Die hessische Politik in der Zeit der Reichsgründung (1863–1871) [Reprint 2019 ed.] 9783486743289, 9783486743272


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German Pages 237 [244] Year 1914

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Die Schleswig-Holsteinische Frage bis zur Londoner Konferenz
II. Von der Londoner Konferenz bis zum Vertrag von Gastein
III. Vom Gasteiner Vertrag bis zum Frieden von Berlin
IV. Im Norddeutschen Bund bis zu dem Deutsch-französischen Krieg
V. Der Krieg mit Frankreich und Dalwigks Sturz
Schluß
Beilagen
Personenregister
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Die hessische Politik in der Zeit der Reichsgründung (1863–1871) [Reprint 2019 ed.]
 9783486743289, 9783486743272

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Historische Bibliothek Herausgegeben von der

Redaktion der Historischen Zeitschrift

34. B a n d :

Die hessische Politik in der Zeit der Reichsgründung (1863-1871) Von E R N S T VOÜT

München und Berlin 1914 Druck und Verlag von E. Oldenbourg

Die hessische Politik in der Zeit der Reichsgründung (1863-1871) Von

ERNST VOGT

München und Berlin 1914 Druck und Verlag von R. Oldenbourg

Goswin Freiherrn von der Ropp in Verehrung und Dankbarkeit gewidmet

Vorwort. Die vorliegende Schrift ist erwachsen aus Vorarbeiten zu einer Biographie Heinrichs von Gagern, mit der mich dessen Kinder und Enkel betraut haben. Gagern lebte in den hier behandelten Jahren als hessischer Gesandter in Wien; durch seinen Bruder Max und dessen Kollegen Biegeleben und Meysenbug, sowie durch einen ausgedehnten Freundeskreis hat er manches erfahren, was anderen mittelstaatlichen Gesandten unzugänglich blieb. Ein reichhaltiger Briefwechsel, in dem die Konzepte zu eigenen wichtigen Schreiben nicht fehlen, und eine stattliche Zahl von Notizen, die für die unmittelbar praktischen Zwecke des Gesandten und wohl auch für eine spätere Autobiographie gesammelt wurden, boten manches Material, das in der Darstellung von Gagerns Leben, in dem der Wiener Aufenthalt doch nur ein Kapitel aus dem Abgesange bildet, nicht wohl einen Platz finden kann. Natürlich ist dies Material einseitig und auch für das hier behandelte Thema unvollständig, über so manches wird erat die Öffnung der Staatsarchive für die Jahre vor 1870 Aufklärung schaffen, aber unter dieser Schwierigkeit leiden ja fast alle Arbeiten über die neueste Zeit, und wenigstens ein kleines Stück weiter in der sicheren Fixierung der Geschichte der 60 er Jahre hofft auch dieses Büchlein zu führen.

VIII

Vorwort.

Auf die innere Geschichte Hessens werde ich in einer demnächst erscheinenden Lebensskizze meines Großvaters Wilhelm Wernher von Nierstein, des Freundes von Gagern, näher eingehen. Hier habe ich sie nur, soweit der Zusammenhang es erforderte, berücksichtigt. Andererseits bin ich zuweilen über den Rahmen des Themas ein wenig hinausgegangen und habe mitteilenswerte Nachrichten zur politischen Geschichte anderer deutscher Staaten nicht unterdrückt, die sich in dem mir geöffneten Archive fanden und nicht zu weit vom Gegenstande abführten. Ich hoffe, man wird dies nicht tadeln. Mit viel Freude denke ich bei dem Abschluß des Schriftchens an die genußreichen Arbeitswochen im Gagernschen Archive und sende der Schloßherrin von Neuenbürg in treuer Anhänglichkeit einen dankbaren Gruß. Herrn Dr. Bollacher in Darmstadt habe ich für die freundliche Überlassung der Abschrift eines Teiles des Dalwigkschen Tagebuches aus dem Jahre 1866 zu danken. Mein Freund Fritz Vigener in Freiburg i. B. hatte die Liebenswürdigkeit, die Korrektur mitzulesen, und meine Frau hat mich bei der Anfertigung des Registers unterstützt. G i e ß e n , Weihnachten 1913.

ERNST VOGT.

Inhaltsverzeichnis. Einleitung

1

I. Die Schleswig-Holsteinische Frage Konfeienz

bis

zur

Londoner 9

II. Von der Londoner Konferenz bis zum Vertrag von Gastein I I I . Vom Gasteincr V e r t r a g bis zum Frieden von Berlin IV. Im Norddeutschen B u n d

bis

.

34 75

zu dem Deutsch-franzö-

sischen Krieg

122

V. Der Krieg mit Frankreich und Dalwigks Sturz . . . .

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Schluß Beilagen: I. Brief Dalwigks an Gagern vom 19. Juni 1864 . . . . II. Desgl. vom 20. Sept. 1865 I I I . Brief Dalwigks an Beust vom 9. April 1867 . . . . und Gagerns an Dalwigk vom t6. April 1867 . . . . IV. Brief Dalwigks an Gagern vom 31. Okt. 1868 . . . V. Bericht des hess. Gesandten von Breidenbach in S t u t t g a r t an Dalwigk vom 18. Okt. 1870

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Personenregister

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Es hat bisher noch keinen Historiker gereizt, die Geschichte des Großherzogtums Hessen-Darmstadt in den Jahren zu erzählen, in denen das Geschick des preußischen Staates sich vollendete und der erste Teil der deutschen Frage des 19. Jahrhunderts gelöst wurde, Kleindeutschland unter Preußens Führung zu einem einheitlichen starken Reich zusammengeschmiedet ward. Der Mangel an Quellen war nicht der einzige Grund; für andere Staaten flössen sie auch nicht reichhaltiger. Die Aufgabe lockte nicht: ein Volk, das einen fast Bieglosen Kampf gegen die strengste Reaktion von oben führte, eine Regierung, die in einem ruhmlosen Kampf gegen die Forderungen einer neuen Zeit unterlag. Dabei alles eng und klein: Kampfplatz und Kampfpreis, aber auch Kampfesmittel. Der Maßstab der Schätzung hatte sich im 19. Jahrhundert stark verändert, die Vervielfältigung und Beschleunigung des Verkehrs ließ kleine Staaten noch kleiner scheinen, und die Tendenz der Politik zum Großbetrieb bewirkte es, daß als Wichtigtuerei des Gernegroß belächelt wurde, was noch auf dem Wiener Kongreß als pflichtgemäßes Sichbetätigen der kleineren Genossen in der deutschen, ja der europäischen Staatenwelt geachtet worden war. Wie die Reaktion im Inneren des Kleinstaates etwas Kleinliches an sich hat, obwohl es sich auch hier um dieselben großen Gegensätze von Autorität und Freiheit handelt, wie im Großstaat, so V o g t , Die hess. Politik i. d. Zelt d. Reichsgründung.

1

kam die auswärtige Politik eines Staates, der nicht die Macht hatte, seine staatliche Existenz allein und selbständig zu behaupten, in Mißkredit. Dazu war Hessen-Darmstadt kein natürliches Ganze. Es hatte seine Gestalt im Laufe der Jahrhunderte vielfach verändert, zuletzt und am meisten in der Zeit des großen Napoleon. Ein rechtes Staatsgefühl wollte sich nur langsam herausbilden, unterstützt mehr doch durch die gemeinsame Arbeit der Provinzen in den Ständekammern als durch die Verwaltungsmaßregeln der Regierung. Auf der anderen Seite schien Hessen als Brückenstaat nach seiner geographischen Lage und nach der Art seiner Bewohner, ihrer Gesinnung und ihrer Beschäftigung dazu ausersehen, Vermittler und Versöhner zu sein zwischen dem Norden und dem Südwesten von Deutschland. Mindestens einmal, bei der Begründung des Zollvereins, war es dieser Aufgabe mit starkem Erfolge gerecht geworden, und an Rührigkeit und an dem guten Willen, sich nützlich zu machen, hat es dem Großherzogtum auch in den entscheidenden Jahren des Überganges zum neuen Reich nicht gefehlt. Die hessische Politik wurde damals geleitet von dem Minister Reinhard, Freiherrn von Dalwigk zu Lichtenfels. Er besaß das Vertrauen seines Fürsten, des Großherzogs Ludwig III., und teilte es, seit dem Tode der Großherzogin Mathilde, nur noch mit dem jüngeren Bruder des Landesherrn, dem Prinzen Alexander. Doch ergaben sich hieraus keine Schwierigkeiten, denn der Prinz hegte im wesentlichen die Anschauungen Dalwigks, hielt sich übrigens, wo ihn nicht die Pflicht zum Hervortreten zwang, sehr zurück. Der spätere Thronfolger, Prinz Ludwig, der Gemahl der englischen Prinzessin Alice, stellte ihnen gegenüber die neue Zeit mit ihren Wünschen und Forderungen dar und war darum in nahezu jeder Frage anderer Ansicht als der Oheim und sein



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Minister. Von den persönlichen Differenzen im Herrscherhaus, den derben Spaßen des Landesherrn und den lustigen Streichen des Thronfolgerpaares, wußte der Darmstädter Klatsch manches zu erzählen. Irgendwelchen Einfluß auf die Landespolitik hatte weder der tüchtige Prinz noch seine kluge Gemahlin. — Der andere Bruder des Großherzogs, Prinz Karl, trat infolge seiner Schwerhörigkeit wenig hervor; seine Gemahlin, eine preußische Prinzessin, spielte eine Rolle nur auf dem kirchlichen Gebiet als die Gönnerin der hessischen Orthodoxie. Dalwigk war also durchaus der leitende Mann. Persönlich ein sehr liebenswürdiger, gutmütiger Mensch und trefflicher Gesellschafter, verstand er es, mit großem Geschick vor allem seinen Fürsten zu behandeln, dessen Eigenheiten entgegenzukommen und auf seine besonderen Interessen einzugehen. Er hat sich daher 20 Jahre hindurch unter so verschiedenen Umständen in seiner Stellung zu behaupten gewußt, unbeirrt durch alle Angriffe und Anfeindungen, die er erfuhr, daß niemand im Zweifel war, wer in der berühmten Satire 1 ) unter dem Grafen Gummi von Lederfell zu verstehen sei. Doch war er nichts weniger als eine komische Figur. Vielmehr kann man seiner Politik das Zeugnis nicht versagen, daß sie mindestens in ihren Zielen so einheitlich und konsequent gewesen ist, wie die kaum eines anderen deutschen Ministers jener Zeit, eine Anerkennung, die allerdings nicht gerade das höchste L o b für einen Staatsmann in sich schließt. Seine Gegner — und er hatte deren eine große Zahl — haben, wenn sie milde urteilten, gesagt, es fehle ihm der rechte Ernst; er sei nicht nur der Mann der leichten Hand, sondern auch des leichten Herzens. Er könne ' ) Ludw. Siegrist (Wilh. v. Plönnies), Leben, Wirken und Ende des Freiherrn Leberecht vom Knopf. Darmstadt 1869. 1*

auch anders, wenn es notwendig sei, d. h. wenn der Großherzog es wünsche, und besonders das Bekenntnis zu dem Vaterland, das größer sein müsse als das Kleindeutschland der Gothaer, zu dem deutschen Reich, das nicht nur die Wacht am Rhein, sondern auch die an der Donau zu halten berufen sei, dies Bekenntnis sei in seinem Munde nur eine Phrase, auf den Hörer oder den Leser berechnet. Ein so rheinbundfroher Staatsmann sei in deutschen Dingen überhaupt unzuverlässig. — Man wird mit einem abschließenden Urteil über die Richtigkeit dieser Anschauungen billigerweise zurückhalten, bis der Biograph Dalwigks gesprochen haben wird, der in der Seele des Staatsmannes gelesen hat, wie sie sich in seinen intimsten Auslassungen offenbarte. Prinz Emil hatte einst die Ernennung Dalwigks durchgesetzt und hatte Grund, mit seiner Wahl trotz mancher Differenzen in einzelnen Dingen zufrieden zu sein. Die Spuren des Jahres 1848, an das der Prinz nur mit dem größten Ingrimme zurückdachte, zu verwischen, hat sich Dalwigk alle Mühe gegeben. Die Mächte der Autorität waren seine Freunde; dem Bischof von Mainz und den hessischen Standesherren hat er mehr zuliebe getan und nachgesehen, als den Staatsinteressen dienlich war. Dafür dehnte er die Macht der staatlichen Bürokratie nach anderen Seiten hin aus und hat von den freiheitlichen Gesetzen des Jahres 1848 zurückgenommen oder hinweginterpretiert, was nur immer möglich war, so auf dem Gebiete des Preß- und Vereinswesens, der Gemeindeverfassung und des Wahlrechtes, und indem er seine Beamten nicht immer nach ihrer Tüchtigkeit, sondern nach ihrem politischen Wohlverhalten beförderte und versetzte, brachte er sie in Gefahr, ihren Charakter und damit auch ihren Kredit in der Bevölkerung zu verlieren. Dagegen hat sich Dalwigk um die wirtschaftliche Blüte des Landes, ganz in der Art des aufgeklärten Despo-

tismus, unstreitig Verdienste erworben, und er durfte sich ihrer mit Recht rühmen, so wie über seinen Erfolg in dem Wettkampf, den er mit dem nassauischen Bundestagsbevollmächtigten um den Preis der rheinhessischen und nassauischen Weine anstellte, und in welchem er schließlich mit einem feinen Niersteiner auch die Konkurrenz des berühmtesten Rheingauers erfolgreich bestand. Diese erfreulichste Seite seiner Wirksamkeit bedarf noch der Würdigung. Die auswärtige Politik aber, von der hier vornehmlich die Rede sein soll, war es doch eigentlich, die HessenDarmstadt um einiges aus dem Kreise der anderen Mittelstaaten heraushob. Ihre Grundlage war ein enger hessischer Partikularismus, ihr Ziel war, Hessen in seinem Bestände und — dies war das Schwierigere — in seiner Selbständigkeit zu erhalten. Die größte Zukunftsmöglichkeit außer solchen, die eine Neuauflage des Rheinbundes in sich schloß, lag in der Aussicht, daß dereinst die beiden Hessen unter der Darmstädter Linie vereinigt in die Reihe der Königreiche eintraten und damit die königliche Hoheit unter die Majestäten. Für die Gegenwart bot der Deutsche Bund die meisten Garantien; solange er dauerte, war für die hessische Autonomie keine große Gefahr. Daher ist Hessen stets für die Rechtsbeständigkeit der Bundesverfassung eingetreten, es hat sie verteidigt gegen alle Reformen, die die föderalistische Grundlage angriffen und die Souveränit ä t der Mittelstaaten, die Libertät der deutschen Fürsten beeinträchtigen konnten. Österreichisch-großdeutsch war Dalwigk, solange und soweit Österreich als Helfer der Mittelstaaten auftrat. Von der Hofburg schien eine Schädigung der hessischen Souveränität nicht zu befürchten, und wenn Österreich sich in die inneren Verhältnisse eines deutschen Staates gemischt hatte, war es zumeist als ein Hort der Staatsmacht und ein Feind der Volksmündigkeit



aufgetreten, ganz in dem die Regierung leitete.

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Sinne, in welchem

Dalwigk

Dasselbe Motiv, das ihn an des fernen Österreich Seite trieb, machte ihn vom Beginn seiner Ministerstellung an zum Gegner des ungesättigten, nahen Preußen. Preußen ist durch seine geographische Lage der natürliche Feind Hessens, war schon das Dogma des Prinzen Emil gewesen. Dalwigk bewies sich auch in diesem Punkt durchaus als dessen Schüler. Wenn persönliche Verstimmungen dabei mitspielten, so doch nur als steigerndes, nicht als begründendes Moment. Auch die Differenz, die er mit dem preußischen Gesandten Canitz, dem Jugendfreunde Bismarcks, hatte, und die dazu führte, daß längere Zeit kein preußischer Gesandter in Darmstadt wohnte 1 ), war Folge und nicht Ursache dieser Politik. Er hat sie trotz all der großen Ereignisse, die in den 60 er Jahren den Sinn so vieler anderer belehrten und bekehrten, festgehalten, bis die unaufhörlichen Siege des preußischdeutschen Heeres in Frankreich jede Hoffnung vernichteten, daß der hessische Löwe sich vor den Fängen des preußischen Adlers werde retten können. Die Mittel seiner Politik waren freilich beschränkt. Den Versuch, die Schwachen verbunden kräftig werden zu lassen, die Mittelstaaten zu organisieren und dem vereinten dritten Deutschland eine Rolle zuzuweisen, die dem Gebietsumfang und der Bevölkerungszahl entsprach, die es bei der Addition auf dem Papier darstellte, diesen Versuch hat Dalwigk selbst mehrfach unternommen, noch häufiger, wenn es von anderer Seite geschah, unterstützt, aber sehr selten mit nennenswertem, nie mit dauerndem Erfolg. So mußte er sich darauf beschränken, das hessische Staatsschiff zwischen den größeren Mächten hindurch' ) Vgl. hierüber v. Poschinger, Preussen im Bundestag 1851 bis 1859; auch Dismarcks Briefe an General Leopold von Gerlach, in denen er mehrfach sehr starke Ausdrücke gegen Dalwigk gebraucht.

zubugsieren. Er hatte nicht die Macht, diese zu leiten, aber durch persönliche Beeinflussung der Monarchen oder der Staatsmänner, durch Intrigen und Vorstellungen konnte er dies und jenes verhindern und fördern. Zustatten kam ihm dabei, daß Hessen auch zu den außerdeutschen Großmächten in unmittelbaren Beziehungen stand. England kam am wenigsten in Frage. Die Königin hatte in jenen Jahren nur geringen politischen Einfluß, und ihre Tochter, die Prinzessin Alice, stand zu Dalwigk und seiner Politik nicht freundlicher als Prinz Ludwig. Dagegen hatte sich Hessen von den Anfängen des zweiten Kaiserreichs an eifrig um die Gunst Napoleons bemüht, so sehr, daß es selbst dem Prinzen Emil nicht mehr ganz würdig vorgekommen war 1 ), und wenn Dalwigk auch im Jahre 1859 für den Kampf Gesamtdeutschlands gegen Frankreich eintrat, so haben doch seine Beziehungen zu dem Neffen des Protektors des Rheinbundes nicht dauernd darunter gelitten. Den stärksten Rückhalt endlich bot der hessischen Politik Rußland. Der Zar Alexander hatte die Schwester des Großherzogs zur Gemahlin, und eine herzliche Freundschaft verband die beiden Fürstenhäuser und führte die Zarin und ihren Gatten immer wieder in die Residenz des Bruders zurück. Gestützt auf diese Gönner, konnte Hessen mit größerer Unerschrockenheit als andere Mittelstaaten seine Stellung wählen und verteidigen und brauchte es nicht allzuschwer zu nehmen, wenn es einmal durch die Umstände genötigt war, auch gegen Österreich Front zu machen. Dies war der Fall im Beginne der hier zu behandelnden Periode, also seit dem Ende des Jahres 1863. Dalwigk *) Der Briefwechsel des Prinzen mit seinem Freunde, d e m hessischen D i p l o m a t e n von Drachenfels, d e m ich dies e n t n e h m e , lag mir z. T. in Abschrift vor.

war dabei überzeugt, daß er die wahren Interessen Österreichs besser vertrete als dessen damalige Staatslenker, daß nur eine merkwürdige Verblendung den Österreichern die Erkenntnis verbarg, daß sie nur Werkzeuge waren in der Hand des genialen Staatsmannes, der seit einigen Monaten die preußische Politik leitete, und daß ihre Wirksamkeit in den deutschen Fragen oder richtiger in der deutschen Frage nichts anderes war als ein travailler pour le roi de Prusse. — Der Erfolg sollte ihm recht geben.

I.

Die Schleswig-Holsteinische Frage bis zur Londoner Konferenz. Österreich war in den Jahren, da der Deutsche Bund seinem Ende entgegenging, in einer schwierigen Lage. Schon seit dem Tode Schwarzenbergs hatte der schwer zu regierende Staat keine überragende Persönlichkeit mehr an seiner Spitze, die die Politik einheitlich und daher erfolgreich geleitet hätte, und wenn der dauernde Mangel an Staatsmännern höheren Stils für jede Großmacht eine Gefahr bedeutet, so wurde er zum Verhängnis für Österreich, dessen Staatsgefüge nicht durch die Bedürfnisse einer einzelnen Nation zusammengehalten war. Man klagte darüber, daß der Herd, auf dem die auswärtige und zum Teil auch die innere Politik Österreichs gekocht werde, sich nicht in der Staatskanzlei befinde 1 ); aber auch in der Hofburg war kein Mann, der das Mittelmaß überragte. Zudem war das Ministerium des Erzherzogs Rainer durchaus nicht einheitlich; Männer wie Schmerling, Moritz Esterhazy und Rechberg saßen darin nebeneinander 2 ). Der Völkerstaat verfolgte sehr verschieden1

) Äußerung des badischen Staatsmannes L. v. Edelsheim, von dessen Briefwechsel mir ein Teil vorlag, aus dem Jahre 1865. *) Vgl. hierüber namentlich H. Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland (1859 bis 1866), Bd. I.

— 10 — artige, schwer miteinander zu vereinigende Tendenzen in seiner orientalischen und italienischen, seiner polnischen und seiner deutschen Politik, und es war als wenn die Staatskanzlei davon ein Abbild geben müßte. Sie löste sich in eine Reihe verschiedener Departements auf, die voneinander so unabhängig waren, daß es z. B. vorkam, daß der Leiter der auswärtigen Angelegenheiten sich einer fremden Macht gegenüber damit entschuldigte, daß ihm ein Einfluß auf denjenigen Teil der Staatskanzlei, über dessen Verhalten der andere Staat Klage führte, nicht zustehe. Und um das Maß vollzumachen, stand der damalige Minister des Auswärtigen selbst in seinem Ressort allein, seine wichtigsten Beamten teilten seinen politischen Standpunkt nicht, und er besaß weder die Macht sie zu entfernen, noch die Fähigkeit, sie aus ihrem passiven Widerstand herauszuzwingen. Graf Rechberg war ein Schüler und Freund des alten Fürsten Metternich gewesen und folgte dessen Spuren in seiner deutschen Politik. Er vertrat den Herrenstandpunkt der beiden deutschen Großmächte im Bunde. Schon im Jahre 1856 hatte er an seinen Kaiser geschrieben: »Die Eifersucht der deutschen Großmächte hat zur Folge gehabt, daß den an sich ohnmächtigen Mittelstaaten Deutschlands eine Vermittler- und Schiedsrichterrolle zugefallen ist, die sie doch nur unter Anlehnung an Frankreich festhalten können«. Sein Programm war daher: Verständigung mit Preußen und gemeinsame Beherrschung des dritten Deutschland durch die beiden deutschen Großmächte. Die alten Traditionen gaben dem Kaiserstaat, wenn er mit Preußen zusammenging, vor diesem doch immer einen Vorsprung. Preußens Ehrgeiz wurde im Zaum gehalten, wenn es neben dem langsam ausschreitenden Österreich einherziehen mußte, und dieses gewann den Schutz, den es zur Sicherheit gegen Frankreich nötig hatte.



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Dieser Standpunkt war unter Schwarzenberg verlassen worden, und als Rechberg 1 ) im Jahre 1859 zur Leitung der auswärtigen Angelegenheiten berufen wurde, kostete es ihn nicht geringe Mühe, wieder langsam in den alten Kurs einzulenken; vor allem, weil von seinen hervorragendsten Mitarbeitern der eine, der Unterstaatssekretär v. Meysenbug, lieber mit Frankreich als mit Preußen ging, der andere, v. Biegeleben 2 ), mindestens darin von Rechberg abwich, daß er eine friedliche Lösung der deutschen Frage für unmöglich hielt und seine ganze Sorge dahin richtete, daß im Augenblick der Entscheidung das dritte Deutschland mit Österreich zusammenstehe und in einem reformierten Bunde Preußen zum Verzicht auf seine Großmachtsansprüche gezwungen werde. Biegelebens Einfluß hatte den Kaiser zu dem Versuche veranlaßt, auf dem Fürstentag zu Frankfurt eine Neuregelung der Bundesverhältnisse herbeizuführen. Rechberg hatte die Aktion nicht verhindern können, aber auch sein Entlassungsgesuch war abgelehnt worden. Als nun der Plan am Widerstreben Bismarcks gescheitert war, die Mittelstaaten aber, Bayern voran, sich auch dem Vorschlage versagten, mit Österreich einstweilen eine engere Einigung abzuschließen, kehrte Rechberg, wie nach einem Sieg über die Gegner im eigenen Hause, zu seiner Parole zurück: Verständigung mit Preußen. Einer Anlehnung schien Österreich zu bedürfen. Seit dem Krimkrieg hatte es sich von Rußland keiner Freundschaftsbeweise zu versehen, auf eine englische Hilfe, die auch militärisch wirksam gewesen wäre, durfte es nicht bauen, und daß Napoleon die italienische Frage bald genug aufrollen werde, darüber war sich alle Welt *) über Rechberg s. namentlich Friedjungs Skizze in Bettelheims Biograph. Jahrbuch 4 (1899). 2 ) Über Biegeleben s. A. v. Vivenot in der Allg. Deutsch. Biogr. 2, 620. Die hier angeführte Biographie Biegelebens aus Vivenots Feder ist nicht erschienen.



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einig 1 ). Es war daher Rechberg höchst willkommen, daß er im November 1863, als durch den Tod des Königs Friedrich von Dänemark die Frage der Elbherzogtümer wieder akut wurde, sich mit Bismarck in eine Front stellen konnte. Beide verlangten übereinstimmend die Beachtung des Londoner Protokolls, das die Herzogtümer den Dänen zugesprochen hatte, sie forderten aber auch Sicherung der Selbstverwaltung der beiden Herzogtümer gegenüber dem beherrschenden Staate Dänemark. Diesem Programm widersprachen auf das schärfste die deutschen Mittelstaaten, unterstützt von der öffentlichen Meinung. Sie forderten als allein mit den deutschen Interessen und mit der deutschen Ehre vereinbar: die Loslösung der Herzogtümer von Dänemark und ihre Ubergabe an einen deutschen Fürsten, den Erbprinzen von Augustenburg. Infolge der dänischen Rechtsverletzungen, so meinte man hier, seien die alten Verträge ungültig geworden, und vor dem Eingreifen der Londoner Protokollmächte fürchtete man sich bei einem Zusammenstehen von ganz Deutschland nicht. Das Großherzogtum Hessen, Regierung und Volksvertretung, legte sich mit besonderem Eifer ins Zeug. Schon am 24. November ersuchte die hessische zweite Kammer auf Grund eines einstimmig angenommenen, dringlichen Antrages die Regierung »durch Anerkennung des Prinzen Friedrich das Recht und die Integrität Deutschlands zu bewahren«, und der Wortführer der Antragsteller, Dr. Stockhausen, vertrat würdig und entschieden den Standpunkt, den die ganze öffentliche Meinung in Deutschland teilte: Es gilt unsere Ehre. Der deutsche Stamm, der deutsch ist und deutsch bleiben will und wegen seines deutschen Sinnes schon so unsäglich viel gelitten *) Das französische Zirkular vom 4. Nov. 1863, das einen Kongreß vorschlug zur »Ordnung der Gegenwart und Sicherung der Zukunft« wandte seine Spitze deutlich auch gegen Österreich.



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hat, wird, wenn nicht jetzt, so niemals gewonnen werden. Er geht uns verloren und mit ihm unsere nationale Ehre. Schleswig-Holstein ist die erste Stufe, die zur deutschen Einheit führt. Hier wird es sich zeigen, ob wir ein Volk sind, das bloß denkt, oder ein Volk, das auch zu handeln weiß. Wenn wir diese erste Stufe nicht erreichen, dann lassen Sie uns unsere Hoffnungen begraben, die wir noch hatten auf Deutschlands Einheit, auf Deutschlands Macht und Größe 1 ). Der Führer der hessischen Nationalvereinler, der Abgeordnete Metz, ging in der folgenden Sitzung noch einen Schritt weiter, und auf seinen Antrag wurde die Regierung ausdrücklich ersucht, in Frankfurt nicht bloß für eine etwaige Sequestration der Herzogtümer stimmen zu lassen, sondern sich denjenigen Regierungen anzuschließen, welche für die Anerkennung Herzog Friedrichs stimmten und wirkten 2 ). Für Dalwigk war wichtiger als diese ungewohnte Übereinstimmung mit der ganzen Kammer, daß in dem Kampf für das nationale Recht der Bund die Führung hatte, und daß so dessen Bedeutung in den Augen der Deutschen stieg. Er antwortete, ähnlich wie Minister v. Hügel vor der württembergischen Volksvertretung, ziemlich vorsichtig. Er sprach seine Befriedigung aus über die Haltung der Kammer und erklärte, die Regierung sei entschlossen, die Rechte der Herzogtümer mit aller Macht zu wahren. In der Tat hat Hessen in Frankfurt im Sinne dieser Auffassung gewirkt, so gut es konnte. Es stimmte mit der Mehrheit des Bundes gegen die Großmächte dafür, daß der dänische Gesandte bei dem Bunde nicht zugelassen wurde, und stellte den Antrag, daß nicht die Bundesexekution als Zwangsmittel gegen den dänischen König *) Protokolle über die Verhandl. des hess. Landtags. *) Die Erwähnung dieser Verhandlungen bei H. v. Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches 3, 157, ist nicht ganz genau.



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als den rechtmäßigen Herzog von Holstein beschlossen werde, wie die Großmächte es wünschten, sondern daß Holstein besetzt werde »zum Schutze aller Rechte«, das sollte heißen zum Schutze auch der augustenburgischen, von den Protokollmächten nicht anerkannten Rechte gegen den widerrechtlichen Inhaber der Herzogtümer. Mit knapper Mehrheit brachten die Großmächte am 7. Dezember diesen Antrag zu Fall und errangen für ihren Antrag, dem sie eine etwas gemilderte Fassung gegeben hatten, den Sieg. Aber es war klar, daß damit die Gegensätze nicht beseitigt waren, zumal die Volkserregung gegen den scheinbaren Versuch, die Herzogtümer den Dänen zu überliefern, immer größer wurde. Als in diesen Wochen Graf Rechberg den neu ernannten hessischen Gesandten Heinrich v. Gagern zum ersten Male empfing, trat er ihm mit einer sehr scharfen Kritik der Politik entgegen, die die Mittelstaaten, und Hessen insbesondere, trieben: Nach außen hin überschätzen diese Staaten ihre Stärke und gebärden sich wie Großmächte, nach innen aber haben sie nicht den Mut oder doch nicht die Kraft, sich der Beeinflussung durch leidenschaftliche Parteien zu entziehen. »Die Mittelstaaten dürfen in wichtigen Fragen die Großmächte nicht majorisieren wollen, das führt zur Auflösung des Bundes. Österreich und Preußen haben außer ihrem Bundesverhältnis auch noch europäische Beziehungen, auf die sie Rücksicht nehmen müssen; sie können sich nicht von den kleineren deutschen Genossen, die an einem Krieg wenig beteiligt sein würden, in internationale Verwickelungen hineinhetzen lassen, und sie sind gar nicht in der Lage, den Londoner Vertrag von 1852 als non avenu anzusehen.« Dann kam, wie ein Plaidoyer auf mildernde Umstände, das Klagelied über innerpolitische Schwierigkeiten, das sich aus dem Munde des Ministers einer Großmacht merkwürdig genug ausnahm, mit dem aber die österreichischen Staats-



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männer und besonders Rechberg häufig zu wirken suchten, ohne ein Gefühl für den Mangel an Würde, der darin lag 1 ). »Österreich darf seine internationalen Beziehungen nicht aufs Spiel setzen. Es ist finanziell abhängig von England, militärisch, sowohl was Ausrüstung wie Erfahrung und Schlagfertigkeit der Truppen anlangt, den Franzosen nicht gewachsen, und dazu ist es durch die Gefahr revolutionärer Bewegungen in Italien, Polen 2 ) und in den südslavischen Gebieten bedroht«. Die außerdeutschen Großmächte nehmen alle ein Interesse daran, daß Dänemark nicht allzusehr verkleinert wird, weil sonst die Gefahr besteht, daß eine Volkserhebung die Dynastie stürzt, Dänemark seinen Anschluß an SchwedenNorwegen sucht und damit dieses zur Herrscherin in der Ostsee wird 3 ). Österreich will und darf nicht eine von den Großmächten mißbilligte Politik treiben, denn die militärische Stütze, die es am Bunde finden könnte, ist gering, und mit Preußpn ist es nur für diesen Fall verbündet. Für die Elbherzogtümer können Österreich und Preußen nur das eine tun, daß sie den König-Herzog von Dänemark und Holstein zur Erfüllung seiner Verpflichtungen zwingen, und daß sie die Rechte des Augustenburgers prüfen. Die beiden Mächte werden sich aber durch die Mittelstaaten nicht weiter vorwärts treiben ') Vgl. GramontsÄußerung bei Jul. Fröbel, Ein Lebenslauf 2, 295. ) In Polen erwartete man für den Februar 1864 neue Unruhen, wie Gagern damals erfuhr. Die maßvolle Partei der Weißen war durch die radikalen Roten zurückgedrängt worden und Prinz Plon-Plon (der Vetter Napoleons) hatte, so erzählte man sich in Wien, die Kassen der Ausständigen gespickt. 3 ) Lag Rußland und auch Frankreich aus allgemeinen Machtinteressen an der Schwäche der skandinavischen Staaten, so fand England es mit seinen besonderen Handelsinteressen nicht verträglich, daß der Sund in die Hand e i n e r Macht komme. Rechberg äußerte außerdem die Besorgnis, daß eine künftige französischrussische Allianz Skandinavien anziehen und zum Feinde Deutschlands machen würde. s



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lassen, als ihnen gut scheint. An dem Augustenburger nehmen sie, zumal nach dessen Hilfegesuch bei Napoleonx), nicht so viel Anteil, daß sie sich durch diese Rücksicht ihre Politik bestimmen ließen. Gegen eine so kühle Berücksichtigung ausschließlich der Interessen des eigenen Staates war von dem Standpunkt eines politischen Idealisten aus schwer zu kämpfen. Alle die Argumente, die in der Presse und in Versammlungen für das gute deutsche Recht des Herzogs und des Landes mit so viel Herzenswärme vorgebracht wurden, verfingen hier nicht. Gagern konnte darauf hinweisen, daß jede Lösung der Frage, die nicht das Ausscheiden Dänemarks zur Folge hatte, keine endgültige Lösung, sondern nur eine Vertagung bedeute, und daß dann ein Wiederauftauchen der Angelegenheit in einem für Deutschland vielleicht viel ungünstigeren Zeitpunkt zu erwarten stand. Aber er konnte nicht bestreiten, daß die beiden Großmächte in der Beurteilung der internationalen Gefahren kompetenter waren als die Kleinstaaten2), und wenn der Bund das einige Deutschland für kräftig genug hielt, um jeder möglichen Koalition zu widerstehen, so mochte diese Zuversicht für die deutschen Großmächte schmeichelhaft sein, aber in die Wagschale fiel ein solches Urteil nicht, wenn der leitende Minister der stärksten deutschen Macht so kleinmütig über die Kräfte seines eigenen Staates sprach. Glücklicher war Gagern in der Verteidigung gegen den Vorwurf, daß die hessische Regierung sich von Parteien ins Schlepptau nehmen lasse, denen die schleswig-hol>) Vgl. Sybel 3, 183. ') Man hatte ihm auch mitgeteilt, Graf Blome, der österreichische Gesandte in München, habe berichtet, daß der Minister v. Schrenk nach einem Gespräch mit dem englischen Geschäftsträger Lord Loftus seine Meinung über den ernsten Willen Englands, Dänemark unter Umständen seinen Schutz zu gewähren, habe ändern müssen und recht kleinlaut geworden sei.



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steinische Frage nur der willkommene Ausgangspunkt für viel weitergehende revolutionäre Zwecke sei. Dagegen war mit Recht einzuwenden, daß aus einer befriedigenden Durchführung jener Frage auf legalem Wege gerade die konservative Partei in Deutschland eine Stärkung erfahren mußte, während die radikalen Elemente aus dem Pessimismus über die Macht- und Willenlosigkeit Deutschlands ihre Hauptnahrung zogen. — Doch war Gagerns Position auch hier nicht so stark wie sie schien, weil dem Großherzog Ludwig tatsächlich, wie man auch in Wien wußte, jede Volksbewegung sehr unbehaglich war, auch wenn sie sich einmal ausnahmsweise, wie jetzt, nicht g e g e n seine Regierungspolitik wandte. Selbstverständlich hatte das Gespräch Rechbergs mit Gagern nicht den Erfolg, daß der Zwiespalt zwischen den beiden Ansichten beseitigt worden wäre. Das Rechtsgefühl Gagerns, wie das der überwältigenden Mehrheit der Gebildeten in der Nation, empörte sich gegen das Vorgehen der Großmächte, die wieder, und nun vielleicht endgültig, die schleswig-holsteinischen Brüder den Dänen überantworten wollten, wenn diese nur besonnen genug waren, ihre Vertragsverletzungen zurückzunehmen und die Durchführung weitergehender Wünsche einer günstigen Zukunft zu überlassen1). Wer konnte ahnen, daß Bismarck dafür zu sorgen wußte, daß die Dänen den Rücken steif hielten und nicht so klug waren, feige zu scheinen? 2 ) *) Damals schmiedete Rückert die Verse: Großmächtige Großmächte, / Schutzherren unsrer Rechte, / Wir haben wenig Nutz / Von eurem hohen Schutz. / Bald gegenüber stehend, / Bald miteinander gehend. / Wie steht's ? wie geht es ? stets / Schlimm geht's und übel steht's. / Wortbrüchig euch bekämpfend, / Zum Schelmenstücke dämpfend, / Wo ihr zu gleichem Teil / Bau'n sollt zu unserm Heil. / Großmächtige Großmächte, / W i r führen unsre Rechte; / Wo unser Wort i h r führt, / Sind wir stets angeführt. Aus Rückerts Polit. Notizbuch (1911 von Hirschberg herausgegeben). s ) Vgl. Beust, Aus Dreiviertel Jahrhunderten 1, 350, und unten Beilage II. V o g t , Die hess. Politik i. d. Zeit d. Reichsgründung.

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Deutschland sah in der Vertragstreue der beiden Großmächte nur Verrat am Vaterlande, und die Bundesmajorität verlieh dieser Überzeugung Ausdruck. Hatten Preußen und Österreich am 7. Dezember für ihren Antrag wegen des deutschen Holstein noch eine Mehrheit gefunden, so sahen sie sich am 14. Januar 1864 in der Entscheidung über das weitere Vorgehen gegen Dänemark in der Minderheit. Die Großmächte forderten Besetzung Schleswigs als Pfand für die Erfüllung der dänischen Verpflichtungen ; die Mittelstaaten, unter denen wieder Darmstadt die Führung übernommen hatte, forderten die Besetzung Schleswigs »zum Schutze aller Rechte« und überstimmten mit ihrem Antrag die Gesandten der Großmächte. Dies war ein entscheidender Fehler, begründet in einem leicht begreiflichen Mangel an Vertrauen auf die deutschen Großmächte, aber auch in einem schwer begreiflichen Mangel an Augenmaß für die tatsächlichen Machtverhältnisse1). Unmittelbar nach der Ablehnung ihres Antrages erklärten die Gesandten Österreichs und Preußens, daß ihre Regierungen in Zukunft als europäische Mächte, unabhängig vom Bunde, handeln würden. Der Bund war damit ausgeschaltet und dies, obwohl das Streitobjekt Bundesgebiet war, und obwohl die beiden deutschen Großmächte nicht sowohl im eigenen Interesse, als in dem des Bundes den Krieg führten, nicht als dessen Mandatare, aber doch als seine negotiorum gestores, wie Beust unterschied2). Der Bund hat daher weder an den Friedensverhandlungen teilnehmen dürfen, noch hat er auf die endgültige Erledigung der Sukzessionsfrage seinen Einfluß geltend machen können3). l ) Zur Kritik des Antrages s. auch Beust 1, 346. «> Beust 1, 397. *) Man wird freilich annehmen dürfen, daß es aueh_bei einem anderen Abstimmungsresultat Bismarck gelungen wäre, den Bund früher oder später aus dem Spiel zu verdrängen.



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Im Augenblick kam die Bedeutung der Abstimmung den Mittelstaaten nicht ganz zum Bewußtsein, weil hinter ihnen laut und lebhaft die öffentliche Meinung stand. Fast die gesamte deutsche Presse, einschließlich der unabhängigen Zeitungen in Österreich und Preußen, kämpfte »für das Recht gegen die Gewalt«. Sie tat es mit Entschiedenheit und Siegeszuversicht. Gerade die preußenfreundliche badische Regierung trat mit besonderer Wärme für den Augustenburger ein, auch die persönliche Freundschaft, die den Kronprinzen von Preußen mit dem Herzog verband, war ein günstiges Moment, und von Kaiser Franz Joseph hoffte man, in Erinnerung an sein Auftreten auf dem Frankfurter Fürstentag, er werde sich bald für eine »bundesmäßigere« Anschauung gewinnen lassen1). Nachdrücklich unterstützte der Herzog Ernst von Koburg die mittelstaatliche Politik, indem er durch den ihm befreundeten Max von Gagern an den Kaiser eine Vorstellung gelangen ließ, welche ausführte, daß Napoleon die Gelegenheit nicht versäumen werde, in Deutschland wieder Fuß zu fassen, und daß er sich dabei der Sympathien eines großen Teiles der Nation und der Mehrheit der Fürsten werde erfreuen können, falls Österreich und Preußen weiter auf ihrem dänenfreundlichen Standpunkte verharrten. Den stärksten Trumpf spielte er aus, indem er darauf hinwies, daß bei erneutem Krieg in Italien Österreich völlig isoliert sein werde, wenn es seine jetzige Politik in Deutschland fortsetze 2 ). *) Vgl. auch die freundlichen Äußerungen König Wilhelms zu dem Bundestruppengeneral v. Hake bei Hassel, König Albert von Sachsen 2, 160 f. *) Das Schreiben traf am 5. Januar in Wien ein und erregte großes Aufsehen. Fröbel, Lebenslauf, 2, 297, erwähnt es, während es in den Erinnerungen des Herzogs (Ernst II., Aus meinem Leben und aus meiner Zeit) nach deren ganzer Tendenz keinen Platz finden konnte, obwohl der Briefwechsel mit Max v. Gagern mehrfach erwähnt ist. Abgedruckt ist der Brief jetzt bei L. v. Pastor, Max v. Gagern 390 ff.





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Dies war in der Tat der springende Punkt. Durfte sich Österreich, wenn es mit Preußen in dieser e i n e n Frage zusammenging, darauf verlassen, daß ihm die preußische Unterstützung auch bei anderen Gelegenheiten nicht versagt ward ? Konnte es auf der anderen Seite im Interesse des vorwärts drängenden preußischen Staates liegen, sich der langsamen Fahrt des österreichischen Staatsschiffes anzubequemen ? Auch Rechberg war durchaus nicht blind gegen diese Bedenken, denn nicht einmal über das Endziel dieser schleswig-holsteinischen Aktion war eine Ubereinstimmung zwischen den beiden Verbündeten erreicht und bei jeder Wendung, die diese Entwicklung nahm, mußte eine Verständigung immer erst von neuem herbeigeführt werden. Schon im Januar 1864 wurde in der Staatskanzlei davon geredet, daß Bismarck die letzten Absichten seiner Politik nicht aufdecke, und man hatte dafür die sehr plausible Erklärung, daß er versuchen werde, der innerpolitischen Schwierigkeiten Herr zu werden durch Erfolge auf dem Gebiete der auswärtigen Politik. Wenn es gelang, Schleswig-Holstein zu einem preußischen Vasallenstaat zu machen, so konnte dadurch vieles, was in der inneren Politik geschah, vergessen gemacht werden. Am 2. Februar schrieb Gagern nach Darmstadt: Man unterstellt in Wien Herrn von Bismarck weitergehende, noch geheim gehaltene Ziele; aber tröstend fügte er hinzu, daß Rechberg erklärt habe, Annexionen durch Preußen werde er nicht dulden1). Rechberg ging sogar so weit, daß er zu Gagern von dem »bloß ephemeren« Charakter der Vereinbarung mit Preußen sprach, daß er mit dem Herzog von Koburg die Uberzeugung teilte, Österreich werde in einem Konflikt mit dem Ausl ) So deutlich kommen die Vermutungen der Österreicher weder bei Sybel noch bei Friedjung zum Ausdruck.



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land Preußen n i c h t zum Alliierten haben 1 ), und den »Mangel an Offenheit« auf preußischer Seite empfand er so stark, daß er Zweifel äußerte, ob nicht dadurch selbst ein ferneres militärisches Zusammengehen in Frage gestellt werde. Also er überschätzte die Festigkeit des Bündnisses durchaus nicht und hatte das richtige Gefühl für die Gefahren, die in dem Zusammenarbeiten mit dem »Mephisto an der Spree« lagen. Aber die Überlegenheit des Gegenspielers hielt ihn zunächst doch in der betretenen Bahn, und so wenig er sich von Biegeleben und anderen Preußenfeinden in der Staatskanzlei beeinflussen ließ, so wenig gedachte er sich durch die Mittelstaaten von dem Weg abdrängen zu lassen, den er »mit störrischer Entschiedenheit« ging. Daher kam es, als Dalwigk Mitte Februar, im Vertrauen auf die ihm von Gagern berichtete Stimmung in Wien, den Versuch unternahm, einen Keil zwischen Österreich und Preußen zu treiben, zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen Rechberg und dem hessischen Gesandten. Franz Joseph hatte wenige Tage zuvor in der Freude über die ersten siegreichen Gefechte seines 6. Korps auf einem Hofballe die Gesandten der deutschen Mittelstaaten mit unverkennbarer Absichtlichkeit wiederholt versichert, daß seine braven Soldaten »nicht umsonst« gefallen seien. Aber eine Verständigung mit dem Bunde war noch nicht erreicht, und als der Oberbefehlshaber über die verbündeten Truppen der Großmächte, der Feldmarschall Wrangel, trotz des Widerspruches des Bundesgenerals v. Hake, eine Besatzung in die holsteinischen Städte legte, wurde dies als schwere Beleidigung des Bundes empfunden. Die hessische Regierung verlangte in einem Schreiben, welches Gagern dem österreichi') Rechberg folgerte daraus, daß Österreich sich nicht weiter engagieren dürfe als soweit es Preußens gewiß sei.



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sehen Minister vorlesen mußte, daß die Präsidialmacht dem Bunde Genugtuung verschaffe für die erlittene Unbill. Aber als Rechberg nur das Wort Genugtuung hörte, fuhr er empor: »Wenn die Bundesversammlung Genugtuung haben will, so mag sie selbst sie sich verschaffen. Wir sind keine Genugtuung schuldig«. Er rechtfertigte ganz mit den Argumenten, in denen sich die Beschwerden des preußischen Oberkommandos bewegten1), die Maßregel Wrangeis, die Hake selbst verschuldet habe; er beklagte sich scharf darüber, daß Dalwigk und Beust 2 ) sich eine Sprache gegen das österreichische Kabinett erlaubten wie keine andere Regierung, und schloß heftig: »Wenn es die Mittelstaaten zum äußersten treiben und Krieg haben wollen, den können sie haben«. So weit hatte Bismarck binnen weniger Wochen Osterreich von den Staaten hinwegdrängen können, die noch im August sich Österreichs Führung hatten überlassen wollen. Da der unzeitig unternommene Versuch, Österreich von Preußen zu trennen, gänzlich mißglückt war, gab Gagern den dringenden Rat nach Darmstadt, wenn die Mittelstaaten nicht etwa gewillt seien, für die Bundesautorität einen Krieg zu führen, so möchten sie einlenken. Mindestens Österreich gegenüber. Denn das »unnatürliche Bündnis« der beiden deutschen Großmächte könne unmöglich dauern und in der dann folgenden Krisis müsse die Stellung Hessens selbstverständlich an der Seite Österreichs sein. Wie zur Aussöhnung erschien einige Tage später Prinz Alexander in Wien. Er hatte bei Montebello eine österreichische Brigade geführt, sich bei Solferino als ») Vgl. Sybel 3, 243. ) Ein dem Schreiben Dalwigks entsprechendes Schriftstück war also auch aus Dresden eingetroffen. — Auf Grund vorheriger Verständigung ? s

— 23 — Divisionskommandeur ausgezeichnet und galt für berufen, in einem künftigen Kriege als österreichischer Heerführer noch eine Rolle zu spielen; bei d e m Kaiserpaar war er ein gern gesehener Gast 1 ). Auch er konnte natürlich den Mißmut Rechbergs gegen die bundestreuen Regierungen nicht beseitigen 2 ), gewann aber an der Hofburg die besten Eindrücke. Er wurde hier mit der alten Liebenswürdigkeit empfangen und fand die S t i m m u n g gegen Hessen und die anderen »Würzburger« so freundlich, als gäbe es gar keine Spannung zwischen den Ministerien. Zwar wurde die Absicht, den Prinzen zu bitten, in München eine ähnliche Mission zu übernehmen 3 ), wie sie Manteuffel zuvor in Dresden und Hannover glücklich beendigt hatte, wieder aufgegeben, und man beauftragte den Erzherzog Albrecht *) Er war zugleich ein intimer Freund seines Schwagers, des Zaren. Wegen dieser doppelten Beziehungen zu Rußland und zu Österreich kam er zeitweilig für den rumänischen Thron in Betracht. — Auch die Führung des österreichischen Korps in Holstein hatte der Kaiser zuerst, wie man Gagern erzählte, dem Prinzen übertragen wollen. Man sei davon abgekommen, weil eine solche Bestimmung als Gegenzug gegen die Politik Hessens und der anderen Mittelstaaten hätte gedeutet werden und darum dem Prinzen unangenehm sein können, aber auch weil man ihm nicht zumuten wollte, sich unter den Oberbefehl des Prinzen Friedrich Karl zu stellen, der, wie man geglaubt habe, zum Oberbefehlshaber bestimmt sei. ') Eines kleinen Erfolges freilich rühmte er sich. Rechberg hatte mit dem General von Manteuffel, der damals in außerordentlicher Mission am Wiener Hofe weilte, vereinbart, daß man einen Beschluß der Bundesmajorität auf Einberufung der Holsteinschen Stände mit der Abberufung der beiderseitigen Gesandten vom Bunde beantworten wolle. Der Prinz bat den Minister, daß den Mittelstaaten diese Konsequenz ihres Beschlusses wenigstens zuvor angezeigt werde, und Rechberg gestand dies nach anfänglichem Widerstreben schließlich zu. Vgl. Sybel 3, 261 über diese Differenzen. *) Gagern erfuhr von diesem (ernst gemeinten?) Projekt erst nach der Abreise des Prinzen.



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damit, den König Max und die bayrische Regierung über die Absichten der Großmächte aufzuklären und zu beruhigen, sowie eine Aussöhnung anzubahnen. Aber daß überhaupt die Möglichkeit ins Auge gefaßt werden konnte, den Prinzen als Vermittler zu verwenden, warf ein gutes Licht auf die Stimmung des Kaisers gegen Hessen. Auch die Unterredung des Prinzen mit Manteuffel nahm einen sehr friedlichen Verlauf 1 ). Der General machte geschickt die Argumente geltend, von denen er sich bei einem Prinzen des besten Erfolges versah. Er sagte ihm, daß die Mittelstaaten zu sehr unter dem Druck des Partei- und Vereinswesens ständen, während die Vereinigung der beiden deutschen Großmächte gerade dem höheren Ziel der Stärkung der Fürstenmacht diene, und gegenüber der Besorgnis vor Preußen wies er darauf hin, daß ja auch Sachsen und Baden im Jahre 1849 nicht zu Vasallenstaaten herabgesunken seien, obwohl die preußischen Truppen diese Länder damals besetzt hatten. *) Die eigentliche Veranlassung des Besuches war eine kleine Auseinandersetzung über eine Äußerung, die Manteuffel in Dresden getan haben sollte. Der Prinz hatte Rechberg erzählt, Manteuffel habe zu Beust gesagt (und dieser es Dalwigk weitergegeben), wenn der General v. Hake dem preußischen Oberkommando ferner Hindernisse bereiten werde, so würden die Preußen in Sachsen einrücken. — Iii Wirklichkeit hatte Manteuffel hiermit nur für den Fall gedroht, daß die Bundestruppen auf die Preußen schössen. Nach Hassel, König Albert von Sachsen, 2, 173 war er auch hiermit schon über seine Instruktion hinausgegangen. — Manteuffel stellte die Sache richtig und fügte hinzu, da die Erzählung in der vom Prinzen berichteten Form auch von anderen Seiten nach Berlin gekommen sei, so müsse er an eine tendenziöse Entstellung Beusts glauben, die um so auffallender sei, als er von dem König von Sachsen beim Abschied sehr gnädig behandelt worden und auch von Beust ganz freundschaftlich geschieden sei. — Vgl. dazu Les Origines diplomatiques de la guerre 1870—71, 1 nr. 224.



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Der Höhepunkt der Spannung zwischen Darmstadt und Wien war überschritten. Die Gemüter beruhigten sich um so mehr, als man sah, daß die Großmächte gegen Dänemark Ernst machten. Man gestand zu, daß der Bund einen anderen Beschluß gefaßt haben würde wenn er den Großmächten diese Energie zugetraut hätte. Deshalb wollte auch Gagern das Ergebnis der Abstimmung vom 7. Januar wieder gutmachen und wünschte, daß den Großmächten eine finanzielle Beteiligung des Bundes an dem Kriege angeboten werde. Rechberg lehnte ebenso höflich wie bestimmt das Angebot ab, aber er erkannte doch die gute Absicht an, und auch der hessische Antrag vom 3. März, dem Feldmarschall Wrangel den Oberbefehl auch über die Bundestruppen zuzuerkennen, ohne damit der Erbfolgefrage in den Herzogtümern zu präjudizieren, wurde so freundlich abgelehnt, wie er versöhnlich gemeint war 1 ). Es war natürlich, daß in den Wochen, in denen die beiden Großmächte eine vom dritten Deutschland nicht gebilligte Politik trieben, der Gedanke einer selbständigen Triaspolitik wieder eifrig ventiliert wurde. Dem österreichischen Gesandten in München, der darüber berichtete, gab Rechberg den Bescheid, daß er es zwar nicht für wahrscheinlich erachte, daß die Mittelstaaten sich über eine einheitliche Führung verständigten, daß sich aber Österreich zu der Idee an sich nur sehr wohlwollend verhalten könne. Doch machte er sofort den ebenso naheliegenden wie nötigen Vorbehalt: Er setze voraus, daß die Mittelstaaten nicht ihre Anlehnung an Frankreich suchten. Außer in Bayern, von wo die Anfrage gekommen war, und Sachsen, dessen Minister Beust als der hervorragendste Triaspolitiker gelten durfte, waren bei Hessen die SympaDiese versöhnliche Stimmung beherrschte aber nicht das ganze dritte Deutschland. — Vgl. Sybel 3, 278; auch Hassel, König Albert 2, 179 ff.



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thien für diesen Gedanken am stärksten. »Auf diese drei Staaten«, schrieb damals Dalwigk, »kann man unter allen Umständen zählen. Weniger dagegen trotz des besten Willens des Baron Hügel auf Württemberg und gar nicht auf Hannover, Kurhessen, Mecklenburg und die Hansestädte. Herr von Roggenbach ist unberechenbar« 1 ). Der badische Minister, der im Sommer 1863, in der Zeit des Fürstentages, so wacker die Sache Preußens vertreten hatte, genoß nicht eben die Sympathien Dalwigks. Damals aber hätte dieser mit ihm zufrieden sein dürfen, denn Roggenbach stand durchaus auf seiten der deutschen Patrioten. Er ging so weit, daß er dem englischen Geschäftsträger in Karlsruhe, Baillie, erklärte: Wenn Preußen und Österreich dem Drucke der öffentlichen Meinung zu widerstehen versuchten, so würden die Mittelstaaten eine dritte Gruppe bilden und zu seinem Bedauern sich nach Frankreichs Beistand umsehen müssen, da sie England, Deutschlands besten und natürlichen Freund, nicht auf ihrer Seite hätten 2 ). Selbst Roggenbach lehnte also die Anlehnung an Frankreich nicht ab und sah mit Dalwigk und Beust in Napoleon den Helfer in deutschen Nöten3). In der Tat verdankte denn auch die Triaspolitik den Erfolg, den sie eben damals errang, Frankreich. Was die Firma Beust, Pfordten & Co., wie Bismarck die mittelstaatlichen Gegner gelegentlich spöttisch nannte, schon 1854 in der orientalischen Frage verlangt hatte, die An') Brief vom 11. März 1864. *) Brief Baillies an den englischen Gesandten in Stuttgart vom 31. Dezember 1863, s. Jansen-Sam wer, Schleswig-Holsteins Befreiung 181. — In der Drohung mit dem Gespenst des Rheinbundes sieht Dove, Großh. Friedrich v. Baden, S. 129, einen »diplomatischen Scherz« Roggenbachs, den der Großherzog nicht gebilligt hätte. s ) Vgl. auch Dalwigks starke Sympathieerklärung für F r a n k reich und gegen England in Les Origines diplomatiques 1 nr. 72.



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erkennung als selbständige Macht, wurde ihr damals zuteil. Der Bund als solcher wurde zu der europäischen Konferenz geladen, die nach London berufen ward, »um die Mittel zu finden, dem Norden Europas die Woltaten des Friedens wiederzugeben«, und die Einladung erfolgte nicht auf Betreiben der beiden deutschen Großmächte, sondern auf Veranlassung Frankreichs. Die französische Regierung hatte schon in ihrem Zirkular vom 4. Januar 1864 die Beteiligung des Bundes an der von England vorgeschlagenen Konferenz als wünschenswert bezeichnet 1 ), und der Herzog von Gramont versicherte in Wien, daß Frankreich seine Teilnahme an der Konferenz von der Beteiligung des Bundes abhängig mache. Wenn auch die Absichten, die Napoleon dabei verfolgte, sehr durchsichtig waren, so konnten sich doch die deutschen Mächte seinem Begehren nicht widersetzen; j a sie brachten selbst Beust für diese Mission in Vorschlag. E r sollte, nach Bismarcks Ausdruck, als »enfant terrible« den »deutschen« Standpunkt zum Ausdruck bringen ohne die Hemmungen, die für die Vertreter Preußens und Österreichs in ihrer internationalen Stellung begründet waren 2 ). Es war natürlich, daß diese Wahl befremdete 3 ), denn der Triaspolitiker Beust hatte sonst nicht gerade in hoher Gunst bei den Großmächten gestanden. Aber Beust erschien vor seiner Abreise nach London zu einer Konferenz in Frankfurt 4 ), um sich mit seinen mittelstaatlichen Kol*) Sybel 3, 2 1 2 ; Les Origines diplomatiques 1 nr. 51 und 2 nr. 381. — Auch bei dem von Napoleon im November 1863 angeregten Kongreß hatte der Bund vertreten sein sollen. ') Vgl. auch ebenda 2 nr. 412. s ) Vgl. ebenda 2 nr. 379 und 388. 4 ) Nach einem Brief Dalwigks an Gagern waren Dalwigk und Beust mit Hügel zusammen. Nach Beust, Aus Dreiviertel Jahrhunderten 1, 356, war auch Roggenbach anwesend. Dalwigk nennt ihn nicht, doch ist sein Zusammentreffen mit Beust in Frankfurt gesichert, s. Samwer, Zur Erinnerung an F. von Roggenbach 80.



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legen über die Haltung zu verständigen, die er auf der Konferenz einzunehmen habe, und die anwesenden Minister ließen sich davon überzeugen, daß ihm »alles Vertrauen« zu schenken sei. »Wenn jemand getäuscht sein sollte, so schrieb Dalwigk an Gagern 1 ), so wird es sicher nicht der Bund sein.« — Das wichtigste Ergebnis der Konferenz war, daß man den Besuch Beusts in Paris in Aussicht nahm 2 ). Auf der Konferenz, die 8 Tage nach Erstürmung der Düppeler Schanzen endlich eröffnet wurde, gesellte sich der Vertreter des Deutschen Bundes zu den Gesandten der Mächte, die am schärfsten Stellung gegen Dänemark nahmen: Frankreich und Preußen. Österreich trat zunächst noch mit England und Rußland für die Aufrechterhaltung des Londoner Protokolls ein, also für die Herrschaft Dänemarks über Schleswig-Holstein. Wie schwierig seine Stellung war, läßt ein Brief erkennen, den Biegeleben, der neben dem Botschafter Apponyi Österreich auf der Konferenz vertrat, im April nach Wien schrieb. Darin heißt es: »Hier in London haben nur wir, die Russen und die Engländer, guten Willen zum Frieden. Zwischen der Lüsternheit der Preußen, dem halbrevolutionären Fatalismus der Mittelstaaten und der französischen Nationalitätenpolitik bildet die Personalunion einen gewaltig schwachen Punkt der Vereinigung. Uns Österreichern zeigt alle Welt ein Interesse, welches nur leider mitunter die Farbe des Mitleids ob unserer ') In dem eben angeführten Brief. 2 ) Beust erzählt nichts von dieser Verabredung. Er berichtet S. 377 sehr unschuldig, daß der erste Besuch in Paris »während der Pfingstwoche und der dadurch herbeigeführten Pause in den Konferenzsitzungen« stattfand. Es sei dazu nur bemerkt, daß Pfingsten auf den 15. Mai fiel, und daß die wichtige Sitzung, die eine Unterbrechung der Konferenz nötig machte und eine Neuorientierung der Parteien zur Folge hatte (s. S. 35), am 17. Mai stattfand. Beust war zwischen dem 17. und 28. Mai in Paris. — Vgl auch Les Origines diplomatiques z. B. 2 nr. 391.



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delikaten Stellung und der zweifelhaften Eintracht mit unserem Alliierten an sich trägt« 1 ). »Delikat« blieb Österreichs Stellung auf der Konferenz bis zu ihrem Ende, aber etwas erleichtert wurde die Aufgabe der beiden Unterhändler doch von dem Augenblick an, da Österreich darauf verzichten durfte, für die weitere Verbindlichkeit des Londoner Vertrages einzutreten. Dies geschah Ende Mai. Am 21. Mai meldete Fürst Metternich, der österreichische Botschafter in Paris, telegraphisch die Anwesenheit Beusts mit dem Zusatz, daß Beust dort günstigen Boden finde, und daß Österreich sehr isoliert stehe. Er fragte an, ob nicht etwa neue Konjunkturen ihm eine Annäherung an Beust und dessen Aktion gestatteten. Die Antwort darauf war: Es sei kein Anlaß, seine Instruktionen zu ändern, und er möge in der bisherigen Reserve ferner bleiben 2 ). Erst am folgenden Morgen, also am 22. Mai, trafen die Berichte der österreichischen Konferenzgesandten über die Sitzung vom 17. Mai ein. Sie und vor allem die Nachricht von der Unterredung, die Biegeleben unmittelbar fast vor der Konferenzsitzung mit dem englischen Staatsmanne Clarendon gehabt hatte, führten die Wendung herbei 3 ). Clarendon hatte mit Bitterkeit die österreichische Politik kritisiert, die er nicht begreife, die nur Preußen und Frankreich in die Hände arbeite. Biegeleben ver*) Zu den mannigfachen Beweisen der Sympathie Englands für Österreich gehört auch eine Äußerung Palmerstons zu Apponyi im J a n u a r 1864. Über die Absichten Österreichs sei England so ziemlich beruhigt, nicht aber in bezug auf die Preußens, das regiert werde »d'un roi des plus faibles et d'un ministre des plus foux«. Gagern hat von diesem Gespräch wohl durch einen Brief Biegelebens erfahren. ) Dies wie das Folgende aus Berichten Gagerns. *) Sybel 3, 318, bedarf also einer Korrektur.

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teidigte sich: England hat uns so oft schon gesagt, euere Allianz allein, die ihr so vielfach exponiert seid, hilft uns nichts; nur mit Preußen zusammen seid ihr uns von Wert. Nun sind wir, wie ihr gewünscht habt, mit Preußen zusammen, unsere schwierige Stellung hat sich aus den Rücksichten ergeben, die wir euch und dem Londoner Protokoll schuldig zu sein glaubten, und jetzt greift ihr unsere Politik wieder an. — Der Engländer erwiderte darauf nicht, aber er verlangte geradezu, daß Österreich seine Interessen »nochmals erwäge« und ein neues Programm für die Lösung der deutsch-dänischen Frage aufstelle. Er ließ erkennen, daß England die Verteidigung der Integrität Dänemarks aufgebe1). Die Folge dieser Unterredung 2 ) war, daß die beiden österreichischen Konferenzgesandten sich über die Notwendigkeit einer veränderten Haltung verständigten, daß sie in der darauffolgenden Sitzung (vom 17. Mai), in welcher die Lossagung Preußens vom Londoner Traktat erfolgte und die Dänen die Personalunion ablehnten, reserviert blieben, dann aber durch ihre Berichte, die am 22. Mai in Wien eintrafen 3 ), ihre Regierung zu einem *) Clarendon, ein bevorzugter Ratgeber der Königin, war sehr dänenfreundlich; er hätte eine andere Haltung seiner Regierung gewünscht und sagte, wie in zornigem Selbstgespräch, zu Biegeleben: »Eine Macht, die nicht die Absicht hat, von ihrer Macht Gebrauch zu machen, ist keine Macht. Wir aber wollen von unserer Macht gegen Deutschland keinen Gebrauch machen. England wird es denen gedenken, die es dahin gebracht haben« (das hieß: Frankreich). l ) Sie ist teilweise mitgeteilt bei Fröbel 2, 305. 3 ) Außer den schon bei Sybel 3, 318, berichteten Ungeschicklichkeiten Dänemarks und seiner Helfer in dieser Sitzung machte auf die Freunde der Schleswig-Holsteiner noch eine andere Episode (die, wie es scheint, noch unbekannt ist) starken Eindruck. Der schwedische Bevollmächtigte, Graf Wachtmeister, der den Dänen stets zu sekundieren suchte, bezeichnete die Personalunion als eine ungeeignete Basis für die Verhandlungen, und als er von Apponyi daran erinnert wurde, daß Schweden-Norwegen ja selbst



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neuen Programm veranlaßten, das mit dem des Bundes übereinstimmte: volle Selbständigkeit der Herzogtümer und deren Trennung von Dänemark unter eigener Dynastie. Am 26. Mai konnte Gramont nach Paris telegraphieren, daß das Wiener Kabinett sich endgültig der Kandidatur des Augustenburgers anschließe (se rallie définitivement) und ihn als Souverän des neuen Staates vorschlagen werde1). Damit war die Bahn frei für eine Verständigung mit dem Bunde, und mit großer Freude wurde hier die Erklärung der beiden deutschen Mächte am 28. Mai begrüßt, in der sie die Konstituierung Schleswig-Holsteins als eines selbständigen Staates unter der Souveränität des Erbprinzen von Augustenburg begehrten, »da dieser nicht bloß in den Augen Deutschlands die meisten Rechtsansprüche auf die dortige Thronfolge besitze, so daß seine Anerkennung durch den Bundestag gesichert sei, sondern auch die Stimme der ungeheuren Mehrheit der dortigen Bevölkerung ohne Zweifel für sich habe«2). in dieser Staatsform lebe, erwiderte er mit Unbedacht: Das Verhältnis Dänemarks zu den beiden Herzogtümern ist ein ganz anderes wie das Schwedens zu Norwegen; in Dänemark-Schleswig steht eine herrschende Nationalität über einer anderen. Die Österreicher erklärten, daß sie davon Akt nehmen wollten, um die Herzogtümer vor der Herrschaft eines anderen Volkes zu bewahren. 1 ) Les Origines diplomatiques 3 nr. 579. ') Daß hier unter Deutschland auch Preußen und Österreich mitzuverstehen waren, ist gewiß, und Sybels Interpretation 3, 332, daß es sich nur um die Ansicht des Bundestages gehandelt habe, ist nur einer seiner zahlreichen Versuche, in der Darstellung von Bismarcks staatsmännischem Wirken die Gewalttätigkeiten möglichst zu entfernen. — Im Herbste 1865, nach dem Abschlüsse des Gasteiner Vertrages, äußerte sich Bismarck zu Beust, — und dieser erzählte es Dalwigk (aber nicht nur ihm, s. Les Origines diplomatiques 7 nr. 1576) weiter, — in sehr geringschätziger Weise über die Rolle, die er auf den Londoner Konferenzen den Herzog von Augustenburg habe spielen lassen (s. unten Beilage II). — Man kommt der geschichtlichen Wahrheit sicher näher, wenn man diese Mitteilung, trotz der zweifelhaften Quelle, aus der sie stammt, für richtig hält, als wenn man hier Sybel folgt.

— 32 — Aber die hier geäußerte Eintracht hatte nicht lange Bestand, und wenn Gagern froh nach Darmstadt schrieb, daß »nach der schweren Gefährdung eines hohen vaterländischen Interesses durch die Koalition der beiden deutschen Großmächte jetzt der Triumph nahe bevorstehe, den alle deutschen Gruppen gemeinsam in Einigkeit werden feiern können«, so kam solche Siegesfreude zu früh. Die deutschen Gruppen waren auch jetzt noch durchaus nicht einer Meinung. Die Österreicher klagten darüber, daß Beust vollkommen der Repräsentant einer Rheinbundspolitik sei, daß er derartig »cesarise« aus Paris zurückgekehrt sei, daß man sich auf ihn als auf einen Verbündeten nicht verlassen könne 1 ). Weit gefährlicher aber war es, daß Preußens Annexionsabsichten jetzt unverhüllt hervortraten. Bismarck hielt die Annexion nicht für den obersten und notwendigsten Zweck, wohl aber für das angenehmste Resultat 2 ). Keinesfalls aber war er gesonnen, aus den Herzogtümern zu weichen, wenn nicht den preußischen Ansprüchen auf 1

) Er hat dies besonders bei der Behandlung der verschiedenen Vorschläge gezeigt, ob und wie die Bevölkerung der Herzogtümer über ihre politische Zukunft befragt werden sollte; also bei einer Materie, in der auch Preußen den Wünschen Frankreichs entgegenkam, während Österreich, namentlich wegen Venetiens, in diesem Punkte sehr empfindlich war. — Beust (1, 377) war der Meinung, daß sein Besuch in Paris auf die Instruktionen des französischen Botschafters von London entschieden Einfluß geübt habe, wie ja überhaupt seine Tätigkeit auf dem Kongreß zu seinen stolzesten Erinnerungen gehörte. Doch wurde diese Meinung nicht überall geteilt. Der russische Gesandte v. Brunnow, freilich ein persönlicher Feind Beusts, behauptete sogar, Beust habe in London eine Menge Dinge gar nicht gesagt, die er sich rühmte, in den Debatten vorgebracht zu haben. (Aus einem Briefe Dalwigks vom 27. Sept. 1864.) 2 ) Brief vom 16. Mai 1864 an Arnim-Boytzenburg bei Kohl, Bismarckregesten 1, 230. — Vgl. auch das Schreiben nach Wien vom 21. Mai, s. Sybel 3, 321.



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eine Hegemoniestellung an der Elbmündung Rechnung getragen wurde. Nur das erste Stadium des Kampfes war also vollendet, die Herzogtümer waren von Dänemark befreit. Es begann jetzt der zweite Abschnitt, der Versuch, das Programm der Großmächte vom 28. Mai zu verwirklichen und Preußen aus den Herzogtümern zu verdrängen. Stand Hessen zuvor mit den anderen Mittelstaaten gegen Preußen und Österreich, so war es jetzt einig mit Österreich über das Ziel, einig auch über den Gegensatz gegen Preußen.

V o g t , Die hess. Politik i. d. Zelt d. Reichsgrdndung.

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II.

Von der Londoner Konferenz bis znm Vertrag von Gastein. Bismarck hatte am 21. Mai 1864 in einem Schreiben nach Wien es ausgesprochen1), daß der Enthusiasmus für den Herzog Friedrich nur den augenblicklichen Ausdruck der Negation gegen Dänemark darstelle, und wirklich begann, nachdem einmal die dänische Herrschaft endgültig abgeschüttelt war, die Begeisterung für den Herzog von Augustenburg zu erlahmen. Das Wort, das er im November 1863 den Schleswig-Holsteinern zugerufen hatte: Mein Recht ist euere Rettung, hatte an Zugkraft erheblich eingebüßt, und es stieg in Preußen die Zahl derjenigen, die eine Annexion für wünschenswert hielten. Bismarck war durchaus nicht gesonnen, sich aus der gemeinsamen Erklärung vom 28. Mai einen Strick drehen zu lassen. Es beirrte ihn nicht, daß in Wien auf Schmerlings Betreiben die Presse für unbedingte Sicherung aller Souveränitätsrechte des Augustenburgers eintrat und die ») Vgl. Sybel 3, 321.

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Regierung gegen preußische Ansprüche scharf zu machen suchte. Da der Herzog in der Unterredung vom 1. Juni nicht das Entgegenkommen zeigte, welches dem preußischen Interesse zu entsprechen schien 1 ), wandte sich Bismarck kühl von ihm ab. Schon wenige Tage nach dieser Unterredung hörte man in Wien von den Sympathien, die Bismarck für die Ansprüche des Großherzogs von Oldenburg hege, dem der Kaiser von Rußland seine Rechte auf die Elbherzogtümer abgetreten hatte. Rechberg zweifelte zunächst noch daran, ob dies Manöver Bismarcks nur den Versuch darstelle, die ganze Angelegenheit sachte an dem Prinzen von Augustenburg vorbeizuschieben oder »von Oldenburg in Löffeln mittels freundschaftlich-friedlicher Abtretungen am Jahdebusen und in der Rheinprovinz zu erhalten, was ihm in Scheffeln (in den Herzogtümern) zur Zeit versagt sei«2). Daß Bismarck Österreich zumuten könne, diese Kandidatur überhaupt nur ernsthaft zu behandeln, hielt er für unmöglich und, als ihn Gagern im Juni darauf ansprach, erwiderte er unmutig: Wenn Bismarck von dem mit uns verabredeten Programm rücksichtslos und unbedenklich wieder abspringen sollte und uns mit Oldenburg kommt, so werde ich ihm sagen, daß ich mich dafür bedanke, 1 ) Vgl. Wahl, Die Unterredung Bismarcks mit dem Herzog Friedrich, Hist. Zeitschr. 95 (1905) S. 58 ff. - Der Grund für die Sprödigkeit des Herzogs lag — nicht allein, aber doch zum guten Teil — darin, daß der Staatsrat von Wydenbrugk, der sofort nach dem Umschwung der Dinge auf der Londoner Konferenz von Wien nach Kiel reiste, die verhängnisvolle Mahnung mit auf den Weg bekam: »Daß nur in Kiel jetzt nichts zugunsten Preußens unnütz über Bord geworfen wird, daß wir da nicht auf vollendete Tatsachen stoßen«. — Schon in der Unterredung mit Rechberg (Ernst II, Bd. 3, 444), dann nochmals durch Max v. Gagern. (Brief des Max v. Gagern für Wydenbrugk.) 2 ) Diese Wendung gebrauchte Rechberg am 13. Mai Gagern gegenüber, als zum ersten Male zwischen ihnen von Oldenburgs Ansprüchen und ihrer Förderung durch Rußland die Rede war.

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einen abermaligen Purzelbaum in dieser Sukzessionsfrage zu schlagen 1 ). Doch war Festigkeit nicht Rechbergs größte Tugend, und die Gefahr blieb bestehen, daß die Finanzkalamität Österreichs so groß werde, daß der Staat schließlich die Lust an der Unternehmung gegen die Dänen verlor und den Preußen das Feld ganz überließ. Die mittelstaatlichen Politiker forderten daher immer wieder zur Durchführung des Programms vom 28. Mai die einstweilige Einsetzung des Augustenburgers salvo iure tertio; aber immer vergeblich. Hessen vertrat mit den »bundestreuen« Regierungen die Meinung, daß das Recht des Erbprinzen auf Holstein und damit auch auf Schleswig nicht erloschen sei infolge des Krieges, da der König von Dänemark den beiden Gegnern nur d i e Rechte habe abtreten können, die er besessen habe. Von Lauenburg wurde hier nicht viel geredet, man wünschte es aber mit den Herzogtümern verbunden zu sehen, damit es nicht als res nullius an Preußen falle. Preußen und Österreich haben, so war in diesen Kreisen die Auffassung, weiter nichts als ihre Pflicht getan; die Lorbeeren, die ihre Truppen ernteten, sind Lohn, der reichlich lohnet. Nach preußischer Ansicht dagegen war durch den Krieg die staatsrechtliche Lage völlig verändert. Als pretium belli et victoriae gehörten die Herzogtümer nunmehr den beiden Siegern, und als der Kaiser von Rußland nach Berlin kam, erklärte ihm Bismarck ganz offen: Preußen müsse nach den Opfern, die es gebracht habe, auf einen Ausgang der Sache dringen, der der Nation ') Nach Mitteilung Gagerns schon bei Fröbel 2, 309 (nicht ganz genau) zitiert. — Da diese Unterredung erst am 13. Juni stattfand, hatte damals der preußische Gesandte v. Werther den ihm am 8. Juni erteilten Auftrag, über Oldenburg mit Rechberg zu sprechen (vgl. Sybel 3, 339), noch nicht ausgeführt, oder Rechberg ignorierte dies.



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einige Genugtuung gewähre 1 ). Ihm genügte als Kampfpreis nicht »ein Großherzog mehr in Deutschland, der aus Sorge für seine neue Souveränität am Bunde gegen Preußen stimmt« 2 ). Zwischen diesen beiden Gegensätzen stand Österreich mit seiner verhängnisvollen Halbheit. Rechberg bekannte sich grundsätzlich 8 ) zu der staatsrechtlichen Auffassung Preußens, wünschte aber eine Lösung der Angelegenheit im Sinne der Mittelstaaten, also im Sinne der Erklärung vom 28. Mai. und er hoffte noch immer, diese Lösung durch eine freundschaftliche Verständigung mit Preußen erzielen und sich dadurch zugleich gegen Frankreich decken zu können. Es gehörte nicht viel Scharfsinn dazu, um zu erkennen, daß Rechberg sich darin irrte. Immer wieder ließ Dalwigk ihm sagen: Ihr werdet euch mit Preußen doch nicht verständigen; denn Preußen will wenigstens e t w a s von den Herzogtümern und ihr wollt dies nicht leiden. Sobald ihr euch für den Augustenburger entscheidet und Farbe bekennt, braucht ihr eine Mehrheit am Bunde nicht niehr zu suchen, ihr habt sie dort und habt sie in der öffentlichen Meinung 4 ). Aber diese Mahnungen machten auf Rechberg nicht den gewünschten Eindruck. Er hatte nicht nur eine gewisse persönliche Sympathie für Bismarck, — seine Gegner in der Staatskanzlei sprachen von seiner Idiosynkrasie für den preußischen Staatsmann 5 ), — trotz aller Das Gespräch fand am 10. Juni 1864 statt. Sybel 3, 340 f., gibt eine Darstellung davon. Die hier angeführte Äußerung teilte Kaiser Alexander Dalwigk mit, der sie Gagern am 19. Juni in einem auch sonst bemerkenswerten Briefe weitergab, s. Beilage I. 2 ) Bismarck, Gedanken und Erinnerungen 2, 5. 3 ) Er hat freilich auch darin geschwankt. 4 ) In den Berichten Gagerns über seine Unterredungen mit Rechberg kehrt ähnliches immer wieder. 6 ) Daß die Freundschaft zwischen den beiden Staatsmännern nicht so herzlich war, wie die Anrede in ihrem letzten Briefwech-

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Schwierigkeiten blieb ihm auch das Bündnis mit dem kräftigen norddeutschen Staate das weitaus wünschenswerteste Ziel der österreichischen Politik; und er gab sich, Hessen wie den anderen gegenüber, wenig Mühe, die Nichtachtung des Großstaatspolitikers gegen die Mittel- und Kleinstaaten zu verbergen. Nicht einmal seinen Verpflichtungen als Präsidialmacht kam Österreich in der erwarteten Weise nach. In der Rendsburger Affäre empfanden es die Mittelstaaten bitter, daß Österreich sie völlig im Stiche ließ1). Es hatte Mitte Juli in Rendsburg Händel gegeben zwischen preußischen und hannöverischen Soldaten. Darauf war die Erklärung des Prinzen Friedrich Karl erfolgt, daß er den Befehl habe, sich zum Herrn von Rendsburg zu machen, und der Bundesgeneral hatte die Stadt räumen müssen. Für diese beleidigende Maßregel, für die der Prinz absichtlich eine sehr schroffe Form gewählt hatte, gelang es den Mittelstaaten nicht, sich Genugtuung zu verschaffen. Rechberg lehnte die Vermittlung ab, weil er das Einverständnis mit Preußen während der Friedensverhandlungen mit Dänemark nicht in Frage stellen wolle, und Bismarck wies, als er nach Wien kam, die Beschwerden des sächsischen Gesandten und dann sei zu besagen scheint, hat schon O. Lorenz, Kaiser Wilhelm und die Begründung des Reichs S. 49 gegen Sybel mit Recht betont. Auch die Ausdrucks weise, deren sich Rechberg Gagern gegenüber bediente, wenn er von Bismarck sprach, zeugt nicht gerade von freundschaftlichster Gesinnung, wenn man dabei auch die Absicht nicht unberücksichtigt lassen darf, die Rechberg in diesen Gesprächen verfolgen mochte. Doch ist Lorenz' Hinweis auf die österreichische Presse verfehlt. Auf die Zeitungen, selbst auf die Mehrzahl der offiziösen Blätter, hatte Rechberg keinen Einfluß. »Es steht nicht in unserer Macht, den Herrn Grafen populär zu machen«, mußte er sich z. B. von einem offiziösen Journalisten sagen lassen, ohne daß er sich dagegen wehren konnte. ') Vgl. das »Infandum regina jubes« Beusts in seinen Erinnerungen, Aus Dreiviertel Jahrhunderten 1, 397. — Zu der Episode s. außerdem Hassel, König Albert 2, 190 ff.

— 39 — auch die des hannöverischen 1 ) höflich aber bestimmt zurück und tat sehr erstaunt, als die Österreicher das Verfahren des Prinzen nicht rückhaltlos billigten. Nur bei Rechberg ließ er im Vertrauen durchblicken, daß durch die Einflüsse der Militärpartei manches bei König Wilhelm erreicht werde, was er, Bismarck, gern verhindert hätte, und wofür er die Verantwortung ablehnen müsse 2 ). Aber zu einer Entschuldigung verstand er sich nicht, und Rechberg konnte nicht einmal seine Absicht ausführen, ihm wenigstens eine kleine Lektion zu erteilen. Ja, als Hessen sich darüber beklagte, daß der Präsidialgesandte v. Kübeck in dieser Sache die Rechte des Bundes nicht energisch genug wahre, lud Rechberg sogar die ganze Schuld auf die Mittelstaaten und behauptete: »Ich hatte Bismarck so weit gebracht, daß mir von ihm die volle restitutio in integrum in bezug auf die Rendsburger Affaire zugesagt war. Da trat Bayern mit seinem Antrag 3 ) und Sachsen mit seiner provozierenden Erklärung 4 ) hervor. Bismarck kam darauf zu mir und sagte, 1

) General v. Hake war sächsischer Offizier, seine Truppen waren Hannoveraner und Sachsen. 2 ) Solche Äußerungen waren für Rechberg um so pikanter, als ihm erzählt worden war, daß Manteuffel bei seinem Besuhc in Wien zu den österreichischen Militärs, deren reservierte Haltung ihm auffiel, gesagt hatte: Mit uns, mit den Militärs, müßt ihr euch verständigen. Wir wollen ein aufrichtiges Einverständnis und Zusammengehen mit Österreich. Bismarck haßt euch und wird euch verraten, sowie es seinen Zwecken dient. — In der Staatskanzlei spottete man, wie Gagern berichtete, über dieses Kompagniegeschäft, das sich bald gegenseitig eskomptiere, bald die aufeinander ausgestellten Wechsel protestiere. ') Es ist der am 21. Juli von Bayern gestellte und gegen die Großmächte, Kurhessen und die 16. Kurie angenommene Antrag, der das Verhalten des Generals v. Hake ausdrücklich billigte. — In der hess. Kammer wandte sich am 29. Juli eine starke Majorität gegen die »neuesten Gewalttaten« in Schleswig-Holstein. *) Sachsen erklärte am 28. Juli, daß es eingedenk der Erfolglosigkeit früherer Beschwerden auf weitere Anträge in dieser Sache verzichte.



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nun könne Preußen nicht zurücktreten, und ließ sich von seinem Zugeständnis wieder lossagen. Rechberg machte den Bundesstaaten Vorwürfe, daß sie sich nicht mit der Erklärung Preußens vom 28. Juli zufrieden gaben, wonach »das Verfahren in Rendsburg im Kriegszustand seine Rechtfertigung finde«. Das müsse genügen, denn darin liege das Zugeständnis, daß das Verfahren in Friedenszeiten nicht zu rechtfertigen sei 1 ). Er benutzte die Gelegenheit zu einer ähnlichen Kritik an dem Verhalten der Mittelstaaten, wie er sie in seinem ersten Gespräch mit Gagern geübt hatte. Namentlich wandte er sich gegen die Improvisation von Anträgen bei dem Bunde, über die die Großstaaten sich nicht zuvor ins Benehmen hatten setzen können. Nichts stelle den Bund m e h r bloß, als Anträge, die in ihrer Konsequenz zu einer Exekution gegen die beiden deutschen Großmächte führten. Österreich ließ sich also noch nicht von der Seite Preußens abdrängen, und es konnte dies auch kein politisch Denkender während der Dauer der Unterhandlungen mit Dänemark wünschen. An diesen Verhandlungen war der Bund nicht beteiligt. Was der hessische Gesandte von ihrem Verlaufe erfuhr 2 ), verdankte er vor allem dem französischen Botschafter, dem Herzog von Gramont, der eine Art ') In Wirklichkeit hatte die Erklärung ganz anders gelautet. — Erst nach dem Friedensschluß wurde den Bundestruppen eine militärische Genugtuung zuteil, s. Hassel 2, 198. 2 ) Z. B. eine hübsche kleine Episode, die noch nicht bekannt zu sein scheint und die die Festsetzung der Grenzlinie betrifft. Die Dänen baten, ihnen den Distrikt Ripen nicht wegzunehmen, obwohl er südlich der Königsau liegt. Die Stadt habe für Dänemark eine hohe historische Bedeutung, und ihre Abtretung würde das Nationalgefühl der Dänen auf das empfindlichste verletzen. Rechberg fuhr auf: Es wird hier keine Gefühlspolitik getrieben. Bismarck dagegen erklärte, eine solche Pietät des Volkes für seine Geschichte sei zu achten, und er glaube, im Sinne seines Königs zu handeln, wenn er zusage, daß dem dänischen Wunsche nach der Stadt Ripen Rechnung getragen werden könne. — Einige Tage



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Beschützerrolle gegenüber den dänischen Unterhändlern spielte, als w e n n F r a n k r e i c h auf der L o n d o n e r K o n f e r e n z für D ä n e m a r k der z u v e r l ä s s i g s t e R ü c k h a l t g e w e s e n w ä r e , u n d der eine ä h n l i c h e g ö n n e r h a f t e F r e u n d l i c h k e i t a u c h den m i t t e l s t a a t l i c h e n G e s a n d t e n g e g e n ü b e r zur S c h a u trug. E s w a r seine A u f g a b e , w i e die der f r a n z ö s i s c h e n P o l i t i k ü b e r h a u p t , der E i n t r a c h t u n t e r d e n b e i d e n d e u t s c h e n G r o ß m ä c h t e n e n t g e g e n z u a r b e i t e n u n d dabei, w o es ging, die M i t t e l s t a a t e n zu »streicheln«, sie v o n der u n e i g e n n ü t z i g e n F r e u n d s c h a f t N a p o l e o n s zu ü b e r z e u g e n . A b e r G r a m o n t h a t t e n i c h t viel E r f o l g m i t seinen Bem ü h u n g e n , weil er seine A b s i c h t zu d e u t l i c h w e r d e n ließ u n d b e i s p i e l s w e i s e sich n i c h t s c h e u t e , g e l e g e n t l i c h zu Gagern zu ä u ß e r n : »Die R e g e l u n g der i n n e r d e u t s c h e n V e r h ä l t n i s s e , u n d d a z u gehört a u c h die s c h l e s w i g - h o l steinische Frage, ist u n s an sich einerlei 1 ); n u r w e n n später korrigierte aber Gramont die durch diese Erzählung vielleicht erweckte Vorstellung, als sei Bismarck überhaupt der nachgiebigere von beiden Unterhändlern. Rechberg sei allerdings aufbrausend, aber im Grunde seines Herzens wohlwollend, Bismarck dagegen zwar äußerlich höflich, in der Sache aber von unerschütterlicher Festigkeit, ja Brutalität. — Wie Bismarcks Nachgiebigkeit in dieser einen Frage zu bewerten ist, ob wirklich der angegebene ideale Gesichtspunkt ihn bestimmte oder die Rücksicht auf die Nationalitätenpolitik Frankreichs oder schon der Gedanke an Gefahren, die sich für Preußen ergeben konnten aus dem künftigen Besitz einer den Dänen besonders teuren Stadt, mag dahingestellt bleiben. — Die unbarmherzige Ausnutzung des Sieges durch die deutschen Mächte tadelt Gramont am 29. Juli, s. Les Origines 3 nr. 757. ') Anfang Oktober 1864 konnte man im Journal des Débats die entgegengesetzte Auffassung in einem offenbar offiziösen Artikel vertreten finden. Da hieß es, daß es Europa nicht zusagte, daß Osten •eich und Preußen nach Belieben über das übrige Deutschland verfügten und darum aus dem Bund une puissance à part machten ; daß Europa ein gewisses Recht zur Überwachung der Organisation und Verwaltung Deutschlands und zur Kontrollierung derjenigen Veränderungen zustände, die man in bezug auf die Einteilung und Verteilung des deutschen Gebietes vornehmen wollte.



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man aus Deutschland einen Einheitsstaat machen wollte, so würde das Frankreich bedrohen; aber«, so fügte er ironisch hinzu, »wir haben keine große Besorgnis vor seinem Gelingen«. Er vergaß die Diplomatenregel, daß es auch in der Politik Dinge gibt, die jeder weiß, die man aber doch nicht ausspricht. Hatten die Mittelstaaten es hinnehmen müssen, daß der Bund bei den Friedensverhandlungen mit Dänemark ausgeschlossen war, so hatten sie doch nicht erwartet, daß man sie auch bei der Regelung der Sukzessionsfrage, entgegen Rechbergs Zusage, nicht heranzog. Aber Bismarck wußte jeden Versuch, den Rechberg in dieser Beziehung unternahm, zu verhindern, und auch in der berühmten Korrespondenz, in der Rechberg durch eine rückhaltlose Aussprache über die Gemeinsamkeit ihrer politischen Interessen auf Bismarck zu wirken suchte, hat er nichts ausgerichtet 1 ). Er vermochte es nicht, in der Frage, wie die Mittelstaaten zu behandeln seien, Bismarck auf seine Seite zu ziehen. Das Schreiben vom 17. September, das er als Beweis für seine bundesfreundliche Gesinnung sowohl Gagern wie Beust 2 ) vorlas, wurde von diesen gelobt, auf Bismarck machte es keinen Eindruck. Und so wenig wie mit seinen prinzipiellen Ausführungen hatte Rechberg bei Preußen mit seinen besonderen Wünschen Glück, die sich auf den Telegraphenvertrag mit den Hansestädten und vor allem auf den Zollverein bezogen. Die Bundeskommissare in Holstein hatten im Juli mit Hamburg und Lübeck über das Telegraphenwesen einen Vertrag geschlossen, der auf 10 Jahre Gültigkeit haben sollte. Sie hatten dadurch nach preußischer wie nach österreichischer Ansicht ihre Kompetenz überschritten, aber Rechberg wünschte, daß die beiden Großmächte den Vertrag nachträglich doch gutheißen !) Sybel 3, 395 ff. ) Auch Fröbel bekam es vorgelesen, s. Lebenslauf 2, 330.

s

— 43 — sollten 1 ). Bismarck widersprach, und zum größten Unwillen Hessens wie der anderen Mittelstaaten gab jetzt Rechberg seinen Standpunkt auf und stellte selber am Bunde mit Preußen einen Antrag, der auf das Gegenteil dessen hinauslief, was er zuvor verlangt hatte. Und auch in der anderen Frage, in der er am hartnäckigsten auf ein preußisches Zugeständnis gedrungen hatte, in der Zollvereinsangelegenheit, erlangte er keinerlei Konzession. Als im Jahre 1853 der Zollverein den Handelsvertrag mit Frankreich auf 12 Jahre schloß, hatten die Mittelstaaten, wie Beust sich rühmte 2 ), es durchgesetzt, daß Österreich der Eintritt in den Vertrag im Jahre 1865 freistehen sollte, und Rechberg verlangte, daß jetzt bei der Erneuerung des Vertrages dieselbe Klausel wieder aufgenommen werde. Bismarck war bereit, dies zuzugestehen; nicht als wenn er eine Zolleinigung mit Österreich für möglich gehalten hätte, — er hat oft genug, auch Rechberg gegenüber erklärt, daß er nicht dieser Meinung sei 3 ), er hatte auch, wie wenigstens Gramont in Wien erzählte 4 ), den französischen Ministerpräsidenten wissen lassen: was Sie auch hören und lesen möchten, halten Sie fest, daß sich Preußen durch den Handelsvertrag vom 2. August 1862 talis qualis für gebunden erachtet, — aber das von Rechberg geforderte Zugeständnis schien ihm nur formale Bedeutung zu haben, und er hielt es für falsch, durch seine Verweigerung die Stellung Rechbergs unhaltbar zu machen; denn er glaubte, daß dessen Sturz gleichbedeutend sein werde mit dem Bruch zwischen den beiden Mächten, und diesen Bruch herbeizuführen, dafür schien ihm die Zeit noch nicht ge') Vgl. Sybel 3, 367. ) Z. B. in einem Gespräch mit Gagern im Oktober 1864. ») Vgl. auch Brief an Roon vom 16. Okt. 1864, s. Kohl, BismarckRegesten 1, 242. 4 ) So bei Gagern. l



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kommen 1 ). Die Fortdauer des augenblicklichen Zustande» war nach seiner Ansicht in militärischer und auch in politischer Beziehung zunächst vorteilhafter als ein Konflikt. Aber während der Abwesenheit Bismarcks von Berlin drang bei dem König die Ansicht der Fachleute im Ministerium durch, die eine Konzession nicht gewähren wollten, weil Rechbergs Stellung, wenn sie nur durch dieses Zugeständnis zu halten sei, doch nicht auf die Dauer gesichert erscheine. In der Tat hatte Rechberg abgewirtschaftet. Das wiederholte Schwanken seiner Politik in der schleswigholsteinischen Frage gab Preußen zu viele Waffen gegen ihn in die Hand, und er hatte sich durch unvorsichtige Zusagen allzusehr gebunden. Man teilte in der Staatskanzlei und in der Presse die Ansicht Gramonts, der damals äußerte: »Rechberg hat alle Welt unzufrieden gemacht, Rußland, England, Frankreich und die Mittelstaaten, und dabei hat er doch Bismarck nicht befriedigen können«. Wenn damals sein Sturz verhindert worden wäre, lange hätte er sich doch nicht mehr halten können. 2 ) Auch führte Rechbergs Entlassung nicht zu einem sofortigen Umschwung in der österreichischen Politik, wie Dalwigk es gehofft hatte. 3 ) Die Kreuzzeitung formulierte es richtig, wenn sie damals schrieb: Es ist kein ') Vgl. u. a. den oben zitierten Brief an Roon vom 16. Oktober. Die R ä t e in der Staatskanzlei waren froh, daß bei der Schönbrunner Zusammenkunft der Monarchen und ihrer beiden Minister (im August 1864) nicht noch mehr Gegenstände zu gemeinsamer Beratung gekommen waren, weil sie meinten, Rechberg hätte sonst noch mehr Zugeständnisse gemacht. Auch bei dem Kaiser wurde nämlich eine »beängstigende Sympathie« für das feste und sichere Wesen des preußischen Staatsmannes beobachtet. Auf der anderen Seite darf man nicht übersehen, daß in der Staatskanzlei Rechbergs Gegner die Mehrheit bildeten und ihnen auch die Presse zu Gebote stand. 2)

3)

Vgl. Les Origines 5 nr. 1104.



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bloßer Personenwechsel, aber auch noch kein Systemwechsel; es ist die Schaffung der freien Hand. Rechbergs Nachfolger wurde nicht Biegeleben, sondern Graf .Mensdorff1), und der Kaiser teilte seine Absicht, den alten Kurs weiterzusteuern, nicht nur dem preußischen König in einem vertraulichen Schreiben am 26. Oktober mit 2 ), er hat an demselben Tag auch den Referenten für die Preßsachen, den Hofrat Fiedler, zu sich rufen lassen und ihm persönlich sehr eindringliche Mahnungen gegeben: »Meine Politik wird sich nicht ändern, gegen Frankreich reserviert bleiben und die guten Beziehungen mit solchen Staaten bevorzugen, welche konservativen Grundsätzen huldigen«. — Der Kaiser billigte es nicht, wenn die offiziöse Presse zu einer Verständigung mit Frankreich drängte, und äußerte sein Mißfallen wegen der Angriffe auf Preußen und auf das preußische Bündnis. Dann fügte er noch hinzu: »Ich wünsche zwar auch mit den deutschen Mittelstaaten freundschaftliche Beziehungen zu erhalten, aber bei ihrer Zerrissenheit und Machtlosigkeit ist ein Bündnis mit ihnen teils nicht zu haben, teils bietet es für praktische Politik keine genügenden Ressourcen« 3 ). Das war deutlich, und wenn Biegeleben in der ersten Zeit der Amtsführung des zum Minister des Auswärtigen ernannten Generals naturgemäß etwas größeren Einfluß hatte und sich dies in einem selbstbewußteren Auftreten Österreichs Preußen gegenüber äußerte, so daß Beust und Dalwigk die »würdigere« Haltung des Kaiserstaates loben konnten, so dauerte der politische Temperaturwechsel doch nicht lange. Sehr bald war *) Über ihn s. Friedjung, Kampf um die Vorherrschaft 1 , 1 0 8 . >) Vgl. Sybel 3, 412. s ) Derartige Einzelheiten, die ich den Briefen und Berichten Gagerns entnehme, hat er zumeist von Biegeleben erfahren, während er sich über die Ziele der österreichischen Politik bei dem Minister selbst zu orientieren suchte.

— 46 — auch Mensdorff auf dem Standpunkte Rechbergs angelangt. Auch er wollte seine bundesfreundliche Gesinnung doch immer nur so weit betätigen, daß es nicht zum Bruch mit Preußen käme. Auch er fürchtete für den Fall eines Konfliktes mit Preußen den Wiederausbruch der Feindseligkeiten in Italien, und was vermochten die deutschen Mittelstaaten in die Wagschale zu werfen gegen eine französisch-preußische Koalition ? An ihrem guten Willen war nicht zu zweifeln und besonders die Haltung Hessens verdiente alle Anerkennung. Selbst in der Zollvereinsfrage hatte Hessen seine Schuldigkeit gegen Österreich durchaus getan. Dalwigk schätzte den Vorsprung, den Preußen sich mit der wirtschaftlichen Einigung Kleindeutschlands durch den Zollverein vor Österreich gesichert hatte, richtig, d. h. sehr hoch ein, und obwohl die Blüte des hessischen Gewerbes dem Zollverein außerordentlich viel zu danken hatte, war er doch sogar bereit, lieber den Zollverein zu opfern, als durch den Abschluß des Handelsvertrages mit Frankreich Österreich zu schädigen. Aber er sah sich im Stiche gelassen. Beust stellte die wirtschaftlichen Interessen seines Landes seinen politischen Wünschen voran, Hannover und Kurhessen folgten nach einiger Zeit dem Beispiele Sachsens, und hiernach war es Dalwigk — wie er noch rechtzeitig die Österreicher hatte wissen lassen1) — ') In einem Schreiben Dalwigks an Gagern vom 26. Mai 1864 heißt es: In dem nämlichen Maße, in welchem die Schleswig-Holsteinische Frage ihrer Erledigung näher kommt, tritt die Zollund Handelsfrage in den Vordergrund. Bleibt Hannover und Kurhessen fest auf dem, was ich als den deutschen Standpunkt betrachte, so wird das Nämliche in Darmstadt der Fall sein. Gehen jene beiden Staaten, nach dem bedauerlichen Beispiele Sachsens, in das preußisch-französische Lager über, so wird es uns hier sehr schwer werden, im Kampfe mit der II. Kammer und einer teils durch pekuniäre Interessen (vgl. Les Origines 4 nr. 853), teils durch demagogisch-nationalvereinliche Impulse verblendeten Bevölkerung, an dem festzuhalten, was nach unserer Überzeugung

— nicht mehr möglich, gab nach und mußte reich selbst nicht die Falle nötig gewesen

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seine Opposition fortzusetzen. E r achselzuckend feststellen, daß ÖsterEntschiedenheit zeigte, die in diesem wäre 1 ).

So wurde Preußens Erfolg nicht verhindert, und auch auf anderen Gebieten waren die 'Mittelstaaten zu einer Politik, die dem Kaiserstaat wirklich greifbaren Nutzen hätte bringen können, nicht entschlossen genug. Die Organisation des dritten Deutschland, für die Hessen immer wieder wirken wollte, machte nicht nur keine Fortschritte, selbst die zuvor gewonnenen Resultate schwanden wieder dahin. Beust klagte im Oktober 1864 bei seinem Besuche in Wien, daß die schönen Zeiten vorüber seien, da die Mittelstaaten sich auf Ministerkonferenzen verständigten und ihr Majoritätsvotum dann in ihren Staaten durchführten, gegebenenfalls unter Androhung ihrer Demission. Jetzt seien die Träger solcher Politik teils nicht mehr im Amte, teils anderen Anschauungen zugefallen, das alte Vertrauen sei nicht mehr vorhanden, die Beschlüsse der Konferenz würden nicht mehr durchgeführt und in der Rendsburger Affäre habe Preußen den Bundesstaaten eine schwere Beleidigung zugefügt, ohne daß diese sich Satisfaktion verschafften 2 ). das allein Richtige, wirklich Patriotische ist. Ich bitte E . H., aus diesem offenen Geständnisse dem Grafen v. Rechberg kein Geheimnis zu machen, und ihn zu veranlassen, alles aufzubieten, um in Hannover und Cassel, wo wir keine ständigen Vertreter haben, die Regierungen auf dem korrekten Wege festzuhalten. ') Sybel 3. 385. Beust hielt die Aussichten einer Triaspolitik damals für sehr gering. — Dalwigk äußerte aber gelegentlich die Ansicht, daß neben dem Mangel an Initiative von Seiten Bayerns, dem doktrinären Partikularismus Badens und den traurigen Zuständen in Hannover und Kurhessen Beusts Empfindlichkeit und Gereiztheit gegen einen Teil der Mittelstaaten an dem unerfreulichen Ergebnis nicht ohne Schuld sei. So in einem Brief an Gagern vom 2. August 1864. — Vgl. unten S. 53 Anm. 2. a)



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Da aber Österreich sich so wenig von der Unterstützung des Bundes versprach, fand es auch nicht den Mut zu einer energischen Durchführung der schleswigholsteinischen Politik und wich immer wieder vor Preußen zurück; die einzige Hoffnung war, daß Herr v. Bismarck es zum äußersten treiben werde, und daß ein Krieg vielleicht eine für Deutschland günstige Wendung herbeiführe. Schon im Dezember glaubte man vor einer solchen Katastrophe zu stehen. Es handelte sich wieder um die Bundestruppen in Holstein. Preußen hatte zuerst den Regierungen von Sachsen und Hannover in scharfer Weise*) die Zurückziehung der sächsisch-hannöverischen Division befohlen, da die Herzogtümer im Friedensvertrag nicht dem Bund, sondern den beiden Großmächten abgetreten worden waren. In Wien erhob man dagegen Einsprache und erzwang Preußens Nachgiebigkeit mit der etwas pathetischen, aber deutlichen Wendung: ob man denn so wenig Wert auf die Allianz mit Österreich lege. Danach schien es dem Grafen Mensdorff ein Erfolg, daß Preußen jetzt selbst sich der Entscheidung des Bundes fügen zu wollen erklärte, sachlich aber war das Resultat eher noch günstiger für Preußen als zuvor, denn Österreich stellte mit ihm in Frankfurt den Antrag, die Bundesexekution für erledigt zu erklären. Der Unwillen der Mittelstaaten wandte sich daher noch mehr gegen Österreichs Schwäche als gegen Preußens Rücksichtslosigkeit. Der Zwiespalt, der sich hierin von neuem zwischen den Mittelstaaten und Österreich auftat, war dem Grafen Mensdorff wenig erwünscht, aber »wegen ein paar Wochen früherer oder späterer Räumung der Herzogtümer« durfte Österreich doch nicht einen Krieg heraufbeschwören. l

) Man wollte von einer Truppenkonzentration bei Torgau wissen und davon, daß der sächsischen Regierung ein Termin von 5 Tagen gestellt wurde. Die hannöverische Regierung war schnell zum Nachgeben bereit.

— 49 — Er versuchte noch im letzten Augenblick, die befreundeten Regierungen zur Nachgiebigkeit zu veranlassen und versprach dabei, daß Österreich bemüht sein werde, demnächst für die selbständige Stellung der Herzogtümer zu wirken. Aber Dalwigk wäre mit allem, was Hessen bisher über Zweck und Bedeutung der Bundesexekution in den Elbherzogtümern ausgesprochen und getan hatte, in Widerspruch geraten, wenn er dem Wunsche Mensdorffs entsprochen hätte 1 ). Er drückte die Hoffnung aus, es werde sich nicht wiederholen, daß Hessen am Bunde gegen Österreich stimme, aber den Gefallen nachzugeben, konnte er Mensdorff nicht tun, und er begründete dies: »Jede Nachgiebigkeit gegen die auf so zynische Weise zur Schau getragenen preußischen Pläne kann momentan einen Konflikt hindern. Aber 2 ) dieser Konflikt ist dennoch unvermeidlich und wird dann zu einer Zeit zum Ausbruch kommen, in welcher er für Österreich viel lästiger und gefährlicher erscheint, als es dermalen noch der Fall sein würde; ich denke an einen neuen italienischen Krieg. Angenommen aber selbst, Preußen beabsichtigte, Österreich in einem solchen Kampfe auf Tod und Leben beizustehen, unter welchen Bedingungen würde es geschehen ? Herr von Bismarck würde, wie auch in der holsteinischen Sache, die Form zu wahren wissen. Er würde einfach erklären, daß Preußen, um mit Erfolg am Rhein zu operieren, die ausschließliche Verfügung über Mainz, als Stützpunkt für seine Operationen, ') Wie gefährlich die Lage war, beweist die Spannung, mit der dem Ergebnis der Abstimmung vom 5. Dezember entgegengesehen wurde. Man erwartete (irrig), daß Baden gegen den Antrag stimmen werde, Hannover schien unberechenbar. »Wenn der Antrag fällt«, sagte Biegeleben zu Gagern, »so bleibt uns nur noch die Nacht zu arbeiten, um einem möglichen Friedensbruch vorzubeugen«. *) Ähnlich die Kölnische Zeitung am 13. Sept. 1865: Österreich hätte im Dezember 1864 losschlagen müssen. Seine Nachgiebigkeit damals hat jetzt Gastein zur Folge. Aber Bismarck kannte seine Leute, wie Schwarzenberg die Preußen i. J. 1850. V o g t , Die hess. Politik i. d. Zeit d. Reichsgründung.

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nötig habe. Er würde vielleicht sogar großmütig genug sein, die ausschließliche Besatzung von Rastatt als Tauschobjekt für Mainz anzubieten. Weigerte sich Österreich, auf einen solchen Handel einzugehen, so würde man ihm die ganze Schuld für die Inaktivität Preußens beimessen. Nähme Österreich, von der Not gedrängt, einen solchen Vorschlag an, so wären die beiden Hessen und ein großer Teil von Bayern im Bereich der preußischen Kanonen und die Mainlinie nicht bloß erreicht, sondern übersprungen. — Solche Eventualitäten sind sehr ernst ins Auge zu fassen. Ich weiß ganz gut die Gründe zu würdigen, aus denen Österreich Ruhe und Frieden innerhalb und außerhalb Deutschlands wünschen muß. Aber ich hoffe, daß, wenn die Mittelstaaten (und ich denke nach Baron Pfordtens Wiedereintritt in das Ministerium, daß dies bald geschehen wird) Herrn v. Bismarck ein quousque tandem zurufen, Österreich uns nicht durch Vermittelungsversuche im Sinne eines guten Einvernehmens mit Preußen die Aktion abschwächen wird« 1 ). Das Schreiben ist in seiner klaren Erkenntnis des preußischen Egoismus und seiner Abneigung gegen Bismarck, vor allem aber auch in seiner Überschätzung der Macht der Mittelstaaten bezeichnend für Dalwigk und für die Art, wie sich ihm die österreichischen und hessischen Interessen verbanden. Dalwigks Ansichten deckten sich mit denen seines Freundes Beust, der auch den Krieg für nützlich hielt, weil er von ihm allein eine wirksame Veränderung der politischen Lage erwartete, und der darum wünschte, daß Preußen es zum äußersten treiben, Leipzig besetzen und dadurch die Sachsen zwingen werde, sich auf Österreich zurückzuziehen. — *) Brief Dalwigks an Gagern vom 3. Dezember 1864. — Den Eintritt v. d. Pfordtens hatte Dalwigk im Interesse der Mittelstaatenpolitik sehr gewünscht, s. Les Origines 5 nr. 1077.



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Die augenblickliche Gefahr wurde durch die Abstimmung noch einmal beschworen. Die Mehrheit stimmte dem Antrag der Großmächte zu, und Österreich ließ die dissentierenden Staaten 1 ) wissen, daß es ihm wohl bekannt sei, daß seine besten Freunde gegen es gestimmt hätten, und daß es ihnen die Abstimmung nicht verübele. Doch war damit die Erregung in den Mittelstaaten nicht beseitigt. Wenn die Rechte des Augustenburgers nicht anerkannt wurden, standen da die Rechte irgendeines der anderen Fürsten fest ? Wenn einmal mit Annexionen begonnen wurde, wann hörten sie auf ? Drohend stieg die Erinnerung an die große Landkartenberichtigung im Anfange des Jahrhunderts an den Höfen der Mittelstaaten auf. Diese Angst wurde noch vermehrt, als von einem bedeutsamen Schriftenwechsel der beiden Großstaaten In im Dezember einiges in die Öffentlichkeit drang. der Antwort auf Darlegungen Bismarcks über seine Bundespolitik im allgemeinen und über die Frage der Herzogtümer im besonderen 2 ) hatte die österreichische Regierung am 21. Dezember u. a. geantwortet: Das Wiener Kabinett habe Verpflichtungen gegen das eigene Land so gut wie Preußen gegen das seinige, und zu diesen Verpflichtungen gehöre es, wahrzunehmen, daß das österreichische Blut in den Herzogtümern nicht geflossen sei für eine Störung jenes Gleichgewichts der Kräfte, durch welches die deutsche Stellung Österreichs bedingt sei 3 ). Es waren außer Hessen und Sachsen noch Bayern, Württemberg, die sächs. Herzogtümer und Braunschweig mit Nassau. Vom 13. Dezember; vgl. Sybel 4, 48 ff. ') Sybel 4, 51, erwähnt diese Antwort nur kurz. — Die Depesche war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, aber sie wurde durch die Wiener »Presse« teilweise bekannt. Wie Gramont im Januar 1865 zu Gagern sagte, hatte Fürst Metternich die Depesche aus der Hand gegeben, ohne sich dabei bewußt zu sein, etwas den österreichischen Interessen Nachteiliges zu tun. 4»

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Eine Annexion der Herzogtümer durch Preußen könne nur gegen eine gleichzeitige territoriale Vergrößerung des Kaiserstaates zugelassen werden. Dalwigk sprach zu dem französischen Gesandten mit großer Bitterkeit über »solche Versuche, sich fremdes Gut anzueignen und mit Verkennung aller Grundsätze des Rechts deutsche Länder und deren Bevölkerungen ungefragt zu Entschädigungs- und Tauschobjekten zu machen.« Die österreichische Antwort wollte er so verstehen, daß sie nichts habe sein sollen als der verstärkte Ausdruck des Willens, jene Annexion niemals zuzulassen 1 ). Auch der junge König von Bayern geriet über die Veröffentlichung in die größte Erregung und nur mit Mühe gelang es dem Minister v. d. Pfordten, ihn zu beschwichtigen und von sofortigen Gegenzügen abzuhalten 2 ). Die beruhigende Note Österreichs vom 3. Januar machte nicht viel Eindruck, obwohl darin erklärt wurde, »daß Österreich seinen bisherigen Standpunkt nicht aufgegeben habe, vielmehr daran mit der Hoffnung festhalte, seine Absichten zu erreichen. Es wolle Preußen gewisse, aus der geographischen Lage sich ergebende Vorrechte nicht mißgönnen, aber es halte daran fest, daß über solche Vorrechte nur auf bundesgesetzlichem Wege statuiert werden könne und dürfe«. Daß Preußen etwas gegen die Mittelstaaten im Schilde führte, schien schon darum glaublich, weil es sich bei der Abstimmung vom 5. Dezember nicht beruhigte, sondern es wagte, denjenigen Regierungen, die gegen den Antrag der beiden Großmächte gestimmt hatten, eine Lektion in Bundessachen und Bundesrecht zu erteilen, und diese Lektion Anfang 1865 in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung veröffentlichte. Dalwigk protestierte gegen diese *) Am 31. Januar 1865 schreibt er Gagern, der es natürlich weitergeben sollte, daß er dem französischen Gesandten gegenüber diese Auffassung geäußert habe. — Vgl. Les Origines 5 nr. 1104. *) So berichtete der österreichische Gesandte in München.



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Einmischung Preußens in die Angelegenheiten anderer Bundesstaaten 1 ), und auch die Antwort, die v. d. Pfordten erteilte und nach dem preußischen Beispiel der Presse übergab, war eine scharfe Zurückweisung der unnötigen Reizung und fand bei Dalwigk vollen Beifall. Bayern erklärte darin u. a., daß über die Kompetenz der Bundesversammlung nur deren Grundsätze und Beschlüsse, nicht aber das Belieben einer einzelnen Regierung entscheiden dürften, und verbat es sich, daß ein einzelnes Mitglied dem Bunde das Maß seiner Tätigkeit vorzeichnen wollte. Es war glücklich so weit gekommen, daß v. d. Pfordten mit dem Austritte Bayerns aus dem Bunde drohte. Hatte er schon zuvor bei Dalwigk damit gespielt, ohne daß dieser die Äußerungen schwer genommen hatte, so berichtete jetzt der österreichische Gesandte in München, Graf Blome, nach Wien, daß v. d. Pfordten ihm ganz ernsthaft gesagt habe: Wenn die schleswig-holsteinische Frage keine Lösung findet, die dem deutschen Recht und Interesse entspricht, so werde ich dafür sein, daß Bayern aus dem Bunde, der seinen Teilhabern nur Schmach bereitet, austritt. Die Rücksicht, daß dadurch mindermächtige Staaten Verlegenheiten erfahren, kann mich nicht zurückhalten. Unter solchen Umständen muß der schwimmen, der es vermag. Mochte es aber schon für Bayern fraglich sein, ob es selbständig werde schwimmen können, so war dies für die anderen Staaten sicher unmöglich, und man durfte sich daher nicht wundern, wenn sie sich nach anderer Hilfe umsahen. 2 ) Am 23. Januar 1865 hatte Gagern mit Gramont eine Unterredung, in der ihm der französische Botschafter unter anderem erzählte, daß die Abtretung Lauenx

) S. Les Origines 5 nr. 1135. ) Uber engere Bündnisbestrebungen innerhalb des dritten Deutschland s. u. a. ebenda nr. 1141 und 1148. s



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burgs gegen eine Geldentschädigung eine abgemachte Sache sei. Weiter aber teilte ihm Gramont eine Depesche von Drouyn de Lhuys mit, aus der sich ergab, daß Beust sich an den französischen Gesandten in Dresden gewandt hatte mit der Klage, ob denn Frankreich die deutschen Mittelstaaten und deren Rechte gänzlich der Gewalttätigkeit Preußens überlassen wolle. Drouyns Antwort war: Die deutschen Staaten könnten nicht im Zweifel sein über die ihnen stets wohlwollende Gesinnung Frankreichs, welches die alten Traditionen seiner Politik bewahre. Indem Frankreich gern jeden Schein vermeide, als beabsichtige es eine Einmischung in die deutschen inneren Angelegenheiten, so sei doch sein Wunsch und Interesse, daß die Souveränitätsrechte der mittleren Bundesstaaten ungeschmälert blieben. Dieses wohlwollende Interesse habe es bei jeder Gelegenheit zu erkennen gegeben, aber gerade bei den deutschen Mittelstaaten weniger Vertrauen und Entgegenkommen gefunden als selbst bei den deutschen Großstaaten. Frankreich habe dadurch bestimmt sein müssen, sich mehr zurückzuhalten und auf sich selbst zurückzuziehen. Solle das anders werden und verlange man eine andere Haltung von ihm, so seien zwei Vorfragen zu beantworten: 1. welches denn die eigentliche Politik der deutschen Mittelstaaten in bezug auf die Lösung der schleswigholsteinischen Angelegenheit sei, und 2. auf welchen Grad von Energie in der Verteidigung ihrer Interessen Frankreich bei ihnen zählen könne. 1 ) Gagern war über diese Eröffnungen sehr bestürzt. Er sah in Beusts Klagen »eine Berufung des Auslandes, sich in die inneren Angelegenheiten Deutschlands einzumischen«, und meinte: »Ich erachte sie für gleich verdammenswert, sie mag stattgefunden haben im bloßen *) Die Schriftstücke, die Gramont in dieser Weise wiedergab, s. Les Origines 5 nr. 1140 und 1168. (Vgl. auch nr. 1192.)



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Interesse der rechten Lösung der schleswig-holsteinischen Frage oder auch in dem noch höheren des verzweifelten Standes der Bundesangelegenheiten überhaupt. Wenn ich in ersterer Beziehung selbst will gelten lassen, daß die schleswig-holsteinische Angelegenheit, sobald deren Lösung von den beiden deutschen Großmächten monopolisiert wird, ihren wahrhaft deutschen Charakter verliert, so dürfen es doch nach ihrer ganzen bisherigen Haltung die deutschen Mittelstaaten nicht sein, welche die Eigenschaft einer deutschen inneren Angelegenheit zuerst von ihr abstreifen«. Für Gagern war es nicht, wie für Dalwigk, eine ausreichende Entschuldigung, daß auch der Gegenspieler in diesem Drama, daß auch Preußen sich nicht scheute, um Napoleons Gunst zu werben und bei ihm Unterstützung zu suchen. Gagern hatte im Dezember 1864 erfahren und nach Darmstadt berichtet, daß der König der Belgier seinen Neffen, den Grafen Mensdorff, »auf besonderem Wege« davon in Kenntnis gesetzt hatte, wie rückhaltlos sich Bismarck in Paris »in hohen Zirkeln« über die politische Lage geäußert habe. »Die Zeit sei für Preußen gekommen, die günstige Lage auszunutzen, die es sich geschaffen. Es sei bereit, sich darüber mit Frankreich zu verständigen. Es wisse, daß es die katholische Bevölkerung seines linken Rheinufers sich nicht amalgamiert habe, noch könne es darauf rechnen, den preußischen Geist in sie zu verpflanzen. Gegen die von Frankreich zuzugestehende Annexion der Elbherzogtümer würde es Saarbrücken, Saarlouis und ein adhärierendes Gebiet mit zu findender Grenze, gegen die zuzugestehende Annexion von Hannover seinen ganzen Anteil am linken Rheinufer zedieren.« Bei dem Kaiser Napoleon sei Bismarck bei dem ersten Teil seiner Propositionen stehen geblieben. Welche Aufnahme die Vorschläge bei diesem gefunden haben, sei noch nicht bekannt. Aber man möge sich auf alles gefaßt halten. Diese Nachrichten König Leopolds können sich nur auf Bismarcks mehrtägigen Aufenthalt in Paris Ende



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Oktober beziehen, also auf sein Verweilen in der französischen Hauptstadt während der Tage, da es ihm bekannt •war, daß Rechbergs Demission beschlossene Sache sei, und es ist an sich nicht unglaublich, daß Bismarck sich damals über die Zukunft der Herzogtümer sehr freimütig geäußert hat. Aber die hier wiedergegebenen Auslassungen, besonders die über die Annexion Hannovers, hätten die politische Stellung Preußens so wesentlich verschlechtern müssen, daß man sie Bismarck sicher nicht zutrauen darf, und wenn die Abtretung des Kohlenbezirks als Preis für Frankreichs Zustimmung zu der Annexion Schleswig-Holsteins schon für Bismarck kaum in Frage kommen konnte, so wäre König Wilhelm bei seiner ohnehin geringen Neigung, mit Napoleon zu paktieren, zu dieser Transaktion sicherlich nicht zu überreden gewesen. Es ist also viel wahrscheinlicher, daß Vitzthum v. Eckstädt recht hat, der die Sache genau umgekehrt erzählt 1 ), daß nämlich Frankreich den Preußen die Herzogtümer angeboten und dabei eine Grenzberichtigung an der französischen Ostgrenze verlangt habe, daß aber Bismarck erklärte, König Wilhelm könne nicht in die Abtretung eines einzigen deutschen Dorfes an Frankreich willigen, ohne sich in Deutschland unmöglich zu machen. Von wem jene Mitteilungen ausgingen, ob König Leopold sie gutgläubig empfing und sie im Vertrauen auf ihre Richtigkeit weitergab oder nicht, mag hier unerörtert bleiben. Es gab mehrere Stellen, die daran interessiert waren, daß das Bündnis zwischen Österreich und Preußen gelockert und daß Preußen in Deutschland nach Möglichkeit diskreditiert werde. In der Staatskanzlei tat man mindestens so, als glaube man die Nachricht, und Gagern war von ihrer Richtigkeit ehrlich 1 ) In seinem Buch: London, Gastein und Sadowa 55. Ob Bismarcks Erklärung so »kategorisch« war, wie Vitzthum berichtet, sei dahingestellt.



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überzeugt. Aber obwohl er dasselbe Unrecht auch auf der Gegenseite zu sehen glaubte, so verurteilte er doch den Beustschen Versuch, Frankreich in die deutschen Verhältnisse hereinzuziehen, auf das schärfste, und wenn in seiner Ausdrucksweise ein Unterschied überhaupt lag, so war es höchstens der, daß er über Bismarcks Politik mehr zornige Entrüstung, über die Beusts mehr schmerzliches Bedauern empfand. Dalwigks Antwort jedoch war eine Verteidigung Beusts. »Ich habe«, so schreibt er am 31. Januar 1865 an Gagern, »nie Grund gehabt, an den wahrhaft deutschen Gesinnungen des Baron Beust zu zweifeln. Den Mittelstaaten ist es bei der zynischen Behandlung, die ihnen Herr von Bismarck wiederholt hat angedeihen lassen, und bei der unerwarteten Haltung Österreichs, solange Graf Rechberg dasselbe vertrat, mitunter recht schwer gewesen, in den Bahnen zu verharren, die ihnen Pflicht und Stellung als Mitglieder des deutschen Bundes und ihr Gefühl dem deutschen Vaterlande gegenüber vorzeichneten, während man von Berlin aus alles aufbot, um die Zustimmung der fremden Großmächte für seine partikularistischen Absichten zu gewinnen. Für Baron Beust lag eine besondere Veranlassung, sich dem französischen Gesandten in Dresden gegenüber mit weniger Reserve auszusprechen, in seiner Teilnahme an den Londoner Konferenzen und den Verhandlungen, welche er damals, während einer kurzen Unterbrechung jener Konferenzen, im deutschen Interesse in Paris geführt hat. Dazu kommt aber noch die Frage, in welchem Sinne Baron Beust seinen Rat verstanden hat, Frankreich möge in Berlin seinen Einfluß im Interesse der Mittelstaaten geltend machen und deren Vergewaltigung nicht zulassen, und ob man im französischen Kabinett seine Worte nicht beliebig den eigenen Wünschen entsprechend interpretiert hat. Endlich wäre es denkbar, daß Baron Beust gewisse Äußerungen nur getan hätte, um die beiden deut-



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sehen Großmächte, namentlich Preußen, darauf aufmerksam zu machen, wohin es führe, wenn das Recht des Stärkeren an die Stelle eines bundestreuen Verhaltens trete. Es scheint mir demnach vorerst kein Grund zur Beunruhigung vorzuliegen«. Gagern hatte also die Wahl, welchen der reichlich, man darf sagen allzu reichlich, dargebotenen Entlastungsgründe für Beusts Verfahren er wählen wollte, und er ließ sich beruhigen, doch verhehlte er seinem Minister nicht, daß die Stimmung in der Hofkanzlei sehr gereizt sei. Einer Triaspolitik, die den Einfluß Napoleons, des gefährlichsten Gegners, verstärkte 1 ), stand man in Wien, wie zuvor unter Rechberg, noch feindlich gegenüber. Im Gegensatz zu Beust wurde der bayerische Minister v. d. Pfordten gelobt. Von ihm hatte die französische Regierung angenommen, daß er Beusts Standpunkt teile, und sie hatte daher den französischen Gesandten in München beauftragt, ihm dieselbe Depesche vorzulesen, die an Beust ergangen war. Aber v. d. Pfordten unterbrach den Gesandten sofort mit den Worten, Bayern stehe solchen Klagen der Mittelstaaten ganz fern und könne sich über die Zurückhaltung Frankreichs in dieser deutschen Angelegenheit nur anerkennend aussprechen. Damit war jede weitere Eröffnung abgeschnitten. 2 ) Dem ') Biegeleben hatte es schon sehr übel vermerkt, daß Beust wahrend der Konferenz überhaupt nach Paris gegangen war. »Herr von Beust war vom Bunde nach London geschickt und nicht nach Paris. Indem er nach Paris ging, um dort über deutsche Dinge offiziös Konversationen zu führen, hat er seine Vollmachten überschritten. Er konnte seinen Charakter als Bundestagsgesandter in Paris nicht vorübergehend abstreifen und etwa als sächsischer Minister dort auftreten. Als Bundesgesandten hat man ihn in Paris empfangen, angehört und seinen Äußerungen um so mehr Gewicht beigelegt«. So zu Gagern. — über diesen Aufenthalt Beusts in Paris siehe oben S. 28 f. !

) Vgl. LesOrigines5 nr. 1192. Beust hatte offenbar für beide Königreiche gesprochen; wie Gagern berichtet, entstand eine gewisse



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hessischen Minister wurde die Depesche nicht vorgelesen, doch ließ er in Wien wissen, daß er Gelegenheit gefunden habe, dem französischen Gesandten seine Anerkennung über die korrekte neutrale Haltung Frankreichs auszudrücken 1 ). Die schleswig-holsteinische Frage rückte ihrer Erledigung nicht näher. Als ein Mittel, die Entscheidung hinzuziehen, wurde in Wien auch der Besuch des Prinzen Friedrich Karl im Januar aufgefaßt 2 ). Der Prinz kam, um sich für eine Ordensverleihung zu bedanken und als gewesener Führer österreichischer Truppen militärisch bei dem Kaiser abzumelden, wie dies auch als Zweck seines Besuches von Berlin aus offiziell in Wien angezeigt worden war. Wie man aber hier meinte, war diese Sendung nur ein Trick Bismarcks, Zeit zu gewinnen, da man österreichischerseits nicht während der Anwesenheit, noch sogleich n a c h der Abreise des Prinzen drängen konnte 3 ). Der Karren war festgefahren. »Preußen weiß,« so sagte damals Mensdorff zu Gagern, »daß es sehr schwer ist, es aus den Herzogtümern herauszudelogieren und darauf pocht es. Wir hätten freilich ein Mittel, nämlich Schlesien zu besetzen mit der Erklärung, es nicht eher wieder räumen zu wollen, bis Preußen die Elbherzogtümer geräumt habe, aber das wäre der Krieg, und dieser ist ebensowenig in unserem Interesse als, wie ich glaube, im Interesse der Machtstellung Deutschlands.« Er hoffte noch immer: »wenn wir freie Hand behalten, wird Preußen nachgeben«. Aber viel Zuversicht hatte Verstimmung zwischen München und Dresden daraus, daß Beust sich zu weit vorwagte. Vgl. den erwähnten Brief an Gagern vom 31. Jan. 1865. — S. auch Les Origines 5 nr. 1199 über das Gespräch Dalwigks mit dem französ. Gesandten in Darmstadt. 2 ) Bei Sybel nicht erwähnt. 3 ) Äußerung Meysenbugs zu Gagern.



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er offenbar selbst nicht, und andere ließen sich erst recht nicht damit trösten. Rechberg hatte wenigstens ein politisches Ziel gehabt, bei Mensdorff schien auch dies zu fehlen, und wenn Kübeck den Grafen rühmte, weil er mit dem ganzen Herzen die Dinge ergreife, die ihm oblagen, so hatte Biegeleben darauf nur die Antwort: Was habe ich von einem so schwachen und willenlosen Herzen. Freilich lag aber die Schuld am wenigsten an Mensdorff, und auch wenn er es nicht jedem ins Gesicht gesagt hätte, wäre es Bismarck nicht verborgen geblieben, daß Österreich bei seinen zerrütteten Finanzen, bei dem Gegensatz seiner unversöhnten Nationalitäten und seinen Verfassungswirren keinen Krieg brauchen konnte. Es entsprachen denn auch die Vorschläge, die Preußen in bezug auf die Herzogtümer im Februar endlich in Wien überreichen ließ, der Schwäche des Empfängers; sie waren so weittragend, daß Österreich ihnen nicht zustimmen konnte, da nach österreichischer Auffassung bei ihrer Erfüllung der Augustenburger nur als halbsouveräner Fürst die Herzogtümer bekommen hätte, so daß er als gleichberechtigtes Mitglied in den Kreis der deutschen Souveräne nicht hätte eintreten können. Jetzt hemmte auch Österreich die Mittelstaaten nicht mehr, die auf eine Entscheidung losdrängten, und am 6. März teilte die österreichische Regierung der bayerischen mit, daß sie die preußischen Forderungen abgelehnt habe, und fügte hinzu, daß Österreich Bayern, ohne es dazu auffordern zu wollen, doch auch nicht mehr abzuhalten gedenke, den beabsichtigten Antrag über die Elbherzogtümer in der Bundesversammlung vom Stapel laufen zu lassen. Das war deutlich genug, und Bayern säumte denn auch nicht, mit seinem Antrag vorzugehen, die Bundesversammlung möge die vertrauensvolle Erwartung aus-

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sprechen, es werde den beiden deutschen Großmächten gefallen, dem Augustenburger das Herzogtum Holstein in eigene Verwaltung zu übergeben und wegen Lauenburgs die unter ihnen getroffenen Vereinbarungen der Bundesversammlung mitzuteilen. Der Antrag war hervorgegangen aus gemeinsamen Beratungen Bayerns mit Hessen und Sachsen. Dalwigk hatte, wie er dem französischen Gesandten in Darmstadt sagte 1 ), den Antrag formuliert, hatte aber aus taktischen Gründen Bayern den Vortritt gelassen. Außerdem wünschte Bayern auch noch Braunschweig als Antragsteller hinzuzuziehen, weil, wie v. d. Pfordten an den Grafen Bray schrieb, »Braunschweig in der ganzen Angelegenheit fortwährend gemeinschaftlich mit uns gehandelt hat und es uns von Wert erscheint, daß auch eine norddeutsche Regierung sich an dem Antrag beteiligt. Den Regierungen von Württemberg, Baden, Nassau, der thüringischen Staaten und wohl auch Kurhessen wäre von dem Antrag kurz vor seiner Stellung Mitteilung zu machen mit dem Ersuchen, daß sie demselben zustimmen möchten, und mit dem Beifügen, es bestehe begründete Hoffnung, daß das kaiserliche Kabinett demselben seine Zustimmung nicht versagen werde«. Dalwigk äußerte am 23. Februar seine Bedenken. »Gegen die Form eines Kollektivantrages läßt sich einwenden, daß ein gemeinsames Auftreten, weil es den Anschein einer gegen Preußen gerichteten Koalition trägt, nur einen um so stärkeren Widerstand am Bunde finden könne; ich lege indessen hierauf um deswillen kein großes Gewicht, weil Preußen voraussichtlich unter allen Umständen einer bundesmäßigen Erledigung der schleswigholsteinischen Sache entschieden abgeneigt sein wird, und es in dem Grad dieser Abneigung kaum einen merkl

) Les Origines 6 nr. 1280.



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liehen Unterschied hervorbringen möchte, ob der Antrag demnächst kollektiv oder von Bayern allein gestellt würde. Erheblicher scheint mir das andere Bedenken, daß durch die Form eines von Bayern, Sachsen, Hessen und Braunschweig gemeinsam einzubringenden Antrages die Empfindlichkeit anderer Mittelstaaten erregt werden könnte. Vielleicht würde manche der betreffenden Regierungen sich eher dazu herbeilassen, ihre Zustimmung zu dem Antrag zu erklären, wenn derselbe von Bayern allein ausginge.«1) Es blieb schließlich bei der Unterschrift Bayerns, Sachsens und Hessens. Preußen hatte zunächst das Vorhaben der drei Regierungen ziemlich wegwerfend behandelt 2 ), dann aber sich alle Mühe gegeben, die Einbringung des Antrages zu verhindern und ihn zu beseitigen. Es erreichte auch, daß die badische Regierung, die Vorkämpferin für die augustenburgischen Interessen, aber auch für die preußische Vormachtstellung in Deutschland, ihren Gesandten Edelsheim beauftragte, in Wien zu verlangen, daß die Abstimmung über den Antrag vertagt werde, weil er die Angelegenheit nicht fördere und nur zu einer ernstlichen Störung des guten Einvernehmens beim Bunde führen müsse. — Ebenso versagte sich das oldenburgfreundliche Hannover den Antragstellern, obwohl auf dem Wege über den Vertrauten des Königs Georg, den bekannten Publizisten Onno Klopp, der Versuch gemacht worden war, die Zustimmung auch der fünften Kurie zu erlangen. ') Sybels Urteil 4, 101, daß Hessen sich in dieser Episode vorgedrängt habe, ist nach diesem Briefe Dalwigks an v. d. Pfordten nicht aufrechtzuerhalten. *) Als Mensdorff Bismarck wissen ließ, daß er jetzt den Antrag nicht mehr aufhalten könne, antwortete Bismarck, um das Vorgehen der Mittelstaaten kümmere er sich nicht. Derartige Äußerungen wurden den mittelstaatlichen Gesandten in Wien natürlich mit Absicht mitgeteilt.

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Aber bei der Entscheidung am 6. April stand die Mehrheit dennoch gegen Preußen. Osterreich hatte vergeblich versucht, zu erreichen, daß die beiden Großmächte sich der Abstimmung enthielten, und so kam es, daß sie sich zum ersten Male wieder bei einer wichtigen Abstimmung voneinander trennten 1 ). Gagern war voller Zuversicht: »Österreich kehrt endlich wieder zur bundesmäßigen Politik zurück, von der es sich zum eigenen Schaden und zum Schaden des Bundes so weit verirrt hat«. Graf Mensdorff sprach ihm sogar davon, daß »es jetzt an der Zeit sei, Preußen auf die Bundeswege zurückzuführen« 2 ); er schien jetzt zu kräftigerem Vorgehen entschlossen, und als Roon im Abgeordnetenhaus von Kiel wie von preußischem Eigentum redete, richtete er eine scharf formulierte Anfrage darüber nach Berlin 3 ). Es kam zu einem heftigen Auftritt zwischen Bismarck und Karolyi. Aber, wie schon so manches Mal, verfiel die Leitung der österreichischen auswärtigen Politik auch diesmal wieder in den Fehler, zu glauben, daß Bismarck vor den Platzpatronen ihrer Vorstellungen kapitulieren werde, und der Bericht des Botschafters über die Erfüllung seines Auftrages enthielt wieder einmal den Passus: Wenn die kaiserliche Regierung (nicht bloß Worte, sondern) ein bestimmtes inhibitorisches Vorgehen von ihm fordere, so müsse er um die bestimmtesten Instruktionen darüber bitten. — Hierzu aber konnte sich Mensdorff nicht entschließen, er wagte das große Spiel nicht. Die Situation wurde für Bismarck immer günstiger. Die preußische Partei in den Herzogtümern wuchs an, ') Schon in der Entscheidung über die geschäftliche Behandlung der Angelegenheit waren sie auseinander gegangen, indem Österreich die von Preußen gewünschte Verschleppung verhinderte. 2 ) Preußen hatte nach der Abstimmung kühl erklärt, daß die Entscheidung jedenfalls ohne Wirkung bleiben werde. 3 ) Vgl. dazu auch Sybel 4, 104.

— 64 — und in der Presse wagten sich diejenigen hervor, die wie Mommsen u. a. meinten, der Herzog sei zwar der einzige legitime Prätendent, aber stärker als Rechtsansprüche sei die Macht der Tatsachen und besser als die halbe Annexion sei die ganze 1 ). Der Prätendent selbst aber, der sich damals zu weitgehenden Konzessionen2) bereit erklärte, ohne doch Bismarck befriedigen zu können, enttäuschte auf der anderen Seite durch diese Zugeständnisse die österreichische Regierung und auch seine Freunde in Wien auf das schwerste. Sein Vertrauensmann Wydenbrugk war in der größten Bestürzung und ließ sich nur mit Mühe von Samwer dazu bewegen, nicht sofort aus dem Dienste des Herzogs auszuscheiden. Auch wenn der Herzog die Zugeständnisse nur gemacht hatte in der sicheren Erwartung, daß sie Bismarck doch nicht genügten, so hatte er doch der preußischen Diplomatie eine starke Waffe in die Hand gegeben, da Österreich nicht gut herzoglicher sein konnte als der Herzog. Er hatte sich dadurch um alles Vertrauen bei den österreichischen Staatsmännern gebracht, und Biegeleben, bis dahin nicht der laueste Freund des Augustenburgers, war in der Stimmung, daß er sagte, wir haben jetzt kein Interesse mehr an dem Herzog. Positives werden wir für ihn nicht mehr tun. Wir wollen ihn nicht fallen lassen, aber doch nur als Lückenbüßer brauchen und ihn so vorschieben 3 ). Es mehrten sich in der Staatskanzlei die Stimmen derer, die Österreich aus der Sache ausscheiden sehen wollten, am liebsten mit einer Kompensation. An Projekten dafür war kein Mangel. Schon vor Monaten • 1) Mommsens Flugschrift, »Die Annexion Schleswig-Holsteins« erschien im April 1865. — Vgl. zu dem Umschwung der Stimmung Jansen-Samwer S. 532. *) Vgl. Jansen-Samwer S. 453 ff. *) Die Bedeutung dieser Episode kommt bei Sybel nicht zum Ausdruck.



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war in einer Leipziger Zeitung der Vorschlag gemacht worden, Preußen solle die Herzogtümer annektieren und dafür den Schutz der österreichischen Besitzungen in Italien übernehmen 1 ). Jetzt wurde z. B. die Grafschaft Glatz und ein Stück der Wasserpolakei als dienliches Austauschobjekt genannt, und von der Kölnischen Zeitung sogar das Fürstentum Hohenzollern in Vorschlag gebracht, welches dem Kaiserstaat den Weg nach Rastatt und zur Wacht am Rhein erleichtern sollte. — Es lag nicht an Österreich, wenn diese Vorschläge nicht zum Gegenstand ernstlicher Beratungen gemacht wurden; aber Preußen baute die ersehnte goldene Brücke nicht. So mußten die österreichischen Staatsmänner, die nicht die Kraft zu eigener Initiative besaßen, abwarten, ob nicht irgendein Zufall ihnen Wind in die Segel treibe oder sich eine Hilfe von außen biete. Den großen Nachbarn im Osten suchte Dalwigk gegen Preußen zu beeinflussen. Er hörte nicht auf, den Russen, »mit denen man ihre eigene Sprache reden« müsse, zu predigen, daß es für sie ungefährlich sei, wenn die Häfen Schleswig-Holsteins Deutschland und einer deutschen Flotte gehörten, weil Deutschland niemals eine aggressive Politik verfolgen werde; daß aber Rußland unmöglich wünschen könne, Preußen zu der mächtigsten Seemacht im baltischen Meer emporwachsen zu sehen und ihm den Schlüssel zur Ost- und Nordsee zu überlassen2). Die scharfen Worte, mit denen der Zar gegen König Wilhelm im Beisein des hessischen Großherzogs die preußische Politik verurteilte 3 ), ließen ') Daß Beust diesen Ballon habe steigen lassen, wie man nach Gagerns Bericht in Wien in einzelnen Kreisen vermutete, ist nicht sehr wahrscheinlich, da er die Vergrößerung Preußens nicht wünschte. 2 ) Brief Dalwigks vom 23. März 1865. 3 ) S. Les Origines 6 nr. 1407 über die Begegnung in Jugenheim am 15. und 16. Mai. V o g t , Die hess. Politik i. d. Zeit d. Reichsgründung.

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hoffen, daß solche Gedankengänge auf den Kaiser wirkten. Daß Frankreich dem Plane einer Garantie der italienischen Besitzungen Österreichs durch Preußen, wie überhaupt jeder Abmachung, die das Bündnis der beiden deutschen Großmächte festigte, nicht gewogen sein konnte, war selbstverständlich; aber einer Annexion der Herzogtümer durch Preußen stand es gleichmütig, und, wenn sie zum Konflikt zwischen den deutschen Mächten führte, mindestens nicht unfreundlich gegenüber. In England wünschte man die Annexion der Herzogtümer durch Preußen nicht, und die Königin schrieb Anfang Juli 1865 an Mensdorff, daß sie sich von ihrem lieben Vetter versichert halte, er werde, so viel an ihm und seiner österreichischen Stellung liege, der preußischen Ländergier keinen weiteren Vorschub leisten und sich in der schleswig-holsteinischen Sukzessionsfrage für den Herzog von Augustenburg aussprechen1). Aber selbst wenn die Stimmung Europas noch ungünstiger für Preußen gewesen wäre, so wäre es doch auch einem besseren Diplomaten, als Mensdorff es war, schwer geworden, die Mächte zu einer politischen Aktion gegen Preußen zu veranlassen, zumal da Bismarck außerordentlich vorsichtig und geschickt manövrierte. Im Mai äußerte sich Mensdorff einmal zu Gagern über Bismarcks ganze Persönlichkeit und seine Politik und sagte dabei: Bismarck ist in der AnnexionBfrage selbst durchaus unentschieden und läßt sich durch die Ereignisse, je nachdem sie dem Annexionsplan bald günstiger, bald weniger günstig zu sein scheinen, bestimmen. Einen Tag, nachdem die Schwierigkeiten und Hindernisse, denen er im Inneren begegnet, ihn zur Verzweiflung bringen, glaubt man mit ihm fertig werden zu *) Der englische Botschafter Lord Bloomfield redete häufig in ähnlichem Sinne; er sagte im Juli ¿u Gagern über Bismarck: Er kennt kein Maß mehr, il est aux abois.

— 67 — können, dann kommt wieder ein neuer Gedanke, und es steigt ihm wieder der Kamm. Er ist reich an Gedanken und erfinderisch in Mitteln, dabei ein kühner Spieler*). Man sieht, Mensdorff schätzte Bismarck durchaus nicht niedrig ein, aber er unterschätzte ihn doch. In jenen Monaten war sich Bismarck durchaus nicht mehr im Unklaren über das, was er wollte, und ging mit einer viel größeren Sicherheit zu Wege als man ihm zutraute. Als Meister im Verschleppen erwies er sich jetzt. Zuerst verschanzte er sich hinter seine Kronjuristen, deren Urteil er abwarten wollte, dann schlug er die Einberufung der Landstände der Herzogtümer vor, und als Österreich klug genug war, diesen Vorschlag zwar nicht abzulehnen, wohl aber Bedingungen aufzustellen, die die Annexionspolitik Preußens erschwerten, ließ er den Plan wieder fallen. Bald schob er den Großherzog von Oldenburg vor, bald spielte er mit dem Kongreßgedanken, — es ist hier nicht der Ort, diese Aktionen, die Sybel erheblich ernster genommen hat, als sie gemeint waren2), zu verfolgen. Es ist nur darauf hinzuweisen, weil diese Politik Bismarcks es psychologisch verständlich macht, wie allmählich bei den mittelstaatlichen Politikern 3 ) die schon zuVor nicht geringe Abneigung *) Im Jahre 1864 war Mensdorff mit Bismarck in Karlsbad zusammen gewesen und sie hatten dort viel miteinander verkehrt. Den angenehmen Gesellschafter, der die Frauen durch seine Liebenswürdigkeit und seinen Geist bezauberte, rühmte Mensdorff besonders. ') Am 1. Juni erklärte Bismarck im Abgeordnetenhaus: Wir können das, was Sie vor 1y 2 Jahren als Höchstes erstrebten, in jeder Viertelstunde ins Werk setzen, einen unabhängigen schleswig-holsteinischen Staat, sogar mit einigen mäßigen, uns aber nicht genügenden Vorteilen für Preußen. ') Ein mittelstaatlicher Kriegsminister scheute sich im Jahre 1866 nicht, zu erklären, daß es doch wohl keine Sünde wäre, »dem Verbrecher an Deutschlands Ehre und Wohlfahrt« mit gespannter 5*



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gegen den preußischen Staatsmann immer höher steigt. Die Überlegenheit Bismarcks wird als Zynismus empfunden, seine Sicherheit als Brutalität. Man durchschaute die Absicht, daß er den Gegner, hier Österreich, mürbe machen wollte, vollständig1), aber das Durchschauen und das Überschauen war wieder einmal nicht gleichbedeutend. Es war eine Situation wie vor Olmütz, und in der Staatskanzlei gab es manchen, der da glaubte, es werde Der Unterstaatssekretär wieder gehen wie damals. Meysenbug z. B. war überzeugt, Preußen rassele nur mit dem Säbel, werde ihn aber nicht ziehen. »Preußen kann einen Krieg gar nicht anfangen; es hat alles gegen sich. Wir brauchen Frankreich nur einen Wink zu geben, in die Rheinprovinz einzufallen und zu erklären, wir würden es daran nicht hindern, und Preußen müßte beigeben«2). Worin aber ein gewichtiger Unterschied lag zwischen der damaligen Situation und der vor Olmütz, das sagte General von Manteuffel dem Grafen Edmund Zichy, als er mit ihm in Karlsbad am 26. Juni zur Hoftafel bei König Wilhelm geladen war : Nous sommes là à peu près comme à Olmutz, mais vous autres n'avez pas de Schwarzenberg aujourd'hui) 8 . — Pistole entgegenzutreten, um ihn unschädlich zu machen; es wäre eine Tat, der des Curtius zu vergleichen, der sich zur Rettung Roms in den Abgrund stürzte. — Und wie viele haben es bedauert, daß Blind sein Ziel verfehltet 1 ) Österreich erklärte sich z. B., wie man Gagern erzählte, bereit, auch seinerseits auf seine Rechte auf die Herzogtümer zugunsten Oldenburgs zu verzichten, wenn Preußen dasselbe tun wolle. Natürlich erfolglos. *) So zu Gagern. — Auch Biegeleben äußerte nach Abschluß des Vertrags von Gastein: Ich gestehe, daß ich kriegerisch gewesen bin. Es gibt für Österreich keinen anderen Ausgleich. Dabei bin ich noch jetzt der Überzeugung, daß Preußen es dazu nicht hätte kommen lassen. *) Dieser Äußerung geht folgende Stelle voran: Je reviens d'un dîner chez le Roi de Prusse, avec Bismarck, Manteuffel etc.

— 69 — Die Krisis erreichte ihren Höhepunkt im Juli. Zu der Empörung über Preußens Zähigkeit in der Herzogtümerfrage und dem Zorn über die Verhandlungen, die Preußen mit Italien wegen eines Handelsvertrages führte 1 ), gesellten sich noch Differenzen mehr persönlicher Art. Als Gramont aus Karlsbad zurückkam, erzählte er von einer Begegnung mit dem preußischen Ministerpräsidenten. Bismarck habe ihm gesagt, daß Preußen um jeden Preis auf seinen Forderungen bestehe. Preußen könne einen Krieg ganz gut brauchen. Die Mittel- und Kleinstaaten müßten sich ihm anschließen, Österreich stehe dann isoliert und werde das Spiel verlieren. — Gramont erzählte dies jedem, der es hören wollte, und fügte, als er sich darüber mit Gagern unterhielt, hinzu: Also ist die Sache des Augustenburgers verloren, denn Frankreich wird seine Neutralität nicht aufgeben. Nun war freilich Gramont nicht gerade die glaubwürdigste Quelle für eine Nachricht, die so geeignet war, die Zwietracht zwischen Österreich und Preußen zu schüren. Auf der anderen Seite aber wurde die Äußerung bald zu sehr bekannt, als daß Mensdorff sie hätte ignorieren können. Er stellte daher den preußischen Gesandten Ces gens là font de la réaction ouverte, et de pareils exemples ne sont pas sans danger. Manteuffel parle de »Coalitions de Rois(l) contre toute la canaille démocratique des chambres« et veut un retour pur et simple à l'absolutisme paternel! — Moi, je me permis de lui parler de la question pratique, de l'argent ( Graf E. Zichy war eine österreichische Finanzgröße), et je reçus la réponse incroyable: On fait les meilleures guerres sans argent ! Commençons seulement et dans un couple de mois nous nous chercherons l'argent à Paris«! Je le regardai pour voir s'il avait trop bu, et il reprit: Nous sommes etc. — In der von Gagern benutzten Abschrift stehen hinter den herausfordernden Worten Manteuffels nur noch die Fragen: Qu'en dites vous? Ont ils rien appris ou rien oublié? — Zu der Erinnerung an OlmUtz vgl. Memor (Gramont), L'Allemagne nouvelle 200. l ) Vgl. Sybel 4, 176 und Les Origines 6 nr. 1432.



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in. Wien darüber zur Rede, wie Bismarck dazu komme, dem französischen Botschafter gegenüber in einer deutschen Angelegenheit, dazu auf österreichischem Boden, eine den Kaiserstaat so verletzende und herausfordernde Sprache zu führen. Werther war nicht in der Lage, die Nachricht zu dementieren. Er hatte offenbar eine direkte Anfrage nicht erwartet, hüstelte verlegen und murmelte einige Entschuldigungen: Graf Mensdorff kenne ja die Art des Herrn v. Bismarck, der leicht etwas sage, was nicht so ernst genommen werden wolle usw. Auch Werther hielt also die Nachricht für richtig1). Daß Bismarck die Äußerung nicht in der Meinung getan hatte, Gramont werde sie in seinem Inneren verschließen, ist selbstverständlich. Es lag in der Herausforderung — immer vorausgesetzt, daß sie in dieser Weise ergangen ist, — die Absicht zu schrecken und durch die Drohung mit einem Krieg einen Druck auf Österreich auszuüben. Daß Bismarck damals vor dem Bruch nicht zurückscheute, ist bekannt2) ; jedenfalls war er nicht gewillt, den höchsten Preis für den Frieden zu bezahlen. In Darmstadt zweifelte man nicht, daß es jetzt Ernst werden müsse. Am 26. Juli erging daher an die 1 ) So Mensdorffs Darstellung Gagern gegenüber. Sybel 4, 148 f. halt die Erzählung von jenem Gespräch für unwahr, weil Gramont es in der Presse ableugnete. (Das Neue Fremdenblatt vom 29. Juli teilte auf Grund einer Pariser Zuschrift vom 26. Juli mit, daß eine Unterredung zwischen Gramont und Bismarck in Karlsbad überhaupt nicht stattgefunden habe.) Vgl. aber Gramonts Ausführungen in seinem Buche L'Allemagne nouvelle S. 205 mit den Schlußworten: Il eut été difficile, en effet, de penser plus qu'il [Bismarck] ne disait, und vor allem den vertraulichen Bericht, den er über die Unterredung am 5. Juli 1865 an Drouyn de Lhuys richtete, Les Origines 6 nr. 1444 (S. 324). — Wenn das kaiserliche Preßbureau die Aufnahme der französischen Ableugnung in eine offiziöse Zeitung verweigerte, so war dies freilich »charakteristisch«, aber nicht in dem Sinne, in welchem Sybel a. a. O. es meint.

») Vgl. Sybel 4, 147.



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hessische Gesandtschaft in Wien der Auftrag, für die äußerste Eventualität Österreich die Unterstützung Hessens zuzusichern und dabei zu befürworten, daß der Bund in die Aktion mit einbezogen werden möge. Man hatte in der Staatskanzlei an dieser Hilfe nicht gezweifelt, nahm aber das Versprechen gern entgegen. Denn die hessische Truppenmacht war zwar nicht bedeutend, galt aber als tüchtig 1 ) und mochte zum Kern einer Mainarmee werden, die vielleicht die österreichische Kriegführung beträchtlich entlastete. Überhaupt stieg der Wert der Mittelstaaten in diesen kritischen Wochen stark im Preis, auf ihre Haltung kam jetzt etwas an, darüber waren sich Mensdorff und Biegeleben mit Edelsheim, Gagern, Wydenbrugk und anderen völlig einig. »Wenn die Mittelstaaten Charakter zeigen,« so sagte damals Biegeleben, »und sich tüchtig an den Laden legen, so wird alles noch gut gehen«. »Wenn Preußen sieht, daß das ganze übrige Deutschland Ernst macht, so wird es sich doch noch besinnen«, meinte auch Wydenbrugk. Aber so rückhaltlos wie Hessen, das doch den preußischen Kanonen vor anderen ausgesetzt war, nahmen nicht viele Partei. Zwar erklärte Edelsheim, daß Baden sich auf die Seite Österreichs stellen werde trotz der Verwandtschaft zwischen dem Großherzog und dem preußischen König, aber um so weniger günstig lauteten die Nachrichten über Bayern. Beust hatte schon seit der letzten Ministerbegegnung in Leipzig darüber geklagt, daß v. d. Pfordten sehr zurückhaltend sei, und es war bekannt, daß der bayerische Minister zwar nicht die Annexion der Herzogtümer durch Preußen wünschte, daß er aber den preußischen Forderungen gegen einen neuzuschaffenden Elbstaat in weitgehendem Maße Rechnung tragen wollte. Jetzt hatte v. d. Pfordten in Salzburg mit König Wilhelm und Bismarck eingehende Besprechungen, und >) Sybel 5, 12.

— 72 — er bewies auch da nicht die Energie, die den Wünschen Österreichs entsprochen hätte 1 ). Bismarck sagte ihm, daß die Situation namentlich deshalb gefährlich sei, weil man in Deutschland und Österreich nicht an den Ernst der Lage glaube. Die Gefahr eines Krieges zwischen Preußen und Österreich sei aber vorhanden, und in diesem Falle möge das dritte Deutschland dem Duell ruhig zusehen2). Von der Pfordten hätte nach Biegelebens Meinung Österreich einen großen Dienst erwiesen, wenn er darauf nicht geschwiegen, sondern offen bekannt hätte, daß bei einem Duell der beiden Großmächte Bayern mobilisieren und zu Österreich stehen werde. Statt dessen antwortete er, er glaube nicht an eine Lokalisierung des Krieges, Frankreich werde eingreifen, worauf Bismarck ihn mit den Worten: Das ist eine Schustererfindung, abgefertigt haben soll3). So sicher wie auf Hessen konnte sich Österreich eigentlich nur noch auf Sachsen verlassen. Graf Beust erschien in Wien in den Tagen, da der österreichische Unterhändler bei König Wilhelm, Graf Blome, von der ersten gescheiterten Mission zurückgekehrt war 4 ) und man auf die ernstesten Eventualitäten gefaßt sein mußte. Auch er legte großen Wert darauf, daß die österreichische Regierung durch ein Vorgehen am Bunde diesen selbst mit in die Aktion hineinziehe, und er unterbreitete den Österreichern eine Denkschrift6), die den Entwurf einer Vgl Sybel, 4, 156. *) »Vielleicht leiht uns der Kaiser von Rußland Polen, damit wir uns dort mit Österreich duellieren können« s. Hassel, König Albert 2, 210. *) Die Quelle fOr diesen Bericht (geschrieben von Gagerns Sohne Max) ist nicht genannt. Er beginnt mit den Worten: »Ich bin in der Lage, aus guter Quelle über die Anwesenheit v. d. Pfordtens in Salzburg nachstehende Mitteilungen zu machen«. *) Vgl. Sybel 4, 170. *) Sie entstammte der Feder Vitzthums v. Eckstädt, der sie in seinem Buch London, Gastein und Sadowa, S. 94 ff., mitteilt.



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Erklärung enthielt, welche Österreich, wenn jede Aussicht auf eine Verständigung mit Preußen geschwunden sei, in der Bundesversammlung abgeben sollte. Es kam darin die »große Politik« zum Ausdruck, zu der Hessen und Sachsen den Kaiserstaat alle die Monate her hatten veranlassen wollen. Der Grundgedanke war: Österreich erkennt den Augustenburger als den bestberechtigten Prätendenten an, will ihm die Herzogtümer übergeben und dabei Preußens berechtigte Ansprüche berücksichtigen. Da es sich aber hierüber mit Preußen nicht hat verständigen können, fordert es die bundestreuen Staaten auf, sich ihm zum Zwecke der Durchführung jener Ziele anzuschließen, widrigenfalls es seine Aufgabe in den Herzogtümern als beendigt ansehen muß. Beust legte hohen Wert darauf, daß Österreich sich nicht scheue, den Namen des Herzogs offen auszusprechen, und Mensdorff wie Biegeleben waren damit einverstanden. Nur hatte Mensdorff gegen den Schlußsatz einzuwenden, daß die österreichische Regierung, wenn sie nicht die Majorität am Bunde erhalte, sich selbst aus den Herzogtümern herauskomplimentiere; er wünschte ihm daher die Fassung zu geben: widrigenfalls die kaiserliche Regierung sich ihrer übernommenen Verpflichtungen entbunden erachten müsse und sich bloß noch durch solche Motive leiten lassen werde, welche ihre Großmachtspolitik ihr an die Hand gäben 1 ). *) An den Besprechungen, die über diese programmatische Erklärung stattfanden, nahm u. a. auch Wydenbrugk teil, der dem Grafen Mensdorff versicherte, daß wenn nur in die Aufforderung ein nationaler Ton, ein gewisser patriotischer Schwung gebracht werde, es Österreich nicht bange zu sein brauche, in der Minorität zu bleiben. Keine der bedeutenderen deutschen Regierungen werde Gefahr laufen wollen, das Odium zu tragen, durch ihre Zurückhaltung oder Weigerung dieser nationalen Sache eventuell den Untergang bereitet zu haben. — Für die von Mensdorff gewünschte Abänderung des Schlusses trat er mit Biegeleben gleichfalls ein.



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Die Mühe war vergeblich aufgewandt worden. Der Kaiser entschloß sich, den gefährlichen Weg noch einmal zu vermeiden, und verabredete in Gastein mit Preußen die Teilung der Regierung der Herzogtümer, für deren Zusammengehörigkeit man den gemeinsamen Krieg gegen Dänemark geführt hatte.

III.

Vom Grasteiner Vertrag bis zum Frieden von Berlin. Der Gasteiner Vertrag bedeutete für alle diejenigen Politiker eine schwere Niederlage, die das Recht des Augustenburgers vertraten oder wenigstens eine Erweiterung der preußischen Macht bekämpften 1 ), mochten sie nun in der Wiener Hofkanzlei sitzen oder in den Mittelstaaten oder im Ausland. Sie waren sich darüber einig, daß er eine leoninische Teilung darstellte, bei der Österreich nicht eben eine schmeichelhafte Rolle spielte. Biegeleben hatte an den Verhandlungen überhaupt nicht teilgenommen. Graf Blome hatte sie geführt und vor ihrem endgültigen Abschluß Mensdorff hinzugezogen; im Grunde war die Verständigung das Werk von Moritz Esterhazy. Als Biegeleben vor die vollendete Tatsache gestellt war, konnte er sich kaum genug tun in der Verurteilung dieser neuesten Wendung der Politik seines Staates. Nach seiner Ansicht mußte Österreich auf diese Art alles Vertrauen verlieren. Es hatte vor Preußen die Segel gestrichen; Gastein war die Rache für Olmütz, der Sieger: Bismarck. S. jetzt darüber Les Origines diplomat. Bd. 6 u. 7.



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Die Triaspolitiker urteilten nicht minder scharf 1 ); hatte Österreich schon zuvor der Allianz mit Preußen das Bundesinteresse zum Opfer gebracht, so erschwerte es sich durch diesen Vertrag die Rückkehr zum Bundesstandpunkt auf das äußerste. Außerhalb Deutschlands waren sich, wenn auch aus sehr verschiedenen Motiven, besonders die Westmächte einig in ihrem ungünstigen Urteil 2 ). In England erging sich die Presse in den kräftigsten Ausdrücken, und die Zirkulardepesche, die Lord Russell am 14. September den englischen Gesandten zugehen ließ, klagte darüber, daß bei der Konvention die Autorität der Gewalt die einzige Macht gewesen sei, die zu Rate gezogen und anerkannt worden, und er bedauerte die Mißachtung, die man gegenüber den Grundsätzen des öffentlichen Rechtes an den Tag gelegt hatte. Ebenso äußerte sich die Königin Viktoria bei der Enthüllung des Prinz-Albert-Denkmals in Koburg zu Mensdorff wegen der Übereinkunft sehr ungnädig*). Auch in der Zirkulardepesche des französischen Ministeriums vom 29. August wurde der Vertrag auf das schärfste verurteilt4), und ein Artikel der Augsb. Allg. Vgl. Sybel 4 , 1 9 7 f. — Roggenbach nahm wenig spater seine Entlassung. Doch hatte er diesen Entschluß schon im Herbst 1864 gefaßt und bereits im Frühjahr 1865 mit Bestimmtheit erklärt, keinesfalls über den 1. Oktober hinaus bleiben zu wollen. Der Grund lag (gegen Dove, Großherzog Friedrich von Baden 135 und jetzt H. Oncken, Hist. Z. 108, 628), wie z. B. aus seinem Brief vom 29. Sept. an seinen Freund und Nachfolger Edelsheim mit Sicherheit hervorgeht, vor allem doch in den innerpolitischen Schwierigkeiten, namentlich in seinem Gegensatz zu Lamey. »Die auswärtige Politik«, heißt es in diesem Brief, »habe ich so gestellt, daß Du ganz nach Belieben nach allen Seiten Dich stellen kannst, überall gut aufgenommen wirst. Wir stehen eigentlich mit Allen gut und ich bekomme Klagelieder von den verschiedensten Seiten über mein Weggehen.« *) Vgl. Ollivier, L'Empire libéral 7, 454. So Mensdorff zu Gagern. *) Les Origines diplomat. 6 nr. 1528.

3)



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Zeitung vom 13. September 1 ), der als inspiriert vom französischen Ministerium angesehen wurde, legte dem Minister Drouyn de Lhuys die Worte in den Mund: Dans ce cas on n'envoie pas de note, mais on en prend. Die Verteidigung des Abkommens durch Mensdorff 2 ) betonte ausschließlich das österreichische Interesse: Wir sind den Ansprüchen des Augustenburgers nicht entgegen, aber wir fühlen keinen Beruf, um der schönen Augen des Herzogs willen uns in einen Krieg zu stürzen, der Österreich nichts eintragen und dessen Kosten ihm niemand ersetzen würde. Mußte Österreich zwischen jener Konvention und dem Kriege wählen, so konnten die Leiter seiner Politik über die Entscheidung nicht zweifelhaft sein, zumal bei der ungünstigen Finanzlage und den Schwierigkeiten in Ungarn. Auf den Einwand, daß ein energisches Festhalten Österreichs an seinem Standpunkte den Krieg gar nicht herbeigeführt hätte, antwortete er: Wenn nicht dies, so wären doch Rüstungen und Truppenaufstellungen unerläßlich gewesen, und während der Krieg Chancen bietet und sich selbst ernähren kann, boten uns die Rüstungen und Aufstellungen keine andere Aussicht als die des finanziellen Ruins. Wir sind ohnehin mit Bankrott bedroht. Sein Standpunkt war dem Rechbergs sehr ähnlich geworden, wie er denn auch wohl äußerte: »Es mag sein, ich glaube fast, daß Rechbergs Politik richtig war«, und nur die Einschränkung machte: »in jedem Falle ist sie aber im Detail nicht gut und glücklich durchgeführt worden, und dies hat uns in die jetzige Lage versetzt, daß wir uns mit Preußen verständigen m ü s s e n « . ») Datiert: Paris den 8. Sept. 1865. *) Wie kühl und überlegen Bismarck die Angriffe auf die Konvention aufnahm, s. Les Origines diplomat. 7 nr. 1539. Im besonderen hatte er von dem Verhältnis Dalwigks zur Demokratie, mit der er jetzt kokettiere, keine große Meinung: (D.) serait, dans l'occasion, pendu tout le premier par ses amis actuels.



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Er zweifelte nicht daran, daß den deutschen MittelStaaten, wenn die Not über sie komme, doch nichts übrigbleibe, als sich Österreich anzuschließen, und wenn er in seinem Rundschreiben an die deutschen Regierungen einen sehr bundesfreundlichen Ton anschlug, so sagte er doch zu Gagern ganz trocken: Was konnte uns das uneinige Deutschland bieten, was bei Beginn des Krieges für uns hätte in die Wagschale fallen können? Sachsen, welches uns seine Truppen zuerst angeboten hat, hfitte sie gar nicht aufstellen können. Preußen, das Sachsen umklammert, würde es dazu nicht haben kommen lassen. Gagerns Antwort lag nahe: Der Erfolg der sächsischen Unterstützung hängt von der Entschiedenheit und Bereitschaft Österreichs ab. Auch gegen Österreich hat Sachsen eine ausgedehnte Grenze und ist ebenso zugänglich für Österreich, wenn ihm dieses seinen Schutz gewähren will, als es der Invasion Preußens ausgesetzt ist, wenn dieser Schutz fehlt. Mensdorff wurde nun schon gereizter: Wir haben in den letzten 20 Jahren drei schwere Kriege führen müssen ohne die geringste Unterstützung von Seiten unserer deutschen Verbündeten. Welchen Grund hätten wir, uns in unserer jetzigen schwierigen Lage für eine Sache zu opfern, die unser nächstes Interesse so wenig berührt? Wer bezahlt uns die Kosten? Auf welche Hilfe konnten wir mit Sicherheit rechnen? — Schließlich warf er, aufgeregt hin und her schreitend, dem unbequemen Mahner noch die Worte zu: Ich bin österreichischer Minister, das Hemd ist mir näher als der Rock1). Seine Verstimmung war also sehr stark, und Dalwigk schien es nicht gut, sie andauern zu lassen. Der Vertrag bedeutete ja offenbar nicht das Ende der ganzen Frage, er trug deutlich den Stempel des Provisoriums. So versicherte er das österreichische Kabinett ausdrücklich der 1

) Diese Unterredung fand am 30. August 1865 statt.



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Fortdauer seines Vertrauens. Mensdorff nahm dies dankend entgegen: er hoffe, noch in die Lage zu kommen, dieses Vertrauen zu rechtfertigen. Zunächst aber hatte es nicht den Anschein, als komme Österreich so leicht von Preußen los. Als im Oktober in Frankfurt sich wieder eine Abgeordnetenversammlung, Ähnlich wie die vom Dezember 1863, nur noch schärfer, gegen das preußisch-österreichische Vorgehen und für den Augustenburger aussprach1), veranlaßt« Bismarck eine gemeinsame drohende Note an den Frankfurter Senat, in der die beiden Mächte erklärten, sie würden solche Nachsicht gegen subversive Bestrebungen ferner nicht gestatten können2). Auch diesen Schritt hatte wieder Esterhazy beim Kaiser durchgesetzt3), und als Meysenbug, dem die Note, bereits fertiggestellt, überbracht wurde, dagegen protestierte, wurde er von dem Kaiser zurückgewiesen: Wenn Bismarck einmal etwas Gescheites tue, müsse man ihm nicht Schwierigkeiten machen4). , ) Es waren fast nur Vertreter des dritten Deutschland anwesend, daneben 8 Preußen und 1 Österreicher. ») Vgl. Sybel 4, 241. ') Aus den Verhandlungen erzahlte man in Wien einige sehr scharfe Äußerungen Bismarcks gegen die Mittelstaaten: Hessen und Nassau wilrden es mit Freuden begrüßen, wenn sie von dem Vereinswesen befreit würden, und wenn man in dieser Beziehung an der Willfahrigkeit des popularitätssüchtigen Herrn v. Dalwigk zweifele, so werde er mit ihm schon fertig werden. In Frankfurt aber werde ein Korporal mit vier Mann genügen, um vorkommendenfalls Ordnung zu stiften. 4 ) Etwas anders erzählt den äußeren Hergang Gramont, s. Les Origines 7 nr. 1654. — Mensdorff war gerade auf Urlaub. Als man ihn nach seiner Rückkehr fragte, mit welchen Argumenten dem Sturm der öffentlichen Entrüstung gegen die Intervention in Frankfurt zu begegnen sei, antwortete er resigniert: »Was, Argumente? Was bleibt uns übrig, als den Rücken hinzuhalten.« Doch tat er alles, um den Fehler, so gut es gehen wollte, zu reparieren. Vgl. auch Sybel 4, 242.



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Die mittelstaatlichen Kritiker hatten nicht so unrecht: die Politik, zu der sich Österreich im Jahre 1863/64 hatte verleiten lassen, führte zu gefährlichen Konsequenzen. Von dem Standpunkte Österreichs aus war es ein Fehler gewesen, den Boden des Bundesrechtes zu verlassen, Schritt für Schritt mußte es seitdem dem überlegenen Partner folgen. Es enttäuschte die Großdeutschen, die von der Hoffnung auf die ernsten und nachhaltigen Absichten Österreichs zur Bundesreform und zur Lösung der schleswig-holsteinischen Frage lebten und in diesem Sinne gearbeitet hatten, und es benutzte auch nicht die Parteizersetzung im Nationalverein, die eine Folge davon war, daß Bismarcks Politik noch nicht verstanden wurde und darum kein Vertrauen fand. An Warnern fehlte es nicht1), und Hessen stand dabei in vorderster Reihe. Es lag auf der Hand, daß Bismarck die Kluft zwischen Österreich und dem dritten Deutschland nach Möglichkeit erweiterte. Dalwigk ließ in Wien darauf hinweisen, daß den deutschen Staaten, wenn sie gegen Preußen keine Hilfe bei Österreich fänden, gar nichts anderes übrigbleibe, als sich mit Bismarck zu verständigen. Das Verfahren gegen Frankfurt sei ganz ungerechtfertigt. Nur wenn die Kritik an dem Vertrag zu Gastein über die im Strafgesetzbuch gezogenen Grenzen hinausgehe, sei ein Einschreiten erlaubt; es könne doch unmöglich eine jede Kritik an der Politik der beiden Machte verboten sein. Die Pflicht, die Bundesgenossen in seinem Gebiete nicht ungestraft schmähen zu lassen, habe Preußen nicht immer so getreulich erfüllt, wie Hessen dies von sich rühmen könne, und wenn Preußen jetzt plötzlich den Nationalverein perhorreszierte, so erinnerte Dalwigk daran, daß gerade Hessen schon vor Jahren am Bund einen Antrag gegen den Verein gestellt hatte4). ') Beusts Protest s. Jansen-Samwer 535. s ). Es wollte den Verein auf Grund des Bundesbeschlusses vom 17. Juli 1854 verbieten lassen.



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Damals hatte Preußen den Verein unter seinen Schutz genommen, und Dalwigk mußte sich von König Wilhelm in Baden-Baden sagen lassen, es sei besser, dem Volke zu geben, was ihm gebühre, als ewig Reaktion zu treiben. Aber Mensdorff war schwer von den Vorteilen zu überzeugen, die ihm das so warm empfohlene »deutschföderalistische System« bot. Noch einmal stand er zu Preußen, als der bayrisch-sächsisch-hessische Antrag vom 27. Juli — der Antrag auf Einberufung der Stände in den Herzogtümern und auf Aufnahme Schleswigs in den deutschen Bund — endlich zur Erledigung kam. Der Antrag war auf die lange Bank geschoben worden, und inzwischen hatten sich die beiden Großmächte in Gastein geeinigt. Zur Entrüstung der Antragsteller. Namentlich v. d. Pfordten war über die Nichtachtung, die seine Aktion erfahren, sehr ungehalten, und äußerte sich zu Wydenbrugk zornig darüber. Früher hatte Bayern im engen Verhältnis zu Österreich seine eigene Geltung gefunden, jetzt sah es sich isoliert und einflußlos. Von der Pfordten wollte, wenn die Großmächte sich einem Mehrheitsbeschluß des Bundes nicht fügten, auch seinerseits den Bund für gelöst ansehen. Bleibe aber Bayern mit Sachsen und Hessen in der Minderheit am Bunde, so wollte es sich mit der ganzen Herzogtümerfrage überhaupt nicht mehr abgeben. »Die Franzosen braucht man nicht gleich zu rufen, das Interesse aber, das sie an der Dauer der föderalistischen Verfassung Deutschlands nehmen, wird sich von selbst zugunsten der Mittelstaaten geltend machen, was dann auf die definitive Lösung der schleswigholsteinischen Angelegenheit zurückwirken muß1).« Das bezeichnete zwar einen gewissen Unterschied gegenüber der Ansicht Beusts und Dalwigks, aber es *) Dies erfuhr Gagern im November 1865 von Edelsheim, der damals auch für Baden die Möglichkeit des Austrittes aus dem Bunde erwog. V o g t , Die hess. Politik i. d. Zeit d. Reichsgrüadung.

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klang doch schon anders als die Ablehnung der französischen Einmischung wenige Monate zuvor1). Auch der neue badische Minister von Edelsheim richtete die Augen nach Frankreich hinüber, gerade wie in einem früheren Stadium der Entwicklung sein Vorgänger Roggenbach 2 ): »Die Prüderie mancher Politiker, die vor jeder freien Mitwirkung Frankreichs zurückschrecken, wenn diese den Charakter einer Intervention in deutsche Angelegenheiten auch noch so sehr vermeidet, kommt unter den gegebenen Verhältnissen einem Sichselbstaufgeben gleich. Und als Mensdorff, von diesen Stimmungen unterrichtet, sich bei Biegeleben über die Rheinbundsgelüste beklagte, übernahm dieser die Verteidigung: Warum sollten die Mittelstaaten auch das Kokettieren mit Frankreich dem Herrn v. Bismarck als ein Monopol zum ausschließlichen Vorteil Preußens überlassen3)? Bei der Abstimmung am 18. November unterlagen Pfordten, Beust und Dalwigk und gaben darauf, wie verabredet, die Erklärimg zu Protokoll: »daß, sofern und solange nicht dem Bunde zu einer von der Grundlage des Rechtes ausgehenden Beratung und Beschlußfassimg Aussicht geboten werde, sie ihre Aufgabe und Tätigkeit in dieser Angelegenheit innerhalb der Bundesversammlung als abgeschlossen betrachteten und sich auf eine laute und entschiedene Verwahrung gegen jede dieser Grundlage fremde Abmachung beschränkten.« In derselben Zeit jedoch, da so deutlich die Parteigruppierung — Großmächte auf der einen, Mittelstaaten auf der anderen Seite — ihren Ausdruck fand, setzte der Umschwung ein. Es kam dafür verschiedenes zusammen4). S. oben S. 58. ) S. oben S. 26. 3 ) Gagern schrieb hierüber am 27. Oktober 1865 nach Darmstadt 4 ) Schon bei den Verhandlungen über den mittelstaatlichen Antrag hatte sich Österreich geweigert, mit Preußen gemeinsam die 2



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Der Kaiser stand nicht mehr so fest auf der Seite der Preußenfreunde. Man hatte ihn wissen lassen, wie sich Bismarck zu Beust über den preußischen Erfolg in Gastein und über die Ungeschicklichkeit der Österreicher ausgelassen hatte, und wenn auch auf dem Umweg, auf dem diese Worte in die Hofburg gelangten, — über Beust und Dalwigk —, einzelne Wendungen an Schärfe gewonnen haben mochten, die Hauptsache schien doch sehr echt und machte Eindruck 1 ). Noch empfindlicher berührte es ihn, als man ihm sagte, Bismarck habe neben anderen Klagen und Beschwerden, mit denen er den österreichischen Geschäftsträger, den Grafen Chotek, wegen Österreichs Verhalten in Holstein überschüttete, auch eine gegen die Ernennung des neuen Chefs der kaiserlichen Kabinettskanzlei, Braun, sich erlaubt, der als Preußenfeind galt 2 ). Auch der Kaiser sah sich vor die Frage gestellt, ob denn Preußen überhaupt innerhalb billiger Grenzen zu befriedigen sei, und ob gegenüber den Annexionswünschen Preußens alles Nachgeben irgendwelchen Nutzen habe; und auch er mußte schließlich zu dem Nein kommen, das Biegeleben und andere längst mit großer Entschiedenheit ausgesprochen hatten 3 ). Erklärung abzugeben, daß die etwaige künftige Berufung der holsteinischen Stande von der Entscheidung beider Mächte abhänge. Es wollte die Rechte, die ihm durch den Qasteiner Vertrag für Holstein zugestanden waren, nicht selbst beeinträchtigen. l ) Vgl. Beilage II. ') Auch derartige Nachrichten erfuhr Gagern in der Staatskanzlei, nicht in der Umgebung des Kaisers, obwohl er auch zu dieser Beziehungen hatte. ') In der Instruktion, die der Ziviladlatus des Generals v. Gablenz, Herr v. Hofmann, mitnahm, als er von seinem Urlaub im Dezember in die Herzogtümer zurückkehrte, hieß es: wegen des Augustenburgers keine Störung des Einvernehmens mit Preußen, aber Zurückweisung aller preußischen Ubergriffe auf das durch die Konvention von Qastein gewonnene Rechtsgebiet. — Übrigens spukte auch im Dezember 1865 wieder ein Verkaufsprojekt. Der 6*

— 84



Als Ursache und Folge zugleich wirkten die gebesserten Beziehungen zu Frankreich, die sich z. B. in der wohlwollenden Unterstützung der österreichischen Anleihe durch den Pariser Markt zu erkennen gaben. Es kostete zwar noch schwere Mühe, den Kaiser zum Dank hierfür zu veranlassen, als aber dann Metternich dem jungen Prinzen von Frankreich Ende Dezember das Großkreuz des Stefansordens überbrachte, war das Begleitschreiben des Kaisers Franz Joseph in sehr warmem Tone abgefaßt, und von der Antwort Napoleons berichtete der Botschafter, daß sie so herzlich gewesen sei »que le Moniteur se trouvera sans doute engagé d'en rabattre« 1 ). Neben diesem günstigen Wandel in der politischen Lage Österreichs2) konnte Dalwigk mit gleicher Freude die Fortdauer von Meinungsverschiedenheiten der deutschen Mächte über die Zukunft der Herzogtümer beobachten. Sie äußerte sich besonders in heftigen Zusammenstößen über die Frage, wie der Augustenburger und seine Partei zu behandeln seien3). Mit großer Schärfe verbat sich die österreichische Regierung für ihre holsteinische Verwaltung die Kontrolle und Kritik, die sich Preußen auf Grund des nach wie vor bestehenden Gemeinbesitzrechts an den Herzogtümern erlaubte, und als am 11. März 1866 eine königliche Verordnung mit strenger Kerkerstrafe jedes Unternehmen bedrohte, das darauf zielte, »einer anderen als der landesherrlichen Gewalt Geltung in den Herzogtümern zu verschaffen, außer den Monarchen von Preußen englische Gesandte in Wien, Lord Bloomiield, erhielt von Lord Napier einen Brief, in welchem als Kaufpreis für Holstein die Summe von 6 Millionen Pfund genannt wurde. — Einer Sanierung der österreichischen Finanzen im großen Stil, nämlich durch Verkauf Venetiens und der Rechte auf die Herzogtümer, redeten unter anderen Plener, der frühere Finanzminister, und der Wiener Rotschild auch spater noch das Wort. *) Vgl. auch Les Origines 7 nr. 1718. *) Les Origines 7 nr. 1712. ») Vgl. Sybel 4, 252 ff.

— 85 — und Österreich«, wurde dies von der Wiener Presse als eine schwere Verletzung der österreichischen Rechte angesehen. Kann noch ein Zweifel sein, daß Preußen die definitive Lösung der schleswig-holsteinischen Frage auch um den Preis des Bürgerkrieges herbeizuführen entschlossen ist, fragte damals das Fremdenblatt. Der Dialog zwischen Preußen und Österreich war zu Ende 1 ), die Lage wenige Monate nach Gastein gespannter wie vor dem Vertrag 2 ), und aus den Meldungen, die das »schwarze Kabinett« über die Verhandlungen Preußens mit Italien erstatten konnte, soweit sie über die österreichischen Leitungen gingen, erfuhr die Hofkanzlei, woran sie ohnedies kaum gezweifelt hatte, durch welches Mittel Preußen die überlegene Truppenzahl Österreichs auszugleichen gedachte 3 ). Es war jetzt eine wichtige Aufgabe der österreichischen Politik, die guten Beziehungen zu den Mittelstaaten wiederherzustellen. Als Edelsheim sich im November in Wien verabschiedete, um das Ministerium in Karlsruhe zu übernehmen, sagte ihm auch der Kaiser, daß der Zusammenschluß und eine selbständige Politik der Mittelstaaten Österreich erwünscht seien. Aber bei allem guten Willen Edelsheims, Beusts und Dalwigks waren die Schwierigkeiten unüberwindlich. Das Vertrauen in Österreichs Zuverlässigkeit war sehr gering, und alles Streben nach Vereinigung scheiterte immer wieder an der gegenseitigen Eifersucht und an der Verschiedenheit der Interessen. ') Vgl. Sybel 4, 272. *) Biegeleben äußerte damals spöttisch, früher habe man seine Entwürfe von Wendungen und Ausdrücken gesäubert, die vielleicht auf seiten Preußens Anstoß erregen könnten; jetzt ergingen die entgegengesetzten Impulse von oben herab, so daß er seinerseits mahnen müsse, den Übergang nicht zu schnell zu machen. 3 ) Brief des hess. Gesandtschaftsattachö Max v. Gagern vom 24. Februar 1866.



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Beust legte Ende 1865 noch einmal ein Programm vor, über das eine Verständigung fast selbstverständlich erscheinen konnte: Keine Einmischung des Auslandes in deutsche Angelegenheiten; keine Einmischung der deutschen Großmächte in die inneren Angelegenheiten der anderen deutschen Staaten; Verständigung über eine gemeinsame Defensivpolitik und Organisation der militärischen Kräfte zu gemeinsamer Verteidigung. — Aber Varnbüler widersprach mit Rücksicht auf die Haltung der beiden deutschen Großmächte, die man bedauern, aber nicht ignorieren könne. Er fürchtete, jeder derartige Versuch einer Verständigung des dritten Deutschland werde die Zwietracht nur vermehren1). Dann richtete Bayern am 8. März 1866 an die süddeutschen Staaten sowie an Sachsen und Nassau die Aufforderung zur gemeinsamen Verständigung über die Abwehr der Gefahr, die mittlerweile drohend nahe gerückt schien. Der Grundgedanke war, man wolle alles tun, um den Krieg zu vermeiden; wenn sich dies aber als unmöglich erweise, so sollten die Mittelstaaten ihre Neutralität bewahren, bis die Streitsache an den Bund gebracht werde und dieser seine Entscheidung fälle. — Es war das Programm der peinlichen Beobachtung der Bundesverfassung. Nun hatte Österreich freilich schon erklärt, daß es die Frage der Herzogtümer an den Bund bringe, sobald es sich dazu für berechtigt halte, d. h. sobald es der Gasteiner Verpflichtung, nur gemeinsam mit Preußen zu handeln, ledig sei, und es hege daher die Zuversicht, den Bund auf seiner Seite zu haben. Das aber hieß der hessischen Regierung eine falsche Rechnung. Denn über den Schutz von Mainz und damit über den des ganzen Landes konnte man nicht am Bunde verhandeln vor Ausbruch des Krieges, und nachher war l

) Nach Edelsheim.



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es zu spät. Deshalb war ein Separatbündnis mit Österreich notwendig, und so stellte sich die hessische Regierung Anfang März der österreichischen als unbedingte Bundesgenossin zur Verfügung und sekundierte dem Kaiserstaat mit einer ausführlichen Denkschrift, die besonders auf Bayern berechnet war und besser, als die Österreicher selbst es tun konnten, die Situation beleuchtete 1 ). Der Gedankengang war folgender: Mag man auch die Gasteiner Konvention vom Standpunkte des Rechts aus beklagen, so hat sie doch vom Standpunkte der politischen Zweckmäßigkeit aus große Vorteile. Sie bietet vielleicht die wirksamste Handhabe, um schließlich doch noch einer rechtlichen Lösung der Frage die Wege zu bahnen, falls Österreich seine Stellung in Holstein gehörig verwertet. Die Bildung eines politisch selbständigen deutschen Mittelstaates würde der spezifisch preußischen Politik mißliebig sein, eine dauernde Festsetzung Österreichs dagegen noch weit mehr. Denn eine solche Festsetzung Österreichs würde sehr geeignet sein, den schwarzweißen Hegemoniebestrebungen einen Riegel vorzuschieben. »Die zersplitterte Gestalt Preußens erschwert seine Defensivstellung, stärkt aber seine politische Offensivund Expansionskraft im übrigen Deutschland. Sie hat den Versuch, Österreich aus Deutschland zu verdrängen und das übrige Deutschland in Preußen aufgehen zu lassen, erst möglich gemacht, wie sich dieser Versuch in der Radowitzschen Unionspolitik kundgegeben hat. Preußen hat mit Bewußtsein seine Kristallisationspunkte — Erfurt, Wetzlar usw. — vermehrt durch Hohenzollern, den Jahdebusen, das Rastatter Mitbesatzungsrecht, Lauenburg. Allen diesen Angelhaken der preußi*) Verfasser war der hessische Gesandte in Frankfurt, Arnold v. Biegeleben, der Bruder des Wiener Hofrates, der Verfasser der i. J. 1881 (anonym) erschienenen »Erinnerungsblätter an Frh. R. von Dalwigk«.



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sehen Propaganda hatte Österreich bisher nichts Ähnliches entgegenzusetzen als die wenigen Bundesgarnisonen, die natürlich nicht im entferntesten einen gleichen Einfluß zu üben vermochten. So rächte sich zum Schaden von Österreich und Deutschland der Fehler, welchen die österreichischen Staatsmänner auf dem Wiener Kongreß dadurch begingen, daß sie die feineren Wurzeln, mit welchen der Kaiserstaat im übrigen Deutschland haftete und woraus er einen nicht zu unterschätzenden Teil seiner Lebenskraft sog, in einem durch die Entwicklungsgeschichte Österreichs nicht gerechtfertigten Streben nach allzu scharfer geographischer Abrundung abgeschnitten haben.« »Faßt Österreich in Holstein, an Preußens verwundbarster Stelle, festen Fuß, dann verbinden vielfache neue Fäden das Interesse Österreichs mit dem Deutschlands, und die Vorteile von Preußens gegenwärtiger Situation werden zum großen Teil neutralisiert. Das preußische Kabinett wird in demselben Maße geneigter sein, sich zu einer anderen Verständigung auf der Basis der politischen Selbständigkeit der Elbherzogtümer herbeizulassen, in welchem es gelingt, ihm die Überzeugung beizubringen, daß ein ferneres Beharren auf seiner bisherigen Bahn schließlich zu einer dauernden Festsetzung Österreichs in Holstein führen würde1).« ') Diese Gedanken waren natürlich nicht etwa neu für die Österreicher. So hatte z. B. auch der Ziviladlatus des Statthalters Gablenz, v. Hofmann, in Wien empfohlen, Österreich möge Schleswig von Holstein aus erobern, und als er über Berlin nach seiner Wirkungsstätte reiste und Bismarck die Meinung äußerte, Hofmann werde in 4 bis 5 Wochen seiner Mission quitt und alles in der Reihe sein, hatte Hofmann scharf widersprochen: Seine Instruktionen lauteten ganz anders, nämlich: den Gasteiner Vertrag zu vollziehen und darauf sich einzurichten. Bismarck wollte daran nicht glauben und berief sich auf mündliche Äußerungen des Kaisers und Esterhazys, die eine definitive Verständigung in nahe Aussicht gestellt hätten. — Nach Sybel 4, 258 hat dies Gespräch am Silvestertag

— 89 — Die Gefahr, daß Österreich der Versuchung verfallen könnte, auf preußischen Bahnen zu wandeln und den definitiven Erwerb Holsteins zum eigentlichen Ziele seiner Politik zu machen, wurde in der Denkschrift nicht hoch eingeschätzt. Der Verlust an Vertrauen, den Österreich dadurch erleiden würde, müßte ja den Gewinn weit überwiegen, und Österreich könnte bei der ihm von den Mittelstaaten empfohlenen Politik mit dem gewaltig gesteigerten Ansehen und Einfluß infolge seines diplomatischen Sieges zufrieden sein. »Die Aufgabe der deutschen Regierungen, welche die Konstituierung der Elbherzogtümer zu einem selbständigen Staate erstreben, ist nicht etwa zu drängen und zu versuchen, an dem Bunde den Gang der Ereignisse zu beschleunigen. Solche Politik könnte nur die Einflüsse derer steigern, die in Wien in einer intimen großstaatlichen Allianz mit Preußen das Heil Österreichs erblicken, indem sie den Wert der guten Beziehungen Österreichs zu dem dritten Deutschland unterschätzen, weil sie nicht erkennen, welche Machtfülle Österreich aus dem übrigen Deutschland, trotz dessen politischer Vielgestaltung, zu schöpfen vermöchte, wenn es nur das vorhandene reiche Kapital politischer Kraft durch eine im rechten Geiste ergriffene, energische Initiative flüssig zu machen und zusammenzufassen verstände.« stattgefunden; aber Gagern berichtet davon schon am 19. Dezember. — Einen anderen, aber ähnlichen Oedankengang entwickelte ein aus Wien stammender Artikel der Augsburger Allgem. Zeitung, in dem behauptet wurde, daß die Gasteiner Konvention als österreichischer Vorschlag sich entpuppe und ihren Zweck völlig erfülle, weil die Promiskuität der österreichisch-preußischen Politik, die ihrerzeit soviel Verwirrung in der öffentlichen Meinung angerichtet, aufgehoben wurde und die getrennte Verwaltung die Trennung der politischen Zielpunkte in unverhüllter Offenheit darlegen mußte. — Auch die Köln. Zeitung schrieb im Januar 1866: Die Verwirklichung der preußischen Ansprüche steht mit der Lebensdauer des Gasteiner Vertrags im umgekehrten Verhältnis.

— 90 — Wohl aber müssen diese Staaten dem Wiener Kabinett die feste Überzeugung beibringen, daß Österreich im Falle eines Krieges mit Preußen ihrer vollen rückhaltlosen Unterstützung und Bundesgenossenschaft versichert sein kann. Das ist es allein, was Österreich in seiner Festigkeit gegen Preußen zu bestärken vermag. Bedingungen daran zu knüpfen, wäre taktisch falsch und praktisch wertlos. »Kommt es erst einmal zu einem Krieg mit Preußen, — den Gott verhüten wolle, den man aber, so beklagenswert er auch wäre, nicht auf Kosten des Rechts und des allgemeinen deutschen Interesses durch feige Willfährigkeit gegen die selbstsüchtigen preußischen Gelüste vermeiden darf, — kommt es erst einmal zu einem solchen traurigen Kampf, so wird der Ausgangspunkt des Kampfes bald zur Nebensache werden, und wer weiß, ob das Endresultat des Krieges mit den anfänglichen Zielen noch irgend etwas gemein haben wird.« Es wird sich da um den Austrag der Frage handeln, »ob in Deutschland die Rettung und Neubelebung des föderativen Prinzips unter der Ägide Österreichs gelingen, oder ob Deutschland unter wenigstens vorläufiger Verdrängung Österreichs mehr oder weniger der Borussifizierung verfallen, oder endlich, ob es dem Geschick einer Teilung unterliegen soll, mit welcher letzteren, traurigsten aller Eventualitäten der finis Germaniae besiegelt wäre.« Ferner aber sollen die deutschen Regierungen vertraulich und maßvoll auf das Wiener Kabinett einwirken, besonders indem sie die Reorganisierung des holsteinischen Bundeskontingents und die Einberufung der holsteinischen Stände fordern. Das erstere aus naheliegenden militärischen Gründen, das andere, um das politische Leben dort anzuregen, der populären Strömung entgegenzukommen und um direkte Beziehungen zwischen Holstein und dem Bund ins Leben zu rufen. Möglichste Anlehnung an die österreichische Regierung werde in Berlin besonders unbehaglich empfunden werden.



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»Preußen wird doch den Krieg führen, wenn es den Moment dazu für geeignet hält. Eine gute Politik Österreichs macht diesem aber ganz Deutschland zum Bundesgenossen.« »Entweder setzt Österreich das nationale Programm durch, dann hat es einen glänzenden Sieg errungen, der ihm Ansehen und Einfluß steigert, oder es gewinnt Holstein, ohne daß man ihm Vorwürfe machen kann. Und letzteres ist immer noch wünschenswerter 1 ), als die Schöpfung eines halbsouveränen preußischen Vasallenstaates oder die Einverleibung der beiden Herzogtümer in die preußische Monarchie.« — Es war natürlich, daß die österreichischen Staatsmänner sehr wohl zufrieden waren mit diesen Ausführungen und sich diese Hilfe gern gefallen ließen2). Auch die Note, mit welcher Edelsheim am 17. März das bayerische Zirkular erwiderte, klang günstig für Österreich. Er führte darin aus, daß Baden bei Störungen des Friedens demjenigen Teile beistehen werde, der sich der Bundesentscheidung füge. Eine Neutralität der deutschen Mittelstaaten sei nicht möglich, auch nicht, wie Bayern gemeint hatte, bis nach erfolgter bundesrechtlicher Verhandlung, denn dann müßte das dritte Deutschland neutral bleiben, bis eine der Großmächte es zwänge, anders zu handeln. Wenn es den Mittelstaaten nicht möglich sei, den Krieg zu verhindern, dann sollten sie zusammenstehen, um »für die schwer bedrohten, nationalen Interessen einzutreten und dadurch eine diesen Interessen entsprechende, rasche Lösung des Konfliktes herbeizuDiese Wendungen stimmten, wie man sieht, nicht ganz zu den zuvor über diese Möglichkeit gemachten Ausführungen. ') Noch auf eine andere Weise suchte Dalwigk der preußischen Politik entgegenzuarbeiten, indem er bei der französischen Regierung anregte, die für die Donaufrage in Aussicht genommene Konferenz sollte den Kreis ihrer Aufgaben erweitern und auch die Frage der Elbeherzogtümer behandeln, s. Les Origines 7 nr. 1886.



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führen oder mindestens anzubahnen und tunlichst zu befördern 1 ).« Doch hatten beide Denkschriften wenig Erfolg. Pfordten gab sein Mißtrauen gegen Österreich nicht auf, er fürchtete noch immer, Österreich werde sich mit Preußen auf Kosten des Bundes verständigen, und auch andere mittelstaatliche Politiker zweifelten nicht daran, daß es nicht sowohl die Prinzipientreue des Kaiserstaates, als vielmehr der Mangel an preußischen Anerbietungen war, der davor schützte. Außerdem war ja auch die Stellung Österreichs in Holstein keine bundesrechtliche, nicht einmal eine vom Bunde gut geheißene. Es beginnt jenes merkwürdige Kriegsvorspiel zwischen den beiden Mächten, das Ringen um die Meinung der Welt, Friedensversicherungen und gegenseitige Beschuldigungen, Vorschläge, die Aufschub oder Abrüstung, Verständigung im engeren oder im weiteren Rahmen bezwecken, folgen sich, lösen sich ab. Ein russischer Vermittelungsversuch wird abgelehnt, andere Versuche haben nicht mehr Erfolg 2 ). Preußen selbst richtet an den Herzog das Ansinnen, auf seine Ansprüche gegen eine hoch bemessene Abfindung zu verzichten, und Bismarck wirft wohl in Zeiten, da er mit Karolyi längst nicht mehr in den üblichen Geschäftsbeziehungen steht, bei einer Begegnung am dritten Orte die Bemerkung hin: Wir sollten uns auf breiter Grundlage verständigen 3 ). Die Möglichkeit, daß Österreich gegen Kompensationen die Herzogtümer den Preußen überlasse, blieb bis zum letzten Augenblick bestehen. Denn wenn Moritz Esterhazy äußerte, man müsse stets im Auge behalten, daß das eigentliche politische Ziel sei, gemeinsam mit Preußen 1

) *) Mager, s )

Nach Edelsheims Aufzeichnungen. Über den Versuch des Herzogs Ernst von Coburg s. Fr. Herzog Ernst S. 30 ff. So erfuhr Gagern Ende Mai.



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und Rußland über Frankreich herzufallen, und man dürfe dieser Chance nicht entgegenhandeln, so wußte man, daß er am Hofe Gesinnungsgenossen hatte, und daß die Partei, die noch immer der Verständigung mit Preußen das Wort redete, nicht unbedeutend war. Ja, die Räte in der Hofkanzlei fürchteten noch im Mai ein zweites Gastein. Von den Verhandlungen der Brüder Gablenz, die eine Teilung Deutschlands zwischen Preußen und Österreich mit der Mainlinie als Grenze vorschlugen1), hatten sie nur wenig mehr als gerüchtweise Kenntnis erhalten, und Meysenbug sagte damals: »Wir alle werden mit Mißtrauen behandelt. Wir kennen den leitenden Gedanken nicht. Ich habe das Gefühl, daß über unsere Köpfe hinweg etwas gepantscht wird, was wir erst als fait accompli kennen lernen.« In der Tat hätte Mensdorff den Krieg gern vermieden, er war immer wieder in gehobener Laune, wenn die Wolken sich zu zerteilen schienen oder wenn, wie es wiederholt geschah, das Gerücht von Bismarcks nahem Sturz aus scheinbar wohlunterrichteter Quelle nach Wien drang 8 ). Im Grunde aber hatte er schon im April wenig Hoffnung auf eine Verständigung und noch weniger auf einen Erfolg. »Welchen Weg man auch gehen mag, e9 wird alles zum Kriege führen, und dieser kann für Österreich nur unglücklich ausfallen. Als Gegner wird Österreich nicht nur Preußen und Italien, sondern auch, wenn auch vielleicht nicht sofort, Frankreich haben. Was ich den Preußen am meisten verarge, ist, daß sie nicht warten wollen. 1 ) S. darüber Sybel 4, 375. — Bismarck äußerte spater gelegentlich (z. B. zu dem hess. Gesandten Hofmann s. V. Valentin in der Deutschen Revue 37 [1912], III, 217), Österreich habe dies Projekt abgelehnt. Der österr. Hofrat v. Hofmann erklärte dagegen, dazu sei es nicht mehr gekommen. •) So hatte auch im April der hess. Gesandte in Berlin, v. Wambolt, seinem Pariser Kollegen Enzenberg geschrieben: Gasteinern geht diesmal nimmer; also dürfte es wohl aufs Olmützern hinaus müssen.

— 94 — Ehe 5 Jahre vergehen, sind sie ja doch Herren über den Norden Deutschlands, der Augustenburger mag nach Schleswig-Holstein kommen oder nicht. Diesen Krieg hätte Preußen sich und anderen ersparen können1).« Für Dalwigk war die Entscheidung über die Partei, die er zu nehmen hatte, natürlich keinen Augenblick zweifelhaft. Er blieb in den verschiedenen Ministerkonferenzen, die im Frühjahr 1866 stattfanden, auf dem Österreich-freundlichen Standpunkt, den die hessische Denkschrift dargelegt hatte. Aber diese Begegnungen zeigten, daß eine einheitliche Politik des dritten Deutschland auch angesichts der nahenden größten Gefahr nicht zu erzielen war. In Augsburg pl&dierte Edelsheim (am 22. April) für eine selbständige Politik der Mittelstaaten, die als dritte Macht sich organisieren und vermittelnd zwischen den beiden Großmächten auftreten sollten. Aber v. d. Pfordten widersprach, und es wurde der lahme Beschluß gefaßt, von Preußen vorerst nur weitere Erklärungen zu verlangen über den Reformplan, den es am 9. April vorgelegt hatte 2 ). Es wurde Edelsheim damals klar, daß von den Mittelstaaten keinerlei eigene Initiative zu erwarten sei, und daß sie überhaupt nur dann ins Gewicht fielen, wenn Österreich mit Energie vorgehe und sie ins Schlepptau nehme 3 ). In Bamberg, wo sich die Minister am 13. und 14. Mai berieten, hat dann Edelsheim auf Befehl seines Landesherrn den Antrag auf bewaffnete Neutralität »zum Zweck der Erhaltung des Bundes als des zurzeit einzigen nationalen Bandes und zum Schutze der Integrität des Staates« stellen müssen. Damit sollte die Möglichkeit einer bewaffneten Intervention gegeben sein und die Gefahr einer französischen Einmischung nach der Er) Äußerung Mensdorffs vom 12. April zu Gagern. *) Vgl. z. B. Beust 1, 433; Lorenz 57; Dove 137. ') Schreiben vom 9. März 1867 an Wydenbrugk. 1

— 95 — Schöpfung der Kriegführenden verhütet werden. Aber Baden blieb mit diesem Antrag allein. Hessen wollte nicht, wie Dalwigk gelegentlich in der Kammer es formulierte, wie die trojanische Jungfrau ruhig zusehen, ob Österreich oder Preußen unterliege, um sich dann als Beute dem Sieger in die Arme zu werfen. Es beschloß mit den anderen Mittelstaaten, den Antrag auf allgemeine Abrüstung zu stellen, gleichzeitig aber selbst kräftig zu rüsten 1 ). Am meisten fürchtete Dalwigk noch immer, daß Österreich sich k la Rechberg mit Preußen verständigen und die unsichere Haltung der Mittelstaaten als Grund hierfür vorschützen werde 2 ). E r suchte daher Mensdorff über die Mittelstaaten zu beruhigen und schrieb ihm: »Man hat in Wien keine Ursache, über die Bamberger Beschlüsse deprimiert zu sein. Man lasse den Minister v. d. Pfordten reden. Er wünscht aufrichtig den Frieden zu erhalten wie jeder, der die Besorgnis hat, daß bei einem Krieg der deutschen Bundesgenossen unter sich schließlich nur Frankreich gewinnen werde. Zu den Mitteln, den Frieden zu erhalten, rechnete er Eingehen auf die preußischen Bundesreformvorschläge einschließlich einer Reform der Bundesmilitärverfassung. Er meinte, wenn man Preußen in Fällen des Bundeskrieges den Oberbefehl über die norddeutschen Streitkräfte zugestehe, werde es sich herbeilassen, auf die Annexion zu verzichten. Ich sprach ihm damals, in Augsburg, meinen großen Zweifel an der Möglichkeit eines solchen Arrangements aus. Ich glaube, daß er sich inzwischen von der Unaufrichtigkeit der preußischen Reformvorschläge überzeugt hat, und daß jene Vermittelungsidee auch bei ihm zu den bereits überwundenen Standpunkten gehört. Bayern ») Vgl. z. B. Sybel 4, 360; Hassel 2, 235. ) Beust 1, 433 hatte sich nach den Augsburger Konferenzen überlegt, ob er nicht Mensdorff mit Rücksicht auf die Haltung Bayerns zur Verständigung mit Preußen raten müsse. a



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wird im Falle eines unprovozierten preußischen Angriffes auf das entschiedenste mit Sachsen, Württemberg, Hessen und Nassau zu den Waffen greifen. Wir betrachten jeden Versuch einer bewaffneten oder unbewaffneten Neutralität als einen Bruch der Bundespflichten, und Österreich kann mit voller Zuversicht auf uns rechnen, wenn es sich nicht selbst, wie es letzthin Italien gegenüber geschehen ist1), seine Position verdirbt. In Hannover ist es die Feigheit2), in Baden der Verrat der Nationalvereinler3), welche die dortigen Regierungen in die ebenso gefahrvolle als unwürdige Stelle von Neutralen drängt. In Kurhessen hält der Kurfürst, entgegen seinem Ministerium, bis jetzt noch fest an seinen Bundespflichten. Wir haben hier vollständig mobil gemacht und werden bis zum letzten Augenblicke unsere Pflichten erfüllen4).« Das formale Bundesrecht nicht nur, auch das moralische Recht glaubte die Partei Dalwigks für sich zu haben. Der sächsische König fand brausenden Beifall, als er in seiner Thronrede den Ständen zurief: »Auch der Minderl

) Gemeint ist der österreichische Versuch, die Neutralität Italiens durch die Abtretung Venedigs zu erkaufen, s. darüber z. B. Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft l 4 , 263 ff. *) Uber Hannover s. H. Oncken, Rudolf v. Bennigsen 1, 715. *) In Baden stand der Hof auf seiten Preußens, ebenso von den Ministern Mathy; der Kriegsminister verzögerte alles, die übrigen schwankten; in den Kammern waren die Führer lauter Gothaer. Erst gegen Mitte Juni gelang es Edelsheim, ein klares, unbedingtes Vertrauensvotum der großen Mehrheit der zweiten Kammer zu erhalten. Darauf gestützt, trat er offen gegen die erste Kammer (Prinz Wilhelm und Bluntschli) auf, entfernte Mathy aus dem Ministerium, stellte den Kriegsminister vor die Alternative, zu handeln oder zu gehen, und betonte dem Großherzog gegenüber mit Energie seine Stellung als konstitutioneller Minister. (Nach dem erwähnten Schreiben Edelsheims vom 9. März 1867.) — Vgl. auch Dove, Großherzog Friedrich von Baden S. 144: Großherzog Friedrich war nach äußerstem Widerstreben endlich ins österreichische Lager auch deshalb übergegangen, weil er nicht Preußen zuliebe einen Rheinbund schließen mochte. 4 ) Brief vom 20. Mai 1866.



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mächtige würde sich entehren, wenn er unberechtigten Drohungen nicht mit männlichem Mute entgegenträte.« In der Kreuzzeitung zog der Präsident v. Gerlach gegen das Bündnis Preußens mit Garibaldi los, und in einem anderen preußischen Blatte, dessen politischer Standpunkt von dem der Kreuzzeitung vollständig abwich, in der Kölnischen Zeitung, hieß es sogar: Über Jahr und Tag ist Österreich in einer Weise behandelt worden, die ihm zuletzt gar keine andere Wahl ließ, als Krieg. Und wenn alle Minister Österreichs von Preußen bestochen und heimlich besoldet gewesen wären, so hätten sie zuletzt nicht anders können, als sich rüsten, um dem vielfach angedrohten Versuche entgegenzutreten, Österreich aus dem rechtmäßigen Mitbesitze zweier Herzogtümer nicht durch friedliche Unterhandlungen gegen ein ihm gebührendes Äquivalent, sondern einfach mit Gewalt zu verdrängen. So lange in Preußen ein Minister am Ruder ist, von dem inländische und ausländische Blätter wiederholt mit großer Bestimmtheit erzählten, er habe gesagt: »Wenn ich Minister bleibe, so haben wir Krieg!«, so lange kann jeder, der nicht seine eigene Vernunft abdanken will, unmöglich die Verantwortlichkeit für den Krieg allein auf den Grafen Mensdorff wälzen, der seit Jahr und Tag vergeblich auf Preußens Anerbietungen für Schleswig-Holstein gewartet hat. Daß mitten im Frieden eine Großmacht eine Provinz einfach sich wegnehmen läßt, weil der Nehmende sie braucht, ist im ganzen Laufe der Geschichte nicht vorgekommen. »Wir sind mit Füßen getreten worden «, rufen alle österreichischen Blätter einstimmig aus, und wer will behaupten, sie schrien ohne jede Veranlassung? Will doch auch die große Masse des preußischen Volkes nichts wissen von einer gewaltsamen Annexion gegen den Willen Österreichs, gegen den Willen der Schleswig* Holsteiner, Deutschlands und Europas usw.1). Kölnische Zeitung Nr. 140 vom 23. Mai 1866 (erstes Blatt). V o g t , Die hess. Politik i. d. Zelt d. Reichsgründung.

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Konnte darnach ein billig Denkender noch zweifeln, auf welcher Seite das Recht war? Auch die ihm feindliche Majorität der zweiten Kammer konnte Dalwigk nicht beirren. Sie war auch in einer wenig glücklichen Lage. Sie kämpfte zwar gegen die Parteinahme der Regierung für Österreich, verdammte aber zugleich die preußische Politik, und ihr Führer Metz erging sich in den schärfsten Ausdrücken gegen den frevelhaften Übermut des Herrn v. Bismarck, dem als der »wahren Verkörperung der Gottlosigkeit« kein Vertrauen geschenkt wurde. Gegen die Stimme des Abg. Wernher lehnte der Ausschuß, und mit großer Mehrheit nach hitzigem Redekampf auch das Plenum die geforderten Summen ab; man wollte Dalwigk kein Vertrauensvotum aussprechen und forderte Aufruf der gesamten Volkskraft, Zusammentritt eines Nationalparlaments, Schaffung eines echt deutschen, die Einheit sowohl als die Freiheit sichernden Bundesstaates als Grundlage und Bürgschaft für die erfolgreiche Durchführung des bevorstehenden, schweren Kampfes. Erst als die Preußen in Hessen eingerückt waren, nahm die Kammer den Wernherschen Antrag auf Kreditbewilligung an, überwies aber ausdrücklich dem Ministerium die Verantwortung für die jetzige unheilvolle Sachlage. Dalwigk blieb bei seiner festen Haltung, obwohl er wußte, daß Österreich in den Krieg hineintrieb mit einem Pessimismus, der die Schlacht schon im voraus verloren hatte, daß Mensdorff ganz außer sich darüber war, daß gegen seinen Willen und ohne sein Wissen — durch die Rüstungen in Italien — Preußen ein Vorwand geliefert wurde, auf den Bismarck nur gewartet hatte 1 ), und daß auch der Kaiser, wie Prinz Alexander von Hessen bei ') Das Reich muß zugrunde gehen, soll Mensdorff im Ministerrat unter Tränen gerufen haben, wenn die Geschäfte ohne Zusammenhang betrieben und die wichtigsten Anordnungen ohne Vorwissen des Ministers des Auswärtigen getroffen werden.



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seinem Besuch in Wien bemerken mußte 1 ), die allgemeine Kleinmütigkeit teilte. Nachdem Österreich immer wieder gezaudert hatte, ging es schließlich doch ohne genügende Vorbereitung in die Entscheidung und stellte am Bunde den Antrag auf Mobilmachung gegen Preußen. Die deutschen Freunde taten, was sie konnten, diese Übereilung zu hindern. Edelsheim, der zuvor Mensdorff »mit Warnungen und Mahnungen bombardiert hatte, um die Österreicher aus ihrer Lethargie aufzurütteln«, stellte dem Grafen durch Vermittelung des Gesandten in Karlsruhe und durch direkte Depeschen das Unsinnige vor, jetzt, wo in Österreich und Süddeutschland die militärischen Vorbereitungen kaum zur Hälfte fertig seien, in Hannover und Kurhessen noch gar nicht begonnen hätten, die Sache zum Bruche zu bringen und somit die Partie unter den für Preußen denkbar günstigsten Umständen zu beginnen; er wies darauf hin, daß dies j a Hannover und Kurhessen förmlich preisgeben heiße. — Auch Varnbüler riet dringend ab, den Antrag, den er für verfrüht und unklug hielt, zu stellen, und Beust wandte sich noch in letzter Stunde mit einem Telegramm nach Wien, der Antrag sei bundesrechtlich unkorrekt 2 ). 1 ) Der Prinz war wegen der Übernahme des Oberbefehls über das 8. Bundeskorps in Wien. E r hätte gern eine dankbarere Aufgabe in der österreichischen Armee übernommen, fügte sich aber dem dringenden Verlangen des Kaisers, obwohl nicht einmal seine Wünsche betr. Zuteilung eines österreichischen Generalstabsoffiziers und anderes erfüllt wurden. E r mußte dann im Krieg die Nöte einer Reichsarmee par excellence kennen lernen. — Uber den Mainfeldzug im allgemeinen s. namentlich v. Lettow-Vorbeck, Gesch. des Krieges von 1866 in Deutschland. 2 ) Dies Letzte aus Beust 1, 435; das Übrige aus einem Briefe Edelsheims an Wydenbrugk vom 9. März 1867. — Vgl. auch Varnbülers Rede in der Württemberg, zweiten Kammer vom 10. Okt. 1866. — Edelsheim glaubte, daß, wenn auch v. d. Pfordten energisch remonstriert hätte, eine Verschiebung auf unbestimmte Zeit durchgesetzt worden wäre. »Allein Pfordten zog nicht, sondern

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Aber der Stein war im Rollen. Es begann der Krieg, und es endete die Stellung Österreichs in Deutschland. In allerletzter Stunde, d. h. nach der Bundesabstimmung vom 14. Juni und nach der preußischen Kriegsandrohung forderte noch einmal Prinz Ludwig in klarer Erkenntnis der politischen Situation von dem Minister seines Oheims das Aufgeben der bisherigen Politik und den Anschluß an Preußen. Vergeblich. Dalwigk blieb fest, und der Prinz zog in den Krieg, um mannhaft seine Pflicht zu tun in einem ruhmlosen Kampfe für eine verlorene Sache. Wenn in Österreich schon nach den ersten Niederlagen zornige Klagen über die Bundesgenossen sich erhoben, für die man in den Krieg gezogen sei, deren Recht man habe schützen wollen, für die Österreich sich opfere, und die doch selbst in der Verteidigung ihres eigenen Rechtes so gänzlich versagten, wenn diese Klagen, in denen sich das Selbstgefühl des besiegten Großstaates entlud, nicht nur gegen Bayern laut wurden, das am meisten enttäuscht hatte 1 ), sondern auch gegen andere deutsche Mittelstaaten, so mußte doch neben Sachsen das Großherzogtum Hessen stets ausgenommen werden. Hier hatte eine zielsichere Politik Österreich sekundiert, so gut die schwachen Kräfte es nur vermochten, und auch die hessischen Regimenter schlugen sich des alten Ruhmes würdig. Hessen hatte trotz aller Bedenken auf den Sieg Österreichs gerechnet und sich davon politischen Nutzen versproerwiderte auf meine Aufforderung, daß er den österreichischen Schritt als unklug mißbillige, aber da man ihn nicht vorher gefragt habe, sich nicht veranlaßt fühle, sich einzumischen, und sich selbst nur die Freiheit der Entschließung vorbehalte.« Pfordten hat bis zuletzt noch gehofft, sein Land neutral halten zu können. *) Der Kaiser äußerte sich sehr scharf darüber zu Gagern; vgl. auch O. v. Bray-Steinburg, Denkwürdigkeiten S. 100.



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chen. Nun war Österreich vollständig unterlegen, es besaß nicht einmal die Spannkraft, sich bis zum Eingreifen Frankreichs zu halten, so mußte Hessen die Niederlage mittragen. Der Kaiser vermochte nur Sachsen als den einzigen von allen Verbündeten vor dem ihm zugedachten Verluste zu bewahren, und auch Sachsen nicht vor dem Verluste seiner politischen Selbständigkeit. Das Schicksal der anderen Verbündeten abzuwenden, hatte Österreich keine Macht. Mensdorff selbst gab ihnen den Rat, sich an die Mächte zu wenden, die das europäische Gleichgewicht garantierten und die völkerrechtlichen Verträge, darunter auch die Bundesakte und damit den territorialen Besitz der einzelnen Staaten. Hessen hatte diesen Rat nicht erst abgewartet. Am 15. Juli war der Großherzog mit Dalwigk nach München übergesiedelt, um hier den Gang der letzten Kriegsereignisse abzuwarten. Auch Varnbüler kam hierher und am 20. Juli Edelsheim. Dieser hatte am 18. Juli angeregt zu erwägen, »ob sich nicht ein Separatabkommen der Südstaaten mit Preußen empfehle, nachdem die militärische Lage so geworden sei, daß weder ihre eigenen Kräfte zureichend erschienen, noch weitere Bundeshilfe, insbesondere von Österreich, zu erwarten sei1).« Die anderen widerstrebten, zumal am 19. Juli die Nachricht von einem Erfolg der bayerischen Waffen eintraf. Sie wollten nicht auch ihre Ehre verlieren, sonst würden sie als Tröpfe eingesteckt, ließen sie ihm antworten 2 ). 1 ) Mit dem Vorschlag, die hessischen Truppen aus dem Felde zurückzuziehen, mit Preußen einen Separatfrieden und eine Militärkonvention abzuschließen, dazu Dalwigk zu entlassen, t r a t auch die Prinzessin Alice an den Großherzog heran. Dalwigk selbst durfte am 23. Juli das Konzept für die ablehnende Antwort entwerfen (Tagebuch Dalwigks). 2 ) Aufzeichnungen Edelsheims. Sachlich Varnbüler in der erwähnten Kammerrede.

übereinstimmend



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In den gemeinsamen Beratungen am 20. und 21. Juli wurde dann vor allem verabredet, den Prinzen K a r l von Bayern, den Höchstkommandierenden der süddeutschen Truppen, zum sofortigen Angriff zu drängen. Eine erfolgreiche Aktion gegen die nicht sehr starken preußischen Kräfte hätte die kommenden Verhandlungen günstig beeinflußt, und Dalwigk lag begreiflicherweise an der Rückeroberung Oberhessens besonders viel. Dann suchte man eine Verständigung darüber, wie man sich bei dem Waffenstillstand und den Friedensverhandlungen verhalten wollte, und v. d. Pfordten, der auf Wunsch des Kaisers schon am Abend des 21. Juli hatte nach W i e n gehen wollen, verschob deshalb seine Abreise noch um einen Tag. Wenn die Teilung Deutschlands in einen Nord- und einen Südbund beschlossen werde, so meinten die Minister, müsse man darauf halten, daß der Südbund nicht zu schwach ausfalle. Das Land, welches den Gulden zur Münze habe, und außerdem wenn möglich Sachsen müßten dem Südbund zufallen. Sonst werde der Nordbund Südwestdeutschland absorbieren, ein deutscher Einheitsstaat entstehen. Dessen Bildung aber könnten Frankreich und Rußland nicht gleichgültig zusehen, und auch Bismarck könne sie nicht wünschen, weil Preußen damit Elemente erhielte, die seinem innersten Wesen zuwider seien, und deren Einfluß er arfi Ende doch unterliegen werde. Edelsheim fand keinen Anklang, als er den verständigen Vorschlag machte, sich jetzt nicht über diese Bildungen auszusprechen, da man dem Tadel und der Opposition in der Bevölkerung doch nicht entgehen werde. Allseitig war man der Ansicht, daß eine etwaige Umgestaltung Deutschlands auf einem europäischen Kongreß definitiv geregelt werden müsse, und daß die Minister sämtlicher deutscher Länder an diesem Kongreß teilzunehmen hätten 1 ). — Diese Minister unterschätzten Bis*) Aus Dalwigks Tagebuch.



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marck sehr erheblich, wenn sie glaubten, er werde sich die Früchte des Sieges auf so einfache Weise aus den Händen winden lassen. Für den Fall, daß Österreich mit Preußen einen Waffenstillstand schließe, sollte v. d. Pfordten dafür sorgen, daß dieser auch auf die Verbündeten Österreichs ausgedehnt werde. Zerschlügen sich die Verhandlungen der Großmächte, so wollten die Minister der süddeutschen Staaten im Hauptquartier des 7. und 8. Bundeskorps wieder zusammentreten 1 ). Inzwischen hatte sich Österreich mit Preußen verständigt, und von der Pfordten ging daher von Wien aus weiter nach Nikolsburg. Da aber Bismarck mit jedem Gegner einzeln verhandeln wollte, so reiste wenige Tage später Dalwigk mit Varnbüler dem bayerischen Kollegen nach. Für Dalwigk kam es vor allem darauf an, den Verlust der Provinz Oberhessen abzuwehren, deren Abtretung, wie Pfordten ihm mitgeteilt hatte, Bismarck begehrte. Am 28. Juli kam er in Wien an und besuchte Beust, um sich mit ihm über die fernere Zukunft Deutschlands klar zu werden. Er fürchtete die Trennung von dem Führer und Verbündeten aus den nun vergangenen Tagen und wollte, wenn die Mainlinie festgehalten werde, lieber mit Sachsen dem Nordbunde beitreten als dem doch nicht lebensfähigen Südbunde 2 ). Mit geringen Hoffnungen fuhr er noch an demselben Abend weiter nach Nikolsburg, begleitet nur von dem jungen Attaché Max v. Gagern, der sich auf dieser schwierigen Expedition als prächtiger Reisemarschall erwies. Der Kampf gegen feindliche Kammermehrheiten konnte trotz aller Äußerungen der schärfsten Feindschaft und leidenschaftlichsten persönlichen Antipathie, denen Dalwigk *) Nach Aufzeichnungen Edelsheims. 2 ) Nach Briefen Gagerns und dem Tagebuch Dalwigks.



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80 oft ausgesetzt war, als ein Vergnügen gelten gegenüber diesem Bußgange zu dem Sieger. Wenn schon von der Pfordten darüber geklagt hatte, daß Bismarck sehr barsch mit ihm verfahren sei1), so durfte sich Dalwigk keiner günstigeren Aufnahme versehen. Dem hessischen Gesandten in Berlin hatte man eine so kurze Frist zum Verlassen der preußischen Staaten gesetzt, daß er sich unter russischen Schutz begeben hatte 2 ), und von einer Sympathie Bismarcks für die Person des hessischen Staatsmannes konnte erst recht nicht die Rede sein. Aber die Aufnahme, die Dalwigk bei Bismarck fand, widersprach völlig den Erwartungen. Dalwigk schreibt darüber in seinem Tagebuch: Bismarck empfing mich sehr artig, beinahe herzlich, reichte mir wiederholt die Hand und bemerkte, daß wir ganz anders als Bayern und Württemberg behandelt würden. Unsere Stellung Preußen gegenüber sei stets eine viel freundlichere und bessere gewesen. Unsere Truppen hätten sich vortrefflich geschlagen 3 ). Als Dalwigk damit begann, daß er bereit sei, seine Stelle sofort niederzulegen, wenn sein Rücktritt Hessen günstigere Bedingungen verschaffte, widersprach Bismarck lebhaft. Er habe gegen Dalwigks Person nichts; ja er drückte ihm sogar seine Anerkennung darüber aus, wie er gegen die Kammerparteien aufgetreten sei. Wenn gegen ihn intrigiert werde und wenn in öffentlichen Blättern gestanden habe, daß Preußen Dalwigks Rücktritt zur Aus einem Briefe Gagerns. S. auch Bray 100. *) Später erzählte freilich der Unterstaatssekretär v. Thile Dalwigk (nach dessen Tagebuch), daß Herr v. Wambolt beim Abschied gesagt habe, er werde wieder kommen und sich ein paar Provinzen ausbitten; es mag also sein, daß der Gesandte nicht ganz schuldlos an der schroffen Behandlung war, die er erfuhr. 3 ) Über die bayerischen und württembergi6chen Truppen sprach sich Bismarck sehr abfällig aus.



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ersten Friedensbedingung mache, so sei die Quelle für diese Intrige nicht in Preußen zu suchen 1 ). Offenbar war es für Dalwigk vorteilhaft, daß unmittelbar vor ihm mit dem Prinzen Friedrich von Württemberg 2 ) Varnbüler gekommen war, den Bismarck das unvorsichtige Vae victis büßen ließ, das er am 4. Juni gegen Preußen ausgerufen hatte 3 ). Daneben und vor allem erwies sich natürlich die Gönnerschaft Rußlands für Hessen als starker Schutz. Zur Sache bestätigte Bismarck, daß er Oberhessen in Anspruch nehme, daß aber das Großherzogtum dafür durch Abtretung von bayerischem4) Gebiet vollständige Entschädigung erhalten sollte. Was Hessen zugedacht war, führte er nicht an, das sollte sich erst bei dem endgültigen Friedensschluß ergeben. Eine Kriegskostenentschädigung galt als selbstverständlich, doch nannte Bismarck noch keine Summe. Dalwigk rechtfertigte natürlich die Politik seines Landesherrn 5 ), der sich zu jeder Zeit durch Festhalten an dem gegebenen Worte ausgezeichnet habe. Preußen möge Hessen durch freundliches Verhalten zum zuverlässigen Bundesgenossen gewinnen. Er führte die preußenfreundlichen Worte an, die er in der Kammer, in Beantwortung der heftigen Vorwürfe der Großdeutschen wider ') Diese Nachrichten aus Briefen Gagerns, mit dem Dalwigk unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Nikolsburg zusammentraf. *) Der Prinz war ein Bruder des Prinzen August, der damals wie bei S. Privat das preußische Gardekorps kommandierte. Auch der Prinz Heinrich von Hessen, ein Neffe des Großherzogs, zog als preußischer Offizier ins Feld. s ) Vgl. Gedanken und Erinnerungen 2, 48 ff.; auch Augsburger Allg. Zeitung 1866, S. 3591. — Mit Beust überhaupt nur zu verhandeln hatte sich Bismarck einfach geweigert. 4 ) Nach Gagerns Brief auch von württembergischem Gebiet. In Dalwigks Aufzeichnungen ist davon nicht die Rede. Hessen grenzte nur mit der Enklave Wimpfen an Württemberg. 6 ) Das Folgende aus seinem Tagebuch.



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Bismarck, gesprochen hatte, und rühmte sich, den demokratischen Vorschlag, eine aufrührerische Bewegung in Preußen zu entfachen, weit von sich gewiesen zu haben. Er bat, das Großherzogtum mit Gebietsabtretungen zu verschonen, zumal wenn die Entschädigung auf Kosten Er eines alten, nahen Verbündeten erfolgen sollte. sprach gegen die Mainlinie wie gegen einen süddeutschen Bund und drückte den Wunsch aus, Bismarck möge Hessen wie Sachsen in den norddeutschen Bund eintreten lassen, wenn die Einhaltung der Mainlinie sonst zur Auseinanderreißung des Großherzogtums Veranlassung gäbe. Bismarck erwiderte, Frankreich werde das Übergreifen Preußens über den Main nicht dulden, habe es ausdrücklich verwehrt. Darauf forderte Dalwigk Volksabstimmung; gegen das Resultat eines suffrage universel könne Napoleon nicht protestieren. Bismarck ließ diesen Vorschlag unerörtert 1 ) und verschwieg auch, daß Napoleon selbst angeregt oder befürwortet hatte, das Großherzogtum für den Verlust Oberhessens durch einen Teil der Pfalz zu entschädigen, so daß es aufhöre, eine Brücke zwischen dem Norden und dem Süden zu sein2). — Der Abschluß eines Waffenstillstandes blieb den Heerführern vorbehalten 3 ). Den König sah Dalwigk nicht 4 ). Am Abend des 30. Juli fuhr er nach Wien zurück. Als er hier nochmals mit Beust zusammentraf, waren sie wieder einig darüber, daß aus einem Bunde, der bloß *) Aus Briefen Gagerns. *) S. diese Nachricht bei Rothan, La Politique française en 1866, 322. *) Er erfolgte am 2. August. *) Rothans Nachricht (S. 331), daß Dalwigk eine Audienz verweigert worden sei, ist nach Dalwigks Tagebuch nicht richtig. Hiernach hat Dalwigk gar nicht um eine Audienz gebeten und die Rückkehr des Königs von den Truppeninspektionen, die er unermüdlich vornahm, nicht abgewartet.



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Süddeutschland umfasse, nichts werden könne 1 ), daß daher wenigstens der Zusammenschluß des außerösterreichischen Deutschland zu erstreben sei. Derselben Meinung war auch Varnbüler, während v. d. Pfordten nach der Rückkehr aus Nikolsburg, vielleicht noch in der Erinnerung an die Behandlung, die er dort erfahren hatte, dabei blieb: Mit dem Programm, daß Bayern nie mit Preußen allein in ein Bündnis zu treten habe, sondern nur in ein solches, an welchem Preußen und Österreich teilnehmen, bin ich in mein Amt getreten und halte fest daran, auch für den Fall, daß Bayern allein außerhalb des Bundes bleiben sollte. Eine entgegengesetzte Politik kann ich nicht im Amte vertreten, und wenn sie für Bayern beliebt würde, mag ein anderer sie durchführen 2 ). Die endgültige Entscheidung über die Friedensbedingungen sollte erst in Berlin getroffen werden. Sie hing vor allem davon ab, welche Unterstützung Hessen bei seinen außerdeutschen Gönnern fand. Der russische Gesandte in Wien, Graf Stackelberg, hatte nun freilich Dalwigk bei seinem Besuch am 31. Juli auf den ungünstigen Stand der russischen Finanzen und die inneren Verlegenheiten des Reiches hingewiesen, die Rußlands Energie in der deutschen Politik hemmten 3 ). Doch brauchte Dalwigk dies nicht allzuschwer zu nehmen; denn daß Preußen auf Rußland Rücksicht nehmen werde, stand fest, und er hatte es auch schon in Nikolsburg verspürt 4 ). *) Als österreichischer Minister hat Beust seine Ansicht schnell geändert, s. E. v. Wertheimer, Graf J. Andrassy 1, 244. a ) Äußerung zu Gagern. In dessen Brief vom 20. März 1867 wiedergegeben. 8 ) Dalwigks Tagebuch. 4 ) Der Großherzog hatte sich am 24. Juli mit einem eigenhändigen Schreiben an seinen Schwager um Hilfe gewandt (nach Dalwigks Tagebuch).



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Dagegen war es eine Enttäuschung, daß Gramont, den er an demselben Tage besuchte, ihm gar keine Hoffnungen auf die Unterstützung Frankreichs eröffnete. Als Dalwigk fragte, was Frankreich tun werde, war die Antwort klipp und klar: Nichts. Das wisse er — Gramont — jetzt seit drei Stunden. Preußen habe den Kongreßvorschlag abgelehnt, und daher gebe es für Napoleon nur zwei Möglichkeiten: ou de subir la situation que la Prusse nous a fait ou de protester à la tête de bataillons. Nous ne sommes pas en état de choisir la dernière alternative. La France ne peut commencer une guerre sans être sure du succès. Un échec mettrait la dynastie en question 1 ). Doch gab Dalwigk die Hoffnung nicht auf, daß Napoleon in der Erkenntnis, daß es ein kaum wieder zu verbessernder Fehler sei, wenn er in dieser Krise seine deutschen Freunde im Stiche ließ, doch noch eingreifen werde. Auf seine Veranlassung hatte der Großherzog schon am 24. Juli Napoleon um Hilfe gebeten 2 ); aber erst am 6. August konnte der hessische Gesandte in Vichy dem leidenden Kaiser das Schreiben überreichen 3 ). Der Erfolg entsprach nicht den Erwartungen. Napoleon erklärte zwar, es wünsche niemand mehr als er die Stärke der süddeutschen Union, aber es sei derzeit sehr schwer, in diesem Sinne etwas zu erreichen. Dann machte er eine lange Pause und stellte darauf die vielsagende Frage: Wo ist eigentlich jetzt der Prinz Alexander, ') Nach einem Brief Gagerns an Enzenberg vom 29. August 1866. Das Tagebuch Dalwigks gibt die Äußerung ein wenig anders wieder. Unter anderem ist hier noch betont, daß das Schicksal Frankreichs mit dem der Dynastie verbunden sei. *) Nach La vie militaire du général Ducrot 2, 140 hatten auch die beiden süddeutschen Könige dies getan; mindestens von König Ludwig von Bayern war dies auch Dalwigk bekannt. a ) Die Audienz war, wie einem Brief Enzenbergs an Gagem zu entnehmen ist, zuerst auf den 31. Juli angesetzt worden.

— 109 — und wie erklären Sie sich diese ununterbrochene Reihe von Mißerfolgen des 7. und 8. Bundeskorps ? Der Gesandte sprach von den besonderen Schwierigkeiten, mit denen der Prinz zu kämpfen gehabt habe, der technischen Ungleichheit der Kaliber und der Verschiedenheit der Kommandos usw., merkte aber, daß er wenig Eindruck damit machte. Dann fragte Napoleon, wieviel direkte Steuern Oberhessen entrichte, wieviel die Domänen abwürfen, ob Salz und Steinkohlen da seien, und schloß die Audienz mit den Worten: Vous pourrez dire à Votre Gouvernement que j'écrirai aussitôt e n c o r e u n e f o i s à S. M. le roi Guilleaume, que je répondrai à Votre Souverain et que je ferai encore écrire par M. Drouyn de Lhuys 1 ). Das Ergebnis der Bitte war also nicht gerade eine Ablehnung, aber es ließ sich bereits erkennen, daß Frankreich sich für Hessen nicht übermäßig ins Zeug legen werde, und dabei blieb es dann auch während der Friedensverhandlungen. Zu diesen traf Dalwigk nach einem flüchtigen Besuche Darmstadts am 8. August in Berlin ein. Am folgenden Abend um 11 Uhr wurde er von Bismarck empfangen. Er berichtet über diese Unterredung, die die einzige blieb, die er mit Bismarck bis zur Unterzeichnung des Friedensprotokolls hatte, in seinem Tagebuch 2 ) folgendermaßen: »Bismarck empfing mich anscheinend herzlich, bot mir eine Zigarre an, nachdem er mir die Hand gedrückt hatte, und verlangte dann die Abtretung der Provinz Oberhessen und der Landgrafschaft Homburg mit Meisenheim. Ich entgegnete, daß der Großherzog den höchsten Wert auf die Provinz Oberhessen mit ihren treuen Bewohnern lege, von welcher sein Haus den Namen trage, Homburg sei eine althessische Besitzung, an welche ') Aus einem Briefe Enzenbergs vom 22. August 1866. *) Einzelne Sätze sind aus Dalwigks Bericht an den Großherzog zur Ergänzung eingeschoben.



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sich ruhmvolle Erinnerungen des hessischen Hauses knüpften. Seine Abtretung würde für den Großherzog schmerzlich sein, und der Prinzessin Karl 1 ) würde der Verlust Tränen kosten. Bismarck erwiderte, wenn man sich in Berlin an die Tränen der Prinzessinnen kehren wollte, so würde man gar nichts erhalten. Ich proponierte endlich, Oberhessen und Homburg in den norddeutschen Bund aufzunehmen, während Starkenburg und Rheinhessen im süddeutschen Bunde bleiben würden 2 ). Auf diese Weise erlange Preußen einen zuverlässigen Verbündeten im Norden und einen Freund im süddeutschen Bunde. Die Lage des Großherzogtums auf der Mainlinie sei eine ganz exzeptionelle und könne zu keinen Konsequenzen Anlaß bieten. Außerdem behalte Preußen die sämtlichen Austauschprojekte, welche es anbiete, für sich, stehe sich also im Grunde viel besser, als bei einer einfachen Annexion Oberhessens und des Landgrafentums Homburg. »Bismarck hatte mir nämlich die bayerische Rheinpfalz und dann auf meine Bemerkung, daß dies bei der Nachbarschaft Frankreichs ein unsicherer Besitz sei, Aschaffenburg, den Spessart und selbst Würzburg als Entschädigung angeboten. Bismarck schwankte zuletzt, als ich fest blieb und nur zugab, höchstens könne man das Hinterland mit der Herrschaft Itter gegen ein Äquivalent am Main austauschen. Er sagte, Oberhessen stehe bereits in der Liste der zu annektierenden Bundesteile in dem den Kammern vorzulegenden Gesetzentwurf. Ich erwiderte, daß sich ein solcher Passus des Gesetzes leicht ändern lasse. Endlich sagte mir Bismarck, indem er im Zimmer auf und ab ging: »Nun, reden Sie mit dem Könige«. Ich antwortete, daß ich sehr glücklich sein würde, wenn S. M. mich empfangen wollte, zumal da ich ' ) Sie war die Tochter einer homburgischen Prinzessin und des Prinzen Wilhelm von Preußen. ' ) Diese Teilung hatte Dalwigk selbst am 24. Juli als eine politische Monstrosität bezeichnet (in seinem Tagebuch).



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eigenhändige Briefe des Großherzogs und der Prinzessin Karl zu übergeben hätte. Er notierte mein Audienzgesuch, brachte dann die Rede auf Mainz und fragte, was damit werden solle. Ich erwiderte, daß wir nicht hindern könnten, wenn Preußen die Festung besetzen wolle, daß wir also auch keinen Widerspruch erheben würden. Es scheine mir übrigens am angemessensten, wenn die Kriegsgarnison ganz von Preußen, die Friedensgarnison halb von Preußen, halb von den süddeutschen Staaten gestellt werde.« Man wird bei der Prüfung dieser Schilderung zweifeln, ob Bismarck wirklich die ganze Rheinpfalz angeboten hat oder nur einen Teil, wie das dem Umfang des abzutretenden Gebietes entsprach und wie auch Bray berichtet 1 ). Dalwigk t a t sich jedenfalls später etwas darauf zugute, den »Seelenhandel« abgelehnt zu haben, nicht nur den unsicheren (oder komprimittierenden ?) Gewinn 2 ) der Rheinpfalz, sondern auch den von Unterfranken; er kam in den nächsten Jahren wiederholt darauf zurück, indem er einen Anspruch auf Dankbarkeit Bayerns gegen Hessen aus jenem Verzicht herleitete, und gelegentlich wurde diese Pflicht auch von bayerischer Seite anerkannt 3 ). Nur einem kleinen Austausch, der das Großherzogtum besser abgerundet hätte, wäre er nicht abgeneigt gewesen und hätte vielleicht nicht ungern das Hinterland gegen Gebiete am Main hergegeben. 1

) Denkwürdigkeiten 101. Ebenso auch der französische Geschäftsträger Lefebvre de Béhaine in seinem Bericht vom 10. und 11. August, s. B. d'Harcourt, Les quatres Ministères de M. Drouyn de Lhuys 308. 2 ) In dem eben zitierten Bericht Lefebvres hieß es: Dalwigk s'est récrié en déclarant que son souverain tenait fort peu à s'agrandir sur la rive gauche du Rhin, considérant le voisinage de la France comme p l u s c o m p r o m e t t a n t que jamais dans les circonstances actuelles. s ) So von dem späteren König Ludwig III. i. J. 1868 dem hessischen Gesandten in Wien gegenüber.



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Rein äußerlich waren für die Dynastie Bismarcks Vorschläge vorteilhaft. Zwar wäre Hessen mit dem Verluste Oberhessens völlig vom alten Stammland abgedrängt worden, und es hätte sich dann nur noch mit wenig Recht Hessen nennen können, aber die Hoffnung, die Dalwigk einst auf das Aussterben der Kasseler Linie gesetzt hatte und die seine Politik im Jahre 1851 so stark beeinflußt hatte, daß er sich den Tadel seines Gönners, des Prinzen Emil, zuzog1), mußte j a überhaupt jetzt aufgegeben werden. Die Erbitterung, mit der Bismarck zu Dalwigk über den kurhessischen Prinzen sprach, der zehnmal in Berlin gewesen sei, um die Abdankung des Kurfürsten zu betreiben, um dann auf einmal den zärtlichen Vetter zu spielen, als man gegen den Kurfürsten eine energische Sprache führte 2 ), — sie ließ ihn erkennen, daß Kurhessen verloren war. Der Grund für die Zähigkeit, mit der Dalwigk den Besitz Oberhessens verteidigte, lag vor allem in der ehrenhaften Erwiderung der treuen Gesinnung, die die Oberhessen dem Herrscherhaus entgegenbrachten. Die Dynastie war mit diesem Teil des Landes weit enger verbunden als etwa mit Rheinhessen, das ihr erst seit zwei Generationen angehörte. Es drückte sich dies auch aus in der Art, in welcher Dalwigk am folgenden Tage den französischen Geschäftsträger beeinflußte, für Hessen zu wirken, damit nicht Preußens weitergehende Wünsche sich erfüllten. Er drang, wie Lefebvre nach Paris berichtete 3 ), in ihn, daß x)

Brief des Prinzen an Drachenfels. ') Aus Dalwigks Tagebuch. 3 ) Im Tagebuch Dalwigks wird von dieser »intimen Konversation« nur einiges andere erwähnt, z. B. daß Dalwigk auf Befragen erklärt habe, die süddeutschen Staaten würden im Falle eines Krieges zwischen Frankreich und Preußen nichts tun können, weil sie dazu zu erschöpft seien. Lefebvre fand die Besetzung der Festung Mainz durch Preußen für Frankreich sehr »beunruhigend« und Dalwigk konnte ihm »nur vollkommen recht geben.«



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er seinen Minister veranlasse, einzugreifen. Frankreich möge ohne Verzug die Pfalz und R h e i n h e s s e n besetzen, es werde weder Haß noch besonderen nationalen Vorurteilen — préjugés nationaux très difficiles à surmonter — begegnen. Eine kühne Demonstration Frankreichs werde gewaltigen Eindruck auf die Bevölkerung machen, die jetzt durch die preußischen Siege wie versteinert sei (étourdi et stupéfait). Der Franzose fragte, ob Dalwigk damit nicht eine nur ganz persönliche Ansicht ausdrücke; v. d. Pfordten wenigstens sei offenbar andrer Meinung. Aber Dalwigk wollte dies nicht wahr haben. Auch der bayerische Minister denke wie er, nur müßten sie ja beide schweigen und dürften die Helfer nicht offen anrufen, aber sie wären glücklich, wenn sie die Franzosen endlich kommen sähen. Der Einmarsch französischer Truppen in der Pfalz würde sofort dem dritten Deutschland Mut zum Widerstand gegen die preußischen Überhebungen geben 1 ). Doch zu so kräftiger Politik war Napoleon jetzt nicht zu gewinnen, und die russische Hilfe war daher für Hessen die wirksamere. Die Großfürstin Helene, die am 10. August nach Berlin k a m , verwandte sich dafür, daß Oberhessen bei dem Großherzogtum belassen und damit auch Bayern mit der Abtretung von Entschädigungsstücken an Hessen verschont werde 2 ). Dann traf am 12. August ein Schreiben des Zaren 3 ein ). Der König hatte den General v. Manteuffel nach Petersburg gesandt zur Herbeiführung einer Verständi1

) A u s dem erwähnten Bericht Lefebvres. Vgl. auch Ollivier, L'Empire libéral 8, 525. 2 ) U b e r die Großfürstin, eine Schwägerin Nikolaus' I., vgl. z. B. R. v. Keudell, Fürst und Fürstin Bismarck 84 und 92; Gedanken und Erinnerungen, Anhang 2, 407 und 436. — Uber ihr Eingreifen im August 1866 s. Bray, Denkwürdigkeiten 104. 3 ) Sybel 5, 392. V o g t , Die hess. Politik 1. d. Zelt d. Reichsgründung.

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gung über die deutschen Verhältnisse und zur Orientierung über Rußlands Stellung in dem drohenden Konflikt Preußens mit Frankreich. Daß der Zar in seinem Brief für seinen Schwager eintrat, ließ sich sofort erkennen; denn schon am Abend desselben Tages sagte der König zur Großfürstin: Man wird dem Großherzog wohl Oberhessen lassen müssen 1 ). Auch der Prinz Ludwig entsprach der Bitte seines Oheims und kam am 12. August nach Berlin zum Besuch bei dem Kronprinzenpaar, um die Tätigkeit des Ministers zu unterstützen, und unwirsch sagte Bismarck am 13. zu Lefebvre, Oberhessen werde nicht annektiert werden, die Weiber hätten eben zu viel Einfluß 2 ). Aber dieses Ringen um die Provinz vollzog sich hinter den Kulissen. Die Verhandlungen selbst wurden nach jenem ersten Gespräch nicht weitergeführt trotz Dalwigks dringender Bitten. Auch der offizielle Antrag, den er am 14. August stellte auf Aufnahme Hessens in den Norddeutschen Bund 3 ), hatte nicht den Erfolg, daß die Verhandlungen ihren Fortgang nahmen. Am folgenden Tage setzte es Bismarck allerdings in einer Ministerberatung, der auch der König beiwohnte, durch 4 ), daß die Provinz Oberhessen dem Großherzog belassen wurde. Aber der Grund lag, wie Bismarck später ausdrücklich feststellte 5 ), nicht in Hessens Anerbieten — das hatte nicht so viel Bedeutung und sein Inhalt wäre auch zu e r z w i n g e n gewesen —, sondern »in anderen Rücksichten«, d.h. also in der Rücksicht auf das Ausland. ') Aus Dalwigks Tagebuch; v. d. Pfordten hatte es ihm mitgeteilt. 2 ) Aus Dalwigks Tagebuch. Das Gegenteil glaubte Savigny noch am 14. August, s. ebenda. •) Vgl. Bismarcks Rede im norddeutschen Reichstag am 9. April 1867. 4 ) Dalwigk erfuhr es durch v. d. Pfordten. 5 ) S. die erwähnte Rede Bismarcks.



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Schon meldete die Augsburger Allgemeine Zeitung 1 ), daß Hessen wahrscheinlich den Frieden ohne Gebietsverlust gegen bloße Geldentschädigung erhalten werde. Damit hätte es dieselben Bedingungen erlangt wie Baden, das seinen alten preußenfreundlichen Kurs unterdessen wieder aufgenommen hatte, oder Württemberg, bei dem sich die russische Vermittelung und, wie Varnbüler meinte, die Fürsprache des Herrn v. Below, des Vaters von Varnbülers Schwiegersohne 2 ), sehr wirksam erwiesen hatten. Aber so glimpflich kam Hessen doch nicht davon. Zwar auf Oberhessen verzichtete Bismarck und am 16. August verlangte er von Bayern nur, es solle Hessen für das Hinterland und für die Landgrafschaft Homburg entschädigen. Aber als Bayern sich dagegen wehrte, bestand er nicht darauf 3 ), und Dalwigk wurde zu den Verhandlungen über dieses Projekt gar nicht zugezogen. Trotz aller Bitten mußte er auf die Fortsetzung der Unterhandlungen, ja selbst auf eine Beantwortung seiner Frage nach ihrem Termin warten. Endlich, am 18. August, begann Herr v. Savigny, als Vertreter Bismarcks, mit ihm den Friedensvertrag zu besprechen; aber der Entwurf, den Savigny am 20. August vorlegte, enthielt sehr viel schwerere Bedingungen, als zuvor von Bismarck in Aussicht genommen oder doch von ihm in Nikolsburg gestellt worden waren. Preußen verlangte die Abtretung des hessischen Hinterlandes ohne jede Gegengabe. Dieses Gebiet sollte einen Teil der Kriegsentschädigung darstellen, erklärte Savigny, und er habe die bestimmteste Instruktion, hierin nicht nachzugeben. Die hessische Regierung sei stets die preußenfeindlichste gewesen, sie habe dies von der Lösung der Union an ») Am 15. August, S. 3783. 2 ) Below-Hohendorf war der Freund Bismarcks, bei dem dieser im Winter 1859/60 lange krank gelegen hatte, s. über ihn Gedanken und Erinnerungen 1, 146 und 338. s ) Bray S. 107 f.





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durch alle Phasen des Zollvereins durch eine Feindschaft betätigt, die bis zum diplomatischen Bruch getrieben worden sei. Noch ganz zuletzt habe der Prinz Alexander an verschiedenen Höfen gegen Preußen agitiert und der künftige Thronerbe sogar im letzten Kriege gegen Preußen den Degen gezogen1). Der Wind hatte sich also völlig gedreht. Nicht einmal die Domänen im Hinterland, Familiengut des großherzoglichen Hauses, konnte Dalwigk retten; Savigny lehnte die Forderung mit der Begründung ab, Preußen habe nicht allein mit dem Lande, sondern auch mit dem Landesfürsten Krieg geführt. Ebenso forderte der Sieger die Abtretung der Landgrafschaft Homburg mit Meisenheim2), wofür allerdings Hessen als Ersatz einzelne nassauische und kurhessische Enklaven geboten wurden. Es war offenbar, daß Preußen sich jetzt sicher fühlte. Die Sprache Benedettis war, als er Bismarcks Entschlossenheit und Unnachgiebigkeit erkannte, vorsichtig geworden. Mit den anderen süddeutschen Staaten war Preußen bereits zum Abschluß gekommen, und von dem Zaren durfte es erwarten, daß er, nachdem auf seinen Wunsch hin die Provinz Oberhessen dem Großherzog belassen worden war, keine Einsprache gegen die kleineren Grenzregulierungen erheben werde3). Graf Bray stellte *) Aus Dalwigks Tagebuch. ') Uber den Plan, Homburg dem kurhessischen Thronfolger anzubieten, s. Sybel 5, 392. — Homburg war übrigens dem Großherzogtum noch nicht einverleibt gewesen, sondern nur durch Personalunion verbunden. Die Spielhölle hatte daher weiterbestehen können. — Die im Halberstadtischen liegenden Güter Oebisfelde und Hötensleben verblieben dem Großherzog. *) König Wilhelm schrieb am 20. August an den Zaren: »Ich habe mich nicht an die Person des Unterhändlers gestoßen, der jahrelang die Politik seines Hofes in preußenfeindlicher Richtung erhalten hatte, sondern nur Euren Wünschen Rechnung getragen und bin auf Dalwigks Vorschläge eingegangen. Sybel 5, 393.



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fest, daß die anfangs gegen Darmstadt beobachteten Rücksichten beiseite geschoben und die Friedensbedingungen verschärft wurden nach dem Scheitern von Manteuffels Sendung 1 ). Kaiser Alexander war mit dem Vorgehen Preußens durchaus nicht völlig einverstanden 2 ), aber Preußen zum Schutze der vollen Integrität Hessens in den Arm zu fallen, war er nicht gewillt, und als daher Dalwigk am 20. August, unmittelbar nach den Eröffnungen Savignys, zu dem russischen Gesandten eilte, riet dieser, die Bedingungen anzunehmen. Aber Dalwigk konnte sich dazu nicht so rasch entschließen, und der französische Geschäftsträger Lefebvre stärkte ihm den Rücken. Er sagte ihm, daß Benedetti den bestimmten Befehl habe, für Hessen einzutreten, und wenn auch Dalwigk schon beobachtet hatte, daß Benedetti an dem Großherzogtum nicht viel gelegen war 3 ), so hoffte er doch noch, er werde wenigstens etwas bei Bismarck durchsetzen. Er täuschte sich; sowohl Benedetti wie der russische Gesandte intervenierten noch einmal zugunsten Darmstadts, aber beide vergeblich. Und nun begannen auch die Daumenschrauben zu wirken, die Preußen angelegt hatte. Die absichtlich erhöhten EinDenkwürdigkeiten 117. — Gortschakoff äußerte im Juni 1867 in Darmstadt zu Dalwigk, die Mission Manteuffels sei vollkommen gescheitert. Der arme Manteuffel sei damals in der Lage gewesen, gegen seine bessere Überzeugung sprechen zu müssen, und dieses peinliche Gefühl habe man ihm angemerkt. (Brief Dalwigks vom 20. Juni 1867.) *) Im Juni 1870 äußerte er zu Dalwigk, der ihm damals — wieder einmal — dankte für seine Hilfe: Leider ist nicht das geschehen, was ich gewünscht habe, und Manteuffel wird sich erinnern, was er von mir zu hören bekommen hat. s ) Am 17. August hatte er sich zwar interessierter gezeigt als zuvor, aber doch auch zu Dalwigk gesagt, er habe nur die Interessen Frankreichs zu wahren. Dalwigk gab dies zu und fügte bei, er rede ihm deshalb auch nur soweit von den hessischen Interessen, als sie mit denen Frankreichs gemeinschaftlich seien. Aus Dalwigks Tagebuch.



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quartierungslasten wurden in dem Großherzogtum immer drückender empfunden, der Landesherr und vor allem Prinz Ludwig, aber auch andere drängten auf eiligen Friedensschluß. In der Bevölkerung wurde die Mißstimmung so groß, daß eine Gefahr für die Dynastie, mindestens für den regierenden Fürsten, zu erwachsen schien. So mußte Dalwigk schließlich nachgeben. Zur Strafe für das lange Zaudern wurden in letzter Stunde die Bedingungen noch einmal verschärft. Auch das Amt Königsberg bei Gießen, der Ort Rödelheim und die hessische Hälfte von Niederursel mußten noch abgetreten werden, und das zuvor versprochene Heddernheim blieb preußisch. Resigniert gab Dalwigk den Kampf auf. Am 2. September war die Verständigung erreicht. Neben dem Gebietsaustausch mußte er noch in einiges andere willigen. Das Besatzungsrecht von Mainz und das ganze Post- und Telegraphenwesen in Hessen gingen an Preußen über, und Preußen korrigierte mit dem Schwerte des Siegers das Urteil des Darmstädter Oberappellationsgerichtes, das die preußischen Ansprüche auf die Kölner Kostbarkeiten und Manuskripte, die in der Revolutionszeit nach Darmstadt geflüchtet worden waren, abgewiesen hatte 1 ). Dagegen wurde die Kriegskostenentschädigung auf nur drei Millionen Gulden festgesetzt, also auf eine Summe, die bei dem damals trefflichen Stande der hessischen Finanzen nicht allzu schwer zu ertragen war. Am 3. September, wieder in einer späten Abendstunde, sah sich Dalwigk zum zweiten und letzten Male in diesen Berliner Wochen Bismarck gegenüber zur Unterzeichnung des Vertrages. »Eure Exzellenz haben uns schmerzliche Opfer auferlegt.« »Sie uns noch ein viel schmerzlicheres. Die Provinz Oberhessen ist ein Flecken *) Vgl. darüber »Das Schicksal der i. J. 1794 über den Rhein geflüchteten Wertgegenstande des Kölner Domes, insbesondere die Zurückführung der Manuskriptenbibliothek. 1868.«



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in der preußischen Landkarte«, war die Antwort. Bismarck war anfangs sehr kühl und steif, schrieb Dalwigk in sein Tagebuch, zuletzt etwas wärmer. Und der letzte Eintrag an diesem denkwürdigen Tage war: Um 11 y2 Uhr kam ich mit Hofmann nach Haus und soupierte s e h r v e r g n ü g t im Hotel. Man wird sich darüber nicht wundern. Hessen war in der Gewalt des Siegers, es hätte auch noch strengere Bedingungen über sich ergehen lassen müssen. Nur wenn man das verglich, was Bismarck in Nikolsburg versprochen, mit dem, was er in Berlin dann gewährt hatte, war eine Enttäuschung gerechtfertigt. Dalwigk hatte nach den Erfahrungen im böhmischen Hauptquartier kein Bedenken getragen, die Verhandlungen selbst zu führen. Dies war für Hessen nachteilig. Ein anderer Unterhändler hätte wohl mehr erreicht. Bei König Wilhelm war Dalwigk persona ingratissima. Pfordten sagte ihm dies zwar erst, als der Frieden schon unterzeichnet war, aber Dalwigk hätte es, wenn er es nicht schon zuvor wußte, merken müssen1), und auch Bismarcks Stimmung gegen den hessischen Minister wurde sehr gereizt. Die Ablehnung seiner Vorschläge am 9. August, die Zähigkeit, mit der Dalwigk seine Position verteidigte, und vor allem das hartnäckige Pochen auf die Hilfe des Auslandes2) erzürnten ihn, und er ließ dies Dalwigk persönlich und Hessen sachlich fühlen. Zu dem russischen Gesandten sprach Bismarck von Dalwigk als einem eingefleischten Preußenfeind, auf den er keine besonderen Rücksichten nehme, und der So war ihm die erbetene Audienz nicht gewährt worden. Er mußte am 14. August Bismarck bitten, die Briefe an den König weiterzugeben. *) Am 10. Sept. beklagte sich Bismarck bei Lefebvre darüber, daß Frankreich ihn gezwungen habe, Bayern und Hessen so glimpflich zu behandeln, s. B. d'Harcourt 318. — Der Zweck dieser Klage ist durchsichtig.



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sich benähme und eine Sprache führe, als sei Hessen der Sieger1), und als der Frieden abgeschlossen war, äußerte Bismarck am 4. September zu dem Grafen Bray, er habe einen Bündnisvertrag — wie er ihn mit den anderen süddeutschen Staaten zugleich mit dem Friedensvertrag eingegangen war, — mit Dalwigk nicht abschließen können, weil auf dessen Verschwiegenheit nicht streng zu rechnen sei2). Wenn man sich erinnert, daß die Bedingungen, besonders für Bayern, n a c h dem Abschlüsse dieses Bündnisvertrages sehr milde ausfielen, so liegt es nahe zu folgern, daß es auch für Hessen vorteilhaft gewesen wäre, ein solches Bündnis einzugehen, daß die Person Dalwigks hier nicht am Platze war, und daß die Beziehungen zu dem Auslande, speziell zu Frankreich, so nützlich sie anfänglich schienen, im ganzen doch auch ihren Nachteil für Hessen hatten 3 ). Daß Dalwigk auf diese Beziehungen nicht verzichten werde, stand fest. Als ihm der Prinz Ludwig in Berlin die Hoffnung aussprach, der Brief des Großherzogs an Napoleon möchte der letzte gewesen sein, der von Hessen nach Frankreich gerichtet wurde, wahrte er sich ausdrücklich das Recht, die Freundschaft des Auslandes auch weiterhin ebenso zu pflegen, wie die deutschen Großmächte sich nicht scheuten, dies zu tun. Das Verlangen, daß der Großherzog zugunsten seines Bruders oder seines Neffen auf die Krone verzichte, wurde, schon mit Rücksicht auf den russischen Schwager, Am 29. August. Nach Dalwigks Tagebuch. ) Bray 115. 3 ) Bray fügt hinzu, ein weiterer Grund für den Verzicht auf das Bündnis sei wohl auch der gewesen, daß durch den Eintritt Oberhessens in den norddeutschen Bund für die Politik des ganzen Großherzogtums genügende Gewähr geboten war. — Bismarck hielt aber doch wenig später einen Allianzvertrag auch mit Hessen für nützlich, s. unten S. 140. s



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nicht gestellt, noch auch die Forderung, daß Oberhessen in Zukunft nur durch Personalunion mit Südhessen verbunden sein sollte 1 ). Aber zu dem norddeutschen Bunde mußten die nördlich des Mains gelegenen Teile des Großherzogtums treten, und das hieß nach der strengen Interpretation des Siegers nicht nur Oberhessen, sondern auch die nördlich des Mains gelegenen Teile Rheinhessens. Die Situation war damit für Hessen sehr schwierig geworden, und es war ein geringer Trost, daß auch im alten deutschen Bunde einzelne Staaten mit einem Teile ihres Gebietes drinnen, mit dem anderen draußen gestanden hatten. Tröstlicher war, daß Deutschland sich offenbar in einem Übergangszustand befand. Es mußte sich über kurz oder lang entscheiden, ob Preußen die Einigung des außerösterreichischen Deutschland unter seiner Hegemonie vollenden werde, oder ob es auf die soeben gewonnene Position wieder Verzicht leisten müsse. Die Antwort auf diese Frage mußte auch die Entscheidung über die Zukunft Hessens und über die Richtigkeit der Politik Dalwigks bringen. *) Beide Bedingungen wurden in der Presse behandelt.

IT.

Im Norddeutschen Bund bis zu dem Deutsch-französischen Krieg. Die Politik Hessens in den Jahren nach dem Kriege gewährt ein wenig erfreuliches Bild. Wie das Land zerrissen war in zwei Teile, von denen der eine der Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes unterlag, der andere davon frei blieb, und wie diese Trennung sich auf den verschiedensten Gebieten der inneren Verwaltung geltend machte, so hatte auch die auswärtige Politik des Landes ein doppeltes Gesicht. Sie konnte nicht so geleitet werden, daß der Staat bei einer kriegerischen Auseinandersetzung auf die Seite der Gegner Preußens zu stehen kam, aber Hessen war doch auch nicht, wie Sachsen, mit dem es zuvor so vielfach gemeinsam gehandelt hatte, ganz in den Norddeutschen Bund aufgenommen worden; es durfte mit seiner Südhälfte noch immer selbständig hohe Politik treiben. Das Nächstliegende wäre gewesen, den Anschluß an den Nordbund rückhaltlos zu vollziehen und, solange Südhessen noch nicht eintreten durfte, auch hier alle Verhältnisse nach Möglichkeit den neuen oberhessischen nachzubilden, um damit den Eintritt des ganzen Landes vorzubereiten. Ein Ministerwechsel hätte dies erleichtert. So wie in Sachsen. Dort war Beust, freilich auf Bismarcks



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Verlangen, entlassen worden, und sein Nachfolger hatte erklärt: Wir stehen am Anfange einer neuen Zeit, in der wir uns gar nicht zurecht finden können, wenn wir nicht mit frischem Mute, nicht mit dem festen Entschlüsse in die neuen Verhältnisse eintreten, ehrlich und offen an denselben festzuhalten und das Vergangene zu vergessen1). Aber zu solcher Schwenkung konnte sich Ludwig III. nicht entschließen. Der Dank für das, was Dalwigk in den Wochen nach der Katastrophe gerettet hatte, überwog bei weitem die Kritik an der Führung, die den Staat und die Dynastie in Lebensgefahr gebracht hatte. Zeitweilig schien zwar die Stellung Dalwigks erschüttert, und auch Prinz Alexander äußerte im Herbste bei seiner Anwesenheit in Wien Zweifel, ob der Minister sich werde halten können. Aber das ging bald vorüber. Ein durchaus geeigneter Nachfolger fehlte 2 ), und den preußenfreundlichen Kurhessen, den Kammerherrn Schenk von Schweinsberg, den Vater einer Hofdame der Prinzessin Alice, zu wählen, verspürte der Großherzog schon deshalb wenig Lust, weil er der Kandidat des Prinzen und der Prinzessin Ludwig war 3 ). Da nun aber ein absoluter Zwang, sich von seinem Minister zu trennen, nicht vorlag 4 ) und es auch der persönlichen Neigung des Großherzogs durchaus entsprach, die hergebrachten Bahnen möglichst wenig zu verlassen, so saß Dalwigk bald wieder fest im Sattel und wartete ab, ob Hessen noch einmal berufen sein werde, eine Rolle zu spielen. Er war überzeugt, daß das Ausscheiden Österreichs aus dem Bunde nur eine Episode bilden werde, er erhoffte R. v. Friesen, Erinnerungen aus meinem Leben 2, 354. *) Weder Gagern noch Geheimerat Maurer konnte dafür gelten. 3 ) Prinzessin Alice hatte in dem oben S. 10t erwähnten Brief Schenk als Nachfolger Dalwigks vorgeschlagen. 4 ) Die gegen Dalwigk gerichtete Adresse an den Großherzog bedeutete einen solchen Zwang nicht, ganz abgesehen von der geringen Beteiligung, die sie fand. S. Augsbg. Allg. Zeit., S. 3654; 3781; 3845.



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von der Zukunft ein besseres Zusammenspielen Österreichs mit Frankreich und dann eine Korrektur des Friedens, des »Waffenstillstandes« von Prag und Berlin. Diese Hoffnung hegte er um so zuversichtlicher, als jetzt sein Freund Beust Nachfolger Mensdorffs wurde, und damit der Mann die auswärtige Politik Österreichs zu leiten begann, der, wenigstens nach seiner eigenen und nach Dalwigks Ansicht, das ganze Unglück hätte verhüten können, wenn er nur schon früher an die schwierige Stelle in Wien berufen worden wäre 1 ). In der Tat zog' mit Beusts Amtsantritt wieder ein energischerer Geist am Ballplatz ein. Beust verkündigte es als sein Programm, daß Österreich nicht wieder warten dürfe, bis ihm in wichtigen europäischen Fragen von anderen die Karten zurechtgesteckt würden, weil es versäumt habe, sie sich zur rechten Zeit selbst zu stecken. Dies bezog sich zwar zunächst auf die orientalische Frage 2 ), aber schon bei dem Abschluß des Schiffahrtsvertrages mit Frankreich ließen seine Liebeswerbungen nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig 3 ). Die Hoffnung, die Dalwigk auf eine neue Orientierung der österreichischen Politik setzte und auf ihre Erfolge, war also nicht unbegründet. Inzwischen aber hieß es warten und das tun, was er in seinem engen Wirkungskreis ' ) Vgl. dagegen z. B. Ernst v. Plener, Erinnerungen 1, 91. ) Vgl. jedoch bei Wertheimer, Andrassy 1, 457 das Urteil, daß Beust an der orientalischen Frage nicht viel gelegen war. ®) Gramont hatte bei dem Schluß der Verhandlungen seine Hoffnung auf ein engeres »Rapprochement« ausgedrückt. Nach der formellen Unterzeichnung hielt Beust dann eine Rede, in der er Frankreich die Hand weit entgegenstreckte; er erklärte in bezug auf den Schiffahrtsvertrag und darauf, daß sich Österreich die französischen Prinzipien nun auch angeeignet habe: »L'Autriche en suivant les lois de navigation que la France a déjà pris depuis longtemps, espère dorénavant ne plus faire naufrage. « (Aus einem Brief Gagerns.) — Vgl. auch W . Alter, Deutschlands Einigung und die österr. Politik, Deutsche Rundschau 145 (1910), 106. 2



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für dieses Ziel allein tun konnte, nämlich: die Konsolidierung des außerösterreichischen Deutschland zu einem Großpreußen nach Möglichkeit hemmen. In diesem Sinne hat Dalwigk denn auch in den folgenden Jahren mit Erfolg gewirkt. Obwohl er mit einem Teile seines Landes dem Norddeutschen Bunde angehörte, hat er, wo immer es ihm möglich war, der preußischen Politik entgegengearbeitet und nur versucht, — auch dies nicht immer erfolgreich, — seine Politik mit einem äußerlich korrekten Erfüllen der Bundespflichten in Einklang zu halten. Er schrieb am 10. November an Gagern, daß er die Hoffnung auf ein Wiederaufrichten der schwarz-rotgoldenen Fahne nicht aufgeben könne. »Ich möchte daher nicht, daß meine persönlichen Gefühle überall mit den Handlungen der Großh. Regierung identifiziert würden.« Es war natürlich, daß dieser Wunsch sich nicht erfüllte. Mißtrauisch wurde seine Haltung beobachtet und, da man seine Gesinnung kannte, auch in Regierungsakten, die anders ausgelegt .werden konnten, eine Spitze gegen Preußen gesucht und gefunden 1 ). Die Proklamation, die der Großherzog am 17. September an sein treues Volk richtete, stellte das Programm für die hessische Politik auf. Die wichtigsten Sätze lauteten: »Wir haben nicht bloß die Wunden zu heilen, welche der Krieg unserem Hessen geschlagen hat; wir haben auch mit der Neugestaltung unseres gemeinsamen deutschen ') Der sächs. Minister v. Friesen schreibt in seinen Erinnerungen 3 , 1 8 : Bismarck sah Dalwigk für einen seiner entschiedensten persönlichen Gegner an, und der Großherzog hatte noch nicht den geringsten Schritt getan, um eine persönliche Annäherung an den Berliner Hof zu bewirken. Der hess. Bevollmächtigte Hofmann befand sich daher in einer noch schwierigeren Lage als ich und mußte mit großer Vorsicht und Klugheit alles vermeiden, was Anlaß zu Mißtrauen gegen seine Regierung hätte geben können (zu dem Anfang des Jahres 1867).



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Vaterlandes in einer die gerechten nationalen Ansprüche befriedigenden Weise zu beginnen. Der alte Rechtsboden, auf dem wir hätten fortbauen können, ist zusammengebrochen. Wir müssen nun die Vervollkommnung des durch die Macht der Tatsachen geschaffenen neuen Rechtszustandes zum Gegenstande unserer Sorge machen. Mein eifriger Wunsch war, den Bund, welcher dermalen den Norden Deutschlands umfaßt, auf das ganze, große Vaterland ausgedehnt zu sehen. Rücksichten, deren Beseitigung nicht in meiner Macht lag, standen bis jetzt der Erfüllung meines Wunsches entgegen. Aber wie ich stets seit meinem Regierungsantritt neben dem Wohle meines hessischen Landes das Glück und die Größe des gemeinsamen deutschen Vaterlandes und die Kräftigung des dasselbe umschlingenden Bandes angestrebt habe, so werde ich auch für die Zukunft dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren. Ich rechne dabei auf das Vertrauen und die Unterstützung meines guten und bewährten Volkes.« Davon daß Hessen auch allein jn den Norddeutschen Bund eintreten wolle, wie Dalwigk es in Nikolsburg und Berlin angeboten hatte, war hier nicht die Rede, wohl aber davon, dem Norddeutschen Bund eine größere Ausdehnung zu geben, wobei es jedem Hessen überlassen blieb, ob er sich das »ganze, große Vaterland« ohne Österreich vorstellen konnte. Gelegenheit, seinen Standpunkt ausführlicher darzulegen, fand Dalwigk in den folgenden Monaten in einem Briefwechsel mit zwei oberhessischen Standesherren. Fürst Ludwig zu Solms-Lich1) fragte als Präsident der ersten hessischen Kammer an, ob die Regierung, was er für das allein Zweckmäßige halte, die diplomatische Vertretung für das ganze Land an Preußen überlassen *) Er war als Grundbesitzer in der Rheinprovinz Mitglied def preuß. Staatsrates und des Herrenhauses, seinerzeit auch Marschall des Vereinigten Landtages.



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und die für Oberhessen zu treffenden militärischen Einrichtungen auch auf die anderen Provinzen übertragen wolle. Er fügte hinzu: »Diese beiden Punkte werden das allein entscheidende Kennzeichen sein, ob die Regierung, wie es jetzt doch offenbar notwendig ist, aufrichtig Preußen sich anzuschließen gesonnen ist.« 1 ) In Dalwigks Antwort hieß es u. a.: »Ich betrachte es als selbstverständlich, daß der Oberbefehl über die ganze Großh. Armeedivision, nicht bloß über das oberhessische Kontingent, im Kriegsfalle auf Preußen übergeht. Was aber in bezug auf die militärische Organisation der zum Norddeutschen Bunde gehörigen Länder zu geschehen hat, darüber scheint man in Berlin selbst noch zu keiner festen Ansicht gelangt zu sein, und es ist mir deshalb auch unmöglich, mich jetzt schon darüber auszusprechen, ob und inwieweit eine solche militärische Organisation der Norddeutschen Bundesstaaten auf die Provinzen Starkenburg und Rheinhessen übertragen werden sollte und könnte.« »Eure Durchlaucht nehmen an, daß die diplomatische Vertretung des Großherzogtums für die Provinz Oberhessen nach dem Friedensschlüsse auf Preußen übergehe. Für diese Ansicht fehlen indessen die tatsächlichen Unterlagen. Den Staaten des Norddeutschen Bundes ist das Recht der selbständigen diplomatischen Vertretung nirgends entzogen. Für Berlin hat die Kgl. Preußische Regierung die Ernennung eines geschäftskundigen diesseitigen Repräsentanten ausdrücklich gewünscht und wird ein solcher in der Person des Geh. Legationsrates Hofmann in Kürze dahin abgehen. Die Sorge für die in Paris sich in stets wachsender Zahl aufhaltenden Hessen können wir keinem Diplomaten anvertrauen, welcher der Großh. Regierung nicht verantwortlich ist, von ihr keine Weisungen zu empfangen und ihr keine Berichte zu erstatten hat. ») Lieh den 8. Okt. 1866.



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Den Fortbestand des Wiener Gesandtschaftspostens aber halte ich für ganz unerläßlich, solange der dermalige Zustand, bei welchem Deutschland faktisch zu existieren a u f ' gehört hat, in seiner provisorischen Gestalt fortdauert. Ich glaube, daß niemand in Deutschland daran denkt, die Verbindung mit Österreich und seinen 10 Millionen deutscher Untertanen ganz zu lösen. Ich nehme an, daß längstens in zwei Jahren der zweite und hoffentlich letzte Akt des großen deutschen Dramas zur Aufführung kommt. Es wird sich dann entscheiden, ob Preußen die Krone eines großen und gewaltigen Deutschlands tragen oder ob ein festes föderatives Band an die Stelle des jetzigen Zustandes treten soll. In beiden Fällen werden die von E. D. aufgeworfenen Fragen endgültig mitentschieden werden. Ich kann mich für jede dieser Lösungen interessieren, aber für keine dritte. — In der dermaligen Lage ist ein aufrichtiger Anschluß an Preußen unerläßlich, aber es liegt kein Grund vor, diesen Anschluß unverlangt bis zu einem Aufgehen in den preußischen Staat auszudehnen und freiwillig eine Rolle zu übernehmen, die schwerlich allgemein befriedigen würde.«1) Eingehender und auch freundlicher sprach sich Dalwigk dem Grafen Otto zu Solms-Laubach gegenüber aus, der sich im Dezember bei ihm entschuldigte, daß er auf dem bevorstehenden Landtage nicht erscheinen werde, und dies u. a. auch damit begründete, daß er in die Lage kommen könnte, der Regierung nicht angenehm zu sein. »Ew. Exzellenz wissen, daß ich die Politik der Großh Regierung in der letzten Krisis treu unterstützt habe Die Erfolge haben unseren Erwartungen nicht entsprochen, eine unerwartete Gestaltung der deutschen Verhältnisse ist eingetreten. Ohne Einmischung des Auslandes, ohne Erneuerung des Bürgerkrieges, ohne Verwüstung unseres deutschen Vaterlandes steht meiner Überzeugung nack eine Änderung dieser Verhältnisse nicht zu erwarten. Icl Antwort vom 13. Okt. 1866.



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sehe es daher als patriotische Pflicht an, den aus dem letzten Krieg unter Gottes Zulassung sich ergeben habenden Zuständen sich zu fügen, sie zu akzeptieren und dahin zu wirken, daß auf dem gegebenen Boden nach und nach ein starkes, einiges Deutschland aufgebaut werde, dessen Aufgabe es sein muß, eine innige Allianz mit Österreich zu erstreben, wenn einmal die jetzt noch zu heftigen Leidenschaften sich abgekühlt haben werden. Wo die Stärke Deutschlands zu finden ist, das haben die neuesten Ereignisse gezeigt; die Tatsache ist nicht abzuleugnen, daß Preußen die Fähigkeit und die Kraft besitzt (zumal wenn unterstützt von den süddeutschen Staaten), die Integrität Deutschlands zu verteidigen und zu schützen. Ein Niederwerfen Preußens würde nur mit Hilfe des Auslandes möglich sein, wäre daher gleichbedeutend mit der Knechtung, wenigstens der Wehrlosmachung Deutschlands. Bei dieser Überlegung finde ich den einzigen Weg, Deutschland nach und nach zu einigen, in einem Anschluß der süddeutschen Staaten an Preußen in militärischer Hinsicht und in der diplomatischen Vertretung der deutschen Staaten im nichtdeutschen Ausland durch Preußen. Bei dieser meiner kurz angedeuteten Uberzeugung würde ich auf dem bevorstehenden Landtag in eine unangenehme Lage kommen, man würde mich, wie es anderen bereits ergangen ist, beschuldigen, den Götzen »Erfolg« anzubeten. Derartigen Vorwürfen und Anfeindungen würde ich um so weniger entgehen, als die leidenschaftliche Stimmung gegen Preußen, die ich übrigens sehr begreiflich finde, noch in sehr hohem Grade besteht; — namentlich zeichnet sich die Mehrzahl meiner Standesgenossen in der Kammer dadurch aus. Ich würde also nicht allein in der Kammer, sondern auch in geselliger Hinsicht in einer mir unerträglichen Lage mich befinden und vielleicht auch der Großh. Regierung auf demLandtag nicht angenehm sein1).« l

) L a u b a c h den 11. D e z e m b e r

1866.

V o g t , Die hess. Politik i. d. Zeit d. Reichsgründung.

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Auf diesen würdigen und klugen Brief antwortete Dalwigk mit einer Verwahrung, daß er nicht so unstaatsmännisch sei, um Gefühlspolitik zu treiben und um nicht von der Notwendigkeit eines festen, aufrichtigen Anschlusses an Preußen durchdrungen zu sein, und er erklärte: »So tief ich die Wendung in den Geschicken Deutschlands durch die Ereignisse des letzten Krieges beklagt habe, so würde keine Regierung mit mehr Eifer ihre militärischen Mittel Preußen zur Verfügung stellen, als die hessische, wenn es sich darum handeln sollte, die Einmischung des Auslandes abzuwehren und deutsches Gebiet zu schützen. Leider wird voraussichtlich in wenigen Jahren dieser Fall eintreten. Er hätte vermieden werden können, wenn man sich in Berlin nach der Schlacht von Königgrätz auf den deutschen, statt auf den preußischen Standpunkt hätte stellen wollen, wenn man, statt die französischen Ansprüche zu berücksichtigen und den Süden sich selbst zu überlassen, ein deutsches Kaiserreich proklamiert hätte. Hätte König Wilhelm unter dem vollen Eindruck seiner Siege sich in Frankfurt die deutsche Kaiserkrone auf das Haupt gesetzt, hätte er die Existenz alter Fürstenhäuser und die berechtigten Gefühle der Einzelstämme geschont, dagegen die Zugeständnisse und Beschränkungen der Einzelsouveränitäten gefordert, welche nötig sind, um die Autorität und die Kraft der kaiserlichen Würde zu erhalten, so würde das ganze deutsche Volk Preußen zugejubelt und die einzelnen Unzufriedenen nicht gewagt haben, ihre Stimme laut werden zu lassen. Das Ausland aber hätte sich gehütet, uns zu bedrohen oder anzugreifen. Im Gegensatz dazu will ich Ew. Erlaucht das traurige Bild der Gegenwart, der Zerrissenheit unseres armen deutschen Vaterlandes, der Trostlosigkeit seiner Zukunft nicht ausmalen. Ich habe wenig Hoffnung, aber noch Mut genug, zu versuchen, ob es uns unter Preußens Führung gelingt, ein starkes, einiges Deutschland auf den dermalen tatsächlich gegebenen Grundlagen aufzubauen.



131 —

Ich habe in Nikolsburg wie in Berlin wiederholt den Wunsch ausgesprochen, daß das Großh. Hessen in seinem ganzen Umfange in den Norddeutschen Bund aufgenommen werden möge. Die Rücksichten auf Frankreich und die Besorgnis vor den liberalen Elementen Süddeutschlands standen aber preußischerseits einer Überschreitung der Mainlinie entgegen. — Es bleibt uns also hier nur übrig, jeden Versuch zum Abschlüsse eines Süddeutschen Bundes abzulehnen, um die Möglichkeit einer demnächstigen Ausdehnung des Norddeutschen Bundes auf den Süden zu erleichtern.« Dann setzte er noch kurz auseinander, warum er die Aufrechterhaltung der hessischen Gesandtschaften, wenigstens für die nächste Zeit, für nötig halte, und drückte die Hoffnung aus, daß der Graf als Abgeordneter im Norddeutschen Reichstag für Hessen ersprießlich wirken werde 1 ). Dalwigks Kredit bei den Empfängern dieser Briefe war aber doch nicht so groß, daß er sie durch seine Verteidigung überzeugt und für sein Programm gewonnen hätte. Sie blieben beide den Verhandlungen der Ständekammern fern 2 ). Als diese eröffnet wurden, sprach die Regierung nicht nur von der Hoffnung auf die künftige Einheit und Größe Deutschlands, sondern sie wälzte auch, wie Dalwigk es in jenen Briefen getan hatte, die Schuld an der schwierigen Lage des Landes von sich ab, indem sie die Hindernisse bedauerte, die den Eintritt Gesamthessens in den Nordbund unmöglich machten 3 ). ') Antwort vom 12. Dezember 1866. *) Ebenso der Graf v. Solms-Rödelheim; dagegen trat der Fürst von Ysenburg-Wächtersbach ein. Von den anderen zur Standschaft Berechtigten waren der Fürst von Braunfels, die Fürsten von Leiningen, von Löwenstein-Wertheim und der Graf von Stolberg-Ortenberg auch zuvor nicht auf den hessischen Landtagen erschienen. (Nach einem Brief Dalwigks an Gagern.) 3 ) Am 22. Dezember, s. Beilage zu den Verhandlungen. 9*



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Bald aber zeigte es sich, daß Dalwigk in Wirklichkeit jetzt, da der Sturm vorübergezogen war, gar keine Lust hatte, den Eintritt des ganzen Großherzogtums in den Nordbund ohne die anderen süddeutschen Genossen zu vollziehen, auch wenn die Hindernisse nicht mehr unüberwindlich waren. Als Ziel seiner Politik sollte jetzt gelten: Gemeinsamer Eintritt sämtlicher süddeutscher Staaten unter günstigen, d. h. für die Selbständigkeit der Einzelnen günstigen Bedingungen in den Nordbund, wenn möglich in einer Weise, die Österreich nicht völlig ausschloß. Da er aber überzeugt blieb, daß kriegerische Ereignisse nahe bevorständen, bei denen Österreich und Frankreich sich gegen Preußen zusammenfinden würden, und da dann die ganze Entwicklung auf ein anderes Geleise geführt werden konnte, so hielt er sich vor allem für diese Eventualität bereit. Auch den Südbund wünschte er, wie er schon dem Grafen von Laubach erklärt hatte, vorläufig nicht entstehen zu sehen, zumal eine solche Organisation für das halb zum Nordbunde gehörige Hessen besondere Schwierigkeiten mit sich bringen mußte. »Das leise Drängen Frankreichs auf Abschluß eines Südbundes«, so schrieb er am 3. Januar 1867 an Gagern, »hat mich sehr mißtrauisch gemacht.« Er sah darin einen »Rheinbundsköder, den Preußen den Franzosen hingeworfen« habe. »Ich habe dem französischen Gesandten ganz offen erklärt, daß sein Gouvernement den Augenblick, in dem es Deutschland vor revolutionären Gewalttaten habe schützen und sich Ansehen und Vertrauen habe erwerben können, versäumt habe; daß es bei späteren Plänen auf keine Unterstützung der Mittelstaaten rechnen könne, und daß man hier, . . . bei aller gerechtfertigten Erbitterung gegen Preußen, dennoch demselben fest zur Seite stehen werde, wenn es sich darum handle, das linke Rheinufer zu verteidigen.«

— 133 — In seinen Briefen an Heinrich von Gagern schlug Dalwig gern so deutsche Töne an und rühmte sich seiner festen Haltung gegenüber dem französischen Gesandten. Erst aus den Taten in der Folgezeit ließ sich erkennen, wieweit er damit seines Herzens wahre Meinung offenbart hatte. Die verschiedenen Auffassungen über das Verhältnis Süddeutschlands zu Preußen kamen zum Ausdruck auf den Ministerkonferenzen, die auf Veranlassung des neu ernannten bayerischen Ministerpräsidenten Hohenlohe in Stuttgart zusammentraten. Es sollte eine Verständigung über die Grundlagen einer gemeinsamen Wehrverfassung in den süddeutschen Staaten gesucht werden; doch hatten die Minister der beiden Königreiche schon verabredet, gemeinsam vorzugehen, auch wenn Baden und Hessen den Anschluß verweigerten 1 ). Die Verhandlungen begannen am 3. Februar und wurden an den beiden folgenden Tagen fortgesetzt und beendet. Dalwigk hatte eine Beteiligung zuerst ablehnen wollen, weil er selbst mit Preußen über die militärischen Verhältnisse Hessens verhandelte. Hofmann war nämlich im Dezember mit sehr drückenden Bedingungen aus Berlin gekommen; die Heereslasten, die Hessen für seine Nordprovinz tragen sollte, waren doppelt so groß als zuvor, sie betrugen zwei Drittel des bisherigen Etats für ein Drittel des Landes, und Preußen drohte, seine Forderungen ev. durch Militärexekution zu erzwingen. Darauf wurde in den Weihnachtstagen beschlossen, die ganze Division ungetrennt und in eigener Verwaltung unter preußischen Oberbefehl zu stellen. — Hessen war also nicht mehr frei, aber trotzdem wünschte Preußen die Beteiligung Hessens an den Verhandlungen, und so erschien Dalwigk mit dem neuen Leiter des hessiDenkwürdigkeiten

1, 194 ff.

des Fürsten Chlodwich zu Hohenlohe



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sehen Kriegsministeriums, dem General v. Grolmann 1 ), in Stuttgart. Der badische Minister v. Freydorf forderte hier gleich bei der Beratung der prinzipiellen Punkte, daß für die gemeinsamen Maßregeln vor allem das nationale Streben nach der Einigung Deutschlands maßgebend sei; dieses erheische aber dringend einen unumwundenen Anschluß an die preußische Wehrverfassung. Baden beantragte daher eine Kundgebung, die sich bestimmter aussprach als der vorgelegte bayerische Entwurf, nämlich so: Die versammelten Vertreter der vier süddeutschen Regierungen erkennen es als ein nationales Bedürfnis, die Wehrkräfte ihrer Länder nach den Prinzipien der preußischen Wehrverfassung einzurichten, so daß sie als Bestandteile eines deutschen Heeres im Kriegsfalle verwendbar werden.« Hiergegen machten Dalwigk und dann auch Vambüler geltend, daß nach dieser Fassung »die sofortige Bildung einer der preußischen Wehrverfassung nicht bloß nachgebildeten, sondern ganz homogenen Heereseinrichtung für notwendig erklärt zu sein scheine«, es beständen aber hauptsächlich wegen des Kostenpunktes gegen einzelne Partien der preußischen Wehrverfassung bei der Bevölkerung Süddeutschlands Bedenken. Hohenlohe vermittelte. Die beiderseitigen Standpunkte seien im wesentlichen dieselben, aber der badische Antrag sei mißverständlich und entspreche in der vorgeschlagenen Fassung nicht vollständig der d e r m a l i g e n Gestaltung der politischen Verhältnisse Süddeutschlands. Die Kompromißformel verlangte dann die Erhöhung der Wehrkräfte »unter einer den Prinzipien der preußischen nachgebildeten Wehrverfassung, welche sie zur Wahrung der nationalen 1 ) Das Folgende, das die Aufzeichnungen Hohenlohes ergänzt, nach dem offiziellen Protokoll des württembergischen Legationsrates v. Soden. — Das Endergebnis s. Aegidi und Klauhold, Staatsarchiv 12 nr. 2733.



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Integrität in Gemeinschaft mit dem übrigen Deutschland geeignet« mache. Ebenso wünschte Baden bei der Beratung eines späteren Paragraphen 1 ), in dem erklärt wurde, daß die Armeen so gleichartig eingeteilt und ausgerüstet werden sollten, wie »zu deren gemeinschaftlicher Aktion notwendig sei«, daß hinzugesetzt werde: zu gemeinschaftlicher Aktion »mit dem übrigen Deutschland«. In der Hohenloheschen Kompromißformulierung: »zu gemeinschaftlicher Aktion unter sich und mit dem übrigen Deutschland« fand auch dieser Paragraph, wie das ganze, teilweise von den Kriegsministern in Sondersitzungen beratene Programm seine einstimmige Annahme. Doch wahrte sich Baden, entsprechend seiner ganzen Haltung zu dem deutschen Verfassungsproblem, ausdrücklich das Recht zu militärischen Vereinbarungen mit Preußen und den norddeutschen Staaten, und Dalwigk gab denselben Vorbehalt zu Protokoll »in Anbetracht der eigentümlichen Stellung, welche die hessische Regierung dem zu gründenden Norddeutschen Bunde gegenüber einzunehmen haben werde «. Tatsächlich schien es, als wenn die Beteiligung Hessens an dieser süddeutschen Vereinbarung unnötig gewesen wäre. Die »eigentümliche « Stellung Hessens gegenüber dem Nordbunde mußte nicht nur zu einer Verständigung mit Preußen über die Militärverfassung von ganz Hessen führen, wenn das Kontingent nicht zerrissen werden sollte. Preußen selbst, das früher den Eintritt Gesamthessens in den Nordbund, also die Überschreitung der Mainlinie, abgelehnt hatte, glaubte jetzt, wie Dalwigk am 7. März nach Wien schrieb, auf Frankreich keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen, und wünschte also nunmehr den Eintritt auch von Südhessen. Es war dafür bereit, in militärischer Beziehung die günstigsten Bedingungen zu ge*) In der endgültigen Redaktion ist es § IV.



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'währen. »Das Schicksal Badens, dessen Regierung den Eintritt in den Norddeutschen Bund sehnlichst wünscht, •wäre damit entschieden, und Württemberg und Bayern würden dann dem preußischen Drucke schwerlich widerstehen. Wir haben also hier die Entwicklung der deutschen Dinge wieder einmal in der Hand.« Aber es gelüstete Dalwigk nicht nach dem Ruhme, den einst sein Vorgänger Du Thil erworben hatte, da er sich dem preußischen Zollverein anschloß und damit der wirtschaftlichen Einigung Kleindeutschlands die Brücke über den Main schlug. Er hatte um den Eintritt in den Norddeutschen Bund nur gebeten, als er hoffte, dadurch günstigere Friedensbedingungen zu erlangen. Nun aber wollte er die große Auseinandersetzung zwischen Bismarck und Napoleon noch abwarten und sich nicht allzufrüh der Möglichkeit begeben, bei dieser Krisis eine selbständige Politik zu treiben. Auch der künftige hessische Thronfolger konnte ihn nicht umstimmen. »Prinz und Prinzessin Ludwig«, heißt es in dem vorher erwähnten Briefe, »drängen mich mit Bitten und Beschwören, nachzugeben, mir ein unsterbliches Verdienst um die deutsche Nation zu erwerben, durch den Anschluß die freiheitliche Partei im Norddeutschen Parlament zu stärken usw. Ich habe aber sehr kühl erwidert, daß ich im Norddeutschen Bunde keine Garantie für Deutschlands Zukunft, in den preußischen Kasernen keine Zuflucht für deutsche Freiheit und in der preußischen Regierung keine Spur von deutscher Gesinnung erblicken könne. Auch werde der europäische Friede nicht gesichert, wenn die preußischen Vorposten bis auf eine Stunde von Straßburg vorgeschoben würden. Ich halte also fest. Sollte aber die zweite Kammer in Darmstadt durch ein Votum den Eintritt in den Norddeutschen Bund als wünschenswert bezeichnen, so würde meine Aufgabe unendlich erschwert werden.«



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Dalwigk hatte im Juni 1866 die ihm äußerst unbequeme 1 ) Kammer vertagt, sie dann im Oktober ohne nochmalige Berufung aufgelöst. Die alte Mehrheit der Fortschrittspartei, die von dem Abgeordneten Metz geführt wurde, war nicht wiedergekehrt. Die Parole »Deutsche erster Klasse oder Preußen zweiter und dritter Klasse« hatte in Verbindung mit einem starken Druck der Behörden 2 ) einen Umschwung der Mehrheitsverhältnisse herbeigeführt. Konservative und Demokraten zusammen hatten jetzt, wie die Wahl des Präsidiums und der Ausschüsse zeigte, weitaus die Mehrheit. Daß die liberalen Konzessionen Dalwigks und die Kündigung der Mainzer Konvention dabei stark ins Gewicht fielen, mag bezweifelt werden, mehr schon die geringe Beliebtheit des Führers der Fortschrittspartei; in der Hauptsache aber war das Ergebnis begründet in dem Zorn gegen den Sieger in dem deutschen »Bürgerkrieg«. Die Entrüstung gegen Preußen, das all den Jammer und das Elend des Jahres verschuldet habe, um schließlich Österreich aus Deutschland hinauszudrängen und den übrigbleibenden Rumpf auch noch in zwei Teile zu zerreißen, von denen der eine, der süddeutsche, zu schwach zum Leben und zu stark zum Sterben sei, zitterte noch lange nach. Anfang Januar lobte noch Dalwigk 3 ) die »ehrlichen und verständigen Ansichten« und namentlich den »Geist der Versöhnlichkeit«, der in der Kammer herrsche, aber bald ergab es sich, daß die alte Mehrheit zwar verschwunden, eine starke Regierungspartei aber auch nicht gewählt worden war. Die Verbindung der »hessischen« oder »deutschen« Partei mit den partikularistischen Demokraten einerseits, den ministeriellen Klerikalen andererseits war naturgemäß sehr lose. l) *) am 21. ')

S. oben S. 98. Vgl. Protokoll über die Verhandlungen der zweiten K a m m e r J a n u a r 1867. Brief an Gagern vom 3. Januar 1867.



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Als die Kammer am 24. Januar die deutsche Frage in einer lang ausgesponnenen Debatte erörterte, kamen alle Standpunkte von dem, der den sofortigen Anschluß an Preußen verlangte, bis zu dem, der in diesem Anschluß das größte Übel erblickte, zu Wort. Einig aber waren sämtliche Parteien in der Verurteilung Bismarcks und in der peinlichen Unterscheidung zwischen dem preußischen Volk und seinem Minister, in dessen kühler Wendung: »Die Grundrechte gehören nicht in mein Ressort« die höhnische Ablehnung der höchsten politischen Ideale des deutschen Bürgertums durch den ungebildeten Junker gesehen wurde. Dalwigk blieb bei diesen Verhandlungen reserviert: Die Regierung wird alles tun, was in ihren Kräften steht, um den Norddeutschen Bund über ganz Deutschland auszudehnen, w e n n die Bedingungen, unter denen der Norddeutsche Bund geschlossen wird, von der Art sind, daß der Eintritt in denselben wünschenswert bleibt. — Seine Kritik wandte sich besonders gegen die in Norddeutschland bestehende allgemeine Wehrpflicht, weil sie den Kaufmannsstand auf das empfindlichste schädige1). Es war beantragt worden, die Kammer möge die feste Erwartung aussprechen, die Großh. Regierung werde mit allen Kräften dahin streben, auch mit den von dem Norddeutschen Bunde bis jetzt noch ausgeschlossenen Gebietsteilen möglichst bald in denselben einzutreten. Das Ergebnis der Verhandlungen war, daß die Beschlußfassung über diesen Antrag wegen mangelnder Information bis nach erfolgter Konstituierung des Norddeutschen Bundes ausgesetzt wurde. Aber Dalwigk hatte schon erkannt, daß sich die Hoffnungen, die er auf die neue Kammer1

) Auf den Ministerkonferenzen ein paar Tage später konnte er freilich nicht verhindern, daß die allgemeine Wehrpflicht als Grundlage der Wehrverfassung anerkannt wurde, die für ganz Süddeutschland in Aussicht genommen wurde.



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mehrheit gesetzt hatte, nicht verwirklichten, und in einem Brief vom 24. April klagte er über die »preußisch gesinnte Mehrheit«, die ihn zum Anschluß an den Nordbund drängen wolle1). Anderes kam hinzu, was seine Lage noch erschwerte. Als wegen Luxemburgs die Erregung in Paris auf das höchste gestiegen war, und der Ausbruch eines Konfliktes fast unvermeidlich schien, kühlte Bismarck die Stimmung in Frankreich um einiges ab, indem er am 19. März das Schutz- und Trutzbündnis veröffentlichen ließ, das er mit Bayern, Württemberg und Baden im August 1866 abgeschlossen hatte 2 ). Frankreich sollte daraus ersehen, daß es auf Unterstützung in Süddeutschland nicht zu rechnen habe, und Österreich erfuhr von diesen Verträgen in einer Zeit, in der es sich darauf beschränken mußte, festzustellen, daß Preußen ihm den Abschluß dieser Verträge illoyalerweise verschwiegen habe, und daß sie mit dem Prager Frieden nicht in Einklang zu bringen seien, vielmehr eine »antizipierte Verletzung dieses Friedens« darstellten. Hessen hatte bisher einen solchen Vertrag nicht abgeschlossen3) ; es stand isoliert, und die nationale Bewegung der Tage, in denen man glaubte, daß ein Krieg gegen Frankreich unmittelbar bevorstehe, wurde zu einem neuen Versuch benutzt, Hessen zu gewinnen. Diesmal wandte sich der Kronprinz von Preußen an *) Brief an Gagern. ) Hohenlohe hatte aus Gründen der bayerischen Politik den Wunsch nach Veröffentlichung schon im Februar gehabt; s. Denkwürdigkeiten 1, 203. — Am 10. März schrieb Bismarck dem preuß. Gesandten in Karlsruhe, er habe die Überzeugung gewonnen, daß man i n P a r i s u n d D a r m s t a d t von den Bündnissen unterrichtet sei. — Es war dies ein Grund mehr zur Veröffentlichung. S. Gg. Meyer, Die Reichsgründung u. d. Großherzogtum Baden (Festgabe der Heidelberger Juristenfakultät f. Großh. Friedrich 1896), S. 152. 3 ) S. oben S. 120. s



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seinen Schwager, den Prinzen Ludwig. Bismarck werde einem Wunsche Hessens auf Eintritt in den Norddeutschen Bund mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung jetzt keinen Widerstand mehr entgegensetzen. Hessen werde aus seiner bedenklichen Lage herauskommen und sich zugleich von der Unpopularität befreien, die auf ihm laste 1 ). Aber Dalwigk ergriff die ihm entgegengestreckte Hand Er — er selbst spricht von »Katzenpfote« — nicht. schloß zwar am 7. April eine Militärkonvention mit Preußen ab 2 ), verhinderte damit die Zerreißung der hessischen Division in eine norddeutsche und eine südliche Hälfte und machte die Lasten, welche Hessen für militärische Zwecke übernehmen mußte, erträglicher. Aber der Schritt, ungern getan, verband nicht mit Preußen, sondern erhöhte nur noch die Verbitterung. Dasselbe galt von dem Schutz- und Trutzbündnis, das Hessen am 11. April mit Preußen einging, wie es die anderen süddeutschen Staaten vor ihm getan hatten. In der Hauptsache hielt Hessen fest; um den Eintritt suchte Dalwigk nicht nach. Darin konnte ihn auch das Ergebnis der Interpellation nicht beirren, die die oberhessischen Abgeordneten im norddeutschen Reichstag — wie Dalwigk glaubte, nach vorheriger Verständigung mit Bismarck — einbrachten. Die Abgeordneten fragten an, ob und ev. welche Hindernisse dem Eintritt des ganzen Großherzogtums in den Norddeutschen Bund entgegenständen und ev. ob diese Hindernisse dauernder oder vorübergehender Natur seien. Bismarck hatte, als die Interpellation bevorstand, in Wien angefragt, wie man dort den Eintritt Südhessens l)

Vgl. Beilage III. *) Entsprechend den im Dezember beschlossenen Grundsätzen. — Eine natürliche Folge dieser Konvention war es, daß Hessen an den im Februar verabredeten süddeutschen Militärkonferenzen nicht mehr teilnahm.



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in den Norddeutschen Bund beurteilen werde. Nach seiner Meinung sei er zwar dem Prager Frieden nicht entgegen, aber er gebe zu, daß man darüber zweifelhaft sein könne, und er wünsche, mit Österreich im Einverständnis zu handeln. Es war darauf eine von Biegeleben verfaßte Antwort 1 ) eingetroffen, die Beust teilweise durchkorrigiert hatte. Ihr Inhalt war folgender: Da nach Artikel IV. des Prager Friedens Österreich nur ein engeres Bundesverhältnis anzuerkennen hat, »welches der König von Preußen nördlich von der Linie des Mains begründen wird«, so kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Eintritt der südlich des Mains gelegenen Teile des Großherzogtums Hessen in den Norddeutschen Bund den Bestimmungen des Prager Friedens zuwider ist. Indem Österreich sich veranlaßt sieht, dies zu konstatieren, so folgt aber daraus nicht, daß es dem Eintritt des ganzen Großherzogtums in den Norddeutschen Bund unter allen Umständen Hindernisse bereiten will. Vor allen Dingen wünscht es die Ansicht der Großherzoglichen Regierung über die Frage des Eintritts zu vernehmen, um nichts auszusprechen oder zu tun, was deren Interessen verletzen könnte, und die hessische Regierung hat einen gerechten Anspruch darauf, zu wissen, was Österreich bezüglich dieser Frage äußern oder tun will 2 ). Die Handhabe, die Dalwigk gewünscht hatte, um den Eintritt Südhessens in den Nordbund bequemer ) Sie trug das Datum 6. April. *) Wie Beust gelegentlich erzählte, war Benedetti der Meinung gewesen, in dem Satz des Artikels IV. des Prager Friedensvertrages, in welchem vorgesehen wurde, daß die süddeutschen Staaten »in einen Verein zusammentreten, dessen nationale Verbindung mit dem Norddeutschen Bunde der näheren Verständigung zwischen b e i d e n vorbehalten bleibt«, seien unter den »beiden« Preußen und Österreich (nicht die Süddeutschen und der Norddeutsche Bund) zu verstehen, eine Auffassung, die aber Beust selbst als irrig ablehnte. l



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ablehnen zu können, bot ihm also Beust nicht, er schob vielmehr die Entscheidung Hessen selbst zu 1 ), und Bismarck benutzte dies. Als am 9. April im norddeutschen Reichstag der Graf zu Solms-Laubach seine Interpellation u. a. mit den Schwierigkeiten, die Hessen aus seiner Zwitterstellung erwuchsen, begründet und dabei von dem Anschlüsse ganz Hessens an den Norddeutschen Bund als von einer staatlichen Notwendigkeit gesprochen hatte, antwortete Bismarck freundlich und sehr entgegenkommend, stellte aber fest, daß amtlich der Wunsch, mit dem ganzen Lande in den Norddeutschen Bund einzutreten, von der hessischen Regierung zwar unter ganz anderen Umständen, nämlich bei den Friedensverhandlungen im August 1866, geäußert worden sei, seitdem aber nicht wieder. Er unterstrich die Schwierigkeiten der hessischen Lage, die sich noch steigern würden, und bot als Gegengabe für den Eintritt stärkere Vertretung im Bundesrat und Reichstag an, sowie die Bürgschaft einer vollen territorialen Garantie, die sich bisher, juristisch wenigstens, auf Starkenburg und Rheinhessen nicht erstreckte 2 ). Von den Verhandlungen mit dem Wiener Kabinett konnte Bismarck, da sie nicht offiziell gewesen waren, keinen Gebrauch machen, aber er erklärte, daß er nach der jüngsten Haltung Österreichs kaum glaube, daß der Gedanke auf einen bestimmten Widerstand stoßen würde, wenn die Wünsche der hessischen Regierung sich unzweideutig manifestiert hätten. Auch mit den anderen süddeutschen Staaten wollte Bismarck gegebenenfalls in Verhandlungen über den Eintritt Südhessens treten, um ') Vgl. Brief Dalwigks an Beust vom 9. April 1866 und dessen Antwort an Gagern in der Beilage III. 2 ) Die Garantie, die er hier bot, konnte von Bedeutung gegen Frankreich sein. Gegen Preußen selbst war Hessen durch das Bündnis vom 11. April gedeckt.



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zu ermessen, ob die dortige Politik durch dieses Vorgehen gekreuzt oder unterstützt würde. Vor allem aber sei eine bestimmte Willensäußerung der hessischen Regierung erforderlich. »Nach der Bereitwilligkeit, welche dieselbe gezeigt hat, an dem nationalen Werke, an welchem sie bisher nur für Oberhessen vollständig beteiligt ist, mitzuwirken, dürfen wir mit Vertrauen die Entscheidung über die Frage der Großherzoglichen Regierung überlassen, die am besten wissen muß, was ihrem Interesse frommt, und der ich aus bundesfreundlichen Rücksichten hier durch eine Erklärung nicht glaube vorgreifen zu dürfen.« Am folgenden Tag kam der hessische Gesandte Hofmann, der bei der Verhandlung der Interpellation nicht zugegen gewesen war, auf Bismarcks Äußerungen zurück; er dankte ihm in warmen Worten für die bundesfreundliche und rücksichtsvolle Art, in welcher er der hessischen Regierung ihre Stellung zu wahren gewußt habe. »Ich bin nicht ermächtigt, hier auszusprechen, ob in der jetzigen Lage die Frage des Eintritts bereits zur Erklärung reif ist; aber ich glaube, meine Befugnis nicht zu überschreiten, wenn ich sage, daß die großherzogliche Regierung die Erklärung nur mit hoher Befriedigung aufgenommen hat. Es kann ihr nur willkommen sein, daß die preußische Regierung ihre Zustimmung zu geben sich bereit gezeigt hat und sie nur abhängig macht von dem loyalen Streben, den Bedingungen des Prager Friedens in Beziehung auf Österreich Rechnung zu tragen und ebenso die süddeutschen Staaten darüber zuzuziehen. Es lassen sich die Schwierigkeiten nicht verkennen, welche die jetzige Lage dem Großherzogtum bereitet. Sie lassen sich durch einzelne Verträge vermindern; aber das einfachste Mittel wird der Eintritt des gesamten Gebietes in den Bund bleiben. Durch dieses Mittel wird dem Großherzogtume auch eine größere Anzahl von Vertretern gesichert werden. Auf der anderen Seite läßt sich nicht verkennen, daß dem Großherzogtume durch den Gesamt-



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eintritt größere Lasten auferlegt werden. Dies ist der Grund, weshalb die Großh. Regierung, ehe sie einen Antrag auf Eintritt stellt, sich das volle Einverständnis mit der Landesvertretung sichern muß. Ich bin aber überzeugt, daß dieses keinem Zweifel unterliegt und die Landesvertretung sich von dem Geiste beseelt zeigen wird, welcher in der Proklamation S. Kgl. Hoheit des Großherzogs Ausdruck gefunden hat. Ich glaube daher, daß in nicht allzu langer Zeit die Fragen des Herrn Interpellanten in seinem Sinne erledigt werden dürften« 1 ). Mit dieser Erklärung hatte aber der Gesandte gezeigt, daß er in die innersten Gedanken seines Ministers nicht eingeweiht war. Dalwigk war damit durchaus nicht zufrieden, und als, wie es die natürliche Folge dieser Erklärung war, Preußen zunächst mündlich anfragte, ob Hessen geneigt sei, in den Norddeutschen Bund einzutreten, desavouierte Dalwigk seinen Gesandten und gab eine bestimmt verneinende Antwort. Er war der Meinung, daß Hessen durch Einzelverträge nicht nur die bestehenden Schwierigkeiten vermindern, sondern alles erreichen könne, was es brauche, ohne mit beiden Füßen in das »norddeutsche Vasallen Verhältnis« zutreten. »Ich kann mich nun einmal für den Norddeutschen Bund und sein Scheinparlament nicht begeistern, auch denke ich, daß wir Deutschland, wenn wir die eine Hand frei halten, bessere Dienste leisten können als durch einen freiwilligen Verzicht auf jede künftige Äußerung selbständigen Willens« 2 ). Diese Selbständigkeit wollte er bewahren, um bei der unvermeidlichen Auseinandersetzung zwischen Preußen und Frankreich mitsprechen zu können. Allerdings hielt er es für eine grobe Ungeschicklichkeit der Franzosen, daß sie jetzt schon, bevor sie vollständig gerüstet waren, sich so kriegerisch gebärdeten, und daß sie gerade die ') Sitzungsberichte des Reichstags des Norddeutschen Bundes. ) Brief Dalwigks vom 18. April 1867.

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Luxemburger Frage aufrollten, in der sich die Unterschiede zwischen den preußischen und deutschen Interessen nur allzusehr verwischten. Aber daß Frankreich auch dem gesamten außerösterreichischen Deutschland gewachsen sein werde, ließ die Hoffnung ihn glauben, und wenn Hessen infolge der Militärkonvention mit Preußen nicht mehr in der Lage war, die Partei zu wählen, mit der seine Truppen zu marschieren hatten, so durfte es doch gewiß sein, daß man ihm den Zwang der Verhältnisse, unter dem es stand, zugute halten werde. Wie wenig Dalwigk trotz der Militärkonvention mit Preußen die politische Freiheit seines Staates für gebunden hielt, verriet er deutlich, als er dem französischen Gesandten in Darmstadt sagte: »Wenn Frankreich auf Erfolg rechnen will, sind zwei Dinge unerläßlich: Schonung des deutschen Nationalgefühles in bezug auf das linke Rheinufer und Allianz mit Österreich und dessen Kooperation«1). Für den Besuch der Industrieausstellung in Paris, zu der er am 19. April abzureisen vorhatte, um sich gleichzeitig ein eigenes Urteil über die dortige Lage der Dinge zu verschaffen, hatte er seinen Freund Beust um Anweisung gebeten, welche Sprache dieser von ihm geführt zu sehen wünschte, »ob er Frieden anraten oder ob er ö l ins Feuer gießen solle«. Österreich konnte sich auch jetzt noch keinen willfährigeren Sekundanten als Dalwigk wünschen, höchstens einen kräftigeren. Allein Beust gab keine Hoffnung, daß er den Kampf um die Vorherrschaft in absehbarer Zeit nochmals aufzunehmen gesonnen sei, obwohl die Stellung des Kaiserstaates durch den Friedensschluß mit den Ungarn relativ günstig geworden war. Er ließ ihm antworten 2 ): »Wir haben jede Anmutung zu einer Allianz, aber auch jede Anmutung, unsere Neutralität in dem etwa ausbrechenden Kriege Vgl. den in Beilage III gedruckten Brief vom 9. April 1867. *) Durch Gagern am 14. April 1867. V o g t , Die bess. Politik i. d. Zeit d. Reichsgründung.

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— 146 — in verbindlicher Weise zu erklären, abgewiesen und die vollständige Freiheit unserer Aktion gewahrt. Dem Herzog von Gramont, der mich zu bestimmteren Zusagen drängen wollte, habe ich versichern können, daß zwischen Österreich und Preußen in bezug auf die bestehende Kontroverse nichts besprochen oder verabredet worden sei, was als Parteinahme von unserer Seite gedeutet werden könne; daß aber bestimmtere, in die Zukunft hineinreichende, die Regierung bindende Versicherungen, wie er sie wünsche, von mir, während ich noch sächsischer Minister war, nicht leicht würden zu erhalten gewesen sein; daß ich mich aber als ö s t e r r e i c h i s c h e r Minister, und zwar als Minister des heutigen Österreich um so mehr für verpflichtet erachte, diesem vielbedrängten Reiche die Freiheit zu erhalten, seine Aktion in einer Angelegenheit, die es nicht unmittelbar berühre, den sich entwickelnden Umständen entsprechend zu bemessen. Die gleiche Sprache habe ich an die Adresse Preußens geführt.« Beust sah die Kriegsgefahr nicht als so dringend an wie Dalwigk, riet ihm aber entschieden, die Reise nach Paris vorläufig aufzugeben. Es schien ihm gefährlich, wenn Dalwigk gerade jetzt seine guten Beziehungen zu dem präsumptiven Feinde der norddeutschen Verbündeten betonte. Auch die Äußerungen Dalwigks zu dem französischen Gesandten tadelte er als unvorsichtig. Allerdings enthielten die Worte eine Abmahnung, — denn wenn Frankreich überhaupt Krieg führte, was anders als das linke Rheinufer konnte es erstreben, und die andere Bedingung — Mitwirkung Österreichs — war bei den damaligen Verhältnissen dieses Staates auch nicht zu erfüllen, — aber daß in dem Rat an sich schon eine Parteinahme für Frankreich lag, konnte nicht wohl bezweifelt werden. Dalwigk ging nicht nach Paris, wenigstens verschob er die Reise. Er hatte, wie er schrieb1), schon vor dem *) In dem angeführten Brief vom 18. April 1867.



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Eintreffen der Mahnungen aus Wien den Verzicht beschlossen. Er bedauerte es, weil er gern seinen zahlreichen Pariser Verwandten in den verschiedensten Parteien Illusionen genommen hätte, die sie sich etwa in bezug auf Deutschland machten 1 ). Dagegen scheute Dalwigk nicht die Gefahr, daß die Unterredung mit dem französischen Gesandten mißbraucht werden könnte. Denn daß er auf seine direkten Beziehungen zu Frankreich nicht verzichtete, wußte man in Berlin; daß er aber deutsches Gebiet nicht abtreten wollte, hatte er dem französischen Gesandten ausdrücklich gesagt, und auch bei dem preußischen Gesandten in Darmstadt, der ihm eine Depesche über die luxemburgische Frage vorlas, hatte er Gelegenheit, mit Pathos diesen Beinen »deutschen« Standpunkt zu vertreten 2 ). Die preußische Depesche führte aus, daß Preußen als solches kein Interesse habe, die luxemburgische Angelegenheit auf die Spitze zu treiben. Die Frage sei eine vorzugsweise deutsche, und Preußen müsse, ehe es darin weiter gehe, bestimmt wissen, ob und wie weit es auf seine deutschen Bundesgenossen zählen könne, und ob diese etwa einen gütlichen Ausgleich dem Kriege vorzögen. Im Falle eines gütlichen Ausgleiches müßten diese Regierungen aber auch bereit sein, ihre friedliche Absicht vor der Öffentlichkeit zu vertreten. Dalwigk erwiderte, daß nach den Gesinnungen, welche die Entschlüsse der hessischen Regierung von jeher geleitet hätten, seine Antwort nicht zweifelhaft sein könne. »Wir wünschen, daß nicht eine Scholle alten deutschen Gebietes, sei es, an wen es wolle, *) E r blieb aber dabei, daß der Krieg nahe bevorstehe. Napoleon wünsche ihn zwar nicht, so hatte er aus bester Quelle erfahren, aber seine Lage sei durch die unglaublichen Fehler, die er 1866 begangen habe, so mißlich geworden, daß er nur zwischen Krieg und Revolution zu wählen habe. *) Die Depesche war nach seiner Erinnerung vom 12. April datiert; vgl. dazu Friesen 3, 27 (vom 8. April).

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abgetreten, und noch viel weniger, daß auf das Besatzungsrecht in Luxemburg verzichtet werde. Kommt es zum Kriege, so steht unser letzter Blutstropfen Preußen zur Verfügung.« Dabei gratulierte er dem preußischen Gesandten ironisch zu der Popularität, welche die luxemburgische Frage seiner Regierung ganz ohne ihr Zutun verschafft habe. — Daß Hessen es ablehnte, ohne die anderen Süddeutschen auch mit seinen südlichen Provinzen in den Norddeutschen Bund einzutreten, war den Bayern besonders erwünscht. Denn Hohenlohe war daran, die gemeinsame Einigung der süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bunde vorzubereiten, und er fürchtete 1 ), daß, sobald Hessen dem Norddeutschen Bunde beigetreten sei, auch Baden folgen werde, und daß dann der Krieg unabwendbar sei 2 ). Er hatte Ende März mit Varnbüler eine Besprechung über die deutsche Verfassungsfrage 3 ); auch Graf Tauffkirchen nahm daran teil nnd redigierte das Resultat, eine Skizze, die die Grundlage für die Verhandlungen aller süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bunde bilden sollte. Hohenlohe übernahm es, mit dem Großherzog von Baden, zu dem er in freundschaftlichen Beziehungen stand, zu sprechen, um dessen Beitritt zu der vereinbarten Skizze zu erwirken; Varnbüler sollte dasselbe bei Dalwigk versuchen 4 ). x

) Äußerung des Grafen Bray zu Gagern (etwa am 10. April). *) Man erwartete als Folge, daß dann für die beiden süddeutschen Königreiche auch keine Wahl mehr bleibe. Doch war Bray zu vorsichtig, um dies auszusprechen. s ) Vgl. Denkwürdigkeiten Hohenlohes 1, 220. 4 ) Als Graf Tauffkirchen am 17. und 19. April mit Gagern in Wien die Sache besprach, hatte Varnbüler die Verhandlungen mit Hessen noch nicht begonnen; der Graf hatte erfahren, daß Varnbülers Stellung stark erschüttert sei, und fürchtete, daß er deshalb den Moment noch nicht für geeignet gehalten habe, die Genehmigung des Königs durch einen Vortrag zu erlangen. — Der König von



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Der bayerisch-württembergische Entwurf 1 ) sah von jeder organischen Verbindung der Südstaaten unter sich ab. Sie sollten als Einzelstaaten in ein Vertragsverhältnis zu dem Norddeutschen Bunde treten und damit einen neuen Staatenbund begründen, dessen Teilhaber der Norddeutsche Bund, Bayern, Württemberg, Baden und Hessen sein würden. Wenn möglich, sollte auch Österreich in diesen Staatenbund als dritte Gruppe mit besonderen Vertragsrechten einbegriffen werden. Wenn Österreich nicht eine Hegemonie über Süddeutschland erstrebe, könne das Bundesverhältnis mit ihm den anderen nur erwünscht sein. Das Bundesverhältnis der Südweststaaten mit dem Norddeutschen Bunde und das österreichischdeutsche Bündnis, wenn es erwirkt werden könne, sollten, wenn möglich gleichzeitig, bekannt gegeben werden. Die Zwecke des projektierten neuen Staatenbundes waren der alten Bundesakte von 1815 (Artikel II und III) und der Verfassung des Norddeutschen Bundes entnommen. Ein Teil der gemeinsamen Angelegenheiten des Norddeutschen Bundes, wie sie im Eingange von dessen Verfassung und in einer Reihe ihrer Artikel bestimmt waren, sollten gemeinsame Angelegenheiten des deutschen Bundesstaates werden, also nicht mehr auf Norddeutschland beschränkt bleiben. Artikel III über das Indigenat könnte gemeinsam für ganz Deutschland werden, dagegen sollten die gemeinsamen Angelegenheiten des Artikels IV nur mit Auswahl in den Entwurf für den Staatenbund aufgenommen werden. So wichtig für Bayern Bayern hatte sich mit der Vertragsskizze einverstanden erklärt; ebenso auch anfänglich der Großherzog von Baden, doch schien in Karlsruhe die Partei des unbedingten Anschlusses an den Norddeutschen Bund im April die Oberhand gewonnen zu haben. (Äußerungen Tauffkirchens.) ') Im Wortlaut ist der Entwurf nicht bekannt. Das Folgende aus einem Briefe Gagerns, dem Taufkirchen den Entwurf »in Bruchstücken« vorgelesen hatte (an Edelsheim vom 30. April 1867).



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die Garantie der Dauer des Zollvereins war, so wollte es sich doch der gesetzgebenden Gewalt eines gesamtdeutschen oder gar bloß norddeutschen Parlaments nicht unbedingt unterwerfen, weil damit das Fortbestehen seiner Finanzgrundlage, des Malzaufschlags, in Frage gestellt war. In bezug auf die Militfirverfassung sollte das Resultat der Stuttgarter Februarkonferenzen maßgebend sein. Als Spitze des Staatenbundes war ein Bundesrat vorgesehen, in welchem der Norddeutsche Bund nicht bloß durch seinen Präsidenten, sondern durch alle seine Souveräne, Fürsten und Freien Städte, neben den Souveränen der Südstaaten vertreten sein sollte. Zu einer gemeinsamen Beratung dieser Skizze hatte Bayern die Absicht, die anderen süddeutschen Regierungen nach München einzuladen, und da der hessische Gesandte in Wien zugleich auch am Münchener Hofe beglaubigt war, hat Graf Tauffkirchen dieses Projekt in eingehenden Gesprächen mit ihm erörtert. In Berlin hatte er von dieser Sache keine Erwähnung getan; dort hatte er im wesentlichen nur über die Gestaltung der Beziehungen Österreichs zu dem übrigen Deutschland verhandelt ; doch waren die Konzessionen, die er von da nach Wien brachte, nicht groß genug, um Beust zu einem Eingehen auf dieses Projekt zu veranlassen 1 ). Die offizielle Aufforderung zu Verhandlungen über gemeinsame Schritte der Süddeutschen erging am 6. Mai1), aber da Baden sogleich erklärte, daß aus dem Übereinkommen alles zu entfernen sei, was dem Eintritt süddeutscher Staaten in den Norddeutschen Bund widerspreche 3 ), war von vornherein die Wahrscheinlichkeit, daß ganz Süddeutschland sich auf gemeinsamer Basis einigen könne, nicht x ) Siehe über diesen Teil der Sendung: K. A. v. Müller, Die Tauffkirchensche Mission nach Berlin und Wien, Riezler-Festschrift S. 352 ff. ') Vgl. u. a. Lorenz 132. 3 ) Vgl. Hohenlohe 1, 232 ff.



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sehr groß. Immerhin war Baden bei Hohenlohes starkem Entgegenkommen zu weiteren Verhandlungen bereit 1 ), — da entbot Bismarck die süddeutschen Minister zu Konferenzen über den Zollverein auf Anfang Juni nach Berlin. Es handelte sich hier besonders um die neue Organisation des Zollvereins; an die Stelle der Zollkonferenzen sollte ein Bundesrat mit Zollparlament treten und dies Parlament sich bilden durch Hinzutritt süddeutscher Abgeordneter zu dem norddeutschen Reichstag. Fürst Hohenlohe äußerte bei den Beratungen schwere Bedenken, weil man in Bayern darin den ersten Schritt zu einem Eintritte in den Norddeutschen Bund erblicken könne, den seine Regierung nicht wünsche. Bismarck erwiderte, der preußischen Regierung liege nichts ferner, als auf eine solche Ausdehnung des Norddeutschen Bundes hinzuarbeiten. Preußen wolle die Südstaaten gar nicht. Es müsse sich vor allem im Norden konsolidieren. Hier hakte Dalwigk ein: Diese Erklärung des Grafen Bismarck sei ihm sehr interessant. Es würde also, wenn etwa von Darmstadt aus der Antrag auf Aufnahme der südlich vom Main gelegenen Provinzen des Großherzogtums gestellt werden sollte, dieser Antrag in Berlin kein Entgegenkommen finden ? Bismarck antwortete »etwas gereizt«: »Das ist etwas ganz anderes. Die dermalige Lage des Großherzogtums mit einer Provinz im Norddeutschen Bunde ist eine völlig unhaltbare. Sie müssen notwendig die Aufnahme des ganzen Landes in den Bund beanspruchen.« »Aber Österreich und Frankreich ?« »Das ist für uns kein Hindernis; mit Österreich wissen wir zu reden, und was Frankreich betrifft, so sind wir stark genug, ihm die Spitze zu bieten« 2 ). *) Hessen scheint noch keine Stellung zu dem Vorschlag genommen zu haben. *) Aus einem Briefe Dalwigks vom 20. Juni 1867. Dalwigk sprach darüber mit dem französischen Gesandtschaftssekretär



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Am 4. Juni, am Morgen nach der Ministerkonferenz, besuchte Hohenlohe den hessischen Minister. E r fand das preußische Vorgehen in der Zollvereinsangelegenheit sehr bedenklich und meinte, es werde Bayern nichts übrig bleiben, als sich enger an Österreich anzuschließen. E r klagte nur, daß Beust die von Tauffkirchen überbrachten Vorschläge Bayerns in einer an alle Höfe ergangenen Zirkulardepesche einer so scharfen Kritik unterworfen und dadurch namentlich das Mißtrauen Württembergs gegen ihn, Hohenlohe, hervorgerufen habe. Dalwigk erwiderte, daß weder die Vorschläge an sich, noch derjenige, der sie überbracht habe, geeignet gewesen seien, in Wien einen besonders guten Eindruck zu machen. Hohenlohe antwortete, Tauffkirchen sei mit seinen Vorschlägen auch nur auf besonderen Wunsch Bismarcks nach Wien gegangen. Die Vorschläge seien ursprünglich nur für Preußen bestimmt gewesen1). Übrigens seien die Propösitionen nunmehr durch die Anträge Preußens wegen Erneuerung des Zollvereins vollkommen bedeutungslos geworden2). Die von Preußen vorgelegte Übereinkunft über die Fortdauer des Zoll- und Handelsvereins wurde von dem württembergischen und badischen Minister sofort (am in Darmstadt, s. Rothan, L a France et sa politique extérieure en 1867, 1, 11 \ Ollivier, L'Empire libéral 10, 3. — Weitere Nachrichten über die Verhandlungen s. Hohenlohe 1, 244 ff. — Gortschakoff behauptete gelegentlich des kurzen Aufenthaltes, den der Zar im Juni auf der Rückreise von Paris in Darmstadt nahm (s. darüber Rothan, 1, 60), daß Bismarck in Wirklichkeit den Eintritt Hessens in den Norddeutschen B u n d , weil er gleichbedeutend mit dem Kriege sei, durchaus nicht wünsche, wie denn überhaupt der letzte Krieg auf die Preußen, obgleich sie siegreich gewesen seien, einen tiefen Eindruck gemacht habe. So übermütig und unleidlich sie nach dem Schleswigschen Kriege und den Erfolgen über das schwache Dänemark gewesen, so ernst und nachdenklich seien sie jetzt. Vgl. hingegen K. A. v. Müller S. 415. *) So Dalwigk in dem vorher erwähnten Brief.



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4. Juni) unterzeichnet, von Dalwigk erst nach kurzer Überlegungsfrist am 7. Juni. Hohenlohe behielt sich die Entscheidung vor, nahm das Abkommen dann aber am 18. Juni gleichfalls an 1 ). Die Zustimmung der Ständekammern wurde in Karlsruhe leicht erreicht, in München und Stuttgart nur mit schwerer Mühe. In Darmstadt regte sich Widerspruch, aber eine große Mehrheit genehmigte den Zutritt. Die Stimmung war hier überhaupt nordbundfreundlich geworden. Das war besonders in der erneuten Debatte zum Ausdruck gekommen, die während Dalwigks Reise nach Berlin über den Eintritt Südhessens in den Norddeutschen Bund stattfand 2 ). Sie bewies, daß nicht nur die Fraktion des Herrn Metz auf den Eintritt hindrängte, sondern auch andere Kreise den Erfolg anbeteten, wie die Unentwegten sagten, oder die Macht der Tatsachen, die Lehre der Geschichte anerkannten, wie sie selbst meinten. Trotz einer mit flammender Begeisterung vorgetragenen Rede des klerikalen Abgeordneten Seitz, trotz der Energie, mit der auch Gagern und andere den Standpunkt der Regierung verteidigten, erfochten die Freunde des sofortigen Anschlusses einen Sieg. Dalwigk ließ eine Erklärung verlesen, in der er ausführte, daß die Einheit des Landes nicht so gefährdet sei, wie es vielfach hingestellt werde. Gute Gesetze des Nordbundes könne man auch im Süden einführen, und die Verschiedenheit der Gesetzgebung in Rheinhessen gegenüber den anderen Provinzen habe auch bisher den Zusammenhalt des Landes nicht geschädigt. Für die Einheit des gesamten deutschen Vaterlandes zu wirken, sei die Regierung nach wie vor gern bereit, und sie sehe ihre Aufgabe darin, im Verein mit den süddeutschen Stammes*) R. v. Delbrück, Lebenserinnerungen 2, 396. 2 ) Erwähnt u. a. bei Ollivier 10, 13.



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genossen einen möglichst engen Anschluß an den Nordbund anzubahnen. Aber der unbedingte Eintritt würde die Freiheit ihrer Aktion hemmen, es ihr unmöglich machen, die von allen Parteien des Landes dringend begehrte Verbesserung der norddeutschen Verfassung zu erwirken. Daneben wurden die Schwierigkeiten, die für Hessen in finanzieller Beziehung aus dem Eintritt erwüchsen, hervorgehoben und als Hindernis ernstester Art die Haltung Österreichs genannt. Bismarck selbst habe in seiner Antwort auf die Interpellation im norddeutschen Reichstag das Einspruchsrecht Österreichs implicite zugegeben. Österreich aber stehe, im Widerspruch zu Bismarcks Voraussetzung, der Ausdehnung des Norddeutschen Bundes über den Main entgegen1). »Die Großh. Regierung kann«, so schloß die Erklärung etwas gleißnerisch, »unterrichtet von dieser Auffassung, unmöglich Preußen ersuchen, über einen kaum geschlossenen Vertrag hinwegzugehen und so das gute Einvernehmen mit befreundeten *) In einer Note vom 15. Mai hatte Beust erklärt: Das Verlangen (das bei der Sendung des Grafen Tauffkirchen an Österreich gerichtet worden war), daß das Kaiserl. Kabinett den Allianzvertragen (vom Aug. 1866), welche es bis jetzt stillschweigend hingenommen hat, und selbst noch weitergehenden Verletzungen des Prager Vertrages seine Zustimmung erteilen solle, habe ich unumwunden als unerfüllbar bezeichnet und darauf hingewiesen, daß Österreich in seiner Lage vielmehr sich sorgfältig hüten müsse, irgendwie durch Wort oder Tat sich des Rechtes zu begeben, auf die Verfügungen des Prager Friedenstraktates zu gelegener Zeit sich zu berufen usw. Gedr.: Aegidi und Klauhold, Staatsarchiv 14 nr. 3175. —Vgl. E. v. Plener, Erinnerungen 1, 272: Beust zeigte das Einspruchsrecht gegen den Prager Frieden als Karte, die er unter Umständen ausspielen konnte. — Das »Inhibitorium«, das sich Dalwigk (s. oben S. 141) gewünscht hatte, war also ausgesprochen. Im Vertrauen hierauf geschah es, daß er den Berliner Gesandten beauftragte, zu erforschen, wie Preußen einen Antrag auf Gesamteintritt Hessens in den Norddeutschen Bund aufnehmen würde. Die Antwort des Gesandten vom 20. Mai läßt wieder erkennen, daß er die Absichten des Ministers nicht durchschaute, s. Deutsche Revue 37, I I I , 215.



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Nachbarstaaten um einer relativ unbedeutenden Ausdehnung des Norddeutschen Bundesgebietes willen zu itrüben. Das hieße der preußischen Regierung, welche ¡soeben (d. h. bei der Erledigung der Luxemburger Frage)