Alten Testaments, welche Gott den Königen (= Obrigkeit) als Gewissensdiener in Glaubenssachen zugeordnet habe. Da das Amt der Obrigkeit oft sehr »schwer« wäre, sei es Aufgabe der Propheten (= Theologen) sie an Gottes Wort zu erinnern. Hierzu sei auch eine namentliche Nennung der Sünder notwendig. Der Rat ging auf die Forderungen schließlich notgedrungen ein und stellte eine Wahlproposition auf, denn auf Chemnitz’ Expertise wollte man zu diesem Zeitpunkt keinesfalls verzichten. Soweit nachzuweisen, handelte es sich hierbei um die erste Wahlproposition eines Superintendenten in Braunschweig. Die Bestätigung des freien Strafamtes lässt sich anschließend in den Antrittspropositionen von Chemnitz (1567) bis Wagner (1606) auch entsprechend durchgängig belegen.2754 Mit Mager kann somit resümiert werden, dass die Chemnitz’sche Antrittsproposition2755 jene »offenbare Lücke in Bugenhagens KO von 1528 ausgefüllt [hat M.V.], die dem Superintendenten nur gemäß Mt. 18,15ff. das persönliche seelsorgerliche Ermahnen eines Schuldiggewordenen ohne öffentliche Namensnennung zugesteht.«2756 Die oben angeführten Streitigkeiten um die Kanzelschelte dürften zu dieser Entwicklung maßgeblich beigetragen haben, da Chemnitz das freie Strafamt nachweislich als eine der wichtigsten Zugeständnisse in den Verhandlungen seines Amtsantritts durchsetzte.2757 Chemnitz’ Nachfolger Heidenreich wurde 1586 darüber hinaus nach längeren Verhandlungen in seiner Antrittsproposition bescheinigt: Es soll dem hern superintendenten solch straff ampt neben dem ministerio frey gelaßen sein […] vnd also offentliche schande vnd laster auch offentlich strafen […], es betreffe den reich oder arm, obrigkeit oder vnterthane, jedoch solle also beschedentlich nach der lehr S. Pauli damit vorfahren werden […].2758 Damit war künftig das Strafamt auch gegenüber der Obrigkeit nochmals bestätigt und gegenüber der KO konkretisiert worden. In einem nachfolgenden Passus wurde lediglich eingeschränkt, dass sich die Geistlichen vor dem öffentlichen Strafen zunächst an die Kastenherren zu wenden hätten, so wie es Chemnitz 1567 aber auch versprochen hatte (= Generalkolloquium). Wenn der Mangel dann weiterhin nicht behoben werde, dürfe der Prediger die Obrigkeit von der Kanzel ermahnen.2759 Hinsichtlich der

2754 Chemnitz hat 1567–1568 vehement und ausgiebig um das Strafamt gefochten. Vgl. dazu u. a. StadtA BS, B IV 11 Nr. 20, Bl. 39r–47r. Dazu auch Rehtmeyer, Historiae III, Beylage, S. 131 sowie Mager, Wächter, S. 60ff. Chemnitz verlangte 1567, die volle Banngewalt der Prediger bestätigt zu bekommen, andernfalls würde sonst der rohe hauffe die gemeine straffpredigen nur verachten. Vgl. StadtA BS, G II 1 Nr. 8, Bl. 12r. 2755 Eine zeitgenössische Abschrift hat sich erhalten unter: StadtA BS, G II 1 Nr 8, Bl. 8rff. 2756 Mager, Wächter, S. 60. 2757 Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, Beylage, S. 130ff. 2758 StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 420. 2759 Vgl. ebd., pag. 421. Dennoch lag der inhaltliche Schwerpunkt dieses Artikels auf der Bestrafung von typisch öffentlichen Sünden wie Hurerei, Ehebruch und Mord.

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namentlichen Nennung von Sündern wich man aber auch in diesen vertraglichen Bestimmungen einer konkreten Festlegung aus. Natürlich hat es trotz dieser Regelungen weiterhin Auseinandersetzungen um das öffentliche Strafamt der Geistlichen gegeben, so etwa 1596 jene um den Prediger Andreas Möller (vgl. Kapitel 2.3.7) oder 1599–1605 um die Predigten des Koadjutors Johann Kaufmann.2760 Selbst im 17. Jahrhundert hielt der Streit um die Strafpredigten weiterhin an. Letztlich setzten sich die Geistlichen aber, basierend auf ihrer oben dargelegten Rechtsstellung, meistens durch. So ließ das Ministerium dem Rat z. B. noch 1660 in einem neuerlichen Streit um gehaltene Strafpredigten selbstbewusst ankündigen: Es gebüre sich keineswegs, daß magistratus sich unterstünde, wegen gehaltener straffpredigten die prediger zubeschicken, der Gerichtsschreiber als Ratsbote solle zu uns nicht mehr kommen, wir würden uns von ihm keines wegen besprechen laßen.2761 Die meisten städtischen Ministerien gingen geschwächt aus den Streitigkeiten um das geistliche Strafamt hervor: Sie verloren meist ihren Superintendenten, dessen Amtsposten die Räte zur Konfliktvermeidung schlichtweg abschafften – z. B. in Hannover (1560), Magdeburg (1562), Hamburg (1593), Goslar (1599), Bremen (1616/56) und Rostock (1675). Das Braunschweiger Ministerium war jedoch, wie das obige Zitat ausweist, sogar gestärkt aus diesen Diskursen hervorgegangen. Hinsichtlich der Strafpredigten ließen sich die Prediger jedenfalls bis ins 17. Jahrhundert hinein nur wenig vorschreiben.

4.5.2 Weltliche Strafzucht nach 1528 Wie im vorigen Abschnitt bereits angeklungen ist, war die Kirchenzucht in Braunschweig möglichst strikt getrennt in einen geistlichen (Sündenzucht) und weltlichen Aufgabenbereich (Strafzucht).2762 Nur letzterer Bereich stand dem Rat selbst als Obrigkeit zu. Damit unterschied sich das lutherische Braunschweig von Städten der oberdeutsch-zwinglianischen Reformation, in denen die Kirchenzucht durch Ablehnung des Bannes nahezu vollständig dem obrigkeitlich-weltlichen Arm zugeführt wurde.2763 In der Sache ließ man durch die weltliche 2760 Zu Kaufmanns Strafpredigten, vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 18, pag. 534ff. Eine Abschrift von Kaufmanns (im Jahr 1600) gehaltener Predigt, welche das Bluturteil eines Regimentsgerichts beklagte (Hinrichtung zweier Soldaten) befindet sich ebd., pag. 493–519r. 2761 StadtA BS, G II 4 Nr. 7, Bl. 182v. 2762 Dass aber die Geistlichen später auf die Gesetzgebung der weltlichten Strafzucht wenigstens mittelbar noch Einfluss gewinnen sollten, wird unten noch deutlich werden. 2763 Vgl. zu Konstanz: Dobras, Ratsregiment, S. 284. Selbst eher lutherisch geprägte Städte wie Nürnberg entwickelten eine eher obrigkeitlich geprägte Kirchenzucht, welche eine eigenständige Verhängung des Bannes durch die Geistlichkeit nicht vorsah. Vgl. Dobras, Ratsregiment, S. 295: »Da der Nürnberger Rat aber am 3. April 1533 bestimmte, daß die Prediger

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Strafzucht üblicherweise ähnliche Delikte ahnden wie durch die geistliche Sündenzucht – nur mittels rechtlich-polizeilicher Mittel. Hinsichtlich der polizeilichen Ahndung religiös-sittlicher Vergehen war das Bestreben von Reich- und Territorien bereits seit dem späten 15. Jahrhundert auf eine stärkere obrigkeitliche Normierung hinausgelaufen.2764 Diese in Entwicklung begriffene Tendenz musste von den Reformatoren theoretisch nur noch aufgegriffen werden. Allerdings machte Bugenhagen bezüglich der religiösen Sittenzucht in seiner Ordnung keine konkreten Angaben. Nur hier und da lassen sich verstreute Bemerkungen zu unerwünschten Verhaltensweisen der Gläubigen finden – einen eigenen diesbezüglichen Abschnitt sucht man indes vergebens.2765 In Braunschweig musste man sich, wie auch anderswo, zunächst einmal darüber einig werden, welche protestantischen Zuchtmaßnahmen überhaupt ergriffen werden sollten, bzw. welche Delikte künftig zu ahnden waren. Diese anfängliche Unsicherheit war in den protestantischen Kirchenordnungen nicht unüblich: Vielfach wurden die KOO erst in einem zweiten Schritt durch Zuchtordnungen ergänzt. Doch was waren die für eine lutherische Obrigkeit typischen Inhalte, die durch obrigkeitliche Kirchenzucht geregelt werden mussten? Eine Idealvorstellung protestantischer Strafzucht hat sich in der »Wolfaria« des lutherischen Reformators Johann Eberlin von Günzburg überliefert. In diesen 1521 erschienenen, offensichtlich an die Utopia (1516) von Morus angelehnten Schriften, wird von Eberlin ein idealer lutherischer Staat (»Wolfaria«) mittels einer fiktiven Policey- und Kirchenordnung vorgestellt. Sie beginnt mit dem sittlichen Verhalten an Feiertagen: Hier solle man keinesfalls den Kirchgang versäumen. In der Kirche dürfe man nit orglen noch pfeiffen.2766 Nach der Predigt solle man zu Hause essen und anschließend spazieren gehen, um dann nachmittags erneut die Kirche zu besuchen. Dementgegen dürfe man jedoch an Feiertagen weder Tanzen, Fechten, Würfelspielen noch Trinken sowie generell keine Gotteslästerung

allen, die sich anmeldeten, das Abendmahl zu geben hätten, wurde ihnen auch diese Möglichkeit [des Bannes M.V.] genommen.« Zu Bern vgl. Schmidt, Heinrich Richard: Dorf und Religion. Reformierte Sittenzucht in Berner Landgemeinden der Frühen Neuzeit, Stuttgart/Jena/New York 1995 (= Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, 41), S. 13: »Den Bann hat es in Bern nicht gegeben, nur die Abmahnung vom Abendmahl für notorische und schwere Sünder.« 2764 Vgl. Härter, Karl: Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im 16. Jahrhundert, in: Ius Commune 20 (1993), S. 61– 141, hier S. 93–97. 2765 Allein der Abschnitt zur Ehe, welcher einen gesonderten Bereich der Sittenzucht darstellt, wird in der KO kurz behandelt. 2766 Günzburg, Johann Eberlin von: New statute die Psitacus gebracht hat vß dem la[n]d Wolfaria welche beträffendt reformierung geystlichen sta[n]d Der X. bu[n]dtgnosz, [Basel 1521], Bl. A ii. [VD16 E 113].

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betreiben.2767 Die entsprechenden Vergehen ahndet Eberlin in seiner utopischen Kirchen- und Zuchtordnung mit drakonischen Spiegelstrafen.2768 Eberlins Forderungen lassen sich fast vollständig in dem Klagekatalog der Kastenherren wiederfinden, welche 1531 vor dem Rat die obrigkeitliche Kirchenzucht massiv bemängelten. Man habe, so die Kastenherren, im Amt während der letzten Jahre einen stetigen Verfall der kirchlichen Sitten wahrgenommen – doch gäbe es hier trotz KO keine entsprechenden Richtlinien. Die Kastenherren schlossen ihre Klage daher wie folgt: Dar tho so dringt vns vnse amptt ock, dat wy j[uwer] e[hrbar] w[ürden] vormanen, dat man wolde eyne ordeninge maken mit den roenn wilden hantwerkes ghesellen, welcke am sontage vnde anderen virhdagenn vnder der predig yn krogenn vnde brandden wine yn fullerie vnd anderer vnordeninge befundenn, dar tho mit bungenn vnde pipen dat volck vnder den sermone dat wortt goddes tho horen vorhinderenn. Dat man ock am sondage de fechteschole wolde vpholden vnde vp mandage edder ander dage yn der weken vorordenenn, den solcks am vihrdage dem evangelio ergerlick ys.2769

Im Grunde hatten die Kastenherren damit die vornehmlichsten protestantischen Forderungen weltlicher Sittenzucht zusammengefasst, wie sie auch Eberlin betont hatte: Kein Trinken an Sonn- und Feiertagen, fleißiger Besuch der Predigt, kein Lärmen und Pfeifen während der Predigt sowie die Vermeidung unchristlicher Tätigkeiten und Arbeit am Sonntag (hier die Fechtschule). Der Rat war sich des Mangels neuer Normen im Bereich der protestantischen Sittenzucht durchaus bewusst. Er plante allerdings nicht, die Sittenzucht mittels einer eigenen Ordnung neu zu regeln. Stattdessen hatte man, nachdem im Jahr zuvor bereits die beiden Frauenhäuser geschlossen worden waren,2770 1530 vereinbart, die alten städtischen Grundgesetze (Stadtrecht und Echteding) im protestantischen Sinne zu überarbeiten.2771 1532 wurde das neue protestantische Echteding sodann von sämtlichen Ständen beschlossen.2772 Hierin hatte der Rat erstmals eine Reihe von Sittenvergehen und deren Strafmaß normativ festgehalten. Sie deckten sich im Wesentlichen mit den oben skizzierten Anschauungen von Eberlin sowie den Forderungen der Kastenherren. Behandelt wurden u. a. Gotteslästerung (§1), Sakramentiererei (§2), Unzucht (§7), Nachtgang und Lärm am

2767 Vgl. Günzburg, Johann Eberlin von: Ein newe ordnu[n]g weltlichs sta[n]dts das Psitacus anzeigt hat in Wolfaria beschriben Der XI. bu[n]dtgnosz, [Basel 1521], Bl. A ii [VD16 E 114]. 2768 Vgl. ebd.: Alle offentliche zu˚ trincker soͤ llen ertrenckt werden. 2769 StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 34v. 2770 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 143v (27. 3. 1529): Tom twolfften de fruwen huser sindt gesloten vnd schulden ok gesloten bliven. Mith den anderen vntuchtigen wiveren wilmen mith allen mogeligen flite vndogeth vnd sunde tovorholden handelenn. 2771 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 2r. 2772 Vgl. ebd., Bl. 53r. Dies geschah freilich in Absprache mit Gilden und Gemeinden.

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Fastelabend (§25), Ehebruch und Kuppelei (§26), Wucher (§27), Totschlag (§29) und Spiel um Geld (§30).2773 Natürlich war die Einhaltung der protestantisch-sittlichen Normen, wie sie KO und dann vor allem das Echteding voraussetzten, keinesfalls so einfach in die Gesellschaft zu implementieren. Als besonders gut dokumentiertes Beispiel kann hierfür die Fastnachtstradition angeführt werden. Obgleich sich gerade die frühprotestantischen Bewegungen solcher Fastnachtsbräuche vielfach als Medium bedient hatte,2774 wurden sie von den Reformatoren wie Bugenhagen oder Bucer eher abgelehnt, zumindest aber kritisch betrachtet.2775 Durch den Wegfall der Fastenpflicht war auch eine gesonderte Bedeutung der Fastnacht aus Sicht vieler Protestanten nicht mehr gegeben. Bugenhagen gestattete zwar in der KO durchaus das private Gastmahl zur Fastnacht, warnte jedoch vor entsprechenden öffentlichen Feiern mit nachtcollatien, fretent unde vullesupent unde dat achterkosent wedder de overicheit.2776 Ein mögliches Vorgehen des Rates hiergegen erwähnt Bugenhagen aber nicht – lediglich die Prediger sollten hart straffen.2777 Nachdem die Kastenherren 1531 insbesondere das Ausschreiten der Bevölkerung an Feiertagen bemängelt hatten, sah sich der Rat 1532 schließlich veranlasst, im Echteding ein grundsätzliches Verbot jeglicher Fastnachtsbräuche einzuführen: Dath vastelauendt tho loipen vnd vmme tho ridende, dewiele jd gantz vnchristlick is, schall hirmede gantzlick afgedan syn, vnd wo jemandt hir entiegen handelde, scholde gefencklich jngetogen vnd dartho vmme eine mark gebroket werden.2778 Geld- und Gefängnisbußen stellten auch für die anderen obigen Sittendelikte eine übliche Strafe des Rates dar. Allerdings war die Bevölkerung keinesfalls einer Meinung mit dem Rat, denn selbst in der zweiten Jahrhunderthälfte lassen sich vielfache Edikte gegen das Laufen an Fastnacht nachweisen. Man habe festgestellt, so ein Edikt von 1556, dass immer noch zahlreiche Bürger vastelavent lopen und damit tho groter vorsmelerung gotlikes wordes handelten.2779 Man hatte zu dieser Zeit bereits tho etlicken malen Edikte angeschlagen, welche jedoch offensichtlich – wie auch das Echteding – nicht befolgt worden waren. Entsprechend wollten sich die Bürger nach wie vor nicht an die Vorschriften zur Fastnacht halten: Weitere, teils gleichlautende Edikte wurden 1559, 1567 und 1576 angeschlagen.2780 Die Geistlichkeit war mit dem Rat einer Meinung 2773 Vgl. UB Braunschweig I, S. 325ff. 2774 Vgl. Scribner, Bob: Reformation, carnival and the world turned upside down, in: Social History 3,3 (1978), S. 303–329, hier S. 310. 2775 Zum Vorgehen gegen die Fastnacht in Konstanz, vgl. Dobras, Ratsregiment, S. 186. 2776 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 380. 2777 Ebd. 2778 UB Braunschweig I, S. 339. 2779 StadtA BS, B I 2 Nr. 5, pag. 80. 2780 Vgl. ebd., pag. 93 sowie StadtA BS, H V Nr. 175, pag. 59.

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und lehnte die Fastnachtsbräuche konsequent ab. Mehrfach klagte sie, wie z. B. 1560 beim Rat, dass sich auch der gemayne man waidelichen die fastenacht yber beyder pierbanck damitt getragen habe.2781 Es zeigt sich an diesem Beispiel, dass die neuen (protestantischen2782) Sittlichkeitsnormen von Obrigkeit und Geistlichkeit mit den Wünschen und Anschauungen der Bevölkerung offensichtlich nur bedingt konform gingen.2783 Auch bei den anderen Sittlichkeitsdelikten macht sich diese – wenig erstaunliche – Tendenz bemerkbar, weshalb die Edikte alle paar Jahre wiederholt werden mussten: Ratsedikte, die sich auf Kirchenzuchtaspekte beziehen, lassen sich daher seit Beginn der regelmäßigen Ediktaufzeichnung (um 1540) fast jährlich belegen. So veröffentlichte der Rat 1546 ein Edikt gegen das Spazieren auf Kirchhöfen in währender Predigt,2784 1554 ein Edikt gegen den Besuch von Wahrsagern und Zauberern,2785 1556 ein Edict wieder die, so hinaußlieffen der papisterey zuzusehen,2786 1556 und 1558 Edikte gegen die Fastnachtsbräuche, 1560 ein Edikt gegen Fluchen und Lästern,2787 1561 ein Edikt gegen unsittliches Verhalten an den Pfingsttagen,2788 1562 ein Edikt zur Reinhaltung der Friedhöfe,2789 1563 erneut ein Edikt gegen das Gotteslästern und Trinken,2790 1565 ein Edikt gegen das Aufsuchen von Zigeunern und Wahrsagern,2791 1566 ein Edikt gegen Gastereien bei währender Predigt,2792 1567 erneut ein Edikt gegen die Fastnachtsbräuche und 1573 schließlich ein Edikt gegen Tumult und Schlittenfahren bei währender Predigt (welches 1589 und 1590 sinngemäß wiederholt

2781 StadtA BS, Revidenda Nr. 67 [o.P.], Bl. 24v [eig. Pag. im Dokument]. Kolloquiensitzung vom 12. 3. 1560. 2782 Natürlich waren auch die obigen Sittenzuchtmaßnahmen, wie z. B. jene gegen die Fastnacht, nicht genuin protestantischer Natur. Vgl. z. B. zur Abschaffung der Fastnacht in Köln: Klauser, Helene: Kölner Karneval zwischen Uniform und Lebensform, Münster 2007, S. 111. Allerdings lassen sich doch – insbesondere bei der Fastnacht – deutlich ablehnendere Tendenzen unter protestantischen Obrigkeiten erkennen. 2783 Noch 1643 musste ein edict, wegen abschaffung des fastnachtswesen abgelesen werden. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 210. 2784 StadtA BS, B I 2 Nr. 5, pag. 21: Von denen so vnder den ceremonien vp den kerckhoven staen vnd dar vmb gaen. 2785 Vgl. ebd., pag. 75: Edikt, das niemand vormeinte warsagers vnd wickers besuchen […] solle. 2786 StadtA BS, B IV 22 Nr. 20, Bl. 10r. Auch: StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 47 sowie StadtA BS, B I 2 Nr. 5, pag. 84. 2787 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 5, pag. 99. 2788 Vgl. ebd., pag. 109: Edict belangend, das man die beiden vornhemeligen feirtage in den Pfinxten zu Gottes lob vnd ehren gebrauchen […] soll. 2789 Vgl. ebd., pag. 115. Auch: StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 66. 2790 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 5, pag. 131. 2791 Vgl. ebd., pag. 231: Edict belangend das sich niemandts zu denn vermeinten tatern, so sich hart an der landtwehre gelagert, artzney, wickerey oder anders bey jhnen zu suchenm verfüegen soll. 2792 Vgl. StadtA BS, B I 6 Nr. 2, Bl. 26r [Tintenpaginierung].

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wurde).2793 Es folgten zudem mehrere Edikte gegen Hurerei, Glücksspiel und Schwängerung (1580) sowie Wiederholungen der Edikte gegen Ausschweifungen an Pfingsttagen (1590) und Tumult bei währender Predigt (1590).2794 Fast jedem dieser Edikte gingen Klagen der Geistlichen voraus, die sich jeweils in den Protokollen nachweisen lassen. So beschwerte sich z. B. das Ministerium im Generalkolloquium (November 1559) bezüglich der zunehmenden Gotteslästerung. Am 12. 3. 1560 antwortete der Magistrat nach eingehender Beratung, dass in der Tat die gotslesterung greulich vberhand genohmen habe und man daher verspreche, solche lesterung zu vntersagen vnd zu straffen.2795 Bereits am 5. 4. 1560 erschien das entsprechende Edikt belangend das das gotslestern schweren vnd fluechen hinfurder vermitten werden soll.2796 Diese Prozedur lässt sich ab 1560 – bei entsprechend vorhandenen Protokollen – fast immer im Vorfeld eines neuen Edikts belegen!2797 Wie begrenzt die Wirkung dieser Edikte also auch gewesen sein mag – die Geistlichen bildeten hier immerhin, obgleich es oberflächlich nicht den Anschein haben mag, fast immer den Anstoß für neue Edikte. Nur wenige Mandate im Sittenzuchtbereich lassen sich nicht mit unmittelbar zuvor geäußerten Klagen der Prediger in Verbindung bringen. In dieser Hinsicht hat die Geistlichkeit durch ihr Anbringen maßgeblich zum Aufbau der normativen protestantisch-sittlichen Züchtigung nach 1528 beigetragen – auch im weltlichen Strafamt! Dies entsprach anscheinend auch der Wahrnehmung in der Bevölkerung, wie der folgende Kriminalfall aus den 1570er Jahren nahelegt. 1573 war das städtische Echteding revidiert und als Der Stadt Braunschweig Ordnunge/ ire Christliche Religion/ auch allerhandt Criminal/ Straff vnd Policeysachen betreffendt bzw. schlicht als Policeyordnung publiziert worden.2798 Auch die weltlich-protestantische Kirchenzucht erreichte damit normativ nach 45 Jahren endlich ihren Abschluss. Ein – zunächst noch unbekannter – Bürger, der sich später als Großmeister der Schneidergilde, Dietrich Müsolf, entpuppte, war mit der neuen Policeyordnung jedoch unzufrieden. Er begann Klageschriften (Famosschriften) an die Türen der verantwortlichen Instanzen zu heften, in denen er die Artikel der neuen Ordnung bemängelte und Verbesserungsvorschläge machte. Neben führenden Bürgermeistern und Richtern erhielt auch Superintendent Martin Chemnitz am Abend des 27. 12. 1578 ein solches 2793 Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 274 (1573): Edict belangendt die lust des schlittenführens. StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 150r (1589); StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 451 (1590). 2794 Vgl. StadtA BS, B I 3 Nr. 24,2, pag. 642 (1580); ebd., pag. 659 (1580); StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 451 (1590). 2795 StadtA BS, Revidenda Nr. 67 [o.P.], Bl. 22r [eig. Pag. im Dokument]. Kolloquiensitzung vom 12. 3. 1560. 2796 StadtA BS, B I 2 Nr. 5, pag. 99. 2797 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 162–163. 2798 Vgl. UB Braunschweig I, S. 404ff. 1579 wurde dieser Ordnung nochmals leicht überarbeitet (StadtA BS, H III 4 Nr. 66) und blieb bis mindestens 1671 in Kraft.

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Schriftstück an seine Tür genagelt.2799 Das Schreiben war an das Geistliche Ministerium der Stadt gerichtet und beklagte die neue Ordnung aufs Schärfste.2800 Damit wird deutlich, dass auch die Bevölkerung den Geistlichen offensichtlich einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Erstellung (und Änderung) der Policeyordnung beimaß. Obgleich dem Ministerium natürlich keinerlei gesetzgebende Befugnis in weltlicher Sittenzucht beigemessen wurde, so war der informelle Einfluss durch Generalkolloquien und Ratsaudienzen doch (wenigstens ab den 1560er Jahren) nicht unwesentlich. In Aushandlung zwischen Rat und Ministerium entstanden so zahlreiche Edikte. Gerade im Bereich der weltlichen Sittenzucht, einem klassischen Teilgebiet der Normdurchsetzungsforschung,2801 verwundert eine mangelnde Umsetzung der reformatorischen Ideale nur wenig. So mochten KO und Echteding dem Trinken, Spielen, Predigtstören, Gotteslästern und Fastnachtsfeiern noch so scharfe Verbote entgegenstellen: Die Bevölkerung scheint sich – nimmt man die zahlreichen Folgeedikte, Gerichtsprotokolle und Ministerialprotokolle als Grundlage – nur bedingt an diese Vorschriften gehalten zu haben. Harte Strafen wurden entsprechend in Kauf genommen.2802

4.6

Verlobung und protestantisches Eherecht

Wurden das geistliche Strafamt und die sittliche Kirchenzucht in KO und Echteding wenigstens grob umrissen, so ließ Bugenhagen den im Alltag so wichtigen Aspekt des Eherechts vollständig außen vor.2803 Der entsprechende Abschnitt zu den »Ehesachen« stellte die Ehegerichtsbarkeit lediglich unter Aufsicht des Rates 2799 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 3,2, Bl. 304v. 2800 Das originale Schreiben hat sich glücklicherweise erhalten. Vgl. ebd., Bl. 301r–304r. Müsolf wurde schließlich anhand seiner Schrift identifiziert und am 7. 7. 1586 wegen Aufrührerei mit dem Schwert hingerichtet. 2801 Vgl. dazu: Stolleis, Michael: Was bedeutet »Normdurchsetzung« bei Policeyordnungen der Frühen Neuzeit?, in: Ruppert, Stefan; Vec, Milosˇ (Hrsgg.): Ausgewählte Aufsätze und Beiträge, Frankfurt a.M. 2011 (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 265), S. 219– 240. 2802 Vgl. StadtA BS, B I 6 Nr. 5,2, Bl. 308r (Ratsurteil von 1578): Tile Weber soll deßhalber, das ehr gestern vnter der predigt zu S. Egidien mit seinen kindern vff den strassen vnd markte herüber gefahren vnfug getrieben, jngelegt werden, bis ehr abtrag dafür gemacht vnd bei d[em] vorsate nicht ohne vorleub daraus gehen, ehe er Jobsten Kalen beim jnlager den vorsessenen hauszins bezahlet. 2803 Auch in seiner späteren Hildesheimer KO verzichtet Bugenhagen auf die so wichtige Regelung des Eherechts: »Die sich ohne weiteres stellende Frage, nach welchem Recht hier gerichtet werden soll, wird außer mit dem Hinweis auf alle geschriebenen Rechte dahin beantwortet, daß man nun auch andere gute Bücher von Ehesachen hätte, die als Richtschnur gelten könnten.« Sehling, Kirchenordnungen VII 2,2,1, S. 818.

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und betonte die Nichtduldung von Ehebrechern.2804 Inhaltlich wurde damit aber quasi nichts ausgesagt. Obgleich also mit der Reformation die bischöfliche Gerichtsbarkeit abgelehnt und das kanonische Eherecht (teilweise) in Frage gestellt wurde, fehlte es in Braunschweig an jeglicher Grundlage, nach welcher sich die Eherechtssprechung hätte richten können. Natürlich wurden die strafrechtlichen Aspekte rasch geklärt: Nach dem neuen Echteding (1532) sollte jeder Ehebrecher zwei Jahre der Stadt verwiesen werden und dem Rat nach Ablauf dieser Frist 10 Mark Strafe zahlen.2805 Mit der Policeyordnung (1573) hob man die Gebühr auf 30 Mark an, beließ es bei einem zweijährigen Stadtverweis und legte nun darüber hinaus die Strafe für einen zweiten und dritten Ehebruch fest.2806 Auch hier handelte es sich allerdings lediglich um die weltliche Seite des Eherechts. Die eigentliche Frage nach den kirchenrechtlichen Einzelheiten (Verlobung, Ehehindernisse, Scheidung, etc.) war damit keinesfalls geregelt oder gar angesprochen worden, obgleich ein einheitliches lutherisches Eherecht (auf das man sich hätte beziehen können) nicht existierte.2807 Braunschweig stellte in dieser Hinsicht jedoch keine Ausnahme dar: Anders als die oberdeutschen und vor allem schweizerischen Städte2808 regelten ihre norddeutschen Nachbarn die Ehegerichtsbarkeit im 16. Jahrhundert zumeist nicht (oder sehr spät) durch entsprechende Ordnungen.2809 In den Territorien sah es noch düsterer aus: Die erste gedruckte Eheordnung eines Territoriums datiert auf 1536 (Württemberg) und gerade das sonst als Vorreiter fungierende, ernestinische Kursachsen hielt sich in dieser Frage lange Zeit zurück.2810 2804 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 384. 2805 Vgl. UB Braunschweig I, S. 340. 2806 Vgl. ebd., S. 416. Der zweite Ehebruch zog eine Buße von 60 Mark und zwei Jahren Stadtverweis nach sich, beim dritten Ehebruch wurde der Missetäter auf ewig der Stadt verwiesen. Die entsprechenden Strafen wurden auch in der Praxis akribisch genau durchgeführt, wie die dutzenden erhaltenen Urteile in Verfestungs- und Gerichtsbüchern belegen. Vgl. z. B. StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 174r–188r; StadtA BS, B I 18 Nr. 8, Bl. 293r. 2807 Vgl. Freist, Dagmar: Glaube – Liebe – Zwietracht. Religiös-konfessionell gemischte Ehen in der Frühen Neuzeit, Berlin/Boston 2017 (= Bibliothek Altes Reich, 14), S. 57. 2808 So etwa Zürich (1525), Schaffhausen (1529), Bern (1529), Straßburg (1530), Ulm (1534), Augsburg (1537). 2809 Eine Ausnahme bildet hier aber neben Hildesheim (1543) vor allem die Reichsstadt Goslar (1555). Vgl. Titz-Matuszak, Eherecht, S. 137. 2810 Vgl. Jürgens, Henning P.: Eheordnungen. Ordnungen für die Ehe als »weltlich Ding«, in: Dingel, Irene; Kohnle, Armin (Hrsgg.): Gute Ordnung. Ordnungsmodelle und Ordnungsvorstellungen in der Reformationszeit, Leipzig 2014 (= Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, 25), S. 221–237, hier S. 221. Zum Braunschweiger Ehewesen (im gleichen Aufsatz): ebd., S. 292. Auch das katholische Eherecht erfuhr im Übrigen durch das Tridentinische Dekret »Tametsi« grundlegende Änderungen: Künftig war eine Ehe nur gültig, wenn sie im Beisein zweier Zeugen und eines Priesters geschlossen worden war. Zuvor galten auch klandestine Ehen als gültig, wenngleich sie unerwünscht waren.

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Insofern mag es nicht verwundern, dass Braunschweig seine Ehegerichtsbarkeit nicht von Beginn an normativ geregelt hat – dass man aber bis 1671 keine Ordnung verfasste, ist dennoch erstaunlich. Wie in vielen anderen Gebieten musste sich die neue protestantische Eherechtssprechung des Rates bzw. ab den 1560er Jahren des Konsistoriums daher auf Basis von Diskursen eine neue Grundlage entwickeln und aushandeln. Dies verlief bisweilen nicht ganz konfliktfrei, wie nachfolgend noch festzustellen sein wird. Luther hatte in seiner ehetheologischen Entfaltung mit der – schon durch Augustin begründeten – tendenziellen Ehefeindlichkeit der mittelalterlichen Kirche klar gebrochen: Für ihn stellte nicht mehr die Askese und Keuschheit, sondern das Eheleben den gottgewollten Stand dar.2811 Insofern bahnte sich in der protestantischen Ehetheologie seit den 1520er Jahren eine Aufwertung der Ehe an. Mit Einführung der Reformation wurden dann nicht nur die bischöflichen Gerichtskompetenzen angezweifelt, auch das alte kanonische Recht wurde zunehmend in Frage gestellt. Zwar lehnte man es aus protestantischer Sicht nicht gänzlich ab, doch griff man bei vielen Regelungen fortan auf das Römische Recht oder das Naturrecht zurück – gerade dies führte jedoch vielfach zu Verwirrung. So entstand mithin Unklarheit darüber, welche Rechte für welche Regelungen angewandt werden sollten.2812 Zentrale Neuerungen im protestantischen Eherechtsdenken waren prinzipiell folgende: 1. Die Ablehnung des Sakramentscharakters der Ehe, 2. die daraus resultierende Zulässigkeit der Scheidung in bestimmten Fällen,2813 3. die Ablehnung der Verlöbnisunterteilung in de praesentia und de futuro, 4. die Ablehnung der kanonischen Verwandtschaftsgrade als Ehehindernis.2814 Mangels normierter Ordnung führten gerade die letzten zwei Aspekte in Braunschweig nach 1528 zu heftigen Streitigkeiten, welche diskursiv ausgehandelt werden mussten. Am energischsten wurde dabei um die Auslegung der Verlobung gestritten. Da die Unterteilung de praesentia und de futuro nicht mehr galt, war künftig jede Verlobung, auch wenn sie de futuro ausgesprochen war, de praesentia gültig, d. h. es handelte sich rechtlich immer um eine vollgültige Ehe.2815 Die damit verbundene Ablehung klandestiner (d. h. heimlicher) Ver2811 Vgl. ausführlich: Witt, Christian Volkmar: Martin Luthers Reformation der Ehe. Sein theologisches Eheverständnis vor dessen augustinisch-mittelalterlichem Hintergrund, Tübingen 2017 (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 95), S. 286ff. 2812 Man zog daher zur Hilfe bisweilen die Gutachten fremder Universitäten hinzu. Ein entsprechender Sammelband der Gutachten – die jedoch offentsichtlich nicht nur für die Braunschweiger verfasst wurden – findet sich unter StadtA BS, B I 15 Nr. 24. 2813 In Braunschweig lassen sich als Scheidungsursachen nur Ehebruch und »bösliches Verlassen« nachweisen. 2814 Vgl. Jürgens, Eheordnungen, S. 224. 2815 Vgl. Dieterich, Hartwig: Das Protestantische Eherecht in Deutschland bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, München 1970, S. 122: »Die eheschaffende Kraft des Konsenses beider

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bindungen führte dazu, dass das sog. »heimliche Verlöbnis« immer mehr in den Fokus der protestantischen Ehediskurse rückte, so auch in Braunschweig. Unter heimlichem Verlöbnis verstand man nach protestantischer Auffassung eine Verlobung ohne Wissen und Willen der Eltern oder Vormünder.2816 Zwar ließen Rat und Superintendent per Edikt 1549 solche »Winkelverlöbnisse« verbieten und zugleich festhalten, dass man na geholdenem lofte nicht wedder vp vnd afseggen moge (das Verlöbnis also nicht wieder auflösen dürfe), doch war damit inhaltlich weiterhin nicht viel ausgesagt. Welche Rolle spielte die elterliche Zustimmung künftig? Was sollte gelten, wenn die Zustimmung erzwungen worden oder im trunkenen Zustand abgegeben worden war? So kam es im Januar 1561 schließlich zum stadtweit aufsehenerregenden Präzedenzfall zwischen Katharina Tutzelmann und Zacharias Dethmer. Beide hatten sich vor acht Jahren verlobt; Tutzelmann war volljährig, für Dethmar hatte sein Vater Heinrich die Einwilligung gegeben.2817 Nachdem beide Nupturienten der Verlobung auch in eigener Person zugestimmt hatten, teilte Zacharias mit, er wolt ein iar zwey oder drey wandern, sie solt so lang gedult haben; Katharina gab sich damit zufrieden und schlug währenddessen nach eigenen Angaben etzliche freischafften aus.2818 Nach einiger Zeit bat Zacharias Katharina dann jedoch, das Verlöbnis aufzulösen, denn der vatter wolt es nicht gestatten.2819 Katharina wollte dies nicht akzeptieren und strengte einen Prozess vor dem neu eingerichteten Konsistorium an. Der Anwalt der Dethmars widersprach Katharina Tutzelmanns Behauptung und gab an, das Verlöbnis sei nie zustande gekommen, denn der Vater habe seinen Konsens nicht gegeben. Nachdem Zacharias dies aber in der folgenden Sitzung unter Eid beschwören sollte, gab er zu, der Vater habe am Abend der Verlobung seine (einmalige) Zustimmung gegeben, sei aber sehr betrunken gewesen. Auch Vater Heinrich Dethmar gab dies nach langem Leugnen vierzehn Tage später zu, als ihm mit dem heupteid gedroht wurde.2820 Den Reinigungseid auf seine Aussagen abzulegen, verweigerte er jedoch bis zum Schluss beständig.

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Nupturienten steht demnach für alle Juristen außer Zweifel. Der kirchlichen Trauung wird daher keine konstitutive Bedeutung beigemessen.« Selbst wenn eine Vielzahl weiterer Personen bei der Verlobung anwesend war, so galt doch das Verlöbnis meist als geheim, solange nicht die Eltern oder Vormünder beider Parteien ebenfalls zugegen waren: Nemlich, das ein winckelloffte heisse, wen die kinder one wissen vnd willen der eltern, oder der jenigen, so die oberhand, vnd die ehe zu stifften macht haben, sich verloben, vnd wen sonsten gleich tausent personen dabey weren […] das es dennoch für kein offentlich geloffte kondt oder solt gehalten werden. StadtA BS, B IV 11 Nr. 33, Bl. 24r. Vgl. StadtA BS, B I 18 Nr. 6, Bl. 1r. Ebd., Bl. 1r. Ebd. Vgl. ebd., Bl. 4r u. Bl. 39r.

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An diesem Punkt wurde nun deutlich, dass die Frage nach dem heimlichen Verlöbnis im protestantischen Braunschweig nicht ausreichend geklärt worden war. Galt, wie im obigen Falle, eine in Trunkenheit, Scherz oder Krankheit abgegebene elterliche Zustimmung als ausreichender Konsens für ein Verlöbnis? Oder handelte es sich dennoch um eine heimliche Verlobung und war damit ungültig? Hier wurde nun einmal mehr offenbar, dass ein einheitlich gültiges Eherecht nach Infragestellung des kanonischen Rechts nicht mehr bestand. Juristen und Theologen nahmen im folgenden Prozess verschiedene Standpunkte ein: Während das Ministerium die Verlobung für unbündig erklärte, gaben die Juristen – allen voran Syndikus Melchior Krüger – der Klägerin recht und hielten ein Ja-Wort immer für bündig. Im Generalkolloquium monierten Superintendent und Ministerium daraufhin im März 1561: Die vnordenung der verlobnis halber bleibt; wo nicht solt geholff[en] werden, mußen wir jm p[re]digen nicht die thetter allain straffen, sundern der obrykait an zaigen, das jer die schuld ist, weyl sie nicht weret.2821 Nachdem der Prozess bereits über ein Jahr angedauert hatte, sandte das Ministerium am 8. 4. 1562 endlich eine Supplikation an den Rat, in welcher man sich für ein uneingeschränktes Ablehnen heimlicher Verlöbnisse aussprach. Die Geistlichen bezogen sich hierin auf einige Präzedenzfälle, welche Luther am Wittenberger Konsistorium persönlich mit beraten hatte.2822 Am Ende des Schreibens fügten die Theologen eine Spitze gegen Syndikus Melchior Krüger hinzu: Was die juristen anders sprechen, laßen wir jn seiner wirden bewern, es failet jnen aber vnsers erachtens an fundamento […].2823 Auch betonte man, die Stadt habe das neue Ehewesen nach der Reformation mühsam aufgerichtet vnd wider das laidige bapstumb mitt großer arbayt schwerlich auff die baine gebracht.2824 Man stehe aber nun im Begriff, dies aufs Spiel zu setzen. Gemeint waren mit dieser Aussage freilich die in der kanonischen Gesetzgebung als bündig betrachteten, klandestinen Verlöbnisse ohne Einwilligung der Eltern. Nachdem Syndikus Krüger von dieser Supplikation erfahren hatte, wandte er sich am 13. 4. 1562 ebenfalls an den Rat und legte seine Sichtweise dar. Natürlich sei auch er, wie die Theologen, grundsätzlich gegen Winkelverlöbnisse, die heimlich und ohne Zustimmung der Eltern geschlossen worden seien. Doch gäbe es im vorliegenden Fall ja durchaus eine Zustimmung des Vaters, auch wenn sie in Trunkenheit ausgesprochen worden sei. Trotzdem wäre Heinrich Dethmar ja die gantzen vier oder funf jahr, nicht allewege trunken geblieben, so dass er seine 2821 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 118r. 2822 Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, Beylage, S. 104. 2823 StadtA BS, B IV 11 Nr. 33, Bl. 15v. Auch Rehtmeyer, Historiae III, Beylage, S. 105. Auch würden die Juristen hoffentlich nicht brechen/ was Lutherus seliger aus gutem Grund gebauet […]. 2824 StadtA BS, B IV 11 Nr. 33, Bl. 22r.

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Zusage in dieser Zeit oder auch gar am nächsten Morgen bereits hätte revidieren können.2825 Die Geistlichen sollten also anhand von Akten belegen, weshalb dies nicht als bündiges Verlöbnis anzusehen sei: Doch bet jch, man wolt mir die actus antzeigen, damit die gewonheit eingefuhret sein sollte; wen jch dem bericht, wolt ich mich ferner darauf erclerenn.2826 Die in Braunschweig zu dieser Zeit herrschende Rechtsunsicherheit in Ehesachen wird aus letzterer Angabe klar ersichtlich. Auch auf Luther durfte man sich laut Krüger in Ehesachen nicht allein berufen: Darzu anthwort jch, das jch des Lutheri autoritatem allezeit hoch, vnd teuer geachtet, die jch auch keines weges zu eleviren, oder zuverringern bedacht bin. Jch weis aber woll, das Lutherus sich nie vnderstanden, jemande jn ehesachen ein newe recht furzuschreiben […] den der thuer man hat wol gewust, das er kein legislator, sondern ein euangelisator hat sein sollen.2827

Würde man sich in allen Dingen des Eherechts auf Luther berufen, dann müsse man – so Krüger – in Braunschweig auch dessen erlaubte Ehegrade übernehmen, was man jedoch bisher nicht getan habe.2828 Wie in solchen Fällen üblich, wurde aufgrund der Unklarheiten ein Gutachten der auswärtigen Juristenfakultät (Leipzig) eingeholt, welches in diesem Kasus den Juristen beipflichtete und das Verlöbnis für bündig erachtete. Dennoch erhob sich nun ein Streit, ob in der Braunschweiger Ehegerichtsbarkeit lediglich Zeugen oder – wie die Juristen forderten – auch Eide, Indizien und Gutachten als Hilfsmittel zu verwenden seien.2829 Grund hierfür war der von Heinrich Dethmar verweigerte Reinigungseid. Die Theologen befanden die Verweigerung des Eides als nebensächlich, während die Juristen Heinrich Dethmar damit als quasi überführt ansahen. Der Streit entwickelte sich also allmählich zu einer Grundsatzdiskussion über die Vorgehenspraxis des neuen Konsistoriums in Sachen der Ehegerichtsbarkeit. Lediglich die Rechtsbasis stand dabei in Braunschweig nach 1528 nicht mehr zur Debatte: Das kanonische Recht war hier in Bezug auf Ehesachen – anders als in anderen Territorien – nunmehr abgeschafft worden. Ar-

2825 Ebd., Bl. 3r. 2826 Ebd., Bl. 2v. Krüger fügte hinzu, Trunkenheit dürfe kein Kriterium bei Verlöbnissen spielen, sonsten muste man alle hendel, die beim bier oder wein geschlossen (welche doch apud Germanos gar gemein) gentzlich annulirn. Ebd., Bl. 3r. 2827 Ebd., Bl. 8r. 2828 Vgl. ebd., Bl. 10v. 2829 Vgl. ebd., Bl. 6r: Was will es auch fur eine rechtikeit, jn andern gerichts hendeln geben, wen die burger sehen, vnd vornemen, das man von einer zusage, so leichtlich kann abekomen, das man allein mit zeugen, vnd sonsten mit keinen praesumptionibus, coniecturis, iuriamentis, oder dergleichen adminiculis, kann vberwunden werden.

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gumentiert wurde fortan ausschließlich noch mit Göttlichem Recht, KaiserlichRömischem Recht und Naturrecht.2830 Die einzige normative Richtline im Eherecht bestand um 1560 in Form des bereits oben angeführten Edikts gegen Winkelverlöbnisse von 1549. Auch dieses wurde aber von Theologen und Juristen nachfolgend verschieden gedeutet, da das edict von wegen vngewisses verstands des worts winckelloffte wenig zur Rechtsklarheit beitrug.2831 Syndikus Krüger trug seinen Unmut 1563 daher an den Rat. Da trotz des Edikts von 1549 noch etzliche dubia im Verlöbnis und Eherecht offen seien, so müsse man rasch eine Eheordnung konzipieren und eine Vielzahl an uneindeutigen Fällen klären. Im Anschluss listete Krüger einen Katalog von elf Artikeln zu Verlöbnis- und Heiratsfragen auf, die in der Braunschweiger Kirche seit der Reformation nach wie vor ungeklärt seien. Dies betraf u. a. Fragen zur heimlichen Verlobung, den Vormündern und dem Mündigkeitsalter, dem »heimlichen« Verlöbnis von Volljährigen ohne Wissen der Eltern und Freundschaft, den Heiratsgraden sowie dem Unterschied vom Verlöbnis de futuro und de praesenti.2832 Krüger beklagte schließlich: So man nu denselben fürkommen vnd in den ehesachen etwas gewisses haben wil, ist hoch von nöten, darin eine gewisse ordnung zu machen, damit nicht einem recht sey, was dem andern vnrecht sein mus.2833 Andernfalls müsse man wenigstens die Urteile protestantischer Konsistorien einholen und diese auch einhalten, auf dass man nicht nach jedermans gutdüncken, sondern nach dem gebrauch vnd der ordnung Recht spreche, die auch in anderen Konsistorien gelte. Was der Syndikus verlangte, war somit nichts anderes als eine Klärung der eherechtlichen Gegebenheiten. Zweierlei erschwerte aber die Umsetzung dieser Überlegung in die Praxis. 1. Waren die Theologen mit den Juristen uneins hinsichtlich der Beantwortung jener von Krüger aufgeworfenen Fragen – nach wessen Vorstellungen sollte die Ordnung also eingerichtet

2830 Vgl. ebd., Bl. 17r: Dan darynnen bleibt ain er: rath steiff vnd fest bey jerem loblichen hergebrachtem gebrauch, der in gottes wort, kayserlichem vnd natürlichem rechten guethen vnd festen grundt hatt (auch jn den wolgereformirten kirchen jtzund gebrauchlich ist) das solche haimliche winckelgelobte zu recht nichtig, gantz vnd gar vnbündig […]. Oder auch in einem Fall von 1571 (StadtA BS, B I 18 Nr. 9, Bl. 397r): Kuchler pro Henning Müllers hausfraw […] erscheinet vnd beruft sich auf das götliche vndt keyserrecht, wie man mith ehebrechern gebahren solle […]. Im ordentlichen Gerichtsverfahren spielte zudem, insbesondere bei Fristen etc., das Sachsenrecht nach wie vor eine wichtige Rolle. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 33, Bl. 2r. 2831 StadtA BS, B IV 11 Nr. 33, Bl. 24r. Das Edikt schrieb zum Winkelverlöbnis lediglich vor: So schullen ok neyne winckelloffte geholden werden. StadtA BS, B I 2 Nr. 13, Bl. 25r und StadtA BS, B I 2 Nr. 5, pag. 40 sowie StadtA BS, B IV 11 Nr. 33, Bl. 32r–32v. 2832 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 33, Bl. 24v–26v. 2833 Ebd., Bl. 26v.

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werden? 2. Ließ sich die Liste Krügers beliebig mit anderen Fallkonstellationen erweitern – wie also sollte man alle möglichen Szenarien abdecken?2834 Insofern kam eine Ordnung dann auch nicht zu Stande. Der Fall Trutzelmann contra Dethmar wurde zwar im November 1562 zugunsten Katharina Trutzelmanns entschieden, d. h. das Verlöbnis wurde hier trotz der in Trunkenheit gegebenen Zustimmung des Vaters als bündig angesehen, doch war dem Eherecht damit wenig gedient.2835 Die Theologen wetterten nach wie vor gegen die Rechtspraxis der Juristen und brachten den Fall schließlich 1563 gar auf die Kanzeln. Mörlin selbst predigte in seiner Sonntagspredigt zu St. Ulrici, ein in Trunkenheit gegebenes Ja-Wort sei nicht gültig, wan gleich alle juristen viel anderst sprechen, da fraget jch nicht nach.2836 Er vermahnte die Gemeinde, auf ihre Kinder Acht zu geben und nicht zu gestatten, das sie sich ain jar, zway drey, mitt den junckfrawen vnd maiden loffeln vnd lecken, etc. wan sie aber darynnen zusehen, vnd die juristen ain zweckvrtail daher bringen, so seien die Betroffenen selbst schuld.2837 Damit untergrub Mörlin öffentlich ein vom Konsistorium ausgesprochenes Urteil, das auch die Juristenfakultät Leipzig so unterstützt hatte und trug zu weiteren Streitigkeiten mit Syndikus Melchior Krüger bei. Zu einer gemeinsamen Eheordnung konnte es bei diesen Streitigkeiten freilich nicht mehr kommen. Es hat denn auch bis 1671 keine solche in Braunschweig gegeben. Dass dieser Umstand von den Geistlichen auf Dauer nicht gutgeheißen wurde, versteht sich von selbst – ebenso die Tatsache, dass in den nächsten Jahrzehnten weiterhin Unstimmigkeiten über den Begriff des Winkelverlöbnisses auftraten. Daher wurde 1591 vom Ministerium erneut moniert: Weil jn consitorijs nun zum ettlich mahlen jrrungen fürgefallen vber den winckelverlöbnüß, so soll ein erbar rhatt einen ausspruch machen, was heimbliche verlöbniß seyen.2838 Theologen und Juristen konnten sich jedoch erneut nicht über den begrifflichen Inhalt des Winkelverlöbnisses einig werden. So blieben denn Verlöbnisstreitgkeiten auch weiterhin ein virulentes Thema in den Konsistorialsitzungen.2839

2834 So hieß es auch in anderen KOO, z. B. der Hessischen (1572): Wiewol auch alle felle die sich in ehesachen zutragen können, diesmals zu decidiren fast unmüglich, in ansehung das sich die felle auf mancherlei weis zu tragen […]. Vgl. Sehling, Emil (Begr.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 8: Hessen. I. Hälfte, Tübingen 1965, S. 402–403. 2835 Vgl. StadtA BS, B I 18 Nr. 6, Bl. 448v. Zacharias Dethmar wurde, da er Katharina nicht ehelichen wollte, der Stadt verwiesen, akzeptierte dies jedoch nicht. Ende 1563 verglichen sich dann schließlich beide Parteien doch noch gütlich und heirateten (vermutlich) andere Partner. Vgl. ebd., Bl. 150v. 2836 StadtA BS, B IV 11 Nr. 33, Bl. 29r. 2837 Ebd. 2838 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 166v. 2839 Auch mit vielfachen (schwammigen) Edikten des Konsistoriums konnte das Problem der Winkelverlöbnisse im 17. Jahrhundert nicht gelöst werden. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 113,

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Ein zweiter ungeklärter Aspekt des Eherechts betraf die verbotenen Heiratsgrade. War die Heirat im kanonischen Recht noch bis zum vierten Grad verboten gewesen,2840 so war dieses Verbot nun in Frage gestellt. Die protestantischen Territorien handhabten die Grade durchaus verschieden und Bugenhagen hatte 1528 in seiner Kirchenordnung keine verbotenen Grade aufgeführt. Auch hier musste die Stadt somit eigene Rechtsnormen etablieren. Anders als bei den heimlichen Verlöbnissen war eine präzise Festlegung der Ehegrade aber absolut essenziell. Ohne eine diesbezügliche Klärung drohten im Ehewesen Chaos und Unordnung überhand zu nehmen, denn die Pfarrer waren sich im Zweifel unklar darüber, ob ihnen eine Verehelichung des vorstelligen Paares gestattet war. Nachdem lange Zeit Uneinigkeit geherrscht hatte, bat daher das Ministerum die Kastenherren 1556 im Generalkolloquium, das sie doch die gradus constituirn vnd ain gemayne ordenung darynnen machen, darnach sich ain jeder zu richten, sonst khomet es auff vns, vnd kunden wier nicht rathen.2841 Die Kastenherren sahen eine grundlegende Ordnung an dieser Stelle jedoch offensichtlich noch nicht als notwendig an. Sie erwiderten, dass sich die Geistlichen in unklaren Fällen an den Gemeinen Rat wenden sollten, doch wo es muglich, aines er[baren] raths zu verschonen.2842 Natürlich konnte diese Regelung für die Prediger auf Dauer nicht zufriedenstellend sein. Schließlich hatten die Geistlichen vor einem Aufgebot der künftigen Eheleute zu prüfen, ob hier ein verbotener Verwandtschaftsgrad vorlag. Ohne klare Regelungen kam es daher gemäß einer weiteren Klage von 1557 zu einer Verzögerung der Eheschließungen – dan die ehsachen bleiben hengen.2843 Der oben mehrfach erwähnte Syndikus Melchior Krüger bat noch 1563 in seinen Forderungen zum Eherecht, festzulegen, wie feine man die gradus prohibitas extendirn wolle, den darin ist vnter dem Mose, Babst, Luthero vnd den consistorijs kein geringer vnderscheid zu befinden.2844 Offensichtlich ließ sich die Obrigkeit in den 1560er Jahren schließlich doch überreden und legte die erlaubten Verwandtschaftsgrade für eine gültige Ehe fest. So beschloss das Konsistorium 1569 per Dekret in einem Urteil, die matrimonio in tertio gradu affinitis in linea in aequali zu untersagen, obgleich sie im Römischen Recht nicht verboten sei.2845 Man schloss sich damit nach eigenen Angaben ausdrücklich der

2840 2841 2842 2843 2844 2845

Bl. 3r–7v. Denn ähnlich wie das Edikt von 1549 war auch in ihnen der rechtliche Rahmen des Begriffs nicht ordentlich abgesteckt. Vgl. Titz-Matuszak, Eherecht, S. 139. StadtA BS, Revidenda Nr. 67, [o.P.], Bl. 3v [eig. Pag. im Dokument]. Sitzung von 1556. Ebd., Bl. 4v [eig. Pag. im Dokument]. Ebd., Bl. 8r [eig. Pag. im Dokument]. StadtA BS, B IV 11 Nr. 33, Bl. 26r. Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 13, Bl. 199r. Dazu auch: StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 206 und StadtA BS, B IV 11 Nr 165, pag. 25.

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gewöhnlichen Praxis an, welche derzeit in lutherischen Konsistorien herrsche.2846 1578 wurde dies nochmals per Mandat verschärft, darin verboten, daß man auch in tertio gradu affinitatis lineae inaequalis die ehe nicht solte zulassen.2847 Auch diese Beschlüsse beugten aber nur bedingt künftigen Streitfällen vor, wie der Prozess um Philipp Weimar (1581–1585) zeigte. Dieser hatte sich mit der Schwester seiner verstorbenen Verlobten verheiraten wollen, was ihm jedoch vom Konsistorium untersagt wurde, da er durch die Verlobung bereits eine Ehe gestiftet habe und somit rechtlich in einem zu engen Verwandschaftsgrad zur Schwester seiner Verlobten stehe.2848 Insgesamt lässt sich damit resümieren, dass das Fehlen einer gesetzlichen Eheregelung nach 1528 zum Konfliktpotenzial innerhalb der Stadt beigetragen haben dürfte. Natürlich war auch den Zeitgenossen bewusst, dass eine Eheordnung nicht sämtliche Szenarien abdecken und behandeln konnte. Allerdings handelte der Braunschweiger Rat doch vergleichsweise zurückhaltend, was die eherechtliche Normsetzung anbelangte. Neben dem Beschluss des Verbots heimlicher Verlöbnisse (1549) und dem Feststellen der verbotenen Heiratsgrade (1569/78) sind keine weiteren rechtlichen Fixierungen im Ehewesen bis 1599 bekannt.2849 Die KO half in dieser Hinsicht nicht weiter und hätte mittels einer Eheordnung ergänzt werden müssen (wie es in zahlreichen süddeutschen Städten der Fall war), um wenigstens die gröbsten Konflikte zu vermeiden. Ohne definitorische Grundlagen und rechtliche Regelungen kam es jedoch regelmäßig zu Unstimmigkeiten zwischen Rat, Geistlichkeit und Betroffenen. Die obigen Fälle stellen nur die markantesten Beispiele dar – weitere Konflikte ließen sich noch anführen.2850 Insofern war Braunschweig mit seinen mangelnden Eherechtsnormen nach 1528 zwar kein Ausnahmefall, dennoch hätte eine Rechtsgrundlage sicherlich viele Unstimmigkeiten vermeiden können.

2846 Mit dieser Ansicht lagen die Braunschweiger aber nur bedingt richtig: So waren z. B. in Goslar Ehen sogar bis in den 4. Grad der Verwandtschaft verboten. Vgl. Titz-Matuszak, Eherecht, S. 139. 2847 StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 25. 2848 Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 47, Bl. 1r–4r. Auch: Rehtmeyer, Historiae III, Beylage, S. 362– 367. 2849 Die zahlreichen weltlich-säkularen Verlöbnisordnungen werden an dieser Stelle ignoriert, können sie doch eher zu den Luxusordnungen gezählt werden, die mit dem theologischen Ehewesen nichts zu tun haben. Gleiches gilt für das Verbot, sich ohne Erlaubnis außerhalb der Stadt verehelichen zu lassen. 2850 Vgl. z. B. StadtA BS, B IV 15a Nr. 98, Bl. 1r–24r und StadtA BS, B IV 15a Nr. 134, Bl. 1r–3v.

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Die reformatorischen Ideale im Diskurs 1528–1599

Ehe, Kloster und Erziehung: Reformation und Geschlechterrollen

Ausgehend von der oben besprochenen Eherechtsthematik lässt sich bereits ein weiteres Feld erahnen, welches sich im Zuge und Nachgang der Reformation wandelte. Denn gerade die Geschlechterrollen waren während und nach der Reformation ein häufig behandeltes Gesprächsthema. Ob sich dies nun – aus heutiger Sicht – positiv oder negativ auf die Rolle von Frauen bzw. Männern auswirkte, wie lange Zeit diskutiert wurde, lässt sich nach neuestem Forschungsstand nicht abschließend beantworten.2851 Die Ansicht Ropers, dass für die Rolle der Frau nach einer durchaus vielversprechenden Frühphase der Reformation ein »konservatives Umschreiben der evangelischen Botschaft« erfolgt sei, wird heute jedenfalls nicht mehr gänzlich geteilt.2852 Dass die Reformation jedoch mit Transformationsprozessen in der zeitgenössischen Geschlechterkonzeption einherging, das ist unumstritten. Der »Reinheitsdiskurs« (Gause) wertete den Zölibat z. B. als ehemals elitär-reine Lebensweise ab und stellte ihm den gottgewollten Ehestand als Ideal gegenüber.2853 Luther hatte in seinen frühen Schriften 1520 zunächst betont, der Glaube mache uns alle tzu pfaffen unnd pffeffynn,2854 ähnliches sollte er mit Rückgriff auf Galater 3,26–29 und Joel 2 auch in seiner bekannten Adelsschrift behaupten.2855 Ein theologisch-publizistisches Engagement lutherisch gesinnter Frauen, welches daraufhin in den 1520er Jahren zunächst aufblühte,2856 wurde seit den späten 1520er Jahren jedoch verpönt und ebbte demgemäß – wie es bei theologischen Laienpublikationen ohnehin der Fall war2857 – seit 1525 rasch wieder ab.2858 Gleiches gilt für die weibliche Predigttä2851 Vgl. Schmidt-Funke, Julia A.: Reformation und Geschlechterordnung. Neue Perspektiven auf eine alte Debatte, in: Greiling, Werner; Kohnle, Armin; Schirmer, Uwe (Hrsgg.): Negative Implikationen der Reformation? Gesellschaftliche Transformationsprozesse 1470– 1620, Köln/Weimar/Wien 2015, S. 11–54, hier S. 53. 2852 Roper, Lyndal: Das Fromme Haus. Frauen und Moral in der Reformation, 2. Auflage, Frankfurt a.M. 1999, S. 11. Dazu auch Schmidt-Funke, Reformation, S. 32. 2853 Vgl. Gause, Ute: Geschlechterkonstruktionen der Reformation – Wandel, Konstanz, Interdependenzen, in: Labouvie, Eva (Hrsg.): Glaube und Geschlecht. Gender Reformation, Köln 2019, S. 75–86, hier S. 77. 2854 WA 6, S. 370 (»Ein Sermon von dem neuen Testament, das ist von der heiligen Messe«, 1520). 2855 Vgl. WA 6, S. 407: Dan alle Christen sein warhafftig geystlich stands, unnd ist unter yhn kein unterscheyd […]. In Galater 3,29 hieß es: »Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau.« 2856 Vgl. die entsprechenden Frauenbiographien und deren Veröffentlichungen in Domröse, Sonja: Frauen der Reformationszeit: gelehrt, mutig und glaubensfest, 4. erw. Auflage, Göttingen 2017. 2857 Vgl. Arnold, Martin: Handwerker als theologische Schriftsteller. Studien zu Flugschriften der frühen Reformation (1523–1525), Göttingen 1990 (= Göttinger Theologische Arbeiten, 42), S. 327 sowie Schmidt-Funke, Reformation, S. 36.

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tigkeit, welche abseits der Täufergemeinschaften ohnehin nur selten auftrat, da es den Frauen auch »nicht um ›Gleichberechtigung‹, sondern um den allen Getauften gegebenen Status des Christenmenschen« ging – so die kürzlich aufgestellte These Heide Wunders.2859 Als langfristig bedeutsamer stellte sich die Rollenerwartung der Reformatoren hinsichtlich der Frau und ihrer Stellung in der Gesellschaft heraus. Die Ehe wurde aufgewertet, parallel hierzu erfuhren Konkubinat und Prostitution eine herbe Abwertung und waren fortan nicht mehr geduldet.2860 Als künftige Hausfrau der gemeinsamen »Oeconomia Christiana« hatten die Mädchen allerdings eine entsprechende schulische Vorbildung zu erhalten.2861 Melanchthon selbst hatte eine besondere Sympathie »für intelligente, gebildete und lebenstüchtige Frauen«2862, weshalb er nicht zuletzt auch eine schulische Erziehung der jungen Mädchen befürwortete. Bugenhagen war in Braunschweig ganz ähnlicher Ansicht. In seiner KO empfahl er, vier »Jungfrauenschulen« zu errichten, damit die Mädchen nutlike, geschickede, frölike, fruntlike, gehorsame, gadesfürchtende, nicht bylövische und egenköppische hüsmoderen würden.2863 Dass er hiermit keinesfalls eine höhere Bildung intendierte, machte er gleich deutlich: Die Mädchen darven alleyne lesen leren unde hören etlike düdinge up de teyn gebade Gades sowie einige Psalmen und andere Schriftauszüge. Hierfür waren seiner Meinung nach auch 1–2 Stunden Unterricht am Tag ausreichend, sodass die Mädchen später öre volk in tüchten konen regeren unde de kyndere in gehorsame, eren unde gadesfrüchten upthen.2864 Das war immerhin eine Verbesserung gegenüber den vorreformatorischen Zuständen, denn zuvor hatte es in Braunschweig derlei städtische Einrichtungen für Mädchen nicht gegeben.2865 Dass den Mädchenschulen im Gegensatz zu den Jungenschulen nur ein kurzes Dasein beschieden war, darüber wurde oben bereits gesprochen.2866 Sie kamen über den Status einer Kinderschule einfach nicht hinaus, weshalb die Kastenherren noch in den 1550er Jahren baten, auff wege zugedencken, damitt nicht 2858 Vgl. Schmidt-Funke, Reformation, S. 35. 2859 Wunder, Heide: Glaube und Geschlecht in der Vormoderne. Alte und neue Debatten, in: Labouvie, Eva (Hrsg.): Glaube und Geschlecht. Gender Reformation, Köln 2019, S. 49–74, hier S. 58. 2860 Vgl. Wunder, Glaube, S. 59. 2861 Vgl. Gause, Ute; Scholz, Stephanie (Hrsgg.): Ehe und Familie im Geist des Luthertums. Die Oeconomia Christiana (1529) des Justus Menius, Leipzig 2012 (= Historisch-theologische Genderforschung, 6). 2862 Wiesenfeldt, Rhegius Stellung, S. 80. 2863 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 371. 2864 Ebd., S. 370–371. 2865 Vgl. Koldewey, Schulordnungen, S. LII [Vorwort]. 2866 Vgl. Kapitel 2.1.8.

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allain kinderschulen, sondern auch junckfrawenschulen mochten angerichtet werden.2867 Dass die Frauenschulen dennoch eingingen erstaunt umso mehr, wenn man bedenkt, dass auch die beiden Klosterschulen zu St. Cruci und St. Leonhard seit der zweiten Jahrhunderthälfte alles andere als gut besetzt waren. Die Domina Anna Plonen zu St. Leonhard gab etwa 1568 an, es seien jungst de olden jungfruwen alle vthgestorben.2868 Sie habe als einzige noch im Kloster gelebt. Immerhin war der Rat aber doch der Ansicht, es müsse im Kloster weiterhin gelehrt werden – so hatte er Anna u. a. anbefohlen, dath sie jn dem kloster bliven scholde, damit jdt nicht waise stunde, de herren wolden ohr andere personen tho vorordenen, welche hernacher, wie bevohr geschehen, kinder lehren sollten.2869 In der kurz darauf erfolgten Visitation gaben von den sieben Klosterfrauen immerhin vier an, lesen zu können. Nähen und sticken konnten alle – schreiben konnte indessen keine, nicht einmal die Domina.2870 Insofern wird hier noch einmal deutlich, dass von einem gesteigerten Bedürfnis der Mädchenbildung in Braunschweig auch nach der Reformation kaum gesprochen werden kann. Vielmehr ging es um die sittliche Erziehung zur christlichen Hausfrau, welche auch Bugenhagen als den zentralen Aspekt der Mädchenlehre hervorgehoben hatte. Dass jedoch nach der Reformation bürgerliche »Frauen aus den Städten keine Plätze« in den wenigen Konventen mehr erhielten, sondern nur noch adelige,2871 lässt sich für Braunschweig leicht widerlegen: Alle sieben Frauen zu St. Leonhard waren z. B. bürgerlicher Herkunft, teils nicht einmal sehr hoher.2872 Bei der Neustrukturierung der Frauenklöster St. Crucis und St. Leonhard griff Chemnitz 1570 ähnliche Argumente auf wie 1528 schon Bugenhagen. Auch Chemnitz sah zwar eine Bildung der Mädchen, wie sie sie künftig im Konvent erhalten sollten, für notwendig an, betonte jedoch, dass das fürnemste sein mücht, das der kinder in der lere des catechismo in gottes furcht vnd vbung der gottseligkeit aufferzogen werden, sodass wolgezogene gottseliger hausmütter [daraus] werden möchten.2873 Man stand damit in beiden Frauenschulen der Stadt ganz im Geiste Luthers und seines »Priestertums aller Gläubigen«. Ziel war es demnach, ein gottgefälliges Leben als rechter Christ zu führen. Einen entspre-

2867 2868 2869 2870 2871 2872

StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 120v. StadtA BS, B IV 11 Nr. 30, Bl. 3r. Ebd. Vgl. ebd., Bl. 3r–4r. Wunder, Glaube, S. 65. Vgl. z. B. StadtA BS, B IV 11 Nr. 30, Bl. 3v (1568): Lisbeth Brunsrodes alhier eines borgers dochter, ohr vader hefft geheten Henni Brunsrodes, lesen kann se wol […]. Alheit Monneck jst van Bolchtorp. De mutter jst dot. De vader sehr arm. Kann sthicken vnd neigen. Wil gern bliven vnd gehorsam holden. 2873 StadtA BS, G II 1 Nr. 119, Bl. 249r–249r.

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chenden christlichen Hausstand zu gewährleisten war gemäß Luther fortan Aufgabe aller Christen, Männer wie Frauen.2874 Das Ende der Klöster bzw. des Zölibats, welches in der älteren Forschung vielfach als negative Implikation der Reformation für die Frauen gewertet wurde,2875 konnte sich oftmals sogar in das genaue Gegenteil verkehren.2876 Während Frauen vor der Reformation dem Kloster meist noch als Kind eingeopfert wurden, ohne je eine rechte Entscheidungsfreiheit im Erwachsenenalter zu erhalten, stand Frauen der nachreformatorischen Zeit das Kloster vielfach gerade im Erwachsenenalter offen – egal ob ledig oder verwitwet.2877 Was sich indessen – auch in Braunschweig – zuungunsten der Frauen änderte, war vielmehr der zunehmende Eingriff der männlichen Obrigkeit in Struktur und inneres Zusammenleben der Frauenkonvente. Insofern ginge es vermutlich doch etwas zu weit, mit Ozment von einer »Liberation of Women from Cloisters« zu sprechen.2878 Erstmals wurde 1529 die Äbtissin des Kreuzklosters dar tho gedwunge, sze most rhekenschop don dem rade, orer vpkumpsth vnd vthghafft.2879 Entsprechend beklagten sich die alten Nonnen zu Beginn der Reformation des Kreuzklosters auch bei den männlichen Vorstehern, enthielten ihnen die Wirtschaftsbücher vor und gaben an, mit dem neuen Sakrament empfange man den Teufel.2880 Einen Eingriff in »ihr« Kloster wollten sie keineswegs gestatten. Auf Dauer halfen die Klagen jedoch wenig: Dem Kloster wurden Vorsteher und für die gesamte Wirtschaftsverwaltung ein Probst zugeordnet. Noch in seiner um 1570 aufgeschriebenen Klosterordnung hielt Chemnitz fest, dass die vorster vber der obersten fleissig halten und wachen sollten. Letztere wurde denn auch vom Rat verordnet und nicht mehr vom Konvent gewählt.2881 Die vormalige Eigenständigkeit der Frauenkonvente St. Crucis und St. Leonhard war damit nach der Reformation endgültig Geschichte – gleiches gilt aber im Übrigen auch für die Männerkonvente: Ein Rückzug als Mönch, außerhalb des vorgeschriebenen

2874 2875 2876 2877

2878 2879 2880 2881

Vgl. Wunder, Glaube, S. 63. Vgl. dazu den Forschungsüberblick in: Sauerbrey, Klöster, S. 72–73. Vgl. Wunder, Glaube, S. 64 sowie Schmidt-Funke, Reformation, S. 32. Das musste aber nicht überall so sein. Im Lüneburger Kloster Ebstorf wurden die Mädchen nach 1600 z. B. nur noch sehr jung (bis maximal 13 Jahren) aufgenommen. Vgl. Dose, Hanna: Evangelischer Klosteralltag. Leben in Lüneburger Frauenkonventen 1590–1710, untersucht am Beispiel Ebstorf, Hannover 1994 (= Quellen und Untersuchungen zur allgemeinen Geschichte Niedersachsens in der Neuzeit, 12), S. 222. Ozment, Steven: When Fathers Ruled. Family Life in Reformation Europe, Cambridge u. a. 1983, S. 9. StadtA BS, B III 16 Nr. 16, Bl. 3r. Vgl. StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 4v. StadtA BS, G II 1 Nr. 119, Bl. 250v–251r.

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Ehelebens stand dem lutherischen Theologen kaum noch offen,2882 ebenso wenig ein Junggesellen- und Gelehrtenleben nach Art eines Erasmus von Rotterdam oder Johannes Reuchlin.2883 Dieser »Imperativ der Ehe für Männer«, der für sie »in ähnlichem Maße galt« wie für Frauen, ist in der Forschung bislang kaum beachtet worden.2884 Wenn in Braunschweig etwa vom Ministerium beklagt wurde, daß etliche junge gesellen, sonderlich in der Alttenstadt, allein haußhalten vnd megde bey sich jnn heusern hetten, so wird hier der gesellschaftliche Druck deutlich, der eine Ehe nun auch für junge Männer als einzig legitime Lebensweise anmahnte.2885 Freilich jedoch betrafen jene Maßnahmen, die mit einer Aufwertung des Ehestandes und einer Abwertung von Zölibat, Unzucht und Prostitution verbunden waren, die Frauen aber wohl stärker als die Männer. In Braunschweig zeigte sich die neue lutherische Sittenmoral bereits im März 1529, als Gilden und Gemeinden den Rat aufforderten, sämtliche vntüchtige effte vordechtige personen im Beisein der Kleriker zu untersagen.2886 Der Rat versprach dies bereitwillig und veranlasste zudem, die beiden »Frauenhäuser« umgehend schließen zu lassen, was bis Ende März auch erfolgt war.2887 Überhaupt wollte man künftig auch der andern gemeyner wyver halven härter durchgreifen.2888 Als Grund hierfür gab der Rat an, man plane damit in der Stadt die sunde tovorholden und folglich das Seelenheil der Gemeinde zu schützen.2889 Durchsetzen ließ sich dieses lutherische Ideal aber offensichtlich nur bedingt, denn schon 1537 mussten sich Gilden und Gemeinden wieder beim Rat beklagen, dass die »unzüchtigen Weiber« in langen Mantelröcken (Heyken) durch die Stadt spazieren würden – gleich 2882 In Braunschweig verblieb nach 1528 für ledige Männer nur der Eintritt in das Alexiushaus, doch war hiermit ein gesellschaftlicher Prestigeverlust verbunden, weshalb diese Option üblicherweise nicht zur Debatte stand. 2883 Vgl. Schmidt-Funke, Reformation, S. 42. Dazu, dass auch nach der Reformation der Gelehrtenzölibat als positiv erachtete Lebensweise nicht ganz verschwand und sogar zum Streitkomplex zwischen Philippisten und Gnesiolutheranern wurde, vgl. Harding, Elizabeth: Der Gelehrte im Haus. Ehe, Familie und Haushalt in der Standeskultur der frühneuzeitlichen Universität Helmstedt, Wiesbaden 2014, S. 242–243. 2884 Sauerbrey, Klöster, S. 76. Dazu auch: Schmidt-Funke, Reformation, S. 44. 2885 StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 26r (1608). Dazu auch die Klage von 1610: Es wohnete eine witwe auff der Schützenstrasse, die herbergete einen mann, der täglich bey ihr aus und eingienge, hette aber an einem andern ort sein eheweib, das gebe bösen schein, wehre auch zu straffen. StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 68. 2886 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 143v. Auch ebd. Bl. 112v: De ebrock ßo dar yn der ordeninge vornotet vp to straffenn wert neyn flith van dem e[baren] r[at] angewand, de wyle wy opentlyke hern, wu ytlyke papen noch ligen by Echtmans wive edder sus yn ope[n]tlyker horerie. 2887 Vgl. ebd., Bl. 157r: Tom twolfften, de fruwen huser sindt gesloten vnd schulden ok gesloten bliven. 2888 Ebd., Bl. 143v. 2889 Ebd., Bl. 157r.

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den ehrbaren Frauen.2890 Nichts desto trotz führten die Prostituierten fortan ein gefährliches Leben in der Grauzone zur Illegalität – mit der Reformation waren die »Frauenhausdirnen zu Opfern der neuen Moral« geworden.2891 Diese Moralvorstellung ließ man auch rechtlich späterhin weiter verschärfen: Während in Braunschweig Bürger bei Unzuchtsvergehen lediglich mit Geldstrafen geahndet wurden, gingen Bürgerinnen ihres Bürgerrechts verlustig und wurden der Stadt verwiesen, sofern sie das Bürgerrecht nicht innerhalb einer festgelegten Frist wieder gewannen. Vielfach lässt sich die praktische Umsetzung dieser Regelung in den Quellen des 16./17. Jahrhunderts nachweisen,2892 immer wieder ins Bewusstsein gerufen durch neuerliche Mandate und Kanzelaufrufe.2893 Während sich bis 1528 nicht ein Stadtverweis für Ehebruch im Verfestungsbuch findet, wurden allein zwischen 1529 und 1555 mindestens 13 Personen wegen Ehebruchs verbannt, zwischen 1555 und 1583 waren es bereits 79.2894 Parallel zur Abwertung des außerehelichen Lebenswandels erfolgte der Zwang zum ehelichen Gemeinschaftsleben – auch und insbesondere für jene Ehepartner, die bis 1528 an getrennten Orten gelebt hatten.2895 Die Gilden und Gemeinden beklagten sich mehrfach heftig über diesen unhaltbaren Zustand und überzeugten damit auch die Ratsherren rasch. Diese gaben 1529 an, dass jn alle wigbilde befolen worden sei, na den eluden, die von ander sin, to fragen vnd de tovorboden, orsake ores vonander wesends antohorende vnd darna wider to raden.2896 Den Vertretern der Neustädter Gemeinde ging dies jedoch nicht weit genug. Es wurde gefordert, dass jene Bürger, die im Ehebruch befunden würden, fortan auch härter bestraft werden müssten. Man solle der steyne bruke[n,] de an radthusen hangenn.2897 Die Schandsteine für Ehebrecher waren eine durchaus harte, wenn auch nicht zeitunübliche Strafe – in der Hannoverschen »Großen Stadtkündigung« (Policeyordnung von 1534) ließ man sie für Ehebrecher gleich

2890 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 126r. 2891 Schuster, Beate: Frauenhandel und Frauenhäuser im 15. und 16. Jahrhundert, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 78,2 (1991), S. 172–189, hier S. 189. 2892 Vgl. z. B. StadtA BS, B I 6 Nr. 1,2, Bl. 255r (1574): Abell Vlemsteins witwe hat sich beschlaffen lassen, darumb soll sie die bürgerschaft wieder gewinnen vor Ostern negst zukünftig, oder wo nicht auf Ostern die stadt reumen. Auch StadtA BS, B IV 11 Nr. 164, Bl. 52v (1611). 2893 Vgl. StadtA BS, B I 3 Nr. 24,2, pag. 400 (1577); ebd. pag. 642 u. 659 (1580); StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 159v (1589). 2894 Vgl. bis 1555: StadtA BS, B I 15 Nr. 14, Bl. 4r, Bl. 11r, Bl. 14r, Bl. 19r, Bl. 26r, Bl. 26v, Bl. 32r, Bl. 37v, Bl. 41v, Bl. 42r und Bl. 44r. Für die Zeitspanne von 1555–1582 vgl. ebd., Bl. 174r– 188r. 2895 Zur lutherischen Ehevorstellung vgl. insb. Witt, Christian Volkmar: Die Ehe als geheiligte Gemeinschaft der Geschlechter. Luthers theologisches Eheverständnis, in: Labouvie, Eva (Hrsg.): Glaube und Geschlecht. Gender Reformation, Köln 2019, S. 87–108. 2896 StadtA BS, B I 5 Nr. 2, Bl. 176v. 2897 Ebd., Bl. 124v.

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nach der Reformation z. B. ebenfalls vorschreiben.2898 Tatsächlich schrieb man die Strafe nachfolgend 1532 auch im neuen Braunschweiger Echteding fest – sowohl für Unzucht als auch für Ehebruch sowie Kuppelei.2899 Das demonstriert noch einmal auf drastische Weise die gewandelten Moralvorstellungen hinsichtlich des Ehestandes im Zuge der Reformation. Allerdings ging den Bürgern dies nachfolgend dann doch zu weit: Jedenfalls wurde bereits 1538 von den Gemeinden beklagt, dass der Artikel des ehebruchs jm echten dinge mit den schantstaven beswerlick sei und ohnehin nie zur Ausführung gekommen wäre.2900 Man solle es bei einer Geldstrafe von 20 Mark belassen, welche ohnehin hart genug sei. Der Rat fügte sich und ließ die Schandsteinstrafe tatsächlich aus dem Echteding ausradieren.2901 Die Ehe blieb also, wie gezeigt, für Männer wie für Frauen, abgesehen von wenigen Ausnahmen,2902 die einzige akzeptierte Lebensweise. Der soziale Stand der Frau im nachreformatorischen Ehehaushalt ist indessen für Braunschweig – wie auch allgemein in der Forschung – als ambivalent zu werten. In den Zunftund Handwerkskreisen konnte die Frau als Meisterin – entgegen der älteren »Verdrängungsthese« Wiesners2903 – auch nach der Reformation bis ins 18. Jahrhundert »eine wichtige Rolle« behalten.2904 Auch in Braunschweig lässt sich diese neuere Erkenntnis stichpunktartig stützen: So waren z. B. bei den 2898 StadtA HA, AA 3 Nr. 8254, Bl. 4r: Welck borger oder borgerske vp openbarer daeth jnn eebrekerie mit einem vorbunden oder frien personen bogrepenn [sic!] […] schal […] jnn die kolkamerenn gesettet, schal mit dersulvenn vor dath open gerichte geforeth […] vnde also de schandstheine thor stadt vth dragen […]. 2899 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 33r: Da jemme de megede edder froven vorschundede onehelde vnnd husede, edder hegedt to horerye koppelie edder rofferie dreve vnd der befunden edder overwyseth worde, de schall de schanthsteyne dragen, der stadt vorwyseth vnnd nimmer daryn vorstadeth werden. Vgl. dazu auch Sack, Karl Wilhelm: Die Schandsteine tragen und sich auf ’s Maul schlagen. Zwei Strafen aus dem Mittelalter in der Stadt Braunschweig, in: Vaterländisches Archiv des historischen Vereins für Niedersachsen (1841), S. 107–112. 2900 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,1, Bl. 134r u. 135r. 2901 Vgl. UB Braunschweig I, S. 340. 2902 Für Frauen: Eintritt in St. Crucis, St. Leonhard und die Beginenhäuser oder die Arbeit als Magd und Mädchenlehrerin (sowie illegal als Prostituierte); überdies verblieb der nacheheliche Witwenstand mit Arbeit als Hebamme, Handwerksmeisterin, Lehrerin, o. ä. Für Männer blieb langfristig nur der Eintritt ins Alexiushaus. 2903 Demnach seien die Frauen (Witwen, Meistertöchter, Mägde) im Zunfthandwerk, zwischen 1500–1800 sukzessive aus dem zünftischen Arbeitsprozess ausgeschlossen und zur Hausmutter degradiert worden. Vgl. Wiesner, Merry E.: Working Women in Renaissance Germany, New Brunswick 1986. 2904 Athenas, Muriel González: Kölner Zunfthandwerkerinnen 1650–1750. Arbeit und Geschlecht, Kassel 2014, S. 173. Dazu auch: Werkstetter, Christine: Frauen im Augsburger Zunfthandwerk. Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im 18. Jahrhundert, Berlin 2001, S. 167: »Keineswegs trifft für den hier untersuchten Zeitraum und Ort zu, was Merry Wiesner für Nürnberg, München und Frankfurt herausfand […].«

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Beutlern die Meisterinnen selbstverständlich auch im Handwerk tätig: Wen ein meister sturbe, eher der iunge außgelernt hette, so mag die meisterin den iungen sollen außlernen.2905 Und noch 1611 wollte eine Kürschnerin nicht in die Verlobung ihres Sohnes mit seiner Geliebten einwilligen, da diese nicht bey dem handwercke erzogen sei und somit im Betrieb nicht helfen könne.2906 Die Rolle der Pfarrfrau ist in den letzten Jahren durch neuere Studien ebenfalls als jene der »Gefährtin und Mitregentin« aufgewertet worden.2907 Dementgegen muss die in der Forschung vielfach positiv konnotierte Entwicklung im nachreformatorischen Scheidungsrecht jedoch stark relativiert werden.2908 Zwar lässt sich mit Frassek durchaus festhalten, dass rechtlich vor den Konsistorien meist eine »Gleichberechtigung der Geschlechter« herrschte.2909 Allerdings verschließt dies dennoch den Blick vor einer durchaus vorhandenen Benachteiligung der Frau im Ehealltag, etwa im Falle von Misshandlungen.2910 In Braunschweig klagten vor dem Konsistorium z. B. unzählige misshandelte Frauen auf eine Scheidung hin – wirklich nachweisen ließen sich vollzogene Scheidungen bei Misshandlung jedoch nicht.2911 So wollte sich etwa 1571 eine Ehefrau wegen der körperlichen Züchtigungen ihres Mannes vor Verzweiflung selbst erstechen, wie die Gegenseite (!) vorwurfsvoll darlegte. Dennoch beschied das Konsistorium: Sie sollen widder zusamen ziehen vnd sich als eheleutten gebühret, gegen einander vorhaltten.2912 Die Ehefrau des Rektors zur St. Katharinen (Heinrich Achemius) deren ausführliche, fast 30-seitige Lebensbeschreibung uns aus eigener Hand vorliegt, wurde in den 1580er Jahren ebenfalls so sehr miss2905 StadtA BS, B I 8, Nr. 8, pag. 212. 2906 StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 72. Das Ministerium sah dies nicht als triftigen Hinderungsgrund einer Verlobung an, denn was sie nicht wüste, könte sie lernen, es wehre ia kein perlensticken. Ebd., pag. 73. 2907 Vgl. dazu: Schorn-Schütte, Luise: Gefährtin und Mitregentin. Zur Sozialgeschichte der evangelischen Pfarrfrau in der Frühen Neuzeit, in: Wunder, Heide; Vanja, Christina (Hrsgg.): Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit, Frankfurt a.M. 1991, S. 109–153. 2908 So z. B. bei Frassek, Ralf: Modifizierungen im Eherecht infolge der Reformation (1517– 1580), in: Greiling, Werner; Kohnle, Armin; Schirmer, Uwe (Hrsgg.): Negative Implikationen der Reformation? Gesellschaftliche Transformationsprozesse 1470–1620, Köln/ Weimar/Wien 2015, S. 317–330, hier S. 329: »Die geschlechter-neutrale Behandlung der Ehesachen ohne erkennbare Benachteiligung der betroffenen Frauen ist für die Ehegerichte eine Selbstverständlichkeit.« 2909 Ebd., S. 328. 2910 Vgl. Habermas, Rebekka: Frauen und Männer im Kampf um Leib, Ökonomie und Recht. Zur Beziehung der Geschlechter im Frankfurt der Frühen Neuzeit, in: van Dülmen, Richard (Hrsg.): Dynamik der Tradition, Frankfurt a.M. 1992 (= Studien zur historischen Kulturforschung, 4), S. 109–136, hier S. 111. 2911 Vgl. z. B. StadtA B I 18 Nr. 9, Bl. 116v, Bl. 139r, Bl. 149v, Bl. 214r, Bl. 242r, Bl. 285v, Bl. 339r– 339v, Bl. 352v, Bl. 359r–366r, Bl. 381r–382r, Bl. 393r–395r, Bl. 397r–398v, Bl. 400r–400v. 2912 StadtA B I 18 Nr. 9, Bl. 381v.

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handelt, dass sie sich mehrfach an Superintendent, Konsistorium und Rat wandte. Der folgende Auszug ihrer Leidensgeschichte ist noch einer der harmloseren: [I]ch gehe nach meiner kamer vnd wolt schlafen, den es war baldt vmb 10, do folget ehr mir nach vnd hat ein knüpel vnter die harts kape vnd schlecht zu mich ein wie zu einem dullen hunde vnd schlecht mich mein arm vnd schulter braun vnd blaw vnd es liefen mich große beulen auf vnd das blut hinge mich jn die negel ann mein lincke handt so braun vnd schwartzs wie ein bickler, den ich hate den arm for geworfen, sunst hete er mich wol das bregen [= Hirn M.V.] aus dem kope geschlagen mit dem knüpel.2913

Dennoch wies man sie mehrfach im Konsistorium ab, glaubte ihr nicht und erteilte ihr sogar seitens der Prediger eine heftige Rüge. Erst als sie mit frischen Wunden vor die Ratsherren trat, musste ihr Ehemann die Misshandlungen schließlich eingestehen: Darauf hat M. Henricus Achemius, mein man, also geantwort […] ich habe ihr nichts zugemessen aber geschlagen habe ich sie, sie hies mich liegen, do schlug ich zu, es were besser ich hets gelaßen sagt ehr, es war aber an dem, das mein arm vnd schulter noch braun vnd blaw war vnd die beulen waren auch noch nicht wegk die ehr mich mit den knüpel geschlagen hatte, derenthalben kont ehr das nicht lauchen [= läugnen M.V.] etc.2914

Geschieden wurde aber auch diese Ehe nicht, sondern eine Aussöhnung beider Parteien angemahnt. Wirklich nachweisen ließen sich weiblich initiierte Scheidungen daher nur in wenigen Fällen bei »böslichem Verlassen« des Ehepartners sowie Ehebruch. Gleiches wurde auch für umliegende Gebiete wie BraunschweigWolfenbüttel und Goslar oder auch Sachsen ermittelt.2915 Natürlich profitierten Frauen immerhin insofern vom Ehegericht, als dass sie nun die Möglichkeit besaßen, die oben dargelegten Sävitien bzw. Misshandlungen anzuprangern und sich mithilfe von »Weiblichkeitsstereotypen« bewusst als das schwächere Geschlecht zu »inszenieren« (Habermas).2916 Das taten sie denn auch durchaus gezielt – die überwiegende Mehrheit der ehelichen Konsistorialklagen entfiel seit

2913 StadtA BS, B IV 11 Nr. 155, Bl. 7r. 2914 Ebd., Bl. 8r. 2915 Vgl. Titz-Matuszak, Eherecht, S. 157: »Aus dem Goslarer Quellenmaterial ist nur ein einziges Beispiel einer definitiven Ehescheidung bekannt.« Zu Braunschweig-Wolfenbüttel, vgl. Butt, Angesicht, S. 70: »Die Scheidung einer zerrütteten Ehe wurde vom Konsistorium selbst dann nicht praktiziert, wenn massive Gewaltanwendungen resp. Sävitien der Ehemänner gegenüber ihren Frauen nachgewiesen werden konnten.« Auch Frassek spricht für Sachsen von einer »äußerst geringe[n] Zahl der tatsächlich zur Scheidung führenden Verfahren«. Vgl. Frassek, Eherecht, S. 327. 2916 Vgl. Habermas, Frauen, S. 111–112.

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der Reformation auf Frauen.2917 Allerdings blieb die Tatsache bestehen, dass den klagenden Frauen die erstrebte Hilfe durch das Konsistorium letztendlich dennoch oft versagt blieb.2918 Zusammenfassend lässt sich damit für Braunschweig – wie auch allgemein – hinsichtlich der nachreformatorischen Geschlechterentwicklung Folgendes festhalten: Das Rollenideal von Mann und Frau wurde ausgehend von Luther künftig nur noch in der Ehe verwirklicht. Damit wurden beide Geschlechter in einen gemeinsamen ehelichen Hausstand gedrängt – ob sie nun wollten oder nicht. Alternativen wie Kloster oder Beginenhaus standen zwar noch zur Verfügung, spielten aber als Lebenskonzept ( jedenfalls in Braunschweig) keine gewichtige Rolle mehr.2919 In ihrem Ehestand konnte die Frau zwar auch in lutherischen Städten als Meisterin ein Handwerk ausüben, doch blieb sie immer abhängig von ihrem Ehemann, von welchem sie sich – trotz der nun theoretisch möglich gewordenen Scheidung – faktisch kaum trennen konnte, wie zahlreiche Klagen belegen.

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Nicht nur das Ehewesen, auch das Armenwesen erfuhr nach der Reformation einige Veränderungen. In der Forschung besteht indessen keinerlei Zweifel mehr daran, dass die Reformation den Blick auf die Bedürftigen nicht per se wandelte, sondern lediglich in Entwicklung begriffene Differenzierungsmuster aufgriff und diese im protestantischen Sinne weiterführte.2920 2917 Vgl. Schmidt, Heinrich Richard: Männergewalt und Staatsgewalt. Frühneuzeitliche Ehekonflikte vor Gericht in vergleichender regionalgeschichtlicher Perspektive, in: L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 14,1 (2003), S. 35–54, hier S. 46–47 sowie Rublack, Ulinka: Magd, Metz’ oder Mörderin. Frauen vor frühneuzeitlichen Gerichten, Frankfurt a.M. 1998, S. 277. 2918 In der holsteinischen Propstei Münsterdorf wurde z. B. nur jeder fünften Klage auf Trennung von Tisch und Bett stattgegeben. Vgl. Lutz, Alexandra: Ehepaare vor Gericht. Konflikte und Lebenswelten in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/New York 2006 (= Geschichte und Geschlechter, 51), S. 130 sowie Rublack, Magd, S. 277. 2919 Die Verweildauer der Braunschweiger Beginen im Konvent betrug laut Sandfort meist 1– 10 Jahre. Es war damit »in der Neuzeit kein Langzeitaufenthalt mehr«, was Sandfort damit erklärt, dass die Beginen nach der Reformation begannen, ihren Aufenthalt »als eine zeitlich absehbare Übergangsphase bis zum Eintritt in die Ehe aufzufassen.« Vgl. Sandfort, Beginenwesen, S. 149–151. Die beiden Klöster spielten als alternatives Lebenskonzept nach 1528 ebenfalls quasi keine Rolle im Stadtleben mehr: In St. Leonhard lebten 1568 sieben Konventualinnen (StadtA BS, B IV 11 Nr. 30, Bl. 3r–4r), in St. Crucis waren es 1545 ebenfalls nur sieben Chorfrauen inkl. Domina. Vgl. Tunika, Geschichte II, S. 304. 2920 Vgl. z. B. Jütte, Armenfürsorge, S. 40: »Auch ohne die Reformation – so dürfen wir hinzufügen – wären Reformen auf dem Gebiet des städtischen Armenwesens nicht ausgeblieben. Weder hätten sie einen gänzlich anderen Verlauf genommen, noch hätten sie ein

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Nicht nur auf Territorial- sondern auch auf Reichsebene war bereits seit dem 15. Jahrhundert ein Wandel im Umgang mit Bettlern eingetreten: Betteln wurde zunehmend negativ konnotiert und sukzessive eingeschränkt, die Armenfürsorge wurde den örtlichen Obrigkeiten auferlegt und verstärkt wurde zwischen würdigem und unwürdigem Bettler unterschieden.2921 Auch in Braunschweig hatte ein obrigkeitlicher Zugriff auf das Bettelwesen sowie der allmähliche Differenzierungsprozess zwischen würdigen und unwürdigen Bettlern bereits im 15. Jahrhundert eingesetzt: So verbot man Bettlern z. B. um 1400 das sog. heylen.2922 Überdies ließ der Rat kurz darauf im Ordinarius verkünden, dass in der Erntezeit niemand, der zur Feldarbeit fähig sei, in der Stadt betteln dürfe – überprüft werden sollte diese Maßnahme vom städtischen Henker.2923 Doch lagen hier auch schon die Grenzen der Bettelgesetzgebung: Eine Bettelordnung, ein weitreichendes Bettelverbot, Bettelvögte oder größer angelegte Betteledikte hat es bis zur Reformation nicht gegeben: »Ebenso wenig scheint die Braunschweiger Stadtführung [vor 1528 M.V.] der Unterscheidung zwischen einheimischen und fremden Bettlern besondere Bedeutung beigemessen zu haben.«2924 Braunschweig lässt sich damit in das bisweilen konstatierte Süd-Nord-Gefälle der vorreformatorischen Bettelgesetzgebung einfügen.2925 Schubert stellte damit zu Recht fest: »Gedanken, wonach der auswärtige Bettler nicht mehr der städtischen

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anderes Ergebnis gebracht, lediglich die spezifische Gestalt wäre anders und die Breitenwirkung nicht so stark gewesen.« Dazu vor allem auch die Angaben bei Hansen, Jürgen Wolfgang: Almosenordnungen im 16. Jahrhundert. Anfänge einer Sozialpolitik insbesondere in süddeutschen Städten, Diss., Passau 2007 [Onlinepublikation: https://d-nb.info /986354104/34, Abruf: 7. 2. 2020], S. 16–17 sowie Arffman, Kaarlo: Revolution des Helfens. Der Versuch des Luthertums, die Probleme der Armut zu lösen, Zürich 2019 (= Nordic studies in religion and culture, 5), S. 18. Siehe z. B. die Beschlüsse gegen Stationierer und Beschränkungen des Bettels auf den Reichstagen zu Worms (1495), Lindau (1497), Freiburg (1498), Augsburg (1500) und schließlich nochmals Augsburg (1530). Vgl. Härter, Entwicklung, S. 71–72 u. 102–107; Schubert, Ernst: »Hausarme Leute«, »starke Bettler«. Einschränkungen und Umformungen des Almosengedankens um 1400 und um 1500, in: Oexle, Otto Gerhard (Hrsg.): Armut im Mittelalter, Ostfildern 2004 (= Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte, 58), S. 283–347, hier S. 324–325. Vgl. UB Braunschweig I, S. 137. Beim heylen legte der Bettler dem kranken Passanten die Hand auf und bat – gegen ein Almosen – für dessen Gesundung. Vgl. Klabunde, Armut I, S. 40. Vgl. Klabunde, Armut I, S. 40; Schubert, Hausarme Leute, S. 302; UB Braunschweig I, S. 178. Klabunde, Armut I, S. 41. Zu sehen ist dies auch am Braunschweiger Torwächtereid von ca. 1420 (StadtA BS, B I 2 Nr. 18, Bl. 7r), in welchem Vaganten oder Bettler keine Erwähnung finden: In den Torwächterordnungen seit dem 16. Jahrhundert bilden sie jedoch einen zentralen Bestandteil. Vgl. Schubert, Ernst: Der Fremde in den niedersächsischen Städten des Mittelalters, in: NdSächsJb 69 (1997), S. 1–44, hier S. 36–37 u. 42; Klabunde, Armut I, S. 42.

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Fürsorge teilhaftig werden sollte, werden nach Norddeutschland erst über die Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts transportiert.«2926 Wenn die Reformation also auch keine genuin neuen Überlegungen aufgriff, so wirkte sie doch insbesondere für norddeutsche Städte als maßgeblicher Katalysator der Armengesetzgebung. Gerade in den KOO der ersten Jahrhunderthälfte spielten Artikel zum Armenwesen meist eine wichtige Rolle.2927 Zentrale Neuerung war dabei häufig der Armenkasten, dessen Funktion oben bereits dargelegt wurde.2928 Luther hatte bereits 1520 in seiner Schrift an den christlichen Adel deutscher Nation gefordert, das alle betteley abthan wurden in aller Christenheit, Es solt yhe niemand unter den Christen betteln gahn, es were auch ein leychte ordnung drub zumachen.2929 Um dieses lutherische Ideal zu verwirklichen griffen die meisten KOO auf die Einführung des Armenkastens zurück. Dabei handelte es sich zwar um eine »typisch evangelisch[e]« Institution,2930 die jedoch durchaus auch vor der Reformation in einigen Städten schon existierte und im 16. Jahrhundert gleichsam von Katholiken adaptiert wurde.2931 Damit hatte man den mentalen Wandel, welcher im Armendiskurs seit dem 15. Jahrhundert verstärkt einsetzte, folgerichtig auch auf institutioneller Ebene verankert: Im Grunde handelte es sich bei den Armenkästen somit um die »institutionelle Konsequenz älterer Gedanken: Ausschluss fremder Bettler, Unterstützung der ›Hausarmen‹.«2932 Dabei muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass im zeitgenössischen Diskurs durchaus auch andere Fürsorgemodelle kursierten, wie etwa eine geplante Armensteuer in der Reichsstadt Nordhausen, der Armenkasten also nicht die zwangsläufige Lösung darstellte.2933 Bugenhagen konnte bei der Etablierung seines Braunschweiger Armenkastens bereits auf zahlreiche Vorgängerinstitutionen blicken – so etwa in Wittenberg (1522), Leisnig, Nürnberg und Straßburg (1523) sowie Magdeburg (1524) Bremen

2926 Vgl. Schubert, Fremde, S. 37. 2927 Dass diese prominente Rolle des Armenwesens in den Kirchenordnungen der zweiten Jahrhunderthälfte allmählich zurückging, dazu: Schubert, Antwort, S. 130–131. 2928 Vgl. Kapitel 2.1.3. 2929 WA 6, S. 450. 2930 Vgl. Lorentzen, Johannes Bugenhagen, S. 210. 2931 Der Diskurs bzgl. Kontinuität oder Innovation des protestantischen Armenwesens kann hier aus Platzgründen nicht wiedergegeben werden. Verwiesen sei dazu als Überblick auf: Schmidt, Sebastian: »Gott wohlgefällig und den Menschen nutzlich.« Zu Gemeinsamkeiten und konfessionsspezifischen Unterschieden frühneuzeitlicher Armenfürsorge, in: Schmidt, Sebastian; Aspelmeier, Jens (Hrsgg.): Norm und Praxis der Armenfürsorge in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Stuttgart 2006 (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 189), S. 61–90, hier S. 63ff. Dazu auch ausführlich, wenngleich etwas älter: Jütte, Armenfürsorge, S. 356–364 sowie Kreiker, Armut, S. 38ff. 2932 Schubert, Hausarme Leute, S. 333. 2933 Vgl. Mandry, Armenfürsorge, S. 131.

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(1525) und Hamburg (1527).2934 Von welchem der Konzepte er selbst inspiriert wurde, bleibt leider wie so oft unbekannt: »Die Verbindung, die zwischen theoretischer Erörterung und armenfürsorgerischer Praxis im 16. Jahrhundert bestanden, lassen sich nur in den wenigsten Fällen eindeutig nachweisen«, wie Jütte zurecht konstatiert.2935 Dessen ungeachtet wird Bugenhagen mit Sicherheit auf die Erfahrung der bereits bestehenden Kastenordnungen zurückgegriffen haben, als er die Braunschweiger KO konzipierte. So haperte es auch weniger an Konzept und Umsetzung des Armenkastens als vielmehr an der Implementation der ihn begleitenden Moralnorm: Der grundlegenden Abschaffung der Bettelei und damit auch der Bettler. Es verwundert daher kaum, dass in den Quellen nach 1528 eine Stadtobrigkeit fassbar wird, die den Begriff des Bettlers diskursiv immer weiter umdeutete und dabei ausdifferenzierte: Die Rede ist vom Topos des »starken Bettlers«, vom fremden,2936 vagierenden Müßiggänger oder einfach vom »Buben«.2937 Die Hilfe und Duldung wurde im Sinne der Stadtobrigkeit im Laufe des 16. Jahrhunderts zunehmend eingeschränkt. Luther, der »in seinen sozialen Anschauungen« insgesamt »ein Rezipient gängiger Vorstellungen« war, übernahm selbst die Konzepte des starken Bettlers als Müßiggänger.2938 Gemäß 5. Mose 15,4 (»es soll kein Bettler unter euch sein«) hatte er schon 1519 im »Kleinen Sermon« vom Wucher verlangt, auswärtigen Bettlern kein Almosen mehr zu gewähren und nur noch Stadtbewohner zu versorgen.2939 Besser sei es jedoch, den Bettel ganz abzuschaffen. Auch Bugenhagen übernahm diese Ansichten. Nach der Braunschweiger KO war es selbstverständlich, dass die Reichen und auch die Handwerker üppige Almosen für die Armen spenden sollten. Bugenhagen bezog sich dabei auf die beiden Kapitel in den Paulusbriefen 1. Tim 6 sowie Epheser 4.2940 Allerdings wurde die Gruppe der Hilfebedürftigen nun erstmals in der Stadtgeschichte obrigkeitlich eingeschränkt. Vornehmlich sollten int erste de hüsarmen unde handewerkeslude unde arbeydere Hilfsgelder erhalten, sodann (gemäß 1. Tim 5)

2934 Vgl. u. a. Peters, Armut, S. 242–250. 2935 Jütte, Armenfürsorge, S. 352. 2936 Zu den Definitionsschwierigkeiten des »Fremden« im Spätmittelalter und dem hierfür eher genutzten – jedoch positiver konnotierten – Begriff des »Gastes« vgl. Schubert, Fremde, S. 3–12. In Braunschweig lässt sich der Begriff des »fremden Bettlers« im 16. Jh. vielfach nachweisen. So z. B. StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 548. 2937 Vgl. dazu die Formulierungen in den immer schärferen Edikten: StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 142 (1568); StadtA BS, B I 6 Nr. 4, Bl. 328v (1578); StadtA BS, B I 6 Nr. 2, Bl. 101r (1583); StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 548 (1584); StadtA BS, B I 3 Nr. 25, pag. 371 (1587). 2938 Schubert, Hausarme Leute, S. 332. 2939 Vgl. Ebd., S. 332. 2940 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 445.

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auch arme Witwen und Waisen.2941 Das bezog sich allerdings lediglich auf den Armenkasten. Das Betteln sollte dementgegen nur noch solange disse kaste in den swank kumpt für die rechten (Hausarmen) genehmigt sein: Schüler und fremde Bettler oder jene, die arbeitsfähig waren, scholen mit öreme bedelen nicht geleden werden.2942 Die Überlegung Bugenhagens, das Betteln nur noch übergangsweise bis zur Etablierung des Armenkastens zu akzeptieren, wurde in der Praxis nicht umgesetzt. Rasch stellte der Rat nämlich fest, dass die Armenkästen zur Versorgung der Bedürftigen nicht ausreichend waren, das Betteln als Ganzes somit keinesfalls verboten werden konnte. So durften einerseits beispielsweise die (nun lutherischen) Alexiusbrüder weiterhin ihre Umgänge unternehmen,2943 andererseits ließ man auch das Betteln auf den Gassen nach wie vor über Jahrzehnte bestehen. Die Nachsicht des Rates traf anfänglich vielfach auf das Unverständnis der Gemeindevertreter, die den Bettel aufgrund des Armenkastens gemäß KO abgeschafft wissen wollten – insbesondere bei den Alexiusbrüdern. Aus diesem Grunde klagten die Hagener Lakenmacher z. B., die Alxiusbrüder sollten nicht mehr betteln, sondern durch Klostergüter finanziert werden. Auch die anderen Gilden und Gemeinden baten 1547, die alexiusbroder vp andere wege tho erholden.2944 Nichts desto minder ließ der Rat die Umgänge der Alexiusbrüder gegen den Willen der Bürger weiterhin zu.2945 Zu größeren Beschwerden gegen die überhand nehmende Bettelei auf den Gassen kam es kurz darauf durch das Geistliche Ministerium. In dem 1549 eingereichten Klagebericht hieß es u. a.: Zum virten gibet auch nimandt auff die pettel kinder, so auff der straßen den gantzen tag vmb lauffen, kein achtung, also auch, das die selbenn nichs den mutwillen vben vnd schalckeit treiben, den leuten fur den thuren, vordrislich sein.2946 Der Rat stand nun in einer Zwickmühle. Einerseits wollte er den Forderungen von Bürgerschaft und Geistlichkeit (sowie der KO) nach einem generellen Bettelverbot durchaus nachkommen; andererseits war ihm aber sicherlich bewusst, dass ein Bettelverbot bei zu geringem Unterstützungsaufkommen der Armenkästen keine wirklich zweckdienliche Alternative darbot. Schließlich wurden durch solcherlei Maßnahmen die tatsächlich Bedürftigen unnötig in die Kriminalität getrieben. Man entschied sich im Einvernehmen mit den Geistlichen für eine tageszeitliche Beschränkung der 2941 Ebd. 2942 Ebd., S. 452. 2943 Vgl. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,2, Bl. 322r (1547); StadtA BS, B I 6 Nr. 2, Bl. 331r (1578); StadtA BS, B IV 11 Nr. 131 (1669). Auch der »Glöckner« des Leprosenhospitals St. Leonhard durfte weiterhin um Almosen betteln. Vgl. Kurnatowski, St. Leonhard, S. 104. 2944 StadtA BS, B I 5 Nr. 1,2, Bl. 323r. 2945 Vgl. Sack, Thoren, S. 524. 2946 StadtA BS, B IV 11 Nr. 22, Bl. 10v.

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Bettelei. Künftig sollte es nur noch zwischen 10–12 und 17–19 Uhr erlaubt sein, um Almosen zu bitten. Überdies mussten die Bettler ein vom Diakon ausgeteiltes, sunderlige[s] beteken, also ein Bettelzeichen, vorweisen können.2947 Um die neuen Regelungen kontrollieren zu können, wurden nun zwei Bettel- bzw. Armenvögte angenommen und dem Armenkasten unterstellt: Einer war zuständig für die Altstadt, Altewiek und den Sack, der andere für die Neustadt und den Hagen.2948 Da der Rat die nötigen Soldzahlungen der Vögte nicht selbst entrichten wollte, mussten sie künftig aus den Armenkästen von Altstadt und Hagen finanziert werden.2949 Bei den Vögten handelte es sich indessen nachweislich selbst um Bedürftige, die sich mit diesem Amt lediglich ein Zubrot (ca. eine Mark/Jahr2950) verdienten.2951 Die Klagen über eine schlechte Aufsicht der vielfach unmotivierten Vögte rissen daher nicht ab, sodass auch ihre Wirksamkeit eher beschränkt gewesen sein dürfte. So schimpften selbst die Prediger nachfolgend: Die betel voigt sehen noch nicht zu, vnd machen die kinder groß vnrw auff den kirchhoffen.2952 Zwar versprachen die Kastenherren, mitt dem bettel vogten zureden, vnd do sie jer ampt nicht brauchen wolten, andere zubestellen, doch waren diese Maßnahmen offensichtlich nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt.2953 Aus diesem Grund und dieweil die Alte Stadt vnd der Hagen weittleuffig sind, ließ

2947 Bettelordnung (1550): StadtA BS, B IV 13d Nr. 2, Bl. 3v u. 5v; dazu auch: StadtA BS, B IV 11 Nr. 22, Bl. 19r. 2948 Vgl. StadtA BS, B IV 13d Nr. 2, Bl. 3r: Artikel puncte vnd ordenunge tho christliger tucht vnd guder reformation der bedeleye. Damit ist die Behauptung bei Sehling und Schoß wiederlegt, der Rat habe nach den Klagen der Geistlichkeit (1549) tatenlos weitergemacht wie zuvor. Beiden war die Bettelordnung von 1550 ganz offensichtlich nicht bekannt. Die Fehlannahme beruht vermutlich auf Rehtmeyer, dem die Ordung ebenfalls unbekannt war und der daher eine Chemnitz’sche Ordnung von 1570 als erste Ordnung mit Einsetzung der Bettelvögte annahm. Schoß nahm mit Bezug auf Sehling fälschlich das Betteledikt von 1568 als Einsetzungsmandat der Bettelvögte. Vgl. Schoß, Ministerium, S. 60; Rehtmeyer, Historiae III, S. 314; Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 345: »Gegen das Bettelunwesen war die Geistlichkeits bereits 1549 beim Rat vergeblich Sturm gelaufen […] 1568 erließ der Rat […] eine Ordnung […] Bettelvögte wurden eingesetzt.« Richtig dagegen: Klabunde, Armut I, S. 120–126. Hier wird die Bettelordnung von 1550 ausführlich behandelt, allerdings anhand der späteren, hochdeutschen Abschrift (um 1600). Vgl. StadtA BS, B IV 13d Nr. 7, Bl. 143r. 2949 Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 469. 2950 Im Hagen variierte der Jahreslohn 1550–1570 zwischen 20 Schilling und einer Mark. 2951 So z. B. beim Bettelvogt Hans Gegger (StadtA BS, F I 4 Nr. 469, Bl. 111v): Einem mane, Hanß Geger, de bedelfogeth, gegeven syn lon. Dem armen medeken Gegger dochter gab man 1559 to hulpe to schoen einige Schillinge (Bl. 166v) und im Vorjahr hatte derselbe arme Hanß Geger tho hulpe to holte vnde brode eine Spende aus dem Kasten erhalten (145v). Gegger wird von den Diakonen damit zu den städtischen Armen gerechnet. 2952 StadtA BS, B IV 11 Nr. 163, Bl. 124v (1562). 2953 Ebd., Bl. 125r (1562).

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man die Zahl der Vögte im Jahr 1589 schließlich auf vier erhöhen: Jeweils zwei hatten Aufsicht in Hagen/Neustadt und zwei in Altstadt/Altewiek/Sack.2954 Damit hatte sich der Rat zwar 1550 für eine Einhegung der Bettelei zwecks besserer Kontrolle entschieden – das 1528 angestrebte Ziel des generellen Bettelverbots war hierdurch aber offiziell aufgegeben worden: Denn der armen leute kindern, ob sie schon nicht schüler wehren, das betlen gar abzuschneiden, wirt schwerlig geschen mügen.2955 In vielen Gemeinden war man auch nicht gerade erfreut über diese neuen Maßnahmen: Die Bettelordnung – vor allem die Bettelvögte – wurden als weiteres repressives Kontrollorgan des Rates von vornherein abgelehnt: So wollte etwa die Fallerslebische Bauerschaft weiterhin die Möglichkeit haben, Friedhöfe und andere Plätze zu betreten, ohne von den Bettelvögten kontrolliert und beäugt zu werden.2956 Erfolglos wurde daher gebeten, den bedelenvogt afthoschaffen.2957 Mit der offiziellen Aufhebung des Bettelverbots wurde nun jedoch eine Differenzierung des »würdigen« Bettlers für die Stadtobrigkeit immer virulenter. Hatte zuvor gemäß KO offiziell eigentlich niemand betteln dürfen, so war dies nun in einem bestimmten Zeitraum gestattet – sofern man ein Bettelzeichen erhalten hatte. Wer aber sollte eine solche Marke erhalten und wer sollte künftig als »würdiger« Bettler betrachtet werden? Eine gerechte Differenzierung ließ sich in diesem Fall nicht leicht festlegen – der Rat haderte entsprechend vorerst auch damit, z. B. fremden Bedürftigen partout das Betteln zu untersagen. So ließ man noch 1552 zwei Männern aus der Mark Brandenburg, denen ihr Hab und Gut verbrannt war, verkünden: Jst jhnen von wegen hergebrachter gewonheit von haus zu hause zu bitten abgeschlagen, doch wo jhnen sonst was gegeben worde, das last man geschehen.2958 Während damit das Von-Haus-zu-Haus-gehen gänzlich verboten war (und blieb), ließ man fremden Notleidenden zunächst durchaus die Möglichkeit, an ein Almosen zu gelangen – sei es wie oben durch das Betteln oder durch eine außerordentliche Unterstützung des Armenkastens (vgl. Kapitel 2.1.3). Damit bestätigt sich die berechtigte Kritik an der Armenfürsorge als einer teleologischen Erfolgsgeschichte mittels Sozialdisziplinierung: »Zwar besteht in der obrigkeitlichen Armenfürsorge ein Wille zur Sozialdisziplinierung, das Vollzugsdefizit dieser Politik ist aber so erheblich, daß die Staatsschwäche 2954 Ebd., Bl. 154r u. 156r. Zur weiteren Entwicklung des Armenvogtamtes bis ins 19. Jh. vgl. Albrecht, Peter: Die Armenvögte der Stadt Braunschweig um 1800, in: NdSächsJb 58 (1986), S. 55–75. 2955 StadtA BS, B IV 11 Nr. 22, Bl. 19v. 2956 Vgl. z. B. StadtA BS, B I 5 Nr. 1,2, Bl. 408r: Vallerslevische burschop, besweren sick des beddelenvogedes ordnung, willen vp dem kerckhove tho gaen vnbenhomen hebben, bidden den bedelenvogt afthoschaffen. 2957 Ebd. 2958 StadtA BS, B I 18 Nr. 1, Bl. 91r.

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das entscheidende Kennzeichen der Fürsorgepraxis bleibt. In den Realisierungen ist der Aspekt ›Hilfe‹ wichtiger als ›Kontrolle‹.«2959 Tatsächlich kam es aber in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dann doch verstärkt zu restriktiveren Maßnahmen durch den Rat, sowohl gegen fremde Bettler, als auch gegen »starke Bettler«, welche man schlicht den Schmarotzern und Faulenzern gleichsetzte. Man startete damit von Rats wegen einen erneuten Versuch, sich den Vorgaben der KO anzupassen. Dementgegen baten zunächst aber die Geistlichen im Generalkolloquium, auch fremden Bettlern je nach Sachlage ein Almosen zukommen zu lassen (1561). Allerdings müsse dies von Rats wegen geschehen, denn der Armenkasten sei hiermit auf Dauer überfordert. Der Küchenrat antwortete daraufhin gemäß seiner strikter werdenden Bettelpolitik, dass die frembden betler mehren teils bose buben sindt und man daher besondere Vorsicht walten lassen müsse.2960 Allerdings handelten die Armenkastenherren zu dieser Zeit dennoch entgegen der Politik des Rates. So erklärten die Diakone zu St. Katharinen ihre Ausgaben für fremde Schüler und Bettler etwa 1558 wie folgt: Man müsse denne, so nychteß alle weken tho kasten komen, ock fremde bedelerß [etwas geben M.V.], dar myt guthwillige frome lude vp den karckhove, ock vor oren hoffen vnde sunst nycht besveret vnde vnsen armen de almesen nicht enttogen werde.2961 Der Rat war anderer Ansicht: Nach vielfachen Beratungen mandierte er 1568 schließlich, dass in den letzten Jahren vermehrt fremde Bettler in die Stadt gekommen seien, welche die almosen zur schalekheit vndt buberey misbrauchten.2962 Es sollten künftig nur noch jene fremden Bettler um Almosen bitten dürfen, die hierzu eine Erlaubnis vom Rat erhalten hätten. Offenbar war ein Teil der Einwohner – wie auch die Diakone – aber anderer Meinung; so wurden die Bettelvögte von etzliche[n] vnvorstendige[n] Bürgern aus Mitleid vielfach daran gehindert, fremde Bettler mit kutteln oder schweppen aus der Stadt zu jagen.2963 Der Rat musste diese Amtsbehinderung daher 1568 ebenfalls untersagen.2964 Ein solcher Gegensatz von Rat und Bevölkerung bestärkt die These Schuberts, »[d]aß die generelle Ausschließung des ›starken Bettlers‹ ohne Prüfung des individuellen Falls nicht auf Zustimmung der Bevölkerung stoßen konnte.«2965

2959 2960 2961 2962

Dinges, Armenfürsorge, S. 11. StadtA BS, B IV 11 Nr. 162, Bl. 3v. StadtA BS, F I 4 Nr. 469, Bl. 144v. StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 142. Eine weitere Abschrift unter: StadtA BS, B I 2 Nr. 6, pag. 144–145. 2963 StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 143. 2964 Vgl. ebd. 2965 Schubert, Hausarme Leute, S. 331. Auch S. 342: »Für alle um den ›Gemeinen Kasten‹ herumgesponnenen Paragraphen, ja sogar für Bettelverbote gilt: Die Bevölkerung, die Gemeinen Leute scheren sich nicht darum.«

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Um 1570 war die generelle Gleichsetzung von fremdem Bettler und Gauner auf Seiten der Obrigkeit fast abgeschlossen. Auch wenn Geistlichkeit und Bürgerschaft sowie Diakone hiergegen zeitweilig aufbegehrten, so ließ sich der Rat doch von seiner Haltung nicht mehr abbringen – da die Gelder des Armenkastens ohnehin nicht ausreichten, waren auch Geistlichkeit und Diakone auf lange Sicht machtlos und mussten sich fügen. 1574 befahl der Rat den Predigern, fortan keine Bedürftigen mehr an den Armenkasten zu weisen als allein die Hausarmen.2966 Hiergegen begehrten die Prediger jedoch auf: Man wolle dies zwar versuchen umzusetzen, jedoch halten sie dafür, do etwas vbrig, das man alda mit den armen außlendischen auch dienente.2967 Erneut wird hier also der Gegensatz zwischen Ratspolitik und den Ansichten der Geistlichkeit spürbar. 1578 ließ der Rat sodann den Torwärtern anbefehlen, künftig keine bettler oder vngern jnn die stadt kommen zulassen.2968 1583 wurde dieser Befehl wiederholt – jeder fremde Bettler, der doch in die Stadt gelangte, sollte vom Marktmeister aus der Stadt verwiesen werden.2969 1584 ließ man das Edikt verschärfen und auf die gesamte Landwehr ausdehnen – fortan durften Bedürftige selbst dann nicht die Stadt betreten, wenn sie gar nicht beabsichtigten zu betteln.2970 Dies wurde 1587 in anderem Wortlaut nochmals bestätigt.2971 Trotz dieser strikten Anordnungen verwiesen die Prediger fremde Bettler nach wie vor an den Armenkasten – worüber von den Diakonen im Generalkolloquium noch 1587 geklagt wurde.2972 Deutlich wird hieraus einmal mehr die verschiedene Wertung des »fremden Bettlers«. Während die Prediger (und bisweilen auch die Diakone) den fremden Bettler nach Lage und Situation beurteilten und – wenn nötig – auch an den Armenkasten verwiesen, so vertrat der Rat ab der zweiten Jahrhunderthälfte die Ansicht, alle fremden Bettler müssten umgehend der Stadt verwiesen werden, um die Gemeinde ökonomisch zu schützen. Die Gleichsetzung von fremden Bettlern und Gaunern/Halunken ist in den Mandaten der 1570er/80er Jahre quasi als abgeschlossen anzusehen. Allerdings war man hierdurch der KO nur bedingt in ihrem Geiste gefolgt, auch differierten ja, wie zu sehen, die Meinungen von Rat und Geistlichkeit in dieser Hinsicht. Bugenhagen hatte durchaus vorgesehen, fremden Bedürftigen im Notfall eine milde Gabe mitzuteilen: Krege ock overs to tiden eyn dorchreysende notroftige van 2966 2967 2968 2969 2970

Vgl. StadtA BS, B I 4 Nr. 75, pag. 548. Ebd., pag. 550. StadtA BS, B I 6 Nr. 4, Bl. 328v. StadtA BS, B I 6 Nr. 2, Bl. 101r. Vgl. StadtA BS, B I 2 Nr. 8, pag. 548: […] das sie sich hinfüro nicht alleine vnser stadt, sondern auch alles betlens jn deroselben gentzlich enthalten vnd keines wegs vor den thoren liggen […]. 2971 Vgl. StadtA BS, B I 3 Nr. 25, pag. 371. 2972 Vgl. StadtA BS, H V Nr. 218, pag. 356: Das menn hinforth keine frembde mehr auff die arme kisten weyse.

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Die reformatorischen Ideale im Diskurs 1528–1599

unseme gemeynen gude eyne porteke […] schal id so nöwe nicht gespannet syn, doch ane afbroke unser armen.2973 Diese Bedürftigen wurden aber nun, ebenso wie die »starken Bettler« (bei denen es sich zumeist schlicht um Arbeitssuchende handelte), von Rats wegen kriminalisiert.2974 Dass sich diese strikte offizielle Haltung gegenüber dem Bettel nicht dauerhaft beibehalten ließ und im 17. Jahrhundert schließlich wieder abgemildert werden musste, versteht sich von selbst.2975 Trotz der hier skizzierten Schwierigkeiten, die sich aus den Diskursen seit der Reformationszeit ergaben, müssen aber doch die Erfolge des nachreformatorischen Armenwesens gewürdigt werden. Wenn Schubert von einem »Scheitern der Kirchenordnungen in der Armutsfrage« spricht, so hat dieses Urteil zwar zweifellos seine Berechtigung, erscheint aber doch zu hart.2976 Misst man den Erfolg am Ziel der Kirchenordnung, die Bettelei mittels Armenkasten gänzlich abzuschaffen, so kann dies freilich als gescheitert gelten.2977 Allerdings wird anhand der Kastenrechnungen und Protokolle durchaus ersichtlich, dass immerhin einer größeren Zahl an Menschen kontinuierlich Unterstützung gewährt werden konnte. Insbesondere die akute, außerordentliche Hilfe in Form von Geldern für Operationen, Kleidung oder auch Feuerholz, mag einen nicht unerheblichen Vorteil gegenüber den vorreformatorischen Verhältnissen geboten haben: Benötigte ein Bedürftiger dringend Hilfe, so konnte er sich künftig an den Armenkasten wenden und erhielt (normalerweise) auch ein entsprechendes Almosen.2978 Diese Möglichkeit war dem Bettler im vorreformatorischen 2973 Sehling, Kirchenordnungen VI 1,1, S. 452. 2974 Dennoch wurden, wie in Kapitel 2.1.3 bereits dargestellt, auch noch in dieser Zeit stadtfremde Bettler durch den Armenkasten versorgt – entgegen dem Willen des Rates. 1569 und 1570 erhielten z. B. allein im Hagen jeweils zehn bzw. neun fremde Bettler Almosen. Vgl. StadtA BS, F I 4 Nr. 469, Bl. 316v–343r. 2975 Schon 1629 befanden sich laut einem Ratsedikt wieder zahlreiche Bettler in der Stadt (StadtA BS, B I 2 Nr. 14, pag. 97). 1638 wurde dann mit der neuen Armenordnung ein geregelter Bettelumgang wieder gestattet – als zentraler Verteilungsort der Almosen wurde das Alexiushaus bestimmt. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 191. Es haben sich mehrere originale (gedruckte) Bettelscheine erhalten, die belegen, dass im Braunschweig des 17. Jahrhunderts der Türbettel auch tatsächlich wieder gestattet worden ist. Vgl. z. B. StadtA BS, B IV 13d Nr. 7, Bl. 129r: Diesem armen ___ von ___ bürtig/ wird hiermit vergönnet/ und zugelassen/ von heutigem ___ an ___ Tage lang/ biß auf den ___ allhie für denen Thüren umb eine Christliche Allmosen/ nach eines jedem freyem Willen/ zu bitten/ nach verfliessung obgemeldeter Zeit aber solle dieser Zettel weiter nichts gelten/ noch darzu gebrauchet/ sondern/ auf sothanen Fall/ von dem ersten/ welchem er vorkompt/ zerissen werden. Dessen in Vhrkund ist derselbe mit untergedrucktem Zeichen bemercket. Braunschweig den ___ Anno 166 ___ . Vgl. auch ebd. Bl. 130r. 2976 Schubert, Antwort, hier S. 132. So auch Rammler, Idee, S. 105. Dagegen z. B. Lorentzen, Johannes Bugenhagen, S. 323. 2977 Vgl. Rammler, Idee, S. 105. 2978 Vgl. Kapitel 2.1.3.

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Braunschweig noch verwehrt gewesen. Die Bettelei wurde damit zwar nicht abgeschafft, doch das haben auch die zahlreichen Ordnungen der folgenden Jahrhunderte nicht vermocht.2979 So heißt es noch in einer Druckschrift von 1782, im Jahr 1772 hätten ganze Heere von Bettlern die Gassen der Stadt angefüllt2980 (was indessen freilich übertrieben war).2981 Insofern mag die nachreformatorische Fürsorgepolitik Braunschweigs zwar nicht von durchschlagendem Erfolg gewesen sein – ein völliger Misserfolg, wie Boldt resümiert, war sie trotzdem nicht.2982 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt man im Übrigen auch bei einem Vergleich mit anderen protestantischen Städten. Auch hier zogen sich Diskurse und Debatten sowie Festigungsprozesse im neuen Armenwesen nach der Reformation vielfach über Jahrzehnte hin. So z. B. in Mühlhausen,2983 Nordhausen,2984 Wittenberg2985 oder Frankfurt a.M.2986 Und auch für diese Städte kann nicht vom so häufig konstatierten Scheitern der nachreformatorischen Armutspolitik gesprochen werden.2987 So konnten sich etwa im nachreformatorischen Frankfurt a.M. »die Leistungen auf diesem Gebiet [der Armenfürsorge M.V.] durchaus sehen lassen.«2988 Ähnliches lässt sich für Nordhausen2989 und Nürnberg2990 feststellen, während in Regensburg »das Almosenamt weiterhin bedeutende sozialpolitische Leistungen für die Bedürftigen erbringen« konnte.2991 Lorentzen konnte überdies resümieren, »daß Bugenhagens Fürsorgekonzept funktioniert hat.«2992

2979 So z. B. 1550, 1638, 1642, 1742 und 1772. Vgl. zum 18. Jahrhundert vor allem: Albrecht, Armenvögte, S. 59. 2980 StadtA BS, G II 5 Nr. 43, Bl. 250v. 2981 So wurden etwa 1819–1829 pro Jahr im Schnitt lediglich 226 Bettler von den Armenvögten aufgegriffen, zwischen 1805–1819 lag die Zahl oftmals noch darunter. Vgl. Albrecht, Armenvögte, S. 73–74. 2982 Vgl. Boldt, Annette: Das Fürsorgewesen der Stadt Braunschweig in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Eine exemplarische Untersuchung am Beispiel des St. Thomae-Hospitals, Braunschweig 1988 (= Braunschweiger Werkstücke, 69), S. 316. 2983 Vgl. Mandry, Armenfürsorge, S. 181–202. 2984 Vgl. ebd., S. 123–136. 2985 Vgl. Arffman, Revolution, S. 42ff. 2986 Jütte, Armenfürsorge, S. 349. 2987 Auch die vermeintlich gesunkenen Almosenspenden nach der Reformation gehören endgültig in den Bereich des Klischees. Vgl. Hansen, Almosenordnungen, S. 284. 2988 Jütte, Armenfürsorge, S. 148. 2989 Vgl. Mandry, Armenfürsorge, S. 132. 2990 Vgl. Hannsen, Almosenordnungen, S. 284. 2991 Ebd., S. 285. 2992 Lorentzen, Bugenhagen, S. 438.

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4.9

Die reformatorischen Ideale im Diskurs 1528–1599

Der letzte große Kirchenstreit (1596–1599)

Bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts hinein hatte sich das Kirchenwesen Braunschweigs, wie in den vorigen Abschnitten dargestellt, überwiegend konsolidiert, auch wenn es hier und da noch kleinere Unstimmigkeiten gab. Allerdings kam es zum Abschluss des Untersuchungszeitraumes, in den Jahren 1596– 1599 noch ein letztes Mal zu einem grundsätzlichen Streit, der nahezu die gesamte Kirchenverfassung – inkl. Superintendent, Kolloquium, Predigerentlassung, konfessioneller Ausrichtung und Geistlichem Ministerium – in Frage zu stellen drohte. An ihm wird überdies der Zustand des Kirchenwesens zum Ende der Untersuchungszeit noch einmal exemplarisch vor Augen geführt, weshalb er zum Abschluss dieser Untersuchung dargelegt werden soll. Interessanterweise hat die Forschung diesen Konflikt bislang nahezu ignoriert, obwohl er in unvergleichlicher Quellendichte von beinahe tausend Seiten überliefert ist.2993 Sowohl politisch als auch kirchlich war Braunschweig Mitte der 1590er Jahre in eine unruhige Lage geraten. Ausgehend von den Konflikten mit Herzog Heinrich Julius hatte sich der Rat in Auseinandersetzungen mit den Bürgerhauptleuten eingelassen. Diese versuchten, immer mehr politische Mitspracherechte an sich zu reißen.2994 Zudem hatte der Theologe Samuel Huber Anfang der 1590er Jahre Braunschweig besucht und durch seine abweichende Lehre einen Keil in die dortige Geistlichkeit getrieben. Unter dem im Dezember 1594 antretenden Superintendenten Lukas Martini brachen nun verschiedene Konflikte hervor, u. a. deshalb, weil er ein auf Vermittlung und Ausgleich bedachter Superintendent war. Die orthodox-lutherische Geistlichkeit Braunschweigs war hiermit keinesfalls zufrieden und wünschte ein härteres Vorgehen gegen die »Ketzer« und »Huberisten«. Unterstützt wurde sie dabei von den Hauptleuten. Ein letztes Mal vor 1671 drohte der Kirchenverfassung damit ein Umsturz. Den Anlass zum Streit gab wie so häufig ein Gottesdienst. Am Sonntag den 24. 10. 15962995 trat der Pfarrer Melchior Leporinus auf die Kanzel zu St. Ulrici und hielt eine – für die ganze Stadt – folgenschwere Predigt.2996 In ihr wurde der Gemeinde die Huberische Rechtfertigungslehre ausgelegt, welche eine universale

2993 Zu den wenigen kurzen Erwähnungen der Streitigkeiten vgl. Rehtmeyer, Historiae IV, S. 162ff. Er lässt jedoch die Probleme innerhalb des Ministeriums gänzlich aus und beschreibt die Streitigkeiten verkürzt und sehr unkritisch aus Sicht der (antihuberischen) Prediger. Auch Spieß erwähnt den Vorgang in nur wenigen Sätzen. Vgl. Spieß, Nachmittelalter, S. 137–138. Zu den Quellen vgl. u. a. StadtA BS, B III 15 Nr. 10. 2994 Vgl. Walter, Rat, S. 54ff. 2995 Die Datumsangaben erfolgen hier gemäß den Quellen nach dem älteren Julianischen Kalender. 2996 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 60r. Er vertrat in dieser Predigt den Superintendenten.

Der letzte große Kirchenstreit (1596–1599)

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Rechtfertigung aller Christen beinhaltete.2997 Sie wandte sich damit gegen die lutherische Prädestinationslehre und folglich auch gegen die Konkordienformel und das stadtbraunschweigische Corpus Doctrinae.2998 Während Huber alle Christen für erwählt hielt, betonte die Konkordienformel: Prädestination aber oder ewige Wahl Gottes gehet allein über die Frommen.2999 Bereits seit Hubers Besuch in Braunschweig vor zwei Jahren waren Klagen laut geworden, Pfarrer Leporinus habe mehrfach Huberi bücher vnter die schulen gesteckt.3000 Der Rat nahm diese Predigt nun zum Anlass und ließ Leporinus und das Geistliche Ministerium am 27.10. auf das Rathaus laden. Der städtische Syndikus Dr. Broitzem teilte den Geistlichen mit, man solle sich zwar jeglicher Schelte von den Kanzeln gegen Leporinus enthalten, allerdings müsse das Ministerium den Zwist untereinander schnellstmöglich beseitigen. Tatsächlich versuchte das Ministerium nun zunächst aus eigener Kraft, eine Spaltung der Prediger zu verhindern. Am Tag darauf wurde Leporinus hierzu vor das Geistliche Kolloquium beschieden. Hier wurde ihm vorgeworfen, es ginge das Gerücht, als solte ehr absulutam praedestinationem oktruiret haben, vndt das alle menschenn sehlig werden musten, sie wehrenn juden, heiden, oder türcken.3001 Das Kolloquium wollte nun erfahren, ob Leporinus tatsächlich dieser huberischen »Ketzerei« anhänge. Leporinus wies dies entschieden zurück und behauptete, er habe lediglich die Gemeinde beruhigen wollen, weill ehr spüre, das viell geengstigter gewißen inn seiner pfar vorhanden, die eins gemeinen trostes bedürffen.3002 Dass Hubers Lehre ketzerisch sei, wäre überdies keinesfalls erwiesen. Da das Kolloquium Leporinus von seiner Meinung nicht abbringen konnte, verordnete der Rat zunächst ein einwöchiges Kanzelverbot für Leporinus und nutzte diese Zeit zu Beratungen. Das Protokollbuch des Ministeriums resümiert hierzu: Undè ortis in ministerio gravissimis disceptationibus contrà ipsum [= Leporinus] et M. Lucam Martini superintendentem, suspensus est ab officio die 29. octobris […].3003 2997 Vgl. Adam, Gottfried: Der Streit um die Prädestination im ausgehenden 16. Jahrhundert. Eine Untersuchung zu den Entwürfen von Samuel Huber und Aegidius Hunnius, Neukirchen-Vluyn 1970. 2998 Vgl. zum Braunschweiger Corpus Doctrinae: Mager, Corpus Doctrinae, S. 113. 2999 FC XI Nr. 4. Vgl. Bodemann, Friedrich W.: Evangelisches Concordienbuch […], Hannover 1843, S. 373 sowie die Neuedition: Dingel, Irene (Hrsg.): Die Konkordienformel, Göttingen 2014 (= Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Quellen und Materialien, 2), S. 1286. 3000 StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 106r. Er hatte auch Dr. Heshusius vor dessen Tod eine Apologie des Huber nach Hildesheim geschickt (Bl. 354r). Vermutlich handelt es sich dabei um den Sohn des bekannten Theologen Tilemann Hesshusen, dem Hildesheimer Superintendenten Heinrich Hesshusen (+ 1597). Vgl. dazu: Halvarson, Michael J.: Heinrich Hesshusius and confessional polemic in early Lutheran orthodoxy, Ashgate 2010. 3001 StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 70v. 3002 Ebd., Bl. 72r. 3003 StadtA BS, H III 7 Nr. 5, Vol. 2, pag. 143.

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Es lag dabei nicht zuletzt auch an den Prädikanten selbst, dass Leporinus seine Meinung nicht widerrief und am 29.10. suspendiert wurde. Man hatte im Kolloquium verlangt, Leporinus solle sich für den altar stellen, vndt publice […] wie dominus Bergius hatt thuen müssen, eine offendliche abbitt thuen.3004 Diese Form des Widerrufs war fraglos mit enormen Rufschädigungen verbunden. Am 3. 11. 1596 schickte das Ministerium eine Klageschrift gegen Leporinus an den Rat und beschwerte sich u. a. darüber, Leporinus habe gegen die Leges Ministerii des Geistlichen Ministeriums verstoßen, indem er mit Ketzern konspiriere.3005 Dies war ein fundamentaler Vorwurf, denn die Leges zählten seit 1557 bzw. 1571 zu den wichtigsten Schriften der Braunschweiger Geistlichkeit. Auch die Bürger beklagten sich nun öffentlich über Leporinus. Am 8.11. trat Henning Brabant als Sprecher der Hauptleute vor den Rat und bekannte, dass man Leporinus sowohl auf der Kanzel als auch im Beichtstuhl nicht mehr dulden würde, wen ehr schon auch revocirn würde.3006 Die kirchliche Angelegenheit war erstmals seit den 1530er Jahren somit nicht mehr allein eine Angelegenheit der Geistlichkeit oder des Rates, sondern auch die Bürger nahmen aktiv Anteil am Diskurs, indem sie von nun an Protestschriften einreichten.3007 Der Rat war folglich unter Druck und beschied Leporinus am 10.11. erneut auf die Münzschmiede, dem Tagungsort des Küchenrates. Dort musste er auf drei Fragen des Kolloquiums antworten: 1. Ob ehr das, so ehr geredt gestunde, 2. ob eß whar vnd ehr solchs gesagt, 3. ob ehr hinfüro mit jhnen lehren vnd reden wolte.3008 Nun gab Leporinus zu, dass er die huberische Predigt gehalten und sich mit diesen Worten unziemlich geäußert habe. Er widerrief sodann mündlich alle 12 Klagepunkte, die das Ministerium ihm zum Widerruf vorgelegt hatte. Rat und Ministerium zeigten sich zufrieden und es wurde ihm auferlegt, ein Widerrufrevers zu verfassen und sich öffentlich zu entschuldigen. Eine forma der abbitte wurde nun vom Rat ausformuliert und mit Leporinus’ Konsens dem Superintendenten zugestellt. Dieser sollte sie den Predigern weiterreichen, sodass Leporinus’ Widerruf von allen Kanzeln verkündet werden konnte. Am 14.11. wurde er schließlich öffentlich abgelesen.3009 Leporinus hielt sich jedoch angeblich nicht an den Revers und predigte weiterhin in gewohnter Weise. Der öffentliche Widerruf wurde zudem in der Kirche 3004 Ebd., Bl. 122r. Der Schulrektor zu St. Katharinen, Matthias Bergius, wurde seit 1580 verdächtigt, da er einen freien Willen in Glaubensentscheidungen attestierte. Die Lutheraner sahen hierin bereits eine an Major angelehnte Werkgerechtigkeit. Bergius widerrief 1580, wurde 1582 aber dennoch verwiesen. StadtA BS, B IV 11 Nr. 143, Bl. 17rff. 3005 StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 105r. 3006 Ebd., Bl. 86r. 3007 Eine Ausnahme stellte hier der Konflikt um den Prediger Andreas Möller dar, der ein Jahr zuvor stattgefunden hatte. Vgl. Kapitel 2.3.7. Dazu auch: Schorn-Schütte, Geistlichkeit, S. 420. 3008 StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 91r. 3009 Vgl. ebd., Bl. 428r.

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während seiner Abwesenheit verlesen, obgleich man verlangt hatte, dass er selbst seine Meinung öffentlich widerrufen solle, was insbesondere den Zorn des Superintendenten heraufbeschwor.3010 Nun wurde ihm am 18.11. befohlen, den Widerrufrevers mit 12 seiner »falschen« Behauptungen schriftlich zu unterzeichnen. Leporinus wand sich und bat um Bedenkzeit, doch als ihm diese abgeschlagen wurde, unterzeichnete er schließlich doch.3011 Er widerrief damit seine »ketzerischen« Behauptungen und versprach, sich diesbezüglich nicht mehr in der Öffentlichkeit zu äußern. Damit schien der Friede im Ministerium zunächst also wieder hergestellt. Zu einem städtischen Skandal weitete sich der Prozess um die huberische Lehre jedoch schon im nächsten Monat aus. Obgleich Leporinus seine Meinung widerrufen hatte, war der Superintendent Lukas Martini (1594–1599) nun ebenfalls den Lehren Hubers verdächtig geworden. Er hatte im Prozess um Leporinus zu sehr zu vermitteln versucht, weshalb man ihn der Anhängerschaft zum Huberismus bezichtigte. Zunächst plante Martini, hierüber im nächsten Kolloquium mit den anderen Predigern zu reden. Er verstieß nun jedoch gegen die Leges Ministerii und sprach vor der Sitzung mit den Prädikanten jeweils persönlich, um sie von seiner Ansicht der Rechtfertigungslehre zu überzeugen.3012 Dies war seit den Leges von 1557 verboten, denn solcherlei Absprachen unter Geistlichen gehörten vor das Kolloquium. Seit Nikolaus Medler3013 (1545– 1551) war Martini damit der erste Superintendent, der die Institution des Kolloquiums zu sprengen drohte. Die Prediger verweigerten eine Absprache mit dem Superintendenten hinter dem Rücken des Kolloquiums, sodass sich Martini gezwungen sah, doch eine Sitzung am 13. 12. 1596 einzuberufen. Allerdings nahm er selbst als Angeklagter nicht an diesem Kolloquium teil, sondern ließ seine Klagepunkte durch den Senior3014 des Ministeriums, Johann Guden, übermitteln. Der Superintendent fühlte sich von den Predigern schlecht behandelt, während diese in der Sitzung nun ihrerseits herausstellten, Martini hätte Leporinus im Huberskandal verteidigt, ja selbst versucht, die Prediger zum Huberismus zu bekehren. Als der Prediger Caspar Franckenberger dies verweigert und ihn einen Huberisten genannt habe, hätte Martini jn für dem gantzen ministerio, wie wir gehöret hetten, für einen schelm gescholten.3015 Nach einer weiteren Kolloqui3010 3011 3012 3013

Vgl. StadtA BS, H III 7 Nr. 6, pag. 111 [Tintenpaginierung]. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 136v. Vgl. ebd., Bl. 44v. Medler hatte durch seine wenig versöhnliche Art im Kolloquium starken Gegenwind erfahren, insbesondere durch den Prediger Johann Becker. Er beklagte sich über das Kolloquium hinweg direkt beim Rat (1547): Soltte aber diese weyß nit gehalten werden, so gedechte auch der superattendennt daß colloquium ferner nicht zu besuchen. StadtA BS, Revidenda Nr. 155 [o.P.]. 3014 Die Koadjutorenstelle vakierte Anfang 1597, weshalb damals der Senior zuständig war. 3015 StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 46r.

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umssitzung am 14.12. wurde tags darauf der Superintendent wieder hinzugezogen. Die drei Diskussionspunkte, welche Martini dem Kolloquium vorlegte, befassten sich mit nichts weniger als den Grundfesten der Braunschweiger Kirche: 1. Was das colloquium belange 2. Was kirchen vnd schulen betreffe vnd 3. Was seine person vnd leben angehe.3016 In der folgenden Diskussion zeigte sich deutlich, dass die von Chemnitz 1571 erweiterten Leges Ministerii lediglich auf dem Papier noch Bestand hatten. Der Superintendent klagte, die Prediger würden nicht pünktlich zu den Sitzungen des Kolloquiums erscheinen, bisweilen auch ganz ausbleiben. Überdies hätten sich innerhalb des Kolloquiums zwei Parteien gebildet, die sich unbrüderlich ins Wort fielen.3017 Es gäbe keinen Protokollanten und man trage im Kolloquium beratschlagte Interna entgegen der Leges nach außen weiter. Schließlich wäre es soweit gekommen, dass die Prediger ohne Erlaubnis des Superintendenten die collegas scholarum auf die Kanzel gelassen hätten, dem ministerio zum schmipf, da die leutt sagen, die baccalaurern konnen ja sowoll predigen alß die prediger selbst.3018 Am 16.12. kamen beide Seiten wieder zusammen, in der Zwischenzeit hatte sich das Kolloquium eine Antwort auf die drei Klagepunkte des Superintendenten überlegt. Bezüglich der Institution des Kolloquiums waren die Prediger mit dem Superintendenten einig, dass hinfort keiner mehr entgegen der Leges zu spät kommen dürfe, zudem sollte der demokratische Charakter wieder hergestellt werden: Jeder sollte reihum sein votum libre vnd vngehindert reden dürfen.3019 Auch der Superintendent solle aber demnach niemandem ins Wort fallen. Es sollte darüber hinaus die Stelle eines Protokollanten eingerichtet werden. In diesen Punkten kam man folglich zu einer leidlichen Übereinkunft. Das Schulwesen und die Person des Superintendenten betreffend sah es jedoch schwieriger aus. So habe Martini entgegen der Kirchenordnung die Vokation des Rektors zu St. Martini durchgebracht, obwohl die Mehrheit des Ministeriums dagegen gewesen sei.3020 Auch lasse er zahlreiche Predigten ausfallen und streite sich mit dem Rat über die Befugnis zur Beaufsichtigung der jährlichen Kurrendeabrechnung. Streitigkeiten, die vor das Kolloquium gehörten, würden durch ihn überdies entgegen der Leges vor das Konsistorium getragen, in deren Zuständigkeit sie aber keineswegs stünden. Schließlich seien seine Predigten verwirrend

3016 Ebd., Bl. 47v. 3017 Gemeint sind sicherlich Martini und Leporinus auf der einen und das übrige Kolloquium auf der anderen Seite. 3018 StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 48r. 3019 Ebd., Bl. 50v. 3020 Erst seit 1565 stand dem Kolloquium hier überhaupt ein Mitsprachrecht bei der Wahl der Schuldiener zu (vgl. StadtA BS, B IV Nr. 163, Bl. 132r und Kapitel 3.3.5). Die Kirchenordnung sieht dabei eigentlich gar keine Beteiligung der Geistlichen vor.

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und vielfach zu großen Teilen auf Latein, was doch seit der Reformation eigentlich unüblich sei.3021 Grundsätzlich ging es in dieser Phase des Streites also letztendlich weniger um die huberistischen Neigungen des Superintendenten, als um die Stellung seines Amts gegenüber dem Geistlichen Ministerium. Laut den Prädikanten hatte Martini versucht, mehr Einfluss an sich zu ziehen, indem er etwa allein über das Ministerialarchiv verfüge, Briefe an das Ministerium in eigener Person öffne und dem Rat die Beschlüsse des Kolloquiums in veränderter Form vortrage.3022 Man beschloss, die jeweiligen Klagepunkte zu überdenken. Nun trat jedoch Martini in einer Supplikation direkt an den Rat heran und brachte seinen Streit zwischen ihm und dem Prediger zu St. Ägidien, Caspar Franckenberger, vor die Obrigkeit. Die Ältesten gewährten Martini am 20. 12. 1596 zusammen mit seinem Kontrahenten Audienz.3023 Damit hatte er erneut gegen mehrere Leges verstoßen und zugleich die Autorität des Kolloquiums in Frage gestellt. Seit seiner Gründung im Jahr 1529 war das Geistliche Kolloquium als Institution niemals so sehr in Gefahr gewesen wie in diesem Monat. Es wandte sich notgedrungen ebenfalls an den Rat und klagte, dass die schöne ordnung vnsers colloquij, in welchs durch gotts gnade vom erbarn hochweisen rhat duch jren dohmalß christlichen vnd löblichen syndicum D. Levinum von Embden gestifftet, vnd bißer erhalten vnd gestützt ist worden, auch vom herrn D. Martino Chemnitio gefördert worden sei, sich nun in höchster Gefahr befinde.3024 Erneut versuchte der Rat zu beschwichtigen, doch wollten die Zwistigkeiten innerhalb des Kolloquiums nun nicht mehr aufhören. Der Küchenrat berief am 26. 1. 1597 eine weitere große Sitzung ein und forderte von jedem einzelnen Geistlichen eine ausführliche Stellungnahme, obwoll bißhero nicht gepreuchlich gewesen, das e[in] e[hrbar] r[at] sich in ihre irrungen leichtlich gesteckett hat.3025 Sowohl gegen den Superintendenten als auch gegen Leporinus wurden zahlreiche Klagen erhoben. Viele Gemeindemitglieder würden nicht mehr in Leporinus’ Predigt zu St. Martini gehen. Zudem hätten die Pastoren im Eichgericht bereits angezeigt, dass sich zahlreiche Bürger außerhalb der Stadt von ihnen die Sakramente reichen ließen, da sie Leporinus nicht mehr als lutherischen Pfarrer anerkannten.3026 Viele Prediger zeigten zudem an, dass sie sich bis auf weiteres nicht mehr am Kolloquium beteiligen würden, solange

3021 3022 3023 3024 3025 3026

Vgl. zu sämtlichen angeführten Klagen: StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 55v. Vgl. ebd., Bl. 56r. Vgl. ebd., Bl. 186. Ebd., Bl. 57v. Ebd., Bl. 4v. Vgl. ebd., Bl. 6v.

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Martini seine huberistische und calvinistische Lehre nicht widerrufe.3027 Das Corpus Doctrinae sei außer Gebrauch gekommen, die neuen Schuldiener seien nicht mehr gezwungen worden, es zu unterzeichnen.3028 Der Superintendent wies die Anschuldigungen großteils zurück, bekam aber vom Syndikus Bedenkzeit für eine ausführliche Antwort. Währenddessen sollte ein politischer friede erhaltenn werden.3029 Auch die ausführlichere Antwort Martinis lehnte nahezu alle Anklagepunkte des Ministeriums ab, insbesondere einzelne häretische Aussagen, die er laut Ministerium angeblich geäußert habe (etwa, dass man aus der Konkordienfomel keinen Abgott machen dürfe). Er sei im Dezember gezwungen gewesen, sein »Refugium« direkt zum Rat und nicht erst zum Kolloquium zu nehmen, da sich die Prediger wider ihn zusammengerottet hätten. Damit habe er nicht willentlich entgegen der Leges gehandelt. Nun wurde der Ton freilich schärfer. Das Ministerium beklagte sich, der Superintendent müsse wohl labili memoriae sein, wenn er seine Aussage zur Konkordienformel nicht mehr wisse; zusammengerottet hätten sich die Prediger zudem wohl nicht.3030 Auch warfen sie Martini indirekt vor, seine Predigten seien nicht besser als die eines Dorfpfarrers. Das zentrale Konfliktpotential lag jedoch nach wie vor in den institutionellen Fragen des Geistlichen Ministeriums begründet. Alle Klagepunkte des Ministeriums manifestierten sich letztendlich in der Behauptung, der Superintendent sähe sich nicht als Mitbruder unter Brüdern, sondern beanspruche mehr Machtbefugnisse – auch innerhalb der Kolloquien. Dies widersprach jedoch dem Kern der Leges Ministerii, in welcher jedem Prediger exakt die gleichen Rechte im Kolloquium zukamen. Jede Stimme galt demnach in demokratischen Abstimmungsprozessen gleich viel, vom Prediger der geringsten Pfarre (ULF, St. Michaelis) bis zum Superintendenten. Martini versuchte dies umzustoßen und an diesem Punkt konnte man sich nur schwerlich einig werden. Während die Prediger an den Leges Ministerii festhielten und eine einheitliche Gewichtung aller Stimmen vertraten, wollte Martini eine Zweiteilung des Kolloquiums erreichen: Superintendent und Koadjutor sollten der höherwertige Teil des Kolloquiums sein, die Prädikanten der mindere Teil.3031 Auch dem Rat konnte ein solcher Machtzuwachs des Superintendenten keinesfalls behagen – nicht umsonst waren die Superintendenturen von Hannover (1560), Magdeburg (1562) und Hamburg 3027 Man bezichtigte ihn u. a. des Calvinismus, da er gepredigt hatte, wer ohne vorherige Buße zum Abendmahl gehe, empfange lediglich Brot und Wein. Zudem hatte er gute Beziehungen zu den Syndiki Dr. Mascus und Dr. Dauten, die nach zeitgenössischer Meinung dem Kryptocalvinismus zugeneigt waren. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 13v. 3028 Vgl. ebd., Bl. 18v. 3029 Ebd., Bl. 21v. 3030 Ebd., Bl. 28v. 3031 Vgl. ebd., Bl. 35r.

Der letzte große Kirchenstreit (1596–1599)

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(1593) bereits abgeschafft und durch Seniorenstellen ersetzt worden, während jene in Goslar gerade zur Debatte stand und kurz darauf (1599) ebenfalls aufgelöst wurde.3032 Da sich beide Seiten nicht einig werden konnten, wurden Ministerium und Superintendent am 4. und 5. 2. 1597 nochmals zugleich vor den Rat geladen. Leporinus konnte nun das Ministerium – bis auf zwei Prediger – vorerst davon überzeugen, dass er kein Huberist sei. Er gab zwar zu, Huber in Schutz genommen zu haben, doch hieße dies nicht, dass er mit dessen Lehre übereinstimme. Schließlich habe er nur moderati consilia gebrauchet, darumb müsten sie es ihm so nicht deuten, als wenn darauß folgete, das ehr mitt Huber einig.3033 Die Prediger akzeptierten diese Erklärung vorerst. Doch nun schaltete sich auch die Gemeinde in Gestalt der Hauptleute ein.3034 Trotz der brisanten Konfliktsituation hatte der Rat zu diesem Zeitpunkt weder Gildemeister noch Hauptleute in die Verhandlungen mit den Geistlichen einbezogen, wie man es noch 1529 und 1531 getan hatte: ein erneutes Zeichen ihrer geringen Bedeutung in der Kirchenverfassung. Die Hauptleute beklagten sich nun kollektiv in einem Schreiben vom 7. 2. 1597 beim Rat. Es handele sich bei diesem Streit um einen Konflikt, der die gesamte Kirche und den Glauben betreffe, weshalb es nicht ein geringe werck vndt schlechter handel sein müsse, der vns aber vndt dieser gantzen christlichen gemeine vorschwiegen sein vndt heimlich gehalten werden solle.3035 Martini und Leporinus müssten möglichst umgehend entlassen und die alte Kirchenverfassung gemäß KO und 69-jährigem Vertrag wieder eingehalten werden.3036 Der Rat habe bisher zu nachlässig gehandelt, das könne man als Gemeinde nicht länger dulden, da es die ganze Kirche und somit auch die Gemeinde etwas angehe: Dan wir für vns, vndt wegen der gantzen christlichen gemeine mit nichten, vnd keines weges wissentlich gedulden vndt leiden wollen, das einige falsche jrrige verfüerte vndt vordambte lehre, vndt lehrere, auch in den allergeringsten glaubens articuln in dieser kirchen sollen eingefüert, vnd gelitten werden, sondern wollen durch flehen, erinnern, vermanen, verwarnen, suchen vndt pitten, ja im falle der nott, wan solches vber zuver3032 Vgl. die entsprechenden Literaturangaben in Kapitel 5.2. 3033 StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 210v. In diesem Disput wird demnach eine frühe irenische Haltung Martinis ersichtlich, die von den orthodox-lutherischen Braunschweigern freilich als calvinistisch ausgeschrien werden musste. So gab Martini an: Das ehr Huber für einen ketzer nicht außgeschrieen habe, das mache seine moderatio, dann Huber sei vnter den calvinisten gewesen vnd von denn Tubingensibus lieb gehaltenn, so wehren wir auch menschen der heuchstehe konne morgen fallenn. Vgl. ebd. 3034 Inwiefern hier die Hauptleute tatsächlich die »Gemeinde« repräsentieren, ist in der damaligen politischen Situation schwerlich auszumachen, da die Hauptleute durchaus auch eigene machtpolitische Interessen vertraten. Vgl. Walter, Rat, S. 63–71. Laut Stadtverfassung vertraten sie jedoch als einziges Organ die Gemeinde, weshalb man hier trotz gebührender Vorsicht von einer Intervention der gemeindlichen Vertreter sprechen kann. 3035 StadtA BS, B III 15 Nr. 9,1, Bl. 6r. 3036 Vgl. ebd., Bl. 10r.

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sicht nicht helffen solte, wollen, mit darsetzung leibes, ehre gutes, vndt blutes, die reine vndt vnvorvelschete lehre heiligs godtlichs wordtes, wie die von allen glaubensarticuln jn dieser loblichen kirchen mit einem geiste vndt munde bißanhero ist geführett vndt getrieben, helffen vortetigen vndt erhalten.3037

Damit war das erste Mal seit den 1540er Jahren das Motiv des Einsatzes von Leib und Gut für den Glauben wieder als Argument durch die Gemeinde vorgebracht worden. Überdies erbaten die Hauptleute alle bisherigen Akten, Protokolle und Bekenntnisse der Verhandlungen in Kopie. Das scheint der Rat rundheraus abgelehnt zu haben. Jedenfalls hielt er die Hauptleute und Gildemeister weiterhin von den nachfolgenden Verhandlungen fern. Der marginale Einfluss der Gemeinde im nachreformatorischen Kirchenwesen Braunschweigs tritt demnach an dieser Stelle nochmals klar zutage. Währenddessen kam die Kirche nach wie vor nicht zur Ruhe. Schon am 25. 2. 1597 mussten Ministerium und Superintendent erneut vor dem Rat erscheinen, da wiederum Streitigkeiten ausgebrochen waren. Der Superintendent weigerte sich wieder, seine Ansichten zu revociren, da es nichts in seiner Lehre gäbe, das des Widerrufs würdig sei. Wie zuvor wurde das Ministerium ungehalten, konnte Martini jedoch nicht zum Widerruf seiner »irrigen« Lehre bewegen. Der Rat wusste anhand der Aussagen bzgl. Martini nicht mehr weiter: Das ehr privatim Hubers lehre verthedigenn wolle, ehr sage nein, sie sagtenn jha, wer habe denn nun recht?3038 Schließlich nahm der Rat dann doch die Sache in die Hand. Man solle nicht so kleinlich sein, auch vorherige Superintendenten hätten ehemals bereits mit abweichenden Lehren3039 geliebäugelt, man müsse auch vergeben können. Dem Superintendenten wurde nun vom Rat aufgetragen, KO und Corpus Doctrinae anzuerkennen, sich sämtlicher Huberischer Aussagen zu enthalten und den Frieden im Ministerium wiederherzustellen. Martini sagte dies zu und auch die Prediger erklärten sich notgedrungen einverstanden; beide Seiten gaben sich nun förmlich die Hände. Der Protokollant notierte: Damit dann also diese hendell zugrunde vertragen seien.3040 Er sollte sich jedoch irren. Am 10. 6. 1597 heiratete der Sohn des Predigers Johann Lossius zu St. Martini. Eingeladen waren zu diesen mehrtägigen Hochzeitsfeierlichkeiten u. a. der Senior, die Prädikanten und die Schulmeister der Stadt. Auf dieser Hochzeit unterhielt sich Melchior Leporinus mit dem Schreibschulmeister Franz Beyer über dessen Lehrbücher und kam hierüber auch erneut auf seinen Revers vom November letzten Jahres zu sprechen. Der Rat erfuhr dies und ließ die wichtigsten 3037 Ebd., Bl. 7v–8r. 3038 Ebd., Bl. 224r. 3039 Gemeint ist hier vor allem der Ubiquitätsstreit der 1580er Jahre und die Haltung Polycarp Leysers hierzu. 3040 StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 239v.

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Zeugen dieses Gesprächs am 17.6. vorladen. Es wurde befürchtet, Leporinus habe den unterschriebenen Revers gebrochen, indem er öffentlich über diese Thematik geredet habe.3041 Leporinus wurde kurz ermahnt und der Prozess umgehend wieder eingestellt: Der Rat stand mittlerweile deutlich auf der Seite von Leporinus, nachdem dieser revocation zu zweien mahlen, jn versamblung vieler tausend menschen getahn hatte.3042 Über das Ministerium und dessen Kleinlichkeit war man im Rat zunehmend verärgert. Bereits fünf Tage darauf, am 22. 6. 1597, wurde aber erneut das ganze Ministerium vor den Rat geladen. Dieser warf den Geistlichen nun vor, es gäbe zwei Punkte, die im Frühjahr Streit hervorgerufen hätten – einmal jener der falschen Lehre (Huberismus), zum anderen die Nichteinhaltung der Leges Ministerii. Ersterer Aspekt wäre im Februar ausreichend behandelt worden, nun würde jedoch im Ministerium weiterhin über die Leges und die Kirchenverfassung gezankt. Der Rat wolle einen neuen Koadjutor einstellen – diesen wolle er jedoch nicht in dieser angespannten Situation bestallen. Die Prediger sollten sich daher zuvor wieder vertragen.3043 Tatsächlich wurde dem Rat nun am 23. 6. 1597 ein Vertrag (formul pacificationis) vorgelegt, den das Ministerium ausgearbeitet hatte. Er beinhaltete grob zusammengefasst eine erneute Verpflichtung auf das Corpus Doctrinae sowie die Leges Ministerii von 1557 und 1571.3044 Die später vom Superintendenten Polycarp Leyser ausgearbeiteten Leges verwarf man hingegen, was den Rat verwunderte, da die Prediger diese doch fast alle unterschrieben hatten.3045 Dennoch akzeptierte er den Entwurf der Geistlichen und wollte lediglich drei Worte aus dem Vertrag streichen lassen, womit sich Martini im Namen des Ministeriums einverstanden erklärte. Obgleich das Ministerium in den letzten beiden Jahren als Schlichtungsinstanz wenig erfolgreich gewesen war, gewährte der Rat diesem künftig nach wie vor das Strafamt: Die straffe annlangend ließe e[in] e[hrbar] r[at] dieselbe beim colloquio, wenn nicht grobe excess die politischer weise müsten gestraffet werdenn.3046 Damit beließ der Rat dem Ministerium zugleich eine Strafbefugnis der Prädikanten untereinander, sofern sie amtliche Belange be3041 Vgl. ebd., Bl. 198r. Auch wurde ihm vorgeworfen, er habe vergangenen sonabend zue einer frawen jm beichtstuel wortter gered, die dem revers zuwieder wehren (ebd., Bl. 197v). 3042 Ebd., Bl. 427v. 3043 Vgl. ebd., Bl. 241v. 3044 Obgleich Martini kurz darauf gestand, dass man Mörlins Leges von 1557 nicht in ehe hette und Mörlinus nhur 4 leges auffgesetzet, die inn des Chemnitii legibus stünden (StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 249r). 3045 Ebd., Bl. 247v. Martini erwiederte einer oder vier hetten sich daran gestoßen (Bl. 248v), zudem beschwerte sich der spätere Superintendent Wagner, es wären Leysers leges auch arbitraio (Bl. 250r). 3046 Ebd., Bl. 248r. Gemeint waren hiermit jene Belange, die in der policeiordnung (1573) verfasst waren.

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trafen (Predigtversäumnis, Lästerung, verspätetes Erscheinen, etc.). Rottiererei und Schwärmerei wurden ebenso verboten, wie ein Verstoß der Leges Ministerii. Reihum wurde nun jeder Prediger aufgefordert, seine Meinung zum Vertrag anzugeben – alle Anwesenden waren mit ihm zufrieden. Als amtliches Dokument wurde der Vertrag auch vom städtischen Sekretär kopiert, ratifiziert und verwahrt.3047 Kurz darauf ließ man nun auch den neuen Koadjutor Kaufmann ins Amt einführen. Der Rat wurde allerdings in seinen Erwartungen an die Geistlichkeit wie so oft enttäuscht, denn der Vertrag vom 23.6. wurde bereits in den Folgemonaten vielfach gebrochen. Am 13.10. beschwerte sich z. B. Magister Leporinus bei den Bürgermeistern, die Prediger Frankenberger und Völckerling hätten ihn in ihren Predigten mehrmals verunglimpft, sodass einige Gemeindemitglieder nicht mehr bereit wären, bei ihm Taufe, Beichte oder Abendmahl zu empfangen.3048 Dementgegen hatte Leporinus angeblich nicht von seiner huberistisch inspirierten Theologie abgelassen und am ersten Advent 1597 Römer 5 entsprechend ausgelegt.3049 Auch war Superintendent Martini seit Herbst 1597 heftig erkrankt und konnte sein Amt nicht mehr ausüben.3050 Er wurde aber weder von den Predigern besucht, noch gedachten sie seiner in Fürbitten auf der Kanzel, was den Rat verstimmte und den Streit im Ministerium nur noch mehr verdeutlichte.3051 Für Unruhe sorgte nun allerdings viel mehr, dass die Prediger sich entgegen des Vertrags vom 23.6. in die politischen Händel der Stadt durch Strafpredigten einmischten, in denen der Rat offen angegriffen wurde.3052 Dieser sei u. a. für die Duldung falscher Prediger und damit für die Spaltung des Ministeriums verantwortlich, habe zudem Prediger Müller3053 zu Unrecht entlassen.

3047 Vgl. ebd., Bl. 250r. Beide Orginialverträge haben sich erhalten! Das Exemplar der Stadt befindet sich eingebunden unter: StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 327f. Jenes des Geistlichen Ministeriums unter: StadtA BS, B IV 11 Nr. 69, Bl. 18r–20r. Zum genauen Inhalt vgl. Kapitel 2.1.5. 3048 So wären etwa die schwarzkopfschen Kinder vor Kurzem nicht mehr bei ihm, sondern auf dem Land getauft worden – der Pfarrzwang wurde damit einfach umgangen! Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 254v. 3049 Vgl. ebd., Bl. 263r. Aus späteren Akten geht hervor, dass es sich insbesondere um Röm 5,18 gehandelt hat. Auch hatte er ein (angeblich) huberistisch verfasstes Buch nach Frankfurt zum Druck geschickt (Bl. 345r). 3050 Martini sollte sein Amt nie mehr ausüben. 1598 wurde er krankheitsbedingt suspendiert und starb im Folgejahr (1599). Bis Dezember 1606 blieb die Superintendentur vakant. 3051 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 258r. 3052 Hier tat sich neben dem Koadjutoren vor allem M. Völckerling hervor, der verlangte jhre erb[ar] w[ürden] soltten buße thun, so würde der friede kommen, wo nichtt würde die straffe nicht außenbleiben. Ebd., Bl. 276r. 3053 Vgl. Kapitel 2.3.7.

Der letzte große Kirchenstreit (1596–1599)

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Der Rat konnte ein solches Vorgehen freilich keineswegs tolerieren und rief das Ministerium am 22. 12. 1597 erneut auf der Münzschmiede zusammen.3054 Verschiedenste verfeindete Gruppen innerhalb der Geistlichkeit kristallisierten sich bei den nun folgenden Verhandlungen heraus: Der Superintendent und Leporinus wurden von Völckerling, Frankenberger und dem neuen Koadjutor beschimpft, letzterer (ein frecher man) lag wiederum mit dem Senior in argem Streit, der von Magister Deneke und dem Superintendenten unterstützt wurde.3055 Alle Seiten warfen sich jeweils vor, den Revers gebrochen zu haben. Das Problem, so der Senior, sei aber im Grunde genommen vor allem, dass man keine Führung innerhalb der Geistlichkeit mehr habe, jeder mache was er wolle und der rhat solle nicht macht haben, sie forzufordern, denn dies habe ihm eigentlich noch nie zugestanden und sei gegen die Kirchenverfassung.3056 In den nächsten beiden Tagen fanden weitere Sitzungen statt, in denen sich der Rat aufs Höchste bei den Predigern beklagte, eine Lösung fand man allerdings nicht; so wurden die Probleme aufs neue Jahr vertagt. Der Rat bat die Pfarrer, über Weihnachten nicht gegen die Obrigkeit zu predigen, was diese auch einhielten.3057 Erst am 26. 1. 1598 setzte man sich wieder zusammen. Die Streitigkeiten waren so weit fortgeschritten, dass man ernstlich in Erwägung zog, das geistliche Kolloquium abzuschaffen, denn mit itzigen colloquijs [sei] nicht viell genützt oder gedienet.3058 Zeitweilig setzte man das Kolloquium auch tatsächlich aus. Zu einer dauerhaften Auflösung der Institution kam es letztlich aber dann doch nicht. Denn in der Folgezeit ließen die innerlichen Zwistigkeiten im Ministerium sukzessive wieder nach. Die Gründe hierfür sind einerseits in der Abwesenheit des Superintendenten zu suchen, der seit Herbst 1597 krankheitsbedingt amtsunfähig war und deshalb am 24. 7. 1599 gegen eine Abfindung auch offiziell suspendiert wurde.3059 Andererseits ließ man am 27. 10. 1598 den umstrittenen Prediger Melchior Leporinus schließlich doch aus Braunschweig ziehen.3060 Er hatte trotz der obigen Verhandlungen weiterhin für Unmut gesorgt, u. a. durch angedrohte Verweigerung einer Kindstaufe im August 1598.3061 So ließen denn im September auch weitere Beschwerden des Ministeriums vor dem Rat nicht lange 3054 Insbesondere das von den Predigern gebrauchte Strafamt wurde hierbei kritisiert. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 259r. 3055 Ebd., Bl. 267r. Der Koadjutor wollte zudem auch Leporinus hinaus predigen, dann ehr wehr ein schwermer. Ebd., Bl. 278v. 3056 Ebd., Bl. 267v. 3057 Vgl. Ebd., Bl. 340r. 3058 Vgl. ebd., Bl. 349v. 3059 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 20, Bl. 24r. Martini starb noch im November selben Jahres. 3060 Vgl. Beste, Album, S. 35; Rehtmeyer, Historiae IV, S. 189. 3061 Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 12, Bl. 561v. Die Motive waren hier jedoch freilich nicht täuferischer Natur – Leporinus fühlte sich lediglich durch den Sprachlärm im Gottesdienst belästigt und verweigerte daher die Taufe.

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Die reformatorischen Ideale im Diskurs 1528–1599

auf sich warten.3062 Der Rat konnte dies auf Dauer nicht mehr hinnehmen und drängte den streitsüchtigen Prediger im Oktober zum Rücktritt. Mit Leporinus ging eine der Hauptursachen für die Unzufriedenheit innerhalb des Ministeriums: Der Vertrag vom Juni 1597 wurde jetzt überwiegend eingehalten. Während der Koadjutor Kaufmann das Ministerium somit intern wieder in ruhigere Fahrwasser führte, begann ab Herbst 1598 ein intensiver Streit zwischen dem Ministerium einerseits sowie Rat und Bürgerhauptleuten andererseits.3063 Hauptgegenstand war das geistliche Bestrafungsrecht, welches den Predigern nach eigenem Dafürhalten uneingeschränkt zustand. Diese Konflikte mündeten zwar schließlich in der Exkommunikation sämtlicher Bürgerhauptleute durch das Ministerium, stellten aber immerhin die konstitutionelle Verfassung desselben nicht mehr in Frage.3064 Nach den oben dargelegten Konflikten der Jahre 1596–1599 war der Rat offensichtlich zunächst unsicher, ob er die Superintendentur rasch – bzw. überhaupt – wieder besetzen sollte. Entsprechend trat eine lange, siebenjährige Vakanz ein, die erst 1606 durch die Berufung Johannes Wagners zum Superintendenten beendet wurde. Nachdem mit Kolloquium, Ministerium und Superintendentur letztmalig zentrale Bestandteile des nachreformatorischen Kirchenwesens in Braunschweig zur Debatte gestanden hatten, war die alte Ordnung folglich ab 1606 wieder dauerhaft hergestellt: Fortan sollte sie bis 1671 nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt werden.

3062 Vgl. ebd., Bl. 602v. 3063 Erste Vorladungen vor den Rat erfolgten ab dem 20. 11. 1598. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 393r. 3064 Vgl. Helmuth, Anteil.

5.

Fazit

5.1

Implementation der Reformation in Braunschweig

Vornehmliches Ziel dieser Arbeit war es, die Entwicklung und Ausgestaltung der Braunschweiger Kirchenverfassung nach Einführung der KO in ihren systematischen Einzelaspekten herauszuarbeiten. Bewusst wurde mit Braunschweig eine Stadt gewählt, in der konfessionelle Streitigkeiten schon wenige Jahre3065 nach der Reformation nur noch eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Dadurch wurde der Fokus dieser Untersuchung verstärkt auf die Ausgestaltung der nachreformatorischen Stadtverfassung samt begleitender Personengruppen und Diskurse gelenkt. Zunächst kann für Braunschweig festgehalten werden, dass die mit der Reformation verbundenen Wandlungsprozesse in einigen Punkten durchaus an vorreformatorische Entwicklungen anknüpften; auch Frömmigkeitspraktiken wurden bisweilen in angepasster Weise weiter fortgeführt. Ersteres war etwa im kirchlichen Fürsorgewesen der Fall: So behielten die Klöster St. Ägidien und Riddagshausen auch nach der Reformation ihre festgelegten Almosenspenden vor den Klostertoren weiter bei. Neben den Kollegiatstiften blieben zudem die beiden größeren Kalande nach der Reformation bestehen und übten zumindest ihre karitative Aufgabe durch Spenden nach wie vor aus. Selbst die vor der Reformation übliche Vergabe von Vikarspfründen als Schulstipendia wurde nach 1528 beibehalten und sogar ausgebaut. Altkirchliche Bittprozessionen wurden abgeschafft, dagegen aber entsprechende Bitt- und Betgottesdienste eingeführt, welche die entsprechende Frömmigkeitspraxis nachweislich zu einem gewissen Teil fortführen sollten.3066 Schließlich wurde auch die seit längerer Zeit ange3065 In Braunschweig hat es seit 1535 stadtintern bis auf wenige Ausnahmen keine konfessionellen Konflikte mehr gegeben. 3066 So sollten die Pfarrer und Prediger künftig procession vnd heilgentracht nicht halten, sonder bethfarten halten, darjnnen zubitten, vor […] stettigen friden vnd die frucht des feldes etc., wie den Braunschweiger Landgeistlichen 1540 angesagt wurde. Vgl. NLA WF, 1 Alt 29, Nr. 64, Bl. 4r.

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Fazit

strebte Verfügungsgewalt des Rates über Kloster-, Vikar- und Kirchengüter weiter intensiviert. Die Reformation und ihre langfristigen Durchsetzungsprozesse führten hierbei ein seit dem Spätmittelalter kontinuierlich zunehmendes Bestreben des Rates fort, seine Kontrolle über die Kirchengüter sowie die Sozialund Bildungsfürsorge sukzessive auszubauen. Trotz solcher Kontinuitäten stellte die Reformation aber zweifellos einen tiefgreifenden Einschnitt in die Kirchenverfassung dar. Dass die Neuerungen der Reformation 1528 nicht umgehend durchgesetzt werden konnten, sondern noch ein enormer Regelungsbedarf bestand, ist ein zentrales Untersuchungsergebnis dieser Arbeit. Erstaunlich ist dies vor allem, da Braunschweig doch hinsichtlich seiner Kirche so rühmlich ausgezeichnet wurde3067 – wie auch Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts immer wieder betonten.3068 Dass im Anschluss an die Reformation längst nicht alles sofort lief wie erhofft, verdeutlichen indessen die folgenden Aspekte: 1a. Gerade in der Anfangszeit nach 1528 traten zahlreiche Probleme bei der faktischen Umsetzung der KO auf. Diese betrafen bis 1532 einerseits die konfessionellen – vor allem aber andererseits die ökonomischen sowie rechtlichen – Streitigkeiten. Folgende Schwierigkeiten ließen sich diesbezüglich feststellen. Finanzierung. Die Finanzierung des neuen protestantischen Kirchenwesens war von Beginn an gefährdet und führte noch über zwei Generationen hinweg zu enormen Problemen. Insbesondere Unterhalt und Rechtsstatus3069 von Superintendent, Koadjutor, Predigern und Lehrern waren 1528 nicht geklärt worden und boten noch das gesamte 16. Jahrhundert hindurch Anlass zu vielfachen Reibereien. Die Gehälter waren im Verhältnis zu niedrig angesetzt worden und verloren überdies aufgrund der Inflation des 16. Jahrhunderts stetig an Wert.3070 Die Entwicklung einer organisierten Pfarrwitwenversorgung, die neben Wittum und Gnadenhalbjahr eine jährliche Unterstützung von zehn Gulden und zwei Scheffel Korn beinhaltete, zog sich bis in die 1590er Jahre hin. Besonders problematisch für den Unterhalt der Kirchendiener waren vor allem die Jahre kurz nach der Reformation, da hier noch nicht in größerem Umfang auf die Geldmittel der altkirchlichen Institutionen zurückgegriffen werden konnte. Umgang mit altkirchlichen Institutionen und Stiftungen. Um das neue Kirchenwesen unterhalten zu können, benötigten Rat und Kastenherren hohe Geldsummen. An diese plante man 1528 gemäß Kirchenordnung über die Auf3067 Ribbentrop, Geschichte, Bd. 2, S. 62. 3068 Vgl. Mager, Testament, S. 125–126. 3069 Gemeint ist hier das Bürgerrecht und die Frage nach der Schoßfreiheit der Geistlichen. Vgl. Kapitel 2.1.9.5. 3070 Während etwa ein verheirateter Braunschweiger Prediger 1531 nur 45 Gulden erhielt, bekam sein Lüneburger Kollege bereits 120 Gulden ausgezahlt. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 2.1.9.1 und Grafik 4. Zur Lüneburger Besoldung vgl. Gerecke, Studien II, S. 82.

Implementation der Reformation in Braunschweig

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lösung altkirchlicher Institutionen und den Einzug ihrer Vermögensmassen zu gelangen. Allerdings zog sich dieser Prozess teils über Jahre und Jahrzehnte hin und kam aufgrund der altkirchlichen Widersacher wiederholt ins Stocken: Vikarien und Memorien konnten erst Jahre nach der Reformation eingezogen werden, da deren Besitzer sich standhaft weigerten, ihre Rechte an den Einkünften aufzugeben. Aufgrund mangelnder Übersicht der neuen Kastenherren konnte mit diesem Einzug ohnedies erst seit den 1530er Jahren begonnen werden – bei den Vikarien zog er sich nachfolgend bis in die 1570er Jahre hin.3071 Da der Rat zudem die Patronatsrechte über die Stadtpfarreien mit Ausnahme von St. Michaelis bis 1528 nicht erlangt hatte, musste man sich auch hier noch über vierzig Jahre gedulden, bis entsprechende Einnahmen aus den Pfarrpfründen der städtischen Kommune vollständig zugute kamen – währenddessen blieben die altgläubigen Pfarrherren bis in die 1570er Jahre offiziell im Amt.3072 Anfänglich standen somit neben den Einkünften des Ägidienklosters3073 lediglich die Einnahmen aus dem Verkauf der vasa sacra und des Messornats sowie der relativ rasch aufgelösten Bruderschaften zur Verfügung. Während die Auflösung der Bruderschaften kaum Gewinne versprach,3074 waren die Verkaufserlöse von vasa sacra und Messornat zweckgebunden: Sie wurden auf Druck der Gemeinde zur Schuldentilgung (vasa sacra) bzw. zum Kornankauf und Wegebau (Messornat) verwendet. Es verwundert daher nicht, dass sich auch in den Jahren und Jahrzehnten nach der Reformation zahlreiche Auseinandersetzungen um die Kirchengüter nachweisen lassen, da die Einnahmen der Schatzkästen auf lange Zeit hin noch eher gering blieben. Am konfliktreichsten gestaltete sich hierbei allerdings der Umgang mit den herzoglichen Stiften. Da diese unter herzoglichem Patronat standen, konnte eine reformatorische Umgestaltung beider Einrichtungen erst nach der Vertreibung des Herzogs ab 1542 beginnen. Bei der Lösung obiger Probleme wurde bis in die späten 1530er Jahre immer wieder Urbanus Rhegius hinzugezogen, den die Braunschweiger auch gerne über einen längeren Zeitraum in der Stadt behalten hätten.3075 Die nicht unbedeutende Rolle des Celler Reformators bei der Festigung der Braunschweiger Reformation ist bis heute nahezu vollständig übersehen worden. 1b. Als problematisch erwies sich aber nicht nur die Umsetzung der präzise formulierten Artikel in der KO. So stellte sich schon bald die Frage, wie man jene Aspekte näher ausgestalten sollte, die Bugenhagen bloß schematisch umrissen oder gar vollständig unerwähnt gelassen hatte. 3071 3072 3073 3074

Vgl. Kapitel 2.2.8.1. Vgl. Kapitel 2.3.1 und 2.3.2 sowie Tabelle 2 im Anhang. Um diese wurde freilich ebenfalls mit den Herzögen heftig gestritten, wie zu sehen war. Die reichen Verbindungen stellten die Kalande dar: Ihre Gelder gelangten jedoch erst weitaus später in den Besitz der Stadt. Vgl. Kapitel 2.2.7. 3075 Vgl. Kapitel 4.1.

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Fazit

Bildung neuer Institutionen. Besonders bei der Bildung neuer Institutionen traten die Defizite innerhalb der Kirchenordnung rasch zutage. Bugenhagen war noch davon ausgegangen, dass der Rat künftig schlechterdings alle Aspekte des Kirchenwesens dirigieren sollte. Aufgrund der zeitlichen Inanspruchnahme konnte dies aber auf Dauer keine praktikable Lösung sein. Zahlreiche Überlastungsklagen des Rates demonstrieren dies eindrücklich.3076 Den überwiegenden Teil des neuen Kirchenwesens machten daher zum Ende des 16. Jahrhunderts neben den Schatz- und Armenkästen vor allem drei neue Institutionen aus: Das Geistliche Ministerium, das Konsistorium sowie die Kurrende. Keine dieser Einrichtungen wurden in der KO auch nur erwähnt. Insofern mussten die Zuständigkeiten dieser Institutionen, welche sich vornehmlich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bildeten, neu festgelegt und ausgehandelt werden – im Falle des Konsistoriums auch gegen den opponierenden Herzog. Bei den Verhandlungen der neuen Institutionen ließen sich vor allem der Küchenrat, die Kastenherren (als geschlossenes Gremium) sowie die Superintendenten Medler, Mörlin und Chemnitz als maßgebliche Akteure nachweisen. Nahezu alle institutionellen Neuerungen seit den 1550er Jahren bewegten sich damit im Spannungsfeld von Rat, Kirchenvertretern – als Mittlerinstanz – und Geistlichkeit. Vor allem während der 1560er/70er Jahre erstritten sich die Prediger und Superintendenten in den Generalkolloquien gegen Kastenherren und Rat immer umfangreichere Rechte für ihr Ministerium. Allerdings wurden diese nicht schriftlich fixiert und boten als Gewohnheitsrechte vielfach Anlass zu Auseinandersetzungen. Hinsichtlich des Konsistoriums konnten solche Konflikte nicht festgestellt werden. Obgleich auch hier die Befugnisse nie schriftlich fixiert wurden, gab es seit dessen Einrichtung 1561 kaum Zuständigkeitsklagen: Matrimonialsachen und Kirchenzucht sowie kirchliche Mandate gehörten unangefochten in dessen Zuständigkeit, sofern das Ministerium zuvor als Schlichtungsinstanz keinen Erfolg verzeichnet hatte.

3076 Vgl. z. B. StadtA BS, H III 7 Nr. 1, pag. 30 (bzgl. 1529): [D]erhalben machte es ein ider in seiner pfarre kirchen wie es in selber wolgefelth, klagede er solches bei den hern dar hatte er auch kein gehor. Auch: StadtA BS, B III 9 Nr. 1,1, Bl. 4r (1531): Die Ratsherren maken mit den kastenhern ores andragens so vehil dat se dar mede ander radis gescheffte vorhindert. Auch ebd. Bl. 94r (1532): Dher kystenheren vnd predicanten halven, dhe vormals veil radtslege wekelinges vnd ok susthen geholdhen also dath ein ehrbarer radt dar dorch viel bemoegeth wordhen, hebben dhe borger begerdt, dhat dhe ehrbar radt dar vp ein jnsehen dhon willhe, dath me de enstdane affgestelt moge werdhen, vnd dhe ehrbar radt jhn orhen radt scheffthen nicht vorhinert werdhe. Hinsichtlich der Überbelastung des Rates mit der Bewältigung der neuen Ehegerichtsbarkeit 1549: [Z]u dem ist ein rath in diesen schweren leuften mit ietzligen vbrigen gescheften dermassen beladen, das zu zeiten ein rath alle gewonlige gerichtstege nicht bestellen kann. StadtA BS, B IV 11 Nr. 22, Bl. 20v.

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Betrachtet man die obigen Ergebnisse, so ist ein wirklich institutionalisiertes Kirchen- und Sozialwesen für Braunschweig erst viele Jahre nach der Reformation vorzufinden. Wahl von Predigern und Kirchendienern. Zwar hatte Bugenhagen eine Pfarrwahl in der KO beschrieben, doch kam es auch bezüglich dieses Punktes zu vielerlei Reibereien in den folgenden Jahrzehnten. Die Rolle der verschiedenen Gruppierungen bei der Wahl – und Entlassung – von Pfarrern und Kirchendienern stellte einen konstanten Konfliktherd innerhalb des Kirchenwesens dar. Während Bugenhagen die an der Wahl beteiligten Kastenherren als Gemeindevertreter gesehen hatte, sahen die Kirchspielgemeinden dies als nicht ausreichend an. Insbesondere in der von konfessionellen Auseinandersetzungen geprägten Zeit seit den späten 1570er Jahren führte dies zu merklichen Zusammenstößen zwischen Gemeindevertretern (= Kirchspielabgeordnete bzw. Hauptleute) und dem Rat. 2. Sodann stellt sich die Frage, welchen Anteil Gemeinde,3077 Rat, Geistlichkeit und Herzog bei der Ausgestaltung dieses neuen Kirchenwesens in Braunschweig hatten. Obgleich es in Braunschweig wie auch anderswo keine »Ratsreformationen« gab,3078 so lag doch der anschließende Konsolidierungsprozess vornehmlich in den Händen des Rates.3079 Es konnte gezeigt werden, dass ein faktisches Mitspracherecht der Gemeinde (Hauptleute/Gildemeister) nach den 1530er Jahren nur noch dort gegeben war, wo die Bürger potenziell mit Leib und Gut für ihren Glauben einstehen mussten. Dies betraf politische Ereignisse, wie den Eintritt in den Schmalkaldischen Bund, die Beteiligung am Schmalkaldischen Krieg oder die Annahme des Interims. Seit den 1550er Jahren endete auch dieser Einfluss – konfessionelle Entscheidungen wurden künftig vom Rat und Ministerium alleine getragen, da die politische Brisanz abgenommen hatte. In der Übergangszeit bis in die frühen 1530er Jahre beteiligte man die Gemeinde überdies auch an der Ausgestaltung des neuen Kirchenwesens – so etwa bei der Entlassung »falschgläubiger« Prediger oder dem 3077 Zum hier verwendeten Gemeindebegriff vgl. die Definition in Kapitel 1.4. 3078 Zum Begriff vgl. Lau, Franz: Der Bauernkrieg und das angebliche Ende der lutherischen Reformation als spontaner Volksbewegung, in: Hubatsch, Walther (Hrsg.): Wirkungen der deutschen Reformation bis 1555, Darmstadt 1967 (= Wege der Forschung, 203), S. 68–100, hier S. 80. Schmidt wies auch die zuvor als Beispiele der Ratsreformation immer wieder angeführten Städte Nürnberg und Bern zurück: Schmidt, Stadtreformation, S. 117. Andererseits gab es durchaus Städte wie Magdeburg, deren Räte immerhin früh mit der Reformation sympathisierten. Vgl. Postel, Rainer: Reformation und bürgerliche Mitsprache in Hamburg, in: ZHG 65 (1979), S. 1–20, hier S. 2. 3079 Damit bestätigen sich die in der Forschung oftmals angedeuteten Tendenzen. Vgl. Moeller, Bernd: Deutschland im Zeitalter der Reformation, 4. Auflage, Göttingen 1999 (= Kleine Vandenhoek-Reihe, 1432), S. 113: »Obgleich die Reformationsbewegung oft von den einzelnen Kirchengemeinden ihren Ausgang genommen hatte, war es am Ende doch jeweils der Rat, der das neue Kirchenregiment in die Hand nahm.«

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Fazit

Umgang mit dem Kloster St. Crucis und den Mendikanten sowie den vasa sacra. Im Laufe der 1530er Jahre jedoch schwand auch dieser Einfluss schließlich gänzlich. Hinsichtlich ihrer konfessionellen Zusammensetzung entwickelte sich die Braunschweiger Stadtgemeinde bis in die 1540er Jahre äußerlich zu einem einheitlich lutherischen Gemeinwesen: Katholiken, Juden, Reformierte und andere Dissidenten wurden der Stadt umgehend verwiesen oder – wie im Falle des »Täuferkönigs« Hans Vette – inhaftiert. Bis ins 17. Jahrhundert hinein duldete man sie weder als Bürger noch als Einwohner. Braunschweig avancierte damit in der zweiten Jahrhunderthälfte offiziell zu einem streng orthodox-lutherischen Bollwerk im Nordwesten des Reiches.3080 Dass aber sogar jene Dissidenten der Stadtgemeinde verwiesen wurden, die sich selbst als gute Lutheraner verstanden, zeigt einmal mehr die Schwächen des Konfessionalsierungsparadigmas und die Notwendigkeit einer konfessionskulturellen Perspektive.3081 Den größten Einfluss auf die Entwicklung des Kirchenwesens nach 1528 besaß indessen nicht die Gemeinde, sondern der Rat. Gemäß KO hatte dieser als »Summus Episcopus« sämtliche Rechte für sich gesichert und etablierte ein ratsherrliches Kirchenregiment. Als executor3082 führte er dabei seit den 1550er Jahren zwar meist die Überlegungen des Ministeriums aus, legte im Zweifelsfalle aber auch ein Veto ein. Die Gemeinde und deren Vertreter (Hauptleute/Gildemeister) wurden bei solchen Überlegungen kaum berücksichtigt.3083 Obgleich Bugenhagen mit den Kastenherren (und Diakonen) ein bürgerliches Vertretungsgremium vorgesehen hatte, repräsentierte dieses keinesfalls die gesamte städtische Gemeinde: Die Kastenherren entstammten fast alle der ratsnahen Schicht, waren vielfach selbst Ratsherren oder wurden es bald. Auch fand die Wahl neuer Kastenherren nicht durch die Gemeinde, sondern durch den Rat und die Kastenherren selbst statt, wobei die Bürgermeister sogar die beiden möglichen Kandidaten vorschlugen. Beteiligten sich die Bürger daher an den Fragen des Kirchenwesens, so geschah dies (wie etwa bei Pfarrwahlen, Entlassungen oder Predigtfragen) bezeichnenderweise nicht über das Gremium der vermeintlich bürgernahen Kastenherren. Meist wurden solche Klagen über die Bürgerhauptleute oder im Namen der Kirchengemeinde durch ausgewählte Vertreter eingereicht – freilich, wie zu sehen war, ausnahmslos ohne Erfolg! Während man 3080 Vgl. Kapitel 3.4.2. 3081 Vgl. Kapitel 3.4.2. Zur Thematik vgl. Kaufmann, Konfession und Kultur, S. 16. Nicht umsonst ist es laut Kaufmann daher geboten, »stärker als bisher binnenkonfessionelle Differenzierungsprozesse« zu analysieren. 3082 StadtA BS, B I 4 Nr. 75, Bl. 245v. 3083 Dies war offenbar nicht überall so. Für Lemgo stellte Schilling nach der Reformation z. B. ein »eher gemeindlich-genossenschaftlich als magistratlich-obrigkeitlich« geprägtes Kirchenregiment fest. Vgl. Schilling, Konfessionskonflikt, S. 101.

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für die städtische Reformation Norddeutschlands mit Schilling von einem »Civic Lutheranism« sprechen kann,3084 an dem die Bevölkerung noch maßgeblich durch Gemeindevertreter partizipierte, sah es bei der langfristigen Implementation des neuen Kirchenwesens also zweifelsohne anders aus – jedenfalls kann dies für Braunschweig festgestellt werden. Anders verhielt es sich indessen hinsichtlich der städtischen Geistlichkeit. Sie rekrutierte sich anfänglich, wie zu sehen war, überwiegend aus den Reihen der Predigerkapläne und ehemaligen Mönche, während ehemalige Vikare und Pfarrherren kaum unter den lutherischen Geistlichen vertreten waren.3085 In den Jahrzehnten nach der Reformation stieg sodann der Bildungsgrad der Prediger sukzessive an: Mindestens 81 % der nach 1540 berufenen Prediger hatte bis 1599 nachweislich eine Universität besucht – zumeist jene in Wittenberg oder Rostock.3086 Die Prediger der zweiten Pfarrgeneration rekrutierten sich vielfach aus den Reihen der Konrektoren und Rektoren, welche zuvor bisweilen durch die Wittenberger (Melanchthon u. a.) nach Braunschweig vermittelt worden waren.3087 Aus den regelmäßigen Treffen dieser Geistlichen formierte sich dann als Vertretungsgremium das Ministerium, so dass einzelne Prediger als Akteure kaum noch auftraten – wenn, dann waren dies meist die Superintendenten und Koadjutoren (Medler, Mörlin, Chemnitz), welche seit den 1550er Jahren auch publizistisch zunehmend aktiver wurden.3088 In Gestalt des Ministeriums sicherten sich die Prediger jedoch rasch einen maßgeblichen Einfluss im Kirchenwesen: So entstanden z. B. die meisten Ordnungen, welche das Kirchenwesen im 16. Jahrhundert weiter konsolidierten, auf Initiative des Ministeriums. Die Prediger arbeiteten dabei eng mit dem Rat zusammen, so dass Ordnungen im Schul- und Kirchenwesen vielfach sogar vom Ministerium selbst entworfen wurden – gerade aus der Zeit des Superintendenten Chemnitz ist diese Praxis häufig belegt. Daneben konnte sich das Ministerium auch bei der Pfarrwahl, dem Strafrecht und der Predigerentlassung einen wichtigen Einfluss sichern. Allerdings wurde bei den Verhandlungen auch immer wieder deutlich: Im Zweifel war der Rat oberste Kircheninstanz und konnte Entscheidungen auch gegen den

3084 Vgl. Schilling, Stadtrepublikanismus, S. 290. Schilling entlehnt die Bezeichnung vom Begriff des »Civic Calvinism«. Zur Thematik auch Hamm, Bürgertum, S. 42. Letzterer stellt fest, dass in der Reformation »ein gewisser Anspruch der Bürgergemeinde virulent ist, an politisch-sozialen und religiösen Entscheidungen von großer Tragweite beteiligt zu werden.« 3085 Die einzige Ausnahme unter den Pfarrherren war Tile Krüger, unter den Vikaren ließ sich nur Richard Schweinfuß nachweisen. Vgl. StadtA BS, H III 2 Nr. 24,1, pag. 387. 3086 Vgl. Kapitel 3.1.1. 3087 Vgl. Kapitel 3.1.3. 3088 Vgl. Kapitel 3.1.2.

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Fazit

Willen des Ministeriums fällen. Letzteres diente aufgrund seiner Kompetenz schlicht als Beratungsinstanz, welche den Rat in seiner Arbeit entlastete. Sodann stellt sich noch die Frage nach dem Einfluss des Herzogs bei der Etablierung des neuen Kirchenwesens und der Rolle Braunschweigs als »Landstadt«. In der Reformationsforschung hat sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass es den lange angenommenen Unterschied zwischen reichsstädtischer und landstädtischer Reformation sowohl innen- wie außenpolitisch nicht gegeben hat. So betont etwa Freitag (2017): »Liest man den Text Moellers aus dem Jahr 1962 gegen den Strich, so stellt sich schnell der Eindruck ein, dass in Bezug auf die Durchsetzung der Reformation der Begriff Reichsstadt kaum Konturen aufweist! Er steht lediglich dafür, dass keine Rücksicht auf einen Landes- bzw. Stadtherrn zu nehmen war.«3089 Eben diese Erkenntnis lässt sich bis zu einem gewissen Zeitraum auch für die langfristige Implementation des Kirchenwesens feststellen. Autonome, »reichsferne« Landstädte wie Braunschweig, Lüneburg, Magdeburg oder Stralsund haben beim anschließenden Ausbau des Kirchenwesens bisweilen unabhängiger agieren können, als so manche Reichsstadt (Augsburg, Regensburg, Ulm, etc.).3090 In Braunschweig etwa hatte der Herzog bis ins 17. Jahrhundert trotz zahlreicher Streitdiskurse keinerlei direkten Einfluss auf die Entwicklung und Ausgestaltung des protestantischen Kirchenwesens mehr: »Summus Episcopus« blieb der Rat.3091 Zwar versuchten sich bis in die 1530er/40er Jahre sowohl Herzog als auch Adel3092 immer wieder durch Droh- und Klageschriften als Akteure in die stadtkirchlichen Fragen 3089 Freitag, Autonomiestädte, S. 112. Entsprechend widerlegt Freitag auch die These Moellers, dass Reichsstädte am besten für eine »gesonderte Beschäftigung« geeignet seien, da sie »am ehesten« selbstständige Wege zur Reformation beschritten hätten (S. 112). Er untersucht hierfür exemplarisch die westfälischen Autonomiestädte Soest und Münster. Für die weiteren westfälischen Städtereformationen vgl. Freitag, Reformation in Westfalen, S. 81–161. Schilling hatte bereits 1979 darauf hingewiesen, dass »unter innenpolitischer Perspektive […] kein prinzipieller Unterschied zwischen Land- und Reichsstadtreformation« bestanden habe. Vgl. Schilling, Elite, S. 242. Dazu auch Hamm, Bürgertum, S. 46–51. 3090 Zu den herben Einschnitten dieser Reichsstädte, insbesondere auf Verfassungsebene, vgl. die zahlreichen Arbeiten Naujoks’. Darunter vor allem: Naujoks, Eberhard (Hrsg.): Kaiser Karl V. und die Zunftverfassung. Ausgewählte Aktenstücke zu den Verfassungsänderungen in den oberdeutschen Reichsstädten (1457–1556), Stuttgart 1985 (= Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte und Landeskunde in Baden-Württemberg, A 36), S. 1– 31. 3091 Am deutlichsten wird diese Tatsache anhand des »Citationsstreits« ersichtlich: Seit 1590 ließ der Rat sämtliche »Citationen« des hzgl. Konsistoriums nicht mehr öffentlich anschlagen. Diese »Citationen«, welche entlaufene Ehepartner zur Rückkehr aufforderten, wurden als freundschaftlicher Dienst normalerweise selbst in Nachbarterritorien aufgehängt. Braunschweig als »Landstadt« verweigerte sich dem jedoch und erkannte damit das hzgl. Konsistorium in keinerlei Hinsicht mehr an. Vgl. StadtA BS, B IV 11 Nr. 224, Bl. 15r. Lediglich hinsichtlich der im Territorium gelegenen, städtischen Pfarr-, Vikar- und Klostergüter musste mit dem Herzog ernsthaft verhandelt werden. 3092 So z. B. insbesondere die Familien von Bothfeld , von Sampleben und von Campe.

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einzumischen – so vor allem hinsichtlich der Klöster und Stifte; der Rat ging jedoch auf diese Drohungen zumeist gar nicht ein oder versuchte zu beschwichtigen. Die Kirchenpolitik des Rates berücksichtigte den Herzog seit 1530 – abgesehen von dessen Stiften – faktisch jedenfalls kaum noch:3093 Braunschweig agierte von nun an kirchenpolitisch ähnlich kompromisslos wie die südlichen Reichsstädte – bisweilen sogar deutlich kompromissloser. Diese Erkenntnis über norddeutsche Landstädte fügt sich somit in die Ergebnisse Schillings ein, demgemäß ihr »reale[r] Handlungsspielraum größer war als derjenige mancher Reichsstadt.«3094 3. Abschließend soll noch auf die Frage eingegangen werden, welche Diskurse die Festigung des Kirchenwesens in Braunschweig begleiteten. Es konnte aufgezeigt werden, dass eine größere Anzahl kirchlicher Fragen im Zuge der Reformation nicht genügend geklärt worden waren. Dies führte im Verlauf der nächsten Jahrzehnte zu vielfachen Reibereien auf diskursiver Ebene. Hierzu zählte einerseits der Konflikt des Rates mit dem Herzog um die Frage des Summepiskopats, andererseits kam es aber auch zu zahlreichen innerstädtischen Auseinandersetzungen. Insbesondere die Frage, inwieweit den Geistlichen ein eigenes kirchliches Strafamt zustehe, führte bis ins 17. Jahrhundert hinein zu hitzigen Auseinandersetzungen zwischen Geistlichkeit und Rat. Während die lutherischen Prediger ihr geistliches Strafrecht als von Gott gegebene Disziplinierungsmaßnahme – gerade auch gegen Rat und Amtsträger – ansahen, war der Magistrat bestrebt, die kirchliche Strafgewalt möglichst einzuschränken. Dies gelang jedoch auf Dauer nur bedingt: Das Geistliche Ministerium ging im Gegenteil eher gestärkt aus den Diskursen hervor und sicherte sich damit bis ins 17. Jahrhundert sein geistliches Strafamt. Neben dem Strafamt bot auch das Ehewesen im 16. Jahrhundert Anlass für ständige Auseinandersetzungen. Da das kanonische Recht partiell nicht mehr galt, andere Normen aber auch nach 1528 noch nicht fixiert worden waren, kam es immer wieder zu Konflikten um die Auslegung verschiedener Eherechtsfälle – insbesondere im Bereich der Verlobungen, Heiratsgrade und Ehebrüche, die bis zur Jahrhundertwende nicht restlos geklärt werden konnten. Hinsichtlich des Armenwesens musste der Rat nach 1528 feststellen, dass die Vorstellung, sämtliche Bettler abzuschaffen, nur schwer durchzusetzen war: Die Diakone und vor allem auch die Prediger waren hier anderer Auffassung und untergruben bisweilen die Anordnungen des Rates, der seit der zweiten Jahrhunderthälfte immer mehr zum rigorosen Ausschluss fremder Bettler tendierte. 3093 Einzige Ausnahme bildeten bis 1540 nur noch die beiden herzoglichen Stifte St. Blasius und St. Cyriacus. 3094 Schilling, Stadt in der Frühen Neuzeit, S. 40.

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Fazit

Ein spezifisch Braunschweigischer Konflikt stellte die Frage zum Umgang mit den Juden nach der Reformation dar. Während sich Rhegius und bisweilen auch der Rat für einen gemäßigten Umgang mit den Juden aussprachen, waren Gemeindevertreter und Geistlichkeit der Ansicht, dass die Juden schnellstmöglich aus der Stadt vertrieben werden müssten, um hierdurch schlussendlich ein homogenes (lutherisches) Gemeinwesen zu erwirken. Dies mündete 1546 im endgültigen Stadtverweis der ca. 100 Braunschweiger Juden. Etwas weniger konfliktträchtig als in anderen Städten erwies sich in Braunschweig die konfessionelle Ausgestaltung des Kirchenwesens. Nach 1532 traten in dieser Hinsicht vorerst keine größeren Unstimmigkeiten mehr auf. Erst ab 1596 änderte sich die Situation, als innerstädtisch wieder verstärkte Konflikte zwischen dem gnesiolutherischen Ministerium und dem huberistischen Prediger Melchior Leporinus sowie dem eher vermittelnden Superintendenten Lucas Martini entstanden. Hierin zeigte sich einmal mehr die verworrene konfessionskulturelle Situation der 1590er Jahre, da sich Martini als durchaus guter – aber vermittelnder – Lutheraner verstand, das Ministerium ihn aus diesem Grund aber selbst als Anhänger der huberistischen »Ketzerlehre« beschimpfte. Die Träger und Akteure der nachreformatorischen Diskurse unterschieden sich bisweilen je nach Streitgegenstand. Üblicherweise war der Rat auf der einen Seite beteiligt, doch musste dies nicht zwingend der Fall sein. So stritten sich etwa im Konflikt um das Verlobungs- und Eherecht vornehmlich die Geistlichen mit dem städtischen Syndikus, während der Rat eher als Vermittlungsinstanz fungierte. Neben dem Rat war jedoch auch die Geistlichkeit meist in irgendeiner Form an den Diskursen beteiligt. Als Sprecher der Geistlichen dienten dabei Superintendent oder Koadjutor, seltener auch der Senior. Wie die Meinungen der einzelnen Prediger aussahen, ließ sich mangels interner Ministerialprotokolle bis in die 1590er Jahre nicht ermitteln, denn nach außen hin handelte das Ministerium gemäß der Leges Ministerii fast immer einheitlich,3095 vertreten durch Superintendent oder Koadjutor. Fasst man die oben dargelegten Ergebnisse für Braunschweig zusammen, so kann folglich resümiert werden, dass die Entwicklungen, welche die Reformation ins Rollen gebracht hatten, keinesfalls durch die Einführung einer Kirchenordnung abgeschlossen wurden. Die KO bildete längst nicht alle Aspekte des neuen Kirchenwesens ab und jene, die behandelt wurden, ließen sich vielfach nicht problemlos umsetzen. Was folgte, war ein jahrzehntelang währender Implementationsprozess, in dem sich das protestantische Kirchenwesen weiterhin ausgestaltete und konsolidierte. 3095 Vgl. §4 der Leges von 1557 und §3 der Leges von 1588. Vgl. Kapitel 2.1.5.1. Dazu auch StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 35r. Dieses Einvernehmen kam lediglich in den Streitigkeiten zwischen 1596–1599 nicht zustande.

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In Braunschweig behielt die erste KO dennoch – anders als in Hamburg, Lüneburg oder Goslar – bis 1671 ihre vollständige Gültigkeit.3096 Eine abschließende Erklärung für dieses Phänomen wird man freilich nicht geben können. Auffällig ist jedoch ganz allgemein eine »Ordnungsmüdigkeit« des Braunschweiger Rates – nicht nur in Kirchensachen. Im Untersuchungszeitraum wurde z. B. nicht eine Eheordnung erlassen – in der Nachbarstadt Hildesheim hingegen vier (1543, 1562, 1589, 1592), in Lübeck zwei (1581, 1608 sowie mehrere Edikte)3097 und in Goslar eine (1555).3098 Auch Armenordnungen erließ der Rat in Braunschweig quasi keine: Die kurze Ordnung von 1550 sollte im gesamten 16. Jahrhundert die einzige bleiben. Predigt- oder Gottesdienstordnungen wurden ebenfalls nicht veröffentlicht, obgleich zahlreiche Predigten und sogar einige Predigerstellen abgeschafft wurden, bzw. sich die Predigtzeiten stark veränderten. Man kann hieraus auf eine allgemeine Trägheit hinsichtlich des Erlasses neuer Ordnungen in Braunschweig schließen. Während andere – vor allem süddeutsche – Städte ihre Ordnungen teils alle paar Jahrzehnte wieder revidierten oder änderten,3099 behielt Braunschweig seine Ordnungen tendenziell über einen längeren Zeitraum bei. Teilweise wurden diese durch Edikte und kleinere Ordnungen ergänzt – so etwa die KO durch die Vokationsordnungen von 1560 und 1571 – doch im Allgemeinen hielt sich der Braunschweiger Rat bei der Erstellung neuer Ordnungen doch zurück. Bezüglich der KO wirkte sich ein solches Vorgehen durchaus nicht nur negativ aus: Viele Passagen waren dort so grundsätzlich und detailarm formuliert (Pfarrwahl, Kastenwesen, Pfarrentlassung), dass man städtischerseits künftig sehr flexibel agieren konnte. Die KO diente somit später eher als eine Art Grundlagengesetz denn als präzise Handlungsanweisung. Die Ausdifferenzierung der dort angedeuteten Punkte erfolgte späterhin durch gewohnheitsrechtliche Entwicklungen bzw. wurde in wenigen Aspekten (Witwen-, Hebammen-, Armen- und Vokationsordnung) auch rechtlich festgeschrieben. Allerdings muss abschließend festgehalten werden, dass sich die 3096 So sprach der Rat z. B. noch 1597 in einem Schreiben an die Universität Wittenberg hinsichtlich der Bugenhagischen KO von vnserer kirchenordnung, welche siedher der zeitt, das sie gemacht, in vollem schwange vnverendert blieben jst. Vgl. StadtA BS, B III 15 Nr. 10, Bl. 434v. 3097 Vgl. Dreyer, Johann C. H.: Einleitung zur Kenntniß der in Geist= Bürgerlichen= Gerichts= Handlungs= Policey= und Kammer=Sachen […] ergangenen allgemeinen Verordnungen […], Lübeck 1769, S. 33. 3098 Zu Hildesheim vgl. Sehling, Kirchenordnungen VII 2,2,1, S. VI (Vorwort), zu Goslar, Sehling, Kirchenordnungen VII 2,2,2, S. 306. Auch in süddeutschen Städten war die Publikationsrate erheblich höher, so veröffentlichte Schwäbisch Hall im 16. Jh. vier Eheordnungen, Ulm drei. 3099 So erließ z. B. Heilbronn allein zwischen 1530 und 1603 drei KOO, Schwäbisch Hall zwischen 1527 und 1615 ebenfalls.

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Fazit

Konflikte, welche sich im nachreformatorischen Braunschweig ereigneten, nicht selten gerade auch an den Defiziten innerhalb der KO entzündet haben.

5.2

Ausblick: Einordnung der Ergebnisse im Hinblick auf andere Städte

Wie aber sind nun die obigen Braunschweiger Ergebnisse hinsichtlich anderer Städte zu kontextualisieren und was für Folgen ergeben sich hieraus für die künftige Stadtreformationsforschung? Letztendlich hat die Braunschweiger Untersuchung aufgezeigt, dass die normative Kirchenordnung, welche in der Forschung bislang meist als Grundlage zur Erklärung des nachfolgenden städtischen Kirchenwesens herangezogen wurde, das nachreformatorische Kirchenwesen nur unzureichend abbildet. Auch nach der Reformation und dem Abschluss entsprechender Kirchenordnungen kam es weiterhin zu grundlegenden Umgestaltungen im städtischen Kirchenwesen, die bislang überwiegend unbeachtet blieben und sich über einen Zeitraum von etwa zwei bis drei Generationen hinzogen. Institutionen. Ein Beispiel hierfür bildet die institutionelle Ausdifferenzierung des Kirchenwesens im Anschluss der Reformation. Wie in Braunschweig, so wurden auch in den benachbarten Städten Institutionen wie das Geistliche Ministerium, das Kolloquium, das Konsistorium oder die Kurrende Jahre bzw. Jahrzehnte nach Abschluss der KO etabliert und institutionell gefestigt. So datieren etwa die frühsten bekannten Verfassungsstatuten (Leges ministerii) der städtischen Ministerien ausnahmslos aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts: Braunschweig (1557/1571),3100 Wismar (1562),3101 Lüneburg (1570),3102 Rostock (1573),3103 Bremen (1575/85)3104 und Frankfurt a.M. (1586).3105 Die entsprechenden Predigerkolloquien wurden ebenfalls zumeist erst nach Einführung der Reformation eingerichtet. So etwa in Braunschweig (1529), Magdeburg

3100 3101 3102 3103 3104

Vgl. Schoß, Ministerium, S. 32–35. Vgl. Sehling, Kirchenrodnungen V, S. 311; auch Schoß, Ministerium, S. 171–175. Vgl. Wiesenfeldt, Kirche, S. 37–40. Vgl. Strom, Ministerium, S. 69–71. Vgl. Vgl. Weygoldt, Eva: Die rechtliche Stellung des Ministeriums der stadtbremischen Pfarrkirchen, Diss., Düsseldorf 1964, S. 16. Die Leges sind abgedruckt bei: Sehling, Kirchenordnungen VII 2,2,2, S. 579. 3105 Vgl. Grabau, Richard: Das evangelisch-lutherische Predigerministerium der Stadt Frankfurt a.M., Frankfurt a.M. 1913, S. 54–58. Dazu auch Beck, Kurt: Rat und Kirche. Der Rat der Freien Reichsstadt Frankfurt am Main und das Evangelisch-Lutherische Predigerministerium, Frankfurt a.M. 1981 (= Schriftenreihe Evangelischer Regionalverein Frankfurt am Main, 8).

Ausblick: Einordnung der Ergebnisse im Hinblick auf andere Städte

529

(1529),3106 Rostock (1530),3107 Ulm (1556),3108 Hildesheim (1560),3109 Göttingen (1570)3110 und Augsburg (1591).3111 Auch die in Braunschweig dargelegte Ausbildung des Konsistoriums – Jahrzehnte nach der Reformation – stellt für norddeutsche Städte (und Territorien3112) offensichtlich eher die Regel denn eine Ausnahme dar. Zunächst wurde die städtische Ehegerichtsbarkeit vom Rat, bzw. einer Ratskommission ausgeübt, erst wesentlich später bildeten sich daraus sukzessive Konsistorien, die aber vom Rat abhängig blieben und selten eine eigene Ordnung erhielten. Dieser Prozess fand überwiegend in den 1550er bis 1590er Jahren statt3113 und damit Jahrzehnte nach dem Abschluss der Reformation! Dies ist insofern erstaunlich, als gerade jene Institutionen für das nachreformatorische lutherische Kirchenwesen von essentieller Bedeutung waren und bei sämtlichen kirchlichen Entwicklungsprozessen später miteinbezogen wurden.3114 Trotz der enormen Rolle, die obige Institutionen also für die Ausprägung des nachreformatorischen Kirchenwesens bildeten, ist ihrer prozesshaften Entstehung bislang nahezu keinerlei Aufmerksamkeit zuteil geworden.3115 Eingehende Untersuchungen über die Bildung und Entwicklung städtischer Konsistorien, Geistlicher Ministerien oder Kurrenden, wie sie in dieser Arbeit u. a. dargelegt wurden, existieren bislang praktisch noch nicht und beschränken sich auf we-

3106 Vgl. Schoß, Ministerium, S. 204. 3107 Vgl. ebd., S. 51. Hier erfolgte die Bildung des Kolloquiums indessen etwa zeitglich mit der Reformation. 3108 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen XVII, 4,2, S. 208. 3109 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VII 2,2,1, S. 820. 3110 Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 368. Dieses Kolloquium wurde durch Chemnitz ins Leben gerufen. 3111 Vgl. Warmbrunn, Zwei Konfessionen, S. 374. 3112 Das erste Konsistorium wurde 1539 in Kursachsen eingerichtet und damit einige Jahre, nachdem sich viele Territorien und Städte der Reformation bereits angeschlossen hatten. Vgl. Butt, Arne: Herrschaft über Kirche, Herrschaft durch Kirche. Zur Entstehung des landesherrlichen Kirchenregiments im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg vor dem 30jährigen Krieg, in: NdSächsJb 88 (2016), S. 23–72, hier S. 35–36. 3113 Z. B. entstanden Konsistorien in Regensburg 1545, Goslar 1555, Rothenburg o.T. 1559, Braunschweig ~1561, Rostock 1566, Schweinfurt 1569, Stralsund 1575, Nördlingen 1578, Stolp 1586, Nordhausen 1593, Lemgo ~1600. Vgl. u. a. Schoß, Stellung, S. 284–296 u. 345– 355 sowie Koch, Geschichte, S. 177. 3114 Letztlich gilt diese Feststellung auch für andere nachreformatorische, kirchliche Institutionen, die es in Braunschweig so nicht gegeben hat – etwa das in den 1560er Jahren etablierte »Sendamt« zur Sittenzucht in Frankfurt am Main. Vgl. Grabau, Predigerministerium, S. 320–403. 3115 Deutlich wird dies exemplarisch an der umfangreichen Monographie zur Reformation in Nordhausen von Ernst Koch (2010): Trotz ihres Umfanges von über 400 Seiten wird das Ministerium im entsprechenden Kapitel »Elemente der Kirchenverfassung« in lediglich drei Sätzen abgehandelt. Vgl. Koch, Geschichte, S. 177.

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Fazit

nige, meist durch normative Quellen gestützte, Aufsätze.3116 Hier besteht also ausgehend von den Braunschweiger Erkenntnissen auch für andere evangelische Städte noch dringender Forschungsbedarf. Personen und Gruppen. Hinsichtlich der Auswirkung der Reformation auf die altkirchlichen städtischen Personengruppen ist – abgesehen von den Mönchen/ Nonnen3117 – aus anderen Städten bislang noch sehr wenig bekannt. Dabei konnte anhand des Braunschweiger Exempels durchaus aufgezeigt werden, dass der Umgang mit den altkirchlichen Vikaren oder Pfarrherren noch Jahre bis Jahrzehnte nach der Reformation zu ständigen Reibereien und Verhandlungen führte.3118 Dieser Prozess zog sich über einen längeren Zeitraum hin, da die altkirchlichen Amtsträger juristisch kaum angreifbar waren – und dennoch wissen wir hierüber für andere Städte bislang noch viel zu wenig. Auch die Entwicklung eines neuen evangelischen Pfarrstandes mit ausgeprägter universitärer Bildung und entsprechendem »Sonderbewusstsein« (Schorn-Schütte) vollzog sich in Braunschweig wie in anderen Städten über einen Zeitraum von ein bis zwei Generationen – hierzu haben die Arbeiten von Schorn-

3116 Zur Entstehung und Entwicklung der städtischen Ministerien und Konsistorien geben die Darstellungen von Schoß (Schoß, Stellung und Schoß, Ministerium) nach wie vor den einzigen Überblick, beziehen sich jedoch überwiegend auf normative Quellen und sind bisweilen aufgrund des Überblickcharakters äußerst schematisch bzw. auch inkorrekt. Zu den Geistlichen Ministerien gibt es sonst nur wenige kürzere Aufsätze, u. a. für Bremen (vgl. Weygoldt, Stellung), Lüneburg (vgl. Wiesenfeldt, Kirche), Rostock (vgl. Strom, Ministerium) sowie Erfurt, Hamburg und Augsburg, vgl. Martens, Carl: Wann ist das Erfurter Evangelische Ministerium als geistliche Behörde entstanden?, in: Jahrbücher der Königlichen Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt 24 (1898), S. 68–110; Hipp, Hermann: Das Geistliche Ministerium zu Hamburg und seine Kirchen. Vom Dom zum Michel, in: Reinig, Joachim; Werner, Joana (Hrsg.): Dombaumeistertagung Hamburg 2015. Europäische Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Hüttenmeister, Hamburg 2016, S. 23–38; Gößner, Andreas: Die Augsburger Pfarrerschaft um 1555. Das Predigerministerium vom Interim bis zum Kalenderstreit 1548–1582 und der Wiederaufbau der evangelischen Kirche, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 75 (2006), S. 44–55. Einzig zum Predigerministerium in Frankfurt a.M. gibt es umfassendere Arbeiten (vgl. Grabau, Predigerministerium sowie Beck, Kirche). Hinsichtlich der Entstehung und Arbeitsweise städtischer Konsistorien sind mir bislang – bis auf Schoß’ Überblickswerk – für Norddeutschland keinerlei Arbeiten bekannt. Die Thematik der Konsistorien wird lediglich hin und wieder kurz angeschnitten, etwa bei Dürr, Kultur, S. 313–323 hinsichtlich Hildesheims oder Titz-Matuszak, Eherecht, S. 137–160 hinsichtlich Goslars. Auch die ältere Darstellung von Frantz stützt sich lediglich auf normative Ordnungen, vgl. Frantz, Kirchenverfassung, S. 54ff. 3117 Vgl. u. a. Schilling, Mönche; Rüttgardt, Klosteraustritte; Ziegler, Franziskanerobservanten; Nickel, Franziskaner-Konventualen; Springer, Dominikaner. 3118 Hinsichtlich des Weiterbestehens altgläubiger Vikare und entsprechenden Konflikten vgl. die kürzlich erschienene Untersuchung Lüneburgs: Cordes, Politik, S. 665–679.

Ausblick: Einordnung der Ergebnisse im Hinblick auf andere Städte

531

Schütte und anderen3119 bereits hilfreiche Grundlagen bereitgestellt, auf die aber noch weiter aufgebaut werden kann und sollte. Begleitet wurde die Entwicklung des Pfarrstandes anfänglich noch in vielen Städten von konfessionellen Auseinandersetzungen mit reformierten Predigern und Bürgern. Dies war etwa neben Braunschweig auch in Goslar,3120 Magdeburg,3121 Minden,3122 Soest,3123 Hannover,3124 Wismar3125 und Münster3126 der Fall. Die Konflikte spielten sich vor allem in den 1520er/30er Jahren ab, also jeweils gegen Ende oder kurz nach Einführung der Reformation.3127 Damit zeigt sich auch hier erneut die labile Stellung der Kirchenordnung: Wie in Braunschweig, so stand die junge lutherische Kirche auch in anderen Städten mittels Kirchenordnung noch keinesfalls auf sicheren Füßen – zumeist folgten erst noch einige Jahre konfessioneller Konsolidierung.3128 Auch hier sind komparatistische Studien, die die konfessionellen Konflikte der Städte im Anschluss der Reformation vergleichend untersuchen, wünschenswert. Betrachtet man etwa die Städte Braunschweig und Goslar, so lassen sich nahezu parallele Abläufe feststellen.3129 Diskurse. Getragen wurde der Implementationsprozess des protestantischen Kirchenwesens durch eine Vielzahl von Diskursen. Diese waren entweder aufgrund der Reformation neu aufgekommen oder durch sie verstärkt in den Fokus gerückt (Armenwesen etc.). Anhand des Braunschweiger Beispiels konnte dargelegt werden, dass jene Fragen, die zur Reformationszeit entstanden, auch nach 3119 Vgl. z. B. zu Hildesheim: Dürr, Kultur, S. 137; zu Hamburg: Postel, Theologenausbildung, S. 51–60; zu Lüneburg: Cordes, Politik, S. 679–685; zu Braunschweig, Braunschweig-Wolfenbüttel und Hessen-Kassel: Schorn-Schütte, Geistlichkeit; zu Ulm: Filtzinger, Ulm, S. 288. 3120 Vgl. Seven, Friedrich: Fahret also yn gedult. Die Geschichte der Reformation in Goslar, Bielefeld 2017 (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar. Goslarer Fundus, 57), S. 59–61; Koch, Zwinglianer, S. 532. Siehe dazu auch weiter unten. 3121 Vgl. Koch, Zwinglianer, S. 522–529. 3122 Vgl. Müller, Propheten, S. 75. 3123 Vgl. Ehbrecht, Reformation, S. 264. 3124 Vgl. Müller, Stadt, S. 120. 3125 Vgl. Koch, Zwinglianer, S. 519. 3126 Vgl. Lutterbach, Täuferreich, S. 54–62. 3127 Bezeichnenderweise ließen sich nachreformatorische Konflikte mit »Sakramentariern« nicht für jene Städte nachweisen, die erst in den 1540ern offen zur Reformation übertraten (Hildesheim, Osnabrück, Hameln, u. a.). Dass es aber auch hier – wie in Osnabrück – in den 1530er Jahren zu entsprechenden Auseinandersetzungen kam, dazu Schilling, Elite, S. 285. 3128 In den Bischofsstädten und südlichen Reichsstädten haben diese Auseinandersetzungen bisweilen sogar noch deutlich länger angedauert. 3129 Sowohl in Goslar als auch in Braunschweig kam es ein bis zwei Jahre nach Abschluss der KO zu verstärkten Konflikten mit zwei abweichenden »zwinglischen« Predigern. In beiden Fällen wurde auch der Superintendent falscher Lehre verdächtigt (Görlitz in Braunschweig, Amandus in Goslar). Anschließend wurden in beiden Städten die jeweiligen »Reformatoren« (Bugenhagen bzw. Amsdorf) gerufen, die die »falschen« Prediger überführten und aus der Stadt verwiesen. Vgl. Koch, Zwinglianer, S. 529–538; Rehtmeyer, Historiae III, S. 89; Seven, Geschichte, S. 59–61.

532

Fazit

Abschluss der Kirchenordnungen nicht vollständig geklärt worden waren – im Gegenteil. Dies betraf insbesondere das Summepiskopat, die Patronatsrechte, das protestantische Eherecht, aber auch das geistliche Strafamt der Prediger und deren Rolle im Stadtgefüge. Gerade letzterem Umstand ist bislang zu wenig Aufmerksamkeit in der Forschung widerfahren, obgleich sich an ihm doch der nachreformatorische Machtkampf zwischen Geistlichkeit und Stadtrat maßgeblich manifestierte.3130 Während der Rat und dessen Amtsträger (Kastenherren etc.) das Strafrecht der Prediger möglichst begrenzen und vor allem kontrollieren wollten, sahen sich die Geistlichen als Diener Gottes, deren Strafamt auch der Rat folglich nicht beschneiden durfte. In Braunschweig konnte sich das Ministerium in dieser Hinsicht zwar durchaus gut gegen den Rat behaupten und seine Stellung weiter festigen, doch verloren die Geistlichen Ministerien der Nachbarstädte im 16./ 17. Jahrhundert zunehmend an Einfluss. So schafften z. B. zahlreiche norddeutsche Städte das Amt des Superintendenten im 16./17. Jahrhundert wieder ab, da sie die Spannungen, die aus einem gestärkten Ministerium erwuchsen, künftig zu vermeiden suchten. Hierzu zählen z. B. Lemgo (1540er), Hannover (1560), Magdeburg (1562), Osnabrück (1565–1596),3131 Hamburg (1593), Goslar (1599), Bremen (1616)3132 und Rostock (1675).3133 Andere Städte wie Lübeck bemühten sich darum, den tatsächlichen Einfluss des Superintendenten auf ein Minimum zu reduzieren3134 oder vermieden die Bildung eines Superintendentenamtes von vornherein (Höxter, Erfurt, Frankfurt a.M., Danzig).3135 Sämtliche dieser Prozesse wurden von teils erbitterten Diskussionen um das geistliche Strafamt und den Einfluss der Prediger im Stadtgefüge begleitet – komparatistisch untersucht worden sind sie bislang jedoch kaum.

3130 Vgl. dazu insbesondere Strom, Kirchenzucht, S. 126ff. 3131 Nach der jahrzehntelangen Vakanz entschloss sich der Osnabrücker Rat 1596 zur Neueinrichtung des Superintendentenamtes. Vgl. Sehling, Kirchenordnungen VII 2,1, S. 244. 3132 Vgl. Weygoldt, Stellung, S. 60. Strenggenommen vakierte die Superintendentur nur seit 1616, bis der Rat sie 1656 offiziell beseitigte – 1658 wurde auch das Seniorat abgeschafft. 3133 Zu Lemgo vgl. Schilling, Konfessionskonflikt, S. 99 u. 101. Zu Hannover und Magdeburg vgl. Schoß, Ministerium, S. 98 u. 211; zu Osnabrück vgl. Sehling, Kirchenordnungen VII 2,1, S. 244; zu Hamburg vgl. Schoß, Ministerium, S. 108; zu Goslar vgl. Hesse, Superintendenten, S. 108; zu Bremen vgl. Weygoldt, Stellung, S. 60; zu Rostock, vgl. Strom, Kirchenzucht, S. 133–134. 3134 Vgl. z. B. zu Lübeck: Sehling, Kirchenordnungen V, S. 329: »So entwickelt sich denn, in den politischen Verhältnissen begründet, ein strammes Regiment des Raths. Er ernennt als seinen kirchlichen Beamten den Superintendenten, und weist alle Versuche des Ministeriums, auf diese Ernennung einen Einfluss zu gewinnen, ab (so 1553, 1566), und unterdrückt überhaupt alle Selbstständigkeitsregungen des Ministeriums.« Dazu auch ebd., S. 369. 3135 Zu Erfurt vgl. z. B. Martens, Ministerium, S. 72; zu Danzig: Schoß, Ministerium, S. 187–188.

Ausblick: Einordnung der Ergebnisse im Hinblick auf andere Städte

533

Gleiches lässt sich auch für die nachreformatorische Ehegerichtsbarkeit in den norddeutschen Städten konstatieren. Dass die sich bildenden städtischen Konsistorien noch einer ausführlichen Untersuchung harren, wurde oben bereits gesagt. Doch auch der Diskurs um die Frage, welche rechtlichen Normen fortan für Verlobung und Eheschließung gelten sollten, ist bislang kaum analysiert worden, obgleich er sich in anderen Städten gleichsam im Anschluss der Reformation feststellen lässt.3136 Der Braunschweiger Diskurs hinsichtlich geltender Rechtsnormen zwischen Theologen auf der einen und Juristen auf der anderen Seite scheint hierbei keinesfalls ungewöhnlich gewesen zu sein und prägte noch über Jahrzehnte hinaus die Streitigkeiten im innerstädtischen Ehewesen:3137 Verlobungsrecht, Scheidungsrecht oder Ehegrade mussten wie in Braunschweig immer wieder ausgehandelt werden, da sie in den wenigsten Städten normativ fixiert worden waren. Im Vergleich mit der Entwicklung anderer norddeutscher Städte, kann als Ergebnis festgehalten werden, dass mit Abschluss einer KO auch dort lediglich ein erster wichtiger Abschnitt in der Erneuerung des Kirchenwesens vollendet wurde. Die Phase der Reformation mit ihren teils revolutionären3138 Tendenzen war nach Annahme einer KO zumeist abgeschlossen, wie in der Forschung auch

3136 So schrieb z. B. noch 1616 der Erfurter Senior Weidmann, dass die Stadt keine sonderbahre beschriebene Eheordnung hat, sondern von demselben auf mass und weise, wie bei andern der Augspurgischen Confession zugethanen zugeschehen pflegt, procedirt werden müsse. Zitat nach: Martens, Ministerium, S. 109. Ähnlich verhielt es sich in anderen großen norddeutschen Städten wie Hamburg, Bremen und Magdeburg. Lübeck erstellte zwar nach heftigen Disputen eine eigene Eheordnung, allerdings auch erst 1581. Vgl. Dreyer, Einleitung, S. 33. Hinsichtlich des Sonderfalles der autonomen Landstadt Görlitz, die im 16. Jh. nach wie vor als protestantische Stadt die bischöfliche Ehegerichtsbarkeit akzeptierte, vgl. Behrisch, Lars: Protestantische Sittenzucht und katholisches Ehegericht: Die Stadt Görlitz und das Bautzner Domkapitel im 16. Jahrhundert, in: Isaiasz, Vera; u. a. (Hrsgg.): Stadt und Religion in der frühen Neuzeit. Soziale Ordnungen und ihre Repräsentationen, Frankfurt/ New York 2007 (= Eigene und Fremde Welten, 4), S. 33–66, hier S. 33. 3137 Vgl. Dieterich, Eherecht. 3138 Zur Problematik und Einordnung des Begriffs »revolutionär« bzw. »Revolution« im Kontext der städtischen Reformation vgl. Vogler, Günter: Revolte oder Revolution? Anmerkungen und Fragen zum Revolutionsproblem in der Frühen Neuzeit, in: Ehrenpreis, Stefan; u. a. (Hrsgg.): Wege der Neuzeit. Festschrift für Heinz Schilling zum 65. Geburtstag, Berlin 2007 (= Historische Forschungen, 85), S. 381–409, hier S. 394. Laut Baeumer, der u. a. Braunschweig exemplarisch hinsichtlich revolutionärer Merkmale untersucht hat, kann man der Reformation dort wie in den meisten anderen Städten »den eindeutigen Charakter einer Revolution zumessen, da sie in einem gewaltsamen Umbruch einen grundsätzlichen Wechsel in den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen und in der das Gesellschaftsleben bestimmenden religiösen Weltanschauung herbeiführte.« Vgl. Baeumer, Maximilian L.: Die Reformation als Revolution und Aufruhr, Frankfurt a.M./Bern/ Paris u. a. 1991 (= Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte, 30), S. 30. Siehe dazu insbesondere auch die Arbeiten Scribners.

534

Fazit

oft konstatiert wurde:3139 Die Weichenstellung für die neue protestantische Kirche war damit gelegt. Was bisweilen angenommen, nun aber am Beispiel Braunschweigs erstmals in systematischer Weise aufgezeigt werden konnte, ist die Tatsache, dass der folgende Durchsetzungsprozess des protestantischen Kirchenwesens noch Jahre bis Jahrzehnte währte. Diese Implementation der Reformation manifestierte sich dabei – wie zu sehen – auf nahezu allen Ebenen: Auf rechtlich-institutioneller-, ökonomischer-, personeller- und diskursiver Ebene. Dabei wichen die faktisch umgesetzten Änderungen im Kirchenwesen teils deutlich von den Kirchenordnungen ab, die keinesfalls als Blaupause des nachreformatorischen Kirchenwesens verstanden werden können.3140 Obgleich sich damit der Prozess der reformatorischen Implementation mit jenem der Konfessionalisierung bzw. der konfessionskulturellen Entwicklung zeitlich überlagert,3141 wurde ersterer bislang in der Forschung kaum wahrgenommen. Dabei konnte anhand der Braunschweiger Ergebnisse aufgezeigt werden, dass auch jene Städte, die wie Braunschweig weniger von innerstädtischen Konfessionskonflikten betroffen waren, eine durchaus lange Implementationsphase im Anschluss der Reformation zu durchlaufen hatten. Um von dieser Implementation ein noch differenzierteres Bild zu bekommen, sollten künftig auch die kirchlichen Entwicklungen anderer Städte nach der Reformation in systematischer Form untersucht werden.

3139 Vgl. z. B. Müller, Propheten, S. 74–75 oder Pabst, Typologisierbarkeit, S. 38: »Als Abschluss oder terminus ante quem [der Reformation M.V.] dient eine Kirchenordnung, die über Meß- und Kastenordnung hinausgehend ein eigenständiges Kirchenwesen bewirkte.« Dass es eine einheitliche Definition für den (Zeit)raum der Reformation derzeit nach wie vor noch nicht gibt, dazu Pohlig, Jubiläumsliteratur, S. 227. Dabei fällt in der Tat auf, dass mit dem Begriff »Reformation« auch in städtischen Kontexten zumeist sehr unreflektiert gearbeitet wurde und wird. Etwaige Definitionen, was genau man zeitlich wie inhaltlich unter »Reformation« zu verstehen hat, finden sich kaum. 3140 Am extremsten mag dies u. a. in Lübeck der Fall gewesen sein, wo die Bugenhagische KO nach dem Sturz Wullenwevers zwar 1535 weiterhin offiziell in Kraft blieb, sämtliche Abschnitte mit Gemeindebeteiligung aber faktisch außer Kraft gesetzt wurden. Vgl. Hauschild, Kirchengeschichte, S. 223. Doch auch andere Kirchenordnungen, wie jene in Bremen (1534) oder Goslar (1530) wurden anschließend kaum befolgt oder erheblich modifiziert. Vgl. zu Bremen: Weygoldt, Stellung, S. 46; zu Lüneburg: Cordes, Politik, S. 722–724 und zu Goslar Crusius, Eduard G. F.: Geschichte der vormals Kaiserlichen freien Reichsstadt Goslar am Harze, Osterode 1843, S. 335. Zur Thematik vgl. auch Pohlig, Jubiläumslitaratur, S. 256. 3141 Bisweilen verbinden sich beide Prozesse auch.

6.

Anhang

6.1

Tabellen und Grafiken

536

Anhang

Tabelle 1: Auftreten namentlich nachweisbarer Katholiken (1528–1541) Name des Katholiken Hans Schrader B. (H) Bartold Lafferdes B. (AS)

Schicksal 1529 aus dem Rat entsetzt 1529 aus dem Rat entsetzt

Erwähnung als Katholik 1528 1528

Hans Dammann (AS)

1529 aus dem Rat entsetzt 1529 aus dem Rat entsetzt

Arnd Volkmerot (AS) Cordt Lochte Pfarrer

1529 aus dem Rat entsetzt ?

1528 1528

Probst Hlg. Kreuz Henning Kalm d.Ä. B. (H)

Verfestet Geflohen 1528

1528 1529

Bodo Glümer K. (AS)

Henrick van dem Damme

Vorgeladen (Rathaus) Vorgeladen (Rathaus)

Henrick Gysike (Alexiusbruder) Cord Schorkop K. (N)

Verfestet, dann begnadigt ?

Prediger St. Jakob

Albert Schwertfeger (Vogt)

1528 1528

1529 1529 1529 1529 1529

Werner Koeten (Vogt)

Entlassung Ermahnung, blieb im Amt

Dirck Frygenhagen B. (S) Henning Pawel (Hauptmann)

? Entlassung

1529 1529

Mester Bernd Henning Banßleve

Verfestet Verfestet

1531 1531

1529

De Wachtmester

? (Besuchte das Kreuzkloster) ? (Besuchte das Kreuzkloster)

Katharina Holle (Äbtissin St. Crucis) Peter Wilkens

Entlassung Verfestet

1532 1535

Peter Schlichte Gerwart Lesse (Sohn)

Einlager Verfestet

1536 1536

Tile Lesse (Vater) (Zwei Kanoniker zu St. Blasius)

Einlager, Verfestet Verfestet

1537 1538

Steffen Borchert (Kanonik) Steffen Borcherts Haushälterin

Verfestet Verfestet

1538 1538

De Wertkenstedsche

1531 1531

537

Tabellen und Grafiken

(Fortsetzung) Name des Katholiken Hans Valbergs Sohn

Erwähnung als Katholik 1538

Heinrich Zweidorf

Schicksal Ermahnt Verstorben (1538)

(Pfarrer St. Blasius) Ilse vor dem Peterstor

Verfestet Verfestet

1540 1540

Anna Smalians Gercke Pawel B. (AS)

Verfestet Abgedankt

1540 1541

Weddige Velstidde R. (AS) Johannes Kerckener (Offizial)

Wurde nicht abgedankt Gestorben 1541

1541 1541

1538

B = Bürgermeister, K = Kämmerer, R = Ratsherr, AS = Altstadt, H = Hagen, N = Neustadt, S = Sack

538

Anhang

Tabelle 2: Pfarrherren bis zum jeweils ersten lutherischen Kandidaten (1500–1570) Kirche St. Martini

St. Andreas

St. Katharinen

St. Ulrici

St. Magni

St. Petri

Zeitraum 1496–1532 1533–1543

Pfarrherr Conrad Gossel Dr. Michael Hessen

1543–1553 1553–1557

Ratsbesitz Tile Blanke

1557–1566 1566–1566

Veith Krummen Heinrich Hasenfuß (Gegenkandidat)

1566–1570 1570–1572

Jakob Krummen Andreas Pouchemious (lutherisch)

1499–1527 1527–1536

Dietrich von Linden Bartold Kulstein

1536–1542 15??-1565 1566–1570 1570–1571

Heinrich Rese Heinrich Stappensen Johann Mente Konrad Frölig (lutherisch)

bis min. 1512 1515-min. 1530

Johannes Missener Johann Kalm

min. 1541–1542 1543–1548

Friedrich Wedemeier Ratsbesitz

1548–15?? 1554–1559

Friedrich Wedemeier Johann Papstorf

1559(?)-1568 1570–1579

Tobias Rethem Johann Lenzius (lutherisch)

min. 1505–1513 1514-min. 1530

Hinrick Trappe Georg Irrenberg

15??-1533 1533–1544

Michael Hessen Johannes Kötterlin

um 1554 1570–1580

Johannes Eggerling Peter Netze (lutherisch)

vor 1500–1523 seit 1519

Dietrich Eyne Werner Gralherr (hzgl. Gegenkandidat)

15??-1542 1543–1555

Tile Blanke Ratsbesitz

1555–1557 1558–1570

Tile Blanke Johann Blanke

1570–1583 1507–1521

Heinrich Lampe (lutherisch) Johann Lamberti

1521–1565

Heinrich Stappensen

539

Tabellen und Grafiken

(Fortsetzung) Kirche

Zeitraum 1566–1571 1572–1597

Pfarrherr Johann Zanger (lutherisch) Melchior Neophanus (lutherisch)

St. Michaelis St. Nikolai

1515–1542 min. 1523–1539

Tile Krüger (lutherisch) Johann Kock

1539-min. 1550 1539–1553

Thomas Kellner (lutherisch) Wolfgang Scherffer (hzgl. Gegenkandidat)

Mette (M + K) Predigt (U)

8 Uhr

16 Uhr

14 Uhr Vesper (M + K) 15 Uhr Predigt Paulinerkloster (Ko)

12 Uhr

Montag Predigt (K + P)

Zeit 4/5/6 Uhrb) 7 Uhr

Vesper (M + K) Predigt St. Ulrici (Sup)

Mette (M + K) Predigt (U) Vesper (M + K) Predigt Paulinerkloster (Ko)

Mette (M + K) Predigt (U)

Dienstag Mittwoch Predigt Predigt (M + MG + Bc)) (K + P)

Tabelle 3: Ordentliche Predigtzeiten ab 1528a) Freitag Predigt (K + P)

Vesper (M + K) Predigt St. Ulrici (Sup)

Vesper (M + K) Predigt Paulinerkloster (Ko)

Mette (M + K) Mette (M + K) Predigt (U) Predigt (U)

Donnerstag Predigt (M + MG)

Evangelienpredigtg)

Sonntag Katechismuse)

Vesper (M + K) Beichte (?)

Predigt St. Ulrici (Sup)

Vesper (M + K) Predigt (Ä; Ko)

Predigt Mette (M + K) (A + M; Sup) Beichte (?) Epistelpredigth)

Samstag Predigtd) (M + MG) Beichte (?)f)

540 Anhang

M = St. Martini, K = St. Katharinen, A = St. Andreas, U = Ulrici, MG = St. Magnus, MS = St. Michaelis, P = St. Petri, Ä = St. Ägidien, BMV = St. Marien (Hospital), B = St. Blasius, Jo = St. Johannes, H = Heilig-Kreuz Kapelle, Sup = Superintendent, Ko = Koadjutor. Alle Angaben ohne anschließende Einschränkungen in Klammern sind für alle sieben Pfarrkirchen gültig. a) Tabelle im Wesentlichen nach der KO 1528. Zu Ergänzungen siehe Fußnoten. b) Im Sommer in einigen Kirchen um 4 in anderen um 5. Im Winter beginnt die Katechismuspredigt erst um 6 Uhr. c) Nicht in der KO und auch erst seit 1542 bestehend. Wurde zur Zeit des Pfarrers G. Wittekop abgeschafft, also etwa um 1560. Vgl. H III 7 Bd. 5 Vol. 2, pag. 34. d) Wurde 1560 zu St. Martini, später zu St. Magnus aufgrund des zu lauten geschäftlichen Samstagstreibens auf dem Marktplatz eingestellt. Vgl. H III 7 Bd. 5 Vol. 2, pag. 34. e) An St. Michaelis und St. Marien wird statt des Katechismus um 6 Uhr die Evangelienpredigt gehalten. f) Die Beichte ist in der KO vor dem Abendmahl angeordnet, jedoch wird keine Zeit angesetzt. Zahlreiche Belege, u. a. aus den 1580er Jahren weisen aber auf den Samstag hin. g) Außer St. Michaelis und St. Marien. Die Umsetzung ist jedoch sehr fraglich, um 1549 wurde diese Predigt offensichtlich nicht gehalten. Seit 1549 dann auf Mittwoch verlegt. h) Alle 14 Tage in St. Martini, St. Andreas, St. Magnus, die jeweils andere Woche in St. Katharinen, St. Ulrici und St. Petri.

(Fortsetzung)

Tabellen und Grafiken

541

Predigt Vesper (K; Ko) (MS+P+Ä) Vesperpredigt (M)

Beichte

Predigt St. Ägidien (Ko) Predigt Vesper St. Ulrici (M)f) (Sup)

Hochmessed) Epistelpredigte)

Donnerstag Freitag Samstag Sonntag Beichte Frühpredigt (M + K + A + MG + U) (M + K + A + MG + U + BMV) Betstunde Predigt Frühpredigt (seit 1549) (U + B) (Ä + MS)

a)

16 Uhr Beichte Tabelle im Wesentlichen nach den Angaben in: StadtA BS, H III 7 Bd. 5 Vol. 2, pag. 34ff., sowie Schulordnung 1596 (vgl. Koldewey, Schulordnungen, S. 124–126). b) St. Martini, St. Katharinen, St. Andreas, St. Magni und St. Ulrici um 5 Uhr, St. Marien um 6 Uhr. c) Predigt in St. Johannes seit September 1572 durch einen Prediger zu St. Ulrici. Vgl. Rehtmeyer, Historiae III, S. 383. d) In St. Martini, St. Katharinen, St. Andreas, St. Magni, St. Ulrici und St. Blasius um 8 Uhr; St. Petri und St. Leonhard um 9 Uhr. Vgl. auch StadtA BS, B IV 11 Nr. 165, pag. 143. e) Wechselweise: An einem Sonntag zu St. Katharinen und St. Ulrici (zu St. Petri in 1590ern abgeschafft), am anderen Sonntag zu St. Andreas, St. Martini und St. Magnus. f) 1598 nachzuweisen (St. Martini). Vgl. StadtA BS, B III 15 Bd. 12, Bl. 559r. Sie fand laut Quelle zeitgleich mit der Predigt des Superintendenten statt, daher wohl 15–16 Uhr.

15 Uhr

14 Uhr

Predigt (K + P) Katechismus (U + B)

Mittwoch

Vesper u. Katechismus-predigt (Sup) Katechismus Predigt (A + M + MG) (U; Sup) Predigt (K; Ko)

Predigt Predigt (M + A + MG + Joc))

7 Uhr

8/9 Uhr 12 Uhr

Montag Dienstag

Zeit 5/6 Uhrb)

Tabelle 4: Ordentliche Predigtzeiten um 1600a)

542 Anhang

Betstunde (K)

Predigt (U + B)

Freitag

Beichte

Samstag

Evangelienpr. (Ä) Evangelienpr. (U)

Epistelpredigtb) (M + A + MG bzw. K + U + H)

Evangelienpr. (MS, Ä) Evangelienpr. (Überall außer: MS, Ä, BMV)

Sonntag Katechismuspr. (M + K + A + U + MG) Evangelienpr. (BMV)

a) Tabelle im Wesentlichen nach den Angaben in: HAB WO Xb 146 (32) [VD17 23:250686H]. Ob und wann hier noch Mette/Vesper gehalten wurde, ließ sich nicht ermitteln. b) Vierzehntägiger Turnus: Die eine Woche in St. Martini, St. Andreas und St. Magnus, die andere in St. Katharinen, St. Ulrici und der Kapelle Zum Heiligen Kreuz.

15 Uhr

13 Uhr

Betstunde

Predigt (U)

Donnerstag

Beichte

Predigt (K + P)

Mittwoch

14 Uhr

Predigt (M + A + MG) Predigt (Jo)

Dienstag

Vesper (M + K + A + U + MG) Predigt (M)

Betstunde

Montag

12 Uhr

8 Uhr

7 Uhr

6 Uhr

Zeit 5 Uhr

Tabelle 5: Ordentliche Predigtzeiten um 1700a)

Tabellen und Grafiken

543

544

Anhang

Tabelle 6: Einnahmen des Armenkastens zu St. Blasius 1553–1562a)

Johannis-abend (23. Juni) Michaelis (29. Sep.) Nativitate Dominib) (Weihn.) Pascha-abend (Ostern) Summa

1553/ 54 10 fl 2ß 7 fl 6 ß

1554/ 55 10 fl 7 Mt 7 fl 7ß 1d

1555/ 56 8 fl 5ß 8 fl 6ß

1556/ 57 10 fl 7ß 7 fl 5ß

1557/ 1558/ 1559/ 1560/ 58 59 60 61 9 fl o. A. o. A. 12 fl

1561/ 62 13 fl 14 gr 11 fl

7 fl 2ß

o. A.

o. A.

9 fl 5 gr

7 fl 9Mg

6 fl 6d

8 fl 1 Mg

4 fl 9ß

6 fl 9ß

o. A.

o. A.

11 fl 13 gr

12 fl 2 gr

10 fl 7ß

10 fl

13 fl 11d

17 fl 3ß

o. A.

o. A.

11 fl 5 gr

14 fl 2 gr

~ 36 fl

33 fl 9ß

10 fl 2ß 4d 35fl 2ß

36 fl 17 d

40 fl 40 fl 49 fl 44 fl 50 fl 1 Mg 3 gr 18 gr 3ß6 6d d fl = Gulden; ß = Schilling; gr = Groschen; Mg = Mariengroschen; Mt = Matthiasgr.; d = Pfennig a) NLA WF, 4 Alt 3 Blas Nr. 5671. Vermutlich wurde der Armenkasten zu St. Blasius 1553 erst aufgerichtet. b) An anderer Stelle aber auch Christavende genannt. Obwohl dieser immer zum nächsten Jahr zugezählt wird.

Grafik 1: Austeilungen des Hagener Armenkastens und ihre Ursachen 1550–15703142 Anzahl der Austeilungen des Hagener Armenkastens und deren Zweck (1550-1570) 1000

887

900

Za hl der Austeilungen

800

753

700 600 500 400 300

Davon an Hospitalinsassen

217

209

200 100

80

75

73

25

0

3142 Die Zahlen basieren auf: StadtA BS, F I 4 Nr. 469, Bl. 17r–343r. Die genauen Angaben beginnen leider erst 1550. Es handelt sich hierbei um sämtliche »zufälligen« wöchentlichen Austeilungen von 1550–1570, d. h. um jene Ausgaben, die nicht wöchentlich einem gleichbleibenden Kreis an Hausarmen ausgeteilt wurden.

545

Tabellen und Grafiken Grafik 2: Einnahmen/Ausgaben des Hagener Armenkastens 1550–1570 in Gulden3143 250

200

150 Jahresspenden (Einnahmen) Testamentszinsen (Einnahmen) Wöchentl. Armenausteilung Zufällige Ausgaben

100

50

0 1550

1551

1552

1553

1554

1555

1556

1557

1558

1559

1560

1561

1562

1563

1564

1565

1566

1567

1568

1569

1570

Grafik 3: Heimgefallene Ratsvikarien zu St. Katharinen (1528–1548)3144

Heimgefallene Ratsvikarien St. Katharinen 1528-1548 6 5 4 3 2 1 0

3143 Berechnet nach den Angaben in StadtA BS, F I 4 Nr. 469. 3144 Überwiegend berechnet nach den entsprechenden Sparten der Rechnungsbücher.

546

Anhang

Rektor St. Katharinen

Rektor St. Mar$ni

Prädikant

Koadjutor

Superintendent

Grafik 4: Besoldung der verschiedenen Kirchen-/Schulämter 1528–1599 (in Gulden)3145

1600 1598 1596 1594 1592 1590 1588 1586 1584 1582 1580 1578 1576 1574 1572 1570 1568 1566 1564 1562 1560 1558 1556 1554 1552 1550 1548 1546 1544 1542 1540 1538 1536 1534 1532 1530 0

100

200

300

400

500

600

700

800

900

1000

1528

3145 Die Einbrüche des Superintendenten- und Koadjutorengehaltes sind (z. B. 1544, 1552 und 1599ff) bedingt durch Vakanzen oder Vertretungen (die ein ungleich geringeres Gehalt erhielten). 1599 sinkt das Superintendentengehalt z. B. auf null, da bis 1606 eine Vakanz in diesem Amt eintritt. Das umfangreiche Deputat in Form von Korn, Ochsen, Wein, etc. wurde in dieser Tabelle nicht berücksichtigt, da es sich nicht befriedigend in monetäre Währung umrechnen ließ. Die Angaben basieren vornehmlich auf den Kastenrechnungen und Bestallungsurkunden sowie dem Selbstzeugnisbericht von Chemnitz (abgedruckt bei Rehtmeyer, Historiae III, S. 294).

547

Tabellen und Grafiken

0

5

10

Pfingsten/Johannistag 15

Ostern

20

Weihnachten 25

30

35

40

45

50

Michaelis

Grafik 5: Einnahmen durch den Vierzeitenpfennig an St. Katharinen 1515–1590 (in Gulden)3146

3146 Daten entnommen aus: StadtA BS, F I 4 Nr. 26–77 und StadtA BS, H V Nr. 111. Leider liegt vor 1528 nur die Angabe von 1515/116 vor.

548

Anhang

Grafik 6: Preisentwicklung für einen Scheffel Roggenkorn in Braunschweig 1534–15993147 8,25 7,75

7

1599 1597 1594

7,5

1593 6

1592

6,5

1590 5

1588

5,58

6,8

1586 1585

5,91 6

1584 1583

6,5

1582

7,4

1581 1579 1578

5,7

1577 5

1576

6

1571 5,25

4

1570 1568

5,5 5,5

1567 1565

5,3 5,25

4,41

1566 1564 1563 3,625

4

1555 1554

5

1553 1,5 1,5

1549 1548

5

1547 2,4

1543

2

1542

1,7

1540

1,4

1539

3

1538 1,5 1,4

1537 1536 0

1

2

3

4

5

6

7

8

1

1534

9

Preis (in Gulden) für ein Scheffel Roggenkorn

5 5,18

8

1580

3147 Berechnungen auf Basis der Angaben in den Kastenrechnungen zu St. Martini (StadtA BS, F I 1 Nr. 2–46). Bei den Kommazahlen handelt es sich häufig um Mittelwerte, sofern im gleichen Jahr verschiedene Kornpreise erzielt worden sind.

549

Tabellen und Grafiken Grafik 7: Vorherige Tätigkeit der berufenen Prediger 1528–15993148

Vorherige Tä$gkeit der berufenen Prediger 1528-1599

n = 83

30

25

20

15

10

5

0

Grafik 8: Gründe der Predigerentlassungen 1528–15993149

Gründe der Predigerentlassung 1528-1599 7

n = 14

6

Zahl der Prediger

5

4

3

2

1

0 Konfessionelle Gründe

Poli$sche Gründe

Unzucht

Krankheit

Alter

3148 Die ehemaligen Mönche sind ausnahmslos ein Phänomen der 1520er/30er Jahre, ebenso der Handwerker und der Vikar. 3149 Vgl. StadtA BS, H III 7 Bd. 1, Bl. 9r.

550

Anhang

Grafik 9: Druckorte der Schriften Braunschweiger Geistlicher 1528–15993150 20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0

Grafik 10: Politisch-soziale Einbindung der Kastenherren 1528–15993151 40 35

37

30 25 20

22 18

15 10

8

5 0 Erst Kastenherr dann Ratsherr/Zehnmann

Erst Ratsherr dann Kastenherr

Kastenherr ohne weitere Ämter (Patrizierfamilie/ Weiße Ringe)

Kastenherr ohne weitere Ämter (keine Patrizier)

3150 Überwiegend zusammengetragen aus den Daten des VD16. 3151 Daten entnommen aus den Kastenrechnungen, Rechnungsbüchern, Chroniken sowie Spieß, Ratsherren.

551

Tabellen und Grafiken Grafik 11: Herkunft der Stipendiaten ehemaliger Vikarien in der Altstadt 1570–15993152

Geschlechter, 1. Stand (Patrizier)

13% 23%

Weiße Ringe, 2. Stand (Kaufleute/Pfarrer/Sekretäre) Ratsgildefamilien (Handwerker) 27%

10%

Untere Mi!elschicht (Handwerker, Kantoren, Torwächter etc.)

Auswär$ge 17%

10%

Unbekannt

n = 30

Grafik 12: Soziale Stellung der Pfarrherren 1520–15703153 12

Anzahl der Pfarrer

10

11

8

6

5

4

4

4

2

2

0

n = 26

Hzgl. Ho#edienstete

Kinder hzgl. Hofdiener (zwecks Studium)

S$"skanoniker, Pröpste

Städ$sche Prediger

Unbekannt

3152 Daten u. a. aus StadtA BS, G II 1 Nr. 71 sowie diversen Urkunden. 3153 Daten u. a. aus diversen Rechnungsbüchern, Briefen und Kopialbüchern des StadtA BS.

552

Anhang

Grafik 13: Jährliche Kommunikanten der St. Andreaskirche 1586–16063154 6000 5172 (Pest) 5000

4000 3414 3433

3250 3000

3219

3403 3325 3387 3283

3612 3589

3460 3460 3153

3067 2726

2645

3308

2853 2779 2775

2000

1000

0 1586 1587 1588 1589 1590 1591 1592 1593 1594 1595 1596 1597 1598 1599 1600 1601 1602 1603 1604 1605 1606 Kommunikanten zu St. Andreas

3154 Daten nach: StadtA BS, E 20, pag. 813. Leider beginnen die Aufzeichnungen erst 1586.

Tabellen und Grafiken

553

Grafik 14: Intendierte Laufwege der Martini- und Katharinenkurrende um 15703155

3155 Nach StadtA BS, G II 1 Nr. 99, Bl. 7r–10r. Hintergrundkarte entnommen aus: Hänselmann, Ludwig; Mack, Heinrich (Hrsgg.): Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Bd. 3,1, Abtheilung: 1321–1340, Braunschweig 1905, Bl. 2 [Anhang].

554

Anhang

Abbildung 1: Braunschweiger (?) Taufe ohne Stola (1591)3156

6.2

Abgedruckte Quellen

Text 1: Bestallungsvertrag Ludolf Petersens vom 6. 7. 15413157 Wi borgermester vnd radt der stadt to Brunswig bekennen openbar jn dussem breve vor vns vnse nakomen allesweme vnd betügen, dat wi den werdigen vnd wolgelarten hern Ludollfe Petersen dar to bestalt vnd angenomen hebben, dat he vns de tidt sins levendes vnd so lange he daranne mit ogenschinliger swackheit nicht vorhindert wert vor vnsen prediger vnd dener des worts des hern jn vnser par kercken to sunct Marten denen vnd sin ampt wo sick egent vnd gebort mit predigen leren sacrament reken vnd visiterunge der kranken, wol verhegen will, dar vor wi ome jerliges to einer besoldunge achtentich gulden munte vorsprochen, de wi ome twintig vp Michaelis twintig vp Winachten twintig vp ostern de anderen twintig vp Joh[ann]is Babtiste betaln vnd vth vnser schatkasten to Sunte Marten alle jahre entrichten laten willen, dar to hebbe wi one ok angesehin mit dem prediger lene so jtwen her Gerdt Rischow von vns gehat dat he de renthe so nu schersten Michaelis bedagt dar von baren vnd jerligs de tidt sins levendes so ofte de bedagen werden 3156 Entnommen aus: [Braunschweiger Prediger]: Tauffbüchlein/ des Herrn D. Martini Lutheri. Zusampt Einer kurtzen/ Christlichen vnd einfeltigen Erklerung deselben. Gestelt durch die Prediger der löblichen Stadt Braunschweig, Magdeburg 1591 [VD16 A 827], [Titelblatt]. Bayerische Staatsbibliothek München, 4 Liturg. 363, Image 4, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10164 289-8. 3157 StadtA BS, A III 1 Nr. 301.

Abgedruckte Quellen

555

manen vnd vpheven moge, war ok gute her Ludolff so swack worde dat he vorberorten solt nicht mochte vordenen vnd wi einen andern jn sine stede tovorordnen von noden hedden so schal om dennoch de jerlige renthe von vorberortem lene, dewile he levet vnd levet ful deger vnd alle folgen, wan he aver mit dode vorfallen denne vnd nicht ehir scholde vns de renthe vorberots lenes weder fri vnd los gefallen sin, wor ok sin jtzige ange[traute] husfruwe sinen her Ludolffs dot erleven worde, so willen wi se mit temliger behusunge vorsorgen darjnne se sick mit oren kindern ton eheren vnderhalden moge, solange dat se wieder bi erlige woninge moge gebracht werden, wi hebben im ok de vortrostunge gedan vnd doin solchs jn krafft dusses breves wor sine sone einer worde geraden, datmen erkennen mochte dat he darto bequeme dat wi densulven welck van vnsen gemakeden stipendijs alsden tom ersten worde vorledigen der ein wolden eine tidtlang jnnemen vnd davon studern laten vp dat de ok also mochte to guden künsten ertogen werden, darjegen sik gemelte her Ludolff vorplichtet, de tidt sins levendes bi vns to blivende vnd so lange jn vorberortem ampte to denen wente dat an solcks lives opentlige swackheit dat de almechtige lange friste vorhindern werde alles getrewlich vnd vngeferlig to orkunde sin dusser breve twe van einem lude geschreven, der ein bi vns dem rade de ander bi vp gutem hern Ludolffe enthalden werden, vnd de alle beide hebben wi der radt vnd her Ludolff mit vnser stadt secret vnd minem her Ludolffs angehengkten pitzer vorsegelt, begeven den midweken na Visitationis Mariae Virginis anno etc. jm ein vndvertigsten jar. Text 2: Eingriffe in die Pfarre St. Martini seit der Reformation, undatiert (1540er)3158 Was der radth der stadt Brunsvick m[einem] g[gnädigen] h[herrn] für eingriff anh der pfharr sanctj Marthini gethann Erstlich haben sie hernn Conradt Gossel3159 seligenn ab getrot prieff vndt sigel für ailffhundert guldenn gutter, so durch hernn Conradj, vnß armenn priestern auß testamenten ist zw einer memorij gegeben, der die pfarherrn feri curatores vnd eynnehmher gewesenn, vnersucht vndt vnvebilligt m[einem] g[gnädigen] h[herrn] Jtem halden nun mir for xiii ℔ vnd xiiii ß neyge, welche sendt meine vorvadern denn pfarhernn alzeyt gereicht vom rathhauß der oldenstadt aus stifftung bej dem selben radt, vndt von etlichenn gardenn zinsen so ein radth hatt auff sich genohmen, das die cleyrisey soldenn khein gutter habenn, die nicht schotte gebenn 3158 StadtA BS, B IV 11 Nr. 14, Bl. 6r. 3159 Pfarrherr zu St. Martini von 1496–1532. Vgl. Tabelle 2.

556

Anhang

Jtem meher dann xi gulden: vndt 14 schoffel draides wirth dem pffarher vorgehaldenn, dar vonn sie sollenn licht vndt wachs vndt olie holdenn, daß der pfarher dar zw gebenn hatt 1442 Jtem ii huff landes zw Bredenn Jtem zw Kremling ein hoff vndt ein huff Zw Evesen ii huff landes Jtem meher denn 100 gulden zw den iiii opfern vndt ii vmbgengen Jtem 150 gulden vonn seelmessen, prautlagern, kindertauff vndt ander accidentia Jtem vber 100 gulden aus andernn stifften, festenn, vndt gestifft in der kirchenn Text 3: Vokationsordnung vom 4. 7. 15603160 Declaratio vp de articull der angenohmenen christlichen ordninge, de vocation der prediger betreffend. Ein erbar kokenradt vnd teinmenne, hebben vth christligen vnd genochsam dartho bewegenden orsaken, nach vorgehabtem tidtligen vnde eindrechtiglig salvirt vnd verordnet, demnach in vnser christlichen ordnung clerlich versehen vnd ock lofflig hergebracht, wan in einem wichbelde edder enderm orde dußer stadt Brunschwigk nodig vorfolgt, einen predicanten tho vociren vnd für dem, Dat sodane vocatio durch den raht deßulven wichbildes mit thodaen der verordenten provisorn vnd vorstender der kercken, dar des predicanten behorff is, vnd tho forderst mit wetten vnd fullborde der herrn superintendentis vnd coadiutoris schal bestellet vndt vthgerichtet werden, dat hinfürder nicht allein vestiglig darover geholden werden, Sunder idt schal ock folgents (dewile in dussen sorgsamen vnd geverligen lüffen, in velen orden allerley erdem vnd schwermerey inriten) keine person, se sy wes wirden edder standes se wille, thom sehel sorger vnd predigambt vocirt vnd erfürdert werden, idt geschehe dan mit vorgehender bewilligung aller der andern wichbelde, vnd idt sy dan thovorn wol beschinet vnd im wergke befunden, dat sodane person tom predigambt düchtig, reiner vnd gesunder leher, gelehret genoch de lehre mit der hilligen godtligen schrifft tho bewehren, vnd den weddersakern wedder tho staende, christliges vnd tüchtiges levendes vnd derma3160 StadtA BS, B I 2 Nr. 13, pag. 63–64. Die Ordnung wird hier erstmals abgedruckt. Eine nahezu identische Abschrift findet sich unter der Signatur: StadtA BS, B IV 11 Nr. 162, Bl. 1r.

Abgedruckte Quellen

557

ten qualificirt, dat ohres levendes halven kein ergernüs gegeven werden moge, tho deme schall desulve person ehe dan ehr dat predigambt gestadet vnd bevolen werden schall, sick thovorn von dem herrn superintendenten vnd coadijutore vor dem gantzen colloquio examiniren laten, vnd dar vor desulve dermaten wo obgemelt, düchtig befunden worde, iuramentum prestiren, dat se by der Auspurgischen Confession, erkanten warheit, reinen vnd gesunden lehre bestendiglig verharren wille, vnd darup thom predigambt vnd ministerien der kercken admittirt vndt thogelaten werden, Besloten den 4 Julij Ao d 60. Text 4: Annahme und Unterschrift des Corpus Doctrinae durch das Ministerium 15643161 Anno 1564 den 21 junij haben ein erbar wolweiser radth dieser loblichen stadt Braunschweigk an daß colloquium durch vier bürgermeister vnd ihren alten syndicum herrn Dietrich Preußen werben laßen, weil ihr erb[bar] w[ürden] wider die manigfeltige schwebende jrthumb vnd corruptelen mit reiffen rad vnd bedencken ein corpus doctrine, vermüg ihrer praefation zusamengetragen, dabei sie auch bedacht, wider aller widerstandt vnd anfechtung, wie gott dieselbige vber vns verhengen müchte, vnverruckt, vnd bieß in die grueben bestendig zu pleiben, Auch derhalben keinen in dem ampt des heiligen ministerij bej ihnen zu dulden, welcher dar wider itzund oder kunfftige zeit, sich wider etwas vernehmen laßen, daß wir der vrsache solchen corpori doctinae vnterschreiben, vnd beneben ihrer e[hrbar] w[würden] verharlich dabei bleiben wolten, welches wir also mit hertzlicher dancksagung angenhomen vnd verwilliget haben actum ut supra. Text 5: Hebammenordnung von 15713162 Artikel so aus vnd vermüge dero kirchenordnung den bademüttern fürgehalten werden. Ao 1571 12. septembr. per D. Chemnitium. Zum ersten. Daß sie sich allweg ihres beruffs fleißig offt vnd woll erinnern sollen: Nemlich daß Gott zu seinem hohen großen wunderbarlichen werck, do es selbs die mutter bricht:3163 Jes. 66 vnd wie David spricht Ps. 22 die kinder aus mutterleibe selbst zeugt, jhrer der bademutter dienst gebrauchen will. Daher auch in der schrifft 3161 StadtA BS, G I 2 Nr. 75, Bl. 1r. 3162 StadtA BS, B I 15 Nr. 9, Bl. 13r–18r. Spätere Abschrift des Eides, vermutlich frühes 17. Jahrhundert. 3163 Hier steht tatsächlich »bricht«. Vermutlich ist dies ein Fehler der Abschrift und muss ursprünglich »spricht« lauten.

558

Anhang

Exod. 1 des ambts der bademütter [Bl. 13v] herlich mit verheißung Gottes gnade vnd segens gedacht wird. Derhalben solle die bademütter von ihrem beruff vnd ambt viel halten vnd auch derwegen in großer gottsfurcht verrichten, also da gott selbs bey ist. Zum andern. Sollen sie keine abergläubische wortt, gebehrde oder segenerey gebrauchen, sondern das werck von gott anfangen, vnd nicht allein für sich bitten, sondern auch die andern frawen, vnd sonderlich die gebehrende frawen zum gebet vermahnen, daß Gott bey dem wercke sein, die fraw in gnaden entbinden, einen fruntlichen anblick [Bl. 14r] der frucht geben will, daß sie durch die heilige tauffe ihm mögen zugebracht werden. Vnd weil feine gebetbüchlein davon vorhanden, wehr es gutt, daß daraus etlich schone gebette offt, weil die noth weret, fürgelesen würden, vnd daß das gebett mit großem ernste geschehen müchte, wehr gutt, daß zum anfange die frawen alle zum gebet auf die knie fielen. Zum dritten. Sollen sie den gebehrenden frawen nicht mit hartten oder mürischen wortten vnfreundlich zusen, sie auch nicht mißtrösten, oder zaghafftiger vnd [Bl. 14v] zweiffelhaftiger wortt gegen der gebehrenden frawen sich hören laßen, sondern auf Gottes gnaden wol trösten, die frawen vermahnen, vnd mit freundtlichen, behertzten, trostlichen wortten den frawen ein hertz einreden, wie das auch der lenge in der kirchenordnung außgeführet wirdt, vnd sollen ihne die bademütter das capittel aus der kirchenordnung offt verlesen laßen. Zum vierdten. Sollen sie bey den armen frawen allen fleiß vnd mue, eben so woll als bey den reichen beweisen: daß sie sich nicht verleugen laßen, wan sie zu den armen gefordert werden [Bl. 15r] vnd nicht zu sehr hinweg eilen, vnd die armen weiber vertreiben, wie offt geschieht. Denn so sie dadurch an dero gesundtheit beschedeget, sein die bademütter daran schuldig, vnd da es ihnen bey gar großen armuth an tranckgelde mangelt, wollen wir prediger den bademüttern aus dem armenkasten vor ihren nutze etwas vorschaffen. Zum fünfften. Jm nothfall soll eine bademutter ihr selbs nicht zu viel vertrawen, sondern andern frawen vnd bademüttern rath vnd hülfe brauchen: [Bl. 15v] vnd nicht wiederrathen andere zufordernde, sondern bey zeiten darzu rathen, vnd sonderlich die doctores medicos vmb rath ersuchen.

Abgedruckte Quellen

559

Zum sechsten. Wan das kindt im mutterleib noch ist, oder wen es noch nicht gar geborn ist, sollen sie keine tauffe nicht gebrauchen; sondern wen sie vermercken, daß die frucht, ehe dan daß sie gantz geboren, schwach, vnd gefahr am leben möchte haben; So sollen die bademütter die andern frawen vermahnen, das kindtlein durchs gebett dem lieben gotte fürzutragen, vnd aufzuopffern: Dann [Bl. 16r] also konnen die eltern deß beßern trost haben, wen das kindtlein die heilig tauffe nicht bequeme: Vnd hirvon sollen sie sich auch aus der kirchenordnung das capittel von den hebammen vorlesen laßen. Zum siebenden. Wan das kindtlein gebohren, vnd sehr schwach ist, daß mans nothtauffen muß, sollen sie vorhero die vmbstehenden frawen erinnern, daß sie durch ihre gebet das schwach kindlein, dem hern Christo sollen helffen zutragen, vnd fleißig darauf acht geben, daß sie waßer nehmen, das [Bl. 16v] kindt begießen, vnd die wortt recht sprechen; Jch tauffe dich im nahmen Gottes des Vaters, des Sohnes vnd des Heiligen Geistes. Da es aber etwas verzug leiden könnte, sollen sie laßen einen prediger fordern, der das kindtlein im hause teuffe, vnd wen das kindt getauffet ist, sollen sie es vmb des geprengs willen in keinem wege dem prediger verschweigen, sondern daß die frawen, so bey der nodtauffe gewesen, als zeug[en] mit in die kirche kommen. Jtem, daß man die tauffe nicht aufziehe, sondern vermanen, daß sie [Bl. 17r] zur tauffe, so viel ihnen müglich mit den kindern eilen. Zum achten. Wen das kindtlein gebohren vnd gereiniget, vnd die mutter zu bette gebracht ist, sollen die bademütter die andern frawen vermahnen, daß sie auf ihre knie fallen, vnd gott von hertzen ein dancksagung thun. Zum neunden. Jst auch der bademutter ambt, daß sie im kindelbett die frawen offt besuchen vnd rath geben etc. Jtem sie vermahnen, daß sie nicht zu frühe außgehen, vnd da große armut vorhanden, [Bl. 17v] daß die kinderbetterin ihre noturfft nicht haben, sollen sie den predigern solches vermelden. Zum zehenden. Wen die frawen wollen zur kirchen gehen, sollen sie die bademütter vermahnen, daß sie eine gemeine offentliche dancksagung thun vor sich, vnd das kindt dem lieben Gott befehlen.

560

Anhang

Zum eilfften. Wen in der noth oder sonsten etwas sonderliches fürfiele, sollen allezeit die bademütter sich bey den predigern rath erholen. Zum zwölfften. [Bl. 18r] Daß sie bey den huren in der noth mit fleiße fragen nach dem rechten vatter, vnd sich nicht so leicht laßen abweisen, oder sonst vertuschen helffen, Jtem vermahnen, daß sie der jungen kinder pflegen, vnd sollen die bademütter offt hingehen vnd zusehen, daß die huren die kinder nicht verseumen, daß sie desto eher ammen werden möchten. Ao 1571, den 12. septemb. Text 6: Bericht über den Ablauf der Ordination von 1561, aufgezeichnet (nach) 15913164 Bericht. Wie es bey der ordination eines newen predigers pflegt gehaltten zuwerden. 1. Wen der prediger auff der cantzel fertig ist, fenget der cantor an zusingen veni sancte spiritus vnter deßen tritt der prediger für den altar, der superintendens aber vndt coadiutor iegliche auff eine seite des altars 2. Wen auff dem chor ausgesungen, so singet der prediger den versiculum. Jn omnem terram exirit sonus eorum illa. R. chorus: et in fines etc. Darauff lieset der prediger diese collectam: Oremus deus qui corda fidelium, sancti spiritus illustratione docuisti etc. 3. Nach der collect tritt der prediger vor dem altar abe, an des superintendenten stelle, der superintendens aber (oder der es an seine statt verrichte) tritt fur den altar vnt fehet die ordinatione an

3164 StadtA BS, H III 7 Nr. 3, Bl. 36r–36v. Die Agende, dem der Bericht entstammt, wurde vom Braunschweiger Rechen- und Schreibmeister Johann Cotz (bzw. Cotiano) 1591 in Fraktur geschrieben. Der Ordinationsablauf wurde in Kurrentschrift hinzugesetzt, dürfte der Handschrift nach aber gleichsam aus der Zeit vor/um 1600 stammen, evtl. sogar noch von Cotz selbst. Dieser liturgische Ablauf lässt sich auch wörtlich bis ins Jahr 1561 zurückverfolgen. So heißt es in einer Agende von 1661 (die den wortgleichen Ablauf enthält), sie sei aus vorigem im jahr Christi 1561 geschriebenem exemplar von neuen umgeschrieben. StadtA BS, G II 4 Nr. 39, Bl. 1r. Dass das Formular in jeder Einzelheit tatsächlich Anwendung fand, beweist StadtA BS, G II 1 Nr. 9, Bl. 27v (1653).

Abgedruckte Quellen

561

4. [Bl. 36v] Wen dem novitio pastori von einem ieglichen frater die handt auffgeleget worden, tritt ein ieder wieder an seinen ohrtt, der superintendens gehet auch vom altar abe, vndt tritt der prediger wieder vor den altar vnter deßen singet der cantor Nun bitten wir den heiligen geist. 5. Wen der gesang gesungen, so fenget der prediger für dem altar an zu singen daß Vater Vnser vndt die verba coenae wie sonsten auf den sontagh zur communion, mitler weile bleibett der novitius stets fur dem altar an seinem ortte kniene, vndt wen man die ersten wort institutionis gesungen, so hebett der cantor darauff an zu singen ite in orbem Vnter deß richtet der prediger dem novitio weil er noch kniendt corpus christi nach dem gesange singet der prediger den andern theil verborum institutionis Text 7: Braunschweiger Beeidigungstext auf die Konkordienformel seit 15883165 Formula subscriptionis d[omi]nj D. Martini Kemnicij piae memoriae Wir hirunter geschriebene kirchen vnd schuldiener in der stad Braunschweigk vnd derselbigen angehorige bekennen, das wir die Formula Concordiae von den streitigen artikeln, wie dieselbige aus aller kirchen census letzlich conformirt, vnd das daraus extract mit vleis gelesen vnd wol bewogen, vnd befunden, das darin nichts anders, dan eben die lere, welche in Gottes wort gegrundet, vndt bißher in dieser, vnd anderer Niedersechsischer kirchen gefhühret vnd bekand worden, begriffen jst. Derwegen wir vns für dem angesicht Gottes, vnd der gantzen christenheit bey den jtz lebenden, vnd so nach vns kommen werden, bezeiget haben wollen, das diese jtzt gethane erclerung, von allen vorgesetzten vnd erklerten streittigen artikeln, vnd kein anders vnser glaub, lere vnd bekenthnüs sey, jn welcher wir auch durch die gnade Gottes mit vnerschrockennem hertzen für dem richterstull Jesu Christi erscheinen, vnd deshalben rechenschafft geben, dawieder auch nichtes heimlich noch offentlich [Bl. 459v] reden oder schreiben wollen, sondern vormittelst der gnaden Gottes dabey gedencken zu pleiben, haben wir wolbedechtig in Gottes furcht vnd anruffung vns mit eigenenn handen vnterschrieben etc. Den 9. Oct. Anno etc. 88. Polycarpus Leiser D. ecclesiae Brunsuicensis coadiutor, propia manu subscripsit [Es folgen die Unterschriften aller Prediger in eigener Hand bis ins Jahr 1671 sowie anschließend jene der Schuldiener].

3165 Vgl. StadtA BS, B I 14 Nr. 15, Bl. 459r–459v. Es handelt sich hierbei um einen Druck des Konkordienbuches von 1580, an dessen Ende nach der obigen Formel alle Prediger und Lehrer bis 1671 handschriftlich unterschrieben haben.

562

Anhang

Text 8: Präsentationsformular eines Predigers um 16003166 Formula. Einen prediger so woll e[einem] e[hrbaren] rathe als e[inem] e[hrwürdigen] ministerio mutatis mutandis, for der vocation, vermüge der capitulation von ao 1571, 12 juni zu praesentirn, so mündlichen geschiehet Ehrnveste etc. Aldiweil vermüege der ordnung de an[n]o 1571. den 12 junij zwischen e[einem] e[hrbaren] rath vndt e[einem] ehrb[aren] ministerio uffgerichtet, uff absterben eines predigers nach forhergehendem gebette 2. personen zur probpredigen vndt zur wahl gestellt werden sollen, vnd numehr die noturft erfordert, das an hern M. Volkerlingij stelt einer hinwiederumb vocirt werden muß, so haben die borgermeister, camerer, vndt rathspersonen im weichbild Sack vndt S. Ulrici beurschaft, wie auch kirchvorsteher, die ehrwidige vndt wolgelarte hern Hieronymum Probst, cappelan zu Elbingerode, vndt M. Stockheimium vermocht, das jeder zuvolge obgemelter loblicher ordnung fur der christlichen gemeinde eine probepredigt verrichtet, welche sie dan ihres theils beiderseits nicht zutadeln wissen. Alldieweil aber mehr angezogener ordnung erfordert, das die 2. persohnen so zur probe gepredigt, e[einem] e[hrbaren] hochw. rathe vndt e[einem] e[hrbaren] ministerio fur der vocation nominirt vndt namhaft gemacht werden sollen, als wirdt gebetten, e. e. rath sich grosgonstig erklaren wolt, ob e[uer] ehrb[ar] w[ürden] sich gefallen lassen, das aus benanten personen einer zum prediger der kirchen zum Brüdern erwehlet vndt vocirt werde, hetten wihr uns darnach furtes zurichten, vndt thun uns hiemit in Gottes gnediger beschirmung befehlen, Datum etc. Gleichlauts an e[einem] e[hrbaren] Ministerium. Text 9: Bericht vom Ablauf der Predigervokation an St. Ulrici (ca. 1640)3167 Was bei der prediger wahl zu observiren Wan ein prediger erwehlet werden sol, wirdt durch die herrn des weichbilds Sack vnd vorsteher der kirchen ein tag bestimmet, wan das gebet sol angefangen wer3166 StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 92r. Der undatierte Text beschreibt die Präsentation von H. Probst, welcher 1619 schließlich gewählt wurde. Er stammt somit aus dieser Zeit. Der Titel des Textes zeigt jedoch, dass diese formula bereits längere Zeit als stehende Floskel in Gebrauch war. Er ist aus der Sicht des Weichbildrates an den Rat bzw. das Ministerium (mutatis mutandis) verfasst. 3167 StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 107v. Datierung erfolgte anhand der umgebenden Einträge im Kopialbuch.

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Abgedruckte Quellen

den, Ehe man das gebet anfänget muß es zuvor dem hern superint[endent] angezeiget werden, hernach wan dan einer zur gastpredigt sol vocirt werden, wirdt es dem hern superintendent vnd auch herrn directori in der Altenstadt vnd coadiutorj angezeiget, das die herrn vnd vorsteher den oder den wollen zur gastpredigt vociren, ob sie bei derselben persohn etwas zu erinnern haben, des gleichen geschiehet auch wan er zur probe predigt sol vociret werden, wan der prediger dan von den herrn vnd vorstehern ist erwehlet, wird es dem herrn superattendenten wiederumb angezeiget, das die persohn zum prediger erwehlet, mit bitte der herr superintendent wolle das examen befordern, wan das examen geschiehet, gehen die vorsteher mit ins examen, nach dem examine, gehen dieselbe in die gerkammer vnd der herr examinant aufn cohr [sic!], dan kompt der herr superintendent zu ihnen den vorstehern, vnd bericht, wie es im examine bestanden, darauf gehen dan die vorsteher zu dem prediger in seine herberge vnd zeigen ihm an, nach dehme sie vernommen, das das examen so abgangen, das man nichts zu tadeln gehabt, als wollen sie gebeten haben, er wolle sich nun, ie ehe ie lieber, mit seiner gantzen familia anhero verfügen, damit er möge ein gefüret werden, wozu dan die kirche wagen vnd pferde bestellen muß vnd alle vnkostung wegen der kirch zahlen Wan der herr superattendent, den newen pastore introduciret hat, wirdt ihm von der kirchen 2 ducaten verehret, es ist auch für diesem wol gebreuchlig gewesen, das, wan der newe prediger examiniret oder eingefüret worden, das dan ein convivium ist angestellet, in des vorstehers hause im weichbild Sack, vnd seind dazu gebeten die hern bürgermeister zu weichbild, der her superintendent, coadiutor, der alte vnd newe prediger, die vorsteher. Text 10: Wahlvorgang der Kastenherren im Sack (ca. 1650)3168 Wahl eines vorsteher oder diaconj Wan ein vorsteher der kirchen od[er] ein diaconus sol erwehlt werden, so vereinigen sich die hern bürgermeister des weichbilds Sack, zweyer persohnen, welche auf die wahl sollen gesetzet werden, solches wird dem eltesten prediger dieser kirchen zuvor kund gethan, ist ein bürgerm[eister] in Ulrici burschafft, werden mit deßen einrathen, 2 persohnen nominiret vnd auf die wahl gesetzet; Es leßet der director od[er] obervorsteher der kirchen, die hern vorhero zusahmen vodern in die opperey, zeiget ihnen wie das derselben wißend, das die stelle eines vorsteher der kirchen erlediget, vnd erster müglichkeit wied[er] ersetzet werden müßte, wan den herrn nur beliebete das den nechsten Sontag das gebet nach altem gebrauch sol angefangen werden als wolle er der herrn meinung darüber vernehmen. Wan 3168 StadtA BS, G II 7 Nr. 4, Bl. 106r–106v. Datierung erfolgte anhand der umgebenden Einträge im Kopialbuch.

564

Anhang

dan geschloßen wird, das es geschehen sol, wird dem opperman alsbald befohlen den ersten Sontag ein zettel nach alter gewonheit auf die cantzel zu tragen, doch den herrn predigern es erst wißend zu machen dan wird 2 sontage vnd 2 freitage gebeten, den letzten freytag geschiehet die wahl aufm chor in der kirch zu solcher wahl werden den tag vorhero, die herrn des weichbildes Sack, auch vorsteher vnd diaconj, in die Brüdern kirchen gebeten; wan sie beisahmen fänget der regierende bürgermeister des weich die herrn vnd vorsteher auch diaconj in Ulrici wan nun die herrn aufm chor beisamen, zeiget der regiernd bürgerm[eister] des weichbilds Sack an, zu welchem ende die herrn vocirt, daß weil eine stelle eines vorstehers dieser kirchen erlediget, wehren von den herrn zu weichbild zwen personen auf die wahl gesetzet, alß N: N: wolten sich die hern vernehmen laßen, welchen sie vermeinen vnter den beiden zu erwehlen sei, darauf gibt der bürgerm[eister] sein votum, dan die zwen prediger, dan die camerary, rathshern, vorsteher vnd diaconj, der regierende B. machet den schluß, zeiget den an das die majora auf die persohn gefallen, welchen der liebe Gott gnade vnd segen dazu geben wolle, zeiget ferner an, das die hern vor daß mahl können erlaßen sein, darauf gehen sie von ein ander [Bl. 106v] vort denselben nachmittag werden die herrn vnd vorsteher aufs Sack rahthauß gefordert auch den new erwehlter vorsteher, vnd wiert als dan beeidiget Wan einiger von den herrn nicht aufn chor kommen können, werden deroselben vota eingeholet, in einem versiegelten zetteln, worauf ihren zu voderst die beiden nahmen so auf die wahl komen sollen versiegelt zugesandt werden darebej ihre vota verlieset der her bürgermeister vnd wird also keinem cämerer noch einigen herrn auch vorstehern, vorhero kundt gethan wer auf die wahl kommen sol, als allein dem eltesten prediger dieser kirchen, daher dan zu gleich an die handgegeben wirdt auf welche persohn die hern ziehlen, welchen sie unter zween erwehlet werden soll.

6.3

Abkürzungen

Archivkürzel StadtA BS StadtA GÖ StadtA H StadtA HI NLA WF NLA HA LKA WF HStA Dresden LASA Magdeburg

Stadtarchiv Braunschweig Stadtarchiv Göttingen Stadtarchiv Hannover Stadtarchiv Hildesheim Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel Niedersächsisches Landesarchiv Hannover Landeskirchliches Archiv Wolfenbüttel (Sächsisches) Hauptstaatsarchiv Dresden Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Standort Magdeburg

Quellen- und Literaturverzeichnis

565

Zeitschriftenkürzel ARG BsJb HZ (Beihefte) JGNKG MJ NdSächsJb NOA N. F. ThLZ UB WA ZfG ZGNKG ZHF ZHG ZHV

6.4

Archiv für Reformationsgeschichte Braunschweigisches Jahrbuch (für Landesgeschichte) Historische Zeitschrift (Beihefte) Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte Mecklenburgische Jahrbücher Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte Nordost-Archiv. Zeitschrift für Regionalgeschichte Theologische Literaturzeitung Urkundenbuch Weimarer Ausgabe der Lutherwerke Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte Zeitschrift für Historische Forschung Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen

Quellen- und Literaturverzeichnis

6.4.1 Ungedruckte Quellen Stadtarchiv Braunschweig A I 1 und A III (Urkunden) B I 1, B I 2, B I 3, B I 4, B I 5, B I 6, B I 7, B I 14, B I 15, B I 16, B I 18, B I 24 (Stadtbücher) B II 1, B II 4, B II 5 (Rechnungsreihen) B III 1, B III 2, B III 5, B III 11, B III 15 und B III 16 (Altes Ratsarchiv) B IV 1, B IV 4, B IV 6, B IV 11, B IV 13 und B IV 15 (Altes Ratsarchiv) C VI Nr. 321 (Geistliches Gericht) C IX Nr. 100 (Konsistorialprotokolle) F I (Rechnungen, Kirchen) F II (Rechnungen, Wohlfahrtsanstalten) F III (Rechnungen, Schulen) G I (Kirchenbehörden) G II (Pfarrkirchen und sonstige kirchliche Anstalten) G IX (Nachlässe, Familien- und Firmenarchive) H III (Sammlungen, Stadtgeschichtliche Sammlung) H IV (Bodesche Sammlung) H V (Sacksche Sammlung) H VI (Neuere Handschriften) R (Revidenda)

566

Anhang

Stadtarchiv Hildesheim Best. 100–153 Nr. 68 (Briefe)

Stadtarchiv Göttingen Kirchensachen, Nr. 5207 (Vokationen u. a.)

Stadtarchiv Hannover 1.AA.2.01, Nr. 1805 (Briefe)

Landeskirchliches Archiv Wolfenbüttel OA 86 Braunschweig (Dom, St. Andreas u. St. Petri) OA Braunschweig allg. 36 u. Braunschweig Generalia 21 (Stadt Braunschweig betreffend) Voges 215, 242 und 299 (Konsistorialprotokolle und Visitationen)

Niedersächsisches Landesarchiv Hannover Cal. Br. 21, Nr. 34, 406, 411, 413–415, 417, 420, 430 (Braunschweig-Wolfenbüttel) Celle Br. 53, Nr. 1, 2, 18, 17/2, 28/1, 28/2, 29/1, 29/2 (St. Cyriaci und St. Blasius)

Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel 1 Alt 29 (Streitigkeiten mit der Stadt Braunschweig) 139 Urk Nr. 102, 104, 105 und 7 A Urk sowie 9 Urk (Urkunden) 4 Alt 3 Blas (Akten zum St. Blasiusstift) 2 Alt und 4 Alt (Kanzlei und Kammer) 11 Alt Blas (Akten zum St. Blasiusstift) 11 Alt Cyr (Akten zum Cyriacusstift) 11 Alt Crucis (Akten zum Kloster St. Crucis) 11 Alt Aegid Fb. 1 (Akten zum Kloster St. Ägidien) 40 Slg, Nr. 25 (Verordnungen Heinrichs d.J.) 298 N, Nr. 893 (Briefe)

Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Standort Magdeburg A 13 Nr. 74, 839 und 1162 (Briefe) A 1 Nr. 103 (Briefe)

Quellen- und Literaturverzeichnis

567

Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden 10024 Geheimer Rat Nr. Loc. 07263/18–19, Loc. 7256/10, Loc. 9713/11 (Geheimes Archiv)

6.4.2 Gedruckte und edierte Quellen [Div. Autoren]: Bekentnis von dem Sacrament des leibs vnd bluts Christi/ aller Predicanten zu Braunschweig/ durch D. Marti. Luther zu Wittemberg vberlesen/ vnd fur Christlich erkandt/ Mit einer kurtzen Vorrede D.Johannis Bugenhagij Pomerani, Magdeburg 1531 [VD16 B 1576]. Boockmann, Andrea (Hrsg.): Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528, Wiesbaden 1993 (= Die deutschen Inschriften, Göttinger Reihe 5). Bieber-Wallmann, Anneliese (Hrsg.): Johannes Bugenhagen. Reformatorische Schriften, Bd. 1 (1515/16–1524), Göttingen 2013. Bucer, Martin: Gutachten für den Schmalkaldischen Bund. Das Bedencken vonn Kirchengüeterenn, zu Braunschwig den Stenden furgegeben, 13. Juli 1538, in: Stephen Buckwalter (Barb.): Schriften zu Kirchengütern und zum Baseler Universitätsstreit (1538–1545), Gütersloh 2007, S. 25–32. Bucher, Martin: Deutsche Schriften. Martin Bucers Deutsche Schriften, Bd. 12, hrsg. von Gottfried Seebaß und Christoph Strohm, Gütersloh 2007. [Braunschweiger Prediger]: Tauffbüchlein/ des Herrn D. Martini Lutheri. Zusampt Einer kurtzen/ Christlichen vnd einfeltigen Erklerung deselben. Gestelt durch die Prediger der löblichen Stadt Braunschweig, Magdeburg 1591 [VD16 A 827]. Campe, H.A. August Freiherr von (Hrsg.): Regesten und Urkunden des Geschlechtes von Blankenburg-Campe II. Aus der Zeit von 1301–1607, Berlin 1893. Chemnitz, Martin; Zanger, Johann: Die Reine gesunde Lehre/ von der wahren gegenwertigkeit/ des Leibs vnd Bluts Christi in seinem abendmal/ wie dieselbe in den Euangelischen kirchen/ der Augspurgischen Confession verwandt/ bißanher gelehret ist […] zusamen gezogen/ durch M. Martinum Kemnitz/ Prediger zu Braunschweig. Jetzundt aber […] ins deutsch verfertiget/ durch Johannen Zanger Oenipontanum, auch Prediger daselbst […], Leipzig 1561 [VD16 C 2212]. Chemnitz, Martin; Zanger, Johann: Leuterung der proposition oder schlusreden Alberti Hardenbergers/ von dem Abendmal des HErrn/ welche er auff dem Kreistag zu Braunschweig/ den Stenden des Nidersechsischen kreis vbergeben hat […] Zuuor in Latein gestellet durch Herrn M. Martinum Kemnitz. Jtzt aber ins Deutsche gebracht/ durch Johannem Zanger Oenipontanum, Eisleben 1561 [VD16 C 2149]. Chemnitz, Martin; Zanger Johann: Vom newen Orden der Jesuwider/ Was jr glaube sey/ vnd wie sie wider Jesum/ vnd wider sein heiligs Euangelion streitten/ […] zuuor in Latein durch M. Martinum Kemnitz gestelt/ Jetzt aber […] Ins Deutsch gebracht. Durch Johan. Zanger Oenipontanum, Eisleben 1562 [VD16 C 2219]. Chemnitz, Bedencken; ders.: De dvabvs natvris in Christ. De Hypostatica earvm vnione: De commvnicatione Idiomatum, Jena 1570 [VD16 C 2162].

568

Anhang

Chemnitz, Martin: Bedencken der Theologen zu Braunschweigk von dem newen Wittenbergischen Catechismo gestellet der gantzen Christenheit zur Warnung ausgangen, [Jena] 1571, S. 12 [VD16 C 2156]. Chemnitz, Martin: Examen Decretorvm Concilii Tridentini. In qvo ex sacrae scripturae norma, collatis etiam orthodoxis uerae et purioris Antiquitatis testimonijs ostenditur […], Frankfurt a.M. 1573 [VD16 C 2168]. Chemnitz, Martin: Gründlicher Bericht/ Wie es mit der einführung vnd bestettigung des newen Bischoffs zu Halberstatt zugangen sey. Zusambt D.Martini Chemnitij Superintendenten zu Braunschweig Iudicio an Hertzog Iulium zu Braunschweig, [o.O.] 1573 [VD16 C 2191]. Chemnitz, Martin: Handbüchlein der fürnemsten Heuptstücke der Christlichen Lehre […], Magdeburg 1579 [VD16 C 2179]. Chemnitz, Martin: D. Martini Kemnicii: Bericht vom newen Bapstischen Gregoriano Calendario/ an den Landgraffen zu Hessen/ etc., [o.O.] 1584 [VD16 ZV 3229]. Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Bd. 16: Die Chroniken der niedersächsischen Städte, hrsg. von der Historische Kommission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften, Braunschweig, Bd. 2, Leipzig 1880. Clemen, Otto: Sechs Briefe aus Braunschweig an Melanchthon, in: ZGNKG 43 (1938), S. 110–116. Corvinus, Anton: Warhafftig bericht/ Das das wort Gotts ohn tumult/ ohn schwermerey/ zu Gosler vnd Braunschweigk gepredigt wird, Wittenberg 1529 [VD16 C 5438]. Cunze, Friedrich: Ein Brief des Euricius Cordus aus Braunschweig (1523), in: Jahrbuch des Geschichtsvereins für das Herzogtum Braunschweig 1 (1902), S. 103–107. Dingel, Irene (Hrsg.): Die Konkordienformel, Göttingen 2014 (= Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Quellen und Materialien, 2). Dolle, Josef (Hrsg.): Urkundenbuch der Stadt Braunschweig Bd. 6, Hannover 1998 (= Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens im Mittelalter, 23). [o. A.]: Eins Erbarn Raths der Stadt Braunschweig/ andere warhafftige/ bestendige/ vn[d] vnuorneinliche vorantwurtung […], [o.O.] 1541. Empsychovius, Hermann: Solidum Responsum ad Georgii Braunii in Gradibus B. Mariae Colloniensis decani maledicum […], Tremoniae [= Dortmund] 1609. Garzmann, Manfred R.W. (Hrsg.); Pingel, Norman-Mathias (Bearb.): Teiledition der Chronik des Braunschweiger Bürgermeisters Christoph Gerke (1628–1714), Braunschweig 2000 (= Quaestiones Brunsvicenses: Berichte aus dem Stadtarchiv Braunschweig, 11/12). Gasmerus, Johann: Oratio de Vita et obitv reverendi & doctißimi viri D. Henrici Lampadii, Senioris ministerii Ecclesiae Brunsuicensis, & totos 58. annos ad S. Magnum pastoris Euangelici primi, in qua simul Ecclesiae Brunsuicensis ab idolomaniis papisticis repurgatae initia & progressus exponuntur, [o.O.] 1590. Gebhardi, Julius Justus: Der mit dem Matthäus-Stifft verbundene grosse Caland zum H. Geist. Oder Historische Nachricht von dem Stiffte S. Matthäi in Braunschweig […], Braunschweig 1739. Günzburg, Johann Eberlin von: New statute die Psitacus gebracht hat vß dem la[n]d Wolfaria welche beträffendt reformierung geystlichen sta[n]d Der X. bu[n]dtgnosz, [Basel 1521], [VD16 E 113].

Quellen- und Literaturverzeichnis

569

Günzburg, Johann Eberlin von: Ein newe ordnu[n]g weltlichs sta[n]dts das Psitacus anzeigt hat in Wolfaria beschriben Der XI. bu[n]dtgnosz, [Basel 1521], [VD16 E 114]. Hamelmann, Hermann: Secunda Pars Historiae Ecclesiasticae Renati Euangelii Per Inferiorem Saxoniam & VVestphaliam, [o.O.] 1587 [VD16 H 390]. Hänselmann, Ludwig (Hrsg.): Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Bd. 1: Statute und Rechtebriefe 1227–1671, Braunschweig 1873. Hänselmann, Ludwig: Zwei Gedichte aus der Reformationszeit, in: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung 9 (1883), S. 83–94. Hänselmann, Ludwig: Bugenhagens Kirchenordnung für die Stadt Braunschweig, Wolfenbüttel 1885. Hänselmann, Ludwig (Hrsg.): D. Gottschalk Krusens Klosterbruders zu St. Aegidien in Braunschweig Unterrichtung, warum er aus dem Kloster gewichen. Nach dem Urdruck mit einer geschichtlichen Einleitung und einem Glossar, Wolfenbüttel 1887. Hänselmann, Ludwig (Hrsg.): Mittelniederdeutsche Beispiele im Stadtarchive zu Braunschweig. Zweite, veränderte und um Register vermehrte Auflage, Braunschweig 1932 (= Werkstücke aus Museum, Archiv und Bibliothek der Stadt Braunschweig, 6). Hänselmann, Ludwig; Mack, Heinrich (Hrsgg.): Urkundenbuch der Stadt Braunschweig, Bd. 3,1, Abtheilung: 1321–1340, Braunschweig 1905. Hortleder, Friedrich: Der Römischen Keyser- und Königlichen Maiestete[n]/ Auch des Heiligen Römischen Reichs Geistlicher unnd Weltlicher Stände […] Handlungen […], Frankfurt a.M. 1617. Kayser, Karl (Hrsg.): Die reformatorischen Kirchenvisitationen in den welfischen Landen 1542–1544. Instruktionen, Protokolle, Abschiede und Berichte der Reformatoren, Göttingen 1897. Koldewey, Friedrich (Hrsg.): Braunschweigische Schulordnungen von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1828, Bd. 1, Berlin 1886 (= Monumenta Germaniae paedacogica, 1). Leporinus, Melchior; Leyser, Polycarp: Historia iesvitici ordinis, das ist: Gründtliche vnd außführliche Beschreibung des Jesuitischen Ordens/ vnnd jhrer Societet […], Frankfurt a.M. 1594 [VD16 H 719]. Leyser, Polycarp: Leichpredigt, bei dem begrebniß, des weiland […] Achatii von Veldtheim. Erbsassen zu Harpke und Dernburg […], welcher den 12. Novembris des 88ten Jars zu Harpke […] eingeschlafen ist […], Braunschweig 1588 [VD16 ZV 20245]. Leyser, Polycarp: Von abschaffung des Excorcismi Bey der heiligen Tauffe/ Jm Fürstenthumb Anhalt. Rath vnd Bedencken. Doctoris Polycarpi Leyseri, Superintendenten zu Braunschweig. Gestellet auff ansuchung etlicher Fürnehmer vom Adel/ Jm Fürstenthumb Anhalt. Vnd vom gantzen Ministerio zu Braunschweig/ approbiret vnd vnterschrieben. Alles zur rettung des Christlichen Tauffbüchleins Herrn Doctoris Martini Lutheri […], Erfurt 1591 [VD16 L 1438]. Leyser, Polycarp: Vom Exorcismo. Ejn Christlicher/ nötiger vnd in Gottes Wort wolgegründter Bericht. Gestellet von Polycarpo Leysern D. Superintendenten in der Stadt Braunschweig. Zu widerlegung der langen vnd vngegründten Schrifft/ welche die Prediger des Fürstenthumbs Anhalt/ in diesem Artikel wider jhn publicieret haben, Jena 1592 [VD16 L 1473]. Leyser, Polycarp: Rettung der Ehren vnd Vnschuld D. Polycarpi Leisers/ Churfürstlichen/ Sächsischen Hoffpredigers […], Leipzig 1606 [VD17 23:645505 V].

570

Anhang

Medler, Nikolaus; Pistorius, Johannes: Zeychen am himmel bey Braunschweig gesehen/ durch die prediger D. Nicolaum Medler vnd M. Johannem Pistorium geschriben, [Magdeburg] 1549 [VD16 ZV 21685]. Meibom, Heinrich: Außführlicher Warhaffter/ Historischer Bericht/ darin zu befinden/ Wie sich bey Regierung des Hochwürdigen/ Durchleuchtigen, Hochgebornen Fürsten vnd Herrn/ Herrn Henrici Ivlii […] die Stadt Braunschweig/ gegen S.F.G. Wiedersetzig vnd Rebellisch bezeigt habe. Ander Teil, [o.O.] 1607. Meibom, Heinrich: Chronicon Marienthalense. Heinrich Meiboms Chronik des Klosters Marienthal 1138–1629, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Gottfried Zimmermann, Braunschweig 1988. Melanchthon, Philipp: Melanchthon-Briefwechsel – Regesten online. [https://www.hadw-b w.de/forschung/forschungsstelle/melanchthon-briefwechsel-mbw/mbw-regest?rn=44 56, Abruf: 5. 6. 2020]. Mörlin, Joachim: Historia, Welcher gestalt sich die Osiandrische schwermerey im lande zu Preussen erhaben/ vnd wie dieselbige verhandelt ist/ mit allen actis/ beschrieben Durch Joachim Mörlin D. vnd Superintendent zu Brunschwig […], Magdeburg 1554 [VD16 M 5879]. Mörlin, Joachim: Das Osiandri Jrthumb mit keiner vorgessenheit zustillen/ oder hin zulegen sey. Joachimus Mörlin. D. […], [o.O.] 1555 [VD16 M 5865]. Mörlin, Joachim: Trewliche warnung vnd trost an die Kirchen in Preussen. Joachimus Mörlin D. […], Magdeburg 1555 [VD16 M 5886]. Mörlin, Joachim: Ein Sendtbrieff D. Doctoris Joachimi Morlini an den Vogel/ eingedrungenen Prediger in der Stifftkirchen des Kniphoffs zu Königsberg in Preussen, Magdeburg 1556 [VD16 M 5885]. Mörlin, Joachim: Verantwortung/ Der Prefation/ so fur die Lüneburgischen Artickel gestelt ist. Wider D. Maiors Vorrede. D. Joach. Mörlin […], Eisleben 1562 [VD16 M 5887]. Mörlin, Joachim: Von dem Beruff der Prediger […], Eisleben 1565 [VD16 M 5889]. Neophanus, Melchior: Catalogvs et Historia concionatorvm, qvi repvrgatione doctrinae Euangelij in Ecclesia Brunsuicensi docerunt […], Hamburg [1590] [VD16 N 1364]. Pöpping, Eberhard: Neues Rechenbüchlein auf Linien und Federn, Braunschweig 1587 [VD16 P 4258]. Rhegius, Urbanus: Verantwortung dreyer gegenwurff der Papisten zu Braunswig/ dar jnn fast jr gröster grund ligt/ zu dienst dem Ersamen Heisen Oschersleuen, Wittenberg 1536 [VD16 R 1995]. Rhegius, Urbanus: Wie man die falschen Propheten erkennen ia greiffen mag/ Ein predig/ zu Mynden jnn Westphalen gethan/ durch D. Vrbanum Rhegium, Braunschweig 1539 [VD16 R 2022]. Rüthing, Heinrich (Hrsg.): Die Chronik Bruder Göbels. Aufzeichnungen eines Laienbruders aus dem Kloster Böddeken 1502 bis 1543, 2. Auflage, Bielefeld 2006 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, 44,7). Sander, Autor: Vnderrichtung ym Rechten Christeliken Gelouen vnde leuende/ an de Christen tho Hildesem, Magdeburg 1528 [VD16 S 1598]. Schramm, Jonas Conrad: Synopsis Corporis Doctrinae Jvlii […], Helmstedt 1712. Sehling, Emil (Hrsg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 5, Aalen 1970 [= Leipzig 1913].

Quellen- und Literaturverzeichnis

571

Sehling, Emil (Begr.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 6: Niedersachsen. I. Hälfte: Die welfischen Lande. I. Halbband, Tübingen 1955. Sehling, Emil (Begr.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 6: Niedersachsen. I. Hälfte: Die Welfischen Lande. II. Halbband, Tübingen 1957. Sehling, Emil (Begr.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 7: Niedersachsen. II. Hälfte: Die außerwelfischen Lande. I. Halbband, Tübingen 1963. Sehling, Emil (Begr.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 8: Hessen. I. Hälfte, Tübingen 1965. Sehling, Emil (Begr.); Sprengler-Ruppenthal, Anneliese (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 7: Niedersachsen. II. Hälfte: Die außerwelfischen Lande. II. Halbband: 1. Teil, Tübingen 1980. Sehling, Emil (Begr.), Arend, Sabine (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Einundzwanzigster Band: Nordrhein-Westfalen I, Tübingen 2015. Sehling, Emil (Begr.); Dörner, Gerald (Bearb.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 7: Niedersachsen. II. Hälfte: Die außerwelfischen Lande. II. Halbband: 2. Teil, Tübingen 2016. Senckenberg, Heinrich Christian von; Schmauß, Johann Jacob (Hrsgg.): Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, welche von den Zeiten Kayser Conrads des II. bis jetzo, auf den Teutschen Reichs-Tägen abgefasset worden […], Teil 2, [Frankfurt a.M.] 1747. Spanuth, Friedrich: Quellen zur Durchführung der Reformation im Braunschweig-Wolfenbüttelschen Lande 1551 bis 1568, in: ZGNKG 32 (1937), S. 241–288. Steinführer, Henning: Hermann Botes Braunschweiger Zollbuch. Edition und Kommentar, in: Steinführer, Henning; Heitzmann, Christian; Scharff, Thomas (Hrsgg.): 500 Jahre Schichtbuch. Aspekte und Perspektiven der Hermann-Bote-Forschung, Braunschweig 2017 (= Braunschweiger Werkstücke, 116), S. 145–235. Strombeck, Friedrich Karl von (Hrsg.): Leben des Herzogs Julius zu Braunschweig und Lüneburg von Franz Algermann, Helmstedt 1825. Tschackert, Paul (Hrsg.): Briefwechsel des Antonius Corvinus. Nebst einigen Beilagen, Hannover/Leipzig 1900 (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, 4). Vechelde, Carl Friedrich von (Hrsg.): Tobias Olfen’s, eines braunschweigischen Rathsherrn, Geschichtsbücher der Stadt Braunschweig, Braunschweig 1832. Vogt, Otto (Hrsg.): Dr. Johannes Bugenhagens Briefwechsel. Gesammelt und herausgegeben durch Otto Vogt, mit einem Vorwort und Nachträgen von Eike Wolgast, Hildesheim 1966 (= Baltische Studien, 38). Vogt, Karl August Trautgott (Hrsg.): Johannes Bugenhagen Pomeranus: Leben und ausgewählte Schriften, Elberfeld 1867. [o. A.]: Warhafftige vorantwortunge vnd ablenunge eins Erbarn Raths der Stadt Braunschweig/ wieder Hertzog Heinrichs zu Braunschweig vnd Lüneburg etc. vngnedig vnerfintlich ausschreiben […], [Magdeburg] 1540. Wehking, Sabine (Bearb.): Die Deutschen Inschriften. Die Inschriften der Stadt Braunschweig von 1529–1671, Wiesbaden 2001 (= Die deutschen Inschriften, Göttinger Reihe, 9).

572

Anhang

[o. A.]: Wiederholte Christliche Gemeine Confeßion vnd Erklerung. Wie in den Sechsischen Kirchen vermöge der heiligen Schrifft/ vnd Augspurgischen Confession […] gelehret wird, Wolfenbüttel 1571[VD16 C 2229].

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Schubert, Christian: Conrad Pöpping (1588–1657), Schreib- und Rechenmeister in der alten Stadt Braunschweig, in: Gebhardt, Rainer (Hrsg.): Arithmetische und algebraische Schriften der frühen Neuzeit, Freiberg 2005 (= Schriften des Adam-Ries-Bundes Annaberg-Buchholz, 17), S. 127–140. Schubert, Ernst: Die Antwort niedersächsischer Kirchenordnungen auf das Armutsproblem des 16. Jahrhunderts, in: JGNKG 89 (1991), S. 105–132. Schubert, Ernst: Der Fremde in den niedersächsischen Städten des Mittelalters, in: NdSächsJb 69 (1997), S. 1–44. Schubert, Ernst: »Hausarme Leute«, »starke Bettler«. Einschränkungen und Umformungen des Almosengedankens um 1400 und um 1500, in: Oexle, Otto Gerhard (Hrsg.): Armut im Mittelalter, Ostfildern 2004 (= Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte, 58), S. 283–347. Schuster, Beate: Frauenhandel und Frauenhäuser im 15. und 16. Jahrhundert, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 78,2 (1991), S. 172–189. Schütte, Otto: Zum Volksleben in Braunschweig vor dem Dreißigjährigen Kriege, in: Braunschweigisches Magazin 7 (1906), S. 78–82. Schütte, Otto: Begräbnisse in Braunschweig im 16. und 17. Jahrhundert, in: Braunschweigisches Magazin 11 (1906), S. 127–130. Schütte, Otto: Lehrer und Schüler in Braunschweig im 16. und 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde 45 (1912), S. 226–233. Schwarz, Ulrich: Braunschweiger Bürgersöhne als Stiftsherren von St. Blasius um 1400, in: Arend, Sabine; u. a. (Hrsgg.): Vielfalt und Aktualität des Mittelalters. Festschrift für Wolfgang Petke zum 65. Geburtstag, 2. durchgesehene Auflage, Bielefeld 2007 (= Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, 48), S. 167–190. Schwerhoff, Gerd: Historische Kriminalitätsforschung, Frankfurt/New York 2011 (= Historische Einführungen 9). Scribner, Bob: Reformation, carnival and the world turned upside down, in: Social History 3,3 (1978), S. 303–329. Seebaß, Gottfried: Der Prozess gegen den Täuferführer Hans Hut in Augsburg 1527, in: Seebaß, Gottfried (Hrsg.): Die Reformation und ihre Außenseiter. Gesammelte Aufsätze, und Vorträge, Göttingen 1997, S. 227–243. Sehling, Emil (Hrsg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Band 6: Niedersachsen. I. Hälfte: Die welfischen Lande. I. Halbband: Die Fürstentümer Wolfenbüttel und Lüneburg mit den Städten Braunschweig und Lüneburg, Tübingen 1955. Seim, Matthias: Reformation und Stadtverfassung. Die inneren Auseinandersetzungen in den Städten der Landgrafschaft Hessen im frühen 16. Jahrhundert, Marburg 2017 (= Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag, 33). Seven, Friedrich: Fahret also yn gedult. Die Geschichte der Reformation in Goslar, Bielefeld 2017 (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar. Goslarer Fundus, 57). Sissakis, Manuela: Das Wachstum der Finanzgewalt. Kriegs- und Herrschaftsfinanzierung im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel zur Regierungszeit Herzog Heinrichs d.J. (1515–1568), Hannover 2013 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 270).

Quellen- und Literaturverzeichnis

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598

Anhang

Gelehrter mit europäischem Profil, Braunschweig 2016 (= Quellen und Forschungen zur braunschweigischen Landesgeschichte, 49), S. 76–92. Steinführer, Henning: Kurze Geschichte der Hansestadt Braunschweig, Braunschweig 2017. Steinführer, Henning (Hrsg.): Die Bestände des Stadtarchivs Braunschweig. Bearbeitet von Katja Matussek, Hartmut Nickel, Mark Opalka, Anne Kathrin Pfeuffer, Henning Steinführer; unter Mitwirkung von Carola Zaske, Britta Hemme, Katharina Beckmann, Ines Kandora, Enrico Kullrich, Meike Buck, Vanessa Witte, Braunschweig 2018 (= Braunschweiger Werkstücke, 115). Steinführer, Henning: Zur Geschichte der Reformation in der Stadt Braunschweig – Ein Überblick, in: Hoffmann, Birgit; Pöppelmann, Heike; Rammler, Dieter (Hrsgg.); Reformation: Themen, Akteuere, Medien. Beiträge zur Ausstellung »Im Aufbruch. Reformation 1517–1617« vom 7. Mai-19. November 2017 in Braunschweig, Braunschweig 2018 (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig, 26), S. 67–87. Steinführer, Henning: Ein Urkundeninventar des Braunschweiger Dominikanerklosters aus dem Jahr 1529, in: Graf, Sabine; Rößner, Regina; Steinwascher, Gerd (Hrsgg.): Archiv und Landesgeschichte. Festschrift für Christine van den Heuvel, Göttingen 2018 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 300), S. 115–133. Steinführer, Henning: Zwischen Reich und Fürstenherrschaft – Die Städte Braunschweig und Magdeburg im Ringen um ihre Selbstständigkeit zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert, in: Kälble, Mathias; Wittman, Helga (Hrsgg.): Reichsstadt als Argument. 6. Tagung des Mühlhäuser Arbeitskreises für Reichsstadtgeschichte Mühlhausen 12.bis 14. Februar 2018, Petersberg 2019 (= Studien zur Reichsstadtgeschichte, 6), S. 151–176. Stolleis, Michael: Was bedeutet »Normdurchsetzung« bei Policeyordnungen der Frühen Neuzeit?, in: Ruppert, Stefan; Vec, Milosˇ (Hrsgg.): Ausgewählte Aufsätze und Beiträge, Frankfurt a.M. 2011 (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 265). Strom, Jonathan: Kirchenzucht und Obrigkeitskritik. Religiöse Reform in Rostock 1648– 1675, in: JGNKG 92 (1994), S. 125–138. Strom, Jonathan: Das Rostocker Geistliche Ministerium und sein Archiv, in: MJ 110 (1995), S. 51–76. Stübner, Johann Christoph: Historische Beschreibung der Kirchenverfassung in den Herzogl. Braunschweig=Lüneburgischen Landen seit der Reformation. Erster und zweiter Theil, Goslar 1800. Sühring, Hartmut: »Öffentliche widersprechung« (1590) – eine Protestschrift des Rats der Stadt Braunschweig und seines Syndikus’ Michael Mascus gegen die »Famosschrift« (1590) von Nikodemus Frischlin (1547–1590). Mit 2 Abbildungen, in: BsJb 63 (1982), S. 121–125. Täubrich, Rainer: Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel (1489– 1568). Leben und Politik bis zum Primogeniturvertrag von 1535, Braunschweig 1991 (= Quellen und Forschungen zur braunschweigischen Geschichte, 29). Teistler, Gisela: Fibeln als Dokumente für die Entwicklung der Alphabetisierung: Ihre Entstehung und Verbreitung bis 1850, in: Bödeker, Hans Erich; Hinrichs, Ernst (Hrsgg.): Alphabetisierung und Literalisierung in Deutschland in der Frühen Neuzeit, Tübingen 1999 (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung, 26), S. 255–281.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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600

Anhang

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Quellen- und Literaturverzeichnis

601

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