Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg [1 ed.] 9783205209539, 9783205209515


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Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg [1 ed.]
 9783205209539, 9783205209515

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Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg

Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Band 73

2020 Böhlau Verlag Wien

Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg Herausgegeben von Katrin Keller und Martin Scheutz

2020 Böhlau Verlag Wien

Gedruckt mit Unterstützung durch

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2020 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Kölblgasse 8–10, A-1030 Wien Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Das Bild zeigt die allegorische Darstellung eines illustrierten Flugblattes um 1621 mit der politischen Situation nach der für den Kaiser siegreichen Schlacht am Weißen Berg 1620. Der Szepter und der „trimphirende Adler“ symbolisieren den Sieg der Habsburger als Landesfürsten, aber auch als Kaiser über die Böhmen, Mährer und Schlesier (Titel des illustrierten Flugblattes: „Triumphirender Adler. Sub Umbra Alarum Mearum Florebit Regnum Bohemiae“). Auf der Säule findet sich der Spruch: „Die Seüll Ich weislich hab erstiegn / Daher mihr Cron, Scepter gebliebn“. Zur rechten Seite finden sich die habsburgischen Verbündeten in Gestalt des spanischen Heerführers Ambrogio Spinola (1569–1630), des bayerischen Herzogs Maximilian I. (1573–1651), des sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. (1585–1624). Auf der linken Seite sind die Gegner in Gestalt des Grafen von Mansfeld (Peter Ernst I. [1580–1626]), des brandenburgischen Markgrafen Johann Georg (1577–1624), des siebenbürgischen Fürsten Gábor Bethlen/Bethlen Gábor (1580–1629) und des Anhalter-Bernburger Fürsten Christian I. [1568–1630] (mit einem Fernrohr ausgestattet, weil nach 1620 auf der Flucht nach Schweden) aufgereiht. Der Text des Flugblattes hebt an mit: „Unlängst gar schön gezeiget an / Deß Adlers vnd Löwn Kampff jedrman. / Wie auff starcker Seul ruhet schon / Der Scepter vnd die güldne Cron / Welche sonsten dem Böhmer Land / Zugehört / wie gar wol bekandt.“ (Quelle: ÖNB, Bildarchiv, Pk 3001,1346). Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-20953-9



Inhalt Siglen- und Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Katrin Keller, Martin Scheutz Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg – zur Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

(1) Krieg und Kriegsereignisse in der Habsburgermonarchie Thomas Winkelbauer Der Dreißigjährige Krieg und die österreichischen Erbländer. . . . . . . . . . . 27 Petr Maťa Epizentrum und Bebengebiet. Die böhmischen Länder im Dreißigjährigen Krieg.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Géza Pálffy Ein vergessenes Territorium des Dreißigjährigen Krieges? Die Länder der ungarischen Krone im großen Krieg Europas: Forschungsresultate und -desiderata. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Dieter Speck Zwischen den Linien. Die vorderösterreichischen Lande und der Niedergang der habsburgischen Vormachtstellung am Oberrhein.. . . . . . . . . . . . . . . 95

(2) Die Habsburger: eine Dynastie im Krieg Horst Carl „Bella gerant alii“? Die österreichischen Habsburger als Kriegsherren. . . . . . . . . . . . . . . . 129

6 Inhaltsverzeichnis

Arno Strohmeyer Einheit der Casa de Austria? Habsburgs Dynastizismus im Dreißigjährigen Krieg. . . . . . . . . . . . . . . 143 Lena Oetzel Zwischen Dynastie und Reich. Rollen- und Interessenkonflikte Ferdinands III. während der Westfälischen Friedensverhandlungen. . . . . . .

161

(3) Kriegslasten und Kriegsfolgen für die Habsburgermonarchie William D. Godsey Kaiserliche Kriegsfinanzierung und ständische Kreditvermittlung in Wien während des Dreißigjährigen Krieges. . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Martin P. Schennach „Ist die Bauernrebellion wieder mit Macht ausgebrochen“. Soziale Unruhen in den österreichischen Ländern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

207

Martin Scheutz Einquartierungen, Konfessionsstreit und Bauernkrieg – der erzählte Krieg am Beispiel des Steyrer Färbers Jakob Zetl (ca. 1580–1660). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231

(4) Selbstzeugnisse und Medien im Dreißigjährigen Krieg Katrin Keller Der Kardinal und der Krieg: Ernst Adalbert von Harrach (1598–1667) in seinen Selbstzeugnissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

261

Harald Tersch Militärkarriere und Soldatenehre in Autobiographien kaiserlicher Amtsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Alexander Zirr Eine enttäuschte Hoffnung. Der Prager Frieden in den Tagebüchern des Fürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

Inhaltsverzeichnis 7

Esther Beate Körber Die Messrelationen und das Nachrichtenwesen der Habsburger. . . . . . . . .

331

(5) Erinnerungsort Dreißigjähriger Krieg Friedrich Polleross „Pro Cesare mori vivere est“. Offiziersporträts in Khevenhüllers „Annales Ferdinandei“ und anderen druckgraphischen Werken. . . . . . . . . . 349 Alois Niederstätter Der Dreißigjährige Krieg in Vorarlberg – (k)ein Erinnerungsort?.. . . . . . . . 363 Arthur Stögmann Der „Schwed“ im nördlichen Niederösterreich und die Erinnerungskultur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

(6) Ausblick Werner Telesko Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg. Die Rezeption in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts. . . . . . . . . . .

397

Christoph Kampmann Der Westfälische Friede als Grundlage von Völkerfrieden und Völkerrecht: Frühneuzeitliche Wurzeln und Entwicklung einer Vorstellung. . . . . . . . . . 415 Orts- und Personenregister (Sonja Lessacher). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Adressen der Beiträgerinnen und Beiträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450

Siglen- und Abkürzungsverzeichnis

ADB Allgemeine Deutsche Biographie Abt. Abteilung AKG Archiv für Kulturgeschichte AÖG Archiv für österreichische Geschichte APW Acta Pacis Westphalicae AUC Acta Universitatis Carolinae AVA Allgemeines Verwaltungsarchiv, Wien AVGT Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie AZ Archivalische Zeitschrift BA II/10/1–4 Kathrin Bierther (Bearb.), Die Politik Maximilians I. von Bayern und seiner Verbündeten 1618–1651. Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. N. F. 2, Bd. 10: Der Prager Frieden von 1635, 4 Bde. (München 1997) Beih. Beiheft BFFK Blätter für fränkische Familienkunde BlLkNÖ Blätter für Landeskunde von Niederösterreich ČČH Český časopis historický ČMM Časopis Matice moravské CTS Consolidated Treaty Series, ed. Clive Parry DA Diplomarbeit DASP Diözesanarchiv St. Pölten DBBT V Documenta Bohemica Bellum Tricennale illustrantia 5: Der Schwedische Krieg und Wallensteins Ende. Quellen zur Geschichte der Kriegsereignisse der Jahre 1630–1635, hg. von Miroslav Toegel (Praha 1977). EdG Enzyklopädie deutscher Geschichte EdN Enyzklopädie der Neuzeit FA Familienarchiv FB Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte FHB Folia Historica Bohemica fl. Gulden FLkNÖ Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich FS Festschrift Diss. Dissertation GG Geschichte und Gesellschaft GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht HA Historische Anthropologie

10 

HAL Hausarchiv der regierenden Fürsten von und zu Liechtenstein HHStA Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien HJb Historisches Jahrbuch HKA Hofkammerarchiv Hs. Handschrift HZ Historische Zeitschrift JGPÖ Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich IEG Institut für Europäische Geschichte, Mainz IÖG Institut für Österreichische Geschichtsforschung IPM Instrumentum Pacis Monasteriensis IPO Instrumentum Pacis Osnabrugensis JbLKNÖ Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich JbOÖMV Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines JbVGStW Jahrbuch des Vereines für Geschichte der Stadt Wien KA Kriegsarchiv, Wien Kart. Karton L’Homme L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft MA Masterarbeit MGSL Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde MOÖLA Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs MÖStA Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs NDB Neue Deutsche Biographie N. F. Neue Folge NFSG Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte NLM Neues Lausitzisches Magazin NÖ. Niederösterreichisch/e/er/es NÖLA Niederösterreichisches Landesarchiv, St. Pölten NÖLA, StA Niederösterreichisches Landesarchiv, Ständisches Archiv/Ständische Akten o. D. ohne Datum ÖAW Österreichische Akademie der Wissenschaften ÖGL Österreich in Geschichte und Literatur OKäA Oberstkämmereramt ÖNB Österreichische Nationalbibliothek OÖ. Oberösterreichisch/e/er/es OÖHbl Oberösterreichische Heimatblätter OÖLA Oberösterreichische Landesarchiv, Linz ÖStA Österreichisches Staatsarchiv, Wien ÖZG Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften PP Past & Present Prot. Protokollbuch PSH Pražský sborník historický QFfrF Quellen und Forschungen zur fränkischen Familiengeschichte QIÖG Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung



RömQua

11

Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte SB Sitzungsberichte ŚKHS Śląski kwartalnik historyczny Sobótka sog. sogenannte/r SOF Südostforschungen StA Stadtarchiv StuF Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde Tageb. XII, XIII, Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Standort Dessau-Roßlau, Z 18 Abt. XIV Bernburg, A 9b Nr. 14, Bde. 12–14 TLA Tiroler Landesarchiv, Innsbruck UAB Gottlieb Krause (Bearb.), Urkunden, Aktenstücke und Briefe zur Geschichte der Anhaltischen Lande und ihrer Fürsten unter dem Drucke des dreißigjährigen Krieges, 5 Bde. (Leipzig 1861–1866) UH Unsere Heimat VKNGÖ Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs VMPIG Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte VIEG Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte VIÖG Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung VLA Vorarlberger Landesarchiv, Bregenz VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte WGBl Wiener Geschichtsblätter WStLA Wiener Stadt- und Landesarchiv Wv Das Waldviertel ZAA Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie ZBLG Zeitschrift für bayerisches Landesgeschichte ZGO Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins ZHF Zeitschrift für Historische Forschung ZHVStmk Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark ZVGAS Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens ZVGS Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens xr. Kreuzer





Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg – zur Einleitung Katrin Keller – Martin Scheutz

Der in der „Enzyklopädie der Neuzeit“ zwischen „Dreifelderwirtschaft“ und „Drogenkonsum“ abgelegte und in der Wissenskultur verbuchte Dreißigjährige Krieg1, seine Ursachen und Folgen sind unter mehreren, verschiedene Aspekte ausleuchtenden Schlagworten gefasst worden: „Staatsbildungskrieg“2, Konfessionskrieg3 (oder eben kein Konfessionskrieg), „Military Fiscal State“4 und militärische Revolution5 (oder eben keine6), Europäischer Krieg7, „teutscher“ Krieg8 oder Propagandakrieg9. All diese mitunter pointierten Sichtweisen behaupten aus unterschiedlichen regionalen Perspektiven und aus unterschiedlichen disziplinären Blickwinkeln Stimmigkeit, geben aber auch Anlass zu neuen Überlegungen und Fragen. Der Dreißigjährige Krieg gilt als mächtiger Motor der kollektiven Erinnerung in Selbstzeugnissen, in performativen Gedächtnisformen wie etwa dem „Augsburger Friedensfest“ und in der Literatur generell – viele Themenfelder, disziplinäre Zugänge und gleichzeitig Interpretamente ließen sich noch anführen.  Michael Kaiser, Dreißigjähriger Krieg. EdN 2 (2005) Sp. 1125–1133.  Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Kriegs als frühmoderner Staatsbildungskrieg. GWU 45 (1994) 487–499; ders., Worum ging es im Dreißigjährigen Krieg? Die frühmodernen Konflikte um Konfessions- und Staatsbildung, in: Wie Kriege entstehen. Zum historischen Hintergrund von Staatenkonflikten, hg. von Bernd Wegner (Paderborn 2000) 67–87. 3  Als Beispiel etwa Konrad Repgen, Was ist ein Religionskrieg?, in: ders., Von der Reformation zur Gegenwart (Paderborn 1988) 84–97; Axel Gotthard, Der Gerechte und der Notwendige Krieg. Kennzeichnet das Konfessionelle Zeitalter eine Resakralisierung des Kriegsbegriffs?, in: Krieg und Christentum. Religiöse Gewalttheorien in der Kriegserfahrung des Westens, hg. von Andreas Holzem (Paderborn 2009) 470–504. 4   Meist am Beispiel des 18. Jahrhunderts entwickelt: William D. Godsey, The Sinew of Habsburg Power. Lower Austria in a Fiscal-Military State 1650–1820 (Oxford 2018); The Fiscal Military State in EighteenthCentury Europe. Essays in Honour of P. G. M. Dickson, hg. von Christopher Storrs (Franham 2009). 5  Michael Roberts, The Military Revolution, 1560–1660, in: The Military Revolution Debate. Readings on the Military Transformation of Early Modern Europe, hg. von Clifford J. Rogers (Boulder 1995) 13–36; mit einem Plädoyer für den langsamen Wandel der Militärtechnik Geoffrey Parker, Die militärische Revolution. Die Kriegskunst und der Aufstieg des Westens 1500–1800 (Frankfurt/Main 1990). 6   Als Beispiel für einen längerfristigen Wandel etwa Jeremy Black, Beyond The Military Revolution. War in The Seventeenth-Century World (Basingstoke 2011). 7 Christoph Kampmann, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konfliktes (Stuttgart 2008); Siegfried H. Steinberg [1899–1969], Der Dreißigjährige Krieg und der Kampf um die Vorherrshaft in Europa 1600–1660 (Kleine Vandenhoeck Reihe 261, Göttingen 1967). 8 Günther Barudio, Der „teutsche“ Krieg 1618–1648 (Frankfurt/Main 1985). 9 Holger Böning, Dreißigjähriger Krieg und Öffentlichkeit. Zeitungsberichterstattung als Rohfassung der Geschichtsschreibung (Presse und Geschichte, Neue Beiträge 126, Bremen 2018). 1 2

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Katrin Keller – Martin Scheutz

Lehrveranstaltungen zum Dreißigjährigen Krieg leiden auch an österreichischen Universitäten meist nicht unter Besuchermangel. Der Dreißigjährige Krieg ist in der Erinnerungskultur Mitteleuropas außerdem präsent als der Krieg Hans Jakob von Grimmelshausens (1621–1676) „Simplicissimus“10 oder als der Krieg des in den letzten Jahren zum Allgemeingut gewordenen Söldners Peter Hagendorf (1601/02–1679)11. Die Schlachtopfer eines Gräberfeldes von Lützen, die Söldner gleichermaßen als Opfer und Täter, blickten 2018 den Besuchern des Naturhistorischen Museums in Wien furchtgebietend entgegen, gleichsam zu mahnenden Altarfiguren des Krieges angeordnet12. Die deutschsprachige Geschichtsschreibung zum Dreißigjährigen Krieg ist – betrachtet man rein die Überblicksdarstellungen – eine Geschichtsschreibung der Männer über einen fernen, aber doch nahen Krieg13, der bis heute nicht nur Forschende und Studierende, sondern auch die breite Öffentlichkeit vor unterschiedlichem Hintergrund interessiert. Lediglich die englische Historikerin Cicely Veronica Wedgwood (1910–1997)14 konnte in den späten 1930er Jahren, unmittelbar vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, die Phalanx der männlich dominierten Geschichtsschreibung zum Dreißigjährigen Krieg sprengen. Reichshistoriker wie Georg Schmidt (geb. 1951)15, Politikwissenschaftler wie Herfried Münkler (geb. 1951)16, Militärhistoriker wie Peter Hamish Wilson (geb. 1963)17 oder Frühneuzeit-Historiker wie Johannes Arndt (geb. 1957)18, Johannes Burkhardt (geb. 1943),19 Axel Gotthard (geb. 1959)20, Christoph Kampmann (geb. 1961)21, der Hexenforscher Gerhard Schormann (1942–2018)22 oder der Sozial- und Mikrohistoriker Hans Medick (geb. 1939)23 haben Erzähl- und Erklärungsversuche des Dreißigjährigen Kriegs   Als Beleg hierfür könnte etwa auch Daniel Kehlmann, Tyll. Roman (Reinbek/Hamburg 2017), gelten.  Jan Peters, Peter Hagendorf – Tagebuch eines Söldners aus dem Dreißigjährigen Krieg (Göttingen 2012); siehe etwa auch die ZDF-Serie („Terra X) „Als Söldner im Dreißigjährigen Krieg. Die wahre Geschichte des Peter Hagendorf“ (2018). 12   Ausstellung im Naturhistorischen Museum, Wien (23. Oktober 2018–28. April 2019): „Krieg. Auf den Spuren einer Evolution“ (in Kooperation mit dem Museum für Vorgeschichte in Halle); als historischarchäologischer Hintergrund: André Schürger, The Archaeology of the Battle of Lützen. An Examination of 17th Century Military Material Culture (Diss. Glasgow 2015); ähnlich 1636 – ihre letzte Schlacht. Leben im Dreißigjährigen Krieg, hg. von Sabine Eickhoff–Franz Schopper (Berlin 2012). Die Toten des Krieges finden sich auch in den Selbstzeugnissen gespiegelt: Alexander Denzler, Kriegstote in Selbstzeugnissen des Dreißigjährigen Krieges, in: Vom Umgang mit den Toten. Sterben im Krieg von der Antike bis zur Gegenwart, hg. von Martin Clauss–Ansgar Reiss–Sabine Rüther (Krieg in der Geschichte 94, Paderborn 2019) (in Druck). 13   So auch der Titel: Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, hg. von Benigna von Krusenstjern–Hans Medick (VMPIG 148, Göttingen 1999). 14  Cicely Veronica Wedgwood, Der Dreißigjährige Krieg (München 1967 [1938]). 15 Georg Schmidt, Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (München 2018). Als für den Studienbetrieb sehr nützliche Einführung siehe ders., Der Dreißigjährige Krieg (München 92018). 16 Herfried Münkler, Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618–1648 (Berlin 2017). 17   Peter Hamish Wilson, Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie (Darmstadt 2017 [2009]; Ders., Lützen. Great Battles (Oxford 2018). 18  Johannes Arndt, Der Dreißigjährige Krieg 1618–1648 (Stuttgart 2009). 19 Johannes Burkhardt, Der Krieg der Kriege. Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (Stuttgart 2018). 20  Axel Gotthard, Der Dreißigjährige Krieg. Eine Einführung (UTB 4555, Köln–Weimar–Wien 2016). 21   Kampmann, Europa und das Reich (wie Anm. 7). 22 Gerhard Schormann, Der Dreißigjähriger Krieg (Kleine Vandenhoeck Reihe 1506, Göttingen 1985); ders., Der Dreißigjähriger Krieg 1618–1648, in: Handbuch der Deutschen Geschichte 10, hg. von Wolfgang Reinhard (Stuttgart 102001) 207–282. 23 Hans Medick, Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt (Göttingen 2018). 10 11



Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg – zur Einleitung 15

vorgelegt. Das Fehlen einer kohärenten Wirtschafts- und Finanzgeschichte zum Dreißigjährigen Krieg, welche die Kriegswirtschaft neben die reguläre Handelsgeschichte stellt, erscheint freilich auffällig24. Immer stand der Dreißigjährige Krieg – man denke an Schillers „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“ – dabei auch im Fokus der populäreren Geschichtsschreibung. Als jüngeres Beispiel mag die Geschichte des Krieges aus der Feder des schwedischen Historikers Peter Englund (geb. 1957) gelten, vor dem Hintergrund zweier Weltkriege in Europa erscheinen hier die „Verwüstungen“ des Dreißigjährigen Krieges als Vorboten der späteren europäischen Konflikte25. Dabei ist die Narration dieses Krieges erzähltechnisch mit Schwierigkeiten behaftet. Die Geschichtsschreibung zum Dreißigjährigen Krieg findet stets im Spannungsverhältnis von strukturell orientierter Geschichte und häufig überbordendem chronikalischen Erzählduktus statt. Die Darstellungsprobleme eines sich von Schlacht zu Schlacht, von Truppenverlagerungen über diplomatische Verhandlungen und in internationale Konfliktlagen fortentwickelnden Molochs „Dreißigjähriger Krieg“ lassen sich etwa an der Darstellung der Schlacht von Lützen 1632 verdeutlichen: Während Herfried Münkler oder Peter H. Wilson ein episches, die militärischen Operationen detailliert schilderndes Schlachtengemälde vieler Auseinandersetzungen liefern, nimmt die Darstellung der Kämpfe vor Lützen bei Georg Schmidt gerade einmal eineinhalb Seiten ein26. Umgekehrt bündelt etwa Georg Schmidt seine Darstellung zum Söldnerwesen des Dreißigjährigen Krieges, während Wilson und Münkler diesbezügliche Erkenntnisse eher implizit in ihre Darstellung einfließen lassen27. Johannes Burkhardt wählt dagegen, stets pointierend und mit dem Impetus, der traditionellen Geschichtsschreibung neue Seiten abzugewinnen, einen anderen Zugang, indem er die Friedensversuche, die fortschreitende Staatsbildung, die zwei antithetischen Kriegsherren Albrecht von Wallenstein (1583–1634) und Gustav Adolf von Schweden (1594–1632) und schließlich die westfälischen Friedensverhandlungen und -schlüsse in den Vordergrund rückt. Seine Darstellung des Krieges verdeutlicht zwar die ungeheure Grausamkeit des Krieges, doch kommt das Buch weitgehend ohne Schlachtendarstellungen aus und zeigt eher das permanente Ringen um Frieden am Beginn, während und am Ende des Krieges. Als genereller Zug der Darstellungen zum Dreißigjährigen Krieg lässt sich anführen, dass die Wertigkeit zeitgenössischer Stimmen in diesen Überblicken deutlich zugenommen hat. Die Erzählungen des Söldners Peter Hagendorf, des calvinistischen Kannengießers Augustin Güntzer (1596–1657)28, des thüringischen Hofrates Volkmar Happe (1587–ca. 1659)29, des böhmischen Gerbers und Bergmeisters Michel Stüeler (1583–

24  Verschiedene Ansätze gibt es bereits: Rolf Kiessling–Werner Trossbach–Frank Konersmann, Grundzüge der Agrargeschichte Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zum Dreißigjährigen Krieg (Köln–Weimar– Wein 2016). 25 Peter Englund, Verwüstung. Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (Reinbek/Hamburg 2013). 26  Münkler, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 16) 582–596; Wilson Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 17) 606–611, Schmidt, Reiter der Apokalypse (wie Anm. 15) 415–416. 27   Schmidt, Reiter der Apokalypse (wie Anm. 15) 266–276. 28  Fabian Brändle–Dominik Sieber (Ed.), „Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben“. Die Autobiographie eines Elsässer Kannengießers aus dem 17. Jahrhundert (Selbstzeugnisse der Neuzeit 8, Köln–Weimar– Wien 2002). 29   Siehe die Edition von Andreas Bär, Volkmar Happe – „Chronicon Thuringae“ im Zusammenhang der „Mitteldeutschen Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges“ („MDSZ“) (http://www.mdsz.thulb. uni-jena.de/happe/quelle.php [15. 6.2019]).

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Katrin Keller – Martin Scheutz

1656)30, des Schusters Hans Heberle (1597–1677), des thüringischen Pastors Martin Bötzinger (1599–1673)31, des zunehmend von Wölfen und Soldaten geplagten Benediktinerabtes Maurus Friesenegger (1589–1655)32 oder auch des Kardinals Ernst Adalbert von Harrach (1598–1667)33 mischen sich farbig und mikrogeschichtlich Lebenssituationen ausleuchtend in die Überblicke, der Krieg ist durch diese Augenzeugen fassbarer geworden. Die Habsburgermonarchie scheint dabei innerhalb der durch den Dreißigjährigen Krieg verwüsteten europäischen Landschaften lange ein gelobtes Land, vielleicht gar eine „Insel der Seligen“34, gewesen zu sein. Diesen Eindruck gewinnt man nicht nur aus mancher Gesamtdarstellung, sondern auch etwa bei der Lektüre einer Vielzahl der mittlerweile edierten und ausgewerteten Selbstzeugnisse. Der aus Neenstetten bei Ulm stammende Bauer und Schuhmacher Hans Heberle berichtet etwa in seinem „denckbüechlein von mancherley historia und glaubwürdigen sachen“ 1623, während der Kipper- und Wipperzeit mit ihrer Hyperinflation: „Weil sich aber die theürung von tag zu tag mehret, so sind vüll hundert von hauß und hof gezogen in das Mehrenlandt und Osterreich und auff der Thonna der mehrteil hinab gefahren.“35 Auch der seit 1904 in Wien zur Ehre einer Straßenbenennung gelangte Augsburger Benediktiner Reginbald Möhner (1602–1672) musste 1635 sein Stammkloster St. Ulrich in Augsburg verlassen: „des Reichsgottshaus aber zue S. Ulrich Underthanen zuem Theil vertrieben und umbkommen, die Landtgüter vil verbrent und verödet, die Velder bei so langen Kriegswesen ungebauet verbliben, also die Einkomen fast gänzlich gehämet“.36 Der Mönch machte sich deshalb mit Zustimmung des Abtes auf, um in anderen Klöstern ein besseres Unterkommen zu finden; der Weg führte ihn die Donau hinab nach Lambach, später Linz und auch nach Wien. Im Jahr 1636 fungierte er sogar einige Zeit als

30 Jan Kilián (Ed.), Michel Stüelers Gedenkbuch (1629–1649). Alltagsleben in Böhmen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 17, Göttingen 2014); ders., Der Gerber und der Krieg. Soziale Biographie eines böhmischen Bürgers aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (Berlin 2018). 31  Harald Rockstuhl (Ed.), Leben und Leiden während des Dreißigjährigen Krieges in Thüringen und Franken. Ein Augenzeugenbericht von Pfarrer Martin Bötzinger (Bad Langensalza 1994 [1925]). 32 Willibald Mathäser (Ed.), Maurus Friesenegger. Tagebuch aus dem 30jährigen Krieg. Nach einer Handschrift im Kloster Andechs (München 1974); Hermann Hörger, Die Kriegsjahre 1632 bis 1634 im Tagebuch des P. Maurus Friesenegger, nachmaligen Abtes von Andechs (1640–1655). ZBLG 34 (1971) 866–876. 33 Katrin Keller–Alessandro Catalano, Ernst Adalbert von Harrach: Die Diarien und Tagzettel des Kardinals Ernst Adalbert von Harrach (1598–1667), 7 Bde. (VKNGÖ 104, Wien 2010). 34  So, gewohnt formulierungsstark, für Hamburg: Burkhardt, Krieg der Kriege (wie Anm. 19) 24. 35 Gerd Zillhardt, Der Dreißigjährige Krieg in zeitgenössischer Darstellung. Hans Heberles „Zeytregister“ (1618–1672) Aufzeichnungen aus dem Ulmer Territorium. Ein Beitrag zu Geschichtsschreibung und Geschichtsverständnis der Unterschichten (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 13, Ulm 1975) 109 (zum Titel des Selbstzeugnisses 85). 36 Albin Czerny, Ein Tourist in Oesterreich während der Schwedenzeit. Aus den Papieren des Pater Reginbald Möhner, Benedictiners von St. Ulrich in Augsburg (Linz 1874) 13; siehe auch L. Brunner, Reise des P. Reginbald Möhner, Benedictiners von St. Ulrich in Augsburg, als Feldcaplan bei den für Spanien geworbenen und unter dem Commando des Markgrafen Leopold von Baden geführten deutschen Regimentern in die Niederlande im Jahr 1651. Nebst Auszügen aus der Beschreibung früherer Reisen desselben (Separatdruck aus 35. Jahresbericht des historischen Vereins von Schwaben und Neuburg, Augsburg 1872). Eine ähnliche Reise unternahm der Tennenbacher Zisterziensermönch Conrad Burger (1613–1680): Johann Baptist Alzog, Reisebüchlein des Conrad Burger. Zur Geschichte des Klosters Tennenbach im 30jährigen Krieg (Freiburg/ Breisgau 2001).



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Pfarrer von Kematen37 bei Kremsmünster und trat später in Salzburg für einige Jahre ins „collegium professorum“ als Küchenmeister ein. Bezeichnend für Möhners Rezeption der deutschen Erblande aus der Sicht eines Exulanten ist etwa der Übergang von Bayern nach Österreich, wo der bayerische Schmalhans die Herrschaft über die Küche verlor: „Auff den Mitag kamen wir nacher Casparshofen [Gaspoltshofen], bliben alda zue Mitag bei einem alten reichen Pfarherrn, gegen Abent langten wür in dem ansehenlichen Benedictiner Kloster Lambach an der Traun gelegen an. Wurden von dem Herrn Philippo Nagel Abten daselbsten wol empfangen; besuechten nach der Tafel auch den alten resignirten Herrn Prälaten Joannes in seinem Zimer haim, bei welchem wür bis auff Miternacht gebliben.“38 Auch anderswo wurde Möhner als der Oberschicht zugehöriger Geistlicher trotz der Kriegszeiten üppig versorgt, etwa bei den Kapuzinern in Gmunden: „Zue Mitag hab ich bei disen Patribus geessen, welche Malzeit ihnen die kaiserliche Herrn Salzbeambten splendide angeordnet haben“39. Man könnte die Textstellen von Heberle und Möhner über die erzwungene Grand Tour der Bettler und Geistlichen als Zufallsbefunde abtun, doch verraten die beiden Autoren eine grundlegende Wahrnehmung der deutschen Erblande der Habsburgermonarchie im Sinne einer ökonomischen, aber auch konfessionellen Differenz zu Bayern bzw. zu den süddeutschen Reichsstädten. Das vergleichsweise unzerstörte Donaugebiet hinterließ in der Wahrnehmung der beiden Autoren auf jeden Fall Spuren. Aber war die Habsburgermonarchie wirklich eine „Leerstelle“ im Kriegsgeschehen? Auf den ersten Blick legen das auch viele der eben genannten Überblicksdarstellungen nahe, konzentrierten sich die Kriegsereignisse und die meist thematisierten Kriegsfolgen wie Bevölkerungsverluste, Destabilisierung lokaler Herrschaft und wirtschaftlicher Niedergang doch vorrangig auf eine „Zerstörungsdiagonale“40 von der Ostseeküste bis in den Südwesten. Während Gebiete wie Mecklenburg und Pommern, Thüringen, Sachsen, Hessen und Schwaben große Verluste durch den Krieg erlitten, weist die häufig verwendete Karte von Günther Franz für Böhmen, Mähren und Schlesien Bevölkerungsverluste von 10 bis 30 % aus, für die Donauländer, also die österreichischen Erblande, verbucht sie dagegen überhaupt keine Kriegsverluste. Zudem fällt auf, dass die habsburgischen Herrscher der Kriegszeit fast ausschließlich als Kaiser thematisiert werden. Die österreichischen Habsburger als regierende Familie trugen jedoch mehrere Hüte bzw. Kronen, und oft wird nicht ganz deutlich, in welcher Funktion sie jeweils agierten: als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, als Verwandte des Königs von Spanien, als Erzherzoge von Österreich, Könige von Böhmen oder Ungarn? Spielt der Bezug des Kriegsgeschehens zur Habsburgermonarchie im allgemeinen Bild des Krieges nur partiell eine Rolle, so hinterließ der Dreißigjährige Krieg auch in der österreichischen Historiographie41 vor allem an seinem Beginn und zum Ende hin deut37  Zum Erscheinen Möhners bei der eigenen Totenfeier Wolfgang Treue, Abenteuer und Anerkennung. Reisende und Gereiste in Spätmittelalter und Frühneuzeit (1400–1700) (Paderborn 2014) 95–97. 38  Czerny, Tourist (wie Anm. 36) 16. 39  Ebd. 17. 40  Burkhardt, Der Krieg der Kriege (wie Anm. 19) 18f. 41 Mit Bezug auf Burkhardts „Staatsbildungskrieg“ Thomas Winkelbauer, Die Habsburgermonarchie vom Tod Maximilians I. bis zum Aussterben der Habsburger in männlicher Linie (1519–1740), in: Geschichte Österreichs, hg. von dems. (Stuttgart 22016) 159–289, hier 180–185; ders., Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter (Österreichische Geschichte 1522– 1699, Wien 2003) 1 60–76 (österreichische Erbländer), 1 92–109 (böhmische Länder), 1 147–151 (Ungarn, Kroatien, Siebenbürgen); Alois Niederstätter, Geschichte Österreichs (Stuttgart 2007) 113–120; Karl Vo-

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lich wahrnehmbare Spuren, liest sich jedoch meist als wenig interpretierender ereignisgeschichtlicher Überblick. Das Vordringen der böhmischen Ständetruppen in Richtung Wien und die Spätphase des Krieges, als die Schweden 1645 Krems und Stein an der Donau und 1647 die Bregenzer Klause eroberten, wurden intensiver erforscht42 – die Jahre zwischen 1620 und 1645 waren dagegen in der Sichtweise der österreichischen Historiographie eher von Bauernunruhen in verschiedenen Ländern der Habsburgermonarchie bestimmt. Insgesamt könnte man vorsichtig interpretieren, dass der Dreißigjährige Krieg aus der Perspektive der österreichischen Geschichtsforschung vor allem als ein Krieg des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches und weniger als Krieg des Landesfürsten der einzelnen Territorien der Habsburger in Mitteleuropa wahrgenommen wird. Zugleich wird das Heilige Römische Reich in der österreichischen Geschichtsschreibung meist wenig thematisiert – ein Rest der von Fritz Fellner monierten „negatio imperii“43 zeigt sich; umgekehrt spielt der Raum der Habsburgermonarchie in den Überblickswerken zum Dreißigjährigen Krieg, abseits der faktischen Schlachtengeschichte, eine ebenso kümmerliche Rolle. Stark im Fokus stehen traditionell Führungspersonen und zuletzt teilweise auch der als Ort der Entscheidungsfindung abstrakt firmierende „Wiener Hof“: Neben dem biographischen, schon zeitgenössisch überhöhten „Duell“ der Feldherren Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein44 versus Gustav Adolf von Schweden45 finden sich vor allem neuere, durchaus kontroverse Biographien zu Ferdinand II. (1578–1637)46, Ferdinand III. (1608–1657)47 und seines Bruders, des Fürstbischofs Feldherrn Leopold Wilhelm (1614–1664)48. Vertiefende biographische Porträts haben die Karrierewege der militärischen, kirchlichen und politischen Eliten verdeutlichen helfen: Figuren wie der glücklose General Matthias Gallas (1588–1647)49, der „Alba“ des Landes ob der Enns Adam celka, Geschichte Österreichs. Kultur – Gesellschaft – Politik (Wien 2000) 140–145. Als ältere Gesamtdarstellung etwa („Des Kaisers Kampf ums Reich“) Hugo Hantsch, Die Geschichte Österreichs, Bd. 1 (Graz [1937] 41994) 350–359. 42  Die Aufarbeitung erfolgte vor allem ereignis- und militärgeschichtlich: Peter Broucek, Der Schwedenfeldzug nach Niederösterreich 1645/46 (Militärhistorische Schriftenreihe 7, Wien 1967, 31989); ders., Die Eroberung von Bregenz am 4. Jänner 1647 (Militärhistorische Schriftenreihe 18, Wien 1971, 21981); ders., Kampf um Landeshoheit und Herrschaft im Osten Österreichs 1618 bis 1621 (Militärhistorische Schriftenreihe 65, Wien 1992); Gustav Reingrabner, Der Dreißigjährige Krieg und Österreich, in: Erich Rabl–ders. (Red.), Der Schwed’ ist im Land! Das Ende des 30jährigen Krieges in Niederösterreich. Ausstellung der Stadt Horn im Höbarthmuseum (Horn 1995) 15–97. 43 Martin Scheutz–Arno Strohmeyer, Einleitung, in: Was heißt „österreichische“ Geschichte. Probleme, Perspektiven und Räume der Neuzeitforschung, hg. von dens. (Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 6, Innsbruck 2008) 7–20, hier 13f. 44  Aus der unübersichtlich gewordenen Biographienlandschaft exemplarisch: Robert Rebitsch, Walleinstein. Biografie eines Machtmenschen (Wien 2010); Golo Mann, Wallstein. Sein Leben (Frankfurt/Main 1971); Wallensteinbilder im Widerstreit. Eine historische Symbolfigur in Geschichtsschreibung und Literatur vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, hg. von Joachim Bahlcke–Christoph Kampmann (Köln–Weimar– Wien 2011); Wallenstein. Mensch – Mythos – Memoria, hg. von Birgit Emich–Dirk Niefanger–Dominik Sauer­er–Georg Seiderer (Historische Forschungen 117, Berlin 2018). 45 Michael Roberts, Gustavus Aldophus, 2 Bde. (London 1953/1958); Jörg-Peter Findeisen, Gustav II. Adolf von Schweden. der Eroberer aus dem Norden (Gernsbach 2005). 46  Robert Bireley, Ferdinand II. Counter-Reformation Emperor 1578–1637 (Cambridge 2014); Johann Franzl, Ferdinand II. Kaiser im Zwiespalt der Zeit (Graz 1989). 47  Lothar Höbelt, Friedenskaiser wider Willen (1608–1657) (Graz 2008); Mark Hengerer, Kaiser Ferdinand III. Eine Biographie (VKNGÖ 107, Wien 2012). 48 Renate Schreiber, „Ein Galeria nach meinem Humor“. Erzherzog Leopold Wilhelm. Eine biographische Skizze (Schriften des Kunsthistorischen Museums 8, Wien 2004). 49 Robert Rebitsch, Matthias Gallas (1588–1647). Generalleutnant des Kaisers zur Zeit des Dreißigjähri-



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Graf von Herberstorff (1585–1629)50, der vom reformierten Bauernsohn zum Reichsgrafen aufgestiegene Peter Melander (1589–1648)51 oder der loyal-wagemutige Gottfried Heinrich zu Pappenheim (1594–1632)52, der unermüdliche Aktenbohrer Gundaker von Liechtenstein (1580–1658)53 oder der Schlägler Abt Martin Greysing (1592–1665)54 treten vor die Augen der Leserschaft. Ganz anders stellt sich die Situation in Tschechien dar, wo der zweite Prager Fenstersturz nicht nur den Auftakt zu einer langen Phase immer wiederkehrender Kriegszüge bedeutete. Das Jahr 1620 mit der Schlacht am Weißen Berg erlangte vielmehr nationalhistoriographischen Zäsurcharakter, indem die böhmische und mährische Geschichte in eine tendenziell positiv beleuchtete vor-weißenbergische und eine weitgehend negativ dargestellte nach-weißenbergische Phase zerfiel. Nach dem Roman von Alois Jirásek (1851–1930) wird diese Zeit des Elitentausches, der Konfiskationen, der Gegenreformation und der Kriegsbelastungen als „Temno“ (Finsternis) bezeichnet55. Der Dreißigjährige Krieg gilt in der Historiographie Tschechiens als bedeutungsvolle Zäsur einer verstärkten Fremdbestimmung des Landes. In der ungarischen Historiographie wiederum erscheint der Dreißigjährige Krieg gegenüber den siebenbürgischen Einflüssen – etwa im Zusammenhang mit dem Agieren Gabriel Bethlens (1580–1629) zwischen 1613 und 1629 – und der permanenten osmanischen Gefahr eher als ein Nebenschauplatz. In Vorderösterreich, heute auf mehrere deutsche Bundesländer und Frankreich aufgeteilt, war dagegen der Dreißigjährige Krieg ein dramatisches, die territorialen Zusammenhänge tiefgreifend umformendes Ereignis. Der vorliegende Band nun, Resultat einer Wiener Tagung im Oktober 2018, setzt sich vor dem so skizzierten Hintergrund nicht mit einem der eingangs angesprochenen forschungsleitenden Konzepte auseinander. Die Beiträge zielen vielmehr darauf ab, Kriegsereignisse und Kriegsfolgen auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie in einem Überblick sichtbar zu machen und jüngere Forschungsergebnisse zusammenzufassen. Im Blick hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der vom Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien und dem Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit Unterstützung des Wiener Stadt- und Landesarchives veranstalteten Tagung dabei sowohl Lücken der allgemeinen Forschung zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges wie Leerstellen in der gesamtösterreichischen Erinnerungskultur. Meist sind es hier neben mächtigen Erinnerungsspeichern wie dem „Heeresgeschichtlichen Museum“ vor allem die zahlreichen Heimatmuseen, die eine Erinnerung an die gen Krieges. Eine militärische Biographie (Geschichte in der Epoche Karls V. 7, Münster 2006). 50 Hans Sturmberger, Adam Graf Herberstorff. Herrschaft und Freiheit im konfessionellen Zeitalter (Wien 1976). 51  Als Dissertationsprojekt dieses Aufsteigers Steffen Leins, Reichsgraf Peter Melander von Holzappel (1589–1648). Aufstieg eines Bauernsohns als Kriegsunternehmer, Diplomat und Herrschaftsorganisator. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 14/2 (2010) 348–357. 52 Barbara Stadler, Pappenheim und die Zeit des Dreißigjährigen Krieges (Winterthur 1991). 53 Thomas Winkelbauer, Fürst und Fürstendiener. Gundaker von Liechtenstein. Ein österreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters (MIÖG Ergbd. 34, Wien–München 1999). 54 Johannes Ramharter, In Krieg und Frieden. Leben und Wirken von Abt Martin Greysing (1592– 1665) (Schlägler Schriften 13, Linz 2019). 55  Zum „Weißen Berg“ als tschechischer Erinnerungsort etwa Joachim Bahlcke, 1620 – Schlacht am Weißen Berg bei Prag. Ursachen, Verlauf und Folgen des Zusammenstoßes von ständischer Libertät und monarchischer Autorität, in: Von Lier nach Brüssel. Schlüsseljahre österreichischer Geschichte (1496–1995), hg. von Martin Scheutz–Arno Strohmeyer (VGS Studientexte 1, Innsbruck 2010) 79–98, hier 94f.

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„Schwedenzeit“ oder die Bauernunruhen der 1620er Jahre wachhalten. Lediglich der Beginn und dann die späten Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges konnten sich ansatzweise im kollektiven Gedächtnis breiterer Schichten behaupten. Dies zeigte sich schon in der reichen Historienmalerei des 19. Jahrhunderts, das zeigt sich heute etwa in den Reaktionen auf einen Blog-Beitrag von Katrin Keller zum Dreißigjährigen Krieg in der linksliberalen österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ zum Thema „400 Jahre Dreißigjähriger Krieg – kein Jubiläum für Österreich?“56, in denen einerseits lokale, andererseits konfessionelle Bezüge dominieren. Diese insgesamt gering ausgeprägte Erinnerungskultur im heutigen Österreich steht sowohl in einem Missverhältnis zu konkreten Auswirkungen des Krieges auf die Bevölkerung und zur eminenten Bedeutung der habsburgischen Kriegsherren im Dreißigjährigen Krieg wie zur Relevanz der Kriegszeit für die weitere Entwicklung der Habsburgermonarchie. Die Bedeutung des Krieges für diese lässt sich ja nicht nur in den unmittelbaren Kriegsauswirkungen messen, sondern die steigenden Belastungen der Bauern und Städte, die Einquartierungen und die Entwicklung einer Kriegswirtschaft hatten tiefgreifende Folgen für den Gesamtstaat jenseits der fern oder nah geschlagenen Schlachten des Krieges. Hierbei ist darauf zu verweisen, dass neuere Forschungen für verschiedene Teile des Heiligen Römischen Reiches die Ergebnisse und Methodik der oben schon angesprochenen Kartographierung von Bevölkerungsverlusten hinterfragen und beispielsweise für Bayern zu wesentlich höheren Angaben als Günther Franz gelangen57. Auch für die deutschen Erbländer sollten ältere Zahlen deshalb mit Fragezeichen versehen werden. Für das heutige Niederösterreich, historisch das Land unter der Enns, ist etwa eine umfassendere Einschätzung der Verlustzahlen erfolgt auf der Basis von Häuserzahlen. Vor allem die nördlich der Donau gelegenen Viertel ober bzw. unter dem Manhartsberg und das Viertel unter dem Wienerwald (also das westliche Niederösterreich südlich der Donau) waren von Kriegshandlungen am Beginn und Ende des Dreißigjährigen Krieges massiv betroffen. Generell quartierten die Obrigkeiten Söldner nördlich und südlich der Donau aus Gründen der besseren Überwachung des „Menschgetiers“58 vor allem in den Städten ein, was sich für die Städte langfristig aber als ruinös erwies. Die Bauern des umliegenden Landes mussten durch Kontributionen für die Ernährung dieser einquartierten Soldaten aufkommen. Der fromme Fluch des Graupener Gerbers Michel Stüeler über die auf dem Hals der Hausbewohner liegenden Soldaten – „Gott wird sie straffen“59 – dürfte auch für die österreichischen Erbländer gelten. Die „soziale“ Gewalt in Bürger- und Bauernstuben bringende Geschichte der Einquartierung von Soldaten in den österreichischen Ländern ist bislang kaum zusammenfassend aufgearbeitet. Gerade für Niederösterreich 56 Katrin Keller, 400 Jahre Dreißigjähriger Krieg – kein Jubiläum für Österreich?, https://derstandard. at/2000088668009/400-Jahre-Dreissigjaehriger-Krieg-Kein-Jubilaeum-fuer-Oesterreich [15.5.2019]. 57  Zur Dynamik von Bevölkerungsverlust und Nachkriegsmigration Werner Lengger, Leben und Sterben in Schwaben. Studien zur Bevölkerungsentwicklung und Migration zwischen Lech und Iller, Ries und Alpen im 17. Jahrhundert, Bd. 1 (Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft Augsburg 9/2, Augsburg 2002) 143–147. Eine ähnlich gründliche Aufarbeitung für das Donautal (Ober- und Niederösterreich) oder auch etwa für steirische Städte und Märkte fehlt bislang, würde aber wohl größere Verlustzahlen/ Abwanderungen zeigen. 58  Vom calvinistischen Kannengießer Augustin Güntzer verballhornend für „Musketier“ verwendet, Medick, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 23) 129. 59  Kilián, Gedenkbuch (wie Anm. 30) 105.



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werden aber in verschiedenen Beiträgen des Bandes große Kriegslasten deutlich, sei es durch Einquartierungen, Plünderungen durch eigene Truppen, Steuerbelastungen oder Kontributionen, die nicht zuletzt auch erhebliche Bevölkerungsverluste durch Abwanderung zur Folge hatten. Im wichtigen Weinort Langenlois (nördlich der Donau) fanden sich beispielsweise 1666 mit 326 Häusern zwar so viele wie zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, aber 193 waren baufällig und 28 „öd“60. In Marchegg zählte man 1629 nur mehr 20 anstelle von 86 „früher“ gezählten Bürgern (bei 79 Häusern, 17 öden Häusern und sieben Judenhäusern). Erst 1680 konnte man – nach den Forschungen von Erich Landsteiner – auch aufgrund hoher Geburtenüberschüsse wieder an das Vorkriegsniveau anschließen, als etwa der Stand der besteuerten Untertanenhäuser wieder die Zahlen vor 1618 erreichten61. Die Krisenhaftigkeit dieser Zeit würde sich vermutlich bei seriellen Testamentsuntersuchungen62, bei vergleichenden Inventarforschungen63 in österreichischen Städten, durch vergleichende Studien zur Kriminalitätsgeschichte64 oder am Beispiel der sozialen, wirtschaftlichen und emotionalen Auswirkungen der kleinen Eiszeit65 verdeutlichen lassen. Bereits jetzt ist allerdings eine Besonderheit der Bevölkerungsentwicklung in den deutschen Erbländern festzuhalten: Die bevölkerungspolitischen Folgen von Gegenreformation und oberösterreichischem Bauernkrieg, also Exil aus konfessionellen Gründen sowie Hinrichtungen und Vertreibungen als Strafe, waren regional bedeutsamer als der Einfluss von Krieg und Kriegsfolgen wie Hunger und Seuchen. Selbst bei der hochadeligen „leisure class“ des höfischen Adels klopften gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges die apokalyptischen Reiter in Form von Gewalt, Mangel und Krankheiten an die Tür, wie nicht zuletzt die monumentalen Diarien des schreibfreudigen und ein umfangreiches Korrespondentennetzwerk bedienenden Prager Kardinals Harrach verdeutlichen. Hergebrachtes adeliges Landleben und höfische Belustigungen werden 60  Friederike Goldmann–Evelin Oberhammer–Johanne Pradel (Red.), Die Städte Niederösterreichs. 2. Teil (Österreichisches Städtebuch 4/2, Wien 1976) 192; zu Marchegg 234; als Beispiel etwa Astrid Troll, Ein Beitrag zur Geschichte der landesfürstlichen Stadt Bruck an der Leitha (von 1618 bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts) (Diss. Wien 1964). 61  Erich Landsteiner, Wiederaufbau oder Transformation? Niederösterreich vor, während und nach dem Dreißigjährigen Krieg, in: Polen und Österreich im 17. Jahrhundert, hg. von Walter Leitsch–Stanisław Trawkowski (Wiener Archiv für Geschichte des Slawentums und Osteuropas 18, Wien–Köln–Weimar 1999) 133–195, hier 179–183. 62   Etwa in der Tradition von Michael Pammer, Glaubensabfall und wahre Andacht. Barockreligiosität, Reformkatholizismus und Laizismus in Oberösterreich 1700–1820 (München–Wien 1994). Die Stiftungsformen und -arten wären etwa aussagekräftig. 63 Gudrun Wanzenböck, Bürgerlicher Alltag im barocken Weitra. Verlassenschaftsinventare und ihre Aussagen zu Sachkultur und Sozialstruktur des Bürgertums im 17. und 18. Jahrhundert (Diss. Wien 1996); als Überblick immer noch Herbert Knittler, Zu Fragen der Zentralität. Nachlaßinventare als Quelle frühneuzeitlicher Kleinstadtforschung, in: Wiener Wege der Sozialgeschichte. Themen – Perspektiven – Vermittlungen, hg. von Franz X. Eder–Peter Feldbauer–Erich Landsteiner (Kulturstudien 30, Wien–Köln–Weimar 1997) 75–94. 64   Als Beispiel etwa Räuber, Mörder, Teufelsbrüder. Die Kapergerbande 1649–1660 im oberösterreichischen Alpenvorland, hg. von Martin Scheutz–Johann Sturm–Josef Weichenberger–Franz Xaver Wimmer (Linz 22008); Martha Keil, Der Dreißigjährige Krieg aus jüdischer Sicht. Eine wiederentdeckte hebräische Chronik aus Niederösterreich. David. Jüdische Kulturzeitschrift 22 (2010) 46f. 65  In Fortführung der Ansätze von Christian Rohr, Extreme Naturereignisse im Ostalpenraum. Naturerfahrung im Spätmittelalter und am Beginn der Neuzeit (Köln–Weimar–Wien 2007); Erich Landsteiner, Trübselige Zeit? Auf der Suche nach den wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen des Klimawandels im späten 16. Jahrhundert. ÖZG 12/2 (2001) 79–116.

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konterkariert durch Berichte über Einquartierungen, Plünderungen und physische oder sexuelle Gewalthandlungen. Auch die klammen Kassen des Kaisers machten sich immer deutlicher selbst im „Büro“ des Kardinals bemerkbar, etwa als er zu Beginn 1639 ohne Vorwarnung mit kaiserlichen Geldforderungen konfrontiert wurde: Trotz anfänglichen Widerstandes hatte er aus den zum Unterhalt der Geistlichkeit des Erzbistums zentralen Salzgefällen 40.000 Gulden an die kaiserliche Kammer zu leihen66. Das Beispiel verdeutlicht auch, dass die Hofkammerräte oder die Mitglieder der ständischen Finanzkommissionen gegen Ende des Krieges verschiedenste Wege gehen mussten, um zu Geldern für die Militärausgaben zu kommen. Neben den internationalen Finanzmärkten mussten auf unterschiedlichen Ebenen Geldquellen erschlossen werden. Die kaiserlichen Finanzen sind und bleiben dabei trotz einiger neuer Forschungen67 weitgehend unübersichtlich. Das Zusammenspiel der Reichsfinanzen, etwa in Form der Reichspfennigmeister als personifizierte Form der Reichsfinanzverwaltung, und der habsburgischen Finanzverwaltung erscheint schwierig und bedarf größerer Forschungsprojekte68 zu Erhellung. Das komplexe Zusammenspiel der Hofkammer „als zentrale Koordinationsstelle für die Finanzen am Kaiserhof“69 mit den verschiedenen Länderkammern und den Ständen, deren Rolle als Kreditgeber und Geldbeschaffer im Band thematisiert wird, etwa in Form der ständischen und landesfürstlichen Quartierkommissare, würde sicherlich noch einiges an Forschungen erfordern70. In verwaltungs- und herrschaftsgeschichtlicher Sicht zeigen die Beiträge dieses Ban66  Catalano–Keller, Harrach (wie Anm. 33) 4 522 (27. Jänner 1639): „Heindt haben mich ihr khayserliche Mayestet [Ferdinand III.] aufs neüe umb ein darlehen und anticipirung für die in das landt khomendte soldatesca, biß die darzue deputirte contribution innerhalb 4 oder 6 wochen eingebracht werden möge, durch den graf [Jaroslav] von Märtinitz und herrn von Tallenberg [Friedrich von Talmberg] ersuechen laßen. Ich habe mich zwar sovill, alß ich khünt, gewehret, endtlich aber gleichwoll in 40.000 gulden einverwilliget.“ Ähnlich beispielsweise Gerhard Stalla (Ed.), Geschicht Buech de Anno 1609 biß 1650. Das Tagebuch der Maria Magdalena Haidenbucher (1576–1650), Äbtissin von Frauenwörth (Geistliche Literatur der Barockzeit 11, Amsterdam 1988) 51 [für das Jahr 1623]: „Dises Jar Jst vnß widerumb ein beuelch von minchen khomben, wie dan solches auf alle khlöster khomben, darinen Jhr Churfchl dchl 5 dauset fl von vnsserem Gottshaus lechen begeret, wölches mir aber diser zeit gar nit Beü handten gehabt haben, also anfenkhlih auß Ratt virnember personen aleß silber geschir ausser der khirchenzier auf Minchen geschikht, wölches man doch an statt deß gelts nicht angenumben, sondern vnß alles widerumb zuegeschikht hat.“ 67 Peter Rauscher, Zwischen Krieg und Frieden. Kaiserliche Finanzkrise und Friedenspolitik im Vorfeld des Dreißigjährigen Kriegs (1612–1615), in: Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit. Das Heilige Römische Reich und Europa. FS für Maximilian Lanzinner, hg. von Guido Braun–Arno Strohmeyer (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 36, Münster 2013) 349–386, hier 356–366; siehe etwa den Beitrag von William Godsey in diesem Band. 68  Peter Rauscher, Reichssachen. Die finanziellen Beziehungen zwischen Kaiser und Heiligem Römischen Reich (1600–1740), in: Das „Blut des Staatskörpers“. Forschungen zur Finanzgeschichte der Frühen Neuzeit, hg von Dems.–Andrea Serles–Thomas Winkelbauer (HZ Beih. 56, München 2012) 319–354. 69 Peter Rauscher, Kriegführung und Staatsfinanzen: Die Habsburgermonarchie und das Heilige Römische Reich vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende des habsburgischen Kaisertums 1740. Zur Einführung, in: Kriegführung und Staatsfinanzen. Die Habsburgermonarchie und das Heilige Römische Reich bis zum Ende des habsburgischen Kaisertums 1740, hg. von dems. (Geschichte in der Epoche Karls V. 10, Münster 2010) 5–38, hier 9. 70  William D. Godsey, Stände, Militärwesen und Staatsbildung in Österreich zwischen Dreißigjährigem Krieg und Maria Theresia, in: Bündnispartner und Konkurrenten der Landesfürsten? Die Stände in der Habsburgermonarchie, hg. von Gerhard Ammerer–dems.–Martin Scheutz–Peter Urbanitsch–Alfred St. Weiss (VIÖG 49, Wien 2007) 233–267; zur komplexen Organisationsstruktur der Stände am Beispiel von Niederösterreich Ders., The Sinews of Habsburg Power. Lower Austria in a Fiscal-Military State 1650–1820 (Oxford 2018) 37–66, zum Oberkommissar für die einzelnen Landesteile 164.



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des den Dreißigjährigen Krieg auch als ein sich ständig wandelndes Verwaltungsproblem und als ungeheure logistische Herausforderung. Dabei bleibt vieles offen; etwa die Rolle des Wiener Hofes für das Zusammenspiel der verschiedenen politischen Berater um den Herrscher. Gerade der Beginn des Dreißigjährigen Krieges wird zwar meist mit der Absetzung von Melchior Khlesl (1552–1630) auch in Überblicksdarstellungen abgehandelt, doch dann folgt in der Regel eine rein auf den Kaiser und dessen angebliches oder reales Agieren zentrierte Darstellung. In den Blick gerückt wird im vorliegenden Band dagegen die Rolle dynastischen Denkens, nicht zuletzt des übergreifenden Verständnisses einer „Casa de Austria“, für die Politik der österreichischen Habsburger als Akteure des Kriegsgeschehens. In vielen Einzelbeiträgen lassen sich dabei Argumente dafür finden, das klassische Bild vom Kaiser als Verlierer und von der essenziellen Bedrohung habsburgischer Macht zu Beginn des Krieges zu modifizieren. Zwar kann es sein, dass die militärischen Entwicklungen und die notwendigen Kompromisse auf dem Weg zu einem Frieden habsburgische Herrschaft in Bezug auf das Heilige Römische Reich schwächten. In diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt auch an die Gebietsverluste in Vorderösterreich und an die Abtretung der Lausitzen zu denken. In Bezug auf die Habsburgermonarchie selbst aber sollte eher die Stabilisierung von Herrschaft in der Kriegszeit hervorgehoben werden. Dies gilt trotz anfänglicher Krisen für die böhmischen Länder, wo habsburgische Herrschaft während des Krieges eine grundsätzliche Konsolidierung erlebte aufgrund der Ausschaltung der ständischen Opposition. Dies gilt ebenso in Bezug auf Ungarn, wo es während der Kriegszeit zu mehreren wichtigen Ausgleichen zwischen Krone, Adel und Ständen kam. Dies gilt aber auch in den deutschen Erblanden, vor allem in Oberösterreich, wo lokale Herrschaft nach den konfessionellen Konflikten der 1620er Jahre unter neuem konfessionellen Vorzeichen stabilisiert werden konnte. Hinzuzufügen wäre der Hinweis auf die Weiterentwicklung von Verwaltungsstrukturen – so musste beispielsweise der ursprünglich für die Militärgrenze zuständige Hofkriegsrat sein Aufgabengebiet beträchtlich verändern, indem der Unterhalt des stehenden Heeres und das für die Rekrutierung der Soldaten zuständige Generalkommissariat im Laufe des Dreißigjährigen Krieges zuungunsten der Verteidigung gegen die Osmanen in den Vordergrund rückte; der Raumbezug und vermutlich auch die Logistik der Heeresversorgung veränderte sich damit beträchtlich71. Die Hofkammer als oberste landesfürstliche Finanzbehörde erlebte im Dreißigjährigen Krieg Krisenzeiten, etwa während der Kipper- und Wipperzeit. Andererseits wurde das Personal der Hofkammer während des Dreißigjährigen Krieges erheblich aufgestockt72 – ein deutliches Indiz für das steigende Aufgabenvolumen dieser Zentralbehörde. Auch das Agieren der Ständeversammlungen in den verschiedenen Teilen der zusammengesetzten Habsburgermonarchie würde im Vergleich vermutlich neben regionalen Differenzen eine generelle Tendenz zum Herrschaftskompromiss während des Dreißigjährigen Krieges zeigen73. 71 Michael Hochedlinger, Das Stehende Heer, in: Verwaltungsgeschichte der Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit. Bd. 1: Hof und Dynastie, Kaiser und Reich, Zentralverwaltungen, Kriegswesen und landesfürstliche Finanzwesen, hg. von dems.–Petr Maťa–Thomas Winkelbauer (MIÖG Ergbd. 62, Wien 2019) 651–759, hier 659–661. Die Arbeiten des Offiziers und Leiter des Kriegsarchivs Oskar Regele (1890–1969) sind immer noch Grundlagenwerke: Oskar Regele, Der österreichische Hofkriegsrat 1556–1848 (Wien 1949). 72  Mit einer Personalliste der Hofkammer zwischen 1618 und 1648: Robert Pichler, Die Hofkammer im Dreißigjährigen Krieg (Dipl. Wien 2013) 85–98. 73  In diesem Zusammenhang wird auf die lange erwartete Ständegeschichte von Petr Maťa verwiesen, der

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Katrin Keller – Martin Scheutz

Die im Band versammelten Beiträge, in denen Selbstzeugnisse und Medien eine Rolle spielen, erlauben schließlich noch einen Blick auf Facetten der Berichterstattung bzw. die Sinnstiftung über den Krieg. Dabei werden jedoch zugleich weitreichende Informationsflüsse zwischen Kaiserhof und Reich, zwischen den Ländern der Habsburgermonarchie und dem Reich und deren europäische Verknüpfung deutlich. Sowohl hinsichtlich der Verknüpfung von publiziertem Wissen und persönlichem Erleben wie hinsichtlich der Verbindung von Beobachtetem mit Reflexionen über die Ereignisse lassen sich zwar keine „habsburgischen“ Spezifika in den Selbstzeugnissen erkennen. Selbstzeugnisse und Medien zeigen jedoch eben die für die Zeitgenossen offensichtlichen Zusammenhänge von lokalem, regionalem und europäischem Kriegsgeschehen, in dem auch die scheinbar so wenig betroffenen Länder der Habsburgermonarchie wieder stärkere Berücksichtigung finden sollten.

mittels eines komparatistischen Ansatzes die Ständeentwicklung im Sinne einer Interaktionsanalyse vorlegen wird: Petr MaŤa: Landstände und Landtage in den böhmischen und österreichischen Ländern (1620–1740). Von der Niedergangsgeschichte zur Interaktionsanalyse, in: Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, hg. von dems.–Thomas Winkelbauer (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 24, Stuttgart 2006) 345–401.

(1) KRIEG UND KRIEGSEREIGNISSE IN DER HABSBURGERMONARCHIE

Der Dreißigjährige Krieg und die österreichischen Erbländer Thomas Winkelbauer

Womöglich stand „[d]ie habsburgische Herrschaft in den Erblanden“, wie unlängst behauptet wurde, 1618/19 tatsächlich „vor dem völligen Zusammenbruch, als sich die regionalen Eliten gegen die fürstliche Herrschaft erhoben, angestachelt durch die gegenreformatorische Religionspolitik der Habsburger“1. In diesem Kontext muss aber daran erinnert werden, dass die damals noch konfessionell gemischten Stände der innerösterreichischen Stammländer Ferdinands II. (Steiermark, Kärnten, Krain, Görz und Triest)2 und die so gut wie ausschließlich katholischen Stände der bis 1665 von einer habsburgischen Nebenlinie regierten oberösterreichischen Länder (Tirol, Vorarlberg und Vorderösterreich) sowie die Stände von Kroatien und Slawonien sich von der Konföderations- und Aufstandsbewegung der Jahre 1618 bis 1620 ebenso fern hielten wie fast alle katholischen und ein Teil der protestantischen Mitglieder der Stände der böhmischen Länder (am prominentesten: der Mährer Karl d. Ä. von Žerotín3), Österreichs ob und unter der Enns sowie Ungarns, sodass in der zusammengesetzten Monarchie Ferdinands II. keine antimonarchische und antigegenreformatorische Einheitsfront4 der Stände etabliert wurde. Die kroatisch-slawonischen Stände hatten 1608 sogar erklärt, eher aus dem Verband der Länder der Stephanskrone austreten und dem Landesfürsten der innerösterreichischen Länder, also Ferdinand von Innerösterreich (dem späteren Kaiser) huldigen zu wollen, als den Protestantismus in ihrem Land zuzulassen5. 1 Michael Kaiser, Angstgetriebene Politik. Maximilian von Bayern und die Katholische Liga, in: 1618. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, hg. von Robert Rebitsch (Wien–Köln–Weimar 2017) 101–128, hier 114. Vgl. den Beitrag von Petr MaŤa im vorliegenden Band, bes. 61. 2   „Die steirischen und auch die anderen innerösterreichischen Stände waren allerdings [1619] nicht bereit, ihre schwachen Kräfte zugunsten des bedrängten Kaisers nach Niederösterreich zu entsenden, und beschränkten sich bewußt auf die Verteidigung der Steiermark“ (gegen die von Gabriel Bethlen, dem Fürsten von Siebenbürgen, ausgehende Gefahr). Helfried Valentinitsch, Die Bedrohung der Steiermark durch Bethlen Gabor von Siebenbürgen 1619–1622, in: Die Steiermark. Brücke und Bollwerk. Katalog der Landesausstellung auf Schloß Herberstein bei Stubenberg, hg. von Gerhard Pferschy (Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchives 16, Graz 1986) 324–326, hier 325. 3  Siehe z. B. Tomáš Knoz, Karel st. ze Žerotína. Don Quijote v labyrintu světa [Karl d. Ä. von Zierotin. Don Quijote im Labyrinth der Welt] (Praha 2008) 217–230. 4 Thomas Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter, 2 Teile (Österreichische Geschichte 1522–1699, Wien 2003) 1 64. 5  Ebd. 2 89. – Trotz anderslautender Landtagsbeschlüsse aus den Jahren 1604 bis 1608 blieben in Kroatien und Slawonien aber auch weiterhin nicht unbedeutende protestantische Inseln erhalten. Vgl. ebd. 89f. und Márta Fata, Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 60, Münster 2000) 134, 263–265.

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Thomas Winkelbauer

1. Demographische Folgen des Dreißigjährigen Krieges in den österreichischen Erbländern Die durch den Dreißigjährigen Krieg verursachten Bevölkerungsverluste waren in den einzelnen Territorien des Heiligen Römischen Reiches, aber auch innerhalb der Territorien von Region zu Region bekanntermaßen extrem unterschiedlich. Plausible Schätzungen rechnen mit einem durchschnittlichen Bevölkerungsrückgang im Reich (unter Einschluss der österreichischen Erbländer) zwischen 1618 und 1648 von ungefähr einem Fünftel6. Die katastrophalen demographischen Folgen des Dreißigjährigen Krieges in den österreichischen Ländern konzentrierten sich auf jene Länder, die an der Aufstandsbewegung der Jahre 1618 bis 1620 gegen die habsburgische Herrschaft beteiligt waren. Da die an der Peripherie des Reiches gelegenen innerösterreichischen Länder von unmittelbaren kriegerischen Ereignissen verschont blieben7, ist hier die Bevölkerung auch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts weiterhin gewachsen: in der Steiermark und in Krain um ca. 17 %, in Görz und Gradiska um etwa 15 % und in Kärnten um immerhin rund 11 %. Ähnliches gilt für Tirol und Vorarlberg, die vom direkten Kriegsgeschehen nur gestreift wurden und wo die Bevölkerungszahl zwischen 1600 und 1650 um jeweils etwa 13 % gestiegen sein dürfte8. Ganz anders verlief die Bevölkerungsentwicklung in Österreich unter und ob der Enns. Hier ist die Bevölkerung im selben Zeitraum zwar nicht ganz so stark geschrumpft wie in Böhmen und Mähren (in diesen Ländern belief sich der Rückgang auf ungefähr 30 %), aber immerhin um etwa 25 % in Österreich unter der Enns (von ca. 600.000 auf etwa 450.000 Einwohner) und rund 17 % in Österreich ob der Enns (von ungefähr 300.000 auf ca. 250.000 Einwohner)9. Im Viertel ober dem Manhartsberg (Waldviertel) dürfte die Bevölkerungszahl zwischen 1610 und 1654 sogar um etwa 38 % zurückgegangen sein (von rund 160.000 auf ca. 100.000)10. Die Einwohnerzahl der Stadt Wien hingegen scheint – unter Einschluss der Vorstädte – zwischen 1600 und 1650 deutlich gewachsen zu sein (von etwa 35.000 auf ungefähr 50.000, anderen Schätzungen zufolge von ca. 30.000 auf rund 45.000), was nicht zuletzt auf die Rückverlegung der kaiserlichen Residenz von Prag in die Donaumetropole, aber auch auf den Umstand zurückzuführen ist, dass die Festungsstadt Wien während des Dreißigjährigen Krieges nie erobert wurde11.   Peter H. Wilson, Der Dreißigjährige Krieg: eine europäische Tragödie (Darmstadt 2017) 897–901.   Vgl. in aller Kürze Helfried Valentinitsch, Der Dreißigjährige Krieg – die Steiermark am Rande des Geschehens, in: Die Steiermark. Brücke und Bollwerk. Katalog der Landesausstellung auf Schloß Herberstein bei Stubenberg (Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchives 16, Graz 1986) 333–335. 8  Anderen Berechnungen bzw. Schätzungen zufolge ist die Bevölkerung Vorarlbergs, die zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges etwa 45.000 Personen gezählt haben dürfte, zwischen 1618 und 1648 um 5 bis 10 % gesunken. Karl Heinz Burmeister, Geschichte Vorarlbergs. Ein Überblick (Wien 1980) 128. 9   Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 1 13–15 (mit Tabelle 1); Wilson, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 6) 899f. 10  Erich Landsteiner–Andreas Weigl, „Sonsten finden wir die Sachen sehr übel aufm Landt beschaffen ...“. Krieg und lokale Gesellschaft in Niederösterreich (1618–1621), in: Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, hg. von Benigna von Krusenstjern–Hans Medick (VMPIG 148, Göttingen 1999) 229–271, hier 232. 11 Andreas Weigl, Residenz, Bastion und Konsumptionsstadt: Stadtwachstum und demographische Entwicklung einer werdenden Metropole, in: Wien im Dreißigjährigen Krieg. Bevölkerung, Wirtschaft, Kultur, Konfession, hg. von dems. (Kulturstudien 32, Wien 2001) 31–105, hier bes. 52–61 und 89–103; Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 1 19–23. 6 7



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Die Bevölkerungsverluste in den beiden österreichischen Donauländern waren zu einem geringeren Teil auf die Auswanderung nicht konversionsbereiter „akatholischer“ Einwohner und die Tötung von etwa 12.000 Aufständischen (das sind immerhin rund 4 % der Gesamtbevölkerung des Landes) in den Kämpfen des oberösterreichischen Bauernkrieges 1626 zurückzuführen. In erster Linie waren es auch hier Seuchen und Hungersnöte, die im Gefolge von durchziehenden bzw. einquartierten und – wohl häufig wegen akuter eigener Notlage12 – plündernden Armeen ausbrachen und deren Wirkung durch den gleichzeitigen Rückgang der Geburtenziffer noch verstärkt wurde, aus denen Bevölkerungsverluste resultierten13. Die Geburtenrate ist nach 1648 rasch wieder angestiegen, und zwar, wie regelmäßig nach demographischen Katastrophen in der Vormoderne, für eine gewisse Zeit über den langjährigen Durchschnitt hinaus, da sich für Angehörige jenes Segments der Bevölkerung, das wegen der in West- und Mitteleuropa üblichen ökonomischen Zugangsbeschränkungen zum Heiratsmarkt sonst gar nicht oder erst später hätte heiraten können, Möglichkeiten der Hausstandsgründung eröffneten. Dass die Überwindung der demographischen Folgen des Dreißigjährigen Krieges in den österreichischen Donauländern und in den böhmischen Ländern trotzdem etwa ein halbes Jahrhundert dauerte, ist wohl nicht zuletzt auf die im Laufe des langen Krieges erfolgte Dezimierung der gebärfähigen Jahrgänge zurückzuführen14.

2. Die nicht-katholischen Stände von Österreich ob und unter der Enns und die revolutionäre Ständekonföderation der Jahre 1618 bis 1620 Der in Prag seinen Ausgang nehmende antihabsburgische Ständeaufstand von 1618/19 war bekanntlich „in gewisser Weise der letzte Akt des ‚Bruderzwists in Habsburg‘“15, und er kann ohne die Kenntnis seiner im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts einsetzenden Vorgeschichte nicht verstanden und angemessen beurteilt werden. Diese Kenntnis muss an dieser Stelle allerdings vorausgesetzt werden16. Am 8. Dezember 1618, sechseinhalb Monate nach dem (zweiten) Prager Fenstersturz, schlugen die evan12   Siehe Bernhard R. Kroener, „Kriegsgurgeln, Freireuter und Merodebrüder“. Der Soldat des Dreißigjährigen Krieges. Täter und Opfer, in: Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, hg. von Wolfram Wette (München 1992) 51–67; Michael Weise, Grausame Opfer? Kroatische Söldner und ihre unterschiedlichen Rollen im Dreißigjährigen Krieg, in: Zwischen Tätern und Opfern. Gewaltbeziehungen und Gewaltgemeinschaften, hg. von Philipp Batelka–Michael Weise–Stephanie Zehnle (Göttingen 2017) 127–148; Hans Medick, Der Krieg im Haus? Militärische Einquartierungen und Täter-Opfer-Beziehungen in Selbstzeugnissen des Dreißigjährigen Krieges, in: ebd. 289–305. 13  Zu gewaltsamen Requirierungen, Plünderungen verlassener Häuser und Dörfer, Diebstahl und Raub durch Söldner sowie Formen bäuerlichen Widerstands dagegen vgl. exemplarisch Thomas Just, Söldner vor Gericht. Verfahren gegen Landsknechte im Landgericht Grafenegg zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges, in: Společnost v zemích habsburské monarchie a její obraz v pramenech (1526–1740), hg. von Václav Bůžek–Pavel Král (Opera historica 11, České Budějovice 2006) 541–554. 14 Christian Pfister, Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1500–1800 (EdG 28, München 1994) 26, 77f.; Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 1 16. 15 Lothar Höbelt, „Schlimmer noch als die Böhmen ...“. Der Putsch vom 20. Juli als letzter Akt des Bruderzwists, in: 1618. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, hg. von Robert Rebitsch (Wien–Köln–Weimar 2017) 129–148, hier 130. 16   Vgl. zusammenfassend Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 1 55–68, v. a. aber Arno Strohmeyer, Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung. Widerstandsrecht bei den österreichischen Ständen (1550–1650) (VIEG Abt. für Universalgeschichte 201, Mainz 2006).

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gelischen Stände des Königreichs Böhmen den niederösterreichischen Ständen den Abschluss einer Konföderation zum Schutz der Länder und der Religionsfreiheit vor. Die lutherischen Stände des Landes Österreich unter der Enns nahmen das Angebot nach einigem Zögern am 15. Jänner 1619 grundsätzlich an, allerdings mit der Einschränkung und unter der Bedingung, dass die Konföderation sich weder gegen den Kaiser und das Haus Österreich richte noch auf die Unterdrückung der katholischen Religion abziele17. Spätestens nach dem Tod von Kaiser Matthias am 20. März 1619, dessen führender, auf einen friedlichen Ausgleich mit den revoltierenden böhmischen Ständen bedachter Ratgeber Kardinal Melchior Khlesl (1552–1630) bereits am 20. Juli 1618 von den Erzherzögen Ferdinand von Innerösterreich (1578–1637) und Maximilian dem Deutschmeister (1558–1618) in einer Art Staatsstreich gewaltsam ausgeschaltet worden war18, nahmen auf beiden Seiten die Hardliner das Heft in die Hand. Die evangelischen Stände des Landes Österreich ob der Enns besetzten am 23. März 1619 das Linzer Schloss und übernahmen die Landesverwaltung. In den folgenden Monaten war insbesondere der oberösterreichische Ständeführer Georg Erasmus Tschernembl (1567–1626) unermüdlich darum bemüht, eine Konföderation der Stände der böhmischen Länder, Österreichs ob und unter der Enns sowie Ungarns zustande zu bringen19. Im Juni 1619 verlieh er seiner Überzeugung Ausdruck, dass man in die Regierungsübernahme Ferdinands von Innerösterreich in den böhmischen und in den österreichischen Donauländern nur dann einwilligen dürfe, wenn man durch eine „starke konföderation wohl stabiliert und versichert“ sei20. Am 5. Juni 1619 trennte sich der Großteil der evangelischen Herren und Ritter Österreichs unter der Enns endgültig von den katholischen Ständen. An diesem Tag unternahm eine Deputation der protestantischen Herren und Ritter im Rahmen einer etwas stürmisch verlaufenden, aber – der späteren Legendenbildung zum Trotz – keineswegs in Handgreiflichkeiten ausartenden Audienz, der später sog. „Sturmpetition“, vergeblich den Versuch, Erzherzog Ferdinand zu einem „Verzichtfrieden“ mit den rebellierenden Ständen der böhmischen Länder und zu einem Entgegenkommen in Glaubensfragen zu bewegen21. Wenige Tage nach der „Sturmpetition“ sowie ein zweites Mal im November und Dezember desselben Jahres – diesmal gemeinsam mit Truppen des siebenbürgischen Fürsten   Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 1 61.   „Als Staatsstreich des Thronfolgers nimmt der 20. Juli [1618] eine Sonderstellung in der habsburgischen Geschichte ein.“ Höbelt, Schlimmer noch als die Böhmen (wie Anm. 15) 143. Vgl. u. a. Johann Rainer, Der Prozeß gegen Kardinal Klesl. RHM 5 (1961/62) 35–163; Heinz Angermeier, Politik, Religion und Reich bei Kardinal Melchior Khlesl. ZRG Germ. Abt. 110 (1993) 249–330. 19  Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 1 62. 20  Zitiert nach Hans Sturmberger, Georg Erasmus Tschernembl. Religion, Libertät und Widerstand. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation und des Landes ob der Enns (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 3, Linz–Graz–Köln 1953) 296. Vgl. auch Joachim Bahlcke, Durch „starke Konföderation wohl stabiliert“. Ständische Defension und politisches Denken in der habsburgischen Ländergruppe am Anfang des 17. Jahrhunderts, in: Kontakte und Konflikte. Böhmen, Mähren und Österreich: Aspekte eines Jahrtausends gemeinsamer Geschichte, hg. von Thomas Winkelbauer (Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes 36, Horn–Waidhofen an der Thaya 1993) 173–186. Zu Tschernembls umfangreicher Bibliothek siehe Günther Sachsenhofer, Die Bibliothek des Freiherrn Georg Erasmus von Tschernembl. Eine Rekonstruktion (Hausarbeit für die Zulassung zur Dienstprüfung für die Verwendungsgruppe A Bibliotheks-, Dokumentations- und Informationsdienst, Linz 1992). 21  Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 1 62. Vgl. Karl Völker, Die „Sturmpetition“ der evangelischen Stände in der Wiener Hofburg am 5. Juni 1619. JGPÖ 57 (1936) 3–50, und Helmut Kretschmer, Sturmpetition und Blockade Wiens im Jahre 1619 (Militärhistorische Schriftenreihe 38, Wien 1978). 17 18



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Gabriel Bethlen (1580–1629) – bedrohte die von Heinrich Matthias Graf Thurn (1567– 1640) (dieser war als Besitzer der Herrschaft Loosdorf im Viertel unter dem Manhartsberg übrigens auch Mitglied des niederösterreichischen Herrenstandes) befehligte Armee der böhmischen Stände die kaiserliche Haupt- und Residenzstadt Wien, konnte sie aber beide Male nicht einnehmen22. Auf dem Prager Generallandtag der böhmischen Länder schlossen die aufständischen Stände Böhmens, Mährens, Schlesiens, der Ober- und der Niederlausitz am 31. Juli 1619 die berühmte „Confoederatio Bohemica“, eine neue Verfassung der Länder der Böhmischen Krone auf ständisch-föderativer Grundlage und zugleich ein gegen das Haus Habsburg gerichtetes Defensivbündnis23. Nur zwei Wochen später schlossen sich die protestantischen Stände von Österreich ob und unter der Enns – auf die Initiative des Kollegiums der böhmischen Direktoren hin – diesem Bündnis an. Ein markanter Unterschied zwischen den Verträgen der Stände der böhmischen Länder mit den aufständischen evangelischen Ständen Österreichs ob der Enns einerseits und Österreichs unter der Enns andererseits betrifft die explizite Verankerung des Widerstandsrechts der Stände gegenüber einem „tyrannischen“ Landesfürsten: Diesen Artikel enthält nur der Vertrag mit Österreich ob der Enns, dessen rebellierende Stände unter der Führung Tschernembls eine radikalere Position vertraten als ihre Standeskollegen östlich der Enns24. Dennoch gilt grundsätzlich für die sich der Konföderation der böhmischen Länder anschließenden Ständevertreter beider österreichischer Donauländer, dass es nach der Ratifizierung der Verträge und nach deren eidlicher Bekräftigung Ende August 1619 keinen „Spielraum für Kompromisse“ mehr gab, da sie „ein Abkommen mit Ständen abgeschlossen hatten, die de jure einem anderen Herrscher unterstanden“ als sie selbst – sie betrachteten damals noch Erzherzog Albrecht VII. als ihren neuen Landesfürsten25. Nichtsdestotrotz spalteten sich im Frühsommer 1620 im Zuge der Huldigungsverhandlungen mit dem am 28. August 1619 in Frankfurt am Main von den Kurfürsten gewählten Kaiser Ferdinand II. die protestantischen Stände von Österreich unter der Enns in einen kompromisslosen und einen unter der Bedingung der von Ferdinand zugesagten und am 8. Juli erfolgten Bestätigung der ständischen Freiheiten und Gewohnheiten einschließlich des Augsburgischen Religionsexerzitiums zur Huldigung bereiten Teil. Am 13. Juli 1620 huldigten in Wien neben 19 Prälaten, 32 katholischen Herren, 30 katholischen Rittern und den Vertretern der 14 landesfürstlichen Städte und der vier landesfürstlichen Märkte auch 86 protestantische Adelige (39 Herren und 47 Ritter) Ferdinand II. als Landesfürsten. Zwischen 110 und 150 protestantische Herren und Ritter blieben der Erbhuldigung fern. Etwa die Hälfte der Ferngebliebenen holte die Huldigung in den folgenden Wochen nach, 22  Kretschmer, Sturmpetition (wie Anm. 21) 17–25; Peter Broucek, Kampf um Landeshoheit und Herrschaft im Osten Österreichs 1618 bis 1621 (Militärhistorische Schriftenreihe 65, Wien 1992) 25–28. 23 Rudolf Stanka, Die böhmischen Conföderationsakte von 1619 (Historische Studien 213, Berlin 1932); Joachim Bahlcke, Modernization and state-building in an east-central European Estates’ system: the example of the Confoederatio Bohemica of 1619. Parliaments, Estates and Representation 17 (1997) 61–73; Karolina Adamová, První česká federativní ústava z roku 1619 [Die erste böhmische föderative Verfassung aus dem Jahr 1619] (Praha 2009). 24  Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 1 63. Vgl. Sturmberger, Tschernembl (wie Anm. 20) 298–315; Strohmeyer, Konfessionskonflikt (wie Anm. 16) 240–254; Karolina Adamová, K otázce česko-rakouského a česko-uherského konfederačního hnutí v letech 1619–1620 [Zur Frage der böhmisch-österreichischen und der böhmisch-ungarischen Konföderationsbewegung in den Jahren 1619–1620]. Právněhistorické studie 29 (1989) 79–90. 25  Strohmeyer, Konfessionskonflikt (wie Anm. 16) 253.

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erlangte nachträglich die kaiserliche Gnade oder blieb jedenfalls von der Ächtung und Einziehung aller Güter verschont, von der die anderen „Rebellen“ betroffen waren26. Im September 1620, also noch vor der Entscheidungsschlacht am Weißen Berg bei Prag, setzte auf Befehl Ferdinands II. das Strafgericht gegen jene niederösterreichischen Adeligen ein, die im Juli die Erbhuldigung verweigert und sich mit den von ihnen geworbenen Truppen der Armee der Stände der böhmischen Länder angeschlossen hatten. Mit den Generalpatenten vom 12. September und 14. Oktober 1620 wurden 65 Personen, darunter auch neun Wiener Bürger, als Rebellen geächtet, ihre Güter verfielen der Konfiskation. Von den 62 niederösterreichischen Herren und Rittern, die am 3. August 1620 den Eid auf die Konföderation mit den Ständen der böhmischen Länder abgelegt hatten, büßten schließlich 51 ihr – größtenteils mit hohen Schulden belastetes – Hab und Gut ein27. Auf der anderen Seite wurden allein in den Jahren 1620 bis 1629 dreißig neue katholische Geschlechter in den niederösterreichischen Herrenstand aufgenommen, sodass man ohne Übertreibung von einem weitreichenden Austausch der Herrschaftselite des Landes sprechen kann28. Das Land ob der Enns, wo ebenfalls zahlreiche „Rebellengüter“ konfisziert wurden, musste Ferdinand II. von 1620 bis 1628 an Herzog Maximilian von Bayern (1573–1651) verpfänden, um diesem die ihm beim Abschluss des Münchener Bündnisvertrags im Oktober 1619 zugesicherte Ersetzung der Kriegskosten zu ermöglichen29.

3. Die Kriegsereignisse in Österreich ob und unter der Enns Die beiden nördlichen Landesviertel von Österreich unter der Enns (das Wald- und das Weinviertel) waren im Dreißigjährigen Krieg zweimal unmittelbar Kriegsschauplatz: 1618 bis 1620 im Böhmisch-Pfälzischen Krieg und während des Schwedeneinfalls nach Niederösterreich 1645/4630. 26   Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 1 63f.; vgl. Strohmeyer, Konfessionskonflikt (wie Anm. 16) 254–275. 27   Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 1 67f.; Victor Bibl, Die katholischen und protestantischen Stände Niederösterreichs im XVII. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der ständischen Verfassung. JbLkNÖ N. F. 2 (1903) 165–323, hier 307f.; Rudolf Wolkan, Die Ächtung der Horner Konföderierten und die Konfiskation ihrer Güter. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation und des Ständewesens in Niederösterreich (Diss. Wien 1913) 34–42, 178–203 und passim; Ignaz Hübel, Die Ächtungen von Evangelischen und die Konfiskationen protestantischen Besitzes im Jahre 1620 in Nieder- und Oberösterreich. JGPÖ 58 (1937) 17–28; ders., Die 1620 in Nieder- und Oberösterreich politisch kompromittierten Protestanten, 2 Teile. JGPÖ 59 (1938) 45–62 und 60 (1939) 105–125.; Gustav Reingrabner, Die Beschlagnahme adeliger Güter in der Gegenreformation. ÖGL 45 (2001) 259–280. 28 Erich Landsteiner, Wiederaufbau oder Transformation? Niederösterreich vor, während und nach dem Dreißigjährigen Krieg, in: Polen und Österreich im 17. Jahrhundert, hg. von Walter Leitsch–Stanisław Trawkowski (Wiener Archiv für Geschichte des Slawentums und Osteuropas 18, Wien–Köln–Weimar 1999) 133–195, hier 177. 29   Grundlegend Hans Sturmberger, Adam Graf Herberstorff. Herrschaft und Freiheit im konfessionellen Zeitalter (München–Wien 1976); zusammenfassend ders., Bayern und das Land ob der Enns. Versuch einer Übersicht. AZ 73 (1977) 1–20, und Georg Heilingsetzer, Die Bayern in Oberösterreich (1620–1628), in: Wittelsbach und Bayern. Katalog der Ausstellung in der Residenz in München 1980, hg. von Hubert Glaser, Bd. II/1: Um Glauben und Reich. Kurfürst Maximilian I. Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst 1573–1657 (München–Zürich 1980) 416–423. Vgl. auch Andreas Edel, Auf dem Weg in den Krieg. Zur Vorgeschichte der Intervention Herzog Maximilians I. von Bayern in Österreich und Böhmen 1620. ZBLG 65 (2002) 157–251. 30  Zu den militärgeschichtlichen Aspekten siehe insbesondere Broucek, Kampf um Landeshoheit (wie



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Heinrich Matthias Graf Thurn, der am 25. November 1618 an der Spitze des böhmischen Ständeheeres die böhmisch-niederösterreichische Grenze überschritten hatte, bemühte sich offenbar zunächst um möglichste Schonung von „Land und Leuten“. Ein kursächsischer Korrespondent berichtete am 19. Dezember 1618 nach Dresden, dass Thurn nichts unterlasse, „was zu gewinnung der gemüther des österreichischen landvolks und zu [dessen] lenkung auf der Böhmen seiten dienlich ist“31. Thurn verstand sich, so Erich Landsteiner und Andreas Weigl in einem der wichtigsten Beiträge zum Thema, „während seines dreimaligen Vorstoßes nach Niederösterreich nicht als Eroberer, sondern als Befreier der unterdrückten protestantischen Glaubensgenossen“32. Die kaiserlichen Söldner hausten, wie es scheint, 1618/19 in den nördlich der Donau gelegenen niederösterreichischen Landesvierteln deutlich übler als die Armee der aufständischen Stände der böhmischen Länder. Im ganzen Waldviertel kam es zu Plünderungen durch die hier im Winterquartier liegenden kaiserlichen Truppen. Siegmund Adam von Traun (1573–1638), der Besitzer der Herrschaft Maissau, schrieb am 2. Dezember 1618 in einem Bericht an das Verordnetenkollegium der niederösterreichischen Stände, dass seine Untertanen „wieder das khayserliche volkh mehr als wieder das böhaimbische volkh erzürnt und ergrimt“ seien33. Im Frühjahr 1619 plünderten kaiserliche Söldner zum Beispiel die Stadt Allentsteig und brannten sie anschließend nieder. Kirchberg am Walde wurde, nachdem es bereits durch Kaiserliche geplündert worden war, von den „Böhmen“ verwüstet und in Brand gesteckt – und so weiter, und so fort34. Mehrere protestantische adelige Grundherren aus dem Waldviertel klagten am 3. Juli 1619 in einer Eingabe an den künftigen Kaiser über die von den habsburgischen Truppen im oberen Waldviertel begangenen Plünderungen, Brandschatzungen und Gewalttaten und äußerten die Befürchtung: „Kömmt man nicht bald zu hülff, so ist es um dies viertel geschehen und stehen die armen bauern zusammen und schlagen sich zu den Böhaimen und werden sich diesen losen leuten widersetzen.“35 Die Söldner hätten viele Menschen, die sich in den Wäldern versteckt hielten, „niedergehaut, aufgehenckt und weggeführt, und könnten also in höchster wahrheit die Türken nicht übler hausen, als dies lose volk thuet“36.

Anm. 22); ders., Der Schwedenfeldzug nach Niederösterreich 1645/46 (Militärhistorische Schriftenreihe 7, Wien 1967, 31989); ders., Die Bedrohung Wiens durch die Schweden im Jahre 1645. JbVGStW 26 (1970) 120–165; ders., Kämpfe um Krems und Stein 1645/46. Mitteilungen des Kremser Stadtarchivs 11 (1971) 13– 54; ders., Zu den Kämpfen um Korneuburg 1645/46. UH 44 (1973) 183–190; ders., Feldmarschall Bucquoy als Armeekommandant 1618–1620, in: Der Dreißigjährige Krieg. Beiträge zu seiner Geschichte (Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien 7, Wien 1976) 25–57; ders., Der Feldzug Gabriel Bethlens gegen Österreich 1623. JbLkNÖ N. F. 59 (1993) 7–26; ders., Der Krieg und die Habsburgerresidenz, in: Wien im Dreißigjährigen Krieg (wie Anm. 19) 106–154, hier 130–154. Gelungene Überblicksdarstellungen sind Gustav Reingrabner, Der Dreißigjährige Krieg und Österreich, in: Der Schwed’ ist im Land! Das Ende des 30jährigen Krieges in Niederösterreich. Ausstellung der Stadt Horn im Höbarthmuseum, redig. von Erich Rabl–Gustav Reingrabner (Horn 1995) 15–97; ders., Das Waldviertel als Kriegsschauplatz im Dreißigjährigen Krieg. Wv N. F. 44 (1995) 113–127. Siehe dazu auch den Beitrag von Arthur Stögmann in diesem Band. 31   Zitiert nach Landsteiner–Weigl, Krieg und lokale Gesellschaft (wie Anm. 10) 246. 32 Ebd. 33 Zitiert nach Otto Sternberg, Die Periode des dreißigjährigen Krieges im Waldviertel (Diss. Wien 1935) 18. 34  Vgl. ebd. bes. 28f., 47. 35  Zitiert nach ebd. 33. 36  Zitiert nach ebd.

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Noch schlimmer scheinen die kaiserlichen Söldner im südlichen Waldviertel gehaust zu haben, vor allem in der Wachau. Eine Hauptursache der Plünderungen war offenbar Hunger. Mit dem zunehmenden Mangel an Lebensmitteln verwandelten sich die Requirierungen immer häufiger in von Brandschatzungen und anderen Formen offener Gewalt begleiteten Raub. In Brand gesteckt wurden vor allem Häuser, in denen keine Lebensmittel aufzutreiben waren, da die Soldaten – wohl nicht selten mit gutem Grund – davon überzeugt waren, die Bauern hätten sie vor ihnen versteckt, sowie Höfe, deren Bewohner sich unter Mitnahme ihrer Habseligkeiten (insbesondere des Viehs) in die Wälder geflüchtet hatten. Die Felder blieben unbebaut liegen, was die Ernährungskatastrophe weiter verschlimmerte. Seuchen brachen aus, und die Offiziere verloren die Kontrolle über die Soldaten37. Spätestens im Jahr 1620 unterschied sich das Verhalten der kaiserlichen und der „böhmischen“ Truppen gegenüber der Zivilbevölkerung nicht mehr voneinander. Christian I. von Anhalt-Bernburg (1568–1630), der neue Oberbefehlshaber der Ständearmee, zog im September 1620 um sein Hauptquartier in Eggenburg an die 30.000 Mann zusammen. Da diese nur selten Sold erhielten, plünderten sie am Ende mit den kaiserlichen Soldtruppen um die Wette38. Nach der Schlacht am Weißen Berg (8. November 1620) wurde die Stadt Retz nahe der niederösterreichisch-mährischen Grenze zum „Sammelplatz der von den evangelischen Ständen Niederösterreichs geworbenen, nun aber herrenlosen Truppen. Damit begann im Dezember 1620 das eigentliche, über vier Monate andauernde Martyrium dieser kleinen Stadt. Die unbezahlten Söldner hielten sich an der Stadt und ihren Bewohnern schadlos.“39 Durch die militärischen Ereignisse der ersten Kriegsjahre wurde die agrarische Produktionsstruktur so weit zerrüttet, dass im Winter 1621/22 eine Hungersnot ausbrach, die besonders im Waldviertel dramatische Ausmaße annahm40. Aber auch schon aus dem Jahr 1620 sind aus dem Waldviertel Fälle von Hungertod belegt, beispielsweise im Markt Langenlois41. In den Jahren 1618 bis 1621 dürften in den beiden nördlichen Landesvierteln Niederösterreichs ungefähr 30 % der Häuser in den landesfürstlichen Städten und Märkten und ein noch höherer Prozentsatz der Häuser in den Dörfern und Streusiedlungen auf dem „flachen“ Land unmittelbar durch den Krieg zerstört worden sein42. In den 1630er Jahren waren in Niederösterreich regelmäßig große Teile des kaiserlichen Heeres einquartiert. Die Maxime, nach Möglichkeit nur befestigte Siedlungen mit Quartier zu belegen, führte allerdings in den meisten Fällen schnell zur Verschuldung

37 Thomas Winkelbauer, Die Pfarrherrschaft. Pfarrherren und Untertanen in der Zeit des Niedergangs der Feudalordnung – vom 16. Jahrhundert bis 1848, in: Geschichte der Pfarre Altpölla, 1132–1982, hg. von Friedrich B. Polleross (Altpölla 1982) 361–452, hier 423. 38  Landsteiner–Weigl, Krieg und lokale Gesellschaft (wie Anm. 10) 250. Vgl. auch Martin Scheutz, „... im Rauben und Saufen allzu gierig“. Soldatenbilder in ausgewählten Selbstzeugnissen katholischer Geistlicher aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. L’Homme 12/1 (2001) 51–72, bes. 63f., 67–71. 39  Landsteiner–Weigl, Krieg und lokale Gesellschaft (wie Anm. 10) 259. Zu den ständischen Truppen während des Böhmisch-Pfälzischen Krieges siehe am Beispiel Österreichs ob der Enns Johann Dietrich Pechmann, Im Dienste der Stände des Landes ob der Enns. Aufbau und Entwicklung eines eigenen oberösterreichischen Heerwesens 1618–1620. JbOÖMV 142/1 (1997) 239–253. 40  Landsteiner, Wiederaufbau oder Transformation (wie Anm. 28) 171. 41 August Rothbauer, Der dreißigjährige Krieg im Spiegel der ältesten Langenloiser Matrik. JbLkNÖ N. F. 36 (1964) 337–363, hier 353–355. 42  Landsteiner–Weigl, Krieg und lokale Gesellschaft (wie Anm. 10) 232.



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und Entvölkerung der landesfürstlichen Städte und Märkte43. Die Situation in den Patrimonialstädten und -märkten des Adels und der Prälaten war vermutlich nicht besser. Abgesehen von Krems und Korneuburg, die 1645/46 wochenlang belagert und sturmreif geschossen wurden, dürften in den meisten Fällen nicht unmittelbare Kriegszerstörungen, sondern die Einquartierungen den Ruin der Städte verursacht haben, eine Annahme, die in dem Umstand ihre Bestätigung findet, dass – im Unterschied zum „flachen“ Land – die bürgerlichen Siedlungen nicht nur in den nördlich der Donau gelegenen Landesvierteln, sondern in allen vier Vierteln, also auch südlich der weder 1619/20 von den Böhmen noch 1645/46 von den Schweden überwundenen Donaulinie, schwere Bevölkerungsund Vermögensverluste erlitten44. Immerhin scheint es bei den massiven Truppeneinquartierungen in der ersten Hälfte der 1630er Jahre „dank der Tatsache, daß landständische Quartierskommissare die Einquartierungen und Durchzüge leiteten und organisierten, etwas geordneter zugegangen zu sein“45 als während des Böhmisch-Pfälzischen Krieges. Es kann nicht überraschen, dass es im Zusammenhang mit Soldateneinquartierungen trotzdem weiterhin häufig zu Problemen und Konflikten kam. Nicht selten begnügten sich die Soldaten nicht mit den ihnen zustehenden Verpflegungsgeldern, Mund- und Pferdportionen, „sondern plünderten die Weinkeller der Bürger, spannten ihnen die Pferde aus oder nahmen ihnen auf offener Straße ihr Geld ab“46. Bereits 1632 warnten die niederösterreichischen Stände ausdrücklich vor einer „Generalverödung“ des Landes47. Die Lebensmittelpreise kletterten in unerschwingliche Höhen. Im Frühjahr 1641 schrieb Ulrich Leisser, Mitglied des niederösterreichischen Ritterstandes und Quartierskommissar im Viertel ober dem Manhartsberg, an die Verordneten der Landstände, die Verpflegung weiterer Soldaten sei nicht möglich, da die Untertanen bereits „ganz ruiniert und biss aufs march aussgesogen worden“ 48 seien. Trotzdem wurden im Winter 1642/43 wieder acht, im darauffolgenden Winter sogar 13 Regimenter der kaiserlichen Armee auf die vier Landesviertel verteilt49. In der letzten Kriegsphase, in den Jahren 1643 bis 1648, war Niederösterreich gleichzeitig Quartierraum und unmittelbarer Kriegsschauplatz. „Für die beiden Landesviertel nördlich der Donau, insbesondere für das Viertel unter dem Manhartsberg,

  Ebd. 234.   Ebd. 234f. 45   Landsteiner, Wiederaufbau oder Transformation (wie Anm. 28) 172. Näheres dazu bei Franz Stundner, Die Verteidigung des Landes Österreich unter der Enns im Dreißigjährigen Krieg. (Mit besonderer Berücksichtigung der Maßnahmen der Stände und deren Auswirkung auf die Bevölkerung.) (Diss. Wien 1949); Peter Platzer, Dr. David Gregor Corner. Katholischer Reformator und Abt des Stiftes Göttweig (1585–1648) (Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Erneuerung und des 30-jährigen Krieges) (Diss. Wien 1964) 111–147 (über die Tätigkeit Corners als landständischer Proviant- und Quartierkommissar im Viertel ober dem Manhartsberg von Dezember 1631 bis Juli 1632); zu den Belastungen durch Soldateneinquartierungen zwischen 1620 und 1649 am Beispiel der Stadt Zwettl im Viertel ober dem Manhartsberg Doris Gretzel, Die landesfürstliche Stadt Zwettl im Dreißigjährigen Krieg (Zwettler Zeitzeichen 9, Zwettl 2004) 48–60. 46 Horst Illmeyer, Städte – Stände – Landesfürst. Der halbe Vierte Stand Niederösterreichs und der Landtag in der Frühen Neuzeit (StuF 64, St. Pölten 2015) 208. „Besonders unangenehm waren Einquartierungen, wenn sie zur Zeit eines Jahrmarkts erfolgten und damit die Kapazitätsgrenzen der Stadt überschritten wurden“, ebd. 210. Zu den Soldateneinquartierungen in der zweiten Kriegshälfte siehe auch Gunther Ortner, Die niederösterreichischen Landtage von 1635–1648 (Diss. Wien 1975) 108–118. 47  Sternberg, Periode des dreißigjährigen Krieges (wie Anm. 33) 82. 48  Zitiert nach ebd. 101. 49 Karl Gutkas, Geschichte des Landes Niederösterreich (St. Pölten 41973) 245. 43 44

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war das die schlimmste Zeit des Krieges.“50 Nach der Schlacht bei Jankau/Jankov in Südböhmen am 6. März 1645 floh die schwer geschlagene kaiserliche Hauptarmee unter chaotischen Umständen nach Süden51. Die siegreiche schwedische Armee besetzte in kurzer Zeit fast alle befestigten Orte in den beiden nördlichen Landesvierteln Niederösterreichs. Mitte März riefen – zweifelsohne „gut lutherische“ – Bauern aus dem südlichen Waldviertel und der Wachau die Schweden gegen etwa 2.000 Mann der kaiserlichen Armee, die in der Umgebung von Krems als Marodeure ihr Unwesen trieben, zu Hilfe, die ihnen unverzüglich gewährt wurde. Etwa 1.000 schwedische Soldaten „überfielen die Kaiserlichen in sechs Ortschaften, fügten ihnen [...] große Verluste zu und beraubten sie vor allem der wertvollen Pferde“52. Am 26. März 1645 eroberte die schwedische Armee die Stadt Stein, „wo die kleine Besatzung und die Bevölkerung fast zur Gänze niedergemetzelt wurden. Der wahrscheinlich beabsichtigte Schrecken, der von diesem Massaker ausging, mehrere zunächst vergebliche Stürme und eine starke Beschießung verhalfen“53 dem schwedischen Feldherrn Lennart Torstensson (1603–1651) auch bei Krems, der Schwesterstadt von Stein, zu einem schnellen Erfolg. Die kaiserliche Besatzung wurde dazu gezwungen, in schwedische Regimenter einzutreten, und am 31. März rückten die Schweden in die Stadt ein. Es gelang der schwedischen Armee aber weder, Wien zu erobern, noch die Donau zu überschreiten. Insbesondere im Viertel unter dem Manhartsberg bemühten sich schwedische Streifscharen im Sommer und Herbst 1645, möglichst große Verheerungen zu verursachen54. Nachdem es der schwedischen Armee nicht geglückt war, die südmährische Festung Spielberg und die Stadt Brünn/Brno, „die sowohl von logistischer als auch taktischer Bedeutung für Torstensson war“55, zu erobern, konnte die regenerierte kaiserliche Armee die Schweden im Laufe des Jahres 1646 aus Niederösterreich vertreiben. Am 5. Mai 1646 kapitulierte die schwedische Besatzung von Krems, nachdem die kaiserlichen Artilleristen und Mineure die Befestigungswerke weitgehend zerstört hatten, und am 4. August fand die Übergabe der seit dem 22. Mai unter Beschuss stehenden Stadt Korneuburg statt56. Nach der   Landsteiner, Wiederaufbau oder Transformation (wie Anm. 28) 174.   Bereits in dem der Schlacht bei Jankau vorhergehenden Winter 1644/45 war „ein Teil des 18.000 Mann zählenden kaiserlichen Heeres beim Rückmarsch von Schleswig-Holstein in die Erblande regelrecht verhungert oder erfroren“. Christoph Tepperberg, Das kaiserliche Heer nach dem Prager Frieden 1635–1650, in: Der Schwed’ ist im Land (wie Anm. 30) 113–139, hier 133. 52   Broucek, Schwedenfeldzug (wie Anm. 30) 8. – Zu den Hoffnungen, die manche lutherische Bauern und Bürger in Österreich ob und unter der Enns – insbesondere in den Jahren 1632 und 1636 – bezüglich eines Sieges der schwedischen Armee über den Kaiser hegten, vgl. die unten in Anm. 61 angeführte Literatur; zu Adeligen aus den österreichischen Ländern, die in den 1630er und 1640er Jahren in schwedische Kriegsdienste eintraten, siehe u. a. Werner Wilhelm Schnabel, Österreichische Exulanten in oberdeutschen Reichsstädten. Zur Emigration von Führungsschichten im 17. Jahrhundert (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 101, München 1992) 288–329; Gertrud Buttlar-Elberberg, Melchior Freiherr von Wurmbrand zu Stuppach (1586–ca.1637) – Ein niederösterreichischer Edelmann im Dienste König Gustav II. Adolf von Schweden und der Königin Christine, in: FS Heide Dienst zum 65. Geburtstag, hg. von Anton Eggendorfer–Christian Lackner–Willibald Rosner (FLkNÖ 30, St. Pölten 2004) 1–18; Peter Thaler, Von Kärnten nach Schweden. Die evangelischen Glaubensflüchtlinge der Familien Khevenhüller und Paul (Das Kärntner Landesarchiv 37, Klagenfurt 2010). 53   Broucek, Schwedenfeldzug (wie Anm. 30) 9. 54   Ebd. 20f. 55  Robert Rebitsch, Matthias Gallas (1588–1647). Generalleutnant des Kaisers zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Eine militärische Biographie (Geschichte in der Epoche Karls V. 7, Münster 2006) 324. 56  Broucek, Schwedenfeldzug (wie Anm. 30) 22f. „Zurück blieb eine weitgehend entvölkerte Stadt: im Jahre 1646 wurden von 183 Häusern 121 als öde oder baufällig bezeichnet.“ Ders., Zu den Kämpfen um Korneuburg (wie Anm. 30) 190. 50 51



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Rückeroberung der nördlichen Landesviertel durch kaiserliche Truppen war insbesondere das heutige Weinviertel „fast zur Gänze verwüstet“57. Von den 3.557 Häusern, die man 1617 in den landesfürstlichen Städten und Märkten Niederösterreichs gezählt hatte, wurden 1665, also 17 Jahre nach Kriegsende, durch eine landständische Kommission nur 26 % als „aufrecht“, d. h. kontributionsfähig, 51 % als baufällig und von nicht kontributionsfähigen Armen bewohnt und die restlichen 23 % als verfallen und unbewohnt klassifiziert58. In der landesfürstlichen Stadt Eggenburg beispielsweise sank die Zahl der steuerbaren bürgerlichen Häuser zwischen 1617 und 1628 von 192 auf 129. In den 1630er Jahren änderte sich diese Zahl nur geringfügig, in den 1640er Jahren hingegen sank sie weiter auf nur mehr 112 Häuser ab. Im Jahr 1665 zählte man in Eggenburg noch immer 63 gänzlich öde, 80 baufällige und nicht mehr als 18 aufrechte Häuser59. Das mit Abstand die meisten Todesopfer fordernde militärische Ereignis in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Land ob der Enns war der Bauernkrieg des Jahres 1626, dessen Aktivisten in erster Linie gegen die gewaltsame Gegenreformation und gegen die bayerische Pfandherrschaft kämpften, auf den im Rahmen dieses Beitrags aber nicht eingegangen werden kann60. Gegenreformatorische Zwangsmaßnahmen lösten 1632 im Machlandviertel, dem heutigen Unteren Mühlviertel, einen neuerlichen Bauernaufstand aus. Dem Bauern Martin Aichinger (um 1592–1636), dem nach seinem Gut Laimbauer genannten charismatischen Anführer der schließlich 1636 blutig unterdrückten Bewegung, schlossen sich, wie es scheint, in erster Linie besitzlose Knechte, Mägde, Inleute, Jugendliche und Kinder an61. 57   Landsteiner, Wiederaufbau oder Transformation (wie Anm. 28) 168. Vgl. auch Theodor Brückler, Reformation, Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg im Bereich des politischen Bezirkes Hollabrunn, in: Vergangenheit und Gegenwart. Der Bezirk Hollabrunn und seine Gemeinden, hg. von Ernst Bezemek–Willibald Rosner (Hollabrunn 1993) 97–132, hier 120–132; Harald Tersch, Jankau und die Folgen. Kriegserfahrung und Identitätsstiftung in den habsburgischen Ländern, in: Společnost v zemích habsburské monarchie (wie Anm. 13) 507–540. 58  Landsteiner, Wiederaufbau oder Transformation (wie Anm. 28) 173. 59  Landsteiner–Weigl, Krieg und lokale Gesellschaft (wie Anm. 10) 243. Näheres zum Schicksal Eggenburgs während des Dreißigjährigen Krieges bei Ludwig Brunner, Eggenburg. Geschichte einer niederösterreichischen Stadt, Teil 2 (Eggenburg 1939) 209–255; Franz Riedl, Die Stadt Eggenburg zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges (Diss. Wien 1950). 60  Siehe die zusammenfassende Darstellung bei Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 1 68–71, v. a. aber Felix Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand des Jahres 1626, 2 Bde. (Linz 21904/05); Georg Heilingsetzer, Der oberösterreichische Bauernkrieg 1626 (Militärhistorische Schriftenreihe 32, Wien 1976); ders., 1626. Der oberösterreichische Bauernkrieg. Sonderpublikation der OÖHbl (Linz 2001); Der oberösterreichische Bauernkrieg 1626. Katalog der Ausstellung des Landes Oberösterreich 1976, red. von Dietmar Straub (Linz 1976); Karl Eichmeyer–Helmuth Feigl–Rudolf Walter Litschel, Weilß gilt die Seel und auch das Guet. Oberösterreichische Bauernaufstände im 16. und 17. Jahrhundert (Linz 1976); eine Einordnung des Bauernkriegs von 1626 in eine nach Aufstandsursachen, Trägerschichten und Verlaufsmodellen fragende Typologie bietet Martin Scheutz, Ein tosendes Meer der Unruhe? Konflikte der Untertanen mit der Obrigkeit in Ostösterreich und angrenzenden Regionen vom Spätmittelalter bis zum Ende der Frühen Neuzeit, in: Die Stimme der ewigen Verlierer? Aufstände, Revolten und Revolutionen in den österreichischen Ländern (ca. 1450–1815), hg. von Peter Rauscher–dems. (VIÖG 61, Wien–München 2013) 67–118. 61 Albin Czerny, Bilder aus der Zeit der Bauernunruhen in Oberösterreich. 1626, 1632, 1648 (Linz 1876); Friedrich Schober, Zur Geschichte des Bauernaufstandes 1632. MOÖLA 2 (1952) 175–185; Franz Wilflingseder, Martin Laimbauer und die Unruhen im Machlandviertel 1632–1636. MOÖLA 6 (1959) 136–208; Ernst Burgstaller, Martin Laimbauer und seine machländische Bauernbewegung 1632–1636. Versuch einer volkskundlichen Durchleuchtung. Kunstjahrbuch der Stadt Linz 1973 (1973) 3–30; zusammenfassend Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 1 71–73; 2 268f.

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4. Innerösterreich, Tirol und Vorarlberg während des Dreißigjährigen Krieges Dank der Kriegsrüstungen der steirischen Landstände und der Stände der anderen innerösterreichischen Länder (Kärnten und Krain) blieb die an das Königreich Ungarn angrenzende Steiermark 1619 bis 1622 von einem Einfall der Armee des Fürsten von Siebenbürgen und (seit August 1620) ungarischen Gegenkönigs Gabriel Bethlen verschont. Die „bewaffnete Neutralität“ der steirischen Stände bewahrte das Land vor dem drohenden Einfall der Siebenbürger und der mit diesen verbündeten Osmanen62. Danach drohte den innerösterreichischen Ländern ein knappes Vierteljahrhundert lang keine unmittelbare Kriegsgefahr. Erst im Frühjahr 1645, als sich Fürst Georg I. Rákóczi (1593–1648) den Feinden des Kaisers anschloss, ergab sich für die Steiermark eine ähnliche militärische Situation wie im Jahre 161963. Die Bewohner Innerösterreichs litten aber auch schon davor unter den beinahe Jahr für Jahr steigenden Steuerforderungen des Landesfürsten sowie unter dem Durchzug und der Einquartierung kaiserlicher Truppen64. „In den Jahren 1645/46 diente die Steiermark geradezu als Drehscheibe für die Truppenverschiebungen der kaiserlichen Armee, die von Innerösterreich, Kroatien und der Militärgrenze an die Donau und nach Böhmen erfolgten.“65 Die von 1619 bis 1632 von Erzherzog Leopold V. (1586–1632), dem 1625 in den Laienstand zurückversetzten Bruder Kaiser Ferdinands II., zunächst als Statthalter, seit 1626 als erblicher Landesfürst regierte Grafschaft Tirol blieb im Dreißigjährigen Krieg von unmittelbaren Kriegshandlungen weitgehend verschont66. 1632 wurde der im Nordwesten Tirols gelegene Markt Reutte von der Armee Bernhards von Sachsen-Weimar (1604–1639) schwer heimgesucht und teilweise verwüstet67. Es gelang dem in schwedischen Diensten stehenden Feldherrn aber nicht, die Festung Ehrenberg zu erobern, und er musste sich Ende Juli 1632 unverrichteter Dinge aus Tirol zurückziehen68. Auch in der Regierungszeit von Leopolds Witwe Claudia de’ Medici (1604–1648) und des gemeinsamen Sohnes Erzherzog Ferdinand Karl (1628–1662) blieb Tirol vom Krieg verschont69. Das Land und seine Bewohner hatten „nur“ wiederholt unter Soldateneinquartierungen und Truppendurchmärschen sowie den damit einhergehenden Hungersnöten und der 62 Helfried Valentinitsch, Die steirischen Wehrmaßnahmen während des ersten Krieges mit Bethlen Gabor von Siebenbürgen, 1619–1622. (Auf Grund der steirischen Quellen) (Diss. Graz 1967); ders., Bedrohung der Steiermark (wie Anm. 2). 63   Valentinitsch, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 7) 333. Siehe auch den Beitrag von Géza Pálffy in diesem Band. 64  „Im Jahre 1648 gab es in der Steiermark – mit Ausnahme von Leoben, Vordernberg und Eisenerz – kaum einen größeren Ort, der sich nicht durch die jahrelangen Einquartierungen am Rande des Ruins sah.“ Helfried Valentinitsch, Leoben im Dreißigjährigen Krieg. Der Leobener Strauß 1 (1973) 52–76, hier 60. 65  Valentinitsch, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 7) 334. 66  Seit 1630 war Leopold V. auch Landesfürst von Vorderösterreich. Siehe den Beitrag von Dieter Speck in diesem Band. 67 Rudolf Palme, Frühe Neuzeit (1490–1665), in: Josef Fontana u. a., Geschichte des Landes Tirol, Bd. 2 (Bozen–Innsbruck–Wien 21998) 1–287, hier 179. 68   Ebd. 182. „Wohl mußten Reutte und das Lechtal Plünderungen über sich ergehen lassen, doch an der gut befestigten Ehrenberger Klause widerstand das Tiroler Aufgebot allen Angriffen.“ Josef Riedmann, Geschichte Tirols (Wien 1982) 120. Vgl. Josef Hofinger, 1632. Das Schwedenjahr Tirols (Diss. Innsbruck 1925); Helmut Ebner, Der Weg nach Füssen. Habsburgische Politik und Tiroler Landesdefension in der Krise des Dreißigjährigen Krieges 1630–1632 (Diss. Klagenfurt 1998). 69  Palme, Frühe Neuzeit (wie Anm. 67) 183.



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Seuchengefahr zu leiden70. „Jeder Durchzug und jede Einquartierung führte zu einem sprunghaften Ansteigen der Lebensmittelpreise im betroffenen Gebiet […].“71 Wiederholt kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Tiroler Zivilbevölkerung und dem Militär, zwischen Untertanen und Soldaten, insbesondere im Zusammenhang mit schwerer Körperverletzung, Totschlag oder Mord, die von Soldaten begangen wurden. „Angesichts der Spannungen zwischen den lokalen zivilen und den militärischen Obrigkeiten kam den landesfürstlichen Kriegskommissaren eine besondere Rolle bei der Streitschlichtung zu. Bei Differenzen hatten sie zwischen beiden Teilen zu vermitteln und auf ausgewogene Vergleiche zwischen schädigenden Soldaten und beschädigten Untertanen hinzuarbeiten. Außerdem hatten sie die korrekte Handhabung der Militärgerichtsbarkeit durch die Offiziere zu überwachen und namentlich auf die ausreichende Bestrafung straffälliger Landsknechte zu drängen.“72 Auch Vorarlberg wurde während des Dreißigjährigen Krieges wiederholt von Truppendurchzügen und Soldateneinquartierungen, Hungersnöten und Seuchen stark in Mitleidenschaft gezogen73. 1632 versuchten schwedische Truppen, Bregenz einzunehmen, mussten die Belagerung aber erfolglos abbrechen. Im Dezember 1646, also in der Schlussphase des Krieges, rückte ein schwedisches Heer unter General Karl Gustav Wrangel (1613–1676) an den Bodensee vor, um dort Winterquartiere zu beziehen74. Am 4. Jänner 70   Martin P. Schennach, „Der soldat sich nit mit den baurn, auch der baur nit mit den soldaten betragt“. Das Verhältnis zwischen Tiroler Landbevölkerung und Militär von 1600 bis 1650, in: Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, hg. von Stefan Kroll–Kersten Krüger (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 1, Münster–Hamburg–London 2000) 41–78, hier 58; grundlegend zu den Themen Truppendurchzüge, Truppenversorgung und Einquartierung sowie dem Verhältnis zwischen Militär und Zivilbevölkerung in Tirol in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ders., Tiroler Landesverteidigung 1600–1650. Landmiliz und Söldnertum (Schlern-Schriften 323, Innsbruck 2003) 300–358 und passim; vgl. auch ders., „Toben und wüten, als wann doch der Feind im Land wär“. Ein Beispiel Tiroler Widerstands gegen die Soldateska des Dreißigjährigen Krieges. Tiroler Heimatblätter 73 (1998) 114–116. 71   Schennach, Der soldat sich nit […] betragt (wie Anm. 70) 60. – Nachdem 1619 insgesamt 14.000 Mann in spanischem Sold stehender Truppen auf dem Weg nach Böhmen Tirol durchquert hatten, blieb es 14 Jahre relativ ruhig. „1633 zog eine Armee von 12.000 Fußsoldaten und 1.500 Reitern unter der Führung des Herzogs von Feria, seines Zeichens Gubernator von Mailand, durch Tirol, um den bedrohten Vorlanden beizustehen. 1634 folgte der Kardinalinfant Don Fernando mit einer vergleichbaren Streitmacht von 10.000 Fußsoldaten und 1.500 Reitern. [...] Als letzter Ausläufer des Dreißigjährigen Krieges sind die Truppendurchmärsche der Jahre 1649 und 1656 zu betrachten, mit denen Kaiser Ferdinand III. [...] den immer noch andauernden Krieg Spaniens gegen Frankreich unterstützte.“ Schennach, Tiroler Landesverteidigung 1600–1650 (wie Anm. 70) 301f. 72   Martin Paul Schennach, Lokale Obrigkeiten und Soldaten. Militärgerichtsbarkeit in Tirol in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Justiz und Gerechtigkeit. Historische Beiträge (16.–19. Jahrhundert), hg. von Andrea Griesebner–Martin Scheutz–Herwig Weigl (Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 1, Innsbruck u. a. 2002) 199–217, das Zitat 203. Vgl. insbesondere ders., Tiroler Bitt- und Beschwerdebriefe aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1630–1634). Edition ausgewählter Briefe – historische Einordnung – sprachhistorische Analyse (mit lexikologischen und phono-graphematischen Untersuchungen) – Glossar – Wortformenindex (DA Innsbruck 1998). 73  Karl Heinz Burmeister, Geschichte Vorarlbergs. Ein Überblick (Wien 1980) 125. Näheres bei Heribert Küng, Vorarlberg im Dreißigjährigen Krieg von 1632–1650 (Diss. Innsbruck 1968); ders., Bregenz am Vorabend der schwedischen Invasion. Montfort 21 (1969) 91–116; ders., Die Gegenreformation in Vorarlberg während des Dreißigjährigen Krieges. Montfort 22 (1970) 243–271; ders., Vor 350 Jahren: Ende des dreißigjährigen Krieges in der Region Bodensee-Alpenrhein. Montfort 50 (1998) 182–191; Benedikt Bilgeri, Geschichte Vorarlbergs, Bd. III: Ständemacht, Gemeiner Mann – Emser und Habsburger (Wien–Köln–Graz 1977) 147–181; Alois Niederstätter, Geschichte Vorarlbergs, Bd. 2: Vorarlberg 1523 bis 1861. Auf dem Weg zum Land (Innsbruck 2015) 174–181. – Siehe auch den Beitrag von Alois Niederstätter in diesem Band. 74  Dazu und zum Folgenden v. a. Peter Broucek, Die Eroberung von Bregenz am 4. Jänner 1647 (Militär-

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1647 drangen schwedische Einheiten, nachdem die Besatzung die geforderte Kapitulation verweigert hatte, in Bregenz ein und plünderten die Stadt tagelang. „Anschließend dehnten die Schweden ihre Raubzüge auf die umliegenden Dörfer aus, später auch in den Bregenzerwald, nach Feldkirch und Bludenz. Überall mußten hohe Brandschatzungen entrichtet werden.“75 In Bregenz fielen den Schweden auch die Schätze in die Hände, die die Grafen von Zeil, von Königsegg und von Hohenems sowie die Stifte Kempten und Mehrerau dorthin geflüchtet hatten76. Allein der Wert der erbeuteten Ladung der 13 Schiffe im Bregenzer Hafen, denen die Flucht nicht gelang, soll sich auf 4 Millionen Gulden belaufen haben77. Anfang März zog Wrangel, nachdem seine Versuche, die Reichsstadt Lindau zu erobern, gescheitert waren, aus Vorarlberg ab. Die Festung Hohenbregenz sowie die Schanzen bei der Bregenzer Klause und auf dem Pfänder wurden gesprengt78. Bis zur Unterzeichnung der Friedensverträge von Osnabrück mit Schweden und von Münster mit Frankreich am 6. August bzw. 24. Oktober 1648 wurde der Bodensee von einer regelmäßig „Piratenfahrten“ unternehmenden schwedischen Flotte beherrscht79. Eine direkte Folge der militärischen Bedrohungen der jüdischen Gemeinden in der vorderösterreichischen Markgrafschaft Burgau war die Entstehung der Judengemeinde von Hohenems. In der bis 1765 reichsunmittelbaren Herrschaft Hohenems ließ sich, nachdem Graf Kaspar von Hohenems (1573–1640) bereits 1617 einen ersten Schutzbrief für einige jüdische Familien ausgestellt hatte, im Jahr 1632 erstmals eine größere Zahl von aus der Markgrafschaft Burgau geflüchteten Juden nieder. Von 1635 bis 1640 bildeten auch in Feldkirch vor den Kriegseinwirkungen aus Schwaben geflohene Juden eine eigene Gemeinde80.

5. Die Gegenreformation in und die Auswanderung aus Österreich unter und ob der Enns sowie aus den innerösterreichischen Ländern während und nach dem Dreißigjährigen Krieg 1627 erließ Kaiser Ferdinand II. nicht nur die „Verneuerte Landesordnung“ für das Königreich Böhmen, sondern auch mehrere Generalmandate, mit denen er die evangelihistorische Schriftenreihe 18, Wien 1971, 21981); außerdem: Gebhard Fischer, Zur Geschichte des Schwedeneinfalls in Vorarlberg im Jahre 1647. Jahresbericht des k. k. Real- und Obergymnasiums in Feldkirch 39 (1893/94) 3–41. Siehe auch den Beitrag von Alois Niederstätter im vorliegenden Band. 75  Burmeister, Geschichte Vorarlbergs (wie Anm. 73) 127. Details bei Broucek, Eroberung von Bregenz (wie Anm. 74) 13, 25f. (Kartenskizzen); Küng, Vor 350 Jahren (wie Anm. 73) 186–188. 76  Broucek, Eroberung von Bregenz (wie Anm. 74) 9f. 77  Ebd. 12. 78  Burmeister, Geschichte Vorarlbergs (wie Anm. 73) 127; Broucek, Eroberung von Bregenz (wie Anm. 74) 13f. Zur „Katastrophe von 1647“ vgl. auch Bilgeri, Geschichte Vorarlbergs, Bd. III (wie Anm. 73) 162– 181. 79   Broucek, Eroberung von Bregenz (wie Anm. 74) 15f. 80 Markus Erath, Die Juden in Vorarlberg und Tirol im Dreißigjährigen Krieg. Montfort 57 (2005) 328– 345, Zitat 328. „Erst durch den Einbruch der Schweden im süddeutschen Raum wurden die dort wohnhaften Juden zur Flucht nach Süden veranlasst. Daher kann der Dreißigjährige Krieg durchaus als Voraussetzung für die Gründung der jüdischen Gemeinde in Hohenems und die zumindest vorübergehende Ansiedlung in den Herrschaften Feldkirch, Sonnenberg und Blumenegg betrachtet werden“, ebd. 342. In den 1640er Jahren wuchs die Hohenemser Judenschaft auf mindestens 16 Familien an. Zur Geschichte der Juden in Vorarlberg und im Bodenseeraum im 17. Jahrhundert im Überblick Barbara Staudinger, Die Zeit der Landjuden und der Wiener Judenstadt 1497–1670/71, in: Eveline Brugger u. a., Geschichte der Juden in Österreich (Wien 2006) 229–337, hier 245–247, 302–307.



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schen Herren und Ritter des – damals noch an Bayern verpfändeten – Landes Österreich ob der Enns, soweit sie nicht ohnehin bereits nach der Schlacht am Weißen Berg als „Rebellen“ aus dem Land geflohen waren, vor die Alternative Konversion oder Emigration stellte und die evangelischen Prädikanten und Schulmeister aus Österreich unter der Enns auswies. Aus dem Land ob der Enns waren die evangelischen Pfarrer und Schulmeister bereits im Oktober 1624 ausgewiesen worden81. Alle im Besitz von Patronatsrechten befindlichen evangelischen „Landleute“ Niederösterreichs mussten im Herbst 1627 für ihre Pfarr- und Filialkirchen dem zuständigen Bischof binnen sechs Wochen taugliche katholische Priester namhaft machen, was freilich vielfach nicht zuletzt am Priestermangel scheiterte, der erst im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts überwunden werden konnte. Die erfolgreiche Durchsetzung der Gegenreformation auch in den von evangelischen Grundherren dominierten Regionen Niederösterreichs erfolgte nach mehreren während des Dreißigjährigen Krieges unternommenen, weitgehend gescheiterten Versuchen (in den Jahren 1627/28, 1630 und 1643) erst in den bzw. seit den fünfziger Jahren des 17. Jahrhunderts82. Für Niederösterreich ist mit einiger Berechtigung „ein krasses ‚Hinterherhinken‘ der kirchlichen Reformbemühungen gegenüber den politischen Fortschritten der Gegenreformation“ konstatiert worden, das sich unter anderem darin äußerte, „daß es erst in den 1680er Jahren gelang, im niederösterreichischen Teil der Diözese Passau regelmäßige [Pfarr-]Visitationen durchzusetzen“83. Die meisten adeligen und bürgerlichen Exulanten – der Terminus ist ein zeitgenössischer Quellenbegriff84 – dürften Österreich ob und unter der Enns in den 1620er Jahren verlassen haben85. „Da der Krieg Mitte der 1620er Jahre noch nicht auf Süddeutschland 81   Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 29) 216–219; Eberhard Krauss, Exulierte evangelische Pfarrer und ihre Familien aus Oberösterreich, besonders während des Jahres 1624. BFFK 28 (2005) 132–162. Exemplarisch das Schicksal des aus Franken stammenden Magisters Martin Zantmüller, der vom Regensburger Konsistorium geprüft und 1612 für die Pfarre bzw. die Schlosskapelle von Lindach (Schloss Lindach gehört heute zur Stadt Laakirchen im Bezirk Gmunden) ordiniert wurde und 1624 ins Exil gehen musste; Karl Nutzhorn, Schicksale eines Exulanten aus Oberösterreich in den Jahren 1624–1628. JGPÖ 16 (1895) 203–226. 82  Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 2 59; grundlegend Kurt Piringer, Ferdinands III. katholische Restauration (Diss. Wien 1950), sowie zahlreiche Arbeiten Gustav Reingrabners, insbesondere Gustav Reingrabner, Die Gegenreformation im Waldviertel, in: Verzeichnis der Neubekehrten im Waldviertel 1652–1654. Codex Vindobonensis 7757 der Nationalbibliothek Wien, bearb. von Georg Kuhr–Gerhard Bauer (QFfrF 3, Nürnberg 1992) 1–63; ders., Gegenreformation in Niederösterreich – das Protokoll der Reformationskommission für das Viertel ober dem Wienerwald von 1657–1660. JbGPÖ 113 (1997) 9–115; ders., Beobachtungen zur Gegenreformation im Viertel ober dem Wienerwald. Hippolytus N. F. 22 (1997) 4–20; ders., Zur Gegenreformation im Viertel ober Wienerwald, in: Manfred Enzner–Eberhard Krauss, Exulanten aus der niederösterreichischen Eisenwurzen in Franken. Eine familien- und kirchengeschichtliche Untersuchung (QFfrF 14, Nürnberg 2005) 9–208; zuletzt: ders., Konfession und Machtpolitik. Ursachen der Auswanderung aus Österreich im 16. bis 18. Jahrhundert. BFFK 40 (2017) 9–49, bes. 34–37. 83 Arthur Stögmann, Hoffet ihr noch auf Gott, ihr narrischen leutt? Blasphemie und klerikale Autorität in Niederösterreich (1647/48), in: Justiz und Gerechtigkeit (wie Anm. 72) 169–198, hier 170. Vgl. auch ders., Die Konfessionalisierung im niederösterreichischen Weinviertel. Methoden, Erfolge, Widerstände (Saarbrücken 2010), sowie den Beitrag von Arthur Stögmann im vorliegenden Band. 84   Siehe z. B. Hartmut Heller–Werner Wilhelm Schnabel, Niederösterreicher in Franken, in: Evangelisch! Gestern und Heute einer Kirche. Ausstellung des Landes Niederösterreich und der Evangelischen Kirche in Niederösterreich, Schallaburg 2002, hg. von Gustav Reingrabner (Katalog des NÖ Landesmuseums N. F. 437, St. Pölten 2002) 143–159, hier 145. 85  Schnabel, Österreichische Exulanten (wie Anm. 52) 85–89 und passim; Hans Krawarik, Exul Austriacus. Konfessionelle Migrationen aus Österreich in der Frühen Neuzeit (Austria: Forschung und Wissenschaft, Geschichte 4, Wien u. a. 2010) 140–148; am Beispiel der landesfürstlichen Stadt Wels in Oberösterreich: Josefine Gurtner, Reformation und Gegenreformation in der landesfürstlichen Stadt Wels (Diss. Wien 1973) 219–224.

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übergegriffen hatte und die Zuwanderungsorte von massenhaften Flüchtlingsströmen noch verschont blieben, wurden tüchtige und wohlhabende Ansiedlungswillige zu dieser Zeit gerne aufgenommen.“86 Zur „Drehscheibe von Immigranten“87 wurden die Reichsstädte Nürnberg und Regensburg88. In der Stadt an der Donau wurden zwischen 1620 und 1634 insgesamt 174 aus Steyr, Linz und Wels, den drei größten Städten des Landes ob der Enns, ausgewanderte Personen offiziell als Zuwanderer geführt89. Der Höhepunkt fiel mit 141 Personen bzw. Familien in die Jahre von 1626 bis 1630. Davon stammte knapp die Hälfte (64) aus Linz, ein gutes Drittel (48) aus Steyr, das restliche Fünftel (29) aus Wels90. Der Steyrer Handelsherr Hans Auracher beispielsweise traf im November 1626 in Regensburg ein. 1630 zog er nach Nürnberg weiter. Dort führte er „einen florierenden Fernhandel u. a. mit Eisenwaren und gründete auch in Venedig eine Niederlassung, die [nach seinem Tod im Jahre 1640; Th.W.] von seinen ebenfalls in der Pegnitzstadt tätigen Söhnen [...] fortgeführt wurde“91. Der seit Juli 1627 in Regensburg lebende ehemalige Welser Apotheker Wolf Werlinger heiratete 1637 in Regensburg in zweiter Ehe Eva, die Witwe des aus Spitz an der Donau emigrierten Hofpredigers Abraham Pogner92. Sara Perger (geb. Kölbl), die Witwe des 1627 verstorbenen Linzer Handelsmannes Christoph Perger, lebte von 1629 bis zu ihrem Tod im Jahre 1649 in Regensburg93. Der bedeutende Historiograph, Steyrer Stadtschreiber und Sekretär der Innerberger Hauptgewerkschaft Valentin Preuenhueber († 1642) ging im Herbst 1628 ins Exil nach Regensburg, wo ihm zwei Söhne geboren wurden. Mitte der 1630er Jahre kehrte er in die habsburgischen Erblande zurück, wo er als Oberpfleger die Leitung der Herrschaft Salaberg im niederösterreichischen Viertel ober dem Wienerwald übernahm94. 86   Heller–Schnabel, Niederösterreicher in Franken (wie Anm. 84) 151. Grundlegend ist das umfassende Standardwerk Schnabel, Österreichische Exulanten (wie Anm. 52); ders., Österreichische Protestanten in Regensburg. Materialien zur bürgerlichen Immigration im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. MOÖLA 16 (1990) 65–133. 87  Hans Krawarik, Emigrationen und Ausweisungen von Protestanten aus Oberösterreich, in: Renaissance und Reformation. Katalog zur Oberösterreichischen Landesausstellung 2010, hg. von Karl Vocelka–Rudolf Leeb–Andrea Scheichl (Linz 2010) 347–357, hier 351. 88  Vgl. – neben Schnabel, Österreichische Exulanten (wie Anm. 52) – insbesondere Eberhard Krauss, Exulanten im Evang.-Luth. Dekanatsbezirk Nürnberg. Eine familiengeschichtliche Untersuchung (QFfrF 16, Nürnberg 2006); ders.–Manfred Enzner, Exulanten in der Reichsstadt Regensburg. Eine familiengeschichtliche Untersuchung (QFfrF 20, Nürnberg 2008). 89   Schnabel, Österreichische Protestanten in Regensburg (wie Anm. 86) 68. In der Stadt an der Donau wurden insgesamt etwa 800 Exulanten aus Österreich ob der Enns begraben. Krauss–Enzner, Exulanten in der Reichsstadt Regensburg (wie Anm. 88) 433–508. In den 1640er Jahren machen österreichische Exulanten in den Matriken der evangelischen Neupfarrkirche in Regensburg ein Viertel bis ein Drittel aller Getrauten aus. Georg Kuhr, Österreicher, Franken, Schwaben u. a. in den Trauungsbüchern der evang. Neupfarrkirche in Regensburg 1640–1651. BFFK 10 (1971) 41–166, hier 41 (Wiederabdruck in: Krauss–Enzner, Exulanten in der Reichsstadt Regensburg, 77–194). 90  Schnabel, Österreichische Protestanten in Regensburg (wie Anm. 86) 120. Zu Verzeichnissen auswanderungswilliger Bürger von Freistadt, der einzigen Stadt im Mühlviertel, und ihrer Ehefrauen aus den Jahren 1626 und 1630 siehe Georg Kuhr–Eberhard Krauss, Die Einwohner von Freistadt/Oberösterreich während der Gegenreformation 1626 bis 1630. BFFK 13 (1989) 167–191. 91   Schnabel, Österreichische Protestanten in Regensburg (wie Anm. 86) 85f. 92   Ebd. 91. 93  Ebd. 105. 94  Ebd. 109. Vgl. Karl Eder, Ein Reformationshistoriker – Valentin Preuenhueber. Zeitschrift für deutsche Geistesgeschichte 3 (1937) 95–112; Harald Tersch, Stadtchroniken am Beispiel der „Eisenstadt“ Steyr, in: Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch, hg. von Josef



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Aus der bedeutenden Eisenhandelsstadt Steyr, der mit etwa 700 Häusern und rund 9.000 Einwohnern um 1600 bei weitem größten Stadt des Landes ob der Enns, in der es 1620 nur 16 katholische Bürger gab, wanderten bis zum Sommer 1626 nicht weniger als 150 Familien aus95. Nachdem im Oktober 1625 durch ein kaiserliches Patent allen Bewohnern befohlen worden war, bis Ostern 1626 entweder zur römischen Kirche überzutreten oder zu emigrieren, verließen allein zwischen dem 14. Jänner und dem 8. April 1626 in einer ersten großen Auswanderungswelle 130 nicht konversionsbereite Steyrer Bürger die Stadt. Im Sommer 1627 folgte eine zweite große Emigrationswelle mit weiteren 102 Bürgern. Die Mehrzahl der Steyrer Bürger dürfte aber schließlich kapituliert und sich dem Konversionsdruck zumindest äußerlich gebeugt haben. Von Jänner 1626 bis etwa 1630 verließen insgesamt „ungefähr 250 Bürger und ihre Familien als Opfer der Gegenreformation nach der Entrichtung der sog. Nachsteuer, einer Vermögensabgabe in der Höhe von durchschnittlich rund 25 %, ihre Steyrer Heimat. Möglicherweise verließen [...] weitere Emigranten die Stadt, ohne einen Abschied erhalten und ohne die Nachsteuer bezahlt zu haben, die daher nicht in den Emigrantenverzeichnissen aufscheinen.“96 In den 1650er Jahren waren von den damals 604 Häusern der Stadt nur 321 bewohnt und voll steuerpflichtig, 162 Häuser waren zwar bewohnt, aber zumindest zum Teil steuerbefreit, 89 Häuser standen leer und verfielen, und bei 32 Häusern handelte es sich um adelige und geistliche Freihäuser97. 1652 nahm in jedem der vier niederösterreichischen Landesviertel eine landesfürstliche Reformationskommission die Arbeit der Bekehrung der nach wie vor „Unkatholischen“ auf. Im Viertel ober dem Manhartsberg waren damals noch etwa 22 % der Einwohner Protestanten, im Viertel ober dem Wienerwald hingegen, wo bereits ein deutlich geringerer Prozentsatz der ländlichen Untertanen noch immer unter evangelischen Grundherren lebte, nur mehr 13 % (aus den beiden östlichen Landesvierteln stehen keine Zahlen zur Verfügung)98. Ein keineswegs unbedeutender Teil der 1652 bis 1654 von den landesfürstlichen Reformationskommissionen in Österreich ob und unter der Enns angeblich zum römisch-katholischen Glauben bekehrten, überwiegend ländlichen „neuen Katholiken“ blieb im Herzen weiterhin evangelisch. Nicht wenige von ihnen verließen in den folgenden Jahren heimlich die Heimat und siedelten sich in erster Linie im Fränkischen Reichskreis in Territorien evangelischer Reichsfürsten – vor allem der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach und von Brandenburg-Bayreuth – sowie von evangelischen Pauser–Martin Scheutz–Thomas Winkelbauer (MIÖG Ergbd. 44, Wien–München 2004) 927–938, bes. 929f.; Gerold Lehner, Konfession und Geschichtsschreibung: Valentin Preuenhueber, Wolfgang Lindner und Jakob Zetl, in: Steyr. Stadt der Reformation, hg. von dems.–Raimund Ločičnik (Linz 2018) 463–482. 95  Krawarik, Exul Austriacus (wie Anm. 85) 142. 96  Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 2 132. Siehe v. a. Caecilia Doppler, Reformation und Gegenreformation in ihrer Auswirkung auf das Steyrer Bürgertum (Dissertationen der Universität Wien 135, Wien 1977). – In fränkischen Kirchenbüchern konnten insgesamt 483 aus Steyr stammende Exulanten eruiert werden. Eberhard Krauss–Manfred Enzner, Exulanten aus dem oberösterreichischen Hausruck- und Traunviertel in Franken. Mit einer historischen Einleitung von Gustav Reingrabner (QFfrF 29, Nürnberg 2014) 443–483. Die tatsächliche Zahl der Exulanten aus Steyr liegt höher, weil in den fränkischen Quellen „oft nur das Familienoberhaupt genannt ist“, ebd. 501. Zur Emigration aus und zur Gegenreformation in Steyr vgl. auch Ilse Neumann, Steyr und die Glaubenskämpfe, in: Beiträge zur Geschichte des Klosters Garsten und der Stadt Steyr I, hg. von Günter Garstenauer (Steyr 2010) 19–184 (um einen Quellenanhang erweiterte Neuauflage der Ausgabe Steyr 1952), hier 116–142; Günter Merz, Das Ende des evangelischen Steyr: ein Überblick, in: Steyr. Stadt der Reformation (wie Anm. 94) 199–212. 97  Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 2 133. 98  Reingrabner, Beobachtungen (wie Anm. 82) 19.

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Reichsrittern an, wo sie, ihre Familien und ihre Nachkommen dem Augsburger Bekenntnis treu bleiben konnten99. Franken war durch die kriegerischen Auseinandersetzungen und durch in deren Gefolge ausgebrochene Seuchen seit den 1630er Jahren besonders stark geschädigt und verwüstet worden und hatte in den Dörfern durchschnittlich mehr als 40 %, stellenweise sogar bis zu 70 %, und in den Städten etwa ein Drittel seiner Bevölkerung verloren. Es übte – stärker als Sachsen100 und Schwaben (insbesondere Württemberg), wohin sich ebenfalls nicht wenige österreichische Auswanderer wandten – mit seinen zahlreichen verlassenen Bauerngütern eine starke Sogwirkung auf nicht zur Konversion bereite oberund niederösterreichische Bauern und Handwerker aus101. Tausende Exulanten aus dem niederösterreichischen Waldviertel, der Eisenwurzen im steirisch-österreichischen Grenzgebiet und aus allen Vierteln des Landes ob der Enns wanderten zwischen 1625 und etwa 1675 nach Mittelfranken in die Umgebung von Nürnberg, in den Raum der Städte Altdorf, Fürth, Erlangen, Neustadt an der Aisch und Ansbach, nach Oberfranken in den Raum von Kulmbach sowie in die westliche Oberpfalz in den heutigen Landkreis Neumarkt, die frühere Reichsgrafschaft Sulzbürg-Pyrbaum, aus102. Die Informationen über zum Kauf stehende Bauerngüter wurden nicht zuletzt von österreichischen (insbesondere Mühl- und Waldviertler) Viehhändlern, die Rinder zum Verkauf nach Franken trieben, nach Österreich ob und unter der Enns vermittelt. Allein aus dem Eisenmarkt Gresten im Viertel ober dem Wienerwald bzw. aus der Doppelpfarre Gresten-Reinsberg konnten in fränkischen Pfarrmatriken und Konfitentenregistern mehr als 600 Personen als Exulanten nachgewiesen werden103. „Offensichtlich suchten Familienmitglieder, wohl in der Regel   Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 2 60.   Zur Auswanderung aus Böhmen und Mähren nach Sachsen während des und nach dem Dreißigjährigen Krieg und zu den mit der Integration der Exulanten verbundenen Schwierigkeiten siehe Alexander Schunka, Gäste, die bleiben. Zuwanderer in Kursachsen und der Oberlausitz im 17. und frühen 18. Jahrhundert (Pluralität & Autorität 7, Hamburg 2006); Wulf Wäntig, Grenzerfahrungen. Böhmische Exulanten im 17. Jahrhundert (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 14, Konstanz 2007); Frank Metasch, Exulanten in Dresden. Einwanderung und Integration von Glaubensflüchtlingen im 17. und 18. Jahrhundert (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 34, Leipzig 2011). Vgl. überdies Alexander Schunka, Emigration aus den Habsburgerländern nach Mitteldeutschland. Motive und soziale Konsequenzen, in: Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie, hg. von Rudolf Leeb–Susanne Claudine Pils–Thomas Winkelbauer (VIÖG 47, Wien–München 2007) 233–246; ders., Krieg, Konfession und die Ausprägung eines Migrationssystems im 17. Jahrhundert, in: Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit, hg. von Matthias Asche u. a. (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 9, Berlin 2008) 227–240; ders., Lutherische Konfessionsmigration, in: Europäische Geschichte Online (EGO), 2012-05-14, URL: http://ieg-ego.eu/de/threads/europa-unterwegs/christliche-konfessionsmigration/lutherische-konfessionsmigration [09.04.2019]. 101  Vgl. – die zahlreichen, weit verstreuten Einzelforschungen insbesondere fränkischer Familienforscher zusammenfassend – Krawarik, Exul Austriacus (wie Anm. 85) 149–193; Eberhard Krauss, Die Emigration nach Franken, in: Evangelisch! Gestern und Heute einer Kirche (wie Anm. 84) 133–141; Heller–Schnabel, Niederösterreicher in Franken (wie Anm. 84); einen ausgezeichneten Problemaufriss bietet nunmehr Werner Wilhelm Schnabel, „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“. Zur Integration österreichischer Konfessionsmigranten und der Entwicklung eines exulantischen Traditionsbewusstseins in Franken, in: Fremde in Franken. Migration und Kulturtransfer, hg. vom Bezirk Mittelfranken durch Andrea M. Kluxen–Julia Krieger–Andrea May (Geschichte und Kultur in Mittelfranken 4, Würzburg 2016) 127–156. 102  Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 2 61. 103  Krauss, Emigration nach Franken (wie Anm. 101) 139. „Das ist die größte Anzahl von Exulanten, die aus einem einzigen Ort [bzw. einer einzigen Pfarre; Th.W.] ausgewandert ist. Diese Feststellung gilt zumindest für Niederösterreich, wahrscheinlich aber für ganz Österreich.“ Ebd. Vgl. die so weit wie möglich vollständige Dokumentation Enzner–Krauss, Exulanten aus der niederösterreichischen Eisenwurzen (wie Anm. 82) pas99

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der Ehemann und Vater, zuerst allein nach einer günstigen Gelegenheit zum Kauf eines Anwesens. Dann wurde die Familie aus Österreich nachgeholt.“104 In zahlreichen fränkischen Dörfern, aber auch in einzelnen Märkten in Schwaben und anderswo lebten um 1670 mehr ausgewanderte Österreicher als Alteingesessene105. Die weit überwiegende Zahl der niederösterreichischen Exulanten verließ das Land erst ab 1652, seit dem Beginn der massiven und schließlich weitgehend erfolgreichen gegenreformatorischen Bestrebungen in der späten Regierungszeit Kaiser Ferdinands III., also nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, „als durch die Bestimmungen des Westfälischen Friedensschlusses die in der zahlreichen geheimprotestantischen Bauerngemeinde insgeheim genährte Hoffnung, es werde wieder zur Duldung des evangelischen Bekenntnisses kommen, zunichte geworden war“106. Exulanten aus dem südlichen Waldviertel und aus der Wachau wandten sich überwiegend in das südliche Mittelfranken. Unter dem Datum 17. September 1645 findet sich, um ein Beispiel zu nennen, im Konfitentenregister der Pfarre Weißenbronn (heute ein Ortsteil der Stadt Heilsbronn im Landkreis Ansbach) vermerkt, Thomas Haspel und seine Ehefrau seien wegen der (Religions-)Reformation aus der Herrschaft Pöggstall im südlichen Waldviertel „gewichen“, und Hans Mairhöfer und seine Frau Justina aus Wösendorf in der Wachau (heute ein Ortsteil von Weißenkirchen) würden „wegen des Evangelii verfolget“107. 1646 kehrte Thomas Haspel für einige Jahre ins Waldviertel zurück, 1651 verließ er es endgültig108. Aus dem Gebiet der Sinzendorfischen Herrschaft Pöggstall lässt sich für die Jahre zwischen 1639 und 1670 die Abwanderung von insgesamt nicht weniger als 500 Personen nach Franken nachweisen109. Die Herrschaft Arbesbach im westlichen Waldviertel wurde zwischen 1646 und 1660 von nahezu der Hälfte der Untertanen verlassen110. Häufig ist das für größere und sich über einen längeren Zeitraum erstreckende Migrationsbewegungen typische Phänomen der Kettenmigration zu beobachten: „Kundschafter gehen voraus, holen grüppchenweise andere Verwandte, Nachbarn und Freunde nach, bis sich am neuen Zielort gleichsam eine Filiale der alten Heimatgemeinde wiederfindet. […] Auch [in den Zielgemeinden] Einheimische waren daran beteiligt, derlei zu orgasim (exemplarisch 331–358: Exulanten aus Gresten in Dietenhofen; identisch mit: Eberhard Krauss, Exulanten aus Gresten in Dietenhofen – Exulanten aus Niederösterreich in Franken. JGPÖ 120 [2004] 151–165), sowie Eberhard Krauss, Exulanten im Evang.-Luth. Dekanat Neustadt an der Aisch (QFfrF 27, Nürnberg 2012) 521f. (Ortsregister). 104   Krauss, Emigration nach Franken (wie Anm. 101) 135. 105   Heller–Schnabel, Niederösterreicher in Franken (wie Anm. 84) 157; Krawarik, Exul Austriacus (wie Anm. 85) 188. – Im Kirchenbuch des zwischen Pforzheim und Heilbronn am Rande des nördlichen Schwarzwaldes gelegenen Marktes Schützingen findet sich die aus dem Jahr 1657 stammende Notiz, der Markt sei „anjezo fast mit lauter frembden burgern, meistentheyls aber vom Ländlin ob der Enns wiederumb besetzt und erbauet worden“; zitiert nach Krawarik, Exul Austriacus (wie Anm. 85) 168 Anm. 157. 106 Paul Dedic, Kärntner Exulanten des 17. Jahrhunderts. VIII. Teil. Carinthia I 154 (1964) 257–307, hier 257. 107  Krauss, Emigration nach Franken (wie Anm. 101) 138. 108  Heller–Schnabel, Niederösterreicher in Franken (wie Anm. 84) 148; Manfred Enzner, Exulanten aus dem südlichen Waldviertel in Franken (ca. 1627–1670). Eine familien- und herrschaftsgeschichtliche Untersuchung (QFfrF 8, Nürnberg 2001) 237. 109  Enzner, Exulanten aus dem südlichen Waldviertel (wie Anm. 108) 43–68 und passim. 110  Max Mauritz, Arbesbach (Arbesbach 1983) 50; Eberhard Krauss, Exulanten aus dem westlichen Waldviertel in Franken (ca. 1627–1670). Eine familien- und kirchengeschichtliche Untersuchung (QFfrF 5, Nürnberg 1997) 19.

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nisieren“, beispielsweise der Pfarrer von Unternesselbach (heute ein Ortsteil der Stadt Neustadt an der Aisch in Mittelfranken), der eine Exulantin aus Horn im Waldviertel zur Frau hatte111. Aus dem mit dem Jahr 1642 einsetzenden Konfitentenregister der Pfarre Weißenkirchberg (heute ein Ortsteil der Stadt Leutershausen im Landkreis Ansbach in Mittelfranken) geht klar hervor, dass „die in Weißenkirchberg ansässig gewordenen Exulanten mit ihren Familienangehörigen, Verwandten und Freunden im Waldviertel in engem Kontakt blieben“. Die österreichischen Viehhändler, die teilweise mit Frauen und Kindern unterwegs waren, nahmen in Franken naheliegender Weise „die Gelegenheit wahr, evangelische Gottesdienste zu feiern und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt zu empfangen, bevor sie in ihre Heimat zurückkehrten“112. Immer wieder scheinen in dem erwähnten Weißenkirchberger Konfitentenregister für kürzere oder längere Zeit als Viehhändler ins Land gekommene Waldviertler auf, die in Franken ihren Geschäften nachgingen, zugleich aber die Gelegenehit nutzten, das Abendmahl zu empfangen, bevor sie nach Österreich zurückreisten113. Unter den Abendmahlsgästen finden sich immer wieder auch betagte Männer und Frauen, die die beschwerliche Reise nach Franken unternahmen, um an evangelischen Gottesdiensten und Abendmahlsfeiern teilnehmen zu können. Als Beispiel sei Thomas Kullmer genannt, der, nachdem er (wohl um 1600) aus Kärnten vertrieben worden war und sich im Waldviertel niedergelassen hatte, im Sommer 1642 „mit 78 Jahren mit den Viehhändlern nach Franken zum Abendmahlsempfang reiste“114. Eine unbekannte Zahl der nieder- und oberösterreichischen Exulanten war – wie der soeben erwähnte Thomas Kullmer – zuvor bereits vor den 1599 einsetzenden gegenreformatorischen Maßnahmen115 aus einem der innerösterreichischen Stammländer Ferdinands II. geflohen, wieder andere wanderten nicht direkt nach Franken aus, sondern wandten sich zunächst nach Ungarn, Böhmen, Mähren oder Schlesien. Der 1617 in Groß Gerungs im Waldviertel geborene und 1704 in Fürth in Mittelfranken gestorbene Balthasar Schildknecht beispielsweise ging zunächst nach Ungarn, wandte sich dann nach Mähren, Schlesien und Böhmen und anschließend ins Vogtland, bis er schließlich nach Fürth kam und dort ansässig wurde. Dort heiratete er die ebenfalls aus Groß Gerungs stammende Veronica Trunzer. „Ihr Weg war der gleiche. Er führte sie nach Pressburg, dann ins Reich in den Sulzgau (Reichsgrafschaft Sulzbürg-Pyrbaum) und von dort schließlich nach Fürth.“116 Aus dem niederösterreichischen Teil der Eisenwurzen dürften mindestens 3.000 Exulanten nach Franken ausgewandert sein, aus dem Waldviertel deutlich mehr als 5.000. Alles in allem wird man für ganz Niederösterreich für die Jahrzehnte zwischen 1630 und 1680 mit einer Exulantenzahl von ungefähr 15.000 Männern, Frauen und Kindern   Heller–Schnabel, Niederösterreicher in Franken (wie Anm. 84) 148.   Enzner, Exulanten aus dem südlichen Waldviertel (wie Anm. 108) 45; siehe auch Krauss, Exulanten aus dem westlichen Waldviertel (wie Anm. 110) 39f. 113  Ebd. 38. 114  Ebd. 40. – Zwischen 1639 und 1670 sind alleine in der kleinen Pfarre Weißenkirchberg etwa 75 Personen aus dem Waldviertel sesshaft geworden; ebd. 43. 115  Vgl. u. a. Johann Rainer, Katholische Reform in Innerösterreich. RömQua 84 (1989) 258–269; Karl Amon, Innerösterreich, in: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, hg. von Anton Schindling–Walter Ziegler, Bd. 1 (Münster 1989) 102– 116; Katholische Reform und Gegenreformation in Innerösterreich 1564–1628, hg. von France Martin Dolinar–Maximilian Liebmann–Helmut Rumpler–Luigi Tavano (Klagenfurt u. a. 1994). 116  Krauss, Exulanten aus dem westlichen Waldviertel (wie Anm. 110) 30. 111 112



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rechnen können, was etwa 2,5 % der Gesamtbevölkerung vor dem Kriegsausbruch entspricht117. Aus den ländlichen Gebieten Oberösterreichs sind neueren Berechnungen zufolge im selben Zeitraum, während der von Hans Krawarik treffend so bezeichneten „‚schleichenden‘ Massenmigration“, wahrscheinlich sogar an die 18.000 Menschen in evangelische Territorien ausgewandert, das sind ungefähr 6 % der Vorkriegsbevölkerung118. In fränkischen Kirchenbüchern konnten nach ihrer Herkunft etwas mehr als 3.000 Exulanten aus dem Mühlviertel, ca. 4.100 Exulanten aus dem Hausruckviertel und 1.150 Exulanten aus dem Traunviertel eruiert werden119. In Wirklichkeit sind aber „in Franken bzw. Süddeutschland wesentlich mehr Österreicher zugewandert, deren Heimatorte nicht bekannt geworden sind. Sie sind in den Kirchenbüchern nur als Exulanten, Österreicher, Landler, Vertriebene und ähnlich eingetragen. Sie stammen zum größten Teil aus den oberösterreichischen Landesvierteln […].“120 Im Jahr 1653 hielten sich allein im Fürstentum Ansbach-Bayreuth in Mittelfranken etwa 5.000 Exulanten aus dem „Landl“ ob der Enns auf121. In den innerösterreichischen Stammländern Ferdinands II. war die gewaltsame Gegenreformation in Stadt und Land bereits um 1600 massiv angelaufen, und hier gewährte, anders als in den Donauländern, in den folgenden Jahren kein habsburgischer „Bruderzwist“ den Evangelischen eine Verschnaufpause und eine kurzfristige letzte Blütezeit. Allein aus den Städten der Steiermark dürften im frühen 17. Jahrhundert etwa 2.500 Personen nach Oberdeutschland, Österreich ob und unter der Enns sowie in das Königreich Ungarn (vor allem nach Westungarn) ausgewandert sein. Ins Reich außerhalb der österreichischen Erbländer sind zwischen 1598 und 1605 aus ganz Innerösterreich Schätzungen zufolge ungefähr 11.000 Menschen emigriert; das entspricht etwa 1 % der Gesamtbevölkerung122. Zwischen 1613 und 1628 wurden aus der Steiermark, Kärnten und Krain die nicht den Landständen angehörenden nobilitierten Protestanten vertrieben. 1628 schließlich wurde die Gegenreformation in den innerösterreichischen Ländern auch auf den landständischen Adel ausgedehnt123. Die „akatholischen“ Herren und Ritter wurden von Ferdinand II. vor die Alternative gestellt, entweder binnen längstens eines Jahres zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Aus der Steiermark emigrierten in den folgenden Jahren etwa 750 Adelige, aus Kärnten mehr als 160. Viele Adelsfamilien waren künftig in einen katholischen und einen evangelischen Zweig gespalten: Die einen bekehrten sich und retteten solcherart   Krauss, Emigration nach Franken (wie Anm. 101) 141.   Krawarik, Exul Austriacus (wie Anm. 85) 192. Zu den Exulanten aus dem Land ob der Enns vgl. auch Georg Heilingsetzer, Wellen der Emigration aus Oberösterreich im 17. Jahrhundert, in: FS Heide Dienst zum 65. Geburtstag (wie Anm. 52) 59–70. 119  Eberhard Krauss, Exulanten aus dem oberösterreichischen Mühlviertel in Franken (QFfrF 23, Nürnberg 2010); ders.–Enzner, Exulanten aus dem oberösterreichischen Hausruck- und Traunviertel (wie Anm. 96). 120   Krauss–Enzner, Exulanten aus dem oberösterreichischen Hausruck- und Traunviertel (wie Anm. 96) 499. 121   Krawarik, Exul Austriacus (wie Anm. 85) 159f. „Die ‚schleichend‘ verlaufende Migration [aus den ostösterreichischen Ländern] nach Süddeutschland scheint unter Einschluss Innerösterreichs ungefähr 40.000 Personen umfasst zu haben“, ebd. 193. 122   Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 2 51. 123 Vgl. u. a. Regina Pörtner, The Counter-Reformation in Central Europe. Styria 1580–1630 (Oxford 2001); Claudia Fräss-Ehrfeld, Geschichte Kärntens, Bd. 2: Die ständische Epoche (Klagenfurt 1994) 690–708. 117 118

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den Besitz, die anderen blieben protestantisch und wanderten aus – sei es in eine der oberdeutschen Reichsstädte (Augsburg, Lindau, Nördlingen, Nürnberg, Regensburg, Ulm etc.), nach Franken, Württemberg, Sachsen oder Westungarn124. Legal in den österreichischen Erbländern lebende nichtkatholische landständische Adelige gab es künftig – in kontinuierlich schrumpfender Zahl – nur noch in Österreich unter der Enns125. Ähnlich wie in Österreich ob und unter der Enns, kam es auch in der Steiermark und in Kärnten ab 1649 zu einer weiteren Auswanderungswelle mit Zielen in Franken, Schwaben, Württemberg und Sachsen. „Sie rekrutierte sich überwiegend aus [evangelischen] Bauern, Knechten und Mägden sowie Handwerkern, die in ihrer Heimat keine Perspektive mehr für ihre Religionsausübung sahen.“126 Allein im Raum zwischen Schwabach und Nürnberg in Mittelfranken fanden etwa 560 Glaubensflüchtlinge eine neue Heimat127. Auch in den Untertanendörfern der Reichsstadt Ulm siedelten sich in den 1650er Jahren aus Kärnten eingewanderte Gruppen häufig geschlossen in benachbarten Orten an128. Im Dorf Wain beispielsweise lassen sich schon ab 1649 Zuwanderer in größerer Zahl nachweisen. Im Jahr 1684 lebten in Wain 118 Familien. Von diesen hatten nicht weniger als 66 eine Kärntner oder steirische Herkunft129. Im Gebiet des heutigen Evangelisch-Lutherischen Dekanats Schwabach siedelten sich mindestens 851 Kärntner Exulanten an, die ihre Heimat in zwei Wellen verließen: in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts (ca. 65 Personen), vor allem aber nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ab 1651 (786 Personen), also in Jahren besonders starken Konversionsdrucks130. Insgesamt sind derzeit die Namen von rund 3.500 Familienoberhäuptern (also ohne Berücksichtigung ihrer oft zahlreichen Angehörigen) aus Kärnten bekannt, die – zumindest in erster Linie – aus religiösen Motiven im 16. und 17. Jahrhundert nach Franken auswanderten131.

6. Ein Beispiel zum Schluss: Die Pfarrherrschaft Altpölla Von den auf rund ein Dutzend Dörfer verteilten 61 Untertanenhäusern der Pfarre Altpölla im östlichen Waldviertel wurden im Böhmisch-Pfälzischen Krieg 1619/20 min124  Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 2 51; siehe auch die ebd. 322, in Anm. 193 zusammengestellte Literatur. 125  Dazu grundlegend Arndt Schreiber, Adeliger Habitus und konfessionelle Identität. Die protestantischen Herren und Ritter in den österreichischen Erblanden nach 1620 (MIÖG Ergbd. 58, Wien–Köln–Weimar 2013). 126   Karl Wilhelm Schnabel, „Der süßen Heimath ferne“. Kärntner Exulanten in den deutschen Territorien, in: Glaubwürdig bleiben. 500 Jahre protestantisches Abenteuer, hg. von Wilhelm Wadl (AVGT 101, Klagenfurt 2011) 218–240, hier 235. 127   Ebd. 236. 128  Ebd. 129  Ebd. 237f. 130   Karl Heinz Keller, „... das Landt quittiert sambt all den Seinigen“. Kärntner Exulanten im Evangelisch-Lutherischen Dekanat Schwabach, in: Glaubwürdig bleiben (wie Anm. 126) 241–260. Zur Auswanderung von Evangelischen aus Kärnten nach wie vor grundlegend: Paul Dedic, Kärntner Exulanten des 17. Jahrhunderts. 8 Teile. Carinthia I 136–138 (1948) 108–135; 139 (1949) 388–417; 140 (1950) 768–803; 142 (1952) 350–380; 145 (1955) 577–589; 147 (1957) 628–634; 150 (1960) 277–320; 154 (1964) 257–307; siehe auch Gustaf Adolf von Metnitz, Zu Dr. Paul Dedic, Kärntner Exulanten des 17. Jahrhunderts. Carinthia I 153 (1963) 481–502. 131  Kärntner Migranten des 16. und 17. Jahrhunderts. Ein personengeschichtlicher Index, bearb. von Karl Heinz Keller–Werner Wilhelm Schnabel–Wilhelm Veeh (gff digital – Reihe B: Personengeschichtliche Datenbanken 1, Nürnberg 2011).



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destens 54 durch Soldaten verwüstet, das heißt beinahe 90 %. In einem 1629 oder Anfang 1630 angelegten Urbar der Pfarrherrschaft heißt es bei vielen bäuerlichen Lehen und Hofstätten, sie seien so und so viele Jahre „öd“ gelegen, bevor sie wieder „gestiftet“ werden konnten. Die Äcker der öden Häuser blieben entweder unbebaut oder wurden von Nachbarn mitbewirtschaftet. Im Laufe der 1620er Jahre wurden 30 Lehen und Hofstätten wieder besetzt, davon die Hälfte erst in den letzten zwei Jahren vor der Anlegung des Urbars. 24 Häuser (ca. 39 %) waren zu diesem Zeitpunkt immer noch „Öden“, bei vieren davon heißt es ausdrücklich, sie seien – rund zehn Jahre nach der Katastrophe – nach wie vor „Brandstätten“. Den Käufern öder und abgebrannter Häuser wurden unter der Bedingung, diese wiederaufzubauen, für gewöhnlich drei Freijahre gewährt, in denen sie keine Abgaben an die Grundherrschaft und keine Steuern zahlen mussten. Von einem der Ganzlehen heißt es in dem Urbar, es sei zwar schon seit sechs Jahren wieder „gestiftet“, es seien davon aber bisher noch keinerlei Zahlungen eingegangen; man müsse es als Brandstätte behandeln, sonst werde sich niemand darum annehmen132. Das älteste erhaltene Herrschaftsprotokoll der Pfarre Altpölla133 legte Anfang 1634 der neue, seine Herrenforderungen gegenüber den Pfarruntertanen besonders rücksichtslos und nötigenfalls gewalttätig durchsetzende Pfarrer Christoph Zächer (1601–1641) an134. Von 1634 bis 1642 wurden die zehn noch öden Häuser wieder bestiftet, während im selben Zeitraum nur ein einziges Haus neu verödete. In diesen neun Jahren sind nicht weniger als 30 Hauskäufe durch aus Schwaben, Bayern, Österreich ob der Enns, Salzburg und Tirol stammende Ausländer verzeichnet. Manche der Pfarrherrschaft Altpölla untertänige Häuser bzw. Brandstätten wechselten beinahe jährlich den Besitzer. Im Frühjahr 1643 befanden sich unter den 20 Hausbesitzern des Dorfes Mannshalm, über das die Pfarre die Ortsobrigkeit besaß135, nur noch zwei, die bereits unter Zächers Vorgänger, also vor 1633, dort „hausgesessen“ gewesen waren136. Die Äcker und Wiesen, die zu den öden Häusern gehörten, für die sich keine Käufer fanden, wurden vom Grundherrn nach Möglichkeit verpachtet. Manche der Zuwanderer wohnten, bevor sie ein Haus kauften, als Inleute   Winkelbauer, Pfarrherrschaft (wie Anm. 37) 424f.   Stiftsarchiv Seitenstetten, Hs. 57 Z 7: Herrschaftsprotokoll Altpölla. 134  Zu Zächers Auseinandersetzungen mit seinen Untertanen (mit den Höhepunkten in den Jahren 1633/34 und 1642) siehe Wolfgang Häusler, Pfarrer Christoph Zächer von Altpölla und seine „rebellischen Unterthanen“. Ein Kulturbild aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Wv N. F. 26 (1977) 217–229, und Thomas Winkelbauer, Pfarrer Christoph Zächer von Altpölla und seine „rebellischen Unterthanen“. Fortsetzung des gleichbetitelten Aufsatzes von Wolfgang Häusler. Wv N. F. 31 (1982) 273–286; zusammenfasend: ders., Robot und Steuer. Die Untertanen der Waldviertler Grundherrschaften Gföhl und Altpölla zwischen feudaler Herrschaft und absolutistischem Staat (vom 16. Jahrhundert bis zum Vormärz) (FLkNÖ 25, St. Pölten 1986) 138–147. – Wie viele andere Grundherren, versuchten auch Pfarrer Zächer und seine Vorgänger, „sich dadurch möglichst schadlos zu halten, daß sie auch während des Krieges, der die Untertanen […] ohnehin zumindest an den Rand des Ruins brachte, ihre ‚normalen‘ Forderungen (Robot, Zehent, Besitzwechselabgaben etc.) aufrechterhielten“; Winkelbauer, Robot und Steuer, 139. Zächer hatte bei Antritt seines Pfarramtes Steuerrückstände übernehmen müssen, deren Summe sich 1642 inklusive Zinsen bereits auf ca. 1.133 fl. belief. Die Verordneten der Landstände begnügten sich auf inständiges Bitten des Pfarrers schließlich mit der Bezahlung der seit 1634 rückständigen Steuern in der Höhe von etwa 590 fl.; Jos(ef ) Edlinger, Beiträge zur Geschichte der Pfarre Altpölla. Geschichtliche Beilagen zu den Consistorial-Currenden der Diöcese St. Pölten 4 (1890) 386–450, hier 416. 135 Zur Orts- bzw. Dorfobrigkeit in Niederösterreich siehe Helmuth Feigl, Die niederösterreichische Grundherrschaft vom ausgehenden Mittelalter bis zu den theresianisch-josephinischen Reformen (FLkNÖ 16, St. Pölten 21998) 89–105. 136  Winkelbauer, Pfarrer Christoph Zächer (wie Anm. 134) 281. 132 133

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in einem anderen Haus, beispielsweise der Wagner Hans Leitl aus der Oberpfalz, der beim Gemeindehirten (pastor) von Ramsau in der hörberg wohnte, bevor er 1635 ein ödes Ganzlehenhaus und zusätzlich zwei öde Halblehen im selben Dorf käuflich erwarb137. Georg und seine Frau Barbara Bauer (Paur) stammten aus Bayern, und sie wohnten in Nondorf als Inwohner bei einem Zuwanderer aus Salzburg, bevor sie im März 1636 um 15 fl. von Hannsen Sontag alda das hauß sambt aller zuegehörung zue dorff und veldt erwarben138. Einige der meist hoch verschuldeten Bauern und Bäuerinnen entzogen sich ihren Schuldverpflichtungen sowie der Herrschaft des speziell verhassten Grundherrn Zächer durch Flucht139, beispielsweise Hanns Dürstenbacher (Dierstenpacher, auch: Tieffenbacher), der von 1626 bis zu seiner „Austretung“ (auströttung) im Jahr 1642 Dorfrichter von Nondorf gewesen war140. Andere wurden von Pfarrer Zächer als „Rädelsführer“ und „Aufwiegler“ mit der Abstiftung von Haus und Hof bestraft (d. h. zur Aufgabe ihres Guts gezwungen), so 1635 der gut 50 Jahre alte Doppellehner und Schuster Matthias (Matthes) Stirner aus Mannshalm, der übrigens 1633, kurz nach dem ersten Aufflammen des bäuerlichen Widerstands gegen den neuen Grundherrn, von Zächer verhaftet, in den Kotter des Pfarrhauses gesperrt und dort mit dem 65 Jahre alten Ganzlehner Georg Prenner, der seit 1596 oder 1597 (also seit dem Bauernkrieg) als Dorfrichter fungiert hatte (und von den Mannshalmer Hausbesitzern übrigens 1636, nach dem Intermezzo eines vom Grundherrn oktroyierten Strohmanns, wiedergewählt wurde), zusammengeschmiedet worden war141. Trotz der ihnen gewährten drei Freijahre und trotz der äußerst niedrigen Kaufpreise (nicht selten nur 3 fl. für ein Ganzlehen) gelang es manchen Käufern nicht, das zerstörte Haus rasch wiederaufzubauen und die bäuerliche Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Im April 1641 kaufte der aus Bayern gebürtige Michel Miller eine Brandstätte im Dorf Tiefenbach. 1644, nach Ablauf der drei Freijahre, als er erstmals Zugrobot hätte leisten sollen, heißt es im Herrschaftsprotokoll der Pfarre Altpölla: Auffs Michel högster bitt ist ihme diß jahr noch auf die handrobath gelaßen, doch mit dißem außtrickhlichen vorbehalt, daß er das hauß noch vor der vexung [Fechsung = Ernte] baue, darzue ich [d. i. Pfarrer Christoph Zächer] ihme das holz gibe, wo aber nit, soll er die vexung verfahlen haben142. Die für die Bewohner des Wald- und des Weinviertels im Allgemeinen und die Untertanen der Pfarre Altpölla im Besonderen schlimmste Zeit des Dreißigjährigen Krieges begann jedoch erst mit den chaotischen und exzessiven Einquartierungen und Durchmärschen kaiserlicher Regimenter in der ersten Hälfte der 1640er Jahre und erreichte ihren Höhepunkt mit dem Schwedeneinfall in Niederösterreich 1645/46. Die Untertanen der Pfarrherrschaft Altpölla flohen – ebenso wie ihre anderen Herrschaften untertänigen Nachbarn – in die Wälder. Zu allem Unglück brach im Winter 1645/46 auch noch die Pest aus. Die Trauungsmatriken der Pfarre Altpölla sind mit kleineren Lücken (1631 und 1637) seit dem Jahr 1629 erhalten. Von den in den Jahren 1629 bis 1648 verzeichneten Brautleu  Stiftsarchiv Seitenstetten, Hs. 57 Z 7, pag. 19.   Ebd. pag. 115. 139  Winkelbauer, Pfarrherrschaft (wie Anm. 37) 425f. 140   Häusler, Pfarrer Christoph Zächer (wie Anm. 134) 224; Winkelbauer, Pfarrer Christoph Zächer (wie Anm. 134) 274f., 279 und 284 Anm. 1. – Am 8. März 1645 verkaufte Pfarrer Zächer das Haus, so Hanßen Dierstenpacher zuegehorig gewöst, und zwar mit der gesamten Ernte (sambt der völligen vexung, nichts außgenomben), um 30 fl. und 1 Taler Leihkauf (ligkauff) an Martin Pinter. Stiftsarchiv Seitenstetten, Hs. 57 Z 7, pag. 106. 141  Häusler, Pfarrer Christoph Zächer (wie Anm. 134) 223f.; Winkelbauer, Pfarrer Christoph Zächer (wie Anm. 134) 274–277. 142  Stiftsarchiv Seitenstetten, Hs. 57 Z 7, pag. 57. 137 138



Der Dreißigjährige Krieg und die österreichischen Erbländer 51

ten stammten mindestens 74 (d. h. zumindest 28 %) nicht aus dem Waldviertel. Von den 45 nicht aus der näheren Umgebung kommenden Bräutigamen kamen elf aus Bayern, vier aus der Steiermark, je drei aus Österreich ob der Enns, Böhmen und Schwaben, je zwei aus Salzburg, Ungarn und der (Ober-)Pfalz, die übrigen aus den anderen Landesvierteln Niederösterreichs, aus Tirol, Mähren, Schlesien und der Schweiz sowie aus mitteldeutschen Territorien. Die 29 Bräute kamen im Großen und Ganzen aus denselben Herkunftsländern. Bei rund 70 % der Eheschließungen, an denen nicht aus dem Waldviertel stammende Personen beteiligt waren, war nur der Mann oder nur die Frau nicht „einheimisch“. In immerhin etwa 30 % der Fälle stammten beide Brautleute nicht aus dem Waldviertel143. In den Jahren 1649 bis 1659, also in den zehn Jahren nach den Friedensschlüssen von Münster und Osnabrück, hat sich die durchschnittliche Zahl der jährlichen Trauungen in der Pfarre Altpölla, die sich zwischen 1629 und 1648 auf knapp acht belaufen hatte, sprunghaft auf 24 mehr als verdreifacht. Der durchschnittliche Anteil der NichtWaldviertler an den Brautleuten fiel im selben Zeitraum von 28 % auf nur mehr 4,7 % (bei den Männern von 34,1 auf 5,3 %, bei den Frauen von 22,0 auf 1,2 %). Von den 24 zwischen 1649 und 1659 in der Pfarrkirche von Altpölla geschlossenen Ehen mit mindestens einem Partner von außerhalb des Waldviertels war nur eine einzige „rein ausländisch“ – und zwar bezeichnenderweise eine Soldatenehe: 1657 heiratete der Mährer Johann Zelenka, Musketier (sclopetarius) im Regiment Hofkirchen, eine Landsfrau namens Catharina. Trauzeugen waren drei weitere Mährer sowie ein Schlesier, alle vier ebenso wie der Bräutigam Musketiere im selben Regiment144.

7. Schluss Der Dreißigjährige Krieg hatte in den Ländern Österreich ob und unter der Enns, obwohl sie von der „Kriegsfuria“ nur in den Jahren 1619/20 und 1645/46 direkt erfasst wurden, große materielle Zerstörungen und massive Bevölkerungsverluste zur Folge. Letztere wurden durch die teilweise fluchtartige Auswanderung nicht konversionswilliger evangelischer Bürger und Bauern verstärkt, und sie wären noch deutlich höher ausgefallen, wenn es nicht gleichzeitig auch zu Zuwanderungen – insbesondere aus Bayern, Schwaben und Tirol – gekommen wäre. Völlig zu Recht ist von einem „beträchtlichen Bevölkerungsaustausch“ gesprochen worden145. Der Krieg bewirkte durch die Vertreibung zahlreicher humanistisch gebildeter Protestanten aus den österreichischen Ländern, unter denen sich bedeutende Gelehrte und Wissenschaftler wie Johannes Kepler (1571–1630), Hieronymus Megiser (ca. 1554–1619), Valentin Preuenhueber oder Martin Zeiller (1589–1661) befanden, sowie von oppositionellen Adeligen auch einen großen intellektuellen und kulturellen Verlust146. 143  Winkelbauer, Pfarrherrschaft (wie Anm. 37) 426f. – Das Haus Nr. 10 im Markt Neupölla, das seit 1997 das „Erste österreichische Museum für Alltagsgeschichte“ beherbergt, wurde in den 1650er Jahren von dem aus der Pfalz (wahrscheinlich aus der 1621 von Bayern besetzten und 1628 vom Kaiser dem bayerischen Herzog und Kurfürsten übergebenen Oberpfalz oder aus dem Fürstentum Pfalz-Neuburg) stammenden Paul Walter, der im Februar 1648 in der Pfarrkirche von Altpölla Susanna Milner (Müllner) aus Altpölla geheiratet hatte, erworben. Friedrich Polleross, Neupölla Nr. 10: Ein Haus und seine Bewohner. Wv N. F. 48 (1999) 113–156, hier 115f. 144  Winkelbauer, Pfarrherrschaft (wie Anm. 37) 427 und 452 Anm. 442. 145  Tersch, Jankau und die Folgen (wie Anm. 57) 513. 146  Siehe die Zusammenstellung bei Schnabel, Österreichische Exulanten (wie Anm. 52) 209–222.

Epizentrum und Bebengebiet. Die böhmischen Länder im Dreißigjährigen Krieg Petr Maťa

Einen Tag vor der am 28. August 1619 erfolgten Kaiserwahl wurde der am Wahltag in Frankfurt am Main in eigener Person teilnehmende Kurfürst von Köln vom kurpfälzischen Geheimen Rat Volrad von Plessen (1560–1631) angesprochen. Im Meinungsaustausch lehnte es der Kurfürst, ein jüngerer Bruder Herzog Maximilians I. von Bayern, ab, die Thronkandidatur Ferdinands II., des zwei Jahre zuvor angenommenen und gekrönten Königs von Böhmen, zu hintertreiben. Faktisch war aber Ferdinand zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr König von Böhmen, denn er wurde wenige Tage davor in Prag von den konföderierten Ständen der fünf böhmischen Länder entthront; eine Tatsache, über die der Kölner Kurfürst immer noch im Konditional sprach: „Sollte es aber wahr sein, dass die Böhmen im Begriffe ständen, Ferdinand abzusetzen und einen Gegenkönig zu wählen, so möge man sich gleich auf einen 20, 30 oder 40 jährigen Krieg gefasst machen. Denn Spanien und das Haus Oesterreich würden eher Alles, was sie in dieser Welt besitzen, daran setzen, als Böhmen aufgeben, ja Spanien sei selbst bereit, lieber die Niederlande fahren zu lassen als seinem Hause die Herrschaft in Böhmen so schimpflich und gewaltthätig entwinden zu lassen.“ 1 Dieses Urteil, das düstere Aussichten sowohl für das böhmisch-kurpfälzische Staatsprojekt als auch für den Frieden in Zentraleuropa vorhersagte, erscheint durchaus nachvollziehbar, bedenkt man den damals bereits seit einem halben Jahrhundert andauernden (wenn auch gerade im Stillstand begriffenen) Sezessionskrieg der Vereinigten Niederlande – eine militärische Konfrontation mit Spanien, die am Ende als Achtzigjähriger Krieg in die Geschichtsbücher einging. Die zutreffende Vorhersage des Kurfürsten führt zugleich die breiten Zusammenhänge der „böhmischen Frage“ vor Augen und deutet an, inwiefern die sich im Sommer 1619 überstürzenden Ereignisse bereits von Zeitgenossen als eine Weichenstellung wahrgenommen wurden, die letztendlich das gesamte politische Ordnungsgefüge Europas gefährdete. Die in der Literatur häufig zitierte, als Drohung eingesetzte politische Analyse des Kölner Kurfürsten verdanken wir Anton Gindely (1829–1892), einem in Prag wirkenden, übernational gesinnten tschechisch-deutschen Historiker, der nach der Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der Arbeit an seinem Lebenswerk über die erste Phase des Dreißigjährigen Krieges zahlreiche europäische Archive systematisch durchforschte und später in seiner Eigenschaft als langjähriger Vorstand des böhmischen Landesarchivs zu  Anton Gindely, Geschichte des böhmischen Aufstandes von 1618, Bd. 2 (Prag 1878) 164.

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diesem Thema eine gewaltige Abschriftensammlung anfertigen ließ2. Es unterstreicht die grundlegende Bedeutung des Werkes von Gindely, dass die Quellenstelle, eigentlich nur eine annähernde Paraphrase aus dem Bericht der pfälzischen Diplomaten, bis heute als vermeintliches Zitat in genau jenem Wortlaut kolportiert wird, in dem sie Gindely 1864, damals noch ohne Quellenangabe, erstmals veröffentlichte3. Wer mit der vielfach verwickelten Geschichte des Archivgutes der Habsburgermonarchie nicht näher vertraut ist, würde nach dem Originaldokument kurpfälzischer Provenienz, das Gindely im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv vorfand und in einer Sammelfußnote ohne genaue Referenz zitierte, mühselig suchen. Gemeinsam mit manchen anderen auf Böhmen bezogenen Akten wurde der Bericht im Rahmen der zwischen den Republiken Österreich und Tschechoslowakei nach dem Zusammenbruch der Doppelmonarchie 1918 durchgeführten Akten- und Archivtrennung nach Prag überführt und befindet sich heute in einem wenig bekannten und selten beforschten Bestand des dortigen Nationalarchivs4. Mit Gindelys imposantem Oeuvre begann die kritische wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Dreißigjährigen Krieg in seinem Ursprungsland. Bis zum heutigen Tag erbrachte sie vielfältige grundsätzliche Beiträge zu Ursachen, Verlauf, Folgen und Begleiterscheinungen des Krieges. An dieser Stelle soll nur auf die materialreiche Monographie von Josef Pekař (1870–1937) über das Komplott gegen Wallenstein5, auf die Forschungen von Josef Polišenský und Miroslav Hroch zum internationalen Charakter und zu regionalen Auswirkungen des Krieges6 sowie auf den durch Polišenský initiierten und von 2  K[amil] Krofta, Antonín Gindely. Zprávy Zemského archivu Království českého 4 (1915) 145–396; Richard Georg Plaschka, Von Palacký bis Pekař. Geschichtswissenschaft und Nationalbewußtsein bei den Tschechen (Wiener Archiv für Geschichte des Slawentums und Osteuropas 1, Graz–Köln 1955) 35–44; vgl. die Beiträge und Gindelys Bibliographie in einem zum hundertsten Geburtstag von Gindely herausgegebenen Heft der AUC – Philosophica et historica 3 (Studia historica 39, Problémy dějin historiografie 6, 1993). 3 Anton Gindely, Die Kaiserwahl in Frankfurt im J. 1619. Oesterreichische Revue 2 (1864) 79–101, hier 96. 4   Der einschlägige, hier zum überhaupt ersten Mal genau transkribierte Abschnitt lautet: Allein wollte verlauten, daß die ständ in Böhem eben ieziger zeit damit umbgehen sollten, den könig zu abdiciren, aller seiner jurium und der cron unfähig zu erclären und ein andern könig zu erwehlen. Da es nun dahin entlich kommen sollte, so müßten sie sich zue einem 20-, 30- und 40jährigen krieg zugleich resolviren, dieweil Spanien und das hauß Österreich ehe alles, was sie in dieser welt haben, daran sezen und, so viel Seine Churfürstliche Gnaden wüßten, Spanien resolvirt sein würde, lieber die ganze Niderlanden zu verlieren, alß sich dergestaltt der praetensionen zue dem königreich Böhem und denen andern erblanden so schimpfflich und gewaltthätig priviren zu lassen, wie er dann mit den Staden den krieg in die 40 jahr außgehärttet, und dörffe entlich auch denjenigen, welche der Böhmen sich annemmen und mit ihnen coniungiren, sehr schwer fallen [...]. Die pfälzischen Gesandten an Friedrich von der Pfalz, 18. [28.] Aug. 1619 (Frankfurt/Main); Präsentationsvermerk: 24. Aug. [3. Sept.] 1619 (Amberg), Prag, Národní archiv [Nationalarchiv], Čechy, Morava, Slezsko [Böhmen, Mähren, Schlesien], Kart. 22, Nr. 1331 (Orig.). Gindely und nach ihm die Forschungsliteratur schreiben diese Verhandlung mit dem Kölner Kurfürsten irrtümlich dem kurpfälzischen Großhofmeister Johann Albrecht von Solms-Braunfels (1563–1623) zu. 5 Joachim Bahlcke, Geschichtsdeutungen in nationaler Konkurrenz. Das Wallensteinbild von Josef Pekař (1870–1937) und seine Rezeption in Böhmen und der Tschechoslowakei, in: Wallensteinbilder im Widerstreit. Eine historische Symbolfigur in Geschichtsschreibung und Literatur vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, hg. von dems.–Christoph Kampmann (Stuttgarter Historische Forschungen 12, Köln–Weimar–Wien 2011) 279–312. 6   Vgl. insbesondere Josef Polišenský, Anglie a Bílá hora [England und die Schlacht am Weißen Berg] (Praha 1949); ders., Nizozemská politika a Bílá hora [Die niederländische Politik und die Schlacht am Weißen Berg] (Praha 1957); großteils übersetzt ins Englische: ders., Tragic Triangle. The Netherlands, Spain and Bohemia 1617–1621 (Prague 1991); ders., Třicetiletá válka a evropské krize 17. století (Praha 1970); Übersetzung ins Englische: ders., The Thirty Years War (London 1971); Miroslav Hroch, Handel und Politik im Ostseeraum während des Dreißigjährigen Krieges. Zur Rolle des Kaufmannskapitals in der aufkommenden allgemeinen Krise der Feudalgesellschaft in Europa (AUC – Philosophica et historica, Mongraphia 64, Praha 1976).



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einem breiteren Kreis herausgegebenen Regestenkatalog „Documenta bohemica bellum tricennale illustrantia“7 hingewiesen werden. Die tschechische bzw. bohemistische Geschichtsforschung zum Dreißigjährigen Krieg, die nach wie vor relevante Ergebnisse hervorbringt8, ist jedoch auch aus einem anderen Grund hervorzuheben, bietet sie doch eine eigenständige Sichtweise des Krieges, die sich von der Interpretation etwa in der deutschsprachigen oder englischsprachigen Historiographie nicht unwesentlich unterscheidet, in der Regel jedoch, zum Nachteil der Sache, nur selten zur Kenntnis genommen wird. Das in der Forschung international dominierende Bild des Dreißigjährigen Krieges ist jenes aus dem Blickwinkel des Alten Reiches, seiner politischen Ordnung, Träger, Institutionen und internen Konflikte. Das Geschehen in den böhmischen Ländern wird meist nur insofern zum Thema, als das Ringen um diese Territorien, ihr konfessionelles Profil und ihre Herrschaftsform das Gefüge des Reiches unmittelbar tangierten und Auswirkungen darauf hatten. Die Ereignisse des Jahres 1618 werden daher tendenziell als eine Randerscheinung verstanden, als ein regionaler Störfall bagatellisiert und auf einen bloßen Auftakt zum großen deutschen Krieg reduziert. Die böhmischen Länder werden dabei gewöhnlich als peripheres Subsystem des Reiches aufgefasst, nicht aber als ein eigenständiges politisches Gebilde, das deutlich komplexer und differenzierter war, als in den Darstellungen zumeist vermutet wird, und dessen Entwicklungsdynamik sich eher aus seiner Stellung innerhalb des habsburgischen Herrschaftssystems als aus seinen eigentlich losen und widersprüchlichen Beziehungen zum Heiligen Römischen Reich ergab9. Die Beschränkungen und Einseitigkeiten einer auf das Reich fokussierten Betrachtungsweise lassen sich etwa an den Fragen des Kriegsausgangs und der Periodisierung exemplifizieren. Die Bilanz des Dreißigjährigen Krieges wird zumeist mit Rücksicht auf die Konsequenzen für das Reich und seine Institutionen sowie für die Machtverhältnisse in Deutschland gezogen, wobei der Kaiser tendenziell als Verlierer erscheint. Der britische Historiker Peter Wilson sprach von „the general sense in the literature since the nineteenth century that the Emperor (and by association the Catholics) lost the war“10. Im Gegensatz dazu erscheinen der Kaiser, die Habsburgerdynastie sowie der Katholizismus in der herkömmlichen Deutung des Krieges in der tschechischen Historiographie als ein7  Documenta bohemica bellum tricennale illustrantia, 7 Bde., hg. von Josef Kočí–Josef Polišenský–Gabriela Čechová (Praha 1971–1981). Weniger bekannt, doch für die Geschichte des Krieges in Böhmen absolut grundsätzlich ist der tschechischsprachige Regestenkatalog Prameny k dějinám třicetileté války. Regesta fondu Militare Archivu Ministerstva vnitra ČSR v Praze [Quellen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Regesten des Bestandes Militare im Archiv des Innenministeriums der Tschechoslowakischen Republik in Prag], Bde. 3–8, hg. von Václav Líva (Praha 1951–1957); die Bde. 1–2, die die Zeit vor 1618 erfassen, erschienen unter dem Untertitel „Regesta fondu Militare Archivu Ministerstva vnitra ČSR v Praze“. 8  Vgl. den Forschungsbericht Jan Kilián, Der Dreißigjährige Krieg in der tschechischen Geschichtswissenschaft (2000–2012). frühneuzeit-info 22 (2011) 191–197. 9  Sehr prägnant die Kritik an solcher Sichtweise bei Nicolette Mout, Der Löwe und die Ameisen. Der böhmische Aufstand (1618–1620) im europäischen Kontext, in: Sozikultureller Wandel im Verfassungsstaat. Phänomene politischer Transformation, hg. von Hedwig Kopetz–Joseph Marko–Klaus Poier (Wien–Köln– Graz 2004) 899–910. Den selektiven Umgang mit der Geschichte der böhmischen Länder seitens der diesbezüglich oft erstaunlich uninformierten Reichsgeschichte kritisiert ebenfalls Joachim Bahlcke, Theatrum Bohemicum. Reformpläne, Verfassungsideen und Bedrohungsperzeptionen am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, in: Friedliche Intentionen – Kriegerische Effekte. War der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich?, hg. von Winfried Schulze (Studien zur neueren Geschichte 1, St. Katharinen 2002) 1–20, hier 5f. 10   Peter H. Wilson, Meaningsless Conflict? The Character of the Thirty Years War, in: The Projection and Limitations of Imperial Powers, 1618–1850, hg. von Frederick C. Schneid (Leiden–Boston 2012) 12–33, hier 18.

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deutige Sieger über ihre böhmischen Herausforderer. Der Dreißigjährige Krieg stärkte die monarchische Autorität in den böhmischen Ländern ganz entscheidend und mit dauerhaften Folgen. Der Widerstand einer Ständeopposition wurde ein für allemal gebrochen. Der jahrzehntelange Krieg festigte die Herrschaft der Habsburger über die böhmischen Länder und ermöglichte der Dynastie, die reichen materiellen und politischen Ressourcen des Länderverbandes – von den Steuern bis zur böhmischen Kur – für dynastische Zwecke zu nutzen. Bedenkt man noch dazu, wie tief der Autoritätsverlust der Habsburgerdynastie seit den späten Regierungsjahren Rudolfs II. gewesen war, der ja den Weg zur Konfrontation 1618 erst geebnet hatte, dann wird ersichtlich, dass die Habsburgermonarchie als Herrschaftssystem aus dem dreißigjährigen Konflikt, den beträchtlichen Verwüstungen ihrer Territorien zum Trotz, weitgehend stabilisiert und gefestigt hervorging. Wenig stichhaltig erscheint aus der Perspektive Böhmens auch der in der Reichsgeschichte eindeutig gezeichnete Zäsurcharakter des Westfälischen Friedens. Eine epochale Grenze wird in der tschechischen Geschichtsforschung typischerweise, und mit guten Gründen, mit der Schlacht am Weißen Berg vom 8. November 1620 verbunden. Dieses Ereignis, das bekanntlich im tschechischen kollektiven Bewusstsein eine tiefe erinnerungsgeschichtliche Spur hinterließ, gilt als Richtungsentscheidung und Bruch mit den Traditionen der ständischen Libertät und konfessionellen Pluralität11. Demgegenüber erscheint der Westfälische Friede als bloße Ratifizierung des eine Generation früher erfolgten Umsturzes, und die einschlägige tschechische Forschungsliteratur dazu bleibt dementsprechend überschaubar12. Bei alldem können die böhmischen Länder schwer als ein bloßer Nebenschauplatz des Dreißigjährigen Krieges betrachtet werden. In Prag wurde mit dem Fenstersturz 1618 der Anlass zum Krieg gegeben; dreißig Jahre später spielte sich hier mit der Belagerung durch die Schweden 1648 eine der überhaupt letzten bedeutenden militärischen Auseinandersetzungen des Krieges ab. Zwei große Entscheidungsschlachten – jene am Weißen Berg bei Prag (1620) und jene bei Jankau (1645) – wurden auf böhmischem Territorium ausgefochten. Ein bedeutender Friedensvertrag (1635) trägt den Namen der böhmischen Metropole. Die dramatische Affäre Wallenstein – dessen Kriegsunternehmertum mit seinen böhmischen Besitzungen untrennbar verbunden ist – sowie die Feldzüge und Einfälle der siebenbürgisch-ungarischen, dänischen, sächsischen und vor allem schwedi11   Als Einstieg in die nahezu uferlose Literatur bieten sich etwa an: Josef Petráň–Lydia Petráňová, The White Mountain as a symbol in modern Czech history, in: Bohemia in History, hg. von Mikuláš Teich (Cambridge 1998) 143–163; Akademická encyklopedie českých dějin [Akademische Enzyklopädie der tschechischen Geschichte]. Bd. 1: A–C, hg. von Jaroslav Pánek (Praha 2009) 172–174 (Lemma „bělohorský mýtus“) und 204–207 (Lemma „bitva na Bílé hoře“); Joachim Bahlcke, 1620 – Schlacht am Weißen Berg bei Prag: Ursachen, Verlauf und Folgen des Zusammenstoßes von ständischer Libertät und monarchischer Autorität, in: Von Lier nach Brüssel. Schlüsseljahre österreichischer Geschichte (1496–1995), hg. von Martin Scheutz–Arno Strohmeyer (VGS-Studientexte 1, Innsbruck–Wien–Bozen 2010) 79–97; Jiří Mikulec, Die Schlacht am Weißen Berg bei Prag 1620, in: Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution und Konkurrenz im national- und epochenübergreifenden Zugriff, hg. von Joachim Bahlcke–Stefan Rohdewald–Thomas Wünsch (Berlin 2013) 913–923. 12  Mit Abstand am ausführlichsten Bedřich Šindelář, Vestfálský mír a česká otázka [Der Westfälische Frieden und die tschechische Frage] (Praha 1968). Vgl. Od konfesijní konfrontace ke konfesijnímu míru. Sborník z konference k 360. výročí uzavření vestfálského míru [Vom Konfessionskonflikt zum Konfessionsfrieden. Tagungsband zum 360. Gedenktag des Abschlusses des Westfälischen Friedens], hg. von Jiří Hrbek–Petr Polehla–Jan Zdichynec (Ústí nad Orlicí 2008). Ein bemerkenswerter, wenig beachteter Essay zur Periodisierung des Dreißigjährigen Krieges aus der Perspektive der böhmischen Länder: Miroslav Toegel, České země a třicetiletá válka [Die böhmischen Länder und der Dreißigjährige Krieg]. FHB 8 (1985) 211–240.



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schen Truppen machten die böhmischen Länder zu dem vom Krieg am stärksten und am längsten strapazierten Raum der Habsburgermonarchie. Das Schicksal der böhmischen Länder blieb vom Anfang bis zum Ende der Auseinandersetzungen ein Thema – übrigens ein Feld, auf dem die habsburgische Diplomatie auf dem westfälischen Friedenskongress ihre Ziele mit nur unwesentlichen Abstrichen umsetzen konnte. Ohne Böhmen kann die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges daher schlichtweg nicht erzählt werden! Es ist deshalb dringend erforderlich, das böhmische Kriegstheater in seiner Eigenlogik und Komplexität ernst zu nehmen, ohne es freilich von den größeren Zusammenhängen zu isolieren. Im Folgenden soll dabei vorrangig die Relevanz des zusammengesetzten Charakters des böhmischen Länderverbands für ein adäquates Verständnis des Kriegsgeschehens in diesem Raum genauer ausgeführt werden.

1. Nur ein „Aufstand in Böhmen“? Eigentlich ist es dabei unabdingbar, über „Kriegstheater“ im Plural zu sprechen, denn die böhmischen Länder waren – vor dem Krieg, während des Krieges sowie nach dem Krieg – kein einheitlicher politischer Raum, sondern ein differenziertes politisches System. Die großen Darstellungen des Dreißigjährigen Krieges tragen dieser Tatsache freilich nur selten Rechnung, wobei die interne Struktur des böhmischen Länderkonglomerats oft grob missverstanden wird. Das Bild der Ereignisse am Anfang des Dreißigjährigen Krieges wird in der Regel durch den wirkmächtigen Topos eines „Ständeaufstands in Böhmen“ geprägt und damit nicht unbeträchtlich verzerrt. Der „Aufstand in Böhmen“ ist nicht nur der Titel einer populärwissenschaftlichen Darstellung von Hans Sturmberger (1914– 1999)13, sondern auch eine weit verbreitete Sichtweise, die zum einen die kaiserliche Interpretation des Konfliktes übernimmt, zum anderen die grundsätzliche Fragmentiertheit des böhmischen Länderverbandes missachtet und das mehrgliedrige, differenzierte Gefüge auf ein Land reduziert. Der Rahmen, in dem der protestantisch-ständische Widerstand in der Anfangsphase des Krieges ausgehandelt wurde, findet nur selten adäquate Berücksichtigung. So sind es auch in den jüngsten Gesamtdarstellungen des Krieges aus der Perspektive des Reiches immer noch die „regionalen Instabilitäten in Böhmen“ und „die regionalen böhmischen Querelen“, die sich zu einem „Sezessionskrieg in Böhmen“ und danach „zum dreißigjährigen mitteleuropäischen Krieg ausweiteten“, nachdem „die böhmischen Rebellen“ bzw. „die böhmischen Insurgenten“ sich 1619 „ihre ,Konföderationsakte‘“ gaben, den Pfälzer zum König wählten und den Konflikt eskalieren ließen. Nach dieser Weichenstellung wäre es nicht mehr möglich gewesen, „die regionalen Unruhen in Böhmen“ zu isolieren14. Die asymmetrisch gewachsene, fünf eigenständige politische Einheiten umfas13  Hans Sturmberger, Aufstand in Böhmen. Der Beginn der Dreißigjährigen Krieges (München–Wien 1959). Dabei gehörte gerade Sturmberger zu jenen Historikern, welche sich der länderübergreifenden Zusammenhänge im Kontext des Konflikts der Stände mit der Dynastie sehr bewusst waren. 14  Die zitierten Stellen sind folgenden – hier nur stellvertretend ausgewählten – Texten entnommen: Axel Gotthard, Der Dreißigjährige Krieg. Eine Einführung (Köln–Weimar–Wien 2016) 55, 83, 103–106; ders., Der deutsche Konfessionskrieg seit 1619. Ein Resultat gestörter politischer Kommunikation. HJb 122 (2002) 141–172, hier 145, 147, 149, 166 (mit unrichtiger Datierung der Annahme der Konföderationsakte), 172; Georg Schmidt, Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (München 2018) 166, 177, 184. Auch weiter im Text ist ohne Differenzierung über „Böhmen“ und „böhmische“ Belange die Rede. Vgl. von tschechischer Seite Josef Janáček, České stavovské povstání 1618–1620. Otázky a problémy [Der böhmi-

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sende böhmische Ländergruppe wird in die Darstellungen eingebunden, als ob es sich um einen Einheitsstaat gehandelt hätte. Die Entwicklungen in Mähren, in Schlesien sowie in den Lausitzen werden ausgeblendet bzw. – ganz zu Unrecht – unter dem Adjektiv „böhmisch“ subsumiert, bestenfalls ergänzend miterwähnt. Des Weiteren – auch dies typisch für die herkömmliche Erzählweise – ist bei der Schilderung der Konfliktlagen, die zum Kriegsausbruch führten, von dem Majestätsbrief Rudolfs II. über die freie Religionsausübung die Rede, als ob es sich hierbei um nur ein Dokument gehandelt hätte. Gemeint ist jedoch in der Regel jenes Religionsprivileg, das die evangelischen Stände Böhmens dem Kaiser nach zähen Verhandlungen am 9. Juli 1609 abzuringen vermochten. Der andere, wenige Wochen später vom gleichen Herrscher erlassene Majestätsbrief für Schlesien, der auf eine deutlich anders geartete rechtliche Situation reagierte, andere, dabei allerdings nicht weniger weitgehende Konzessionen umfasste, im Wortlaut sowie in Geltung vom böhmischen Majestätsbrief unabhängig war und in seiner Gültigkeit den Zusammenbruch des Ständeaufstands überlebte, wird damit ignoriert15. Gleiches gilt für die weniger weitgehenden und auf einer anderen rechtlichen Grundlage beruhenden religionspolitischen Garantien, mit denen Matthias sich 1608 und 1611 gegenüber den anderen böhmischen Ländern – Mähren und den Lausitzen – verpflichtete16. Einen „Streit um den Majestätsbrief“17 gab es daher nicht nur in Böhmen, sondern auch in Schlesien, wo Erzherzog Karl (1590–1624), Bischof von Breslau und Fürst von Neisse, dieser Konzession seine Anerkennung verweigerte. Hier wie in anderen böhmischen Ländern sorgte die Gegenreformation, die in lokalen Kontexten tiefe Breschen in vorliegende konfessionelle Garantien schlug, für eine explosive Atmosphäre. Es ist damit offensichtlich, dass die traditionelle Sichtweise auf den Beginn des Konflikts der komplexen konfessionspolitischen Lage in den böhmischen Ländern selten gerecht wird und dass die Fokussierung auf ein „böhmisches“ Narrativ eine Verkürzung darstellt. Oft wird dabei die eigentümliche Struktur des böhmischen Länderverbandes missverstanden. Das Königreich Böhmen war eben kein Sammelbegriff für die Gesamtheit der böhmischen Länder, sondern nur deren bedeutendstes Land, das übrigens flächenmäßig nicht einmal die Hälfte des böhmischen Länderkonglomerats ausmachte und nicht einmal die Hälfte von dessen etwa dreieinhalb Millionen Bewohnern umfasste. Die sche Ständeaufstand 1618–1620. Fragen und Probleme]. FHB 8 (1985) 7–41: ein exzellenter Problemaufriss, der jedoch ebenfalls durch seine bohemozentrische Engführung und befremdendes Desinteresse für andere Territorien des böhmischen Länderverbands auffällt. 15   Zum Majestätsbrief Rudolfs II. für Schlesien Jar[oslav] Goll, O slezském majestátě Rudolfa II. [Über den schlesischen Majestätsbrief Rudolfs II.]. Časopis Musea Království českého 48 (1874) 3–22; [Paul] Konrad, Der schlesische Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. vom Jahre 1609 in seiner Bedeutung für das städtische Konsistorium und die evangelischen Kirchengemeinden Breslaus. FS zur 300jährigen Jubelfeier (Breslau 1909); Christine van Eickels, Schlesien im böhmischen Ständestaat. Voraussetzungen und Verlauf der böhmischen Revolution von 1618 in Schlesien (NFSG 2, Köln–Weimar–Wien 1994) 77–85. Erstaunlicherweise wurde der schlesische Majestätsbrief im jüngsten Versuch um Einordnung der böhmischen Konzession nicht näher berücksichtigt: Religion und Politik im frühneuzeitlichen Böhmen. Der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. von 1609, hg. von Jaroslava Hausenblasová–Jiří Mikulec–Martina Thomsen (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 46, Stuttgart 2014). 16   Zu Mähren grundsätzlich, wenn auch etwas versteckt, František Hrubý, Nové dokumenty bělohorské [Neue Dokumente zum Weißen Berge]. ČČH 31 (1925) 465–532; jüngst Tomáš Knoz, Das Žerotín´sche Mähren – ein „anderes Konzept“ des Majestätsbriefs, in: Religion und Politik (wie Anm. 15) 103–116. Zur Oberlausitz Hermann Knothe, Die Bemühungen der Oberlausitz um einen Majestätsbrief, 1609–1611. NLM 56 (1880) 96–117. 17   Gotthard, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 14) 66.



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seit dem Mittelalter zu unterschiedlicher Zeit und unter unterschiedlichen Umständen angeschlossenen Territorien – Mähren, Schlesien, Ober- und Niederlausitz – waren keine Teile Böhmens, sondern eigenständig gewachsene politische Körper mit eigenem Recht, eigenen Institutionen, je eigener Ständegemeinde und distinkten Ritualen der Herrschereinsetzung. Sie waren mit Böhmen untrennbar verbunden, ohne allerdings Teil desselben zu sein. Das Verhältnis zwischen ihnen und dem Königreich war widersprüchlich und Gegenstand von langwierigen Konflikten und Verhandlungen18. Moderne Historikerinnen und Historiker unterscheiden zumeist das Königreich Böhmen, das nur das Land an sich umfasste, und die Krone Böhmen, welche die Gesamtheit der fünf böhmischen Länder umfasst haben soll. Doch diese Gedankenkonstruktion ist hinsichtlich des 17. Jahrhunderts genauso anachronistisch wie der scheinbar unverdächtig anmutende Begriff „Kronländer“, mit dem die mit Böhmen assoziierten Territorien in der Forschungsliteratur oft bezeichnet werden. Die cron Böhaimb bedeutete nämlich für die Zeitgenossen im territorialen Sinne das gleiche wie das Königreich, also nur das Land Böhmen und keineswegs die Gesamtheit der Provinzen, in denen der böhmische König als Markgraf von Mähren, der Ober- und der Niederlausitz sowie als Oberherzog von Schlesien herrschte. Semantisch konnte dieses Länderkonglomerat in allen Sprachen eigentlich nur im Plural erfasst werden; auf Deutsch also etwa „die cron Böhaimb und derselben zugehörende Länder“. Diese Differenzierung mag allzu pedantisch erscheinen, sie ist aber für das Verständnis der politischen Abläufe im Verband der böhmischen Länder (der sich ja in einer „monarchischen Union“ mit zwei weiteren, vielfach anders gearteten Ländergruppen befand, nämlich den österreichischen Erblanden und dem Königreich Ungarn) ganz fundamental. Die Verhandlungslogik der Streitparteien vor dem Kriegsbeginn, die Eskalation des Konflikts sowie dessen Verlauf und Folgen sind ohne Berücksichtigung des dezidiert zusammengesetzten politischen Rahmens kaum verständlich. Akteure waren nicht nur die böhmischen, sondern auch die Stände der anderen Länder. Der Weg zur Konfrontation mit der Dynastie war in den einzelnen Ländern durch eigene, teilweise sehr spezifische Problemlagen gekennzeichnet. Dementsprechend erscheint die Geschichte des „Zusammenstoßes von ständischer Libertät und monarchischer Autorität“19 in den böhmischen Ländern in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts jeweils anders, wenn sie aus Prag, aus Breslau/Wrocław, aus Brünn/Brno und Olmütz/Olomouc, aus Sicht der Sechsstädte oder aus der Niederlausitz betrachtet und erzählt wird20. Eine überzeugende zusammen18  Joachim Bahlcke, Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619) (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 2, München 1994); Petr Maťa, Die Habsburgermonarchie, in: Verwaltungsgeschichte der Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit, hg. von Michael Hochedlinger–dems.–Thomas Winkelbauer, Bd. 1/1–2: Hof und Dynastie, Kaiser und Reich, Zentralverwaltungen Kriegswesen und landesfürstliches Finanzwesen (MIÖG Ergbd. 62, Wien 2019) 1/1 29–62, hier 35–39 und 60f. (Hinweise auf weitere Literatur). 19  Bahlcke, 1620 (wie Anm. 11). 20   Vgl. etwa die Darstellungen von Josef Válka, Stavovská Morava (1440–1620) [Das ständische Mähren (1440–1620)] (Přehled dějin Moravy 2, Praha 1987); ders., Morava reformace, renesance a baroka [Mähren der Reformation, der Renaissance und des Barock] (Vlastivěda moravská. Země a lid, Nová řada 6; Brno 1992) für Mähren; Geschichte Schlesiens, Bd. 2: Die Habsburger Zeit 1526–1740, hg. von Ludwig Petry–Josef Joachim Menzel (Sigmaringen 1988) 48–71; Deutsche Geschichte im Osten Europas. Schlesien, hg. von Norbert Conrads (Berlin 1994); Zdeněk Jirásek–Mečislav Borák (Red.), Slezsko v dějinách českého státu [Schlesien in der Geschichte des böhmischen Staates], Bd. 2: 1490–1763 (Praha 2012) 79–134, für Schlesien; Joachim Bahlcke, Der verhinderte Unionsstaat. Der böhmische Länderverband des Spätmittelalters und der Frühen

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hängende Betrachtung ist angesichts der komplexen Materie sowie herkömmlicher, trotz der Veröffentlichungen der letzten Jahrzehnte nach wie vor wirksamer regionaler und nationaler Erzählweisen beträchtlich erschwert. So lässt sich auch das gewaltige Destabilisierungspotenzial, das der Konflikt, der sich im Mai 1618 zwischen den protestantischen Ständen in Böhmen und dem Kaiserhof verschärfte, für die habsburgische Herrschaft mit sich brachte, als „Aufstand in Böhmen“ nicht angemessen einschätzen. Gewiss war das Königreich das Epizentrum des Konflikts. Doch anders als die Revolte gegen Ferdinand I. im Jahre 1547, die tatsächlich auf das Land Böhmen beschränkt blieb21, waren es acht Jahrzehnte später mehrheitlich evangelische Ständegemeinden mehrerer Länder, die im Schulterschluss den gefährlichen Versuch wagten, die habsburgische Herrschaft abzuschütteln und mit Hilfe eines Konföderationsprojekts eine neue politische Ordnung auf ständisch-föderativer Grundlage herzustellen. Kaiser Matthias, Ferdinand II. und schließlich das gesamte Haus Österreich fanden sich nicht nur mit Rebellen aus Böhmen konfrontiert, sondern mit einer breiten Front, die die Schlesier, Mährer, Lausitzer, Oberösterreicher, einen beträchtlichen Teil des niederösterreichischen Adels und letztendlich die ungarischen Stände umfasste und nicht nur die bestehende Regierungsform, sondern die habsburgische Herrschaft in Zentraleuropa als solche gefährdete. So erscheint es missverständlich, die in Böhmen mit dem Prager Fenstersturz eingeleitete Erhebung als eine regionale Erscheinung zu betrachten. Denn die Revolte knüpfte an die dezidiert überregionale Widerstandbewegung gegen die Gegenreformation und die Herrschaft Rudolfs II. an, die zehn Jahre zuvor alle drei Länderblöcke der Habsburgermonarchie – von Siebenbürgen bis zu den Lausitzen – erfasste und die Kaiser Matthias und sein Faktotum, Kardinal Melchior Khlesl (1552– 1630), am Prager Generallandtag 1615 nur vorübergehend neutralisieren konnten22. Die Anstifter der Revolte rechneten zudem vom Beginn an mit einer Ausbreitung des Widerstandes in andere habsburgische Herrschaftsgebiete, weshalb eine lokale Begrenzung des in Böhmen im Mai 1618 entfachten Konflikts wenig Chancen hatte und die von den Habsburgern, von einigen gemäßigten Ständepolitikern sowie von Kursachsen unternommenen Vermittlungs- und Deeskalationsversuche schließlich scheiterten23. Kein Aufstand in Böhmen – es war eine Revolution in der Habsburgermonarchie und ein Neuzeit aus der Sicht des Markgraftums Oberlausitz, in: ders., Gegenkräfte. Studien zur politischen Kultur und Gesellschaftsstruktur Ostmitteleuropas in der Frühen Neuzeit (Studien zur Ostmitteleuropaforschung 31, Marburg 2015) 145–167, für die Oberlausitz; Rudolf Lehmann, Geschichte der Niederlausitz (Veröffentlichungen der Berliner Historischen Kommission beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin 5, Berlin 1963) 181–185, 230–234, für die Niederlausitz. 21  Stavovský odboj roku 1547. První krize habsburské monarchie [Der Ständeaufstand im Jahre 1547. Die erste Krise der Habsburgermonarchie], hg. von Petr Vorel (Pardubice–Praha 1999); Petr Maťa, Obranný spolek českých stavů z roku 1547. Poznámky k chronologii, právní terminologii a logice stavovského hnutí [Das Widerstandsbündnis der böhmischen Stände im Jahre 1547. Glossen zur Chronologie, rechtlichen Terminologie und Logik der Ständebewegung]. Dějiny – teorie – kritika 14 (2017) 78–138. 22 Alessandro Catalano, „Bella strada da confederarsi“. Stati, finanze e lingua nella Dieta boema del 1615, in: Adel und Religion in der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie, hg. von Katrin Keller–Petr Maťa–Martin Scheutz (VIÖG 68, Wien 2017) 63–83. 23  Zu den erfolglosen Verhandlungen um die Interposition Frank Müller, Kursachsen und der Böhmische Aufstand 1618–1622 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 23, Münster 1997); ders., Der Absturz vom Grat. Die Niederlage der kursächsischen Deeskalationsstrategie nach dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, in: Friedliche Intentionen (wie Anm. 9) 52–70. Die Deeskalationsbemühungen seitens der für die Revolte nicht oder nur halbherzig gewonnenen Ständepolitiker der einzelnen böhmischen Ländern würden – abgesehen vom bekannten Fall Karls von Zierotin in Mähren – genauere Aufmerksamkeit verdienen.



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drohender Umsturz im Mitteleuropa, mit weitreichenden Verwicklungen und Gefahren, die daraus erfolgen konnten, was übrigens der eingangs zitierte Kurfürst von Köln sehr richtig diagnostizierte. Der Konflikt, der 1618 eskalierte, ging weit über die Auslegung des (böhmischen) Majestätsbriefs hinaus: Es ging um die Zukunft der habsburgischen Herrschaft in Mitteleuropa24. Will man die Handlungslogik der Akteure verstehen, ist es geboten, in der Analyse und im Narrativ stärker zu differenzieren. Das Signal zur Erhebung war unbestreitbar eine innerböhmische Angelegenheit. Der Fenstersturz, die unmittelbar darauffolgende Übernahme der Regierungsgewalt durch die Stände und die Werbung einer ständischen Armee waren (nach allem, was wir wissen) von einer kleinen Gruppe böhmischer Radikaler konspirativ vorbereitet worden25, ohne dies mit Ständepolitikern der Nachbarländer abzustimmen. Ihre Reaktionen auf die vollendete Tatsache waren ungewiss und sollten Gegenstand von langwierigen Verhandlungen sein. Überdies traten die einzelnen Ständegemeinden in die Konfrontation mit der Dynastie zu unterschiedlichen Zeiten und auf unterschiedliche Art und Weise ein. Das in Böhmen gewählte dreißigköpfige Direktorium wurde kaiserlicherseits von Anfang an als nicht legitimiert betrachtet. Wiewohl der Wiener Hof mit den Aufständischen bis Frühling 1619 einen eher konfrontativen Dialog aufrechterhielt, konnte er in die böhmischen Angelegenheiten – abgesehen von den durch die Truppen Matthias’ und Ferdinands II. militärisch kontrollierten Gebieten – kaum mehr effektiv eingreifen. In anderen Ländern erfolgte die Loslösung aus der Abhängigkeit vom habsburgischen Landesherrn schrittweise. Hier mussten die Aufständischen aus Böhmen mit dem Kaiserhof um Einfluss ringen; die Dynastie konnte hier lange Monate verschiedene Hebel ansetzen26. Es wurde Druck auf Amtsträger ausgeübt, es wurden Landtage ausgeschrieben und mit kaiserlichen Kommissaren beschickt. Ferdinand II. besuchte persönlich den mährischen Landtag in Brünn im August 1618, und sogar der Landtag Ende des Jahres sollte ursprünglich in seiner Anwesenheit stattfinden 27. Sein Bruder Erzherzog Karl, Bischof von Breslau und eine wichtige Figur der schlesischen Landespolitik, agierte persönlich in Schlesien, unter anderem als Gastgeber des polnischen Kronprinzen Wladislaw 24 Josef Polišenský, Od stavovského povstání k české revoluci 1618 [Vom Ständeaufstand zur böhmischen Revolution 1618]. ČČH 89 (1991) 78–87. 25  Fridolin Macháček, Defenestrace pražská r. 1618 [Der Prager Fenstersturz im Jahre 1618]. ČČH 14 (1908) 197–211, 297–311, 436–451; Josef Petráň, Staroměstská exekuce [Die Altstädter Exektion] (Praha 1971); Josef Janáček, České stavovské povstání (wie Anm. 14) 11–16. 26  Die grundlegenden ereignisgeschichtlichen Schilderungen sind für Mähren František Kameníček, Zemské sněmy a sjezdy moravské. Jejich složení, obor působnosti a význam [Mährische Landtage und Ständeversammlungen. Ihre Zusammensetzung, ihr Wirkungsbereich und ihre Bedeutung], 3 Bde. (Brno 1900–1905) 2 488–555; František Hrubý, Ladislav Velen ze Žerotína [Ladislav Velen von Zierotin] (Praha 1930); für Schlesien: H[ermann] Palm, Das Verhalten der schlesischen Fürsten und Stände im ersten Jahre der böhmischen Unruhen. ZVGAS 5 (1863) 251–307; ders., Das Verhalten der schlesischen Fürsten und Stände bei der Wahl Friedrich V. von der Pfalz zum Könige von Böhmen im Jahre 1619. ZVGAS 7 (1866) 227–259; ders., Die Conföderation der Schlesier mit den Böhmen im Jahre 1619 in ihren nächsten Folgen. ZVGAS 8 (1868) 267–318; ders., Schlesiens Antheil am dreißigjährigen Kriege vom Juli bis December 1620. ZVGAS 12 (1874) 285–336; für die Oberlausitz: Hermann Knothe, Der Anteil der Oberlausitz an den Anfängen des 30jährigen Kriegs, 1618–1623. NLM 56 (1880) 1–95; für die schlecht beforschte Niederlausitz: Eduard Clausnitzer, Versammlungen der Niederlausitzer Stände während der Habsburger Herrschaft. Niederlausitzer Mittheilungen 5 (1898) 169–263. Ein grundlegendes Editionswerk stellen nach wie vor dar: Acta Publica. Verhandlungen und Correspondenzen der schlesischen Fürsten und Stände (1618–1629), 8 Bde., hg. von Hermann Palm–Julius Krebs (Breslau 1865–1906). 27   Hrubý, Ladislav Velen (wie Anm. 26) 60f.

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Wasa (1595–1648), seines Cousins, bis er sich im September 1619 aus dem Herzogtum an den polnischen Königshof zurückzog28. Unter diesen Umständen dauerte es Monate, bevor die Stände der böhmischen Länder sich zu einer antihabsburgischen Koalition zusammenschlossen. Die schlesischen Fürsten und Stände, alliiert mit Böhmen bereits seit Juni 1609 kraft eines Widerstandsbündnisses, bewilligten als erste bereits im Oktober 1618 die Verbindung ihrer Truppen mit dem böhmischen Kriegsvolk und halfen somit nicht unwesentlich dabei, den Konflikt politisch und militärisch eskalieren zu lassen29. Erzherzog Karl verwies im August 1619 in seinem Schreiben an den polnischen Primas Gembicki darauf: „Duces Nostrates [...] non ita imitatores, quam authores turbarum Bohemicarum contra Regem suum sese exhibent [...].“30 Die mährischen Stände hingegen schlossen sich der Erhebung erst ein ganzes Jahr nach dem Fenstersturz und neun Monate nach dem Kriegsausbruch an, nachdem die böhmischen Stände einen militärisch unterstützten Staatsstreich in Mähren initiierten und begeisterte Anhänger der Revolte an die Macht brachten. Verschiedene Überlegungen bedingten diese zunächst distanzierte Haltung der mährischen Stände: Einerseits hatte die landesfürstlicherseits unterstützte katholische Minderheitspartei die mährische Landesverwaltung bis zum Umsturz im Mai 1619 fest in Griff. Andererseits befand sich Mähren geographisch in einer prekären Lage, als eine Brücke zwischen beiden Streitparteien, woraus sich die akute Gefahr ergab, dass der Konflikt militärisch auf mährischem Boden ausgetragen würde. Schließlich bemühte sich der einflussreiche Ständepolitiker Karl von Zierotin (1564–1636), der die Gefahren einer direkten Konfrontation mit der Dynastie früh und klar erkannte, darum, den Anschluss Mährens an den Aufstand um jeden Preis zu verhindern31. Erst ab Sommer 1619 standen also alle böhmischen Länder im Krieg mit Wien. Die Niederwerfung des Widerstands und die Pazifizierung der einzelnen Länder nach dem Zusammenbruch des Aufstands ein Jahr später erfolgten ebenfalls auf deutlich unterschiedliche Art und Weise sowie zu markant unterschiedlichen Bedingungen. Die böhmischen Stände unterwarfen sich nur wenige Tage nach der desaströsen Schlacht am Weißen Berg und lösten damit eine Lawine von Kapitulationen und gegenseitigen Vorwürfen aus, die die in Schlesien und Mähren organisierten Bemühungen um militärisch-politische Konsolidierung der verbleibenden Kräfte der Konföderierten und eine Wiedergutmachung der Niederlage bis heute überschatten32. Das Königreich Böhmen war in der Folge 28 H[ermann] Palm, Die Verwickelungen Schlesiens mit Polen in den Jahren 1618–1620. Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde 10 (1873) 424–441; Josef Macůrek, České povstání r. 1618–1620 a Polsko [Der böhmische Aufstand der Jahre 1618–1620 und Polen]. ČMM 61 (1937) 1–48, 152–194, 289– 362; Władysław Czapliński, Śląsk i Polska w pierwszych latach wojny trzydziestoletniej (1618–1620) [Schlesien und Polen in den ersten Jahren des Dreißigjährigen Krieges (1618–1629)]. ŚKHS 2 (1947) 141–181. 29   Eickels, Schlesien (wie Anm. 15); Radek Fukala, Jan Jiří Krnovský. Stavovské povstání a zápas s Habsburky [Johann Georg von Jägerndorf. Der Ständeaufstand und das Ringen mit den Habsburgern] (České Budějovice 2005). 30  Władysław Czapliński, Sprawa listu biskupa wrocławskiego do prymasa polskiego z dnia 14 VIII 1619 [Über den Brief des Breslauer Bischofs an den polnischen Primas vom 14. August 1619]. Sborník prací Filosofické fakulty Brněnské university 10 – Řada historická C 8 (1961) 220–227. 31  Hrubý, Ladislav Velen (wie Anm. 26) 56–73. 32   Dazu und zur politischen Aktivität des böhmischen Exils in den unmittelbar folgenden Jahren grundsätzlich Bedřich Mendl, Fridrich Falcký a české naděje pobělohorské [Friedrich von der Pfalz und die böhmischen Hoffnungen nach der Schlacht am Weißen Berg]. ČČH 24 (1918) 77–119; Otakar Odložilík,



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unter der Statthalterschaft Karls von Liechtenstein (1569–1627) schweren Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt. Am bekanntesten ist zweifelsohne das Prager Blutgericht, bei dem im Juni 1621 27 ausgewählte „Rebellen“ hingerichtet wurden33, am weitreichendsten wirkten hingegen die Konfiskationen, die Zerstörung aller nicht-katholischen Kirchenorganisationen, die Zwangsbekehrung der gesamten Bevölkerung und die damit verbundene Auswanderung bzw. Ausweisung protestantischer Adeliger und Stadtbürger sowie die Aufhebung ständischer Freiheiten und die grundlegende Umgestaltung der Verfassung mit dem Erlass der „Verneuerten Landesordnung“ 162734. Die mährischen Stände, nach der Schlacht vor Prag bezüglich des weiteren Widerstands einige Wochen gespalten, suchten Mitte Dezember 1620 bei Ferdinand II. um Gnade für das Land durch eine bedingungslose Unterwerfung an. Eine Offensive des ehemaligen schlesischen Ständeheers unter dem Kommando Johann Georgs von Brandenburg, Herzog von Jägerndorf (1577–1624), das im Sommer 1621 Nord- und Westmähren besetzte, verzögerte die Übernahme der Kontrolle in der Markgrafschaft durch die habsburgische Seite über das gesamte Jahr. Dann folgten aber in Mähren ähnlich drastische Straf- und gegenreformatorische Maßnahmen wie in Böhmen, wenn auch vergleichbare Hinrichtungsszenen dem Land erspart blieben35. Das Schicksal der nördlichen Länder gestaltete sich deutlich günstiger. Die Lausitzen wurden bereits im Herbst 1620, zeitgleich mit dem Feldzug der kaiserlich-ligistischen Armee nach Prag, vom sächsischen Kurfürsten Johann Georg I., der als kaiserlicher Exekutionskommissar agierte, großteils militärisch erobert und im folgenden Jahr dem Gehorsam des Kaisers unterworfen. Die habsburgische Herrschaft wurde hier jedoch nur an der Oberfläche wiederhergestellt und blieb mit schweren Hypotheken belastet. Drei Jahre später gingen beide Markgrafschaften in den Pfandbesitz des Kurfürsten als Gegenleistung für die militärische Unterstützung über. Kraft des Prager Friedens schieden sie schließlich endgültig aus dem böhmischen und somit auch aus dem habsburgischen Länderverband aus36. Ze zápasů pobělohorské emigrace [Aus den Kämpfen der böhmischen Emigration]. ČMM 56 (1932) 1–58, 369–388; 57 (1933) 59–157. Neulich dazu Alexander Schunka, Böhmen am Bosporus. Migrationserfahrung und Diplomatie am Beispiel des Grafen Heinrich Matthias von Thurn, in: Migrationserfahrungen – Migrationsstrukturen, hg. von Eckart Olshausen–dems. (Stuttgarter Beiträge zur Historischen Migrationsforschung 7, Stuttgart 2010) 67–85. 33   Petráň, Staroměstská exekuce (wie Anm. 25). 34   Grundlegend: Anton Gindely, Geschichte der Gegenreformation in Böhmen (Leipzig 1894); Tomáš V. Bílek, Dějiny konfiskací v Čechách po r. 1618 [Geschichte der Konfiskakationen in Böhmen nach dem Jahre 1618], 2 Bde. (Praha 1882–1883). 35  František Hrubý, Pád českého povstání na Moravě r. 1620 [Der Zusammenbruch des böhmischen Aufstandes in Mähren im Jahre 1620]. ČČH 29 (1923) 71–120, 358–388; František Matějek, Morava za třicetileté války [Mähren im Dreißigjährigen Krieg] (Praha 1992); Tomáš Knoz, Pobělohorské konfiskace. Moravský průběh, středoevropské souvislosti, obecné aspekty [Die Konfiskationen nach der Schlacht am Weißen Berg. Mährischer Verlauf, mitteleuropäische Zusammenhänge, allgemeine Aspekte] (Brno 2006). 36  Hermann Knothe, Die Oberlausitz während der Jahre 1623 bis 1631, von der Pfandübergabe an Kursachsen bis zum Beginn des Krieges mit dem Kaiser. NLM 65 (1889) 191–261; Lehmann, Geschichte (wie Anm. 20) 181–185, 230–234; Józef Leszczyński, Przejście Górnych Łużyc pod panowanie saskie [Der Übergang von Oberlausitz unter die sächsische Herrachaft]. ŚKHS 17 (1962) 345–374; Karlheinz Blaschke, Der Übergang des Markgraftums Oberlausitz von der Krone Böhmen an den Kurfürsten von Sachsen während des Dreißigjährigen Krieges, in: ders., Beiträge zur Geschichte der Oberlausitz. Gesammelte Aufsätze (Görlitz–Zittau 2000) 93–107; Jan Zdichynec, Předání Lužic Sasku v letech 1620–1635 [Die Übergabe der Lausitzen an Sachsen in den Jahren 1620–1635], in: Od konfesijní konfrontace (wie Anm. 12) 70–86; Peter Rauscher, Die Oberlausitz als Kreditgeber, Steuerquelle und Pfandobjekt der Habsburger (1526–1635), in: Die Oberlausitz

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Schlesien schließlich, dessen Fürsten und Stände dem aus Prag übereilt flüchtenden König Friedrich einen Monat lang in Breslau Zuflucht boten und ihm zunächst auch weitere Unterstützung zusagten, kam überraschend glimpflich davon. Der mit dem sächsischen Kurfürsten Ende Februar 1621 geschlossene Dresdner Akkord sicherte den Fürsten und Ständen nicht nur volle Amnestie zu, sondern auch den Erhalt aller Privilegien einschließlich des schlesischen Majestätsbriefs. Sogar der bisherige Oberhauptmann, Herzog Johann Christian von Brieg (1591–1639), wurde in den Akkord aufgenommen. Ausgeschlossen wurde lediglich der inzwischen geächtete Herzog von Jägerndorf, dessen Besitz in Oberschlesien bereits vor dem Aufstand von Enteignung bedroht war. Der Herzog setzte nun den militärischen Widerstand auf eigene Faust fort37. Hingegen bekannten sich die Stände des Herzogtums Troppau, eines zwischen Mähren und Schlesien umstrittenen Territoriums, ganz entgegen ihrer früheren Neigung zu Schlesien und entgingen damit vorerst den schlimmsten Folgen38. Schlesien blieb mit Böhmen und Mähren unter habsburgischer Herrschaft, ging jedoch in der Folge einen eigenen Weg. Seine innere Entwicklung während des Dreißigjährigen Krieges weist eigenständige Zäsuren aus. Das soll nicht heißen, dass Schlesien in diesen Jahrzehnten frei von monarchischem Druck gewesen wäre. Im Gegenteil, die Geschichte des Oderlandes war durch eine Reihe von ernsthaften Konflikten geprägt, doch die rechtliche Lage, geopolitische Rücksichten und die beträchtliche regionale Differenzierung führten zu anderen Konsequenzen. Die instabilen Verhältnisse Schlesiens spiegeln sich in unterschiedlichen Vorhaben wider, die in den 1620er Jahren in Angriff genommen wurden. Zeitweilig wurde der mit dem Wiener Hof kurzzeitig versöhnte Fürst von Siebenbürgen Pfandherr über die Herzogtümer Oppeln/Opole und Ratibor/Racibórz, den größten Territorialkomplexen in Schlesien39. Dann schien es, als würde Erzherzog Karl eine herausragende Rolle in Schlesien einnehmen, doch er verließ das Land 1624 in Richtung Portugal und starb bald darauf. Karl von Liechtenstein, Herzog von Troppau, übernahm 1623 das benachbarte Herzogtum Jägerndorf und es schien, dass die Familie auch das Herzogtum Teschen erwerben würde, doch das Projekt scheiterte am Ehestreit Gundakers von Liechtenstein (1580–1658) mit der Erbin des Herzogtums40. Die Herrschaft Wallensteins in den Herzogtümern Sagan/Żagań und Glogau/Głogów war ebenfalls nur temporär. Der Feldzug Peter Ernsts von Mansfeld (1580–1626) durch Schlesien und Mähren im frühneuzeitlichen Mitteleuropa. Beziehungen – Strukturen – Prozesse, hg. von Joachim Bahlcke (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 30, Stuttgart 2007) 406–433; Ellen Franke, Als Pfand in der Hand. Die Abtretung der Lausitzen an Kursachsen während des Dreißigjährigen Krieges aus der Wiener Perspektive, in: Die Nieder- und Oberlausitz – Konturen einer Integrationslandschaft. Bd. 2: Frühe Neuzeit, hg. von Heinz-Dieter Heimann–Klaus Neitmann–Uwe Tresp (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte 12, Berlin 2014) 91–106. 37  Hans Schulz, Markgraf Johann Georg von Brandenburg und der Streit um Jägerndorf, Beuthen und Oderberg in den Jahren 1607–1624. ZVGAS 32 (1898) 177–214; ders., Markgraf Johann Georg von Brandenburg-Jägerndorf (Hallesche Abhandlungen zur neueren Geschichte 37, Halle 1899); Fukala, Jan Jiří Krnovský (wie Anm. 29). 38 Josef Zukal, Slezské konfiskace. 1620–1630. Pokutování provinilé šlechty v Krnovsku, Opavsku a Osoblažsku po bitvě bělohorské a po vpádu Mansfeldově [Die schlesischen Konfiskationen. 1620–1630. Die Bestrafung des schuldigen Adels im Jägerndorfer, Troppauer und Hotzenplotzer Gebiet nach der Schlacht am Weißen Berg und nach dem Einfall Mansfelds] (Praha 1916) 30–45. 39 Józef Leszczyński, Rządy Bethlena Gábora na Górnym Śląsku (1620–1624) [Gabriel Bethlens Herrschaft in Oberschlesien (1621–1624)]. ŚKHS 14 (1959) 307– 350. 40 Thomas Winkelbauer, Fürst und Fürstendiener. Gundaker von Liechtenstein, ein österreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters (MIÖG Ergbd. 34, Wien–München 1999) 517–541.



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nach Ungarn 1626 und die damit im Zusammenhang stehende mehrmonatige Besetzung Oberschlesiens durch dänisches Kriegsvolk41 boten dem Kaiserhof eine willkommene Gelegenheit, die Garantien des Dresdner Akkords rückgängig zu machen und in schlesische Herrschaftsverhältnisse auf ähnliche Art und Weise wie in den beiden südlichen Ländern einzugreifen. Insbesondere Oberschlesien wurde nun von Konfiskationen hart betroffen42. In den Erbfürstentümern sowie in jenen Gebieten, die anderen katholischen Landesherren unterstanden, wurde die Gegenreformation forciert. Das Amt des schlesischen Oberhauptmanns wurde 1629 in eine kollegiale monarchische Behörde umgestaltet, die Piastenherzöge wurden eingeschüchtert43. Doch die Loyalität der schlesischen Fürsten und Stände gegenüber dem Wiener Hof war dadurch noch keineswegs gesichert. Das zeigte sich, nachdem die Schweden und die Truppen ihrer nunmehrigen Alliierten, Kurbrandenburgs und Kursachsens (also der bisherigen Schutzmacht der schlesischen Protestanten), im Sommer 1632 nach Schlesien einmarschierten, wobei die Befreiung des Landes von konfessionellem Druck als Vorwand diente, und weite Landstriche blieben dann drei Jahre lang, bis zur Schlacht bei Nördlingen, unter Kontrolle dieser protestantischen Mächte. Drei von vier verbleibenden protestantischen Herzögen (zwei Piasten und ein Münsterberger) sowie die Stadtrepublik Breslau, die auch die Jurisdiktion über das gleichnamige Fürstentum besaß und zunächst eine Neutralitätspolitik suchte, „konjugierten“ sich im August 1633 mit den Invasoren44. Dieser letzte Akt des ständischen Widerstandes in Schlesien scheiterte, doch die Folgen für die Beteiligten waren wiederum moderat, gemessen an den Strafen mit denen andere belegt wurden, etwa die Rebellen in den südlichen Ländern, oder – zeitgleich – Wallenstein und seine angeblichen Mitverschworenen. Während der kaiserliche General und schlesische Magnat Hans Ulrich Schaffgotsch (1595–1635) in Regensburg hingerichtet und sein großer Besitz konfisziert wurde, mussten die drei protestantischen Herzöge (zwei waren mit ihm sogar verschwägert) für die Konjunktion mit den Schweden nur Abbitte leisten45. Breslau verlor die Jurisdiktion über das umliegende Herzogtum46. Infolge des Nebenrezesses zum Prager Frieden war der habsburgische Landesherr allerdings nicht 41  Julius Krebs, Das Verhalten der Schlesier beim Einfalle Mansfelds und der Dänen (1626). ZVGAS 31 (1897) 165–194; Vít Mišaga, Dánský vpád do Slezska a na Moravu. Souvislosti a průběh roku 1626 [Der dänische Einfall nach Schlesien und Mähren. Zusammenhänge und Verlauf im Jahre 1626]. Časopis Národního muzea – řada historická 177/1–2 (2008) 55–103 (mit Hinweisen auf ältere Literatur). 42   Bis heute nicht übertroffen: Josef Zukal, Die Liechtensteinsche Inquisition in den Herzogtümern Troppau und Jägerndorf aus Anlaß der Mansfeldschen Rebellion 1626–1627. Zeitschrift für Geschichte und Kulturgeschichte Österreichisch-Schlesiens 7 (1912) 1–260; ders., Slezské konfiskace (wie Anm. 38). Die Auswirkungen auf andere Gebiete Schlesiens sind hingegen nicht überzeugend erforscht. 43  Julius Krebs, Der Vorstoß Kaiser Ferdinands II. gegen die Piastenherzöge (1629). ZVGS 48 (1914) 89–112. 44 Hermann Palm, Die Conjunction der Herzöge von Liegnitz, Brieg und Oels, so wie der Stadt und des Fürstenthums Breslau mit den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg und der Krone Schweden in den Jahren 1633–35. ZVGAS 3 (1860) 227–368. 45  Julius Krebs, Hans Ulrich Freiherr von Schaffgotsch. Ein Lebensbild aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (Breslau 1890); Norbert Conrads, Das preußische Exil des Herzogs Johann Christian von Brieg 1633– 1639, in: ders., Schlesien in der Frühmoderne. Zur politischen und geistigen Kultur eines habsburgischen Landes, hg. von Joachim Bahlcke (NFSG 18, Köln–Weimar–Wien 2009) 39–52. 46 Julius Krebs, Rat und Zünfte der Stadt Breslau in den schlimmsten Zeiten des 30jährigen Kriegs (Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte 15, Breslau 1912); Ludwig Petry, Breslau und seine ersten Oberherren aus dem Hause Habsburg 1526–1635, ed. von Joachim Bahlcke (Beih. zum Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 10, St. Katharinen 2000).

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mehr an den Majestätsbrief und den Dresdner Akkord gebunden. Religiöse Konzessionen wurden auf die Territorien der Herzöge von Brieg, Liegnitz und Oels sowie die Stadt Breslau beschränkt. Die für breite Landstriche Schlesiens vorgesehene Gegenreformation konnte jedoch wegen der fast dauerhaften Anwesenheit schwedischer Truppen in Schlesien seit 1639 nicht forciert werden. Der Friedensvertrag von Osnabrück bestätigte 1648 schließlich nicht nur die freie Religionsausübung in Breslau und den privilegierten Herzogtümern, sondern rettete sogar die Bewohner der restlichen schlesischen Territorien vor dem Zwang zur Konversion, wenn auch die bestehende protestantische Infrastruktur hier in der Folge zerschlagen wurde47. Auch diese an sich komplizierte konfessionelle Sonderregelung, dank welcher der Protestantismus in (Nieder-)Schlesien überleben konnte, führt vor Augen, wie unterschiedlich sich die Wege der böhmischen Länder während des Krieges gestalteten. Eine undifferenzierte Bezugnahme auf „Böhmen“ wird weder dem Ablauf noch den differenzierten Folgen des Krieges in den einzelnen Territorien des böhmischen Länderkonglomerats gerecht.

2. Kriegsschauplätze Regional zu differenzieren sind natürlich auch die Kriegsverläufe in den böhmischen Ländern und ihre Folgen. Bereits in der ersten Phase des Konflikts waren zwar alle Einzelterritorien, doch regional sehr ungleichmäßig betroffen. Auch im weiteren Verlauf des Krieges blieben feindliche Feldzüge und Durchmärsche oft auf nur eine Region beschränkt: So der Einfall Bethlens nach Mähren 162348, der Einfall der Mansfeldischen und dänischen Truppen nach Schlesien und Nordmähren 1626/2749, oder der sächsische Einfall nach Böhmen 1631/32 mit der Eroberung Prags50. 47  Bedřich Šindelář, Slezská otázka na mírovém kongresu vestfálském 1643–1648 [Die schlesische Frage auf dem Westfälischen Friedenskongress 1643–1648]. Sborník prací Filosofické fakulty Brněnské university 10 – Řada historická C 8 (1961) 266–295; Józef Leszczyński, Zabiegi i przetargi wokół Śląska w czasie wojny trzydziestoletniej [Verhandlungen und Streitigkeiten über Schlesien während des Dreißigjährigen Krieges]. ŚKHS 26 (1971) 523–542; Christine van Eickels, Rechtliche Grundlagen des Zusammenlebens von Protestanten und Katholiken in Ober- und Niederschlesien vom Augsburger Religionsfrieden bis zur Altrandstädter Konvention (1707), in: Reformation und Gegenreformation in Oberschlesien. Die Auswirkungen auf Politik, Kunst und Kultur im ostmitteleuropäischen Kontext, hg. von Thomas Wünsch (Tagungsreihe der Stiftung Haus Schlesien 3, Berlin 1994) 47–68. Eine positive Deutung des Westfälischen Friedens für Schlesien erst bei Norbert Conrads, Die Bedeutung des Westfälischen Friedens von 1648 für die schlesische Geschichte, in: ders., Schlesien in der Frühmoderne (wie Anm. 45) 53–69. 48 Ferdinand Tadra, Beiträge zur Geschichte des Feldzuges Bethlen Gabors gegen Ferdinand II. im Jahre 1623. AÖG 55 (1877) 401–464; Matějek, Morava (wie Anm. 35) 99–115. 49  Außer der in Anm. 41 zitierten Literatur vgl. Julius Krebs, Schlesien in den Jahren 1626 und 1627. ZVGAS 20 (1886) 1–32; 21 (1887) 116–148; 25 (1891) 124–184; ders., Die ersten Winterquartiere der Waldsteiner in Schlesien. ZVGAS 20 (1886) 297–318; František Roubík, Valdštejnovo tažení na Slovensko roku 1626 [Wallensteins Feldzug in die Slowakei im Jahre 1626]. Sborník Archivu Ministerstva vnitra Republiky československé 8 (1935) 145–232. 50 Antonín Rezek, Dějiny saského vpádu do Čech (1631–2) a návrat emigrace [Geschichte des Sachseneinfalls nach Böhmen (1631–1632) und die Rückkehr der Emigranten] (Praha 1889); Oldřich Kortus, Počátky saského vpádu do Čech v roce 1631 [Die Anfänge des sächsischen Einfalls nach Böhmen im Jahre 1631], in: Ve znamení zemí Koruny české. Sborník k šedesátým narozeninám prof. PhDr. Lenky Bobkové, CSc., hg. von Luděk Březina–Jana Konvičná–Jan Zdichynec (Praha 2006) 155–168; ders., Praha za saského vpádu v letech 1631 a 1632 [Prag während des sächsischen Einfalls in den Jahren 1631 und 1632]. PSH



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Selbst wenn die böhmischen Länder in den 1620er Jahren von unmittelbaren Kriegshandlungen großteils verschont blieben, wirkte die Konfrontation der Heere in anderen Territorien auf das lokale Geschehen ein. Nicht zuletzt waren die Abrechnung mit den „Rebellen“ in Böhmen und Mähren, die Vertreibungsaktionen und Enteignungen, die Zerstörung des Protestantismus in den böhmischen und österreichischen Ländern sowie der Angriff auf die schlesischen Protestanten in diesen Jahren von den Erfolgen der kaiserlichen Truppen im Westen, im Norden und in Ungarn beeinflusst. Die tiefgreifende politische, soziale und religiöse Umwälzung in dieser Zeit lässt sich vom Dreißigjährigen Krieg ebenso wenig trennen, wie die weiteren Konfiskationen des Adelsbesitzes in Böhmen nach dem erwähnten Sachseneinfall und nach der Ermordung Wallensteins drei Jahre später. Mit dem sächsischen Einfall 1631 und der schwedisch-sächsisch-brandenburgischen Okkupation Schlesiens im folgenden Jahr verlagerte sich der davor vor allem im Reich ausgetragene Krieg direkt in die böhmischen Länder. Fast ohne Unterbrechung war dann der Länderverband im letzten Jahrzehnt des Krieges von feindlichen Truppen geplagt, nachdem die schwedischen Kontingente unter Johan Banér (1596–1641) 1639 nach Böhmen einmarschierten51 und bis auf wenige Atempausen auf dem Territorium aller drei böhmischen Länder einen auf die Abnützung des Feindes abzielenden Manöverkrieg betrieben, der jedoch größere Schlachten, Belagerungen und Blockaden nicht ausschloss52. Vergleichsweise mobile schwedische Verbände auf der Suche nach neuen Versorgungsgebieten, die in weiten Landstrichen Brandschatzung und Kontributionen erpressten und Lebensmittel sowie Pferde requirierten, setzten den Kaiser unter Druck und schöpften einen namhaften Teil seiner Ressourcen ab53. Bedeutende Stützpunkte 36 (2008) 105–183; ders., Saské vojsko a každodenní život v letech 1631–1632 [Das sächsische Heer und das Alltagsleben in den Jahren 1631 und 1632]. Sborník archivních prací 63 (2013) 3–65; Jaroslav Douša, Plzeň za saského vpádu v letech 1631–1632 [Pilsen während des sächsischen Einfalls]. Minulostí Západočeského kraje 30 (1995) 22–71. 51  Jiří Hofman, Banérova korespondence jako pramen k válečným událostem let 1639 a 1640 [Banérs Korrespondenz als Quelle zu den Kriegsereignissen der Jahre 1639 und 1640], in: Mezi Martem a Memorií. Prameny osobní povahy k vojenským dějinám 16.–19. století, hg. von Vítězslav Prchal (Pardubice 2011) 53–66. 52  Miroslav Toegel, Bitva u Jankova – rozklad císařské armády a politiky [Die Schlacht bei Jankau – der Zusammenbruch der kaiserlichen Armee und Politik]. FHB 2 (1980) 283–309; K 350. výročí bitvy u Jankova 1645–1995 [Zum 350. Jahrestag der Schlacht bei Jankau], hg. von Zdeněk Brandl–Josef Petráň (Sborník vlastivědných prací z Podblanicka 35, Benešov 1995); Václav Matoušek, Třebel. Obraz krajiny s bitvou [Triebel. Ein Bild der Landschaft mit der Schlacht] (Praha 1992). 53   Vgl. beide grundlegenden Werke von B[eda] Dudík, Die Schweden in Böhmen und Mähren 1640– 1650 (Wien 1879), und Antonín Rezek, Děje Čech a Moravy za Ferdinanda III. až do konce třicetileté války (1637–1648) [Geschichte Böhmens und Mährens unter Ferdinand III. bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges (1637–1648)] (Praha 1890). An jüngeren Arbeiten – zahlreiche lokale Studien müssen hier ausgespart bleiben – Matějek, Morava (wie Anm. 35) 243–388; Morava a Brno na sklonku třicetileté války [Mähren und Brünn in der Endphase des Dreißigjährigen Krieges], hg. von Jan Skutil (Praha–Brno 1995); Lothar Höbelt, Von Nördlingen bis Jankau. Kaiserliche Strategie und Kriegsführung 1634–1645 (Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums 22, Wien 2016). Schlesien scheint weniger erforscht worden zu sein, vgl. Jerzy Maroń, Der 30jährige Krieg in Schlesien. Stand und Perspektiven der Forschung, in: Silesiographia. Stand und Perspektiven der historischen Schlesienforschung. FS für Norbert Conrads zum 60. Geburtstag, hg. von Matthias Weber–Carsten Rabe (Wissenschaftliche Schriften des Vereins für Geschichte Schlesiens 4, Würzburg 1998) 251–256, und insbesondere ders., Militarne aspekty wojny trzydziestoletniej na Śląsku [Militärische Aspekte des Dreißigjährigen Krieges in Schlesien] (Acta Universitatis Wratislawiensis 2201, Wrocław 2000); die zweite, ergänzte Ausgabe: ders., Wojna trzydziestoletnia na Śląsku. Aspekty militarne [Der Dreißigjährige Krieg in Schlesien. Militärische Aspekte] (Wrocław–Racibórz 2008).

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sicherten sich die Schweden in allen drei Ländern: 1642 in Glogau und Olmütz54, 1645 auf fast zwei Jahre in Iglau/Jihlava, 1647 in Eger/Cheb und ein Jahr später auf der Prager Kleinseite55. Demgegenüber konnten damals Prager Alt- und Neustadt erfolgreich verteidigt werden56, ähnlich wie die andere mährische Hauptstadt Brünn bereits 164557, während die schlesische Handelsmetropole Breslau nach 1642 ihre prokaiserlich ausgerichtete Neutralität trotz der schwedischen Blockade 1647 zu wahren vermochte. Freilich orientierte sich der Kleinkrieg nicht an den Landesgrenzen. Nordostböhmen und Niederschlesien sowie Oberschlesien und Nordmähren verhielten sich wiederholt wie kommunizierende Gefäße. Nicht alle Gebiete waren gleichmäßig betroffen. Wiederholt von feindlichen Truppen überschwemmt wurden der nördliche Teil Böhmens (die Ebene an der Elbe und Eger), das Odergebiet in Schlesien sowie das Umland von Olmütz. Der Rest litt eher unter der kaiserlichen Armee, wurde jedoch im späteren Verlauf des Krieges auch von den Schweden heimgesucht; insgesamt blieben während dieser unglücklichen Jahre nur kleine Teile der böhmischen Länder verschont. Eine bedeutende Zone relativer Sicherheit stellte etwa das große oberschlesische Doppelherzogtum Oppeln-Ratibor dar, das seit 1645 dem polnischen Königshaus verpfändet war und Schutz von beiden Streitparteien genoss58. Der regionale Blick wird hier vor allem deswegen hervorgehoben, damit die oft übersehene Komplexität der böhmischen Länder und ihre denkbar vielfältigen Verwicklungen im Dreißigjährigen Krieg mit aller Deutlichkeit zum Vorschein gebracht werden. Freilich greift ein solcher Blick zu kurz, um alle Facetten zu erfassen. Für manche Forschungsfelder ist die länderweise Betrachtung irrelevant. Insbesondere die Auswirkungen des Krieges und seiner einzelnen Etappen und Konstellationen auf landesfürstliche sowie patrimoniale Städte erfreuen sich dabei in den letzten Jahren einer regen Aufmerksamkeit59. Die 54  Jiří Hofman, Mezi mlýnskými kameny. Městská rada jako prostředník mezi olomouckou obcí a švédskou armádou (1642–1650) [Zwischen Mühlsteinen. Der Stadtrat als Vermittler zwischen der Gemeinde von Olmütz und der schwedischen Armee (1642–1650)]. Historica Olomucensia 45 (2013) 63–83 (mit Hinweisen auf Quelleneditionen zur schwedischen Besatzung von Olmütz). 55  Robert Rebitsch–Jenny Öhman–Jan Kilián, 1648, Kriegsführung und Friedensverhandlungen. Prag und das Ende des Dreißigjährigen Krieges (Innsbruck 2018). 56 Václav Líva, Bouře nad Prahou aneb Švédové před Prahou a v Praze [Sturm über Prag oder Schweden vor und in Prag] (Praha 1948); Zdeněk Hojda, Der Kampf um Prag 1648 und das Ende des Dreißigjährigen Krieges, in: 1648 – Krieg und Frieden in Europa, hg. von Klaus Bussmann–Heinz Schilling, Bd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft (Münster 1998) 403–412. 57   Urkunden, Briefe und Actenstücke zur Geschichte der Belagerung der Stadt Brünn durch die Schweden in den Jahren 1643 und 1645, hg. von Berthold Bretholz (Brünn 1895); Berthold Bretholz, Der Vertheidigungskampf der Stadt Brünn gegen die Schweden 1645 (Brünn 1895); František Šujan, Švédové u Brna roku 1645 [Die Schweden vor Brünn im Jahre 1645] (Brno 1898). 58 Józef Leszczyński, Władysław IV a Śląsk w latach 1644–1648 [Wladislaw IV. und Schlesien in den Jahren 1644–1648] (Wrocław 1969); ders., Franciszek Magni w służbie Władysława IV [Franz Magni im Dienste Wladislaws IV]. ŚKHS 23 (1968) 24–38. Vgl. die Ereignisse im Herzogtum Teschen: Jan Zítek, Švédové a císařští v Těšíně v letech 1645 až 1647 [Die Schweden und die Kaiserlichen in Teschen in den Jahren 1645 bis 1647]. Věstník Matice opavské 5 (1895) 22–27; Wacław Gojniczek, Okupacja szwedzka księstwa cieszyńskiego w czasie wojny trzydziestoletniej i stosunek do niej miejscowego społeczeństwa [Die schwedische Okkupation des Fürstentums Teschen im Dreißigjährigen Krieg und das Verhältnis der Lokalgesellschaft dazu], in: Po obu stronach Bałtyku. Wzajemne relacje między Skandynawią a Europą Środkową, hg. von Jan Harasimowicz–­ Piotr Oszczanowski–Marcin Wisłocki (Wrocław 2006) 1 103–107. 59 Jan Kilián, Město ve válce, válka ve městě. Mělník 1618–1648 [Stadt im Krieg, Krieg in der Stadt. Melnik 1618–1648] (České Budějovice 2008); Věnná města za třicetileté války a jejich poválečná obnova [Die Leibgedingsstädte zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges und deren Wiederaufbau nach dem Krieg], hg. von



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Fragestellungen reichen von Verwaltung und Finanzen60 bis zu Alltag und Kriegswahrnehmung61 und von der Aushandlung neuer Machtverhältnisse während und nach der ständischen Erhebung62 bis zu militärischer Gewalt63. Deutlich weniger erforscht werden die Kriegsfolgen für die ländliche und bäuerliche Bevölkerung64. Nach wie vor entstehen biographische Skizzen bedeutender Akteure des Dreißigjährigen Krieges in den böhmischen Ländern, namentlich der kaiserlichen Befehlshaber65. Auf den breiten Fragekomplex des böhmisch-mährischen Exils – vielfältig in Fragestellungen sowie methodischen Zugängen – kann hier nur stichwortartig hingewiesen werden66. dems. (Mělník 2004); Turek, Švéda a Prajz. Vojenský živel versus město a venkov českého raného novověku [Türke, Schwede und Preuße. Militär versus Stadt und Land im frühmodernen Böhmen], hg. von dems.–Marie Š[edivá] Koldinská–Milan Svoboda (Historie – Otázky – Problémy 3/1, Praha 2011). 60  Marek Ďurčanský, Česká města a jejich správa za třicetileté války. Zemský a lokální kontext [Die böhmischen Städte und ihre Verwaltung während des Dreißigjährigen Krieges. Der Landes- und der lokale Kontext] (Praha 2013); Jan Kwak, Finanse miasta Brzegu w latach wojny trzydziestioletniej [Die Finanzen der Stadt Brieg während des Dreißigjährigen Krieges] (Wrocław 1971). 61  Paměti krupského měšťana Michela Stüelera (1629–1649), hg. von Jan Kilián (Teplice 2013); Michael Stüelers Gedenkbuch (1629–1649). Alltagsleben in Böhmen in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, hg. von dems. (Göttingen 2014); ders., Příběh z doby neobyčejného šílenství. Život a svět krupského koželuha Michela Stüelera za třicetileté války [Eine Geschichte aus dem Zeitalter des ungemeinen Wahnsinns. Leben und Welt des Graupener Gerbers Michael Stüeler während des Dreißigjährigen Krieges] (Praha 2014). 62  Jiří Dvorský, Praha v českém stavovském povstání (1618–1620) [Prag im böhmischen Ständeaufstand (1618–1620)]. PSH 10 (1977) 51–120; Jaroslava Mendelová, Třicetiletá válka a Nové Město Pražské (1620–1650) [Der Dreißigjährige Krieg und die Prager Neustadt (1620–1650)]. PSH 31 (2000) 149–185; Petr Kopička, Rebelie aneb pozdvižení v Roudnici nad Labem v letech 1619–1620 [Rebellion oder Aufstand in Raudnitz an der Elbe]. Porta Bohemica 4 (2007) 9–53; Josef Hrdlička, Víra a moc. Politika, komunikace a protireformace v předmoderním městě (Jindřichův Hradec 1590–1630) [Glaube und Macht. Politik, Kommunikation und Gegenreformation in einer vormodernen Stadt (Neuhaus 1590–1630)] (České Budějovice 2013); Josef Kadeřábek, Nerovný boj o víru. Páni z Martinic a rekatolizace města Slaný (1600–1665) [Der ungleiche Kampf um Glauben. Die Herren von Martinitz und die Rekatolisierung der Stadt Schlan (1600–1665)] (Praha 2018). 63 Jan Kilián, Vojenské násilí ve městech za třicetileté války. Se zvláštním přihlédnutím k Plzeňsku [Militärgewalt in Städten während des Dreißigjährigen Krieges. Mit besonderer Berücksichtigung des Pilsener Gebietes]. FHB 29 (2014) 5–29; ders., Military violence in towns during the Thirty Year´s War. The Czech and Central European context. Studia Historica Nitriensia 22 (2018) 79–103. 64   Hier erscheint die beschreibend-analytische Mikrostudie der nordostböhmischen Herrschaft Kost von Josef Pekař, Kniha o Kosti. Kus české historie [Das Buch über die Herrschaft Kost. Ein Stück der böhmischen Geschichte] (Praha 1998 [Erstdruck 1910–1911]), nach wie vor relevant. Vgl. rezenter Jaroslav Šulc, Třicetiletá válka a všední den venkovské společnosti v Čechách (se zřetelem k situaci na komorních panstvích a ve středním Polabí) [Der Dreißigjährige Krieg und der Alltag der ländlichen Gesellschaft in Böhmen (mit Rücksicht auf die Verhältnisse in den Kammerherrschaften in der mittleren Elbeebene)]. Časopis Národního Muzea – řada historická 175 (2006) 41–77. 65  Hedvika Kuchařová, Třicetiletá válka Jana Tomáše Brisigella [Johann Thomas Brisigells Dreißigjähriger Krieg]. Sborník Okresního archivu v Lounech 10 (2001) 123–164; Josef Forbelský, Španělé, Říše a Čechy v 16. a 17. století. Osudy generála Baltasara Marradase [Die Spanier, das Reich und Böhmen im 16. und 17. Jahrhundert. Das Schicksal des Generals Baltasar Marradas] (Praha 2006); Pavel Balcárek, Ve víru třicetileté války. Politikové, kondotiéři, rebelové a mučedníci v zemích Koruny české [Im Strudel des Dreißigjährigen Krieges. Politiker, Kondottieri, Rebellen und Märtyrer in den Ländern der böhmischen Krone] (Brno 2011); Jan Kilián, Martin Maxmilián z Golče (kolem 1593–1653). Císařský generál ve víru třicetileté války [Martin Maximilian von Goltz (um 1593–1653). Kaiserlicher General in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges] (České Budějovice 2010); ders., Jan Beck (1588–1648). Císařský generál, lucemburský guvernér a svobodný pán z Kokořínska [Johann Beck (1588–1648). Kaiserlicher General, Gouverneur von Luxemburg und Freiherr aus dem Kokoriner Gebiet] (České Budějovice 2014). 66  Vgl. in Auswahl: Lenka Bobková, Exulanti z Prahy a severozápadních Čech v Pirně v letech 1621–1639 [Die Exulanten aus Prag und Nordwestböhmen in Pirna in den Jahren 1621–1639] (Documenta Pragensia

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3. Staatsgründungskrieg? Staatsbildungskrieg? Staatszerstörungskrieg? Johannes Burkhardt hat die Leseart des Dreißigjährigen Krieges als Staatsbildungskrieg entworfen. Dies resultiere aus der kriegstreibenden Konkurrenz der universalistischen Mächte einerseits und der ständisch-partikularen Gewalten andererseits um die Staatsbildungskompetenz67. Mit Blick auf die böhmischen Länder, deren Revolte 1618 bis 1620 Burkhardt übrigens als eines der bedeutenden Beispiele der Staatsgründung durch die Stände wertete, muss man daher zunächst fragen: welche und wessen Staatsbildung? Denn der Krieg erwies sich hier im Endeffekt nicht als ein Staatsgründungs-, sondern als ein Staatszerstörungskrieg. Der böhmische Länderverband – eine im 14. Jahrhundert entstandene asymmetrische, lockere, ständisch geprägte, weitgehend auf Konsensherrschaft beruhende, keineswegs friktionsfreie, aber dennoch beständige Union von fünf ungleichen Partnern, die seit 1526 in das habsburgische Herrschaftsgefüge eingegliedert wurde und bis zum Dreißigjährigen Krieg ihre grundlegenden Merkmale behielt – ging in diesem Krieg weitgehend unter. Dabei eröffnete der Unabhängigkeitskrieg der evangelischen Stände gegen das katholische Landesfürstentum für dieses Gebilde zunächst durchaus eine Entwicklungsalternative. Die Stände aller fünf böhmischen Länder, die nicht nur reaktiv, sondern durchaus konstruktiv agierten, einigten sich im Sommer 1619, bald nachdem sie eine gemeinsame Widerstandslinie fanden, auf ein ausgeklügeltes Vertragswerk, das die Beziehungen der Länder zueinander auf eine neue Grundlage stellte und den bis dahin von internen Konflikten geprägten und geschwächten Länderverband zu einem Unionsstaat umgestalten sollte. In der jüngeren Geschichtswissenschaft wird das Projekt als ein Paradebeispiel einer föderativen Staatsgründung von unten, von den Ständen und Ländern her, interpretiert68 und mit dem vermeintlichen lateinischen Quellenbegriff Confoederatio Bohemica Monographia 8, Praha 1999); Alexander Schunka, Gäste, die bleiben. Zuwanderer in Kursachsen und der Oberlausitz im 17. und frühen 18. Jahrhundert (Pluralisierung & Autorität 7, Hamburg 2006); Wulf Wäntig, Grenzerfahrungen. Böhmische Exulanten im 17. Jahrhundert (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 14, Konstanz 2007); Vladimír Urbánek, Eschatologie, vědění a politika. Příspěvek k dějinám pobělohorského exilu [Eschatologie, Wissen und Politik. Ein Beitrag zur Geschichte des Denkens im Exil nach der Schlacht am Weißen Berg] (České Budějovice 2008); Nicolette Mout, Exil, Krieg und Religion. Erwartungen und Enttäuschungen gelehrter böhmischer Exulanten im Dreißigjährigen Krieg. HJb 132 (2012) 249–275. 67 Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg (Frankfurt/Main 1992); ders., Der Dreißigjährige Krieg als frühmoderner Staatsbildungskrieg. GWU 45 (1994) 487–499; ders., Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas. ZHF 24 (1997) 509–574; ders., Die These vom Staatsbildungskrieg im Widerstreit der Forschung, in: Dynamik durch Gewalt? Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) als Faktor der Wandlungsprozesse des 17. Jahrhunderts, hg. von Michael Rohrschneider– Anuschka Tischer (Schriftenreihe zur Neueren Geschichte 38, Münster 2018) 71–92. 68  Josef Válka, Morava ve stavovské konfederaci roku 1619. Pokus o vytvoření paralelních církevních a politických struktur v Čechách a na Moravě [Mähren in der Ständekonföderation des Jahres 1619. Der Versuch, parallele kirchliche und politische Strukturen in Böhmen und in Mähren auszubilden]. FHB 10 (1986) 333–349; ders., Konfederace z roku 1619 ve vývoji teritoriální a náboženské struktury České koruny [Die Konföderation aus dem Jahre 1619 in der Entwicklung der territorialen und religiösen Struktur der Böhmischen Krone], in: Vladislavské zřízení zemské a počátky ústavního zřízení v českých zemích (1500–1619) [Wladislaws Landgründung und die Anfänge der Verfassung in den tschechischen Ländern], hg. von Jaroslav Pánek–Karel Malý (Prag 2001) 193–202; Joachim Bahlcke, Die Böhmische Krone zwischen staatsrechtlicher Integrität, monarchischer Union und ständischem Föderalismus. Politische Entwicklungslinien im böhmischen Länderverband vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, in: Föderationsmodelle und Unionsstrukturen. Über Staatenverbindungen in der Neuzeitgeschichte vom 16. zum 20. Jahrhundert, hg. von Thomas Fröschl (Wiener



Epizentrum und Bebengebiet. Die böhmischen Länder im Dreißigjährigen Krieg 71

bezeichnet. Tatsächlich scheint diese unreflektiert verwendete Benennung aber erst auf die um 1960 erschienenen Arbeiten von Hans Sturmberger und Josef Polišenský zurückzugehen69. Zeitgenössische Bezeichnungen betonten dagegen den zusammengesetzten Grundcharakter dieses Staatsgründungsexperiments. Gedruckt wurde die deutsche Textvariante des Vertragswerkes unter dem Titel „Confoederation Deß Königreichs Böhemb mit den incorporirten Ländern / Alß Mähren / Schlesien / Ober und Nieder Lausitz“. Im Titel eines darauf verfassten Lobgedichts wird der Bund als „Unio bohemica sive confoederatio inter regnum Bohemiae et vicinas provincias Moraviam, Silesiam et Lusatiam“ bezeichnet70. In diesen und anderen zeitgenössischen Bezeichnungen des Vertrags, der die ständisch-föderative Vereinigung proklamierte, bleiben die Länder nach wie vor im Plural. Mit der Annahme der Konföderationsakte, die die höchste Regierungsgewalt in die Hände der Stände legte und ein Wahlkönigtum installierte, worauf dann die Absetzung Ferdinands II. und die von den Ständen aller fünf Länder unternommene Königswahl Friedrichs von der Pfalz folgten, erreichten die Konföderierten den Rubikon. Verfassungsrechtlich war der Weg zu einer ständisch-föderativen sezessionistischen Staatsbildung wie in den Niederlanden gut vorbereitet. Finanziell stand der Unionsstaat jedoch auf tönernen Füssen und wurde von der Allianz der Kräfte, die Ferdinand II. zu mobilisieren wusste, auch deshalb militärisch rasch besiegt. Die Niederlage der Konföderierten bedeutete staats- und verfassungsrechtlich keineswegs eine Rückkehr zum Status quo ante. Das Gespenst länderübergreifender ständischer Bünde, die sich bereits seit 1608 als ein erfolgreiches Druckmittel der Ständeopposition in der Habsburgermonarchie erwiesen und mit deren Hilfe wenig später die Herrschaft der Dynastie hätte ersetzt werden sollen, überzeugten Ferdinand II. und seine Nachfolger, dass ihre Länder künftig als voneinander unabhängige Einheiten regiert werden müssten. Der böhmische Länderverband existierte daher seit dem Dreißigjährigen Krieg nur mehr als ein Nebeneinander von drei Provinzen, die im Herrschaftsgefüge der Habsburgermonarchie als distinkte politische Einheiten ohne direkte Beziehungen zueinander dastanden. Es wurden keine Generallandtage der böhmischen Ländergruppe mehr einberufen; es fanden keine direkten Verhandlungen ständischer Delegationen statt. Der Führungsanspruch der böhmischen Stände über die Nebenländer erlosch. Die böhmische Hofkanzlei war, anders als vor dem Krieg, kein Machtinstrument des böhmischen Adels gegenüber den mit Böhmen verbundenen Territorien mehr. Vielmehr war sie nunmehr ausschließlich vom Monarchen abhängig und gleichmäßig für alle drei Länder zuständig, also für das Königreich nicht weniger als für die Markgrafschaft und den Verband der schlesischen Herzogtümer. Das dreimal – 1620, 1631/32 und 1648 – ausgeplünderte Prag verlor während des Dreißigjährigen Krieges endgültig seine noch unter Kaiser Matthias (trotz gegenläufiger Meinung der Geschichtsbücher) durchaus wahrgenommene Residenzfunktion. Auf diese Art und Weise lösten sich die Glieder des um beide Lausitzen verkleinerten Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 21, Wien–München 1994) 83–103; ders., Regionalismus (wie Anm. 18); ders., Wird „Behemb ein Hollendisch goubernament“? Das böhmisch-pfälzische Staatsgründungsexperiment in europäischer Perspektive, in: Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz. Bayern und Europa im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, hg. von Peter Wolf–Ernst Aichner (Augsburg 2003) 94–100. 69  Sturmberger, Aufstand (wie Anm. 13) 46; Josef Polišenský–Miroslav Hroch, Die böhmische Frage und die politischen Beziehungen zwischen dem europäischen Westen und Osten zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges, in: Probleme der Ökonomie und Politik in den Beziehungen zwischen Ost- und Westeuropa vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, hg. von Karl Obermann (Berlin 1960) 23–55, hier 29. 70  Beide Texte erschienen in Prag 1619.

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böhmischen Länderverbands graduell im Komplex der habsburgischen Erbländer auf71. Gleichzeitig erfuhr die habsburgische Herrschaft in den einzelnen Regionen (das religionspolitisch anders behandelte Schlesien nicht ausgenommen) während des Krieges eine grundsätzliche Konsolidierung. Hier reicht nicht der übliche Hinweis auf die in den 1620er Jahren erfolgten repressiven Verfassungsänderungen, die eine neue politische Ordnung installierten, bisherige Streitfragen – wie die Thronfolge – im streng monarchischen Sinne auslegten und eine prinzipielle Ständeopposition ausschalteten72. Die Konsolidierung stützte sich ebenso sehr auf die radikale Umgruppierung der ständisch-adeligen Eliten und vor allem auf eine neue Kooperation mit diesen73. Die Ausschaltung der konfessionspolitischen Ständeopposition bedeutete nämlich keineswegs das Ende der Stände. Vielmehr führte gerade der Dreißigjährige Krieg in seinem weiteren Verlauf ihre Unentbehrlichkeit im gegebenen Entwicklungsstadium staatlicher Organisation und das wechselseitige Aufeinanderangewiesensein der monarchischen Herrschaft und neuer ständisch-korporativer Eliten vor Augen. Das habsburgische „stehengebliebene“ Heer – ein Vermächtnis des Dreißigjährigen Krieges – und die Verteilung der dadurch induzierten Lasten, vor allem der regelmäßigen Kriegssteuer (Kontribution), ließen das Herrschaftszentrum und die Landstände in ein neues Verhältnis treten und konsolidierten paradoxerweise die Position der Stände im habsburgischen Herrschaftsgefüge auf weitere Jahrzehnte. Inwiefern die ständische Verwaltung unentbehrlich war, zeigte sich gerade in den böhmischen Ländern überdeutlich, als in der zweiten Hälfte des Krieges die gewachsenen Mechanismen der Steueraufteilung und Steuererhebung infolge der regional wie lokal durchaus unterschiedlichen Verwüstungen und Bevölkerungsverluste zusammenbrachen. In den letzten Jahren des Krieges wurde daher das fiskalische System in Böhmen zeitweilig auf Verkaufs- und Verbrauchssteuern umgestellt, allerdings mit ambivalenten Folgen. Einerseits wurde das Steuererhebungsrecht der Stände dadurch auf einige Zeit weitgehend ausgehöhlt, andererseits wurde dadurch klar, dass diese Art der Ressourcenmobilisierung unter Ausschluss der Stände namhafte versteckte Kosten mit sich brachte und insgesamt wenig effektiv war. In allen drei Ländern wurde daher nach dem Kriegsende das herkömmliche System der ständisch kontrollierten Steuererhebung wieder stabilisiert und in Böhmen wie Mähren sogar mittels neu zusammengestellter Kataster auf eine bessere Grundlage gestellt. Insofern schuf der Krieg das Reformprogramm für die folgenden Jahrzehnte74. 71  Die zahlreiche einschlägige Literatur kann hier nicht einmal illustrativ zitiert werden. Vgl. allerdings den konzisen Essay: Robert J. W. Evans, The Habsburg Monarchy and Bohemia, 1526–1848, in: Conquest and Coalescence. The Shaping of the State in Early Modern Europe, hg. von Mark Greengrass (London 1991) 134–153, sowie Thomas Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter, 2 Bde. (Wien 2003). Zur Böhmischen Hofkanzlei nunmehr Petr Maťa, Die Böhmische (Hof-)Kanzlei, in: Verwaltungsgeschichte (wie Anm. 18) 461–488. 72 Johannes Kunisch, Staatsräson und Konfessionalisierung als Faktoren absolutistischer Gesetzgebung. Das Beispiel Böhmen (1627), in: Gesetz und Gesetzgebung im Europa der Frühen Neuzeit, hg. von Barbara Dölemeyer–Diethelm Nippel (ZHF Beih. 22, Berlin 1998) 131–156; Hans-Wolfgang Bergerhausen, Die „Verneuerte Landesordnung“ in Böhmen 1627: ein Grunddokument des habsburgischen Absolutismus. HZ 272 (2001) 327–351. 73  Nach wie vor relevant Robert J. W. Evans, The Making of the Habsburg Monarchy, 1550–1700. An Interpretation (Oxford 1979), der jedoch hauptsächlich konfessionell-kulturelle Aspekte dieser Zusammenarbeit betont. 74  Am Beispiel Mährens nunmehr Jiří David, Nechtěné budování státu. Politika, válka a finance na Moravě



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Und noch ein Aspekt soll in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben: Die regelmäßige Finanzierung des stehengebliebenen Heeres wurde nun einer Gruppe habsburgischer Länder von Schlesien bis Krain aufgebürdet, während andere Länder – Ungarn und die damals noch separat regierte Grafschaft Tirol – in dieses System nicht einbezogen wurden. Seit der Verlegung der habsburgischen Truppen aus dem Reich in die Erblande Ende des Jahres 1648 begann ein Ringen über eine gerechte Aufteilung der militärbedingten Lasten unter eben dieser Gruppe der Provinzen, welche sich bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts verfolgen lässt. Die gemeinsame Sorge um die Militärfinanzierung, ein zentrales Segment der damaligen Verwaltung, brachte ein dichtes Netz von administrativen Verbindungen und Abhängigkeiten hervor und förderte nicht unwesentlich, lange vor den maria-theresianischen Reformen, ein Zusammenwachsen der Länder zu einem böhmisch-österreichischen „Kernstaat“ innerhalb der Habsburgermonarchie75.

4. Fazit Insgesamt erscheint der Dreißigjährige Krieg in den böhmischen Ländern als Periode gravierenden Wandels. Er war ein Katalysator der Auflösung eines Länderverbandes in einem anderen. Die Stände blieben freilich bedeutender Faktor und unabdingbarer Bestandteil des politischen Systems der Habsburgermonarchie – ohne sie blieb die Steuerverwaltung und Kriegsfinanzierung bis zu Joseph II. kaum denkbar und jedenfalls nicht realisierbar. Ihre Rolle änderte sich dennoch gravierend: Sie waren nicht mehr politisches Subjekt, das Anteil an der Regierungskompetenz beanspruchte oder Staatsgründung von unten betrieb, sondern ein weitgehend diszipliniertes Objekt im habsburgischen Lager, das jedoch die Form und Qualität der habsburgischen Herrschaft zutiefst mitprägte76. Diese langfristige strukturelle Entwicklung, deren Facetten durchaus einer weiteren Erforschung bedürfen, lässt schließlich die kläglich gescheiterte ständische Staatsgründung der Jahre 1619/20 in einem etwas anderen Licht erscheinen. Die jüngere Forschung hebt die Partizipationsstärke, Modernität und verfassungsrechtliche Tragfähigkeit eines solchen von den Ländern her begründeten Staatsmodells hervor und stellt es dem habsburgischen, auf Machtzentralisierung, dynastischem Imperativ und konfessioneller Intoleranz beruhenden Herrschaftssystem des 17. Jahrhundert mit allen seinen negativen Auswirkungen gegenüber77. Dabei wird jedoch gerne übersehen, wie stark die ve druhé polovině 17. století [Unbeabsichtigte Staatsbildung. Politik, Krieg und Finanzen in Mähren in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts] (Knižnice Matice moravské 46, Brno 2018). Zu den anderen Ländern: Petr Maťa, „Unerträgliche praegravation“. Steuererhebung und Militärfinanzierung im Königreich Böhmen vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Regierungsantritt Maria Theresias, in: Kriegführung und Staatsfinanzen. Die Habsburgermonarchie und das Heilige Römische Reich vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende des habsburgischen Kaisertums 1740, hg. von Peter Rauscher (Geschichte der Epoche Karls V. 10, Münster 2010) 139–185; Jürgen Rainer Wolf, Steuerpolitik im schlesischen Ständestaat. Untersuchungen zur Sozial- und Wirtschaftsstruktur Schlesiens im 17. und 18. Jahrhundert (Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas 108, Marburg/Lahn 1978). 75   Zahlreiche neue Erkenntnisse zu diesem Prozess in: Kriegführung und Staatsfinanzen (wie Anm. 74). 76   Am Beispiel von Niederösterreich, dennoch mit vielfachen Seitenblicken in die Nachbarländer William D. Godsey, The Sinews of Habsburg Power. Lower Austria in a Fiscal-Military State 1650–1820 (Oxford 2018). 77   Pointiert etwa Jaroslav Pánek, Mezi konfederací svéprávných zemí a absolutistickou monarchií. Vývojové alternativy střední Evropy v 17. století [Zwischen einer Konföderation selbständiger Länder und einer absolutistischen Monarchie. Entwicklungsalternativen Mitteleuropas im 17. Jahrhundert], in: Velmocenské ambice

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Herrschaftsrealität der Habsburgermonarchie durch den dreißigjährigen militärischen Konflikt und dessen Folgen geprägt und bedingt wurde. Wer ein wenig damit vertraut ist, mit welch enormen Schwierigkeiten das Habsburgerreich, trotz aller Macht- und Autoritätsfülle, die Ferdinand II. nach dem Zusammenbruch der ständischen Erhebung auf sich vereinte, die Ressourcen zu mobilisieren vermochte, um die eigene Kriegsmaschine dreißig Jahre lang in Betrieb halten zu können, und dies am Ende in einem defensiven, auf dem eigenen Territorium ausgetragenen Krieg, der einen bedeutenden Teil der disponiblen Ressourcen abschöpfte, der wird sich über eine harmonische Entwicklung einer mitteleuropäischen Föderation von gleichberechtigten Ständestaaten keine allzu großen Illusionen machen. Selbst wenn die Konföderierten im Jahr 1620 besseres Kriegsglück gehabt hätten, wäre eine rasche Eliminierung des Hauses Habsburg aus der kriegerischen Auseinandersetzung angesichts der grundsätzlichen Relevanz der böhmischen Länder für die machtpolitische Stellung der Dynastie schwer denkbar gewesen, wie der Kurfürst von Köln in Frankfurt 1619 zurecht einwendete. Die Gegenüberstellung der Geldmittel, die das habsburgische bzw. das konföderierte Lager jeweils flüssig zu machen verstanden78, lässt eines erkennen: Um ihre politische Konzeption von vertraglich miteinander verbundenen evangelische Ständestaaten auf Kosten des Hauses Österreich in einem 20-, 30- und 40jährigen krieg79 durchsetzen zu können, hätten die Konföderierten neben der verfassungsrechtlichen Leistung energisch zur Entwicklung von vergleichbaren Mechanismen der Ressourcenmobilisierung und dauernden militärischen Einrichtungen schreiten müssen, auf denen die Habsburger ihr Durchhaltevermögen im Dreißigjährigen Krieg gründeten – mit allen nachhaltigen Begleiteffekten für Staat und Gesellschaft. Wie sich aber die in der Konföderationsakte garantierte ständische Konsensbildung mit Zwangsmechanismen und Gewaltanwendung, ohne welche langfristige Kriegsfinanzierung und der miles perpetuus im 17. Jahrhundert kaum denkbar waren, hätte verbinden lassen, ist eine nur hypothetisch zu beantwortende Frage. In den sozioökonomischen Gegebenheiten der böhmischen Länder80 wären die verstetigten Kriegslasten letztendlich wohl zwangsweise auf eben jene abgewälzt worden, denen sie dann auch tatsächlich aufgebürdet wurden: die ländliche und die städtische Bevölkerung. War einmal die Kriegsfurie entfesselt und wurde die Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten ausgeschaltet wie in der Konfrontation zwischen der Habsburgerdynastie und ihren Ländern, führte an der Verwüstung, Verarmung und Verelendung der böhmischen Länder durch Krieg, Erpressung von Geld und erzwungene Militärverpflegung mit nachhaltigen strukturellen Folgen für die Herrschaftsverhältnisse auf allen Ebenen wohl kein Weg vorbei.

v dějinách [Machtambitionen in der Geschichte], hg. von dems. (Acta Societatis Scientiarum Bohemicae 1, Praha 2015) 59–101. 78 Thomas Winkelbauer, Nervus Belli Bohemici. Die finanziellen Hintergründe des Scheiterns des Ständeaufstands der Jahre 1618 bis 1620. FHB 18 (1997) 173–223. 79  Wie Anm. 4. 80  Vgl. Eduard Maur, Die wirtschaftliche, soziale und demographische Entwicklung Böhmens 1648– 1750, in: Polen und Österreich im 17. Jahrhundert, hg. von Walter Leitsch–Stanisław Trawkowski (Wiener Archiv für Geschichte des Slawentums und Osteuropas 18, Wien–Köln–Weimar 1999) 68–108.

Ein vergessenes Territorium des Dreißigjährigen Krieges? Die Länder der ungarischen Krone im großen Krieg Europas: Forschungsresultate und -desiderata Géza Pálffy

1. Die bisherige Forschung: Ungarn in den neueren Zusammenfassungen Wie Forschungen der vergangenen Jahrzehnte belegen, spielten die Länder der ungarischen Krone (Stephanskrone) in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts für die zusammengesetzte Habsburgermonarchie in Mitteleuropa in vielerlei Hinsicht eine herausragende Rolle. Ungarn und Kroatien wurden in dieser Zeit zum Bollwerk gegen die Osmanen, das Königreich Ungarn galt nach der Schlacht bei Mohács 1526 auch als wichtigster Kriegsschauplatz der Monarchie, insbesondere zur Zeit der großen Feldzüge des Sultans Süleyman (1520–1566) und später des Langen Türkenkrieges (1591–1606). Wie Tabelle 1 zeigt, blieb Ungarn auch aus finanzieller und wirtschaftlicher Sicht eine Schlüsselregion für die Habsburger. Sein verbliebenes Territorium nach dem osmanischen Vorstoß war in etwa so groß wie die österreichischen und die böhmischen Länder und eine wichtige Einnahmequelle der Habsburger sowie eine unentbehrliche Speisekammer Mitteleuropas, obwohl es ein Grenzland geworden war1. Tabelle 1: Die Länder der Stephanskrone, die österreichischen Erblande und die Länder der Böhmischen Krone in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Vergleich Länder der Stephanskrone

Österreichische Erblande

Länder der Böhmischen Krone

Gebiet in km2

etwa 120 000

110.000

125.000

Bevölkerungszahl

1 800 000

jährliche Staatseinkünfte etwa 750–850.000 in rheinischen Gulden

2,390.000

2,950.000

etwa 800–900.000

etwa 700.000

1 Géza Pálffy, The Kingdom of Hungary and the Habsburg Monarchy in the Sixteenth Century (East European monographs 735, New York 2009) 89–155; ders., Bollwerk und Speisekammer Mitteleuropas (1526–1711), in: Auf der Bühne Europas. Der tausendjährige Beitrag Ungarns zur Idee der Europäischen Gemeinschaft, hg. von Ernő Marosi (Budapest 2009) 100–124; zur Bollwerksrolle neuerdings: The Battle for Central Europe. The Siege of Szigetvár and the Death of Süleyman the Magnificent and Nicholas Zrínyi (1566), hg. von Pál Fodor (Leiden–Boston 2019).

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Géza Pálffy

In Kenntnis all dieser Angaben muss es als bemerkenswert erscheinen, dass deutsche wie englischsprachige Zusammenfassungen neueren Datums über den Dreißigjährigen Krieg Ungarn und Kroatien selten erwähnen2. Wenn darin Ungarn kurz aufblitzt, geht es lediglich um einzelne Feldzüge der siebenbürgischen Fürsten Gabriel Bethlen (1580– 1629) und Georg I. Rákóczi (1593–1648) gegen die Habsburger in Ungarn, und dabei oft sogar mit falschen Daten und mit zwiespältiger Beurteilung3. Vor diesem Hintergrund scheint es fast so, als ob das Königreich Ungarn in den Jahren 1610 bis 1640 von der Landkarte der Monarchie verschwunden und zugleich zu einem vergessenen Territorium des großen europäischen Krieges geworden wäre. Dies könnte zunächst mit den bekannten Sprachbarrieren erklärt werden, die sich für deutschsprachige und angelsächsische Forscher beim Studium der ungarischen Fachliteratur ergeben; die Situation ist jedoch komplizierter. In der vorliegenden Studie soll es deshalb um zwei Fragen gehen: Zum einen darum, wie sich Ungarns Lage innerhalb der Habsburgermonarchie während des Dreißigjährigen Krieges veränderte; zum anderen um die wichtigsten Folgen der kriegerischen wie der politischen Ereignisse in Ungarn, die zweifelsohne eng mit den Kämpfen der siebenbürgischen Fürsten gegen die Habsburger verbunden waren4.

2. Ein Wendepunkt in der ungarischen Interpretation: Von nationalromantischen Konzeptionen zum transnationalen Rahmen Vor der Erörterung der wichtigsten Veränderungen zwischen 1618 und 1648 in Ungarn ist es auf jeden Fall erforderlich, auf die Ergebnisse jüngster ungarischer Forschungen und auf die in den letzten 50 Jahren eingetretenen Paradigmenwechsel einzugehen. Die ungarische Geschichtsschreibung betrachtete in den Jahren zwischen 1950 und 1970 die habsburgfeindlichen Feldzüge der siebenbürgischen Fürsten als Unabhängigkeitskampf, und zwar gegen die „deutschen Unterdrücker”, die „österreichischen Kolonialisten” und die „imperialistischen Habsburger” – darin folgte sie Ansichten der in der zweiten 2  Ohne Anspruch auf Vollständigkeit die neuesten Zusammenfassungen aus dem letzten Halbjahrzehnt: Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg (Neue Historische Bibliothek 1542, Frankfurt/Main 92015); Axel Gotthard, Der Dreißigjährige Krieg. Eine Einführung (UTB 4555, Köln–Weimar–Wien 2016); Christian Pantle, Der Dreißigjährige Krieg. Als Deutschland in Flammen stand (Berlin 2017); Frauke Adrians, Der Dreißigjährige Krieg. Zerstörung und Neuanfang in Europa (Berlin 2017); Gustav Freytag, Der Dreißigjährige Krieg (Köln 2017); Herfried Münkler, Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma, 1618–1648 (Berlin 2017); 1618. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, hg. von Robert Rebitsch (Wien–Köln–Weimar 2017); Georg Winter, Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (o. O. 2017); Georg Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg (München 2018); Ders., Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (München 2018); Der Dreißigjährige Krieg. Facetten einer folgenreichen Epoche, hg. von Peter C. Hartmann–Florian Schuller (Regensburg 2018); Johannes Burkhardt, Der Krieg der Kriege. Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (Stuttgart 2018); Hans Medick, Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt (Göttingen 2018). 3  Als Ausnahme mit ausführlichen Angaben Peter H. Wilson, Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie (Darmstadt 2017) 369–376, 410–418, 476–485, 803–805; aus der deutschen Literatur vgl. noch Thomas Brockmann, Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte N. F. H. 25, Paderborn 2011) 109f., 115f., 131f., 138–144, 237–243, 256f. 4  Das Thema wurde im Rahmen des sog. „Lendület“-Projekts „Heilige-Krone“ des Instituts für Geschichte des Forschungszentrums für Humanwissenschaften der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest bearbeitet.



Ungarn: Ein vergessenes Territorium des Dreißigjährigen Krieges? 77

Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen nationalen Romantik5. Diese politisch motivierte Sicht änderte sich in Fachkreisen bereits in den 1980er Jahren. Demnach kämpften Bethlen und Rákóczi nicht für die ungarische nationale Unabhängigkeit, sondern für eine Wiedervereinigung der Gebiete des nach 1526 bzw. 1541 dreigeteilten historischen Ungarn6. Obwohl die vorhin genannte Unabhängigkeitstheorie heutzutage, geleitet von aktuellen politischen Zielen, nur noch von Politikern zur Sprache gebracht wird, lebt das Narrativ von der Landesvereinigung im ungarischen Geschichtsunterricht noch immer fort. Einen guten Beweis dafür liefert das im Herbst 2014 erschienene neue Geschichtslehrbuch für die sechste Klasse der Grundschule, wonach zum Beispiel „die wichtigste politische Bestrebung des siebenbürgischen Fürsten Gabriel Bethlen darin bestand, das in drei Teile zerfallene Ungarn wiederzuvereinigen”7. Beide Ansätze haben heute in Wissenschaftskreisen wenig Anhänger. Die Mehrheit der Experten ist darum bemüht, die Ereignisse im Rahmen des europäischen diplomatisch-militärischen Geschehens und des Verhältnisses der Habsburgermonarchie und des Osmanischen Reiches zu interpretieren, die Ungarns Territorium untereinander aufteilten. In jüngster Zeit entstanden grundlegende Monographien und Studienbände zu den europäischen und osmanischen Verbindungen Gabriel Bethlens, zu seinen Modernisierungsbestrebungen und zu seiner siebenbürgischen Hofhaltung, zu den deutschsprachigen Druckerzeugnissen seiner Zeit, zu seinem Image wie zu seiner Propaganda sowie zu Bethlens und Rákóczis Diplomatie8. Diese Publikationen erschienen allerdings mehrheitlich in ungarischer Sprache; als wichtige Ausnahmen sind das Bethlen-Themenheft des Hungarian Historical Review und eine zusammenfassende französische Biographie des Fürsten aus dem Jahre 2013 zu nennen9. Vor diesem Hintergrund verwundert es dann 5   Siehe vor allem Aladár Mód, 400 év küzdelem az önálló Magyarországért [400 Jahre Kämpfe für die Unabhängigkeit Ungarns] (Budapest 71954) bzw. dessen Ausgabe in Tschechisch: Ders., 400 let bojů za nezávislost Maďarska [400 Jahre Kämpfe für die Unabhängigkeit Ungarns] (Praha 1955); László Nagy, Bethlen Gábor a független Magyarországért [Gabriel Bethlen im Kampf für die Unabhängigkeit Ungarns] (Budapest 1969); Béla Köpeczi, The Hungarian Wars of Independence of the Seventeenth and Eighteenth Centuries in Their European Context, in: From Hunyadi to Rákóczi. War and Society in Late Medieval and Early Modern Hungary, hg. von János M. Bak–Béla K. Király (War and Society in Eastern Central Europe 3, Brooklyn 1982) 445–455. 6  Magyarország története tíz kötetben [Ungarns Geschichte in zehn Bänden], hg. von Zsigmond Pál Pach–Ágnes R. Várkonyi, Bde. 3/1–2, Magyarország története 1526–1686, Bd. 2, 1043–1155 [Ungarns Geschichte 1526–1686] (Budapest 21987); Ágnes R. Várkonyi, A Királyi Magyarország 1541–1686 [Das Königliche Ungarn 1541–1686] (Budapest 1999) 70–90. 7  Márk Sólyom–Lajos Nagy–Géza Tarnóczai, Történelem. Tankönyv 6 [Geschichtslehrbuch 6] (Budapest 2014) 87. 8  Gábor Kármán, Erdélyi külpolitika a vesztfáliai béke után [Siebenbürgische Außenpolitik nach dem Westfälischen Frieden] (Budapest 2011); Bethlen Gábor és Európa [Gabriel Bethlen und Europa], hg. von Gábor Kármán–Kees Teszelszky (Budapest 2013); Bethlen Gábor képmása [Das Porträt von Gabriel Bethlen], hg. von Klára Papp–Judit Balogh (Speculum Historiae Debreceniense 15, Debrecen 2013); Bethlen Erdélye, Erdély Bethlene [Gabriel Bethlens Siebenbürgen, Siebenbürgens Gabriel Bethlen], hg. von Veronka Dáné–Ildikó Horn–Mária Lupescu Makó (Kolozsvár 2014); Krisztina Varsányi, „Hírlik, hogy Bethlen…“ Bethlen Gábor fejedelem a Német-római Birodalom korabeli nyilvánossága előtt a német nyelvű nyomtatványok tükrében [„Es verbreitet sich, dass Bethlen...“. Fürst Gabriel Bethlen vor der zeitgenössischen Öffentlichkeit des Heiligen Römischen Reiches im Spiegel von deutschsprachigen Drucken] (Budapest 2014), bzw. die neueste Kurzbiographie von Bethlen: Teréz Oborni, Bethlen Gábor [Gabriel Bethlen] (Sorsfordítók a magyar történelemben [Bedeutendste Persönlichkeiten in der ungarischen Geschichte], Budapest 2017); vgl. noch Gábor Kármán, Confession and Politics in the Principality of Transylvania, 1644–1657 (Göttingen 2020) (in Vorbereitung). An dieser Stelle danke ich herzlich Gábor Kármán und Balázs Sudár für die dienlichen Ratschläge bei der Verfassung des Beitrages bzw. für die Manuskripte ihrer vor dem Druck stehenden Werke. 9   Bethlen: The Prince of Transylvania = Hungarian Historical Review 2/4 (2013); Dénes Harai, Gabriel Bethlen. Prince de Transylvanie et roi élu de Hongrie (1580–1629) (Paris 2013).

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wenig, dass ungarische Forschungen keinen Eingang in die neuen internationalen Zusammenfassungen fanden.

3. Die grundlegenden Folgen der Kriegsereignisse im Karpatenbecken Der Dreißigjährige Krieg betraf Ungarns Territorium in zwei bedeutenderen Phasen: zum einen in der Periode zwischen 1619 und 1626, als der siebenbürgische Fürst Gabriel Bethlen im Bündnis mit den böhmischen Aufständischen vier größere Feldzüge (1619, 1621, 1623, 1626) gegen Kaiser Ferdinand II. unternahm10. Die ersten drei davon waren Teil des Böhmisch-Pfälzischen Krieges; ihr Umfang ist aus der Karte erkennbar. Zum anderen zog Fürst Georg I. Rákóczi in den Jahren 1644 und 1645 aufgrund eines im November 1643 mit den Schweden in Siebenbürgisch Weißenburg/Karlsburg/Gyulafehérvár/Alba Iulia geschlossenen Bündnisses gegen Kaiser Ferdinand III.; ein Unternehmen, das in den Rahmen des Schwedisch-Französischen Krieges gehörte11. Es ist wichtig zu unterstreichen, dass die Kriege – bis auf die ersten beiden Feldzüge – relativ schnell durch Friedensverträge beendet wurden: zur Jahreswende 1621/1622 in Nikolsburg/Mikulov in Mähren, dann Anfang Mai 1624 in Wien, im Dezember 1626 in Pressburg/Pozsony/ Bratislava und nach längeren Friedensverhandlungen schließlich Mitte Dezember 1645 in Linz12. Dabei ist hervorzuheben, dass Kroatien durch den Dreißigjährigen Krieg territorial nicht betroffen war, obwohl kroatische Söldner und Grenzsoldaten von der Militärgrenze in beachtlicher Anzahl auf verschiedenen Kriegsschauplätzen in kaiserlichem Sold standen13. In den 30er Jahren, d. h. nach dem mit Bethlen geschlossenen Pressburger Frieden von 1626, traf das auch auf ungarische Soldaten zu. Auch von ihnen nahmen Tausende an kaiserlichen Kriegszügen in böhmischen und deutschen Gebieten teil, d. h. sie wurden in größerer Anzahl vom osmanischen auf den westlichen Kriegsschauplatz der Monarchie transferiert14. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass der An10   Trotz der problematischen Gesamtkonzeption immer noch grundlegend: Nagy, Bethlen (wie Anm. 5); aus der deutschsprachigen Literatur Peter Broucek, Kampf um Landeshoheit und Herrschaft im Osten Österreichs 1618 bis 1621 (Militärhistorische Schriftenreihe 65, Wien 1992); ders., Der Feldzug Gabriel Bethlens gegen Österreich 1623. JbLkNÖ 59 (1993) 7–26. 11 Alexander Szilágyi, Gabriel Bethlen und die schwedische Diplomatie (Budapest 1882); neuerdings siehe Gábor Kármán, Gustav II Adolph and the Princes of Transylvania, in: Transylvania in the Thirty Years War, hg. von Gábor Kármán (Budapest 2020) (in Vorbereitung). 12  Roderich Gooss, Österreichische Staatsverträge. Fürstentum Siebenbürgen (1526–1690) (VKNGÖ 9, Wien 1911) 515–562, Nr. 61/A–F (Nikolsburg), 562–574, 591–609, Nr. 65/A–C (Wien), 618–630, Nr. 68/A–D (Pressburg), 718–784, Nr. 75/A–G (Linz); bzw. Gerald Volkmer, Siebenbürgen zwischen Habsburgermonarchie und Osmanischem Reich. Völkerrechtliche Stellung und Völkerrechtspraxis eines ostmitteleuropäischen Fürstentums 1541–1699 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 56, München 2015) insbes. 335–357. 13  Aladár Ballagi, Wallensteins kroatische Arkebusiere 1623–1626 (Budapest 1884); Ernest Bauer, Hrvati u tridesetgodišnjem ratu [Kroaten im Dreißigjährigen Krieg] (Redovno izdanje Matice hrvatske, Zagreb 1941); Damir Stanić, Who were those terrible Croats? On the origins of Croatian Soldiers in the Thirty Years’ War ([Manuskript] Zagreb 2019). 14  Gábor Várkonyi, Magyar katonák a harmincéves háború európai hadszínterein [Ungarische Soldaten auf den Kriegsschauplätzen des Dreißigjährigen Krieges]. Hadtörténelmi Közlemények 105/2 (1992) 149–151; István Czigány, Reform vagy kudarc? Kísérletek a magyarországi katonaság beillesztésére a Habsburg ­Birodalom haderejébe 1600–1700 [Reform oder Fiasko? Versuche zur Integration des ungarischen Militärs in die stehende Armee der Habsburgermonarchie 1600–1700] (A Hadtörténeti Intézet és Múzeum millenniumi könyvtára 4, Budapest 2004) 79–85.

Karte 1: Die Feldzüge der siebenbürgischen Fürsten in Ungarn (1619–1645) (Entwurf Géza Pálffy)

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führer der ungarischen und kroatischen Söldner, Nikolaus Zrínyi/Zrinski (1620–1664) am 26. Jänner 1646 den Generalfeldwachtmeistertitel für das kaiserliche Heer zuerkannt bekam – nach bisherigem Kenntnisstand war er der erste ungarische bzw. kroatische Aristokrat, der diesen Titel trug, wie es auch sein frühestes Porträt von Elias Wideman (1619– 1652) aus dem Jahr 1646 zeigt: „per EXERC[ITUS] GER[MANI]cos VIG[ILIARUM] SVP[REMUS] PRAEF[ECTUS]”15. All dies veranschaulicht, dass Ungarn und Kroatien aus der Sicht der Habsburger in der Zeit des großen europäischen Konflikts nur noch Nebenkriegsschauplätze waren. Das bedeutete eine große Veränderung im Vergleich zum 16. Jahrhundert, als zumeist die Länder der Stephanskrone den wichtigsten Kriegsschauplatz der Monarchie bildeten. Davon zeugt ebenfalls, dass der Wiener Hof alles daransetzte, den Frieden mit der Hohen Pforte in Ungarn aufrechtzuerhalten, wie dies die regelmäßigen Bestätigungen bzw. Verlängerungen des habsburgisch-osmanischen Friedenvertrags von Zsitvatorok seit 1606 verdeutlichen. Diese wurden nun aber nicht mehr auf dem Gebiet des Osmanischen Reiches unterzeichnet, wie noch im 16. Jahrhundert. Jeweils nach der Inthronisierung eines neuen Sultans oder nach ernsthafteren Verletzungen des Friedensvertrages wie während der Feldzüge von Bethlen in Ungarn erfolgte dies 1615 in Wien, 1618 in Komorn/ Komárom/Komárno, 1625 in Gyarmat, dann 1627 und 1642 an einem symbolischen Ort, nämlich in Szőny an der Donau (im Komitat Komorn), einer Ortschaft, die direkt an der Grenze und symbolisch betrachtet zwischen den beiden Großmächten lag16. Die ungarische und kroatische Türkenabwehr als Bollwerk im großen europäischen Krieg bestand zwar natürlich weiter, verlor aber im Vergleich zum 16. Jahrhundert in beachtlichem Maße an Relevanz17. Zudem waren die Habsburger gezwungen, in den erwähnten Friedensverträgen von Nikolsburg 1622 und von Linz 1645 auf den östlichsten Teil Ungarns und damit auf einen Teil des oberungarischen Grenzgeneralats, nämlich die Grenzfestungen von Kaschau/Kassa/Košice und Toggai/Tokaj bis Sathmar/Szatmár/Satu Mare und die Gebiete der sieben ostungarischen Komitate Borsod, Abaúj, Zemplén, Saboltsch/Szabolcs,

15 Géza Pálffy, Verschiedene Loyalitäten in einer Familie. Das kroatisch-ungarische Geschlecht Zrinski/ Zrínyi in der „supranationalen“ Aristokratie der Habsburgermonarchie im 16. und 17. Jahrhundert, in: Militia et Litterae. Die beiden Nikolaus Zrínyi und Europa, hg. von Wilhelm Kühlmann–Gábor Tüskés–Sándor Bene (Frühe Neuzeit: Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 141, Tübingen 2009) 25–27 (Abb. 2). 16  Mit älterer Literatur: Gustav Bayerle, The Compromise at Zsitvatorok. Archivum Ottomanicum 6 (1980) 5–53; Karl Nehring, Adam Freiherrn zu Herbersteins Gesandtschaftsreise nach Konstantinopel. Ein Beitrag zum Frieden von Zsitvatorok (1606) (Südosteuropäische Arbeiten 78, München 1983); „Einigkeit und Frieden sollen auf Seiten jeder Partei sein.“ Die Friedenschlüsse von Wien (23.06.1606) und Zsitvatorok (15.11.1606), hg. von János Barta–Manfred Jatzlauk–Klára Papp (Debrecen 2007), Ferencz Salamon, Két magyar diplomata a tizenhetedik századból [Zwei ungarische Diplomaten aus dem 17. Jahrhundert] (Pest 1867); neuerdings Mahmut Halef Cevrioğlu, Garmat (1625) ve Sön (1627) Muahedeleri [Die Friedensverträge von Gyarmat (1625) and Szőny (1627)]. Ege ve Balkan Araştırmaları Dergisi/Journal of Aegean and Balkan Studies 3/2 (2016) 67–86; Gergely Brandl–Csaba Göncöl–Krisztina Juhász–Ernő Gellért Marton–János Szabados, Válogatott források az 1627. évi szőnyi békeszerződés történetéhez [Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Friedensvertrags zu Szőny 1627]. Lymbus (2017) 151–203. 17 Géza Pálffy, The Origins and Development of the Border Defence System against the Ottoman Empire in Hungary (Up to the Early Eighteenth Century), in: Ottomans, Hungarians, and Habsburgs in Central Europe. The Military Confines in the Era of the Ottoman Conquest, hg. von Géza Dávid–Pál Fodor (The Ottoman Empire and its Heritage, Politics, Society and Economy 20, Leiden–Boston–Köln 2000) 3–69, hier 56–60.



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Sathmar/Szatmár, Bereg und Ugocsa zu verzichten18. Lediglich das Komitat Ung bildete eine Ausnahme, in dem die bis zum Schluss habsburgtreue Familie Homonnai Drugeth entscheidende Positionen (Obergespanamt und Burgen) inne hatte19. Dies bedeutete zusammengefasst, dass das Gebiet des von den Habsburgern regierten Königreichs Ungarn etwa um 20.000 km2, d. h. etwa um ein Fünftel, schrumpfte. Diese Territorien besaß zunächst Bethlen von 1622 bis zu seinem Tode 1629, später Rákóczi in Folge des Friedens von Linz von 1645 ebenfalls bis zu seinem Tode 1648. Mehr noch, die Söhne des Letzteren durften die Komitate Saboltsch und Sathmar noch ein Jahrzehnt lang, bis 1659, behalten. In direktem Verhältnis dazu verringerten sich auch die Einnahmen des Königreichs, die inmitten der Kriegsereignisse auch aus anderen Gründen zurückgingen. Wegen der häufigen Feldzüge stockte der Außenhandel, der im 16. Jahrhundert erhebliche Bedeutung für die ungarische Wirtschaft gehabt hatte, was freilich auch damit zusammenhing, dass der früher blühende Vieh- und insbesondere Ochsenhandel mit süddeutschen und böhmischen Gebieten wegen des großen Krieges zurückging20. Zum wirtschaftlichen Verfall trug neben den Kriegszerstörungen auch die Tatsache bei, dass Bethlens Truppen die sog. niederungarischen Bergstädte entlang des Flusses Gran/Garam/Hron mehrmals einnahmen. So gelangte Ungarns wichtigste Münzstätte Kremnitz/Körmöcbánya/Kremnica von 1619 bis 1622, später für kurze Zeit auch 1623/1624, unter die Kontrolle des Fürsten, sodass er auch auf die Einkünfte der Münze Zugriff hatte. Auch die Kontrolle der Zipser Kammer in Kaschau fiel von 1619 bis 1629 an Bethlen21. Dabei nahm der Fürst die Bergstädte 1623 nicht nur ein, sondern ließ alle beweglichen Werte – Gold, Silber, Kupfer, sogar die Maschinen der Münzprägeanstalt – nach Siebenbürgen abtransportieren, die Handwerkmeister nach Kaschau und Siebenbürgen bringen22. Die Folge war, dass in den 1620er Jahren Ungarns Rolle als wichtige Einnahmequelle der Habsburger und als Speisekammer Mitteleuropas deutlich zurückging23. Zu Recht stellt sich die Frage: Warum ließ sich der Kaiser als Oberhaupt der Habsburgerdynastie im Laufe der Verhandlungen in Nikolsburg ebenso wie später in Linz auf 18  Imre Lukinich, Erdély területi változásai a török hódítás korában 1541–1711 [Territoriale Veränderungen Siebenbürgens zur Zeit der osmanischen Eroberung, 1541–1711] (Budapest 1918) 271–286, 311–315; Katalin Péter, The Golden Age of the Principality (1606–1660), in: History of Transylvania, hg. von Béla Köpeczi et al. Bd 2, From 1606 to 1830 (New York 2002) 80–82, 125–127; Volkmer, Siebenbürgen (wie Anm. 12) 335–357. 19  Zoltán Fallenbüchl, Magyarország főispánjai/Die Obergespane Ungarns 1526–1848 (Budapest 1994) 105f. 20 Vera Zimányi, Economy and Society in Sixteenth- and Seventeenth-Century Hungary (1526–1650) (Studia Historica 188, Budapest 1987); Zsigmond Pál Pach, Hungary and the European Economy in Early Modern Times (Collected Studies 469, Aldershot 1994); Lajos Gecsényi, Handelsbeziehungen zwischen Ungarn und den süddeutschen Städten am Anfang der Frühen Neuzeit, in: Bayern – Ungarn. Tausend Jahre, Aufsätze zur Bayerischen Landesausstellung 2001. Vorträge der Tagung „Bayern und Ungarn im Mittelalter und in der frühen Neuzeit“ in Passau 15. bis 18. Oktober 2000, hg. von Herbert W. Wurster–Manfred Treml–Richard Loibl (Passau–Regensburg 2001) 121–136. 21  Jenő Szűcs, A Szepesi Kamarai Levéltár 1567–1813 [Archiv der Zipser Kammer 1567–1813] (A Magyar Országos Levéltár kiadványai I/7, Budapest 1990) 61–63; Zoltán Borbély, Bethlen Gábor tisztviselői Felső-Magyarországon [Beamte Gabriel Bethlens in Oberungarn], in: KoraújkorÁSZ. Koraújkor-történettel fog­lalkozó doktoranduszok tanulmányai [Studien von Doktoranden, die sich mit der Geschichte der Frühneuzeit befassen], hg. von Zsófia Kádár (Budapest 2014) 31–49, hier 34–43. 22  Lajos Huszár, Bethlen Gábor pénzei [Die Münzen von Gabriel Bethlen] (Kolozsvár 1945) 74–77. 23  István Kenyeres, The Fiscal Capacity and War Expenses of Transylvania and the Habsburg Monarchy during the Rule of Gábor Bethlen and Ferdinand II, in: Kármán, Transylvania (wie Anm. 11).

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solch bedeutende Gebietsverluste in Ungarn ein? In erster Linie wohl deshalb, weil er kaum eine andere Wahl hatte. Fürst Gabriel Bethlen betrieb nämlich zum Schaden der Habsburger eine sehr erfolgreiche Politik24. Nachdem er in den ersten Jahren nach seiner Thronbesteigung 1613 mit harter Hand Frieden im Fürstentum gestiftet hatte, trat er 1619 – zu einem für die Habsburger sehr kritischen Zeitpunkt – auf Seiten der böhmischen Aufständischen in den Dreißigjährigen Krieg ein. Da aber Bethlen als Vasall Istanbuls im Allgemeinen keine wirklich eigenständige Außenpolitik betreiben durfte, holte er im Sommer 1619, d. h. vier Jahre nach dem Frieden zu Tyrnau/Nagyszombat/Trnava im Mai 161525, die Erlaubnis der Hohen Pforte dafür ein, mit seinem 18.000 Mann starken Heer gegen Kaiser Ferdinand II. nach Ungarn ziehen zu dürfen26. Damit wollte er einerseits den außenpolitischen Handlungsspielraum seines Fürstentums, andererseits die siebenbürgischen Territorien um östliche Teile des von den Habsburgern regierten Königreichs Ungarn erweitern27. Mit diesem Ziel unterstützte er auch den Kampf der ungarischen Protestanten für die Religionsfreiheit sowie die Stände bei der Verteidigung ihrer Privilegien sehr intensiv. Die Eroberung weiterer Territorien in Ungarn wurde indes vor allem durch die Niederlage der Aufständischen in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag (8. November 1620) verhindert28. Bethlens realpolitischer Weitblick zeigte sich danach darin, dass er bereit war, seine nicht unbeträchtlichen Ambitionen der veränderten Situation anzupassen. Obwohl er im August 1620 auf dem Landtag von Neusohl/Besztercebánya/Banská Bystrica von den ungarischen Ständen zum König gewählt wurde, ließ er sich, selbst als er im Besitz der Stephanskrone war, derer er sich im Herbst 1619 bei der Einnahme Pressburgs/Bratislavas bemächtigt hatte29, nicht zum König krönen. Er erkannte nämlich, dass ein von ihm ausgeübtes Königtum in Ungarn die Besetzung des Königreichs durch die Osmanen zur Folge gehabt und dies wiederum vermutlich seinen baldigen Sturz befördert hätte.   Zum Folgenden siehe in Anm. 8 zitierte Werke über die Regierung Bethlens.  Teréz Oborni, Gábor Bethlen and the Treaty of Nagyszombat (1615). Hungarian Historical Review 2/4 (2013) 761–789. 26 Sándor Papp, Bethlen Gábor, a Magyar Királyság és a Porta (1619–1621) [Gabriel Bethlen, das Königreich Ungarn und die Pforte]. Századok 145 (2011) 915–974; ders., Friedensoptionen und Friedensstrategien des Fürsten Gábor Bethlen zwischen dem Habsburger- und Osmanenreich (1619–1621), in: Frieden und Konfliktmanagement in interkulturellen Räumen. Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit. hg. von Arno Strohmeyer–Norbert Spannenberger (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, Stuttgart 2013) 109–127; vgl. im breiteren Kontext János B. Szabó, „Splendid isolation“? The Military Cooperation of the Principality of Transylvania with the Ottoman Empire (1571–1688) in the Mirror of the Hungarian Historiography’s Dilemmas, in: The European Tributary States of the Ottoman Empire in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, hg. von Gábor Kármán–Lovro Kunčević (Leiden–Boston 2013) 201–339. 27   Zur Situation Siebenbürgens zwischen den Großmächten von 1618 bis 1648 neuerdings: Volkmer, Siebenbürgen (wie Anm. 12); Ágnes R. Várkonyi, Gábor Bethlen and His European Presence. Hungarian Historical Review 2/4 (2013) 695–732; Gábor Kármán, The Hardship of Being an Ottoman Tributary. Transylvania at the Peace Congress of Westphalia, in: Strohmeyer–Spannenberger, Frieden und Konfliktmanagement (wie Anm. 26) 163–183; aus der älteren Literatur Maja Depner [Philippi], Das Fürstentum Siebenbürgen im Kampf gegen Habsburg. Untersuchungen über die Politik Siebenbürgens während des Dreißigjährigen Krieges (Stuttgart 1938); Reinhard Rudolf Heinisch, Habsburg, die Pforte und der Böhmische Aufstand (1618– 1620). SOF 33 (1974) 125–165, 34 (1975) 79–124. 28  Mit weiterer Literatur Olivier Chaline, La bataille de la Montagne Blanche (8 novembre 1620). Un mystique chez les guerriers (Paris 2000). 29  Vgl. Imre Lukinich, Bethlen Gábor és Pozsony városa, 1619–1621 [Gabriel Bethlen und die Stadt Pressburg, 1619–1621]. Századok 55–56 (1921–1922) 1–31, 172–211. 24 25



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Es lohnt sich aber hervorzuheben, dass Bethlens Feldzug im Jahr 1619 zunächst von erheblichen Erfolgen gekrönt war. Mitte Oktober hatte er einen der Schlüssel zur ungarischen Türkenabwehr (Neuhäusel/Érsekújvár/Nové Zámky), die Zentrale der katholischen Kirche Ungarns (Tyrnau/Nagyszombat/Trnava), ja sogar die Hauptstadt des Königreichs, Pressburg, in der Hand. Bald eroberten seine Truppen die Stadt Ödenburg/Sopron in Westungarn und die Festungen nördlich vom Plattensee/Balaton, lediglich Komorn und Raab/Győr bildeten Ausnahmen, sodass die Residenzstadt Wien und Niederösterreich bedroht waren30. Obwohl die fürstlichen Truppen trotz der Heeresreformen kaum für lange Belagerungen geeignet waren31, öffneten viele ungarische Garnisonen und die mehrheitlich protestantischen königlichen Freistädte nach kurzem Zögern ihre Tore. Noch dazu schloss sich etwa die Hälfte der führenden ungarischen Ständevertreter Bethlen an32. Der Fürst nutzte insbesondere die stärker werdende Unzufriedenheit der protestantischen Stände äußerst geschickt aus, denn der Wiener Frieden 1606 und die Beschlüsse des Pressburger Reichstages 1608 wurden in zahlreichen Punkten nicht realisiert, insbesondere was die Religionsfreiheit anging33. Ihre ersten Niederlagen erlitten Bethlens Truppen erst im Herbst 1620, und die Rückeroberung Pressburgs gelang den kaiserlichen Truppen erst im zweiten Anlauf im Mai 1621. Beim ersten Versuch im Oktober 1620 war der namhafte kaiserliche General Henri Duval de Dampierre (1580–1620) gefallen, der im Wiener Minoritenkloster ein Grabdenkmal bekam34. Die habsburgische Herrschaft durchlief also bis zum Triumph am Weißen Berg auch in Ungarn eine schwere Krise: das Königtum stand infrage, die ungarische Hauptstadt fiel, die zum Herrschaftsantritt unentbehrliche Stephanskrone geriet in Bethlens Hände, der sie Mitte November 1620 als politischen Trumpf zunächst nach Altsohl/Zólyom/ Zvolen, dann nach Ostungarn (auf die Burg Ecsed) bringen ließ35. Die ihm verpflichteten ungarischen Stände hingegen formierten sich im Kontext des habsburgfeindlichen Feldzuges des Fürsten zu einer einheitlichen ständischen Bewegung und schlossen sich im 30  Peter Broucek, Der Krieg und die Habsburgerresidenz, in: Wien im Dreißigjährigen Krieg. Bevölkerung – Gesellschaft – Kultur – Konfession, hg. von Andreas Weigl (Kulturstudien: Bibliothek der Kulturgeschichte 32, Wien–Köln–Weimar 2001) 134–142; siehe noch die Studie von Thomas Winkelbauer im vorliegenden Band. 31  János B. Szabó, Gábor Bethlen’s Armies in the Thirty Years War, in: Kármán, Transylvania (wie Anm. 11). 32  Géza Pálffy, Crisis in the Habsburg Monarchy and Hungary, 1619–1622. The Hungarian Estates and Gábor Bethlen. Hungarian Historical Review 2/4 (2013) 733–760. 33  Vgl. Kálmán Benda, Absolutismus und ständischer Widerstand in Ungarn am Anfang des 17. Jahrhunderts. SOF 33 (1974) 85–124; Joachim Bahlcke, Calvinism and Estate Liberation Movements in Bohemia and Hungary (1570–1620), in: The Reformation in Eastern and Central Europe, hg. von Karin Maag (St. Andrews Studies in Reformation History, Aldershot 1997) 72–91; vgl. neuerdings Zsuzsanna Cziráki, Das Siebenbürgen-Konzept der Kriegspartei in Wien von 1611 bis 1616 anhand der schriftlichen Gutachten von Melchior Khlesl. Ungarn-Jahrbuch 31 (2011/2013) 139–179. 34 Géza Pálffy–Richard Perger, A magyarországi török háborúk résztvevőinek síremlékei Bécsben (XVI– XVII. század) [Wiener Grabmäler der Teilnehmer der Türkenkriegen in Ungarn (Datenbank – 16–17. Jahrhundert)]. Fons 5 (1998) 220–222. 35 Géza Pálffy, A Szent Korona Bethlen Gábor erdélyi fejedelem birtokában (1619–1622). Egy koronaitinerárium összeállításának lehetőségeiről [Die Stephanskrone im Besitz des siebenbürgischen Fürsten Gabriel Bethlen (1619–1622). Über die Möglichkeiten der Zusammenstellung eines Kronen-Itinerars], in: A történelem mint hivatás. A Benda-emlékkonferencia előadásai. 2013. november 27 [Geschichte als Berufung. Vorträge auf der Kálmán Benda-Gedenkkonferenz. 27. November 2013], hg. von István M. Szijártó (Budapest 2015) 75–107.

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April 1620 sogar der Konföderation der Aufständischen an36. Und obwohl es den kaiserlichen Einheiten im Laufe des Jahres 1621 unter schweren Verlusten (z. B. dem Tod von General Karl Bonaventura Graf Buquoy [1571–1621] bei Neuhäusel37) gelang, die fürstlichen Truppen allmählich zurückzudrängen, war die Zurückgewinnung der ungarischen Krone in Nikolsburg lediglich durch Überlassung der erwähnten riesigen ostungarischen Gebiete möglich. Daraufhin richtete Bethlen seinen Hof in der noch im Herbst 1619 eingenommenen ungarischen Stadt Kaschau ein38. Obwohl der Frieden von Nikolsburg für Bethlen günstig ausfiel, führte der Fürst – mit osmanischer Zustimmung – bald zwei weitere Feldzüge gegen die Habsburger in Ungarn. Den ersten im Herbst 1623, als er am 17. Oktober erneut Tyrnau einnahm und dann bis nach Südmähren (Hodonín) vorstieß; den zweiten im Herbst 1626, als er jedoch durch die in Ungarn eingetroffenen Truppen Albrecht von Wallensteins (1583–1634) schon in der Nähe des Flusses Ipoly bei Drégelypalánk (Komitat Neugrad/Nógrád) aufgehalten wurde. Da im Sommer 1622 beim Ödenburger Reichstag zwischen den ungarischen Ständen und Wien ein entscheidender Ausgleich erzielt wurde – dazu später mehr –, der Ende 1625 durch die ungarische Krönung Ferdinands III. ebenfalls in Ödenburg bekräftigt wurde, fanden Bethlens weitere Angriffe jedoch seitens der ungarischen Stände keine nennenswerte Unterstützung mehr39. Obwohl der Fürst zu seinen Feldzügen von Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel (1599–1626), Administrator von Halberstadt, motiviert wurde und im Herbst 1626 sogar die von Wallenstein geschlagenen Einheiten Ernst von Mansfelds (1580–1626) eine Zeitlang bei ihm Zuflucht fanden40, wandelten sich seine Feldzüge eher in Raubzüge im Grenzgebiet. Dass der Fürst dabei im Gegensatz zu seinem ersten Feldzug 1619 bei beiden Expeditionen eine beachtliche, etwa 15.000 bis 20.000 Mann starke osmanische militärische Unterstützung erhielt, gab ihnen zudem den Charakter von Türkenkriegen. Geführt wurden die osmanischen Truppen von gesonderten Armeekommandanten, sog. türkischen Serdaren (Sarhoş İbrahim bzw. Mürteza Pascha), die aktiv an den militärischen Operationen teilnahmen. Letzterer überwinterte sogar, höchst ungewöhnlich, bis zum Pressburger Friedensschluss Ende 1626 auf dem Gebiet des Königreiches Ungarn41. Diese beiden 36   Bis heute grundlegend: Kálmán Demkó, A magyar–cseh confoederatió és a beszterczebányai országgyűlés 1620-ban [Die ungarisch-böhmische Konföderation und der Landtag in Neusohl, 1620]. Századok 20 (1886) 105–121, 209–228, 291–308; im größeren Kontext Joachim Bahlcke, Durch „starke Konföderation wohl stabiliert“. Ständische Defension und politisches Denken in der habsburgischen Ländergruppe am Anfang des 17. Jahrhunderts, in: Kontakte und Konflikte. Böhmen, Mähren und Österreich: Aspekte eines Jahrtausends gemeinsamer Geschichte, hg. von Thomas Winkelbauer (Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes 36, Horn–Waidhofen/Thaya 1993) 173–186; ders., Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619) (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3, München 1994) 400–445; siehe noch den Beitrag von Petr Maťa im vorliegenden Band. 37 Olivier Chaline, Les Buquoy, d’Artois en Bohême. Revue des études slaves 78 (2007) 431–450, insbes. 434–436. 38 György Kerekes, Bethlen Gábor fejedelem Kassán 1619–1629 [Fürst Gabriel Bethlen in Kaschau 1619–1629] (Kassa 1943). 39  Géza Pálffy, A Szent Korona Sopronban. Nemzeti kincsünk soproni emlékhelyei [Die Heilige Krone Ungarns in Ödenburg. Ödenburger Gedenkstätten der Stephanskrone] (Sopron 2014) 37–50. 40 Walter Krüssmann, Ernst von Mansfeld, 1580–1626. Grafensohn, Söldnerführer, Kriegsunternehmer gegen Habsburg im Dreißigjährigen Krieg (Historische Forschungen 94, Berlin 2010) 611–626. 41  Neuerdings Balázs Sudár, Iskender and Gábor Bethlen. The Pasha and the Prince, in: Europe and the „Ottoman World“. Exchanges and Conflicts (Sixteenth to Seventeenth Centuries), hg. von Gábor Kármán–



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Feldzüge betrafen freilich nur noch die nördlichen Landesteile, nicht mehr Transdanubien, sodass dort die habsburgische Macht allmählich stabilisiert werden konnte. Die Historiographie des Dreißigjährigen Krieges übersah bislang fast völlig, dass damit in den Jahren 1623 und 1626 in Wirklichkeit zwei kleinere Kriege zwischen den Habsburgern und den Osmanen in Ungarn stattfanden. Hinzu kommt, dass die siebenbürgischen und osmanischen Truppen im Herbst 1623 sogar Südmähren verwüsteten, was später allein in den großen Türkenkriegen 1663 und 1683 der Fall war. Dass die beiden Feldzüge des siebenbürgischen Fürsten so zu Türkenkriegen mutierten, zeigt sich auch daran, dass der Wiener Hof 1624 und 1626 in Wien bzw. Pressburg mit Bethlen Frieden schloss und den Kriegszustand mit der Hohen Pforte 1625 und 1627 in Gyarmat bzw. Szőny beendete42. Trotz der massiven osmanischen Unterstützung brachten die beiden Feldzüge dem siebenbürgischen Fürsten keinen nennenswerten Erfolg und in Ungarn keine bedeutendere Veränderung. Die sieben ostungarischen Komitate blieben bis zu Bethlens Lebensende in seinem Besitz. Erst 1630 wurden sie von seiner Witwe und kurzzeitigen Nachfolgerin, Fürstin Katharina von Brandenburg (1602–1649), an Kaiser Ferdinand II. zurückgegeben. Laut jüngsten Forschungen erfüllte Bethlens im März 1626 in Kaschau geschlossene Ehe, die ein enges Bündnis mit den europäischen protestantischen Kräften (Brandenburg, Schweden und Dänemark) schuf, schließlich nicht die daran geknüpften Hoffnungen. Der Fürst konnte die Möglichkeiten der Allianz nicht nutzen, bekam keine bedeutendere militärische und finanzielle Unterstützung, und noch dazu waren ihm nicht einmal glückliche Ehejahre vergönnt43. Der nächste Fürst von Siebenbürgen, Georg I. Rákóczi, der aus der östlichen Region des Königreichs Ungarn stammte und dort größere Herrschaften (Toggai, Sárospatak, Tarcal, Regéc, Ecsed usw.) besaß, wich von der von den Osmanen vorgegebenen politischen Linie nur selten ab. Allerdings schlug er im Herbst 1636 die mit Stephan Bethlen (1582–1648) als Thronprätendenten aus Ofen/Buda anrückenden osmanischen Truppen, die freilich kaum Unterstützung durch die Hohe Pforte erfuhren, erfolgreich zurück. Nach einem erfolglosen Versuch im Jahr 1637 griff er schließlich 1644 in den Dreißigjährigen Krieg ein44: Mit Zustimmung der Osmanen marschierte er am 12. März 1644 in Kaschau ein. Im Sinne des erwähnten schwedisch-siebenbürgischen Bündnisvertrags von 1643 startete Rákóczi mit ca. 18.000 Soldaten einen Angriff gegen Kaiser Ferdinand III. HierRadu G. Păun (Istanbul 2013) 141–169, bzw. zusammenfassend ders., Ottoman Auxiliary Troops in Gábor Bethlen’s Armies 1619–1626, in: Kármán, Transylvania (wie Anm. 11); über Mürteza Pascha vgl. noch Nedim Zahirović, Murteza Pascha von Ofen zwischen Panegyrik und Historie. Eine literarisch-historische Analyse eines osmanischen Wesirspiegels von Nergisi (El-vaṣfü l-kāmil fī-aḥvāli l-vezīri l-ʻādil). (Leipziger Beiträge zur Orientforschung 25, Frankfurt/Main, 2010); Balázs Sudár, Career of Mürteza Pasha of Buda, in: FS in Honor of Géza Dávid to his 70th Birthday, hg. von Pál Fodor–Nándor Erik Kovács (Budapest 2019) (im Druck). 42  Siehe in Anm. 16 zitierte Literatur, vgl. noch István Hiller, Palatin Nikolaus Esterházy: die ungarische Rolle in der Habsburgerdiplomatie 1625 bis 1648 (Esterházy-Studien 1, Wien–Köln–Weimar 1992) 69–80. 43 Gábor Kármán, Egy diplomáciai zsákutca. Bethlen Gábor házasságkötése Brandenburgi Katalinnal [Eine diplomatische Sackgasse. Gabriel Bethlens Ehe mit Katharina von Brandenburg]. Aetas 30/3 (2015) 9–36. 44 Alexander Szilágyi, Georg Rákóczy I. im 30jährigen Kriege. Ungarische Revue 3 (1883) 237–260; bzw. anhand neuerer Forschungen in Wien und Budapest István Czigány, György Rákóczi I’s 1644–1645 Campaign, in: Kármán, Transylvania (wie Anm. 11); vgl. noch für die ersten Regierungsjahre von Rákóczi: János B. Szabó, Prince György Rákóczi I and the Elite of Ottoman Hungary, 1630–1636, in: Tributaries and Peripheries of the Ottoman Empire, hg. von Gábor Kármán (Leiden 2020) (in Vorbereitung).

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bei führte er teilweise Bethlens antihabsburgische Außenpolitik weiter, zum Teil setzte er sich für die Verteidigung der Religionsfreiheit der Protestanten und der ständischen Privilegien in Ungarn ein45. Als ihm die schwedischen Verbündeten jedoch aufgrund eines dänischen Angriffs auf das schwedische Festland keine Hilfe leisten konnten, erlitt er durch die kaiserlichen Truppen bei Freistadt/Galgóc/Hlohovec (Komitat Neutra/Nyitra) am Fluss Waag eine Niederlage. Deswegen sah er sich bereits im April und Mai 1644 gezwungen, einen erheblichen Teil der von seinen Armeen eroberten Festungen (Lewenz/ Léva/Levice, Fileck/Fülek/Fiľakovo und Szendrő) und zugleich des Königreichs Ungarn den Truppen des ungarischen Palatins Nikolaus Esterházy (1583–1645) zu überlassen. Nach dem bedeutenden Triumph der Schweden in der Schlacht bei Jankau (6. März 1645) befand sich Wien erneut in einer sehr kritischen Situation46. Dies nutzend, konnte sich Rákóczi während des im Frühjahr 1645 gestarteten neuen Feldzugs gegen das Königreich Ungarn (mit ca. 15.000 Soldaten) nach der Einnahme von Tyrnau (28. Mai) letztlich Mitte Juli mit den Truppen des schwedischen Oberbefehlshabers Lennart Torstensson (1603–1651) südlich der mährischen Hauptstadt Brünn vereinigen, diesmal ohne osmanische Hilfstruppen. Von dort musste er sich aber Mitte August aufgrund eines strikten Befehls aus Istanbul zurückziehen. Dennoch erhielt Rákóczi schließlich aufgrund des am 16. Dezember 1645 geschlossenen Friedens von Linz die oben erwähnten sieben Komitate auf Lebenszeit, Saboltsch und Sathmar sogar auf Lebenszeit seiner Kinder; auch der Besitz seiner bedeutenden Güter in Ostungarn wurde ihm bestätigt. Im Gegensatz zu Bethlen gelang es Rákóczi aber nicht, sich der Stephanskrone zu bemächtigen, sie wurde nämlich vom Palatin Nikolaus Esterházy und dem Erzbischof von Gran/Esztergom Georg Lippay (1600–1666) noch Mitte April 1645 – mit Billigung Kaiser Ferdinands III. – in die Festungsstadt Raab in Sicherheit gebracht47. Rákóczis Feldzüge betrafen auch Transdanubien nicht, und von Seiten der ungarischen Stände erhielt er weit weniger Unterstützung als Bethlen, im Wesentlichen von Protestanten. Deshalb konnte er keine einzige Ständeversammlung einberufen und auch keine ungarische Königswahl durchführen lassen. Trotz dieser Tatsachen stärkte der Fürst erfolgreich Siebenbürgens Position zu Lasten des von den Habsburgern regierten Ungarn, indem er das französisch-schwedische Bündnis und den eingeengten Spielraum der Habsburgerdynastie nutzte. Das Königreich Ungarn wurde so für kurze Zeit erneut zu einem Kriegsschauplatz, sein Gebiet und seine Einnahmen gingen wieder beträchtlich zurück, obzwar diesmal nur für drei Jahre bis 1648. Der Tod Georg I. Rákóczis im Oktober 1648 fiel nämlich genau mit der Unterzeichnung des Westfälischen Friedens zusammen, die den großen europäischen Krieg beendete.

  Kármán, Erdélyi külpolitika (wie Anm. 8) 33–71.   Mit weiterer Literatur Peter Broucek, Der Schwedenfeldzug nach Niederösterreich 1645/46 (Militärhistorische Schriftenreihe 7, Wien 31989); Wilson, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 799–803. 47 Géza Pálffy, A legkevésbé ismert menekítés: a Szent Korona az 1663–1664. évi török háború idején [Die Stephanskrone während des Türkenkrieges, 1663–1664], in: A Szent Korona hazatér. A magyar korona tizenegy külföldi útja (1205–1978) [Die Stephanskrone kehrt heim. Die ungarische Krone elf Mal im Ausland (1205–1978)], hg. von dems. (Monumenta Hungariae Historica, Dissertationes, Budapest 2018) 278–283. 45 46



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4. Der Krieg der Kriege in Ungarn: Staaten-, Religions-, Bürger- und Türkenkriege Ausgehend von dem bislang Gesagten kann man Johannes Burkhardts Terminus technicus „Krieg der Kriege“ einerseits wohl auch für die Ereignisse in Ungarn anwenden48, setzte sich doch der Dreißigjährige Krieg auch hier aus einer Reihe kürzerer, zumeist ein Jahr währender Kriege zusammen; er dauerte aber in der Tat lediglich etwa sechs bis sieben Jahre. Wie wir sehen konnten, kam es kaum zu größeren offenen Gefechten oder Belagerungen; dafür waren nicht einmal die modernisierten siebenbürgischen Truppen geeignet. All das unterstreicht freilich, dass die östlichsten Gebiete der Habsburgermonarchie im Verhältnis zum europäischen Krieg als Nebenkriegsschauplätze gelten müssen, auch wenn Ungarn aufgrund der Nähe des alten großen Rivalen, der Osmanen, einen quasi permanenten Nebenkriegsschauplatz darstellte. Man sollte nicht vergessen, dass das osmanische Sandschak-Zentrum Gran nur 200 Kilometer von der Kaiserstadt Wien entfernt lag, und 1623 und 1626 waren die Osmanen in der Lage, allein aus den nahe gelegenen südosteuropäischen und ungarischen Gebieten eine 15.000 bis 20.000 Mann starke Armee zu mobilisieren. Auch deshalb ist es bedauerlich, wenn die Ereignisse auf den ungarischen Kriegsschauplätzen in den neuesten Synthesen zum Dreißigjährigen Krieg fehlen. Auf der anderen Seite kann man im Zusammenhang mit den Ländern der Stephanskrone nicht von einem frühmodernen Staatsbildungskrieg sprechen49, denn die antihabsburgischen Feldzüge der siebenbürgischen Fürsten waren sehr unterschiedlich motiviert, wie aus Tabelle 2 hervorgeht. Dies war schon zu Beginn des Jahrhunderts der Fall gewesen, als die Bewegung Stephan Bocskais (1557–1606) zwischen 1604 und 1606 den abschließenden Teil des Langen Türkenkrieges und zugleich einen Haiduckenaufstand, eine ständische Bewegung und einen Religionskrieg darstellte. Für einen nationalen Unabhängigkeitskampf wird er in der Forschung mittlerweile nicht mehr gehalten50. Ähnlich komplex setzten sich auch die Kampfhandlungen in den 1620er und 1640er Jahren in Ungarn zusammen.

48  Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 2) 15–20; Burkhardt, Der Krieg der Kriege (wie Anm. 2) passim. 49  Vgl. Burkhardt, Der Krieg der Kriege (wie Anm. 2) 89–107. 50  Géza Pálffy, Győztes szabadságharc vagy egy sokféle sikert hozó felkelés? A magyar királysági rendek és Bocskai István mozgalma (1604–1608), [Siegreicher Unabhängigkeitskampf oder ein Aufstand mit vielerlei Erfolgen? Die ungarischen Stände und die Bewegung Stefan Bocskais, 1604–1608] (Századok füzetek 3, Budapest 2009); ders., Bündnispartner und Konkurrenten der Krone. Die ungarischen Stände, Stefan Bocskai und Erzherzog Matthias 1604–1608, in: Ein Bruderzwist im Hause Habsburg (1608–1611), hg. von Václav Bůžek (Opera Historica 14, České Budějovice 2010) 363–399; Sándor Papp, Török szövetség – Habsburg kiegyezés. A Bocskai-felkelés történetéhez [Türkenbündnis – Habsburgerkompromiss. Zur Geschichte des Bocskai-Aufstandes] (Budapest 2014).

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Géza Pálffy

Tabelle 2: Der Krieg der Kriege in Ungarn im Rahmen des Dreißigjährigen Krieges Jahr

Typ des Feldzuges/Krieges

Friedensverträge

Zahl der osmanischen Hilfstruppen

1619

Staaten- und Religionskrieg + ständische Bewegung, Bürgerkrieg

nur Waffenstillstand, 1620: Pressburg



1621

Staaten- und Religionskrieg + ständische Bewegung, Bürgerkrieg

1621/22: Nikolsburg

max. 2.000–3.000

1623

Staaten- und Türkenkrieg, Raubzug, Bürgerkrieg

1624: Wien (Bethlen), 1625: Gyarmat (Osmanen)

15.000–20.000

1626

Staaten- und Türkenkrieg, Raubzug, Bürgerkrieg

1626: Pressburg (Bethlen), 1627: Szőny (Osmanen)

15.000–20.000

1644

Staaten- und Religionskrieg + ständische Bewegung, Bürgerkrieg

nur Friedensverhandlungen, 1644/45: Tyrnau

max. 1.000 (nur in der 2. Hälfte des Jahres)

1645

Staaten- und Religionskrieg + ständische Bewegung, Bürgerkrieg

1645: Linz



Meiner Ansicht nach steht es außer Zweifel, dass die Feldzüge der siebenbürgischen Fürsten gegen die Habsburger samt und sonders auch als Staatenkriege zu betrachten sind, auch wenn diese Kriege vielschichtig waren. Die Fürsten waren nämlich einerseits Herrscher eines seit der Mitte des 16. Jahrhunderts existierenden selbständigen Staates, des Fürstentums Siebenbürgen, obwohl sie andererseits Vasallen der Hohen Pforte waren51. So war Bethlens Kriegszug im Herbst 1619 in der Tat ein Angriff eines Vasallenstaates der Osmanen auf die Habsburgermonarchie, den er im Rahmen der europäischen protestantischen Koalition unternahm. Es ist wesentlich zu bedenken, dass Siebenbürgen von Anfang an ein Teil des europäischen Staatensystems blieb, mit eigenem Ständewesen, mit eigenem Landtag und eigener politischer Elite, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass es zugleich Istanbuls steuerzahlender Vasall war. Für Bethlens Erfolge spielte es eine grundlegende Rolle, dass er im Gegensatz zur Mehrheit seiner Vorgänger und Nachfolger in beiden – sowohl im europäischen wie im osmanischen – Systemen heimisch war und eine äußerst pragmatische Politik betrieb. Im Fall Georg I. Rákóczis – der 1619 einer von Bethlens Oberhauptleuten in Ungarn gewesen war – war die Situation noch komplexer, und zwar dadurch, dass er als einer der größten Grundbesitzer des Königreichs Ungarn, 51  Mit weiterer Literatur Volkmer, Siebenbürgen (wie Anm. 12); Teréz Oborni, The Country Nobody Wanted. Some Aspects of the History of Transilvanian Principality. Specimina Nova: A Janus Pannoninus Egye­ tem Évkönyve I/Sectio mediaevalis 2 (2003) 101–107; dies., From Province to Principality. Continuity and Change in Transylvania in the First Half of the Sixteenth Century, in: Fight Against the Turk in Central-Europe in the First Half of the 16th Century, hg. von István Zombori (Budapest 2004) 165–179; dies., Between Vienna and Constantinople. Notes on the Legal Status of the Principality of Transylvania, in: Kármán–Kunčević, The European Tributary States (wie Anm. 26) 67–89; Sándor Papp, Die Verleihungs-, Bekräftigungs- und Vertragsurkunden der Osmanen für Ungarn und Siebenbürgen. Eine quellenkritische Untersuchung (ÖAW Philosophisch-Historische Klasse, Schriften der Balkan-Kommission 42, Wien 2003).



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noch dazu in der Pufferregion Oberungarn, Ende 1630 zu Siebenbürgens Fürsten ernannt wurde. Im Zuge der siebenbürgischen Feldzüge agierte damit ungarisches Militär auf ungarischem Gebiet, was in nicht geringem Maße die schnellen Erfolge der ersten Feldzüge beider Fürsten sowie auch die Tatsache erklärt, warum jede Expedition gleichzeitig zum Bürgerkrieg wurde, denn es blieb immer eine ebenso einflussreiche wie wehrhafte Gruppierung des ungarischen Adels und der Stände erhalten, die unerschütterlich an der Seite der Habsburger stand. Neben der gesamten ungarischen katholischen Geistlichkeit und den Ständen des Kroatisch-Slawonischen Königreichs gehörten dazu in erster Linie einflussreiche Magnaten vor allem aus den Reihen der Familien Draskovich/Drašković, Erdődy, Frangepan/Frankopan, Esterházy, Pálffy, Zrínyi usw., die im ganzen 17. Jahrhundert die Mehrheit der obersten Landesämter und der wichtigsten militärischen Ämter Ungarns und Kroatiens besetzten52. Wie der gesamte Dreißigjährige Krieg waren auch die Feldzüge in Ungarn zwar nicht ausschließlich, aber doch wesentlich auch Religionskriege53. Dies wird durch mehrere Aspekte sichtbar: Zum einen schalteten sich beide siebenbürgische Fürsten in ein Bündnis mit protestantischer Mehrheit in den Krieg gegen die katholischen Habsburger ein; beide waren selbst überzeugte Protestanten und unterstützten in Siebenbürgen unter den vier Konfessionen des Landes den Katholizismus im geringsten Umfang54. Zum anderen traten sie in Ungarn als Verteidiger des protestantischen Glaubens und der protestantischen Stände auf; den ungarischen Ständen gegenüber begründeten sie damit auch ihre Feldzüge. Zum Dritten bedrohten und vertrieben sie während ihrer Expeditionen die höhere katholische Geistlichkeit, sodass etliche Bischöfe und Äbte in diesen Jahren in Ungarn zu Glaubensflüchtlingen wurden55. Beispielsweise wurde im Herbst 1619 der Großteil des ungarischen Prälatenstandes zu einer mehrjährigen Emigration gezwungen und deren Vertreibung auf der Ständeversammlung im Sommer 1620 in Neusohl in einem gesonderten Gesetzesartikel verankert56. Der Graner Erzbischof Peter Pázmány (1570–1637) und zahlreiche seiner Bischofskollegen fanden Zuflucht in Wien, mehrere auch in Kroatien und Slawonien (etwa in Zagreb und Warasdin/Varasd/Varaždin), die Mitglieder der Propstei Jossau/Jászó/Jasov und des Domkapitels von Erlau/Eger in Ostungarn hingegen in Polen. Dorthin floh auch der nordostungarische Patron der Jesuiten, der Oberstlandesrichter Georg Homonnai Drugeth (1583–1620), mit seiner gesamten Hofhaltung, 52 Zoltán Fallenbüchl, Magyarország főméltóságai 1526–1848 [Oberste Würdenträger Ungarns 1526– 1848] (Budapest 1988); Géza Pálffy, Die Türkenabwehr in Ungarn im 16. und 17. Jahrhundert – ein Forschungsdesiderat. Anzeiger ÖAW 137 (2002) 99–131, hier 118–128. 53 Vgl. Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 2) 128–143. 54  Neuerdings siehe „Eklézsiáknak, egyházi szolgáknak egyetlenegy dajkája“. Tanulmányok Bethlen Gábor egyházpolitikájáról [Studien zur Religionspolitik von Gabriel Bethlen], hg. von Veronka Dáné–István Szabadi (Debrecen 2014); Gábor Kármán, Das „Religions-Gemeng“ in Siebenbürgen im Reisebericht des lutherischen Theologen Conrad Jacob Hiltebrandt. Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 37 (2014) 48–66; ders., Confession and Politics (wie Anm. 8); vgl. noch Mihály Balázs, Tolerant Country – Misunderstood Laws. Interpreting Sixteenth-Century Transylvanian Legislation Concerning Religion. Hungarian Historical Review 2/1 (2013) 85–108. 55  Neuere Forschungen auch zur katholischen Seite: Glaubensflüchtlinge. Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa, hg. von Joachim Bahlcke (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 4, Berlin 2008). 56  Vilmos Frankl [Fraknói], Pázmány Péter és kora [Peter Pázmány und seine Epoche], Bd. 1 (Pest 1868) 536f.; Demkó, A magyar–cseh confoederati (wie Anm. 36) 298–300.

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obwohl er eigentlich gerade Truppen angeworben hatte, um Bethlens Einheiten aus Oberungarn zurückzudrängen57. In Kenntnis all dieser Tatsachen ist es naheliegend, dass in erster Linie protestantische Stände, Adelige und Städte zu den Anhängern der Fürsten von Siebenbürgen gehörten. Damit gerieten die Staaten- und Religionskriege mehrheitlich bald zu ständischen Bewegungen und Aufständen. Gleichzeitig muss man aber auch unterstreichen: Obwohl die oberungarischen, protestantischen Magnaten (z. B. auch Georg Rákóczi selbst) 1619 Bethlen mit Nachdruck zu einem Angriff gegen die Habsburger bewegen wollten, denn der Fürst hatte mehrmals bereits ständische Aufstände durch Feldzüge unterstützt, war es nun gerade umgekehrt. Die ihm angeschlossenen, mehrheitlich protestantischen, ungarischen Stände verwandelten seine Expeditionen wiederholt in ständische Bewegungen, ebenso wie sie später auch zwei Feldzüge Rákóczis in den Jahren 1644 und 1645 äußerst geschickt dafür nutzten, die Religionsfreiheit und ihre ständischen Privilegien zu verteidigen. Eine Ausnahme bedeuteten lediglich Bethlens Kriegszüge in den Jahren 1623 und 1626, deren Unterstützung durch die Stände minimal war. Wie wir sehen konnten, waren dies in der Tat kleinere Türkenkriege und Raubzüge, wovon auch die erwähnten Friedensverträge mit der Hohen Pforte 1625 und 1627 zeugen. In diesem Fall kann man den Religionskriegscharakter verschwindend gering nennen, auch wenn der siebenbürgische Fürst als osmanischer Vasall die Kampfhandlungen im Rahmen des protestantischen Bündnissystems begann bzw. wenn er bis zum Schluss auf militärische Hilfe seiner protestantischen Verbündeten hoffte. Hinzu kommt, dass auf Raubzüge wartende osmanische Einheiten die Mehrheit der Truppen stellten, die vom Nordbalkan und aus dem Osmanischen Ungarn kamen. Ihr Bestand von 15.000 bis 20.000 Mann überstieg die Zahl von Bethlens eigenen Soldaten58. Deshalb wurde jedoch Bethlen in der europäischen Propaganda bei seinen protestantischen Verbündeten gleichzeitig zum engagierten Verteidiger des Protestantismus, bei seinen katholischen Gegnern hingegen zum „Türkischen Fürst und mahometischen Gabriel”, wie dies die ungarische Forschung der letzten Jahre detailliert herausgearbeitet hat59. So gehören die antihabsburgischen Feldzüge in den Jahren 1623 und 1626 in Ungarn gewiss zu den interessantesten, wenn auch fast vergessenen Kapiteln des Dreißigjährigen Krieges.

5. Die Möglichkeiten der ungarischen Ständepolitik Schließlich möchte ich noch auf einen wichtigen Fragenkomplex eingehen, der für die Einbindung des Königreichs Ungarn in die Habsburgermonarchie während des Drei57  Pázmány Peter összegyűjtött levelei [Gesammelte Briefe von Peter Pázmány], Bd. 1, hg. von Ferenc Hanuy (Budapest 1910) 208–290; ÖStA, KA, Protokolle des Wiener Hofkriegsrates, Bd. 248 Reg., fol. 170r, 175v (Pázmány); ÖStA, HKA, Hoffinanz Ungarn, rote Nr. 123, Konv. 1622 Juli, fol. 430r–433v; ebd. Konv. 1622 August, fol. 98r–102r (Jossau), fol. 291r–292r, 514r–523r (Homonnai Drugeth);. neuerdings Zoltán Borbély, A Homonnai Drugeth György vezette Bethlen-ellenes mozgalom nemzetközi hátteréhez [Zur internationalem Hintergrund der gegen Gabriel Bethlen von Georg Homonnai Drugeth geführten Bewegung], in: Dáné et al., Bethlen Erdélye (wie Anm. 8) 295–309. 58   Sudár, Ottoman Auxiliary Troops (wie Anm. 41). 59   Varsányi, „Hírlik, hogy Bethlen…“ (wie Anm. 8); Gábor Almási, The Problem of Ottoman Alliance. Gábor Bethlen the „Turkish“ Prince in Contemporary Propaganda and Politics, in: Kármán, Transylvania (wie Anm. 11); Nóra G. Etényi, The Political Image of Transylvania in the Propaganda of the Holy Roman Empire during the Thirty Years War, in: ebda.



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ßigjährigen Krieges sowie für die Bewertung der Feldzüge der siebenbürgischen Fürsten von grundlegender Bedeutung ist: Wie war die Einstellung der ungarischen Stände zu den Feldzügen der Fürsten Gabriel Bethlen und Georg I. Rákóczi? Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, erhielten nur vier der sechs Feldzüge (1619, 1621, 1644, 1645), und davon auch nur die ersten beiden in wirklich entscheidendem Maße, Unterstützung seitens der ungarischen Stände. Zwischen 1619 und 1621 unterstützte mehr als die Hälfte der ständischen Eliten Bethlens Feldzüge teils aus Überzeugung (das waren in erster Linie die Protestanten und Vertreter Oberungarns), teils unter dem Druck der Waffen oder aus pragmatischen Gründen. Dies bildete die Grundlage für seine Wahl zum ungarischen König Ende August 1620 in Neusohl60. Die Unterstützung der ersten Feldzüge Bethlens resultierte in hohem Maße daraus, dass die 1608 formulierten und durch Gesetze bekräftigten Ziele einzelner Gruppen der Stände nur teilweise realisiert worden waren. Obwohl die Religionsfreiheit zu dieser Zeit in für Mitteleuropa beispielloser Art ein ständisches Privileg in Ungarn darstellte61, wurde sie für die Protestanten nur teilweise realisiert. Auch konnten die weltlichen Stände den Prälatenstand nur teilweise aus den Ämtern verdrängen, obwohl dies 1608 eines ihrer wichtigsten Ziele gewesen war. Die stark zentralisierte Militär- und Finanzverwaltung des Königreiches wurde nicht grundlegend reformiert, was die Unzufriedenheit in den Reihen des überwiegend protestantischen Adels Oberungarns – in Sichtweite von Siebenbürgen – steigerte. Bethlens schnelle militärische Erfolge waren in nicht geringem Maße also gerade dem Umstand zu verdanken, dass die mehrheitlich protestantischen Adeligen und die Städte Lösungen in diesen Fragen von ihm erwarteten. Wer sich dem Fürsten anschloss, zählte für die habsburgische Seite verständlicherweise als Verräter, was das zwischen Ungarn und Wien ohnehin bestehende Misstrauen erneut wachsen ließ. Wer aber der Dynastie die Treue hielt, den entschädigte Wien nachträglich mit Grundbesitz, Ämtern, Gnadengeldern, Provisionen oder anderen Bezügen. Nach dem Frieden von Nikolsburg trat allerdings eine entscheidende Wende in der Beziehung zwischen den Ständen und den Habsburgern ein. Auf dem Ödenburger Krönungsreichstag im Sommer 1622 kam der zweite Ausgleich des 17. Jahrhunderts zwischen dem Wiener Hof und den ungarischen Ständen zustande62. Da die Absicherung des Friedens auf dem ungarischen Kriegsschauplatz für Kaiser Ferdinand II. wegen des Krieges im Reich unbedingt erforderlich war, gab der Herrscher den Ständen, in erster Linie der weltlichen Elite, aber auch den Protestanten, auf zahlreichen Gebieten nach. So kehrte   Pálffy, Crisis in the Habsburg Monarchy (wie Anm. 32) 736–748.   Corpus Juris Hungarici. 1608–1657. évi törvényczikkek [Gesetzesartikel aus den Jahren 1608–1657], hg. von Dezső Márkus (Budapest 1900) 8f.; Péter Tusor, Az 1608. évi magyar törvények a római inkvizíció előtt. II. Mátyás kiközösítése [Die ungarischen Gesetze aus dem Jahre 1608 vor der Römischen Inquisition. Die Exkommunikation von Matthias II.]. Aetas 19/4 (2004) 89–105; Katalin Péter, Religionsangelegenheiten auf den Wiener Friedensverhandlungen, in: Barta–Jatzlauk–Papp, Einigkeit und Frieden (wie Anm. 16) 151– 156; dies., Studies on the History of the Reformation in Hungary and Transylvania (Göttingen 2018), passim. 62   Egy új együttműködés kezdete. Az 1622. évi soproni koronázó országgyűlés [Anfang einer neuen Kooperation. Der ungarische Krönungsreichstag in Ödenburg 1622], hg. von Péter Dominkovits–Csaba Katona (Annales Archivi Soproniensis 1, Sopron–Budapest 2014); Géza Pálffy, Ein vergessener Ausgleich in der Geschichte der Habsburgermonarchie des 17. Jahrhunderts. Der ungarische Krönungsreichstag in Ödenburg/ Sopron, 1622, in: Adel und Religion in der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie. Annäherung an ein gesamtösterreichisches Thema, hg. von Katrin Keller–Petr Maťa–Martin Scheutz (VIÖG 68, Wien 2017) 85–107; bzw. im breiteren Kontext vgl. ders., Jahrhundert von Trennungen und Ausgleichen: Die Geschichte des Königreichs Ungarn im 17. Jahrhundert in einem neuen Licht. HJb 137 (2017) 248–267. 60 61

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die Mehrheit der Stände – bis auf die erwähnten sieben ostungarischen Komitate, die an Bethlen gegangen waren – zu den Habsburgern zurück, was durch die Krönung von Kaiserin Eleonore Gonzaga (1598–1655) zur ungarischen Königin in Ödenburg auch symbolisch zum Ausdruck gebracht wurde63. In Kenntnis dessen ist es verständlich, warum Bethlens Angriff 1623 – ohnehin im Schatten der viele tausend Köpfe zählenden osmanischen Truppen – nicht mehr zu einer ständischen Bewegung werden konnte. Nach den verheerenden Kämpfen 1623 bekräftigten die Stände auf dem nächsten Ödenburger Krönungsreichstag Ende 1625 ihre Loyalität zur Habsburgerdynastie64. Davon zeugten nach der Wahl von Nikolaus Esterházy zum ungarischen Palatin auch die Wahl und schließlich am 8. Dezember 1625 die Krönung von Erzherzog Ferdinand Ernst zu Ungarns König unter dem Namen Ferdinand III. Darüber hinaus wurden in Ödenburg auch die Positionen der Stände, vor allem der katholischen Magnaten und der geistlichen Elite sowie der Beamten gefestigt, die zu dieser Zeit deutlich auf Seiten der Dynastie standen. Der Beichtvater des Kaisers, Guillaume Lamormain (1570–1648), meinte im Dezember 1625 (allerdings wohl etwas übertrieben), dass es seit Menschengedenken keine so große Harmonie zwischen den Ständen und dem Herrscher, den Ungarn und den Deutschen, gegeben hätte65. Die Übereinkünfte aus den Jahren 1622 und 1625 garantierten in ihrer Gesamtheit sowohl den Fortbestand des erstarkten ungarischen Ständestaates in der zusammengesetzten Habsburgermonarchie als auch die stabile Herrschaft der Dynastie in Ungarn. All das engte aber den Spielraum Bethlens in Ungarn beträchtlich ein. Nach 1625 konnten nur mehr die Waffen den Weg für die ungarischen Ambitionen des siebenbürgischen Fürsten freimachen – wie dies im Herbst 1626 erneut versucht wurde. Diese Expedition stieß bei der Mehrheit der Stände wegen ihres Raubzug-Charakters aber auf Ablehnung. Kein Zufall, dass Bethlen daraufhin einsah, dass er sich von seinen protestantischen Verbündeten viel zu weit entfernt hatte. Ohne starke ständische Unterstützung besaß er keine Chance auf durchschlagende Erfolge in Ungarn. Zum Glück für die Habsburger und für das Königreich Ungarn nahm er daher Abstand von weiteren Feldzügen. Dank dieses Umstandes konnte sich die kaiserliche Militärführung danach aktiver auf die deutschen Gebiete des großen Krieges konzentrieren. Die beiden vergessenen Ödenburger Krönungsreichstage 1622 und 1625 waren also in Bezug auf die Habsburgermonarchie und den Dreißigjährigen Krieg gleicherweise von herausragender Bedeutung, sie sollten daher in Zukunft auch in den großen deutsch- bzw. englischsprachigen Zusammenfassungen ihren Platz finden. Der siebenbürgische Fürst Georg Rákóczi richtete am 17. Februar 1644 ein Manifest an die Stände des Königreichs Ungarn, in dem er den Gebrauch der Waffen gegen Kaiser   Pálffy, A Szent Korona Sopronban (wie Anm. 39) 37–39.  Mark Hengerer, Kaiser Ferdinand III. (1608–1657). Eine Biographie (VKNGÖ 107, Wien–Köln– Weimar 2012) 57–64; Az 1625. évi soproni koronázó országgyűlés [Der ungarische Krönungsreichstag in Ödenburg 1625], hg. von Péter Dominkovits–Csaba Katona–Géza Pálffy (Annales Archivi Soproniensis 2, Sopron–Budapest 2019) (im Druck). 65  „A memoria hominum, a seculo dixerim, non fuit similis electio, nec similia comitia, summa quies, summa coniunctio animorum, summus in imperatorem omnium ordinum amor et observantia. Non est vel auditum vel visum, quod aut Ungarus Germanum, aut Germanus Ungarum torve aspexerit, acerbe fuerit allocutus“; Antal Molnár, Egy pápai diplomata történetírói műhelyében. Carlo Caraffa bécsi nuncius az 1625. évi soproni országgyűlésen [Ein päpstlicher Diplomat als Geschichtsschreiber. Der Wiener Nuntius Carlo Caraffa auf dem Ödenburger Reichstag 1625], in: Dominkovits–Katona–Pálffy, Az 1625. évi soproni koronázó országgyűlés (im Druck). 63 64



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Ferdinand III. vor allem mit der Verteidigung ständischer Rechte und mit Beeinträchtigungen der protestantischen Religionsfreiheit als ständischem Privileg begründete66. Trotzdem unterstützten die ungarischen Stände seinen Feldzug kaum. Eine entscheidende Rolle spielte dabei, dass es den von Palatin Nikolaus Esterházy angeführten ungarischen Truppen und den kaiserlichen Einheiten unter Feldmarschall Johann Götz (1599–1645) gelang, vom Sommer 1644 an Rákóczis Armee zurückzudrängen, die ohnehin – im Gegensatz zu Bethlen – nur die nördlichen Gebiete des Landes erreichen konnte. Die ungarischen Stände nutzten beide Feldzüge taktisch äußerst geschickt und aus den Erfahrungen der Jahre 1606 bis 1608 bzw. 1619 bis 1621 heraus. Die Protestanten ließen sich die Religionsfreiheit im Linzer Frieden Ende 1645 nochmals bestätigen und erweitern, und die Stände insgesamt erlangten aufs Neue die Bestätigung ihrer Privilegien und ihrer Positionen in der ungarischen Landespolitik. Da der Frieden auf dem nächsten Pressburger Reichstag 1646/1647 in ein gesondertes Gesetz integriert wurde, kam der dritte Ausgleich des Jahrhunderts zwischen den ungarischen Ständen und dem Wiener Hof zustande67. Dessen ausführliche Aufarbeitung ist die ungarische Geschichtswissenschaft jedoch noch schuldig geblieben68.

6. Fazit: Langfristige Auswirkungen der Feldzüge in Ungarn im Dreißigjährigen Krieg Abschließend lohnt es sich, Bilanz zu ziehen: Welche Veränderungen zeichneten sich in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Beziehungssystem zwischen den Habsburgern und dem Königreich Ungarn ab? Bedeutende Einschnitte, und zwar auf mehreren Gebieten, lassen sich erkennen. Während die Länder der Stephanskrone im 16. Jahrhundert den wichtigsten Kriegsschauplatz, das Bollwerk gegen die Osmanen, eine wichtige Einnahmequelle und die Speisekammer der Monarchie darstellten, wurden sie nach 1618 eindeutig zu einem Nebenschauplatz. Dabei spielten die militärischen Expeditionen der Fürsten von Siebenbürgen eine entscheidende Rolle. Von 1622 bis 1629 und von 1645 bis 1648 gelang es ihnen, etwa ein Fünftel des Territoriums des Königreichs Ungarn (sieben ostungarischen Komitate) ihrem Herrschaftsbereich zuzuschlagen, Gabriel Bethlen hatte zwischen 1619 und 1621 sogar mehr als die Hälfte des Landes eingenommen. Parallel dazu verringerten sich die Einnahmen des Königreichs entscheidend. Eine Zeitlang wurde sogar der Betrieb der Ungarischen Kammer in Pressburg eingestellt und die Kontrolle der Zipser Kammer in Kaschau von Bethlen übernommen. Zum wirtschaftlichen Niedergang trugen zugleich auch die großen Kriegsverwüstungen bei, insbesondere dadurch, dass Bethlens Kriege in den Jahren 1623 und 1626 im Gegensatz zum bisherigen Bild in erster Linie kleinere Türkenkriege und bedeutende Raubzüge waren. Jeder Feldzug stellte gleichzeitig einen Bürgerkrieg dar; der Großteil kann auch als Religionskrieg   Kármán, Erdélyi külpolitika (wie Anm. 8) 33–71.   Zu den Verhandlungen 1646–1647 siehe aus der älteren Literatur: Mihály Zsilinszky, A linczi békekötés és az 1647-ki vallásügyi törvénycikkek története [Der Friedensschluss von Linz und die Geschichte der Gesetzesartikel zu Religionsangelegenheiten im Jahre 1647] (Budapest 1890); Katalin Péter, The Struggle for Protestant Religious Liberty at the 1646–1647 Diet in Hungary, in: Crown, Church and Estates. Central European Politics in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, hg. von R[obert] J[ohn] W[eston] Evans–T[revor] V. Thomas (London 1991) 261–268. 68  An der Herausgabe des Quellenmaterials des Reichstages arbeitet József Bessenyei (Budapest). 66 67

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betrachtet werden. Im Gegensatz zu den Interpretationen der vergangenen 50 Jahre in Ungarn sollte keine Rede mehr von einer Charakteristik als nationale Unabhängigkeitskämpfe sein. Die dichte Folge von Feldzügen hatte auch deshalb außerordentlich negative Auswirkungen, weil Ungarn sich von der gewaltigen Zerstörung im Langen Türkenkrieg um die Wende des 16. zum 17. Jahrhunderts in den 1620er Jahren noch nicht erholt hatte69. Die politischen Zustände waren fragil, die ungarische Wirtschaft fiel zurück, der Außenhandel durchlebte krisenhafte Jahre, weil auch auf den wichtigsten Absatzmärkten, in den süddeutschen und böhmischen Gebieten, stets Kriege tobten. Der Dreißigjährige Krieg war auf diese Weise in seiner Gesamtheit nicht nur eine europäische Katastrophe und ein deutsches Trauma, sondern auch eine ungarische Tragödie70. Das trifft trotz der Tatsache zu, dass die ungarischen Stände die Feldzüge der siebenbürgischen Fürsten außerordentlich geschickt zum Schutz der Religionsfreiheit und ihrer Privilegien auszunutzen wussten und bei Festigung ihrer Positionen im Sommer 1622 in Ödenburg sowie 1647 in Pressburg weitere Kompromisse mit dem Wiener Hof aushandeln konnten71. Das Königreich Ungarn verblieb also während des Dreißigjährigen Krieges insgesamt gesehen in reduzierter Weise, jedoch mit einem erstarkten Ständewesen Teil des mitteleuropäischen habsburgischen Länderkonglomerats. Wegen des wiederholten politischen Schwankens eines Teiles der ungarischen Elite wuchs in dieser Zeit in der Wiener Hofburg allerdings das Misstrauen gegenüber den Ungarn. Noch lange Zeit blieb man aufgrund der Türkengefahr aufeinander angewiesen, doch bestimmten die während des langen europäischen Krieges eingetretenen grundlegenden Veränderungen langfristig das Verhältnis von Wien zu Ungarn. Obwohl die künftige Forschung noch reichlich Themen haben wird – vor allem eine moderne Einschätzung der militärischen Geschehnisse und die weitere Erforschung der sechs ungarischen Reichstage dieser Epoche (1622 Ödenburg, 1625 Ödenburg, 1630 Pressburg, 1634/35 Ödenburg, 1637/38 Pressburg, 1646/47 Pressburg) ebenso wie die ausführliche Aufarbeitung des dritten Ausgleichs des 17. Jahrhunderts im Jahr 1647 –, hoffe ich, mit diesem Beitrag die oftmals vergessene Rolle Ungarns im Dreißigjährigen Krieg deutlicher vor Augen geführt zu haben.

69  Ferenc Szakály, Die Bilanz der Türkenherrschaft in Ungarn. Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 34 (1988) 63–77; Géza Pálffy, The Impact of the Ottoman Rule on Hungary. Hungarian Studies Review [Toronto] 28/1–2 (2001) 109–132. 70 Vgl. Münkler, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 2); Pantle, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 2); Burkhardt, Der Krieg der Kriege (wie Anm. 2); Wilson, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3); Peter Englund, Verwüstung. Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (Reinbek bei Hamburg 42018) passim; vgl. Géza Pálffy, Romlás és megújulás 1606–1703 [Zerstörung und Erneuerung 1606–1703] (Magyarország története [Geschichte Ungarns] 10, Budapest 2009). 71  Im breiteren Kontext vgl. Géza Pálffy, Ewige Verlierer oder auch ewige Gewinner? Aufstände und Unruhen im frühneuzeitlichen Ungarn, in: Die Stimme der ewigen Verlierer? Aufstände, Revolten und Revolutionen in den österreichischen Ländern (ca. 1450–1815), hg. von Peter Rauscher–Martin Scheutz (VIÖG 61, Wien–München 2013) 151–175.

Zwischen den Linien. Die vorderösterreichischen Lande und der Niedergang der habsburgischen Vormachtstellung am Oberrhein Dieter Speck

Die vorderösterreichischen Lande am Oberrhein waren zwischen 1618 und 1648 von allen Erblanden die mit am härtesten vom Krieg betroffenen Länder. Um den Stellenwert dieser Gebiete verstehen zu können, ist zunächst auf die vorderösterreichischen Lande, die Tiroler Linie und den Zusammenhang zwischen deutschen und spanischen Habsburgern einzugehen. Danach sind Ambitionen und Regentschaft Erzherzog Leopolds (1586–1632), der Kriegsverlauf am Oberrhein und die Folgen des Friedens von Münster zu betrachten.

1. Die sog. tirolisch-vorderösterreichische Linie der Habsburger (1379–1665) Die „uralten österreichischen Patrimoniallande“, wie Vorderösterreich genannt wurde, befanden sich im Aargau und im Elsass, mussten aber 1415 nach dem Wegfall des Aargaues neu formiert werden. Die Bezeichnung „Vorlande“ galt für alle Besitzungen jenseits von Arlberg und Fernpass; Elsass, Sundgau, Breisgau, Schwarzwald und die Städte am Hochrhein wurden als die vorderösterreichischen Lande im engeren Sinne zusammengefasst und unterstanden der Ensisheimer Regierung, die ihrerseits als eigenständig beziehungsweise als Außenstelle der Innsbrucker Regierung galt. Davon zu unterscheiden sind die schwäbisch-österreichischen Besitzungen zwischen Schwarzwald und Alpen, die Innsbruck als Kameralherrschaften direkt unterstanden. Die vorderösterreichischen und schwäbisch-österreichischen Gebiete wurden erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer Provinz Vorderösterreich zusammengelegt. Problematisch war, dass alle Besitzungen keinen übergeordneten Rechts- oder Herrschaftstitel besaßen, obwohl es immer wieder Versuche gegeben hatte, diese unter dem Titel eines Herzogs von Schwaben zusammenzufassen. Sie werden daher immer im Plural als „vorderösterreichische Lande“ bezeichnet und waren in rein dynastischer Beziehung mit Tirol verbunden1. 1 Otto Stolz, Geschichtliche Beschreibung der ober- und vorderösterreichischen Lande (Quellen und Forschungen zur Siedlungs- und Volkstumsgeschichte der Oberrheinlande 4, Karlsruhe 1943) 79–98; Ernst Walther Heydendorff, Vorderösterreich im Dreißigjährigen Kriege. MÖStA 12 (1959) 74–142; 13 (1960) 107–195, hier 1 Anlage III; Dieter Speck, Die vorderösterreichischen Landstände. Entstehung, Entwicklung und Ausbildung bis 1595/1602, 2 Bde. (Veröffentlichungen aus dem Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau 29, Freiburg–Würzburg 1994); Dieter Speck, Dominanz – Balance – Kooperation. Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 153/N. F. 114 (2005) 277–355.

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Dieter Speck

Entgegen der Erbfolgepraxis zur gesamten Hand erfolgte nach dem Tod Rudolfs IV. von Habsburg (1339–1365) 1379 die Neuberger Teilung, aus der zwei habsburgische Linien hervorgingen und durch die eine Verbindung der oberrheinischen Gebiete mit Tirol über eine dieser Linien entstand, die 1490 mit dem erzwungenen Herrschaftsverzicht Erzherzogs Sigmund (1427–1496) endete2. 1564 erfolgte wiederum eine Teilung, wobei Erzherzog Ferdinand II. (1529–1595) als jüngster Sohn Kaiser Ferdinands I. Tirol und die Vorlande erhielt und die sog. jüngere tirolische Linie entstand. Da Ferdinand II. keine erbberechtigten Nachkommen hatte, kam es nach längeren Verhandlungen erst 1602 mit Maximilian (1558–1618), Hochmeister des Deutschen Ordens, zu einer Erbregelung, doch mit seinem Tod am 2. November 1618 wiederholte sich die Problemlage. Bemerkenswerterweise intervenierten während beider Vakanzen (1595–1602, 1618–1619) die Tiroler und die vorderösterreichischen Stände vehement und verwiesen auf ihre Zusammengehörigkeit. Erzherzog Leopold V. (1586–1632), Bischof von Straßburg und Passau, war 1619 der Ausweg. Doch mit Leopold etablierte sich ein Gubernator, der sich zum Teilherrn und schließlich Landesfürsten aufschwang3 – Leopold erhielt 1623 zunächst ein Drittel, dann 1630 einen Zwei-Drittel-Anteil der vorderösterreichischen Lande als Territorialbesitz4. In der Mitte der 1620er Jahre war eine weitere Linie durchaus im Sinne der Dynastie, da ein Mangel an männlichen Nachkommen drohte5. Mit der Vereinbarung von 1630 waren Tirol und die vorderösterreichischen Lande erbliches Landesfürstentum Erzherzog Leopolds geworden. Das Treffen aller deutschen Habsburger 1631 in Passau kann wohl als symbolischer Akt gesehen werden, der demonstrativ Einigkeit in der Wallfahrt und in der Pietas Austriaca zeigte6. Die Tiroler Linie wurde von den Söhnen Leopolds (Ferdinand Karl, 1628–1662, und Sigismund Franz, 1630–1665) bis 1665 fortgeführt7. Danach fielen die vorderösterreichischen Lande und Tirol wieder an die habsburgische Hauptlinie in Wien8. 2   Karl Josef Seidel, Das Oberelsaß vor dem Übergang an Frankreich. Landesherrschaft, Landstände und fürstliche Verwaltung in Alt-Vorderösterreich (Bonner Historische Forschungen 45, Bonn 1980) 24–27; Stolz, Beschreibung (wie Anm. 1) 51–61. 3  Josef Hirn, Tirols Erbtheilung und Zwischenreich 1595–1602 (AÖG 92, Wien 1903) 272–361; Victor von Renner, Die Erbteilung Kaiser Ferdinands II. mit seinen Brüdern. Zeitschriften des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum Folge 3/Nr. 18 (1873) 197–248, insbes. 200–210; Jean Baptist Ellerbach–Auguste Scherlen, Der Dreißigjährige Krieg im Elsaß (1618–1648), 3 Bde. (Carspach–Mülhausen 1912–1928) 1 169f.; natürlich firmierte zunächst sein Bruder Ferdinand als Senior des Hauses Habsburg, was sich am augenfälligsten in der Ensisheimer Münzprägung zeigte, die 1619 bis 1623 das Konterfei Kaiser Ferdinands II., dann Erzherzog Leopolds V. zeigte; Helmut Klemesch, Die vorderösterreichische Münzstätte Ensisheim (1584–1632) (Wien 2008) 260–290. 4  Seidel, Oberelsaß (wie Anm. 2) 345–355. 5  Leopold pflegte in der Folgezeit auch Kontakte zu Ferdinands Beichtvater, womit sich ebenfalls Absichten unterstellen lassen; Pecho, Fürstbischof (wie Anm. 4) 376. Die Aufnahme in den Orden scheint nicht ganz reibungslos verlaufen zu sein, stabilisierte letztlich aber die Position Leopolds und wertete ihn selbst weiter auf; Sabine Weiss, Erzherzog Leopold V. Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies. Biographische Notizen zu Karriere und Lebenswelt eines frühbarocken Tiroler Landesfürsten (Tiroler Heimat 66, Innsbruck 2002) 29–80, insbes. 72–78; Pecho, Fürstbischof (wie Anm. 4) 403. Franz Sales Kreutter, Geschichte der k.k. vorderösterreichischen Staaten, Bd. 2 (St. Blasien 1790) 292: „Der Kaiser Ferdinand hatte nur zween Prinzen, derer einer sich auch dem geistlichen Stande gewidmet hatte. Das durchlauchtigste Haus stund demnach in einer Gefahr auszusterben. Dieser Umstand bewog unsern Landesbeherrscher von dem geistlichen Stande in den Ehestand zu treten [...] Der spanische König schmückte ihn auch mit dem Goldenen Vließ“. 6  Pecho, Fürstbischof (wie Anm. 4) 398f. 7  Renner, Erbteilung (wie Anm. 3) 203–210. 8  Seidel, Oberelsaß (wie Anm. 2) 27–35.



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Abb. 1: Karte von Vorderösterreich (Entwurf Dieter Speck, Ausführung Niels Riach, 2019)

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2. Spanische und deutsche Habsburger Das Verhältnis zwischen den sog. deutschen und spanischen Habsburgern hinsichtlich des oberrheinischen Besitzes war keineswegs unkompliziert. Schon kurz nach seiner Wahl hatte Kaiser Karl V. mit seinem Bruder Ferdinand I. in Brüssel und in weiteren Geheimvereinbarungen (2. Februar 1522) festgelegt, dass Ferdinand in allen deutschen Erblanden Statthalter Karls sein sollte, aber im Gegenzug auf alle Ansprüche auf die burgundischspanischen Territorien verzichtete. Davon ausgenommen waren nur die Landgrafschaft Elsass, die Grafschaft Pfirt und die Reichslandvogtei, die Ferdinand lediglich auf Lebenszeit zugestanden wurden. Freilich sollte dieser Vertrag solange geheim bleiben, bis Karl förmlich zum Kaiser gekrönt und Ferdinand zum römischen König gewählt war9. Faktisch wurde der Vertrag aber nie realisiert. Karl V. verfolgte auch noch in späteren Jahren die Idee, Spanien mit dem Reich enger zu verknüpfen10, wurde doch die fehlende Landverbindung zwischen den norditalienischen Besitztümern, Burgund und den Niederlanden für die spanischen Habsburger im Laufe der Jahre immer problematischer. Grund war der Niederländische Krieg, der ständig Nachschub an Söldnern aus Italien und Spanien erforderte. Das zu erwartende kinderlose Absterben Kaiser Rudolfs II. veranlasste daher König Philipp III. (1578–1621) zu Beginn des 17. Jahrhunderts, mit den österreichischen Verwandten in Verhandlungen über Ansprüche auf Böhmen zu treten. Den Abschluss bildete eine Vereinbarung, worin Erzherzog Ferdinand von Innerösterreich, der spätere Kaiser Ferdinand II., sich verpflichtete, die Abtretung der Landgrafschaft Elsass und der Landvogteien Hagenau und Ortenau zuzugestehen, der sog. der Oñatevertrag vom 20. März 1617. Diese Absprache wurde jedoch vor dem Kaiser und auch vor Ferdinands Brüdern geheim gehalten, weshalb man berechtigte Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit als Hausvertrag haben kann11. Als Kaiser und neues Familienoberhaupt bestätigte Ferdinand II. den Oñatevertrag 1619 mit der vorgesehenen Abtretung des Elsass aber nicht12. Vielmehr bemühte er sich seit 1621 um den spanischen Verzicht auf die in Aussicht gestellten Abtretungen „in erwägung elsass eines von eltisten patrimonial stücken des hochlöb. Hauses vom Röm. Reich zu lehen rühret und die beiden landvogteien Reichspfandschaften seind“13. Mit den militärischen Erfolgen Gustav Adolfs von Schweden (1594–1632) im Reich seit 1630 geriet der Kaiser zunehmend in Bedrängnis, wobei Spanien seine Unterstützung von der Bestätigung des Oñatevertrages (20. Oktober 1631) abhängig machte, für den Fall, dass die vorderösterreichisch-tirolische Linie aussterben sollte. Selbst wenn man die Abtretung an Spanien wirklich umgesetzt hätte, wären die Landvogteien Hagenau, Ortenau und die vorderösterreichischen Lande Bestandteil des Alten Reiches geblieben. Zeitweise bestanden darüber hinaus Vorstellungen von einer spanisch-niederländischen Sekundogenitur in den Niederlanden und am Oberrhein, was an ein neues burgundisch Karl Brandi, Kaiser Karl V. (Darmstadt 71979) 113f.   Stolz, Beschreibung (wie Anm. 1) 87. 11  Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 114; Otto Gliss, Der Oñatevertrag (Limburg 1933). Die Regelung der Erbfolge im Hause Habsburg und der Nachfolge im Kaisertum. Der Oñate-Vertrag, in: Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, Band 4: Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg 1555– 1648, hg. von Bernd Roeck (Stuttgart 1999) 179–185. 12  Gliss, Oñatevertrag (wie Anm. 11) 26. 13  Zitiert nach Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 115. 9

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niederländisches Zwischenreich erinnern könnte14. Der andauernde Krieg in den Niederlanden konservierte die Bedeutung der kontinentalen Verbindungen über die FrancheComté und Italien für den Söldnernachschub. Nach Auslaufen des Waffenstillstandes 1621 wurde das Problem virulenter, was zeitlich genau in die erste Phase des Dreißigjährigen Kriegs nach der Schlacht am Weißen Berg fiel. Diese Problematik hatte Íñigo Vélez de Guevara, Conde de Oñate (1566–1644) wohl vor Augen, als er die Abtretungsregelungen für das Oberelsass anstrebte und die Landverbindung, die sog. „Spanische Straße“ („camino imperial“) als Landbrücke von Norditalien über die Franche-Comté und Lothringen in die Niederlande, sichern wollte. Zudem waren die Verbindungen durch die Franche-Comté mit den Durchzugsmöglichkeiten über Lothringen durch den Druck Frankreichs immens gefährdet. Als Alternative zu Lothringen stand den spanischen Truppen nur das habsburgische Oberelsass offen, wobei der Oberrhein sowohl als Landweg wie auch mit dem Rhein als Wasserstraße die entscheidende Bedeutung als Transportachse hatte15. Die vorderösterreichischen Lande erhielten daher für die Durchzüge von der Franche-Comté über Graubünden, das Veltlin, das Inntal, den Bodenseeraum und den Hochrhein zentrale Bedeutung16. Die geostrategische Bedeutung des Oberrheins zeigte sich dann im Verlauf des Krieges, als im August 1632 die Schweden die kaiserlichen Truppen bei Wiesloch schlugen und im Juni der erste französische Einfall in das Unterelsass folgte. Bis Jahresende war das habsburgische Oberelsass schwedisch und wenig später französisch besetzt, die „Spanische Straße“ drohte dauerhaft unterbrochen zu werden. Ziel der habsburgischen Vorstöße war daher nicht nur die Rückeroberung der vorderösterreichischen Gebiete, sondern auch die der „Spanischen Straße“ mit ihrer strategischen Bedeutung. So war es auch konsequent, wenn sich Bernhard von Sachsen-Weimar (1604–1639), nachdem er Franken verloren hatte, am südlichen Oberrhein auf Kosten der Habsburger ein neues Territorium aufzubauen versuchte und so eine Schaltstelle besetzten wollte17. Der Oberrhein war vom Sommer 1632 bis 1644 permanent umkämpft und keinesfalls nur ein regionaler Brennpunkt, sondern ein fundamental-strategischer Faktor für die spanischen wie für die deutschen Habsburger18.

3. Ambitionen, Funktionen und Regentschaft Erzherzog Leopolds Nach seiner Installation als Bischof von Passau und Straßburg hatte sich Erzherzog Leopold zunächst in Prag, dann zeitweise am Wiener Hof aufgehalten und war dort   Gliss, Oñatevertrag (wie Anm. 11) 16.   Ebd. 34–36; Renner, Erbteilung (wie Anm. 3) 206. 16 Geoffry Parker, The Army of Flanders and the Spanish Road 1567–1659 (Cambridge studies in early modern history, Cambridge ²2004); Rainer Babel, Zwischen Habsburg und Bourbon: Außenpolitik und europäische Stellung Herzog Karls IV. von Lothringen und Bar vom Regierungsantritt bis zum Exil (1624–1634) (Beih. Francia 18, Sigmaringen 1989); siehe auch Weiss, Leopold V. (wie Anm. 5) 34f. 17  Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 122–130; Ph[ilipp] Ruppert, Die Kriegsereignisse im Breisgau von 1632 bis 1635 und die erste Belagerung Breisachs. Zeitschrift der Gesellschaft für Beförderung der Geschichts-, Altertums- und Volkskunde von Freiburg, dem Breisgau und den angrenzenden Landschaften 6 (Freiburg 1884) 241–378; Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 2 und 3. 18  Ralph Tuchtenhagen, Die schwedische Vorherrschaft am Oberrhein. ZGO 162/N. F. 123 (2014) 231–259, insbes. 237–242. Zuletzt auch 1644 die Schlacht um Freiburg 1644; Hans-Helmut Schaufler, Die Schlacht bei Freiburg im Breisgau 1644 (Freiburg/Br. 1979). 14 15

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intensiver mit der Politik und mit Kaiser Rudolf II. in Kontakt gekommen, der Leopold für die Krone Böhmens und damit auch für die Nachfolge im Reich für geeignet hielt19. Leopold war jung, er galt als intelligent, ehrgeizig und ambitioniert. Seine Sprachkenntnisse in Deutsch, Latein, Italienisch, Französisch und Spanisch werden in der Literatur immer wieder in diesem Zusammenhang erwähnt, ebenso seine tiefe Frömmigkeit und die Verehrung des Jesuitenordens20. Leopold versuchte schon im Erbstreit um Jülich, Kleve und Berg, als er mit der Sequestration des Herzogtums beauftragt wurde, seine Chance auf den Erwerb eines Territoriums als Voraussetzung für eigene Heiratspläne zu nutzen. Man sagte ihm Interesse an seiner bayerischen Cousine Magdalena nach21, und seine Schwägerin Maria Anna von Innerösterreich (1574–1616) meinte 1611, er habe „wönig lust zum geistlichen stant“22. Als Leopold am 23. Juli 1609 inkognito in Jülich ankam, konnte er sich zwar zeitweise der Festung bemächtigen, doch ohne Erfahrung, ohne Finanzen und ohne Truppen gelang es ihm nicht, sich das Land dauerhaft zu unterwerfen23. Seine Hoffnungen auf Unterstützung aus den spanischen Niederlanden erfüllten sich genauso wenig, wie er von Seiten der Liga Unterstützung erhielt24. Daher versuchte er auf eigene Initiative in seinen Bistümern Passau und Straßburg Truppen anzuwerben, worauf protestantische Unionstruppen in das Bistum Straßburg einfielen. Letztlich musste Leopold am 1. September 1610 die Festung Jülich den Truppen der protestantischen Union übergeben und fliehen. Durch Vermittlung Herzog Heinrichs II. von Lothringen (1563–1624) und des Grafen Johann Reinhard von Hanau-Lichtenberg (1569–1625) kam der Vergleich von Willstätt zustande, durch den Erzherzog Leopold immerhin das Territorium des Hochstifts im Elsass wiedererlangen konnte. Da seine Truppen nach Süden abziehen mussten, waren letztlich die vorderösterreichischen Landstände in der Pflicht, große Summen zur Abdankung dieser Söldner aufzubringen25. Leopold genoss wie gesagt die Sympathien Kaiser Rudolfs II. und stand somit auch im Bruderzwist zwischen dem Kaiser und dessen Bruder Matthias (1557–1619). Mit elsässischem und passauischem Kriegsvolk fiel er noch 1610 in Böhmen und Oberösterreich ein. Sein Putschversuch in Böhmen misslang allerdings gründlich, da man ihn neben militärischer Untaten auch verdächtigte, gegen die böhmischen Religionsverhältnisse vorgehen zu wollen. Damit hatte Leopold die böhmischen Stände gegen sich, die Truppen wurden vertrieben und er hatte sein gewagtes Spiel verloren26. Nach der Wahl von Matthias zum König von Böhmen 1611 und zum Kaiser 1612 musste sich Leopold schließlich vollständig unterwerfen27.

19   Johann Maria Weissegger, Historische Gemälde oder biographische Schilderungen, Bd. 4 (Kempten 1803) 326–364, insbes. 329. 20  Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 118; Weissegger, Historische Gemälde (wie Anm. 19) 4 326–328; Pecho, Fürstbischof (wie Anm. 4) 209–217. 21  Weiss, Leopold V. (wie Anm. 5) 43f. 22  Zitiert nach Mark Hengerer, Kaiser Ferdinand III. (1608–1657) (Wien–Köln–Weimar 2012) 24. 23  Heinz Ollmann-Kösling, Der Erbfolgestreit um Jülich-Kleve (1609–1614) (Theorie und Forschung/ Geschichte 5, Regensburg 1996). 24  Pecho, Fürstbischof (wie Anm. 4) 147–165. 25  Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 120–126. 26  Pecho, Fürstbischof (wie Anm. 4) 235–282 zum Putschversuch Leopolds und des Paussauer Kriegsvolks. 27 Anton Gindely, Rudolf II. und seine Zeit, Bd. 2 (Prag 1865) 164–242.



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Leopolds Heerführer Laurentius Ramée (um 1560–1613) wurde danach zunächst im Bistum Straßburg Amtmann der bischöflichen Festung Benfeld, bevor er im April 1613 verhaftet, auf der bischöflichen Burg Hohbarr bei Zabern verurteilt und als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde. Er war offensichtlich das Bauernopfer, mit dem Leopold sich in der Familie und vor allem gegenüber Kaiser Matthias zu rehabilitieren versuchte28. Die ambitionierten Unternehmungen in Jülich und Böhmen waren für den Erzherzog ein politisches Fiasko, die Ramée das Leben und Leopold fast alle politischen Möglichkeiten kosteten29. 1612 versuchte er, mit Kaiser Matthias einen Ausgleich zu erlangen, doch die Konflikte blieben trotz vordergründiger Versöhnung bestehen. Das Gerücht, dass Leopold Zar werden wolle, desavouierte ihn zusätzlich30. Erst nach dem Tod Kaiser Matthias erlangte Leopold wieder neue politische Perspektiven, dieses Mal am Oberrhein. Im Zusammenhang mit den beschriebenen Aktivitäten Erzherzog Leopolds entwickelten sich Beziehungen insbesondere zu zwei Personen, die in der Folgezeit für Leopold und die vorderösterreichischen Lande bedeutend werden sollten: Zum einen diente der Söldnerführer Ernst von Mansfeld (1580–1626) zwischen Oktober 1609 und August 1610 dem Erzherzog, fühlte sich von diesem aber aufs Übelste betrogen und trug ausbleibende Zahlungen Leopold persönlich nach, was später sicherlich ein Motiv Mansfelds für seine erbitterten Aktionen gegen das bischöflich-straßburgische Territorium in den Jahren 1621 und 1622 war. Nach anderer Interpretation könnte der gescheiterte Versuch Mansfelds, in den inneren Zirkel um Leopold vorzudringen, Ursache für seinen Hass auf den Erzherzog gewesen sein. Nach Mansfelds eigener Aussage war der Erzherzog jedenfalls zu seinem Lieblingsfeind geworden31, und Straßburg gegenüber behauptete er 1621, dass es ihm nicht um Geld gehe, sondern „in genere gerichte Praktiken der Papisten, Spanier, Österreicher und Bayern“32. Kein evangelischer Stand könne sich sonst der kaiserlichen Autorität unter österreichischem Deckmantel oder der „fundierenden spanischen Universal-Monarchie über Germanien“ und ihrer Inquisition entziehen, was die Frontstellung gegen alle Habsburger im Allgemeinen meinte, gleichgültig ob Wiener, Innsbrucker oder spanischer Linie. Ein anderer Weggefährte Leopolds aus der Jülicher Zeit war Johann Jakob von Bronckhorst (1582–1630), Graf von Anholt, der wie Mansfeld seit Sommer 1609 in Leopolds Diensten stand, ihm jedoch Zeit seines Lebens verbunden blieb. Nach dem Jülicher Sequestrationsabenteuer hatte er seine Position als Söldnerführer aufgegeben und blieb zwischen 1611 und 1619 in der engsten Umgebung des Erzherzogs, unterhielt für ihn Kontakte zu zahlreichen Höfen, etwa in Mailand, in Paris, Graz und Prag. Als Leopold Regent in den vorderösterreichischen Landen wurde, brachte er seinen Geheimen Rat und Kämmerer Bronckhorst als vorderösterreichischen Landvogt ins Gespräch. Bronckhorst seinerseits hatte seit 1619 als kaiserlicher Militär Karriere gemacht, erwarb sich in   Pecho, Fürstbischof (wie Anm. 4) 311–315.   Ramées Rolle beim Putschversuch, sein Verhältnis zu Erzherzog Leopold und sein Selbstverständnis werden vielleicht noch markanter, wenn man an den Namen von Ramées Pferd erinnert, das dieser „Kaiser“ nannte und das er seinem Getreuen Albertini schenkte, während Erzherzog Leopold das Hinrichtungsschwert Ramées erhielt; Weiss, Leopold V (wie Anm. 5) 47. 30   Pecho, Fürstbischof (wie Anm. 4) 299–329. 31  Walter Krüssmann, Ernst von Mannsfeld (1580–1626). Grafensohn, Södnerführer, Kriegsunternehmer gegen Habsburg im Dreißigjährigen Krieg (Historische Forschung 94, Berlin 2010) 63–76, versucht die Vorgänge anhand der tendenziösen Zeugnisse von Mansfeld zu rekonstruieren; Pecho, Fürstbischof (wie Anm. 4) 159–163. 32   Zitiert nach Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 366. 28 29

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der Schlacht zum Weißen Berg 1620 große Verdienste und wurde zur Belohnung in den Grafenstand erhoben. 1622 wurde er ligistischer Feldmarschall, war vielfacher Sieger im Dänischen Krieg und als Nachfolger des Feldherrn Johann T’Seracles von Tilly (1559– 1632) im Gespräch; er wurde in den Orden vom Goldenen Vlies aufgenommen und war 1629 sogar für Wallenstein in vieler Hinsicht fast unersetzlich, bis er schließlich tatsächlich vorderösterreichischer Landvogt wurde33. Nur der Vollständigkeit halber sollen an dieser Stelle noch eine Reihe anderer Personen genannt werden, die zu Leopolds Netzwerk zählten. So waren die Brüder Hartger (1571–1631) und Seraphin Henot († nach 1626) schon im Vorfeld der Aktion in Jülich Leopolds Wegbereiter. Seraphin Henot war in den 1620er Jahren Leopolds Kanzler der Abtei Murbach34. Der Italiener Ascanio Albertini (um 1580–1639) war ein enger Weggefährte Ramées beim Passauer Kriegsvolk in Böhmen und sein Vertrauter bis zu dessen Hinrichtung. Anschließend wurde er Nachfolger Ramées in Leopolds bischöflicher Festung Benfeld im Elsass. Seiner Familie gelang es schließlich, dauerhaft im unterelsässischen Adel Fuß zu fassen, zeitweise war Albertini sogar militärischer Stellvertreter Leo­ polds im Unterelsass35. Frans Gansneb gen. Tengnagl (1576–1623), der Leopold ebenfalls 1611 in Böhmen unterstützte, wurde Kanzler im Bistum Passau, der Militär Hennig Ubetzko Passauer Hofmarschall36. Neben den politischen Ambitionen bleibt noch auf Leopolds intensive gegenreformatorische Bemühungen hinzuweisen. Ganz im Sinne seiner Erziehung förderte er an allen Orten die Societas Jesu. So richtete er in seiner bischöflichen Residenz Molsheim 1613 ein tridentinisches Seminar für den Priesternachwuchs ein, das er 1618 in den Rang einer Akademie erhob. Es war eine bewusste Aktion gegen die protestantische Reichsstadt Straßburg. Schließlich stiftete er in Molsheim eine repräsentative Kirche nach Vorbild der Kölner Jesuitenkirche. Ganz ähnlich führte er in Gegnerschaft zu Stadt und Universität in Freiburg im Breisgau den Jesuitenorden ein, übergab dem Orden die Philosophische Fakultät und den größten Teil der Theologischen Fakultät. In Ensisheim unterstützte Leo­ pold das 1615 von den Jesuiten übernommene Gymnasium, in Schlettstatt übertrug er dem Orden das Kloster St. Fides, in seiner Bischofsstadt Rufach installierte er 1618 wie auch in Hagenau die Jesuiten. Leopold setzte am Oberrhein so ganz entscheidende Impulse im jesuitischen Sinne, als Bischof, als Obervogt der Reichslandvogtei und als Regent der vorderösterreichischen Lande37. Gründe waren am Oberrhein wie in Passau Priestermangel, Bekämpfung des Protestantismus und Konfessionalisierung durch Bildung, also konfessionelle Anliegen im Verbund mit Herrschaftssicherung38. Diese Aktivitäten allein auf Machtkalkül zu reduzieren oder sie als Demonstration landesfürstlicher Macht abzutun, ist sicher unzutreffend. Die weithin sichtbare Demonstration der Pietas Austriaca 33 Hans Helmecke, Johann Jakob, Freiherr von Bronckhorst-Batenburg, Graf von Anholt (Bocholt 1914) 45, 56, 67, 100, 107, 113, 115, 117; Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 2 169, 217. 34  Pecho, Fürstbischof (wie Anm. 4) 145f., 322. 35  Ebd. 315–317, 366. 36  Ähnliches gilt für andere Weggefährten Erzherzog Leopolds; ebd. 294, 297, 305. 37 Dieter Speck, Jesuiten und konfessionelle Polarisierung am Oberrhein, in: Kloster und Stadt am südlichen Oberrhein im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von Heinz Krieg (Markgräfler Land 2011/2, Freiburg 2011) 172–202. Diese Politik betrieb er natürlich auch in Passau und andernorts; Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 116. 38 Dieter Speck, Schulen als politische Instrumente ? Frühneuzeitliche Bildungsinitiativen am Oberrhein, in: Schule und Bildung am Oberrhein in Mittelalter und Neuzeit, hg. von Ursula Huggle–Heinz Krieg (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 60, Freiburg 2016) 87–114.



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Abb. 2a–b: Erzherzog Leopold V. von Österreich (1586–1632) und Claudia de‘ Medici (1604–1648) (Quelle: Universitätsarchiv Freiburg D 13/ 2087 und 2089)

war untrennbar mit der tiefen Religiosität und der Politik des Erzherzogs verbunden. Der Pragmatismus seiner Herrschaftsausübung zeigt sich jedoch darin, dass am Oberrhein der protestantische Ritterstandspräsident Eberhard von Rappoltstein (1585–1637) als loyal angesehen und bei Verhandlungen mit Protestanten auf habsburgischer Seite eingebunden wurde39. Erzherzog Leopold hatte 1618 eine Fülle von Funktionen im Elsass inne und personifizierte so den habsburgischen Einfluss am Oberrhein in bis dahin nicht gekanntem Maße. Seit 1600 war er Koadjutor, seit Jänner 1608 Bischof von Straßburg und als solcher Mitglied der katholischen Liga. Im Jänner 1611 war er als Obervogt der unterelsässischen Reichslandvogtei vorgesehen, ein Amt, das ihm jedoch erst im Jänner 1619 übertragen wurde. Ab 1614 war er zudem Abt von Murbach und Lüders/Lure40 und nach dem Tod Erzherzog Maximilians 1618 wurde er wie schon gesagt Regent Tirols und der vorderösterreichischen Lande41. Ein Beispiel für Leopolds Durchsetzungsvermögen ist die Besetzung der Stelle des vorderösterreichischen Landvogtes. Nach dem Tod von Froben Christoph von Helfenstein (1573–1622) schlug die vorderösterreichische Regierung vier Kandidaten aus dem   Pecho, Fürstbischof (wie Anm. 4) 371–391.   Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 191. Am 19. Mai 1620 wurde der Huldigungseid auf Leopold abgelegt; Joseph Becker, Geschichte der Reichslandvogtei im Elsass (Straßburg 1905) 100; Andre Gatrio, Die Abtei Murbach im Elsass, Bd. 2 (Straßburg 1895) 282 (6. September 1614); Speck, Landstände (wie Anm. 1) 1 248. 41  Renner, Erbteilung (wie Anm. 3) 200; Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 169f. 39 40

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Grafenstand des Landes als Nachfolger vor, die auch von den Ständen akzeptiert worden wären. Dazu hatte sich beim Kaiser ein weiterer, landfremder Interessent ins Spiel gebracht42. Erzherzog Leopold setzte sich aber über alle Bewerber hinweg und setzte mit Zustimmung Kaiser Ferdinands II. seinen Kämmerer Johann Jakob Freiherr von Bronckhorst-Batenburg, einen Landfremden, gegen den Willen von Regierung und Ständen durch. Zum anderen zeigt es auch das vorherrschende Bewusstsein, dass man glaubte, einem erfahrenen Militär die Geschicke der Lande anvertrauen zu müssen. Auch Bronckhorsts Nachfolger Markgraf Wilhelm von Baden-Baden (1593–1677), der das Amt bis zur Eroberung der Festung Breisach bekleidete, hat als Militär zu gelten und besaß ein ähnliches Profil. Die friedlichen Zeiten am Oberrhein waren damit definitiv vorüber und Leopold war sich bewusst, als Habsburger und Verwandter des Kaisers ein Angriffsziel zu sein. Die Machtfülle Leopolds veränderte sich durch seine Vermählung mit Claudia de‘ Medici (1604–1648) 1626 insofern, da er das Bistum Straßburg und die Abtei Murbach aufgeben musste und an seiner Stelle mit Erzherzog Leopold Wilhelm (1614–1662) sein Neffe folgte, der zu diesem Zeitpunkt als zwölfjähriger Junge politisch noch kein Gewicht besaß. Leopolds Hochzeitspläne verzögerten sich jedoch, bis seine Nachfolge in Passau und Straßburg geregelt war43. Die kirchlichen Angelegenheiten hatte ein Weihbischof zu regeln, die weltlichen Belange Paul von Aldringen († 1646), der Bruder des kaiserlichen Feldmarschalls Johann von Aldringen (1588–1634)44. Auch hier ist die Nähe von politischer und militärischer Verwaltung unverkennbar und wenig überraschend. Mit Leopolds Heirat verlagerte sich sein Herrschaftsmittelpunkt nach Innsbruck45, sieht man von Sommer 1627 bis Februar 1628 ab, als sich das frisch vermählte Paar durchgehend am Oberrhein aufhielt, die Huldigung entgegen nahm und Leopold ausgiebig seiner Jagdleidenschaft frönte46. Schon wenige Jahre danach starb Leopold 1632 infolge einer fiebrigen Krankheit47. Parallel dazu vollzogen sich der Eroberungszug des schwedischen Generals Gustav Horn (1592–1657) und der Zusammenbruch der vorderösterreichischen Herrschaft am Oberrhein. Während des Mansfelder Einfalls ins Elsass wurde neben der Präsenz des Regenten auch die Leibwache Leopolds zum Gegenstand der Verhandlungen mit den vorderösterreichischen Landständen. Zur Begründung der Notwendigkeit der Leibgarde wurde die rege Reisetätigkeit des Erzherzogs genannt, wofür er eine Kompagnie von 100 Reitern als Leibwache forderte, was die Stände schließlich akzeptierten48. War die Finanzierung auch bewilligt, so wurde die Leibwache dennoch in der „ausländischen“ bischöflichen Exklave Rufach, etwa 15 km von Ensisheim entfernt, stationiert. Die Leibgarde wurde bei 42  Die vorderösterreichische Regierung hatte Karl Ludwig Ernst Graf von Sulz, Johann Ernst von Fugger, sowie Egon und Jakob Graf von Fürstenberg benannt. Der Bewerber beim Kaiser war Rhein- und Wildgraf Philipp Otto Graf von Salm; Helmecke, Bronckhorst-Batenburg (wie Anm. 33) 30. 43  Pecho, Fürstbischof (wie Anm. 4) 355f. 44   Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 2 96f. 45 Sabine Weiss, Claudia de´ Medici. Eine italienische Prinzessin als Landesfürstin von Tirol (1604–1648) (Innsbruck–Wien 2004). Der Vollständigkeit halber noch zu erwähnen, auch wenn die Arbeiten für den Oberrhein nur wenig Erkenntnisse bringen: Hans Brugger, Die Regierungszeit der Erzherzogin Claudia in Tirol (Diss. Graz 1952); Karl Kirchmair, Die religiöse Lage Tirols während der Regierungszeit Erzherzog Leopolds V. (1619–1632) (Diss. Innsbruck 1950). 46  Seidel, Oberelsaß (wie Anm. 2) 136 zur Huldigung. 47  Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 2 358f. 48  Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 226f.



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Bedarf an allen Aufenthaltsorten des Erzherzogs, unabhängig von seiner Funktion als Bischof, Obervogt, Regent oder Abt, eingesetzt49. Die Leibgarde entsprach ebenso Leopolds Reputationsbedürfnis als Reichsfürst und seinen Machtansprüchen, wie er seinem fürstlichen Rang entsprechend in den Feldzügen zum General ernannt zu werden wünschte50. Die Leibwache Leopolds war auch ein Indiz für die Vermengung und eine bewusste Verschmelzung der unterschiedlichen Herrschaftstitel in seiner Person. Diese Vermischung von Rechtstiteln zugunsten des Hauses Österreich war der Grund für den Protest der Reichslandvogteistädte gegen ungenaue Formulierungen (1622), bei dem sie genau auf dieser Differenzierung der Funktionen beharrten. So verwiesen sie ausdrücklich darauf, dass sie Kaiser Ferdinand II. nur als Kaiser und Erzherzog Leopold nur als Oberlandvogt verbunden seien, aber nichts mit Leopold als österreichischem Fürsten zu tun hätten, ein Phänomen, das im Elsass bisher von der Forschung noch weitgehend unberücksichtigt blieb. Umgekehrt war es für Habsburgs Gegner fast unmöglich zu unterscheiden, in welcher Funktion Leopold agierte, da der Erzherzog als Bischof von Straßburg Mitglied der Liga war, als Abt von Murbach aber nicht, als Abt einerseits die Reichsstandschaft besaß, andererseits vom Haus Österreich vor dem Reich vertreten wurde, Murbach einerseits Reichsabtei war, andererseits vorderösterreichischer Landstand. Leopolds Vorgänger Maximilian der Deutschmeister war zudem sogar Teil des Ligadirektoriums51. Faktisch hatten die Habsburger zu dieser Zeit mit ihrem Herrschafts- und Einflussbereich am Oberrhein zwischen Basel und Hagenau unzweifelhaft den Zenit erreicht und boten so genügend Angriffsfläche für ihre Gegner.

4. Kriegsschauplatz Oberrhein Die vorderösterreichischen Lande waren wie andere Regionen auch mit dem Phänomen der Massenheere und ihren großräumigen Operationsgebieten vollkommen überfordert. Das Elsass mit seinen konfessionell unterschiedlichen, geistlichen, fürstlichen, ritterschaftlichen und städtischen Herrschaftsstrukturen bot ein Bild der Heterogenität und Kleinräumigkeit, das kaum zu überbieten war. Zudem setzte sich das Elsass aus zwei Subregionen, dem Unter- und dem Oberelsass zusammen, die sich bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zu Verteidigungszwecken in Schirmvereinigungen des Unterelsass, des Oberelsass und des Gesamt-Elsass jeweils nur temporär organisiert hatten52. Diese Organisationsformen kamen im Zuge der konfessionellen Polarisierung gegen Ende des 16. Jahrhunderts zunehmend zum Erliegen, funktionierten aufgrund der konfessionellen Blockbildung und des besonderen Misstrauens gegen die Habsburger nur noch minimal. Zudem erwiesen sich die Organisationsstruktur und die Verteidigungsmaßnahmen insgesamt als ineffektiv. In den vorderösterreichischen Landen selbst existierten nur zeitweilig Kleinstgarnisonen am Regierungssitz Ensisheim und in der Rheinfestung Breisach, deren Finanzierung   Ebd. 2 8, 14, 17, 24.   Ebd. 1 180, 354, 387, 397, 416. 51  Ebd. 1 191, 169–170, 193, 199. 52  Zu den Schirmvereinen nimmt die Arbeit von F[riedrich] W[ilhelm] Müller, Die elsässischen Landstände (Straßburg 1907) eine zeittypisch antifranzösischen Haltung ein und vermengt falsche Begriffe. Sehr gut und quellensaturiert hingegen die Darstellung der Schirmvereine und Landesverteidigungsorganisationen bei Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 162–165 und an vielen anderen Stellen. 49 50

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Abb. 3: Die Festung Breisach von der Rheinseite (Quelle: Matthäus Merian, Topographia Alsatia [Frankfurt/ Main 1663]).

von den Landständen zu leisten war. Daneben gab es die Landfahnen, eine Milizorganisation aus wehrfähigen Männern, jeweils regional in acht sundgauisch-elsässische und acht breisgauisch-schwarzwäldische Fahnen eingeteilt, die sog. „Rotröcklein“. Ihre Hauptaufgabe war die Sicherung innerhalb der Landesgrenzen, aber sie waren ungenügend bewaffnete und schlecht ausgebildete Einheiten von geringer militärischer Qualität53. Die Landfahnen bestanden zwar theoretisch aus insgesamt rund 8.000 Mann, waren aber faktisch meist nur halb so stark und kaum verfügbar. Ihre Hauptaufgabe waren Schanzarbeiten, wobei die Milizionäre ihre Dienste neben Zwangsrekrutierten, Verbrechern und Frondienstleistenden ausübten54. Im Ernstfall, meinte der kaiserliche General Wolfgang Rudolf von Ossa (1574–1647), wäre es sogar sinnvoller, die Landfahnen zur Hälfte zu entwaffnen und die Waffen den Söldnern zur Verfügung zu stellen, weil die Bauern doch nicht wirklich kämpfen wollten55. Der vorderösterreichische Kanzler Isaak Volmar (1582–1662) brachte die desolaten Zustände 1632 angesichts des Schwedeneinfalles auf den Punkt: „Jedermann schreit nach Defension […] aber wenn man etwas hergeben und deswegen leiden soll, so ist niemand zu Haus“56. 4.1. Die Vorlande und der Böhmische Krieg

Mit dem böhmischen Aufstand erhielt Erzherzog Leopold von Tirol erneut die Gelegenheit, auf der politischen Bühne eine gewichtige politische Rolle zu spielen. Eine erste Maßnahme (März 1619) waren die Werbungen im Elsass, um diese Soldaten anschließend nach Böhmen zu führen. Um die drohenden Probleme im oberen Elsass abzumildern, schaltete sich Leopold als deklarierter Gubernator der vorderösterreichischen Lande in seiner Funktion als Abt von Murbach ein und versprach 400 Reiter auf dem Areal der 53  Speck, Landstände (wie Anm. 1) 1 409–451; Die Bezeichnung bezieht sich wohl auf die Teiluniformierung entsprechend dem rot-weißen habsburgischen Bindeschild; ebd. 2 372f. 54  Ebd. 2 324, 328, 332, 352. 55  Ebd. 2 379. 56  Zitiert nach Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 2 356.



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Abtei einzuquartieren, während insgesamt nur 600 Reiter in den vorderösterreichischen Landen einquartiert werden sollten57. Im April 1619 sollten erneut 6.000 Infanteristen und 2.000 Reiter aus den Spanischen Niederlanden bei Biesheim in Gegenwart Leopolds gemustert, bei Breisach über den Rhein gebracht und nach Böhmen geführt werden58. Erneut ein Monat später zogen, aus Lothringen kommend, 6.000 spanische Wallonen und 1.000 Reiter, die Nassauischen Regimenter, über Breisach nach Böhmen59. Binnen dreier Monate fanden so Durchzüge von mehr als 12.000 Infanteristen und 3.000 Reitern statt. Im März 1620 sammelten sich erneut 700 Reiter aus den Niederlanden bei Thann, denen Markgraf Georg Friedrich von Baden (1573–1638) als Heerführer der Union den Zuzug nach Böhmen versperren wollte und dazu bei Ihringen vor Breisach Schanzen errichten ließ. Im Mai kamen Regimenter des Johann Jakob von Bronckhorst (1582–1630), 500 Kürassiere des Herzogs von Croy und 4.500 Mann des Oberst Marcoursan dazu. Letztlich war die militärische Stärke des Markgrafen mit 1.500 Mann nicht ausreichend, dieser numerischen Übermacht der Ligatruppen den Weg zu versperren. Der Markgraf musste tatenlos zusehen und den Durchzug gestatten60. Bemerkenswert wird dieser Durchzug auch unter einem anderen Aspekt: Im markgräflichen Lager Ihringen traf am 29. Mai 1620 eine Incognito-Reisegruppe aus Schweden ein, der auch der König Gustav II. Adolf angehörte. In der Nacht zum 30. Mai ritt die schwedische Gruppe mit Markgraf Georg Friedrich um die Festungsanlage Breisach, um sie in Augenschein zu nehmen. Ein Tagebuch beschreibt den anstrengenden Umritt und den schwer strapazierten Markgrafen61. Die markgräflichen Truppen beobachteten den Durchzug von 27 Kompagnien zu Fuß und zu Pferd in Anwesenheit Erzherzog Leopolds. Johann Hand, der die tagebuchartigen Aufzeichnungen der schwedischen Gruppe um Gustav Adolf verfasste, war gut über die Liga-Truppen informiert und benannte die meisten Heerführer namentlich. Der Markgraf habe während des Durchzugs die Anwesenheit des schwedischen Königs ignoriert, aber danach habe er hinter verschlossenen Türen mit Gustav Adolf gesprochen, ihn durch das Lager geführt, Truppen und Bewaffnung erläutert. Am Abend seien die Schweden dann noch mit einem Adeligen zusammengetroffen, der Gustav Adolf aus Schweden kannte; außerdem wurde der König mit Wild- und Rheingraf Otto Ludwig von Salm (1597–1634) bekannt gemacht, einem späteren führenden schwedischen Offizier. Der schwedische König war bei seiner Deutschlandreise nicht nur auf Brautschau, wie die ältere Literatur festhielt, sondern er informierte sich intensiv über die militärische Lage und Bewaffnung, über strategische Befestigungswerke und militärische Abläufe, was ihm bei Kriegseintritt Schwedens zehn Jahre später entscheidende Grundlagen lieferte. Insgesamt scheint es zumindest bei Kriegsbeginn viele Kommunikationskanäle über die Parteigrenzen hinweg gegeben zu haben. So pflegte der protestantische Ritterstandspräsident Eberhard von Rappoltstein Kontakte zur protestantischen Reichsstadt Straßburg, deren sich auch die vorderösterreichische Regierung bediente62. Ähnlich dürften Kontakte von 57   Ebd. 1 170. Zum Kriegsverlauf bzw. zu den einzelnen Feldzügen auch Siegfried Niklaus, Dreißigjähriger Krieg (Historischer Atlas von Baden-Württemberg Erläuterungen 6/11, Stuttgart 1980) 9–22. 58   Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 173. 59   Ebd. 1 177–179. 60   Ebd. 1 195–201. 61 Johan Hand, Johan Hands Dagbok, under K. Gustaf II Adolfs Resa till Tyskland 1620 (Historiska Handlingar Del 8/N.3, Stockholm 1879) 3–39, insbes. 32–35. Den Hinweis auf das „Dagbok“ verdanke ich freundlicherweise Ralf Tuchtenhagen. 62  Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 412,413–415; ebd. 2 492f.

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habsburgischer Seite zu Straßburg geknüpft worden sein, die zu einer kaiserfreundlichen Haltung Straßburgs und als Gegenleistung zur Verleihung des Universitätsprivilegs an die Stadt durch den Kaiser 1621 führten. Allerdings war allen Parteien auch klar, dass Erzherzog Leopold nur bedingten Einfluss auf den Kaiser hatte und kaum Grundsätzliches bewegen konnte63. 4.2. Der Einfall Ernsts von Mansfeld in das Elsass

Im Herbst 1621 wurde das Elsass zum ersten Mal unmittelbar zum Kriegsschauplatz. Der Söldnerführer des sog. Winterkönigs, Ernst von Mansfeld (1580–1626), zog nach der Niederlage in Böhmen über die kurpfälzischen Gebiete in die Rheinpfalz bei Speyer und Germersheim. Erzherzog Leopold ersuchte die Ligatruppen als Oberlandvogt der Reichslandvogtei um Hilfe zur Abwehr, versuchte den schwerfälligen unterelsässischen Schirmverein zu aktivieren und warb Truppen an. Leopold hatte vierfache Schutzfunktionen zu koordinieren, welche die Reichslandvogtei, die Verteidigung des Straßburger Hochstiftsgebietes, die vorderösterreichischen Lande und den elsässischen Schirmverein umfassten. Im Jänner und Februar war der gegnerische Einfall vor allem auf das bischöflich-straßburgische Territorium gerichtet64. Erzherzog Leopold hatte dabei die offizielle Funktion eines Defensionskommissars für das Elsass65. Während der Erzherzog von Breisach und Freiburg aus die Verteidigung und Truppenwerbung organisierte, formulierte er gegenüber seinem Bruder, Kaiser Ferdinand II., schon Befürchtungen hinsichtlich des Verlustes der vorderösterreichischen Lande: „Ich befürchte […], daß wir endlich um diese schöne Länder ganz und gar kommen werden“66. Zur Sicherung des Oberelsass sollte der Landgraben, die Rechtsgrenze zwischen Unter- und Oberelsass von den Vogesen her, neu befestigt und bei Bergheim und Gemar mit Schanzen versehen werden. Dazu wurden die Landfahnen verlegt, während zwischen Ill und Rhein keine Verteidigungsmaßnahmen getroffen wurden. Genau an dieser Stelle erfolgte schließlich der Einfall der Mansfelder Reitertruppen, die bis kurz vor Basel Raubzüge durchführten, ohne dass Gegenwehr erfolgte, da die italienisch-burgundischen Entsatztruppen erst im Februar 1622 eintrafen. Der Landgraben erwies sich schlicht als militärisch nutzlos67 und die Landesdefensionsmaßnahmen wie die des territorienübergreifenden Schirmvereins waren der modernen Kriegführung nicht gewachsen. Eine längerfristige Ausplünderung der unterelsässischen Landvogtei und Hagenaus als mächtigster Festung des Unterelsass scheint nicht im Sinne Mansfelds gewesen zu sein, da er hier Pläne zur Errichtung eines eigenen Fürstentums hatte, wie aus den Verhandlungen mit Erzherzog Leopold hervorgeht. Demnach kam der Stadt Hagenau als möglichem Herrschaftsmittelpunkt Mansfelds eine besondere Bedeutung zu68. Dazu war er mit dem französischen König übereingekommen, dass dieser ihm die Herrschaft zusichern und 63 64

122.

  Ebd. 1 205–210.   Krüssmann, Mannsfeld (wie Anm. 31) 63–76; Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1

  Krüssmann, Mansfeld (wie Anm. 31) 364 (5. Jänner 1621).   Zitiert nach Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 302. 67  Ebd. 1 233f.; 2 300, 353; 3 327. 68  Ebd. 1 331–384. 65 66



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sie unter französische Protektion stellen solle. Zu dieser Zeit war Bernhard von SachsenWeimar als 18jähriger einer der jüngsten Offiziere Mansfelds und mag so Anregungen für seine späteren Pläne am Oberrhein erhalten haben69. Obwohl sich Mansfeld unter Zurücklassung eines Gubernators in der Landvogtei zunächst in die Rheinpfalz zurückzog, erfolgte im April und Mai 1622 erneut ein Vorstoß bis Hagenau. Nachdem die habsburgischen Soldtruppen am Oberrhein eingetroffen und auf rund 22.000 Fußsoldaten und 4.400 Reiter aufgestockt worden waren, erhielt Leopold den Titel eines Generals und den Auftrag, Mansfeld zu verfolgen70. Nach der Niederlage des badischen Markgrafen bei Wimpfen (6. Mai 1622) wollte Leopold vorrücken und Hagenau zurückerobern. Nach kleineren Gefechten erlitt aber seine Reiterei am 17. Mai eine katastrophale Niederlage, die zum sofortigen Rückzug seiner Truppen führte. An diesem Tag traf Mansfeld mit dem Winterkönig zusammen vor Hagenau ein, während Leopolds Kriegszug mit seiner Flucht und der Zersprengung seiner Truppen beendet war. Mansfeld ließ sich daraufhin vom pfälzischen Kurfürsten die Landvogtei verleihen und nahm am 20. Mai 1622 die Huldigung entgegen. Nach der Niederlage der Mansfelder Truppen bei Höchst (20. Juni 1622) endeten diese Bedrohungen jedoch; Mansfeld erhielt am 13. Juli seine Entlassung und zog durch Lothringen in die Niederlande ab. Erzherzog Leopold hatte sich nach Tirol zurückgezogen und wandte sich den Prättigauer Kämpfen zu71. 4.3. Atempause und Einschnitt (1622–1631)

Ab Sommer 1622 folgte für das Elsass eine relative Ruhepause von rund neun Jahren ohne unmittelbare Kriegsereignisse. Die nächste Kriegsphase tangierte den Oberrhein nur indirekt durch zahlreiche Truppenwerbungen und Durchzüge sowie marodierende Söldner. Erzherzog Leopold wollte zu dieser Zeit Johann Jakob von Bronckhorst zum vorderösterreichischen Landvogt am Oberrhein einsetzen, was jedoch von der kaiserlichen Militärführung abgelehnt wurde72. Eine weitere Belastung stellten die Kriegsschulden in Höhe von rund 900.000 fl. dar. In dieser desaströsen finanziellen Situation erregte die üppige Hofhaltung des Erzherzogs Unwillen73, etwa anlässlich des Besuchs des polnischen Königs in Schlettstatt, Rufach, Breisach, Ensisheim und Belfort. Versuche zur Einrichtung eines neuen oberelsässischen Schirmvereins unter dem Direktorium des Erzherzogs und im Unterelsass blieben erfolglos. Der Oberrheinraum war regelmäßig Musterungs- und Durchzugsgebiet von Söldnern, so 1627 von ligistischen Truppen im Unterelsass, 1630 von rund 12.000 Spaniern aus der Franche-Comté und dem Sundgau, das kaiserliche Kriegslager in Hagenau, 1631 von 5.000 Lothringern im Unterelsass, 1631 erneut 6.000 Spanier.74. 69   Krüssmann, Mansfeld (wie Anm. 31) 366–369; Hans Wolfgang Stein, Protection Royale. Eine Untersuchung zu den Protektionsverhältnissen im Elsaß zur Zeit Richelieus 1622–1643 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 9, Münster 1978) 351. Von diesen Absichten berichtet Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 62, 473, 476. Mansfeld habe deswegen auch mit der Infantin verhandelt. Zu den Mansfelder Kriegszügen ebd. 1 219–525. 70   Ebd. 1 387. 71   Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 476f.; Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 85–87. 72  Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 494; Helmecke, Bronckhorst-Batenberg (wie Anm. 33) 22–119; Mansfeld starb 1626 in Spalato. 73   Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 2 7–14, 17, 24, 226. 74   Ebd. 2 116f., 137–139, 180, 191, 203, 239, 248 u.v.a.; Thomas Mallinger, Thomas Mallingers Tage-

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Im Jahr 1626 heiratete Leopold Claudia de‘ Medici und hielt sich danach rund sieben Monate permanent am Oberrhein auf, was sehr ungewöhnlich war75. Zur gleichen Zeit wurde eine konsequent katholisch-konfessionelle Ausrichtung zunehmend spürbar, wie die Rekatholisierungsansätze in Colmar (ab 1627), Hagenau und anderen elsässischen Reichsstädten belegen76. Dennoch scheint Leopold durch seine Räte und Mittelsmänner seine Konfessionalisierungspolitik eher im Stile eines Realpolitikers verfolgt zu haben. Dies zeigt etwa die Position Eberhards von Rappoltstein, der als Protestant vorderösterreichischer Ritterstandspräsident war und mit besonderer Autorität fungierte. Selbst Räte des Erzherzogs glaubten, dass man nicht gegen ihn vorgehen könne, wollte man nicht die gesamten Landstände gegen sich aufbringen77. Der Herr von Rappoltstein war als Protestant manches Mal als Vermittler oder Gesandter zwischen den Konfessionsparteien, auch in Straßburg, vermittelnd tätig78. Man ließ ihn offensichtlich weitgehend unangetastet, war man sich doch seiner Loyalität zu Habsburg sicher79, und man ließ ihn zwischen den Konfliktparteien agieren, selbst mit den Schweden80. 4.4. Die Schweden am Oberrhein

Mit dem Eingreifen Schwedens und dem Vertrag von Bärwalde, in dem sich Schweden mit Frankreich verbündete (23. Jänner 1631), brachten sich zwei Gegner der Habsburger in Stellung81. Frankreich fühlte sich nach der älteren Forschung von den Habsburgern in den Niederlanden, Deutschland, in Italien und Spanien eingekreist und bedroht. Die neuere Forschung sieht neben dieser geostrategischen Sichtweise die Politik Frankreichs eher aus der Perspektive der Rangfrage, der Einflusssphären und der Konkurrenz. Demnach ging es Frankreich um die Schwächung des übermächtigen habsburgischen Konkurrenten und den Anspruch, mit ihm auf Augenhöhe zu agieren82. Letztlich ist die militärische und politische Stoßrichtung gegen die Habsburger zur Schwächung dieses Gegners relevant, wobei eine Differenzierung zwischen kaiserlicher, tirolisch-vorderösterreichischer und spanischer Linie zweitrangig erscheint. In diesem Kontext ist die Passagenpolitik, die Protection royal Frankreichs bis zur Besetzung von Städten und Regionen zu sehen83. Naturgemäß kam den vorderösterreichischen Landen als nächstgelegenen habsburgischen Gebieten und Einfallstor in das Reich eine besondere Bedeubücher, in: Quellensammlung der badischen Landesgeschichte 2, hg. von Franz Josef Mone (Karlsruhe 1854) 2 533, 535. 75  Ebd. 2 94–97, 103–105, 123, 129f., 135–137 u.v.a.; 2 130, auch 1 524. 76  Ebd. 2 148–151 (Colmar), 152 (Hagenau), 163–165, 167–169. 77   Ebd. 2 154; Speck, Landstände (wie Anm.1) 1 485–493. 78   Beispielsweise schon 1619 war diese Rolle Rappoltsteins im Gespräch. Sogar das Angebot Rappoltsteins, dem Kaiser ein Darlehen über 50.000 fl. im Böhmischen Krieg vorzuschießen, wurde abgelehnt; Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 1 178. 79  Ebd. 2 153f. 80  Ebd. 1 412–414, 492f.; Rappoltstein sollte sich „als Präsident und vornehmstes Glied des vorderösterreichischen Ritterstandes, auch guter Patriot“ bei dem in schwedischen Diensten stehenden Rheingrafen einsetzen. 81  Grundsätzlich zur schwedischen Politik am Oberrhein: Tuchtenhagen, Vorherrschaft (wie Anm. 18) 231–259. 82 Frank Kleinehagenbrock, Das Alte Reich als europäisches Schlachtfeld. Der Schwedisch-Französische Krieg (1635–1648), in: Der Dreißigjährige Krieg: Folgen einer facettenreichen Epoche, hg. von Peter Claus Hartmann–Florian Schuller (Regensburg 2010) 128–145, hier 132–135. 83  Stein, Protection Royale (wie Anm. 69).



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tung in der Phase des Kriegseintritts Frankreichs zu. Mit der Entlassung Wallensteins im Dezember 1630 und dem Festsetzen der Schweden im Rhein-Main-Raum wurde ihnen die Möglichkeit eröffnet, ihren Einfluss auf Süddeutschland auszudehnen. So war es nur eine Frage der Zeit, wann schwedische Truppen am Oberrhein erschienen. Frankreich als Verbündeter Schwedens profitierte einerseits davon, war andererseits aber nicht daran interessiert, dabei nur eine Nebenrolle zu spielen. Erste Zeichen für die schwedischen Vorstöße in Richtung Oberrhein zeigten sich im Oktober 1631, als der in schwedischen Diensten stehende Rittmeister Marx von Rehlingen (1606–1633) mit 25 Mann und mit einem Kreditiv des Königs Straßburg aufsuchte und für die protestantisch-schwedische Sache warb. Noch vor seiner Abreise trafen die ersten französischen Gesandten ein und umwarben die Stadt. Straßburg konnte noch mit Neutralität argumentieren, doch waren die rechtsrheinischen Werbungen, Musterungen und die Anwesenheit dieser schwedischen Delegation für die katholischen Reichsstände Grund genug zur Nervosität84. Nach dem schwedischen Sieg bei Breitenfeld 1631 wurde von der Regierung in Ensisheim ein Landesdefensions-Landtag einberufen. Doch die Landstände verkannten die Situation und hielten die Bewilligung von Mitteln für die Verteidigung nicht für notwendig. Der Ritterschaftspräsident von Rappoltstein stand dabei als Protestant und loyaler habsburgischer Gefolgsmann in diesem Konflikt um die Landesverteidigung zwischen den Fronten, was Kanzler Dr. Isaak Volmar anerkennend und bedauernd würdigte85. Auf der anderen Seite fürchteten der Erzherzog und seine Räte den Zusammenbruch der Kriegsfinanzierung über die Stände. Das Dilemma könnte kaum deutlicher zum Ausdruck gebracht werden, als in der Überlegung, ob man nicht einem der beiden Söhne Rappoltsteins die Obristenstelle bei der Landesverteidigung antragen solle. Kanzler Volmar antwortete, „die beiden zeigten keine Lust dazu, sie stünden vielmehr in großen Sorgen, dass „durch diese Verfassung ihren Religionsverwandten Bedrängnus zugefügt werden könnte“86. Es wäre in der Tat schwer vermittelbar gewesen, wie sie als Protestanten das Oberkommando über das Kriegsvolk des katholischen Vorderösterreich hätten übernehmen können. Seit Sommer 1632 wechselten die militärischen Kommandos am Oberrhein auf habsburgischer Seite dann mehrfach; neuer Landvogt wurde Markgraf Wilhelm von BadenBaden, womit Verwaltung und militärische Funktionen weiter verschränkt wurden87. Im Juni 1632 hatte sich Straßburg unter den Schutz des schwedischen Königs gestellt, dem angeblich nicht viel an der Eroberung der vorderösterreichischen Lande gelegen war, allerdings hielt er diese für wichtig genug, seine Verbündeten gegebenenfalls über Breisach nach Burgund vorstoßen zu lassen88. Mit dem Sieg des schwedischen Generals Horn bei Wiesloch Ende August 1632 begann die Okkupation fast der gesamten habsburgischen Vorlande. Während des ganzen Winters wurde die Befestigung Breisachs, dessen Bedeutung für die Sicherung der „Spanischen Straße“ König Gustav Adolf aus eigener Anschauung kannte, weiter ausgebaut und das Aufgebot der landständischen Milizen und Fähnlein kam in Gang89.   Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 2 242–246, 285, 289, 290.   Ebd. 2 254, bes. Anm. 1. 86   Ebd. 2 265. Trotz Konkordanzen und Digitalisaten der Archives Departementales du Haut-Rhin Colmar im Archivum Rhenanum konnte diese Korrespondenz (noch) nicht verifiziert werden. 87  Ebd. 2 331, auch 349 u.v.a.: Wilhelms Titel lautete „Kaiserlicher General, Leopolds Generalfeldobrister und Landvogt der vorderösterreichischen Lande.“ 88  Ebd. 2 301. 89  Ebd. 2, 356. 84 85

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Am 19. September standen die Schweden vor der bischöflichen Festung Benfeld, die der Landvogt mit Hilfe der Landfahnen entsetzen wollte, was aber scheiterte. Mitte November überschritten die Schweden den Landgraben und stießen linksrheinisch bis in den Sundgau vor. Eine Gegenoffensive Markgraf Wilhelms bei Wittenheim missglückte, und noch vor Weihnachten waren Schlettstatt und Colmar schwedisch. Parallel dazu vollzog sich rechtsrheinisch die Besetzung des Breisgaus; Freiburg kapitulierte am 20. Dezember90. Bei alledem blieb Breisach zunächst ohne Belagerung. Noch unmittelbar vor dem Tode Erzherzog Leopolds am 13. November 1632 hatte die Ensisheimer Regierung einen Landtag für Dezember einberufen, doch schon fünf Tage später waren die Räte in Panik nach Thann, Belfort und Breisach geflüchtet und Ensisheim war besetzt91. Als Wild- und Rheingraf Otto Ludwig vor Belfort stand, wichen die Ensisheimer Regimentsräte nach Faucogney und Remiremont in der Franche-Comté aus. In einem Beruhigungsschreiben an die Stände in Dôle versicherte der Rheingraf, dass diese nichts zu befürchten hätten, da der Feldzug allein gegen die habsburgischen Lande gerichtet sei. Im März 1633 zog die schwedische Hauptmacht wieder ab, im Sommer kam sie zurück92. Aus der ersten Jahreshälfte 1633 wird in der Literatur von Bauernaufständen gegen die plündernden Schweden im Sundgau und im Breisgau berichtet, was jedoch wohl nicht den Tatsachen entspricht: Der Geistliche Thomas Mallinger (1613–1660) beschrieb die Kriegsereignisse im Breisgau ausführlich, wodurch deutlich wird, dass es Herrschaftsinhaber waren, die die Bereitschaft zum Widerstand nutzten93. Am 19. Jänner 1633 hatte der Landvogt alle Untertanen zu den Waffen gerufen, insbesondere in den Herrschaften Staufen, Kirchhofen, Münstertal und den benachbarten Gebieten, mit dem Gebot, sich in Staufen zu versammeln um „alles schwedisch Volk, was sie zu Roß und Fuß antreffen, totschlagen“94. Die von Markgraf Wilhelm angeschriebenen Orte lagen zum einen fast alle in der seit 1628 an Hannibal von Schauenburg (1582–1634) vergebenen Pfandherrschaft, diese wiederum entsprach dem Einzugsgebiet der Staufener Landfahne, also der landständischen Miliz, und darüber hinaus war Hannibal von Schauenburg der seit Jahresende von Wallenstein eingesetzte regionale Militärbefehlshaber. So wandten sich etwa die Kirchhofener Bauern an Schauenburg als ihren Pfandherrn und Kommandanten und baten um Hilfe gegen die Schweden, die sie in Gestalt eines Kapitäns und einer kleinen militärischen Einheit erhielten. Rheingraf Otto Ludwig schickte über das Elztal und Waldkirch schwedische Truppen, um diese Aktionen zu unterbinden. Bei Kirchhofen hatten sich die Milizen verschanzt, die Schweden konnten diese jedoch nicht rasch überrumpeln, da es zu heftiger Gegenwehr kam. Als die Eingeschlossenen schließlich aufgaben, trennten die Schweden die Soldaten und die für eine Zwangsrekrutierung geeigneten Bauern von den übrigen Milizionären, unter denen sie ein Blutbad anrichteten.   Ruppert, Kriegsereignisse (wie Anm. 17) 241–264.   Im Falle Ensisheim war auch an eine Vermittlung des protestantischen Herrn von Rappoltstein gedacht, wobei auch Kanzler Volmar Bedenken hatte, dass dies andere Städte zum Vorbild nehmen könnten; Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 2 414. 92  Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 97. 93  Mallinger, Tagebücher (wie Anm. 74) 2 538–544. Siehe auch Lorenz Werkmann, Kirchhofen im Jahre 1633 (Schau-ins-Land 6, Freiburg 1879) 71–76; Hugo Ott, Zum Gedenken an den 18. Juni 1633 in Kirchhofen, in: 1583 – Zum 400. Todestag des Lazarus von Schwendi und 1633 – zum 350. Jahrestag des Todes der 300 Bauern von Kirchhofen, Ehrenstetten und Pfaffenweiler, hg. von der Gemeinde Ehrenkirchen (Ehrenkirchen 1983) 45–57. 94  Zitiert nach Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 2 494, ferner zum Widerstand 489– 523. 90 91



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Anschließend wurden auch die umliegenden Orte Ehrenstetten, Krozingen und andere niedergebrannt. Die Sundgauer Gegenwehr verlief fast zeitgleich und konzentrierte sich auf das Amt Pfirt. Auch hier handelte es sich nicht um einen Aufstand, sondern der Leutnant der Pfirter Landfahne, ein Weibel und andere Amtsträger waren die Organisatoren, die mit der Ensisheimer Regierung in Kontakt standen. Allerdings hatten die Sundgauer keine professionelle Unterstützung durch Truppen, sondern es handelte sich eher um eine Selbsthilfeaktion. Schließlich weitete sich die Gegenwehr der Pfirter Landfahne auf die Altkircher, Thanner, Masmünster und Belforter Landfahne aus. In Kleinaktionen wurden zahlreiche schwedische Söldner niedergemacht95. Als sich die Landfahnen schließlich aufteilten und einerseits auf Belfort, andererseits nach Norden zogen, waren sie ein leichtes Opfer der Schweden. Die angenommenen Opferzahlen entsprechen der Größenordnung von sechs Landfahnen, also circa 2.400 bis 3.000 Mann. Diese beiden blutigen Episoden waren demnach keine Bauernaufstände, sondern Landesdefensionsmaßnahmen auf der Basis der vom Landvogt angestoßenen Mobilisierung. Die Defensionsversuche wurden von habsburgischen Söldnern begleitet, endeten jedoch in Blutbädern. Keinesfalls waren sie allerdings Aufstände rechtgläubiger Katholiken gegen gottlose schwedische Mordbrenner. Als Fels in der Brandung blieb nur die Festung Breisach übrig. Die Belagerung Breisachs sollte zunächst von Freiburg, dann von Ihringen aus organisiert werden, während der Breisacher Festungskommandant Ascanius gerüchteweise mit französischen Gesandten über eine mögliche Übergabe verhandelte. Im Juli 1633 scheiterte ein schwedischer Überrumpelungsversuch, die Belagerung folgte. Im September standen schließlich spanische Truppen aus Italien unter dem Kommando von Gómez Suárez de Figueroa y Córdoba, Herzog von Feria (1587–1634), am Hochrhein, während die schwedischen Truppen vergeblich auf französische Unterstützung warteten. In der Zwischenzeit drang der kaiserliche Feldherr Johann von Aldringen mit seinen Truppen ins Elsass vor, doch verhinderten wohl Differenzen zwischen ihm und Feria ein gemeinsames Vorgehen gegen die Schweden. So zogen die Heere in unterschiedliche Richtungen ab, im Oktober konnten wieder kaiserliche Truppen in Breisach einmarschieren96. Die vorderösterreichische Regierung versuchte die Reorganisation der Lande, ergriff Maßnahmen gegen Kollaborateure, wollte die Kontributionen aktivieren und in einem schon komplett ausgeplünderten Territorium wieder zu den traditionellen Herrschaftspraktiken übergehen. Im Frühjahr 1634 wendete sich die Situation allerdings erneut. Nach dem Tod Wallensteins besetzten die Franzosen Hagenau und Philippsburg, was den Einfluss Frankreichs stärkte. Ein letztes Aufbäumen der habsburgischen Verbündeten folgte, bei dem sich Erzherzogin Claudia aktiv einschaltete, aber nur langsam sammelten sich kaiserliche Truppen bei Thann und Sennheim. Die Kaiserlichen unter Markgraf Wilhelm wurden zwischen Wattweiler und Thann am 2. März 1634 von schwedischen Truppen vernichtend geschlagen. Der Markgraf schrieb die Niederlage vor allem der Feigheit der Reiterei zu und veranlasste die kaiserlichen Truppen, sich über das St. Amarinstal und die burgundische Pforte zurückzuziehen, um sie dort wieder neu zu formieren. In der Folge konnten 95  Zu den Landfahnen: Speck, Landstände (wie Anm. 1) 1 438; Ruppert, Kriegsereignisse (wie Anm. 18) 270–285. Auch Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 133–137, sieht die Zusammenhänge zwischen Landesrettung und Mobilisierung der Landfahnen und ähnlichen Organisationsstrukturen durch die kaiserliche Generalität gegen die Schweden. 96  Ruppert, Kriegsereignisse (wie Anm. 17) 339–357; Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 104f.

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Dieter Speck Abb. 4: Bernhard von Sachsen-Weimar (1604–1639), im Hintergrund die Städte Würzburg und Breisach, auf die er Herrschaftsansprüche erhob (Quelle: Universitätsarchiv Freiburg D 13/2615)

sich die Schweden fast des gesamten Elsass’, des Hochrheins mit Ausnahme Rheinfeldens und des Breisgaues ohne Breisach bemächtigen. Die vorderösterreichischen Lande waren erneut fast komplett verloren. Dieser Sieg wurde als so bedeutend angesehen, dass ihn der schwedische Kanzler Axel Oxenstierna (1583–1654) in Erfurt mit Gottesdiensten und Kanonendonner feiern ließ97. 4.5. Bernhard von Weimar und Frankreich

In Frühjahr 1634 agierten Franzosen, Schweden und Habsburger im Elsass, die Lage war unübersichtlich, weder herrschte offener Krieg, noch Frieden. Rheinfelden, das im August des Jahres kapitulierte, hoffte wie Breisach auf Versorgung und Entsatz durch habsburgische Truppen, die vorderösterreichische Ritterschaft hatte sich im Exil des protestantischen Basel eingerichtet98. So konnten Zweifel an der Loyalität von Ritterstandsangehörigen aufkommen wie gegen die Waldner von Freundstein99. Als sich das Kriegsge97   Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 3 3–70, insbes. 36–38; Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 105f. 98  Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 3 321; Speck, Landstände (wie Anm.1) 1 243–262, 485–493. 99  Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 2 153f.; ebd. 3 263.



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schehen 1634 in den bayerischen Raum und Innerschwaben verlagert hatte, herrschte am Oberrhein relative Ruhe. König Ferdinand von Ungarn hatte vor Regensburg militärische Erfolge erzielt, denen sich der Sieg der vereinigten kaiserlichen, spanischen und bayerischligistischen Armeen bei Nördlingen am 5. September 1634 anschloss. Diese Niederlage der Schweden hatte enorme machtpolitische Verschiebungen in Süddeutschland zur Folge, führte zum Prager Frieden 1635 und rückte zugleich den Oberrhein wieder ins Zentrum des Kriegsgeschehens. Frankreich übernahm nun schwedische Besatzungen am Oberrhein, trat offen an der Seite Schwedens in den Krieg ein (1. November 1634) und hatte mit Bernhard von Sachsen-Weimar einen deutschen Verbündeten. Teile des Unterelsass, aber auch des Oberelsass, kamen nun unter französische Kontrolle100. Der Erfolg der Kaiserlichen bei Nördlingen veranlasste die vorderösterreichische Regierung zu Siegesfeiern mit Prozessionen (21. September 1634), doch änderte das nichts daran, dass fast die gesamten habsburgischen Gebiete besetzt waren101. Mit der Annektierung großer Teile Württembergs durch kaiserliche Truppen rückte das Kriegsgeschehen wieder näher an den Oberrhein, und Frankreich übernahm die Städte Belfort, Dattenried/Delle und Colmar. Dies war insofern von signifikanter Bedeutung, da diese Überlassung vom schwedischen Residenten im Elsass vollzogen wurde und dies in einem zweiten Schritt auf Reichsstädte, bischöflich-straßburgische Gebiete und vorderösterreichische Städte ausgedehnt wurde. Die vorderösterreichische Regierung berichtete König Ferdinand darüber, dass Frankreich „Mittel und Weg suchen werde, wie sie sich fürderlichst das ganze Oberelsaß und Sundgaus bemächtigen könnten“102. Währenddessen versuchte im Jänner 1635 erneut ein landständischer Ausschusstag in Breisach den Weg in die Normalität zu weisen, was aber wiederum Geldbewilligungen für Rüstungen bedeutete, da einerseits lothringische, prohabsburgische Truppen plündernd umherzogen und andererseits ein französisches Heer über die burgundische Pforte in die Rheinebene zog. Als die französischen Truppen sich zurückzogen, gingen viele Einheiten zum Heer Bernhards von Sachsen-Weimar über, der sich anschickte, den Oberrhein zu erobern. Anfang April beschäftigten sich die Stände mit der durch den Tod Erzherzog Leopolds erforderlichen Erbhuldigung, die notwendig war, damit Erzherzogin Claudia in vollem Umfang Herrschaftsrechte für ihre Kinder wahrnehmen konnte. Laut Berichten waren fast drei Viertel der Bevölkerung in den habsburgischen Territorien geflohen oder gestorben, prägten durchziehende Söldner ebenso den Alltag wie die Gegenwart französischer Truppen, die auch den Ritterstandspräsidenten von Rappoltstein zur Unterstützung zwangen103. Auch 1636 begann wieder mit einem Ausschusstag der Stände in Breisach, der schlecht besucht war und der eine kaum nennenswerte Summe bewilligte, die zu erheben noch dazu unrealistisch war. Die einquartierten habsburgischen Soldtruppen im Sundgau, die gegen Frankreich operieren sollten, stellten eine weitere Belastung dar. Damals 100  Heidendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 108–112. Zu Bernhard von Sachsen-Weimar: Ariane Jendre, Diplomatie und Feldherrnkunst im Dreißigjährigen Krieg. Herzog Bernhard von Weimar im Spannungsfeld der französischen Reichspolitik (1633–1639) (Berlin 1998); Bernhard Röse, Herzog Bernhard der Große von Sachsen-Weimar, 2 Bände (Weimar 1828–1829). 101   Unmittelbar nach dem Nördlinger Sieg war Hans Heinrich von Reinach zum Militärgubernator der Festung Breisach (9. September 1634) benannt worden; Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 3 82. 102  Ebd. 3 92, 101. 103  Ebd. 3 180–187.

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scheint der schwedische Kanzler Axel Oxenstierna (1683–1654) Bernhard von SachsenWeimar bewogen zu haben, das Elsass anzugreifen104. Obwohl sich in Breisach die Versorgung der Festung immer schwieriger gestaltete, besuchte König Ferdinand die Festung am 19. August 1636 und konnte das Zurückweichen der französischen Truppen verfolgen. Ferdinand hielt sich im August und September dort auf und besuchte von hier aus wiederholt Freiburg105. Paradoxerweise war gerade in diesen Kriegsjahren die Häufigkeit der Aufenthalte von Habsburgern wie auch anderer hochrangiger Fürsten in den vorderösterreichischen Landen so hoch, wie sie in Friedensjahren nie war. Nach dem Tod Kaiser Ferdinands II. im Februar 1637 berief Erzherzogin Claudia die vorderösterreichischen Landstände erneut umgehend ein. Selbst in dieser Situation größter Not waren die Tiroler Stände ihrerseits nur zu minimaler Hilfe bereit, für den Entsatz der Vorlande oder die Landesdefension wollten sie nichts aufbringen, schließlich seien die vorderösterreichischen Lande nicht ihr Land106. Anfang Juni 1637 stand Bernhard von Sachsen-Weimar bereits bei Belfort. Im Oktober lagerten die Weimarer Truppen im Raum von Pruntrut, Delémont und Basel und verproviantierten sich aus der Region. Von der Vorbereitung des Feldzuges gegen den Oberrhein profitierte Basel wirtschaftlich, obwohl der Herzog die Neutralität der Eidgenossenschaft ignorierte107. Um Bernhard von Sachsen-Weimar hatten sich seit März 1635 die Reste der schwedischen Verbündeten geschart und Verträge mit der französischen Krone, die das Heer finanzierte, abgeschlossen. Dadurch hatte Herzog Bernhard von Frankreich die Landgrafschaft Elsass und die Stadt Hagenau als französisches Lehen erhalten, wobei der Status der Landgrafschaft als Lehen, Eigentum oder Nutznießungsmasse zwischen den Vertragspartnern nicht klar definiert war108. Eines der ersten Kriegsziele war für Bernhard von Sachsen-Weimar die Eroberung Breisachs. Dazu zog er Ende Jänner 1638 an Basel vorbei auf die Waldstädte zu, um Rheinfelden zu erobern und die Verbindung zwischen dem Bodensee und dem Oberrhein zu kontrollieren. Nach der Eroberung Rheinfeldens im März zog er nach Freiburg und unterbrach die Versorgungsmöglichkeiten für Breisach. Im Ergebnis kontrollierte er 1638 die burgundische Pforte, den Hochrhein und den Breisgau. Mitte Mai begann Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar mit der Belagerung von Breisach. Mehrere habsburgische Versuche zum Entsatz Breisachs scheiterten. Nachdem auch die Rheinbrücke unter der Kontrolle der Weimarer Truppen war, musste sich Breisach nach monatelanger Belagerung am 17. Dezember 1638 ergeben109. In der Stadt hatte sich die Lage dramatisch zugespitzt – von Inflation, Hungersnot, Seuchen, Mangel und Vorfällen von Kannibalismus wird berichtet110, wobei zwischen realer Notsituation und propagandistischer Übertrei  Ebd. 3 237.   Mallinger, Tagebücher (wie Anm. 74) 585; Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 3 252–262. 106 Josef Egger, Geschichte Tirols von den ältesten Zeiten bis in die Neuzeit, 3 Bde. (Innsbruck 1872– 1880) 2 379. 107  Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 3 291; Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 122–130; Leonhard Haas, Schwedens Politik gegenüber der Eidgenossenschaft während des Dreißigjährigen Krieges (Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 9, Bern 1951) 68–160. Später wurde die Neutralitätsverletzung durch die Schweden bei ihren Operationen am Bodensee und während des Seekrieges zum noch weitaus größeren Problem. 108  Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 117f. 109  Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 3 307–337. 110  Mallinger, Tagebücher (wie Anm. 74) 587–589. 104 105



Zwischen den Linien 117 Abb. 5: Isaak Volmar (1582–1662), letzter vorderösterreichischer Kanzler und Unterhändler des Kaisers in Münster (Quelle: Universitätsarchiv Freiburg D13/600)

bung kaum zu unterscheiden ist. Dazu kamen in Breisach Spannungen zwischen dem Festungskommandanten Hans Heinrich von Reinach (1589–1645) und der zivilen Regierung unter Kanzler Volmar. Mit der Übergabe der Stadt, dem Auszug der Verteidiger sowie der letzten Regierungsmitglieder – Kanzler Dr. Isaak Volmar, Georg Friedrich von Andlau (1599–1676) und Hans Conrad von Flachslanden – endete die habsburgische Herrschaft111. Bei der Übergabe Breisachs musste Kanzler Volmar im Büßergewand und barfuß vor Herzog Bernhard erscheinen, drei Fußfälle leisten und dreimal um Gnade flehen, ehe er abziehen durfte, was die besondere Demütigung verdeutlichte112. „Es war ein Donnerstreich für unsre Voreltern, da sich die Absichten des Herzogs Bernhard von Weimar dahin entwickelten, daß er das Elsaß samt dem Breisgau, Ortenau und Schwarzwald als ein Eigentum für sich zu behalten, und zu einem Herzogthum zu erheben gesinnet sey“113. Herzog Bernhard war nach der Eroberung Breisachs unumschränkter Herr am Oberrhein. Mit dem Vertrag in St. Germain (19. Oktober 1635) band sich der Herzog an Frankreich und ließ sein Heer durch die französische Krone finanzieren. Im Gegenzug erhielt er die Zusicherung „qu‘il jouisse tous les droits et reuenues qui appartenoient cydeuant a la maison d´Autriche en Alsace“114, d. h. alle Rechte und Einkünfte, die dem Haus 111   Zur Belagerung Breisachs Oberst Leander Heinrich Wetzer, Der Feldzug am Ober-Rhein 1638 und die Belagerung von Breisach. Beiträge zur Geschichte des Dreissigjährigen Krieges. Mitteilungen des k.k. KriegsArchivs N. F. 1 (Wien 1887) 223–344, Bd. 3 (Wien 1889) 257–378; Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 122–129. 112  Seidel, Oberelsass (wie Anm. 2) 160. 113  Kreutter, Geschichte (wie Anm. 5) 2 325f. 114  Röse, Herzog Bernhard (wie Anm. 100) 2 478 (6. November 1635).

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Österreich im Elsass gehörten, genießen zu dürfen. Diese Zusicherung kann nicht automatisch mit der Herrschaft in der Landgrafschaft Elsass und der Reichslandvogtei Hagenau gleichgesetzt werden, da die Reichslandsvogtei dem Reich und nicht dem Haus Österreich gehörte, ebenso waren die breisgauischen Bestandteile nicht darunter zu subsummieren. Von schwedischer Seite wurde natürlich davon ausgegangen, dass Bernhard „jouisse du Landgraviat d´Alsace et du Baillage de Hagenau“115, die ihm als französisches Lehen zugesichert worden seien, während das zuvor genannte Zitat nur Nutzungsrechte nennt. Herzog Bernhard ging von der französischen Zusicherung aus, die Gebiete, die er von den Habsburgern erobert hatte, behalten zu dürfen, was darauf ausgerichtet gewesen sein dürfte, die habsburgische Macht am Oberrhein dauerhaft zu brechen und einen Puffer zwischen Frankreich und den habsburgischen Erblanden zu errichten. Ausgehend von den tatsächlichen umfangreicheren Eroberungen Bernhards war neues Konfliktpotential angelegt. Sicher scheint, dass Bernhard von Weimar eine politische und militärische Allianz mit Frankreich einging und trotz aller Differenzen ein verlässlicher Bündnispartner der Franzosen war. Andererseits ließ er sich nicht in die reichspolitischen Pläne Frankreichs einbinden116. Vermutlich wollte Herzog Bernhard aus seinen Eroberungen im Elsass, in Burgund und der Franche-Comté am Oberrhein ein eigenes Fürstentum errichten, ohne dass zweifelsfrei klar ist, wie konkret das hätte aussehen sollen. Diese Gedanken waren nicht neu, aber am Oberrhein durchaus eine geläufige Vorstellung – so sprach ein Colmarer Rat 1643 davon, dass das Land am Oberrhein bald wieder den Namen „Austrasien“ führen werde117. Ein solches Gebilde hätte die Funktion eines Puffers oder Satellitenfürstentums Frankreichs am Oberrhein einnehmen können. Auch Erzherzogin Claudia erkannte wohl die französisch-weimarischen Bestrebungen und machte den Kaiser schon im Jänner 1635 eindringlich auf diese Gefahren aufmerksam118. Bernhard von Sachsen-Weimar ergriff unmittelbar nach der Eroberung Breisachs Anfang 1639 Maßnahmen zur Einsetzung von Räten, die sich um Polizei, Regierung, Kammergut und Aufrichtung der Justiz, aber auch um die Wiederaufrichtung des Protestantismus kümmern sollten119. Zeitgleich nahmen Hans Friedrich Truchsess von Rheinfelden († 1659) und Hans Theobald Reich von Reichenstein, zwei Vertreter des exilierten Ritterstandes, mit Herzog Bernhard Kontakt auf. Wie das zu werten ist, bleibt spekulativ, aber durchaus spannend, da Teile des vorderösterreichischen Ritterstandes protestantisch waren. Die Zielstrebigkeit der Kontaktaufnahme war möglicherweise dadurch motiviert, dass sie in ihre Herrschaften zurückkehren wollten120. Zur Klärung wären Forschungen zu Konfession und Loyalität des Adels ein dringendes Desiderat. Herzog Bernhard scheint zunächst noch Eroberungspläne in Burgund verfolgt zu haben, während am Oberrhein Gerüchte über eine Herrschaftsbildung oder über Heiratsverbindungen kursierten. So ist spekulativ, was aus dem Oberrhein werden sollte: Abtretung der Gebiete an Frankreich, Weimarer Fürstentum und Pufferstaat oder Frankreichs Faustpfand bis zu Friedensverhandlungen waren nur einige Möglichkeiten. Während sich Erzherzogin Claudia noch über die Lage am Oberrhein unterrichten ließ, begrüßten Colmar und andere Städte Herzog Bernhard bereits als Landesfürsten.   Ebd. 2 465.   Jendre, Diplomatie (wie Anm. 100) 260. 117  Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 3 410 118  Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 118. 119  Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 3 345. 120  Ebd. 3 334, 346, 371. 115 116



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Noch bevor sich die neue politische Konstellation am Oberrhein jedoch stabilisieren konnte, erkrankte Herzog Bernhard, der sich im Juli 1639 in Neuenburg aufhielt, an schwerem Fieber oder der Pest und verstarb. Zunächst wurde er am 29. Juli 1639 in Breisach bestattet, bis er 1655 nach Weimar überführt wurde. Sein Testament dokumentiert den Wunsch, seine Eroberungen am Oberrhein als vererbbares Territorium zu begreifen, das er demjenigen seiner Brüder zukommen lassen wollte, der das Erbe annahm, wie er auch die Führung seiner Armee zu regeln suchte. Wichtig war dem Herzog, dass sein Territorium beim Reich bleiben sollte und sich an der Krone Schweden als Schutzmacht der Protestanten orientiere. Nur wenn sich kein Erbe finde, sollten die Territorien bis zu einem Friedensvertrag in Händen des französischen Königs bleiben121. Nach dem Tod Bernhards trat man von französischer Seite an seine Generäle heran, um sich deren Militärmacht zu versichern. Doch die vier Generäle des Weimarers waren sich keinesfalls einig, und auch dem kaiserlichen Gesandten in Basel war klar, dass Breisach der Schlüssel für die Zukunft sei und wer die Armee bezahle – der König von Frankreich oder der Kaiser –, der habe die Gewalt über sie122. Schließlich wurde im Oktober 1639 ein Vertrag geschlossen, der die Armee in französische Dienste nahm. Die kaiserlichen Unterhändler in Basel waren mit ihren Bemühungen gescheitert. Währenddessen kursierten Gerüchte, dass Frankreich in Breisach ein Parlament einrichten wolle123. Erzherzogin Claudia versuchte derweil, mit Spanien ein Bündnis zur Rückeroberung des Elsass zu schließen, was die Wiederherstellung der „Spanischen Straße“ zum Ziel hatte, während Erzherzog Leopold Wilhelm, der ja auch Bischof von Straßburg war, das Kommando über die Reichsarmee erhielt. Ein Problem für die Erzherzogin blieb, dass die Tiroler Stände ihr zwar finanzielle Hilfe bewilligten, diese aber nur innerhalb Tirols einzusetzen bereit waren. Hier zeigt sich ein typisches Problem der ständischen Landesdefension, die von der Realität überholt wurde und dem neuzeitlichen, großräumigen Agieren der Heere nicht mehr gewachsen war. Das Bündnis, dem später auch der Kaiser beitrat, wurde im April 1639 in Madrid ausgefertigt; spanische Niederlagen in den Niederlanden, in Burgund, in Italien und in den Pyrenäen sowie zunehmende Finanznöte veränderten aber die Kriegslage in Deutschland infolge ausbleibender spanischer Unterstützung nachhaltig. 121   Aus dem Testament Bernhards: „sol wollen wir, daß solche beyem Reich Teutscher Nation erhalten werden, und derowegen verschaffen und vermachen wir dieselbe hirmit einem unserer freundlichen lieben Herren Brüdern, welcher dieselbe anzunemen begehren wirdt, und derselbe kann und wolle sich bey Ihro May. Und Cron Schweden aufs beste alß immer möglich insinuiren, Damit S. Lden bey gedachten Landen umb so viel destomehr manteniret werden möge. Solte aber unserer Herrn Brüder keiner die Lande annemen wollen, so halten Wir für billich, daß Ihro May in Franckreich inn allwege den Vorgang habe, Doch dergestalt, daß Ihro May. Und unsere garnisonen darinn gehalten, und wann es zu einem Universal Friden kommen wirdet, sie Lande dem Reich restituirt werden sollen“; Röse, Herzog Bernhard (wie Anm. 100) 554f. Der Umfang des Bernhardschen Territoriums umfaßt die Herrschaften: Belfort, Dattenried/Delle, Thann, Sennheim/Cernay, Isenheim, Altkirch, Pfirt/Ferrette, Rheinfelden, Hauenstein, Kastel- und Schwarzenberg, Elzach, Landser, Kirnberg, Ober-Bergheim, Ensisheim, Laufenburg, Wehr und Bernau, die Städte Freiburg, Breisach, Neuenburg, Waldkirch, Kenzingen, Endingen, Rheinfelden, Säckingen, Laufenburg und Waldshut, die Pfandschaften: Bollweiler, Masmünster, Blumberg, Hohkönigsburg, Rotenberg/Rougemont, Staufen, Kirchhofen, Hochfelden und darüber hinaus die nichtösterreichischen Herrschaften Heitersheim, Hohentwiel, Landgrafschaft Stühlingen, Grafschaft Sulz, Dachstein, Delsberg und St. Amarinstal. 122  „Die Haltung des Ernestiners ist vor dem Hintergrund seines reichsfürstlichen Selbstverständnisses nachvollziehbar. Indem er die Plätze dem französischen König ohne Vorbehalte zur Inbesitznahme angeboten hätte, wäre er seinem Empfinden nach in die Position eines französischen Generals und nicht in die eines mit Frankreich aliierten Reichsfürsten geraten“; Jendre, Diplomatie (wie Anm. 100) 256, bzw. 255–257. 123  Ellerbach, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 3) 3 359–373.

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Am Oberrhein selbst war die Lage desaströs. Breisach hatte den größten Teil seiner Bewohner verloren; Freiburg wechselte innerhalb kürzester Zeit sechs Mal den Besitzer und im Sundgau war die Bevölkerung mindestens um ein Drittel zurückgegangen124. Ein Befehlshaber der Weimarer Truppen meinte, dass er sich drei Feinden gegenübersehe: den Kaiserlichen, der Bürgerschaft und seinen eigenen Soldaten, von denen die meisten aus ehemaligen Kriegsgefangenen bestünden125. Der Druck der Besatzer war nicht geringer geworden, da beispielsweise Generalmajor Johann Ludwig von Erlach (1595–1650) als militärischer Nachfolger Bernhards von Sachsen-Weimar den vorderösterreichischen Ritterstand zu einer Treueerklärung auf die französischen Krone zwang (12. November 1639), was Erzherzogin Claudia dazu veranlasste, umgehend die Namen dieser sich mit dem Feind verbündenden Adeligen als Verräter feststellen zu lassen126. 4.6. Rückeroberungsversuche

Schon wenige Tage nach dem Tod Herzog Bernhards 1639 schien die Hoffnung bei den Soldaten aufzukeimen, aus dem Bodenseeraum wieder an den Oberrhein vorrücken zu können. Strategische Bedeutung dafür hatte die württembergische Festung Hohentwiel, die nach der Schlacht von Nördlingen an den Kaiser hatte ausgeliefert werden sollen, was ihr Kommandant Konrad Widerholt (1598–1667) aber verweigerte und sich stattdessen mit Schweden verbündete127. Ob dies tatsächlich ohne Wissen des württembergischen Herzogs erfolgt war, ist umstritten, zumal die Herausgabe der Festung eine Voraussetzung für die Wiedereinsetzung Herzog Eberhards von Württemberg (1614–1674) war128. Mit seinen Raubzügen und der Kontributionspolitik beherrschte Widerholt weite Teile Südwürttembergs, des Bodenseeraumes und Oberschwabens und wurde zum militärischen Machtfaktor gegen die habsburgischen Operationen. Bei der habsburgischen Besetzung Südwürttembergs konnte auch die Tiroler Linie der Habsburger die Herrschaften Achalm, Hohenstaufen und Blaubeuren in Besitz nehmen und bemühte sich, diese Ansprüche auch juristisch zu begründen. Dies war eine bisher kaum beachtete Episode einer Expansionspolitik der Tiroler Habsburger. Sie zeigt, wie sehr immer wieder württembergische und vorderösterreichisch-tirolische Ansprüche einander beeinflussten, aber trotz militärischer Überlegenheit waren die Habsburger hier nur zeitweise erfolgreich. Besonders die rabiaten Rekatholisierungsversuche waren kontraproduktiv. Mit dem Schwinden der katholisch-kaiserlichen Macht in der letzten Kriegsphase brach die habsburgische Herrschaft in den südwürttembergischen Herrschaften dann all  Ebd. 3 504.   Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 1 131. 126  Ebd. 1 132f. 127  Ebd. 1 113f. 128   Der Festungskommandant Widerholt war wohl entgegen althergebrachter Darstellungen eher ein auf den eigenen Vorteil bedachter Kriegsunternehmer als ein Patriot und Beschützer des Protestantismus; Eberhard Fritz, Konrad Widerholt, Kommandant der Festung Hohentwiel (1634–1650). Ein Kriegsunternehmer im europäischen Machtgefüge. Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 76 (2017) 219–267, insbes. 228–233; Eduard Widmoser, Österreich ringt um Hohentwiel, in: Hohentwiel, Bilder aus der Geschichte des Berges, hg. von Herbert Berner (Konstanz 1957) 185–197; Albert Steinegger, Der Hohentwiel in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: ebd. 198–219; Casimir Bumiller, Hohentwiel: die Geschichte einer Burg zwischen Festungsalltag und großer Politik (Konstanz 1990). Siehe auch Bernd Warlich, http://www.30jaehrigerkrieg.de/ widerholt-conradt/ [21.6.2018]. Zum Vertrag zwischen Widerholt und Herzog Weimar siehe Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 2 112–114. 124 125



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mählich zusammen. Nicht unerheblichen Anteil daran hatten die Kontributionszüge, die von der Festung Hohentwiel ausgingen. Dies war natürlich einer der Gründe, weshalb Erzherzogin Claudia immer wieder energische, aber vergebliche Versuche unternahm, den Hohentwiel zurückzuerobern129. Im Sommer 1639 gab es Anstrengungen zur Belagerung des Hohentwiel, aber durch die Veränderung der Kriegslage in Norddeutschland wurden schon nach kurzer Zeit wieder alle kaiserlichen Truppen abgezogen und die Belagerung im November 1639 vollständig abgebrochen. Erzherzogin Claudia versuchte mit Bewilligungen der Tiroler Stände eine neue Offensive zu erreichen, doch der Kaiser lehnte 1640 ab. Auf dem Reichstag in Regensburg 1640/41 wurden wiederum Rückeroberungspläne ventiliert. Von Tiroler Seite war der neue oberösterreichische Kammerpräsident und vorige vorderösterreichische Kanzler Isaak Volmar die treibende Kraft. Volmar hatte unmittelbar nach dem erfolgreich abgewendeten Angriff der Schweden auf Regensburg Audienzen bei Kaiser Ferdinand III. und Erzherzog Leopold Wilhelm, denen er die Lage am Oberrhein zu verdeutlichen suchte. Schließlich entschied man, den Hohentwiel im Falle einer erfolgreichen Eroberung der Tiroler Linie zuzuschlagen130. Im Oktober 1641 begann schließlich die Belagerung des Hohentwiels, die durch Versorgungsschwierigkeiten, Wettereinbrüche und drohenden Entsatz aus dem Breisgau in ständiger Gefahr war131. Nach dem Abzug der bayerischen Truppen musste die Belagerung aufgehoben werden, wobei die Gründe vermutlich Streitigkeiten zwischen den Befehlshabern waren. Die Vorschläge Volmars zur Fortführung des Vorhabens verhallten, und die Erzherzogin berief Volmar im Jänner 1641 nach Innsbruck zurück, da sie am Wiener Hof mit ihren Bitten nicht durchdrang und davon ausgehen musste, dass die Wiedergewinnung der vorderösterreichischen Lande in Wien als nachrangig angesehen wurde. Die Kriegsereignisse nahmen in der Folgezeit einen schwankenden Verlauf, blieben aber für den Oberrhein selbst ohne gravierende Veränderungen. Kardinal Richelieu starb im Dezember 1642, kurz darauf im Mai 1643 auch der französische König Ludwig XIII. Volmar versuchte, den bayerischen General Franz von Mercy (1597–1645) erneut für die Rückeroberung der vorderösterreichischen Lande zu gewinnen. Nur noch einmal kam es zu einer großen militärischen Auseinandersetzung bei Freiburg im Sommer 1644, als Henri de La Tour d’Auvergne, Vicomte de Turenne (1611–1675), auf die bayerische Reichsarmee unter Mercy stieß, die Freiburg einnahm. So kam es zu einer verlustreichen Schlacht vor Freiburg vom 3. bis 5. August 1644, die militärisch eher als Patt endete. Nach Abzug beider Armeen hatte sich an den Kräfteverhältnissen nichts verändert. Breisach blieb französische Festung, Freiburg kaiserlich. Im April 1646 übergab Erzherzogin Claudia die Regentschaft an ihren Sohn Ferdinand Karl. Volmar schied aus Tiroler Diensten aus und trat als einer der kaiserlichen Hauptbevollmächtigten auf dem Friedenskongress in Münster auf. Dennoch waren bei Regierungsantritt von Erzherzog Ferdinand Karl in Innsbruck nicht alle Kampfhandlungen im Südwesten eingestellt, da 1643 Franzosen und Württemberger Überlingen eroberten, bis es 1644 von bayerischen Truppen rückerobert wurde. 129  Eberhard Fritz, Die „Pfandschaft Achalm“ im Besitz der Tiroler Linie des Hauses Habsburg. Expansionsbestrebungen in Vorderösterreich während des Dreißigjährigen Krieges. Reutlinger Geschichtsblätter 49 (2010) 239–348. Bei z. B. 336 unten, 341 oben ist vielleicht auch eine andere Interpretation denkbar. 130  Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 2 131–141. 131 Ebd. 2 148–150.

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1645 wurde Mainau von württembergischen Truppen angegriffen, 1647 eroberten schwedische Truppen Bregenz. In diesen Jahren herrschte auf dem Bodensee ein von Schweden betriebener Seekrieg mit dem Ziel, die Handelsrouten zu beherrschen132. Da Bayern ein Separatabkommen mit Frankreich abgeschlossen hatte (7. März 1647), waren die Habsburger im Südwesten zeitweise ausgeschaltet. Der Kaiser versuchte sich zwar der bayerischen Truppenteile zu versichern, hatte aber nur begrenzten Erfolg. Ferdinand Karl von Tirol bemühte sich, ein Regiment am Bodensee zum Schutz von Vorarlberg und Tirol zu unterhalten, das bis Kriegsende ansatzweise vor Ort aktiv war133. Kaiserliche Truppen wurden im Sommer 1647 nach Innsbruck abgeordnet, doch ihr Befehlshaber hatte besondere Anweisungen, die nicht einmal dem Erzherzog mitgeteilt wurden. Da diese Truppen wenig effektiv, aber teuer waren, bat Innsbruck den Kaiser, sie wieder abzuziehen. Dies zeigt, wie wenig Einvernehmen unter den Habsburgern herrschte und wie schlecht die Kommunikation zwischen Wien und Innsbruck funktionierte. Umgekehrt unterstützte auch Ferdinand Karl den Kaiser nicht, als dieser nach seiner Niederlage bei Eger (16. Juli 1647) um Hilfe bat. Erst als Bayern sich ab September 1647 wieder an Österreich annäherte, war die Situation in Südwestdeutschland wieder etwas günstiger, doch 1648 unternahmen schwedisch-französische Truppen neue Vorstöße im Alpenvorland. Zu diesem Zeitpunkt waren nahezu die gesamten österreichischen Besitzungen vor dem Arlberg und dem Fernpass, mit Ausnahme von Konstanz und Vorarlberg, in den Händen der Gegner der Habsburger.

5. Der Friede von Münster – die vorderösterreichischen Lande zwischen Verlust und Rückgewinn Erschöpfung und Kriegsmüdigkeit brachten ab 1645 die Verhandlungen zwischen der französischen Krone und dem Haus Habsburg in Gang, in denen das Elsass als Hauptgegenstand der französischen Satisfaktion eine erhebliche Rolle spielte. Im Ergebnis sollte der Kaiser für sich, das Gesamthaus Habsburg und das Reich die Landgrafschaft Oberund Unterelsass, den Sundgau bzw. die Grafschaft Pfirt, Breisach, die Reichslandvogtei Hagenau und die Dekapolis an Frankreich abtreten, wobei eine Sonderklausel den Reichsständen ihre Reichsunmittelbarkeit verbürgen sollte. Die Formulierungen blieben vage und standen schon seit 1646 zur Debatte, wurden aber auch später nicht präzisiert. Probleme bereiteten dabei nicht zuletzt die differenten Herrschaftstitel der Habsburger in den Landgrafschaften Ober- und Unterelsass. Im Besitz der Landgrafschaft Oberelsass waren sie als Landgrafen, wobei es sich um ein relativ geschlossenes Territorium handelte, das rechtlich der vorderösterreichisch-tirolischen Linie gehörte. Das Unterelsass hingegen bestand nur aus einem Konglomerat heterogener Rechte, von Reichsständen und Reichsuntertanen, zu denen auch der Fürstbischof von Straßburg mit dem Titel eines Landgrafen im Unterelsass gehörte. Ein Territorium war mit der Landgrafschaft Unterelsass nicht verbunden. Dass seit 1607 Habsburger – zuerst Erzherzog Leopold, dann Erzherzog Leopold Wilhelm – Fürstbischöfe von Straßburg waren, vereinfachte die Situation nicht. Im Unterelsass befand sich außerdem die Reichslandvogtei, welche die Reste des Reichsgutes 132 Heribert Küng, Vor 350 Jahren: Ende des Dreißigjährigen Krieges in der Region Bodensee-Alpenrhein. Montfort 50 (1998) 182–191. Siehe auch den Beitrag von Alois Niederstätter in diesem Band. 133 Felizitas Salfinger, Das Tiroler Landesfürstentum in der ersten Hälfte der Regierungszeit Erzherzog Ferdinand Karls (1646–1654) (Diss. Innsbruck 1953) 74–96, insbes. 85f.



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verwaltete, als Pfandschaft in habsburgischer Hand. Der Reichslandvogt hatte jedoch nur geringe Rechte über die Städte der Dekapolis, die sich über das Unter- und Oberelsass erstreckte134. Schweden und Frankreich hatten dagegen nach militärischen Gesichtspunkten Städte und Territorien im Elsass besetzt, was sich mit den genannten Rechtstiteln natürlich nicht deckte. Ein weiterer Aspekt waren die französischen Forderungen, die dezidiert an das Haus Habsburg gerichtet waren und nicht an das Reich. So erklären sich die permanenten Beteuerungen der französischen Unterhändler „das sein König nur das beanspruche, was das Haus Österreich im Elsass besessen habe, freilich mit dem Zusatz ‚gemäß dem Wortlaut des Vertrages‘“135, der nicht eindeutig war. Dieser Anspruch auf vorderösterreichischen Besitz schien einfach, aber die Formulierungen waren vieldeutig. Zudem sollte von Seiten des Kaisers das Reich bei den Reparationszahlungen eingebunden werden und Habsburg entlasten. Was anfangs als kluger Schachzug erschien, ermöglichte später die bewusst falschen Interpretationen Ludwigs XIV. und seine Gebietsannexionen im Elsass. Doch 1648 und in den Jahren nach dem Friedensschluss wurde immer wieder betont, dass Frankreich nicht mehr erhalten hätte, als den habsburgischen Besitz im Elsass136. Neben den territorialen Verlusten mit der Landgrafschaft im Oberelsass sowie dem Brückenkopf der Festung Breisach übernahm Frankreich „zwei Drittel der auf allen Vorlanden liegenden Schulden und zahlte dem Erzherzog in den Jahren 1649–1651 noch drei Millionen Livres. Der abgetretene Theil der Vorlande betrug ungefähr die Hälfte des Gesammtgebietes. Da alle Vorlande besten Falles nur 80.000 fl. jährlich abgeworfen, und Frankreich statt der Hälfte zwei Drittel der Schulden sich auflud, so war der Verlust, den Ferdinand Karl erlitt, immerhin verschmerzlich wenn auch bitter“, meinte der Tiroler Josef Egger, der zu erwähnen vergaß, dass die Vorlande 1648 fast vollständig verloren waren137. Die Entschädigung durch Frankreich erfolgte jedoch erst 1663, während die Schuldenübernahme niemals vollständig umgesetzt wurde138. Auch Franz Kreutter meinte 1790, dass „die allergrößte Schwierigkeit […] die grosse Schuldenlast“ war, also nicht die Gebietsabtretungen, erhielten doch die Habsburger etliche französisch bzw. schwedisch besetzte Gebiete zurück139. Bei den Friedensverhandlungen in Münster war der ehemalige vorderösterreichische Kanzler Isaak Volmar ein wichtiger Unterhändler, jedoch nicht für die Innsbrucker Linie, sondern für den Kaiser. Zwar wurde Volmar oft Parteilichkeit zugunsten der Tiroler Linie vorgeworfen; der Kaiser schien jedoch sehr zufrieden mit Volmars Verhandlungsgeschick. Als Erzherzogin Claudia Volmar um seine Rückkehr nach Innsbruck bat, antwortete er: „[…] also stehe ich zwischen thor und angel. Ich muss aber erwartten, waß ihrer Kayserli134  Zur Problematik der Begrifflichkeiten und ihres diplomatischen Einsatzes hier wie im Folgenden: Konrad Repgen, Über den Zusammenhang von Verhandlungstechnik und Vertragsbegriffen. Die kaiserlichen Elsaß-Angebote vom 28. März und 14. April an Frankreich, in: Konrad Repgen, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hg. von Franz Bosbach–Christoph Kampmann (Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft: Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft N. F. 81, Paderborn 1998) 643–676. 135  Grundlegend zu dieser Problematik Alfred Overmann, Die Abtretung des Elsass an Frankreich im Westfälischen Frieden. ZGO 58/N. F. 19 (1904) 79–111, 434–478; 59/N. F. 20 (1905) 103–145, hier 118. 136   Overmann (wie Anm. 135) [1905] 134–137. 137   Egger, Geschichte Tirols (wie Anm. 106) 2 407. 138   Kreutter, Geschichte (wie Anm. 5) 2 345f., 348. 139   Ebd. 2 338–344, bes. 342.

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chen mayestätt gefallen würdt“140. Volmar war sich seiner Lage bewusst, aber er war loyal gegenüber seinem jeweiligen Auftraggeber, auch wenn es für ihn lange keine abgemachte Sache war, dass das Elsass abgetreten werden müsse – erst allmählich setzt sich in Wien die Einsicht durch, dass Gebietsabtretungen unvermeidbar seien, wobei es sich vor allem um linksrheinische Gebiete handelte. Am 16. Oktober 1645 gab Kaiser Ferdinand III. seinem Unterhändler Maximilian von Trauttmansdorff (1584–1650) die Ermächtigung, Frankreich das Elsass, Breisach „und wann der friden allein an Preiskhau hafften sollte“, auch den Breisgau abzutreten. Dabei sollten die Innsbrucker Abgesandten einbezogen werden. Der Kaiser erwog, Innsbruck mit einem Stück Kärnten oder Ähnlichem zu entschädigen und so die Verluste zu verteilen. „Dann es besser einen friden zu erlangen, daß es meinem hauß obwolen einer andern lini uberlassen werde, allß daß zu continuation des khriges (dessen eventus doch dubius ist)“141. Das zeigt, wie sehr das Kaiserhaus sich am Ende seiner Kräfte fühlte und zu fast allen Opfern bereit war. Damit hatte Volmar natürlich kaum mehr Spielraum und konnte nur Schadensbegrenzung betreiben. Bei den Angeboten an Frankreich wog Volmar das militärische Gewicht von Unter- und Oberelsass gegeneinander ab, wobei für ihn das Oberelsass – mit der Burgundischen Pforte und der spanischen Franche-Comté – bedeutender war. Dass Volmar verschiedentlich Kniffe anzuwenden suchte und die Habsburger schließlich froh waren, einen Friedensschluss erreicht zu haben, steht außer Frage. Hofkriegspräsident Heinrich Schlick (1580–1650) schrieb an Reichsvizekanzler Sigmund Kurz von Senftenau (1592–1659) bei Verhandlungsabschluss (8. Oktober 1648), dass der Teufel bisher immer den Schlüssel zum Frieden versteckt habe, „doch ist ihme der Herr Volmar listiger gewest, in deme er den Schlißell gefunden“142. Diese Bemerkung zeigt die Wertschätzung des bis heute oft umstrittenen Volmar am kaiserlichen Hof wie in Innsbruck. Volmar wurde unbeschadet seiner Tätigkeit für den Kaiser 1650 zum Hofkanzler der ober- und vorderösterreichischen Lande ernannt und mit der Reorganisation der verbliebenen vorderösterreichischen Gebiete beauftragt, wozu er als letzter alt-vorderösterreichischer Kanzler geradezu prädestiniert war143. Unter diesem Gesichtspunkt ist 1648 auch die Bilanz von Abtretungen, Rückgewinnen und den Folgen für die gesamten Vorlande zu sehen. Bei Kriegsende waren faktisch die gesamten Besitzungen mit Ausnahme von Konstanz und Vorarlberg nicht mehr in habsburgischen Händen. Die Hauptlast der habsburgischen Gebietsabtretungen hatte die vorderösterreichisch-tiroler Linie zu tragen, doch handelte es sich um Gebiete, die durch den Kriegsverlauf teilweise schon über 20 Jahre verloren waren. Dass es gelang, die ausufernden französischen Forderungen einzudämmen und die Rückgabe der Vorlande östlich des Rheins, der Waldstädte und des österreichischen Schwaben durchzusetzen, ist 140 Adam Wandruszka, Die jüngere Tirolische Linie bei den westfälischen Friedensverhandlungen. Zur Geschichte der Feindschaft zwischen Isaak Volmar und Wilhelm Biener, in: FS für Univ.-Prof. Dr. Franz Huter anläßlich der Vollendung des 70. Lebensjahres, hg. von Ernest Troger–Georg Zwanowetz (Tiroler Wirtschaftsstudien 26, Innsbruck 1969) 445–453, hier 451. 141  Ebenda 452. 142  Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 2 193. 143  Dazu und den verschiedenen Werturteilen Wandruszka, Die jüngere tirolische Linie (wie Anm. 140) 445–447; Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 2 193f.; Karl-Heinrich Oldendorf, Der vorderösterreichische Breisgau nach dem Dreißigjährigen Kriege und seine Bedeutung für das Haus Habsburg-Österreich (Freiburg 1957). Zu Volmar bei den Verhandlungen in Münster: Diarium Volmar, 3 Bände, hg. von Joachim Foerster–Roswitha Philippe (APW III/C/2, 1–3, Münster 1984–1993).



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als ein sehr wesentlicher Erfolg der kaiserlichen Unterhändler in Münster anzusehen, wie Ernst Walter Heydendorff vollkommen zu Recht feststellte144.

6. Fazit Für die Regentschaft Erzherzog Leopolds in den vorderösterreichischen Territorien lassen sich verschiedene Phasen feststellten, die sich in Ambitionen und Herrschaftsräumen deutlich voneinander unterscheiden. Eine erste Phase zeigte Leopold als geistlichen Fürsten zwischen 1607 und 1612. Schon in dieser Phase hatte er Ambitionen, seinen Status in den eines weltlichen Fürsten zu verändern, versuchte dies vergeblich in Jülich und in Böhmen. In einer zweiten Phase fungierte Leopold am Oberrhein als Abt, Bischof, Oberlandvogt und Regent der vorderösterreichischen Lande zwischen 1614 und 1626 als politischer Akteur, dem die größte Ausdehnung habsburgischer Macht am Oberrhein gelang. Leopolds Machtfülle gründete sich auf unterschiedliche Funktionen und Herrschaftstitel, die er in Personalunion vereinte. Diese Kumulierung von Herrschaftsrechten in der Person Leopolds trug freilich dazu bei, dass die Gegner der Habsburger nicht zwischen Kaiser und Erzherzog Leopold oder einer kaiserlichen und einer vorderösterreichisch-tirolischen Linie unterschieden. Mit Leopolds Heirat 1626 war die Verlagerung seines Herrschaftsmittelpunktes vom Oberrhein nach Tirol verbunden. Leopolds Tod 1632 dann fiel mit der ersten schwedischen Okkupation zusammen, womit der Höhepunkt habsburgischer Macht am Oberrhein definitiv überschritten war. Präsenz und Macht der Habsburger war von da an im Niedergang. In der Zeit der vormundschaftlichen Regentschaft unter Erzherzogin Claudia waren die Möglichkeiten habsburgischer Herrschaft sehr eingeschränkt. Die französisch-schwedische Koalition beherrschte ab 1638 fast den gesamten südwestdeutschen Raum. Trotz einzelner temporärer Rückeroberungen änderte sich an dieser Situation bis 1648 nichts Wesentliches. Damit waren die südwestdeutschen Territorien, allen voran die altvorderösterreichischen Lande, 1648 schon seit langem nicht mehr unter habsburgischer Verfügung. Militärisch war das landständisch organisierte Landesdefensionswesen mit seinen Landfahnen zu einer modernen Kriegführung nicht geeignet. Die ständischen Geldbewilligungen machten rasches Agieren und Soldtruppenanwerbungen unmöglich, die Landfahnen konnten allenfalls guerillaartig unter Anleitung von professionellen Offizieren aktiviert werden, wie die Beispiele aus dem Breisgau und dem Sundgau zeigten. Dennoch scheiterten die Versuche mit milizartigen Strukturen des Widerstandes sicher an mangelnder Professionalität. Der Friede von Münster hatte am Oberrhein neue Herrschaftsstrukturen zur Folge, wobei er teilweise Faktisches, wie die französische Oberherrschaft im Elsass, festschrieb. Kriegsschulden scheinen für die Habsburger das größere Problem dargestellt zu haben; die Gebietsabtretungen und die Grenzziehung am Rhein mit dem Verlust von Breisach waren aus habsburgischer Sicht wohl eher weniger bedeutend als der erfolgreiche Rückerwerb der schwäbisch-österreichischen und der rest-vorderösterreichischen Gebiete im Breisgau, im Schwarzwald und am Hochrhein. In jedem Fall blieb der Oberrhein eine Nahtstelle zwischen spanischen und österreichischen wie auch zwischen habsburgischen und französischen Interessen145 mit vielfältigen Konsequenzen.   Heydendorff, Vorderösterreich (wie Anm. 1) 2 193.   Ob die Vereinbarungen mit der spanischen Linie über das Elsass, der sog. Oñatevertrag 1617 und 1631,

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Für die Behandlung des Oberrheins als Kriegsschauplatz fehlt in der Außensicht eine Differenzierung zwischen den beiden „deutschen“ habsburgischen Linien, ebenso eine Unterscheidung der Rechtsqualitäten von österreichischem Hausbesitz, von Landgrafschaft Oberelsass, Reichslandvogtei Unterelsass und Dekapolis. Das Nachsehen hatte in jedem Fall die vorderösterreichisch-tirolische Linie in Innsbruck. Dass der letzte vorder­ österreichische Kanzler, kaiserliche Unterhändler in Münster und danach oberösterreichische Hofkanzler Isaak Volmar auf allen Seiten habsburgischer Interessen verhandelte und nach 1648 hochgeehrt in Amt und Würde verblieb, zeigt aus Innsbrucker Sicht, dass der Verlust des Elsass nicht als schimpfliche Niederlage gesehen wurde, sondern man die Rückgewinnung der sonstigen Vorlande zu schätzen wusste. So befand sich die vorderösterreich-tirolische Linie in Kriegszeiten am Oberrhein zwischen den militärischen Fronten, so wie sie sich beim Friedensschluss zwischen den dynastischen Linien, zwischen Wien und Paris letztlich auf der territorialen Verliererstraße wiederfand.

wirklich ein eigentlicher Grund für den Kriegsverlauf darstellt, sei dahingestellt, so etwa Walter Platzhoff, Geschichte des europäischen Staatensystems 1559–1660 (Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte II/6, Oldenburg 1928) 153–242.

(2) DIE HABSBURGER: EINE DYNASTIE IM KRIEG





„Bella gerant alii“? Die österreichischen Habsburger als Kriegsherren Horst Carl

1. Heroische Defizite? Wenn es im Folgenden um die Habsburger als „Kriegsherren“ im Dreißigjährigen Krieg geht, soll diese Frage ganz auf die Rolle der habsburgischen Dynastie im Kriegsgeschehen und das mehr oder minder martialische Selbstverständnis ihrer Protagonisten konzentriert werden. Im Vordergrund stehen dabei die österreichischen Linien, auf die spanischen Habsburger sei lediglich am Rande zum Zwecke des Vergleichs eingegangen. Der Ausgangspunkt für dieses Thema liegt auf der Hand, denn wenn man die Rolle der Habsburger im Krieg thematisiert, kommt man kaum am berühmten und auf paradoxe Weise einschlägigen Distichon „Bella gerant alii – Tu felix Austria nube“ vorbei1. Michael Hochedlinger hat es geradezu als „die österreichische Meistererzählung“ apostrophiert2, obwohl die Habsburgermonarchie ihren Großmachtstatus durchaus kriegerischen Erfolgen und der Tatsache, dass auch sie die Transformation zum frühneuzeitlichen „FiscalMilitary State“ mitvollzog, verdankte3. In bemerkenswerter Parallele entwickelte sich aber schon in der Frühen Neuzeit gerade dieses Distichon zum wirkmächtigen, erinnerungskulturellen Topos der Dynastie, der das dynastische Heiratsglück und eben nicht das Kriegsglück zu ihrem Signum machte. Eine entsprechende betont unkriegerische Haltung und ein entsprechendes Selbstverständnis der Dynastie wurde dann positiv mit anderen Attributen gefüllt, allen voran der „Pietas Austriaca“4. In Sachen Frömmigkeit übertraf 1 Elisabeth Klecker, „Bella gerant alii, tu, felix Austria, nube.“ Eine Spurensuche. ÖGL 41 (1997) 30–44; für eine Übersicht über Habsburgs Kriege im 17. Jahrhundert nimmt den Beginn des Distichons in Anspruch: Claudia Reichl-Halm, Bella gerant alii …? Die Habsburger und der Zweifrontenkrieg im 17. Jahrhundert, in: „Sintflut und Simplicissimus“. Österreich und Polen im 17. Jahrhundert. Symposium 9. November 2012, hg. vom Heeresgeschichtlichen Museum (Acta Austro-Polonica 5, Wien 2013) 11–41. 2 Michael Hochedlinger, Stiefkinder der Forschung: Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie. Probleme – Leistungen – Desiderate, in: Herrschaftsverdichtung, Staatsbildung, Bürokratisierung: Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Frühen Neuzeit, hg. von dems.–Thomas Winkelbauer (VIÖG 57, Wien–München 2010) 293–394, hier 317. 3 Michael Hochedlinger, Austria’s Wars of Emergence: War, State and Society in the Habsburg Monarchy, 1683–1797 (Modern Wars in Perspective, London 2003). 4  Anna Coreth, Pietas Austriaca: Österreichische Frömmigkeit im Barock (Wien–München 21982); Thomas Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht: Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im Konfessionellen Zeitalter 2 (Österreichische Geschichte, Wien 2003) 185–239; Maria Goloubeva, The Glori-

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die Dynastie alle Konkurrenten auf dem Kontinent. Solche Fremd- und Selbstzuschreibungen entwickeln ein Eigenleben, das im vorliegenden Fall auch retrospektiv besondere Prägekraft entfaltete. Seine Plausibilität rührte zunächst daher, dass sich bei den Habsburgern auf den ersten Blick nur selten ein ausgesprochen heroischer Habitus finden lässt, wie er für Adel und konkurrierende Dynastien attraktiv und häufig auch Leitbild gewesen ist. Martin Wrede hat über die „heroische Monarchie“ in der Frühen Neuzeit bzw. heroische Monarchen jüngst einen instruktiven Sammelband herausgegeben, in dem im europäischen Vergleich der entsprechenden Selbststilisierung frühneuzeitlicher Herrscher nachgegangen wird5. Weder die spanischen noch die österreichischen Habsburger haben „roi connètables“ hervorgebracht6, wofür bei den Valois und Bourbonen etwa ein Franz I. (1494–1547) und ein Heinrich IV. (1553–1610), für die schwedischen Wasa natürlich ein Gustav Adolf (1594–1632) und ein Karl XII. (1682–1718) stehen oder für das Haus Hohenzollern der unvermeidliche Friedrich der Große (1712–1786) eine wirkungsmächtige dynastische Leitfigur verkörpert. Das vermeintliche habsburgische Defizit mag schon darin begründet sein, dass die Habsburger solche Herrscherfiguren vielleicht auch nicht nötig gehabt haben. Aber wenn man sich bekannte Exponenten der Dynastie vor und während des Dreißigjährigen Krieges vor Augen führt wie etwa Rudolf II. oder auch Ferdinand II., dann entsprechen sie solch heroischem Herrscherideal weder in der Selbstsicht noch in der jeweiligen Herrscherpropaganda. Sie waren – nicht anders als Philipp II. von Spanien7 – Verwalter und Bürokraten der Macht, die nur dann direkt mit dem Krieg konfrontiert wurden, wenn sie in ihrer Residenz belagert wurden, wie dies Rudolf 1611 und Ferdinand II. 1619 wiederfuhr. Für die Nachwelt ist durch die Literarisierung der Person Rudolfs II. in Franz Grillparzers „Bruderzwist im Hause Habsburg“ ein solch unheroisch-unkriegerisches Herrschaftsideal als habsburgisches Proprium geradezu ideologisiert worden8. Wenn man nach Ursprüngen dieses dynastischen Ideals und nach Erstzuschreibungen sucht, dann ist es immer einmal wieder für Kaiser Maximilian I. von der populären, bisweilen aber auch der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung in Anspruch genommen worden. Der mit seiner Person verbundene Aufstieg der Dynastie zur europäischen Spitzenposition wurde gern mit seinen spektakulären Heiratserfolgen, die fraglos auch dynastischem Zufall und Glück geschuldet waren, verbunden. Als einer, der gerne und häufig in Person Krieg geführt hat, und der noch im Alter 1516 nur durch einen Söldneraufstand beim Zug nach Italien gestoppt wurde, hätte Maximilian sich allerdings in einer solchen Herrscherpropaganda nicht wiedergefunden9. Zudem dürfte weder ihm noch fication of Emperor Leopold I in Image, Spectacle and Text (VIEG 184, Mainz 2000). 5   Die Inszenierung der heroischen Monarchie: Frühneuzeitliches Königtum zwischen ritterlichem Erbe und militärischer Herausforderung, hg. von Martin Wrede (HZ Beih. 62, München 2014). 6  Martin Wrede, Einleitung: Die Inszenierung der mehr oder weniger heroischen Monarchie. Zu Rittern und Feldherren, Kriegsherren und Schauspielern, in: Inszenierung (wie Anm. 5) 8–39, hier 20–22. 7  Friedrich Edelmayer, Philipp II. von Spanien – ein Ritter?, in: Inszenierung (wie Anm. 5) 170–182. 8  Heinz Politzer, Götterdämmerung der Geschichte: Ein Bruderzwist in Habsburg, in: ders., Grillparzer oder Das abgründige Biedermeier (Wien–München 1972) 351–372; Werner Schwan, Grillparzers „Bruderzwist im Hause Habsburg“: Ein skeptischer Blick in die Geschichte. Recherches Germaniques 16 (1986) 55–82. Zu Grillparzer und seiner Bedeutung für die Formulierung von Habsburgmythen im 19. Jahrhundert vgl. Oswald Redlich, Grillparzer und die Wissenschaft (Österreichische Bücherei 1, Wien 1925). 9  Von allen Habsburgerherrschern dürfte Maximilian am meisten einem kriegerisch-heroischen Herrscherideal, dem er als „letzter Ritter“ zeitlebens in Praxis wie in Repräsentation nacheiferte, entsprochen haben; Karl-Heinz Spiess, Idealisiertes Rittertum: Herzog Karl der Kühne und Kaiser Maximilian I., in: Inszenierung (wie Anm. 5) 57–75.



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seinen Nachfolgern das entsprechende Distichon bekannt gewesen sein. Ein dynastischer Wahlspruch ist es jedenfalls im Unterschied zum weit auslegbaren „aeiou“ nicht gewesen, vielmehr lässt es sich erst vergleichsweise spät, 1718, erstmals gedruckt nachweisen, nachdem es schon Mitte des 17. Jahrhunderts am Hof kursierte – dort allerdings mit Blick auf das glückliche Heiraten10. Karriere machte das unheroische Motto also erst zu einem Zeitpunkt, als man darauf hoffen konnte, dass das Zeitalter permanenten Krieges sich nach dem Ende des letzten großen Türkenkriegs vielleicht doch dem Ende zuneigen könnte. Und vielleicht hat auch eine Rolle für diese späte Karriere gespielt, dass mit Karl VI. nur noch ein einziger männlicher Repräsentant der Dynastie übriggeblieben war. Dies verweist dann schon auf die trügerische erinnerungskulturelle Suggestivität des Mottos: So unkriegerisch, wie die Habsburger in der Ära eines Karls VI. wahrgenommen werden wollten, waren sie in Wirklichkeit gar nicht, und zwar erst recht nicht, wenn man die Ära des Dreißigjährigen Krieges oder die unmittelbar voraufgehende Epoche in den Blick nimmt. Friedrich Polleroß hat anhand der Reiterstandbilder der Dynastie luzide nachgezeichnet, wie gerade diese bis in die Ära Leopolds I. einem spezifisch heroischen Typus verpflichtet waren, der eine „explizit kaiserlich-habsburgische Tradition“ darstellte11. Dass auch quantitativ in der Mitte des 17. Jahrhunderts an kriegerischen Habsburgern zumindest in puncto Repräsentation kein Mangel herrschte, demonstriert die gleichsam serielle Fertigung von Reiterstatuetten der habsburgischen Kaiser Ferdinand II. und Ferdinand III. sowie der Erzherzöge Sigismund Franz (1630–1665) und Ferdinand Karl (1628– 1662) aus der Tiroler Linie und schließlich Erzherzog Leopolds – des späteren Kaisers. Dem gleichen Abguss von Pferd und Reiter wurden lediglich individuell verschiedene Häupter aufgesetzt12. Schon diese aufschlussreiche Repräsentation von habsburgischem Heroismus und Martialität verweist darauf, dass die Dynastie umso kriegerischer erscheint, je mehr ihrer Repräsentanten in den Blick genommen werden, wenn man sich also nicht nur auf die gekrönten Häupter konzentriert, sondern auch die Erzherzöge hinzutreten. Dabei ließe dies immer noch offen, in welchem Sinne denn die Habsburger als „Kriegsherren“ aktiv geworden sind, denn nicht immer ist mit diesem Begriff zwingend verbunden, dass der Kriegsherr in Person ins Feld zieht. Der deutsche Begriff ist zeitgenössisch, gerade im 16. und 17. Jahrhundert hatte er Konjunktur13. Er reflektierte dabei den Kontext der Söldnerheere als dominanter militärischer Organisationsform der Zeit. Der Kriegsherr war Auftraggeber und Dienstherr derjenigen, die für ihn ins Feld ziehen. Auf ihn leisteten die Söldner deshalb ihren Eid. In den Geschichtswissenschaften ist der Begriff allerdings auch epochenübergreifend als analytischer Begriff definiert worden, der den „Inhaber der politischen und zugleich militärischen Macht“ bezeichnet: „Fürsten, Regierungschefs und Staatsoberhäupter, die   Klecker, Bella gerant alii (wie Anm. 1) 39.  Friedrich Polleross, „Theatro della Gloria Austriaca“: Das Reiterporträt als Herrschaftszeichen der Casa de Austria, in: Les Habsbourg en Europe: Circulations, échanges, regards croisés hg. von Alexandra Merle–Eric Leroy du Cardonnoy (Studia Habsburgica 1, Reims 2018) 79–92, Fig. 1–29. Zur symbolischen Bedeutung des einhändig gelenkten steigenden Pferdes – einer speziellen Schwierigkeit der Spanischen Reitschule – als Typus des heroischen Reiterporträts vgl. ebd. 81. 12   Zu den Statuetten von Caspar Gras aus den 1640er Jahren, die sich heute in der Wiener Kunstkammer befinden, Polleross, Theatro (wie Anm. 11) 85. Für den entsprechenden Hinweis bin ich dem Autor zu Dank verpflichtet. 13   Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. 7 (Weimar 1983) 1549f. 10 11

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Abb. 1a–b: Bronzereiterstatuen habsburgischer Kriegsherren aus den 1640er Jahren (Höhe ca. 35 cm, Sockel ca. 15 cm), dem Bronzegießer und Bildhauer Caspar Gras (1585–1674) zugeschrieben; heute in der Kunstkammer des KHM. Die Abb. 1b zeigt Kaiser Ferdinand III. (Quelle: KHM, Kunstkammer, Inventarnr. 6025, 6020, 6000, 5989 [verschiedene Abgüsse] bzw. KHM, Kunstkammer, Inventarnr. 6020, © KHM-Museumsverband)

auch oberste militärische Befehlshaber waren und diesen Oberbefehl wenigstens punktuell tatsächlich – und nicht nur durch mittelbare Instanzen – ausgeübt haben“14. Kriegsherren hatten also nach dieser Definition in Person ins Feld zu ziehen. Zurecht ist als Gegenbeispiel auf einen Habsburger verwiesen worden, nämlich Leopold I., der keiner14   Kriegsherren in der Weltgeschichte, in: Kriegsherren der Weltgeschichte: 22 historische Portraits, hg. von Stig Förster–Markus Pöhlmann–Dierk Walter (München 2006) 7–17.



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lei Anstalten gemacht habe, zum Feldherrn zu werden, der aber unbestrittener Inhaber der politischen Autorität über die militärische Gewalt geblieben sei15. Für Kaiser Leopold, seine Generation und seine Nachfolger stimmt dies ohne Zweifel. Vor und im Dreißigjährigen Krieg haben die Habsburger diesem Leitbild jedoch nicht vertraut, weil es in Gestalt von Rudolf II., aber auch Ferdinand II. deutlich geworden war, dass eine solch distanzierte Haltung zum Krieg in einer kriegsverseuchten Epoche erhebliches Unsicherheitspotenzial barg. Das Glück Austrias ruhte jedoch nicht nur auf den beiden Augen des Herrschers, sondern barg in Gestalt der Erzherzöge – der Brüder, Onkel und Neffen des Herrschers – eine veritable Personalreserve für Kriegsherren, die dann auch in Person ins Feld zogen. Man darf folglich Abb. 2: Maximilian III., der Deutschmeister, nicht allein auf Rudolf II. oder Ferdinand II. Kupferstich von Wolfgang Kilian (?) in „Annales schauen, die dem „bellum gerant alii“ auch Ferdinandei“, Bd. 1, 1640 (Quelle: Wien, Universitätsbibliothek; Foto: Friedrich Polleroß). in Zeiten, die keineswegs friedlich waren, weit eher entsprachen als diejenigen Erzherzöge, die dann wirklich Krieg führten. Weitet man den Blick auf die übrigen männlichen Mitglieder der Dynastie, dann finden sich rasch Befehlshaber und selbst Oberbefehlshaber in großer Zahl – die Habsburger führten ihre Kriege durchaus selbst.

2. Kriegerische Habsburger Um dies zu illustrieren, sei mit einer Tour d‘horizon bei einem der zahlreichen Söhne Kaiser Maximilians II., der damit für einen ausreichenden Bestand an Erzherzögen sorgte, begonnen. Maximilian III. (1558–1618) gilt als eine Schlüsselfigur der Dynastie in der Vorkriegsperiode des Dreißigjährigen Krieges16. Der Beiname „der Deutschmeister“ rührte daher, dass er seit 1585 als Koadjutor und dann 1590 als Hochmeister des Deutschen Ordens amtierte. Die Habsburger setzten sich so erstmals an die Spitze dieses spezifischen Hybrids von Glauben und Militär, mit dem sie Zugriff nicht nur auf die materiellen Ressourcen des Ordens, sondern vor allem auf dessen adelige Netzwerke im Reich erhielten. Die militärischen Meriten Maximilians III. waren allerdings durch frühe Misserfolge getrübt: 1588 geriet er an der Spitze seiner kleinen Armee in der Auseinandersetzung um den polnischen Thron nach der Niederlage gegen seinen Widersacher Sigismund Wasa (1566–1632) in Gefangenschaft – ein Schicksal, das eine Ausnahme in der langen Geschichte der habsburgischen Dynastie blieb. Dies hinderte Rudolf II. nicht, ihn   Wrede, Einleitung (wie Anm. 6) 22f.   Zu seiner Person grundlegend Joseph Hirn, Erzherzog Maximilian der Deutschmeister, Regent von Tirol, 2 Bde. (Innsbruck 1935/36); Heinz Noflatscher, Glaube, Reich und Dynastie: Maximilian der Deutschmeister (1558–1618) (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 11, Marburg 1987). 15 16

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zeitweilig mit dem Oberbefehl im Langen Türkenkrieg zu betrauen: Von 1596 bis 1597 diente Maximilian als nomineller Oberbefehlshaber der habsburgischen Truppen, ohne in dieser Eigenschaft militärisch zu glänzen und erfolgreiche Schlachten zu schlagen. Dies mag auch daran gelegen haben, dass das Kommando in Ungarn für den Oberbefehlshaber vor Ort eine undankbare Aufgabe war, denn der Lange Türkenkrieg (1592/93–1606) war vor allem durch eine Folge intensiver Grenzkämpfe und Belagerungen gekennzeichnet. Die bekannten logistischen Unzulänglichkeiten auf habsburgischer Seite machten eine nachhaltige militärische Entscheidung trotz mancher Erfolge unmöglich. Vieles jedoch wurde hier ausprobiert, von neuen Techniken der Kavallerieattacken bis hin zur Garnisonierung von Truppen in Winterquartieren, was der katholischen Seite dann zu Beginn des Dreißigjährigen Krieg ein taktisches Übergewicht verschaffen sollte17. Auch für andere Erzherzöge ist der Lange Türkenkrieg eine militärische Schule gewesen, denn Maximilian III. war nicht der einzige Erzherzog in Oberbefehlshaberposition. Auch der ältere Bruder Matthias (1557–1619) versuchte hier, sich militärische Meriten zu verschaffen, und auch ihn ernannte sein Bruder Rudolf II. gleich zweimal, 1594/1595 sowie von 1598 bis 1600, zum Oberbefehlshaber an der Türkenfront18. Dass das Modell, seine Brüder als seine Befehlshaber an die Türkenfront zu schicken, Tücken hatte, wurde Rudolf II. allerdings gerade in Matthias’ Person exemplarisch vorgeführt, denn hier verschaffte dieser sich seine Netzwerke, um schließlich mithilfe des veritablen Bruderkrieges die Nachfolgefrage militärisch zu lösen. Matthias agierte dabei im expliziten Einverständnis mit den anderen Erzherzögen, die seit 1606 die Absetzung Rudolfs betrieben19. In die Riege der militärisch aktiven Habsburger im Türkenkrieg gehört auch Markgraf Karl von Burgau (1560– 1618), der Sohn Erzherzog Ferdinands von Tirol (1529–1595) aus seiner nichtstandesgemäßen Ehe mit Philippine Welser (1527–1580). Er kämpfte in den Niederlanden und ab 1593 an der Türkenfront, zunächst als Regimentsinhaber, dann ab 1596 immerhin im Rang eines Feldmarschalls20. Komplettiert wird die Riege der militärisch aktiven Erzherzöge aus nachgeborenen Brüdern Kaiser Rudolfs II. schließlich durch Erzherzog Albrecht (1559–1621)21. Am spanischen Hof sozialisiert, legte er 1593 seine kirchlichen Ämter in Spanien nieder, um als Statthalter in den Niederlanden und schließlich als Gemahl der Infantin Isabella Clara Eugenia (1566–1633) die größte militärische Herausforderung der habsburgischen Dynastie, den Abfall der nördlichen Niederlande, militärisch zu bewältigen. Seit der Heirat regierte er 1599 als Landesherr und von daher auch als oberster „Kriegsherr“. Militärisch gelang ihm die Wende nicht, aber man muss konzedieren, dass er den immer dominanter auftretenden Niederländern auf dem Schlachtfeld immerhin einigermaßen Paroli bieten konnte und schließlich 1604 mit der Wahl des Ambrogio Spinolas (1569–1630) zum Befehlshaber der spanischen Truppen im Rang eines Generalleutnants eine exzellente Wahl traf. Der Waffenstillstand von 1609 bestätigte eine Pattsituation, die Spanien immer noch bedeutende Handlungsspielräume beließ, und auch die Wiederaufnahme des Krieges 1621, der Albrecht widerraten hatte, gestaltete sich zunächst für die Spanier erfolgreich22.   Peter H. Wilson, Der Dreißigjährige Krieg: Eine europäische Tragödie (Darmstadt 2017) 107–144.  Bernd Rill, Kaiser Matthias: Bruderzwist und Glaubenskampf (Graz 1999). 19   Wilson, Dreißigjähriger Krieg (wie Anm. 17) 147f. 20  Alfred Strnad, Karl von Österreich, Margraf von Burgau, in: Die Habsburger. Ein biographisches Lexikon, hg. von Brigitte Hamann (München 1988) 207–209. 21  Ebd. 44. 22 Luc Duerloo, Dynasty and piety: Archduke Albert (1598–1621) and Habsburg political culture in an age of religious wars (London 2012). 17 18



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Drei der sechs Söhne Kaiser Maximilians II. agierten folglich als militärische Oberbefehlshaber oder, wie im Falle Erzherzog Albrechts seit 1599, sogar als Oberbefehlshaber und Kriegsherr in Person. In der nachfolgenden Generation Kaiser Ferdinands II. finden wir zumindest im österreichischen Zweig der Dynastie dieses Modell mangels Masse an verwendbaren Erzherzögen allerdings deutlich reduziert. Zwar gab es mit dem jüngeren Bruder Ferdinands, Erzherzog Leopold (1586–1632), durchaus einen Erzherzog mit ausgesprochen militärischen Ambitionen, der sich daran auch durch seinen geistlichen Stand als Bischof von Passau und Straßburg nicht hindern ließ23 – die Erzherzöge im geistlichen Stand ließen sich ja stets als dynastische Personalreserve auch für ganz andere Funktionen aktivieren. Aber die militärischen Unternehmungen des Erzherzogs im Jülich-Klevischen Erbfolgestreit 160924 und vor allem im Bruderzwist mit der Besetzung der Prager Kleinseite 161125 endeten jeweils in Debakeln und diskreditierten ihn. Immerhin berief ihn Kaiser Ferdinand II. 1619 als Statthalter nach Wien in besonders kritischer Situation, und Erzherzog Leopold hatte durchaus seinen Anteil daran, dass sich der Bruder trotz wiederholter Belagerungen in der Hauptstadt behaupten konnte26. Seine militärischen Aktionen aber beschränkten sich im Folgenden als Statthalter Tirols auf die Sicherung Graubündens und des Veltlins für die Spanische Straße – ein heißer Nebenkriegsschauplatz des Dreißigjährigen Krieges. Andere Erzherzöge starben vor der Zeit wie Ferdinands Bruder Karl „Postumus“ (1590–1624), Fürstbischof von Breslau/Wrocław und seit 1620 auch Deutschmeister, der auf der Reise zu seinem neuen Amt als Vizekönig von Portugal in Spanien 1624 einer Krankheit erlag. Es lag nicht nur an der akuten Finanznot Ferdinands II., die ihn schließlich auf das Angebot Albrechts von Wallenstein (1583–1634) zurückgreifen ließ und einem nicht dem Herrscherhaus angehörenden Adeligen eine bislang nicht gekannte Machtfülle als Oberbefehlshaber verschaffte. Es war auch der akute Mangel an Erzherzögen, die an die Spitze des Militärs hätten gestellt werden können, die Ferdinand zu diesem Schritt motivierte. Für das Haus Habsburg war es eine geradezu traumatische Erfahrung, dass der Oberbefehlshaber der Kontrolle seines kaiserlichen Kriegsherrn zu entgleiten schien und die Dynastie selbst sich unmittelbar bedroht sah. Es war deshalb nur konsequent, wenn Ferdinand II. nach Bewältigung der Wallensteinkrise wieder eine dynastische Variante wählte, um sich der Treue der Armee und ihres Oberbefehlshabers zu versichern. Der Sohn und präsumtive Nachfolger König Ferdinand von Ungarn, der nachmalige Kaiser Ferdinand III. übernahm den Oberbefehl über das kaiserliche Heer, nachdem der Generalissimus Wallenstein gewaltsam aus dem Feld geräumt worden war27. Diese radikale Lösung zahlte sich bekanntlich mit dem Sieg von Nördlingen aus, und ebenso ist be23  Franz-Heinz Hye, Leopold V., in: Hamann, Habsburger (wie Anm. 20) 247–249; Carolin Pecho, Fürstbischof – Putschist – Landesherr: Erzherzog Leopolds Herrschaftsentwürfe im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges (Geschichte 139, Berlin 2017). 24  Alison Deborah Anderson, On the verge of war: International relations and the Jülich-Kleve succession crises (1609–1614) (Boston 1999). 25   James R. Palmitessa, The Prague Uprising of 1611: Property, Politics, and Catholic Renewal in the Early Years of Habsburg Rule. Central European History 31 (1998) 299–328. 26  Karl Völker, Die „Sturmpetition“ der evangelischen Stände in der Wiener Hofburg am 5. Juni 1619. JGPÖ 57 (1936) 3–50; Helmut Kretschmar, Sturmpetition und Blockade Wiens im Jahre 1619 (Militärhistorische Schriftenreihe 38, Wien 1978). 27  Lothar Höbelt, Ferdinand III. Friedenskaiser wider Willen (Graz 2008) 66–69; Mark Hengerer, Kaiser Ferdinand III. (1608–1657): Eine Biographie (VKNGÖ 107, Wien 2012) 94–102.

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kannt und vielfach beschrieben, dass dieser Sieg Folge einer kurzfristigen militärischen Kooperation des Gesamthauses war. Auch an der Spitze des spanischen Heeres stand mit dem Kardinalinfanten Ferdinand (1609–1641), dem jüngeren Bruder des Königs Philipps IV. von Spanien (1605–1665), ein Mitglied des Herrscherhauses. Auf spanischer Seite war das persönliche Engagement der Dynastie gleichfalls eine Reaktion auf eine gefährliche Krisensituation. Führende Adelsvertreter der südlichen Niederlande hatten 1632 mit den nördlichen Niederlanden Verhandlungen mit dem Ziel eines Waffenstillstandes aufgenommen, was zum Verlust auch der südlichen Niederlande hätte führen können28. Auch hier griff die Dynastie zum stärksten Mittel, Loyalität zu erzwingen zurück, indem sie ein Mitglied an der Spitze einer Armee in die bedrohte Provinz sandte. König Ferdinand – als Kaiser dann Ferdinand III. – spielte in den Jahren 1634 bis 1637 durchaus die Rolle, die der Vater kaum ausgefüllt hatte, nämlich als Feldherr, der ziemlich nahe am Kriegsgeschehen war. Kriegsherr blieb aber für ihn als Nachfolger Wallensteins eindeutig der Vater: Der Kaiser, so informierte Ferdinand zum Amtsantritt die Verbündeten, habe entschieden, dass „ich in deroselben namen die administration über die kaiserliche armada füehren und selbst zu veld ziehen solle“29. Ferdinand II. hatte gezögert, dem Sohn im April 1634, immerhin schon zwei Monate nach Wallensteins Tod, den Oberbefehl über die nun wieder kaiserliche Armee zu übertragen und den Nachfolger so zu exponieren30. Dies war auch den Umständen geschuldet: Die Tötung Wallensteins galt als eine Art letztes Aushilfsmittel der Dynastie vor einem befürchteten „Militärputsch“, und nicht minder grenzwertig war die Betrauung des Nachfolgers mit dem Armeeoberbefehl. Nach Nördlingen änderte sich dies – nun wollte man am Wiener Hof das Potential eines habsburgischen Oberbefehls für die Chancen, die der Prager Frieden 1635 eröffnete, möglichst umfassend nutzen31. Der Oberbefehl des Kaisersohns war von Beginn an aber durch strukturelle und politische Beschränkungen eingehegt – er war nicht Kriegsherr. Den Feldzugsplan legte eine kaiserlich-spanisch-bayerische Militärkonferenz fest, und Bayern verweigerte sich notorisch dem kaiserlichen Oberbefehlshaber, wenn dessen Anliegen den eigenen Interessen nicht entsprachen32. Daran änderte sich auch nichts, als mit dem Prager Frieden eine kaiserliche Reichsarmada unter Einschluss aller Reichsstände geschaffen wurde. Kursachsen und Bayern behielten ausdrücklich ihre eigenen Kontingente unter eigener Befehlsgewalt. Zwar firmierte der Sohn in den Augen des Kaisers als Oberbefehlshaber der Reichsarmee, der sie „wider alle diejenige, so sich demselben [dem Prager Frieden] widersezen würden, zu füehren“33 habe – aber da hätte er konsequenterweise auch gleich gegen die eigenen Verbündeten vorgehen müssen.

28 René Vermeir, L’ambition du pouvoir: La noblesse des Pays-Bas méridionaux et Philippe IV, 1621– 1648. Revue du Nord 87 (2005) 89–113; Paul Janssens, La fronde de l’aristocratie belge en 1632, in: Rebelión y Resistencia en el mundo hispánico del siglo XVII, hg. von Werner Thomas–Bart de Groof (Avisos de Flandes 1, Löwen 1992) 23–40; Höbelt, Ferdinand III. (wie Anm. 27) 69. 29  Hengerer, Ferdinand III. (wie Anm. 27) 103: Ferdinand III. an Herzog Maximilian von Bayern, 26. IV 1634. 30  Ebd. 102. 31  Ebd. 111–113. 32  Ebd. 117. 33  Zitiert ebd. 113.



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Auch wenn Ferdinand III. von Anfang an von erfahrenen Militärs im Range eines Generalleutnants, allen voran von Matthias Gallas (1588–1647), beraten wurde und diese die effektive militärische Tagesarbeit leisteten34, nahm er am Sommerfeldzug der Reichsarmee am Oberrhein 1635 und 1636 als nomineller Oberbefehlshaber teil – Feldzüge, in denen kein Ruhm zu ernten war und der Nimbus des Schlachtensiegers von Nördlingen rasch schwand. Nachdem er den militärischen Oberbefehl über die kaiserliche Armee 1637 nach seiner Wahl zum Kaiser und dem Tod des Vaters an Gallas abgegeben hatte, rückte er nun selbst in die Position als verantwortlicher Kriegsherr ein, der sich im Amt von seinem Generalleutnant Gallas als faktischem Befehlshaber der Armee vertreten ließ. Letzterer blieb von Weisungen des Wiener Hofes, vor allem des Hofkriegsrates, abhängig. Als oberster Kriegsherr in der Etappe suchte der neue Kaiser, dem beständigen Mangel der Armee irgendwie abzuhelfen und logistische Unterstützung aus den Erblanden zu organisieren, was freilich nur sehr punktuell gelang. Je näher der Krieg sich in den Folgejahren den Grenzen der Erblande näherte, und je genauer auch die Informationen in der Zentrale über das Kriegsgeschehen deshalb waren, desto mehr schaltete sich Ferdinand in die Kriegführung ein, von Rahmeninstruktionen bis hin zu Einzelbefehlen und Einmischung ins operative Tagesgeschäft. Er trug damit nicht unwesentlich dazu bei, dass Befehlsketten in Unordnung gerieten und er damit selbst zum Problem mangelnder Effizienz der habsburgischen Kriegführung beitrug35. Als Gallas 1639 das erste Mal wegen eklatanter Erfolglosigkeit – die Schweden standen vor Prag – abberufen wurde36, griff Ferdinand mit der Berufung seines jüngeren Bruders Leopold Wilhelm (1614–1662)37 auf die nunmehr freilich schmale Personalreserve der Erzherzöge zurück. Genau genommen war Leopold Wilhelm zu diesem Zeitpunkt der einzige mögliche Hauskandidat für den Oberbefehl. Ferdinand III. hoffte damit, gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Der Erzherzog, der gezwungenermaßen eine kirchliche Karriere hatte einschlagen müssen und schon mit elf Jahren Koadjutor seines Onkel Leopold in Passau und Straßburg geworden war, war damit unzufrieden und drängte auf eine weltliche, möglichst militärische Karriere. Ohne militärische Vorerfahrung erhielt er 1639 den Oberbefehl über das kaiserliche Heer, als Generalleutnant wurde ihm mit Ottavio Piccolomini (1599–1656) der wohl angesehenste Offizier der Armee zur Seite gestellt38. Der Kaiserbruder sollte nicht nur Symbol des militärischen Engagements der Dynastie sein, sondern ausdrücklich mithilfe seiner dynastischen Autorität auch die Disziplin der Armee wiederherstellen, die nach dem gescheiterten Feldzug Gallas´ an die Ostseeküste als „verlottert“39 galt. Allerdings blieb seine Befehlsgewalt von Beginn an eingeschränkt, keineswegs war sie ihm in „absolutissima forma“ gegeben, wenn der Bruder ihm weiterhin ins operative Geschäft mit Ratschlägen, aber auch Anweisungen hinein­ regierte. Leopold Wilhelm verlangte deshalb schon 1640 einigermaßen klarsichtig umfassendere Vollmachten, die er jedoch nicht bekam. 34  Höbelt, Ferdinand III. (wie Anm. 27) 81; Robert Rebitsch, Matthias Gallas (1588–1647): Generalleutnant des Kaisers zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Eine militärische Biographie (Geschichte in der Epoche Karls V. 7, Münster 2006) 112–165. 35  Siehe dazu Hengerer, Ferdinand III. (wie Anm. 27) 216–221. 36  Rebitsch, Gallas (wie Anm. 34) 195–200. 37  Vgl. die biographische Skizze von Renate Schreiber, Der junge Erzherzog, in: Krijg en Kunst. Leopold Willem (1614–1662): Habsburger, Landvoogt en Kunstverzamelaar, hg. von Jozef Mertens–Franz Aumann (Bilzen 2003) 3–14. 38  Höbelt, Ferdinand III. (wie Anm. 27) 159–203. 39   Rebitsch, Gallas (wie Anm. 34) 20.

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In dem Maße, in dem Leopold Wilhelm versuchte, eigenes Format zu entwickeln und selbständiger zu agieren, wurde er allerdings auch zu einem militärischen Unsicherheitsfaktor. Als er gegen Piccolominis Rat Ende 1642 bei Breitenfeld erneut die entscheidende Schlacht gegen die Schweden schlagen wollte, endete sie genau so katastrophal wie die erste Schlacht elf Jahre zuvor, und damit war es 1643 erst einmal vorbei mit dem erzherzoglichen Oberbefehl. Das folgende Intermezzo – einmal mehr mit Gallas als Alternative für den Oberbefehl der kaiserlichen Armee – ist insofern aufschlussreich, als Ferdinand III. zunächst mit der Idee gespielt hatte, angesichts der kritischen Lage selbst den Oberbefehl in Person zu übernehmen40. Das tat er dann erst Anfang 1645, als Gallas die nächste kaiserliche Hauptarmee verloren hatte und gegen den schwedischen Angriff auf das Zentrum Böhmens und darüber hinaus das mehr oder minder letzte Aufgebot mobilisiert werden musste. Im Jänner 1645 übernahm Ferdinand nominell selbst den Oberbefehl. Weil jetzt alles auf eine Karte gesetzt werden musste, vereinte er also ein letztes Mal die Funktion des Kriegsherrn mit der des Oberbefehlshabers. Zwar reiste er unverzüglich zur böhmischen Front, doch an der Schlacht bei Jankau Anfang März nahm er auf guten Rat seines Generals Melchior von Hatzfeld (1593–1658), der gegen eigenen Rat den Schweden diese Schlacht lieferte, dann doch nicht selbst teil – zu seinem Glück. Das Schicksal Hatzfelds, die Gefangennahme, blieb ihm so erspart, nicht aber die Einsicht in die Konsequenzen dieser militärischen Katastrophe, die ihn sein letztes Hauptheer kostete41. Wenn aus diesem Debakel und dem „annus horribilis“ der Monarchie doch noch ein „annus mirabilis“ zumindest in dem Sinn wurde, wie es später Friedrich II. von Preußen 1759 aufgrund des unterlassenen Todesstoßes durch seine Gegner nach der Niederlage bei Kunersdorf formulierte, dann lag das auch an einem gelungenen Krisenmanagement der beiden habsburgischen Brüder. Ferdinand III. zog entgegen dem Rat seiner Vertrauten ins akut von Schweden und Georg I. Rákóczi bedrohte Wien und organisierte die Verteidigung der Hauptstadt zusammen mit seinem Bruder Leopold Wilhelm, der im April 1645 einmal mehr den Oberbefehl übernahm. Diesmal allerdings war Leopold Wilhelm – nicht anders als Wallenstein – klüger und setzte für sich weit größere Vollmachten durch, als er sie noch 1639 erhalten hatte. Er wolle, so hieß es im April in den Korrespondenzen aus Wien über die Verhandlungen, eben dieselben Vollmachten, wie sie Wallenstein während des zweiten Generalates gehabt habe, und ließ sich in der Tat Schlüsselfunktionen, die auch Wallenstein beansprucht hatte, bestätigen: Das Recht, selbständig Kontributionen auszuschreiben, Regimentskommandeure zu ernennen, Waffenstillstandsverhandlungen zu führen und weitgehend ohne Rücksprache mit dem Hofkriegsrat die Strategie festzulegen42. Die Korrespondenzen des nunmehr auch offiziell als „Generalissimus“ titulierten Kaiserbruders beim zweiten Oberbefehl künden dann in ihrer Haltung auch gegenüber dem Bruder von gesteigertem Selbstbewusstsein43. Als Retter in der Not profilierte sich Leopold Wilhelm durchaus im Sommer 1645, als der Vorstoß der Schweden und Siebenbürger auf Wien scheiterte, weil letztlich die   Hengerer, Ferdinand III. (wie Anm. 27) 220f.   Zu Jankau und der Rolle Ferdinands III. vgl. Höbelt, Ferdinand III. (wie Anm. 27) 227–229; Hengerer, Ferdinand III. (wie Anm. 27) 230–233. 42 Peter Broucek, Erzherzog Leopold Wilhelm und der Oberbefehl über das kaiserliche Heer im Jahr 1645, in: Aus drei Jahrhunderten: Beiträge zur österreichischen Heeres- und Kriegsgeschichte von 1645–1938. Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums Wien, hg. von der Direktion (Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums 4, Wien 1969) 7–38; Rebitsch, Gallas (wie Anm. 34) 322f. 43  Schreiber, Junge Erzherzog (wie Anm. 37) 11. 40 41



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Verteidigungsmaßnahmen an der Donaulinie wirkten. Als Erfolg mag es auch noch gewertet werden, dass es schon während der Sommerkampagne gelang, eine neue Armee zu formieren, mit der bis 1646 der Krieg kurzzeitig sogar noch einmal bis an den Main getragen werden konnte. Dort aber wurden Erzherzog Leopold Wilhelm und die verbündeten Bayern von Schweden und Franzosen überrannt, die den Krieg in den folgenden Jahren bis tief nach Bayern, Süddeutschland und erneut nach Böhmen tragen konnten. Vor allem der erzürnte Bayernherzog Maximilian I. (1573–1651) setzte schließlich Ende 1646 die Abberufung Leopold Wilhelms vom Oberbefehl durch, und auch der einflussreiche Friedensunterhändler Maximilian von Trauttmansdorff (1584–1656) fühlte sich in Münster durch die deutlichen Friedensneigungen des Erzherzogs nachhaltig irritiert44. Die Abberufung vom Oberbefehl war schon deshalb gesichtswahrend möglich, weil das verlockende Angebot, Statthalter der spanischen Niederlande zu werden, seit Mitte des Jahres auf dem Tisch lag. Diese von 1647 bis 1656 wahrgenommene Funktion ermöglichte Leopold Wilhelm noch einmal ganz andere Erfahrungen als Troubleshooter der Dynastie, allerdings schließlich auch hier mit gemischter Bilanz. Die endgültige Niederlage gegen die Franzosen konnte er zwar trotz derber Niederlagen aufschieben, doch das Blatt zugunsten der Habsburger zu wenden vermochte er nicht. Immerhin verschaffte er den südlichen Niederlande noch einmal den Glanz eines attraktiven Hofes, auf Jahrzehnte zum letzten Mal – und auch auf lange Zeit zum letzten Mal einen Erzherzog mit einem militärischen Oberbefehl45. Damit stand sein kaiserlicher Bruder noch einmal vor der Frage, ob er selbst den Oberbefehl in die eigene Hand nehmen sollte. Nach einigem Überlegen griff Ferdinand ein drittes Mal zur Lösung, Gallas mit dem Oberbefehl zu betrauen, der jedoch nach wenigen Monaten starb46. Während die kaiserliche Armee im Reich schließlich vom Kalvinisten Peter Melander von Holzappel (1589–1648) geführt wurde, der aufgrund seiner Verbindungen zum niederländischen Kapitalmarkt noch über eigene Mittel verfügte47, stellte sich Ferdinand in Böhmen noch einmal in Person an die Spitze einer kleine Armee, die im Sommer 1647 versuchte, Eger zurückzuerobern. Immerhin ging die Armee unter kaiserlicher Führung diesmal nicht zu Grunde, auch wenn die Rückeroberung Egers misslang48. Als schließlich 1648 der Krieg zu Ende ging und der Frieden zu Münster und Osnabrück geschlossen wurde, war Ferdinand in der Tat ein „Friedenskaiser wider Willen“, wie dies Lothar Höbelt prononciert im Untertitel seiner Biographie formuliert hat. Bis zum Schluss ließ er nichts Militärisches unversucht, um den von Frankreich erzwungenen Bruch mit Spanien zu vermeiden. Als Kriegsherr im eigenen Haus war er freilich unangefochten: Anstelle eines übermächtigen Generalissimus vom Zuschnitt eines Wallenstein verfügte er bei Kriegsende über zwei begrenzt operierende Regionalkommandeure in Böhmen (Hans Christoph von Puchheim, 1605–1657, und Rodolf Colloredo, 1585–1657), während der designierte Oberkommandeur Piccolomini noch unter bayerischer Befehlsgewalt stand49.   Ebd. 11.  René Vermeir, Leopold Willem als Landvoogd van de Spaanse Nederlanden (1647–1656), in: Krijg en Kunst (wie Anm. 37) 39–51. 46   Rebitsch, Gallas (wie Anm. 34) 344–354. 47  Steffen Leins, Reichsgraf Peter Melander von Holzappel (1589–1648): Aufstieg eines Bauernsohns als Kriegsunternehmer, Diplomat und Herrschaftsorganisator. Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit 14 (2010) 348–357. 48  Hengerer, Ferdinand III. (wie Anm. 27) 257f. 49  Ebd. 223. 44 45

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3. Fazit Das Fazit des Dreißigjährigen Kriegs könnte folglich für die österreichischen Habsburger folgendermaßen formuliert werden: Die Dynastie hat unter maßgeblichem persönlichen Einsatz des Kaisers selbst sowie seines Bruders das kriegsherrliche Problem eines autonom agierenden Militärs aus der Welt geschafft – auch wenn der Krieg darüber schließlich verloren ging. Dies mag paradox erscheinen, doch dass das Wallensteintrauma von Ferdinand III. nachhaltig bewältigt worden ist, war aus Sicht der Dynastie eine nicht zu unterschätzende Leistung. Dass dies nicht selbstverständlich war, vermag schon ein Blick auf die Nachbarn und Kriegsgegner verdeutlichen, für welche die Gefahr eines Militärputsches in Gestalt von Verselbständigung der Armee und Komplotten der hochadeligen Militärführung bittere Realität gewesen ist. So meuterte die schwedische Armee nach dem Tod Gustav Adolfs mehrfach und erpresste vom Reichskanzler Axel Oxenstierna (1583–1654) wesentliche Zugeständnisse für finanzielle Kompensationen50. Der andere große Kriegsgegner Habsburgs, Frankreich, wurde nach 1648 von der Fronde hochadeliger Befehlshaber des Dreißigjährigen Kriegs in den Grundfesten erschüttert, und in England nahm Oliver Cromwells (1599–1658) Herrschaft Züge einer Militärdiktatur an51. Auch der Staatsstreich Wilhelms II. von Oranien (1626–1650) 1650 in den Niederlanden trug deutliche Züge eines Militärputsches gegen die Generalstaaten. Offenbar konnte das im Krieg aufgehäufte heroische Kapital gerade aufseiten der Kriegsgegner Habsburgs der etablierten politischen Ordnung höchst gefährlich werden. Weder große Armeemeutereien noch eine gegen die Dynastie gerichtete Verselbständigung der Armeeführung hat hingegen die habsburgische Dynastie in der Frühen Neuzeit gefährdet. Dass dies mit Militär- und Kriegsferne zu tun gehabt habe, wie es das eingangs zitierte Motto des „Bella gerant alii“ nahelegt, gilt gerade für die kritische Phase des Dreißigjährigen Krieges nach Wallenstein nicht. Der Forschung, der deutschsprachigen zumal, mag dies lange Zeit nicht sonderlich aufgefallen sein, weil die Wahrnehmung des dreißigjährigen Kriegsgeschehens sich in der Tradition Schillers ganz auf die erste Kriegshälfte mit der Kulmination in den Leitfiguren Gustav Adolf und Wallenstein konzentriert hat. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten ist die zweite Kriegshälfte angemessen bewertet worden und auch eine Persönlichkeit wie Ferdinand III. biographiewürdig geworden52. Er steht zwar insbesondere für die kriegerische Qualität der Dynastie und ihr militärisches Engagement, aber der Blick auf die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts zeigt, dass er keineswegs ein Solitär gewesen ist – genauso wenig wie sein erzherzoglicher Bruder Leopold Wilhelm. Mit Blick auf die anderen Erzherzöge, die militärische Kommandofunktionen wahrnahmen, lässt sich zudem genauer bestimmen, ob es so etwas wie einen spezifisch militärischen Habitus der Dynastie gab, der dann doch von den Leitbildern einer vor allem im protestantischen Bereich verorteten heroischen Monarchie abwich. Entweder waren die Erzherzöge „umgewidmete“ Geistliche (Leopold V., Leopold Wilhelm)   Wilson, Dreißigjähriger Krieg (wie Anm. 17) 618f.  Horst Carl, Wenn Gewaltakteure für Sicherheit sorgen sollen: Militärherrschaft und Militärdiktatur in der Neuzeit, in: Sicherheitsakteure: Epochenübergreifende Perspektiven zu Praxisformen und Versicherheitlichung, hg. von dems.–Carola Westermeier (Baden-Baden 2018) 47–63. 52  Dazu die beiden neueren Biographien: Höbelt, Ferdinand III. (wie Anm. 27); Hengerer, Ferdinand III. (wie Anm. 27). 50 51



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oder aber Mitglieder bzw. als Deutschmeister sogar Leiter des Deutschen Ordens (Maximilian III., Karl, Leopold Wilhelm). Gerade der Deutsche Orden dürfte für militärische Karrieren der Dynastie eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben, versuchten die Habsburger seit Erzherzog Maximilian III. doch, die Position des Deutschmeisters möglichst kontinuierlich zu besetzen, um eine regelrechte Sekundogenitur zu etablieren. So wurde nach dem frühen Tod Erzherzog Karls 1624 vereinbart, dass ihm bei nächster Gelegenheit der noch unmündige Leopold Wilhelm folgen sollte. Nicht zufällig wurde dieser dann 1639, als er zum Oberbefehlshaber avancierte, zeitgleich zunächst Koadjutor des Ordens und 1641 Deutschmeister. Das Ideal des christlichen Ritters bzw. Kriegers, dass dieser Orden wie auch die anderen Orden immer noch verkörperte, dürfte für das Selbstverständnis der habsburgischen Befehlshaber prägend geblieben sein. Zwar predigten diese Orden den offensiven Kreuzzug, aber de facto dienten sie seit Jahrhunderten vor allem dazu, die christlichen Reiche gegen die angreifenden Ungläubigen zu verteidigen. Die militärischen Leittugenden dieser Orden resultierten folglich weniger aus der Funktion, als Speerspitzen eines nie realisierten Kreuzzugs zu agieren, sondern Standhaftigkeit gegen einen übermächtigen Feind auch in scheinbar ausweglosen Situationen zu bewahren. Vielleicht erklärt dies die ausgesprochenen Nehmerqualitäten der Habsburger, die gerade im Dreißigjährigen Krieg immer wieder zum Tragen gekommen sind. Namentlich bei den Belagerungen Wiens 1619 und 1645 haben oberster Kriegsherr und kommandierende Erzherzöge stoische Kaltblütigkeit bewiesen, und auch nach schwersten Niederlagen wie denen Leopold Wilhelms bei Breitenfeld 1642 und Lens 1648 oder der Ferdinands III. bei Jankau 1645 haben sie Haltung bewahrt. Eine kopflose Flucht, wie sie beim Winterkönig 1620 in eine allgemeine Panik mündete, war jedenfalls nicht habsburgischer Stil. Die möglichste breite Beteiligung der Dynastie am Kriegsgeschehen war natürlich auch eine Frage des Personalangebots. Nicht jeder Herrscher produzierte so zahlreiche Erzherzöge wie Kaiser Maximilian II. Hier liegt aber auch ein ganz prosaischer Grund dafür, dass dieses Modell nach 1648 nicht weiter praktiziert wurde – weniger, weil es obsolet geworden wäre, als vielmehr aus Mangel an Erzherzögen zwischen 1654 und 1740. Als mit Maria Theresias Söhnen dann wieder ausreichend Erzherzöge zur Verfügung standen, wurden sie auch wieder bevorzugt mit militärischen Kommandofunktionen betraut. An diesem Rollenmodell hielten die Habsburger bis in den Ersten Weltkrieg hinein fest. Über Qualitäten und Resultate mag man eher kritisch urteilen – aber auch in dieser „longue durée“ zeigt sich, dass das Motto „bella gerant alii“ ein Mythos ist. Die Habsburger sind eine ausgesprochen kriegerische Dynastie gewesen.





Einheit der Casa de Austria? Habsburgs Dynastizismus im Dreißigjährigen Krieg Arno Strohmeyer

Mit den Abdankungen Karls V. 1555/56 und dem Tod des Kaisers 1558 zerbrach das habsburgische Gesamtsystem in zwei Teile, regiert von der spanischen beziehungsweise österreichischen Linie des Geschlechts. Karl hatte noch versucht, durch familieninterne Regelungen die Spaltung zu verhindern, da sie seinen universalen Herrschaftsvorstellungen widersprach, war damit jedoch gescheitert. Daran vermochte auch die 1548 geschlossene Ehe seiner Tochter María de Austria (1528–1603) mit Maximilian II., dem ältesten Sohn seines Bruders Ferdinand I., welche erneut die Möglichkeit einer beide Herrschaftsräume verbindenden Personalunion schuf, nichts zu ändern. Beide Teilsysteme blieben fortan miteinander eng verbunden, die Beziehungen waren allerdings asymmetrisch, denn die spanische Linie regierte den weitaus größeren Herrschaftsraum, war deutlich mächtiger und verfügte über umfangreichere finanzielle Ressourcen. Der österreichische Zweig hingegen stellte den Kaiser als Reichsoberhaupt und hatte mehr Nachwuchs. Als Konfliktfelder erwiesen sich vor allem Oberitalien und die Niederlande, wo der Kaiser politische und geostrategische Interessen seiner spanischen Verwandten mit den oftmals anders gelagerten Bedürfnissen der Reichsstände ausgleichen musste1. Auch in der Religionspolitik gab es – trotz eines grundsätzlichen Konsenses im Eintreten für den katholischen Glauben – Differenzen. Meist war die Kompromissbereitschaft der österreichischen Linie gegenüber den Protestanten in den Augen der Spanier zu groß; ein Beispiel dafür sind die Religionsfrieden in den österreichischen Erbländern2. Seltener ging der Vorwurf in die andere Richtung, etwa als Ferdinand II. 1629 die günstige machtpolitische Lage für eine strikte prokatholische Politik nutzen wollte, die drohte, das Reich konfessionell noch stärker zu polarisieren, was wiederum einen von Spanien propagierten Reichskrieg gegen die Niederlande erschwert hätte3. 1  Vgl. Heinrich Lutz, Christianitas afflicta. Europa, das Reich und die päpstliche Politik im Niedergang der Hegemonie Kaiser Karls V (1552–1556) (Göttingen 1964) 414; ders., Reformation und Gegenreformation, durchges. und erg. von Alfred Kohler (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 10, München 52002) 54; Alfred Kohler, Vom habsburgischen Gesamtsystem Karls V. zu den Teilsystemen Philipps II. und Maximilians II., in: Kaiser Maximilian II. Kultur und Politik im 16. Jahrhundert, hg. von Friedrich Edelmayer–Alfred Kohler (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 19, Wien–München 1992) 13–37; Friedrich Edelmayer, Philipp II. Biographie eines Weltherrschers (Stuttgart 2009) Kap. 3.2. 2  Vgl. Arno Strohmeyer, Religionsfrieden in den habsburgischen Erbländern im 16. und 17. Jahrhundert, in: Vera in Hotenja. Študije o Primožu Trubarju in njegovem času, hg. von Sašo Jerše (Ljubljana 2009) 104–123. 3  Vgl. Peer Schmidt, La Unidad de la Casa de Austria, in: La Monarquía de Felipe III: Los Reinos, Bd. 4,

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Keine Studie, die sich mit der habsburgischen Politik im Dreißigjährigen Krieg beschäftigt, kommt umhin, auf das Verhältnis zwischen „Dynastie“ und „Monarchie“ einzugehen, zwischen den Habsburgern als geschlossenem Familienverband einerseits, und als Herrscher über zwei getrennte Länderkomplexe sowie als römisch-deutscher Kaiser andererseits. Unter den in den letzten Jahren erschienenen Abhandlungen, die dieses Thema explizit behandeln, dominiert die Frage nach der Priorität: Welcher Faktor besaß in der Politik Vorrang, die Einheit des Familienverbandes oder das „Staatsinteresse“ der beiden Monarchien4? Damit eng verbunden ist ein leitendes Paradigma der Erforschung des Dreißigjährigen Krieges: die Entwicklung frühmoderner Staatlichkeit, die in der – nicht unumstrittenen5 – Interpretation des Ringens als „Staatsbildungskrieg“6 bzw. als „Krise des Territorialstaates“7 einen Ausdruck findet. Den zentralen Bezugspunkt bildet dabei das in den 1990er Jahren aufgekommene Modell der „composite monarchy“ bzw. „Mehrfachherrschaft“8. Besondere Aufmerksamkeit erfuhren aus dieser Perspektive Fragen wie Kohäsion und Integration, zentrifugale Kräfte sowie das Spannungsfeld von Einheit und Pluralität. Eine Konjunktur erlebte in den letzten Jahren, gerade auch was die Erforschung der Habsburgermonarchie betrifft, das Modell des „fiscal-military state“ bzw. „military-fiscal state“, das in den späten 1980er Jahren in der englischsprachigen Historiographie aufkam9. Als Kernprozesse werdender Staatlichkeit rücken hier staatsbildende Funktionen von Kriegen und der Ausbau der Finanz- und Militärorganisation in den Fokus. Epochal steht dabei das „lange 18. Jahrhundert“ im Mittelpunkt10. Für eine stärkere Berücksichtigung finanzpolitischer Aspekte tritt auch das Konzept des „polycentric state“ ein, das auf die Widersprüche zwischen merkantilistischen Theorien und der von regionalen Fakhg. von José Martínez Millán–Maria Antonietta Visceglia (Madrid 2008) 1374–1407, hier 1387. 4   Zur „Staatsräson“ als Analysekategorie und im zeitgenössischen Denken vgl. Ulrich Nagel, Zwischen Dynastie und Staatsräson. Die habsburgischen Botschafter in Wien und Madrid am Beginn des Dreißigjährigen Krieges (VIEG Abt. Universalgeschichte 247, Göttingen 2018) 212–219. Zu „Interesse“ vgl. den Beitrag von Lena Oetzel in diesem Band. 5  Vgl. Axel Gotthard, Der Dreißigjährige Krieg. Eine Einführung (Köln–Weimar–Wien 2016) 292– 295; Johannes Burkhardt, Die These vom Staatsbildungskrieg im Widerstreit der Forschung, in: Dynamik durch Gewalt? Der Dreißigjährige Krieg als Faktor der Wandlungsprozesse des 17. Jahrhunderts, hg. von Michael Rohrschneider–Anuschka Tischer (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 38, N. F. 1, Münster 2018) 71–92. 6   Vgl. Johannes Burkhardt, Der mehr als Dreißigjährige Krieg – Theorie des Staatsbildungskrieges, in: Handbuch der Kriegstheorien, hg. von Thomas Jäger–Rasmus Beckmann (Wiesbaden 2011) 335–349. 7   Vgl. Peter H. Wilson, Europe’s Tragedy. A History of the Thirty Years War (London 2009) 807–812. 8   Vgl., John Huxtable Elliott, A Europe of Composite Monarchies. PP 137 (1992) 48–71; Wilhelm Brauneder, Die Habsburgermonarchie als zusammengesetzter Staat, in: Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Europäischen Verfassungsgeschichte, hg. von Hans-Jürgen Becker (Der Staat Beih. 16, Berlin 2006) 197–236; Michael Rohrschneider, Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit. Aspekte und Perspektiven der neueren Forschung am Beispiel Brandenburg-Preußens. AKG 90 (2008) 321–349, hier 321–329. 9   Vgl. John Brewer, The sinews of power. War, money and the English State, 1688–1783 (New York 1989). 10   Vgl. William D. Godsey, The Sinews of Habsburg Power. Lower Austria in a Fiscal-Military State 1650–1820 (Oxford 2018); Jan Glete, War and the state in early modern Europe. Spain, the Dutch Republic and Sweden as fiscal-military states, 1500–1660 (London 2002); Das „Blut des Staatskörpers“. Forschungen zur Finanzgeschichte der Frühen Neuzeit, hg. von Peter Rauscher–Andrea Serles–Thomas Winkelbauer (ZHF Beih. N. F. 56, München 2012); War, State and Development. Fiscal-Military States in the Eighteenth Century, hg. von Rafael Torres Sánchez (Pamplona 2007); Michael Hochedlinger, The Habsburg Monarchy: From „Military-Fiscal State“ to „Militarization“, in: The Fiscal-Military State in Eighteenth-Century Europe. Essays in honour of P.G.M. Dickson, hg. von Christopher Storrs (Aldershot 2009) 55–94.



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toren, vor allem von Partizipation auf städtischer, lokaler und regionaler Ebene geprägten Wirtschaftspraxis verweist. Charakteristisch für die Staatsbildung in den spanischen Reichen sei daher eine als „polycentric governance“ bezeichnete Regierungsform gewesen. Auch hier steht bevorzugt das 18. Jahrhundert im Mittelpunkt11. Zeitlich und räumlich umfassender sind Modelle, die den imperialen Charakter von Herrschaft betonen. Sie eignen sich vor allem für die Analyse des Herrschaftsraumes der spanischen Linie mit ihrem umfangreichen Kolonialreich, weniger für die Habsburgermonarchie, die sich, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt als Imperium verstehen lässt12. Abweichend von diesen Modellen wurden in den letzten Jahren Forschungskonzepte entwickelt, die für einen Perspektivenwechsel oder zumindest eine Perspektivenerweiterung eintreten. Richtungsweisend sind in diesem Zusammenhang die Studien des britischen Historikers John Morrill, der den Begriff „composite monarchy“ explizit ablehnt, da dieser die Offenheit der historischen Entwicklung nicht ausreichend berücksichtige. In seinen Augen würde der Ausdruck zu einer zu starken Konzentration auf Regierungs- und Verwaltungsstrukturen führen. Aus diesem Grund schlug Morrill vor, besser von „dynastic agglomerations“ zu sprechen. Der Ausdruck würde sowohl die Instabilität dynastischer Herrschaft als auch die Anhäufung von Territorien in der Hand eines Geschlechts zum Ausdruck bringen, aber eben nicht auf deren Vereinigung zu einer Monarchie fokussieren, die ja keineswegs automatisch erfolgen oder Ergebnis langfristiger und zielgerichteter Politik hätte sein müssen13. Zur Veranschaulichung seiner Thesen argumentiert Morrill unter anderem kontrafaktisch, denn realitätsnahe Alternativkonstruktionen verflüssigen die historische Entwicklung und nehmen diesen die Zwangsläufigkeit. Zudem können sie die Gestaltungskraft einzelner Faktoren deutlicher vor Augen führen14. Dabei verweist er unter anderem auf die Iberische Halbinsel, wo es bei einem abweichenden Verlauf der dynastischen Geschichte ebenso zu einer die spanischen Königreiche und Portugal dauerhaft verbindenden Herrschaft hätte kommen können. Ein anderes Exempel wäre Großbritannien, das sich zwischen 1399 und 1714 fast permanent in einer dynastischen Krise befand und dessen Geschichte anders verlaufen wäre, wenn beispielsweise der französische König Franz II. in seiner 1558 geschlossenen Ehe mit der Königin von Schottland, Maria Stuart, einen Nachkommen gezeugt hätte. Der Franzose verstarb indes bereits 1560, da die Ärzte seine Ohrenentzündung mit einer Quecksilberkur zu heilen versucht hatten15. In der Geschichte der Habsburgermonarchie finden sich ebenfalls etliche unvorhersehbare dynastische Ereignisse, die für die weitere Entwicklung weichenstellend wirkten, etwa der unglückliche Reitunfall Marias von Bur11  Vgl. Regina Grafe, Polycentric States: The Spanish Reigns and the „Failures“ of Mercantilism’, in: Mercantilism Reimagined: Political Economy in Early Modern Britain and its Empire, hg. von Philip J. Stern–Carl Wennerlind (New York 2014) 241–262. 12  Vgl. Arno Strohmeyer, Die Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit – ein Imperium? Ein Prob­ lemaufriss, in: Imperien und Reiche in der Weltgeschichte. Epochenübergreifende und globalhistorische Vergleiche: Teil 1: Imperien des Altertums, Mittelalterliche und frühneuzeitliche Imperien, hg. von Michael Gehler–Robert Rollinger (Wiesbaden 2014) 1027–1056. 13  Vgl. John Morrill Dynasties, Realms, Peoples and State Formation, 1500–1720, in: Monarchy Transformed: Princes and their Elites in Early Modern Western Europe, hg. von Robert von Friedeburg–John Morrill (Cambridge 2017) 17–43, hier 17–20; John Morrill, „Uneasy Lies the Head that Wears a Crown.“ Dynastic Crises in Tudor and Stewart Britain 1504–1576 (Reading 2005). 14  Vgl. Alexander Demandt, Ungeschehene Geschichte. Ein Traktat über die Frage: Was wäre geschehen, wenn ...? (Göttingen 1984). 15 Vgl. Morrill, Dynasties (wie Anm. 13) 41.

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gund 1482, einer geübten Reiterin, der zum burgundischen Erbe führte, der frühe Tod des spanischen Thronfolgers Juan 1497 an einem fiebrigen Infekt, der zur Folge hatte, dass die Spanischen Reiche an das Haus Habsburg fielen, oder das für den Ausgang des Spanischen Erbfolgekriegs folgenreiche Ableben Josephs I. 1711 infolge einer Pockeninfektion16. Ebenfalls für eine stärkere Berücksichtigung des dynastischen Faktors tritt Robert von Friedeburg ein, der in bewusster Distanzierung zu nationalgeschichtlichen Perspektiven 2012 den Begriff der „Neuen Monarchie“ in die Diskussion einbrachte. An eine zeitgenössische Formulierung des Herzogs Henri de Rohan (1579–1638) anknüpfend, lehnt er eine Gleichsetzung der Geschichte von Dynastien mit Staatsbildung oder auch mit dem Steuerstaat ab. Dynastien seien einer eigenen Dynamik gefolgt, die in der Forschung zu wenig Beachtung gefunden habe. Den Monarchen des späteren 16. und des 17. Jahrhunderts sei es primär nicht um Staatsbildung oder Integration gegangen, sondern viel mehr um Reputation und den Triumph über rivalisierende Familien. Zu diesem Zweck hätten sie unter dem Vorzeichen eines erbarmungslosen kriegerischen Wettbewerbs die Zusammenarbeit mit den gesellschaftlichen Eliten suchen müssen17. Eine Neupositionierung der Dynastiegeschichte unternimmt schließlich auch, um auf ein drittes Alternativkonzept hinzuweisen, der niederländische Historiker Jeroen Duindam. In seiner 2016 veröffentlichten Globalgeschichte der Dynastien klammert er die „großen Narrative“ der Historiographie bewusst aus, da es sich in seinen Augen primär um identitätsstiftende Konstrukte handle. Stattdessen konzentriert er sich auf die Themenkomplexe „Herrschaft“, „Reproduktion“, „Verwandtschaft“ sowie „Hof und soziale Interaktionen“. Dynastien versteht er nicht als reale Entitäten, sondern als kulturelle Konstrukte, bestehend aus Regeln zur Reproduktion und Legitimation von Herrschaft. Sie würden einer eigenen Logik folgen, die sich von denjenigen der Staatsbildung oder der Religion unterscheide und stärker an traditionellen Verhaltensmustern orientiere sowie spezifischen innerfamiliären Normen folge18. Diese Ansätze sind im Detail different, ein gemeinsamer Kern ist jedoch das Eintreten für eine stärkere Berücksichtigung des Dynastischen im Politischen, das bei einer teleologischen, auf das Verschmelzen einer zusammengesetzten Monarchie konzentrierten Sicht nicht ausreichend in den Blick kommt. Dabei wird mehr oder weniger deutlich auf eine eigene Entwicklungsdynamik des Dynastischen verwiesen. Im Anschluss an diese Überlegungen wird im Folgenden ebenfalls eine stärker dynastisch orientierte Perspektive eingenommen. Leitende Analysekategorie ist der Dynastizismus, verstanden als eine extreme Steigerungsform einer von dynastischen Überlegungen und Zielsetzungen geleiteten Politik. Konkret werden darunter Denkweisen, Handlungen und Verhaltensmuster verstanden, die auf Regeln und Normen basierten, die aus dem Bewusstsein resultierten,   Vgl. ebd. 31–34.   Vgl. Robert von Friedeburg, Von den „Neuen Monarchen“ zur „Neuen Monarchie“: ein neuer Ansatz zur vergleichenden Sozial-, Politik- und Ideengeschichte Europas im 17. Jahrhundert zwischen „alteuropäischer“ und „frühneuzeitlicher“ Forschungsperspektive, in: Alteuropa – Vormoderne – Neue Zeit: Epochen und Dynamiken der europäischen Geschichte (1200–1800), hg. von Christian Jaser–Ute Lotz-Heumann–Matthias Pohlig (ZHF Beih. 46, Berlin 2012) 157–168, hier 161f., 166f. 18  Vgl. Jeroen Duindam, Dynasties. A Global History of Power, 1300–1800 (Cambridge 2016) 14–20, 308–314. Zur Konstruktion von Identität im dynastischen Kontext vgl. den Sammelband: Dynastic Identity in Early Modern Europe. Rulers, Aristocrats and the Formation of Identities, London, hg. von Liesbeth Geevers– Mirella Marini (Politics and Culture in Europe, 1650–1750, New York 2015). 16 17



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eine Dynastie zu bilden, das heißt, eine optimierte Erscheinungsform der Familie, die sich unter anderem durch eine erhöhte Gruppenidentität und historische Kontinuität auszeichnete19. Davon ausgehend sind drei Prämissen von Bedeutung: • Akteurs- und Gruppenzentrierung: Dynastien waren keine monolithisch geschlossenen Blöcke, sondern vorgestellte und in sich differenzierte Ordnungen, die sich aus individuellen Akteuren und Akteurinnen zusammensetzten, die zueinander in Beziehungen standen und miteinander interagierten. Damit gibt es gewisse Parallelen zur modernen Diplomatiegeschichte, in der momentan die akteurzentrierte Perspektive ein zentrales Paradigma bildet. Handlungseinheiten wie „Spanien“, die „Habsburgermonarchie“ oder das „Heilige Römische Reich“ lösen sich aus diesem Blickwinkel in komplexe Netze von Personen auf, aus denen sich die Außenbeziehungen konstituierten20. Die Handelnden werden dabei nicht als Exponenten eines abstrakten „Staates“ verstanden, sondern als denkende, fühlende und handelnde Individuen, die über ihre Situation reflektierten, persönliche Interessen entwickelten, Entscheidungen trafen und diese in Handlungen umsetzen21. Eine ähnliche Akzentsetzung ist in der „new imperial history“ zu beobachten, die sich gegenüber akteurzentrierten Ansätzen offen zeigt und den Vergleich zu anderen Formen frühneuzeitlicher Machtbeziehungen, namentlich zu dynastischen Agglomerationen, sucht22. Bei diesem akteurzentrierten Blick auf das Dynastische ist ein ausgeprägtes Kollektivbewusstsein und die Identifikation der Mitglieder mit der Gruppe zu berücksichtigen, was einen Verlust an Unabhängigkeit und Individualität nach sich zog – „… being part of a dynasty meant a lack of freedom to act in one’s own best interest, but rather the obligation to act in the best interest of the wider collective”23. Dieses Bewusstsein, das sich auch auf Teilgruppen beziehen konnte, etwa Linien und Sublinien, ist stets zu berücksichtigen, wenn von „den“ Habsburgern gesprochen wird. • Einbettung in die internationale Politik: Der Dynastizismus war in die internationale Politik mit ihren Leitfaktoren „Staatsinteresse“, „Dynastie“, „Religion“, „Reputation“ sowie „tradierte Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster“ eingebettet24. • Entwicklungslogik: Der Dynastizismus folgte spezifischen Regeln und Normen und war nicht starr, rückwärtsgewandt oder mittelalterlich.

19   Zum Begriff „Dynastie“ vgl. Wolfgang Weber, Dynastiesicherung und Staatsbildung. Die Entfaltung des frühmodernen Fürstenstaats, in: Der Fürst. Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte, hg. von Wolfgang Weber (Köln–Weimar–Wien 1998) 91–136, hier 95. 20  Richtungsweisend der Sammelband Akteure der Außenbeziehungen: Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, hg. von Hillard von Thiessen–Christian Windler (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven 1, Köln–Weimar–Wien 2010). 21   Vgl. dazu grundsätzlich Frank Schimmelfennig, Internationale Politik (Paderborn 42015) 50f. 22 Vgl. Tom Tölle, Early Modern Empires: An Introduction to the Recent Literature. H-Soz-Kult 20.04.2018, www.hsozkult.de/literaturereview/id/forschungsberichte-2021 [5.4.2019]. 23  Vgl. Liesbeth Geevers–Mirella Marini, Introduction, in: Dynastic Identity in Early Modern Europe. Rulers, Aristocrats and the Formation of Identities, London, hg. von dens. (Politics and Culture in Europe, 1650–1750, New York 2015) 1–22, hier 11. 24  Vgl. Heinz Schilling, Formung und Gestalt des internationalen Systems in der werdenden Neuzeit – Phasen und bewegende Kräfte, in: Kontinuität und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des internationalen Systems, hg. von Peter Krüger (Marburg 1991) 19–46; Michael Rohrschneider, Tradition und Perzeption als Faktoren in den internationalen Beziehungen. Das Beispiel der wechselseitigen Wahrnehmung der französischen und spanischen Politik auf dem Westfälischen Friedenskongreß. ZHF 29 (2002) 257–282.

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Darauf basierend wird im Folgenden auf drei wesentliche Merkmale des habsburgischen Dynastizismus im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges näher eingegangen: die Dynastieräson (1.), die innerfamiliären Verflechtungen (2.) und seinen Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse (3.).

1. Dynastieräson Ein tragendes Element des habsburgischen Dynastizismus bildete die „dynastische Räson“ bzw. „Dynastieräson“. Der Begriff fand in den letzten Jahren in der Forschung verstärkt Verwendung. Ein Beispiel sind Studien des US-Amerikaners Daniel H. Nexon25. Ähnliche Begriffsbildungen finden sich in der Historiographie allerdings auch schon deutlicher früher. Der österreichische Historiker Franz Krones etwa, erster Inhaber eines Lehrstuhls für Österreichische Geschichte an der Universität Graz, erwähnte bereits 1877 in seinem „Handbuch der Geschichte Oesterreichs“ die „dynastische Staatsraison“ des Hauses Habsburg, wobei er die Politik der Dynastie an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert im Blick hatte26. Wichtige Anknüpfungspunkte enthalten die Ausführungen Karl Brandis. Der Göttinger Historiker löste in seiner erstmals 1937 veröffentlichten Darstellung des Lebens Karls V., eine der erfolgreichsten Biographien der deutschen Geschichtsforschung des 20. Jahrhunderts, den Habsburger aus den damals dominierenden nationalgeschichtlichen Deutungsmustern und machte auf dessen „dynastische Weltmachtspolitik“27 aufmerksam. Brandi hatte bereits 1928 mit Blick auf das Familienbewusstsein des Kaisers von einer „dynastischen Staatsraison“28 gesprochen. Die große Bedeutung, die er dem Dynastischen in der Politik zuwies, verdeutlicht ein eigenhändiger Kommentar in einem Entwurf seiner Karl-Biographie: „Warum soll[en] Hymen und Aphrodite das Feld räumen vor Ares und Vulkan?“29 Die Dynastieräson der Habsburger war ein fundamentales Orientierungs- und Handlungsprinzip, das den Fortbestand des Geschlechts, die Optimierung von Macht sowie den Gewinn symbolischen Kapitals zum Hauptziel hatte. Gedankliche Basis und strukturierendes Element war die Vorstellung vom „(ganzen) Haus“, grundsätzlich ein Leitbild der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft sowie generell ein Modell für Herrschaft30. Das Haus war eine Säule der adeligen Mentalität und spielte wohl bei kaum 25  Vgl. Daniel H. Nexon, The Struggle for Power in Early Modern Europe: Religious Conflict, Dynastic Empires, and International Change (Oxford 2009) 68. 26 Franz Krones, Handbuch der Geschichte Oesterreichs von der ältesten bis zur neuesten Zeit, mit besonderer Rücksicht auf Länder-, Völkerkunde und Culturgeschichte, Bd. 2 (Berlin 1877) 220. 27 Karl Brandi, Kaiser Karl V. Werden und Schicksal einer Persönlichkeit und eines Weltreiches (München 1937) 14. Vgl. Arno Strohmeyer, Historiographie zwischen Kaiserreich und Drittem Reich: Karl Brandis (1868–1946) Biographie Kaiser Karls V. (1937/1941), in: Plus Ultra. Die Welt der Neuzeit. FS Alfred Kohler, hg. von Friedrich Edelmayer–Martina Fuchs–Georg Heilingsetzer–Peter Rauscher (Münster 2008) 735–764. 28 Karl Brandi, Karl V. Preußische Jahrbücher 214 (1928) 23–31, hier 28. 29 Karl Brandi, Entwurf zu Karl V., Wien 1535 April 5, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. K. Brandi, 117, unfol. 30  Vgl. Ronald G. Asch, Europäischer Adel in der Frühen Neuzeit. Eine Einführung (Köln–Weimar– Wien 2008) 97–112; Ulrich Meyer, Soziales Handeln im Zeichen des „Hauses“. Zur Ökonomik in der Spät­ antike und im frühen Mittelalter (Göttingen 1998); Valentin Groebner, Außer Haus. Otto Brunner und die „alteuropäische“ Ökonomik. GWU 46 (1995) 69–80; Claudia Opitz, Neue Wege in der Sozialgeschichte? Ein kritischer Blick auf Otto Brunners Konzept des „Ganzen Hauses“. GG 19 (1994) 88–98.



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einer europäischen Dynastie eine so ausgeprägte Rolle wie bei den Habsburgern, die davon überzeugt waren, die „Casa de Austria“ zu bilden, eine Gemeinschaft der Lebenden wie der Toten und der künftigen Nachkommen. Der Ausdruck bezog sich allerdings nicht immer oder ausschließlich auf die Familie, denn auch die Herrschaftsrechte oder der Gesamtbesitz des Geschlechts konnten gemeint sein. „Casa de Austria“ war ein Sammelbegriff, der dynastische, politische und geografische Inhalte verband und eine Gesamtheit von Familie, Besitz, Vermögen und Macht zum Ausdruck brachte31. Charakteristisch für die habsburgische Dynastieräson war die Verknüpfung mit dem Katholizismus und damit in Zusammenhang die Propagierung ausgeprägter Frömmigkeit (pietas) und spezifischer Formen der Heiligenverehrung. Ein weiteres Merkmal war die Verbindung mit universalen Herrschaftskonzepten, darunter die Universalmonarchie (Monarchia universalis), eine in der Antike wurzelnde, aber auch auf der Bibel basierende Idee großräumiger politischer Ordnung, die im 16. und frühen 17. Jahrhundert weit verbreitet war und auch den Imperiumsdiskurs beeinflusste32. Aus ihr ließen sich ein vage umrissener Führungsanspruch über alle Fürsten sowie die Hauptverantwortlichkeit für die Friedenssicherung und die Verteidigung des Christentums gegen Ketzer und Ungläubige ableiten33. Da es sich um eine sehr flexible Vorstellung handelte, die sich an unterschiedliche Rahmenbedingungen, Interessen und Ziele gut anpassen ließ, findet sich eine enorme Variationsbreite. In Spanien beispielsweise wurde die Universalmonarchie mit dem Westgotenreich und einem von religiösen Elementen durchdrungenen Sendungsbewusstsein mit den Spaniern als dem von Gott auserwählten Volk verknüpft; zur Bestätigung dienten die Reconquista und die Expansion in die Neue Welt. Im Heiligen Römischen Reich hingegen wurde die Universalmonarchie gerne mit dem deutschen Kaisertum verbunden34. 31 Grete Walter-Klingenstein, Was bedeuten „Österreich“ und „österreichisch“ im 18. Jahrhundert? Eine begriffsgeschichtliche Studie, in: Was heißt Österreich? Inhalt und Umfang des Österreichbegriffs vom 10. Jahrhundert bis heute, hg. von Richard G. Plaschka–Gerald Stourzh–Jan Paul Niederkorn (AÖG 136, Wien 1995) 149–220; Schmidt, Unidad (wie Anm. 3) 1387; Günther Hödl, Das ganze Haus Österreich. Elemente eines österreichischen Landesbewußtseins im Spätmittelalter, in: Brennpunkt Mitteleuropa. FS für Helmut Rumpler zum 65. Geburtstag, hg. von Ulfried Burz–Michael Dendarsky–Werner Drobesch (Klagenfurt 2000) 157–172; José Martínez Millán–Esther Jiménez Pablo, La Casa de Austria: Una justificación político-religioso (Siglos XVI–XVII), in: La Dinastía de los Austria, hg. von José Martínez Millán–Rubén González Cuerva, Bd. 1 (Madrid 2011) 9–58. 32  Vgl. Anthony Pagden, Lords of all the world. Ideologies of Empire in Spain, Britain and France c. 1500–c. 1800 (New Haven–London 1995) 6; John Robertson, Empire and Union: Two Concepts of the Early Modern European Political Order, in: Theories of Empire, 1450–1800, hg. von David Armitage (An Expanding World. The European Impact on World History 1450–1800 20, Aldershot 1998) 11–44, hier 12f. 33   Vgl. Franz Bosbach, Monarchia universalis. Ein politischer Leitbegriff der frühen Neuzeit (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 32, Göttingen 1988) 17; ders., Selbstauffassung und Selbstdarstellung Karls V. bei der Kaiserkrönung in Bologna, in: Karl V. 1500– 1558. Neue Perspektiven seiner Herrschaft in Europa und Übersee, hg. von Alfred Kohler–Barbara Haider– Christine Ottner (Zentraleuropa-Studien 6, Wien 2002) 83–103; Arno Strohmeyer, Karl V. und die Universalmonarchie in der deutschen Geschichtsforschung, in: The Histories of Charles V. Nationale Perspektiven von Persönlichkeit und Herrschaft, hg. von C. Scott Dixon–Martina Fuchs (Geschichte in der Epoche Karls V. 6, Münster 2005) 28–43. 34 Peer Schmidt, Monarchia universalis vs. monarchiae universales. El programa imperial de Gattinara y su contestación en Europa, in: Carlos V y la quiebra del humanismo político en Europa 1530–1558, Bd. 1, hg. von José Martínez Millán–Ignacio J. Ezquerra Revilla (Madrid 2001) 115–129; ders., Spanische Universalmonarchie oder „teutsche Libertet“. Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges (Studien zur modernen Geschichte 54, Stuttgart 2001).

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Die Universalmonarchie war jedoch nur ein Element des habsburgischen Universalismus. Zu berücksichtigen ist etwa auch die Herrschaftsdevise Karls V. „plus ultra“ („über das gewöhnliche Maß hinaus“), die noch nach dem Ableben des Habsburgers propagiert wurde. Sie brachte einen diffusen Expansionismus zum Ausdruck35. Mit dem Universalismus in Zusammenhang stand ferner die Idee einer gesamteuropäischen Friedensordnung, garantiert durch eine hegemoniale Position der Dynastie, die Pax Austriaca36. Die Vorstellung wurde während des Dreißigjährigen Krieges propagandistisch verbreitet und mit der gottgewollten Auserwähltheit des Geschlechts und seiner politischen Vorrangstellung begründet, entstammte doch mit dem Kaiser der ranghöchste Monarch der Dynastie, in deren Händen sich mit den spanischen Reichen die mächtigste Monarchie befand. In den Augen einflussreicher spanischer Politiker wie Baltasar de Zúñiga (1561–1622) und Conde Gaspar de Guzmán de Olivares (1587–1645) galt die Pax Austriaca als Voraussetzung für den Fortbestand der Monarchie. Mit Fortdauer des Kriegsverlaufs, als die militärische Lage immer problematischer wurde, rückte die Vorstellung allerdings in weite Ferne37. Diese unterschiedlichen Ausprägungen zeigen, dass der habsburgische Universalismus verschiedene Facetten hatte und bei den Mitgliedern der österreichischen und spanischen Linie keineswegs immer dasselbe Gesicht zeigen musste. Falsch wäre es, ihn aufgrund seiner Verwurzelung in antiken und mittelalterlichen Diskursen als rückwärtsgewandt zu interpretieren, wie es die auf Peter Rassow basierende Forschung lange Zeit getan hat, denn er enthielt durchaus dynamische Elemente38. Aus dieser auf der Vorstellung vom „Haus“ basierenden universalen, christlich-katholischen, und mit der Herstellung einer umfassenden Friedensordnung verbundenen Dynastieräson resultierten Verhaltensmaximen und Handlungsmuster, die während des Dreißigjährigen Krieges die habsburgische Politik maßgeblich leiteten, etwa die Herrschaftssicherung sowie der Ausbau der Macht und der Gewinn von Reputation und Ehre. An oberster Stelle rangierte die biologische Reproduktion zur Sicherung des Fortbestands der Familie. Aus diesem Grund war die Unsicherheit der Nachfolge Philipps IV. (1605– 1665) für beide Linien ein zentrales Thema. Von den acht Nachkommen, die der spanische König mit seiner ersten Ehefrau Élisabeth de Bourbon (1602–1644) zeugte – sie kamen zwischen 1621 und 1638 zur Welt –, verstarben sechs noch als Kleinkind. Baltasar Carlos, 1629 geboren und hoffnungsvoll als Thronfolger gehandelt, verstarb 1646, vermutlich an den Pocken. Der zweite Sohn, Francisco Fernando, der 1634 auf die Welt kam, erreichte nicht das zweite Lebensjahr. Einzig die jüngste Tochter des Königs, María 35 Alfred Kohler, Karl V. 1500–1558. Eine Biographie (München 1999) 226–228; Hans-Joachim König, Plus ultra – ein Weltreichs- und Eroberungsprogramm? Amerika und Europa in politischen Vorstellungen im Spanien Karls V., in: Karl V. 1500–1558. Neue Perspektiven seiner Herrschaft in Europa und Übersee, hg. von Alfred Kohler–Barbara Haider–Christine Ottner (Zentraleuropa-Studien 6, Wien 2002) 197–222, hier 217f. 36  Vgl. Selma Krasa-Florian, Die Allegorie der Austria. Die Entstehung des Gesamtstaatsgedankens in der österreichisch-ungarischen Monarchie und die bildende Kunst (Wien 2007) 25f. 37  Vgl. Christoph Kampmann, Universalismus und Staatenvielfalt: zur europäischen Identität in der frühen Neuzeit, in: Europa – aber was ist es? Aspekte seiner Identität in interdisziplinärer Sicht, hg. von Jörg A. Schlumberger–Peter Segl (Köln–Weimar–Wien 1994) 45–76, hier 61–64. 38 Vgl. Peter Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V. dargestellt an der Politik der Jahre 1528–1540 (Historische Studien 217, Berlin 1932); ders., Die politische Welt Karls des Fuenften (München 1942); Luise Schorn-Schütte, Karl V. Kaiser zwischen Mittelalter und Neuzeit (Beck’sche Reihe 2130, München 2000); Strohmeyer, Karl V. (wie Anm. 33) 28–43.



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Teresa (1638–1683), die spätere Ehefrau Ludwigs XIV., erreichte das Erwachsenenalter. Der österreichische Zweig hatte zwar ebenfalls Nachwuchsprobleme, wie das Aussterben der kaiserlichen Linie im Mannesstamm 1619 zeigt, nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Kinder Erzherzog Karls II. (1540–1590) von der steirischen Linie war jedoch das Humanpotential deutlich größer. Ein Merkmal der am Erhalt der Dynastie orientierten politischen Grundhaltung war die Zukunftsorientierung, denn man dachte prospektivisch: „Was passiert, wenn …“? Die Hoffnung auf die – salopp formuliert – „Firmenübernahme“39 war während des Dreißigjährigen Kriegs daher ein Leitmotiv der Politik der österreichischen Linie und beeinflusste auch die Verhandlungsposition Ferdinands III. am Westfälischen Friedenskongress. In Madrid wiederum versuchte man, diese Ambitionen für sich zu nützen40. Die Nachfolgefrage blieb auch nach dem Westfälischen Frieden ein leitendes Thema der Politik beider Zweige, denn von den drei Söhnen, welche die zweite Ehefrau Philipps, Mariana de Austria (1634–1696), eine Tochter Ferdinands III., gebar, verstarben zwei, Felipe Próspero (1657–1661) und Tomás Carlos (1658–1659), noch als Kleinkind. Nur der jüngste, Karl II. (1661–1700), wurde erwachsen – bekanntlich ohne die dynastische Krise zu beenden41. Zu berücksichtigen ist, dass sich die Dynastieräson sehr früh auch auf der Ebene von Teilhäusern entfaltete, ein Prozess, der unzureichend erforscht ist und spätestens mit den Verträgen von Worms und Brüssel 1521/22 begann, in denen die territoriale Ausstattung der österreichischen Linie festgelegt wurde42. Ein weiterer Schritt war die Aufteilung des Herrschaftskomplexes des österreichischen Zweigs nach dem Ableben Ferdinands I. 1564 unter dessen drei Söhnen, was zur Ausbildung einer kaiserlichen, einer Tiroler und einer steirischen Linie führte mit eigener territorialer Ausstattung und eigenen Partikularinteressen. Die Dreiteilung blieb, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung um 1600, bis 1619 bestehen, als Ferdinand II. von der steirischen Linie Innerösterreich mit den Ländern der im Mannesstamm ausgestorbenen kaiserlichen Linie verband. Erst 1665, unter Kaiser Leopold I., war der Gesamtbesitz des Zweiges wieder in einer Hand vereint. Ein permanentes Spannungsverhältnis zwischen dynastischer Gesamträson und der Partikularräson der Teilhäuser war die Folge43. Zu erkennen ist das beispielsweise in den Testamenten der spanischen Könige. Philipp II. (1527–1598) zählte alle in Frage kommenden Nachfahren Karls V. auf, darunter (an letzter Stelle) seine Schwester María de Austria, die mit Maximilian II. verheiratet war, und deren Kinder. Ferdinand I. und dessen Nachkommen erwähnte er hingegen nicht. Sein Sohn Philipp III. (1578–1621) berücksichtigte 1621 in seinem letzten Willen nur mehr die direkten eigenen Nachkommen, also seinen Sohn Philipp IV. sowie dessen Nachfahren und die beiden Brüder Carlos (1607–1632) und Fernando (1609–1641). Explizit ausgeklammert wurde seine Tochter Anna (1601–1666), die mit dem französischen König Ludwig XIII. (1601–1643) verheiratet war. Keine Berücksichtigung fand die für den Fortbestand der Dynastie zentrale steirische Linie mit Ferdinand II. an der  Lothar Höbelt, Ferdinand III. Friedenskaiser wider Willen (Graz 2008) 411.   Wilson, Tragedy (wie Anm. 7) 722f. 41  Vgl. Höbelt, Ferdinand III. (wie Anm. 39) 259f. 42  Vgl. Kohler, Karl V. (wie Anm. 35) 91. 43  Vgl. Arno Strohmeyer, Die Habsburger Reiche 1555–1740: Herrschaft – Gesellschaft – Politik (Darmstadt 2012) 9. 39 40

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Spitze44. Philipp IV. schließlich setzte seinen Sohn Karl II. als Universalerben ein, sollte dieser vorzeitig versterben, kämen dessen jüngeren Brüder an die Reihe (die es freilich nicht gab), anschließend seine zweite Tochter Margarita Teresa (1651–1673), verheiratet mit Kaiser Leopold I., und dann wieder seine weiteren – noch ungeborenen – Töchter. Sollte es keine Nachkommen geben, dann wäre die Thronfolge an die Kinder aus der Ehe seiner Schwester María Ana (1606–1646) mit Ferdinand III. übergegangen. Seine älteste Tochter, María Teresa, vermählt mit Ludwig XIV., klammerte er ebenso explizit aus wie die Nachkommen seiner Schwester Anna45. Nachkommen des österreichischen Zweiges wurden somit nur dann einbezogen, wenn sie mit einer Spanierin verheiratet waren46. Ein anderes Beispiel, das die Ausbildung des dynastischen Partikularismus veranschaulicht, ist die Begräbniskultur der spanischen Linie, die im 17. Jahrhundert einen deutlichen Wandel erfuhr. Die Veränderung des Familiengedächtnisses, die in der Gruft des Escorial beispielhaft zu erkennen ist, zeigt, wie die Vorstellung von der Casa de Austria weiterentwickelt wurde: Nach dem Tod Philipps II. 1598, der sich noch als Thronfolger und Sohn Karls V. im Kreis dessen gesamter Nachfahren präsentiert hatte, kam es zu einer Neuordnung der Gruft, die eine stärkere Bedeutung der Herrschaft über die spanischen Reiche zum Ausdruck brachte. Philipp III. veranlasste die Trennung der Herrscher und deren Eltern von den übrigen Nachkommen47. Besonders deutlich ans Tageslicht tritt das Spannungsverhältnis zwischen Gesamthaus und Teilhäusern in den Oñate-Verträgen, die 1617 nach langen Verhandlungen abgeschlossen und 1631 bestätigt wurden. Bereits kurz nach Vereinbarung des Zwölfjährigen Waffenstillstands zwischen Spanien und den Generalstaaten 1609 hatten sich die innerhabsburgischen Beziehungen intensiviert, denn es zeichnete sich ab, dass mit einem Wiederausbruch der Kämpfe spätestens nach Ablauf des Abkommens zu rechnen wäre. Madrid versuchte, den Kaiser für einen Reichskrieg gegen die niederländischen „Rebellen“ zu gewinnen, der österreichische Zweig wiederum verstärkte aufgrund des sich abzeichnenden Aussterbens der kaiserlichen Linie im Mannesstamm und der konfessionspolitischen Konflikte mit den protestantischen Ständen in Böhmen, Ungarn und den Erbländern die Kontakte nach Spanien, von wo man sich Unterstützung, vor allem Subsidien, erhoffte. In den Oñate-Verträgen verzichtete Philipp III. auf seine Erbansprüche auf die Wenzels- und die Stephanskrone, im Gegenzug akzeptierte Ferdinand II. den Erbvorrang der männlichen Nachkommen der spanischen Linie gegenüber seinen eigenen Töchtern. In einem geheimen Zusatzabkommen verpflichtete er sich außerdem zu Gebietsabtretungen an den spanischen König48. Die Verträge sind schwer zu interpretieren: Ging es um die Wahrung der Einheit der Casa de Austria? Immerhin erhielt Ferdinand kurz darauf spanische Subsidien für die Niederwerfung des Aufstands der böhmischen Stände, eine Voraussetzung für die Sicherung der Vorrangstellung der Dynastie in Europa. Der spanische König hätte das Geld ebenso an neuralgischen Punkten seines eigenen Imperiums verwenden können, etwa in

44   Vgl. Liesbeth Geevers, The Miracles of Spain: Dynastic Attitudes to the Habsburg Succession Crisis (1580–1700). Sixteenth Century Journal 46 (2015) 291–311, hier 296f. 45  Vgl. ebd. 297f. 46  Vgl. ebd. 298f. 47  Vgl. ebd. 299–304. 48 Vgl. Nagel, Dynastie (wie Anm. 4) 342–350; Magdalena S. Sánchez, A House Divided: Spain, Austria, and the Bohemian and Hungarian Successions. Sixteenth Century Journal 25 (1994) 887–903.



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den Niederlanden oder in Übersee49. Oder handelt es sich um einen Ausdruck spanischer Machtpolitik, worauf die Leitlinien des federführenden spanischen Gesandten Íñigo Vélez de Guevara, Conde de Oñate (1566–1644), hindeuten. Die Forschungsdiskussion bewegt sich zwischen diesen beiden Polen. Überzeugend sind die Schlussfolgerungen Ulrich Nagels, der darauf hingewiesen hat, dass es sich weder um einen dynastischen Freundschaftsvertrag noch um einen Ausdruck spanischer Machtgier gehandelt habe, sondern um ein „bemerkenswertes Zeugnis dynastischen Denkens“, da man sichtlich den habsburgischen Territorialkomplex als Familienbesitz betrachtete50. Unbestreitbar ist, dass die beiden Linien „wieder eng zusammengerückt“51 waren. Ausgehend von divergierenden Partikular­ interessen hatte man somit eine pragmatische Lösung gefunden, welche die Einheit des Hauses wahrte52.

2. Innerfamiliäre Verflechtungen Ein weiteres Kennzeichen des habsburgischen Dynastizismus war die enge Verflechtung beider Zweige, die auf mehreren Ebenen zu beobachten ist und für die Politik grundlegend war. Eine zentrale Rolle spielten dabei innerfamiliäre Ehen; die Verknüpfung beider Linien durch Heiraten bildete eine grundlegende Orientierungs- und Verhaltensmaxime der Dynastie. So waren alle spanischen Könige der Casa de Austria, ausgenommen Karl II., mit einer österreichischen Erzherzogin vermählt, und die Mütter Philipps III., Philipps IV. und Karls II. entstammten jeweils der Schwesterlinie. Von den Kaisern hatten Maximilian II., Ferdinand III. und Leopold I. eine spanische Habsburgerin zur Frau53. Im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges ist vor allem auf die Ehe Ferdinands III. mit María Ana de Austria zu verweisen, einer Tochter Philipps III. Gemeinsam mit der Spanierin kamen ihr Hofstaat, dessen Mitglieder ebenfalls verbindend wirkten, sowie ihr Beichtvater Diego de Quiroga (1574–1649) nach Wien54. Der Kapuziner, seit 1628 in dieser Funktion tätig, besaß ebenso wie María Ana einen privilegierten Zugang zum Kaiser und erlangte großen Einfluss, den er zu nutzen wusste, um spanische Interessen zu vertreten55. Gemeinsam bildeten die beiden eine Brücke zwischen Wien und Madrid. María Anas politische Bedeutung nahm nach der Thronbesteigung Ferdinands III. 1637 49  Vgl. Michael Rohrschneider, Ein Ensemble neuralgischer Zonen. Europäische Konfliktfelder um 1600, in: Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, hg. von Robert Rebitsch (Wien–Köln–Weimar 2017) 19–46, hier 22–31, 39–41. 50 Vgl. Nagel, Dynastie (wie Anm. 4) 350. 51   Vgl. Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559– 1659 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 2, Paderborn 2007) 377. 52  Vgl. Thomas Brockmann, Gesamthaus und Partikularinteressen. Zum Verhältnis der habsburgischen Teildynastien im Vorfeld und in der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges, in: Bourbon und Wittelsbach. Neue Forschungen zur Dynastiegeschichte, hg. von Rainer Babel–Guido Braun–Thomas Nicklas (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 33, Münster 2010) 99–142, hier 103–110. 53  Vgl. Strohmeyer, Habsburger Reiche (wie Anm. 43) 39–46. 54  Vgl. José Rufino Novo Zaballos, Relaciones entre las cortes de Madrid y Viena durante el siglo XVII a través de los servidores de las reinas, in: La Dinastía de los Austria, Bd. 2: Las relaciones entre la Monarquía Católica y el Imperio, hg. von José Martínez Millán–Rubén González Cuerva (Madrid 2011) 701–757. 55 Henar Pizarro Llorente, La elección de confesor de la infanta María de Austria en 1628, in: La Dinastía de los Austria, Bd. 2: Las relaciones entre la Monarquía Católica y el Imperio, hg. von José Martínez Millán–Rubén González Cuerva (Madrid 2011) 759–799.

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weiter zu. Die Habsburgerin knüpfte an einer doppelten innerfamiliären Verbindung zwischen dem spanischen Kronprinzen Baltasar Carlos und ihrer Tochter Mariana sowie zwischen ihrem Sohn Ferdinand IV. und der Infanta María Teresa. Das Projekt scheiterte jedoch, unter anderem am unerwarteten Ableben von Baltasar Carlos und am Tod María Anas 1646. Da anschließend ihr Hofstaat Wien verließ, ging der spanische Einfluss auf den Kaiserhof danach deutlich zurück. Das Ereignis gilt deshalb als Einbruch in den Beziehungen beider Linien56. Ein anderes Beispiel für eine innerdynastische Ehe ist die Vermählung Philipps IV. mit Mariana de Austria 1649, einer Tochter Ferdinands III. und ursprünglichen Braut von Baltasar Carlos, auf die noch später zurückzukommen ist. Von 1665 bis 1675, während der Minderjährigkeit ihres Sohnes Karl II., war sie Regentin von Spanien57. Dass dynastische Einheitsvorstellungen einen konstitutiven Bestandteil der Politik bildeten und zur dichten Vernetzung beider Zweige des Geschlechts führten, zeigt auch die Versorgung von Nachkommen der wesentlich fruchtbareren österreichischen Linie in Spanien und deren Einbeziehung in das dortige Regierungssystem. Beispiele sind die Regentschaft Erzherzog Albrechts VII. (1559–1621), eines Sohnes Maximilians II., und seiner Ehefrau, der Infanta Isabella Clara Eugenia (1566–1633), in den Niederlanden, die von 1598 bis 1621 währte, und Erzherzog Leopold Wilhelms (1614–1662), des jüngsten Sohnes Ferdinands II., von 1647 bis 1656 Statthalter der Spanischen Niederlande. Politisch bedeutsame Knotenpunkte konnten außerdem österreichische Erzherzoginnen sein, die in einem spanischen Kloster lebten. Glaubt man dem kaiserlichen Botschafter Franz Christoph Khevenhüller (1588–1650), trug Erzherzogin Margarethe (1567–1633), eine Tochter Maximilians II. und Marías de Austria, die im Kloster de las Descalzas Reales in Madrid lebte, maßgeblich dazu bei, dass sich Spanien dafür entschied, Ferdinand II. bei der Niederwerfung des Aufstands der böhmischen Stände 1619 zu unterstützen. Die Erzherzogin nutzte geschickt die räumliche Nähe zu ihrem Neffen Philipp III. aus, der in ihrem Kloster häufig die Messe besuchte58. In den Augen des Conde de Oñate freilich war die Entscheidung Madrids primär den Interessen der spanischen Monarchie geschuldet und beabsichtigte den Schutz von Gebieten in Oberitalien und den Niederlanden. Auch in die Religionspolitik griff Margarethe aktiv ein, wobei sie vor allem spanische Positionen vertrat. Ihrem Einfluss dürfte es zu verdanken sein, dass die Ehe zwischen Ferdinand III. und María Ana de Austria zustande kam. Sie war zudem eine wichtige Informationsquelle des kaiserlichen Botschafters in Madrid, Khevenhüller. 1625, nachdem sie infolge einer Augenerkrankung erblindet war, nahm ihre Bedeutung ab. Sie starb schließlich 163359. Eine Folge der familiären Verflechtung 56   Vgl. Rubén González Cuerva, Anne, Margret and Marianna of Austria: Queens of Spain, Archduchesses of Austria and Dynastic Links, in: Nur die Frau des Kaisers? Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit, hg. von Bettina Braun–Katrin Keller–Matthias Schnettger (VIÖG 64, Wien–Köln–Weimar 2016) 45–63; Andrea Sommer-Mathis, María Ana de Austria: spanische Infantin – Königin von Ungarn und Böhmen – römischdeutsche Kaiserin (1606–1646), in: ebd. 141–156. 57  Vgl. Silvia Z. Mitchell, Mariana of Austria and Imperial Spain: Court, Dynastic and International Politics in Seventeenth-Century Europe (Diss. University of Miami 2013); dies., Habsburg Motherhood: The Power of Mariana of Austria, Mother and Regent for Carlos II of Spain, in: Early modern Habsburg women, hg. von Anne J. Cruz–Maria Galli Stampino (Farnham 2013) 175–196. 58 Vgl. Nagel, Dynastie (wie Anm. 4) 181; Magdalena S. Sánchez, The Empress, the Queen, and the Nun: Women and Power at the Court of Philip III of Spain (Baltimore 1998). 59  Vgl. ebd. 178–185, 330, 414.



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war ein intensiver Kulturtransfer, der grundsätzlich zu den Merkmalen dynastischer Netzwerke zählt60. Ein weiterer Faktor der Verflechtung waren die diplomatischen Beziehungen zwischen den Monarchen, die im europäischen Vergleich besonders dicht waren61. Schlüsselfunktionen übten dabei die jeweiligen Botschafter in Wien und Madrid aus. Wiederholt kam es zu Einzelinitiativen einflussreicher Diplomaten, die ihre Handlungsspielräume auszunutzen wussten62. Franz Christoph Khevenhüller etwa verhandelte 1621/22 mit dem Conde de Olivares über engere Beziehungen Spaniens zum Heiligen Römischen Reich ohne explizite kaiserliche Anweisungen erhalten zu haben, ähnlich wie der spanische Botschafter in Wien, Baltasar de Zúñiga 1617 ohne Auftrag Philipps III.63. Zu erwähnen sind schließlich noch „pressure groups“ wie die spanische Faktion am Kaiserhof, die gezielt versuchten, politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Ob der Begriff in diesem Zusammenhang wirklich in allen Belangen zutrifft, wird in der Forschung diskutiert, denn von einer geschlossen agierenden Gruppe kann nicht immer gesprochen werden. Fest steht jedoch, dass es in Wien mehr oder weniger fest miteinander verbundene Personen mit Beziehungen zu Spanien gab, die auf die Politik des Kaiserhofs formell oder informell Einfluss nahmen64. Diese Möglichkeit schufen außerdem Systeme von Klientel und Patronage, in welche vor allem adelige Eliten eingebunden waren, etwa durch Pensionen, die Verleihung des Ordens vom Goldenen Vlies – von den 121 Vliesrittern, die Philipp IV. in seiner Regierungszeit ernannte, waren 40 Höflinge des Kaisers – oder die Aufnahme in einen der spanischen Militärorden65.

3. Der Einfluss des Dynastizismus auf politische Entscheidungsprozesse Nachdem in den beiden vorangegangenen Kapiteln die ideologischen Grundlagen des Dynastizismus und als dessen Folge die dichte innerfamiliäre Verflechtung dargestellt wurden, die in vielen Bereichen zu beobachtende Handlungs- und Verhaltensrichtlinien 60   Vgl. Daniel Schönpflug, Dynastische Netzwerke, in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom IEG 2010-12-03. URL: http://www.ieg-ego.eu/schoenpflugd-2010-de URN: urn:nbn:de:0159-20100921660 [2019-04-09] 26–29. 61  Vgl. Pavel Marek, La embajada española en la corte imperial (1558–1641). Figuras de los embajadores y estrategias clientelares (Ibero-Americana Pragensia Supplementum 33, Prag 2013); Ulrich Nagel, Dynastische Verknüpfung als Privileg? Innerhabsburgische Beziehungen zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges im Spiegel der Botschafter, in: Diplomatische Wissenskulturen der Frühen Neuzeit. Erfahrungsräume und Orte der Wissensproduktion, hg. von Guido Braun (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 136, Berlin–Boston 2018) 19–35. 62   Vgl. Rubén González Cuerva–Luis Tercero Casado, The Imperial Court during the Thirty Years War: A Battleground for Factions?, in: Factional Struggles. Divided Elites in European Cities and Courts (1400–1750), hg. von Mathieu Caesar (Rulers & Elites 10, Leiden–Boston 2017) 155–175; Nagel, Dynastie (wie Anm. 4) 412f. 63   Vgl. Hildegard Ernst, Madrid und Wien 1632–1637. Politik und Finanzen in den Beziehungen zwischen Philipp IV. und Ferdinand II. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 18, Münster 1991) 14, 29f. 64  Vgl. Nagel, Dynastie (wie Anm. 4) 178–192, 241–253; Luis Tercero Casado, A fluctuating ascendancy. The „Spanish Party“ at the Imperial Court of Vienna (1631–1659), in: The Secret Mechanisms of Courts: Factions in Early Modern Europe, hg. von Rubén González Cuerva–Valentina Caldari, (Librosdelacorte.es, Monográfico 2/7 [2015]) 39–53. 65  Vgl. Marek, Embajada (wie Anm. 61) 141–183; Strohmeyer, Habsburger Reiche (wie Anm. 43) 37–46.

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der Mitglieder beider Linien bildeten, geht es im Folgenden um den Stellenwert des Dynastizismus in politischen Entscheidungsprozessen, ein Thema, mit dem sich in den letzten Jahren mehrere Studien beschäftigt haben66. Vorangestellt werden muss, dass sich rückblickend nicht immer verlässlich eruieren lässt, welches Gewicht dynastische Faktoren hatten, denn die Prozesse waren komplex, meist wirkten viele Personen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Interessen ein, und viele Komponenten erlangten Bedeutung. Zu bedenken ist etwa, dass die dynastische Einheit in der Rhetorik offenbar größere Bedeutung besaß als bei den Entscheidungen selbst oftmals zu erkennen ist. Während ältere Arbeiten tendenziell die dynastische Einheit in den Vordergrund stellten, neigen jüngere Studien eher dazu, ihre Bedeutung zu relativieren67. Das wird im Folgenden an drei Beispielen veranschaulicht: 1. Kurtranslation: Bei der Kurtranslation 1623 besaß Ferdinand II. zwar ähnlich wie Philipp IV. massive Interessen hinsichtlich der Ausschaltung von Pfalzgraf Friedrich (1596–1632), übertrug jedoch gegen den Willen seines spanischen Verwandten die Kurwürde an Maximilian von Bayern (1573–1651), seinen wichtigsten militärischen Verbündeten, an den er mit Oberösterreich ein Kernland des österreichischen Zweiges verpfändet hatte, dessen rasche Rückgewinnung ihm ein besonders Anliegen war. Der Kaiser hatte in dieser Frage einige Zeit gezögert, wohl, weil er als Folge die Einstellung spanischer Subsidien befürchtete, sich dann aber dennoch zu diesem Schritt entschieden. Um die Partikularinteressen, die hinter dieser Entscheidung standen, zu kaschieren, verwies er auf die deutschen Wurzeln der Dynastie und vertrat nach außen eine auf das Gesamthaus bezogene Rhetorik68. Das deckt sich mit dem Befund der Forschung, dass vor allem in der bilateralen Kommunikation gesamtdynastisch argumentiert wurde, weniger jedoch in internen Gremien69. 2. Politik gegenüber den Generalstaaten und Frankreich: 1624 nahmen die Versuche der spanischen Krone zu, den Kaiser und die Reichsstände in den Krieg gegen die Niederlande stärker einzubinden. Der Conde de Olivares hoffte, die im Burgundischen Vertrag vereinbarte Reichshilfe zu erlangen, was freilich aussichtslos war und wohl auf einer Fehleinschätzung der politischen Lage beruhte, denn weder Ferdinand II. noch die Reichsstände wollten sich in den Konflikt tiefer hineinziehen lassen. Ähnliches gilt für die Bemühungen des Valido, die Unterstützung des Kaisers im Krieg gegen Frankreich zu erlangen. So scheiterte auch sein mit der Zahlung hoher Geldsummen geförderter Versuch, Albrecht von Wallenstein (1583–1634) auf die Seite Spaniens zu ziehen70. Erst 1634, unter massivem Druck, verpflichtete sich Ferdinand II. zum Bruch mit Frankreich und den Generalstaaten. Ausschlaggebend dafür waren aber wohl nicht die nach außen verlautbarten dynastischen Solidaritätsbekundungen, sondern die Aussicht auf umfangreiche Subsidienzahlungen Madrids. Kooperativer zeigte sich der Kaiser im folgenden Jahr bei der Erlaubnis für spanische Truppenwerbungen im Reich. Zu einem entschlossenen 66  Vgl. Brockmann, Gesamthaus (wie Anm. 52); Ernst, Madrid (wie Anm. 63); Nagel, Dynastie (wie Anm. 4); Michael Rohrschneider, Kongressdiplomatie im Dienste der Casa de Austria. Die Beziehungen zwischen den spanischen und kaiserlichen Gesandten auf dem Westfälischen Friedenskongress (1643–1648). HJB 127 (2007) 75–100; Grete Mecenseffy, Die Beziehungen der Höfe von Wien und Madrid während des Dreißigjährigen Krieges (AÖG 121, Wien 1955) 1–91. 67  Beispiele bei Brockmann, Gesamthaus (wie Anm. 52) 100f. 68 Vgl. Brockmann, Gesamthaus (wie Anm. 52) 10–116. 69 So Nagel, Dynastie (wie Anm. 4) 416, mit Bezug auf den spanischen Staatsrat. 70 Vgl. Ernst, Madrid (wie Anm. 63) 307f.



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Vorgehen gegen Paris kam es jedoch immer noch nicht. Vermutlich war Ferdinand II. zu diesem Zeitpunkt bereits bewusst, dass die spanische Krone in groben Finanznöten war, die auch das amerikanische Silber nicht mehr zu beheben vermochte, und dass der Krieg gegen die Generalstaaten nicht mehr zu gewinnen war. Philipp IV. wiederum führte den Krieg gegen die Niederlande trotzdem fort, vermutlich primär deshalb, da er deren Position in Ost- und Westindien sowie im Baltikum schwächen wollte. Die Sicherung wirtschaftspolitischer Einflusszonen war ihm wichtiger als der Familienverband71. 3. Verhandlungen am Westfälischen Friedenskongress72: Paragraph 3 des Instrumentum Pacis Monasteriensis untersagte dem Kaiser, Madrid im spanisch-französischen Krieg militärisch zu unterstützen: „Damit die gegenseitige Freundschaft zwischen dem Kaiser, dem allerchristlichsten König, den Kurfürsten, Fürsten und Ständen des Reiches für die Zukunft umso zuverlässiger und aufrichtiger bewahrt werde […], soll der eine die gegenwärtigen oder künftigen Feinde des anderen unter keinem Rechtstitel, Vorwand, wegen keiner Streitigkeit und keines Krieges zum Nachteil des anderen mit Waffen, Geld, Soldaten, Proviant oder anderweitig unterstützen oder Truppen […], Aufnahme, Quartier oder Durchzug gewähren“73. Der Artikel erschütterte die internationale Politik, denn in den Augen vieler Zeitgenossen, insbesondere der Franzosen, war die Einheit der Casa de Austria bis dahin eine feststehende Größe gewesen. Die nunmehr vertraglich fixierte neutrale Haltung des Kaisers im spanisch-französischen Krieg wird daher in der Literatur als einer der größten kongresspolitischen Erfolge Frankreichs bezeichnet74. Noch im Vorfeld der Verhandlungen hatten sich Wien und Madrid um eine enge Kooperation bemüht, wie die Instruktionen beider Herrscher für ihre Gesandten belegen. Hierbei handelte es sich nicht um Rhetorik, sondern um „tatsächliche Überzeugung“75, denn man hoffte, auf diese Weise bessere Verhandlungsergebnisse zu erzielen. Freilich erhielten beide Gesandtschaften Geheiminstruktionen, deren Inhalt der anderen Seite verborgen blieb. Die Reichweite der Partnerschaft war also von Anfang an begrenzt, das Spannungsverhältnis zwischen Einheit und Partikularismus somit bereits zu Kongressbeginn gegeben. Dies wurde den beteiligten Akteuren auch bald klar, wie die Beschwerden der spanischen Gesandten über mangelnde Unterstützung durch die kaiserlichen Vertreter im Präzedenzstreit mit Frankreich zeigen. Gleichwohl sind in der Frühphase deutliche Bemühungen zur Kooperation zu beobachten76. Zu einer deutlichen Verschlechterung der Beziehungen kam es nach der Ankunft des kaiserlichen Prinzipalgesandten Maximilian von Trauttmansdorff (1584–1650) Ende November 1645 – obwohl dieser jahrelang aus Madrid Pensionen bezogen hatte77 – und den   Vgl. ebd. 308f.   Vgl. dazu auch den Beitrag von Lena Oetzel in diesem Band. 73   Münsterscher Friedensvertrag (Instrumentum Pacis Monasteriensis, IPM), Münster, 24.10.1648, http:// www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID=741&url_tabelle=tab_ quelle [5.4.2019]. 74  So Michael Rohrschneider, Das Ende der Vision einer „Pax Austriaca“: Zur spanischen und kaiserlichen Politik auf dem Westfälischen Friedenskongress, in: La Dinastía de los Austria, Bd. 2: Las relaciones entre la Monarquía Católica y el Imperio, hg. von José Martínez Millán–Rubén González Cuerva (Madrid 2011) 1341–1354, hier 1341f. 75   Rohrschneider, Ende (wie Anm. 74) 1344. In diesem Sinn ders., Kongressdiplomatie (wie Anm. 66) 97f; Brockmann, Gesamthaus (wie Anm. 52) 99–142. 76  Vgl. Rohrschneider, Ende (wie Anm. 74) 1344–1347. 77  Vgl. Antonio José Rodríguez Hernández, Las limitaciónes de la paz: Diplomacia y colaboración económico-militar entre España y el Imperio en torno a la Paz de Westfalia (1644–1659), in: La Dinastía de los 71 72

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militärischen Niederlagen im Jahr darauf78. Als zentrales Streitthema erwiesen sich die französischen Satisfaktionsforderungen, über die Trauttmansdorff verhandelte, ohne sich vorher mit dem spanischen Gesandten Peñaranda genauer koordiniert zu haben. Die angebotene Abtretung elsässischen Territoriums an die französische Krone, mit dem Hintergedanken, durch die Verständigung mit Frankreich die Position des Kaisers im Reich zu stabilisieren, tangierte unmittelbar strategische und militärische Interessen der spanischen Monarchie. Peñaranda warf deshalb Trauttmansdorff vor, gegen die Interessen der Casa de Austria zu handeln79. Am gravierendsten waren die Gegensätze in der Frage eines Friedensschlusses des Kaisers mit Frankreich nach dem Scheitern der spanisch-französischen Verhandlungen. Das Thema wurde ab Herbst 1646 zentral, nachdem die kaiserlichen und französischen Diplomaten in den Satisfaktionsartikeln zu einer Einigung gelangt waren. Madrid wollte unbedingt vermeiden, den Krieg gegen Frankreich ohne Unterstützung durch die österreichischen Verwandten fortzusetzen. Nach der Abreise Trauttmansdorffs im Sommer 1647 arbeiteten die kaiserlichen und spanischen Diplomaten nur mehr oberflächlich zusammen. Unter dem Druck Frankreichs, Schwedens und der Reichsstände sah Ferdinand III. schließlich keine andere Lösung mehr, als der Separation zuzustimmen80. Spätestens jetzt war die Pax Austriaca „bestenfalls noch eine Chimäre“81. Eine gesamtdynastische, bis in Einzelheiten abgesprochene Politik beider habsburgischen Linien hat es somit, wie die Forschungen Michael Rohrschneiders überzeugend aufzeigen, auf dem Westfälischen Friedenskongress wohl nie gegeben82. Die Bestimmung war in den bilateralen Beziehungen mit Sicherheit ein Einschnitt, über dessen Tiefe die Forschung allerdings uneins ist83. Die Krise führte jedoch nicht zum völligen Bruch und die dynastische Verbindung blieb bestehen84. Philipp IV. konzipierte sein Verhältnis zum Kaiser auch nach dem Westfälischen Frieden in dem Bewusstsein, der Casa de Austria anzugehören, und heiratete 1649 Mariana de Austria, eine Tochter Ferdinands III.85 Für die österreichische Linie wiederum blieb die spanische Sukzession eine zentrale politische Option. Die Einheit des Hauses war somit als Leitvorstellung trotz der Separation nicht obsolet86 und sogar noch im 18. Jahrhundert zu Austria, Bd. 2: Las relaciones entre la Monarquía Católica y el Imperio, hg. von José Martínez Millán–Rubén González Cuerva (Madrid 2011) 1355–1386, hier 1368. 78   Vgl. dazu auch den Beitrag von Lena Oetzel in diesem Band. 79  Vgl. Rohrschneider, Ende (wie Anm. 74) 1348–1354. 80   Vgl. ebd. 1351–1353. 81   Ebd. 1354. 82  So ebd. 1354. 83 Tercero Casado interpretiert den Artikel 3 des Westfälischen Friedens als tiefgreifende Zäsur in den innerhabsburgischen Beziehungen. Während die beiden Linien im Dreißigjährigen Krieg noch intensiv zusammengearbeitet hätten, sei die Achse Madrid-Wien nach 1648 getrennt geblieben. Vgl. Luis Tercero Casado, Infelix Austria: Relaciones entre Madrid y Viena desde la Paz de Westfalia hasta la Paz de los Pirineos (1648– 1659) (Diss. Wien 2017) 309. 84 Vgl. Rodríguez Hernández, Limitaciónes (wie Anm. 77) 1371–1375. 85  Vgl. Luis Tercero Casado, La jornada de la reina Mariana de Austria a España: divergencias políticas y tensión protocolar en el seno de la casa de Austria (1648–1649). Hispania. Revista Española de Historia 71 (2011) 639–664. 86 Michael Rohrschneider, Der gescheiterte Frieden von Münster. Spaniens Ringen mit Frankreich auf dem Westfälischen Friedenskongress (1643–1649) (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 30, Münster 2007) 482. Zu diesem Schluss gelangt auch Lena Oetzel in ihrem Beitrag in diesem Band.



Einheit der Casa de Austria? 159

erkennen, als die spanische Linie bereits im Mannesstamm ausgestorben war. Als etwa Karl VI., der die Idee einer Wiederbelebung des dynastischen Gesamtreichs Zeit seines Lebens verfolgte, die Herrschaft über die Spanischen Niederlande antrat, stellte er sich als Landesfürst ganz bewusst in die Tradition seiner spanischen Vorfahren87.

4. Zusammenfassung und Ergebnisse Ausgehend von neueren Forschungskonzepten, die für eine stärkere Berücksichtigung des Dynastischen im Politischen eintreten, untersucht der Beitrag den Dynastizismus der Habsburger während des Dreißigjährigen Krieges. Darunter wird eine extreme Steigerungsform einer von dynastischen Überlegungen und Zielen geleiteten Politik verstanden, deren Grundlagen Denkweisen, Handlungen, Verhaltensmuster, Regeln und Normen bildeten, die aus dem Bewusstsein resultierten, eine Dynastie zu bilden, die Casa de Austria. Methodisch bilden drei Vorüberlegungen das Fundament: Dynastien sind eine kulturelle Konstruktion, gebildet von individuellen Akteurinnen und Akteuren mit gesteigertem Gruppenbewusstsein; ihre Außenbeziehungen sind von den fünf Leitfaktoren der internationalen Politik „Staatsinteresse“, „Dynastie“, „Religion“, „Reputation“, „tradierte Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster“ maßgeblich geprägt, und sie folgen einer eigenen Entwicklungslogik. Zu den charakteristischen Merkmalen des habsburgischen Dynastizismus, die untersucht wurden, zählen die Dynastieräson, eine enge innerfamiliäre Verflechtung und die Bedeutung in politischen Entscheidungsprozessen. Folgende Ergebnisse können festgehalten werden: Der Dynastizismus war ein zentraler Faktor der bilateralen Beziehungen und der Politik beider Linien. Tragendes ideologisches Fundament war die Dynastieräson, die zentrale Verhaltensrichtlinien vorgab. Sie basierte auf der Vorstellung vom ganzen Haus, dem katholischen Glauben, einem sehr variantenreichen Universalismus und war mit Friedensvorstellungen verknüpft. Sie konnte sich auf das Gesamthaus, aber auch auf die Teilhäuser beziehen. Es gab also auch einen dynastischen Partikularismus. Der Dynastizismus führte zu einer engen spezifischen Verflechtung beider Linien und Herrschaftsräume im familiären Bereich durch innerdynastische Ehen und damit im Zusammenhang auch über die Hofstaaten der Ehepartner, durch Klientelismus, durch die Diplomatie sowie durch Lobbyisten und mehr oder weniger geschlossen agierende „pressure groups“, die politische Entscheidungen beeinflussten. Der Stellenwert gesamtdynastischer und partikularer Faktoren in politischen Entscheidungsprozessen ist mitunter schwer zu eruieren. Die Verhandlungen zum Westfälischen Frieden deuten jedoch darauf hin, dass beide Seiten sich zwar um eine Zusammenarbeit bemühten, von einer Priorität des Gesamthauses jedoch nicht gesprochen werden kann. Die Einheit stieß an Grenzen, sobald grundlegende partikulare Ziele gefährdet schienen. Dieser Befund deckt sich mit den Studien, die frühere Phasen des Dreißigjährigen Kriegs untersuchen. Schwierigkeiten gab es vor allem dann, wenn ein Zweig vitale Interessen gefährdet sah. Habsburgs Gegner, vor allem Frankreich, nahmen die Dynastie wesentlich geschlossener wahr, als es realpolitisch der Fall war. Der Dynastizismus der Habsburger führte zu einer Kombination von Einheit und 87   Vgl. Simon Karstens, Die spanische Illusion. Tradition als Argument der Herrschaftslegitimation Karls VI. in den südlichen Niederlanden 1702–1725. ÖZG 23 (2012) 161–189.

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Vielfalt zweier Herrschaftsräume, für die es in der Geschichte keine Parallele gibt. Er begründete eine Sonderform der bilateralen Beziehungen, deren konkrete Ausformung – nicht nur während des Dreißigjährigen Krieges – noch systematisch zu untersuchen ist, und zwar zumindest europäisch vergleichend.



Zwischen Dynastie und Reich. Rollen- und Interessenkonflikte Ferdinands III. während der Westfälischen Friedensverhandlungen Lena Oetzel

„Demselben nach haben unsere Kayserlichen abgesandten in acht zu nemmen, daß wir wegen erledigung der reichsgravaminum darbei in dreyerlei waiß interessiert. Erstlich als deßselben Römischen Reichs oberhaubt und iudex competens. Zum andern als advocatus ecclesiae catholicae et sedis apostolicae. Zum dritten als erzherzog zu Österreich und ein catholischer mitgestandt im Reich, warzue propter consequentiam alle unsere erbkönigreich und lande im Römischen Reich zu ziechen sein“1. In dieser Weisung vom 11. Jänner 1646 an seine Gesandten auf dem Westfälischen Friedenskongress brachte Ferdinand III. das Problem seiner Rollenvielfalt treffend auf den Punkt: Er war Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches, Verteidiger des katholischen Glaubens und Erzherzog von Österreich. Letzteres bedeutete, dass er zudem Landesherr in den österreichischen Erblanden und Oberhaupt der österreichischen Linie des Hauses Habsburg war, also führendes Mitglied der Casa de Austria als Gesamthaus. Aus diesen diversen Rollen ergab sich eine Vielfalt an Interessen, die oftmals in Widerspruch zueinander gerieten, die aber nach Möglichkeit alle von den diplomatischen Vertretern Ferdinands in Münster und Osnabrück „in acht zu nemmen“ waren. Das dies nahezu unmöglich war, ist naheliegend. Besonders augenfällig sind die potentiellen Interessenkonflikte zwischen den österreichischen und den spanischen Habsburgern; Thomas Brockmann spricht hier von Ziel- und Prioritätendifferenzen2. Aber auch aus der Rolle als Landesherr und als Reichsoberhaupt konnten sich verschiedene Konfliktlagen ergeben. Dass Ferdinand III. sich dieser Rollen- und Interessendivergenz bewusst war, zeigt sich auch daran, dass er neben der kaiserlichen eine erzherzogliche Gesandtschaft nach Westfalen entsandte; diese beiden Gesandtschaften kooperierten zwar gelegentlich miteinander,

1  Ferdinand III. an Trauttmansdorff, Nassau, Lamberg, Volmar und Krane, Linz 1646 Jänner 11, in: APW, Serie II: Korrespondenzen, Abt. A: Die kaiserlichen Korrespondenzen, Bd. 3: 1645–1646, bearb. von Karsten Ruppert (Münster 1985) Nr. 87, 125f. 2  Vgl. Thomas Brockmann, Gesamthaus und Partikularinteressen. Zum Verhältnis der habsburgischen Teildynastien im Vorfeld und in der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges, in: Bourbon und Wittelsbach: Neuere Forschungen zur Dynastiengeschichte, hg. von Rainer Babel–Guido Braun–Thomas Nicklas (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. 33, Münster 2010) 99–142, 103; ders., Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte N. F. 25, Paderborn 2011).

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agierten aber an und für sich unabhängig voneinander3. Eine vollständige Trennung der Kompetenzbereiche lag aber nicht vor. Gerade Ferdinands III. Vertrauter, der Prinzipalgesandte Maximilian Graf von Trauttmansdorff (1584–1650), war darum bemüht, alle Verhandlungsfelder, die Ferdinand III. in einer seiner Rollen betrafen, im Blick zu haben. Im Folgenden sollen die Rollen- und Interessenkonflikte Ferdinands III. und deren Ausbalancierung auf dem Westfälischen Friedenskongress anhand von zwei Fallbeispielen untersucht werden: (1) anhand der Diskussion um die Autonomie in den Erblanden im Rahmen der Gravaminaverhandlungen zwischen dem Kaiser und den protestantischen Reichsständen im Frühjahr und Sommer 1646. Diese ist insofern aussagekräftig, als Ferdinand III. und sein engster Vertrauter in Westfalen, Trauttmansdorff, hier eine unterschiedliche Gewichtung der Interessen – und damit der Rollen – vornahmen, was Einblick in die Sichtweisen und Prioritätensetzungen der kaiserlichen Partei gibt. (2) Weiter soll das Geschehen anhand der Diskussion um das Assistenzverbot und die Einheit des Hauses Habsburg in der letzten Verhandlungsphase im Sommer 1648 erörtert werden. Hier trat der Rollenkonflikt zwischen Ferdinand III. als Reichsoberhaupt und als Mitglied der Habsburgerdynastie noch einmal stark hervor und war letztlich entscheidend für den Friedensschluss. Bevor jedoch die beiden Fallbeispiele betrachtet werden, sollen einige grundlegende Überlegungen zum Interesse als zentraler Analysekategorie sowie zur Dynastie und der Bedeutung kollektiver Kategorien in den frühneuzeitlichen Außenbeziehungen angestellt werden.

1. Interesse und Dynastie in den frühneuzeitlichen Außenbeziehungen Das Eingangszitat ist nicht nur insofern bedeutsam, als es die kaiserliche Rollenvielfalt erläutert, sondern der Kaiser erklärte darin auch, dass er an den Verhandlungen auf besondere Weise „interessiert“ sei. Was meinte er damit und was verbirgt sich hinter diesem so geläufigen Begriff? „Interesse“ ist ein schillernder Terminus, der gerade in den Internationalen Beziehungen, aber auch in den Wirtschaftswissenschaften, den Politikwissenschaften, der Soziologie sowie der Geschichtswissenschaft vielfältig Anwendung findet4. Allerdings fehlt dabei meist eine klare Definition; oft erscheint Interesse – gerade in Arbeiten zu den Internationalen Beziehungen – als objektive Kategorie im Sinne von Staatsräson5. Dies ist jedoch eine vereinfachende und begrenzende Sichtweise. Zunächst einmal beschreibt Interesse ein relationales Verhältnis zwischen einem Subjekt und einem wertgeschätzten Objekt6. Dies korreliert mit der Etymologie des Begriffes 3 Antje Oschmann, Einleitung, in: APW, Serie II: Korrespondenzen, Abt. A: Die kaiserlichen Korrespondenzen, Bd. 6/1: März–Juli 1647, bearb. von Antje Oschmann–Magnus Ulrich Ferber–Christiane Neerfeld–Christina Schmücker (Münster 2011) CXIIf. 4   Einen Überblick über den Interessensbegriff in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen bietet: Richard Swedberg, Interest (Maidenhead 2005). 5   Vgl. ebd. 6; Albert Otto Hirschman, The Concept of Interest. From Euphemism to Tautology, in: ders., Rival views of market society and other recent essays (New York 1986) 35–55, 40–45; Alexander Siedschlag, Definition und Reichweite des Interessensbegriffs in den internationalen Beziehungen. Unter besonderer Berücksichtigung innenpolitischer Aspekte der Interessendefinition in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, in: Deutsche Interessen in der sicherheitspolitischen Kommunikation, hg. von Olaf Theiler–Ulrich Albrecht (Schriften der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation 24, Baden-Baden 2001) 17–32, 17. 6  So definiert August Pradetto Interesse als „eine Konstellation zwischen einem individuellen oder kol-



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vom Lateinischen „inter esse“, was so viel bedeutet wie dazwischen sein, dabei sein. Nachdem der Begriff lange Zeit in einem ökonomischen Kontext im Sinne von Schadensersatz oder Zinsen verwendet wurde, erhielt er seit dem 16. Jahrhundert eine zunehmend politische Bedeutung7. Seinen Durchbruch als „Schlüsselkonzept der politischen Sprache“8 feierte er im 17. Jahrhundert, unter anderem mit der Schrift des französischen Hugenottenführers Henri de Rohan (1579–1638) „De l’Interest des Princes et Estats de la Chrestienté“ von 16389. Rohan verwendete Interesse tatsächlich als objektive Kategorie, nach der Fürsten ihr Handeln ausrichten sollten, anstatt ihren Leidenschaften zu folgen. Eine Vernachlässigung der Staatsinteressen sei die Ursache für viel Unglück in der Staatenwelt, wie gerade der Dreißigjährige Krieg zeige. Interesse diente also mehr und mehr als Kategorie zur Analyse menschlichen und insbesondere herrschaftlichen Handelns10. Dies zeigt sich – jenseits der Ebene der Theorie – deutlich in der diplomatischen Praxis: Auch in den Instruktionen und Korrespondenzen der Gesandten vom Westfälischen Friedenskongress mit ihren Heimathöfen wurde der Begriff regelmäßig, wie das Eingangszitat zeigt, genutzt, um die eigene Position aber auch die von Dritten im Machtgefüge der frühneuzeitlichen Außenbeziehungen zu bestimmen11. lektiven Akteur und einem von ihm wertgeschätzten materiellen oder ideellen Objekt“; August Pradetto, Interessen und ‚nationale Interessen‘ in der Außen- und internationalen Politik. Definition und Reichweite des Begriffs, in: Deutsche Interessen in der sicherheitspolitischen Kommunikation, hg. von Olaf Theiler–Ulrich Albrecht (Schriften der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation 24, Baden-Baden 2001) 33–68, 34. Ähnlich Peter Reichel–Peter Massing, Einleitung, in: Interesse und Gesellschaft. Definitionen, Kontroversen, Perspektiven, hg. von dens. (München 1977) 7–30, 15; Swedberg, Interest (wie Anm. 4) 7. 7   Zur Etymologie vgl. u. a. Ernst Wolfgang Orth, Interesse, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, hg. von Otto Brunner–Werner Conze– Reinhart Koselleck (Stuttgart 1982) 305–344; Martin Papenheim, From „interest“ to the „political“. Speaking of ruling and reigning in Early Modern Europe, in: Writing political history today, hg. von Willibald Steinmetz–Ingrid Gilcher-Holtey–Heinz-Gerhard Haupt (History of Political Communication 21, Frankfurt/Main–New York 2013) 45–55, 49. 8 Nadir Weber, Lokale Interessen und große Strategie. Das Fürstentum Neuchâtel und die politischen Beziehungen der Könige von Preußen (1707–1806) (Externa 7, Köln–Weimar–Wien 2015) 63. Ähnlich Hirschman, Concept (wie Anm. 5) 45; Papenheim, Interest (wie Anm. 7); Herfried Münkler, Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der frühen Neuzeit (Frankfurt/Main 1987) 270. 9  Henri de Rohan, De l‘Interest des Princes et Estats de la Chrestienté (Paris 1639). Die Schrift wurde bald ins Englische und Deutsche übersetzt: Henri de Rohan, A treatise of the interest of the princes and states of Christendome. Written in French by the most noble and illustrious Prince, the Duke of Rohan. Translated into English by H[enry] H[unt] (Paris 1640); Henri de Rohan, Interesse Der Potentaten und Stände: Oder Unpassionirter Discurs, Worinnen der fürnemsten Potentaten und Stände der Christenheit/ wares Interesse, Wolfahrt und Auffnemmen dieser Zeit bestehe: Was jeder auch für Reguln und Puncten in seiner Regierung in obacht zu nemmen habe: Sampt angehengten etlichen Historischen Exempeln […] Auß dem Frantzösischen in das Teutsche ubergesetzet (1640). Zu Rohan vgl. John H. M. Salmon, Rohan and Interest of State, in: Staatsräson: Studien zur Geschichte eines politischen Begriffs, hg. von Roman Schnur (Berlin 1975) 121–140. Im Rahmen des Deutsch-Französischen Doktorandenkollegs Mainz-Dijon entsteht eine Dissertation zu Rohan: Timo Andreas Lehnert, Confessio – conflictio – cociliatio. Henri de Rohan (1579–1638) und die internationalen Beziehungen in Europa, https://www.dijon.uni-mainz.de/doktorandinnen-und-doktoranden/#Lehnert_ Timo_Andreas [25.2.2019]. Vgl. auch Timo Andreas Lehnert, Gleichgewicht, Konfession, Krieg. Henri de Rohan (1579–1638) und die internationalen Beziehungen in Europa, in: Dreißigjähriger Krieg Online – Projekte, hg. von Markus Meumann, https://thirty-years-war-online.net/projekte/timo-andreas-lehnert-gleichgewicht [25.2.2019]. 10  Vgl. Swedberg, Interest (wie Anm. 4) 1; Papenheim, Interest (wie Anm. 7) 50. 11   Allein in den kaiserlichen Instruktionen taucht der Interessensbegriff in verschiedenen Formen 17 Mal auf. Vgl. hierzu demnächst ausführlich mein Habilitationsprojekt: Lena Oetzel, Im Geflecht der Interessen.

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Eine zentrale Rolle spielten dabei kollektive Einheiten als Subjekte, also Träger eines Interesses, wie etwa die Reichsstände oder eben die Dynastie, denen wiederholt Interessen zugeschrieben wurden. So sprach Trauttmansdorff nicht nur von „Euer Kaiserliche Majestät undt dero hauß interesse“12, sondern beispielsweise auch von „deß ganzen hausßes Lothringen interesse“13 und nahm damit eine Einordnung der Verhandlungspositionen vor. Tatsächlich waren es in der Regel überindividuelle, kollektive Einheiten, denen Interessen zugeschrieben wurden, ebenso wie Herrscherpersonen, die aber nicht in erster Linie als Individuen zu verstehen sind, sondern vor allen Dingen als „Verwalter des dynastischen Interesses“14, also als Vertreter ebenjener kollektiven Einheiten. Dynastie kann dabei verstanden werden „als von Verwandtschaftsbeziehungen zusammengehaltene mächtige Gruppen, die eine Hochform von Identität ausprägen, indem sie sich an der Vergangenheit orientieren und sich auf eine gemeinsame Zukunft beziehen“15. Zu ihren zentralen Zielen gehören die Sicherung der Dynastie sowie deren Expansion, beides sowohl materiell als auch ideell gedacht16. Entsprechend charakteristisch ist die Unterordnung des Individuums unter die Dynastie. Dies spiegelt sich auch in der modernen Historiographie wider, die Dynastien als „maßgebliche Akteure“ des „machtpolitische[n] Spiel[s] Europas zwischen Krieg und Frieden“17 bezeichnet hat. Dabei stellt sich jedoch die Frage, inwiefern derartige kollektive Einheiten als handelnde Akteure verstanden werden können, die tatsächlich eigene Interessen hatten oder ob nicht stärker die Individuen hinter den Kollektiven in den Blick zu nehmen sind, wie es die Neue Diplomatiegeschichte praktiziert. Diese wendet sich aus einer akteurszentrierten Perspektive explizit gegen den „Deagentivierungsdiskurs“, der eben solche kollektiven Einheiten wie Dynastien und Staatsgebilde in den Mittelpunkt Kaiserliche und reichsständische Gesandte auf dem Westfälischen Friedenskongress (1643–1649), https://www. academia.edu/37970174/Habil_Projektskizze.pdf [26.2.2019]. 12   Trauttmansdorff an Ferdinand III., Münster 1646 März 23, in: APW II A 3 (wie Anm. 1) Nr. 225, 438. 13   Trauttmansdorff an Nassau, Osnabrück 1647 April 4, in: APW II A 6,1 (wie Anm. 3) Nr. 11A, 54. 14  Matthias Schnettger, Dynastie. EdN 3 (2006) Sp. 1–11, hier 1. Zum Spannungsverhältnis von Person und Position des Herrschers vgl. Jeroen Frans Jozef Duindam, Dynasties. A global history of power, 1300–1800 (Cambridge 2016) 21–86. Dass der zeitgenössische Interessensbegriff sich nicht auf Herrscher, Dynastien und Staaten beschränkte, zeigen gelegentliche Zuschreibungen von Interessen zu Einzelpersonen, wie Ministern oder Gesandten. Z. B. Trauttmansdorff an Kurz, Münster 1646 August 17, in: APW, Serie II: Korrespondenzen, Abt. A: Die kaiserlichen Korrespondenzen, Bd. 4: 1646, bearb. von Hubert Salm–Brigitte Wübbeke-Pflüger– Wilhelm Engels–Manfred Klett–Antje Oschmann (Münster 2001) Nr. 307, 519. 15  Thomas Nicklas–Guido Braun–Rainer Babel, Einleitung, in: Bourbon und Wittelsbach: Neuere Forschungen zur Dynastiengeschichte, hg. von dens. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. 33, Münster 2010) 1–17, hier 1. Zur Definition von Dynastie systematisch: Wolfgang E. J. Weber, Interne und externe Dynamiken der frühneuzeitlichen Herrscherdynastie: Ein Aufriss, in: ebd. 61–77; Schnettger, Dynastie (wie Anm. 14). 16   Vgl. grundlegend u. a.: Weber, Dynamiken (wie Anm. 15); Schnettger, Dynastie (wie Anm. 14); Nicklas–Braun–Babel, Einleitung (wie Anm. 15); Christoph Kampmann–Katharina Krause–Eva-Bettina Krems–Anuschka Tischer, Einleitung, in: Bourbon – Habsburg – Oranien. Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa um 1700, hg. von dens. (Köln–Weimar–Wien 2008); siehe den Beitrag von Arno Strohmeyer in diesem Band. 17  Nicklas–Braun–Babel, Einleitung (wie Anm. 15) 1. Zur Dynastiegeschichte allg. u. a. Bourbon – Habsburg – Oranien. Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa um 1700, hg. von Christoph Kampmann–Katharina Krause–Eva-Bettina Krems–Anuschka Tischer (Köln–Weimar–Wien 2008); Bourbon und Wittelsbach: Neuere Forschungen zur Dynastiengeschichte, hg. von Rainer Babel–Guido Braun–Thomas Nicklas (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. 33, Münster 2010); Duindam, Dynasties (wie Anm. 14). Einen Überblick über die Forschung bei Arno Strohmeyer in diesem Band.



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stellt18. Es sei zu bedenken, „dass die personalen Akteure selbst dann, wenn sie von den Interessen eines Staates sprechen, doch bestenfalls ihre Vorstellungen von dessen Interessen zum Ausdruck bringen“19. Aus der Adelsforschung kommend betont in diesem Sinne auch Alexander Jendorff, dass das vorhandene „Bewußtsein vom übergeordneten Kollektiv und seiner Bedeutung […] nicht verwechselt werden [darf ] mit der permanenten mentalen Präsenz des Kollektivs im Handeln der Einzelpersonen und dem völligen Aufgehen der Einzelpersonen in ihm. Vielmehr erscheint das, was wir als Politik des Hauses erkennen möchten, doch vielmehr als (manchmal hilfloser) Versuch der Harmonisierung von Einzelinteressen durch bestimmte Familienangehörige, deren eigene Vorstellungen sich jedoch nicht mit den Auffassungen anderer Familienangehöriger decken mußten“20. In der Soziologie gelten kollektive Akteure dann als handlungsfähig, wenn sie erstens dem Selbstverständnis sowie zweitens der Außenwahrnehmung nach als Einheit begriffen werden und drittens über eine gemeinsame innere Organisationsstruktur verfügen21. Für das Haus Habsburg trafen zwar Punkt eins und zwei zu, Punkt drei ist deutlich komplexer: Thomas Brockmann, Ulrich Nagel, Michael Rohrschneider und Arno Strohmeyer haben in ihren Arbeiten zur Casa de Austria während des Dreißigjährigen Krieges und der Westfälischen Friedensverhandlungen gezeigt, dass mitnichten von einem koordinierten, abgestimmten Handeln der beiden Linien die Rede sein kann22. Wenn überhaupt, kann dies lediglich mit Blick auf die jeweiligen Teildynastien gelten, nicht für das Gesamthaus. Aber auch für den österreichischen Teil der Dynastie ist zwischen der Hauptlinie, die die Kaiserkrone beanspruchte, und der Tiroler Linie mit teilweise unterschiedlich gelagerten Interessen zu differenzieren23. 18  Hillard von Thiessen–Christian Windler, Einleitung. Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive, in: Akteure der Außenbeziehungen: Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, hg. von dens. (Externa 1, Köln–Weimar–Wien 2010) 1–12, 5 sowie die Beiträge des Sammelbands. Einen aktuellen Forschungsüberblick: Hillard von Thiessen, Außenbeziehungen und Diplomatie in der Frühen Neuzeit und im Übergang zur Moderne: Ansätze der Forschung – Debatten – Periodisierungen, in: Internationale Geschichte in Theorie und Praxis, hg. von Barbara Haider-Wilson–William D. Godsey–Wolfgang Mueller (Internationale Geschichte 4, Wien 2017) 143–164; Tracey A. Sowerby, Early Modern Diplomatic History. History Compass 14 (2016) 441–456. Explizit mit Blick auf den Westfälischen Friedenskongress: Dorothée Goetze–Lena Oetzel, Der Westfälische Friedenskongress zwischen Diplomatiegeschichte und Historischer Friedensforschung – ein Forschungsbericht. hsozkult Forschungsberichte [angenommen, voraussichtlich 2019]. 19   Thiessen–Windler, Einleitung (wie Anm. 18) 5. 20  Alexander Jendorff, Eigenmacht und Eigensinn. Zum Verhältnis von Kollektivität und Individualität im alteuropäischen Adel. HZ 292 (2011) 613–644, hier 629. 21   Vgl. u. a. Frank Adloff–Sebastian M. BüttnerJan Weyand, Können Kollektive handeln? Ein Vorschlag jenseits von Realismus und Konstruktivismus. Zeitschrift für Kultur- und Kollektivwissenschaft 2 (2016) 89–119, bes. 118f; Uwe Schimank, Handeln in Institutionen und handelnde Institutionen, in: Paradigmen und Disziplinen. Handbuch der Kulturwissenschaften II, hg. von Friedrich Jaeger–Jürgen Straub (Stuttgart 2004) 293–307, bes. 303. 22  Vgl. Brockmann, Dynastie (wie Anm. 2); ders., Gesamthaus (wie Anm. 2); Ulrich Nagel, Zwischen Dynastie und Staatsräson. Die habsburgischen Botschafter in Wien und Madrid am Beginn des Dreißigjährigen Krieges (VIEG 247, Göttingen 2018) bes. 416; Michael Rohrschneider, Der gescheiterte Frieden von Münster. Spaniens Ringen mit Frankreich auf dem Westfälischen Friedenskongress (1643–1649) (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. 30, Münster 2007); ders., Kongressdiplomatie im Dienste der Casa de Austria: Die Beziehungen zwischen den spanischen und den kaiserlichen Gesandten auf dem Westfälischen Friedenskongress (1643–1648). HJb 127 (2007) 75–100; Arno Strohmeyer, Die Habsburger Reiche. 1555–1740 (Geschichte kompakt, Darmstadt 2012). 23  Zur Differenzierung zwischen Gesamthaus und Teillinien allg. Strohmeyer, Habsburger Reiche (wie Anm. 22) 37.

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Aber auch wenn Dynastien nicht zwingend als handlungsfähige kollektive Akteure zu verstehen sind, prägten derartige kollektive Einheiten doch nachhaltig das Denken und das Handeln der politischen Akteure. Entsprechend zählt die Dynastie zu den Leitkategorien frühneuzeitlicher Außenbeziehung24. An ihr orientierte sich die Ausrichtung der eigenen Interessenlage, das heißt, die Idee der Dynastie wurde integriert in das im 17. Jahrhundert immer stärker dominierende Konzept der Staatsräson und des Staatsinteresses, wie es auch Rohan schilderte25. Neben der Dynastie war für Ferdinand III. als Kaiser das Reich die zweite zentrale kollektive Orientierungsgröße. Zwar handelte es sich hierbei um eine Wahlmonarchie, dennoch gehörte die Kaiserkrone wesentlich zum Selbstverständnis der österreichischen Habsburger. Der Schutz des Reiches – vor den Osmanen, aber auch vor den Expansionsbestrebungen etwa Frankreichs – zählte danach zu den Aufgaben der Habsburger26. Die konfessionelle Spaltung infolge der Reformation und schließlich der Dreißigjährige Krieg hatten aber das Verhältnis von Reich und Habsburgerdynastie infrage gestellt. Für RalfPeter Fuchs zeigen gerade „die Spannungsfelder Reich-Territorium und Frieden-Krieg […] Paradoxien im Wertehaushalt der frühneuzeitlichen Gesellschaft“27 auf, weshalb sie sich für eine Untersuchung von Rollen- und Interessenkonflikten besonders eignen. Die hier ausgewählten Fallbeispiele veranschaulichen, wie dynastische Interessen gegen Reichsinteressen standen. Ultimativ ging es dabei um die Frage, wie dringlich und zu welchen Bedingungen Frieden geschlossen werden sollte. Ferdinand III. und seine Gesandten in Westfalen hatten entsprechend abzuwägen zwischen den verschiedenen kaiserlichen Rollen und ihren daraus resultierenden Interessen.

2. Erblande versus Reich: Die Autonomie in den österreichischen Erblanden Dass Ferdinand III. zwischen Reichsinteressen, für die er sich als Kaiser verantwortlich fühlte, und seinen Interessen als Landesherr in den Erblanden unterschied, belegen bereits die Instruktionen zu den Westfälischen Friedensverhandlungen28. So sprach er beispielsweise in der Geheiminstruktion an seine Gesandten in Münster und Osnabrück vom 24  Vgl. Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559– 1660 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen II, Paderborn 2007) 147–159. Die vier Leitkategorien Dynastie, Konfession, Staatsinteresse und Tradition wurden von Michael Rohrschneider um den Aspekt Reputation erweitert; Michael Rohrschneider, Reputation als Leitfaktor in den internationalen Beziehungen der Frühen Neuzeit. HZ 291 (2010) 331–352. 25   Vgl. Philip Haas, Fürstenehe und Interessen. Die dynastische Ehe der Frühen Neuzeit in zeitgenössischer Traktatliteratur und politischer Praxis am Beispiel Hessen-Kassels (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 177, Darmstadt–Marburg 2017) 109. 26   Vgl. Thomas Brockmann, Das Bild des Hauses Habsburg in der dynastischen Historiographie um 1700, in: Bourbon – Habsburg – Oranien (wie Anm. 17) 27–57. 27  Ralf-Peter Fuchs, Normaljahrsverhandlungen als moralischer Diskurs, in: Pax perpetua: Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit, hg. von Inken Schmidt-Voges–Siegrid Westphal–Volker Annke–Tobias Bartke (bibliothek altes Reich 8, München 2010) 123–139, 128. 28  Auch während der Verhandlungen zum Prager Frieden zwischen Ferdinand II. und dem sächsischen Kurfürsten wird die Differenzierung zwischen Reichsoberhaupt und – in dem Fall – katholischem Interessenvertreter deutlich, wobei diese Rollenvielfalt verhandlungstaktisch genutzt wurde. Vgl. Ralf-Peter Fuchs, Normaljahrsverhandlung als dissimulatorische Interessenvertretung, in: Praktiken der Frühen Neuzeit: Akteure – Handlungen – Artefakte, hg. von Arndt Brendecke (Frühneuzeit-Impulse 3, Köln–Weimar–Wien 2015) 514–522, 518f.



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September 1643 von „unnser unnd deß heyligen reich, auch unnsers ganzen löblichen erzhaußes interesse“29. Was diese Interessenvielfalt für die Verhandlungen konkret bedeutete, ist aus der Geheiminstruktion an Trauttmansdorff vom 16. Oktober 164530, in der er die in den Verhandlungen nicht zu überschreitenden roten Linien absteckte, ersichtlich. Zentrales Ziel müsse es sein, dass „die disconcertirte harmonia imperii wider zusammen gestimmet, daß guete allte vertrawen wider gestiftet, die rechtschafene zusammensezung aller der stende wider firmiret“31 werde. Auf diese Weise könne das Reich geschlossen den Kronen Frankreich und Schweden gegenübertreten und deren Forderungen abwehren32. Mit diesem Ziel vor Augen war Ferdinand III. zu Konzessionen gegenüber den protestantischen Reichsständen in den Gravaminaverhandlungen bereit. Letztlich hätte er sich sogar auf ein Normaljahr 1618 eingelassen33. Damit war er weit offener als ein Großteil der katholischen Reichsstände34. Allerdings unterschied er klar zwischen dem Reich und seinen Erblanden. In Bezug auf letztere nahm er eine deutlich unnachgiebigere Haltung ein. Karsten Ruppert konstatierte: „Die Nachgiebigkeit des Kaisers gegenüber den Protestanten endete dort, wo er selbst als Landesherr durch ihre Gravamina betroffen war“35. Diese Prioritätensetzung machte Ferdinand III. im März 1647 erneut deutlich: „Gleichwol aber hettet ihr euch […] in den gravaminibus, ausser waß meine erblandt (darinen ich einige autonomiam nit zuezuelassen, eß geh auch, wie es wolle, sonder vil lieber alles aufzuesezen resolviert) und den geistlichen vorbehalt concerniert, nit aufzuehalten“36. Gerade weil er in „dreyerlei waiß interessiert“37 war, kam es zu Interessenkonflikten. Dass Ferdinand III. in den Erblanden mit Blick auf die Religionsgravamina weniger kompromissbereit war und auf einem strikt katholischen Kurs beharrte, hatte nicht nur religiöse Gründe. Ebenso sehr ging es ihm um die Absicherung seiner Landeshoheit. Ge29 Fernere geheime Instruktionen für die kaiserlichen Gesandten in Münster und Osnabrück, KaiserEbersdorf 1643 September 23, in: APW, Serie I: Instruktionen, Bd. 1: Frankreich – Schweden – Kaiser, bearb. von Fritz Dickmann–Kriemhild Goronzy–Emil Schieche–Hans Wagner–Ernst Manfred Wermter (Münster 1962) Nr. 28, 417. 30   Trauttmansdorff hatte an der Entstehung der Instruktion mitgewirkt. Der Inhalt war nicht einmal seinen Kollegen in Westfalen bekannt. Vgl. zur Entstehung und Bedeutung u. a. Mark Hengerer, Kaiser Ferdinand III. (1608–1657). Eine Biographie (VKNGÖ 107, Wien 2012) 235f.; Hans Wagner, Die kaiserlichen Instruktionen. Einleitung, in: APW I 1 (wie Anm. 29) 327–354, 346–348; Leopold Auer, Die Ziele der kaiserlichen Politik bei den Westfälischen Friedensverhandlungen und ihre Umsetzung, in: Der Westfälische Friede: Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte, hg. von Heinz Duchhardt (HZ Beih. N. F. 26, München 1998) 143–173, 158. 31   Geheiminstruktion Kaiser Ferdinands III. für Maximilian Grafen von Trauttmansdorff zu den Verhandlungen in Münster und Osnabrück, Linz 1645 Oktober 16, in: APW I 1 (wie Anm. 29) Nr. 29, 441. 32 Vgl. Auer, Ziele (wie Anm. 30) bes. 158. 33   Geheiminstruktion Trauttmansdorff (Anm. 31) 441. 34   Zur Position der katholischen Stände vgl. Albrecht P. Luttenberger, Ratio conscientiae – ratio politica. Konzeptionen der kaiserlichen und ständischen Verhandlungsführung auf dem westfälischen Friedenskongreß 1645/46–1648, in: Suche nach Frieden: Politische Ethik in der frühen Neuzeit II, hg. von Norbert Brieskorn– Markus Riedenauer (Theologie und Frieden 20, Köln 2002) 271–319, hier 279–292. 35  Karsten Ruppert, Die kaiserliche Politik auf dem Westfälischen Friedenskongress. (1643–1648) (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, 10, Münster 1979) 241–245, 261; Luttenberger, Ratio (wie Anm. 34) 273f. 36   Ferdinand III. an Trauttmansdorff, Preßburg 1647 März 25, in: APW, Serie II: Korrespondenzen, Abt. A: Die kaiserlichen Korrespondenzen, Bd. 5: 1646–1647, bearb. von Antje Oschmann (Münster 1993) Nr. 337, 662. 37   Ferdinand III. an Trauttmansdorff, Nassau, Lamberg, Volmar und Krane, Linz 1646 Jänner 11, in: APW II A 3 (wie Anm. 1) Nr. 87, 125.

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rade der Aufstand in Böhmen hatte dem Kaiser gezeigt, wie wichtig konfessionelle Einheit für die Stabilität und Machtkonsolidierung eines Territoriums war38. In diesem Sinne begründete auch Erzherzog Leopold Wilhelm in einem Brief an seinen Bruder seinen Rat mit dessen verschiedenen Rollen als Landesherr und Kaiser und den damit verbundenen unterschiedlichen Machtbefugnissen: „erhalten sie das, was sie haben, und machten diese [Länder] ganz Catolisch, meinte Ich, Euer Kaiserliche Majestät thaten Gott ein wolgefeligs Werkh; in Reich sein Euer Kaiserliche Majestät Herr und nit Herr, haben khein einzige freie disposition; Miessen von so vil Khepf und Sin dependieren, und khinen nit thun, was sie wellen, und sollten also wegen desselben Ihr aigens verlieren, […] wirt mir khein wiziger teologus nit raten“39. Der Rollenkonflikt offenbarte sich vollends im Frühjahr 1647, als Trauttmansdorff auf einen Abschluss der Gravaminaverhandlungen mit den Ständen drängte. Interessant ist hier, dass er eine andere Gewichtung der Interessen und damit der Rollen Ferdinands III. vornahm als der Kaiser selbst, was zu einer der seltenen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden führte40. Trauttmansdorff hatte erkannt, dass die Frage der Religionsausübung in den Erblanden zu einer „Herzensangelegenheit und Prestigefrage“41 der protestantischen Stände und Schwedens geworden war. Insofern erhoffte er sich durch kleinere Zugeständnisse in diesem Punkt eine Entschärfung der festgefahrenen Verhandlungssituation und damit schließlich eine Beilegung des Konflikts. Entsprechend schlugen die kaiserlichen Gesandten vor, dass man „in eim ieden dergleichen erbfürstenthumb wenigist ein Luterische kärch zuelassen möchten“42 und baten hierzu um weitere Instruktionen. Ferdinand III. blieb bei seiner ablehnenden Haltung, was seine Gesandten nicht daran hinderte, ihn mehrfach zu bitten, seine Position zu überdenken 43. Dieses sehr ungewöhnliche Drängen verdeutlicht die Wichtigkeit, welche die Gesandten diesem Punkt beimaßen. Für sie hing ein möglicher Friedensschluss innerhalb des Reiches davon ab, dem sie oberste Priorität zuschrieben. Trauttmansdorffs Unzufriedenheit mit der kaiserlichen Position wird in einem Schreiben an seine Osnabrücker Kollegen deutlich: „da bestehe ichs rundlich, daß ich einmahl kein gewalt hab. Trage auch bey dem so offt reiterirten aigenhändigen Kayserlichen befelchschreiben die beysorg, wir mögen auch erinneren, waß wir wollen, ihre Kayserliche majestätt werdens bey ihren vorigen gemessenen resolutionibus allerdings verbleiben lassen“44. 38 Vgl. Ruppert, Politik (wie Anm. 35) 245. Hengerer, Ferdinand III. (wie Anm. 30) 244–247; Georg Schmidt, Angst vor dem Kaiser? Die Habsburger, die Erblande und die deutsche Libertät im 17. Jahrhundert, in: Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum, hg. von Heinz Duchhardt–Matthias Schnettger (VIEG Abt Universalgeschichte Beih. 48, Mainz 1999) 329–348, hier 337: „Nun wollten sie ihre gefestigte Landesherrschaft nutzen, um nachzuholen bzw. abzusichern, was andernorts längst erreicht war: eine Landeskonfession als identitätsstiftendes Integrationsmittel“; Oschmann, Einleitung (wie Anm. 3) CXXXVIII. 39   Ehg. Leopold Wilhelm an Ferdinand III., Firstein 1646 Februar 22, zitiert nach Hengerer, Ferdinand (wie Anm. 30) 244f. 40  Zum Vertrauensverhältnis von Ferdinand III. und Trauttmansdorff vgl. Hengerer, Ferdinand (wie Anm. 30) 158f. 41  Ruppert, Politik (wie Anm. 35) 281, 42  Trauttmansdorff, Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1647 März 25, in: APW II A 5 (wie Anm. 36) Nr. 341, 673. 43  Vgl. Trauttmansdorff, Lamberg, Krane, Volmar an Ferdinand III., Osnabrück 1647 April 22, in: APW II A 6,1 (wie Anm. 3) Nr. 42, 187; Trauttmansdorff an Ferdinand III., Münster 1647 Mai 3, in: APW II A 6,1 (wie Anm. 3) Nr. 62, 269. 44  Trauttmansdorff an Lamberg, Krane und Volmar, Münster 1647 Mai 9, in: in APW II A 6,1 (wie Anm. 3) Nr. 79, 323.



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Ende Mai war es dann soweit, dass er auch ohne kaiserliche Zustimmung handeln wollte45. Entsprechend erklärte er Ferdinand III. in einem Schreiben vom 24. Mai 1647: „Weilen nun einem iedem das betten und andachtige bucher lesen in seinem hauß nicht wohl verwehrt werden kan, also hoffe ich nit, unrecht gethan zu haben, daß ich mich neben dem außlaüffen der standtspersohnen halber insoweit heraußgelassen haben, wegen der reichshoffrath etc. aber mich zu einwendung allerunderthenigster officiorum erbotten habe. Dan obwzaren Ewer Kaiserliche Majestät alß ein könig in Boheim und erzherzog zu Österreich in ihren erbkönigreich unnd landen kein exercitium verstatten, so sehe ich doch nit, wie dieselbe, alß ein Römischer Kaiser und höchstes oberhaubt beederley religion verwandter chur-, fursten und stände, denselben weren abschlagen und verwehren können, daß sie an dero Kayserlichen hoff nicht ein orth und etwa ein saal zu ihrem exercitio frey haben solten, allermassen dan die exempla vorhanden, […]; daß ich also nicht wenig anstehe, ob ich den friden hieran hafften lassen oder nit vielmehr uber mich nehmen solle, ihnen, den Lütherischen reichhoffräthen, gesandten und agenten, das exerrcitium in domo et loco privato fur sich und ihre leüthe […]“46. Interessant ist Trauttmansdorffs Begründung: Nicht nur, dass er dem Frieden oberste Priorität beimaß und dafür bereit war, Zugeständnisse zu machen. Er argumentierte, dass Ferdinand III. zwar als „könig in Boheim und erzherzog zu Österreich“ Entscheidungsgewalt in seinen Territorien habe, aber als „ein Römischer Kaiser und höchstes oberhaubt beederley religion verwandter chur-, fursten und stände“ sei er auch den protestantischen Reichsfürsten verpflichtet und könne ihren Gesandten am kaiserlichen Hof kaum das Recht auf Religionsausübung verweigern. Trauttmansdorff unterschied ganz klar zwischen den Rollen Ferdinands III. und maß in diesem Fall seiner Rolle als Kaiser und den daraus resultierenden Pflichten eine höhere Bedeutung zu als seinen Interessen und Rechten als Landesherr. Dies entsprach seiner Rolle als Vertreter des Kaisers – schließlich gab es eine eigene erzherzogliche Delegation –, dennoch ist dies insofern bemerkenswert, als Trauttmansdorff stets darum bemüht war, die gesamte Interessenvielfalt Ferdinands im Blick zu haben und in seinem Handeln eben nicht auf seine Rolle als kaiserlicher Interessenvertreter beschränkt blieb. In seiner Zurückweisung des Vorschlags ging Ferdinand III. nicht auf diese Rollenkonflikte ein, vielmehr bemerkte er lediglich, dass „unsere haubt- und ordinari Keyserliche residenzsstätte Wienn und Praag also gelegen, daß denen frembden in der nahe außzuelauffen nit sonders beschwerlich fallen würdt“47, er also keinerlei Notwendigkeit für Zugeständnisse sehe. Falls Trauttmansdorff seinen Vorschlag schon öffentlich gemacht habe, müsse er ihn zurücknehmen. Aus Ferdinands Sicht stand ihm in seinen Erblanden das unumschränkte „ius reformandi“ zu, von dem er nicht weichen wolle. Seine Gesandten brachten dies in den Verhandlungen mit einer Deputation protestantischer Stände in seinem Sinne auf den Punkt: „Und waß einem standt im Reich recht seie, müste ia dem andern standt, zumahl ihr Kayserlicher mayestätt selbst, nit unrecht noch verbotten sein. Es seie mehr alß zuviel beschehen, daß man das ius emigrandi nachgesehen und toleran  Trauttmansdorff an Volmar, Münster 1647 Mai 24, in: APW II A 6,1 (wie Anm. 3) Nr. 124, 436.   Vgl. Trauttmansdorff an Ferdinand III., Münster 1647 Mai 24, in: APW II A 6,1 (wie Anm. 3) Nr. 125, 437; Hervorhebungen durch die Autorin. 47  Ferdinand III. an Trauttmansdorff, Preßburg 1647 Juni 11, in: APW II A 6,1 (wie Anm. 3) Nr. 153, 504. Ähnlich bereits Ferdinand III. an Trauttmansdorff, Wien 1647 Mai 6, in: APW II A 6,1 (wie Anm. 3) Nr. 68, 287f. Hier reagierte Ferdinand III. auch auf ein Schreiben des sächsischen Kurfürsten, der ein ähnliches Ansuchen vorgebracht hatte. 45 46

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tiam eingewilligt“48. Trotz gegenläufiger Einschätzung akzeptierte Trauttmansdorff den Befehl als Leitlinie für die weiteren Verhandlungen und berief sich im Folgenden wiederholt auf seine Instruktion49. Es ist ein Zeichen für das ausgeprägte Vertrauensverhältnis zwischen Kaiser und Trauttmansdorff, dass die Eigenmächtigkeit Trauttmansdorffs mit einer so ruhigen Sachlichkeit behandelt wurde, ohne dass es zu einem schärferen Verweis oder ähnlichem kam50. Deutlich wird an dieser Episode, wie signifikant sich im Frühjahr und Sommer 1647 dynastisch-territoriale Interessen auf der einen und Reichs- und Friedensinteressen auf der anderen Seite gegenüber standen. Die kaiserlichen Korrespondenzen verdeutlichen den internen Prozess der Abwägung und Willensbildung, wobei Ferdinand III. und seine Gesandten in Westfalen – allen voran sein Vertrauter Trauttmansdorff – zu einer sehr unterschiedlichen Einschätzung und Prioritätensetzung gelangten. Für die Gesandten standen die Einigkeit des Reiches und damit ein schneller Friedensschluss deutlich vor konfessionellen und dynastisch-territorialen Überlegungen. Im Gegensatz dazu maß Ferdinand III. seiner Rolle als Landesherr – „als erzherzog zu Österreich und ein catholischer mitgestandt im Reich“ – deutlich höhere Priorität zu als seiner Rolle als Reichsoberhaupt. Zu diesem Zeitpunkt war er noch nicht gezwungen, für einen Frieden dynastische Interessen zurückzustellen.

3. Die Einheit des Hauses Habsburg und das Assistenzverbot Auch das zweite Fallbeispiel über das Assistenzverbot in der letzten Verhandlungsphase 1648 veranschaulicht eine Interessenabwägung von Dynastie und Reich. Die Kategorie Dynastie ist hier jedoch vielschichtiger angelegt als im Falle der Autonomie. Dort waren dynastische Interessen zu verstehen als die Interessen der österreichischen Linie. In der Frage der Assistenz – also, ob Ferdinand III. in einem andauernden Krieg zwischen Frankreich und Spanien seinen habsburgischen Vetter unterstützen durfte – ging es um das Gesamthaus, das als Kollektiv deutlich komplexer war als die jeweils isoliert betrachteten Teildynastien. Hier standen nämlich am Ende nicht nur die Reichsinteressen gegen die Interessen der Casa de Austria als Ganzes, sondern auch die der österreichischen Teildynastie. Es musste also eine Interessenabwägung auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Ein Bewusstsein für diesen möglichen Interessenkonflikt ist bereits in der geheimen Instruktion vom September 1643 erkennbar, in der die kaiserlichen Gesandten aufgefordert wurden mit ihren spanischen Kollegen zu kooperieren. Dazu sollten sie auch „ihre gedankhen vernehmet, was sie etwan der allgemeinen sach unnd unnserm löblichen erzhauß zum besten erinneren werden, auch dieselbe, soweit es unser unnd deß reichs dienst zuelasset, in gebührende obacht nehmet“51. Michael Rohrschneider hat gezeigt, dass es zwar ein beiderseitiges Bekenntnis zur Casa de Austria und den Wunsch nach einer engen Abstimmung der Kongresspolitik gab, 48   Protokoll, [Osnabrück] 1647 April 9, APW II A 6,1 (wie Anm. 3) Nr. 21, Beilage 3, 120. Vgl. Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden (Münster 61992) 461f. 49  Vgl. z. B. Trauttmansdorff, Nassau, Lamberg, Krane und Volmar an Ferdinand III., Münster 1647 Juni 28, in: APW II A 6,1 (wie Anm. 3) Nr. 167, 557; Protokoll, [Münster] 1647 Juni 28, in: APW II A 6,1 (wie Anm. 3) Nr. 173, Beilage 1, 585f. 50 Vgl. Hengerer, Ferdinand (wie Anm. 30) 246. 51  Fernere geheime Instruktionen (wie Anm. 29) 419.



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also durchaus von einer Gesamthaus-Rhetorik gesprochen werden kann, dass es in der diplomatischen Praxis aber an einem koordinierten Vorgehen mangelte52. Vielmehr war das Verhältnis der beiden habsburgischen Delegationen in Westfalen von Alleingängen, Missverständnissen und Informationsproblemen geprägt. Dies zeigte sich insbesondere im spannungsreichen Verhältnis der beiden Prinzipalgesandten, Trauttmansdorff und Peñaranda53. Zwar waren beide instruiert54, sich gegenseitig zu unterstützen, und sie bemühten sich wiederholt um eine Entkrampfung des Verhältnisses, doch dominierte über weite Strecken das gegenseitige Misstrauen. Rohrschneider konstatierte dementsprechend eine „charakteristische Diskrepanz […] zwischen dem stereotypen Postulat innerhabsburgischer Solidarität einerseits und dem faktischen Primat der Partikularinteressen beider Linien andererseits“55. Der Anspruch, an der Einheit des Hauses Habsburg festzuhalten, und eine Separation der beiden Linien zu verhindern, zeigte sich dennoch über den gesamten Verhandlungsverlauf sehr deutlich in den diplomatischen Korrespondenzen und Protokollen der Kaiserlichen. In der bereits erwähnten Geheiminstruktion Trauttmansdorffs wurde dieser beispielsweise angewiesen, „vor allen dingen dahin zu sehen haben, daß es zu dieser separation nicht khume, auch ehender alles uber und uber gehen, ehe er es darzue khumen lasse“56. Um eine solche – von Frankreich angestrebte – Separation zu verhindern, sollte Trauttmansdorff einen Frieden zwischen Frankreich und Spanien tatkräftig unterstützen und befördern. Mit Blick auf den Ausgang der Verhandlungen ist interessant, dass Trauttmansdorff einen möglichen Bruch der beiden Habsburger Linien als taktisches Druckmittel nutzen sollte, um Spanien zu einem Frieden mit Frankreich zu bewegen57. Offensichtlich spekulierte der Kaiserhof darauf, dass Spanien im Zweifelsfall die Interessen des Gesamthauses über seine Partikularinteressen stellen würde, was den eigenen Rollen- und Interessenkonflikt entschärfen würde. Allerdings schien, wie Karsten Ruppert feststellte, eine darüberhinausgehende Strategie, wie eine Separation der Casa de Austria zu verhindern sei, zu fehlen – außer dass man eben hoffte, dass es letztlich nicht dazu 52 Vgl. Rohrschneider, Kongressdiplomatie (wie Anm. 22); Ruppert, Politik (wie Anm. 35) 350. Zu einem ähnlich Befund kommt auch Brockmann für die erste Kriegsphase. Hier diente die Gesamthaus-Rhetorik Ferdinand II. dazu, sich der Unterstützung Spaniens zu versichern; Brockmann, Gesamthaus (wie Anm. 2) bes. 116. 53  Vgl. zu Peñarandas Sicht auf Trauttmansdorff: Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 22) bes. 312 mit Anm. 64. Zu Trauttmansdorffs Sicht auf Peñaranda: Lena Oetzel, Diplomatische Ehrkonflikte als Selbstzeugnisse frühneuzeitlicher Gesandter. Maximilian von Trauttmansdorffs Auseinandersetzungen mit Kurbayern und Spanien auf dem Westfälischen Friedenskongress, in: Das diplomatische Selbst in der Frühen Neuzeit. Verhandlungsstrategien – Erzählweisen – Beziehungsdynamiken, hg. von Julia Gebke–Stephan F. Mai–Christof Muigg [voraussichtlich 2019]. Grundlegend: Michael Rohrschneider, Ignoranz und Fehlwahrnehmungen als Strukturprobleme der spanischen Gesandtschaft auf dem Westfälischen Friedenskongress, in: Unwissen und Missverständnisse im vormodernen Friedensprozess, hg. von Martin Espenhorst (VIEG Abt. Universalgeschichte Beih. 94, Göttingen 2013) 89–107, hier 100–102; ders., Kongressdiplomatie (wie Anm. 22) 86–92; Grete Mecenseffy, Habsburger im 17. Jahrhundert. Die Beziehungen der Höfe von Wien und Madrid während des Dreißigjährigen Krieges. AÖG 121 (1955) 1–91, 81–86. 54 Vgl. Rohrschneider, Kongressdiplomatie (wie Anm. 22) 79, 86. 55  Rohrschneider, Ignoranz (wie Anm. 53) 99. Ähnlich ders., Kongressdiplomatie (wie Anm. 22) 87. 56  Geheiminstruktion Trauttmansdorff (wie Anm. 31) 450. 57  Im Zuge der Elsass-Verhandlungen im Frühjahr 1646 drohte Trauttmansdorff tatsächlich mit einem Alleingang, was letztlich die Beziehungen zwischen den beiden Delegationen weiter belastete. Vgl. Anuschka Tischer, Französische Diplomatie und Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress. Außenpolitik unter Richelieu und Mazarin (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. 29, Münster 1999) 341; Rohrschneider, Kongressdiplomatie (wie Anm. 22) 89.

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kommen werde, da Frankreich und Spanien ebenfalls Frieden schließen würden58. Diese Sichtweise wird deutlich in einem Schreiben Ferdinands III. an Trauttmansdorff vom 10. Juli 1646, in dem er erklärte: „Eß ist aber dise meine intention zuemahl nit dahin angesehen, daß man wegen deß Spanischen interesse die reichs- und fridenshandlungen mit Schweden, Franckreich oder auch den protestierenden aufhalte, sondern dieselbige sovil nun mensch- und müglich befördere und verläßlich aggiustiere, jedoch dergestalt, daß der schluß deß fridens ohne inclusion der cron Spanien nicht geschehe, der cursus tractatus aber zwischen mir, der cron Franckreich und Schweden nicht auffgehalte[n] werde, nit zweifflend, eß werden die Spanische ministri daß fridenswerckh auch ihresorts mit der cron Franckreich zue beschleünigen keineswegs unterlassen, darzue ihr sie dann, wan es die coniunctur und notturfft erfordert, noch ferner bestens zue erinnern habt“59. Ferdinand III. nahm hier eine klare Interessenabwägung vor – seine Interessen als Reichsoberhaupt gegen seine Interessen als Teil der Casa de Austria. Die spanischen Interessen sollten den Frieden im Reich auf keinen Fall behindern, ebenso wenig sollte aber ohne Spanien Frieden geschlossen werden. Das Worst-Case-Szenario, zu dem es letztlich kommen sollte, in dem er sich zwischen einem Frieden im Reich und der Bündnistreue zum habsburgischen Vetter entscheiden musste, wurde auch hier nicht thematisiert oder durchgespielt. Es blieb bei der Hoffnung. Gleichzeitig zeigt sich in den kaiserlichen Korrespondenzen der wachsende Druck von Seiten der Reichsstände „den friden umb frembdes [spanisches] interesse willen nit aufzuhalten“60. Insgesamt verschob sich die Verhandlungssituation der Kaiserlichen zu deren Ungunsten61: Nachdem Schweden und Kaiserliche ihr Abkommen Anfang August 1648 mit Handschlag besiegelt hatten, verlagerte sich der Kongress nicht, wie eigentlich vorgesehen, zurück nach Münster, sondern blieb in Osnabrück, wo die Reichsstände nun direkt mit Frankreich über die verbliebenen Punkte verhandelten, darunter auch über die Frage der Assistenz. Ferdinand III. lehnte ein derartiges Vorgehen ab und bestand darauf, dass die Verhandlungen über einen Frieden mit Frankreich in Münster geführten werden müssten. Die statistische Auswertung der kaiserlichen Korrespondenzen durch Dorothée Goetze belegt diese „Fehleinschätzung der Kongressrealität“, die die kaiserlichen Gesandten in „die kongresspolitische Isolation“62 führte: Bis Mitte September schickte  Vgl. Ruppert, Politik (wie Anm. 35) 350.   Ferdinand III. an Trauttmansdorff, Linz 1646 Juli 10, in: APW II A 4 (wie Anm. 14) Nr. 247, 408. 60   Nassau, Krane und Volmar an Ferdinand III., Münster 1648 September 25, in: APW, Serie II: Korres­ pondenzen, Abt. A: Die kaiserlichen Korrespondenzen, Bd. 10: 1648–1649, bearb. von Dorothée Goetze (Münster 2015) Nr. 28, 138. In diesem Sinne wandte sich der bayerische Kurfürst direkt an den Kaiser: Kf. Maximilian an Ferdinand III., 1648 August 30, zitiert nach: Ferdinand III. an Nassau und Volmar, Linz 1648 September 4, in: ebd. Nr. 6, 30 Anm. 60. Vgl. auch Ruppert, Politik (wie Anm. 35) 331. 61  Vgl. zu dieser letzten Verhandlungsphase vor Unterzeichnung der Verträge im Oktober 1648: Dorothée Goetze, Einleitung, in: APW II A 10 (wie Anm. 60) LVIII–LXXIII; dies., Kaiserliche und bayerische Bündnispraxis in der Schlussphase des Westfälischen Friedenskongresses, in: Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit: das Heilige Römische Reich und Europa: FS für Maximilian Lanzinner zum 65. Geburtstag, hg. von Guido Braun–Arno Strohmeyer (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. 36, Münster 2013) 259–290, 282–285; sowie demnächst Dorothée Goetze, Frieden um (fast) jeden Preis – Die kaiserliche Politik in der Schlussphase des Westfälischen Friedenkongresses zwischen Prinzipientreue und dogmatischem Pragmatismus, in: Wendepunkte. Friedensende und Friedensanfang vom Dreißigjährigen Krieg bis zur Gegenwart, hg. von Siegried Westphal–Ulrich Schneckener–Michael Rohrschneider–Christoph Rass [in Vorbereitung, voraussichtlich 2020], wo die Autorin unabhängig ähnliche Überlegungen wie hier in verfassungsgeschichtlicher Perspektive anstellt. 62  Goetze, Einleitung (wie Anm. 61) Zitate LXIII, sowie LXIV, Statistik CXII. 58 59



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der Kaiserhof kaum inhaltlich relevante Schreiben an die Osnabrücker Delegation, der Fokus lag weiterhin auf Münster. Der Instruktionsmangel der von den Verhandlungen abgeschnittenen Osnabrücker Gesandten trat deutlich zu Tage. Die Reichsstände hatten unverkennbar die Führung übernommen und erhöhten stetig den Druck auf die Kaiserlichen63. Im Zweifelsfall schienen sie bereit, auch ohne den Kaiser mit Frankreich Frieden zu schließen. Gerade der Kurfürst von Bayern als engster Verbündeter Ferdinands III. im Reich übte Druck aus und stellte sogar das Bündnis in Frage, sollte Ferdinand nicht zugunsten eines Friedensschlusses einlenken64. Goetze beschreibt Ferdinands III. Interessenkonflikt treffend als „Spagat zwischen den Interessen des Reichsganzen, Spaniens als seinem zweiten wichtigen Verbündeten und den katholischen Reichsständen als seinem politischen Rückhalt im Reich“65. Letztere drängten inzwischen auch entschieden auf eine Einigung – und damit auf die Aufgabe des habsburgischen Bündnisses. Reichsinteressen standen einmal mehr gegen die Interessen der Habsburgerdynastie als Ganzes. Letzten Endes führte kein Weg an einer erneuten Interessenabwägung und Prioritätensetzung vorbei. Eine solche nahmen die kaiserlichen Räte Georg Adam von Martinitz der Jüngere (1602–1651), Reichsvizekanzler Ferdinand Sigmund Kurz von Senftenau (1592–1659), Johann Weikhart von Auersperg (1615–1677) und Matthias Prickhelmayr (1589–1656) unter Führung Trauttmansdorffs vor, der im Juli 1647 Westfalen verlassen hatte und nach Wien zurückgekehrt war. Ihr Gutachten vom 14. September 1648 bedeutete „[d]ie entscheidende Wende“66 in der kaiserlichen Politik und ist ein außergewöhnliches Beispiel für eine differenzierte Rollen- und Interessenabwägung. Detailliert wurden die Argumente für und gegen einen Friedensschluss mit Frankreich erörtert und die prekäre Situation der kaiserlichen Gesandten in Westfalen betont, die nicht ausreichend instruiert, aber dem wachsenden Druck der Stände ausgesetzt seien67. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass ein Friede zwischen Frankreich und Schweden auf der einen und den Reichsständen auf der anderen Seite nicht mehr zu verhindern sei, es bliebe lediglich zu prüfen, ob Ferdinand III. sich diesem Frieden anschließen solle68. Geschickt gingen die Räte zunächst auf die Nachteile eines solchen Friedensschlusses ein, bevor sie Ferdinand III. versicherten, er habe alles in seiner Macht stehende für einen Universalfrieden – also einen Frieden unter Einschluss Spaniens – getan69. Insgesamt bewegte sich die Argumentation auf verschiedenen Ebenen: einer völkerrechtlichen, einer inhaltlichen, einer normativen und einer handlungsleitenden Ebene70. Mit Blick auf die Frage nach der kaiserlichen Rollenvielfalt und den daraus resultierenden Interessenkonflikten ist der zweite Teil, in dem die Argumente für einen Friedens63  In der Forschung ist von der sog. Dritten Partei die Rede; vgl. Dickmann, Frieden (wie Anm. 48) 443– 455; sowie das Osnabrücker DFG-Projekt: Frieden als Kommunikationsprozess. Die Dritte Partei des Westfälischen Friedenskongresses https://www.ikfn.uni-osnabrueck.de/forschung/historische_friedensforschung/ frieden_als_kommunikationsprozess.html [7.2.2019]. 64  Goetze, Bündnispraxis (wie Anm. 61) 281. 65   Ebd. 262. 66  Ebd. LXIV. 67   Vgl. Gutachten im Geheimen Rat (Trauttmansdorff, Martiniz d. J., Kurz, Auersperg, Prickhelmayr), [Wien] 1648 September 14, in: APW II A 10 (wie Anm. 60) Nr. 18, 79. Neben der Assistenzfrage als Friedenshindernis wurden die Frage des Ausschlusses Lothringens und des Burgundischen Reichskreises vom Frieden als zentrale Knackpunkte diskutiert. Vgl. Goetze, Einleitung (wie Anm. 61) LX. 68  Gutachten im Geheimen Rat (wie Anm. 67) 80. 69  Ebd. 82–84. 70  In diesem Sinne Goetze, Frieden (wie Anm. 61).

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schluss erörtert werden, aussagekräftig. Die Räte brachten das kaiserliche Dilemma resultierend aus den verschiedenen Rollen Ferdinands III. auf den Punkt: „so bleibt die frag, ob rathsamer seye vor die cron Spanien, das Euer Mayestät, […] den frieden acceptieren oder sich derentwegen selbst von dem reichsfrieden ausschliessen, wan sie sollichen neben andern stenden erlangen und erheben kinden“71. Das innerhabsburgische Bündnis stehe im Gegensatz zum Frieden im Reich. Letztlich gehe es aber nicht nur um das Reich und Ferdinands III. Position in selbigem, denn „diese frag hat implicite diese andere in sich, ob der cron Spanien dienst, vorderist aber Euer Mayestät, all diese dero erbkönigreich und lande, soe sie noch haben, viel lieber zu verliehren und der recuperation deren, so sie nit haben, sich begeben, alß den reichsfrieden, ohne dz auch mit Spanien und Franckhreich friedt, zu subscribieren“72. Deutlich zeigten die Räte die komplexe Verzahnung der Rollen Ferdinands III. auf. Interessant ist, dass die Argumentation schwerpunktmäßig die Perspektive der Dynastie einnahm – und zwar sowohl des Gesamthauses als auch der Teildynastie. Denn ein Friede zwischen Frankreich und den Ständen, sprich eine Separation Ferdinands von den Ständen, hätte sowohl für die österreichischen Erblande als auch für Spanien fundamentale negative Folgen: „Dan wan Euer Maiestät sich a pace Imperii ob nondum factam pacem inter Hispaniam et Galliam excludieren, so excludieren sie sich zugleich von aller reichshilff, mit welcher man gleichwohl dem feindt nit bastant, und ungeacht selbe allein in den Bayerischen und Cölnischen wenigen waffen bestehet, so excludieren sie sich von den noch überigen mitteln zur defension dero landten, consequenter sein sie verlohren. Nit allein aber sein diese lande verlohren, sonder das kaiserthumb et omnis spes scuccessionis, warmit abermahl der cron Spanien nichts anders alß ein schlechter dienst, Euer Mayestät aber und dero posteritet ein irreparabile damnum geschicht“73. Ferdinand drohe also zum einen der Verlust der Erblande; denn diese seien dann der ganzen Kriegsgewalt ohne Hilfe der Reichsstände ausgeliefert74, der sie kaum standhalten könnten. Zum anderen könne er sogar die Kaiserkrone verlieren, wenn er sich derart von den Reichsständen lossage. Mit anderen Worten: Für Ferdinand gehe es ums Überleben, und eine derartige Vernichtung könne letztlich nicht im spanischen Interesse sein. Die Räte lieferten auch gleich die Argumente, mit denen Spanien zu beruhigen sei. Die kaiserlichen Gesandten sollten die Spanier informieren und ihnen erklären „in waß gefahr Ihr Mayestät sich und ihr ganzes hauß sturzen wurden“75, wenn sie nicht in den Frieden mit Frankreich einwilligten. Tatsächlich versuchten die Räte, Ferdinand III. sogar damit zu beruhigen, dass er dieses Assistenzverbot nicht zu ernst nehmen solle: „Die zeit wirdt die mitel Euer Mayestät geben, cum efficacia Spanien zu helffen, und dan de facultate nit zu fragen sein“76. Inwieweit die Räte an dieses Argument glaubten oder ob es eher der Beruhigung Ferdinands diente, ist eine andere Frage. Mit Blick auf die Frage nach der Prioritätensetzung der kaiserlichen Interessen wird deutlich, dass es letztlich immer noch die Dynastie – und insbesondere die Teildynastie, also das Wohlergehen der Erblande – war, die an oberster Stelle stand. Es ging nicht um Ferdinands Pflicht als Reichsoberhaupt, für Wohlstand und Frieden im Reich zu sorgen.   Gutachten im Geheimen Rat (wie Anm. 67) 84.   Ebd. 84f. 73  Ebd. 85. 74  Ebd. 82. 75  Ebd. 94. 76  Ebd. 88. 71 72



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Die Räte erklärten den Friedensschluss für „wohlertreglic[h]“77, weil er die Religion in den Erblanden schütze, Ferdinands III. Position im Königreich Böhmen stärke und das Land ob der Enß, das Ferdinand II. an den bayerischen Kurfürsten verpfändet habe, von den Schulden befreie78. Eindeutig lag hier der Fokus auf Ferdinands III. Rolle als Landesherr, während seine Rolle als Reichsoberhaupt nicht thematisiert wurde. Natürlich wollte er die Kaiserkrone nicht verlieren, aber auch hier stand die Perspektive der Dynastie im Vordergrund, wenn es darum ging, die Nachfolge seines Sohnes im Reich abzusichern79. Somit war es immer noch die Dynastie, die den Entscheidungsprozess dominierte, allerdings konnten es die dynastischen Interessen erfordern, die Interessen des Reiches zu berücksichtigen. Die Separation von der spanischen Linie im Friedensvertrag von Münster war für Ferdinand III. keine Lossagung von der Idee des Hauses Habsburg als Ganzes, vielmehr stellte er lediglich die Interessen seines Teilhauses über die Spaniens. Es kann deshalb auch nicht verwundern, dass die Separation nicht zu einem dauerhaften „Bruch in den Beziehungen zwischen Wien und Madrid“80 führte: Tatsächlich wurde nur wenig später, am 8. November 1648, die Ehe zwischen Philipp IV. von Spanien und Maria Anna von Österreich, der Tochter Ferdinands III., geschlossen. Eine ebenfalls diskutierte Heirat zwischen Ferdinands III. ältestem Sohn und der spanischen Infantin María Teresa lehnte der spanische König jedoch schließlich aus taktischen Gründen ab81. Beides verdeutlichte das Fortbestehen einer „Politik in den traditionellen Bahne dynastischer Solidarität der beiden Zweige der Casa de Austria, aber auch deren Grenzen“82.

4. Schluss In beiden hier diskutierten Fallbeispielen standen die Interessen des Reiches gegen die Interessen der habsburgischen Dynastie. Für Ferdinand III. bedeutete dies einen grundlegenden Rollenkonflikt, standen doch seine Rollen als Landesherr und als Habsburger im Gegensatz zu seiner Rolle als Reichsoberhaupt. Das zweite Beispiel – die Diskussion um das Assistenzverbot – zeigt zudem, dass die Dynastie keine homogene Einheit bildete, denn hier gerieten Ferdinands Rolle als Landesherr, der unbedingt einen Friedensschluss benötigte, um seinen Besitz zu schützen, und seine Rolle als führendes Mitglied der Habs77   Ebd. 86. Wie wichtig es war, einen ehrenvollen Frieden zu schließen und wie dies zum Friedenshindernis werden konnte, erläutert Christoph Kampmann, Der Ehrenvolle Friede als Friedenshindernis. Alte Fragen und neue Ergebnisse zur Mächtepolitik im Dreißigjährigen Krieg, in: Pax perpetua: Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit, hg. von Inken Schmidt-Voges–Siegrid Westphal–Volker Arnke–Tobias Bartke (bibliothek altes Reich 8, München 2010) 141–156. Zur Idee eines ehrenvollen Friedens als handlungsleitendes Moment in der kaiserlichen Politik, ebd. 151f. 78  Gutachten im Geheimen Rat (wie Anm. 67) 86, mit Anm. 59 und 60. 79  Vgl. auch Hengerer, Ferdinand III. (wie Anm. 30) 264. 80  Rohrschneider, Kongressdiplomatie (wie Anm. 22) 98. Ausführlich zur Sicht und Reaktion Spaniens auf die Separation vgl. ders., Frieden (wie Anm. 22) 445–452. 81  Zehn Jahre später sollte die Ehe Maria Theresias mit Ludwig XIV. den Pyrenäenfrieden zwischen Frankreich und Spanien besiegeln. Vgl. Christoph Kampmann, Gleichheit – Gleichgewicht – Dynastie. Leitvorstellungen europäischer Friedensverträge im Wandel, in: L’art de la paix: Kongresswesen und Friedensstiftung im Zeitalter des Westfälischen Friedens, hg. von Christoph Kampmann–Maximilian Lanzinner–Guido Braun– Michael Rohrschneider (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. 34, Münster 2011) 361–388, hier 366. 82  Rohrschneider, Frieden (wie Anm. 22) 451.

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burger-Dynastie in Konflikt. Die Interessen der österreichischen Habsburger standen denen des Gesamthauses – oder vielmehr denen des spanischen Zweiges – entgegen. Ferdinand maß dabei seinen Interessen als Landesherr und als österreichischer Habsburger deutlich Priorität bei. Dies zeigt seine Kompromisslosigkeit in Fragen der Religionsausübung in den Erblanden, aber auch die Argumentation für eine Zustimmung zum Friedensschluss trotz Separation von Spanien, die klar auf die Sicherung der Erblande abzielte. Seine Rolle und die daraus resultierenden Pflichten als Kaiser wurden dabei nur am Rande angeführt. Fokus blieb die (Teil)Dynastie. Die Meinungsverschiedenheit zwischen Ferdinand und seinen Gesandten in Fragen der Religionsausübung in den Erblanden im Frühjahr 1646 veranschaulicht den Prozess der Interessenabwägung und -gewichtung. Trauttmansdorff und seine Kollegen hätten hier eine andere Prioritätensetzung vorgenommen und Ferdinands Verpflichtungen als Reichsoberhaupt mehr Gewicht – auch im Sinne eines baldigen Friedensschlusses – beigemessen. Nichtsdestotrotz blieb die Sicht Ferdinands maßgebend. Grundsätzlich wurde deutlich, dass das Denken in kollektiven Kategorien die kaiserliche Politik auf dem Westfälischen Friedenskongress wesentlich prägte. Die Dynastie – in ihren verschiedenen Dimensionen – war eine „Leitkategorie“, die für Ferdinand immer wieder in Konflikt mit dem Reich als zweiter zentraler kollektiver Einheit geriet. Die Neue Diplomatiegeschichte muss dieses Denken in kollektiven Kategorien der Akteure berücksichtigen, wenn sie die Dynamiken frühneuzeitlicher Außenbeziehungen verstehen möchte.

(3) KRIEGSLASTEN UND KRIEGSFOLGEN FÜR DIE HABSBURGERMONARCHIE





Kaiserliche Kriegsfinanzierung und ständische Kreditvermittlung in Wien während des Dreißigjährigen Krieges William D. Godsey

Die enormen wirtschaftlichen Schäden und finanziellen Belastungen des Dreißigjährigen Kriegs führten zu einer immensen allgemeinen Verschuldung in großen Teilen Zentraleuropas. Die unmittelbare Folge hoher Forderungen der Gläubiger an Kapital und an Zinsen und des Unvermögens vieler Schuldner, diese zu begleichen, war wiederum eine Krise des Kreditwesens. Entsprechende Maßnahmen, die Krise zu entschärfen, wurden sowohl in einzelnen Erbländern als auch auf der Ebene des Heiligen Römischen Reichs in Angriff genommen. Auf dem ersten Reichstag nach dem Ende des Krieges in Regensburg 1653 bis 1654 wurde eine reichseinheitliche Regelung gefunden, die sowohl die Gültigkeit allfälliger, territorialer Lösungen bestätigte, als auch gewisse Erleichterungen für Schuldner in Aussicht stellte1. Schon 1651 wurden beispielsweise die Schulden der Landstände des Erzherzogtums unter der Enns mit einem Moratorium belegt2. Bei den Verhandlungen in Regensburg war das Ziel der Regierung Kaisers Ferdinand III. eher die Aufrechterhaltung des Kreditwesens insgesamt zu gewährleisten, anstatt die Ansprüche von Kreditoren unbedingt vollumfänglich befriedigt zu sehen. Sowohl in diesen Kontext wie in den Zusammenhang mit der Reformtätigkeit im Finanz- und Justizwesen unter Ferdinand III. in den durch den Krieg zum Teil arg gebeutelten Erblanden sind Versuche der niederösterreichischen Landstände zu stellen, ihre Schulden systematisch zu erfassen3. Im Jahr 1651 belebten sie eine ältere Wirtschaftskommission wieder, um ihre Finanzen zu ordnen; die Arbeiten kamen aber erst 1654 in Gang4. Ein wichtiges Ergebnis bildete eine im folgenden Jahr fertig gestellte Schulden* Für wertvolle Kritik und sonstige Hilfe gilt der Dank des Autors James D. Tracy, Hans Peter Hye, Clemens Jobst, Katrin Keller und Petr Maťa. 1 Andreas Müller, Der Regensburger Reichstag von 1653/54. Eine Studie zur Entwicklung des Alten Reiches nach dem Westfälischen Frieden (Europäische Hochschulschriften III/511, Frankfurt/Main u. a. 1992) 424f. 2   NÖLA, Codex Provincialis, II, pag. 1203–1205. 3  Zur Reformtätigkeit siehe Petr Maťa, „Unerträgliche Praegravation“. Steuererhebung und Militärfinanzierung im Königreich Böhmen vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Regierungsantritt Maria Theresias, in: Kriegführung und Staatsfinanzen. Die Habsburgermonarchie und das Heilige Römische Reich vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende des habsburgischen Kaisertums 1740, hg. von Peter Rauscher (Geschichte in der Epoche Karls V. 10, Münster 2010) 139–185, hier 160–166; Mark Hengerer, Kaiser Ferdinand III. (1608–1657). Eine Biographie (VKNGÖ 107, Wien–Köln–Weimar 2012) 163. 4  Petr Maťa, Verordneteninstruktionen. Normen und Reformen in der landständischen Verwaltung der niederösterreichischen Ländergruppe (17. und 18. Jahrhundert), in: Ordnung durch Tinte und Feder? Genese und Wirkung von Instruktionen im zeitlichen Längsschnitt vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, hg. von

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aufnahme, die sich in einem heute im Niederösterreichischen Landesarchiv aufbewahrten Dokument mit dem Titel Verzaichnuß deren bey einer Löb. N.Ö. Landschafft Cassa von Ao. 1562 biß Ende 1654 gegen 4, 5 und 6 per Cent jährlicher Verzinßung angelegten Capitalien, und wie hoch sich die davon biß 1654 und 1655 ausständige Interesse belauffen, niederschlug. Es trägt das Datum des 10. Juli 1655, umfasst 142 in einen roten Pappband gebundene Blätter und stellt wohl die bedeutendste noch vorhandene Einzelquelle zum ständischen Kreditwesen des Landes unter der Enns während des Dreißigjährigen Krieges dar5. Sie enthält eine nach dem Datum der ursprünglichen Kreditgewährung angelegte Liste der ständischen Geldgeber, die auf früher vorhandenen „Schuldenbüchern“ beruht, in denen die Verbindlichkeiten der Stände zeitnah und routinemäßig erfasst wurden. Während diese Bücher verloren gegangen sind, hat das Schuldenverzeichnis vermutlich wegen seines einzigartigen Übersichtscharakters überlebt. Aus diesem Verzeichnis ergibt sich ein weites Problemfeld, das sowohl die Rolle der ständischen Kreditoren als auch die Finanzierung der kaiserlichen Armee berührt. Denn die Kredittätigkeit der niederösterreichischen Landstände diente im Wesentlichen der Unterhaltung des Heeres. Der vorliegende Beitrag versucht, sich diesen Fragen anhand einer Auswertung des Schuldenverzeichnisses und von Stichproben der noch erhaltenen Geschäftskorrespondenz der für das ständische Steuer- und Kreditwesen unmittelbar zuständigen Amtsträger anzunähern. Dabei wird die These vertreten, dass der Einsatz des ständischen Kredits eine wichtige, den gesamten Dreißigjährigen Krieg hindurch nie ganz versiegende Quelle zur Finanzierung kaiserlicher Kriegs- und Verteidigungskosten darstellte. Dieses Kreditwesen erwies sich dabei als Teillösung der allmählich aufkommenden Problematik langfristiger Kriegsfinanzierung. Zudem wirkten sich die getätigten Investitionen im militärischen Bereich sowohl stände- als auch herrschaftsstabilisierend aus. Die Untersuchung des Verzeichnisses verspricht auch deshalb wichtige Aufschlüsse, weil die niederösterreichischen Landstände nach der Schlacht am Weißen Berg (mit ihren Folgen für die Landstände insbesondere in Teilen der böhmischen Länder) über Jahrzehnte wohl die potenteste ständische Kreditinstitution in den Erblanden darstellten6. Allein der Titel des Schuldenverzeichnisses deutet auf die Nachhaltigkeit ständischer Kredittätigkeit hin. Spätestens seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren die Landstände des Erzherzogtums unter der Enns mit seiner Hauptstadt in Wien nämlich in der Lage, hohe Geldsummen aufzunehmen und gegebenenfalls die entsprechenden Schulden über Jahrzehnte zu bedienen. Dieses System bot somit entscheidende Vorteile in einer Zeit wachsenden Finanzbedarfs für die Unterhaltung des Militärs. Ob der Begriff „Militärrevolution“ geeignet ist, den starken Wandel im frühneuzeitlichen Militärwesen zu beschreiben, bleibt unter Historiker/innen umstritten7. Unbestritten scheint jedoch, Anita Hipfinger–Josef Löffler–Jan Paul Niederkorn–Martin Scheutz–Jakob Wührer (VIÖG 60, Wien– München 2012) 337–380, hier 361–364. 5   NÖLA, StA, A-5, Nr. 14, Kart. 2, fol. 159r–301r. Die im Text dieses Beitrages immer wieder angeführten Folionummern beziehen sich auf dieses Dokument. 6   Die Landstände des Herzogtums Steiermark betrieben scheinbar ein demjenigen in Niederösterreich vergleichbar funktionierendes Kreditsystem, siehe Martin Khull-Kholwald, Der Adel auf dem Lande und sein Kredit. Der Schuldschein als zentrales Finanzinstrument in der Steiermark (1515–1635) (Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 57, Münster 2013) passim. 7  Dazu siehe European Warfare, 1350–1750, hg. von Frank Tallett–David J. B. Trim (Cambridge 2010) 7–9; David Parrott, The Business of War. Military Enterprise and Military Revolution in Early Modern Europe (Cambridge 2012) 1–2, 14–17, 144–145; Peter H. Wilson, Great Battles. Lützen (Oxford 2018) 111–114.



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dass Armeen tendenziell größer bzw. beständiger wurden und Kriege länger dauerten. In Hinblick auf die Habsburgermonarchie ist der Dreißigjährige Krieg mit dem Aufkommen eines stehenden Heeres außerhalb der Grenzfestungen dafür geradezu exemplarisch. Die neue Herausforderung im Militärwesen bestand darin, dass dynastische Staaten in wachsender gegenseitiger Konkurrenz ihre Armeen und ihre Kampfbereitschaft über immer längere Zeiträume erhalten mussten8. Bis weit in das 19. Jahrhundert sollte eben diese Aufgabe eine vornehmliche und sicher die kostspieligste der Wiener Zentrale darstellen. Seit der letzten Jahrtausendwende ist die Forschung immer mehr zur Erkenntnis gelangt, dass frühneuzeitliche Staaten selbst dann nicht in der Lage waren, ihre Armeen aus eigener Kraft zu erhalten, nachdem konkurrierende Privatarmeen und Militärunternehmer wie etwa Albrecht von Wallenstein (1583–1634) ausgeschaltet wurden. Dafür fehlten die organisatorischen, finanziellen und soziokulturellen Rahmenbedingungen. Einerseits blieb der Adel nicht nur nach eigenem Verständnis, sondern auch in dem regierender Fürsten die militärische Führungsschicht schlechthin. Auch in den neuen militärischen Verbänden konstituierte sich das Offizierskorps, insbesondere in den höheren Rängen, weiterhin in erster Linie aus seinen Reihen9. Die adeligen Regimentsinhaber, die eigene Gelder bei ihren Einheiten anlegten und dabei erhebliche Risiken eingingen, trugen auch auf diese Weise zur Aufrechterhaltung des stehenden Heeres bei10. Andererseits benötigten kriegführende Staaten zusätzliche Unterstützung aus Wirtschaft und Gesellschaft, um Truppen zu bezahlen, zu verpflegen und auszurüsten. Zuletzt kam damit in der Forschung der „contractor state“ als eine Variante der Mitwirkung des Privatsektors im Heereswesen schärfer in den Blick. Bankhäuser, Faktoren und Finanzagenten aller Art, Handelskompanien, Kaufleute und Großlieferanten waren für die Aufstellung und Erhaltung von Armee (und Marine) unerlässlich11. Die Bewältigung dieser Aufgaben bedingte eine sich stetig weiter entwickelnde Zusammenarbeit von Strukturen des dynastischen Staatswesens mit nicht-staatlichen Einzelakteuren und Gruppen12. Schon länger macht die Forschung zudem auf einen im frühneuzeitlichen Europa weitverbreiteten Kreditmechanismus aufmerksam, über den private Gelder für öffent  Parrott, The Business of War (wie Anm. 7) 153.   Hamish M. Scott–Christopher Storrs, The Consolidation of Noble Power in Europe, c. 1600–1800, in: The European Nobilities in the Seventeenth and Eighteenth Centuries. Volume 1: Western and Central Europe, hg. von Hamish M. Scott (Basingstoke–New York ²2007) 1–60, hier 40–46; Guy Rowlands, The Dynastic State and the Army under Louis XIV. Royal Service and Private Interest, 1661–1701 (Cambridge studies in early modern history, Cambridge 2002); Michael Hochedlinger, Austria’s Wars of Emergence. War, State and Society in the Habsburg Monarchy 1683–1797 (Modern wars in perspective, Harlow–London 2003) 117; Thomas M. Barker, Army, Aristocracy, Monarchy. Essays on War, Society, and Government in Austria, 1618–1780 (East European monographs 106, New York 1982). 10 Horst Carl, Paladine des Kaisers. Militärische Karrieren und der Aufstieg der Familie Neipperg am Wiener Hof im 18. Jahrhundert, in: Neipperg. Ministerialen – Reichsritter – Hocharistokraten, hg. von Kurt Andermann (Kraichtaler Kolloquien 9, Epfendorf 2014) 118. 11 Roger Knight–Martin Wilcox, Sustaining the Fleet, 1793–1815. War, the British Navy and the Contractor State (Woodbridge 2010); Rafael Torres Sánchez, Military Entrepreneurs und the Spanish Contractor State in the Eighteenth Century (Oxford 2016); The British Fiscal-Military States, 1660–c. 1783, hg. von Aaron Graham–Patrick Walsh (London–New York 2016); Pepijn Brandon, War, Capital, and the Dutch State (1588–1795) (Chicago 2015); Rafael Torres Sanchéz–Pepijn Brandon–Marjolein ’t Hart, War and Economy. Rediscovering the Eighteenth-Century Military Entrepreneur. Business History (2017) https://doi. org/10.1080/00076791.2017.1379507 [04.05.2019]; Louis H. Roper, Advancing Empire: English Interests and Overseas Expansion, 1613–1688 (Cambridge 2017). 12  Parrott, The Business of War (wie Anm. 7) 318. 8 9

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liche Zwecke mobilisiert wurden. Denn die Steigerung der Steuereinnahmen hielt mit den anschwellenden Kriegskosten nicht Schritt, während Steuergelder üblicherweise nur mit Verzögerung, wenn überhaupt eingingen. Für diesen Mechanismus hat der Historiker James D. Tracy den Begriff „Fiskalintermediation“ („fiscal intermediation“) geprägt, um ihn von der in der Wirtschaftsgeschichte bekannten Praxis der „Finanzintermediation“ („financial intermediation“), die durch Bankiers erfolgte, zu unterscheiden13. Damit ist die Mittlerfunktion angesprochen, die bestimmte Behörden und Körperschaften auf Landes- und Lokalebene in der Verwaltung von öffentlichen Schulden innehatten. Während sich souveräne Fürsten gewissermaßen mit einem Federstrich aus finanziellen Verpflichtungen zurückziehen konnten, blieben städtische und ständische Institutionen über Generationen erhalten. Auch daher konnten sie sich Geld zu Konditionen ausleihen, die gewöhnlich günstiger waren als diejenigen, die Monarchen, die im Falle eines Zahlungsausfalls nicht vor Gericht gebracht werden konnten, angeboten bekamen14. Dieser Vorzug machte die Stände für Machthaber, die angesichts der Unzulänglichkeit der Domänen- und Steuereinkünfte unbedingt auf Kredit angewiesen waren, um Kriegsausgaben zu decken, zu äußerst nützlichen Einrichtungen. Die diesbezügliche Vermittlertätigkeit des Cortes von Kastilien, des Parlamentos im Königreich Neapel, der Provinzen der niederländischen Republik und der französischen pays d’états ist inzwischen gut erforscht15. Für die frühneuzeitliche Habsburgermonarchie liegt der bisherige Schwerpunkt der finanzgeschichtlichen Forschung jedoch generell auf dem Steuerwesen sowie auf ausländischen Hilfsgeldern in Form von Subsidien und Anleihen16. Für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges hat indessen das Kriegsunternehmertum Wallensteins das wissenschaftliche Interesse auf sich gezogen17. Sein System von „Kontributionen“ benötigte letztendlich den persönlichen Kredit Wallensteins und seines Finanznetzwerkes. Die Inflation der notorischen „Kipper- und Wipperzeit“ der frühen 1620er Jahre als eine weitere Finanzierungsquelle ist ebenfalls immer wieder thematisiert worden. Hinter der Geldvermehrung in der Habsburgermonarchie stand dabei ein Münzkonsortium mächtiger Aufsteiger, darunter

13  James D. Tracy, The Age of Fiscal Intermediation in Europe, 1500–1800, in: Publieke financiën in de Lage Landen (1300–1800), hg. von Jaco Zuijderduijn–Dries Raeymakers (Publicaties van de VlaamsNederlandse Vereniging pour Nieuwe Geschiedenis 14, Maastricht 2015) 13–26. 14   Ein seltener Hinweis auf die Frage einer gerichtlichen Execution in Zusammenhang mit dem niederösterreichischen Kreditwesen befindet sich in NÖLA, StA, B-7, Nr. 28, fol. 281r: Verordnete an Johann Chrysostomus Wening, 7. Nov. 1643. Die Äbtissin eines Salzburger Klosters hatte damit gedroht. 15  Siehe die Literaturübersicht bei Tracy, The Age of Fiscal Intermediation (wie Anm. 13) 13–26; Rafe Blaufarb, The Survival of the pays d’états. The Example of Provence. PP 209 (2010) 83–116, hier 92, 107–109; Volker Press, Steuern, Kredit und Repräsentation. Zum Problem der Ständebildung ohne Adel. ZHF 2 (1975) 59–93. 16  Siehe die Beiträge im Band Kriegführung und Staatsfinanzen (wie Anm. 3); auch diejenigen in: Das „Blut des Staatskörpers“. Forschungen zur Finanzgeschichte der Frühen Neuzeit, hg. von Peter Rauscher–Andrea Serles–Thomas Winkelbauer (HZ Beih. 56, München 2012); Thomas Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter (Österreichische Geschichte 1522–1699, Wien 2003) 1 449–529; Hildegard Ernst, Madrid und Wien 1632–1637. Politik und Finanzen in den Beziehungen zwischen Philipp IV. und Ferdinand II. (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 18, Münster 1991). 17 Georg Schmidt, Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs (München 2018) 250–284; Michael Hüther, Der Dreißigjährige Krieg als fiskalisches Problem. Lösungsversuche und ihre Konsequenzen. Scripta Mercaturae 21 (1987) 52–81, hier 58–69; Robert Rebitsch, Wallenstein. Biografie eines Machtmenschen (Wien–Köln–Weimar 2010) 127–156; Geoff Mortimer, Wallenstein, The Enigma of the Thirty Years War (Houndmills/Basingstoke–New York 2010) 35–51.



Kaiserliche Kriegsfinanzierung und ständische Kreditvermittlung 183

auch Wallenstein18. Dagegen fand, wie vor einiger Zeit festgestellt wurde, die anhaltende Bedeutung von regelmäßigen Steuern in den Erblanden für die kaiserliche Kriegsführung während des Dreißigjährigen Kriegs vergleichsweise selten Beachtung19. Überhaupt hat sich an dem älteren Befund, dass die habsburgischen Staatsfinanzen zwischen 1618 und 1648 in der Forschung unterbelichtet seien, wenig geändert20. Der wirkmächtige Topos vom Niedergang der Landstände, der mit der Schlacht am Weißen Berg 1620 ausgerechnet im Dreißigjährigen Krieg seinen Anfang genommen habe, war lange dominant und hat den Blick auf die Landstände als Kreditinstitutionen verstellt21. Aus der älteren Forschung sind freilich zahlreiche einzelne ständische Kreditoperationen einschließlich der wiederkehrenden Übernahme landesfürstlicher Schulden bekannt22. Unlängst ist der Nutzen, den die Habsburgermonarchie im 16. Jahrhundert aus ihrem zusammengesetzten Charakter und ihrer konsultativen Regierungsform auf der internationalen Bühne ziehen konnte, hervorgehoben worden. Daraus habe sich gewissermaßen ein besserer Zugang zu Steuern und Kredit ergeben, der wiederum einen erheblichen Vorteil in der langandauernden Konfrontation mit dem Osmanischen Reich bedeutete23. Für die Entwicklung einer langfristigen öffentlichen Verschuldung sollte sich aber gerade der Mechanismus der „Fiskalintermediation“ als ausschlaggebend erweisen. Die festen Verbindlichkeiten, die städtische und landständische Korporationen auf Grund ihrer Beständigkeit und Verfügung über Steuereinnahmen eingehen konnten, erwiesen sich in der Habsburgermonarchie mit ihrer Fülle an solchen Institutionen als zukunftsträchtig. Im 18. Jahrhundert sollte ein erheblicher Teil der öffentlichen Verschuldung auf dem Kredit der Stadt Wien und der Landstände der böhmischen und österreichischen Länder beruhen24. Die Heranziehung des Kredits des Landes unter der Enns – eines Schlüsselter18   Winkelbauer, Ständefreiheit (wie Anm. 16) 1 483f.; Schmidt, Die Reiter der Apokalypse (wie Anm. 17) 203–210. 19  Peter H. Wilson, Europe’s Tragedy. A History of the Thirty Years War (London 2009) 405. 20  Erich Landsteiner, Wiederaufbau oder Transformation? Niederösterreich vor, während und nach dem Dreißigjährigen Krieg, in: Polen und Österreich im 17. Jahrhundert, hg. von Walter Leitsch–Stanisław Trawkowski (Wiener Archiv für Geschichte des Slawentums und Osteuropas 18, Wien–Köln–Weimar 1999) 133–203, hier 174. 21   Ein Paradigmenwechsel in Bezug auf die Stände zeichnet sich insbesondere in den Arbeiten von Petr Maťa ab: Petr Maťa, Landstände und Landtage in den böhmischen und österreichischen Ländern (1620– 1740). Von der Niedergangsgeschichte zur Interaktionsanalyse, in: Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, hg. von dems.–Thomas Winkelbauer (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 24, Stuttgart 2006) 345–400; ders., Wer waren die Landstände? Betrachtungen zu den böhmischen und österreichischen „Kernländern“ der Habsburgermonarchie im 17. und frühen 18. Jahrhundert, in: Bündnispartner und Konkurrenten der Landesfürsten? Die Stände in der Habsburgermonarchie, hg. von Gerhard Ammerer–William D. Godsey–Martin Scheutz–Peter Urbanitsch–Alfred Stefan Weiss (VIÖG 49, Wien–München 2007) 68–89. Siehe auch Mark Hengerer, Die Hofbewilligungen der niederösterreichischen Stände im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts. Zur Frage der Leistungsfähigkeit des Absolutismusbegriffs aus der Perspektive der Hofforschung zur Habsburgermonarchie, in: Die Habsburgermonarchie (wie Anm. 21) 159–177; Horst Illmeyer, Städte – Stände – Landesfürst. Der halbe vierte Stand Niederösterreichs und der Landtag in der Frühen Neuzeit (StuF 64, St. Pölten 2015). 22   Franz Freiherr von Mensi, Art. Staatsschuld, in: Österreichisches Staatswörterbuch, hg. von Ernst Mischeler–Josef Ulbrich (1909) 4 399–442, hier 402f.; Otto Thorsch, Materialien zu einer Geschichte der oesterreichischen Staatsschulden vor dem XVIII. Jahrhundert (Berlin 1891) 22, 24, 26, 28, 32–34, 39, 41f., 47–50, 54f., 57–59, 65–69. 23  James D. Tracy, Balkan Wars. Habsburg Croatia, Ottoman Bosnia, and Venetian Dalmatia, 1499–1617 (Lanham–Boulder–New York–London 2016) 322f., 381. 24   William D. Godsey, The Sinews of Habsburg Power. Lower Austria in a Fiscal-Military State 1650– 1820 (Oxford 2018); Peter G. M. Dickson, Finance and Government under Maria Theresia 1740–1780. Volume II: Credit and Finance (Oxford 1987) 320f.

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ritoriums der Dynastie – bildete im Dreißigjährigen Krieg einen entscheidenden Schritt in Richtung der Institutionalisierung dieser Form von Geldbeschaffung. Im Folgenden werden der Umfang, die Voraussetzungen, die Häufigkeit und die Kosten der ständischen Kreditvermittlung thematisiert. Zum Schluss erfolgt eine Annäherung an die Geldgeber der Stände und damit auch an die gesellschaftlichen Träger des Finanzsystems.

1. Der Gesamtumfang der Schulden Die hier in Rede stehende Schuldenaufstellung von 1655 weist Kapitalschulden der niederösterreichischen Landstände in Höhe von 5,667.249 fl. aus, während die der ausständigen Zinsen nicht durchgehend verzeichnet wurden. Daher lässt sich auch die Gesamtverschuldung auf Grund der in der Aufstellung vorhandenen Informationen nicht ermitteln. Einen möglichen Hinweis auf die Höhe der Gesamtverschuldung bietet allerdings eine zeitgenössische Angabe zur ständischen Schuldenlast im Jahr 1651, als diese auf 7,643.869 fl. beziffert wurde25. Aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs existieren zudem vereinzelte Angaben zum Gesamtschuldenstand, die eine Relation erkennbar machen. Tabelle 1: Schuldenstand der niederösterreichischen Landstände Jahr

Schuldenstand in Gulden

1613

2,200.000*

1618

2,380.828

1620

2,320.807*

1622

3,000.000*

1624

6,692.860

1626

6,854.728

1632

6,999.690

1651

7,643.869

1667

2,794.858

1674

2,139.213**

Quellen: * Karl Haselbach, Über finanzielle Zustände in Niederösterreich im XVII. Jahrhundert. BlLkNÖ N. F. 30 (1896) 278–299, hier 285; **Alfred F. Pribram, Die niederösterreichischen Stände und die Krone in der Zeit Kaiser Leopold I. MIÖG 14 (1893) 589–652, hier 614.

Zwischen 1618 und 1651 stieg danach die ständische Verschuldung um mehr als 5 Millionen fl. von 2,3 auf 7,6 Millionen fl. an. Die stärkste Steigerung erfolgte dabei im ersten Jahrzehnt. Für das Jahresende 1624 machten nach Angabe des ständischen Einnehmers Balthasar Thurner († vor 1637) die Schulden an Kapital und Zinsen schon eine Summe von 6,692.860 fl. aus. Um diese Last bedienen zu können, waren jährlich 25   NÖLA, StA, A-5, Nr. 14, Kart. 2, fol. 343r: Extract auß einer löb. N.Ö. Landschaft bey dero Canzley vorhandenen Anticipation- und Schuldenlast, 28. Jänner 1668. In diesem Dokument befinden sich Angaben zur Schuldenlast von 1651 und 1667.



Kaiserliche Kriegsfinanzierung und ständische Kreditvermittlung 185

397.000 fl. erforderlich26. Bis ins Jahr 1626 stieg der Schuldenstand auf 6,854.728 fl., sodass schon 411.282 fl. jährlich für den Schuldendienst notwendig wurden 27. In der schwedischen Phase des Krieges wurden die ständischen Schulden mit immerhin knapp sieben Millionen Gulden beziffert28. Durch den gesamten Krieg hindurch bedienten die Stände ihre Schulden immer wieder durch Zinszahlungen und Kapitalaufkündigungen. Wie das genau ablief, bildet sich in den vorhandenen Quellen schlecht ab. Die oben erwähnten Angaben des Einnehmers Thurner deuten darauf hin, dass wenn 6 % der gängige Zinssatz war, die Stände in der betreffenden Zeit sowohl die jährlichen Zinsen zahlten als auch einen kleinen Teil des Kapitals rückerstatteten. Unser Verzeichnis gibt daher keine komplette Liste der ständischen Geldgeber oder ein vollständiges Bild der ständischen Kredittätigkeit im Dreißigjährigen Krieg. Dies gilt insbesondere für die Periode bis zum ersten Generalat Wallensteins (1625–1630), worauf in weiterer Folge zurückzukommen sein wird. Von den für 1655 ausgewiesenen Kapitalschulden stammte der Großteil – 3,897.738 fl. – aus den Jahren zwischen 1618 und 1648. Ein Vergleich mit sonst bekannten Angaben in Zusammenhang mit den damaligen Staatsfinanzen unterstreicht die Größenordnung dieser Summe, wobei wir uns in Erinnerung rufen sollten, dass bedeutende militärbedingte Geldflüsse häufig nicht über die Zentralbehörden erfolgten. So wurden für das gleiche Jahr 1655 die „Staatsausgaben“ der Habsburgermonarchie mit 4,02 Millionen Gulden beziffert29. Und zwischen 1619 und 1628 soll Wallenstein Kaiser Ferdinand II. etwa acht Millionen Gulden vorgeschossen haben30. Für nur zwei Jahre während des Dreißigjährigen Kriegs gibt es Angaben zu den „Staatseinnahmen“ der Monarchie: Vor einiger Zeit hat der Historiker István Kenyeres ermittelt, dass im Jahr 1623 knapp zehn Millionen Gulden ins Hofkriegszahlamt flossen31. Für das Jahr 1624 hat der im frühen 20. Jahrhundert wirkende Finanzhistoriker Franz Freiherr Mensi von Klarbach (1854–1935) dagegen Staatseinnahmen von etwa fünf Millionen Gulden festgestellt32. Die knapp vier Millionen Gulden, welche die hier behandelte Quelle als ständische Kapitalschulden erkennen lässt, hätten somit 40 bzw. 80 % eines angeblichen Jahreseinkommens der Monarchie betragen.

  NÖLA, StA, B-7, Nr. 24, fol. 402r: Balthasar Thurner an Verordnete, 11. Juni 1625.   Ebd. Nr. 24, fol. 419v: Balthasar Thurner an Verordnete, o. D. [1626]. 28   NÖLA, StA, A-5, Nr. 14, Kart. 1, fol. 313r–314r: Summari Extract was ein Löbl. N.Ö. Landschafft an anticipierten Gelt, Item an der Zapfenmaß Bewilligung und anderen Inermelten Anweißung biß Ende April 1632 beileiffig restiert und schuldig ist. 29   Winkelbauer, Ständefreiheit (wie Anm. 16) 1 479. 30 Karl Oberleitner, Beiträge zur Geschichte des Dreissigjährigen Krieges mit besonderer Berücksichtigung des österreichischen Finanz- und Kriegswesens. AÖG 19 (1858) 1–48, hier 21. 31 István Kenyeres, Die Kriegsausgaben der Habsburgermonarchie von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum ersten Drittel des 17. Jahrhunderts, in: Kriegführung und Staatsfinanzen (wie Anm. 3) 41–80, hier 75–80. 32  Franz Freiherr von Mensi, Art. Finanzgeschichte, in: Österreichisches Staatswörterbuch, hg. von Ernst Mischeler–Josef Ulbrich (1906) 2 36–62, hier 39. 26 27

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2. Die Voraussetzungen für die ständische Kredittätigkeit Die gewaltige Zäsur in der Geschichte der böhmischen und österreichischen Stände zwischen Prager Fenstersturz und Weißem Berg spiegelt sich in unserem Schuldenverzeichnis nicht wider. Im politischen Ausnahmezustand der Jahre zwischen 1618 und 1620 wurde die Kredittätigkeit des niederösterreichischen Landhauses am Wiener Minoritenplatz trotz des Scheiterns der Einberufung des Landtages und der Beeinträchtigungen bei der Steuereinhebung nicht unterbrochen. Wegen des Konfessionskonflikts und der bürgerkriegsähnlichen Zustände, die in und auch um Wien herrschten, fand in den Jahren 1618 und 1619 zwar kein Landtag statt; ein Versuch, für 1618 eine Versammlung auszuschreiben, misslang33. Für die betreffenden Jahre sind dennoch im Verzeichnis von 1655 40 Kredite im Gesamtwert von knapp 140.000 fl. verzeichnet, wobei wir mit großer Sicherheit davon ausgehen können, dass diese Transaktionen nur mehr einen Bruchteil der ursprünglich getätigten Kreditgeschäfte darstellen. Wie noch zu zeigen sein wird, blieben die traumatischen Ereignisse dieser Jahre jedoch nicht ohne Auswirkungen auf das Anlegervertrauen, auch wenn offensichtlich keine ernsthaften Zweifel seitens der Dynastie und wohlhabender Eliten am Weiterbestehen der Landstände obwalteten. Nach zähen Verhandlungen mit dem evangelischen Adel bestätigte die Erbhuldigung für Ferdinand II. im Sommer 1620 schließlich die hergebrachte Landesordnung34. Zugleich ebnete dieses Ereignis den Weg für die Einberufung des Landtags. Dieser setzte sich aus den vier Ständen (Prälaten, Herren, Ritter und des vierten Standes der Stadt Wien sowie einer Reihe kleinerer Städte und Märkte) zusammen und traf sich in weiterer Folge während des Dreißigjährigen Krieges mindestens einmal jährlich. In der Not der späteren Kriegszeit in den 1640er Jahren fand sogar häufig mehr als ein Landtag jährlich statt, selbst wenn fremde Truppen im Land standen35. Krediteinträge unter sämtlichen entsprechenden Jahresrubriken finden sich im Verzeichnis von 1655. Die Bedeutung, die insbesondere Kaiser Ferdinand III. dem niederösterreichischen Landtag beimaß, und die großen finanziellen Hoffnungen, die er an dessen Zusammenkünfte knüpfte, drückten sich unter anderen darin aus, dass er „öfter selbst […] zugegen“ war36. Als der Kaiser im Juni 1640 wegen des Reichstags nicht in Wien sein konnte, ließ er sich von seiner Frau, María Ana von Spanien (1606–1646), bei der Eröffnung des niederösterreichischen Landtags vertreten. Dabei hielt sie eine „ansehnliche“ Rede37. Unter dem Eindruck des Dreißigjährigen Kriegs verkümmerte der Landtag also nicht bzw. er wurde nicht durch einen geschäftsführenden Ausschuss ersetzt. Die Kreditwürdigkeit der Landstände unter der Enns ruhte auf zwei wesentlichen 33  Franz Stundner, Die Verteidigung des Landes Österreich unter der Enns im Dreißigjährigen Krieg (Mit besonderer Berücksichtigung der Maßnahmen der Stände und deren Auswirkung auf die Bevölkerung) (Diss. Wien 1949) 205. 34  Karin J. MacHardy, War, Religion and Court Patronage in Habsburg Austria. The Social and Cultural Dimensions of Political Interaction, 1521–1622 (Basingstoke–New York 2003), 73f. Zur Frage von Ferdinand II. und den Ständen siehe Robert Bireley, Ferdinand II, Counter-Reformation Emperor, 1578–1637 (Cambridge 2014), 125, 135–137, 164f. 35  Gunther Ortner, Die niederösterreichischen Landtage von 1635–1648 (Diss. Wien 1974). 36  Hengerer, Kaiser Ferdinand III. (wie Anm. 3) 164. 37   ÖStA, AVA, FA Trauttmansdorff, Kart. 120, Nr. 12, fol. 6r: Franz Christoph Khevenhüller an Maximilian Trauttmansdorff, 8. August 1640. Siehe auch Ortner, Landtage (wie Anm. 35) 171–172; Hengerer, Kaiser Ferdinand III. (wie Anm. 3) 441.



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Säulen. Einerseits diente die bloße Existenz der Landstände, die sich nicht „verfassungsmäßig“ im späteren Sinne, sondern performativ bei der Erbhuldigung und insbesondere in den Landtagen manifestierte, als Garantie für die in ihrer Kassa hinterlegten Kapitalien. Andererseits verwalteten die Landstände über ihr aus acht, ab 1627 nur mehr aus sechs Verordneten zusammengesetztes, geschäftsführendes Kollegium die direkten Landessteuern und zeitweise auch sonstige Abgaben wie etwa das „Zapfenmaß“ oder die „Rauchfanggelder“. Die infolge der Landtagsbewilligungen über ihre Kassen fließenden Steuereinnahmen stellten eine Art Sicherheit bzw. Amortisierungsfonds für die durch die Stände garantierten Schulden dar. In den Quellen wird häufig der genaue Geldfluss benannt, aus dem eine Anticipation zurückbezahlt werden sollte, was gelegentlich den darleihenden Partheyen kommuniziert wurde. Im Jahr 1643 erfuhren beispielsweise die Geldgeber, die Kapitalien für die Bezahlung der im Winterquartier im Land unter der Enns liegenden Regimenter zur Verfügung stellen sollten, dass der jüngste Anschlag auf die Pfundgeldgült dafür vorgesehen war38. Sichtbar waren hier Steuern und Schulden als „die zwei Seiten einer Medaille“39. Für das Einwerben von Krediten für die Landstände spielten neben den Verordneten die Inhaber des ständischen Einnehmeramtes eine Schlüsselrolle. Öffentliche Finanzen in dieser Zeit wiesen einen stark personalisierten Charakter auf, was eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches Finanzmanagement bildete. Anleger gaben ihr Geld somit an Personen, die sie kannten und denen sie vertrauten. Während die Verordneten dem etablierten Adel und dem Klerus entstammten, scheinen die Einnehmer noch weitgehend die ältere Bedeutung der städtischen Geschäftswelt und auch des städtischen Kreditwesens (etwa der Stadt Augsburg) für die habsburgischen Finanzen verkörpert zu haben. Zwischen 1618 und 1648 wurden keine Angehörigen der Stände in das Amt des Einnehmers berufen, wie das später üblich werden sollte40. Die Amtsinhaber waren entweder Nichtadelige oder briefadelige Aufsteiger der ersten und zweiten Generation (siehe Tabelle 2). Sie verdankten ihre Bestellung den Verordneten und gehörten mit Sicherheit der Klientel einflussreicher Ständemitglieder an. Erst gegen Ende ihrer Amtszeit schafften die meisten Einnehmer den Sprung in den Ritterstand. Noch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stellte die Wiener Kaufmannschaft eine wichtige Anlaufstelle dar für die Einnehmer auf der Suche nach Ressourcen für den ständischen Finanz- und sonstigen Bedarf. Sowohl der Einnehmer Balthasar Thurner als auch sein übernächster Nachfolger Matthias Taufrer beschafften etwa Tuch von alhiesigen Kaufleuthen für die Soldaten der von den Ständen mitgetragenen Grenzverteidigung um die Festung Raab/Győr in Westungarn41.

38 NÖLA, StA, B-7, Nr. 28, fol. 236r: Verordnete an Einnehmer Johann Chrysostomus Wening, 30. März 1643. 39 James D. Tracy, Taxation and State Debt, in: The Oxford Handbook of Early Modern European History, 1350–1750, Volume II: Cultures and Power, hg. von Hamish M. Scott (Oxford 2015) 512–537, hier 512. 40  Godsey, The Sinews of Habsburg Power (wie Anm. 24) 124. 41  NÖLA, StA, B-7, Nr. 24, fol. 86r: Balthasar Thurner an Verordnete, 24. März 1620; ebd. Nr. 26, fol. 72r: Matthias Taufrer an Verordnete, 22. Dezember 1633.

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Tabelle 2: Die Einnehmer der niederösterreichischen Landstände während des Dreißigjährigen Krieges



Einnehmer

Amtszeit

Hintergrund und Karriere

Balthasar Thurner († vor 1637)

1616–1629

geadelt 1617

Heinrich Khielmann (Kielmann) 1586–1659

1629–1632

aus einer Bürgerfamilie in Hattingen im Ruhrgebiet; Familie geadelt 1610; konvertierte zum Katholizismus; erhielt 1628 das Prädikat „Kielmansegg“; 1630 OÖ. Ritterstand; 1631 NÖ. Ritterstand; 1632 Hofkammerrat; 1652 Frhr.; 1653 NÖ. Herrenstand

Matthias Taufrer (Taufferer) († 1648)

1632–1637

aus einem Augsburger Ratsgeschlecht; Schwiegervater Wolfgang Sinnich war Bestandsinhaber des Zapfenmaßes und Administrator der Kaschauer Kammer

Philipp Jacob Carl von Carlshofen († 1666)

1637–1640

Familie geadelt 1610; Vater war kaiserl. Kammersekretär u. Salzgegenschreiber zu Stein42; Rat des Erzherzogs Leopold Wilhelm; Zapfenmaßeinnehmer; NÖ. Ritterstand 1640

Johann Chrysostomus 1640–1644 Wening von Greiffenfels († 1653/1654)

Mauteinnehmerfamilie zu Ybbs, geadelt 1601; Adelsbestätigung mit dem Prädikat „Greiffenfels“ 1634; NÖ. Ritterstand 1643

Matthias Wagele (Wägele) († 1661)

1644–1648

Bürgerfamilie in Wiener Neustadt, geadelt 1616; Grenzzahlmeister der NÖ. Stände; NÖ. Ritterstand 1647; 1648 Prädikat „Walsegg“

Carl Perger43 1623–1659

1648–1657

Familie geadelt 1605; Vater war NÖ. Regierungskanzler; NÖ. Ritterstand 1650

Darüber hinaus wurde Thurner immer wieder bei undterschiedlichen Handls- und Bürgersleüthen vorstellig, die ihrerseits die Auswirkungen des Kriegs in der Form von großen Contributionen und der Zahlungsunfähigkeit der eigenen Gläubiger in Böhmen, Mähren und Ungarn beklagten44. Überhaupt bestand in Einklang mit den Usancen der Zeit, die keinen scharfen Unterschied zwischen „privater“ und „öffentlicher“ Geschäftsgebarung machte, die Erwartung, dass die Einnehmer ihre eigenen Kreditnetzwerke zu Gunsten der ständischen Finanzen einsetzen würden. Schon bevor er das Einnehmeramt übernahm, vermittelte etwa Johann Chrysostomus Wening Darlehensgelder im Auftrag der Verordneten. Dahinter standen unter anderem Einkünfte, die er aus dem Aufschlag zu Ybbs, den seine Familie in Pacht hielt, empfangen hatte45. Zu seinen Verdiensten zählte ein Vorgän42  Bensheim, Institut für Personengeschichte, Nachlass Hans von Bourcy, unveröffentlichte Genealogie der Familie Carl von Carlshofen des Wiener Genealogen Johann Baptist Witting (1855–1924). 43  Zu ihm und seiner Familie siehe Godsey, The Sinews of Habsburg Power (wie Anm. 24) 121–124; William D. Godsey, Der Aufstieg des Hauses Pergen. Zu Familie und Bildungsweg des „Polizeiministers“ Johann Anton, in: Adel im „langen“ 18. Jahrhundert, hg. von Gabriele Haug-Moritz–Hans Peter Hye–Marlies Raffler (Zentraleuropa-Studien 14, Wien 2009) 141–166. 44  NÖLA, StA, B-7, Nr. 24, fol. 132r: Balthasar Thurner an Verordnete, 5. April 1621. 45  Ebd. Nr. 28, fol. 145r–147r: Ungefährlicher Extract. Waß für Anticipationen Ich, Einnehmber, innerhalb 9 Monaten an baaren geldt und Interponirung meines Credits erhandelt und dargeben, 1. Aug. 1641.



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ger Wenings, Heinrich Khielmann, die Verwendung seines eigenen Kredits (Propris Credit) um Bargelddarlehen im Wert von 513.011 fl. für die Stände zu erhandeln. Unter den sonstigen Anticipationen, die er erhalten hatte, vermerkte er auch die Textilien im Wert von 219.140 fl. (an guetten Thuechern allerley Sorten), die er preisgünstig erworben hatte46. Für Khielmann bildeten seine Jahre als Einnehmer eine entscheidende Etappe in einer kometenhaften Karriere, die ihn vom Bürgermeistersohn im Ruhrgebiet zum freiherrlichen Herrschaftsbesitzer im Land unter der Enns aufsteigen ließ, ganz im Geist des Um- und Aufbruchs unter den zwei Ferdinanden.

3. Die Leistungen der Landstände Je nach Kriegslage stellten die Landesfürsten zwischen 1620 und 1648 mannigfache Forderungen an Geld, Mannschaft und Naturalien an den Landtag. Der Unterhalt der kaiserlichen Armeen im Kampf gegen protestantische Aufständische in den eigenen Ländern, gegen deutsche Fürsten und Kriegsunternehmer, gegen die Kronen Schweden wie Frankreich und gegen den Fürsten von Siebenbürgen verursachte Ausgaben in unterschiedlicher Höhe, wobei neben Geld und Soldaten auch Vieh, Proviant in Form von Getreide, Hafer, Wein, usw. und sonstige Hilfsmittel in wechselnden Mengen verlangt wurden. Der Begriff „Kontribution“, der in dieser Zeit üblich wurde, bezog sich auf alle diese Leistungen in gleichem Maße, ebenso auf Einquartierungen47. Seit der schwedischen Phase des Krieges wurde Niederösterreich auch direkt durch Einquartierungen im Zusammenhang mit dem System Wallenstein und später über eine Verlagerung des Kriegsgeschehens in die Erblande heimgesucht. Im Frühjahr 1640 übernahmen die niederösterreichischen Landstände die Verpflegung von acht Regimentern48; um die Jahreswende 1644 waren es gleich dreizehn49. Maßnahmen, die an ältere Formen der Landesdefension erinnerten, wurden ebenfalls am Landtag erörtert, dienten aber nunmehr vor allem der Ergänzung des kaiserlichen Militärs50. Bei der Bedrohung der Grenzen durch die Schweden etwa wurden Landesaufgebote ausgerufen, und im Jahr 1642 bewilligten die Stände das Aufgebot des 15. Mannes. Zudem signalisierte der Adel seine Bereitschaft zu persönlicher Teilnahme, falls sich Ferdinand III. selbst ins Feld begeben sollte51. Ein besonders häufiger Gegenstand der Beratungen am Landtag während des Dreißigjährigen Kriegs war außerdem die Grenzverteidigung gegenüber den Osmanen. Das Land unter der Enns war mit für die Unterhaltung des Raaber Abschnitts der Militärgrenze zuständig52. Die häufig bewilligte Steuer der doppelten Gültgebühr im Umfang 46  Ebd. Nr. 25, fol. 1r: Pro Informatione, ein Unverfencklicher beyleuffiger Summari Extract, o. D. Siehe auch Eduard Georg Ludwig Wilhelm Howe Graf von Kielmansegg–Erich Friedrich Christian Ludwig Graf von Kielmansegg, Familien-Chronik der Herren, Freiherren und Grafen von Kielmansegg (Leipzig–Wien 1872) 27–30. 47   Der Ausdruck traid contribution (Getreidekontribution) findet sich beispielsweise in NÖLA, StA, B-7, Nr. 28, fol. 303r: Verordnete an Johann Chrysostomus Wening, 1 Feb. 1644. Für die Gleichsetzung von „Kontributionen“ mit „Einquartierungen“ siehe Wilson, Europe’s Tragedy (wie Anm. 19) 403. 48  Ortner, Landtage (wie Anm. 35) 170. 49   Ebd. 198. 50   Winkelbauer, Ständefreiheit (wie Anm. 16) 1 414. 51  Stundner, Die Verteidigung des Landes Österreich (wie Anm. 33) 59f. 52   Die neuere Forschung hebt die Effektivität der Grenzverteidigung in Ungarn hervor, siehe Géza Pálffy, Die Türkenabwehr in Ungarn im 16. und 17. Jahrhundert – ein Forschungsdesiderat. Anzeiger der phil.-hist.

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von 138.000 fl. war an diese Grenzverteidigung zweckgebunden. Im Nachhinein wissen wir, dass der nach dem „langen Türkenkrieg“ erzielte Frieden mit Sultan Ahmed I. († 1617) durch den gesamten Dreißigjährigen Krieg hindurch Bestand hatte. In den Augen der Zeitgenossen in der Steiermark, in Niederösterreich und Ungarn blieb die Bedrohung durch die vielen kleinen Kämpfe in Grenznähe sowie die osmanische Unterstützung für ungarische Aufständische und den Fürsten von Siebenbürgen lebendig. Die Folgen dieser geopolitischen Lage für Niederösterreich hat der Landeshistoriker Karl Gutkas auf folgende Weise beschrieben: „Die […] Angst vor türkischen Einfällen ließ ja die Blicke der Niederösterreicher trotz des Krieges in Deutschland stets mehr nach Osten gerichtet sein als nach Norden“53. Weder die Gesamthöhe der Steuerbewilligungen der Landstände unter der Enns zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs noch der kaiserlichen Kriegskosten insgesamt sind mit Sicherheit bekannt. Einige Hinweise deuten aber auf Geldflüsse aus Niederösterreich hin, die bedeutend höher waren, als in der älteren Literatur angenommen. Nach einer Berechnung betrugen die kaiserlichen Aufwendungen zwischen 1618 und 1640 insgesamt 110 Millionen Gulden, davon hätte das Land unter der Enns lediglich 3,8 Millionen Gulden bestritten54. Dieser Befund, der eine jährliche Durchschnittsbewilligung von etwa 181.000 fl. bedeuten würde, deckt sich aber weder mit den bekannten Bewilligungen noch mit einer Angabe der Landstände aus dem Jahr 1644, dass sie allein in der Zeit zwischen 1630 und 1643 insgesamt mehr als elf Millionen Gulden bewilligt hätten – ohne Berücksichtigung einer bestimmten Weinakzise und der geleisteten Naturalverpflegung der kaiserlichen Soldaten55. Zudem hätte Ferdinand III. wohl kaum bei gleich drei Landtagen ab 1640 eine für die damaligen Verhältnisse außergewöhnlich hohe Bewilligung von mindestens einer Million Gulden von einem Land gefordert, das davor nicht einmal 200.000 fl. zusammengebracht hatte. Im Dezember 1642 machten die Stände in der Tat geltend, dass sie mehr als eine Million Gulden im laufenden Jahr bewilligt hätten56. Auf sein Begehren um eine Million Gulden hatte der erste Landtag im Jahr 1644 immerhin 600.000 fl. akzeptiert. Der zweite Landtag desselben Jahres erklärte sich mit einer neuen Getränkesteuer einverstanden57. Es ist aufschlussreich, dass Ferdinand gerade in dieser Zeit gegenüber dem Fürsten Maximilian von Dietrichstein (1597–1655) seine große Zufriedenheit mit dem niederösterreichischen Landtag ausdrückte58. Mit landesfürstlicher Billigung flossen fallweise große Summen, die vom Landtag bewilligt worden waren, direkt an das im Land einquartierte Militär. Die betreffenden Geldflüsse erfolgten nicht nur über die ständische Hauptkasse in Wien, sondern auch über die Klasse (der ÖAW) 137 (2002) 99–131; ders., The Origins and Development of the Border Defence System against the Ottoman Empire in Hungary (up to the Early Eighteenth Century), in: Ottomans, Hungarians, and Habsburgs in Central Europe. The Military Confines in the Era of Ottoman Conquest, hg. von Géza Dávid– Pál Fodor (The Ottoman Empire and its Heritage. Politics, Society and Economy 20, Leiden–Boston–Köln 2000) 3–69. 53  Karl Gutkas, Geschichte des Landes Niederösterreich (St. Pölten 51974) 243. 54   Oberleitner, Beiträge (wie Anm. 30) 48. 55   Ortner, Landtage (wie Anm. 35) 201f. Dieses Werk enthält nützliche Rohdaten aus den Akten zu den Landtagsverhandlungen zwischen 1635 und 1648. NÖLA, StA, B-7, Nr. 26, fol. 118r: Verordnete an Matthias Taufrer, 16. Jänner 1635. Dieses Schreiben erwähnt für das Jahr 1633 eine Landtagsbewilligung von 700.000 fl. 56  Ortner, Landtage (wie Anm. 35) 186. 57  Ebd. 194–203. 58  Robert Douglas Chesler, Crown, Lords und God. The Establishment of Secular Authority and the Pacification of Lower Austria, 1618–1648 (Diss. Princeton 1979) 280.



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sog. Viertelkassen (auch Kontributionskassen genannt), welche die Stände im Jahr 1632 in Zusammenhang mit einem Quartierskommissariat in den einzelnen Landesteilen eingerichtet hatten, nachdem Wallenstein das Einquartierungssystem auf das Erzherzogtum unter der Enns ausdehnte. Hier führte dieses System also nicht zur Beseitigung der Lokalverwaltung, sondern zu deren Ausbau und Verstetigung. Die schwierige doppelte Aufgabe dieser zukunftsträchtigen Einrichtung war die Versorgung der Truppen bei möglichster Schonung der Landeseinwohner und bei Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Schließlich hatten weder der Landesfürst noch die Stände ein Interesse an der übergroßen Belastung der eigenen Untertanen. Die Kassen nahmen die bewilligten Kontributionen in Geld und Naturalien von den örtlichen Grundherrschaften ein und leiteten sie gegebenenfalls unmittelbar an die lokal einlogierten Truppeneinheiten weiter 59. Bedeutende Beträge erreichten daher nicht einmal das Wiener Landhaus, geschweige denn das Hofkriegszahlamt. Vor diesem Hintergrund muss also der bisher in der Forschung genannte Beitrag von 3,8 Millionen Gulden aus Niederösterreich zu den Kriegskosten zwischen 1618 und 1640 wohl neu bewertet werden. Um ihren Verpflichtungen gegenüber den Landesfürsten nachzukommen, griffen die niederösterreichischen Stände immer wieder auf ihren eigenen Kredit zurück, den sie in vielfältiger Weise einsetzten. Meist waren damit Vorteile für die vermögenden und über Bargeld verfügenden Eliten verbunden, die die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellten und daraus vergleichsweise verlässliche Zinseinkünfte erzielten. Direkte Bargelddarlehen der Stände an den Wiener Hof wurden im 18. Jahrhundert immer häufiger; schon im 17. Jahrhundert waren sie aber gebräuchlich. In der älteren Forschung wurde dabei insbesondere ein großer Kredit von 1,1 Millionen Gulden an Ferdinand II. aus dem Jahr 1623 erwähnt60, aber schon im Jahr 1619 liehen die Stände über den Hofkriegszahlmeister Peter Sutter Erzherzog Leopold (1586–1632), dem Bruder Kaiser Ferdinands II., 120.000 fl. zu etwas bezahlung des Khriegsvolcks61. Mutmaßlich in Zusammenhang mit diesem Fall wandten die Stände einen durch die bürgerkriegsähnlichen Zustände bedingten, konfessionell gefärbten Zwang an, um die benötigten Gelder aufzutreiben. Bis die etwa von der evangelisch geprägten Stadt Retz verlangte hohe Summe von 20.000 fl. aufgebracht werden konnte, wurden einige Ratsherren in Haft gesetzt62. Dieser Fall zeigt, dass der Praxis des ständischen Kredits trotz vieler Vorteile ein gewisser Zwang innewohnte. Das was sich hingegen nicht erzwingen ließ, war der politische Wille der Landstände, ein Schuldenwesen aufrechtzuerhalten und Kredite zu vermitteln. Diesbezüglich gab es keinen Automatismus. Auf dem Höhepunkt der berüchtigten „Kipper- und Wipperzeit“ im Jahr 1622 schossen die Verordneten Ferdinand II. 600.000 fl. aus der ständischen Kassa vor. Dabei erhielt der Landesfürst (über seinen Hofkriegszahlmeister) kein entwertetes Geld. Die dafür nötigen Zahlungsmittel hatte der Einnehmer Thurner sorgfältig in lauter Ducaten, jedes stueck per zehen gulden Römisch, von underschiedlichen Partheyen gegen Sechs per Cento Anti59  NÖLA, StA, A-3, Kart. 71, fol. 159v–164v: Instruction der in alle 4. Viertl diß Lands Österr[eich] vndter der Ennß Verordneten Herren Quartiers Commissarien, 28. Juli 1632. Die Viertelkassen blieben bis 1674 bestehen, siehe Godsey, The Sinews of Habsburg Power (wie Anm. 24) 125. 60  Oberleitner, Beiträge (wie Anm. 30) 45; Karl Haselbach, Über finanzielle Zustände in Niederösterreich im XVII. Jahrhundert. BlLkNÖ N. F. 30 (1896) 278–299, hier 284. 61  NÖLA, StA, B-7, Nr. 24, fol. 120v–121r: Verzaichnus was auß Gemainer N.Ö. Landtschafft Einnehmberambt von Ao. 1604 biß zue Ende deß 1619 Jars, in undterschidliche Khayßerliche Ämbter erlegt und bezahlt worden isst, o. D. 62  Haselbach, Über finanzielle Zustände (wie Anm. 60) 282.

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cipiert63. Dagegen verwendeten die Verordneten angeblich das „lange Geld“, also entwertete Münzen, um ein anderes Geschäft abzuwickeln: Im Jahr 1623 liehen sie 500.000 fl. zu 7 % an das benachbarte Land Mähren, damit dieses seinerseits einem Kreditbegehren Ferdinands II. zur Bezahlung von Truppen genügen konnte. Das Ersuchen um ein Darlehen kam zwar von einigen Mitgliedern der Stände unter der Führung des mährischen Gouverneurs Kardinal Franz Fürst von Dietrichstein (1570–1636)64. Dass schließlich fünf mährische Städte die Bürgschaft für das Darlehen ausstellen mussten, deutet darauf hin, dass nach der Schlacht am Weißen Berg die Voraussetzungen für ein Kreditwesen der mährischen Landstände – etwa formale Versammlungen – nicht mehr gegeben waren. Unwahrscheinlich erscheint es auf jeden Fall, dass in dieser Zeit die Stände in den böhmischen Ländern Kredite gewährten, wie teils in der Literatur angenommen wird65. Nach der förmlichen Wiedereinsetzung durch die „Verneuerte Landesordnung“ haben es die mährischen Stände noch im Krieg bezeichnender Weise abgelehnt, eine Verpflichtung aus dem Geschäft von 1623 anzuerkennen. Der Konflikt über die Frage der Rückzahlung sollte sich über mehr als ein Jahrhundert hinziehen. Wenn die dafür vorgesehenen Steuereinnahmen nicht rechtzeitig einlangten, machten die Stände Schulden, um den eigenen Finanzbedarf zu decken. Letztendlich hing aber auch diese Art von Kreditanwendung überwiegend mit kaiserlichen Kriegserfordernissen zusammen66. Die Anlässe hierfür erwiesen sich als häufig und vielfältig. Im Jahr 1622 stellten die Stände einem kaiserlichen Obersten aus einem alten Herrenstandsgeschlecht des eigenen Landes, Adam Freiherrn von Traun (1593–1632), eine Obligation im Wert von 70.000 fl. aus, damit sein Regiment bezahlt und abgedankt werden konnte67. Wiederholt kam es vor, dass die Landtagsbewilligung durch die Emission von Anleihen gedeckt wurde. Die Jahre 1624, 1639 und 1641 stellen bekannte Fälle dar68. Um Getreide für das Militär anzukaufen, machten die Stände ebenfalls Gebrauch von ihrem Kredit69. Mit einer Kreditspritze von Cornelius Strauch († 1650), dem Abt des Zisterzienserstiftes Lilienfeld, konnte 1643 die ausstehende Besoldung von 150 Husaren gedeckt werden, die von der ungarischen Grenze zur kaiserlichen Armada ins Veldt versetzt werden sollten70. Zuweilen beschwerte sich der Hof über die zusätzlichen Kosten solcher Geschäfte, nahm bei Bedarf aber gerne den damit verbundenen Vorteil des schnellen und vergleichsweise billigen Geldes in Anspruch. Es kam auch vor, dass die Stände aus ähnlichen Überlegungen selbst den Einsatz ihres Kredits ablehnten71.   NÖLA, StA, B-7, Nr. 24, fol. 191r: Balthasar Thurner an Verordnete, 7. Dezember 1622.   Zu dieser Episode siehe Silvia Petrin, Die „Mährische Schuld“ – Ständische Beziehungen zwischen Mähren und Niederösterreich nach der Schlacht am Weißen Berg, in: 20. Mikulovské Sympozium 1990, hg. von Emil Kordiovský (Brno 1991) 67–72. 65   Zum Beispiel bei Wilson, Europe’s Tragedy (wie Anm. 19) 400. 66   Eine Ausnahme: Im Jahr 1641 finanzierten die Stände eine Gratifikation von 1.000 Dukaten für den Hofkanzler Matthias Prickhlmayr durch eine Kreditaufnahme, NÖLA, StA, B-7, Nr. 28, fol. 108r: Verordnete an Johann Chrysostomus Wening. 67  Ebd. Nr. 24, fol. 164r: Verordnete an Balthasar Thurner, 27. Mai 1622. 68   Ebd. Nr. 24, fol. 355r: Verordnete an Balthasar Thurner, 11. Juni 1624; Ortner, Landtage (wie Anm. 35) 164 (für das Jahr 1639); ebd. Nr. 28, fol. 153r: Verordnete an Johann Chrysostomus Wening, 6. September 1641. Für das Jahr 1642 siehe Gutkas, Geschichte (wie Anm. 53) 245. 69  NÖLA, StA, B-7, Nr. 26, fol. 130r: Verordnete an Matthias Taufrer, 7. März 1635. 70  Ebd. Nr. 28, fol. 256r, 263r: Verordnete an Matthias Wening, 6. Juli und 17. Aug. 1643. Zitat aus dem Schreiben vom 6. Juli. 71  Ortner, Landtage (wie Anm. 35) 178, 248f. 63 64



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4. Die Häufigkeit der ständischen Kredittätigkeit Es stellt sich die Frage nach der Häufigkeit der ständischen Kreditaufnahmen, die sich allerdings auf Grund der fehlenden, routinemäßig angelegten Schuldenbücher nicht endgültig beantworten lässt. Dennoch sind die Indikatoren aus den vorhandenen Informationen aufschlussreich. Aus Tabelle 1 ist ersichtlich, dass während des gesamten Dreißigjährigen Kriegs die ständische Schuldenlast nominell am stärksten zwischen 1622 und 1624 anstieg. Dies wird einerseits auf die Inflation der „Kipper- und Wipperzeit“, andererseits auf die großen, schon erwähnten Anleihen an den Hof und die Verwendung des ständischen Kredits zur Aufbringung der Landtagsbewilligung 1624 zurückzuführen sein. Diese vor dem ersten Generalat Wallensteins liegenden Jahre zeichneten sich vor allem durch die ernsthafte Bedrohung aus Ungarn bzw. Siebenbürgen aus, was die kaiserliche Seite zeitweise zu einem Zweifrontenkrieg zwang. Einerseits wurden Truppen entlang des Marchflusses aufgestellt, um die Erblande gegen Gabriel Bethlen (1580–1629), den Fürsten von Siebenbürgen, der mit dem Versprechen osmanischer Unterstützung mit 40.000 Mann ins Feld gezogen war, zu verteidigen. Das Eindringen Bethlens 1623 nach Mähren verursachte Panik in Wien, die kurzzeitig auch Ferdinand II. ergriff72. Erst im folgenden Jahr wurde ein brüchiger Frieden geschlossen, noch 1626 kehrte der Krieg in das Grenzgebiet zurück73. Gleichzeitig kämpfte der Hauptteil des kaiserlichen Militärs zunächst gegen eine protestantische Koalition unter Christian von Braunschweig-Lüneburg in Niedersachsen. Mit dem Sieg in der Schlacht von Stadtlohn (August 1623) schien immerhin ein katholischer Frieden im Reich in greifbarer Nähe74. Im Jahr 1625 weitete sich aber der Krieg mit dem Eintritt Dänemarks aus. Die tatsächliche Kredithäufigkeit der ersten Hälfte der 1620er Jahre kann nicht rekonstruiert werden, da das ausgeliehene Kapital bis zur Anlegung des Schuldenverzeichnisses 1655 zum Großteil schon zurückbezahlt war. So sind beispielsweise für das Jahr 1622 Schulden in der Höhe von nur noch 182.740 fl. erfasst, wobei wir wissen, dass im selben Jahr Ferdinand II. ein Bargelddarlehen von 600.000 fl. erhielt. Für die spätere Entwicklung dagegen bietet das auf der Basis des Schuldenverzeichnisses erstellte Diagramm doch Anhaltspunkte. Danach deckte sich der Höhepunkt der ständischen Geldaufnahmen mit der größten Ausdehnung des kaiserlichen Heeres während des Dreißigjährigen Krieges. Dies erfolgte während des ersten Generalats Wallensteins. In einem Durchschnittsjahr sind im Verzeichnis von 1655 38 Darlehen eingetragen – für jedes Jahr zwischen 1627 und 1631 wurde dieser Wert aber deutlich übertroffen. 1627 war wohl das erste Jahr, in dem die kaiserliche Armee eine effektive Größe von 100.000 Mann erreichte; am Höhepunkt der Jahre 1628 und 1629 zählte sie schätzungsweise 110.000 Mann75. Wenn das Schuldenverzeichnis das Größenverhältnis der damaligen ständischen Kredittätigkeit proportional wiederspiegelt, dann liehen sich die Landstände 1629 am häufigsten Geld – 1655 waren noch 91 Kredite für dieses Jahr belegt. Spitzwerte stellten auch die 87 bzw. 70 Kredite der Jahre 1630 und 1631 dar. Erst im zweiten Generalat Wallensteins (1631–1634), als Einquartierungen zum ersten Mal 72  Wilson, Europe’s Tragedy (wie Anm. 19) 346; Mortimer, Wallenstein (wie Anm. 17) 78f.; Gutkas, Geschichte (wie Anm. 53) 235f. 73  Schmidt, Die Reiter der Apokalypse (wie Anm. 17) 290. 74  Wilson, Europe’s Tragedy (wie Anm. 19) 339–347. 75  Ebd. 395.

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Niederösterreich im großen Stil trafen, scheint die Kreditgewährung stark abgenommen zu haben. Grafik 1: Häufigkeit der ständischen Kreditaufnahme 1618–1648

Grafik 1: Häufigkeit der ständischen Kreditaufnahme 1618–1648

Weitere überdurchschnittliche Jahre der ständischen Kredittätigkeit stellten 1635, 1636, 1639, 1641 und 1642 dar. Im erstgenannten Jahr trat Frankreich in den Krieg ein, dabei hatte die kaiserliche Armee immer noch eine Größe von etwa 90.000 Mann76. Im 1639 fielen die Schweden in Böhmen ein. Das Jahr 1641 läutete die schwerste Periode des Kriegs für das Land unter der Enns ein. Zunächst setzen die Stände ihren Kredit verstärkt ein, um die Landtagsbewilligungen zu den erwünschten Terminen einzubringen77. Danach brachten die Schweden den Krieg bis vor die Tore Wiens. Mit der Verlagerung des Kriegsschauplatzes nach Niederösterreich und dem Rückzug der kaiserlichen Armee in die Gebiete südlich der Donau gingen die Geldaufnahmen ab 1643 stark zurück. Für das Jahr 1645 wurden nur mehr 11 Darlehen verzeichnet. Die genauen Ursachen für den Rückgang bedürften allerdings noch der Erforschung. Neben den schweren wirtschaftlichen Schäden spielte wohl die Erschöpfung der ständischen Kreditfähigkeit nach mehr als zwei Jahrzehnten bewaffneten Konfliktes eine Rolle. Noch im Jahr 1647, zu einer Zeit, als Steuern kaum noch eingingen, konnten die Stände jedoch die Zahl der aufgenommenen Darlehen wieder auf das Niveau von 1640 bzw. 1643 bringen. Beim Friedensschluss 1648 unterhielt der Kaiser immer noch ein Heer von 40.000 Mann78.

  Wilson, Europe’s Tragedy (wie Anm. 19) 560.   NÖLA, StA, B-7, Nr. 28, fol. 153r: Verordnete an Johann Chrysostomus Wening, 6. September 1641. Für die 1638 vom Hofkriegsrat geschätzten Kosten von mehr als drei Million Gulden pro Jahr für den Unterhalt einer Armee von 17.500 Mann siehe Lothar Höbelt, Ferdinand III. Friedenskaiser wider Willen (Graz 2008) 175. 78  Schmidt, Die Reiter der Apokalypse (wie Anm. 19) 618. 76 77

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5. Die Kosten des Kredits Unser Schuldenverzeichnis von 1655 deutet darauf hin, dass der gängige, von den Ständen bezahlte Zinssatz während des Dreißigjährigen Kriegs 6 % betrug. Mit wenigen, noch zu thematisierenden Ausnahmen erhielten alle im Verzeichnis aufgelisteten Kreditoren diesen Zinssatz, der im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts bei adeligen Kreditgeschäften in Zusammenhang mit Grund und Boden etwa auch in der Steiermark üblich war79. Gleichzeitig überstieg er den durch Reichsgesetz fixierten Maximalsatz von 5 %80. Die Geschäftskorrespondenz der Einnehmer aus der betreffenden Zeit zeigt dagegen, dass in bestimmten Fällen, die sich nach derzeitigem Kenntnisstand auf die Zeit zwischen dem Prager Fenstersturz (1618) und dem Ende der „Kipper- und Wipperzeit“ (1623) beschränkten, die ständischen Verordneten fallweise bereit waren, einen höheren Zinssatz zu bezahlen. In der bürgerkriegsähnlichen Not kurz vor der Schlacht am Weißen Berg wiesen sie den Einnehmer beispielsweise an, bei Bedarf einen Satz von 7 oder 8 und bis zu 10 % anzubieten81. In diesen spannungsgeladenen Wochen war es nämlich für die Zeitgenossen noch nicht klar, ob die Landstände als katholisch oder als evangelisch dominierte Körperschaft weiterbestehen würden. Die Inflation der 1620er Jahre bzw. die Geldknappheit in einer nicht kommerzialisierten Agrarwirtschaft ließen deutliche Spuren in der ständischen Kassa zurück. Wertgegenstände wie Schmuck, Edelmetall, aber auch Wein wurden den Ständen als Anlagen angetragen und fallweise auch angenommen. In November 1621 bot etwa eine Frau namens Catharina von Hermestain (Herberstein?) 600 Eimer Heurigenwein und 100 Markh Silber neben Zueschlagung einer Summa gelts an82. Textilien dienten sowohl als Kreditobjekt als auch als Zahlungsmittel, insbesondere an der von den Ständen finanzierten Militärgrenze in Westungarn. Während der „Kipper- und Wipperzeit“ landeten allerdings knapp zwei Millionen Gulden in minderwertigen Münzen in der ständischen Kassa, deren Quellen unklar bleiben. Nach der allgemeinen Abwertung durch kaiserliches Patent am 11. Dezember 1623 berechnete der Einnehmer Balthasar Thurner den verbleibenden Wert dieser Münzen mit nur 260.921 fl., was einen Verlust von ungefähr 87 % bedeutete 83. Ob und inwieweit dieser Verlust durch die spätere kaiserliche Bestimmung verringert werden konnte, dass diejenigen Gläubiger, die den Ständen das „lange Geld“ geliehen hatten, einen billichen Nachlas an ihren Forderungen zu erdulden hatten, ist nicht bekannt84. In der Steiermark haben sich keine Auswirkungen der „Kipper- und Wipperzeit“ auf den Zinsmarkt belegen lassen85; für Niederösterreich wissen wir indessen, dass in der fraglichen Zeit die Verordneten in einem konkreten Einzelfall einen Zinssatz von 7 % verfügten86. Bis zur Anlegung des Verzeichnisses in der Nachkriegszeit wurden allerdings diese sowie allfällige sonstige Schulden mit Zinsen von mehr als 6 %, wie sie bei der kaiserlichen   Khull-Kholwald, Der Adel (wie Anm. 6) 31–33, 121.   Winkelbauer, Ständefreiheit (wie Anm. 16) 1 516. 81  NÖLA, StA, B-7, Nr. 24, fol. 98r: Verordnete an Balthasar Thurner, 19. Oktober 1620. 82   Ebd. Nr. 24, fol. 154r: Verordnete an Balthasar Thurner, 22 November 1621. 83   Ebd. Nr. 24, fol. 216r–217r: Uberschlag des Einnehmers Thurner, o. D. Zum kaiserlichen Patent siehe Winkelbauer, Ständefreiheit (wie Anm. 16) 1 483. 84  Ein Hinweis auf diese kaiserliche Entscheidung in NÖLA, StA, B-7, Nr. 24, fol. 476r: Ausschus Guettachten, 4. April 1628. 85  Khull-Kholwald, Der Adel (wie Anm. 6) 33, 38. 86  NÖLA, StA, B-7, Nr. 24, fol. 158r: Verordnete an Balthasar Thurner, 4. Mai 1622. 79 80

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Hofkammer üblich waren, getilgt87. Sämtliche aus den Jahre 1622 und 1623 noch im Verzeichnis von 1655 erfassten Kredite – 50 an der Zahl – wurden mit einer einzigen Ausnahme mit 6 % verzinst. In einigen Fällen konnten sich die niederösterreichischen Landstände hohe Summen auch um weniger als 6 % sichern. Im Jahr 1630 liehen sie sich vom ungarischen Primas, Kardinal Péter Pázmány (1570–1637), 100.000 fl. um 4 %. Diese Summe stellt überhaupt den höchsten in unserer Quelle verzeichneten Kredit dar (siehe Tabelle 3); gleichzeitig war er vom Zinssatz her der kostengünstigste. Einige Jahre später gab der Propst des Augustinerchorherrenstiftes Sankt Dorothea, eines der reichsten Wiener Klöster, 12.000 fl. gegen 5 %. Nicht nur Geistliche gestanden jedoch fallweise den niedrigeren Zinssatz zu: Im Jahr 1640 überließ eine Frau aus alter adeliger Familie, Freiin Anna Maria von Breunner, geb. Trauttmansdorff (1583–1642), den Ständen 50.000 fl. gegen 5 %. In diesem Fall erfolgte die Anlage jedoch auf ewig, eine durchaus ungewöhnliche Vorgangsweise, denn die niederösterreichischen Stände nahmen selten dauerhafte Anlagen an. Ob die Unkündbarkeit den niedrigeren Zinssatz erklärt, ist jedoch zweifelhaft. Im Jahr nach dem Geschäft mit Breunner schoss nämlich Dr. Michael Grassius (Crassius) den Ständen 18.000 fl. vor, ebenfalls auf ewig, aber gegen 6 %. Unter den in der „Kipper- und Wipperzeit“ vorgestreckten Geldsummen fällt nur ein Darlehen von 1. Oktober 1623 von Maria Furth in Höhe von 10.000 fl. auf, verzinst mit 5 %. Ansonsten war scheinbar der fünfprozentige Zinssatz bei den vorgeschriebenen Anlagen von Nichtbegüterten, welche die Aufnahme in die Stände begehrten und tendenziell unerwünscht waren, gängig. Zum Beispiel verlangte der Herrenstand, dass der neuadelige Aufsteiger Jakob Freiherr von Berchtold († 1641) 10.000 fl. in der ständischen Kassa hinterlege, bis er sich Güter im Land erworben hatte88. Die Auflage erklärt wohl den niedrigeren Zinssatz in solchen Fällen. Die Seltenheit eines Zinssatzes unter 6 % bei den Ständen ist daraus ersichtlich, dass lediglich vier der in unserem Verzeichnis erfassten 89 Anleihen von 10.000 fl. und mehr einen geringeren Zinssatz als 6 % aufwiesen. Insgesamt ist festzuhalten, dass zwischen 1618 und 1648 Zinssätze zwischen 4 und 7 % bei den Ständen nachgewiesen werden konnten, dass aber 6 % die Regel darstellte. Tabelle 3: Einzelkredite über 20.000 Gulden Name der Kreditgeber/in

Jahr

Kredit

Zinssatz

1.

Péter Pázmány, Kardinal und Primas von Ungarn

1630

100.000

4

2.

Nikolaus Edler von Gurlandt, kaiserlicher Kammerschatzmeister

1627

91.333

6

3.

Leonhard Helfried Graf Meggau, Obersthofmeister Ferdinands II.

1638

58.038

6

 Siehe Mensi, Staatsschuld (wie Anm. 22) 401, für den Zinsfuß des „Staatskredites“.  Dagmar Schopf, Die im Zeitraum von 1620–1740 erfolgten Neuaufnahmen in den niederösterreichischen Herrenstand (Diss. Wien 1966) 91, 265, 268. Zu Berchtold siehe auch Godsey, The Sinews of Habsburg Power (wie Anm. 24) 49f. 87 88



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4.

Freiin Anna Maria von Breunner, geb. Trauttmansdorff

1640

50.000

5

5.

Äbtissin des Stiftes Nonnberg in Salzburg

1629

44.150

6

6.

Bernhard Waitz, Propst von Klosterneuburg

1631

40.000

6

7.

Bernhard Waitz, Propst von Klosterneuburg

1631

31.400

6

8.

Bernhard Freiherr von Welz

1621

30.000

6

9.

Johann Ruemer, SJ, Rektor in Graz

1633

30.000

6

10.

Heinrich Khielmann, ehemaliger ständischer Einnehmer

1636

30.000

6

11.

Christoph Zollikofer

1646

30.000

6

12.

Wilhelm Rechberger, kaiserlicher Leibarzt

1622

28.000

6

13.

Hans Freiherr von Pfeilberg

1635

25.000

6

14.

Die dreywürdig Gottesheuser zu Bamberg

1628

24.381

6

15.

Carl Freiherr von Santhilier

1630

24.000

6

16.

Wolf Matthäus Freiherr von Königsberg

1622

22.750

6

17.

Andreas und Anna Maria Spindler

1628

21.435

6

18.

David Gregor Corner, Abt von Göttweig

1631

21.666

6

19.

Virgilius Beccaria, Kaufmann zu Raab

1630

20.500

6

20.

Hans Freiherr von Pfeilberg

1635

20.300

6

21.

Barbara Gregorotzky, Witwe eines niederösterreichischen Ritters

1623

20.000

6

22.

Martin Hildprandt’sche Erben89

1628

20.000

6

23.

Seifried Christoph Freiherr von Breunner, Statthalter von Niederösterreich

1639

20.000

6

24.

Johann Chrysostomos Wening, ehemaliger ständischer Einnehmer

1644

20.000

6

6. Ständische Kreditoren Für die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs sind insgesamt 1.164 Kredite chronologisch nach Datum der Gewährung in der Auflistung von 1655 verzeichnet. Im Durchschnitt betrug die Höhe des Kredites die nicht unbedeutende Summe von 3.350 fl.90. Die höchste Anlage in unserem Verzeichnis – diejenige von Kardinal Pázmány mit 100.000 fl. – ist schon erwähnt worden; die niedrigste Anlage belief sich dagegen auf 50 fl., was aber nur zwei Mal vorkam. Sonst lag der Mindestbetrag bei 100 fl.. Bei jedem Eintrag finden sich ähnliche Informationen: der Name des Gläubigers, die Summe des angelegten   Hildprandt war Balthasar Thurners Vorgänger als Einnehmer.   Zum Vergleich: Ab dem zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts wurden Schuldscheine mit Werten über 2.000 fl. häufiger in der benachbarten Steiermark. Khull-Kholwald, Der Adel (wie Anm. 6) 138. 89 90

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Kapitals, der Zinssatz und das Datum der Anlage. Für etwa die Hälfte der betreffenden Zeitspanne finden wir zudem die Anzahl der Jahre, in denen keine Zinsen bezahlt wurden, sowie die Summe der angehäuften Zinsen. Diese Informationen sind durchwegs für die Jahrgänge zwischen 1618 und 1629, dann wieder für 1635 und 1636, sowie für einen Teil der Jahre 1634 und 1637 vorhanden. Sonst fehlen sie ohne erklärlichen Grund. In diesen Fällen ist es immerhin möglich, dass keine Zinsrückstände existierten. Ein typisches Beispiel aus dem Schuldenverzeichnis stellt der Fall von Anna Eppelin (Öppelin), dar, die am 26. Februar 1624 den Ständen 3.000 fl. gegen 6 % Zinsen überließ (fol. 188v). Als das Schuldenverzeichnis dreißig Jahre später angelegt wurde, gab es einen Zinsrückstand für 13 Jahre. Zusätzlich zum Kapital schuldeten ihr die Stände daher 2.340 fl.. In manchen Fällen konnten die Rückstände im Vergleich zum Kapital viel bedeutender ausfallen oder sogar die Höhe der ursprünglichen Kapitalanlage übersteigen. Erzherzog Leopold Wilhelm (1614–1662) hatte am 1. Juli 1635 4.500 fl. zu 6 % den Ständen dargeliehen und seither gar keine Zinsen erhalten (fol. 236v). Der Rückstand betrug deshalb 5.400 fl., also 900 fl. mehr als die ursprüngliche Anlage. Derzeit ist nicht geklärt, wie es zu den Zinsrückständen kam. Naheliegend ist, dass sie auf die kriegsbedingten Lasten sowie wirtschaftlichen Verluste und unzulängliche Verwaltungsstrukturen, aber vielleicht auch auf Misswirtschaft oder aber fallweise politische Rücksichten zurückgingen. Hinter den Schwierigkeiten in der ständischen Geschäftsgebarung, die in den 1630er Jahren offensichtlich wurden, stand jedenfalls die Verdreifachung der Schuldenlast nach 1620. In der Folge setzten sich eine 1631 ins Leben gerufene Kommission und später ein Sonderausschuss mit der Lage auseinander91. Ein Ergebnis dieser Bemühungen war die Berufung Philipp Jacob Carls, des bisherigen Zapfenmaßeinnehmers, in das Einnehmeramt. Im Vorfeld hatte er nämlich auf Ersuchen des Ausschusses eine Reihe von Reformvorschlägen ausgearbeitet, wie die unglaublichen Confusionen in den Finanzen behoben werden könnten92. In wieweit Reformen umgesetzt wurden, ist zwar nicht klar, der ständische Kredit belebte sich aber nach einem Tiefpunkt 1637 wieder. Wer waren und woher kamen die ständischen Geldgeber in räumlicher Hinsicht? Die Verfasser des Schuldenverzeichnisses gaben zwar den Wohnort von Personen nicht an, bei den zahlreichen Klostervorstehern und institutionellen Gläubigern ist die räumliche Verortung allerdings meistens offenbar. Beispiele wären Reinmerius Abbt zu Mölckh [Melk] (fol. 234v), das Bürgerspital alhier in Wien (fol. 183v), und Richter und Rath zu Schottwien (fol. 191r). In unserem Verzeichnis kommen Standesbezeichnungen und Adelsprädikate nicht immer vor, selbst bei einem hochrangigen Gläubiger wie Herrn Melchior Khlesl (fol. 199r) (1552–1630), dem Kardinal und ehemaligen leitenden Minister. Wegen der Landesbezogenheit ständischer Kreditsysteme dürfen wir beim Großteil der Kreditgeber davon ausgehen, dass ein Wohnort im Land unter der Enns oder zumindest eine Verbindung dorthin gegeben war. Dabei ist aber auch die besondere Situation des Erzherzogtums zu bedenken: Die Hauptstadt Wien war gleichzeitig Residenzstadt einer großen, zusammengesetzten Monarchie, während Niederösterreich selbst geographisch zentral zwischen Oberösterreich, der Steiermark und den böhmischen und ungarischen Länderkomplexen lag. Wir können daher annehmen, dass das Kreditsystem eine zumindest beschränkt grenzüberschreitende Sogwirkung entfaltete. 91  Alfred F. Pribram, Die niederösterreichischen Stände und die Krone in der Zeit Kaiser Leopold I. MIÖG 14 (1893) 589–652, hier 601. 92  NÖLA, StA, B-7, Nr. 27, fol. 5r–8r: Guetachten o. D. von Philipp Jacob Carl.



Kaiserliche Kriegsfinanzierung und ständische Kreditvermittlung 199

Die Frage nach der Herkunft der ständischen Gläubiger hat aber auch eine soziale Dimension – wer war willens und in der Lage, den Ständen Kapital zu leihen? Dieser Aspekt kann nicht losgelöst von den in starkem Wandel begriffenen wirtschaftlichen und sozialen Strukturen sowie politischen Gegebenheiten des Landes und der Monarchie betrachtet werden. Eine längerfristige Entwicklung, der fortschreitende Niedergang der Städte Niederösterreichs, wurde durch den Dreißigjährigen Krieg beschleunigt. Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts fand nämlich eine „Verschiebung der wirtschaftlichen Gewichte vom stadtbürgerlichen zum grundherrschaftlichen Sektor“93 statt. Die Auswirkungen des Krieges ab 1618 führten schließlich zum weitgehenden wirtschaftlichen Verfall der landesfürstlichen Städte und Märkte außerhalb Wiens und daher zum Schwund wohlhabender bürgerlicher Schichten94. Dabei spielte auch die katholische Konfessionalisierung, die gegen Ende des 16. Jahrhunderts einsetzte und unter Kaiser Ferdinand II. dominant wurde, eine Rolle; bewirkte sie doch durch Auswanderung und Zwangsverkäufe einen Elitenaustausch nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land. Adelige und bürgerliche Trägergruppen des konfessionellen Wandels profitierten dabei auf vielfältige Weise. Große Gewinne auf dem fluktuierenden Gütermarkt, aber auch die Teilnahme am Münzkonsortium der 1620er Jahre gehörten dazu. Dabei zeigten der evangelische Adel und das Bürgertum der Stadt Wien freilich eine gewisse Beharrungskraft. Im Gegensatz zu den Ereignissen in Innerösterreich wurde der evangelische niederösterreichische Adel nicht des Landes verwiesen, sofern er sich loyal verhielt. Einschließlich der Gewissensfreiheit behielt er manche Freiräume. Darum gab es noch um die Jahrhundertmitte zahlreiche evangelische adelige Familien; einige davon waren auch in den Landständen noch präsent. Trotz der zunehmenden Verdrängung durch den Adel und die Vertreibung lutherischer Stadtbewohner überlebte in Wien ein vergleichsweise bemitteltes Bürgertum dank des Weinbaus. Bis in den 1640er Jahre gab es zudem eine kleine, finanzkräftige Kaufmannschaft, an deren Spitze Großkaufleute standen wie etwa Lazarus Henckel von Donnersmarck († 1624), zeitweise einer der großen Kreditgeber der Hofkammer, die den Nürnberger und Augsburger Bank- und Handelshäusern durchaus Konkurrenz machen konnten95. Im Schuldenverzeichnis von 1655 treten manche Personen und Institutionen mehr als einmal als Kreditoren auf, weshalb deutlich weniger als tausend Einzelpersonen bzw. Institutionen ihr Kapital bei den Landständen anlegten. Mehr als ein Fünftel der insgesamt 1.164 Geldanlagen – 253 Fälle oder 22 % – gingen dabei auf Frauen bzw. Frauenkonvente zurück. Diese Zahl ist mit dem Prozentsatz von Frauen vergleichbar (24 %), die 1635 in der Steiermark zur Zahlung des Interessensguldens, einer Steuer auf Zinseinkünfte, verpflichtet waren96. Im Einklang mit den auch sonst spärlichen Angaben zu den einzelnen Geldgebern erscheinen bei verheirateten Frauen meistens keine Geburtsnamen, 93   Landsteiner, Wiederaufbau (wie Anm. 20) 158. Im Allgemeinen siehe Adel im Wandel. Politik – Kultur – Konfession 1500–1700, hg. von Herbert Knittler (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums N. F. 251, Wien 1990). 94   Landsteiner, Wiederaufbau (wie Anm. 20) 173–175. 95   Landsteiner, Wiederaufbau (wie Anm. 20) 165f.; Andreas Weigl, Residenz, Bastion und Konsumhauptstadt. Stadtwachstum und demographische Entwicklung einer werdenden Metropole, in: Wien im Dreißigjährigen Krieg. Bevölkerung–Gesellschaft–Kultur–Konfession, hg. von dems. (Wien–Köln–Weimar 2001) 33, 42, 50f.; Roman Sandgruber, Zur Wirtschaftsentwicklung Niederösterreichs im 16. und 17. Jahrhundert. UH 45 (1974) 210–221; Haselbach, Über finanzielle Zustände (wie Anm. 60) 288. 96  Khull-Kholwald, Der Adel (wie Anm. 6) 180; vgl. auch Dickson, Finance and Government (wie Anm. 24) 2 303.

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was ihre Identifizierung erschwert97. Die größte Kreditorin war die schon erwähnte Freiin Anna Maria Breunner. Mit 50.000 fl. im Jahr 1640 (fol. 252r) stand sie an vierter Stelle unter den bedeutendsten Gläubigern. Unmittelbar im Anschluss findet sich ebenfalls eine Frau: Die Äbtissin des Benediktinerstiftes Nonnberg im Hochstift Salzburg mit 44.150 fl. (fol. 209r). Eine große Anlage bei den Ständen hatte auch Barbara Gregorotzky, die Witwe eines niederösterreichischen Ritters, der 1620 als evangelischer Rebell geächtet worden war, aus einer ursprünglich kroatischen Aufsteigerfamilie. Als sie ihre Ansprüche auf die eingezogene Herrschaft ihres Mannes gegenüber der Hofkammer geltend machte, schien sie als Gläubigerin der Stände mit einer Summe von 20.000 fl. auf (fol. 188r)98. Die schon erwähnte Maria Furth, die auch einer neuen Ritterstandsfamilie zuzuordnen wäre, lieh 1623 ebenfalls 10.000 fl. (fol. 188r)99. Für das Jahr 1625 ist Maria Resch, über deren Herkunft nichts bekannt ist, mit 15.000 fl. verzeichnet (fol. 192v). Alle fünf Frauen gehörten zu den 89 bedeutendsten Geldgebern der Stände mit einem Kredit von mindestens 10.000 fl. Insgesamt fällt die Präsenz von Angehörigen der Stände unter deren Gläubigern ins Auge. Das damit vorhandene Eigeninteresse erhöhte letztendlich wohl die Sicherheit des Kreditsystems insgesamt. Im Jahr 1641 schossen etwa die einzelnen drei oberen Stände der Prälaten, Herren und Ritter korporativ jeweils 9.288 fl. (fol. 254v) vor. Zahlreiche Namen des etablierten Herrenstandes finden sich im Schuldenverzeichnis, zum Beispiel Auersperg, Althann, Breunner, Harrach, Herberstein, Losenstein, Polheim, Rappach, Sinzendorff, Starhemberg, Teufel, Traun, Trautson, Zelking, und Zinzendorf. Auch ein Angehöriger des ranghöchsten Geschlechts des niederösterreichischen Adels, Fürst Maximilian von Liechtenstein (1595–1655), war mit vergleichsweise bescheidenen 8.800 fl. darunter (fol. 233r), wiewohl die Erwartung bestand, dass Familien der Hocharistokratie unmittelbar der kaiserlichen Hofkammer Kredit gewährten, basierend auf der eigenen Kreditfähigkeit als Inhaber großer Ländereien, deren Besitz sie zum Teil der Dynastie verdankten. Weniger augenfällig auf der Liste der ständischen Kreditoren waren dagegen Vertreter des Ritterstands, ein Umstand, der sich zum Teil einerseits durch die weniger bekannten Namen der betreffenden Familien, andererseits durch die häufig fehlenden Adelsbezeichnungen erklären lässt. Unter den Ritterstandsfamilien wären neben Gregorotzky etwa die Namen Fernberger, Geyer, Heysperg, Kaiserstein, Kornfail, Mamming und Spindler zu nennen. Im Gegensatz zu Böhmen besaß das Erzherzogtum unter der Enns eine ungewöhnliche Dichte an bedeutenden Klöstern, die zudem im Prälatenstand stark vertreten waren. Vor allem die großen Stifte in Wien und Umgebung waren unter den ständischen Kreditoren sehr präsent. Nur Bernhard Waitz (1590–1643), Propst des Augustinerchorherrenstiftes Klosterneuburg, und David Gregor Corner (1587–1648), der Abt des Benediktinerstiftes Göttweig, waren indessen unter den 24 größten Geldgebern mit einer Anleihe von mehr als 20.000 fl. zu finden. Mit zwei großen Krediten im Jahr 1631, die insgesamt mehr als 70.000 fl. ausmachten und die vor dem Hintergrund seiner Bemühungen, den Vorsitz im Prälatenstand zu erlangen, gesehen werden müssen, gehörte Waitz zu den

  Eine Ausnahme bildete Anna Schleglin geborne Haffner (fol. 198v).   Franz Karl Wissgrill, Schauplatz des landsässigen Nieder-Oesterreichischen Adels vom Herren- und Ritterstande (Wien 1797) 3 387. 99  Ebd. 3 189. 97 98



Kaiserliche Kriegsfinanzierung und ständische Kreditvermittlung 201

Spitzengläubigern (fol. 227v)100. Unter der Gruppe von 89 Gläubigern, die mindestens 10.000 fl. zur Verfügung stellten, finden sich neben Klosterneuburg und Göttweig auch die Kartause Mauerbach im Wienerwald (fol. 209r), das schon erwähnte Kloster Sankt Dorothea in Wien (fol. 235v) und das Augustinerchorherrenstift St. Pölten (fol. 259r). Die Vorsteher des Benediktinerstiftes Melk, des Benediktinerstiftes zu den Schotten in Wien, des Augustinerchorherrenstiftes Herzogenburg, der Zisterzienserstifte Heiligenkreuz bzw. Neukloster in Wiener Neustadt und des Augustinerchorherrenstiftes St. Andrä an der Traisen fungierten ebenfalls als Geldgeber. Nur einmal findet man dagegen einen institutionellen Vertreter des „vierten Standes“ der landesfürstlichen Städte und Märkte auf der Liste der 89 Einzelkredite über 10.000 fl. Für das Jahr 1630 scheint nämlich Wiener Neustadt mit einem Kapital von 18.666 fl. (fol. 218r) auf. Die Stadt Wien allerdings legte mehrmals kleinere Beträge bei den Ständen an. Die finanzschwachen Städte und Märkte Niederösterreichs tauchen erwartungsgemäß nur vereinzelt auf. Das Schuldenverzeichnis von 1655 weist zwar zahlreiche Gläubigernamen aus, die sich nicht bekannten Adelsfamilien, Geistlichen, Amtsträgern, Institutionen oder sonstigen Kreditgebern zuordnen lassen, darunter sind einzelne bürgerliche Kreditgeber aber schwer zu erkennen. Eine Ausnahme bildet der Wiener Honig- und Zwetschkenhändler Emerich Fockhy († 1636) (fol. 199v, 219r), der gleich zwei der 89 Einzelkredite über 10.000 fl. gewährte. Mehr als ein halbes Jahrhundert später sollte sein Sohn Wiener Bürgermeister werden. Unter den größten Gläubigern auf der Liste der 24 Einzelkredite über 20.000 fl. lässt sich nur ein einziger Name (Christoph Zollikofer, fol. 269r) sozial nicht zuordnen, während das bei 19 von den 89 Einzelkrediten über 10.000 fl. der Fall ist. Dass ein gewisser bürgerlicher Wohlstand in Wien erhalten und die Kaufmannschaft ein Ansprechpartner für die ständischen Einnehmer blieb, spricht jedenfalls dafür, dass Bürgerliche einen wesentlichen Teil der unbekannten Namen im Schuldenverzeichnis – eventuell 10 % und mehr sämtlicher Kreditgeber – ausmachten. Bis um 1700 sollten dagegen bürgerliche Namen weitgehend aus den Listen der ständischen Kreditoren verschwinden101. Unter den institutionellen Gläubigern ist ein breites Spektrum im städtischen und kleinstädtischen Bereich feststellbar: nichtständische Klöster und geistliche Orden traten hier in Erscheinung. Einer der größten Kreditgeber war das Wiener Dominikanerkloster, das im Jahr 1628 insgesamt 25.000 fl. in zwei Tranchen zur Verfügung stellte (fol. 203v–204r), und auch weitere religiöse Gemeinschaften der Stadt wie Minoriten oder Augustiner und die Frauenklöster Himmelpfort, St. Lorenz und St. Jakob auf der Hülben kommen vor. Die vom Herrscherhaus besonders geförderten Jesuiten waren ebenfalls unter den ständischen Kreditoren zu finden. Im Jahr 1633 schoss der Grazer Jesuitenrektor Johann Ruemer gleich 30.000 fl. vor (fol. 231v). Auch die Wiener Jesuiten scheinen mit 10.200 fl. auf (fol. 196v). Mit meisten relativ geringen Kreditsummen finden sich auf der Liste verschiedene Spitäler wie das Wiener Bürgerspital, das Wiener Lazaretthaus, das Hofspital zu Falkenstein und die Anstalten zu Oberhollabrunn und Innsbruck sowie Wiener Bruderschaften (Corpus Christi, Armenbruderschaft bei St. Michael)102. Wieder100  Ernst Bruckmüller, Das Stift im Land. Die öffentliche Funktion des Stiftes, in: 900 Jahre Benediktiner in Melk. Jubiläumsausstellung 1989, hg. vom Stift Melk (Melk 1989) 372–378, hier 375f. 101  Godsey, The Sinews of Habsburg Power (wie Anm. 24) 138, 148f. 102  Bruderschaften als multifunktionale Dienstleister der Frühen Neuzeit in Zentraleuropa, hg. von Elisabeth Lobenwein–Martin Scheutz–Alfred Stefan Weiss (VIÖG 70, Wien–Köln–Weimar 2018).

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holt gewährten das Armenhaus zu St. Marx bei Wien und die Universität Wien jeweils kleinere Kredite. Das Vorhandensein der Namen ständischer Amtsträger im Schuldenverzeichnis von 1655 spiegelt ihre Bedeutung in den Kreditnetzwerken des Landes wider. Unter ihnen waren gleich vier Landmarschälle der Zeit des Dreißigjährigen Krieges: Seifried Christoph Freiherr von Breunner (1569–1651), Sigmund Adam Freiherr von Traun (1573–1637), Graf Johann Franz Trautson (1609–1663) und Graf Georg Achaz Losenstein (1597– 1653). Nach ihrer Zeit im Landhaus übernahmen jeweils Breunner und Trautson als Statthalter die Regierung Niederösterreichs. Überdies galt der kaiserliche Vertrauensmann Breunner als herausragender Finanzfachmann, der in den 1620er Jahren für die Gründung einer österreichischen Wechselbank nach italienischem Vorbild eintrat103. Losensteins Nachfolger in der Zeit nach 1648, Ernst Freiherr von Traun (1608–1668), ein Sohn Sigmund Adams, wurde schon in den 1640er Jahren als kaiserlicher Offizier Kreditgeber der Stände. Als amtierender Landuntermarschall gewährte Hans Rupprecht von Hegenmüller († 1633) den Ständen ein Darlehen von 15.000 fl. (fol. 215v). Diverse Verordnete sowie fünf ständische Einnehmer – Martin Hildprandt, Balthasar Thurner, Heinrich Khielmann, Johann Chrysostomus Wening und Carl Perger – bzw. deren Angehörige oder Erben lassen sich ebenfalls auf der Liste erkennen. All diese Amtsträger investierten beträchtliche Summen in die ständische Kassa, die sie selbst verwalteten bzw. verwaltet hatten. Der evangelische Adel, der sich von seinen katholischen Verwandten im Herren- und Ritterstand nicht konsequent trennen lässt, spielte als Finanzquelle ebenfalls eine Rolle. Noch um 1648 dürfte etwa ein Drittel des ständischen Adels evangelisch gewesen sein. Zuletzt hat die Forschung zeigen können, dass der im Land gebliebene evangelische Adel trotz des konfessionspolitischen Drucks kein abgeschottetes Dasein fristete, wie früher angenommen, sondern sich gut vernetzt innerhalb der Adelswelt bewegte104. Das im Schuldenverzeichnis ersichtliche Kreditwesen der Landstände ist dafür gewissermaßen exemplarisch. Außer bei den eindeutig katholischen Institutionen und einigen noch zu erwähnenden Ausnahmen enthalten die Schuldeneinträge keine Hinweise auf die Konfession, und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass Schulden nach derartigen Gesichtspunkten bedient wurden. Einiges deutet darauf hin, dass gute Kontakte sogar die Anerkennung von Ansprüchen bewirken konnten, die aus dem umstrittenen Schuldenwesen der evangelischen Stände vor 1620 herrührten. So schlug etwa 1642 eine Forderung der Erben Sigmund Adams von Traun zu Buche in Abschlag der jenigen, von denen N.Ö. der Augspurgerischen Confession zuegethanen Löb. Herren Stendt bei gesambter Löb. N.Ö. Landschafft angewiesenen 9.000 fl. Traun war nämlich ein Konvertit, der es unter Ferdinand II. bis zum Landmarschall gebracht hatte105. Als das Kreditwesen Mährens am Boden lag, gelang der schon erwähnten Anna Maria Breunner, die später zu den bedeutendsten Geldgeberinnen der Stände Niederösterreichs gehörte, 1624 das Kunststück, eine mährisch-ständische Ob103 Albert Starzer, Beiträge zur Geschichte der niederösterreichischen Statthalterei. Die Landeschefs und Räthe dieser Behörde von 1501 bis 1896 (Wien 1897) 233; Carl Schwabe von Waisenfreund, Versuch einer Geschichte des österreichischen Staats-, Credits- und Schuldenwesens (Wien 1860/1866) 2 69. 104 Arndt Schreiber, Adeliger Habitus und konfessionelle Identität. Die protestantischen Herren und Ritter in den österreichischen Erblanden nach 1620 (MIÖG Ergbd. 58, Wien–München 2013). 105   NÖLA, StA, B-7, Nr. 28, fol. 7r: Extract, was auf die 1642. Jährige Güldt- und Underthonnengebürnüßen vor Partheyen, auf Ihrer Gnd. der Herren Verordneten Bevelch seint assignirt und verwiesen worden. Zum Schuldenwesen der evangelischen Stände siehe Schreiber, Adeliger Habitus (wie Anm. 104) 113f.



Kaiserliche Kriegsfinanzierung und ständische Kreditvermittlung 203

ligation im Wert von 36.000 fl., die zweifellos aus der Zeit vor 1620 stammte, gegen eine niederösterreichisch-ständische einzutauschen106. Dabei war sie eine „notorische“ Protestantin – zugleich jedoch eine Schwester des kaiserlichen Obersthofmeisters, Graf Maximilian Trauttmansdorff (1584–1650). Kaiser Ferdinand III. nahm es ihr besonders übel, dass sie an ihrem angestammten Glauben festhielt und damit in den Augen des Kaisers ihrem Bruder schadete. Als sie 1642 starb, kommentierte der Kaiser dies mit dem Satz, sie sei „ad diabolos gangen“107. Auch Vertreter weiterer prominenter evangelischer Adelshäuser ließen es sich nicht nehmen, Kapital bei den Ständen anzulegen. Die Jörger, Windisch-Graetz und Hardegg beispielsweise streckten immer wieder größere Summen vor. Im Jahr 1640 vermittelten die Stände einen großen Bargeldkredit von 33.000 fl. des Lutheraners Otto Freiherrn von Teufel (1589–1673) zu vorstehendter Hungarischer Gräniz Bezahlung108. Selbst die noch bestehende Körperschaft der Löb. Evangelischen Stendt bzw. Löb. N.Ö. Landtstendt Augspurg. Confession trat mindestens zweimal als Kreditgeberin in Erscheinung. 1628 gewährte diese Gruppe der ständischen Kassa einen Kredit von 3.000 fl. (fol. 204r), elf Jahre später einen größeren von 6.082 fl. (fol. 250r). Schließlich spielten führende Amtsträger des habsburgischen Hofes und der Verwaltung als Geldgeber der niederösterreichischen Stände eine Rolle, befand sich doch das Landhaus mit seiner Kassa unweit der Hofburg innerhalb der Wiener Befestigungsmauer. Es ist sogar möglich, dass Kaiser Ferdinand II. selbst über einen Kredit an die Stände eine Geldsumme absicherte: Sein Kammerschatzmeister Nikolaus Edler von Gurlandt († 1648) legte im Jahr 1627 91.333 fl. bei den Landständen an (fol. 199v), was selbst für einen erfolgreichen Aufsteiger wie Gurlandt eine äußerst ansehnliche Summe darstellte109. Sie bildet den zweithöchsten Betrag im Schuldenverzeichnis und übertrifft bei weitem die dritthöchste Einzelanleihe, nämlich diejenige des ehemaligen kaiserlichen Obersthofmeisters und niederösterreichischen Statthalters, Leonhard Helfried Graf Meggau (1577–1644), der den Ständen im Jahr 1638 58.038 fl. lieh (fol. 246r). Ein Vorgänger Meggaus im Amt des Obersthofmeisters, Hans Ulrich Fürst Eggenberg (1568–1634), gab den Ständen ein weniger beträchtliches Darlehen von 16.400 fl. (fol. 216r). Die zwei in der Liste verzeichneten Kapitalanlagen mit einem Gesamtwert von 32.000 fl. (238r, 242r) des österreichischen Hofkanzlers Johann Baptist Graf Verdenberg († 1648) bildeten wohl nur einen Teil der ursprünglich von ihm den Ständen zur Verfügung gestellten Mittel110, war Verdenberg doch einer der großen Aufsteiger in einer Generation reich an Erfolgsgeschichten. Weiters sicherte nach dem Einfall der Schweden in Böhmen im Jahr 1639 der böhmische Kanzler Graf Wilhelm Slawata (1572–1652) einen Teil seines Vermögens über einen Kredit an die niederösterreichischen Stände (fol. 249v). Im Jahr 1647 schoss seine Schwiegertochter Franziska Slawata (1610–1676), eine geborene Meggau, den Ständen mehr als 9.000 fl. vor (fol. 271v). Das geschah zu einer Zeit, als sie schon Obersthofmeisterin des jungen Erzherzogs Leopold (1640–1705), des späteren Kaisers, war111. 106   NÖLA, StA, B-7, Nr. 24, fol. 368r: Verordnete an Balthasar Thurner, 7. November 1624. Für die Übertragbarkeit ständischer Schuldscheine in dieser Zeit siehe Khull-Kholwald, Der Adel (wie Anm. 6) 64. 107   Höbelt, Ferdinand III. (wie Anm. 77) 116 (Zitat), 233. 108   NÖLA, StA, B-7, Nr. 28, fol. 79r: Verordnete an Johann Chrysostomus Wening, 14. August 1640. Dieser Kredit findet sich nicht im Schuldenverzeichnis von 1655. 109  Gurlandt wurde 1629 in den Ritterstand aufgenommen, siehe Wissgrill, Schauplatz (wie Anm. 98) 3 456f. 110  Landsteiner, Wiederaufbau (wie Anm. 20) 178f. 111 Katrin Keller, Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts (Wien–Köln–

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Obligationen der Stände hielten jedoch auch weniger herausragende Repräsentanten des Wiener Hofes und der landesfürstlichen Regierung. Zwei kaiserliche Leibärzte, Wilhelm Rechberger († nach 1637) im Jahr 1622 (fol. 185v) und Gisbert Voß († nach 1629) im Jahr 1627 (fol. 198v) gehörten dazu. Im Falle Rechbergers war die Summe derart beträchtlich, dass die Frage wieder im Raum steht, ob er die Investition im Auftrag eines Dritten tätigte. Als Jude und Hoffaktor war David Fränkhl eher eine Ausnahmeerscheinung unter den ständischen Kreditgebern. Allerdings hielt sich sein finanzielles Engagement mit lediglich 200 fl. in Grenzen (fol. 231v)112. Als der niederösterreichische Regierungsrat Joachim Enzmilner (1600–1678) im Jahr 1646 2.000 fl. bei den Ständen anlegte (fol. 268v), lag seine Karriere als Generalkommissar für die Umsetzung der katholischen Reform in Teilen Ober- und Niederösterreichs und sein Aufstieg zum Grafen von Windhaag noch in der Zukunft113. Als Syndikus der oberösterreichischen Stände hatte dieser Sohn eines schwäbischen Schulmeisters zu Beginn seiner Laufbahn die ständische Geschäftsgebarung jedoch bereits von innen kennengelernt. Kaiserliche Offiziere wie etwa Franciscus de Couriers († nach 1628) (fol. 205r) oder die oben erwähnten Adam und Ernst Freiherren von Traun liehen den Ständen Geld, wurden im Schuldenverzeichnis aber nicht als Militärs gekennzeichnet. Dennoch offenbaren die Quellen immer wieder Zusammenhänge zwischen den ständischen Finanzen und Militärkarrieren niederösterreichischer Adeligen. So schossen 1642 drei Ständemitglieder (Hans Cyriac Freiherr von Traun (1599–1652), Nikolaus von Gurlandt und der ehemalige Einnehmer Philipp Jacob Carl von Carlshofen) die nötigen Mittel vor, damit die Stände die dem Hof versprochene Rekrutierung von 750 Mann zu Fuß finanzieren konnten114. Die vier für diese Truppen vom Hofkriegsrat bewilligten Hauptleüth gehörten wiederum dem ständischen Adel an115. In diesem Fall spielten die Landstände eine Vermittlerrolle nicht nur in Hinblick auf die Aufbringung von Kredit, sondern auch für die Bereitstellung von Offizieren und Mannschaft. Wie manche Fälle schon angedeutet haben, stellten Kredite von außerhalb Niederösterreichs keine Ausnahme dar. Dass mindestens 20 % der Darlehen über 20.000 fl. (5 von 24) aus anderen Ländern stammten, dürfte dagegen ein Zufall sein, der für das Gesamtbild nicht typisch ist. Dass der ungarische Primas Kardinal Pázmány den höchsten Kredit zur Verfügung stellte, ist dennoch bezeichnend, denn durch seine Zuständigkeit für die Raaber Militärgrenze war das Land unter der Enns mit dem benachbarten Königreich auf institutionalisierte Weise verbunden. Das wird wohl eine Rolle dafür gespielt haben, dass aus dem nahen Ungarn Darlehensgelder in die niederösterreichische ständische Kassa einkamen. Im Jahr 1630 legte etwa der Stadtrat der westungarischen Stadt Ödenburg/Sopron, eine Summe von 5.400 fl. an (fol. 220v). Der spätere ungarische Palatin, Graf Paul Pálffy († 1653), dessen Familie eine Schlüsselrolle in der Sicherung der habsburgischen Herrschaft in Ungarn spielte, war ein bedeutenderer Kreditgeber, als das Schuldenverzeichnis es vermuten lässt. Obwohl er hier mit nur einer kleinen Anleihe aus dem Jahr Weimar 2005) 318. 112   Durch eine Kreditvereinbarung mit den ständischen Verordneten wirkten zwei andere Hofjuden, Zacharias Mayr und Jacob Fränkl, an der Versorgung der Grenzverteidigung in Ungarn mit: NÖLA, StA, B-7, Nr. 28, fol. 76r: Verordnete an Johann Chrysostomus Wening, 27. Juli 1640. 113  Enzmilners Darlehen an die Stände fielen insgesamt deutlich höher als die genannte Summe aus, siehe Schopf, Die im Zeitraum von 1620–1740 erfolgten Neuaufnahmen (wie Anm. 88) 362. 114  NÖLA, StA, B-7, Nr. 28, fol. 185r: Verordnete an Johann Chrysostomus Wening, 12. März 1642. 115  Ebd. fol. 187r: Verordnete an Johann Chrysostomus Wening, 26. März 1642.



Kaiserliche Kriegsfinanzierung und ständische Kreditvermittlung 205

1634 vertreten ist (fol. 233r), offenbaren die Geschäftsunterlagen des ständischen Einnehmers Johann Chrysostomus Wening, dass Pálffy 1641 den Ständen 7.000 fl. überließ116. Hinter dem an einen Gelehrten erinnernden Name Virgilius Beccaria steckt schließlich ein ungarischer, ursprünglich aus der Lombardei stammender Handelsmann in der Festungsstadt Raab/Győr. Die 20.500 fl., die ihm die niederösterreichischen Stände seit 1630 schuldeten (fol. 216r), dürften durchaus mit der Grenzsicherung verbunden gewesen sein. Beccaria kann damit stellvertretend für die beeindruckende Vielfalt der ständischen Kreditgeber stehen, die sowohl adelige Hofleute, Amtsträger in den Zentral- und Landesbehörden und kaiserliche Offiziere, aber eben auch religiöse Gemeinschaften, städtische Einrichtungen und Kaufleute, Frauen, Lutheraner, Juden, „Landfremde“ und sonstige Kapitalbesitzer umfasste.

7. Schluss Trotz der extremen kriegsbedingten Belastung brach das Kreditwesen der niederösterreichischen Stände nicht zusammen. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren nahm die landständische Kassa unter der Leitung des neu ernannten Einnehmers Carl Perger weiterhin Anlagegelder auf – zu einer Zeit, als die österreichischen Erblande zum ersten Mal vor der Herausforderung standen, ein stehendes Heer in Friedenszeiten außerhalb der Grenzfestungen zu unterhalten. Für die Machthaber war eine wichtige Lehre aus dem Dreißigjährigen Krieg, dass bei zunehmender Größe und Dauerhaftigkeit der Armee die niederösterreichischen Landstände eine beständige Kreditquelle bildeten. Es war daher nur folgerichtig, dass die Persönlichkeit, die sich schon als Österreichs erster Generalkriegskommissar und „Schöpfer“ des stehenden Heeres große Verdienste erworben hatte, der bereits als Kreditgeber der Stände erwähnte Ernst Freiherr von Traun, 1651 von Ferdinand III. zum niederösterreichischen Landmarschall berufen wurde. Seine Aufgabe bestand nicht zuletzt darin, die Stände in die weitere Erhaltung des Militärs einzubinden117. Als Angehöriger einer führenden Familie des Herrenstands im Erzherzogtum brachte Traun zudem eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg seiner Arbeit mit, denn nur durch Kompromisse zwischen dem Wiener Hof und den regionalen Eliten konnte letztendlich eine tragfähige Lösung gefunden werden. Um die Stände für die finanzielle und organisatorische Mittlerfunktion, die sie hinkünftig in verstärktem Maße spielen sollten, zu wappnen, mussten die Kriegsschäden einschließlich der Schuldenlast möglichst schnell überwunden werden. Eine Reihe von entsprechenden Reformen geht auf die Amtszeit Trauns zurück. Im Jahr seiner Ernennung wurden die ständischen Schulden mit einem Moratorium belegt und die frühere Wirtschaftskommission wiederbelebt. 1655 erfolgte der Abschluss der in diesem Beitrag besprochenen Schuldenerfassung. Eine neue Instruktion für die geschäftsführenden Verordneten, die deren Rechte und Pflichten in Hinblick auf das ständische Kreditwesen näher umschrieb, wurde im Jahr 1656 beschlossen118. Als Traun 1668 mit dem Wechsel vom Landmarschallamt zum Hofkriegsratsvizepräsidenten den nächsten Karriereschritt 116   Ebd. Nr. 28, fol. 145r: Ungefährlicher Extract. Waß für Anticipationen Ich, Einnehmber, innerhalb 9 Monaten an baaren geldt und Interponirung meines Credits erhandelt und dargeben, 1. August 1641. 117 Philipp Hoyos, Die kaiserliche Armee 1648–1650, in: Der Dreißigjährige Krieg (Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien 7, Wien 1976) 169–231, hier 205–207 (Zitat). 118  Godsey, The Sinews of Habsburg Power (wie Anm. 24) 79.

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machte, hob Kaiser Leopold I. die wohl größte Errungenschaft seines Wirkens im Landhaus hervor. In einem Dekret an die Stände drückte der Herrscher nämlich sein gnedigstes Wohlgefallen aus, dass unter Traun etliche Millionen an Ihren Schuldten Last in Capital undt Interessen abgetragen werden konnten119. Zwischen 1651 und 1667 hatte sich die ständische Schuldenlast nämlich um etwa 65 % verringert – von 7,643.869 fl. auf 2,794.858 fl.120. Damit näherte sich die Schuldenlast allmählich wieder dem Vorkriegsstand an. Erst im Laufe der langen Kriege gegen Ende des Jahrhunderts würde sie wieder zu steigen beginnen, um in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dann bisher ungeahnte Höhen zu erreichen.

119  NÖLA, Ständische Bücher, 531, fol. 178r–179v: Hofdekret an die oberen zwei politischen Stände, 22. Februar 1668. 120  NÖLA, StA, A-5, Nr. 14, Kart. 2, fol. 343r: Extract, 28. Jänner 1668.



„Ist die Bauernrebellion wieder mit Macht ausgebrochen“. Soziale Unruhen in den österreichischen Ländern Martin P. Schennach

1. Einleitung Der Dienst in der Landmiliz war im 17. Jahrhundert bei den betroffenen Untertanen – und dieser Befund lässt sich wohl generalisieren1 – ein unbeliebter: Dies galt nicht nur für das konkrete Aufgebot, drohte im Einsatz doch Gefahr für Leib wie Leben und war die mangelhafte Versorgung im Feld der Regelfall, sondern ebenso für das allenfalls vorbereitend vorgesehene, regelmäßige Exerzieren2. Die Unbeliebtheit korrelierte mit der Vielfältigkeit des Widerstands- und Protestverhaltens. Insofern erweisen sich die Vorgänge im Tiroler Gericht Hörtenberg im Innsbrucker Umland im Jahr 1624 als repräsentativ3. Als der Befehl zum Aufgebot erging, verschafften sich 19 Zirler Untertanen gewaltsam Zugang zum Haus des dortigen Gerichtsanwalts, legten demonstrativ die für das Aufgebot 1   Vgl. zu den Landesaufgeboten allgemein Michael Hochedlinger, Der gewaffnete Doppeladler. Ständische Landesdefension, Stehendes Heer und „Staatsverdichtung“ in der Frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie, in: Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, hg. von Petr MaŤa–Thomas Winkelbauer (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 24, Stuttgart 2006) 227–231; Winfried Schulze, Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17. Jahrhundert, in: Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit, hg. von Johannes Kunisch (Historische Forschungen 28, Berlin 1986) 129–149; Helmut Schnitter, Volk und Landesdefension. Volksaufgebote, Defensionswerke, Landmilizen in den deutschen Territorien vom 15. bis zum 18. Jahrhundert (Militärhistorische Studie N. F. 18, Berlin [Ost] 1977), 139–142; konkret zum im Folgenden behandelten Tirol Martin P. Schennach, Tiroler Landesverteidigung 1600–1650. Landmiliz und Söldnertum (Schlern-Schriften 323, Innsbruck 2003); nur am Rande den Untersuchungszeitraum berührend Winfried Schulze, Landesdefension und Staatsbildung. Studien zum Kriegswesen des innerösterreichischen Territorialstaates (1564–1619) (VKNGÖ 60, Wien–Köln–Graz 1973); zu den österreichischen Ländern schon Hermann Meynert, Geschichte des Kriegswesens und der Heeresverfassung in Europa, Bd. 3: Die Zeit des dreissigjährigen Krieges (Wien 1869) 36–43; zur Vorarlberg Miliz im Dreißigjährigen Krieg siehe Heribert Küng, Vorarlberg im Dreißigjährigen Krieg von 1632 bis 1650, Bd. 2 (Diss. Innsbruck 1968) 276, 284, 336, 355–363, 381f., 386. 2  Das dem Titel vorangestellte Zitat ist (leicht normalisiert) einem Brief Franz Christoph Khevenhüllers an Kaiser Ferdinand II. vom 7. September 1632 entnommen, vgl. Albin Czerny, Bilder aus der Zeit der Bauern­ unruhen in Oberösterreich 1626, 1632, 1648 (Linz 1876) 195; ganz ähnlich (ohne „wieder“) die Wiedergabe bei Franz Christoph von Khevenhüller, Annales Ferdinandei. Zwölffter und letzter Theil […] (Leipzig 1726) 265. 3  Vgl. hierzu TLA, Geheimer Rat, Zuzugs- und Defensionswesen, Position 6, 1624 Nov. 30.

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ausgehändigten Waffen nieder und verweigerten kollektiv den Gehorsam. Die Aktion war offensichtlich schon Tage vorher geplant worden. Der von der Obrigkeit als Rädelsführer identifizierte Georg Tegen hatte im Vorfeld nit allain wider die oberkhait bese röden verlauten lassen, sondern etliche seiner mitconsorten zu sich gezogen, denselben auf offner gassen zue­ gemueth, das sy ine mit mundt und handen zuegesagt, bei ime zu steen und zu bleiben. Eine Eskalation war nur deshalb ausgeblieben, weil gleichsam in letzter Minute doch noch vom Erlass des Aufgebots abgesehen worden war und der Ungehorsam der Zirler daher nicht so ins Gewicht zu fallen schien. Dennoch nutzte Erzherzog Leopold von Tirol die Gelegenheit, den zuständigen Pfleger zurechtzuweisen, der den Vorfall nicht nach Innsbruck gemeldet, sondern sich mit einer Ermahnung der Ungehorsamen begnügt hatte. Ein derartig lasches Vorgehen sei nicht akzeptabel, weil dergleichen truz und bese reden, daraus ganz beschwerliche consequenzen zu befahren, ungestraft nit nachzusehen, sonnder gebierende demonstration und notwendigs exempl zu statuiern sonnderlich vonneten. Den aufrührerischen Georg Tegen hätte der Pfleger bei der ersten Gelegenheit gefangen setzen und genau nach Innsbruck berichten müssen. Man dürfe ihn auch nicht einfach so davonkommen lassen. Vielmehr sei er vom Pfleger vorzuladen, ihm das Sträfliche seines Verhaltens mit Nachdruck zu verdeutlichen und er etlich tag und nacht mit wasser und proth gefenkhlich gestraft werden4. Es handelte sich nicht um den letzten Fall von Widersetzlichkeit beim Aufgebot, und beim nächsten Mal wurde der Pfleger instruiert, wie er sich gegenüber ungehorsamen Untertanen zu verhalten habe5: Zunächst solle er versuchen, die Unwilligen mit gutem Zureden zu Einsehen und Gehorsam zu bringen; erst nach dem Scheitern einer solchen Vorgangsweise solle er die betreffenden Personen verhaften, mit andern oberkeitsmittln [gegen sie] firgeen und genauen Bericht an die Innsbrucker Regierung erstatten. Tatsächlich wurde dem Pfleger in gewisser Hinsicht die Quadratur des Kreises zwischen einem rigorosrepressiven Vorgehen und einer gütlichen Konfliktlösung auferlegt, sollte doch die oberste Direktive sein, doch die unterthanen bei guettem willen zu erhalten. Die Wiedergabe dieser auf den ersten und zweiten Blick unbedeutenden Episode mag in Anbetracht der Themenstellung irritieren, sie ist jedoch aus mehreren Gründen mit Bedacht gewählt. Denn wenn von „Unruhen“ in der Habsburgermonarchie während des Dreißigjährigen Krieges die Rede ist, werden die ersten Assoziationen vornehmlich den breitflächigen und herausragenden Aufständen in Oberösterreich 1626 und in der Untersteiermark sowie in Krain 1635 gelten, die in Anlehnung an die zeitgenössische Wahrnehmung wie in der Historiographie unter dem Etikett des „Bauernkriegs“ firmierten und firmieren6. Gerade die steirische landeshistorische Forschung neigt sogar zur Durchnummerierung der größeren ländlichen Erhebungen, wobei nach dieser Kategorisierung der Aufstand von 1635 als „vierter Bauernkrieg“ (nach jenen von 1515, 1525 und 1573)   TLA, Geheimer Rat, Zuzugs- und Defensionswesen, Position 6, 1624 Dez. 13.   Das Folgende samt den beiden Zitaten nach TLA, Geheimer Rat, Zuzugs- und Defensionswesen, Position 7, 1625 August 9. 6  Vgl. stellvertretend für andere nur Martin Scheutz, Ein tosendes Meer der Unruhe? Konflikte der Untertanen mit der Obrigkeit in Ostösterreich und angrenzenden Regionen vom Spätmittelalter bis zum Ende der Frühen Neuzeit, in: Die Stimme der ewigen Verlierer? Aufstände, Revolten und Revolutionen in den „österreichischen“ Ländern (ca. 1450–1815), hg. von Dems.–Peter Rauscher (VIÖG 61, Wien–München 2013) 67–118, hier 79 (zu Oberösterreich 1626), 91 (zur Untersteiermark 1635); Ernst Bruckmüller, Sozialgeschichte Österreichs (Wien 22001) 119–120 und 122; Hans Pirchegger, Die innerösterreichischen Bauernkriege, in: Ders., Ausgewählte Aufsätze. Zum 75. Geburtstage hg. vom Historischen Verein für Steiermark (Graz 1950) 119–142, hier 141. 4 5



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etikettiert wird7. Der einleitend geschilderte Vorfall soll demgegenüber programmatisch den Blick auch für kleinflächigere Unruhen weiten und die sich auch im Forschungsstand niederschlagende, starke Fokussierung auf die wenigen Großereignisse wenn nicht überwinden, so doch zumindest relativieren. Darüber hinaus wohnt regionalen und lokalen Widerständigkeiten des „gemeinen Mannes“ ein weiter reichendes Erkenntnispotenzial inne, nämlich möglicherweise Spezifika von Unruhen während des Dreißigjährigen Krieges eher greifbar werden zu lassen, als dies bei während des Untersuchungszeitraums auszumachenden „Bauernkriegen“ der Fall ist.

2. Zum Forschungsgegenstand Damit sind wir bereits bei einigen Anmerkungen zum Forschungsgegenstand angekommen. Der Betrachtungszeitraum ergibt sich aus dem Generalthema des Sammelbandes. Darüber hinaus soll an dieser Stelle auf das besondere Erkenntnisinteresse verwiesen werden, hinsichtlich der Motivationen und der Ausprägungen von Unruhen sowie der obrigkeitlichen Reaktionen darauf nach allfälligen Kontinuitäten zu den Jahrzehnten davor und danach zu fragen; ferner ist es ein Anliegen, wie angedeutet, mögliche Partikularitäten bei den Revolten des Dreißigjährigen Krieges herauszuarbeiten. Territorial sollen die österreichischen Erbländer, also der habsburgische Herrschaftskomplex unter Ausblendung Ungarns und seiner Nebenländer, behandelt werden. Diese Selbstbeschränkung ändert nichts daran, dass die Binnendifferenzierung der Herrschaftsstrukturen in den verschiedenen Ländern sehr ausgeprägt bleibt, was für Unruhephänomene von besonderer Bedeutung ist. Der ausführlichsten Erörterung bedarf sicherlich der schon in den Quellen aufscheinende Terminus „Unruhe“, der zwar – wie schon hinreichend von der Forschung herausgearbeitet8 – im Vergleich zu anderen, ebenfalls zeitgenössisch gebrauchten Begriffen wie „Sedition“, „Revolte“, „Rebellion“, „Aufruhr“ oder „Empörung“ den Vorteil hat, nicht von vornherein negativ konnotiert zu sein; im Unterschied zu möglichen kontemporären Synonymen spiegelt er somit nicht bereits sprachlich die obrigkeitliche, das Verhalten der Untertanen als Verbrechen etikettierende Sicht wider. Eine Problematik eint freilich alle angeführten Termini, nämlich ihre nach einer Präzisierung verlangende Vagheit. Geläufig ist die zudem eingängig anmutende Definition von Peter Blickle, der Unruhen definiert als „Protesthandlungen von (mehrheitlich allen) Untertanen einer Obrigkeit zur Behauptung und/oder Durchsetzung ihrer Interessen und Wertvorstellungen. Sie sind vornehmlich politischer Natur insofern, als sie die Legitimität von obrigkeitlichen Maßnahmen (und damit die Obrigkeit an sich) in Frage stellen […]. Sie sind der ständischen Gesellschaft wesenhaft, weil sie vor der Ausbildung der Stände noch nicht und nach Auflösung der Stände nicht mehr stattfanden“9. 7   Vgl. für andere Karl Köchel, Bauernaufstände und Unruhen in Steiermark, in: 57. Jahresbericht der steiermärkischen Landesoberrealschule in Graz über das Studienjahr 1907/1908 (Graz 1908) 5–22; auf dieses Phänomen des „Durchzählens“ macht auch schon aufmerksam Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 91. 8  Siehe hierzu und zum Folgenden schon Andreas Würgler, Unruhen und Öffentlichkeit. Städtische und ländliche Protestbewegungen im 18. Jahrhundert (Frühneuzeit-Forschungen 1, Tübingen 1995) 28f.; zur Problematik der Typologisierung von Phänomenen von Untertanenwiderständigkeit auch schon André Holenstein, Bauern zwischen Bauernkrieg und Dreißigjährigen Krieg (EdG 38, München 1996) 103f.; ferner Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 116; Winfried Schulze, Bäuerlicher Widerstand und feudale Herrschaft in der frühen Neuzeit (Neuzeit im Aufbau 6, Stuttgart–Bad Cannstatt 1980) 86–89. 9 Peter Blickle, Unruhen in der ständischen Gesellschaft (1300–1800) (EdG 1, München 22010) 5.

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Allerdings wird auch hier der seinerseits wieder erläuterungsbedürftige „Protest“Begriff eingeführt, sodass unter Umständen bereits das Einreichen von Untertanen-Gravamina als „Unruhe“ betrachtet werden könnte, was wohl überschießend wäre. Zudem bedeutet die Infragestellung der Rechtmäßigkeit einer obrigkeitlichen Maßnahme noch lange nicht, dass auf diese Weise zugleich die Legitimität der Obrigkeit „an sich“ in Frage gestellt wird. Im Folgenden sei daher ein abweichender, bewusst weit gefasster „Unruhe“Begriff herangezogen. Darunter wird im Folgenden eine oder mehrere kollektive, d. h. von einer Mehrzahl von Untertanen getragene, Widerständigkeiten des gemeinen Mannes verstanden, die mit eigenmächtigen, aus obrigkeitlicher Sicht untersagten – da eine verbotene „Zusammenrottierung“ bzw. ein „Auflaufen“ darstellenden – Zusammenkünften einhergehen und in deren Verlauf zur Zielerreichung mit Gewalt gedroht, diese gegebenenfalls auch angewendet wird und die seitens der Obrigkeit faktische und/oder rechtliche Reaktionen hervorruft, die von Pazifizierungsstrategien durch Konzessionen über gewaltsame Repressionsversuche bis hin zu strafrechtlichen Maßnahmen reichen können10. Den vielfachen Ausprägungen von Widerständigkeit ist dabei gemeinsam, dass eine geschuldete Leistung oder ein gebotenes Verhalten verweigert wird. Die Beschränkung auf Widerständigkeiten des gemeinen Mannes erlaubt es, beispielsweise den böhmischen Aufstand ab 1618 oder Konflikte zwischen Ständen und Landesfürst aus der Betrachtung auszuscheiden. Just dieser präzisierenden Abgrenzung dient auch das Adjektiv „sozial“; es bezweckt vornehmlich die Abgrenzung von primär oder ausschließlich politischen Bewegungen, ohne dass impliziert werden soll, dass nicht auch soziale Unruhen eine immanent politische Dimension besitzen können, indem nicht nur obrigkeitlich-herrschaftliches Handeln herausgefordert, sondern je nach Ausdehnung der Unruhen, wie im obderennsischen Bauernkrieg 1626, Herrschaft auch destabilisiert und gefährdet sein, unter Umständen in Frage gestellt werden kann. Die angeführte Definition ist insofern sehr niederschwellig, als auf das Erfordernis einer bestimmten räumlichen Ausdehnung der Revolte verzichtet wird, sodass auch die einleitend dargestellte Episode unter den Unruhebegriff subsumiert werden kann. Diese Entgrenzung führt zwar zu einer exponentiellen Ausweitung der potenziellen Untersuchungsgegenstände, doch ist diese Offenheit intendiert und könnte sich gerade für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges als sehr fruchtbar erweisen, indem sie nachdrücklich die Alltäglichkeit kriegsbedingter – und sei es nur sehr kleinräumiger – Unruhen vor Augen führt. Über diese aus der Alltäglichkeit resultierende Notwendigkeit, mit Unruhen rechnen und diese erwarten zu müssen, waren sich die Obrigkeiten im Übrigen durchaus im Klaren. Gerade dieses Bewusstsein um die Normalität von Unruhen bei Truppeneinquartierungen und -durchmärschen war bei der Obrigkeit tief verankert und führte vielfach schon bei der bloßen Antizipation möglicher Revolten zu Präventiv- und Gegenmaßnahmen. Hiervon wird noch ausführlicher zu sprechen sein.

10   Der hier zugrunde gelegte Unruhebegriff unterscheidet sich somit durch die stärkere Offenheit (speziell durch den Verzicht auf eine bestimmte „kritische Masse“ der beteiligten Untertanen) von dem bei Martin P. Schennach, „Plus valuerunt verbera quam verba“? Rechtliche Reaktionen auf Revolten in den österreichischen Ländern zwischen den Bauernkriegen von 1525 und 1626, in: Revolten und politische Verbrechen zwischen dem 12. und 19. Jahrhundert: Reaktionen der Rechtssysteme und juristisch-politische Diskurse/Rivolte e crimini politici tra XII e XIX secolo: Reazioni del sistema giuridico e discorso giuridico-politico, hg. von Angela De Benedictis–Karl Härter (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 285, Frankfurt/Main 2013) 235–280, angewandten Revoltenbegriff.



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3. Zum Forschungsstand Die intentionale Ausweitung des Unruhebegriffs führt freilich dazu, dass eine Überblicksdarstellung schwierig wird, eine graphische Darstellung de facto unmöglich. Letzteres hängt allerdings nicht zuletzt mit dem Forschungsstand zusammen, der an dieser Stelle kurz angerissen sei, von einer starken Ausrichtung auf die „großen Ereignisse“ wie die Bauernkriege 1626 und 1635 geprägt ist und umgekehrt kleinräumigere Unruhen sehr weitgehend vernachlässigt hat. Mit Blick auf den aktuellen Kenntnisstand gab es bislang im Wesentlichen drei Forschungsstränge, die sich mit der vorliegenden Themenstellung auseinandergesetzt haben. Die erste und quantitativ mit Abstand bedeutendste ist die landes- und regionalgeschichtliche Forschung, die sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Revolten beschäftigt, Kontinuitätslinien bis in die Gegenwart aufweist und sich, wie erwähnt, hier vornehmlich auf regionale Großereignisse konzentriert hat. Pars pro toto sei auf die Publikationen zum obderennsischen Bauernkrieg hingewiesen, die im 19. Jahrhundert mit den für die Rekonstruktion der Ereignisse noch immer zentralen Werken von Albin Czerny (1821–1900) und Felix Stieve (1845–1898) einsetzen11, die das Jahr 1626 teilweise durchaus noch als Projektionsfläche eigener Überzeugungen nutzen: Dies wird insbesondere beim katholischen Geistlichen Albin Czerny deutlich, der einerseits die im Vorfeld der Erhebung gesetzten gegenreformatorischen Maßnahmen in ein ausgesprochen günstiges Licht rückt, vice versa verabscheuungswürdigen Katholikenhass als Ursache vieler Ausschreitungen sieht12 und Stephan Fadinger (1585–1626) in Übernahme zeitgenössischer obrigkeitlicher Sichtweisen als „Schreckensmann“13 tituliert. Dementsprechend betont Czerny die verhängnisvolle Rolle des Protestantismus für den Aufstand und rückt andere denkbare Ursachen, speziell ökonomische, in den Hintergrund, wäre doch die wirtschaftliche „Lage des oberösterreichischen Landmannes […] nicht so schlecht“ gewesen „als man sich gewöhnlich vorzustellen pflegt“14. Der verwurzelte Protestantismus hätte nach Czernys Einschätzung durch den eingeleiteten moralischen Verfall den Boden für den Aufstand bereitet, denn: „Die Sittlichkeit war im Verfalle“15. Demgegenüber nimmt sich die Sicht des in München wirkenden (und damit streng genommen nicht der oberösterreichischen Landesgeschichte zuzuordnenden) Professors Felix Stieve geradezu zurückhaltend-objektiv aus. Insbesondere zeigt sich bei ihm keine Spur einer allenfalls zu erwartenden Tendenz, das Verschulden der bayerischen Seite am Ausbruch des Bauernkriegs zu relativieren; im Gegenteil betont er die Kausalität des bayerischen Besatzungsregiments und seines Statthalters Adam Graf Herberstorff (1585– 1629) für die Eskalation 162616. In einem Punkt jedoch überschnitt sich seine Sicht mit jener Czernys, nämlich hinsichtlich seiner negativen Wahrnehmung der ländlichen Bevöl11   Czerny, Bilder (wie Anm. 2); Albin Czerny, Einige Blätter aus der Zeit der Gegenreformation in Oberösterreich (Linz 1884); Felix Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand des Jahres 1626, 2 Bde. (München 1891). Einen kurzen Überblick über die Historiographiegeschichte präsentiert Georg Heilingsetzer, 1626. Der oberösterreichische Bauernkrieg (OÖHbl Sonderheft, Wien 2002) 48–50. 12   Siehe z. B. Czerny, Bilder (wie Anm. 2) 5 (die katholischen Reformations-Kommissionen seien „mit großer Behutsamkeit, Vorsicht und Sanftmuth“ aufgetreten) oder 44 (wo er bei Christoph Zeller Anzeichen „großer Roheit [sic] und eine wahre Verthilgungswut gegen alles Katholische“ diagnostiziert). 13   Czerny, Bilder (wie Anm. 2) 165. 14   Ebd. 29. 15  Ebd. 31. 16   Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand (wie Anm. 11) 1 9–75.

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kerung Oberösterreichs in der Frühen Neuzeit. Während diese von Czerny jedoch auf die Ausbreitung des Protestantismus zurückgeführt wird, resultiert sie bei Stieve aus einem vermeintlich ethnographisch-anthropologischen Blickwinkel, indem er die angeblichen, von ihm selbst wahrgenommenen Mängel der oberösterreichischen Bauern auf die Frühe Neuzeit projiziert: „Im 16. und 17. Jahrhundert dürften die landler [sic] Bauern und die ihnen damals noch nahe stehende Masse der Bürger ebenso geartet gewesen sein; die Gebrechen ihres Wesens aber waren stärker ausgeprägt und rohe Gewaltthätigkeit war allgemein“17. Mit dieser Einschätzung waren Czerny und Stieve übrigens nicht allein, vielmehr zeigt sich in der Arbeit Anton Mells (1865–1940) über den steirischen Bauernkrieg eine ganz ähnlich negative Sichtweise auf das roh-ungezügelte, Ausschweifungen ergebene Bauernvolk18. In den Jahrzehnten nach 1945 gehörte die Auseinandersetzung mit 1626 für Landeshistoriker etwas überspitzt formuliert fast schon zum guten Ton, wie die unter anderem von Hans Sturmberger (1914–1999) über Georg Heilingsetzer bis zu Alfred Hoffmann (1904–1983) reichende Namensliste veranschaulichen möge19. Dabei zeigt sich eine deutliche Produktionsspitze 1976, wohingegen sich das vorangegangene 300 Jahr-Jubiläum 1926 interessanterweise kaum in Publikationen niedergeschlagen hat20. Namentlich die Arbeiten von Georg Grüll (1900–1975) haben darüber hinaus die Kontinuität des Bauernkriegs von 1626 zu den Aufständen von 1595/97 und zu den Unruhen ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts deutlich gemacht21, wenngleich – wie kürzlich

  Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand (wie Anm. 11) 1 48f. (Zitat 49).   Siehe nur Anton Mell, Der windische Bauernaufstand des Jahres 1635 und dessen Nachwehen. Mitteilungen des historischen Vereines für Steiermark 44 (1896) 205–287, hier 230: „[…] die Ausschreitungen des entfesselten und für den Augenblick als Herrn der Lage sich fühlenden Bauernvolkes waren zu allen Zeiten, welche Unterthanenerhebungen grösseren oder kleineren Grades mit sich brachten, dieselben. Materielle und sinnliche Gelüste wurden im rohesten Ausmasse befriedigt, die augenblicklichen Erfolge und die zügellose Freiheit versetzten den Bauern in einen Rausch, in dem so Manches verübt und an so Manchem arg gefrevelt wurde.“ 19   Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien an dieser Stelle angeführt: Georg Grüll, Bauernkriege, Aufstände und Revolten im Lande ob der Enns, in: Bauernland Oberösterreich. Entwicklungsgeschichte seiner Land- und Forstwirtschaft, hg. von Alfred Hoffmann (Linz 1974) 76–94; Volker Lutz, Der Aufstand von 1596 und der Bauernkrieg von 1626 in und um Steyr (Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr 33, Steyr 1976); Alfred Hoffmann, Zur Typologie der Bauernaufstände in Oberösterreich, in: Der Oberösterreichische Bauernkrieg 1626. Ausstellungskatalog zur Ausstellung des Landes Oberösterreich im Linzer Schloß, Schloß zu Scharnstein im Almtal, 14. Mai bis 31. Oktober 1976, hg. von Dietmar Straub (Linz 1976) 15–22; Karl Eichmeyer–Helmuth Feigl–Walter Litschel, Weilß gilt die Seel und auch das Guet. Oberösterreichische Bauernaufstände im 16. und 17. Jahrhundert (Linz 1976) 99–168, hier 119–157; Hans Sturmberger, Der oberösterreichische Bauernkrieg von 1626 im Rahmen der Landesgeschichte, in: Ausstellungskatalog zur Ausstellung des Landes Oberösterreich 1626 (wie oben) 1–22; Heilingsetzer, 1626 (wie Anm. 11) (dabei handelt es sich im Wesentlichen um den Nachdruck von Ders., Der oberösterreichische Bauernkrieg 1629 [Militärhistorische Schriftenreihe 32, Wien 21985]). 20  Immerhin erschien die Erstauflage von Karl Itzinger, Der oberösterreichische Bauernkrieg 1626 (München–Wels 1976) im Jahr 1925. Neu aufgelegt wurde überdies das populäre Werk von Julius Strnadt, Der Bauernkrieg in Oberösterreich. Nach 275 Jahren seinen lieben Landsleuten erzählt von einem Oberösterreicher (Wels 1902). 21   Vgl. Georg Grüll, Die Robot in Oberösterreich (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 1, Linz 1952); Ders., Der Bauer im Lande ob der Enns am Ausgang des 16. Jahrhunderts. Abgaben und Leistungen im Lichte der Beschwerden und Verträge von 1597–1598 (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 11, Wien–Köln–Graz 1969); Ders., Bauer, Herr und Landesfürst. Sozialrevolutionäre Bestrebungen der oberösterreichischen Bauern von 1650 bis 1848 (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 8, Linz 1963). In die Kontinuität von Unruhen und Bauernaufständen wird die Erhebung von 1626 auch eingebettet bei Heilingsetzer, 1626 (wie Anm. 11) 2–4. 17 18



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schon Martin Scheutz diagnostizierte22 – eine umfassende, über Österreich ob der Enns ausgreifende Kontextualisierung und eine vergleichende Perspektive auf die Ereignisse bislang ausblieben. Ein weiterer, für unsere Fragestellung maßgeblicher Forschungsstrang war die in den siebziger und achtziger Jahren zu einem Höhepunkt gekommene historische Revolten- und Protestforschung, die für uns in zwei Ausprägungen von Bedeutung ist. Auf der einen Seite haben wir die westdeutsche Forschung, die zunächst mit führenden Exponenten wie Winfried Schulze und Peter Blickle (1938–2017) aufwartete, die sich speziell den Unruhen im oberdeutschen Raum zuwandten und insbesondere anhand dieses Gebiets die Kontinuität, ja Alltäglichkeit bäuerlichen Widerstands gegen Obrigkeiten seit dem Bauernkrieg der Jahre 1525/26 herausarbeiteten23. Maßgeblich anhand der vorderösterreichischen Herrschaften erstellte und verifizierte Winfried Schulze seine „Verrechtlichungsthese“, der zufolge im Nachgang und aufgrund der Erfahrungen des großen Bauernkriegs durch die Beschreitung des Rechtswegs zunehmend alternative Strategien zur Konfliktbeilegung zwischen Untertanen und Obrigkeiten an die Stelle der gewaltsamen Konfrontation getreten seien24. Gerade für die vorderösterreichischen Herrschaften wurde in Anknüpfung an diese Forschungstradition eine ganze Reihe von grundlegenden Arbeiten beispielsweise von Claudia Ulbrich oder Martin Zürn vorgelegt25. Die andere, mit Blick auf die Krain und die Untersteiermark26  Vgl. Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 71.   Siehe z. B. Winfried Schulze, Oberdeutsche Untertanenrevolten zwischen 1580 und 1620. Reichssteuern und bäuerlicher Widerstand, in: Bauer, Reich und Reformation. FS für Günther Franz zum 80. Geburtstag am 23. Mai 1982, hg. von Peter Blickle (Stuttgart 1982) 120–147; zusammenfassend Peter Blickle, Kommunalismus. Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform 1 (München 2000) 142–151. 24  Zusammenfassend Blickle, Unruhen (wie Anm. 9) 79f.; Holenstein, Bauern (wie Anm. 8) 109f.; Martin P. Schennach, „Ist das gaismairsch exempel noch in gedächtnus“. Unruhen in den oberösterreichischen Ländern, in: Die Stimme der ewigen Verlierer? (wie Anm. 6) 39–66, hier 62f.; vgl. im Übrigen Winfried Schulze, Europäische und deutsche Bauernrevolten in der frühen Neuzeit – Probleme der vergleichenden Betrachtung, in: Europäische Bauernrevolten in der frühen Neuzeit, hg. von Dems. (Frankfurt/Main 1982) 10–60, bes. 35f.; Schulze, Bäuerlicher Widerstand (wie Anm. 8) 76f., 81, 142f.; Winfried Schulze, Die veränderte Bedeutung sozialer Konflikte im 16. und 17. Jahrhundert, in: Der Deutsche Bauernkrieg 1524–1526, hg. von Hans-Ulrich Wehler (GG Sonderh. 1, Göttingen 1975) 277–302; Winfried Schulze, Der bäuerliche Widerstand und die „Rechte der Menschheit“, in: Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, hg. von Günter Birtsch (Veröffentlichungen zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte 1, Göttingen 1981) 41–56; Werner Trossbach, Soziale Bewegung und politische Erfahrung. Bäuerlicher Protest in hessischen Territorien 1648–1806 (Sozialgeschichtliche Bibliothek, Weingarten 1987) 155–202. 25 Vgl. u. a. Claudia Ulbrich, Der Charakter bäuerlichen Widerstands in den vorderösterreichischen Herrschaften, in: Aufstände, Revolten, Prozesse. Beiträge zu bäuerlichen Widerstandsbewegungen im frühneuzeitlichen Europa, hg. von Winfried Schulze (Stuttgart 1983) 202–216; Dies., Agrarverfassung und bäuerlicher Widerstand im Oberrheingebiet. ZAA 30 (1982) 149–167; Martin Zürn, Untertanenwiderstand in Vorderösterreich, in: Die Habsburger im deutschen Südwesten. Neue Forschungen zur Geschichte Vorderösterreichs, hg. von Franz Quarthal–Gerhard Faix (Stuttgart 2000) 301–320; Martin Zürn, „Ir aigen libertet“. Waldburg, Habsburg und der bäuerliche Widerstand an der oberen Donau 1590–1790 (Oberschwaben – Geschichte und Kultur 2, Tübingen 1998); im Übrigen sei auf die weiterführenden Literaturhinweise bei Schennach, Rechtliche Reaktionen (wie Anm. 10) 277 (Anm. 178) verwiesen. 26  Vgl. nur den Sammelband mit teils deutsch-, teils slowenischsprachigen Beiträgen Položaj kmeta in kmečki upori od 15. do 19. stoletja. Bauernstand und Bauernaufstände vom 15. bis 19. Jahrhundert, hg. von Antoša Leskovec (Internationales Kulturhistorisches Symposion Mogersdorf 5, Maribor 1973); Hinweise auf slowenische Literatur finden sich auch bei Jože Koropoc, Die gesellschaftliche Gliederung der Teilnehmer an den Kämpfen des zweiten slowenischen Bauernaufstandes im Jahre 1635, in: Siedlung, Macht und Wirtschaft. FS Fritz Posch zum 70. Geburtstag, hg. von Gerhard Pferschy (Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchives 12, Graz 1981) 381–385. 22 23

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sowie die böhmischen Länder27 für uns relevante Ausprägung dieses neuen Interesses an Aufständen des gemeinen Mannes in der Geschichte ist die nicht nur in der Deutschen Demokratischen Republik florierende, sondern auch in anderen kommunistischen Staaten des Ostblocks der Nachkriegszeit auf Resonanz stoßende Revoltenforschung, die frühneuzeitliche „Empörungen“ aus einer dezidiert marxistischen Perspektive als wesentliche Entwicklungsschritte auf dem Weg von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft interpretierte und in ihnen zeitgleich Belege für die revolutionäre Kraft des Proletariats in der Geschichte erblickte28. Nicht vergessen sei letztlich die „neue Militärgeschichte“29, die sich seit den neunziger Jahren mit dem Faktor „Militär“ in der Gesellschaft abseits der reinen Ereignisgeschichte auseinandersetzte, dabei generell im Dreißigjährigen Krieg ein ergiebiges Forschungsfeld erschloss und sich besonders eingehend dem überaus konfliktreichen Verhältnis zwischen der ländlichen wie städtischen Bevölkerung und den Soldaten sowie den dabei entwickelten Konfliktbeilegungsstrategien zuwandte30. In Österreich stieß die „neue Militärgeschichte“ zwar insgesamt nur auf verhaltene Resonanz31, gerade für den Tiroler Raum er27  Vgl. die Hinweise auf die tschechische Literatur bei Jiří Dufka, Strategien und Trägerschichten bäuerlicher Unruhen im frühneuzeitlichen Mähren, in: Die Stimme der ewigen Verlierer? (wie Anm. 6) 311–327; Jaroslav Čechura, Zu spät und zu friedlich. Die Bauernrevolten in Böhmen und Mähren 1500–1800, in: Die Stimme der ewigen Verlierer? (wie Anm. 6) 119–133. 28  Eine kurze Zusammenfassung liefert Blickle, Unruhen (wie Anm. 9) 72–73; vgl. schon zeitgenössisch Helmut Reinalter, Frühbürgerliche Revolution oder Systemkonflikt? Der Bauernkrieg als Periodisierungsund Revolutionsproblem. Ein Überblick, in: Die Bauernkriege und Michael Gaismair. Protokoll des internationalen Symposiums vom 15. November bis 19. November 1976 in Innsbruck-Vill, hg. von Fridolin Dörrer (Veröffentlichungen des Landesarchivs 2, Innsbruck 1982) 293–304; ferner Sascha Möbius, Friedrich Engels und der Bauernkrieg in der Historiographie der DDR. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 7/2 (2003) 168–186; Matthias Weber, Bauernkrieg und sozialer Widerstand in den östlichen Reichsterritorien bis zum Beginn des 30jährigen Krieges. 1. Teil: Überblick über die Historiographie. Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 1 (1993) 11–53, hier 32–52; Joseph Foschepoth, Reformation und Bauernkrieg im Geschichtsbild der DDR. Zur Methodologie eines gewandelten Geschichtsverständnisses (Historische Forschungen 10, Berlin 1976). 29  Zusammenfassend Bernhard R. Kroener, Kriegswesen, Herrschaft und Gesellschaft 1300–1800 (EdG 92, München 2013) 95–129; programmatisch noch immer Ralf Pröve, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin? Die „neue Militärgeschichte“ der Frühen Neuzeit – Perspektiven, Entwicklungen, Probleme. GWU 10 (2000) 597–612; Bernhard R. Kroener, Militär in der Gesellschaft. Aspekte einer neuen Militärgeschichte in der Frühen Neuzeit, in: Ders., Kriegerische Gewalt und militärische Präsenz in der Neuzeit. Ausgewählte Schriften, hg. von Ralf Pröve–Bruno Thoss (Paderborn u. a. 2008) 65–82 (Erstveröffentlichung 2000). 30   Vgl. nur exemplarisch Bernhard R. Kroener, „Kriegsgurgeln, Freireuter und Merodebrüder.“ Der Soldat des 30jährigen Krieges. Täter und Opfer, in: Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, hg. von Wolfram Wette (München 1992) 51–67; Ders., „... und ist der jammer nit zu beschreiben“. Geschlechterbeziehungen und Überlebensstrategien in der Lagergesellschaft des Dreißigjährigen Krieges, in: Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel, hg. von Karen Hagemann–Ralf Pröve (Geschichte und Geschlechter 26, Frankfurt/Main–New York 1998) 279–296; Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, hg. von Benigna von Krusenstjern–Hans Medick (VMPIG 148, Göttingen 1999); Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Beiträge aus dem Tübinger Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrungen – Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“, hg. von Matthias Asche–Anton Schindling (Münster 2001). 31  Vgl. nur die programmatische, für die Frühe Neuzeit im Wesentlichen bis heute gültige Aussage von Hochedlinger, Der gewaffnete Doppeladler (wie Anm. 1) 224: „Eine ‚neue Militärgeschichte‘, die sich vor allem für die Verflechtungen von ‚Militär und Gesellschaft’ interessiert, konnte sich in Österreich bislang nicht entwickeln: die größte mitteleuropäische Militärmacht der Frühen Neuzeit bleibt damit sehr weitgehend außer-



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gaben sich im Zuge einschlägiger Arbeiten jedoch (hoffentlich) aufschlussreiche und noch näher zu besprechende Befunde32. Ein Meilenstein der Forschung sei abschließend noch erwähnt: Erstmals hat der aus einer Tagung des Instituts für österreichische Geschichtsforschung hervorgegangene, 2013 erschienene Tagungsband „Die Stimme der ewigen Verlierer?“ in mehreren Beiträgen eine Zusammenschau der frühneuzeitlichen Revolten in den österreichischen Ländern geliefert. Er hat die „longue durée“ der Konflikte mit ihren Konstanten und Entwicklungen vor Augen geführt und vor allem auch ein treffliches Fundament für eine komparative Betrachtung gelegt33.

4. Ereignisgeschichtlicher Überblick Der ereignisgeschichtliche Überblick sei an dieser Stelle bewusst kurz gehalten, wobei er aber bereits die tiefgreifenden Unterschiede bei den Strukturen der Revolten während des Dreißigjährigen Kriegs zu illustrieren vermag. Hintergrund des obderennsischen Bauernkriegs ist einerseits die dem Kurfürsten Maximilian I. 1619 zugesagte und 1621 vertraglich besiegelte Verpfändung Oberösterreichs an Bayern, die von der Installation eines bayerischen Statthalters, Adam Graf Herbers­ torff, in Linz, Truppenanwerbungen und von den Ständen zu finanzierenden Einquartierungen gefolgt war34. Ab Oktober 1624 wurden auf Betreiben Kaiser Ferdinands II. gegenreformatorische Maßnahmen gesetzt, die in der Ausweisung protestantischer Schulmeister und Prädikanten und der Einsetzung katholischer Geistlicher bestanden35. War die Vertreibung eines Pfarrers und Reformationskommissärs im Jänner 1625 noch weitgehend folgenlos geblieben36, zeigte sich die Brisanz der gegenreformatorischen Ambitionen halb unseres Horizonts.“; ähnlich Ders., Bürokratisierung, Zentralisierung, Sozialdisziplinierung, Konfessionalisierung, Militarisierung. Politische Geschichte der Frühen Neuzeit als „Machtstaatsgeschichte“, in: Geschichte der Politik. Alte und neue Wege, hg. von Hans-Christof Kraus–Thomas Nicklas (HZ Beih. N. F. 4, München 2007) 239–269, hier 268; tatsächlich blieben die Ansätze sehr verhalten, vgl. beispielsweise Martin Scheutz, „... im Rauben und Saufen allzu gierig“. Soldatenbilder in ausgewählten Selbstzeugnissen katholischer Geistlicher aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. L’Homme 12/1 (2001) 51–72; Martin P. Schennach, Der Tiroler Aufstand von 1809 und die „neue Militärgeschichte“, in: Von Stadtstaaten und Imperien. Kleinterritorien und Großreiche im historischen Vergleich. Tagungsbericht des 24. Österreichischen Historikertages Innsbruck, 20.–23. September 2005, hg. von Christoph Haidacher–Richard Schober (Veröffentlichungen des Verbandes Österreichischer Historiker und Geschichtsvereine 33/Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 13, Innsbruck 2006) 386–400. 32 Vgl. Schennach, Tiroler Landesverteidigung (wie Anm. 1); Ders., Lokale Obrigkeiten und Soldaten. Militärgerichtsbarkeit in Tirol in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Justiz und Gerechtigkeit. Historische Beiträge (16.–19. Jahrhundert), hg. von Andrea Griesebner–Martin Scheutz–Herwig Weigl (Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 1, Innsbruck u. a. 2002) 199–217; Ders., „Der Soldat sich nit mit den Baurn, auch der Baur nit mit den Soldaten betragt“: Das Verhältnis zwischen Tiroler Landbevölkerung und Militär von 1600 bis 1650, in: Militär und ländliche Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, hg. von Stefan Kroll– Kersten Krüger (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 1, Münster–Hamburg–London 2000) 41–78; Ders., „Toben und Wüten, als wann doch der Feind im Land wär“. Ein Beispiel Tiroler Widerstands gegen die Soldateska des Dreißigjährigen Krieges. Tiroler Heimatblätter 73 (1998) 114–116. 33   Die Stimme der ewigen Verlierer (wie Anm. 6). 34  Siehe hierzu die detaillierte Darstellung bei Hans Sturmberger, Adam Graf Herberstorff. Herrschaft und Freiheit im konfessionellen Zeitalter (Wien 1976) 86–198. 35   Vgl. ebd. 199–259. 36   Vgl. ebd. 231; Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 97; zu dieser häufiger anzutreffenden Praxis auch Peter Thaler, Peasants and Swedes: the making of a Habsburg nightmare in Early Modern Austria. Social History 42/2 (2017) 205–232, hier 211f.

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im Mai desselben Jahres, als es im Dorf Zwiespalten nahe Frankenburg aus demselben Anlass zur Vertreibung eines katholischen Klerikers und des die Einsetzung betreibenden Oberpflegers kam37. Bis zu 5.000 Bewaffnete belagerten das Schloss und zogen erst gegen Zusicherung der Straflosigkeit ab. Bei dieser blieb es nicht, vielmehr fand bekannterweise eine ebenso drastische wie exemplarische Bestrafung durch Herberstorff in Gestalt des sog. „Frankenburger Würfelspiels“ statt, bei dem vor dem versammelten Landvolk Vertreter der Gemeindeausschüsse um ihr Leben würfeln mussten und anschließend sieben Mann hingerichtet wurden. Zur Eskalation kam es im Mai des Folgejahres, als sich ein Zusammenstoß zwischen bewaffneten Bauern und einquartierten Soldaten38 – übrigens typischerweise eine Situation von erheblicher Sprengkraft39 – zu einem breitflächigen, aber offensichtlich von Führungspersönlichkeiten wie Stephan Fadinger und seinem Schwager Christoph Zeller († 1626) vorbereiteten Aufstand, an dem zeitweilig bis zu 40.000 Aufständische40 beteiligt waren und der trotz des Todes von Fadinger und Zellinger bis Juli zur Eroberung ganz Oberösterreichs mit Ausnahme von Linz und Enns führte41. Ein Zugriff kaiserlicher Kontingente von Osten und Norden schien Ende Juli und Anfang August rasch die Pazifizierung der Revolte einzuleiten, doch führte das Einrücken bayerischer Truppen von Westen gegen Mitte September zu einem Wiederaufflammen der Unruhen; erst Ende November 1626 gelang die militärische Niederwerfung in einer Reihe von Gefechten. Insgesamt waren auf bäuerlicher Seite zwischen 10.000 und 12.000 Mann umgekommen42, die strafgerichtliche Verfolgung der als „Rädelsführer“ etikettierten Führer des Aufstandes zog sich bis Juli 1628 hin43. Weitere, ebenfalls stark religiös motivierte Unruhen konnten in den Jahren 1632 und 1636 rasch niedergeschlagen werden. Im August 1632 organisierte der schon an den Geschehnissen 1626 beteiligte Jakob Greimbl († 1633) angesichts des schwedischen Vordringens einen Aufstand, indem er auf das Vorrücken und die in Aussicht stehende Unterstützung der protestantischen Heere verwies und vorgab, im Namen und Auftrag des Königs von Schweden zu agieren und das Land für diesen in Besitz zu nehmen44. Die am Höhepunkt etwa 2.000 bewaffneten Aufständischen zerstreuten sich nach der Niederlage bei Eferding am 19. Oktober, Greimbl selbst wurde im Februar 1633 hingerichtet. Im 37  Zum „Frankenburger Würfelspiel“ vgl. die ausführliche Darstellung und gelungene Kontextualisierung bei Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 34) 231–244; kurz auch Heilingsetzer, 1626 (wie Anm. 11) 9f. 38  Vgl. Czerny, Einige Blätter (wie Anm. 11) 37–39. 39   Siehe auch die Hinweise auf eine entsprechende Eskalation mit einem Todesopfer 1627 im Ennstal bei Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 85; Georg Grüll, Bauer, Herr und Landesfürst. Sozialrevolutionäre Bestrebungen der oberösterreichischen Bauern von 1650 bis 1848 (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 8, Linz 1963) 7f. 40  Zu den wohl auf Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand (wie Anm. 11) 1 98, zurückgehenden Zahlenangaben auch Thomas Winkelbauer, Österreichische Geschichte 1522–1699: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter, Bd. 1 (Österreichische Geschichte, Wien 2003) 70f.; Thaler, Peasants and Swedes (wie Anm. 36) 216 (Anm. 49). 41 Zu den ereignisgeschichtlichen Abläufen vgl. noch immer Czerny, Einige Blätter (wie Anm. 11); Ders., Bilder (wie Anm. 2); Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand (wie Anm. 11); Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 34) 259–308; ferner die Literaturangaben oben Anm. 19. 42  Czerny, Einige Blätter (wie Anm. 11) 50f., geht von 8.000 bis 10.000 Toten aus; Winkelbauer, Ständefreiheit (wie Anm. 40) 1 70f., spricht von rund 12.000 Toten. 43 Vgl. Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 34) 306–308. 44  Zum Aufstand ausführlich Czerny, Einige Blätter (wie Anm. 11) 159–265; Thaler, Peasants and Swedes (wie Anm. 36) 223–226; kurz z. B. Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 79, 96.



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Jahr 1635/36 kam es neuerlich zu einer freilich deutlich kleiner dimensionierten Unruhe unter der Führung des schon seit 1632 im Machlandviertel umherziehenden Martin Laimbauer († 1633)45, der unter Berufung auf seine Visionen und seine eigene göttliche Sendung seinen mehreren hundert männlichen wie weiblichen Anhängern den Verbleib bei der protestantischen Konfession nahelegte. Die Bewegung wurde militärisch niedergeworfen, Laimbauer hingerichtet. Ein im September 1648 initiierter und auf die Unterstützung durch die in Böhmen vordringenden Schweden rechnender Aufstandsversuch brach hingegen binnen kürzester Zeit in sich zusammen46. Zu einem großflächigeren Aufstand, der nur mit militärischer Hilfe niedergeschlagen werden konnte, kam es während des Untersuchungszeitraums nur mehr 1635 in der Untersteiermark. Seinen Ausgang nahm er im April des Jahres in den Herrschaften des als besonders tyrannisch und bauernfeindlich beleumundeten Felix von Schrattenbach (1570–1639), er griff jedoch bald auf das gesamte Viertel Cilli und auf Teile der Krain über47. Insgesamt scheinen sich streckenweise bis zu 4.000 Aufständische an den Plünderungen von Klöstern und Schlössern beteiligt zu haben, bis Ende Mai der rasche Einsatz von rund 1.300 Mann der Revolte ein Ende bereitete, wenngleich Ausläufer der Erhebung noch bis in den Juli fortwirkten. Von den Anführern werden in der Untersteiermark zwölf, in Krain 15 Personen hingerichtet48. 1635 kam es auch zu Unruhen in 13 obersteirischen Pfarren, die jedoch trotz der beträchtlichen Dimension von mehreren hundert bewaffneten Aufständischen ohne Gewaltanwendung und Strafgericht pazifiziert werden konnten49. Zu landesweiten Unruhen kam es im Übrigen noch 1618/19 in Tirol, als sich nach dem Tod Erzherzog Maximilians III. (1558–1618) mehrere hundert bewaffnete Männer unter Berufung auf das gewohnheitsrechtlich bestehende freie Jagdrecht nach dem Tod eines Landesfürsten zusammenschlossen und kollektiv dem Wild nachstellten50. Hier gelang jedoch ebenfalls eine friedliche Konfliktlösung. Ansonsten scheinen, wie der derzeitige Forschungsstand nahelegt, kleinräumigere, sich auf eine oder einige wenige Herr-

45 Ausführlich Thaler, Peasants and Swedes (wie Anm. 36) 227–230; Czerny, Einige Blätter (wie Anm. 11); Franz Wilfingseder, Martin Laimbauer und die Unruhen im Machlandviertel. 1632 bis 1636. M ­ OÖLA 6 (1959) 136–208; Ernst Burgstaller, Martin Laimbauer und seine Machländische Bauernbewegung 1632– 1636. Kunstjahrbuch der Stadt Linz 1973 (1974) 3–30; kurz beispielsweise Grüll, Bauernkriege (wie Anm. 19) 86f. 46 Vgl. Czerny, Einige Blätter (wie Anm. 11) 273–298; erwähnt auch bei Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 80, 96. 47  Vgl. ergänzend zu den Literaturangaben oben Anm. 6: Gerhard Pferschy, Die Bauernaufstände, in: Der steirische Bauer. Leistung und Schicksal von der Steinzeit bis zur Gegenwart. Eine Dokumentation. Katalog der Ausstellung, Industriehalle Graz, 11. Juni–4. September 1966, hg. von Fritz Posch (Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchives 4, Graz 1966) 126–151, hier 127; August Dimitz, Geschichte Krains von der ältesten Zeit bis auf das Jahr 1813. Mit besonderer Berücksichtigung auf Kulturentwicklung. Dritter Theil: Vom Regierungsantritte Erzherzog Karls in Innerösterreich bis auf Leopold I. (1564–1657) (Laibach 1875) 407f.; zum Ausgangspunkt in den Schrattenbachschen Herrschaften siehe auch Mell, Der windische Bauernaufstand (wie Anm. 18) 211–217. 48  Dimitz, Geschichte Krains, 3. Teil (wie Anm. 47) 408; Mell, Der windische Bauernaufstand (wie Anm. 18) 257. 49 Gerhard Pferschy, Zu den obersteirischen Bauernunruhen 1635. Mitteilungen des Steiermärkischen Landesarchivs 23 (1973) 85–89. 50  Vgl. Martin P. Schennach, Jagdrecht, Wilderei und „gute Policey“. Normen und ihre Durchsetzung im frühneuzeitlichen Tirol (Studien zu Policey und Policeywissenschaft, Frankfurt/Main 2007) 140–142.

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schaften beschränkende Unruhen der Regelfall gewesen zu sein51. Einen zwischenzeitlich gut erforschten, wiederum Kontinuitäten zu Unruhen vor und nach der Zeit des Dreißigjährigen Krieges deutlich greifbar werden lassenden Sonderfall stellen die Unruhen am steirischen Erzberg dar, die im Wesentlichen auf die schlechte Versorgungslage der im Bergbau Tätigen oder Lohnrückstände zurückzuführen waren, jedoch nie die Schwelle hin zur Gewaltanwendung überschritten52. Vornehmlich in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts ereignete sich in Mähren eine auf die Besitzveränderungen im Gefolge der Schlacht am Weißen Berg und die gegenreformatorischen Maßnahmen reagierende Abfolge von Aufständen, in den dreißiger Jahren dominierten in Böhmen (mit Ausnahme von Südböhmen) und Mähren auf Konflikte von Untertanen und Grundherrschaften zurückzuführende Unruhen, die sich mit zeitweiligen Eskalationsspitzen teils über Jahrzehnte hinzogen53. Ähnliches gilt für die vorderösterreichischen Länder, für die schon die ältere Revoltenforschung die Normalität von wenn auch räumlich beschränkt bleibenden Unruhen herausgearbeitet hat54. Die Charakteristika dieser Konflikte heben sich jedoch deutlich von den anderen österreichischen Ländern ab, indem Konfrontationen zwischen Untertanen und geistlichen und weltlichen Herrschaften dominierten, die ihre Rechte pfand- oder lehenweise vom Haus Habsburg innehatten55. Die Auseinandersetzungen zogen sich häufig über Jahrzehnte hin, wobei die vorder- und oberösterreichische Regierung vielfach vermittelte oder dort die Differenzen im Prozessweg ausgetragen wurden, es aber immer wieder zu gewaltsamen Eskalationsspitzen kommen konnte56. Der ereignisgeschichtliche Überblick scheint eine klare Abfolge bei der Unruheintensität der einzelnen Regionen nahezulegen, wie dies in ähnlicher Ausprägung, jedoch für einen größeren zeitlichen Horizont bereits Martin Scheutz diagnostiziert hat57. An 51   Vgl. z. B. die Hinweise bei Mell, Der windische Bauernaufstand (wie Anm. 18) 263–266, auf Bauernunruhen im Viertel Cilli u. a. in den Jahren 1644, 1646 und 1650; Gerhard Pferschy, Der Streik der Untertanen der Herrschaft Pogled im Jahre 1633 und seine Beilegung. Zu den Ursachen des untersteirischen Bauernaufstandes von 1635. Mitteilungen des steiermärkischen Landesarchivs 21 (1971) 117–128; die vergleichsweise unspektakulären, vom Autor jedoch als „Aufstand“ qualifizierten Übergriffe der unter mangelhafter Lebensmittelversorgung leidenden Hüttenberger Bergwerksbediensteten schildert Walther Fresacher, Ein Aufstand der Hüttenberger Knappen im Jahre 1629. Die Kärntner Landsmannschaft 19 (1982) 51–53; die sich auch während des Dreißigjährigen Krieges hinziehenden Konflikte der Wildenecker Untertanen mit ihrer Herrschaft stellt ausführlich dar Grüll, Bauer, Herr und Landesfürst (wie Anm. 39) 81–205. 52  Vgl. Franz Mittermüller, Arbeitsdisziplin, Unruhen und Aufstände am steirischen Erzberg. Sozialprotest und -kriminalität in einer europäischen Montanlandschaft 1500–1800 (Diss. Graz 2001) 102–126. 53 Vgl. Čechura, Zu spät und zu friedlich (wie Anm. 27) 121–123; Dufka, Strategien (wie Anm. 27) 326; auf vergleichbare, persistierende Unruhen zu Beginn der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts in Schlesien macht aufmerksam Matthias Weber, Bauernkrieg und sozialer Widerstand in den östlichen Reichsterritorien bis zum Beginn des 30jährigen Krieges. 2. Teil: Die historischen Ereignisse. Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 2 (1994) 7–57, hier 53f. 54  Vgl. hierzu die Literaturhinweise bei Schennach, Unruhen (wie Anm. 24) 42f. Konzise Ulbrich, Charakter (wie Anm. 25) 215: „In vielen vorderösterreichischen Herrschaften läßt sich vor allem seit dem 17. Jahrhundert eine fast ununterbrochene Kette von Prozessen und Widerstandsaktionen beobachten, so daß man fast sagen kann, daß der Konflikt zum Normalzustand wurde.“ 55  Vgl. Ulbrich, Charakter (wie Anm. 25); Claudia Ulbrich, Bäuerlicher Widerstand in Triberg, in: Aufruhr und Empörung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, hg. von Peter Blickle u. a. (München 1980) 146–214; Schulze, Bäuerlicher Widerstand (wie Anm. 8) 53; Robert Kretzschmar, Zurück zur österreichischen Freiheit! Die renitenten Untertanen der Reichserbtruchsessen von Waldburg und ihre Liebe zum Doppeladler, in: Vorderösterreich. „Nur die Schwanzfeder des Kaiseradlers?“ Die Habsburger im deutschen Südwesten, bearb. von Irmgard Christa Becker (Ulm 1999) 196–209, 436f. 56  Vgl. zusammenfassend (mit weiteren Literaturhinweisen) Schennach, Unruhen (wie Anm. 24) 45–47. 57  Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 82.



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der Spitze stehen trotz der gänzlich unterschiedlichen Konstellationen Ober- und Vorderösterreich, knapp gefolgt von der Steiermark und Mähren sowie Teilen Böhmens, abgeschlagen ist hingegen Tirol mit nur einer Jagdrevolte 1618/19. Schließlich scheint es noch eine Reihe von Ländern bzw. Regionen zu geben, die auf einer Landkarte der Unruhen gänzlich fehlen, insbesondere Vorarlberg, Kärnten und Südmähren. Eine derartige Schlussfolgerung wäre aber, so eine der im vorliegenden Beitrag entwickelten Kernthesen, verfrüht und resultierte wohl nur aus dem derzeitigen insuffizienten, da eben tendenziell auf größere Unruhen fokussierten Forschungsstand. Hier präsentiert sich wohl der Tiroler Befund als aussagekräftig, wobei die wenigen bisherigen Forschungsergebnisse zu Vorarlberg und Niederösterreich nahe legen, dass die Situation dort nicht anders aussah58: In Zeiten größerer Truppeneinquartierungen und -durchmärsche – wohlgemerkt auch eigener und verbündeter Truppen – waren Unruhen nicht die Ausnahme, sondern Alltag. Dies war der Einquartierung der Söldner in der Bürger- und Bauernstube geschuldet, die zwar gewohnheitsrechtlich bzw. durch eigene Quartiersordnungen exakt geregelt war: Demnach musste der Quartiergeber dem Soldaten nur die sog. „Servitien“, d. i. Licht, Holz und Salz, unentgeltlich leisten, für die ortsübliche Verpflegung hatte der Soldat hingegen zu zahlen59. Gemäß einer 1639 in einer für das Gericht Ehrenberg (Außerfern) anlässlich einer Einquartierung erstellten Quartiersordnung war den Soldaten gegen Bezahlung die haushaltsübliche Kost zu reichen; diese sollte, wie den Untertanen mahnend in Erinnerung gebracht wurde, quantitativ und qualitativ nicht hinter ihrer eigenen Nahrung zurückstehen. Im Gegenzug sollten die Offiziere Straßen und Quartiere visitieren und bei Auseinandersetzungen zwischen Soldaten und Untertanen gemeinsam mit den lokalen Obrigkeiten für eine Streitschlichtung sorgen, wobei jeder erforderlichenfalls für die Bestrafung der eigenen Gewaltunterworfenen zu sorgen habe. Überdies wurde den Söldnern das Verlassen ihrer Quartiere ohne Passzettel untersagt und ihnen insbesondere das Erpressen von „Trinkgeldern“ und „Zehrpfennigen“ von Durchreisenden untersagt60. Die Realität sah freilich, von Offizieren und Militärunternehmern in Kauf genommen, anders aus, indem Söldner die schlechte Besoldungsmoral und Versorgungslage durch Übergriffe auf ihre Quartiergeber61 oder durch sog. „Auslaufen“ zu kompensieren versuchten, wobei darunter das eigenmächtige Verlassen der Quartiere zum Zweck des Diebstahls, Raubs, Bettelns, Abpressens von Geld o. ä. verstanden wurde. Dabei verschwammen die Grenzen zwischen Bereicherungsabsichten und der Notwendigkeit der Subsistenzsicherung der Soldaten, die ebenfalls großteils unter schlechten Lebensbedingungen litten62. Konfrontationen waren unausweichlich und beschränkten sich nicht auf 58  Vgl. Heribert Küng, Vorarlberg im Dreißigjährigen Krieg von 1632 bis 1650, Bd. 3 (Diss. Innsbruck 1968) bes. 539–573; Erich Landsteiner–Andreas Weigl, „Sonnsten finden wir die Sachen sehr übel aufm Landt beschaffen …“. Krieg und lokale Gesellschaft in Niederösterreich (1618–1621), in: Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, hg. von Benigna von Krusenstjern–Hans Medick (VMPIG 148, Göttingen 1999) 229–271; Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 34) 93f., 108f.; Czerny, Bilder (wie Anm. 2) 34–37; Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand (wie Anm. 11) 1 228–230. 59  Vgl. Schennach, Tiroler Landesverteidigung (wie Anm. 1) 319f.; Ralf Pröve, Der Soldat in der „guten Bürgerstube“. Das frühneuzeitliche Einquartierungssystem und die sozio-ökonomischen Folgen, in: Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, hg. von Bernhard R. Kroener–Ralf Pröve (Paderborn u. a. 1996) 191–217. 60  TLA, Geheimer Rat, Truppenwerbung und -musterung/Pos. 30, 1639 Okt. 20; vgl. für ein weiteres Beispiel auch Küng, Vorarlberg im Dreißigjährigen Krieg (wie Anm. 58) 3 572f. 61 Vgl. Schennach, Tiroler Landesverteidigung (wie Anm. 1) 334–337. 62  Vgl. nur die Verpflegsordnung für das Regiment Prisingell während seiner Einquartierung in Tirol im

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den einzelnen Haushalt; aus Gründen der Selbsthilfe kam es immer wieder zum Zusammenschluss bewaffneter Untertanen, die häufig plötzlich einer Gruppe Soldaten gegenüberstanden63. Aus Anlass von Plünderungen einquartierter Soldaten im Unterinntaler Ort Wiesing hatten beispielsweise die Bewohner „den gloggensturmb gemacht, also das von 4 oder 5 derffern in etlich hundert undterthonen mit bewöhrter handt zusamen khomen, mit offentlichen außgeben, die soldaten niederzumachen“64, wobei tatsächlich ein Söldner getötet worden war. Hier war die entscheidende Frage, ob und auf welche Weise die Kalmierung der Situation gelang. Je länger und belagstärker eine Einquartierung war, desto angespannter wurde die Lage. Welche Dimensionen eine Eskalation annehmen konnte, führt die maßgeblich durch die Winterquartiere der Ligatruppen verursachte bayerische Erhebung 1633/34 vor Augen65. Derartige, aus der Begegnung von Soldaten und Zivilbevölkerung resultierende Unruhen prägten jedenfalls den Alltag mindestens genauso wie die von der Forschung ungleich intensiver erforschten großen Bauernaufstände.

5. Motivationen und Legitimationen Unter den Schlagworten „Motivationen“ und „Legitimationen“ sei im Folgenden den Ursachen und Legitimationsstrategien der Erhebungen nachgegangen. Dass man sich vor monokausalen Begründungsmustern hüten muss, liegt auf der Hand und wurde von der Forschung schon hinlänglich dargestellt, und die Multikausalität von Erhebungen war schon Zeitgenossen bewusst. So verwies bereits der anonyme Verfasser der in Wien veröffentlichten „Apologetischen Interims-Relation“ auf vielfache mögliche Kausalzusammenhänge, wenn er schrieb: „Der eine exaggeriert den titulierten Gewissenszwang; Der ander aber erhebt das vermeinte unerträgliche GaarnisonGelt: Der dritte / der Soldates­ca ungewöhnliche insolentzen: Dem vierdten mißfelt die beschehene veränderung des Landts / und desselben wehrende Pfandts inhabung: Der fünffte beschwärt sich ob denen Officiern: und redet der sechste schon wiederumb ein anders: In Summa ein jeder nach seinem Willen / und passionen“66. In der „Interimsrelation“ wird freilich auch deutlich, dass Ursachenzuschreibungen politisch motiviert sein konnten, versuchte doch die bayerische Seite 1626, die vom Kaiser angeordneten gegenreformatorischen Maßnahmen als ursächlich für den Aufstand darzustellen, während österreichischerseits die vermeintliche Jahr 1636, der zufolge jedem gemeinen Soldaten pro Tag eine Brotration ausgehändigt werden sollte, „und dieses wirdt geraicht fir all anndere förtl, weilen die glegenhait nit vorhanden, merer servitien als tach und feur zu geben.“ (TLA, Landesfürstliche Landtagsakten, Beilage zu 1636 Februar 14). 63  Vgl. Schennach, Tiroler Landesverteidigung (wie Anm. 1) 347–351. 64   Zit. nach Schennach, Tiroler Landesverteidigung (wie Anm. 1) 348. 65  Vgl. Sigmund von Riezler, Der Aufstand der bayerischen Bauern im Winter 1633 auf 1634, in: SB der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Philologische und Historische Klasse 1900 (München 1901) 33–95; Renate Blickle, Rebellion oder natürliche Defension? Der Aufstand der Bauern in Bayern 1633/34 im Horizont von gemeinem Recht und christlichem Naturrecht, in: Verbrechen, Strafen und soziale Kontrolle, hg. von Richard van Dülmen (Studien zur historischen Kulturforschung 3, Frankfurt/Main 1990) 56–84. 66  Anonymus, Apologetische Interims Relation, Wegen der nägst fürgangenen Kays. Religions Reformation im Ertzhertzogthumb Oesterreich ob der Enns. Darinnen Zwar kürtzlich / jeoch gantz gründlich außgeführt wird / daß der Bawerschafft / und der Adhærenten daselbst zu jhrem unheilsamben Auffstandt hierdurch kein ainige erhebliche Ursach geben worden sey. Die Wahrheit zu steüer / den Bösen zur rew / und Mennigklich zum Bericht / in offentlichen Druck verfertiget (Wien 1626) unpaginiert.



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Tyrannei Herberstorffs und das Hausen der einquartierten Truppen verantwortlich gemacht wurden, mithin wechselseitig Schuldzuweisungen stattfanden67. Im Folgenden werden drei Motivgruppen unterschieden, wobei darauf hinzuweisen ist, dass Überlappungen, wechselseitige Beeinflussungen und Verstärkungseffekte selbstverständlich möglich, ja sogar zu erwarten sind. (1) An erster Stelle sind die kriegsbedingten Ursachen zu erwähnen. Einquartierungen und Durchmärsche als gleichsam typische Gründe für im Allgemeinen lokale Unruhen wurden bereits skizziert. Interferenzen sind aber überdeutlich, stand doch am Beginn des oberösterreichischen Bauernkriegs ebenfalls eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Untertanen und Söldnern68. Legitimationsstrategien seitens der Beteiligten, so sie überhaupt fassbar werden, argumentieren, wie der bayerische Aufstand vor Augen führt, mit dem „natürlichen“ Recht auf Selbsthilfe und Selbstverteidigung69. Neben diesen unmittelbaren Kriegsauswirkungen darf man nicht die zusätzliche finanzielle Belastung durch den kriegsbedingt höheren Steuerdruck und gegebenenfalls durch die im Gefolge von Kampfhandlungen erlittenen Schäden vergessen, die einen schon bestehenden Konflikt mit der Herrschaft um Ressourcen noch verstärken konnten70. Ob eine solche durch das Kriegsgeschehen verursachte indirekte Beschwernis zum sprichwörtlichen Tropfen wurde, der das Fass zum Überlaufen brachte, lässt sich freilich methodisch nie einwandfrei feststellen. Gleichzeitig muss man darauf aufmerksam machen, dass unmittelbares Kriegsgeschehen vor Ort auch umgekehrt nicht zur Pazifizierung, aber zumindest zur zeitweiligen Verdrängung und Überlagerung von langwierigen Konflikten führte, indem unter Umständen Auseinandersetzungen zwischen Untertanen und Herrschaft für die Zeit des Kriegsgeschehens suspendiert waren71. „Unter diesen Bedingungen [des Kriegszustandes] verloren die herrschaftsinternen Konflikte an Bedeutung“72, wie es Claudia Ulbrich anhand der Herrschaft Triberg auf den Punkt brachte. (2) Dieser Befund der temporären Überlagerungen von Unruhen gilt insbesondere für eine zweite Gruppe von Ursachen für Erhebungen, die hier als „traditionale“ Revolten bezeichnet werden. Dieser Terminus soll jedoch in Abweichung von der ursprünglichen, auf die Zeit der französischen Revolution und der napoleonischen Ära gemünzten Definition Sandro Guzzi-Heebs73 für jene Rebellionen verwendet, deren Gründe Kontinuitätslinien 67  Vgl. nur Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 34) 268–270. Dies wird in der Interims-Relation auch eingehend herausgearbeitet, wobei der unbekannte Autor – wie bereits aus dem Publikationsort ersichtlich – einen streng der österreichischen Sichtweise entsprechenden Standpunkt vertrat (vgl. nur dessen Schlussfolgerung: „So kan [!] ich […] anderst nichts bezeugen / als daß dieses vielberührte Reformationswerck solcher gestalt angestellet / und seithero fortgetriben worden sey / daß niemand / und am allerwenigsten die Bawerschafft / hierauß zu dero abschewlichen Auffstandt einig erhebliche Ursach im geringsten nicht vorwenden oder rechtmessig prætendiern“ könne (Anonymus, Interims-Relation [wie Anm. 66] unpaginiert). 68  Vgl. Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 34) 272; Czerny, Bilder (wie Anm. 2) 37–39. Die Abneigung der ländlichen Bevölkerung zeigt sich auch in Ausschreitungen von Aufständischen gegenüber einzeln oder in Gruppen gefangen genommenen Soldaten (vgl. hierzu nur Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand [wie Anm. 11] 1 283f.), auch wenn zeitgenössische Berichte über exorbitante, von den Bauern an den Kriegsknechten begangene Gräuel (genauso wie vice versa) quellenkritisch zu hinterfragen sind. 69  Vgl. nur Blickle, Rebellion oder natürliche Defension (wie Anm. 65) bes. 78–84. 70   Vgl. allgemein Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 95f.; siehe z. B. Grüll, Bauer, Herr und Landesfürst (wie Anm. 39) 120. 71   So beispielsweise die Auseinandersetzung zwischen den Wildeneckern und ihrer Herrschaft während des Bauernkriegs 1626 (Grüll, Bauer, Herr und Landesfürst [wie Anm. 39] 116f.). 72   Ulbrich, Bäuerlicher Widerstand in Triberg (wie Anm. 55) 172. 73  Vgl. Sandro Guzzi-Heeb, Logik des traditionalistischen Aufstandes. Revolten gegen die Helvetische Republik. HA 9/2 (2001) 233–253.

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zu den Jahrzehnten vor und nach dem Dreißigjährigen Krieg aufweisen. Üblicherweise handelte es sich dabei um Auseinandersetzungen zwischen Untertanen und Herrschaft, die sich insbesondere um die Erhöhung der Abgabenlast oder der Robot, aber auch um Eingriffe in die gemeindliche Autonomie drehten. Musterbeispiel wären nahezu alle Unruhen in den schwäbisch-österreichischen Herrschaften74, aber entsprechende Phänomene lassen sich ebenso in anderen Ländern ausmachen. Verwiesen sei hier pars pro toto auf den von Georg Grüll ausführlich dargestellten Konflikt der Wildenecker Holden mit ihrer Grundherrschaft, der zu Beginn und am Ende des Dreißigjährigen Krieges Eskalationsspitzen in Gestalt von Abgabenverweigerungen und verbotenen Zusammenkünften der Untertanen samt den Gegenmaßnahmen der Mondseer Grundherrschaft aufwies, sich aber auch nach Kriegsende noch jahrzehntelang hinzog75. In der Obersteiermark standen ebenfalls neue oder erhöhte Abgaben im Zentrum der Kritik76, während sich der untersteirische Bauernkrieg desselben Jahres an vergleichbaren wirtschaftlichen Belastungen, speziell jedoch überdies an der Umwandlung der „ungemessenen“, d. h. bislang nicht genau fixierten, Robot in eine tägliche Robot entzündete77. Für diese Kategorie von Unruhen lässt sich – wenngleich nicht durchgehend – ein typisches Begründungs- und Legitimationsmuster ausmachen, indem die Aufständischen auf das durch die neuen Forderungen verletzte Gewohnheitsrecht, auf das wiederherzustellende „Herkommen“ oder auf die „guten alten Gewohnheiten und Gebräuche“ verwiesen, allenfalls auch auf früher abgeschlossene Verträge zwischen Grundholden und -herrschaft über die zu erbringenden Leistungen78. In dieser Konstellation ist es bezeichnend, wenn die Untertanen wie in Wildeneck 1620 in tumultuösen Auftritten das Verlesen oder die Abschrift eines von der Herrschaft verwahrten, die Verpflichtungen regelnden Vertrags verlangten79. Diese traditionellen Unruhen waren im Übrigen die einzigen, die einer „Verrechtlichung“ im angesprochenen Sinn von Winfried Schulze überhaupt zugänglich sind, was einmal mehr die bislang überschätzte Tragfähigkeit dieser These deutlich macht. Zu dieser Gruppe von Unruhen gehörte auch der Tiroler Jagdaufstand des Jahres 1619, wurde doch wie schon bei früheren entsprechenden Anlässen 1519, 1564 und 1595 auf die „uralten […] freyhaiten“ verwiesen, wonach, so wir bericht werden, auf ableiben aines yeden regierenden lanndtsfürsten und grafens zu Tyrol etc., alles schwaz- unnd rotwild ainem yeden angesessnen mann zu fellen und zu jagen erlaubt und frey sein solle80. (3) Das dritte Motivbündel stellten religiöse Gründe für Unruhen dar, wie sie beim oberösterreichischen Bauernkrieg und den oberösterreichischen Unruhen 1632 und 1635/36 auszumachen sind und wohl auch in den zwanziger Jahren in Böhmen und Mähren sowie in abgeschwächter Form in Schlesien eine Rolle spielten81. Gerade für 1626   Vgl. zusammenfassend mit weiteren Literaturhinweisen Schennach, Unruhen (wie Anm. 1) 45–46.  Vgl. Grüll, Bauer, Herr und Landesfürst (wie Anm. 39) 81–205. 76   Pferschy, Zu den obersteirischen Bauernunruhen (wie Anm. 49) 86; Zusammenfassend Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 86f. 77   Vgl. z. B. Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 85; siehe auch Helfried Valentinitsch, Der Kampf der Untertanen der Malteserkommende Fürstenfeld gegen die tägliche Robot im 17. Jahrhundert. ZHVStmk 76 (1985) 193–212; allgemein Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 88–91; zum Hintergrund Grüll, Robot (wie Anm. 21). 78  Vgl. mit zahlreichen weiteren Literaturhinweisen Schennach, Unruhen (wie Anm. 1) 51–53. 79 Vgl. Grüll, Bauer, Herr und Landesfürst (wie Anm. 39) 106. 80  So die Stellungnahme der Stadt Meran in: StA Meran, Stadtverwaltung Nr. 45 (Jagd und Fischerei 1575–1653), nach 1619 Jan. 24. 81  Vgl. generell Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 97f.; Čechura, Zu spät und zu friedlich (wie Anm. 27) 74 75



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haben wir zwar auch bäuerliche Forderungsprogramme, die durchaus – wie bereits der Autor der „Apologetischen Interimsrelation“ aufzeigte – weitere Motive für die Beteiligung an der Revolte erkennen lassen. Stellvertretend sei auf die Beschwerdeschrift einer „obderennsischen „versamblete[n]und rainer augspurgischen confession zuegethone[n] gemain“82 vom Juli 1626 sowie auf die „Paurn Articul“83 von Anfang Juni hingewiesen: Unter den Gravamina wurden hier auch die verstärkte, nicht zuletzt kriegsbedingte Steuerbelastung, Bedrückungen durch die Grundherrschaft, die Belastung durch Einquartierungen und Übergriffe der Soldaten angeführt. Ebenso wird die generelle Unzufriedenheit mit dem als tyrannisch wahrgenommenen Regiment des Statthalters Herberstorff greifbar, der samt Anhang aus dem Land vertrieben werden sollte. Gerade in Zusammenhang mit Herberstorff wurde nicht nur im Schreiben, sondern gleichermaßen beim Verhör gefangener Bauern wiederholt auf dessen Grausamkeit im Zusammenhang mit dem Frankenburger Würfelspiel hingewiesen, bei dem, so der Vorwurf, willkürlich und ohne jedes rechtliche Verfahren Unschuldige getötet worden seien: „des kon bis an den jüngsten tag stillschweigent nit fürübergelassen werden, weiln urtel und recht darwider und der gerechte Gott dern unschult wunderbarlichen an tag gegeben.“84 Stellenweise schimmern von der Forschung als sozialrevolutionär beschriebene Forderungen durch, beispielsweise wenn eine Veränderung der landständischen Repräsentation gefordert wird: „Die Prälaten aus dem Rath und Paurn hinein wie in Tyrol der Gebrauch ist, denn die Geistlichen haben in dem Weltlichen nichts zu thain“85. Dominant war jedoch zweifellos der Kampf für die Bewahrung der protestantischen Konfession und gegen die Gegenreformation86. Nicht nur, dass diese religiösen Forderungen bei bäuerlichen Gravamina bezeichnenderweise stets an erster Stelle angeführt wurden. Aussagekräftig ist überdies, dass immer wieder Übergriffe der Aufständischen auf die bäuerliche Bevölkerung mehrheitlich katholischer Grundherrschaften belegt sind87 und sich diese trotz Drohungen und Drucks nachweislich kaum an der Erhebung beteiligte. Verwiesen sei auf die Wildenecker Herrschaft des Klosters Mondsee, deren Untertanen sich trotz aller 121; Weber, Bauernkrieg (wie Anm. 53) 54. Gestreift werden die Aufstände in Mähren auch bei Tomáš Knoz, Die Konfiskationen nach 1620 in (erb)länderübergreifender Perspektive. Thesen zu wesentlichen Wirkungen, Aspekten und Prinzipien des Konfiskationsprozesses, in: Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, hg. von Petr MaŤa–Thomas Winkelbauer (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 24, Stuttgart 2006) 99–130, hier 111, 114. 82  Edition bei Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand (wie Anm. 11) 2 244–260 (Zitat 260). 83  Vgl. die Wiedergabe bei Czerny, Einige Blätter (wie Anm. 11) 171f. 84  Zit. nach Felix Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand (wie Anm. 11) 2 258. 85  Zit. nach Czerny, Einige Blätter (wie Anm. 11) 172; vgl. Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 34) 262; Heilingsetzer, 1626 (wie Anm. 11) 11. 86  Vgl. das Résumé bei Heilingsetzer, 1626 (wie Anm. 11) 14: „Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass es ein ganzer Komplex von Gründen war, der die obderennsischen Bauern zum Aufstand trieb, wobei das religiöse Moment nicht nur den integrierenden Faktor darstellte und als Legitimierung gegenüber den Standesgenossen am besten geeignet war, da in einer so stark von Glaube und Aberglaube beherrschten Welt die Religion naturgemäß eine starke Triebfeder des menschlichen Handelns war. Als einigendes Band dienten daneben noch antibayerische Affekte sowie unterschwellig auch starke soziale Komponenten.“ 87 Vgl. Czerny, Bilder (wie Anm. 2) 50: „[…] katholische Bauern, die nicht mithalten wollten, wurden niedergemetzelt.“ In einem Brief von Richter und Rat des Marktes Aschach an die Stände weisen die Verfasser darauf hin, dass die Aufständischen die Bewohner nach der Besetzung des Marktes zu einer Beteiligung an der Empörung zwingen wollten. Jeder Haushalt sollte zu diesem Zweck mindestens einen Mann stellen; wer sich weigern würde, sei wohl katholisch und solle erschlagen werden (ebd. 57). Auch 1632 kam es zur Ausplünderung katholischer Bauern (ebd. 172).

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Auseinandersetzungen mit der Grundherrschaft bezeichnenderweise ruhig verhielten88. Ähnliches lässt sich ungeachtet aller jahrzehntelang persistierenden Auseinandersetzungen mit der Grundherrschaft in den sog. „beyfreiten Ämtern“ Neustift, Pfriemreith, Ebersegg und Windhag ausmachen89. 1632 wurden sogar katholische Untertanen beispielsweise des Stiftes Kremsmünster zum Einsatz gegen die Rebellen aufgeboten90. Ferner verdeutlichen die zeitgenössischen Legitimationsstrategien die herausragende Relevanz des Faktors „Religion“. Zwar scheint in der an den Kaiser adressierten Beschwerdeschrift vom Juli 1626 der Topos der naturrechtlich legitimierten Selbsthilfe angesichts der vielfältigen Bedrängungen des gemeinen Mannes auf: Man sei gezwungen, gemäß den „natürlichen rechten nach anweisung und trib der natur selbsten, so allen thieren auf erden zu irer selbst erhaltung, hail, wolfart und sorgfaltigkeit eingepflanzet, höchst verursacht und getrungen worden, unser leste hilft und zueflucht bei erlaubtet, natürlicher defension zu suechen“91. Hinzuweisen ist auch auf ein Aufgebotsschreiben Stephan Fadingers an eine Reihe von Gemeinden, die sich mit bewaffneter Mannschaft an der Revolte beteiligen und bei Steyr einfinden sollten. Die Erhebung wurde dabei ausschließlich als Kampf für die richtige Religion dargestellt, wobei man davon ausgehen darf, dass Fadinger in seinem Brief auf den Erwartungshorizont seiner Adressaten abstellte, um möglichst viele von ihnen für die eigene Sache zu gewinnen: „Weilen denn wir nit um Guet oder Geld uns ins Feld begeben haben, sondern wegen des reinen allein seligmachenden Wort Gottes wegen, also ist hiermit einer ganzen christlichen Bauerschaft und Gemein unser christliches Bitten, die weil nun solches Gottes Ehr angeht, uns einen christlichen Beistand zu leisten und zu uns mit eurer Nachbarschaft […] nach Steyr zur christlichen Armata mit Zeigern dieses Briefs euch einzustellen. Der gerechte Gott, der uns erschaffen hat, wird solches um der Herrn Nachbarn (willen) mit seinen göttlichen Gnaden wiederum reichlich begaben und ansehen und der Segen Gottes sei mit uns, bei uns, Allen. Amen. Datum im christlichen Feldlager etc.“92. Die Selbstbezeichnung als „christliche Armada“ und die bei Fadinger regelmäßige Ortsangabe „im christlichen Feldlager“93 diente nicht nur der Selbstinszenierung, sondern bedeutete implizit die Markierung des Gegners als unchristlich, ja als Handlanger des Teufels. Die damit verbundene Provokation blieb natürlich der Gegenseite nicht verborgen, und der Abt von Garsten variierte die Fadingersche Formulierung mit dem Hinweis auf „das christliche (salvo honore) henkermässige Feldlager“94 der Rebellen. Die Mobilisations- und Legitimationsstrategie durch die Propagierung eines Kampfes für die Religion in Kombination mit der Kritik an der bayerischen Besatzung ermöglichte es zugleich, die Erhebung als ausdrücklich nicht gegen den habsburgischen Landesfürsten und dessen Landeshoheit ausgerichtet zu positionieren, ja sogar anzubieten, die Mittel für die Auslösung des Landes aus der bayerischen Pfandherrschaft aufzubringen95. Da  Grüll, Bauer, Herr und Landesfürst (wie Anm. 39) 116f.   Vgl. Helmuth Feigl, Die befreiten Ämter der Herrschaft Steyr in den Bauernkriegen des 16. und 17. Jahrhunderts. MOÖLA 6 (1959) 209–262, hier 252f. Vgl. auch die entsprechenden Hinweise bei Heilingsetzer, 1626 (wie Anm. 11) 19. 90 Vgl. Czerny, Bilder (wie Anm. 2) 170. 91  Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand (wie Anm. 11) 2 258. 92  Zit. nach Czerny, Einige Blätter (wie Anm. 11) 165. 93 Vgl. Czerny, Bilder (wie Anm. 2) 61–66. 94  Zit. nach Czerny, Einige Blätter (wie Anm. 11) 169. 95 Vgl. Bruckmüller, Sozialgeschichte (wie Anm. 6) 129. 88 89



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mit sollte aber vornehmlich dem erwartbaren Vorwurf der Begehung eines „crimen laesae maiestatis“ der Wind aus den Segeln genommen werden; es erschiene vorschnell, deshalb der Revolte einen „‚patriotischen‘ Charakter“96 zuschreiben zu wollen. Letztlich war diese Strategie freilich sogar erfolgreich (siehe unten). Ein quasi zugleich religiöser wie säkularer Legitimationsversuch lässt sich auch beim Greimbl-Aufstand 1632 erkennen, behauptete der Anführer doch, im Namen und Auftrag des anrückenden schwedischen Königs zu handeln, forderte zur Erbhuldigung für Gustav Adolf auf und ließ sich bei seinem Wagen bei Überlandfahrten ein Schwert vorantragen, das die symbolische Besitzergreifung durch den schwedischen König visuell inszenieren und seine Beauftragung durch ihn vor Augen führen sollte97.

6. Reaktionen der Obrigkeiten 6.1. Strafrecht

Ganz im Rahmen des Erwartbaren lagen die Reaktionen der Obrigkeiten, soweit zur Pazifizierung von Unruhen ein Militäreinsatz notwendig wurde. Im Anschluss daran kam es regelmäßig zur exemplarischen und grausamen Hinrichtung der vermeintlichen Rädelsführer, während die Masse der ansonsten am Aufstand beteiligten Personen weitgehend unbehelligt gelassen wurde98. Bei größeren Aufständen wie in der Untersteiermark und in Krain 1635, bewegte sich die Zahl der Hingerichteten im unteren zweistelligen Bereich, bei kleineren Revolten wie 1632 und 1636 blieb die Zahl der Exekutionen im einstelligen Bereich99. Im Nachgang des oberösterreichischen Bauernkriegs wurden bis zu 100 Beteiligte exekutiert100. Dreistellig war die Zahl der Exekutionen zudem nach den mährischen Aufständen, die in den zwanziger Jahren einsetzten, sich aber noch bis in die vierziger Jahre hinzogen. Damals wurden insgesamt mindestens 141 Untertanen hingerichtet101. In konventionellen Bahnen bewegte sich zudem die auf Abschreckung setzende grausame Art der Hinrichtung und die anschließenden Inszenierungen der toten Körper, wobei exemplarisch nur das Urteil über Martin Laimbauer erwähnt sei102: Wegen des begangenen „crimen laesae maiestatis“ sollte er zunächst mit einer glühenden Zange malträtiert, ihm anschließend die Zunge herausgerissen und „um das Maul geschwungen“ werden, anschließend war sein Körper zu vierteilen und die Glieder an den Orten seines Wirkens in allen vier Landesvierteln auf Spießen zu präsentieren. Seine Konversion zum Katholizismus führte zu einer Urteilsmilderung im Gnadenweg, indem Laimbauer „nur“ die rechte Hand abgeschlagen und er anschließend geköpft werden sollte, während die   Ebd. 129.  Vgl. Czerny, Bilder (wie Anm. 2) 171f. 98   Hierzu allgemein Schennach, Rechtliche Reaktionen (wie Anm. 10) 257–271; Ernst Bruckmüller, Die Strafmaßnahmen nach den bäuerlichen Erhebungen des 15. bis 17. Jahrhunderts, in: Wellen der Verfolgung in der österreichischen Geschichte, hg. von Erich Zöllner (Schriften des Instituts für Österreichkunde 48, Wien 1986) 95–117, bes. 101–108. 99  Vgl. Mell, Der windische Bauernaufstand (wie Anm. 18) 257; Czerny, Bilder (wie Anm. 2) 176 (zu Greimbl); Wilfingseder, Martin Laimbauer (wie Anm. 45) 177f. 100 Vgl. Winkelbauer, Ständefreiheit (wie Anm. 40) 1 70f.; Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 34) 307. 101 Vgl. Dufka, Strategien (wie Anm. 27) 326. 102 Vgl. Wilfingseder, Martin Laimbauer (wie Anm. 45) 177. 96 97

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Vierteilung erst an der Leiche vollzogen werden sollte. Das Abschneiden der Zunge und das Abschlagen der rechten Hand waren dabei Spiegelstrafen, hatte doch der Verurteilte durch seine Beteiligung am Aufstand gegen seinen Treue- und Huldigungseid verstoßen. Insbesondere dem regelmäßig zu beobachtenden Zurschaustellen der Gliedmaßen der Hingerichteten sollte ferner eine langfristige abschreckende Wirkung zukommen. So wurden selbstverständlich auch nach den Ereignissen in Oberösterreich 1626 die Köpfe und Gliedmaßen der teils gehängten, teils geköpften und im Anschluss gevierteilten Rädelsführer entweder auf Pflöcke gespießt oder an Galgen gehängt und auf zentralen Plätzen in Linz, Steyr, Grieskirchen oder entlang der Zufahrtsstraßen zu den Städten präsentiert103. Hingewiesen sei noch auf den Sonderfall des im Nachgang des oberösterreichischen Bauernkriegs zum Tode verurteilten Dr. Lazarus Holzmüller († 1626), der vor der Hinrichtung verstorben war. In seinem Fall wurde die Strafe am toten Körper vollstreckt104. Die Verurteilung von Beteiligten wegen des „crimen laesae maiestatis“ stieß allerdings tendenziell auf Widerspruch seitens der Grundherrschaften, bedeutete dies doch neben der möglichen Verhängung der Todesstrafe die Einziehung der Güter der Delinquenten zugunsten des Landesfürsten, was die Grundherren auch als Schädigung der eigenen wirtschaftlichen Situation wahrnahmen105. Dass nach 1626 die Beteiligten nicht wegen des Verbrechens der Majestätsbeleidigung belangt wurden, war der besonderen Konstellation geschuldet106. Schon die Prozessführung wurde einer gemischten bayerisch-habsburgischen Kommission zugewiesen, die mit Blick auf den (ja von den Rebellen auch verbalisierten) Vorsatz der Involvierten die Schlussfolgerung zog, dass nur das Delikt des Aufruhrs, nicht das der Majestätsbeleidigung vorgefallen sei, schließlich hätte sich die Revolte nicht gegen den Kaiser und die landesfürstliche Obrigkeit, sondern gegen die bayerische Pfandherrschaft gerichtet. Darin reflektierte sich wohl weniger ein tieferes Verständnis für die Motivationen der Aufständischen als vielmehr die kaiserlicherseits angestellte Überlegung, dass bei der im Fall des „crimen laesae maiestatis“ möglichen Strafe der Güterkonfiskation der bayerische Kurfürst als Pfandherr Anspruch auf die einzuziehenden Vermögenswerte erhoben hätte. 6.2. Schlichtung und Vermittlung durch Kommissäre

Hingewiesen sei an dieser Stelle jedoch eingehender auf eine besondere Art der versuchten obrigkeitlichen Pazifikation von Unruhen, nämlich die Vermittlung und Schlichtung zwischen den Streitparteien – Herrschaften und Untertanen – durch Kommissionen, deren Untersuchung und Analyse (im Unterschied zur zuletzt intensiver 103  Vgl. Winkelbauer, Ständefreiheit (wie Anm. 40) 1 50; Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand (wie Anm. 11) 1 313f. 104   Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 34) 307; Heilingsetzer, 1626 (wie Anm. 11) 38. 105  Dieser Konflikt ist nicht neu, sondern lässt sich bereits im Nachgang anderer Erhebungen nachweisen, vgl. beispielsweise Albin Czerny, Der erste Bauernaufstand in Oberösterreich 1525 (Linz 1882) 157–161; Karl Eder, Der steirische Landeshauptmann Siegmund von Dietrichstein (1480–1533). Beiträge zu seiner Biographie. Mit einer Würdigung Karl Eders von Alexander Novotny, neu hg. von Helmut J. Mezler-Andelberg (Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 21, Graz 1963) 41f.; Helmuth Feigl, Der niederösterreichische Bauernaufstand 1596/97 (Militärhistorische Schriftenreihe 22, Wien 31988) 27, 33f.; Schennach, Rechtliche Reaktionen (wie Anm. 10) 259. 106 Vgl. hierzu Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand (wie Anm. 11) 1 310f.; Schennach, Rechtliche Reaktionen (wie Anm. 10) 264.



„Ist die Bauernrebellion wieder mit Macht ausgebrochen“ 227

erforschten reichshofrätlichen Kommissionstätigkeit107) wiederholt als Desiderat ausgemacht wurde108. Diese konnten entweder rein aus landesfürstlicherseits beauftragten Kommissären bestehen (wie dies für die vorderösterreichischen Herrschaften regelmäßig feststellbar ist) oder mit ständischen Verordneten besetzt sein; möglich waren aber auch gemischt landesfürstlich-ständische Kommissionen109. Diese Schlichtungs- und Vermittlungstätigkeit bedeutete wohlgemerkt noch keine Prozessführung, mithin keine „Verrechtlichung“, zumal bei einem Austrag im Prozessweg eine unter Umständen jahre- und jahrzehntelange Verzögerung bis zur Entscheidungsfindung wahrscheinlich war und die Kommissionen im Gegenteil rasche Ergebnisse zeitigen sollten. In den Vorlanden und speziell in Schwäbisch-Österreich war die Kommissionstätigkeit bei Unruhen gleichsam schon der Normalfall und ermöglichte dem Landesfürsten und seinen Behörden überdies die vorteilhafte Präsentation als über den Parteien stehender Streitschlichter. Speziell gegenüber den lehen- und pfandweisen Herrschaftsinhabern in Schwäbisch-Österreich konnte man durch die Entsendung von Kommissionen zugleich mehr oder weniger subtil die Position als Inhaber der Landeshoheit betonen110. Aber auch außerhalb der Vorlande scheint ein Tätigwerden von Kommissionen häufiger gewesen zu sein, als es die bisher bloß punktuellen Befunde erahnen ließen111. Vorschnell wäre der Schluss, dass Kommissionstätigkeiten während einer Unruhe ausschließlich der Verzögerung gedient hätten; der Verweis auf die Möglichkeit einer Beschwerdeführung vor der Kommission konnte natürlich den intendierten Effekt haben, bis zur Heranziehung von Truppen Zeit zu gewinnen112. Dennoch wäre eine den Einsatz von Kommissionen ausschließlich als Verzögerungstaktik wertende Einschätzung wohl voreilig; im besten Fall ermöglichten sie nämlich die rasche Streitbeilegung und verhinderten die weitere Eskalation. Dass die Schlichtung einer Revolte durch eine 107  Vgl. Eva Ortlieb, Die kaiserlichen Kommissionen des Reichshofrats und die Regelung von Konflikten im Alten Reich (1637–1657) (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 38, Köln–Wien–Weimar 2001); Sabine Ullmann, Die regionale Verankerung der Friedenssicherung im Alten Reich. Zur Wirkungsweise der kaiserlichen Kommissionen des Reichshofrats während des 16. Jahrhunderts, in: Augsburg, Schwaben und der Rest der Welt. Neue Beiträge zur Landes- und Regionalgeschichte. FS für Rolf Kiessling zum 70. Geburtstag, hg. von Dietmar Schiersner u. a. (Augsburg 2011) 173–191; zusammenfassend jüngst Thomas Dorfner, Mittler zwischen Haupt und Gliedern. Die Reichshofratsagenten und ihre Rolle im Verfahren (1658–1740) (Verhandeln, Verfahren, Entscheiden. Historische Perspektiven 2, Münster 2015) 19f.; zum Thema auch schon Schulze, Bäuerlicher Widerstand (wie Anm. 8) 106–110. 108   So schon Schennach, Unruhen (wie Anm. 24) 55; Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 104 („Noch kaum untersucht ist die Kommissionstätigkeit der vom Landesfürsten oder den Ständen (Prälaten-, Herrenund Ritterkurie, städtische Kurie) eingesetzten Verhandlungsdelegationen“). 109 Zur weiten Verbreitung dieser Schlichtungs- und Vermittlungspraxis vgl. die Literaturhinweise bei Schennach, Rechtliche Reaktionen (wie Anm. 10) 275f. 110  Zürn, Untertanenwiderstand (wie Anm. 25) 304; weitere Literaturhinweise bei Schennach, Unruhen (wie Anm. 24) 46f. 111   So macht Thomas Winkelbauer, Robot und Steuer. Die Untertanen der Waldviertler Grundherrschaften Gföhl und Altpölla zwischen feudaler Herrschaft und absolutistischem Staat (vom 16. Jahrhundert bis zum Vormärz) (FLkNÖ 25, Horn 1986) 143, darauf aufmerksam, dass es in der Herrschaft Altpölla 1633, 1635 und 1642 aus Anlass von bäuerlichen Beschwerden zur Einsetzung von Kommissionen durch die niederösterreichische Regierung kam. Winkelbauer spricht diese Kommission als „Untersuchungskommission“ an. Als Vorfrage wäre freilich zu klären, ob überhaupt und inwiefern für die in verschiedenen Konfliktsituationen gebildeten Kommissionen gemeinsame (Verfahrens-)Grundsätze galten oder ad hoc eigene Instruktionen verfasst wurden, sprich ob überhaupt eine Vergleichbarkeit gegeben ist. 112 Vgl. Schennach, Unruhen (wie Anm. 24) 55f.; zu einem Beispiel während unseres Untersuchungszeitraums siehe Czerny, Bilder (wie Anm. 2) 45.

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Martin P. Schennach

Kommission eine Handlungsalternative zur militärischen Niederwerfung darstellte, geht auch aus einem Schreiben des innerösterreichischen Hofkriegsrats an die ständischen Verordneten aus dem Mai 1635 hervor, wonach die jüngst „zuegenumbne ganz gefährliche pauernrebellion […] nun entweder durch güettliche tractation oder die schärffe gestillt mueß“ werden113. Als sich beispielsweise 1633 in der untersteirischen Herrschaft Pogled eine Konfrontation zwischen Grundherren und Untertanen abzeichnete, wobei letztere mit einem Aussetzen der Robotleistungen für zwei Wochen reagiert und anschließend die Robot nur in dem ihnen angemessen erscheinenden Ausmaß erbracht hatten, kam es rasch zum Einsetzen einer Vergleichskommission durch den Landeshauptmann, die unter Zugrundelegung der Beschwerdeschrift der Grundholden einen deren Forderungen in hohem Maße Rechnung tragenden Kompromiss stiftete114. 1635 scheiterten Ansätze zu einer ursprünglich angestrebten friedlichen Konfliktbeilegung, da sich der Grundherr dagegen sträubte und trotz des Beteuerns des Landprofos, er „sei gekommen, um Frieden zu stiften und friedlich die Angelegenheit beizulegen, nicht aber um die Unterthanen todtzuschlagen“115, auf ein gewalttätiges Vorgehen gegen die aus seiner Sicht unbotmäßigen Untertanen drängte. Als nach der Eskalation doch noch eine aus zwei Mann bestehende landesfürstliche Kommission entsandt wurde, denen später noch zwei landständische adelige Vertreter beigegebenen wurden, die Beschwerden entgegennehmen und die Bauern zum Niederlegen der Waffen bewegen sollten, war es schon zu spät. So kamen die Kommissäre selbst zum Schluss, dass angesichts der Entwicklungen wohl „anderwetige Mittel“ zur Verhinderung eines „Generalaufstand[s]“ notwendig seien116. Bei der Jagdunruhe in Tirol 1618/19 bediente man sich zwar keiner Kommissionstätigkeit vor Ort, doch bemühten sich Vertreter der Landstände und der Regierung um eine gemeinsame Lösung, die schließlich in der von den Landständen mitgetragenen Richtsal ihren Niederschlag fand, in der Leopold V. bisherige Übergriffe auf die Wildbestände pardonierte, auf Jagdbeschwerden der Untertanen einging und Abhilfe zusagte, wofür diese im Gegenzug auf das behauptete Recht der freien Jagdausübung beim Tod eines Landesfürsten verzichten sollten117. Für wie wichtig die Schlichtungstätigkeit für die dauerhafte Pazifizierung angesehen wurde, zeigt nicht zuletzt die Entsendung von Kommissionen selbst nach der erfolgten gewaltsamen Niederschlagung eines Aufstands, wie wir sie unter anderem nach dem untersteirischen Bauernkrieg 1635 beobachten können118 und wie sie schon früher nach dem obderennsischen Bauernkrieg 1595/1597 praktiziert worden war119. Die Untersuchungen von Gerhard Pferschy haben gezeigt, dass es den Untertanen in diesem Rahmen gelingen konnte, eigene Positionen trotz des Widerstrebens der Gegenseite durchzusetzen120. 113

146.

  Zitiert nach der Edition des Briefes von 1635 Mai 19 in Pferschy, Bauernaufstände (wie Anm. 47)

 Vgl. Pferschy, Streik der Untertanen (wie Anm. 51).   Mell, Der windische Bauernaufstand (wie Anm. 18) 215. 116   Ebd. 231–235 (beide Zitate 232). 117  Vgl. Schennach, Jagdrecht (wie Anm. 50) 141f. 118   Vgl. Gerhard Pferschy, Ursachen und Folgen des Bauernaufstandes 1635 zu Novi Klošter (Neukloster). Casopis za zgodovino in narodopisje 5 (1969) 296–312. 119 Vgl. Grüll, Robot (wie Anm. 21) 112–121; Grüll, Bauer im Lande ob der Enns (wie Anm. 21) 14–17, 19–21, 23–25, 58, 120, 220–223. 120 Vgl. Pferschy, Bauernaufstände (wie Anm. 47) 146; Ders., Ursachen und Folgen (wie Anm. 118). 114 115



„Ist die Bauernrebellion wieder mit Macht ausgebrochen“ 229

In einem Kontext wurde die Schlichtungstätigkeit durch Kommissäre überhaupt institutionalisiert, nämlich im Bereich der Truppeneinquartierungen und -durchmärsche. Diese sollten nicht nur vor Ort auf eine angemessene Verteilung der Quartierslast zwischen den und innerhalb der Ortschaften achten, sondern angesichts der oftmals ungenügenden Handhabung der Militärgerichtsbarkeit durch die Regimentsinhaber Konflikte zwischen Soldaten und Untertanen durch Befassung und Einschaltung der Offiziere entschärfen121. Diese Aufgabe wurde zwar parallel auch von lokalen Obrigkeiten oder Grundherren wahrgenommen122, doch hatte der Kommissär den Vorteil, die landesfürstliche und behördliche Autorität im Rücken zu haben. Auf normativer Ebene war daher vorgesehen, dass der Kriegskommissar immer dann in Aktion treten sollte, wenn eine unmittelbare Konfliktbeilegung durch die jeweils die Interessen ihrer Untergebenen wahrnehmenden Obrigkeiten und Offiziere nicht gelang123. Dem Ziel der Revoltenprävention diente im Übrigen auch die für die oberösterreichische Regierung genau nachzuweisende Nachverfolgung von Unruhen und Aufständen in anderen Ländern. Egal, ob es sich um den oberösterreichischen Bauernkrieg, den bayerischen Aufstand von 1633/34 oder die Unruhen im damals salzburgischen Zillertal im Jahr 1645 handelte – stets reagierte man nicht nur mit Anstalten, über die Vorgänge weitere Informationen zu gewinnen, um die Gefahr einer Ausweitung der Rebellion auf eigenes Gebiet abschätzen zu können, sondern wies auch die Obrigkeiten in den Grenzgebieten zu erhöhter Wachsamkeit an. Dabei sollte im Speziellen der Stimmungslage in der 121   Zum Zeitpunkt der Abfassung des Artikels war erst angekündigt Keita Saito, Das Kriegskommissariat der bayerisch-ligistischen Armee während des Dreißigjährigen Krieges (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 24, Göttingen 2019), das daher nicht eingesehen werden konnte. Vgl. allgemein Cordula Kapser, Die bayerische Kriegsorganisation in der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges 1635–1648/49 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 15, Münster 1997) 103–122, bei der freilich die vermittelnde Tätigkeit nicht sonderlich hervorgehoben wird; kurz Hans Schmidt, Militärverwaltung in Deutschland und Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert, in: Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, hg. von Bernhard R. Kroener–Ralf Pröve (Paderborn u. a. 1996) 25–45, hier 42; Gerhard Oestreich, Zur Heeresverfassung der deutschen Territorien von 1500 bis 1800. Ein Versuch vergleichender Betrachtung, in: Ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze (Berlin 1969) 290–310, hier 303; Schennach, Tiroler Landesverteidigung (wie Anm. 1) 304–309, 324–328. 122   Vgl. für einen Befund außerhalb der österreichischen Länder Frank Kleinehagenbrock, Einquartierung als Last für Einheimische und Fremde. Ein Beispiel aus einem hohenlohischen Amt während des Dreißjährigen Krieges, in: Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit, hg. von Matthias Asche u. a. (Herrschaft und soziale Systeme in der frühen Neuzeit 9, Münster u. a. 2006) 167–185, bes. 172f., 181f.; Ders., Die Verwaltung im Dreißigjährigen Krieg. Lokalbeamte in der Grafschaft Hohenlohe zwischen Herrschaft, Untertanen und Militär, in: Militär und ländliche Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, hg. von Stefan Kroll–Kersten Krüger (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 1, Münster–Hamburg–London 2000) 121–142; für Tirol Schennach, Lokale Obrigkeiten und Soldaten (wie Anm. 1); deutlich geht dies auch aus einem Brief Khevenhüllers an den Kaiser von 1633 Nov. 30 hervor, vgl. Czerny, Bilder (wie Anm. 2) 236. Beispiele für die im Alltag der Konfrontation von Bauern und Soldaten auftretenden Auseinandersetzungen finden sich, dargelegt aus Sicht eines Offiziers, ediert bei Martin P. Schennach, Ritter, Landsknecht, Aufgebot. Quellen zum Tiroler Kriegswesen 14.–17. Jahrhundert (Tiroler Geschichtsquellen 49, Innsbruck 2004) 299–302. 123   Vgl. die entsprechenden Passagen in einer Musterplatzordnung aus dem Jahr 1633 bei Schennach, Quellen (wie Anm. 122) 303–306, hier bes. 304f. Kriegskommissare wurden auch bei einer feindlichen Besatzung tätig, sollte doch die Leistungsfähigkeit der Quartierregionen zumindest kurz- und mittelfristig erhalten bleiben; welche Rolle dabei der Schlichtungsfunktion der Kriegskommissare zukam, scheint dabei noch nicht eingehend untersucht worden zu sein; vgl. beispielhaft Alexander Zirr, Die Schweden in Leipzig. Die Besetzung der Stadt im Dreißigjährigen Krieg (1642–1650) (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig 14, Leipzig 2017) bes. 173–176 (zum Kriegskommissariat), 391–395 (zu den von den Schweden zur Konfliktvermeidung ergriffenen Maßnahmen).

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Martin P. Schennach

Bevölkerung nachgegangen und allfällige Anzeichen für Unruhen sofort nach Innsbruck gemeldet werden124.

7. Schluss Welche Schlussfolgerungen sind zu ziehen? Grundsätzlich sind die während des Dreißigjährigen Krieges zu beobachtenden Unruhen kein singuläres Phänomen, sondern in weit ausstrahlende Kontinuitätslinien eingebettet, und zwar nicht nur was Motivlage, Legitimationsstrategien oder obrigkeitliche Reaktionen betrifft. Dieser Befund gilt im Übrigen ebenfalls für die Frage nach der Partizipation an Unruhen, nach den sozialen Hintergründen der Beteiligten und der Führungspersönlichkeiten: Die Teilnehmer rekrutierten sich wie in der Frühen Neuzeit zu erwarten vielfach auch aus den Reihen der Besitzenden, Führungspersönlichkeiten gehörten oftmals zur bäuerlichen Elite, bekleideten gemeindliche und hierarchisch im unteren Bereich angesiedelte herrschaftliche Ämter125. 1626 scheinen unter den Anführern mit Achaz Wiellinger, Hans Erhard Stängl und Hans Christoph Hayden sogar drei Adelige auf126. Freilich konnten die angeführten „traditionalen“ oder religiös-konfessionellen Gründe für Unruhen unter den besonderen Umständen des Krieges verstärkt werden. Eine Partikularität des hier untersuchten Zeitraums war jedenfalls die zeitweise monatelange Anwesenheit erheblicher Soldatenkontingente in Städten, Märkten und auf dem Land, die aufgrund der Unterbringungs- und Verpflegungsusancen in direkter Konfrontation zu ihren Quartiergebern standen. Hier war die Unruhe der Normalfall, auf den man durch die vermittelnde Tätigkeit der Kriegskommissäre einzugehen trachtete; glücklicherweise blieb in den österreichischen Ländern eine Eskalation dieser Konfliktlage aus, wie sie 1633/34 in Bayern zutage trat.

124 Vgl. Schennach, Tiroler Landesverteidigung (wie Anm. 1) 350f.; ergänzend auch TLA, Geheimer Rat, Aktenserie, Einlauf, 1645 Aug. 4. Zum damaligen Aufstand im salzburgischen Zillertal siehe auch Rudolf Heinisch, Salzburg im Dreißigjährigen Krieg (Dissertationen der Universität Wien 18, Wien 1968) 184–189 sowie den sogleich angeführten Beitrag von Mayr. Im zuletzt angeführten Artikel findet sich nämlich ein aussagekräftiger Hinweis auf beim Zillertaler Aufstand vermittelnd tätig werdende Tiroler landesfürstliche Kommissare, siehe Josef Karl Mayr, Bauernunruhen in Salzburg am Ende des Dreißigjährigen Krieges. MGSL 91 (1951) 1–107, hier 66f.; zu Jahresbeginn 1634 wurde an die Unterinntaler Grenze gegen Bayern eigens ein Kommissar abgefertigt, der vorsorglich die dortigen Bewohner zu ermahnen hatte, sich nicht wie die Bayern gegen die die einquartierten Truppen zu empören (vgl. nur den einschlägigen Bericht in TLA, Geheimer Rat, Aktenserie, Einlauf, 1634 Jan. 4). 125   Vgl. allgemein Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 98–101; Schennach, Unruhen (wie Anm. 24) 51. 126  Vgl. Scheutz, Konflikte (wie Anm. 6) 100.



Einquartierungen, Konfessionsstreit und Bauernkrieg – der erzählte Krieg am Beispiel des Steyrer Färbers Jakob Zetl (ca. 1580–1660) Martin Scheutz

Ganz am Anfang des Kriegs und der großen Krise des 17. Jahrhunderts steht, unabhängig von der Konfession, der Komet, auch in der wichtigen österreichischen Eisen- und Handelsstadt Steyr. Im Advent darauf ist ein grosßer comet am himmel erschünen, welcher einen langen strall von sich geben und vast bey 3 ganzer wochen gesehen ist worden, über welchen comet die doctores und firmaments erfahrne prognosticiert, daß in ganz Teutschlandt krieg, hunger und pestilenz ervolgen werde, welche 3 ruethen mann hernach laider 12 ganzer jahr empfundten, Gott behüette unß hinfüro vor einem so erschreckhlichen comet stern1. Wer spricht da eigentlich und wie ist der Eintrag in eine der wichtigsten österreichischen Stadtchroniken der Frühen Neuzeit zu gewichten? Offenbar nahm der katholische Steyrer Färber Jakob Zetl nicht nur eine detaillierte Beschreibung des Kometen vor und rezipierte den einschlägigen, wissenschaftlichen Diskurs von Astronomen und weltlichen wie geistlichen Gelehrten, sondern er fügte bei einer Redaktion seines Textes um 1630 eine nachträgliche Vorausdeutung der kommenden Kriegsereignisse bei. Dasselbe astronomische Ereignis klingt aus dem Mund eines anderen, zeitnahen, diesmal aber protestantischen Steyrer Annalisten recht ähnlich. Der ehemalige Steyrer Stadtbeamte Valentin Preuenhueber berichtet: „Im monath Novembris anno 1618. erschiene ein grosser und erschröcklicher Comet am Himmel, der von dem, was bald darauf gefolgt, ein gewisser Vorbot war“2. Aber noch eine dritte, annalistische Quelle – ebenfalls katholischen Ursprungs – aus Steyr, eine Art lateinische Stadtchronik eines Schulmeisters, wusste detailliert von den Ereignissen am Himmel zu berichten3. Der 1  HHStA, Böhm 762, pag. 5 [im Folgenden HHStA, Zetl, Chronik, pag]. Diese Handschrift wurde auch ediert: Ludwig Edelbacher, Die Chronik der Stadt Steyer von Jakob Zetl 1612–1635. 36. Bericht über das Museum Francisco-Carolinum (1878) 1–136, hier 15f. Auszüge der „Chronik“ bei Johann Paul Kaltenbaek, Vaterländische Denkwürdigkeiten. Die noch ungedruckte Chronik der Stadt Steier. Austria. Oesterreichischer Universal-Kalender 13 (1852) 36–46. 2 Valentin Preuenhueber, Annales Styrenses, samt dessen übrigen Historisch= und Genealogischen Schriften, Zur nöthigen Erläuterung der Oesterreichischen, Steyrmärckischen und Steyerischen Geschichten. Aus der Stadt Steyer uralten Archiv und andern glaubwürdigen Urkunden, Actis Publicis und bewährten Fontibus, mit besondern Fleiß verfasset (Nürnberg 1740) 357. 3 Josef Moser–Martin Scheutz–Barbara Weber (Bearb.), Waidhofen an der Ybbs und Steyr im Blick. Die „Annalen“ (1590–1622) des Schulmeisters Wolfgang Lindner in deutscher Übersetzung (FLkNÖ 35, St. Pölten 2012) 575: „Von ungefähr 3 Uhr oder 4 Uhr früh an erschien in diesen Tagen [Ende November 1618] am Himmel nahe dem Arkturus etliche Tage lang ein gräulicher, verhängnisvoller Komet, der jedoch an einigen Tagen wegen bewölkten Himmels nicht deutlich wahrgenommen werden konnte. Sein Erscheinen dauerte

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Martin Scheutz

Abb. 1: Steyr (Kupferstich aus: Matthäus Merian, Topographia Provinciarum Austriacarum [...], Frankfurt/ Main 1649) (StA Steyr).

in vielen Selbstzeugnissen der Zeit erwähnte „Winterkomet“ C/1618 W1 (und die beiden vorausgehenden kleineren Kometen 1618 I und 1618 III) wurde allerorten im Heiligen Römischen Reich Ende November und Dezember 1618 als beunruhigendes Prodigium betrachtet. Seit dem 16. Jahrhundert nahm zudem die Zahl der astronomisch-weltlichen Deutungen der Himmelserscheinungen generell deutlich zu4. Johannes Kepler (1571– 1630) erblickte den Winterkometen beispielsweise von der Linzer Hofgasse aus und verfasste 1619 eine Druckschrift mit dem Titel „De Cometis“. In der zeitgenössischen Vorstellung kündeten Kometen5 das Herannahen von Krieg, Gewalt und Krisenzeiten an, bis zum Ende des Jahres, sein unglückseliger Anblick versetzte die Leute allerorts wahrhaftig in allerärgsten Schrecken, da die meisten fürchteten, er werde etwas Schauervolles vorherkünden. Und es war kein nichtiger Aberglaube und Argwohn; einige jedoch legten es aus, dass dieser neue Stern den Böhmen und ihrem Heere zu Prag Unheilstern gewesen sei, indem am 8. November 1620 ihr ganzes Heer niedergemacht oder in die Flucht geschlagen worden sei: Schicksalhaft sei er gewesen.“ Die lateinische Fassung wurde ediert von Konrad Schiffmann, Die Annalen (1590–1622) des Wolfgang Lindner (Linz 1910). Der Herausgeber der „Annalen“ Lindners Konrad Schiffmann (1871–1941) edierte aber die überregionalen Bemerkungen Lindners nicht, weil er dies für die regionale Forschung für unerheblich hielt. Die Originalhandschrift Lindners ging bei der postalischen Rücksendung verloren, lediglich eine Abschrift hat sich in Melk (Cod. 1851) erhalten. 4 Martin Hille, Providentia Dei, Reich und Kirche. Weltbild und Stimmungsprofil altgläubiger Chronisten 1517–1618 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 81, Göttingen 2010) 365–371. 5  Dirk Evers, Komet. EdN 6 (2007) Sp. 973–976; nicht eingesehen werden konnte Doris Gruber, Frühneuzeitlicher Wissenswandel. Die Kometenerscheinungen von 1577/78, 1680/81 und 1743/44 in der Druckpublizistik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (Diss. Graz 2018).



Einquartierungen, Konfessionsstreit und Bauernkrieg 233

aus dem Blickwinkel der zeitgenössischen Physikotheologie und der zeittypischen straftheologischen Exegese von Ereignissen war damit eine Drohung Gottes ausgesprochen. Er galt den Zeitgenossen als perhorresziertes Zeichen und als Vorbote der drei Zuchtruten Gottes Krieg, Hunger und Pest6.

1. Stadtchronistik in Steyr: Preuenhueber, Lindner und Zetl Die stadtchronistische Überlieferung der Stadt Steyr bzw. deren Rezeption des Dreißigjährigen Krieges, um die es im Folgenden gehen soll, darf im Vergleich zum restlichen heutigen Österreich als überraschend breit gelten7. Dem protestantischen Stadtbeamten Valentin Preuenhueber († 1642)8 und seinen 1630 abgeschlossenen „Annales Styrenses“, deren Aufzeichnungsfluss allerdings 1618 mit dem erwähnten Kometen endet, stehen mit den annalistischen Chroniken des Steyrer Schulmeisters Wolf Lindner († nach 1622) und des Steyrer Färbers Jakob Zetl (ca. 1580–1660) zwei katholische Selbstzeugnisse aus unterschiedlichen sozialen Schichten gegenüber. Der aus einer Eisenerzer Radmeisterfamilie stammende Protestant Valentin Preuenhueber diente in der städtischen Administration der Eisenstadt Steyr, in der „Stadtgerichtsregistratur-Expedition“ und erledigte zusätzlich verschiedene Schreibarbeiten für das Steyrer Spitalamt, bevor er 1620 zum Sekretär der krisenhaft im Umbruch befindlichen „Innerberger Hauptgewerkschaft“ avancierte. Mit dem neuerlichen Einsetzen der katholischen Konfessionalisierung im Land ob der Enns wurde Preuenhueber seiner Ämter enthoben, allerdings blieb sein Hausbesitz in Steyr aufrecht9. Seitens der rekatholisierten Stadt Steyr drohte man ihm 1629 eine Zahlung von 300 fl. an, sollte er bis Weihnachten nicht „katholisch“ geworden sein10. Es scheint aber unsicher, ob Preuenhueber – anders als die ältere Literatur behauptet11 – überhaupt jemals, nur kurzfristig oder gar nicht emi6 Andreas Bähr, Der grausame Komet. Himmelszeichen und Weltgeschehen im Dreißigjährigen Krieg (Reinbek 2017) 9–29. 7  Die Stadtchronistik ist in Österreich schwach ausgebildet bzw. auch nur geringfügig in den Archiven überliefert. Als Beispiel siehe die Klagenfurter Chronik von Paul Kheppiz: Dieter Jandl (Bearb.), Clagenfurterische Chronik, Paul Kheppiz (AVGT 94, Klagenfurt 22008); als Erlebnisbericht aus dem Dreißigjährigen Krieg Doris Gretzel, Die landesfürstliche Stadt Zwettl im Dreißigjährigen Krieg (Zwettler Zeitzeichen 9, Zwettl 2004). 8  Alois Oberhuemer, Valentin Preuenhueber und andere Historiographen der Stadt Steyr (Diss. Wien 1910) 18–42; Karl Eder, Ein Reformationshistoriker – Valentin Preuenhueber. Zeitschrift für Deutsche Geistesgeschichte 3 (1937) 95–112; Erlefried Krobath, Einiges über Valentin Preuenhueber und seine „Annales Styrenses“. Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr 26 (1965) 55–58; Josef Ofner, „Annales Styrenses“. Ein Nürnberger Druck aus dem 18. Jahrhundert. OÖHbl 20 (1966) 63–70; Harald Tersch, Stadtchroniken am Beispiel der „Eisenstadt“ Steyr, in: Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch, hg. von Josef Pauser–Martin Scheutz–Thomas Winkelbauer (MIÖG Ergbd. 44, Wien 2005) 927–938; Andreas Zajic, Ein Genealoge als Epigraphiker oder: Provisorisches zu ÖNB Cod. 9221, einer bislang unerkannten Inschriftensammlung Valentin Preuenhuebers. JbOÖMV 157 (2012) 363–390. 9  Ob Preuenhueber nach Regensburg auswanderte, erscheint fraglich, meist beziehen sich die Belege bei Schnabel auf einen Artikel von Karl Eder, Werner Wilhelm Schnabel, Österreichische Exulanten in oberdeutschen Reichsstädten. Zur Migration von Führungsschichten im 17. Jahrhundert (Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte 101, München 1992) 41, 70, 212, 216, 589, 655. 10  Ofner, „Annales“ (wie Anm. 8) 63 (Anm. 7); Cäcilia Doppler, Reformation und Gegenreformation in ihrer Auswirkung auf das Steyrer Bürgertum (Dissertationen der Universität Wien 135, Wien 1977) 199. 11 Anna Coreth, Österreichische Geschichtsschreibung in der Barockzeit (1620–1740) (VKNGÖ 37, Wien 1950) 131f.; Anna Hedwig Benna, Aufstieg zur Großmacht. Vom Weißen Berg zur Pragmatischen Sank-

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grierte. Auf jeden Fall gab es 1635 nicht nur eine neuerliche Eheschließung, sondern ab diesem Zeitpunkt fungierte er bis zu seinem Tod 1642 als Pfleger und „Regent“ der salabergischen Adelsherrschaft bei Haag in Niederösterreich. Seine als „Inbegriff der österreichischen Stadtchronik“12 geltenden Annalen wurden nach mehreren, erfolglosen Verhandlungen mit dem Steyrer Magistrat 1740, rund hundert Jahre nach seinem Tod, in Nürnberg gedruckt. Preuenhueber beschäftigte sich in seinen bis 1618 reichenden Annalen der Stadt vor allem in exzerpierender Weise mit der Stadtgeschichte, wobei er neben der annalistischen Stadtgeschichte auch die genealogischen Forschungen zu den Steyrer Ritterfamilien des 14. und 15. Jahrhunderts und zu den Ratsfamilien des 16. und 17. Jahrhunderts intensiv betrieb. Während Preuenhuebers Behandlung der Steyrer Stadtgeschichte mit dem böhmischen Aufstand und dem welthistorischen „Fenster-Auswurff der hinterlassenen Königl. Statthalter“ endet, der noch „in frischer Gedächtniß“13 sei, setzte eine dezidiert katholische Stadtchronistik in Steyr mit dem Schulmeister Wolf Lindner und dem Färber Jakob Zetl ein. Der bis 1590 in Waidhofen/Ybbs und ab 1603 in Steyr tätige Lateinschulmeister Lindner verfasste eine von 1590 bis 1622 reichende Chronik seines jeweiligen städtischen Umfeldes. Auf Betreiben des Garstner Abtes Anton Spindler von Hofegg (1615–1642) im Zuge der Gegenreformation nach Steyr berufen, sah sich der Lateinlehrer als Propagator der katholischen Konfessionalisierung, der Jahr für Jahr Prozessionen mitgestaltete und weihnachtliche wie österliche Theateraufführungen inszenierte, aber auch über Wetter sowie Getreide- und Weinpreise präzise Auskunft erteilte. Großes Interesse äußerte Lindner aber auch am katholischen sowie – polemisch – am protestantischen Konfessionsleben14, sowie an den Ereignissen des beginnenden Dreißigjährigen Krieges, etwa am böhmischen Aufstand15. Als eine Art katholischer, bürgerlicher Märtyrer inszenierte sich der vermutlich aus dem Salzburgischen stammende Färbermeister Jakob Zetl, dessen wohl für die Familie, aber auch für die anfänglich kleine katholische Steyrer Konfessionsgemeinschaft verfasste „Chronik“, die in der regionalen Tradition als katholische Fortsetzung von Preuenhuebers 1740 gedruckten „Annalen“ gilt16, eine breite Kenntnis der zeitgenössischen Flugblattüberlieferung erkennen lässt17. Der anfänglich als Soldat in den Truppen der Salzburger Erzbischöfe dienende Jakob Zetl dürfte 1613 als Färbergeselle nach Steyr gekommen sein, erhielt am 11. Jänner 161618 das Bürgerrecht und fungierte zwischen 1625 und 1660 als Ratsmitglied. Vor allem während des sog. oberösterreichischen Bauernkrieges von 1626 hatte er als nur einer von wenigen katholischen Bürgern in Steyr – dieweillen die ganze tion, in: Die Quellen der Geschichte Österreichs, hg. von Erich Zöllner (Schriften des Instituts für Österreichkunde 40, Wien 1982) 133–177, hier 168f. 12  Tersch, Stadtchroniken (wie Anm. 8) 929. 13  Preuenhueber, Annales (wie Anm. 2) 358. 14  Barbara Weber, Konfessionelle Differenzen am Beispiel einer Stadtchronik. Die Städte Waidhofen und Steyr im Blick des Schulmeisters Wolf Lindner (1590–1622), in: Moser–Scheutz–dies., Waidhofen an der Ybbs und Steyr (wie Anm. 3) 15–120. 15   Ebd. 21. 16  Der aus Steyr stammende Arzt Dr. Philipp Dillmetz schrieb Zetls Aufzeichnungen im Sinne einer Fortführung von Preuenhueber zusammen, Edelbacher, Zetl (wie Anm. 1) 4. 17 Josef Ofner, Jakob Zetl, Färbermeister und Stadtchronist. Amtsblatt der Stadt Steyr 9/Nr. 10 (1966) 146f.; Volker Lutz, Jakob Zetl und Steyr, in: Ders., Der Aufstand von 1596 und der Bauernkrieg von 1626 in und um Steyr (Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr 33, Steyr 1976) 89–93. 18  Bürgerrechtverleihung 1616, siehe StA Steyr, Ratsprotokoll 11. Jänner 1616, unfol.



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80000 70000 60000 50000 40000

Zeichenzahl

30000 20000 10000

1612 1613 1614 1615 1616 1617 1618 1619 1620 1621 1622 1623 1624 1625 1626 1627 1628 1629 1630 1631 1632 1633 1634 1635

0

Quelle: eigene Berechnungen (Angaben in computerlesbaren Zeichen).

Grafik 1: Zeichenzahl/Textmenge im Selbstzeugnis von Jakob Zetl (1612–1635) pro Berichtsjahr Quelle: eigene Berechnungen (Angaben in computerlesbaren Zeichen)

statt biß auf unser 18 burger erzlutrisch ware19 – einen schweren Stand und wurde als Parteigänger der katholischen Bürgerfraktion massiv bedroht. Zetl schildert nicht nur die „Eroberung“ der Stadt durch die protestantischen Bauern 1626, sondern auch die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges, daneben führt er penibel Jahr für Jahr die Ämterlisten mit den jeweiligen Amtsinhabern an. Pointiert und mit Blick auf die österreichische Zeitgeschichte könnte man Jakob Zetl als einen aus der bürgerlichen Mittelschicht stammenden, überzeugten Agenten der katholischen Konfessionalisierung ansprechen. Im Folgenden versuche ich, Zetls Text bzw. dessen katholisch-landesfürstliche Perspektive auf den Krieg kurz vorzustellen und dann die Themenfelder Einquartierung von gemeinen und höherrangigen Söldnern, der Gewaltbeziehungen von soldatischen Tätern wie bürgerlichen Opfern und Einnahme der Stadt durch die protestantischen Bauern im oberösterreichischen „Bauernkrieg“ 1626 sowie die daraus folgende Einquartierung der Bauern in der Stadt zu bearbeiten. Der Dreißigjährige Krieg erscheint neben der konfessionellen Grundfrage in Zetls Selbstzeugnis als permanentes Schreibmotiv, ein deutlicher Höhepunkt der Verschriftlichungspraxis des Erlebten zeigt sich im Jahr des oberösterreichischen Bauernkrieges 1626.

19  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 3; ebd. pag. 15, unßer catholischen burger seindt nur 16 geweßen; ebd pag. 21: Den 4. Maii ist alhier zu Steyr die armen seelen bruederschafft aufgericht worden, haben sich unß, 12 catholischen burger, bey unßerm herrn pfarrherrn Achatio Schrott einschreiben lassen und die nämben auff Münichen geschickht; ebd. pag. 25: alle ämbter und alle raths stellen mit catholischen, sovern so vill taugliche vorhandten, zu ersezen, eßs seindt nur 16 catholische burger damahls und zwar der maiste thaill handtwerchsleuth alhier gewest, und 1 von geringem vermögen.

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2. Die Stadt Steyr im 17. Jahrhundert Die wirtschaftlich mächtige Eisenstadt Steyr stand in direkter Konkurrenz zu Linz, dem Sitz des Landeshauptmannes, der oberösterreichischen Stände, dem wichtigen Handelsplatz an der Donau und Ort der bedeutenden Ostermesse. Die am Zusammenfluss von Enns und Steyr gelegene und überwiegend protestantisch geprägte Stadt Steyr wies am Beginn des 17. Jahrhunderts rund 9.000 Bewohner auf und damit deutlich mehr als die Landeshauptstadt20. Die Zeit des beginnenden 17. Jahrhunderts war eine Krisenzeit für die Stadt, dennoch blieb die Stadt an der Enns auch nach der Gründung der Steyrer Eisenhandelskompagnie 1585 das österreichische Zentrum des Eisenhandels mit guten Verbindungen zum Nürnberger Kapital und Handel21 – freilich zeichnete sich nach 1596 als Folge von Gegenreformation und Bauernkrieg ein langsamer Niedergang der Eisenproduktion ab22. Nach einer Phase der Duldung der evangelischen Konfession setzte um 1587 eine erste Phase der Gegenreformation ein, doch konnten die Stände 1609 im Zuge der Huldigung für Kaiser Matthias23 erneut die Duldung des evangelischen Exerzitiums, auch in den landesfürstlichen Städten und Märkten, durchsetzen. Erst mit der bayerischen Statthalterschaft 1620 setzte eine zweite und schließlich „erfolgreiche“ Phase der Gegenreformation ein. Neben dieser politischen und konfessionellen Krise zeigte sich auch eine wirtschaftliche Krise. Deutlich wird dies an dem Absinken der Eisenproduktion in Eisenerz und an der Neustrukturierung der für die Geschicke der Stadt essentiellen Innerberger Hauptgewerkschaft 162524 – diese Organisation führte Radwerke (Schmelzhütten), Hammermeister und Eisenhändler in den steirischen, nieder- und oberösterreichischen Eisenwurzen zur „wohl größten Kapitalgesellschaft der damaligen Zeit“25 zusam20  Manfred Brandl–Josef Ofner, Steyr. Stadt mit eigenem Statut, in: Herbert Knittler (Red.), Die Städte Oberösterreichs (Österreichisches Städtebuch 1, Wien 1968) 275–298, hier 282; als Beispiel der älteren Literatur Franz Xaver Pritz, Beschreibung und Geschichte der Stadt Steyr und ihrer nächsten Umgebung neben mehreren Beilagen, betreffend die Geschichte der Eisengewerkschaft und der Klöster Garsten und Gleink (Steyr 1965 [1837]) 246–300. 21 Erich Landsteiner, Eingepfercht in die Zirkulationssphäre? Die Kaufleute von Steyr und die Stahlproduktion im Umkreis des steirischen Erzberges im 16. Jahrhundert, in: Le technicien dans la cité en Europe occidentale (1250–1650), hg. von Mathieu Arnoux–Pierre Monnet (Collection de l’École Française de Rome 325, Rom 2004) 315–345, hier 323f.; Ders.–Philippe Braunstein, The production and trade of steel and steel tools in the early modern semi-periphery. A commoditiy chain approach to the Innerberg district (Austria) in the 16th and 17th centuries, in: L’acier en Europe avant Bessemer, hg. von Philippe Dillmann–Liliane Pérez– Catherine Verna (Méridiennes, Histoire et techniques, Toulouse 2011) 405–446, hier 419–427. 22  Landsteiner, Eingepfercht (wie Anm. 21) 319. 23 Arno Strohmeyer, Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung. Widerstandsrecht bei den österreichischen Ständen (1550–1650) (VIEG 201, Mainz 2006) 130–198; Rudolf Leeb, Der Streit um den wahren Glauben – Reformation und Gegenreformation in Österreich, in: Ders.–Maximilian Liebmann–Georg Scheibelreiter–Peter G. Tropper, Geschichte des Christentums in Österreich von der Spätantike bis zur Gegenwart (Österreichische Geschichte, Wien 2003) 145–279, hier 222–235, 251–255; Martin Scheutz, Kammergut und/oder eigener Stand? Landesfürstlichen Städte und Märkte und der „Zugriff“ der Gegenreformation, in: Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie, hg. von Rudolf Leeb–Susanne C. Pils–Thomas Winkelbauer (VIÖG 47, Wien 2007) 311–339. 24  Anton Pantz, Die Innerberger Hauptgewerkschaft 1625–1783 (Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark 6/2, Graz 1906). 25  Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Sozial- und Wirtschaftshistorische Studien 6, Wien 1995) 114; Ders., Die Innerberger Eisenproduktion in der frühen Neuzeit, in: Österreichisches Montanwesen. Produktion, Verteilung, Sozialreform, hg. von Michael Mitterauer–Alfred Hoffmann (Sozial- und wirtschaftshistorische Studien 6, Wien 1974) 72–105.



Einquartierungen, Konfessionsstreit und Bauernkrieg 237 Abb. 2: Innerberger Stadel am Steyrer Grünmarkt 26 (heute Stadtmuseum), vollendet 1611/12, 1628 von der Innerberger Hauptgewerkschaft als Getreidespeicher erworben. Der an ein Zeughaus erinnernde Stadel verdeutlicht auch die Wichtigkeit der Steyrer Eisenindustrie bzw. des Eisenhandels (Foto um 1916, StA Steyr).

men. Händler und Vertrieb des Eisenerzer Eisens waren in einer für alle Teile bindenden Struktur vereint.

3. Die Söldner des Dreißigjährigen Krieges – Forschungsperspektiven Die Söldner des Dreißigjährigen Krieges als professionelle Gewaltexperten verstanden sich als Personifikation der Schrecken des Dreißigjährigen Krieges26. Befreit von Steuern und Abgaben achtete diese nur dem Militärgericht unterstellte und von Hauptleuten oder Obristen angeworbene Kriegerkaste auf Ehre und Status. Solange Sold und Verpflegung stimmten, gehorchten die Soldaten ihren Söldnerführern. Das Verhältnis zur Zivilgesellschaft blieb konfliktbehaftet, das Leben der Söldner war von langen Fußmärschen zwischen Einsatzgebieten und Quartieren geprägt und im Feld erlebten die Söldner Phasen

26   Zur Geschlechterrolle der Soldaten in geistlichen Selbstzeugnissen Martin Scheutz, „… im Rauben und Saufen allzu gierig …“. Soldatenbilder in ausgewählten Selbstzeugnissen katholischer Geistlicher aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. L’Homme 12/1 (2001) 51–72.

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des Überflusses wie des großen Nahrungsmangels27. Das Verhältnis von Zivilbevölkerung und fremden/fremdländischen, mitunter andere Sprachen sprechenden Söldnern war von Gewaltbeziehungen, Wahrnehmungsdifferenzen und jurisdiktioneller Separierung von Militär- und Zivilgerichtbarkeit bestimmt. Sozial waren Söldner und zivile Welt nicht wirklich getrennt, viele der Söldner waren Söhne von Bauern oder Handwerkern, die sich als Söldner bessere Verdienstmöglichkeiten erhofften. Als Spezialisten der parasitären Ressourcenaufbringung wurde den Söldnern, den „SoldatenTeuffel“28, meist die Täterperspektive zugeordnet: „So bald ein Soldat wird geboren / seyn im drey Bauren auserkoren: der erste, der in ernährt, / der andere, der ihm ein schönes Weib beschert / und der dritt, der vor in zur Höllen fährt“29. Erst die gründliche Aufarbeitung der Lebenswelt der Söldner, jenseits von Grimmelshausens romanhaften Klischees, betonte stärker auch die soldatische Opferperspektive, indem die innermilitärische Gewalt, die prekären Lebensumstände im Feld30, der verletzliche Soldatenkörper31 und der bäuerliche Widerstand stärker herausgearbeitet wurden32. Die frühneuzeitlichen Soldaten verbrachten in der Praxis mehr Dienstzeit in den Quartieren, also in bäuerlichen und bürgerlichen Häusern, als im Feld – Schätzungen gehen hier von rund 60 % Quartierzeit gegenüber 40 % Kriegszeit aus33. Die neuere Militärgeschichte arbeitete vor allem die prekären Lebensumstände der gemeinen Soldaten heraus, ihre Lebensumstände gestalteten sich häufig ähnlich armselig wie diejenigen der zivilen Bevölkerung34. 27  Als kurzgefasster Überblick Georg Schmidt, Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (München 2018) 266–281; Peter H. Wilson, Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie (Darmstadt 2017) 116–133; Johannes Burkhardt, Der Krieg der Kriege. Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (Stuttgart 2018) 37–49; Geoffrey Parker, Der Dreißigjährige Krieg (Frankfurt/Main–New York 1987) 280–300; als breiter Überblick Peter Burschel, Söldner im Nordwestdeutschland des 16. und 17. Jahrhunderts. Sozialgeschichtliche Studie (VMPIG 113, Göttingen 1994); Martin Rink, Söldner. EdN 12 (2010) Sp. 174–184. 28   Zu den Söldnern Andreas Klinger, Formen der Gewalt im Dreißigjährigen Krieg, in: Der gemeine Unfrieden der Kultur. Europäische Gewaltgeschichte, hg. von Gerhard Armanski–Jens Warburg (Würzburg 2001) 107–123, hier 109–113 (Zitat 109). 29   Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen, Der seltzame Springinsfeld, hg. von Klaus Haberkamm (Universal-Bibliothek 9814, Stuttgart 1973) 73f. (Kap. 13). 30  Peter Burschel, Himmelreich und Hölle. Ein Söldner, sein Tagebuch und die Ordnung des Krieges, in: Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, hg. von Benigna von Krusen­stjern– Hans Medick (VMPIG 148, Göttingen 1999) 181–194. Siehe auch die biometrische Untersuchung von 47, im Jahr 2011 ergrabenen Leichen aus der Schlacht von Lützen 1632: Krieg. Eine archäologische Spurensuche vom 6. November 2015 bis 22. Mai 2016, hg. von Harald Meller–Michael Schefzik (Halle/Saale 2015) 20–81: Vitaminmangel, Entzündungen durch Kopfläuse oder Pilzinfektionen, Karies und die erlittenen Verletzungen zeigen sich an den biometrisch untersuchten Körpern deutlich, die Versorgung mit Fleisch war mäßig. 31  Martin Dinges, Soldatenkörper in der Frühen Neuzeit – Erfahrung mit einem unzureichend geschützten, formierten und verletzten Körper in Selbstzeugnissen, in: Körpergeschichte, hg. von Richard van Dülmen (Studien zur historischen Kulturforschung 5, Frankfurt/Main 1996) 71–96, hier 73–81. 32   Ronald G. Asch, „Wo der soldat hinkömbt, da ist alles sein“. Military Violence and Atrocities in the Thirty Years War Re-examined. German History 18 (2000) 291–309, hier 293f. 33  Hans Medick, Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt (Göttingen 2018) 106; zit. nach Detlev Pleiss, Bodenständische Bevölkerung und fremdes Kriegsvolks. Finnen in deutschen Quartieren 1630–1650 (Diss. Turku 2017) 252–257. 34   Als forschungsleitenden Text hierfür, der den „gemeinen“ Söldner in den Blick nimmt, Bernhard R. Kroener, „Kriegsgurgeln, Freireuter und Merodebrüder“. Der Soldaten des Dreißigjährigen Krieges. Täter und Opfer, in: Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, hg. von Wolfram Wette (München 1992) 51–67, hier 58–61; Ders., „Die Soldaten sind ganz arm, bloß, nackend, ausgemattet.“ Lebensverhältnisse und Organisationsstruktur der militärischen Gesellschaft während des Dreißigjährigen Krieges, in:



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Die einquartierten Söldner in den Bürgerhäusern übten aber zweifellos physische, sexualisierte oder gar exzessive „Gewalt in Zeiten der Gewalt“35 aus. Die hausväter- bzw. hausmütterliche Gewalt stand in Gegensatz zum einquartierten Arbeits- und Beutepaar des Söldners und seiner Frau; die durch den Kampf traumatisierte, soldatische Herrschaft im Haus konnte sich der Tyrannis36 annähern. Die Staatsräson der Kriegsführung bzw. die Einquartierung kontrastierte mit der sozialen Logik der Region, die vor allem danach trachtete, im Sinne des Gemeingutes Schaden von der städtischen bzw. bäuerlichen Gemeinschaft abzuwenden. Die einquartierten Söldner im Haus implizierten eine erzwungene, zwischen Gewalt und Konfliktvermeidung angesiedelte Wohngemeinschaft37 – der Söldner im gemeinsamen Haus wurde von den Zeitgenossen als Form der sozialen Gewalt38 verstanden, wobei die bewaffneten Soldaten in einer zivilen, aber stark gewaltbereiten Gesellschaft eindeutig im Vorteil waren. Militärische Welt und bürgerliche Welt lebten in einem geordneten Miteinander39 trotz Konflikten für eine gewisse Zeit zusammen.

4. Lebensweltliche Konfrontation der Soldaten mit den Bürgern Der in Stadtteil Ennsdorf wohnende Steyrer Färber Jakob Zetl ließ „seinen“ Dreißigjährigen Krieg bzw. in seiner Diktion den behaimbischen krieg40 mit dem über Flugblätter 1648. Krieg und Frieden in Europa, Bd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft, hg. von Klaus Bussmann– Heinz Schilling (Münster 1998) 285–292. Auf Ebene der Selbstzeugnisse ließe sich hier paradigmatisch Peter Hagendorf. Tagebuch eines Söldners auf dem Dreißigjährigen Krieg, hg. von Jan Peters (Göttingen 22012) anführen. 35  Maren Lorenz, Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650–1700) (Köln–Weimar–Wien 2007) 317–336; Jutta Nowosadtko, Stehendes Heer im Ständestaat. Das Zusammenleben von Militär- und Zivilbevölkerung im Fürstbistum Münster 1650– 1803 (Forschungen zur Regionalgeschichte 59, Paderborn 2011) 138–151; Ralf Pröve, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Göttingen und seine Militärbevölkerung 1713–1756 (Beiträge zur Militärgeschichte 47, München 1995) 203–234. 36   Zu Angst, Gottesfurcht und „Hitze“ während des Kampfes am Beispiel von Soldatenbriefen aus dem 18. Jahrhundert Sascha Möbius, „Von Jast und Hitze wie vertaumelt“. Überlegungen zur Wahrnehmung von Gewalt durch preußische Soldaten im Siebenjährigen Krieg. Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 12/1 (2002) 1–34; Markus Meumann, Herrschaft oder Tyrannis? Zur Legitimität von Gewalt bei militärischer Besatzung, in: Gewalt in der Frühen Neuzeit, hg. von Claudia Ulbrich–Claudia Jarzebowski– Michaela Hokamp (Historische Forschungen 81, Berlin 2005) 173–187. 37  Medick, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 33) 95–161; ders., Der Krieg im Haus? Militärische Einquartierungen und Täter-Opfer-Beziehungen in Selbstzeugnissen des Dreißigjährigen Krieges, in: Zwischen Tätern und Opfern. Gewaltbeziehungen und Gewaltgemeinschaften, hg. von Philipp Batelka–Michael Weise–Stephanie Zehnle (Göttingen 2017) 289–305. 38   Zur Gewalt („sozialer Sinn“) als Mittel der Durchsetzung sozialer Hierarchien Michael Kaiser, Die Söldner und die Bevölkerung. Überlegungen zu Konstituierung und Überwindung eines lebensweltlichen Antagonismus, in: Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, hg. von Stefan Kroll–Kersten Krüger (Herrschaft und soziale Systeme in der frühen Neuzeit 1, Münster 2000) 79–120, hier 93–100. 39  Zu diesem Aspekt (lokale Beamtenschaft) Franz Kleinhagebrock, Einquartierung als Last für Einheimische und Fremde. Ein Beispiel aus einem hohenlohischen Amt während des Dreißigjährigen Krieges, in: Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit, hg. von Matthias Asche–Michael Herrmann–Ulrike Ludwig–Anton Schindling (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 9, Münster 2008) 167– 185; ders., Die Grafschaft Hohenlohe im Dreißigjährigen Krieg. Eine erfahrungsgeschichtliche Untersuchung zu Herrschaft und Untertanen (Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B/153, Stuttgart 2003) 107–125. 40  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 4.

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und „Zeytungen“ vermittelten Prager Fenstersturz41 beginnen. Doch war das nur eines von mehreren irritierenden Vorzeichen innerhalb der Lebenswelt der Steyrer Bürger42 – darunter der Prager Bildersturm, die Vertreibung der Jesuiten aus der Stadt oder das Anwerben von Truppen durch die böhmischen Stände. Der böhmische Aufstand führte schon bald dazu, dass sich nicht nur die oberösterreichischen Landstände unter der Führung von Georg Erasmus von Tschernembl (1567–1626), Andreas Ungnad von Steyregg (1579–1623) und Hans Ortolf Geumann von Gallspach, sondern auch die Bürger in Steyr für den Krieg zu rüsten begannen und ihre Aktivitäten in die ständischen Rüstungsbemühungen einpassten. Die Steyrer Bürger mussten zetlen heben43 auf den 30. Mann. Für die durch die Ungunst des Loses ausgewählten 30. Bürger hatten die anderen eine gewisse Summe Geldes zu entrichten, um das von einem Bürger kommandierte Fähnlein der Steyrer Bürgersoldaten unterhalten zu können44. Rasch begann das Militär den Alltag der Stadt zu dominieren und eine Militarisierung des bürgerlichen Alltags zeichnete sich ab. Die bürgerlichen Soldaten nahmen ihre Sache ernst und zogen jeden Tag nach soldaten gebrauch mit drombl und pfeiffen45 als Wache auf bzw. ab. Am 24. November 1619 brachten die bürgerlichen Soldaten triumphierend einen abgedankten kaiserlichen, aus den Niederlanden stammenden capitain […] ihme gefenkhlich in die statt […], einen seinigen diener aber, welcher sich mit der flucht salvieren wollen, [wurde] auf dem Warttberg erschoßen46. Die oberösterreichischen Landstände schickten zur Verstärkung der bürgerlichen Zurüstung einen Hauptmann nach Steyr, der versuchte, die Stadt fachgerecht zu verschanzen: Vor der Stadt wurde ein hilzenes plochhauß gebaut, am Gilgentor errichtete man einen hülzenen thurn mit schußlöchern, vor den Toren signalisierten weitere Schanzen und Schrankbäume Wehrbereitschaft – in der Sicht von Zetl eine Insurrektion der protestantischen Bürger wider den katholischen Landesfürsten – alles auß rebellion wider den kayßer47. Mit der Wiedereinnahme der Stadt Steyr durch kaiserliche Truppen und nach der vernichtenden Niederlage der ständischen Truppen in der Schlacht am Weißen Berg 1620 veränderte sich das Szenario in Steyr beträchtlich, weil Steyr und Ennsdorf nun als Quartier für die kaiserlichen Soldaten dienten. Im Februar 1621 kamen zwei Fahnen Fußvolk (d. h. etwa 600 Mann) in Steyr an, die sich durch 20 Wochen in Steyr aufhielt48. Wenig 41  Gute Zusammenstellung bei Medick, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 33) 25–55; 1618 – der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, hg. von Robert Rebitsch (Wien 2017). 42  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 4–5: Den 23. May alß am auffahrts Christi tag hat sich der behaimbische krieg angefangen, hat ihr könig Ferdinandus commissarien nach Prag gesandt, die luthrische kirchen lassen spörren, und die widersessigen böhaimbischen landt ständt umb ihrer rebellion willen zur billichen bestraffung und gehorsamb zu bringen, haben sie haimbliche nachricht erhalten und die herrn commissarien auf dem könig(lichen) schlosß zu den fenstern hinaußgeworffen, worauff ein grosßer alarmb in der statt Prag entstandten, also dass sich allerhandt schlimbes gesindl zusamben rottiert, die Jesuiter auß ihrem collegio vergejagt, die kirchen zierdt und schäz entraubt, daß schlosß geplündert, die böhaimbische cron heraußgenomben, auf allen pläzen in der statt umbgeschlagen und volckh geworben, zum streitt wider ihren rechtmesßigen könig, alß aber kayßer Matthias und der könig Ferdinandus erfahren, haben sie unverweilt ein armada khriegsvolckh zusamben gebracht. 43  Ebd. pag. 6. 44   Ebd. pag. 6f. 45   Ebd. pag. 7. 46   Ebd. pag. 9. 47  Ebd. pag. 9f. 48  Josef Ofner, Die Stadt Steyr in den ersten Jahren des Dreißigjährigen Krieges. Defensionsmaßnahmen und Truppeneinquartierungen. OÖHbl 25/3–4 (1971) 24–35, hier 31: Eine Fahne bestand aus einem Hauptmann, einem Leutnant, einem Fähnrich, einem Feldwebel, zwei Führern, einem Musterschreiber, einem



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später trafen 7 graff anhaltische völcker auß Ungarn49 in der Eisenstadt Steyr ein. Im September 1621 besetzten schließlich bayerische Truppen das Land ob der Enns; weitere Einquartierungen, aber auch mitunter Abzüge der stationierten Söldner folgten. Den 18. November [1621] ist widrumb ain fähnl soldaten auf Steyr kommen, seindt 4 monath alhier gelegen50. Mit Erleichterung vermerkt Zetl den Abzug der Soldaten im Frühjahr: Den 6. April [1622] seindt alle soldaten von hier ins reich gemarschiert, wo sich der Mannßfelder aufgehalten. Aber schon wenige Wochen später heißt es dann erneut: Den 22. dito [April 1622] ist ein fähnl soldaten alher ins quartier kommen51. Der Abzug der bayerischen Truppen aus Steyr im Juni 1628 wurde von Zetl als Zeichen der Befreiung wahrgenommen, weil diese Truppe das Land durch Jahre hindurch hart belegt hatte52. Die Soldaten wurden gemäß der konfessionellen Zielvorstellung des Landesfürsten vor allem bei protestantischen Bürgern der Stadt einquartiert, um sie im Sinne einer „dragonade“53 für deren „falsche“ Religion zu bestrafen und durch Druck zur Konversion zu bewegen. Einquartierungen galten den Zeitgenossen demnach auch als Strafe bzw. dienten als obrigkeitliche Strafform54. Umgekehrt suchten die katholischen Steyrer Bürger die Gunst der Stunde zu nutzen und appellierten an den Landesfürsten um eine Befreiung von der Einquartierung: Den 18. Oktober [1621] seindt wür, catholische burger, wegen befreyung der quartier beym herrn statthalter einkommen55. Zetl registrierte beispielsweise umgekehrt zufrieden nach der Niederschlagung des Bauernkrieges von 1626 die Einquartierungen der Soldaten in den Bauernhäusern: ware disßmahl das ganze landt mit soldaten besezt, zu pferdt und zu fueß über 12.000 mann, also seindt die paurn mit ihrer wohl verdienten straff bezalt worden56. Und die Einquartierungen wurden von den lokalen Amtsträgern und Bewohnern genutzt57, um Vergeltung für vormalige Benachteiligungen zu üben – auch dabei spielte es in Steyr eine Rolle, ob man der protestantischen bürgerlichen Mehrheit oder der durch die Verhältnisse nach 1620 allmählich begünstigten katholischen Minderheit angehörte. Doch allzu viel scheint die Intervention der katholischen Bürger beim bayerischen Statthalter Adam von Herberstorff (1585–1629) nicht bewirkt zu haben, schon 1623 vermerkt Zetl verbittert die Einquartierung von rund 300 Mann in Steyr: Den 24. September [1623] seindt fähnl fueß volckh alhier gelegen, haben wür, catholische burger, auch quartier gehabt, und den soldaten eßen und trinckhen müesßen geben58. Sehr bald wurde also auch der anfangs begünstigte Katholik Jakob Zetl zum Opfer Feldscher, einem Gefreiten-Corporal, 12 Corporalen erster und zweiter Klasse, 20 Gefreiten, zwei Tambours/ Pfeifer und circa 300 Knechten. 49  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 13. 50  Ebd. pag. 15 51  Ebd. pag. 17. 52  Ebd. pag. 86: Den 2. Junii ist daß bayrische kriegs volckh von hier und auß dem landt, welches 10 ganzer jahr mit soldaten ist hart belegt worden, hinwekh marchirt und seindt alle wachtstuben abgebrochen worden. 53  Lorenz, Das Rad der Gewalt (wie Anm. 35) 167f.; als Beispiel aus Zetls Selbstzeugnis für das Jahr 1624: HHStA, Zetl, Chronik, pag. 23: aber in dißem landt seindt 5 fahnen fueß volckh und deß herrn graff statthalters compagniae crabatische reuther, welches sein leib quardi war, umb auf kayserlichen und bayrischen befelch die reformation vorzunehmben, und die lutheranner zu der catholischen religion zu bringen. 54   Zu den Chancen der lokale Obrigkeit im Fall von Krieg exemplarisch Franz Kleinhagenbrock, Die Verwaltung im Dreißigjährigen Krieg. Lokalbeamte in der Grafschaft Hohenlohe zwischen Herrschaft, Untertanen und Militär, in: Militär und ländliche Gesellschaft (wie Anm. 38) 121–142. 55  Ebd. pag. 15. 56  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 67. 57  Medick, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 33) 100. 58  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 20.

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von Einquartierungen und hatte den Soldaten gemäß der Verpflegungsordonanzen59 täglich Brot, Wein und Fleisch zu reichen oder bestimmte Geldbeträge als „Servis“ – meist verstand man darunter freies Quartier, Salz, Pfeffer, Essig, Feuerholz und Licht – zu geben60. Im Regelfall dienten die Söldner des Dreißigjährigen Krieges für freies Quartier, für eine bestimmte Menge Brot pro Tag und für einen monatlichen Lohn61. Im Jahr 1632 mussten in Steyr jedem gemeinen Soldaten pro Tag 1,5 Pfund Fleisch, Brot um 2 xr. und zwei Kannen Bier zur Verfügung gestellt werden, während die Offiziere das 2 und dreyfache, ja auch mehr portiones hatten62. Zetl traf dabei in seinem Bericht eine Unterscheidung zwischen gemeinen Soldaten und höheren Funktionsträgern. So vermeldete er im Februar 1621 habe ich, Zetl, einen pfeiffer und tambur im quartier gehabt63, und wenige Monate später im September 1621 hab ich, Zetl, 2 bayrische paurn 3 monat im quartier gehabt 64. Unmittelbar vor der Ermordung Wallensteins vermerkte der Steyrer Färber für mehrere Monate neue militärische Hausgäste, den Hofmeister eines Kapitänleutnants und dessen Frau65 – das soldatische „Arbeits- und Beutepaar“66 bildet sich also auch bei Zetl ab. Die über das notwendige Maß hinausgehende „Abschöpfung ziviler Leistungen durch das Militär“67 im Sinne von „Exorbitantien“ war gängig, die Soldaten legten sich „auf den Hals“68 der Hausväter und -mütter. Die einquartierten Soldaten schäzten die burger in den quartiern neben überflüsßigem esßen und trinckhen umb gelt, tournierten tag und nacht69, werden als maßlos, überaus trinkfest, beutegierig, von der militärischen Führung wenig kontrolliert und sexuell zügellos in den Selbstzeugnissen konstruiert. Im Winter 1633/34 verlegte man kaiserliche Truppen in das Gebiet der niederösterreichischen Eisenwurzen, wo sie nach Auskunft von Zetl aßen und thrunckhen statlich, plünderten alles bey den strasßen auß, haben in dissem landt umb vill 1.000 fl. schaden gethan70. Konflikte zwischen Hausherren und Einquartierten entstanden dabei meist nicht aus Hunger, sondern auf-

59  Michael Kaiser, Inmitten des Kriegstheaters: Die Bevölkerung als militärischer Faktor und Kriegsteilnehmer im Dreißigjährigen Krieg, in: Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, hg. von Bernhard R. Kroener–Ralf Pröve (Paderborn u. a. 1996) 281–303, hier 283f. 60 Michael Hochedlinger, Austria’s Wars of Emergence. War, State and Society in the Habsburg Monarchy 1683–1797 (Modern War in Perspective, London u. a. 2003) 131f.; Ralf Pröve, Der Soldat in der der „guten Bürgerstube“: Das frühneuzeitliche Einquartierungssystem und die sozioökonomischen Folgen, in: Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, hg. von Bernhard R. Kroener–Dems. (Paderborn u. a. 1996) 191–217, hier 199f.; Martin P. Schennach, Tiroler Landesverteidigung 1600–1650. Landmiliz und Söldnertum (Schlern-Schriften 323, Innsbruck 2003) 319f. 61  Burschel, Söldner (wie Anm. 27) 165–206, bes. 185–189. 62  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 115; als Vergleich Lorenz, Das Rad der Gewalt (wie Anm. 35) 171; zu den Offiziersprivilegien Dinges, Soldatenkörper in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 31) 77. 63  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 13. 64  Ebd. pag. 15. 65  Ebd. pag. 124. 66 Jan Peters, Ein Söldnerleben im Dreißigjährigen Krieg. Eine Quelle zur Sozialgeschichte (Selbstzeugnisse der Neuzeit 1, Berlin 1993) 226. 67  Medick, Der Krieg im Haus? (wie Anm. 37) 293. 68  Scheutz, „im Rauben und Saufen allzu gierig“ (wie Anm. 26) 57, zu Plünderungen von Hauswirten Lutz Miehe, Der Große Krieg und die kleinen Leute. Zu den Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf die Bevölkerung der Kleinstädte der Magdeburger Börde, in: Konfession, Krieg und Katastrophe. Magdeburgs Geschick im Dreißigjährigen Krieg. Tagung des Vereins für Kirchengeschichte der Kirchenprovinz Sachsen, Magdeburg 9.–10. Mai 2005, hg. von Margit Scholz–Christina Neuss (Magdeburg 2006) 43–53, hier 47–53. 69  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 124. 70  Ebd. pag. 125.



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grund von vermehrten soldatischen Forderungen71; aufgrund von Belastung, Beengung und möglicher Bedrohung des Hausfriedens: Ich, Zetl, habe einen hoffmaister von den captitainleuthenandt 18 wochen im quartier gehabt sambt seiner frau, habe wochentlich ihme 2 fl. 24 xr. und der frau die cosst raichen müesßen, diße soldaten haben die statt vill 1.000 fl. gekost72. Gerade die Befreiung von Einquartierungen als Zeichen der „rechten“ Gesinnung und der landesfürstlichen Gunst erzeugte deshalb innerhalb der Steyrer Bürgerschaft ein Klima von Neid und Missgunst. Die protestantischen Bürger sahen sich durch die Einquartierungen stärker belastet als die katholische Bürgerschaft, was während der Besetzung der Stadt durch die rebellischen Bauern 1626 in Gewaltexzessen gegenüber den Katholiken mündete73. Erst nach der Niederschlagung des Bauernaufstandes gelang es den Steyrer katholischen Bürgern erfolgreich eine Befreiung von der Einquartierung – eine „Salva Guarde“ – zu erlangen. Die katholischen Bürger sollten zum Schutz eine Tafel mit dem kaiserlichen Adler als Zeichen der Befreiung oberhalb der Haustüren anbringen74. Der kaiserliche Adler am Haus als visuelle Landmarke symbolisierte Rechtgläubigkeit wie Treue zum Landesfürsten und sollte von den Soldaten als Hoheitszeichen respektiert werden. Als Katholik und als Agent der katholischen Konfessionalisierung kommentierte der Steyrer Färber in einer Mischung aus Bedauern und dem Gefühl gerechter Strafe die Einquartierungen der Soldaten bei den aufsässigen Bauern 1632 im Mühlviertel75. Mit Fortdauer des Krieges zeigte aber das Verhältnis von Zivilbevölkerung und Militär immer stärker krisenhafte Züge. Mitunter reichte schon die Ankündigung einer bevorstehenden Einquartierung in bestimmten Landesteilen oder die Anwesenheit von Soldaten generell, um unter den Bauern Unruhen hervorzurufen76. Als 100 Soldaten des Pappenheimschen Regiments 1627 – kurz nach dem Bauernkrieg – in der Gegend um Weyer einquartiert werden sollten, haben diese in wehrentem hineinrayßen […] die paurn an der strasßen starkh geschäzt, worauff die paurn sich versamblet und den Maximilian Luckhner zu Losstain   Lorenz, Das Rad der Gewalt (wie Anm. 35) 183.   HHStA, Zetl, Chronik, pag. 124; als Vergleich Pröve, Das frühneuzeitliche Einquartierungssystem (wie Anm. 60) 200. 73  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 54f.: hernach haben sie meinen schwagern herrn Hannß Mayr, bekhen, auch für sich erfordern lasßen, ihme fürgehalten, er hette von dem kayserlichen volckh salva quardia; er laugnete aber, da hiesßen sie ihm einen abgefallenen schelmb, und machten ihn erschrökhlich auß; ich, Zetl, aber wurde bey den paurn verklagt, ich hette salva quardia vom kayserlichen volckh von Ennß herauf, kamen 20 paurn mußquetierer umb mich. 74   Ebd. pag. 51: Den 5. dito hat herr Luz, barbierer, unß etliche catholischen burgern von dem obristen von Auersperg zu Ennß salva quardia außgebracht, mit einem außgeferttigtem pasß, wann daß kayserliche volckh auf Steyr solte kommen, so sollen wür den kayserlichen adler mit dißen wortten salva quardia auf einem thäfferl über unßere häußthürren anschlagen, damit wür in unßerm wenigen keine anfechtung haben, wegen der soldaten. 75  Ebd. pag. 121: welche pfarrkinder und paurn keine beicht zetl von ihrem catholischen pfarrherrn gehabt, die haben ihnen soldaten müesßen nach genüegen esßen und thrinckhen verschaffen, seindt auch vill außgeplündert worden 76   So wurde der oberösterreichische Bauernkrieg von 1626 durch „molestierende“ Soldaten ausgelöst, Martin Scheutz, Ein tosendes Meer der Unruhe? Konflikte der Untertanen mit der Obrigkeit in Ostösterreich und angrenzenden Regionen vom Spätmittelalter bis zum Ende der Frühen Neuzeit, in: Die Stimme der ewigen Verlierer? Aufstände, Revolten und Revolutionen in den österreichischen Ländern (ca. 1450–1815), hg. von Peter Rauscher–dems. (VIÖG 61, Wien 2013) 67–118, hier 95f.; HHStA, Zetl, Chronik, pag. 35: hat sich der paurn erster auffstandt droben bei Aschau an dem Fädinger hoff erhebt, haben die soldaten, welche in einem würthshauß getrunckhen, die paurn molestiern und tribulieren wollen, worauf selbige mit den paurn in einen rauffhandl gerathen, haben sich die paurn alßbalt zusamben gerott und die soldaten alle erschlagen, welcher 6 oder siben geweßen. 71 72

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in seiner aigenen behaußung todtgeschlagen und in die Ennß geworffen und umb dieselbige gegent widrumben paurn aufgetriben, sich in den bergen verschanzt und widrumben ein neue rebellion erwekht77. Die Soldaten als Täter wandelten sich infolge der bäuerlichen Gegenwalt zu Opfern78. Mit Fortdauer des Krieges geriet zudem die Werbung, aber fallweise auch die Abdankung von Soldaten in und um Steyr, verstärkt in den Blick des Steyrer Färbers. So musste die Stadt Steyr 1632 rund 80 Soldaten werben und für einige Zeit unterhalten, bevor sie ins Kriegsgebiet abgefertigt wurden79. Wenige Monate später, im Frühjahr 1634, hatte das ganze Land ob der Enns 1.000 Mann – 40 Feuerstellen stellten einen Soldaten – aufzubringen, was nur mit dem entsprechenden Handgeld von 30 bis 40 fl. zu erreichen war: hat die statt Steyr 20 mann müesßen haben, hat solche mit hartter müehe zusamben gebracht, auf dem landt haben 40 paurn einen soldaten müesßen stellen80. Je nach Kriegslage wurden aber auch Söldner abgedankt, so entließ man im September 1622 Soldaten, gab ihnen zwei Monatslöhnungen auf die Hand und beließ ihnen ihre Bewaffnung81. Allgemein erwiesen sich die abgedankten Soldaten als großes soziales Problem und als latentes Gefährdungspotential für die zivile Welt, weil sie aufgrund ihrer traumatisierenden Kriegserlebnisse und mangelnden Ausbildung oft keine Einstiegsmöglichkeiten mehr in die Berufswelt vorfanden82. Die Vergabe von Quartieren an abgedankte Soldaten wurde deshalb entsprechend landesfürstlicher Patente unter Strafe gestellt83. Den Amtsträgern schien die Gefahr groß, dass sich ein grosße anzahl schlimmer leuth, außgerisßene soldaten, verdorbene würth, müllner, roßtauscher84 zusammenschließen könnte, wie dies 1632 beim Bauernaufstand in Oberösterreich der Fall war. Die klassische Antwort der Stadtregierungen auf Krieg und Einquartierungen waren die „Anschläge“, also eine Extrasteuer im Sinne eines Umlageverfahrens, die alle zu entrichten hatten. Schon bei der Aushebung der bürgerlichen Soldaten von Steyr war es zu einer ersten Sondersteuer (einem „Anschlag“) gekommen. Schon im März 1621 mussten die Steyrer Bürger wöchentlich 30 xr. zahlen, hat vast ein ganzes jahr gewehrt85. Nach der Niederschlagung des oberösterreichischen Bauernkrieges 1626 war daß ganze landt voller

  Ebd. pag. 71.   Asch, Military Violence and Atrocities (wie Anm. 32) 300; Steffi Fabian, „Dis waren verfluchte Diebes Hände.“ Konfliktfelder und Wahrnehmungsdivergenzen zwischen Militär und Zivilbevölkerung bei Einquartierungen und Truppendurchzug während des Dreißigjährigen Krieges. Militär & Gesellschaft 16/2 (2012) 169–196, hier 184. 79  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 120: Den 5. dito [November 1632] seindt die soldaten, welcher bey 80 von gemainer statt geworben und verpfleget worden, abgedanckht worden, haben die burger 3 monath den anschlag darauff gegeben. 80  Ebd. pag. 129. 81  Ebd. pag. 17: Den 15. September [1622] seindt alhero 2 fahnen kayserliches kriegsvolckh auf Steyr kommen, in 14 tagen hernach aber abgedanckht, die fähnl zerrisßen und einem jeden soldaten zwei monath soldt gegeben und ober- und untergewehrt gelasßen worden. 82  Als Beispiel Martin Scheutz–Johannes Sturm–Josef Weichenberger, Räuber, Mörder, Teufelsbrüder. Die Kapergerbande 1649–1660 im oberösterreichischen Alpenvorland (Linz 22008). 83   HHStA, Zetl, Chronik, pag. 83: Den 14. Januarii ist Thoman Mittkreuch, umb willen er wider daß an dem rathhauß angeschlagne patent abgedanckhte soldaten bey ihme in der zöhrung aufgehalten, umb 20 reichsthaller, welche er gleich erlegen müesßen, gestrafft worden. 84  Ebd. pag. 116. Siehe auch Franz Wilflingseder, Martin Laimbauer und die Unruhen im Machlandviertel 1632–1636. MOÖLA 6 (1959) 136–208; Scheutz, Ein tosendes Meer (wie Anm. 76) 79f., 95f. 85  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 14. 77 78



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soldaten86. Die Stadt Steyr beherbergte den Stab, wohl aufgrund des höheren Komforts für die militärische und soziale Leitungsebene: es hat dißes mahl ein jeder soldat 24 paurn zu seiner verpflegung und mueste ihme jeder paur monathlich einen reichsthaller geben, lage der völlige stab alhier [in Steyr], mann mueste ihnen esßen und thrinckhen geben, haben die statt vill 1.000 fl. gekhost87. Als die kaiserlichen Truppen Regensburg im Juli 1634 zurückerobert hatten, war dieser militärische Erfolg mit großen Verlusten, aber auch mit vielen Verletzten und mit Kosten für die Stadt Steyr verbunden88. Die hohen Rüststeuern und Einquartierungen der Soldaten vor Ort erzeugten vor allem bei den durch ihre Grundherren wenig geschützten Bauern große Verzweiflung, wie Zetl in den 1630er Jahren immer deutlicher durch seine Einträge vor Augen führte. Den 13. Julii [1632] ist von den löblichen landt ständten ein patent kommen, daß mann von jedem hauß 5 fl. anschlag hat geben müesßen, darauf die paurn widrumben in einen auffstandt gerathen89. Die Soldaten wurden von den Steyrer Bürgern als eine funktional wie sozial gestaffelte, aber auch ansatzweise ethnisch diverse Gruppierung wahrgenommen. Neben den Offizieren und den gemeinen Soldaten (und deren Frauen) unterschied man zwischen den mobilen Reitern (und damit auch den zu versorgenden Pferden90) und den langsamen Fußtruppen, aber auch die leichten Truppen des kleinen Krieges fanden Erwähnung; vor allem die reitenden, auf „Streifungen“ ausgeschickten kroatischen Söldner von der Militärgrenze waren wegen ihrer Gewaltbereitschaft gefürchtet91. Die leichte Kavallerie des kaiserlich-ligistischen Heeres war zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges von Truppen der Militärgrenze gestellt worden, im Laufe des Krieges erlebte der Begriff des „Kroaten“ zwar eine schleichende „Transformation von einer Nationalbezeichnung hin zu einem Waffengattungsbegriff“92, dennoch blieb die exotische Ethnizität der „Markenkern“93 dieser als Gewaltgemeinschaft verstandenen Truppenteile. Den 20. dito [Mai 1628] seindt die crabatischen reuther, welche 3 jahr lang alhier im quartier gelegen und die statt vill 1.000 fl., weill mann ihnen cost, thrunckh und fourage geben müesßen, gecosst haben, von hier wekh   Ebd. pag. 70.   Ebd. pag. 70. 88   Ebd. pag. 130: auf die blesierten königlichen soldaten aber ist ein anschlag (solche couriren zu lasßen) gemacht worden, daß ein hauß monathlich 30 xr. hat geben müesßen und solches hat 5 monath gewehrt, dann sie seindt in dißem landt einquartiert und unterhalten worden. 89   Ebd. pag. 115. 90   Ebd. pag. 17: Den 6ten July [1622] seindt 300 mann zu pferdt alhero auf Steyr ins quartier kommen, vom obrist Herbersteinischen regiment lagen vasst ein monath hier, und waren deren bey 1.200 im landt, mann hat ueber ihren monath sold esßen und thrinckhen, auch die fourage auf die pferdt geben müesßen, seindt doch leztlich abgedanckht und auß dem landt gebracht worden, diße reitter haben vill taußen gulden uncossten und großen schaden causiert. 91  Michael Weise, Grausame Opfer? Kroatische Söldner und ihre unterschiedlichen Rollen im Dreißigjährigen Krieg, in: Zwischen Tätern und Opfern. Gewaltbeziehungen und Gewaltgemeinschaften, hg. von Philipp Batelka–dems.–Stephanie Zehnle (Göttingen 2017) 127–148, hier 136–139; Philipp Batelka, „Kroaten und dergleichen Gesindel“, Grenzkrieger als Gewalttäter im Österreichischen Erbfolgekrieg, in: ebd. 107–126, hier 111–119; Marian Füssel, Panduren, Kosaken und Sepoys. Ethnische Gewaltakteure im 18. Jahrhundert zwischen Sicherheit und Stigma, in: Söldnerlandschaften. Frühneuzeitliche Gewaltmärkte im Vergleich, hg. von Philippe Rogger–Benjamin Hitz (ZHF Beih. 49, Berlin 2014) 181–199, hier 185–188; Scheutz, „im Rauben und Saufen“ (wie Anm. 26) 60. 92  Weise, Grausame Opfer (wie Anm. 91) 134. 93  Am Beispiel der Finnen und Kroaten Horst Carl, Exotische Gewaltgemeinschaften. Krieger von der europäischen Peripherie im 17. Jahrhundert, in: Söldnerlandschaften. Frühneuzeitliche Gewaltmärkte im Vergleich, hg. von Philippe Rogger–Benjamin Hitz (ZHF Beih. 49, Berlin 2014) 157–180, hier 175–177. 86 87

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marchiert, hat wohl kain mensch ainige zäher umb sie vergosßen94. Die „Kroaten“ zählten mit ihrem negativen Image – ähnlich wie die Finnen, Schotten, Kosaken oder Iren – zu den Vertretern der „exotischen Gewaltgemeinschaften“ im Dreißigjährigen Krieg. Der Steyrer Färber scheint zudem anfänglich von den Offizieren95, die immer wieder um Intervention gebeten wurden, eine höhere Meinung besessen zu haben. Nach der persönlich erlebten Einquartierung und der Wahrnehmung dieser adelig-geprägten Offizierswelt veränderte sich sein Bild aber drastisch. Eß waren die officier so schlimb und noch schlimber alß die gemeine soldaten, geschache kein aussrichtung, und ware nirgents kein gehör, giengen ganze nacht mit den spilleuthen herumb und liesßen niemandt kein ruehe, mann mueste sich einer plünderung besorgen, welche Gott wunderbarlich verhüettet96. Neben der Herkunft der Soldaten registrierte der katholische Zetl auch immer wieder die Religion, so monierte er an den Wallensteinschen Soldaten 1633, dass diese Truppen großteils aus Protestanten bestanden: es lagen bey 10 regimenter wallensteinisches volckh im landt und war der Wallenstein dem kayßer schon nicht mehr threu, es war vast lauther lutherisch volckh97. Aus der Sicht Zetls verdeutlichte die „fehlerhafte“ Konfession der Soldaten den beginnenden Abfall des Generalissimus. Nach der Schlacht am Weißen Berg 1620 vermerkte Zetl zufrieden, die luthrischen befelchßhaber und officier undter dem alhier im quartier gelegenen fähnl fuess volckh seindt abgedanckht und an ihre stöll catholische angenomben worden98. Bürgerliche Quartiergeber und Soldaten verkörperten während der Quartierzeit keine getrennten Lebenswelten, sondern die Soldaten machten den Hausvätern in diesen widerwillig eingeräumten „Orten der Begegnung“99 vielfach ihre Rolle als Hausvorstand streitig, indem sie während der Einquartierung zu militärischen Herren des Hauses aufstiegen. Neben die in vielen Selbstzeugnissen dokumentierte physische Gewalt trat auch die „soziale Gewalt“ des Soldaten vor Ort – Gewalttätigkeit der Söldner sollte den Bauern und Bürgern vor Augen führen, wer der Herr war100. Die Entwendung von Lebensmitteln, Geschirr, Geld, Vieh und Wäsche durch Soldaten und das Erleiden von sexualisierter Gewalt101 waren häufig, Wahrnehmungsdifferenzen von Soldaten und Bürgern offenbarten ein unterschiedliches Verständnis von erlaubter „potestas“ und nicht-erlaubter „violentia“102. Während sich die Stadtregierungen der Frühen Neuzeit vielfach bemühten, die Kontrolle über Waffen, den Waffenbesitz bzw. den Waffengebrauch in der Stadt zu erlangen103, durchkreuzten die Soldaten die stadträtlichen Bemühungen um Stadtfrieden   HHStA, Zetl, Chronik, pag. 86; als Vergleich Scheutz, „im Rauben und Saufen“ (wie Anm. 26) 60.   Zur Vorbildfunktion von Offizieren Steffi Fabian, „Dis waren verfluchte Diebes Hände.“ (wie Anm. 78) 180. 96  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 124; zum Glückspiel unter Soldaten Nowosadtko, Stehendes Heer im Ständestaat (wie Anm. 35) 155f. 97  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 124; zur Konfession der Söldner Asch, Military Violence (wie Anm. 32) 302. 98   HHStA, Zetl, Chronik, pag. 22; zum mangelnden Konfessionsbewusstsein von Söldnern Burschel, Himmelreich und Hölle (wie Anm. 30) 191f. 99   Medick, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 33) 97. 100  Kaiser, Söldner und Bevölkerung (wie Anm. 38) 98f. 101   Am Beispiel sexualisierter Gewalt Karin Jansson, Soldaten und Vergewaltigung im Schweden des 17. Jahrhunderts, in: Zwischen Alltag und Katastrophe (wie Anm. 30) 195–225. 102 Ralf Pröve, Violentia und Potestas. Perzeptionsprobleme von Gewalt in Söldnertagebüchern des 17. Jahrhunderts, in: Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert, hg. von Markus Meumann–Dirk Niefanger (Göttingen 1997) 24–42, hier 32–35. 103  Ann B. Tlusty, The Martial Ethic in Early Modern Germany. Civic Duty and the Right of Arms (Early Modern History: Society and Culture, Basingstoke 2011) 11–45. 94 95



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für alle Stadtbewohner sicht-, hör- und mitunter auch spürbar. Physische, aber auch soziale Gewalt104 drang durch die Einquartierungen der Soldaten vermehrt in den städtischen öffentlichen Raum, aber auch in das bürgerliche Haus ein, wie Jakob Zetl immer wieder bemerkte. Die Soldaten fackelten offenbar nicht lange, sondern griffen bei Konflikten rasch zu Gewehr und Säbel, umgekehrt wehrten sich auch die Bequartierten gegen die einquartierten Soldaten105. So wurde im April 1622 ein junger Bewohner der Stadt Steyr von einem soldaten, wo mann hinauß auf Gleinckh geht, auf dem creuzweg ausßer des thor, auf dem pferd erhaut, das er gleich an der stöll todt gebliben 106. Nur wenige Tage später erlag eine Frau aus Steyr ihren Schussverletzungen, die sie durch unsachgemäßen Waffengebrauch erlitten hatte107. Der hohe Alkoholkonsum der Soldaten bewirkte, dass diese im trunkenen Zustand immer wieder gewalttätig wurden, ohne von der weltlichen oder militärischen Obrigkeit kontrolliert werden zu können108. Der Zeitraum unmittelbar vor dem Abmarsch aus dem endenden Winterquartier scheint eine besonders gefährliche Zeit für die Quartiergeber gewesen zu sein. Ein vor seinem Abmarsch bezechter Soldat lief einem Steyrer Hausbesitzer mit bloßen degen über die stiegen hinauf109 nach, weshalb dessen Ehegattin die thüer zumachen wollen, aber sie wurde unter der thier erstochen. Dem Flüchtenden schlug der Soldat aber über den kopff […], daß ihn der bader für todt angenomben. Neben den Gewalttätigkeiten und dem „Krieg im Haus“110 gibt es aber auch Beispiele einer zumindest konfliktarmen, in den Quellen seltener dokumentierten freundlichen Beziehung von Quartiergeber und -nehmer im Sinne von Gastfreundschaft. Der zu Berühmtheit gelangte Peter Hagendorf (1601/02–1679)111 wurde beispielsweise nach seiner Verwundung bei der Eroberung von Magdeburg 1631 von seinem Quartiergeber liebevoll mit „lauter Kalbfleisch, junge Tauben, Hühner und Vögel“112 aufgepäppelt. Nach dem Selbstzeugnis von Jakob Zetl finden sich in Steyr wenige Hinweise der Fraternisierung von Bewohnerschaft und Soldaten und der „temporären Integrationsfähigkeit“113 der 104  Zum Gewaltbegriff Martin Scheutz, Stadt und Gewalt im Blick historischer Forschung, in: Stadt und Gewalt, hg. von Andreas Weigl–Elisabeth Gruber (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 26, Innsbruck 2016) 19–57, hier 20–23. 105   Als Beispiel Fabian, „Dis waren verfluchte Diebes Hände.“ (wie Anm. 78) 184–188. 106   HHStA, Zetl, Chronik, pag. 16. 107  Ebd. pag. 16f.: sie auf der Ennsbruckhen von einem soldaten mit einer mußqueten kugl durch den leib geschosßen worden. 108  Kroener, Kriegsgurgeln (wie Anm. 34) 58; Burschel, Söldner (wie Anm. 27) 240f.; Dinges, Soldatenkörper in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 31) 79f.; Maren Lorenz, Besatzung als Landesherrschaft und methodisches Problem. Wann ist Gewalt Gewalt? Körperliche Konflikte zwischen schwedischem Militär und Einwohnern Vorpommerns und Bremen-Verdens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Gewalt in der Frühen Neuzeit, hg. von Claudia Ulbrich–Claudia Jarzebowski–Michaela Hokamp (Historische Forschungen 81, Berlin 2005) 155–172, hier 170: „Selbst der einfachste ‚Gemeine‘ war ja jedem zivilen Amtsträger zunächst übergeordnet, sobald er sich auf ‚höheren Befehl‘ (potestas) berief und war im Zweifel auch besser bewaffnet.“ 109   HHStA, Zetl, Chronik, pag. 115; auch zum Folgenden. 110  Medick, Der Krieg im Haus? (wie Anm. 37) 297. 111  Zur Weiterverfolgung des Lebensweges von Peter Hagendorf mit seiner Rückkehr nach Görzke, Marco von Müller, Peter Hagendorf kehrt heim, https://dkblog.hypotheses.org/1381 [28.12.2018]; Medick, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 33) 113–122. 112  Medick, Der Krieg im Haus? (wie Anm. 37) 301. 113  Am Beispiel der Integration der Corporalschaft Sproty 1627–1630 in der Grafschaft Hohenlohe Franz Kleinhagenbrock, Einquartierung als Last für Einheimische und Fremde. Ein Beispiel aus einem hohenlohischen Amt während des Dreißigjährigen Krieges, in: Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit, hg. von Matthias Asche–Michael Herrmann–Ulrike Ludwig–Anton Schindling (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 9, Münster 2008) 167–185, hier 176–183.

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Söldner. Immerhin meldete Zetl, im Oktober 1623 sei Hauptmann Schmelzer aus Steyr nach Linz abgezogen, wo er abgedankt wurde: ist 2 jahr alhier im quartier gelegen, hat der frauen Ruedtinger tochter geheurathet114. Mitunter scheinen die Steyrer Bürger aber sogar von den Plünderungen der Soldaten am flachen Land profitiert zu haben, weil die Soldaten versuchten, die erworbene Beute am lokalen Gebrauchtwarenmarkt anzubieten und zu Geld zu machen. Nach der Niederschlagung des Bauernaufstandes 1626 requirierten die siegreichen Truppen im gesamten Land den Viehbestand der geflohenen Bauern. Die Soldaten brachten mehr alß 800 viech mit sich nach Steyr, verkhaufften ein khue umb 4 und 5 fl.115 – an diesem animalischen Sonderangebot bediente sich auch die Steyrer Bewohnerschaft fleißig. Die Antwort der Kommandierenden bzw. der militärischen Führungsebene auf die Gewalttätigkeit der Soldaten waren drastische und nach Kriegsrecht vor der Öffentlichkeit der Stadt Steyr vollzogene Strafen, die allerdings exemplarisch verrichtet wurden, um die aufgrund ihrer teuren und langwierigen Ausbildung kostbaren Söldner möglichst zu schonen116. Der Schnellgalgen als Zeichen der innermilitärischen Disziplinierung und Gewalt eroberte daher auch den Stadtplatz von Steyr. Den 15. May [1621] ist über 11 soldaten alhier khriegs recht gehalten worden, daß alle 11 persohnen sterben sollten, worvon ihrer 9 erbetten, 2 aber auf freyem plaz in der statt mit dem schwerdt gerichtet worden117. Nach Art der Soldaten ließ man die straffällig Gewordenen – etwa Soldaten, die ein als Pesthaus bezeichnetes Haus aufbrachen, um zu plündern und daraus Bettwäsche zu stehlen – um ihr Leben würfeln: alle 3 miesßen spillen, welcher unter ihnen henckhen soll, hat einer, seines handtwerchß ein bekhen junger, verspilt, […] ist gleich ein galgen in der statt auf dem plaz geweßen, an welchen er gleich aufgehenckht worden118. Auch dem großen Problem der Desertion suchten die Kommandanten durch den Galgen bzw. sogar durch das noch schändlichere Aufknüpfen der Straftäter an Bäumen – dem „Birnenhüten“119– Herr zu werden120.

  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 20; als Vergleich Kaiser, Söldner und Bevölkerung (wie Anm. 38) 90.   HHStA, Zetl, Chronik, pag. 67. 116  Zum Spiel um das Leben Barbara Stollberg-Rilinger, Um das Leben würfeln. Losentscheidung, Kriegsrecht und inszenierte Willkür in der Frühen Neuzeit. HA 22 (2014) 182–209, hier 185–188; zur Schwierigkeit der Rechtsprechung in Fällen der „judicia mixta“ Nowosadtko, Stehendes Heer im Ständestaat (wie Anm. 35) 145–151. 117  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 14. 118  Ebd. pag. 31: […] die andern 6 soldaten hat man zu der strapl corde gefüehrt und ihnen sträpl corde geben und 3 mahl einen jeden an der wipffen augezogen, hernach seindt sie erbetten worden und ist dass fähnl über sie geschwungen worden; als Vergleich Hans Sturmberger, Adam Graf Herberstorff. Herrschaft und Freiheit im konfessionellen Zeitalter (München 1976) 242–244. 119  Otto Kainz, Das Kriegsgerichtsprotokoll zum Niederösterreichischen Bauernaufstand von 1596/97. Analyse und Edition (StuF 50, St. Pölten 2010) 251–260. Zur Strafpraxis der Obrigkeit im Kontext des Bauernkrieges von 1596/97: „Der General hat eine schöne Execution verrichtet, dass die Bauern noch einesteils Gott danken, dass es also beigelegt und das Böse ausgerottet werde. Sie bücken sich schier auf die Knie und ziehen die Hüte, soweit sie einen schier sehen können; aber man sieht ihrer gleichwol viele, die Birnen an den Bäumen hüten“; Gottfried E. Friess, Der Aufstand der Bauern in Niederösterreich am Schlusse des XVI. Jahrhunderts (Wien 1897) 244–247, hier 230. 120  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 122: Den 23. Martii [1633] seindt ermeltem herrn haubtmann von Prandtmühl 3 crabatische soldaten außgerisßen, welchen er alsobalt nachsezen liesße, worvon einer erdapt und nicht gar auf Steyr gebracht, sondern am Stainfeld an einen baumb gehenckht wurde. 114 115



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5. Zetls tolles Jahr – das „Jahr der Jahre“ 1626 Das Jahr 1626 und der oberösterreichische Bauernkrieg121 stellte für Steyr, aber auch für Jakob Zetl selbst ein wichtiges Wendejahr dar. Der Steyrer Handwerker erlebte es als lebensgeschichtliche Zäsur, weil er einerseits im Frühjahr/Frühsommer als Katholik und Parteigänger des Landesfürsten physisch bedroht wurde, andererseits als politisch minder mächtiger Handwerker-Bürger am Ende dieses Jahr auf der Seite der Sieger stand. Zufrieden kommentierte er die Vertreibung der Protestanten aus der Eisenstadt in seinem Selbstzeugnis, zudem konnte er sich danach im rekatholisierten Rat festsetzen. Textlich ist dieses Jahr weit überproportional im Selbstzeugnis von Zetl repräsentiert. Mit dem Beginn des Bauernkrieges, ab Mai 1626 lief die „Textmaschine“ Zetl förmlich zu Höchstform auf. 20000 18000 16000 14000 12000 10000 8000 6000

Zeichenzahl

4000 2000 0

Quelle: eigene Berechnungen (Angaben in computerlesbaren Zeichen)

Grafik 2: Zeichenzahl/Text im Selbstzeugnis von Jakob Zetl (1612–1635) im Berichtjahr 1626 Quelle: eigene Berechnungen (Angaben in computerlesbaren Zeichen)

Bis ins Jahr 1623 hatte es für die obderennsischen Protestanten die Möglichkeit der freien Religionsausübung gegeben; ein Großteil der Steyrer Bürger und der restlichen Bewohnerschaft war – ähnlich wie in anderen Städten des Donauraumes122 – protestantisch, Prädikanten lebten in der Stadt und das städtische Bürgerspital verstand sich als protestantische Institution. Zetl vermerkte in seine Chronik das Selbstverständnis einer 121   Als Überblickswerke zu 1626: Albin Czerny, Bilder aus der Zeit der Bauernunruhen in Oberösterreich 1626, 1632, 1648 (Linz 1876); Felix Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand des Jahres 1626, 2 Bde. (Linz 21904/05); Georg Heilingsetzer, 1626. Der oberösterreichische Bauernkrieg (OÖHbl Sonderheft, Linz 2001). Siehe auch den Beitrag von Martin P. Schennach in diesem Band. 122  Martin Scheutz, Stadtrat versus Jesuiten. Kontrahenten um Stadtraum am Beispiel von Krems, Steyr und Leoben, in: Die Jesuiten in Krems – die Ankunft eines neuen Ordens in einer protestantischen Stadt im Jahr 1616, hg. von Herbert Karner–Elisabeth Loinig–Martin Scheutz (StuF 71, St. Pölten 2018) 69–109, hier 75–95.

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kleinen, aufrechten, von den Protestanten verfolgten Schar der „Altgläubigen“, die vor allem ab dem Beginn des großen Krieges deutlich schlechter gestellt waren: haben wür, catholische burger, grosße verfolgung erlitten123. Die katholischen Konfessionspraktiken und ihre Sichtbarkeit im städtischen Raum gerieten in Misskredit, umgekehrt stand die altgläubige Kirche durch das Reformationsjubiläum 1617 vermehrt unter Druck124. Ein stadträumlicher Konflikt um ephemere Konfessionsräume bahnte sich an, wie auch Zetls Text verdeutlicht. Der Papst hatte am 8. September 1617 ein jubileum ausgehen lassen, welches sich an unsser frauen geburthss tag angefangen, seindt wür, catholische, auf Gärsten hinaußgangen, über welches die predicanten und lutheraner grob gespöttelt und wider den ablaß geprediget, haben wür vill schmach von ihnen gelitten125. Die Riten der divergierenden Konfessionskulturen spalteten die Bürgerschaft in der Öffentlichkeit und generierten so vor der städtischen Öffentlichkeit zwei differente Gruppen. Das Begräbnis des langjährigen Steyrer Pfarrers Johann Widenberger 1619 geriet zur Manifestation einer kleinen, aber offenbar entschlossenen und von den Klöstern Gleink und Garsten unterstützten Gruppe von katholischen Steyrer Bürgern126. Sozial rekrutierte sich die katholische Bürgerschaft eher aus dem soziökonomisch benachteiligten Segment der Bewohnerschaft. Zetl berichtete immer wieder von den letzten katholischen Glaubensgenossen in der Stadt, etwa für 1625: eßs seindt nur 16 catholische burger damahls, und zwar der maiste thaill handtwerchsleuth, alhier gewest127. Der Einmarsch der bayerischen Truppen 1620 in das Land ob der Enns und die Verpfändung des Landes durch Ferdinand II. an Herzog Maximilian I. von Bayern im Gegenzug für militärische Unterstützung schuf neue Rahmenbedingen für die katholische Konfessionskultur, die sich rasch auch lokal – etwa in der Betonung des Fegefeuers als Differenzdogma – offenbarten. Den 4. Maii [1624] ist alhier zu Steyr die armen seelen bruederschafft aufgericht worden, haben sich unß, 12 catholischen burger, bey unßerm herrn pfarrherrn Achatio Schrott einschreiben lassen und die nämben auff Münichen geschickht128. Erst die Huldigung des Landstände gegenüber dem bayerischen Herzog im Linzer Schloss am 20. August 1620 und die militärischen Erfolge brachten die katholische Konfessionalisierung auch vor Ort verstärkt in Bewegung, aber es blieb ein zähes Ringen. Schon im Jahr 1624 gab es in Steyr ein erstes „Reformationspatent“129. Zuerst sollten sich alle Unterstützer des böhmischen Aufstandes wider ihr kayserliche mayestät als rechtmesßigen erbherrn und landsfürsten130 innerhalb von sechs Wochen in Linz zu ihrer verantwortung stellen. Wenige Tage danach, am 9. Oktober 1624, kamen kaiserliche Kommis  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 7.  Thomas Kaufmann, Reformationsgedenken in der Frühen Neuzeit. Bemerkungen zum 16. bis 18. Jahrhundert. Zeitschrift für Theologie und Kirche 107/3 (2010) 285–324. 125   HHStA, Zetl, Chronik, pag. 3–4. 126  Ebd. pag. 8: ist in die pfarr kirchen begraben und von unß, catholischen burgern, mit windtliechtern zu seiner ruehestatt beglaytet worden. 127  Ebd. pag. 25; ähnlich auch für 1621: ebd. pag. 15: unßer catholischen burger seindt nur 16 geweßen. Zur Bedeutung der Armen-Seelenbruderschaften Martin Scheutz, Frühneuzeitliche Bruderschaften im Bereich des heutigen Österreich. Ein Forschungsüberblick, in: Bruderschaften als multifunkontionale Dienstleister der Frühen Neuzeit in Zentraleuropa, hg. von Elisabeth Lobenwein–Dems.–Alfred Stefan Weiss (VIÖG 70, Wien 2018) 29–64, hier 43, 45f. 128  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 21. 129  Doppler, Reformation (wie Anm. 10) 116f. 130  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 22. 123 124



Einquartierungen, Konfessionsstreit und Bauernkrieg 251

sare – darunter der Statthalter Adam von Herberstorff (1585–1629)131, der Göttweiger Abt Georg Falb († 1631), Johann Spindler von Hofegg und Konstantin Grundemann (1582–1658) – in Begleitung von 24 Musketieren nach Steyr, sperrten die lutherische Kirche und ließen am Nachmittag auf allen Plätzen in Steyr öffentlich ausrufen, dass sich bei Strafe an Leib und Leben alle Prädikanten und Schulmeister innerhalb von acht Tagen mit sackh und packh auß dem landt machen132 sollten. Die Dominikaner übernahmen nach Ausweisung der Prediger mit dem 10. November 1624 die ehemals protestantische Kirche (eine alte Dominikanerkirche), wobei sich allerdings manche der Prädikanten weiterhin in der Nähe der Stadt verborgen hielten. Während vor dem November 1624 die Katholiken in das benachbarte Garsten auslaufen mussten, hatten sich nun die Vorzeichen verkehrt – nun mussten die Protestanten in die naheliegenden Dörfer zur Religionsausübung, vor allem in das Dorf an der Enns, auslaufen und hielten in ihren Häusern unter gemeinsamer Auslegung der Postillen Andachten ab133. Eine erste Emigrationswelle protestantischer Steyrer nach Regensburg, nach Ungarn und ins Land unter der Enns (wohl in Städte wie Krems) bahnte sich in dieser Zeit an. Der Steyrer Stadtrat unter dem protestantischen Bürgermeister Joachim Händl (reg. 1618–1624)134 beschäftigte sich in dieser Zeit aber noch mit einer gebührenden Abschiedszahlung von 100 fl. für den abziehenden Prediger. Gleichzeitig wurde ein Steyrer Prädikant, der die seit 1619 erstmals nach langer Pause wieder durchgeführte Fronleichnamsprozession135 geschmäht hatte, nach Linz einbestellt und zu einem Monat Arrest verurteilt. Der Linzer Statthalter Herberstorff erließ im Dezember 1624 erneut ein Patent136, das nicht nur wieder die Prädikanten des Landes verwies, sondern auch die devotio domes­ tica verbot und den Besuch des katholischen Gottesdienstes, auch durch den Stadtrat, einmahnte. Zudem sollten im Bruderhaus und im Spital keine uncatholischen Insassen mehr aufgenommen werden137. Aufgrund der angespannten Lage unterblieb 1624 die traditionelle Richter- und Bürgermeisterwahl. Mit Jänner 1625 wurden die Schrauben der katholischen Konfessionalisierung erneut fester angezogen, auch weil man seitens des   Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 118) 229.   HHStA, Zetl, Chronik, pag. 22; zur Emigrationswelle Hans Krawarik, Exul Austriacus. Konfessionelle Migrationen aus Österreich in der Frühen Neuzeit (Austria. Forschung und Wissenschaft Geschichte 4, Wien 2010) 122–148. 133   HHStA, Zetl, Chronik, pag. 23: seindt alle lutheraner Sonn- und feyrtag hinab ins dorff gangen, und seindt gar wenig in unßer catholische pfarr kirchen kommen, eß seindt auch thailß burger von hier wekh und auf Regenspurg gezogen, thailß in Ungern, thailß in Unterössterreich, haben zusambengang alhier in den heußern gehabt und auß ihren hauß posstillen gepredigt, hernach ist ihnen solches von den kay(serlichen) herrnen commissarien abgeschafft und aufgetragen worden, daß sie in die catholische pfarrkirchen, alda dem gottesdienst und predig beyzuwohnen und vernehmben, waß die catholische religion seye, haben aber nichts drumb geben, sondern nur daß gespött und gelächter darauß getriben. 134 Erlefried Krobath, Die Bürgermeister der Stadt Steyr und ihre Zeit. Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr 23 (1962) 3–48, hier 3–21 135  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 8: In dißem jahr ist widrumb ein Corporis Christi procession zum ersten mahl gehalten worden, aber die luteraner haben kaumb den huet vor dem hochwürdigen guett geruckht. Zur Fronleichnamsprozession Martin Scheutz, Kaiser und Fleischhackerknecht. Städtische Fronleichnamsprozessionen und öffentlicher Raum in Österreich während der Frühen Neuzeit, in: Aspekte der Religiosität in der Frühen Neuzeit, hg. von Thomas Aigner (Beiträge zur Kirchengeschichte Niederösterreichs 10/St.Pöltner Diözesanblatt Geschichtliche Beilagen 27, St. Pölten 2003) 62–125. 136   Doppler, Reformation (wie Anm. 10) 120. 137   Ebd. 120. 131 132

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Landesfürsten und der bayerischen Besatzer mit dem Erfolg der Rekatholisierungsmaßnahmen unzufrieden war. Der Statthalter Adam von Herberstorff erschien am 24. Jänner 1625 gemeinsam mit dem Göttweiger Abt Georg Falb138, der früher Stadtpfarrer in Steyr gewesen war, auf dem Rathaus. Nicht nur die Finanzgebarung der Stadt Steyr wurde in einer Sitzung des Statthalters vor der versammelten Bürgerschaft am 27. Jänner 1625 in einem langen Vortrag kritisiert, sondern es wurde gefordert, dass alle Bürger alle Sonnund feyrtag dem gottesdienst und der predig139 beizuwohnen hätten. Die protestantischen Bürger sollten nach Begleichung von Schulden und der Zahlung von Rechnungen bei den Amtsträgern sowie der Abzugssteuern aus Steyr auswandern140. Zudem unterstellte Herberstorff den Steyrer Bürgern polemisch ein Bündnis mit dem Erzfeind, indem man angeblich nach Konstantinopel Gesandte geschickt habe. Nach dem Befehl des bayerischen Pfandinhabers und des Kaisers sollten alle ämbter und alle raths stellen mit catholischen, sovern so vill taugliche vorhandten,141 ersetzt werden. Diese konfessionelle und politische Konversion des Rates war angesichts der geringen Zahl an katholischen Bürgern sowie deren geringen Wohlstands und damit der fehlenden „Abkömmlichkeit“ im Sinne Max Webers142 schwierig. Der neue Magistrat bestand aus einem katholischen Bürgermeister, einem Stadtanwalt, einem Stadtrichter und einem Stadtschreiber – die alten, protestantischen Funktionsträger drängte man in den „alten“ Rat ab. Auch die Besetzung der zahlreichen Steyrer Ämter wurde nach konfessionellen Richtlinien neu gestaltet; so avancierte Zetl zum Verwalter des Herrenhauses, einer städtischen Versorgungseinrichtung, und zum Viertelmeister im überwiegend protestantischen Ennsdorf. Vor allem die Viertelmeister sollten die katholische Konfessionalisierung im Sinne eines Spitzelwesens vorantreiben, indem man ihnen die Durchsetzung der katholischen Sonntagsgottesdienstgebote, die Überwachung des Verbots des Auslaufens und die Kontrolle des Verbots von heimlichen Zusammenkünften auferlegte. Zudem sollten sie protestantische Gebetszusammenkünfte, Postillenauslegungen und Handwerkeraufläufe an den Stadtrat melden143. In den Ratsprotokollen finden sich die Kontrollen des österlichen Sakramentsempfanges durch die Einsammlung der Beicht- und Kommunionszettel144 verzeichnet. Neu konvertierte Bürger sollten nach der Beichte und der – vermutlich öffentlichen – Kommunion, anders als die protestantischen Steyrer Bürger, von Soldateneinquartierungen befreit werden145. Erst im Oktober 1625, mit Patent vom 25. Oktober, erfolgte parallel zu einer klei138 Werner Telesko, Die Göttweiger Äbte Georg Falb (reg. 1612–1631) und David Gregor Corner (reb. 1631–1648) in ihren Beziehungen zu den Kremser Jesuiten, in: Die Jesuiten in Krems (wie Anm. 122) 128– 146, hier 128–136. 139  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 24. 140  Als Vergleich Scheutz, Kammergut (wie Anm. 23) 334–337. 141  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 25. 142  Ebd. pag. 25: Den 28ten Januarii [1625] haben unß catholische die herrn commissarien in ihr lagament erfordern lasßen, seindt die vornehmbsten von unß erschünen und unß vorgetragen, wür mechten die jenigen catholischen burger vorschlagen, welche zu ämbtern und in den rath tauglich währen, damit die catholische religion widrumben eingepflanzet und der reformation ein anfang gemacht werde. 143   Ebd. pag. 27. 144   Doppler, Reformation (wie Anm. 10) 123. 145  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 34: 8. April 1626: welche burger nun catholisch zu werden angelobt haben und alhier zu verbleiben versprochen, denselbigen seindt alßbalt die soldaten außgelegt, den jenigen aber, welche lieber daß landt meiden, alß catholisch werden wollen, hat man die soldaten heuffig eingelegt, also daß in ainen hauß 10, 20 ja wohl gar 100 biß 200 in die fürnehmben heußer ein quartiert worden seyndt.



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Zahl der emigrierten Bürger Jänner bis Beginn April 1626 35 30 25 20 15 10

Emigrierte Bürger

5 0

DOPPLER, 1626 Reformation (wie Anm. 10). der Stadt Steyr Grafik 3: Quelle: Emigrationswelle nach dem Ratsprotokoll Quelle: Doppler, Reformation (wie Anm. 10).

nen Pestwelle in der Stadt der entscheidende Einschnitt, indem durch eine neuerliche Kommission alle protestantischen Bürger von der Kanzel und durch die vom Stadtschreiber vorgenommene Verlesung des Patents auf den Stadtplätzen aufgefordert wurden, bis Ostern 1626 eine definitive Entscheidung über Konversion oder Emigration zu fällen. Nochmals im Februar 1626 forderten die kaiserlichen Kommissare Dr. Georg Falb und Konstantin Grundemann die protestantischen Bürger bezeichnenderweise in den Pfarrhof von Steyr, und hat mann ihnen aufgetragen, sich zu resolviren, eintweder catholisch zu werden oder aber widrigenfahls ihren abschiedt zu nehmben und auss dem landt zu ziehen146. Zwischenzeitlich fanden im Jänner 1626 Buchvisitationen in den verschiedenen Vierteln der Stadt statt, die insgesamt zwanzig Getreidewagen voll mit „verdächtigen“ Büchern zu Tage förderten, die vom Stadtrat nur verwahrt, aber nicht verbrannt wurden147. In diesen Tagen um die Jahreswende 1625/26 mussten viele Steyrer folgenschwere Entscheidungen treffen: Emigration oder „Anbequemung“ an die altgläubige Konfession148. Zwischen Jänner 1626 und Anfang April 1626 verließen nach Ausweis des Ratsprotokolls 130 Bürger die Stadt – am 8. April 1626 wurden alle Bürger auf das Rathaus zitiert und mussten eine schriftliche Bestätigung ihrer Konfession ablegen149. Schon im März 1626 hatte man die Insassen der Steyrer Versorgungseinrichtungen, der Spitäler und der Armenhäuser, „be  Ebd. pag. 33.   Doppler, Reformation (wie Anm. 10) 68; zur Praxis der Bücherverbrennung (mit und ohne Henker) Hermann Rafetseder, Bücherverbrennungen. Die öffentliche Hinrichtung von Schriften im historischen Wandel (Kulturstudien 12, Wien–Köln–Graz 1988) 144–158. 148  Als Vergleich Scheutz, Kammergut (wie Anm. 23) 336. 149  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 34: und die weillen der gegebene termin oder bedenckh zeit schon allberaith verstrichen, also hat ein jeder burger und innwohner sein schrifftlicher erklärung hineingeben müessen, ob er sich zum catholischen glauben will bekheren, oder sich auß dem landt begeben will, welche schrifftliche resolution dem herrn burgermaister Johann Mayr eingehändigt worden, welche burger nun catholisch zu werden angelobt haben und alhier zu verbleiben versprochen. 146 147

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kehrt“, indem man sie vor die Alternative Abzug aus der Versorgung oder Konversion gestellt hatte. Einige Spitalbewohner seindt wegen der religion auss unsserm spitall herauss150. In diese erzwungene politische, soziale und konfessionelle Transformation der Eisenstadt Steyr, die zugleich im Kontext der Reformation des Eisenwesens und der Schaffung der neuen Innerberger Hauptgewerkschaft 1625 gesehen werden muss, fiel der durch die Einquartierungen und die konfessionelle Politik des Statthalters verursachte Aufstand der oberösterreichischen Untertanen im Mai 1626. Dieser „Bauernkrieg“ verschob das Prisma der politischen Verhältnisse in der Stadt erneut. Steyr verstand sich bis 1623 als protestantische Stadt, danach erfolgte rund drei Jahre lang eine (oberflächliche) katholische Überformung der politischen und konfessionellen Strukturen – mit dem durch den Überfall auf bayerische Soldaten in Lembach am 17. Mai 1626 beginnenden großen Bauernaufstand wurden schlagartig die Uhren zurückgekehrt und die katholischen Bürger gerieten in eine durch mehrere Monate anhaltende, ungeschützte Minderheitenposition. Nach der Niederlage des Statthalters bei Peuerbach am 21. Mai 1626 versammelten sich Bauern und Bürger unter der Führung von Stephan Fadinger (1585–1626) sowie von dessen Schwager Christoph Zeller († 1626) und eroberten sukzessive alle oberösterreichischen Städte mit Ausnahme von Enns und Linz151. Ende Mai 1626 standen die Bauern, nachdem sie Wels und Kremsmünster besetzt hatten, unmittelbar vor Steyr und richteten ein Schreiben mit einer Übergabeaufforderung für den 27. Mai an den Stadtrat. Unter den neuen katholischen Funktionsträgern machte sich Panik breit, der katholische Bürgermeister, der Stadtrichter, der Stadtschreiber und andere fürnehme catholische herrn152 machten sich davon; in der Stadt selbst verblieben, bei einer recht ungewissen Zukunftsperspektive der catholische herr Marx Wutschletitsch, herr Simon Bekh, herr Dill, herr Luz, ich, Jacob Zetl, und Adam Puzer und Stephan Ganzeder rathsbefreundte153. Der ehemalige protestantische Stadtrichter Wolf Madlseder († 1627) übernahm alles regiments und gewalts und ging den Bauern am Morgen besagten Tages in Richtung Sierning entgegen, um günstige Bedingungen für die Stadt auszuhandeln154. Rund 50 Bauern übernahmen als vorthrapp155 in einer ersten Annäherung des Bauernheeres die Stadt; das Schloss, der Pfarrhof und das neurenovierte Dominikanerkloster wurden versperrt, um Plünderungen zu vermeiden. Am 31. Mai schlug Stephan Fadinger mit 40.000 Mann und zwanzig Kanonen am Tabor oberhalb von Steyr sein Lager auf; ist also balden den fleischhackhern und bekhen aufgetragen worden, viech zu schlachten und brodt zu pachen156, die Weinvorräte der Wirte wurden visitiert. Am folgenden Tag, dem 1. Juni, forderte Fadinger nach Soldatenart mit 150  Ebd. pag. 33; zu Spitälern als Austragungsort konfessioneller Spannungen Martin Scheutz–Alfred Stefan Weiss, Spitäler im bayerischen und österreichischen Raum in der Frühen Neuzeit (bis 1800), in: Europäisches Spitalwesen. Institutionelle Fürsorge in Mittelalter und Früher Neuzeit/Hospital and Institutional Care in Medieval and Early Modern Europe, hg. von Dens.–Andrea Sommerlechner–Herwig Weigl (MIÖG Ergbd. 51, Wien 2008) 185–229, hier 199. 151   Als Überblick (mit gutem Register) Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand (wie Anm. 121). 152   HHStA, Zetl, Chronik, pag. 38. 153   HHStA, Zetl, Chronik, pag. 25. 154 Volker Lutz, Die Besetzung Steyrs durch die Bauern, in: Ders., Aufstand (wie Anm. 17) 40–47; als Überblick Alois Zauner, Die oberösterreichischen Städte zur Zeit des Bauernkrieges, in: Der oberösterreichische Bauernkrieg 1626. Ausstellungskatalog, hg. vom Amt der oberösterreichischen Landesregierung (Linz 1976) 159–171. 155  Ebd. pag. 38. 156  Ebd. pag. 39.



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Trommeln und Pfeifen alle Bürger zu einem mit aufrekhung zweyer finger geleisteten Treueeid gegenüber den Bauern am Rathaus auf. Ich, Zetl, und catholische burger aber haben unrecht verstandten und seindt dißen tag in der fruehe auf die seithen gegangen, damit wür nicht haben schwören derffen157. Mit Anfang Juni 1626 kehrte auch der vertriebene Prädikant wieder in die Stadt zurück, seine Predigten waren gut besucht158. Die Stimmung der Bauern gegenüber den kaiserlichen Soldaten war verbittert, sie warfen etwa einen erkrankten kroatischen Reiter über die Ennsbrücke in den Fluss, wo er ertrank. Zudem fanden sie im Haus des geflohenen Stadtrichters die konfiszierten 20 Wagenladungen mit protestantischem Schriftgut – in der Interpretation von Jakob Zetl ein protestantisches Wiedererweckungserlebnis! Als Fadinger mit seinem Heer am 5. Juni 1626 weiterzog, nahm er 200 Steyrer Bürger zwangsweise als Geiseln mit; weitere 200 Bürger folgten mit 20. Juni nach159. Dagegen ließ Fadinger 300 Mann Besatzung unter dem Kommando eines Wirtes in Steyr zurück. Am 28. Juni 1626 wurde Fadinger160 vor Linz von einer Kugel getötet und sein Nachfolger Achaz Wiellinger von der Au († 1627) übernahm das Kommando. Steyr entwickelte sich in der Folgezeit zu einem Rückzugsort der Bauern: Nach den Niederlagen von Enns (23. Juli) und Ebelsberg (26. Juli) rückte das geschlagene und von Nachschubproblemen geplagte Heer der Bauern nach Steyr, wo man am 28. Juli 2.000 Bauern einquartierte. Eß seindt auch die paurn in daß kayserliche schlosß alhier in die rüsstcammer gebrochen, haben alle rüsstung herauß genomben161. Diese Phase der bäuerlichen Defensive bewirkte eine zusätzliche Radikalisierung der Bauern, die unmittelbare Wirkung auf die Steyrer Bewohnerschaft zeitigte. Die Klöster Gleink und Garsten wurde auf der Suche nach Pulver und Salpeter geplündert. Die Bauern suchten angesichts der herannahenden kaiserlichen Truppen nach Verrätern in den eigenen Reihen. Die Kommandanten der Bauern wollten angesichts der sich abzeichnenden Niederlage wissen, waß für catholische burger von Steyr bey den kayserlichen wehren geweßen, und noch drunter wehren162. In diesem Zusammenhang wurde auch Zetl als kaiserlicher Parteigänger denunziert, ein Klima gegenseitiger Beschuldigungen entstand in Steyr. Ich, Zetl, aber wurde von den alhieigen burgersleuthen, ja sogar von meinen nachbarn, bey den paurn angegeben, alß hette ich mit dem kayserlichen volckh zu Ennß corresspondenz oder kundtschafft mit brieff wechßlen, und bey mir kämen alle catholische zusamben163. Zetls Selbstzeugnis stellt in den folgenden Passagen seine Leidensgeschichte in großer Dramatik dar. Die Bauern schwärmten aus, um den der Konspiration mit den Kaiserlichen bezichtigten Färber gefangen zu nehmen, was nach einigen Verwechslungen auch gelang. Gemeinsam mit anderen katholischen Mitgefangenen wurde Zetl von den bezechten Bauern gefoltert und brutal verhört, man drohte ihm das Abschneiden von Nase und Ohren an164. Schließ  Ebd. pag. 40.   Ebd. pag. 45: und hat alhier bey herrn Caspar Reinharten über daß fenster herab gepredigt, daß volckh lage thailß an den fenstern und thailß stundte auf der gasßen und vor deß herrn Reinharten hauß waren lange penckh gesezt, daß thailß leuth ihren siz hatten wie in einer kirchen und in den andern heußern waren überall griene baumber außgesteckht. 159  Ebd. pag. 43. 160   Zur Person und zu seinem Nachleben Elisabeth Gruber, Die Aneignung aufrührerischer Elemente als Erinnerungsgeschichte. Das Beispiel Stefan Fadinger, in: Die Stimme der ewigen Verlierer? (wie Anm. 76) 415–430. 161  HHStA, Zetl, Chronik, pag. 48. 162  Ebd. pag. 53. 163  Ebd. pag. 53. 164  Ebd. pag. 55: ich solte sagen, welche burger alhier zu Steyr von dem kayserlichen volckh salva quardia hetten, 157 158

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lich wurde er abgeführt und erlebte auf dem Weg zum Gefängnis besondere Demütigung, denn die Steyrer Einwohner riefen ihm nach, jetzt sicht mann die verräther, die catholischen haben unß wollen verrathen und die statt übergeben165. Gemeinsam mit anderen Mitgefangenen wurde er im Steyrer Gerichtshaus gefangen gesetzt, wo er allerdings vom Gerichtsdiener, vermutlich als ehemaliger Amtsträger der Stadt, gut behandelt wurde. Erst über die Intervention direkt beim Bauernhauptmann Achaz Wiellinger († 1627) erlangte Zetl und seine Mitgefangenen gegen Lösegeld die Freilassung. Anderen Gefangenen, die man der Konspiration mit den kaiserlichen Truppen bezichtigt hatte, erging es schlechter – der katholische Bader von Sierning wurde von den Bauern hingerichtet166. Mit 22. August 1626 und der Ankunft der kaiserlichen Truppen unter dem kaiserlichen Oberst Hans Christoph von Löbl (1578–1636) endete die Zeit der Besetzung der Stadt Steyr durch die Bauern. Die Belastungssituation der Stadtbewohner änderte sich zwar kaum, die Geistlichkeit der rekatholisierten Stadt kehrte aber rasch zurück – mit der wiedergewonnene Normalität hielten auch neue Einquartierungen Einzug167. Anfang September 1626 kehrten schließlich auch die katholischen Bürgermeister und der Stadtschreiber aus dem Exil zurück. Die allmähliche Niederschlagung der Bauernaufstandes im August bis zum blutigen Ende im November168 schilderte Zetl, ohne aber seine Quellen – vermutlich Flugblätter und Gewährsleute – preis zu geben. Er war auf jeden Fall nachträglich um eine chronologische Reihung der Ereignisse in seinem Selbstzeugnis bemüht. Ein kaiserliches Strafgericht folgte; es wurde nach Konspiranten unter den rebellischen Bürgern mit den Bauern gesucht. Der protestantische Bürgermeister Wolf Madlseder und der Steyrer Advokat Dr. Lazarus Holzmüller wurden verhaftet und später (26. März 1627) gemeinsam mit anderen Rädelsführern in Linz hingerichtet, die Körper der Gerichteten gevierteilt und an den verschiedenen Straßenkreuzungen von Linz aufgehängt169. Die Köpfe der beiden Steyrer Rädelsführer steckte der Henker, nur drei Tage nach der Hinrichtung in Linz, am Steyrer Stadtplatz aus: in der statt bey dem pranger wurde ein säul eingegraben vor dem rathhauss und oben darüber ein eißene klampffen mit zwayen aufstehenten spizen, da wurde auf jeden spiz ein kopff gestekht, und ihre gesichter gegen deß Mädlseders hauß herauff, zu einem exempl, daß diße zway heubter vor dißem vasst die ganze statt Steyr regiert170. Erst nach eineinhalb Jahren erlaubte man der konvertierten Witwe Madlseders, den Kopf ihres hingerichteten Gatten abzunehmen171. Zetl dagegen erlangte aufgrund seiner „richtigen“ Konfession und seiner alß ich mich aber waigerte solches zu sagen, befalch er [... man] solle mir alßbalt naßen und ohren abschneiden, ich aber bathe, sie sollten mir nur die naßen stehen lasßen, die ohren will ich gerne hergeben, er aber zoge sein mesßer auß, wözet solches, nahmb mich bey den armb und wollte mir gleich die ohren abschneiden. 165  Ebd. pag. 56. 166  Ebd. pag. 56. 167   Ebd. pag. 58: hab ich, Zetl, 3 gefreyte mit weib und kindt sambt jungen, zusamben 11 persohn, im quartier mit speiß und thranckh zu verpflegen gehabt, haben etliche paurnhoff hinab und in der Rämbing abgebrendt, und vill beuth gemacht, eß kamen auch unßer herr pfarrer, die herrn Dominicaner und andere catholische priester widrumb hieher und wurde der catholische gottesdienst widrumb gehalten. 168 Siegfried Haider, Geschichte Oberösterreichs (München 1987) 193. 169  Zur Strafpraxis nach bäuerlichen Unruhen Scheutz, Ein tosendes Meer (wie Anm. 76) 104–116; Volker Lutz, Die Witwen nach Madlseder, Dr. Holzmüllner und Himmelberger, in: Ders., Aufstand (wie Anm. 17) 81–84. 170   HHStA, Zetl, Chronik, pag. 74. 171  Ebd. pag. 89: Den 22. dito [September 1628] ist deß Wolff Mädlseders sein kopff, welcher 1 ½ jahr alhier zu Steyr auf einer säulen am plaz gestekht ist, abgenomben und in daß bruederhauß begraben worden, mann hat auch zu Linz seine auffgesteckhte viertl weckh gethann, dieweillen die frau Mädlßederin sich zu der catholischen religion begeben und solches bey ihr kayserlichen mayestätt zur gnad erhalten hat.



Einquartierungen, Konfessionsstreit und Bauernkrieg 257

Märtyrergeschichte während des Bauernkrieges 1626 ein angesichts seiner sozialen Position überdurchschnittlich hohes Amt innerhalb des Stadtmagistrats. Die Rekatholisierung schritt nun mit dem Sieg der kaiserlichen Waffen im Rücken zügig voran172.

6. Zusammenfassung Jakob Zetls Bericht über die katholische Konfessionalisierung der Stadt Steyr und den Dreißigjährigen Krieg generell bemüht sich keineswegs neutral zu berichten, sondern Zetls Feder liefert eine stark intentionale Darstellung der Zeitereignisse in Steyr zwischen 1618 und 1635 – ein Bericht über einen „begrenzten Erfahrungsraum“ 173, aber „cum ira et studio“. Während die Berufswelt des Färbers kaum Eingang in das Selbstzeugnis findet, erscheint dagegen das Zeitgeschehen deutlich im Fokus. Zetl muss guten Zugang zu Flugschriften und zu Flugblattprodukten seiner Zeit gehabt haben und fügte diese, sicherlich mit einiger Verzögerung in Steyr eingetroffenen Flugschriften in seinen Text an der richtigen zeitlichen Stelle ein. Dabei verstand er sich als Parteigänger des Landesfürsten und als Gegner der mit den böhmischen Ständen koalierenden oberösterreichischen Stände. Er war zudem Parteigänger der katholischen Reform in der Stadt, er besuchte Wallfahrten, Andachten und katholische Leichenbegängnisse. Die Einquartierungen von Söldnern in den 1620er Jahren bewirkten in der labilen politischen Situation der Stadt eine Dynamisierung, weil diese erzwungenen Wohngemeinschaften von den Zeitgenossen nicht nur als große wirtschaftliche Belastung, sondern auch als eine Bestrafung der protestantischen Bewohner der Stadt Steyr erfahren wurden. Zudem führte das neue Gewaltregime der Soldaten zu Problemen im Haus. Die katholischen Steyrer Bürger bemühten sich – nicht immer mit Erfolg – um eine Befreiung von den Einquartierungen zu Lasten der protestantischen Stadtbewohner. Die dadurch entstandene Verbitterung zeitigte im Jahr 1626 große innerstädtische Dynamik, als die Stadt Steyr von den Bauern „erobert“ wurde. Die politischen Vorzeichen hatten sich damit verschoben – die protestantischen Bürger revanchierten sich nun und denunzierten den Färber Zetl bei den Bauern, was diesen in Lebensgefahr brachte. Nach 1626 konnte er sich, obwohl nur kleiner Handwerker, im von Händlern und Wirten dominierten Stadtrat als Ratsmitglied festsetzen, eine Position, die er lange innehatte. Zudem erreichte er wichtige Ämter in der Ratsverwaltung der Stadt. Als sich Ferdinand II. 1630 auf den Weg zum Kurfürstentag nach Regensburg machte, hielt er auch Rast in Steyr174. Dieser Aufenthalt bildet eine Art Klimax der neuen Rechtgläubigkeit im Selbstzeugnis von Jakob Zetl – die ausführliche Schilderung der Fronleichnamsprozession 1630 in Steyr unter Teilnahme des Landesfürsten und Kaisers schloss in der Sicht Zetls die konfessionelle Besitzergreifung der Stadt vor den Augen der Öffentlichkeit endgültig ab. 172  Ebd. pag. 72; ebd. pag. 77: Den 8. dito [Mai 1627] kame ein kayßerlicher befelch auf Steyr und wurde die ganze burgerschafft aufs rathhauß erfordert und ihnen daß kayserliche patent abgeleßen, der innhalt war, daß alle die jenigen burger und innwohner, welche nicht wollen catholischen werden, die haben von heutigem dato an biß auf den 9ten Junii 4 wochigen termin und die lezte bedenckhzeit und der nicht hier bleiben will, der solle in dißen 4 wochen in allen und jedem richtigkeit pflegen und so dann daß landt raumben. 173 Susanne Rau, Geschichte und Konfession. Städtische Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung in Bremen, Breslau, Hamburg und Köln (Hamburger Veröffentlichungen zur Geschichte Mittel- und Osteuropas 9, Hamburg–München 2002) 520. 174  Scheutz, Kaiser und Fleischhackerknecht (wie Anm. 135) 62–65.



(4) SELBSTZEUGNISSE UND MEDIEN IM DREISSIGJÄHRIGEN KRIEG



Der Kardinal und der Krieg: Ernst Adalbert von Harrach (1598–1667) in seinen Selbstzeugnissen Katrin Keller

Der Dreißigjährige Krieg war zweifellos auch im an Kriegen europaweit nicht armen 17. Jahrhundert ein Großereignis von besonderer Dimension. Zwar ist es mittlerweile ein Allgemeinplatz, dass es sich dabei keineswegs um einen Krieg, sondern vielmehr um eine Verkettung von Einzelkonflikten handelte. Allerdings wurden diese schon von vielen Zeitgenossen als ein Zusammenhang, de facto als ein Krieg wahrgenommen1, auch wenn sie in ihrer Mehrzahl natürlich nicht wirklich dreißig Jahre lang vom Kriegsgeschehen betroffen waren. Die Wahrnehmung dieses „großen Krieges“ des 17. Jahrhunderts hat die Selbstzeugnisforschung spätestens seit dem Überblickswerk von Benigna von Krusen­ stjern immer wieder beschäftigt, die damit nicht zuletzt an ältere Traditionen lokal- wie landeshistorischer Forschung anknüpfte. Insbesondere Hans Medick hat dazu publiziert und gemeinsam mit anderen auch mehrere umfangreiche Selbstzeugnisse aus der Kriegszeit über Editionen zugänglich gemacht2. Dabei thematisierte er vorrangig die Erfahrung von Krieg und Gewalt in diesen Selbstzeugnissen – nachdem die Ereignisse in der Wissenschaft lange vor allem aus militär- und politikgeschichtlicher Sicht behandelt worden waren, stellte dies, ebenso wie etwa die Publikation des bekannten Söldnertagebuches durch Jan Peters, zweifellos eine sinnvolle Weitung des Blicks dar3. Dass sich die Kriegs1   Zur Begriffsgeschichte Konrad Repgen, Über die Geschichtsschreibung des Dreißigjährigen Krieges: Begriff und Konzeption, in: Krieg und Politik 1618–1648. Europäische Probleme und Perspektiven, hg. von Dems. (Schriften des historischen Kollegs 8, München 1988) 1–84. 2  Benigna von Krusenstjern, Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Beschreibendes Verzeichnis (Selbstzeugnisse der Neuzeit 6, Berlin 1997); Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, hg. von ders.–Hans Medick (VMPIG 48, Göttingen 1999); Hans Medick–Benjamin Marschke, Experiencing the Thirty Years War. A brief history with documents (Boston 2013); Hans Medick, Der Krieg im Haus? Militärische Einquartierungen und Täter-Opfer-Beziehungen in Selbstzeugnissen des Dreißigjährigen Krieges, in: Zwischen Tätern und Opfern. Gewaltbeziehungen und Gewaltgemeinschaften, hg. von Philipp Batelka–Michael Weise–Stephanie Zehnle (Göttingen 2017) 289–305; ders., Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt (Göttingen 2018); sowie: Mitteldeutsche Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges – http://www.mdsz.thulb.uni-jena.de/sz/index.php [2.12.2018]. 3 Jan Peters, Ein Söldnerleben im Dreißigjährigen Krieg. Eine Quelle zur Sozialgeschichte (Selbstzeugnisse der Neuzeit. Quellen und Darstellungen zur Sozial- und Erfahrungsgeschichte 1, Berlin 1993). Siehe auch: Eva Kormann, Violentia, Potestas und Potential. Gewalt in Selbstzeugnissen von Nonnen und Mönchen des Dreißigjährigen Kriege, in: Gewalt in der Frühen Neuzeit: Beiträge zur 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im Verband der Historiker Deutschlands, hg. von Claudia Ulbrich (Historische Forschungen 81, Berlin 2005) 145–154; Martin Scheutz, „im rauben und saufen allzu gierig“. Das Bild von Soldaten in ausgewählten Selbstzeugnissen männlicher und weiblicher katholischer Geistlicher aus der Zeit des Drei-

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Katrin Keller Abb. 1: Portrait Kardinal Ernst Adalberts von Harrach, 1654, Kupferstich, Wien (Quelle: ÖNB, Bildarchiv, Sign. #7666895)

zeit freilich nicht pauschal auf Kriegs- und Gewalterfahrungen reduzieren lässt, ist dabei ebenfalls ins Bewusstsein gerückt worden. Abhängig von Region, Zeitpunkt und sozialer Verortung der Verfasser konnten Art und Ausmaß der direkten Betroffenheit und damit auch des Schreibens über Krieg und die Wahrnehmung desselben stark differieren. Das ist in unserem Zusammenhang umso zentraler, als ja die Habsburgermonarchie eben immer nur sporadisch und immer nur in räumlich begrenztem Ausmaß direkter Kriegsschauplatz war. Wenn hier im Folgenden mit den Niederschriften Ernst Adalberts von Harrach zwei miteinander verbundene Selbstzeugnisse aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges behandelt werden, die in der Habsburgermonarchie entstanden sind, dann geht es einerseits durchaus darum, die spezifische Kriegs- und Gewalterfahrung eines Schreibenden aus der höfischen Elite der Monarchie4 aufzuzeigen. Andererseits soll aber herausgestellt werden, ßigjährigen Krieges. L’Homme 12/1 (2001) 51–72; Andreas Neuburger, „Nos sumus praeda utriusque partis“. Der Dreißigjährige Krieg und Kriegserfahrungen in den Selbstzeugnissen der im Herzogtum Württemberg restituierten Prälaten, in: Geistliche im Krieg, hg. von Franz Brendle–Anton Schindling (Münster 2009) 129–160; Kriegserfahrungen erzählen. Geschichts- und literaturwissenschaftliche Perspektiven, hg. von Jörg Rogge (Bielefeld 2016). 4   Allgemeiner dazu siehe Harald Tersch, Gottes Ballspiel. Der Krieg in Selbstzeugnissen aus dem Umkreis des Kaiserhofes (1619–1650), in: Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, hg. von Benigna von Krusenstjern–Hans Medick (VMPIG 48, Göttingen 1999) 427–465.



Der Kardinal und der Krieg 263

dass die Wahrnehmung des Krieges mehrere Dimensionen haben konnte. Dabei ist im konkreten Fall weniger an Deutungsstrategien für die verschiedenen Ereignisebenen zu denken, sondern auch und gerade an räumliche Dimensionen, an die Wahrnehmung des Krieges als Teil des Gegenwartshorizontes5 einer konkreten Person.

1. Zu Person und Quellen Ernst Adalbert von Harrach6 stammte aus einer der wichtigsten niederösterreichischen Adelsfamilien, die noch dazu stets katholisch und kaisertreu geblieben war. Er wurde als zweiter Sohn des kaiserlichen Geheimen Rates Karl von Harrach (1570–1628) und seiner Gemahlin Maria Elisabeth (1573–1653), einer Tochter des innerösterreichischen Geheimen Rates Maximilian von Schrattenbach, 1598 geboren und war wohl von Anfang an für eine geistliche Karriere bestimmt. Nach Unterricht an mehreren Jesuitengymnasien erhielt er 1615 in Wien die niederen Weihen und ging dann nach Rom, wo er bis 1620 am Collegium Germanicum eine moderne theologische Ausbildung erhielt. Noch bis 1622 blieb er als Kämmerer am päpstlichen Hof in Rom, erhielt dort die höheren Weihen und reiste schließlich nach Prag, wo er aufgrund einer Nominierung Kaiser Ferdinands II. von Papst Gregor XV. zum Erzbischof ernannt worden war. Schon im Jänner 1626 stieg er dann – wiederum auf Empfehlung des Kaisers und mit Unterstützung der Kardinäle Eitel Friedrich von Hohenzollern (1582–1625) und Franz von Dietrichstein (1570–1636) – seinerseits zum Kardinal auf. Sein Wirken als Erzbischof von Prag war eng mit der Gegenreformation verbunden, obwohl sein Verhältnis zum Kaiserhof nicht immer ungetrübt blieb. Er stand stets in Konkurrenz zu den Jesuiten, die seine eher moderate Vorgehensweise nicht immer begrüßten. Im Jahr 1648 in den Geheimen Rat aufgenommen und in den dreißiger Jahren zweimal als kaiserlicher Abgesandter nach Rom entsendet, wurde Harrach schließlich 1665 noch Bischof von Trient. Ernst Adalbert von Harrach starb im Herbst 1667 in Wien auf der Rückreise von der Teilnahme an seinem dritten Konklave. Über große Teile seines Lebens führte Harrach ein Tagebuch in italienischer Sprache, von dem die Jahrgänge zwischen 1629 und 1655 sowie einzelne weitere Bände bis 1667 überliefert sind. Es war wohl in erster Linie als „Magazin für künftiges Erinnern“7 angelegt, weshalb der Dokumentation des Alltags weniger große Bedeutung zukam. Dies ist zugleich der persönlichere Teil der Überlieferung, da die Notizen wohl ausschließlich für den Gebrauch des Verfassers gedacht waren. Parallel dazu verfasste er ab 1637 (und bis 1667) in deutscher Sprache von ihm sog. „Tagzettel“ oder „foglietti“. Diese tragen insofern ebenfalls Züge eines Tagebuches, als sie chronologisch gegliedert sind und zahlreiche Nachrichten über den Verfasser selbst, 5  Cornel Zwierlein, Gegenwartshorizonte im Mittelalter: Der Nachrichtenbrief vom Pergament- zum Papierzeitalter. Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 12 (2010) 3–60, hier 3–7; The Dissemination of News and the Emergence of Contemporaneity in Early Modern Europe, hg. von Brendan Dooley (Burlington 2010). 6  Zur Biographie siehe Ernst Adalbert von Harrach, Die Diarien und Tagzettel des Kardinals Ernst Adalbert von Harrach (1598–1667), hg. von Katrin Keller–Alessandro Catalano (VKNGÖ 104, Wien–Köln– Weimar 2010) 1 58–88; Alessandro Catalano, La Boemia e la riconquista delle coscienze. Ernst Adalbert von Harrach e la controriforma in Europa centrale (1620–1667). Premessa di Adriano Prosperi (Temi e Tesi 55, Roma 2005). 7  Ralph-Peter Wuthenow, Europäische Tagebücher. Eigenart. Formen. Entwicklung (Darmstadt 1990) 16; Krusenstjern, Selbstzeugnisse (wie Anm. 2) 19–21.

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Katrin Keller Abb. 2: Johann Bartholomäus Klose (gest. 1679), Verherrlichung des Kardinals Ernst Adalbert von Harrach, Federzeichnung, 25,9 x 35,8 cm (Quelle: Würzburg, Mainfränkisches Museum, Sig. 46507)

seinen Tagesablauf, seine Erlebnisse aufnahmen. Dass diese Mitteilungen allerdings kontinuierlich mit Meldungen aus dem politisch-militärischen Zeitgeschehen kombiniert wurden, unterscheidet die Tagzettel von der Mehrzahl der zeitgenössischen Tagebücher – obwohl auch dort Nachrichteneinsprengsel vorkamen8, stellte bei Harrachs deutschen Texten die Nachrichtenübermittlung den zentralen Punkt dar. Mit diesen Tagzetteln, die über die Post versendet wurden, informierte er Familienmitglieder, Bekannte und Verwandte sowohl über sich selbst wie über Ereignisse und Nachrichten, die ihm seinerseits zur Kenntnis kamen. Damit weisen diese Niederschriften in deutscher Sprache Charakteristika einer individuell geprägten geschriebenen Zeitung auf. Insbesondere für die Kriegsjahre zwischen 1638 und 16489 verfügen wir damit über zwei inhaltlich und formal deutlich differierende Überlieferungen für ein und dieselbe Person. Die differierende mediale Dimension schlägt sich in Struktur und Inhalten beider 8   Siehe etwa Harald Tersch, Österreichische Selbstzeugnisse des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (1400–1650). Eine Darstellung in Einzelbeiträgen (Wien 1998) 731, 768; Krusenstjern, Selbstzeugnisse (wie Anm. 2) 143f., 232f.; Mario Infelise, From merchant’s letters to handwritten political avvisi: notes on the origins of public information, in: Cultural Exchange in Early modern Europe, Bd. 3: Correspondence and cultural Exchange in Europe, 1400–1700, hg. von Francisco Bethencourt–Florike Egmond (Cambridge 2007) 33–52, hier 36f. 9  In den deutschen Tagzetteln fehlen die Jahre 1642 und 1643 vollständig, für die italienischen Diarien die Jahre 1641 bis 1643. Siehe dazu Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 1 15–18, 34.



Der Kardinal und der Krieg 265 Abb. 3: Tagzettelabbildung 1638 (Quelle: ÖStA, AVA, FA Harrach, Kart. 439, Tagzettel 1638, unfol.)

Texttypen10 nieder, was sich auch in den jeweils enthaltenen Äußerungen über die Kriegsereignisse und ihre konkreten Folgen erkennen lässt, die nun genauer behandelt werden sollen.

2. Wie nah kommt der Krieg? Als Mitglied einer kleinen höfisch-adeligen Elite der Habsburgermonarchie und als Kirchenfürst war Ernst Adalbert von Harrach in spezifischer Weise mit den Ereignissen des Dreißigjährigen Krieges konfrontiert: Als Geistlicher gehörte er zunächst einmal nicht zu den direkten Akteuren des kriegerischen Geschehens. Das unterschied ihn von der Mehrzahl seiner Standesgenossen wie von Familienmitgliedern vergleichbaren Alters – alle seine Brüder und mehrere seiner Schwäger dienten mehr oder weniger lange im kaiserlichen Heer. Drei Brüder Harrachs starben in den 1630er Jahren an Verwundungen,

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  Dazu ausführlich ebd. 1 30–57.

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die sie im Kampf erlitten hatten11; seine Schwäger Albrecht von Wallenstein (1583–1634) und Adam Erdmann Trčka (1584–1634) wurden bekanntlich 1634 ermordet. Ungeachtet seiner eigenen Distanz zu den Schlachtfeldern der Zeit war Harrach damit durchaus direkt mit dem Krieg und seinen Auswirkungen konfrontiert. Das galt jedoch keineswegs nur im familiären Kontext, sondern auf verschiedenen Ebenen durchaus auch für ihn als Person und als Amtsträger. Dies geschah beispielsweise durch Angriffe auf sein Eigentum. So wollte der Kardinal im Juli 163412 Teile seiner Besitztümer von seinem böhmischen Gut Retschitz/Červená Řečice nach Iglau/Jihlava in Sicherheit bringen lassen, als ein Kontingent kaiserlicher Soldaten den Transport kurzerhand konfiszierte: Knapp 5.000 fl., das Tafelsilber, der „anello cardinalitio“ sowie weitere Reittiere und einiges an seidenen Stoffen gingen so verloren. Die Handlungsmöglichkeiten eines Kardinal-Erzbischofs zeigen sich in dieser Angelegenheit gut, denn im Jänner 1635 war er selbst es, der Verhandlungen mit Obrist Johann von Leutersheim, zu dessen Truppen die Soldaten gehört hatten, über die geraubten Besitztümer führte und der dadurch schließlich Anfang März 1635 eine Einigung erreichte13. Harrach erhielt die Zusage, dass binnen 15 Tagen 5.500 fl. Entschädigung für das Silber und die Reittiere gezahlt werden sollten. Damit wurde der Verlust zwar keineswegs völlig ersetzt, aber immerhin konnte der Kardinal seine soziale Position und seine Netzwerke nutzen, um überhaupt eine Entschädigung, verbunden mit der Anerkennung der Unrechtmäßigkeit der Konfiskation, zu erreichen. Viel häufiger war er jedoch als Grundherr vom Krieg betroffen, befanden sich die erzbischöflichen Güter doch naheliegenderweise in Böhmen und damit in dem Land des habsburgischen Herrschaftsbereiches, das am häufigsten direkt von Kriegshandlungen betroffen war14. Sowohl die Beeinträchtigung bäuerlichen Wirtschaftens infolge von Truppendurchzügen und Plünderungen wie die Beeinträchtigung der grundherrlichen Einkünfte durch Kriegsverluste und Kontributionen spielen eine erhebliche Rolle vor allem in den Niederschriften der Jahre 1634/35, 1639, 1641 und 1646. Gleiches gilt für seine Amtseinkünfte aus der böhmischen Salzsteuer. Vor allem die relativ ausführlichen Tagzettel des Jahres 1639 zeigen wiederholt solche direkten Kriegsfolgen, weisen aber auch die Antizipation von Bedrohungen durch den heranziehenden Feind aus. Schon im Jänner 1639 notierte der gut unterrichtete Harrach Truppenbewegungen in Böhmen und verband dies mit der Sorge vor Einquartierungen auf seinen Gütern. Ende Februar mussten zwei Kompanien auf den Ländereien des bischöflichen Spitals bei Prag verpflegt werden15. Anfang März spannten Soldaten – es handelte sich dabei mit Sicherheit erneut um kaiserliche Truppen – einem Bauern, der aus Retschitz Hafer für den erzbischöflichen Haushalt liefern wollte, die Pferde aus. Am folgenden Tag notierte der Kardinal: „Die roß welche meine undterthanen verlohren sein nicht allein 8 sondern gahr 11 geweßen, und haben die soldaten, damit sie nicht

11  Otto Friedrich von Harrach wurde 1632 in der Schlacht bei Lützen verwundet und gefangen genommen; an den Spätfolgen der Verletzung starb er im Mai 1639, Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 4 561–564. Johann Karl von Harrach starb Ende Oktober 1634 an einer in der Schlacht bei Nördlingen erhaltenen Verwundung (ebd. 2 104f.), während Maximilian von Harrach schon 1633 ums Leben gekommen war. 12  Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 2 102 (27.07. und 4.08.1634). 13  Ebd. 2 115 (22.01.1635), 118 (8.03.1635). 14  Siehe dazu den Beitrag von Petr Maťa im vorliegenden Band. 15  Z. B. Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 4 516 (10.01.1639), 535 (26.02.1639).



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undterwegs verschmachten ihnnen noch 8 strich von meinem habern auch aufgeladen.“16 Gleichzeitig verdichteten sich offenbar die Nachrichten über das Herannahen eines schwedischen Heeres, wie zwei Tage später vermerkt wurde: „Heindt will man sagen der feündt seye schon gahr im landt, aber ich sihe noch khein rechtes fundament diser zeittung: Meine bauren fürchten sich so sehr wegen ihrer wenig übrigen pferdt, das sie nicht eher wider nach Retschitz wollen, alß biß ich selbsten auch weckh wier, […] In der statt ist uberall ein solche forcht, das man schon etlichen auß den fürnembsten aufbringet, das sie noch dise nacht ihr bestes in gehaimb forth schickhen werden, und das man schon tractiret, wie mit dem ehesten auch die bohembische cronn zu salviren“17. Trotz der Bedrohung von Seiten der Schweden fürchtete man allgemein offenbar ebenso den Rückzug der kaiserlichen Truppen nach Böhmen, auf den diese angesichts von Versorgungsschwierigkeiten in Kursachsen drangen: „[…] sonsten lustet sie [die kaiserlichen Truppen] schier vill lieber in Behoëmb herein, alß wider den feindt. Der Marzin hatt den Montecuculi hereingeschickht taußendt ungelegenheiten und unmüglichkheiten drausten zuleben alhie vorzubringen, er wirdt aber meines bedunckhenß gehörloßen predigen, dan mit unseren willen, werden wiers gewiß nie gehrn im landt haben“18. Nach der verlorenen Schlacht bei Chemnitz im Frühjahr 1639 war es dann soweit: Noch vor den durch die Belagerung von Freiberg und Pirna aufgehaltenen Schweden unter Johan Banér (1586–1641) fluteten kaiserliche Truppen zurück nach Böhmen: „Vill sagen unsere khnecht haben in der occasion mit dem Panier nicht fechten wollen, sondern gleich alsobaldt die wafen von sich geworfen, und das versengeldt geben, andere wollen dem Marzin ein schuldt zuemeßen, das er wider ordinanz gefochten, und deß nahenden bayrischen succurs nicht erwartet. Sey ihm wie ihm wolle, jezt müeßen wier ihren failer büeßen, dan die flüchtige reütterei hatt sich also durchß khönigreich und sonderlich umb Prag herumb außgetheilet, daß man täglich nichts anderes höret, alß von außblinderung der güeter und raisender persohnen“19. Angesichts der zunehmenden Gefährdung der Straßen sah sich Harrach nach der Plünderung seiner Haferfuhren im März 1639 gezwungen, selbst nach Retschitz zu reisen, um die zur Versorgung des Prager Haushaltes notwendigen Transporte durch seine Anwesenheit zu sichern. Für ihn kam dabei aus eigenen Leuten und Musketieren der Prager Garde ein etwa 20 Personen umfassendes Geleit zustande, in dessen Schutz sich dann auch etliche Kaufleute begaben, um ihre Reise sicher absolvieren zu können20. Konnte der Kardinal also seine Position hier ein weiteres Mal zur Sicherung seiner selbst wie seiner Besitztümer und Untertanen nutzen, war das Personen adeligen Standes doch nicht immer möglich. Schon wenige Tage später, auf dem Rückweg nach Prag, traf Harrach in Beneschau/Benešov eine Standesperson, die weniger Glück gehabt hatte: „Dan wie ich gleich dahie in den marckht einfahre, so begegnet mier aller turbirt der sohn der frauen Dorotea, die anderemall deß don Baltasar [de Marradas] seeligen sein favoritin gewesen, mit der klag das sie 20 soldaten zu pferdt nicht weit von hinnen angrifen, und weill ihrer nur 4 gewesen die sich wehren khünnen, und sich zu baldt, mit nidermachung 2 der soldaten verschoßen, so weit ubermeistert worden das sie ausreißen, und die frau Dorotea   Ebd. 4 538 (5.03.1639).   Ebd. 4 539 (7.03.1639). 18  Ebd. 4 548f. (10.04.1639). 19  Ebd. 4 554 (19.04.1639). 20  Ebd. 4 542f. (14.03.1639). 16 17

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sambt 3 wägen mit alle ihren besten sachen im stich laßen müeßen. […] Die guete frau khame etwan ein anderthalb stundt hernach zu fueß, herein gantz außgeblindert gar die guldene ketteln die sie an dem bloßen halß truge, nahmen sie ihr, die truhen wurden alle alsobaldt aufgehauet und waß verhanden darauß genommen, welches an golt und kleinodtern, alß ihr ganzer schatz, nicht wenig gewesen sein mueß […] Dises zuestandts halber, mich etwas beßer zuversichern habe ich sehen laßen, ob mier deß graf Michna haubtman ein convoy von 12 musquetiren mitgeben khünte; waiß noch auf dise stundt nicht ob ichs wier haben khünnen, aber desthalben underlaße ich fort mein raiß nicht, dan der schatz den ich mitführe, ist nicht so genedig, das ich mich vill zufürchten hette solchen zuverlieren, eß ist mier nur umb den spott, das sie mich angreifen und zu fueß gen Prag etwan einschickhen möchten“21. Auch wenn Harrach selbst keine derartigen Unfälle zustießen, weder im Kriegsjahr 1639 noch später auf seinen zahlreichen Reisen in Böhmen und nach Wien, spricht aus dem letzten Satz doch ein Bewusstein von Gefahr – freilich nicht für Leib und Leben, aber in Hinblick auf seine Reputation. Ähnliches gilt für eine Bemerkung im Kontext seiner Reise Ende April 1639, denn noch bevor schwedische Verbände wirklich nach Böhmen vorrückten, verließ der Kardinal Prag aus Sorge vor dessen Einnahme sowie angesichts der schweren Erkrankung seines Bruders Otto Friedrich (1610–1639), für den er sich Hilfe in Wien versprach. Erneut reiste man unter dem Schutz bewaffneter Reiter, traf aber bei Porschitz/Poříčí nad Sázavou auf eine Truppe marodierender Reiter: „Baldt nachdem wier dorthin ankhommen, sein 18 pferdt passirt, die vermeldet wan wier ein paar tag spätter durchzogen wären, so hetten sie unß in größerer anzall aufgewartet, dan es seyen in den wäldern, da wier durch gezogen, woll 8 truppen, die auf die fliehenden von Prag aufpaßen“22. Die latente Gefahr durch eigene wie fremde militärische Verbände war also für einen ranghohen Geistlichen durchaus real, auch wenn er aufgrund seiner Handlungsmöglichkeiten dagegen Vorkehrungen treffen konnte. Den Rest des Jahres 1639 verbrachte Ernst Adalbert von Harrach in Wien bzw. auf den Gütern seiner Familie in Niederösterreich, da die Bewegungen der schwedischen Truppen, marodierende Reiter und schließlich auch der Ausbruch der Pest seine Rückkehr an seinen Amtssitz Prag verhinderten. Allerdings bemühten er und sein Retschitzer Regent sich wiederholt, Besitz bzw. Einkünfte von den Gütern doch noch zu sichern. So plante man etwa, 100 Kühe aus Böhmen nach Bruck an der Leitha, dem Harrach’schen Familiensitz, zu überführen und dort bei Bauern einzustellen. Ende August trafen allerdings in Bruck erneut Nachrichten aus Böhmen ein, die „wenig guets“ enthielten: „Es stirbt noch zimblich starckh in Prag, aber mehrers an dem durchbruch, alß an der pest. […] Zu Retschitz habe ich 100 Schock mändell khorn eingeerdnet, hette ichs so wahr daheraußen, ich mueß aber den 10 mändl darvon in die proviant geben. Mein regent fürchtet, die soldaten werden nicht wider außsähen laßen, so geschicht es aufs wenigst auf vill meill wegs umb Prag herumb“ .23 Auch im Spätherbst 1639 hatte sich die Situation noch nicht wesentlich verändert: „Von Prag habe ich gar nicht angenehme zeitungen, dan unsere soldaten haben mier zu Rosenthall daß stättl, die mairhöff und die dörfer alle rein außgeblindert, und waß von getraidt verhanden gewesen, weckhgeführet. Zu 21  Ebd. 4 526f. (23.03.1639). Zur Plünderung von Fuhren und Gewalt gegen Reisende siehe auch ebd. 553 (18.04.1639). 22  Ebd. 4 558 (30.04.1639). 23  Ebd. 4 587, 590 (29.08. bzw. 1.09. 1639).



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Prag will man mier die khranckhe soldaten in mein spittall und seminarium einquartiren, und darmit selbige örthern inficiren, das sie mier nie nichts mehr nutz sein werden, mit schaden etlich tausendt mobilien die mier auf dise weiß verdurben. Ich waiß nicht wie die leüth einen so großen lust nur nach dem meinigen haben“24. Erst Ende April 1640 konnte der Kardinal-Erzbischof nach Böhmen zurückkehren, war aber im Frühjahr 1641 aus Sicherheitsgründen wieder in Wien, während kaiserliche und schwedische Truppen durchs Land zogen. Anfang März 1641 hielt er fest: „Mein armes Retschitz gehet schon auch allgemach darauf, dan es marsiret imerzue unser volckh dardurch, und über alles dises mueß man die contribution fünff mall höcher, alß der wein und bier creizer außtraget, und allzeit auf etliche monath anticipirter bezahlen. Gar baldt werden alle meine bauren endtlauffen“25. Und als er Ende April 1641 wieder in Retschitz eintraf, musste er festhalten: „Dahie befinde ich daß die unbeschaidene soldaten gar meiner 20 jährigen stuetten, die ich nunmehr alß provisoner in meinen mayrhoff außgehalten, nicht verschonet, sondern selbige für waß gar gueteß hinweckh geraubet haben, bin aber resolvirt, weill ich waiß wer den schaden gethan, disen schatz wider zu recuperiren, oder doch ihnen ein 50 taler an der contribution darfür abraiten zu machen. Die schwäre contribution von deren ich letztlich gemeldet, ist unß nicht genueg, meine bauren sein condemnirt noch bei 800 strich khorn darzue auf 9 meill weegß weit zum waßer zuführen, wirdt guet glückh sein, wan sie die roß oder ochsen wider ohne abgang nach hauß bringen“26. Geben diese Zitate auch die Unsicherheit und ständige Bedrohung in den Phasen wider, in denen Böhmen direkter Kriegsschauplatz war, so verdeutlichen sie doch zugleich die soziale Differenzierung des Kriegserlebens. Der Kardinal erlitt zweifellos finanzielle Einbußen durch den Krieg, und seine Tagzettel spiegeln Unsicherheit angesicht drohender Einmärsche oder ausbrechender Krankheiten durchaus wider. Aber als ranghöchster Geistlicher des Landes hatte Harrach für seine Reisen Anspruch auf bewaffnetes Geleit, er konnte in Verhandlungen über die Rückgabe geraubter Güter treten. Dass er zumindest bestrebt war, auch seinen Untertanen Erleichterungen zu verschaffen, deuten einige der Zitate an. Gegebenenfalls nutzte der Kardinal auch seine familiären Netzwerke in dieser Beziehung: Anfang 1634 beispielsweise27 sollten Dragoner aus dem Kontingent des Matthias Gallas (1584–1647) auf dem Gut Reichenau einquartiert werden. Harrach sendete daraufhin seinen eigenen Stallmeister mit Briefen nach Pilsen zu seinen Schwägern Adam Erdmann Trčka und Albrecht von Wallenstein, um die ungebetenen Gäste los zu werden. Zwar kam der Bote erst eine Woche später zurück, dann aber mit der gewünschten neuen Ordonnanz, dass die Soldaten ehestens die Besitzungen Harrachs zu verlassen hätten – freilich nicht ohne die Zahlung einer Kontribution als Unterhalt für die Kompanie. Einmal mehr belegt dieser Fall, dass es am Ende für den Kardinal ebenso wie für seine Untertanen fast gleichgültig blieb, mit welchem Militär man konkret konfrontiert war – „Freund“ und „Feind“ unterschieden sich bei Plünderungen wie Einquartierungen eher graduell. Allerdings war Harrach aufgrund seiner sozialen Position kein hilfloses Opfer, sondern verfügte über Möglichkeiten des Agierens, die vom direkten Kontakt mit Befehlshabern über das Aushandeln von Zahlungen bzw. Entschädigungen bis zur eigenen   Ebd. 4 635 (16.11.1639).   Ebd. 4 761 (6.03.1641). 26  Ebd. 4 779f. (26.04.1641). 27  Ebd. 2 88f. (1., 2., 9.02.1634). 24 25

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Flucht reichten. Jedoch blieb auch er ungeachtet seines geistlichen Standes und seines Ranges von direkten Gewalterfahrungen nicht verschont, und zwar als Kriegsgefangener im schwedisch besetzten Prag des Sommers 1648.

3. Der Kardinal als Gefangener In der Nacht vom 26. auf den 27. Juli 1648 hatte ein schwedisches Kontingent unter dem Kommando Hans Christophs von Königsmarck (1600–1663) in einem Handstreich die Prager Kleinseite und den Hradschin besetzt28, während die Altstadt auf der anderen Seite der Moldau in der Hand kaiserlicher Truppen bzw. der Bürger blieb. Da sich das erzbischöfliche Palais auf dem Hradschin befindet, geriet Kardinal Harrach zu nächtlicher Stunde in die Hände der lutherischen Schweden. Über die Zeit der Gefangenschaft berichtete er ausschließlich in seinem italienischen Diarium – das Versenden von Tagzetteln war selbst für einen Gefangenen fürstlichen Standes unmöglich, sodass die deutschsprachige Überlieferung mit dem Tag der Einnahme der Stadt vorläufig abbricht: „Ma la mattina alle 3 entrò all’improviso dentro la città l’armata del Kinigsmarck, havendo subito con un petardo aperto la porta del Strahoff […] Poi vennero qua sopra, e mi sparorno immediate 3 tiri nella mia stanza, e volsero rompere la porta. Io mi levai subito da letto, et per ogni occorrenza cavai in 4 sacchi un 2.000 fiorini di contanti per sopire la prima furia, et diedi ordine che senza aprire trattassero sopra il darmi quartiero, ma mentre il Gironimo per fortificarla meglio vi volse applicare un legno grosso, fu ferito con una moschettata che passò la porta, nel fianco et in una mano, finalmente permettendo quartiere vennero sopra sino nelle mie stanze medesime, et un tenente colonello del colonello Kannenberg mi diede 3 soldati per salvaguardia, ma volse che per evitar il sacco gli pagassi 3.000 talleri“29. Harrach sagte schließlich zu, ihm 1.000 fl. zu geben, die der Offizier aber in Goldstücken forderte, und als einer der Soldaten einen Beutel mit 500 fl. hinter dem Bett fand, nahm er diesen ungefragt ebenfalls mit. Die drei Soldaten verhinderten allerdings nicht, dass man im Untergeschoss des Palais die Pferde des Kardinals und seinen neuen Wagen plünderte; etliche Mitglieder seines Haushaltes mussten sich unter Hinterlassung all ihres Hab und Guts inklusive der Kleider in sein Appartement zurückziehen. Deshalb bat Harrach umgehend um einen Besuch Königsmarcks, der auch sofort erschien und den er als Zeichen der Ehre am oberen Ende der Treppe empfing und mit „Exzellenz“ titulierte. Der Erzbischof erbat den direkten 28   Ebd. 3 149–175. Siehe dazu auch Zdeněk Hojda, Der Kampf um Prag 1648 und das Ende des Dreißigjährigen Krieges, in: 1648. Krieg und Frieden in Europa, Bd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft, hg. von Klaus Bussmann–Heinz Schilling (Münster 1998) 403–412, sowie den Beitrag des Autors im vorliegenden Band. Die Beschreibung und eine kurze Einordnung der Ereignisse siehe auch bei Alessandro Catalano, Un episodio che non ha cambiato il corso della storia. L‘assedio di Praga del 1648 in due testimonianze inedite. eSamizdat 2 (2004) 1, 151–173. 29   „Morgens um 3 Uhr kam plötzlich das Heer des Königsmarck in die Stadt, durch das Strahoffer Tor, das sie schnell mit einer Petarde geöffnet hatten [...]. Dann kamen sie hierher und feuerten mir direkt drei Schüsse in mein Zimmer und wollten die Tür aufbrechen. Ich stieg sofort aus dem Bett, und für alle Fälle steckte ich 2.000 Gulden Bargeld in vier Beutel, um damit die erste Wut stillen zu können, und gab Anweisung, ohne Öffnen der Tür mit ihnen über Quartier zu verhandeln. Aber während Gironimo versuchte, die Tür mit einem Balken zu befestigen, wurde er von einer Muskete an der Seite und an einer Hand verwundet, und schließlich gab ich Quartier in allen Räumen außer meinen eigenen. Ein Oberstleutnant des Obristen Kanneberg gab mir drei Soldaten als Salva Guardia, forderte aber die Zahlung von 3.000 Gulden, um die Plünderung zu verhindern“; Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 3 149f. (26.07.1648).



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Schutz des schwedischen Generals, den dieser auch zusagte und deshalb seinen Trompeter im erzbischöflichen Palais zurückließ, der den Kardinal und seinen Haushalt vor Plünderungen und Übergriffen bewahren sollte. Die drei Soldaten, die sich schon den ganzen Tag in Harrachs Zimmer befunden hatten, weigerten sich jedoch zu gehen, bis sie ein „Geschenk“ erhielten – „[…] il Kinigsmarck mi fece dire che non dovessi dare che al quartiermastro per un vestito, et alli altri 2 per un paro di stivali, con tutto ciò havendogliene dato tal intentione li ho regalati tra tutti 3 di 150 fiorini. Un solo di essi s’addomesticò un troppo più nella mia stanza, e li venne voglia di voler il mio horologio più ordinario, quale gli donai, e 6 silberducati di più“30. Um deren Sicherheit zu gewährleisten, ließ der Kardinal dann alle Hausbewohner in der nächsten Nacht in seinen eigenen Räumen schlafen. Dass Harrach diese Besetzung seines Hauses, die de-facto-Plünderung ebenso wie den Umgang mit seiner Person als Gewalt erlebte31, steht außer Zweifel. Mehr als einen dürren Satz nahm er dazu allerdings nicht in seine Niederschriften auf: „Mi calò in quel primo terrore un catarro tanto vehemente dalla testa, che doppo mezzo giorno mi calò giù del tutto il zäpffl, che mi travagliò tanto, che credei alcune volte di rimanerne affogato“32. Wie die meisten seiner Zeitgenossen, die in Selbstzeugnissen dergleichen Erlebnisse festhalten mussten, reflektierte der Kardinal diese Gewalterfahrung nicht ausführlicher. Erkennbar wird zwar der durchaus standesgemäße Versuch, sich von Gewalt freizukaufen33, der jedoch nicht vollständig gelang. Die notgedrungene Ehrerbietung gegenüber einem feindlichen Befehlshaber und die permanente Anwesenheit der drei Soldaten in den Gemächern des Kardinals dürften dabei von ihm ebenso als erniedrigende Gewalt empfunden worden sein wie das tatsächlich gewaltsame Vordringen in seine privaten Räume. Die sich anschließende Gefangenschaft, die bis zum 7. September 1648 währen sollte, brachte jedoch noch etliche weitere Zumutungen mit sich. Dazu gehörten weitere Einquartierungen, die zur Folge hatten, dass Harrach und seine engste Umgebung auf fünf Zimmer im eigenen Palais zusammengedrängt wurden34, ebenso wie die kurzfristige Übernahme der Bischofskirche durch Protestanten: Am 1. August 1648 ließ Königsmarck diese dem Erzbischof ankündigen. Dessen Hinweis, dass Sankt Veit die Kirche des Kaisers sei und dass der Kurfürst von Sachsen bei seinem Einmarsch in Prag dergleichen nicht getan habe, blieb wirkungslos. Am 2. August konnte Harrach seine Messe deshalb nur in der Hauskapelle lesen: „Il Kinigsmarck ha pur fatto fare nella mia metropolitana le sue funtioni heretiche, assistendo egli nell’oratorio et posto proprio dell’Imperatore. Fece prima sonare l’organo dal nostro organista ordinario poi intonò il predicante una canzone

30  „Der Königsmarck ließ mir sagen, dass ich dem Quartiermeister als Geschenk nicht mehr als für ein Gewand geben sollte, und den anderen zwei für ein Paar Stiefel. Ich regalierte aber jeden Einzelnen mit 150 Gulden. Nur einer von ihnen fühlte sich in meinem Zimmer zu sehr zu Hause, und sie wollten meine ganz gewöhnliche Uhr, die ich ihnen gab, und noch sechs Silberdukaten dazu“; ebd. 3 150. 31   Medick, Der Krieg im Haus (wie Anm. 2) 293, 297. 32   Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 3 150f.: „In diesem ersten Schrecken befiel mich ein solcher Katharr im Kopf, der nach Mittag auch das zäpffl fallen ließ, was mich sehr beunruhigte, da ich mehrmals dachte zu ersticken.“ 33  Tersch, Gottes Ballspiel (wie Anm. 4) 453. 34  Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm 6) 3 151 (28.07.1648).

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Lob sey dem herrn in der höhe […]“35. Die hausherrliche Gewalt Harrachs36 wurde also nicht nur durch die Einquartierung in seinem Palais, sondern auch durch die (zeitweise) Entfremdung seiner Kirche infrage gestellt. In den Niederschriften zur Zeit der Gefangenschaft werden zudem fast täglich Gefechte in der Stadt erwähnt, da die Schweden immer wieder versuchten, auch die Prager Altstadt in ihre Hand zu bekommen. Am 9. August starb mit Franz Karl von Sternberg (1612–1648) ein ranghoher böhmischer Amtsträger in Gegenwart des Kardinals an seiner bei der Eroberung erlittenen Verletzung. Harrach berichtete außerdem von Essensentzug als Druckmittel gegen gefangene Adelige (von dem er selbst nicht betroffen war) ebenso wie von der Plünderung der Prager Klosterbibliotheken37. All diese Akte und Beobachtungen sind im konkreten Fall zweifellos als Gewaltsituationen zu interpretieren, die Verunsicherung und Bedrohung vermittelten. Eine dauerhafte Zumutung für Harrach als Kirchenfürsten dürfte außerdem das Feilschen um das für ihn zu zahlende Lösegeld gewesen sein, von dem seine Freilassung abhing. Dies war für den standesbewussten Kardinal umso ehrenrühriger, als er aufgrund seiner eigenen knappen Finanzen – das Erzbistum Prag zählte aufgrund großer Verluste während der Hussitenzeit und später nicht zu den reichen Bistümern38 – selbst gar nicht in der Lage war, eine nennenswerte Summe aufzubringen. Dabei war der Preis für seine Freilassung schon am 27. Juli auf 50.000 fl. festgelegt worden. Bei einem Besuch Königsmarcks Mitte August, den Harrach erbeten hatte, versuchte der Kardinal, seine Entlassung zu beschleunigen, jedoch vergeblich: Während es etwa dem Prager Burggrafen Jaroslav von Martinitz (1582–1649) gelang, sein Lösegeld zu reduzieren und zu zahlen, wurde in Hinblick auf Harrach keine Reduktion zugelassen mit dem Hinweis „[…] dolendosi appresso che viene tassato tant’alto essendo un povero cavaliero et burgravio mero del regno, dove io sono principe, cardinale, et posso essere un giorno Papa, qualità tutte assai più estimabili“39. Beim Aufbringen der Summe war Kardinal Harrach auf die praktische Unterstützung seiner Familie angewiesen: Seine Schwester Maria Elisabeth (1601–1654), die verwitwete Herzogin von Friedland, offerierte ihm ihre Juwelen; sein jüngster Bruder Franz Albrecht (1614–1666) bemühte sich in Wien um die Unterstützung des spanischen Botschafters; man schrieb von Wien nach Münster, um die Freilassung in die letzte Phase der Friedensverhandlungen einzubringen40. Anfang September dann schaltete sich mit Herzog Julius Heinrich von Sachsen-Lauenburg (1586–1665) ein in Böhmen begüterter und 35   Ebd. 3 154 (2.08.1648): „Königsmarck ließ in meiner Metropolitankirche seine ketzerischen Funktionen abhalten, denen er im Oratorium und am eigentlichen Platz des Kaisers beiwohnte. Zuerst ließ er von unserem üblichen Organisten auf der Orgel das vom Prädikanten gesungene Lied ‚Lob sey dem Herrn in der Höhe‘ intonieren […]“. Allerdings wurde Gottesdienst ab dem 6. August in die Allerheiligenkirche verlegt, so dass Harrach wieder Zugang zu seiner Bischofskirche hatte, siehe ebd. 157. 36   Medick, Der Krieg im Haus (wie Anm. 2) 296, 302f. 37   Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 3 158, 166, 173 (10.08., 22.08. und 5.09.1648). Siehe dazu auch Jenny Öhmann, Die Plünderung von Prag 1648. Eine schwedische Perspektive. frühneuzeit-info 26 (2015), 240–248 [siehe auch https://fnzinfo.hypotheses.org/627, 21.12.2018]. 38   Dazu z. B. Catalano, La Boemia (wie Anm. 6) 41–52. 39   Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 3 151 (27.07.1648), das Zitat siehe 167 (24.08.1648): „[…] dass Martinitz nur ein armer Kavalier und Burggraf des Königreiches wäre, während ich Fürst sei, Kardinal und eines Tages Papst werden könnte und also von viel schätzenswerterem Stand.“ 40  Ebd. 3 169 (29. und 30.08.1648). Siehe auch Diarium Lamberg 1645–1649, hg. von Herta Hageneder (APW III/C/4, Münster 1986) 191.



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zum engeren Umfeld Harrachs gehöriger Reichsfürst direkt in Prag in die Verhandlungen ein. Unterstützt von seiner Gemahlin Anna Magdalena (1609–1668), einer geborenen Lobkowitz, deren Mutter ihrerseits eine enge Vertraute Harrachs in Prag war, führte er Gespräche mit Königsmarck über das Lösegeld. Aus eigenen Mitteln und durch Kredite brachte Harrach einige Tausend Gulden auf, die sein Vertrauter Francesco Visinteiner (1612–1660) ins besetzte Prag transportierte41. Am 6. September schließlich konnte mit vieler Mühe und am Ende wohl eher überraschend eine Einigung herbeigeführt werden, sodass der Kardinal am folgenden Tag in Begleitung des Herzogspaares die Stadt verlassen konnte unter der Bedingung, binnen zwei Monaten weitere 15.000 Taler zu zahlen42.

4. Die Schweden vor Wien War Ernst Adalbert von Harrach nach der Einnahme der Prager Kleinseite auch Gewalthandlungen am direktesten ausgesetzt und fand sich in unmittelbarer Nähe militärischer Auseinandersetzungen, so war dies keineswegs seine erste Erfahrung in dieser Hinsicht, hatte er sich doch im Frühjahr 1645 in Wien aufgehalten, als nach der Niederlage der Kaiserlichen bei Janckau/Jankov ein schwedisches Heer unter Lennart Torstensson (1603–1651) durch das Waldviertel auf Wien zu zog43. Auch die kurze Blockade der Stadt im April erlebte Harrach direkt mit und berichtete darüber, wie man am kaiserlichen Hof und in der Stadt auf die heraufziehende Bedrohung reagierte: Nach der Meldung über die verlustreiche Niederlage reisten zunächst Kaiserin Maria Anna, später auch Ferdinand III. selbst von Linz bzw. aus Böhmen nach Wien. Wegen der weiter vorrückenden Schweden beschloss man Ende März, die „junge Herrschaft“, also die kaiserlichen Kinder, „auß dem gesträppell“ nach Graz in Sicherheit zu bringen44. Die Abreise erfolgte am 28. März 1645; zahlreiche Damen der Hofgesellschaft schlossen sich an. Nachdem am 1. April Krems für verloren gehalten wurde, verließ auch Kaiserin-Witwe Eleonora Gonzaga mit ihren Hoffräulein Wien und zog sich nach Bruck an der Mur zurück. Am 11. April schließlich, nachdem die Beschießung des Tabor begonnen hatte, reiste Kaiserin Maria Anna, die sich vorher häufig mit dem Kaiser in der Stadt gezeigt hatte, nach Graz zu ihren Kindern. Dabei wurden Nachzügler ihres Gefolges von kaiserlichen Soldaten ausgeplündert, wie Harrach berichtete; ein weiteres Beispiel dafür, dass die Gefährdung von allen Kriegsparteien ausging und vor keiner sozialen Gruppe wirklich Halt machte45. Am 14. April 1645 bereits brach Torstenson allerdings den Belagerungsversuch ab und zog mit dem Großteil seiner Armee in Richtung Brünn/Brno. Auch diese Annäherung des Krieges hielt Harrach dabei in der ihm eigenen chronistischen, eher distanzierten Weise fest. Seine Bemerkungen lassen zwar das Näherrücken der Bedrohung gut erkennen, formulieren aber wenig direkte Betroffenheit, obwohl auch einige Damen seiner Familie die Stadt sicherheitshalber verließen. Mag man hier höfischen   Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 3 170, 172 (1. und 4.09.1648).   Die Summe wurde nach zähen Verhandlungen und diversen Ansuchen Harrachs aus Rom bezahlt, aber noch 1650 wird im Diarium die Rückzahlung von Krediten im Zusammenhang mit dem Lösegeld erwähnt: Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 3 188, 190, 201, 208, 392, 399. 43  Zu den Ereignissen siehe die Beiträge von Thomas Winkelbauer und Arthur Stögmann in diesem Band. 44  Ebd. 5 100f., 106f. (11., 12., 26. und 28.03.1645). 45  Ebd. 5 110f., 113f. (5., 11. und 14.04.1645). 41 42

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Habitus und adelige Unerschrockenheit reklamieren46 – mit Sicherheit spielte das Selbstverständis des Kardinals als distanzierter Beobachter eine Rolle, der in seinen Tagzetteln Informationen, nicht Kommentare zusammenfasste. Leider ist ein direkter Vergleich von Harrachs Berichterstattung in den deutschen Tagzetteln mit seinem italienischen Diarium wie für 1648 auch für 1645 nicht möglich, da im Diarium große Teile des Jahres 1645 fehlen. Hinzuweisen ist jedoch generell auf die immer wieder aufscheinende Ironie, die oben schon in Hinblick auf Plünderungen angeklungen war, als sprachliches Distanzierungsmittel. Den plötzlichen Abzug Torstenssons kommentierte Harrach etwa folgendermaßen: „Der Dorstensohn ist ein ehrlicher mann, ist, damit wier die heiligen osterfeyertag ruhwiger celebriren khünnen, heint auß unser nachbarschafft mitt der ganzen armée und artigliaria aufgebrochen“47. Diese distanzierte Berichterstattung zeigte sich ebenso im weiteren Verlauf des Jahres 1645, als von Böhmen her die im Gefolge des schwedischen Heeres grassierende Pest auch auf Wien übergriff. Harrach berichtete zuerst am 13. Mai darüber, dass sich in Wien „[…] ein anfang von einem sterb in etlichen heüsern merckhen [lasse], doch ist man noch zur zeit still darmit und hoffet es solle, weill es nur von etlich alten hadern, die man auß der vorstatt herein salvirt, auskhommen, nicht weiter einraißen“48. Diese Hoffnung bewahrheitete sich jedoch nicht, sondern die Krankheit breitete sich aus, sodass man Mitte Juli begann, die Abreise des kaiserlichen Hofes nach Linz vorzubereiten, um vor der Pest zu fliehen. Erst am 11. August reiste das Kaiserpaar allerdings wirklich ab49, und da sich Todesfälle auch in den Haushalten von Nachbarn und Geschwistern Harrachs mehrten, verließ er einige Tage später ebenfalls die Stadt50.

5. Nah und fern – der Beobachter Bislang stand die Frage im Fokus, wie nah der Krieg dem Kardinal kam, wie ein Angehöriger der höfischen Eliten den Krieg persönlich „erfuhr“. Dabei traten verschiedene Ebenen zutage, in denen sich Aufenthaltsorte, Kriegsereignisse und soziale Rollen Harrachs verschränkten. Dass konkrete Kriegsereignisse in direktem räumlichen Kontext zum Aufenthaltsort des Schreibers niedergeschrieben und ihre Entwicklung kommentiert, zumindest aber festgehalten wurde, ist dabei naheliegend. Die Verschränkung von Kriegsereignissen, Krisenbewusstsein und der Niederschrift von Selbstzeugnissen ist bereits wiederholt konstatiert worden51. Was jedoch beim Blick auf Harrachs Niederschriften auffällt ist, dass seine Berichterstattung über den Krieg eben nicht auf seinen engeren Wahrnehmungsbereich beschränkt blieb. Er hielt nicht nur Ereignisse in Böhmen oder   Tersch, Gottes Ballspiel (wie Anm. 4) 447–449.   Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 5 114 (14.04.1645). Auch Heberle berichtet über Zumutungen des Krieges bevorzugt mit Ironie: Gerd Zillhardt, Der Dreißigjährige Krieg in zeitgenössischer Darstellung. Hans Heberles „Zeytregister“ (1618–1672). Aufzeichnungen aus dem Ulmer Territorium. Ein Beitrag zu Geschichtsschreibung und Geschichtsverständnis der Unterschichten (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 13, Ulm–Stuttgart 1975) 66f. 48   Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 5 125 (13.05.1645). 49   Ebd. 5 147, 158 (11.07. und 11.08.1645). 50  Allerdings kehrten er und sein Bruder Franz Albrecht bereits Anfang September zurück, da beider älterer Bruder Leonhard Karl in Wien an der Roten Ruhr verstorben war: Ebd. 5 155, 162f. (4.08. und 3.09.1645). 51  Her Own Life. Autobiographical Writings by Seventeenth Century Englishwomen, hg. von Elspeth Graham (London–New York 1989) 2; Neuburger, Kriegserfahrungen (wie Anm. 3) 129–160. 46 47



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Niederösterreich fest, sondern beobachtete den Krieg im Alten Reich und darüber hinaus. Das zeigt sich in seinem italienischen Diarium52 ebenso wie in den Tagzetteln, wobei in letzteren die Berichterstattung aus der Ferne wesentlich intensiver und ausgedehnter war. So berichtete er, obwohl er sich seit Monaten in Wien aufhielt, Anfang November 1639 detailliert von der Aufhebung der Belagerung Prags durch die Schweden und hielt Ende des Monats zu den weiteren Entwicklungen fest: „Der Hätzfeldt commandirt jezundt die armada in Behoëmb und verhoffets in etwas beßere disciplin alß biß dato zu bringen, sein volckh ligt im pilßner craiß, und erwartet dorten der ankhunfft der piccolominischen. Waß das dissegno hernach, khan man noch nicht wißen, aber es sihet ihme gleich man werde dem Panier schwärlich in seinen fortificirten posti was abgewinnen khünnen, sondern villeicht ein diversion anderstwo tentiren. Der Panier solle in aigener persohn vor Pautzen geruckhet sein, weill der Stallhanß schon den fünften sturmb darvor verlohren […]“53. Bezogen sich diese Meldungen immerhin noch auf Böhmen, auch wenn Harrach zum Zeitpunkt der Niederschrift sich nicht selbst dort aufhielt, so war der räumliche Horizont der Tagzettel insgesamt noch deutlich weiter gespannt. Im Sommer 1641 notierte der Kardinal, der sich nun in Prag befand, etwa regelmäßig Informationen zur Belagerung Wolfenbüttels durch die Schweden: „Den 24. junii sein ihr durchlaucht [Erzherzog Leopold Wilhelm] zur armée bey Groß Germerßleben ankhommen, den 25. in der nacht ist der aufbruch geschehen, man weiß nicht obes geradt auf Wolfenbüttell, oder zuvor auf Halberstatt, da noch 2 regimenter deß feindts ligen, angesehen. Die schwedischen sein willenß nacher Wolfenbüttell zu gehen, undt sich aldorten zuverschanzen, damit der endtsatz verhindert werde. Sovill haben wier auß Dreßden, andere haben unß sonsten schon schröckhen wollen mit erdichtung eines scharmüzels darinnen, der obriste Mißlickh und der obriste Jung gebliben sein sollen“54. Eine Woche später heißt es: „Unsere zeitungen continuiren so weit, das daß volckh, welches auß Halberstatt auß gezogen, zimblicher maßen eingebüest hatt, die unserigen sein durch Wolfenbüttell durch marsirt, undt haben den feindt in seinen aigenen posto angriffen, doch wegen deß vortls seiner fortification nichts haubtsachliches effectuiret. Ist aber daß scharmuziren so scharff geweßen, das man mainet es seyen baiter seits woll in 4.000 man gebliben […]“55. Und Ende August schließlich berichtete er: „Auß dem leger haben wier heint brieff von dem 18. dits so unß wegen der glückhlichen progress dero unserigen hoch erfreüet. […] Die statt Beckheim und Allfeldt haben sich gleichfahlß ergeben; den Heßendamb haben die schwedischen selbsten verlaßen. Der Borri hatt etliche lüneburgische compagnien übell tractiret, Wolffenbüttell ist auf 3 monath proviantirt, und hatt deß waßers halber khein sonderliche noth“56. Selbst Ende März 1645, als sich Harrach in Wien befand, während die Truppen Torstenssons eben die Belagerung Znaims/Znojmos begonnen hatten, schrieb er trotzdem für den 23. März keineswegs Nachrichten über diese Ereignisse nieder, sondern notierte: „Die hessen haben sich durch heimbliche correspondenz mit der burgerschafft der plätz Staden und Baxtehude impadronirt, destwegen sein jez die schweden so hochmüetig worden, das sie zu Osnabruckh gantz zu kheiner fridens proposition schreiten wollen. Was die frantzo  Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 2 103 (24.08.1634), 105 (23.09.1634).   Ebd. 4 628 (2.11.1639); das Zitat siehe ebd. 641 (27.11.1639). 54  Ebd. 4 812f. (4.07.1641). 55  Ebd. 4 816f. (11.07.1641). 56  Ebd. 4 836 (25.08.1641). 52 53

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Abb. 4: Schlacht bei Wolfenbüttel 1641 nach Theatrum Europaeum Bd. 4: Theatri Europaei Vierdter Theil … Anno 1638. biß Anno 1643 (Frankfurt/Main 1692) Tafel 28 (nach S. 590), siehe https://nbn-resolving.org/ urn:nbn:de:bvb:384-uba000239-7 [21.01.2019].

sen zu Münster proponirt ist auch nur die alte leyrn, ohne das man merckhen khan, das sie im ernst einen friden verlangen. Man will sagen, die frantzosen hetten in Cathalogna ein starckhe niderlag erlitten, und weil zu gleicher zeith die frantzosen die plätz, welche sie am Rhein eingenomben, den hessischen abtretten, so glauben etliche, das es wol wahr sey, und etwas von der hessischen armée hinein berueffen sein möchte, andere aber urtheilen, es seye dahin angesechen, das sie mit dem ehisten ihren feldtzug ins Reich vor die handt zu nemben gedenckhen“57. Und ein Tageseintrag wie der folgende vom Juli 1646 zeigt einen noch weiteren Beobachtungshorizont: „Man schreibet das die schweden den unserigen zu einer schlacht nicht standt halten, sondern sich nacher Erfurt zuruckh ziehen wollen. Auß Niderlandt continuiret daß die franzosen bei Cortrickh etwas eingebüeßet, weill aber seithero die hollender, wider gegebene vertröstung, auch wider selbige länder im anzug begriffen, alß werden 57

  Ebd. 5 105 (23.03.1645).



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die spänier mehr aufs defensivé alß offensivé khriegen ins khünftig gedacht sein müeßen. Die venediger haben die türckhische schiffarmata, welche durch den paß der Dardanelli in ihr meer gewolt, glückhlich wider zuruckh getriben. Deßgleichen sollen die spänische galleren bei Orbitello den franzosen einen merckhlichen abbruch gethan haben“58. Ausschlaggebend für diese ausführliche und weiträumige Berichterstattung war natürlich der spezifische Charakter der Harrach’schen Tagzettel als Selbstzeugnis mit kommunikativem Hintergrund. Informationen über das Zeitgeschehen, wie sie die zitierten Tageseinträge an eine Leserschaft aus Verwandten und Freunden vermittelten, erhielt der Kardinal dabei aus verschiedenen Quellen. Ausgedehnte Korrespondenzen, persönliche Kontakte mit hohen höfischen Amtsträgern und Militärs59 spielten ebenso eine Rolle wie die in einem der Zitate angesprochenen „zeitungen“. Mit diesem Wort bezeichnete Harrach freilich konsequent in einem zeitgenössischen Sinn „Nachricht“ oder „Mitteilung“ ganz allgemein. Aber vor allem die Tagzettel (seltener auch die italienischen Diarien) enthielten zudem ganz dezidierte Hinweise auf gedruckte oder geschriebene Periodika, die Harrach ebenso konsequent als „blättl“ bzw. als „avvisi“ bezeichnete. Ausdrücklich erwähnt werden in seinen Niederschriften als Quellen von Informationen, die in die Tagzettel aufgenommen wurden, beispielsweise 1647 die Frankfurter „Ordentliche Wochentliche Postzeitungen“, seit 1646 immer wieder die in Wien erscheinenden „Ordinari Reichs Zeittungen“, 1646 ein Augsburger „Zeitungsblättel“60, aber auch „Blättl“ aus Osnabrück, Venedig und den Niederlanden sowie Avvisi aus Nürnberg und Italien, namentlich aus Rom und Venedig61. Durch die Übernahme solcher Meldungen, ergänzt durch mündlich wie brieflich übermittelte Informationen, in seine Tagzettel betätigte sich Ernst Adalbert von Harrach selbst als „Gazettier“ oder „Novellant“. Der damit verbundene Aktualitäts- und Vermittlungsanspruch seiner Tagzettel wird besonders sichtbar bei seiner intensiven Berichterstattung über die Friedensverhandlungen von Münster und Osnabrück. Waren seine Niederschriften zum Prager Frieden von 1635 noch eher knapp 62, so verfolgte Harrach die Verhandlungen im Vorfeld des Westfälischen Friedens mit großer Aufmerksamkeit und über Jahre hinweg. Damit stellen seine Niederschriften eine Ausnahme dar – gewöhnlich handelte es sich um Personen, die in räumlicher Nähe zu den Verhandlungsstädten ansässig waren63, in deren Niederschriften vom Fortgang der Gespräche in Münster und Osnabrück berichtet wurde, und natürlich stellte dieser einen Hauptgegenstand in den Diarien von Gesandten der Friedensverhandlungen selbst dar64. Dass Harrach, der den Norden des Alten Reiches nie betreten hat, zwischen Juni 1644   Ebd. 5 273 (4.07.1646).   Siehe dazu etwa die über Kurzbiographien dokumentierten sozialen Netzwerke Harrachs in: Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 1 180–232. 60  Z. B. Ebd. 5 265 (13.06.1646), 307 (6.10.1646), 409 (23.07.1647), 555 (11.01.1652). Zu den Zeitungen siehe Else Bogel–Elger Blühm, Die deutschen Zeitungen des 17. Jahrhunderts. Ein Bestandsnachweis mit historischen und bibliographischen Angaben, Bd. 1 (Bremen 1971) 59–67. 61  Z. B. Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 2 364 (6.10.1638), 501 (16.07.1644); ebd. 5 318 (8.11.1646), 490 (31.03.1648). 62  Z. B. ebd. 2 111 (28.11.1634), 117 (26.02.1635), 119 (17.03.1635), 122 (1.05.1635), 123 (Juni 1635). 63  Krusenstjern, Selbstzeugnisse (wie ANm. 2) 62, 143, 192f. 64  Z. B. Diarium Volmar 1643–1649, hg. von Joachim F. Foerster–Roswitha Philippe (APW III/C/2,1–2, Münster 1984); Hageneder, Diarium Lamberg (wie Anm. 40); Johann Rudolf Wettsteins Diarium 1646/47, hg. von Julia Gauss (Bern 1962). Die vollständige Liste für die APW siehe http://www.pax-westphalica.de/ apw-svg/apw_publiziert.html [21.12.2018]. 58 59

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und Ende 1648 kontinuierlich Neuigkeiten oder Kommentare zu den Friedensverhandlungen festhielt, muss dagegen als ungewöhnlich gelten. Bei einer Durchsicht der Jahrgänge von Diarien und Tagzetteln65 fällt schnell ins Auge, dass es im weiten Spektrum der Verhandlungen in Münster und Osnabrück vorrangig solche mit direktem Bezug zu Kaiser und Reich waren, die in die Berichterstattung einflossen. Zwar finden sich hin und wieder auch Mitteilungen Harrachs zum Stand der Verhandlungen zwischen Spanien und den Niederlanden sowie zwischen Spanien und Frankreich und zur damit verbundenen Portugal-Frage66. Die päpstliche Position spielte dagegen überhaupt keine Rolle, obwohl der Kardinal in Rom 1644 noch die Entsendung Fabio Chigis (1599–1667) nach Münster thematisiert hatte67. In den italienischen Diarien sind entsprechende Hinweise wiederum deutlich seltener und beziehen sich eher auf das Zeremoniell und gesellschaftliche Ereignisse in Münster als auf die Verhandlungen selbst. Der überwiegende Teil seiner Notizen in deutscher Sprache, die von 1646 bis 1648 in gleichbleibend hoher Frequenz erscheinen68, berichtete dagegen direkt von den Verhandlungen und den damit verbundenen Konflikten zwischen dem Kaiser, Schweden, Frankreich und den Reichsständen. Eine systematische Durchsicht zeigt, dass Harrach die Mehrzahl der für die kaiserliche Seite69 wichtigen Verhandlungsschritte im Abstand von 10 bis 20 Tagen in seinen Tagzetteln vermeldete. Beispielsweise kommentierte er die Vorlage der ersten französischen Proposition am 4. Dezember 1644 mit der darin enthaltenen Forderung nach einer Einbeziehung der Reichsstände in die Verhandlungen am 19. Jänner 1645 deutlich kritisch: „Die franzosen zu Münster haben noch kheinen rechten lust den friden zu befürdern, dieweill sie jezt erst pretendiren das alle reichsständt und ihre confederirte in specie ihr proposition anzuhören zu Münster erscheinen sollen, zu welchen es vill monath bederfte, und wurde gleichwoll nit allen gelegen sein zuerscheinen“70. Von der Vorlage der ersten Friedensvorschläge Frankreichs und Schwedens am 11. Juni 1645 wusste Harrach spätestens am 30. Juni und bezeichnete sie als „zimblich khrefftig“, was er mit Hinweisen auf zentrale Inhalte ergänzte71. Kurz vor Abschluss der Verhandlungen, als es ab Anfang Mai 1648 in Osnabrück um die die Satisfaktionsansprüche Schwedens ging, wurde der räumliche Fokus seiner Berichterstattung weiter insofern, als in den Tagzetteln dem Friedensschluss zwischen Spanien und den niederländischen Provinzen (Ende Mai) gleiche Aufmerksamkeit wie den das Alte Reich betreffenden Punkten gewidmet wurde. Ende Juni 1648 verliert sich dann die Berichterstattung, da Harrach, wie schon ausgeführt, von Ende Juli bis Anfang Sep65  Ausführlicher dazu siehe Katrin Keller, Verhandeln in der Ferne: Kardinal Harrach beobachtet die Entstehung des Westfälischen Friedens, in: Theatrum Belli – Theatrum Pacis. Konflikte und Konfliktregelungen im frühneuzeitlichen Europa. FS Heinz Duchhardt, hg. von Irene Dingel et al. (VIEG Beih. 124, Göttingen 2018) 127–135. 66  Z. B. Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 5 252, 260, 330, 335, 343, 347, 355, 369, 371, 375f., 394, 477, 502f., 508, 525f. 67  Ebd. 2 566–568, 636, 696. 68   Nachdem 1644 nur acht Einträge sich direkt auf die Friedensverhandlungen beziehen, sind es 1645 19, 1646 schon 45, 1647 dann 33 und 1648 (trotz der Überlieferungslücke) 34 Einträge. 69 Leopold Auer, Die Ziele der kaiserlichen Politik bei den Westfälischen Friedensverhandlungen und ihre Umsetzung, in: Der Westfälische Friede: Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte, hg. von Heinz Duchhardt (München 1998) 143–173. 70  Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 5 78 (13.01.1645); Auer, Ziele (wie Anm. 68) 151. 71  Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 5 143 (30.06.1645); Auer, Ziele (wie Anm. 68) 155f.



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tember 1648 in schwedischer Geiselhaft war, was zu einer Lücke in der Tagzettelproduktion führte. Das Ende der jahrelangen Verhandlungen in Münster und Osnabrück durch den Friedensschluss am 24. Oktober 1648 erlebte er dann allerdings wieder in Wien – die Nachricht darüber wurde von Maximilian von Trauttmansdorff (1584–1650) selbst am 3. November 164872 bei einem Bankett im Hause des Fürsten Maximilian von Dietrichstein (1596–1655) verkündet, bei dem auch der Kardinal anwesend war.

6.Zusammenfassung Harrachs Selbstzeugnisse sind über weite Strecken und so auch in Bezug auf die hier zu betrachtende Zeit des Dreißigjährigen Krieges wenig reflektierend, sondern eher auf die Eintragung stichwortartiger Informationen bzw. auf die knappe und doch umfassende, also verschiedene Lebensbereiche beachtende Unterrichtung eines relativ vertrauten Adressatenkreises ausgerichtet. Sie entstanden in direkter zeitlicher Nähe zu den erwähnten Ereignissen und erfuhren – im Unterschied zu vielen anderen autobiographisch geprägten Niederschriften – keinerlei Überarbeitung im Nachhinein. Es ging dem Kardinal weder in seinen Notizen im Diarium noch in den Tagzetteln um eine Verortung des Erfahrenen und Erlebten, und er reflektierte nie ausführlich über Ereignisse oder Informationen. Zwar waren ihm Parteinahmen keineswegs fremd, aber seine Niederschriften zeigen keinerlei Bemühungen um Rechtfertigung eigenen Handelns oder um Sinnstiftung in Bezug auf das Kriegsgeschehen wie andere Selbstzeugnisse aus dem Umfeld des Wiener Hofes73. Sowohl seine Diarien wie die Tagzettel führen Harrach vielmehr, wenn auch in differierendem Ausmaß, vornehmlich als Beobachter des Kriegsgeschehens vor. Wie der erste Teil dieser Ausführungen zeigte, war auch ein Kardinal-Erzbischof der habsburgischen Länder vom Krieg durchaus persönlich betroffen. Das resultierte in Harrachs Fall natürlich vor allem aus seiner Bindung an Böhmen, welches immer wieder direkt zum Kriegsschauplatz wurde. Der persönliche Verlust durch den Kriegstod von drei seiner fünf Brüder, die Beeinträchtigung seiner finanziellen Lage durch Einbußen als Grundherr, durch Seuchenzüge oder Truppenbewegungen erzwungene Reisen und die Gefahren des Reisens in Kriegszeiten waren jedoch Auswirkungen, die generell für viele Angehörige auch des hohen Adels relevant waren. Direkt von Flucht oder gar Verletzungen, von Hungersnot und Krankheit blieb Harrach weitgehend verschont, nicht allerdings von persönlichen Gewalterfahrungen im Zusammenhang mit seiner Geiselhaft. Trotz der sozialen und meist auch räumlichen Distanz vom direkten Kriegsgeschehen war Harrachs Wahrnehmung seiner Zeit aber insgesamt stark geprägt durch solche Kriegsereignisse, wie seine umfangreiche, auch nach 1648 fortgesetzte Berichterstattung über Kämpfe und Auseinandersetzungen in erheblicher räumlicher Entfernung belegt. Nur wenige frühneuzeitliche Selbstzeugnisse dürften in so umfassender Weise die europäischen Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts widerspiegeln wie Harrachs Tagzettel. Neben den militärischen Konflikten selbst war es dabei immer auch das Bemühen um Frieden bzw. Ausgleich, das in Harrachs Notizen ausführlichen Niederschlag fand74. Dies gilt nicht nur für den Dreißigjährigen Krieg, der   Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 3 205 (3.11.1648).   Tersch, Gottes Ballspiel (wie Anm. 4) 435f. Siehe auch den Beitrag von Harald Tersch in diesem Band. 74   Einen Überblick dazu bietet Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 1 160–167. 72 73

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hier vorrangig im Blick zu behalten war, sondern auch für Kriegsschauplätze im östlichen Mittelmeer, den englischen Bürgerkrieg, später im Ostseeraum, Spanien oder den Niederlanden. Er trat in der Kriegszeit wie auch danach als Beobachter mit weitem räumlichen wie informationellen Horizont in Erscheinung. Das hatte natürlich mit der Selbstverortung des Autors in einer länderübergreifenden höfischen Elite und seiner politischen wie persönlichen Bindung an das weit über die Erblande hinaus agierende Kaiserhaus zu tun. Zweifellos spielte räumliche Nähe über den jeweiligen Aufenthaltsort des Schreibenden auch bei ihm eine Rolle bei der Wahrnehmung des Krieges. Das zeigt sich besonders in den Jahren, in denen sich Harrach längere Zeit in Rom aufhielt, wo er unzweifelhaft über Nachrichten aus den Kampfgebieten verfügte – er hielt sie in dieser Zeit jedoch weder in seinen Diarien noch den Tagzetteln fest. Als Beobachter des Krieges insgesamt macht Harrach in seinen Niederschriften jedoch die Erfahrung der Dauer des Dreißigjähren Krieges deutlicher sichtbar als viele der Selbstzeugnisse, die aufgrund der sozialen Herkunft ihrer Verfasser zwar die lokalen und regionalen Wirkungen des Krieges in all seinen Facetten vielleicht direkter erkennen lassen, nicht aber seine räumliche und zeitliche Erstreckung. Basis dieser Beobachtungsposition war die Einbindung Harrachs in überregionale Informationsflüsse über Druckmedien, Korrespondenzen und Gespräche. Allerdings bilden die Niederschriften Kardinal Harrachs keine Ausnahme dadurch, dass sie Bezüge auf gedruckte und geschriebene Presseerzeugnisse beinhalten. Der oft zitierte Hans Heberle (1597–1677) übernahm in seinem „Zeytregister“ Informationen aus Predigtwerken und Gebetbüchern, Zeitungen, Flugschriften und Chronikwerken75, mit denen er den allgemeinen Kriegsverlauf als Hintergrund für seine eigenen Erlebnisse in die Chronik einbrachte. Bei ihm ebenso wie in anderen prominenten Selbstzeugnissen der Kriegszeit war der Krieg jedoch vor allem dann Thema, wenn er die Lebenswelt der Schreibenden direkt betraf. Heberle war im Umland von Ulm insgesamt 33 Mal zwischen 1631 und 1648 von Truppendruchzügen und Kampfhandlungen betroffen und sah sich gezwungen, mit Hab und Gut zu fliehen, um sich vor direkten Übergriffen in Sicherheit zu bringen. Seine Berichterstattung über die Folgen dieser Ereignisse für das eigene Wirtschaften verband er mit dem Kriegsgeschehen im Großen zu einem Gedenkbuch für seine Nachfahren76. Maria Magdalena Haidenbucher (1576–1650), Äbtissin des Klosters Frauenchiemsee77, erwähnte den Krieg in ihrem Tagebuch, das wohl vornehmlich als Rechenschaft über ihre Regierung als Äbtissin gedacht war, im Wesentlichen nur dann, wenn er ihr Kloster direkt tangierte. Dies betraf etwa 1621 die Teuerung der Kipper- und Wipper-Zeit, die sie auf „villerlay khriegsleiff“ als Ursache zurückführte78, vor allem aber die Jahre zwischen 1632 und 1634, als mit dem Vorstoss der Schweden der Krieg sozusagen bis an die Haustür kam79. Im Vergleich mit diesen und vielen anderen Niederschriften stellte sich der Berichtsund Handlungsraum80 Kardinal Harrachs deutlich anders dar – sein Gegenwartshorizont   Zillhardt, Zeytregister (wie Anm. 47) 72–75, 280–289.   Ebd. 86. 77   Geschicht Buech de Anno 1609 biß 1650. Das Tagebuch der Maria Magdalena Haidenbucher (1576– 1650), Äbtissin von Frauenwörth, hg. von Gerhard Stalla (Geistliche Literatur der Barockzeit 11, Amsterdam 1988). 78  Ebd. 48, 54. 79  Ebd. 86–102, 105, 108f. 80  Zwierlein, Gegenwartshorizonte (wie Anm. 5) 19f. 75 76



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war aufgrund von Amt und Herkunft nicht nur der eines Opfers kriegerischer Wirren, sondern zugleich der eines Akteurs81. Akteur war er, der ja nicht an militärischen Einsätzen beteiligt war, insofern, als er mindestens dreimal in kaiserlichem Auftrag nach Rom reiste, davon einmal 1644 zum Konklave, um dort kaiserliche Interessen auch in politisch-diplomatischer Hinsicht zu wahren82. Er war es aber auch insofern, als er (wie oben angesprochen) Zumutungen des Krieges an sich und seine Untertanen nicht in allen Fällen einfach hinnehmen musste. Er intervenierte wiederholt mehr oder weniger erfolgreich gegen Plünderung, Einquartierung und Kontributionen und versuchte zumindest, seinen Besitz und den seines Erzbistums zu verteidigen. Dabei waren die umfangreichen Netzwerke seiner Familie, zu denen mit Albrecht von Wallenstein, Hans Ulrich von Eggenberg (1568–1634), Maximilian von Trauttmansdorff, Franz Christoph Khevenhüller (1588–1650) oder Ferdinand Sigmund Kurz von Senftenau (1592–1659) prominente politische Akteure zählten, zweifellos von Nutzen. Vor allem seine Tagzettel zeigen sowohl die soziale Determiniertheit des Zugangs zu Informationen wie Netzwerke von Informationsvermittlung und -distribution. Deutlich wird auch, dass es gerade das Streben nach Informationsvermittlung war, also die spezifische Kommunikationssituation, in der Harrach seine Texte verfasste, die zur ausführlichen Berichterstattung über die verschiedenen Facetten des Krieges führte. Der publizistische Aspekt dieses besonderen Selbstzeugnisses erlaubt es damit, Gegenwartshorizonte eines hohen Geistlichen in besonderer Weise zu fassen.

81 82

  Siehe dazu auch Tersch, Gottes Ballspiel (wie Anm. 4) 429.   Harrach, Diarien und Tagzettel (wie Anm. 6) 1 71f., 74, 78.





Militärkarriere und Soldatenehre in Autobiographien kaiserlicher Amtsträger Harald Tersch

1. Weiße Elefanten Selbstzeugnisse von Soldaten des 17. Jahrhunderts waren Teil eines militärischen Netzes biographischer Schriftlichkeit, die von der Datenerfassung in den Musterregistern bis hin zu monumentalen Offiziersmemoiren reichte. Die lebensgeschichtlichen Modelle standen in einer inhaltlichen Abhängigkeit von normativen Texten wie Artikelbriefen, Soldatenanweisungen oder Militärtheorien, die auf unterschiedlichen Ebenen Verhaltensmuster und Richtlinien vorgaben, an denen Schreiber ihre Erzählungen orientierten. Die Erfahrungsberichte vermittelten wiederum selbst oft Handlungsmaximen, die Meinungen und Verhalten vor allem von „Uneingeweihten“ aus Militär, Politik oder auch Familie beeinflussen sollten1. Der laufende Dialog zwischen den Erfahrungen vergangener Feldzüge und den Möglichkeiten künftiger Kriege durchzieht etwa die Schriften des bedeutendsten Militärtheoretikers des 17. Jahrhunderts, Raimondo Montecuccoli (1609–1680). Montecuccoli fasste 1645 seine militärischen Aktionen während des Dreißigjährigen Krieges in einem autobiographischen Versuch zusammen, den er als „Auszug aus meinem jährlichen Aufenthalte in Deutschland“ („Ristretto della mia vita annuaria in Alemagna“) bezeichnete. Diese eigenhändige Skizze über seine frühe Offizierslaufbahn umfasst den Zeitraum von 1632 bis 1645. In der einfachen chronikalischen Aneinanderreihung von Feldzügen unterscheidet sich der Erinnerungstext nicht von der beherrschenden narrativen Struktur frühneuzeitlicher Soldatenautobiographien2. Der „Ristretto“ bewegt sich in einer klaren zeitlichen Abfolge von Befehlen, Märschen und „nöthigen Vorbereitungen zu den Actionen“. Der Pragmatik einer militärischen Existenz ordnet der Verfasser außergewöhnliche Begebenheiten wie eine Schussverletzung an der rechten Hand unter. Die Verletzung sei ihm 1645 während der Kämpfe um das modenesische Nonantola zugefügt worden, hinderte ihn aber nicht daran, anschließend die päpstlichen Truppen 1 Paul Scannell, Conflict and Soldier’s Literature in Early Modern Europe. The Reality of War (London 2015) 16, 26; Ilya Berkovich, Motivation in War. The Experience of Common Soldiers in Old-Regime Europe (Cambridge 2017) 44. 2  Vgl. z. B. Rainer H. Goetz, Spanish Golden Age Autobiography in Its Context (American University Studies 2/203, New York 1994) 108, 118f.

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zu zersprengen und einen Oberst gefangen zu nehmen3. Montecuccoli notierte dieses militärische „Bravourstück“ mit jener Selbstverständlichkeit, welche die Lektüre von Soldatenselbstzeugnissen zu einer Herausforderung der neueren Militärgeschichtsschreibung macht. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari verwies auf ein paralleles Beispiel aus den „Mémoires“ des Feldmarschalls Philippe de Montaut-Bénac, duc de Navailles (1619– 1684), der berichtete, dass die Spanier ihm 1647 im Gefecht von Bozzolo zwei Pferde unter dem Sattel weggeschossen hätten, er aber ungeachtet dessen seine Leute erfolgreich in den Kampf geführt hatte. Für ein modernes Lesepublikum würde sich angesichts solcher Schilderungen die Frage stellen, warum der Schreiber über seine Gefühle und inneren Kraftressourcen während dieser äußersten Gefahr schwieg. Harari bezeichnet die frühneuzeitlichen Offiziersmemoiren als „white elephants“, die in den Bibliotheksregalen über Jahrzehnte nur Staub anziehen würden. Er verortet den Grund für das Desinteresse an diesen Quellen im Kontrast zu inhaltlichen Charakteristika der Überlieferung seit der Zeit um 1800, die den Buchmarkt mit Enthüllungen, Klagen und Abrechnungen gegenüber den Zwängen und menschlichen Abgründen eines militärischen Lebens versorgt. Erinnerungstexte aus dem 17. Jahrhundert erfüllen diese Neugier sowohl eines breiteren Publikums als auch der Geschichtswissenschaft nicht: „They do not give us any idea of ‚how it felt like‘.“4 Memoiren aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges enthalten eine thematische Lücke, welche die zeitgenössische Militärtheorie nicht füllen, aber erklären kann. Die Szenen in den Erinnerungen Navailles’ laufen für Harari mit Überlegungen in Montecuccolis Traktaten wie „Delle battaglie“ (1640) parallel, die vom Offizier eine souveräne rationale Körperbeherrschung verlangten und den Krieg als ein Modell für die Überlegenheit der Vernunft über das Gefühl betrachteten5. Insofern liegt auch der gemessenen autobiographischen Skizze des Feldherrn das Fundament seiner Militärtheorie zugrunde. Der Aspekt demonstrativer Selbstdisziplin soll im Folgenden anhand der Ehre betrachtet werden, die Gehorsam und Gewalt, Mut und Tapferkeit in ein soziales Kapital ummünzte6. Autobiographische Kriegsgeschichten erzählten zwar von „ehrenhaften“ Lebenswegen, die Ehre war darin aber ein labiles Gut und nicht nur zu erlangen, sondern auch zu verteidigen oder zu bewahren. Die standes- und rangspezifischen Ehrvorstellungen gaben Schreibern wichtige Rahmenbedingungen vor, innerhalb deren sie emotionale Komponenten in die Aufarbeitung ihrer militärischen Vergangenheit einbeziehen konnten. Als Quellen dienen hier drei Kriegserinnerungen von ehemaligen Soldaten des Dreißigjährigen Krieges, die wie der kaiserliche Kriegsrat Montecuccoli den Sprung in eine höfische Laufbahn schafften. Den „unpersönlichen“ Zug kontrollierter Beherrschung bekräftigen geschichtswissenschaftliche Untersuchungen zu konkreteren Fragestellungen wie den Umgang des Sol3 Alois Veltzé (Ed.), Raimondo Montecuccoli, Ausgewählte Schriften, Bd. 4 (Wien–Leipzig 1900) 29. Montecuccolis “Relazione del soccorso di Nonantola” ebd. 3 27–31. 4  Yuval Noah Harari, The Ultimate Experience. Battlefield Revelations and the Making of Modern War Culture, 1450–2000 (Basingstoke 2008) 57; vgl. auch Berkovich, Motivation in War (wie Anm. 1) 50. 5  Harari, Ultimate Experience (wie Anm. 4) 96–99; zu den Grundlagen des militärtheoretischen Werkes vgl. Ferenc Tóth, Montecuccoli, le premier théoricien de la guerre modern, in: ders. (Ed.), Raimondo Montecuccoli, Mémoires ou Principes de l’art militaire en général 1712, (Paris 2017) 13–45, hier 36–38. 6   Harari, Ultimate Experience (wie Anm. 4) 95, 101f.; Jan Willem Huntebrinker, „Fromme Knechte“ und „Garteteufel“. Söldner als soziale Gruppe im 16. und 17. Jahrhundert (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 22, Konstanz 2010) 279, 317.



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daten mit der Angst auf dem Schlachtfeld oder mit dem gewaltsamen Tod. Während die Angst der Zivilisten in einer Fülle an Selbstbiographien und Tagebüchern aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges präsent ist, zwingen die Selbstaussagen aus den Reihen der Truppen wiederholt zu einem Rekurs auf politiktheoretische, militärkundliche oder auch theologische Traktate7. Die raren Lebensrückblicke einfacher Soldaten unterscheiden sich hinsichtlich der „battlefield emotions“ nur wenig von den zahlreicheren Überlieferungen der höheren Offiziere. Auch sie zeugen von der Macht einer distanzierten Arithmetik der Toten über Ausdrücke wie Furcht, Scham oder Reue8. Dass eine Bewältigung militärischer Eindrücke nicht zwangsläufig das Schreiben über Angst und Verzweiflung bedeuten musste, verdeutlicht die Autobiographie des Zerbster Söldners Peter Hagendorf (1601/2–1679). Mehrfach warnte die neuere Militär- und Sozialhistoriographie vor übertriebenen Erwartungen an dieses Selbstzeugnis: „Der Text ist lapidar, für den oberflächlichen Leser fast langweilig“, Gewalt und Bedrohung seien „seltsam nüchtern und beiläufig berichtet“, die Angst allenfalls ironisch beim Anblick von 2.000 Schafen verbalisiert9. Die Gefühlswelt sowie der hoffnungsvolle Blick in die Zukunft halten sich auch hier an ein kontrolliertes Vokabular, das Militär und Religion bereitstellten. Mögen Soldatenerinnerungen auf der Suche nach den mentalen Auswirkungen des Krieges enttäuschen, so sind sie doch vorrangige Quellen für zeitgenössische Sinnstiftungskonzepte10. Ungeachtet der scheinbar „nüchternen“ Darstellungsform entwickelte sich die Autobiographie des Soldaten Peter Hagendorf zu einem Schlüsseltext der neueren Militärgeschichte. Sie gehörte bald nach ihrer Erstveröffentlichung im Jahr 1993 zu den „am häufigsten zitierten Referenzwerken“ der autobiographischen Soldatenliteratur der 7 Andreas Bähr, Remembering Fear. The Fear of Violence and the Violence of Fear in Seventeenth-Century War Memories, in: Memory before Modernity. Practices of Memory in Early Modern Europe, hg. von Erika Kuijpers–Judith Pollmann (Studies in medieval and Reformation traditions 176, Leiden–Boston 2013) 269–282; Ders., Magical Swords and Heavenly Weapons: Battlefield Fear(lessness) in the Seventeenth Century, in: Battlefield Emotions 1500–1800. Practices, Experience, Imagination, hg. von Erika Kuijpers–Cornelis van der Haven (London 2016) 49–69, hier 56f.; Michael Kaiser, Zwischen „ars moriendi“ und „ars mortem evitandi“. Der Soldat und der Tod in der Frühen Neuzeit, in: Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit, hg. von dems.–Stefan Kroll (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 4, Münster 2004) 323–343, hier 326; Martin Scheutz, „… im Rauben und Saufen allzu gierig“. Soldatenbilder in ausgewählten Selbstzeugnissen katholischer Geistlicher aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. L’Homme 12/1 (2001) 51–72; Arndt Schreiber, Adel unter Druck. Unmittelbare Erfahrungen kriegerischer Gewalt in den Tagebüchern des Reichsfürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg, in: Dynamik durch Gewalt? Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) als Faktor der Wandlungsprozesse des 17. Jahrhunderts, hg. von Michael Rohrschneider–Anuschka Tischer (Schriftenreihe zur neueren Geschichte 38, Münster 2018) 161–174. 8 Ralph Pröve, Violentia und Potestas. Perzeptionsprobleme von Gewalt in Söldnertagebüchern des 17. Jahrhunderts, in: Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert, hg. von Markus Meumann–Dirk Niefanger (Göttingen 1997) 24–42, hier 37–39. 9  Bernd Roeck, Der Dreißigjährige Krieg und die Menschen im Reich. Überlegungen zu Formen psychischer Krisenbewältigung in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Der Dreißigjährige Krieg. Facetten einer folgenreichen Epoche, hg. von Peter C. Hartmann–Florian Schuller (Regensburg 2010) 146–157, hier 152; Michael Sikora, Söldner – historische Annäherung an einen Kriegertypus. GG 29 (2003) 210–238; Andreas Bähr, Furcht und Furchtlosigkeit. Göttliche Gewalt und Selbstkonstitution im 17. Jahrhundert (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 14, Göttingen 2013) 128, Anm. 289; der Text bei: Jan Peters (Ed.), Peter Hagendorf, Tagebuch eines Söldners aus dem Dreißigjährigen Krieg (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 14, Göttingen 22012) hier 181. 10 Michael Epkenhans–Stig Förster–Karen Hagemann, Einführung, in: Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen, hg. von dens. (Krieg in der Geschichte 29, Paderborn 2006) IX–XVI, hier XII–XV; Marc Höchner, Selbstzeugnisse von Schweizer Söldneroffizieren im 18. Jahrhundert (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 18, Göttingen 2015) 37.

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Frühen Neuzeit und gilt als ebenso „einzigartig“ wie „beispielhaft“ unter den überlieferten Selbstzeugnissen des Dreißigjährigen Krieges11. Die Ursache für diese Wertschätzung liegt nur bedingt in der sozialen Stellung des Schreibers begründet, der nicht zur illiteraten Masse der Soldaten gehörte und niedere, zeitweise sogar mittlere militärische Ränge bekleidete. Die Faszination dieses Textes besteht vor allem darin, dass der Schreiber mit Schulbildung traditionelle formale Rahmenbedingungen der Selbstdarstellung wie den topographischen Reisebericht, die Zeitchronik oder das Hausbuch in das soziale und ökonomische Milieu des Lagerlebens überführte. Hinter der einfachen Chronologie eines ständigen Ortswechsels steht in Hagendorfs Autobiographie jene nahezu episodenhafte Ausgestaltung von Aktionen, die den eigenen Handlungsspielraum effektiv inszenierte. Sie betrifft besonders die Nebenaktivitäten der leichten Truppen wie Proviantbeschaffung, Botengänge oder kleinere Gefechte, in deren Schilderung der Söldner leichter vom kollektiven Blickwinkel der Armee in die Ich-Form überwechselte und seine Eigenverantwortung andeutete12. Das sog. „Tagebuch“ liegt nur in der Reinschrift und wohl auch Bearbeitung aus den Jahren 1648/1649 vor, die ältere Niederschriften zusammenstellte. Der Text des Veteranen Hagendorf wäre damit als autobiographischer Gesamtentwurf zu lesen, der im Frieden das Arrangement des einzelnen mit dem Krieg konservierte13. Die nachträgliche Bearbeitung von Tagebuchnotizen prägte gleichermaßen die Memoiren des bayerischen Obersten Augustin Fritsch (1599– 1662), die in ihrer überlieferten Form um 1660 entstanden. Die Ordnung des Krieges bedeutete für Fritsch den sozialen Aufstieg vom einfachen Musketier zum hohen Offizier, der 1634 für den Sturm auf Heidelberg sogar geadelt wurde und diesen errungenen Status schriftlich für die Nachkommen festhalten wollte14. Die Erinnerungen des Obersten gehörten lange zu den „Weißen Elefanten“, da sie schon um 1792 ediert wurden, aber erst im Sog des Interesses an Hagendorf eine neue Würdigung innerhalb einer Sozialgeschichte des Dreißigjährigen Krieges erfuhren. Unter den zahlreichen Sinnstiftungskonzepten, die ehemalige Kriegsteilnehmer retrospektiv ihrer militärischen Laufbahn unterlegten, findet sich der Hofdienst eines „cursus honorum“. Bei den drei Quellen des vorliegenden Beitrages handelt es sich um bisher nicht edierte „curricula“, deren Berichte aus dem Dreißigjährigen Krieg sich schablonenhaft auf wenigen Seiten verdichteten: Die Schreiber legten die persönlichen Motive für den Eintritt in den Kriegsdienst dar, boten dann die Skizze eines Feldzuges und erklärten schließlich die Gründe für den Austritt aus der Armee, um erst dann den eigentlichen 11  Sikora, Söldner (wie Anm. 9) 223, Anm. 46; Hans Medick, Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt (Göttingen 2018) 115, 121f., 134; Jochen Oltmer, Migration, Krieg und Militär in der Frühen und Späten Neuzeit, in: Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit, hg. von Matthias Asche–Michael Herrmann–Ulrike Ludwig–Anton Schindling (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 9, Münster 2008) 36–55, hier 48; Geoff Mortimer, Eyewitness Accounts of the Thirty Years War 1618–48 (Basingstoke 2002) 18; die Fülle der Textüberlieferung bei Benigna von Krusenstjern, Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Beschreibendes Verzeichnis (Selbstzeugnisse der Neuzeit 6, Berlin 1997) Hagendorf hier Nr. 81 von 232 Schreiberinnen und Schreibern. 12  Stephanie Schwarzer, Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Ästhetisierung kriegerischer Ereignisse in der Frühen Neuzeit (Forum Kulturwissenschaften 5, München 2006) 183, 238; Medick, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 11) 135. 13  Peter Burschel, Himmelreich und Hölle. Ein Söldner, sein Tagebuch und die Ordnungen des Krieges, in: Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, hg. von Benigna von Krusen­ stjern–Hans Medick (VMPIG 148, Göttingen 1999) 181–194, hier 193f. 14   Mortimer, Eyewitness Accounts (wie Anm. 11) 140–149.



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kaiserlichen „cursus honorum“ in seiner weitesten Bedeutung anzuschließen. Die eigenhändigen Lebensläufe gehören zu „höfischen Selbstzeugnissen“, somit zu Selbstzeugnissen, die von Angehörigen des Hofes stammen und deren Funktion in einem höfischen Kommunikationssystem zu verorten ist15. Dessen ungeachtet sind die Schreiber nicht primär an jenem humanistischen Ideal des Hofmannes zu messen, das die „Kriegskunst“ als festen Bestandteil des aristokratischen Bildungsweges festschrieb16. In keiner der Aufzeichnungen stellt die literarische Bildung ein konstituierendes Element des Selbst dar. Hinter den drei Autobiographien steht ungeachtet des gemeinsamen privilegierten höfischen Lebensumfelds eine stark geschichtete und daher inhomogene Schreibergruppe. Die Militärgeschichte des Dreißigjährigen Krieges wies die oberen Ränge im Heer tendenziell dem Adel zu, die mittleren Führungsaufgaben den bürgerlich-kaufmännischen Schichten, während die unteren Chargen nur wenig besser gestellt waren als die einfachen Kriegsknechte aus ehemaligen Bauern, Arbeitern oder Tagelöhnern17. Die drei zu besprechenden Selbstzeugnisse sind derart ausgewählt, dass ihre Verfasser in ihrem Soldatenleben den unterschiedlichen Rangebenen der Obersten, der Hauptleute und der Unteroffiziere angehörten. Diese Textauswahl ermöglicht es, das Thema der soldatischen Ehre in unterschiedlichen sozialen Kontexten zu behandeln.

2. Der Oberstleutnant Montecuccolis „Ristretto“ ist strikt im Präteritum gehalten, verlässt diese Erzählhaltung aber am Ende abrupt. Der Schreiber überführt in der autobiographischen Skizze das Erlebte seiner Kriegszüge in einen künftigen Handlungsraum als frisch ernannter Kriegsrat und Kämmerer: „Jedesmal, wenn ich gerufen würde, im Rathe zu erscheinen“, „Alles was die Kammer betrifft, geheim zu halten“ usw. Diese Exzerpte aus seinen Amtseiden ergänzen die kurze Niederschrift des Verfassers über die Zeremonie des „Kaiserlichen Kammerdiensts des Morgens“ („Servizio imperiale della camera la mattina“)18. Der regulative Blick auf das Kommende kennzeichnet jene biographische Schnittstelle, als der Offizier das neue, unsichere Terrain einer höfischen Karriere betrat und veränderte Rahmenbedingungen für seine soldatische Ehre vorfand. Die Lebensskizzen Montecuccolis dienten weniger dem künftigen Gedächnis der Nachwelt als pragmatischen Zwecken. Einen neuen autobiographischen Anlauf unternahm der Feldherr 1667 in seinem „Auszug aus den Haupt-Affairen“ („Ristretto dell’occasioni principali“), der in zwei Abschriften mit 15 Helga Meise, Höfische Tagebücher in der Frühen Neuzeit. Überlegungen zu ihrer Edition und Kommentierung, in: Edition von autobiographischen Schriften und Zeugnissen zur Biographie, hg. von Jochen Golz (Beih. Editio 7, Tübingen 1995) 27–37, hier 28. 16  William Randall Albury, Castiglione’s Allegory. Veiled Policy in „The Book of the Courtier“ (1528) (London–New York 2016) 64–66; Ken Mondschein, The Italian Schools of Fencing: Art, Science, and Pedagogy, in: Late Medieval and Early Modern Fight Books. Transmission and Tradition of Martial Arts in Europe (14th–17th Centuries), hg. von Daniel Jaquet–Karin Verelst–Timothy Dawson (Leiden 2016) 280–323, hier 283. 17  Bernhard R. Kroener, Soldat oder Soldateska? Programmatischer Aufriß einer Sozialgeschichte militärischer Unterschichten, in: Ders., Kriegerische Gewalt und militärische Präsenz in der Neuzeit. Ausgewählte Schriften, hg. von Ralf Pröve–Bruno Thoss (Paderborn u. a. 2008) 125–151, hier 134; vgl. auch Pröve, Violentia und Potestas (wie Anm. 8) 25. 18   Montecuccoli, Ausgewählte Schriften (wie Anm. 3) 4, 31; zur Niederschrift vgl. auch Georg Schreiber, Raimondo Montecuccoli. Feldherr, Schriftsteller und Kavalier. Ein Lebensbild aus dem Barock (Graz– Wien–Köln 2000) 63f.

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eigenhändigen Korrekturen des Feldherrn vorliegt. Er reicht bis zum Empfang der kaiserlichen Braut Margarita Teresa in Finale 1666, sodass die Vermutung nahe liegt, dass die Zusammenstellung seiner bisherigen Verdienste als Grundlage für einen Bericht an den Kaiser diente, um eine Auszeichnung oder eine Belohnung zu erlangen19. Wahrscheinlich stand bereits der ältere „Ristretto“ von 1645 in einem direkten Zusammenhang mit Montecuccolis Beförderung bei Hof, die nicht nur die Ernennung zum Hofkriegsrat und Kämmerer, sondern auch die Ausbezahlung eines kaiserlichen Geschenkes in Form „einer hübschen Summe Geldes“ begleitete. Der Kontext des Bemühens um fürstliche Gnadenbeweise würde die strikte zeitliche Beschränkung des „Ristretto“ von 1645 auf die Zeit der Dienste im kaiserlichen Heer erklären. Die Skizzen des Feldherrn entstanden wahrscheinlich im Rahmen von Gnadensuppliken. Diese enthielten keinen Rechtsanspruch von Bittstellern, sondern einen Appell an den Fürsten, sich angesichts von außergewöhnlichen Aufwendungen oder sozialen Bedrohungen um das Wohl seiner Hofleute zu kümmern20. Die bloß moralischen Ansprüche erhöhten den Erklärungsbedarf, der sich manchmal in eingefügten oder beigelegten Lebensläufen der Supplikanten ausdrückte. Im Archiv der oberösterreichischen Adelsfamilie Starhemberg ist ein Faszikel überliefert, der sich den „Diensten“ einzelner Angehöriger für Land und Herrscher im 16., 17. und 18. Jahrhundert widmet. Mehrere Schriftstücke darin variieren eine einzige Lebensgeschichte in verschiedenen Fassungen, deren letzte den Titel trägt: Kurtzer Bericht der dem Durchleuchtigisten Ertzhauß Österreich etc. von Hern Heinrich Wilhelbm Graffen und Herrn von Starhemberg von dem 20sten Jahr seiner Jugendt an biß in das 79igste seines Alters unaussetzlich geleisten Hoff-, Krieg- vnd Feldtdienste etc.21. Der Text ist zwar in der dritten Person gehalten, doch aus dem Wechsel zwischen „Er“ und „Ich“ in den älteren Versionen ist der kaiserliche Kämmerer und Obersthofmarschall Heinrich Wilhelm von Starhemberg (1593–1675) als der Verfasser seiner Lebensgeschichte leicht zu erschließen. Der Faszikel enthält eine ältere Fassung aus seinem 70. Lebensjahr, die er ins Italienische übersetzte und später mehrfach überarbeitete. Diese enthält Starhembergs Italienreise der Jahre 1612/1613 mit den Faschingsfeiern in Florenz als Höhepunkt, weiters seine Kriegsdienste: die Teilnahme am Friauler oder Uskokenkrieg, am Dänisch-Niedersächsischen Krieg sowie an den Verhandlungen mit den aufständischen oberösterreichischen Bauern22. Den Feldzug König Ferdinands (III.) gegen die Schweden 1634 meint der Schreiber mit dem zitierten Titelwort des „Felddienstes“, da er damals im Unterschied zum „Kriegsdienst“ nicht unter Waffen stand, sondern bereits als königlicher Hofmarschall im Hofstaat mitreiste. Der Schreiber korrigierte die ältere Version in seinem 72. Lebensjahr und fertigte ein Jahr später eine Kurzfassung an, die sich allein auf die Kriegs- und Felddienste konzentriert23. Er aktualisierte seine Le  Montecuccoli, Ausgewählte Schriften (wie Anm. 3) 4 140, 1 XC.   Vgl. hierzu Otto Ulbricht, Supplikationen als Ego-Dokumente. Bittschriften von Leibeigenen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Beispiel, in: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, hg. von Winfried Schulze (Selbstzeugnisse der Neuzeit 2, Göttingen 1996) 149–174, hier 150–161; auch Nadja Krajicek, Frauen in Notlagen. Suppliken an Maximilian I. als Selbstzeugnisse (QIÖG 17, Wien 2018) 27–34. 21  OÖLA, Starhembergisches Archiv, Bestand Riedegg, Sch. 136, hier Nr. 10 (unfoliiert). Im Folgenden wird nach dieser Fassung letzter Hand zitiert. 22  Ebd. Riedegg, 136, Nr. 74. 23   Ebd. Nr. 72 u. 85. Die Fassung aus dem 72. Lebensjahr liegt in einer maschinschriftlichen Transkription mit stillschweigender Einarbeitung der Korrekturen vor: Georg Heilingsetzer, Heinrich Wilhelm von Starhemberg (1593–1675). Ein oberösterreichischer Adeliger der Barockzeit (Diss. Wien 1970) 116–121 (= 19 20



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bensbeschreibung ein weiteres Mal in seinem 79. Lebensjahr, wovon sowohl das Konzept mit zahlreichen Korrekturen als auch eine Reinschrift zeugen24. Die Veränderungen betreffen notwendige Anpassungen etwa in den Zeitangaben, die Eliminierung der ersten Person und auch inhaltliche Ergänzungen. Erst jetzt ist pauschal von einer Bildungsreise die Rede, die dem Aufenthalt in Florenz voranging und in den Norden auf die britischen Inseln, nach Frankreich sowie in die Niederlande führte. Die konkrete Funktion von Starhembergs Bericht müsste für jede Fassung einzeln bestimmt werden. Wie häufig bei handschriftlich überlieferten Selbstzeugnissen der Frühen Neuzeit sind in dem Text mehrere Rezeptionsmöglichkeiten enthalten, die sich nicht scharf voneinander trennen lassen25. Die Fassung letzter Hand schließt ähnlich wie die Kurzfassung aus dem 73. Lebensjahr nur pauschal mit einer zusammenfassenden Betonung von Starhembergs nunmehr 58jährigen Verdiensten an dem Erzhaus. Möglicherweise war sie einfach für die Aufbewahrung im Familienarchiv gedacht. Ihre rezeptionsgeschichtliche Fortsetzung fand diese Überlieferungsebene in Zitaten und Paraphrasen, welche die spätere Familiengeschichtsschreibung der Starhemberger der Autobiographie entnahm26. Die älteren deutschen und italienischen Langfassungen leiten dagegen im Schlusssatz aus den geleisteten Diensten die Bitte an den Kaiser um eine jährliche Hilfe von 10.000 fl. ab. Der Betrag sollte nach den Vorstellungen des Schreibers die Staatsfinanzen nicht direkt belasten, sondern von den Kriegskontributionen seiner Herrschaften abgezogen werden. Durch diesen Wunsch erhielt die Lebensskizze den Charakter einer Bittschrift und löste einen administrativen Schreib- und Entscheidungsprozess bei Hof aus. An dessen Ende stand ein fürstlicher Gnadenakt, wonach der Antragsteller in Anerkennung seiner Verdienste zwar keine jährliche Hilfe, aber eine einmalige Summe von 36.000 fl. erhalten sollte27. Der Autobiograph erzielte auch auf dieser zweiten Rezeptionsebene seines Textes zumindest einen Teilerfolg. Die verschiedenen Fassungen des Berichtes entstanden in den Jahren vor und nach Starhembergs Rücktritt als kaiserlicher Hofmarschall im Jahr 1671. Der Schreiber hatte ein formell hoch stehendes, aber politisch weitgehend bedeutungsloses Hofamt inne und war unter Ferdinand III. nicht in den engeren Kreis der fürstlichen Berater aufgenommen worden, sodass er bereits 1651 seinen Rücktritt anbot28. Der erfolglose „Staatsdienst“ war bei Hof wohl hinlänglich bekannt und in den Akten dokumentiert, sodass er in der Autobiographie peripher bleibt. Der Schreiber beruft sich für diese Jahrzehnte nur auf seine Ernennung zum Geheimen Rat 1656, um von den Verdiensten zum eingeforderten Gnadenakt überzuleiten. Der narrative Hauptteil konzentriert sich auf die Zeit vor dem kaiserlichen Hofdienst, die ein weitaus größeres Profilierungspotenzial enthielt. Die Anhang 1). Vgl. auch Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Bd. 37 (Wien 1878) 182. 24  OÖLA, Starhembergisches Archiv, Riedegg, 136, Nr. 72 u. Nr. 10. 25 Gabriele Jancke, Autobiographie als soziale Praxis. Beziehungskonzepte in Selbstzeugnissen des 15. und 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum (Selbstzeugnisse der Neuzeit 10, Köln–Weimar–Wien 2002) 201. 26 Johann Schwerdling, Geschichte des uralten und seit Jahrhunderten um Landesfürst und Vaterland höchst verdienten, theils fürstlich, theils gräflichen Hauses Starhemberg (Linz 1830) 246f.; Schwerdling (1758– 1833) war Sohn eines Dienstnehmers der Starhemberg, seine Chronik ein Werk der Dankbarkeit gegenüber dem Geschlecht. 27  Heilingsetzer, Starhemberg (wie Anm. 23) 71. 28 Mark Hengerer, Kaiserhof und Adel in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Eine Kommunikationsgeschichte der Macht in der Frühmoderne (Historische Kulturwissenschaft 3, Konstanz 2004) 418–427.

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Jugendgeschichte Starhembergs knüpft im Graubereich der Historiographie eine Kette an Beweisen, deren Glieder vorhandene Relikte der persönlichen Vergangenheit bilden. Das erste Erinnerungsstück stellt zum Beispiel ein Kupferstich dar, der sich im kaiserlichen Kabinett befand und in der Legende den Namen Starhembergs enthielt. Er zeigte ein Scheinturnier im Theater von Florenz, das der Schreiber nach eigenen Angaben als Kavalier während des Faschings 1612 gestaltet hätte. Bereits für diesen Dienst hätte er eine Belohnung der Großherzogin Maria Magdalena (1589–1631) erhalten, einer Schwester Ferdinands II. Ein zweites Dokument bildet der Stammbaum der Starhemberger, der belegte, dass Starhemberg über seinen Großvater (Uhrändel) mütterlicherseits mit dem Haus Nassau und folglich auch mit dem venezianischen Söldnerführer Graf Johann Ernst von Nassau-Siegen (1582–1617) verwandt war. Allein die Genealogie sollte beglaubigen, dass Starhemberg den Grafen in Confidenz bewegen konnte, im Friauler Krieg die Seite Venedigs zu verlassen. Die autobiographischen Episoden kreisen um diese einzelnen Beweisstücke und sind thematisch nur lose aneinandergefügt, sodass der Italienaufenthalt den Italienkrieg, der Italienkrieg den Pfälzischen Krieg einleitet. Durch die Ausblendung der dazwischen liegenden Jahre und Ereignisse ergeben sich neue kausale Zusammenhänge. Der Dreißigjährige Krieg ist in Starhembergs Autobiographie keine fest umrissene historische Konstante. Das militärische Karrieremodell des Adeligen produzierte eigenständige Kriegsbilder, in denen der Dänisch-Niedersächsische Krieg mit dem vorangegangenen Friauler Krieg zu einer Einheit verschmolz, was formal Satz- und Absatzgestaltung signalisierten: und wie diser Krieg sich geendiget, [hat er sich] in Oberösterreich zu dem damahlig Churbeyrischen Statthalter Herrn Graffen von Herberstorff begeben29. Aus dem Hauptmann des habsburgischen Grenzkrieges ging gemäß dem Bericht der Oberstleutnant des Reichskrieges hervor, obwohl zwischen dem Frieden von Madrid (1617) und der Errichtung des Herberstorffschen Regiments ein halbes Jahrzehnt lag. Der bayerische Statthalter in Oberösterreich, Adam Graf Herberstorff (1585–1629), erhielt erst Ende 1621 von Herzog Maximilian I. von Bayern (1573–1651) das Patent zur Errichtung eines eigenen Regiments, dessen Reiterei und Fußvolk Teil des ligistischen Heeres wurde30. Die Autobiographie versetzt ihren Protagonisten abrupt in die Rolle eines Strategen mit der Begründung, dass Herberstorff sein politisches Amt in Oberösterreich ausüben musste. Da der Statthalter zunächst selbst ins Feld zog und vom Herzog erst im Frühjahr 1623 zurückberufen wurde, dürfte die Spanne zwischen den beiden Kriegsdiensten Starhembergs sechs Jahre betragen haben. Als Oberstleutnant der Fußtruppen gehörte Starhemberg zum obersten Stab des Regiments, was innerhalb des Heeres erhöhte Repräsentationspflichten und Freigebigkeit, aber auch die Möglichkeit auf Profite und den doppelten Sold eines Hauptmannes bedeutete, der er für seine Kompanien weiterhin blieb31. Aus dem Rang allein ließen sich keine besonderen Verdienste und damit auch keine Ansprüche gegenüber dem Kaiserhaus ableiten. Herberstorff suchte seine Regimentsstellvertreter primär nach jenem Kriterium aus, inwieweit sie im Stande waren, über ihre eigene Kompanie hinaus weitere Söldner zu werben, da der bayerische Herzog die Erfüllung der geforderten Truppengröße überprüfen ließ 32.   OÖLA, Starhembergisches Archiv, Riedegg, 136, Nr. 10, fol. [2v].   Vgl. hierzu Hans Sturmberger, Adam Graf Herberstorff. Herrschaft und Freiheit im konfessionellen Zeitalter (Wien 1976) 136–140, 166f. 31 Herbert Langer, Hortus Bellicus. Der Dreißigjährige Krieg. Eine Kulturgeschichte (Leipzig 41985) 159; auch Ronald G. Asch, Europäischer Adel in der Frühen Neuzeit. Eine Einführung (Köln–Weimar–Wien 2008) 204. 32  Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 30) 136f.; zur Manipulation der Truppenstärke: Robert Re29 30



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Diese finanziellen und organisatorischen Fähigkeiten zur Rekrutierung verbucht Starhemberg als den ersten Punkt seines hohen Kriegseinsatzes. Er habe nämlich von den angestrebten 3.000 Mann des Regiments 1.200 Soldaten für vier Kompanien auß seinen aigenen Mitteln geworben und aufgerichtet. Der Autobiograph war der älteste Sohn von Reichard von Starhemberg (1570–1613), der zu den angesehensten und mächtigsten Adeligen Oberösterreichs gezählt und dem Nachkommen einträgliche Herrschaften diesseits und jenseits der Enns hinterlassen hatte33. Heinrich Wilhelm investierte mehr oder weniger erfolgreich als Unternehmer in seine Güter – etwa durch den Anbau von Tabak – und charakterisierte rückblickend auch den Krieg als eine solche Investition. Um eine Kompanie aufzustellen, bedurfte es baren Geldes, das Adelige bereitstellen konnten, weil sie Kredite auf ihr Privatvermögen aufnahmen und dabei auch von ihren Familien unterstützt wurden34. Unter den Militärunternehmern dominierte der alte Erbadel, der bereit war, Kriege sowohl zu finanzieren als auch selbst zu führen. Diesen eingesetzten Mitteln entsprach in der Autobiographie die eingeforderte Pension. Inwieweit sich die Investition in vier Kompanien lohnte und das Unternehmen Gewinne etwa aus Soldüberschüssen oder der Versorgungswirtschaft einbrachte, legt Starhemberg nicht dar. Das Kriegsunternehmertum ist in seinem Bericht wie in anderen zeitgenössischen Offizierserinnerungen fest eingebettet in das feudale Ideal des Gefolgschaftsdienstes und lässt kaufmännische Details ausgeblendet35. Die Notiz über Investitionsbereitschaft und Rekrutierungserfolge mündet daher in eine Darstellung der militärischen Effizienz. Der Verlauf des Dreißigjährigen Krieges war im historischen Gedächtnis der Zeit um 1670 noch ausreichend präsent, um mit geographischen Stichwörtern bei höfischen Rezipienten eine Fülle an Assoziationen auszulösen. Starhemberg schuf einen zeitlichen Kontext durch die Nennung von Hirschfeldt (Bad Hersfeld), wo das Herberstorffsche Regiment auf das kaiserliche Hauptquartier stieß, sowie die Veldtschlacht bei Lutter am Barenberge (1626), über deren Ausgang zugunsten der Kaiserlichen er nichts zu sagen brauchte. Aus dem kollektiven Gedächtnis einer sozialen Elite leitet der Schreiber sein Insiderwissen ab. Er transferiert das ökonomische Potenzial seines Kriegsunternehmertums auf die Ebene einer Bewährungsprobe heroischer Tugenden, da er dieses Regiment von 3.000 Köpffen commandirt und durch Bayern, Schwaben und Franckenlandt biß in Hessen zu der Reichsarmada, so undtern General Tylli bey Hirschfeldt gestandten, geführet, auch mit selbigen in Braunschweig und Hollstein guette Kriegsdienste geleistet hatt, wie er dan in der Feldtschlacht vor Lutter in der Avanguardi gestandten, in welcher ihme nicht allein die Partesan oberhalb der Handt ist weggeschossen wordn, sondern auch eine Kugel durch den rechten Schenckhel gegangen, wie die Maasen noch klar zeiget36. bitsch, Der militärische Beginn des Dreißigjährigen Krieges, in: 1618. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, hg. von dems. (Wien–Köln–Weimar 2017) 169–199, hier 173. 33  Heilingsetzer, Starhemberg (wie Anm. 23) 8, 113. 34  Fritz Redlich, The German Military Enterpriser and his Work Force. A Study in European Economic and Social History, Bd. 1 (VSWG, Beih. 47, Wiesbaden 1964) 239–254; auch Thomas M. Barker, Army, Aristocracy, Monarchy: Essays on War, Society, and Government in Austria, 1618–1780 (East European Monographs 106, New York 1982) 13–17; Geoff Mortimer, War by Contract, Credit and Contribution: The Thirty Years War, in: Early Modern Military History 1450–1815, hg. von dems. (Basingstoke 2004) 101–117, hier 104–108; Rebitsch, Der militärische Beginn (wie Anm. 32) 171. 35 David Parrott, The Military Enterpriser in the Thirty Years’ War, in: War, Entrepreneurs, and the State in Europe and the Mediterranean, 1300–1800, hg. von Jeff Fynn-Paul (History of Warfare 97, Leiden–Boston 2014) 84f. 36  OÖLA, Starhembergisches Archiv, Riedegg, 136, Nr. 10, fol. [2v].

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Der Bericht verdichtet die Schlacht bei Lutter auf die Augenblicke einer Feuerprobe. Diese Szene feiert mit wenigen Strichen die Überlegenheit des Intellekts, der den Körper in einer entscheidenden Situation fest kontrolliert. Der militärische Sieg in der Schlacht ist für Starhemberg durch einen persönlichen Sieg über den Schmerz möglich, denn von einer Beeinträchtigung der strategischen Führungsqualitäten aufgrund von Entwaffnung und Verletzung ist in dem Text ebenso wenig die Rede wie in den eingangs erwähnten Rückblicken Navailles’ und Montecuccolis. In diesen Erinnerungen bewies allein das Erzählen der „Bravourstücke“ die Immunität des Offiziers gegenüber ablenkenden Gefühlen und Empfindungen37. Der Bericht Starhembergs beglaubigt die mentale Stärke darüber hinaus mit einem Hinweis auf die sichtbaren und greifbaren Überreste seiner Verletzung. Unter der zitierten Mase verstanden oberdeutsche Mundarten des 17. Jahrhunderts eine verheilte Wunde beziehungsweise ein Wundmal38. Die Narbe war in Kriegsmemoiren des 17. Jahrhunderts positiv belegt und enthielt mehrere Bedeutungsebenen. Sie gehörte zum Körpergedächtnis, das den einzelnen an bestimmte Schlachten erinnerte, und symbolisierte die Unverletzlichkeit eines Soldatenkörpers39. Im Bericht bildet der vernarbte Schenkel des Schreibers nach dem Kupferstich und dem Familienstammbaum das dritte Erinnerungsstück, das in der Lebensgeschichte die vergangenen Verdienste vergegenwärtigen und belegen sollte. Wie die beiden anderen Relikte enthielt auch die Narbe zwei untrennbar miteinander verbundene Aspekte der Beweiskraft, da sie einerseits die Wahrheit des Erzählten und andererseits die Standesehre des Offiziers verbürgte. Wie Genealogien oder Familienchroniken boten Autobiographien Adeligen eine Möglichkeit, mit der Vergangenheit auch die eigene Ehre nach aktuellen Anforderungen neu zu modellieren. Den Ausgangspunkt bildete häufig die dunkle Folie der Schande, die auf moralischen Verfehlungen oder religiösen „Irrwegen“ lastete und damit die soziale Identität in Frage stellte40. Starhembergs Kriegsschilderung war Teil einer solchen Remodellierung der Ehre. Sie basiert auf dem Faktum, dass die Teilnahme an der Schlacht bei Lutter zum besonderen Ruhm des Herberstorffschen Regiments gehörte41. Der politischmilitärische Briefverkehr Maximilians von Bayern legt aber nahe, dass Starhemberg selbst bereits Mitte 1625 für immer von diesem Regiment abberufen worden war und an der Schlacht gar nicht teilnahm. Diese Annahme stützt ein Brief aus den Tagen des ligistischen Sieges, den der Adelige nicht aus Niedersachsen, sondern vom Starhembergischen Gut Wildberg bei Urfahr abschickte42. Der eigentliche Grund für die rasche Abberufung   Harari, Ultimate Experience (wie Anm. 4) 119.   Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 6 (Leipzig 1885) Sp. 1698f. 39 Martin Dinges, Soldatenkörper in der Frühen Neuzeit. Erfahrungen mit einem unzureichend geschützten, formierten und verletzten Körper in Selbstzeugnissen, in: Körper-Geschichten, hg. von Richard van Dülmen (Studien zur historischen Kulturforschung 5, Frankfurt/Main 1996) 71–98, hier 89f.; Harari, Ultimate Experience (wie Anm. 4) 109f.; Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses (München 32006) 246. 40   Vgl. hierzu Martin Wrede–Horst Carl, Einleitung: Adel zwischen Schande und Ehre, Tradition und Traditionsbruch, Erinnerung und Vergessen, in: Zwischen Schande und Ehre. Erinnerungsbrüche und die Kontinuität des Hauses. Legitimationsmuster und Traditionsverständnis des frühneuzeitlichen Adels in Umbruch und Krise, hg. von dens. (VIEG Beih. 73, Mainz 2007) 1–24, hier 21f.; Ralf-Peter Fuchs, Über Ehre kommunizieren – Ehre erzeugen. Friedenspolitik und das Problem der Vertrauensbildung im Dreißigjährigen Krieg, in: Frieden durch Sprache? Studien zum kommunikativen Umgang mit Konflikten und Konfliktlösungen, hg. von Martin Espenhorst (VIEG Beih. 91, Göttingen 2012) 61–80, hier 65f. Allgemein: Wolfgang E. J. Weber, Art. Ehre. EdN 3 (2006) Sp. 77–83. 41  Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 30) 141. 42  Vgl. hierzu Heilingsetzer, Starhemberg (wie Anm. 23) 36f. 37 38



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ist aus der Korrespondenz des Herzogs mit Herberstorff und Johann T’Serclaes von Tilly (1559–1632) nicht eindeutig zu eruieren. Im Raum standen Exzesse, denn das Regiment soll in Franken unkontrolliert gehaust, der Oberstleutnant nachdenkliche (bedenkliche) Reden von sich gegeben haben, die eine Zusammenarbeit mit dem lutherischen Kursachsen erschwerten43. Herberstorff, der ebenso wie Starhemberg aus dem alten erbländischen Adel stammte, sah die Abberufung seines Vertreters und Schützlings als eine persönliche Diskreditierung und einen Angriff auf seine eigene Ehre. Starhembergs körperlicher Ehrbeweis steht somit innerhalb der Autobiographie vor einer brisanten Stelle, die vom plötzlichen Abbruch des Militärdienstes erzählt und apologetische Züge annimmt. Der Bericht des Abgesetzten stimmt mit anderen Quellen darin überein, dass Tilly die treibende Kraft gegen Starhemberg gewesen sei. Die ältere Langfassung der Autobiographie warf dem Feldherrn seinen katholischen Eifer und religiöse Vorbehalte vor, die ihn dazu verleitet hätten, den Oberösterreicher schlechter als andere Offiziere zu behandeln. Der Schreiber spielt damit auf seine kalvinistische Vergangenheit vor jenem entscheidenden Jahr 1630 an, als er gegen Widerstände in der eigenen Familie zum Katholizismus konvertierte und den Grundstein für die Karriere bei Hof legte 44. Im Bericht spart der Obersthofmarschall diese konfessionspolitische Zäsur seiner Vergangenheit aus, die er allein in der Abrechnung mit Tilly anklingen lässt. Selbst diese Andeutung schien dem Verfasser offensichtlich als weit vorgewagt. In der Fassung letzter Hand aus dem 79. Lebensjahr strich er seinen Seitenhieb gegen den katholischen Eifer wieder, der Zweifel an seiner damaligen Loyalität wecken konnte und das negative protestantische Tilly-Bild reproduzierte45. Übrig blieb nach dieser Selbstzensur der Schatten einer willkürlichen Degradierung. In der Korrespondenz zwischen Maximilian I. und Tilly aus dem Jahr 1625 begegnet Starhemberg nicht unter dem Titel eines Oberstleutnants, sondern als Kapitän oder Hauptmann über vier Fußkompanien. Die Frage der militärischen Autorität des Oberstleutnants führt im Bericht zur Krise: Tilly habe das Fehlen des Obersten Herberstorff hoch empfunden und deswegen das Regiment schlechter als die anderen behandelt (strapaziern lassen), sodass der verantwortliche Offizier seinen Dienst freiwillig quittierte. Dieser Darstellung entspricht ein Brief Tillys an den Kurfürsten, in dem er bat, Herberstorffs Oberstleutnant zu entlassen, wenn der Regimentschef nicht selbst im Feld erscheine 46. Angesprochen war in diesem Schreiben vom Februar 1626 aber nicht mehr Starhemberg, sondern Dominikus Vigilius von Spaur (1589–1645), Oberstleutnant der Reitertruppen. Die Abwesenheit des Obersten vom Regiment und die Übertragung der militärischen Führungsaufgaben an den Oberstleutnant stellten in der Blütezeit des Kriegsunternehmertums ein verbreitetes und umstrittenes Phänomen dar, dem Ferdinand III. 1643 mit jenem Verbot entgegenarbeitete, mehrere Regimenter gleichzeitig zu besitzen, ohne sie

43 Walter Goetz (Ed.), Die Politik Maximilians I. von Baiern und seiner Verbündeten 1618–1651, Bd. 2/2: 1625 (Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges N. F. 2/2, Leipzig 1918) 220, Anm. 4. Vgl. auch Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 30) 177f. 44 Thomas Winkelbauer, Fürst und Fürstendiener. Gundaker von Liechtenstein, ein österreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters (MIÖG Ergbd. 34, Wien–München 1999) 143. 45   OÖLA, Starhembergisches Archiv, Riedegg, 136, Nr. 10, fol. [3r]; vgl. auch Markus Junkelmann, Tilly. Der katholische Feldherr (Regensburg 2011) 103. 46   Die Politik Maximilians I., ed. Goetz (wie Anm. 43) Bd. 2/3, 45; Barbara Stadler, Pappenheim und die Zeit des Dreißigjährigen Krieges (Winterthur 1991) 195.

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persönlich ins Feld zu führen47. Starhembergs Hinweis auf die erhöhte Empfindlichkeit Tillys in dieser Frage rückt den Feldherrn also nicht zwangsläufig ins Unrecht. Der Autobiograph verlegt den Konflikt in einen Gegensatz der Charakterzüge. Dem hitzigen, unbeherrschten, somit von seinen Emotionen geleiteten Feldherrn steht im Bericht der nüchtern kalkulierende Regimentschef gegenüber, der durch seinen bedachten Rückzug die Regimentsehre wiederherstellt. Die Reputation des Offiziers bestand für Starhemberg in der Hintanstellung persönlicher Ehrgefühle im Dienst eines kollektiven Anliegens, sodass die Abberufung im Bericht den eigentlichen Höhepunkt einer aristokratischen Militärlaufbahn markiert.

3. Der Hauptmann Die Autobiographie Starhembergs enthält kein einziges konkretes Datum, weder Tag noch Jahr, sodass der Verfasser wohl nicht wie Montecuccoli auf die Gedächtnisstütze von Tagebüchern zurückgreifen konnte. Soldatentagebücher aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges sind meist nur nachträglich überarbeitet erhalten wie im Fall von Peter Hagendorf oder Augustin Fritsch, während die Überlieferung von Originaleintragungen Raritäten darstellen. Der kaiserliche Oberststallmeister Franz Albrecht von Harrach (1614–1666) legte drei Sammelbände an, in denen er seine älteren Schreibkalender vereinigte und in Pergament binden ließ48. Ungeachtet der Sorgfalt, mit denen er diese Hefte konservierte, konnte er nur noch auf ein einziges Jahr seines Kriegsdienstes von 1631 bis 1636 zurückgreifen. Dieses Heft stammt aus dem Jahr 1635 und enthält nüchterne Stichworte zu Reisestationen, Ankünften oder Todesfällen im kaiserlichen Heer neben Entwürfen zu Gedichten im emotionsgeladenen Ton der Schäferpoesie. Nachdem die beiden ältesten Brüder Harrachs für die höfische und geistliche Laufbahn vorgesehen waren, eröffnete der Dreißigjährige Krieg für den Schreiber eine Chance, sich im Militärdienst auszuzeichnen. Den parallelen Tagebüchern seines Bruders, des Kardinals Ernst Adalbert von Harrach (1598–1667), ist zu entnehmen, dass Franz Albrecht 1635 als Hauptmann der Leibkompanie von Feldmarschall Melchior von Hatzfeld (1593–1658) ins Feld gegen die französisch-weimarischen Truppen am Rhein zog49. Seinen Dienstgeber erwähnt der Schreiber anlässlich eines Scharmützels mit den Weimarischen bei Frankfurt lakonisch: Den Feltmarschalck ein Pferdt undern Leib tot geschoßen50. Der Kalender des Jahres 1635 diente als Gedächtnisprotokoll für die Anwesenheiten und Strapazen der höheren Offiziere im Heer und fand seine nahtlose Fortsetzung in der akribischen Dokumentation von Begegnungen mit dem österreichischen Hofadel nach der Rückkehr aus dem Feld. Eine Analyse der Korrespondenzen und Tagebücher Harrachs belegt die Bedeutung von Essenskontakten für die zweite, höfische Karriereplanung nach dem Tod zweier älte47  Redlich, German Military Enterpriser (wie Anm. 34) 173, 218; Mortimer, War by Contract (wie Anm. 35) 104; Parrott, Military Enterpriser (wie Anm. 35) 70. 48  ÖStA, AVA, FA Harrach, Hs. 317–319. 49 Katrin Keller–Alessandro Catalano (Ed.), Ernst Adalbert von Harrach, Die Diarien und Tagzettel des Kardinals Ernst Adalbert von Harrach (1598–1667), Bd. 2 (VKNGÖ 104/2, Wien–Köln–Weimar 2010) 123; auch Bd. 1: Kommentar und Register, 61; Otto Harrach, Rohrau. Geschichtliche Skizze der Grafschaft mit besonderer Rücksicht auf deren Besitzer, T. 1: 1240–1688 (Wien 1906) 100f. 50  ÖStA, AVA, FA Harrach, Hs. 317: 13.9.1635; vgl. Franz Christoph Khevenhüller, Annales Ferdinandei, Bd. 12 (Leipzig 1726) Sp. 1762.



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rer Brüder51. Die Inhaber der vier höchsten Hofämter gehörten zu den wichtigsten Ansprechpersonen, somit auch der Obersthofmarschall Heinrich Wilhelm von Starhemberg, den der frisch ernannte Kämmerer mit Neujahrsgeschenken als Interessens- und Tafelpartner gewinnen wollte. Als Angehörige des oberösterreichischen Uradels begegneten beide einander ebenbürtig. Auf der sozial untersten Ebene von Harrachs Essenskontakten stand dagegen der kaiserliche Hofkammerrat und Hofküchenmeister Hans Wilhelm von Kronegg (1598–1647), mit dem Harrach 1641 auch nur auf dem neutralen Boden eines Donauschiffs speiste. Als Hofküchenmeister hatte Kronegg ein Amt inne, das einem der vier höchsten Hofämter, dem Obersthofmeister, unterstellt und Angehörigen des niederen Adels leichter zugänglich war52. Die Kronegger entstammten einer Tiroler Gewerkenfamilie, die erst 1548 in den Adelsstand erhoben worden war, in Kärnten Bergwerke, dann auch in der Steiermark Herrschaften kaufte und dort in den Ritterstand sowie in den Kreis der innerösterreichischen Kammerräte aufstieg53. Als Harrach dem kaiserlichen Hofküchenmeister begegnete, zählte die Familie erst zehn Jahre zum Freiherrnstand. Den Aristokratisierungsprozess dokumentierten die Kronegger in einer Familienchronik, die heute Teil der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek ist. Hans Wilhelms Vater Karl von Kronegg (1564–1613) legte in seinen letzten Lebensjahren zur Gedachtnus ein Stämbn Puch an, also ein Stammbuch im Sinne eines Familienbuches, das ein Halbledereinband mit Blindpressung schmückt54. Die Familienchronik besteht in ihren Grundzügen aus einer Aneinanderreihung von Kinderverzeichnissen, wobei zwischen dem Text zahlreiche farbig gemalte Wappendarstellungen sowie ein großer Stammbaum eingefügt wurden. Die Geburtenbücher seiner Vorfahren und Verwandten übernahm Karl von Kronegg oft wörtlich, wovon die Beibehaltung der ersten Person des jeweiligen Verfassers zeugt. Die formale Struktur des Kinderverzeichnisses ließ in den Berichten über Taufen, Hochzeiten und Todesfälle anfangs nur Personenerläuterungen zu, die aus Amtsbezeichnungen wie Vorschneider, Kammerjunker oder Administrator bestanden. Erst seinem eigenen Geburtenbuch stellte Karl von Kronegg als Einleitung einen ganzen Lebenslauf voran, worin ihm sein ältester Sohn folgte. Bei Hans Wilhelm nimmt diese Vita bereits doppelt so viel Raum ein. Er schrieb sein Curriculum und Kinderverzeichnis zwischen 1625 und 1628 in das väterliche Stammbuch ein, in der Zeit zwischen dem Tod seiner ersten Ehefrau Elisabeth Kremmer von Königshofen und der Verehelichung mit Johanna Elisabeth Fernberger von Eggenberg, verwitwete Sigmar. Kroneggs Aufzeichnungen bestehen aus drei Teilen, in denen einander mehrere Zeitebenen überlagern: die autobiographische Skizze enthält die Kavalierstour und die Kriegsdienste, worauf als zweiter Teil das Kinderverzeichnis mit einer eigenen Überschrift folgt. Diese beiden Grundtexte ergänzte der Verfasser mit späteren Nachträgen, die er einerseits direkt in das Kinderverzeichnis einfügte   Vgl. hierzu Hengerer, Kaiserhof und Adel (wie Anm. 28) 332–337, 404.   Hubert Ch. Ehalt, Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft. Der Wiener Hof im 17. und 18. Jahrhundert (Sozial und wirtschaftshistorische Studien 14, Wien 1980) 43, 48f.; Jeroen Duindam, Vienna and Versailles (Cambridge 2003) 39, 106f.; Hengerer, Kaiserhof und Adel (wie Anm. 28) 511 (Anm. 1811), 616. In Brandenburg waren die Hofküchenmeister Bürgerliche: Peter Bahl, Der Hof des Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft Brandenburg-Preußens (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Beih. 8, Köln–Weimar–Wien 2001) 90–92. 53  Friedrich W. Leitner, Ein Porträtgemälde des Ständisch Verordneten Christoph Andreas Graf von und zu Kronegg von Josef Ferdinand Fromiller im Landesmuseum Kärnten. Rudolfinum 2004 (2005) 317–330. 54  ÖNB, Cod. S. n. 9314. 51 52

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und andererseits als zweiten Teil des Lebenslaufs anhängte. Dieser Nachtrag setzt mit der Baronisierung 1631 ein und schließt einen Überblick über die anschließenden Feld- und Hofdienste an. Hinter dem Felddienst stand der Feldzug König Ferdinands (III.) gegen die Schweden 1634, den Kronegg nicht im Heer, sondern an der Seite Starhembergs im königlichen Hofstaat als Obersthofküchenmeister mitmachte. Das Amt eines Küchenmeisters hatte bereits Kroneggs Vater am Hof Ferdinands II. während des Regensburger Reichstags von 1608 inne, diese innerösterreichische Tradition ließ sich aber nicht bruchlos fortsetzen. Karl von Kronegg zog sich nach dem Reichstag zurück, er war Protestant, ließ seine Kinder von einem Hausprediger taufen und von einem lutherischen Präzeptor aus Coburg erziehen. Entsprechend dieser Erziehung verfasste Hans Wilhelm seinen Grundtext in der Tradition der protestantischen Autobiographie, was er mit keinem Wort explizit machte, aber durch mehrere Indizien seinen Nachkommen vermittelte. Die Autobiographie entstand nach der Krise, die der Tod der ersten Frau auslöste. Die familienpolitische Bedeutung der Ehe mit Elisabeth Kremmer bestand darin, dass Hans Wilhelm ein Standbein in Niederösterreich erlangte. Elisabeth stammte aus demselben nobilitierten Milieu wie ihr Gemahl. Ihr Vater Hans Paul Kremmer diente als Silberkämmerer Erzherzog Matthias’ und war erst 1595 in den niederösterreichischen Ritterstand aufgestiegen. Er unterzeichnete 1608 den Horner Bund, erschien aber am 13. Juli 1620 als Katholik bei der Erbhuldigung für Kaiser Ferdinand II.55. Die kaiserlichen Dekrete Ferdinands II. von 1628 stellten zunächst die protestantischen Nobilitierten, dann auch die Herren und Ritter Innerösterreichs vor die Wahl, zu konvertieren oder zu emigrieren56. Hans Wilhelm und seine Brüder verkauften 1629 Schloss Vasoldsberg bei Graz. Während sein jüngerer Bruder Ferdinand (1585–1653) nach Pommern auswanderte und für die Schweden ins Feld zog, konnte Hans Wilhelm in das konfessionspolitisch günstiger gestellte Niederösterreich übersiedeln, wo er über Elisabeth Kremmer das Mostviertler Schloss Kröllendorf (Allhartsberg) und Teile der dazugehörigen Herrschaft besaß57. In dieser labilen Lage bedurfte es offensichtlich einer moralischen Stärkung, welche die Autobiographie bereitstellte. Im Nachruf auf seine erste Frau wollte Kronegg anhand der beruflichen und familiären Prosperität von meiner Jugent an das Wirken der göttlichen Gnade aufgedeckt und bewiesen sehen, wofür ihm nicht sein Handeln, sondern allein sein fester und beständiger Glaube als Richtschnur dient58. Neben dem Prinzip „sola fide“ sind es einzelne Daten, die eindeutige konfessionelle Signale enthalten, etwa der Hinweis auf den pfälzischen Studienort Lauingen, wo Kronegg sich nach eigenen Angaben drei Jahre lang aufhielt. Das dortige Gymnasium illustre galt als Muster der lutherischen Landespolitik gegen den 55  Franz Karl Wissgrill, Schauplatz des landsässigen Nieder=Oesterreichischen Adels vom Herren= und Ritterstande, Bd. 5 (Wien 1804) 286f. 56 Regina Pörtner, The Counter-Reformation in Central Europe. Styria 1580–1630 (Oxford 2001) 138f.; Hans Krawarik, Exul Austriacus. Konfessionelle Migrationen aus Österreich in der Frühen Neuzeit (Austria. Forschung und Wissenschaft/Geschichte 4, Wien 2010) 146. 57  Anton Pontesegger, Chronik der Marktgemeine Allhartsberg. Streiflichter aus der Geschichte der Gemeinde und aus dem Leben ihrer Bewohner. Fakten, Geschichten, Dokumente (Allhartsberg 2004) 126; Leitner Porträtgemälde (wie Anm. 53) 317; Paul Dedic, Kärntner Exulanten des 17. Jahrhunderts, T. 4. Carinthia I 142 (1952) 350–365, hier 364. 58  Vgl. zur protestantischen Autobiographie Hans Rudolf Velten, Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 29, Frankfurt/ Main 1995) 203–213; Eva Kormann, Ich, Welt und Gott. Autobiographik im 17. Jahrhundert (Selbstzeugnisse der Neuzeit 13, Köln–Weimar–Wien 2004) 167–170.



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Einfluss der katholischen Hochburgen Dillingen oder Ingolstadt und folgte mit seinen öffentlichen Vorlesungen dem Straßburger Modell von Johannes Sturm59. Zur Zeit der Niederschrift der Autobiographie war die Institution im Zuge der Gegenreformation bereits durch ein Jesuitengymnasium ersetzt, was ihren Symbolwert im kollektiven Gedächtnis der bedrängten lutherischen Gemeinden erhöhte. Die Kriegsberichte beschränken sich in der Autobiographie Kroneggs auf die Teilnahme am Böhmischen-Pfälzischen Krieg, die der Schreiber weder mit der Religion noch mit der Loyalität gegenüber dem Landesherrn motiviert. Wie im Bericht Starhembergs bleibt der politische oder religiöse Feind – dort die Schweden, hier die Pfälzer – völlig ausgeblendet, da sich der Text auf die militärischen Strukturen innerhalb der eigenen Armee und die Stellung des Einzelnen darin konzentriert. Kronegg meint, er habe sich nach dem Ausbruch des böhmischen Unheils entschlossen, sich auch im Kriegswesen zu versuchen60. Bei dieser Aussage handelt es sich nicht um das Bekenntnis zu einer bellizistischen Lust. Die modifizierende Partikel „auch“ bezieht sich auf den vorangegangenen Text, der die Erlernung des Kroatischen und Italienischen in Fiume/Rijeka sowie der adeligen Exerzitien Tanzen, Reiten und Fechten in Italien umfasste. Der Krieg ist in dem Text somit die Fortsetzung einer Kavalierstour, die eine willkommene Möglichkeit einschloss, die praktischen Facetten der „Kriegskunst“ kennen zu lernen61. Anders als Starhemberg zeigt sich der Autobiograph Kronegg in der Tätigkeit des militärischen Empordienens, da er mit seiner Rolle als Aufwarter oder Page des kaiserlichen Obersten Herzog Julius Heinrich von Sachsen-Lauenburg (1586–1665) einsetzt. Der Herzog hatte bereits 1617 im Friauler Krieg ein innerösterreichisches Regiment angeführt, als auch Kronegg sich in Italien befand. Die dienende Funktion im Lagerstaat des Befehlshabers entsprach den Kammerund Tafeldiensten der Edelknaben im Hofstaat und unterstrich die erzieherische Bedeutung des Kriegsdienstes, in zeremonielle Ordnungen hineinzuwachsen. Der Autobiograph skizziert im Folgenden eine durchschnittliche adelige Militärkarriere, die vom Pagen über den Fähnrich bis zum Hauptmann führte, dann aber auf der Ebene der Kompaniespitze abbrach und nie den Stab eines Regiments erreichte. Die Erzählung über das Durchlaufen militärischer Funktionen besteht hauptsächlich aus der Bezeichnung von Kompaniechefs und Regimentern, die eine soziale Kausalität zwischen den Dienststufen herstellen. Durch die Nennung von Namen setzt der Soldat seine Karriere in Abhängigkeit von Personen, Kontakten und einflussreichen Verbündeten62. Der Pagendienst bei Julius Heinrich von Sachsen-Lauenburg eröffnete Kronegg zum Beispiel den Zugang zur Kompanie von dessen Bruder, Oberstleutnant Rudolf Maximilian von Sachsen-Lauenburg (1596–1647), der ihn nach der Schlacht am Weißen Berg als Fähnrich aufnahm. Die Einstiegsstelle als Unteroffizier ermöglichte es dem Schreiber, wieder als Fähnrich in das neue Infanterieregiment seines steirischen Landsmannes Adam 59  Vgl. hierzu Hans-Michael Körner, Das höhere und niedere Schulwesen, in: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, hg. von Andreas Kraus (München 32001) 686–717, hier 697; auch Alfred Kohler, Bildung und Konfession. Zum Studium der Studenten aus den habsburgischen Ländern an Hochschulen im Reich (1560–1620), in: Bildung, Politik und Gesellschaft. Studien zur Geschichte des europäischen Bildungswesens vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, hg. von Grete Klingenstein–Heinrich Lutz– Gerald Stourzh (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 5, Wien 1978) 64–123, hier 66f. 60   ÖNB, Cod. S. n. 9314, fol. 50r. 61 Eva Bender, Die Prinzenreise. Bildungsaufenthalt und Kavalierstour im höfischen Kontext gegen Ende des 17. Jahrhunderts (Schriften der Residenzkultur 6, Berlin 2011) 231–234. 62   Parrott, Military Enterpriser (wie Anm. 35) 67; auch Gabriele Jancke, Autobiographie (wie Anm. 25) 75.

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von Herberstorff überzuwechseln und hier unter dem ebenfalls steirischen Hauptmann Johann Wilhelm von Herberstein († 1659) zu dienen. Dieser war ein Sohn des einflussreichen kaiserlichen Obersthofmarschalls Bernhardin von Herberstein (1566–1624) und Hauptmann im Fußregiment von Oberst Herberstorff, als dieser es noch in eigener Person leitete und 1622 bei Wimpfen auf die siegreichen ligistischen und spanischen Truppen stieß63. Im selben Jahr 1622 erlangte Kronegg nach eigenen Angaben selbst die Stellung eines Hauptmannes im Herberstorffschen Infanterieregiment, vielleicht in der Nachfolge Herbersteins. Die Autobiographie deutet hier eine funktionierende Patronage der steirischen Landstände an. Der Schreiber verzichtet auf die Nennung von Schlachten, wodurch er die Aussage völlig auf die Integration der nobilitierten Familie innerhalb der steirischen Adelsgesellschaft fokussiert, die sich in der Offiziershierarchie abbildet. Mit der landständischen Patronage ist in dem Stammbuch eine Familienpolitik verknüpft, die den Militärdienst als Versorgungsmöglichkeit für die jüngeren Söhne beziehungsweise Brüder verstand. Als Hans Wilhelm als ältester Sohn in die Fußstapfen seines Vaters trat und zum Beisitzer des Landrechts gewählt wurde, überließ er einem seiner jüngeren Brüder, Christoph (II.), die Kompanie und machte ihn vom Fähnrich zum Hauptmann. Ungeachtet dieser pragmatischen Lösung setzte der Schritt vom Militärdienst ins zivile Leben bei Kronegg keinen geringeren Rechtfertigungsbedarf frei als bei Starhemberg. Die „ererbte“ Funktion des Beisitzers, die seine physische Anwesenheit beim Landgericht verlangte, bestimmte er nicht als Ziel, sondern als eine Notlösung, zu der ihn die Entwicklung und Ausdehnung des Krieges gezwungen habe. Ausgangspunkt seiner Begründung für das Verlassen des ligistischen Heeres ist in der Autobiographie die Ehe, die er 1620 als Fähnrich in Wien schloss: Nachdem ich solche mein liebste Gemachlin in Zeiten meiner Kriegsdiensten stettigs zu Grätz hinterlaßen müeßen, jedoch sie ohn Unterlaß gleichwol besuecht, undt aber sich unser Armee je lenger je weiter von Haus undt gegen Niderlandt begeben, mir also unmüglichen gewesen, sie mein liebste Gemachlin sambt unsern lieben Kindern so weitt von mir alleinig zu laßen, als hab ich meinen Abschidt genommen, […]64. Gemäß dieser Rechtfertigung war es etwa die Zeit um die Schlacht bei Stadtlohn 1623 und die Ausdehnung des Krieges nach Westfalen, als das Soldatendasein mit dem Familienleben unvereinbar wurde. Der erhaltene Ehevertrag vom 6. Februar 1620 betont, dass Elisabeth Kremmer von Königshofen die Ehe mit eigener und ihres Vaters Einwilligung eingegangen sei. Der Vertrag entsprach damit einem Ideal der Reformatoren, welche die Wünsche sowohl der Eltern als auch der künftigen Ehepartner in Einklang sehen wollten65. Dem Kinderverzeichnis Kroneggs ist zu entnehmen, dass die Eheleute zur Zeit des Feldzuges in Westfalen zwei Töchter und einen Sohn hatten, von denen aber nur die älteste, Maria Susanna, die ersten Jahre überlebte. In Kroneggs Begründung sind Heer und „Haus“ zwei sozial getrennte, aber funktional zusammengehörende Bereiche. Als Fähn63  Sturmberger, Herberstorff (wie Anm. 30) 148; Herberstein leitete die 5. Kompanie im Regiment: Karl von Reitzenstein, Der Feldzug des Jahres 1622 am Oberrhein und in Westfalen bis zur Schlacht von Wimpfen, Heft 2: Vom spanisch-ligistischen Gegenangriff auf Westfalen bis zur Schlacht von Wimpfen (München 1893) 81–83, 166 (Anm.); Bernd Warlich, Der Dreißigjährige Krieg in Selbstzeugnissen, Chroniken und Berichten http://www.30jaehrigerkrieg.de/herberstein-hans-wilhelm-von/ [9.11.2018]. 64   ÖNB, Cod. S. n. 9314, fol. 50v. 65  Der Ehevertrag zit. bei Beatrix Bastl, Tugend, Liebe, Ehre. Die adelige Frau in der Frühen Neuzeit (Wien–Köln–Weimar 2000) 45, Anm. 74 (hier die Ehefrau irrtümlich als „Elisabeth Kreuzer“); vgl. allgemein Anette Völker-Rasor, Bilderpaare – Paarbilder. Die Ehe in Autobiographien des 16. Jahrhunderts (Rombach Wissenschaft. Reihe Historiae 2, Freiburg im Br. 1993) 146f.



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rich verdiente Kronegg etwa 50 fl. monatlich, als Hauptmann bereits das Dreifache 66. Die ökonomische Gemeinschaft des „Hauses“ bildete eine Produktionsgemeinschaft, in denen die Kriegseinkünfte ein Standbein neben dem gemeinsamen „Haushalten“ in der Güterverwaltung darstellten. Die Abwesenheit des Mannes verlangte von der Ehefrau eine erhöhte Verantwortung im Wirtschaften gegenüber Untertanen, Gesinde oder Geldgebern67. Die Prolongierung des Krieges und die dauerhafte räumliche Entfernung im Militärdienst rückten den Soldaten und Ehemann in die Nähe jenes nachlässigen Hausherrn, den lutherische Predigten, Dramen und Haustafeln anprangerten68. Wenn Kronegg seinen Rückzug dahingehend zusammenfasst, dass er also in Gottes Nammen bey meiner hertzliebsten Gemachlin undt unsern unerzognen lieben Kinderlein zu Hauß verbliben, so setzt er der drohenden „Untreue“ gegenüber der Hausgemeinschaft einen Akt der pflichtbewussten „Nächstenliebe“ entgegen. Luther verteidigte in „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können“ (1526) das „Waffenhandwerk“ mit der Notwendigkeit, Frau und Kinder, Haus und Hof, Gut und Ehre durch das Schwert zu schützen69. Er ging in dieser Schrift vom Hausstand als der sozialen Keimzelle militärischer Aufgaben aus. Auf die Friedensordnung des Haus-Regiments stützt sich Kroneggs Argumentation, welche die Ehre des Soldaten in der Ehre des Hausvaters sucht. Als Kronegg 1637 vom königlichen zum kaiserlichen Hofküchenmeister aufrückte, erließ Ferdinand III. eine Hofkuchelmeisters instruction, die wohl nicht ohne die Mitarbeit des bereits bewährten Amtsinhabers entstand. Sie enthält genaue ethische wie praktische Vorgaben über den erforderlichen Fleiß, die Zugangskontrolle zur Küche, die Aufsicht über das Küchenpersonal oder die ordentliche Abrechnung mit dem Obersthofmeisteramt. Das Fundament des Vertrauens bildet wie bei anderen Hofämtern die religiöse Konformität, denn der Küchenmeister sollte „beforderist der allein seeligmachenden, catholischen religion zuegethan sein“70. Der Verlauf von Hans Wilhelms Konversion zum Katholizismus ist ebenso wenig zu fassen wie bei Starhemberg, der Schritt dürfte aber auch bei ihm um 1630, vor der kaiserlichen Belohnung durch die Erhebung in den Freiherrnstand, erfolgt sein. Die Autobiographie enthält für die Jahre 1628 bis 1631 keinen Eintrag. Der Grundtext ließ sich nach der konfessionellen und ideologischen Neuorientierung nicht umschreiben, da er in die väterliche Familienchronik eingetragen war. Nachträgliche Streichungen tilgen oder korrigieren auffällig die noch erkennbaren und weitgehend stimmigen Datumsangaben der Jugendgeschichte. Kronegg nutzte vor allem die Nachträge, um seiner bisherigen Lebensskizze einen neuen Orientierungspunkt zu geben. Er machte um 1630 aus dem lutherischen Lebenslauf einen „cursus honorum“ und stellte seinen Werdegang in einen Dialog mit amtlichen Dekreten und Bittschriften. 66   Vgl. die Sätze bei Langer, Hortus Bellicus (wie Anm. 31) 159 und bei Jan Peters, Beobachtungen am Bericht, in: Hagendorf, Tagebuch (wie Anm. 9) 147–183, hier 150. 67   Susanne Claudine Pils, Schreiben über Stadt. Das Wien der Johanna Theresia Harrach 1639–1716 (FB 36, Wien 2002) 113f. 68  Walter Behrendt, Lutherisch-orthodoxe Ehelehre in der Haustafelliteratur des 16. Jahrhunderts, in: Text und Geschlecht. Mann und Frau in Eheschriften der frühen Neuzeit, hg. von Rüdiger Schnell (Frankfurt/Main 1997) 214–229, hier 224–227; Beatrix Bastl, Caritas Conjugalis. WGBl 52 (1997) 221–233, hier 225. 69  Martin Luther, Studienausgabe, ed. Hans-Ulrich Delius, Bd. 3 (Berlin 1983) 364: „weib vnd kind / haus vnd hoff / gut und ehre“. Vgl. auch Huntebrinker, „Fromme Knechte“ (wie Anm. 6) 112. 70  Jakob Wührer–Martin Scheutz, Zu Diensten Ihrer Majestät. Hofordnungen und Instruktionsbücher am frühneuzeitlichen Wiener Hof (QIÖG 6, Wien–München 2011) 509.

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Die Erhebung der gesamten Familie in den Freiherrnstand sei zum Beispiel auf mein unterthenigstes Anlangen geschehen, die Entlassung aus dem Hofküchenmeisteramt 1646, weil er selbst aufgrund der Gicht darum allergehorsamist gebeten habe71. Die Entlassung als Hofküchenmeister hing wie bei Starhemberg untrennbar mit dem Wunsch um einen Gnadenbeweis zusammen, der einen standesgemäßen Lebensabend des Antragstellers ökonomisch absichern sollte. Kronegg strebte anstelle eines völligen Rückzugs den Tausch seiner beschwerlichen Aufsicht über die gesamte Hofversorgung mit dem geruhsameren Amt eines Hofkriegsrats an. Die jährliche Besoldung reduzierte sich durch den Umstieg, da den 1.300 fl. eines Hofkammerrates 800 fl. für den Kriegsrat gegenüber standen72. Der Kaiser gewährte Kronegg diese Gnade zu einer Zeit, als die freigebige Ernennung von Kriegsräten ihren Höhepunkt erreichte und nicht mehr zwangsläufig mit einer Berufung in den Rat verbunden war. Die Autobiographie endet wie Montecuccolis „Auszug aus meinem jährlichen Aufenthalte in Deutschland“ mit der Installation als Kriegsrat. Sie findet ihre Ergänzung in den Hofkriegsratsprotokollen. Diese enthalten die Mitteilung des Gremiums an den Kaiser, wonach der ehemalige Kammerrat und Hofküchenmeister am 27. August 1647 todt abgangen seye73. Auch wenn im Fall Kroneggs die Ernennung zum Hofkriegsrat den Charakter eines Versorgungspostens für einen kranken und gealterten Hofmann trug, verlangte die neue Funktion den Nachweis einer militärischen Kompetenz, die der Bittsteller als Veteran des Dreißigjährigen Krieges für sich beanspruchen konnte. Der Schreiber integrierte die ligistischen Kriegsdienste in seine Hofkarriere durch ein autobiographisches Schlussgebet, in dem er sich immer noch für die vielfeltig erwisenen Gnaden bedankt, nun aber die göttlichen mit den kaiserlichen Gunstbezeugungen gleichsetzte.

4. Der Söldner Starhemberg und Kronegg rechtfertigten ihren Rückzug vom Kriegsdienst mit der Tugend der Besonnenheit. Nicht zuletzt unter dem Eindruck von Exzessen während des Dreißigjährigen Krieges grenzte die Militärliteratur und Theologie des 17. Jahrhunderts den mutigen Soldaten deutlich vom risikofreudigen Draufgänger ab, wobei die Trennlinie zwischen beiden in der Tugend einer obrigkeits- und gottesfürchtigen Furchtlosigkeit bestand74. Im Dienst dieser Militärethik stand publizistisch die Predigt. Abraham a Sancta Clara (1644–1709) verstand 1676 in seiner Predigt „Soldaten Glory, oder Mercks wol Soldat“ unter dem „verwegenen“ Soldaten den frevelnden, also „gottlosen“ Soldaten, der Kirchen plündert und Gottes Zorn erfährt75. Bei der „Soldaten Glory“ handelt es sich um eine Georgspredigt, die in der Tradition des Heiligenlobs den „miles christianus“ unter anderem anhand des Namens definiert und klassifiziert76. Nachdem Abraham die Ge  ÖNB, Cod. S. n. 9314, fol. 57v.   Vgl. hierzu Mark Hengerer, Zahlen und Zeremoniell, in: Informelle Strukturen bei Hof. Dresdener Gespräche zur Theorie des Hofes III, hg. von Reinhardt Butz–Jan Hirschbiegel (Berlin 2009) 57–88, hier 74, 77; Hengerer, Kaiserhof und Adel (wie Anm. 28) 68f. 73  ÖStA, KA, Innerösterreichischer Hofkriegsrat, Vindica, Prot. 1647, fol. 49v. 74  Bähr, Magical Swords (wie Anm. 7) 53f., 61. 75  Abraham a Sancta Clara, Mercks wol Soldat! Das ist: Die Glori von dem Heiligen Ritter Georgio, schuldige Lob=Red (Wien 1680) 11. 76 Werner Welzig, Zur Amplifikation in der barocken Heiligenpredigt. In: Lobrede. Katalog deutschsprachiger Heiligenpredigten in Einzeldrucken aus den Beständen der Stiftsbibliothek Klosterneuburg, ed. Werner 71 72



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orgsvita mit berühmten gleichnamigen Soldaten einleitete, endet er mit der Vision eines 400.000köpfigen Heeres, das Kaiser Leopold I. allein aus den Erblanden mit Trägern des Namens Georg zusammenstellen könnte. Die rhetorische Gesetzmäßigkeit der Predigt ging davon aus, dass die Patronage des Namensheiligen dieses potenzielle „frische Volck“ zu christlichen Georgsrittern gegen den „Erbfeind“ qualifizierte77. Das Werk stützte die damaligen Rekrutierungsbemühungen angesichts eines drohenden Türkenkrieges. Abraham widmete die „Soldaten Glory“ Bürgermeister und Rat der Stadt Wien, die sich schließlich auch mit einem Honorar bei ihm erkenntlich zeigten78. Die Zueignung stellte das Soldatenleben in ein Spannungsfeld bürgerlicher Interessen, da sie die erhöhte Militärpräsenz in einer bedrängten Stadt zwar begrüßte, andererseits aber auch jenen „Schaden“ der Einquartierungen für die Bürger ansprach, den der „einlosierte“ tadellose Soldat Georg nicht verursachen würde. Die Soldatenschelte über die feigen, räuberischen und gottlosen Standesvertreter am Beginn des Heiligenlobs zielte somit auf eine Bevölkerungsgruppe, die sich dem städtischen Einflussbereich entzog, eigene Rechtsfreiheiten genoss und vor allem in der Gestalt der kaiserlichen Stadtguardia ein permanentes Konfliktpotenzial in der Residenz bereitstellte. Dieser bürgerlich-klerikalen Außensicht auf einen urbanen „Fremdkörper“ steht die Innensicht eines einquartierten Soldaten namens Georg gegenüber, der zur Zeit der Publikation von „Mercks wol Soldat“ seine Lebensgeschichte aufzeichnete. Die Autobiographie des kaiserlichen Hartschiers Georg Ehrenreich Diernhofer (1625–1692) nimmt unter den erhaltenen Selbstzeugnissen des Wiener Hofes einen besonderen Rang ein, was die soziale Stellung des Schreibers betrifft. Den Namen des Verfassers sucht man selbst in der bisherigen Spezialliteratur zu den habsburgischen Leibgarden vergeblich. Er begegnet aber auf dem Titelblatt des Stüfft Buech oder Gedenkbuchs, das er 1683 für die kaiserlichen Hartschiere anlegte79. Als Kassier der Leibgarden verwaltete Diernhofer die Stiftungsgelder, sodass er wie kein anderes Kompaniemitglied einen Überblick über die frommen Stiftungen von Seelenmessen für verstorbene Hartschiere und ihre Angehörigen in der Wiener Minoritenkirche hatte. Das Stiftungsbuch enthält vertragliche Grundtexte der Stiftung, die Geldgeber und vor allem prächtige farbige Darstellungen der Wappen einzelner Hartschiere, darunter auch jenes des Schreibers. Der Kodex sollte die Gruppenidentität der kaiserlichen Hartschiere zu einer Zeit festigen, als sich die Kompanie in einer sozial besonders angespannten Lage befand. Diernhofer war einer von etwa zehn Rottmeistern, die jeweils zehn Hartschiere anführten und den Unteroffizieren der Kornetten oder Fähnriche entsprachen. Die berittenen Hartschiere schützten den inneren Sicherheitsbereich des Herrschers. Sie waren gemeinsam mit den unberittenen Trabanten als adelige Eliteeinheiten gegründet worden, die den kaiserlichen Rechtsschutz genossen und deren soziales Prestige derart hoch war, dass die Hauptleute unter den führenden Amtsträgern bei Hof rangierten80. Welzig (ÖAW SB 518, Wien 1989) 753–802, hier 761–772. 77  Sancta Clara, Mercks wol Soldat! (wie Anm. 75) 55. 78  Franz M. Eybl, Abraham a Sancta Clara. Vom Prediger zum Schriftsteller (Frühe Neuzeit 6, Tübingen 1992) 189, auch 243f. 79 Abbildungen aus dem Stiftungsbuch: https://www.dorotheum.com/en/auctions/current-auctions/kataloge/list-lots-detail/auktion/11199-autographs/lotID/6/lot/1882953-stiftungs-wappen-und-memorialbuch. html [9.11.2018]. 80   Duindam, Vienna and Versailles (wie Anm. 52) 105; Maja Luedin, Die Leibgarden am Wiener Hof (Diss. Wien 1965) 25–28; Günter Rakuscha, Die Leibgarden am österreichischen Herrscherhof (Diss. Wien 1981) 12, 168.

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Dem Rang der Oberoffiziere widersprach die soziale Situation der Mannschaft. Sie war in ehemaligen Soldatenwohnungen der Stadtguardia untergebracht. Aus der Autobiographie sowie den Wiener Totenbeschauprotokollen geht hervor, dass der Rottmeister Diernhofer seit 1670 in der innerstädtischen Soldatenzone um Donaulände und Salzgries wohnte. Er bekam sein Quartier im Haus Rabensteig 3, das dem Stadtguardiahauptmann Sigmund Friedrich Arnold von Löwenau gehörte81. Hartschiere und Stadtguardia verband im 17. Jahrhundert über ihre räumliche und berufliche Nähe hinaus ihre Konkurrenzstellung zum bürgerlichen Gewerbe. Im Zuge der Geldentwertung während des Dreißigjährigen Krieges genügte der Sold für die Gardisten nicht mehr, sodass sie sich nach anderen Einnahmequellen umsahen. Sie betätigten sich im Nebenerwerb der Bier- und Weinausschank, wozu sie sich durch ein burgundisches Privileg berechtigt sahen82. Da als Aufnahmekriterium nur das römisch-katholische Bekenntnis verbindlich war, fanden sich in den Kompanien „Nebenerwerbsgardisten“, die Handwerker waren und sich anwerben ließen, um Steuervorteile zu genießen. Kaiser Leopold I. steuerte dieser Tendenz erfolglos entgegen, zunächst durch Solderhöhungen, dann durch ein direktes Verbot des Leut-gebens. Diese fürstlichen Ordnungsversuche gaben dem Soldaten Diernhofer strikte Normen für eine berufliche Leistungsschau vor. Die Autobiographie enthält nach dem eigentlichen Lebenslauf eine Abschrift des Stüfft Buech, die in ihrer aufwendigen visuellen Aufbereitung dem Original kaum nachsteht. Bereits in der ästhetischen Gestaltung des Titelblatts knüpfte die Lebensgeschichte eng an das ältere Dokument militärischer Memorialkultur an. Ungeachtet dieser intertextuellen Bezüge war die konkrete Schreibintention eine andere. Das Manuskript der Lebensgeschichte gehört heute zur Handschriftensammlung des Niederösterreichischen Landesarchivs und ist eine sorgfältig angefertigte Reinschrift des Verfassers, die er in Pergament binden ließ. Ihren Zweck sprach der Schreiber an keiner Stelle an. Die Aufzeichnungen vermitteln nur peripher den Charakter einer Familienchronik, da der Schreiber zwar die erste Verehelichung in den autobiographischen Grundtext integrierte, aber die zweite Hochzeit 1682 mit den darauf folgenden Geburten seiner Kinder nur auf dem hinteren Einbandspiegel platzierte. Bereits der Titel erinnert eher an den halbamtlichen Bericht Starhembergs: Aufmerckung und kurze Beschreibung. Mein Georg Ernreich Diernhoffers von a[nn]o 1644 (wie lang ich dem hochlöblichen Erzhauß Österreich etc. sowohl zu Veldt alß annoch würcklichen bey Hoff bedient bin, und waß ich in wehrender meiner Bedienung nach und nach verrichtet, daß wierdt, wie hernach folget, clar unt teütlich zu sehen sein) biß auf daß 168783. Im Mittelpunkt der Aufmerckung (Aufzeichnung) standen somit die beruflichen Dienste. Unter den Dokumenten zu den frühen Deutschen Leibgarden findet sich ein Extrakt aus den Obersthofmeisteramtsakten, der sich auf Präzedenzfälle über die finanzielle Entschädigung von ausgeschiedenen Hartschieren konzentriert. Ein Gutachten darin betrifft auch Georg Ehrenreich Diernhofer (Dürnhoffer). Der Bittsteller beantragte Anfang 1688 nach seinem Rückzug aus den Garden den Weiterbezug seiner vollständigen anstatt der üblichen halben Besoldung, weil auch sein Vorgänger als dienstältester Rottmeister diese 81   WStLA, Totenbeschauprotokolle, 22. 12. 1686; Paul Harrer-Lucienfeld, Wien, seine Häuser, Menschen und Kultur, Bd. 1,3 (masch. Wien 1952) 115. 82  Vgl. hierzu Luedin, Die Leibgarden (wie Anm. 80) 18f.; Peter Broucek, Der Allerhöchste Befehl. Die Garden (Wien 1988) 48; Rolf M. Urrisk-Obertýnski, Die k.u.k. Leibgarden am österreichisch-ungarischen Hof 1518–1918 (Gnas 2004) 46. 83  NÖLA, StA, Hs. 81, fol. 1r.



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Gnade erhalten hatte. Diernhofer betonte, dass er mit der üblichen Provision nicht leben könne und mit Frau wie Kindern in den Betlstab gerathen müste. Das Obersthofmeisteramt beurteilte diesen Wunsch als wider den Hoffbrauch. Es fürchtete das schlechte, weil teure Beispiel im Falle weiterer Anträge und lehnte das Gesuch im Namen des Kaisers ab, stellte aber laufende finanzielle Zuwendungen „unter der Hand“ in Aussicht. Die Bittschrift des Hartschiers bezog sich darauf, dass diesem vom Kaiser der volle Bezug bereits vor eineinhalb Jahren in Ansehen seiner 41jährigen Kriegs- und Hoffdienste gewährt worden sei84. Damit berührte Diernhofers Ansuchen zeitlich und thematisch die Autobiographie, die ursprünglich vielleicht als Teil der Bittschrift gedacht war. Bereits in einem etwas älteren Gesuch an die Hofkammer gedachte der Hartschier meiner in Handen habenden Testimonien sowohl in Veldt-, Kriegs- alß auch Hoffdiensten“, die seine Hindansezung Leib und Lebens für das Erzhaus belegen würden. Ihrer Form nach ist die Kurze Beschreibung dem dokumentarischen Typus der Autobiographie zuzurechnen, da der Verfasser anders als Starhemberg und Kronegg ein starkes Bedürfnis erkennen lässt, seine Erzählung durch wörtlich zitierte Dokumente abzusichern. Diese bilden das eigentliche Gerüst der Biographie und umfassen neben den persönlichen Akten im engeren Sinn auch genaue Itinerarien seiner „Berufsreisen“, etwa im Geleit Leopolds I. nach Passau 1683, oder ausführliche Zeremonialbeschreibungen wie die Ordnung bei der Krönung von Kaiserin Eleonore Magdalene von Pfalz-Neuburg zur Königin von Ungarn in Ödenburg (Sopron) 1681. Das Fehlen von Akten brachte den Schreiber zuweilen in Verlegenheit. Die Aufbewahrung von Abschieden oder Passporten war für Soldaten von grundsätzlicher Bedeutung, weil die Schriftstücke belegten, dass ihre Besitzer nicht herrenlose Marodeure waren und die Truppen rechtmäßig verlassen hatten85. Darüber hinaus bewiesen sie im Fall von Neuanstellungen oder Gnadenansuchen die Berufsqualifikation. Daher ließ sich der Hartschier 1672 von seinen ehemaligen militärischen Vorgesetzten ein Attest ausstellen, dass er 1651 nach der Teilnahme an der Verteidigung von Kleinkomorn/Kiskomárom im Regiment General Johann Christoph von Puchheims (1605–1657) einen Abschied erhalten hatte. Der Schreiber begründet die späte Beglaubigung damit, dass Wasser das Originaldokument während seiner Rückreise aus Ungarn in Raab/Győr zerstört hätte86. Eine Ausnahme von diesem autobiographischen Druck der Aktenlegung bildet die Jugendgeschichte, in der das narrative Element vorherrscht. Der Schreiber arbeitet seine frühe Biographie anhand einzelner Schlüsseljahre heraus und überspringt dabei die Zeit von der Geburt im niederösterreichischen Kirchberg am Walde 1625 bis zur Grundlegung seiner militärischen Karriere im Jahr 1644: Anno 1644 bin ich nacher Wien und zu St. Stephann dem Herrn Capelmaister recommandirt worden, in der Studii fortzufahren und daß Orgelzuschlagen recht zu ergreiffen. Weillen eben dazumahlen der ungarische Landtag zu Prespurg und Ihr Kayserliche Mayestät Ferdinando tertio darbey sich allergnedigst eingefunden, wie auch Ihr Hochgräfliche Excellenz Graff Franz Khevenhiller etc., Ihr Mayestät der Kayserin Obrister Hoffmaister, alß derzeit mein gnedige Herschafft, alwohin ich auch Recomandation gehabt, dahero so bin ich gleich nach gedachtes 84   ÖStA, KA, Deutsche Leibgarden 1: Verschiedene Extractus Protocolli Härtschiern- und Trabanten Provisiones betr., Nr. 34. Die Bittschriften Diernhofers sind auch in der Autobiographie zitiert. 85  Peter Burschel, Söldner im Nordwestdeutschland des 16. und 17. Jahrhunderts. Sozialgeschichtliche Studien (VMPIG 113, Göttingen 1994) 311; Huntebrinker, „Fromme Knechte“ (wie Anm. 6) 173–194. 86  NÖLA, StA, Hs. 81, fol. 2v.

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Prespurg den Landtag zu sehen. Weillen auch eben dazumahlen daß Traunische Regiment zu Fueß alda aufgewart und nebenbey recrutiert, also bin ich auch neben andern – alß noch ein unerfahrner Jüngling – unschuldig darunter khomen, unß unser etlich und zwainzig nacher Prug an der Leyta in das Recrutierquartier geführet worden, […]87. Diese Sequenz rafft zeitlich eine Dauer von etwa zwei Jahren, da der ungarische Landtag von 1646/47 gemeint sein muss, an dem der genannte Obersthofmeister Franz Christoph Khevenhüller (1588–1650) die Ergebnisse des Linzer Friedens zwischen Habsburg und Siebenbürgen verkündete. Anders als in der späteren stringenten Aktenfolge besteht die Quintessenz von Diernhofers Aussage zu seiner Jugendzeit darin, dass seine militärische „persona“ nur eine mögliche Facette der beschriebenen Lebensgeschichte darstellte. Der Schreiber betont mit der Ausgangsbasis der musikalischen Ausbildung eine Variante seiner Perspektiven, die der Soldatenlaufbahn zum Opfer gefallen sei. In der Begründung seines Soldatenlebens verbindet der Schreiber den Rekrutierungsdruck am Ende des Dreißigjährigen Krieges mit der sozialen Anziehungskraft der höfischen Repräsentation. Den Glanz der höfischen Welt verkörpert in der Jugendgeschichte Franz Christoph Khevenhüller, den der Schreiber als seinen damaligen Herrn und gleichzeitig auch nur als möglichen Dienstgeber oder Patron vorstellt. Khevenhüller war in zweiter Ehe mit Susanna Eleonore von Kollonitsch († 1678) verheiratet, welche die Herrschaft Kirchberg am Walde im Waldviertel innehatte88. Diernhofer stammte nicht nur aus Kirchberg, sondern verbrachte gemäß dem Kinderverzeichnis seiner Autobiographie auch seine letzten Lebensjahre alhier in Kürchberg. Das Sterbebuch (Liber Defunctorum) der Pfarre weist den nunmehr freigestellten Hartschier Georgius Honorius Dirnhofer anlässlich seiner Bestattung am 30. September 1692 als Einwohner Kirchbergs aus89. Die Patronage der Besitzer von Kirchberg durchzieht die gesamte Autobiographie. Innerhalb des Lebenslaufs werden die Berichte über Kriegszüge und Dienstreisen immer wieder von Eintragungen über längere Besuche bei der Gräfin Khevenhüller und ihrem Herrschaftsnachfolger, Kardinal Leopold von Kollonitsch (1631–1707), durchbrochen, den der Hartschier 1668 zu seinem Bischofssitz in Neutra/Nitra geleitete. Zur Zeit der Rekrutierung dürften Mitglieder der Familie Diernhofers zum Stab der herrschaftlichen Verwaltungsbeamten gehört haben. Das Sterbebuch Kirchbergs registrierte nämlich am 12. Juli 1652 den Tod des verwitweten langjährigen Meiers Johannes Tiernhofer/Thiernhoffer, der wohl ein Verwandter des Soldaten war90. Die Stellung innerhalb der Kollonitsch’schen Klientel festigte die erste Verehelichung des Soldaten, die seiner Aufnahme als Hartschierenrottmeister unmittelbar voranging. Diernhofer heiratete 1659 Justina Silvia Hilpesreiter († 1662), die als Kammerjungfer bei Susanne Eleonore Khevenhüller diente91. Gemäß den eingefügten Akten der Autobiographie wie Heiratsvertrag und Hochzeitseinladungen war sie die Tochter der Wirtsleute Bartolome und Katharina Hilpesreiter aus dem Markt St. Geor  Ebd. fol. 1v.  Peter Fischer-Ankern, Die Forst- und Jagdgeschichte der Herrschaft Kirchberg am Walde (Waldviertel) (DA Wien 1980) 61. 89 DASP, Pfarre Kirchberg am Walde, Tauf-, Trauungs-, Sterbebuch (Sign.: 01,2,3-02), Zeitraum 1662–1702, Bildnr.: 04-Tod_0068: http://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/st-poelten/kirchberg-amwalde/01%252C2%252C3-02/?pg=467 [9.11.2018]. 90  DASP, Pfarre Kirchberg am Walde, Tauf-, Trauungs-, Sterbebuch (Sign.: 01,2,3-02), Zeitraum 1642– 1661, Bildnr.: 05-Tod_0023 u. 05-Tod_0005 (Tod von Polixena, unverheiratete Tochter von Johannes und Barbara Tiernhofer). 91  NÖLA, StA, Hs. 81, fol. 7r–8v. 87 88



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gen im Attergau. Die Braut erhielt ihre Stellung wahrscheinlich über die Vermittlung des Konvertiten Franz Christoph Khevenhüller, dem der oberösterreichische Markt gehörte. In den Akten, die ihr Ehemann zitiert, wird der familiäre Status von Justina Silvia Hilpesreiter als beeder seeligen hinterlassene eheleibliche Tochter bestimmt, sodass sie vielleicht zu jenen evangelischen Vollwaisen gehörte, die nach dem Tod der Eltern katholisch erzogen wurden. Die religiöse Umerziehung adeliger Mädchen, der so genannten „Rebellentöchter“, erfolgte häufig in den Hofstaaten der Fürstinnen, die sich als Beschützerinnen der Waisen betrachteten92. Diese konfessionspolitische „patriotische“ Aufgabe multiplizierte sich sozial absteigend in den adeligen Herrschaftssitzen. Diernhofer präsentiert sich in der Geburtsnotiz seiner Autobiographie als elternlos. Das für ein Vorankommen so wichtige Prädikat eheleiblicher Sohn, das die Lebensläufe der Kroneggschen Familienchronik durchzieht, fehlt hier. Der Hartschier verwendet im ersten Satz seines Textes die merkwürdige Phrase, wonach er in Kirchberg gebhoren und getaufft worden sei durch Herrn Johann Cammerlander, der in dieser mehrdeutigen Diktion die Stellung der Eltern einnimmt. Der Tiroler Priester Cammerlander war die treibende Kraft der Rekatholisierung, die nach der öffentlichen Konversion von Susanne Eleonores Vater Ernst von Kollonitsch (1582–1638) in der protestantischen Herrschaft Kirchberg umgesetzt wurde93. Cammerlander hatte zeitweise auch die Stellung eines Seelsorgers von St. Stephan in Wien inne, sodass er dem jungen Mann die Empfehlungsschreiben an den Kapellmeister und Organisten Johann Winsauer (Windtsauer, † 1670) sowie an Khevenhüller mitgegeben haben dürfte. Seine elementare Ausbildung erhielt der Hartschier wohl in der katholisierten Pfarrschule von Kirchberg. Die Soldatenkarriere bewegt sich in der Autobiographie des Gardisten in einer ambivalenten Sphäre zwischen Freiwilligkeit und Zwang. Der Rekrutierungsdruck am Rande des Pressburger Landtags ist durch die Stellungssuche sowie durch das Eingeständnis der eigenen altersbedingten Unschuld oder Naivität präsent. Diese persönlichen Umstände beziehungsweise sozialen Zwänge lassen im Rückblick keinen Raum für explizite Klagen gegenüber konkreten Werbungsmethoden, die während des Landtags angewandt wurden, um das Fußregiment des Generalkriegskommissars Ernst Adam von Traun (1608–1668) aufzufüllen.94 Aus dem zeithistorischen Kontext heraus ist erschließbar, dass die Rekrutierung im zweiten Viertel des Jahres 1647 stattfand. Diernhofers apologetische Betonung der eigenen Jugend könnte das grundsätzliche Problem der wahllosen Massenrekrutierung gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges ansprechen. Abgesehen von den Versorgungsproblemen, die für das Traunsche Regiment dokumentiert sind, machte die hohe Zahl an unerfahrenen Soldaten das Verhalten der Armee selbst für die kaiserlichen Befehlshaber unberechenbar95. Der Autobiograph nennt als Auftraggeber der Pressburger Rekru92  Katrin Keller, Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts (Wien–Köln– Weimar 2005) 45. 93  Josef Fuchs, Die Gegenreformation in Kirchberg am Walde. Wv N. F. 15 (1966) 225–228; auch Winkelbauer, Fürst und Fürstendiener (wie Anm. 44) 141; Albert Starzer (Bearb.), Topographie von Niederösterreich, Bd. 5 (Wien 1903) 132–135. 94   Zum Werbungsverlauf vgl. Burschel, Söldner (wie Anm. 85) 105f.; Ralph Pröve, Zum Verhältnis von Militär und Gesellschaft im Spiegel gewaltsamer Rekrutierungen (1648–1789), in: Ders., Lebenswelten. Militärische Milieus in der Neuzeit. Gesammelte Abhandlungen, hg. v. Bernhard R. Kroener–Angela Strauss (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 11, Münster 2010) 7–37, hier 17–27. 95  Karl Gutkas, Niederösterreich im Dreißigjährigen Krieg (Wissenschaftliche Schriftenreihe Niederösterreich 80, St. Pölten–Wien 1987) 28; zum Problem der kaiserlichen Massenrekrutierungen Peter Broucek, Der Schwedenfeldzug nach Niederösterreich 1645/46 (Militärhistorische Schriftenreihe 7, Wien 31989) 3.

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tierungen den Hauptmann Lukas Mölzer (Melzer). Dieser Offizier war wohl mit dem gleichnamigen Hauptmann identisch, der 1652 in Tulln als Bürger, Hausbesitzer und Rekrutenwerber im päpstlichen Auftrag auftrat. Als der Kriegsunternehmer in seinem Haus Angeworbene einlogieren wollte, schritt der Rat gegen das „Pressen“ der Rekruten durch ehemalige Offiziere ein, um die Handwerksgesellen zu schützen96. Der Hartschier berichtet in seinem Lebensrückblick nichts von einem illegalen „Pressen“, wogegen er die örtlichen Stationen vom Werbungsplatz der ungarischen Krönungsstadt über den Sammelplatz in der Harrach‘schen Herrschaft Bruck an der Leitha bis hin zum eigentlichen Musterplatz in Perchtoldsdorf genau festhält. Diese räumlichen Orientierungspunkte zeichneten einen formal korrekten, geordneten Eintritt in Mölzers Kompanie nach und gehörten zum Nachweis der militärischen Qualifizierung97. Die Skizzierung des Musterungsverlaufs erhöhte nicht bloß die Glaubwürdigkeit des Berichts, sondern legitimierte die militärische Karriere des Soldaten, die zu einem wesentlichen Teil selbst auf dem Rekrutierungsgewerbe basierte. Für die Zeit von der Pressburger Rekrutierung bis zur Vereidigung als Hartschier 1660 erwähnt der Autobiograph insgesamt vier Abschiede von stets verschiedenen Regimentern. Innerhalb dieser Abfolge bedeutet der Westfälische Frieden und die Abdankung von Mölzers Kompanie somit nur eine erste von mehreren beruflichen Zäsuren. Ebenso wie der Einbruch des Krieges in eine Zivilgesellschaft destabilisierte die Konfrontation einer Militärgesellschaft mit Friedensschlüssen vorhandene Rollenbilder und Lebenskonzepte. Am Ende der Autobiographie des gealterten Korporals Peter Hagendorf lassen sich zur Zeit seiner Abdankung 1649 Krisenanzeichen eines vorübergehenden Ordnungsverlusts erkennen, etwa die Ironie im Bericht über die Friedensfeierlichkeiten, plötzliche Notizen über persönliche Unfälle und das allmähliche Versiegen der Aufzeichnungen, obwohl der Schreiber noch drei Jahrzehnte lebte98. Ein ähnliches Bild bietet die Autobiographie von Diernhofers Altersgenossen Andrew de Melvill(e) (1624–1706). Der schottische Offizier brach seine abenteuerliche Lebensgeschichte mit dem Rückzug („retirement“) aus dem aktiven Dienst ab, den hier der Friede von Nimwegen (Nijmegen) 1678 markierte: „since then nothing of importance has happened in my life“99. Der Soldat beschrieb seinen vorangegangenen Anteil am „martialischen Saeculum“ als ungebrochene Kette eines Einsatzes, der ihn seit 1638 durch englische, französische, spanische, brandenburgische, schwedische und kurkölnische Dienste führte und dabei Hunger, Beutezüge und Lebensgefahren aussetzte. Die Kontinuität eines Söldnerlebens über mehrere Kriege beziehungsweise Friedensschlüsse hinweg war nur durch eine erstaunliche Mobilität von Schottland bis Westungarn, von Lothringen bis Ostpreußen möglich100. Auch Dirnhofer beschrieb den erfolgreichen Versuch, Kriegsschauplätzen nachzureisen  Otto Biack, Geschichte der Stadt Tulln (Tulln 21982) 108f.   Zur Funktion von Bruck an der Leitha als Sammel- und Musterplatz vgl. Astrid Troll, Ein Beitrag zur Geschichte der landesfürstlichen Stadt Bruck an der Leitha (von 1618 bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts) (Diss. Wien 1964) 239; zur Musterung: Burschel, Söldner (wie Anm. 85) 118. 98  Burschel, Himmelreich und Hölle (wie Anm. 13) 193f.; Peters, Beobachtungen am Bericht (wie Anm. 66) 173f.; Medick, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 11) 115–122. 99 Torick Ameer-Ali (Ed.), Andrew Melvill, Memoirs, (London–New York 1918) 215. 100  Bernhard R. Kroener, „Der Krieg hat ein Loch …“ Überlegungen zum Schicksal demobilisierter Söldner nach dem Dreißigjährigen Krieg, in: Der Westfälische Friede. Diplomatie, politische Zäsur, kulturelles Umfeld, Rezeptionsgeschichte, hg. von Heinz Duchhardt (HZ Beih. 26, München 1998) 599–630, hier 600–605. 96 97



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und damit der militärischen Existenz Permanenz zu verleihen. Die Funktion der Autobiographie als möglicher Teil einer Bittschrift verbot jedoch das pikareske Selbstbild eines vagabundierenden Soldaten, der wie Melvill oder Grimmelshausens Springinsfeld (1670) beliebig von einem Kriegsherrn zum anderen wechseln konnte. Die drohende beziehungsweise anhaltende Kriegssituation in Ungarn und in den Spanischen Niederlanden eröffneten dem kaiserlichen Söldner attraktive Möglichkeiten, auch nach der Abdankung 1649 an einer militärischen Karriere zu arbeiten. Die Brüder Susanne Eleonore Kollonitschs, die wie Ferdinand Emmerich († 1695) Laufbahnen als Offiziere verfolgten, stützten sein weiteres Vorankommen, indem sie ihn zeitweise selbst anstellten oder an Regimenter in Flandern weiterempfahlen. Diernhofer war sowohl 1651 bei Kleinkomorn / Kiskomárom als auch 1654 bei Tournai als ehrliebender Soldat in kriegerische Scharmitzl verwickelt, wie der Abschied des Obersten Johann Maximilian (Hans Max) von Schönkirchen († 1664) lobend betonte101. Schönkirchen, laut Kardinal Harrach „d’un’humor allegro e bonhevole“, war Gardehauptmann Erzherzog Leopold Wilhelms. Er nutzte offensichtlich sein Vorschlagsrecht bei der Auswahl von dessen Gardisten, die gemäß der Primogeniturverfassung Ferdinands II. zum kaiserlichen Hofstaat gehörten102. Unter Schönkirchen erreichte Diernhofer zunächst seinen höchsten militärischen Rang als Kornett und schließlich 1660 auch die adäquate Anstellung als Hartschierenrottmeister des Erzherzogs. Wesentlich verantwortlich für den beruflichen Erfolg des Rekruten war neben der Effizienz des Kollonitschschen Klientelsystems seine Schulbildung, die ihn wie Peter Hagendorf aus der Masse der Söldner heraushob. Soldaten, die wie Diernhofer in der Endphase des Dreißigjährigen Krieges rekrutiert wurden, gehörten nicht zu jenen erfahrenen, erprobten und verlässlichen Veteranen, auf die Armeen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts bevorzugt zurückgriffen103. Nach kaum vier Monaten Ausbildung als Musketier stieg der Söldner aus Kirchberg jedoch zum Musterschreiber seiner Kompanie auf, wovon der wörtlich zitierte Abschied Mölzers vom 20. Juni 1649 berichtet. Die konkreten Zusammenhänge für diese Ernennung bleiben ebenso im Dunkeln wie die parallele Beförderung Grimmelshausens vom Musketier zum Regimentssekretär. Der Musterschreiber verdiente etwa den dreifachen Sold eines einfachen Knechts und gehörte zu den Unteroffizieren seiner Einheit104. Er war für anfallende schriftliche Akten zuständig und führte die Musterregister, in denen er neben Alter oder Namen der Rekruten auch die abgeleisteten Dienstjahre in anderen Regimentern festhielt. Der Musterschreiber war somit ein Kompaniesekretär, der sich mit der selektiven Erfassung und Aufbereitung biographischer Daten beschäftigte. Nicht im Tätigkeitsfeld des Hartschiers, sondern im militärischen Protokoll des Dreißigjährigen Krieges wurzelt der chronologische und dokumentarische Aufbau der autobiographischen Aufmerckung. 101  NÖLA, StA, Hs. 81, fol. 4v. Zum historischen Hintergrund des Grenzkonflikts in Ungarn vgl. Mark Hengerer, Kaiser Ferdinand III. (1608–1657). Eine Biographie (VKNGÖ 107, Wien–Köln–Weimar 2012) 277; zum Truppenbedarf in Flandern Renate Schreiber, „Ein Galeria nach meinem Humor“. Erzherzog Leopold Wilhelm (Schriften des Kunsthistorischen Museums 8, Wien 2004) 83. 102  Rakuscha, Leibgarden (wie Anm. 80) 28, 163; Harrach, Die Diarien (wie Anm. 49) 3 737. 103  Kroener, Soldat oder Soldateska? (wie Anm. 17) 148; Scannell, Conflict and Soldier’s Literatur (wie Anm. 1) 2f. 104  Vgl. hierzu Matthias Rogg, „Ein Kriegsordnung neu gemacht“. Die Entstehung, Aufgabe und Bedeutung militärischer Funktionseliten im 16. Jahrhundert, in: Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von Günther Schulz (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 25, München 2001) 357–385, hier 373f.; Burschel, Söldner (wie Anm. 85) 22, 59, 100, 119.

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Der Abschied Mölzers von 1649 lobt die ersten vier Monate des angeworbenen Musketiers als Bewährungszeit eines ehrlichen Soldaten. Worin diese Ehre des Fußsoldaten bestand, lässt das Schreiben des Hauptmannes offen, sodass es Aufgabe des autobiographischen Verbindungstextes war, den Reputationsnachweis zu erläutern. In den kurzen Zeitraum der militärischen Ausbildung fällt der einzige Feldzug, den der Hartschier als Zeitzeuge des Dreißigjährigen Krieges beschreibt. Die intensiven Rekrutierungen in Pressburg/Bratislava dienten dem kaiserlichen Defensivfeldzug in Böhmen im Sommer 1647. Der Autobiograph streift kurz die Anreise über Budweis/České Budějovice und die Vereinigung mit dem kaiserlichen Hauptquartier bei Strakonitz/Strakonice, um sich dann auf die schwedische Belagerung und Einnahme von Eger/Cheb zu konzentrieren. Den Feind der Armee verortet Diernhofer in der Gestalt des kaiserlichen Stadtkommandanten Franz Paradeiser († 1659). Dass der Oberst die Stadt Eger nicht bis zur Ankunft der kaiserlichen Truppen verteidigt und vor der Zeit einen Accord mit Feldmarschall Carl Gustav Wrangel (1613–1676) geschlossen hatte, ist für den Schreiber ein eindeutiges rechtliches Vergehen, womit er der offiziellen Version des kaiserlichen Hofes folgt105. Ohne auf den weiteren Verlauf des Feldzuges einzugehen, schließt er die Schilderung seines ersten Kriegsdienstes mit den Worten: In massen dan selbiger [Paradeiser] hernach bey der Armee in Eyß- und Banden gefänglich mit geführet worden. Mit der spezifischen Strafe, in Eisen gelegt zu werden, kennzeichnet Diernhofer den Offizier als einen soldatischen Delinquenten106. Der Krieg war in diesem Erinnerungstext weniger ein territorialer Konflikt als die Strafexpedition gegen einen Verräter, dessen gefesselter Körper die militärische Unehre sichtbar machte. Das schändliche Verhalten von Mitgliedern beschmutzte die Ehre der Armee, des Regiments und schließlich jedes Fähnleins, sodass es die soziale Identität des einzelnen Söldners angriff107. In dieser Logik einer Ehrverletzung spielte der Kriegsherr grundsätzlich keine Rolle, sofern er nicht Teil der Armee war. Diernhofer erwähnt den kaiserlichen Oberbefehlshaber Peter Melander von Holzappel (1589–1648) nicht und unterstreicht, dass Ferdinand III. selbst ins Hauptquartier kam, um Eger zu entsetzen in eigener hochen Persohn mit dero Hoffstadt108. Diese Bemerkung über die Anwesenheit des Hofstaates interpretiert das Hauptquartier als eine Fortsetzung des vorangegangenen Landtags von Pressburg und gibt ein Leitmotiv für die weitere Lebensgeschichte vor. Der Feldzug bekommt in der Retrospektive die Funktion, Körper und Ehre eines Feldherrn zu schützen, der zugleich Herrscher war, sodass die militärische Rolle des Musketiers mit der späteren höfischen Funktion des Hartschiers zusammenfällt.

105 Zur Übergabe vgl. Ernst Höfer, Das Ende des Dreißigjährigen Krieges. Strategie und Kriegsbild (Köln–Weimar–Wien 1997) 76–78; Robert Rebitsch–Jenny Öhman–Jan Kilián, 1648: Kriegsführung und Friedensverhandlungen. Prag und das Ende des Dreißigjährigen Krieges (Innsbruck 2018) 163f.; zu Paradeiser: Warlich, Der Dreißigjährige Krieg in Selbstzeugnissen (http://www.30jaehrigerkrieg.de/paradeiser-paradisparadisser-franz-freiherr-von-neuhaus/ [ 9.11.2018]. 106   Langer, Hortus Bellicus (wie Anm. 31) 89. 107 Philipp Batelka–Michael Weise–Stefan Xenakis–Horst Carl, Berufsmäßige Gewalttäter. Wie Söldnergewalt in der Frühen Neuzeit entfesselt und begrenzt wurde, in: Gewaltgemeinschaften in der Geschichte. Entstehung, Kohäsionskraft und Zerfall, hg. von Winfried Speitkamp (Göttingen 2017) 83–100, hier 88. 108  NÖLA, StA, Hs. 81, fol. 2v.



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5. Schluss Die Marginalisierung des eigentlichen Kriegsgegners, der Schweden, verbindet die Gestaltung der Szene vor Eger mit den soldatischen Erinnerungsfragmenten Starhembergs und Kroneggs. Die Standortbestimmung der drei Schreiber erfolgte durch Abgrenzungen innerhalb der kaiserlichen Armee. Während der Oberstleutnant Starhemberg sich als Verkörperung der Regimentsehre schilderte und der Hauptmann Kronegg die Kontinuität seiner Kompanie nach einem ehrenvollen Rückzug unterstrich, bestand der Prestigegewinn für den Söldner Diernhofer in einem Rachefeldzug der Armee gegen die „unehrlichen“ Einzelinteressen eines Offiziers. An sozialen Stand und militärische Funktion knüpften die Schreiber die Geschichte ihrer Soldatenehre, die mit der Rettung, Bewahrung und Verteidigung der kollektiven Interessen ihre jeweils spezifischen Schattierungen erhielt. Die unterschiedlichen militärischen Rangstufen setzten sich im späteren kaiserlichen Hofdienst der Verfasser fort, sodass die Texte zwar von Karrieren, aber weder im militärischen noch im zivilen Leben von rasanten Aufstiegen erzählen. Dementsprechend geschichtet sind die Angaben über die persönlichen Motive für den Kriegsdienst, die vom finanziellen Potenzial des adeligen Kriegsunternehmers über die optimalen Ausbildungschancen eines Nobilitierten bis hin zu den sozialen Zwängen eines Untertanen reichen. Da die Niederschriften auf systemimmanente Handlungsmöglichkeiten zielten, bildete die politische Loyalität gegenüber dem Herrscherhaus eine Conditio sine qua non. Sie spielte in den Begründungen für den Eintritt in die Armee eine ebenso geringe Rolle wie die Verteidigung konfessioneller Interessen. Gemäß den Instruktionen waren kaiserliche Amtsträger auf ein katholisches Bekenntnis festgelegt. Der Obersthofmarschall Starhemberg, der Hofküchenmeister Kronegg und der Hartschier Diernhofer entstammten aber einem protestantischen Umfeld, das sie allenfalls andeuteten. Die Unsicherheit, inwieweit über den religiösen Eifer Tillys geschrieben werden durfte, die nachträgliche Umdeutung der Militärlaufbahn von der göttlichen Gnadenwahl zur kaiserlichen Gunst sowie die Erklärung eines gegenreformatorischen Priesters zum geistigen Vater eines Söldnerlebens lassen aufwendige biographische Konstruktionen erkennen. Die drei Aufzeichnungen über den Dreißigjährigen Krieg sind getragen von der Selbstbehauptung der Schreiber in Konfliktsituationen, hinter denen stets Karrierebrüche standen. Die Reibungsflächen betrafen die militärische Führungsrivalität, die Unvereinbarkeit von Militärstand und Familienleben oder den Druck der Militärgesellschaft auf die zivile Jugend. Bei der autobiographischen Aufarbeitung dieser emotionalen Spannungsfelder handelte es sich weder um desillusionierende Enthüllungen noch um spektakuläre Abrechnungen, die den offiziellen Kriegsgeschichten widersprachen. In der Schilderung von Konfrontationen mit Phänomenen des Militärlebens demonstrierten die Schreiber ihre Selbstdisziplin, die sie befähigte, Situationen zu deeskalieren, persönliche Interessen neu zu definieren und erworbene Fähigkeiten in veränderten Umfeldern effizient einzusetzen. Insofern beschrieben die drei Jugendgeschichten den bedachten, überlegten und kontrollierten Soldaten, der sich für seinen späteren Einsatz in höfischen Diensten bewährte. Dabei hoben die pragmatischen Schreibintentionen den dargestellten Kriegsdienst über eine einfache Exemplifizierung von Normen der zeitgenössischen Soldatenpredigt und Militärkunde hinaus. Die eigenhändigen Lebensskizzen aus dem Nachlass kaiserlicher Amtsträger bewegten sich rezeptionsgeschichtlich zwischen dem Überlieferungsort eines Familienarchivs und der bemerkenswert konkreten Funktionali-

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sierung im Instanzenweg der höfischen Bürokratie. Die Entstehungskontexte bekräftigen die Annahme, dass die Berufung auf den militärischen Dienst im Dreißigjährigen Krieg noch Jahrzehnte nach dem Westfälischen Frieden das Ansuchen um Pensionen und einen gesicherten Lebensabend stützen konnte. Der autobiographische Rekurs auf die soldatische Ehre gehörte in den Handlungsraum höfischer Gnadensuppliken, der es den Schreibern erlaubte, eine finanzielle Gegenrechnung für den Lebenseinsatz zu präsentieren.

Eine enttäuschte Hoffnung. Der Prager Frieden in den Tagebüchern des Fürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg Alexander Zirr

1. Einleitung Fürst Christian II. von Anhalt-Bernburg (1599–1656), reformierter Regent eines kleinen, am Unterlauf der Saale und im Harz gelegenen Teilfürstentums, war als junger Mann in die reichspolitischen Wirren hineingezogen worden, die die böhmische Königswahl des Pfälzer Kurfürsten Friedrich V. (1596–1632) ausgelöst hatten. Als Obrist des böhmischen Ständeheeres war Christian unter dem Kommando seines gleichnamigen Vaters, Fürst Christians I. (1568–1630), des oberpfälzischen Statthalters des Winterkönigs, in der Schlacht am Weißen Berg (29.10./8.11.1620)1 in kaiserliche Gefangenschaft geraten. Die Haft, die er die meiste Zeit in Wiener Neustadt und Wien verbracht hatte, endete erst zwei Jahre später nach einem persönlichen Treueschwur vor Kaiser Ferdinand II. Dank dieses Treueeids gegenüber dem Kaiser, dem sich Christian II. sein Leben lang verpflichtet fühlte, gelang es ihm u. a., eine Aufhebung der Ächtung seines exilierten Vaters zu erwirken. Zwar geriet er mit seiner Treue zum Reichsoberhaupt häufig in Konflikt mit seinen Onkeln und Vettern in den anderen anhaltischen Teilfürstentümern in Dessau, Köthen, Plötzkau und Zerbst, doch machten auch sie sich Christians engeres Verhältnis zum Kaiser und den österreichischen Habsburgern wiederholt diplomatisch zunutze. Christian II. gibt in seinem rund 17.400 Seiten umfassenden Tagebuchwerk, das in 23 Bänden mit wenigen Lücken den Zeitraum von 1621 bis 1656 umfasst, Einblicke in Lebenswelt und Handlungsspielräume eines Reichsfürsten mit begrenzten Machtmitteln während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und darüber hinaus. Diese in Umfang und Qualität exzeptionelle Quelle wird seit 2013 im Rahmen eines auf zwölf Jahre angelegten DFG-Langfristvorhabens in einem Kooperationsprojekt zwischen der Albert-LudwigsUniversität Freiburg i. Br. und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel digital ediert und damit der Forschung zugänglich gemacht2. Diese findet darin Material zur Beant1  Die Datierung der Tagebuchzitate im vorliegenden Beitrag orientiert sich regulär an dem damals in Anhalt noch gültigen Julianischen Kalender. Doppeldatierung nach diesem und dem Gregorianischen Kalender erfolgen – ganz der Praxis Christians II. in seinem Diarium folgend – nur bei Aufenthalt in katholischen Gebieten. Für konfessionsübergreifende Verträge und Ereignisse wird ebenfalls die Datierung nach beiden Stilen wiedergegeben. 2  Die Tagebücher werden verwahrt im Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Standort Dessau-Roßlau, Z 18 Abt.

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wortung unzähliger Fragestellungen, seien sie politischer, militärischer, konstitutioneller, konfessioneller, ökonomischer, zeremonieller oder ganz persönlich-familiärer Art. Aufgrund seines weitgestreckten Korrespondentenkreises und eines schon fast internationalen Informationszuflusses blickte der Tagebuchschreiber weit über den ober- und niedersächsischen Raum hinaus, auch in die Länder der Habsburgermonarchie, wohin er enge Kontakte unterhielt und in denen er sich überdies häufig persönlich, teils sogar länger aufhielt. Auf seinen dortigen Reisen, die ihn wiederholt auch in die habsburgischen Residenzen in Wien, Prag oder Innsbruck führten, berichtete Christian II., seit 1629 kaiserlicher Ehrenkämmerer, höchst detailreich über Begegnungen und Gespräche, beschrieb alles ihn Interessierende, Land, Leute und soziale Praktiken, alltägliches Hofleben ebenso wie außergewöhnliche Vorkommnisse. Dabei eröffnete er auch Einblicke von außen in die spannungsreiche Rolle des jeweiligen habsburgischen Herrschers als Familienvater, Landesherr und nicht zuletzt Reichsoberhaupt. Aus den vielfältigen in den Diarien behandelten Themen wird der folgende Beitrag exemplarisch ein für das Heilige Römische Reich, für Anhalt und den Tagebuchschreiber ebenso wie für den Kaiser und das Haus Habsburg sehr bedeutsames Ereignis aus der Mitte der 1630er Jahre in den Blick nehmen – den Prager Frieden3. In der subjektiven Bernburg, A 9b Nr. 14, Bde. 1–23, hier bes. Bd. 12, 13 und 14 (im Folgenden zitiert als: Tageb. XII, XIII bzw. XIV). Die Edition ist einsehbar unter dem PURL: http://diglib.hab.de/edoc/ed000228/start.htm. Die Editionsrichtlinien, die Beschreibung der Quelle, Angaben zur Schreibpraxis und Handschrift des Fürsten, des Weiteren eine Kurzbiographie Christians II. und mehrere thematische Einführungen finden sich auf dem projektbegleitenden Forschungsportal unter http://www.tagebuch-christian-ii-anhalt.de [25.1.2019]. 3   Der Prager Frieden von 1635, früher meist vor der Folie des erfolgreichen Westfälischen Friedens als gescheitertes Unterfangen negativ beurteilt, hat in der Historiographie der letzten Jahre eine Aufwertung erfahren, indem sein Vorbildcharakter für das Friedenssystem von 1648 unterstrichen wurde. Maßgeblich dazu beigetragen hat die umfangreiche Quellenerschließung durch Kathrin Bierther Ende der 1990er Jahre: Kathrin Bierther (Bearb.), Die Politik Maximilians I. von Bayern und seiner Verbündeten 1618–1651. Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. N. F. 2, Bd. 10: Der Prager Frieden von 1635, 4 Teilbde. (München 1997) (im Folgenden zitiert als: BA II/10/1–4). Vgl. Michael Kaiser, Der Prager Frieden von 1635. Anmerkungen zu einer Aktenedition. ZHF 28 (2001) 277–297. So ist für Johannes Burkhardt z. B. der Prager Frieden „ein Meilenstein der deutschen Reichsgeschichte“ und „das herausragende und denkwürdigste Beispiel einer kreativen Friedensleistung in diesem Krieg der Kriege, mit der man in mehrfacher Hinsicht Neuland erkundete und betrat“; Johannes Burkhardt, Der Krieg der Kriege. Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (Stuttgart 2018) 191. Für andere Forscher, u. a. Georg Schmidt, steht der Prager Frieden hingegen weiterhin deutlich im Schatten des Friedenschlusses 13 Jahre später. Während er letzteren zu Recht als „ein zukunftweisendes Grundgesetz“ wertet, erscheint ihm der Friedensschluss von 1635 nur als „ein verkapptes Kriegsbündnis gegen die fremden Invasoren“, als ein „Friedensdiktat“, dem sich die meisten Reichsstände „aus Angst vor der Reichsarmee […] unterwarfen“; Georg Schmidt, Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (München 2018) 693 bzw. 692. Eine aktuelle Monographie zum Prager Frieden steht nach wie vor aus. Immer noch heranzuziehen: Adam Wandruszka, Reichspatriotismus und Reichspolitik zur Zeit des Prager Friedens von 1635. Eine Studie zur Geschichte des deutschen Nationalbewußtseins (VIÖG 17, Graz–Köln 1955). Vgl. ansonsten u. a. Friedrich Quaasdorf, Der Prager Friede von 1635 im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik. HJb 135 (2015) 255–306; Konrad Repgen, Maximilian Graf Trauttmansdorff – Chefunterhändler des Kaisers beim Prager und beim Westfälischen Frieden, in: Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit. Das Heilige Römische Reich und Europa. FS für Maximilian Lanzinner zum 65. Geburtstag, hg. von Guido Braun–Arno Strohmeyer (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 36, Münster 2013) 210–228; Johannes Burkhardt, Friedensschlüsse auf Sächsisch. Pazifizierende Sprachleistungen eines deutschen Landesstaates in der ersten Hälfte der Frühen Neuzeit, in: Frieden übersetzen in der Vormoderne. Translationsleistungen in Diplomatie, Medien und Wissenschaft, hg. von Heinz Duchhardt–Martin Espenhorst (VIEG 92, Göttingen 2012) 35–65, hier 53–58. Siehe auch Ralf-Peter Fuchs, Ein „Medium zum Frieden“. Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges (Bibliothek Altes Reich 4, München 2010) 135–143.



Eine enttäuschte Hoffnung 313 Abb. 1: Fürst Christian II. von AnhaltBernburg (1599–1656) (Quelle: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: Portr. II 85 [A 395]).

Sicht eines persönlich betroffenen Zeitzeugen werden dabei die Vorgeschichte, der Abschluss und das letztliche Scheitern dieses frühneuzeitlichen Großereignisses nachvollzogen und zugleich aufgezeigt, wo dabei die Möglichkeiten und Grenzen des gestaltenden Handelns für einen mindermächtigen Reichsfürsten lagen.

2. Die Vorgeschichte des Friedens – die Pirnaer Noteln von 1634 Während der schwedische Reichskanzler Axel Oxenstierna (1583–1654) nach dem Tod seines Königs Gustav II. Adolf (1594–1632) versuchte, die alliierten Reichsstände im Heilbronner Bund zu vereinen4, strebte der sächsische Kurfürst Johann Georg I. (1585– 1656) anfangs heimlich, später offen Verhandlungen mit dem Kaiser an, ohne jedoch die Waffen völlig aus der Hand zu legen. Schon zu Beginn des Jahres 1634 war das deutliche Auseinanderdriften der beiden Verbündeten Schweden und Kursachsen immer deutlicher zutage getreten5. Die schwierige Position Anhalts, seit 1631 ebenfalls im Bündnis mit 4  Siehe dazu Herbert Langer, Der Heilbronner Bund (1633–35), in: Alternativen zur Reichsverfassung in der frühen Neuzeit?, hg. von Volker Press–Dieter Stievermann (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 23, München 1995) 113–122. Vgl. Christoph Kampmann, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts (Stuttgart 2008) 88–93. 5  Zur Politik Kursachsens nach 1631 und dem Ausloten eines kaiserlich-kursächsischen Ausgleichs siehe Kathrin Bierther, Zur Vorgeschichte der Prager Friedensverhandlungen, in: BA II/10/1 *25–*236. Zum

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Schweden, doch eng benachbart zu Kursachsen, verdeutlicht der Tagebucheintrag vom 27. Jänner 1634: Wir sejndt ein geringer Standt, müßen vns mitt liguen vndt alliantzen behelfen, dörfen nicht neutral sein, Müßen dependiren von einem Mächtigern, Wir liegen mitt vnserm Fürstenthumb zwischen beyden Mächtigen Potentaten jnne. In bello civilj kan man nicht neutral sein. Liguen vndt alliantzen werden verändert, pro ratione status […] 6. Und weiter heißt es: Churs[achsen] hette gegen vns einen modum novum, et inauditum, auch einen absolutum Dominatum vber vns freye Reichs-Fürsten vorgenommen, fänget als ein Kreyßoberster von der militarischer execution an, hat vns nicht besprochen seidthero dem Leiptziger Schluß, Postulata seindt vnerschwinglich, nichts darauf zu biehten, müglich7. Und schließlich: ChurS[achsen] […] kan sich selber nicht retten, noch schützen, multo minus andere Stende, Hingegen kan vndt will vns Schweden nicht schützen, […] Schweden wollen erst sehen wo es hinauß will, vndt eher Anhaltt abbandoniren als ChurS[achsen] offendiren, […] Köndten wir vns ihrer bohtmeßigkeitt endtbrechen, vndt ein par Monat entre deux blejben, v[nd] interimsweyse so wol mitt ChurSaxen als Schweden tractiren, so wehre es wol das allerbeste vndt Rahtsamste, biß man sehe wo es hinauß wollte8. Der Wunsch, auf einer Zwischenposition zu bleiben, ließ sich nicht erfüllen. Vielmehr sah sich Christian von Anhalt 1634 von schwedischen wie kursächsischen Kontributionsforderungen und Einquartierungen betroffen9. Um nicht ganz tatenlos zu bleiben, begab sich Christian II. trotz Kriegswirren Mitte März 1634 auf eine längere Reise, die ihn durch Niedersachsen in die Niederlande, nach Frankreich und Italien führte10 und schließlich Anfang August an den Kaiserhof in Wien, wo er neben einer Schuldforderung auch um ein Patent zur Lehnsabsicherung bzw. zur Unschädlichkeit eines kriegsbedingten Lehnsindults anzuhalten gedachte11. Ziel war aber wohl auch ein Ausloten, welche Konsequenzen die Parteinahme gegenüber Schweden für schwedisch-kursächsischen Verhältnis siehe Alexander Zirr, Zwischen militärischem Druck und diplomatischer Nachsicht. Die schwedische Politik gegenüber Kursachsen während des Dreißigjährigen Krieges, in: Mit Schweden verbündet – von Schweden besetzt. Akteure, Praktiken und Wahrnehmungen schwedischer Herrschaft im Alten Reich während des Dreißigjährigen Krieges, hg. von Inken Schmidt-Voges–Nils Jörn (Schriftenreihe der David-Mevius-Gesellschaft 10, Hamburg 2016) 99–123, hier 102–105. 6  Tageb. XII, fol. 247v (27.1.1634). Dieses und die folgenden Zitate aus dem Tagebuch erfolgen gemäß den Editionsrichtlinien der Onlineedition, einsehbar unter http://www.tagebuch-christian-ii-anhalt.de/index. php?article_id=7 [25.1.2019]. 7   Tageb. XII, fol. 248r (27.1.1634). 8   Ebd. Zum Fürstentum Anhalt im Dreißigjährigen Krieg fehlen, wie für die meisten anderen mittelmächtigen Reichsstände, entsprechende aktuelle Untersuchungen. Siehe daher weiterhin Hermann Wäschke, Anhaltische Geschichte 3: Geschichte Anhalts von der Teilung bis zur Wiedervereinigung (Cöthen 1913) 46–93; Johann Christoph Beckmann, Historie des Fürstenthums Anhalt: Von dessen Alten Einwohnern und einigen annoch vorhandenen Alten Monumenten/ Natürlicher Gütigkeit/ Eintheilung/ Flüssen/ Stäten/ Flecken und Dörfern/ Fürstl. Hoheit/ Geschichten der Fürstl. Personen/ Religions-Handlungen/ Fürstlichen Ministris, Adelichen Geschlechtern/ Gelehrten/ und andern Bürger-Standes Vornehmen Leuten [...], 7 Teile in 2 Bänden (Zerbst 1710) [VD18 90025083]. Vgl. Michael Hecht, Anhalt und die Dynastie der Askanier in der Frühen Neuzeit, in: Auf dem Weg zu einer Geschichte Anhalts. Tagungsband. Wissenschaftliches Kolloquium zur 800-Jahrfeier des Landes Anhalt, hg. unter Mitw. des Stadtarchivs Dessau-Roßlau, der Anhaltischen Landesbücherei Dessau und des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt, Abt. Dessau (Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde. Sonderband, Köthen 2012) 91–106. 9  Vgl. Gottlieb Krause (Bearb.), Urkunden, Aktenstücke und Briefe zur Geschichte der Anhaltischen Lande und ihrer Fürsten unter dem Drucke des dreißigjährigen Krieges, 5 Bde. (Leipzig 1861–1866) (im Folgenden zitiert als: UAB) hier 2 (1862) 720–735. 10  Tageb. XIII, fol. 2r–113r (15.3.–2./12.8.1634). 11  Vgl. ebd. fol. 120v (6./16.8.) und 141r (19./29.8.1634).



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die anhaltinischen Fürsten haben könnte, allen voran für seinen Onkel, Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen (1579–1650) als schwedischen Statthalter der Stifter Magdeburg und Halberstadt12, aber auch für seinen eigenen Bruder, Fürst Friedrich von Anhalt-Bernburg (1613–1670), Obrist im Heer des Generalfeldmarschalls Johan Banér (1596–1641)13. In einer Audienz bei Ferdinand II. am 4./14. August 1634 versicherte Christian II. ihm seine Treue und Beständigkeit, welches dieser mit den Worten erwiderte: Sie hetten an mir, nie gezweifelt, noch an meiner getrewen devotion, es wehre auch kein schelmstück, dem Kayser, Trew zu verbleiben, noch seine parola zu halten, Jhre May[es]t[ä]t wüntzschten, daß es andere auch gethan hetten14. Bei dieser Gelegenheit offenbarte der Kaiser auch die mit dem sächsischen Kurfürsten begonnenen Friedensbemühungen, die zu Verhandlungen geführt hatten, die 5./15. Juni 1634 im böhmischen Leitmeritz/Litoměřice begonnen und ab 9./19. Juli im kursächsischen Pirna fortgeführt worden waren15. Dabei erklärte der Kaiser, wie Sie so begierig nach dem frieden wehren, vndt darnach verlangeten, theten auch destwegen abschickung genug, aber der Gegentheil hette keine lust darzu. Der König in Dennemarck, thete das seinige auch darbey, hette noch newlich an Jhre Kayserliche Mayestät geschrieben, das seine getrewe admonitiones nichts helfen wollten, vndt würden noch vbel aufgenommen. […] Waß sollte man dann machen, wenn mans schon gut meinete. ChurSaxen, wehre in zimlich guter correspondentz, mitt Jhrer Mayestätt vor diesem gestanden, aber anitzo lencket er sich auch, vndt begehrte zimliche grobe prætensiones, da ihm doch Jhre Mayestät viel nachgegeben vndt sich zu aller billigkeitt mehr als zu viel erbohten hette. Sie köndten ia auch nicht alles hingeben16. 12   Vgl. dazu Andreas Erb, „nicht ohne geringe Sorge, Gefahr und Widerwertigkeit treulich fürgestanden“. Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen als schwedischer Statthalter der Länder Magdeburg und Halberstadt, in: Schmidt-Voges–Jörn, Mit Schweden verbündet – von Schweden besetzt (wie Anm. 5) 167–194; Markus Meumann, Die schwedische Herrschaft in den Stiftern Magdeburg und Halberstadt während des Dreißigjährigen Krieges (1631–1635), in: Die besetzte res publica, hg. von dems.–Jörg Rogge (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 3, Berlin u. a. 2006) 241–269. 13   Siehe Ferdinand Siebigk, Art. Friedrich, Fürst zu Anhalt-Bernburg-Harzgerode. ADB 7 (1877) 453– 455. 14   Tageb. XIII, fol. 116r (4./14.8.1634). Daneben berührte das Gespräch auch ganz private Themen. So referierte Ferdinand II. z. B. auf die körperlichen Veränderungen seit ihrem letzten Treffen, das Altern und seine grauen Haare. Ebd. fol. 116v. 15  Aufgrund des Anmarschs schwedischer Truppen unter Banér hatten die Friedensdelegationen sich in das von der gut bewachten kursächsischen Hauptresidenz Dresden aus einfacher zu schützende Pirna zurückgezogen. Vgl. BA II/10/3 Nr. 466 und 470 (Kaiserliche Protokolle der 13. bzw. 14. Sitzung, 15.7. bzw. 26.7.1634). Die Verhandlungen beinhalteten einerseits Angelegenheiten des Reiches (Publica), die Fragen des Reichskirchenrechts, Reichsjustizwesens, der Reichsmilitärverfassung sowie der Absicherung des Friedens umfassten. Die Verhandlungen drehten sich andererseits um reine Belange Kursachsens (Privata), etwa eine Satisfaktion für Schuldforderungen durch territoriale Zugewinne. Die Verhandlungsgegenstände erläutert Kathrin Bierther, Zu den Themen der Prager Friedensverhandlungen, in: BA II/10/1 *237–*241. 16  Tageb. XIII, fol. 116v–117r (4./14.8.1634). Kursachsen stellte, bei grundsätzlicher Friedensbereitschaft, weitreichende Forderungen, wie etwa einen Ausgleich für die angefallenen Kriegskosten. Davon erfuhr auch Christian II. in Wien, wo er z. B. Ende August in seinem Diarium notierte, es hätten die Gesandten zu Pirn, die große liquidationes vorgelegt, welche auß dem Kriege vervrsacht worden. Ebd. fol. 140r (18./28.8.1634). Für dergleichen Ansprüche erstrebte der sächsische Kurfürst eine territoriale Rekompens. So teilte z. B. der Geheime Rat und Feldmarschall Graf Rudolf von Colloredo (1585–1657) dem General Ottavio Piccolomini d’Aragona (1599–1656) am 23.10./3.11.1634 mit: Der Kurfürst von Sachsen bestehe hartnäckig darauf, die Lausitz zu Lehen zu erhalten, sei aber trotzdem seiner Meinung nach einem Friedensschluß nicht abgeneigt. Documenta Bohemica Bellum Tricennale illustrantia 5: Der Schwedische Krieg und Wallensteins Ende. Quellen zur Geschichte der Kriegsereignisse der Jahre 1630–1635, hg. von Miroslav Toegel (Praha 1977) (im Folgenden zitiert als: DBBT V) Nr. 1044. Anfangs hatte Kursachsen neben dem vollständigen Erwerb der beiden Lausitzen auch die

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Trotz mehrfacher Eingaben17 drohte Christians eigentliches Anliegen dagegen in den bürokratischen Mühlen unterzugehen18. So erfuhr er am 16./26. August 1634, dass die Form der Ausfertigung in seiner Lehenssache noch unklar sei, welches – wie er schrieb – mich dann sehr perplex machet, vndt besorge, es stecke etwas anders darhinder, daß entweder die Rähte vndt Secretarien alhier so große schmiralien prætendiren (welche mir nicht möglich zu geben sein) oder das etwan ein anderer, wo njcht vnser gantzes Fürstenthumb iedoch den Cöthn[ischen] antheil, habe heimlich außgebehten, interim möchte man vnß, oder vnsere agenten wollen einschlummern, biß zu gelegener Zeitt, etc[etera][.] Gott verhüte es19. Die diesbezüglichen Bedenken waren jedoch unbegründet; Christian empfing letztlich das Patent in der gewünschten Form vom Kaiser, der sich schriftlich für die Verzögerung entschuldigte, weil er itzt in vollen friedenstractaten, mitt ChurSaxen stünde20. In der Abschiedsaudienz am 20./30. August erhielt Christian II. laut seines Tagebuches noch den Auftrag, er solle ChurS[achsen] (nicht ex mandato) sondern vor [s]ich versichern, daß Jhre M[ajes]t[ä]t zum frieden gar geneigt wehren, vndt dem wandelbahren glück nicht zu vertrawen sei, des Weiteren daß J[hre] M[ajestät] den Churf[ürsten] etwas dur [i. e. extrem] in seinen prætensionen, vndt daß er jmpossibilia begehrt hette, gefunden hette, wollten Sich sonst gern zum friede lencken, wann man näher zusammen thete, vndt sich auf allen theilen, der billigkeitt bequehmete21. Mit ähnlichen informellen Friedensaufforderungen auch an den brandenburgischen Kurfürsten Georg Wilhelm (1595–1640) ausgestattet22 reiste Christian II. quer durch das böhmische Kriegsgebiet gen Kursachsen, wo er am 2. September in Pirna die kaiserlichen Friedensunterhändler, allen voran Graf Maximilian von Übertragung der beiden Stifter Magdeburg und Halberstadt als erbliches Eigentum gefordert. Später wurde die letztere Forderung abgeschwächt, indem zumindest ein Anspruch der Söhne auf die Stifter garantiert werden sollte; Bierther, Themen (wie Anm. 15) *240f. Neben den persönlichen Forderungen nach territorialem Zugewinn ging es dem sächsischen Kurfürsten v. a. um die Aufhebung des Restitutionsedikts von 1629; Repgen, Trauttmansdorff (wie Anm. 3) 223. Zur Friedensvermittlung von König Christian IV. von Dänemark und Norwegen (1577–1648), dessen Hauptinteresse dem Konterkarieren der Erfolge Schwedens galt, siehe BA II/10/1 *179–*189. Vgl. Gottfried Lorenz, Die dänische Friedensvermittlung beim Westfälischen Friedenskongreß, in: Forschungen und Quellen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, hg. von Konrad Repgen (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 12, Münster 1981) 31–61, hier 31–36 bes. 33f. 17  Vgl. Tageb. XIII, fol. 120v (6./16.8.), 135r (14./24.8), fol. 138v (17./27.8.1634) und 140. 18  Den Aufenthalt in Wien, wo er am 11./21. August seinen 35. Geburtstag beging (ebd. fol. 131r) nutzte Christian II. für unzählige Besuche und Gegenbesuche. Obwohl er inkognito als ein „Herr von Dohna“ reiste (vgl. ebd. Bl.119r), wurde er von Standesgenossen erkannt. Besonders häufig traf er sich z. B. mit dem Markgrafen Christian Wilhelm von Brandenburg (1587–1665), dem inhaftierten ehemaligen Administrator des Erzstifts Magdeburg (7./17.8., 9./19.8., 11./21.8., 15./25.8., 18./28.8.), aber u. a. auch mit Herzog Franz Julius von Sachsen-Lauenburg (1584–1634) (8./18.8.). Ebd. fol. 124v–127r, 128r–129v, 130rv, 131r, 135v–137r bzw. 139v. Daneben vertrieb sich Christian II. die Zeit mit der Besichtigung von Sehenswürdigkeiten. So bestieg er z. B. am 6./16. August den Turm des Stephansdoms, wo er 421 Stufen bis oben unter die Glocke zählte und schwärmte, dass man von oben die Stadt schön vbersehen, vndt auch aufs Landt einen hüpschen prospect, gar biß nach Presburg, in Vngarn hinab, haben kann, wann es hell wetter ist, auch wenn es bei seinem Besuch gerade etwas neblicht wurde; ebd. fol. 120v (6./16.8.1634). 19  Ebd. fol. 138r (16./26.8.1634). 20  Ebd. fol. 140v–141r (19./29.8.1634). 21  Ebd. fol. 145r (20./30.8.1634). Neben weitgehendem Entgegenkommen in inhaltlichen Fragen hatte die kaiserliche Seite auch im symbolischen Bereich ihre Friedensbereitschaft signalisiert, indem sie entgegen der üblichen Anforderung der Präzedenz der Verlagerung des Verhandlungsortes auf das Territorium des Kurfürsten als dem rangniedrigeren Verhandlungspartner zugestimmt hatten; vgl. Kaiser, Prager Frieden (wie Anm. 3) 293. 22 Tageb. XIII, fol. 145r (20./30.8.1634): ChurBr[andenburg] sollte ich zum frieden rahten, sonsten hette derselbe den frieden nicht begehrt.



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Trauttmansdorff (1584–1650), kontaktierte23. Am selben Tag erfuhr er in einer Audienz beim Kurfürsten in Dresden dessen Argumentationsstrategie für den sich abzeichnenden Bruch mit Schweden: ChurS[achsen] hat sich vorgesehen, sich in keine alliantz mitt der Kron Schweden einzulaßen, mitt dem König wehre es ein personalwerck gewesen. Die Kron stirbt nicht24. Noch während seiner Reise elbabwärts vernahm Christian II. erstmals Gerüchte von einer schweren schwedischen Niederlage25. Kurz nach seiner Rückkehr nach Harzgerode erreichten ihn schließlich am 11. September 1634 genauere Nachrichten, dass die Schlacht von Nördlingen (26.8./5.9. bzw. 27.8./6.9.1634) sehr verlustreich für die Schweden abgegangen sei26. Vier Tage später notierte Christian: Die tractaten zu Pirn in Meißen gehen mitt den Kayßerl[ichen] gesandten, auch noch starck fortt, der König in Vngern, hette an die commissarien geschrieben, das vngeachtett der victorie, Sie in den tractaten wegen des friedens fortfahren, vndt dadurch sein gemüth vndt inclination zum frieden, bezeigen sollten, es haffteten dieselben allein an dem punct des geistlichen vorbehalts, doch hielte iederman den frieden vor gewiß, vndt ChurSaxen wehre destwegen auch sehr eyferig bemühet27. Gegenüber seinen Onkeln, die trotz schwedischer Niederlage einen Beitritt zum Heilbronner Bund erwogen, erklärte Christian II. am 17. September seine ablehnende Position dazu, an der er festzuhalten gedachte: daß ich kurtzvmb zu keinen frembden alliantzen, der deützschen Freyheitt, auch Reichs vndt Krayßverfaßungen zu wieder, [mich] verstehen will28. Tatsächlich unterblieb letztlich der Beitritt des Fürstentums Anhalt zu dem insgesamt bereits erodierenden Bund29. Vielmehr bauten die anhaltischen Fürsten auf die kaiserlich-kursächsischen Friedensbemühungen, deren Fortgang Christian II. mit regem Interesse verfolgte und wiederholt in seinem Tagebuch festhielt. Mal hieß es dort, daß sjch dje friedenstractaten, zu Pirna, gäntzlich sollen zerschlagen haben (6.10.), dann wieder, das der friede zu Pirna zwischen Kayserlicher Mayestät vndt ChurSaxen richtig (25.10.) sei, dann kam Avis von Dresen, daß etzliche den frieden vor gewjß, etzliche gantz vor vngewiß halten (28.10.), zwei Wochen später hörte man, daß die friedenstractaten zu Dresen, gantz rück23   Nachdem es nach Christians Ankunft in Pirna am Vortag zum Besuch und Gegenbesuch von Kammerherren gekommen war, besuchte Trauttmansdorff ihn am 2. September persönlich in seiner Unterkunft gar splendidè mitt 6 pferden, als caput legationis, darnach h[err] von Questenberg mit 2 pferden. Ebd. fol. 152v (1.9. bzw. 2.9.1634). Interessanterweise erwähnt Christian II. neben Trauttmansdorff und Hermann von Questenberg (1581–1651) den dritten kaiserlichen Unterhändler, Reichshofrat Dr. Justus Gebhard (1588–1656), an dieser Stelle nicht, ebenso wenig die Mitglieder der kursächsischen Friedensdelegation Nicol Gebhard von Miltitz (1597–1635), Dr. Johann Georg Oppel (1594–1661) oder Dr. David Döring (1577–1638). 24  Tageb. XIII, fol. 152v (2.9.1634). In der Tat war der personale Charakter des Bündnisses mit dem Schwedenkönig für den sächsischen Kurfürsten und seine Räte ein auch publizistisch vertretenes Hauptargument, dieses nach dem Tod des Königs aufzukündigen; siehe Quaasdorf, Publizistik (wie Anm. 3) 288. 25   Diese Nachricht empfing er auf seinem Weg vom Schloss Lichtenburg (b. Prettin) nach Pretzsch. Tageb. XIII, fol. 154r (5.9.1634). 26  Ebd. fol. 155r (11.9.1634). 27  Ebd. fol. 156r (15.9.1634). König Ferdinand III. von Ungarn (1608–1657), einer der Sieger der Nördlinger Schlacht, hatte bereits zuvor von Ferne für die militärische Absicherung der Verhandlungen gesorgt. Vgl. DBBT V Nr. 872 und 946. Zu ihm und seiner Stellung zum Prager Frieden siehe Mark Hengerer, Kaiser Ferdinand III. (1608–1657). Eine Biographie (VKNGÖ 107, Wien u. a. 2012) 110–113. 28  Tageb. XIII, fol. 157v (17.9.1634). 29  Angeblich traten die Fürsten von Anhalt „auf Anraten Christians II. von Anhalt-Bernburg“ dem Heilbronner Bund bei. So z. B. Gustav Adolf Harald Stenzel, Handbuch der Anhaltischen Geschichte (Dessau 1820) 232. Diesen Fehler übernimmt auch Geschichte Anhalts in Daten, hg. vom Verein Studium Hallense e. V. – Interdisziplinäre Forschungsgruppe zur Landesgeschichte Sachsen-Anhalts (Beiträge zur Landesgeschichte Sachsen-Anhalts 3, Halle/Saale 2014) 334.

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gängig vndt nichts davon zu hoffen sei (11.11.)30. Schließlich kam am 13. November die zuversichtliche Nachricht, es wehre der frjede zu Dresen richtig vndt honorable, bevor am Folgetag die Bestätigung folgte, er sei gewiß geschloßen worden31. Der Hoffnung, dass mit dem Abschluss dieses Vorfriedens der Krieg wirklich ein Ende finden würde, gab Christians Ausruf Ausdruck: Da pacem Domine, in Germania nostra32. Dank der militärischen Schwächung Schwedens infolge der Nördlinger Schlacht, die den Zusammenbruch seiner Positionen in Süddeutschland zur Folge hatte, hatte der sächsische Kurfürst nun freiere Hand, die begonnenen Verhandlungen zu einem Abschluss zu bringen33. Auch wenn mit dem am 14./24. November 1634 geschlossenen Präliminarfrieden, den sog. „Pirnaer Noteln“34, eine wichtige Hürde genommen worden war, regten sich in Anhalt doch Zweifel an der Durchsetzbarkeit des Friedens: So notierte Christian am 24. Jänner 1635 u. a.: G[enera]l Banner hat auch gesagt, weil die Geistlichen Churfürsten in den frieden nicht willigen wollen, Franckreich auch gleichfalß damitt nicht einig, auß demselben nichts werden würde, dann hertzog Berndt [von Sachsen-Weimar] wendete sich auch schon gegen Thüringen, neben einer Frantzös[ische]n armèe, der Reichscantzler [Oxenstierna] würde auch baldt in dieser gegendt anlangen35. Zudem begann, nachdem nach und nach die Details der Einigung bekannt wurden, im Haus Anhalt die Skepsis gegenüber dem Vertragsinhalt zu wachsen. Bereits am 25. November 1634 hatte etwa der Bernburger Regierungspräsident Heinrich von Börstel (1581–1647) ausrichten lassen, der friede wehre zwar biß auf ratification geschloßen, 30  Tageb. XIII, fol. 165r (6.10.1634), fol. 172v (25.10.1634), fol. 175r (28.10.1634) bzw. fol. 179v (11.11.1634). Ein ähnliches Auf und Ab wird durchaus auch in den Korrespondenzen der katholischen Seite sichtbar: Mal berichtete der kaiserliche Hauptunterhändler Trauttmansdorff von Schwierigkeiten bei den Verhandlungen (29.10./8.11.1634), dann wieder von scheinbar günstigen Friedensaussichten (17./27.11.1634). DBBT V Nr. 1056 bzw. 1089. Zugleich bezweifelte man die tatsächliche Friedensbereitschaft Kursachsens. Ebd. Nr. 1008. 31   Tageb. XIII, fol. 180v (13. bzw. 14.11.1634). 32   Ebd. fol. 184r (25.11.1634). Das Hin und Her mag darin begründet sein, dass die Verhandlungen unter Waffen erfolgten, also die militärischen Operationen der kaiserlichen wie der kursächsischen Truppen fortgesetzt wurden. Zwar wurde kontinuierlich über einen gegenseitigen Waffenstillstand verhandelt (vgl. z. B. DBBT V Nr. 1048, 1089, 1092, 1117, 1123, 1143, 1146, 1149, 1162), doch wurde ein solcher tatsächlich erst im Februar 1635 vereinbart; ebd. Nr. 1165, 1169 bzw. 1171; vgl. Kaiser, Prager Frieden (wie Anm. 3) 292 (Anm. 56). Diese Waffenruhe, die auch Kurbrandenburg, Sachsen-Weimar und Braunschweig-Lüneburg mit einschließen sollte, sollte vorerst für den Monat März 1635 gelten, wurde dann aber verlängert; Tageb. XIII, fol. 238r (27.3.1635). Vgl. DBBT V Nr. 1186 und 1211. 33   Kampmann, Europa (wie Anm. 4) 100–102. 34   Die Pirnaer Noteln sind ediert bei BA II/10/4 Nr. 561 (Hauptvertrag inkl. der Rezesse) 1545–1598. Vgl. Theatri Europaei Continuatio III. Das ist: Historischer Chronicken Dritter Theil: In sich begreiffend Eine kurtze und warhaffte Beschreibung aller vornehmen/ Denck- und Chronickwürdigen Geschichten; so sich hin und wider in der gantzen Welt/ in den beyden Ost- und West-Indien/ sonderlich in Europa, in Franckreich/ Hispanien/ Italien/ Groß-Britannien/ Dennemarck/ Schweden/ Polen/ Böhmen/ Hungarn/ Siebenbürgen/ Wallachey/ Moldaw/ auch theyls Türck- und Barbarey/ [et]c. In Hoch- und Nieder-Teutschland/ allermeist aber im Reich Teutscher Nation/ [et]c. [...] von Anno 1633. biß 1638. [...] begeben und zugetragen [...] (Frankfurt/ Main 1639) [VD17 23:233751N] 339f. 35  Tageb. XIII, fol. 205v–206r (24.1.1635). Die Skepsis gegenüber dem Erfolg des Friedens teilten viele Zeitgenossen: Noch kurz vor Abschluss der Pirnaer Noteln teilte Graf Rudolf von Colloredo dem Fürsten Wenzel Eusebius von Lobkowitz (1609–1677) mit, dass er an einen Abschluss des Friedens noch im Winter nicht wirklich glauben könne, v. a. nicht, bevor ein Waffenstillstand geschlossen wäre. DBBT V Nr. 1075. Tatsächlich war insbesondere ein Teil der theologischen Berater des Kaisers gegen den Abschluss des in Pirna vorverhandelten Friedensvertrags, während ein anderer Teil der Theologen, vor allem aber die politischen Räte, die Militärs und der Kaiserhof selbst starke Neigung dazu hatten; ebd. Nr. 1131.



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aber deßen Artickel alle mitteinander, wehren auf Schrauben gestellet36. Am 31. Jänner 1635 erklärte dieser nun, Es wehren die friedensarticul zimlich præjudizirlich den Reichsconstitutzionen, insonderheitt denen verfaßungen, darumb die [protestantische] Vnion anfangs aufgerichtett worden, ganz zuentgegen, Man reümete darüber auch den Dominat, darumb der krieg so lange geführet worden, dem Kayser ein, vndter andern, dadurch: Es sollten dem Kayser 80 m[ille] Mann gehalten werden, davon sollte 50 m[ille] der König [von Ungarn], 30 m[ille] aber, der Churfürst [von Sachsen] alß g[enera]l l[eutnant] commandiren, die iehnigen zu bezwingen, so das Reich perturbirten, vndt sich zum frieden nicht accommodjren wollten, wie auch die außländischen völcker, außm Reich zu veriagen. Und weiter: Es sollte des Kaysers sohn, das Stift halberstadt, des Churf[ürste]n Sohn aber, das Stift Magdeburg behalten. Die geistl[ichen] gühter so nach dem Paß[auische]n vertrag eingezogen, sollten den Evangelischen frey verbleiben auff 40 Jahr lang. Jnterim sollte darvon deliberirt werden. […] Wer sich nicht würde zu diesem friede accommodiren, gegen den selbigen sollte die execution vorgenommen werden37. Dennoch riet BörsTel dringend zur Annahme des Friedens38. Gerade die vorgesehene Übertragung der beiden Stifte an Erzherzog Leopold Wilhelm (1614–1662) bzw. Herzog August von Sachsen (1614–1680) betraf unmittelbar auch die Askanier, da Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen nach wie vor als Statthalter der Krone Schweden formal für diese zuständig war. Mit der bevorstehenden Einsetzung des Habsburgers in Halberstadt rückte die angestrebte Herausgabe der ehemaligen Grafschaft Askanien (Aschersleben), die bereits im 14. Jahrhundert an das Hochstift gefallen war, ebenso in weite Ferne, wie mit der Bestätigung des Wettiners in Magdeburg ein weiterer, wenn auch indirekter Machzuwachs für Kursachsen, dem bereits mehr als dominanten Nachbarn, drohte39. Am 3. Februar 1635 berieten die Fürsten von Anhalt darüber, wie die Pirnaer Noteln zu akzeptieren seien und welche Folgen dies für das Bündnis mit Schweden und das Verhältnis zu den vier oberdeutschen Reichskreisen, sprich dem Heilbronner Bund, habe. In diesen Beratungen riet Christian II. dazu, nicht weiter zu zögern: Jch rahte treẅlich, man cunctire nicht, mitt dem friede, ie eher ie lieber darzu thue. Jch wejß von keiner alliantz mehr alß von der Königl[ich] Schwedischen, welche personal gewesen, vndt sich selber dissolvirt. Von der alliantz mitt den 4 Oberkrayßen, weiß ich nichts, vndt ist die erste auch an meinem ortt, nur gezwungen werck gewesen, auch nicht von ihnen gehalten worden. Dancke Gott, daß er einmahl vnser gebeht erhöret, vndt die gemühter der Potentaten zum frieden gelencket40. Er verwies also, ganz in der Argumentationslinie Kursachsens, auf die Beschränkung des Bündnisses auf die Person Gustav Adolfs, welches mit dem Tod des Königs erloschen sei. Dieses sei in Christians Sicht auch nur durch Zwang zustande gekommen, und von Seiten der Krone Schweden sei man den Bündnisverpflichtungen nicht nachgekommen.   Tageb. XIII, fol. 184r (26.11.1634).   Ebd. fol. 207v–208r (31.1.1635). 38   So erklärte er: Anhaltt, alß ein Schwacher Standt, werde müßen zu diesem friede, sjch verstehen, vndt nicht der letzte sein, dann inevitabilis necessitas seye vorhanden, sonst wehren wir verschlungen. Jedoch müste es mitt einem solchen modo geschehen, damitt die Schwedischen nicht möchten dadurch veranlaßet werden, alles bundt vber zu kehren, vndt vnß zu calumniiren, vndt zu verderben; ebd. fol. 208r (31.1.1635). 39 Vgl. Matthias Tullner, Machtpolitische und territoriale Konflikte im Mittelelberaum während des 30jährigen Krieges, in: Politische, soziale und kulturelle Konflikte in der Geschichte von Sachsen-Anhalt. Beiträge des landesgeschichtlichen Kolloquiums am 4./5. September 1998 in Vockerode, hg. von Werner Freitag–Klaus Erich Pollmann–Matthias Puhle (Studien zur Landesgeschichte 1, Halle/Saale 1999) 115–125, hier 117f. 40  Tageb. XIII, fol. 213v (3.2.1635). 36 37

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Letztlich stimmten alle anhaltischen Fürsten zu und entschieden, dem Frieden, sobald er tatsächlich geschlossen sei, beizutreten und entsprechende Urkunden auszufertigen. Zugleich wollte man an den sächsischen Kurfürsten sowie die Krone Schweden schreiben und die Auflösung der Allianz offen kommunizieren. Auch sollte mit wichtigen Verbündeten, konkret Kurbrandenburg, Hessen und Braunschweig-Lüneburg, Kontakt aufgenommen werden41.

3. Der Abschluss des Prager Friedens 1635 Nachdem sich mit Wiederaufnahme der gegenseitigen Verhandlungen im Frühjahr 1635, nunmehr in Prag42, der Abschluss des Friedens abzeichnete, ergriff Christian II. abermals die Initiative. Mit Billigung seiner Vettern reiste er am 5. April erneut nach Wien, wo er 13 Tage später ankam43. Offizielle Gründe waren neben finanziellen Forderungen44 auch das Streben nach einer militärischen Charge sowie die anhaltischen Restitutionsansprüche auf die Grafschaft Askanien. Ziel war wohl aber auch, am Kaiserhof die Annahme des Friedens kundzutun, sobald dieser offiziell geschlossen worden war. Ein weiteres Ziel, das Christian mit dieser Reise verfolgte, hatte er gegenüber seinen Verwandten verschwiegen. Er plante, dort persönlich die Reichslehen für Anhalt in Empfang zu nehmen, wie dies auch sein Vater elf Jahre zuvor getan hatte, als er vom Kaiser pardoniert worden war45. Doch vorerst war die Wiener Diplomatie mit dem Abschluss des Friedensvertrages mit Kursachsen voll okkupiert. Die wochenlange Wartezeit nutzte Christian für Audienzen46, Gespräche mit Reichsfürsten47 und hohen kaiserlichen Hofangehörigen48, aber auch für 41   Ebd. Reichskanzler Oxenstierna versuchte, die Fürsten von Anhalt im Bündnis mit Schweden zu halten. So warnte er u. a. Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, sich mitt der acceptation des friedens, nicht zu vbereilen; ebd. fol. 237r (25.3.1635). 42   Ursprünglich sollten die Unterhändler nach Rücksprache mit ihren jeweiligen Prinzipalen bereits im Jänner 1635 in Außig/Ústí nad Labem wieder zusammenkommen. Die Begutachtungen durch weltliche und geistliche Räte auf beiden Seiten verzögerte dies jedoch; letztlich wählte man Prag als Verhandlungsort; Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden (Münster 61972) 71. 43  Tageb. XIII, fol. 239r (5.4.1635) bzw. 246r (18./28.4.1635). 44  Dabei ging es zum einen um die Auszahlung der jährlichen Pension, die ihm Kaiser Ferdinand II. 1629 versprochen hatte, zum anderen um die Erstattung jener Kosten von den böhmischen Ständen, die Christian II. für die Werbung seiner beiden Regimenter 1619/20 aufgewendet hatte. 45   Dieses Vorhaben stieß bei seinen Verwandten auf Unverständnis. So notierte Christian II. im Sommer 1635: Man macht sich lustig vber mich, wenn ich selber sollte wollen die lehn entpfangen, vndt nichts beßers verrichten, als was ein agent verrichten köndte […]; Tageb. XIII, fol. 321v–322r (29.6./9.7.1635). So erklärten die übrigen anhaltischen Teilfürsten ihm auch, wenig behilflich sein zu können, da sie von dem Zweck seiner Reise nichts gewusst hätten; sie lobten jedoch seine Intention zu ihrer aller Nutzen. Vgl. ebd. fol. 335v (8./18.7.1635). 46  So hatte er z. B. Audienzen bei Kaiser Ferdinand II. (21.4./1.5., 11./21.5. bzw. 28.5./7.6.) und Kaiserin Eleonora Gonzaga (1598–1655) (23.4./3.5.), bei König Ferdinand III. (23.4./3.5. bzw. 12./22.5.) und Königin Maria Anna von Ungarn (1606–1646) (24.4./4.5.) sowie bei Erzherzog Leopold Wilhelm (26.4./6.5.1635); ebd. fol. 246v–247r, 247v, 248r, 248v, 249v, 262r bzw. 277v–279r. 47   So traf er u. a. Markgraf Christian Wilhelm von Brandenburg (24.4.), Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1578–1653) (10./20. bzw. 11./21.5.), Markgraf Wilhelm von Baden-Baden (1593–1677) (11./21.5.), Fürst Johann Anton von Eggenberg (1610–1649) (12./22.5.), Markgraf Johann Georg von Brandenburg (1598–1637) (14./24.5.) und die verwitwete Fürstin Katharina von Siebenbürgen (1602–1644) (19./29.5.1635); ebd. fol. 261v, 262r, 264rv bzw. 268rv. 48   So sprach er u. a. mit Hofkriegsratspräsidenten Graf Heinrich Schlick von Passaun (1580–1650) (12./22.5.), Obersthofmarschall Graf Leonhard Karl von Harrach (1594–1645) (10./20.5.) und Reichsvizekanzler Peter Heinrich von Stralendorf (1580–1637) (13./23.5.1635). Ebd. fol. 261v, 262v bzw. 263v–



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Ausflüge, die ihn bis nach Ungarn führten49. Am 30. Mai/9. Juni 1635 konnte er schließlich notieren, dass es Heütte […] in der Stadt Wien alhier, erschollen vndt kündig worden, das der friede zwischen dem Kayser, vndt Churfürsten von Saxen, richtig vndt gewiß seye, welches Christian im Hinblicke auf die Erfolge der Franzosen und Osmanen als abermal eine fortuna vorn Kayser bezeichnete50. In der Tat hatte Ferdinand II. viel erreicht. Seine Macht hatte er gestärkt, indem im Reich fortan Sonderbündnisse der Stände nach innen und außen verboten sein sollten. In seinen Erblanden behielt er (weitestgehend) freie Hand, gewährte nur in Schlesien beschränkte Religionsfreiheit. Für geistliche Reichsfürsten blieb das Stimmrecht auf Reichstagen den katholischen Amtsträgern vorbehalten. Mit einer Neuordnung der Reichskriegsverfassung wurde ein gemeinsames Reichsheer unter kaiserlichem Oberbefehl geschaffen, um fremde Truppen aus dem Reich zu vertreiben. Zugleich war der geschlossene Vertrag aber ein Erfolg für die Gegenseite, auch wenn sich in den Verhandlungen in Prag inhaltliche Verschiebungen gegenüber den in Pirna vorverhandelten Punkten zuungunsten der Protestanten ergeben hatten51. Der Kaiser akzeptierte, die Auslegung und Anwendung von Reichsrecht wieder an die Glieder des Reiches, allen voran die Kur­fürsten, zu binden. Als Status quo für den Besitz geistlicher Güter wurde der 12. November 1627 als „Normaljahr“ festgelegt. Auch wurde das Restitutionsedikt auf 40 Jahre suspendiert und damit faktisch aufgehoben. Zudem enthielt der Friedensschluss umfangreiche Amnestiebestimmungen für die einstigen Gegner des Kaisers, wenn auch mit deutlich mehr Ausnahmen als im Vorvertrag. Überdies hatte Kursachsen weitere individuelle Zugeständnisse erhandelt, die territoriale Zugewinne und Sonderrechte im konfessionellen Bereich umfassten52. Entsprechend wurde der Friedensschluss, dem beizutreten die übrigen Reichsstände aufgerufen waren, sowohl von kaiserlicher als auch von kursächsischer Seite öffentlich zelebriert53. 264r.

49   Vom 27.4./7.5. bis 5./15.5.1635 reiste Christian II. nach Ungarn, wo er u. a. Preßburg, Raab und die ungarische Militärgrenze besichtigte; ebd. fol. 250r–257v. 50   Ebd. fol. 269r (30.5./9.6.1635). Diese Nachricht war am Vortag aus Prag übermittelt worden; DBBT V Nr. 1244. Der Kaiser betonte dabei sein Wohlgefallen mit dem Ergebnis, denn er zeigte sich z. B. in einem Schreiben an Kardinal Franz Seraph von Dietrichstein (1570–1636) vom 25.5./4.6.1635 mit den Fridenspuncten […] [s]eines Tails gnedigst wohl zufriden und erfreut, dass man dabei noch weit etwas mehrers als man verhofft, erhalten habe. Ebd. Nr. 1245. 51  Während der sächsische Kurfürst die Pirnaer Ergebnisse weitgehend akzeptiert hatte, hatte der Kaiser auf Änderung in nahezu allen Klauseln gedrungen, denen die kursächsischen Unterhändler, nicht zuletzt durch Zugeständnisse im Bereich der Privatinteressen Kursachsens, zu großen Stücken stattgegeben hatten. Dickmann, Westfälische Frieden (wie Anm. 42) 71. 52   Auszüge aus dem Friedensvertrag, die er vom anhaltischen Agenten beim Reichshofrat, Johann Löw erhalten hatte, notierte Christian II. in seinem Diarium. Tageb. XIII, fol. 285v–286r (1./11.1635). Der vollständige Friedensvertrag ist abgedruckt bei BA II/10/4 Nr. 564 (Hauptvertrag inkl. Rezesse) 1606–1661. Vgl. Theatrum Europaeum III (wie Anm. 34) 403–418, 418–420. Das Dresdner Vertragsoriginal wird als Digitale Edition durch das Leibniz-IEG Mainz online präsentiert unter: http://www.ieg-friedensvertraege.de/treaty/1635%20 V%2030%20Friedensvertrag%20von%20Prag%20(Dresden)/t-325-1-de.html?h=1 [25.01.2019]. Vgl. Kampmann, Europa (wie Anm. 4) 109–113. 53 Der Kaiser ließ z. B. von den Basteien in Wien Geschützsalven feuern. Tageb. XIII, fol. 285r (31.5./10.6.1635). Der Kurfürst hatte für alle seine Territorien inkl. der neuerworbenen Markgrafschaften Ober- und Niederlausitz ein Friedensfest angeordnet, das am 24. Juni 1635 abgehalten werden sollte; Katrin Keller, „Zum Gedächtnis des Gnaden Werkes Gottes“. Friedensfeste im 17. und 18. Jahrhundert in Kursachsen, in: Das Friedensfest. Augsburg und die Entwicklung einer neuzeitlichen Toleranz-, Friedens- und Festkultur, hg. von Johannes Burkhardt–Stephanie Haberer (Colloquia Augustana 13, Berlin 2000) 314–332,

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Gleichzeitig mit der freudigen Nachricht vom Abschluss des Friedens erreichte Christian II. ein Schreiben seines Onkels Fürst August von Anhalt-Plötzkau (1575–1653), des Seniors des Hauses, in dem er auf zwei wichtige ungeklärte Probleme hinwies: Zum einen formulierte er die Sorge um die außbittung deß Cöthn[ischen] Antheilß, zum anderen schrieb er wegen des worts Protestirende, so die Kayserl[ichen] sollen in der friedenshandlung außgelescht haben. Welche beyde Stück, vns sehr præjudizirlich, in gesampten: landt: vndt gewißenssachen, sejn würden54. Der erste Punkt betraf die Ausnahmen der im Friedensvertrag vorgesehenen Amnestie. Konkret schien die Gefahr, dass Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen als schwedischer Statthalter in Magdeburg und Halberstadt vom Frieden ausgeschlossen bleiben würde55 und gar die Einziehung seines Teilfürstentums drohte56. Ähnliches galt für Christians Vetter, Herzog Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar (1598–1662), als Statthalter der Krone Schweden in Thüringen. Nahrung erhielt diese Befürchtung u. a. durch eine Unterredung mit dem Hofkriegsratspräsidenten Graf Heinrich Schlick am 1./11. Juni 1635, der erklärte, die recidiven würden excipirt auß dem frieden, besorgte F[ürst] L[udwig] vndt herzog Wilhelm von W[eimar] würden auch mitt darundter außgenommen sein57. Keine Woche später wurde Christian aber beruhigt durch den Hofkriegsratssekretär Johann Georg Pucher (1602–1665), der mitteilte, es wehren alle Fürsten von Anhaltt, mitt in dem frieden begriffen, keiner außgeschloßen. Jch wehre aber in sonderbahren gnaden, vndt respect bey Jhrer Kay[serlichen] May[es]t[ä]t58. Gleichzeitig mit dieser beruhigenden Aussicht konnte hier 318. So wurde z. B. mit Schreiben vom 15. Juni 1635 an Universität, Rat und Konsistorium in Leipzig auferlegt, bereits am Sonntag, den 21. Juni, den Frieden von den Kanzeln zu verkünden und am Johannistag, wie in alle Churfürstlichen Landen/ mit Absingung des TeDeumLaudamus, mit grossen Frohlocken angestellet/ und feyerlich zu begehen. In der Tat wurde dies mit feierlichsten Gottesdiensten in den Stadtkirchen, mit Gesang nebst Trompeten- und Paukenmusik sowie Salvenschüssen von der Festung Pleißenburg und den Bastionen der Stadtbefestigung höchst feierlich begangen; Johann Jacob Vogel, Leipzigisches Geschicht-Buch Oder Annales, Das ist: Jahr- und Tage-Bücher Der Weltberühmten Königl. und Churfürstlichen Sächsischen Kauff- und Handels-Stadt Leipzig: In welchen die meisten merckwürdigsten Geschichte und geschehene Veränderungen, die […] von Anno 661. nach Christi Geburth an, biß in das 1714. Jahr [...] enthalten sind […] (Leipzig 1714) [VD18 10213139] 523f. 54   Tageb. XIII, fol. 271r (20./30.5.1635). 55  Wiederholt wurde diskutiert, Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen aufgrund seiner Dienste für die Krone Schweden von der Amnestie auszuschließen, gar als einzigen Reichsstand im Ober- und Niedersächsischen Reichskreis. Vgl. BA II/10/2 Nr. 144 (Relation der kaiserlichen Gesandten, 9.4.1635) 316, Nr. 154 (Niederschrift Gebhardts, 24.4.1635) 349, Nr. 158 (Kaiserliches Amnestieprojekt, 28. und 29.4.1635) 360; BA II/10/3 Nr. 543 (Kursächsisches Protokoll, 12.5.1635) 1502. Vor dem Ausschluss Fürst Ludwigs hatte auch bereits im Jänner 1635 der Regierungspräsident Börstel, als er zur Annahme des Friedens riet, gewarnt. Tageb. XIII, fol. 208r (31.1.1635). 56  In der Tat wurde dies in den Verhandlungen diskutiert, indem der Anteil Fürst Ludwigs am Fürstentum Anhalt konfisziert und dem Haus Österreich übertragen werden sollte, um es, im Fall, dass das Erzstift Magdeburg wieder an einen katholischen Inhaber fallen sollte, gegen die an Kursachsen abzutretenden erzstift-magdeburgischen Ämter Dahme, Querfurt, Jüterbog und Burg kompensiert werden sollte. Vgl. BA II/10/2 Nr. 144 (Relation der kaiserlichen Gesandten, 9.4.1635) 315 und Nr. 523 (Kaiserliches Protokoll, 5.4.1635), 1423f. 57   Tageb. XIII, fol. 287r (1./11.6.1635). 58  Ebd. fol. 298r (7./17.6.1635). Tatsächlich besagten die in einem Nebenrezess geregelten konkreten Bestimmungen zur Amnestie, dass die beiden sächsischen Reichskreise komplett darin eingeschlossen werden sollten. Dies bedeutete, dass auch die Fürsten von Anhalt und eben auch Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, die volle Straf- und Kompensationsfreiheit für ihre Taten seit 1630 genießen würden. Ausdrücklich als ebenfalls mit unter die Amnestie fallend wurden die noch unter Waffen stehenden ernestinischen Herzöge von Sachsen erwähnt, darunter auch Herzog Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar, sofern sie innerhalb einer bestimmten Frist den Frieden annehmen und ihre militärischen Einheiten der Reichsarmee übergeben sollten; BA II/10/4



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Christian am 7./17. Juni die in Wien empfangene Nachricht festhalten, der kursächsische Abgesandte, der Geheime Kammerdiener Friedrich Lebzelter († 1639), seye zu Prag ankommen, mitt der ChurS[ächsische]n ratification, also daß Gott lob vndt danck der friede numehr richtig geschloßen, vndt die außwechßlung mitt ehistem zu erfolgen59. Der zweite Punkt, den Fürst August in seinem Schreiben angesprochen hatte, betraf die Unterschiede zwischen dem Vorfrieden und dem nunmehrigen Vertrag. So war nun explizit nur noch von den „Augsburgischen Konfessionsverwandten“ die Rede, während zuvor noch der Nachsatz „und Protestierende“ beinhaltet gewesen war60. Somit galten die Regelungen des Prager Friedens ausdrücklich nur für die lutherischen Reichsstände, nicht hingegen für die reformierten wie die Fürsten von Anhalt. Auch wenn letzteren grundsätzlich offenstand, dem Friedensvertrag beizutreten, war doch etwa die Anwendung der Bestimmungen hinsichtlich der geistlichen Güter fraglich 61. Der Druck auf alle protestantischen Reichsstände war jedoch beträchtlich. So notierte Christian am 30. Mai/9. Juni die konkrete Bestimmung: Alle andere, so diesen Frieden genießen wollen, haben von ankündigung deßen, zehen Tage frist, sich einverleiben zu laßen, die aber nicht wirdt man vor offentliche feinde halten. Die mejsten Evangel[ische]n Reichsstände aber melden sich an62. Wenn diese, wie Anhalt, mehrheitlich auch sicher den Frieden begrüßt haben werden, so waren nicht alle Reichsstände mit der Form seines Entstehens zufrieden63. Beispielsweise missbilligte der dänische-holsteinische Abgesandte Friedrich Günther (1581–1655) die Art und Weise des Friedensschlusses durch den Kurfürsten von Sachsen und zeigte sich besorgt über mögliche Verärgerung und verzweifelte Reaktionen der anderen, insbesondere derjenigen, die fürchten mussten, von der Straffreiheit ausgeschlossen zu sein. Weiter wies Günther darauf hin, dass man berechtigterweise die Kurfürsten, Fürsten und Stände hätte zusammenrufen müssen. So würde das zwangsläufig von den ausländischen Nr. 564; Theatrum Europaeum III (wie Anm. 34) 419. 59   Tageb. XIII, fol. 298r (7./17.6.1635). 60  Um den Prager Frieden zu diskreditieren, wurden die Unterschiede durch eine Flugschrift publiziert: Pirnische und Pragische FriedensPacten: zusampt angestelter Collation und Anweisung der discrepantz und Unterscheids zwischen denenselben; Auff Maaß und Weise/ wie davon in der hiernächstgesetzten Vorrede an den Leser mit mehrem Bericht gethan wird. Nebst etlichen dienlichen Beylagen (o. O. 1636) [VD17 23:248953P]. Zum Wegfall des Zusatzes vnd Protestirende siehe z. B. ebd. 68. Vgl. auch Repgen, Trauttmansdorf (wie Anm. 3) 222. 61  Damit drohten für die Fürsten von Anhalt schmerzhafte Verluste, allen voran der des 1610/14 säkularisierten Reichsstifts Gernrode, das mittlerweile als Amt zur Ausstattung des jeweiligen Seniors der Familie herangezogen wurde. 62  Tageb. XIII, fol. 284r–v (30.5./9.6.1635). 63   Die Art seines Zustandekommens war in der Tat bemerkenswert: Der Schluss als quasi Separatfrieden zwischen dem Kaiser und dem Kurfürsten von Sachsen – wenn auch letzterer mit dem selbstverständlichen Vertretungsanspruch für alle Protestanten im Reich – bei Umgehung des Reichstages, der zugleich reichsweite Gültigkeit beanspruchte, sobald die Mehrzahl der Reichsstände zugestimmt hätten, widersprach Reichsrecht und Tradition, trotz explizitem Hinweis, nicht präjudizierend zu sein und nur der Kriegsnotwendigkeit gefolgt zu sein. Damit wurde, wie es Burkhardt formuliert, „in der Tat die Reichsverfassung gebrochen, um die Reichsverfassung zu retten“; Burkhardt, Friedensschlüsse auf Sächsisch (wie Anm. 3) 53. Die Ablehnung des kaiserlich-kursächsischen Separatfriedens teilten viele Zeitgenossen, so z. B. der gräflich-schwarzburgische Hofrat Volkmar Happe (1587–nach 1647): Ob wir nun wohl mit sehnlichem Verlangen auf einen Universalfrieden gewartet, so sind wir doch itzo mehr betrübt als erfreut, dass nur ein Particular Frieden mit Chursachsen alleine geschlossen und darum zu befürchten, dass dadurch viel mehr und größerer Krieg entstehen möchten. Wir sind also über diesen Frieden bald mehr betrübet und bestürzt als erfreut. Zitiert nach Hans Medick, Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt (Göttingen 2018) 323.

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Mächten abhängende Feuer des Krieges noch mehr auflodern können. Weiter beklagte er sich bei Christian, dass man nicht den durch den König von Dänemark gebahnten Weg fortgesetzt und, wie vom Kaiser versprochen, in Bamberg einen Reichstag einberufen habe, wo man die Friedensverträge auf bessere Art und Weise und mit reiflicherem Rat hätte diskutieren und abschließen können64. Trotz dieser und ähnlicher Bedenken sowohl hinsichtlich des Procedere als auch der Resultate65 erklärten nach und nach immer mehr Reichsstände, dem Frieden beizutreten66. So ließ auch Christian die schriftliche Annahme des Friedens durch den hessendarmstädtischen Gesandten Dr. Christian Liebenthal (1586–1647) konzipieren und von Johann Löw (1575–1649), dem dänischen Agenten am Kaiserhof und auch für Anhalt tätig, durchsehen und leicht korrigiert ausfertigen. Die Übergabe erfolgte am 14. Juli 1635 durch den Wiener Bischof Anton Wolfradt (1582–1639). Der Kaiser versprach, Sje wollten es alles fleißig lesen. Waß die intimation des friedens betreffe, so würde daßelbige eigentlich, bey ChurSaxen geschehen, daß die im OberSächsischen Krayß geseßen, bey demselben, sich anmeldeten, aber doch, wenn ichs begehrte, wejl jch in loco wehre, wollten mir wol, Jhre Mayestät, ejne jntjmation zukommen laßen67. Unterdessen war am 1. Juli 1635 das kaiserliche Publikationspatent des Friedensschlusses68 durch Adresse des sächsischen Kurfürsten den Fürsten von Anhalt übergeben worden, mit der Erinnerung, daß man Sich noch vor verfließung 10 tage, nach erlangter wißenschaft, beym Churfürsten anmelden, vndt sich wegen acceptation dieses friedenschlußes klar, vndt deüt­ lichen erklären sollte, welches auch meine herrenvettern, als welche mitt ihren personen, dero gantzen familien, landen vndt leütten, von der Schwed[ische]n armada vmbringet, vndt in dero mächten sein, vndt sich nirgendt anderstwohin zu retiriren vermögen, wol fug vndt vrsach gehabt, ex justo metu, ihre erklärung zu verschieben, (dem bericht nach) zu thun gesinnet sein. Dann Sie haben mehr die beruhigung des Reichs, vndt dero bißher gehabte friedensbegierde, alß die angedeüttete gefahr bey sich gelten laßen69. Als Christian II. dies am 20./30. Juli in sein Tagebuch schrieb, hatten mittlerweile auch die übrigen anhaltischen Fürsten ihren Beitritt zum Frieden gegenüber Kursachsen erklärt70. Fast enttäuscht notierte er am 22. Juli/1. August, es habe der Kaiser selbst verkündet, ehe jchs ihrer May[es]t[ä]t noch sagte, daß sich nu64   Tageb. XIII, fol. 307r (15./25.6.1635): Mais il desapprouve la maniere de l‘Elect[eu]r de Saxe, a faire la paix ainsy nuëment, craignant que les autres ne s‘en faschent, & n‘en viennent a des conseils desesperèz, en particulier ceux quj craignent estre exclus de l‘amnistie, et qu‘on eust deu convoquer legitimement les Elect[eu]rs[,] Princes, et Estats, &c[etera][.] Ainsy le feu pourroit s’embraser davantage en adherant comme par force aux puissances estrangeres. J’ay disputè a l’encontre, pour l’honneur de Sa Ma[jes]tè Jmperiale nostre Sire. […] Se plaint, qu’on n’a poursuivy, le chemin frayè par le Roy de Dennem[ark] auquel l’Emp[ereu]r auroit donnè promesse, de convoquer une Diete a Bamberg, la ou on eust peu deliberer & conclurre les traittèz de paix, avec meilleure maniere, & meur conseil etc[etera]. 65   Die Ergebnisse des Prager Friedens waren für viele Reichsstände, besonders im Bezug auf ihre Ständische Libertät, wenig zufriedenstellend. Gemäß Georg Schmidt z. B. war der Vertrag „für die auf ihre Freiheit stolzen Reichsfürsten eine arge Zumutung, eine monarchische Provokation“ und für viele Zeitgenossen „eine herbe Enttäuschung“; Schmidt, Reiter der Apokalypse (wie Anm. 3) 475, 476. Wenn auch viele strittige Fragen hatten gelöst werden können, waren andere nur vertagt worden. Entsprechend charakterisierte z. B. Dickmann den „Geist des Prager Friedens“, dass „alles auf ein Provisorium abgesehen“ war. Dickmann, Westfälische Frieden (wie Anm. 42) 71. 66  Vgl. Kampmann, Europa (wie Anm. 4) 114f. 67   Tageb. XIII, fol. 328v (4./14.7.1635). 68   Abdruck des Patents vom 2./12. Juni 1635 in Theatrum Europaeum III (wie Anm. 34) 420f. 69   Tageb. XIII, fol. 352rv (20./30.7.1635). 70   Die Anhaltiner hatten lt. den Akten des Dresdner Hauptstaatsarchivs am 12. Juli 1635 ihren Beitritt zum Prager Frieden erklärt. Ernst Dürbeck, Kursachsen und die Durchführung des Prager Friedens 1635 (Diss. Univ. Leipzig, Borna–Leipzig 1908) 29 Anm. 2.



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mehr alle die Fürsten von Anhaltt, albereitt zum frieden bequehmet hetten, der Churfürst hette es derselben zu wißen gethan. Vndt ich war eben im wergk, es Jhrer Kay[serlichen] May[es]t[ä]t anzuzeigen, wann mir dieselbe nicht in die rede gefallen wehren71. Doch bereits jetzt stand der Hauptschwachpunkt des Friedensvertrags – der Nichteinschluss Schwedens, an dessen Seite nun Frankreich offen in den Krieg eintrat – deutlich vor Augen: Am 25. Juni/5. Juli 1635 hatte Christian II. seinem Tagebuch noch die allgemeine, doch vage Hoffnung anvertraut, der general Banner, werde cediren, vndt der König in Franckreich, werde auch zu einem algemejnen frieden, durch interposition des Bapsts, sich verstehen72. Acht Tage später erklärte jedoch der Kaiser ihm in einer Audienz, es wolle der g[enera]l Banner zum frieden, sich gar nicht verstehen73. Auch der schwedische Reichskanzler Oxenstierna, mittlerweile in Magdeburg angelangt, zeigte sich mitt dem geschloßenen frieden, weil die Cron Schweden nominatim darinnen nicht gedachtt, sehr vbel zu frieden74. Die Konsequenzen für das Fürstentum Anhalt ließen erwartungsgemäß nicht lange auf sich warten: Bereits Ende Juni 1635 hatte Regierungspräsident Börstel in einem ­Schreiben, das Christian II. am 8./18. Juli in Wien empfing, warnend ermutigt: Die gefahr der lande seye sehr groß, weil die Schweden vndt ihre assistenten, die iehnigen vor feinde halten wollen, die Sich zu dem gemachten frieden bekennen, aber meine herrenvettern würden solches alles nicht achten, Sondern die beruhigung des Reichs allen andern respecten vorziehen, leben darneben der Tröstlichen zuversichtt, wann nur die sache recht angegriffen wirdt, es werde der liebe Gott vns auch vätterlich hindurch helfen75. Während Christian II. aus der Ferne dergleichen Folgen des Prager Friedensschlusses vorerst nur zur Kenntnis nehmen konnte, da sein letztes Ziel, die Belehnung, noch nicht erreicht war, nutzte er in der Zwischenzeit zumindest die informellen Möglichkeiten am Wiener Hof, indem er mit den dort anwesenden Diplomaten den Vertrag und seine Umsetzung diskutierte. So tauschte er sich etwa mit dem Gesandten des lutherischen Kursachsen aus, der den positiven Einfluss des kaiserlichen Beichtvaters, des Jesuiten Wilhelm Lamormaini (1570–1648), auf den Friedensprozess lobte76, oder mit den beiden Vertretern Spaniens, die vor einer Nichtannahme des Friedens warnten77. Doch nachdem nun   Tageb. XIII, fol. 357v (22.7./1.8.1635).   Ebd. fol. 317r (25.6./5.7.1635). 73  Ebd. fol. 325v (3./13.7.1635). 74  Ebd. fol. 352rv (20./30.7.1635). Zur schwedischen Position zum Prager Frieden siehe Zirr, Druck und Nachsicht (wie Anm. 5) 109f. Besonders über die „Undankbarkeit“ des sächsischen Kurfürsten über den teuer mit dem Tod des eigenen Königs erkauften Einsatz Schwedens für die Protestantische Sache war Oxenstierna höchst verbittert. Siehe Quaasdorf, Publizistik (wie Anm. 3) 287–290. Zugleich versuchte der Reichskanzler, u. a. im sog. „Schönebecker Projekt“, für Schweden ein ehrenvolles Ausscheiden aus dem Krieg zu gewährleisten. Kampmann, Europa (wie Anm. 4) 117. 75  Tageb. XIII, fol. 336rv (8./18.7.1635). 76  Vom kursächsischen Gesandten Friedrich Lebzelter erfuhr er: Es hette Pater Lemmermann, des Kaysers Beichtvatter, viel gutes, bey dem frieden gestiftett, vndt gar ein friedliches, gutes bedencken, abgegeben. Ebd. fol. 364r (26.7./6.8.1635). 77  So fragte ihn z. B. der spanische Botschafter am Wiener Kaiserhof, Marqués Sancho de Castañeda († 1646) – der für Christian ein höflicher aufrichtiger, vndt den deützschen, wol affectionirter Spannier zu sein schien – warumb wir Fürsten, vns doch nicht möchten accommodiren, sintemahl wir nur würden ein raub, der Frantzosen[,] Schweden, Jtaliäner, vndt Spannier, eben so wol werden, denn er hette gehört, vom Kayser selbst, daß sich der hertzog von Lünenb[urg] vndt Landtgraf von heßen, nicht zum frieden verstehen wollten. Worzu daß doch nütze wehre? Ebd. fol. 389r (9./19.8.1635). Auch der spanische Sondergesandte Conde Íñigo de Oñate (1572–1644), den Christian aus den Jahren seiner Haft noch gut kannte, zog ihm gegenüber historische Vergleiche zwischen der Schlacht bei Mühlberg (1547) und der am Weißen Berg (1620), indem er fragte, waß doch das kriegen in 71 72

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Frieden geschlossen worden war, zeigten sich der Kaiser und seine Räte bereit, sich mit dem anderen Vorhaben Christians II. zu befassen. Am 18./28. August 1635 empfing er in einer persönlichen Zeremonie inklusive Kniefall vom Kaiser die Reichslehen für das Haus Anhalt78. Über diesen höchst symbolischen, da für einen Reichsfürsten im 17. Jahrhundert bereits eher ungewöhnlichen Akt, resümierte er am Folgetag: Er habe, schrieb Christian auf Französisch, durch diese persönliche Unterwerfung unter Ihre Majestät mehrere gute Ziele erreicht. Er habe (1.) seine eigene Stellung im Fürstentum gefestigt und dieses zugleich, gebunden an seine Person, unter den starken Schutz und die Gunst des Kaisers gestellt. Er habe (2.) Anhalt durch diesen Akt nicht nur in den geschlossenen Frieden, sondern auch in den Religionsfrieden im Reich stärker eingeschlossen. Dies habe er (3.) nicht nur für sich erreicht, sondern auch für seine Onkel, Vettern und seinen Bruder, unter denen insbesondere die Fürsten Ludwig und Friedrich als gegenwärtige Diener Schwedens Aussöhnung nötig hatten; auch erstrecke sich dies auf alle Räte und Bedienstete wie auch Stände des Landes. Schließlich seien (4.) durch die Belehnung und das Bekenntnis des Kaisers selbst Recht und Anwartschaft auf die Grafschaft Askanien erhalten geblieben, welchen Anspruch auch die Wahl Erzherzog Leopold Wilhelms im Bistum Halberstadt nicht behindern oder präjudizieren könne79. Mit dieser Zuversicht in den eigenen Erfolg und nachdem er am 1./11. September ein Schriftstück über den Beitritt zum Frieden erhalten hatte, reiste Fürst Christian aus Wien ab80.

4. Das Scheitern des Prager Friedens Durch den Beitritt zum Prager Frieden hatte sich das Verhältnis Anhalts zu Schweden, das militärisch geschwächt, aber keinesfalls geschlagen war, deutlich getrübt 81. Als im Deützschlandt, nütz wehre, wir fürsten würden es genugsam entpfinden, ob man sich nicht erinnerte, daß zu Kaysers Carolj V. zeitten, man mitt einer Schlacht, gantz Sachßen verlohren hette, zu Kaysers Ferdinandj II. zeitt aber, gleichsfalß durch eine Schlacht die ChurPfaltz, vndt es wehren beyde Churfürstenthümber, noch in voriger possessoren hände, nicht wieder gerahten. Das wehre der lohn, des vnnötigen kriegens. Der Kayser sehe gern, einen bestendigen frieden. Die Thür wehre andern darzu nicht allein nicht gesperret, sondern geöfnett. Einer hette ia müßen die Thür zumachen, was man doch viel darüber gloßiren, vndt disputiren möchte, das nicht ein ieder nach Seinem kopff, den frieden haben köndte. Ebd. fol. 395v (14./24.8.1635). Zwei Tage später ergänzte Christian II. in seinem Tagebuch noch eine weitere Aussage des Spaniers, an die er sich wieder erinnerte, dass es nämlich besser sei, die Fürsten schlössen sich zusammen und erfreuten sich ihres Vermögens selbst, als dass die Armeegeneräle die Herren ihrer Länder wären. Daher habe Oñate geraten, den Frieden anzunehmen. Ebd. fol. 397v (16./26.8.1635: qu‘il valoit mieux, que nous fussions Princes de nos terres, & jouyssions nos biens nous mesmes, que non pas, les Geneaulx d‘armèe, quj estoyent maistres de nostre pays, & non pas nous; […] Pour cela, il falloit embrasser la paix.). 78  Ebd. fol. 398v–400v (18./28.8.1635). 79  Ebd. fol. 401v–402r (19./29.8.1635): J’ay donc obtenu par ceste personnelle tant aggreable submission a Sa Ma[jes]tè plus[ieu]rs bons scopes. Le 1er.de m’estre estably en nostre Principautè, & en la forte protection & bonne grace de l’Emp[ereu]r qui est annexe a mon establissem[en]t. 2. De m’estre || enclos en la paix faite non seulem[en]t mais aussy en la paix de Religion en l’Empire plus fort par cest acte. 3. Et tout cela non seulem[en]t p[ou]r moy, mais aussy p[ou]r mes Oncles & Cousins, & frere, entre lesquels particulierem[en]t le Prince Louys, & Frideric, comme servit[eu]rs actuels de Swede avoyent besoing de reconciliation, & cela s’estend sur nos Cons[eille]rs & serviteurs, & tous les Estats de nostre pays. […] 4. Que par l’infeudation & confession de l’Emp[ereu]r mesme, nous avons droict & rayson a la Contè d’Ascanie, & l’election du fils de Sa Ma[jes]tè ne nous peut nuire, ou prejudicier en l’Eveschè de Halberstadt, en ceste pretension. 80  Ebd. fol. 423r–424r (1./11.9.1635). 81  Nachdem Kursachsen als Exekutor des Prager Friedensvertrags im Herbst 1635 den Schweden den Krieg erklärt hatte, waren die schwedischen Truppen bis an die Küste zurückgedrängt worden; Zirr, Druck und



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Jänner 1636 Johan Banér (1596–1641) im nahen Barby an der Elbe weilte, sandten die anhaltischen Fürsten einen Unterhändler an ihn: da hat er ihm zwar gute mine gemacht, aber gesagt, er wüste nicht, ob er Seine Fürsten, sollte, wie freünde oder feinde tractiren, vndt man sollte sich doch vmb einen rechtschaffenen frieden bewerben, denn Sie wehren alle des kriegs müde82. Letztlich stellte er zwar Schutzbriefe aus, doch musste Christian u. a. in seiner Hauptresidenz Bernburg eine 200 Mann starke schwedische Besatzung akzeptieren. Doch es sollte noch schlimmer kommen: Am 11. März 1636 wurde nicht nur das Ballenstedter, sondern auch das Bernburger Schloss durch kursächsische Truppen geplündert, daß es scheinett, es dörfte ejn vberauß großes vnglück, vber mich vndt die meynigen, verhenget sein, wo Gott nicht schejnbahrlichen Englischen, vndt himmlischen beystandt vnß leistet. Diß ist wol auch ein Tag der angst, vndt Trübsall83. Am Folgetag musste Christian mit ansehen, wie die Thüren, Schrencke, Tische vndt bencke, fenster vnd cabinette zerschlagen, vndt alles vbel verdorben war84. Einige Monate später, am 26. August 1636, hielt Christian II. in einem Lebensresümee hierzu auf Französisch fest: Er sei zwar am 8. November 1620 in der Schlacht bei Prag und nach derselben bei diesem so außergewöhnlichen Anlass in den Abgrund des Todes gestürzt worden. Seither habe er aber nichts Gefährlicheres erlebt als das, was ihm in gegenwärtigem Jahr 1636, am 11. März, in seinem eigenen Haus in Bernburg geschah, wo er selbst von seinen Freunden so schlecht behandelt und dieses verwüstet und geplündert worden sei. Musketenschüsse seien von allen Seiten um der Seinen Köpfe geflogen, Bedienstete neben ihm verletzt, blanke Schwerter ihm vor die Brust gehalten worden und derartig Unerträgliches mehr, was er aufgrund seiner so beständigen und unverletzlichen Treue viel weniger verdient hätte, vor allem auf seinen eigenen Gütern und im Beisein seiner Frau und seiner Familie85. Über ein Jahr später, nachdem mittlerweile die Schweden nach ihrem Sieg über das kaiserlich-kursächsische Reichsheer bei Wittstock (24.9./4.10.1636) wieder aktiv nach Süden ausgegriffen hatten86, hielten die Kriegswirren das Fürstentum Anhalt nach wie vor fest in ihrem Griff. So beklagte Christian II. am 30. Oktober 1637 über die Nichtanerkennung der anhaltischen Kontributionen an Kursachsen durch den Reichspfennigmeister Johann von Ponickau (1584–1642), der die volle Summe für 120 Monate ohne Nachsicht (wie Anm. 5) 104f.; Kampmann, Europa (wie Anm. 4) 116–119. 82  Tageb. XIII, fol. 37v–38r (19.1.1636). 83  Tageb. XIV, fol. 78v (11.3.1636). Zur Plünderung des Schlosses Bernburg siehe u. a. Arndt Schreiber, Adel unter Druck. Unmittelbare Erfahrungen kriegerischer Gewalt in den Tagebüchern des Reichsfürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg, in: Dynamik durch Gewalt? Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) als Faktor der Wandlungsprozesse des 17. Jahrhunderts, hg. von Michael Rohrschneider–Anuschka Tischer (Schriftenreihe zur Neueren Geschichte 38, Münster 2018) 161–174; Andreas Herz, „... ma fatale destinée ...“. Krisen- und Leidenserfahrungen Fürst Christians II. von Anhalt-Bernburg (1599–1656) in seinen Tagebüchern und anderen Zeit- und Lebensdokumenten, in: Passion, Affekt und Leidenschaft in der Frühen Neuzeit, Bd. 2, hg. von Johann Anselm Steiger (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 43, Wiesbaden 2005) 981–1035. 84  Tageb. XIV, fol. 85r (12.3.1636). 85   Ebd. fol. 177v (26.8.1636): […] i’ay estè enfoncè au gouffre de la mort 1620 le 8me. de novembre, a la battaille & apres la battaille de Prague, en ceste occasion sj extraordinaire. Apres ceste rencontre là, ie n’en scache pas de plus dangereuse, que celle quj m’arriva en ceste presente annèe, 1636 au mois de Mars, l’11me. en ma propre mayson a Bernburg, la ou ie fus si mal traittè des amis mesmes, saccagè, pillè, les mousquetades allants de toutes parts a l’entour de nos testes, nos gens blessèz a nos costèz, les espèes nues presentèes a ma poictrine, et tant plus cela m’estoit insupportable, que ie l’avois moins meritè, en une fideljtè si constante & inviolable, estant en mes propres biens, & ayant ma femme & famille auprès de moy. 86  Zirr, Druck und Nachsicht (wie Anm. 5) 105f.; vgl. Kampmann, Europa (wie Anm. 4) 118–121.

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Nachlass in die Reichskasse verlangte, als eine Ungerechtigkeit sondergleichen. Es habe den Anschein, dass das Fürstentum von oben bis unten zugrundegehe. Der Kurfürst von Sachsen habe bei der Unterzeichnung des Prager Friedens Schutz und Hilfe versprochen; nun wollte er aber die Kosten für die meistenteils sächsischen Soldaten, die sich seit der Annahme des Friedens nachweislich auf über eine Million in Gold beliefen, als Abzüge nicht akzeptieren. Dies würde Anhalt sicherlich den größten Schaden zufügen87. In seiner Kaisertreue blieb Christian jedoch standhaft: Er könne – so führte er weiter aus – nicht glauben, dass der Kaiser, sein souveräner Beschützer, dem Kurfürsten solche offensichtliche Ungerechtigkeit befohlen hätte88. Doch dies war ein geringer Trost. Zwei Tage später, am 1. November 1637, nachdem der kursächsische Generalwachtmeister Moritz Adolf von Dehn-Rotfelser († 1639) mit seinen Truppen den Ostharz besetzt und auch das anhaltische Stift Gernrode ungefragt mit Schutztruppen belegt hatte, notierte Christian resigniert: Der Friede hat sich verlohren89. Tatsächlich mussten weitere elf Jahre mit Zerstörung, Leid und Tod ins Land gehen, bis er wiedergefunden werden konnte. Sogar erst über ein weiteres Jahr später, Ende 1649, war mit Abzug der letzten schwedischen Truppen der Krieg für Anhalt wirklich vorbei90.

5. Fazit In den kaiserlich-kursächsischen Friedensverhandlungen, die 1634 konkret wurden und zum Prager Frieden führten, hatte Fürst Christian II. von Anhalt-Bernburg die Chance gesehen, aus dem von Beginn ungeliebten Bündnis mit den Schweden herauszukommen. In dieser Umbruchphase zeigte er sich nicht als passives Opfer, sondern nutzte vielmehr seine, wenn auch begrenzten Möglichkeiten zwischen den mächtigeren Akteuren des Krieges. Seine herausgehobene Stellung als Reichsfürst ermöglichte ihm eine größere Mobilität und bot trotz Kriegswirren eine höhere Sicherheit für diplomatische Reisen, die er zur Durchsetzung eigener Interessen nutzen konnte. Dank der in seinem Treueeid begründeten Unterwerfung unter den Kaiser, offen zur Schau gestellt in der persönlichen Belehnungszeremonie von 1635, gelang es Christian II., ein Gegengewicht für die deutliche Parteinahme seiner Verwandten für die Krone Schweden zu setzen und eine reichspolitische Absicherung des Fürstentums Anhalt zu erreichen. Zugleich nutzte auch 87   Tageb. XIV, fol. 507r (30.10.1637): Jl semble; que nostre estat en ceste Principautè, s’en aille ruiner defonds en comble. Nous avons acceptè la paix de Prague et l’Elect[eu]r de Saxe, nous a promis de nous y proteger, mais voicy, le Reichspfennigmeister Ponigkaw, quj va demander toutes les contributions des 120. mois, ne voulant laisser passer les descontes, quj pouvons demonstrer avoir paty plus d’un million d’or, apres l’acceptation susdite, la pluspart des gens de Saxe. Et cela certainement seroit nous faire le plus grand tort du monde. 88   Ebd. fol. 507r: Aussy ne puis je croyre, que l’Empereur, nostre Souverain Protecteur, luy aye peu commander, une si manifeste injustice. 89   Ebd. fol. 508r (1.11.1637). Zum Scheitern des Prager Friedens siehe Kampmann, Europa (wie Anm. 4) 121–127. 90  Die in den Fürstentümern Anhalt besetzten Quartiere wurden erst geräumt nach der Zahlung des anhaltischen Anteils an den schwedischen Satisfaktionsgeldern in Höhe von 19.936 Reichstalern. Vgl. Antje Oschmann, Der Nürnberger Exekutionstag 1649–1650. Das Ende des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 17, Münster 1991) 597. Zum Abzug der Schweden aus Mitteldeutschland und der logistischen Rolle Anhalts beim Abzug von Militärpersonal, Pferden und Kriegsmaterial siehe Alexander Zirr, Die Schweden in Leipzig. Die Besetzung der Stadt im Dreißigjährigen Krieg (1642–1650) (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig 14, Leipzig 2017) 679, 681–684, 716–720.



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Ferdinand II. den Bernburger Fürsten als einen der Kanäle, um seine Friedensbereitschaft gegenüber den protestantischen Kurfürsten zu beteuern. Andere Vorstellungen, etwa eine Einbeziehung der reformierten Konfession in den Reichsreligionsfrieden, konnte Christian hingegen ebenso wenig erreichen, wie ein Abwenden weiterer militärischer Ereignisse in den anhaltinischen Fürstentümern. Die hohen Erwartungen auf einen realen und dauerhaften Frieden erfüllten sich letztlich nicht. Die Nichtberücksichtigung der ausländischen, am Krieg beteiligten Mächte verurteilte den Prager Frieden ebenso zum Scheitern wie seine reichskonstitutionellen und konfessionellen Schwachpunkte. Spätestens mit der Plünderung seiner Residenzen, der persönlichen Gefahr im eigenen Haus, den weiteren hohen Belastungen für Anhalt durch Feind und Freund, allen voran Kursachsen, musste dies auch Christian II. erkennen. Obwohl der Prager Frieden dank der in seinem Abschluss zutage getretenen Kompromissbereitschaft auf allen Seiten für den weiteren Pazifizierungsprozess auf diplomatischem Wege richtungsweisend war, wurde er für ihn wie für wohl viele seiner Zeitgenossen somit zu einer enttäuschten Hoffnung.





Die Messrelationen und das Nachrichtenwesen der Habsburger Esther-Beate Körber

Messrelationen waren Medien von ganz besonderer Erscheinungsweise1. Sie wurden in mehreren Städten des Heiligen Römischen Reiches hergestellt, unter anderem in Köln, Frankfurt am Main, Leipzig, Heidelberg und Magdeburg, speziell zu dem Zweck, auf den Handels- und Buchmessen in Frankfurt und Leipzig verkauft zu werden. Messen gab es in Frankfurt zweimal jährlich, in Leipzig dreimal im Jahr (kurz nach Ostern, im Herbst und zu Neujahr). Das bedeutet, dass Messrelationen nicht regelmäßig „periodisch“ erschienen, sondern eben zu jeder Messe, „messentlich“, wie der frühneuhochdeutsche Ausdruck dafür hieß. Der Vertrieb auf der Messe bedeutete auch, dass die Messrelationen in der Regel nicht über die Post vertrieben wurden, sondern über den Buchhandel, und dass sie nicht abonniert werden konnten. Ein Käufer konnte aber selbstverständlich seinen örtlichen Buchhändler beauftragen, „messentlich“ eine Messrelation für ihn zu erwerben und bereitzuhalten. Inhaltlich boten die Messrelationen eine Zusammenstellung aller wichtigen Nachrichten, die jeweils seit der letzten Messe beim Drucker und Verleger eingelaufen waren. Denn dieser Drucker und Verleger (es war meist ein und dieselbe Person) war für das Sammeln der Nachrichten verantwortlich, also am Druckort in Köln, Magdeburg, Frankfurt oder wo auch sonst. In den meisten Fällen besorgte dann ein angestellter Redakteur die Auswahl, Zusammenstellung, fallweise die Übersetzung und schließlich die druckreife Formulierung der Nachrichten2. Nur im Falle der Magdeburger Relationen hat diese Aufgabe wahrscheinlich der Verleger Johann Francke als Nebenbeschäftigung erledigt – und das sieht man dem Produkt auch an, die Hefte sind zum Teil nachlässig gefertigt, und die Nachrichtendarbietung richtet sich nicht nach auch nur einigermaßen festgelegten Maßstäben wie bei den anderen Reihen von Messrelationen3. Der Redakteur formulierte Überschriften, die den Inhalt der wichtigsten Meldungen angaben, wenn auch nicht für alle Meldungen, denn das hätte zuviel Platz gebraucht. Der 1   Die Ausführungen zur Form der Messrelationen basieren auf: Esther-Beate Körber, Messrelationen. Geschichte der deutsch- und lateinischsprachigen „messentlichen“ Periodika von 1588 bis 1805 (Presse und Geschichte – Neue Beiträge 92, Bremen 2016) insbesondere 11–23. 2  Der Ausdruck „Redakteur“ soll hier die in der Regel abhängige Position des „Zusammenstellers“ der Nachrichten sowie seine hauptsächliche Arbeit kennzeichnen. In der Darstellung Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1), wird stattdessen vom „Kompilator“ gesprochen (Begründung ebd. 14f.), weil der Anteil der Redaktion im Verhältnis zum bloßen Zusammenstellen von Nachrichten im Zeitverlauf schwankte und nur geschätzt werden kann. Kommentierende Elemente in der Berichterstattung können wahrscheinlich dem Redakteur zugeschrieben werden. 3  Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 118–122.

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Verleger entschied über weitere Orientierungsmittel für die Leser, zum Beispiel Seitenzählung (sie war nicht selbstverständlich) oder ein Inhaltsverzeichnis (auch das musste nicht sein). Heraus kam schließlich ein Druckwerk im Quartformat im Umfang von meist 96 oder 104 Seiten. Abweichungen nach oben waren möglich bei großem Nachrichtenaufkommen; blieben die Nachrichten aus oder wurde das Papier knapp – häufig eine Kriegsfolge –, dann kamen in Leipzig oder Köln auch einmal Doppelnummern für zwei Messetermine vor4. Die Messrelationen wurden wahrscheinlich geheftet, aber ungebunden auf die Messe geliefert – in Fässern, dem gewöhnlichen Transportmittel für vielerlei Waren – und dort an die Buchhändler verkauft, die sie wiederum ihrem eigenen Sortiment eingliederten. Gebunden wurden die Messrelationen erst von den Käufern und auch von ihnen meist erst dann, wenn sie mehrere Hefte nacheinander erworben hatten – in manchen Bibliotheken gibt es Bände von zwanzig und mehr Messrelationen, mit denen man beim Lesen entsprechende Mühe hat.

Was hat nun dieses merkwürdige Medium mit dem Nachrichtenwesen der Habsburger zu tun? Oder anders formuliert: Welche Möglichkeiten hatten die Habsburger, das zu beeinflussen, was in den Messrelationen als Nachricht(en) weitergegeben wurde? Zwar unterlagen die Messrelationen wie alle Druckwerke theoretisch der Zensur der kaiserlichen Bücherkommission. In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges konnte die Zensur jedoch nur wenig ausrichten: Die Veröffentlichungen waren so zahlreich, die Drucker so findig und die Zensurbehörden so hoffnungslos personell unterbesetzt, dass kritische Stellen meist erst entdeckt wurden, wenn es zu spät war und die Obrigkeit den Drucker allenfalls noch zu einem Dementi nötigen konnte. Das fiel dann manchmal komisch und entsprechend durchschaubar aus, etwa, wenn etwa gleich fünf Bischöfe auf einmal sich an einen von ihnen in Auftrag gegebenen und unterschriebenen Brief an den Kaiser nicht mehr erinnern wollten, so geschehen im Jahre 1630 bei einer Frankfurter Messrelation5. Für den Vertrieb waren die Messrelationen nicht auf die Post angewiesen, weil sie zu und von den Messen in den Fässern der Buchhändler reisten. Die kaiserliche Post, damals organisiert von Mitgliedern der Familie Taxis und schon von Beginn an auch für die Beförderung privater Briefe eingerichtet6, war vielmehr für die Messrelationen wichtig als Verbreitungsstruktur für Nachrichten. Ohne Post – die kaiserliche und andere, denn neben der Taxis’schen Post gab es auch noch territoriale Postanstalten7 und sogar solche großer Städte wie die Hamburger Post8 – hätten die Drucker und Verleger die Nachrichten gar nicht empfangen können, die später gedruckt und in den Zeitungen (seit 16059) oder den   Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 89f., 199.   Relationis Historicae Semestralis Continvatio (Frankfurt/Main [Latomus] 1631) Frühjahr, 3, vgl. EstherBeate Körber, Messrelationen. Biobibliographie der deutsch- und lateinischsprachigen „messentlichen“ Periodika von 1588 bis 1805, Bd. 1 (Presse und Geschichte, Neue Beiträge 93, Bremen 2018) Nr. 269, 449. 6  Hamish Scott, Travel and Communications, in: The Oxford Handbook of Early Modern European History, 1350–1750, Bd. 1: Peoples and Place, hg. von dems. (Oxford 2015) 164–191, hier 174. 7   Zum Streit zwischen der Taxis-Post und der Post von Hessen-Kassel im 17. Jahrhundert vgl. Gottfried North, Die Post. Ihre Geschichte in Wort und Bild (Heidelberg ²1995) 45. 8  Zur Hamburger Post vgl. Erich Kuhlmann, Die Post im alten Hamburg. Postgeschichtliche Blätter 27 (1984) passim. 9 Johannes Weber, Straßburg 1605: Die Geburt der Zeitung. Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 7 4 5



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Messrelationen unters lesende Volk gebracht wurden. Die Drucker und Verleger brauchten die Post, um Nachrichten zu bekommen, genauso wie, in anderer Art, die kaiserliche Obrigkeit auch10. Wie sah aber die Beziehung zwischen Post, Nachrichtenverkehr und gedruckten Medien aus? In der mediengeschichtlichen Literatur findet man immer wieder die These, die Postmeister selbst hätten aus dem, was auf dem Postweg transportiert wurde, Nachrichten zusammengestellt und sie dann drucken lassen11. Das stimmt zwar, aber man darf es sich nicht so vorstellen, dass die Postmeister Briefe erbrochen und abgeschrieben hätten. Das war damals wie heute Spionage und gehörte nicht ins bürgerliche Berufsbild – und wenn es doch einmal geschah, dann hatte eine Obrigkeit es angeordnet und war in der Regel gerade an der Geheimhaltung, nicht an der Verbreitung der Nachricht interessiert. Im Normalfall waren die Postmeister nur für die ordnungsgemäße Weiterleitung von Briefen zuständig und nahmen ihren Inhalt nicht zur Kenntnis. Die Beziehung zwischen Post, Nachrichten und Medien war mit Spionage jedenfalls nicht identisch, wenn sie diese auch einschließen konnte. Nachrichtenbriefe, die primären Medien der Nachrichtenverbreitung, wurden von professionellen Nachrichtenschreibern handschriftlich zusammengestellt und gegen Gebühr ebenfalls handschriftlich vervielfältigt und an unterschiedliche Bezieher weitergeleitet12. Das Porto für die Beförderung über weitere Entfernungen mit der Post zahlte damals in der Regel der Empfänger13 beim Abholen des Briefes auf dem Postamt – denn Postzustellung direkt an Privatleute gab es noch nirgendwo14. Die Postmeister genossen allerdings das Vorrecht, dass sie Briefe portofrei beziehen und verschicken durften15. Das gab ihnen die Möglichkeit, von ihren Kollegen Nachrichten zu empfangen und ihrerseits sich mit Nachrichten aus ihrem Ort zu revanchieren16, die in der eigenen Stadt als „Lokalnachricht“ uninteressant gewesen wären, weil sie sich schneller „herumgesprochen“ hätten, als man sie schreiben und verschicken konnte. Selbstverständlich konnten Postmeister auch von anderen als ihren Amtskollegen Nachrichten erhalten und diese dann ohne Zusatzkosten weitergeben. Auf diese Weise konnten die Postmeister zu Sam(2005) 3–26. 10   Zur Funktion der Post als Zuträgerin von Nachrichten an die Obrigkeiten schon Konrad Schwarz, Der Postzeitungsvertrieb in der deutschen Postgeschichte (Post und Telegraphie in Wissenschaft und Praxis 34, Berlin 1936) 19. 11  Ebd. 43f.: Wolfgang Behringer, Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolution in der Frühen Neuzeit (VMPIG 189, Göttingen 2003) 324f., schreibt, dass Postmeister im Nachrichtengewerbe tätig waren, sich als „Novellanten“ betätigten, bringt sie aber nicht unmittelbar mit dem Zeitungsverlag in Verbindung. Weitere Belege ebd. 342, 346f. Die „Postmeistertheorie“ wird auf das Ausnahmebeispiel Johann von den Birghdens zurückgeführt (ebd. 381f.). Tatsächlich von Postmeistern herausgegebene Zeitungen behandelt Behringer ebd. 387–409. 12  Brendan Dooley, Sources and Methods in Information History. The Case of Medici Florence, the Armada, and the Siege of Ostende, in: News and Politics in Early Modern Europe (1500–1800), hg. von Joop Koopmans (Groningen Studies in Cultural Change XIII, Leuven–Paris–Dudley, MA 2005) 29–46, hier 33. 13   North, Die Post (wie Anm. 7) 88. 14   Zur Postorganisation am Beispiel Frankreichs vgl. Patrick Marchand, Le Maître de Poste et le Messager. Une Histoire du Transport Public en France au Temps du Cheval (Paris 2006) 97–99. 15   Zum Verschicken von Nachrichten durch Postmeister vgl. Schwarz, Postzeitungsvertrieb (wie Anm. 10) 11; Behringer, Im Zeichen des Merkur (wie Anm. 11) 357f. Zur Portobefreiung der Postmeister von Amts wegen vgl. Heiko Droste, Das Geschäft mit Nachrichten. Ein barocker Markt für soziale Ressourcen (Presse und Geschichte – Neue Beiträge 122, Bremen 2018) 88, 192. 16   Droste, Geschäft mit Nachrichten (wie Anm. 15) 137.

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melpunkten von Nachrichten werden und gehörten zu den wichtigsten Nachrichtenverbreitern. Um aus den gesammelten Nachrichten aber mehr und anderes zu machen als weitere Nachrichtenbriefe oder Bruchstücke davon, brauchte man entweder viel zusätzliche Zeit – zum Abschreiben und Neuzusammenstellen, ggf. Übersetzen, zum Redigieren und Drucken – oder zusätzliches Kapital, um diese Arbeiten von anderen erledigen zu lassen. Genau das, nämlich die redaktionelle Zusammenstellung eines Mediums – in diesem Falle einer Messrelation – aus Nachrichtenbriefen, die auf der kaiserlichen Post eingelaufen waren, hatte der Frankfurter Postschreiber Andreas Striegel zu Anfang des 17. Jahrhunderts versucht, war aber gescheitert, weil er sich mit schmaler Eigenkapitalbasis nicht gegen die schon etablierte Konkurrenz durchsetzen konnte17. Erst recht war die „Postmeisterzeitung“ im Heiligen Römischen Reich eher die Ausnahme. Wenn die Postmeister sich im Zeitungsgewerbe engagierten, dann dort, wo sie es fachlich verstanden, nämlich als Sammler und Weiterverbreiter von Nachrichten, deren Druck sie finanzierten, also als Verleger18, nicht aber als Redakteure. Sie bildeten aber auch nicht die Mehrheit der Medienverleger. Die meisten Zeitungsverleger und alle Verleger von Messrelationen im Heiligen Römischen Reich waren Drucker mit guter Kapitalausstattung, wie der erste Wiener Zeitungsverleger Matthäus Formica (1591–1639)19. Die Drucker waren zwar ihrerseits auf die Postmeister (und wahrscheinlich auch auf andere Personen) als Nachrichtenlieferanten angewiesen20. Die Postmeister waren und blieben also wichtige Nachrichtenlieferanten. Aber dafür, dass aus den Nachrichtenbriefen Texte gedruckter Medien werden konnten, mussten die Nachrichten aus den Nachrichtenbriefen ausgewählt – weil die Menge der kursierenden Nachrichten schon damals alle Druckkapazitäten überstieg – sowie redigiert und neu zusammengestellt werden. Für diese Arbeiten waren in der Regel andere Personen zuständig als die Verleger, sodass die Postmeister mit diesen Arbeitsgängen nichts (mehr) zu tun hatten. Weil die Postmeister also in der Regel keinen Einfluss auf den Inhalt der Nachrichtenbriefe nahmen, hätten die Habsburger die Inhalte der Medien auch nicht durch die Umoder Neubesetzung von Postmeisterstellen beeinflussen können. Sie versuchten es auch, soweit bekannt ist, nur ein einziges Mal in einer außergewöhnlichen Situation, nämlich im Fall des Frankfurter Postmeisters Johann von den Birghden (1582–1645)21. Dieser Mann trug als kaiserlicher Postmeister im Taxis’schen Posthaus in Frankfurt am Main Verantwortung für das gesamte System der Taxis’schen Post und damit für die Weiterleitung sehr vieler Nachrichtenbriefe im Heiligen Römischen Reich. Im Laufe der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts geriet Birghden in den Verdacht, für die Feinde des Kaisers spioniert, also Briefe erbrochen und für ihre falsche Weiterleitung gesorgt zu haben. Kai  Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 35–38.   Schwarz, Postzeitungsvertrieb (wie Anm. 10) 11, 17f. Der bei Droste, Geschäft mit Nachrichten (wie Anm. 15) 111, benutzte Terminus „Herausgeber“ ist missverständlich, weil das Wort sowohl den Verleger als auch den Redakteur bezeichnen kann. Nach Behringer, Im Zeichen des Merkur (wie Anm. 11) 413, waren rund 15 % der Zeitungsverleger in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Postmeister, jedoch 67 % Drucker. 19  Helmut W. Lang, Die Anfänge der periodischen Presse in Österreich, in: Helmut W. Lang–Ladislaus Lang–Wilma Buchinger (Bearb.), Österreichische Retrospektive Bibliographie (ORBI), Reihe 2: Österreichische Zeitungen 1492–1945/Band 2: Bibliographie der österreichischen Zeitungen 1621–1945, A–M (München 2003) 21–29, hier 22. 20  Droste, Geschäft mit Nachrichten (wie Anm. 15) 193. 21 Zum Folgenden vgl. Karl Heinz Kremer, Johann von den Birghden 1582–1645. Kaiserlicher und königlich-schwedischer Postmeister zu Frankfurt am Main (Presse und Geschichte 15, Bremen 2005) 267. 17 18



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ser Ferdinand II. ließ den Postmeister im März 1627 durch ein kaiserliches Geheimdekret absetzen. Dabei kann das Wort „geheim“ nur die Art des Schriftstücks bezeichnet haben, nicht etwa die Tatsache, dass von der Absetzung niemand Kenntnis erhalten sollte, denn sonst wäre sie ja nicht durchsetzbar gewesen. Infolge dieses „geheimen“ Dekrets wies der Kaiser den Generalpostmeister und Familienchef Leonhard II. von Taxis (1582–1645) an, die Frankfurter Postmeisterstelle mit einem „wollintentionirten Catholischen Subjecto“ zu besetzen. Ein solcher Kandidat scheint nicht sofort zur Hand gewesen zu sein, und eine gewaltsame Verhaftung Birghdens wollten offenbar weder der Kaiser noch der Generalpostmeister von Taxis – wobei ohnehin zweifelhaft ist, ob sie diese hätten durchsetzen können. Leonhard von Taxis entschied sich für die elegantere Methode der wirtschaftlichen Kriegführung: Er eröffnete in Frankfurt ein Konkurrenz-Postamt, richtete eigene Postrouten ein und sorgte dafür, ob durch Überredung oder mit Gewalt, dass die Postboten, die nach Frankfurt kamen, die Briefe in seinem statt in Postamt ablieferten22. Das war zugleich ein Vorteil für Taxis, da nun er anstelle Birghdens die Portogebühren kassierte. Vor allem aber sollte es selbstverständlich die Spionage Birghdens unterbinden, von welcher der Kaiser Kenntnis zu haben glaubte. Taxis sollte und wollte den Postmeister delegitimieren und damit auch die Nachrichtenhändler zwingen, ihre Briefe bei ihm, Taxis, und nicht bei Birghden einzuliefern. Letzterer wurde dann im November 1627 förmlich vom Kaiser abgesetzt23; und ein Jahr nach dem Geheimdekret, im März 1628, trat ein katholischer Postmeister namens Gerhard Vrints in Frankfurt sein Amt an24. Aber obwohl er jetzt der offizielle kaiserliche Postmeister war, gelang es ihm nicht, den abgesetzten Birghden zu verdrängen oder auch nur wirtschaftlich entscheidend zu treffen. Denn Birghden wurde vom Frankfurter Magistrat unterstützt. Zwar konnte sich der Magistrat nicht ausdrücklich gegen den Kaiser stellen, ließ aber zu, dass Birghden weiterhin Briefe entgegennahm, weiterleitete und auch Boten beschäftigte, wenn auch jetzt in Konkurrenz zur kaiserlichen Taxis’schen Post25. Zudem ließ sich der Spionageverdacht gegen Birghden nicht erhärten, im Gegenteil. Birghden wurde schon im Dezember 1629 rehabilitiert und in seinen früheren Rechten und Privilegien bestätigt26. Als Gerhard Vrints 1631 die Flucht ergriff, weil sich die Schweden der Stadt Frankfurt bedrohlich näherten, übernahm Birghden auch wieder sein Postmeisteramt – in kaiserlichen Diensten, wohlgemerkt, bevor er dann nach der schwedischen Besetzung der Stadt im November 1631 in schwedischen Dienst wechselte. Ob dieser „Postmeisterkrieg“ Auswirkungen auf die Nachrichtengestaltung der Medien und insbesondere der Messrelationen gehabt hat, ist nicht sicher. Eine prokaiserliche und infolgedessen auch prokatholische Kommentierung zum oberösterreichischen Bauernaufstand, die im Frühjahr 1627 in der Frankfurter Messrelation erschien27, war sicher vor dem „geheimen“ Absetzungsdekret und erst recht vor jeder kaiserlichen oder Taxis’schen Maßnahme formuliert und in das Manuskript für die Messrelation aufgenommen worden – von dem damaligen Redakteur, dem aus Frankfurt stammenden Drucker

  Ebd. 274f.   Kremer, Birghden (wie Anm. 21) 280f. 24 Ebd. 299f. Die Lebensdaten dieses Vrints sind unbekannt. 25  Ebd. 303. 26  Zum Folgenden vgl. ebd. 325f. 27  Relationis Historicae Semestralis Continvatio (Frankfurt/Main 1627) Frühjahr, 21–55, siehe auch Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 260, 437. 22 23

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und Übersetzer Georg Beatus (Seliger) (1580–nach 1632)28. Die Kommentierung hing also nicht ab von den Auseinandersetzungen um die Postmeisterstelle. Vielmehr erklärt sich der Kommentar wahrscheinlich daraus, dass die Verlegerfamilie dieser Frankfurter Messrelationen, die Witwe Anna Katharina Latomus († 1656) und ihre Kinder, sich zu dieser Zeit um ein kaiserliches Privileg für die Messrelationen bemühte – und zwar um ein sehr umfassendes Privileg: Anna Katharina Latomus wollte Monopolistin für den Druck von Messrelationen überhaupt werden29, was sie bis dahin nicht gewesen war. Sie sollte das Privileg kurz nach der Drucklegung der erwähnten Messrelation erhalten, es wurde am 13. April 1627 ausgestellt. Allerdings erstreckte sich das Privileg nicht so weit, wie die Witwe Latomus es erbeten und wahrscheinlich gehofft hatte; sie erhielt den gewöhnlichen Schutz vor Nachdruck, aber kein Monopolprivileg. Von alledem konnte sie allerdings noch nichts wissen, als die Messrelation vom Frühjahr 1627 gedruckt wurde. Die Familie Latomus wartete vielmehr zu dieser Zeit noch darauf, das Privileg zu erhalten, und in dieser Lage empfahl es sich selbstverständlich nicht, Misstrauen oder Verdacht beim Kaiser zu erregen, gerade nicht in konfessioneller Hinsicht, aber auch nicht in Bezug auf politische Präferenzen. Die Erkenntnisse aus dem „Postmeisterkrieg“ lassen sich also folgendermaßen zusammenfassen: Die Postmeisterstelle bei der Taxis’schen Post war für die Habsburger wichtig, insofern sie selbst auf Nachrichten – und auf Nachrichtendienst – angewiesen waren30. Sie wollten und mussten sich auf denjenigen verlassen können, der dafür verantwortlich war, welche Briefe sie bekamen. Sie hatten aber offensichtlich keine konfessionellen Vorbehalte gegen den Protestanten von den Birghden, solange er sein Amt auf verlässliche Weise versah. Es waren ja der Spionageverdacht und seine Aufhebung gewesen, die über das Schicksal Birghdens entschieden hatten, aber nicht seine Konfession. Inhalt und Tendenz der veröffentlichten gedruckten Nachrichten waren über die Postmeisterstelle kaum zu beeinflussen. Eine wirkungsvollere Beeinflussungsmöglichkeit ergab sich für die Habsburger anscheinend indirekt aus der Privilegierung. Ein Privileg verbot den Nachdruck eines bestimmten Buches oder einer periodischen Schrift ohne Erlaubnis des Privilegieninhabers, bei den Messrelationen in der Regel für zehn Jahre und unter Androhung hoher Geldstrafen bei Zuwiderhandlung31. Konkurrenten wurden dadurch wirkungsvoll abgeschreckt. Bei den Messrelationen sieht man diesen Abschreckungseffekt daran, dass es keine Nachdrucke und auch keine Neugründungen von Messrelationen-Reihen mehr gab, sobald alle bestehenden Reihen Privilegien erhalten hatten32. Die Privilegierung bedeutete also stärkere wirtschaftliche Sicherheit für den Verleger. Allerdings reichte auch die Geltung eines kaiserlichen Nachdruckschutz-Privilegs nur so weit wie die kaiserliche Exekutivge28  Zu Beatus vgl. Christoph Reske, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 51, Wiesbaden 2007) 248. Zu seinem Dienstantritt als Redakteur von Messrelationen vgl. Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 159. 29   Zum Folgenden vgl. HHStA, Buchdruckerprivilegien, Kart. 40, fol. 441r. 30  Zur Nachrichtenbeschaffung für die Obrigkeit als Aufgabe der Postmeister am Beispiel Schwedens vgl. Droste, Geschäft mit Nachrichten (wie Anm. 15) 246. 31  Vgl. die summarische Wiedergabe des Privilegieninhalts auf den Titelblättern der Messrelationen von Latomus’ Erben ab Frühjahr 1671, Beispiel: Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 350, 542. 32  Dazu vgl. Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 161f.



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walt – das heißt, dass beispielsweise die kursächsische Bücherkommission es sich erlauben konnte, ein drohendes Schreiben des Frankfurter kaiserlichen Bücherkommissars wegen eines angeblichen Nachdrucks kommentarlos zu den Akten zu legen33, zumal der inkriminierte Nachdruck gar nicht stattgefunden hatte. Ein Privileg wurde prinzipiell nur gegen Gebühr ausgestellt und musste auch nach Ablauf der Schutzfrist von zehn Jahren gebührenpflichtig erneuert werden. Als weitere Gegenleistung für die Privilegierung verpflichtete sich der Verleger, das Manuskript oder einen Vorabdruck zur Vorzensur vorzulegen und von der gedruckten Auflage einige Pflichtexemplare an die herrscherliche Bibliothek einzuschicken34. Die kaiserliche Zensur war zwar, was einzelne Exemplare anging, offensichtlich ineffektiv und weitgehend unwirksam. Aber das Wissen, dass der Kaiser bei Verstößen gegen die Zensurnormen das Privileg auch wieder entziehen konnte, wirkte doch, ebenso offensichtlich, disziplinierend auf Verleger und Redakteure, jedenfalls auf kurze Zeit. Davon zeugen einige Dokumente zur gegenreformatorischen Politik des Kaisers, die in der Zeit kurz nach der Privilegierung nicht oder zurückhaltend kommentiert wurden35. Aber schon bald scheinen sowohl die Verlegerin Latomus als auch ihre Redakteure gemerkt zu haben, dass die kaiserliche Zensur nicht so schnell und vor allem nicht so effektiv zugreifen konnte, wie sie vielleicht gefürchtet hatten. So setzte sich auch die protestantische Tendenz in der Kommentierung der Frankfurter Messrelationen wieder durch, schon vor der schwedischen Besetzung der Stadt. Das zeigt sich recht deutlich an einigen kommentierenden Sätzen in der Berichterstattung über das Schicksal Magdeburgs in der Herbstrelation 1631. Schon die Überschrift artikuliert gewissermaßen das Mit-Leiden des Redakteurs, der diese Überschrift formuliert hatte: „Von Belägerung vnd trawriger Eroberung der Statt Magdeburg“36. Über die Entstehung des großen Stadtbrandes gebe es unterschiedliche Darstellungen, schrieb der Berichterstatter: „theils sagen/ die Keyserische hetten es angezündet/ damit den Bürgern ein Schrecken einzujagen [...] theils aber sagen die in der Statt hetten es selber gethan/ auß Verzweifflung/ damit den Keyserischen nichts zu gut/ vnd sie auch nicht in derselben Hände kämen“37. Der Redakteur ließ nicht erkennen, ob er einer der beiden Ansichten eher zuneigte, wies aber am Schluss des Berichts auf die Rechtfertigungsschrift Gustav 33 Albrecht Kirchhoff, Die Kaiserl. Bücher-Commission zu Frankfurt a. M. und die Leipziger Messe, Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels 7 (1882) 264–266, hier 265f. Zur Abwehr der Drohung durch den Leipziger Rat vgl. Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 161. 34   Zur entsprechenden Bestimmung im Messrelationen-Privileg der Witwe Latomus vgl. ÖStA, HHStA Wien, Buchdruckerprivilegien, Kart. 40, fol. 441v. Daher rühren die umfangreichen Bestände Frankfurter, aber nicht Leipziger Messrelationen in der heutigen ÖNB. 35  Beispielsweise: kaiserliches „ReformationsPatent“ für die böhmischen Herren und Ritter, in: Relationis Historicae Semestralis Continvatio (Frankfurt/Main 1627) Herbst, 61–66, vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 262, 440; zur Vertreibung protestantischer Pfarrer und Lehrer aus Österreich unter der Enns: Relationis Historicae Semestralis Continvatio (Frankfurt/Main 1628) Frühjahr, 10–18, vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 263, 442; zur kaiserlichen Rekatholisierungspolitik: Relationis Historicae Semestralis Continvatio (Frankfurt/Main 1629) Frühjahr, 32f., vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 264, 444. Prokatholischer Kommentar zum Restitutionsedikt: Relationis Historicae Semestralis Continvatio (Frankfurt/Main 1629) Herbst, 3; vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 266, 446. 36  Relationis Historicae Semestralis Continvatio (Frankfurt/Main 1631) Herbst, 32; vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 270, 451. 37  Relationis Historicae Semestralis Continvatio (Frankfurt/Main 1631) Herbst, 36; vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 270, 451.

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Adolfs hin, warum er Magdeburg nicht habe entsetzen können, und betonte, der schwedische König habe sich über die Zerstörung Magdeburgs „sehr hoch [...] bekümmert/ vnd geschworen/ er wolte es dergestalt rechen/ daß die gantze Welt davon zu sagen wissen solte/ vnd solte es jhn gleich selbsten das Leben kosten“38. Eine solche Mitteilung war sicher geeignet, protestantische Hoffnungen zu bestärken, und zeugt auf diese Weise mittelbar dafür, auf welcher Seite der Redakteur stand. Durch das Warten auf das Privileg und durch die Privilegierung selbst waren zwar die Kommentierfreudigkeit überhaupt und die protestantische Kommentierung insbesondere auf einige Zeit gedämpft worden, zu ihrer dauernden Unterdrückung aber führte das Privileg offensichtlich nicht. Wollten die Habsburger auf den Inhalt veröffentlichter oder zu veröffentlichender Nachrichten tatsächlich deutlich und längerfristig Einfluss nehmen, so blieben ihnen als weitere Möglichkeiten nur noch, diese Nachrichten entweder selbst schreiben oder die eingehenden Nachrichten in der Hofkanzlei redigieren zu lassen und erst dann zur Veröffentlichung freizugeben und weiterzuleiten. Auf den Gedanken, Hofnachrichten gezielt und direkt ins Nachrichtensystem einzuspeisen, kamen die Habsburger offenbar erst lange nach dem Dreißigjährigen Krieg39. Berichte über größere Schlachten aber wurden schon in der Kriegszeit obrigkeitlich redigiert – von allen kriegführenden Mächten, nicht nur von den Habsburgern. Göran Rystad hat das schon im Jahr 1960 anhand von Berichten über die Schlacht von Nördlingen 1634 nachgewiesen, in der kaiserliche und spanische Truppen einen entscheidenden Sieg über die Schweden errangen40. Allerdings war auch diese Methode der Beeinflussung unter den Bedingungen des Nachrichtenverkehrs im Krieg nicht völlig verlässlich. Die Redaktion einer Nachricht in der kaiserlichen Kriegskanzlei kostete Zeit, die Weiterbeförderung mit der Post auch, und die Drucker schätzten schon damals die aktuelle Nachricht mehr als eine, die später einlief, erst recht dann, wenn auch noch der Verdacht auf tendenziöse Redaktion bestand. Der schnellere, nicht der loyale Drucker war im Vorteil. Das zeigt sich an einem Bericht über die Nördlinger Schlacht, der bei Rystad nicht vorkommt – wahrscheinlich, weil Rystad nicht damit gerechnet hatte, dass es einen solchen Bericht überhaupt geben konnte. Johann Philipp Abele (1600–1634)41, 1634 noch Redakteur der Frankfurter Messrelationen, muss ein wahres Kunststück schneller Nachrichtenverarbeitung vollbracht haben, dass er die Nachricht von der Schlacht vom 5./6. September 1634 nicht nur noch im gleichen Monat erhielt, sondern auch sofort für ihren   Ebd. 41.   Vgl. zur Gründung des „Wienerischen Diariums“ als eines habsburgischen Sprachrohrs im Spanischen Erbfolgekrieg: Wolfgang Duchkowitsch, In Zeitungen „unwahrhafftige Sachen ein Khommen thuen“. Zeitungskontrolle und -lektüre in der kaiserlichen Residenzstadt, in: Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert: Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit, hg. von Volker Bauer–Holger Böning (Presse und Geschichte – Neue Beiträge 54, Bremen 2011) 433–454, hier 449; Ders., Absolutismus und Zeitung. Die Strategie der absolutistischen Kommunikationspolitik und ihre Wirkung auf die Wiener Zeitungen (Diss. Wien 1978) 154f. Zur planmäßigen – und gebührenpflichtigen – Lieferung von Hofnachrichten an den Verleger des „Wienerischen Diariums“ vgl. Martha Berger, „Wienerisches Diarium“ 1703–1780. Ein Beitrag zur Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat und Presse (Diss. Wien 1953) 82. Sie zitiert das Privileg mit der auf die Gebührenpflicht hinweisenden Wendung prästitis prästandis, behauptet aber an gleicher Stelle, der Verleger habe diese Nachrichten „unentgeltlich“ erhalten. 40 Göran Rystad, Kriegsnachrichten und Propaganda während des Dreissigjährigen Krieges. Die Schlacht bei Nördlingen in den gleichzeitigen, gedruckten Kriegsberichten (Skrifter utgivna av vetenskaps-societeten i Lund/Publications of the New Society of Letters at Lund 54, Lund 1960). 41  Zu ihm vgl. Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 343. 38 39



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Druck sorgte, sodass sie noch in der Herbstausgabe der Messrelation stand, die zu Michaelis am 29. September herauskam42. Wahrscheinlich druckte die Familie Latomus wie in späteren Jahren, so schon damals ihre Messrelationen noch in den ersten Messetagen, um möglichst aktuelle Nachrichten noch verarbeiten zu können43. Der Schlachtbericht stammte, wie die Wortwahl zeigt, von einem Offizier, der auf schwedischer Seite kämpfte, aber kein schwedischer Untertan war, da er distanziert von den „Schwedischen“ statt von den „unsern“ schrieb und von der kaiserlichen Seite als dem „Feind“ gesprochen wurde. Dass der Bericht, bevor er überhaupt als Nachricht veröffentlicht wurde, auf schwedischer Seite redigiert worden war, ist möglich, wenn es auch ziemliche Eile von allen Bearbeitern verlangt hätte, denn das schwedische Hauptquartier in Mainz war jedenfalls von Frankfurt nicht weit entfernt. Die Schweden hatten den Vorteil der kurzen Wege. Dazuhin verfügten sie auch über Offiziere, die fachkundig und der deutschen Sprache mächtig waren. Die Bilanz des Berichts entsprach dem Bild, das schon Rystad von der schwedischen und deutschen Publizistik kurz nach der Nördlinger Schlacht im Allgemeinen entworfen hat. Die Niederlage wurde zwar nicht verschwiegen, aber in ihrer Bedeutung heruntergespielt. Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar (1604–1639), so hieß es am Schluss, bemühe sich, die zerstreuten schwedischen Truppen wieder zu sammeln, damit man dem „Feind“ desto entschiedener entgegentreten könne. Erst das nächste Messrelationen-Heft – mit dem neuen Redakteur Johann Georg Schleder (1609–1689)44 – gab das Ausmaß der Niederlage realistischer an, allerdings auch nicht gerade unter Lobeshymnen für die kaiserliche Seite: „Vnd obwol anfänglich auff der Keyserischen Seiten auch nit ein geringer Schade geschehen [...] so ist jedoch ein solches gegen der Schwedischen Niederlag vor fast nichts/ oder ja gantz gering zu achten“45.

Auch das Selbst-Verfassen, Redigieren und Einspeisen von Nachrichten in das weitere System der Nachrichtenbriefe und Berichte garantierte also noch nicht unbedingt dafür, dass die Nachrichten, die der Kaiser und seine Räte verbreitet wissen wollten, auch tatsächlich und in einer Gestalt erschienen, die der Kaiser sich wünschte. Die durchgehende konfessionelle Prägung der Medien im Dreißigjährigen Krieg, in der auch die Messrelationen keine Ausnahme darstellten (die Behauptung, ihr Stil sei immer trocken und unparteilich gewesen, entspringt einer unzulässigen Verallgemeinerung46) machte es offenbar 42 Zum Folgenden vgl. Relationis Historicae Semestralis Continvatio (Frankfurt/Main 1634) Herbst, 95–97, vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 276, 458f. 43   Für 1717 nachgewiesen, vgl. Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 282. 44  Zu ihm vor allem Hermann Bingel, Das Theatrum Europaeum. Ein Beitrag zur Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts (Lübeck 1909, ND Wiesbaden 1969) 7–69; Lebensdaten Körber, Messrelationen (wie Anm. 1) 357. 45   Relationis Historicae Semestralis Continvatio (Frankfurt/Main 1635) Frühjahr, 18; vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 277, 460. 46  Zum angeblich trockenen und sachlichen Stil vgl. Felix Stieve, Ueber die ältesten halbjährigen Zeitungen oder Messrelationen und insbesondere über deren Begründer Freiherrn Michael von Aitzing (Abhandlungen der königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften III/16, München 1881) 42; Heinrich Jacobi, Die Entwicklung des Frankfurter Zeitungswesens (bis 1850) (Diss. Frankfurt/Main 1926) 16. Weitere Literaturangaben dazu und Zurückweisung dieser Behauptung bei Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 201; Auseinandersetzung mit der Behauptung des sachlichen Stils ebd. 48–184.

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schwierig (von besonderen Bedingungen abgesehen), auf der jeweiligen konfessionellen Gegenseite überhaupt Gehör zu finden. Angesichts dieser Beobachtungen liegt es nahe, anzunehmen, dass Kaiser Ferdinand II es zu Recht einem „Catholischen Subjecto“ eher zutraute, im Sinne kaiserlicher Interessen tätig zu werden. Würde sich ein katholischer Redakteur vielleicht eher für eine kaiserfreundliche Informationspolitik gewinnen lassen? Die einzige Messrelationenreihe, die noch nach 1630 unter katholischer Ägide herauskam, stammte aus Köln und erschien bei dem Drucker-Verleger Peter von Brachel († 1650). Der Titel wurde in den dreißiger Jahren wegen eines Privilegienstreits mit dem Verlagshaus Latomus mehrfach geändert, er lautete „Neuer unpartheyischer Celer Nuncius“, „Teutscher Nuncius“ oder ähnlich in mehreren Abwandlungen47. Redakteur war Caspar Ens (1569–1642?), protestantischer Pfarrerssohn aus Württemberg 48, der aber schon zu Anfang des Krieges Sympathien für katholische Positionen gezeigt hatte49 und 1630 wahrscheinlich konvertiert war. Denn seitdem gab er auf den Messrelationen seinen Klarnamen an, wogegen er bis dahin mehrere wechselnde Pseudonyme hatte benutzen müssen50. Aus den Jahren 1634 und 1635 sind Kölner Messrelationen nicht erhalten, so dass die direkten Parallelberichte zur Nördlinger Schlacht aus Köln nicht eingesehen werden können. Doch auch die Berichterstattung des Kölner „Newen Unpartheyischen Teutschen Celer Nvncivs“ vom Herbst 1631 zum Schicksal Magdeburgs zeigt, dass die Kölner Relation eine andere Nachrichtenauswahl traf als die Frankfurter und wohl auch ein anderes Publikum im Auge hatte51. Schon quantitativ wird in der Kölner Relation der katholischen Seite größeres Gewicht gegeben. Das Ende des Leipziger Konvents wird in wenigen Zeilen gemeldet, während zwei kaiserliche Edikte gegen die auf diesem Konvent beschlossenen protestantischen Söldnerwerbungen mehr als zwanzig Seiten in Anspruch nehmen52. Die Berichterstattung über Magdeburg setzt in der Kölner Relation ein mit dem Bericht eines Offiziers, der nach eigener Aussage „mit der Catholischen Liga Volck den ersten Angriff“ unternehmen sollte53 – der sich dann zu einer langen Belagerung entwickelte54. Der eigentliche Bericht über die Belagerung stand recht weit entfernt von dem erwähnten Anfang, weil die Messrelation in Monats-Abschnitte eingeteilt war, die jeweils auch andere   Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 82–84.   Zu ihm vgl. mit weiteren Literaturangaben: Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 347. 49  Vgl. seinen Bericht über den Prager Fenstersturz in: Casp. Casp. Historicae Relationis Continvatio (Köln 1618) Herbst, 23; Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 106, 167, und die Verkündigung eines päpstlichen Ablasses in: Casp.Casp. Historicae Relationis Continvatio (Köln 1617) Herbst, fol. J1v–J4v; vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 104, 165. 50  Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 75–85. 51  Zur – mehrheitlich protestantisch gefärbten – Publizistik zur Belagerung und Erstürmung Magdeburgs vgl. Michael Schilling, Der Untergang Magdeburgs 1631 in der zeitgenössischen Literatur und Publizistik, in: Konfession, Krieg und Katastrophe. Magdeburgs Geschick im Dreißigjährigen Krieg. Tagung des Vereins für Kirchengeschichte der Kirchenprovinz Sachsen, Magdeburg, 9.–10. Mai 2005 (Schriften des Vereins für Kirchengeschichte der Kirchenprovinz Sachsen 1, Magdeburg 2006) 93–111. Zu Selbstzeugnissen über die Eroberung Magdeburgs vgl. Johannes Arndt, Der Dreißigjährige Krieg 1618–1648 (Stuttgart 2009) 201–208. 52  Newer Vnpartheyischer Teutscher Celer Nvncivs (Köln 1631) Herbst, 12 (Leipziger Konvent) bzw. 1334 (kaiserliche Edikte); vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 132, 195. 53  Newer Vnpartheyischer Teutscher Celer Nvncivs (Köln 1631) Herbst, 6; Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 132, 195. 54   Zur Belagerung Magdeburgs und zu ihrer Vorgeschichte vgl. Maren Ballerstedt, Belagerung und Zerstörung Magdeburgs 1629/31 – Ereignisse und Hintergründe, in: Konfession, Krieg und Katastrophe (wie Anm. 51) 11–24. 47 48



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Nachrichten enthielten. Für den Belagerungsbericht bediente sich der MessrelationenRedakteur Ens ausführlich aus der wohl von kaiserlicher Seite stammenden Flugschrift „Vnterschiedliche Zehen Schreiben“55. Allerdings stellte er die Reihenfolge der Stücke um, damit die Leser der Messrelation die Reihenfolge der Ereignisse besser nachvollziehen konnten. Ens zitierte in seiner Relation aus der Flugschrift mehrere Briefe des Generals Johann T’Seracles von Tilly (1559–1632) an die Stadt Magdeburg, die die Aufforderung enthielten, sich dem Kaiser zu unterwerfen. Der Redakteur kommentierte dieses Vorgehen mit den Worten, Tilly habe, wie diese Briefe zeigten, „kein Gefallen [...] an Christlicher Blutvergiessung“ und wolle Gewalt erst als letztes Mittel einsetzen. Dass die Stadt auf die Briefe Tillys antwortete, wird in dem Bericht erwähnt, aber nicht dokumentiert, die Antwortbriefe sind nicht abgedruckt. Den bekannten verheerenden Stadtbrand schreibt der Bericht in der Kölner Relation dem schwedischen Hofmarschall Dietrich von Falkenberg (1580–1631) zu, der die Bürger dazu überredet habe, Brände zu legen, und daran sogar selbst mitgewirkt habe, um den Kaiserlichen ihren Sieg „Thewr gnug“ zu machen56. So weit zeigt der Bericht eine entschiedene katholische, kaiserliche und ligistische Parteinahme. Aber selbst in dieser Relation wird das schwedische Rechtfertigungsschreiben dafür, dass König Gustav Adolf die Stadt nicht habe entsetzen können, nicht nur erwähnt, sondern sogar ausführlich abgedruckt57. Insgesamt räumte Ens, wie man erkennen kann, der Berichterstattung über Magdeburg in dieser Relation großen Raum ein, was wohl dafür spricht, dass das Ereignis auf Seiten beider Konfessionen für bedeutend gehalten wurde. Doch der Redakteur lässt auch Vorbehalte gegenüber der eigenen Berichterstattung gelten: „[…] wöllen wir dasselb also wie es vns zu handen kommen/ dem Leser mittheilen/ dem aber in seinem Vrtheil/ da er vielleicht andern bericht hette/ nicht vorgreiffen“58. Obwohl also die kaiserliche Kriegskanzlei Kriegsberichte redigierte und der Kaiser auch Flugschriften in Auftrag gab, die in seinem Sinne argumentieren sollten, konnten diese Argumente weder in Frankfurt noch in Köln wirklich durchdringen, weil sie zwar möglicherweise erwähnt, aber entweder allenfalls knapp dokumentiert oder, wie von dem Kölner Redakteur, sogar zum Teil in Frage gestellt wurden. Nur in zwei Messrelationen vom Herbst 1631 findet man ausgesprochen prokaiserliche und pro-ligistische Kommentierungen zum Thema Magdeburg. Diese Relationen erschienen aber an Druckorten, an denen man solche Kommentierungen nicht eben erwartet hätte, nämlich in Leipzig und (zumindest vorgeblich) in Magdeburg selbst. Die Leipziger Relation war verfasst von dem Nachrichtenschreiber Georg Winter, der sich „Gregorius Wintermonat“ nannte59. Sie wurde gedruckt von den Erben Abraham 55   Zur Flugschrift vgl. Werner Lahne, Magdeburgs Zerstörung in der zeitgenössischen Publizistik. Gedenkschrift des Magdeburger Geschichtsvereins zum 10. Mai 1931 (Magdeburg 1931) 81f. Zur Verwendung in der Messrelation und damit zum Folgenden vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 196. 56  Newer Vnpartheyischer Teutscher Celer Nvncivs (Köln 1631) Herbst, fol. J2r; Name und Titel Falkenbergs werden auf fol. 54 genannt; vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 132, 196. Die Meinung bezüglich der Ursache(n) des Stadtbrandes referiert auch Ballerstedt, Belagerung und Zerstörung Magdeburgs (wie Anm. 54) 23. 57  Newer Vnpartheyischer Teutscher Celer Nvncivs (Köln 1631) Herbst, fol. J4r–K4v; vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 132, 196. 58  Newer Vnpartheyischer Teutscher Celer Nvncivs (Köln 1631) Herbst, 55; vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 5) 1 Nr. 132, 195f. 59 Ernst Quentin, Die Leipziger Meßrelationen. Ein Beitrag zur Geschichte des ältesten deutschen Zeitungswesens (Diss. Masch. Leipzig 1941) 46–48; Walter Schöne, Drei Jahrhunderte Leipziger Presse, Zeitungs-

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Lambergs (1557–1629), der die Leipziger Messrelationen-Reihe im Jahre 1605 begonnen hatte60, und erschien im Verlag von Gottfried Grosse (1591–1637)61. Selbstverständlich wurde das Schicksal Magdeburgs auch in dieser Relation ausführlich behandelt, und zwar zweimal: zuerst in einem längeren Bericht mit epigrammatischem Abschluss62, dann zum zweiten Mal in einem unpaginierten und offensichtlich nachträglich angefügten aktuellen Anhang63. Der erste Bericht bezeichnet es als Ziel der Eroberung Magdeburgs, die Stadt „zu Käyserlichen Gehorsamb zubringen“64, interpretiert das Verhalten der Magdeburger also als antikaiserliche Rebellion. In den beiden Epigrammen am Schluss des Berichts wird die Eroberung Magdeburgs durch Tilly im Bild einer legitimen „keuschen“ Eheverbindung ausgedrückt: „Casta probo, innupto virgo, vetusta seni“, in deutscher Fassung: „Fürst Tylli/ also kömpt nun keusch mit keuschen Flammen/ // Vnd Jungfraw/ vnd Gesell/ vnn alt vnd alt zusammen“65. Dieses Bild wurde auf katholischer Seite oft verwendet, um das Verhältnis der „Magd-Burg“ zu dem Feldherrn der Liga zu kennzeichnen66. Der Anhang allerdings weist eine völlig andere Tendenz auf. Dessen größten Teil nimmt eine Flugschrift ein: „Gespräch der Königlichen Majestät zu Schweden/ und der Magdeburgischen Jungfrawen/ so anjetzo aus begnadung des Neptuni eine Wasser Nymphe“67. In diesem fiktiven Dialog spricht der König der zur Nymphe gewordenen Stadt Mut zu und verspricht, sie zu rächen; sie vergibt ihm, dass er, wie es heißt, mit dem Entsatz so lange gezögert hat. Als er sich mit den Worten „Jch geh zum Streit“ verabschiedet, spricht sie ein Gebet für ihn68. Den Abschluss des Anhangs und damit der gesamten Relation bildet ein Trostlied für die von „Des Papstes Grimm“ verfolgten Protestanten, die sich nicht auf „Roß und Wagen“, sondern auf Gott verlassen69. Katholische und prokaiserliche Kommentierung also am Anfang, Schwedenlob am Schluss – was war hier geschehen? Ganz offensichtlich hatte für diese Art der Nachrichtengebung, vor allem für die zeitliche Abfolge der Nachrichten, die politische Haltung des Kurfürsten von Sachsen eine Rolle gespielt und sogar den Herstellungsprozess der Messwissenschaft 11 (1936) 506–568, hier 527. Die Lebensdaten Winters sind unbekannt. 60   Zu Abraham Lambergs Erben vgl. Reske, Buchdrucker (wie Anm. 28) 527f. Zum Beginn der Leipziger Messrelationen vgl. Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 185. 61  Zu Grosse vgl. Josef Benzing, Die deutschen Verleger des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Neubearbeitung. Archiv für Geschichte des Buchwesens 18 (1977) 1077–1322, hier 1149. Daten zur Messrelation vgl. Esther-Beate Körber, Messrelationen. Biobibliographie der deutsch- und lateinischsprachigen „messentlichen“ Periodika von 1588 bis 1805, Bd. 2 (Presse und Geschichte – Neue Beiträge 94, Bremen 2018) Nr. 1020, 1227. 62   Continuatio IIX. Der Zehenjährigen Historischen Relation (Leipzig 1631) Herbst, 8–13; vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 61) Nr. 1020, 1227. 63  Continuatio IIX. Der Zehenjährigen Historischen Relation (Leipzig 1631) Herbst, fol. K2r–L2r, vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 61) Nr. 1020, 1228. 64  Continuatio IIX. Der Zehenjährigen Historischen Relation (Leipzig 1631) Herbst, 8; vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 61) Nr. 1020, 1227. 65  Continuatio IIX. Der Zehenjährigen Historischen Relation (Leipzig 1631) Herbst, 13f.; vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 61) Nr. 1020, 1227. 66  Lahne, Magdeburgs Zerstörung (wie Anm. 55) 78, 194. 67  Continuatio IIX. Der Zehenjährigen Historischen Relation (Leipzig 1631) Herbst, Überschrift fol. K3r. Zum gesamten Gespräch und damit zum Folgenden vgl. ebd. fol. K3r–L2r; Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 61) Nr. 1020, 1228. Die Flugschrift ist mit nur kleinen Abweichungen im Titel nachgewiesen in: VD 17 14:005062H. 68  Continuatio IIX. Der Zehenjährigen Historischen Relation (Leipzig 1631) Herbst, fol. L1r; vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 61) Nr. 1020, 1228. 69  Continuatio IIX. Der Zehenjährigen Historischen Relation (Leipzig 1631) Herbst, fol. L1vsq; Zitat im Refrain des Liedes; vgl. Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 61) Nr. 1020, 1228.



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relation beeinflusst. Kurfürst Johann Georg I. hatte noch zu Anfang des Jahres 1631 einen Ausgleich zwischen dem Kaiser und den protestantischen Reichsständen angestrebt70. Erst am 12. September entschloss er sich zum Bündnis mit Schweden71; am 17. September schlugen die verbündeten Schweden und Sachsen die für sie siegreiche Schlacht von Breitenfeld72. Zu dieser Zeit muss die Messrelation vom Herbst, die ja zu Michaelis auf der Messe verkauft werden sollte, bereits fertiggestellt gewesen sein – mit der prokaiserlichen und prokatholischen Kommentierung, die im Text des Hauptteils enthalten ist und der früheren Bündnislage Kursachsens entsprach. Angesichts der vielen Flugblätter und Flugschriften zur Eroberung Magdeburgs am 20. Mai 163173 ist es unwahrscheinlich, dass der Verleger oder der Redakteur bis zum September hauptsächlich katholisch gefärbte Berichte zur Katastrophe Magdeburgs erhalten hatte, erst recht, weil Verleger und Redakteur Protestanten waren. Beide hatten die Nachrichten und ihre Kommentierung also bewusst im Hinblick auf die politische Haltung des Landesfürsten ausgewählt bzw. drucken lassen. Es ist möglich, dass sie darin aus eigenem Entschluss gehandelt hatten, weil (und falls) ihnen die kurfürstliche politische Linie bekannt war. Eine solche Annahme liegt aus gleichsam wirtschaftlichen Gründen nahe, denn jedes nachträgliche Eingehen auf Zensur­auflagen hätte das Erscheinen der Messrelation verzögert, was keinem der am Produktionsprozess Beteiligten recht sein konnte. Hatte aber eine Zensurbehörde im Interesse des Landesfürsten vor dem 12. September 1631 die prokaiserliche Kommentierung verlangt, was ebenfalls möglich ist, dann wurde die politisch-publizistische Situation für alle Beteiligten – einschließlich der Zensoren – im Laufe des Monats September schwierig und gefährlich. Spätestens nach der Schlacht bei Breitenfeld und auf jeden Fall zu Beginn der Leipziger Michaelismesse war die prokaiserliche Ausrichtung der Messrelation nicht nur politisch inopportun geworden, sondern hätte auch ihren Absatz auf der Messe behindert oder das Unternehmen lächerlich gemacht. Wie der Aufbau der Relation zeigt, war es aber in der kurzen Frist zwischen dem Bündniswechsel des Kurfürsten (und dem Bekanntwerden dieses Wechsels bei Verleger, Redakteur und den Zensoren) und dem Beginn der Herbstmesse nicht mehr möglich, die prokaiserliche Kommentierung zu entfernen. Stattdessen fügte der Verleger offenbar die Flugschrift als aktuellen Anhang und zusätzliche Kommentierung ein und hoffte, auf diese Weise der neuen politischen Lage Kursachsens gerecht zu werden. Die prokaiserliche Kommentierung ging (auch) in diesem Falle also nicht auf unmittelbaren Einfluss der kaiserlichen Seite zurück, sondern richtete sich nach dem politischen Kurs der Landesobrigkeit. Ihm folgten Verleger und Redakteur, möglicherweise unter sanftem bis entschiedenem Druck einer ausnahmsweise sehr aufmerksamen Zensurbehörde. Die am stärksten prokaiserliche, katholisch gefärbte und anti-magdeburgische Kommentierung zur Magdeburger Sache findet man in einer Messrelation, deren Autor, Druckort und Verlag unbekannt sind74. Sie gehörte zu einer Reihe, die einige Sprachkon70 Fabian Schulze, Der Leipziger Bund von 1631. Zur Rolle der Reichskreise im Selbstbehauptungskampf der protestantischen Reichsstände, in: Dynamik durch Gewalt? Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) als Faktor der Wandlungsprozesse des 17. Jahrhunderts, hg. von Michael Rohrschneider–Anuschka Tischer (Schriftenreihe zur Neueren Geschichte, Neue Folge 1, Münster 2018) 134–147, hier 146. 71  Peter H. Wilson, Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie (Darmstadt 2017) 570. 72  Ebd. 570–574. 73  Datum nach ebd. 566f. 74  Continuatio III. der Historischen Relation (o. O., 1631 Herbst); vgl. Körber, Messrelationen Biobib-

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ventionen der früheren Magdeburger Messrelationen wieder aufnahm, also den Eindruck erweckte oder erwecken wollte, in Magdeburg selbst gedruckt zu sein75. Theoretisch wäre das möglich gewesen, weil der Verlag von Johann Franckes Erben noch bestand; ob die Reihe tatsächlich in diesem Verlag herauskam, ist nicht sicher. Mit der früheren Reihe von Francke, die schon einmal erwähnt worden ist, aber nur bis 1620 bestand, hatte die Relation von 1631 auch die nachlässige Fertigung gemein. Sie nahm aber, anders als die frühere Francke’sche Reihe, Nachrichten ohne Rücksicht auf ihre konfessionelle Prägung auf – neben dem katholisch gefärbten Bericht über Magdeburg findet sich auch ein Wittenberger Brief, in dem der Katholizismus als „Antichristlich[es] Pabsthumb“ bezeichnet wird, was nur ein Protestant so formulieren konnte. Der Bericht zu Magdeburg in dieser Relation interpretierte die Katastrophe der Stadt als Wirkung des Zornes Gottes, den er „gegen höchstgedachter Käys. Mayest. Feind vnd vngehorsame Bürger dergestalt Handgreiff vnnd Augenscheinlich [...] außgelassen/ daß wol darvon zu singen vnnd zu sagen“76. Zwar gelte es, „ein Christliches Mitleiden mit so viel tausend verlohrnen Seelen zu tragen“; doch hätten die Magdeburger ihr Unglück „jhrem selbst eigenen verstopfftem halßstarrigem Gemüth vnnd Vngehorsamb zu zuschreiben“. Bürger und Garnison hätten mehr auf den schwedischen Entsatz als auf Gott vertraut und deshalb Tillys wiederholte Aufforderungen ausgeschlagen, es nicht auf einen Sturmangriff ankommen zu lassen. Der Stadtbrand, so heißt es in dem Bericht, sei etwa eine Stunde nach der Erstürmung ausgebrochen und darauf zurückzuführen, dass die Bürger aus Verzweiflung ihre eigenen Häuser untergraben und Pulver in die Keller gelegt hätten – eine Begründung, die wenig stichhaltig ist: Wenn die Bürger, wie der Bericht selbst sagt, noch bis kurz vor dem Sturmangriff auf schwedischen Entsatz hofften, dürften sie kaum Zeit gehabt haben, ihre Häuser zu untergraben, selbst wenn sie das gewollt hätten. Andererseits hätte Pulver, das absichtsvoll in die Häuser getragen worden wäre, schon früher als eine Stunde nach der Eroberung zum Brand führen müssen. Mit anderen Worten: Dieser „Bericht“ wirkt so überzeichnet, ja absurd, dass er jedenfalls in den Augen kritischer Zeitgenossen unglaubwürdig gewesen sein muss – was im Umkehrschluss bedeutet, dass Verleger und Redakteur dieser Relation entweder mit einer sehr leicht beeindruckbaren Leserschaft rechneten oder mit Lesern, die die konfessionelle und politische Prägung von Nachrichten und Berichten selbst entdecken, analysieren und interpretieren konnten. Dass es in derselben Relation, wie erwähnt, auch entschieden „protestantische“ Töne gab, weist auf das letztere hin.

Aus den Informationen zu Inhalten, Nachrichtenverbindungen, Herstellung und Verbreitung von Messrelationen im Dreißigjährigen Krieg lässt sich demnach nicht der Schluss ziehen, dass die Habsburger diese Mediengattung zielgerichtet beeinflusst hätten77. Zwar wurden die Kriegs- und Schlachtenberichte obrigkeitlich redigiert, allerdings liographie (wie Anm. 61) 2 Nr. 901, 1102. 75   Zum Folgenden vgl. Körber, Messrelationen Geschichte (wie Anm. 1) 122–125; Zitat 124 nach: Continuatio III. der Historischen Relation (wie Anm. 74) 83. 76  Continuatio III. der Historischen Relation (wie Anm. 74) Herbst, 38. Zum Folgenden vgl. ebd. 38–40 (Zitate 38) und Körber, Messrelationen Biobibliographie (wie Anm. 61) 2 Nr. 901, 1103. 77  Auch bei Holger Böning, Dreißigjähriger Krieg und Öffentlichkeit. Zeitungsberichterstattung als Roh-



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von allen Kriegsparteien, und das Nachrichtenwesen war, wie auch der „Postmeisterkrieg“ zeigt, offensichtlich nicht nach Konfessionen oder Kriegsparteien getrennt. So konnten Verleger und Redakteure prinzipiell an Nachrichten aller Kriegsparteien kommen; die Abschottung gegenüber „gegnerischen“ Informationen war nicht möglich, vielleicht nicht einmal beabsichtigt, weil es auch für die Obrigkeiten wichtig war, Informationen der Gegenseite zu erhalten. Im Prozess der Herstellung eines Mediums, auch einer Messrelation, entschied in der Regel die Aktualität einer Nachricht über ihre Aufnahme, sodass im Vorteil war, wer „seine“ Nachrichten schnell verbreiten konnte, was von langwierigen Redaktionsarbeiten eher abhielt. Zwar waren die Messrelationen im Dreißigjährigen Krieg in ihrer Nachrichten- und Wortwahl meist stark konfessionell geprägt; für die Tendenz einer Messrelation scheint aber eher die politische Position des Landesherrn (vielleicht auch die vermutete Überzeugung der Leserschaft) maßgeblich gewesen zu sein als direkte Rücksicht auf das Erzhaus oder das Reichsoberhaupt. Der Vergleich der Berichte zur Katastrophe Magdeburgs in den Messrelationen aus Köln und Leipzig zeigt, dass die konfessionelle Loyalität sogar eine geringere Rolle spielte als die politische: Der Kölner Redakteur artikulierte mögliche Vorbehalte gegen seine eigene prokaiserliche und proligistische Berichterstattung, obwohl er unter katholischer Obrigkeit stand und wahrscheinlich selbst katholisch war, während Redakteur und Verleger der Leipziger Messrelation, obwohl selbst lutherisch, der kursächsischen prokaiserlichen Politik buchstäblich bis zuletzt folgten – womöglich sogar von der Zensur eigens dazu angewiesen wurden –, was sie dann nach dem Bündniswechsel des Kurfürsten zu einer publizistischen Volte zwang. Theoretisch hatten die Habsburger die Möglichkeit der Medienkontrolle durch Zensur; faktisch gelang die Disziplinierung der Medienmacher nur indirekt und kurzfristig über die Privilegierung. Die Besetzung der Postmeisterstelle hatte auf die Inhalte der Messrelationen keinen Einfluss. Von kaiserlicher Seite verbreitete Nachrichten wurden von den Messrelationen in der Regel nur dann aufgenommen, wenn sie auch der territorialen Obrigkeit genehm waren. Diese hatte auf die inhaltliche Gestaltung der Messrelationen einen weitaus größeren Einfluss als der Wiener Hof. Dabei spielten politische Loyalitäten eine größere Rolle als konfessionelle, wie das Beispiel Kursachsens zeigt.

fassung der Geschichtsschreibung (Presse und Geschichte – Neue Beiträge 126, Bremen 2018) 133f., kommt ein gewisses Übergewicht antikaiserlicher Meldungen zum Ausdruck.





(5) ERINNERUNGSORT DREISSIGJÄHRIGER KRIEG





„Pro Cesare mori vivere est“. Offiziersporträts in Khevenhüllers „Annales Ferdinandei“ und anderen druckgraphischen Werken Friedrich Polleroß

Der Bedeutung des Militärs in der frühneuzeitlichen Gesellschaft entsprechend kamen die Heerführer und „Helden“ des 16. und 17. Jahrhunderts genauso zu öffentlicher Bildwürdigkeit wie die fürstlichen oder republikanischen Staatsmänner und ihre antiken Vorbilder1. Dennoch hat diese Tatsache bisher – abgesehen von Untersuchungen zu den „capitani“ des 16. Jahrhunderts im Allgemeinen2 und Andrea Doria (1466–1560)3 oder Alessandro Farnese (1545–1592)4 im Besonderen – kaum entsprechende Forschungen zum Typus des Feldherrenporträts veranlasst5. Im folgenden Vortrag kann natürlich auch nur ein Teilaspekt des Themas behandelt werde, wobei es weniger um die Frage des Typus als um die ikonographischen Quellen der uns interessierenden Personengruppe geht. In der Republik Venedig waren Grabmäler für die siegreichen Offiziere der Serenissima ebenso wie für die Dogen die Ausnahme, die das reguläre republikanische Por­ trätverbot in der Öffentlichkeit bestätigten6. Sogar auf dem Gemälde der drei Heerfüh1  Das Zitat im Titel entstammt der Devise auf dem Porträt von Leopold Wilhelm von Baden von Elias Wideman. 2  Elisabeth Oy-Marra, Aspetti della rappresentazione del „perfetto capitano“ nell’arte italiana del Quattro-Cinquecento, in: Il „perfetto capitano“. Immagini e realtà (secolo XV–XVII). Atti del seminari di studi Georgetown University a Villa „Le Balze“. Istituto di Studi Rinanscimentali di Ferrara 1995–1997, hg. von Marcello Fantoni („Europa delle Corti“. Centro studi sulle società di antico regime. Biblioteca del Cinquecento 98, Roma 2001) 351–383. 3  Friedrich Polleross, “Rector Marium” or “Pater Patriae”? The Portraits of Andrea Doria as Neptune, in: Wege zum Mythos, hg. von Luba Freedman–Gerlinde Huber-Rebenich (Ikonographische Repertorien zur Rezeption des antiken Mythos in Europa Beih. III, Berlin 2001) 107–121; Andrea Doria: ou par Sebastiano del Piombo et Bronzino, in: Les portraits du pouvoir, hg. von Olivier Bonfait et all. (Collection d’histoire de l’art de l‘Academie de France â Rome 3, Rome–Paris 2003) 19–62. 4  Enzo Bentivoglio, Alessandro Farnese da Botticelli a Tiziano, in: Viterbo e i giubilei del Rinascimento (1450–1550) (Roma 2017) 165–184; Diane Bodart, Les visages d’Alexandre Farnèse. De l’héritier du duché de Parme au défenseur de la foi. Bulletin du Centre du Château de Versailles (2018): https://journals.openedition. org/crcv/14759 [21.01.2019]. 5  Godehard Janzing, Le pouvoir en main. Le bâton de commandement dans l’image du souverain à l’aube des Temps modernes, in: L’image du Roi de François Ier à Louis XIV. Fictions du pouvoir et stratégies visuelles (1500–1650), hg. von Thomas Gaehtgens–Nicole Hochner (Passages/Passages 10, Paris 2006) 245–280; Der Krieg als Person. Herzog Christian d.J. von Braunschweig-Lüneburg im Bildnis von Paulus Moreelse, Ausstellungskatalog, hg. von Jochen Luckhardt–Nils Büttner (Braunschweig 2000) 114–131 (Das Feldherrenbildnis und seine Tradition). 6  Friedrich Polleross, “Della Bellezza & della Misura & della Convenevolezza”. Bemerkungen zur ve-

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rer der „Heiligen Liga“ von Lepanto in Ambras wurde der Doge Sebastiano Venier (um 1496–1578) nicht nur im Gegensatz zur venezianischen Tradition ganzfigurig porträtiert, sondern durch den Harnisch unter dem Hermelinmantel als Heerführer charakterisiert7. Ein sozusagen nordeuropäisches Gegenstück zu dieser katholischen Trias bildet ein Kupferstich von Jan Wierix (1549– um 1620), der drei protestantische Offiziere nach der Befreiung der Zitadelle von Antwerpen im Jahre 1577 zeigt. Auf dem 1579 gedruckten Titelblatt einer allegorischen Serie erscheinen Pontus de Noyelles († 1581), Jean de Redeghem und Willem de Rouck als Denkmalbüsten, und die Inschrift verkündet, dass die drei Männer weder Gefängnis noch Tod gescheut hätten, um ihre niederländische Heimat vor den spanischen Tyrannen zu retten8. Ein besonders bemerkenswertes Zeugnis dieses „Heldenkultes“ bot die sog. „Heldenrüstkammer“ von Erzherzog Ferdinand II. von Tirol aus dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts. Neben insgesamt 1.077 kleinen Porträts trug der Habsburger über 120 Harnische und Waffen berühmter Feldherren dafür zusammen. Schon 1577 gab es den Plan, Darstellungen dieser Objekte zu publizieren. Das Werk konnte allerdings erst nach dem Tod des Besitzers realisiert werden: 1601 bzw. 1602 publizierte Ferdinands Privatsekretär Jacob Schrenck von Notzing († 1612) eine lateinische und deutsche Ausgabe des „Armamentarium heroicum“, wobei die Objekte jedoch mit den Porträts der ursprünglichen Eigentümer zu ganzfigurigen Bildnissen umgestaltet wurden. Auf großformatigen Kupferstichen mit gegenüber oder auf der Rückseite gedrucktem Text wurden 125 Rüstungen bzw. Rüstungsteile unter dem Titel „Der […] Kayser […] unnd anderer treflicher berühmter Kriegsshelden […] Bildtnussen und […] Beschreibungen ihrer […] thaten, […] Waffen und Rüstungen, so von […] weilandt […] Ferdinanden Ertzherzogen zu Österreich […] mit grosser mühe und kosten zusammengebracht unnd […] in […] Schloß Ombraß […] auffbehalten werden“ veröffentlicht. Hier wurden die militärischen Anführer nicht nur der eigenen, sondern auch der gegnerischen Heere verewigt, und das soziale Spektrum reichte von Kaisern bis zu Kleinadeligen und Landsknechten, die durch ihre militärischen Verdienste in den Adelsrang erhoben wurden wie der kaiserliche General Lazarus Schwendi von Hohenlandsperg (1522–1583), der spanische sowie päpstliche Befehlshaber Jakob Hannibal von Hohenems (1530–1587), der kaiserliche Hofkriegsrat Christoph von Teuffenbach-Mayrhof (um 1528–1598) oder der Wiener Stadtoberst Johann Fernberger von Aur (1511–1582). Der Titel des Tafelwerkes erlaubt es wohl ebenso wie die Sorgfalt, mit der etwa in den Bildern des Wilhelm von Rog(g)endorf (1481–1541) oder des Georg Kastriota gen. Skanderbeg (1405–1468) deren Rüstungen bzw. Waffen wiedergegeben wurde, vom ersten illustrierten und gedruckten Sammlungskatalog zu sprechen9. Das großformatige Werk nezianischen Porträtmalerei anläßlich der Tintoretto-Ausstellungen in Venedig und Wien. Pantheon 53 (1995) 33–52, hier 34–38; Matteo Casini, Immagini dei capitani generali „da Mar“ a Venezia in età barocca, in: Fantoni, Capitano (wie Anm. 2) 219–270. 7  Abendland und Halbmond. Der osmanische Orient in der Kunst der Renaissance, Ausstellungskatalog hg. von Sabine Haag–Guido Messling (Wien 2015) 32, Kat.–Nr. 9. 8 Zsuzsanna van Ruyven-Zeman–Marjolein Leesberg, The Wierix Family. Part IX (The New Hollstein. Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450–1700, Rotterdam 2004) 214f., Kat.-Nr. 2065, siehe https://www.harvardartmuseums.org/art/327689 [21.01.2019]. 9 Jakob Schrenck von Notzing, Die Heldenrüstkammer Erzherzog Ferdinands II. auf Schloß Ambras bei Innsbruck. Faksimiledruck der lateinischen Ausgabe und der deutschen Ausgabe des Kupferstichinventars von 1601 bzw. 1603, hg. von Bruno Thomas (Osnabrück 1981); Susanne E. L. Propst, Dall’arte della guerra all’arte dell’immagine. L’arciduca Ferdinando del Tirolo e la „Galleria degli Eroi“ nel castello di Ambras, in: Fantoni, Capitano (wie Anm. 2) 471–489; Christian Beaufort-Spontin, Die „Ehrliche Gesellschaft“ Erherzog



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des Erzherzogs mit seinen qualitätvollen Illustrationen bildet in typologischer Hinsicht einerseits einen abschließenden Höhepunkt des humanistischen Porträtbuches10, andererseits einen fulminanten Auftakt für das Genre eines fürstlichen Sammlungskataloges 11. Diese Akzentverschiebung von historischer oder zeitgeschichtlicher Gelehrsamkeit hin zu höfischer oder ständischer Repräsentation ist charakteristisch für die im Folgenden zu besprechenden Werke. Dies gilt bereits für ein ebenfalls auf den Tiroler Habsburger zurück gehendes und 1592 in lateinischer sowie 1621 in deutscher Sprache erschienenes Werk von Gerard de Roo († 1590) „Annales, Oder Historische Chronik der Durchleuchtigsten Fürsten und Herren Ertzhertzogen zu Österreich Hapsburgischen Stammes“. Unter den Holzschnitten habsburgischer und anderer Fürsten wurde hier auch Wilhelm von Rogendorf in der Tracht eines Calatravaritters aufgenommen12. Der offenbar sehr geschäftstüchtige Verleger Dominicus Custos (1560–1612) adaptierte die Idee von Erzherzog Ferdinand, indem er parallel zum „Armamentarium heroicum“ zwischen 1600 und 1602 ein vierbändiges „Atrium heroicum“ auf den Markt brachte. Das Bildformat war zwar vom ganzfigurigen Großfolio auf Brustbilder in Kleinfolio geschrumpft, aber dafür die Anzahl der Porträtierten auf 171 Personen gestiegen. Die Idee war jedoch die gleiche: in einer etwas beliebigen Auswahl, aber konfessionell und national sowie zeitlich nicht eingeschränkt, wurden hier wie in Ambras und im Atrium eines römischen Hauses die Bildnisse der hervorragenden Vorfahren präsentiert, um den Betrachtern deren Taten sowie Tugenden vor Augen zu stellen und zur Nachahmung anzuregen. Custos und seine Mitarbeiter griffen auf vielfältige Vorbilder zurück, aber das fiktive Profilbildnis von Skanderbeg, einem der wenigen Helden aus dem 15. Jahrhundert in der Porträtfolge, beweist wohl die Inspiration durch die Ambraser Publikation. Bei den Porträts des Lazarus Schwendi und Christoph von Teuffenbach im „Atrium heroicum“ handelt es sich hingegen um seitenverkehrte Nachstiche13. Im Vergleich zu den Fürsten sind die Höflinge nur mit einem kleinen Anteil in der Porträtsammlung von Custos vertreten. Unter diesen dominieren jedoch die Minister Kaiser Rudolfs II., deren Porträts vielfach von dessen Hofmaler Hans von Aachen (1552– 1615) angefertigt wurden. Innerhalb dieser Gruppe handelte es sich „hauptsächlich um die Bildnisse kaiserlicher Feldherrn, die sich im sog. Langen Türkenkrieg ausgezeichnet hatten“14. Auf diese Erfolge wird auch in den einheitlich gestalteten und von Lucas Kilian (1579–1637) 15 signierten Kupferstichen durch lateinische Huldigungstexte hingewiesen: Ferdinands von Österreich. Die originellste Sammlung des 16. Jahrhunderts, in: Das Exponat als historisches Zeugnis. Präsentationsformen politischer Ikonographie, hg. von Hans Ottomeyer (Dresden 2010) 121–130. 10   Paul Ortwin Rave, Paolo Giovio und die Bildnisvitenbücher des Humanismus. Jahrbuch der Berliner Museen 2 (1958/59) 105–139; Milan Pelc, Illustrium Imagines. Das Porträtbuch der Renaissance (Studies in Medieval and Reformation Thought 88, Leiden–Boston–Köln 2002) 250f., Kat.-Nr. 50. 11  Friedrich Polleross, Die Kunstgeschichte und ihre Bilder im 17. Jahrhundert. Reiseführer und Sammlungskataloge. Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 41 (2014) 117–157. 12 Stefan Krause, Mode in Stahl. Der Kostümharnisch des Wilhelm von Rogendorf (Wien 2016) 26, Abb. 5. 13  Der Teuffenbach-Stich stammt von Johann Sadeler I: Joachim Jacoby, Hans von Aachen (The New Hollstein. German Engravings, Etchings and woodcuts 1400–1700, Rotterdam 1996) 219–222. 14 Joachim Jacoby, Die Druckgraphik, in: Hans von Aachen (1552–1615). Hofkünstler Europas, hg. von Thomas Fusenig (Berlin–München 2010) 43–51, hier 48f.; Herbert Haupt, Der Türkenkrieg Kaiser Rudolfs II. 1593–1606, in: Prag um 1600. Kunst und Kultur am Hofe Kaiser Rudolfs II., Ausstellungskatalog Wien, Bd. 1 (Freren 1988) 97–125, hier 97f., Kat.-Nr. 9 (Althan), Nr. 10 (Basta), Nr. 25 (Schwarzenberg) und Nr. 31 (Rusworm). 15 Robert Zijlma, Lucas Kilian to Philipp Kilian (Hollstein’s German Engravings, Etchings and Woodcuts

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beim Rückeroberer der Festung Gran Adolf von Schwarzenberg (1547–1600), beim ungarischen Oberbefehlshaber Hermann Christoph Rußwurm/Rusworm (1565–1605; Abb. 1A–B), beim Präsident des Hofkriegsrates Melchior von Redern (1555–1600), beim Generalfeldmarschall Michael Adolf von Althan (1574–nach 1625) und beim ungarischen Oberbefehlshaber Georg Basta (1550–1606?) sowie beim Feldmarschall Siegfried von Kollonitsch (1572–1624)16. Christoph von Teuffenbach17, Nikolas Pálffy von Erdöd (1552– 1595/1600), der ungarische Generalfeldobrist Ruprecht von Eggenberg (1545–1611) sowie der aus den Niederlanden zu Hilfe gerufene Karl von Mansfeld (1543–1595) sind ebenfalls im „Atrium heroicum“ vertreten, aber mit anders gestalteten Porträts. Ob diese Gruppe von Heerführern gegen die Osmanen einer ökonomischen Nachfrage, dem Selbstbewusstsein der Offiziere oder einer kaiserlichen Propagandabsicht zu verdanken ist, lässt sich nicht feststellen. Custos hatte jedenfalls schon 1594 ein Porträt des Kaisers angefertigt und bekam noch 1608 ein zehnjähriges kaiserliches Privileg für den Schutz vor Raubkopien18. Das Verlagshaus von Dominicus Custos und seinen Stiefsöhnen Lucas Kilian sowie Wolfgang Kilian (1581–1662)19 hatte um 1600 mit solchen Porträtbüchern die Marktführerschaft in Süddeutschland erlangt20, weshalb es für den Autor bzw. Auftraggeber der „Annales Ferdinandei“21 naheliegend war, dieses renommierte Augsburger Unternehmen mit der Ausführung der Khevenhüllerschen Porträtserien zu betrauen. Die über 200 Porträtkupferstiche in den „Annales Ferdinandei“ des kaiserlichen Geheimrates und Diplomaten Franz Christoph Khevenhüller von Frankenburg (1588–1650)22 gehören zu den bedeutendsten ikonographischen Quellen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts23. Ich habe diese Porträtserien schon an anderer Stelle allgemein vorgestellt24 und möchte daher hier nur die wichtigsten Erkenntnisse zusammenfassen. Die ersten Teile der „Annales Ferdinandei“, welche die Zeit bis 1626 umfassen, wurXVII, Amsterdam 1976) 162; Dictionary of Art hg. von Jane Turner, Bd. 18 (London 1996) 42–44 (Bernt von Hagen). 16   Jacoby, Hans von Aachen (wie Anm. 14) 146f., 150–152, 156f., 192–194, 206–208, 212f. 17   Ebd. 219–222, Nr. 101. 18 Dorothy Limouze, Kupferstiche am Prager Hof, in: Rudolf II. und Prag, Ausstellungskatalog hg. von Eliška Fučiková et al. (Prag–London–Mailand 1997) 172–178, hier 174. 19  Robert Zijlma, Philipp Kilian (continued) to Wolfgang Kilian (Hollstein’s German Engravings, Etchings and Woodcuts XVIII, Amsterdam 1976) 89–205; Dictionary of Art, hg. von Jane Turner, Bd. 18 (London 1996) 44f. (Bernt von Hagen); Anette Michels, Lucas Kilian fecit. Gezeichnete und gestochene Bilder des Augsburger Kupferstechers Lucas Kilian (1579–1637), in: Augsburg, die Bilderfabrik Europas. Essays zur Augsburger Druckgraphik der Frühen Neuzeit, hg. von John Roger Paas (Schriftenreihe des Historischen Vereins für Schwaben 21, Augsburg 2001) 41–54. 20  Sibylle Appuhn-Radtke, Augsburger Buchillustrationen im 17. Jahrhundert, in: Augsburger Buchdruck und Verlagswesen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. von Helmut Gier–Johannes Janota (Wiesbaden 1997) 736–765. 21   Franz Christoph Khevenhüller, Annales Ferdinandei. Oder Warhaffte Beschreibung/ Kaysers Ferdinandi deß andern Miltester Gedächtnuß Geburt/ Aufferziehung/ und bißhero zu Krieg und Friedenszeitten/ vonbrachten Thatten/ geführter Krieg und volzognen hochwichtigen Geschäfften […], 4 Bde. (Regensburg 1640–1641). Das für die Untersuchung herangezogene Exemplar stammt aus der Bibliothek des Wiener Jesuitenkollegs: Wien, Universitätsbibliothek Wien, Signatur II 128.028 A, Bd. 1+2 und 3+4. 22  Kurt Peball, Khevenhüller-Frankenburg, Franz Christoph Graf von. NDB 11 (1977) 569–570. 23   So basieren mindestens drei Viertel der Porträts in den beiden Datenbanken zum Wiener Hof unter Ferdinand II. und Ferdinand III. auf den Bildnissen Khevenhüllers: www.univie.ac.at/geschichte/wienerhof; http://kaiserhof.geschichte.lmu.de/ [21.01.2019]. 24  Friedrich Polleross, „Conterfet Khupfferstich“. Bemerkungen zu den Bildnissen der „Annales Ferdinandei“ des Grafen Franz Christoph von Khevenhüller (1640/41). Barockberichte 65 (2018) 7–22.



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Abb. 1A: Hermann Christoph Rußwurm/Rusworm, Kupferstich von Lucas Kilian nach Hans von Aachen, 1601 (Foto: ÖNB, Bildarchiv).

Abb. 1B: Hermann Christoph Rußwurm/ Rusworm, Ölgemälde nach Hans von Aachen, um 1600; Würzburg, Fränkisches Landesmuseum (Foto: Friedrich Polleroß)

den 1640 und 1641 in vier Bänden in Regensburg gedruckt25. Es handelte sich um Bücher im Kleinfolioformat mit einer Auflage von angeblich nur 40 Stück, was auch die geringe Verbreitung bzw. Bekanntheit der Porträtstiche erklärt. Diese Bände enthielten neben mehreren doppelseitigen Kupferstichen mit historischen Szenen und Schlachten zahlreiche Einschübe mit Kurzbiographien, Stammbäumen und Kupferstichporträts von europäischen Herrschern sowie von Ministern und Offizieren des kaiserlichen Hofes. Während einige dieser sog. „Relationen“ über alle vier Bände verstreut sind, folgten am Ende des ersten Teiles die konzentrierten Sammlungen „Conterfet Khupfferstich (soviel man deren zu handen bringen können) deren jenigen regierenden grossen Herren/ so von Käysers Ferdinand deß Andern Geburt/ biß zu desselben seeligisten Tödtlichen Abschied successivè regiert/ darvon Ertz Hertzog Carl/ Vatter Käyser Ferdinand deß Andern/ zum ersten gestehlt [!] worden und Conterfet Kupfferstich/ (So vil man bekommen können) deren jenigen Vornehmen Ministren und Hohen Officiern, so von Kayser Ferdinand des Andern Geburth an/ biß zu desselben seeligisten hintritt continuè und successivè Ihr Mayestätt gedient/ Die jenigen Conterfet aber/ so man jetzt nit bekommen können/ vnd hinfüro solten gefunden/ werden in dem Zwölfften und letsten [!] Theyl diser Annalen zusehen und die darüber verfaste Relationen zulesen seyn.“ Es handelt sich hier um eine nur indirekt als solche ersichtliche Bildnissammlung von Wolfgang Kilian. 25  Stefan Benz, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473, Husum 2003) 338f., 442.

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Friedrich Polleroß Abb. 2: Jakob Hannibal von Hohenems, kolorierter Kupferstich vermutlich von Wolfgang Kilian in „Annales Ferdinandei“, Bd. 1, 1640 (Quelle: Mattsee, Stiftsbibliothek; Foto: Friedrich Polleroß).

Da das Werk die ganze Lebenszeit Ferdinands II. umfasst, reicht auch das Spektrum enthaltener Offiziersdarstellungen von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Wie im „Atrium heroicum“ wurden auch ältere Stiche aufgenommen, darunter von einigen schon in Ambras vertretenen Heerführern wie Jakob Hannibal von Hohenems (der Stich vermutlich von Wolfgang Kilian: Abb. 2) und Johann Fernberger von Aur (Stich von Johann Sadeler I. [1550–1600]), deren Porträts offensichtlich auf den Ambraser Gemälden basieren. Die Zuschreibung an den Verlag Kilian ermöglichen nicht nur zahlreiche von Wolfgang und Bartholomäus d. J. Kilian (1630–1696) signierte Porträtgrafiken, sondern auch die Weiterverwendung von Druckplatten, die für das „Atrium heroicum“ geschaffen worden waren26. Dies belegen etwa die Bildnisse von Hermann Christoph Ruswurm und von Georg Basta27. Meine Autopsie von zwei der sehr seltenen Exemplare der „Annales“ mit den Porträts – das Handexemplar des Autors in der Stiftsbibliothek in Mattsee mit 125 Miniaturgemälden in Tempera sowie das Exemplar der Jesuitenuniversität in der Wiener Universitätsbibliothek – hat jedoch ergeben, dass die Grafiken bzw. Vorlagen in beiden Ausgaben vielfach nicht übereinstimmen. Vermutlich war es Graf Khevenhüller nicht möglich, von allen gewünschten Personen Originalvorlagen zu bekommen bzw. rechtzeitig Kupfer­ stiche anfertigen zu lassen. Daher sind manche Personen auch im Handexemplar des Autors nur mit einem kolorierten Kupferstich vertreten, während in einigen anderen Fällen 26 Dies gilt auch für zahlreiche Porträts von Habsburgern: Polleross, Conterfett Khupfferstich (wie Anm. 24) 12. 27  Diese Bildnisse sind zwar nicht signiert und auch nicht in einem der beiden von mir autopsierten Khevenhüller-Exemplare enthalten, aber aufgrund ihrer Form lassen sie sich eindeutig der Khevenhüller-Serie zuordnen. Im Hollstein gelten sie als anonyme Kopien: Jacoby, Hans von Aachen, 150f. („copy a II“) und 206f („copy 95/II“).



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im Mattseer Exemplar des Autors und im Exemplar der Wiener Universitätsbibliothek verschiedenartige Bildnisse aufscheinen. Das gilt etwa für die Druckgrafiken des Lazarus von Schwendi in Mattsee und Wien. Davon abgesehen sind zusätzliche Porträts anscheinend nur durch anonyme bzw. für spätere Bände vorbereitete Druckgrafiken dokumentiert, die sich jedoch durch ihre Gleichförmigkeit bzw. durch den Nachdruck des 18. Jahrhunderts den „Annales Ferdinandei“ zuordnen lassen28. Während der Befehlshaber der kaiserlichen Streitkräfte in Ungarn Karl von Mansfeld mit seinem Porträt im Wiener Exemplar vertreten ist, lässt sich der Kupferstich seines Vaters, des spanischen Feldmarschalls und niederländischen Statthalters Peter Ernst von Mansfeld (1517–1604) nur als Einzelblatt in der Österreichischen Nationalbibliothek nachweisen29. Das Bildnis des Vetters, des kaiserlichen Feldmarschalls Wolfgang von Mansfeld (1575–1638), kann sowohl durch eine Miniatur in Mattsee als auch durch den Kilian zuzuschreibenden seitenverkehrten Kupferstich im Wiener Exemplar nachgewiesen werden. Das Bildnis des Christoph von Teuffenbach nach einem Vorbild aus der Custos-Serie scheint hingegen nur im Khevenhüllerschen Nachdruck des 18. Jahrhunderts überliefert zu sein. Auch das Porträt des kaiserlichen Feldmarschalls und kursächsischen Generals Johann Georg von Arnim-Boitzenburg (1583–1641) liegt offensichtlich nur in der Version des 18. Jahrhunderts vor. Bei der Mehrheit der Bildnisse beschaffte Khevenhüller jedoch aktuelle Porträtvorlagen, wie vor allem die 125 Temperabildnisse im Handexemplar des Autors belegen. Das gilt sowohl für die Porträts der kaiserlichen Familie als auch für solche österreichischer, böhmischer und ungarischer Adeliger wie den kaiserlichen Generalfeldzeugmeister Johann Breuner von Stübing (1570–1633) und den kaiserlichen Feldmarschall Maximilian von Waldstein (1598–1655)30. Auch der kaiserliche Feldmarschall und Generalleutnant der Katholischen Liga Johann von Aldringen (1588–1634) ist in Mattsee mit einem kolorierten Kupferstich vertreten (Abb. 3), der offensichtlich auf einem entsprechenden Gemälde basiert, welches im Heeresgeschichtlichen Museum durch eine Kopie von Ludwig Schnorr von Carolsfeld überliefert wird (Abb. 4). Im Falle des berüchtigten Landeshauptmannes von Oberösterreich Adam von Herberstorff (1585–1629) hat sich sogar das als Vorlage dienende Ölgemälde im Besitz der Familie Khevenhüller erhalten. Es diente auch als Vorbild für ein Gemälde im Oberösterreichischen Landesmuseum sowie für das Relief des Grabmals31! Bei den meisten anderen Temperagemälden ist ebenfalls von Originalvorlagen auszugehern, auch wenn es in vielen Fällen bisher nicht möglich war, diese aufzufinden. Da zahlreiche Bildnisse der Offiziere und Heeresbeamten des Dreißigjährigen Krieges bisher nicht bekannt oder nicht den „Annales Ferdinandei“ zugeordnet waren, sollen diese hier mit allen bisher nachweisbaren Varianten vorgestellt werden: Das Temperagemälde von Michael Adolf von Althan wurde durch einen einzeln über-

28  Albrecht von Waldstein. Inter arma silent musae? Ausstellungskatalog, hg. von Eliška Fučíková–Ladislav Čepička (Prag 2007) Kat.-Nr. 6.3.2 (Basta), 6.3.7 (Questenberg – 18. Jh.), 6.3.8 (Redern). 29  ÖNB, Bildarchiv PORT_00151662_01. 30 Friedrich Polleross, „Caesari Patriae Amicis“. Adelsporträts der Frühen Neuzeit. Wv N. F. 66/1 (2017) 98–133, hier Abb. 27–29. 31   Vgl. das Gemälde im Oberösterreichischen Landesmuseum sowie das Exemplar im Besitz der Familie Khevenhüller: Der oberösterreichische Bauernkrieg 1626, Ausstellungskatalog (Linz 1976) Kat.-Nr. 203, Abb. 1 und 782, Abb. 10.

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Abb. 3: Johann von Aldringen, kolorierter Kupferstich vermutlich von Wolfgang Kilian in „Annales Ferdinandei“, Bd. 1, 1640 (Quelle: Mattsee, Stiftsbibliothek; Foto: Friedrich Polleroß).

Abb. 4: Johann von Aldringen, Gemälde von Ludwig Schnorr von Carolsfeld nach einem zeitgnössischen Original, um 1800 (Quelle: Wien, Heeresgeschichtliches Museum; Foto: Friedrich Polleroß).

Abb. 5: Charles Bonaventura Longueval de Buquoy, Temperagemälde in „Annales Ferdinandei“, Bd. 1, um 1640 (Quelle: Mattsee, Stiftsbibliothek; Foto: Friedrich Polleroß).

Abb. 6: Gottfried Heinrich von Pappenheim, Temperagemälde in „Annales Ferdinandei“, Bd. 1, um 1640 (Quelle: Mattsee, Stiftsbibliothek; Foto: Friedrich Polleroß).



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lieferten, unsignierten und seitenverkehrten Kupferstich in der ÖNB32 reproduziert, der jedoch eindeutig der Kilian-Serie zugewiesen werden kann. Das Temperagemälde von Feldmarschall Johann Jakob von Bronckhorst-Batenburg (1582–1630) steht in engem Zusammenhang zu einem Porträt des Offiziers von Lucas Kilian aus dem Jahre 162933 und wurde für den Reprint des 18. Jahrhunderts übernommen. Das Temperagemälde von Feldmarschall Charles Bonaventura de Longueval de Buquoy (1571–1621) in Mattsee (Abb. 5) hat hingegen nur wenig Ähnlichkeiten mit dem anonymen Kupferstich von 1625 im Wiener Druckwerk. Vom kaiserlichen Feldmarschall und Hofkriegsratspräsidenten Rambaldo Collalto (1579–1630) hat sich nur der Druck im Wiener Exemplar erhalten, aber dafür gibt es offensichtlich eine Vorzeichnung im Metropolitan Museum in New York, die auch die gleiche Inschrift aufweist34. Das Temperagemälde des Malteserpriors und Generals Rudolph von Colloredo-Wallsee (1585–1657) wurde für den Druck in einer nicht sehr guten Qualität seitenverkehrt reproduziert. Die Miniatur des schon für Rudolph II. tätigen Heinrich Duval von Dampierre (1580–1620) wurde offensichtlich in einem zeitgenössischen Kupferstich reproduziert, der in einem anonymen Abdruck in der Österreichischen Nationalbibliothek sowie einem von Wolfgang Kilian signierten Exemplar im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien erhalten blieb35. In diesem Falle belegen auch die Übereinstimmungen der Inschriften die Zuordnung zur Kilian-Serie. In Wien porträtiert eine Grafik mit dem Monogramm „R.C.“ Matthias von Gallas (1584–1647) in der gleichen Weise wie eine anonyme Radierung, während das Temperabildnis den kaiserlichen General sowohl in anderer Pose als auch in anderer Kleidung wiedergibt36. Der Kopf der Miniatur besitzt allerdings große Ähnlichkeiten zum Gesicht von Gallas im ganzfigurigen Gemälde im Heeresgeschichtlichen Museum. Feldmarschall Heinrich von Holck (1599–1633) ist im Mattseer Exemplar mit einer Miniatur vertreten, während für das Porträt im Reprint des 18. Jahrhunderts eine andere Vorlage verwendet wurde. Das Temperagemälde des Hofkriegsrates Ernst von Kollonitsch (1582–1638) wurde durch einen seitenverkehrten Kupferstich der Kilian-Serie reproduziert37. Der kaiserliche Feldmarschall und Kommandant von Raab/Győr Philipp von Mansfeld-Vorderort (1589–1657) ist mit einer Miniatur in Mattsee dokumentiert. Danach oder nach derselben Vorlage schuf offensichtlich Sebastian Furck (1589/98–1655/66), der auch andere Kupferstiche für die „Annales“ anfertigte, eine selbständig erhaltene Druckgrafik38, die sich auch durch die Inschrift der Khevenhüllerserie zuordnen lässt.   ÖNB, Bildarchiv PORT_00016605_01.   Ebd. Bildarchiv PORT_0006809_02. 34  „Flemish, 17th century (?)“, 15,2 x 13,2 cm: New York, Metropolitan Museum of Art, The Elisha Whittelsey Collection, The Elisha Whittelsey Fund, 1949 BILD 7018 MMA; Provenance: Vendor: P. & D. Colnaghi & Co. 35   ÖNB, Bildarchiv PORT_00094736_02. 36  Friedrich Polleross, „Conterfet Kupfferstich“. Neue Erkenntnisse zu den ‘Porträtbüchern’ des 17. Jahrhunderts. frühneuzeit-info 27 (2016) 170–191. 37   Polleross, Adelsporträts (wie Anm. 30) Abb. 35f. 38   http://www.30jaehrigerkrieg.de/mansfeld-vorderort-zu-bornstedt-philipp-v-graf-von/ [21.01.2019]. 32 33

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Der spanische Kavalleriehauptmann Baltazar de Marradas (1560–1638) ist im Hand­ exemplar mit einer Temperamalerei, im Wiener Druck hingegen mit einem Stich nach anderer Vorlage und im Reprint wieder mit einer anderen Version vertreten. Das Bildnis des Maltesergroßpriors Rudolph von Paar († 1640) ist sowohl in Form der Miniatur in Mattsee als auch in der seitenverkehrten Druckgrafik im Wiener Exemplar überliefert. Die Miniatur von Feldmarschall Gottfried Heinrich von Pappenheim (1591–1632; Abb. 6) unterscheidet sich wesentlich vom Stich von Balthasar Moncornet (um 1600– 1668) im Wiener Exemplar. Das gleiche gilt für die Miniatur Feldmarschall Ottavio Piccolominis (1599–1656) in Mattsee und dessen Kupferstich von Balthasar Moncornet im Wiener Druck39. Das Temperagemälde von Hofkriegsratspräsident Heinrich Schlick von Passaun (1580–1650) wurde für den Wiener Druck von Elias Wideman († 1652) gestochen, aber mit Variationen. Ein Bildnis des kaiserlichen Hofkriegsratsvizepräsidenten Gerhard von Questenberg (1586–1646) ist bisher nur durch den Nachdruck des 18. Jahrhunderts bekannt – ebenso wie im Falle des Bruders Hermann von Questenberg († 1651)40. Die Mattseer Miniatur des Feldmarschall Rudolf von Teuffenbach (1582–1653) unterscheidet sich vom Wiener Kupferstich von Wolfgang Kilian nicht nur durch die unterschiedliche Kleidung, sondern auch durch Freiherren- und Grafentitel (Abb. 7 und 8). Feldmarschall Johann T’Seraclaes von Tilly (1559–1632) ist in Mattsee mit einer obskuren Miniatur vertreten, die Parallelen zu einem Gemälde im Nationalmuseum Stockholm41 aufweist, während für die Stichserie des 18. Jahrhunderts eine andere Vorlage herangezogen wurde42. Das Temperagemälde des Hofkriegsratspräsidenten Adam von Trauttmansdorff (1579–1617) wurde hingegen sowohl in einem Stich von Wolfgang Kilian in der Nationalbibliothek und im Heeresgeschichtlichen Museum43 als auch im Druck des 18. Jahrhunderts reproduziert. Die individuelle Miniatur des Hofkriegsratspräsidenten Hans Friedrich von Trauttmansdorff († 1614) diente sowohl für einen anonymen Kupferstich im Stil Kilians44 als auch für den Nachdruck des 18. Jahrhunderts als Vorlage. Generalissimus Albrecht von Wallenstein (1583–1634) ist im Autorenexemplar mit einem kolorierten Kupferstich von Elias Wideman dokumentiert, während im Wiener Exemplar ein Stich von Peter Isselburg (um 1580–um 1630) aus dem Jahre 1625 eingeklebt wurde45. Mit der Mitwirkung am Khevenhüllerschen Porträtwerk erwarb Elias Wideman offensichtlich in der Werkstatt von Wolfgang Kilian die Erfahrung und die Voraussetzung 39 Friedrich Polleross, Conterfet Kupfferstich. Nové poznatky k „portrétním knihám“ 17. Století. Časopis Matice moravské 137/1 (2018) 115–128, hier Abb. 7–8. 40  Waldstein (wie Anm. 28) Kat.-Nr. 6.3.7 (Questenberg – 18. Jh.). 41   Stockholm, Nationalmuseum: https://www.alamy.com/portrait-of-johann-tserclaes-1559-1632-countof-tilly-museum-nationalmuseum-stockholm-image212814563.html [21.01.2019]. 42  Waldstein (wie Anm. 28) Kat.-Nr. 1.27. 43  ÖNB, Bildarchiv PORT _00098393_03. 44  Ebd. Bildarchiv PORT _00127115_01. 45 Friedrich Polleross, The „Annales Ferdinandei“ of Franz Christoph of Khevenhüller and Elias Wideman. Radovi instituta za povijest umjestnosti /Journal of the Institute of Art History 41 (2017) 39–46, hier Abb. 17–19.



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Abb. 7: Rudolf von Teuffenbach, Temperagemälde in „Annales Ferdinandei“, Bd. 1, um 1640 (Quelle: Mattsee, Stiftsbibliothek; Foto: Friedrich Polleroß).

Abb. 8: Rudolf von Teuffenbach, Kupferstich von Wolfgang Kilian in „Annales Ferdinandei“, Bd. 1, 1640 (Quelle: Wien, Universitätsbibliothek; Foto: Friedrich Polleroß).

für seine drei eigenen, 1646 bis 1652 publizierten Porträtserien von österreichischen, böhmischen und ungarischen Adeligen46. Das 1646 veröffentlichte Porträtwerk mit 100 Bildnissen wurde unter dem Titel „Comitium gloriae centum qua sanguine qua virtute illustrium heroum iconibus instructum“ ohne Text auf den Markt gebracht47. Die zumindest indirekte Beziehung zwischen den beiden Porträtreihen ergibt sich u. a. aus der Übereinstimmung einzelner Bildnisse. So reproduzieren die Kupferstiche des kaiserlichen Oberststallmeisters Bruno von Mansfeld (1576–1644) von Wolfgang Kilian und von Elias Wideman offensichtlich dasselbe Porträt48. Im ersten Band Widemans von 1646 waren u. a. Reichsgeneralfeldmarschall Leopold Wilhelm von Baden-Baden (1626–1671), Michael Johann von Althann, Raimondo Montecuccoli (1609–1680), Siegfried Leonhard Breuner (1590–1666) oder Hofkriegsrat Johann Reichard von Starhemberg (1608–1661) porträtiert. Es folgten zwei weitere Serien; die dritte 1652 unter dem Titel „Icones non modo bellica virtute, verum etiam literarum gloria atque ecclesiastica dignitate illustrium herorum Hungaricorum“. Hier wurden zahlreiche der schon im ersten Band abgebildeten Adeligen neu porträtiert, z. B. der kaiserliche Oberst Heinrich Karl von Kollonitsch (1611–um 1676), der beim zweiten Mal bezeichnenderweise in ungarischer Tracht festgehalten wurde49.  Ebd.  Gizella Genner-Wilhelmb, Über die ungarischen Porträtfolgen von Elias Widemann. Acta Historiae Artium 4 (1957) 325–347; Elias Widemann, Icones illustrium heroum hungariae, hg. von György Rózsa (Wien, 1652, Nachdr. Budapest 2004); György Rózsa, Elias Widemans druckgraphisches Porträtsammelwerk und der Westfälische Frieden. Ein Beitrag zur Geschichte der ungarischen Porträtmalerei des 17. Jahrhunderts. Acta Historiae Artium 47 (2006) 103–117. 48  Zijlma, Philipp Kilian (wie Anm. 15) Nr. 129. 49  Siehe dazu auch Sabine Fellner, Das adelige Porträt. Zwischen Typus und Individualität, in: Adel im 46 47

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Friedrich Polleroß Abb. 9: Johann Christoph von Puchheim, Kupferstich von Elias Wideman aus „Comitium Gloriae“, 1646 (Quelle: ÖNB, Bildarchiv).

Zur Gruppe der gegen die Osmanen in Ungarn kämpfenden Offiziere zählen auch mehrere Mitglieder der Familie Kuefstein: die beiden als kaiserliche Offiziere gefallenen und in Maria Laach bestatteten Brüder Johann Wilhelm (1604–1637) und Jakob Ludwig von Kuefstein († 1645) sowie deren Cousin, der kaiserliche Hofkriegsrat Georg Adam von Kuefstein (1605–1656)50. Noch einige Tatsachen erscheinen erwähnenswert. Hofkriegsratsvizepräsident Johann Christoph von Puchheim († 1657; Abb. 9) gilt als Mäzen des Druckwerkes von 1646 und war zumindest dessen Widmungsträger51. Tatsächlich sind nicht nur mehrere seiner Verwandten vertreten wie Adolf Ehrenreich von Puchheim (um 1628–1664) sowie Johann Christophs Bruder Johann Rudolf (1600–1651). Vor allem aber sprechen die vor dem Entstehungsjahr dieses Bandes liegenden Todesjahre des Vaters Johann Christoph von Puchheim (1578–1619) sowie von zwei der Kuefstein-Brüder (1637, 1644) dafür, dass es sich hier um posthume Reproduktionen und eine Puchheimische Initiative handelt. Denn die beiden Väter der drei Kuefstein-Offiziere waren mit den Schwestern Clara (1579–1618) und Anna Maria von Puchheim (1583–?) verheiratet52. Als weiteres Argument für eine Puchheim-Kuefsteinsche Porträtinitiative könnte die Tatsache dienen, dass Widemans Kupferplatten in Greillenstein noch erhalten sind. Vermutlich wurden aber auch die anderen Porträts von den jeweils Dargestellten finanziert und die Druckplatten daher den Auftraggebern überlassen. Größeres Gewicht besitzt hingegen die Feststellung, dass Johann Rudolf und Johann Christoph von Puchheim Wandel. Politik – Kultur – Konfession 1500–1700, Ausstellungskatalog Rosenburg, hg. von Herbert Knittler–Gottfried Stangler–Renate Zedinger (Wien 1990) 498–518, hier 515, Kat.-Nr. 22.25. 50   Karl Graf von Kuefstein, Studien zur Familiengeschichte, III. Teil: 17. Jahrhundert (Wien–Leipzig 1915) 232–233, 311; Martin Bircher, Im Garten der Palme (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 32, Wiesbaden 1998) 217, Kat.-Nr. 504. 51  Rósza, Porträtsammelwerk (wie Anm. 47) 104f. 52  Kuefstein, Kuefstein (wie Anm. 49) 166, 214.



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Abb. 10: Nachdruck des Bildnisses von Johann Christoph von Puchheim und anderer Offiziere der Türkenkriege in: Ortelius Continuatus. Das ist der Ungarischen Kriegs-Empörungen Fernere Historische Beschreibung oder Zweyter Teil, 1665 (Quelle: München, Bayrische Staatsbibliothek; Foto: https://books.google.at/books?id=sH587nFbMZkC&p rintsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false).

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sowie deren Vater nicht nur in der Serie von 1646 vertreten sind, sondern 1647 auch in drei aufwendigeren und bereits hochbarocken Kupferstichen von Wideman porträtiert wurden53. Mehrere der Widemanschen Porträts von Offizieren der Türkenkriege, darunter jene der drei Grafen Puchheim sowie Kuefstein, wurden 1665 in Form von kleinen Nach­ stichen durch Matthias van Somer (1648–1672 nachweisbar) im Werk „Ortelius Continuatus. Das ist der Ungarischen Kriegs-Empörungen Fernere Historische Beschreibung oder Zweyter Teil“ in Nürnberg neuerlich veröffentlicht54. Sie wurden hier auf Tafeln zusammengestellt (Abb. 10) und nehmen damit bildlich bereits die späteren Offiziersgalerien55 vorweg56. Die auf ein Brustbild – mit Ausnahme der Schärpen – ohne Attribute beschränkten Porträts der „Annales Ferdinandei“ bieten kaum Rückschlüsse auf den Typus des Feldherrenporträts, sie bilden aber die wichtigste und sehr genaue Bildquelle für viele der am Dreißigjährigen Krieg beteiligten Offiziere.

53  Alle drei Porträts: ÖNB, Bildarchiv. Zu einem weiteren Porträt des Johann Christoph III. siehe: Der Schwed‘ ist im Land! Das Ende des 30jährigen Krieges in Niederösterreich hg. von Gustav Reingrabner, (Horn 1995) 91 (Abb.). 54 Die Porträts wurden auf 13 Tafeln zu je neun Bildnissen kombiniert: https://books.google.at/ books?id=V3xUAAAAcAAJ [21.01.2019]. 55  Eine solche Offiziersgalerie aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts hat sich vom Infanterieregiment des Fürsten Nikolaus Esterházy in Forchtenstein erhalten: Stefan Körner, Burg Forchtenstein. Tresor der Fürsten Esterházy (Wien 2009) 36–38. 56  Schon im Wiener Nachlassinventar der Witwe des Feldmarschalls Marchese Ferdinando Obizzi (1640– 1710) von 1728 wurde eine Saalaustattung mit 14 Gemälden von „Ritratti de Generali Tedeschi“ genannt: Laura Facchin, Carriere militari e mecenatismo sotto l’ala imperiale. Il caso di Ferdinado Obizzi, in: Travelling Objects. Botschafter des Kulturtransfers zwischen Italien und dem Habsburgerreich, hg. von Gernot Mayer– Silvia Tammaro (Schriftenreihe des Österreichischen Historischen Instituts in Rom 3, Wien–Köln–Weimar 2018) 115–138, hier 134.



Der Dreißigjährige Krieg in Vorarlberg – (k)ein Erinnerungsort? Alois Niederstätter

1. „Bündner Wirren“ Während die Eroberung von Bregenz durch das Heer des schwedischen Feldherrn Karl Gustav Wrangel (1613–1676) zu Beginn des Jahres 1647 noch einigermaßen zum Inventar des regionalen Geschichtswissens zählt, sind andere Ereignisse, die im Verlauf des Dreißigjährigen Kriegs das nachmalige Vorarlberg betrafen, kaum mehr präsent. Für Konflikte sorgte dabei vorerst die Grenzlage zu den „Drei Bünden“. Das Gebiet, in dem das Haus Habsburg nicht unbeträchtliche Herrschaftsrechte beanspruchte, war konfessionell gespalten, außerdem standen sich eine venezianisch-französische und eine spanischösterreichische Partei gegenüber1. In erster Linie ging es darum, die strategisch wichtigen Gebirgspässe sowie das Veltlin als Transitkorridor zwischen Tirol und Mailand je nach Interessenlage offenzuhalten oder aber zu sperren. Im Frühjahr 1618 löste ein spanisches Handelsembargo eine Erhebung der Evangelischen aus, zu deren Anführern der Prädikant Jörg Jenatsch (1596–1639) gehörte. Im Jahr 1620 rebellierten Veltliner Katholiken gegen die Bündner Herrschaft und richteten dabei ein Massaker unter der reformierten Bevölkerung an. Das Scheitern der Rückeroberung des Veltlin, eine militärische Intervention der Innerschweizer und die Ermordung des Pompejus von Planta (1570–1621), der zu den Häuptern der Katholischen gehörte, destabilisierten die Verhältnisse weiter2. Im Oktober 1621 verlief das Unterfangen, die „Drei Bünde“ zu unterwerfen und die überwiegend entfremdeten österreichischen Rechte wieder geltend zu machen, zunächst erfolgreich3. Soldaten und als Missionare entsandte Kapuziner, angeführt von Fidelis von Sigmaringen (1577–1622, bürgerlich Markus Roy)4, dem Guardian der Feldkircher Ordensniederlas1 Florian Hitz, Fürsten, Vögte und Gemeinden. Politische Kultur zwischen Habsburg und Graubünden im 15. bis 17. Jahrhundert (Baden 2012). 2 Silvio Färber, Politische Kräfte und Ereignisse im 17. und 18. Jahrhundert, in: Handbuch der Bündner Geschichte 2: Frühe Neuzeit (Chur 2000) 113–140, hier 129f.; Benedikt Bilgeri, Geschichte Vorarlbergs 3: Ständemacht, Gemeiner Mann – Emser und Habsburger (Wien–Köln–Graz 1977) 147f. Nun vor allem Andreas Wendland, Der Nutzen der Pässe und die Gefährdung der Seelen. Spanien, Mailand und der Kampf ums Veltlin (1620–1641) (Zürich 1995). 3 Manfred Tschaikner, Der Einfall der Bündner ins Montafon 1622. Jahresbericht 2013. Montafoner Museen [hg. von Michael Kasper] (Schruns 2014) 70–103, hier 73–75. 4  Otto H. Becker–Gebhard Füssler–Volker Trugenberger (Bearb.), Sankt Fidelis von Sigmaringen. Le-

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sung, wirkten dabei Hand in Hand. Dagegen erhoben sich die Prättigauer im April 1622, Pater Fidelis wurde in Seewis von aufgebrachten Bauern erschlagen. Ein Vorarlberger Aufgebot, das unter dem Befehl des Obristhauptmanns und Vogts von Bregenz Hans Werner von Raitenau (†1636) den Aufstand niederwerfen wollte, scheiterte unter großen Verlusten. Im Juli unternahmen Bündner einen Kriegszug ins Montafon, Vorarlbergs südlichste Talschaft5. Ende August warf ein Heer Erzherzog Leopolds von Österreich die Revolte nieder. Aber schon im folgenden Jahr wendete sich das Blatt wieder; eine unter französischem Kommando stehende bündnerisch-eidgenössische Streitmacht besetzte die österreichischen Gebiete Graubündens. 1628 brach nach dem Aussterben der Hauptlinie der über das Herzogtum Mantua herrschenden Gonzaga ein Erbfolgekrieg zwischen Spanien und Frankreich aus. Die Bündner Pässe rückten wieder ins Blickfeld, österreichische Truppen besetzAbb. 1: Fidelis von Sigmaringen, Kupferstich, Lucas ten 1629 Graubünden zum dritten Mal. oder Wolfgang Kilian zugeschrieben, (Foto: ÖNB, Das Vorarlberger Rheintal hatte dabei unBildarchiv). ter dem drei Wochen dauernden Durchmarsch des vom nördlichen Bodenseeufer kommenden kaiserlichen Heeres schwer zu leiden. Nach dem Sieg der Franzosen wurde Graubünden 1631 wieder geräumt6. Erst die erfolgreiche Erhebung der Bündner gegen die Franzosen im Jahr 1637 ermöglichte nach langen Verhandlungen 1642 im Vertrag von Feldkirch einen Ausgleich mit Österreich7, der an der Südgrenze Vorarlbergs für Ruhe sorgte.

ben, Wirken, Verehrung. Begleitveröffentlichung zur Ausstellung im Staatsarchiv Sigmaringen 1996 (Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte 32, Sigmaringen 1996); außerdem nunmehr die merkwürdig aus der Zeit fallende Arbeit von Matthias Emil Ilg, Constantia et Fortitudo. Der Kult des kapuzinischen Blutzeugen Fidelis von Sigmaringen zwischen „Pietas Austriaca“ und „Ecclesia Triumphans“: Die Verehrungsgeschichte des Protomärtyrers der Gegenreformation, des Kapuzinerordens und der „Congregatio de propaganda fide“ (1622–1729) (Münster 2016). 5  Tschaikner, Einfall (wie Anm. 3) 75–83. 6  Bilgeri, Geschichte (wie Anm. 2) 150–154; Färber, Politische Kräfte (wie Anm. 2) 131–134; vgl. auch Heribert Küng, Vorarlberg im Dreißigjährigen Krieg von 1632–1650 (Diss. Innsbruck 1968), sowie, zum größeren Rahmen, Walther Ernst Heydendorff, Vorderösterreich im Dreißigjährigen Kriege. Der Verlust der Vorlande und die Versuche zu ihrer Rückgewinnung. MÖStA 12 (1959) 74–142; 13 (1960) 107–194. 7  Färber, Kräfte (wie Anm. 2) 134f.



Der Dreißigjährige Krieg in Vorarlberg – (k)ein Erinnerungsort? 365

2. Erinnerungsort Fidelis-Kult? Bald nach dem Tod des Feldkircher Kapuzinerguardians Fidelis bemühten sich die Habsburger „um dessen Heiligsprechung als ‚Propagandamärtyrer‘ der Gegenreformation und als Patron für Vorderösterreich. Doch das erreichte erst 1749 das Fürstenhaus Hohenzollern-Sigmaringen, das Fidelis gleichzeitig zur Integrationsfigur seines Fürstentums aufbaute; als Landespatron Hohenzollerns“8. Zentrum seiner Verehrung in Vorarlberg, wo er neben dem hl. Gebhard als zweiter Diözesanpatron geführt wird, ist die Kapuzinerkirche in Feldkirch, die seine Hauptreliquie verwahrt. Während 1933 bei einer Prozession über 4.000 Menschen diese begleitet haben sollen,9 ist es jüngerer Zeit um den streitbaren Gegenreformator ruhig geworden, außerdem erscheint seine Verehrung – er gilt als Helfer bei Kopfschmerzen – weitgehend von den historischen Ereignissen des 17. Jahrhunderts abgekoppelt.

Abb. 2–3: Befestigungsanlagen und Verteidigungsstellungen an der Bregenzer Klause und am Pfänder in Franz Ranspergs „Vorarlbergischem Kriegs-Geschichts Buch“ (ca. 1653) (Fotos: StA Bregenz).

8  Ulrich Nachbaur, Der Vorarlberger Landespatron – Ein Beitrag zur Verehrung des hl. Josef und zu den Landesfeiertagen in Österreich. Montfort 56 (2004) 74–91, hier 81. 9  Ebd.

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3. Der „Schwedische Krieg“ Nachdem der schwedische König Gustav II. Adolf 1630 in den Dreißigjährigen Krieg eingegriffen hatte, konnten die Kaiserlichen den Vormarsch seiner Truppen nach Süddeutschland nicht aufhalten. Angesichts dieser Bedrohung ließen der Bregenzer Vogt Hans Werner von Raitenau und der zum Obristhauptmann der Vorarlberger Herrschaften ernannte Valentin Schmid von Wellenstein (†1639) an der Bregenzer Klause, am Pfänder sowie an neuralgischen Punkten zwischen Sulzberg und Balderschwang Verteidigungsanlagen errichten. Im April 1632 fielen Leutkirch und Wangen in die Hand der Schweden, ihre Reiterei stieß bis an die Grenze der Herrschaft Bregenz vor. Zur Abwehr hatte sich der durch Söldner verstärkte Landsturm gesammelt. In vorderster Linie lag das Regiment Jakob Hannibals II. von Hohenems (1595–1646), des Feldkircher Vogts. Es wurde Anfang Juni 1632 überfallen, wobei es erhebliche Verluste erlitt und der Hohen­ emser Graf in Gefangenschaft geriet10. Erst nachdem der Gegner größere Teile seiner Streitmacht abgezogen hatte, war an eine Gegenoffensive zu denken. Ziel war Anfang Jänner 1633 die evangelische Reichsstadt Kempten, welche die Schweden unterstützt hatte. An dem Unternehmen beteiligten sich neben landesfürstlichen Söldnern 600 Mann der Vorarlberger Landwehr. Im Frühjahr gelangte ein ähnlich starker Verband zu Schiff von Bregenz nach Konstanz, um Radolfzell, einen Stützpunkt der Schweden, anzugreifen. Das Unternehmen misslang jedoch. Dagegen konnten im September unter Beteiligung mehrerer hundert Vorarlberger die vom schwedischen Feldherrn Gustav Horn (1592–1657) begonnene Belagerung von Konstanz durchbrochen wurde. Mit einer herben Niederlage endete hingegen im April 1634 ein gleichfalls von Bregenz aus unternommener Angriff auf die Reichsstadt Wangen im Allgäu11. Auf dem Bodensee trafen damals Kriegsschiffe beider Seiten aufeinander. Neben den „Jagdschiffen“ – Schnellruderern mit Hilfsbesegelung – kamen vor allem umgerüstete Lastensegler zum Einsatz. Das größte, eigens gebaute und mit 22 Geschützen am stärksten bewaffnete Kriegsschiff war die nach der Tochter König Gustav Adolfs benannte „Kristina“.12 Der Sieg, den die kaiserlich-habsburgischen Truppen im September 1634 bei Nördlingen über die Schweden errangen, zwang diese schließlich zum Abzug aus dem Bodenseeraum. Für die Organisation der Landesverteidigung13 waren – in Absprache mit der Obrigkeit – die unter Kaiser Maximilian I. institutionalisierten Landstände der vorarlbergischen Herrschaften zuständig. Den damals geltenden Landwehrordnungen gemäß belief sich das militärische Aufgebot Vorarlbergs – wohl ziemlich theoretisch – auf 5.784 Mann. Als wehrpflichtig galten alle Tauglichen zwischen dem 18. und dem 60. Lebensjahr. Ihre Waffen gehörten zum unveräußerlichen Hausrat, bei einem Ausmarsch hatte sich die Truppe während der ersten vier Tage selbst zu verpflegen. Je nach dem Ausmaß der Bedrohung gab es verschiedene Stufen der Mobilisierung vom zwanzigsten, fünfzehnten, zehnten und fünften Mann bis zum Aufgebot aller Wehrpflichtigen. Bei unmittelbarer Feindesgefahr   Bilgeri, Geschichte (wie Anm. 2) 156–158.   Ebd. 159f. 12 Ludwig Welti, Schwedische Piratenfahrten im Dreißigjährigen Krieg. Hauptplatz des Geschehens: die Bregenzer Bucht. Bodensee-Hefte 5 (1954) 317–321; Heribert Küng, Vor 350 Jahren: Ende des Dreißigjährigen Krieges in der Region Bodensee-Alpenrhein. Montfort 50 (1998) 182–191, hier 186. 13 Otto Stolz, Zur Geschichte der Landwehr in Vorarlberg. Montfort 3 (1948) 1–33; Benedikt Bilgeri, Ursprung und Wesen der Landesverteidigung in Vorarlberg. Montfort 18 (1966) 501–541. 10 11



Der Dreißigjährige Krieg in Vorarlberg – (k)ein Erinnerungsort? 367

alarmierte man mittels „Glockensturm“, dem Läuten der Kirchenglocken, durch von den Burgen abgegebene Kanonenschüsse sowie durch Feuer- und Rauchsignale. Die aufgebotenen Truppen waren allerdings nur zur unmittelbaren Landesverteidigung verpflichtet: Sie brauchten nur so weit auszurücken, dass eine Heimkehr noch am selben Tag möglich war: „Bei Tag aus, bei Tag zurück“, lautete die Devise. Sollten die militärischen Aktionen über die althergebrachten Grenzen ausgreifen, musste man sich um Freiwillige bemühen. Solche fanden sich, vor allem wenn Beute winkte, meist in ausreichender Zahl. 1621 verkleinerte man das Kontingent auf 4.000 Mann, eingeteilt in acht „Fähnlein“. 80 Prozent der Kämpfer sollten mit Musketen ausgerüstet sein. Jedes Fähnlein erhielt 50 „Schanzer“ zum Stellungsbau zugewiesen, außerdem wurden „Trüllenmeister“ (Drillmeister) zur Ausbildung der Truppe eingesetzt. Die in den einzelnen Sprengeln des Landes Aufgebotenen hatten das Recht, ihre Vorgesetzten selbst zu bestimmen. Mit dem Oberkommando war ein für alle vorarlbergischen Herrschaften zuständiger „Obristhauptmann“ betraut, bis in die 1630er Jahre meist der österreichische Vogt von Bregenz. Später zog die Herrschaft dafür überwiegend auswärtige Offiziere heran. Norm und Realität deckten sich jedoch nur selten. In diesem Sinn berichtete der neue Obristhauptmann Hans Werner Äscher von Büningen (†1653)14, ein gebürtiger Zürcher, über gravierende Mängel des Milizsystems und den schlechten Zustand der Verteidigungseinrichtungen nach Innsbruck, fand dort aber keine Resonanz. Um auf Veränderungen der militärischen Lage – wie die Eroberung von Überlingen durch französische Truppen im Winter 1643 – angemessen reagieren zu können, wollte Äscher eine 1.000 Mann starke, in drei Stufen mobilisierbare Kerntruppe als „Landesregiment“ aufstellen. Das stieß auf den heftigen Widerstand der Landstände. Selbst die achtzigköpfige Wachmannschaft von Bregenz musste auf deren Wunsch um die Hälfte reduziert werden15. Operationen schwedischer, französischer und kaiserlicher Truppen in Süddeutschland ließen im Herbst 1646 die Kriegsgefahr noch einmal stetig anwachsen. Ende Dezember verlegte Karl Gustav Wrangel sein Hauptquartier nach Leutkirch. Ein Angriff auf Vorarlberg wurde immer wahrscheinlicher. In Bregenz lockte reiche Beute: Weil es hinter der Klause als sicher galt, waren Wertsachen aller Art aus weitem Umkreis dorthin geflüchtet worden. Außerdem bot sich das von unmittelbaren Kriegshandlungen bis dahin verschont gebliebene vorarlbergische Gebiet zur Verpflegung eines Teils seines Heeres an. Am 1. Jänner 1647 brach Wrangel südwärts auf, drei Tage später bezog er in Schloss Hofen bei Lochau Quartier. Der Einberufung des Landsturms wurde nur zögerlich Folge geleistet, vor allem die Oberländer weigerten sich großteils, an der Verteidigung von Bregenz teilzunehmen. Von außen war keine Hilfe zu erwarten, Erzherzog Ferdinand Karl war kaum in der Lage, die Ehrenberger Klause und Scharnitz als Einfallstore nach Tirol zu sichern. So standen den 8.000 Mann Wrangels etwa 2.200 überwiegend schlecht ausgerüstete Landesverteidiger gegenüber. Sie hatten sich vornehmlich am Pfänder, am Haggen und in den Fortifikationen der Bregenzer Klause postiert. Am 4. Jänner begann der Angriff, schon nach wenigen Stunden brachte die Umgehung der Stellungen in der Klause und 14  Zu seiner Person nunmehr Johann Dietrich von Pechmann, Obrist Hans Werner Äscher von Bünningen – Obersthauptmann der vier Herrschaften vor dem Arlberg und Verteidiger von Bregenz 1647. Montfort 69/1 (2017) 59–126. 15 Peter Broucek, Die Eroberung von Bregenz am 4. Jänner 1647 (Militärhistorische Schriftenreihe 18, Wien 21981) 7f.

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Abb. 4: Schloss Hofen bei Lochau, Wrangels Hauptquartier vor dem Sturm auf Bregenz (Foto: Friedrich Böhringer).

Abb. 5: Der schwedische Angriff auf Bregenz, Kupferstich aus G. Bodenehr, „Force d‘Europe“, Augsburg um 1700 (Foto: VLA).



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am Haggen mit Hilfe Ortskundiger die Entscheidung. Die Schweden gelangten von der sich auflösenden Streitmacht am Pfänder unbehelligt vor die Stadt. Ein Sturm verhinderte das Auslaufen der im Hafen liegenden Schiffe, weswegen Obristhauptmann Äscher in Gefangenschaft geriet. Mit der von ihm daraufhin befohlenen kampflosen Übergabe der Festung auf dem Gebhardsberg (Schloss „Pfannberg“) endete die „Schlacht um Bregenz“. Die Verluste der Verteidiger werden mit 200 bis 300 Gefallenen beziffert, unter ihnen befanden sich der Hauptmann des Dornbirner Kontingents, Alt-Landammann Thomas Rhomberg (1572/74–1647)16, und Balthasar Heltmann (†1647), der Kommandant der Feldkircher.17 Bei der Plünderung von Bregenz kamen 17 Bürger um. Allein der Wert der Schiffsladungen, die den Schweden in die Hände fielen, soll sich auf vier Millionen Gulden belaufen haben. Die Beute wurde von den Siegern überwiegend ins benachbarte Schweizer Rheintal gebracht und dort auf regelrechten Märkten verkauft18. Wer die Niederlage zu verantworten hatte, war für die Zeitgenossen klar: Obristhauptmann Äscher und seine Offiziere, außerdem die Uneinigkeit unter den Ständen, die endlosen Streitigkeiten zwischen Ober- und Unterländern19. Dass Äscher – ein in drei Jahrzehnten habsburgischen Kriegsdiensts erfahrener Militär20 – sich bei der Verteidigung von Bregenz einzig auf das Vorarlberger Milizsystem stützen musste, von dessen geringer Effizienz in einem „modernen“ Krieg er überzeugt war21, mag manches erklären – vielleicht sogar die Eroberung von Bregenz als ein kalkuliertes Geschehen zum kleinstmöglichen Preis. Vorarlberg stand Wrangels Heer, dem nur zu einem kleinen Teil Schweden, sondern überwiegend Deutsche, Schotten, Finnen und Esten angehörten, nun gänzlich offen. Streifscharen drangen bis Bludenz und an die Luzisteig vor, um die üblichen Kontributionen einzuheben und jene Schlösser zu besetzen, die sich – wie die Neuburg – freiwillig ergaben. Am 18. Jänner 1647 rückte eine 400 Mann starke Abteilung in die fast menschenleere Stadt Feldkirch ein, deren Bewohner über den Rhein in die benachbarte Schweiz geflohen waren. Die Übergabe erfolgte im Einverständnis mit Erzherzog Ferdinand Karl, dem Landesfürsten, nachdem der Kommandant der Schattenburg unmittelbar nach dem Fall von Bregenz seinen Posten verlassen hatte22. Das Gericht Lingenau musste zwei Kompagnien Kavallerie aufnehmen. Der Hinterbregenzerwald konnte sich durch die Zahlung einer „Brandsteuer“ von Einquartierungen loskaufen. Das Gros der Schweden nahm noch im Jänner die Belagerung der Stadt Lindau auf23, 16  Rudolf Hämmerle, Geschichte der Familie Rhomberg mit Auszug aus dem Dornbirner Familienbuch (Dornbirn 1974) 4–70. 17 Christoph Volaucnik, Hauptmann Balthasar Heltmann und seine Nachfahren. Rheticus. Vierteljahresschrift der Rheticus-Gesellschaft 20/1 (1998) 9–16. 18  Ebd.; außerdem: Gebhard Fischer, Zur Geschichte des Schwedeneinfalls in Vorarlberg im Jahre 1647. Jahresbericht des k. k. Real- u. Obergymnasiums in Feldkirch 39 (1893/94) 3–41; Bilgeri, Geschichte (wie Anm. 2) 162–170; Benedikt Bilgeri, Bregenz. Geschichte der Stadt. Politik – Verfassung – Wirtschaft (Wien–München 1980) 261–266; Heribert Küng, Bregenz am Vorabend der schwedischen Invasion. Montfort 21 (1969) 91–116; ders. Ende (wie Anm. 12). 19  Vgl. dazu insbesondere Anton Brunner, Die Vorarlberger Landstände von ihren Anfängen bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts (Innsbruck 1929) 116–119. 20  Broucek, Eroberung (wie Anm. 15) 17. 21 Vgl. Bilgeri, Geschichte (wie Anm. 2) 468 Anm. 207. 22  Dazu Christoph Volaucnik, Der Schwedeneinfall 1647. Rheticus. Vierteljahresschrift der Rheticus-Gesellschaft 31/2–3 (2009) 18–21. 23  Dazu nunmehr Otto Mayr, Die schwedische Belagerung der Reichsstadt Lindau 1647, Der Dreißigjährige Krieg am Bodensee und in Oberschwaben. Neujahrsblatt des Historischen Vereins Lindau 53 (2016).

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Abb. 6: Die Truppenbewegungen der Schweden in Vorarlberg [aus: Peter Broucek, Die Eroberung von Bregenz (Wien 1981)].



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an deren Verteidigung ein Vorarlberger Kontingent mitwirkte. Von Bregenz aus wurde die Insel Mainau erobert, französische Kräfte besetzen Langenargen. Nachdem sich die allgemeine Kriegslage geändert hatte, begann Wrangel im März 1647 mit dem Abzug; die Festung am Gebhardsberg ließ er sprengen, auch die Befestigungen und Sperren an der Klause sowie am Pfänder wurden zerstört. Das gleichfalls befohlene Abbrennen der Schattenburg und den Abbruch der Feldkircher Stadttore verhinderte die Bürgerschaft durch eine Geldzahlung und die Verpflichtung, das Schloss den Schweden offen zu halten24. Die auf der Neuburg zurückgelassene schwedische Besatzung kapitulierte Ende Mai vor einer über den Arlberg vorgerückten österreichischen Streitmacht unter Adrian Enkefort (†1663) – 300 Mann zu Fuß und 80 Reiter –, die wenig später auch Bregenz wieder in Besitz nahm. Den See beherrschten aber noch längere Zeit gegnerische Schiffe, unter ihnen die in Bregenz erbeuteten, und beunruhigten die Uferorte25. Ein Seegefecht vor Langenargen, ein Vorstoß der Kaiserlichen auf Ravensburg und ein durch einen Sturm vereitelter Angriff schwedischer Schiffe auf Lindau waren die letzten regionalen militärischen Operationen des Dreißigjährigen Kriegs. Seine wirtschaftlichen und sozialen Folgen waren noch lange zu spüren. In Bregenz etwa lag das Durchschnittsvermögen der Haushalte im Jahr 1660 um gut 40 % unter dem Wert von 1634. Es gab auch Profiteure: Hatten 1634 die reichsten Bregenzer Familien nur ein Viertel des Gesamtvermögens besessen, waren es 1660 drei Viertel26. Der glücklose Äscher von Büningen begab sich nach seiner Entlassung aus schwedischer Gefangenschaft, für die er 1.300 Reichstaler hatte aufbringen müssen, nach Innsbruck, um sich zu rechtfertigen. Das gegen ihn eröffnete Kriegsgerichtsverfahren, in dem sich Erzherzog Ferdinand Karl die Entscheidung vorbehalten hatte, endete offenkundig zu seinen Gunsten.27

4. Die zeitgenössische Rezeption und spätere Erinnerungsorte Die zentrale Quelle zur Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs in Vorarlberg verfasste der Mehrerauer Benediktinerpater Franz Ransperg (1609–1670), ein gebürtigen Appenzeller, der auch als Prior zu Lingenau und Stadtpfarrer von Bregenz wirkte28. Er war ein eifriger Sammler von historischem Material zur Geschichte seines Stifts, der Stadt Bregenz und ihrer Umgebung, das er zu historischen Studien zusammenfasste. Wie auch seine anderen Werke nur als Manuskript überliefert ist das wohl um 1653 fertiggestellte „Vorarlbergische Kriegs-Geschichts Buch von den Jahren 1600 inclusive 1648“29. Ranspergs mit zahlreichen Abbildungen versehenem und durch Quellenabschriften ergänztem Text folgen – weil als authentisch angesehen – alle späteren Darstellungen30 der Geschehnisse  Ebd.   Welti, Piratenfahrten (wie Anm. 12). 26  Karl Heinz Burmeister, Geschichte Vorarlbergs. Ein Überblick (Geschichte der österreichischen Bundesländer, Wien 41998) 128. 27   Pechmann, Äscher (wie Anm. 14) 119f. 28 Pirmin Lindner, Album Augiae Brigantinae. Album von Mehrerau bei Bregenz, enthaltend die Äbte und Mönche der ehemaligen Benediktiner-Abtei Mehrerau vom Jahre 1097 bis zu ihrem Aussterben (1856) und deren literarischen Nachlaß. Jahresbericht des Vorarlberger Museums-Vereines 41 (1902/03) 31–107, hier 55–58. 29  Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, FB 2683; Fotokopie im StA Bregenz, Bibliothek, Nr. 3041. 30  Zuletzt ausführlich und unter Einbezug weiterer Quellen Bilgeri, Geschichte (wie Anm. 2) 147–181. 24 25

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vor allem im Zusammenhang mit der Eroberung von Bregenz. Eine Edition sowie eine kritische Bewertung des „Kriegs-Geschichts Buchs“ fehlen allerdings bis heute. In der Vorarlberger Erinnerungskultur ist im Zusammenhang mit den regionalen Ereignissen in der Endphase des Dreißigjährigen Kriegs jene Geschichte präsent, welche der Lingenauer Kaplan Johann Konrad Herburger (1780–1845) 1818 in seiner Ortschronik als wahre Begebenheit festhielt: Als in Lingenau einquartierte schwedische Soldaten zu einem ihrer Plünderungszüge aufbrachen, entschlossen sich die Frauen aus den Bregenzerwälder Pfarren Egg, Andelsbuch und Schwarzenberg, ihnen entgegenzutreten. Am Fallenbach bei Egg trafen die Schweden auf die in Schlachtordnung aufgestellten, mit Arbeitsgeräten bewaffneten Wälderinnen, hielten sie wegen ihrer weißen Tracht für österreichische Soldaten und wollten deshalb fliehen. Dazu kam es nicht mehr, die Frauen stürzten sich mit großer Wut auf sie und machten alle nieder. Der mit dem Blut der Getöteten getränkte Platz hieß fortan „die rote Egg“. Weil dieser Sieg um zwei Uhr nachmittags errungen worden war, läutete man fortan in den Pfarrkirchen der drei Orte um diese Zeit die Glocken, außerdem erhielten die Frauen das Recht, beim Opfergang um den Altar den Männern voranzugehen31. Wenige Jahre später veröffentlichte der in Wien wirkende, aus dem Bregenzerwald stammende Historiker Joseph Bergmann (1796–1872) Herburgers Text – allerdings ohne seine Quelle zu nennen – und machte ihn damit einem breiteren Publikum bekannt32. Mit der Variante, die Wälderinnen seien von den überraschten Schweden für himmlische Wesen gehalten worden und dem Zusatz des Gelöbnisses der Frauen, die weißen Kleider gegen dunkle zu tauschen, legte Josef Elsensohn 186633 die Grundlage für die Aufnahme der Geschichte in die späteren Vorarlberger Sagensammlungen. So gehört die Heldentat der Bregenzerwälder Frauen bis heute zum Standardrepertoire der ohnehin stark ausgeprägten Talschaftsidentität und findet sich sogar als in der Tourismuswerbung wieder. Als „historischer Sage“34 wird der Geschichte zumindest ein „wahrer Kern“ zugestanden35, zumal sich die Geschichtsschreibung seit dem frühen 19. Jahrhundert redlich bemühte, sie in das historische Geschehen am Ende des Dreißigjährigen Kriegs einzubetten36. Auch an literarischen Verarbeitungen mangelt es nicht. Bereits 1869/70 nahm sich kein geringerer als Wilhelm Raabe (1831–1910) nach einem Sommeraufenthalt in Vorarlberg in seiner Erzählung „Der Marsch nach Hause“ des Stoffs an37. Der Theaterverein Bizau führte 1936 das „Schwedenspiel“ von Kaspar Meusburger (1878–1951) sowie 1953 eine Dramatisierung des ebenfalls auf dieser Thematik beruhenden Romans „Schicksal auf Vögin“ (1942) der Schriftstellerin Nathalie Beer (1903–1987) auf38. Eine bildliche   Johann Konrad Herburger, Chronik von Lingenau, ungedruckt, Kopie im VLA, hier 343–346.  Joseph Bergmann, Die Schweden in und um Bregenz, und ihre Aufreibung durch die mannhaften Weiber des Bregenzer-Waldes. Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst 116/117 (27./29. September 1824) 637–639. 33 Josef Elsensohn, Sagen und Volksglauben im innern Bregenzerwalde. Programm des k. k. katholischen Gymnasiums in Teschen für das Schuljahr 1866 (1866) 1–39, hier 33–36. 34  Vgl. zu Begriff und Ausprägung etwa Gottfried Kompatscher, Volk und Herrscher in der historischen Sage. Zur Mythisierung Friedrichs IV. von Österreich vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Beiträge zur Europäischen Ethnologie und Folklore A/4, Frankfurt/Main u. a. 1995). 35  So etwa Walter Johler, Anno 1647: Die Schweden im Bregenzerwald. Die historische Sage von der „Weiberschlacht am Fallenbach“ (Dichtung und Wahrheit). Bregenzerwald-Heft 15 (1996) 70–93, hier 92. 36  Vgl. zuletzt Bilgeri, Geschichte (wie Anm. 2) 479 Anm. 297. 37  1870 erstmals in der Leipziger Zeitschrift „Daheim“ erschienen. 38 Wilhelm Meusburger, Theater Bizau – Zeittafel, in: Begleitheft zur Ausstellung Theaterverein Bizau – 31 32



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Abb. 7: Ansichtskarte nach dem Relief von Georg Feurstein, das die „Weiberschlacht an der Roten Egg“ darstellt (Foto: Vorarlberger Landesbibliothek).

Abb. 8: Szene aus dem „Schwedenspiel“ von Kaspar Meusburger (Foto: Bregenzerwaldarchiv, Egg).

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Abb. 9: Als „Schwedensäule“ umgedeuteter St. Anna-Bildstock in Nenzing (Foto: Gemeindearchiv Nenzing). Abb. 10: Gedenkstein für den Feldkircher Hauptmann Balthasar Heltmann (Foto: Helmut Tiefenthaler, Vorarlberger Landesbibliothek).

Darstellung in Form eines heute im Vorarlberg Museum in Bregenz verwahrten Reliefs schuf der aus Reuthe im Bregenzerwald stammende Bildhauer Georg Feurstein (1840– 1904)39. Beim großen historischen Festumzug von 1909 anlässlich der Jahrhundertfeier des Vorarlberger Aufstands gegen die bayerische Herrschaft40, der auch Kaiser Franz Joseph beiwohnte, durfte das Sujet selbstverständlich nicht fehlen. Landesarchivar Viktor Kleiner (1875–1950) lieferte den Begleittext für die Festschrift: „Als die Schweden nach der Einnahme von Bregenz raubend und plündernd im Lande umherzogen und allerlei Gräuel verübten, wagte sich eine größere Abteilung in den Bregenzerwald. Die tapferen Bregenzerwälderinnen verlegten ihnen in einer steilen Schlucht den Weg, so daß sie weder vorwärts noch rückwärts konnten. Von der Höhe stürzten sie Steine und Holzblöcke auf den Feind, der glaubte, reguläres Militär vor sich zu haben und Rettung suchend in die tiefe Schlucht der Subers sprang, dabei aber dem sicheren Tod in die Arme lief […]“41. Dass Quellenbelege für dieses vorgebliche Geschehen gänzlich fehlen und vor allem die zeitgenössische Kriegsgeschichte des Benediktinerpaters und Priors von Lingenau Franz Ransperg sie nicht überliefert, minderte und mindert ihre Popularität nicht – genauso wenig wie die schon vor mehr als hundert Jahren vorgenommene Einordung der „Schlacht an der Roten Egg“ als Lokalisation eines alten Mythos, zu dem unter anderem 125 Jahre (Bregenz [1991]) 9–16, hier 13f. 39   Die Bildhauer Georg Feurstein und Georg Matt. Vorarlberger Landesmuseum Bregenz 21. Juli bis 14. Oktober 2001 (Bregenz 2001). 40  Dazu Alois Niederstätter, Das Jahr 1809 im Wandel geschichtlicher Betrachtung, in: Neue Perspektiven 1809, hg. von Gerhard Wanner (Lochau 1985) 87–91. 41  FS zur Jahrhundert-Feier 1809–1909 des Landes Vorarlberg in Bregenz, 30.–31. August (o. O. 1909).



Der Dreißigjährige Krieg in Vorarlberg – (k)ein Erinnerungsort? 375 Abb. 11: Gasthaus „Schwedenschanze“ am Pfänder, Gemeinde Lochau (Foto: Vorarlberger Landesbibliothek).

Abb. 12: Zur Erinnerung an den vor Bregenz gefallenen Kommandanten des Dornbirner Aufgebots benannt: die ehemalige Rhomberg-Kaserne in Lochau (Foto: Vorarlberger Landesbibliothek).

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die Walküren und die Amazonen gehören42. Als „Klushund“ – als großer schwarzer Hund mit tellergroßen leuchtenden Augen – müsse, wie eine weitere Sage erzählt, der Verräter, der die Schweden an der Bregenzer Klause (deshalb auch „Klausenhund“, d. h. „Klushund“) in den Rücken der Verteidiger geführt habe, nachts umgehen. Beide Motive – die „Weiberschlacht“ und der „Klausenhund“ – finden sich gleichermaßen im Umfeld der Ehrenberger Klause in Tirol. Die „Schwedensäule“ in Nenzing sei, wie die örtliche Überlieferung berichtet, zur Erinnerung an die Errettung des Orts vor den Schweden errichtet worden und habe die Inschrift getragen: „Bis hierher und nicht weiter kamen die schwedischen Reiter“. Es handelt sich aber offenkundig um einen schon zuvor erwähnten, in späterer Zeit umgedeuteten St. Anna-Bildstock43. Am Pfänder und in Hard tragen Gasthäuser den Namen „Schwedenschanze“, südlich der Bregenzer Klause, noch auf Lochauer Gemeindegebiet, findet sich der Flurname „Schwedenhang“. Und zu guter Letzt: An Thomas Rhomberg, den Hauptmann des Dornbirner Kontingents, sowie an Balthasar Heltmann, den Kommandanten der Feldkircher, die beide im Kampf fielen, erinnern am Pfänderhang Gedenksteine. Den ersten ließ ein Nachfahre im Jahr 1874 setzen, den Zweiten 1997 das Militärkommando Vorarlberg. Rhombergs Namen trug seit 1967 die im Jahr 2000 außer Dienst gestellte Kaserne des Österreichischen Bundesheers in Lochau44.

42  Alois Reich, Die Sage von der Weiberschlacht am Fallenbache. Archiv für Geschichte und Landeskunde Vorarlbergs 11 (1907) 81–88, 101–103, hier 103. 43   Mit dem Bildstock verbindet die lokale Tradition folgende Sage: Beim Dorfeingang habe der Nenzinger Mesmer, der etwas Schwedisch konnte, mit den Anführern einer Streifschar verhandelt und dabei erreicht, dass diese gegen Bezahlung einer Brandschatzung von der Plünderung des Dorfes Abstand nahmen. Zum Dank für die glückliche Errettung aus Feindeshand hätten die Nenzinger die Gedenksäule errichtet; Elmar Schallert, Kapellen und Bildstöcke in der Pfarre Nenzing (Dornbirn 1968) 25f. 44   Hämmerle, Rhomberg (wie Anm. 16) 69; Erwin Fitz, Gedenken an einen Vorarlberger LandmilizHauptmann. Mitteilungen und Berichte – Österreichisches Schwarzes Kreuz – Kriegsgräberfürsorge Folge 106 (1998) 45–46.



Der „Schwed“ im nördlichen Niederösterreich und die Erinnerungskultur Arthur Stögmann

1. Die Schweden in der Stadt Horn Hält man sich an die traditionelle Periodisierung des jahrzehntelangen Ringens zwischen 1618 und 1648 in vier Teilkriege, so wurden die beiden nördlichen Landesviertel des Erzherzogtums Österreich unter der Enns, nämlich das Viertel ober dem Manhartsberg (genannt Waldviertel) und das Viertel unter dem Manhartsberg (genannt Weinviertel), zu Beginn und gegen Ende des Krieges besonders stark in Mitleidenschaft gezogen. Bald nach Beginn der Böhmisch-Pfälzischen Kriegsphase (1618–1623) wurde das nördliche Niederösterreich zum Aufmarschgebiet der kaiserlichen bzw. der ständischen (österreichisch-böhmischen) sowie auch der ungarisch-siebenbürgischen Truppen und hatte schwer unter den Kampfhandlungen und Truppendurchzügen in den Jahren 1619 bis 1621 zu leiden. Während das Waldviertel vor allem im Zusammenhang mit seiner Funktion als Hauptstützpunkt des frondierenden, mit den böhmischen Ständen verbündeten, protestantischen Adels Niederösterreichs zu leiden hatte, wurde das Weinviertel vor allem von den Angriffen der ungarisch-siebenbürgischen Truppen unter der Führung Gabriel Bethlens (um 1580–1629) hart getroffen. Dieser unternahm insgesamt drei Angriffe gegen Kaiser Ferdinand II.: im Herbst 1619, im Frühjahr 1621, als der Markt Mistelbach teilweise niedergebrannt wurde und einen letzten im Sommer 16211. So wurden etwa von 63 gezählten abgebrannten Häusern im Weinviertler Markt Großkrut bei Mistelbach allein 47 von ungarisch-siebenbürgischen Streifscharen abgebrannt, der Ort wurde geplündert2. Als sich in der Niedersächsisch-Dänischen Phase des Krieges (1623–1629) die Kämpfe in weiter nördlich gelegene Teile des Reiches verlagerten, kehrte vorübergehend Ruhe ein, die Kaiser Ferdinand II. dazu nutzte, die Gegenreformation voranzutreiben3. Während des Schwedischen Krieges (1630–1635)4 wurde Niederösterreich zum Winter1 Peter Broucek, Kampf um Landeshoheit und Herrschaft im Osten Österreichs 1618–1621 (Militärhistorische Schriftenreihe 65, Wien 1992) 3–80, hier 21, 49, 51. 2 Franz Thiel, Zur Geschichte von Großkrut. Heimatkundliches Beiblatt zum Amtsblatt der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach 2 (Mistelbach 1955) 6–8, hier 7. 3  Siehe dazu u. a.: Arthur Stögmann, Die Konfessionalisierung im niederösterreichischen Weinviertel. Methoden, Erfolge, Widerstände (Saarbrücken 2010) 215–279. 4 Thomas Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht, Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im Konfessionellen Zeitalter (Österreichische Geschichte 1522–1699, Wien 2003) 1 381f.

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quartier der großen Armee des kaiserlichen Generalissimus Wallenstein, konkret in den Jahren 1632 bis 16345. In diesen Jahren hatte die Landbevölkerung Niederösterreichs unter drückenden Kontributionslasten zu leiden, während die Bewohner der Städte und befestigten Orte Repressionen durch einquartierte Soldaten ausgesetzt waren. Nach einer kurzen Zeit relativer Ruhe in der zweiten Hälfte der 1630er Jahre kamen in Reaktion auf die Besetzung Sachsens durch die schwedische Armee im Gefolge der zweiten Schlacht bei Breitenfeld (bei Leipzig) am 23. Oktober 1642 wieder vermehrt kaiserliche Truppen nach Niederösterreich. Im Winter 1642/43 waren acht Regimenter einquartiert, im darauffolgenden Winter schon dreizehn, was einer Stärke von ungefähr 12.000 Mann entspricht6. Im Juni 1643 fielen die Schweden in Mähren ein, drangen jedoch zunächst noch nicht bis nach Niederösterreich vor. Das Land nördlich der Donau wurde aber durch ständige Durchzüge und Einquartierungen kaiserlicher Truppen hart mitgenommen und zu hohen Kontributionen gezwungen, die infolge der häufigen Missernten kaum aufzubringen waren7. Seit Jahresbeginn 1645 rückte der Nachfolger Johan Banérs (1596–1641) als schwedischer Oberbefehlshaber, Lennart Torstensson (1603–1651), durch Böhmen und Mähren Richtung Wien vor8. Hinter seinem Rücken war Kaiser Ferdinand III. nach Prag geeilt. Unter Aufbietung der allerletzten Reserven setzte er mit dem Neuaufbau einer Armee in Böhmen alles auf eine Karte, nämlich die Entscheidungsschlacht. Diese Streitmacht, noch verstärkt durch ein großes, vom bayerischen Kurfürsten Maximilian I. (1573–1651) gestelltes Kavalleriekorps, traf am 6. März 1645 bei Jankau/Jankov in Südböhmen auf die Armee Torstenssons. Dem schwedischen Befehlshaber gelang es, die verbündeten kaiserlichen und bayerischen Truppen in taktisch geschickt geführten Einzelgefechten vernichtend zu schlagen und ihren Befehlshaber Melchior von Hatzfeld (1593– 1658) gefangen zu nehmen. In der Schlacht kämpften ca. 16.000 Mann auf schwedischer und 18.000 auf kaiserlicher Seite. Circa 6.000 kaiserliche Soldaten fielen oder wurden danach vermisst, 4.500 gerieten mit ihrem Feldherrn in Gefangenschaft. Alle Geschütze gingen verloren. Die bisher oft schlachtentscheidende bayerische Reiterei wurde vernichtet. Dieser Sieg der Schweden führte die Habsburgermonarchie an den Rand des Abgrunds. Kaiser Ferdinand III. war militärisch praktisch wehrlos, der Weg nach Wien stand für Torstensson offen. Der Kaiser floh von Prag über Pilsen/Plzeň und Regensburg nach Linz und Wien. Er blieb in der nun direkt gefährdeten Hauptstadt9. Bereits Mitte März 1645 tauchte erstmals schwedische Reiterei (ca. 130 Mann) bei Retz auf, bald darauf rückte auch die schwedische Hauptmacht nach Niederösterreich vor. Am 23. März schlug Torstensson sein Hauptquartier in Schrattenthal unweit von Retz auf, von wo aus er die Städte Horn und Drosendorf aufforderte, Gesandte zu schicken, 5  Erich Landsteiner, Wiederaufbau oder Transformation? Niederösterreich vor, während und nach dem Dreißigjährigen Krieg, in: Polen und Österreich im 17. Jahrhundert, hg. von Walter Leitsch–Stanisław Trawkowski (Wiener Archiv für Geschichte des Slawentums und Osteuropas 18, Wien 1999) 133–195, hier 167f. 6  Ebd. 168. 7  Die letzte Kriegsphase (1643–1648) traf gerade das Weinviertel besonders hart. Das unterschiedliche Ausmaß der Kriegsschäden in den einzelnen Landesvierteln ist darauf zurückzuführen, dass es den Schweden nicht gelang, Truppen über die Donau zu setzen. Während der Zweiten Türkenbelagerung Wiens (1683) „drehte“ sich dieses Verhältnis um; Landsteiner, Wiederaufbau (wie Anm. 5) 174. 8  Torstensson war seit 1624 im schwedischen Heer tätig. König Gustav II. Adolf übertrug ihm die Reform der Artillerie, der Torstensson als Feldartillerie wesentlich größere Beweglichkeit als bisher verleihen konnte. Die Artillerie wurde dadurch zum Prunkstück der schwedischen Armee, dazu Georg Schmidt, Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (München 2018) 527–533. 9  Ebd. 541.



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Abb. 1: Ansicht der Stadt Horn aus: Georg Matthäus Vischer, Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae [...] Das Viertl ob Mannhartsberg (Wien 1672) fol. 210r (Kupferstich 52); Quelle: Liechtenstein. The Princely Collections, Vaduz–Vienna, Inv.-Nr. DW 94-3-29.

um einen Schutzbrief, eine Salva Gardia-Urkunde, abholen zu lassen. Das bedeutete, dass beide Städte sich kampflos ergeben und eine „Schutzwache“ aufnehmen sollten, die sie vor Plünderungen und Übergriffen schwedischer Soldaten sichern würde10. Sollten sie sich als halsstarrig erweisen, dann hätten die Bürger es sich selbst zuzuschreiben, „daß an ihnen ein solches exempel statuiert werden soll, davon auch ihre nachkommen empfindnus behalten werden. Sie haben derowegen ausszuwehlen, was ihnen beliebth, vnd wenn das unglück sie übereilet, sich selbsten allein zuzuschreiben, welches sie zugleich die einwohner in Drossendorf advisiren vnd die beygehende schriftliche warnung dahin bringen lassen wollen“11. Da in Horn12 keine kaiserliche Garnison stationiert war und die Bürgerschaft zu10  Erich Rabl, Die Stadt Horn im Dreißigjährigen Krieg, in: Zwischen Herren und Ackersleuten. Bürgerliches Leben im Waldviertel 1500–1700. Katalog zur Ausstellung der Stadt Horn im Höbarthmuseum, 5. Mai bis 2. November 1990 (Horn 1990) 136–149, hier 142f. 11  Zit. nach Gustav Reingrabner, Der Dreißigjährige Krieg und Österreich, in: Der Schwed´ ist im Land! Das Ende des 30jährigen Krieges in Niederösterreich. Katalog zur Ausstellung der Stadt Horn im Höbarthmuseum, 22. Juni bis 2. November 1995, hg. von Dems.–Erich Rabl (Horn 1995) 15–98, hier 77. 12  Horn liegt im östlichen Teil des Viertels ober dem Manhartsberg, der Mitte des gleichnamigen Beckens, das etwa der alten historischen Landschaft des „Poigreiches“ entspricht. Ende des 16. Jahrhunderts bestand Horn aus ca. 100 Häusern, in denen ca. 1.000 Bewohner lebten, Horn war somit eine der kleineren Städte des Waldviertels. Stadtherr in der hier behandelten Zeit war Graf Ferdinand Sigmund Kurz von Senftenau (1592– 1659), seit 1637 Reichsvizekanzler und seit 1640 Mitglied des Geheimen Rats und enger Berater Kaiser Ferdinands III. Er war seit 1627 im Besitz der Stadt und der dazugehörigen Herrschaft. Siehe Arthur Stögmann, Ferdinand Sigmund Graf Kurz von Senftenau (1592–1659). Reichsvizekanzler und Stadtherr von Horn, in: Waldviertler Biographien, Band 1, hg. von Harald Hitz–Franz Pötscher–Erich Rabl–Thomas Winkelbauer (Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes 42, Horn–Waidhofen/Thaya 2001) 41–62, hier 45.

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sammen mit den Handwerksburschen lediglich 169 Mann zur Verteidigung aufbieten konnte, die, abgesehen von ihrer unzureichenden Ausbildung über eine viel zu geringe Anzahl an Musketen verfügten, sah sich die Stadt außerstande, einen schwedischen Angriff abzuwehren13. Der Horner Stadtrat schickte am 26. März eine Delegation nach Rohrendorf bei Krems, wo Torstensson inzwischen sein Quartier aufgeschlagen hatte. Dieser verlangte eine „Brandschatzungssumme“, einen Betrag, um sich von einer sonst drohenden Brandschatzung freizukaufen, in Höhe von 3.000 Reichstalern, setzte diese jedoch nach Bitten der Horner auf 1.200 Reichstaler herab, die binnen zwei Wochen zu zahlen waren. Im Gegensatz zu Horn ließ die Bürgerschaft von Drosendorf das schwedische Schreiben aufgrund der Anwesenheit kaiserlicher Dragoner unbeantwortet, diese Stadt blieb unter kaiserlicher Kontrolle14. Am 27. März kehrte die Delegation nach Horn zurück, begleitet von einem schwedischen Korps, welches Horn und mehrere Orte in der Umgebung besetzte. Der Stadt wurde eine monatliche Kontribution von 400 Reichstalern auferlegt. In der am selben Tag unterfertigten Salva Gardia-Urkunde sicherte Torstensson der Stadt und der Herrschaft Horn mit allen dazugehörigen Flecken, Dörfern und Meierhöfen seinen besonderen Schutz zu und befahl den seinem Kommando unterstehenden Soldaten, ohne seine Bewilligung weder Geld- noch Naturalleistungen einzutreiben. Trotz mehrfacher Bitten der Horner um Verringerung der monatlichen Kontribution beharrte Torstensson auf seiner Forderung. Die Horner hatten jedoch größte Schwierigkeiten bei der Aufbringung der geforderten Beträge, weshalb deren Zahlung mehrfach eingemahnt werden musste. So wurde etwa am 15. April 1645 Johann Eberhard, schwedischer Agent in Horn, vom Hauptquartier in Mistelbach aufgefordert, die Einwohner Horns nachdrücklich zur Zahlung der vereinbarten 400 Taler zu ermahnen. Dem dringenden Ersuchen des Horner Stadtherrn, Ferdinand Sigmund Kurz von Senftenau (1592–1657)15, gelang es zwar, ab 1. Juli einen Nachlass von 100 Talern zu erlangen, doch zeigte sich, dass nicht einmal die bleibende Summe aufgebracht werden konnte. Nun wandte sich der Horner Rat an die Gemahlin Torstenssons, Beata (1612– 1680, geb. Freiin de la Gardie), mit der Bitte, sie möge ihren Gatten um einen größeren Nachlass von der Kontributionssumme bitten. Die Bürger hätten fast ihren ganzen Besitz verloren und wegen der ständigen Truppendurchzüge und Einquartierungen seien sie schon so erschöpft, „daß sie den mehreren teil ihre lebensmittlen nit mehr haben“16. Es sei ihnen ganz unmöglich, eine so hohe Kontribution zu leisten. Der geforderte Geldbetrag blieb jedoch bei der Höhe von 300 Reichstalern im Monat17. Anfang Mai 1645 wandte sich Torstensson mit der schwedischen Hauptarmee wieder nach Mähren. Sein großes Ziel, die Eroberung Wiens, hatte er bis dahin nicht erreicht. Lediglich die Wolfsschanze am linken Donauufer hatte er besetzen können18. Sein (zu)   Rabl, Die Stadt Horn (wie Anm. 10) 142f.   Ebd. 143f. 15   Stögmann, Ferdinand Sigmund Graf Kurz (wie Anm. 12) 55. 16  Zit. nach Rabl, Die Stadt Horn (wie Anm. 10) 146. 17 Ebd. 18  Die „Wolfsschanze“ (heute: Wien, Bezirk Floridsdorf ) markierte das nördliche Ende der alten großen Donaubrücke, die ab 1439 als einziger Donauübergang bei Wien erbaut wurde. Dieser Übergang wurde durch ein Befestigungswerk gesichert. Der Name wurde von der „Wolfsau“ bzw. der „Wolfsschütt“ abgeleitet; Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien 5 (Wien 2004) 675 (Art. Wolfsschanzengasse). 13 14



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schneller Winterfeldzug hatte die geplante koordinierte Aktion mit französischen und vor allem den siebenbürgischen Truppen unter Führung von Georg I. Rákóczi (1593–1648) zunichte gemacht. Ohne seine Verbündeten zögerte er jedoch, einen Angriff auf die Residenzstadt des Kaisers zu wagen. Seine Soldaten waren von den vielen Strapazen und dem Mangel an Nahrungsmitteln zu geschwächt, die Donauübergänge blieben blockiert. Die Zeit bis zum erhofften Zusammentreffen mit Rákóczy und seinen Truppen wollte Torstensson nutzen, um Brünn/Brno, seit 1641 die Hauptstadt Mährens, zu erobern, um nicht von seinen Versorgungsbasen im Norden (Thüringen und Pommern) abgeschnitten zu werden19. Inzwischen stand das Heer Rákóczys in Ungarn. Dessen Vorhut, die im Mai mit den Schweden Kontakt aufnahm, verlangte die Übernahme ihres Soldes für zwei Monate. Torstensson hatte das Geld jedoch nicht, seine Lage vor Brünn wurde aussichtslos. Rund 8.000 schwedische Soldaten starben an der Pest. Die immer deutlicher werdende schwedische Schwäche schien Rákóczy Anlass genug, um mit dem Kaiser zu verhandeln, zumal seinem Vorstoß der Rückhalt der Osmanen fehlten, die zu dieser Zeit gerade gegen Venedig Krieg führten und die Eröffnung einer nördlichen Front vermeiden wollten. Rákóczy und Ferdinand III. einigten sich nach mehrmonatigen Verhandlungen auf den am 13. Dezember 1645 geschlossenen Linzer Frieden20. Der Kaiser garantierte darin die ständischen Rechte und die religiösen Freiheiten der ungarischen Protestanten und überließ Rákóczy bis zu dessen Tod sieben oberungarische Komitate. Dieser kündigte darauf sein seit 1643 bestehendes Bündnis mit Schweden und Frankreich auf. Torstensson brach nach einem gescheiterten Großangriff im August die Belagerung Brünns ab und zog wieder gegen Wien, das er nun aber viel stärker befestigt vorfand als beim ersten Angriff im Frühjahr. Somit blieb ihm nur mehr der Rückzug aus den habsburgischen Ländern, um zu seinen Versorgungsbasen in Thüringen zu gelangen21. Am 12. September 1645 sammelten sich auch die schwedischen Schutzwachen aus den Klöstern, Schlössern und Ortschaften der Umgebung in der Stadt Horn und zogen am darauffolgenden Tag zusammen mit der Horner Garnison zur schwedischen Hauptarmee ab. Kurze Zeit später erschien ein kaiserliches Reiterregiment unter Oberst Sigmund von Montrichier in der Stadt, das aber aufgrund einer erfolgreichen Intervention des Grafen Kurz bald wieder abzog22. Als Horn somit wieder ohne militärischen Schutz war, zwang eine Nachhut der abziehenden schwedischen Hauptarmee unter Führung des Oberstleutnants Jakob Lundidh die Stadt zur Herausgabe von 1.400 Reichstalern an noch nicht bezahlter Kontribution. Die Bürger erklärten sich außerstande, dieser Forderung nachzukommen, sodass sich die Gefahr vergrößerte, dass die Stadt von den Schweden, die im Tiergarten des Stadtschlosses lagerten, in Brand gesteckt werden könnte. Dazu kam es jedoch nicht23. Im Spätherbst 1645 lag Horn ungeschützt in einer Art Niemandsland zwischen den Streifbereichen der Schweden, die zu dieser Zeit in Krems an der Donau ihren Haupt  Schmidt, Die Reiter der Apokalypse (wie Anm. 8) 541f.   Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht (wie Anm. 4) 1 150. Siehe auch den Beitrag von Géza Pálffy in diesem Band. 21  Schmidt, Die Reiter der Apokalypse (wie Anm. 8) 542. 22  Rabl, Die Stadt Horn (wie Anm. 10) 146. 23 Joseph Feil, Die Schweden in Nieder-Österreich ([Wien 1865] London 2018) 29; siehe auch Rabl, Die Stadt Horn (wie Anm. 10) 146. 19 20

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stützpunkt hatten, und den kaiserlichen Truppen, die von ihren Stützpunkten Waidhofen an der Thaya und Drosendorf aus operierten. Horn war daher auch nach dem Abzug der schwedischen Schutzwache aus der Stadt den Forderungen der Besatzungsmacht hilflos ausgeliefert. Am 11. November 1645 forderte der schwedische Oberstleutnant Jakob Lundidh ultimativ die ausständige Kontribution für die Monate September, Oktober und November, in Summe 900 Taler. Die Nichtreaktion Lundidhs auf eine verzweifelte Bitte der Stadt, sich an die von Torstensson verliehenen „schutzbriefe“ zu halten, veranlassten schließlich den schwedischen Proviantmeister zu Krems, Friedrich Thilesius, dazu, Anfang Dezember 1645 einen regelrechten Raubzug nach Horn zu unternehmen: Er konfiszierte 58 Muth Weizen, 30 Muth Hafer und sämtliche Rinder und Schafe. Als Torstensson von diesem Übergriff seines Proviantmeisters erfuhr, befahl er ihm die Rückstellung des geraubten Gutes an die Geschädigten, doch bis zum Einlangen des Befehls war der größte Teil davon schon aufgezehrt24. Erst im Jänner 1646 war der schwedische „Spuk“ vorbei: In diesem Monat wurden nämlich 30 kaiserliche Musketiere nach Horn verlegt und auch mehrere Orte in der Umgebung mit kaiserlichen Besatzungen belegt. Im Frühjahr 1646 erfolgten schließlich die entscheidenden Siege der kaiserlichen Armee unter Feldmarschall Hans Christoph III. von Puchheim (1605–1657): Anfang Mai 1646 gelang die Rückeroberung von Krems, Anfang August jene von Korneuburg. Ende August war das Waldviertel zwar von schwedischen Besatzungen frei, einzelne schwedische Streifzüge bedrohten das Viertel aber bis zur Einnahme der wichtigen mährischen Stadt Iglau/Jihlava im Dezember 164725. Am Ende des Krieges hatte das gesamte Waldviertel etwa 36 % seines Häuserbestandes verloren, in Horn gab es noch 86 bewohnte Häuser, was einem Verlust von 14 % entspricht. Diese – verglichen mit anderen Städten und Märkten des nördlichen Niederösterreich, etwa Eggenburg, wo nach dem Abzug der Schweden fast 40 % der Häuser zerstört waren – relativ hohe Zahl an noch aufrechten Häusern am Ende des Krieges hängt eng mit der Politik zusammen, die der Stadtherr, Graf Ferdinand Sigmund Kurz (1592– 1657), in Horn betrieb. Dank seiner einflussreichen Stellung am Wiener Hof war es ihm gelungen, Horn vor allzu hohen Kontributionsforderungen und zu belastenden Einquartierungen kaiserlicher Truppen zu bewahren. Nach dem Schwedeneinfall gewährte er der Stadt den Nachlass des gesamten Robotgeldes sowie jenen des Tazbestandes26 und eines Teils des Mautbestandes. Außerdem ließ er den Horner Gewerben eine sorgfältige Förderung angedeihen. Mindestens zehn Handwerken bestätigte er ihre Zunftordnungen, seit 1647 förderte er zudem gezielt die Ansiedlung von fremden Tuchmachern27. Die Dörfer in der Umgebung litten noch mehr als die Stadt: In Mödring waren 21 Häuser verödet, nur 12 waren noch bewohnbar. In Frauenhofen waren zehn Häuser zerstört und nur fünf noch bewohnbar. Der Ort Freischling war komplett ausgeplündert und unbewohnbar28. Abschließend ist festzustellen, dass die Schweden, die ja nicht zuletzt auch als „Schutzmacht des deutschen Protestantismus“29 in den Krieg eingetreten waren, in der   Ebd. 144–146.   Ebd. 146. 26   Der Taz (italienisch: dacio) war eine Getränkesteuer, die häufig vom (jeweiligen) Stadtherrn an die Stadt verpachtet wurde; Susanne C. Pils, Art. Taz, in: Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien 5 (Wien 2004) 422. 27  Stögmann, Ferdinand Sigmund Graf Kurz (wie Anm. 12) 55f. 28  Rabl, Die Stadt Horn (wie Anm. 10) 147. 29  Siehe zu diesem vieldiskutierten Thema Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg (Frankfurt/ Main 1992) 51–63; Schmidt, Die Reiter der Apokalypse (wie Anm. 8) 343–350. 24 25



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Zeit ihrer Präsenz in Horn, das zumindest bis 1620 als Hochburg des niederösterreichischen Protestantismus galt30, nie versucht hatten, mögliche Sympathien bei noch verbliebenen Evangelischen zu ihren Gunsten zu mobilisieren, sondern ausschließlich als repressive Besatzungsmacht auftraten. Hierzu ist allerdings zu sagen, dass die katholische Religion um 1645 von der Mehrheit der Horner, zumal von sämtlichen Ratsbürgern, nicht nur oberflächlich angenommen, sondern auch bereits weitgehend „verinnerlicht” worden war. Zudem ist unklar, was die Schweden überhaupt über die inneren Verhältnisse der von ihnen eroberten kleineren Landstädte und über deren „Geschichte“ wussten31.

2. Die Schweden im Markt Poysdorf Das nordöstliche Landesviertel, das „Weinviertel“, litt noch mehr als das Waldviertel unter den Belastungen der letzten Jahre des Dreißigjährigen Krieges. Um Ostern 1645 wurde das Land um Wolkersdorf und Mistelbach verwüstet, ebenso jenes um Poysdorf und Laa32. Torstensson wandte sich zu dieser Zeit unter Zurücklassung von Besatzungen in Niederösterreich gegen Brünn, konnte die Stadt aber, wie zuvor beschrieben, nicht einnehmen. Im September 1645 kam es wieder zu Verwüstungen im Weinviertel. Schwedische Besatzungen blieben in für die Sicherstellung der Verbindungslinien mit Olmütz/ Olomouc und Iglau wichtigen Orten zurück, so in Staatz, Falkenstein und Rabensburg. Von dort wurden häufig Streifzüge in die Umgebung zur Eintreibung von Kontributionen unternommen. Weigerte sich eine Gemeinde, die geforderten Abgaben zu zahlen, erschienen Streifscharen und brandschatzten den jeweiligen Ort33. Erst am 27. August 1646 konnten die Kaiserlichen die Festung Rabensburg zurückerobern, drei Tage danach auch die Festung Falkenstein. Den schwedischen Besatzungen dieser beiden Festungen wurde der freie Abzug nach Groß-Glogau/Głogów gewährt. Die Besatzung von Staatz ergriff die Flucht, bevor es zu einem Kampf kam34. Obwohl es seit diesen kaiserlichen Erfolgen in Niederösterreich keine schwedischen Besatzungen mehr gab, blieb doch das Weinviertel bis Kriegsende und sogar darüber hinaus bedroht, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Das seit dem 12. Jahrhundert im Besitz der Herren von Liechtenstein befindliche Dorf Poysdorf wurde am 4. Mai 1582 von Kaiser Rudolf II. zum Markt erhoben: Poysdorf besaß nach Ausweis des sog. „Bereitungsbuches“ von 1590 200 „erbaute“ Häuser und Hofstätten und ca. 1.500 Einwohner35. Die Feldsberger Linie des Hauses Liech30  Arthur Stögmann, Die Gegenreformation in der Stadt Horn 1620–1670. UH 75 (2004) 322–345, hier 322–326. 31   Am 15. Jänner 1644 wurde der Goldschmied Philipp Jacob Laubermann auf Aufforderung des Pfarrers vor den Rat zitiert, da er, sein Geselle und sein ganzes Hausgesinde sich in der katholischen, „alleinseligmachenden“ Religion ganz ungehorsam „und dererselb ganzen zuwider“ verhalten hatten. An Sonn- und Feiertagen ließ er in seinem Haus lutherische Predigten halten. Laubermann wurde sein „unchristlicher Wandel“ verwiesen. Außerdem erhielt er den Befehl, seinen Gesellen, der öffentlich die katholische Religion verspottete, aus dem Haus zu weisen, andernfalls der Rat und die „mehrer Obrigkeit“ schärfere Mittel gegen ihn vornehmen müssten. Für den Besitz von lutherischen Büchern, die bei ihm gefunden wurden, soll er die „straff darumben aussteen“; zit. nach Stögmann, Gegenreformation in Horn (wie Anm. 30) 333. 32   Feil, Die Schweden in Nieder-Österreich (wie Anm. 23) 26. 33   Ebd. 28. 34  Peter Broucek, Der Schwedenfeldzug nach Niederösterreich 1645/46 (Militärhistorische Schriftenreihe 7, Wien 1967) 1–35, hier 11–23. 35  Franz Graf, Das Viertel unter dem Manhartsberg im Spiegel des Bereitungsbuches 1590 (Diss. Wien

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Abb. 2: Ansicht der Festung Staatz aus: Georg Matthäus Vischer, Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae [...] Das Viertl unter Mannhartsberg (Wien 1672), fol. 175r (Kupferstich 83); Quelle: Liechtenstein. The Princely Collections, Vaduz–Vienna, Inv.-Nr. DW 94-3-29.

tenstein hatte die Ortsobrigkeit inne, allerdings waren lediglich 28 von 123 Häusern den Liechtenstein untertänig, die anderen Häuser unterstanden anderen Grundherren. Die Poysdorfer Bürger hatten durch den Weinhandel einen gewissen Wohlstand und überregionales Ansehen erreicht36. Eine Vorhut der schwedischen Armee traf am Palmsonntag 1645 (von Mistelbach über Kleinhadersdorf kommend) in Poysdorf ein37. Am 23. April 1645 erlegte der Marktrat die vom schwedischen Generalproviantmeister Johann Lopiz geforderte Summe von 3.500 Reichstalern und erhielt dafür einen vom Proviantbediensteten Hieronymus Felwiglitz unterzeichneten Schutzbrief. Lopiz forderte darüber hinaus noch eine große Menge Wein. Auf jeden Einwohner entfielen zehn Eimer, also in Summe etwa 1.000 Eimer (ein hier wohl gemeinter kleiner Handeimer entsprach ca. 12 Litern)38. Die schwedische Gegenleistung bestand im Versprechen, den Markt durch eine Schutzwache zu sichern und keine weiteren Soldaten einzuquartieren. Die Schweden belegten die erst kurz davor, in den Jahren zwischen 1629 und 1635, von den Poysdorfer Bürgern errichtete und 1640 vom Passauer Offizial Bartholomäus Khober geweihte Pfarrkirche mit einer kleinen Mannschaft sowie ihren Pferden und bauten die Umgebung 1972) 16–18. 36 Ingeborg Bogner, Die liechtensteinischen Herrschaften und ihre Untertanen in der Nordostecke von Niederösterreich 15. bis 19. Jahrhundert (Diss. Wien 1953) 41–43, 45–49. 37 Franz Thiel, Aus der Schwedenzeit Poysdorfs. UH 33 (1962) 166–180, hier 167. Diese Abhandlung beruht zum größten Teil auf (nach Auskunft des Autors und der Gemeindeverwaltung) auf heute verlorenen Akten des StA Poysdorf. 38 Ebd.



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der Kirche zu einem befestigten Stützpunkt aus, um von diesem aus das Poybachtal zu überwachen39. Für den Markt begann nun eine lange Leidenszeit, geprägt von Tributen, Übergriffen der Besatzer, die Hausdurchsuchungen nach Waffen und Requirierungen von Vieh und Lebensmitteln durchführten, sowie von sozialen Konflikten, die sich auch in steigender „Notkriminalität“ in Form von Diebstählen und Einbrüchen zeigen40. Seit Dezember 1646 trafen in Poysdorf immer wieder erpresserische Schreiben ein, so ein mit 29. Juni 1647 datierter Befehl des in Olmütz/Olomouc stationierten schwedischen Kriegskommissars für die Markgrafschaft Mähren Johann Busso. Demnach seien Mittelspersonen nach Olmütz abzufertigen, um sich mit ihm einer „erträglichen kontribution halber [...] zu vergleichen und nach getroffener abhandlung und vergleich in billig guten schutz genommen zu werden“. Widrigenfalls würden die Poysdorfer „sambt undt sonder, noch zehnmal ärger alß beschehen, heimbgesucht, mit feuer und schwerdt verfolget, aufs allerscherffste gestrafft, ja gleich dem feind tractirt undt anderen zum exempel totaliter ruiniert und verderbt werden. samt und sonders ihres ungehorsams halber auf das allerschärfste als durch feuer und schwert exequiert und wie feinde traktiert“41. Derartige Befehle wiederholten sich in den darauffolgenden Monaten bis in den Herbst des Jahres 1648. Die Gründe für die Zahlungsverzögerungen lagen, abgesehen von der durch die katastrophale wirtschaftliche Gesamtlage bedingten Schwierigkeiten, die Beträge überhaupt aufzubringen, darin, dass die Poysdorfer nicht nur dem schwedischen Kontributionsdruck, sondern weiterhin auch dem kaiserlichen Steuerdruck ausgesetzt waren: Am 6. Mai 1647 ermahnte der landesfürstliche Steuerkommissar Philipp Seidler den Pfleger der Herrschaft Wilfersdorf, Johann Haas, endlich dafür zu sorgen, dass die zur Herrschaft gehörenden Märkte Mistelbach, Poysdorf und Obersulz die längst fällige Steuer aus dem Vorjahr erlegen. Seien sie dazu nicht imstande, sollen sie wenigstens ihr motivum bei der fürstlichen Herrschaft angeben42. Zudem waren sämtliche Zahlungen kaiserlicher Untertanen an die Schweden unter Androhung der Todesstrafe verboten. Darauf nahmen die Poysdorfer am 15. September 1647 in einer gemeinsam mit den anderen drei Märkten der Herrschaft Wilfersdorf (Obersulz, Wilfersdorf und Mistelbach) verfassten Verteidigungsschrift an Busso Bezug, als sie zu ihrer Entschuldigung für die Nichtabführung der Kontribution anführten, dass die „kaiserlichen völker“ alle Boten, die mit Geld nach Olmütz gehen, „leider Gottes aufhängen“. Busso möge mit ihnen daher Geduld haben43. Die niederösterreichischen Städte, Märkte und Dörfer hatten auch noch die kaiserlichen Garnisonen zu erhalten, so eine Anfang April 1648 in Laa an der Thaya einlogierte Garnison, bestehend aus 200 Mann zu Fuß und 250 Reitern. Der Markt Poysdorf erhielt in diesem Zusammenhang den Befehl, dem Proviantkommissar Josef Scharer zwei Muth Korn (dreißig Metzen), acht Zentner Fleisch und zwanzig Eimer Wein zu liefern, andern39 Die Inschrift über dem Hauptportal verweist ausdrücklich auf den Einsatz der Bürgerschaft: „Ad praepotentis Dei honorem et maiorem gloriam ad beatissimae V. M. et omnium S. S. venerationem sub nomine S. Joannis Baptistae, cui dicatum hoc templum in oppido Poisdorfe, Pys parochianorum sumptibus anno 1629 a fundamentis incoeptum et filiciter ad finem perductum anno 1635, consecratum 1640.“ Siehe: Art. Pfarrkirche Poysdorf, https://de.wikipedia.org/wiki/Pfarrkirche_Poysdorf [21. 1. 2019]. 40  Thiel, Schwedenzeit (wie Anm. 37) 168. 41  Zit. nach ebd. 170f. Ein ähnliches Schreiben war bereits am 1. April ergangen, HAL, Herrschaftsarchivalien, Wilferdorf 5, H 1315 (die Akten sind nicht foliiert). 42  HAL, H 1315, Philipp Seidler an Johann Haas am 6. Mai 1647. 43  Zit. nach Thiel, Schwedenzeit (wie Anm. 37) 173.

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falls würde die Garnison die begehrten Lebensmittel mit befahrenerer exorbitantz holen, also in den Markt einfallen, um sie mit Gewalt zu requirieren44. Die Poysdorfer mussten also in diesen Jahren (wie viele andere Märkte und Dörfer im Wein- und Waldviertel auch) zwischen beiden Kriegsparteien lavieren, um, so gut es unter den gegebenen Umständen ging, von Repressionen verschont zu bleiben. Die kleine Marktgemeinde entrichtete gemäß einer Spezifikation im Zeitraum zwischen dem 1. Juli 1647 und dem 31. Oktober 1648 an „Ranzion“ (Loskaufgeld) und Kontribution den Gesamtbetrag von ca. 4.600 fl.45. Trotz einer vom 1. November 1648 datierenden schwedische Bestätigung, dass alles „geraittet“, also abgerechnet, worden sei, war die Angelegenheit für die Poysdorfer jedoch noch immer nicht ausgestanden. Obwohl am 24. Oktober in Münster und Osnabrück die Friedensverträge unterzeichnet wurden und der Krieg somit offiziell beendet war46, forderte die schwedische Garnison in Olmütz noch am 6. November den Betrag von 150 Reichstalern vom Markt Poysdorf. Eine vom 18. Dezember 1648 datierende Quittung über 81 Reichstaler ging ebenfalls an die schwedische „Kriegskassa“ in Olmütz. Sogar noch am 1. Mai 1649 bestätigte ein Kaufmann namens Wolfgang Hoffmayr dem Markt Poysdorf, dass er von diesem 500 Reichstaler empfangen und nach Olmütz abgeführt habe47. Somit entrichtete der Markt aus Angst vor Drangsalierungen und Plünderungen auch noch Monate nach dem Friedensschluss Kontributionsgelder, da die Schweden Olmütz erst – nach Bezahlung von 20.000 Talern – im Juli 1650 verließen und man bis zu ihrem definitiven Abzug aus den Ländern der Habsburgermonarchie mit Repressionen rechnen musste48. Eine Liste, die am 23. Juni 1648 vom Poysdorfer Marktrichter Hans Knoll und zwei Ratsbürgern für die liechtensteinischen Häuser im Markt erstellt wurde, nennt 18 nicht mehr aufrechte (nicht mehr bewohnte und steuerfähige) und nur vierzehn aufrechte Häuser. Erfasst wurden darin jene Häuser bzw. deren Besitzer, welche von 1645 bis 1648 wegen erlittener feindlicher ruin und unterschiedlicher ausplünderungen ganz erarmet, ihr brot, daß leben zuerretten, mit betteln suechen müessen, item die jenigen, so noch bewohnt und die landtsanlagen geben können49. Gemäß den zwischen dem 23. Juni und dem 24. Juli 1648 erstellten Listen gab es zu dieser Zeit in den insgesamt dreizehn Ortschaften (vier Märkte und neun Dörfer) der Herrschaft Wilfersdorf 449 „abgeödete“ und nur mehr 146 aufrechte Häuser. Alle 17 liechtensteinischen Häuser im Markt Böhmischkrut waren „öd“50.

  Ebd. 175.   Ebd. 178f. 46   Zum Westfälischen Frieden Schmidt, Die Reiter der Apokalypse (wie Anm. 8) 610; Ilja Mieck, Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit. Eine Einführung (Stuttgart 41989) 139–143. 47  Thiel, Schwedenzeit (wie Anm. 37) 178f. 48  Jörg K. Hoensch, Geschichte Böhmens. Von der slavischen Landnahme bis zur Gegenwart (München 31997) 234. 49  Eine spätere Liste liegt für Poysdorf nicht vor; HAL, Herrschaftsarchivalien, Wilferdorf 5, H 1315. 50  Ebd. H 1315, Häuserlisten der Herrschaft Wilfersdorf, Juni und Juli 1648. 44 45



Der „Schwed“ im nördlichen Niederösterreich und die Erinnerungskultur 387 Abb. 3: Liste der noch aufrechten und der abgekommenen Häuser im Markt Poysdorf, erstellt am 23. Juni 1648 von Marktrichter Hans Knoll und zwei weiteren Ratsbürgern; Quelle: HAL, Herrschaftsarchiv Wilferdorf 5, H 1315.

Abb. 4: Ansicht des Schlosses Rabensburg, aus: Georg Matthias Vischer, Topographia Archiducatus, fol. 167r (Kupferstich 67)

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3. Der Markt Grosskrut in der „Schwedenzeit“ Zahlreiche Weinviertler Gemeinden verarmten in der letzten Phase des großen Krieges völlig, 1648 galt nur mehr ein Drittel der Häuser (Steuereinheiten) im Viertel als „aufrecht“, d. h. in gutem Bauzustand und als kontributionsfähig51. Davon betroffen war auch die eben erwähnte Marktgemeinde Böhmischkrut (seit 1922 Großkrut). Für Böhmischkrut52 liegt Quellenmaterial vor, das es erlaubt, einerseits einen seltenen Einblick in die Beziehungen zwischen Vertretern der schwedischen Besatzungsmacht und einem exponierten Vertreter der dieser Macht unterworfenen Bevölkerung zu erhalten, andererseits auch in die politischen und „weltanschaulichen“ Überzeugungen und Meinungen des Letzteren. Der in den circa eineinhalb Jahren, in der die Schweden den Markt kontrollierten, tätige Marktrichter Matthias Schwarz (reg. 1642–1647) sah sich zwischen den Interessen der Schweden, der Herrschaft und der Gemeinde regelrecht hin- und hergerissen. Die Verbindung des Marktes zur Marktherrin, der Priorin des Dominikanerinnenklosters Tulln Anna Mayrhoffer (reg. 1613–1658), scheint völlig abgerissen zu sein, da es aus dieser Zeit nur eine einzige Niederschrift im Gerichtsprotokoll gibt (über einen Pferdediebstahl im Juni 1646). Schwarz konnte somit nicht mit der Unterstützung durch die Herrschaft rechnen. Er war in seiner Amtstätigkeit ganz auf sich allein gestellt. Dabei gelang es ihm, zwischen den diversen Interessen zu lavieren, indem er gute Kontakte zur schwedischen Garnison im nahegelegenen Schloss Rabensburg unterhielt und Bömischkrut so vor drastischen Exekutionen und Plünderungen durch die Besatzungsmacht zu bewahren vermochte53. Auch scheint er das Interesse der Herrschaft an der Weiterzahlung der Abgaben insoweit beachtet zu haben, als er versucht haben dürfte, diese „heimlich“, an den Schweden vorbei, nach Tulln zu liefern. Als nach dem schwedischen Abzug aus Rabensburg (Ende August 1646) der Hofrichter des Tullner Klosters, Adam Lutz, in Böhmischkrut erschien, war dieser jedenfalls sehr bestrebt, Schwarz gegen diverse Angriffe seiner Feinde, und hier ganz besonders solche des Pfarrers, in Schutz zu nehmen und sich seine Dienste weiterhin zu sichern. Johannes Warendorfer, Pfarrer in Böhmischkrut (1644–1672), der aus Angst vor einer Gefangennahme vor den Schweden nach Wien geflohen und erst nach der Rückeroberung der Festung Rabensburg durch die kaiserlichen Truppen in seine Pfarre zurückgekehrt war, strengte im Jänner 1647 gegen Schwarz einen Prozess an. Darin warf er ihm zahlreiche, angeblich von ihm mehrfach getätigte hochverräterische, blasphemische und antiklerikale Äußerungen vor54. Im Prozessverlauf kamen auch die Beziehungen Schwarz´ zu den Schweden zur Sprache: So sollte er dem schwedischen Kommandanten von Rabensburg verraten haben, wo der Dechant von Walterskirchen, Johann Conrad Bumudh, sich versteckt halte und   Landsteiner, Wiederaufbau (wie Anm. 5) 174.  In diesem Markt besaß das Dominikanerinnenkloster Tulln 134 Untertanen, die liechtensteinische Herrschaft Wilfersdorf 45 und die Pfarre vier; Arthur Stögmann, Der ist des teufels, der einen pfaffen begehrt. Pfarrer gegen Gemeinde und Grundherrschaft im Weinviertler Markt Großkrut (1648–1670), in: Die Städte und Märkte Niederösterreichs im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von Willibald Rosner (StuF 36, St. Pölten 2005) 158–203, hier 162f. (Anm. 23). 53  Stögmann, Der ist des teufels (wie Anm. 52) 166f. Das angesprochene Quellengut liegt in folgenden Archiven: HHStA, Klosterakten, Dominikanerinnen Tulln, Herrschaftsakten Böhmischkrut, K. 27; HAL, Herrschaftsarchivalien, Herrschaft Wilfersdorf, H 1322, H 1323, H 1342. 54  Stögmann, Der ist des teufels (wie Anm. 52) 171. 51

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Abb. 4: Ansicht der Pfarrkirche Großkrut (Foto: Marktgemeinde Großkrut)

ihm außerdem Auskünfte über dessen Vermögen gegeben haben. Angeblich äußerte er sich wiederholt proschwedisch, etwa dahingehend, dass der Kaiser den Tag nicht erleben werde, da er Krems oder Korneuburg wiedergewinne, ja sogar, dass nur „der Schwed“ den Marktbürgern helfen könne und nicht Gott. Sie, die Bürger, sollen aufhören, an Gott zu glauben, er habe ihnen nichts „zu freßen geben“55. Schwarz sollte sich zudem guet schwedisch genannt, kaisertreue Untertanen an die Schweden verraten und Untertanen gezwungen haben, in der Festung Rabensburg noch mehr Robot zu leisten als dies sogar die dort stationierten Schweden von ihnen verlangt hätten56. Da ich hier nicht auf alle Details dieses Prozesses eingehen kann, verweise ich nur auf jene Aspekte, die mit den Schweden zu tun haben: Es ist zu vermuten, dass Schwarz vor dem Hintergrund der herrschenden Notlage aus seiner antiklerikalen Einstellung kein Hehl machte und spitze Bemerkungen über die „feige“ Flucht des Pfarrers vor den Schweden verbreitete. Zum Vorwurf der verräterischen Kontakte mit den Schweden äußerte Schwarz im Zuge des Prozesses, er habe mit ihnen Verbindung aufnehmen müssen, um diese von ihrer Drohung abzubringen, den Markt niederzubrennen57. Dass es diese Kontakte zu den Besatzern gab, ist in den Quellen dokumentiert. Dass er im Prozess von diesen Kontakten sogar profitierte, zeigt eine erhalten gebliebene Bescheinigung des   Ebd. 172f.  Ebd. 57  Ebd. 177f. 55 56

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schwedischen Kommandanten von Rabensburg, Nikolaus Duch, wonach Schwarz mit ihm lediglich über von Kruter Bürgern zu leistende Arbeitsdienste verhandelt habe. Es sei aber nie über eine Gefangennahme des Dechants Bumudh gesprochen worden. Dieser habe Schwarz daher zu Unrecht einen Verräter und Rebellen gescholten58. Schwarz kam letztlich glimpflich davon: Der Versuch von Pfarrer Warendorfer, ihn exemplarisch, d. h. zur Abschreckung und Disziplinierung aller anderen Marktbürger, zu bestrafen, scheiterte. Am 25. Juli 1648 sandte Priorin Anna Mayrhoffer einen Bericht an die niederösterreichische Regierung, worin sie den Fall Schwarz für abgeschlossen erklärte. Die Belastungszeugen, die beim Hofgericht in Tulln erschienen seien, hätten nichts Stichhaltiges gegen Schwarz vorbringen können, zudem sei keiner von ihnen Ohrenzeuge der eingeklagten Äußerungen gewesen. Schwarz wiederum habe die meisten eingeklagten Punkte entweder nicht gestanden oder ganz anders als der Pfarrer ausgelegt. Der Angeklagte wäre zwar wegen „verschiedener Reden“ zu verurteilen gewesen, aber er sei lange genug in Band und Eisen gewesen, sodass man es für richtig befunden habe, ihn gegen Ausstellung eines Schadlosbriefes aus der Haft zu entlassen. Die Regierung akzeptierte diese Entscheidung und betrachtete den Fall ebenfalls als abgeschlossen59. Das Verhalten der Marktobrigkeit im Prozess gegen den „unbotmäßigen“ Marktrichter stieß auf völliges Unverständnis bei Warendorfer. Dieser hatte bis zuletzt versucht, bestimmenden Einfluss auf die Entscheidung des Falles auszuüben, um einen doppelten Effekt zu erzielen, nämlich sich erstens durch eine wirkungsvolle Bestrafung von Schwarz seinen gefährlichsten Gegner im Markt vom Leib zu schaffen und zweitens dadurch einen abschreckenden „Präzedenzfall“ zu schaffen, um die religiöse Disziplin im Markt zu festigen und den Gehorsam des Pfarrvolkes gegenüber dem Seelsorger sicherzustellen. Durch die milde Bestrafung von Schwarz schien nun das genaue Gegenteil eingetreten zu sein: Bei seinem Angriff gegen einen Konkurrenten, der in der Gemeinde und bei der Grundobrigkeit wegen seines in der extrem belastenden Phase der schwedischen Besatzung bewiesenen politischen Geschicks einen starken Rückhalt besaß, hatte der Pfarrer, der aus Angst vor einer Gefangennahme die „feige“ Flucht nach Wien ergriffen und die Marktbürger mit ihren Seelennöten allein gelassen hatte, die Kräfteverhältnisse im Markt völlig falsch eingeschätzt60. Auf eine neuerliche Beschwerde Warendorfers über den Lebenswandel von Schwarz antwortete die Priorin im Jänner 1649 lediglich, dass ihr dessen wenig gottesfürchtiges Leben bewusst sei; Warendorfer möge dafür sorgen, dass Schwarz zur Erkenntnis seiner Fehler gelange61.

4. Die Erinnerung an die „Schwedenzeit“ in Niederösterreich Die Erinnerung an die Endphase des Krieges und an die Anwesenheit schwedischer Truppen im nördlichen Niederösterreich hat sich durch Lieder, Spottverse, Sagen und viele Kleindenkmäler lebendig erhalten. Die Sagen stehen zumeist mit belagerten Burgen 58  Ebd. 177; HHStA, Klosterakten, Dominikanerinnen Tulln, Böhmischkrut, K. 27, Bescheinigung Nikolaus Duchs vom 21. Juni 1646, unfol. 59   Stögmann, Der ist des teufels (wie Anm. 52) 178; HHStA, Klosterakten, Dominikanerinnen Tulln, Böhmischkrut, K. 27, Rückvermerk auf dem Bericht der Priorin Mayrhoffer v. 26. August 1648 (der supplicantin hinauszugeben und läßt es die Regierung bei ihrem bericht bleiben). 60  Stögmann, Der ist des teufels (wie Anm. 52) 190. 61  Ebd. 179.



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und Siedlungen in Verbindung. Schwedenschanzen, Kanonenkugeln in Stadtmauern und sog. „Erdställe“ weisen auf Kampfhandlungen, Angst und Flucht vor den schwedischen Eindringlingen hin. Das dabei vermittelte Bild der Schweden ist ein ausschließlich negatives: „Der Schwede“, der in der niederösterreichischen Realität der 1640er Jahre zumeist ein deutscher Söldner in schwedischen Diensten und kein „ethnischer“ Schwede war62, wird zumeist als böse oder grausam beschrieben, und bei vielen Ereignissen, die ihm zugeschrieben wurden, kann nachgewiesen werden, dass dies fälschlicherweise geschah63. Grundlage für die vielfach sog. „Schwedenkreuze“ war ein Patent Kaiser Ferdinands III., das im September 1650 erlassen wurde und die Erneuerung wie Errichtung von Bildstöcken verfügte. Sie sollten mit folgender Inschrift versehen sein: „Lob Preis und Dank dem Fridens Gott der uns geführt hat aus der Kriegs Noth“. Statt neue Säulen oder Kreuze zu errichten, brachte man häufig eine entsprechende Inschrift oder auch nur eine Jahreszahl auf einem bereits bestehenden Bildstock an64. Die überwiegende Zahl der „Schwedenkreuze“ verfügte jedoch weder über die genannte Inschrift noch über eine Jahreszahl. Dabei handelt es sich um Bildstöcke und Säulen, die in der kollektiven Erinnerung als „Schwedenkreuze“ bewahrt blieben, weil man daran eine Sage knüpfte, in der schwedische „Kriegsleute“ die unrühmliche Hauptrolle spielten. Auf diese Weise wurde die Bezeichnung „Schwedenkreuz“ oft auf Steinkreuze übertragen, die aus viel früheren Zeiten stammten und die einst als „Sühnekreuz“, als „Unfallkreuz“, als Grenzstein oder auch als Kultobjekt gedient haben könnten65. Einige Sagen bzw. Erzählungen zum „Schwedenkrieg“ zeigen eine Tendenz zur Selbstheroisierung der Bevölkerung. Als Beispiel dafür soll zunächst eine Sage über die angebliche Eroberung Horns durch Bauern aus der Umgebung wiedergegeben werden: „Als die Schweden im Dreißigjährigen Kriege die Stadt Horn besetzt hatten, beschlossen die Bauern der Umgebung, sie aus dem Orte zu verjagen. Sie umzingelten die Stadt und rüsteten zum entscheidenden Sturm. Die wachsamen Schweden aber, welchen die Vorbereitungen der Belagerer nicht entgangen waren, fassten den Plan, die Bauern um zwölf Uhr mittags beim Glockengeläute durch einen Ausfall zu überrumpeln. Als dies jedoch die Bauern durch geheime Boten erfuhren, bestachen sie den Kirchendiener, damit er schon um elf Uhr läute. Die Schweden, die gerade beim Mittagsmahle saßen und daher noch nicht gerüstet waren, gerieten in der Eile ihres Aufbruches in große Unordnung. Indessen drangen die Bauern, bis zu den Zähnen bewaffnet, in geordnetem Zuge durch die Tore, welche ihnen heimlich von den Stadtbewohnern geöffnet worden waren, in die Stadt ein und schlugen die Feinde in die Flucht. Seither wird im Waldviertel zur dauernden Erin-

62   Als das letzte Jahr des Krieges begann, zählte die schwedische Armee in Deutschland 9.000 schwedische Soldaten und 28.000 Söldner. In den zahlreichen Garnisonen lagen weitere 9.000 schwedische und 17.000 ausländische Soldaten. Lars Ericson, Die schwedische Armee und Marine während des Dreißigjährigen Krieges. Von einer nationalen zu einer paneuropäischen Streitmacht, in: 1648 – Krieg und Frieden in Europa, Bd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft, hg. von Klaus Bussmann–Heinz Schilling (Münster 1998) 301–307. Die für mich greifbaren Quellen liefern leider keine Aufschlüsse über die „ethnische“ Herkunft und die bisherige Karriere der darin genannten „kleineren“ Vertreter der schwedischen Militärmacht wie Nikolaus Duch oder Johann Busso. Die Nachrichten gehen über reine Funktionsbezeichnungen nicht hinaus. 63 Cornelia Bauer, Der Schwed´ kummt! Schwedenspuren in Niederösterreich aus der Zeit des 30jährigen Krieges (DA Wien 2012) 223. 64 Erich Rabl, Erinnerungen an die „Schwedenzeit“. Schwedengassen, Schwedenkreuze und Schwedensagen (eine Auswahl), in: Der Schwed´ ist im Land! (wie Anm. 11) 145–166, hier 145. 65  Bauer, Der Schwed kummt! (wie Anm. 63) 224.

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nerung an jenen gelungenen Überfall tagtäglich um elf Uhr vormittags geläutet“66. Das in dieser Sage erwähnte „11-Uhr-Läuten“ hat natürlich nichts mit der Vertreibung der Schweden aus Horn durch besonders mutige Bauern zu tun, weil eine solche gar nicht stattgefunden hatte. Es meldete am Land die Mittagszeit, hatte somit eine Signalfunktion und ist auch nicht mit dem Gebetläuten um 12 Uhr zu verwechseln. Eine ähnliche Tendenz zeigt folgende volkstümliche Erzählung über das „Schwedenkreuz“ bei Reinprechtspölla (ca. 12 km südöstlich von Horn gelegen): „Etwa eine Viertelstunde von Reinprechtspölla entfernt, steht an der linken Seite der Bezirksstraße nach Gars am Kamp ein in die Erde versunkenes Kreuz, das sog. Schwedenkreuz. Es ist aus einer Sandsteinplatte gehauen, etwa ein Meter hoch und zeigt im Stamm das eingemeißelte Bild einer Mistgabel mit drei Zinken. Die einfache Arbeit wurde von keinem Steinmetz gemacht. Als im Jahr 1645 die Schweden die Gegend plündernd durchstreiften, wurde an dieser Stelle ein Weib, das auf dem Felde Mist ausbreitete, von einem schwedischen Kriegsmanne überfallen. Als es sich seiner nicht mehr erwehren konnte und ihm auch niemand zu Hilfe kam, stieß es mit der Mistkrall‘n nach ihm. Zu Tode getroffen, sank der Mann nieder. Man begrub ihn an dieser Stelle und setzte zur Sühne auf sein einsames Grab das steinerne Kreuz mit der eingemeißelten Gabel“67. Als im Zuge einer um 1960 durchgeführten Straßenverbreiterung das Kreuz, ein 124 cm hohes Kreuz aus Zogelsdorfer Sandstein, seitwärts versetzt werden musste, wurden in der Erde einige Knochen gefunden. Nach einer Deutung von Pia Maria Plechl und Franz Hula handelt es sich beim Steinkreuz von Reinprechtspölla um ein sog. Unfallkreuz, d. h. dass die darin eingemeißelte Mistgabel die Ursache des Unfalls einer verunglückten Person darstellt oder auch im Zusammenhang mit dem Beruf des Verunglückten, also eines Bauern, stehen könnte. Die Bevölkerung hätte demnach dieses Kreuz unter dem Eindruck der „Schwedennot“ in ihrem Sinne umgedeutet68. In Poysdorf erinnert die volkstümliche Bezeichnung eines Teils der Pfarrkirche an die „Schwedenzeit“: Im Westteil der Kirche hatten die in Poysdorf einquartierten schwedischen Soldaten ihre Pferde eingestellt. Die dortigen Sitzreihen werden in Erinnerung daran noch heute „Reitschule“ genannt, ein Beispiel für eine beschönigende Umbenennung und Verharmlosung einer vermutlich durch die damit verbundene Verletzung von religiösen Gefühlen von vielen Augenzeugen im Jahr 1645 als durchaus schmerzhaft empfundenen Maßnahme der Besatzungsmacht69. Angesichts der Tatsache, dass die Zeit der militärischen Präsenz der Schweden im nördlichen Niederösterreich recht kurz war (März 1645 bis Ende August 1646), mag es erstaunen, dass sich das Bild vom „grausamen und kriegerischen Schweden“ so nachhaltig und in so vielen materiellen und immateriellen Formen in die kollektive Erinnerung eingebrannt hat. Doch wie „kriegerisch“ und „grausam“ waren die Schweden wirklich? Eine Tafel im Eingangsbereich des Königlichen Armeemuseums in Stockholm weist eher mahnend als  Karl Süss, Unser Horner Gau in Geschichte und Sage (Reinprechtspölla 1920) 51.   Rabl, Die Stadt Horn (wie Anm. 10) 147. 68   Ebd.; siehe auch Bauer, Der Schwed kummt! (wie Anm. 63) 71f.; Franz Hula, Die Totenleuchten und Bildstöcke Österreichs. Ein Einblick in ihren Ursprung, ihr Wesen und ihre stilistische Entwicklung (Wien 1948) 36; Pia Maria Plechl, „Gott zu Ehrn ein Vatterunser pett“. Bildstöcke, Lichtsäulen und andere Denkmale der Volksfrömmigkeit in Niederösterreich (Wien–München 1971) 58. 69 Georg Wlaschitz, Aus der Chronik der Pfarre Poysdorf (2012–2019), http://members.nanet.at/ poysdorf/pfarrkirche.htm [21. 1. 2019]; siehe auch Markus Kristan, Art. Poysdorf, in: Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler Österreichs. Niederösterreich nördlich der Donau (Wien 1990) 898–903, hier 900. Eine spezifische Erinnerung, die mit der „Schwedenzeit“ in Großkrut verbunden ist, konnte ich nicht ausfindig machen. 66 67



Der „Schwed“ im nördlichen Niederösterreich und die Erinnerungskultur 393

stolz auf die militärische Vergangenheit der Schweden hin. Demnach führte das Königreich Schweden in den Jahren zwischen 1521 und 1814 nicht weniger als 48 Kriege. Schweden befand sich jeweils fünfzig oder mehr Jahre mit Dänemark und Norwegen, mit Russland sowie mit Polen im Krieg. Ein häufiger Gegner war mit einer Gesamtdauer von 28 Jahren Krieg auch der römisch-deutsche Kaiser. Hinzu kamen zahlreiche Kriege mit einzelnen deutschen Territorien. In diesem Zeitraum von etwa 300 Jahren stehen 154 Jahren „im Krieg“ nur 139 Jahre „ohne Krieg“ gegenüber70. Die schwedische Geschichtsforschung vor allem der 1980er Jahre hat deshalb das schwedische Staatswesen zumal des 17. Jahrhunderts als einen „Militärstaat“ beschrieben. Eine „Militarisierung“ Schwedens wurde dabei als das geradezu strukturierende Merkmal der schwedischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts interpretiert71. Der ideologische Antrieb zu diesem Staatsausbau war das von König Gustav Adolf, seiner gelehrten adeligen Umwelt und vor allem auch von dem von 1612 bis zu seinem Tod als Reichskanzler amtierenden Axel Oxenstierna (1583–1654) verfolgte „imperialistische“ Regierungsprogramm, das vom „Gotizismus“ gekennzeichnet war, also einem spezifisch schwedischen Sendungsbewusstsein in bewusster Nachahmung der Goten. Der schwedische König trug offiziell den Titel „Suecorum, Gothorum et Vandalorum rex“, der aber aufgrund der propagandistisch günstigeren Selbstdarstellung des schwedischen Königs als Verteidiger der Freiheit des evangelischen Glaubens in seiner vollen Bedeutung im Reich wenig wahrgenommen wurde72. Stellt man jedoch die schwedische Kriegsstatistik in einen gesamteuropäischen Kontext, so zeigt sich, dass die elf größten Mächte Europas im 16. und im 17. Jahrhundert im Durchschnitt etwa 60 % der Zeit im Krieg standen, wobei Schweden mit ca. fünfzig Kriegsjahren pro Jahrhundert sogar unter diesen Schnitt fällt. Was Schlachtenbeteiligungen betrifft, kam Schweden in seiner Großmachtzeit im 17. und 18. Jahrhundert auf eine Zahl von etwa 100 Schlachten und Gefechten, Frankreich und die Habsburgermonarchie auf je etwa 300. Eine Tafel wie jene in Stockholm ließe sich somit in vielen Kriegsmuseen Europas anbringen73.

5. Fazit Als letzte Feinde in einem Krieg, der sich durch seine enorme Länge und seine Verheerungen tiefer im Bewusstsein der Menschen verankert hatte als viele Kriege zuvor, blieben die Schweden offensichtlich in einem – im Verhältnis zur Dauer ihrer Präsenz – ungewöhnlichen Ausmaß in der niederösterreichischen Erinnerungskultur erhalten74. Ein wichtiger Grund für die „Aggressivität“ der schwedischen Kriegsmacht ist natürlich darin zu sehen, dass der geographisch extrem weit ausgedehnte schwedische Militärapparat enorm kostspielig war und diese Kosten auf die besiegten Gegner und dabei vor allem auf deren mehr oder weniger wehrlose Untertanen (abgesehen von Verbündeten) abgewälzt wurden. Aber auch mit dieser Finanzierungspraxis stellten die Schweden bekanntlich keine „ungewöhnlich grausame“ Ausnahme dar75.   Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 29) 9.  Ralph Tuchtenhagen, Kleine Geschichte Schwedens (München 2008) 55. 72  Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 29) 57f. 73  Ebd. 9. 74  Bauer, Der Schwed kummt! (wie Anm. 63) 227. 75  Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 29) 52. 70 71

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Hingewiesen werden soll schließlich auf die Tatsache, dass der Krieg 1648 zwar offiziell zu Ende war, aber, wie am Beispiel Poysdorf gezeigt wurde, punktuell durchaus in Form von andauernden Kontributionsforderungen der (weiterhin in Olmütz stehenden) Schweden noch bis zum Sommer 1650 andauern konnte. Außerdem wurde der Steuerdruck nicht geringer. Das war die unvermeidliche Folge der Tatsache, dass Ferdinand III. 1649 beschlossen hatte, zwar die Armee im Reich aufzulösen, aber in den Erbländern „eine essenz von einer guten armada“76 aufrecht zu erhalten. Dieser Entschluss führte dazu, dass von ca. 37.000 kaiserlichen Soldaten etwa 20.000 nicht abgedankt, sondern nach einem neuen Modus, der nun viel stärker das Land als die Städte (wie zuvor) belastete, in den Erbländern einquartiert wurden. Niederösterreich hatte nach Kriegsende etwa 13.000 Mann zu unterhalten, je dreieinhalb Häuser (Steuereinheiten) mussten für den Unterhalt eines Soldaten aufkommen77. Was die demographischen und ökonomischen Verhältnisse betrifft, erholte sich das nördliche Niederösterreich relativ bald von den Folgen des Dreißigjährigen Krieges. Im Allgemeinen erreichte die Zahl der besteuerten Untertanenhäuser schon um 1680 wieder den Stand zu Kriegsbeginn. Die Bevölkerung wuchs dank hoher Geburtenüberschüsse in der zweiten Jahrhunderthälfte mit großer Geschwindigkeit. Als Beispiel sei der gut untersuchte Weinviertler Markt Pulkau genannt: Dort erreichte die Zahl der besetzten Häuser wie auch der Umfang der Weinproduktion in den 1680er Jahren wieder das Niveau von 161878.

76 Philipp Hoyos, Die kaiserliche Armee 1648–1650, in: Der Dreißigjährige Krieg. Beiträge zu seiner Geschichte (Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien 7, Wien 1976) 169–232, hier 214. 77  Landsteiner, Wiederaufbau (wie Anm. 5) 185; siehe auch Michael Hochedlinger, Der gewaffnete Doppeladler. Ständische Landesdefension, stehendes Heer und „Staatsverdichtung“ in der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie, in: Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, hg. von Petr Maťa–Thomas Winkelbauer (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 24, Stuttgart 2006) 217–250, hier 232. 78  Landsteiner, Wiederaufbau (wie Anm. 5) 180.



(6) AUSBLICK



Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg. Die Rezeption in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts Werner Telesko

Der Dreißigjährige Krieg gehört zu den herausragenden europäischen Ereignissen in der Frühen Neuzeit, nicht aber zu den zentralen Erinnerungsorten der künstlerischen Produktion des 19. Jahrhunderts im eigentlichen Sinn. Dies hat vor allem damit zu tun, dass dieser Krieg als ein äußerst zersplittertes Ereignis, eigentlich eine aus mehrphasigen Sequenzen bestehende und an mehreren Orten ablaufende Kriegshandlung zu bezeichnen ist. Daraus ergeben sich unterschiedliche personelle und kleinräumige Schwerpunkte, die sich über ganz Europa verteilen, zugleich aber im Sinne einer explizit regional verfassten Gedenkkultur1 das Entstehen übergreifend wirksamer Gedächtnisorte – mit nur wenigen Ausnahmen – verhindern. Darüber hinaus sind konkurrierende visuelle Deutungen der Geschehnisse des Dreißigjährigen Krieges, wie sie beispielhaft in der bildlichen Rezeption der Türkenkriege ausgemacht werden können2, nur äußerst selten anzutreffen.

1. Die Rezeption des Dreißigjährigen Krieges in der Habsburgermonarchie und Deutschland Dynastische Erinnerungsorte sind aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts zumeist positiv aufgeladen – so im Rahmen der Habsburgermonarchie etwa das Gedenken an Maximilian I. oder Maria Theresia3. Für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts fehlen solche konstruktiven Identifikationsmomente aus dem Blickpunkt der Habsburger. Zudem war man angesichts der Disposition einer „composite monarchy“ grundsätzlich wenig daran interessiert, die konfessionelle Frage zu aktualisieren, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts die alten frühneuzeitlichen Konflikte und Bruchlinien neu aktualisiert hätte. Auch aus diesem Grund ist es verständlich, dass etwa der Prager Fenstersturz als jenes Ereignis, das aus unserer heutigen Sicht exemplarisch für den Beginn des Dreißigjährigen Krieges steht, eine außerordentlich marginale Position in der malerischen Produktion 1  Charakteristisch in diesem Zusammenhang ist etwa das 1900 vom Heilbronner Historischen Verein in Auftrag gegebene Herzog-Magnus-Denkmal im Andenken an den in der Schlacht bei Wimpfen (1622) gefallenen Herzog Magnus von Württemberg-Neuenbürg. 2 Robert Born, Schlachten, Triumphe, Flucht. Die Türkenkriege im historischen Ungarn in der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts, in: Die Türkenkriege des 18. Jahrhunderts. Wahrnehmen – Wissen – Erinnern, hg. von Wolfgang Zimmermann–Josef Wolf (Regensburg 2017) 339–361. 3 Werner Telesko, Geschichtsraum Österreich. Die Habsburger und ihre Geschichte in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts (Wien–Köln–Weimar 2006) 79–103, 345–351.

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des 19. Jahrhunderts einnimmt: Karel Svobodas (1824–1870) Gemälde von 1844 4 ist – neben einem großformatigen, nach seiner Fertigstellung im Altstädter Rathaus in Prag ausgestellten5 Gemälde von Václav Brožík (1851–1901) aus dem Jahr 18896 – eines der wenigen Werke, die sich diesem Thema widmeten, wie überhaupt die böhmische Malerei im Vormärz vor allem durch den Rückgriff auf Themen des Mittelalters, besonders der Hussitenkriege, dominiert wird. Im größten Auftrag, den die böhmische Historienmalerei nach 1848 zu vergeben hatte, der Ausmalung des Prager Belvedere (1866)7, setzte man für diesen Zeitraum ebenfalls auf gemeinschaftsstiftende Themen wie die „Verteidigung Prags gegen die Schweden 1648“, die von Christian Ruben (1805–1875) – nach kaiserlicher Genehmigung 1863 – schließlich realisiert wurde8. Die heldenhafte Abwehr der schwedischen Armee durch die Prager Bevölkerung war bereits durch Karoline Pichlers (1769–1843) Publikation „Die Schweden vor Prag“ im frühen 19. Jahrhundert wieder populär geworden9. Die zweifellos polarisierende „Auswanderung der Utraquisten“ aus Böhmen im Jahr 1627, die noch in einem frühen Ausstattungskonzept des Jahres 1848 nachzuweisen ist10, ließ man hingegen begreiflicherweise im Zuge der endgültigen Realisierung fallen. Für das grundsätzlich verhaltene Interesse an Darstellungen zum Dreißigjährigen Krieg in der deutschen Historienmalerei des 19. Jahrhunderts wurden zwei Umstände namhaft gemacht. Zum einen der angesichts einer großen Zahl möglicher Sujets aus der europäischen Geschichte relativ geringe Stellenwert dieses Themas für eine attraktive Umsetzung in der Geschichtsmalerei an sich, zum anderen das vorrangige Interesse dieser Epoche an Themen aus der deutschen Nationalgeschichte, die man im Rückgriff auf das Mittelalter und in der eigenen Zeitgeschichte – vor allem im Kontext der Reichsgründung von 1870/71 – suchte11. Speziell beim liberalen Bürgertum existierte aber ein lebhaftes 4  Prag, Národni muzeum, Inv.-Nr. H2-142866, vgl. Werner Hager, Geschichte in Bildern. Studien zur Historienmalerei des 19. Jahrhunderts (Hildesheim–Zürich–New York 1989) 329. 5   Hans Makart und der Historismus in Budapest, Prag und Wien, Ausstellungskatalog Schloss Halbturn (Eisenstadt 1985) o. S. (mit zeitgenössischer Darstellung der Ausstellung des Gemäldes). 6  Melbourne, National Gallery of Victoria, Inv.-Nr. p. 316.1-1. Die entsprechende Studie befindet sich in der Galerie der bildenden Künste in Gottwaldov (Inv.-Nr. 0 806), vgl. Ausstellungskatalog Hans Makart (wie Anm. 5), Nr. 52; grundlegend zu Brožík neuerdings: Václav Brožík (1851–1901), hg. von Naděžda Blažíčková-Horová (Praha 2003); Josef Hrubeš, Václav Brožík (Praha 2014). Eine Heliogravüre nach dem Gemälde ist darüber hinaus Teil der für das habsburgische Geschichtsverständnis wichtigen Publikation: An Ehren und an Siegen reich. Bilder aus Österreichs Geschichte. Unter der literarischen Leitung von Dr. Joseph Alexander Freiherrn von Helfert, hg. von Max Herzig (Wien o. J. [1908]) 176f. 7   Zusammenfassend: Michaela Marek, Kunst und Identitätspolitik. Architektur und Bildkünste im Prozess der tschechischen Nationsbildung (Köln–Weimar–Wien 2004) 215. 8  Michael Huig, Die Korrespondenz zu den Belvedere-Fresken in Prag, 1842–1866. Dritter Teil: 1860– 1866. Bulletin of the National Gallery in Prague 5/6 (1995/1996) 70–79, hier 70f., 73, Abb. 2. 9  Erschienen in Wien 1827. 10  Michael Huig, Die Korrespondenz zu den Belvedere-Fresken in Prag, 1842–1866. Erster Teil: 1842– 1848. Bulletin of the National Gallery in Prague 2 (1992) 96–103, hier 101, ders., Die Korrespondenz zu den Belvedere-Fresken in Prag, 1842–1866. Zweiter Teil: 1849–1860. Bulletin of the National Gallery in Prague 3/4 (1993/1994) 63–71, hier 63. 11 Siegfried Müller, Der Dreißigjährige Krieg in der deutschen Historien- und Genremalerei des 19. Jahrhunderts – eine Bestandsaufnahme, in: 1648 – Krieg und Frieden in Europa, Ausstellungskatalog, Westfälisches Landesmuseum Münster, Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück, 1998, Textband 2: Kunst und Kultur, hg. von Klaus Bussmann–Heinz Schilling (München 1998) 657–664, hier 657; ausführlich zu dieser Thematik: ders., Der Dreißigjährige Krieg in der deutschen Historien- und Genremalerei des 19. Jahrhunderts. Zeitschrift für Kunstgeschichte 62 (1999) 1–27.



Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg 399 Abb. 1: Karl Friedrich Schinkel, Denkmal in Erinnerung an die Schlacht bei Lützen (1837), Lithografie (nach 1837) im Verlag von Wilhelm Alexander Künzel, Leipzig (Quelle, Foto: ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung).

Interesse an Gustav Adolf II. von Schweden und dessen im 19. Jahrhundert umfassend gefeierten Aufopferung für die protestantische Sache. So ist hinsichtlich der Präsenz im öffentlichen Raum der Schwedenkönig praktisch konkurrenzlos. Zu verweisen ist hier vor allem auf das Gustav-Adolf-Denkmal bei Lützen: Es bestand ursprünglich nur aus einem Findling aus Granit, der nach der Schlacht an der Stelle gesetzt wurde, an der man Gustav Adolfs Leichnam fand. Im Jahr 1833 entwarf Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) einen gotischen Baldachin, der vier Jahre später zur Ausführung kam, am 6. November 1837 eingeweiht wurde und seitdem diesen Stein beschirmt12. Wesentliche Träger innerhalb der Vereinskultur des 19. Jahrhunderts waren die Gustav-Adolf-Vereine13 als Vereinigungen innerhalb der evangelisch-protestantischen Kirche 12  ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung, KAR0503848 (Lithografie [nach 1837] im Verlag von Wilhelm Alexander Künzel, Leipzig); vgl. detailliert zur Entstehungsgeschichte dieses Monuments: Gustav Adolf. König von Schweden. Die Kraft der Erinnerung 1632–2007, Ausstellungskatalog, hg. von Maik Reichel–Inger Schuberth (Dößel 2007) 203–207; Hans Junecke–Martina Abri–Dieter Dolgner–Eva Börsch-Supan [unter Mitwirkung von Torsten Kahlbaum], Karl Friedrich Schinkel. Die preußische Provinz Sachsen (Karl Friedrich Schinkel – Lebenswerk XXII, Berlin–München 2014) 476–491. 13  Hermann Wolfgang Beyer, Die Geschichte des Gustav Adolf-Vereins in ihren kirchen- und geistesgeschichtlichen Zusammenhängen, zum hundertjährigen Bestehen des Evangelischen Vereins der Gustav AdolfStiftung in Auftrage des Centralvorstandes (Göttingen 1932); Gisa Bauer, Protestantismus und Deutschtum. Der Gustav-Adolf-Verein und die nationale Idee, in: Diasporaarbeit im Wandel der Zeit. FS anlässlich des 175. Gründungsjubiläums des Gustav-Adolf-Werks e.V. – Diasporawerk der Evangelischen Kirche in Deutschland (Die evangelische Diaspora 76, Leipzig 2007) 50–68.

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mit dem Bestreben, den konfessionellen Anliegen der in ganz Europa verstreut lebenden Glaubensgenossen adäquate Unterstützung zu bieten. Während in Deutschland der am 16. September 1842 in Leipzig gegründete „Evangelische Verein der Gustav Adolf-Stiftung“ relativ früh seine breite Wirksamkeit entfalten konnte, war es den im österreichischen Kaiserreich agierenden Pendants hingegen erst nach den 1861 erlassenen Religionspatenten erlaubt, aktiv zu werden. Generell trat in Deutschland in den 1870er Jahren der Dreißigjährige Krieg zugunsten der Reformation, der Befreiungskriege und der Schlachten des Hohenzollernstaates deutlich in den Hintergrund. Eine Übersicht der heute noch bekannten, zum Teil aber nicht mehr durch ihren aktuellen Standort nachweisbaren oder in Abbildungen dokumentierten Gemälde zu Ereignissen des Dreißigjährigen Krieges demonstriert aber darüber hinaus, dass eine Beschäftigung mit entsprechenden Sujets bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts in der Berliner Akademie ihren Anfang nahm und besonders ab den 1830er Jahren vor allem im Œuvre des Malers Fedor Dietz (1813–1870) eine beachtliche Konjunktur erreichte14.

2. Die Auratisierung militärischer Helden der Vergangenheit in der Kunst Grundsätzlich boten sich zwei Möglichkeiten für Auftraggeber bzw. Künstler in der Visualisierung des Dreißigjährigen Krieges an: Zum einen konnten mittels des Krieges militärische Fragen thematisiert werden. Nicht ohne Grund stehen deshalb hauptsächlich Schlachten und Gefechte im Zentrum des Interesses der Maler, wobei man die große Zeit der Militärikonografie im 17. Jahrhundert in Grafik und Malerei aktualisierte15. Der zweite Aspekt, der damit zusammenhängt, betrifft den Kult großer Persönlichkeiten wie Gustav Adolf (ab Ende der 1830er Jahre in der deutschen Historienmalerei prominent vertreten)16, Tilly oder Wallenstein17. Aus der Perspektive des habsburgischen Kaiserhauses waren aber auch hier sensible Bruchstellen zu berücksichtigen – besonders bei der Behandlung der Person Albrecht von Wallensteins (1583–1634)18. Nachdem für die plastische Ausstattung der „Feldherrenhalle“ im Wiener Arsenal19 eine dafür eingesetzte Kommission die Zulässigkeit der Aufstellung einer Statue des Generals geprüft hatte, ordnete der Kaiser am 5. April 1870 ihre Ausführung an, realisiert 1877 von Ludwig Schimek   Müller, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 11) 660.   Einen Überblick zur Ikonografie des Dreißigjährigen Krieges im 17. Jahrhundert liefert: Walter Franz Kalina, Der Dreißigjährige Krieg in der bildenden Kunst (DA Wien 2001). 16  Müller, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 11) 659. 17  Charakteristisch ist hier zugleich die Existenz von Denkmälern, die jener Personen gedenken, die sich gegen Wallenstein positionierten, etwa der Stralsunder Bürgermeister Lambert Steinwich (1571–1629), dem wegen der erfolgreichen Abwehr der Belagerung Stralsunds durch Wallenstein (1628) im Jahr 1904 ein ganzfiguriges Monument errichtet wurde. 18  Zur Rezeption Wallensteins: Kevin Cramer, The Thirty Years’ War and German Memory in the Nineteenth Century (Lincoln–London 2007) 94–140; Steffan Davies, The Wallenstein Figure in German Literature and Historiography 1790–1920 (Modern Humanities Research Association Texts and Dissertations 76, London 2009); Wallenstein-Bilder im Widerstreit. Eine historische Symbolfigur in Geschichtsschreibung und Literatur vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, hg. von Joachim Bahlcke–Christoph Kampmann (Stuttgarter Historische Forschungen 12, Köln–Weimar–Wien 2011); Wallenstein. Mensch – Mythos – Memoria, hg. von Birgit Emich–Dirk Niefanger–Dominik Sauerer–Georg Seiderer (Historische Forschungen 117, Berlin 2018). 19  Zusammenfassend: Alice Strobl, Das k. k. Waffenmuseum im Arsenal. Der Bau und seine künstlerische Ausschmückung (Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien 1, Graz–Köln 1961) 93–101. 14 15



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(1837–1886). Damit entstand das erste öffentliche Wallenstein-Denkmal in Wien20. Die Finanzierung dieser Statue übernahm Ernst von Waldstein zu Wartenberg (1821–1904), ein Verwandter des Herzogs von Friedland. Dass es bis zu dieser Verfügung Kaiser Franz Josephs in der Entscheidungsfindung über eine mögliche Präsenz Wallensteins in der „Feldherrenhalle“ recht unsicher zuging, zeigen die Begründungen der Kommission, die sich wortreich um Argumente für die Aufstellung der Wallensteins Statue – auch unter Hinweis auf den habsburgischen Umgang mit Wallenstein in der rezenten Vergangenheit – bemühte. In den entsprechenden Akten der Kommission kann man lesen: „Um auf die Erwägung, ob diesem Feldherrn, dessen Namen zu feiern Geschichte und Poesie sich verbunden haben, ein Platz in der österreichischen Ruhmeshalle einzuräumen ist, wird ehrfurchtsvoll erinnert, dass von der Frage seiner Schuld bei mehreren Anlässen Allerhöchsten Orts Umgang genommen und dadurch sein Andenken gleichsam rehabilitiert worden war. So paradierte bei Übertragung seiner irdischen Überreste Anno 1785 nach Münchengrätz die dortige Garnison und der Höchstselige Kaiser Franz I. besuchte später dessen Gruft.“21. Auffällig bleibt aber immerhin, dass für die „Feldherrenhalle“ des Arsenals Kaiser Franz Joseph als Stifter der Statuen für Wallenstein, Johann T’Serclaes von Tilly (1559–1632), Matthias Gallas (1584–1647), Gottfried Heinrich zu Pappenheim (1594–1632), Johann von Sporck (1600–1679) und Johann von Werth (1591–1652) auftrat. Letztlich ergibt sich auch aus diesem Fall die für die Habsburgermonarchie des 19. Jahrhunderts problematische Situation, dass man sich überaus schwertat, einen für die Dynastie unmittelbar relevanten Sympathieträger des 17. Jahrhunderts zu positionieren. Mit dem politisch und konfessionell exponierten Kaiser Ferdinand II. war dies begreiflicherweise nur bedingt möglich – schon gar nicht im Sinne einer im 19. Jahrhundert gesuchten Bedeutung der Historie im Sinne einer Aktualisierung der „exempla virtutis“.

3. Die bildliche Präsenz Kaiser Ferdinands II. Trotzdem existiert eine interessante Ausnahme im Rahmen der Ikonografie Kaiser Ferdinands II.: In einer Feder- und Pinselzeichnung in Braun mit Weißhöhungen über Bleistift, geschaffen von Karl Ruß (1779–1843), zugleich Blatt 145 aus dessen umfangreichem Zyklus „Bilder zur Geschichte von Wien“22, wird der Schmerz des thronend gegebenen Kaisers beim Anblick der blutigen Kleider des 1632 in Lützen gefallenen Königs Gustav Adolf von Schweden wiedergegeben23. Die Wiedergabe dieser Szene steht allerdings wiederum in einer größeren ikonografischen Ahnenreihe, als deren prägendes biblisches Vorbild die Trauer des biblischen Patriarchen Jakob ausgemacht werden kann, als er den blutigen Rock seines Sohnes Joseph erhielt (Gen 37, 32–34). 20  Bereits 1812 war eine entsprechende Büste des Feldherrn in der Regensburger Walhalla aus der Hand Christian Friedrich Tiecks aufgestellt worden. In Bezug auf Persönlichkeiten des Dreißigjährigen Krieges finden sich in der Walhalla darüber hinaus Büsten von Herzog Bernhard von Weimar (Christian Friedrich Tieck, 1812), Maximilian von Trauttmansdorff (Ludwig Schaller, 1824), Kurfürst Maximilian I. von Bayern (Heinrich Max Imhof, 1832) und Landgräfin Amalia von Hessen-Kassel (Christian Friedrich Tieck, 1817) 21  Zitiert nach Strobl, Waffenmuseum (wie Anm. 19) 99f. (mit Quellennachweis), Abb. 25; Andreas Huber, Kontroversen um österreichische Heerführer am Beispiel von drei Denkmälern im Wiener Arsenal (DA Wien 2012) 47–53; zur Rezeption Wallensteins in der österreichischen Historiographie des frühen 19. Jahrhunderts: Davies, Wallenstein (wie Anm. 18) 115–118. 22  Zur Serie von Ruß: Telesko, Geschichtsraum (wie Anm. 3) 332–338. 23  ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung, Pk 783, 145.

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Abb. 2: Karl Ruß, Bilder zur Geschichte von Wien (1826–1832), Feder- und Pinselzeichnung in Braun, Blatt 145: Schmerz Ferdinands II. beim Anblick der blutigen Kleider des 1632 in Lützen gefallenen Königs Gustav Adolf von Schweden (Quelle, Foto: ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung).

Das blutverschmierte Koller aus Leder, das Gustav Adolf in der Schlacht bei Lützen24 angeblich getragen hatte, war im Jahr 1632 als Beutestück der kaiserlichen Truppen nach Wien verbracht und an Kaiser Ferdinand II. übergeben worden. Im Jahr 1677 scheint es im Inventar der kaiserlichen Schatzkammer auf und in weiterer Folge gelangte es in die Bestände des kaiserlichen Zeughauses. Ab 1888 befand sich das Koller in den Sammlungen des k. k. Heeresmuseums. Da in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg große Not durch akuten Lebensmittelmangel herrschte, die unter anderem nur durch die beherzte Hilfe des Schwedischen Roten Kreuzes gelindert werden konnte, beschloss die junge österreichische Republik am 23. April 1920, Schweden für diese Hilfeleistung angemessen zu entschädigen, indem man das genannte Koller Gustav Adolfs retournierte. Am 4. Juni 1920 wurde das entsprechende Objekt in der Leibrüstkammer in Stockholm übergeben, wo es bis heute auf dem ausgestopften Pferd Streiff des schwedischen Königs zu sehen ist25. Eine Ikonografie des Dreißigjährigen Krieges im 19. Jahrhundert ist somit – zumindest, aber nicht ausschließlich aus der Perspektive der Habsburgermonarchie – mehr eine Geschichte von Einschränkungen als von wirklichen Entfaltungsmöglichkeiten. Dies 24  Die außergewöhnliche Wirkmächtigkeit der Schlacht von Lützen zeigt sich an zahlreichen Legenden, die im 19. Jahrhundert Bildwürdigkeit erlangten, unter anderem auch jene, wonach Wallenstein selbst Gustav Adolf auf dem Schlachtfeld aufgefunden habe, vgl. Reichel–Schuberth, Gustav Adolf (wie Anm. 12) 67. 25   Zusammenfassend Jenny Öhmann–Richard Hufschmied, „1920 der schwedischen Nation gewidmet“. Zur Geschichte des Kollers des Schwedenkönigs Gustav II. Adolf. Viribus Unitis. Jahresbericht 2007 des Heeresgeschichtlichen Museums (Wien 2008) 35–52.



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Abb. 3: Carl Wurzinger, Gemälde, Kaiser Ferdinand II. weist am 11. Juni 1619 die Deputation der aufständischen Protestanten zurück, 1856, Heliogravüre nach dem Gemälde (Quelle/Foto: ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung).

nicht zuletzt auch deshalb, da für viele Persönlichkeiten der politischen und militärischen Geschichte keine brauchbaren bildlichen Traditionen vorlagen, auf die man zurückgreifen hätte können. Grundsätzlich, und dies wäre eine erweiterte Fragestellung, müsste auch danach gefragt werden, ob es im Sinne der vernetzten und hochentwickelten druckgrafischen Produktion Europas im 19. Jahrhundert überhaupt zulässig ist, von einer genuin habsburgischen Bildkultur zu sprechen, da etwa in die Geschichtswerke der österreichischen Monarchie natürlich auch Reproduktionen nach bekannten deutschen Gemälden Eingang fanden. Es existieren somit nur wenige Fälle, anhand derer deutlich gemacht werden kann, dass es spezifisch habsburgische Themenfelder mit eigenen Argumentationsmodellen gab. Wie bereits erwähnt, wurden hinsichtlich der Aktualisierung geschichtlicher Themenkreise in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts naturgemäß jene Sujets weniger häufig aufgegriffen, bei denen Grund zur Annahme bestehen musste, dass sie aufgrund der ihnen innewohnenden Brisanz innerhalb des Völkerverbands der Monarchie Probleme oder gar Konflikte hervorrufen könnten. Eine interessante Ausnahmerolle spielt hier Carl Wurzingers (1817–1883) im Jahr 1850 begonnenes und 1856 vollendetes Gemälde „Kaiser Ferdinand II. weist am 11. Juni 1619 die Deputation der aufständischen Protestanten

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zurück“26. Bestimmendes Element im Rahmen dieser „habsburgischen Programmmalerei des Neoabsolutismus“27 ist die Visualisierung der angeblichen Tugenden des Kaisers. Dazu zählen die Abwehr der Freiheit fordernden Untertanen (und deren Bestreben nach der Gewährung der Religionsfreiheit gewährleistenden Akten), das Bekenntnis zur katholischen Kirche (ein Jahr nach dem Abschluss des Konkordats mit dem Heiligen Stuhl durch Kaiser Franz Joseph) sowie die entscheidende Funktion des Militärs über die Personen im Hintergrund des Bildes28. Es sind dies allesamt höchst kennzeichnende Faktoren, denen offensichtlich die Aufgabe zugedacht war, einen direkten Bezug zwischen der frühneuzeitlichen Historie einerseits und der politischen Gegenwart der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts andererseits herzustellen. Nicht ohne Grund spielte also dieses Gemälde, ein „politisches Programmwerk“29 ersten Ranges, das mit Hilfe der Geschichte des Erzhauses „Parallelen zur Situation des jungen Kaisers Franz Joseph“30 vor Augen führen sollte, im weiteren Verlauf der österreichischen Kunstpolitik des 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle, wie im Folgenden anhand der reichen Quellenlage kurz ausgeführt werden soll. In einem Allerunterthänigsten Vortrag des Oberstkämmerers Karl Graf LanckoronskiBrzezie (1799–1863) vom 2. Mai 185731 betreffend den Erwerb dieses Werkes, in dem das Gesuch des Malers um den Ankauf des Bildes (um den stolzen Preis von 15.000 fl.) ein wichtiges Thema darstellt, wird die Leistung dieses vaterländischen Künstlers besonders hervorgehoben. Ein Vorzug des vaterländischen Gemäldes bestehe – dem Oberstkämmerer zufolge – auch in der Person des Malers Wurzinger selbst, der es sich zur Aufgabe machte, der vaterländischen Kunst im Auslande neuen Aufschwung zu geben. Da der genannte Betrag die üblichen Mittel der Gemälde-Gallerie-Dotation überstieg, erfolgte der Vorschlag um einen Ankauf aus der extraordinären Geschenkedotation, aus welcher der Kaiser schließlich den Erwerb am 6. Mai 1857 zur genannten Summe genehmigte. Die Relevanz dieses Gemäldes wird auch daran sichtbar, dass Unterrichtsminister Leo von Thun-Hohenstein (1811–1888) in einem Schreiben vom 11. Juli 185732 vorschlug, das Bild, welches an Farbe und Gesammtwirkung den berühmtesten belgischen Gemählden der Neuzeit nicht nachsteht, in der Brüsseler Kunstausstellung dieses Jahres zu zeigen – auch um demonstrieren zu können, daß auch Allerhöchstderselbe [scil. der Kaiser, W.T.] a. h. seine Aufmerksamkeit der Pflege der historischen Kunst zuzuwenden geruht, […]. Gegen den Einwand 26  Die Heliogravüre nach Wurzingers Gemälde (ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung, Pf 16301:E[2]) wurde publiziert in: An Ehren und Siegen reich (wie Anm. 6) 170–171; vgl. Telesko, Geschichtsraum (wie Anm. 3) 236. Der originale Titel des Gemäldes lautete: „Ferdinand II. weist die unter der Führung Andres Thonrädel’s bis in das Vorgemach des Kaisers andringenden protestantischen Bürger von Wien mit ihrem Begehren um Unterzeichnung der die Religionsfreiheit gewährleistenden Acte zurück, nachdem ein unerwartet aus Krems angelangter Trupp Kürassiere von Dampiere’s Regimente unter Commando des Arsenalhauptmannes Sainthiller im Burghofe einrückte (11. Juni 1619). Dieses ehemals im Kunsthistorischen Museum Wien (Gemäldegalerie Inv.-Nr. 1508) befindliche Werk ist dort bis ca. 1920/1923 nachweisbar, vgl. Inventarium der k. k. Gemäldegalerie im Belvedere von 1870 (HHStA, Akten des OKäA, Ser. D 42, 207, Nr. 303]; zum Gemälde: Walter Krause, Die bildenden Künste, in: Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs, 1. Teil: Von der Revolution zur Gründerzeit 1848–1880/Beiträge (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums N. F. 147, Wien 1984) 443–454, hier 449; Werner Telesko, Kulturraum Österreich. Die Identität der Regionen in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts (Wien–Köln–Weimar 2008) 53. 27  Krause, Künste (wie Anm. 26) 449 (mit Abb.). 28  Ebd.; Zeitalter Kaiser Franz Josephs (wie Anm. 26) Katalogband, 536, Nr. 32.20. 29 Eckart Vancsa, Aspekte der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts in Wien (Diss. Wien 1973) 96. 30  Zeitalter Kaiser Franz Josephs (wie Anm. 26) Katalogband, 536. 31  HHStA, OKäA, Ser. B, r. 44, Nr. 1072 ex 1857. 32  Ebd. Nr. 1571 ex 1857.



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des Oberstkämmereramtes vom 16. Juli 185733, dass aufgrund der Größe des Gemäldes eine Leihe unverantwortlich sei, antwortete Thun-Hohenstein am 21. Juli 1857 dem Oberstkämmerer, dass gerade die Präsenz der berühmten belgischen Historienbilder von Louis Gallait (1810–1887) und Edouard de Bièfve (1808–1882) in ganz Europa zu deren Ruhm nicht unwesentlich beigetragen habe, und daß demnach die oesterreichische Kunst aber offenbar verurtheilt wäre, gegen jene der anderen Länder in der allgemeinen Anerkennung bleibend zurück zu stehen, wenn die oesterreichische Regierung sich nicht entschließen könnte, mit gleicher Liberalität vorzugehen, […]34. Dieser Argumentation schloss sich das Kultusministerium allerdings nicht an. Hingegen war eine Leihe dieses Gemäldes nach Prag zu einer Ausstellung der 1796 gegründeten „Gesellschaft patriotischer Kunstfreunde“ (ab 1835 „Kunstverein für Böhmen“) im Jahr 1858 erfolgreich,35 ebenso wie jene zur allgemeinen und historischen deutschen Kunstausstellung in München im Jahr 1858, in der das Werk Wurzingers unter anderem neben Johann Peter Kraffts (1780–1856) berühmtem „Ausfall des Grafen Niklas Zríny bei der Verteidigung der Festung Szigeth gegen die Türken am 7. September 1566“ (1825) gezeigt wurde36. Wurzingers Gemälde scheint in der Folge auch bei der Londoner Weltausstellung des Jahres 1862 in der Leihliste auf, die von Erasmus von Engerth (1796–1871) und Rudolf Eitelberger (1817–1885) am 30. Oktober 1861 erstellt und vom Kaiser genehmigt wurde.37 Gänzlich offenbar aber wird die höchst sensible kunstpolitische Stellung von Wurzingers Historienbild, wenn man die Ablehnung des Ansuchens des Wiener Kunsthändlers Leopold Theodor Neumann (1804–1876) um eine lithographische Wiedergabe des Bildes im Jahr 1857 unter Hinweis auf eine polizeiliche Einschätzung38 bedenkt: Darin war unter anderem die Rede, dass das Publikum, welches das Gemälde im Belvedere betrachte, ein ganz anderes sei als die in den Strassen Wien’s sich bewegende Menge, welche theilweise andere Anschauungsweisen in sich trägt, […]. Interessanterweise erfreute sich gerade dieses heikle Thema der Zurückweisung der protestantischen Deputation durch Kaiser Ferdinand II. vom Vormärz bis in die Spätzeit der Monarchie einer besonderen Beliebtheit. Teil der ungewöhnlichen Konjunktur dieses Themas ist auch ein Gemälde Siegmund L’Allemands (1840–1910) mit dem Titel  Ebd.   Ebd. Nr. 1629 ex 1857. Im Original z. T. unterstrichen; Schreiben des Unterstaatssekretärs des Kultusministeriums vom 31. Juli 1857 (ebd. ad Nr. 1628). 35   HHStA, OKäA, Ser. B, r. 44, Nr. 192 (Stellungnahme des Oberstkämmereramtes vom 16. Februar 1858). Zur Tätigkeit dieses wichtigen Vereins: Vít Vlnas–Tomáš Sekyrka, Bildhauerei auf den Ausstellungen der Gesellschaft patriotischer Kunstfreunde in den Jahren 1821–1875. Bulletin of the National Gallery in Prague 12/13 (2002/2003) 51–63. 36  HHStA, OKäA, Ser. B, r. 44, Nr. 925 ex 1858 (Oberstkämmereramt vom 9. Mai 1858); zu Kraffts Gemälde: Marianne Frodl-Schneemann, Johann Peter Krafft 1780–1856. Monographie und Verzeichnis der Gemälde (Wien 1984) 70, 155, Nr. 143, Abb. 17. Die monumentale Version befindet sich im Szépművészeti Múzeum in Budapest (Inv.-Nr. 137), derzeit ausgestellt in der Ungarischen Nationalgalerie in Budapest. 37  HHStA, OKäA Ser. B, r. 44, Nr. 1964 (Vorschlag Erasmus von Engerths und Rudolf Eitelbergers) ex 1861, Nr. 2003 (A. u. Vortrag des Oberstkämmerers vom 11. November 1861 mit kaiserlicher Genehmigung vom 19. November 1861), ebd. r. 44, Nr. 266 ex 1862 (Erwähnung im Rahmen eines Dekrets des Oberstkämmereramtes zur Durchführung der Londoner Weltausstellung an die k. k. Gemäldegalerie-Direktion vom 27. Februar 1862). Aus einem Schreiben des Galeriedirektors Erasmus von Engerth vom 12. März 1862 an das Oberstkämmereramt (ebd. r. 44, Nr. 342 ex 1862) geht hervor, dass Wurzingers Gemälde mit Abstand die höchste Versicherungssumme beanspruchte. 38  HHStA, OKäA, Ser. B, r. 44, Nr. 2009 ex 1857 (Präsidium der k. k. obersten Polizeibehörde an das Oberstkämmereramt vom 9. August 1857). 33 34

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„Einzug der Dampierre’schen Kürassiere“39 von 1885 im Konferenzzimmer des Appartements Kaiser Franz Josephs im Reichskanzleitrakt der Wiener Hofburg, wobei die herausgehobene Positionierung dieses Werkes in der Stadtresidenz ruhig auch programmatisch verstanden werden kann. Nicht zuletzt findet sich ein markanter Akzent auf diesem geschichtlichen Ereignis in der Werkauswahl der umfangreich bebilderten habsburgischen Geschichtskompendien des frühen 20. Jahrhunderts wie beispielsweise in „An Ehren und an Siegen reich – Bilder aus Österreichs Geschichte“40.

4. Der Dreißigjährige Krieg in den historischen Kompendien der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Gerade in diesen illustrierten historischen Überblickswerken zeigt sich aber zugleich, dass zwar prominente österreichische Künstler wie Josef Mat[t]hias von Trenkwald (1824–1897) an den Entwürfen beteiligt waren, die übergreifende inhaltliche Konzeption aber letztlich in anderen Händen lag. Die Rede ist von den Holzstichillustrationen zur Publikation „Die deutsche Geschichte in Bildern nach Originalzeichnungen deutscher Künstler“ mit erklärenden Texten von Friedrich Bülau (1805–1859), Heinrich Bernhard Christian Brandes (1819–1884) und Theodor Flathe (1827–1900), die 1862 in Dresden in drei Bänden erschien41. Hier stehen die großen Linien der militärischen Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges im Zentrum des Interesses, die sich mit Szenen untergeordneter, zum Teil genreartiger Ausrichtung zu einer nicht näher definierten und auch im Werk selbst nicht reflektierten Abfolge vermengen. Um eine gewisse Variation in der Abfolge der xylografischen Illustrationen erreichen zu können, ist die entsprechende Auswahl wohl auch so zu verstehen, dass die einzelnen Ereignisse nicht nur nach ihrer historischen Bedeutung ausgewählt wurden, sondern auch bestimmte prominente Geschehenstypen für Abwechslung sorgen sollten: Einzüge, Landungen, Todesszenen, Gefechte etc. bilden dergestalt eine für das 19. Jahrhundert charakteristische Bildgeschichte sui generis, wobei Protagonisten wie Gustav Adolf, Wallenstein und Tilly durchwegs als zentrale Akteure in der gesamten Bandbreite möglicher Themenstellungen fungieren. Dies trifft etwa auch auf die Gemäldeproduktion zu, wenn der Österreicher Julius von Blaas (1845–1923) die „Flucht Wallensteins“42 als nächtliches Schauerdrama umsetzte, das ganz der visuellen Inszenierung des Mythos Wallenstein geschuldet ist. Eine Sonderstellung nimmt in Bülaus Kompendium die „Erstürmung der Schanze über die Donaubrücke durch Torstenson“ ein, welche die schwedischen Akteure in das Geschehen einbezieht43: Nach der verheerenden Niederlage der Kaiserlichen bei Jankau/Jankov am 5. März 1645 fiel der schwedische Feldherr Lennart Torstensson (1603–1651) mit seinem etwa 16.000 Mann starken Heer in Niederösterreich ein und eroberte Krems und Stein. Am 9. April 1645 drangen die Schweden sogar bis nach Wien vor und eroberten die sog. Wolfschanze, die zuvor durch die kaiserlichen Truppen geräumt worden war.   Telesko, Kulturraum (wie Anm. 26) 56; ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung, 36717-C.   Wien 1908, vgl. Telesko, Geschichtsraum (wie Anm. 3) 236. 41   Friedrich Bülau (1805–1859) und Heinrich Theodor Flathe (1827–1900) gelten als Protagonisten der zeitgenössischen sächsischen Landesgeschichte (freundliche Mitteilung von Katrin Keller, Wien). 42  ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung, D 6901-B. 43  Holzstich vor S. 181 im Band 2 dieser Publikation. Zu den Ereignissen siehe die Beiträge von Thomas Winkelbauer und Arthur Stögmann in diesem Band. 39 40



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Abb. 4: Erstürmung der Schanze über die Donaubrücke durch Torstenson, aus: Die deutsche Geschichte in Bildern nach Originalzeichnungen deutscher Künstler mit erklärenden Texten von Friedrich Bülau, Heinrich Bernhard Christian Brandes und Theodor Flathe, Dresden 1862, Bd. 2, Holzstich vor S. 181 (Quelle/Foto: ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung).

Der Publikation von Bülau, Brandes und Flathe ist von habsburgischer Seite kein vergleichbares Werk an die Seite gestellt worden, sondern signifikanterweise ein explizit militärhistorisches: In den Jahren zwischen 1861 und 1864 arbeitete der österreichische Militärhistoriker Quirin von Leitner (1834–1893) an seinem Bilderwerk „Gedenkblätter aus der Geschichte des k. k. Heeres vom Beginn des dreißigjährigen Krieges bis auf unsere Tage“, das 42 Lithographien nach Originalzeichnungen enthält und in Wien 1868 verlegt wurde44. Diese Publikation steht ganz im Zeichen der Wiedergabe unterschiedlicher Kategorien militärischer Heldenleistungen – gleichsam als Ruhmesgeschichte anhand von herausragenden Taten kaiserlicher Feldherren, die nicht zuletzt auf die aktuelle Stärke der Habsburgerarmee hinweisen sollten. Parallel zu Konzeption und Ausstattung der „Ruhmeshalle“ im Wiener Arsenal erschien diese Serie von Lithografien zu einem Zeitpunkt, als die militärische Erinnerungskultur der Habsburgermonarchie am Vorabend der Schlacht von Königgrätz/Hradec Králové an einem Höhepunkt angelangt war. Leitner wählte für den Dreißigjährigen Krieg die erwähnte Rettung Ferdinands II. durch die Dampierre’schen Kürassiere (1619)45, die kaum bekannte Niederlage Mansfelds gegen Buquoy bei Sablat/Zá-

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 Vgl. Telesko, Geschichtsraum (wie Anm. 3) 414.  Quirin Leitner, Notizen zu den Gedenkblättern aus der Geschichte des k. k. Heeres (Wien 1868) 1–5.

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Abb. 5: Quirin von Leitner, Gedenkblätter aus der Geschichte des k. k. Heeres vom Beginn des dreißigjährigen Krieges bis auf unsere Tage (Wien 1868), Niederlage Mansfelds gegen Buquoy bei Záblat (10. Juni 1619), Lithografie von Alois Greil nach einer Zeichnung von Franz Gaul (Quelle/Foto: ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung).

blat (10. Juni 1619)46, Tillys Sieg bei Lutter am Barenberge (1626)47, dessen Sieg über die Schweden bei Bamberg (1632)48, Pappenheims Tod in der Schlacht von Lützen (1632)49, Wallensteins Sieg bei Steinau über die Schweden (1633)50, den kaiserlichen Sieg über die Schweden bei Nördlingen (1634)51 sowie die Niederlage des französisch-weimarischen Heeres bei Tuttlingen (1643)52. Bei Betrachtung dieser Auswahl fällt auf, dass es dabei vor allem um Taten der in der „Feldherrenhalle“ des Arsenals in Form von ganzfigurigen Skulpturen vertretenen Militärs ging. Nicht ohne Grund sollte man sich auch bei der erst 1872 durch Carl von Blaas vollendeten malerischen Ausstattung der „Ruhmeshalle“ im Arsenal mit der in einer Lünette des Mittelsaals wiedergegebenen Schlacht von Nördlingen (1634) auf einen höchst prominenten habsburgischen Sieg im Dreißigjährigen Krieg beziehen53, wobei bereits die berühmte Version von Peter Paul Rubens (1577–1640) aus dem Jahr 163554 den Fokus auf die beiden Protagonisten des Erzhauses gelegt hatte. 46   Ebd.; 5f., vgl. ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung, Pk 2598, 6. Dieses Thema wurde auch in der „Ruhmeshalle“ des Wiener Arsenal wiedergegeben, vgl. hier das entsprechende Gemälde von Carl von Blaas im Wiener Belvedere (Inv.-Nr. 2607) aus dem Jahr 1866: Aus Österreichs Vergangenheit. Entwürfe von Carl von Blaas (1815–1894), Österreichische Galerie Wien, Ausstellungskatalog Schloss Halbturn, 1991 (Wien 1991) o. S., Nr. 14. 47  Leitner, Notizen (wie Anm. 45) 7–16. 48  Ebd. 17–20. 49  Ebd. 21–33. 50  Ebd. 34–36. 51  Ebd. 37–43. 52  Ebd. 44–49. 53  Telesko, Geschichtsraum (wie Anm. 3) 408. 54  Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie, Inv.-Nr. 525.



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5. Die genreartige Historie als Kult des scheinbar Nebensächlichen Blickt man auf die besser erforschte Rezeption des Dreißigjährigen Krieges im Zweiten Deutschen Kaiserreich, so wird rasch deutlich, dass dort zu den bisher angesprochenen Fragen ein weiteres Phänomen tritt: Aus den Ereignissen des Krieges lassen sich kaum beispielhafte Imperative ableiten, die für eine überzeitliche Perspektive der Historienmalerei zu verwerten gewesen wären. Gerade aus diesem Grund sind zahlreiche Darstellungen, die dem Charakter der genreartigen Historie entsprechen, anzutreffen – nebensächliche Szenen, die, mit deutlich anekdotischem Charakter versehen, scheinbar private, aber umso reizvollere Einblicke in die Befindlichkeiten der Protagonisten geben sollten. Eine kolorierte Mezzotinto-Radierung von Max Schwindt (tätig um 1850–1867) nach einem Gemälde von Georg Conräder (1838–1911) aus dem Jahr 1859, „Tilly am Vorabend der Schlacht bei Leipzig den 6. September 1631 im Haus des Totengräbers einquartiert“ (unterhalb der Darstellung bezeichnet mit „Becker Berlin 1867“)55, sollte unter diesem Aspekt den Memento mori-Aspekt angesichts der für Tilly katastrophalen Schlacht bei Breitenfeld (1631) verdeutlichen. Positiv gewendet wird dies in Wilhelm Trübners (1851– 1917) Gemälde von 1882, „Tilly reitet während der Schlacht bei Wimpfen (1622) in die Dominikanerkirche, um für den glücklichen Ausgang der Schlacht den Segen des Himmels zu erbitten“56, zum Bildgegenstand gemacht. Hier ist der Handlungskern, der – wie in manchen anderen Fällen – bereits im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts bildwürdig gewesen war57, mit einer Propagierung des katholisch-eucharistischen Aspekts verbunden. Überhaupt kann Tilly neben Wallenstein als wohl schillerndste Figur in der Rezeption des Dreißigjährigen Krieges bezeichnet werden: Selbst in genremäßig aufgeladenen Darstellungen wie in einem Farblichtdruck des Berliners Adolph Otto Troitzsch (1843–1907) nach Pius Ferdinand Messerschmitts (1858–1915) Gemälde wurde als Bildtitel „Tillys Verwundung“ (in der Schlacht von Rain am Lech, 1632)58 gewählt, um den Attraktionsgrad der figurenreichen Kriegsszene mittels der Nennung des Namens dieses Protagonisten entsprechend erhöhen zu können.

55  Hamburg, Kunsthalle, Inv.-Nr. 26816. Das diesbezügliche Gemälde befand sich ehemals in der Hamburger Kunsthalle (1921 an die Hamburger Kunsthandlung Commeter verkauft [freundliche Mitteilung von Markus Bertsch, Hamburg]). 56   Heidelberg, Kurpfälzisches Museum, Inv.-Nr. G 2534; vgl. Wilhelm Trübner 1851–1971, red. von Jörn Bahns, Ausstellungskatalog Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg/Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München (Heidelberg 1995) 176–177. Ein Entwurf Trübners (1882) ist in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe (Inv.-Nr. 1645) überliefert, vgl. Jan Lauts–Werner Zimmermann, Katalog Neuere Meister 19. und 20. Jahrhundert, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Karlsruhe 1971) 278, Nr. 1645, Bildband (Karlsruhe 1972) 481, Nr. 1645; Hager, Geschichte (wie Anm. 4) 267, Abb. 83. 57   Dominikanerkirche Bad Wimpfen, Gemälde mit der Anbetung des Mariengnadenbildes durch Tilly (18. Jahrhundert), vgl. Georg Schaefer, Kunstdenkmäler im Großherzogtum Hessen. Inventarisirung [sic!] und beschreibende Darstellung der Werke der Architektur, Plastik, Malerei und des Kunstgewerbes bis zum Schluss des XVIII. Jahrhunderts, A. Provinz Starkenburg, ehemaliger Kreis Wimpfen (Kunstdenkmäler im Großherzogtum Hessen, Darmstadt 1898) 103 (ohne Datierung des Gemäldes); Fritz Arens–Reinhold Bührlen, Die Kunstdenkmäler in Wimpfen am Neckar (Mainz 1954) 86 (mit einer Datierung des Gemäldes in das 18. Jahrhundert). 58   ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung, Pk 271, 28 (Farblichtdruck von Otto Troitzsch [Berlin] nach Pius Ferdinand Messerschmitt).

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Abb. 6: Otto Troitzsch nach Pius Ferdinand Messerschmitt, Tillys Verwundung (in der Schlacht von Rain am Lech, 1632), Farblichtdruck (Quelle/Foto: ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung).

6. Die Sakralisierung der Historie Um diesem Kult des Interessanten, letztlich aber historisch Nebensächlichen, zu entgehen, griff man bei Visualisierungen des Dreißigjährigen Krieges fallweise zum Kunstgriff der Integration der Darstellung in verbreiteten religiösen Bildtypen wie dem Triptychon. Das „Triptychon als Pathosformel“, wie dies Klaus Lankheit im Jahr 1959 in einer meisterhaften Studie definierte59, war auch das kongeniale Format, um säkularisierte Beweinungsbilder effektvoll in Szene setzen zu können. Ernst Albert Fischer-Cörlins (1853–1932) Triptychon von 1906 zeigt die Aufbahrung des Schwedenkönigs Gustav II. Adolf im Gasthof „Zum Roten Hirsch“ in Eilenburg am 26. November 163260 nach dessen Tod in der Schlacht bei Lützen am 16. November 1632 ganz in der Tradition der Beweinung Christi und greift damit ein seit dem späten 18. Jahrhundert in der europäischen Historienmalerei überaus geläufiges Muster61 auf. Auch die österreichische Malerei konnte und wollte sich nicht mythisierenden Interpretationen entziehen, wenn man etwa an Hans Makarts (1840–1884) Frühwerk „Pappenheims Tod, Tilly bei Mondschein, über das Schlachtfeld

59 Klaus Lankheit, Das Triptychon als Pathosformel (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 4, Heidelberg 1959); Günter Metken, Pathosformel in dreifacher Ausfertigung. Von der Wiederkehr des Triptychons in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Münster 47/2 (1994) 135–144. 60  Eilenburg, Stadtmuseum. 61  Grundlegend: Werner Busch, Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne (München 1993) 36–137.



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Abb. 7: Carl Theodor von Piloty, Der Astrologe Seni an der Leiche Wallensteins (1855), Stich von Friedrich Vogel nach dem Gemälde (Quelle/Foto: ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung).

von Lützen reitend, findet den verwundeten Pappenheim“ (1861/62)62 denkt, das, historisch reichlich ungenau, den bereits Ende April 1632 verstorbenen Tilly mit Pappenheim in Lützen zusammentreffen lässt. Offensichtlich ging es Makart hier nicht um historische Korrektheit, sondern um das Aufrufen höchst wirkmächtiger Namen, die, in eigenartiger Natur- und Wetterszenerie eingefangen, eine bizarre Stimmung auf der Wahlstatt verbreiten sollten, wobei der Tod am Schlachtfeld in dieser Nachtstimmung gespiegelt erscheint. Makarts Werk zeigt zudem deutlich, dass in der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts als einer außerordentlich multipolar verfassten europäischen Kunstgattung übergreifende Trends existierten, denen Künstler verschiedenster Nationen – auch angesichts der Erfordernisse eines multinationalen Kunstmarkts – nacheiferten. Übernationale Rahmenbedingungen waren in der Regel wesentlich bestimmender als spezifisch regionale oder nationale Sichtweisen auf das jeweilige historische Ereignis. Der Maler war also viel stärker auf bestimmte Erwartungshaltungen des Marktes hin orientiert als ideologischer Exponent oder Gewährsmann eines bestimmten Staates oder einer Dynastie. Dies demons62   Salzburg, Salzburg Museum, Inv.-Nr. 1020–2012; vgl. Gerbert Frodl–Julia Stricker–Alexandra Hois, Hans Makart – Werkverzeichnis der Gemälde (Belvedere Werkverzeichnisse 3, Wien 2013) 59–60, Nr. 33.

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triert auch das wohl berühmteste Werk, das gemeinhin unmittelbar mit der malerischen Rezeption des Dreißigjährigen Krieges im 19. Jahrhundert verbunden wird – Carl Theodor von Pilotys (1826–1886) Gemälde „Der Astrologe Seni an der Leiche Wallensteins“63.

7. Wallenstein – Medialisierung und Popularisierung eines militärischen Heros Karl Nahl (1818–1878) hatte schon im Jahr 1842 sein Gemälde „Wallenstein und Seni“ vorgestellt, und das prominente Thema verarbeitete auch bereits Johann Hermann Kretschmer (1811–1890), dessen Auftragsarbeit des Magdeburger Kunstvereins 1838 in Kassel zu sehen gewesen war64. Das Thema Wallenstein und Seni sollte in den 1850er Jahren, als im Jahr 1855 zu Friedrich Schillers 50. Todestag und 1859 zu dessen 100. Geburtstag der Kult um den Dichter weitere Höhepunkte erreichte, noch andere Künstler begeistern. So ist auch der Bildtitel in Pilotys Version signifikant, kann doch letztlich bei ihm von zwei Protagonisten gesprochen werden – Seni und Wallenstein. Das berühmte und bereits im Jahr seiner Fertigstellung von König Ludwig I. von Bayern erworbene Gemälde steht – trotz des historischen Interesses seines Autors65 – nicht im Dienst einer Ruhmesoder Verklärungsgeschichte, sondern problematisiert im zeitbedingtem Spannungsfeld von peniblem Realismus und überzeitlichem Idealismus historische Größe und geschichtliches Verhängnis als grundlegende Kategorien der Historie schlechthin. Das Interesse am detaillierten Ablauf der Ereignisse der Ermordung des Generalissimus ist dabei deutlich zugunsten eines theatralisch aufgefassten Moments zurückgetreten. Damit ist auch ein rigider Bruch zu Darstellungen vollzogen, die – kurz nach der Ermordung Wallensteins – das Ereignis in Form eines Flugblatts wiedergeben. Dafür steht Matthäus Merians (1593–1650) bereits um 1634 entstandene und prowallensteinisch ausgerichtete Radierung mit dem Titel „Eigentliche Vorbildung und Gericht, welcher Gestalt der keyserliche General, Hertzog von Friedland, beneben etlich / anderen Obristen und Officireren zu Eger hingerichtet worden, den 15. Febr: 1634“66 beispielhaft. Die detaillierte Bildgeschichte, die Merian noch als konsekutives Mehrfeldbild mit der Präsenz vieler gleichberechtigter Akteure umsetzte, wich bei Piloty dem Blickpunkt eines fast weihevollen Stillstehens vor der Macht der Geschichte, deren menschliche Tragik sich in allegorischer Weise in der bekrönenden, sich aber zugleich schicksalshaft abwendenden Figur der Fortuna an der Spitze des Leuchters am Tisch, der mit Büchern, Urkunden und einem Globus dekoriert ist, spiegelt. 63  ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung, 3003, 541 (Stich von Friedrich Vogel nach Pilotys Gemälde [München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Inv.-Nr. WAF 770]); vgl. Hager, Geschichte (wie Anm. 4) 243–244, Abb. 54; Michael Bringmann, Tod und Verklärung. Zum Dilemma realistischer Historienmalerei am Beispiel von Pilotys „Seni vor der Leiche Wallensteins“, in: Historienmalerei in Europa. Paradigmen in Form, Funktion und Ideologie, hg. von Ekkehard Mai–Anke Repp-Eckert (Mainz 1990) 229–251; Großer Auftritt. Piloty und die Historienmalerei, Ausstellungskatalog München, Neue Pinakothek, 2003, hg. von Reinhold Baumstark–Frank Büttner (Köln 2003) 163–179, Nr. 5. 64  Müller, Der Dreißigjährige Krieg (wie Anm. 11) 659. 65  Bringmann, Tod und Verklärung (wie Anm. 63) 240. 66 ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung, Pk 3001, 1330 (Textteil abgeschnitten), vgl. Silvia Serena Tschopp, Albrecht von Wallensteins Ende im Spiegel der zeitgenössischen Flugblattpublizistik. ZHF 24 (1997) 25–51, hier 34f., Nr. 6; zusammenfassend: Hans Medick, Wallensteins Tod. Auf den medialen Schlachtfeldern des Dreißigjährigen Krieges. Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit 37/1–2 (2008) 111–130, hier 120.



Die Habsburgermonarchie und der Dreißigjährige Krieg 413

Abb. 8: Matthäus Merian d. Ä., Eigentliche Vorbildung und Gericht, welcher Gestalt der keyserliche General, Hertzog von Friedland, beneben etlich / anderen Obristen und Officireren zu Eger hingerichtet worden, den 15. Febr: 1634, Radierung, um 1634 (Quelle/Foto: ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung).

Pilotys Gemälde markiert zugleich den Übergang zu neuen Rezeptionsformen, denn es steht außer Zweifel, dass seine den Dreißigjährigen Krieg thematisierenden Gemälde den aus Vaduz stammenden Komponisten Josef Gabriel Rheinberger (1839–1901) zu dessen Werk „Wallenstein. Sinfonisches Tongemälde“ (op. 10) anregten67. Diese Sinfonie gehörte in den beiden Jahrzehnten nach ihrer Uraufführung 1866 zu den meistgespielten neuen Sinfonien und bezieht sich in ihren vier Sätzen (Vorspiel, Thekla, Wallensteins Lager und Wallensteins Tod) deutlich auf Schillers Trilogie. Bereits zuvor hatte Bedřich Smetana (1824–1884) mit „Wallensteins Lager“ 1859 eine sinfonische Dichtung nach Schiller komponiert. In diese offensichtliche Konjunktur der Beschäftigung mit Wallenstein in der Musik gehören auch Louis Schlottmanns (1826–1905) „Ouvertüre zu Schillers Wallenstein“ (1869) sowie Vincent d’Indys (1851–1931) „Wallenstein. Trilogie d’après de poème dramatique de Schiller“ (1873–1881) mit den Abschnitten „Le camp de Wallenstein“, „Max et Thécla“ und „La mort de Wallenstein“ sowie Jaromír Weinbergers (1896–1967) Oper „Wallenstein“ (1937). Einen vorläufigen Schlusspunkt setzte Richard Strauss (1864–1949) 1938 mit seiner im Jahr 1648 spielenden Oper in einem Aufzug „Friedenstag“ (op. 81)68. 67 Jörg Krämer, Klassikerkult. Wallenstein in der Musik, in: Emich–Niefanger–Sauerer–Seiderer, Wallenstein (wie Anm. 18) 348–381, hier 368f. 68  Freundlicher Hinweis von Stefan Schmidl, Wien.

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Die ab dem späten 19. Jahrhundert in allen Medien verbreiteten und hauptsächlich genrehaft aufbereiteten Motive wie Wallensteins Lager zeigen zugleich, dass die Popularisierungen des Andenkens an den Dreißigjährigen Krieg zugleich dessen Entpolitisierung beförderten. Kevin Cramers These von der wirkmächtigen politischen Signifikanz der Memoria an den Krieg im deutschen 19. Jahrhundert, wie er sie in seinem Werk „The Thirty Years’ War and German Memory in the Nineteenth Century“ (2007) vehement vor allem im Sinne einer Identitätsstiftung des protestantischen Nationalismus sowie eines militärisch-politischen Konflikts, „that created the foundations of the modern German nation“69, interpretiert, erfährt somit aus dem Blickwinkel einer Untersuchung der populärkulturellen Produktion keine Unterstützung: Wallenstein war ab dem späten 19. Jahrhundert in vieler Hinsicht kein Thema der militärischen Ruhmesgeschichte mehr, sondern des Spektakels der Fasnacht und der Eventkultur70.

8. Fazit Der Dreißigjährige Krieg aus der Perspektive der bildenden Kunst in der Habsburgermonarchie des 19. Jahrhunderts war aus unterschiedlichen Gründen bis jetzt kaum ein Gegenstand der Forschung. Dies hat auch damit zu tun, dass dieser Krieg als ein äußerst zersplittertes Ereignis, eigentlich eine aus mehrphasigen Sequenzen bestehende und an mehreren Orten ablaufende Kriegshandlung wenig geeignet war, positive Erinnerungsorte und attraktive Referenzmotive hervorzubringen. Trotzdem zeigt sich, besonders im Umfeld der großen plastischen und malerischen Ausstattungen der zweiten Jahrhunderthälfte (Wiener Arsenal), dass es seitens des Kaiserhauses durchaus Bestrebungen gab, diesen Krieg in die eigene Geschichtsreflexion zu integrieren. Aus den daraus resultierenden notwendigen Berührungspunkten mit der deutschen Produktion, die bereits vor 1871, dem Jahr der Reichsgründung, besonders in der Rezeption Gustav Adolfs und Wallensteins eine Konjunktur erlebte, ergeben sich interessante künstlerische und thematische Spannungsmomente, die hier anhand ausgewählter Beispiele nachgezeichnet wurden. Die Kunstproduktion der Habsburgermonarchie war allerdings – angesichts des beträchtlichen und ständig steigenden Konfliktpotentials einer multiethnischen „composite monarchy“ – weder interessiert noch imstande, die sensiblen konfessionellen und historischen Fragen der Vergangenheit auf breiter Front zu aktualisieren. Eine ungehemmte Medialisierung dieser Themenkreise im Verlauf des 19. Jahrhunderts hätte die massiven (kultur-) politischen Bruchlinien der Gegenwart ohne Zweifel neu befeuert.

  Cramer, The Thirty Years’ War (wie Anm. 18) 217.   Zusammenfassend zum Nachleben Wallensteins: Robert Rebitsch, Wallenstein – ein Mythos, in: Hinter den Kulissen. Beiträge zur historischen Mythenforschung, hg. von Claus Oberhauser–Wolfgang Knapp (Innsbruck 2012) 53–69, hier 67–68. 69 70



Der Westfälische Friede als Grundlage von Völkerfrieden und Völkerrecht: Frühneuzeitliche Wurzeln und Entwicklung einer Vorstellung Christoph Kampmann

Der Westfälische Friede1 gehört heute zweifellos zu den berühmtesten Friedensverträgen der Geschichte und ist auf jeden Fall der bekannteste frühneuzeitliche Friedensschluss2. Dies gilt nicht nur für den deutschsprachigen Raum, sondern auch im gesamteuropäischen, ja, in gewisser Weise auch im globalen Rahmen. Dass dem Westfälischen Friede solch herausragende Bedeutung zugesprochen, er sogar als „probably the most important treaty of the [2nd] millenium“ gepriesen wurde3, liegt wesentlich an der international einflussreichen Denkvorstellung des „Westfälischen Systems“. Ihr zufolge markierte der Westfälische Friede eine tiefgehende Zäsur in der Geschichte des internationalen Staatensystems. Seit dem Friedensschluss von 1648 seien die Staatenbeziehungen von den fundamentalen Prinzipien der Souveränität und der Egalität der Völkerrechtssubjekte geprägt worden, die keine übergeordnete Gewalt mehr in politischer oder religiöser Hinsicht akzeptiert hätten. Mit der Entstehung des Westfälischen Friedens sei das staatliche Mit- und Gegeneinander von den Grundsätzen der Nicht-Intervention und Gleichberechtigung, aber auch von der erbitterten Konkurrenz der Staaten um ökonomischen Einfluss und territorialen, auch kolonialen Besitz geprägt worden, die mit allen Mitteln, als ultima ratio auch mit militärischen ausgetragen worden sei. In dieser Hinsicht sei der Westfälische Friede daher – so die charakteristische, in zahllosen Variationen immer wieder anzutreffende Formulierung einer einschlägigen politikwissenschaftlichen Überblicksdarstellung – als „normative structure or constitution of the modern world order“4 zu betrachten. 1  Unter der Bezeichnung „Westfälischer Friede“ werden in der Regel zwei zusammenhängende, aber rechtlich getrennte Verträge verstanden, der kaiserlich-französische Vertrag („Instrumentum Pacis Monasteriensis“/ IPM) und der kaiserlich-schwedische Vertrag („Instrumentum Pacis Osnabrugensis“/IPO), die beide am 24. Oktober 1648 unterzeichnet worden sind. Der Westfälische Friede wird in der Regel vom Frieden von Münster zwischen den Generalstaaten und Spanien unterschieden (abgeschlossen im Jänner 1648, beschworen im Mai 1648). Letzterer, der die Niederländische Unabhängigkeit verbriefte, wird normalerweise nicht als Teil des Westfälischen Friedens betrachtet. 2  Es gibt zahllose Bezüge auf den Westfälischen Frieden als „one of the most famous treaties in history“ in den tagesaktuellen Medien, siehe etwa Andreas Kluth, Lessons of the Westphalian Peace for the Middle East. Handelsblatt (8.10.2018); https://www.handelsblatt.com/today/politics/thirty-years-war-lessons-of-thewestphalian-peace-for-the-middle-east/23582982.html [2.3.2019]. 3  Vgl. Fareed Zakaria, Best Treaty. The Empire Strikes Out. New York Times (18. 4. 1999), https://www. nytimes.com/1999/04/18/magazine/best-treaty-the-empire-strikes-out.html [2.3.2019]. 4  So Anthony McGrew, Globalization and global politics, in: The Globalization of World Politics. An

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Gerade weil die Denkfigur des Westfälischen Systems in den vergangenen Jahrzehnten solch enormen Einfluss auf die Politik-, Völkerrechts- und Geschichtswissenschaft gewonnen hat5, setzte sich die einschlägige Forschung in jüngerer Zeit sehr kritisch damit auseinander. Dabei ist mit sehr überzeugenden Argumenten herausgearbeitet worden, wie historisch fragwürdig es ist, den Westfälischen Frieden zum Gründungsdokument eines sog. „Westfälischen Systems“ hochzustilisieren: Zunächst war der Westfälische Friede kein Friede mit universalem Geltungsanspruch, sondern war auf das Heilige Römische Reich deutscher Nation beschränkt; dort schuf er eine halbwegs stabile Sicherheitsordnung, während der Krieg im übrigen Europa, zum Teil im unmittelbaren territorialen Umfeld des Reichs, unvermindert weiterging. Darüber hinaus war der Westfälische Friede in keiner Weise „modern“ im oben skizzierten Sinne, also im Sinne von Souveränität und Gleichheit der Völkerrechtssubjekte, im Gegenteil, die Grenzen zwischen Innen und Außen waren in diesem Frieden gar nicht klar gezogen, viel weniger klar gezogen als in vielen Friedensverträgen zuvor. Der Haupteffekt des Westfälischen Friedens war es, die Fort­ existenz des römisch-deutschen Reichs zu sichern, auf das die modern-nationalstaatlichen Kategorien von Souveränität, Egalität und Nicht-Intervention bekanntlich in besonders geringem Maße anwendbar sind und bei dem die Frühneuzeitforschung (soweit zu sehen ist) nach wie vor keinen Konsens erzielt hat, ob es überhaupt ein „Staat“ genannt werden kann oder nicht6. Dies alles ist in der jüngeren Literatur – genannt seien unter anderen die Beiträge von Heinhard Steiger, Randall Lesaffer, Peter M. Stirk, Heinz Duchhardt oder Brendan Simms – sehr überzeugend ausgeführt worden7. In den folgenden Ausführungen soll es daher nicht darum gehen, den „Mythos“8 vom Westfälischen Frieden als Grundgesetz eines „Westfälischen Systems“ ein weiteres Mal zu dekonstruieren. Ziel ist vielmehr, danach zu fragen, wie es zu dieser Vorstellung vom Westfälischen Frieden als Grundverfassung von Völkerrecht und Staatensystem geIntroduction to international relations, hg. von John Baylis–Steve Smith–Patricia Owens (Oxford 32005) 14–31, hier 23. In dieser Weise auch schon Leo Gross in einem Artikel im American Journal of International Law 42 (1948), 20–41, hier 20, mit der Bezeichnung des Westfälischen Friedens als „the first great European or World charter“. 5  Peter M. Stirk, The Westphalian Model and Sovereign Equality. Review of International Studies 38 (2012) 641–660, hier 642f.; Heinz Duchhardt, Das „Westfälische System“. Realität und Mythos, in: Ders., Frieden im Europa der Vormoderne. Ausgewählte Aufsätze, hg. von Martin Espenhorst (Paderborn u. a. 2012) 150–159. Zur großen Popularität des „Westfälischen Systems“ über den Bereich der Wissenschaft hinaus in einer breiteren Öffentlichkeit bis hinein die Popmusikszene vgl. jetzt Towards a Westphalia for the Middle East, hg. von Patrick Milton–Michael Axworthy–Brendan Simms (London 2018) 12–17. 6 Peter Wilson, Still a Monstrosity? Some Reflections on Early Modern Statehood. Historical Journal 49 (2006) 565–576. 7 Heinhard Steiger, Der Westfälische Friede – Grundgesetz für Europa?, in: Der Westfälische Friede. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte, hg. von Heinz Duchhardt (München 1998) 33–80; Stirk, Model (wie Anm. 5) 644–647, unter Berücksichtigung der Prinzipien von Gleichheit und Souveränität; Heinz Duchhardt, Peace Treaties from Westphalia to the Revolutionary Era, in: Peace Treaties and International Law in European History. From the Late Middle Ages to World War One, hg. von Randall Lesaffer (Cambridge 2004) 45–58; Randall Lesaffer, Peace Treaties from Lodi to Westphalia, in: ebd., 9–44, hier 9–10; Brendan Simms, „A False Principle in the Law of Nations.“ Burke, State Sovereignty, [German] Liberty and Intervention in the Age of Westphalia, in: Humanitarian Intervention. A History, hg. von Brendan Simms–David J. B. Trim (Cambridge 2011) 89–110; Christoph Kampmann, Das „Westfälische System“, die Glorreiche Revolution und die Interventionsproblematik. HJb 131 (2011) 65–92. 8  Die Formulierung vom „Mythos“ des Westfälischen Friedens wurde – wenn ich richtig sehe – erstmals verwendet von Benno Teschke, The Myth of 1648. Class, Geopolitics and the Making of Modern International Relations (London–New York 2009).



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kommen ist, wie die entscheidenden Grundlagen dafür gelegt worden sind. Die Frage stellt sich gerade deshalb in dieser Deutlichkeit, weil der Westfälische Friede, der dem Dreißigjährigen Krieg ein Ende gesetzt hat, so gar nicht in das Muster eines Gründungsdokuments des modernen Staatensystems passt. Nach bisherigem Stand der Forschung entstand diese Vorstellung nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit den späten 1940er Jahren hätten sich die Stimmen (insbesondere in der Politik- und Völkerrechtswissenschaft) gemehrt, die den Westfälischen Frieden als die fundamentale Zäsur in der Geschichte des Staatensystems hin zu „moderner“ Souveränität und Egalität eingestuft hätten9. Als entscheidender Ideengeber gilt der in die Vereinigten Staaten emigrierte Völkerrechtswissenschaftler und Hans-Kelsen-Schüler Leo Gross (1903–1990), der entsprechende Vorstellungen vom Westfälischen Frieden als Grundverfassung des Völkerrechts in einem 1948 erstmals erschienenen Artikel entfaltet hat und Urheber der Konzeption vom „Westfälischen System“ avant la lettre geworden sei10. Eine genauere Analyse freilich zeigt jedoch, dass die Wurzeln dieser Vorstellung vom Westfälischen Frieden als Grundverfassung des Staatensystems weit älter sind. Die Basis dieser Vorstellung wurde – wie im Folgenden zu zeigen sein wird – in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelegt, also gut hundert Jahre nach Abschluss des Westfälischen Friedens. Dabei waren es politische Philosophen, Völkerrechtler, vor allem aber politischdiplomatische Praktiker, die zur Entstehung dieser Vorstellung beigetragen haben. Diese Entwicklung, die im Folgenden skizziert werden soll, ist auch in methodischer Hinsicht aufschlussreich, weil sie zeigt, dass solche Erinnerungskonzepte häufig im kontroversen politischen Dialog entstehen und dann erst von der Geschichtswissenschaft übernommen werden. Dies wird in den folgenden Darlegungen in zwei unterschiedlich gewichteten Schritten entfaltet: Zunächst wird ein kurzer Blick auf den Aufstieg des Westfälischen Friedens zur „Lex Fundamentalis Imperii“ zu werfen sein – ein Aufstieg, der sich sowohl in der politischen Sprache des Reichs selbst als auch in jener des Völkervertragsrechts vollzog. Ohne diesen Vorgang wäre die Entwicklung nicht zu verstehen, um die es im zweiten, entscheidenden Teil dieser Ausführungen geht, nämlich die Transformation dieser Vorstellung und der Aufstieg des Westfälischen Friedens zur „Grundconstitution“ des gesamtchristlichen bzw. gesamteuropäischen Staatensystems im 18. Jahrhundert.

9  Zuletzt nachdrücklich von Martin Hardsted, The Westphalian Peace Congress. Understanding and Consequences from a Swedish Perspective, in: Warum Friedenschließen so schwer ist. Frühneuzeitliche Friedensfindung am Beispiel des Westfälischen Friedenskongresses, hg. von Dorothée Goetze–Lena Oetzel (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 39, N. F. 2, Münster 2019) 65–73, hier 67f. 10  Leo Gross, The Peace of Westphalia, 1648–1948. American Journal of International Law 42 (1948) 20–41, hier 20. Zum Einfluss von Leo Gross für die Ausformulierung des Westfälischen Systems vgl. Stirk, Model (wie Anm. 5) 642f. und demnächst Christoph Kampmann, The Treaty of Westphalia as Peace Settlement and Political Concept. From a German Security System to the Constitution of International Law, in: International Law and Peace Settlements, hg. von Marc Weller–Mark Retter–Andrea Varga (Cambridge 2020) (in Vorbereitung).

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1. Der Aufstieg eines Konzepts I: Der Westfälische Friede als „Lex Fundamentalis Imperii“ Schon im Westfälischen Friedensvertrag selbst war festgelegt worden, dass die Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück auf dem ersten Reichstag nach dem Krieg offiziell zum Reichgesetz erhoben werden sollten11. Dies war eine der vielen Regelungen, die dazu dienten, um dem Friedensvertrag zusätzliche Absicherung zu geben. Umgesetzt wurde diese Regelung dann tatsächlich auf dem Regensburger Reichstag von 1653/5412. Der Beschluss des Regensburger Reichstags zur Erhebung des Friedensvertrags zum Reichsgesetz war der Anfang einer Entwicklung: In den folgenden Jahrzehnten stieg der Westfälische Friede zum allgemein akzeptierten Reichsgrundgesetz auf, dem nach verbreiteter und schließlich formelhaft wiederholter Meinung der gleiche Rang zukomme wie der Goldenen Bulle. Zunächst waren es dem Kaiser skeptisch gegenüberstehende Reichsstände, die in ihren Bündnissen und Einungen demonstrativ die Bedeutung des Westfälischen Friedens für den Zusammenhalt des Reichs betonten, was sich implizit gegen alle habsburgischen Revisionsbestrebungen richtete. Genannt sei als ein frühes Beispiel der Rheinbund von 1658, der die Verteidigung des Westfälischen Friedens zum höchsten Bundeszweck erklärte13 oder als ein späteres der Regensburger Vertrag von 1692, dessen selbsterklärte Hauptaufgabe war, „die reichs-fundamentalgesetze, sanctiones pragmaticae und darunter vornemblich die güldene bull und das instrumentum pacis Westphalicae, an welchen sambt und sonders die form des reichs undt dessen harmonie hanget, für dermassen heylig unt inviolabel zu achten.“14. Seit den 1670er Jahren schwenkte auch das habsburgische Kaisertum auf diesen Kurs ein und stilisierte sich ostentativ zum Verteidiger des Westfälischen Friedens15. Spätestens seit dieser Zeit wurde die Beschwörung des Westfälischen Friedens als höchstem Reichsgrundgesetz und zentraler Basis der Reichsverfassung ständig wiederbegegnender

11  IPO, Artikel XVII (2), in: APW, ed. Konrad Repgen, Serie III, Abt. B, Bd. 1: Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden, Teil 1: Urkunden, bearbeitet von Antje Oschmann (Münster 1998) 156. Das IPO sah vor, dass dieser Reichstag ein Jahr nach dem Friedensvertrag abgehalten werden sollte. Schließlich dauerte es fünf Jahre, bis der entsprechende Reichstag zusammentrat. 12 Regenspurgischer Jüngster Reichs-Abschied vom Jahr 1654 (Wetzlar, 1717), http://reader.digitalesammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10492593_00005.html [4.3.2019]; unter §§ 4–5 wird der Westfälische Friede als „norma iudicandi“ bezeichnet. 13  Rheinbund zwischen Mainz, Trier, Köln, der Kurpfalz, Bremen, Braunschweig-Lüneburg und HessenKassel, 14. August 1658, in: Consolidated Treaty Series, ed. Clive Parry, Bd. 5 (Dobbs Ferry 1969) 141–146, hier 144 [künftig zitiert gemäß der Zitationsrichtlinien dieser Reihe: 5 CTS 141, hier 144]: „[…] bey dem Westphälischen frieden und dessen Genoss bester Möglichkeit zu schützen und zu vertheidigen“. 14  Vgl. den Regensburger Vertrag zwischen Holstein, Sachsen-Gotha, Braunschweig-Wolfenbüttel, 18. Dezember 1692, in: 20 CTS 113, hier 117. Ähnliche Begrifflichkeit im Bündnisvertrag zwischen Münster, Bamberg, Eichstadt, Sachsen-Gotha, Sachsen-Coburg, Sachsen-Altenburg, Brandenburg-Kulmbach, Braunschweig-Wolfenbüttel, Holstein, Hessen-Kassel, und Baden zur Erneuerung und Ausweitung des Frankfurter Bundesvertrags vom 20. April 1662 bzw. 11. Februar 1693, in: 20 CTS 125, hier 127. 15  Anton Schindling, Leopold I. (1658–1705), in: Die Kaiser der Neuzeit, 1519–1918: Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland, hg. von Anton Schindling–Walter Ziegler (München 1990) 169–185, hier 171–172.



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Topos der Reichsgesetzgebung16, der Reichspublizistik17 und auch der politischen Alltagspropaganda18. Heiligkeit und Unverletzlichkeit des Westfälischen Friedens wurden bis zum Ende des Alten Reichs nicht mehr in Zweifel gezogen, auch wenn in der jüngeren Literatur die unterschiedlichen konfessionellen Akzentsetzungen bei der Erinnerungskultur im römisch-deutschen Reich rund um den Westfälischen Frieden stärker betont worden sind19. Für unseren Zusammenhang ist dabei von besonderer Bedeutung, dass auch im Völkervertragsrecht seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Bezug auf den Westfälischen Frieden als höchstrangiges Reichsgrundgesetz und „fundamentum pacis publicae“ genommen wurde, und zwar im Rahmen von Vertragsklauseln zur Bestätigung älterer Friedensverträge in den Verträgen zwischen Frankreich und dem römisch-deutschen Reich. Grundsätzlich war es in den völkerrechtlichen Verträgen seit dem 15. und 16. Jahrhundert üblich, bei Abschluss eines Friedensvertrags ältere Verträge zwischen den Vertragschließenden zu bestätigen und zu bekräftigen, und zwar gerade in der französischen diplomatischen Tradition. Die Botschaft dieser Bestätigungen war klar: Der Friedenszustand war durch den Friedensschluss wiederhergestellt, und damit auch die älteren Vertragsverhältnisse, insoweit sie nicht ausdrücklich durch den neuen völkerrechtlichen Vertrag revidiert worden waren20. Aber die Bestätigung des Westfälischen Friedens in den gerade erwähnten Verträgen zwischen Kaiser, Reich bzw. Reichsständen und Frankreich gingen in ihrer rhetorischen Ausgestaltung weit über die herkömmliche Praxis hinaus – eine Tatsache, die die symbolische Bedeutung des Westfälischen Friedens und der Westfälischen Friedensgarantenrolle für Frankreich unterstreicht. Die Bestätigung erfolgte in einer hochtönenden sprachlichen Form, welche die grundlegende Bedeutung des Westfälischen Friedens für das Reich und die Freundschaft des Reichs mit Frankreich hervorhob. Ein prominentes und in dieser Form stilbildendes Beispiel war der Friede von Nimwegen von 1679, der den Westfälischen Frieden als „solidissimum hujus mutuae amicitiae et tranquillitatis publicae funda-

16   Ein typisches Beispiel ist die Reichskriegserklärung von Mai 1689, in der der Westfälische Frieden und die Notwendigkeit seiner Verteidigung nicht weniger als fünf Mal erwähnt werden; vgl. Der Römisch-Kayserlichen Majestät Kriegs-Erklärung wider die Cron Franckreich, in: Vollständige Sammlung Aller von Anfang des noch fürwährenden Teutschen Reichs-Tags de Anno 1663 biß anhero abgefaßten Reichs-Schlüsse, ed. Johann Josef Pachner von Eggenstorff, Bd. 2 (Regensburg 1740) 673. 17   Vgl. Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 4 Bde. (München 1988). Stolleis beschreibt den Westfälischen Frieden (Band 1 225), als „das Siegel des status quo, indem er den Fortbestand des Reichs garantierte“. Vgl. auch Sven Externbrink, Staatensystem und kulturelles Gedächtnis. Frankreich, das Alte Reich und Europa (17.–18. Jh.), in: Kulturelles Gedächtnis und interkulturelle Rezeption im europäischen Kontext, hg. von Eva Dewes–Sandra Duhem (Vice versa 1, Berlin 2007) 89–102, hier 91–93. 18  Für die Bedeutung in der Alltagspublizistik vgl. Martin Wrede, Das Reich und seine Feinde. Politische Feindbilder in der reichspatriotischen Publizistik zwischen Westfälischem Frieden und Siebenjährigem Krieg (VIEG 196, Mainz 2004) 455–463, mit breiten Quellenbelegen. 19   Zur Stellung des Westfälischen Friedens in der politischen Kultur des Reichs vgl. Fritz Dickmann, Der Westfälische Friede (Münster 1984 [1959]) 1f. Zu den unterschiedlichen konfessionellen Akzentsetzungen vgl. Siegrid Westphal, Der Westfälische Frieden (München 2015) 110f.; Étienne Franҫois–Claire Gantet, Vergangenheitsbewältigung im Dienste des Friedens und der konfessionellen Identität, in: Krieg und Frieden in der historischen Gedächtniskultur. Studien zur friedenspolitischen Bedeutung historischer Argumente und Jubiläen von der Antike bis zur Gegenwart, hg. von Johannes Burkhardt (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg 62, München 2000) 102–123. 20  Dazu mit ausführlichen Belegen Kampmann, Treaty (wie Anm. 10).

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mentum“ feierte21. Ähnliche Formulierungen lassen sich in einer ganzen Reihe weiterer Verträge zwischen Frankreich und dem Reich bzw. verschiedenen Reichsständen finden22. Grund war, dass sich der Kaiser und die Reichsstände in ihrem Bestreben, dem Westfälischen Frieden eine hervorgehobene Rangstellung zu geben, mit Frankreich bzw. der französischen Diplomatie einig wussten, die gleichfalls an einer besonderen Betonung der Bedeutung der Pax Westphalorum interessiert war. Letzteres hing mit der Frankreich im Westfälischen Frieden zugesprochenen Garantenrolle zusammen. In der französischen Herrscherpanegyrik wurde Ludwig XIV. als anerkannter „arbitre de la paix et de la guerre“ im Reich gefeiert – ein Rang, die der Westfälische Friede dem französischen Monarchen zugesprochen habe23. Diese besondere Hervorhebung ausgerechnet des Westfälischen Friedens scheint ein Spezifikum von Verträgen zwischen Frankreich und dem Reich gewesen zu sein. Dies wird deutlich, wenn man diese Verträge mit Friedensschlüssen zwischen Schweden und Kaiser und Reich oder solchen zwischen Frankreich und Spanien vergleicht. Auch diese bestätigten den Westfälischen Frieden (oder einzelne seiner Klauseln), taten dies aber in einer weit nüchterneren, der üblichen Bestätigungspraxis adäquateren Weise. Als Beispiel sei der französisch-spanische Pyrenäenfrieden von 1659 genannt, der den Westfälischen Frieden beiläufig im Zusammenhang mit der bestätigten Abtretung des Elsass und des Sundgaus erwähnte, und explizit wissen ließ, dass der französisch-spanische Friedensschluss davon abgesehen mit dem Westfälischen Frieden nichts zu tun habe und dieser daher auch nicht bestätigt werden müsse. Die Panegyrik um den Westfälischen Frieden war zu diesem Zeitpunkt also keineswegs Allgemeingut völkerrechtlicher Verträge24. 21   Friedensvertrag zwischen dem Reich und Frankreich, 5. Februar 1679, in: 15 CTS 1, Article II (Hervorhebung C.K.): „Et cum Pax Monasterii Westphalorum … solidissimum hujus mutuæ amicitiæ tranquillitatisque publicæ fundamentum factura sit, restituetur illa in omnibus & singulis suo pristino vigori, manebitque in posterum sata tecta, tanquam si hic ejusdem Pacis Instrumentum de verbo ad verbum insertum legeretur, nisi quatenus eidem hoc Tractatu expresse derogatum est.“ 22  Ähnliche Formulierungen werden verwendet im Vertrag zwischen Frankreich und Preußen, 11. April 1713, in: 28 CTS 141, hier 145–146. Dort wird die Rolle des Königs von Frankreich als Wächter des Friedens ausdrücklich gewürdigt [Hervorhebung C.K.]: „Quandoquidem Regia sua Majestas Christianissima Pacem Westphalicam semper spectaverit, t a n q u e a m f i r m i s s i m u m f u n d a m e n t u m t r a n q u i l l i t a t i s publicae, amicitiaeque mutuae inter se & Electores, Principes ac Status Imp e r i i , quos inter Dominus Rex Borussiae, intuite Ditionum quas in eo possidet, ut Membrum valde illustre eminet, Dominus Christianissimus hanc sibi mentem esse declarat, ut praedicta Pax Westphalica, tam in sacris, quam in profanis fata tectaque permaneat, perinde ac si hic ad verbum inserta esset.“ Vgl. auch den Bündnisvertrag zwischen Frankreich und Preußen zur Herbeiführung des Friedens mit Schweden, 14. September 1716, in: 30 CTS 9, hier 15 [Hervorhebung C.K.]; dort wird an die Rolle des Königs von Frankreich als Garant des Westfälischen Friedens und des Reichs erinnert, indem festgestellt wird, dass Frankreich, „[…] si quelque puissance que ce soit, du dedans ou du dehors de l‘Empire entreprenait de le troubler, sous quelque prétexte que ce puisse être, dans ladite jouissance et possession, Sa Majesté Très-Chrétienne, usant alors du droit que lui donne la qualité de garant des traités de Westphalie, soutinendra le roi de Prusse.“ Vgl. Randall Lesaffer, Peace Treaties and the Formation of International Law, in: The Oxford Handbook of the History of International Law, hg. von Bardo Fassbender–Anne Peters (Oxford 2012) 71–94, hier 86f. 23  Vgl. z. B. Pierre Louvet, Discours historique sur l’an jubilaire de la paix, depuis la mal-heureuse de Chateau-Cambrésis en 1559 jusqu’à celle de l’Isle des Faisans, en rivière de Bidassoa, l’an 1659; avec une relation de ce qui s’est passé en la publication de la paix à Toulouse (Toulouse 1660) 74: „Par la paix de Munster arrestée le 24. Octobre 1648. Nostre grand Monarque [Louis XIV] a fait cognoistre à toute l’Allemagne qu’il estoit l’Arbitre de la Paix & de la guerre […] procurant la liberté à tous les Princes d’Allemagne que la maison d’Autriche avoit supprimé.“ Vgl. zum Zusammenhang Christoph Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung: Die Auseinandersetzung um den politischen Schiedsrichter im Europa der Frühen Neuzeit (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte N. F. H. 21Paderborn 2001) 202–206. 24  In Artikel 61 des Pyrenäenfriedens werden die Abtretungen im Unter- und Oberelsass sowie im Sund-



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Insgesamt ist also festzuhalten, dass es sowohl auf der Ebene des Reichsrechts bzw. der Reichspublizistik als auch auf völkerrechtlicher Ebene üblich wurde, den Westfälischen Frieden als „Lex Fundamentalis Imperii“ zu bezeichnen. Der Vorgang sollte erhebliche Bedeutung erlangen, weil seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entsprechende Formulierungen aufgegriffen und auf eine quasi umfassende, universaleuropäische bzw. universalchristliche Ebene erhoben wurden. Dieser Vorgang wird im Mittelpunkt des folgenden zweiten Teils dieser Ausführungen stehen.

2. Der Aufstieg eines Konzepts II: Der Westfälische Friede als Fundament des allgemeinen Friedens und Verfassung des Völkerrechts 2.1 Die neue politische Bedeutung des Westfälischen Friedens in der zwischenstaatlichen Politik seit den 1750er Jahren

Es gehört zu den bemerkenswerten, bislang nur unzulänglich erklärten Aspekten der Staatenpolitik des 18. Jahrhunderts, dass der Rekurs auf den Westfälischen Frieden seit den 1750er Jahren, also hundert Jahre nach seiner Unterzeichnung, wieder an Bedeutung gewann, und dabei sogar zeitweise ins Zentrum der europäischen Politik rückte. Das wird beim Blick auf Schlüsselmomente der zwischenstaatlichen Politik dieser Zeit deutlich. Als ein wichtiges Beispiel sei der Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs (1756–1763) als einem der weitgreifendsten und zerstörerischsten Kriege der letzten Phase des Ancien Régime genannt25. Bekanntlich trat Frankreich 1756 nach dem berühmten „Renversement des Alliances“ auf der Seite des habsburgischen Kaisertums gegen Preußen in den Krieg ein. Wenig später folgte auch der Kriegseintritt Schwedens. Beide Mächte rechtfertigten ihren Kriegseintritt offiziell ausschließlich mit ihrer Rolle als Garanten des Westfälischen Friedens – obwohl es weitere Möglichkeiten zur Kriegslegitimation gegeben hätte26. Hält man sich gau, die der Friede von Münster festgelegt habe, kurz und knapp bestätigt. Eine weitergehende Bestätigung und Bekräftigung des Westfälischen Friedens wird abgelehnt, weil dieser – wie es explizit heißt – den vorliegenden Vertrag nicht betreffe. Dies zeigt, dass eine allgemeine Bestätigung des Westfälischen Friedens als Grundlage des allgemeinen staatlichen Nebeneinanders zur Zeit des Pyrenäenfriedens (anders als Heinz Duchhardt, Westfälischer Friede und Internationales System im Ancien Régime, in: ders., Frieden [wie Anm. 5] 57 vermerkt hat) noch keine Selbstverständlichkeit in völkerrechtlichen Verträgen war. Das war späteren Entwicklungen vorbehalten. 25   Zum Siebenjährigen Krieg vgl. Marian Füssel, Der Siebenjährige Krieg. Ein Weltkrieg im 18. Jahrhundert (München 2010); Der Siebenjährige Krieg (1756–1763). Ein europäischer Weltkrieg im Zeitalter der Aufklärung, hg. von Sven Externbrink (Berlin 2011). 26   Erklärungen Frankreichs und Schwedens vor dem Regensburger Reichstag, 14. März 1757, in: Europäische Staats-Cantzley: darinnen zum Behuff der neuesten politischen-, Kirchen- und Reichshistorie was sowohl in Religions-Angelegenheiten merckwürdiges vorgefallen als in Staats- und Reichs-Geschäfften vor kurztem abgehandelt worden und zum Vorschein gekommen ist, ed. Christian Leonhard Leucht (Frankfurt/ Main 1759) 293–298, besonders 293–294 und 296–297. Soweit ich sehe, wurden in den Erklärungen keine der vorhergehenden Verträge mit Maria Theresia erwähnt. Das bedeutete, dass Frankreich und Schweden – jedenfalls streng formal betrachtet – ausschließlich als Garantiemächte und nicht als Bündnispartner Österreichs auftraten; eine etwas andere Interpretation vgl. Sven Externbrink, Frankreich und die Reichsexekution gegen Friedrich II. Zur Wahrnehmung der Reichsverfassung durch die französische Diplomatie während des Siebenjährigen Kriegs, in: Altes Reich, Frankreich und Europa. Politische, philosophische und historische Aspekte des französischen Deutschlandbildes im 17. und 18. Jahrhundert, hg. von Olaf Asbach et al. (Berlin 2001) 221–253, hier 227.

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vor Augen, dass auch der Kaiser und die Reichsstände ihr militärisches Vorgehen gegen Preußen unter Berufung auf den Westfälischen Frieden und die Notwendigkeit seiner Verteidigung rechtfertigten, so ist festzustellen, dass es 1756 bei Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs (in Hinblick auf die offizielle Kriegslegitimation) zum ersten gemeinsamen Einsatz aller Garantiemächte des Westfälischen Friedens überhaupt gekommen ist. Mehr als hundert Jahre nach Abschluss des Westfälischen Friedens war erstmals der „Garantiefall“ in denkbar umfassendster Weise eingetreten. Ein ähnlich prominenter Vorgang, der die gewachsene politische Bedeutung des Westfälischen Friedens in der europäischen Staatenpolitik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unterstreicht, betrifft die gewandelte Stellung Russlands im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, zu der es im Zusammenhang mit dem Bayerischen Erbfolgekrieg 1778/79 kam27. Sinnfälligen Ausdruck fand sie in der förmlichen Erhebung Russlands in den Rang eines mit Frankreich gleichberechtigten Garanten des Westfälischen Friedens im Friedensvertrag von Teschen 1779. In gewisser Weise trat Russland, das am Westfälischen Friedenskongress bekanntlich nicht teilgenommen hatte, mit Teschen als Garantiemacht die Nachfolge Schwedens an28. Dies war ein Akt von hoher symbolischer Bedeutung, der die Rolle Russlands und des Westfälischen Friedens unterstrich, aber es war mehr als das: Wie ernst die russische Regierung den neuen Garantenstatus nahm, zeigte sich schon wenig später dann im Verlauf der Kriege gegen das revolutionäre Frankreich. Russland machte energische Anstalten, sich unter Berufung auf seine Stellung als Garantiemacht in diese Kriege einzumischen29. Dies führte nicht weniger als 150 Jahre nach dem Westfälischen Frieden zu einer erhitzten Flugschriftendebatte über die Rechte der Garanten des Westfälischen Friedens im Allgemeinen und jene Russlands als Friedensgarant im Besonderen30. Die politikhistorische Forschung hat diesen Vorgängen für sich genommen auch schon früher jeweils durchaus Aufmerksamkeit geschenkt. Was aber in weit geringerem Umfang beachtet wurde, ist die Tatsache, dass diese Vorgänge in engem Zusammenhang mit einer gewachsenen, auch fundamental gewandelten Bedeutung des Westfälischen Friedens in der intellektuell-gelehrten Debatte und im Völkerrecht, in konkreten völkerrechtlichen Verträgen gesehen werden müssen. 2.2 Zum intellektuellen Hintergrund: Der Westfälische Friede als Paradigma und Grundlage des „Droit de Gens“

Kürzlich hat der Historiker Benjamin Durst eine umfassende und verdienstvolle Studie vorgelegt, die sich mit den völkerrechtlichen Vertragssammlungen des ausgehenden 17. und des 18. Jahrhunderts beschäftigt31. Bislang hat die völkerrechts-historische Lite27  Vgl. dazu Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700– 1785 (Paderborn 1997) 384–394. 28  Friede von Teschen zwischen Österreich und Preußen, 13. Mai 1779, in: 47 CTS 153, hier 160 (Artikel XII), in Verbindung mit der Garantieklausel, 165–166. 29  Duchhardt, Balance (wie Anm. 27) 389; Karl Otmar von Aretin, Die Mission des Grafen Romanzoff im Reich 1782–1797, in: Deutsche Frage und europäisches Gleichgewicht. FS für Andreas Hillgruber zum 60. Geburtstag, hg. von Klaus Hildebrand–Reiner Pommerin (Köln 1985) 15–29. 30  Aretin, Mission (wie Anm. 29) 18. 31 Benjamin Durst, Archive des Völkerrechts: Gedruckte Sammlungen europäischer Mächteverträge in der Frühen Neuzeit (Berlin 2016).



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ratur diese Werke – in Ermangelung umfassender quellenkritischer Editionen der frühneuzeitlichen Friedens- und Bündnisverträge – in erster Linie als Materialsammlungen verwendet. Benjamin Durst wählt einen anderen Ansatz: Er wertet sie inhaltlich aus und untersucht sie unter anderem unter der Fragestellung, auf welchem Völkerrechtsverständnis diese Sammlungen beruhten. Er vermag dabei überzeugend herauszuarbeiten, dass es in Hinblick auf die generelle Deutung des Völkerrechts klare Parallelen zwischen diesen Werken gegeben hat. Das Völkerrecht wird regelmäßig implizit oder explizit als „Droit de gens contracté“ bezeichnet, um die Formulierung einer der bedeutendsten Sammlungen zu verwenden, jene von Jean Dumont (1667–1727)32. Anders als das „Droit de gens naturel“33, das auf das Naturrecht gegründet wird, wurde unter dem „Droit de Gens contracté“ das auf Verträgen und Abmachungen zwischen Souveränen beruhende Völkerrecht verstanden; Völkerrecht war aus dieser Perspektive also gesetztes Recht, in den Worten von Leibniz das „Ius gentium voluntarium“34. Dieser Auffassung vom „Droit de Gens“ entsprach, dass in den entsprechenden Vertragssammlungen enge Parallelen zwischen innerstaatlichem und zwischenstaatlichem Recht gezogen wurden. Das zeigte sich schon an der Terminologie. Der gerade erwähnte Jean Dumont bezeichnete Verträge als „Loix de Droit de Gens“, als „Gesetze“ des Völkerrechts35. Und seit Johann Jacob Schmauß (1690–1727) wurde das Völkerrecht als „Ius Publicum Europaeum“ bezeichnet36, womit schon begrifflich eine Verbindung zwischen dem innerstaatlichen Jus Publicum und dem zwischenstaatlichen Jus Publicum Europaeum hergestellt wurde37. Einer der energischsten Vertreter dieser Vorstellung vom Völkerrecht als „Droit de Gens contracté“ war der Philosoph und Rechtsgelehrte Gabriel Bonnot de Mably (1709– 1785)38. Sein einschlägiges, vielfach wiederaufgelegtes Werk trug den programmatischen Titel „Le droit public de l’Europe, fondé sur les traités“, das als eines der einflussreichsten 32   Corps universel diplomatique du droit des gens. contenant un recueil des traitez d’alliance, de paix, de treve […] qui ont été faits en Europe depuis le regne de l’empereur Charlemagne jusques à present, hg. von Jean Dumont, Bd. 1 (Den Haag 1726) Préface I; vgl. Durst, Archive (wie Anm. 31) 222f. 33  Zu diesem Terminus siehe Éméric de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle […], Nouvelle édition, Partie I (Neuchâtel 1777 [zuerst 1758]) Préface, 4. 34   Durst, Archive (wie Anm. 31) 222f. Für den Terminus „Ius gentium voluntarium“ siehe Codex juris gentium diplomaticus, in quo tabulae authenticae actorum publicorum, tractatuum, cet. pleraeque ineditae vel selectae continentur, a fine seculi undecimi ad nostra usque tempora aliquot, tomis comprehensus, hg. von Gottfried Wilhelm Leibniz (Hannover 1693) 172. 35   Dumont, Corps universel diplomatique (wie Anm. 32) 1, Préface IV. 36   Corpus Juris Gentium Academicum, enthaltend die vornehmsten Grund-Gesetze, Friedens- und Commercien-Tractate, Bündnüsse und andere Pacta Corpus juris gentium academicum: enthaltend die vornehmsten Grund-Gesetze, Friedens- und der Königreiche, Republiquen und Staaten von Europa, Welche seither zweyen Seculis biß auf den gegenwärtigen Congress zu Soissons errichtet worden, hg. von Johann Jacob Schmauss, Bd. 1 (Leipzig 1730) 4; Durst, Archive (wie Anm. 31) 214. Zum Begriff „ius publicum Europaeum“ vgl. allgemein Heinhard Steiger, Ius publicum Europaeum. EdN 5 (2007) Sp. 1148–1154, hier Sp. 1148; Armin von Bogdandy–Stephan Hinghofer-Szalkay, Das etwas unheimliche Jus Publicum Europaeum: Begriffsgeschichtliche Analysen im Spannungsfeld von europäischen Rechtsraum, droit public de l’Europe und Carl Schmitt. Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 73 (2013) 209–248, hier 223f. 37  Durst, Archive (wie Anm. 31) 214, 223f. Aus diesem Grund beschränken sich Dumont und Leibniz nicht auf die Aufnahme zwischenstaatlicher Verträge, sondern nehmen auch innerstaatliche Abmachungen in ihre Sammlung auf; bewusst werden die Grenzen zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten in den Werken nicht klar gezogen. 38   Vgl. zum Einfluss Mablys, der häufig in der Völkerrechtswissenschaft unterschätzt worden ist, Martti Koskenniemi, The Advantage of Treaties. International Law in the Enlightenment. Edinburgh Law Review 13 (2009) 27–67, hier 37–40.

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völkerrechtlichen Publikationen des 18. Jahrhunderts überhaupt gelten darf39. Für unseren Zusammenhang ist vor allem interessant, welch herausragende Stellung Mably dem Westfälischen Frieden zusprach. Aus Mablys Sicht markierte der Westfälische Friede den entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte des völkerrechtlichen Vertragsrechts. Er sei die eigentliche Geburtsstunde des „Droit de Gens“ und des zivilisierten Umgangs der Staaten miteinander; alle vorherigen Entwicklungen sind in den Augen Mablys lediglich als reine „Vorgeschichte“ des Westfälischen Friedens anzusehen40. Mably begründet diese Auffassung einerseits mit dem paradigmatischen Charakter dieses Friedensschlusses. In enthusiastischer Weise preist er den Westfälischen Frieden als Vorbild und als Modell von Klarheit, Genauigkeit und vernunftgemäßer Anordnung der Vertragsmaterien. Für angehende Diplomaten und politisch Verantwortliche gebe es folglich – so Mably – nichts Wichtigeres als die Beschäftigung mit dem Westfälischen Frieden41. Doch Mably nennt noch einen weiteren Grund dafür, dass der Westfälische Friede als entscheidende Zäsur im Miteinander der Gemeinwesen und Staaten anzusehen sei. Der Westfälische Friede habe jene „orde lumineux“ (erleuchtete Ordnung) geschaffen, die seither die Beziehungen der Staaten bestimme und wenig Raum für Missverständnisse und Auseinandersetzungen lasse. Die Artikel des Westfälischen Friedens seien – so Mably – zu „loix pour l’Europe“ (Gesetzen für Europa) geworden, anders formuliert: zu einer Grundverfassung des Völkerrechts42. Wie in vielerlei anderer Hinsicht hat auch Mablys Perspektive auf den Westfälischen Frieden die weitere geistige und gelehrte Auseinandersetzung beeinflusst. Ein herausragendes Beispiel für eine Übernahme der Mably‘schen Einschätzung des Westfälischen Friedens ist Jean-Jacques Rousseau. In seiner 1761 erstmals publizierten, rasch berühmt gewordenen Kurzfassung des nicht minder berühmten Universalfriedensplans des Abbé Charles Irénée Castel de Saint Pierre (1658–1743) bezeichnete Rousseau den Westfälischen Frieden als Basis des politischen Systems nicht nur im Reich, sondern in ganz Europa43. Im Universalfriedensplan des Abbé de Saint Pierre von 1714 selbst, den Rousseau ja in seinem „Extrait“ zusammenzufassen vorgab, findet sich eine entsprechende

39  Genannt seien die Auflagen von 1746, 1748, 1764, 1767, 1776, 1789 und 1793/94. Die Belege im Folgenden beziehen sich (wenn nicht anders angegeben) auf die Auflage von 1748: Gabriel Bonnot de Mably, Le droit public de l’Europe, fondé sur les traités (Genf 21748). 40   Ebd. 1–97. Noch schärfer urteilt Stirk, Model (wie Anm. 5) 649, über die Behandlung der Staatenund Völkerrechtsgeschichte vor 1648: „practically nothing prior to Westphalia played any significant role in contemporary Europe“. 41  Mably, Le droit public (wie Anm. 39) 87: „Quel ordre! Quelle precision! Quelle profondeur dans les vues! Par-tout on sent le genie supérieur des Ministres qui les sont dictés“. 42  Gabriel Bonnot de Mably, Le droit public de l’Europe, fondé sur les traités, in: ders., Œuvres complètes de l’abbé de Mably, Bd. 5 (Lyon 1792) 181 [recte 281]: „On veut rétablir la transquillité de l’Europe, mais on ne veut point d’une paix qui rallume la guerre. De-là sagesse admirable des articles de Westphalie, qui sont devenus autant de loix pour l’Europe, de-là cet ordre lumineux qui regne dans les matieres; de-là ces expressions simples, claires précises qui ne laissent que très rarement quelque resource aux subtilités de la chicane.“ In der Auflage von 1748 (Mably, Le droit public [wie Anm. 39] 88) war eine etwas andere Formulierung gewählt worden: „leurs conventions sont devenues autant de loix pour les Puissances de l’Europe“. 43 Jean-Jacques Rousseau, Extrait du Projet de la paix perpetuelle (Paris 1761) 50: „[…] le traité de Westphalie sera peut-être à jamais parmi nous la base du systême politique. Ainsi le droit publie, que les Allemands étudient avec tant de soin, est encore plus important qu’ils ne pensent, & n’est pas seulement le droit publie Germanique, mais, à certains égards, celui de toute l’Europe“.



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Würdigung des Westfälischen Friedens bezeichnenderweise noch nicht44. Zu einer ganz ähnlichen Einschätzung gelangt ein Werk, das einer völlig anderen literarischen Gattung als Rousseaus „Extrait“ angehört, nämlich das „Siècle de Louis XIV.“ Voltaires, das erstmals 1752 publiziert worden ist. Eher nebenbei, bei der Behandlung von Spezialartikeln des Westfälischen Friedens, bemerkte Voltaire, dass der berühmte Friede von Westfalen zum Fundament aller folgenden Friedensverträge geworden sei („devenu pour l’avenir la base de tous les traités“)45. Vielleicht noch aufschlussreicher als diese Beispiele aus der „Höhenkammliteratur“ ist, dass Mablys Einschätzung auch Eingang in die juristische „Alltags- und Gebrauchsliteratur“ gefunden hat. Auch hier wurde regelmäßig die Auffassung vertreten, dass der Westfälische Frieden den entscheidenden Wendepunkt des Völkerrechts sowohl in Hinblick auf die diplomatischen Techniken als auch die zentralen Normen des Völkerrechts darstelle. Zu nennen sind hier beispielsweise der Göttinger Rechtsgelehrte Peter Joseph Neyron (1740–1810), für den der Westfälische Friedenskongress bzw. die aus ihm erwachsenen Verträge als eine Art „Europäisches Generalkonzil“ anzusehen seien, in dem die Völker Europas sich auf dem Weg aus der Barbarei gemacht hätten46; oder der Schweizer Diplomat und Völkerrechtsprofessor Christoph Guillaume Koch (1737– 1813), der darauf hinwies, dass der Westfälische Friede als Basis aller folgenden Abmachungen zwischen europäischen Souveränen diene47. Einer näheren Begründung bedurfte diese These nicht. Sie gehörte inzwischen offensichtlich zum juristischen Allgemeingut48. 44   Es ist also ein Missverständnis, wenn in der Literatur (vgl. z. B. Westphal, Frieden 2015 [wie Anm. 19] 111f.) schon St. Pierre zugeschrieben wird, dass er den Westfälischen Frieden als Vorbild für die künftige Ausgestaltung des europäischen Staatensystems dargestellt habe. Es ist bezeichnend, dass sich dieser Gedanke erst bei Rousseaus Fortentwicklung des St. Pierreschen Universalfriedensplans Mitte des 18. Jhs. findet. Rousseau hat hier nicht Gedanken St. Pierres, sondern wohl eher Mablys aufgegriffen, mit dem ihn ja ohnehin eine enge, wenn auch wechselvolle Beziehung verband; dazu siehe Peter Friedemann, Die politische Philosophie des Gabriel Bonnot de Mably (1709–1785). Eine Studie zur Geschichte des republikanischen und des sozialen Freiheitsbegriffs (Politische Theorie und Kultur 4, Münster 2014) 167–178. 45   Voltaire (Jean-Marie Arouet), Siècle de Louis XIV, in: ders., Œuvres complètes (Paris 1836), 87 (‘Siècle de Louis XIV’ zuerst veröffentlicht 1752). In seinen Ausführungen zur Einrichtung einer achten Kur im Heiligen Römischen Reich bemerkte Voltaire: „Par ce traité [la célèbre paix de Vestphalie] […] devenu por l’avenir la base de tous les traités, fut creé une nouvelle electorat pour la maison de Bavière.“ Voltaires Darstellung trifft im Übrigen so nicht zu. Im Westfälischen Frieden erhielt der Pfalzgraf die neue, achte Kurwürde, während der bayerische Herzog die ältere, höherrangige pfälzische Kurwürde, die ihm in den 1620er Jahren verliehen worden war, behielt. Siehe Derek Croxton–Anuschka Tischer, Art. Electors, in: The Peace of Westphalia. A historical dictionary (Westport 2002) 79–81, hier 80. Zu Voltaires Beurteilung des Westfälischen Friedens vgl. Externbrink, Staatensystem (wie Anm. 17) 91. 46  Pierre Joseph Neyron, Essai historique et politique de garanties (Göttingen 1777) 112: „L’Europe a en 1648. commencé comme dans une espèce de concile générale, à sentir, après plusieurs tristes experiences, que l’avidité des conquetes étoit un fleau, qui répugnoit le plus au principe social attaché à l’instinct de l’homme.“ In seiner chronologisch weitausgreifenden Darstellung über Garantieregelungen stellt Neyron heraus, dass der Westfälische Friede den eigentlichen Wendepunkt in der völkerrechtlichen Behandlung von Garantien dargestellt habe. Ich danke Christian Wenzel für den Hinweis auf diese Arbeit. 47  Christoph Guillaume Koch, Abrégé de l’histoire des traités de paix entre les puissances de l’Europe depuis la paix de Westphalie (Basel 1796) 4. Eine weitere Vertragssammlung, die 1648 als Startpunkt wählt, ist A Collection of All Treaties of Peace, Alliance and Commerce between Great Britain and other Powers, ed. Charles Jenkinson (London 1785). Allerdings begründet er diesen Epochenschnitt anders als Koch, wie bereits Stirk festgestellt hat, nämlich mit der Niederländischen Unabhängigkeit, die durch den Frieden von Münster hergestellt wurde; vgl. Stirk, Model (wie Anm. 5) 650. 48  Eine ausführliche Behandlung der Diskussion über den Westfälischen Frieden in der völkerrechtlichen

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2.3 „Fondement à la Paix Générale“: Die neue Rolle des Westfälischen Friedens in Friedensverträgen des 18. Jahrhunderts

Parallel zu dieser Entwicklung auf der Ebene der gelehrten oder intellektuellen Diskussion ist ein grundlegender Wandel der Stellung des Westfälischen Friedens in völkerrechtlichen Verträgen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu beobachten. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der Westfälische Friede nicht mehr nur dann erwähnt, wenn es darum ging, dass vertragschließende Parteien konkrete, früher zwischen ihnen geschlossene Friedensverträge bestätigten. Vielmehr bezogen sich völkerrechtliche Verträge auf den Westfälischen Frieden als „Grundlage des allgemeinen Friedens“, als „Fondement à la Paix Générale“. Ein herausragendes Beispiel dafür sind die für die Entwicklung der Staatenpolitik des 18. Jahrhunderts bedeutsamen, zwischen Großbritannien auf der einen und den bourbonischen Monarchien Frankreich und Spanien auf der anderen Seite geschlossenen Friedensverträge. Bekanntlich stand die Rivalität zwischen Frankreich und Großbritannien im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen dieser Epoche, um den sich alle übrigen Konflikte in gewisser Weise gruppierten. Hauptgrund waren die unüberbrückbaren kolonialen Gegensätze zwischen beiden Mächten, die zu einer von Friedensverträgen jeweils nur kurz unterbrochenen Serie von Kriegen zwischen beiden Mächten führten49. Der erste dieser Friedensverträge war der von Aachen von 1748, mit dem der Österreichische Erbfolgekrieg (1740–1748) zu Ende ging. Aus politikgeschichtlicher Perspektive stellt dieser Friedensschluss wenig mehr dar als einen Waffenstillstand. Weder die erwähnten kolonialen Gegensätze der westeuropäischen Monarchien noch der Antagonismus im Reich zwischen Österreich und Preußen wurden gelöst50. Trotzdem markiert der Friede von Aachen einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte des Völkerrechts. Er ist der erste wirklich multilaterale Friedensvertrag (natürlich nicht der erste Universalfriedenskongress, aber der erste, der wirklich in einem multilateralen Friedensvertrag mündete) und als solcher Vorläufer des Wiener Vertrags von 181551. Darauf ist in der einschlägigen Literatur bereits hingewiesen worden. Ein anderer Aspekt des Friedens von Aachen von 1748 ist dagegen weit weniger beachtet worden, nämlich die Art und Weise, in der dieser Friedensvertrag auf den Westfälischen Frieden Bezug nahm. Im Artikel III dieses Aachener Friedensvertrags bestätigten die Vertragsparteien vorhergehende Friedensverträge, indem sie diese symbolisch Wort für Wort in den Vertrag aufnahmen. Gleich der erste Friedensvertrag, auf den sich der Aachener Friede bezog, war jener von Westfalen, gefolgt von weiteren Verträgen, die allesamt als Basis und Fundament dieses speziellen Friedens und des allgemeinen Friedens, eben als „Fondement à la Paix Générale“, anerkannt wurden. Diese Formulierung war in einem solchen Literatur dieser Zeit würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Sie ist einer späteren Behandlung durch den Autor vorbehalten. 49  Genannt seien der Österreichische Erbfolgekrieg (1739–48), der Siebenjährige Krieg („French and Indian War“, 1755–1763), und der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg (1778–1783); vgl. als fundierte Überblicksdarstellung Hamish Scott, The Birth of a Great Power System 1740–1815 (Harlow 2006). 50 Heinz Duchhardt, The missing balance, in: ders., Frieden (wie Anm. 5) 79–85; Johannes Kunisch, Friedrich der Große. Der König und seine Zeit (München 2004) 329. 51 Seit dem Westfälischen Friedenskongress hatten zahlreiche Friedenskongresse stattgefunden; freilich hatte bis 1748 keiner zu einem multilateralen Friedensvertrag geführt; vgl. Randall Lesaffer, The Peace of Aachen (1748) and the Rise of Multilateral Treaties. Oxford Public International Law (5.1.2017), opil.ouplaw. com/page/Peace-Aachen [10.9.2018].



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Bestätigungsartikel ungewöhnlich und zeigte den Einfluss des „Droit de Gens contracté“ auf den Vertrag52. Auch mit anderen rhetorisch-stilistischen Stilmitteln wurde die Nähe des Friedens von Aachen zum Westfälischen Frieden unterstrichen. Artikel I des Friedens von Aachen war ein wörtliches Zitat des berühmten ersten Satzes des Westfälischen Friedens („Pax sit christiana, universalis, perpetua“), der hier nun in französischer Fassung wiedergegeben wurde: „Il y aura une Paix chrétienne, universelle & perpetuelle.“53 Beides – die feierliche Bestätigung des Westfälischen Friedens und die Wiedergabe der beiden berühmten ersten Sätze – war bis dahin (soweit zu sehen) ohne Vorbild in englisch-französischen Verträgen, aus einem offensichtlichen Grund: England war ja gar nicht Vertragspartner des Westfälischen Friedens gewesen. In Hinblick auf den Westfälischen Frieden bzw. den Umgang mit diesem Frieden begründete der Friede von Aachen eine Tradition. Der englisch-französische Friede von Paris von 1763, der dem Siebenjährigen Krieg in Westeuropa und Übersee ein Ende setzte, gebrauchte die gleichen Formulierungen bei der Bestätigung des Westfälischen Friedens, und zwar sowohl in Hinblick auf die symbolische Bestätigung des Westfälischen Friedens als auch bei der wörtlichen Übernahme der ersten Sätze des Friedensschlusses von Westfalen54. Genauso verfuhren auch die Friedensverträge von Versailles zwischen Großbritannien und Frankreich sowie zwischen Großbritannien und Spanien von 1783. Gerade der letzte ist von besonderem Interesse in unserem Zusammenhang. Denn dass auch der EnglischSpanische Vertrag von 1783 den Westfälischen Frieden in dieser Weise bestätigte55, deutet eindrücklich darauf hin, dass der Westfälische Friede eine neuartige Rolle im Völkerrecht spielte, ihm offensichtlich im Kontext der völkerrechtlichen Verträge des ausgehenden 18. Jahrhunderts eine neue Funktion zukam. Denn weder Großbritannien (bzw. England und Schottland) noch Spanien hatten den Westfälischen Frieden unterzeichnet, aus jeweils unterschiedlichen Gründen. Spanien war ausdrücklich vom Westfälischen Frieden ausgeschlossen worden, auf Wunsch Frankreichs. Mehr noch: Spanien war durch das von Frankreich durch52   Friedensvertrag zwischen Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden, 18. Oktober 1748, in: 38 CTS 297, hier 305f.: „Les Traités de Westphalie de 1648 […] servent de base & de fondement à la Paix générale, & au présent Traité: & pour cet effet ils sont renouvellés & confirmés dans la meilleure forme, & comme s’ils étoient insérés ici mot à mot; en sorte qu’ils devront exactement être observés à l’avenir dans toute le teneur, & religieusement exécutés de part & autre, à l’exception cependant des points, auxquels il est dérogé par le présent Traité.“ 53   Ebd. 305. Dass der berühmte erste Satzes des Westfälischen Friedens so formuliert worden war, hatte in erster Linie rhetorische Gründe und hatte keine spezielle inhaltliche Bedeutung; der Begriff „Pax Christiana“ war dem Prager Frieden von 1635 entlehnt. Dort war er auf Initiative der kursächsischen Diplomatie zustande gekommen. Vgl. Maria-Elisabeth Brunert, Der Westfälische Frieden 1648 – eine Friedensordnung für das Reich und Europa, in: Friedensordnungen in geschichtswissenschaftlicher und geschichtsdidaktischer Perspektive, hg. von Peter Geiss–Peter Arnold Heuser (Bonn 2017) 69–96, hier 82. 54   Friedensvertrag zwischen Frankreich, Großbritannien und Spanien, 10. Februar 1763, in: 42 CTS 279, hier 284. Der Einfluss des Friedens von Aachen wird auch sichtbar beim Blick auf weitere Verträge, so dem kaiserlich-französischen Vertrag von Versailles, der in Hinblick auf den Westfälischen Frieden die gleiche Formulierung wählte wie jener (Bündnis- und Freundschaftsvertrag zwischen Frankreich und Österreich, 1. Mai 1756, in: 40 CTS 335, hier 339): „Le Traité de Westphalie de 1648 et tous les Traités de paix et d’amitié […] sont renouvellés et confirmés par le présent traité, dans la meilleure forme et comme s’ils étoient inserés ici mot à mot.“ 55   Friedensvertrag zwischen Großbritannien und Spanien, 3. März 1783, in: 48 CTS 481, hier 483: „[…] ils [sc. les traités, CK] sont tous renouvellés et confirmés dans la meilleure forme, ainsi que tous les traités […] et comme s’ils etoient inserés ici mot à mot.“

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gesetzte Assistenzverbot ja geradezu gedemütigt worden und hatte höchst ungute Erinnerungen an den Westfälischen Frieden56. Und England hatte nicht einmal am Westfälischen Friedenskongress teilgenommen, erreichten doch die Ereignisse der englischen Bürgerkriege und der englischen Revolution gerade in der Zeit, als der Westfälische Frieden unterschrieben wurde, ihren Höhepunkt57. Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu paradox, dass beide Mächte 1783 den Westfälischen Frieden in dieser feierlichen Form bestätigten. Doch dieser Eindruck täuscht. Die Bestätigung des Westfälischen Friedens im Frieden von 1783 bezog sich gar nicht auf konkrete Artikel des Westfälischen Friedens, sondern auf dessen Stellung als Grundverfassung des Völkerrechts und Grundlage aller folgenden Friedensverträge58. Gerade der Friede von Versailles von 1783 zeigt eindrücklich, dass sich die grundlegende Stellung des Westfälischen Friedens im Völkerrecht gewandelt hatte59. 2.4 Der Westfälische Friede als Grundlage des Völkerrechts: Einige weitergehende Überlegungen

Was sind aber die Gründe für diese Entwicklung? Warum gewann der Westfälische Friede seit der Mitte des 18. Jahrhunderts eine gewachsene und gewandelte Bedeutung als Basis des Staatensystems und Grundverfassung Europas, und zwar sowohl in der intellektuellen Debatte als auch in der praktischen Diplomatie? Prinzipiell ist diese Entwicklung vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, dass Völkerrecht stärker als „Droit de Gens contracté“, als „Ius gentium voluntarium“ verstanden wurde. Die Analyse der völkerrechtlichen Verträge zeigt, dass diese Vorstellung nun auch unmittelbar Eingang in das Völkerrecht gefunden hatte. Es ist auffällig, dass zur gleichen Zeit, in der dieses Völkerrechtsverständnis innerhalb des Völkerrechts an Bedeutung gewann, das Gleichgewichtsprinzip aus dem Völkervertragsrecht verschwunden ist. Anders als lange Zeit behauptet, wurde das Prinzip des Gleichgewichts der Mächte seit 1725 in keinem einzigen völkerrechtlichen Vertrag mehr explizit erwähnt60. Insofern ist es fraglich, ob diese Epoche wirklich so einschränkungslos als Epoche des Gleichgewichts bezeichnet werden kann. Mit dem Aufstieg der Vorstellung vom „Droit de Gens contracté“ schien es folgerichtig, dass einem speziellen Vertrag die Rolle eines Grundvertrags, einer Art „Grundverfassung“, zugesprochen wurde: Ein Vertrag, der als Zäsur zwischen der vorkonstitutionellen Zeit des Völkerrechts und der sozusagen konstitutionellen gelten, der sozusagen als Wasserscheide zwischen der vorzivilisatorischen und der zivilisatorischen Epoche der Völkerrechtsgeschichte angesehen werden konnte. 56  Wohl weil Spanien auf französischen Druck vom Westfälischen Friedensvertrag ausgeschlossen wurde, war lange ein eher ablehnend-zurückhaltender Umgang mit dem Westfälischen Frieden in Friedensverträgen festzustellen, an denen Spanien nach 1648 beteiligt war; ein charakteristisches Beispiel ist der Pyrenäenfrieden, der sich auf eine knappe, verhaltene Erwähnung des Westfälischen Friedens beschränkt; vgl. oben Anm. 24. 57   Drei Monate nach dem Westfälischen Friedensschluss war Karl I. bekanntlich in Whitehall hingerichtet worden. 58   Darauf, dass auch der Friede von Teschen in diesem Sinne Bezug auf die „Traités de Westphalie“ genommen hat, hat bereits Steiger, Friede (wie Anm. 7) 64, hingewiesen. 59   Diese These wird auch dadurch unterstrichen, dass in völkerrechtlichen Verträgen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kaum noch auf Verträge aus der Zeit vor 1648 Bezug genommen wurde. Das war noch in der zweiten Hälfte des 17. und im frühen 18. Jahrhunderts gänzlich anders gewesen. Für ausführliche Belege Kampmann, Treaty (wie Anm. 10). Seit der Mitte des 18. Jhs. hatte „präwestfälisches Völkerrecht“ seine Bedeutung fast komplett eingebüßt. 60   Duchhardt, Balance (wie Anm. 50) 79–85.



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Warum aber wurde diese herausgehobene Position ausgerechnet dem Westfälischen Frieden zugesprochen? Warum konnte gerade der Westfälische Friede diese Rolle am ehesten ausfüllen? Diese Frage ist nicht völlig banal, da der Westfälische Friede von seinen Vertragsbestimmungen her – wie eingangs erwähnt – sich so eindeutig dafür nicht eignete. Er war keineswegs im besagten Sinne besonders „modern“, noch handelte es sich um einen umfassenden Vertrag für die gesamte Christenheit. Die Frage, aus welchen Gründen ausgerechnet dem Westfälischen Frieden diese Rolle zugesprochen wurde, ist natürlich nicht mit letzter und vollständiger Eindeutigkeit zu beantworten. Hier seien lediglich einige eher hypothetische Überlegungen zur Beantwortung dieser Frage angestellt. (1) Zunächst hat zweifellos eine Rolle gespielt, dass der Westfälische Friede aus einem universalen Friedenskongress erwachsen ist, auch wenn dieser Universalfriedenskongress nun zu keinem Universalfriedensvertrag geführt hat. Es war zweifellos kaum ein Zufall, dass ausgerechnet der gleichfalls auf einem Universalfriedenskongress beruhende Friede von Aachen genau hundert Jahre nach dem Westfälischen Frieden so stark zur Entstehung der Vorstellung beigetragen hat, dass der Westfälische Friede „Fundament des allgemeinen Friedens“ sei. In diesem Zusammenhang ist auch daran zu erinnern, dass im Umfeld des Friedens von Aachen von 1748 recht umfangreiche Jubiläumsfeierlichkeiten zur Hundertjahrfeier dieses Friedens stattgefunden haben61. (2) Bedeutung hatte zudem sicher die Stellung des Westfälischen Friedens für das Heilige Römische Reich deutscher Nation nach 1648. Wie bereits skizziert, war der Westfälische Friede – lange bevor er als Konstitution des „Ius Publicum Europaeum“ angesehen worden war – schon regelmäßig als Fundamentalverfassung des römisch-deutschen Reichs bezeichnet worden („Lex fundamentalis Imperii“). Die Stilisierung des Westfälischen Friedens war ein Allgemeinplatz in der Reichsgesetzgebung und der entsprechenden Reichspublizistik gewesen, aber auch regelmäßig in völkerrechtlichen Verträgen aufgetaucht, wie gesehen, gerade in jenen zwischen dem Reich und Frankreich. Begriffshistorisch betrachtet ist es ein durchaus geläufiger Vorgang, dass ein politisches Konzept, das zunächst in einem ganz konkreten politischen Zusammenhang Verwendung gefunden hatte, nun in einem anderen, breiteren Kontext genutzt wurde62. Dies scheint sich auch hier im Falle des Aufstiegs und der Stilisierung des Westfälischen Friedens vom Grundgesetz des Reichs zum Grundgesetz Europas wiederholt zu haben. (3) Der letztgenannte Punkt verweist auf einen weiteren Aspekt, der in der jüngeren einschlägigen Literatur angesprochen, aber noch nicht systematisch untersucht worden ist. Die aufgeklärte Diskussion über Friedensstiftung und Friedenswahrung im Europa der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigt ein wachsendes Interesse am Heiligen Römischen Reich als Modell für eine europäische Friedensordnung. Dies galt für Frankreich, weil das römisch-deutsche Reich im Rahmen der aufgeklärten Kritik am kriegstreiberischen monarchischen Despotismus als eine Art positiver Gegenentwurf erheblich an 61   Vgl. zu den Jahrhundertfeiern des Westfälischen Friedens Etienne François–Claire Gantet, Vergangenheitsbewältigung (wie Anm. 19) 114–116; Heinz Duchhardt, Friedensjubiläen, in: ders., Frieden (wie Anm. 5) 175–181, hier 177; allerdings warnt Duchhardt davor, das Ausmaß der Centenarfeiern zu überschätzen. 62  Ein Beispiel ist die Vorstellung vom „Arbitre de Paix“, dessen politischer Gehalt sich zwischen dem 16. und dem 18. Jh. komplett wandelte. In Hinblick auf Heinrich IV. von Frankreich war diese Vorstellung in der herrscherlichen Panegyrik zunächst verbunden mit jener des Friedensstifters, der die französischen Bürgerkriege beendet habe; im weiteren Verlauf seiner Herrschaft und nach seinem Tod bezog es sich auf die (angebliche) Stellung als gesamteuropäischer Friedensstifter; vgl. Kampmann, Arbiter (wie Anm. 23) 66–125.

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Reputation gewann63. Dies galt aber beispielsweise auch im Rahmen der englischen und schottischen Aufklärung. Bedeutende ihrer Vertreter (wie zum Beispiel Edmund Burke [1729–1797]) feierten das Reich als erfolgreiches Friedensmodell64. In diesem Zusammenhang lag es natürlich nahe, auch den Westfälischen Frieden vom Reichfundamentalgesetz zur europäischen Grundverfassung aufzuwerten. (4) Schließlich sei noch ein vierter Aspekt genannt, der die Attraktivität des Westfälischen Friedens für politisch-diplomatische Theoretiker und Praktiker des 18. Jahrhunderts erklären könnte. Dies war der in dieser Form bis dahin ungewöhnliche, explizit christliche, aber zugleich nicht-konfessionelle Charakter des Westfälischen Friedens. Der Westfälische Friede betonte gleich zu Beginn seine christliche Fundierung; zugleich lösten sich die Friedensverträge von 1648 von einer allzu engen konfessionellen Bindung. Der Westfälische Friede war somit ein wichtiger Schritt einer Entkirchlichung, freilich nicht einer Säkularisierung der auswärtigen Politik65. Genau in diese Richtung zielte die Selbstbeschreibung des Westfälischen Friedens als Pax Christiana, die bis 1648 ungewöhnlich gewesen war66 und die dann nach 1748 Eingang in britisch-französische und britischspanische Verträge fand. Es spricht einiges für die Vermutung, dass diese christliche Verortung des Friedens bei gleichzeitiger Lösung der Bindung an kirchliche Autoritäten (man denke an die Antiprotestklausel und das sog. Blasphemie-Verbot) seine Attraktivität für die politisch-diplomatisch Verantwortlichen und die intellektuelle Diskussion der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu erklären vermag.

3. Ausblick und Fazit Mit dem Beginn des europäischen Revolutionszeitalters, das schon wenige Jahre nach dem Friedensschluss von Versailles begann, ging die starke Betonung des Westfälischen Friedens im europäischen Völkervertragsrecht zu Ende. Der Westfälische Friede erschien nun als Anachronismus, und dies aus einer ganzen Reihe von Gründen. Zunächst ist hier zu nennen, dass der konkrete politische Bezugspunkt des Westfälischen Friedens, das Hei63 Klaus Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zum Einfluss französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit (Marburger Studien zur Neueren Geschichte 4, Marburg 1994) 379–388. 64  Edmund Burke, Three Memorials on French Affairs. Written in the Years 1791, 1792, and 1793 (London 1797) 20f.: „If Europe does not conceive the independence, and the equilibrium of the empire to be in the very essence of the system of balanced power in Europe, and if the scheme of public law, or mass of laws, upon which that independence and equilibrium are founded, be of no leading consequence as they are preserved or destroyed, all the politics of Europe for more than two centuries have been miserably erroneous.“ Vgl. Harald Kleinschmidt, Geschichte des Völkerrechts in Krieg und Frieden (Tübingen 2013) 286–291. 65  Westphal, Frieden (wie Anm. 19) 100; Heinhard Steiger, Friedensschluss und Amnestie in den Verträgen von Münster und Osnabrück, in: Krieg und Frieden im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Theorie – Praxis – Bilder, hg. von Heinz Duchhardt–Patrice Veit (VIEG Beih. 52, Mainz 2000) 207–245, hier 215. Typische Beispiele für diese entkirchlichende Tendenz des Westfälischen Friedens, die nicht mit einer dechristianisierenden Orientierung verwechselt werden darf, war die sog. Anti-Protest Klausel, die unter ausdrücklicher Billigung auch der französischen Vertragspartner einen möglichen päpstlichen Protest für gegenstandslos erklärte. Vgl. Derek Croxton–Anuschka Tischer, Art. Protest and Anti-Protest Clause, in: The Peace of Westphalia. A historical dictionary (Westport 2002) 241. 66  Der erste Friedensvertrag, der diese Formulierung nutzte, war jener von Prag 1635. Er ging auf kursächsischen Einfluss zurück und wurde dann vom Westfälischen Frieden übernommen; vgl. Brunert, Frieden (wie Anm. 53) 80f.



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lige Römische Reich, im Revolutionszeitalter unter erheblichen politischen Druck seitens des revolutionären Frankreich geriet und sich 1806 bekanntlich schließlich ganz auflöste. Mit dem Untergang des römisch-deutschen Reichs verlor der Westfälische Friede praktisch jede konkrete politische Bedeutung. Zudem erschienen gerade Aspekte des Westfälischen Friedens, die im Ancien Régime die Attraktivität des Westfälischen Friedens ausgemacht hatten, nun in wachsendem Maße obsolet. Hier ist zum Beispiel der gerade erwähnte Bezug auf die gemeinsame christliche Grundlage des Völkerrechts zu nennen, die nun seit der Französischen Revolution nicht mehr als angemessen angesehen wurde. Auch nach dem Revolutionszeitalter wurde der Bezug auf den Westfälischen Frieden nicht wieder aufgenommen. Eine Rolle mag gespielt haben, dass die zentralen politischen Akteure im Umfeld des Wiener Kongresses – wie ja seit einiger Zeit sehr überzeugend herausgearbeitet worden ist – nun dezidiert den Bruch mit dem vorrevolutionären Staatensystem betonten67. Dies galt gerade für die konservativ-christlichen Exponenten des Wiener Systems wie Kaiser Alexander I. von Russland68. Auf theoretisch-gelehrter Ebene sah es freilich anders aus. Hier behielt die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wirksam gewordene Vorstellung vom Westfälischen Frieden als Basis des Völkerrechts und konstitutionellem Grundvertrag seine Bedeutung 69. Bemerkenswerterweise galt dies ausgerechnet in der deutschsprachigen Welt nicht. Hier verlor der Westfälische Friede angesichts der wachsenden Bedeutung des National- und Nationalstaatsgedankens seinen Nimbus und wurde spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als Grundlage deutscher Schwäche und Zersplitterung auf der einen Seite und französischer Hegemonie auf der anderen Seite dargestellt – eine Vorstellung, die bekanntlich bis mindestens zur Mitte des 20. Jahrhunderts wirksam blieb70. Aber in der einschlägigen Völkerrechtslehre anderer Länder – so im französisch- und englischsprachigen Raum – änderte sich am Rang des Westfälischen Friedens wenig71. Bemerkenswerterweise blieb es dort auch bei der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts üblich gewordenen Tradition, völkerrechtliche Vertragssammlungen mit Vorliebe im Jahr 1648 beginnen zu lassen72. 67   Paul W. Schroeder, The Transformation of European Politics 1763–1848 (Oxford 1994) 575–582; weitergeführt bei Paul W. Schroeder, International Politics, Peace and War, in: The Nineteenth Century. Europe 1789–1914, hg. von Tim Blanning (Oxford 2000) 158–209, hier 158. 68  Wolfram Pyta, Idee und Wirklichkeit der „Heiligen Allianz“, in: Neue Wege der Ideengeschichte. FS für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag, hg. von Frank-Lothar Kroll (Paderborn u. a. 1996) 315–345, hier 315. 69   Für eine Analyse der völkerrechtlichen Diskussion über Souveränität und Egalität im 19. und 20. Jahrhundert im Lichte der Rezeption des Westfälischen Friedens vgl. Stirk, Model (wie Anm. 5) 652–659. 70 Heinz Duchhardt, Münster und der Westfälische Friede, in: ders., Frieden (wie Anm. 5) 163–174, hier 168–174. Dieses Negativbild des Westfälischen Friedens erreichte in den 1930er und 1940er Jahren einen Höhepunkt. So nannte einer der führenden Historiker dieser Zeit, Heinrich Ritter von Srbik, den Frieden von Versailles von 1919 einen „zweiten Westfälischen Frieden“: Ders., Der Westfälische Friede und die deutsche Volkseinheit (München 1940) 26. 71  Montague Bernard, Four Lectures on Subjects Connected with Diplomacy (London 1868) 5, unter direktem Bezug auf die einschlägige Literatur des 18. Jhs.; vgl. für eine ähnliche Einschätzung Walter G.F. Phillimore, Three Centuries of Treaties of Peace and their Teaching (London 1917). 72  Die Vertragssammlungen von Graden, Ghillany und Schoell beginnen alle mit 1648, siehe Histoire générale des traités de paix et autres transactions principales entre toutes les puissances de l’Europe depuis la paix de Westphalie; ouvrage comprenant les travaux de Koch, Schoell, etc, entièrement refondus et continués jusqu’à ce jour, ed. Guillaume Laurent Garden, 15 Bde. (Paris 1848–1887); Diplomatisches Handbuch. Sammlung der wichtigsten europäischen Friedensschlüsse, Congressacten und sonstigen Staatsurkungen vom westfälischen Frieden bis auf die neueste Zeit, mit kurzen geschichtlichen Einleitungen, ed. Friedrich Wilhelm

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Hier konnte die völkerrechtshistorische und politikwissenschaftliche Diskussion der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihrer spezifischen Deutung des Westfälischen Friedens als „basic constitution and normative structure of the world order“73 unmittelbar anknüpfen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts drei verschiedene, sich gegenseitig beeinflussende Deutungen des Westfälischen Friedens nebeneinander existierten. Zum einen wurden die Verträge als wichtige völkerrechtliche Verträge zwischen dem römisch-deutschen Reich und Frankreich bzw. Schweden angesehen. Zum anderen galten die Verträge als „Lex Fundamentalis Imperii“, als wichtigstes Reichsgrundgesetz. Schließlich galten sie spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts als Grundverfassung des „Ius Publicum Europaeum“. Es waren dabei nicht so sehr Historiker, sondern Publizisten und politische Praktiker, welche die letztgenannte Vorstellung haben entstehen lassen, die dann Eingang in die Historiographie und Memorialkultur gefunden hat. Sie blieb in der gelehrten und politischen Diskussion präsent und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von der Politik- und Völkerrechtswissenschaft wieder aufgegriffen. Die bis heute so einflussreiche Vorstellung vom „Westfälischen System“, das seit 1648 die Beziehungen der souveränen Staaten bestimmte, ist eine Erfindung von Diplomaten, Politikern und Intellektuellen des 18. Jahrhunderts.

Ghillany, 3 Bde. (Nördlingen 1855–1868); Histoire abrégé des traités de paix, entre les puissances de l’Europe, depuis la paix de Westphalie, hg. von Friedrich Schoell, 15 Bde. (Paris 1817–1818). 73  McGrew, Globalization (wie Anm. 4) 23.



Orts- und Personenregister Sonja Lessacher Das Register berücksichtigt sämtliche verstorbene Personen sowie – ohne eigene Kennzeichnung – auch alle im Anmerkungsapparat erwähnten Orts- und Personennamen unter Ausklammerung ihres Aufscheinens in den zitierten Publikationen. Arbesbach, Herrschaft 45 Aachen 426f., 429 Arnim-Boitzenburg, Johann Georg von 355 Aachen, Hans von 351, 353 Aschach 223 Aargau 95 Aschau 243 Abaúj, Komitat 80f., 85f., 92f., 381 Äscher von Büningen, Hans Werner 367, 369, 371 Abele, Johann Philipp 338 Askanien (Aschersleben), Grafschaft 319f., 326 Abraham a Sancta Clara s. Sancta Clara Askanier (Haus Anhalt) 311, 315, 317–320, Achalm, Herrschaft 120 322–327 Aichinger, Martin 37, 217, 225 – August, Fürst von Anhalt-Plötzkau 322f. Alba Iulia 78 – Christian I., Fürst von Anhalt-Bernburg 34, 311, Albertini (Familie) 102 320 – Ascanio 101f., 110 – Christian II., Fürst von Anhalt-Bernburg 311– Aldringen, Johann von 104, 113, 355f. 329 – Paul von 104 – Friedrich von Anhalt-Bernburg-Harzgerode 315, Allentsteig 33 326 Allfeldt (Alfeld [Leine]) 275 – Ludwig I., Fürst von Anhalt-Köthen 315, 319f., Altdorf 44 322, 326 Altkirch, Herrschaft 119 Auersperg (Familie) 200 Altpölla, Herrschaft 227 – Johann Weikhart von 173–176, 243 Altpölla, Pfarre 48–51 Augsburg 16, 48, 187 Altsohl s. Zvolen – St. Ulrich, Kloster 16 Althan s. Althann Auracher (Familie) 42 Althann (Familie) 200 – Hans 42 – Michael Adolf von 351f. Außig s. Ústí nad Labem – Michael Johann von 359 Ambras, Schloss 350f., 354 Amerika 149, 153, 157, 427 Bad Hersfeld 291 Andelsbuch, Pfarre 372 Baden (Haus) Andlau, Georg Friedrich von 117 – Georg Friedrich, Markgraf von Baden-Durlach Anhalt, Fürstentum 312–314, 316–320, 322, 107, 109 324–329 – Leopold Wilhelm, Markgraf von Baden-Baden Anhalt-Bernburg, Teilfürstentum 311, 329 349, 359 Anhalt-Dessau, Teilfürstentum 311, 329 – Wilhelm, Markgraf von Baden-Baden 104, Anhalt-Köthen, Teilfürstentum 311, 316, 322, 329 111–113, 320 Anhalt-Plötzkau, Teilfürstentum 311, 329 Baden-Durlach, Markgrafschaft 418 Anhalt-Zerbst, Teilfürstentum 311, 329 Balderschwang 366 Ansbach, Landkreis 45f. Ballenstedt, Schloss 327, 329 Ansbach, Stadt 44 Baltikum 157 Ansbach-Bayreuth, Fürstentum 47 Bamberg 197, 324, 408, 418 Antwerpen 350 Banér, Johan 67, 267, 315, 318, 325, 327, 378

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Orts- und Personenregister

Banská Belá 81 Banská Bystrica 81f., 89, 91 Banská Štiavnica 81 Barby 327 Bärwalde in der Neumark s. Mieszkowice Basel 105, 108, 114, 116, 119 Basta, Georg 351f., 354f. Bauer, Georg 50 – Barbara 50 Bautzen 59, 275 Bayern 17, 20, 41, 49–51, 115, 122, 136, 139, 174, 215, 230, 291 Bayern (Haus Wittelsbach) 425 – Ferdinand, Erzbischof, Herzog von Westfalen 53f., 61, 74 – Friedrich V., Pfalzgraf, König von Böhmen 54, 57, 64, 71, 108f., 141, 156, 311 – Karl I. Ludwig, Pfalzgraf bei Rhein 425 – Ludwig I., König von Bayern 412 – Magdalena, verh. Pfalz-Neuburg 100 – Maximilian I., Herzog von Bayern 32, 51, 53, 136, 139, 156, 172f., 175, 215, 226, 250, 252, 290, 292f., 378, 401, 425 – Wolfgang Wilhelm, Pfalzgraf von Pfalz-Neuburg 320 Beatus, Georg 336 Beccaria, Virgilius 197, 205 Beck, Johann von (der) 69 Beer, Nathalie 374 Bekh, Simon 254 Belfort 109, 112f., 115f. Belfort, Herrschaft 119 Benfeld, Festung 101f., 112 Beneschau s. Benešov Benešov 267 Berchtold, Jakob von 196 Bereg, Komitat 81, 85f., 92f., 381 Berg, Herzogtum 100 Bergheim (Haut-Rhin) 108 Bergmann, Joseph 372 Berlin 400 Bernau, Herrschaft 119 Bernburg 327, 329 Besztercebánya s. Banská Bystrica Bethlen, Gabriel, Fürst von Siebenbürgen 19, 27, 30f., 38, 64, 66, 76–94, 193, 377 – Katharina, geb. Brandenburg, Fürstin von Siebenbürgen 85, 320 – Stephan, Fürst von Siebenbürgen 85 Bièfve, Edouard de 405 Biesheim 107 Bimmel, Johannes VIII. OSB 17 Birghden, Johann von den 333–336 Bizau 372 Blaas, Carl von 408 – Julius von 406 Blaubeuren, Herrschaft 120

Blickle, Peter 209, 213 Blumberg, Pfandschaft 119 Blumenegg, Herrschaft 40 Bludenz 40, 369 Bocskai, Stephan 87 Bodensee/Bodenseeraum 39f., 99, 116, 120, 122, 364, 366, 371 Böhmen 17, 28, 30f., 33, 36, 38–40, 44, 46, 51, 53–63, 66–68, 71f., 81, 92, 94, 98, 100–102, 106–108, 125, 138, 152, 168f., 175, 188, 194, 200, 203, 217–219, 222, 266–269, 272–275, 279, 308, 378, 398, 405 Böhmische Länder 23, 27, 29–33, 53, 55–59, 62, 66f., 68–75, 180, 183, 192, 198, 214 Böhmischkrut s. Großkrut Bonaventura de Longueval, Charles (Karl) 84, 356f., 407f. Bořita von Martinitz s. Martinitz Borri, Alessandro von 275 Borsod, Komitat 80f., 85f., 92f., 381 Börstel, Heinrich von 318f., 322, 325 Bottweiler, Pfandschaft 119 Bötzinger, Martin 16 Bourbon (Haus) 130 – Anna, Königin von Frankreich, geb. HabsburgSpanien 151f. – Heinrich IV., König von Frankreich 130, 429 – Ludwig XIII., König von Frankreich 108, 119, 121, 123, 151, 325 – Ludwig XIV., König von Frankreich 123, 151f., 175, 420, 425 – María Teresa (Maria Theresia), Königin von Frankreich, geb. Habsburg-Spanien 150–152, 154, 175 Bozzolo 284 Bracamonte y Guzmán, Gaspar de 158, 171 Brachel, Peter von 240 Brandenburg, Kurfürstentum 65, 85, 295, 316, 318, 320 Brandenburg-Ansbach, Markgrafen von 43 Brandenburg-Bayreuth, Markgrafen von 43 Brandenburg-Kulmbach, Fürstentum 418 Brandes, Heinrich Bernhard Christian 406f. Brandi, Karl 148 Bratislava 46, 78, 82–85, 88, 93f., 303–306, 308, 316, 321 Braunschweig 291 Braunschweig-Lüneburg, Herzogtum 318, 320, 418 Braunschweig-Wolfenbüttel, Fürstentum 418 Bregenz 18, 39f., 122, 363–369, 371f., 374–376 Bregenz, Herrschaft 366 Bregenzerwald 40, 369, 372, 374 Breisach 104–109, 111–125 Breisgau 95, 112, 114, 116f., 121, 124f. Breitenfeld (Leipzig) 111, 138, 141, 343, 378, 409 Bremen, Erzstift und Herzogtum 418 Breslau s. Wrocław Breslau, Fürstentum 65



Orts- und Personenregister

Breuner s. Breunner Breunner (Familie) 200 – Anna Maria von, geb. Trauttmansdorff 196f., 200, 202f. – Johann Breunner von Stübing 355 – Seifried Christoph 197, 202 – Siegfried Leonhard 359 Brezno 81 Bries s. Brezno Brisigell (Prisingell), Johann Thomas von 69, 219 Brno 36, 59, 61, 68, 86, 273, 381, 383 Bronckhorst-Batenburg, Johann Jakob von, Graf von Anholt 101, 104, 107, 109, 357 Brožík, Václav 398 Bruck an der Leitha 268, 273, 304 Bruck an der Leitha, Herrschaft 306 Brünn s. Brno Brüssel s. Bruxelles Bruxelles 98, 151, 404 Budapest 85, 405 Budweis s. České Budějovice Bülau, Friedrich 406f. Bumudh, Johann Conrad 388, 390 Bünde, Drei 363 Buquoy s. Bonaventura von Longueval Burg, Amt 322 Burgau, Markgrafschaft 40 Burger, Conrad 16 Burgund 98, 111, 113, 115f., 118f., 124, 156, 173 Burke, Edmund 430 Busso, Johann 385, 391 Buxtehude 275 Carl von Carlshofen (Familie) 188 – Philipp Jacob 188, 198, 204 Cammerlander, Johann 305, 309 Castañeda, Sancho de 325 Castel de Saint-Pierre, Charles Irénée 424 Cathalogna (Katalonien) 276 Cernay (Haut-Rhin) 113 Cernay, Herrschaft 119 Červená Řečice, Herrschaft 266–269 České Budějovice 308 Cheb 68, 89, 122, 139, 308f., 412f. Chemnitz 267 Chigi, Fabio 278 Cieszyn 422, 428 Cilli, Viertel/Herrschaft 217f. Cleve, Herzogtum 100 Coburg 296 Collalto, Rambaldo 357 Colloredo-Wallsee (Waldsee), Rudolf (Rodolfo) Hieronymus Eusebius von 139, 315, 318, 357 Colmar 110, 112, 115, 118, 122f., 126 Conräder, Georg 409 Corner, David Gregor OSB 35, 197, 200

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Couriers, Franciscus de 204 Crassius s. Grassius Cromwell, Oliver 140 Croy, Herzog von 107 Custos, Dominicus 351f., 355 Czerny, Albin 211f. Dachstein, Herrschaft 119 Dahme, Amt 322 Dampierre s. Duval de Dampierre Dänemark 85, 193, 393 Dardanellen 277 Dattenried s. Delle Dehn-Rotfelser, Moritz Adolf von 328 Dekapolis s. Colmar, Haguenau, Kaysersberg, Mulhouse, Munster, Obernai, Rosheim, Sélestat, Turckheim u. Wissembourg Delémont (Dellemont) 116 Delle 115 Delle, Herrschaft 119 Delsberg, Herrschaft 119 Descalzas Reales, Kloster de las 154 Deutschland 51, 47, 51, 55, 78, 81, 92, 94, 101, 107, 110f., 115, 119, 121f., 125, 139, 190, 213f., 231, 283, 300, 318, 326, 328, 352, 366f., 391, 393, 400, 420, 424 D’Indy, Vincent 413 Diernhofer (Dürnhoffer, Dirnhofer) (Familie) 302f. – Georg Ehrenreich 301–309 – Justina Silvia, geb. Hilpesreiter 304f. Dierstenpacher s. Dürstenbacher Dietrichstein, Franz Seraph von 192, 263, 321 – Maximilian von 190, 279 Dietz, Fedor 400 Dill (Bürger von Steyr) 254 Dillingen 297 Dillmetz, Philipp 234 Dilln s. Banská Belá Dôle 112 Donau, Fluss 16, 20f., 33, 35f., 38, 42, 80, 139, 194, 236, 378, 380f., 406f. Donauländer 17, 29–31, 47, 249 Donnersmark, Lazarus Henckel von 199 Doria, Andrea 349 Döring, David 317 Dorothea s. Mathes, Dorotea Drašković (Draskovich) (Familie) 89 Dregélypalánk 84 Dresden 64f., 275, 315, 317f., 406 Drosendorf 378–380, 382 Duch, Nikolaus 388–391 Dürstenbacher, Hanns 50 Dumont, Jean 423 Duval de (von) Dampierre, Henri (Heinrich) 83, 357, 404, 406f.

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Orts- und Personenregister

Ebelsberg 255 Eberhard, Johann 380 Ebersberg, Amt 224 Ecsed s. Ecséd Ecséd, Burg/Herrschaft 83, 85 Eferding 216 Eger s. Cheb Egg, Gemeinde 372 Eggenberg, Hans Ulrich von 203, 228, 281 – Johann Anton von 320 – Ruprecht 352 Eggenburg 34, 37, 382 Egger, Josef 123 Ehrenberg, Festung 38, 367, 376 Ehrenberg (Außerfern), Gericht 219 Ehrenstetten 113 Eichstadt 418 Eilenburg 410 Eisenerz 38, 236f. Eisenwurzen 44, 46, 236, 242 Eitelberger, Rudolf 405 Elbe, Fluss 68, 317, 327 Elsass 95, 98, 100, 102–106, 108f., 113–119, 122– 126, 158, 171, 420 – Oberelsass, Landgrafschaft 99, 105f., 108, 115, 122–124, 126, 420 – Unterelsass 98f., 102f., 105, 108f., 115, 118, 122–124, 126, 420 Elsensohn, Josef 372 Elzach, Herrschaft 119 Elztal 112 Endingen 119 Engerth, Erasmus von 405 England 140, 145, 289, 426–428 Schottland 306, 427 Enkefort, Adrian 371 Enns 216, 243, 254f. Enns, Fluss 216, 236, 244, 247, 255 Ennsdorf (Steyr) 239f., 251f. Ens, Caspar 340f. Ensisheim 95f., 102, 104f., 109, 111–113, 119 Enzmilner von Windhaag, Joachim 204 Eppelin, Anna 198 Erblande, österreichische/deutsche 17, 20f., 23, 27f., 42, 47f., 54, 59, 65, 72f., 75, 95, 98, 118, 137, 143, 152, 161f., 166–169, 174–176, 179f., 183, 189, 193, 205, 209, 280, 301, 321, 394 Erdődy (Familie) 89 Erfurt 114, 276 Erlach, Johann Ludwig von 120 Erlangen 44 Érsekújvár s. Nové Zámky Escorial, Schloss/Kloster 152 Esterházy (Familie) 89 – Nikolaus 86, 92f., 362 Esztergom 87, 352 Europa 14f., 18, 29, 53, 60f., 75, 81, 87, 91, 130,

152, 164, 179, 181, 393, 397, 400, 403, 405, 416, 423–425, 427–430, 432 Fadinger, Stephan 211, 216, 224, 243, 254f. Falb, Georg OSB 251–253 Falkenberg, Dietrich von 341 Falkenstein 201, 383 Farnese, Alessandro, Herzog von Parma u. Piacenza 349 Faucogney 112 Feldkirch 40, 363–365, 369, 371 Fellner, Fritz 18 Felwiglitz, Hieronymus 384 Feria, Herzog von s. Figueroa y Córdoba Fernberger (Familie) 200 Fernberger von Aur, Johann 350, 354 Feurstein, Georg 373f. Fidelis s. Sigmaringen, Fidelis von Figueroa y Córdoba, Gómez IV. Suárez de 39, 113 Fiľakovo, Festung 86 Fileck s. Fiľakovo Fischer-Cörlins, Ernst Albert 410 Fiume s. Rijeka Flachslanden, Hans Conrad von 117 Flandern 307 Flathe, Theodor 406f. Florenz 288–290 Fockhy, Daniel 201 – Emerich 201 Forchtenstein 362 Formica, Matthäus 334 Franche-Comté 99, 109, 112, 118, 124 Francke, Johann 331, 344 Frangepan (Frankopan) (Familie) 89 Franken 41, 43–48, 99, 291, 293 Frankenburg 216 Frankfurt am Main 31, 53, 74, 294, 331, 334f., 339, 341 Fränkhl, David 204 Fränkl, Jacob 204 Frankreich 19, 39f., 99, 110f., 113–119, 122–124, 139f., 156–159, 166f., 170–175, 189, 194, 278, 289, 314, 318, 325, 333, 364, 381, 393, 419–422, 426f., 429, 431f. Franz, Günther 17, 20 Frauenhofen 382 Frauenwörth, Kloster 22 Freiberg 267 Freiburg im Breisgau 99, 102, 108, 112f., 116, 119–121, 311 Freischling 382 Freistadt 42 Freistadt (an der Waag) s. Hlohovec Friesenegger, Maurus OSB 16 Fritsch, Augustin 286, 294 Fugger, Johann Ernst von 104



Orts- und Personenregister

Fülek s. Fiľakovo Furck, Sebastian 357 Fürstenberg, Egon VIII. von 104 – Jakob von 104 Furth, Maria 196, 200 Fürth 44, 46 Galgóc s. Hlohovec Gallait, Louis 405 Gallas, Matthias 18, 137–139, 269, 357, 401 Ganzeder, Stephan 254 Garam s. Hron Garden, Guillaume Laurent 431 Gars am Kamp 392 Garsten, Kloster 250f., 255 Gaspoltshofen 17 Gaul, Franz 408 Gebhard, Justus 317 Gemar s. Guémar Gembicki, Wawrzyniec, Primas 62 Germersheim 108 Gernrode, Reichsstift 323, 328 Geumann von Gallspach, Hans Ortolf 240 Geyer (Familie) 200 Ghillany, Friedrich Wilhelm 431 Gindely, Anton 53f. Gironimo (Bediensteter Kardinal Harrachs) 270 Gleink 247, 250, 255 Glogau s. Głogów Glogau, Herzogtum 64 Głogów 68, 383 Gmunden 17, 41 Goltz, Martin Maximilian von der 69 Gonzaga (Haus) 364 Görlitz 59 Görz 27f. Görzke 247 Göttweig, Stift 201 Götz, Johann 93 Gradiska 28 Gran, Fluss s. Hron Gran, Stadt s. Esztergom Gras, Caspar 131f. Grassius, Michael 196 Graubünden 99, 135, 364 Graz 101, 148, 197, 273, 296, 298 Gregorotzky (Familie) 200 – Barbara 197, 200 Greil, Alois 408 Greillenstein 360 Greimbl, Jakob 216, 225 Gresten 44 Greysing, Martin OPraem 19 Grieskirchen 226 Grillparzer, Franz 130 Grimmelshausen, Hans Jakob von 14, 238, 307

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Gross, Leo 417 Großbritannien s. England Groß Germersleben 275 Groß Gerungs 46 Groß-Glogau s. Głogów Großkrut 377, 386–389, 390, 392 Grosse, Gottfried 342f. Grüll, Georg 212 Grundemann, Konstantin 251, 253 Guémar 108 Guevara y Tassis, Íñigo III. Vélez de 98f., 153f., 325f. Günther, Friedrich 323 Güntzer, Augustin 15, 20 Gurlandt, Nikolaus von 196, 203f. Gutkas, Karl 190 Guzmán, Gaspar de 150, 155f. Gyarmat (Balassagyarmat) 80, 85, 88 Győr 83, 86, 187, 189, 197, 204f., 303, 321, 357 Gyulafehérvár s. Alba Iulia Haag 234 Haas, Johann 385 Habsburger/Haus Habsburg (Casa de Austria) 17, 23, 27, 29–31, 47, 55f., 59, 61f., 71, 74–76, 80– 82, 84–86, 88–93, 101, 105, 110, 114, 116–118, 122–125, 129–131, 133–137, 139–141, 143f., 146–153, 156–159, 162, 164–166, 170–176, 183, 186, 200f., 218, 280, 288–290, 302–304, 309, 312, 322, 331f., 334, 336, 338, 344f., 354f., 363, 365, 397, 400f., 404, 408, 414, 419f. – Albrecht VII., Erzherzog 31, 134f., 154 – Baltasar Carlos, Infant 150, 154 – Carlos, Infant 151 – Claudia, Erzherzogin, geb. Medici 38, 103f., 110, 113, 115f., 118–121, 123, 125 – Eleonore Magdalene, Kaiserin, geb. Pfalz-Neuburg 303 – Eleonora (Eleonore) Gonzaga, Kaiserin 92, 273, 320 – Elisabeth, Königin von Spanien, geb. Bourbon 150 – Felipe Próspero, Infant 151 – Ferdinand, Erzherzog 98 – Ferdinand, Kardinalinfant 39, 136 – Ferdinand I., Kaiser 60, 96, 98, 143, 151 – Ferdinand II., Erzherzog 96, 134, 350f. – Ferdinand II., Kaiser 18, 27, 30–33, 38, 40, 46, 51, 53f., 60–63, 65, 67, 71, 74, 78, 81f., 85, 91, 98, 104f., 108, 110, 118, 120, 125, 130f., 133, 135–137, 143, 150–152, 154–157, 166, 171, 185f., 189, 191–193, 196, 199, 202f., 207, 215, 220, 224, 226, 229, 240, 246, 250, 252, 256f., 263, 290, 296, 307, 311–313, 315f., 318–326, 328f., 332, 334–337, 339–341, 343–345, 352– 354, 377, 401–405, 407 – Ferdinand III., Kaiser, König von Ungarn 18, 22,

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Orts- und Personenregister

38f., 45, 55, 78, 81, 84–86, 92f., 115–117, 119, 121–124, 131f., 135–141, 150–155, 157f., 161f., 164, 166–170, 172–176, 179, 186, 189f., 194, 203, 205, 271–274, 278, 288f., 293, 296f., 299f., 303, 308, 317, 319f., 378f., 381, 389, 391, 394, 418–420 Ferdinand IV., röm.-dt. König 154f., 155, 175 Ferdinand Ernst, Erzherzog 92 Ferdinand Karl, Erzherzog 38, 96, 115, 121–123, 131, 367, 369, 371 Fernando, Infant 151 Francisco Fernando, Infant 150 Franz I. Stephan, Kaiser 422 Franz II./I., Kaiser 401 Franz Joseph, Kaiser von Österreich 374, 400f., 404–406 Isabella Clara, Erzherzogin 115 Isabella Clara Eugenia, Erzherzogin, geb. Habsburg-Spanien 134, 154 Joseph I., Kaiser 146 Joseph II., Kaiser 73, 141 Karl II., König von Spanien 151–154 Karl II. Franz, Erzherzog 151, 353 Karl V., Kaiser 98, 143, 148, 150–152, 326 Karl VI., Kaiser 131, 159 Karl, Markgraf von Burgau 134 Karl Joseph, Erzherzog, Fürstbischof, Hochmeister 58, 61f., 64, 98, 135, 141 Leopold I., Kaiser 131–133, 151–153, 155, 203, 205, 288f., 301–303 Leopold V., Erzherzog 38, 96, 98–112, 115, 122, 125, 135, 137, 140, 191, 208, 228, 364 Leopold Wilhelm, Erzherzog, Fürstbischof 18, 41, 104, 119, 121f., 137–141, 154, 168, 188, 198, 275, 307, 319f., 326 Margarethe, Erzherzogin 154 Margarita Teresa, Kaiserin, geb. Habsburg-Spanien 152, 288 Maria, Erzherzogin, geb. Burgund 145f. María, Kaiserin, geb. Habsburg-Spanien 143, 151 Mariana (Maria Anna), Königin von Spanien, geb. Habsburg-Österreich 151, 154, 158, 175 Maria Anna, Erzherzogin, geb. Bayern 100 Maria Anna (María Ana), Kaiserin, geb. Habsburg-Spanien 152–154, 186, 273f., 320 Maria Magdalena, Großherzogin 290 Maria Leopoldine, Erzherzogin 115 Maria Theresia, Kaiserin 141, 397, 421 Matthias, Kaiser 30, 58, 60f., 71, 100f., 134, 236, 240, 296 Maximilian I., Kaiser 130, 366, 397 Maximilian II., Kaiser 133, 135, 141, 143, 151, 153f. Maximilian III., Erzherzog 30, 96, 103, 105, 133f., 141, 217 österreichische Linie (Haus Österreich) 23, 53f., 60, 95f., 98f., 101, 110, 125f., 129f., 135, 140,

143, 150–156, 158f., 161, 165f., 170f., 174, 176, 311, 351 – Philipp II., König von Spanien 130, 151–153 – Philipp III., König von Spanien 98, 151–155 – Philipp IV., König von Spanien 96, 136, 150– 158, 175 – Philippine, geb. Welser 134 – Rudolf II., Kaiser 56, 58, 60, 98, 100, 130, 133f., 152, 351f., 357, 383 – Rudolf IV., (Erz-)Herzog 96 – Sigismund Franz, Erzherzog 96, 115, 131 – Sigmund, Erzherzog 96 – spanische Linie 95, 98f., 101, 110, 129f., 136, 143, 150–155, 158f., 161, 165, 171, 175f. – steirische Linie 151 – tirolisch-vorderösterreichische Linie 95f., 98f., 101, 110, 120–126, 129, 131, 151, 165 – Tomás Carlos, Infant 151 Habsburgermonarchie 13, 16–19, 20, 23f., 27, 54, 57, 60f., 63, 71, 73–78, 80, 87f., 90, 92–94, 129, 144f., 147, 153, 181–183, 185, 189, 198f., 208, 262, 265, 279, 312, 378, 381, 386, 393, 397, 400–403, 405, 407, 414 Hagenau s. Haguenau Hagenau, Festung 108 Hagendorf, Peter 14f., 247, 285f., 294, 306f. Haguenau 102, 105, 108–110, 113, 116, 122f., 126 Haidenbucher, Maria Magdalena OSB 22, 280 Halberstadt 275 Halberstadt, Bistum 84, 326 Halberstadt, Stift 315f., 319, 322 Hamburg 409 Hand, Johann 107 Händl, Joachim 251 Hanau-Lichtenberg, Johann Reinhard I. von 100 Happe, Volkmar 15, 323 Hardegg (Familie) 203 Harrach (Familie) 200, 268, 272–274, 277, 279, 281, 306 – Ernst Adalbert von 16, 21f., 261–275, 277–281, 294, 307 – Franz Albrecht von 272, 274, 294f. – Johann Karl von 265f., 294f. – Karl von 263 – Leonhard Karl von 274, 294, 320 – Maria Elisabeth, geb. Schrattenbach 263 – Otto Friedrich von 265f., 268, 294f. – Maria Elisabeth von, verw. Herzogin von Friedland 272 – Maximilian von 265f. Hard 376 Harz 311, 328 Harzgerode 317 Haspel, Thomas 45 Hattingen 188 Hatzfeld, Melchior von 138, 275, 294, 378 Hauenstein, Herrschaft 119



Orts- und Personenregister

Hausruckviertel 44, 47, 225 Haut-Barr, Festung 101 Hayden, Hans Christoph 230 Heberle, Hans 16f., 274, 280 Hegenmüller, Hans Rupprecht von 202 Heidelberg 286, 331 Heilbronn 45 Heilbronn (Feuchtwangen) 45 Heiligenkreuz, Stift 201 Heitersheim, Herrschaft 119 Helfenstein, Froben Christoph von 203 Heltmann, Balthasar 369, 374, 376 Henot, Hartger 102 – Seraphin 102 Herberstein (Familie) 200, 245 – Bernhardin von 298 – Catharina von (?) 195 – Johann Wilhelm von 298 Herberstein s. Hermestain Herberstorff, Adam von 18f., 211, 215f., 221, 223, 241, 245, 251f., 254, 290–293, 297f., 355 Herburger, Johann Konrad 372 Herzogenburg, Stift 201 Hessen 17, 291, 320 Hessen-Kassel (Haus) – Amalia, Landgräfin, geb. Kurland 401 – Wilhelm V., Landgraf 325 Hessen-Kassel, Landgrafschaft 332, 418 Heydendorff, Walther Ernst 125 Heysperg (Familie) 200 Hildprandt (Familie) 197, 202 – Martin 197, 202 Hilpesreiter, Bartolome 304 – Katharina 304 Hlohovec 86 Hochfelden, Pfandschaft 119 Höchst 109 Hodonín 84 Hofen, Schloss 367f. Hoffmann, Alfred 212 Hoffmayr, Wolfgang 386 Hofkirchen (Familie) 51 Hohbarr s. Haut-Barr Hohenbregenz, Festung 40 Hohenems, Stadt 40 Hohenems, Jakob Hannibal I. von 350, 354 – Jakob Hannibal II. von 40, 366 – Kaspar von 40 Hohenlohe, Grafschaft 247 Hohenstaufen, Herrschaft 120 Hohentwiel, Festung 120f. Hohentwiel, Herrschaft 119 Hohenzollern, Fürstentum 365, 400 Hohenzollern (Haus) 130, 365 – Christian Wilhelm von Brandenburg 316 – Eitel Friedrich von 263 – Friedrich I., König von Preußen 420

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– Friedrich II., König von Preußen 130, 138 – Georg Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 316, 320 – Johann Georg, Markgraf von Brandenburg 320 – Johann Georg von Brandenburg, Herzog von Jägerndorf 63f. Hohkönigsburg, Pfandschaft 119 Holck, Heinrich von 357 Holstein 291, 418 Holzmüller, Lazarus 226, 256 Homonnai Drugeth (Familie) 81 – Georg 89f. Horn 46, 377–383, 391f. Horn, Gustav 104, 111 Hörtenberg, Gericht 207 Hradec Králové 407 Hron 81 Iglau s. Jihlava Ihringen 107, 113 Ill, Fluss 108 Imhof, Heinrich Max 401 Indien – Ostindien 157 Ingolstadt 297 Innerberg s. Eisenerz Innerösterreich 27f., 38, 40, 46, 100, 151, 199, 296 Innsbruck 95, 104, 121–124, 126, 201, 207f., 230, 312, 367, 371 Inntal 99 Innviertel 44, 225 Ipeľ 84 Ipoly, Fluss s. Ipeľ Isenheim, Herrschaft 119 Isselburg, Peter 358 Istanbul 82, 86, 88, 252 Italien 98f., 110, 113, 119, 130, 143, 154, 277, 288, 290, 297, 314 Jankau s. Jankov Jankov 36, 56, 86, 138, 141, 273, 378, 406 Jasov, Propstei 89 Jászó s. Jasov Jenatsch, Jörg 363 Jihlava 68, 266, 382f. Jirásek, Alois 19 Jörger (Familie) 203 Jossau s. Jasov Jülich, Herzogtum 100–102, 125 Jungen, Johann Gottfried zum (Oberst) 275 Jüterbog, Amt 322 Kaiserstein (Familie) 200 Kamenz 59

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Orts- und Personenregister

Kannenberg, Christoph von 270 Karlsruhe 409 Kärnten 27f., 38, 46–48, 124, 219, 295 Karpatenbecken 78 Karpfen s. Krupina Kaschau s. Košice Kassa s. Košice Kassel 412 Kastelberg, Herrschaft 119 Kastilien 182 Katalonien 276 Kaysersberg 122f., 126 Kelsen, Hans 417 Kematen an der Krems 17 Kempten, Stift/Stadt 40, 366 Kenzingen 119 Kepler, Johannes 51, 232 Khevenhüller von Frankenburg (Familie) 355 – Franz Christoph von 154f., 186, 207, 229, 281, 303–305, 349, 352, 354f., 357 – Susanna Eleonore, geb. von Kollonitsch 304f. Khielmann von Kielmansegg (Familie) 188, 202 – Heinrich 188f., 197, 202 Khlesl, Melchior 23, 30, 60, 198 Khober, Bartholomäus 384 Kielmann s. Khielmann Kilian (Familie) 354 – Bartholomäus d. J. 354 – Lucas 351, 353, 357 – Wolfgang 352–359 Kirchberg am Walde 33, 303–305, 307 Kirchhofen, Herrschaft 112, 119 Kirnberg, Herrschaft 119 Kiskomárom 303, 307 Kleiner, Viktor 374 Kleinhadersdorf 384 Kleinkomorn s. Kiskomárom Kleve s. Cleve Klose, Johann Bartholomäus 263 Klosterneuburg, Stift 201 Knoll, Hans 386f. Koch, Christoph Guillaume 425 Kölbl (Familie) 42 Kollonitsch (Familie) 307 – Ernst von 305, 357 – Ferdinand Emmerich von 307 – Heinrich Karl von 359 – Leopold von 304 – Siegfried von 352 Köln 174, 331f., 340f., 345 Köln, Kurfürstentum 418 Komárom (Komárno) 80, 83 Komárom, Komitat 80 Komorn s. Komárom (Komárno) Königgrätz s. Hradec Králové Königsberg s. Nová Baňa Königsberg, Wolf Matthäus von 197

Königsegg, Graf von (Familie) 40 Königsmarck, Hans Christoph von 270–273 Konstantinopel s. Istanbul Konstanz 122, 124, 366 Körmöncbánya s. Kremnica Korneuburg 35f., 382, 389 Kornfail (Familie) 200 Kortrijk 276 Košice, Festung 80 Košice, Stadt 81, 84f., 93, 188 Krafft, Johann Peter 405 Krain 27f., 38, 47, 73, 208, 213, 217, 225 Kremmer, Hans Paul 296, 298 Kremnica 81 Kremnitz s. Kremnica Krems an der Donau 18, 35f., 249, 251, 273, 381f., 389, 404, 406 Kremsmünster 17, 224, 254 Kretschmer, Johann Hermann 412 Kreutter, Franz 123 Kroatien 27, 38, 75f., 78, 80, 89 Kröllendorf, Herrschaft 296 Kröllendorf (Allhartsberg), Schloss 296 Kronegg (Familie) 295f., 298–300 – Christoph (II.) von 298 – Elisabeth, geb. Kremmer von Königshofen 295f., 298f. – Ferdinand von 296 – Hans Wilhelm von 295–300, 303, 305, 309 – Johanna Elisabeth, geb. Fernberger von Eggenberg, verw. Sigmar 295 – Karl von 295f., 298 – Maria Susanna 298 Krones, Franz 148 Krozingen 113 Krupina 81 Kuefstein (Familie) 360 – Anna Maria, geb. Puchheim 360 – Clara, geb. Puchheim 360 – Georg Adam von 360, 362 – Jakob Ludwig von 360, 362 – Johann Wilhelm von 360, 362 Kullmer, Thomas 46 Kulmbach 44 Kunersdorf s. Kunowice Kunowice 138 Künzel, Wilhelm Alexander 399 Kurz von Senftenau, Ferdinand Sigmund (Sigismund) 124, 173–176, 281, 379–382 La Tour d’Auvergne, Henri, Vicomte de Turenne 121 Laa an der Thaya 383, 385 Laakirchen 41 Laimbauer, Martin s. Aichinger, Martin L’Allmand, Siegmund 405 Lambach, Stift 16f.



Orts- und Personenregister

Lamberg, Abraham 341f. – Johann Maximilian von 168 Lamormain, Guillaume 92, 325 Lamormaini, Wilhelm s. Lamormain, Guillaume Lanckoronski-Brzezie, Karl 404f. Lankheit, Klaus 410 Landau, Reiner von OSB 198 Landser, Herrschaft 119 Langenargen 371 Langenlois 21, 34 Latomus (Familie) 336, 339f. – Anna Katharina 336f. Lauban s. Lubań Laubermann, Philipp Jacob 383 Laufenburg 116, 119, 124 Lauingen 296 Lausitzen 23, 31, 58–61, 63, 71, 315f., 321 Lebzelter, Friedrich 323, 325 Leibniz, Gottfried Wilhelm 423 Leipzig 314, 322, 331f., 340f., 343, 345, 399f., 409 Pleißenburg, Festung 322 Leisser, Ulrich 35 Leitl, Hans 50 Leitmeritz s. Litoměřice Leitner, Quirin von 407f. Lembach 254 Lens 141 Leoben 38 Lepanto s. Nafpaktos Leutershausen 46 Leutersheim, Johann von 266 Leutkirch 366f. Léva s. Levice Levice, Festung 86 Lewenz s. Levice Libethen s. Ľubietová Lichtenburg (bei Prettin), Schloss 317 Liebenthal, Christian 324 Liechtenstein (Familie) 64, 383f. – Gundaker von 19, 64 – Elisabeth Lukretia, geb. Teschen 64 – Karl I. von, Herzog von Troppau 63f. – Maximilian von 200 Lindach, Pfarre 41 Lindau 40, 48, 370 Lindner, Wolf 231–234 Lingenau 369, 371f. Linz 16, 30, 42, 78, 80f., 86, 88, 93, 215f., 226, 232, 236, 248, 250f., 254–256, 273f., 304, 378, 381 Lippay, Georg, Primas 86 Litoměřice 315 Löbau 59 Lobkowitz (Familie) – Wenzel Eusebius Popel von 318 – Anna Magdalena, geb. Lobkowitz 273 Lobkowitz-Bilin, Benigna Katharina Popel von 273

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Löbl, Hans Christoph von 256 Lochau 367f., 375f. Lombardei 205 London 405 Loosdorf, Herrschaft 31 Lopiz, Johann 384 Losenstein 243 Losenstein (Familie) 200 – Georg Achaz von 202 Lothringen 99, 107, 109, 173, 306 Lothringen (Haus Vaudémont) (Familie) 164 – Heinrich II., Herzog von Lothringen 100 Löw, Johann 321, 324 Löwenau, Friedrich Arnold von 302 Lubań 59 Ľubietová 81 Luckhner, Maximilian 243 Lüders (Lure), Kloster s. Murbach Lundidh, Jakob 381f. Luther, Martin 299 Lutter am Barenberge 291f., 408 Lutz, Adam 388 Lützen 14f., 238, 266, 399, 401f., 408, 410f. Luz (Barbier in Steyr) 243, 254 Mably, Gabriel Bonnot de 423–425 Machlandviertel 37, 217 Madlseder, Regina 256 – Wolf (Wolfgang) 254, 256 Madrid 119, 151–158, 175, 290 Magdeburg 247, 325, 331, 337f., 340–345 Magdeburg, Erzstift 315f., 319, 322 Mähren 16, 17, 28, 31, 44, 46, 51, 58–64, 66–68, 71f., 78, 84f., 188, 192f., 202, 218f., 222f., 378, 380f., 385 Mailand 39, 101, 363 Main, Fluss 111, 139 Mainau, Insel 122, 371 Mainz 339, 418 Mairhöfer, Hans 45 – Justina 45 Maissau, Herrschaft 33 Makart, Hans 410f. Mallinger, Thomas 112 Mamming (Familie) 200 Mannshalm 49f. Mansfeld, Bruno von 359 – Karl von 352, 355 – Peter Ernst II. von 64, 66, 84, 101, 104, 108f., 241, 355, 407f. – Philipp von 357 – Wolfgang von 355 Mantua, Herzogtum 364 Marradas et Vique, Balthasar (Baltasar, Baltazar) de 69, 267, 358 March, Fluss 193

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Orts- und Personenregister

Marchegg 21 Marcoursan, Oberst 107 Martinitz, Bořita von Martinitz, Georg Adam I. 173–176 – Jaroslav von 22, 272 Marzin, Rudolf von 267 Masmünster, Pfandschaft 119 Mathes, Dorotea, geb. Oeller, verw. Bartlmé 267f. Mattsee, Stift 354f., 357f. Mauerbach, Kartause 201 Mayr, Hanns 243 – Johann 253 – Zacharias 204 Mayrhoffer, Anna OP 388, 390 Mecklenburg 17 Meggau, Leonhard Helfried von 196, 203 Megiser, Hieronymus 51 Mehrerau, Stift 40, 371 Meißen 317 Melander von Holzappel, Peter 19, 139, 308 Melk, Stift 201 Mell, Anton 212 Melvill(e), Andrew de 306f. Melzer s. Mölzer Mensi von Klarbach, Franz 185 Meran s. Merano Merano 222 Mercy, Franz von 121 Merian, Matthäus d. Ä. 412 Messerschmitt, Pius Ferdinand 409f. Meusburger, Kaspar 372f. Michna s. Michna von Vacínov Michna von Vacínov, Georg Wilhelm 268 Mieszkowice 110 Mikulov 78, 80f., 84, 88, 91 Militärgrenze 38, 78, 189, 195, 203f., 245, 321 Miller, Michel 50 Miltitz, Nicol Gebhard von 317 Mislík, Jan Zikmund 275 Mistelbach 377, 380, 383–385 Mittelmeer 277, 280 Mittkreuch, Thomas 244 Mödring 382 Mohács 75 Möhner, Reginbald 16f. Moldau, Fluss 270 Molsheim 102 Mölzer, Lukas 306–308 Moncornet, Balthasar 358 Mondsee, Kloster 222f. Montafon 364 Montaut-Bénac, Philippe de 284, 292 Montecuccoli, Raimondo 267, 283f., 287f., 292, 294, 300, 359 Montrichier, Sigmund von 381 Mostviertel s. Niederösterreich, Viertel ober dem Wienerwald

Mühlberg 326 Mülhausen s. Mulhouse Mühlviertel 37, 42, 47, 225, 243 Mulhouse 122f., 126 München 22, 32, 211, 235, 250, 405 Münchengrätz 401 Munster 122f., 126 Münster 40, 51, 95, 117, 121, 123, 125f., 139, 161, 166, 172f., 175, 272, 276–279, 386, 415, 418, 420f., 425 Münster im Elsass s. Munster Münstertal, Herrschaft 112 Murbach, Abtei 102–107 Mürteza Pascha s. Sarhoş, İbrahim Nafpaktos 350 Nagel, Philipp OSB 17 Nagyszombat s. Trnava Nahl, Karl 412 Nassau (Familie) 107, 290 – Johann Ernst, Graf von Nassau-Siegen 290 Nassau-Oranien, Wilhelm II. von 140 Navailles, Herzog von s. Montaut-Bénac Neapel, Königreich 182 Neenstetten 16 Neisse, Fürstentum 58 Nenzing 374, 376 Neuburg, Festung 369, 371 Neuenburg am Rhein 119 Neugrad s. Nógrád Neuhäusel s. Nové Zámky Neumann, Leopold Theodor 405 Neumarkt in der Oberpfalz, Landkreis 44 Neupölla 51 Neusohl s. Banská Bystrica Neustadt an der Aisch 44f. Neustift, Amt 224 Neutra s. Nitra Neutra, Komitat s. Nyitra, Komitat New York 357 Neyron, Peter Joseph 425 Niederlande 53f., 71, 98f., 107, 109f., 119, 134, 140, 143, 153f., 156f., 240, 276–278, 280, 289, 298, 314, 350, 352, 415, 425, 427 – Vereinte Niederlande (Generalstaaten) 53, 152, 156f., 182, 278, 415 Niederösterreich (Land unter der Enns) 20f., 22, 27–37, 40f., 43f., 46–51, 73, 83, 179f., 183, 187, 189–192, 194–202, 204f., 219, 234, 251, 268, 275, 291, 296, 302, 337, 377f., 382f., 390, 392, 394, 406 – Viertel ober dem Manhartsberg 20, 28, 32–37, 43–46, 50f., 191, 273, 304, 377–379, 382f., 386, 391, 394 – Viertel unter dem Manhartsberg 20, 31–37, 43, 48, 50f., 191, 377f., 383, 386, 388, 394



Orts- und Personenregister

– Viertel ober dem Wienerwald 35, 42–44, 51, 191, 296, 378 – Viertel unter dem Wienerwald 20, 35, 43, 51, 191, 378 Niedersachsen 193, 292, 312, 314, 322 Nijmegen 306, 419 Nikolsburg s. Mikulov Nimwegen s. Nijmegen Nitra 304 Nógrád, Komitat 84 Nonantola 283 Nondorf (Pölla) 50 Nonnberg, Stift 196, 200 Nordbalkan 90 Nördlingen 48, 65, 115, 120, 135–137, 266, 317f., 338–340, 366, 408 Norwegen 393 Nové Zámky 83f. Noyelles, Pontus de 350 Nürnberg 42, 44, 48, 234, 277, 362 Nyitra, Komitat 86 Ober-Bergheim, Herrschaft 119 Oberehnheim s. Obernai Oberhollabrunn 201 Obernai 122f., 126 Oberösterreich (Land ob der Enns) 18, 20, 23, 27– 32, 36f., 40–45, 47–49, 51, 100, 156, 175, 198, 204, 208, 211, 213, 215f., 219, 224, 226, 233, 241, 244–246, 248, 250–252, 257, 290f., 355 Oberpfalz 44, 50f. Oberrheingebiet 95f., 98f., 101–105, 109–111, 115–121, 125f., 137 Obersachsen 312, 322 Obersulz 385 Obizzi, Ferdinando 362 Ödenburg s. Sopron Ofen s. Buda Oldenburg (Haus) – Christian IV., König von Dänemark u. Norwegen 315f., 324 Olivares, Conde de s. Guzmán Olmütz s. Olomouc Olomouc 59, 68, 383, 385f., 394 Oñate, Conde de s. Guevara y Tassis Öppelin s. Eppelin Oppel, Johann Georg 317 Oppeln, Herzogtum 64, 68 Orbetello 277 Ortenau 117 Ortenau, Reichslandvogtei 98 Osman (Haus) – Ahmed I., Sultan 190 – Süleyman I., Sultan 75 Osmanen/Osmanisches Reich 23, 38, 75, 77, 80, 85, 88, 166, 183, 189, 352, 360, 381

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Osnabrück 40, 51, 66, 139, 161, 166, 172, 275, 277–279, 386, 415, 418 Ossa, Wolfgang Rudolf von 106 Österreich 16f., 20, 28, 45f., 51, 54, 67, 148, 161, 169f., 183, 205, 207, 214f., 218, 229f., 233, 295, 355, 357, 364, 401f., 406, 422, 426f. Ostpreußen 306 Ostsee 17, 137, 280 Oxenstierna, Axel 114, 116, 140, 313, 318, 320, 325, 393 Paar, Rudolf von OSJH 358 Pálffy von Erdőd (Familie) 89, 204 – Nikolaus 352 – Paul 204f. Pappenheim, Gottfried Heinrich zu 19, 243, 356, 358, 401, 408, 410f. Päpste – Gregor XV. 263 – Paul V. 250 – Urban VIII. 325 Paradeiser, Franz 308 Paris 101, 126, 156, 427 Passau 96, 99, 135, 137, 303, 319 Passau, Bistum 41, 100, 102, 104 Paur s. Bauer Pázmány, Péter (Peter), Primas 89, 196f., 204 Pegnitz, Fluss 42 Pekař, Josef 54 Peñaranda s. Bracamonte y Guzmán Perchtoldsdorf 306 Perger (Familie) 188, 202 – Carl 188, 202, 205 – Christoph 42 – Sara, geb. Kölbl 42 Peters, Jan 261 Peuerbach 254 Pfalz 51 Pfalz, Kurfürstentum 108, 326, 418 Pfalz-Neuburg, Fürstentum 51 Pfannberg, Schloss 369, 371 Pfeilberg, Hans von 197 Pfirt, Amt 98, 113, 119, 122 Pforzheim 45 Pfriemreith, Amt 224 Philippsburg 113 Piasten (Haus) 65 – Georg Rudolf, Herzog von Liegnitz 65f. – Karl Friedrich I., Herzog von Oels 65f. – Johann Christian, Herzog von Brieg 64–66 Piccolomini, Ottavio 137–139, 275, 358 Pichler, Karoline 398 Piloty, Carl Theodor von 411–413 Pilsen s. Plzeň Pilsen, Kreis 275 Pinter, Martin 50

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Orts- und Personenregister

Pirna 267, 315, 317, 318f., 321 Planta, Pompejus von 363 Plechl, Pia Maria 392 Plessen, Volrad von 53 Plessis, Armand-Jean du 121 Plzeň 269, 378 Pöggstall, Herrschaft 45 Pogled, Herrschaft 228 Pogner, Abraham 42 Poigenreich (historische Landschaft) 379 Polen 89, 393 Polheim (Familie) 200 Polišenský, Josef 54, 71 Pommern 17, 296, 381 Ponickau, Johann von 327 Poříčí nad Sázavou 268 Porrentruy 116 Porschitz s. Poříčí nad Sázavou Portugal 64, 135, 145, 278 Poybach, Bach 385 Poysdorf 383–387, 392, 394 Pozsony s. Bratislava Prag s. Praha Prag, Erzbistum 22, 266, 272, 281 Praha 21, 28f., 31f., 53f., 56, 59, 63– 66, 71, 82, 99, 101, 115, 136f., 166, 169, 232, 240, 263, 266–273, 275, 277, 311f., 317, 320f., 323–329, 378, 398, 405, 427, 430 – Altstadt 68, 270, 272, 398 – Hradschin 270 – Kleinseite 68, 135, 270, 273 – Neustadt 68 Prandtmühl, Hauptmann von 248 Pressburg s. Bratislava Pretzsch 317 Preuenhueber (Familie) 42 – Valentin 42, 51, 231, 233f. Preußen, Königreich 420–422, 426 Prickhelmayr, Matthias 173–176, 192 Pricklmayr s. Prickhelmayr Prisingell s. Brisigell Pruntrut s. Porrentruy Pucher, Johann Georg 322 Puchheim, Adolf Ehrenreich von 360 – Johann Christoph II. von 360, 362 – Johann (Hans, Hanns) Christoph III. von 139, 303, 360–362, 382 – Johann Rudolf von 360, 362 Pukanec 81 Pukanz s. Pukanec Pulkau 394 Puzer, Adam 254 Querfurt, Amt 322 Questenberg (Familie) 355 – Gerhard von 358

– Hermann von 317, 358 Quiroga, Diego de 153 Raab s. Győr Raabe, Wilhelm 372 Rabensburg, Schloss/Festung 383, 388–390 Radolfzell 366 Rain am Lech 409f. Raitenau, Hans Werner von 364, 366 Rákóczi, Georg I., Fürst von Siebenbürgen 38, 76–79, 81, 85–94, 381 – Georg II., Fürst von Siebenbürgen 81 – Sigismund 81 Ramée, Laurentius 101f. Ramsau (Pölla) 50 Ransperg, Franz OSB 371, 374 Rappach (Familie) 200 Rappoltstein (Familie) 111 – Eberhard von 103, 110–112, 115 Rappoltstein, Herrschaft 110 Rassow, Peter 150 Ratibor, Herzogtum 64, 68 Ravensburg 371 Rechberger, Wilhelm 197, 204 Redeghem, Jean de 350 Redern, Melchior von 352, 355 Regéc, Herrschaft 85 Regele, Oskar 23 Regensburg 41f., 48, 65, 115, 121, 179, 233, 245, 251, 257, 296, 353, 378, 401, 418, 421 Rehlingen, Marx Konrad von 111 Reich, Altes – Burgundischer Reichskreis 173 – Fränkischer Reichskreis 313, 317, 319 – Kurrheinischer Reichskreis 313, 317, 319 – Niederlande, österreichische bzw. nördliche 134, 136 – Niederlande, spanische bzw. südliche 100, 107, 136, 139, 154, 159, 307 – Oberrheinischer Reichskreis 313, 317, 319 – Schwäbischer Reichskreis 313, 317, 319 Reich, Heiliges Römisches 17f., 20, 23f., 28, 46f., 55, 57, 67, 73, 91, 98, 100, 105, 110, 118f., 122f., 133, 139, 143, 147, 149, 155–158, 161, 166–170, 172–176, 179, 193, 232, 241, 275–278, 312, 315, 319, 321, 323–326, 331, 334, 377, 393f., 416–422, 424–426, 429–432 Reich von Reichenstein, Hans Theobald von 118 Reichenau (Nový Rychnov), Gut 269 Reinach, Hans Heinrich von 115, 117 Reinharten, Caspar 255 Reinprechtspölla 392 Reinsberg, Pfarre 44 Remiremont, Abtei 112 Resch, Maria 200 Retschitz s. Červená Řečice



Orts- und Personenregister

Retz 34, 191, 378 Reuthe im Bregenzerwald 374 Reutte 38 Rhein, Fluss 95, 99, 106–108, 111, 113f., 116, 124f., 276, 294, 364, 369 Rheinberger, Josef Gabriel 413 Rheinfelden 114, 116, 119, 124 Rheinpfalz 108f. Rhomberg, Thomas 369, 375f. Richelieu, Kardinal s. Plessis Rijeka 297 Rogendorf (Roggendorf ), Wilhelm von 350f. Rohan, Henri II. de 146, 163, 166 Rohrendorf bei Krems 380 Rom 263, 273, 277f., 280f. Romanow-Holstein-Gottorp (Haus) – Alexander I., Kaiser von Russland 431 Romberg s. Remiremont Roo, Gerard de 351 Rosheim 122f., 126 Rosenthal (Rožmitál pod Třemšínem) 268 Rotenberg (Rougemont), Pfandschaft 119 Rouck, Willem de 350 Rouffach 102, 104, 109 Rousseau, Jean-Jacques 424f. Roy, Markus s. Sigmaringen, Fidelis von Ruben, Christian 398 Rubens, Peter Paul 408 Ruemer, Johann SJ 197, 201 Rufach s. Rouffach Ruhrgebiet 188f. Ruß, Karl 401f. Russland 393, 422 Rusworm s. Rußwurm Rußwurm, Hermann Christoph 351–354 Saale, Fluss 311 Sablat s. Záblat Saboltsch s. Szabolcs Sachsen, Kurfürstentum (Kursachsen) 17, 44, 48, 60, 65, 136, 267, 293, 313–322, 324, 326f., 329, 343, 345, 378 Sachsen-Altenburg, Herzogtum 418 Sachsen-Coburg, Fürstentum 418 Sachsen-Gotha, Herzogtum 418 Sachsen-Lauenburg (Haus) – Julius Heinrich 272f., 297 – Franz Julius 316 – Rudolf Maximilian 297 Sachsen-Weimar, Herzogtum 118, 318 Säckingen 116, 119, 124 Sadeler, Johann I. 351, 354 Sagan, Herzogtum 64 Saint-Germain 117 Saint Hilaire, Gilbert de Santhilier (Arsenalhauptmann) 404

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Salaberg, Herrschaft 42, 234 Salm, Otto Ludwig von 107, 110, 112 – Philipp Otto von 104 Salzburg 49–51, 234 Salzburg, Stadt 17, 182, 197, 200 Sancta Clara, Abraham a 300f. Santhilier, Carl von 197 Sarhoş, İbrahim, Pascha 84f. Sárospatak, Herrschaft 85 Sathmar s. Satu Mare Satu Mare, Festung 80 Saverne 101 Schaffgotsch, Hans Ulrich von 65 Schaller, Ludwig 401 Scharer, Josef 385 Scharnitz 367 Schattenburg, Festung 369, 371 Schauenburg, Hannibal von 112 Schemnitz s. Banská Štiavnica Schiffmann, Konrad 232 Schildknecht, Balthasar 46 – Veronica, geb. Trunzer 46 Schiller, Friedrich von 15, 140, 412f. Schimek, Ludwig 400 Schinkel, Karl Friedrich 399 Schlägl, Stift 19 Schleder, Johann Georg 339 Schlegl, Anna, geb. Haffner 200 Schlesien 17, 31, 46, 51, 58f., 61f., 64–68, 71–73, 218, 222, 321 – Oderland/-gebiet 64, 68 Schleswig-Holstein 36 Schlettstatt s. Sélestat Schlick von Passaun, Heinrich 124, 320, 322, 358 Schlottmann, Louis 413 Schmauß, Johann Jacob 423 Schmelzer, Tobias 248 Schnorr von Carolsfeld, Ludwig 355f. Schoell, Friedrich 431 Schönebeck (bei Magdeburg) 325 Schönkirchen, Johann Maximilian (Hans Max) von 307 Schormann, Gerhard 14 Schottwien 198 Schrattenbach, Felix von 217 – Maximilian von 263 Schrattenthal 378 Schrenck von Notzing, Jacob 350 Schrott, Achaz 235, 250 Schützingen 45 Schwabach 48 Schwaben 17, 40, 44f., 48f., 51, 115, 120, 291 Schwarz, Matthias 388–390 Schwarzenberg, Adolf von 351f. Schwarzenberg, Herrschaft 119 Schwarzenberg, Pfarre 372 Schwarzwald 45, 95, 117, 125

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Orts- und Personenregister

Schweden 40, 85, 107, 110f., 115, 119f., 122f., 158, 167f., 172f., 189, 278, 313–320, 322, 325f., 328, 336, 343, 381, 393, 399, 402, 420–422, 432 Schweiz 51, 116, 369 Schwendi von Hohenlandsperg, Lazarus 350f., 355 Schwerdling, Johann 289 Schwindt, Max 409 Sechsstädte s. Bautzen, Görlitz, Kamenz, Lubań, Löbau u. Zittau Seewis 364 Seidler, Philipp 385 Sélestat 102, 109, 112 St. Fides, Kloster 102 Seliger s. Beatus Seni, Giovanni Battista 411f. Sennheim s. Cernay Siebenbürgen, Fürstentum 60, 81f., 86, 88f., 91, 189f., 193, 304 Sierning 254, 256 Sigmaringen, Fidelis von 363–365 Sinnich, Wolfgang 188 Sinzendorf (Familie) 45, 200 Skanderbeg [Kastriota, Georg] 350f. Slawata, Franziska, geb. Meggau 203 – Wilhelm 203 Slawonien 27, 89 Smetana, Bedřich 413 Solms-Braunfels, Johann Albrecht von 54 Somer, Matthias van 362 Sonnenberg, Herrschaft 40 Sontag, Hans 50 Sopron 83f., 91f., 94, 204, 303 Spalato s. Split Spanien 17, 39, 53f., 98, 110, 119, 134f., 139, 143, 145f., 147, 149f., 152, 154–156, 158, 170–176, 278, 280, 364, 415, 420, 426–428 Spaur, Dominikus Vigilius von 293 Speyer 108 Spielberg s. Špilberk Špilberk, Festung 36 Spindler (Familie) 200 – Andreas 197 – Anna Maria 197 Spindler von Hofegg, Anton OSB 224, 234 – Johann 251 Spinola, Ambrogio 134 Spiš 81, 93 Spitz an der Donau 42 Split 109 Sporck, Johann von 401 Sproty, Sebastian 247 St. Amarinstal (Thurtal) 113 St. Amarinstal, Herrschaft 119 St. Andrä an der Traisen, Stift 201 St. Georgen im Attergau 304f. St. Germain s. Saint-Germain St. Pierre s. Castel de Saint-Pierre

St. Pölten, Kloster 201 Staatz, Festung 383f. Staden 275 Stadtlohn 193, 298 Stålhandske, Torsten 275 Stallhanß s. Stålhandske Stängl, Hans Erhard 230 Starhemberg (Familie) 200, 288f., 293 – Heinrich Wilhelm von 288–300, 302f., 309 – Johann Reichard von 359 – Reichard von 291 Staufen im Breisgau 112 Staufen im Breisgau, Herrschaft 112, 119 Steiermark 27f., 38, 47f., 51, 180, 190, 195, 197– 199, 208, 213, 217, 219, 222, 225, 295 s. Innerösterreich Stein an der Donau 18, 36, 188, 406 Steinau 408 Steinwich, Lambert 400 Steyr 42f., 224, 226, 231–237, 240–257 Steyr, Fluss 236 Stieve, Felix 211f. Stirner, Matthias (Matthes) 50 Stockholm 358, 392f., 402 Strakonice 308 Strakonitz s. Strakonice Stralendorf, Peter Heinrich von 320 Stralsund 400 Strasbourg 96, 99, 102f., 105, 107f., 110f., 119, 122, 135, 137 Straßburg s. Strasbourg Straßburg, Bistum 100f., 104, 108, 115 Strauch, Cornelius OCist 192 Strauss, Richard 413 Striegel, Andreas 334 Stuart (Haus) – Karl I., König von England, Schottland u. Irland 428 – Maria I., Königin von Schottland 145 Stüeler, Michel 15, 20 Stühlingen, Landgrafschaft 119 Sturm, Johannes 297 Sturmberger, Hans 57, 71, 212 Subersach, Fluss 374 Sulz, Karl Ludwig Ernst von 104 Sulz, Grafschaft 119 Sulzberg 366 Sulzbürg-Pyrbaum 44, 46 Sulzgau 46 Sundgau 95, 109, 112, 115, 120, 122, 125, 420f. Sutter, Peter 191 Svoboda, Karel 397 Szabolcs, Komitat 80f., 85f., 92f., 381 Szatmár s. Satu Mare Szatmár, Komitat 81, 85f., 92f., 381 Szendrő, Festung 86



Orts- und Personenregister

Szigetvár, Burg 405 Szőny (Komárom) 80, 85, 88 Talmberg, Friedrich von 22 Tarcal, Herrschaft 85 Taufrer, Matthias 187f., 190, 192 Taxis (Familie) 332, 334–336 – Leonhard II. von 335 Tegen, Georg 208 Tengnagl, Frans (Gansneb) 102 Tennenbach, Kloster 16 Teschen s. Cieszyn Teschen, Herzogtum 64 Teufel (Familie) 200 – Otto von 203 Teuffenbach, Rudolf von 358f. Teuffenbach-Mayrhof, Christoph von 350–352, 355 Thann 107, 112f. Thann, Herrschaft 119 Thiernhoffer s. Tiernhofer Thilesius, Friedrich 382 Thonrädel, Andre 404 Thun-Hohenstein, Leo von 404f. Thüringen 17, 318, 322, 381 Thurn, Heinrich Matthias von 31f. Thurner (Familie) 202 – Balthasar 184f., 187f., 191f., 195, 197, 202f. Tieck, Christian Friedrich 401 Tiefenbach s. Teuffenbach Tiefenbach (Kautzen) 50 Tieffenbacher s. Dürstenbacher Tiernhofer, Johannes 304 Tilly, Johann T’Serclaes (Tseracles) von 102, 291, 293f., 309, 341f., 344, 358, 400f., 406, 408–411 Tirol 27f., 38f., 49, 51, 73, 95f., 103, 109, 119, 122, 125, 135, 214, 217, 219, 222f., 228, 363, 367, 376 Toggai s. Tokaj Tokaj, Herrschaft 85 Tokaj, Festung 80 Torstensson, Beata, geb. de la Gardie 380 – Lennart 36, 86, 273–275, 378, 380–383, 406f. Tournai 307 Trastámara (Familie) – Juan, Infant 146 Traun, Fluss 17 Traun (Familie) 200 – Adam von 192, 204 – Ernst (Adam) von 202, 204–206, 304f. – Hans Cyriac von 204 – Sigmund (Siegmund) Adam von 33, 202 Traunviertel 44, 47, 225 Trautson (Familie) 200 – Johann Franz von 202 Trauttmansdorff, Adam von 358 – Hans Friedrich von 358

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– Maximilian von 124, 139, 157f., 162, 164,167– 176, 186, 203, 279, 281, 317f., 401 Trčka von Lípa, Adam Erdmann 266, 269 Trenkwald, Josef Matthias von 406 Triberg, Herrschaft 221 Trient 263 Trier, Kurfürstentum 418 Triest 27 Trnava 82–84, 86, 88 Troitzsch, Adolph Otto 409f. Troppau, Herzogtum 64 Trübner, Wilhelm 409 Truchsess von Rheinfelden, Hans Friedrich 118 Tschechien 19, 54 Tschernembl, Georg Erasmus von 30f., 240 Tulln 306, 388, 390 Turckheim 122f., 126 Türkheim s. Turckheim Tuttlingen 408 Tyrnau s. Trnava Überlingen 121, 367 Ubetzko, Hennig (Henning) 102 Ugocsa, Komitat 81, 85f., 92, 381 Ulm 16, 48, 280 Ung, Komitat 81 Ungarn 17, 23, 27, 30, 38, 46–48, 51, 59, 64, 67, 73, 75–94, 134, 152, 187–190, 193, 195, 198 204, 209, 241, 251, 303f., 306f., 316, 321, 355, 360, 381 – königliche Freistädte 83 Ungnad von Steyregg, Andreas 240 Unternesselbach 46 Ústí nad Labem 320 Vaduz 413 Váh 86 Valois (Haus) 130 – Franz I., König von Frankreich 130 – Franz II., König von Frankreich 145 Varasd s. Varaždin Varaždin 89 Vasoldsberg, Schloss 296 Vaudémont s. Lothringen (Familie) Veltlin 99, 135, 363 Venedig, Republik 42, 277, 290, 349, 381 Venier, Sebastiano 350 Verdenberg, Verda von, Johann Baptist von 203 Vereinigte Staaten von Amerika 417, 426 Versailles 427, 430 Visinteiner, Francesco 273 Vogel, Friedrich 411 Vogtland 46 Volmar, Isaak 106, 111f., 117, 121, 123f., 126 Voltaire [Arouet, François-Marie] 425

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Orts- und Personenregister

Vorarlberg 27f., 38–40, 122, 124, 219, 363–367, 369–372, 374, 376 Vordernberg 38 Vorderösterreich (Vorlande) 19, 23, 27, 39, 95–99, 101–108, 110–112, 114–116, 121–126, 213, 218f., 227, 365 – Oberösterreichische Länder 27, 124 – Schwäbisch-Österreich 95, 124, 222, 227 Voß, Gisbert 204 Vrints, Gerhard 335 Waag, Fluss s. Váh Wachau 34, 36, 45 Wagele von Walsegg (Familie) 188 – Matthias 188 Wägele s. Wagele Waidhofen an der Thaya 382 Waidhofen an der Ybbs 234 Wain 48 Waitz, Bernhard Can. Reg. 197, 200f. Waldkirch 112, 119 Waldner von Freundstein (Familie) 114 Waldshut 116, 119, 124 Waldstein, Albrecht Wenzel Eusebius von 15, 18, 54, 56, 64, 67, 84, 102, 111–113, 135f., 138–140, 156, 181–183, 185, 189, 191, 193, 242, 246, 266, 269, 281, 358, 378, 400–402, 406, 408f., 411–414 – Ernst von 401 – Maximilian von 355 Waldviertel s. Niederösterreich, Viertel ober dem Manhartsberg Wallenstein, Albrecht s. Waldstein Walter, Paul 51 – Susanna, geb. Milner (Müllner) 51 Walterskirchen 388 Wangen im Allgäu 366 Warasdin s. Varaždin Warendorfer, Johannes 388–390 Wasa (Haus) 68, 130 – Kristina, Königin von Schweden 366 – Gustav II. Adolf, König von Schweden 15, 18, 98, 107, 111, 130, 140, 216, 225, 313, 317, 319, 325, 337f., 341f., 366, 378, 393, 400–402, 406, 410, 414 – Karl XII., König von Schweden 130 – Sigismund III. Wasa, König von Polen 109, 133 – Wladislaw IV., König von Polen 61f. Wattweiler s. Wattwiller Wattwiller 113 Weber, Max 252 Wedgwood, Cicely Veronica 14 Wehr, Herrschaft 119 Weimar 119 Weinberger, Jaromír 413

Weinviertel s. Niederösterreich, Viertel unter dem Manhartsberg Weißenbronn, Pfarre 45 Weißenburg (Elsass) s. Wissembourg Weißenburg, Siebenbürgisch (Karlsburg) s. Alba Iulia Weißenkirchberg, Pfarre 46 Weißenkirchen in der Wachau 45 Welfen (Haus) – August II., Herzog von Braunschweig-LüneburgWolfenbüttel 325 – Christian (II.), Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel 84, 193 Schmid von Wellenstein, Valentin 366 Wels 41f., 254 Welz, Bernhard von 197 Wening von Greiffenfels (Familie) 188, 202 – Johann Chrysostomus 182, 187–189, 192, 194, 197, 202–205 Werlinger, Eva, verw. Pogner 42 – Wolf 42 Werth, Johann von 401 Westfalen 45, 56f., 66, 86, 151, 157–159, 161–163, 165–167, 170f., 173, 176, 277, 298, 306, 310, 312, 386, 415–422, 424–432 Westgotenreich 149 Wettiner (Haus Wettin) 322 – August von Sachsen-Weißenfels 319 – Bernhard, Herzog von Sachsen-Weimar 38, 99, 109, 114–120, 317, 339, 401 – Johann Georg I., Kurfürst von Sachsen 63f., 166, 169, 271, 313, 315–321, 323–325, 328, 342f., 345 – Wilhelm IV., Herzog von Sachsen-Weimar 322 Weyer 243 Wideman, Elias 80, 349, 358–360, 362 Widenberger, Johann 250 Widerholt, Konrad 120 Wiellinger von der Au, Achaz 230, 255f. Wien 14, 16, 18f., 28, 31, 36, 54, 62, 78, 80, 83–89, 91, 94, 96, 121f., 124, 126, 135, 138, 141, 153– 155, 157, 169, 173, 175, 179f., 183, 186, 190f., 193f., 198–203, 220, 262f., 268f., 272–275, 277, 279, 298, 301–303, 305, 311f., 314–316, 320f., 323, 325f., 352, 354f., 357, 372, 378, 380f., 388, 390, 400–402, 404–408, 414, 426, 431 – Dominikanerkloster 201 – Floridsdorf, Bezirk 380 – Minoritenkloster 83, 201 – Schottenstift 201 – St. Agnes zur Himmelpforte, Kloster 201 – St. Dorothea, Kloster 196, 201 – St. Jakob auf der Hülben, Kloster 201 – St. Lorenz, Kloster 201 Wiener Neustadt 188, 201, 311 – Neukloster, Kloster 201 Wierix, Jan 350 Wiesing 220



Orts- und Personenregister

Wiesloch 99, 111 Wildberg bei Urfahr, Herrschaft 292 Wildeneck, Herrschaft 218, 221–223 Wilfersdorf 385 Wilfersdorf, Herrschaft 385f., 388 Willstätt 100 Wimpfen 109, 298, 397, 409 Windhag, Amt 224 Windisch-Graetz (Familie) 203 Winsauer (Windtsauer), Johann 303, 305 Winter, Georg 341 Wintermonat, Gregorius s. Winter, Georg Wissembourg 122f., 126 Wittenberg 344 Wittenheim 112 Wittstock 327 Wolfenbüttel 275f., 311 Wolfradt, Anton OCist/OSB 324 Wolkersdorf 383 Worms 151 Wösendorf 45 Wrangel, Karl Gustav 39f., 308, 363, 367–369, 371 Wrocław 58f., 64–66, 68, 135 Württemberg 44, 48, 115, 340 – Südwürttemberg 120 Württemberg (Haus) – Eberhard III., Herzog 120 – Magnus, Herzog W.-Neuenbürg 397 Würzburg 114, 353 Wurzinger, Carl 403–405 Wutschletitsch, Marx 254

449

Ybbs an der Donau 188 Zabern s. Saverne Záblat 407f. Zächer, Christoph 49f. Zagreb 89 Zantmüller, Martin 41 Zeil (Familie) 40 Zeiller, Martin 51f. Zelenka, Johann 51 – Catharina 51 Zelking (Familie) 200 Zeller, Christoph 216, 254 Zemplén, Komitat 80f., 85f., 92f., 381 Zetl, Jakob 231, 233–235, 239–250, 252, 254–257 Zierotin (Žerotín), Karl der Ältere 27, 60, 62 Zillertal 229f. Zinzendorf (Familie) 200 Zips s. Spiš Zsitvatorok 80 Zittau 59 Znaim s. Znojmo Znojmo 275 Zollikofer, Christoph 197, 201 Zólyom s. Zvolen Zrínyi (Zrinski) (Familie) 89 – Nikolaus IV. 405 – Nikolaus VII. 80 Zúñiga, Baltasar de 150, 155 Zvolen 81, 83 Zwettl, Stadt 35 Zwiespalten 216

Adressen der Beiträgerinnen und Beiträger Horst Carl, Justus-Liebig-Universität Gießen, Fachbereich Frühe Neuzeit, Otto-Behaghel-Str. 10, D–35394 Gießen; [email protected] William D. Godsey, Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Hollandstraße 11–13, A–1020 Wien; william.Godsey@ oeaw.ac.at Christoph Kampmann, Philipps-Universität Marburg, FB 06, Neuere Geschichte I/Frühe Neuzeit, Wilhelm-Röpke-Str. 6 C, D–35032 Marburg/Lahn; [email protected] Katrin Keller, Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Hollandstraße 11–13, A–1020 Wien; [email protected] Ester Beate Körber, Denkstraße 12, D–12167 Berlin; [email protected] Sonja Lessacher, Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universität Wien, Universitätsring 1, A–1010 Wien; [email protected] Petr Maťa, Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Hollandstraße 11–13, A–1020 Wien; [email protected] Alois Niederstätter, Roßmähder 24, A–6850 Dornbirn; [email protected] Lena Oetzel, Fachbereich Geschichte – Allgemeine Geschichte der Neuzeit, Universität Salzburg, Rudolfskai 42, A–5020 Salzburg; [email protected] Géza Pálffy, Ungarische Akademie der Wissenschaften, Forschungszentrum für Humanwissenschaft, Institut für Geschichte, Tóth Kálmán u. 4, H–1097 Budapest; Palffy.Geza@ btk.mta.hu Friedrich Polleroß, Institut für Kunstgeschichte, Universität Wien, Universitätscampus Hof 9, Garnisongasse 13, A–1090 Wien; [email protected] Martin P. Schennach, Institut für Römisches Recht und Rechtsgeschichte, Universität Innsbruck, Innrain 52, Universität Innsbruck, A–6020 Innsbruck; Martin.Schennach@ uibk.ac.at



Adressen der Beiträgerinnen und Beiträger 451

Martin Scheutz, Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universität Wien, Universitätsring 1, A–1010 Wien; [email protected] Dieter Speck, Universitätsarchiv der Universität Freiburg/Br. und Uniseum, Werthmannstraße 14, D–79098 Freiburg/Br.; [email protected] Arthur Stögmann, Hausarchiv der regierenden Fürsten von Liechtenstein, Fürstengasse 1, A–1090 Wien; [email protected] Arno Strohmeyer, Fachbereich Geschichte – Allgemeine Geschichte der Neuzeit, Universität Salzburg, Rudolfskai 42, A–5020 Salzburg/Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Hollandstraße 11–13, A–1020 Wien; [email protected] Werner Telesko, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen, Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, A–1010 Wien; Werner.Telesko@ oeaw.ac.at Harald Tersch, Fachbereichsbibliothek Geschichtswissenschaften/Institut für Geschichte, Universität Wien, Universitätsring 1, A–1010 Wien, [email protected] Thomas Winkelbauer, Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universität Wien, Universitätsring 1, A–1010 Wien; [email protected] Alexander Zirr, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Postfach 1364, D–38299 Wolfenbüttel; [email protected]