Die Gallier-Rede des Claudius aus dem Jahr 48 n. Chr.: Historisch-philologische Untersuchungen und Kommentar zur tabula Claudiana aus Lyon 9783831674572, 9783831647699

Die im 16. Jh. in der südfranzösischen Stadt Lyon (Lugdunum) aufgefundene Bronzetafel mit einer im Jahr 48 n. Chr. vor d

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German Pages 282 Year 2019

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Impressum
Danksagung
Inhalt
I. Einleitung
II. Die Bronzetafel aus Lyon: Entdeckung, Verbleib, materieller Befundund die Relevanz des Fundortes
III. Die Originalrede und die Version des Tacitus
IV. Untersuchung zu übergreifenden Aspekten
IV. 1. Das römische Bürgerrecht und rechtliche Aspekte des kaiserlichenAntrags
IV. 2. Claudius und sein Verhältnis zum Senat
IV. 3. Römische Geschichte und exempla bei Claudius – Argumentationund Geschichtsdenken des Kaisers
V. Kommentar
VI. Ergebnis
VII. Bibliographie
VIII. Abbildungen
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Die Gallier-Rede des Claudius aus dem Jahr 48 n. Chr.: Historisch-philologische Untersuchungen und Kommentar zur tabula Claudiana aus Lyon
 9783831674572, 9783831647699

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Heinz Jakobsmeier

Die Gallier-Rede des Claudius aus dem Jahr 48 n. Chr. Historisch-philologische Untersuchungen und Kommentar zur tabula Claudiana aus Lyon

utzverlag · München 2019

Quellen und Forschungen zur Antiken Welt Band 63

Ebook (PDF)-Ausgabe: ISBN 978-3-8316-7457-2  Version: 1 vom 18.06.2019 Copyright© utzverlag 2019

Alternative Ausgabe: Softcover ISBN 978-3-8316-4769-9 Copyright© utzverlag 2019

Heinz Jakobsmeier Die Gallier-Rede des Claudius aus dem Jahr 48 n. Chr. Historisch-philologische Untersuchungen und Kommentar zur tabula Claudiana aus Lyon

utzverlag · München

Quellen und Forschungen zur Antiken Welt herausgegeben von Prof. Dr. Peter Funke, Universität Münster Prof. Dr. Hans-Joachim Gehrke, Universität Freiburg Prof. Dr. Gustav Adolf Lehmann, Universität Göttingen Prof. Dr. Carola Reinsberg, Universität des Saarlandes Band 63

Zugl.: Diss., Münster, Univ., 2018 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben – auch bei nur auszugsweiser Verwendung – vorbehalten. Coverabbildung: Teil der Tafel »tabula Claudiana«, ausgestellt im Museum Lugdunum, Lyon. Fotografiert von Renate Jakobsmeier am 23.09.2011 Copyright © utzverlag GmbH · 2019 ISBN 978-3-8316-4769-9 Printed in EU utzverlag GmbH, München 089-277791-00 · www.utzverlag.de

Danksagung Die hier vorgelegte Untersuchung ist die nur geringfügig modifizierte Fassung meiner Dissertation, die im Oktober 2017 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angenommen wurde. Mein herzlicher Dank gilt zuerst meinem akademischen Lehrer und Doktorvater in der Alten Geschichte, Herrn Prof. Dr. N. Ehrhardt, der mich zu dieser Arbeit angeregt, ihre Entstehung jederzeit mit seinem Rat begleitet und ihre Verwirklichung umfassend unterstützt hat. Sein Einsatz und seine Unterstützung haben entscheidend zur Realisierung der Arbeit beigetragen. Ebenso herzlich danke ich Herrn Prof. Dr. E. Winter, der seine Zeit als Zweitgutachter und Prüfer zur Verfügung gestellt hat, sowie meinem Prüfer im Zweitfach Kath. Theologie, Herrn Prof. H. Wolf. Ein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. P. Funke, der zusammen mit dem Herausgebergremium die Aufnahme der Dissertation in die Reihe Quellen und Forschungen zur Antiken Welt ermöglicht hat. Nicht zuletzt danke ich an dieser Stelle ganz herzlich meiner Frau Renate, die mir während der Entstehung der Arbeit zur Seite stand. Sie hat mich immer wieder ermutigt, auf manche gemeinsame Unternehmung verzichtet und mir so den nötigen Freiraum verschafft. Ihre Hilfestellung wie auch die Unterstützung durch unsere Kinder, vor allem beim Korrekturlesen und bei technischen Problemen, haben wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Herzebrock-Clarholz, im Dezember 2018.

Inhalt

I.

Einleitung

II.

Die Bronzetafel aus Lyon: Entdeckung, Verbleib, materieller Befund und die Relevanz des Fundortes

1

8

III.

Die Originalrede und die Version des Tacitus

39

IV.

Untersuchungen zu übergreifenden Aspekten

58

1. Das römische Bürgerrecht und rechtliche Aspekte des kaiserlichen Antrags 2. Claudius und sein Verhältnis zum Senat

58 90

3. Römische Geschichte und exempla bei Claudius – Argumentation und Geschichtsdenken des Kaisers

115

V.

Kommentar

142

VI.

Ergebnis

200

VII. Bibliographie

205

VIII. Abbildungen

261

I. Einleitung Nur wenige Inschriften aus der römischen Kaiserzeit haben ähnliche Aufmerksamkeit in den Fachwissenschaften hervorgerufen und Anlass zu kontroversen Diskussionen gegeben wie die Inschrift, die vor etwa 500 Jahren in der südfranzösischen Stadt Lyon (Lugdunum) entdeckt worden ist. Sie gibt den Wortlaut einer Rede des Prinzeps Claudius wieder, die dieser im Jahre 48 n. Chr. vor dem Senat in Rom gehalten hat. Darin erbat Claudius die Zustimmung der Mitglieder dieses Gremiums zu einer Aufnahme gallischer Adliger, die bereits das römische Bürgerrecht besaßen, in den Senat. Der Text dieser Rede wurde auf einer Bronzetafel eingraviert und am Versammlungsort der gallischen civitates bei Lugdunum aufgestellt.1 Auch wenn die Tafel mit ihrer Inschrift und somit auch der Text der kaiserlichen Rede nicht vollständig erhalten geblieben ist, ändert diese Einschränkung nichts an der Tatsache, dass die Bronzetafel als epigraphisches Fundstück ein einzigartiges Zeugnis darstellt, da es sich bei ihr um die einzige wortgetreue Wiedergabe der Rede eines Kaisers vor dem Senat handelt, die erhalten geblieben ist. Die Entdeckung der Tafel in der ersten Hälfte des 16. Jh. fiel in eine Zeit, die von Historikern als Epoche der „Lyoner Renaissance“ oder des „Lyoner Humanismus“ bezeichnet wird.2 Zu den Schwerpunkten der Gelehrten dieser Zeit zählten u. a. die wissenschaftliche Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der Antike, ihrer Kunst und Literatur, vor allem auch mit ihren archäologischen Überresten. Es erstaunt daher nicht, dass bereits kurze Zeit nach dem Fund Lyoner Altertumsforscher nicht nur die Inschrift auf der Bronzetafel abschrieben und sich um eine Vervollständigung des Textes bemühten, sondern auch den Inhalt der Rede genauer einzuordnen suchten. Die Bemühungen führten bereits kurz nach der Entdeckung der Tafel u. a. zu dem Missverständnis, wonach die Inschrift ein Privileg des Kaisers für das römische Lugdunum wiedergebe und somit ein bedeutendes Denkmal aus der Frühgeschichte der Stadt darstelle. Diese Fehleinschätzung trug jedoch entscheidend dazu bei, dass die Bronzetafel sofort von der Stadt Lyon angekauft wurde und als hervorragendes antikes Denkmal in das Eigentum der Stadt überging und in ihrer Obhut verblieb. Mit dem Kauf übernahm die Stadt die Verantwortung für eine dauerhafte und sichere Bewahrung der Bronzetafel in den folgenden Jahrhunderten. Von entscheidender Bedeutung für die weitere wissenschaftliche Diskussion war sodann die Erkenntnis, dass ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen der Inschrift auf der Bronzetafel und einer Rede des Claudius in den Annalen des Ta1

Abbildung der Bronzetafel auf S. 261. Dazu: Virassamynaïken, L., Lyon Renaissance. Arts et humanisme, Paris 2015 (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in Lyon 2015). Siehe auch: Cooper, R., Roman Antiquites in Renaissance France, 1515‒65, Farnham, Surrey - Burlington VT 2013 (passim). 2

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citus (ann. 11, 24) bestand. Dieser Historiker war der einzige Geschichtsschreiber der Kaiserzeit, der die Ereignisse des Jahres 48 in sein Geschichtswerk aufgenommen und sie umfassend dargestellt hatte. Andere Historiker dieser Zeit wie etwa Sueton oder Cassius Dio haben den Vorgang und die Rede entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder aber für nicht erwähnenswert gehalten. Entsprechend den antiken historiographischen Regeln und Gepflogenheiten hatte Tacitus die Originalrede des Kaisers, in die er in den acta senatus Einblick hatte nehmen können, mit identischem Tenor literarisch neu formuliert3 und in Form der oratio recta in den Mittelpunkt seiner Ausführungen zu den Vorgängen im Zusammenhang mit der Censur des Prinzeps gestellt. Auf der Grundlage von Übereinstimmungen in den beiden Redeversionen konnte der Anlass der Rede konkretisiert sowie die Rede selbst und auch die Anfertigung der Tafel frühzeitig genauer datiert werden. Die Forschungsarbeiten der Lyoner Humanisten führten des Weiteren zu einer ersten Textrevision und brachten Klarstellungen über die politische Absicht und das konkrete Ziel, die Claudius zu seiner Rede veranlasst hatten. In den folgenden Jahrzehnten stand die Ermittlung des exakten Wortlautes der Inschrift im Vordergrund der wissenschaftlichen Beschäftigung. Eine wichtige Rolle spielten in diesem Zusammenhang u. a. die Humanisten Cl. Bellièvre aus Lyon, der die Tafel unmittelbar nach ihrer Entdeckung gesehen und ihren Kauf durch die Stadt betrieben hatte, und A. Tschudi aus Glarus, der wenige Jahre später die Inschrift in Augenschein nehmen konnte. Beide hatten mit Hilfe ihrer Notizen die ersten handschriftlichen Kopien der Inschrift angefertigt. Damit hatten sie, obwohl sie ihre Aufzeichnungen nicht veröffentlichten, grundlegende Voraussetzungen für weitere Textrevisionen geschaffen. Die textkritischen Untersuchungen konnten dann von O. Hirschfeld durch die Aufnahme der Inschrift in das CIL in der zweiten Hälfte des 19. Jh. zu einem vorläufigen Abschluss gebracht werden.4 Ph. Fabia5 aus Lyon zu Beginn ebenso wie G. Perl6 und N.

3 Zu Tacitus’ Bearbeitung der Originalrede: Schmidtmayer, R., Die Rede des Kaisers Claudius über das ius honorum der Gallier bei Tacitus ann. XI, 24 und die wirklich gehaltene Rede, in: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 41, 1890, 869-887. Eisenhardt, K., Über die Reden in den Historien und Annalen des Tacitus, Ludwigshafen 1911, 21-24. Griffin, M. T., Claudius in Tacitus, in: CQ 40, 1990, 482-501, hier 484-486. 4 CIL XIII Nr. 1668. 5 Fabia, Ph., La Table Claudienne de Lyon, Lyon 1929, behandelt auf den Seiten 19-50 die Rekonstrukton des Textes in den ersten Jahrhunderten nach der Entdeckung (mit zahlreichen bibliographischen Angaben). 6 Perl, G., Die Rede des Kaisers Claudius für die Aufnahme römischer Bürger aus Gallia Comata in den Senat (CIL XIII 1668), in: Philologus 140, 1996, 114-138; ein Überblick über ‚fehlerhafte Abdrucke des Textes’ findet sich dort auf S. 116 in Anm. 3.

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Badoud7 zu Ende des letzten Jahrhunderts haben dann weitere wichtige Beiträge zur Textherstellung wie auch zum Verständnis des Textes geleistet. Auf ihre Forschungen wird in den ersten Kapiteln dieser Arbeit, in denen außerdem die Geschichte der Tafel nach ihrer Entdeckung nachgezeichnet, die Bedeutung ihres Fundortes in römischer Zeit und der materielle Befund der Tafel herausgearbeitet sowie Vorschläge zur korrekten Bezeichnung der Tafel und ihrer Inschrift unterbreitet werden, ausführlicher eingegangen. Grundlage für die anschließende Wiedergabe der Inschrift bildet die Textfassung, wie sie G. Perl erstellt hat; sie gibt den aktuellen Stand der Forschung zur Inschrift und zur Rede wieder. Der Text der Inschrift folgt in der Anordnung der einzelnen Zeilen dem Original und macht so zusammen mit einem kritischen Textapparat, der sich zum überwiegenden Teil auf die Forschungsergebnisse Hirschfelds, Perls und Badouds stützt, eine Überprüfung der weiteren Untersuchungen wie auch der Einzelkommentierung am ‚Original’ möglich. Zu diesem Zweck wird zugleich auch die taciteische Version der Kaiserrede und die Darstellung der sie begleitenden Umstände und Vorgänge abgedruckt, wie sie von Tacitus überliefert worden sind (ann. 11, 23-25, 2). Letzteren kommt eine wichtige Funktion bei der historischen und politischen Einordnung der Originalrede zu; sie sind für eine Interpretation der kaiserlichen Rede unverzichtbar. Neben dem Vergleich der Originalrede mit der Version des Tacitus standen in der Folgezeit bis heute insbesondere Beiträge zur Interpretation einzelner Formulierungen bzw. Sätze sowie die Auseinandersetzung mit Einzelfragen, die sich aus dem Text ergaben, im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion um die Inschrift. Hierzu gehörten beispielsweise auch divergierende Theorien zur ursprünglichen Anzahl der Kolumnen und damit auch der Tafelstücke (einige Gelehrte gingen von ursprünglich drei statt der vorhandenen zwei Kolumnen der Bronzetafel aus) oder auch für die Anordnung der Kolumnen. Diese Thesen wurden u. a. mit dem Fehlen des senatus consultum auf den erhaltenen Teilen der Tafel begründet bzw. durch das von manchen Gelehrten als inadäquat angesehene abrupte Ende der kaiserlichen Ausführungen oder einem angeblich fehlenden stringenten Redeabschluss veranlasst, das geradezu nach einer Weiterführung der Rede (auf einer zusätzlichen Tafel) ‚verlangte’. Weitere unterschiedliche Auffassungen gab es über die Jahrhunderte hinweg bei der konkreten Bezeichnung der Bronzetafel, für die bis in die Gegenwart hinein unterschiedslos sowohl der Singular als auch der Plural benutzt wurden.8 7

Badoud, N., La table claudienne de Lyon au XVIe siècle, in: CCGG 13, 2002, 169-195. Dieser Beitrag enthält die Forschungsergebnisse über die Wiederherstellung der Inschrift im 16. Jh. 8 Fabia hat 1929 in seinem Buch ‚La Table Claudienne’ auf S. 51f. nochmals unmissverständlich herausgestellt, dass die Bronzetafel eine Einheit darstellt und deshalb für ihre korrekte Bezeichnung der Singular erforderlich ist.

3

Fabias umfangreiche und sehr detailliert Darstellung der Forschungsgeschichte9 zur Tafel in seiner Monographie zeigt allerdings, dass die Arbeit der Gelehrten nicht in allen Fällen zu eindeutigen und vor allem zufrieden stellenden Ergebnissen bzw. zu einer abschließenden Klärung strittiger Fragen führen konnte. Ein wichtiger Grund für dieses ‚Defizit’ ist, dass der Wortlaut des senatus consultum, das der Kaiser mit seiner Rede herbeiführen wollte, in keiner der beiden Redeversionen überliefert ist. Damit lassen sich unterschiedliche Theorien über den Inhalt des Senatsbeschlusses und über die sich daraus ergebenden Folgerungen entwickeln, die auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen sind. So darf z. B. nicht übersehen werden, dass die Originalrede des Claudius Andeutungen bzw. Anspielungen auf Personen (wie auf einen nicht bekannten Bruder eines Senators aus Vienna), auf Sachverhalte („tot ecce insignes iuvenes“) oder auf Hintergründe und Zusammenhänge enthält, die seinen Zuhörern vertraut oder zumindest bekannt gewesen sein müssen, die sich aber dem heutigen Leser bzw. Forscher nicht mehr erschließen und sich daher auch einer eindeutigen Interpretation entziehen. Nicht zuletzt ist daran zu erinnern, dass die Inschrift und damit die Originalrede unvollständig überliefert und erhalten geblieben ist. Schließlich sollte auch nicht unberücksichtigt bleiben, mit welcher Voreinstellung oder unter welchen Prämissen ein Leser oder Forscher an die Untersuchung eines Problems geht. Als Beispiel sei hier auf die Auseinandersetzungen in der Frage eines ‚minderen’ Bürgerrechts für die Gallier und die deshalb erforderliche ‚Zuerkennung’ eines eigenen ius honorum für die Zulassung zum Senat bzw. zu den römischen Magistraten durch den Kaiser hingewiesen; der Streit zwischen Anhängern und Gegnern dieser Theorie dauert nunmehr mehr als ein Jahrhundert an. Einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand bietet der immer noch aktuelle Beitrag von W. Rieß,10 dessen Untersuchung sich im Gegensatz zu zahlreichen Arbeiten in der Vergangenheit nicht auf Einzelaspekte beschränkt und die im Ergebnis in mehreren strittigen Fragen zu einem zumindest vorläufigen Abschluss der diesbezüglichen Diskussionen beigetragen hat, wenn man z. B. an die lange Zeit sehr kontrovers geführte Debatte über ein römisches Bürgerrecht mit oder ohne ius honorum,11 über ein besonderes (eingeschränktes) Bürgerrecht für die Gallier,12 an die Diskussionen über die Bedeutung und die Reichweite der von Claudius benutzten Formulierung „ubique coloniarum ac municipiorum“13 Fabia, La Table Claudienne, 19-50. Rieß, W. Die Rede des Claudius über das ius honorum der gallischen Notablen: Forschungsstand und Perspektiven, in REA 105, 2003, 211-249. 11 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 222-227. 12 Diese Theorie wird besonders von A. Chastagnol vertreten, wie G. Perl in seinem Beitrag aufzeigt (Die Rede des Kaisers, 115, Anm. 2). 13 Perl, Die Rede des Kaisers, 127, Anm. 29, bringt eine Auflistung der Vertreter der kontroversen Standpunkte in dieser Frage. Eine Zusammenfassung der Diskussion bei: Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 227-230. 9

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(in der dritten Zeile der rechten Tafelhälfte) oder an die These von der Beschränkung des ius honorum auf die civitates foederatae (Tac. ann. 11, 23, 1) denkt. Weiterhin offen ist dagegen die Frage, in welcher Form Claudius den gallischen Adligen den Zugang zum Senat eröffnen wollte; hier neigt die Mehrzahl der Forscher inzwischen zu der Ansicht, dass der Kaiser für die Aufnahme in den Senat die Privilegierung einzelner Gallier in Form einer adlectio vorgesehen hat, auch wenn für diese Theorie bislang keine Belege gefunden werden konnten und diese These nur durch ihre Plausibilität überzeugen kann. Rieß’ Ausführungen zu den Hauptproblemen der Forschung gaben den Anstoß zu weitergehenden Untersuchungen der Inschrift und der Rede des Kaisers, nachdem sich der Verfasser, angeregt u. a. durch Perls Aufsatz, anfangs auf die Erstellung eines Kommentars zur oratio Claudii in Verbindung mit einer Darstellung der Historie der Bronzetafel und Ausführungen zur Bedeutung der Fundstelle sowie einem textkritischen Beitrag konzentriert hatte. Am Ausgangspunkt für diese Untersuchungen steht die Frage, welches Bild als Person und als Kaiser Claudius von sich selbst in seiner Rede zeichnet bzw. dem Zuhörer zu vermitteln sucht und welche politischen oder gesellschaftlichen Konsequenzen daraus abgeleitet werden können. Anders als die bekannten Darstellungen, die sein Zeitgenosse Seneca oder auch die späteren Historiographen Sueton, Tacitus und Cassius Dio von ihm überliefert und mit ihrem kaiserfeindlichen Tenor Claudius’ Bild bis ins 20. Jh. geprägt haben, stellt die vorliegende Rede eines der wenigen authentischen Selbstzeugnisse des Kaisers dar, das Anhaltspunkte zu einer neuen Sicht auf den Kaiser und seine Regierung geben und die in den letzten Jahrzehnten erfolgte historische Neubewertung dieses Prinzeps und seiner Regierungstätigkeit stützen kann. Für die nähere Betrachtung der Rede boten sich dabei drei Arbeitsfelder, auf denen der o. a. Fragestellung nachgegangen werden soll. Dabei wird zunächst die Relevanz des römischen Bürgerrechts und der rechtlichen Vorgaben für den Zugang zum römischen Senat hinterfragt und der Aspekt des ‚Neuen’, das Claudius so deutlich und vehement akzentuiert mit der von ihm beantragten Maßnahme verbindet („quam multa in hac civitate novata sint“), herausgearbeitet und geklärt, inwieweit aus seiner Rede auf eine Politik des Kaisers geschlossen werden kann, die die von seinen Vorgängern eingeschlagene Linie weiter verfolgt oder aber neue Akzente in der Frage einer Öffnung des Senats für Provinziale setzt. In einem weiteren Kapitel geht es um die Frage nach dem Verhältnis zwischen Claudius und dem Senat, womit zugleich ein Grundproblem der Kaiserzeit angesprochen ist. J. Bleicken hat das Spannungsfeld zwischen der Institution Senat und dem Prinzeps für Augustus’ Regierungstätigkeit so formuliert: „Der Prinzipat verlangte die Balance zwischen dem, was der Princeps vermochte, und dem, 5

was der Senator noch durfte.“14 In diesem Zusammenhang ist daher u. a. zu prüfen, ob und wenn ja in welchem Umfang in Claudius’ Rede noch Anklänge an die Spannungen zu spüren sind, wie sie aufgrund der Umstände und Vorgänge anlässlich seiner Regierungsübernahme erwachsen waren, oder inwieweit seine Herrschaftsausübung die eigene Position gestärkt und gefestigt hat. Aufschlussreich dürfte hier sein, ob und gegebenenfalls wie Claudius in seiner Argumentation die Dominanz seiner Stellung gegenüber den Senatoren (als Individuen) wie auch das gemeinsame Interesse von Prinzeps und Senat (als Ganzem) an der salus rei publicae gleichermaßen überzeugend zum Ausdruck bringt. Eine wesentliche Rolle bei der Beurteilung des Kaisers und seiner Politik muss schließlich Claudius’ Geschichtsbild und Geschichtsverständnis zugeschrieben werden. Beide sind unverzichtbare Bestandteile seiner Rede. Mit den zahlreichen historischen exempla, deren Häufung in der Geschichtsforschung nicht selten als Beleg für Claudius’ Bewertung als eines verstaubten Gelehrten auf dem Kaiserthron herangezogen wird, stellt er, vordergründig betrachtet, sein umfangreiches und auch beeindruckendes historisches Wissen und seine Gelehrtheit öffentlich heraus. Eine tiefer greifende Betrachtungsweise führt zu der Frage, aus welchen Überlegungen heraus der Kaiser hier ganz bestimmte exempla gewählt (und auf andere verzichtet) hat und welche Funktionen ihnen in der Rede zugedacht waren. Darüber hinaus ist zu prüfen, in welchem Ausmaß der Prinzeps auf seine eigenen Erfahrungen im Umgang mit der Geschichte zurückgreift bzw. diese in seiner Rede berücksichtigt, war er doch in seiner Jugendzeit bei der Abfassung von Geschichtswerken, die ‚aktuelle Ereignisse’ – hier vor allem die Zeit nach Caesars Ermordung ‒ behandelten, auf erheblichen Widerstand in der eigenen Familie gestoßen.15 An diese interpretatorischen Kapitel schließt ein Kommentar an, der in Form einer Einzelkommentierung die Originalrede detailliert untersucht. Damit füllt der Verfasser eine Lücke in der wissenschaftlichen Aufarbeitung und Auswertung der Rede und kommt einem Desiderat der Forschung nach, da bislang weder für den deutschsprachigen noch für den fremdsprachlichen Bereich eine diesbezügliche Arbeit vorliegt.16 Zur besseren Übersichtlichkeit ist der Text für die Einzelkommentierung in Sinnabschnitte gegliedert, auf die unmittelbar zunächst eine Kurzdarstellung der sprachlichen und stilistischen Besonderheiten der jeweiligen Textstelle folgt. In einem weiteren Schritt wird dann für die einBleicken, J., Augustus. Eine Biographie, Berlin 1998, Sonderausgabe 2000, 377. Suet. Claud. 41, 2f. 16 In der Regel wurde die oratio Claudii fast ausschließlich im Zusammenhang mit Tacitus’ Annalen publiziert und zumeist zusätzlich kurz kommentiert. Auch aus dem Bereich wichtiger Fremdsprachen ist dem Verfasser kein eigenständiger Kommentar bekannt; selbst Ph. Fabias umfassende Monographie „La Table Claudienne de Lyon“ enthält keinen eigenständigen Kommentar. 14 15

6

zelnen Sinnabschnitte der Text inhaltlich geklärt und interpretiert sowie seine Einordnung und Bewertung innerhalb der Rede wie auch in der historischen Situation vorgenommen. Insgesamt befasst sich diese Arbeit zunächst mit der Geschichte der Bronzetafel, ihrem Fundort und ihrer materielle Beschaffenheit. An die Wiedergabe der Originalrede (mit kritischem Apparat) und der taciteischen Redeversion schließen sich drei interpretatorische Kapitel unter übergreifenden Aspekten sowie die Einzelkommentierung der Inschrift an.

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II. Die Bronzetafel aus Lyon: Entdeckung, Verbleib, materieller Befund und die Relevanz des Fundortes Claudius’ Senatsrede aus dem Jahr 48 n. Chr., deren Inhalt auch von Tacitus in freier Gestaltung überliefert ist (Tac. ann. 11, 24), wurde im Jahre 1528 als Inschrift auf einer Bronzetafel von dem Lyoner Tuchhändler Roland Gribaud auf dem Gebiet der damaligen Stadt Lyon entdeckt. Bei Ausschachtungsarbeiten für die Errichtung eines Landhauses in seinem Weinberg im Norden der Stadt am südlichen Hang des Croix-Rousse-Hügels (bei der heutigen Kirche St. Polycarpe) wurden zwei große Bronzeplatten ausgegraben,17 die von einer Schuttschicht überdeckt gewesen waren und nicht sehr tief unter der Erdoberfläche gelegen hatten. Zu diesem Fund notierte der Humanist und Kunstsammler Claude Bellièvre, Ratsherr in Lyon, 18 in seinen Aufzeichnungen über die in der Stadt entdeckten römischen Inschriften,19 dass „im Jahr 1528 am Hügel von St. Sebastian20 zwei große Tafeln aus Erz gefunden worden seien, die sich nunmehr am Rathaus der Stadt Lyon befänden.“21 Das genaue Datum wie auch weitere Einzelheiten über die Entdeckung sind nicht überliefert. Bellièvre war davon überzeugt, dass es sich bei den Fundstücken um bedeutende Zeugnisse aus der frühen Geschichte Lyons handelte,22 und setzte sich deshalb im Stadtrat dafür ein, dass die Bronzeplatten von der Stadt angekauft und später öffentlich ausgestellt werden sollten. Auf der Sitzung des Stadtrates am 12. März 1529, die sich mit dem 17 Bereits bei ihrer Entdeckung ist zweifelsfrei festgestellt worden, dass es sich bei den Fundstücken um ‚zwei Platten aus Bronze’ handelte. Es ist daher völlig unverständlich, wenn in einem Beitrag aus dem Jahr 2009 von einer ‚in Stein gemeißelten Rede’ gesprochen wird: „Die Rede, welche der Kaiser zur Rechtfertigung seiner Politik vor dem Senat hielt, machte den Galliern anscheinend soviel Ehre, dass sie diese in der Provinzhauptstadt Lyon in Stein meißeln [sic!] und ausstellen ließen.“ (Coşkun, A., Großzügige Praxis der Bürgerrechtsvergabe in Rom? Zwischen Mythos und Wirklichkeit (Colloquia Academica Jg. 2009 Nr. 1), Mainz - Stuttgart 2009, 18.) Die Rede wurde vielmehr in Bronze gegossen, die Bronzetafel anschließend am Versammlungsort der Vertreter der gallischen civitates in Condate (außerhalb Lugdunums) aufgestellt! 18 Claude Bellièvre (1487 - 1557) Humanist aus Lyon, 1. Präsident des Parlaments der Dauphiné in Grenoble (Hamon, P., ‚Bellièvre, Claude’, in: DBF 5, Paris 1951, 1360. Cooper,.Roman Antiquites in Renaissance France, 15f.und 25). 19 Bellièvres Aufzeichnungen waren ursprünglich nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen. Sie wurden erst 1846 von J. B. Montfalcon als Buch publiziert: Cl. Bellièvre, Lugdunum priscum. Receuil de notes rédigées entre 1525 et 1556, Lyon 1846. 20 So lautete der Name des Hügels von Croix-Rousse bis ins 16. Jh. 21 Bellièvre, Lugdunum priscum, 48: „On y veoyt plusieurs aultres ruynes ou reliques antiques, et suys memoratif que, en l’an 1528, y furent trouvées les deux grandes tables d’erein, les quelles aujourd’huy sont en la maison de la ville dudict Lion, dont la copie est cyaprès.“ 22 Grisard, J. J., Odyssée de la Table de Claude découverte à Lyon en 1528, Lyon 1896, 40: „[Bellièvre] a dit (…) que [les tables] sont dignes d’estre par la Ville retirees pour estre affigees en quelque lyeu, a perpetuelle memoire, mesmement que en icelles lames et tables y a paroles servans a congnoistre l’ancienne dignite de ceste ville de Lion”.

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Kauf der beiden Fundstücke durch die Stadt befasste,23 berichtete Bellièvre, dass Gribaud die Platten vier Monate zuvor ‒ also im November 1528 ‒ entdeckt habe.24 Bellièvre hielt auch den von Gribaud geforderten Kaufpreis in Höhe von 58 Écus-d’or-au-soleil für angemessen, weil allein schon der Metallwert der beiden Platten, wenn man sie einschmelzen würde, über 30 Écus betrage.25 Falls man die Platten jetzt nicht kaufe und diese an einen anderen Ort verbracht und möglicherweise dann im Schmelzofen enden würden, werde der Rat eine negative Entscheidung über den Ankauf später bereuen.26 Wie die von Gribaud ausgestellte Quittung über den Verkauf der Platten zeigt, gab der Stadtrat noch in derselben Sitzung seine Zustimmung zum Erwerb der Tafel. Bereits einen Tag später, am 13. März 1529, gingen die beiden Bronzeplatten gegen Zahlung von 58 Écus27 23 Eine Abschrift des Sitzungsprotokolls enthält: Allmer, A., La table de Claude du Musée de Lyon, Lyon 1888, 6-8. 24 Grisard, Odyssée de la Table, 40: „Led. Messier Bellievre a propose que puis quatre mois en ca ung nomme Roland Gribaud […], faisant miner une scienne vigne en la couste St Sebastien, a treuve deux grandes tables d’areyn ou cuyvre antiques et toutes escriptes”. Die von Bellièvre erwähnte Zeitangabe widerlegt die von Ph. Fabia in seinem ausführlichen Werk ‚La Table Claudienne de Lyon’, 13, irrtümlich angegebene Datierung der Entdeckung auf das Jahr 1524. (In diesem Jahr hatte Gribaud das Grundstück erworben.) Unter Berufung auf Fabia formuliert M. Nickbakht in seiner Dissertation ‚Tacitus und das senatus consultum de Cn. Pisone patre. Untersuchungen zur historischen Arbeitsweise des Tacitus in den Annalen’, Diss. Düsseldorf 2005, auf S. 39: „Erhalten hat sich die Rede des Princeps Claudius auf einer entzwei gebrochenen Bronzetafel, die wahrscheinlich im Jahr 1524 in Lyon gefunden wurde.“ Auch H. Furneaux nannte in seinem Kommentar ‚The Annals of Tacitus’, Vol. II, Oxford 21907, 54, als Jahr der Entdeckung 1524. E. Liechtenhan gab im ersten Satz seines Beitrags ‚Quelques réflexions sur la table Claudienne et Tac., Ann. XI, 23 et 24 in: REL 24, 1946, 198-209, auf S. 198 fälschlicherweise das Jahr 1526 für die Entdeckung der Bronzetafel an: „Depuis qu’en 1526 la célèbre table de bronze qui porte le texte du discours prononcé au sénat par l’empereur Claude, en 48 après J.-C., sur le ius honorum des primores de la Gaule Chevelue, a été retrouvée“. 25 Allmer, A. - Dissard, P. (Hg.), Inscriptions Antiques du musée de la ville de Lyon, Bd. 1, Lyon 1888, 59f.: „que icelluy Rolland sest joinct à les baillier pour cinquante-huit escus soleil, que ne seroit grande despense à la ville veu que le metail que poyse six quintaulx trente livres vault à fondre trente deux ou trente quatre escus“. 26 Allmer - Dissard, Inscriptions Antiques, 60: „et auroit la ville non sans cause grand regret, si lesd. pièces estoient transportées ailleurs,…”. 27 Der Ankauf wurde durch eine Quittung des Verkäufers bestätigt: „Je Roland Gribaud, soubzsigné, confesse avoir receu de Monsieur le Trésorier de la ville, Charles de La Bessée, cinquante huit escuz d’or soleil vallans CXVlII XVI s [118 livre 16 sols] pour les deux tables métail anticques que j’ai vendues á Messieurs les Conseillers de la dite ville mentionnées au présent mandement et prometz que si je puis recrouvrer en tout ou partie les pièces que par rupture sont distraictes des dites tables, je les délivreray à mes dits sieurs et que payant seullement la valleur du matail à l’extime commune. Et d’avantaige que s’ilz veullent faire sercher les dits restes au font où ont esté trouvées les dites tables, que le pourront faire à leur despens en me dédommaigeant raisonnablement si aucun dommaige il m’estoit fait au moyen

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„im Wert von 118 livres 16 sous“28 in den Besitz der Stadt über. Der Écu-d’or war als Goldmünze 1475 von Ludwig XI. eingeführt worden; der Goldanteil belief sich seit 1519 auf 3,257 g bei einem Gesamtgewicht der Münze von 3,439 g.29 Die Stadt Lyon bezahlte somit für die beiden Platten umgerechnet rund 190 g Gold. Gribauds Quittung weist außer dem Kaufpreis auch die Grundlage für dessen Ermittlung auf: offensichtlich wurde für die Berechnung der Kaufsumme neben dem Materialwert des Kupfers der beiden Fundstücke auch der immaterielle Wert der Inschrift der beiden Platten berücksichtigt; auf dieser Grundlage sollte entsprechend Gribauds Zusage die Bezahlung zu erwartender weiterer Funde erfolgen. Der Beleg enthält nämlich auch Gribauds Verpflichtung gegenüber der Stadt, weitere Funde, die im Zusammenhang mit den Bronzeplatten stünden, der Stadt zum Kauf anzubieten. Offensichtlich waren Gribaud selbst wie auch Bellièvre und die Ratsherren der Überzeugung, dass weitere Fundstücke die beiden Bronzeplatten ergänzen bzw. vervollständigen könnten. Mit der Zusage einer finanziellen Entschädigung sollte deshalb die Suche nach weiteren Funden vorangetrieben werden. Allerdings muss bereits an dieser Stelle deutlich gesagt werden, dass diese Suche ergebnislos verlaufen ist: es ist endgültig bei den zwei Bronzeplatten geblieben, die Gribaud 1528 entdeckt hatte und die nur dank Bellièvres beharrlichem Drängen auf einen Ankauf durch die Stadt Lyon der Nachwelt erhalten geblieben sind. Unmittelbar nach dem Kauf der Tafel durch die Stadt fertigte Bellièvre im März 1529 die erste Transkription der Inschrift an,30 die er in seine Notizen unter der Überschrift „In aedibus publicis urbis Lugduni“ in Minuskeln eintrug.31 Diese früheste Abschrift gibt den Text der Inschrift sehr genau wieder,32 wie Badoud in seiner Untersuchung nachweist, in der Bellièvres ‚Fehler’ (besser: Lesevarianten) aufgelistet sind.33 Darüber hinaus zeigt diese erste Abschrift auch, dass Bellièvre bereits kurze Zeit nach Entdeckung der beiden Bronzeplatten erkannt hat, dass diese nicht nur aufgrund ihrer äußeren Beschaffenheit zusammengehörten, sondern auch, dass es sich bei der auf ihnen befindlichen Inschrift um einen ein-

de la dite serche. Fait le XIII e mars M V c vingt huit [1529]. Signé: Roland Gribaud.“ (Grisard, Odyssée de la Table, 44f.) 28 Livre und Sou waren keine Münzeinheiten, sondern Münzwerte (Rechnungseinheiten), die starken Schwankungen unterlagen. 29 Zur Ermittlung des Goldwertes: von Schrötter, Fr. (Hg.), Wörterbuch der Münzkunde, Berlin - Leipzig 1930, Berlin ²1970, 170. 30 Badoud, N., La table claudienne, 171. 31 Bellièvre, Lugdunum priscum, 96-99. - Alle anderen Inschriften, die Bellièvre in seinen Aufzeichnungen transkribiert hat, sind in Majuskeln wiedergegeben. 32 Badoud, La table claudienne, 171: „Sa copie distinguee le text de sa restitution et ne contient que peu de fautes de transcription.“ 33 Badoud, La table claudienne, 171. (Bellièvres Lesevarianten sind im textkritischen Apparat dieser Arbeit aufgeführt.)

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zigen zusammenhängenden Text handelte.34 Die Arbeiten für die von Bellièvre angestrebte öffentliche Aufstellung der Bronzetafel konnten erst im Januar 1530 zu Ende gebracht werden,35 da in Lyon im April 1529, kurz nach dem Ankauf der Tafel, seit langem schwelende Unruhen wegen einer Hungersnot in einen offenen Aufruhr umgeschlagen waren und die öffentliche Ordnung in der Stadt erst nach der blutigen Niederschlagung des Aufstandes im Mai desselben Jahres wiederhergestellt werden konnte.36 Die Bronzetafel wurde an einer Wand im Atrium des damaligen Lyoner Rathauses an der Rue Longue (an der Ecke der heutigen Rue Pléney) angebracht.37 Die Installierung der Tafel am Rathaus und damit ihre öffentliche Präsentation sollte die Bürger der Stadt, insbesondere die Jugend, über die „Altehrwürdigkeit ihrer Stadt unterrichten und zu den (bürgerlichen) Tugenden ermahnen“.38 Zusätzlich wies das über der Tafel angebrachte städtische Wappen jeden Betrachter auf den Zusammenhang bzw. die Zusammengehörigkeit von Stadt und Inschrift hin. Mit dieser öffentlichen Präsentation sollte zugleich auch der Anspruch der Stadt Lyon auf eine ‚Gleichrangigkeit’ mit der Stadt Rom unterstrichen werden: dort hatte ca. 200 Jahre zuvor im Jahr 1346 der spätere römische Volkstribun Cola di Rienzo39 die berühmte Bronzetafel mit der ‚Lex de imperio Vespasiani’’40 zusammen mit einem Wandbild, das die Übergabe der Tafel durch den Senat an Kaiser Vespasian zeigte,41 im Chor der Lateranbasilika, dem geistigen Zentrum 34 Badoud, La table claudienne, 192: „L’unité de l’ouvrage, Claude de Bellièvre l’avait déjà établie en 1528, et tous ses successeurs la reconnurent.” 35 Grisard, Odyssée de la Table, 47. 36 Jouanna, A., La France du XVIe siècle 1483-1598, Paris 2006, 125f. Pelletier, A., Histoire de Lyon. De la capitale des Gaules à la métropole européenne. De –10 000 à + 2007, Lyon 2007, 64f. 37 Fabia, La Table, 15. 38 Grisard, Odyssée de la Table, 41: „que, si elles [les tables] demeurent icy et seront affigees en lieu ou les gens savans en puissent avoir la lecture, ce sera grand consolation aux gens de la Ville quant ils verront ung certain tesmoygnage de la dignite de leurs majeurs, et servira d’eguillon a vertu pour imitation desd. majeurs et daventaige grand honneur a tout la ville”. 39 Cola di Rienzo (1313 - 1354), römischer Notar und Politiker, hatte die ca. 170 cm hohe und 110 cm breite Bronzetafel an der Rückseite eines Altars in der Lateranbasilika entdeckt. Die Tafel enthält den 2. Teil des sog. Bestallungsgesetzes für Vespasian, mit dem der römische Senat 69 n. Chr. dem Prinzeps die Macht übertrug. (Galsterer, H., ‚Lex de imperio Vespasiani’, in: DNP 7, 1999, 119f.). Mazzei, F., Cola di Rienzo. La fantastica vita e l’orribile morte del tribuno de popolo romano, Mailand 1980. 40 CIL VI, 1, 167, Nr. 930. Dazu Brunt, P. A., Lex de imperio Vespasiani, in: JRS 67, 1977, 95-116. 41 Die Anfertigung des Wandbildes kann als Pendant zu einem verloren gegangenen Fresko angesehen werden, das in der Lateranbasilika nach dem Tode Kaiser Lothars III. angebracht worden war und Lothars Kaiserkrönung durch Papst Innozenz II. zum Thema hatte. Das Gemälde sollte die Überlegenheit des Papsttums über das Kaisertum zum Ausdruck bringen, indem der Anschein erweckt wurde, der Kaiser sei Lehnsmann des Papstes, wie auch die Beischrift des Bildes gedeutet werden konnte: „Rex venit ante fores, iurans prius Urbis honores,

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Roms und der mittelalterlichen Christenheit, anbringen lassen – ein in dieser Form bislang einmaliger Vorgang.42 Die Präsentation der Tafel war mit einer ausführlichen Rede Cola di Rienzos verbunden gewesen, in der dieser die Machtfülle des Senats bzw. des römischen Volkes hervorgehoben hatte, wie sie seiner Auffassung nach in der lex dokumentiert wurde. Zugleich hatte er die Bevölkerung Roms zur Rückbesinnung auf die antike Vergangenheit und Größe ihrer Stadt und zur Wahrnehmung ihrer alten politischen Rechte aufgefordert.43. Damit die Einwohner Lyons die Inschrift auf der Bronzetafel besser verstehen konnten, hatte Bellièvre vorgeschlagen, über der Tafel einen titulus anzubringen, in dem die Motive für den Erwerb und für die Präsentation der Tafel zum Ausdruck kommen sollten. Hierzu hatte er zwei Textvorschläge entworfen, die inhaltlich weitgehend übereinstimmten. Beide Entwürfe finden sich in seinen Notizen im unmittelbaren Anschluss an die Transkription der Inschrift unter der Überschrift „Titulus ad superiores tabulas“:44 „Hocce ex reliquiis antiquae hujus urbis ad latera montis divi Sebastiani hoc salutis anno MDXXVIII repertum duodecimi primi aere publico redemerunt: dein ad urbis decorem utque genii Lugdunensis alumnos priscae virtutis commonefacerent, heic ponendum curarunt.

post homo fit papae, sumit quo dante coronam.“ Lothars Nachfolger Friedrich I. protestierte gegen die Darstellung auf dem Wandbild, vor allem gegen die Beischrift, und bestand auf deren Entfernung (Schramm, P. E., Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit 751 - 1190, Leipzig - Berlin 1928, Neuauflage hg. von F. Mütherich, München 1983, 124f. sowie 256). 42 „Non moito tiempo passao che ammonìo lo puopolo per uno bello sermone vulgare lo quale fece in Santa Ioanni de Laterani. Dereto dalla xoro, nello muro, fece ficcare una granne e mannifica tavola de metallo con lettere antique scritta, la quale nullo sapoeva leieren né interpretare, se non solo esso. Intorno a quella tavola fece pegnere figure, como lo senato romano concedeva la autoritate a Vespasiano imperatore.” (Porta, G. (Hg.), Anonimo Romano, Cronica (Classici 40), Mailand 1979, c. 18, 147 f. Z. 136-144, zitiert nach: Struve, T., Staat und Gesellschaft im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze (Historische Forschungen 80), Berlin 2004, 210f. Anm. 25. 43 Die Tafel wurde 1596 auf Veranlassung Papst Gregors XIII aus der Lateranbasilika in den Palazzo Nuovo auf dem Kapitol überführt, wo sie seitdem in der Sala del Fauno hängt. Zu den Vorgängen in Rom ausführlicher: Collins, A., Cola di Rienzo, The Lateran Basilica, and the Lex de Imperio of Vespasian, in: MS 60, 1998, 159-183, bes. 163-168. Struve, T., Cola di Rienzo und die antike lex regia, in: Ascheri, M. u. a. (Hg.), „Ins Wasser geworfen und Ozeane durchquert“. Festschrift für K. W. Nörr, Köln 2003, 1009-1029. 44 Bellièvre, Lugdunum priscum, 100; auch Fabia geht von 2 Textvorschlägen aus; dagegen spricht Badoud von 3 Vorschlägen, ohne jedoch dafür den dritten Textvorschlag vorzulegen bzw. eine Quelle anzugeben (Badoud, La table claudienne, 172).

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Alius [sc. titulus]. Vetustissimam hanc tabulam Lugduni ad radices montis Sancti Sebastiani hoc anno MDXXVIII effossam consules redemerunt, utque juventus Lugdunensis priscae majorum suorum virtutis et laudis commonefacta ad imitandum excitetur, hic ponendam curaverunt.” Da von den Lyoner Gelehrten des 16. und 17. Jh., die sich mit der Tafel und ihrer Inschrift beschäftigten, keine Hinweise auf eine besondere Überschrift am damaligen Rathaus überliefert worden sind und auch C.-F. Ménestrier45 lediglich von einem Vorschlag Bellièvres spricht,46 darf zu Recht angenommen werden, dass Bellièvres Vorschläge für eine zusätzliche Informationstafel nicht umgesetzt worden sind.47 Mit der Anbringung der Tafel am Rathaus der Stadt Lyon begann zugleich eine ‚Odyssee der Tafel’, d. h. der Weg der Tafel zu ihren verschiedenen Aufstellungsorten innerhalb der Stadt,48 denn entsprechend dem jeweiligen Standort des Rathauses wechselte auch die Tafel den Ort ihrer Aufstellung. 1611 wurde sie in das neu errichtete Rathaus ‚Maison de la Couronne’ an der Rue Vandran (heute Rue de la Poulaillerie) überführt. Allerdings wurde die Tafel bei der Aufstellung an diesem neuen Standort beschädigt: der bis zu diesem Zeitpunkt vorhandene antike Rahmen der Bronzetafel wurde wegen seines schlechten Zustands entfernt. Dieser Rahmen bestand, wie Vertranius Maurus49 in der Mitte des 16. Jh. überliefert, aus Blei: „plumbo circum ornata tabula“.50 Beim Ablösen des Bleirahmens wurden auch einige Buchstaben am rechten Rand und an der oberen Bruchlinie 45 Claude-François Ménestrier (1631 - 1705) aus Lyon, Jesuit, Historiker und Heraldiker (Gourdon de Genouillac, H., ‚Ménestrier’, in: GE, 23, 1898, 649). 46 Ménestrier, Cl.-F., Histoire civile et consulaire de la Ville de Lyon: justifiée par chartres, titres, chroniques, manuscripts, autheurs anciens & modernes, & autres preuves, avec la carte de la Ville, comme elle étoit il y a environ deux siècles, Lyon 1696, 108: “[Cl.de Bellièvre] fut cause que l’on mit ce monument [la table] dans l’Hôtel de Ville, & proposa ces deux Inscriptions, pour accompagner ces deux tables.” (Es folgen die beiden Vorschläge Bellièvres.) 47 Dazu Fabia, La Table, 15, Anm. 1. 48 1895 veröffentlichte J.-J. Grisard einen mehrteiligen Beitrag mit dem Titel ‚Odyssée de la Table de Claude, découverte à Lyon en 1528’, in der Zeitschrift ‚Revue de Lyon’ 19 und 20, 1895. Die Einzelbeiträge wurden unter gleichem Titel 1896 als Buch publiziert. Fabia übernahm diese Formulierung als Untertitel in seinem Buch ‚La Table Claudienne de Lyon’, 165: „L’Odyssée de la Table Claudienne: installations successives dans les trois hôtels de ville; les cinq installalations au Palais des Arts.“ 49 Marcus Vertranius Maurus, Jurist und Altphilologe, Verfasser des ersten Kommentars zu Tacitus’ Annalen. Die Lebensdaten sind nicht bekannt; überliefert sind Angaben zu den Jahren seiner literarischen Tätigkeit: 1558 - 1563. (Zu ‚Maurus’ wurde nur ein kurzer Beitrag in ‚Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste’ von J. H. Zedler, Halle - Leipzig 1739, ND Graz 1961, 19, 2231, gefunden.) 50 Maurus, M. V., Ad P. Cornelii Taciti Annalium et Historiarum libros M. Vertranii Mauri notae, Lyon 1569, 123.

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der linken Tafelhälfte beschädigt. Daher weisen die im 16. Jh. angefertigten Transkriptionen dort an mehreren Stellen noch Buchstaben auf, die seither auf der Tafel nicht mehr zu erkennen sind.51 In dem ehemaligen Rathaus befindet sich heute das ‚Musée de l’Imprimerie’, in dessen Innenhof eine Kopie der Bronzetafel angebracht ist. Allerdings gibt es dort keinerlei Hinweise auf den Anlass, die Motive und den Zeitpunkt der Anfertigung dieser Kopie und zu ihrer Anbringung am dortigen Gebäude. 1657 fand die Tafel ihren dritten Standort in der Vorhalle des neu errichteten städtischen Rathauses an der ‚Place des Terreaux’. Zur Erinnerung an diese Überführung wurde unterhalb der Bronzetafel ein Medaillon mit dem Bildnis des französischen Königs Ludwig XIV. (1643 - 1715) sowie zusätzlich eine dem König gewidmete lateinische Inschrift angebracht. Diese wies darauf hin, dass auf der Tafel eine Rede stehe, die der in Lyon geborene Kaiser Claudius „pro jure Civita(tis)[!] Galliae Comatae“52 vor dem Senat in Rom gehalten habe und die sich auf den ‚Senat der colonia Lugdunum’ beziehe.53 Mit dem Hinweis, dass Claudius in Lyon geboren worden war,54 und der Erwähnung eines ‚Senats’ der römischen Siedlung sollte die Bevölkerung der Stadt in der Überzeugung bestärkt werden, dass auf der Bronzetafel ein kaiserliches Privileg zur rechtlichen Besserstellung der Bürger in der römischen colonia Lugdunum aufgezeichnet sei. Die Anfertigung dieser zusätzlichen Inschrift unterhalb der Tafel muss im Zusammenhang mit einem Gesuch gesehen werden, das Bellièvre 1536 an den damaligen König Franz II. anlässlich dessen Aufenthalts in Lyon gerichtet hatte. Darin war der König gebeten worden, der Stadt die Einrichtung eines ‚Senats’ (in der Funktion eines städtischen Parlaments) zu bewilligen;55 diese Bitte hatte der König damals abschlägig beschieden. Mit dem Verweis auf die Existenz ei51 Badoud, La table claudienne, 194. So hat beispielsweise Bellièvre in Zeile 25 der linken Kolonne ‚ei[u]s’ transkribiert; hier ist heute nur noch ‚ei[us]’ lesbar. 52 Offensichtlich hat das Wort ‚civitatem’ am Ende der letzten Zeile auf der linken Tafelhälfte zu dem Missverständnis geführt, bei der Rede handele es sich um die Zuerkennung des römischen Bürgerrechts an die Bewohner der Gallia Comata. Ein ähnliches Missverständnis liegt wohl bei R. Frei-Stolba vor, die in ihrer ‚Untersuchung zu den Wahlen in der römischen Kaiserzeit’, Zürich 1967, 165, schreibt: „wie zum Beispiel der Antrag des Claudius auf die Bürgerrechtsverleihung (!) an die Gallier im Jahre 48“. Auch C. Ando, Imperial Ideology and Provincial Loyalty in the Roman Empire, Berkeley - Los Angeles - London 2000, 164, äußert: „Other speeches survive, most notably one on extending citizenship to select members of peregrine communities in Gaul“. 53 Aus der Inschrift von 1657: „hoc Divi Claudii Rom. Imp. Lugd. nati (…) ad Sen. Lugd. Colon. pertinens Monumentum“. (Siehe auch: Badoud, La table claudienne, 172.) 54 Claudius war am 1. August des Jahres 10 v. Chr. in Lugdunum geboren worden, so Sueton Claud. 2, 1. 55 Badoud, La table claudienne, 172. Bellièvres Bittschrift findet sich am Ende seiner Notizen ‚Lugdunum priscum’, 171-177, vor allem 174: „Desideras, o rex opulentissime, tuam Galliam in hoc regni florentissimam et admirabilem redder. Da senatum, et civitatem habebis omnibus numeris absolutam.“

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ner derartigen Institution bereits zu römischer Zeit sollte nun 100 Jahre nach der Auffindung der Tafel erneut ein Zusammenhang zwischen dem (angeblichen durch die Inschrift auf der Bronzetafel nachgewiesenen) Rechtsstatus der Stadt in der Antike und der angestrebten politischen Privilegierung im 17. Jh. hergestellt und im Bewusstsein der Lyoner Bürgerschaft verankert werden. Die zusätzliche Inschrift von 1657 wurde offensichtlich wegen ihrer Widmung an den König zusammen mit dem Medaillon des Königs während der Französischen Revolution entfernt; der Text dieser Inschrift ist jedoch von Ménestrier überliefert worden.56 Die Bronzetafel selbst wie auch ihre Inschrift wurden von den Revolutionären nicht angetastet. 1814 wurde die Bronzetafel in das ‚Palais Saint-Pierre’ überführt, das ebenfalls an der Place des Terreaux lag und in dem bis 1792 eine Abtei der Benediktinerinnen untergebracht war; seit 1801 beherbergte es die Kunstschätze der Stadt. Mit ihrer Unterbringung im Palais Saint-Pierre erhielt die Bronzetafel dauerhaften Schutz gegen negative Einflüsse von außen wie z. B. vor Witterungsschäden oder Beschädigungen durch Dritte. Damit ging zugleich aber auch der ursprüngliche Zweck der öffentlichen Repräsentation verloren, wonach die Tafel die Aufmerksamkeit der Bürger der Stadt auf sich ziehen und in ihnen die Erinnerung an die Antike und an die einstige Bedeutung ihrer Stadt wachrufen sollte. 1860 wurde in dem Gebäude das ‚Palais des Arts’ eingerichtet; zu Beginn des 20. Jh. erhielt es die Bezeichnung ‚Musée des Beaux-Arts’. Heute sind dort das Ägyptologisches Museum sowie das Museum für moderne Kunst untergebracht. An diesem neuen Standort wurde die Tafel im Laufe der folgenden 150 Jahre in fünf verschiedenen Sälen ausgestellt.57 Schließlich erhielt die Bronzetafel 1975 im neu errichteten ‚Musée de la Civilisation Gallo-Romaine’ in Lyon-Fourvière (auf dem Gebiet der ehemaligen colonia Lugdunum) einen neuen Platz.58 Als Leihgabe wurde sie in der Ausstellung „Die Etrusker und Europa“ in der Sektion „Die Romanisierung Etruriens“ zunächst 1992 in Paris und anschließend im Frühjahr 1993 im Alten Museum in Berlin gezeigt.59 2008 wurde die Bronzetafel in der Ausstellung „Rom und die Barba-

56 Ménestrier, Histoire civile, 109: „LUD. XIV. F. & Nav. Reg. Christianiss. Fel. Regnante hoc Divi Claudii Rom. Imp. Lugd. nati pro jure Civita. Galliae Comatae in Senatu dicen. ad Sen. Lugd. Colon. pertinens Monumentum aeneis his duabus tabulis insculptum per illustriss. …[es folgt eine Namensliste königlicher bzw. städtischer Amtsträger]… Publici decoris et antiquae Majest. Vrbis Instauratores apponi curar, An. à Christ. Nat. MDCLVII.“ 57 Zu den verschiedenen Räumen, in denen die Tafel aufgestellt wurde, im Einzelnen: Fabia, La Table, 15. 58 Information des Musée de la Civilisation Gallo-Romain in Lyon. 59 Pallottino, M., Die Etrusker und Europa, Berlin 1993, 154, Abb. 236, und Perl, Die Rede des Kaisers, 114.

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ren“ im Palazzo Grassi in Venedig als ‚Zeugin für die Beziehungen zwischen Rom und den anderen Völkern’ der Öffentlichkeit präsentiert.60 Im selben Jahr 2008 wurden an der Tafel auch umfangreiche technische Untersuchungen durchgeführt, die u. a. Auskunft über die genaue Zusammensetzung der Bronzelegierung und insbesondere über die Methode der Herstellung der Tafel geben sollten. Diese Analyse ergab u. a., dass die Tafel im sog. ‚Wachsausschmelzverfahren’, einem Metallgussverfahren, angefertigt worden ist;61 die einzelnen Buchstaben der Inschrift sind dabei nach dem Guss von Hand nachgearbeitet (nachgraviert) und vermutlich auch vergoldet worden.62 Ein galvanoplastischer Abguss der Bronzetafel wurde 1870 für das Musée d’Archéologie nationale de Saint-Germain-en-Laye bei Paris angefertigt.63 Die Bronzetafel, die aus den beiden von Gribaud entdeckten Platten besteht und schon seit ihrer ersten öffentlichen Aufstellung im Jahre 1530 als Einheit, als eine zusammengehörige Tafel, betrachtet wird, weist eine Breite von 193 cm auf; die Höhe variiert wegen der unregelmäßig verlaufenden horizontalen Bruchlinie zwischen 130 und 139 cm. Die Stärke der ca. 2,6 m2 großen Tafel beträgt 0,8 cm,64 ihr Gewicht beläuft sich auf 222,5 kg.65 Über den Zeitpunkt und die Gründe für die Zerschlagung der ursprünglichen Tafel gibt es keine Angaben oder auch 60 Frings, J. (Hg.), Rom und die Barbaren. Europa zur Zeit der Völkerwanderung, Bonn München 2008, 32f. und 40. 61 Mitteilung des Musée de la Civilisation Gallo-Romain vom 21.11.2011. (Bedauerlicherweise war es dem Verfasser nicht möglich, Einblick in diese Studie zu nehmen.) - Bei diesem Verfahren wird ein Modell aus Wachs angefertigt, das dann im Verlauf des Verfahrens völlig zerstört wird. (Dazu: Wiegartz, V., Das Wachsausschmelzverfahren, in: Mietzsch, A. (Hg.), Bronzeguss. Handwerk für die Kunst, Berlin 2009, 6-51.) 62 So Fabia, La Table, 56. 63 Mitteilung des Museums vom 17.11.2011. - S. Reinach verzeichnet die Tafel in seinem ‚Catalogue illustré du Musée des Antiquités Nationales au Château de Saint-Germain-en-„Laye’, Paris 1917, 143f. unter der Nr. 16056 als „Galvanoplastie des Tables de Claude“. 64 Feststellung durch Autopsie. 65 Dieses Gewicht wurde 1868 festgestellt, als die Tafel im Musée des Beaux-Arts in einen anderen Raum überführt wurde. Die Untersuchung von 2008 bestätigt das 1868 ermittelte Gewicht. Bei der 1. Wiegung 1529 anlässlich des Verkaufs der beiden Bronzeplatten an die Stadt hatte man ein Gewicht von 630 livres festgestellt. Von den verschiedenen Umrechnungen in Kilogramm scheint die von Dissard am plausibelsten zu sein: er kam auf ein Gewicht von umgerechnet 231,291 kg (Allmer - Dissard, Inscriptions Antiques, Bd. 1, 69f.). Die Differenz von 8,791 kg zum tatsächlichen Gewicht könnte darauf zurückzuführen sein, dass 1611 bei der Überführung der Tafel in die ‚Maison de la Couronne’ die Umrahmung aus Blei entfernt und dadurch das Gesamtgewicht reduziert worden ist. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass bereits 1528 vor dem Verkauf der Tafel ein höheres Gewicht zugunsten des Entdeckers und Verkäufers Gribaud festgestellt worden ist, um so dem Stadtrat den Ankauf der Bronzetafel ‚schmackhaft zu machen’ (Fabia, La Table, 55).

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nur Anhaltspunkte. A. Audin vermutet, dass die Tafel im 12. Jh., als in Lyon ein ‚Baufieber’ ausbrach und die mittelalterliche Stadt nach Norden zur ‚CosteSaint-Sebastien’ hin erweitert wurde, bei der Suche nach Baumaterialien wie Steinen oder auch Metallgegenständen entdeckt, zerbrochen und teilweise zur Schmelze gegeben worden ist.66 Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Tafel bereits früher, in der Zeit der sog. Völkerwanderung des 4. - 6. Jh. n. Chr. oder auch bei der Zerstörung der Stadt durch die Araber im Jahr 725, zerbrochen worden ist und Teile der Bronzetafel frühzeitig vernichtet worden sind. Eine genauere Betrachtung der beiden Teile der Bronzetafel lässt die Bruchlinien an den Oberkanten, insbesondere aber auch die sich gegenseitig ergänzenden Bruchstellen der rechten bzw. linken Seitenkante der einzelnen Platten deutlich erkennen. An ihnen ist eindeutig abzulesen, dass die beiden Fundstücke zusammengehören und eine einzige Tafel ergeben, wie auch Fabia in seinem Werk 1929 aufgezeigt hat.67 Diese Auffassung von der Einheit der Bronzetafel wird inzwischen von der Mehrzahl der modernen Altertumswissenschaftler vertreten, zuletzt 1996 von G. Perl, der die Tafel anlässlich ihrer Ausstellung in Berlin 1993 im Original studieren konnte.68 Die 2008 durchgeführte Materialanalyse der Tafel hat für die chemische Zusammensetzung der Bronze folgende Metallanteile festgestellt: 86% Kupfer, 8% Zinn und 4% Blei. Diese Legierung ergab ursprünglich eine gelbe, glänzende Bronze und verlieh der Tafel ein golden leuchtendes Aussehen, das aber infolge der inzwischen angesetzten Patina heute so nicht mehr wahrgenommen werden kann.69 Die Vorderseite der Tafel ist poliert und geglättet; die Rückseite hingegen ist nicht bearbeitet worden und weist daher eine raue berfläche auf. Zwei rechteckige Ausschnitte am rechten und linken Rand der Tafel könnten darauf hinweisen, dass die Tafel ursprünglich an einer Mauer oder Wand befestigt gewesen ist. So schließt beispielsweise Fabia nicht aus, dass diese Ausschnitte erst nach der Entdeckung der Tafel im Zusammenhang mit ihrer Anbringung am jeweiligen Rathaus in Lyon vorgenommen worden sein könnten.70 Zusammen mit dem unteren Rand ergeben die beiden seitlichen Ränder der Tafel für drei Seiten einen glatten Abschluss der Tafel. Am oberen Rand bildet die horizontale, unregelmäßig verlaufende Bruchlinie die Begrenzung. Infolge des Bruches der Tafel ist die vorhandene jeweilige oberste (erste) Zeile auf beiden Platten stark verstümmelt. Die vertikale Bruchlinie in der Mitte der Tafel lässt Audin, A., Lyon, miroir de Rome, Paris 1988, 123. Fabia, La Table, 51-53. 68 Perl, Die Rede des Kaisers, 114f. 69 Mitteilung des Musée de la Civilisation Gallo-Romain über die technische Untersuchung von 2008. 70 Fabia, La Table, 55. 66 67

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erkennen, dass diese aus zwei Teilstücken zusammengesetzt ist; die Bruchlinie verläuft knapp entlang des rechten Randes der ersten (linken) Zeilenkolonne; wie erwähnt sind hier offensichtlich auch einige Buchstaben verloren gegangen. Sowohl die beiden erhaltenen Tafelstücke als auch ihre Bruchlinien lassen darauf schließen, dass die ursprüngliche Tafel wohl in vier etwa gleich große Teile zerbrochen worden ist. Auch wenn der Verlust des oberen Teils der Tafel als endgültig angesehen werden muss, so kann doch mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass auf der ehemaligen linken oberen Hälfte der Tafel der Anfang der Rede und auf der rechten oberen Seite die Überleitung zu dem anschließenden Text der Rede ihren Platz gefunden haben.71 Die Bronzetafel zeigt in zwei Kolumnen mit 40 Zeilen auf der linken und 41 Zeilen auf der rechten Tafelhälfte eine lateinische Inschrift in Majuskeln, wie sie in der Monumentalschrift (capitalis quadrata) der Kaiserzeit des 1. Jh. n. Chr. verwendet wurden.72 Die Buchstaben, die etwa 0,2 bis 0,3 cm tief eingeprägt sind, weisen in der Regel eine Höhe von 1,9 - 2,0 cm auf,73 ausgenommen eine Reihe von „I“, deren Längsbalken die übrigen Buchstaben um jeweils etwa 0,2 cm überragt und die ein langes ‚I’ kennzeichnen;74 allerdings hat der Graveur diese Hervorhebung nicht konsequent durchgeführt. Wie Fabia vermerkt, lässt auch die Setzung der Apices (Akzente)75 auf eine „gewisse handwerkliche Nachlässigkeit oder Beliebigkeit“ schließen.76 Die Zeilen beider Kolonnen sind linksbündig angeordnet, wobei die Anfangsbuchstaben der einzelnen Abschnitte jeweils nach links herausgerückt sind.77 Der Text der Inschrift ist fortlaufend geschrieben, ohne Abstand zwischen den einzelnen Wörtern. Diese sind lediglich durch kleine Dreiecke mit einer Seitenlänge von etwa 0,1 - 0,2 cm auf halber Zeilenhöhe nach dem letzten Buchstaben eines

71 Perl geht davon aus, dass an dieser Stelle auch der Wortlaut des Antrags gestanden hat (Perl, Die Rede des Kaisers, 114, Anm. 1). 72 Almar, K. P., Inscriptiones Latinae. Eine illustrierte Einführung in die lateinische Epigraphik, Odense 1990, 26. 73 Zum Vergleich der Buchstabengrößen in anderen Inschriften auf Bronzetafeln: Eck, W., Fragmente eines neuen Stadtgesetzes - der lex coloniae Ulpiae Traianae Ratiariae, in: Athenaeum 104/2, 2016, 538-544, hier 541. 74 Dazu: Küster, M. W., Geordnetes Weltbild. Die Tradition des alphabetischen Sortierens von der Keilschrift bis zur EDV. Eine Kulturgeschichte, Tübingen 2006, 263. 75 Küster, Geordnetes Weltbild, 264. 76 Dazu sowie generell zu Abweichungen bei einzelnen Buchstaben und in der Zeichensetzung, auf die hier nicht ausführlicher eingegangen werden soll, s. Fabia, La Table, 55f. 77 Linke Kolumne: 2: ‚E(QUIDEM)’; 8: ‚Q(UONDAM)’; 28: ‚Q(UID)’; aus der rechten Kolumne: 9: ‚O(RNATISSIMA)’; 20: ‚TE(MPUS)’; 23: ‚TOT’.

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Wortes getrennt, sofern es sich dabei nicht um einen ‚runden’ Buchstaben wie C, D oder O handelt; diese schließen den Trennungspunkt jeweils ein.78 Schon die Größe der Tafel wie auch der Text der Inschrift zeigen die herausragende Bedeutung des Fundes. Unterstrichen wird diese durch den Fundort: dieser liegt auf einer Landzunge nördlich des Zusammenflusses der beiden Flüsse Saône und Rhône,79 etwa 1 km flussaufwärts nordöstlich der einstigen colonia Lugdunum.80 Diese Siedlung war 43 v. Chr. vom Praetor L. Munatius Plancus81, dem Statthalter der Gallia Transalpina, an der Stelle einer bereitsbestehenden keltischen Ansiedlung82 als römische colonia (neu) gegründet worden.83 Sie ent78 Es fällt auf, dass die von Claudius im Rahmen seiner Censur neu eingeführten drei Buchstaben im Text nicht verwendet worden sind. Da die Aufzeichnung der kaiserlichen Rede in Rom angefertigt worden ist, ist entweder die kaiserliche Anordnung über die Einführung der Buchstaben erst zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen der Censur erfolgt oder sie war, folgt man dem zeitlichen Ablauf der Ereignisse, wie sie Tacitus in ann. 11, 14 wiedergibt, bei der Abfassung des Textes (noch) nicht bekannt (vgl. Kap. IV.3). 79 Zur Geographie Lug(u)dunums: Desbats, A. - Lascoux, J.-P., Le Rhône et la Saône à Lyon á l’époque romaine, in: Gallia 56, 1999, 45-59. 80 Zu Lug(u)dunum notiert Strabon (4, 3, 1f.): „Αὐτὸ μὲν δὴ τὸ Λουγδoῦνον, ἐκτισμένον ὑπὸ λόφῳ κατὰ τὴν συμβολὴν τοῦ τε Ἅραρος ποταμοῦ καὶ τοῦ Ῥοδανοῦ, κατέχουσι Ῥωμαῖοι. εὐανδρεῖ δὲ μάλιστα τῶν ἄλλων πλὴν Νάρβωνος˙ καὶ γὰρ ἐμπορίῳ χρῶνται καὶ τὸ νόμισμα χαράττουσιν ἐνταῦθα τό τε ἀργυροῦν καὶ τὸ χρυσοῦν οἱ τῶν Ῥωμαίων ἡγεμόνες̇.“ - Weitere Angaben und Literatur zu Lugdunum in: Cramer, F., ‚Lugudunum.’, in: RE XIII,2, 1927, 1718-1723. Lafond, Y. - Le Glay, M., ‚Lugudunum, Lugdunum (h. Lyon)’, in: DNP 7, 1999, 487-489. Wuilleumier, P., Lyon. Métropole des Gaules, Paris 1953. Flobert, P., Lugudunum: Une étymologie gauloise de l’empereur Claude (Sénèque, Apoc. VII, 2, v. 9-10), in: REL 46, 1969, 264-280. Desbats, A., Colonia Copia Claudia Augusta Lugudunum. Lyon à l’époque claudienne, in: Y. Burnand - Y. Le Bohec - J.-P. Martin (Hg.), Claude de Lyon. Empereur romain, Actes du Colloque Paris-Nancy-Lyon Novembre 1992, Paris 1998, 407-431. Haensch, R., Capita provinciarum. Statthaltersitz und Provinzialverwaltung in der römischen Kaiserzeit (Kölner Forschungen 7), Mainz 1997, 133-135. - Zur Verwaltung der colonia Lugdunum: Bérard, F., L’organisation municipale de la colonie de Lyon, in: M. Dondin-Payre - M.T. Raepsaet-Charlier (Hg.), Cités, municipes, colonies. Les processus de municipalisation en Gaule et en Germanie sous le Haut Empire romain (Histoire ancienne et médiévale 53), Paris 1999, 97-126. 81 Über die Gründung Lugdunums berichtet Cass. Dio 46, 50, 4f. - Zu Munatius Plancus: Hanslik, R., ‚Munatius.30’, in: RE XVI,1, 1933, 545-551. Eck, W., ‚Munatius [I 4] M. Plancus, L.’, in: DNP 8, 2000, 469-471. De Laet, S. J., De samenstelling van den romeinschen senaat gedurende de eerste eeuw van het principaat (28 vóór Chr. – 68 na Chr., Antwerpen 1941, 64 (Nr. 251). Watkins, Th. H., L. Munatius Plancus. Serving and Surviving in the Roman Revolution, Atlanta GA 1997. 82 Nach Cass. Dio 46, 5, 4f. hatten dort ehemalige römische Bewohner Viennas nach ihrer Vertreibung durch die Allobroger gesiedelt; Plancus sollte (zusammen mit Lepidus) die Siedler in einer Kolonie zusammenfassen: „Und sie leisteten dem Befehl Folge und gründeten die Stadt Lugudunum, die heutzutage Lugdunum heißt.“ 83 CIL X 6087 = ILS 886 (Grabinschrift am Mausoleum des Plancus bei Gaëta): „L. Munatius […]| Plancus […]| in Gallia(m) colonias deduxit Lugudunum et Rauricam“. - Zum Mausole-

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wickelte sich rasch zum wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Zentrum84 des von Caesar eroberten Gallien und stieg zur Hauptstadt der von Augustus eingerichteten drei gallischen Provinzen85 – Tres Galliae – auf.86 Der als pagus Condatensis oder einfach als Condate87 bezeichnete Bezirk gehörte nicht zu der colonia;88 er lag auf dem Gebiet des Stammes der Segusiaver89 und umfasste eine Fläche von ungefähr zwei Hektar.90 Dieser Bezirk besaß einen eigenen Rechtsstatus und unterstand nicht der Verwaltung und Jurisdiktion der römischen colonia Lugdunum. An diesen Ort hatte Drusus91 – wohl nach dem Vorbild Caesars92 – 12 um: Fellmann, R., Das Grab des Lucius Munatius Plancus bei Gaëta. Hg. zur Feier der vor 2000 Jahren vollzogenen Gründung der Colonia Raurica (Schriften des Institutes für Ur- und Frühgeschichte der Schweiz 11), Basel 1957. 84 Außer der günstigen geographischen Lage am Zusammenfluss zweier schiffbarer Ströme trug vor allem der Bau von Straßen, die ihren Ausgangspunkt in der colonia hatten (Strab. IV, 6, 11 C 208), durch M. Vipsanius Agrippa zur Entwicklung Lugdunums bei. - Zu Lyon als Wirtschaftszentrum: Clavel, M. - Lévêque, P., Villes et structures urbaines dans l’occident romain (Histoire Ancienne Collection U2), Paris 1971, 48f. Demougeot, É., ‚Gallia I’, in: RAC 8, 1972, 822-927, hier 836-839. 85 Strab. 4, 1, 1, 177C. Plin. nat. 4, 106-108. Zur Provinz als politisch-administrativer Gliederung im römischen Reich: Eck, W., Die Verwaltung des Römischen Reiches in der Hohen Kaiserzeit. Ausgewählte und erweiterte Beiträge, hg. von R. Frei-Stolba und M. A. Speidel, Bd. 2 (Arbeiten zur römischen Epigraphik und Altertumskunde 3), Basel 1997, 165-185. – Zur Einrichtung Galliens als Provinz: Gardthausen, V., Augustus und seine Zeit, Teil I, Bd. 2, Leipzig 1896, 665-671. 86 Drinkwater, J. F., Lugdunum: 'Natural Capital’ of Gaul?, in: Britannia 6, 1975, 133-140. Haensch, Capita provinciarum, 133-135. 87 Condate war das keltische Wort für ‚Zusammenfluss’ (lat. ‚confluentes’). Ihm, M., ,Condate. 4)’, in: RE IV,1, 1900, 841. - Zur geographischen Lage dieses Bezirks s. Lageplan auf S. 264. 88 Insofern sind die Angaben zum Fundort, die R. Schmidtmayer in seinem Beitrag ‚Die Rede des Kaisers Claudius über das ius honorum der Gallier bei Tacitus ann. XI, 24 und die wirklich gehaltene Rede’ auf S. 870 macht, nicht nur unzutreffend, sondern auch irreführend: „Auffallend kann wohl scheinen, dass die Tafel in Lyon, dem alten Lugdunum, (…), aufgefunden wurde, woraus man billig schließen kann, dass sie in jener Stadt aufbewahrt worden war. (…) Als politisches Zentrum besaß sie gemeinsame Festfeiern der 64 gallischen Civitates (…) bei dem 10 [!] v. Chr. errichteten Altar der Roma und des Augustus“. Die falsche Zuordnung des Fundortes hatte bereits kurz nach der Entdeckung der Bronzetafel zu Fehlinterpretationen der Inschrift geführt. 89 Die Segusiaver besiedelten das Gebiet nördlich der Rhône östlich von Lugdunum (Caes. Gall. 1, 10, 5f.); sie gehörten zu den Klientel-Stämmen der Häduer (Caes. Gall. 7, 75, 2). Ihr Hauptort war Forum Segusiavorum (heute: Feurs bei Lyon); dazu: Valette, P. - Guichard, V., Le forum gallo-romain de Feurs (Loire), in: Gallia 48, 1991, 109-164. 90 Fishwick, The Imperial Cult in the Latin West. Studies in the Ruler Cult of the Western Provinces of the Roman Empire, Bd. 3.3, Leiden - Boston - Köln 2003, 106. 91 Stein, A., ‚Claudius. 139) Nero Claudius Drusus’, in: RE III,2, 1899, 2703-2719. Kienast, D., ˌClaudius [II 24] Nero C, Drusus’, in: DNP 3, 1997, 15f. Moeller, P., Drusus (maior), in: RGA 8, 1986, 204-215. Strobl, W., Drusus, in: Historische Gestalten der Antike. Rezeption in Literatur, Kunst und Musik, DNP Suppl. 8, 2013, 385-390. Christ, K., Drusus und Germanicus. Der Eintritt der Römer in Germanien, Paderborn 1956, 7-64. Johne, K.-P., Die Römer an

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v. Chr. die vornehmsten Gallier als Vertreter der civitates93 der Gallia Comata zusammengerufen, wie Livius und Dio übereinstimmend berichten.94 Zuvor war es wegen der Durchführung eines Census in den gallischen Provinzen zu Unruhen gekommen,95 wie Livius überliefert: „Civitates Germaniae cis Rhenum et trans Rhenum positae oppugnantur a Druso, et tumultus, qui ob censum exortus in Gallia erat, componitur ara dei Caesaris ad confluentem Araris et Rhodani dedicate, sacerdote creato C. Iulio Vercondaridubno Aeduo.” (per.139) Diese Unruhen werden von Claudius in seiner Rede jedoch verschwiegen bzw. bewusst übergangen, da an dieser Stelle für den Kaiser das Argument der lang andauernden Friedenszeit von 100 Jahren (nach der Eroberung Galliens durch Caesar) gegenüber den 10 Jahren Krieg (II 32-35) eine größere Überzeugungskraft zugunsten seines Antrags für die Gallier besaß und dem Konzept seiner Rede besser entsprach.96

der Elbe. Das Stromgebiet der Elbe im geographischen Weltbild und im politischen Bewusstsein der griechisch-römischen Antike, Berlin 2006, 83-113. 92 Caesar hatte, um Forderungen und Wünsche gegenüber den gallischen Stämmen zu koordinieren, wiederholt concilia genutzt, die die Gallier zur Absprache gemeinsamer politischer Entscheidungen kannten. Germanien Diese auch als ‚Landtage’ bezeichneten Versammlungen waren für einzelne Stämme (so Caes. Gall. 5, 6, 2), für übergeordnete Stammesverbände (Gall. 2, 4, 4; 4, 19, 2) wie auch für ganz Gallien (Gall. 1, 30, 4; 5, 56, 1f.; 7, 63, 5) einberufen worden. Wuilleumier, Lyon, 33-42. Wolters, R., Römische Eroberung und Herrschaftsorganisation in Gallien und. Zur Entstehung und Bedeutung der sogenannten KlientelRandstaaten (Bochumer historische Studien, Alte Geschichte 8), Bochum 1990, 90-92.) Zu den sog. Landtagen: Deininger, J., Die Provinziallandtage der römischen Kaiserzeit von Augustus bis zum Ende des dritten Jahrhunderts n. Chr. (Vestigia 6), München - Berlin 1965, 22. Meyer-Zwiffelhoffer, E., Imperium Romanum. Geschichte der römischen Provinzen (Beck’sche Reihe 2467), München 2009, 2. durchgesehene und aktualisierte Auflage 2017, 88-92. Wesch-Klein, G., Die Provinzen des Imperium Romanum. Geschichte, Herrschaft, Verwaltung (Geschichte kompakt), Darmstadt 2016, 97-100. 93 Zu civitates: Kornemann, E., ,Civitas. I’, in: RE Suppl. I-II, 1903, 300-304. Galsterer, H., ‚Civitas A.’, in: DNP 2, 1997, 1224. Zur Gliederung, Organisation und Verwaltung der gallischen civitates: Wolff, H., Kriterien für latinische und römische Städte in Gallien und Germanien und die ´Verfassung’ der gallischen Stammesgemeinden, in: BJ 176, 1976, 45-121. Wesch-Klein, Die Provinzen des Imperium Romanum, 88f. 94 Livius, per. 139. Cass. Dio 54, 32, 1. 95 Zu Unruhen und Aufständen im Imperium: Pekáry,Th., Seditio. Unruhen und Revolten im römischen Reich von Augustus bis Commodus, in: AncS 18, 1987, 133-150 (wieder abgedruckt in: Ders., Ausgewählte Kleine Schriften, hg. von H.-J. Drexhage (Pharos Bd. IV), St. Katharinen 1994, 203-223). 96 Zum „tumultus, qui ob censum exortum in Gallia erat,“ und weiteren Revolten in Gallien: Dyson, St. L., Native Revolt Patterns in the Roman Empire, in: ANRW II. 3, 1975, 138-175, hier 152-158.

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Die Versammlung der gallischen Führungsschicht im Jahre 12 v. Chr.97 ging auf eine Initiative der römischen Seite zurück,98 bei der Drusus in Übereinstimmung mit Augustus’ Plänen für eine weitere Romanisierung der Gallia Comata handelte.99 Auf dieser Zusammenkunft sollten nicht nur Maßnahmen zur Befriedung der Provinz besprochen und auf den Weg gebracht, sondern auch der ‚Kaiserkult’100 eingerichtet werden,101 der die Zustimmung der Provinzialvertreter zu ‚Kaiser und Reich’ zum Ausdruck bringen und so die Loyalität der gallischen Oberschicht zum Prinzeps Augustus bekunden sollte,102 der im selben Jahr auch das Amt des pontifex maximus übernommen hatte.103 Offensichtlich waren Drusus’ 97 Pelletier, A., Le 1er août de l’an 12 av. J.-C., in: Y. Le Bohec (Hg.), L’Afrique, la Gaule, la Religion à l’époque romaine (Collection Latomus 226), Brüssel 1994, 441-446. 98 Zu den administrativen Maßnahmen der Provinzialisierung Galliens: Cass. Dio, 54, 25, 1. Augustus hatte in der Zeit 16 - 13 v. Chr. das von Caesar eroberten Gallien in 3 Provinzen eingeteilt: Aquitania, Lugdunensis und Belgica. Hirschfeld, O., Die Organisation der drei Gallien durch Augustus, in: Klio 8, 1908, 464-476, hier 465 (wieder abgedruckt in: Ders., Kleine Schriften, Berlin 1913, 112-126). Wolff, H., Die regionale Gliederung Galliens im Rahmen der römischen Reichspolitik, in: G. Gottlieb (Hg.), Raumordnung im Römischen Reich. Zur regionalen Gliederung in den gallischen Provinzen, in Rätien, Noricum und Pannonien. Kolloquium an der Universität Augsburg anlässlich der 2000-Jahr-Feier der Stadt Augsburg vom 28. bis 29. Oktober 1985 (Historisch - sozialwissenschaftliche Reihe 38), München 1989, 135, bes. 17-21. 99 Zu Augustus’ Romanisierungspolitik: Kienast, D., Augustus. Prinzeps und Monarch, Darmstadt 1982, 42009, 326 und 492-494. Dazu auch: Ramage, E. S., Augustus’ Propaganda in Gaul, in: Klio 79, 1997, 117-160, hier besonders 149-152. 100 Zur Errichtung des provinzialen Kaiserkults: Krascheninnikoff, M., Ueber die Einführung des provinzialen Kaisercultus im römischen Westen, in: Philologus 53, 1894, 147-189. Heinen, H., Zur Begründung des römischen Kaiserkultes. Chronologische Uebersicht von 48 v. bis 14 n. Chr., Tübingen 1910, 34f. 101 Fishwick weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Augustus 12 v. Chr. das Amt des pontifex maximus übertragen worden war (Fishwick, Imperial Cult in the Latin West, Bd. 3.1, 2002, 15). - Suet Sueto. Aug. 31, 1. 102 Larsen, J. A. O., Representative Government in Greek and Roman History, Berkeley - Los Angeles 1955, 130. Derks, T., Gods, Temples and Ritual Practices. The Transformation of Religious Ideas and Values in Roman Gaul (Amsterdam Archaeological Studies 2), Amsterdam 1998. Van Andringa, W., La religion en Gaule Romaine. Piété et politique (Ier-IIIe siècle apr. J.-C.), Paris 2002, 33-39. Waldherr, G. H., Provinziallandtage: „Weltliche“ Institution und kultisch-ideologisches Band zwischen Zentrale und Peripherie, in: H. Cancik - J. Rüpke (Hg.), Römische Reichsreligion und Provinzialreligion. Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte, Erfurt 2003, 79-84. 103 Augustus als Pontifex maximus: Schumacher, L., AUGUSTUS PONT. MAX. – Wie wurde ein römischer Kaiser pontifex maximus?, in: Klio 88, 2006, 181-188. Bowersock, G. W., The Pontificate of Augustus, in: K. A. Raaflaub - M. Toher (Hg.), Between Republic and Empire. Interpretations of Augustus and His Principate, Berkeley - Los Angeles - Oxford 1990, 380394. Scheid, J., Auguste et le grand pontificat. Politique et droit sacré au début du Principat, in: RD 77, 1999, 1-19. Stepper, R., Der Oberpontifikat von Caesar bis Nerva: Zwischen Tradition und Innovation, in: C. Batsch - U. Egelhaaf-Gaiser - R. Stepper (Hg.), Zwischen Krise und Alltag. Antike Religionen im Mittelmeerraum / Conflit et normalité. Religions anciennes dans l’espace méditerranéen (PawB 1), Stuttgart 1999, 171-185. Stepper, R., Der Kaiser als

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Bemühungen um eine Kooperation mit den primores Galliae erfolgreich: diesen erschien die Einrichtung einer regelmäßigen Versammlung, auf der sie als Repräsentanten ihrer civitates Angelegenheiten unterschiedlicher Belange diskutieren, Beschwerden vorbringen und klären sowie Lob oder Tadel für römische Amtsträger aussprechen konnten,104 als ein nicht zu unterschätzender Anreiz, sich Rom und seinem Vertreter Drusus gegenüber verpflichtet zu fühlen und ihre Loyalität zu bekunden, 105 die der Kaiser Claudius noch sechzig Jahre später als ‚immobilis fides’ charakterisiert.106 Deshalb hatte der römische Feldherr während dieses concilium107 eine ara Romae et Augusto konstituiert,108 die seitdem als Bundesheiligtum für die civitates der Gallia Comata diente.109 Ungewöhnlich an diesem Vorgang war, dass hier ein Provinzialkult, der sich im übrigen Reich bislang jeweils auf eine Provinz beschränkt hatte, formal für die drei Provinzen der Priester. Schwerpunkte und Reichweite seines oberpontifikalen Handelns, in: H. Cancik - K. Hitzl (Hg.), Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen 2003, 157-187. Stepper, R., Augustus et sacerdos. Untersuchungen zum römischen Kaiser als Priester, Stuttgart 2003, zu Augustus bes. 40-45 und 112-130. 104 Deininger, Provinziallandtage, bes. 156-172. Christopherson, A. J., The Provincial Assembly of the Three Gauls in the Julio-Claudian Period, in: Historia 17, 1968, 351-366. Edelmann-Singer, B., Koina und Concilia. Genese, Organisation und sozio-ökonomische Funktion der Provinziallandtage im römischen Reich (HABES 57), Stuttgart 2015, 105-114. 105 Bellen, H., Das Drususdenkmal apud Mogontiacum und die Galliarum civitates, in: JRGZ 31, 1984, 385-396 mit Nachtrag (wieder abgedruckt in: Ders., Politik – Recht – Gesellschaft. Studien zur Alten Geschichte. Hg. von L. Schumacher (Historia Einzelschriften 115), Stuttgart 1997, 85-101). 106 CIL XIII, II 34. 107 Kornemann, E., ,Concilium’, in: RE IV,1, 1946, 801-830. Gizewski, Ch., ‚Concilium’, in : DNP 3, 1997, 114f. Zum concilium Galliarum: Wuilleumier, Lyon, 33-44. Zur Bedeutung dieses concilium auch: Christopherson, The Provincial Assembly of the Three Gauls 351-366. Bellen, Das Drususdenkmal, 86-91. 108 Zur Datierung s. Fishwick, D., The Dedication of the Ara Trium Galliarum, in: Latomus 55, 1996, 87-100 (wieder abgedruckt in: Ders., Cult Places and Cult Personnel in the Roman Empire, Farnham Surrey - Burlington VT 2014, XI 87-100. Strothmann, M., Augustus – Vater der res publica. Zur Funktion der drei Begriffe restitutio – saeculum – pater patriae im augusteischen Principat, Stuttgart 2000, 177-181. Kehne, P., Limitierte Offensiven: Drusus, Tiberius und die Germanienpolitik im Dienste des augusteischen Prinzipats, in: J. Spielvogel (Hg.), Res publica reperta. Zur Verfassung und Gesellschaft der römischen Republik und des frühen Prinzipats. Festschrift für Jochen Bleicken zum 75. Geburtstag, Stuttgart 2002, 312. 109 So Suet. Aug. 52: „Templa,quamvis sciret etiam proconsulibus decerni solere, in nulla tamen provincia nisi nisi communi suo Romaeque nomine recepit.“ Strabon und Livius erwähnen dagegen lediglich den Kaiser (Augustus) als Objekt des Kultes; Fishwick vermutet, dass die Verehrung der Roma zweitrangig gewesen sei: Strothmann, Augustus Vater der res publica, 179f. Anm. 33. Mierse, W., Augustan Building Programs in the Western Provinces, in: K. H. Raaflaub und M. Toher (Hg.), Between Republic and Empire. Interpretations of Augustus and His Principate, Berkeley - Los Angeles - Oxford 1990, 308-333. Hitzl, K., Praxis, Semantik, Diffusion römischen Herrscherkults, in: H. Cancik - J. Rüpke (Hg.), Römische Reichsreligion und Provinzialreligion. Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse in der antiken Religionsgeschichte, Erfurt 2003, 47-60, hier 54f.

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Gallia Comata eingerichtet wurde. Fishwick sieht in der Einsetzung dieses gemeinsamen Kultzentrums eine Besonderheit, für die es im gesamten römischen Reich keine Parallele gegeben habe.110 Allerdings lässt die Errichtung einer ara Ubiorum111 bei der späteren Colonia Claudia Ara Agrippinensium112 am Rhein darauf schließen,113 dass das gallische Modell eines zentralen Kultheiligtums für mehrere Provinzen auch als Vorbild für eine ähnliche Einrichtung in Germanien gedacht war,114 zumal wenn man an die politische Zielsetzung denkt: die Errichtung eines gemeinsamen Heiligtums und damit die gemeinsame Kaiserverehrung als Ausdruck einer den einzelnen Stamm übergreifenden Loyalität aller mit Rom verbündeten bzw. von Rom unterworfenen germanischen Stämme (civitates) rechts und links des Rheins sollte über die militärische Macht hinaus die Geramanen an Rom und den Kaiser binden und frühzeitig Aufstände verhindern.115 Die Einrichtung des Kaiserkultes wurde daher zielstrebig zunächst in den Gebieten vorgenommen, die erst seit wenigen Jahren bzw. Jahrzehnten von Rom erobert worden waren, um hier die Bevölkerung, insbesondere deren führende Schichten, enger an das Kaiserhaus zu binden.116 In den Provinzen, die dem Prozess der Romanisierung bereits seit langem unterzogen waren, erfolgte die EinFishwick, Imperial Cult, Bd. 3.2, 2002, 105. Zum Namen und zum Standort: Bechert, T., ARA UBIORUM. Zum Namen des frühkaiserzeitlichen Köln und zum Standort des Kaiseraltars, in: Carnuntum Jahrbuch 2012, 9-16. 112 Dietz, K., ‚Colonia Agrippinensis.’, in: DNP 3, 1997, 72-76. Zur Gründung der colonia durch Agrippina: Eck, W., Agrippina – die Stadtgründerin Kölns. Eine Frau in der frühkaiserzeitlichen Politik, Köln 1993, bes. 77-80. – Zu Iulia Agrippina: Kornemann, E., Große Frauen des Altertums im Rahmen zweitausendjährigen Weltgeschehens, Wiesbaden 1952, 221-251 (Iulia Agrippina). Eck, W., Die iulisch-claudische Familie: Frauen neben Caligula, Claudius und Nero, in: H. Temporini-Gräfin Vitzthum (Hg.), Die Kaiserinnen Roms. Von Livia bis Theodora, München 2002, 133-151 (Agrippina). Kolb, A. (Hg.), Augustae. Machtbewusste Frauen am römischen Kaiserhof? Herrschaftsstrukturen und Herrschaftspraxis II. Akten der Tagung in Zürich 18.‒20.9.2008, Berlin 2010 (passim). Trier, M. - Naumann-Steckner, F. (Hg.), Agrippina, Kaiserin aus Köln, Köln 2015. Kramp, M., Köln und seine Agrippina. Vom Monstrum zur Mutter. Zum 2000. Geburtstag der römischen Kaiserin, Köln 2015. 113 Kienast, Augustus, 126, setzt das Jahr der Einweihung der ara Ubiorum für 8 v. Chr. an und rückt sie damit in unmittelbare zeitliche Nähe zur Einweihung der ara der Tres Galliae. 114 So Deininger, Provinziallandtage, 24f. und 112. Hänlein-Schäfer, H., Veneratio Augusti. Eine Studie zu den Tempeln des ersten römischen Kaisers, Rom 1985, 13-15. Kienast, Augustus, 250 und 366. Strothmann, Augustus, 181-183. Eck, W., Köln in römischer Zeit. Geschichte einer Stadt im Rahmen des Imperium Romanum (Geschichte der Stadt Köln, Bd. 1), Köln 2004, 85-89. Eck, W., Die Gestaltung der Welt. Augustus und die Anfänge des römischen Köln, Köln 2014, 29-35. 115 Eck, Köln in römischer Zeit, 85f. Dreyer, B., Arminius und der Untergang des Varus. Warum die Germanen keine Römer wurden, Stuttgart 2009, 112-114. 116 Zum Kaiserkult als Medium der Integration: Herz, P., Der Kaiserkult als Mittel der politischen Integration, in: G. Moosbauer - R. Wiegels (Hg.), Fines imperii – imperium sine fine? Römische Okkupations- und Grenzpolitik im frühen Principat. Beiträge zum Kongress ‚Fines imperii – imperium sine fine?’ in Osnabrück vom 14. bis 18. September 2009 (Osnabrücker Forschungen zu Altertum und Antike-Rezeption 14), Rahden/Westf. 2011, 297-308. 110 111

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führung des Kaiserkultes erst in der Zeit der flavischen Kaiser, wie J. Deiniger am Beispiel der Gallia Narbonensis117 aufgezeigt hat.118 Zur Intensivierung des Loyalitätsverhältnisses zwischen Kaiser und Provinzbevölkerung trugen jeweils auch die Einrichtung eines eigenen Landtags – des concilium provinciae – sowie die Installierung eines Priesters bei der zentralen ara bei.119 So berichtet z. B. Tacitus über die Existenz eines Priesters an der ara Ubiorum zumindest schon im Jahr 9 n. Chr.120 Von der Anlage dieses Heiligtums selbst sind – ebenso wie von der ara bei Lugdunum – bislang keine Überreste gefunden worden. Die im selben Jahr den Römern durch die Germanen unter Arminius zugefügte Niederlage hatte dann einen massiven Rückschlag bei der Durchsetzung der römischen Pläne einer Eroberung der germanischen Gebiete rechts des Rheins bis zur Elbe und ihrer Umformung in eine römische Provinz zur Folge.121 Germanicus’ Kriegsfüh-

117 Zur Gallia Narbonensis: Chevallier, R., Römische Provence. Die Provinz Gallia Narbonensis, Zürich u. a. 1979, 21982. Rivet, A. L. F., Gallia Narbonensis. Southern France in Roman Times, London 1988. Ebel, Ch., Southern Gaul in the Triumviral Period: A Critical Stage of Romanization, in: AJP 109, 1988, 572-590. Christol, M., Les colonies de Narbonnaise et l’histoire sociale de la province, in: W. Ecke (Hg.), Prosopographie und Sozialgeschichte. Studien zur Methodik und Erkenntnismöglichkeit der kaiserzeitlichen Prosopographie. Kolloquium Köln 24. – 26. November 1991, Köln - Wien - Weimar 1993, 277-289. Freyberger, B., Südgallien im 1. Jahrhundert v. Chr. Phasen, Konsequenzen und Grenzen römischer Eroberung (125-27/22 v. Chr.) (Geographica Historica 11), Stuttgart 1999. Botermann, H., Wie aus Galliern Römer wurden. Leben im Römischen Reich, Stuttgart 2005. Gros, P., Gallia Narbonensis. Eine römische Provinz in Südfrankreich, Mainz 2008. 118 Deininger, Provinziallandtage, 27f. und 107f. Die von Deininger und anderen vertretene Auffassung wird neuerdings von B. Edelmann-Singer in Frage gestellt (Edelmann-Singer, Koina und Concilia, 107f. und 113-123); allerdings fehlt eine stringente Beweisführung für ihre These. Aufgrund der Quellenlage scheint eine endgültige Klärung dieser Frage zumindest derzeit nicht möglich. 119 Zur Entwicklung des provinzialen Kaiserkultes: Fishwick, D., The Development of Provincial Ruler Worship in the Western Roman Empire, in: ANRW II 16,2, 1978, 1201-1253. 120 In Tac. ann. 1, 57, 2 wird über Segimundus, einem Sohn des Cheruskerkönigs Segestes, mitgeteilt: „quippe anno quo Germaniae descivere,sacerdos apud aram Ubiorum creatus, ruperat vittas, profugus ad rebelles.“ 121 Kienast, Augustus, 373-375. Lehmann, G. A., Zum Problem des römischen "Verzichts“ auf die Okkupation Germaniens - von der Varus-Katastrophe 9 n. Chr. zu den "res gestae“ des Germanicus Caesar in der Tabula Siarensis (19 n. Chr.), in: B. Trier (Hg.), Die römische Okkupation nördlich der Alpen zur Zeit des Augustus. Kolloquium Bergkamen 1989; Vorträge (Bodenaltertümer Westfalens 26), Münster 1991, 217-228. Deininger, J., Germaniam pacare. Zur neueren Diskussion über die Strategie des Augustus gegenüber Germanien, in: Chiron 30, 2000, 749-773. Kehne, Limitierte Offensiven, 297-321. Dreyer, Arminius, 183-211. Bartenstein, F., Bis ans Ende der bewohnten Welt. Die römische Grenz- und Expansionspolitik in der augusteischen Zeit, München 2014, bes. 171-180. S. auch: Cornell, T., The end of Roman imperial expansion, in: J. Rich und G. Shipley (Hg.), War and Society in the Roman World, London 1993, 139-170. - Zur Beurteilung der augusteischen Germanienpolitik: Welwei, K.W., Römische Weltherrschaftsideologie und augusteische Germanienpolitik, in: Gymnasium 93, 1986, 118-137. Eich, A., Die römische Kaiserzeit. Die Legionen und das Imperium, Mün-

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rung im Gebiet zwischen Rhein und Elbe in der Zeit nach Augustus’ Tod endete 17 n. Chr. mit seinem Triumph; seine Rückkehr nach Rom auf Tiberius’ Anordnung bedeutete gleichzeitig das Ende für systematische Feldzüge über den Rhein hinaus. Dieser Schritt in Verbindung mit der Dislozierung der Rheinarmee muss ‚als Absage Roms an den Primat militärischer Unterwerfung, nicht aber als endgültiger ideologischer Verzicht auf Germanien gewertet werden’.122 Für die Anlage des Heiligtums von Condate123 liegt als Quelle einzig eine kurze literarische Erwähnung durch Strabon vor: „τὸ τε ἱερὸν τὸ ἀναδειχθὲν ὑπὸ πάντων κοινῇ τῶν Γαλατῶν Καίσαρι τῷ Σεβαστῷ πρὸ ταύτης ἵδρυται τῆς πόλεως ἐπὶ τῇ συμβολῇ τῶν ποταμῶν. ἔστι δὲ βομὸς ἀξιόλογος ἐπιγραφὴν ἔχων τῶν ἐθνῶν ἑξήκοντα τὸν ἀριθμὸν καὶ εἰκόνες τούτων ἑκάστου μία καὶ ἄλλος μέγας.” (Strab. IV, 3, 2 C 192) Nach dieser Beschreibung stand im Mittelpunkt des Heiligtums124 ein stattlicher Altar,125 der - so Fishwicks Auffassung - eine Inschrift mit einer Aufzählung der 60 civitates trug;126 bei den von Strabon erwähnten ‚εἰκόνες’ der Gallia Comata dürfte es sich um bildliche Darstellungen (vielleicht auch Symbole) der gallischen Stämme gehandelt haben, die im Umkreis um die ara aufgestellt waren.127 Auch wenn dieser Kultbezirk mit seinen Bauten völlig zerstört worden ist, so vermitteln doch die bildlichen Darstellungen der ara auf Münzen, die in der Zeit von Augustus bis Nero zu Lyon128 geprägt worden sind,129 eine anschauliche Vorchen 2014, 52f. Aßkamp, R.- Jansen, K. (Hg.), Triumph ohne Sieg. Roms Ende in Germanien, Darmstadt 2017. 122 Kehne, P., Germanicus und die Germanienfeldzüge 10 bis 16 n. Chr., in: Aßkamp - Jansen, Triumph ohne Sieg, 100. - Eck, W., Gewinn und Verlust – Augustus, seine Familie und ihr Kampf um das rechtsrheinische Germanien, in: Aßkamp - Jansen, Triumph ohne Sieg, 19-21. 123 Fishwick, D., The Temple of the Three Gauls, in : JRS 62, 1972, 46-52. 124 Audin, A., Essai sur la topographie de Lugdunum (Mémoires et documents 11), Lyon 1956, 149-159. 125 Zur ara in Condate: Turcan, R., L’Autel de Rome et d’Auguste ‚Ad Confluentem’, in: ANRW II, 12.1, 1982, 607-644. 126 Während Strabon von 60 civitates in der Gallia Comata spricht, gibt Tac. ann. 3, 44 ihre Zahl mit 64 an: „sed quattuor et sexaginta Galliarum civitates descivisse“. Dazu: Kornemann, E., Die Zahl der gallischen civitates in der römischen Kaiserzeit, in: Klio 1, 1903, 331-348. Deininger, Provinziallandtage, 101, Anm. 2. Larsen, Representative Government, 141. 127 Fishwick, D., The Sixty Gallic Tribes and the Altar of the Three Gauls, in: Historia 38, 1989, 111f. 128 In Lyon wurden seit Gründung der colonia 43 v. Chr. Münzen geprägt. Augustus richtete dort 15 v. Chr. offiziell eine Münzprägestätte ein (Sutherland, C. H. V., Roman History and Coinage 44 BC - AD 69. Fifty Points of Relation from Julius Caesar to Vespasian, Oxford 1987,19-22). Strabo, IV, 3, 2 C192 berichtet: „αὐτὸ μὲν δὴ τὸ Λούγδουνον, ἐκτισμένον ὑπὸ λόφῳ κατὰ τὴν συμβολὴν τοῦ τε Ἄραρος τοῦ ποταμοῦ καὶ τοῦ Ῥοδανοῦ, κατέχουσι Ῥωμαῖοι. εὐανδρεῖ δὲ μάλιστα τῶν ἄλλων πλὴν Νάρβωνος καὶ γὰρ ἐμπορίῳ χρῶνται καὶ τὸ νόμισμα

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stellung über dieses Heiligtum.130 Sie zeigen auf ihrer Rückseite einen rechteckigen Altar, der von 2 Säulen flankiert ist.131 Letztere sind von geflügelten Siegesgöttinnen gekrönt,132 die in ihren Händen einen Siegeskranz schwenken.133 Andere Münzserien zeigen die ara mit der Unterschrift „ROM ET AVG“ (ROMAE ET AUGUSTO).134 Die Bedeutung dieses zentralen Heiligtums für die drei Proχαράττουσιν ἐνταῦθα τό τε ἀργυροῦν καὶ τὸ χρυσοῦν οἱ τῶν Ῥωμαίων ἡγεμόνες.“ Zur Lyoner Prägeanstalt in Claudius’ Regierungszeit: Zehnacker, H., Le monnayage de Claude à l’atelier de Lyon, in: Y. Burnand - Y. Le Bohec - J.-P. Martin (Hg.), Claude de Lyon. Empereur romain. Actes du Colloque Paris-Nancy-Lyon Novembre 1992, Paris 1998, 213-227. 129 Zur Münzprägung mit dem Altar-Motiv: Fishwick, D., L’autel des Trois Gaules: le témoignage des monnaies, in: BASF 1986, 90-111 (wieder abgedruckt in: Ders., Cult Places and Cult Personnel in the Roman Empire, Farnham, Surrey - Burlington VT 2014, X, 90-111). Nach Fishwick, Imperial Cult, Bd. 3.1, 109-111, ist der Altar die einzige Abbildung eines Provinzdenkmals aus dem Westen des Römischen Reichs auf einer Münze. Lasfargues, J., Des objets qui racontent l’Histoire: Lugdunum, Lyon 1998, 42008, 26f. 130 Zum Diskussionsstand über die Frage, inwieweit die Münzen die ara wiedergeben, siehe: Fishwick, D., Coinage and Cult: The Provincial Monuments at Lugdunum,Tarraco, and Emerita, in: G. M. Paul - M. Ierardi (Hg.), Roman Coins and Public Life under the Empire. E. Togo Salmon Papers II, Ann Arbor MI 1999, 42002, 95-121. Zu den Bildmotiven der ara: Strothmann, Augustus,180f. Zu Münzen mit der ara aus Claudius’ Regierungszeit: von Kaenel, H.-M., Münzprägung und Münzbildnis des Claudius (Antike Münzen und geschnittene Steine 9), Berlin 1986, 32 und 242f; Abb. Tafel 50, Nr. 2099-2116. Zu Claudius’ „Münzprogramm“: Martin, J.-P., Les thèmes monétaires claudiens, in: Y. Burnand - Y. Le Bohec - J.-P. Martin (Hg.), Claude de Lyon. Empereur romain. Actes du Colloque Paris-Nancy-Lyon Novembre 1992, Paris 1998, 201-212. 131 Nach einer Überlieferung, die auf Rabelais (ca. 1494 - 1553) zurückgeht, wurden die beiden Säulen aus ägyptischen Granit im Mittelalter beim Bau der 1107 eingeweihten Basilika St. Martin d’Ainay im Süden der Landzunge zwischen Saône und Rhône in zwei Hälften zersägt und als Säulen für die Kuppel über der Vierung der Abteikirche verwendet. So berichtet auch Ménestrier in der erwähnten ‚Histoire civile de Lyon’, 69, „Ce sont les quatre gros pilliers qui portent la voute du choeur de l’Eglise d’Ainay, colonnes que l’on a coupées en deux pour en faire quatre, que leur grosseur extraordinaire & leur hauteur d’une seule piece a fait croire a beaucoup de gens être de la pierre fondué a jettée comme on jette lé métail.” (Audin gibt die ursprüngliche Größe der Säulen mit 9,32 m an: Audin, Essai sur la topographie de Lugdunum, 153.) Folgt man dieser Tradition, stellen diese Säulen die einzigen erhaltenen archäologischen Zeugnisse der ara dar. (Lasfargues, Des objets qui racontent l’Histoire, 27.) Die Verwendung der Säulen beim Bau der Abteikirche erscheint insofern plausibel, als im 12. Jh. vermehrt Baumaterialien des antiken Lugdunum für den Bau neuer steinerner Gebäude in der Stadt verwendet wurden (Audin, Lyon, 123 sowie Audin, A. - Fishwick, D., L’autel lyonnaise de Rome et Auguste, in: Latomus 49, 1990, 658-662, hier 658f.) 132 Zur ‚Theologie’ der Siegesgöttinnen an der ara: Ramage, Augustus’ Propaganda, 134-136. 133 Eine Abbildung des Modells einer Siegesgöttin aus dem Musée gallo-romain in Lyon in: Boucher, St. - Tassinari, S. (Hg.), Bronzes antiques du Musée de la civilisation gallo-romaine à Lyon, Bd. I Inscriptions, statuaire, vaisselle, Lyon 1976, 75-77. 134 Abbildung einer Münze auf S. 265. - Zur Inschrift: Audin - Fishwick, L’autel lyonnaise de Rome et Auguste, in: Latomus 49, 1990, 658. - Zur Bedeutung und Rolle der Göttin Roma im Zusammenhang mit dem Kaiserkult: Mellor, R., The Goddess Roma, in: ANRW II. 17.2, 1981, 950-1030, bes. 976-993 .

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vinzen der Comata wurde durch die zeitgleiche Einrichtung des prestigeträchtigen Amtes eines sacerdos unterstrichen,135 der im jährlichen Wechsel aus einer der civitates gewählt wurde und den Vorsitz auf dem Provinziallandtag innehatte.136 Offenkundig hatte die Führungsschicht der Gallia Comata auf dem jährlichen concilium Galliarum Anfang August des Jahres 48 n. Chr. beschlossen,137 vom Kaiser, der 47/48138 das Amt des Censors139 ausübte, für sich selbst das ‚Recht auf Zugang zu den Ämtern (Magistraten) in Rom’140 zu erbitten und zu diesem Zweck eine Abordnung des Landtags nach Rom zu entsenden. Über diesen Vorgang berichtet Tacitus. „A. Vitellio L. Vipstano consulibus, cum de supplendo senatus agitaretur primoresque Galliae, quae comata appelatur, foedera et civitatem Romanam pridem adsecuti, ius adipiscendorum in urbe honorum expeterent, multus ea super re variusque rumor.” (ann. 11, 23) Demnach hatten sich die gallischen primores in ihrer Petition darauf berufen, dass sie seit langer Zeit Bündnisse mit Rom hätten und das römische Bürgerrecht besäßen. Wie sowohl die Inschrift auf der tabula Claudiana als auch Tacitus’ Darstellung141 der Angelegenheit deutlich machen, hielt Claudius das Anliegen der gallischen Stammesführer für berechtigt und so wichtig, dass er eine Entscheidung über den Antrag im Senat für erforderlich erachtete und eine entspre-

Liv. per. 139. Deininger, Provinziallandtage, 101. 137 Carcopino, J., Points de vue sur l’impérialisme romaine, Paris 1934, 177-179. Demnach hat Claudius seine Rede zwischen dem 14. und 17. August 48 gehalten. 138 Kienast, D. - Eck, W. - Heil, M., Römische Kaisertabelle. Grundzüge einer römischen Kaiserchronologie, vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage, Darmstadt 2017, 82 (zuerst: D. Kienast, Römische Kaisertabelle. Grundzüge einer römischer Kaiserchronologie, Darmstadt 1990, 68). 139 Grundlegend zum Censor und zur Censur: Suolahti, J., The Roman Censors. A Study on Social Structures, Helsinki 1963. Kunkel, Staatsordnung II, 391-471. - Über die Censur in der Zeit der Republik: Astin, A. E., The Censorship of the Roman Republic: Frequency and Regularity, in: Historia 31, 1982, 174-187. Astin, A. E., Censorships in the Late Republic, in: Historia 34, 1985, 175-190. 140 So die wörtliche Übersetzung der taciteischen Formulierung „ius adipiscendorum in urbe honorum“. 141 Tacitus dürfte den Inhalt, wenn nicht auch den Text der Originalrede gekannt haben: so zuletzt Hausmann, M., Die Leserlenkung durch Tacitus in den Tiberius- und Claudiusbüchern der Annalen, Berlin - New York 2009, 242f., Anm. 689. Zu Tacitus′ Kenntnis der acta senatus: Wellesley, K., Can You Trust Tacitus?, in: G&R, N.S. 1, 1954, 14, Anm. 1. Devillers, O., Tacite et les sources des annals. Enquêtes sur la méthode historique (Bibliothèque d’études classiques 36), Löwen - Paris - Dudley MA 2003, 60. 135 136

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chende oratio hielt, um in dieser Angelegenheit ein senatus consultum142 herbeizuführen.143 Offensichtlich wurde nach der Senatssitzung eine in der kaiserlichen Kanzlei angefertigte Abschrift der Rede mit dem dazugehörigen senatus consultum der Gesandtschaft als Antwort auf das Begehren der primores Gallorum übergeben. Da Claudius’ Entscheidung die soziale und rechtliche Stellung der gallischen Stammesfürsten in der Gesellschaft des gesamten Reiches betraf, nicht aber Angelegenheiten der provincia betraf und deshalb den Aufgabenbereich des römischen Statthalters in Gallien nicht berührte, kann davon ausgegangen werden, dass der gallischen Delegation auch keine Anweisungen mitgegeben worden sind, auf welche Art bzw. in welcher Form die Entscheidung des Kaisers über den Antrag veröffentlicht werden sollte. So betrachtet war es nur folgerichtig, wenn die Mitglieder des gallischen Conciliums an dem Ort, an dem sie ihr Anliegen formuliert und auf den Weg gebracht hatten, den Senatsbeschluss und damit die Entscheidung über ihre Bitte publizierten. Dabei konnten sie sich nicht darauf beschränken, die Entscheidung mündlich, d. h. durch öffentliches Verlesen auf dem Provinziallandtag, bekannt zu geben. Weitaus wichtiger und für die memoria künftiger Generationen unauslöschlich war die schriftliche Fixierung der Entscheidung auf einem Material, „das zudem unter dem Aspekt der Überlieferung auch rein faktisch die Zeiten überdauern konnte“144: eben eine Tafel aus Bronze, die augenfällig und an zentraler Stelle – wahrscheinlich an der ara Romae et Augusto am Tagungsort Condate oder zumindest in der unmittelbarer Nachbarschaft – angebracht wurde.145 Die Anfertigung und Aufstellung dieser ‚Ehrentafel’ kann bei vordergründiger Betrachtung zunächst als Zeichen des Dankes und als Ehrenerweis der gallischen Stammesfürsten für Claudius verstanden werden: der Kaiser hatte ihnen eine ‚Wohltat’ erwiesen, und nun waren die auf diese Weise Ausgezeichneten verpflichtet, sich dafür dankbar und erkenntlich zu zeigen – weniger mit Worten als vielmehr durch ein herausragendes Werk, eben durch ein Denkmal, das Zeugnis für die Nachwelt gab und damit der memoria sowohl des Geehrten wie auch der Ehrenden diente. Darüber hinaus stellte die Bronzetafel eine nicht zu übersehen142 Zum senatus consultum: O’Brien Moore, A, ,Senatus consultum.’, in: RE Suppl. VI, 1935, 800-812. Das senatus consultum zu Claudius’ Rede ist in der Auflistung als Nr. 39 in Spalte 809 vermerkt. 143 Tac. ann. 11, 25, 1: „Orationem principis secuto patrum consulto primi Aedui senatorum in urbe ius adepti sunt. Datum id foederi antiquo, et quia soli Gallorum fraternitatis nomen cum populo Romano usurpant.” 144 Eck, W. - Caballos, A. - Fernández, F., Das senatus consultum de Cn. Pisone patre (Vestigia 48), München 1996, 256. 145 So bereits Hirschfeld in CIL XIII, 1668, 234f.: „Tabulam ad aram Romae et Augusti, i. e. ad celeberrimum sanctissimumque trium Galliarum locum collocatam fuisse certum est”. Fishwick schließt auch die Anbringung der Tafel an einem öffentlichen Gebäude im Umkreis des Bundesheiligtums nicht aus: Fishwick, Imperial Cult, Bd. 1, 187.

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de Dokumentation der Loyalität dar, die der Kaiser als Inhaber der zentralen Herrschaft des Reiches von seinen Untertanen einforderte und die ihm die Vertreter der gallischen civitates schuldeten. Um diesen Vorgang richtig einzuordnen, darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die öffentliche Präsentation staatlicher Anordnungen und Entscheidungen zum alltäglichen Leben im römischen Reich gehörte, wie W. Eck in mehreren Aufsätzen dargelegt hat;146 dabei wurde die überwiegende Zahl der Verordnungen auf wieder verwendbaren Holztafeln, den tabulae (de)albatae, aufgezeichnet.147 Für wichtige Entscheidungen erfolgte dagegen – oft auf ausdrückliche Anweisung des Senats bzw. des Kaisers hin – die Veröffentlichung auf dauerhaften Materialien, wie u. a. R. J. Talbert148 und W. Eck149 sowie jüngst Chr. Witschel nachgewiesen haben.150 Beispielhaft zeigen diesen Sachverhalt die tabula Hebana151 und die tabula Siarensis152, die nicht nur das sog. ‚senatus consultum de Cn. Pisone patre’ sowie eine dazugehörige relatio153 des Kaisers Tiberius aus dem Jahre 20 n. Chr. enthalten, sondern auch eine Anweisung an die Statthalter wiedergeben, „dass eine Kopie des Senatsbeschlusses ‚quam celeberrimo loco figeretur.“154 Die tabula Claudiana stellt insofern nicht nur aufgrund der Tatsache, dass auf ihr die Rede eines Kaisers dauerhaft der Nachwelt überliefert worden ist, sondern vor allem wegen des Inhalts dieser Rede und der Tatsache, dass sie, wenn auch nur fragmentarisch, über fast zwei Jahrtausende hinweg erhalten geblieben ist, eine Besonderheit dar. 146 So in: Eck, W., Monument und Inschrift. Gesammelte Aufsätze zur senatorischen Repräsentation in der Kaiserzeit, hg. von W. Ameling und J. Heinrichs (Beiträge zur Altertumskunde 288), Berlin - New York 2010, 276- 278. Claudius hatte im Zusammenhang mit dem Verlesen von Reden des Augustus und Tiberius im Senat darauf verwiesen, es genüge, wenn die Reden auf Tafeln niedergeschrieben seien (Cass. Dio 60, 10, 2). 147 Eck, W., Öffentlichkeit, Politik und Administration. Epigraphische Dokumente von Kaisern, Senat und Amtsträgern in Rom, in: R. Haensch (Hg.), Selbstdarstellung und Kommunikation. Die Veröffentlichung staatlicher Urkunden auf Stein und Bronze in der Römischen Welt (Vestigia 61), München 2009, 83. 148 Talbert, R. J. A., The Senate of Imperial Rome, Princeton NJ 1984, 436-441. Dazu auch der Beitrag von C. Williamson, Monuments of Bronze: Roman Legal Documents on Bronze Tablets, in: CA 6/1, 1987, 160-183. 149 Eck, Das senatus consultum, 135, und Eck, W. (Hg.), Lokale Autonomie und römische Ordnungsmacht in den kaiserzeitlichen Provinzen vom 1. bis 3. Jahrhundert (Schriften des Historischen Kollegs; Kolloquien 42), München 1999, 10-13. 150 Witschel, Chr., Der Kaiser und die Inschriften, in: A. Winterling (Hg.), Zwischen Strukturgeschichte und Biographie: Probleme und Perspektiven einer neuen Römischen Kaisergeschichte 31 v. Chr. - 192 n. Chr., München 2011, 45-112, bes. 56f. 151 Dazu Kienast, Augustus. Prinzeps und Monarch, 163. Rowe, G. Princes and Political Cultures. The New Tiberian Senatorial Decrees, Ann Arbor 2002. 152 Gonzalez, J., Tabula Siarensis, fortunales Siarenses et municipia civium Romanorum, in: ZPE 55, 1984, 55-100. 153 Zur relatio: Mommsen, Staatsrecht III/2, 2, 951-962. 154 Eck, Das senatus consultum, 256.

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Wenn in den genannten Beispielen als entscheidender Rechtsakt noch die Wiedergabe des Senatsbeschlusses im Mittelpunkt der Publikation stand, so lässt sich auf der tabula Claudiana bereits eine wenn auch nur allmähliche Veränderung der rechtlichen Bedeutung von senatus consultum und oratio principis155 feststellen. Mit der ausführlichen Wiedergabe der kaiserlichen Rede, die wohl von Anfang an den überwiegenden Platz auf der Tafel ausgefüllt hat, rückt das senatus consultum, das auf dem oberen Teil der Tafel seinen Platz gefunden haben muss, etwas in den Hintergrund, selbst wenn es als Überschrift in größeren Buchstaben geschrieben gewesen sein sollte. Hier wird eine Entwicklung deutlich, bei der sich die Rechtskraft vom senatus consultum auf die oratio verlagerte. De facto war diese Verschiebung längst erfolgt; in der Zeit des Prinzipats wurde sie allmählich auch de iure nachvollzogen. Diese Anpassung der Rechtssetzung an die realen Machtverhältnisse lässt sich gut an einer1971 in Milet entdeckten Inschrift auf Stein aufzeigen. Dieses epigraphische Dokument aus dem Jahre 177 n. Chr. gibt in griechischer Schrift den Text eines Briefs der Kaiser Marc Aurel und Commodus wieder, in Latein die (fragmentarisch erhaltenen) Auszüge einer Senatsrede Marc Aurels zu einer von Milet erbetenen Änderung eines dort bestehenden iselastischen Agon.156 Wie P. Herrmann in seiner Untersuchung der Inschrift darlegt, sind in der Rede Marc Aurels mehrere unterschiedliche Themen gleichzeitig angesprochen worden, zusammen mit dazugehörigen Beschlussvorschlägen, die dann ohne Diskussion in einem Akt vom Senat bekräftigt wurden.157 Nach Hermanns Auffassung wird bei einem derartigen Verfahren die urkundliche Substanz für einen eigenen Senatsbeschluss praktisch hinfällig. Daher schickte der Kaiser den Milesiern statt eines Senatsbeschlusses, der sich auf mehrere Anträge zu unterschiedlichen Themen bezog, einen Ausschnitt aus seiner Rede, in der er u. a. zum Anliegen ihrer Stadt Stellung genommen hatte. Die oratio principis löste so das senatus consultum als Rechtsentscheidung (endgültig) ab.158 Ähnlich wie im Falle Milets, wo der Brief und die Entscheidung des Kaisers auf Initiative der Stadt in Stein gemeißelt und dadurch für die memoria gesichert waren, muss die Anfertigung der tabula Claudiana eher auf einen Beschluss des concilium Galliarum als auf eine Anregung oder gar Anweisung aus Rom zurückgeführt werden, richtete sich doch der Inhalt der oratio und des senatus con155 Zu oratio principis: Radin, M., ‚Oratio’, in: RE XVIII,1, 1939, 869- 873. Die oratio des Claudius ist in der Auflistung auf S. 872 unter Nr. 6 aufgeführt. 156 Zum Agon: Marek, Chr., Geschichte Kleinasiens in der Antike, München 2010, 3., überarbeitete Auflage 2017, 620-622. 157 Herrmann, P., Eine Kaiserurkunde der Zeit Marc Aurels aus Milet, in: MDAI (I), Bd. 25, 1975, 149-166, hier 164f. (wieder abgedruckt in: Ders., Kleinasien im Spiegel epigraphischer Zeugnisse. Ausgewählte kleine Schriften, hg. von W. Blümel, Berlin - Boston 2016, 323341). 158 Herrmann, Eine Kaiserurkunde, 165. Dazu auch: Ando, C., Imperial Ideology, 157-160.

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sultum nicht an den römischen Provinzstatthalter der tres Galliae in Lugdunum, sondern an die primores Galliarum, die sich an ihrem Kultheiligtum in Condate versammelten und die in ihrem eigenen Interesse eine öffentliche Präsentation des Rechtsaktes für geboten hielten. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Bronzetafel auch nicht in Rom angefertigt worden ist; die Initiative dazu lag vielmehr bei den primores Galliae. Diese sahen die Entscheidung in Rom als so bedeutungsvoll an, dass sie diese kaiserliche Rede auf eigene Kosten in Bronze verewigen ließen.159 Der entsprechende Auftrag dürfte an einen Handwerksbetrieb im näheren Umkreis der ara Romae et Augusto (wahrscheinlich in Lyon) vergeben worden sein; darauf deutet neben (wenigen) Rechtschreibfehlern, die wohl auf Übertragungsfehler zurückzuführen sein dürften, auch das Fehlen der drei Buchstaben hin, die Claudius im Verlauf der Censur dem römischen Alphabet zugefügt hatte.160 Daneben sprechen aber auch die Größe und das Gewicht der Bronzeplatte für eine Anfertigung nicht unweit des Aufstellungsortes. Auch wenn ein genaueres Datum für die Anfertigung der Tafel nicht mehr ermittelt werden kann, so lässt sich doch der Zeitraum plausibel eingrenzen: die Inschrift muss nach der kaiserlichen Rede im Jahr 48 und vor Claudius’ Tod 54 angefertigt worden sein.161 Die Erwähnung Lugdunums auf der Tafel – „quando ex Luguduno habere nos nostri ordinis viros non paenitet?“ (Z. 28f. der rechten Tafelhälfte) – hatte den Humanisten Bellièvre davon überzeugt, dass die Inschrift einen unmittelbaren Bezug zum alten Lugdunum (und damit zu seiner Heimatstadt Lyon) haben musste. Deshalb hatte er sich dafür eingesetzt, dass die Stadt die Tafel ankaufte, damit sie als Denkmal für künftige Generationen erhalten blieb. Weder die wirkliche Bedeutung der Inschrift noch ihr Urheber waren von Bellièvre erkannt worden; nach seiner Auffassung stellte die Tafel ein Denkmal dar, das Claudius’ Bruder Germanicus für ihren Vater Drusus, den Sieger über die Germanen, errichtet hatte.162 Daher kann es wohl kaum verwundern, dass Bellièvre keine genauere Bezeichnung für die Tafel verwendete, wenn er auf sie in seinen Schriften Bezug nahm. So benutzte er in seinen Aufzeichnungen zur Kennzeichnung der Bronzetafel unterschiedslos einmal den Plural „zwei große Bronzetafeln“163 oder auch „ad superiores tabulas“ und einige Zeilen weiter die Singularform „vetustissimam 159 Die Kopie der Rede als Vorlage für den Bronzeguss ist entsprechend der römischen Verwaltungspraxis in der kaiserlichen Kanzlei (‚ab epistulis’) angefertigt worden. 160 Tac. ann. 11, 13, 2. 161 Gordon, A. E., Illustrated Introduction to Latin Epigraphy, Berkeley - Los Angeles - London 1983, 117f. Nr. 42. 162 Badoud, La table claudienne, 172: „Mais il se fourvoie ensuite, lorsqu’il assimile la Table à un monument élevé par Germanicus, frère de Claude, à la mémoire de Drusus leur père.” 163 Bellièvre, Lugdunum priscum, 48: „les deux grand tables d’erein“.

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hanc tabulam“ oder beschränkt sich auf eine Bezeichnung durch das Demonstrativpronomen „hocce“.164 Offensichtlich reichten zu Bellievres Zeit diese Angaben aus, um jeden, der sich mit der Geschichte der Stadt und mit ihren Denkmälern befasste, eindeutig auf die Tafel als ein Zeugnis der Antike hinzuweisen; eine präzisere Bezeichnung der Tafel war damals nicht erforderlich. Bereits wenige Jahre nach ihrer Entdeckung hat der schweizerische Politiker und Historiker Aegidius Tschudi,165 der 1536 als Anführer einer Söldnertruppe nach Lyon gekommen war, die Bronzetafel selbst in Augenschein genommen und eine Abschrift angefertigt.166 Diese ‚Kopie’ hat Tschudi in einem ersten Manuskript von 1545 um eine kurze Einleitung ergänzt: „Inscriptio Lugduni in tabula aenea anacephaleosi, in domo Vrbana, quam vocant La Maison de La Ville, in pariete atrii. Orationem Claudii Augusti Romae coram Senatu habitam continens. Cuius etiam Tacitus lib. XI. Meminit, Consulatu A. Vitellii et L. Vipsani, qui Anno Domini 49 fuere css. Fragmentum est, nam capite caret. seu Germanici eius ex fratre Nepotis”.167 Damit hat Tschudi als erster die Inschrift richtig als eine „Rede des Kaisers Claudius“ erkannt und als solche bezeichnet, wenn er auch zunächst dessen Neffen Germanicus als Autor der Rede nicht völlig ausgeschlossen hat, wie die zusätzliche Bemerkung verdeutlicht. Mit der Formulierung „oratio Claudii“ hat er bereits die korrekte Formulierung für die Inschrift gefunden; in der Tat handelt es sich um eine Rede des Claudius, die dieser vor dem Senat gehalten hatte. Tschudis einleitende Notiz zeigt darüber hinaus, dass ihm der Zusammenhang zwischen der Inschrift auf der Tafel und dem entsprechenden Text bei Tacitus, ann. 11, 24, bewusst geworden ist. Auf Grund der Angaben „A. Vitellio L. Vipstano consulibus de supplendo senatu agitaretur“ konnte er die Rede auch genauer datieren,168 allerdings irrtümlich auf das Jahr 49 n. Chr. Seine Anmerkungen zu der Abschrift hat er mit der Feststellung abgeschlossen, dass die Tafel unvollständig sei, „ihr fehle der obere Teil“. In seinem zweiten Manuskript, das Tschudi in der Zeit zwischen 1546 und 1555 verfasst und in dem er die einzelnen Zeilen der Inschrift, getrennt für jede Kolumne, fortlaufend nummeriert hat, hat Bellièvre, Lugdunum priscum, 100. Aegidius Tschudi (1505 - 1572), Staatsmann und Gelehrter aus Glarus (Oechsli, W., ‚Tschudi: Gilg’, in: ADB 38, Berlin 1894, ND Berlin 1997, 728-744.) 166 Tschudis Abschriften enthalten nur wenige Fehler, wie Badoud nachweist: Badoud, La table claudienne, 176 Anm. 3, und 178-181. 167 Abschrift der Tafel von Lyon durch Aegidius Tschudi. Manuskript in der Stiftsbibliothek St. Gallen, ms. 668, 243/265 - Abbildung auf S. 262. 168 Zu den beiden Konsuln und ihrer Amtszeit: Schneider, K. T., Zusammensetzung des römischen Senates von Tiberius bis Nero, Zürich 1942 (Diss. Jena 1942), 92 (Nr. 332 L. Vitellius) und 94 (Nr. 334 L. Vipstanus). PIR2 V 690 (L. Vipstanus Poplicola) und V 742 (L. Vitellius). 164 165

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er eindeutig Claudius als den Urheber der Rede bezeichnet: „oratio Claudii Aug“.169 Bereits zwei Jahre später - 1538 - hat auch der Lyoner Humanist Guillaume Du Choul170 eine Abschrift der Rede angefertigt und zusätzlich notiert: „Vne quasi semblable oraison & de telle substance que Tacitus cest trouee depuis dix ans a Lyon escripte en deux tables de bronze de letters maiuscules romaines ou Claudius cesar plus amplement remonstre aux senateurs que lon ne deuoit point repoulse du senat ceulx des provinces”.171 Diese knappe Anmerkung zeigt deutlich, dass spätestens 10 Jahre nach ihrer Entdeckung wesentliche Fakten über die Inschrift auf der Bronzetafel unzweifelhaft erkannt und schriftlich fixiert worden sind: Bei der Inschrift handelt es sich um eine einzige Rede, die in zwei Kolumnen aufgeschrieben worden ist. Die Inschrift ist in lateinischen Großbuchstaben (Majuskeln) geschrieben worden. Der Redner bzw. der Autor der Rede ist der Kaiser Claudius. Die Rede wurde im Jahre 48 n. Chr. vor dem Senat in Rom172 gehalten (der Zeitpunkt ergibt sich aus Tac. ann. 11, 23.) Die Rede des Claudius befasst sich mit dem gleichen Thema wie die von Tacitus in ann. 11, 24 wiedergegebene kaiserliche Rede. Thema und Zielsetzung der Rede ist, Adligen aus den Provinzen der Gallia Comata den Zugang zum Senat zu eröffnen. Obwohl also bereits in den ersten Jahrzehnten nach der Entdeckung der Tafel in drei ‒ allerdings unveröffentlichten ‒ Manuskripten die Inschrift korrekt in Verbindung mit Kaiser Claudius gebracht worden war,173 dauerte es noch bis zur Veröffentlichung der von Vertranius Maurus verfassten ersten kommentierten Stiftsbibliothek St. Gallen, ms. 1089, 6 - Abbildung auf S. 264. Guillaume Du Choul (1496 - 1560), Antikensammler und Historiker (Hamon, P., ‚Du Choul’, in: DBF 11, 1967, 1256). 171 Zitiert nach Badoud, La table claudienne, 183: Du Choul, Des antiquites romaines, premier livre [1547], Turin, Biblioteca reale, ms varia 212, f. 81v. Das Buch war dem französischen König Franz I. gewidmet und ist vor dessen Tod (1547) verfasst worden. Nach Fabia, La Table, 22, hat Du Choul die Abschrift von der Bronzetafel bereits 1538 angefertigt: „Sa copie du discours de Claude fut faite vers 1538, puisqu’il dit que la découverte remonte à dix ans.“ 172 Es ist daher nur schwer nachvollziehbar, dass in einem Beitrag aus dem Jahr 1999 zu lesen ist: „… Auf einem Wandgemälde durchschneidet M. die Fesseln des Freundes Caile Vipinas (etr. Überl. bei Kaiser Claudius [III 1], CIL XIII 1668 Z. 19, in seiner Rede vor den Lugdunensern [sic!]),“ (Aigner-Foresti, L., ‚Mastarna’, in: DNP 7, 1999, 995f.) 173 Badoud, La Table claudienne, 173. 169 170

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Ausgabe von Tacitus’ Annalen im Jahre 1569, dass dieses Forschungsergebnis publik gemacht wurde.174 Damit stand Claudius als Autor der Inschrift fest und fand bei den humanistischen Gelehrten entsprechende Anerkennung, die in der Folgezeit auch in der Bezeichnung ‚tabula Claudiana’ für die Bronzetafel ihren Ausdruck fand. So verwendete Justus Lipsius175 in einem Kommentar zu den Annalen die Formulierung „Tabulae illius Claudianae verba digna adscribi.“176 (Es folgte der Text aus Claudius’ Rede (I 17-23). Nachdem die Frage nach der Urheberschaft der Rede somit beantwortet war, wurde in den folgenden Jahren in den Arbeiten der Lyoner Lokalhistoriker, die sich mit der Tafel befassten, in der Regel die Bezeichnung ‚tables de Claude’ oder ‚tables claudiennes’, seltener der Singular ‚table de Claude’ verwendet.177 Wie erwähnt hatte Bellièvre zur Bezeichnung der Tafel ohne Unterschied einmal den Plural, wenige Zeilen später den Singular verwendet. Diese ‚Willkür’ in der Bezeichnung hat sich bis ins 20. Jh. gehalten. Dabei standen für den jeweiligen Verfasser bei der Verwendung des Plurals offensichtlich die beiden einzelnen Bronzeplatten mit ihren jeweiligen Zeilenkolumnen im Mittelpunkt; wenn es wichtig war, die Einheit der Inschrift hervorzuheben, wurde in der Regel der Singular bevorzugt.178 Dabei hat man schon kurz nach der Entdeckung der Bronzeplatten erkannt, dass die beiden Platten Teile einer ursprünglich größeren Platte oder genauer ‚einer Tafel’ gewesen sein mussten, wobei bekanntlich die Suche nach weiteren Teilen einer derartigen Tafel erfolglos geblieben ist. Doch nicht allein der bereits beschriebene materielle Befund, sondern insbesondere auch die Inschrift selbst sprechen deutlich und auch überzeugend für die Einheit der Tafel: Selbst wenn der Text ursprünglich auf zwei Tafeln verteilt gewesen wäre, ist festzuhalten, dass es sich hier um die Wiedergabe eines einzigen Rechtsvorganges bzw. Rechtsaktes – eben einer im Senat vorgetragenen oratio des Kaisers – handelt. Folgerichtig muss daher auch die exakte Benennung der Tafel diese Einheit zum Ausdruck bringen: es ist eine Tafel - tabula -. Deshalb ist es zumindest missverständlich, wenn trotz der Erkenntnis, dass die beiden

Badoud, La Table claudienne, 186. Justus Lipsius (1547-1606), niederländischer Rechtsphilosoph und Philologe (Halm, K. F., ‚Lipsius, Justus’, in: ADB 18, Berlin 11883, ND 1969, 741-745). 176 Justus Lipsius, Ad annales Corn. Taciti liber commentarius, sive notae, Antwerpen 1581, 239. Die Formulierung ‚tabula Claudiana’ findet sich auf dieser Seite zweimal im Zusammenhang mit einer Kommentierung zum Namen ‚Caeles Vibenna’ in ann. 4, 65. 177 Dazu: Fabia, La Table, 51f. - Eine Straße in der Nähe des Fundortes trägt noch heute die aus dem 18. Jh. stammende Bezeichnung ‚Rue des Tables Claudiennes’ (Fabia, La Table, 51, Anm. 7, sowie eigene Feststellung des Verfassers). 178 Fabia, La Table, 51f. 174 175

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Bronzeplatten eine einzige Tafel bilden, auch heute noch selbst in fachwissenschaftlichen Beiträgen zur Bezeichnung der Tafel die Pluralform benutzt wird.179 Ebenso gibt auch die öfter benutzte Bezeichnung der Tafel als ‚Tabulae Lugdunenses“ (oder in der entsprechenden Singularform) den Sachverhalt nur unzureichend wieder. Zwar sind die zwei Bronzeplatten auf dem Stadtgebiet des mittelalterlichen Lyon entdeckt worden, allerdings – und das ist wesentlich – befand sich der Fundort außerhalb der antiken römischen colonia Lugdunum. Wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass die Inschrift von ihrem Inhalt her keinen direkten Bezug auf die römische Siedlung hat und auch nicht den rechtlichen Status der colonia oder ihrer Bewohner veränderte,180 da bereits Bürger aus Lugdunum als Senatoren in Rom vertreten waren, wenn man die Aussage des Kaisers wörtlich nimmt (II 28f.). Das Anliegen181 der gallischen primores bezog sich auf Mitglieder der gallischen Oberschicht mit römischem Bürgerrecht, die in den civitates der Provinz und somit außerhalb der colonia Lugdunum lebten.182 Insofern ist die Bezeichnung Tabulae Lugdunenses nicht nur wenig aussagekräftig, sondern eher irreführend. Dieser ‚Titel’ ist auch nicht, wie man vermuten könnte, von Lyoner Lokalhistorikern geprägt oder von ihnen verwendet worden. Vielmehr wurde diese Bezeichnung erstmals 1830 in einem Werk des englischen Theologen und Historikers E. Greswell183 verwendet, der zu dem von Lukas 2, 2 erwähnten census des Quirinius schreibt, dass der wichtigste Zweck des Census in der Feststellung des Vermögens gelegen habe. Als Beleg führt er die Passage zum census in der Rede des Claudius an (II 38-41) an und verweist auf ein Facsimile der Tabulae Lugdunenses184 von J. Gruter185. Allerdings spricht dieser 179 J. Lasfargues gibt in seinem Museumsführer ‚Des objets qui racontent l’Histoire: Lugdunum’ im englischsprachigen Teil dem Artikel über die Bronzetafel die Überschrift ‚The Claudius Tablets’ (125), während er zuvor im französischen Text (30) die Bezeichnung ‚Table de Claude’ verwendet. Auch Ando, Imperial Ideology, 164, verwendet den Ausdruck ‚the bronze tablets’. H. Botermann benutzt in ihrem Buch ‚Wie aus Galliern Römer wurden’ auf S. 324 die Bezeichnung ‚Les tables Claudiennes aus Lyon’. 180 Auf die möglichen sozialen, gesellschaftlichen oder auch wirtschaftlichen Auswirkungen für die bisherigen Amtsträger und Senatoren, die sich durch eine Ausweitung des Bewerberkreises für diese Ämter und Ehrenstellen ergeben konnten, soll hier nicht näher eingegangen werden, zumal sie nicht nur Bürger aus Lyon betroffen hätten. 181 Näheres zu diesem Anliegen der Gallier in Kap. IV. 1. 182 Τac. ann. 11, 23, 1: „Galliae, quae Comata appellatur”. 183 Greswell, E., Dissertations upon Principles and Arrangements of an Harmony of the Gospels, Bd. 1, Oxford 1830, 541. 184 Greswell, Dissertations, 541: „There could not be a better proof of thus assertion than the well-known passage from the speech of the emperor Claudius, Super civitate Gallis danda, as exhibited in the facsimile of the Tabulae Lugdunenses, apud Gruterum, page DII, on which it is engraved:” [Es folgt der Text über den census.] 185 Jan Gruter (1560 – 1627), Philologe und Polyhistoriker aus Antwerpen (Bursian, C., ‚Gruter, Jan’, in: ADB 10, Leipzig 1879, 68-71. Fuchs, P., ‚Gruter, Jan’, in: NDB 7, Berlin 1966,

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an der zitierten Stelle nicht von tabulae Lugdunenses, sondern in der Überschrift zur tabula Claudiana korrekt von „zwei Bronzetafeln, die in Lugdunum ausgegraben worden seien und eine Rede des Kaisers Claudius enthielten“: „Tabulae aereae duae Lugduni erutae et ad latus aedis S. Sebastiani [1592], quae Claudij Imp. Orationem continent, super civitate Gallis danda.”186 Offensichtlich war der Ausdruck tabulae Lugdunenses in dieser Zeit nicht üblich, sondern fand erst im 19. Jahrhundert Eingang in die wissenschaftliche Literatur, wie seine Verwendung durch H. Lehmann 1858 in seinem Buch ‚Claudius und Nero und ihre Zeit’ zeigt.187 Dort fasst Lehmann seinen Abriss der Annalen zum Jahr 48 n. Chr. („Während das neue Senatoren-Verzeichnis entworfen wurde, (…), bat der Adel des Transalpinischen Gallien’s um Bewidmung mit dem ihm bisher versagten Jus honorum.“) in der Randnotiz zusammen: „Gall. Narb. [sic!] erhält d. Jus honorum.“ In einer Fußnote auf derselben Seite bringt er dann eine Übersetzung der Inschrift, die er wie folgt einleitet: „So Tacitus’ Referat. Als Probe des kaiserlichen Stils folge hier eine wortgetreue Uebersetzung der Bruchstücke des Originals, welche in den Tabulae Lugdunenses erhalten sind.“188 Diese Angaben sind nochmals auf dem Rand mit dem Vermerk ‚Tabulae Lugdunenses’ versehen. Dass sich diese Bezeichnung (zumeist im Singular ‚Tabula Lugdunensis’) bis heute behauptet hat,189 zeigt ein entsprechende Artikel im ‚Neuen Pauly’, in dem das Stichwort ‚Tabula Lugdunensis’ [sic!] einen siebenzeiligen Artikel von H. Galsterer einleitet,190 während die Stichworte ‚Tabula Claudiana’ oder ‚oratio Claudii’ in diesem Werk fehlen.191 Da die Bezeichnung 238-240. Kühlmann, W., Hartmann, V. und El Kholi, S. (Hg.), Die deutschen Humanisten. Dokumente zur Überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur in der frühen Neuzeit. Abt. I: Die Kurpfalz, Bd. I/2: Janus Gruter, Turnhout, Belgien 2005. 186 Gruterus, J, Inscriptiones antiquae totius orbis Romani in corpus absolutissimum redactae, [Heidelberg] 1602, DII. Der Überschrift folgt die (wörtliche) Abschrift der tabula Claudiana in Majuskeln in zeilengemäßer Wiedergabe, bei der Gruter z. B. „ad census“ und „inadsueto“ (zusammengeschrieben) in II 37 übernimmt. 187 Lehmann, H., Claudius und Nero und ihre Zeit, Gotha 1858, 285-290. 188 Lehmann, Claudius und Nero, 285. 189 So findet sich der Begriff ‚Tabulae Lugdunenses’ in jüngster Zeit in 2 Arbeiten von M. Torelli: ‘History, Land and People’, in: L. Bonfante (Hg.), Etruscan Life and Afterlife. A Handbook of Etruscan Studies, Detroit 1986, 47-65 (S. 54), und in: M. Torelli, The Romanization of ‘Italy’, Edmonton (Alberta), 1995, 50. Auch V. Rudich verwendet die Bezeichnung in seinem Buch ‚Political Dissidence under Nero. The Price of Dissimulation’, London - New York 1993, 119: „whom Claudius, in Tabula Lugdunensis, describes”. 190 Galsterer, H., ‚Tabula Lugdunensis’, in: DNP 11, 2001, 1197: „Tabula Lugdunensis. Br.Taf. aus Lugdunum (h. Lyon) mit einem Teil der Rede des Kaisers → Claudius [III 1] im Senat, mit der er als Censor 47/48 n. Chr. den Wunsch gallischer Adliger unterstützte, in den Senat aufgenommen zu werden. Der Vergleich des Originaltextes (CIL XIII 1668 = ILS 212) mit der Verarbeitung bei Tacitus (ann. 11, 23-25) ist aufschlussreich für dessen Arbeitsweise.“ 191 Diese Feststellung trifft auch für andere Nachschlagewerke zu.

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‚Tabula Lugdunensis’ weder einen Hinweis auf den Inhalt der Inschrift noch auf ihren Autor gibt, sollte sie auch nicht verwendet werden, damit falsche Vorstellungen über die Tafel und ihren Inhalt vermieden bzw. ausgeschlossen werden. Wie die verschiedenen Aspekte bei der Benennung der Bronzetafel ‒ Art des Monuments, Verfasser der Inschrift, Fundort ‒ ihren Niederschlag finden können, hat Fabia gezeigt, als er seinem Werk den Titel ‚La table Claudienne de Lyon’ gab und so den Verfasser der Inschrift und den Namen des Fundortes miteinander verbunden, sprachlich gewichtet und ihren Zusammenhang aufgezeigt hat. Für eine genaue Bezeichnung der Bronzetafel und ihrer Inschrift ergeben sich daher zwei Möglichkeiten für eine angemessen und vor allem korrekte Bezeichnung der Tafel und ihrer Inschrift: die Bezeichnung ‚tabula Claudiana’, also ‚Tafel des Claudius’,192 wenn es um die Bronzetafel insgesamt geht; oder aber man spricht (und schreibt) von der ‚oratio Claudii’ (oder auch ‚oratio Claudiana’) (‚Rede des Claudius’), wenn man den ‚Inhalt’ – die Inschrift der Tafel -, also die kaiserliche Rede, in den Vordergrund oder in den Mittelpunkt der Ausführungen stellen will. Diese Bezeichnung hat Tschudi bereits 1545 zur Kennzeichnung und Zuordnung der Inschrift verwendet. (In dieser Arbeit wird entsprechend den genannten Vorgaben verfahren; dabei werden die einzelnen Zeilen wie folgt zitiert: I (für die linke Tafelhälfte) bzw. II (für die rechte) und Angabe der Zeile(n).

192 Die entsprechenden Bezeichnungen sind im Französischen ‚La table Claudienne’ oder ‚Table de Claude’, im Englischen ‚The Claudian Tablet’.

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III. Die Originalrede und die Version des Tacitus Für die textkritische Beurteilung der Rede ist festzuhalten, dass es für den Text der Inschrift nur ein einziges Originalexemplar gibt: die Inschrift auf der tabula Claudiana. Damit entfallen weitgehend auch unterschiedliche Lesevarianten, wie sie ansonsten bei antiken literarischen Texten aufgrund ihrer Überlieferung in der Regel anzutreffen sind. Auch der Erhaltungszustand der Bronzetafel und ihrer Inschrift ist im Vergleich zu anderen epigraphischen Fundstücken insgesamt als gut zu bezeichnen; die Inschrift lässt sich ohne größere Schwierigkeiten lesen.193 In den ersten Jahren nach ihrer Entdeckung beschränkte sich die Wiedergabe der Inschrift auf eine reine Textabschrift (überwiegend in Minuskeln) ohne zusätzliche Anmerkungen oder Kommentare. Diese Abschriften finden sich in Manuskripten, die nicht selten erst Jahrhunderte später gedruckt und erst dadurch überhaupt einem größeren Kreis von Interessierten zugänglich wurden.194 Nach der ersten (unveröffentlichten) Transkription der Inschrift durch Claude Bellièvre hat der Lyoner Gelehrte S. Champier bereits 1537 eine erste als Fließtext gedruckte Ausgabe der Inschrift publiziert.195 Der Druck war auf den Text der Rede beschränkt,196 wenn man von dem zusätzlichen Hinweis auf ‚zwei Tafeln’ und die Angabe der Jahreszahl ihrer Entdeckung (fälschlich 1529) absieht.197 Wie Badoud zeigt, ist diese Abschrift nicht aufgrund einer Autopsie erfolgt.198 Champier hat vielmehr auf die Abschrift Bellièvres in dessen Manuskript Lugdunum priscum zurückgegriffen, dabei auch dessen Abschreibfehler übernommen sowie selbst zusätzliche Fehler eingefügt.199 Fabia hat daher zu Recht Champiers Druck als für die weitere Forschung wenig hilfreich eingeordnet.200 193 Die Angaben zur textkritischen Erforschung der Inschrift beschränken sich in der vorliegenden Arbeit auf eine Darstellung wesentlicher bzw. richtungsweisender Ergebnisse. Für eine intensive Beschäftigung mit dieser Thematik wird auf die detaillierten Ausführungen zur Bibliographie in den Kap. III und IV von Fabias Werk ‚La Table claudienne de Lyon’, 19-50, sowie auf Badouds Beitrag ‚La table claudienne de Lyon au XVIe siècle’ verwiesen. 194 So z. B. Bellièvres ‚Lugdunum priscum’, das erst 1846 publiziert wurde, oder Tschudis Manuskripte. 195 Symphorien Champier (1471 - 1538), Arzt, Historiker und Übersetzer in Lyon (d’Amat, R., ‚Champier (Symphorien)’, in: DBF 8, Paris 1959, 325). 196 Champier, S., Galliae Celticae, ac antiquitatis Lugdunensis civitatis, quae caput est Celtarum, campus, Lyon 1537. Champier wird auch die erste Übersetzung der Tabula Claudiana ins Französische zugeschrieben; eine Nachprüfung war nicht möglich. 197 Champier, Galliae Celticae, f. Dd 4v0: „Prior tabula in laminis aereis idque Lugduni reperta a. M.CCCCC.XXIX” als Einleitung; vor dem 2. Teil: „Tabula posterior per fractionem dimidiata est sane.“ (Dieser Hinweis hätte besser in die Einleitung der Abschrift gepasst.) 198 Badoud, La table claudienne, 184, insbes. Anm. 82, und das Stemma auf S. 193. 199 Champiers Ausgabe enthält mehr als 20 Fehler unterschiedlichster Art, wie ein Vergleich zwischen der Tafel, Bellièvres Abschrift und Champiers Druck ergibt. 200 Fabia, La Table, 22.

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Eine weitere gedruckte Ausgabe der Inschrift wurde 1542 von G. Paradin201 in seinem Buch ‚De antiquo statu Burgundiae’ veröffentlicht.202 Mehrere Abschreibfehler und die Angabe der falschen Jahreszahl für die Entdeckung der Tafel – 1529 – lassen den Schluss zu, dass für diesen Druck offenkundig die Textausgabe Champiers von 1537 und nicht die Bronzetafel selbst als Vorlage benutzt worden ist.203 Auch wenn Paradins Ausgabe keine textliche Verbesserung gegenüber der von Champier bringt, ist sie doch wegen ihrer zusätzlichen Notizen von Interesse. So hat Paradin neben einer kurzen Einleitung und einer Schlussbemerkung204 auch einzelne Abschnitte des Textes der rechten Kolumne (und nur dieser!) mit zusammenfassenden Randbemerkungen versehen.205 Sie lassen u. a. erkennen, dass nach seiner Auffassung zum Zeitpunkt der Rede bereits Senatoren aus Lyon in Rom vertreten gewesen sind, die Inschrift daher nicht die Bürger in der colonia Lugdunum betreffen konnte, wie seine Notiz „Lugdunenses Senatores Romae“ belegt.206 30 Jahre später – 1573 – legte Paradin einen neuen Druck der Inschrift in seinem Werk ‚Mémoires de l’histoire de Lyon’ vor.207 Diese Ausgabe, die keine textkritischen Anmerkungen enthält, kann dennoch als editio princeps der Rede gelten.208 Bemerkenswert ist, dass Paradin in diesem Buch die Inschrift gleich zweifach wiedergibt, und zwar in unterschiedlicher Schreibweise. Im historiographischen Teil in den Kap. XVII - XIX verwendet er für den Text Minuskeln, für den zweiten Abdruck im Anhang unter der Überschrift ‚Inscriptions antiques, tumules, et epitaphes, qui se retrouvent en divers endroits de la Ville de Lyon’ benutzt er Großbuchstaben. Offensichtlich hat Paradin für den Text im Anfangsteil seines Werkes auf seine Ausgabe von 1542 (und damit letztlich auf Champier) zurückgegriffen; darauf weist auch die Übereinstimmung der Fehler in der Abschrift hin. Paradin ergänzte diesen Text durch zwei Kommentare, die sich auf die Inschrift und auf Tacitus’ Version der kaiserlichen Rede beziehen und in denen er den Zusammenhang zwischen den beiden Reden herausstellte. Seine Be201 Guillaume Paradin (1510 - 1590), Lyoner Historiker (Lex, L., ‘Paradin, Guillaume’, in: GE, 25, Paris 1899, 1007). 202 Paradin, G., De antiquo statu Burgundiae, Lyon 1542, 115-119. 203 Badoud, La table claudienne, 193 (Stemma). 204 Paradin, G., De antiquo statu, 1542, 115-119: Auf die Einleitung „Tabularum inscriptiones huc inferre libuit, quas cementarii anno salutis quingentesimo unde trigesimo supra amillesimum effunderunt Lugduni. Prior tabula habet:” (115) folgt der Text der Inschrift, an den er die Bemerkung „Haec in tabulis illis aeneis” (119) anschließt. 205 Paradin, De antiquo statu, 117: „Flos Coloniarum, et municipiorum in Senatum adlectus.“ „Viennenses in curiam adlecti.“ - 118: „Lugdunenses Senatores Romae.“ - „Immobilis Gallorum fides.“ 206 Dazu: Badoud, La table claudienne, 193 (Stemma). 207 Paradin, G., Mémoires de l´histoire de Lyon, Lyon 1573, 21-25 und 414f. 208 So K. Zell, Handbuch der römischen Epigraphik, Heidelberg 1852, 21874, 294: „Primus edidit Paradinus (Memoires de l’histoire de Lyon, Lyon. 1573)“.

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merkungen zum Inhalt der Reden zeigen deutlich, welche Erkenntnisse er bei der Untersuchung bzw. dem Vergleich der beiden Texte gewonnen hat. So steht für ihn fest, dass der Antrag auf Zulassung zum Senat nur die gallische Führungsschicht mit römischem Bürgerrecht betrifft209 und sich nicht auf Bürger der beiden Städte Vienna und Lugdunum bezieht, da aus diesen zwei coloniae bereits Senatoren in Rom vertreten sind.210 Außerdem vertritt Paradin die These, dass eine zusätzliche (dritte) Tafel mit dem senatus consultum als Ergebnis der Rede, wie in Tac. ann. 11, 25, 1 überliefert, existiert haben müsse.211 Die zweite Textwiedergabe im Anhang ist in Kapitalien angefertigt; sie muss von Paradin aufgrund einer Autopsie vorgenommen worden sein. Hierauf lassen die erhebliche Reduzierung der Fehlerzahl, die Anordnung der Zeilen und die Setzung der Punkte nach den einzelnen Wörtern (wie im Original) sowie vor allem seine Bemühungen um eine genauere Wiedergabe der stark beschädigten oberen Zeilen beider Kolumnen schließen.212 Paradin beendet die Abschrift mit dem Hinweis, dass auf den zwei(!) Tafeln ein senatus consultum bzw. ein Dekret des Senats stehe; als Ort der Entdeckung der Tafel nennt er den ‚Hügel von St. Sebastian’, das Jahr gibt er fälschlich mit 1529 (!) an.213 Fast zur gleichen Zeit hatte auch J. Lipsius eine Abschrift der Rede in Majuskeln in seinem erstmals 1574 veröffentlichten Annalen-Kommentar angefertigt und dort zu Tac. ann. 11, 24, 1 - „Et vocato Senatu ita exorsus est “- auf dem Rand „Oratio Claudii“ vermerkt und die Notiz mit einem Hinweis auf die Bronzetafel ergänzt: „Quae oratio Principis memoriae causa Lugduni habita, celeberrimâ urbe Galliarum, et in aes incisa. Tabula manet illico etiam nunc; et dignum lectu Exemplar eius, quod ex scriptorium fide, proponam. Praesertim quia multa in eo ad Taciti lucem.”214 209 Paradin, Mémoires, 22: „les grands seigneurs des prouinces de Gaule firent requeste, d’estre recues à Rome, en estat de senateurs, puis que deia des long temps ils auoyent droict de citoyens Romains”. 210 Paradin, Mémoires, 24: „puis que ceux [des nobles homes] de Vienne, et de Lyon y auoyent ester recues en estat senatoire”. 211 Paradin, Mémoires, 22: „Ce decret, et senatusconsulte fut escrit et graué en tables d’airain, comme lon les void auioud’huy en l’hostel de la ville à Lyon.” - 24: „il semble, qu’il y auoit encores une autre table, contenant l’edict, et senatusconsulte faict à la suasion du prince.” 212 Badoud, La table claudienne, 186f. 213 Paradin, Memoires, 414f.: „Ce sont deux belles grandes tables de cuyure, esquelles est contenu vn Senatusconsulte, ou decret du Senat Romain faict pour les occasions deduites au commencement de ceste Histoire, au chapitre XVII. Lesdites tables furent trouuees en la coste sainct Sebastian, l’an mil cinq cens vingt & neuf.” 214 Lipsius’ Kommentar wurde mehrfach nachgedruckt. In dieser Arbeit wurde folgende Ausgabe benutzt: P. Cornelii Taciti opera quae exstant. Iustus Lipsius postremo recensuit. Additi Commentarii meliores plenioresque cum curis secundis, Antwerpen 1600. Das Werk ist in

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In der Folgezeit wurden zahlreiche weitere Abschriften der tabula Claudiana, in der Regel zusammen mit Kommentaren zu Tacitus’ Annalen, herausgegeben,215 ohne dass wesentliche neue Erkenntnisse bezüglich der Restitution des Textes oder einer Kommentierung vorgelegt werden konnten.216 Das trifft z. B. auch auf das bereits erwähnte Werk Ménestriers zur Geschichte Lyons zu. Dort gibt der Verfasser u. a. außer einer Übersetzung der beiden Redeversionen in die französische Sprache auch eine Abschrift der Bronzetafel unter der Überschrift ‚Les deux Tables d’airain de l’Hôtel de Ville’ in enger Anlehnung an das Original (Wiedergabe in Zeilen, Verwendung von Majuskeln, herausgerückter Abschnittsbeginn, Trennung der einzelnen Wörter durch Punkte).217 In einem Vorwort zur Transkription weist Ménestrier darauf hin, dass in der Antike häufiger Rechtsakte auf Bronzetafeln geschrieben worden seien, um sie für längere Zeit zu erhalten; als Beispiel verweist er auf 1 Makk 8, wonach die Abschrift einer Urkunde über ein Bündnis zwischen Rom und den Juden auf eherne Tafeln geschrieben und nach Jerusalem geschickt worden sei. Zusätzlich hat Ménestrier einen Kommentar verfasst, dessen Inhalt allerdings teilweise im Widerspruch zu den bis dahin erreichten Forschungsergebnissen stand: So behauptete er, dass zwischen den beiden Redeversionen kein Zusammenhang bestünde und beide Texte völlig unterschiedliche Themen zum Inhalt hätten. In der von Tacitus wiedergegebenen Rede habe Claudius für Autun (die civitas der Häduer) den Zugang zu den Ämtern beantragt und erhalten. Die Rede auf der Tafel enthalte dagegen den Vorschlag des Kaisers, Lugdunum, das bis dahin nur ein municipium gewesen sei, zur römischen colonia zu erheben.218 Erst hundert Jahre später (1811) brachte ein Vortrag des Historikers B. G. Niebuhr in Berlin einen Fortschritt in der Erforschung und Interpretation der beiden Reden.219 Im Mittelpunkt des Vortrags stand eine Untersuchung der von Claudius zitierten etruskischen Legende über den König Servius Tullius in Rom (I 17-24); Niebuhr korrigierte zugleich zwei Fehlinterpretationen der Rede: zum einen wieinen Text- und einen Kommentarteil gegliedert (ann. 11, 23f. auf S. 123f. im Textteil, die dazugehörigen Anmerkungen 74-84 finden sich im Kommentarteil auf S.149-152, die angegebene Anmerkung als Nr. 81 auf S. 150). 215 Dazu Niebuhr, B. G., Kleine historische und philologische Schriften, 2. Sammlung, Bonn 1843, 28. 216 Fabia, La Table, 31. 217 Ménestrier, Histoire civile de Lyon, doppelseitige Abschrift zwischen den S. 164 und 165. 218 Ménestrier, Histoire civile de Lyon, 106: „Cet Empereur fit donc deux actions bien differentes au Senat au tems de sa Censure, il demanda pour ceux d’Autun le droit d’être admis aux Charges de la Republique, & il l’obtint, comme Tacite le raporte. En mêmetems, il propoposa de faire Lugdunum Colonie Romaine, au lieu qu’il n’étoit que Municipe. Comme nous avons vû”. 219 Der Vortrag wurde unter dem Titel ‚Einige Anmerkungen zu den Fragmenten der Rede des Kaisers Claudius’ in: Niebuhr, Kleine historische und philologische Schriften, 26-44, veröffentlicht.

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derlegte er Ménestriers Behauptung über einen fehlenden Zusammenhang zwischen der Rede bei Tacitus und dem Original auf der Bronzetafel.220 Zum andern berichtigte er Lipsius, der die Gallia Comata mit der Gallia Transalpina gleichgesetzt hatte.221 Außerdem gab er, obwohl er selbst die Bronzetafel nicht gesehen hatte, sondern sich auf eine Abschrift Ménestriers stützte,222 zwei wichtige Hinweise für die exakte Lesung des Textes: „An zwei Stellen sind diese [Emendationen] nicht nur unentbehrlich, sondern auch wohl unzweifelhaft. Auf der Tafel, welche die erste genannt wird ist eine kleine Lücke oder vielmehr Unleserlichkeit. Quid (nämlich commemorem) imp … uris distributum consulare imperium? Dies muß gelesen werden: Quid inter plures distributum etc. Auf der zweyten gegen das Ende ist unzweifelhaft statt ad census novo tum opere: a census zu lesen.“ (Niebuhr, Kleine Schriften, 41f.; [Fettdruck wie im Original].) Allerdings hat Niebuhr auch Ménestriers These übernommen, dass eine dritte Tafel existiert haben müsse.223 Zudem stellte er die These auf, dass die traditionelle Anordnung der beiden Tafelhälften umgekehrt werden müsse.224 Er begründete diese Forderung mit dem Aufbau der taciteischen Version der Rede und einem Vergleich des Umfangs der beiden Reden; dabei kam er zu dem (Fehl)Schluss, dass die Rede auf der Tafel nur einen Bruchteil der Rede bei Tacitus umfasse.225 Niebuhrs Thesen wurden von K. Zell aufgegriffen, der 1833 die erste Einzelschrift zur Rede des Claudius herausbrachte.226 Seine Monographie bestand aus zwei Teilen: einer ausführlichen Einleitung und dem Text mit Kommentar. Zell übernahm darin die bereits bekannten textlichen Korrekturen; diese wurden auch in die nachfolgenden Editionen aufgenommen. In Zells Werk finden sich zwei Wiedergaben der Tafelinschrift, eine in Großbuchstaben und eine in Minuskeln. 220 Niebuhr, Kleine Schriften, 42: „ um den unbegreiflichen Einfall Menestriers nicht ausführlich zu berühren, welcher Lyon den Gegenstand der Sorgfalt des Kaisers, und die Tafeln [!] von der Rede bei Tacitus verschieden wähnt.“ 221 Niebuhr, Kleine Schriften, 43: „und Lipsius irrt, wenn er unter der Gallia comata für die Claudius redete, das ganze transalpinische Gallien versteht, und namentlich an Völker in der narbonensischen Provinz denkt.“ 222 Fabia, La Table, 34. 223 Fabia, La Table, 34. 224 Niebuhr, Kleine Schriften, 31: „so möchte ich im Gegentheil die welche die erste heißt der zweyten nachstellen.“ 225 Niebuhr, Kleine Schriften, 30: „mir scheint es einleuchtend, wenn man die beyden erhaltenen mit dem Inhalt vergleicht, den Tacitus (Annal. XI. c. 24.) obwohl veredelt, daher gewiß nicht erweitert, giebt, daß vielfach mehr verloren als erhalten ist. Man möchte schließen dass wir lange nicht einmal ein Viertheil des Ganzen haben:“. 226 Zell, K., Claudii imperatoris oratio super civitate Gallis danda, Freiburg i. Br. 1833 [zitiert nach Fabia, La Table, 34].

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Die Abschrift in Majuskeln, bei der das Ende der einzelnen Zeilen jeweils durch einen senkrechten Strich markiert ist, hat die zwei Fehler des Graveurs – appellitatus (I 22) und adcensus (II 37) ‒ übernommen und die Lücke im … uris (I 34f.) beibehalten. In der Textwiedergabe in Minuskeln ist diese Lücke durch die Konjektur inter plures ausgefüllt und der zweite Fehler in a census korrigiert; der erste Fehler ist dagegen beibehalten worden, obwohl Zell selbst in einer Anmerkung auf die Notwendigkeit einer Korrektur hinweist.227 Allerdings schloss sich Zell auch Niebuhrs Auffassung über die Anordnung der Tafelhälften und die Existenz einer dritten Tafel an228 und stellte die Forderung nach einer zusätzlichen vierten Tafel für die Niederschrift des senatus consultum auf.229 (Niebuhrs und Zells Vorstellungen von der Anordnung und Größe der Tafel sowie von der Anzahl der Tafelstücke werden von der modernen Forschung nicht mehr weiter verfolgt.) Aufgrund der geringen Fehlerzahl bei der Textwiedergabe230 wurde Zells Monographie als Vorlage für weitere Abschriften verwendet. So gab 20 Jahre nach der Publizierung von Zells Schrift der aus Lyon stammende Historiker J.-B. Montfalcon eine Monographie im Format von 70 x 52 cm über die tabula Claudiana heraus.231 Dieses Buch ist, folgt man Fabia, ausschließlich wegen seiner sechs doppelseitigen Tafeln von Interesse232: bei ihnen handelt es sich um Reproduktionen der Inschrift in Originalgröße. Wesentlich und für die weitere Forschung grundlegend war dann die Arbeit O. Hirschfelds, der die Inschrift unter der Nummer 1668 in den Band XIII des ‚Corpus Inscriptionum Latinarum’ aufnahm und mit einem umfangreichen Kommentar und einem textkritischen Apparat vervollständigte.233 Hirschfeld beginnt die Abschrift der Bronzetafel mit einer kurzen, aber zugleich sehr präzisen Vorstellung des epigraphischen Denkmals: „tabula aenea fracta duabus columnis litteris inauratis saec. primi scripta“ (CIL XIII, 232). Anschließend stellt er die Geschichte der Tafel seit ihrer Entdeckung dar, bevor er den durch Autopsieermittelten Wortlaut der tabula Claudiana in Majuskeln unter Beibehaltung der AkFabia, La Table, 35. Zell, Handbuch der römischen Epigraphik, 295, Anm. 1: „Omnes edd. hanc tabulam alteri anteponunt tanquam priorem; sed indicia non desunt, quibus ordinem tabularum inversum esse suspicemur.“ 229 Fabia, La Table, 35. 230 Fabia, La Table, 35, Anm. 2. 231 Montfalcon, J.-B., Monographie de la Table de Claude, accompagnée du facsimile de l’inscription gravée dans les dimensions exactes du bronze, et publiée au nom de la ville de Lyon, par ordre de M. E. Reveil, maire, Lyon 1851. (Der Verfasser konnte 2011 im Musée gallo-romain in Lyon Einblick in dieses Werk nehmen.) 232 Fabia, La Table, 35f. 233 Hirschfeld, O., (Hg.), Inscriptiones Trium Galliarum et Germaniarum Latinae (= CIL XIII), Teil 1, Berlin 1899, Nr. 1668 (S. 232-235). 227 228

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zente (Apices),234 der verlängerten ‚I’ und der Trennungspunkte zwischen den einzelnen Wörtern sowie der Bruchlinien vorlegt. Die vorzügliche Qualität dieser Arbeit würdigte Fabia mit der Feststellung: „Il [Hirschfeld] reproduit le texte1 […], si bien que cette reproduction a presque l’aspect et la valeur d’un fac-simile; (1D’après sa propre collation.)“235 Seinen textkritischen Angaben lässt Hirschfeld eine fortlaufende Abschrift der Tafel in Minuskeln mit moderner Zeichensetzung folgen, in der die einzelnen Zeilen durch senkrechte Striche getrennt sind. Im abschließenden Kommentar betont er noch einmal ausdrücklich die Einheit der Tafel: „Tabula una est duabus columnis scripta, non tabulae duae, ut auctores antiquiores dicere solent“ (CIL XIII, 234). Für Hirschfeld steht außerdem fest, dass die Tafel am Altar der Tres Galliae aufgestellt worden ist.236 Ob auch das von Tacitus erwähnte senatus consultum, mit dem - so Hirschfeld - die Häduer die ‚civitas’ [sic!] erhielten, auf der Bronzetafel gestanden hat, stellt er in Frage; er hält es für zutreffender, dass ein solcher Beschluss auf einer zusätzlichen Tafel seinen Platz gefunden habe, die verloren gegangen sei. Zur Begründung dieser Auffassung weist er darauf hin, dass der untere Teil der Tafel unbeschädigt sei.237 Des Weiteren greift er eine bereits von Paradin und anderen Historikern aufgestellte Hypothese auf, wonach es eine zusätzliche Tafel mit dem senatus consultum gegeben haben müsse, da dieses auf der tabula Claudiana keinen Platz gefunden habe.238 Auch wenn in dieser Frage von der Forschung keine einhellige Auffassung vertreten wird, ist die Mehrzahl der Historiker heute davon überzeugt, dass es „eine dritte Columne, deren Existenz man ohne Beachtung des epigraphischen Befundes aus inhaltlichen Gründen postuliert hat, (…) auf dieser Tafel nicht gegeben haben [kann]“, wie es G. Perl formuliert hat.239 Hirschfeld schließt seine ausführlichen Angaben zur tabula Claudiana mit einem Urteil über Claudius’ Rede an, die er als „dem Anlass unzureichend angemessen, dennoch weder ungelehrt noch ohne Kunstfertigkeit verfasst“ bezeichnet, und weist dabei auf die große Ähnlichkeit mit der bei Livius wiedergegebenen Rede des Canuleius hin.240 234 Hirschfeld vermerkt dazu (CIL XIII, 235): „Apices, qui quidem mira inconstantia positi sunt, antiquiores non enotant.“ 235 Fabia, La Table, 44. 236 CIL XIII, 234f.: „Tabulam ad aram Romae et Augusti, i. e. ad celeberrimum sanctissimumque trium Galliarum locum collocatam fuisse certum est”. 237 CIL XIII, 235: „Num etiam senatus consultum, quo Haeduis civitas data est (cf. Tacitus ann. XI c. 25), una cum hac tabula aeri incisum fuerit, dubito; si senatus consultum illud et ipsum ibi propositum erat, certe in alia tabula prorsus deperdita id incisum fuerit necesse est, cum inferior huius tabulae pars integra sit.” 238 Paradin, Mémoires, 23. 239 Perl, Die Rede des Kaisers, 114. 240 CIL XIII, 235: „Id denique noto, id quod primus observavit Zingerle (…), orationen quamquam non satis occasioni aptam, tamen nec indoctam nec sine arte compositam, non totam ex Claudii ingenio ortam esse; nam adeo similes est orationis a Livio (IV, 3-4) Canuleio de

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Neben seiner Arbeit am CIL hat sich O. Hirschfeld auch um die Wiederherstellung des Textes der tabula Claudiana Verdienste erworben. So konnte er die erste Zeile auf der linken Tafelhälfte anhand von Transkriptionen aus dem 16. Jh. wie folgt ergänzen: [sum] mae rerum no[straru]m sit u…, da ein Zeitgenosse Tschudis bei dem Wort nostra[ru]m vier weitere Buchstaben von der Tafel in seine Aufzeichnungen übertragen konnte, die später nicht mehr zu lesen waren.241 In einem Beitrag der ‚Wiener Studien’ von 1881 bringt der Althistoriker und Epigraphiker auch eine „Restitution der am Anfang der zweiten Columne noch vorhandenen Buchstaben“, die er wie folgt ergänzt: „sane novo m[ore] et Divus Aug[ustus av]onc[ulus] meus et patruus Ti(berius).“242 Die Edition der tabula Claudiana durch Hirschfeld im CIL bildete die Grundlage für fast alle späteren Ausgaben, insbesondere auch für die Wiedergabe durch H. Dessau in seiner Textsammlung ‚Inscriptiones Latinae Selectae’243 und in den ‚Fontes Iuris Romani Antiqui’ von C. G. Bruns.244 Von beiden wurde der Text mit der Überschrift „Senatus Consultum Claudianum (oratio Claudii) de iure honorum Gallis dando a. 48“ versehen; sie ergänzten ihre in Minuskeln angefertigten Abschriften mit Markierung der Zeilenenden und durch textkritische Anmerkungen sowie kurze Kommentare. Auch wenn beide Editionen nicht völlig fehlerfrei sind, so bilden sie neben der Ausgabe von Hirschfeld in vielen Fällen die Grundlagen für Übersetzungen und historische Analysen.245 400 Jahre nach ihrer Entdeckung hat Ph. Fabia aus Lyon mit seiner 1929 veröffentlichten und bereits mehrfach erwähnten Monographie ‚La Table Claudienne de Lyon’ der Bronzetafel gleichsam ‚ein Denkmal gesetzt’.246 Im ersten Teil dieses Buches gibt er zunächst eine umfassende geschichtliche Darstellung über den Verbleib der Tafel nach ihrer Entdeckung, eine detaillierte Forschungsgeschichte und eine ausführliche Bibliographie. Im zweiten Teil bringt Fabia den Text der

conubio plebeiis dando verba facienti attributae, ut et sententiarum ordo et ipsa verba clare demonstrent, Claudium magistri sui orationem ante oculos vel certe in mente habuisse, cum hanc de iure honorum Gallis tribuendo orationem componeret.” 241 Badoud, La table claudienne, 195 mit Anm. 148. 242 Hirschfeld, O., ‚Oratio Claudii’ in: Wiener Schriften 3, 1881, 267f. 243 Inscriptiones Latinae Selectae (ILS), hg. von H. Dessau, Bd. I, Berlin 1892, ND 1962, Nr. 212. 244 Bruns, C. G. - Gradenwitz, O.(Hg.), Fontes Iuris Romani Antiqui, Leges et negotia, 7. Auflage, hg. von O. Gradenwitz, Tübingen 71909, ND Aalen 1958. 245 Dazu kritisch: Perl, Die Rede des Kaisers, 116, Anm. 3. 246 A. Allix bemerkt dazu in seiner Rezension zu ‚Philippe Fabia. - La Table Claudienne de Lyon’, in: Les Études rhodaniennes 6,2, 1930, 225: „En conclusion, la Table n’est pas comme on l’a trop souvent écrit un monument d’histoire lyonnaise; c’est un monument lyonnais d’histoire romaine et gallo-romaine. On pourrait dire la meme chose du splendide ouvrage que M. Fabia vient de lui consacrer.”

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Inschrift247 und seine Übersetzung ins Französische. Darauf folgt eine breit angelegte Textanalyse der kaiserlichen Rede und ein Vergleich mit ihrer Wiedergabe durch Tacitus. Die neueste Revision des Textes hat G. Perl nach einer Autopsie der Tafel im Jahre 1993 vorgenommen; das Ergebnis seiner Untersuchungen hat er 1996 in dem mehrfach zitierten Aufsatz veröffentlicht. Da in seinem Beitrag die philologischen Aspekte der Inschrift – „die Arbeit am Verständnis des Textes“248 – im Vordergrund standen, hat er den Text abschnittsweise wiedergegeben, übersetzt und kommentiert. Darüber hinaus hat er seine Untersuchung der Inschrift auf diejenigen Textstellen beschränkt, deren Interpretation nach seiner Auffassung umstritten ist.249 Da Perl selbst somit keine Textedition im engeren Wortsinn publiziert hat, hat der Verfasser dieser Arbeit den kritischen Text unter Berücksichtigung der von Perl veröffentlichten Ergebnisse und Erkenntnisse zusammengestellt und zusammen mit Perls Übersetzung hier vorgelegt. Wie erwähnt wurde die oratio Claudii in der Vergangenheit zumeist als Anhang zu Editionen oder Kommentaren der Annalen publiziert. Erst in der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts wurde sie häufiger in Sammlungen römischer Inschriften aufgenommen und zusammen mit dazugehörigen Übersetzungen (und Kommentaren) vor allem zu Studienzwecken veröffentlicht. Für den deutschen Sprachraum liegen entsprechende Zusammenstellungen bzw. Quellensammlungen von M. von Albrecht250, H. Freis251, G. Walser252 und L. Schumacher253 vor. Alle Ausgaben außer der von Albrecht sind vor 1996 erschienen, sodass in ihnen die von Perl gewonnenen Erkenntnisse sowie Badouds und Rieß’ Forschungsergebnisse 247 Seine Überzeugung von der Einheit der Tafel bringt Fabia auch dadurch zum Ausdruck, dass er die Zeilen durchnummeriert, ohne ihre Verteilung auf zwei Kolumnen zu berücksichtigen: Fabia, La Table, 62-64. 248 Perl, Die Rede des Kaisers, 115. 249 Perl, Die Rede des Kaisers, 116. 250 von Albrecht, M., Meister römischer Prosa. Von Cato bis Apuleius. Interpretationen, Heidelberg 1971, Tübingen - Basel 31995, 4. durchgesehene und bibliographisch aktualisierte Auflage Darmstadt 2012, 111-128 (dazu Anmerkungen 172-176). (Text, Übersetzung und Interpretation). 251 Freis, H., Historische Inschriften zur römischen Kaiserzeit von Augustus bis Konstantin (Texte zur Forschung 49), Darmstadt 1984, 21994, ND der Ausg. 1994 als Studienausgabe 2017, 59-62 (nur Übersetzung). 252 Walser, G., Römische Inschriftkunst. Römische Inschriften für den akademischen Unterricht und als Einführung in die lateinische Epigraphik, Stuttgart 1988, 2. verb. Aufl. 1993, 1825 (Text der Rede mit Abbildung der entsprechenden Kolumnen des Originals und Übersetzung). 253 Römische Inschriften. Lateinisch/Deutsch. Ausgewählt, übersetzt, kommentiert und mit einer Einführung in die lateinische Epigraphik hg. von L. Schumacher, Stuttgart 1988, 2. durchgesehene und aktualisierte Aufl. 2007 (RUB 8512), 90-93 (Text und Übersetzung beschränken sich auf die 2. Kolumne sowie einen kurzen Kommentar).

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aus den beiden letzten Jahrzehnten noch keine Berücksichtigung finden konnten.254

254 von Albrecht hat in der Auflage 2012 seines Buches an mehreren Stellen Perls Erkenntnisse in seine Anmerkungen übernommen bzw. auf sie verwiesen.

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Der Text auf der Bronzetafel I1

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[Lücke von mehreren Zeilen … sum] mae rerum no[straru]m sit u[tile] Equidem prim┌u┐m omnium illam cogitationem hominum, quam maxime primam occursuram mihi provideo, deprecor, ne quasi novam istam rem introduci exhorrescatis, sed illa potius cogitetis, quam multa in hac civitate novata sint, et quidem statim ab origine urbis nostrae, in quo┌t┐ formas statusque res p(ublica) nostra d┌e┐ducta sit. Quondam reges hanc tenuere urbem, nec tamen domesticis successoribus eam tradere contigit. supervenere alieni et quidam externi, ut Numa Romulo successerit ex Sabinis veniens, vicinus quidem, sed tunc externus; ut Anco Marcio Priscus Tarquinius. [is] propter temeratum sanguinem - quod patre Demaratho C[o]rinthio natus erat et Tarquiniensi matre, generosa sed inopi, ut quae tali marito necesse habuerit succumbere - cum domi repelleretur a gerendis honoribus, postquam Romam migravit, regnum adeptus est. huic quoque et filio nepotive eius – nam et hoc inter auctores discrepat – insertus Servius Tullius, si nostros sequimur, captiva natus Ocresia, si Tuscos, Caeli quondam Vivennae sodalis fidelissimus omnisque eius casus comes. postquam varia fortuna exactus cum omnibus reliquis Caeliani exercitus Etruria excessit, montem Caelium occupavit – et a duce suo Caelio ita appellitatus - mutatoque nomine - nam Tusce Mastarna ei nomen erat - ita appellatus est, ut dixi, et regnum summa cum rei p(ublicae) utilitate optinuit. deinde postquam Tarquini Superbi mores invisi civitati nostrae esse coeperunt, qua ipsius qua filiorum ei[us], nempe pertaesum est mentes regni, et ad consules, annuos magistratus, administratio rei p(ublicae) translata est.

I 1 [ ] suppl. Hirschfeld; mae rerum nos…sii Bellièvre; ma et erumnosum… sum Tschudi; mae rerum nostr… Maurus; mae rerum nostra ..m... Maludan; meae rerumnost…Paradin; mae rerum nostr… sii Zell; 2 primam in tabula, primum Perl; 4 introduxi Tschudi; 6 quod in tabula, quot Gutherius, Perl (cf. 23); 7 diducta in tabula, deducta Perl; 8 ne Paradin; 9 aliqui Tschudi, alieni in tabula; 11 [ ] suppl. Orelli, Dissard; 12 Demarato Paradin, Lipsius, Demaratho in tabula, Perl; Corinthio Bellièvre, Tschudi; 13 erat Bellièvre, erat et in tabula; inope Tschudi; 14 ali Tschudi, tali in tabula; 18 Coeli Bellièvre; 22 appellatus Belliévre, appellitavit Niebuhr, Hirschfeld, Fabia, von Albrecht, appellitatum Pareti, Momigliano, Carcopino, appellitatus in tabula, Perl; Mastarda Bellièvre; 25 illorum Bellièvre, filiorum in tabula; eius Tschudi;

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Quid nunc commemorem dictaturae hoc ipso consulari imperium valentius repertum apud maiores nostros, quo in a[s]30 perioribus bellis aut in civili motu difficiliore uterentur? aut in auxilium plebis creatos tribunos plebei? quid a consulibus ad decemviros translatum imperium, solutoque postea decemvirali regno ad consules rusus red d itum? quid in [pl]uris distributum consulare imperium tribunosque mil[itu]m 35 consulari imperio appellatos, qui seni et saepe octoni crearentur? quid communicatos postremo cum plebe honores, non imperi solum, sed sacerdotiorum quoque? - iam si narrem bella, a quibus coeperint maiores nostri, et quo processerimus, vereor, ne nimio insolentior esse videar et quaesisse iactationem gloriae pro40 lati imperi ultra Oceanum. – sed illoc potius revertar. Civitatem II 1

[Lücke von mehreren Zeilen … p]otest sane novo m[ore] et Divus Aug[ustus av]onc[ulus] meus et patruus Ti(berius) Caesar omnem florem ubique coloniarum ac municipiorum, bonorum scilicet virorum et locupletium, in hac curia esse voluit. 5 quid ergo? non Italicus senator provinciali potior est? iam vobis, cum hanc partem censurae meae adprobare coepero, quid de ea re sentiam, rebus ostendam. sed ne provinciales quidem, si modo ornare curiam poterint, reiciendos puto. Ornatissima ecce colonia valentissimaque Viennensium, quam 10 longo iam tempore senatores huic curiae confert! ex qua colonia inter paucos equestris ordinis ornamentum, L. Vestinum, familiarissime diligo et hodieque in rebus meis detineo. cuius liberi fruantur, quaeso, primo sacerdotiorum gradu, postmodo cum annis promuturi dignitatis suae incrementa. – ut dirum nomen la15 tronis taceam, et odi illud palaestricum prodigium, quod ante in domum consulatum intulit, quam colonia sua solidum civitatis Romanae benificium consecuta est. idem de fratre eius possum dicere, miserabili quidem indignissimoque hoc casu, ut vobis utilis senator esse non possit.

29 asperioribus Bellièvre, Tschudi; 33 rursus Bellièvre, Paradin, rusus in tabula; reditum in tabula, red d itum Perl; in decuris Bellièvre, im… Paradin, inter pluris Zell, in pluris Boissieu, in tabula; [ ] suppl. Brotier, militum Bellièvre; 35 seni Bellièvre, seni qui Tschudi, seni et in tabula; 37 bella Bellièvre, bella a in tabula; 40 illuc Zell, illoc in tabula; II 1[ ] suppl. Dissard; 2 [ ] suppl. Hirschfeld; 8 recipiendos Paradin, reiiciendos Lipsius, Ménestrier, Zell, reiciendos in tabula; 13 queso Bellièvre, quaeso in tabula; 15 palestricum Paradin, palaestricum in tabula; 17 beneficium Paradin, benificium in tabula; 18 casu vobis Tschudi, casu ut vobis in tabula;

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20 Tempus est iam, Ti(beri) Caesar Germanice, detegere te patribus conscriptis, quo tendat oratio tua; iam enim ad extremos fines Galliae Narbonensis venisti. Tot ecce insignes iuvenes, quot intueor, non magis sunt paenitendi senatores; quam paenitet Persicum, nobilissimum virum, ami25 cum meum, inter imagines maiorum suorum Allobrogici nomen legere. quod si haec ita esse consentitis, quid ultra desideratis, quam ut vobis digito demonstrem, solum ipsum ultra fines provinciae Narbonensis iam vobis senatores mittere, quando ex Luguduno habere nos nostri ordinis viros non paenitet? 30 timide quidem p(atres) c(onscripti), egressus adsuetos familiaresque vobis provinciarum terminos sum, sed destricte iam Comatae Galliae causa agenda est. in qua si quis hoc intuetur, quod bello per decem annos exercuerunt Divom Iulium, idem opponat centum annorum immobilem fidem obsequiumque multis trepidis re35 bus nostris plus quam expertum. illi patri meo Druso Germaniam subigenti tutam quiete sua securamque a tergo pacem praestiterunt, et quidem cum a{d} census novo tum opere et inadsueto Gallis ad bellum avocatus esset. quod opus quam arduum sit nobis, nunc cum maxime, quamvis nihil ultra, quam 40 ut publice notae sint facultates nostrae, exquiratur, nimis magno experimento cognoscimus. _____________________________________________________________ 15 palestricum Paradin, palaestricum in tabula; 17 beneficium Paradin, benificium in tabula; 18 casu vobis Tschudi, casu ut vobis in tabula; 24 poenitet Bellièvre, paenitet in tabula; 29 Lugduno Tschudi, poenitet Bellièvre, paenitet in tabula; 30 familiares Bellièvre, familiaresque in tabula; 31 destrictae Tschudi, destricte in tabula; 33 exercuerint Zell; 35 plusquam Bellièvre, Zell, plus quam in tabula; 37 adcensus in tabula, a censu Lipsius, ab census Brotier, a census Allmer, Niebuhr, Hirschfeld, Fabia, Perl; 38 advocatus Zell, Orelli, Dessau, avocatus in tabula; 40 natae Zell, notae in tabula.

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[I 2-7] Ich meinerseits möchte vor allen Dingen jene so verbreitete Denkweise der Leute, die, wie ich voraussehe, mir vorzugsweise als erste begegnen wird, abzuwehren suchen, indem ich bitte, nicht entsetzt zu sein (scil.: über meinen Antrag), als ob (damit) etwas noch nie Dagewesenes eingeführt werden soll, sondern vielmehr daran zu denken, wie viele Neuerungen in diesem Staat schon eingeführt worden sind, und zwar gleich von Gründung unserer Stadt an, wie viele Veränderungen der Verfassungsformen unser Staat erfahren hat. [I 8-27] Einst herrschten Könige über diese Stadt, jedoch gelang es ihnen nicht, sie Nachfolgern aus der eigenen Familie zu übergeben. An die Stelle traten Nachfolger aus anderen Familien (d.h. Nicht-Verwandte) und einige Ausländer, wie z. B. Numa auf Romulus folgte, aus dem Sabinerland kommend, zwar ein Nachbar, aber damals ein Ausländer; z. B. auf Ancus Marcius folgte Tarquinius Priscus. Da dieser wegen seiner unebenbürtigen Abstammung – er stammte nämlich väterlicherseits von dem Korinther Demaratos ab und mütterlicherseits von einer vornehmen, aber armen Tarquinierin, die daher darauf angewiesen war, einen solchen Mann zu heiraten – in seiner Heimat (d.h. in Tarquinii) von der Bekleidung ehrenvoller Ämter ausgeschlossen wurde, wanderte er nach Rom aus und hat dann dort die Königsherrschaft erlangt. Auch bei diesem (d. h. Tarquinius Priscus) und seinem Sohn oder Enkel (d. h. Tarquinius Superbus) – denn auch darüber sind die Gewährsleute verschiedener Meinung – ist Servius Tullius (d.h. ein Fremder) dazwischengeschaltet. Römischen Quellen zufolge stammte er von einer Kriegsgefangenen namens Ocresia ab, dagegen etruskischen Quellen zufolge war er einst der treueste Begleiter des Caelius Vibenna und teilte alle seine Schicksale. Nachdem er durch launenhaftes Glück vertrieben wurde und mit allen Überresten des Caelianischen Heeres aus Etrurien weggehen musste, besetzte er den Berg Caelius – und zwar wurde er (d. h. der Berg Caelius) ausdrücklich nach seinem Heerführer Caelius so genannt -; er änderte darauf seinen Namen – denn etruskisch hieß er Mastarna – und nannte sich so, wie ich angegeben habe (d.h. Servius Tullius), und erlangte die Königsherrschaft zum höchsten Nutzen für das Gemeinwesen. Dann, als das Verhalten des Tarquinius Superbus unserer Bürgerschaft allmählich verhasst wurde, sein eigenes wie das seiner Söhne, wurden die Bürger der Königsherrschaft verständlicherweise vollends berdrüssig und übertrugen die Leitung des Gemeinwesens Konsuln, für ein Jahr gewählten Beamten. [I 28-40] Was soll ich jetzt noch erwähnen, dass unsere Vorfahren die Amtsgewalt der Diktatur ersonnen haben, machtvoller als eben die genannte konsularische Gewalt, um sie in schwereren Kriegen oder schwierigeren inneren Unruhen anzuwenden? Oder dass sie zum Schutz der Plebs Volkstribunen wählten? Ferner dass die Amtsgewalt von den Konsuln an Dezemvirn übertragen und später nach Beseitigung der königlichen Gewalt der Dezemvirn wieder an die Konsuln zurückgegeben wurde? Ferner, dass die konsularische Amtsgewalt auf mehrere 52

aufgeteilt wurde und diese Militärtribunen mit konsularischer Gewalt genannt wurden, die zu je 6 und wiederholt zu je 8 gewählt wurden? Ferner, dass schließlich die Amtswürden mit der Plebs gemeinsam getragen wurden, nicht nur die der Regierungsgewalt, sondern auch die der Priesterstellen? – Wenn ich jetzt die Kriege aufzählen wollte, mit denen unsere Vorfahren begonnen und wie weit wir es gebracht haben, fürchte ich, es möchte mir als gar zu unbescheiden ausgelegt und die Absicht unterschoben werden, zu prahlen mit dem Ruhm, unser Reich bis über den Ozean hinaus erweitert zu haben. Doch ich will lieber zu meinem Thema zurückkehren. Das römische Bürgerrecht … [II 1-8] Sicherlich bezweckte der zum Gott erhobene Augustus, mein Großonkel mütterlicherseits wie auch mein Onkel väterlicherseits Tiberius Caesar mit der Einführung eines neuen Brauchs, dass die gesamte Elite aus den einzelnen Kolonien und Munizipien im ganzen Reich, d.h. Männer mit rechtschaffener (d.h. staatstragender) Gesinnung und reichem Besitz, in dieser Kurie hier säßen. Was soll das heißen? Hat ein Senator aus Italien etwa nicht den Vorrang vor einem aus einer Provinz? Wenn ich erst beginne, euch diesen Teil meiner Tätigkeit als Censor darzulegen, werde ich euch schon noch durch Tatsachen zeigen, wie ich darüber denke. Andererseits dürfen meiner Meinung nach aber auch keine Männer aus den Provinzen zurückgesetzt werden, vorausgesetzt, sie können der Kurie Ehre machen. [II 9-19] Nehmt z. B. die hoch angesehene, blühende Colonia der Viennenser: wie lange schon steuert sie Senatoren für diese Kurie bei! Aus dieser Colonia (stammt) Lucius Vestinus, eine Zierde des Ritterstandes wie nur wenige, den ich als Vertrauten schätze und noch heute mit meinen Vermögensangelegenheiten beschäftige. Dessen Kinder sollen, bitte, zunächst in den Genuss der Würde eines der Priesterämter kommen, um später mit den Jahren zu höheren Amtswürden aufzusteigen. – Den unheilvollen Namen des Banditen will ich allerdings mit Schweigen übergehen, ich hasse nämlich jenes athletische Ungeheuer, das seiner Familie die Consulwürde verschaffte, bevor seine Colonia die vollständige Vergünstigung des römischen Bürgerrechts erlangt hatte. Das gleiche könnte ich von seinem Bruder sagen, einem Mann mit einem allerdings so bedauernswürdigen und ganz unverdienten Schicksal, da er euch als Senator nicht (mehr?) nützlich sein kann. [II 20-22] Zeit ist es längst, Tiberius Caesar Germanicus, dass du den Senatoren enthüllst, worauf deine Rede abzielt. Denn du bist schon bis an den äußeren Rand von Gallia Narbonensis gekommen. [II 23-41] Da gibt es so viele ausgezeichnete Männer, die ich hier vor Augen habe! Über diese als Senatoren brauchen wir uns ebenso wenig zu schämen, wie (Paullus Fabius) Persicus, ein Mann von höchstem Adel, mein Freund, sich zu 53

schämen braucht, unter den Bildern seiner Vorfahren den Namen Allobrogicus zu lesen. Wenn ihr aber (mit mir) übereinstimmt, dass dies zutrifft, was könnt ihr noch mehr verlangen, als dass ich euch mit dem Finger darauf hinweise, dass der Boden unmittelbar jenseits der Grenzen der Provincia Narbonensis euch schon Senatoren sendet, da wir uns ja doch darüber nicht zu schämen brauchen, dass wir aus Lugudunum Männer unseres Standes haben? Zwar habe ich nur zaghaft, Senatoren, die euch wohl vertrauten Provinzgrenzen überschritten, aber ganz entschieden muss ich jetzt die Sache von Gallia Comata vertreten. Wenn einer dabei daran denkt, dass die Bewohner 10 Jahre lang dem zum Gott erhobenen Iulius mit Krieg zu schaffen machten, dann möge er auch ihre 100jährige unerschütterliche Treue und ihren in zahlreichen kritischen Situationen unseres Staates mehr als bewährten Gehorsam dagegenhalten. Während mein Vater Drusus Germanien unterwarf, haben sie durch ihr ruhiges Verhalten ihm in seinem Rücken völlig sicheren Frieden bewahrt, und noch dazu zu der Zeit, als er von der den Galliern damals neuen und ungewohnten Durchführung der Steuererhebung zum Krieg (nach Germanien) abberufen worden war. Wie lästig eine solche Durchführung (eines Census) uns Römern ist, lernen wir gerade jetzt, obwohl (bei uns) nichts weiter ermittelt wird, als dass unsere Vermögensverhältnisse amtlich bekannt sein sollen, durch äußerst schwere Erfahrung kennen. Im Folgenden werden die Claudius-Rede in der Bearbeitung durch Tacitus (ann, 11, 24) sowie die Vorgeschichte (11, 23) und der Bericht über die der Rede direkt folgenden Rechtsakte (11, 25, 1-2) wiedergegeben.255 23. A. Vitellio L. Vipstano consulibus cum de supplendo senatu agitaretur primoresque Galliae, quae Comata appellatur, foedera et civitatem Romanam pridem adsecuti, ius adipiscendorum in urbe honorum expeterent, multus ea super re variusque rumor. et studiis diversis apud principem certabatur, asseverantium non adeo aegram Italiam, ut senatum suppeditare urbi suae nequiret. suffecisse olim indigenas consanquineis populis, nec paenitere veteris rei publicae. quin adhuc memorari exempla, quae priscis moribus ad virtutem et gloriam Romana indoles prodiderit. an parum quod Veneti et Insubres curiam inruperint, nisi coetus alienigenarum velut captivitas inferatur? quem ultra honorem residuis nobilium, aut si quis pauper e Latio senator foret? oppleturos omnia divites illos, quorum avi proavique hostilium nationum duces exercitus nostros ferro vique ceciderint, divum Iulium apud Alesiam obsederint. recentia haec: quid si memoria eorum oreretur, qui sub Capitolio et arce Romana manibus eorundem prostrati sint? fruerentur sane vocabulo civitatis: insignia patrum, decora magistratuum ne vulgarent.

255 Zur Begründung sei auf U. Schillinger-Häfele, Claudius und Tacitus über die Aufnahme von Galliern in den Senat, in: Historia 14, 1965, 453, hingewiesen.

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24. His atque talibus haud permotus princeps et statim contra disseruit et vocato senatu ita exorsus est: >maiores mei, quorum antiquissimus Clausus origine Sabina simul in civitatem Romanam et in familias patriciorum adscitus est, hortantur uti paribus consiliis in re publica capessendam, transferendo huc quod usquam egregium fuerit. neque enim ignoro Iulios Alba, Coruncanios Camerio, Porcios Tusculo et, ne vetera scrutemur, Etruria Lucaniaque et omni Italia in senatum accitos, postremo ipsam ad Alpes promotam, ut non modo singuli viritim, sed terrae, gentes in nomen nostrum coalescerent. tunc solida domi quies; et adversus externa floruimus, cum Transpadani in civitatem recepti, cum specie deductarum per orbem terrae legionum additis provincialium validissimis fesso imperio subventum est. num paenitet Balbos ex Hispania nec minus insignes viros e Gallia Narbonensi transivisse? manent posteri eorum nec amore in hanc patriam nobis concedunt. quid aliud exitio Lacedaemoniis et Atheniensibus fuit, quamquam armis pollerent, nisi quod victos pro alienigenis arcebant? at conditor nostri Romulus tantum sapientia valuit, ut plerosque populos eodem die hostes, dein cives habuerit. advenae in nos regnaverunt; libertinorum filiis magistratus mandare non, ut plerique falluntur, repens, sed priori populo factitatum est. at cum Senonibus pugnavimus: scilicet Vulsci et Aequi numquam adversam nobis aciem instruxere. capti a Gallis sumus: sed et Tuscis obsides dedimus et Samnitium iugum subiimus. ac tamen, si cuncta bella recenseas, nullum breviore spatio quam adversus Gallos confectum: continua inde ac fida pax. iam moribus artibus adfinitatibus nostris mixti aurum et opes suas inferant potius quam separati habeant. omnia, patres conscripti, quae nunc vetustissima creduntur, nova fuere: plebei magistratus post patricios, Latini post plebeios, ceterarum Italiae gentium post Latinos. inveterascet hoc quoque, et quod hodie exemplis tuemur, inter exempla erit.< 25, 1-2. Orationem principis secuto patrum consulto primi Aedui senatorum in urbe ius adepti sunt. datum id foederi antiquo, et quia soli Gallorum fraternitatis nomen cum populo Romano usurpant. isdem diebus in numerum patriciorum ascivit Caesar vetustissimum quemque e senatu aut quibus clari parentes fuerant, paucis iam reliquis familiarum, quas Romulus maiorum et L. Brutus minorum gentium appellaverant, exhaustis etiam quas dictator Caesar lege Cassia et princeps Augustus lege Saenia sublegere; laetaque haec in rem publicam munia multo gaudio censoris inibantur. 23 Als unter dem Konsulat des A. Vitellius und L. Vipstanus über die Ergänzung des Senats verhandelt wurde und die führenden Männer der sogenannten Gallia Comata, die Bündnisverträge und das Bürgerrecht schon längst erreicht hatten, um das Recht nachsuchten, in Rom zu den Ehrenämtern zu gelangen, kam es darüber zu ausgiebigem und mannigfaltigem Gerede. Auch vor dem Kaiser stritt man entsprechend den entgegengesetzten Interessen; dabei versicherten die ei55

nen, nicht so heruntergekommen sei Italien, dass es seiner Hauptstadt nicht einen Senat zur Verfügung stellen könne. Zufrieden mit geborenen Römern seien einst die blutsverwandten Stämme gewesen, und man brauche sich der alten Republik doch nicht zu schämen. Sogar jetzt noch werde an die Vorbilder erinnert, die entsprechend der alten Sitte römisches Wesen, um Mannhaftigkeit und Ruhm bemüht, geschaffen habe. Oder sei es etwa noch zu wenig, daß sich Veneter und Insubrer in die Kurie gedrängt hätten, solange ihr nicht in Gestalt einer Ansammlung von Ausländern sozusagen die Gefangenschaft aufgebürdet werde? Welche Ehrenstelle bleibe dann noch für die Reste des Adels oder auch für einen unbegüterten Mann aus Latium, falls er es bis zum Senator bringe? Mit ihrer Masse würden sie alle Bereiche füllen, jene Geldleute, deren Großväter und Urgroßväter als Anführer feindlicher Stämme unsere Heere mit Waffengewalt niedergemacht, den göttlichen Iulius bei Alesia belagert hätten. Zur jüngsten Vergangenheit gehöre dies: was wäre erst, wenn die Erinnerung an die Männer aufstünde, die unter dem Kapitol und der Burg von Rom von den Händen der gleichen Leute hingestreckt worden seien? Erfreuen sollten sie sich immerhin an der Bezeichnung »Bürger«: die Insignien der Senatoren, die Ehrenzeichen der hohen Beamten dürften sie nicht zum Gemeingut machen! 24 Ohne sich durch diese und ähnliche Äußerungen beeindrucken zu lassen, sprach sich der Kaiser sofort dagegen aus, berief dann den Senat ein und begann folgendermaßen: »Meine Vorfahren, deren ältester, Clausus, ein geborener Sabiner, zugleich in die Bürgerschaft Roms und unter die Familien der Patrizier aufgenommen worden ist, mahnen mich, nach den gleichen Grundsätzen bei der Staatsführung zu verfahren, indem ich hierher versetze, was sich irgendwo hervorgetan hat. Denn ich weiß wohl, daß die Iulier aus Alba, die Coruncanier aus Camerium, die Porcier aus Tusculum und, um nicht die alte Zeit zu durchforschen, Sippen aus Etrurien, Lucanien und ganz Italien in den Senat berufen wurden, daß zuletzt Italien selbst bis an die Alpen vorgeschoben wurde, so dass nicht nur einzelne Männer, sondern ganze Landschaften und Stämme zur Einheit unseres Namens zusammenwuchsen. Damals herrschte unerschütterliche Ruhe im Innern; auch nach außen standen wir mächtig da, als die Transpadaner in die Bürgerschaft aufgenommen waren und als man in die scheinbar über den ganzen Erdkreis verteilten Legionen die kräftigsten Provinzialen einbezog und damit dem erschöpften Reich einen Rückhalt gab. Müssen wir es etwa bedauern, daß die Balbi aus Spanien und nicht minder ausgezeichnete Männer aus Gallia Narbonensis herübergekommen sind? Noch leben ihre Nachkommen und stehen uns in ihrer Liebe zu dieser Vaterstadt nicht nach. Was anderes wurde den Lacedaemoniern und Athenern trotz ihrer militärischen Übermacht zum Verhängnis, als daß sie Besiegte als fremdstämmig fernhielten? Da besaß doch der Gründer unseres Staates, Romulus, so viel Weisheit, daß er die Mehrzahl der Volksstämme am selben Tag als Feinde und dann als Bürger behandelte. Fremdlinge haben über uns geherrscht: den Söhnen Freigelassener Staatsämter zu übertragen ist 56

nicht, wie sehr viele irrtümlich meinen, etwas Neues, sondern war schon früher beim Volk üblich. Aber mit den Senonen haben wir doch gekämpft: freilich, und die Volsker und Äquer haben niemals eine feindliche Schlachtordnung gegen uns aufgestellt. Erobert wurde unsere Stadt von den Galliern: aber auch den Tuskern haben wir Geiseln gestellt und sind unter der Samniten Joch hindurchgezogen. Und trotzdem, wenn man alle Kriege überschaut, keiner wurde in kürzerer Zeit beendet als der gegen die Gallier: ein ununterbrochener und zuverlässiger Friede herrscht seitdem. Und da sie schon durch Sitten, Bildung und Verschwägerung mit uns vermischt sind, mögen sie ihr Gold und ihre Schätze lieber hereinbringen als für sich allein behalten. Alles, Senatoren, was man heute für uralt hält, ist einmal neu gewesen: plebejische Beamte folgten auf die patrizischen, latinische auf die plebejischen, solche aus den übrigen Stämmen Italiens auf die latinischen. Einbürgern wird sich auch die jetzige Regelung, und was wir heute durch Beispiele verteidigen, wird einst zu den Beispielen gehören.« 25 [1-2] Der Rede des Princeps folgte der Beschluss des Senats, und als erste erhielten die Äduer das Recht der Aufnahme in den Senat von Rom. Man würdigte damit das alte Bündnis und die Tatsache, dass sie als einzige von den Galliern den Titel »Brüder des römischen Volkes« führen. In denselben Tagen nahm der Kaiser jeweils die ältesten Senatoren oder auch die Nachkommen berühmter Eltern in die Reihe der Patrizier auf. Nur noch wenige waren übrig von den Familien, die Romulus als den älteren und L. Brutus als den jüngeren Geschlechtern zugehörig bezeichnet hatten, und auch diejenigen hatten sich erschöpft, die der Diktator Caesar durch die lex Cassia und der Princeps Augustus durch die lex Saenia zum Ersatz aufnahmen; und diese für das Gemeinwesen erfreulichen Maßnahmen wurden zur großen Freude des Zensors eingeleitet.

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IV. Untersuchung zu übergreifenden Aspekten IV. 1. Das römische Bürgerrecht und rechtliche Aspekte des kaiserlichen Antrags Grundlegende Voraussetzung für die Bitte der gallischen Adligen um den Zugang zum Senat, wie sie Tacitus im Zusammenhang mit der Censur des Prinzeps Claudius 47/48 n. Chr. erwähnt (ann. 11, 23, 1: „ius adipiscendorum in urbe honorum expeterent“256) war, dass die Antragsteller das römische Bürgerrecht, die civitas, besaßen.257 Die von dem Historiker als primores der tres Galliae bezeichneten Adligen waren gallische Stammesfürsten und zugleich cives Romani und gehörten aufgrund ihrer Herkunft, ihrer gesellschaftlichen Position und ihres Vermögens dem Ritterstand an. Ihre Stellung verschaffte ihnen innerhalb wie auch außerhalb ihres Stammes oder ihrer Provinz ein hohes Sozialprestige. Sie waren in vierter oder fünfter Generation die Nachfahren jener gallischen Führungseliten, die nach der Eroberung ihres Landes durch Caesar als Belohnung und Anerkennung für die von ihnen geleisteten Dienste (merita) von Caesar bzw. den römischen Feldherrn und Statthaltern persönlich durch die Verleihung des Bürgerrechts ausgezeichnet worden waren.258 Diese Privilegierung war gleichzeitig als Anreiz für ein künftiges loyales Verhalten gegenüber der römischen Besatzungsmacht bzw. ihren Vertretern und für die weitere Unterstützung römischer Interessen gedacht.259 Dass sich die Vergabe des Bürgerrechts in der Form von Einzelverleihungen an Angehörige des gallischen Adels nicht auf wenige Einzelfälle beschränkte, zeigt das Vorkommen des Gentilnamens ‚Iulius’260. Mit der Verleihung des römischen Bürgerrechts hatte der Status der damit ausge256 Zum ius honorum: Weiss, E., ‚Ius honorum’, in: RE X,1, 1917, 1231-1238. Simon, D. V., ‚Ius 4.’, in: KlP 3, 1979, 13f. Sherwin-White, A. N., The Roman Citizenship, Oxford 21973, 234-236. Talbert, The Senate of Imperial Rome, 16-26. 257 Grundlegende Informationen zur civitas bzw. dem römischen Bürgerrecht: Mommsen,Th., Römisches Staatsrecht I, Berlin 31888, unveränderter photomechanischer ND der 3. Auflage Darmstadt 2017, 483f. Kornemann, E., ‚Civitas II.’, in: RE Suppl. I-II, 304-317. Galsterer, H., ,Civitas B.,’ in: DNP 2, 1997, 1224-1226. Eder, W., ,Bürgerrecht’, in: DNP 2, 1997, 821. Sherwin-White, A. N., The Roman Citizenship, Oxford 21973. Vittinghoff, F., Römische Kolonisation und Bürgerrechtspolitik unter Caesar und Augustus, Abh. Mainz Jg. 1951, Nr. 14, Wiesbaden 1952. Gardner, J. F., Being a Roman Citizen, London - New York 1993. Dench, E., Romulus’ Asylum. Roman Identities from the Age of Alexander to the Age of Hadrian, Oxford 2005, bes. 93-143. 258 Sherwin-White, Citizenship, 225. 259 Zu Caesars Bürgerrechtspolitik und Kolonisation in Gallien: Vittinghoff, Kolonisation und Bürgerrechtspolitik, 49-51 und 63-70. - Galsterer, H., Gaius Iulius Caesar – der Aristokrat als Alleinherrscher, in: K.-J. Hölkeskamp und E. Stein-Hölkeskamp (Hg.), Von Romulus zu Augustus. Große Gestalten der römischen Republik, München 2000, 22010, 307-327, hier 323. 260 Zu den gallischen ‚Iulii’: Drinkwater, J. F., The Rise and Fall of the Gallic Iulii: Aspects of the Development of the Aristocracy of the Three Gauls under the Early Empire, in: Latomus 37, 1978, 817-850.

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zeichneten Gallier eine nicht unerhebliche Aufwertung erfahren: die Zuerkennung der civitas hatte aus den besiegten Galli comati und ihren Nachkommen Galli togati, römische Bürger, gemacht. Das römische Bürgerrecht hob seinen Inhaber aus der Masse der Reichsbewohner insofern heraus, als es ihn als cives von einem peregrinus unterschied und ihm ein höheres gesellschaftliches Ansehen verschaffte.261 Bedeutsamer waren jedoch die Veränderungen seiner rechtlichen Stellung, die sich aus dem Besitz der civitas ergaben.262 Die privatrechtliche Besserstellung eines cives Romanus zeigte sich nicht nur in der Befreiung von lokalen Steuern (immunitas)263 und in vorteilhafteren Regeln im Geschäftsleben (ius comercii)264, sondern auch im Eherecht (ius conubii)265 sowie in der Aufrechterhaltung seines Rechtsstatus bei einer Auswanderung oder einem Umzug in eine Stadt mit minderem Bürgerrecht (ius migrationis). Im Strafrecht brachte das Bürgerrecht den Anspruch auf ein ordentliches Gerichtsverfahren und schützte vor Folter und entehrender Bestrafung wie z. B. der Kreuzigung oder überhaupt vor der Todesstrafe (ausgenommen in Fällen des Hochverrats). Das ius provocationis266 (das auch Fremden verliehen werden konnte) erlaubte dem Bürger zudem, gegen die Verhängung der Todesstrafe durch die Magistrate das Volk anzurufen und eine Verhandlung vor dem Volk herbeizuführen.267 In der Kaiserzeit stand dem cives bei einem Gerichtsverfahren das Recht auf Berufung (appellatio) an den Kaiser zu.268

261 Generell zum Verhältnis von Römern und Nicht-Römern: Balsdon, J. P. V. D., Roman and Aliens, London 1979. 262 Vgl. Mousourakis, G., The Historical and Institutional Context of Roman Law, Aldershot, Hampsh. - Burlington VT 2003, 22f. 263 Ziegler, K., ‚Immunitas’, in: RE IX,1, 1914, 1134-1136. Gizewski, Ch., ‚Immunitas’, in: DNP 5, 1998, 951f. 264 Leonhard, R., ‚Commercium’, in: RE IV,1, 1900, 768f. Apathy, P., ‚Commercium’, in: DNP 3, 1997, 101f. 265 Leonhard, R., ‚Conubium’, in: RE IV,1, 1900, 1170-1172. Schiemann, G., ‚Conubium’, in: DNP 3, 1997, 158f. Roselaar, S. T., The Concept of Conubium in the Roman Republic, in: P. J. du Plessis (Hg.), New Frontiers. Law and Society in the Roman World, Edinburgh 2013, 102-122. 266 Bleicken, J., ‚Provocatio’, in: RE XXIII,2, 1959, 2444-2463. De Libero, L., ‚Provocatio’, in: DNP 10, 2001, 475f. - Bleicken, J., Ursprung und Bedeutung der Provocation, in: ZRG 76, 1959, 324-377 (wieder abgedruckt in: Ders., Gesammelte Schriften I, 1998, 345-398). 267 Martin, J., Die Provokation in der klassischen und späten Republik, in: Hermes 98, 1970, 72-96. 268 Hartmann, L. M., ‚Appellatio 2’, in: RE II,1, 1895, 208-210. Paulus, Ch., ‚Appellatio’, in: DNP 1, 1996, 900f. Bellen, A., Zur Appellation vom Senat an den Kaiser, in: ZRG 79, 1962, 143-168.

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Dass der Besitz des Bürgerrechts auch in der Zeit des Prinzipats noch eine bedeutende Rolle im römischen Alltagsleben spielte,269 belegen neben der Rede des Kaisers selbst auch literarische Zeugnisse aus seiner Regierungszeit. So kritisiert z. B. Cassius Dio die Vergabe des Bürgerrechts durch den Kaiser als einen „Verkauf des Bürgerrechts gegen Geld“ (‚Bestechung’)270 oder auch als „willkürliches Verschenken der civitas“ (Cass. Dio, 60, 17, 5f.).271 Zuvor hatte er berichtet, dass Claudius einem Lykier das Bürgerrecht entzogen habe, weil dieser kein Latein sprach (60, 17, 4f.); ein ähnliches Beispiel führt Sueton (Claud. 16, 2) an: „Splendidum virum Graeciaeque provinciae principem, verum Latini sermonis ignarum, non modo albo iudicum erasit, sed in peregrinitatem redegit.“ Beide Vorfälle machen deutlich, welchen Wert der Kaiser darauf legte, dass die Inhaber des römischen Bürgerrechts einen gewissen Grad an Romanisierung zeigten, der in den genannten Fällen in der Kenntnis bzw. dem Gebrauch der lateinischen Sprache seinen Ausdruck finden musste. Nimmt man Claudius’ Vorgehen als Maßstab bei der Vergabe des Bürgerrechts, kann ihm wohl kaum eine extrem freigiebige Verleihung der civitas vorgehalten werden.272 Ebenso lässt der Dialog zwischen dem Apostel Paulus und dem römischen Tribun Claudius Lysias273, wie er in der Apostelgeschichte 22, 27-29 überliefert ist, die Bedeutung der civitas und insbesondere ihres Erwerbs – durch Geburt oder durch Kauf – für den Alltag erkennen.274 Es muss allerdings in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass in der theologischen wie auch in der althistorischen Forschung stark umstritten ist, ob Paulus überhaupt das römische

269 Ferenczy, E., Rechtshistorische Bemerkungen zur Ausdehnung des römischen Bürgerrechts und zum ius Italicum unter dem Prinzipat, in: ANRW II. 14, 1982, 1017-1058, hier 1051f. 270 Dazu Holtheide, B., Römische Bürgerrechtspolitik und römische Neubürger in der Provinz Asia, Freiburg (Breisgau) 1983, 55f. 271 Vgl. auch: Salomies, O., Römische Amtsträger und römisches Bürgerrecht in der Kaiserzeit. Die Aussagekraft der Onomastik (unter besonderer Berücksichtigung der kleinasiatischen Provinzen), in: W. Eck (Hg.), Prosopographie und Sozialgeschichte. Studien zur Methodik und Erkenntnismöglichkeit der kaiserzeitlichen Prosopographie, Kolloquium Köln 24. – 26. November 1991, Köln - Wien - Weimar 1993, 119-145. 272 Dazu: Levick, B. M., Claudius, London 1990, 165: „The numbers of Claudii exhibited in the indexes of epigraphic collections are modest in comparison with Iulii and even Flavii, which should indicate that Claudius was less generous than he has been supposed to be, and less generous than the Flavian dynasty. Complains may have arisen simply because of the contrast with Tiberius’ extreme caution over enfranchisement.” - Zur Vergabe des Bürgerrechts im Osten des Reiches exemplarisch: Holtheide, Römische Bürgerrechtspolitik und römische Neubürgerin der Provinz Asia, zu Claudius 55-72. 273 Der Name ‚Claudius’ lässt darauf schließen, dass der Tribun das römische Bürgerrecht (erst) unter Claudius erworben hat. Dazu: Sherwin-White, A. N., Roman Society and Roman Law in the New Testament, Oxford 1963, 154-156. 274 Sherwin-White, Roman Society, 144-153.

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Bürgerrecht besessen hat;275 der Bericht in der Apostelgeschichte kann trotzdem als historisches Beispiel grundsätzlich die besondere Bedeutung der civitas noch in der frühen Kaiserzeit aufzeigen. Auch ein epigraphisches Zeugnis aus Claudius’ Zeit zu dieser Thematik soll nicht übergangen werden. Dabei handelt es sich um die Inschrift auf der tabula Clesiana,276 die ein Edikt des Kaisers aus dem Jahre 46 wiedergibt. Auf dieser Bronzetafel wurden die Entscheidungen des Prinzeps in zwei Streitfällen zwischen alpinen Stämmen im nördlichen Italien veröffentlicht. Der hier interessierende zweite Teil der Inschrift befasst sich mit dem Bürgerrecht von Angehörigen der Stämme der Anauni, der Tulliasses und der Sinduni, die im nördlichen Umland des municipium tridentinum (Trient) lebten und ‚adtributi’ dieser Stadt waren.277 Dem Text ist zu entnehmen, dass die Stammesmitglieder in sehr engen familiären, sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den Bewohnern des municipium standen, die das römische Bürgerrecht besaßen. Die Angehörigen der Stämme betrachteten sich ebenfalls als cives Romani, obwohl ihnen die civitas niemals verliehen worden war.278 Wegen der verworrenen rechtlichen Situation hinsichtlich des Bürgerrechts dieser Stämme, deren Angehörige schon Aufgaben bzw. Funktionen übernommen hatten, die normalerweise nur von einem römischer Vollbürger wahrgenommen werden konnten, wie etwa den Dienst in der Prätorianergarde, richterliche Funktionen in den Dekurien Roms oder die Über275 Zu den unterschiedlichen Positionen in dieser Frage: Stegemann, W., War der Apostel Paulus ein römischer Bürger? in: ZNTW 78, 1987, 200-229, der zum Ergebnis kommt, dass Paulus kein römischer Bürger gewesen ist. Die gegenteilige Auffassung vertritt M. Hengel in seinem Beitrag ‚Der vorchristliche Paulus’ in: M. Hengel und U. Heckel (Hg.), Paulus und das antike Judentum, Tübingen-Durham-Symposium im Gedenken an den 50. Todestag Adolf Schlatters († 19. Mai 1938), Tübingen 1991, 177-293, hier 188-208. Einen aktuellen Diskussionsstand bietet: K. L. Noethlichs, Der Jude Paulus – ein Tarser und Römer? in: R. von Haehling (Hg.), Rom und das himmlische Jerusalem. Die frühen Christen zwischen Anpassung und Ablehnung, Darmstadt 2000, 53-84. Noch nicht berücksichtigt ist darin die umfangreiche Untersuchung von H. Omerzu, Der Prozeß des Paulus. Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung der Apostelgeschichte (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche 115), Berlin - New York 2002, in der die Verfasserin den Besitz der civitas Romana für Paulus als sicher nachgewiesen hält (hier vor allem 19-52). 276 CIL V 5050 = ILS 206. Die Bronzetafel wurde 1869 bei der Ortschaft Cles im Nonstal (Provinz Trentino) gefunden. Dazu: Mommsen, Th., Edikt des Kaisers Claudius über das römische Bürgerrecht der Anauner vom J. 46 n. Chr., in: Hermes 4, 1870, 99-120. Hardy, E. G., Roman Laws and Charters, Oxford 1911/12, ND Aalen 1977, 126-132. Schillinger-Häfele, U., Das Edikt des Claudius CIL V 5050 (Edictum de civitate Anaunorum), in: Hermes 95, 1967, 353-365. Frézouls, E., À propos de la tabula Clesiana, in: Ktèma 6, 1981, 239-252. Levick, Claudius, 165. Osgood, Claudius Caesar, 163. 277 Kornemann, E., ,Attributio’, in: RE Suppl. VII, 1940, 65-71. Laffi, U., Adtributio e Contributio. Problemi del sistema politicoamministrativo dello Stato Romano, Pisa 1966. 278 Levick, B. M., Antiquarian or Revolutionary? Claudius Caesar’s Conception of his Principate, in: AJPh 99, 1978, 79-105, hier 91-93.

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nahme von Kommandostellen, entschied der Kaiser, zur Wahrung der Rechtssicherheit nachträglich ihr Tun und Handeln zu legitimieren, indem er ihnen das Bürgerrecht jetzt ganz offiziell verlieh.279 Mit dieser Entscheidung wich Claudius von der sonst geübten Praxis ab, eine Usurpation des Bürgerrechts mit strengen Strafen zu verfolgen, wie Sueton und Cassius Dio überliefern.280 Über den Einzelfall hinausgehend müssen wohl die Feststellungen und Aussagen gewesen sein, die der Kaiser selbst zum Stichwort ‚civitas’ (I 40) in seiner Rede für die Aufnahme von Galliern in den Senat im Jahre 48 vorgetragen hat. Der Wortlaut seiner Ausführungen ist nicht erhalten; folgt man Perls Argumentation, so haben auf dem verlorenen Teil der rechten Tafelhälfte Hinweise des Prinzeps auf eine Ausweitung der civitas im Verlaufe der römischen Geschichte auf ganz Italien (und über dessen Grenzen hinaus) gestanden,281 wie sie sich in der taciteischen Version der Rede (ann. 11, 24, 2f.) finden. Claudius’ Ausführungen zu diesem Punkt müssen umso bedeutsamer gewesen sein, als die Ausbreitung des Bürgerrechts für ihn die Voraussetzung und Grundlage für eine Ausweitung des Rekrutierungspotenzials für Senatoren bildete. Beide Maßnahmen stellten für ihn parallel verlaufende Handlungsstränge auf dem Weg zu einem Imperium dar, das alle Bewohner integrierte. Bezieht man in diese Überlegungen die der Rede vorhergehende Diskussion des Antrags der Gallier im kaiserlichen consilium (11, 23, 3), wie sie Tacitus überliefert, mit ein,282 wird deutlich, dass in Claudius’ Aussagen zur civitas in der Senatsrede die positiven Auswirkungen einer Ausweitung des Bürgerrechts ihren Platz gefunden haben müssen, wohingegen Tacitus im kaiserlichen Beratergremium zunächst die (negativen) Befürchtungen der Antragsgegner zu Worte kommen lässt.283 Nicht zuletzt lässt in diesem Zusammenhang auch ein Blick in Senecas ‚Apokolokyntosis’ die Bedeutung des Bürgerrechts in der römischen Gesellschaft des 1. Jh. erkennen. Nachdem Seneca am Beschluss des Senats über die Konsekration

279 „quod benificium i(i)s ita tribuo ut quaecumque tamquam | cives Romani gesserunt egeruntque aut inter se aut cum | Tridentinis alisve ratam esse iubeat nominaque ea | quae habuerunt antea tanquam cives Romani ita habere i(i)s permittam” (CIL V 5050). 280 Suet. Claud. 25, 3: „peregrinae condicionis homines vetuit usurpare Romana nomina dum taxat gentilicia. civitatem R. usurpantes in campo Esquilino securi percussit.“ Cass. Dio 60, 17, 4f. 281 Perl, Die Rede des Kaisers, 127. 282 Liebenam, W., ‚Consilium’, in: RE IV,1, 1900, 915-922. Voß, W. E., ‚Consilium’, in: DNP 3, 1997, 132. Crook, J. A., Consilium principis. Imperial councils and counsellors from Augustus to Diocletian, Cambridge 1955, ND New York 1975. Dorey, T. A., Claudius und seine Ratgeber, in: Das Altertum 12, Heft 3, 1966, 144-155. Amarelli, F., Consilia principum, Neapel 1983. 283 Die Diskussion im Rat des Kaisers lässt sich auch als ‚Vorlage’ für Claudius’ Ausführungen verstehen, mit denen die Einwände der Gegner widerlegt werden.

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des Verstorbenen284 entscheidend mitgewirkt und selbst die Trauerrede für das Staatsbegräbnis verfasst hatte,285 schrieb er kurz danach eine Satire über den toten Kaiser, die als Gegenstück zu den staatspolitisch bedingten ‚offiziellen’ Ehrungen gedacht war.286 Bereits der Titel nimmt Bezug auf die zuvor erfolgte Vergöttlichung – ‚Apotheose’ – des verstorbenen Prinzeps und konterkariert damit die konventionelle Verherrlichung des Toten.287 Schon in einer der ersten Szenen diese Stückes erhebt der Autor gegenüber dem Verstorbenen den Vorwurf, er habe alle Bewohner des Reiches zu römischen Bürgern machen wollen (apocol. 3, 3): „constituerat enim omnes Graecos, Gallos, Hispanos Britannos togatos videre“.288 Mit seiner maßlosen Übertreibung gibt er zu erkennen, dass die Bürgerrechtspolitik, wie sie Claudius betrieben hatte, insbesondere die Vergabe der civitas an Bewohner in den Provinzen, die nur wenig (Gallos)289 oder überhaupt nicht romanisiert waren (Britannos), wohl von nicht wenigen Angehörigen der römischen Aristokratie mit Misstrauen beobachtet wurde: durch die ‚Massenverleihung’, wie sie dem Kaiser unterstellt wurde, drohten Wert und Ansehen der civitas zu sinken290 und auf Dauer die Gefahr einer Nivellierung von cives und peregrini heraufzubeschwören. Die sich hinter Senecas Vorwurf verbergenden Vorbehalte (und Vorurteile) sind schon zu Claudius’ Lebzeiten zutage getreten, wenn man Tacitus’ Darstellung der Diskussion im kaiserlichen Beratergremium zum Antrag der Gallier liest (ann. 11, 23, 2-4). Zwar geht es dort nicht direkt um die civitas, sondern um das ius honorum für die Gallier. In der Argumentation 284 Nach Caesar und Augustus war erst wieder Claudius durch eine consecratio geehrt worden. Die Konsekration wurde von Nero wieder aufgehoben, später von Vespasian aber wiederhergestellt (Suet. Claud. 45: „quem honorem a Nerone destitutum abolitumque recepit mox per Vespasianum.“) - Zur Thematik ‚Der Kaiser als Gott’ ausführlich: Clauss, M., Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich, München - Leipzig 1999, ND 2001. 285 Tac. ann. 13, 3: „quamquam oratio a Seneca composita multum cultus praeferret“. 286 Zum Hintergrund von Senecas Schmähschrift: Kraft, K., Der politische Hintergrund von Senecas Apocolocyntosis, in: Historia 15, 1966, 96-122. 287 Dass Seneca selbst seinem Werk den Titel ‚Apokolokyntosis’ gegeben und auch den erwähnten Bezug hergestellt hat, überliefert Cassius Dio zum Jahr 54 n. Chr.: „συνέθηκε μὲν γὰρ καὶ ὁ Σενέκας σύγγραμα, ἀποκολοκύντωσιν αὐτὸ ὢσπερ τινὰ ἀθανάτισιν ὀνομάσας.“ (Cass. Dio, 60, 35, 3). 288 Mit dem Sammelbegriff ‚Graecos’ sind die Bewohner im Osten des Imperiums gemeint, während ‚Gallos, Hispanos, Britannos’ die Bewohner der westlichen Gebiete bezeichnen. „togatos, dessen Gegensatz im Kontext peregrinos ist, steht für cives Romani und betont zugleich die Zugehörigkeit zur römischen Zivilisation (pax Romana). Claudius behandelte im Hinblick auf das römische Bürgerrecht die zivilisierten Griechen nicht anders als die unzivilisierten Gallier, Spanier und Britannier.“ (L. Annaeus Seneca, Apocolocyntosis Divi Claudii. Hg., übersetzt und kommentiert von A. A. Lund, Heidelberg 1994, 70f.). 289 Zu den Bürgerrechtsverleihungen an Gallier: Burnand, Y., Le gentilice Claudius en Narbonnaise et dans les Trois Gaules, in: Y. Burnand - Y. Le Bohec - J.-P. Martin (Hg.), Claude de Lyon. Empereur romain. Actes du Colloque Paris-Nancy-Lyon Novembre 1992, Paris 1998, 105-127. 290 Ferenczy, Rechtshistorische Bemerkungen zur Ausdehnung des römischen Bürgerrechts, 1051.

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der Antragsgegner zeigt sich jedoch sehr schnell, dass für sie bereits die Zuerkennung des Bürgerrechts an die Gallier im Grunde ein zu weitgehendes Zugeständnis gewesen war, das man bedauerlicherweise hundert Jahre später nicht mehr rückgängig machen konnte. Dieser ‚Fehler’ konnte und durfte nach Ansicht der Gegner aber jetzt nicht auch noch durch die Zulassung zum Senat ‚belohnt’ werden. Die Äußerungen der Kritiker lassen erkennen, dass für sie das Bürgerrecht der Dreh- und Angelpunkt ist: nur wenn dessen Vergabe konsequent beschränkt wird, können in der Folge die Auswirkungen – hier: die Aufnahme von Provinzialen in den Senat – zumindest in Grenzen gehalten, wenn auch nicht mehr völlig verhindert werden. Wenn im 1. Jh. v. Chr. die stadtrömische Aristokratie infolge der Hereinnahme römischer Bürger aus den coloniae et municipia Italiens (nach der Zuerkennung des vollen römischen Bürgerrechts) einen Machtverlust hatte hinnehmen müssen, so galt es nun, zum richtigen Zeitpunkt Widerstand gegen eine drohende Entmachtung der bestehenden römischitalischen Führungsschicht im Senat zu leisten und die Ausweitung des Bewerberpotenzials für die Magistrate durch die Hereinnahme weiterer Provinzialer zu verhindern.291 Wenn Seneca in seiner Satire diese Entwicklung nicht expressis verbis aufzeigt und beim Namen nennt, so ist seine Zurückhaltung an dieser Stelle nicht zuletzt aus seiner persönlichen Herkunft erklären: er stammte aus der colonia Corduba292 in Spanien und war als homo novus zu Ämtern und in den Senat gekommen.293 Mit einer Invektive gegen seine Senatskollegen, vor allem gegen diejenigen, die wie er aus einer Provinz stammten, hätte er wenig überzeugend und glaubwürdig gewirkt. Über seine privatrechtlichen Vorteile hinaus brachte das römische Bürgerrecht seinem Inhaber auch staatsrechtliche bzw. politische Vorrechte, deren Bedeutung nicht zu unterschätzen war, auch wenn nur ein geringer Teil der Bürger sie in der Prinzipatszeit noch wirklich in Anspruch nehmen bzw. ausüben konnte. Denn nur der cives Romanus besaß – in moderner Terminologie ausgedrückt – das aktive und passive Wahlrecht (suffragium294) für die stadtrömischen Magistrate. Da der römische Staat auch in der Zeit, als aus der Stadt Rom bereits ein Imperium geworden war, an den Formen und Traditionen politischer Willensbildung des 291 Tac. ann. 11, 23, 4: „fruerentur sane vocabulo civitatis: insignia patrum, decora magistratuum ne vulgarent.“ 292 Galsterer, H., Untersuchungen zum römischen Städtewesen auf der iberischen Halbinsel (Madrider Forschungen 8), Berlin 1971, 9f. 293 Seneca war unter Tiberius Quästor geworden. Für das Jahr 39 wird er bei Cass. Dio 59, 19, 7f. als Senator erwähnt (zu Senecas cursus honorum auch: De Laet, De samenstelling van den romeinschen senaat, Nr. 868; Schneider, Zusammensetzung des römischen Senates von Tiberius bis Nero, Nr. 402). 294 Rosenberg, A., ‚Ius suffragii’, in: RE X,2, 1919, 1302-1306. Kübler, P., ‚Suffragium’ in: RE IV A1, 1931, 654-658. Heider, U., ‚Suffragium’, in: DNP 11, 2001, 1090. De Ste. Croix, G. E. M., Suffragium: from Vote to Patronage, in: British Journal of Sociology 5, 1954, 3348.

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ursprünglichen Stadtstaates festhielt,295 war die Ausübung des Wahlrechts an die Anwesenheit des Wählers in der Stadt und an das persönliche Erscheinen des Bürgers in der zur Abstimmung einberufenen Volksversammlung, den comitia,296 gebunden. Allerdings hatte die Bedeutung der Wahlen für die Besetzung der politischen Ämter in der Zeit der ausgehenden Republik297 und unter dem ersten Prinzeps schon erhebliche Einbußen erlitten. So hatte z. B. Augustus durch Eingriffe in das Wahlsystem bzw. in das Wahlverfahren, wie durch die Schaffung eines eigenen Gremiums, dem die Aufstellung der Listen für die Wahl der Magistrate übertragen wurde,298 durch die Vorlage von Einkandidatenlisten sowie durch die Benennung von candidati Caesaris299 entscheidenden Einfluss auf die Abstimmungen in den comitia gewonnen.300 Sein Nachfolger Tiberius, dem viel an einem guten Verhältnis zum Senat gelegen war, verlagerte gleich zu Beginn seiner Regierung die eigentliche Wahlentscheidung von den comitia auf den Senat, wie Tacitus, ann. 1, 15, 1, überliefert: „Tum primum e campo comitia ad patres translata sunt“.301 Zwar verblieben weiterhin die Wahlen de iure in der Volksversammlung; durch die nunmehr vorher im Senat erfolgte Festlegung der Kandidaten hatte dieser jedoch de facto die Entscheidung präjudiziert. Die Wahlen waren zu einer Formalie geworden, da nur diejenigen Kandidaten gewählt werden konnten, die in den Listen des Wahlleiters verzeichnet waren. Die Benennung weiterer oder anderer Bewerber war nicht gestattet. Zwar berichtet Sue295 Dazu bemerkt H. Galsterer in seinem Beitrag ‚Gaius Iulius Caesar’, 322: „Eines der Probleme der Republik war gewesen, daß sie mit den Methoden und dem Personal eines zentralistisch geführten Stadtstaates ein Weltreich regieren mußte. Römische Bürger, die Träger des Staates, gab es praktisch nur in Italien; Beamte und Volksversammlung tagten in Rom, (…). Eine – in der Antike allerdings kaum je praktizierte – Lösung wäre eine Föderalisierung gewesen; eine andere war die Vergrößerung des Regierungsapparates und der Bürgerschaft, wie sie dann in der Kaiserzeit praktiziert wurden.“ 296 Liebenam, W., ‚Comitia’, in: RE IV,1, 1900, 679-715. Gizewski, Ch., ‚Comitia’, in: DNP 3, 1997, 94-97. Flaig, E., War die römische Volksversammlung ein Entscheidungsorgan? Institution und soziale Praxis, in: R. Blänkner - B. Jussen (Hg.), Institution und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 138), Göttingen 1998, 49-73. Grundlegend zu den Wahlen in der Kaiserzeit: Frei-Stolba, R., Untersuchungen zu den Wahlen in der römischen Kaiserzeit, Zürich 1967. Staveley, E. S., Greek and Roman Voting and Elections, London - Southampton 1972. Zum Wahlverfahren in republikanischer Zeit auch: Hall, U., Voting Procedure in Roman Assemblies, in: Historia 13, 1964, 267-306. 297 Frei-Stolba, Wahlen, 37-86. 298 Staveley, Greek and Roman Voting, 218-221. 299 Mommsen, Staatsrecht II, 867-869. Frei-Stolba, Wahlen, 126-129. 300 Frei-Stolba, Wahlen, 87-129. 301 Zu den Wahlverfahren unter Tiberius:Frei-Stolba, Wahlen, 130-160, bes. 135. Auch: Lacey, W. K., Nominatio and the Elections under Tiberius, in: Historia 12, 1963, 167-176. Levick, Tiberius, 95-97. Shotter, D. C. A., Elections under Tiberius, in: CQ 16, 1966, 321332.

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ton davon302 (ähnlich auch Cassius Dio303), dass Caligula versucht habe, die Wahlen im eigentlichen Sinn wieder von den comitia vornehmen zu lassen; dieser Versuch sei aber am Widerstand des Senats gescheitert.304 Danach hatte Caligula wieder auf die von Tiberius geübte Vorgehensweise zurückgegriffen,305 die auch unter Claudius’ Regierung beibehalten wurde.306 Ebenso wie das aktive war auch das passive Wahlrecht, die Wahl in ein Amt der römischen Magistratur durch die Volksversammlung, an die Präsenz des Bewerbers in Rom selbst gebunden.307 Die Chancen für eine erfolgreiche Bewerbung um ein Amt308 und damit um den Zugang zum cursus honorum309 waren vor allem dadurch stark begrenzt, dass im Normalfall für eine Kandidatur die Zugehörigkeit zur politischen Führungsschicht Roms, der Nobilität, erforderlich war. Mochte die Frage, ob er an den Wahlen in Rom teilnahm, für den einfachen Bürger außerhalb Roms in der Regel weitgehend ohne große Bedeutung sein, so stellte sich für Angehörige der provinzialen Oberschicht auf Dauer die Frage, wie für sie ein Aufstieg in die römische Führungsschicht und in den Senat selbst ermöglicht werden konnte. Sie besaßen häufig seit Generationen die civitas, wie die Gallier im vorliegenden Fall. Der Zugang zur römischen Elite, dem ordo senatorius310 und vor allem eine Mitgliedschaft im Senat, blieb ihnen bislang jedoch verwehrt. In der Zeit der Republik war es im Laufe der Jahrhunderte einer kleinen Gruppe von Männern gelungen, die höchsten Ämter in der urbs zu erreichen, obwohl sie aufgrund ihrer Herkunft und Nicht-Zugehörigkeit zur Führungsschicht erhebliche Hindernisse bei ihrem Aufstieg zu überwinden hatten. Zu den wohl bekanntesten Aufsteigern dieser Zeit, den homines novi,311 zählten M. Porcius Cato (Konsul 195), C. Marius (Konsul 107, 104-100, 86) und M. TulSuet. Cal. 16, 2: „temptavit et comitiorum more revocato suffragia populo reddere“. Cass. Dio 59, 20, 3f. 304 Cass. Dio 59, 20, 5. - Frei-Stolba, Wahlen, 161f. 305 Frei-Stolba, Wahlen, 162f. 306 Frei-Stolba, Wahlen, 163-167. 307 So war z. B. Caesars Bewerbung ‚in absentia’ um den Konsulat für 48 v. Chr. nur ausnahmsweise aufgrund eines Volksbeschlusses (‚plebiscitum de petitione Caesaris’) möglich (Cass. Dio 40, 51, 2 und 56, 2f.). Dazu: Girardet, K. M., Caesars Konsulatsplan für das Jahr 49: Gründe und Scheitern, in: Chiron 30, 2000, 679-710 (wieder abgedruckt in: Ders., Rom auf dem Weg vomn der Republik zum Prinzipat (Antiquitas Reihe 1, 53), Bonn 2007, 121158). Ausführlich: Girardet, K. M., Januar 49 v. Chr.: Caesars Militärputsch. Vorgeschichte, Rechtslage, politische Aspekte (Antiquitas Reihe 1, Bd. 69), Bonn 2017. 308 Zu den generellen Voraussetzungen für den Zugang zu einem Amt: Kunkel, Staatsordnung II, 52-103. 309 Zum cursus honorum vor allem im 1. Jh. v. Chr.: Wiseman, T. P., New Men in the Roman Senate 139 B.C.- A.D. 14, Oxford 1971, 153-169. In der Kaiserzeit: Talbert, Senate, 16-27. 310 Chastagnol, A., La naissance de l’ordo senatorius, in: MEFRA 85, 1973, 583-607. 311 Dazu grundlegend: Wiseman, T.P., New Men in the Roman Senate 139 B.C.‒A.D.14, Oxford 1971. - Schur, W., Homo novus. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der sinkenden Republik, in: BJ 134, 1929, 54-66. 302 303

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lius Cicero (Konsul 63), die durch die Wahl in der Volksversammlung das Spitzenamt der Republik, den Konsulat312, erreicht hatten und aufgrund der von ihnen bekleideten Ämter in den exklusiven Kreis der Senatsaristokratie gelangt waren.313 Stammten die Genannten zunächst aus den Landstädten im Gebiet des ager Romanus314 und gehörten den lokalen Führungsschichten (equites) an, so wurden in der Zeit der ausgehenden Republik mit den Cornelii Balbi315 aus der civitas foederata Gades in der spanischen Baetica316 erstmals einheimische römische Provinziale in den Senat berufen. Der ältere der beiden317 erhielt 40 v. Chr. das Amt eines consul suffectus;318 er war (nach Plin. nat. 7, 136) auch der einzige, der als peregrinus geboren wurde und das höchste römische Amt bekleidete.319 Weitere römische Provinzbewohner waren zur Zeit Caesars320 und während des 312 Kübler, B., ‚Consul’, in: RE IV,1, 1900, 1112-1138, und ‚Consularis 1.’ 1138-1142. Gizewski, C., ‚Consul(es)’, in: DNP 3, 1997, 149f., und ‚Consularis’, 150f. Kunkel, Staatsorganisation II, 293-390 passim). 313 Zum Aufstieg in die römische Elite: Wiseman, New Men, 13-94. 314 Kubitscheck, J. W., ‚Ager.’, in: RE I,1, 1893, 780-793. Alföldi, A., Ager Romanus Antiquus, in: Hermes 90, 1962, 187-213. 315 Zum Bürgerrecht der Balbi s. Ciceros Rede ‚Pro L. Balbo’. Zu L. Cornelius Balbus: Münzer, F., ˌCornelius 69) L. Cornelius Balbus’, in: RE 4,1, 1900, 1260-1268. Elvers, K.-L., ‚Cornelius [I 6] C. Balbus, L., in: DNP 3, 1997, 169. Zu L. Cornelius Balbus d. J.: Groag, E., ‚Cornelius 70. L. Cornelius Balbus der Jüngere’, in: RE IV,1, 1268-1271. Elvers, K.-L., ‚Cornelius [I 7] C. Balbus L. (d. J.).’ in: DNP 3, 1997, 169. Broughton, T. R. S., The Magistrates of the Roman Republic, Bd. 3, Supplement (Philological Monographs 15), Atlanta GA 1986, 381. Syme, R., The Provincial at Rome and Rome and the Balkans 80BC – AD14, hg. von A. Birley, Exeter 1999, 22f. Schäfer, N., Die Einbeziehung der Provinzialen in den Reichsdienst in augusteischer Zeit (HABES 33), Stuttgart 2000, 8789. 316 Hübner, E., ‚Gades’, in: RE VII,1, 1910, 439-461. Barceló, P. - Niemeyer, H. G.,Gades’, in: DNP 4, 1998, 730-732. - Caesar hatte den Einwohnern dieser Stadt im Jahr 49 v. Chr. das römische Bürgerrecht verliehen: Lex Iulia de civitate gaditanorum (Rotondi, G., Leges publicae populi Romani. Elenco cronologico con una introduzione sull’ attivitá legislativa del comizi romani, Mailand 1912, ND Hildesheim 1962, 415. Liv. per. 110: „Gaditanis civitatem dedit.“ Cass. Dio, 41, 24, 1. Nach Galsterer, Städtewesen, 19, hat Caesar zugleich mit der Verleihung des Bürgerrechts die Stadt als römisches municipium eingerichtet. 317 CIL X, 3854 = ILS 888. Plin. nat. 7, 136. Cass. Dio 48, 32, 2. Broughton, The Magistrates of the Roman Republic, Bd. 3, Supplement, 381. Wiseman, New Men, 21f. 318 Kübler, B. ,Suffectus’, in: RE IV A,1, 1931, 652. Eck, W., ,Suffektconsul’, in: DNP 11, 2001, 1089f. - Phillips, D. A., The Conspiracy of Egnatius Rufus and the Election of Suffect Consuls under Augustus, in: Historia 46, 1997, 103-112. Hurlet, F., Consulship and consuls under Augustus, in: Beck, H. u. a. (Hg.), Consuls and res publica. Holding High Office in the Roman Republic, Cambridge 2011, 333f. 319 Freis, H., Die Integration der provinzialen Oberschichte im römischen Reich, in: U. und P. Riemer (Hg.), Xenophobie ‒ Philoxenie. Vom Umgang mit Fremden in der Antike (PAwB 7), Stuttgart 2005, 138. 320 Sen. contr. suas. VII, 3, 9: „tunc in senatum legerat Caesar multos et ut repleret exhaustum bello civili ordinem et ut eis qui bene de partibus meruerant gratiam referret.“

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folgenden Bürgerkriegs in den Senat gelangt,321 was allerdings Unmut hervorgerufen hatte und auf Widerspruch gestoßen war,322 zumal sich die Zahl der Mitglieder in diesem Gremium auf über tausend erhöht323 und diese Ausweitung zu einem erheblichen Prestigeverlust des Senatorenstandes geführt hatte. Augustus hatte zwei lectiones senatus (28 und 8 v. Chr.)324 zur Überprüfung der Senatoren auf ihre dignitas (und ihre persönliche Zuverlässigkeit ihm gegenüber) genutzt und die Zahl der Mitglieder des Senats auf 600 reduziert, wie Sueton berichtet.325 Wie in anderen Stadtstaaten der Antike galt auch im republikanischen Rom für das Bürgerrecht die Regel, dass dieses auf die Bürger Roms beschränkt und nicht auf Auswärtige übertragbar war.326 Im Verlauf der Eroberung und Unterwerfung der Stämme und Städte im Umland Roms praktizierten die römischen Magistrate verschiedene Formen der Integration von Nicht-Römern in ein Bundesgenossensystem mit Rom,327 die an dieser Stelle nicht weiter nachgezeichnet werden sol321 Suet. Iul. 77, 3: „civitate donatos et quosdam e semibarbaris Gallorum recepit in curiam.“ - Dazu: Jehne, M., Der Staat des Dictators Caesar (Passauer historische Forschungen 3), Köln - Wien 1987, 392-406 (Die Zusammensetzung des Senats unter Caesar). Schäfer, Die Einbeziehung der Provinzialen, 15: „Doch wie bereits Sulla, so füllten auch Caesar und später Antonius, Lepidus sowie Octavian den Senat mit ihren Anhängern, indem sie die Wahlen zu den Magistraturen beeinflussten und auch Männer, die noch kein Amt bekleidet hatten, zu Senatoren ernannten. Auf diese Weise belohnten sie ihre Parteigänger und vermehrten gleichzeitig die Zahl der ihnen loyalen Senatoren in der Kurie.” 322 Suet. Iul. 80, 2: „peregrinis in senatum allectis libellus propositus est: ‚Bonum factum: ne quis senatori novo curiam monstrare velit!’ et illa vulgo canebantur:,Gallos Caesar in triumphum ducit, idem in curiam: Galli bracas deposuerunt, latum clavum sumpserunt.“ – Die Forschung geht heute davon aus, dass es sich bei den hier genannten ‚Galliern’ nicht um Bewohner der eben erst eroberten Gallia Comata, sondern um Provinziale aus der Narbonensis, möglicherweise auch aus der Gallia Cisalpina, gehandelt hat; so Syme, R., Cesar, the Senate, and Italy, in: Ders., Roman Papers Bd. I, hg. von E. Badian, Oxford 1979, 102. 323 Zuvor hatte Sulla die Zahl der Senatoren von 300 auf 600 verdoppelt; App. Civ. 1, 100. 324 Suet. Aug. 35, 1-3. Cass. Dio 53, 1, 3 und 52, 42, 1-4. - Suolahti, The Roman Censors, 497501 und 505f. 325 „Senatorum affluentem numerum deformi et incondita turba – erant enim super mille et quidam indignissimi et post necem Caesaris per gratiam et praemium adlecti, (…) - ad modum pristinum et splendorem redegit duabus lectionibus.“ (Suet. Aug. 35, 1). Dazu: Hardy, E. G., Lectio senatus and census under Augustus, in: CQ 13, 1919, 43-51. Talbert, R. J. A., Augustus and the Roman Senate, in: G&R 31, 1984, 55-63. Talbert, The Senate of Imperial Rome, 131-133. Zur Rolle des Senats unter Augustus auch: Brunt, P. A., The Role of the Senate in the Augustan Regime, in: CQ 34, 1984, 423-444. 326 Dieses Prinzip beruhte auf der Vorstellung, dass der Bürger „zunächst nicht ‚Inhaber von Rechten’, sondern lediglich ‚Angehöriger des in der römischen res publica zusammengeschlossenen Personenverbandes“ war. (Bleicken, J., Die Verfassung der Römischen Republik. Grundlagen und Entwicklung, Paderborn u. a. 1975, 71995, 23, Anm. 1). 327 Galsterer, H., Herrschaft und Verwaltung im republikanischen Italien. Die Beziehungen Roms zu den italischen Gemeinden vom Latinerfrieden 338 v. Chr. bis zum Bundesgenossenkrieg 91 v. Chr. (Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte 68), München 1976. Hantos, Th., Rom und Italien, in: Th. Hantos - G. A. Lehmann (Hg.),

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len.328 Die unterschiedlichen Rechtsverhältnisse gründeten sich, wie Th. Hantos detailliert dargestellt hat,329 auf wesentliche Elemente der römischen civitas. Allerdings fehlte allen Nicht-Römern das ‚ius suffragii’: sie waren zwar in ihren Rechten und Pflichten den römischen Bürgern weitgehend gleichgestellt – insbesondere waren sie zur Dienstleistung im römischen Heer verpflichtet ‒, verfügten aber nicht über das Stimmrecht in den comitia. Der Ausschluss von den politischen Rechten hat einige Forscher veranlasst, den aus heutiger Sicht ‚diskriminierenden Status’ der römischen Neubürger als ‚Halbbürgerrecht’ zu bezeichnen330 bzw. von einem ‚minderen’ oder ‚defekten’ Bürgerrecht zu sprechen; von den Betroffenen wurde die Ausklammerung des Stimmrechts jedoch bis ins 2. Jh. v. Chr. nicht unbedingt als eine Benachteiligung betrachtet.331 Für Rom brachte das System der civitas sine suffragio332 neben der erwähnten Wehrpflicht der neuen Bürger in den römischen Bürgerlegionen und damit einer Verstärkung der römischen Heeresmacht zusätzlich den Vorzug, dass die alten stadtstaatlichen Machtstrukturen weitgehend fortbestehen konnten und keine grundsätzlichen Änderungen vorgenommen werden mussten, da die neu gewonnenen Bürger nicht in die römischen Tribus eingeschrieben wurden und deshalb auch nicht an den Entscheidungen der comitia partizipieren konnten. Die eingeschränkte Form des Bürgerrechts dürfte spätestens mit dem Ende des Bundesgenossenkriegs 91 - 88 v. Chr., als alle Bewohner Italiens333 bis zum Po in den römischen Bürgerverband aufgenommen wurden,334 weitgehend obsolet geworden sein;335 die Zuerkennung des vollständigen Bürgerrechts war eines der Althistorisches Kolloquium aus Anlass des 70. Geburtstags von J. Bleicken, 29.-30. November 1996 in Göttingen, Stuttgart 1998, 103-120. 328 Eine ausführliche Darstellung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 329 Hantos, Th., Das römische Bundesgenossensystem in Italien (Vestigia 34), München 1983. 330 So z. B. Mommsen, Staatsrecht I, 570-575. 331 Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, 221f. 332 Sherwin-White, Citizenship, 39-58. dazu auch: Humbert, M., Municipium et civitas sine suffragio. L’organisation de la conquête jusqu’à la guerre sociale, Paris - Rom 1978. Mouritsen, H., The civitas sine suffragio: Ancient Concepts and Modern Ideology, in: Historia 56, 2007, 141-158. 333 Dazu: Radke, G., Italia. Beobachtungen zu der Geschichte eines Landesnamens, in: Romanitas 8, 1967, 35-51. 334 Coşkun, A., Zur Umsetzung der Bürgerrechtsverleihungen durch die Lex Plautia Papiria und zu den Prätoren des Jahres 89 v. Chr. (Cic. Arch. 7-9), in: Eos 91, 2004, 52-63, sowie Coşkun, A., Cicero und das römische Bürgerrecht. Die Verteidigung des Dichters Archias. Einleitung, Text, Übersetzung und historisch-philologische Kommentierungen (Vertumnus 5), Göttingen 2010, 32-59. 335 Galsterer, Herrschaft und Verwaltung, 70, setzt das Ende der ‚Halbbürgergemeinden’ für das Jahr 90 v. Chr. an. Nach Pelham lassen sich keine Beweise für die Verleihung der civitas sine suffragio nach 184 v. Chr. finden (Pelham, H. F., The Emperor Claudius and the Chiefs of the Aedui, in: CR 9, 1895, 441-443, hier 441. (ND: Ders., Two Notes on the Reign of Claudius (1) Claudius and

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Ziele der Bundesgenossen in diesem Krieg gewesen.336 Mit der flächendeckenden Ausweitung des Bürgerrechts auf ganz Italien hatte Rom einen wichtigen Schritt von einem primär stadtstaatlich verfassten Bürgerrechtsverband zu einem weiträumigen territorialen Staatsbürgerverband getan,337 ohne dass zugleich die erforderlichen rechtlichen Konsequenzen wie beispielsweise der Aufbau einer eigenständigen staatlichen Verwaltung für ganz Italien gezogen wurden. Die Ausweitung der Vergabe des Bürgerrechts wurde unter Caesar fortgesetzt,338 indem er u. a. im Jahr 49 v. Chr. durch die lex Roscia die Bewohner der Gallia Transpadana in das Bürgerrecht aufnahm339 und dieses auch auf Personen ausdehnte, die in den südlich des Po gelegenen Teilen der Gallia Cisalpina340 lebten und noch nicht die civitas romana besaßen.341 Zugleich erließ er mit der lex Rubria de Gallia Cisalpina342 nähere Bestimmungen zur Organisation der Gerichtsbarkeit.343 Darüber hinaus vergab er, wie schon vor ihm Pompeius, das Bürgerrecht an Einzelpersonen (viritim).344 So berichtet Sueton von einer Vergabe des Bürgerrechts an Kolonisten in Novum Comum (Caes. 28, 3) und an alle in Rom tätigen Ärzte und Lehrer der freien Künste (Caes. 42, 1). Für die Zeit derAuflösung der Republik lassen sich so zwei Tendenzen in der Bürgerrechtspolitik der römischen Führung erkennen: zum einen erhalten die Bewohner ganzer Landstriche bzw. Provinzen wie der Gallia Cisalpina in Italien die civitas, zum andern lassen sich the Chiefs of the Aedui, in: F. Haverfield (Hg.), Essays by H. F. Pelham, Oxford 1911, 152157, hier 152). 336 David, J.-M., The Roman Conquest of Italy, Oxford - Malden MA 1997, 140-156. Keaveney, Rome and the Unification of Italy, London - Sydney 1987, 22005, bes. 115-163. Galsterer, H., Rom und Italien vom Bundesgenossenkrieg bis zu Augustus, in: M. Jehne - R. Pfeilschifter (Hg.), Herrschaft ohne Integration? Rom und Italien in republikanischer Zeit (Studien zur Alten Geschichte 4), Frankfurt a. M. 2006, 293 -308. - Zur Eingliederung Oberitaliens: Ausbüttel, F., Die Eingliederung Oberitaliens in das Römische Reich, in: Prometheus 15, 1989, 165-188, hier bes.185-188. 337 Zum Prozess der Romanisierung Italiens nach dem Bundesgenossenkrieg: Salmon, E. T., The Making of Roman Italy, Ithaca NY 1982, 128-142. 338 Zu Caesars Bürgerrechtspolitik: Ferenczy, Rechtshistorische Bemerkungen zur Ausdehnung des Bürgerrechts, 1020-1024. - Clavel - Lévêque, Villes et structures urbaines, 31-34. Dahlheim, W., Gewalt und Herrschaft. Das provinziale Herrschaftssystem der römischen Republik, Berlin - New York 1977, 309-317. Vgl. Levick, Antiquarian or Revolutionary?, 98f. 339 Cass. Dio, 41, 36, 3. Rotondi, Leges publicae, 416. 340 Zur Frage, wann die Provinz Gallia Cisalpina eingerichtet worden ist: Ausbüttel, F., Die Einrichtung der Provinz Gallia Cisalpina, in: Hermes 116, 1988, 117-122. Gallia Cisalpina war seit 42 v. Chr. Teil Italiens und daher keine Provinz mehr (Cass. Dio 48, 12, 5). 341 Sherwin-White, Citizenship, 233f. 342 Text in: FIRA I, 1968, Nr. 19. 343 Zur lex Rubria: Weiss, E., ‚Lex Rubria 2’, in: RE XII,2, 1925, 1412f. Bruna, F. J., Lex Rubria. Caesars Regelung für die richterlichen Kompetenzen der Munizipalmagistrate in Gallia Cisalpina, Leiden 1972. Laffi, U., La lex Rubria de Gallia Cisalpina, in: Athenaeum 64, 1986, 5-44. 344 Sherwin-White, Citizenship, 294, bes. Anm. 4. Dazu auch: Ferenczy, Rechtshistorische Bemerkungen zur Ausdehnung des römischen Bürgerrechts, 1017-1058.

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vermehrt Einzelverleihungen feststellen, die z. T. im Zusammenhang mit der Rekrutierung von Provinzialbewohnern für die Heere der römischen Bürgerkriegsparteien stehen.345 Augustus hat diese Bürgerrechtspolitik fortgesetzt, wenn auch nicht in dem Umfang, wie sie von Caesar betrieben worden war.346 Der erste Prinzeps legte vor allem Wert auf die Integration des nördlichen Italien einschließlich der Transpadana in das alte Italien; diesem Zweck diente u. a. auch die Neugliederung der Halbinsel im Jahr 7 v. Chr. in 11 Regionen.347 Unter seinen Nachfolgern lassen sich erst wieder bei Claudius Bürgerrechtsverleihungen in größerem Ausmaß nachweisen.348 Dabei handelt es sich überwiegend um Einzelverleihungen;349 zu ihnen zählen vor allem die Vergaben der civitas an Veteranen, die als Nicht-Römer in römische Auxiliartruppen eingetreten und nach Ablauf ihrer Mindestdienstzeit von 25 Jahren ehrenhaft aus dem Dienst geschieden waren,350 sowie Bürgerrechtsvergaben an aktive Soldaten, die über ihre Dienstzeit hinaus Dienst im Heer leisteten.351 Zum Nachweis ihres neuen Rechts345 Nach Sueton, Caes. 24, 2 hatte Caesar den Soldaten einer Legion, die er außerhalb Italiens ausgehoben hatte, das Bürgerrecht verliehen. - Thommen, L., Das Volkstribunat der späten römischen Republik (Historia Einzelschriften 59), Stuttgart 1989, 72, Anm. 3. 346 Zur Verleihung der civitas durch Augustus: Suet. Aug. 40, 3f. Sherwin-White, Citizenship, 233. 347 Ferenczy, E., Rechtshistorische Bemerkungen zur Ausdehnung des römischen Bürgerrechts, 1025-1027 und 1034f. Ferenczy, E., Zu Caesars Bürgerrechtspolitik, in: Studi in onore di C. Sanfilippo, IV, Mailand 1983, 207-222, bes. 219-222. Bleicken, Verfassung, 227. Kienast, Augustus, 141, 360 Anm. 57, 452f. Anm. 10, und 466. Eck, W., Die staatliche Organisation Italiens in der hohen Kaiserzeit (Vestigia 28), München 1979. Über das genaue Datum, über die Zielsetzung und die Grundsätze dieser Einteilung liegen keine antiken Berichte vor; die von Augustus durchgeführte Gliederung Italiens stellte eine abschließende politische Organisation und die verwaltungsmäßige Wirklichkeit für ganz Italien dar und wurde von Plinius d. Älteren als Grundlage bei der Abfassung seiner naturalis historia verwendet (Salmon, The Making of Roman Italy, 153). 348 Zum Gentilnamen ‚Claudius’ : Burnand, La gentilice Claudius en Narbonnaise et dans les Trois Gaules, 105-127. Zur Vergabe des Bürgerrechts unter Claudius auch: Sherwin-White, Citizenship, 241-244. 349 Die Zuerkennung der civitas an die Bergstämme im Umland Trients, wie sie aus der Tabula Claesiana ersichtlich ist (hier: S. 52), stellt insofern eine Ausnahme dar. 350 Pferdehirt, B., Die Rolle des Militärs für den sozialen Aufstieg in der römischen Kaiserzeit (Römisch-germanisches Zentralmuseum, Monographien 49), Mainz 2002, 4f. Eck, W., Der Kaiser als Herr des Heeres. Militärdiplome und die kaiserliche Reichsregierung, in: J. J. Wilkes (Hg.), Documenting the Roman Army. Essays in Honour of Margaret Roxan, London 2003, 55-87. - Anders: Dušanić, S., The Issue of Military Diplomata under Claudius and Nero, in: ZPE 47, 1982, 149-171, und Link, St., Konzepte der Privilegierung römischer Veteranen (HABES 9), Stuttgart 1989, die die Ansicht vertreten, die Militärdiplomata stellten keine Privilegierung für reguläre Dienstleistungen dar, sondern seien Auszeichnungen für besondere militärische Leistungen. 351 Vittinghoff, F., Militärdiplome, römisches Bürgerrechts- und Integrationspolitik im Omperium Romanum der Kaiserzeit, in: W. Eck - H. Wolff (Hg.), Heer und Integrationspolitik. Die römischen Miilitärdiplome als historische Quelle, Köln - Wien 1986, 535-555. Behrends, O., Die Rechtsregelungen der Militärdiplome und das die Soldaten des Prinzipats treffende Ehe-

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status als cives Romanus erhielten die Veteranen bzw. Soldaten in der Regel eine beglaubigte Abschrift ihrer Privilegierung in Form einer Doppelurkunde;352 diese sind als sog. Militärdiplome überliefert worden. Dieser Abriss über das römische Bürgerrecht und seine Vergabepraxis seit der späten Republik soll auf eine seit dem 19. Jh. in der Forschung breit diskutierte Theorie zum Umfang und Inhalt des Bürgerrechts, das die gallischen Adeligen zur Zeit des Prinzipats besaßen, aufmerksam machen. Unter Berufung auf Tacitus’ Formulierung ‚foedera et civitatem Romanam iam pridem assecuti’ (ann. 11, 23, 1) vertraten nicht wenige Althistoriker die Auffassung, dass die Gallier zum Zeitpunkt ihres Antrags nur über ein eingeschränktes römisches Bürgerrecht ohne das von ihnen angestrebte ius honorum verfügt hätten, das in Kontinuität zur früheren civitas sine suffragio gesehen werden müsse. Gemäß dieser Theorie hätte Claudius deshalb durch einen besonderen Rechtsakt das ‚minderwertige’ oder ‚unvollständige’ Bürgerrecht der Gallier vervollständigen und ihnen das ius honorum eigens zuerkennen müssen. Diese vor allem von Mommsen vertretene Auffassung,353 der sich zahlreiche Wissenschaftler angeschlossen haben,354 ist in der Forschung schon früh auf erheblichen Widerspruch gestoßen, wie H. F. Pelhams Beitrag von 1895 belegt.355 So wurde die Hypothese von einem ‚privilegierten’ römischen Bürgerrecht für Einwohner Italiens und einem ‚minderen’ Bürgerrecht für Bewohner der Provinzen u. a. mit dem Argument zurückgewiesen, dass ein solches ‚Zwei-Klassen-Bürgerrecht’ nicht nur zu unabsehbaren Spannungen im Imperium geführt, sondern insbesondere die von Caesar und Augustus betriebene Bürgerrechtspolitik konterkariert und letztlich um ihre Wir-

verbot, in: W. Eck - H. Wolff (Hg.), Heer und Integrationspolitik. Die römischen Militärdiplome als historische Quelle (Passauer historische Forschungen 2), Köln - Wien 1986, 116166. Lambert, N.- Scheuerbrand, J., Das Militärdiplom. Quelle zur römischen Armee und zum Urkundenwesen, Stuttgart 2002, 9. 352 Alföldy, G., Zur Beurteilung der Militärdiplome der Auxiliarsoldaten, in: Historia 17, 1968, 215-227 (wieder abgedruckt in: Ders., Römische Heeresgeschichte. Beiträge 19621985, Amsterdam 1987, 51-65). Speidel, M. A. - Lieb, H. (Hg.), Militärdiplome. Die Forschungsbeiträge der Berner Gespräche von 2004, Stuttgart 2007. 353 Mommsen, Staatsrecht I, 490. Mommsen, Th., Römische Geschichte V, Berlin 111933, 89f. 354 Eine Auflistung der Vertreter dieser Theorie in: Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 222, Anm. 50-53, und 223, Anm. 54-56. 355 Pelham, The Emperor Claudius, 442: “There is again no evidence that the ‘ius honorum’ was treated as a distinct privilege separable from the other rights included in the franchise. It is obviously unlikely that the separation should have been made in this one case alone and that a peculiar disability should have been imposed upon the chiefs of Gaul, especially in view of the pains taken by both Julius and Augustus to conciliate these powerful chieftains, and of the fact that Julius in particular went to the length of admitting some of them to the senate.” Dazu auch: Schillinger-Häfele, U., Claudius und Tacitus über die Aufnahme von Galliern in den Senat, in: Historia 14, 1965, 444 Anm. 6.

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kung gebracht hätte, wie F. Vittinghoff dargelegt hat.356 Zwar hat die von Mommsen vertretene Ansicht über ein unterschiedliches Bürgerrecht bis in die jüngste Zeit Anhänger vor allem in der französischen Forschung gefunden;357 doch geht die Mehrzahl der Forscher heute davon aus, dass für die These, den Galliern sei ein eigenes (eingeschränktes) Bürgerrecht zugestanden worden, keine Anhaltspunkte oder Belege zu finden sind.358 Eine ausführliche Darstellung zu diesem Sachverhalt findet sich im erwähnten Beitrag Vittinghoffs, dessen Ausführungen W. Rieß 2003 in seinem Beitrag zur oratio Claudii aufgegriffen und weiter untermauert hat.359 Da die Existenz eines eingeschränkten Bürgerrechts der Gallier in der Zeit der ausgehenden Republik bzw. des frühen Prinzipats nicht nachgewiesen werden kann, ist zu Recht davon auszugehen, dass die gallischen Adeligen zum Zeitpunkt, an dem sie um den Zugang zum Senat baten, im Besitz des vollständigen römischen Bürgerrechts gewesen sind. Damit stellt sich die Frage, was unter dem von Tacitus so bezeichneten ius honorum genauer zu verstehen ist und worin die Substanz dieses ius besteht. Wie die Formulierung des Antrags bei Tacitus zunächst nahezulegen scheint, müsste es römische Bürger ohne das ius honorum gegeben haben, und zugleich römische Bürger, die dieses ius besaßen: es waren allein die Angehörigen des Senatorenstandes, die sich dieses ‚Vorrangs’ erfreuen konnten.360 Offenkundig geht es hier aber nicht um ein juristisches Problem, sondern um eine Statusfrage. Wie Vittinghoff gezeigt hat, muss nicht zwischen zwei verschiedenen Bürgerrechten, sondern zwischen römischen Bürgern (in ihrer Gesamtheit) einerseits und den Angehörigen des ordo senatorius andererseits unterschieden werden.361 Dieser Unterschied besteht in einer sozialen Differenzierung: der Senatorenstand hatte sich unter Augustus als ein eigener ordo in Abgrenzung zum Ritterstand362 herauskristallisiert,363 wozu Maßnahmen des ersten Prinzeps 356 Vittinghoff, F., Zur Rede des Kaisers Claudius über die Aufnahme von ‚Galliern’ in den römischen Senat (CIL XIII 1668 = ILS 212) und Tacitus, Annalen 11, 24), in: Hermes 82, 1954, 348-371. hier 350-355 (wieder abgedruckt in: Ders., Civitas romana. Stadt und politisch-soziale Integration im Imperium Romanum der Kaiserzeit, hg. von W. Eck, Stuttgart 1994, 299-321, hier 300-305). 357 Hierzu im Einzelnen: Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 223 Anm. 56f. 358 So u. a. Syme, Caesar, the Senate and Italy, 101f. 359 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 223f. 360 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 223. 361 Vittinghoff, Zur Rede des Kaisers Claudius, 302. 362 Zur Entwicklung des Ritterstandes in Rom und seiner gesellschaftlichen Stellung: Stein, A., Der römische Ritterstand. Beiträge zur Sozial- und Personengeschichte des römischen Reiches, München 1927, ND 1963. Stemmler, M., Eques romanus – Reiter und Ritter. Begriffsgeschichtliche Untersuchungen zu den Entstehungsbedingungen einer römischen Adelskategorie im Heer und in den comitia centuriata (Prismata 8), Frankfurt a. M. u. a. 1997. Demougin, S., L’ordre équestre. Histoire d’une aristocratie (IIe siècle av. J.-C. – IIIe siècle ap. J.C.). Actes du colloque international organisé par S. Demougin, H. Devijer et M.-T. RaepsaetCharlier (Bruxelles - Leuven, 5-7 octobre 1995), Rom 1999. Wiseman, T. P., 'The Definition

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wie die Entfernung unwürdiger Senatoren, die Reduzierung der Mitgliederzahl des Gremiums auf 600364 (zur Betonung der Exklusivität365), die Heraufsetzung des Zensus für Senatoren von 800 000 auf 1 200 000 Sesterzen366 sowie vor allem der Besitz des latus clavus als Voraussetzung für die Bewerbung um die Quästur367 und damit für den Eintritt in den Senatorenstand dienten.368 Den latus clavus besaßen die Söhne von Senatoren automatisch – sie gehörten dem ordo senatorius aufgrund ihrer Geburt an.369 Die Söhne von Rittern, die sich in republikanischer Zeit ohne den latus clavus um die Quästur bewerben konnten und denen nunmehr lediglich der angustus clavus zustand, mussten jetzt vom Prinzeps erst den latus clavus erbitten, wenn sie eine Kandidatur für das Amt eines Quästors anstrebten.370 Das ius honorum stellte demnach kein besonderes oder zusätzliches of ‚Eques Romanus’ in the Late Republic and Early Empire, in: Historia 19, 1970, 67-83. Brunt, P. A., Princeps and equites, in: JRS 73, 1983, 42-75. Alföldy, G., Die römische Gesellschaft. Ausgewählte Beiträge, Stuttgart 1986, 162-209 (Die Stellung der Ritter in der Führungsschicht des Imperium Romanum). Demougin, S., L’ordre équestre sous les julioclaudiens, Rome 1988. 363 Talbert, Senate, 9-38. Chastagnol, La naissance, 585-587. Ferrill, A., The Senatorial Aristocracy in the Early Roman Empire, in: J. W. Eadie - J. Ober (Hg.), The Craft of the Ancient Historians. Essays in Honor of Chester G. Starr, Lanham MD 1985, 353-371. Eck, W. - Heil, M. (Hg.), Senatores populi Romani. Realität und mediale Präsentation einer Führungsschicht. Kolloquium der Prosopographia Imperii Romani vom 11. – 13. Juni 2004 (HABES 40), Stuttgart 2005. Auch: Schäfer, Einbeziehung, 18f. 364 Damit knüpfte Augustus an die Mitgliederzahl in der Zeit der späten Republik unter Sulla an. Dazu Talbert, Senate, 132: „Almost certainly this figure [600] was just a notional optimum, not a fixed maximum or fixed total.“ 365 Schäfer, Einbeziehung, 18. 366 Suet. Aug. 41, 1: „senatorum censum ampliavit ac pro octingentorum milium summa duodecies sestertium taxavit supplevitque non habentibus.“ Cass. Dio 54, 17, 3 spricht von einer Erhöhung von 400 000 auf 1 Million Sesterzen. Talbert, Senate, 47, geht von einer Mindestsumme von 1 Million für Senatoren und 400 000 für Ritter aus. – Zum Zensus für Senatoren auch: Nicolet, C., Le cens sénatorial sous la république et sous Auguste, in: JRS 66, 1976, 2038. 367 Zur Entstehung der Quästur und zu den Aufgaben der Quästoren: Kunkel, Staatsordnung II, 510-531. 368 Suet. Aug. 35-37. Talbert, Senate, 14. Kienast, Augustus, 154-165. 369 Suet. Aug. 38, 2: „Liberis senatorum, quo celerius rei p. assuescerent, protinus virili toga latum clavum induere et curiae interesse permisit.“ Diese Maßnahme des Prinzeps könnte zum einen auf mangelndes Interesse des senatorischen Nachwuchses an politischen Aufgaben und Ämtern, zum andern auf eine unzureichende Anzahl von Senatorensöhnen, die für die Bekleidung der Magistraturen zur Verfügung standen, schließen lassen. Offensichtlich ist die enge Verbindung von latus clavus und der Gewährung einer (passiven) Teilnahme an den Senatssitzungen (Anwesenheit, keine Zugehörigkeit zum Senat!). 370 Nach Schäfer, Einbeziehung, 21, stellte diese Praxis spätestens seit Caligula festes Gewohnheitsrecht dar. Zum Prozess der ‚Umbildung des republikanischen Senats in den Jahren des frühen Prinzipats: Wiseman, New Men in the Roman Senate. Für den Senat in der Kaiserzeit: Talbert, Senate, bes. 163-184, 303-334 und 372-430.

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Recht dar, durch das die civitas Romana ergänzt bzw. vervollständigt wurde, sondern brachte für den Betroffenen die faktische Voraussetzung für die Ableistung des cursus honorum.371 Insofern war auch der Antrag der gallischen primores folgerichtig: sie baten, da sie die Voraussetzungen erfüllten, um ein Amt, das ihnen einen Sitz im Senat verschaffte. Diese These wurde bereits 1895 von H. F. Pelham vertreten;372 H. J. Cunningham hat sie zwei Jahrzehnte später dezidiert untermauert,373 wobei er zum einen die hohe gesellschaftliche Stellung der primores in ihrer Heimat, zum andern den Zeitpunkt der Antragstellung (während Claudius’ Censur) als ausschlaggebende Argumente für die Forderung der gallischen Adligen nach einer direkten Aufnahme in den Senat anführte.374 Insofern ist die von Rieß verwendete Formulierung „in den ordo senatorius eintreten zu dürfen“ in diesem Zusammenhang nicht ganz eindeutig. 375 Den Antragstellern ging es nicht um die Zuerkennung schmückender Äußerlichkeiten (ornamenta), mit denen sich die Angehörigen des Senatorenstandes von den Rittern und der plebs abhoben.376 Die Bitte der Gallier zielte vielmehr darauf, in der Gesellschaft Roms einen Platz entsprechend ihrem sozialen Status einnehmen zu können (und zugleich an der Ausübung der Macht beteiligt zu werden). Dies ließ sich nur durch eine Aufnahme in die Institution ‚Senat’ verwirklichen. Genau darauf zielt auch Claudius im zweiten Teil seiner Rede ab, wenn er unter Hinweis auf den folgenden Teil der Censur davon spricht, welche Männer im Senat sitzen sollen (II 7f.), und daran anschließend Beispiele für Senatoren provinzialer Herkunft vorträgt (II 9-19 und 27-29). Welche Voraussetzungen für den Zugang zum Senat erfüllt sein mussten, war den Antragstellern mit Sicherheit bekannt. Dazu zählten, so Rieß, 377 außer dem Besitz des Bürgerrechts im Wesentlichen die Erfüllung von drei Kriterien: „das soziale (locupletes, primores), das politische (obsequium, fides gegenüber Rom) sowie das kulturelle, d. h. ein Mindestmaß an römischer Kultur, vor allem die Beherrschung der lateinischen Sprache (Suet. Claud. 16, 2)“.378 Hinzukam ClauS. auch: Weiss, E., ‚Ius honorum’, in: RE X,1, 1231. Pelham, The Emperor Claudius, 442: „In other words, the conclusion to which Claudius’ speech points, is that, in revising the senate as censor, he had proposed directly to admit these Gaulish chieftains to the senate, and probably to admit them into the ranks of the Quaestorii”. 373 Cunningham, H. J., Claudius and the primores Galliae, in: CQ 9, 1915, 57-60. 374 Cunningham, Claudius and the primores galliae, 60: „These chiefs had hitherto been excluded by nothing but their own dignity. […] So the ordinary avenue to the senate was closed to them. ‘Adlectio’ exactly met their requirements, but unfortunately it had not been used for the last thirty years. Now, however, their chance came and they took it.” 375 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 224. 376 Kolb, F., Zur Statussymbolik im antiken Rom, in: Chiron 7, 1977, 239-259. 377 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 226, Anm. 72. 378 „splendidum virum Graeciaeque provinciae principem, verum Latini sermonis ignarum, non modo albo iudicum erasit, sed in peregrinitatem redegit. nec quemquam nisi sua voce, utcumque quis posset, ac sine patrono rationem uitae passus est reddere.“ 371 372

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dius’ Festlegung, „dass er niemanden als Senator auswählen werde, der nicht wenigstens der Ururenkel eines römischen Bürgers sei.“379 Alle genannten Vorgaben wurden von den primores Galliae erfüllt: mit ihrer herausgehobenen gesellschaftlichen Stellung als Vertreter der 60 (64) civitates in der Gallia Comata sowie durch ihren Status als römische Ritter zählten sie zur Elite des Imperiums. So wies der Kaiser selbst in der Redeversion bei Tacitus auf den Reichtum und Wohlstand der Gallier hin; diesen sollten sie künftig als Senatoren in die Hauptstadt und in die städtische Gesellschaft einbringen (und damit für den gesamten Staat nutzbar machen): „aurum et opes suas inferant potius quam separati habeant“ (ann. 11, 24, 6). 380 An gleicher Stelle unterstrich er auch ihren kulturellen Aufstieg – „iam moribus artibus adfinitatibus nostris mixti“ – , womit er den Romanisierungsprozess ansprach,381 den diese gallischen Adeligen seiner Meinung nach schon durchlaufen hatten und den der Kaiser selbst förderte.382 In seinen Augen entsprachen sie somit bereits den viri togati der Narbonensis. Auch politisches Wohlverhalten wie Treue und Gehorsam gegen Rom als wichtigste Grundlagen der pax Romana hatten sie nach seiner Auffassung bewiesen, wie aus der Originalrede ersichtlich wird: „idem opponat centum annorum immobilem fidem obsequiumque multis trepidis rebus nostris plusquam expertum“ (II 31f.). Ein ähnlicher Gedanke findet sich in Tacitus’ Version (ann. 11, 24, 6): „ac tamen, si cuncta bella recenseas, nullum breviore spatio quam adversus Gallos confectum: continua inde ac fida pax.“ Schließlich konnten die primores auch noch darauf verweisen, dass ihre Vorfahren bereits ein Jahrhundert zuvor die civitas erhalten hatten. Im Ergebnis zeigte sich, dass dem Anliegen der Gallier im Grunde keine rechtlichen, aber auch keine sozio-kulturellen Einschränkungen oder Hindernisse im Wege standen. Um der Bitte der gallischen Adeligen zu entsprechen, boten sich für den Prinzeps verschiedene Möglichkeiten, den Antragstellern einen Weg in den Senat zu öffnen. Sofern die primores zunächst nur an der grundsätzlichen Zulassung zu den Ämtern interessiert waren, stellte die Verleihung des latus clavus eine geeignete Maßnahme dar.383 Dieser Akt des Kaisers zugunsten eines Mitglieds des Ritter-

379 Suet. Claud. 24, 1: „quamvis initio affirmasset non lecturum se senatorem nisi civis romani abnepotem.“ 380 Zum Wohlstand bzw. Reichtum der Gallier: Drinkwater, J. F., Gallic Personal Wealth, in: Chiron 9, 1979, 237-242; Duncan-Jones, R. P., The Wealth of Gaul, in: Chiron 11, 1981, 217220. 381 Zur Romanisierung der Gallia Comata: Woolf, G., Becoming Roman. The Origins of Provincial Civizilization in Gaul, Cambridge 1998. 382 So: De Laet, S. J., Claude et la romanisation de la Gaule septentrionale, in: R. Chevallier (Hg.), Mélanges d’archéologie et d’histoire offerts à André Piganiol, Paris 1966, 951-961. 383 Plin. epist. II, 9: „ego Sexto latum clavum a Caesare nostro impetravi”. Goetz, G., ,2) Clavus’, in: RE IV,1, 1900, 4-9.

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standes war gleichbedeutend mit einer Aufnahme in den ordo senatorius.384 Die Verleihung erfolgte in der Regel, um einem jungen Angehörigen des Ritterstandes eine Karriere im Rahmen des cursus honorum zu eröffnen, und ermöglichte ihm eine Kandidatur für das Amt des Quästors. Erst nach erfolgreicher Wahl und Bekleidung des Amtes stand für den Betreffenden der Eintritt in den Senat offen, wo er in der niedrigsten Rangklasse, inter quaestores, seinen Platz einnehmen konnte. Die Bekleidung höherer Ämter erlaubte schließlich den Aufstieg bis in die oberste Rangklasse inter consulares.385 Der latus clavus war somit das Standesabzeichen, das seinem Träger die Befähigung für die Ämterlaufbahn bestätigte. Seine Funktion bestand darin, in der Öffentlichkeit die Qualifikation zu einem Amt symbolisch vorzuzeigen (und sich damit als Angehöriger der Oberschicht zu präsentieren), nicht jedoch in der Zusage eines Amtes, um das er sich in jedem Fall bewerben und in das er auch noch gewählt werden musste. Schon gar nicht gab der latus clavus seinem Träger einen Anspruch auf einen Sitz im Senat. Ob die Bitte der gallischen Eliten sich genau auf diese Form der Gewährung des ius adipiscendorum in urbe honorum bezog, muss zunächst offen bleiben; der Auffassung B. Schäfers, wonach die Gewährung des ius adipiscendorum in urbe honorum mit einer Verleihung des latus clavus gleichgesetzt wird,386 kann in dieser allgemeinen Form nicht gefolgt werden. Die durch den Besitz bzw. die Verleihung des latus clavus symbolisierte generelle Berechtigung, für die Quästur zu kandidieren, konnte im konkreten Fall einer Bewerbung um dieses Amt eine zusätzliche Unterstützung durch eine commendatio387 des Kaisers erhalten. Hierbei übte der Prinzeps sein Recht aus, einem Wahlgremium oder dem Senat einen von ihm geförderten Kandidaten für die Wahl zu einer Magistratur zu empfehlen.388 Diese Empfehlung bedeutete dabei soviel wie einen sicheren Anspruch darauf, gewählt zu werden, da die entsprechende Wahlkörperschaft selbstverständlich die kaiserliche commendatio beachten musste und nicht einfach übergehen konnte.389 Allerdings bedurfte die Wahl 384 Chastagnol, A., „Latus clavus“ et „adlectio“. L’accès des hommes nouveaux au sénat romain sous le Haut Empire, in: RD 53, 1975, 375-394, bes. 380-387.- Levick, B., A Note on the latus clavus, in: Athenaeum 79, 1991, 239-244. 385 Talbert, Senate, 20f. Schäfer, Einbeziehung, 18f. 386 Schäfer, Einbeziehung, 21: „Sie [die Eliten der Gallia comata] wollten nicht eine Erweiterung eines angeblich geschmälerten Bürgerrechtes, sondern die durch die Verleihung des latus clavus symbolisierte Erhebung in den Senatorenstand.“ 387 Brassloff, St., ‚Commendatio’, in: RE IV,1, 1900, 722-726. Gizewski, C., ‚Commendatio’, in: DNP 3, 1997, 98f. Frei Stolba, Untersuchungen zu den Wahlen, 33-36. 388 Levick, B. M., Imperial Control of the Elections under the Early Principate: commendatio, suffragatio, and „nominatio“, in: Historia 16, 1967, 207-230. Flach, D., Destinatio und nominatio im frühen Prinzipat, in: Chiron 6, 1976, 193-203. Bleicken, J., Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, Bd. 1, Paderborn u. a.1978, 41995, 34. Zur commendatio unter Augustus s. Kienast, Augustus, 155f. 389 Frei-Stolba, Untersuchungen zu den Wahlen, 140-143.

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zu ihrer endgültig Rechtswirksamkeit auch weiterhin formell der Zustimmung durch die comitia.390 Der Kaiser konnte diese Form der Empfehlung zur Besetzung eines Amtes der Magistrate oder Priesterschaften nutzen; sie wurde in der Regel von ihm initiiert, lag aber nicht völlig in seinen Händen. Eine commendatio durch Claudius nach einer Verleihung des latus clavus als logischem zweiten Schritt hätte den gallischen Adligen zwar einen (weitgehend) sicheren Zugang zum Senat eröffnet, ihnen aber nicht das aufwendige und umständliche Verfahren der Kandidatenaufstellung und der Wahl sowie die tatsächlichen Ausübung eines Amtes in Rom erspart. Da wohl außer Zweifel stehen dürfte, dass den gallischen Rittern an einer unkomplizierten (vielleicht auch schnellen) Aufnahme in den Senat gelegen war, dürfte die hier genannte Vorgehensweise kaum ihrem Anliegen entsprochen haben und daher für sie auch nicht in Frage gekommen sein. Für den Kaiser gab es noch eine andere Möglichkeit, jemandem den Weg in den eng umschriebenen Personenkreis der Senatoren zu bahnen. Dies war die adlectio,391 die der Kaiser in seiner Kompetenz als Prinzeps wie auch in seinem Amt als Censor im Anschluss an die lectio senatus vornehmen konnte. Sowohl bei der Vergabe des latus clavus oder bei einer commendatio als auch bei der Vornahme der adlectio benötigte er keine Zustimmung des Senates. Bei dieser Form der direkten Aufnahme eines verdienten und loyalen Mannes in den Senat erhielt der Geehrte, ohne zuvor die sonst erforderlichen Ämter, etwa das eines Quästors oder eines Tribunen, bekleidet zu haben, unmittelbar einen Sitz im Senat. Dabei stufte ihn der Prinzeps in eine der Rangklassen der Senatoren ein. In der Regel wurden auf diese Weise Männer ausgezeichnet, die sich Verdienste um den Kaiser und das Imperium erworben und insbesondere auch ihre Loyalität gegenüber dem Prinzeps unter Beweis gestellt hatten. Durch die direkte Aufnahme in den Senat wollte ihnen der Kaiser eine Konkurrenzsituation mit den 25- bis 30jährigen Bewerbern um das Amt eines Quästors ersparen. So wurden sie als ‚adlecti in senatum’ zumeist einer höheren Rangklasse zugewiesen, etwa als ‚adlectus inter tribunicios’ oder ‚adlectus inter praetorios’.392 Eine derartige unmittelbare Aufnahme in den Senat, die zu Zeiten der Republik in Form einer ‚censorischen (ad)lectio’ erfolgt war,393 war in der Zeit des Prinzipats noch nicht vorgenommen worden. Augustus selbst hatte als Prinzeps zwar über die Befugnisse eines Censors verfügt, nicht aber das Amt eines Censors innegehabt; weder von Dazu siehe aber oben S. 60. Mommsen, Staatsrecht II, 875-882. Schmidt, J., ,Adlectio’, in: RE 1, 1893, 366-370. O’Brien Moore, A., ‚Senatus (Principat). B. Adlectio’, in: RE Suppl. VI, 1935, 762f. Gizewski, Chr., ‚Adlectio‛, in: DNP 1, 1996,114f. Chastagnol, „latus clavus“, 375-380. 392 Chastagnol, „latus clavus”, 378. 393 Bleicken, J., Lex publica, Gesetz und Recht in der römischen Republik, Berlin - New York 1975, 498: „Ohne ein Amt hatte überhaupt nur der Censor jemanden zum Senator befördern können, und seit Sulla auch dies nicht mehr.“ 390 391

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ihm noch von seinem Nachfolger Tiberius lässt sich eine Adlektion nachweisen.394 Dies steht in einem scheinbaren Widerspruch zu Claudius’ Äußerung über einen ‚novus mos’, wonach Augustus und Tiberius „omnem florem ubique coloniarum ac municipiorum bonorum scilicet virorum in hac curia esse voluit“ (II 1-4).395 Zu einer umfangreicheren Verwirklichung dieser Absicht hätte sich für beide Vorgänger als geeignete Maßnahme eine adlectio angeboten, die außerdem das Gewicht der kaiserlichen Parteigänger im Senat verstärkt hätte. Offensichtlich muss Claudius (wie auch die Senatoren, denen er nicht etwas vortragen konnte, das unzutreffend war und offenen Widerspruch hervorrufen musste), über nähere Einzelheiten der Absichten oder Pläne seiner Vorgänger („et Divus Aug[ustus av]onc[ulus meus et patruus Ti(berius) Caesar … voluit“) zur Erweiterung des Bewerberkreises für Senatoren verfügt haben, für die keine literarischen oder epigraphischen Nachweise vorliegen. Für den Kaiser geht es an dieser Stelle nicht darum, die Absicht oder den Willen zur Verbreiterung des Bewerberpotenzials zu erklären, sondern um die konkrete Umsetzung seines Vorhabens, wenn er formuliert: „sed ne provinciales quidem si modo ornare curiam poterint, reiciendos puto.“(II 8f.) Damit schließt der Redner zunächst keine Provinz aus; der Satz muss aber in Verbindung mit Claudius’ Hinweis auf die „Comatae Galliae causa“ (II 31f.) gesehen werden, mit dem er seinen Antrag geographisch einschränkt. Der Hinweis setzt voraus, dass der Inhalt der causa den Zuhörern bekannt ist, er deshalb nicht noch einmal vorgetragen werden muss; dem heutigen Leser bleibt er wegen der unvollständigen Erhaltung der Inschrift leider verborgen. Als Vorgabe für die persönliche Qualifikation neuer Senatoren – „bonorum scilicet virorum et locupletium“ – besteht Claudius darauf, dass sie „dem Senat zur Ehre gereichen sollen“396 – ein floskelartiges Kriterium, das für alle Senatoren zutrifft, gleich, ob sie aus Rom, aus Italien oder aus einer der Provinzen stammen; es ist also keine besondere Voraussetzung, die zusätzlich an potenzielle Senatoren aus Gallien gestellt wird. Da in der Originalrede keine weiteren Hinweise auf den Inhalt des kaiserlichen Antrags zu finden sind, ist zu untersuchen, inwieweit Tacitus’ Angaben in diesem Punkt weiterhelfen können; insbesondere sind seine Formulierungen des

394 So Talbert, Senate, 15. Kienast, Augustus, 155. Zu Tiberius: Levick, B., Tiberius the Politician, London 1976, 98. 395 Zu coloniae ac municipia: Schönbauer, E., Municipia und coloniae in der Prinzipatszeit, in: AnzWien 1954, Nr. 2, 13-48. 396 Mit der Formulierung „si modo ornare curiam poterint” (II 8) spielt Claudius auf einen Senator (Valerius Asiaticus) an, auf den er einige Zeilen später (II 15-17) zu sprechen kommt und der nach seiner Auffassung die genannten Kriterien nicht (mehr) erfüllt hat; (s. folgendes Kapitel).

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Anliegens der Gallier – „ius adipiscendorum in urbe honorum“397 – und zum Privileg für die Häduer – „primi Aedui senatorum in urbe ius adepti sunt“398 - genauer in den Blick zu nehmen. Beide Wendungen sind keine termini technici für die Art und Weise des Zugangs zum Senat. Ob Tacitus mit der Verwendung unterschiedlicher Begriffe auch verschiedene Sachverhalte darstellen oder mit unterschiedlichen Termini das Gleiche ausdrücken wollte,399 lässt sich nur schwer klären. Die unterschiedlichen Argumente und Positionen zu diesem Problem sind von Rieß in seinem Beitrag ausführlich vorgestellt worden;400 sie sollen deshalb hier nicht im Detail nachgezeichnet werden. Im Ergebnis gehen die Forscher heute mehrheitlich davon aus, dass die von Tacitus benutzten Formulierungen denselben Sachverhalt beschreiben und ganz allgemein die ‚Zugehörigkeit zum Senatorenstand’ bezeichnen, jedoch mit unterschiedlicher Akzentuierung, worauf zuletzt B. Schäfer hingewiesen hat: „Bei der Benutzung des Ausdrucks senatorum in urbe ius wird die Standeszugehörigkeit als solche betont, die Worte ius adipiscendorum in urbe honorum betonen dagegen das mit der Standeszugehörigkeit verbundene Recht auf die Ausübung der standesspezifischen Funktionen.“401 Folgt man dieser (sehr) nuancierten Unterscheidung, so haben nach Tacitus’ die primores Galliae darum gebeten, sich in Rom um die städtischen Magistrate bewerben bzw. diese bekleiden zu können, die zugleich mit einem Eintritt in den Senat verbunden waren. Ihr Anliegen zielte auf einen Rechtsakt des Kaisers, da der übliche Weg in die Ämter eine Kandidatur und eine erfolgreiche Wahl erforderte und vor allem den Besitz des latus clavus voraussetzte.402 Es ist schwer vorstellbar, dass sich die Eliten Galliens als in Rom weithin unbekannte Kandidaten einem Bewerbungsverfahren unterzogen hätten, bei dem sie gegenüber ihren römischen bzw. italischen Mitbewerbern nur eine nachgeordnete Rolle hätten spieTacitus verwendet den Ausdruck „adipiscendorum honorum ius“ noch einmal in ann.14, 50, 1, „zur Bezeichnung für eine vom Kaiser verliehene Vergünstigung, die ‚verkauft‛, d. h. auf Bestechung hin vermittelt worden war (Schillinger-Häfele, Claudius und Tacitus über die Aufnahme von Galliern in den Senat, 444). 398 Tac. ann. 11, 23, 1, und 25, 1. 399 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 240. 400 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 240-245. 401 Schäfer, Einbeziehung, 22. Eine ähnliche Differenzierung findet sich bereits bei Orelli: „Ius senatorum in urbe omnibus Galliae comatae primoribus concessum est: sed cum nonnisi certus numerus admitti posset, dignitatem senatorum Romanorum primum Aedui re vera adepti sunt.“ (P. Cornelii Taciti Annalium ab excessu divi Augusti quae supersunt ad fidem codicum Mediceorum ab I. G. Baitero denuo excussorum recensuit atque interpretatus est I. G. Orelli, Zürich 21859, 331.) 402 B. Levick vertritt in ihrem Beitrag ‚A Note on the latus clavus‛, 239-244, die Auffassung, dass für die primores Galliae nur die Verleihung des latus clavus in Frage gekommen sei: „Once the senate’s views were out in the open only the most ‚promising’ of all the tribesmen, the Aedui, were given the go-ahead and went off to change their narrow-bordered tunics for those with the broad-stripe.” (244). 397

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len können. Die gallischen Adligen setzten vielmehr ihre Hoffnung auf eine Entscheidung des Prinzeps, der ihnen aufgrund seiner umfassenden Kompetenzen den Zugang zum Senat in anderer Weise öffnen sollte. Wenn Tacitus mit seiner Formulierung „ius adipiscendorum in urbe honorum“ die Bitte der Gallier „etwas schwammig“ zum Ausdruck bringt, so hat er damit einigermaßen korrekt ihr Anliegen wiedergegeben: die primores erstrebten den Zugang zu Ämtern in Rom, die zugleich eine Mitgliedschaft im Senat mit sich brachten. Ihr Ziel war nichts weniger als ein Sitz im Senat, ohne dass sie sich dem hierfür erforderlichen und üblichen Prozedere unterziehen mussten. Eine ähnliche Auffassung haben bereits Pelham403 und Cunningham404 vertreten. In der Forschung der letzten Jahrzehnte ist diese Theorie u. a. von F. Vittinghoff405 und U. SchillingerHäfele406 aufgegriffen und von G. Perl übernommen worden: „Die gallischen primores erstrebten nicht nur den Status eines laticlavius (…), sondern eines Senators, auf dem ‚normalen’ Weg über die senatorischen Ämter bzw. die Aufnahme in eine senatorische Rangklasse, wozu die Gelegenheit gerade günstig war, cum de supplendo senatu agitaretur (Tac. ann. 11, 23, 1).407 W. Rieß hat in seinem Beitrag von 2003 die Frage, ob Claudius die Vergabe des ‚latus clavus’ oder die Ausübung der ‚adlectio’ im Falle der Gallier praktiziert hat, wieder offen gelassen, gleichzeitig grundsätzlich aber eine ‚adlectio’ nicht ausgeschlossen. 408

403 Pelham, The Emperor Claudius, 442: „The Gauls who were thus ‘adlecti inter quaestorios’ would become senators and eligible fort he higher magistracies.(…) This direct admission to the senate was an act well within the rights of Claudius as censor.“ 404 Cunningham, Claudius and the primores galliae, 59. 405 Vittinghoff, Zur Rede des Kaisers Claudius, 303: „Die Bemühungen der römischen Ritter gallischer Herkunft, (…), zielten also daraufhin, im neuen album senatorium des Jahres 48 berücksichtigt zu werden, d. h., die tatsächliche und nicht rechtliche Ausschließung der Gallier zu beseitigen.“ 406 Schillinger-Häfele, Claudius und Tacitus über die Aufnahme von Galliern, 444: „Auch im Zusammenhang mit der Bitte der Gallier kann darum ‚ius adipiscendorum in urbe honorum’ nur die adlectio oder den latus clavus meinen. Dazu paßt, was die originale Claudiusrede erkennen lässt: Claudius, der nach seinen eigenen Worten die Sache der Comata vertritt, spricht unter Hinweis auf seine Zensur darüber, welche Männer im Senat sitzen sollen. Es handelt sich also offenkundig um die geplante Adlektion von Leuten aus der Gallia Comata.“ 407 Perl, Die Rede des Kaisers,115, Anm 2. Dort gibt Perl auch eine detaillierte Aufstellung über die Vertreter der unterschiedlichen Positionen in der Frage, ob die Gallier den latus clavus oder die adlectio erbaten. 408 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 243: „Vorerst begünstigte er [Claudius] lediglich die Häduer, da dies im Senat wohl am ehesten auf Akzeptanz stieß. In welcher Form er sie förderte, ob er ihnen nur den latus clavus verlieh oder sie aufgrund ihres Alters zusätzlich etwas höher einstufte (…), muß offen bleiben. Eine adlectio ist dabei nicht grundsätzlich auszuschließen.“

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Die adligen Gallier hatten keinen konkreten Vorschlag gemacht, auf welche Art und Wiese bzw. in welcher rechtlichen Form genau die von ihnen erbetene ‚Zulassung’ erfolgen sollte.409 Ein derartiger direkter Vorschlag hätte als crimen laesae maiestatis, zumindest als unerhörte Anmaßung oder Provokation, aufgefasst werden können – die Vergabe von Privilegien (‚beneficia’) lag beim Prinzeps, dem man in dieser Hinsicht keine Vorschriften machen konnte. Dass die gallischen Adeligen jedoch durchaus Kenntnis davon hatten, durch welche Maßnahme Claudius ihr Anliegen erfüllen konnte, lässt sich u. a. am Zeitpunkt der Antragstellung ablesen. Es ist die Zeit der Censur des Kaisers, als die primores ihren ‚Vorstoß’ unternehmen.410 Zu den verschiedenen Handlungen innerhalb der Censur zählte die lectio senatus, bei der nach der Verlesung der Namen der aktuellen Senatsmitglieder der amtierende Censor sein Recht auf die Hinzuwahl – adlectio ‒ weiterer Senatoren ausüben konnte. Dieses Verfahren war bereits in republikanischer Zeit praktiziert,411 aber schon seit längerem nicht mehr angewendet worden. Der enge zeitliche wie inhaltliche Zusammenhang von Censur und Antrag lassen darauf schließen, dass hier kein zufälliges Zusammentreffen vorlag. Vielmehr verfügten die gallischen Stammesfürsten offensichtlich über ausreichende Kenntnisse von den Vorgängen in Rom. Sie ergriffen die für sie günstige Gelegenheit, um mit kaiserlicher Unterstützung ihrer herausragenden und prestigeträchtigen Stellung, die sie in ihrer gallischen Heimat besaßen, durch die Aufnahme in den Senat nunmehr auch auf Reichsebene Anerkennung zu verschaffen und mit der römischen Führungsschicht gleichrangig zu konkurrieren. Für Claudius stellte sich die Frage, wie er der Bitte der Gallier entsprechen konnte, ohne die Kritiker im Senat vor den Kopf zu stoßen. Seine Rede vor den Senatoren macht deutlich, dass er noch keine abschließende Entscheidung getroffen hatte, sondern in dieser Angelegenheit einen Beschluss des Senates erwartete. Sein Hinweis auf den noch ausstehenden Teil der censura – „cum hanc partem censurae meae adprobare coepero“ (II 6) – kann als Hinweis verstanden werden, dass er die Möglichkeit ins Auge gefasst hat, den Erwartungen der Gallier durch die adlectio einiger (weniger) primores zu entsprechen. Auch die Ausführungen zu den Söhnen seines Prokurators L. Vestinus, für deren Karriere der Kaiser die Zustimmung des Senats zur Verleihung eines Priesteramtes als einen ersten 409 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 242: „Die Gallier baten den Kaiser mit diplomatischen, weit auslegbaren Worten um eine Förderung verdienter römischer Mitbürger. Claudius sollte prüfen lassen, ob und in welcher Form eine Aufnahme weniger, qualifizierter Bewerber in den Senat möglich war. Dabei wurde dem princeps sicherlich ein weiter Spielraum zugestanden.“ 410 Auf diesen zeitlichen Zusammenhang hat bereits Orelli in seinem Kommentar zu den Annalen hingewiesen (Orelli, Annales, 329): „ - de supplendo senatu] Pertinebat hoc ad censurae munera, quam Claudius eo tempore singulari studio gessit. Iam cum eius in senatu legendo severitate (c. 25) plures senatu moti essent, primorum Galliae comatae studia excitabantur, qui hanc opportunitatem vacuas in curia sedes occupandi cupide arriperent.“ 411 Dazu: Astin, Censorships in the Late Republic.

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Schritt auf dem Weg zum cursus honorum einholt und die sich dann auf dem üblichen Weg den Zugang zum Senat ‚erarbeiten’ sollen („cuius [Vestini] liberi fruantur, quaeso, primo sacerdotiorum gradu, postmodo cum annis promoturi dignitatis suae incrementa,“ II 12-14), lassen den Schluss zu, dass er die Senatoren durch diese Einbindung in eine weniger wichtige Angelegenheit geneigt machen will, ihm in einer bedeutenderen Frage – eben der Entscheidung über eine Aufnahme gallischen Adligen in den Senat – ihre Zustimmung nicht zu versagen. Folgende Überlegungen könnten für die Annahme sprechen, dass zumindest einigen primores durch eine adlectio der Zugang zum Senat ermöglicht worden ist: Neben dem Alter der Antragsteller – es dürfte sich dabei um erfahrene und verdiente und vor allem dem Prinzeps gegenüber loyale Männer gehandelt haben – ist zu bedenken, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung ohnehin eine Ergänzung des Senats im Rahmen der laufenden Zensur vorgenommen werden sollte. Somit musste auch das album senatorum neu aufgeschrieben und ergänzt werden. In diesem Zusammenhang war eine direkte Aufnahme einiger homines novi in den Senat durch eine adlectio, womöglich in die unteren Ränge (inter quaestores oder inter tribunicios), durchaus denkbar. Bei einer derartigen Ergänzung würde es sicher möglich gewesen sein, auch einem oder zwei gallischen Stammesfürsten, die Verdienste um Kaiser und Reich erworben hatten, einen Sitz im Senat einzuräumen. Letztlich lässt sich auch nicht ausschließen, dass sich aus der unterschiedlichen Terminologie in den Annalen – „ius adipiscendorum in urbe honorum“ als Bitte der Gallier, „primi Aedui senatorum in urbe ius adepti sunt“ als Ergebnis des kaiserlichen Antrags ‒ , Anhaltspunkte für eine adlectio der gallischen Adligen, zumindest aus den Reihen der Häduer, ergeben könnten. Mit seiner Bemerkung „orationem principis secuto patrum consulto“ (ann. 11, 25, 1) im Anschluss an die kaiserliche Rede stellt Tacitus klar, dass nach der Rede ein senatus consultum beschlossen und somit eine rechtliche Entscheidung getroffen worden ist. Auch wenn der Historiker in diesem Zusammenhang nichts über eine Diskussion des Antrags durch die Senatoren berichtet, was angesichts seiner breiten Wiedergabe der unterschiedlichen Meinungen – „et studiis diversis apud principem certabatur“ (ann. 11, 23, 2) – im kaiserlichen Beratergremium, dem consilium principis, eigentlich zu erwarten gewesen wäre, so ist es unwahrscheinlich, dass die Senatoren den Antrag des Kaisers ohne Stellungnahme stillschweigend hingenommen haben. Letztere Auffassung haben u. a. Furneaux und Nipperdey in ihren Kommentaren vertreten.412 Dagegen lässt sich zum einen vor412 H. Furneaux in seinem Kommentar zur ‚orationem principis’, 36: [Probably the senate, as was becoming usual, merely acclaimed Claudius’ statement. The request of the chiefs was one which it was within his own power to grant.] – Nipperdey bemerkt: „Es folgten[!] also im Senat auf die Vorlegung und Motivierung des kaiserlichen Antrags alsbald die Abstimmung ohne Debatte.” (Tacitus, erklärt von K. Niperdey, 6. verbesserte Auflage von G. Andresen, II, Berlin 1908, 34; im Folgenden: Nipperdey-Andresen, Tacitus.) Auch Fabia vertritt diese Auf-

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bringen, dass Claudius selbst die Senatoren aufgerufen hat, seine Anträge zu diskutieren und ihre Meinung frei zu äußern, wie eine andere Rede des Kaisers zeigt.413 Zum andern kann wohl kaum erklärt werden, dass ohne eine Debatte das der Rede folgende senatus consultum die ursprüngliche Absicht des Kaisers, den primores Galliae den Zugang zum Senat zuzuerkennen, zwar grundsätzlich billigt, die faktische Umsetzung aber zunächst auf die primores der Häduer beschränkt wird.414 Diese Einschränkung lässt den Schluss zu, dass Claudius’ Antrag von den Senatoren nicht unverändert übernommen worden ist. Mit ihrem grundsätzlichen Einverständnis war die Senatsmehrheit der Bitte der Gallier und dem Antrag des Kaisers weit entgegengekommen. Die konkrete Erweiterung des Personenkreises, aus dem künftig Senatoren berufen werden konnten, war aber entgegen der ursprünglich beabsichtigten Ausweitung auf die gesamte Gallia Comata nur einem Volk, den Häduern, zugestanden worden. Wie Tacitus mitteilt, hatten die „primoresque Galliae, (…), ius adipiscendorum in urbe honorum expeterent“. Demnach war es den Antragstellern darum gegangen, eine Vergünstigung für die Angehörigen der Führungsschicht in allen civitates der Comata zu erreichen, nicht um eine Bevorzugung bestimmter Stämme oder Völker. Deutlich wird dies sowohl in Tacitus’ Angaben als auch in der Originalrede selbst, in der Claudius von einer „Comatae Galliae causa“ spricht; beide Texte enthalten keinen Hinweis darauf, dass das ‚ius honorum’ nur den primores weniger genauer benannter civitates zuerkannt werden sollte. Eine derartige Einschränkung erscheint auch schon deshalb wenig plausibel, weil das jährlich tagende concilium Galliarum in Condate nicht nur Symbolcharakter als Zeichen der Einheit der Gallier in den drei Provinzen der Comata hatte und ihre Loyalität dem Kaiser bekundete, sondern vor allem, weil diese Versammlung nur dann für die gesamte Comata politisch handeln (und auch etwas bewegen) konnte, wenn sie mit einer Stimme sprach und so die Einigkeit der gallischen Stämme gegenüber Rom vertrat. Ein Antrag, der eine Bevorzugung einzelner gallischer Stämme oder Völker zum Inhalt gehabt hätte, hätte sich damit gewissermaßen von selbst verboten. Nur ein gemeinsames Vorgehen war geeignet, in einer so bedeutsamen und gewichtigen Angelegenheit wie der Zuerkennung des ‚ius honorum’ überhaupt Aussicht auf Erfolg zu haben. Der Kaiser selbst hat die Bitte der Gallier wohl ähnlich aufgefasst: so spricht er in seiner Rede bewusst von hundert Jahren Frieden und Treue, die die Gallier insgesamt gegenüber Rom gezeigt hätten, und nicht von einem Wohlverhalten einzelner gallischer Völker. Nicht zuletzt ist auch die Aufstellung der Bronzetafel mit Claudius’ Rede an der ara in Condate, dem Versammlungsort aller gallischen civitates, nur dann plausibel, wenn sich fassung (La Table, 5). – Anders: Liechtenhan, Quelques réflexions sur la table claudienne, 202. 413 FIRA I, 44; mehr zu diesem Punkt im folgenden Kapitel. 414 Dazu: Wellesley, Can You Trust Tacitus?, 24f. bes. Anm. 1, in der er auf Fabias Argumentation (Fabia, La Table, 5) zu diesem Punkt eingeht und sie als ,argumentum ex silentio Taciti’ zurückweist.

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das Anliegen der Gallier, der Antrag des Kaisers und demgemäß auch das senatus consultum auf die primores der gesamten Comata bezogen haben, selbst wenn die positive Entscheidung im Senat zunächst auf Angehörige der adligen Führungsschicht eines Volkes begrenzt war. Da die Einschränkung jedoch in der oratio des Kaisers keinen Niederschlag gefunden hatte, konnte das concilium Galliarum zu Recht die Bronzetafel mit der kaiserlichen Rede als ein nicht zu übersehendes Zeichen ihres Selbstbewusstsein und Selbstverständnisses anfertigen und in Condate aufstellen lassen. Dort diente sie vor allem als Medium der Selbstdarstellung: die gallischen Adligen hatten – als römische Bürger einer Provinz – ihr Anliegen, Zugang zum Senat zu erhalten und damit gewissermaßen eine Gleichrangigkeit mit der römischen Führungsschicht einzufordern, dem Kaiser vorgetragen, und diesem Begehren hatten Kaiser und Senat grundsätzlich entsprochen. Der Senatsbeschluss enthielt keine Angaben darüber, auf welche Art und Weise oder in welcher Form seine praktische Umsetzung erfolgen sollte.415 Offenbar überließ der Senat die Ausführung seines consultum der Kompetenz des Kaisers, der nach Beratung mit seinem consilium eine Entscheidung treffen und diese den Antragstellern mitteilen musste. Angesichts der vorausgegangenen Auseinandersetzungen in diesem Gremium, die den Anlass zur oratio principis gebildet hatten, wie auch in Anbetracht der nicht geringen Zahl von Galliern, die für eine Aufnahme in den Senat in Betracht kamen,416 sah sich der Kaiser zu einer restriktiven Handhabung veranlasst. Eine Verleihung des latus clavus wäre kaum auf Akzeptanz der primores gestoßen, weil sie nicht direkt zum angestrebten Ziel, dem Eintritt in den Senat, geführt hätte. Eine adlectio in größerem Ausmaß hätte nicht nur den üblichen Rahmen überschritten, sondern mit Sicherheit auch den Unmut und Widerstand der bisherigen Senatsmitglieder heraufbeschworen. Eine solche Maßnahme wäre insbesondere von den Senatoren italischer Herkunft als Bedrohung und Angriff auf ihre (Vorrang-)Stellung aufgefasst worden.417 Die Hereinnahme einer größeren Zahl gallischer primores in den Senat lag andererseits auch nicht unbedingt im Interesse des Prinzeps, der um ein möglichst konfliktfreies Verhältnis zum Senat bemüht war und dies bereits durch einen Hinweis auf sein weiteres Vorgehen im Verlauf der Zensur ausgesprochen hatte (II 5-7): „iam vobis, cum hanc partem censurae meae adprobare coepero, quid de ea re sentiam, rebus ostendam“. Indem er nur der Elite der Häduer „aufgrund ihres alten Bündnisses und des Titels ‚Brüder des römischen Volkes“418 das 415 Flach, D., Die Rede des Claudius De iure honorum Gallis dando, in: Hermes 101, 1973, 213-320, hier 315. 416 Dazu: Levick, A Note on the latus clavus, 244. 417 Claudius hatte dieses Problem bereits erkannt und sich dazu schon geäußert: „non Italicus senator potior est?“ (II 5). 418 Tac. Ann. 11, 25, 1: „datum id foederi antiquo, et quia soli Gallorum fraternitatis nomen cum populo Romano usurpant.” Die Häduer waren schon zu Caesars Zeit als „Brüder und

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Recht auf die ‚Ausübung der standesspezifischen Funktionen’ zuerkannte, hoffte er, dass diese Regelung bei den Senatoren auf Akzeptanz stieß. Wie Tacitus betont, erhielten die Häduer diese Berechtigung als ‚primi’ unter den gallischen Völkern, womit er deutlich macht, dass andere Völker bzw. Stämme der Tres Galliae in der Folgezeit sich der gleichen Vergünstigung erfreuen konnten. Zwar finden sich bei Tacitus keine weiteren Angaben über die Einbeziehung von primores anderer gallischer Stämme in den Senat oder über entsprechende Adlektionen, aber das Beispiel des aus Aquitanien stammenden Iulius Vindex,419 dessen Vater unter Claudius römischer Senator geworden war,420 lässt darauf schließen, dass nach 48 einzelne Ritter aus anderen Völkern der Gallia Comata Aufnahme in den Senat gefunden haben. Die aus der Regierungszeit des Claudius überlieferten vier Inschriften über adlecti beziehen sich jedoch auf Ritter, die alle aus Italien stammen;421 Adlektionen von Galliern mit römischem Bürgerrecht lassen sich aus Claudius’ Regierungszeit bislang epigraphisch nicht belegen.422 In diesem Zusammenhang ist auch auf W. Ecks Kritik zu verweisen, die sich dagegen wendet, dass „aus dem Nichtvorhandensein der entsprechenden Quellen auf eine Nicht-Existenz senatorischer oder ritterlicher Familien geschlossen werden kann“.423 Dabei räumt er zugleich ein, „daß der negative Materialbefund nicht ganz zufällig ist: Die Großgrundbesitzer der Gallia Comata wurden nie in dem Maße zu Städtern wie die Eliten der Narbonensis. Der geringere Bedarf an Selbstdarstellung aus Mangel an einem städti-

Blutsverwandte” bezeichnet worden: Caes. Gall. 1, 33: „(…) Haeduos, fratres consanguineosque saepe numero a senatur appellatos”. – Zu den Häduern: Hirschfeld, O., Die Häduer und Arverner unter Römischer Herrschaft, in: SB, Berlin 1897. 1099-1119. Braund, D. C., The Aedui, Troy and the Apocolocyntosis, in: CQ 30, 1980, 420-425. Kremer, B., Das Bild der Kelten bis in augusteische Zeit. Studien zur Instrumentalisierung eines antiken Feindbildes bei griechischen und römischen Autoren (Historia Einzelschriften 88), Stuttgart 1994, 219-263 (‚Die Häduer als Sonderfall der Keltendarstellung Caesars’.) 419 Zu Iulius Vindex: Suet. Nero 40, 1; 41, 1; 46, 3. Suet. Galba 9, 2; 11; 16, 2. Tac. ann. 15, 74, 2. Cass. Dio 63, 22, 1 - 24, 4. - PIR2 I 628. Fluss, M., Iulius. 534) C. Iulius Vindex’, in: RE X,1, 1917, 879-881. De Laet, De samenstelling van den senaat, 193 (Nr. 1430). Urban, R., Gallia rebellis. Erhebungen in Gallien im Spiegel antiker Zeugnisse (Historia Einzelschriften 129), Stuttgart 1999, 49-64. 420 Cass. Dio, 63, 22, 1. 421 Chastagnol, A., Le sénat romain à l’époque impériale. Recherches sur la composition de l’Assemblée et le statut de ses membres, Paris 1992, 117. 422 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 243. 423 Eck, W., Die Struktur der Städte in den nordwestlichen Provinzen und ihr Beitrag zur Administration des Reiches, in: W. Eck - H. Galsterer (Hg.), Die Stadt in Oberitalien und in den nordwestlichen Provinzen des Römischen Reichs. Deutsch-italienisches Kolloquium im italienischen Kulturinstitut Köln, Mainz 1991, 82.

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schen Publikum bedingte in den Tres Galliae eine völlig anders geartete epigraphische Kultur als die, die sich in der Narbonensis entwickeln konnte.“424 Die Bevorzugung der Häduer bedeutete für die primores der übrigen gallischen Völker und Stämme, dass für sie der Zugang zum Senat zunächst nur über eine Verleihung des latus clavus an Einzelne durch den Prinzeps und über die Bekleidung einer Magistratur führte. Die Entscheidung des Kaisers ist als Kompromiss anzusehen: nicht die vollständige Ablehnung des Anliegens der Gallier, wie sie nach Tacitus’ Darstellung in der Diskussion im consilium ihren Ausdruck gefunden hatte – „fruerentur sane vocabulo civitatis: insignia patrum, decora magistratuum ne vulgarent“ (ann. 11, 23, 4) – , aber auch nicht die sofortige Hereinnahme von primores aus der gesamten Comata in den Senat, wie sie von den Antragstellern erhofft worden war, konnten sich durchsetzen. Mit seiner Entscheidung für einen ‚mittleren’ Weg ließ der Kaiser offen, wie die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung der politischen Grundsatzentscheidung im Einzelnen durchgeführt werden sollte. So konnte er die Aufnahme einiger weniger primores aus den Reihen der Häduer in den Senat durch eine adlectio in Aussicht stellen, nachdem er mit seinem Antrag die Tür zu einer Erweiterung des Personenkreises für die Rekrutierung neuer Senatoren aufgestoßen hatte.425 Die Zustimmung des Senats hatte die primores der Comata einen Schritt weiter auf dem Weg zu einer politischen Gleichrangigkeit mit den Standesgenossen der Narbonensis und darüber hinaus mit denen Italiens gebracht. Er stellte in dieser Hinsicht einen unumkehrbaren Erfolg dar, der angesichts tiefgreifender Vorurteile426 und einer jahrhundertealten Gallophobie,427 die in der römischen Führungsschicht fest verwurzelt war, wie Tacitus (ann. 11, 23, 3f.) zeigt und auf die der Kaiser voller Ironie anspielt,428 nicht hoch genug eingestuft werden konnte. Mit seiner Entscheidung, die Comatae Galliae causa in den Senat zu bringen, um dort eine generelle Zustimmung zu seinem Antrag zu erreichen, hatte der Kaiser bewusst einen Weg gewählt, auf dem ein brisantes Problem an die Öffent424 Eck, Struktur der Städte, 82. Dazu auch der Beitrag von Leunissen, P., Homines novi und Ergänzungen des Senats in der Hohen Kaiserzeit: Zur Frage nach der Repräsentativität unserer Dokumentation, in: W. Eck, Prosopographie und Sozialgeschichte. Studien zur Methodik und Erkenntnismöglichkeit der kaiserlichen Prosopographie, Kolloquium Köln 24.- 26. November 1991, Köln - Wien - Weimar 1993, 81-101. Eck, W., Befund und Realität. Zur Repräsentativität unserer epigraphischen Quellen in der römischen Kaiserzeit, in: Chiron 37, 2007, 49-64. 425 Flach, Die Rede des Claudius, 315: „Daß Claudius aus dem Kreis der primores manchen Älteren und Angeseheneren die Vergünstigung der adlectio gewährte, um sie von der Verpflichtung zu entbinden, auch die unteren Stufen der senatorischen Laufbahn zu durchlaufen, ist gleichwohl sehr gut möglich.“ 426 Sherwin-White, A. N., Racial Prejudice in Imperial Rome, Cambridge 1967, bes. 52-54. 427 Zum ‚metus Gallicus’: Kremer, Das Bild der Kelten, 62-68. 428 Tac. ann. 11, 24, 5: „capti a Gallis sumus“.

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lichkeit gelangte und in dem Gremium diskutiert werden konnte, in dem die Betroffenen saßen und über politische Akte entschieden. Im vorliegenden Fall ist nochmals festzuhalten, dass eine Beteiligung des Senats an der Entscheidung über die Aufnahme von Senatoren rechtlich gesehen nicht erforderlich war. Der Prinzeps konnte aus eigener Vollmacht wie auch kraft seines Amtes als Zensor sowohl über die Verleihung des latus clavus als auch über die adlectio neuer Senatoren entscheiden. Allerdings waren bislang nur Senatoren aus Italien und aus weitgehend romanisierten Provinzen wie der Narbonensis oder der Baetica in Spanien in den Senat gelangt. Wenn jetzt vermögende und gesellschaftlich exponierte Männer wie die gallischen Adligen den Zugang zum Senat einforderten, so durfte man gleichzeitig nicht vergessen, dass unter Tiberius mit Iulius Sacrovir429 und Iulius Florus430 eben solche gallischen Stammesfürsten gegen Rom rebelliert hatten. Der Aufstand hatte gezeigt, dass Macht und Einfluss der gallischen primores in ihrer Heimat weiterhin ungebrochen waren431 und ihre Loyalität gegenüber Rom im Ernstfall nicht gesichert war. Diese als ‚Vorurteil’ immer wieder geäußerte Vorstellung über die gallische Führungsschicht als einer verschworenen Gemeinschaft, deren Interessen zuallererst in Gallien und nicht in Rom lagen, konnte vom Kaiser nicht einfach weggewischt werden. Sie hatte noch zwei Jahre zuvor eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Verurteilung des angesehenen Senators Valerius Asiaticus aufgrund einer Anklage wegen Hochverrats gespielt.432 Es erschien daher sinnvoll, dass der Kaiser die von den gallischen Fürsten ergriffene Initiative für ihre Zulassung zum Senat aufgriff, stellte sie doch einen erheblichen Loyalitäts- und Vertrauensbeweis für ihn dar, der eine diplomatische Reaktion des Prinzeps erforderte. Einerseits war das Anliegen der Gallier nicht unberechtigt, da sie alle Voraussetzungen für die Erlangung eines Amtes erfüllten; andererseits musste Claudius auf den Widerstand und auf Vorbehalte nicht weniger Senatoren in dieser Frage Rücksicht nehmen. Wollte der Prinzeps daher die von seinen Vorgängern, insbesondere von Caesar und Augustus eingeleitete Ausweitung des Potenzials für die Aufnahme Provinzialer in den Senat weiterführen und die Grundlagen für die Heranziehung neuer Führungskräfte ausbauen, so bot der Antrag der Gallier für Claudius eine ausgezeichnete Gelegenheit, entsprechende Maßnahmen in Übereinstimmung mit der römischen Führungsschicht zu ergreifen und durchzusetzen. Es war zugleich ein Zu Iulius Sacrovir: Tac. ann. 3, 40f.; 3, 43-46; 4, 19, 4. - PIR2 I 539. Stein, A., ‚Iulius 452) Iulius Sacrovir‛, in: RE X,1, 1917, 796-798. - Zum Aufstand: Herz, P., Der Aufstand des Iulius Sacrovir (21. n. Chr.). Gedanken zur römischen Politik in Gallien und Germanien und ihren Lasten, in: Laverna 3, 1992, 42-93. Auch: Christ, K., Geschichte der römischen Kaiserzeit von Augustus bis zu Konstantin, München 1988, 62010, 202. 430 Zu Iulius Florus: Tac. ann. 3, 40 und 42. - PIR2 I 315. Stein, A., ‚Iulius 238) Iulius Florus.‛, in: RE X,1, 1917, 238. 431 Tac. ann. 3, 40-46. Dazu: Urban, Gallia rebellis, 39-45. 432 Tac. ann. 11, 1, 2. 429

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Gebot politischer Klugheit, dass der Kaiser die Comatae Galliae causa als eine causa von großer politischer Bedeutung (und Brisanz) auf die Tagesordnung einer Senatssitzung brachte und damit auf seine eigene Regelungskompetenz verzichtete. So konnte er eine grundsätzliche politische Entscheidung mit Rechtscharakter in Form eines senatus consultum durch die Mitglieder der curia erwarten. Der Senatsbeschluss nach der oratio principis lässt sich deshalb auch als Beleg für das Beispiel für einen in die Zukunft weisenden Ausgleich zwischen unterschiedlichen politische Interessenlagen von Kaiser und Senat auffassen.

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IV. 2. Claudius und sein Verhältnis zum Senat Der Kompromiss zwischen Claudius und dem Senat, wie er im senatus consultum des Jahres 48 n. Chr. zum Antrag der Gallier auf Zugang zum Senat seinen Ausdruck findet, erlaubt auch Rückschlüsse auf das Verhältnis zwischen dem Prinzeps und dem Senat in dieser Zeit. 433 Die kaiserliche Rede wie auch der Senatsbeschluss sind von gegenseitigem Respekt getragen; die Wortwahl des Prinzeps läst durchaus Wohlwollen gegenüber seinen Zuhörern erkennen, wenn er sie in seine Ausführungen einbezieht.434 Deutlich tritt hier der Unterschied zum Auftreten und Verhalten der beiden Parteien zu Beginn der Regierungszeit des Claudius im Jahre 41 zutage. Als ein nicht unwesentlicher Faktor, der zur Annäherung dieser beiden entscheidenden politischen Institutionen in Rom in der Zeit zwischen dem Regierungsantritt und der Censur, in deren zeitlichen Rahmen die Rede zugunsten der Gallier fällt, kann die vom Kaiser betriebene erfolgreiche expansive Außenpolitik angesehen werden. Zu den Erfolgen, die er gerade in den ersten Jahren seiner Regierung erreichte, zählten neben dem Sieg über die Mauren in Nordafrika und der anschließenden Teilung ihres Gebietes in zwei Provinzen im Jahr 42435 auch die Unterwerfung der Lykier im südlichen Kleinasien nach bürgerkriegsähnlichen Unruhen436 und die Eingliederung in das Reich als Provinz sowie in besonderem Maße die Eroberung Britanniens.437 Diese erfolgreichen Feldzüge hatten nicht nur eine erhöhte Zustimmung der Senatoren zum Kaiser zur Folge, sondern stärkten auch Claudius’ eigene Stellung und Macht und brachten ihm neben einem Gewinn an Prestige auch ein größeres Maß an persönlicher Sicherheit. Dies erlaubte ihm gleichzeitig mehr Souveränität und Großzügigkeit im Umgang mit den Senatoren. Insofern lässt sich durchaus ein spürbarer 433 Zum Verhältnis zwischen Claudius und dem Senat: Scramuzza, V. M., The Emperor Claudius, Cambridge MA 1940, Kap. VI, 99-128. Levick, Claudius, bes. Kap. 9, 93-103. Osgood, J., Claudius Caesar. Image and power in the early Roman empire, Cambridge 2010, ND (Paperbook) 2011 (passim). Prinzeps und Senat in der Zeit des Prinzipats: Talbert, The Senate of Imperial Rome. Brunt, The Role of the Senate in the Augustan Regime. Halfmann, H., O homines ad servitutem paratos! Zum Verhältnis von Monarchie und Aristokratie im kaiserzeitlichen Rom, in: J. Spielvogel (Hg.), Res publica reperta: zur Verfassung und Gesellschaft der römischen Republik und des frühen Prinzipats. Festschrift für Jochen Bleicken zum 75. Geburtstag, Stuttgart 2002, 227-244. Bruun, Chr., Der Kaiser, die republikanischen Institutionen und die kaiserliche Verwaltung, in: A. Winterling (Hg.), Zwischen Strukturgeschichte und Biographie: Probleme und Perspektiven einer neuen Römischen Kaisergeschichte 31 v. Chr. - 192 n. Chr. (Schriften des Historischen Kollegs Kolloquium 75), München 2011, 161-179. 434 So II 26f.: „quod si haec ita esse consentitis quid ultra desideratis“. 435 Cass. Dio 60, 9. - Zur Datierung der Einrichtung Mauretaniens als Provinz und ihrer Zweiteilung: Fishwick, D., The Annexation of Mauretania, in: Historia 20, 1971, 467-487. 436 Suet. Claud. 25, 3: „Lyciis ob exitiabiles inter se discordias libertatem ademit.“ Ähnlich äußert sich Cass. Dio 60, 17, 3, der das Eingreifen Roms in Lykien zusätzlich auf die Ermordung von Römern während der Unruhen zurückführt. 437 Zur Eroberung Britanniens ausführlicher im folgenden Kapitel (S. 137-141).

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Wandel im Verhältnis zwischen Kaiser und Senat seit dem turbulenten Regierungsantritt im Jahr 41 konstatieren, der von den antiken Geschichtsschreibern weitgehend als Konfrontation dargestellt worden ist. 438 Auch wenn sich deren Berichte über die Vorgänge nach dem Attentat auf Caligula aufgrund der unterschiedlichen Einstellungen der Verfasser zum Prinzipat und besonders zu Claudius in der Schwerpunktsetzung wie auch in der Darstellung von Einzelheiten nicht unerheblich unterscheiden,439 so zeigen sie doch übereinstimmend, dass der neue Kaiser sein Amt den Angehörigen der Prätorianergarde440 und zunächst nicht einer Entscheidung des Senats verdankte, zu dessen Mitgliedern er seit seiner Berufung zum Konsul unter Caligula im Jahre 37 zählte.441 Ohne an dieser Stelle näher in die Einzelheiten zu gehen ist festzuhalten, dass der neue Kaiser die Ausrufung zum imperator durch Mitglieder der Garde als den entscheidenden Vorgang für die Übernahme der Regierungsgewalt betrachtete und diesen Zeitpunkt (24. Januar 41) auch als den Beginn seiner Regierungszeit – dies imperii – ansah.442 Indem Claudius sein Amt von der Prätorianergarde, auf die er sich auch weiterhin stützen musste, erhalten und angenommen hatte, verstieß er gegen den mos maiorum443 und die politische Etikette: seine Vorgänger hatten sich ihre Vollmachten stets zuerst vom Senat bestätigen lassen, wie das Beispiel der Machtübernahme durch Caligula zeigt,444 der bei seinem Amtsantritt versprochen 438 Über die Ereignisse um Caligulas Ermordung und Claudius’ Regierungsantritt: Ios. ant. Iud. 19; Suet. Claud. 10, 2-4; Cass. Dio 60, 1-4. - Levick, Claudius, Kap. 4, 29-39. Winterling, A., Caligula. Eine Biographie, München 32004, korrigierte Neuauflage 2012, 163-174. Osgood, Claudius, 29-42. 439 Dazu Jung, H., Die Thronerhebung des Claudius, in: Chiron 2,1972, 367-386. Scherberich, K., Sueton und Josephus über die Ermordung des Caligula, in: RhM 142, 1999, 74-83. 440 Dazu auch: Stäcker, J., Princeps und miles. Studien zum Bindungs- und Nahverhältnis zwischen Kaiser und Soldat im 1. und 2. Jh. n. Chr. (SPUDASMATA 91), Hildesheim - Zürich New York 2003, 370-376. 441 Suet. Cal. 15, 2: „patruum Claudium, equitem R. ad id tempus, collegam sibi in consulatu assumpsit“. Cass., Dio 59, 6, 5f. 442 Suet. Claud. 12, 3: „quamvis exordium principatus sui“. – Kienast - Eck - Heil, Kaisertabelle, 82. Zum ‚üblichen Ablauf’ der Investitur eines neuen Prinzeps in der Zeit nach Augustus: Jacques, F. - Scheid, J., Rom und das Reich. Staatsrecht – Religion – Heerwesen – Verwaltung – Gesellschaft ̶ Wirtschaft, Hamburg 2008, 25-33 (franz Originalausgabe Paris 1990, 31996). 443 Zum mos maiorum: Mayer-Maly, Th., ‚Mores’, in: KlP 3, 1969, 1425-1427. Schiemann, G., ‚Mores’, in: DNP 8, 2000, 395f. Kierdorf, W., ‚Mos maiorum’, in: DNP 8, 2000, 402f. Blösel, W., Die Geschichte des Begriffs mos maiorum von den Anfängen bis zu Cicero, in: B. Linke - M. Stemmler (Hg.), Mos maiorum. Untersuchungen zu den Formen der Identitätsstiftung und Stabilisierung in der römischen Republik (Historia Einzelschriften 141), Stuttgart 2000, 25-97. Pina Polo, F., Die nützliche Erinnerung: Geschichtsschreibung, mos maiorum und die römische Identität, in: Historia 53, 2004, 147-172. 444 Suet. Cal. 14, 1: „ingressoque urbem, statim consensu senatus et irrumpentis in curiam turbae, (…) ius arbitriumque omnium rerum illi permissum est.” Dazu: Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit, 209: „Gaius [Caligula] teilte dem römischen Senat völlig korrekt seine Ausrufung zum princeps mit und bat den Senat zugleich ausdrücklich um die Bestätigung

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hatte, „seine Herrschaft mit den Senatoren zu teilen“.445 In ähnlicher Weise sollte auch Nero, Claudius’ Nachfolger, dem Senat seinen Respekt erweisen, wie Tacitus überliefert.446 Mithin war Claudius der einzige Kaiser aus der julischclaudischen Dynastie, der seine Herrschaft von Anfang an auf die Unterstützung durch die Prätorianer baute447 und sich erst anschließend vom Senat bestätigen ließ.448 Damit geriet er gleichzeitig in Gegensatz zu einem großen Teil der Senatoren, die gehofft hatten, dass mit Caligulas Tod die alte republikanische Freiheit und Ordnung wiederhergestellt werde,449 und die andere Kandidaten für das höchste Staatsamt bevorzugt hätten.450 Die durch den neuen Prinzeps enttäuschten Erwartungen führten zu Misstrauen und Abneigung gegenüber Claudius, der um seine Sicherheit fürchtete und sich über einen Monat lang nicht in die curia wagte, und dann auch nur in Begleitung einer Wache der Prätorianer.451 Bereits seine ersten Amtshandlungen zeigten, dass der neue Kaiser einen eigenen Standpunkt gegenüber dem Senat in der Frage des Umgangs mit den Vorfällen bei der Ermordung seines Vorgängers einnahm. Hatte der Senat nach Caligulas Ermordung zunächst über eine ‚damnatio memoriae’452 des Toten und über eine

dieses Aktes. Dieser Vorgang war, staatsrechtlich gesehen, nicht unerheblich. Seine Bedeutung kommt darin zum Ausdruck, daß Gaius nicht den Tag der Prätorianerakklamation, sondern denjenigen der Senatsbestätigung am 18. März als Tag seines Regierungsbeginns, als dies imperii, wählte.“ 445 Cass.Dio 59, 6, 1. 446 Tac. ann. 12, 69, 2: „sententiam militum secuta patrum consulta“. 447 Suet. Claud. 10, 4: „primus Caesarum fidem militis etiam praemio pigneratus“. Vgl. Levick, Antiquarian or Revolutionary, 96f. 448 Cass. Dio 60, 1, 4. 449 Suet. Claud. 10, 3: „nam consules cum senatu et cohortibus urbanis forum Capitoliumque occupaverant asserturi communem libertatem“. Scramuzza, The Emperor Claudius, 51-63. Timpe, D., Untersuchungen zur Kontinuität des frühen Prinzipats (Historia Einzelschriften 5), Wiesbaden 1962, 90. 450 Cass. Dio 60, 3, 5. Als Thronprätendenten nennt Dio 60, 15, 1f. im Zusammenhang mit der Verschwörung im Jahre 42 Annius Vinicianus und Furius Camillus Scribonianus, die beide nach dem missglückten Usurpationsversuch Selbstmord begingen. 451 Suet. Claud. 12, 2. Cass. Dio 60, 3, 2. Zu weiteren Vorsichtsmaßnahmen: Suet. Claud. 35f. Claudius’ überaus vorsichtiges Verhalten nach seinem Amtsantritt wird verständlicher, wenn man bedenkt, dass die Erinnerung an Caesars Ermordung in der Kurie beim ersten Prinzeps Augustus eine derartige Furcht vor einem ähnlichen Anschlag auslöste, dass dieser den Versammlungsort des Senats nur mit einem Brustpanzer unter seiner Kleidung betrat, wie Cass. Dio 54, 12, 3 berichtet. Sueton überliefert, dass Augustus bei einer lectio senatus mit einem Schwert am Gürtel den Vorsitz übernommen habe (Claud. 35, 1). Dazu: Talbert, Senate, 157f. - Wie sehr Claudius um seine Sicherheit besorgt war, zeigt Suet. Claud. 35. 452 Brassloff, St., ‚Damnatio memoriae’, in: RE IV,2, 1901, 2059-2062. Mlasowsky, A., ‚Damnatio memoriae’, in: DNP 3, 1997, 299f. - Vittinghoff, F., Der Staatsfeind in der römischen Kaiserzeit. Untersuchungen zur ‚damnatio memoriae’, Berlin 1936.

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generelle Ächtung der Caesaren beraten,453 von denen auch Claudius betroffen gewesen wäre, so konnte der neue Prinzeps die damnatio memoriae seines Vorgängers verhindern.454 Er ließ jedoch die rescissio actorum beschließen455 und veranlasste die Beseitigung der Bildsäulen des Toten. Mit diesen Maßnahmen distanzierte er sich deutlich von seinem Vorgänger, ohne zugleich die Kontinuität der Institution ‚Prinzipat’ zu zerstören, was mit der vom Senat beabsichtigten damnatio bezweckt werden sollte.456 In der Frage einer Bestrafung der Mörder Caligulas entschied sich der Kaiser für einen Kompromiss: da in die Verschwörung gegen seinen Vorgänger zahlreiche Hintermänner,457 unter ihnen auch Senatoren,458 verwickelt waren, beschloss er eine Generalamnestie,459 von der jedoch die Hauptbeteiligten ausgenommen und hingerichtet wurden.460 Der anfängliche Widerstand der Senatoren461 gegen Claudius’ Amtsübernahme, vor allem aber die Tatsache, dass dieser von den Prätorianern in sein Amt gebracht worden war,462 führten zu Spannungen, die auch durch die Generalamnestie des neuen Prinzeps nicht aufgehoben werden konnten. Obwohl er Senat und

453 Suet. Claud. 11. 3: „quidam vero sententiae loco abolendam Caesarum memoriam ac diruenda templa censuerint.“ Den Beratungen war der Sturz von Caligulas’ Statuen und Bildnissen durch die plebs vorausgegangen (Cass. Di 59, 30, 1a). Ähnlich berichtet Sueton (Dom. 23, 1) von den Vorgängen nach der Ermordung Domitians. Dazu auch: Ando, Imperial Ideology, 240. 454 Cass. Dio, 60, 4, 5. 455 Suet. Claud. 11, 3: „[Claudius] Gai quoque etsi acta rescidit“. 456 Vittinghoff bemerkt dazu: „Mit der Ablehnung der posthumen Ächtung hat Claudius den Schein einer Überordnung der Senatsgewalt über die kaiserliche zurückweisen wollen und dadurch dem Senat das Widerstandsrecht bestritten.“ (Vittinghoff, Staatsfeind, 103). 457 Timpe, Untersuchungen zur Kontinuität, 79f. 458 Garzetti, A., From Tiberius to the Antonines. A History of the Roman Empire AD 14-192, London 1974, 106 (Erstausgabe unter dem Titel ‚L’impero da Tiberio agli Antonini’, Rom 1960). 459 Suet. Claud. 11, 1. 460 Cass. Dio, 60, 3, 4f. Der juristische Grund für die Hinrichtung der Mörder liegt wohl weniger in der Ermordung Caligulas als vielmehr in der Tötung seiner Frau Caesonia und der Tochter Drusilla (Christ, Kaiserzeit, 215). Dazu: Timpe, Untersuchungen zur Kontinuität, 91: „Claudius war klug genug, die Ermordung des Gaius nicht zu verurteilen, die legitimistische Tyrannenmord-Theorie (…) wenn nicht zu bestätigen, so doch zu dulden. Dagegen war unverzeihlich die Ausrottung der Caesarenfamilie, nicht nur, weil er dabei um ein Haar selbst umgekommen wäre, sondern auch, weil dieser Angriff auf die Prinzipatskontinuität (vgl. den Antrag im Senat bei Suet. Cal. 60) die Grundlage seiner eigenen Herrschaft erschütterte.“ 461 Dazu: Raaflaub, K. A., Grundzüge, Ziele und Ideen der Opposition gegen die Kaiser im 1. Jh. n. Chr.: Versuch einer Standortbestimmung, in: Opposition et résistance à l’empire d’Auguste à Trajan, neuf exposés suivis de discussions (Entretiens Hardt 33), Vandœuvres Genf 1987, 30f. Flaig, E., Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich (Historische Studien 7), Frankfurt/Main - New York 1992, 224-232. 462 Cass. Dio 60, 1, 3.

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Magistraten gegenüber Freigiebigkeit (liberalitas)463 und Höflichkeit (civilitas) an den Tag legte,464 regte sich weiterhin bei den Senatoren Widerstand,465 was zu Prozessen und in nicht wenigen Fällen zum gewaltsamen Tod bzw. zur Selbsttötung der Beteiligten führte.466 Ein von einem Mitglied des Senats im Jahr 42 angezettelter Usurpationsversuch von geringerem politischen Gewicht bildete den Höhepunkt dieser Entwicklung.467 Auf wessen Seite auch immer die Schuld an den Dissonanzen zwischen den beiden Institutionen im Einzelnen gelegen haben mag, so ist doch festzuhalten, dass nicht immer Mitglieder des Senats die Urheber von Missstimmigkeiten und Widerstreben waren; andererseits kann es nicht im Sinne einer Verständigungspolitik des Kaisers gelegen haben, Senatoren ohne begründete Verdachtsmomente oder eindeutige Schuldfeststellung mit dem Tode zu bestrafen.468 Das wechselseitig bedingte Spannungsverhältnis zwischen Prinzeps und Senat äußerte sich auch im Desinteresse der Senatoren an den Senatssitzungen. Bereits Augustus hatte sich veranlasst gesehen, durch ein eigenes Gesetz, die ‚lex Iulia de senatu habendo’, ausführliche Bestimmungen u. a. zur Festlegung von Sitzungstagen,469 zur Tagesordnung, zur Festlegung eines Quorums für die Rechtmäßigkeit von Beschlüssen zu erlassen sowie Strafen für das Nichterscheinen bei einer Sitzung anzudrohen.470 Inwieweit Augustus’ Bemühungen Erfolg hatten, ist schwer nachzuweisen; Claudius versuchte, aufgetretene Missstände mit den gleichen Mitteln wie der erste Prinzeps zu beheben, indem er etwa die Anwesenheit in den Senatssitzungen durch Strafandrohungen erzwang471 oder eine Reihe rigider Kontrollen verfügte.472 Ebenso übte er Kritik an einer mangelhaften Diskussionsbereitschaft im Senat, wie eine weitere erhalten gebliebene Rede aus dem 463 Corbier, M., ‚Liberalitas, largitio’, in : DNP 7, 1999, 140-144. Kloft, H., Liberalitas principis. Herkunft und Bedeutung. Studien zur Prinzipatsideologie (Kölner Historische Abhandlungen 18), Köln - Wien 1994. 464 Cass. Dio 60, 6, 1, 12, 1 und 12, 3. - Levick, Claudius, 93f. 465 Suet. Claud. 13. - McAlindon, D., Senatorial Opposition to Claudius and Nero, in: AJPh 77, 1956, 113-132. 466 McAlindon, D., Claudius and the Senators, in: AJPh 78, 1957, 279-286, hier 280f. Sueton berichtet in Claud. 29, 2 von Todesurteilen gegen 35 Senatoren und über 300 Rittern. 467 Tac. ann. 12, 52, 2. Tac. hist. 1, 89, 2. Suet. Claud. 13. Cass. Dio 60, 15. - McAlindon, Claudius and the Senators, 284. Pekáry, Seditio. Unruhen und Revolten, 133-150. Flaig, Den Kaiser herausfordern, 232-239. Rutledge, S. H., Imperial Inquisitions. Prosecutors and informants from Tiberius to Domitian, London - New York 2001, 164-166. 468 Bergener, A., Die führende Senatorenschicht im frühen Prinzipat (14 - 68 n. Chr.), Bonn 1965, 25. 469 So Suet. Aug. 35, 3. 470 Dazu im Einzelnen: Cass. Dio 55, 3f.; auch Kienast, Augustus, 179f. Anm. 98. 471 Cass. Dio, 60, 11, 8: „πάντας ἐπηνάγκαζεν ἐς τὸ βουλευτήριον ὁσάκις ἄν ἐπανγγελθῇ σφισι συμφοιτᾶν καὶ ἐπὶ μὲν τούτῳ οὕτως ἰσχυρῶς τοῖς μὴ πειθαρχοῦσιν ἐπετίμα ὣστε τινας ἑαυτοὺς ἀναχρήσασθαι.“ 472 Garzetti, From Tiberius to the Antonines, 135.

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Jahr 43,473 also aus der Anfangszeit der claudischen Regierung, belegt.474 Darin betonte er, dass es der Würde des Senats nicht angemessen sei, wenn der consul designatus einen zuvor verlesenen Antrag Wort für Wort als seine eigene Meinung wiedergebe und die anderen [Senatoren] nur ihre Zustimmung gäben, beim Herausgehen aber erklärten, dass sie diskutiert hätten.475 Diese Rede zeigt den Willen des Kaisers zur Zusammenarbeit mit dem Senat, wenn er dessen Mitglieder zu begründeten Gegenvorschlägen und Änderungswünschen zu seinen Anträgen aufruft. Seinem Vorschlag blieb wohl der Erfolg versagt, da er sich lediglich gegen Symptome wandte, die Ursachen für die Spannungen zwischen Kaiser und Senat jedoch weiterhin bestehen blieben, weil sie in den Grundstrukturen des Prinzipats wurzelten. Das gilt auch für andere Bemühungen, die zumindest nach außen hin die Anerkennung des Status der Senatoren durch den Prinzeps zum Ausdruck bringen sollten. Zu ihnen zählten nicht nur höfliche Umgangsformen gegenüber den Senatsmitgliedern,476 denen er u. a. eigene Sitzreihen im Circus zuwies,477 und die Behandlung als Standesgenossen,478 sondern auch Claudius’ Bestreben, die Senatoren in die Beratungen und Entscheidungen einzubinden. Dazu brachte er alle wichtigen Angelegenheiten in den Senat ein und nahm selbst regelmäßig an dessen Sitzungen teil.479 Seine Senatsrede zugunsten des Antrags der Gallier zeigt außerdem deutlich, dass der Kaiser sehr bemüht war, die Senatoren nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen, sondern mit ihnen eine einvernehmliche Lösung für ein Problem zu erzielen und dafür ihre Zustimmung zu suchen: „quod si haec ita esse consentitis, quid ultra desideratis,…“ (II 26f.). Er fügte sich in die Ordnung des Gremiums ein, ohne einen besonderen Platz zu beanspruchen,480 und ergriff das Wort, wenn er entsprechend der Rangordnung an der Reihe war. Dass er bestrebt war, die Senatoren für sich und seine politischen Vorstellungen zu gewinnen, zeigen auch 473 von Woess, F., Die oratio des Claudius über Richteralter, Prozeßverschleppung und Anklägertyrannei (BGU. 611), in: ZRG 51, 1931, 336-368, hier 344f. und 355. Stroux, J., Eine Gerichtsreform des Kaisers Claudius (BGU 611). (SB München Jg. 1929, Heft 8), München 1929. 474 FIRA I, 44, col. III, 1.16-21: „mem[iner]itis vobis di[cendam] esse sen[tentiam]; minime enim decorum est, p. c., m(aiestati] huius ordinis hic un[um ta]ntum modo consulem designatum [de]scriptam ex relatione consulum [ad ver]bum dicere sententiam, ceterum unum verbum dicere «adsentior», deinde cum exierint «di[ximus»].” 475 Bergener, Die führende Senatorenschicht, 26. 476 Cass. Dio, 60, 6, 1. Dazu zählte auch die Abschaffung des Brauchs, am Neujahrstag im Senat die Reden des Augustus und Tiberius zu verlesen, mit dem Hinweis, ‚es reiche, dass die Reden auf Tafeln niedergeschrieben seien’ (Cass. Dio, 60, 10, 2). 477 Suet.21, 3, und Cass. Dio, 60, 7, 4; eine ähnliche Anordnung wird von Augustus berichtet: Suet. Aug. 44, 1. 478 Cass. Dio, 60, 12, 1 und 3. 479 Suet. Claud. 23, 2 . Talbert, Senate, 176f. 480 Suet. Claud. 23, 2.

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die Auszeichnungen, die er an sie vergab: so verlieh er z. B. die ornamenta triumphalia an die Senatoren, die mit ihm am Feldzug nach Britannien teilgenommen hatten.481 Auch die Berufung zum consul suffectus, durch die die Zahl der Konsuln pro Jahr erhöht wurde,482 brachte Ehre und Ansehen, selbst wenn die Amtszeit nur wenige Wochen betrug. Eine noch bedeutendere Auszeichnung stellte eine zweite oder (seltener) dritte Verleihung des Konsulats dar.483 Trotz aller Bemühungen um die Gunst der Senatoren, wie sie z. B. auch in der Rückgabe der Provinzen Achaia und Makedonien an den Senat484 oder auch durch den Verzicht auf Dankesbezeugungen neu ernannter Magistrate ihren Ausdruck fanden,485 bleibt festzustellen, dass Claudius’ Bemühungen um einen Ausgleich zwischen ihm und dem Senat wohl zu einem modus vivendi geführt haben, der allerdings vordergründig blieb. Die weiterhin bestehende grundsätzliche Diskrepanz zwischen beiden Institutionen hatte ihre Wurzeln in der Überordnung des Prinzeps und der sich daraus ergebenden Unterordnung des Senats, war somit struktureller Art. Sie hatte unter Augustus begonnen486 und in den letzten Jahren der Herrschaft Caligulas einen Höhepunkt erreicht; durch die Bemühungen des neuen Prinzeps konnte sie verringert, nicht jedoch aufgehoben werden. Die von D. Timpe als ‚latente Wettbewerbssituation’487 bezeichnete Konstellation machte es für den Kaiser umso wichtiger, dass er neben Auszeichnungen, 481 Suet. Claud. 24, 3; Cass. Dio, 60, 23, 2. Zur Abhängigkeit zwischen Verleihung der ornamenta triumphalia und Imperator-Akklamationen des Kaisers: Eck, W., Kaiserliche Imperatorenakklamation und ornamenta triumphalia, in: ZPE 124, 1999, 223-227. 482 Kübler, B., ‚Suffectus’, in: RE IV,A, 1931, 652. Eck, W., ‚Suffektconsul’, in: DNP 11, 2001, 1089f. Eck, W., Consules ordinarii et consules suffecti als eponyme Amtsträger, in: Epigrafia. Actes du Colloque international d’épigraphie latine en mémoire de Attilio Degrassi pour le centenaire de sa naissance, Rome, 27-28 mai 1988 (Collection de l’école française de Rome 143), Rom 1991, 15-44). 483 Eck, W., Consules, consules iterum et consules tertium - Prosopographie und Politik, in: G. Zecchini, ‘Partiti’ et fazioni nell’esperienza politica romana, Mailand 2009, 155-181. Zu den Ehrungen von Senatoren in der Prinzipatszeit auch: Alföldy, G., Pietas immobilis erga principem und ihr Lohn: Öffentliche Ehrenmonumente von Senatoren in Rom während der Frühen und Hohen Kaiserzeit, in: G. Alföldy - S. Panciera (Hg.), Inschriftliche Denkmäler als Medien der Selbstdarstellung in der römischen Welt (HABES 36), Stuttgart 2001, 11-46 passim. 484 Suet. Claud. 25, 3. – Tiberius hatte im Jahr 15 beide Provinzen zu kaiserlichen Provinzen gemacht (Tac. ann. 1, 76, 2: „Achaiam et Macedoniam onera deprecantis levari in praesens proconsulari imperio tradique Caesari placuit.“). 485 Cass. Dio 60, 11, 6f. 486 Bergener, Die führende Senatorenschicht, 7-11. - Kienast, Augustus, 153. - Timpe, D., Moderne Konzeptionen des Kaisertums, in: A. Winterling (Hg.), Zwischen Strukturgeschichte und Biographie: Probleme und Perspektiven einer neuen Römischen Kaisergeschichte 31 v. Chr. - 192 n. Chr., München 2011, 132 und 143. - Zum Verhältnis zwischen Prinzeps und Senat im frühen Prinzipat auch: Bonnefond-Coudry, M., Princeps et sénat sous les julioclaudiens: des realtion à inventer, in: MEFRA 107, 1995, 225-254, zu Claudius bes. 244-247. 487 Timpe, Moderne Konzeptionen, 143.

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ehrenden Ämtern und der Karriereförderung auch über umfassende Möglichkeiten zur Formierung des Senatorenstandes verfügte: „Die Rechte, den latus clavus zu verleihen, der Commendation, der Adlection und der censorischen Qualifikationsprüfung erlaubten dem Princeps, die Zusammensetzung der Körperschaft so zu beeinflussen, dass eine geschlossene, politisch unabhängige Willensbildung des Senats nicht zustande kommen konnte. Der Senat kannte weder organisierte Interessengruppen noch eine gemeinsame programmatische Basis; er hatte keine Möglichkeit, eine ‚öffentliche Meinung’ zu mobilisieren.“ (Timpe, Konzeptionen, 144.) Wenn nun der Prinzeps darüber entschied – sei es bereits im Vorfeld der Wahlen zu den Magistraturen, sei es durch die genannten Maßnahmen – , wer künftig dem Senatorenstand angehörte,488 so bedeutete dies eine grundlegende Änderung gegenüber der Zeit der Republik. Verkürzt lässt sich dieser Wandel wie folgt darstellen: Der republikanische Senat hatte sich durch die Selbstergänzung freigewordene Senatssitze zu einem fast exklusiven und elitären Gremium entwickelt. Im Prinzipat war der Kaiser als princeps senatus Mitglied der Kurie. Seine Befugnis, censorische Aufgaben auszuüben, beruhte aber nicht auf diesem Titel; er nahm vielmehr als princeps seine Aufgaben als Censor, zu denen auch die cura morum zählte,489 wahr. Damit entschied er – und nicht mehr der Senat – über die Zusammensetzung des Gremiums. So hatte bereits Augustus bei den lectiones senatus in den Jahren 28 v. Chr. (zusammen mit Agrippa), sowie 18 und 11 v. Chr. verfahren.490 Claudius ließ sich 48 das Amt des Censors (mit L. Vitellius als Kollegen491) offiziell übertragen.492 Augustus wie auch Claudius nutzten das Amt, um die Senatoren auf ihre ‚Würdigkeit’ (‚dignitas’) hin zu überprüfen,493 wobei nicht auszuschließen ist, dass unter dieser Kategorie nicht nur wortwörtlich ‚unwürdige’ Senatoren ihre Zugehörigkeit zu diesem Stand verloren, sondern im Einzelfall auch dem Prinzeps nicht genehme Senatsmitglieder entfernt

488 McAlindon, D., Senatorial Advancement in the Age of Claudius, in: Latomus 16, 1957, 252-262. 489 Die cura morum gehörte seit der Frühzeit der Republik zu den Aufgaben der Censoren: Schmähling, E., Die Sittenaufsicht der Censoren. Ein Beitrag zur Sittengeschichte der römischen Republik, Stuttgart 1938. Suolahti, The Roman Censors, 47-52. Parsi-Magdelain, B., La cura legum et morum, in: RD 42, 1964, 373-412. Kienast, Augustus, passim. 490 Kienast, Augustus, 154. 491 Zu Vitellius: Suet. Vit., 2, 4-5; 3, 1. Tac. ann. 6, 28, 32, 36-37, 41-43, 47; 11, 2-4, 33-35; 12, 4-6, 9, 42; 14, 56. Cass. Dio 59, 27, 2-6; 60, 21, 2, 29, 1, 29, 6 und 31, 8. PIR2 V 741. Mayer-Maly, Th., Vitellius 7c’, in: RE Suppl. IX, 1962, 1733-1739. Eck, W., ‚L. Vitellius [II 3]’, in: DNP 12/2, 2002, 261f. Dorey, Claudius und seine Berater, 144-147. 492 Suolahti, Censors, 507f. Seif, K. Ph., Die Claudiusbücher in den Annalen des Tacitus, Diss. Mainz 1973, 73-84. 493 Baltrusch, E., Regimen morum. Die Reglementierung des Privatlebens der Senatoren und Ritter in der römischen Republik und frühen Kaiserzeit (Vestigia 41), München 1988.

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werden konnten.494 Dieser Eingriff in das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Senatsmitglieder, der aus Sicht des Kaisers ein unabdingbares Mittel zum Erhalt und Überleben des Prinzipats war, musste bei den Betroffenen als Hinweis auf ihre Unterordnung einen andauernden Unmut wach halten. Nicht weniger irritierend und fast demütigend war für die Senatoren, dass ihnen eine kleine Gruppe von Angehörigen der kaiserlichen familia den Einfluss beim Prinzeps streitig machte, die kaiserlichen Freigelassenen,495 denen Claudius in zunehmendem Maße seine privaten, aber auch seine politischen Geschäfte anvertraute. Bereits Augustus hatte seinen Freigelassenen öffentliche Aufgaben zugewiesen, als er 6 n. Chr. sieben cohortes vigilum aus Freigelassenen zur Brandbekämpfung in Rom aufstellte.496 Ein weiteres Betätigungsfeld für Freigelassene eröffnete sich für sie in der Vermögensverwaltung vornehmer Wohlhabender, die häufig procuratores aus dem Ritterstand anvertraut worden war. Da es bei dieser Tätigkeit „weniger auf den sozialen Rang als auf die administrativen Fähigkeiten der damit betrauten Männer ankam“,497 fanden Freigelassene hier schon früh die Möglichkeit, nicht nur das Vermögen ihrer Herren, sondern auch ihr eigenes zu mehren. Dabei konnten vermögende Freigelassene sogar in den Ritterstand gelangen, wie Sueton und Cassius Dio überliefern.498 Auch wenn in der Folgezeit zunächst nur in Ausnahmefällen Freigelassene öffentliche Ämter wahrnahmen, wie etwa im Jahre 32, als dem Freigelassene Hiberus499 für einige Monate das 494 Klingenberg, A., Sozialer Abstieg in der römischen Kaiserzeit. Risiken der Oberschicht in der Zeit von Augustus bis zum Ende der Severer, Paderborn u. a. 2011, bes. 95-105. 495 Steinwenter, A., ‚Libertini’, in: RE XIII,1, 1926, 104-110. Heinrichs, J., ‚Freigelassene’, in: DNP 4, 1998, 646-650. Duff, A. M., Freedmen in the Early Roman Empire, Oxford 1928, bes. 89-186. Sklaven und Freigelassene in der Gesellschaft der römischen Kaiserzeit. Textauswahl und Übersetzung von W. Eck und J. Heinrichs (Texte zur Forschung 61), Darmstadt 1993, 22009. Chantraine, H., Freigelassene und Sklaven im Dienst der römischen Kaiser. Studien zu ihrer Nomenklatur (Forschungen zur antiken Sklaverei 1), Wiesbaden 1967. Eck, W., Teilhabe an der Macht: Kaiserliche Freigelassene in der Gesellschaft des Imperium Romanum, in: Universität Trier (Hg.), Reden an der Universität, Trier 2012, 19-42. Zum Aufstieg von Freigelassenen: Rosen, K., Römische Freigelassene als Aufsteiger und Petrons Cena Trimalchionis, in: Gymnasium 102, 1995, 79-92. 496 Cass. Dio 55, 26, 4. Kienast, Augustus, 142. 497 Kienast, Augustus, 190f. 498 Suet. Aug. 27, 2. Cass. Dio 47, 7, 5; 48, 45, 7 und 53, 30, 3. - Zu den sozialen Aufstiegsmöglichkeiten Freigelassener auch: Wiseman, New Men, 70-72. Kienast, Augustus, 190-194. Eck, W., Ordo equitum romanorum, ordo libertorum. Freigelassene und ihre Nachkommen im römischen Ritterstand, in: S. Demougin, L’ordre équestre. Histoire d’une aristocratie (IIe siècle av. J.-C. – IIIe siècle ap. J.-C.). Actes du colloque international organisé par S. Demougin, H. Devijver et M.-T. Raepsaet-Charlier (Bruxelles -Leuven, 5-7 octobre 1995), Rom 1999, 5-29. 499 Cass. Dio 58, 19, 6. - Hanslik, R., ,Hiberus 1’, in: KlP 2, 1967, 1128. Modrzejewski, J.M., Ägypten. Der Aufbau der Provinzialverwaltung, in: C. Lepelley u. a. (Hg.), Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit (44 v. Chr. - 260 n. Chr.), Bd. 2: Die Regionen des Reiches, München - Leipzig 2001, 474.

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dem Ritterstand vorbehaltene Amt eines praefectus Aegypti500 übertragen worden war, so gelangten doch erst unter Claudius die kaiserlichen Freigelassenen in stärkerem Maße in Positionen,501 die von ihrem sozialen Status und besonders von ihren Funktionen bzw. Tätigkeitsfeldern her den Magistraten fast gleichkamen.502 Da sie vom Prinzeps mit ihrer jeweiligen Aufgabe betraut worden und von ihm abhängig waren, war der Senat von ihrer Auswahl sowie von einer Kontrolle ihrer Tätigkeit praktisch völlig ausgeschlossen. Ob die Freigelassenen wirklich (neben den Frauen am Kaiserhof) den entscheidenden Einfluss auf die kaiserliche Politik genommen haben, wie einige antike Autoren, allen voran Cassius Dio, ihre Leser glauben machen wollen,503 sei dahingestellt.504 Wie einflussreich einige Freigelassene das politische Spiel und die Intrigen in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers aber faktisch beherrschten, zeigen u. a. die Beispiele des Narcissus505, des Pallas506 oder des Callistus507. Narcissus, Leiter der kaiserlichen Kanzlei (‚ab epistulis’),508 hatte bereits in der Anfangszeit von Claudius’ Regierung nicht unerheblich die kaiserliche Politik mitbestimmt. So hatte er 42 n. Chr. maßgeblich die Hinrichtung des ehemaligen Konsuls509 und Statthalters in der Provinz Hispania Tarraconensis, Appius Iunius Silanus510, betrieben511 und war an der Niederschlagung des Putschversuches gegen den Kaiser, den L. Arruntius Camillus Scribonianus512 im selben Jahr unternommen hatte,513 beteiligt. 500 Reinmuth, O. W., ,Praefectus Aegypti’, in: RE XXII,2, 1954, 2353-2377. Eck, W., ‚Praefectus Aegypti’, in: DNP 10, 2001, 246-249. Modrzejewski, Ägypten, 473-477. Jördens, A., Statthalterliche Verwaltung in der römischen Kaiserzeit. Studien zum praefectus Aegypti (Historia Einzelschriften 175), Stuttgart 2009. 501 Zu den verschiedenen Funktionen im kaiserlichen Verwaltungsapparat: Ausbüttel, F., Die Verwaltung des römischen Kaiserreiches. Von der Herrschaft des Augustus bis zum Niedergang des Weströmischen Reiches, Darmstadt 1998, 12-15. 502 Suet. Claud. 28-29, 1. Syme, R., Die römische Revolution. Machtkämpfe im antiken Rom. Hg. von Ch. Selzer und U. Walter. Grundlegend revidierte und erstmals vollständige Neuausgabe, 3. Auflage Stuttgart 2006, 424 und Anm. 21 (zuerst Oxford 1939). 503 So Cass. Dio 60, 2, 4f.; 8, 4-6.; 14, 1; 15, 5; 17, 5-8; 28, 2; 61, 30, 6b und 33, 6. Tac. ann. 12, 1, 2. Suet. Claud. 28-29. 504 Vgl. dazu Saller, R. P., Personal Patronage under the Early Empire, Cambridge u. a. 1982, 64-69. 505 Stein, O., ‚Narcissus 1’, in: RE XVI,2, 1935, 1701-1705. Eck, W., ‚Narcissus [1]’, in: DNP 8, 2000, 710f. Rutledge, Imperial Inquisitions, 246-249. 506 Rohden, P. von, ‚Antonius 84 (M. Antonius) Pallas’, in: RE I,2, 1894, 2634f. 507 Tac. ann. 11, 29; 11, 38; 12, 1f. - Eck, W., ‚Iulius [36] C. I. Callistus’, in: DNP 6, 1999, 31. 508 Suet. Claud. 28: „Narcissum ab epistulis“ und CIL XV 7500 (Wasserleitung in Rom): „Narcissi Aug(usti) l(iberti) ab epistulis“. 509 Tac. Ann. 4, 68, 1. 510 Hohl, E., ‚Iunius 155’, in: RE X.1, 1917, 1085-1087. 511 Tac. ann. 11, 29, 1. Suet. Claud. 37, 2. Cass. Dio 60, 14. 512 Rohden, P. von, ‚Arruntius 14’, in: RE II,1, 1895, 1264. PIR2, A 1140. Gundel, H. G., ‚Arruntius 7’, in: KlP 1, 1964, 608. 513 Cass. Dio 60, 15-16. Sueton bezeichnet den Aufstand als ‚Bürgerkrieg’: „bellum civile movit Furius Camillus Scribonianus Dalmatiae legatus“ (Claud. 13, 2).

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Im folgenden Jahr versuchte er (ohne Erfolg), vor dem Feldzug nach Britannien die meuternden Legionen umzustimmen.514 Wie groß sein Einfluss auf die politischen Ereignisse war, machen die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Sturz und der Hinrichtung von Claudius’ Gattin Messalina515 deutlich, über die Tacitus ausführlich im Anschluss an die Senatsrede des Kaisers zum Antrag der Gallier berichtet (ann. 11, 26-38).516 Narcissus erhielt dafür die insignia eines Quästors als Belohnung.517 Andererseits waren der Macht und dem Einfluss der Freigelassenen sehr wohl Grenzen gesetzt, wie Narcisus’ Selbstmord zeigt, in den ihn die neue Kaisergattin Agrippina518 nach Claudius’ Tod trieb.519 Ein ähnliches Schicksal ereilte Pallas, der von Claudius als Verwalter der kaiserlichen Finanzen (‚a rationibus’) berufen worden war.520 Auch er war in die Niederschlagung der (angeblichen) Verschwörung Messalinas verstrickt und konnte seine herausragende Position mit Agrippinas Unterstützung lange Zeit behaupten521 ‒ ihm wurden sogar die ornamenta praetoria durch den Senat verliehen522 ‒, bis ihn Nero 55 n. Chr. seiner Ämter enthob523 und sieben Jahre später töten ließ, um an sein großes Vermögen zu gelangen.524 Callistus schließlich war ein von Caligula freigelassener Sklave, dem von Claudius die mächtige Position eines Prokurators a libellis übertragen wurde.525 In dieser Funktion hatte er die Bittschriften (Petitionen), AnCass. Dio 60, 19, 2f. Zu Valeria Messalina: Kienast - Eck - Heil, Kaisertabelle 84f. Hanslik, R., ‚Messalina 2’, in: KlP 3, 1969, 1241f. Stegemann, H./Eder, W., ‚Messalina [2] Valeria M.’, in: DNP 8, 2000, 41f. Simonis, A., ‘Messalina’, in: DNP Suppl. 8, 2013, 677-682. Eck, Die iulisch-claudische Familie, 116-133. Kolb, Machtbewusste Frauen am römischen Kaiserhof? (passim). Ranieri Panetta, M., Messalina e la Roma imperiale dei suoi tempi, Mailand 2016. 516 Vgl. Suet. Claud. 26, 2; 29, 3; 36; 39, 1. Cass. Dio 60, 31, 2-5. Dazu: Mehl, A., Tacitus über Kaiser Claudius. Die Ereignisse am Hof (Studia et testimonia antiqua 16), München 1974, 51-95. 517 Tac. ann. 11, 38, 4: „decreta Narcisso quaestoria insignia”. 518 Zu Agrippina: Kap II, S. 17, Anm. 95. 519 „nec minus properato Narcissus Claudii libertus, de cuius iurgiis adversus Agrippinam rettuli, aspera custodia et necessitate extrema ad mortem agitur” (Tac. ann. 13, 1, 3). Ähnlich Cass. Dio 60, 34. 520 Suet. Claud. 28: „Pallantem a rationibus“. 521 Tac. ann. 12, 65. Oost, S. I., The Career of M. Antonius Pallas, in: AJPh 79, 1958, 113139. - Zum ‚doppelbödigen’ Charakter dieses Vorgangs: Meister, J. B., Lachen und Politik. Zur Funktion von Humor in der politischen Kommunikation des römischen Principats, in: Klio 96, 2014, 26-48, hier 34-41. 522 Tac. ann. 12, 53. Suet. Claud. 28. - Plin. epist. 7, 29 gibt die Grabinschrift für Pallas wieder: „Huic senatus ob fidem pietatemque erga patronos ornamenta praetoria decrevit et sestertium centiens quinquagiens, cuius honore contentus fuit.“ 523 Tac. ann. 14, 1: „demovet Pallantem cura rerum, quis a Claudio impositus velut arbitrium regni agebat“. 524 Tac. Ann. 14, 65: „Eodem anno libertorum potissimos veneno interfecisse creditus est, (…), Pallantem quod immensam pecuniam longa senecta detineret.“ Cass. Dio 62, 14, 3. 525 von Premerstein, A., ‚a libellis’, in: RE XIII,1, 1926, 15-26. Liebs, D., Reichskummerkasten. Die Arbeit der kaiserlichen Libellkanzlei, in: A. Kolb (Hg.), Herrschaftsstrukturen und 514 515

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fragen und Beschwerden von Privatpersonen entgegenzunehmen, rechtlich zu bewerten und für den Kaiser entscheidungsreif vorzubereiten. In seiner Position, die zugleich einen unmittelbaren Zugang zum Kaiser bedeutete, konnte Callistus große Reichtümer erwerben; so berichtet Plinius von einem Speisesaal dieses Freigelassenen mit mehr als dreißig Säulen aus Onyx.526 Fest steht, dass aus Sicht der Senatoren den Freigelassenen vom Kaiser politische Positionen eingeräumt wurden, die diesen nach Auffassung der Oberschicht nicht gebührten.527 Die neuen Aufgaben und Ämter, die unter Claudius von ehemaligen Sklaven nunmehr in ihrer Funktion als Quasi-Minister wahrgenommen wurden,528 wie auch die ihnen verliehenen Auszeichnungen, Ehrungen und Geschenke529 verletzten die dignitas der alten Elite, die sich an den Rand der Macht gedrängt fühlen musste.530 Die Umgestaltung der staatlichen Verwaltung durch die Hereinnahme von Angehörigen einer bislang wenig beachteten Randgruppe, deren Vertretern der Kaiser fast unbegrenzt vertraute, in die Verantwortung für Rom und vor allem für das Imperium stellte jedoch auch einen wichtigen Schritt in Richtung eines Ausbaus und einer Vereinheitlichung der Reichsverwaltung dar, deren Entstehung und Erweiterung die Funktionen des Senats zumindest tangierte, wenn nicht auf Dauer sogar in Frage stellte.531 Die sich hier abzeichnende Entwicklung gab Anlass zu weiterer Unzufriedenheit der Senatoren mit dem Prinzeps.

Herrschaftspraxis [I]. Konzepte, Prinzipien und Strategien der Administration im römischen Kaiserreich. Akten der Tagung an der Universität Zürich 18.-20.10.2004, Berlin 2006, 137152. Liebs, D., Hofjuristen der römischen Kaiser bis Justinian, in: SB München Jg. 2010, Heft 2, München 2010, 165. 526 Plin. nat. 36, 60. 527 Suet. Claud. 28-29, 1. Dazu auch: Barghop, D., Forum der Angst. Eine historischanthropologische Studie zu Verhaltensmustern von Senatoren im Römischen Kaiserreich (Historische Studien 11), Frankfurt a. M. - New York 1994, 186-201. 528 Die Herausbildung zentraler „Ämter” zur Verwaltung des Reiches und ihrer Besetzung durch kaiserliche Freigelassene ist bereits unter Augustus belegt, wie W. Seitz, Studien zur Prosopographie und zur Sozial- und Rechtsgeschiche der großen kaiserlichen Zentralämter bis hin zu Hadrian, Augsburg 1970, 95-110, aufgezeigt hat. Zur Rolle der Freigelassenen in der kaiserlichen Verwaltung auch: Eck, W., Die Bedeutung der claudischen Regierungszeit für die administrative Entwicklung des römischen Reiches, in: V. M. Strocka (Hg.), Die Regierungszeit des Kaisers Claudius (41-54 n. Chr.). Umbruch oder Episode?, Mainz 1994, 23-34. 529 Dass sich der Senat selbst an diesen Ehrungen beteiligte, zeigt den weitreichenden Einfluss der Freigelassenen: „quos decreto quoque senatus non praemiis modo ingentibus, sed et quaestoriis praetoriisque ornamentis honorari libens passus est“ (Suet. Claud. 28). 530 Dazu: Flach, D., Tacitus in der Tradition der antiken Geschichtsschreibung (Hypomnemata 39), Göttingen 1973,168f. 531 Zur Entwicklung der Verwaltung im Prinzipat: Bruun, Der Kaiser, die republikanischen Institutionen und die kaiserliche Verwaltung.

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Den Berichten über Augustus’ und Claudius’ Tätigkeit als Censoren können zwar nur sehr bedingt Aussagen zum Verhältnis zwischen den Prinzipes und dem Senat entnommen werden; trotzdem lassen sich aus ihnen einige Aspekte zum Thema erschließen. So überliefert Sueton, wie im vorigen Kapitel dargestellt, dass Augustus bei seiner Censur nicht nur die Zahl der Mitglieder reduziert, sondern auch eine Überprüfung der Senatoren in Form einer zweifachen Kontrolle vorgenommen hat. Sueton zufolge fand eine erste Prüfung durch die Senatoren selbst statt: „prima ipsorum arbitratu, quo vir virum legit“; die zweite wurde von Augustus mit dem Kollegen Agrippa durchgeführt „secunda suo et Agrippae“ (Suet. Aug. 35, 1).532 Augustus’ Vorgehensweise diente offenbar als Vorbild für Claudius bei seiner lectio senatus, die auch er in zwei Schritten vornahm. Im ersten forderte er die von Tacitus als ‚famosi’ bezeichneten Senatoren zu einer Selbstüberprüfung auf und bot ihnen die Möglichkeit, selbst über einen freiwilligen Rücktritt vom Amt des Senators zu entscheiden. In einem zweiten Schritt stellten die Censoren Claudius und Vitellius dann fest, wer nach ihrem Urteil aus dem Senat ausgeschlossen werden sollte. Sowohl die Namen der freiwillig Ausgeschiedenen als auch diejenigen der von den Censoren Ausgeschlossenen wurden danach auf einer gemeinsamen Liste vermerkt und vorgelesen.533 Mit dieser Vorgehensweise ließ Claudius erkennen, dass für ihn bei der Überprüfung der Senatsmitglieder die Würde des Senats als Gesamtkörperschaft ausschlaggebend war. Die dignitas sollte nicht dadurch angetastet oder beeinträchtigt werden, dass er das Fehlverhalten Einzelner dem Kollektiv zum Vorwurf machte. Indem er dem einzelnen Senator die Möglichkeit eröffnete, sich ehrenhaft aus dem Gremium zurückzuziehen, stellte er für die Öffentlichkeit klar, dass er die Tradition der Kurie und die Würde ihrer Mitglieder anerkannte und respektierte. Zugleich deutet der Ausdruck ‚iudicium censorum’ in Tacitus’ Bericht darauf hin, dass nicht alle angesprochenen Senatoren zu einer derartigen freiwilligen Aufgabe ihres Amtes bereit gewesen sind, sondern manche sich wohl erst auf ‚sanften Druck von oben’ zu einem solchen Verzicht durchgerungen haben, wobei der Kaiser jedoch davon absah, sie in der Öffentlichkeit bloßzustellen. Wenn Tacitus Claudius’ Rücksichtnahme angesichts der lectio senatus hervorhebt, so gilt dies in noch höherem Maße für die Aufnahme von Senatoren und ihren Familien in den Patriziat,534 über die Tacitus nach seiner ausführlichen So berichtet auch Cass. Dio 52, 42, 3. Tac. ann. 11, 25, 3: „mollirent famosos probris quonam modo senatu depelleret anxius, mitem et recens repertam quam ex severitate prisca rationem adhibuit, monendo secum quisque de se consultaret peteretque ius exuendi ordinis: facilem eius rei veniam; et motos senatu excusatosque simul propositurum ut iudicium censorum ac pudor sponte cedentium permixti ignominiam.“ 534 Zum Patriziat: Kübler, B., ‚Patres, patricii’, in: RE XVIII,3, 1949, 2222-2232. von UngernSternberg, J.,, Patricii’, in: NP 9, 2000, 407-409. - Alföldi, A., Der frührömische Reiteradel und seine Ehrenabzeichen, Baden-Baden 1952. 532 533

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Wiedergabe der kaiserlichen Rede berichtet.535 Mit diesem Akt stellte sich der Kaiser in eine Traditionslinie mit seinen Vorgängern und Vorbildern. Caesar536 und Augustus537 hatten jeweils eine Anzahl plebejischer Senatorenfamilien in den Patriziat aufgenommen.538 Diese Auszeichnung kam insbesondere den dienstältesten Senatsmitgliedern sowie den Nachkommen berühmter Eltern zugute.539 Nachdem durch Bürgerkriege und Proskriptionen sowie infolge fehlender Nachkommenschaft ein großer Teil der alten patrizischen gentes ausgestorben war,540 vollzog Claudius mit dieser Ehrung nicht nur eine besondere Auszeichnung verdienter Senatoren; vielmehr trug er damit u. a. auch dem Umstand Rechnung, dass bestimmte priesterliche Ämter in Rom den Mitgliedern des Patriziats vorbehalten waren.541 Mit der Aufnahme in diesen höchsten Rang setzte der Kaiser die Tradition fort und sicherte zugleich die weitere Funktionsfähigkeit des Staates, zu dessen immanenten Bestandteilen Religion und Kult gehörten. Es erstaunt daher nicht, dass Tacitus diese Erhebung in den Patriziat als besonders erfreulich notiert: „laetaque haec in rem publicam munia multo gaudio censoris inibantur“ (ann. 11, 25, 2). Der von Tacitus hergestellte Zusammenhang zwischen der Zustimmung des Senats zum Antrag des Kaisers und der Aufnahme von Senatoren in den Patriziat muss als Beispiel einer Umsetzung des Prinzips „do, ut des“ ver535 ann. 11, 25, 2: „isdem diebus in numerum patriciorum ascivit Caesar vetustissimum quemque e senatu aut quibus clari parentes fuerant“. 536 Caesar hatte 44 v. Chr. aufgrund einer lex Cassia de plebeis in patricios adlegendis (Tac. ann. 11, 25, 2. - Rotondi, Leges publicae, 426 (Nr.709/45) Patrizier ernannt (Suet. Caes. 41, 1: „patricios adlegit“); auch Cass. Dio 43, 47, 3 berichtet im Zusammenhang mit der Erhöhung der Zahl der Senatsmitglieder auf bis zu 900 Senatoren von der Aufnahme ehemaliger Konsuln bzw. anderer Amtsinhaber in den Patriziat. Zu ihnen zählten u. a. die Octavii (Suet. Aug. 2, 1) und damit auch der spätere Prinzeps Augustus. Dazu: Schmitthenner, W., Oktavian und das Testament Cäsars. Eine Untersuchung zu den politischen Anfängen des Augustus(Zetemata 4), München 1952, 21973, 6-8. 537 Kienast, Augustus, 154: „Schon im Jahre 29 hatte Oktavian auf Grund einer lex Saenia de plebeis in patricios adlegendis (Rotundi, Leges publicae, 440 (Nr.724/30) die Zahl der Patrizier erheblich erhöht. Etwa ein Drittel der unter Augustus nachweisbaren Patrizier verdankte seinen Patriziat dem Prinzeps.“ 538 Nach Talbert, Senate, 30, hatte Augustus 20 Familien in das Patriziat erhoben; Claudius erweiterte den Patrizierstand um 17 Familien. Zu den neuen Patriziern zählte u. a. der Vater des späteren Kaisers Otho (Suet. Otho, 1, 3: „eum et Claudius adlectum inter patricios conlaudans aplissimis verbis hoc quoque adiecit”). 539 „paucis iam reliquis familiarum, quas Romulus maiorum et L. Brutus minorum gentium appellaverant, exhaustis etiam quas dictator Caesar lege Cassia et princeps Augustus lege Saenia sublegere;” (ann. 11, 25, 2). 540 Talbert, Senate, 30. Dazu: Momigliano, A., Claudius. The Emperor and His Achievement, Oxford 1934, 44. 541 Riewald, P., ‚Sacerdotes‛, in: RE I A, 1920, 1631-1653. Gordon, R., ‚Priester C. Rom’, in: DNP 10, 2001, 321f. Zu den Priesterämtern, die den Angehörigen des Patriziats vorbehalten waren, zählten vor allem das Amt des rex sacrorum und die Priesterkollegien der flamines maiores und der salii.

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standen werden: die Zustimmung der Senatoren zum Antrag des Kaisers wird mit der Rangerhöhung alteingesessener römisch-italischer gentes durch den Kaiser ‚belohnt’. Dieses Vorgehen macht sichtbar, was Claudius im Zusammenhang mit der Frage, ob durch die Hereinnahme von Provinzialen in den Senat nicht die italischen Senatoren benachteiligt würden, mit den Worten „iam vobis, cum hanc partem censurae meae adprobare coepero, quid de ea re sentiam, rebus ostendam“ (II 5-7) gemeint hat. Auch wenn er im Einzelfall Provinziale in den Senat aufnimmt, will er dadurch nicht den Vorrang der Senatoren aus Italien beeinträchtigen. Vielmehr soll durch die Aufnahme langjährig erprobter (und vor allem loyaler) Senatsmitglieder in die patrizischen gentes und durch eine Ergänzung des Senats, die wegen der lectio senatus erforderlich wurde, in erster Linie mit Männern aus Italien die Vorrangstellung der italischen Senatoren gefestigt werden. Die Aufnahme von Senatoren in das Patriziat und die sich anschließende lectio senatus lenken den Blick zurück auf die vorhergehende Senatsrede des Kaisers, und hier besonders auf sein Verhältnis zum Senat. Bereits die Tatsache, dass in der Frage der Zulassung gallischer Adliger zum Senat der Kaiser persönlich die oratio zum Antrag hält, spiegelt die Besonderheit des Vorgangs und die Bedeutung des Vorhabens wider. Obwohl zur Umsetzung seines Vorhabens weder eine Behandlung noch eine Zustimmung im Senat erforderlich war, zeigte er mit der Einbringung des Antrags, dass ihm die Zustimmung dieses Gremiums besonders wichtig war. Offensichtlich handelte es sich aus seiner Sicht in diesem Fall um eine Angelegenheit von grundsätzlicher Relevanz, die einer breiteren Zustimmung bedurfte, und nicht um eine Regelung für einen Einzelfall oder eine Gefälligkeit zugunsten einer kleinen Gruppe. Wohl auch wegen der Herkunft aus Lugdunum und seines Selbstverständnisses als pater omnium fühlte er sich zu einer Reaktion auf die Bitte der Gallier und zu einer Regelung verpflichtet, die mit Sicherheit kontrovers diskutiert werden würde, wie von Tacitus zu erfahren ist: „multus ea super re variusque rumor et studiis diversis apud principem certabatur“ (ann. 11, 23, 1f.). Zwar sind nicht alle Bedenken und Einwände, wie sie Tacitus in den Annalen 11, 23, 3f. wiedergibt, wirklich überzeugend. Dennoch war sich der Kaiser bewusst, dass er den Widerstand aus den Reihen konservativer Senatoren nicht unterschätzen durfte, zumal auch die Auswirkungen eines positiven Senatsbeschlusses zu seinem Antrag für alle Beteiligten nicht vorausgesehen und eingeschätzt werden konnten. Aus Claudius’ Sicht war es deshalb nur folgerichtig, dass er in dieser Angelegenheit mit dem Einsatz seiner Person seine auctoritas einbrachte, ohne die dignitas der Senatsmitglieder zu verletzen. Um letzeres zu vermeiden, musste er von Anfang an die Überlegungen der Kritiker in die eigenen Gedankengänge einbeziehen, indem er ihre Sicht- und Denkweise zum Ausgangspunkt seiner Ausführungen machte. Wie der Aufbau seiner Rede zeigt, nimmt er die Einwendungen seiner Opponenten ernst und fokussiert sie auf den Vorwurf, der noch nicht gegen ihn erhoben worden ist, der aber im Raum steht: 104

er beabsichtige mit seinem Antrag eine ‚Neuerung’ und verstoße damit gegen den mos maiorum. Indem er entgegen den Er-wartungen die vorhersehbaren Einwendungen nicht einfach zurückweist oder als falsch und unzutreffend bezeichnet, sondern im Gegenteil sogar einräumt, dass sein Antrag in der Tat eine ‚Neuerung’ darstelle (I 3f.), ‚Neuerungen’ in Rom aber schon lange eine Tradition bildeten (I 4-6), nimmt er seinen Gegenspielern gleich zu Beginn der Rede den Wind aus den Segeln. Mit seinem Rückgriff auf die römische Geschichte und die Erfahrungen der maiores, die er in Form von exempla konkretisiert,542 führt er den Nachweis, dass ‚Neuerungen’ seit den Anfängen der Stadt wesentlicher Bestandteil der römischen Verfassung und Gesellschaft gewesen sind (I 6f.) und dass der vom Senat zu jeder Gelegenheit zitierte mos maiorum immer wieder ‚Neuerungen’ und damit Änderungen unterworfen gewesen ist und auch weiterhin Veränderungen erfahren wird, wie Tacitus in seiner Version der Rede es den Kaiser prägnant zum Ausdruck bringen lässt: „omnia, patres conscripti, quae nunc vetustissima creduntur, nova fuere. (…) inveterascet hoc quoque; et quod hodie exemplis tuemur, inter exempla erit” (ann. 11, 24, 7). Damit hatte Claudius den Haupteinwand gegen seinen Antrag auf dem Hintergrund der Geschichte Roms als irrelevant und gegenstandslos zurückgewiesen. Seine im Grunde konventionelle Argumentationsmethode bot vor allem den Vorteil, dass die vom Kaiser vorgetragenen exempla als Teile der memoria sich von den Gegnern, wenn überhaupt, nur schwer zurückweisen oder widerlegen ließen. Betrachtet man diesen Teil der Rede genauer, so wird sichtbar, dass dieser gelehrt, aber nicht unbedingt belehrend ist, wie er von einigen Forschern eingeordnet wird.543 Der Redner behandelt seine Zuhörer nicht ‚oberlehrerhaft’, obwohl er durch seine Beschäftigung mit der Geschichte über erheblich umfassendere Kenntnisse und eine höhere Kompetenz auf diesem Gebiet als sein Publikum verfügt haben dürfte, wie sein Exkurs zur etruskischen Geschichte erkennen lässt.544 Vielmehr behält er bei seinen historischen Darlegungen stets die Würde des Hauses und seiner einzelnen Mitglieder im Blick und ist bemüht, einen Mittelweg zwischen der Beachtung der dignitas der Senatoren und der eigenen auctoritas einzuhalten. Deutlich wird dies, wenn er nach seiner Tour d’Horizon über die Verfassungsstrukturen Roms in die Gegenwart zurückkehrt und Roms Kriege thematisiert (I 37f.). Dabei bezieht er die Senatoren in die militärischen Erfolge ein: „et quo processerimus“, wie er sie schon in seinen Triumph über Britannien durch

S. dazu das folgende Kapitel. So äußert sich z. B. H. Dessau in seiner ‚Geschichte der römischen Kaiserzeit’, Bd. 2, Berlin 1926, 159: „Nicht nur schlecht stilisiert ist die Rede, schleppt sich in verschnörkelten Sätzen dahin 3) sondern sie ist auch voll von Albernheiten und strotzt von übel angebrachter Gelehrsamkeit.“ Dagegen z. B. Hausmann, Die Leserlenkung durch Tacitus, 253-259. Zu Claudius’ Sprachstil: Sage, P., La table Claudienne et le style de l’empereur Claude: essai de réhabilitation, in: REL 58, 1981, 274-312. 544 Oratio Claudii, I 16-23. 542 543

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Auszeichnungen und Ehrungen einbezogen hatte.545 Zugleich stellt er – bei Betonung vorgeblicher Bescheidenheit – seinen Erfolg bei der Eroberung Britanniens heraus „ne nimio insolentior esse videar et quaesisse iactationem gloriae prolati imperi ultra Oceanum“ (I 38-40). Mit der Formulierung „gloriae prolati imperi ultra Oceanum“, die zunächst wie andere Sprachwendungen546 in Claudius’ Rede als Floskeln zur Gewinnung einer einvernehmlichen Haltung des Senats zu seinem Plan verstanden werden könnte, knüpft der Kaiser an Formulierungen an, mit denen seit Pompeius die römische Weltherrschaft, die Herrschaft über das Land und das Meer, herausragender Imperatoren in Dedikationen vor allem im griechischen Osten des Imperiums ihren Ausdruck gefunden hatte, wie Chr. Schuler in seinem Beitrag „Augustus, Gott und Herr über Land und Meer“ aufgezeigt hat.547 So war Pompeius mit dem neuen Titel des ἐπόπτης γῆς καὶ θαλάσσης (‚Aufseher über Land und Wasser’) mit einem neuen Ehrentitel ausgezeichnet worden, als er mit seinen weitreichenden Vollmachten erfolgreich „weiträumig zu Wasser und zu Landes operiert“ hatte548 und „in der Tat als unumschränkter Herr über Land und Meer erscheinen konnte.“549 Ähnliche Inschriften lassen sich für Caesar550 und vor allem auch für Augustus belegen.551 Wenn nun der Prinzeps von „ultra Oceanum“ spricht, so übertrumpft er damit den zu seiner Zeit in den Inschriften nicht mehr verwendeten Ehrentitel552 und geht über die übliche Terminologie für die ‚Herrschaft über terra marique’ hinaus – er hat das Imperium Romanum über die Grenzen der (bekannten) Welt hinaus ausgedehnt und erweitert. Hatte Claudius im ersten Teil seiner Rede sich auf Roms Könige als konkrete exempla für ‚Neuerungen’ gestützt, so weist er zu Beginn des zweiten Teils auf die Vorgänger Augustus und Tiberius hin, die ihm als Beispiele für die Verbreitung des römischen Bürgerrechts und für den Einbezug von Provinzialen in das Rekrutierungspotenzial für Senatoren dienen.553 Auch hier ist die Rücksichtnahme des Redners auf die Befindlichkeit der Senatoren zu erkennen, wenn er seinen direkten Vorgänger Caligula ungenannt übergeht. Die Ursache für dieses Suet. Claud. 17, 2f. Cass. Dio 60, 23, 2. oratio Claudii, II 12f.: „cuius liberi fruantur, quaeso“; II 20f.: „detegere te patribus conscriptis, quo tendat oratio tua”; II 26: „quod si haec ita esse consentitis”; II 30f.: „timide quidem, p.c., egressus adsuetos familiaresque vobis provinciarum terminos sum” und II 40f.: „nimis magno experimento cognoscimus”. 547 Schuler, Chr., Augustus, Gott und Herr über Land und Meer. Eine neue Inschrift aus Tyberissos im Kontext der späthellenistischen Herrscherverehrung, in: Chiron 37, 2007, 383403. 548 Schuler, Augustus, 391. 549 Schuler, Augustus, 392. 550 Schuler, Augustus. 397f. 551 Schuler, Augustus, 385-389 und 398-402. 552 Schuler, Augustus, 400. 553 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 230. 545 546

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Verschweigen ist in dem tiefen Zerwürfnis zwischen Caligula und dem Senat zu finden,554 das schließlich zur Verschwörung gegen ihn und zu seiner Ermordung geführt hatte. Außerdem musste der Prinzeps verhindern, dass durch eine Erwähnung Caligulas die Erinnerung an die turbulenten Vorgänge bei seiner eigenen Regierungsübernahme wieder wachgerufen wurde.555 Allein schon die Erinnerung an diesen Vorgänger, der zwar nicht der damnatio memoriae verfallen war, im Nachhinein aber zumindest als persona non grata betrachtet werden musste, hätte daher einen offenen Affront gegen die Senatoren dargestellt. Auch die Nicht-Erwähnung Caesars muss aus ähnlicher Sichtweise betrachtet werden: mit der ‚Explosion’ der Zahl der Senatsmitglieder hatte dieser den Einfluss und die Macht des gesamten Gremiums erheblich geschwächt, Ehre und Prestige des einzelnen Senators gemindert und durch willkürliche Ernennung von Senatoren Macht und Exklusivität des Standes zu untergraben versucht.556 Es war daher angezeigt, Caesars Namen mit Schweigen zu übergehen, selbst wenn man in seinen Fußspuren wandelte.557 Mit der Bezugnahme auf Augustus und Tiberius begab sich Claudius auf ‚festen Boden’, was seinen Antrag anbelangte. Er stützte sich jetzt auf Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, an die sich der überwiegende Teil der Senatoren noch selbst erinnern konnte. Beide Kaiser hatten, wenn auch in unterschiedlichem Maße, die von Caesar begonnene Bürgerrechts- und Integrationspolitik fortgesetzt558 und als ‚Neuerung’ („sane novo m[ore]“) Senatoren aus den Provinzen in den Senat aufgenommen, wie Claudius vorträgt.559 Wenn er anschließend zur Unterstützung seines Antrags Beispiele für Angehörige des Ritter- bzw. Senatorenstandes heranzog, die ihre Heimat in der Narbonensis hatten, so überging er dabei, dass diese Provinz bereits seit längerem romanisiert war.560 Der Antrag des Kaisers bezieht sich dagegen auf Provinziale, die aus der wenig zivilisierten Comata kommen, wo die Romanisierung sich noch nicht weit 554 Suet. Cal. 48. Cass. Dio 59, 16 und 24, 6. - Timpe, Untersuchungen zur Kontinuität, 78. Winterling, Caligula, 89-124. 555 Nach Sueton Claud. 11, 1 hatte Claudius beschlossen, diese Tage aus der Erinnerung zu löschen: „Imperio stabilito nihil antiquius duxit quam id biduum, quo de mutando rei p. statu haesitatum erat, memoriae eximere.“ 556 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 229. 557 Botermann, Wie aus Galliern Römer wurden, 327. 558 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 230. 559 „omnem florem ubique coloniarum ac municipiorum, bonorum scilicet virorum et locupletium, in hac curia esse voluit“ (II 3f.). 560 Auf den Unterschied der beiden gallischen Gebiete macht Dio in seinem Bericht über die Aufteilung des Reiches unter den Triumvirn im Jahre 43 v. Chr. aufmerksam: „ἐκαλεῖτο δὲ ἐκείνη μὲν τογᾶτα, ὥσπερ εἶπον, ὅτι τε εἰρηνικωτέρα παρὰ τὰς ἂλλας ἐδόκει εἶναι καὶ ὅτι καὶ τῇ ἐσθῆτι τῇ Ῥωμαικῇ τῇ ἀστικῇ ἐχρῶντο ἤδη, αὓτη δὲ δὴ κομᾶτα, ὅτι οἱ Γαλάται οἱ ταύτῃ ἐς κόμην τὸ πλεῖστον τὰς τρίχας ἀνιέντες ἐπίσημοι κατὰ τοῦτο παρὰ τοὺς ἄλλους ἦσαν.“ Plinius charakterisiert die Narbonensis einige Jahrzehnte nach der Claudius-Rede so: „agrorum cultu, viroum morumque dignatione, amplitudine opum nulli provinciarum postferenda breviterque Italia verius quam provincia“ (nat. 3, 31).

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durchgesetzt hat.561 In seinem ersten Beispiel, das zurückhaltend und höflich gegenüber den Senatoren formuliert ist, geht es weniger um die Person des Ritters Lucius Vestinus562 aus Vienna als um die Frage, auf welche Weise dessen Söhne die Aufnahme in den Senatorenstand erreichen können, ohne dass der Kaiser ihnen eine besondere Bevorzugung wie etwa die Verleihung des latus clavus zuteil werden lässt und sich dadurch dem Vorwurf einer einseitigen Begünstigung aussetzen könnte. Auf Bitte des Kaisers soll der Senat der Aufnahme der Söhne in ein Priesteramt als erstem Schritt auf dem Weg zum cursus honorum zustimmen, den sie dann wie andere Bewerber absolvieren können.563 Nicht durch kaiserliche Privilegierung, sondern durch eigene Leistung sollen Vestinus’ Söhne dann den Aufstieg in den Senat erreichen.564 Das Verhalten des Kaisers in dieser Angelegenheit, bei der er ebenfalls vom Grundsatz her keine Zustimmung des Senats benötigte, lässt darauf schließen, dass er bereit ist, im Einzelfall (bei einer weniger wichtigen Entscheidung) auf seine Kompetenz zu verzichten, um ein von ihm höher eingestuftes Ziel (die Zustimmung zu seinem Antrag) zu erreichen. Das anschließende Beispiel des ehemaligen Senators Valerius Asiaticus aus Vienna,565 dessen Namen er übergeht und den er stattdessen mit Schmähworten belegt und zu einer ‚Un-Person’ macht,566 dient wohl eher dem Versuch, sich nachträglich vor dem Senat für sein eigenes Verhalten gegenüber dem angesehenen zweimaligen Konsul zu rechtfertigen, 567 als einer Anklage gegen ihn. Die kaiserlichen Worte über ihn und seinen Bruder lassen sich aber auch als unverhüllte Warnung an die Senatoren verstehen, ähnliche Hoffnungen auf politische oder personelle Änderungen zu hegen, wie sie Asiaticus unterstellt bzw. ihm vorgeworfen worden waren.568 561 Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 230, Anm. 101. – Zur Romanisierung Galliens: De Laet, Claude et la romanisation de la Gaule septentrionale. 562 Zu L. Vestinus: Pflaum, H.-G., Les carrières procuratoriennes équestres sous le hautempire romain, Paris 1960, 50f. Demougin, S., Prosopographie des chevaliers romains julioclaudiens (43 av. J.-C. - 70 ap. J.-C.), Rom 1992, 574, Nr. 683. 563 „cuius liberi fruantur, quaeso, primo sacerdotiorum gradu, postmodo cum annis promoturi dignitatis suae incrementa“ (II 12-14). 564 Dem Kaiser blieb immer noch die Möglichkeit, die Laufbahn von Einzelbewerbern durch die commendatio zu fördern. 565 Zu Valerius Asiaticus: Tac. ann. 11, 1, 1-3; 13, 43, 2. Cass. Dio, 59, 30, 2; 60, 27, 1-3; 61, 29, 6-6a. - Gallivan, P. A., The Fasti for the Reign of Ckaudius, in: CQ 28, 1978, 413. Weynand, F., ‚Val. Asiaticus [106]’, in: RE VII A,,2, 1948, 2341-2345. 566 „ut dirum nomen latronis taceam, et odi illud palaestricum prodigium“ (II 14f.). 567 Claudius war den gegen Asiaticus erhobenen Vorwürfen nicht weiter nachgegangen – „at Claudius nihil ultra scrutatus“ (Tac. ann. 11, 1, 3) – und hatte einen Prozess vor dem zuständigen Senatsgericht verhindert (ann. 11, 1, 3 – 11; 11, 2, 2). Vgl. dazu die Darstellung durch Cassius Dio 61, 29, 1-6a. 568 Neben dem Vorwurf, der Hauptverantwortliche für den Mord an Caligula gewesen zu sein, wurde Asiaticus vor allem beschuldigt, eine Reise zu den germanischen Legionen mit dem Ziel einer Rebellion gegen den Kaiser geplant zu haben (Tac. ann. 11, 1, 2): „parare iter ad Germanicos exercitus, quando genitus Viennae multisque et validis propinquitatibus subnixus

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Claudius’ Strukturierung des zweiten Teils seiner Rede ist insofern auffallend und bemerkenswert, dass er diesen in Form einer Reise aufbaut, die von Rom ausgehend über Italien, Vienna in der Narbonensis bis Lugdunum im Gebiet der Comata führt und auf der er die Senatoren ‚mitnimmt’. Seine vorsichtige und zögerliche Annäherung an das eigentliche Thema offenbart, dass er sich der politischen Brisanz seiner Initiative voll bewusst ist. Ihm ist klar, dass sein Vorhaben eine wirkliche ‚Grenzüberschreitung’ ist, nicht nur geographisch, indem er den Schritt über die Trennungslinie zwischen der Narbonensis und der Comata wagt. Bedeutsamer ist die Überwindung der politischen und kulturellen Grenze, wie sie in der Bezeichnung ‚togati’ und ‚comati’ als Kennzeichnung für die jeweiligen Bewohner ihren Ausdruck findet. Wenn der Kaiser versucht, Lugdunum in die Comata einzubeziehen – „solum ipsum ultra fines provinciae Narbonensis iam vobis senatores mittere“ (II 27f.) –, so ist doch jedem in der Kurie klar, welche erheblichen Differenzen noch immer zwischen einer römischen colonia und einer noch nicht romanisierten Provinz bestehen. Bevor Claudius das Thema seiner Rede endlich zur Sprache bringt,569 verweist er in einem Scherz auf Persicus570, den einzigen der anwesenden Senatoren, den er namentlich erwähnt und mit dessen Zustimmung zu seinem Antrag er offensichtlich rechnen kann, da er zu ihm in einem engen Verhältnis steht, das eine derartige scherzhafte Bemerkung zulässt. Mit seinem Hinweis auf Persicus’ Vorfahren Q. Fabius Maximus, dem als Sieger über die Allobroger der Ehrenname ‚Allobrogicus’ verliehen worden war,571 zeigt Claudius, dass für eine Ablehnung seines Antrags zumindest keine persönlichen Gründe mehr gegeben sind, wenn schon Persicus einer Aufnahme der Allobroger in den Senat nicht widerspricht. Dieser könnte sich aufgrund seiner Abstammung zu Recht einer Zulassung zum Senat für die Nachfahren des von seinem Großvater unterworfenen Keltenstammes widersetzen, da diese Maßnahme sein Prestige und vor allem das Andenken an seinen Vorfahren tangiert. Wenn aber Persicus als angesehenes und einflussreiches Mitglied des Senats von der Politik des Kaisers überzeugt ist und sie unterstützt, so trägt seine Haltung erheblich dazu bei, die Grundstimmung unter den Senatoren zugunsten des kaiserlichen Antrags zu verbessern und den Widerstand der Opponenten zu reduzieren.

turbare gentiles nationes promptum haberet”. Dazu: Bergener, Die führende Senatorenschicht, 140f. 569 „detegere te patribus conscriptis, quo tendat oratio tua” (II 20f.). 570 Zu Persicus: Münzer, F., ,Fabius 120 Paullus Fabius Persicus’, in: RE VI,2, 1909, 18311835. Eck, W., ‚Fabius [II 16] Paullus F. Persicus’, in: DNP 4, 1998, 377f. 571 Münzer, F., ,Fabius. 110) Q. Fabius Maximus Allobrogicus’, in: RE VI,2, 1909, 17941796. Elvers, K.-L., ‚Fabius [I 24] F. Maximus (Allobrogicus), Q.’, in: DNP 4, 1998, 371.

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Die Selbstermahnung des Prinzeps (II 20f.) und seine Anspielung auf Persicus dürfen nicht zu ernst genommen werden: die Länge der Rede (zumal wenn man sie mit der taciteischen Version vergleicht) erfordert es geradezu, dass Claudius auf rhetorische Mittel zurückgreift, mit denen er die Spannung in seinem Vortrag aufrecht erhält bzw. dazu beiträgt, dass die Aufmerksamkeit der Zuhörer weiterhin gesichert bleibt.572 Viel wichtiger ist jedoch der Vortrag sachlicher bzw. ‚objektiver’ Argumente, wenn er die Zustimmung zu seinem Antrag auf einer möglichst breiten Grundlage erreichen will. Wie schon zu Beginn seiner Rede (I 2-7) und bei der rhetorischen Frage nach der Rolle der italischen Senatoren573 zeigt Claudius auch an dieser Stelle mit der Vorwegnahme des Einwandes, die Gallier hätten zehn Jahre Krieg gegen Rom geführt,574 dass er Bedenken und Ablehnung der Gegenseite zur Kenntnis nimmt und auch versteht. Anders als in Tacitus’ Version, wo der Kaiser diesen Vorwurf durch Beispiele von Kriegen gegen andere Stämme und Völker in ironischer Weise kontert – „capti a Galli sumus: sed et Tuscis obsides dedimus et Samnitium iugum subiimus“ (ann. 11, 24, 5) – , begegnet er in der Originalrede dem genannten Einwand mit der Behauptung, dass die Unterworfenen hundert Jahre lang Rom Treue und Gehorsam erwiesen hätten: „idem opponat centum annorum immobilem fidem obsequiumque multis trepidis nostris plus quam expertum“ (II 33-35). Im gleichen Zusammenhang stellt er dem Sieger über die Gallier, Iulius Caesar, seinen Vater Drusus, den Eroberer Germaniens, gegenüber, dem die Gallier im Krieg gegen die Germanen den Rücken frei gehalten und damit ihren Beitrag zum militärischen Erfolg der Römer über die Germanen geleistet hätten.575 Indem Claudius am Ende seiner Rede mit der Aussage „cognoscimus“ die Senatoren noch einmal in seine Überlegungen einbezieht, schlägt er mit dieser Feststellung den Bogen zum Schluss des ersten Teils seiner Rede, wo er seine Zuhörer in die erfolgreiche Ausdehnung des Imperiums (durch die Eroberung Britanniens) eingeschlossen hatte: „processerimus“. So wie er dort seinen außenpolitischen Erfolg herausgestellt hat – „ne videar quaesisse iactationem gloriae prolati imperi ultra Oceanum“ – , so pocht er nun auf sein innenpolitisches Verdienst (die Durchführung des census): „quod opus, quam arduum sit nobis, …, nimis magno experimento cognoscimus“ (II 38-41). Die Hervorhebung seiner Verdienste für das Imperium steht ebenso wie die lectio senatus und das lustrum zum Abschluss der Censur in völligem Kontrast zu den skandalösen innerfamili572 Dazu De Vivo, A., Il discorso di Claudio nella tavola di Lione: suo significato ideologico e politico, in: Vichiana 6, 1977, 76. Huzar, E., Claudius - the Erudite Emperor, in: ANRW II. 32.1, 1984, 611-650, hier 630. 573 „quid ergo? non Italicus senator provinciali potior est?“ (II 4). 574 „in qua si quis intuetur, quod bello per decem annos exercuerunt Divom Iulium“ (II 3234). 575 „illi patri meo Druso Germaniam subigenti tutam quiete sua securamque a tergo pacem praestiterunt“ (II 35-37).

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ären Vorgängen um Claudius’ Ehefrau Messalina, von denen Tacitus in unmittelbarem Anschluss in aller Ausführlichkeit berichtet (ann. 11, 25-38) und die als ‚Messalina-Affäre’ in die Geschichte eingegangen ist. Sowohl die Originalrede als auch die taciteische Version lassen den Schluss zu, dass Claudius sich in der Angelegenheit der Gallier um eine einvernehmliche Lösung mit den Senatoren bemüht. Dabei geht es nicht nur darum, die Gunst der Hörerschaft zu erlangen, um die Zustimmung zu einem Antrag zu sichern. Vielmehr ist der Kaiser bestrebt, den gesamten Senat von der politischen Bedeutung des vorgelegten Antrags zu überzeugen. Auch wenn die Heranziehung von exempla zu den Selbstverständlichkeiten einer öffentlichen Rede in Rom gehört, so untermauert der Prinzeps mit seinem Rückgriff auf die Anfänge der Stadt unter den Königen und auf die Einrichtungen der Republik nicht nur seine These von den ‚ständigen Neuerungen’, sondern zieht eine Traditionslinie, die die vorgesehene Maßnahme als einen (vorläufigen) Endpunkt einer Entwicklung versteht, die bereits in der Anfangsphase Roms ihre Grundlagen hat. Die Rede ist so gesehen mehr als eine captatio benevolentiae: sie führt den Senatoren auch die Verantwortung vor Augen, die sie gegenüber der Geschichte der Stadt und des Imperiums haben, nämlich dessen Bestehen auf Dauer zu sichern, indem die Elite des gesamten Reichs in die Regierung und Verwaltung des Staates einbezogen wird. Damit hielt Claudius an einer politischen Maxime fest, die vor ihm schon der erste Prinzeps als Ziel ausgegeben hatte: „omnem florem ubique coloniarum ac municipiorum scilicet virorum et locupletium, in hac curia esse voluit“ (II 3f.). Hatte Augustus sich bei der Verwirklichung dieser Absicht zunächst noch weitgehend auf Italien konzentriert, so stellt Claudius’ Vorgehen genau genommen die logische Fortsetzung der augusteischen Politik dar. Die Zustimmung zu seiner Politik musste den Senatoren leichter fallen, wenn ihnen der Kaiser versichert, dass er bei der praktischen Umsetzung Rücksicht auf die bisherige Zusammensetzung des Senats, also auf die Hegemonie der Senatoren aus Italien, nehmen wird: „quid de ea re sentiam, rebus ostendam“ (II 6f.). Wenn im Ergebnis der kaiserlichen Rede die vorläufige Begrenzung des Zugangs zum Senat auf Angehörige des häduischen Adels und damit auf einen einzigen gallischen Stamm erfolgt, so wird deutlich, dass Claudius das Anliegen der gallischen primores in seinem Antrag an den Senat offensichtlich eingegrenzt und sich auf eine anlassbezogene und eng umgrenzte Erweiterung des Elitepotenzials beschränkt hat. Damit stellt sich zugleich die Frage, inwieweit hier von einer „Verbreiterung der römischen Elite“ gesprochen werden kann, wobei sicherlich zwischen einer juristischen und einer realen bzw. faktischen Bewertung unterschieden werden muss. In rechtlicher Hinsicht ist festzuhalten: „primi Aedui senatorum in urbe ius adepti sunt“. Damit kommt zum Ausdruck, dass grundsätzlich und ohne rechtliche Einschränkungen zunächst den Häduern der Zugang zum Senat eröffnet worden ist. Insofern kann mit Recht zumindest von einer 111

‚abstrakten’ Verbreiterung der Elite gesprochen werden: den Stammesfürsten eines einzigen gallischen Volkes (von den 60 bzw. 64 gallischen Völkern oder Stämmen) wird die Möglichkeit eingeräumt, in den Senat aufgenommen zu werden. Nimmt man den Aspekt der praktischen Umsetzung in den Blick, so zeigt sich anhand des vorhandenen literarischen wie auch des epigraphischen Materials, dass die oben erwähnte eng umgrenzte Erweiterung des Potenzials für künftige Senatoren tatsächlich als eine weitgehend theoretische Möglichkeit angesehen werden muss, die nur in wenigen Ausnahmefällen wirklich realisiert worden ist. Nachweislich sind bis heute aus dem 1. Jh. n. Chr. nur wenige Senatoren bekannt, die aus der Gallia Comata stammen; zu ihnen zählen der schon erwähnte C. Iulius Vindex und sein Vater. 576 Dieser Befund erlaubt daher die Feststellung, dass die im Senat getroffene grundsätzliche Entscheidung nur geringe Auswirkungen in der Realität zur Folge hatte. Die Umsetzung in praktische Politik hat zumindest in der Prinzipatszeit so gut wie keine Rolle gespielt. Diese Theorie wird zusätzlich durch das auffallende Fehlen jeglicher Erwähnung des Vorgangs in den Werken der Historiker Sueton und Cassius Dio gestützt. Entweder stellte für sie die provinziale Herkunft eines Senators keine Besonderheit dar oder ihre Anzahl war derartig gering und unbedeutend, dass es einer Erwähnung nicht bedurfte. Dass Tacitus diese Thematik sehr ausführlich wiedergibt, lässt sich vor allem mit seiner eigenen Herkunft und seinem Geschichtsbild erklären. Er stammte wohl aus der Gallia Narbonensis und hatte 97 n. Chr. als Senator provinzialer Herkunft den Konsulat erreicht. Von daher ist verständlich, dass er sich in besonderer Weise mit der Ausweitung des Elitepotenzials für das Imperium befasste, auch wenn in Rom selbst offensichtlich die Rede des Kaisers keine Spuren hinterlassen hatte, sieht man von den Notizen in den acta senatus ab, auf die Tacitus in seiner Darstellung zurückgreifen konnte. Die oben getroffene Feststellung, dass in der julio-claudischen Ära im Vergleich mit der Narbonensis oder der Baerica nur (verschwindend) wenige Senatoren aus der Comata nachgewiesen werden können,577 macht es sinnvoll, kurz den Blick in die östlichen Provinzen des Reiches zu richten und zu fragen, ob und inwieweit in diesen Gebieten eine ähnliche Entwicklung bei der Einbeziehung einheimischer römischer Bürger in den Senat stattgefunden hat. Nach H. Halfmann ist es vor der Zeit des Prinzipats verhältnismäßig selten zu Bürgerrechtsverleihungen an Bewohner des griechischsprachigen Ostens gekommen; entsprechende Ver576 S. 81. Beide waren, wie Cass. Dio 63, 22 überliefert, Abkömmlinge des aquitanischen Königshauses, also keine Häduer. Ihre Herkunft kann als Beleg angesehen werden, dass noch unter Claudius auch Angehörigen anderer gallischer Stämme der Zugang zum Senat eröffnet worden ist. Dabei bleibt allerdings offen, ob es sich um den Zugang der primores eines ganzen Stammes oder aber nur um eine kaiserliche Einzel-Privilegierung aufgrund persönlicher Verdienste gehandelt hat. 577 Siehe auch: Syme, R., Tacitus on Gaul, in: Latomus 12, 1953, 27-37 (wieder abgedruckt in: Ders., Ten Studies in Tacitus, Oxford 1970, 19-29, hier 26f.).

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leihungen sind danach erst unter Augustus und Tiberius in größerem Umfang vorgenommen worden. 578 Da der Aufstieg in den Senat in der Regel erst in der dritten Generation nach Erhalt der civitas möglich war, verwundert es nicht, dass ein einheimischer Senator aus dem Osten des Imperiums erstmals unter Augustus erwähnt wird: Q. Pompeius Macer aus Mytilene auf der Insel Lesbos,579 Sohn eines Ritters. Sein Gentilname lässt auf eine Bürgerrechtsverleihung an die Familie durch Pompeius schließen. Macer hatte 15 n. Chr. das Amt eines römischen Prätors inne,580 fiel jedoch im Jahr 33 bei Tiberius in Ungnade und beging Selbstmord.581 Wie Halfmann in einer Übersicht über die homines novi aus dem Osten (als solche waren die einheimischen Senatoren anzusehen) aufzeigt,582 können in der Zeit des frühen Prinzipats zwei weitere griechische Senatoren unter Tiberius nachgewiesen werden, vier unter Nero. Die geringe Zahl von Senatoren provinzialer Herkunft bis zur Mitte des ersten Jahrhunderts im lateinisch- wie im griechischsprachigen Teil des Imperium zeigt, dass – wenn auch mit zeitlicher Verzögerung für den Osten – die Einbeziehung der provinzialen Oberschicht in die römische Führungsschicht zahlenmäßig keine signifikanten Unterschiede zwischen dem Westen und dem Osten des Imperiums erkennen lässt. Für den Aufstieg in den Senat gelten in den westlichen wie in den östlichen Provinzen dieselben Grundregeln und Voraussetzungen: Besitz des römischen Bürgerrechts in dritter Generation, Zugehörigkeit zur lokalen/regionalen Oberschicht (mit angemessenem Vermögen und einem fortgeschrittenen Grad an Romanisierung) und merita für den Prinzeps. Diese generellen Voraussetzungen für den sozialen (und damit auch für den politischen) Aufstieg, die mit Sicherheit von einer weitaus größeren Anzahl von Mitgliedern der lokalen und provinzialen Eliten erfüllt wurden, können jedoch nicht als alleinige oder ausschlaggebende Kriterien für die Berufung in die römische Führungsschicht betrachtet werden, wenn man sich die insgesamt geringe Anzahl von Senatoren aus den Provinzen vor Augen hält. Dass offenkundig noch andere Faktoren einen erheblichen Einfluss bei der Aufnahme Provinzialer in den Senatorenstand ausgeübt haben, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann, hat Halfmann in einer Untersuchung über die Herkunft von Ritter- und Senatorenfamilien in verschiedenen Provinzen auf578 Halfmann, H., Die Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium Romanum bis zum Ende des 2. Jh. n. Chr. (Hypomnemata 58), Göttingen 1979, hier 71-81. 579 De Laet, De samenstelling van den senaat, 72 (Nr. 297). Halfmann, Senatoren aus dem östlichen Teil, 32f. und 100 (Nr. 1). Wiseman, New Man, 23f. und 252f. (Nr. 330). Schäfer, Einbeziehung der Provinzialen, 47. 580 Tac. ann. 1, 72, 4. 581 Tac. ann. 6, 18, 2. 582 Halfmann, Die Senatoren aus dem östlichen Teil, 78; zu Caligula und Claudius siehe S. 20.

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gezeigt.583 Dort stellt er u. a. fest, dass in der Narbonensis aus der Stadt Vienna 15 senatorische Familien bekannt sind, aus der Provinzialhauptstadt Narbo dagegen nur eine einzige senatorische Familie nachgewiesen werden kann. Eine ähnliche Entwicklung sieht er für die Landschaft Pisidien gegeben, wo nur aus Antiocheia stammende Ritter und Senatoren nachweisbar sind, während für die anderen dort gegründeten coloniae keine Senatoren belegt sind.584 Diese Beobachtungen lassen für Halfmann den Schluss zu, „dass ungeachtet der grundsätzlichen Bereitschaft Roms, der provinzialen berschicht die Tür der Senatskurie in Rom zu öffnen, im Einzelfall immer die lokalen Gegebenheiten den Grad dieses Entgegenkommens und die Chancen des sozialen Aufstiegs definierten, umgekehrt bestimmte auch das historisch geprägte jeweils spezifische Selbstverständnis einer lokalen einer lokalen berschicht, ob und inwieweit sie dieses Angebot annahm.“585

583 Halfmann, H., Integration der lokalen Eliten – individuelle und korporative Privilegierungen, in: G. Moosbauer - R. Wiegels (Hg.), Fines imperii – imperium sine fine? Römische Okkupations- und Grenzpolitik im frühen Principat. Beiträge zum Kongress ‚Finers imperii – imperium sine fine?’ in Osnabrück vom 14. bis 18. September 2009, Rahden/Westf. 2011, 195-202. 584 Halfmann, Integration der lokalen Eliten, 195f. Dazu die tabellarische Übersicht in: Halfmann, Senatoren aus dem östlichen Teil, 68-70, in der die Senatorenfanmilien nach ihrer Herkunft aufgeschlüsselt sind. Sie zeigt, dass auch im Osten im 1. und 2. Jh. nur wenige Senatoren aus den Hauptstädten der Provinzen stammten. 585 Halfmann, H., Die ersten römischen Senatoren aus Kleinasien, in: E. Winter (Hg.), Vom Euphrat bis zum Bosporus. Kleinasien in der Antike. Festschrift für E. Schwertheim zum 65. Geburtstag (Asia Minor Studien 65), Bd 1, Bonn 2008, 297-307, hier 297f.

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IV. 3. Römische Geschichte und exempla bei Claudius – Argumentation und Geschichtsdenken des Kaisers In der taciteischen Version beendet der Kaiser seine Rede mit der Feststellung: „omnia, patres conscripti, quae nunc vetustissima creduntur, nova fuere: (…) Inveterascet hoc quoque, et quod hodie exemplis tuemur, inter exempla erit“ (Tac. ann. 11, 24, 7). Mit dem Begriff ‚exempla’ werden nach K.-J. Hölkeskamp Handlungen und Werte bezeichnet, die „gemeinsam mit vielen anderen, gleichartigen und in die gleiche Richtung ein[gehen], sei es in Recht und Rechtsprechung, in politischen Konflikten oder sonstigen Entscheidungssituationen.“586 Die Aufnahme von exempla in die Rede eines Politikers oder Redners zählte zu den Selbstverständlichkeiten in der römischen Rhetorik,587 wie beispielsweise die Reden eines Cato oder Cicero aus der Zeit der Republik deutlich machen.588 Wie Hölkeskamp weiter ausführt, kommen den „exempla nicht nur rhetorische Funktionen, etwa der Mahnung oder Warnung, der Erläuterung oder der Illustration eines Arguments in Rede und Gegenrede im Senat oder vor Gericht [zu], (…). Vielmehr begründen solche exempla für sich allein schon die Zulässigkeit einer Handlungsweise, sie können einem Vorschlag, einer Behauptung oder einem Anspruch ohne weiteres Gültigkeit verleihen und haben insofern geradezu den Status eines Beweises im juristischen Sinne (…). Und gerade historische exempla haben eine Eigenschaft, die sie etwa in Gerichtsverfahren besonders nützlich und wirkungsvoll macht: Sie allein sind nämlich vom Vorwurf der ‚Gehässigkeit’ und ‚Parteilichkeit’ frei.“589 Claudius war von seiner Familie bis zum Zeitpunkt der Übernahme des Prinzipats nach Caligulas Ermordung weitestgehend von der Politik und von der Bekleidung politischer Ämter ausgeschlossen bzw. ferngehalten worden.590 Er hatte sich intensiv mit Geschichte beschäftigt und eine Reihe geschichtlicher Werke Hölkeskamp, K.-J., Exempla und mos maiorum: Überlegungen zum kollektiven Gedächtnis der Nobilität, in: H.-J. Gehrke - A. Möller (Hg.), Vergangenheit und Lebenswelt. Soziale Kommunikation, Traditionsbildung und historisches Bewusstsein (ScriptOralia 90), Tübingen 1996, 317. Zu exemplum: Lumpe, A., ‚Exemplum II. Römer’, in: RAC 6, 1966, 1235-1240. 587 Flach, Die Rede des Claudius, 315. Bücher, F., Verargumentierte Geschichte. Exempla Romana im politischen Diskurs der späten römischen Republik, Stuttgart 2006, 152f. 588 Bücher, Verargumentierte Geschichte, 157-161. 589 Hölkeskamp, Exempla und mos maiorum, 317. 590 Suet. Claud. 5-6. - Claudius’ Onkel Tiberius hatte seinem Neffen zwar die consularia ornamenta verliehen, aber die Bitte nach der Verleihung eines Amtes abschlägig beschieden (Suet. Claud. 5, 1). Erst unter Caligula war Claudius (für zwei Monate) das Amt eines Konsuls übertragen worden (Suet. Cal. 15, 2; Claud. 7, 1; Cass. Dio 59, 6, 5). 586

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verfasst.591 Deshalb lag es für ihn auf der Hand, dass er in einer Rede, die der Begründung und Rechtfertigung des von ihm gestellten Antrags zur Aufnahme von Galliern in den Senat diente, seine Argumentation mit historischen exempla untermauerte592 und sich als exzellenter Kenner der römischen Geschichte erweisen musste. Wollte er seine Zuhörer davon überzeugen, dass es in Rom von Anfang an ‚Neuerungen’ in der Gesellschaft und im Staat gegeben hatte593 und sein Antrag, der nach eigenem Verständnis eine ‚Neuerung’ darstellte, nicht gegen den mos maiorum verstieß, musste er, „wie jeder römische Redner, der seine Zuhörer für eine Neuerung gewinnen will, (…) sich auf exempla der Vergangenheit [berufen], um sein Anliegen, die Lockerung der bisherigen Praxis, als harmlos hinzustellen.“594 Um sein Ziel zu erreichen, griff Claudius auf exempla aus der Zeit der Könige und damit auf die Anfänge des Staates zurück.595 Dabei orientierte er sich an der Geschichtsschreibung seines Lehrers Livius.596 Ausgehend vom Beispiel des Staatsgründers597 Romulus,598 für dessen Nachfolge kein Angehöriger aus der eigenen gens in Betracht gekommen und dessen Amt einem Fremden aus dem Nachbarvolk der Sabiner übertragen worden war, wies er nach, dass Änderungen oder Neuerungen von Anfang an eng mit der Entwicklung Roms verbunden gewesen und zu Bestandteilen der staatlichen Verfassung geworden waren. Indem der Redner die Reihe seiner exempla mit dem ersten römischen König Romulus eröffnete, wies er auf eine Persönlichkeit hin, die in Rom unantastbar und als konkretes Beispiel nicht zu übertreffen war.599

Suet. Claud. 41, 1f. Stemmler, M., Auctoritas exempli. Zur Wechselwirkung von kanonisierten Vergangenheitsbildern und gesellschaftlicher Gegenwart in der spätrepublikanischen Rhetorik, in: B. Linke - M. Stemmler (Hg.), Mos maiorum. Untersuchungen zu den Formen der Identitätsstiftung und Stabilisierung in der römischen Republik (Historia Einzelschriften 141), Stuttgart 2000, 141-205. 593 I 4-6: „sed illa potius cogitetis, quam multa in hac civitate novata sint, quidem statim ab origine urbis nostrae“. – Zur politisch-didaktischen Funktion der Historiographie in der Rede auch: Hose, M., Erneuerung der Vergangenheit. Die Historiker im Imperium Romanum von Florus bis Cassius Dio (Beiträge zur Altertumskunde 45), Stuttgart - Leipzig 1994, 38f. 594 Flach, Die Rede des Claudius, 315. 595 Zur Gründung der Stadt Rom: Fraschetti, A., The Foundation of Rome, Edinburgh 2005. 596 Hierzu mehr an anderer Stelle in diesem Kapitel. 597 Cornell, T. J., ‚Gründer’, in: RAC 12, 1983, 1107-45. 598 Liv. 1, 4-16. Plut. Romulus. - Rosenberg, A., ‚Romulus’, in: RE I A,1, 1914, 1074-1104. Bendlin, A.‚ ‚Romulus’ in: DNP 10, 2001, 1130-1133. Zur unterschiedlichen Sicht des Romulus in republikanscher Zeit: Classen, C. J., Zur Literatur und Gesellschaft der Römer, Stuttgart 1998, 21-54 (Romulus in der römischen Republik). 599 Zur Rolle und Bedeutung des Romulus in der Zeit des Prinzipats: von Ungern-Sternberg, J., Die Romulusnachfolge des Augustus, in: W. Schuller (Hg.), Politische Theorie und Praxis im Altertum, Darmstadt 1998, 166-182. von Ungern-Sternberg, J., Romulus - Versuche, mit 591 592

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Der Übergang des Königtums von Romulus auf den Nicht-Römer Numa600 hatte eine Entwicklung eingeleitet, bei der die Öffnung der Führungsposition in Rom für Fremde und die Hereinnahme Auswärtiger in das Königsamt den beiden Seiten einer Medaille entsprach. Folgt man der Argumentation des Redners, so hatte die Bereitschaft Roms, sich für Fremde zu öffnen, d. h. ihnen das Bürgerrecht zu verleihen, die Stadt (und den Staat) am Leben gehalten und die Stärkung und den Ausbau ihrer Machtposition ermöglicht. In der taciteischen Version der Rede wird dieser Aspekt durch ein exemplum betont, das die äußerst restriktive Haltung der griechischen Städte Sparta und Athen bei der Aufnahme von Fremden in das Bürgerrecht als die Ursache für den Niedergang und den schließlichen Untergang der beiden Staaten verantwortlich machte. Der negativen Einstellung der griechischen πóλεις besiegten Städten und Völkern gegenüber stellte der Redner die großzügige Handlungsweise des römischen Stammvaters Romulus gegenüber, die zur Grundlage für Roms Größe und Blüte geworden war: „quid aliud exitio Lacedaemoniis et Atheniensibus fuit, quamquam armis pollerent, nisi quod victos pro alienigenis arcebant? At conditor nostri Romulus tantum sapientia valuit, ut plerosque populos eodem die hostes, dein cives habuerit.” (Tac. ann. 11, 24, 4)601 Diese zugespitzte Gegenüberstellung ließ Romulus als einen weitblickenden Visionär, ja geradezu als einen Revolutionär erscheinen, der bereits zu Lebzeiten den ungewöhnlichen Weg einer Integration unterworfener Völker und Stämme in das römische Gemeinwesen beschritten hatte; auf diesem Weg sollte nun Claudius weitergehen. Die bereits in Roms Anfangszeit vollzogene Ausweitung des Rekrutierungspotenzials für die Übernahme der Königswürde, wie sie vom Kaiser anhand der exempla dargestellt wurde, fand ihren Höhepunkt in der Berufung des Servius Tullius602 zum König, der nach Claudius’ Darstellung mit einem Heer einem Stadtgründer Staat zu machen, in: K.-J. Hölkeskamp - E. Stein-Hölkeskamp (Hg.), Von Romulus zu Augustus. Große Gestalten der römischen Republik, München 2000, 2201037-47. 600 Liv. 1, 17-21. - Glaser, K., ‚Numa Pompilius’ in: RE XVII,1, 1936, 1242-1252. Haare, M., ‚Numa Pompilius’, in: DNP 8, 2000, 1045f. Brand, H., König Numa in der Spätantike. Zur Bedeutung eines frührömischen exemplum in der spätrömischen Literatur, in: MH 45, 1988, 98-110. Silk, M., Numa Pompilius and the Idea of Civil Religion in the West, JAAR 72, 2004, 863-896. Auliard, C.,La Diplomatie romaine. L’autre instrument de la conquête. De la fondation à la fin des guerres samnites (753-290 av. J.-C.) (Collection « Histoire), Rennes 2006, 61-64. 601 In ähnlicher Weise hatte sich schon Seneca geäußert: „Quos populus Romanus fideliores habet socios, quam quos habuit pertinacissimos hostes? Quod hodie esset imperium, nisi salubris providentia victos permiscuisset victoribus?“ (Sen. dial. 4, 34, 4). 602 Liv. 1, 41-48. - Hoffmann, W., ‚Tullius 17 Servius Tullius’, in: RE VII A,1, 1939, 804820. Fündling, J., ‚[I 4] Tullius Servius’, in: DNP 12/1, 2002, 900f. Friezer, E., De ordening van Servius Tullius, Den Haag 1957. Ridley, R. T., The Enigma of Servius Tullius, in: Klio 57, 1975, 147-177. Thomsen, R., King Servius Tullius. A Historical Synthesis, Kopenhagen 1980. Vernole, V. E., Servius Tullius, Rom 2002. Auliard, La Diplomatie romaine, 75-77.

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aus Etrurien nach Rom gekommen war und einen der sieben Hügel der Stadt eingenommen hatte. Mit anderen Worten: die Erwähnung dieses Namens erinnerte die Senatoren daran, dass sogar einem fremden Eroberer – also einem ehemaligen Feind! – die Königsherrschaft in Rom hatte anvertraut werden können. Wenn der Kaiser dazu ausdrücklich diesen (‚fremden’) König in den ‚höchsten Tönen’ lobte: „et regnum summa cum rei p(ublicae) utilitate optinuit“ (I 23f.), beschwor er damit bei den Zuhörern die memoria an einen königlichen Reformer und Staatsmann, dessen Autorität in der Gesellschaft Roms ungebrochen war.603 Gleichzeitig spielte er mit diesen Worten auf die von ihm angestrebte Zulassung Provinzialer zum Senat an, die ja ebenfalls ‚Fremde’ waren und über die er sich im zweiten Teil seiner Rede (II 7f.) äußerte: „sed ne provinciales quidem, si modo ornare curiam poterint, reiciendos puto.“ Das Beispiel des Servius Tullius war außerdem geeignet, die noch immer latente Angst vor einer erneuten Eroberung Roms durch die Gallier, jetzt in Gestalt gallischer Senatoren, als grundlos erscheinen zu lassen.604 Bei seinem Rückgriff auf die Anfänge Roms beschränkte sich Claudius nicht auf allgemeine Feststellungen – „quondam reges hanc tenuere civitatem, nec tamen domesticis successoribus eam tradere contigit. supervenere alieni et quidam externi“ (I 8-10) –, die zum Thema seiner weiteren Darlegungen führten. Vielmehr ließ er die weit zurückliegende Zeit durch die namentliche Erwähnung einzelner Könige und ihrer Herkunft lebendig werden, soweit durch sie seine These von der Einbeziehung Außenstehender in die Reihe der Könige gestützt werden konnte. Es ging nicht um eine lückenlose Aufzählung; die exempla waren vielmehr als bewusste Auswahl unter dem Aspekt einer frühzeitigen Aufnahme von Fremden in die Reihe der Könige zu verstehen. Die Auswahl der Könige, mit der Claudius seine These belegte, sollte in der Zuhörerschaft die Vorstellung wecken, dass es bei der Übertragung der Königsherrschaft an Nicht-Römer eine kontinuierliche Entwicklung gegeben habe, die gleichsam in einer Art konzentrischer Kreise um den Mittelpunkt Rom verlaufen sei: ausgehend von der urbs (Romulus) über die benachbarten Sabiner (Numa) und das italische Tarquinii (Priscus Tarquinius) erreichte die Ausweitung des Kandidatenpotenzials am Ende mit Servius Tullius Etrurien. Neben dieser regionalen Expansion, bei der sich die Heimatorte der einzelnen Könige kontinuierlich von Rom entfernten, ist auch die unterschiedliche soziale Stellung der Amtsinhaber von Bedeutung und kann nicht übersehen werden, zumal diese von Claudius nicht ‚nebenbei’ erwähnt, sondern ausführlich vorgestellt wurde, was darauf schließen lässt, dass er diesen Aspekt bewusst in seine Rede aufgenommen hatte. Die zusätzlichen Angaben zu 603 Cornell, T. J., The Beginnings of Rome. Italy and Rome from the Bronze Age to the Punic War (c. 1000-264 BC), London - New York 1995, 130-146. 604 So spielte Seneca in apocol. 6,1 bewusst darauf an, dass „Claudius als ‚Gallier’ Rom erobert habe“: „quod tibi narro, ad sextum decimum lapidem natus est a Vienna, Gallus germanus. Itaque, quod Gallum facere oportebat, Romam cepit.“

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Priscus Tarquinius605 (I 11-16) und Servius Tullius (I 17-23) nahmen einen breiten Raum innerhalb des kaiserlichen Vortrags ein und sollten dem Nachweis dienen, dass die Übernahme des Königsamtes in Rom nicht nur Auswärtigen ermöglicht worden war, sondern dass darüber hinaus auch die Standeszugehörigkeit keine Rolle gespielt hatte, wenn selbst Angehörigen ‚niedriger’ Herkunft (I 11-14 und 18) die königliche Würde übertragen werden konnte, die Bekleidung des Amtes also nicht unbedingt an eine herausgehobene Stellung (Adel bzw. Patriziat) gebunden war. Die ausführliche Darstellung der persönlichen Rechtsstellung der beiden Könige war auch im Blick auf den Antrag des Kaisers von Bedeutung: wenn schon ein Fremder wie Priscus Tarquinius trotz seiner nicht standesgemäßen Herkunft das höchst Staatsamt hatte erreichen können, so musste man nunmehr auch Angehörigen des provinzialen Adels wie den primores der Gallia Comata, deren vornehme Herkunft außer Frage stand, einen Platz in den Reihen des römischen Senats zugestehen! Mit der Erwähnung des letzten Königs Tarquinius Superbus606 schloss der Kaiser die Reihe der exempla aus der Königszeit ab und wies auf die in der Tradition Roms verankerte Begründung für das Ende des Königtums607 und den Übergang zu einer republikanischen Staatsform und Verfassung hin: „deinde postquam Tarquini Superbi mores invisi civitati nostrae esse coeperunt, (…) et ad consules, annuos magistratos, administratio rei p(ublicae) translata est.“(I 24-27). Der Kaiser bezog sich hier mit wenigen Worten auf einen Vorgang, der eine entscheidende Zäsur in der Geschichte Roms darstellte: das Ende der Herrschaft der Könige. Dabei verzichtet er auf den Vortrag von Einzelheiten; für seine Argumentation ist an dieser Stelle einzig das Faktum des Wechsels in der Herrschaftsund Verfassungsform entscheidend, der einen tief greifenden Einschnitt für Rom mit sich gebracht hatte. In ähnlicher Weise wie bei seinen exempla aus der Königszeit muss der Kaiser bei seinen Ausführungen über die Verbreitung des römischen Bürgerrechts und im weiteren Verlauf seiner Rede über die Ausweitung des Zugangs zum Senat argumentiert haben. Dieser Abschnitt fehlt im Original. Das Thema der Verbrei605 Liv. 1, 35-40. - Schachermeyr, F., ‚Tarquinius 6’, in: RE IV A,2, 1932, 2369-2380. Fündling, J., ‚T. Priscus, L. [11]’, in: DNP 12/1, 2002, 33. 606 Zum letzten römischen König Tarquinius Superbus: Schachermeyr, F., ‚L. Tarquinius (Superbus 7)’, in RE IV 12,1935, 23802389. Fündling, J., ‚T. Superbus, L. [12]’, in: DNP 12/1, 2002, 33f. Aigner-Foresti, L., Die Etrusker und das frühe Rom (Geschichte kompakt – Antike), Darmstadt 2003, 22009, 129-137 und 141f. 607 Aigner-Foresti, Die Etrusker, 132: „Diese negative Sicht diente später vor allem dazu, die Ablehnung Roms gegenüber monarchischen Institutionen historisch zu rechtfertigen: Tarquinius wird als schlecht, verkommen und „hochmütig“ (lat. superbus) geschildert und als Urheber ungesetzlicher Machenschaften, als Willkürherrscher und echter Tyrann dargestellt.“

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tung des Bürgerrechts hat Claudius selbst mit dem Stichwort ‚civitas’ in der letzten Zeile der linken Kolumne angesprochen, nachdem er zuvor mit den Worten „sed illoc potius revertar“ (I 40) auf sein eigentlichen Thema zurückgekommen war. Der Inhalt der fehlenden Zeilen lässt sich aus der Wiedergabe der Rede bei Tacitus ableiten. Die entsprechenden Passagen erbringen den Nachweis, dass Claudius in seiner Rede nicht nur auf die personelle Ausbreitung des Bürgerrechts eingegangen ist, sondern insbesondere die räumliche Ausweitung des Potenzials für die Rekrutierung neuer Senatoren von Rom ausgehend auf ganz Italien aufgezeigt hat.608 Diese Annahme wird durch die ersten erhaltenen Zeilen der zweiten Kolumne belegt, in denen der Kaiser mit einer neuerlichen Ausweitung dieses Potenzials durch seine maiores Augustus und Tiberius argumentiert und zwei Aspekte seiner Rede – ‚Neuerung’ und ‚Ausweitung’ – zusammenbringt: „sane novo m[ore] et Divus Aug[ustus av]onc[culus] meus et patruus Ti(berius) Caesar omnem florem ubique coloniarum ac municipiorum, (…), in hac curia esse voluit“ (II 1-4).609 Mit dem exemplum seiner kaiserlichen Vorgänger schlug Claudius den Bogen zu den exempla der Königszeit: damals war das Gebiet, aus dem die Könige kamen, um Roms Umgebung räumlich erweitert worden; in der jüngsten Vergangenheit hatten Augustus und Tiberius den geographischen Raum für die Rekrutierung neuer Senatoren ausgeweitet, indem sie nicht mehr nur Senatoren aus Italien berufen, sondern Italiens Grenzen überschritten und Männer aus den Provinzen in den Senat aufgenommen hatten. Das belegt auch die unmittelbar folgende rhetorische Frage deutlich: „non Italicus senator potior est?“ (II 5) Diese Frage ergab nämlich nur dann einen Sinn, wenn bereits Senatoren aus Regionen außerhalb Italiens in der curia vertreten waren. Der Redner beantwortete seine Frage selbst, indem er als Beispiele für den Aufstieg von Provinzialen in die römische Oberschicht zwei Persönlichkeiten aus der Stadt Vienna vorstellte:610 den Ritter Luci-

608 Tac. ann. 11, 24, 2: „neque enim ignoro Iulios Alba, Coruncanios Camerio, Porcios Tusculo et, ne vetera scrutemur, Etruria Lucaniaque et omni Italia in senatum accitos, postremo ipsam ad Alpes promotam, ut non modo singuli viritim, sed terrae, gentes in nomen nostrum coalescerent.“ 609 Zu coloniae ac municipia: Vittinghoff, F., Römische Stadtrechtsformen der Kaiserzeit, in: ZRG 68, 1951, 435-485. 610 Zu Vienna: Bruhl, A., ‚Vienna 2’, in: RE VII A,2, 1958, 2113-2128. Pelletier, A., Vienne antique de la conquête romaine aux invasions alamanniques (IIe siècle avant IIIe siècle après J.-C.), Roanne 1982. Zwischen Vienna und Lugdunum bestand seit dessen (Neu-)Gründung durch M. Plancus ein Konkurrenzverhältnis, das im Vierkaiserjahr im Zusammenhang mit dem Aufstand des Iulius Vindex und der unterschiedlichen Parteinahme zum Krieg zwischen beiden coloniae führte (Tac. hist. 1, 65, 1-3). Zur Konkurrenz beider Städte auch: Botermann, Wie aus Galliern Römer wurden, 151-153.

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us Vestinus611 und den ehemaligen Senator Valerius Asiaticus612. Zwar eigneten sich diese exempla nur sehr bedingt für eine Unterstützung des kaiserlichen Antrags: zum einen war Vienna eine colonia,613 deren römische Bürger sich selbstverständlich um ein Amt in Rom bewerben konnten; zum andern konnte das exemplum des Ritters Lucius Vestinus allenfalls unter dem Aspekt in Claudius’ Argumentation eingeordnet werden, ihn als Beispiel eines ‚vir bonus’ im Kontrast zum ehemaligen Senator Valerius Asiaticus hervorzuheben, den der Kaiser anschließend als das Gegenteil eines ‚vir bonus’ beschwören sollte: „ut dirum nomen latronis taceam et odi illud palaestricum prodigium“ (II 14f.). Für Claudius war der Hinweis wichtig, dass dieser zweimalige Konsul in den Senat berufen worden war, bevor seine Heimatstadt Vienna mit dem vollständigen römischen Bürgerrecht ausgezeichnet worden war: „quod ante in domum consulatum intulit, quam colonia sua solidum civitatis Romanae benificium consecuta est“ (II 15-17). Dabei darf nicht übersehen werden, dass bei diesen Beispielen für Claudius vor allem die Betonung der Nähe Viennas zur colonia Lugdunum und damit zur Gallia Comata im Vordergrund stand, er also eine geographische Anknüpfung suchte.614 Wie zuvor bei der Auswahl der Beispiele aus der Zeit der Könige ging es ihm auch hier nicht um die Aufzählung einzelner Senatoren615 als vielmehr um die Betonung der Tatsache, dass bereits (unter seinen Vorgängern wie auch seit Beginn seiner Regierungszeit) Provinziale in der Führungsschicht des Reiches vertreten waren, deren Heimatort erst nach ihrem Aufstieg in die Elite des Reiches über die eigentlich erforderliche Rechtsstellung verfügt hatte. Mit Asiaticus’ Erwähnung machte der Redner darauf aufmerksam, dass er die von ihm vorgesehene Öffnung des Zugangs zum Senat für Provinziale nicht in erster Linie als ‚Neuerung’ betrachtete, sondern in der Erweiterung des Bewer611 Eck, W., ‚Iulius [II 146]’, in: DNP 6, 1999, 44. - Demougin, Prosopographie des chevaliers romains, 574f. (Nr. 683). L. Vestinus gehörte zeit seines Lebens dem Ritterstand an. Für die Jahre 60 - 62 ist seine Tätigkeit als Praefectus Aegypti belegt (Bastianini, G., Lista dei prefetti d’Egitto dal 30a al 299p, in: ZPE 17, 1975, 273.). Dieses hohe Amt war einem Angehörigen des Ritterstandes vorbehalten. Im Jahre 70 übertrug ihm Kaiser Vespasian den Wiederaufbau des zerstörten Tempels auf dem Kapitol (Tac. hist. 4, 53, 1): „Curam restituendi Capitolii in Lucium Vestinum confert, equestris ordinis virum, sed auctoritate famaque inter proceres.” 612 Weynand, F., ‚D.(?) Valerius Asiaticus 106’, in: RE VII A,2, 1948, 2341-2345; Eck, W., ‚(D.) V. Asiaticus [II 1]’, in DNP 12/1, 2002, 1106f. 613 Zur Vergabe der civitas an Vienna: Frei-Stolba, R., Zum Stadtrecht von Vienna (Colonia Iulia Augusta Florentia Vienna), in: MH 91, 1984, 81-95, hier bes. 95. 614 Zur Distanz zwischen den beiden coloniae: Sen. apoc. 6,1: „ad sextum decimum lapidem (…) a Vienna“. 615 Dieser Aspekt wird von R. Syme außer Acht gelassen, wenn er als ‚bessere’ Beispiele für Senatoren aus der Narbonensis Domitius Afer oder Domitius Decidius in seinem „Entwurf für Claudius’ Rede“ vorschlägt: Syme, The Provincial at Rome, 103. Ähnliche Überlegungen finden sich bei Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 215-217 und bei Osgood, Claudius Caesar, 166.

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berpotenzials die Fortsetzung der von seinen Vorgängern begonnenen Politik sah. Die Einbeziehung der gesellschaftlichen Eliten außerhalb Roms und Italiens in die Verwaltung des Imperiums stellte für ihn eine notwendige und unumkehrbare Konsequenz aus der räumlichen Expansion Roms dar. Wenn Claudius im Zusammenhang mit der Nennung des ihm eng verbundenen L. Vestinus dessen Söhne auf den in Rom üblichen Weg für eine politische Karriere in den Senat über die Ableistung der Ämterlaufbahn verwies616, empfahl er zugleich sich selbst und sein Handeln als exemplum: nicht die Bevorzugung durch ein kaiserliches Privileg wie der Verleihung des latus clavus oder einer adlectio sollte Vestinus’ Söhnen den Eintritt in den Senat ermöglichen; der Weg dorthin sollte für sie vielmehr über die Bekleidung eines Priesteramtes und die Ableistung des cursus honorum führen (und machte somit die Übernahme von Aufgaben und Verantwortung für den Prinzeps und das Imperium erforderlich).617 Sowohl die beiden exempla aus Vienna als auch sein Beispiel für Senatoren aus der colonia Lugdunum – er sprach von mehreren618, obwohl genau genommen er nur von sich selbst als ‚Senator aus Lugdunum’ sprechen konnte619 – bezogen sich auf die Herkunft von Senatoren aus römischen coloniae oder municipia, die zudem in einer weitestgehend romanisierten Provinz lagen bzw. im Falle Lugdunums selbst eine colonia waren.620 So gehörte die Narbonensis für viele Zeitgenossen bereits mehr zu Italien als dass sie eine Provinz war, wie Plinius einige Jahre später notierte.621 Betrachtete man andererseits die Comata unter dem Aspekt, in welchem Maße die Provinz Kultur, Sitten und Sprache Roms, römische Gesellschafts- und Wertevorstellungen bislang übernommen hatte, so war die Diskrepanz zur Narbonensis, erst recht natürlich die zu Rom und Italien, nicht zu übersehen und durfte deshalb auch nicht zu gering eingeschätzt werden. Insofern stellte der kaiserliche Antrag in der Tat eine erhebliche ‚Neuerung’ dar: seine 616 II 12-14: „cuius liberi fruantur, quaeso, primo sacerdotiorum gradu, postmodo cum annis promoturi dignitatis suae incrementa.” 617 Zumindest einer der Söhne des L. Vestinus gehörte dem Senat an: Marcus Iulius Vestinus Atticus, der von Sueton in Nero 35, 1, und von Tacitus, ann. 15, 68, 2 („Opperiebatur Nero, ut Vestinus quoque consul in crimen traheretur,”) als Konsul (für das Jahr 65) erwähnt wird. (Zu seinem Tod: Tac. ann. 15, 68-69.) 618 II 28f.: „quando ex Luguduno habere nos nostri ordinis viros non paenitet?“. 619 Darauf weist der Fingerzeig hin: „quam ut vobis digito demonstrem“ (II 27). 620 Ähnliches galt auch für die Baetica, auf die der Kaiser in Tacitus’ Redeversion (ann. 11, 24, 3) hinweist: „num paenitet Balbos ex Hispania nec minus insignes viros e Gallia Narbonensis transivisse?“ 621 Plin. nat. 3, 32: „breviterque Italia verius quam provincia“. – Claudius zeichnete die Senatoren aus der Narbonensis im folgenden Jahr mit dem Privileg aus, ohne die Genehmigung durch den Prinzeps ihre Besitzungen in der Provinz aufsuchen zu dürfen: „Galliae Narbonensi ob egregiam in patres reverentiam datum, ut senatoribus eius provinciae non exquisita principis sententia, iure qui Sicilia haberetur, res suas invisere liceret.“ (Tac. ann. 12, 23, 1.)

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Umsetzung in die Praxis machte es erforderlich, die bis dahin in der curia bestehenden Vorstellungen und Auffassungen über einen römischen Senator einer Korrektur zu unterziehen. Die von Claudius vorgetragenen exempla zeigen, dass sich der Redner ausführlich mit der Geschichte, insbesondere der römischen Frühgeschichte, auseinandergesetzt hatte.622 Dies berichtet auch Sueton,623 dessen Angaben zufolge der Geschichtsschreiber Titus Livius624 die Ausbildung des jungen Claudius auf diesem Gebiet übernommen und ihn veranlasst habe, das Studium der Geschichte ernst zu nehmen.625 Livius habe ihm die erforderliche geistige Ausrüstung vermittelt, um historische Forschungsarbeit betreiben und historische Werke verfassen zu können.626 In seinem Geschichtswerk ‚Ab urbe condita libri’ hatte Livius auch über die frühen Claudii geschrieben (Liv. 4, 3) und das Interesse des jungen Prinzen für die Geschichte seiner maiores geweckt. Die Beschäftigung mit Geschichte war in Rom nicht außergewöhnlich; in der Oberschicht zählten Geschichte und Geschichtsschreibung zu den Bestandteilen der Ausbildung angehender Rhetoren und Politiker.627 In der Ära der julisch-claudischen Kaiser verfassten laut E. Huzar628 mindestens zehn Konsulare und auch die Kaiserin Agrippina Geschichtswerke oder Memoiren.629 Von Augustus ist überliefert, dass er eine Autobiographie De vita sua geschrieben hat,630 von der wie auch von anderen Schriften und Äußerungen des ersten Prinzeps umfangreiche Fragmente erhalten sind.631 Aus dem Rahmen der in dieser Zeit üblichen Historiographie fiel 622 Picard, G.-Ch., Claude, rénovateur de l’Empire, in: Y. Burnand - Y. Le Bohec - J. P. Martin (Hg.), Claude de Lyon. Empereur romain. Actes du Colloque Paris-Nancy-Lyon Novembre 1992, Paris 1998, 194. 623 Suet. Claud. 41. 624 Raschle, Ch., Livius (Titus Livius) - Ab urbe condita, in: DNP Suppl. 7, 2010, 421-440. 625 Zu Claudius als Gelehrtem: Malitz, J., Claudius (FGrHist 276) – der Prinzeps als Gelehrter, in: V. M. Strocka (Hg.) Die Regierungszeit des Kaisers Claudius (41-54 n. Chr.). Umbruch oder Episode? Internationales interdisziplinäres Symposium aus Anlaß des hundertjährigen Jubiläums des Archäologischen Instituts der Universität Freiburg i. Br. 16. - 18. Februar 1991, Mainz 1994, 133-141. 626 Huzar, Claudius - the Erudite Emperor, 621. 627 Zu Claudius’ Erziehung: Parker, E. R., The Education of Heirs in the Julio-Claudian Family, in: AJPh 67, 1946, 29-50, hier 39-42. 628 Huzar, Claudius - the Erudite Emperor, 613. 629 Tac. ann. 4, 53. Plin. nat. 7, 46. - Syme, R., Tacitus, 293f. - Zu Augustus’ Tätigkeit als Schriftsteller und Dichter: Suet. Aug. 85, zu seinem Sprachstil und Sprachgebrauch 86-87. 630 Bardon, H., La littérature Latine inconnue, Bd. 2 ‘L‘époque impériale’, Paris 1956, 98-100. Malitz, J., Autobiographie und Biographie römischer Kaiser im 1. Jh. n. Chr, in: G. Weber M. Zimmermann (Hg.), Propaganda ‒ Selbstdarstellung ‒ Repräsentation im römischen Kaiserreich des 1. Jhs. n. Chr. (Historia Einzelschriften 164), Stuttgart 2003, 227-242. 631 Augustus. Schriften, Reden und Aussprüche. Hg., übersetzt und kommentiert von K. Bringmann und D. Wiegandt (Texte zur Forschung 91), Darmstadt 2008, dort zu Augustus’ Autobiographie 191-215.

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der Versuch des jungen Claudius, eine römische Geschichte über die Zeit seit Caesars Tod zu schreiben, die vor allem die Bürgerkriege und den Aufstieg Oktavians zum Inhalt haben und an Livius’ Geschichtswerk anknüpfen sollte. Schon in den ersten Büchern legte er seine Sympathien für Cicero632 und Antonius offen, dessen Enkel Claudius war, also für die Kontrahenten des späteren Prinzeps. Mit dieser Einstellung verstieß er gegen das Selbstverständnis der kaiserlichen Familie633 und forderte deren Widerstand heraus, der die Fortsetzung der weiteren Arbeit unterband.634 Danach schrieb Claudius eine römische Geschichte unter dem Titel ‚a pace civili’, die mit der Übernahme der Regierungsgewalt durch Augustus im Jahr 27 v. Chr. begann und analog der Anzahl der Regierungsjahre des ersten Prinzeps aus 41 Büchern (Kapiteln) bestanden haben soll.635 Wie dieses Werk sind auch seine in griechischer Sprache verfassten Bücher über die Geschichte der Etrusker und Karthagos der Nachwelt nicht erhalten geblieben; nur eine kurze Bemerkung Suetons zu Claudius’ Erziehung lässt darauf schließen, dass der Kaiser während seiner Regierungszeit auch ein Buch über sein Leben geschrieben hat.636 Wie nachhaltig Livius das Geschichtsdenken seines Schülers beeinflusst hat, zeigen neben den zahlreichen sprachlichen Übereinstimmungen bzw. Ähnlichkeiten zwischen Livius’ Werk und der kaiserlichen Rede637 auch die vom Prinzeps vorgetragenen exempla: Claudius griff hier auf die von Livius formulierte Rede des Volkstribunen C. Canuleius aus der Zeit der Ständekämpfe zurück,638 mit der dieser einen Antrag auf Gewährung des ius conubii zwischen Patriziern und Plebe632 Claudius verfasste auch eine Verteidigungsrede für Cicero gegen Asinius Gallus: Suet. Claud. 41, 3: „item Ciceronis defensionem adversus Asini Galli libros satis eruditam.“ Huzar, Claudius - the Erudite Emperor, 624. 633 Picard, Claude rénovateur de l’Empire, 196: „De toutes façons, un prince julio-claudien ne pouvait attaquer la memoire´du fondateur du régime sans miner son propre pouvoir.” 634 Suet. Claud. 41. 635 Suet. Claud. 41. - Huzar, Claudius – the Erudite Emperor, 620. 636 Suet. Claud. 41, 2: „composuit et de vita sua octo volumina, magis inepte quam ineleganter”. - Huzar, Claudius - The Erudite Emperor, 624. Zu Claudius schriftstellerischer Arbeit auch: Schmidt, P. L., Claudius als Schriftsteller, in: V. M. Strocka (Hg.), Die Regierungszeit des Kaisers Claudius (41-54 n. Chr.). Umbruch oder Episode? Internationales interdisziplinäres Symposium aus Anlaß des hundertjährigen Jubiläums des Archäologischen Instituts der Universität Freiburg i. Br,. 16. - 18. Februar 1991, Mainz 1994, 119-131. Picard, G.-Ch., Claude, rénovateur de l’Empire. 637 Last, D. M. - Ogilvie, R. M., Claudius and Livy, in: Latomus 17, 1958, 476-487. 638Auf diesen Zusammenhang hat erstmals A. Zingerle in seinem 1886 veröffentlichten Beitrag ‚Livius und Claudius’ in der ‚Zeitschrift für österreichische Gymnasien’ 37, 1886, 255f. hingewiesen: „Indem ich von einzelnen Ausdrücken und verwandten Wendungen absehe, notiere ich hier im Anschlusse nur ein paar größere Stellen, die nicht nur durch manches Anklingen der Form, sondern auch durch den vollständig gleichen Gedankengang auffallen.“ Zugleich schloss Zingerle aus dieser Übereinstimmung auch, „dass Tacitus diesen Passus aus dem uns verlorenen Stück der Claudiusrede gekannt habe.“

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jern und auf die Wahl eines Konsuls aus der plebs begründet hatte (Liv. 4, 3f.). Livius ließ den Volkstribunen mit exempla aus der Zeit der Könige argumentieren (Liv. 4, 2-12), wie sie auch von Claudius im Senat vorgetragen wurden (I 824). Es ist bemerkenswert, dass in der von Tacitus verfassten Rede außer der Passage über die Vergabe des Bürgerrechts (ann. 11, 24)639 auch die erwähnte Aufnahme der Claudii in die civitas und den Patriziat Roms640 aus der CanuleiusRede übernommen worden sind, während die ausführliche Darstellung von ‚Neuerungen’, die bei Livius’ mit einer allgemein gehaltenen Fragestellung eingeleitet641 und anschließend durch exempla belegt wurde,642 von Tacitus ausgelassen worden ist. Stattdessen hatte hier Claudius Livius’ Ausführungen über die Claudii als Beleg für die frühe Einbeziehung Fremder in die römische Oberschicht an den Anfang seiner Rede gestellt.643 Diese Passage hätte auch in der Originalrede des Kaisers gut als exemplum für seine Argumentation dienen können. Dabei hätte ein derartiger Verweis auf seine Vorfahren aus Claudius’ Sicht nicht nur auf das Alter seiner Familie hingewiesen, sondern auch für seine eigene Person die Abstammung von altem römischen Adel hervorgehoben und den Blick seiner Zuhörer von der ihm häufig vorgehaltenen ‚gallischen’ Herkunft (der Geburt in Lugdunum) abgelenkt.644 Hatte die Auswahl der exempla für ‚Neuerungen’ in der Königszeit unter dem Aspekt „Erweiterung des Bewerberpotenzials über Rom hinaus“ gestanden, so wandte sich der Kaiser anschließend den ‚Neuerungen’ in der Zeit der Republik zu. Diese betrafen die Themen „Ausweitung der Zahl der Amtsträger“ und „Partizipation der plebs an den politischen Ämtern und sakralen Funktionen“. Auch hier stellte für den Redner wieder Canuleius das rhetorische Vorbild, dessen Ausführungen zu ‚Neuerungen im Staate’ bei Livius in die Frage gemündet waren: „Quis dubitat, quin in aeternum urbe condita, in immensum crescente nova imperia, sacerdotia, iura gentium hominumque instituantur?“ (Liv. 4, 4, 4). Anders als bei den vorherigen exempla verzichtete Claudius bei seinen Ausführungen über ‚Neuerungen’ in der Republik darauf, individuelle Beispiele zu zitieren; stattdessen sprach er in generalisierender Form von Amtsträgern – con639 Liv. 4, 3, 4: „altera conubium petimus, quod finitimis externisque dari solet – nos quidem civitatem, quae plus quam conubium est, hostibus etiam victis dedimus.” 640 Liv. 4, 3, 14: „Claudiam certe gentem post reges exactos ex Sabinis non in civitatem modo accepimus, sed etiam in patriciorum numerum.“ 641 Liv. 4, 4, 1: „nullane res nova institui debet, et quod nondum est factum – multa enim nondum sunt facta in novo populo – ea, ne si utilia quidem sunt, fieri oportet?“ 642 Liv. 4, 4, 2-12. 643 Tac. ann. 11, 24, 1: „maiores mei, quorum antiquissimus Clausus origine Sabina simul in civitatem Romanam et in familias patriciorum adscitus est“. 644 So Sen. apocol. 6, 1, wo Claudius als „Gallus germanus“ bezeichnet wird.

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sules, tribuni plebei, decemviri, tribuni militum – oder abstrakt von Amtsgewalten – imperium dictaturae, decemvirale regnum, consulare imperium, honores imperi, (honores) sacerdotiorum –, auch hier zeigte sich wieder die enge Anlehnung des Prinzeps an Livius’ Geschichtswerk. 645 Mit der lapidaren Einleitung „Quid nunc commemorem …?“ (I 28), die sich auf die rhetorische Fragestellungen im folgenden Abschnitt bezog (I 28-37), brachte der Redner zum Ausdruck, dass ihm eine Aufzählung aller ‚Neuerungen’ in der Zeit der Republik nicht erforderlich erschien, nachdem er die Änderung der Verfassungsform – und somit die größte und weitestreichende ‚Neuerung’ – als solche bereits festgestellt hatte. Stattdessen beschränkte er sich exemplarisch auf die Nennung einiger ‚Neuerungen’ und brachte seine Ausführungen zu ‚republikanischen Neuerungen’, die einen ‚Kurzabriss’ der Ständekämpfe und ihrer Ergebnisse darstellen, mit dem Hinweis auf die Gleichstellung der plebs mit den Patriziern sowohl bei der Besetzung der politischen Ämter (honores imperi) als auch der Priesterämter (honores sacerdotiorum) zum Abschluss. Für Claudius bedeutete Geschichte – historia – mehr als eine Ansammlung von Einzelereignissen, die in der Vergangenheit stattgefunden hatten und abgeschlossen waren. Wie er mit seinen exempla deutlich machte, verstand er Geschichte als Lehrmeisterin – magistra – für sein politisches Handeln. Sie gab ihm zwar keine konkrete Anweisungen und Vorgaben, zeigte aber die Richtung, die seine Politik einschlagen konnte. So lassen sich die exempla als Meilensteine verstehen, die den Weg begleiteten, jedoch nicht der Weg selbst waren. Geschichtliche Erfahrung und geschichtliche Ereignisse konnten politisches Entscheiden und Handeln stützen und erleichtern; sie konnten jedoch dem Staatslenker die Entscheidung nicht aus der Hand nehmen oder in eine bestimmte Richtung lenken. So ließen sich beispielsweise aus den exempla Lösungsmöglichkeiten für Konfliktsituationen ableiten; sie waren aber nicht ohne weiteres auf anders gelagerte Entscheidungsfälle übertragbar. Am Beispiel der Nachfolgeregelung für Romulus hatte sich gezeigt, dass eine ‚neue’ politische oder gesellschaftliche Situation auch nach einer ‚neuen’ Lösung verlangte, selbst wenn eine tradierte Lösung möglich gewesen wäre: die Bestimmung des ‚Fremden’ Numa (statt eines Angehörigen aus der Verwandtschaft des Romulus) zum Nachfolger im Königsamt erwies sich als die richtige Entscheidung. Das Ergebnis der Entscheidung in einer derartigen Situation konnte immer erst im Nachhinein als „dem Staatswesen zu- oder aber auch abträglich“ beurteilt und entsprechend eingeordnet werden, schließlich sogar die Rolle eines neuen exemplum übernehmen. Deshalb war sich Claudius in seiner Rede auch bewusst, dass die Berufung auf althergebrachte exempla seinen Antrag wohl unterstützen konnte, diese aber keine Beweise dafür 645 Liv. 4, 3, 4: „Consules numquam fuerant; regibus exactis creati sunt. Dictatoris nec imperium nec nomen fuerat: apud patres esse coepit.Tribuni plebi, aediles, quaestores nulli erant; institutum est, ut fierent. Decemviros legibus scribendis intra decem hos annos et creavimus et e re publica sustulimus.”

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liefern konnten, ob die Durchsetzung seines Antrags ‚richtig’ oder ‚falsch’ war. Wenn der Kaiser die römische Geschichte als eine stete Entwicklung betrachtete, durch die Rom nach außen hin größer und machtvoller geworden und im Innern durch die Verleihung des Bürgerrechts und die Hereinnahme außerrömischer Eliten in die senatorische Führungsschicht der Staat gestärkt worden war, musste er diese Politik im Sinne der salus publica des Reiches fortsetzen. Außenpolitisch hatte er seinen Beitrag zur Expansion des Imperiums mit der Eroberung Britanniens bereits geleistet. Innenpolitisch bot nun das Ersuchen der Gallier um die Zulassung zum Senat für den Kaiser die geeignete Gelegenheit, eines der Ziele, die sich aus seiner Beschäftigung mit der Geschichte ergeben hatten, nämlich die verstärkte Heranziehung von Mitgliedern der provinzialen Eliten zur Verwaltung und Führung des Reiches, in die Tat umzusetzen. Dabei war sich der Kaiser (wie auch seine Zuhörerschaft) bewusst, dass diese Entwicklung keineswegs gradlinig und ohne Unterbrechungen verlaufen war. So machte der Redner selbst darauf aufmerksam, dass Verschiebungen der politischen bzw. staatsrechtlichen Konstellationen wie etwa der Wechsel vom Königtum zur republikanischen Staatsform oder die durch die Ständekämpfe erreichte Partizipation der plebs an der Machtausübung und der Besetzung der Priesterstellen im Innern jeweils neue Grundlagen geschaffen hatten, auf denen längerfristige Politikziele weiterverfolgt werden konnten. Als schwerwiegender dürften die Bestrebungen Caesars um die Alleinherrschaft und die darauf folgenden Bürgerkriege sowie schließlich die Errichtung des Prinzipats durch Augustus anzusehen sein, auf die in der kaiserlichen Rede wohlweislich nicht eingegangen wird: war doch aus historischer Sicht Claudius’ Stellung als Prinzeps eines der Ergebnisse dieser Vorgänge, deren Nennung als ‚Tabubruch’ gewertet werden musste und seine Position möglicherweise schwächen konnte, war er doch schließlich selbst ein Teil dieser Geschichte.646 Die Bruchstellen in der Geschichte des römischen Staates und seiner Verfassung vor allem in den letzten hundert Jahre hatten jedoch nicht dazu geführt, dass wichtige und vorrangige Entwicklungen, die die Stabilität des Imperiums erhalten und verbessern sollten, wie etwa die Vergabe des Bürgerrechts an weitere Bevölkerungsteile oder die Ausweitung des Bewerberkreises für den Senat, abgebrochen oder völlig eingestellt worden waren. Eher war das Gegenteil eingetreten, wenn man Caesars oder Augustus’ Politik in diesen Fragen genauer betrachtet.647 Die ‚vorsichtige’ Wiederaufnahme und Fortführung dieser Politik – so spricht Claudius davon, dass er sich ‚timide’ der Comata nähere – zugunsten der Elite der Tres Galliae gründete auch auf seine eigene, erst kurze Zeit zurücklie646 Wie sensibel für das Kaiserhaus die Erwähnung seiner jüngsten Geschichte war, hatte Claudius in sei-ner Jugendzeit selbst erfahren: Suet. Claud. 41, 2. 647 Suet. Iul. 24, 2; 28, 3; 42, 1; 76, 3; 80, 2; Suet. Aug. 46 und 47.

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gende Erfahrung. Zum einen war der Fall des Valerius Asiaticus noch nicht in Vergessenheit geraten; der ehemalige Senator war u. a. wegen seiner Herkunft aus Vienna und seines Reichtums der Planung eines Aufstands der gallischer Truppen beschuldigt und wegen Hochverrats angeklagt und verurteilt worden.648 Diesen ‚Vorfall’ hatte der Kaiser auch als eine Art ‚Warnung’ vor Senatoren provinzialer Herkunft verstanden, da deren Loyalität gegenüber Rom aufgrund ihrer weiterhin bestehenden Zugehörigkeit zu den einheimischen Eliten zumindest in Zweifel gezogen werden konnte. Andererseits hatten die Gallier einen Antrag gestellt, den er allein schon aufgrund seiner Herkunft aus Lugdunum und der Verbundenheit mit seiner Heimatstadt nicht einfach übergehen oder zurückweisen konnte; eine sorgfältige Abwägung veranlasste ihn, sich das Anliegens der Gallier zu eigen zu machen und für den Antrag die Unterstützung der Senat zu gewinnen. Auch jetzt griff Claudius wieder auf exempla zurück, wenn er dem kritischen Einwand, „die Gallier hätten zehn Jahre lang Krieg gegen den zum Gott erhobenen Iulius geführt“, das Beispiel „von hundertjähriger unerschütterlicher Treue und mehr als bewährten Gehorsams“ entgegenhält (II 33-35).649 Die Argumentation des Redners fand ihren Höhepunkt in einem Beispiel, das seine persönliche Betroffenheit zum Ausdruck brachte: der Kaiser wies auf die Rückendeckung hin, die die Gallier (trotz einer gleichzeitigen Neufestsetzung der Steuern) seinem Vater Drusus während dessen Feldzugs gegen die germanischen Stämme geleistet hätten (II 35-37). Mit seinem Eintreten für die Interessen der gallischen primores und der Zustimmung des Senats vollzog der Kaiser einen auf den ersten Blick nur kleinen Schritt in Richtung einer Ausweitung der Senatorenrekrutierung über die Grenzen der bereits romanisierten Provinzen hinaus.650 Dieser erste Schritt gewann vor allem dadurch an Bedeutung, dass er in seiner historischen Logik eines Tages auch zu weiteren Schritten in Richtung einer Ausweitung der Berufungsmöglichkeiten von Senatoren auf alle Provinzen führen musste. Auch wenn man vom Prinzeps kein Regierungsprogramm im modernen Sinne mit politischen Zielsetzungen und Festlegungen erwarten konnte,651 so geben zahlreiche Einzelmaßnahmen in verschiedenen Politikbereichen, wie sie von den Geschichtsschreibern aus Claudius’ Regierungszeit überliefert worden sind, wichtige Anhaltspunkte dafür, dass die kaiserliche Politik durchaus strukturierten Tac. ann. 11, 1, 1f. So Perl, Die Rede des Kaisers, 136. 650 Dieser Schritt kann mit der Übernahme des Königsamtes durch Numa Pompilius verglichen werden: wie dieser aus der engeren Umgebung Roms gekommen war, so kamen die primores der Gallier aus der unmittelbaren Nachbarschaft der romanisierten Gallia Narbonensis. 651 Die Übernahme der Regierungsgewalt war Claudius unvorbereitet zugefallen, wie in Kap. IV. 2 dargelegt. 648 649

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Vorgaben und Zielsetzungen folgte, die sich größtenteils auch aus den historischen Bedingungen des Prinzipats ergaben und ihren Fokus in der Rolle des Prinzeps als pater patriae hatten. Diese fanden ihren Ausdruck z. B. in der Weiterführung bzw. der Vollendung öffentlicher Bauten,652 die von seinem Vorgänger begonnen, aber wegen Caligulas frühzeitigem Tod nicht fertig gestellt worden waren. Claudius setzte damit die Tradition der kaiserlichen Familie fort: so hatte laut Sueton bereits Caligula die Arbeiten an den von Tiberius hinterlassenen Bauruinen653 weiterführen lassen.654 Allerdings ließ Claudius nicht alle begonnenen Bauwerke fortführen,655 sondern ließ sich bei seinen Entscheidung über den Weiterbau stark vom Gesichtspunkt der Zweckdienlichkeit leiten, des Nutzens für das allgemeine Wohl. Ähnlich dürften auch seine Motive gewesen sein, die ihn zur Abschaffung von Feiertagen und Festen und zur Ablehnung von Geldgeschenken veranlassten.656 Seiner Fürsorgepflicht entsprach er mit der Fertigstellung des im Jahr 38 von Caligula begonnenen Aquädukts, des Anio novus,657 und dem Neubau einer zusätzlichen Wasserleitung nach Rom, der Aqua Claudia658, wohingegen die Arbeiten am Amphitheater des Caligula nicht fortgesetzt wurden.659 In diesem Zusammenhang müssen auch die umfangreichen Tätigkeiten und Regelungen zur Verbesserung der Infrastruktur, wie etwa auf dem Gebiet des Verkehrs durch die Anlage eines neuen Hafens bei Ostia660 und den Bau neuer Straßen661, auf dem Gebiet der Daseinsvorsorgedurch Sicherung der 652 Zur Bautätigkeit während des frühen Prinzipats: Thornton, M. K. und R. L., Julio-Claudian Building Programs: A Quantitative Study in Political Management, Wauconda IL 1989. 653 Suet. Tib. 47, 1: „princeps neque opera ulla magnifica fecit – nam et quae sola susceperat, Augusti templum restitutionemque Pompeiani theatri, imperfecta post tot annos reliquit”. 654 Suet. Cal. 21: „opera sub Tiberio semiperfecta, templum Augusti theatrumque Pompei, absolvit.” 655 Zu Claudius’ Bautätigkeit: Scheithauser, A., Kaiserliche Bautätigkeit in Rom. Das Echo in der antiken Literatur, Stuttgart 2000, 106-112. 656 Cass. Dio, 60, 17, 1f. und 60, 6, 3f. Er wies auch die Anfertigung von Bildnissen und Statuen von ihm zurück; diese seien nach seinen Worten „alles unnütze Ausgaben“ (60, 5, 5). 657 Hülsen, Chr., ‚Anio novus.‛, in: RE I,2, 1894, 2212f. Mari, Z., ‚Anio novus’, in: LTUR 1, 42-44. Hainzmann, M., Untersuchungen zur Geschichte und Verwaltung der stadtrömischen Wasserleitungen, Wien 1975, 129-132. 658 Tac. Ann. 11, 13, 2. - Hainzmann, Untersuchungen, 121-128. 659 Suet. Cal. 21: „incohavit autem aquae ductum regione Tiburti et amphitheatrum iuxta Saepta, quorum operum a successore eius Claudio alterum peractum, omissum alterum est.“ – Zur Wasserversorgung in Rom: Frontinus-Gesellschaft e. V. (Hg.) Wasserversorgung im antiken Rom, München - Wien 1982, bes. 32-42. 660 Bau des Hafens ‚Portus Augusti’ (später als ‚Portus Romae’ bezeichnet) nordwestlich von Ostia: Suet. Claud. 20, 1 und 3; Cass. Dio 60, 11, 3-5. Der Bau des neuen Hafens sollte die Getreideeinfuhr für Rom sichern; gleichzeitig wurde die Verwaltung des Korns unter kaiserlicher Kontrolle zentralisiert. Suet. Claud. 18, 2. Cass. Dio, 11, 1f. - Schaal, H., Ostia – der Welthafen Roms, Bremen 1957, 39-42. Meiggs, R., Roman Ostia, Oxford 1960, 21973, 54-58. Bolder-Boos, M., Ostia - Der Hafen Roms, Darmstadt 2014. 661 Zum Bau von Straßen und Aquädukten: Walser, G., Die Straßenbau-Tätigkeit von Kaiser Claudius, in: Historia 29, 1980, 438-462. Levick, Claudius, 167-177. Ryan, F. X., Some Ob-

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Lebensmittelzufuhr662 und der Wasserversorgung663 oder der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Einrichtung offizieller Feuerwehren664 erwähnt werden, ebenso seine Maßnahmen im Finanzwesen665 und auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der Rechtsprechung666. Aus der Fülle der Bauprojekte ragen zwei Vorhaben heraus, denen nicht nur wegen ihrer Monumentalität und Kosten besondere Bedeutung beigemessen wurde,667 sondern die auch in historischer Hinsicht bemerkenswert waren: der Bau eines neuen Seehafens nordwestlich der alten Hafenstadt Ostia668 und die Anlage eines Abflusskanals zur Trockenlegung des Fuciner Sees.669 Beide Maßnahmen waren bereits von Caesar geplant worden;670 servations on the Censorship of Claudius and Vitellius AD 47-48, in: AJP 114, 1993, 614. Osgood, Claudius Caesar, 175-180, 187f. Ausbüttel, Verwaltung, 95-98 (Straßenbau) und 115-122 (Wasserleitungen). Zur Bedeutung des Straßenbaus für die Herrschaft der Kaiser: Mrozewicz, L., Via et imperium – Strassenbau und Herrschaft in römischer Welt, in: R. Frei-Stolba (Hg.),Siedlung und Verkehr im römischen Reich. Römerstraßen zwischen Herrschaftssicherung und Landschaftsprägung. Akten des Kolloquiums zu Ehren von Prof. H. E. Herzig vom 28. und 29. Juni 2001 in Bern, Bern u. a. 2004, 345-359. Rathmann, M., Untersuchungen zu den Reichsstraßen in den westlichen Provinzen des Imperium Romanum (Beihefte der Bonner Jahrbücher 55), Mainz 2003. Nachdem unter Augustus vor allem in der Gallia Narbonensis und auf der iberischen Halbinsel das Straßennetz ausgebaut worden war, förderte Claudius den Ausbau der Infrastruktur im Gebiet der Tres Galliae und des angrenzenden Germanien (Rathmann, Untersuchungen zu den Reichsstraßen, 67-69). 662 Suet. Claud. 18, 1: „Urbis annonaeque curam sollicitissime semper egit.“ - Zur politischen Bedeutung der Lebensmittelversorgung in Rom: Rickman, G., The Corn Supply of Ancient Rome, Oxford 1980. Herz, P., Studien zur römischen Wirtschaftsgesetzgebung. Die Lebensmittelversorgung (Historia Einzelschriften 55), Stuttgart 1988, 87-102. Ausbüttel, Verwaltung, 135-140. 663 Sicherung der Lebensmittelversorgung: Suet. Claud.18-19; Cass. Dio 60, 11, 1f. 664 Einrichtung von Feuerwehren in Ostia und Puteoli: Suet. Claud.25, 2. 665 Cass. Dio 60, 4, 3; 60, 10, 4; 60, 24, 1f. Levick, Claudius, 127-129. 666 Dazu gehörte auch die Publizierung einer Vielzahl von Edikten: Suet. Claud. 16, 4; Cass. Dio 60, 11, 6. - Zur Rechtsprechung: Suet. Claud. 14-15; Cass. Dio 60, 24, 1f. - Zu Claudius als Richter: Wolf, J. G., Claudius Iudex, in: V. M. Strocka (Hg.), Die Regierungszeit des Kaisers Claudius (41-54 n. Chr.). Umbruch oder Episode? Internationales interdisziplinäres Symposium aus Anlaß des hundertjährigen Jubiläums des Archäologischen Instituts der Universität Freiburg i. Br. 16. - 18. Februar 1991, Mainz 1994, 145-158. 667 Suet. Claud., 20, 2f. 668 Dazu: Schaal, H., Ostia - Portus. Die Hafenanlagen der Kaiserstadt Rom, in: Jahrbuch der Hafenbautechnischen Gesellschaft 1952/54, Berlin - Göttingen - Heidelberg 1955, 5-30. Meiggs, Roman Ostia, bes. 54-64. 669 Entwässerung des Fuciner Sees: Suet. Claud. 20, 2; Plin. nat. 36, 124; Cas. Dio 60, 11, 5. Levick, Claudius, 110-112. Osgood, Claudius Caesar, 168f. und 188f. – Nach Sueton wurde sogar an eine ‚moderne’ Art zur Finanzierung der Maßnahme gedacht: „cum quidam privato sumptu emissuros se repromitterent, si sibi siccati agri concederentur“ (Claud. 20, 2). 670 Zum Abfluss des Fuciner Sees: Suet. Caes. 44, 3: „emittere Fucinum lacum“. Zur Technik: Cech, B., Technik in der Antike, Darmstadt 32012, 41f. Zum Bau eines neuen Hafens: Suet. Claud. 20, 1: „alterum a Divo Iulio saepius destinatum ac propter difficultatem omissum”.

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vor dem Bau des Hafens scheint Caesar wohl wegen des Ausmaßes der erforderlichen Arbeiten zurückgeschreckt zu sein, für die Arbeiten an einem Abfluss des Sees hatte er keine Zeit mehr gefunden.671 Indem Claudius gleich zu Beginn seiner Regierungszeit diese Großprojekte in Angriff nahm,672 machte er deutlich, dass für ihn und seine Regierung Caesar das Vorbild war, an dem sowohl er selbst wie auch seine Regierungstätigkeit gemessen werden wollten. Die Arbeiten am Fuciner See wurden nach elfjähriger Bauzeit 52 n. Chr. beendet673 und mit dem Schauspiel einer naumachia abgeschlossen;674 für den Hafenbau wurden zwanzig Jahre benötigt, bevor Nero ihn 62 einweihen konnte.675 Betrachtet man Claudius’ Rede unter der Prämisse einer zielgerichteten Politik zur Stärkung der inneren Stabilität des Imperiums, so lässt sich sein Engagement zugunsten der Gallier vor allem durch seine Kennnis der Geschichte Roms und dem Bewusstsein der Verpflichtung ihr gegenüber erklären. So sah er sich beim Thema „Gallien“ in einer historischen Kontinuität: sein ‚Vorbild’ Caesar,676 das er in der Rede wohlweislich überging,677 hatte mit der Eroberung weiter Gebiete Nordwesteuropas hundert Jahre zuvor und durch ihre Einverleibung in das Imperium Romanum die Grenzen des Reiches bis an die Grenzen des Festlandes vorgeschoben. Zugleich hatte er den Weg für eine Romanisierung dieser Provinz am Rande der οἰκουμένη geebnet. Nach den Wirren des Bürgerkrieges hatte sein Nachfolger Augustus die gesamte Region verwaltungsmäßig neu geordnet und später durch einen census steuermäßig erfasst.678 Nun konnte Claudius mit seinem Antrag gleichsam einen vorläufigen Schlusspunkt in dieser Entwicklung setzen: die Integration der gallischen Adligen durch ihre Aufnahme in die Führungsschicht des Imperiums. Damit sah er sich als ‚Vollender’ eines Werkes, das Caesar begonnen und Augustus weitergeführt hatte. Die enge Verbindung zwischen Geschichte und politischem Handeln zeigte Claudius bei der Festlegung und Durchführung der Säkularfeier im Jahr 47 anlässlich der 800-Jahrfeier der Gründung Roms.679 Bereits unter Augustus hatte 17 Levick, Claudius, 110. Osgood, Claudius Caesar, 182. 673 Suet. Claud. 20, 2: „canalem absolvit aegre et post undecim annos“ sowie Claud. 32. - Die vollständige Trockenlegung des Sees gelang erst 1875. 674 Tac. ann. 12, 56-57. 675 Bolder-Boos, Ostia, 43, bezieht sich bei der Datierung auf Tac. ann. 15, 18, 2 sowie auf Münzprägungen Neros aus dem Jahr 64. – Eine Erweiterung des Hafengebiets erfolgte durch Trajan zu Beginn des 2. Jh.: Schaal, Ostia, 42-49. Meiggs, 67-74. Bolder-Boos, Ostia, 57f. 676 Zu Caesar als Claudius’ Vorbild: Levick, Antiquarian or Revolutionary?, 96-103. 677 Der ‚Divus Iulius’ war von Claudius lediglich im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Gallier erwähnt worden (II 33). 678 Cass. Dio 53, 22, 5. 679 Cass. Dio 54, 18, 2. - Nilsson, M. P., ‚Saeculares ludi, Säkularfeier, Säkulum’, in: RE I A,2, 1696-1720. Rüpke, J., ‚Saeculum’, in: DNP 10, 2001, 1207f. Pighi, I. B., De ludis saecu671 672

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v. Chr. eine Säkularfeier stattgefunden;680 Claudius gab zur Begründung einer neuen Feier an, dass Augustus den Zeitpunkt für die Feier falsch berechnet habe.681 Augustus hatte seinerzeit die Feier zum Anlass genommen, eine Reihe gesetzlicher Regelungen zur Verbesserung der öffentlichen Moral zu erlassen.682 In Anlehnung an Augustus683 setzte sich Claudius für eine Wiederbelebung alter, in Vergessenheit geratener Bräuche und die Verbesserung religiöser und ziviler Zeremonien ein.684 Auch die Übernahme des Amtes eines Censors, das in der Zeit der Republik das höchste politische Amt Roms gewesen war, gehört in den Kontext der Wiederbelebung historischer Institutionen durch Claudius.685 Das Amt hatte, so E. Lyasse,686 in der Zeit des Prinzipats im Grunde seine Berechtigung verloren,687 da zur Durchführung eines census keine besondere Wahl oder die Berufung in dieses Amt mehr erforderlich war, sondern der Prinzeps aus eigener Kompetenz einen census vornehmen konnte.688 Mit der Annahme des Amtes eines Censors zusammen mit dem Amtskollegen L. Vitellius übertraf Claudius nicht nur seine unmittelbaren Vorgänger Tiberius und Caligula, die keinen cenlaribus populi romani Quiritium libri sex, Mailand 1941, Amsterdam 21965. Boyce, A. A., Processions in the Acta Ludorum Saecularium, in: TAPhA 72, 1941, 36-48. 680 Tac. ann. 11, 11, 1: „Isdem consulibus ludi saeculares octingentesimo post Romam conditam, quarto et sexagesimo quam Augustus ediderat, spectati sunt.” Für diese Feier hatte der römische Dichter Horaz ein ‚Carmen saeculare’ verfasst. 681 So Suet. Claud. 21, 2: „et fecit saeculares, quasi anticipatos ab Augusto nec legitimo tempori reservatos”, der an gleicher Stelle notiert: „quamvis ipse in historiis suis prodat, intermissos eos Augustum multo post diligentissime annorum ratione subducta in ordinem redegisse.“ - Augustus hatte für die Berechnung der Säkularfeier das etruskische saeculum von 110 Jahren zugrundegelegt; Claudius griff auf den 100-Jahres-Rhythmus zurück. (P. Cornelius Tacitus, Annalen. Lateinisch und deutsch. Hg. von E. Heller, München - Zürich 1982, 844, Anm. 16.) 682 Syme, Die römische Revolution, 459-464. Kienast, Augustus, 116-118. Osgood, Claudius Caesar, 153f. Bellen, H., Novus status - Novae leges. Kaiser Augustus als Gesetzgeber, in: Ders., Politik - Recht - Gesellschaft. Studien zur alten Geschichte (Historia Einzelschriften 115), Stuttgart 1997, 183-211. Dettenhofer, M. H., Herrschaft und Widerstand im augusteischen Principat. Die Konkurrenz zwischen res publica und domus Augusta (Historia Einzelschriften 140), Stuttgart 2000, 133-144. 683 R. Gest. Div. Aug., 8: „legibus novis me auctore latis multa exempla maiorum exolescentsa iam ex nostro saeculo reduxi et ipse multarum rerum exempla imitanda posteris tradidi.“ 684 Suet. Claud. 22. Dazu gehörte u. a. auch die Wiedereinrichtung des augurium salutis (Tac. ann. 12, 23, 1: „salutis augurium quinque et viginti annis omissum repeti ac deinde continuari placitum“). 685 Suet. Claud. 16, 1: „gessit et censuram intermissam diu post Plancum Paulumque censores”. 686 Lyasse, E., Le Principat et son fondateur. L’utilisation de la référence à Auguste de Tibère à Trajan, (Collection Latomus 311), Brüssel 2008, 239. 687 Zur Censur unter Augustus: Hammond, M., The Augustan Principate in Theory and Practice During the Julio-Claudian Period, Cambridge MA 1933, New York 21968, 88-101. 688 Dazu: Astin, A. E., Augustus and «Censoria Potestas», in: Latomus 22, 1963, 226-235.

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sus vorgenommen hatten, sondern vor allem den ersten Prinzeps und ebenso das große Vorbild Caesar. Beide hatten zwar den census durchgeführt,689 sie hatten aber nicht das Amt eines Censors innegehabt. Für Claudius bedeutete das Amt nicht allein die Fortführung einer republikanischen Tradition; als eine adäquate Magistratur verlieh es ihm einen Zuwachs an Ansehen und eine prestigeträchtige Kontrollmöglichkeit im innenpolitischen Raum.690 Wenn der Prinzeps im Rahmen seiner Amtshandlungen als Censor691 außerdem noch drei neue Buchstaben in das lateinische Alphabet einfügen ließ692 und ihre offizielle Verwendung anordnete693 (die Buchstaben wurden allerdings nach seinem Tod nicht weiter verwendet694), so stellte diese Maßnahme den Prinzeps auf eine Stufe mit seinem Vorfahren Appius Claudius Caecus.695 Dieser hatte als Censor im Jahre 312 v. Chr. u. a. eine Reform der lateinischen Orthographie durchgeführt und galt auch als Erbauer der via Appia,696 dem Claudius mit seiner Straßenbautätigkeit nacheifern konnte. So darf mit R. Papke dem Kaiser wohl zu Recht unterstellt werden, „dass auch er als bedeutender Censor in die Geschichte eingehen wollte. Die Interpretation der Tacitus-Stelle [ann. 11, 14] zeigt: Claudius stand nicht nur wisZur Censur des Augustus: Astin, Augustus and «Censoria Potestas». Dazu: Levick, Claudius, 98-101. Osgood, Claudius Caesar, 154-167. 691 Zur Einführung neuer Buchstaben während Claudius’ Censur: Ryan, Some Observations on the Censorship of Claudius and Vitellius, 611-613. 692 Suet. Claud. 41, 3: „novas etiam commentus est litteras tres ac numero veterum quasi maxime necessarias addidit; de quarum ratione cum privatus adhuc volumen edidisset, mox princeps non difficulter optinuit ut in usu quoque promiscuo essent. extat talis scriptura in plerisque libris ac diurnis titulisque operum.“ Bei den neuen Buchstaben handelte es sich 1. um ein umgekehrtes Digamma ‚ⅎ’ zur Unterscheidung des Konsonanten ‚V’ von dem ebenso geschrieben Vokal ‚U’; 2. um ein Antisigma ‚Ɔ’ für ‚BS’ und ‚PS’, und 3. um das Zeichen ‚├’ für ein ‚Û’ (Ypsilon). (Küster, Geordnetes Weltbild, 262f.) Dazu auch: Oliver, R. P., The Claudian Letter ├, in: AJA 53, 1949, 249-257. Bardon, H., Les empereurs et les lettres latines d’Auguste à Hadrien, Paris 21968, 134-137. Papke, R., Des Kaisers neue Buchstaben. Claudius in Tac. ann. 11, 14 und Sen. Apocol. 3, 4, in: WJA 12, 1986, 183-196. Ryan, Some Observations on the Censorship, 611f. Schmidt, Claudius, 121f. Osgood, Claudius Caesar, 156f. 693 Tac. ann. 11, 13, 2: „ac novas litterarum formas addidit vulgavitque, comperto Graecam quoque litteraturam non simul coeptam absolutamque.” 694 Tac. ann. 11, 14, 3: „quo exemplo Claudius tres litteras adiecit, quae in uso imperitante eo, post obliteratae“. 695 Münzer, F., ‚Claudius 91 Ap. Claudius Caecus’, in: RE III,2, 1899, 2681-2685. Elvers, K.L., ‚Claudius [I 2] C. Caecus, Ap.’, in: DNP 3, 1997, 8. - Sieke, C., Appius Claudius Caecus Censor i. J. 310 v. Chr., Magdeburg 1890. Staveley, E. S., The Political Aims of Appius Claudius Caecus, in: Historia 8, 1959, 410-433. Cornell, The Beginnings of Rome, 373-377. Humm, M., Appius Claudius Caecus. La république accomplie (BEFAR 322), Rom 2005. Linke, B., Appius Claudius Caecus – ein Leben in Zeiten des Umbruchs, in: K.-J. Hölkeskamp - E. Stein-Hölkeskamp (Hg.), Von Romulus zu Augustus. Große Gestalten der römischen Republik, München 2000, 22010, 69-78. Appius Claudius wurde auch eine Erweiterung des lateinischen Alphabets zugeschrieben: Küster, Geordnetes Weltbild, 256f. 696 MacBain, B., Appius Claudius Caecus and the Via Appia, in: CQ 30, 1980, 356-372. 689 690

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senschaftlich auf hohem Niveau, er muß auch seine Gedanken in der Öffentlichkeit mit großem Anspruch vorgetragen haben: Er stellte sich als Schrifterfinder in eine Reihe mit bedeutenden Persönlichkeiten der Vergangenheit und sah sich selbst als Vollender des lateinischen Alphabets.“697 Auch die Erweiterung des Pomeriums,698 der heiligen Stadtgrenze Roms,699 durch Claudius im Jahr 49 lässt den engen Zusammenhang zwischen dem Geschichtsverständnis des Kaisers und seinem politischen Handeln erkennen. In republikanischer Zeit hatte die Ausdehnung des Pomeriums den Erwerb neuen Territoriums in Italien durch Rom markiert. Eine derartige Ausweitung war spätestens nach dem letzten Bürgerkrieg nicht mehr möglich.700 Claudius sah deshalb eine Erweiterung des römischen Machtbereichs und den damit verbundenen Anspruch auf eine Ausweitung der Stadtgrenze nicht mehr in Italien, sondern gab ihr eine neue Bedeutung, indem er die Voraussetzung für die Ausweitung der römischen Macht auf das Gebiet des gesamten Imperiums übertrug. So stellte die Eroberung des Klientelkönigreiches701 Mauretanien,702 die noch Caligula begonnen hatte,703 im Jahr 42 von Claudius beendet und im folgenden Jahr mit der Einrichtung von zwei Provinzen (Mauretania Caesariensis und Mauretania Tingitana) für das afrikanische Land abgeschlossen worden war,704 für den Kaiser eine wichtige Papke, Des Kaisers neue Buchstaben, 191. Tac. ann. 12, 23, 2: „et pomerium urbis auxit Caesar, more prisco, quo iis, qui protulere imperium, etiam terminos urbis propagare datur, nec tamen duces Romani, quamquam magnis nationibus subactis, usurpaverant nisi L. Sulla et divus Augustus”, und 12, 24, 2: „et quos tum Claudius terminos posuerit, facile cognitu et publicis actis perscriptum.” Cass. Dio 55, 6, 6 erwähnt ebenfalls eine Erweiterung des Pomeriums durch Augustus. 699 Zum Pomerium: Liv. 1, 44, 4f. - von Blumenthal, A., ‚Pomerium’, in: RE XXI,2, 1952, 1867-1876. Galsterer, H., ‚Pomerium’, in: DNP 10, 2001, 86f. Mommsen, Th., Der Begriff des Pomerium, in: Hermes 10, 1876, 40-50. Rüpke, J., Domi militiae. Die religiöse Konstruktion des Krieges in Rom, Stuttgart 1990, 32-36. Cornell, The Beginnings of Rome, 202-204. Drogula, F. K., Imperium, potestas, and the pomerium in the Roman Republic, in: Historia 56, 2007, 419-452. Levick, Claudius, 107, 120f. und 148. Osgood, Claudius Caesar, 159-161. 700 Zu der von Tac. ann. 12, 23, 2 und von Cass. Dio 55, 6, 6 erwähnten Erweiterung des Pomeriums durch Augustus s. Kienast, Augustus, 126 mit Anm. 152. 701 Tac. ann. 4, 5, 2: „Mauros Iuba rex acceperat donum populi Romani.“ - Zu den Klientelstaaten: Strothmann, Augustus, 210-212. Weber, F., Herodes – König von Roms Gnaden? Herodes als Modell eines römischen Klientelkönigs in spätrepublikanischer und augusteischer Zeit, Berlin 2003. 702 Zur Eroberung und Provinzialisierung Mauretaniens: Weinstock, St., ‚Mauretania’, in: RE XIV,2, 1930, 2344-2386. Thomasson, B. E., ‚Mauretania’, in: RE Suppl. XIII, 1973, 307-316. Niemeyer, H. G., ‚Mauretania’, in: DNP 7, 1999, 1048-1052. Bechert, T., Die Provinzen des Römischen Reiches, Einführung und Überblick, Mainz 1999, 157-160. 703 Cass. Dio 59, 25, 1.- Gutsfeld, A., Römische Herrschaft und einheimischer Widerstand in Nordafrika. Militärische Auseinanadersetzungen Roms mit den Nomaden, Stuttgart 1989. Lepelley, Cl. (Hg.), Rom und das Reich 44 v. Chr. – 260 n. Chr., Bd. 2: Die Regionen des Reiches, München - Leipzig 2001, 107-120. 704 Cass. Dio 60, 8, 6, und 9. - Osgood, Claudius Caesar, 110-113. 697 698

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Grundlage und zugleich Rechtfertigung für die Ausweitung des Pomeriums dar. Ähnliches galt für die beiden Klientelstaaten Lykien705im südwestlichen Kleinasien und Thrakien706 auf der östlichen Balkanhalbinsel. Nachdem es hier zu inneren Unruhen und Aufständen gekommen war, wurden beide Gebiete von Rom annektiert und als Provinzen in das Reich eingegliedert.707 Waren die genannten Klientelstaaten bislang schon in unterschiedlicher Weise mit dem Imperium verbunden bzw. von diesem abhängig gewesen,708 so bedeutete die Eroberung Britanniens durch Claudius, dass dem römische Volk wirklich ein neues Territorium zugefallen war. Claudius nahm mit der Ausdehnung des Pomeriums somit ein Thema auf, das er in seiner Senatsrede angesprochen hatte und das vom Ergebnis des census im Jahre 48 bestätigt worden war: den Zuwachs des römischen Machtbereichs („prolati imperi ultra oceanum“ I 39f.),709 den Claudius auch in den Inschriften auf den cippi, den Grenzsteinen des Pomeriums, festhielt.710 Wie 705 Zur Eingliederung Lykiens in das römische Reich: Zimmermann, M., ‚Lycia et Pamphylia’, in: DNP 7, 1999, 537. Zimmermann, M., ‚Lykioi, Lykia’, in: DNP 7, 1999, 559-560. Kolb, F. - Kupke, B., Lykien. Geschichte Lykiens im Altertum, Mainz 1992, 9-31. Zimmermann, M., Untersuchungen zur historischen Landeskunde Zentrallykiens (Antiquitas 1), Bonn 1992. Bechert, Die Provinzen, 167-169. Sartre, M., Die anatolischen Provinzen, in: Lepelley, Rom und das Reich, Bd. 2, 341-397. Hellenkemper, H. - Hild, F., Lykien und Pamphylien (Tabula Imperii Byzantini 8), Wien 2004. Brandt, H. - Kolb, F., Lycia et Pamphylia. Eine römische Provinz im Südwesten Kleinasiens, Mainz 2005. Zur Diskussion, unter welchem Kaiser die Provinzen Lykien und Pamphylien vereint worden sind: Kolb, F., Lykiens Weg in die römische Provinzialordnung, in: N. Ehrhardt und L.-M. Günther (Hg.), Widerstand – Anpassung – Integration. Die griechische Staatenwelt und Rom. Festschrift für J. Deininger zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2002, 207-221. Brandt - Kolb, Lycia et Pamphylia, 22-24. Zum Straßen- und Siedlungssystem in Lykien: Şahin, S. - Adak, M., Stadiasmus Patarensis. Itinera Romana Provinciae Lyciae (Monographien zu Gephyra 1), Istanbul 2007. 706 Zur Annektion und Provinzialisierung Thrakiens: Soustal, P., Thrakien, Wien 1991. Kolendo, J., Claude et l’annexion de la Thrace, in: Y. Burnand - Y. Le Bohec - J.-P. Martin (Hg.), Claude de Lyon. Empereur romain. Actes du Colloque Novembre 1992, Paris 1998, 321-332. Bechert, Die Provinzen, 176-180. Wilke, J. J., Die Donauprovinzen, in: Lepelley, Rom und das Reich, Bd. 2, 247-308. Oppermann, M., Thraker, Griechen und Römer an der Westküste des Schwarzen Meeres, Mainz 2007. Ivanov, R. - von Bülow, G., Thracia. Eine römische Provinz auf der Balkanhalbinsel, Mainz 2008. 707 Lykien in Claudius Regierungszeit: Suet. Claud. 25, 3: „Lyciis ob exitiabiles inter se discordias libertatem ademit”. Cass. Dio 60, 17, 3. - Marksteiner, Th. - Wörrle, M., Ein Altar für Kaiser Claudius auf dem Bonda tepesi zwischen Myra und Limyra, in: Chiron 32, 2002, 545569. 708 So war z. B.167 v. Chr. der sog. Lykische Bund, eine Föderation der Städte in der Landschaft Lykien, als ‚civitas libera’ anerkannt worden und durch den Abschluss eines formales foedus Verbündeter Roms geworden (Brandt - Kolb, Lycia et Pamphylia, 22f.). - Zum Lykischen Bund ausführlich: Behrwald, R., Der Lykische Bund. Untersuchungen zu Geschichte und Verfassung (Antiquitas, Reihe 1, 48), Bonn 2000, bes. 105-159). 709 So Osgood, Claudius Caesar, 159-163. 710 Das Beispiel eines Grenzsteins (cippus) bei: Gordon, Epigraphy, 118 Nr. 43 (Text der Inschrift: „Ti(berius) Claudius | Drusi f(ilius) Caisar [sic] | Aug(ustus) Germanicus, | pont(ifex)

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Tacitus überliefert, belief sich nunmehr die Zahl der römischen Bürger auf insgesamt 5 984 072 Personen;711 der letzte census, der von Augustus im Jahre 14 n. Chr. durchgeführt worden war, hatte eine Anzahl von 4 937 000 Bürgern ergeben.712 Von überragender und nicht zu überschätzender Bedeutung war für Claudius der Feldzug nach Britannien,713 in das ultra Oceanum gelegene Land.714 Die Eroberung der Insel gleich in der Anfangszeit seiner Herrschaft vermittelte ihm eine unübertreffliche persönliche Genugtuung,715 deren Auswirkungen bis zum Ende seiner Regierungszeit spürbar waren. Gerade dieser außenpolitische Erfolg sollte den Blick des Betrachters auf die Geschichte der zurückliegenden hundert Jahre des Imperium Romanum lenken: mit der Einnahme Britanniens hatte der Kaiser ein Unternehmen vorangetrieben, für das sein Vorbild Caesar den Grund gelegt hatte, das von Claudius’ Vorgängern aber nicht vorangetrieben worden war, das er nun erneut in Angriff genommen und zu einem (vorläufigen) Abschluss gebracht hatte716 – so zumindest in der Vorstellung des Prinzeps und besonders in der politischen Propaganda seiner Zeit. Als Caesar im Zusammenhang mit der Eroberung Galliens sich in den Jahren 55 und 54 v. Chr. zu zwei Expeditionen max(imus), trib(unicia) pot(estate) | VIII, imp(erator) XVI, co(n)s(ul) IIII, | censor, p(ater) p(atriae), auctis populi Romani | finibus pomerium | ampliaⅎit terminaⅎitq(ue)”. Dort auch Abbildung eines Grenzsteins auf Tafel 27, Nr. 43). Eine weitere Abbildung findet sich in: Römische Inschriften, 154f., Nr. 86. 711 Tac. ann. 11, 25, 5: „condiditque lustrum, quo censa sunt civium LVIIII. LXXXIIII. LXXII.” 712 R. Gest. div. Aug., 8: „quo lustro censa sunt civium Romanorum capitum quadragiens centum milia et nongenta triginta et septem milia.” 713 Suet. Claud. 17. Cass. Dio 60, 19-21. - Cotrell, L., The Great Invasion, New York 1958. Dudley, D. R. - Webster, G., The Roman Conquest of Britain A.D 43-57, London 1965. Wacher, J., The Coming of Rome (Britain before the Conquest 3), London - Henley 1979. Frere, S., Britannia. A History of Roman Britain, London New York, 31987, 48-53. Levick, Claudius, 139-144. Broderson, K., Das römische Britannien. Spuren seiner Geschichte, Darmstadt 1998, 61-67. Osgood, Claudius Caesar, 86-91. Hobbs, R. - Jackson, R., Das römische Britannien, Darmstadt 2011. Zu Claudius’ Motiven für den Britannien-Feldzug auch: Wacher, The Coming of Rome, 5153. 714 So Lund in L. Anaeus Seneca, Apocolocyntosis Divi Claudii, 112f.: „Die persönliche Teilnahme des Claudius an der Invasion Britanniens war eher beschränkt, blieb er doch nur insgesamt 16 Tage in Britannien und eroberte, wie Sueton ironisch bemerkt, einen Teil des Landes, ohne Blut zu vergießen und bekam dafür als erster Kaiser seit langer Zeit einen Triumph zugesprochen: „sine ullo proelio aut sanguine intra paucissimos dies parte insulae in deditionem recepta, sexto quam profectus erat mense Romam rediit triumphavitque maximo apparatu.“ (Suet. Claud. 17, 2.) 715 Dazu: Halfmann, H., Itinera principum. Geschichte und Typologie der Kaiserreisen im Römischen Reich (HABES 2), Stuttgart 1986, 33 und 172f. 716 Zu den römischen Feldzügen gegen Britannien: Collingwood, R. G. - Myres, J. N. L., Roman Britain and the English Settlements (The Oxford History of England 1), Oxford 1936, letzter ND 1956, bes. 32-87.

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auf die gegenüberliegende britische Insel veranlasst gesehen hatte717 und an ihrer Südküste gelandet war,718 hatte er mit einigen der dort lebenden Stämme Verträge abgeschlossen; von einer Besetzung oder gar einer Eroberung des von Rom als ‚Britannia’ bezeichneten Gebietes im südlichen Teil der Insel konnte jedoch keine Rede sein. Augustus hatte zwar, wie Cassius Dio berichtet,719 dreimal Vorbereitungen für eine Militärexpedition gegen Britannien getroffen, davon jedoch angesichts der immensen Kosten Abstand genommen und sich wie Caesar mit vertraglichen Regelungen zufrieden gegeben.720 Sein Nachfolger Tiberius hatte sich hinsichtlich Britanniens wohl an Augustus’ Rat gehalten, keine Erweiterung des Reiches vorzunehmen.721 Wie Cassius Dio berichtet, waren von Caligula bereits militärische Vorbereitungen für eine Überfahrt auf die Insel 40 n. Chr. getroffen worden; diese waren allerdings unerwartet abgebrochen worden.722 Nun war es Claudius gelungen, alle bislang ohne dauerhaften Erfolg betriebenen Versuche, auf der Insel zu landen723 und sie für das Imperium in Besitz zu nehmen,724 zu übertreffen und in den Schatten zu stellen.725 Mit dem Feldzug nach Britannien hatte der Kaiser endgültig seine Fähigkeiten auch als militärischer Führer des Reiches bewiesen726 und gleichzeitig einen ‚ehrlichen’ Triumph erworben,727 den ihm zuvor der Senat ohne militärischen Einsatz 717 Zu Caesars Britannienexpeditionen: Daumer, J., Aufstände in Germanien und Britannien. Unruhen im Spiegel antiker Zeugnisse (Europäische Hochschulschriften Reihe II, Bd. 1021), Frankfurt a. M. u. a. 2005, 52-64. Dreyer, Arminius, 212-215. 718 Caes. Gall. 4, 20-23 und 5, 8f. Cass. Dio 39, 50, 1, und 51-53 (1. Expedition); 40, 1-3 (2. Überfahrt). 719 Cass. Dio 49, 38, 2; 53, 22, 5; 53, 25, 2. 720 Birley, A. R., The Roman Government of Britain, Oxford 2005, 15f. 721 Tac. ann. 1, 11, 4: „quae cuncta sua manu scripserat Augustus addideratque consilium coercendi intra terminos imperii, incertum metu an per invidiam.” Dazu: Ober, J., Tiberius and the Political Testament of Augustus, in: Historia 31, 1982, 306-328. 722 Cass. Dio 59, 21, 3 und 25, 1-3. – Zu möglichen Motiven für einen Britannien-Feldzug Caligulas und den Abbruch der Expedition s. Osgood, Claudius Caesar, 87 sowie Halfmann, Itinera principum, 31f. und 171f. 723 Zur Truppenmeuterei vor der Invasion: Cass. Dio 60, 19. - Daumer, Aufstände, 136-138. 724 Zu Claudius’ Motiven für den Britannienfeldzug: Dreyer, Arminius, 221-223. 725 Dass Claudius die Vorbereitungen seiner Vorgänger intensiv studiert hat (Osgood, Claudius Caesar, 87-91), zeigt u. a. auch die Tatsache, dass er – anders als Caesar – für die Eroberung der Insel mehrere Elefanten mit sich geführt hat (Cass. Dio 60, 21, 2): Levick, Claudius, 90 und 142 sowie Brodersen, Das römische Britannien, 64-66. 726 Stäcker, Princeps und miles, 421f. 727 Zum Triumph in Rom: Ehlers, W., ‚Triumphus 1’, in: RE VII A,1, 1939, 493-511. Eder, W., ‚Triumph, Triumphzug’, in: DNP 12/1, 2002, 836-838. Versnel, H. S., Triumphus. An Inquiry into the Origin, Development and Meaning of the Roman Triumph, Leiden 1970. Künzl, E., Der römische Triumph. Siegesfeiern im antiken Rom (Beck’s Archäologische Bibliothek), München 1988. Rüpke, Domi militiae, 223-234. Beard, M., The Roman Triumph, Cambridge, MA 2007. Krasser, H. - Pausch, D. - Petrovic, I. (Hg.), Triplici invectus triumpho. Der römische Triumph in augusteischer Zeit (PAwB 25), Stuttgart 2008. Zu den Bildzeu-

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zuerkennen wollte: „velletque iusti triumphi decus“ (Suet. Claud. 17, 1), nachdem ihm bereits die ornamenta triumphalia nach der Beendigung des Kriegs in Mauretanien vom Senat zugesprochen worden waren.728 Er war nach Augustus der erste Prinzeps, der als Inhaber des höchsten Amtes an einem Krieg bzw. Feldzug teilgenommen hatte729 und einen Triumph feiern konnte.730 Der Senat verlieh ihm und seinem Sohn731 den Beinamen Britannicus (analog zur Verleihung des Beinamens ‚Germanicus’ an Claudius’ Vater Drusus)732 und beschloss die Errichtung von zwei Triumphbögen für den siegreichen Prinzeps:733 einen in Rom734, den andern in Gallien am Ausgangspunkt der Überfahrt nach Britannien.735 Außerdem ordnete er ein jährliches Siegesfest an.736 Auf dem Marsfeld ließ

gnissen von Claudius’ Triumph: Richard, F., Les images du triomphe de Claude sur rela Bretagne, in: Y. Burnand - Y. Le Bohec - J.-P. Martin (Hg.), Claude de Lyon. Empeur romain. Actes du Colloque Paris-Nancy-Lyon Novembre 1992, Paris 1998, 355-371. 728 Cass. Dio 60, 8, 6. 729 Cass. Dio 60, 21, 2f. - Lyasse, Le Principat et son fondateur, 231. 730 Suet. Claud. 17, 1. Lyasse, Le Principat et son fondateur, 233. - Zur Triumphfeier: Cass. Dio 60, 23,4-6. Seit Augustus konnte ein ‚Triumph’ nurmehr dem Prinzeps (bzw. seinen nächsten Angehörigen) als ‚Oberbefehlshaber’ zuerkannt werden (Hickson, F. V., Augustus Triumphator: Manipulation of the Triumphal Theme in the Political Program of Augustus, in: Latomus 50, 1999, 124-138). Als letzter General und gleichzeitig als erster und einziger Provinzialer feierte Cornelius Balbus im Jahr 19 v. Chr. einen Triumphzug in Rom (Eck, W., Augustus und seine Zeit (Beck’sche Reihe 2084), München 1998, 62014, 58f.). 731 Tiberius Claudius Germanicus: Kienast - Eck - Heil, Kaisertabelle, 86. 732 Lyasse, Le Principat et son fondateur, 231. 733 Cass. Dio 60, 22, 1f. 734 Rodriguez Almeida, E., ‚Arcus Claudii’, in: LTUR 1, 85f. Barrett, A. A., Claudius’ British Victory Arch in Rome, in: Britannia 22, 1991, 1-19. Roehmer, M., Der Bogen als Staatsmonument. Zur politischen Bedeutung der römischen Ehrenbögen des 1. Jhs. n. Chr. (Quellen und Forschungen zur antiken Welt 28), München 1997, 174-192. 735 Cass. Dio 60, 22, 1f. - Caesar nennt als Ausgangspunkt seiner Überfahrt nach Britannien den Portus Itius (Gall. 5, 5, 1: „his rebus constitutis Caesar ad portum Itium cum legionibus pervenit.“) Dazu: Haverfield, F. J., ,Itius portus’, in: RE IX,2, 1916, 2368-2370. ‚Schön, F., ‚Itium. Itius portus’, in: DNP 5, 1998, 1182. Nach den Erkenntnissen der jüngeren Forschung ist dieser Hafen nicht mit dem keltischen Ort Gesoriacum (beim heutigen Boulogne-sur-Mer) gleichzusetzen, sondern zwischen dem Cap Gris-Nez und Calais zu lokalisieren, wo sich Festland und britische Insel am nächsten sind. Dion, R., Les campagnes de César en l’année 55, in: REL 41, 1963, 186-209. Delmaire, R., Ciuitas Morinorum, pagus Gesoriacus, ciuitas Bononensium, in: Latomus 33, 1974, 265-279. Grisart, A., Portus Itius, ou le port d’embarquement en Morinie et la plage de débarquement en Grande-Bretagne de César en 55 et 54 avant J.- C., Brüssel 1988. Licoppe, G., De Portu Itio et Caesaris navigationibus in Britanniam, Brüssel 2009. Nach Suet. Claud. 17, 2 erfolgte Claudius’ Überfahrt nach Britannien von Gesoriacum aus: „quare a Massilia Gesoriacum usque pedestri itinere confecto inde transmisit“), wo auch der zweite Triumphbogen errichtet worden sein muss, wenn man den Angaben des Geographen und Zeitgenossen des Kaisers Claudius Pomponius Mela (Mela, III, 18: „Ab illis enim iterum ad septentriones frons litorum respicit, pertinetque ad ultimos Gallicarum gentium Morinos,

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Claudius Spiele veranstalten, in denen Kriegsszenen und die Unterwerfung der britannischen Könige nachgestellt wurden.737 Der hohe Stellenwert, den der Kaiser der Eroberung der Insel zumaß, fand seinen Ausdruck nicht nur in der Inschrift auf dem Triumphbogen in Rom, in der sein Sieg über elf britische Könige gerühmt wurde,738 in der Prägung von Münzen mit der Abbildung eines Triumphbogens und der Aufschrift ‚DE BRITANN(IS)’739 sowie in einem panegyrischen Zyklus von acht Epigrammen, die Seneca zugeschrieben werden,740 sondern nicht zuletzt auch in der vorliegenden Senatsrede, wenn sich der Prinzeps rühmt, den Ozean bezwungen und das Imperium ‚vorangebracht’ zu haben: „ne nimio insolentior esse videar et quaesisse iactationem gloriae prolati imperi ultra Oceanum“ (I 38-40).741 Nach Auffassung der kaiserlichen Propaganda musste Britannien mit Claudius’ Feldzug als erobert betrachtet werden, auch wenn sich die endgültige Inbesitznahme des Landes noch bis 47 n. Chr. hinzog.742 In diesem Jahr wurde Aulus Plautius,743 der Befehlshaber und ‚eigentliche Architekt’744 des nec portu quem Gesoriacum vocant quidquam notius habet“) und des Plinius folgt, der diesen Hafen als „portus Morinorum Britannicus“ bezeichnet (nat. IV, 122). Zum Triumphbogen von Gerosiacum: Roehmer, Der Bogen als Staatsmonument, 172-174. 736 Cass. Dio 60, 22, 1. 737 Suet. Claud. 21, 6. 738 Die im CIL VI unter der Nr. 920 (= ILS 216): veröffentlichte Inschrift des ClaudiusTriumphbogens in Rom ist von G. Alföldy in den 90er Jahren eingehender untersucht worden. Die Ergebnisse dieser Überprüfung führten zu einer Neu-Rekonstruktion der Inschrift. Diese wurde 1996 im Ergänzungsband CIL VI, Pars 8/2 veröffentlicht und enthält nunmehr folgenden Wortlaut: „Ti(berio) Clau[dio Drusi f(ilio) Cai]sari Augu[sto Germani]co | pontific[i maxim(o), trib(unicia) potes]tat(e) XI, | co(n)s(uli) V, im[p(eratori) XXII (?) cens(ori), patri pa]triai, | senatus po[pulusque] Ro[manus, q]uod |reges Brit[annorum] XI d[iebus paucis sine] | ulla iactur[a devicerit et regna eorum] | gentesque b[arbaras trans Oceanum sitas] | primus in dici[onem populi Romani redegerit].” Die Inschrift setzt noch einmal den militärischen Erfolg des Kaisers in Szene und „beutet ihn politisch aus“ (Kierdorf, Claudius, 72). „Es ist allein Claudius, der die Barbarenvölker jenseits des Ozeans als erster in die Gewalt des römischen Volkes gebracht hat“ (Brodersen, Das römische Britannien, 71.) Weder Caesar noch Augustus finden in dieser Propaganda irgendeine Erwähnung! Zu den bildlichen Darstellungen: Richard, Les images du triomphe de Claude, 355-371. - Abbildung einer Münze mit der rückseitigen Inschrift „DE BRITANN“ auf S. 266. 739 RIC I 2, Claudius 45 und 122.; von Kaenel, H.-M.,Münzprägung und Münzbildnis des Claudius, 12, 16 und 89, Tafel 9f., Abb. Nr. 728-772. 740 Dingel, J., Senecas Epigramme und andere Gedichte aus der Anthologia Latina, Ausgabe mit Übersetzung und Kommentar, Heidelberg 2007, 68-71 und 211-220. 741 Claudius muss sich wohl dieses (einzigen) Triumphes wiederholt gerühmt haben, denn Seneca parodiert seine Worte (apocol. 12, 3, v.13-18: „Ille Britannos ultra noti | litora ponti | et caeruleos scuta Brigantas | dare Romuleis colla catenis | iussit et ipsum nova Romanae | iura securis tremere Oceanum.“ 742 Dass Britannien zu diesem Zeitpunkt noch nicht befriedet war, zeigen die Aufstände bzw. Unruhen der folgenden Jahre: Tac. ann. 12, 32-40. - Daumer, Aufstände, 141-158. 743 Tac. ann. 13, 32, 2. Cass. Dio 60, 19-21. Birley, Roman Government, 17-25. 744 So Brodersen, Das römische Britannien, 68.

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militärischen Erfolges auf der Insel,745 aus Britannien abberufen und von Claudius mit einer ovatio geehrt, der nach dem Triumph höchsten Auszeichnung,746 nachdem die Senatoren, die den Kaiser auf dem Feldzug begleitet hatten, bereits bei ihrer Rückkehr mit den ornamenta triumphalia ausgezeichnet worden waren.747 Claudius selbst hatte am Giebel seines Hauses neben der corona civica eine Schiffskrone anbringen lassen „als Symbol des von ihm befahrenen und gleichsam gebändigten Meeres“ (Suet. Claud. 17, 3). Dass die Ehrungen für Claudius’ Eroberung Britanniens nicht auf Rom beschränkt blieben, sondern auch in den Provinzen ihren Niederschlag fanden,748 zeigt die Errichtung eines Triumphbogens in der Stadt Kyzikos an der Nordküste Kleinasiens.749 Hier stifteten die römischen Bürger, die sich in der Stadt angesiedelt hatten, zusammen mit der einheimischen Bürgerschaft zu Ehren des Kaisers einen Bogen,750 von dem jedoch nur die Weiheinschrift751 erhalten geblieben ist. Diese ist umso bemerkenswerter, als in ihr wie in der Inschrift auf dem Triumphbogen in Rom die Rede von Claudius als dem „Sieger über elf britannische Könige“ ist. Die Eroberung der britischen Insel konnte zumindest in der Führungsschicht des römischen Staates auch zu einer neuen Sichtweise auf die gallischen und germanischen Provinzen führen. Hatten diese Gebiete bisher die Grenzregionen des Reiches im Norden und Nordwesten gebildet, so waren sie nun durch die Ausdehnung des Imperiums über das Meer hinaus wenn auch nicht in der Realität, so doch zumindest in der politischen Wahrnehmung führender Kreise in Rom näher an das Zentrum gerückt.752 Insofern war die Anspielung auf die Eroberung Britanniens in der Rede (I 39f.) für Claudius’ Argumentation wichtig: die Gallia Comata war jetzt nicht länger ‚Vorposten’ am Rande des Imperiums, sondern Cass. Dio, 60, 19-21. Suet. Claud. 24, 3. Cass. Dio 61, 30, 2. 747 Cass. Dio 60, 23, 2. Frere, Britannia, 52f. 748 Levick, Claudius, 144. 749 Zu Kyzikos: Strab. 12, 8, 11, 575/6C. - Ruge, W., ‚Kyzikos’, in: RE XII,1, 1924, 228-233. Drew-Bear, T., ‚Kyzikos’, in: DNP 6, 1999, 1026. Ehrhardt, N., Milet und seine Kolonien. Vergleichende Untersuchung der kultischen und politischen Einrichtungen (Europäische Hochschulschriften Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 206), Frankfurt a. M. u. a. 1983, 2. Auflage (in 2 Bänden) 1988, 40-42. 750 Vermeule, C. C., Roman Imperial Art in Greece and Asia Minor, Cambridge MA 1968, 213. Roehmer, Der Bogen als Staatsmonument, 192-194. 751 CIL III 7061 = ILS 217: „divo Aug. Caesari, Ti. Au[g. divi Aug. f.] | imp., Ti. Claudio Drusi f. [Caesari Aug. Ger]- | manico pont. max. [tr. pot. XI] | p. p., vind. lib., devi[ctori regum XI] | Britanniae, ar[cum posuerunt] | c. R. qui Cyzici [consistunt] | et Cyciceni | curatore ………..”. 752 Ein ähnlicher Gedanke findet sich bereits bei Wellesley, Can You Trust Tacitus?, 17, Anm. 1: “and the conquest of Britain means that Gallia Comata is no longer on the fringe of the roman Empire.” 745 746

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war näher an Rom gerückt. Sicherlich hatte dieser Aspekt bis zum Jahr 48 noch keine allgemeine Zustimmung gefunden; für Claudius bot er jedoch die Möglichkeit, die Gallier von den noch ‚wilde(re)n’ Bewohnern Britanniens abzugrenzen und ihre soziale Stellung aufzuwerten, indem ihnen der Zugang zum Senat geöffnet wurde.

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V. Kommentar* Bevor im Folgenden der Text im Einzelnen kommentiert wird, soll zunächst eine Gliederung der Rede vorgenommen werden, die an der formalen Gestaltung der Tafel ausgerichtet ist und sich zugleich am Inhalt der Inschrift orientiert. Diese Gliederung ermöglicht es, einen Einblick in den Aufbau und die Struktur der Rede zu gewinnen. Die tabula Claudiana gibt den Text der Rede in zwei Kolumnen wieder. Da der obere Teil der Tafel fehlt, ist der Text der Rede somit nicht vollständig, aber wohl zum überwiegenden Teil (mehr als die Hälfte) erhalten geblieben. Zu Recht kann davon ausgegangen werden, dass auf der linken oberen Tafelhälfte als erster Abschnitt die Einleitung der Rede gestanden hat, die mit der ersten erhaltenen Zeile beendet worden ist, wie von Albrecht überzeugend dargelegt hat: „Es ist viel natürlicher anzunehmen, daß der Senatsbeschluß an dem verlorenen Anfang der Tafel erwähnt wurde und sich ausdrücklich mit den anschließend wiedergegebenen Worten des Kaisers identifizierte. Nimmt man an, daß jene allgemeine Überschrift in etwas größeren Buchstaben über die ganze Doppeltafel ging, so erkennt man, daß die Lücken am Anfang und in der Mitte der Rede nicht allzu groß zu sein brauchen.“753 In ähnlicher Weise hat sich dazu auch Perl geäußert.754 Für die rechte Kolumne der Inschrift ist anzunehmen, dass in den fehlenden Zeilen des oberen Teils im Anschluss an das letzte Wort der linken Kolumne ‚civitatem’ nähere Ausführungen zur Ausweitung des Bürgerrechts gestanden haben, wie Perl ausführt: „civitatem ist das Stichwort für die verlorenen nächsten Zeilen, in denen im Gefolge der Expansion von der allmählichen Ausbreitung des römischen Bürgerrechts auf ganz Italien und damit von der Erweiterung des Kreises, aus dem die Senatoren kamen, die Rede gewesen sein muß (wie es bei Tacitus, ann. 11, 24, 2f. der Fall ist).“755 Trotz des Verlustes der oberen Tafelhälfte lassen sich auf Grund der Gestaltung und des äußeren Erscheinungsbildes der Inschrift wichtige Anhaltspunkte für den Aufbau der Rede gewinnen. So weist der erhalten gebliebene Teil der Inschrift insgesamt acht Abschnitte unterschiedlicher Länge auf, die sich durch Ausrücken des ersten Buchstabens des jeweiligen Abschnitts nach links deutlich voneinander getrennt sind und abheben. Analog zur Wiedergabe anderer senatus consulta oder auch orationes principis, wie sie z. B. die tabula Irnitana oder die tabula * Zur Vermeidung von Doppelungen wird in diesem Kapitel auf die erneute Angabe bereits genannter Literatur verzichtet. 753 von Albrecht, Meister, 173, Anm. 13. 754 Perl, Die Rede des Kaisers, 117. 755 Perl, Die Rede des Kaisers, 127.

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Siarensis zeigen, dürfte auch bei der vorliegenden Inschrift die Gliederung des Textes nicht erst bei der Anfertigung der Bronzetafel vorgenommen worden sein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass bereits bei der Abfassung der Textvorlage, die für das concilium Galliarum vorgesehen war, eine Gliederung vorgenommen bzw. der Text der Rede in Abschnitte untergliedert worden ist. Aus der Anordnung auf der Tafel lässt sich, zusammen mit einer vom Verfasser vorgenommenen weitergehenden Untergliederung, der Aufbau des erhaltenen Teils der Rede erkennen: I 1: Ende der Einleitung 2 – 7: Vorwegnahme des Einwands der Einführung einer Neuerung (praemunitio) 8 - 27: Beispiele für die Übernahme der Herrschaft in Rom durch Fremde bereits zur Zeit der Könige (enumeratio von exempla): (8-11) Der Sabiner Numa als Nachfolger des Romulus (11-16) Priscus Tarquinius als Nachfolger des Ancus Marcius (mit Exkurs über die Abstammung des Priscus Tarquinius [12-15]) (16-17) Servius Tullius als König zwischen Tarquinius und seinem Sohn oder Enkel (17-24) Exkurs über unterschiedliche Quellen zu den etruskischen Königen in Rom (24-28) Abschaffung der Monarchie und Einführung des Konsulats als Folge des Verhaltens des Königs Tarquinius Superbus 28 - 40: Beispiele für die Entwicklung der Machtverteilung in der Zeit der Republik und die Erweiterung des Rekrutierungspotenzials für Amtsträger - erneute enumeratio von exempla (28-37) (28-30) Einrichtung der Diktatur in Ausnahmesituationen (31) Schaffung des Volkstribunats (31-33) Übergang der Amtsgewalt von den Konsuln auf die Dezemvirn und Rückübertragung auf die Konsuln (34-36) Aufteilung der konsularischen Amtsgewalt auf gewählte Militärtribunen (36-37) Beteiligung der plebs an den Regierungs- und Priesterämtern (37-40) Exkurs über die Rolle der Kriege in der Geschichte Roms und das Selbstverständnis des Kaisers als Feldherr (Vor II 1 dürften Äußerungen über die Vergabe der civitas gestanden haben.)

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II

1-8: Hinweis auf eine dem Antrag des Prinzeps vergleichbare Maßnahme der Vorgänger Augustus und Tiberius (1-4) Berufung von Provinzialen in den Senat (5-8) Zurückweisung des Einwands einer Benachteiligung italischer Senatoren – captatio benevolentiae (5) 9 -19: Zwei Beispiele für die Aufnahme von Provinzialen in die römische Führungsschicht – exempla (9-10) Hinweis auf die Präsenz von Amtsträgern aus Vienna in Rom (10-14) Lucius Vestinus als Ritter und Vertrauter des Kaisers; Zugang zum Senat für dessen Söhne über die Bekleidung eines Priesteramtes und Ableistung des cursus honorum (14-19) Das Schicksal des bei Claudius in Ungnade gefallenen Senators und Konsuls Valerius Asiaticus 20 - 22: Selbstermahnung des Redners: Rückkehr zum Thema 23 - 38: Argumentation für die Zulassung von Provinzialen aus der Gallia Comata zum Senat – aversio (23f.) (23-26) Keine Einwände gegen Claudius’ Antrag seitens des Persicus, eines Nachfahren des Siegers über die Allobroger (26-29) Hinweis auf die Existenz von Senatoren aus Lugdunum/ Gallia Comata (30-32) Das Thema: die Comatae Galliae causa (32-38) Verweis auf Treue und Gehorsam der Gallier und hundert Jahre Frieden, auch während der Durchführung einer Steuererhebung – census – bei den Galliern 38 - 41: Exkurs über die Schwierigkeit der Durchführung eines census.

I 1: [Lücke von mehreren Zeilen … sum]mae rerum no[straru]m sit u[tile]: Zum Verständnis dieser Zeilen werden Perls Überlegungen hierzu wiedergegeben: „Die verstümmelte Anfangszeile hat Hirschfeld ergänzt, wobei er zu der auf den letzten Buchstaben V folgenden Ergänzung vorsichtig anmerkt „videtur supplendum fortasse utile“5. In Z. 2 ist über dem Schluß-M von cogitationem und dem Anfangs-H von hominum auf der Bronzetafel ein kleines Stück über der Zeile erhalten, und zwar ohne Spur eines Fußes von Buchstaben. Der Text des Abschnittes in Z. 1 endet also vorher; in Z. 2 beginnt ein neuer Abschnitt (…). In Z. 23f. weisen die Worte summa cum rei publicae utilitate darauf hin, daß in Z. 1 vielleicht ein ähnlicher Gedanke vom Nutzen seines Antrags für das Interesse des Staates gestanden haben könnte. In Anlehnung an diese Stelle kann man also auch in Z. 1 als Abschluß des Satzes eine Ergänzung zu summae … utilitatis vermuten. Es könnte sich also um einen konjunktivischen Nebensatz handeln: 144

„daß das (die Erweiterung des Einzugsgebietes für Senatoren) eine Sache von höchstem Nutzen für unser Gemeinwesen ist.“ Mir scheint erwägenswert, in diesem Gedanken den Schluß des Antrags zu sehen, der den mit Equidem primum omnium einsetzenden Worten der Rede unmittelbar voranging.“756 Der Erhaltungszustand der Bronzetafel757 führt den Leser unvermittelt in eine Inschrift, deren Anfangsteil fehlt. Der Inhalt dieser ersten Zeilen kann zwar aus dem Gesamtzusammenhang vermutet, mit letzter Sicherheit aber nicht rekonstruiert werden, sodass in der Forschung unterschiedliche Hypothesen über die Anfangszeilen der Inschrift aufgestellt worden sind. Die Beantwortung der Frage nach dem vermutlichen Inhalt der verlorenen Zeilen hat Auswirkungen auf das Verständnis der Disposition der Rede wie auch der Argumentation des Kaisers. In der Forschung herrscht heute weitgehend Übereinstimmung darüber, dass in den verlorenen Zeilen der linken Kolumne die Einleitung der Rede zusammen mit dem Thema bzw. die Formulierung des kaiserlichen Antrags ihren Platz gefunden hat. Diese Auffassung haben zuletzt noch M. von Albrecht758 und G. Perl759 überzeugend begründet. Darauf weisen in der Inschrift auch die Wörter „quasi novam istam rem“ (I 4) deutlich hin: mit dieser Formulierung bezieht sich der Sprecher auf ein Vorhaben oder eine Maßnahme, die er zuvor schon genannt oder zumindest angedeutet hat, die also den Zuhörern bereits bekannt ist. Wie Perl ausführt, kann damit „nur das Anliegen seines (des Kaisers) Antrags gemeint sein, der, wie es mehrfach bezeugter Brauch war, für das Protokoll schriftlich formuliert und verlesen wurde [4]. Da dieser Antrag in der Rede als bekannt vorausgesetzt wird, halte ich es für wahrscheinlich, daß er auch auf der Tafel am Anfang der Inschrift stand, vielleicht nicht mehr als ein Satz. Darin kann man etwa folgende Angaben erwarten: Der Senat möge beschließen, den ‚primores’ (…) einiger Gemeinden von Gallia Comata aufgrund ihrer Verdienste um das Reich (…) das ius adipiscendorum in urbe honorum (Tac. ann. 11, 23, 1; (…) zu konzedieren. Die anschließende Rede begründet dann den Antrag.“760 Ein weiterer Hinweis auf die Besonderheit des kaiserlichen Vorhabens ergibt sich aus den Wörtern der fragmentarisch erhaltenen ersten Zeile mit ihrer Ergänzung durch Hirschfeld: „…sum]mae rerum no[straru]m sit u[tile].“ Hirschfeld bemerkt hierzu: „videtur supplendum fortasse utile“.761 Perl hat zu dieser ErgänPerl, Die Rede des Kaisers, 117. Zum Erhaltungszustand der Bronzetafel in der Zeit nach ihrer Entdeckung im 16. Jh.: Badoud, La table claudienne, 194f. 758 von Albrecht, Meister, 117. 759 Perl, Die Rede des Kaisers, 117f. 760 Perl, Die Rede des Kaisers, 117. 761 CIL XIII 1, Nr. 1668. 756 757

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zung als Alternative die Variante „sum]mae rerum no[straru]m sit u[tilitatis]“ vorgeschlagen und weist dabei auf den Ausdruck „summa in rei publicae utilitate“ in I 23 hin.762 Dieser bedenkenswerte Vorschlag ist schlüssig und besitzt eine hohe Plausibilität, wenn man den Zustand der Tafel betrachtet, die an dieser Stelle ausreichend Platz für die von Perl favorisierte Variante bietet. Im Blick auf die inhaltliche Aussage führen Hirschfelds wie auch Perls Überlegungen und Vorschläge zum gleichen Ergebnis: der Kaiser stellt klar, dass die ‚Erweiterung des Einzugsbereichs für Senatoren eine Sache von größtem Nutzen für den Staat ist’.763 I 2-7: Equidem prim┌u┐m omnium illam cogitationem hominum, quam maxime primam occursuram mihi provideo, deprecor, ne quasi novam istam rem introduci exhorrescatis, sed illa potius cogitetis, quam multa in hac civitate novata sint, et quidem statim ab origine urbis nostrae, in quo┌t┐ formas statusque res p(ublica) nostra d┌e┐ducta sit.: equidem: verstärktes quidem (‚allerdings’, ‚freilich’); prim┌u┐m (auf der Tafel ‚primam’) omnium ist eine adverbiale Wendung und als Ausdruck eines verstärkten Superlativs zu verstehen (‚zu allererst’).764 Als Adverb bezeichnet primum den Rang, während das Adjektiv primam in der folgenden Zeile eine Reihenfolge angibt. Da auf der Tafel das Wort primam in Z. 2 und 3 jeweils genau untereinander steht, hält Perl einen „Zeilensprung des Auges mit falscher Attraktion der Endung an das folgende illam cogitationem für nahe liegend“.765 Erst durch die Verbindung von equidem primum omnium mit deprecor in Z. 3 wird der gesamte Satz verständlich.766 deprecor: hier in der Bedeutung von ‚precando aliquid avertere conari’ (ThLL V 1, 589, 68): ‚etwas durch Bitten abzuwenden suchen’, mit der doppelten Konstruktion des Akkusativobjekts illam cogitationem und eines durch ne eingeleiteten Finalsatzes in Z. I 4. maxime primam bezieht sich auf das Relativpronomen quam und ist nicht als Abwandlung bzw. Wiederholung des vorhergehenden primum omnium zu verstehen.767 istam rem: bezieht sich auf etwas bereits Gesagtes, das in den fehlenden Zeilen der Einleitung gestanden haben muss. Perl, Die Rede des Kaisers, 117. Perl, Die Rede des Kaisers, 117. 764 Nach Perl, Die Rede des Kaisers, 119, „hat Livius, das Vorbild des Geschichtsschreibers Claudius, eine Vorliebe für diese Wendung. Er beginnt damit den ersten Satz seines Werkes und gebraucht sie über 30mal in allen erhaltenen Büchern, in der Regel natürlich am Satzanfang, gern in emotionsbetonten Reden“. 765 Perl, Die Rede des Kaisers, 119. 766 Zur Problematik der von deprecor abhängigen Satzkonstruktion ausführlich: Perl, Die Rede des Kaisers, 118f., bes. Anm. 6. 767 Perl, Die Rede des Kaisers, 119, Anm. 7. 762 763

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nach sed ist gedanklich precor, ut zu ergänzen. civitas bezeichnet hier den römischen Staat. et quidem statim ab origine urbis nostrae: quidem statim betont zusätzlich die Worte ab origine urbis. quod (auf der Tafel) statt quo┌t┐ muss als Verschreibung angesehen werden, da in II 23 quot (in derselben Bedeutung) korrekt mit ‚t’ geschrieben ist. in quo┌t┐ formas statusque res publica nostra d┌e┐ducta sit: ähnlich äußert sich Livius, wenn er schreibt, dass sich die Verfassung der Bürgerschaft (‚forma civitatis’) beim Übergang der Regierungsgewalt von den consules auf die decemviri änderte, und er diese Änderung mit dem Übergang der Herrschaft von den Königen auf die Konsuln gleichsetzt.768. d┌e┐ducta769: diducta (auf der Tafel) – ‚auseinanderziehen, einteilen’ ‒ ergibt an dieser Stelle keinen Sinn, während deducere in der Bedeutung von ‚mutare, vertere, accomodare’ genau in den Zusammenhang passt und dem vorhergehenden novata entspricht. (Im ThLL ist sowohl bei deduco wie bei diduco notiert: „in codicibus saepe confunditur cum diduco resp. deduco“.770) Zum Verständnis der Konstruktion des gesamten Satzes und seiner unterschiedlichen Übersetzung wird auf Perls Überlegungen S.117-120 verwiesen, insbesondere auf Anm. 6 auf S. 118. Das Herausrücken des ersten Wortes „Equidem“ auf der Tafel kennzeichnet einen neuen Abschnitt: Claudius weist darauf hin (sofern das nicht bereits in der Einleitung erfolgt war), dass sein Antrag eine ‚Neuerung’ – „novam istam rem“ – darstellt und deshalb nicht bei allen Senatoren auf Wohlwollen treffen, sondern Widerspruch hervorrufen werde, weil er gegen den mos maiorum verstoße. Die Einwände gegen Claudius’ Antrag werden von Tacitus in ann. 11, 23, 2-4 ausführlich wiedergegeben. Dem im politischen Raum geradezu floskelhaft verwendeten Vorwurf einer res nova, der als ‚Totschlag-Argument’ gegen jeden Antrag vorgebracht werden konnte, beugt der Redner vor, indem er ihn selbst als Einwand vorwegnimmt und dadurch seiner Schlagkraft beraubt. Statt einer direkten Widerlegung des Vorwurfs räumt der Kaiser den Einwand zunächst ein, um ihn dann für seine Initiative offensiv zu nutzen. Dazu bemerkt Perl: „Der Einwand, den Claudius der römischen Denkweise zur Bewahrung des mos maiorum entsprechend als ersten voraussieht, ist in der Tat altbekannt, und Claudius verfährt damit in gleicher Weise wie schon Cicero (de imperio Cn. Pompei 60), indem er das Argument umdreht: gerade der mos maiorum erfordert und

768 Liv. 3, 33, 1: „Anno trecentesimo altero, quam condita Roma erat, iterum mutatur forma civitatis, ab consulibus ad decemviros, quemadmodum regibus ante ad consules venerat, translato imperio.” 769 Perl, Die Rede des Kaisers, 120, Anm. 11. 770 Perl, Die Rede des Kaisers, 120, bes. Anm. 10 und 11.

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rechtfertigt unter besonderen Umständen auch besondere Maßnahmen; Neuerungen sind also alte Tradition.“771 So fordert der Kaiser die Senatoren auf, den Blick auf Roms Vergangenheit zu richten und die notwendigen Konsequenzen aus der Historie zu ziehen, wenn er sagt: „sed illa potius cogitetis, quam multa in hac civitate novata sint, et quidem statim ab origine urbis nostrae,772 in quo┌t┐ formas statusque res p(ublica) nostra d┌e┐ducta sit“ (I 4-7). Claudius stellt in diesem Satz drei Thesen auf, die er anschließend durch exempla untermauert: 1. in der urbs Roma sind im Laufe ihrer Geschichte zahlreiche Neuerungen eingeführt worden; 2. Neuerungen gibt es schon seit Gründung der Stadt; 3. Roms städtische (staatliche) Ordnung hat zahlreiche Veränderungen (‚Wandlungen’) erfahren. Mit der Vorstellung seines Antrags (im nicht erhaltenen Teil der Inschrift) und mit den Hinweisen in I 1 über den Nutzen des Antrags für den Staat sowie in I 4, dass sein Antrag etwas ‚Neues’ zum Inhalt habe, markiert Claudius Eckpunkte seiner Rede. I 8-9: Quondam reges hanc tenuere urbem, nec tamen domesticis successoribus eam tradere contigit.: quondam reges773 hanc tenuere urbem: Eine ähnliche Formulierung weist der Anfangssatz der Annalen auf: ‚Urbem Romam a principio reges habuere’ (Tac. ann.

Perl, Die Rede des Kaisers, 119. Zur Vor- und Frühgeschichte Roms: Kolb, F., Rom. Die Geschichte der Stadt in der Antike, München 1995, 22002, 27-73. Zur Problematik ‚Stadtgründung oder Stadtwerdung Roms?’ dort 54-69. Kuhoff, W., »La Grande Roma dei Tarquini«: Die früheste Expansion des römischen Staates im Widerstreit zwischen literarischer Überlieferung und historischer Wahrscheinlichkeit, Augsburg 1995, 13-22. Darstellungen der archäologischen Befunde zur Stadtwerdung bei: Müller-Karpe, H., Zur Stadtwerdung Roms, Heidelberg 1962. Ampolo, C., Die endgültige Stadtwerdung Roms im 7. und 6. Jh. v. Chr. Wann entstand die civitas?, in: D. Papenfuss und V. M. Strocka (Hg.), Palast und Hütte. Beiträge zum Bauen und Wohnen im Altertum von Archäologen, Vor- und Frühgeschichtlern; Tagungsbeiträge eines Symposiums der Alexander von Humboldt-Stiftung Bonn-Bad Godesberg veranstaltet vom 25. ‒ 30. November 1979, Mainz 1982, 319-324. 773 Zur Stellung und Funktion der reges in der römischen Geschichtstradition generell: Linke, B., Von der Verwandschaft zum Staat. Die Entstehung politischer Organisationsformen in der frührömischen Geschichte, Stuttgart 1995, 45-69 (Die Entwicklung des Königtums). 151-127. Aigner-Foresti, Die Etrusker und das frühe Rom. Zur römischen (republikanischen) Sicht der Königszeit: Classen, C. J., Die Königszeit im Spiegel der Literatur der römischen Republik, in: Historia 14, 1965, 385-403 (überarbeitet wieder abgedruckt in: Ders., Zur Literatur und Gesellschaft der Römer, Stuttgart 1998, 55-73). Die Bedeutung der Frühgeschichte für die römische Republik aus modernen Sicht: Alföldi, A., Römische Frühgeschichte. Kritik und Forschung seit 1964, Heidelberg 1976. Wieacker, F., Römische Rechtsgeschichte, München 1988, 208-212. Poucet, J., Les Rois de Rome: Tradition et histoire, Brüssel 2000. Fraschetti, The Foundation of Rome, 29-63. - Zum historischen Wert der Gründungslegende Roms: Cornell, The Beginnings of Rome, 70-73 und 80. 771 772

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1, 1), der offensichtlich an Sall. Catil. 6, 1 angelehnt ist: ‚Urbem Romam, sicuti ego accepi, condidere atque habuere initioTroiani’. quondam (‚irgendwann’, ‚zu unbestimmter Zeit’): die Unbestimmtheit des temporalen Adverbs wird verstärkt durch die altertümliche Verbform tenuere (= tenuerunt). Die vage Angabe ‚quondam’ bei Claudius steht im Gegensatz zu den Formulierungen ‚initio’ und ‚a principio’ bei Sallust bzw. Tacitus und widerspricht der ‚offiziellen Gründungslegende’ Roms. nec tamen: Adversativ-Partikel: ‚dennoch nicht’; der Kaiser stellt einen Gegensatz zum vorhergehenden quondam … urbem her, der sachlich nicht gegeben und nicht logisch ist. contigit steht in der Regel mit dem ut consecutivum, hier in Verbindung mit dem Infinitiv. domestici successores sind Nachfolger aus der eigenen Familie (Verwandte). Diesen stehen als Nicht-Verwandte die alieni ‒ Leute aus anderen Familien ‒ wie auch die externi ‒ Leute aus anderen Ländern – gegenüber,774 von denen in der nächsten Zeile die Rede ist. Mit der Aussage „quondam reges hanc tenuere urbem“ greift Claudius die Tradition der römischen Geschichtsschreibung auf.775 Danach war die Stadt nach ihrer Gründung durch Romulus776 von weiteren sechs Königen regiert worden. Anders als Sallust und Tacitus belässt der Prinzeps es nicht bei einer allgemeinen Feststellung der Königsherrschaft in Rom, sondern knüpft an Livius und seine Darstellung der Königszeit an. Dabei greift er einige Könige heraus, deren Maßnahmen er als Beispiele für die von ihm beabsichtigte ‚Neuerung’ erwähnt, die zugleich aber auch als ‚Spiegel’ für die utilitas seiner eigenen Herrschaft dienen sollen. Seine Aussage, dass die Königsherrschaft nicht von Angehörigen der Familie des Stadtgründers Romulus übernommen werden konnte, sondern dass dieNipperdey-Andresen, Tacitus, 318. Ähnlich äußert sich von Albrecht, Meister, 121, der auch auf die zahlreichen Ausdrücke hinweist, die Claudius in seiner Rede von Livius übernommen hat (178 Anm. 23). - Zur mündlichen und schriftlichen Überlieferung der Anfänge Roms: von Ungern-Sternberg, J., Überlegungen zur frühen römischen Überlieferung im Lichte der Oral-Tradition-Forschung, in: J. von Ungern-Sternberg - H. Reinau (Hg.), Vergangenheit in mündlicher Überlieferung, Stuttgart 1988, 237-265. Timpe, D., Mündlichkeit und Schriftlichkeit als Basis der frührömischen Überlieferung, in: J. von Ungern-Sternberg - H. Reinau (Hg.), Vergangenheit in mündlicher Überlieferung, Stuttgart 1988, 266-286. Cornell, T. J., The Value of the Literary Tradition Concerning Archaic Rome, in: K. A. Raaflaub (Hg.), Social Struggles in Archaic Rome. New Perspectives on the Conflict of the Orders, Berkeley - Los Angeles - London 1986, 5276. 776 Zur Sage über die Gründung Roms durch Romulus : Classen, C. J., Die Welt der Römer. Studien zu ihrer Literatur, Geschichte und Religion (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 41), Berlin - New York 1993, 1-11 (zur Herkunft der Sage von Romulus und Remus). Weitere Literatur zu Romulus in Kap. V, S.119, Anm. 577 und 578. 774 775

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se Machtposition an andere übergegangen sei, weist auf die Änderung einer Tradition hin, nach der die Herrschaft in der Hand einer Familie verblieb bzw. weitergegeben wurde, und stellt damit eine ‚Neuerung’ heraus. Auch wenn für Claudius eben der Aspekt der Neuerung bzw. Änderung im Vordergrund seiner Ausführungen steht, so wirft sein nächster Satz „nec tamen domesticis successoribus eam tradere non contigit“ die Frage auf, ob und inwieweit der Redner mit seiner Bemerkung, dass die Königsherrschaft im frühen Rom nicht in einer Familie geblieben und darin fortgeführt worden ist, sondern dass die Herrschaft in Rom von ‚Fremden’ übernommen worden ist, nicht auch auf seine eigene Position anspielt: was nämlich den Königen in den Anfängen Roms nicht gelungenwar, ist jetzt den römischen Prinzipes geglückt. Sie konnten ihre Herrschaft in Rom innerhalb der julisch-claudischen Familie behaupten und weitergeben. Offensichtlich dienen ihm die Beispiele der Könige, vor allem auch die ihnen in der Tradition zugeschriebenen Taten, als Spiegelbilder seiner eigenen Regierung; sie stellen deutlich Parallelen zu seinem eigenen Handeln als Herrscher heraus.777 Claudius beruft sich mit seinem Rückgriff auf die Anfänge der Stadt und auf den Gründungsmythos Roms778 und damit auf ‚historische Fakten’, die den Senatoren vertraut und in der Tradition der Stadt fest verankert sind: die Herrschaft von Königen und deren nicht-römische (sabinische bzw. etruskische) Herkunft, auf die er im Weiteren eingeht. Dabei stützt er sich auf die von Livius verfasste Darstellung der römischen Königszeit im ersten Buch seines Geschichtswerks ‚ab urbe condita libri’, das von der Annalistik779 der römischen Historiographie geprägt war.780 I 9-11: supervenere alieni et quidam externi, ut Numa Romulo successerit ex Sabinis veniens, vicinus quidem, sed tunc externus; ut Anco Marcio Priscus Tarquinius.:

Mehr dazu bei den einzelnen Königen. Pallotino, M., Italien vor der Römerzeit, München 1987, 33-56. Cornell, The Beginnings of Rome, 57-68. Simon, E., Rom und Troia. Der Mythos von den Anfängen bis in die römische Kaiserzeit, in: Troia. Traum und Wirklichkeit. Begleitband zur Ausstellung Troia – Traum und Wirklichkeit, hg. vom Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg u. a., Stuttgart 2001, 154-173. 779 Zur Annalistik und ihrer Stellung in der römischen Geschichtsschreibung: Timpe, D., Fabius Pictor und die Anfänge der römischen Historiographie, in: ANRW I. 2, 1972, 928-969. Wiseman, T., Historiography and imagination, Exeter 1994, 1-36. Petzold, K.-E., Zur Geschichte der römischen Annalistik, in: W. Schuller (Hg.), Livius. Aspekte seines Werkes, Konstanz 1993, 151-188. Burck, E., Das Geschichtswerk des Titus Livius, Heidelberg 1992, 18-34. - Zu Fabius Pictor: Kierdorf, W., Römische Geschichtsschreibung der republikanischen Zeit (Kalliope 3), Heidelberg 2003, 9-17. 780 Die Rolle der Annalistik in Livius’ Werk: Walsh, P. G., Sachliche Vorzüge und Mängel des livianischen Werkes, in: Burck, E. (Hg.), Wege zu Livius (WdF 132), Damstadt 1967, 250f. Schuller, W. (Hg.), Livius. Aspekte seines Werkes, Konstanz 1993. 777 778

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Numa781 Romulo successerit … Anco Marcio Priscus Tarquinius: Chiasmus; ex Sabinis782 veniens: nach Liv. 1, 18, 1 wohnte Numa vor seiner Wahl zum König in Cures im Sabinerland.783 supervenere = supervenerunt: ‚es traten (ein)’, ‚es stellten sich ein’; alieni: bezeichnen Fremde, Nicht-Verwandte, externi Ausländer; quidam externi: quidam ist als Verstärkung (‚sogar’) von externi aufzufassen. ut (ut explicativum) Numa Romulo successerit ex Sabinis veniens: Claudius betont hier die Nicht-Zugehörigkeit des Numa zu den alten römischen Familien. Anco Marcio784 Priscus Tarquinius 785: hier ist successerit zu ergänzen. Die namentliche Erwähnung ‚auswärtiger’ Könige ist nicht als eine Auflistung der frühzeitlichen römischen Herrscher zu verstehen. Im Fokus der kaiserlichen Ausführungen steht vielmehr der Nachweis, dass wichtige Abweichungen (‚Neuerungen’) von einem bereits existierenden mos maiorum schon in der Anfangszeit des neuen Staatswesens stattgefunden haben und Tradition geworden sind. Diese Änderungen zeigen sich zum einen in der unterschiedlichen lokalen Herkunft der Nachfolger des Romulus, zum andern auch in ihrer familiären bzw. sozialen Abstammung. Mit der Betonung der Herkunft des Numa („ex Sabinis veniens“) schafft Claudius eine Verbindung zu seinem Antrag, den er im weiteren Verlauf der Rede konkretisiert. Seine Absicht, Stammesfürsten aus der Gallia Comata den Zugang zum Senat zu ermöglichen, ist der Situation bei der Bestimmung Numas zum König nicht unähnlich. In örtlich-räumlicher Hinsicht wollte Claudius neue Bewerber für römische Ämter außerhalb Italiens aus einer Provinz gewinnen, die in den Augen der Senatoren am Rande des Imperiums lag und die sich ‒ im Gegensatz zur Gallia Narbonensis ‒ noch im Prozess der Ro781 Weitere Angaben und Literatur zur Tradition über den König Numa Pompilius: Kap. IV. 3, S. 117, Anm 600, sowie bei Poucet, J., Recherches sur la légende sabine des origines de Rome, Löwen 1967, 137-148. 782 Philipp, H., ‚Sabini’, in: RE I A2, 1920, 1570-1584. Vanotti, G., ‚Sabini’, in: DNP 10, 2001, 1185-1188. Poucet, J., Les Sabins aux origines de Rome, in: ANRW I.1, 1972, 48-135. 783 „Curibus Sabinis habitabat“. 784 Zur römischen Tradition über die Regierung des Königs Ancus Marcius: Liv. 1, 32-34. Münzer, F., ‚Marcius 9’, in: RE XIV,2, 1930, 1543. Frateantonio, C., ‚Marcius. [I 3] Ancus M.’, in: DNP 7, 1999, 857. Poucet, Recherches sur la légende sabine, 148-154. Briquel, D., Le règne d’Ancus Marcius: un problème de comparaison indo-européenne, in : MEFRA 107, 1995, 183-195. Martin, F., L’idée de royauté, à rome: de la rome royale au consensus républicain (Miroit des civilisations antiqies 1Orléans, Bd. 1, Orleéans 1982, 16f. Auliard, La Diplomatie romaine, 67-69. Daguet-Gagey, A., Claude de Lyon, Ancus Marcius et l’âge royal : d’une intégration l’autre, in : G. De Kleijn - St. Benoist (Hg.), Integration of the Tenth Workshop of the International Network Impact of the Empire (Lille, June 23-25, 2011) (Impact of Empire 17), Leiden - Boston 2014, 57-74. 785 Der erste tarquinische König Priscus Tarquinius: Liv. 1, 35-40. - Schachermeyr, F., ‚Tarquinius 6 L. Tarquinius (Priscus)’, in: RE IV A,2, 1932, 2369-2380. Fündling, J., Tarquinius [11] T. Priscus L.’, in: DNP 12/1, 2002, 33. Martin, L’idée de royauté, Bd. 1, 27f. Auliard, La Diplomatie romaine, 69-74.

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manisierung befand. Gleichzeitig richtete sich dieses Vorhaben einer Erweiterung des Bewerberkreises auf einen Personenkreis, der bislang kaum über die erforderlichen Kompetenzen und Erfahrungen im Staatsdienst verfügte. War es bei der Nachfolge des Romulus zunächst ein ‚Nachbar’ (damals zugleich ein ‚Fremder’) – „vicinus quidem sed tunc externus“ ‒, der den Bürgern der Stadt gleichgestellt und mit dem höchsten Amt in dieser Stadt betraut wurde, so sind es jetzt Angehörige der indigenen Führungsschicht einer Provinz, die noch nicht von der römischen Zivilisation durchdrungen ist – eben ‚Fremde’, die das römische Bürgerrecht besitzen und denen nun der Zugang zum höchsten Gremium des Reiches ermöglicht werden soll. Für Claudius war der König Numa nicht nur ein exemplum, das seine These von den ‚Neuerungen’ stützte; vielmehr brachte seine Erwähnung eine direkte Verbindung mit dem Redner selbst. Wie dem sagenhaften Nachfolger des Romulus eine umfangreiche und beispielhafte Sakralgesetzgebung (so u.a. die Neuorganisation und Einrichtung von Priesterämtern786, die Berufung von Vestalinnen787, eine Reform des Kalenders788) zugeschrieben wurde, so stellte sich der Kaiser durch die Wiederbelebung in Vergessenheit geratener kultischer Sitten und Bräuche789 gleichsam auf eine Stufe mit dem frühzeitlichen Numa, der auch als zweiter Stadtgründer Roms angesehen und bezeichnet wurde.790 Ähnliche Überlegungen dürfen wohl auch bei der namentlichen Erwähnung des Ancus Marcius eine Rolle gespielt haben. Die Nennung seines Namens sollte die Erinnerung an den Enkel des Numa und vierten König Roms wecken, der in der Annalistik als ‚friedensliebender’ Gegenpol zu seinem ‚kriegerischen’ Vorgänger Tullus Hostilius dargestellt wird.791 Dieser hatte u. a. die Stadt Alba Longa792, die als Mutterstadt Roms galt, erobert, zerstört und die Bewohner in Rom auf

Liv. 20, 1f. und 4-7. Liv. 1, 20, 3. 788 Liv. 1, 19, 6f. Vgl. Cornell, The Beginnings of Rome, 104f. 789 Suet. Claud. 22: „Quaedam circa caeremonias civilemque et militarem morem, item circa omnium ordinum statum domi forisque aut correxit aut exoleta revocavit aut etiam nova instituit.“ 790 Livius setzt Numa mit Romulus gleich: „Ita duo deinceps reges, alius alia via, ille bello, hic pace, civitatem auxerunt“ (1, 21, 6). 791 Auch zum König Tullus Hostilius ist Livius die zentrale Quelle: 1, 22-31. - Glaser, K., ‚Tullus Hostilius.’, in: RE VII A,2, 1948, 1340-1343. Graf, F., ‚Hostilius [4] Tullus H.’, in: DNP 5, 1998, 745f. Ogilvie, R. M., A Commentary on Livy I-V, Oxford 1965, 105-125. Martin, L’idée de royauté, Bd. 1, 27f. Christofani, M. (Hg.), La Grande Roma dei Tarquini, catalogo delle mostra, Roma, Palazzo delle Esposizioni 12 giugno – 30 settembre 1990, Rom 1990, 7-25. Auliard, La Diplomatie romaine, 64-67. 792 Die Rolle und Bedeutung der Stadt Alba Longa für Rom und seine Geschichte: Hülsen, C., ‚Alba Longa’, in: RE I,1, 1893, 1301f. Sonnabend, H., ‚Alba Longa’, in: DNP 1, 1996, 437. Ashby, T., Alba Longa, in: Journal of Philology 27, 1901, 37-50. Poucet, Les origines de Rome, 295f. Grandazzi, A., Alba Longa, histoire d’une légende. Recherches sur l’archéologie, la religion, les traditions de l’ancien Latium, 2 Bde., Rom 2008. 786 787

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dem Mons Caelius angesiedelt.793 Ancus Marcius werden neben der Einrichtung einer rituellen Kriegserklärung794 die Wiederherstellung der von Numa eingeführten Sakralordnung (Liv. 1, 32, 2), auch die Ansiedlung von Bewohnern eroberter Latinergemeinden auf dem Aventin und dem Caelius795 und damit die Erweiterung der römischen Bürgerschaft (Liv. 1, 33) sowie die Gründung Ostias796 (Liv. 1, 33, 9: „et in ore Tiberis Ostia urbs condita“) zugeschrieben. Hier finden sich deutliche Parallelen bei Claudius, so z. B. die Erweiterung des Imperiums durch die Einrichtung neuer Provinzen, vor allem durch die Eroberung Britanniens,797 die Restauration von Riten und Kultbräuchen, die in Vergessenheit geraten waren,798 oder der Bau eines neuen Hafens (Ostia nova) nördlich der Tibermündung.799 I 11-16: [is] propter temeratum sanguinem – quod patre Demaratho C[o]rinthio natus erat et Tarquiniensi matre, generosa, sed inopi, ut quae tali marito necesse habuerit succumbere – cum domi repelleretur a gerendis honoribus, postquam Romam migravit, regnum adeptus est.: [is] fehlt heute auf der Tafel. Orelli hat das Ende der Z. 11 mit diesem Demonstrativpronomen ergänzt.800 Aus den Abschriften Bellièvres und Tschudis, die kurz nach der Entdeckung der Inschrift angefertigt wurden und sehr verlässlich sind, ist ersichtlich, dass das Pronomen bereits damals auf der Tafel fehlte bzw. zumindest nicht mehr gelesen werden konnte. propter temeratum sanguinem: (‚wegen seiner nicht-ebenbürtigen Abstammung’); temeratus (‚befleckt’) ist Tarquinius, weil sein Vater Demaratos aus Korinth und nicht aus Tarquinii stammte. In den antiken (Stadt-)Staaten galten nur diejenigen als ebenbürtig und konnten städtische (Ehren-)Ämter bekleiden, deren beide Elternteile das Bürgerrecht der betreffenden Stadt besaßen.801 patre Demaratho Corinthio (…) et Tarquiniensi matre: Chiasmus; generosa, sed inopi: eine Hypothese des Claudius, die der nachfolgende Satz wahrscheinlich macht.802 succumbere: ‚sich hingeben’ ist ein drastischer vorklassischer Ausdruck; Liv. 1, 34, 2 verwendet im gleichen Zusammenhang das übliche ducere („uxore ibi ducta duos filios genuit“).803 Liv. 1, 29-30, 1. - Poucet, Les origines de Rome, 146-149. Liv. 1, 32, 5. - Rüpke, Domi militiae, 105-108. 795 Strab. 5, 2, 2, 219C und 5, 3, 7, 234C. 796 Zur Tradition über die Gründung Ostias durch Ancus Marcius: Poucet, Les origines de Rome, 152-155. Meiggs, Roman Ostia, 16-18; 479-482 und 579. Kolb, Rom, 47f., 522-530. 797 Vgl. voriges Kapitel S. 136-140. 798 Siehe S. 132, Anm. 684. 799 Zu Ostia s. Kap. IV. 3 (S. 131, Anm. 660). 800 Fabia, La Table claudienne, 49. 801 Vgl. Nipperdey-Andresen, Tacitus, 318. 802 Nipperdey-Andresen, Tacitus, 318. 803 Perl, Die Rede des Kaisers, 122. 793 794

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cum: adversatives cum (‚während’), das den inhaltlichen Gegensatz zur nächsten Zeile hervorhebt: Während Tarquinius in seiner Heimatstadt (Tarquinii) vom Zugang zu den Ämtern zurückgewiesen wurde, gelangte er in Rom zur Königswürde. Tarquiniensis: die etruskische Stadt Tarquinia (lat. Tarquinii) lag am Unterlauf des Flusses Marta (antik: Larthe) in Etrurien, ca. 70 km nordwestlich Roms und 6 km von der Küste des Thyrrhenischen Meeres entfernt.804 Die Zeilen 12-14 (‒ quod patre Demaratho … habuerit succumbere ‒) sind als Exkurs zu verstehen, in dem Claudius auf Demaratus als Bindeglied zwischen Griechenland und Rom hinweist und auf die alte Verbundenheit zwischen Griechen und Römern aufmerksam macht. Römischer Überlieferung zufolge (Liv. 1, 34, 1f.) stammte der von Kaiser hier angesprochene Demarathos805 (= griech. Demaratos806) aus Korinth und hatte sich nach der Vertreibung aus seiner Heimatstadt als Kaufmann in Tarquinia niedergelassen, wo er eine etruskische Aristokratin (‚generosa, sed inops’) heiratete.807 Demaratos gilt als Vermittler der griechischen Kultur an Etrusker808 und Römer (Cic. rep. 2, 34) und als Beispiel für historisch frühe Verbindungen zwischen Griechen und Römern.809 Die antike Tradition macht Demaratos’ älteren Sohn Lucomo, besser bekannt als Lucius Tarquinius Priscus, zum ersten etruskischen König in Rom, der mit seiner Frau Tanaquil die Heimatstadt Tarquinii810 verlassen hatte und nach Rom emigriert war.811 804 Zur Bedeutung der etruskischen Stadt Tarquinii für Rom: Philipp. H., ‚Tarquinii’, in: RE IV A2, 1932, 2343-2348. Camporeale, G., ‚Tarquinii’, in: DNP 12/1, 2002, 30f. Leighton, R., Tarquinia. An Etruscan City, London 2004. Steingräber, St. (Hg.), Tarquinia. Stadt und Umland von den Etruskern bis in die Neuzeit, Darmstadt 2012. 805 Perl, Die Rede des Kaisers, 122: „Die Unsitte, in griechischen Namen (wie hier Demaratos) und vermeintlich griechischen Worten die Tenues c, p, t zu aspirieren, hat schon Catull (c. 84) verspottet, vergeblich, wie man hier sieht.“ 806 Über Herkunft und Rolle des Demaratos in der römischen Überlieferung: Liv. 1, 34, 1-9. Meier, M. - Strotmann, M., ‚Demaratos’, in: DNP 3, 1997, 417. Blakeway, A., “Demaratus”. A Study in Some Aspects of the Earliest Hellenisation of Latium and Etruria, in: JRS 25, 1935, 129-149. Ampolo, C., Demarato. Osservaziono sulla mobilità sociale arcaica, in: Dialoghi di Archeologia IX-X, 1976-77, 333-345. Cornell, The Beginnings of Rome, 124f. Torelli, M., Die Etrusker. Geschichte, Kultur, Gesellschaft, Wiesbaden 1998, 146f. Leighton, Tarquinia. An Etruscan City, 78f. 807 Liv. 1, 34. - Leighton, Tarquinia, 78. 808 Zu den Beziehungen zwischen Etruskern und Rom: Ogilvie, R. M., Das frühe Rom und die Etrusker, München 1983 (engl. Originalausgabe: Trowbridge, Wiltshire 1976). Cristofani, La grande Roma dei Tarquini, catalogo delle mostra, Roma, Palazzo delle Esposizioni 12 giugno – 30 settembre 1990. Aigner-Foresti, Die Etrusker und das frühe Rom, bes. 125-145. 809 Cornell, The Beginnings of Rome, 124f. 810 Zu Tanaquil, der Mutter des Königs Priscus Tarquinius: Liv. 34, 4-10; 39, 2-4; 41, 1-5; 47, 6. - Schachermeyr, F., ‚Tanaquil’, in: RE IV, A2, 1932, 2172f. Amann, P., ‚Tanaquil’, in: DNP 12/1, 2002, 8. 811 Liv. 1, 35-40. - Leighton, Tarquinia 78f.

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Anders als bei den bislang genannten Königen beschränkt sich der Redner bei Priscus Tarquinius nicht auf die Angabe des Namens, sondern fühlt sich zu einem Exkurs mit zusätzlichen Angaben zur Herkunft des Königs veranlasst, obwohl dessen Abstammung und Werdegang sicher den Zuhörern bekannt, die Abschweifung daher kaum erforderlich und somit überflüssig ist. Die in der Rede des Kaisers in Parenthese vorgetragene Begründung für den Ausschluss des Priscus Tarquinius von den Ämtern ist in ähnlicher Form bei Livius zu finden,812 der an gleicher Stelle auch die für Zuwanderer günstige wirtschaftliche und politische Situation in Rom herausstellt und durch Beispiele belegt.813 Offensichtlich will Claudius durch die Hervorhebung von Details aus dem familiären Umkreis des Königs mit seinen historischen Kenntnissen ‚glänzen’ und gleichzeitig die ‚fortschrittliche’ Einstellung Roms im Vergleich zu den Nachbarstädten unterstreichen. War Priscus Tarquinius in seiner Heimatstadt Tarquinii von der Übernahme öffentlicher Ämter aufgrund seiner Herkunft und persönlichen Situation ausgeschlossen gewesen, so wird ihm in Rom trotz fehlender Voraussetzungen – er ist kein Einheimischer, ihm mangelt es an einer standesgemäßen Abstammung – die Königswürde, das höchste staatliche Amt in Rom, übertragen. Die Überlieferung schreibt diesem König neben Kriegen gegen die Sabiner (Liv. I, 36, 1f. und 37) und gegen lateinische und etruskische Städte (I, 35, 7) u. a. die Vergrößerung des Senats um hundert Senatoren814 sowie die Einführung als etruskisch geltender Bräuche und Traditionen zu, wie die ludi (I, 35, 8f), den Triumph (I, 38, 3) oder die Augurien (I, 36, 6). Besonders die Übernahme etruskischer Traditionen hat in der modernen Forschung zur Vorstellung einer ‚Etruskerherrschaft’ über das bis dahin latinisch geprägte Rom geführt;815 allerdings findet diese Theorie u. a. von T. J. Cornell Widerspruch, da sie nicht durch die Quellenlage gestützt werden könne.816 I 16-24: huic quoque et filio nepotive eius – nam et hoc inter auctores discrepat – insertus Servius Tullius, si nostros sequimur, captiva natus Ocresia, si Tuscos, Caeli quondam Vivennae sodalis fidelissimus omnisque eius casus 812 Liv. 1, 34, 1: „Anco regnante Lucumo, vir impiger ac divitiis potens, Romam commigravit cupidine maxime ac spe magni honoris, cuius adipiscendi Tarquiniis – nam ibi quoque peregrina stirpe oriundus erat – facultas non fuerat.” 813 Liv. 1, 34, 6f.: „Roma est ad id aptissima visa: in novo populo, ubi omnis repentina atque ex virtute nobilitas sit, futurum locum forti ac strenuo viro.“ [Als Beispiele verweist Livius auf den Sabinerkönig TitusTatius, auf Numa Pompilius und Ancus Marcius.] 814 Liv. 1, 35, 6: „nec minus regni sui firmandi quam augendae rei publicae memor centum in patres legit, qui deinde minorum gentium sunt appellati, factio haud dubia regis, cuius beneficio in curiam venerant.” 815 Cornell, The Beginnings of Rome, 156-158. 816 Cornell, The Beginnings of Rome, 158f. - Zur Etruskerherrschaft und ihrem Einfluss auf Rom auch: Kolb, Rom, 111.

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comes. postquam varia fortuna exactus cum omnibus reliquis Caeliani exercitus Etruria excessit, montem Caelium occupavit - et a duce suo Caelio ita appellitatus – mutatoque nomine – nam Tusce Mastarna ei nomen erat – ita appellatus est, ut dixi, et regnum summa cum rei p(ublicae) utilitate optinuit.: huic quoque et filio nepotive:817 Die römische Überlieferung machte Tarquinius Superbus zum Sohn des Tarquinius Priscus. Von den frühen römischen Historikern erklärte Piso818 ihn aufgrund der Zeitrechnung für dessen Enkel.819 nam et hoc inter auctores discrepat: die Parenthese weist auf unterschiedliche Quellen des Redners für seine Angaben zur Königszeit hin, die in den nächsten Zeilen genauer benannt werden. insertus Servius Tullius820: ist um est zu ergänzen (Verbum finitum). Die etruskische Sage ist in abweichender Redeform angefügt.821 nostros: ist um auctores zu ergänzen. captiva natus Ocresia: Apposition zu Servius Tullius. Ocresia822 stammte aus Corniculum823, einer von Tarquinius Priscus eroberten Stadt der Latiner.824 Tuscos: zu ergänzen auctores sequimur. Vivennae: der Name Vivenna (= Vibenna) ist aus etruskischen Quellen bekannt.825 Die Schreibung Vivenna entspricht der volkstümlichen Aussprache.826 817 Zu den etruskischen Königen in Rom: Aigner-Foresti, Die Etrusker und das frühe Rom, 125-139 (mit einer Übersicht unterschiedlicher Forschungstheorien). 818 Gemeint ist hier der römische Politiker und Annalist L. Calpurnius Piso (um 180 – nach 120 v. Chr.). Nähere Angaben zu ihm bzw. seinem Werk: Kierdorf, W., ‚Calpurnius [III 1]’, in: DNP 2, 1997, 948f. Beck, H. - Walter, U., Die frühen römischen Historiker, Bd. 1: Von Fabius Pictor bis Cn. Gellius (Texte zur Forschung 76), Darmstadt 2001, 282-329. Suerbaum, W., L. Calpurnius Piso Frugi, in: W. Suerbaum (Hg.), Die archaische Literatur. Von den Anfängen bis Sullas Tod (Handbuch der lateinischen Literatur Bd. 1), München 2002, 421-425. Kierdorf, Römische Geschichtsschreibung der republikanischen Zeit, 2629. Forsythe, G., The historian L. Calpurnius Piso Frugi and the Roman annalistic tradition, Lanham u. a. 1994. 819 Mehl, A., Römische Geschichtsschreibung. Grundlagen und Entwicklungen; eine Einführung, Stuttgart - Berlin - Köln 2001, 54: „Weiter bemühte er [Piso] sich, die Chronologie der römischen Könige richtigzustellen. (HRR F 15 = AR / FRH F 17: Tarquinius Superbus nicht Sohn, sondern Enkel des Tarquinius Priscus).“ Zur chronologischen Einordnung und zu den verwandtschaftlichen Beziehungen der beiden tarquinischen Könige: Cornell, The Beginnings of Rome, 120-126. 820 Nähere Angaben zu Servius Tullius siehe Kap. IV. 3, S. 117, Anm. 602. Zu den Reformen, die diesem König zugeschrieben werden: Last, H., The Servian Reforms, in: JRS 35, 1945, 30-48. 821 Nipperdey-Andresen, Tacitus, 318. 822 Marbach, E., ‚Ocrisia’, in: RE XVII 2, 1937, 1781-1786. Käppel, L., ‚Ocrisia’, in: DNP 8, 2000, 1094f. Cornell, The Beginnings of Rome, 131-133. 823 Liv. 1, 38, 4; 39, 5. - Hülsen, Ch., ‚Corniculum. 1)’, in: RE IV,1, 1990, 1604. 824 Liv. 1, 38, 4. 825 Alföldi, Das frühe Rom, 194-213. Münzer, F., Caeles Vibenna und Mastarna, in: RhM NF 53, 1898, 596-620 (wieder abgedruckt in: Ders., Kleine Schriften, hg. von M. Haake - A.-C. Harders, Stuttgart 2012, 204-228).

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sodalis und comes: hier ist fuit oder factus est zu ergänzen. reliquis: synkopiertes reliquiis; montem Caelium: Der Caelius ist der südöstliche der sieben Hügel Roms, der größtenteils außerhalb des pomerium östlich des Palatin und südlich des Esquilin gelegen war.827 Nach Suet. Vesp. 9, 1 hat Kaiser Vespasian auf dem Caelius einen Tempel für seinen Vorgänger Claudius vollendet, den Agrippina begonnen und Nero zerstört hatte.828 appellitatus: Perf. Pass. von appellitare = frequentatives appellare;829 Fabia und andere sehen in appellitatus „l’une des deux fautes certaines/incontestables du graveur“ und schlagen die bereits von Niebuhr eingebrachte Korrektur in appellitavit (Perf. Aktiv) vor.830 Perl fasst diesen Satz bzw. Satzteil als Parenthese zum vorhergehenden montem auf und versteht et explikativ: ‚und zwar’, ‚nämlich’. Dabei zeigt seine Version mehrere sprachliche Freiheiten, die eine gewisse Zerstreutheit beim Redner voraussetzen: 1. ein Subjektwechsel von Servius Tullius zu mons, ohne das Subjekt zu nennen; 2. a duce suo – statt eius (ähnlich II 16 colonia sua); 3. appellitatus als Verbum finitum mit est zu ergänzen (wie bei insertus in Z. 17).831 Mastarna832 = Servius Tullius; ita appellatus est, ut dixi: nämlich Servius Tullius; summa cum rei publicae utilitate: Hyperbaton; Zu einer möglichen Parallele des Gedankens in Z. I 1 vgl. S. 146. Perl, Die Rede des Kaisers, 122. Hülsen, Ch., ‚Caelius mons 1’, in: RE II,1, 1897, 1273-1275. Volkerts, M., ‚Caelius Mons [1]’, in: DNP 2, 1997, 905. Gianelli, G, ‚Caelius mons (in età classica)’, in: LTUR 1, 21993, 208-211. Tac. ann. 4, 64f. berichtet von einem Brand auf dem mons Caelius im Jahr 27 n. Chr und erklärt zur Namensgebung des Hügels (ann. 4, 65): „Haud fuerit absurdum tradere montem eum antiquitus Querquetulanum cognomento fuisse, quod talis silvae frequens fecundusque erat, mox Caelium appellitatum a Caele Vibenna, qui dux gentis Etruscae, cum auxilium portavisset, sedem eam acceperat a Tarquinio Prisco, seu quis alius regum dedit; nam scriptores in eo dissentiunt.“ Zur Benennung des mons Caelius auch: Varro ling. V, 46, der die Namensgebung jedoch in die Zeit des Romulus verlegt: „Caelius mons a Caele Vibenna Tusco duce nobili qui cum sua manu dicitur venisse auxilio contra Tatium regem. Hinc post Caelis obitum quod nimis munita loca tenerent, neque sine suspicione essent, deducti dicuntur in planum; ab eis dictus vicus Tuscus.“ 828 „fecit et nova opera templum Pacis foro proximum Divique Claudi in Caelio monte coeptum quidem ab Agrippina, sed a Nerone prope funditus destructum”. 829 Zum Gebrauch des Verbs ‚appellitare’: von Albrecht, Meister, 179, Anm. 25. 830 Fabia, La Table, 34. 831 Vgl. die umfangreiche Erläuterung zu appellitatus bei Perl, Die Rede des Kaisers, 123, sowie die ausführliche Anm. 23 auf S. 124. 832 Aigner-Foresti, L., ‚Mastarna’, in: DNP 7, 1999, 995f. Münzer, Caeles Vibenna und Mastarna, 596-620. Alföldi, Das frühe Rom, 197-213. Cornell, The Beginnings of Rome, 134f., 138-141 und 144f. Bubenheimer-Erhart, Die Etrusker, 56. - Zu Claudius’ Äußerungen über Mastarna: Briquel, D., Le témoignage de Claude sur Mastarna/Servius Tullius, in: RBPh 68, 1990, 86-108. 826 827

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optinuit = obtinuit (entspricht Claudius’ Vorliebe für vorklassische Ausdrücke und Sprachmuster). In den Zeilen 17-23 – „insertus Servius Tullius … nam Tusce Mastarna nomen ei erat“ ‒ bringt Claudius die unterschiedlichen historischen Quellen zu Servius Tullius im umfangreichsten Exkurs seiner Rede zur Sprache. Als letztes Beispiel für ‚Neuerungen’ in der Königszeit weist Claudius auf den König Servius Tullius hin, dessen Regierungszeit nach römischer Tradition zwischen den beiden tarquinischen Königen angesetzt wird. Zunächst äußert er sich zum verwandtschaftlichen Verhältnis zwischen Priscus Tarquinius und Tarquinius Superbus („huic quoque et filio nepotive eius“), für das in Rom offensichtlich unterschiedliche Quellen („nam et hoc inter auctores discrepat“) existieren, die der Redner nicht weiter präzisiert. Seine kurze Bemerkung dient erneut dazu, auf sein umfassendes Wissen über die Geschichte der Stadt aufmerksam zu machen. An dieser Stelle fühlt sich der Prinzeps geradezu ‚verpflichtet’, das Ergebnis seines Studiums der Anfänge Roms, besonders seiner Beschäftigung mit der etruskischen Tradition, einem sachverständigen Publikum, dem Senat, zu präsentieren, auch wenn (oder gerade weil) dieses nicht über das Spezialwissen verfügt, das Claudius bereits in seinem Werk über die Etrusker an den Tag gelegt hatte.833 So zeigt er sich im folgenden Exkurs in der Rolle eines pedantischen Gelehrten, der über unterschiedliche Quellen zur Frage der Abstammung eines bedeutenden Herrschers (Servius Tullius) doziert und dem das eigentliche Thema seiner Rede zunächst aus dem Blick zu geraten droht. In Claudius’ Vortrag über die differierende Quellenlage fällt zunächst der unterschiedliche Umfang auf, den der Redner der jeweiligen Version einräumt: während er sich bei der römischen Überlieferung auf eine einzige Zeile beschränkt, gibt er der etruskischen Tradition sechs Zeilen Raum. Offensichtlich geht er davon aus, dass den Zuhörern die römische Version bekannt und vertraut ist, er sich also Details sparen kann. Anders verhält es sich mit der vom Kaiser vorgestellten etruskischen Quelle. Hierbei handelt es sich nach Cornell um eine bis dahin in der Literatur nicht bekannte Version,834 die Claudius als ‚Ergebnis seiner Forschungen’ in der Rede der Öffentlichkeit in aller Breite vorstellt; für seine Version gibt es keine sonstige Fundstelle.835 833 Suet. Claud. 42: „Denique et Graecas scripsit historias, Tyrrhenicon viginti, Carchedoniacon octo.“ - Huzar, Claudius – the Erudite Emperor, 622f.; Schmidt, Claudius als Schriftsteller, 121. 834 “The alternative tradition which Claudius refers to in the second half of this passage is otherwise completely unknown to us. His words imply, moreover, that he expected it to be unfamiliar to his audience of senators, even to those whose knowledge of early Roman history went beyond Livy. In short, Claudius was announcing a discovery. Like the true scholar he was, he could not resist putting forward a new idea, even when it was not required by his argument, still less by the occasion on which he was speaking.41” (Cornell, The Beginnings of Rome, 134.) 835 Cornell, The Beginnings of Rome, 133f.

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In der römischen Überlieferung finden sich unterschiedliche Traditionsstränge zur Herkunft des Servius Tullius.836 Die ursprüngliche Tradition sieht ihn als Sohn der aus Corniculum stammenden Kriegsgefangenen Ocresia, die in Rom als Sklavin im Haus des Königs Priscus Tarquinius diente, und bezeichnet ihn selbst auch als Sklaven.837 Da diese Version, wonach ausgerechnet der hoch geschätzte König ein Sklave gewesen sein sollte, jedoch für die Römer beschämend und unzumutbar war, ihr Gefühl für Anstand verletzte und vor allem dem mos maiorum widersprach, suchte man diesen Makel zu beseitigen, indem man die Überlieferung änderte und Servius Tullius zum nachgeborenen Sohn eines adligen Mannes aus Corniculum machte, der bei der Eroberung der Stadt gefallen war. Seine schwangere Frau war aufgrund ihrer vornehmen Herkunft nach der Gefangennahme von der Königsfamilie aufgenommen worden und hatte dort ihren Sohn Servius Tullius geboren.838 Unterstützt durch ein göttliches Zeichen erlangte dieser die Gunst des Königs und konnte nach der Ermordung des Priscus Tarquinius839 das Amt des Königs in Rom übernehmen.840 Wie Claudius’ Angabe – „insertus Servius Tullius, si nostros sequimur, captiva natus Ocresia“ ‒ vermuten lässt, hat die (wohl ursprünglichere) römische Überlieferung zur Herkunft des Servius Tullius noch bis in die Zeit des Prinzipats ihre Verfechter bzw. Anhänger gefunden. In seinem Exkurs trägt der Kaiser nun eine gänzlich andere Überlieferung zur Herkunft des Servius Tullius vor, bei der er sich auf etruskische Quellen beruft.841 Danach sei dieser unter seinem etruskischen Namen Mastarna ein treuer Begleiter des Caelius Vibenna, eines etruskischen Heerführers, gewesen. Nach der Vertreibung aus Etrurien habe Mastarna mit dem Rest des caelianischen Heeres in Rom einen Hügel eingenommen und diesen nach seinem Heerführer Caelius benannt. Ähnliches berichtet Tacitus im Zusammenhang mit dem Brand auf dem Caelius im Jahre 27 n. Chr. Danach habe Mastarna den Hügel als Wohnsitz vom König zum Dank für eine Hilfeleistung zugewiesen bekommen (Tac. ann. 4, 65).842 Claudius zufolge habe er den Namen Servius Tullius (‚ita appellatus est,

Liv. 1, 39, 5f. Zur Ableitung dieser Herkunft aufgrund des Namens ‚Servius’ (‚Sklave’): Cornell, The Beginnings of Rome, 131f. 838 Eine dritte Version, nach der Servius Tullius von einem Gott und einer Sklavin gezeugt worden sei, gibt Cornell, The Beginnings of Rome, 132f., wieder. 839 Nach Liv. 1, 40f. hatten die zwei Söhne des Ancus Marcius den König ermorden lassen, um die Nachfolge für sich zu sichern, was ihnen jedoch nicht gelang. 840 Liv. 1, 41-48. 841 Zu Claudius’ Version: Briquel, D., Claude, érudit et empereur, in: CRAI 1988, 217-232. Kuhoff, La Grande Roma dei Tarquini, 27-43. 842 „mox Caelium appellitatum a Caele Vibenna, qui dux gentis Etruscae, cum auxilio portavisset, sedem eam acceperat a Tarquinio Prisco, seu quis alius regum dedit; nam scriptores in eo dissentiunt.” 836 837

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ut dixi’) angenommen und schließlich die Königsherrschaft in der Stadt erlangt.843 Dass einige der Elemente aus der etruskischen Tradition, die Claudius vorträgt, den Historiographen wie auch Angehörigen der Oberschicht in Rom nicht unbekannt gewesen sind,844 zeigt die Erwähnung des Caelius Vibenna; sein Name bedarf keiner zusätzlichen Erklärung des Redners, und auch seine verschiedenen Reformmaßnahmen müssen der senatorischen Zuhörerschaft bekannt gewesen sein.845 Die etruskische Überlieferung wird durch Fresken gestützt, die im Jahr 1857 in einer Nekropole bei Vulci, der sog. Tomba Francois,846 entdeckt worden sind847 und deren Anfertigung auf die zweite Hälfte des 4. Jh. v. Chr. datiert wird. Sie zeigen Kampfszenen aus der griechischen Mythologie und der etruskischen Geschichte.848 Über den abgebildeten Personen sind in etruskischer Schrift ihre Namen angegeben, wie sie auch in der oratio Claudii zu finden sind: so etwa Macstrna (Mastarna), Avle (Aulus) und Caile Vipinas (Caeles Vibenna). Die entscheidende Szene zeigt, wie Mastarna die beiden Brüder Vibenna mit einem Schwert aus ihrer Gefangenschaft befreit; diese Episode unterstreicht Claudius’ Darstellung.849 Außer der breit angelegten Wiedergabe der etruskischen Überlieferung fällt auch die Beurteilung der Herrschaft des Servius Tullius auf, wie sie am Ende des Exkurses von Claudius ausgesprochen wird: „et regnum summa cum rei p(ublicae) utilitate optinuit“. Eine derartige Einschätzung ist einzigartig und an keiner anderen Stelle in der Rede zu finden. Mit seiner Beurteilung trägt der Kaiser offensichtlich der hohen Wertschätzung, die diesem König in der römischen Tradition entgegengebracht wurde, Rechnung. Das große Ansehen des sechsten Königs, der in eine Reihe mit Romulus und seinem Nachfolger Numa gestellt wird und als zweiter Staatsgründer erscheint, gründet sich u. a. auf eine Reform der römischen Verfassung und Gesellschaftsorganisation,850 bei der er das römische Volk Weeber, K.-W., Geschichte der Etrusker, Stuttgart u. a. 1979, 112f. Zur Bedeutung des Etruskischen in der Prinzipatszeit: Weeber, Geschichte der Etrusker, 179f. Bubenheimer-Erhart, F., Die Etrusker, Darmstadt 2014, 149-152. 845 Cornell, The Beginnings of Rome, 134f. 846 Buranelli, F., La tomba Francois di Vulci. Mostra organizzata in occasione del centocinquantesimo anniversario della fondazione del Museo Gregoriano Etrusco (1837-1987), Rom 1987, bes. 225-234. Cornell, The Beginnings of Rome, 135-140. 847 Aigner-Foresti, Die Etrusker und das frühe Rom, 127. Christofani, M. (Hg.), Die Etrusker, Stuttgart - Zürich 2009, 39. 848 Details bei Cornell, The Beginnings of Rome, 135-141. 849 Dazu bemerkt Cornell, The Beginnings of Rome, 138: “It seems evident that what is represented here is one of those adventures mentioned by Claudius, involving Caeles Vibenna and his faithfull companion Mastarna. The fact that Mastarna is shown releasing Caeles Vibenna seems to emphasise the special friendship between them, and is a most remarkable confirmation of Claudius’ words. This detail, in conjunction with all the other evidence, proves beyond doubt that Claudius was drawing, directly or indirectly, on a genuine Etruscan tradition.” 850 Thomsen, King Servius Tullius, 115-211. Linke, Von der Verwandtschaft zum Staat, 120124. 843 844

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in fünf Klassen mit 193 Centurien eingeteilt haben soll.851 Des Weiteren werden ihm die Ausweitung des städtischen Territoriums durch die Neufestsetzung des pomerium (unter Einbeziehung der drei Hügel Quirinalis, Viminalis und Esquilinus)852 sowie die Stiftung von Tempeln für die Göttinnen Diana und Fortuna zugeschrieben.853 Nicht zuletzt hielt auch die Befestigung der Stadt,854 die auf seine Veranlassung hin ausgeführt worden sein soll („aggere et fossis et muro circumdat urbem“ (Liv. 1, 44, 3), die memoria der Römer an diesen König in Ehren. Das Beispiel des Servius Tullius mit seiner – in der Deutung durch Claudius ‒ ‚fragwürdigen’ Herkunft soll einen Pragmatismus sichtbar werden lassen, der bereits in frühester Zeit die römische Politik kennzeichnet und sich durch die gesamte Geschichte Roms wie auch durch die Rede des Kaisers zieht: in Krisensituationen und Notlagen suchen die Verantwortlichen der Stadt (wie später des Imperiums) nach Lösungen, die notfalls sogar zum Bruch mit dem bestehenden mos führen, eine neue Tradition begründen und schließlich neuer Bestandteil des mos maiorum werden können, der eben nicht einen einmal festgelegten Verhaltenskodex beinhaltet, sondern Erfahrungen aus der Geschichte als neue Grundlagen für künftiges politisches Handeln in sich aufnimmt. Claudius stellt in diesem ausführlichen Exkurs die unterschiedlichen Quellen zur Herkunft eines wichtigen römischen Staatsmanns unvermittelt und ohne persönliche Beurteilung nebeneinander. Damit nimmt er scheinbar die Rolle eines ‚objektiven’ Historikers ein, der die Einschätzung und Bewertung der Quellen hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit und Plausibilität zunächst offen hält und den Zuhörern überlässt. Allerdings sprechen die umfangreichere Darstellung der etruskischen Quelle wie auch die große Wertschätzung, wie sie der Redner bezüglich der Herrschaft des Servius Tullius in seinen Worten zum Ausdruck bringt, deutlich dafür, dass er in diesem Fall der etruskischen Version der Geschichte ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit zuerkennt als der römischen Tradition. I 24-27: deinde postquam Tarquini Superbi mores invisi civitati nostro esse coeperunt, qua ipsius qua filiorum ei[us], nempe pertaesum est mentes regni, et ad consules, annuos magistratus, administratio rei p(ublicae) translata est.: deinde: weist auf quondam (I 8) zurück. mores: Betragen, Verhalten; qua – qua: im Sinne von et – et;

851 Liv. 1, 42, 4 - 44, 1. - Zur Tradition über die Reformen des Servius Tullius: Cornell, The Beginnings of Rome, 173-197. 852 Liv. 1, 44, 3-5. Strab. 5, 3, 7, 234C. 853 Liv. 1, 45. Zum Dianatempel: Strab. 4, 1, 5, 180C. - Alföldi, Das frühe Rom und die Latiner, 82-94. - Zum Tempel der Fortuna: Cornell, The Beginnings of Rome, 146. 854 Andreussi, M., „Murus Servii Tullii”; Mura repubblicane.’, in: LTUR 3, 1996, 319-324. Cornell, The Beginnings of Rome, 198-202.

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mentes: ist um civium zu ergänzen; mentes steht als Metapher für die Personen selbst. ad consules, annuos magistratus: unterstreicht den Gegensatz zu reges in Z. I 8. administratio rei p(ublicae): (‚Leitung’, ‚Führung’ des Staatswesens) bildet einen Gegensatz zum vorhergehenden regnum (‚Königsherrschaft’) und hebt gleichzeitig grundlegende Unterschiede zwischen den beiden Formen der Herrschaftsausübung ‒ Monarchie und Republik ‒ hervor: 1. die Verteilung der Regierungsgewalt auf mehrere Personen (durch das Prinzip der Kollegialität) und 2. die Beschränkung der Amtszeit auf ein Jahr (mit dem Prinzip der Annuität). et ad consules855 … administratio rei p(ublicae) translata est: hierzu bemerkt Perl: „Auf die Einzelbeispiele für auswärtige Könige hätten in republikanischer Zeit ganze Volksstämme folgen müssen (wie sie Tacitus ann. 11, 24, 2 aufzählt); doch Claudius geht zu den Wandlungen der Verfassung über. Bezeichnend ist, daß Tacitus den Claudius die Einwanderung seines Ahnen Clausus aus dem Sabinerland als erstes Beispiel erwähnen läßt; das persönliche Beispiel behält sich Claudius aber gerade für eine ganz besondere Pointe gegen Schluß vor (s. zu II 26ff.).“856 Seine ausführliche Darstellung von ‚Neuerungen im Staat’ mit exempla aus der Königszeit schließt Claudius mit dem Hinweis auf die Abschaffung des Königtums infolge des Machtmissbrauchs des (letzten) Amtsinhabers Tarquinius Superbus und seiner Söhne ab.857 Anders als im vorhergehenden Teil der Rede unterlässt es der Kaiser an dieser Stelle, den Übergang von der Monarchie zur res publica detaillierter darzustellen oder unterschiedliche Überlieferungen zu diesem Wechsel der Staatsverfassung vorzutragen. Sein Verzicht auf die Wiedergabe von Einzelheiten zum Übergang der Regierungsgewalt oder auf die Nennung von Namen der neuen Amtsträger ist verständlich, wenn man sich vor Augen hält, dass ihre Erwähnung bei den Zuhörern unliebsame Assoziationen an die Ermordung Caesars (und an den anschließenden Bürgerkrieg wie auch an Augustus’ Machtübernahme) hätten auslösen können. So lässt der Redner auch bewusst die Frage offen, ob die Ausschaltung und Vertreibung der Könige durch einen einzigen ‚revolutionären Akt’ oder durch eine Aushöhlung bzw. Ablösung der Machtstellung der Könige über 855 Zur geschichtlichen Entwicklung des Konsulats, das erst nach den Ständekämpfen zum Oberamt wurde: Mommsen, Staatsrecht II, 74-140. Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, 105f. Broughton, The Magistrates of the Roman Republic, Bd. 1,1f. Rainer, Römisches Staatsrecht, 70-73. Bleicken, J., Geschichte der römischen Republik (OGG Bd. 2), München 62004, 130-132. Cornell, The Beginnings of Rome, 226-230. Beck, H. u. a. (Hg.), Consuls and res publica. Holding High Office in the Roman Republic, Cambridge 2011. 856 Perl, Die Rede des Kaisers, 124. 857 Liv. 1, 49, 1-7; 57, 10 - 59, 3. - Literatur zur Regierung und Vertreibung des Tarquinius Superbus in Kap. IV. 3, S. 120, Anm. 609.

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einen längeren Zeitraum hinweg erfolgt ist, und beschränkt sich stattdessen auf eine im Gegensatz zu der zuvor in ‚epischer Breite’ vorgetragenen Darstellung der exempla aus der Zeit der Könige nunmehr auf eine äußerst knapp gehaltene Feststellung, in der er das Ergebnis dieser Entwicklung prägnant zusammenfasst: „et ad consules, annuos magistratus, administratio rei p(ublicae) translata est“ (I 26f.).858 Entscheidend für den Gedankengang des Prinzeps ist die Abkehr Roms von einer Herrschaftsform, an deren Spitze ein Einziger stand, dem die Ausübung der Regierungsgewalt auf Lebenszeit übertragen worden war, und die Hinwendung zu einem politischen System, in dem die Herrschaft in Rom nicht mehr einem Einzigen anvertraut wird, sondern auf mehrere Personen verteilt und deren Amtszeit gleichzeitig auf die Dauer eines Jahr begrenzt ist. Claudius äußert sich auch nicht zur Anzahl der als consules bezeichneten Nachfolger der Könige; es kommt ihm hier einzig auf die Betonung einer Mehrzahl von Amtsträgern an. Mit diesen Vorgängen, die in Wirklichkeit eine ‚Umwälzung der bestehenden Ordnung’, also eine ‚Revolution’ und damit grundlegend Neues darstellten, waren zwei wesentliche Grundlagen für die Verfassung der neu geschaffenen Republik gegeben: durch die Prinzipien der ‚Kollegialität’ und der ‚Annuität’859 unterschied sich die neue staatliche Ordnung radikal von der bisherigen Staatsform, der Monarchie, die eben auf der lebenslangen Herrschaft eines Einzigen beruht hatte. Wenn Claudius diese ‚republikanischen Fortschritte’ mit dem Ende der Königsherrschaft verknüpft, so entspricht seine Auffassung der allgemeinen römischen Geschichtstradition, die sich auf die Sicht und Darstellung der Annalistik gründete. An dieser Stelle beendet der Redner seinen bisherigen Gedankengang mit exempla aus der Königszeit und geht zu den ‚Wandlungen’ der Verfassung in republikanischer Zeit über;860 auch diese sind als ‚Neuerungen’ zu verstehen. Bei der Darstellung dieser Veränderungen hat sich Claudius wiederum eng an die von Livius frei gestaltete Rede des Canuleius (Liv 4, 3-5) angelehnt,861 die ihm inhaltlich wie auch sprachlich als Vorlage diente.862 I 28-30: Quid nunc commemorem dictaturae hoc ipso consulari imperium valentius repertum apud maiores nostros, quo in a[s]perioribus bellis aut in civili motu difficiliore uterentur?: 858 In ähnlich knapper Form hatte sich Livius zum Ende der Königszeit geäußert: „Duo consules inde comitiis centuriatis a praefecto urbis ex commentariis Ser. Tulli creati sunt, L. Iunius Brutus et L. Tarquinius Collatinus L. Tarquinius Superbus regnavit annos quinque et viginti. Regnatum Romae ab condita urbe ad liberatam annos ducentos quadraginta quattuor.” (1, 60, 3f.) 859 Zu diesen Prinzipien: Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, 100-102. 860 Perl, Die Rede des Kaisers, 124. 861 Zur Rede des Canuleius: Ogilvie, A Commentary of Livy Books 1-5, 527-538. 862 Perl, Die Rede des Kaisers, 125.

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commemorem dictaturae: commemorare ist hier - wohl in Anlehnung an memorare - mit einem Genitivobjekt (statt eines Akkusativobjekts) verbunden. imperium: Amtsgewalt, Amt; in a[s]perioribus bellis aut in civili motu difficiliore: Chiasmus; Zur Beschränkung der Diktatur vgl. Cic. leg. 3, 9, wonach die Diktatur eintritt, ‚quando duellum gravius [gravioresve] discordiae civium escunt’.863 Die ausführlichen Einzelbeispiele über ‚auswärtige’ Könige, mit denen Claudius den frühen gesellschaftlichen Fortschritt Roms gegenüber den Städten des Umlands hervorhebt, lassen eine Fortsetzung entsprechender exempla für ‚Neuerungen’ bzw. ‚Veränderungen der Verfassungsform’ in der Zeit der Republik erwarten. Stattdessen beschränkt sich der Redner auf eine knappe und unvollständige Auflistung von Ämtern, denen in republikanischer Zeit wichtige Funktionen zugekommen waren. Auch wenn einige von ihnen nur vorübergehend bestanden hatten, stellten sie doch aus der Sicht des Kaisers in jedem Fall eine erhebliche ‚Neuerung’ bzw. ‚Verfassungsänderung’ dar, die unter der Maßgabe der salus rei publicae erforderlich gewesen waren und Aufnahme in den mos maiorum gefunden hatten. Mit seinen Äußerungen unterstreicht der Kaiser nochmals seine Auffassung, dass Veränderungen oder Neuerungen für ihn entscheidende Merkmale der römischen Verfassungsentwicklung und der Verfassungswirklichkeit bilden, vor deren Hintergrund sein Antrag (und seine Rede) beurteilt werden müssen. Es fällt auf, dass Claudius bei seinen Beispielen für republikanische Ämter auch auf solche Magistraturen zurückgreift, die zum Teil in der Zeit der Republik zunächst neu eingerichtet, dann jedoch wieder abgeschafft wurden, wie etwa das Amt der decemviri oder der tribuni militum consulari imperio; ähnliches lässt sich über das Amt des Diktators sagen, das nach Caesars Ermordung auf Antrag des Marcus Antonius abgeschafft wurde.864 Mit der Nennung dieser Ämter verlängert der Kaiser seine Beweiskette für Neuerungen im Staat fast bis in die Gegenwart hinein und verdeutlicht zugleich die pragmatische Einstellung Roms und seiner politischen Führung in dieser Frage: wenn die Situation es erfordert, werden Neuerungen eingeführt; dienen diese aus der Sicht der Amtsträger (oder der plebs) nicht mehr dem Staatswohl, werden sie abgeschafft und, falls erforderlich, durch eine weitere Neuerung ersetzt.865 Überraschend leitet Claudius seine Ausführungen zu diesem Redeabschnitt mit dem Hinweis auf ein Amt ein, das zunächst im Widerspruch zu den für die Besetzung republikanischen Ämter geltenden Regeln zu stehen scheint. Er spricht von der Einrichtung der dictatura,866 ei-

Nipperdey-Andresen, Tacitus, 318. Cass. Dio 44, 51, 2. - Rainer, Römisches Staatsrecht, 186. 865 So kann z. B. die Einrichtung des Triumvirats als Ersatz der Diktatur aufgefasst werden (Syme, Die römische Revolution, 195f.). 866 Die Forschung unterscheidet zwei Formen der römischen Diktatur: 1) die ältere oder auch vorsullanische Diktatur und 2) die jüngere Diktatur unter Sulla und Caesar. 863 864

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nem magistratus extraordinarius, dessen Amtsgewalt die der consules weit übersteigt.867 Diese außergewöhnliche Form der Herrschaftsausübung ist nach den Worten des Redners nur „in asperioribus bellis aut in civili motu difficiliore“ zulässig. Mit dieser Formulierung bezieht sich der Kaiser eindeutig auf die Form der sog. älteren Diktatur, auf das republikanische ‚Notstandsamt’868 der Zeit vor Sulla. Weil den vor ihm sitzenden Senatoren vor allem die Diktatur Sullas und Caesars bekannt ist, ist die Erwähnung dieses Amtes jedoch nicht unproblematisch. Gerade aber am Beispiel dieses Amtes versucht der Kaiser, seinen Zuhörern deutlich zu machen, dass ‚Neuerungen’ der Verfassung erforderlich sind, wenn und solange es um den Bestand und die Zukunft des Staates geht. Die Institution der dictatura hatte ihre Berechtigung, weil sie im mos maiorum verankert und allgemein akzeptiert war; sie sicherte das Überleben der res publica. Mit seiner Formulierung nimmt Claudius den unausgesprochenen Einwand auf, dass die ‚dictatura’ als Rückkehr der Monarchie und damit als ein Rückschritt in der politischen Entwicklung verstanden werden könnte. Durch die Betonung der besonderen Krisensituation als Voraussetzung für die Übertragung der gesamten staatlichen Gewalt auf eine einzige Person weist er jegliche Parallele zwischen der Diktatur als Ausnahmezustand und der früheren Königsherrschaft zurück, zumal in der Zeit der Republik der Diktator fast ausnahmslos in Fällen der militärischen Gefährdung von außen berufen worden war, worauf u. a. auch die Bezeichnung ‚magister equitum’ für den vom Diktator ernannten wichtigste Mitarbeiter und Stellvertreter hinweist.869 Diese aus Claudius’ Sicht ‚positive’ Form der Diktatur ist nach seiner Auffassung durch die Amtsführung und Amtsausübung Sullas (‚dictator legibus scriÜber die Entstehung der sog. älteren Form der Diktatur: Liv 2, 18, 4-5; Cic. rep. 1, 40, 63 und 2, 32, 56. - Liebenam, W., ‚Dictator’, in: RE V,1, 1903, 370-390. Wilcken, U., Zur Entwicklung der römischen Diktatur, in: Abhandlungen der Preuß. Akademie d. Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Nr. 1, Berlin, 1940, 1-32. von Lübtow, U., Die römische Diktatur, in: E. Fraenkel (Hg.), Der Staatsnotstand. Vorträge gehalten im Sommersemester 1964 am OttoSuhr-Institut der Freien Universität, Berlin 1965, 91-137; zu Sulla 128-132, zu Caesars Diktatur 132-136. Irmscher, J., Die Diktatur – Versuch einer Begriffsbestimmung, in: Klio 58, 1976, 273-287. 867 Auf eine ausführliche Wiedergabe der Details zur Berufung, zu den Kompetenzen und zur Amtsführung des Diktators wird an dieser Stelle verzichtet und auf Bleickens Darstellung dieser besonderen Magistratur verwiesen: Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, 112-114. 868 Die Benennung eines Diktators in vorsullanischer Zeit kann auch als ‚Personifizierung des Notstandrechts’ aufgefasst werden. Nach Bleicken diente sie bis 202 v. Chr. ausnahmslos der Niederwerfung eines äußeren Feindes (‚dictator rei gerundae causa’). Erst in der Spätzeit der Republik kam der Aspekt „in civili motu difficiliore“ als Ausgangspunkt einer Diktatur zum Tragen, die damit eine völlig andere Form und Zielsetzung (‚dictator rei publicae constituendae causa’) erhielt. Zugleich bekam der Begriff selbst einen pejorativen Sinn, den er ursprünglich nicht hatte (Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, 112f.). 869 Abbott, F. F., A History and Description of Roman Political Institutions, New York 1963, 183f. (Nr. 193).

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bundis et rei publicae constituendae causa’)870 und Caesars (‚dictator perpetuus’)871 pervertiert worden, indem diese das Amt zur Etablierung ihrer innenpolitischen Vormachtstellung nutzten und vor allem durch die von Sulla veranlassten Proskriptionen872 in Verruf gebracht hatten. Ganz bewusst übergeht der Redner diese beiden Staatsmänner; sie haben in seinen Augen das Amt für persönliche Zwecke missbraucht, seine Grundlagen zerstört und für die Zukunft in Misskredit gebracht und überflüssig gemacht, da es nicht mehr dem Staatswohl diente und im Widerspruch zum mos maiorum stand. Es war daher im Grunde nur folgerichtig, dass die Diktatur im Jahr 44 v. Chr. formell abgeschafft wurde.873 Auch das mit ähnlichen Machtbefugnissen wie die Diktatur ausgestattete Triumvirat874 des Jahres 43 v. Chr. zwischen Oktavian, Antonius und Lepidus, dessen 870 Zu Sulla und seiner Diktatur: Hantos, Th., Res publica constituta. Die Verfassung des Dictators Sulla (Hermes Einzelschriften 50), Wiesbaden - Stuttgart 1988. Hurlet, F., La dictature de Sylla: monarchie ou magistrature républicaine? Essau d’histoire constitutionelle, Brüssel - Rome 1993. Letzner, W., Lucius Cornelius Sulla. Versuch einer Biographie (Schriften zur Geschichte des Altertums 1), Münster 2000. Christ, K., Sulla. Eine römische Karriere, München 2002, 32005. Fündling, J., Sulla (Gestalten der Antike), Darmstadt 2010. 871 Zu Caesars Diktatur: Jehne, Der Staat des Dictators Caesar, bes. 15-42. Auch: Canfora, L., Caesar. Der demokratische Diktator. Eine Biographie, München 2001 (zuerst Rom - Bari 1999). Einen Vergleich der beiden jüngeren Diktaturen bringt: Ingrisch, F., Sullas „dictatura rei publicae constituendae“ und Caesars „dictatura rei gerendae“. Ein Vergleich, Berlin 2007. 872 Zu Sullas Proskriptionen: Hinard, F., Les proscriptions de la Rome républicaine (Collection de l’école française de Rome 83), Rom 1985, 17-144. Letzner, Sulla, 246-270. Christ, Sulla, 113-121. 873 Cass. Dio, 44, 51, 2. - von Lübtow, Diktatur, 136f. Kienast, Augustus, 37. Blösel, W., Die römische Republik. Forum und Expansion, München 2015, 249. 874 Zum Triumvirat als außerordentlichem Magistrat: Eder, W., ‚Tresviri [3]’, in: DNP 12/1, 2002, Bleicken, Geschichte der Römische Republik, 89-91 und 241f. Bringmann, K., Das zweite Triumvirat. Bemerkungen zu Mommsens Lehre von der außerordentlichen konstituierenden Gewalt, in: P. Kneißl - V. Losemann (Hg.), Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte. Festschrift für K. Christ zum 65. Geburtstag, Darmstadt 1988, 22-38. Dieses zunächst auf 5 Jahre befristete und auf einem Gesetz des Senats beruhende Triumvirat wird in der modernen Literatur häufig als ‚Zweites Triumvirat’ bezeichnet. Das als ‚erstes’ bezeichnete Triumvirat von 60 v. Chr. stellte aus staatsrechtlicher Sicht lediglich eine private Vereinbarung (‚coitio’) zwischen Caesar, Pompeius und Crassus dar. Dazu vermerkt Sueton (Iul. 19, 2): „ac societatem cum utroque iniit, ne quid ageretur in re publica, quod displicuisset ulli e tribus“. Zur rechtlichen Bewertung: Rainer, Römisches Staatsrecht, 171: „Es [das 1.Triumvirat] ist eine politische Willenskundgebung und kein staatsrechtliches Faktum.“ Zum 1. Triumvirat: Suet. Iul. 19, 2. Cass. Dio 37, 55-58. - Christ, K., Krise und Untergang der römischen Republik, Darmstadt 1979, 82013, 288-291. Gelzer, M., Pompeius. Lebensbild eines Römers (Neudruck der Ausgabe von 1984 mit einem Forschungsüberblick und einer Ergänzungsbibliographie von E. Hermann-Otto), Stuttgart 2005, 123-140 (Erstausgabe München 1949). Syme, Die römische Revolution, 42-47. Christ, K., Pompeius. Der Feldherr Roms. Eine Biographie, München 2004, 104-119. Baltrusch, E., Caesar und Pompeius (Geschichte kompakt), Darmstadt 2004, 32011, 50-53 und 79-84. Blösel, Die römische Republik, 224-232.

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Aufgabenstellung (‚tresviri rei publicae constituendae causa’875) an die Übernahme der Diktatur durch Sulla erinnert, findet in Claudius’ Rede keine Erwähnung. Der Grund dafür liegt ebenfalls in den Proskriptionen, die von den Triumvirn mit ihrer Machtübernahme verbunden gewesen waren876 und den ersten Prinzeps und die memoria an ihn schwer belasteten. Mit der Errichtung des Prinzipats verfügten Augustus und seine Nachfolger durch die Zuerkennung des imperium proconsulare und der tribunicia potestas über die wichtigsten Machtbefugnisse, so dass sich ein Rückgriff auf die Diktatur erübrigte und als Mittel zur Herrschaftsbehauptung ausschied. Auch das Triumvirat hatte sich somit als eine nur kurzzeitige und vorübergehende ‚Neuerung’ erwiesen und wegen seiner Begleiterscheinungen als staatsrechtliche Institution disqualifiziert. I 31: aut in auxilium plebis creatos tribunos plebei?: auxilium plebis … tribunos plebei: Parallelismus; plebei: Genitiv zu plebes (alte Form von plebs), vgl. Liv. 2, 33, 2; Die in die Form rhetorischer Fragen gekleidete Aufzählung republikanischer Amtsträger und ihrer Aufgaben verdeutlicht zwei Aspekte der ‚Wandlungen’ der Verfassung dieser Zeit. Zum einen zeigt die Entstehung bzw. Einrichtung neuer Ämter, dass die Aufgaben der städtischen/staatlichen Beamten und ihre Erfüllung innerhalb der vorhandenen Magistraturen umfassender und komplexer geworden sind und zugleich nach einer größeren Spezialisierung und Aufgabenteilung verlangen. Zum andern erfordert diese Entwicklung auch eine Ausweitung der Zahl der Amtsinhaber. So wird die bisher praktizierte Besetzung von Ämtern mit in der Regel jeweils zwei Amtsträgern, die sich als eine Folge der sog. Ständekämpfe ergeben hatte,877 entsprechend den Erfordernissen auf eine umfassendere Mehrzahl bzw. Vielzahl erweitert, wie sie beispielsweise der Hinweis über die Anzahl der Militärtribunen verdeutlicht: „seni et saepe octoni“ (I 35). Dass der Kaiser auf eine detaillierte Darstellung aller republikanischen Ämter verzichtet, lässt sich aus der Tatsache erklären, dass die staatlichen Einrichtungen und Zum 2. Triumvirat: Suet. Aug. 13, 1. Cass. Dio 46, 55f.- 47, 2, 1. - Kolbe, W., Der zweite Triumvirat, in: Hermes 49, 1914, 273-295. Christ, Krise und Untergang 433-436. Kienast, Augustus, 37-41. Bleicken, J., Zwischen Republik und Prinzipat. Zum Charakter des Zweiten Triumvirats (Abh. Göttingen phil.-histor. Kl. 3. F., 185), Göttingen 1990. Bringmann, Geschichte der römischen Republik, 395-408. Blösel, Die römische Republik, 256-260. 875 Kienast - Eck - Heil, Kaisertabelle, 57. 876 Zu den Proskriptionen: Bengtson, H., Zu den Proskriptionen der Triumvirn, SB d. Bayer. Akad. d. Wiss. Jg. 1972, Heft 3, München 1972. Kienast, Augustus, 37-41. Hinard, Les pro scriptions, 227-318. Syme, Die römische Revolution, 194-208 (passim auch zum 2. Triumvirat). 877 Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, 100f. – Claudius verband die Kollegialität mit Bezug auf Livius 1, 60, 4, mit dem Ende des Königtums („Duo consules inde comitiis centuriatis a praefecto urbis ex commentariis Ser. Tulli creati sunt, L. Iunius Brutus et L. Tarquinius Collatinus.“)

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Ämter seinen Zuhörern bestens bekannt und vertraut sind, bilden diese Institutionen doch die Grundlagen des politischen Systems, auf das die gesellschaftliche und politische Position der Senatsmitglieder gegründet ist. Genau diese Einrichtungen der Republik waren es, die auch Augustus, der Begründer des Prinzipats, ganz bewusst im Jahre 27 v. Chr. akzeptiert und übernommen hatte.878 Das Amt der tribuni plebis bzw. tribuni plebei879 wird von Livius erstmals für das Jahr 494 v. Chr. erwähnt. Demnach stand die Wahl der ersten beiden Volkstribunen880 in engem Zusammenhang mit dem ersten Auszug der plebs aus der Stadt (‚sessio plebis’). Die ‚Volkstribunen’ sollten „die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen und Forderungen der plebs (nach ihrer Rückkehr in die Stadt) vertreten und durchsetzen“881 („in auxilium plebis creati“). Wie Livius unter Berufung auf den Historiographen L. Calpurnius Piso angibt, wurden die Volkstribunen erstmals 471 v. Chr. von den comitia tributa gewählt und ihre Zahl auf fünf erhöht (Liv. 2, 58, 1f.). 457 erfolgte die Wahl von zehn tribuni plebis; diese Anzahl wurde für die Zukunft festgeschrieben und beibehalten (Liv. 3, 30, 5 und 7). Auch bei der Erwähnung der Volkstribunen folgt Claudius wieder der livianischen Version, wie seine Erwähnung der Aufgaben dieser neuen Amtsträger verdeutlicht; Livius hatte eine ähnliche Formulierung, jedoch mit einer deutlichen Spitze gegen die Konsuln verwendet: „ut plebi sui magistratus essent sacrosancti, quibus auxilii latio adversus consules esset“ (2, 33 1f.). In der Zeit des Prinzipats besaßen Augustus und seine Nachfolger die tribunicia potestas, ohne jedoch den Titel eines Volkstribuns anzunehmen (Cass. Dio 53, 32, 5f.). Das Amt der tribuni plebis blieb bestehen (Cass. Dio 60, 12, 8 und 16, 7), die Amtsträger waren nunmehr überwiegend auf die Ausübung der mit dem Amt verbundenen Ehrenrechte beschränkt (Plin. epist. 1, 23, 1).882 Für Claudius, dem die tribunicia potestas gleich zu Beginn seiner Herrschaft und insgesamt vierzehn Mal übertragen worden war und der diese wie die anderen principes nach Jahren amtlich zählte,883 war die Übertragung der tribunizische Gewalt in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Sie gab ihm wie allen Kaisern zum Dahlheim, W., Geschichte der römischen Kaiserzeit (OGG 3), München 32003, 7f. Zur Herausbildung der tribuni plebis und ihrer Aufgaben: Lengle, J., ‚Tribunus 13’, in: RE VI A,2, 1937, 2454-2490. Mommsen, Staatsrecht II, 272-330. Bleicken, J., Das Volkstribunat der klassischen Republik. Studien zu seiner Entwicklung zwischen 287 und 153 v. Chr. (Zetemata 13), München 1955, 21968. Bleicken, J., Das römische Volkstribunat. Versuch einer Anlayse seiner politischen Funktion in republikanischer Zeit, in: Chiron 11, 1955, 87-108. Eder, W., Zwischen Monarchie und Republik: Das Volkstribunat in der frühen römischen Republik, in: Bilancio critico su Roma arcaica ra monarchia e repubblica in memoria di F. Castagnoli (Roma, 3-4 giugno 1991), Rom 1993, 97-127. Badian, E., Tribuni Plebis and Res Publica, in: J. Linderski (Hg.), Imperium sine fine: T. R. S. Broughton and the Roman Republic (Historia Einzelschriften 105), Stuttgart 1996, 187-213. 880 Liv. 2, 33, 2: „Ita tribuni plebei creati duo“. 881 De Libero, L., ‚Tribunus [7], DNP 12/1, 798. 882 Zum Volkstribunat in der Prinzipatszeit: Rainer, Römisches Staatsrecht, 249. 883 Kienast - Eck - Heil, Kaisertabelle, 83. 878 879

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einen die persönliche Unverletzlichkeit,884 zum andern gestattete das zu den Befugnissen eines Volkstribuns zählende ius auxilii sowie das ius intercessionis dem Kaiser, sich in der Öffentlichkeit als Anwalt der plebs zu repräsentieren und als ihr patronus aufzutreten. I 31-33: quid a consulibus ad decemviros translatum imperium solutoque postea decemvirali regno ad consules rusus red‹d›itum?: translatum imperium: ist mit esse zu ergänzen. Die Formulierung „a consulibus ad decemviros translatum imperium“ findet sich in ähnlicher Form bei Livius 3, 33, 1. rusus: altlat. für rursus; red‹d›itum: (zu ergänzen esse) ist wie translatum ein Verbum finitum: Perl sieht hier eine parallele Konstruktion mit Annahme einer Haplographie: red‹d›itum scil. imperium (wie zuvor translatum imperium).885 solutoque postea decemvirali regno: Mit der Bezeichnung regnum für das Decemvirat folgt Claudius einer republikanischen Tradition.886 Claudius hat an dieser Stelle der Rede die beiden Decemvirate im Blick, von denen Livius für die Jahre 451/450 v. Chr. berichtet. Nach Livius’ Darstellung hatten nach anhaltenden Streitigkeiten Volk und Senat die Einsetzung einer Kommission aus zehn Mitgliedern als außerordentliche Magistrate für die Dauer eines Jahres mit unbeschränkter Vollmacht beschlossen. Die decemviri887 sollten eine schriftliche Fixierung (Kodifikation) des bis dahin praktizierten Rechts vornehmen: „ut tandem scribendarum legum initium fieret“ (Liv. 3, 31, 7). Livius betrachtet die Wahl dieser decemviri als eine Verfassungsänderung, die er dem Übergang vom Königtum zur Republik gleichstellt, auch wenn diese Änderung nicht von Dauer war, wie Livius 3, 33, 1 vermerkt: „Anno trecentesimo altero, quam condita Roma erat, iterum mutatur forma civitatis, ab consulibus ad decemviros, quemadmodum ab regibus ante ad consules venerat, translato imperio. Minus insignis, quia non diuturna, mutatio fuit.” Damit diese Aufgabe unbeeinflusst von anderen Magistraten von den decemviri erfüllt werden konnte, wurden für den Zeitraum ihrer Tätigkeit keine weiteren Die Unverletzlichkeit der Volkstribunen wird erstmals in Liv. 3, 55, 6f. erwähnt. Dazu Perl, Die Rede des Kaisers, 125f.: „Diese Fehlerart ist so häufig anzutreffen, daß ich mich wundere, diese einfache Korrektur nirgends gefunden zu haben. Man muß bedenken, daß das Senatsprotokoll der Claudiusrede auf einem Stenogramm des notarius beruhte, und die schlecht artikulierte Sprache des Claudius war als schwer verständlich verrufen; aus den Senatsakten wurde eine Abschrift (mit Lesehilfen) angefertigt, von der ein Graveur den Text auf die Bronzetafel übertrug – Gelegenheit für Hör- und Schreibfehler mancher Art.“ 886 Perl, Die Rede des Kaisers, 125. 887 Kübler, B., ‚Decemviri 2.’, in: RE IV, 1901, 2557-2260. Gizewski, C., ‚Decemviri’, in: DNP 3, 1997, 342f. Cornell, The Beginnings of Rome, 272-276. Linke, Von der Verwandtschaft zum Staat, 163-166. 884 885

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Magistrate gewählt. Nachdem die Kommission ihre Arbeit weitgehend abgeschlossen und das Recht auf zehn Tafeln fixiert hatte, wurde für die noch erforderliche Arbeit, die zwei weitere Tafeln benötigen sollte, ein neuer Decemvirat gewählt, dessen Mitglieder ihre unbeschränkte Vollmacht missbrauchten und eine Terrorherrschaft befürchten ließen: „Decem regum species erat multiplicatusque terror non infimis solum“ (Liv. 3, 36, 5). Die Mitglieder des 2. Decemvirats hätten auf ihren Machtpositionen beharrt und seien erst nach langwierigen Auseinandersetzungen (Liv. 3, 38-54, 5) durch einen Aufstand zum Rücktritt gezwungen worden (Liv. 3, 54, 6f.). Offensichtlich ist der Machtmissbrauch dieser Decemvirn in der römischen Tradition mit der Amtsführung des letzten Königs Tarquinius Superbus gleichgesetzt worden, wie die Formulierung von einem ‚decemvirale regnum’ erkennen lässt. Der historische Gehalt der livianischen Erzählung über die Decemvirn, vor allem zum zweiten Decemvirat, wie auch seine Angaben zur Entstehung der Zwölftafeln ist in der Forschung sehr umstritten.888 Das aus der Arbeit vor allem des ersten Decemvirats hervorgegangene sog. Zwölftafelgesetz (‚lex tabularum duodecim’)889 soll nach der Überlieferung auf Tafeln aus Bronze oder Holz aufgeschrieben und öffentlich aufgestellt worden sein; bei der Eroberung Roms durch die Gallier 387 v. Chr. sollen die Tafeln völlig zerstört worden sein. Die Kodifikation des bislang geltenden Rechts, vor allem auch die Möglichkeit der ‚Einsichtnahme’ durch die Einwohnerschaft, vermittelten eine neue Form von Rechtssicherheit für jedermann in der Stadt. Für die Römer bildete das Zwölftafelgesetz die wichtigste Grundlage ihres gesamten Rechtslebens wie auch für die weitere Entwicklung ihres Rechts. I 33-35: quid in [pl]uris distributum consulare imperium tribunosque mil[itu]m consulari imperio appellatos, qui seni et saepe octoni crearentur?: quid in [pl]uris distributum consulare imperium: distribuere in steht gewöhnlich mit dem Akkusativ; für die Verbindung mit dem Ablativ bringt ThLL V, 1, Sp. 1546, zwei Beispiele: „Verec.: in cant. 2, 9 licet diversi sint in partibus distributi“ und „ibidem: naturalis humani generis soliditas quibusdam est distributa“. 888 So u. a. von: Täubler, E., Untersuchungen zur Geschichte des Decemvirats und der Zwölftafeln (Historische Studien 148), Berlin 1921. von Ungern-Sternberg, J., The Formation of the “Annalistic Tradition”: The Example of the Decemvirate, in: K. A. Raaflaub (Hg.), Social Struggles in Archaic Rome. New Perspectives on the Conflict of the Orders, Berkeley - Los Angeles - London 1986, 77-104. Flach, D., Die Gesetze der frühen römischen Republik. Text und Kommentar, Darmstadt 1994, 104-108. 889 Zu Inhalt und Bedeutung des Zwölftafelgesetzes: Das Zwölftafelgesetz/Leges XII tabularum. Hg., übersetzt und kommentiert von D. Flach (Texte zur Forschung 83), Darmstadt 2004, 1-33 (Einleitung). - Berger, A., ‚Tabulae duodecim = Zwölftafeln’, in: RE IV, A2, 1932, 1900-1949. Schiemann, G., ‚Tabulae duodecim’, in: DNP 11, 2001, 1200-1202. Flach, Gesetze, 109-207. - Eine Übersicht zu den verschiedenen Theorien der Entstehung und der Überlieferungsgeschichte der Zwölf-Tafeln auch bei Bleicken, Geschichte der römischen Republik, 129f.

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consulare imperium: vgl. dazu die Formulierung „administratio rei p(ublicae)“ in I 26f., durch die eine deutlich schwächere Machtposition (für das ursprüngliche Konsulat) bezeichnet ist. seni et saepe octoni: zur Zahl der Militärtribunen vgl. Liv. 6, 37, 6: „qui octona loca tribunis militum creandis occupare soliti sint“. Claudius bringt mit der Nennung der tribuni militum consulari imperio890 wieder ein Beispiel für eine staatliche Institution, die aufgrund einer besonderen Situation in Rom vom bisher geltenden mos maiorum abweicht: statt der zwei Konsuln werden Militärtribune mit consularischer potestas gewählt. In der römischen Tradition wird dieser außerordentliche Magistrat, der aus drei bis sechs Mitgliedern bestanden haben soll, für die Zeit zwischen 444 und 367 v. Chr. angesetzt. Bezeichnung, Charakter und Funktionen dieser Institution sind in der modernen Forschung stark umstritten.891 Mit der Erwähnung der decemviri und der tribuni militum consulari potestate erinnert Claudius an zwei ‚Neuerungen’ bzw. Verfassungsänderungen, die in der Zeit der Ständekämpfe892 vorübergehend oder für eine längere Dauer die regulä-

Die ‚tribuni militum consulari imperio’ werden erstmals bei Livius im Anschluss an die Rede des Canuleius (Liv. 4, 6, 8) erwähnt. Die Einrichtung dieses Amtes sollte auch dazu dienen, Plebejern, die für dieses Amt wählbar waren, den Zugang zum höchsten Staatsamt zu ermöglichen; nach Erkenntnissen der Forschung wurde dieses Amt aber fast ausschließlich mit Patriziern besetzt: Bunse, R., Das römische Oberamt in der frühen Republik und das Problem der „Konsulartribunen“ (Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium BAC 31), Trier 1998, 100-104 und 123-154. - Lengle, J., ‚Tribunus 10’, in: RE VI A,2, 1937, 24482453. de Libero, L., ‚Tribunus [5] T. militum consulari potestate’, in: DNP 12/1, 2002, 797f. Mommsen, Staatsrecht II, 181-192. Abbott, Roman Political Institutions, 184-186 (Nr. 194196). Sohlberg, D., Militärtribunen und verwandte Probleme in der frühen römischen Republik, in: Historia 40, 1991, 257-274 891 Ridley, R. T., The ‘Consular Tribunate’: The Testimony of Livy, in: Klio 68, 1986, 444465. Bunse, Das römische Oberamt, bes. 82-181. 892Zur Sicht der Ständekämpfe in der römischen Geschichtsschreibung: von UngernSternberg, J., Die Wahrnehmung des ‘Ständekampfes’ in der römischen Geschichtsschreibung, in: W. Eder (Hg.), Staat und Staatlichkeit in der frühen römischen Republik. Akten eines Symposiums 12. - 15. Juli 1988 FU Berlin, Stuttgart 1990, 92-102. Generell zu den Ständekämpfen: Bleicken, Geschichte der Römischen Republik, 20-28, und Dahlheim, W., Die griechisch-römische Antike, Bd. 2. Die Geschichte Roms und seines Weltreiches, Paderborn u. a. 31997, 24-30. Raaflaub, K. A. (Hg.), Social Struggles in Archaic Rome. New Perspectives on the Conflict of the Orders, Malden, MA u. a. 22005. Linderski, J., The Auspices and the Struggle of the Orders, in: W. Eder (Hg.), Staat und Staatlichkeit in der frühen römischen Republik. Akten eines Symposiums 12. - 15. Juli 1988 FU Berlin, Stuttgart 1990, 34-48. Flach, Gesetze, 1-24. Cornell, The Beginnings of Rome, 242-284. - Zum Zusammenhang zwischen politischer Gleichberechtigung und militärischen Erfordernissen: Kienast, D., Die politische Emanzipation der Plebs und die Entwicklung des Heerwesens im frühen Rom, in: BJ 175, 1975, 83-112 (wieder abgedruckt in: Ders., Kleine Schriften, hg. von R. von Haehling u. a., Aalen 1994, 139-172). 890

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ren Regierungsämter ersetzt hatten, sich aber nicht durchsetzen konnten, so dass die zuvor bestehende Regelung wiederhergestellt wurde. I 36-37: quid communicatos postremo cum plebe honores: non imperi solum, sed sacerdotiorum quoque?: communicatos postremo cum plebe honores: Hyperbaton; non imperi solum, sed sacerdotiorum quoque: Parallelismus; postremo: schließt die mit deinde (I 24) begonnene und mit postea in I 32 fortgesetzte Aufzählung der republikanischen Ämter durch Claudius ab. imperi: = synkopiertes imperii; honores: (Ehren-)Ämter; honores … sacerdotiorum: Claudius weist hier auf die Priesterämter hin; in ein Priesterkollegium sollen – so betont er im weiteren Verlauf der Rede (II 12f.) ‒ die Söhne des Vestinus aufgenommen werden. Claudius beendet seine Ausführungen über Verfassungsänderungen in der Zeit der Republik mit der Feststellung, dass am Ende der Entwicklung die rechtliche Gleichstellung der plebs mit dem Patriziat erfolgt ist. So konnten nach den Ständekämpfen Vertreter des plebs nicht nur die höchsten Staatsämter bekleiden, ihnen stand durch die lex Ogulnia de auguribus et pontificibus des Jahres 300893 nun auch der Zugang zu allen wichtigen Priesterstellen offen (I 36f.). Claudius’ Angaben zu den Königen wie auch seine Äußerungen zu republikanischen Magistraten belegen eindeutig, dass er auf Livius’ Geschichtswerk als Quelle für seine Darstellung zurückgreift und ihm bis in die Einzelheiten folgt. I 37-40: - iam si narrem bella, a quibus coeperint maiores nostri, et quo processerimus, vereor, ne nimio insolentior esse videar et quaesisse iactationem gloriae prolati imperi ultra Oceanum. -: Claudius weist in der Form der Praeteritio auf seine Erfolge bei der Eroberung Britanniens hin, auf die er allerdings nur in indirekter Form anspielt.894 quo: wohin; nimio: sehr, überaus; ne nimio insolentior esse videar et quaesisse iactationem gloriae: durch die scheinbar vorgegebene Zurückhaltung stellt der Kaiser in besonderer Weise seinen militärischen Erfolg heraus. prolati imperi ultra Oceanum895: ‚ultra’ scheint zu den Lieblingsworten des Kaisers zu gehören; es erscheint noch an weiteren drei Stellen in der Rede: in den Zeilen II 26, 27 und 39.896 893 Zur lex Ogulnia: Liv. 10, 6, 4-6. Rotondi, Leges publicae, 236. Elster, M., Die Gesetze der mittleren römischen Republik. Text und Kommentar, Darmstadt 2003, 103-106 (Nr. 46). 894 Zur Bedeutung des Britannienfeldzugs für Claudius und seine Selbstdarstellung Kap. IV. 3, S. 138-140.

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Mit der Formulierung „prolati imperi ultra Oceanum“ übertrumpft Claudius verbal den Erfolg seines Vorgängers Augustus. Dieser hatte in seinem Tatenbericht von der Unterwerfung Germaniens einschließlich des Ozeans gesprochen: „item Germaniam qua includit Oceanum a gadibus ad ostium Albis fluminis pacavi“,897 Claudius hat dagegen das Reich über den Ozean hinaus erweitert. Die ersten Worte dieses Exkurses lassen erwarten, dass Claudius sich ausführlicher zu den von Rom geführten Kriegen, den damit verbundenen Eroberungen und der Erweiterung des Reiches äußert, die als Folge eine Beteiligung der in das Reich eingegliederten Völker an der Regierung erforderlich machen, worauf von Albrecht hinweist.898 Stattdessen beschränkt er sich darauf, seine eigenen militärischen Fähigkeiten herauszustellen, und verweist mit der Angabe ‚ultra Oceanum’ auf die Eroberung Britannien und damit auf seinen großen außenpolitischen Erfolg. Mit den Worten „iam si narrem bella“ bringt sich Claudius selbst ins Spiel.899 Es geht zunächst abstrakt um Kriege – auch sie gehören nach seiner Überzeugung zu den res novae im Staat ‒, die Rom im Laufe der Jahrhunderte geführt hat und die die Ausweitung des Imperiums bis zu den aktuellen Grenzen vorangebracht haben. Eine noch größere und sehr konkrete Bedeutung ergibt sich aus dem Stichwort „bella“ jedoch für den Prinzeps selbst und seine Rolle als römischer Feldherr. Offensichtlich sind die damit verbundenen Assoziationen – er spricht im weiteren Verlauf der Rede nur von einem einzigen bellum, dem Britannienfeldzug ‒ für Claudius von eminenter Bedeutung, insbesondere wenn man an seine völlig unmilitärische Erziehung denkt und diese mit der üblichen Praxis bei Senatorensöhnen und kaiserlichen Prinzen vergleicht. So hatten z. B. Augustus’ Söhne oder Claudius’ Vater Drusus bereits in frühen Jahren militärische Erfahrungen (und auch Erfolge) verzeichnen können, wie sie zu den Grundvoraussetzungen für eine Übernahme der Herrschaft in Rom gehörten. Da dem 895 Über die Bedeutung des ‚Oceanus’, der Geographie und der Verbindung mit der Ideologie in der Antike: Herter, H., ‚Okeanos 1)’, in: RE XVII,2, 1937, 2308-2361. Schmitt, T., ‚Okeanos’. in: DNP 8, 2000, 1152-1155. 896 Grupe, E., Über die oratio Claudii de iure honorum Gallis danda und Verwandtes, in: ZRG 42, 1921, 31-41, hier 32. 897 R. Gest. div. Aug. 26. 898 von Albrecht, Meister, 116: „Anhangsweise spricht Claudius von den militärischen Eroberungen und von der äußeren Vergrößerung des römischen Imperiums, ein Gegenstand, der im Grunde als gesonderter Punkt ausgearbeitet zu werden verdiente, denn mit ihm hängt letzten Endes die Notwendigkeit zusammen, auch die eingemeindeten Völker mitregieren zu lassen. Merkwürdigerweise bezeichnet Claudius aber diesen Gesichtspunkt als Abschweifung; er erklärt nämlich danach, er kehre jetzt wieder zum Thema zurück.“ 899 Der abrupte Wechsel des Themas „iam si narrem bella“, obwohl bislang über ‚Krieg(e) überhaupt nicht gesprochen worden ist, kann als eine Art ‚plötzlicher Einfall’ aufgefasst werden. Da nicht bekannt ist, wieweit der Kaiser seine Rede vorher schriftlich fixiert hatte oder bei seinem Vortrag auf Stichworte zurückgriff, könnte dieser plötzliche Wechsel seines Gedankengangs durch den Blick auf ein Stichwort ‚bella’ veranlasst worden sein.

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Prinzeps dieser Mangel an militärischer Ausbildung und Leistung bewusst war, hatte er schon bald nach seinem Regierungsantritt den von seinem Vorgänger Caligula begonnenen Krieg in Mauretanien weitergeführt und mit der Unterwerfung des Landes beendet.900 Als bei weitem wichtiger galt ihm jedoch der Feldzug gegen Britannien, an dem er persönlich teilgenommen hatte. Mit der erfolgreichen Eroberung Britanniens hatte er das Defizit an Kriegserfahrung und militärischem Prestige ausgeglichen und konnte nun seine militärischen Fähigkeiten in der Öffentlichkeit präsentieren. Claudius’ Formulierung „et quo processerimus“ (I 38) ist zunächst als geographischer Hinweis und ebenso als Anspielung auf seine militärische Kompetenz zu verstehen: ‚wie weit wir marschiert sind’. In Verbindung mit der Angabe „ultra Oceanum“ (I 40) stellt dieser Satz das einzige konkrete Beispiel für die römischen Eroberungen in der gesamten kaiserlichen Rede dar. In der literarischen Form einer praeteritio weist er auf seine eigenen Erfolge bei der Eroberung Britanniens hin und hebt sie durch ihre Erwähnung umso deutlicher heraus: „ne nimio insolentior esse videar et quaesisse iactationem gloriae prolati imperi ultra Oceanum“ (I 38-40). Die Wendung „et quo processerimus“ lässt sich darüber hinaus noch in einem weiteren und umfassenderen Sinn verstehen, nämlich als ‚wie weit wir es gebracht haben’. Hier betont der Redner in scheinbarer Bescheidenheit umso stärker seinen Stolz auf seine Leistungen: die Ausweitung des Imperiums über das nach antiker Vorstellung ‚die Erdscheibe umströmende Weltmeer’ hinaus und auf den unter seiner Führung errungenen Sieg über Britannien sowie die Eroberung des Landes. Damit hatte Claudius den von Caesar unternommenen Versuch einer Expansion Roms über die Grenzen des Festlands hinaus weitergeführt und zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Zugleich schließt die Formulierung des Redners die anwesenden Senatoren (und darüber hinaus auch das gesamte römische Volk) in den Stolz über die (gemeinsam) erzielten Erfolge ein und beschwört die alte Tugend der den gesamten Staat umgreifenden concordia. Seine Botschaft lautet in diesem Zusammenhang: gemeinsam haben wir Rom (und damit das Imperium) zu dieser Ausdehnung und Größe gebracht! Die rhetorische Einbeziehung der patres conscripti in seine militärische Leistungsbilanz hindert den Prinzeps jedoch nicht, im nächsten Satz deutlich zu formulieren, dass es eben doch der Kaiser ist, der hier spricht und dem der Ruhm und die Ehre für die Erweiterung des Imperiums gebühren. Claudius nutzt offensichtlich die Gelegenheit, sich in der Öffentlichkeit auf seine militärische Leistung und seinen außenpolitischen Erfolg zu berufen. Damit stellt er nochmals seine Position als Prinzeps in den Vordergrund901 und ‚überzeugt’ gleichzeitig die Senatoren, dass sie seinem Antrag zustimmen ‚müssen’, da sie Cass. Dio 60, 8, 6 und 9, 1-5. Der siegreiche Britannienfeldzug ist für Claudius geradezu eine Art ‚Dauerbrenner’ in seiner Repräsentation zumindest bis zum Jahr 50 n. Chr., als der Triumphbogen in Rom fertiggestellt wurde. 900 901

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einem militärisch so erfolgreichen und um das Wohl des Staates verdienten Kaiser die Unterstützung nicht verweigern können. Der Exkurs über die Kriege ist somit vom Redner bewusst an dieser Stelle platziert worden: die ‚Abschweifung’ vom eigentlichen Thema zum Ende dieses Teils der Rede ist nicht das gedankenverlorene Abweichen oder Abirren eines Redners, der den roten Faden für seine Ausführungen verloren hat. Vielmehr setzt Claudius mit seinem Exkurs nochmals einen deutlichen Akzent: er ist der erfolgreiche Feldherr, der das Reich über den Ozean und damit über die bisherigen Grenzen hinaus ausgeweitet und so einen Erfolg erzielt hat, den Caesar und Augustus mit aller Macht angestrebt hatten, der aber beiden nicht vergönnt gewesen war. (Näheres s. Kap. IV. 3). I 40: sed illoc potius revertar. civitatem: illoc: statt illuc902; ‚illoc reverti’ im vorliegenden Zusammenhang: ‚zum Thema zurückkehren’. Claudius ruft sich hier selbst zur Ordnung (wie in II 20), was nochmals unterstreicht, dass die vorhergehenden Zeilen 37-40 „iam …Oceanum“ einen Exkurs darstellen.903 civitatem: hier in der Bedeutung ‚Bürgerrecht’ Indem er sich selbst auffordert, zum Thema zurückzukommen: „sed illoc potius revertar“, schlägt Claudius den Bogen zum ersten Teil seiner Rede und bereitet den Boden für die Behandlung des zentralen Themas vor, das er mit dem Stichwort „civitatem“ einleitet. Zwar fehlen die Zeilen, die diesem Begriff unmittelbar folgten und den Anfang der zweiten Kolumne bildeten; dennoch lassen sich unter Berücksichtigung der von Hirschfeld eingebrachten Rekonstruktion der Anfangszeilen dieser Kolumne plausible Aussagen über ihren vermutlichen Inhalt treffen. In ihnen dürfte – so Perl – „von der allmählichen Ausbreitung des römischen Bürgerrechts auf ganz Italien und damit von der Erweiterung des Kreises, aus dem die Senatoren kamen, die Rede gewesen sein.“904 Gestützt wird diese These durch den Inhalt der Zeilen II 1-4, in denen Claudius auf eine Maßnahme verweist, die seine Vorgänger Augustus und Tiberius ergriffen und damit einen ‚neuen Brauch’ (novo m[ore]) eingeführt haben. Mit civitatem knüpft Claudius an seine Feststellung in den Zeilen I 36f. an: nachdem die Angehörigen der plebs zu den Staatsämtern und Priesterstellen zugelassen worden waren, ist nach seiner Auffassung bereits in der Zeit der Republik als nächster Schritt auf dem Weg zu einer Einbeziehung weiterer Gebiete in das römische Staatswesen eine Ausweitung der civitas an Einzelpersonen und 902 Perl, Die Rede des Kaisers, 121: „Das Ortsadverbium illoc I 40 braucht man nicht in illuc zu verbessern, da diese Form (ebenso wie hoc und istoc) nicht nur altertümlich, sondern auch umgangssprachlich gebraucht wird.“ 903 Perl, Die Rede des Kaisers, 127. 904 Perl, Die Rede des Kaisers, 127.

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Gruppen über die urbs hinaus erfolgt.905 Dass für ihn ein Zusammenhang zwischen der territorialen Vergrößerung des Imperiums (durch die Ausweitung des römischen Staatsgebietes) und der Vergabe des Bürgerrechts an die besiegten Völker besteht, wird in der Rede nicht expressis verbis erklärt, lässt sich aber aus dem Gedankengang des Kaisers erschließen906 und wird in der taciteischen Version der Claudius-Rede expressis verbis formuliert.907 II 1-4: [Lücke von mehreren Zeilen … p]otest. sane novo m[ore] et Divus Aug[ustus av]onc[ulus] meus et patruus Ti(berius) Caesar omnem florem ubique coloniarum ac municipiorum, bonorum scilicet virorum et locupletium, in hac curia esse voluit.: Die Anfangszeilen der zweiten Kolumne wurden von Hirschfeld ergänzt.908 Es könnte sich hier um den Rest aus der Schilderung des Verfahrens handeln, das Augustus bei der lectio senatus befolgte. In der Version der Rede bei Tacitus wird dieser Vorgang nicht erwähnt. Divus Augustus avonculus meus et patruus Ti(berius) Caesar: Chiasmus; Divus Augustus avonculus meus: avonculus (altlat.) = avunculus: Onkel mütterlicherseits; Claudius’ Großmutter Octavia war eine Schwester des Augustus; sie war aber im Gegensatz zu Augustus nicht von Caesar adoptiert worden.909 patruus: Onkel väterlicherseits; Tiberius Caesar: Claudius’ Vater Drusus war der jüngere Bruder des Tiberius. Claudius betont die verwandtschaftliche Verbindung, um die Kontinuität und Familientradition seiner Politik unter Beweis zu stellen, wie auch in II 35 – patri meo Druso ‒.910 omnem florem: metonymisch für ‚Jugend’ (Metapher); coloniarum ac municipiorum: Kolonien und Munizipien hatten bekanntlich staatsrechtlich einen unterschiedlichen Status, wobei eine colonia einen höheren Rang und damit auch ein höheres Ansehen besaß. Claudius achtet sorgfältig auf den korrekten Titel, wie II 9-11 und II 16 zeigen.911 Der Redner hebt die verwandtschaftlichen Beziehungen zu seinen Vorfahren Augustus – Divus Aug[ustus av]onc[ulus] meus ‒ und Tiberius ‒ patruus Ti(berius) Caesar – (Caligula findet aus begreiflichen Gründen keine Erwähnung) hervor. Wie Rieß noch einmal betont hat, stellten Augustus und Tiberius für Claudius verpflichtende Autoritäten dar, in deren Geist er handeln wollte und durch die seine Politik ihre Bestätigung finden sollte. Indem er so zu handeln Zum Bürgerrecht s. Kap. IV. 1, S. 58-72. von Albrecht, Meister, 170f. 907 Tac. ann. 11, 24, 2-4. 908 Hirschfeld, ‚Oratio Claudii’, 268. 909 Kraft, Der politische Hintergrund von Senecas Apocolocyntosis, 111. 910 Perl, Die Rede des Kaisers, 127. 911 Perl, Die Rede des Kaisers, 127. 905 906

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versuchte, wie seine Vorgänger es in seiner Situation getan hätten, habe er sich bewusst in eine Tradition eingefügt und den mos maiorum des julischclaudischen Hauses respektiert, der „die mentale, moralische und politische Kontinuität des Stifters der julisch-claudischen Dynastie, des restitutor rei publicae Augustus“ betonte.912 Durch die Berufung auf die ersten Prinzipes betont Claudius seine Zugehörigkeit sowohl zu der julischen als auch zu der claudischen gens. Er hebt die Familientradition hervor, in die er sich einreiht, und unterstreicht zugleich die Kontinuität der kaiserlichen Politik gegenüber den nichtrömischen Reichsbewohnern (Provinzialen). Zwar ist die von Claudius mit dem Ausdruck novo m[ore] bezeichnete Maßnahme seiner Vorgänger nicht im Wortlaut überliefert oder sonst in der antiken Literatur bekannt,913 aber ihre politische Zielsetzung wird von Claudius näher benannt: „omnem florem ubique coloniarum et municipiorum, bonorum scilicet virorum et locupletium, in hac curia esse voluit“ (II 3f.). Danach hatten Augustus und Tiberius die von Caesar begonnene Politik der Integration der Eliten aus den coloniae und municipia914 in die Verwaltung des Staates aufgegriffen und fortgesetzt. Wenn Claudius an dieser Stelle Caesar als Begründer dieser Entwicklung völlig übergeht, so dürften dafür vor allem innenpolitische Gründe ausschlaggebend gewesen sein: als Caesar in den Jahren 47 - 45 v. Chr. die Anzahl der Senatoren erhöhte, indem er Angehörige aus Familien und sozialen Gruppen, die bislang nicht-senatsfähig, also ‚Unwürdige’ waren,915 in den Senat berief, hatte dies die Empörung und den Widerspruch der bis dahin Privilegierten hervorgerufen,916 die um ihre bisherigen Positionen bangen mussten. Es war daher wichtig, dass Claudius erst gar nicht entsprechende Assoziationen bei seinen Zuhörern aufkommen ließ. Der Prinzeps sieht sich vielmehr In der Rolle eines Herrschers, der den politischen Willen des ersten Prinzeps und damit auch gleichzeitig den seines Vorbilds Caesar in die Realität umsetzt, indem er die von seinen Vorgängern eingeleitete Praxis, den Kreis derjenigen zu erweitern, die als amtsfähig und amtsberechtigt und damit als geeignet für den Senat gelten, fortführt und ausdehnt.

Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 230. Nach Fabia, La table, 98, ist diese Stelle in der Rede der einzige Nachweis über eine von Augustus und Tiberius eingeführte ‚Neuerung’; auch Tacitus’ Version der Rede enthält keinen Hinweis auf die von Claudius angesprochene Maßnahme. 914 Zu den coloniae ac municipia: Vittinghoff, Römische Stadtrechtsformen der Kaiserzeit, 435-485. 915 Cass. Dio 43, 27, 2. 916 Dazu Jehne, Der Staat des Dictators Caesar, 392-406. Zur Senatserweiterung bemerkt Jehne: „Immerhin hat Caesar aber grundsätzlich Provincialen den Zugang zum Senat und damit eine weitere Aufstiegsperspektive eröffnet, was langfristig dazu beitragen konnte, das Gefälle zwischen Italien und den Provinzen abzubauen und das Reich enger mit der römischen Zentrale zu verklammern“ (397). 912 913

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Für die weitere Einschätzung seines Antrags ist bedeutsam, was Claudius mit der Formulierung „omnem florem ubique coloniarum ac municipiorum“ genau gemeint hat.917 Laut Perl verstehen viele Interpreten unter dieser Formulierung die Städte Italiens im Gegensatz zu Rom. 918 Folgt man dieser Annahme, so hätten erstmals Augustus und Tiberius römischen Bürgern, die außerhalb Roms lebten (Italiker), den Zugang zum Senat eröffnet. Ein Blick auf die Entwicklung der Republik zeigt, dass im Zusammenhang mit dem Bundesgenossenkrieg 90/89 v. Chr. den Latinern und Italikern südlich des Po durch die lex Iulia de civitate bzw. durch die lex Plautia Papiria das römische Bürgerrecht verliehen worden war.919 Caesar hatte die Zuerkennung der civitas auf die Bewohner der Transpadana ausgedehnt,920 wie die lex Rubria erkennen lässt.921 Damit konnten bereits vor Augustus römische Bürger aus dem italischen Gebiet südlich des Po in den Senat gelangen. Auch Claudius’ rhetorische Frage in Z. II 5 und die Beispiele für Senatoren aus der Gallia Narbonensis sind eindeutige Hinweise darauf, dass der ‚novus mos’ des Augustus und des Tiberius sich über Italien hinaus auf die Städte in den Provinzen und somit auf das gesamte Imperium Romanum erstreckte. Dazu bemerkt Perl: „ubique meint also die Städte im ganzen Reich. (Tac. ann. 11, 24, 3 spricht im gleichen Zusammenhang von den Militärkolonien per orbem terrae = Imperium Romanum, und daß die Tüchtigsten der Provinzialen in sie aufgenommen wurden, also außerhalb Italiens.)“922 Das ‚Neue’ an dieser Maßnahme bestand demnach darin, dass generell Provinziale (mit römischem Bürgerrecht) in den Rekrutierungskreis für stadtrömische/staatliche Ämter einbezogen werden sollten und damit auch für eine Aufnahme in den Senat zur Verfügung standen.923 Claudius unterstreicht diese Ausweitung von Rom aus über Italien und schließlich über das gesamte Imperium Romanum mit dem Adverb ubique, mit dem er den Wirkungskreis der augusteischen Gesetzgebung beschreibt. Folgt man seiner Argumentation, so geht er von einer Erweiterung des Zugangs zum Senat auf Angehörige aus den colo917 Zum Stand der Diskussion um den ‚Geltungsbereichs des ubique’: Rieß , Forschungsstand und Perspektiven, 227-230. 918 Perl, Die Rede des Kaisers, 127 Anm. 29, bringt eine ausführliche Aufzählung der Vertreter dieser Interpretation. 919 Bleicken, Geschichte der Römischen Republik, 69. Rainer, Römisches Staatsrecht, 184f. Siehe auch Kap. IV.1. 920 Bleicken, Geschichte der Römischen Republik, 86. 921 Zur lex Rubria s. Kap. IV. 1, S. 70, Anm. 343 (mit Literaturangabe). 922 Perl, Die Rede des Kaisers, 128. 923 Nach Rieß bestand „die Innovation des Augustus und des Tiberius, die Claudius meint, (…) nicht in einem einzigen Akt, sondern allgemein in ihren politischen Prinzipien, mit denen bereits sie die Grenzen Italiens als Rekrutierungsgebiet für Senatoren überschritten und einige geeignete Kandidaten aus den Provinzen berücksichtigten.“ (Forschungsstand und Perspektiven, 230).

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niae ac municipia auch in den Provinzen aus. Eine derartige Ausweitung des Bewerberpotenzials hat also nach Überzeugung des Redners bereits unter Augustus und Tiberius stattgefunden.924 II 5: quid ergo? non Italicus senator provinciali potior est?: Das Fragepartikel non = nonne lässt eine bejahende Antwort auf die Frage erwarten. non Italicus senator provinciali potior est?: offensichtlich gibt es schon Senatoren aus den Provinzen.925 Indem er einen möglichen Einwand – die Bedrohung der Vorrangstellung italischer Senatoren - gegen die Aufnahme von Senatoren aus den Provinzen in die Form einer rhetorischen Frage kleidet, die nur ein ‚Ja’ zur Antwort haben kann, räumt der Kaiser gegenüber den Senatoren, die Vorbehalte gegen seinen Antrag haben, ein, dass er den Vorrang der alten Elite anerkennt und diesen auch weiterhin beachten wird. Die Fragestellung selbst setzt die Existenz von Senatoren provinzialer Herkunft voraus; sie macht andernfalls keinen Sinn. Claudius geht hier auf den Einwand nicht weiter ein, weil für ihn die Vorrangstellung der Senatoren aus Italien sowohl hinsichtlich ihrer Zahl als auch im Blick auf ihre Rangstellung völlig unbestritten ist und auch nicht zur Diskussion steht; sie gehört nicht zur Thematik seiner Rede, was er auch mit seinen folgenden Worten deutlich zum Ausdruck bringt. II 5-7: iam vobis, cum hanc partem censurae meae adprobare coepero, quid de ea re sentiam, rebus ostendam.: adprobare = approbare; hanc partem censurae meae: damit verweist Claudius auf die von ihm beabsichtigte adlectio in senatum, durch die der Kaiser den Senat ergänzt, sowie auf die von Tacitus ann. 11, 25, 2 berichtete Aufnahme senatorischer Familien in den Patriziat; beide bilden nur einen Teil des gesamten Census, der mit einem lustrum der Censoren abgeschlossen wird. 926

924 So argumentierten bereits vor Perl Vittinghoff (Zur Rede des Kaiserts Claudius, 303f.) und Flach (Die Rede des Claudius, 316). Schäfer (Einbeziehung der Provinzialen, 23f.) hat sich dieser Auffassung angeschlossen. Eine Auflistung von Verfechtern der These, dass ‚ubique’ sich auf Italien beschränkt, findet sich bei Perl, Die Rede des Kaisers, 127, Anm. 29, und Schäfer, Einbeziehung der Provinzialen, 23, Anm. 77. 925 Nach De Laet, De samenstelling van den senaat, 279- 281, ist von 229 der 353 Senatoren in der Regierungszeit des Claudius ihre Herkunft bekannt. Von diesen 229 Senatoren stammten demnach 214 aus Italien, 7 aus Spanien, 6 aus Gallien (davon 5 aus der Narbonensis) und je 1 aus dem Osten bzw. aus Africa. Der Anteil provinzialer Senatoren stellte somit gegenüber den italischen eine zahlenmäßig verschwindende Minderheit dar. S. auch Schäfer, Einbeziehung der Provinzialen, 85-100. 926 Suolahti, The Roman Censors, 53-55 und 509.

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Claudius’ Hinweis auf die im Rahmen der Censur noch anstehende adlectio in senatum enthält die Zusage, dass er seine persönliche Einstellung in der Frage des Vorrangs der italischen Senatoren durch Fakten und nicht durch Worte unter Beweis stellen wird, indem er etwa bevorzugt Bürger aus Rom und Italien in den Senat beruft. Aber es geht dem Kaiser weniger um eine quantitative als um eine viel bedeutendere qualitative Bevorzugung der italischen Senatoren. Wie Tac. ann. 11, 25, 2 überliefert, nimmt Claudius im Rahmen der anstehenden lectio senatus eine Anzahl italischer Senatoren in den Patriziat auf und bestätigt damit ihre Vorrangstellung.927 Da diese Maßnahmen jedoch nicht auf der Tagesordnung stehen, muss der Kaiser sie auch nicht in seiner Rede aufgreifen oder zu ihnen Stellung beziehen.928 II 7-8: Sed ne provinciales quidem, si modo ornare curiam poterint, reiciendos puto.: si modo mit Indikativ: ‚wenn nur’; poterint: seltenere Form von poterunt (Futur I);929 puto: subjektivierende Bescheidenheitsformel;930 Claudius besteht darauf, den Senat auch durch Nicht-Italiker (provinciales), die bereits das römische Bürgerrecht besitzen, zu ergänzen.931 Die von ihm in Aussicht genommene Bevorzugung der schon rein zahlenmäßig überlegenen römischen bzw. italischen Senatoren wird aus Sicht des Kaisers auch nicht durch die Aufnahme einiger weniger Provinzialen in den Senat geschmälert, wenn er darauf besteht, dass generell auch Männern aus den Provinzen der Zugang zum Senat eröffnet werden muss: „sed ne provinciales quidem … reiciendos puto.“ Er setzt dabei voraus, dass diese Provinzialen zur dignitas des Senats beitragen: „si modo ornare curiam poterint“. Mit dieser Formulierung greift der Kaiser inhaltlich auf den Ausdruck in II 3f. zurück: „omnem florem, ( …) bonorum scilicet virorum et locupletium“ und stellt klar, dass seine Bestrebungen dahin gehen, die Elite im ganzen Reich, d. h. „Männer mit rechtschaffener (d. h. staatstragender) Gesinnung und reichem Besitz“ in die Führung und Verwaltung des Imperium 927 So: Flach, Tacitus in der Tradition der antiken Geschichtsschreibung, 172: „Mit diesen Worten wollte er nicht, wie die Erklärer meinen, den Anwesenden zusichern, daß seine zensorische Senatslectio das zahlenmäßige Übergewicht der italischen (d.i. der nichtprovinzialen) Senatoren gewährleisten werde. Ihre Überlegenheit in der Zahl war ohnehin verbürgt. … Seine beschwichtigende Zusicherung, … verheißt keine zahlenmäßige Bevorzugung der nichtprovinzialen Senatoren, sondern eine qualitative Hebung ihrer Stellung. Und dieses Versprechen hat er unmittelbar darauf mit der dankbar begrüßten Entscheidung eingelöst, daß er solche Senatoren, die schon lange dem Senat angehörten oder von vornehmer Abkunft waren, in den Kreis der Patrizier aufnahm.“ 928 Perl, Die Rede des Kaisers, 128. 929 Vgl. von Albrecht, Meister, 175, Anm. 36. 930 von Albrecht, Meister, 120. 931 Nipperdey-Andresen, Tacitus, 319.

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einzubinden. Die beiden Eigenschaften ‚rechtschaffen’ und ‚reich’ sind als Voraussetzungen bzw. Kriterien für die Aufnahme in die römische Führungsschicht anzusehen, wie sie später auch in Tacitus’ Version der kaiserlichen Rede konkret benannt werden: „iam moribus artibus adfinitatibus nostris mixti aurum et opes suas inferant potius quam separati habeant.“932 Der einschränkende Ausdruck „si modo ornare curiam poterint“ ist auch als Anspielung auf das einige Zeilen weiter angeführte exemplum des Senators Valerius Asiaticus aus Vienna zu verstehen, dem Claudius eben diese Eigenschaft (‚vir bonus’) im Nachhinein abspricht. II 9-10: Ornatissima ecce colonia valentissimaque Viennensium, quam longo iam tempore senatores huic curiae confert!: ornatissima ecce colonia: auch das Demonstrativpartikel ‚ecce’ zählt zu den vom Kaiser gern benutzten Worten; Claudius verwendet es zweimal, um etwas Neues in seiner Rede einzuführen: hier und in II 23: ‚tot ecce insignes iuvenes’. 933 ornamentissima … valentissimaque: Die Superlative stehen wie Schablonen zur Bezeichnung von Gemeinden (und Personen), denen der Kaiser seine Gunst zuwendet.934 Weitere Beispiele: L. Vestinum familiarissime diligo (II 12), de fratre … miserabili quidem indignissimoque hoc casu (II 17-18) und nobilissimum virum (II 25). quam longo iam tempore senatores huic curiae confert: bewusste Übertreibung des Redners, wenn man an die folgenden zwei Beispiele denkt. Als Beispiel für die Entwicklung, dass aus der Provinz Männer in die höchsten Ämter berufen bzw. mit wichtigen Aufgaben betraut werden, führt Claudius die colonia Vienna an.935 Diese Siedlung an der Rhône lag etwa 23 römische Meilen936 südlich der colonia Lugdunum im äußersten Nordwesten der Narbonensis (Ptol. 2. 10,4) war der Hauptort der Allobroger.937 Ihre geographische Lage zeichnet sie als Grenzstadt zur Comata aus. Von Vienna aus ist es ‒ bildlich gesprochen ‒ nur ein kleiner Schritt dorthin.938 Obwohl die Stadt erst unter Caligula Tac. ann. 11, 24, 6. Grupe, Über die oratio Claudii de iure honorum Gallis danda und Verwandtes, 32. 934 von Albrecht, Meister, 120. 935 Antike Quellen zu Vienna: Lucas, G., Viene dans les textes grecs et latins. Chroniques littéraires sur l’histoire de la cité, des Allobroges á la fin du Ve siècle de notre ère (Travaux de la Maison de l’Orient et de la Méditerranée 72), Lyon 2016; zur Rede des Claudius S. 79-81 (zu Vienna auch: Kap. IV. 3, S. 122 Anm. 614). 936 Das entspricht ca. 35 km. Die Strecke konnte von römischen Legionären an einem Tag zurückgelegt werden. Zur Entfernung zwischen Lugdunum und Vienna: Dirkzwager, A., Strabo über Gallia Narbonensis, Leiden 1975, 101-106. 937 Zur Entwicklung Viennas im frühen Prinzipat: Frei-Stolba, Zum Stadtrecht von Vienna; Rieß, Forschungsstand und Perspektiven, 215f., Anm. 13. 938 Perl, Die Rede des Kaisers, 129. 932 933

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in den Rang einer colonia erhoben worden war,939 waren nach Claudius’ Worten bereits Vertreter aus dieser Stadt in die römische Führungsschicht aufgestiegen. Zwar eignen sich die beiden von Claudius genannten Persönlichkeiten im Grunde nicht unbedingt als Beispiele für Senatoren aus der Provinz; dem Prinzeps ist es aber wichtig, auf zwei Männer aus Vienna hinzuweisen, die den Aufstieg in die Führungsschichten des Imperiums bereits erfolgreich geschafft haben und zu denen er in einem besonderen persönlichen Verhältnis steht bzw. gestanden hat, und dieses auch öffentlich kundzutun. II 10-12: ex qua colonia inter paucos equestris ordinis ornamentum, L. Vestinum, familiarissime diligo et hodieque in rebus meis detineo.: ex qua colonia: nochmalige Hervorhebung des Status von Vienna zum Zeitpunkt der Rede des Kaisers; inter paucos gehört zu equestris ordinis ornamentum und steht wie bei Tac. ann. 11, 10.940 familiarissime diligo: floskelhaft verwendeter Superlativ; hodieque: ‚auch heute noch’; res meae: Vermögen; detinere: beschäftigen, hier als Verwalter der kaiserlichen Einkünfte (Prokurator). Als erstes Beispiel eines vir bonus aus Vienna stellt der Kaiser L. Iulius Vestinus vor,941 der dem Ritterstand angehört und den er mit der Führung seiner persönlichen Geschäfte, insbesondere mit Vermögensangelegenheiten, betraut hat. Vestinus ist kein Senator (als solcher hätte Claudius ihn nicht als ‚Geschäftsführer’ beauftragen können), aber eine sehr wichtige und bedeutende Person, die nach Auffassung des Prinzeps durchaus die Stellung eines Senators verdient hätte, wenn eben diese Auszeichnung für den Prinzeps nicht gleichzeitig damit verbunden gewesen wäre, dass er auf seinen Geschäftsführer und persönlichen Vertrauten hätte verzichten müssen. Vestinus bekleidete 60-62 n. Chr. als praefectus Aegypti942 eines der höchsten Ämter, die ein Angehöriger des Ritterstandes errei-

939 Frei-Stolba, Zum Stadtrecht von Vienna, 94, sieht als Zeitpunkt der Erhebung Viennas zur colonia 39/40 n. Chr. an. 940 Nipperdey-Andresen, Tacitus, 319. 941 Zu L. Julius Vestinus: PIR2 I 622. Eck, W., ‚Iulius 146]’, in: DNP 6, 1999, 44. Demougin, Prospographie des chevaliers romains, 574f. Nr. 683. (S. auch Kap. IV. 3, S. 124 mit Anm. 614.) 942 Zum praefectus Aegypti: Reinmuth, O. W., The prefect of Egypt from Augustus to Diocletian (Klio Beiheft 34), Leipzig 1935, ergänzter ND Aalen 1963. Modrzejewski, J. M., Ägypten. Der Aufbau der Provinzialverwaltung, in: C. Lepelley u. a. (Hg.), Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit 44 v. Chr. – 260 n. Chr., Bd 2: Die Regionen des Reiches, München Leipzig 2001, 457-469. Jördens, Statthalterliche Verwaltung in der römischen Kaiserzeit. Studien zum praefectus Aegypti. Faoro, D., I prefetti d’Egitto da Augusto a Commodo, Bo-

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chen konnte, und gehörte auch noch im Jahre 70 dem Ritterstand an, als er vom Kaiser Vespasian mit dem Wiederaufbau des Kapitols beauftragt wurde.943 Einer seiner Söhne, Marcus Iulius Vestinus Atticus, war unter Nero im Jahre 65 Konsul.944 Vestinus ist als Beispiel für einen ‚Senator aus der Provinz’ insofern nicht geeignet, da er, wie der Redner selbst einräumt, eben kein Senator ist.945 Claudius’ Hochschätzung des Vestinus wird außerdem in dem Hinweis auf dessen zwei Söhne deutlich, denen er den Aufstieg in den Senat ermöglichen will.946 Dabei weist er deutlich darauf hin, dass die beiden Söhne nicht etwa mittels eines kaiserlichen Privilegs einen Sitz im Senat erhalten sollen, sondern dass sie ‒ zunächst durch die Bekleidung eines Priesteramtes947 ‒ und anschließend auf dem ‚üblichen’ Wege des cursus honorum, d. h. durch den Eintritt in die Ämterlaufbahn in Rom, den Zugang in den Senat erlangen sollen. Indem der Kaiser die beiden Söhne des Vestinus als Kandidaten für ein Priesteramt vorstellt, räumt er ihnen bei der Nominierung für ein Amt gegenüber Mitbewerbern einen nicht unerheblichen Vorteil ein. Die offizielle Unterstützung durch den Kaiser, wie sie an dieser Stelle zum Ausdruck kommt, kann mit der Zuerkennung des latus clavus an die Söhne von Rittern – Senatorensöhne durften diese Auszeichnung generell mit dem Anlegen der toga virilis in der Öffentlichkeit tragen – gleichgesetzt werden, mit der der Prinzeps einen Kandidaten aus dem Ritterstand für ein Amt des cursus honorum auszeichnet; diese Ehrung stellte den ersten Schritt auf dem Weg in den Senat dar. II 12-14: cuius liberi fruantur, quaeso, primo sacerdotiorum gradu, postmodo cum annis promoturi dignitatis suae incrementa.: fruantur: ist zum einen mit dem Ablativ gradu (II 13), zum andern (altlat.) mit dem Akkusativ incrementa (II 14) verbunden. fruantur quaeso: bescheidene Bitte bei einer Sache, die Claudius in Wahrheit selbst verlieh.948 quaeso: bittende Bescheidenheitsformel;949 primo sacerdotiorum gradu, postmodo …: Eine Verbindung von primo mit gradu – „höchste Stufe“ - ist sowohl sachlich als auch sprachlich falsch: Bei den Priesterämtern gab es keine Rangfolge wie beim cursus honorum, der politischen Ämterlaufbahn, wo der primus gradus die unterste Stufe – quaestor – bezeichlogna 2016. - Zu Vestinus’ Amtszeit: Stein, A., Die Präfekten von Ägypten in der römischen Kaiserzeit, Bern 1950, 34f. Bastianini, Lista dei prefetti d’Egitto dal 30a all 299p, 273. 943 Tac. hist. 4, 53, 1: „Curam restituendi Capitolii in Lucium Vestinum confert, equestris ordinis virum, sed auctoritate famaque inter proceres.” 944 Tac. ann. 15, 48, 1, 52, 3 und 68f. - Nipperdey-Andresen, Tacitus, 319. 945 Perl, Die Rede des Kaisers, 129. 946 Perl, Die Rede des Kaisers, 129. 947 Zur konkreten Vergabe der Priesterämter an Vestinus’ Söhne s. Perl, Die Rede des Kaisers, 130. 948 Nipperdey-Andresen, Tacitus, 320. 949 von Albrecht, Meister, 120.

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net; dazu passt jedoch fruantur schlecht. Plausibler ist daher, das Vorliegen einer Aufzählung oder zeitlichen Abfolge anzunehmen: primo – postmodo.950 sacerdotiorum gradu: wie I 37 honores sacerdotiorum.951 postmodo cum annis promuturi dignitatis suae incrementa: Damit verweist Claudius die Söhne des L. Vestinus auf den ‚normalen’ Weg in den Senat, eben über die Ämterlaufbahn, nach Erreichen des für die jeweiligen Ämter erforderlichen Alters. Die Verleihung der Priesterstellen fiel nur pro forma in die Zuständigkeit des Senats; durch das Recht der commendatio gehörte die Vergabe faktisch zu den Kompetenzen des Kaisers als pontifex maximus. Im Falle der ritterlichen Priesterämter stand die Verleihung der Ämter sogar ausschließlich dem Kaiser zu.952 Die Priesterämter waren, obwohl ihnen durchaus politische Bedeutung zukam, anders als die politischen Ämter an kein bestimmtes Alter gebunden; sie konnten daher in der Regel in einem früheren Alter als die Ämter des cursus honorum besetzt werden. In der Kaiserzeit standen Rittern (abgesehen von speziellen sacerdotia equestria) nur die als geringer eingestuften sacerdotia der pontifices und flamines minores offen. Vestinus’ Söhne waren vom Zugang zu den senatorischen ‚großen’ Priestertümern und damit zu den angesehensten Priesterämtern ausgeschlossen. Der Kaiser strebt in der Angelegenheit der beiden Söhne des Vestinus offensichtlich keine Ausnahmeregelung für ihren Zugang zum Senat an, die möglicherweise den Widerstand oppositioneller Senatoren hervorgerufen hätte. Mit seiner Entscheidung, dass die beiden Söhne durch die Ableistung der regulären Ämterlaufbahn den Weg in den Senat finden sollen, unterstreicht er nochmals den Vorrang der italischen Senatoren: senatsfähige Provinziale sollen nicht generell durch ein Privileg des Prinzeps, etwa in der Form einer adlectio, zu senatorischen Würden gelangen, sondern diese durch eigene Anstrengung und Bewährung in der Ämterlaufbahn als dem Normalfall für die Aufnahme in den Senat erreichen. Dass er für seine Empfehlung, den Söhnen des Vestinus ein Priesteramt zu verleihen, die Zustimmung des Senats einholt, obwohl diese nicht erforderlich ist, entspricht seiner Haltung gegenüber den Senatoren, die er für seine Politik gewinnen will.953 Daher will er keinesfalls in den Ruf einer ungerechtferZu dieser Interpretation: Perl, Die Rede des Kaisers, 129f. Perl, Die Rede des Kaisers, 130. – Zu den Priesterämtern in der Kaiserzeit: Hoffmann Lewis, M. W., The Official Priests of Rome under the Julio-Claudians. A Study of the Nobility from 44 B.C. to 68 A.D., Rom 1955 (passim). Scheid, J., Les prêtres officiels sous les empereurs julio-claudiens, in: ANRW II. 16.1, 1978, 610-654. Rüpke, J., Fasti sacerdotum. Die Mitglieder der Priesterschaften und das sakrale Funktionspersonal römischer, griechischer, orientalischer und jüdisch-christlicher Kulte in der Stadt Rom von 300 v. Chr. bis 499 n. Chr. (PAwB Bd. 12,1-3), Stuttgart 2005, Bd. 3, 1587-1600. 952 Perl, Die Rede des Kaisers, 129. - Kienast, Augustus, 160f. und 220-223. 953 Perl, Die Rede des Kaisers, 129. 950 951

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tigten Begünstigung von Angehörigen seiner engsten Mitarbeiter geraten, sondern seine Objektivität bei der Besetzung von Ämtern und Priesterstellen unter Beweis stellen. II 14-17: ut dirum nomen latronis taceam, et odi illud palaestricum prodigium, quod ante in domum consulatum intulit, quam colonia sua solidum civitatis Romanae benificium consecuta est.: Das konzessive ut (‚wenn auch’) knüpft grammatisch an confert in Z. 10 an. et kann wie in I 21 als explicativ aufgefasst werden; der Satz ist dann als Parenthese zu verstehen.954 ut dirum nomen latronis taceam: Mit der schimpflichen Bezeichnung ‚Bandit’ ist nach übereinstimmender Auffassung in der Forschung Decimus Valerius Asiaticus (s. Tac. ann. 11, 1-3) gemeint,955 der unter Claudius in Ungnade gefallen und somit kein vir bonus mehr war. illud palaestricum prodigium: Valerius Asiaticus setzte seine gewohnten Leibesübungen auch nach der Bekanntgabe des Todesurteils fort.956 Die Verunglimpfung des politischen Gegners als ‚Räuber’ und ‚Ungeheuer aus der Ringerschule’ ist als Klischee zu verstehen, nicht als Affektausbruch.957 ante … quam … = antequam; in domum consulatum: Metapher; colonia sua statt colonia eius: In Nebensätzen richtet sich das Pronomen öfter nach dem Subjekt des Hauptsatzes958 (vgl. I 21: a duce suo). solidum civitatis Romanae beneficium: Hyperbaton; zugleich liegt hier eine Hypallage vor. solidus: ‚vollständig’; benificium = beneficium; Beim zweiten Beispiel für einen Senator aus Vienna muss Claudius geradezu widerwillig einen ‚wirklichen’ Senator nennen,959 dessen Namen er aber nicht Perl, Die Rede des Kaisers, 130. Zu Valerius Asiaticus: Tac. ann. 11, 1, 1-3; 13, 43, 2. Cass. Dio, 59, 30, 2; 60, 27, 1-3; 61, 29, 6-6a. - Weynand, F., ‚Val. Asiaticus [106]’, in: RE VII A 2, 1948, 2341-2345. PIR2 V 44. Gallivan, The Fasti for the Reign of Claudius, 413. Schneider, Zusammensetzung des römischen Senats, Nr. 88 und Nr. 326. – S. Kap. IV. 2, S. 108, Anm. 565. Zu den Umständen, unter denen Valerius Asiaticus in den Tod getrieben wurde: Tac. ann. 11, 1-3 und Cass. Dio, 60, 27, 1-3. - Cornelius Tacitus, Annalen. Erläutert und mit einer Einleitung versehen von E. Koestermann, Bd. 3, Heidelberg 1967, 24-33. 956 Tac. ann. 11, 3: „et usurpatis quibus insueverat exercitationibus“. 957 von Albrecht, Meister, 120. - Nach Rieß benutzt Claudius seine Schimpftirade „vielleicht um deutlich zu machen, dass er über Urteilskraft und Unterscheidungskriterien verfügt, die sicherstellen würden, dass nur den ehrenhaftesten ‚Ausländern’ die Ehre zuteil wird, in den Senat aufgenommen zu werden.“ (Forschungsstand und Perspektiven, 216). 958 Nipperdey-Andresen, Tacitus, 320. 954 955

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aussprechen will und ihn deshalb als „illud palaestricum prodigium“ bezeichnet. Damit verunglimpft der Redner einen bereits toten Senator als ‚jenes Ungeheuer der Ringerschule’. Die Schmähworte sind, wie schon gesagt, auf den ehemaligen Senator und zweifachen Konsul Decimus Valerius Asiaticus gemünzt, der das römische Bürgerrecht durch Geburt besaß und dem Ritterstand angehörte. Unter Caligula war er Senator geworden; bereits im Jahre 35 war ihm das Amt eines consul suffectus verliehen worden, obwohl zu diesem Zeitpunkt seine Heimatstadt Vienna nur das ius Latii besaß und erst später von Caligula den Status einer colonia civium Romanorum und damit das volle römische Bürgerrecht erhalten hatte,960 wie Claudius hervorhebt: „ante … quam solidum civitatis Romanae benificium consecuta est“.961 Nach Tac. ann. 11, 1 soll Asiaticus Hauptanstifter (‚praecipuus auctor’) zur Ermordung Caligulas gewesen sein.962 Dieser überaus reiche und angesehene Senator hatte im Jahr 43 Claudius auf dem Feldzug gegen Britannien begleitet963 und war 46 zum zweiten Mal mit dem Konsulat ausgezeichnet worden.964 Er erfüllte also in besonderem Maße die Erwartungen und Ansprüche, die in Rom an einen vir bonus gestellt wurden. Asiaticus hatte das Amt nach kurzer Zeit freiwillig niedergelegt, um dem Hass und Neid anderer zu entgehen.965 Im folgenden Jahr hatte Claudius’ Gattin Messalina ihn mit falschen Beschuldigungen verleumdet. So war ihm u. a. vorgeworfen worden, eine Aufwiegelung der Rheinarmee und der gallischen Völker gegen Rom geplant zu haben.966 Daraufhin war er bei Claudius in Ungnade gefallen; der Kaiser hatte ihn gezwungen, sich selbst das Leben zu nehmen. Wie Tacitus mitteilt, hatte Asiaticus auch nach seiner Verurteilung seine gewohnten Leibesübungen fortgesetzt, auf die der Redner mit seiner Tirade anspielt. Wenn das Beispiel des Asiaticus auch Claudius’ Antrag nicht unbedingt unterstützt, so ist es zumindest als ein weiterer Beleg dafür anzusehen, dass von Augustus und Tiberius eine Ausweitung des Rekrutierungspotenzials für Senatoren

959 Zur Rivalität der beiden viennensischen Familien der Valerii Asiatici und der Vestini: Kavanagh, B. J., Two Families from Vienne and the Effect of their Rivalry, in: C. Deroux (Hg.), Studies in Latin Literature and Roman History XI (Collection Latomus 272), Brüssel 2003, 351-373. 960 Perl, Die Rede des Kaisers, 130f. - Zu Valerius Asiaticus auch: Kap. IV. 2, S. 108, Anm. 565, und Kap. IV. 3, S. 121, Anm. 613. 961 Dazu: Schillinger-Häfele, U., Solidum civitatis Romanae beneficium, in: Hermes 98, 1970, 383f. 962 Zu Asiaticus’ Rolle und Verhalten bei Caligulas’ Ermordung: Ios. ant. Iud. 19, 1. Cass. Dio, 59, 30, 2. 963 Tac. ann. 11, 3, 1. (Asiaticus besaß u. a. die berühmten Gärten des Lucullus (ann. 11, 1, 1.) 964 Zu Asiaticus’ Konsulaten: Nipperdey-Andresen, Tacitus, 320. PIR2 V 44. De Laet, De samenstelling van den senaat, 137 (Nr. 812). Vidman, L., Fasti Ostienses, Prag 21982, 67. 965 Cass. Dio 60, 27, 1-3. 966 Flach, Tacitus in der Tradition der antiken Geschichtsschreibung, 167, und Urban, R., Gallia rebellis, 47f.

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über Italien hinaus begonnen worden ist, die dann unter Caligula ihre Fortführung gefunden hat. II 17-19: idem de fratre eius possum dicere, miserabili quidem indignissimoque hoc casu, ut vobis utilis senator esse non possit.: idem de fratre eius: Wer und was mit diesem Satz gemeint ist, haben die Zuhörer im Senat sicher genau gewusst. Zwar ist von einem Bruder des Valerius Asiaticus sonst nichts bekannt; sprachlich gesehen kann es sich aber nur um einen Bruder des Valerius Asiaticus handeln, zumal der Kaiser in der folgenden Zeile von ihm als senator spricht.967 miserabili quidem indignissimoque hoc casu: 968 indignissimoque hoc casu: floskelhafter Superlativ; Sowohl Inhalt wie auch Bedeutung der Zeilen II 17-19 lassen sich nur ansatzweise ermitteln. Der Hinweis „idem de fratre eius possum dicere“ war sicherlich für die anwesenden Senatoren klar; er ermöglicht jedoch keine eindeutige Zuordnung mehr, da weder aus der antiken Literatur noch aus epigraphischen Befunden ein Bruder des L. Vestinus oder einer des Valerius Asiaticus bekannt sind. Tacitus erwähnt in seinen Historien einen Valerius Asiaticus, der aber offensichtlich ein Sohn des von Claudius beschimpften Senators gewesen ist969 und unter Nero als Belgicae provinciae legatus (hist. 1, 59, 2) sowie für das Jahr 69 als consul designatus (hist. 4, 4, 3) erwähnt wird. Ausgeschlossen werden kann, dass sich die Bemerkung auf einen Bruder des Vestinus bezieht, da in II 19 von einem senator die Rede ist, die Familie des Vestinus aber nicht im Senat vertreten war und auch keinen Senator stellte. Es scheint daher eher plausibel, dass es sich hier um einen (unbekannten) Bruder des Valerius Asiaticus handelt, der dem Senat angehört haben könnte. Dem Text ist nicht zu entnehmen, ob der Bruder selbst schon Senator gewesen ist oder welches Hindernis ihn davon abhielt, seine Mitgliedschaft im Senat wahrzunehmen.970 Alle Versuche, den Sinn dieser Zeilen genauer zu ergründen, erweisen sich letztlich als spekulativ und für die Interpretation der Gesamtrede auch nicht relevant. Die bedauernden Worte des Kaisers über Asiaticus’ Bruder lassen nicht den Schluss zu, dass das Schicksal des Bruders unbedingt im Zusammenhang mit der Verurteilung des Valerius Asiaticus stehen muss. Wäre dies der Fall, hätte der Perl, Die Rede des Kaisers, 131. Zur unterschiedlichen Interpretation dieser Formulierung siehe Perl, Die Rede des Kaisers, 131, bes. Anm. 35. 969 Weynand, F., ‚Val. Asiaticus [107]’, in: RE VII A 2, 1948, 2345f. PIR2 V 45. 970 Zu den Gründen, die zum sozialen Abstieg und zum Ausschluss aus dem Senat führen konnten: Heil, M., Sozialer Abstieg: Beredtes Schweigen, in: W. Eck - M. Heil (Hg.), Senatores populi Romani. Realität und mediale Präsentation einer Führungsschicht. Kolloquium der Prosopographia Imperii Romani vom 11. – 13. Juni 2004 (HABES 40), Stuttgart 2005, 297312. Klingenberg, Sozialer Abstieg in der römischen Kaiserzeit, bes. 95-160. 967 968

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Kaiser das unschuldige Opfer ‒ wie in diesem Fall einen Bruder des Asiaticus – vor den Folgen bewahren können. Gewöhnlich bildeten andere Gründe wie Krankheit oder Vermögensverlust unverschuldete Hindernisse, um eine Tätigkeit im Senat wahrzunehmen.971 Festzuhalten bleibt, dass mit dem exemplum des Asiaticus als eines Senators aus Vienna der Redner die Argumentation für seinen Antrag nicht wirklich überzeugend stützen kann; warum der Redner dieses Beispiel überhaupt erwähnt, bleibt offen. II 20-22: Tempus est iam, Ti(beri) Caesar Germanice, detegere te patribus conscriptis, quo tendat oratio tua; iam enim ad extremos fines Galliae Narbonensis venisti.: Ti(beri) Caesar Germanice: Den Beinamen ‚Germanicus’ hatten Claudius und seine Brüder von ihrem Vater Drusus geerbt. Nach dem erfolgreichen Feldzug gegen Britannien hatte der Senat dem Prinzeps und seinem Sohn Tiberius Claudius Germanicus den Titel ‚Britannicus’ verliehen, den Claudius jedoch abgelehnt hatte972 (und auch nicht benutzte), während diese Ehrenbezeichnung für den Sohn „zum gewöhnlichen Namen wurde“.973 Tempus est iam, (...) detegere te patribus conscriptis, quo tendat oratio tua: Hier ruft Claudius erneut sich selbst zur Ordnung: ‚er soll endlich zum Thema kommen’ (ähnlich wie in I 40). ad extremos fines Galliae Narbonensis venisti: Claudius spricht sich selbst in der 2. Person an und nimmt damit das Pronomen ‚te’ in Z. 20 auf. Mit Vienna hat er bereits die Grenze zwischen der Gallia Narbonensis974 und der Comata und damit zwischen dem römischen und dem provinziellen Gebiet des Imperiums erreicht. Auf die wenig überzeugenden exempla für Senatoren aus Vienna folgt unvermittelt ein Ordnungsruf, den der Redner an sich selbst richtet. Wie bereits in I 40 – „sed illoc potius revertar“ – ermahnt sich Claudius selbst, endlich zum Thema zu kommen. Dass diese Worte nicht, wie in der Literatur vielfach angenommen, den Zwischenruf eines Senators wiedergeben, der dann in das Sitzungsprotokoll und auf diesem Weg in die Vorlage der Rede für den Graveur der Bronzetafel aufgenommen worden ist, hat Perl nachgewiesen.975 Nicht nur die Tatsache, dass nach der bereits erwähnten Mitteilung des Plinius Zurufe im Senat erst seit Trajan in die Niederschriften aufgenommen worden sind,976 sondern insbesondere formale und sprachliche Hinweise stützen die Auffassung, dass hier die Worte Perl, Die Rede des Kaisers, 131. Kienast - Eck - Heil, Kaisertabelle, 82. 973 Cass. Dio 60, 22, 1. 974 Zur Gallia Narbonensis: S. 24, Anm. 117. 975 Perl, Die Rede des Kaisers, 132, bes. Anm. 36 mit Diskussion der unterschiedlichen Interpretationen des Ordnungsrufs. 976 Plin. paneg. 75,2 - Vgl. Fabia, La table, 120. 971 972

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des Kaisers wiedergegeben werden: zum einen wäre eine Unterbrechung seiner Rede durch ein Senatsmitglied als Affront aufgefasst worden, auf den der Redner im weiteren Verlauf der Rede hätte eingehen müssen. Eine derartige Herabsetzung der dignitas des Prinzeps hätte für den Zwischenrufer auch zu nicht vorhersehbaren Konsequenzen geführt. Zum andern weist die Nennung des vollständigen Namens ‚Ti(beri) Caesar Germanice’ statt der offiziellen Anrede des Prinzeps als ‚Caesar’ eindeutig auf den Kaiser als Sprecher hin. Schließlich ist der Ausdruck ‚patres conscripti’ die offizielle Anrede Dritter an die Mitglieder des Senats, wie Claudius selbst sie II 30 als Anrede verwendet. Ein Senator hätte an dieser Stelle einfach das Personalpronomen ‚nobis’ benutzt.977 Wie Perl bemerkt, können diese Zeilen als selbstkritisch - ironische Bemerkung des Kaisers verstanden werden, mit der er in der Zuhörerschaft Heiterkeit und zugleich Aufmerksamkeit für sich hervorrufen will, wenn er endlich auf das eigentliche Thema zu sprechen kommt.978 Zu dieser Selbstanrede des Prinzeps passt auch Suetons Urteil über Claudius’ Sprache ‚composuit inepte magis quam ineleganter’ (Claud. 41, 3); Tacitus gibt dazu den Hinweis ‚nec in Claudio, quotiens meditata dissereret, elegantiam requireres’ (ann. 13, 3, 2).979 Nachdem Claudius mit seinen letzten Worten – bildlich gesprochen – auf der imaginären Landkarte bis an die äußersten Grenzen der romanisierten Narbonensis gelangt ist, steht für die Zuhörer das Ziel der Rede klar vor Augen: es geht um eine Angelegenheit jenseits der Grenze, genauer gesagt um die Zustimmung des Senats zur Zulassung zum Senat für römische Bürger aus der Comata. Um den Senatoren die Zustimmung zu seinem Antrag zu erleichtern, rückt er die Narbonensis ganz dicht an die Comata, um dadurch die Unterschiede zwischen den beiden Provinzen zu überdecken. Zum Verständnis und zur Einordnung des Inhalts dieser und der folgenden Zeilen werden Perls Ausführungen hierzu wiedergegeben: „Durch einen weiteren Kunstgriff verwischt Claudius die beträchtlichen Unterschiede zwischen einerseits Gallia Narbonensis sowie der römischen Colonia Lugudunum und ander[er d. V.]seits Gallia Comata, indem er die geographische Nähe betont: er ist schon an den äußersten Rand von Gallia Narbonensis gekommen, von wo es nur noch ein kleiner Schritt bis zum Boden unmittelbar jenseits der Grenze der Provinz Narbonensis ist, wo die römische Colonia Lugudunum liegt, aber auch Gallia Comata beginnt; während er bei Vienna den Status einer Colonia hervorhebt, unterdrückt er das bei Lugudunum und wählt das unbestimmte solum, das auch das Gebiet von Gallia Comata impliziert.“980

Fabia, La table, 120 sowie Perl, Die Rede des Kaisers, 132. Perl, Die Rede des Kaisers, 132. 979 Perl, Die Rede des Kaisers, 132. 980 Perl, Die Rede des Kaisers, 135. 977 978

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II 23-26: Tot ecce insignes iuvenes, quot intueor, non magis sunt paenitendi senatores, quam paenitet Persicum, nobilissimum virum, amicum meum, inter imagines maiorum suorum Allobrogici nomen legere.: insignes iuvenes: Nipperdey vertritt in seinem Kommentar die Auffassung, dass mit dieser Bezeichnung junge Gallier gemeint sind, die als Mitglieder einer Delegation in die Hauptstadt gekommen waren, um vom Prinzeps das ius honorum zu erbitten, und die Claudius in der Senatssitzung hätte zugegen sein lassen.981 Auch wenn eine abschließende Feststellung darüber, wer mit den insignes iuvenes exakt gemeint gewesen ist, nicht getroffen werden kann, so spricht gegen Nipperdeys Auffassung vor allem, dass Claudius damit die Argumentation der Antragsgegner, die einen ‚Ansturm’ gallischer Adliger auf den Zugang zum Senat befürchteten,982 unterstützt und seine eigenen Vorstellungen von einer ‚moderaten’ Aufnahme Provinzialer in den Senat konterkariert hätte. Daher ist hier eher die von der Mehrzahl der Gelehrten vertretene These plausibel und überzeugend, wonach der Ausdruck insignes iuvenes sich nicht auf ‚Anwärter’ für einen Sitz im Senat bezieht, sondern dass mit dieser Bemerkung Männer gemeint sind, die bereits im Senat sitzen.983 Diese These wird auch durch den anschließenden Satz „non magis sunt paenitendi senatores“ gestützt. Perl sieht in den insignes iuvenes „Senatoren, die aus dem entferntesten Gebiet der Provinz Gallia Narbonensis stammen“, Angehörige des Volkes der Allobroger.984 Darüber hinaus findet diese Überlegung auch durch das folgenden Wortspiel des Kaisers mit dem Ausdruck ‚Allobrogici nomen’ zusätzliche Unterstützung. non magis sunt paenitendi: eine ähnliche Wortwahl findet sich bei Tac. ann. 11, 24: ‚num paenitet Balbos ex Hispania nec minus insignis viros e Gallia Narbonensi transivisse?’. Persicus: Der Senator Paullus Fabius Persicus985 stammte aus einer patrizischen Adelsfamilie. Er hatte unter Tiberius im Jahre 34 das Amt eines consul ordinarius inne und war unter Claudius Proconsul von Asia.986 nobilissimum virum, amicum meum: sind als floskelhafte Bezeichnungen zu verstehen und einzuordnen. Allobrogici nomen: Die Anspielung auf eine Abstammung des Paullus Fabius Persicus von einem ‚Allobrogicus’ ist absurd: Persicus’ Großvater Q. Fabius hatte als Konsul im Jahre 121 v. Chr. die Allobroger besiegt und deshalb den BeiNipperdey-Andresen, Tacitus, 320. Vgl. Tac. ann. 11, 23, 3f. 983 So u. a. Fabia, La Table, 122; Vittinghoff, Zur Rede des Kaisers Claudius, 310 mit Anm. 1; Miller, N. P., The Claudian Tablet and Tacitus. A Reconsideration, in: RhM 99, 1956, 304315, hier: 310; Flach, Die Rede des Claudius, 319; Perl, Die Rede des Kaisers, 135, mit Anm. 42. 984 Perl, Die Rede des Kaisers, 133. 985 Zu Leben und politischer Laufbahn dieses Senators: PIR2 F 51. Schneider, Zusammensetzung des römischen Senates, Nr. 69. 986 De Laet, De samenstelling van den senaat, 117 (Nr. 615). 981 982

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namen ‚Allobrogicus’ (‚Sieger über die Allobroger’) erhalten, nicht wegen seiner Herkunft.987 Perl fasst diesen Satz daher völlig zu Recht als einen kaiserlichen Scherz auf.988 Damit den Senatoren die Zustimmung zu seinem Antrag leichter fällt, kann Claudius es nicht lassen, „zur Auflockerung der Atmosphäre mit weiteren Scherzen fortzufahren“.989 Zunächst spricht er von ‚ausgezeichneten jungen Männern’, die für würdig befunden werden, in der curia zu sitzen. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich hierbei um Senatoren – „non s u n t paenitendi senatores“ ‒ allobrogischer Herkunft handelt. Die Anwesenheit von Senatoren aus dem Grenzbereich der Narbonensis zur Comata ist nach Claudius’ Worten ebenso wenig beschämend wie sich der Senator Persicus, den der Redner mit den Worten „nobilissimum virum, amicum meum“ als einen engen Vertrauten hervorhebt, sich nicht schämen muss, dass sich unter seinen Vorfahren ein Allobrogicus befindet. Dieser Senator ist aber kein Mitglied des Stammes der Allobroger (so scheint Claudius zunächst seine Zuhörer glauben zu machen), sondern ein Nachfahre des Siegers über diesen keltischen Stamm. Für den Redner wie auch für die Senatoren war klar, dass das Ganze ein Witz war, wie auch J. B. Meister in seinem vor wenigen Jahren veröffentlichten Beitrag zum Humor in der Politik der Prinzipatszeit hervorhebt.990 Mit dem wohl eher schmeichelhaft gemeinten, zugleich aber auch fragwürdigen Scherz will der Redner offensichtlich die Zustimmung des angesehenen Senators gewinnen,991 denn wer kann gegen das Vorhaben des Prinzeps opponieren, wenn selbst ein so angesehener Senator wie Persicus ihn unterstützt, dessen dignitas auch durch die Berufung von Senatoren allobrogischer Herkunft nicht beeinträchtigt worden ist.992

Nipperdey-Andresen, Tacitus, 321. Perl, Die Rede des Kaisers, 133. 989 So Perl, Die Rede des Kaisers, 133. Ähnlich: Huß, W., Eine scherzhafte Bemerkung des Kaisers Claudius, in: Historia 29, 1980, 250-255, hier 252f. - Dass Claudius für Scherze bekannt war, zeigt Suetons Bemerkung: „immixtis interdum frigidis et arcessitis iocis“ (Claud. 21, 5). 990 Meister, Lachen und Politik, 43f. Meister geht im zweiten Teil seines Beitrags ausführlich auf die Rolle des Humors in Claudius’ Rede ein (42-48). 991 Dazu Perl: „Um gerade von dem angesehenen Senator aus einer der ältesten Adelsfamilien mit der Familientradition des Allobroger-Bezwingers die Zustimmung zu seinem Antrag zu erhalten, schreckte er [Claudius] auch vor fragwürdigen Mitteln wie dem schmeichelhaft gemeinten Witz über den Beinamen nicht zurück“ (Die Rede des Kaisers, 133). 992 Perl, Die Rede des Kaisers, 135: „Mit den Scherzen über den „Allobrogicus“ Persicus und den „Gallus“ Claudius schlägt er zusätzlich eine Brücke von Narbonensis nach Comata und stellt Gemeinsamkeiten her, um die Unterschiede vergessen zu machen. Claudius konnte bei seinen Hörern Kenntnisse voraussetzen, die uns zum Verständnis fehlen, so daß wir uns mit einer Kette nicht sehr sicherer Prämissen und Folgerungen begnügen müssen.“ 987 988

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II 26-29: quod si haec ita esse consentitis, quid ultra desideratis, quam ut vobis digito demonstrem, solum ipsum ultra fines provinciae Narbonensis iam vobis senatores mittere, quando ex Luguduno habere nos nostri ordinis viros non paenitet?: quod si haec ita esse consentitis, quid ultra desideratis: rhetorische Vereinnahmung des Senats durch den Kaiser. Der Ausdruck stellt eine indirekte Form der Polemik und Auseinandersetzung dar.993 ut vobis digito demonstrem: laut Perl hat bereits 1833 K. Zell erkannt: „fortasse hoc loco Princeps neminem alium quam se ipsum significat utpote Lugduni natum“. Claudius zeigt mit dem Finger auf sich selbst und verdeutlicht damit, wen er mit seiner Anspielung auf ‚senatorische Vertreter aus Lugdunum’ ganz konkret meint.994 solum ipsum (…) senatores mittere: Metapher; solum ipsum ultra fines provinciae Narbonensis: Anders als bei der Erwähnung Viennas (II 10f.), wo er den Status der Stadt als colonia hervorhebt, spricht er im Zusammenhang mit Lugdunum nur vom unbestimmten solum, das die Comata einschließt. Er suggeriert damit, dass der ‚Boden’ jenseits der Narbonensis bereits Senatoren nach Rom schickt.995 ex Luguduno: Lugudunum ist die ältere Form für Lugdunum. Die 43 v. Chr. gegründete Militärkolonie hatte – im Gegensatz zu Vienna ‒ seit ihrer Gründung das römische Bürgerrecht besessen.996 Claudius war dort im Jahr 10 v. Chr. geboren worden (Suet. Claud. 2); er stellt sich hier gleichsam selbst als Senator aus dieser Stadt vor. nos nostri ordinis viros: Claudius reiht sich selbst in den ‚ordo senatorius’ ein und stellt sich so auf eine Stufe mit den übrigen Senatoren. Er spricht dabei von Senatoren im Plural, obwohl er mit dem Fingerzeig auf seine Person zu erkennen gibt, dass er der einzige Vertreter des ‚nostri ordinis’ aus Lugdunum ist. Nach der ‚Vereinnahmung’ der Senatoren, wie sie der Kaiser in den vorhergehenden Zeilen versucht hat, kommt er nun auf das Ziel seines Antrags zu sprechen. Wenn die Senatoren seiner bisherigen Argumentation folgen und ihr zustimmen, dann müssen sie auch zugestehen, dass mit dem gleichen Anspruch auf Zustimmung über Senatoren aus der Gallia Comata gesprochen wird: „quando ex Luguduno habere nos nostri ordinis viros non paenitet?“ Zum Fingerzeig des Princeps bemerkt Perl:997 „Dabei macht der bloße Fingerzeig nur bei Claudius selbst einen Sinn, da sein gallischer Geburtsort notorisch war. Seneca (apocol. 6, 1) schlachtet diese Hervon Albrecht, Meister, 120. Perl, Die Rede des Kaisers, 134. 995 Zu Senatoren aus den westlichen Provinzen: De Laet, De samenstelling van den senaat, 278-280. 996 Zu Lugdunum ausführlich: Kap. II, S. 19 mit Anm. 80 und 81 (mit Literaturangaben). 997 Perl, Die Rede des Kaisers, 134. 993 994

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kunft (ein „echter Gallier“) weidlich aus und erwähnt auch (6, 2), daß Claudius es liebte, seine Worte durch Gesten zu verdeutlichen. Bei Senatoren aus dem Kreis der Versammelten wäre ein Hinweis ohne Namensnennung unverständlich, wie er im vorhergehenden Beispiel natürlich den Namen des Persicus nennt. Wenn es tatsächlich bereits Senatoren aus Gallia Comata gegeben hätte, wäre die Rede für die Einführung dieser Neuerung überflüssig gewesen. Durch diesen Scherz wird evident, daß auch die ganze vorangehende Partie in scherzhaftem Ton gehalten ist.“998 II 30-32: timide quidem, p(atres) c(onscripti), egressus adsuetos familiaresque vobis provinciarum terminos sum, sed destricte iam Comatae Galliae causa agenda est.: timide: behutsam, vorsichtig; egressus adsuetos … terminos sum: Hyperbaton; egressus adsuetos familiaresque vobis provinciarum terminos sum: Claudius betont hier die soziale Grenze zwischen den provinciae, die den Zuhörern gut vertraut sind, und der Gallia Comata, der er hier die Bezeichnung als provincia vorenthält. stricte: (‚entschieden’) ist als Gegensatz zum vorhergehenden timide zu verstehen. Comatae Galliae: gebraucht Claudius für Caesars tres Galliae; früher wurde es für die gesamte Gallia Transalpina im Gegensatz zur Gallia Togata = Gallia Cisalpina verwendet.999 Mit der Erwähnung Lugdunums hat Claudius gedanklich bereits die Grenzen der Narbonensis überschritten. Bei dieser ‚Grenzüberschreitung’ sind zwei Aspekte zu beachten, die in den Worten „egressus adsuetos familiaresque vobis provinciarum terminos sum“ zum Ausdruck kommen. Zum einen meint diese Überschreitung den konkreten Grenzübertritt über die geographische Grenze zwischen zwei römischen Provinzen, der Narbonensis und der Comata. Zum andern ist hier auch der Schritt über eine zivilisatorische Grenze angesprochen, von einer Region, die von römischer Lebensart und Kultur geprägt ist, in ein Gebiet, das in der Vorstellungswelt vieler Römer sich noch in der Entwicklung zu einer ‚romanisierten’ Provinz befindet. Claudius selbst lässt diesen Unterschied deutlich werden, wenn er die Narbonensis mit den Worten „adsuetos familiaresque vobis provinciarum terminos“ umschreibt, für das Gallien, dessen primores er mit seinem Antrag fördern will, es aber bei der Bezeichnung Comata Gallia belässt und den Status als Provinz unterschlägt, was besonders im Hinblick auf seinen Antrag wenig Sinn ergibt. Der Schritt über die Grenze macht gleichzeitig das ‚Neue’ offenkundig, das Claudius’ Antrag zum Inhalt hat und in der knappen 998 999

Dazu Huß, Eine scherzhafte Bemerkung des Kaisers Claudius?, hier: 252-254. Perl, Die Rede des Kaisers, 135f.

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Formulierung „Comatae Galliae causa agenda est“ seinen Ausdruck findet. Diese Worte stellen nochmals unmissverständlich klar, dass der Kaiser für Gallien eine Maßnahme vorgesehen hat, die als etwas völlig Neues angesehen werden muss, wie er bereits am Anfang seiner Rede betont hat. II 32-35: in qua si quis hoc intuetur, quod bello per decem annos exercuerunt Divom Iulium, idem opponat centum annorum immobilem fidem obsequiumque multis trepidis rebus nostris plus quam expertum.: si quis hoc intuetur: Kontrast zu ‚idem opponat’ in der nächsten Zeile; exercuerunt: als Subjekt ist ‚Galli’ zu ergänzen; per decem annos: Damit sind die zehn Jahre des von Caesar initiierten Krieges gegen die Gallier von 59 – 50 v. Chr. gemeint. In der Rede des Kaisers bei Tacitus ann. 11, 24, 6 wird der Gallische Krieg völlig heruntergespielt: „ac tamen, si cuncta bella recenseas, nullum breviore spatium quam adversus Gallos confectum“. Divom: alte Form für Divum; immobilem fidem obesquiumque (…) plus quam expertum: Chiasmus; obsequiumque multis trepidis rebus plus quam expertum: Hyperbaton; Nachdem der Kaiser in der bildlichen Vorstellung endgültig die Grenzen zur Comata überschritten hat, kommt er konkret auf die „Comatae Galliae causa“ und damit auf den Kern seines Antrags und das Ziel seiner Rede zu sprechen. Es geht um eine Angelegenheit, die die noch nicht romanisierten Provinzen der tres Galliae Caesars betrifft. Auch hier nimmt er zunächst wieder einen möglichen Einwand seiner Opponenten vorweg: wenn diese auf den zehn Jahre dauernden Krieg der Gallier gegen Caesar verweisen, so müssen sie gleichzeitig auch einräumen, dass diese Gallier hundert (zehn mal zehn!) Jahre lang Rom gegenüber Treue und Gehorsam erwiesen haben. Die Formulierung „immobilem fidem“ und „obsequiumque multis trepidis rebus nostris plus quam expertum“ (II 34f.) zeigt eine Idealvorstellung des Kaisers von den Galliern, die sich bereits unter Augustus herausgebildet hatte. So galt nach R. Urban1000 spätestens mit der Einrichtung des Kaiserkults durch Drusus ab 12 v. Chr. Gallien als ‚befriedet’; man sprach offiziell von der ‚Gallia pacata’. Mit dieser Bezeichnung wurde vor allem die Funktion Galliens als das Aufmarschgebiet für militärische Unternehmungen gegen germanische Stämme hervorgehoben. Wie Urban weiter ausführt, erforderten die „Feldzüge weit ins Innere Germaniens (…) in zweifacher Hinsicht geradezu die propagandistische Herausstellung der inneren Befriedung Galliens. Zum einen mußte die weitere militärische Expansion so als wenig riskant erscheinen, zum andern benötigte man zu deren erfolgreiche Durchführung gallischer Hilfstruppen in größerem Ausmaß. Deren Loyalität durfte nach innen wie nach außen in 1000

Urban, Gallia rebellis, 34.

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keiner Weise in Frage gestellt werden. Antigallische Ressentiments konnten da nur kontraproduktiv wirken.“1001 Schon die bloße Erwähnung gallischer Unruhen und Aufstände hätte deshalb die seit Augustus verfolgte politische Maßgabe, nach der Gallien befriedet sei und sich auf dem Wege fortschreitender Romanisierung befinde, empfindlich gestört und letztlich Claudius’ Antrag und vor allem seine Argumentation als widersinnig erwiesen. Das gilt in besonderem Maße für die letzte größere Aufstandsbewegung des Iulius Florus und des Iulius Sacrovir im Jahr 21 n. Chr., die mit maßgeblicher Beteiligung des Stammes der Haeduer stattgefunden hatte.1002 Ebenso übergeht der Kaiser beim Hinweis auf seinen Vater Drusus, der in der Zeit von 12 – 9 v. Chr. Gallien verwaltete, den in dieser Zeit ausgebrochenen „tumultus ob censum in Gallia“, von dem Livius (per. 139) und Cassius Dio (54, 32, 1) berichten. Stattdessen hebt Claudius erneut das geradezu vorbildhafte Verhalten’ der Gallier in den Jahren der römischen Herrschaft unter seinem Vater Drusus hervor, indem er eine Parallele zwischen dem Census in Gallien unter Augustus und dem von ihm selbst veranlassten aktuellen Census des Jahres 47/48 zieht. II 35-36: illi patri meo Druso Germaniam subigenti tutam quiete sua securamque a tergo pacem praestiterunt, et quidem cum a{d} census novo tum opere et inadsueto Gallis ad bellum avocatus esset.: patri meo Druso: Claudius’ Vater Nero Claudius Drusus1003 war von 13 - 9 v. Chr. Statthalter in Gallien und hatte dort in Augustus’ Auftrag einen census zur Steuerfestsetzung (Tributzahlung) durchgeführt. Von dort wurde er zu mehrjährigen Feldzügen gegen germanische Stämme abberufen.1004 Posthum war ihm (und seinen Söhnen) der Beiname ‚Germanicus’ verliehen worden.1005 quies und pax zählen zu den politischen Schlagwörtern der Kaiserzeit.1006 Die Gewährleistung von Ruhe und Ordnung, also der inneren Sicherheit, gehörte laut römischen Rechtsquellen zu den wichtigsten Aufgaben der Statthalter in den Provinzen: „Congruit bono et gravi praesidi curare, ut pacata atque quieta provincia sit quam regit. Quod non difficile optinebit, si sollicite agat, ut malis hominibus provinccia careat eosque conquirat: nam et sacrilegos latrones plagiarios furesconquirere debet et prout quisque deliquerit, in eum animadvertere, receptore-

Urban, Gallia rebellis, 34. Dazu Perl: „Bei den hundert Jahren Treue läßt Claudius die Triumphe über Gallien in den Jahren 43, 28, 27 v. Chr. und den großen Aufstand des Jahres 21 n. Chr. … außer Betracht; das hätte sein Idealbild nur gestört.“ (Die Rede des Kaisers, 136.) 1003 Zu Drusus s. S. 21, Anm. 91. 1004 Cass. Dio, 54, 32 f. 55, 1f. 1005 Cass. Dio, 55, 2, 3. 1006 von Albrecht, Meister, 120. 1001 1002

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sque eorum coercere, sine quibus latro diutius latere non potest.” (Digesten 1, 18, 13 pr.)1007 Insofern konnte das Verhalten der Gallier gegenüber seinem Vater Drusus von Claudius als beispielhaft herausgestellt werden und Drusus’ Statthalterschaft als ein exemplum für die vorbildliche Verwaltung der Provinz verstanden werden. a{d} census auf der Tafel muss als Gravierfehler - statt ‚a census’ – betrachtet werden.1008 census: Dieser Begriff umfasst nach W. Kubitscheck vier unterschiedliche Bedeutungen.1009 Hier bezieht er sich auf den provinzialen Census in Gallien unter Augustus.1010 Nach der Eroberung Galliens hatte Caesar jeder gallischen Gemeinde eine pauschale Abgabe auferlegt. Augustus versuchte dann 40 Jahre lang, die Steuer neu zu regeln und die Abgaben genau aufzuschlüsseln. Erst Germanicus konnte diesen Census im Jahr 14 n. Chr. abschließen. 1011 inadsueto = inassueto; a{d} census novo tum opere et inadsueto Gallis: der Census stellte für die Gallier eine ‚Neuerung’ dar. ad bellum: Damit sind die Feldzüge des Drusus gegen germanische Stämme in den Jahren 12 – 9 v. Chr. gemeint. Während es beim census in Gallien seinerzeit um „die Eintragung der steuerpflichtigen subiecti – also derer, die nicht cives Romani sind – in die Steuerlisten 1007 Dazu auch: Wesch-Klein, Die Provinzen des Imperium Romanum, 50f. Der inneren Sicherheit diente in den Provinzen vor allem die Rechtsprechung der Statthalter und (vor allem in den östlichen Provinzen) die Kontrolle über die Städte; in den sog. kaiserlichen Provinzen standen darüber hinaus römische Legionen dem Statthalter für den Einsatz innerhalb der Provinz im Ernstfall zur Verfügung. - Zu den Aufgaben des Statthalters s. auch: MeyerZwiffelhoffer, E., Πολιτικῶς ἄρχειν. Zum Regierungsstil der senatorischen Statthalter in den kaiserzeitlichen griechischen Provinzen (Historia Einzelschriften 165), Stuttgart 2002, hier bes. 227-237; die dort getroffenen Aussagen, die allerdings nicht auf die Gewährleistung von quies und pax im Zusammenhang mit der Bereisung der Provinz durch den Stadthalter eingehen, lassen sich weitgehend auf die westlichen Provinzen übertragen. 1008 Perl, Die Rede des Kaisers, 136-137, bes. Anm. 13. 1009 Kubitschek, W., ‚Census’, in: RE III, 2, 1899, 1914-1924, unterscheidet vier Bedeutungen von census: A. Census populi. B. Census in den Provinzen. C. Municipalcensus. D. Census als Standesqualification in der Kaiserzeit. Gizewski, Chr., ‚Census.’, in: DNP 2, 1997, 1059f. Jacques - Scheid, Rom und das Reich, 173-175. Unruh, F., „… Dass alle Welt geschätzt würde.“ Volkszählung im Römischen Reich (Schriften des Limesmuseums Aalen 54), Stuttgart 2001. 1010 Zum Provinzialcensus: Braunert, H. Der römische Provinzialzensus und der Schätzungsbericht des Lukas-Evangeliums, in: Historia 6, 1957, 192-214 (wieder abgedruckt in: Ders., Politik, Recht und Gesellschaft in der griechisch-römischen Antike. Gesammelte Aufsätze und Reden, hg. von K. Telschow und M. Zahrnt (Kieler Historische Studien 26), Stuttgart 1980, 213-237); zum hier angesprochenen Provinzialcensus in Gallien unter Augustus 219-221. 1011 Perl, Die Rede des Kaisers, 136.

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bei gleichzeitiger Schätzung ihres steuerpflichtigen Vermögens (caput)“1012 ging, der census also als Grundlage für die Steuerfestsetzung der Provinzbewohner diente, war der von Claudius angesprochene census populi für die Erstellung einer neuen (aktuellen) Liste der römischen Bürger, für die Feststellung des steuerpflichtigen Vermögens und für die Eintragung der Bürger in die Heeresrollen bestimmt. Einen derartigen census hatte zuletzt Augustus 14 n. Chr. durchgeführt;1013 der Versuch, damit gleichzeitig eine Verbesserung der staatlichen Einnahmen durch eine neue Besteuerung zu erzielen, hatte erhebliche Unruhe bei den Bürgern hervorgerufen und Augustus zur Änderung seiner Steuerpläne veranlasst.1014 Nimmt man Claudius’ Äußerungen über die Schwierigkeiten bei der Durchführung wörtlich, so muss der von ihm veranlasste census der römischen Bürger von den Betroffenen ebenfalls als äußerst unbequem und lästig empfunden worden sein und Widerspruch hervorgerufen haben.1015 Im Vergleich zum census des Jahres 47/48 n. Chr. stellte der census in Gallien unter Drusus’ Leitung für die Bewohner eine spürbare finanzielle, vor allem auch eine emotionale Belastung, ja Demütigung dar1016 - und gab den Betroffenen Grund zum Widerstand und zum Aufruhr.1017 Stattdessen hatten, wie der Redner betont, die gallischen Stammesführer Ruhe und Frieden gewahrt: „tutam quiete sua securamque a tergo pacem praestiterunt“, und sich somit als gute Staatsbürger – viri boni – erwiesen. Umso mehr verdient aus Sicht des Kaisers dieses vorbildliche Verhalten der Gallier während ihrer Steuerschätzung Respekt und Anerkennung. Die Schlussfolgerung, die die Senatoren aus Claudius' Argumentation ziehen sollen, kann demzufolge nur lauten: diejenigen, die sich in einer für das Imperium ausgesprochen schwierigen, ja sogar gefährlichen Situation als viri boni erwiesen haben, haben es jetzt verdient, dass ihnen der Zugang zum Senat eröffnet wird. Diese Konsequenz spricht Claudius in seiner Rede ganz bewusst nicht selbst aus; er will in den Senatoren nicht das Gefühl wecken, er wolle sie bevormunden. Vielmehr bietet er seinen Zuhörern die Möglichkeit, ihrerseits „diese auf der Hand liegende Schlussfolgerung selbst zu ziehen“1018 und dem Antrag des Kaisers aus eigener Überzeugung ihre Zustimmung zu geben. Gizewski, ‚Census’, DNP 2, 1060. Zum Census des Jahres 14: Suolahti, The Roman Censors, 506. 1014 Über die Schwierigkeiten beim Census des Augustus im Jahre 14. n. Chr.: Perl, Die Rede des Kaisers, 137. 1015 Wegen der offensichtlichen Schwierigkeiten bei der Durchführung eines reichsweiten Census wurde dieser letztmalig von Vespasian (zusammen mit Titus) 73/74 n. Chr. vorgenommen (Kubitschek, ‚Census. A’, 1918. Suolahti, The Roman Censors, 513-515. Levick, B. M., Vespasian, London - New York 1999, 130. Jacques - Scheid, Rom und das Reich, 101). 1016 Die Festsetzung der Steuern wurde in diesem Fall von den Galliern als Tributzahlung eines unterworfenen Volkes verstanden und verletzte ihr Ehrgefühl. 1017 Liv. Per.139. Cass. Dio 54, 32, 1. - Simpson, C. J., The Birth of Claudius and the Date of Dedication of the Altar Romae et Augusto at Lyon, in: Latomus 46, 1987 586-962, hier: 587. Unruh, Volkszählung im Römischen Reich, 43-48. 1018 Perl, Die Rede des Kaisers, 137. 1012 1013

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II 38-40: quod opus quam arduum sit nobis, nunc cum maxime, quamvis nihil ultra, quam ut publice nota sint facultates nostrae, exquiratur, nimis magno experimento cognoscimus.: quod opus quam arduum sit: Die Durchführung eines Census ist an sich schon mühevoll und schwierig. nobis: im Gegensatz zu den Galliern: „uns, ‚den Römern’, von denen man doch wegen der Gewöhnung erwarten sollte, dass wir uns ihm [scil. ‚dem Census’] leichter unterwerfen würden“.1019 nunc: gerade jetzt’ als Hinweis auf Claudius’ aktuellen Census; cognoscimus: bezeichnet hier nur den Kaiser selbst, der von seinen innenpolitischen Verdiensten als Censor spricht. facultates: Geldmittel, Vermögen, Vermögensverhältnisse; Die Zeilen 38-41 bilden als Exkurs das Gegenstück zum Exkurs in I 37-40: dort geht es um einen Erfolg in der Außenpolitik, hier um die Durchsetzung einer wichtigen Maßnahme auf dem Feld der Innenpolitik. Nochmals bezieht sich Claudius auf den Census bei den Galliern und stellt ihn dem aktuellen Census1020 gegenüber, der nach seinen Worten in der Einschätzung der Vermögensverhältnisse (zu statistischen Zwecken, wie Perl meint) sowie vorrangig in der Ermittlung der Anzahl römischer Bürger im Imperium bestand.1021 Die Worte des Kaisers stellen auch klar, dass die Zeilen II 39-41 nur vordergründig eine disgressio bzw. einen Exkurs enthalten. In Wirklichkeit bilden sie das Gegenstück zu den Zeilen II 35-38 und treiben die Argumentation des Prinzeps vom friedlichen und treuen Gallien auf die Spitze. Gleichzeitig spannt der Redner mit diesen Worten den Bogen zu seiner Darstellung als siegreicher Feldherr in I 37-40: Dort hatte er auf seine außenpolitischen (militärischen) Erfolge aufmerksam gemacht; hier verweist er auf seine innenpolitischen Fähigkeiten und Verdienste. Dabei macht er noch einmal den Senatoren klar, dass es der Kaiser ist, der hier mit seiner Amtsautorität zu ihnen spricht. An diesem Punkt endet die Inschrift auf der Bronzetafel und damit Claudius’ Rede. Sie zeigt, dass sich der Kaiser das Anliegen der gallischen primores nicht nur zu eigen gemacht hat, sondern es auch offensiv im höchsten politischen Gremium des Reiches vertritt. Im Bewusstsein, dass das von ihm angestrebte Ziel einer Ausweitung des Bewerberpotenzials für staatliche Führungspositionen nur erreicht werden kann, wenn die Mitglieder des Senats selbst einer derartigen Erweiterung zustimmen, bindet er diese Institution in seine Politik ein, auch wenn dazu keine rechtliche Verpflichtung für ihn besteht. Sicherlich kann man 1019

Nipperdey-Andresen, Tacitus, 321. Zu Claudius’ Census: Suolahti, The Roman Censors, 507-513. Levick, Claudius, 98-101. 1021 Tac. ann.11, 25, 5. 1020

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diesen Vorgang auch als eine Art ‚Versuchsballon’ verstehen: Unter Anerkennung des Vorrangs von Senatoren aus Italien verweist der Kaiser zunächst darauf, dass nach seiner Überzeugung generell Provinziale im Senat vertreten sein sollen (II 5-7). Diese ‚allgemeine’ Aussage konkretisiert der Kaiser im weiteren Verlauf seiner Rede und grenzt sie entsprechend dem ursprünglichen Antrag ein. Das abrupte Ende der Rede hat in der Forschung zu unterschiedlicher Hypothesen geführt, weil es nicht wenigen Interpreten unpassend schien, dass der ausführlichen Rede zumindest vordergründig ein adäquater und sachgerechter Abschluss fehlt. Nach den Erkenntnissen, die aus P. Herrmanns Untersuchung einer Inschrift von Milet gewonnen werden konnten,1022 ist aber davon auszugehen, dass nach der Rede zur Aufnahme von Galliern in den Senat die Behandlung weiterer Themen durch den Kaiser auf der Tagesordnung dieser Sitzung gestanden hat. Nachdem Claudius in einer oratio principis seinen Standpunkt zum Antrag ‚Zulassung von Galliern zum Senat’ dargestellt und begründet hat, kommt er auf den nächsten (uns unbekannten) Punkt der Tagesordnung zu sprechen. Damit war der Gegenstand der Sitzung, der für die Gallier von Bedeutung und Interesse war, abgeschlossen, und ein neuer Punkt der Tagesordnung stand zur Behandlung an. Sinnvollerweise wurde daher nach der Sitzung auch nur der Teil der Verhandlungen im Senat an die Gallier schriftlich weitergegeben, der sich mit ihrem Antrag befasst hatte. Dieses, wie die Inschrift aus Milet belegt, durchaus übliche Verfahren spricht deutlich dafür, dass die Rede als abgeschlossen zu betrachten ist. Ein weiteres Indiz für die Auffassung, dass die Rede wirklich einen Abschluss gefunden ist, bietet das äußere Erscheinungsbild der tabula Claudiana: der Text endet auf der Bronzetafel in der letzten Zeile am unteren Tafelrand; für weitere Ausführungen findet sich hier kein freier Raum mehr. Berücksichtigt man die genannten Erkenntnisse, so erweisen sich alle Spekulationen, wie sie über eine weitere Tafel (mit einer Fortführung der Rede) angestellt worden sind,1023 als hinfällig.

1022

Die entsprechenden Ausführungen finden sich in Kap. II auf S. 31. So zuletzt Vittinghoff, Zur Rede des Kaisers Claudius, 314: „Die überhaupt vergleichbaren Stücke der beiden Reden verringern sich noch mehr bei der durchaus möglichen Annahme, daß auch der Schlußteil nicht vollständig auf uns gekommen ist, daß also ursprünglich noch eine andere Tafel vorhanden war. Denn es ist unwahrscheinlich, daß die Kaiserrede, die offensichtlich ungekürzt wiedergegeben wird, derart abrupt mit dem nebensächlichen Vergleich des römischen mit dem gallischen Census abgebrochen sei, ohne zumindest ihr eigentliches Anliegen erneut zu nennen und den Senatsbeschluß vorzubereiten.“ 1023

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VI. Ergebnis Mit seiner Senatsrede aus dem Jahre 48 hat Claudius überzeugend belegt, dass er in der Lage und willens war, für eines der zentralen Probleme der kaiserzeitlichen Politik, nämlich für die Frage, wie eine Integration der unterworfenen Völker in das Imperium erfolgen konnte, eine Antwort zu finden, die durchaus als wegweisend anzusehen ist. Dabei darf der Begriff der ‚Integration’ in diesem Zusammenhang nicht suggerieren, dass darunter eine auch nur irgendwie geartete Gleichbehandlung der gesamten freien provinzialen Bevölkerung mit römischen Bürgern zu verstehen ist. Integration bedeutet in dieser Zeit zunächst einmal die Einbeziehung und Einbindung der Oberschicht der einzelnen Provinzen in die Führungs- und Verwaltungshierarchien des Imperiums; sie bezieht sich damit nur auf einen kleinen, zahlenmäßig sehr begrenzten Kreis von Provinzialen, der jedoch für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und für die Beständigkeit der römischen Herrschaft in den Provinzen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung besaß. Wie sich aus der Rede erschließen lässt, hatten die gallischen Adligen mit ihrem Antrag auf Zugang zum Senat den Kaiser unbeabsichtigt in ein Dilemma gebracht. Zum einen verlangte seine Rolle als pater omnium, die Bitte der Antragsteller aufzugreifen; er konnte das Anliegen, das gleichzeitig auch eine Loyalitätsbekundung darstellte, nicht übergehen oder gar abschlägig bescheiden. Darüber hinaus fühlte er sich aufgrund seiner Herkunft aus Lugdunum den Galliern in besonderem Maße verbunden und verstand als Caesars Nachfolger die gallischen primores als Angehörige seiner Klientel, deren Interessen er wahrzunehmen und in der Öffentlichkeit zu vertreten hatte. Andererseits wurde in dem Antrag ein Selbstverständnis der gallischen primores offenbar, das in dieser Form dem Kaiser gegenüber bislang nicht zum Ausdruck gekommen war und das er als Herausforderung betrachten musste. Zugleich war ihm sehr wohl bewusst, dass im Senat eine zahlenmäßig nicht unerhebliche Gruppe eine Einbuße an Einfluss befürchtete und deshalb gegen das Anliegen der Gallier opponierte. Deshalb musste der Prinzeps, wenn seine Rede Erfolg haben sollte, gleichzeitig zwei Anforderungen gerecht werden: sein Auftritt verlangte sowohl ein überzeugendes Eintreten für die Belange der gallischen Antragsteller als auch die Berücksichtigung der Interessen der Antragsgegner. Die hier vorgelegte Analyse der Rede wie auch das von Tacitus geschilderte Ergebnis der kaiserlichen Intervention zeigen, dass Claudius dieser Aufgabe insgesamt gerecht geworden ist. Das von Tacitus als Ergebnis überlieferte senatus consultum enthält den Kern der ‚Neuerung’, von der Claudius zu Beginn seiner Rede gesprochen hat und für die er mit Hilfe zahlreicher exempla stringent argumentiert. Das ‚Neue’ in seinem Antrag bestand in der Zulassung gallischer Adliger, die bereits die civitas Romana besaßen, zum Senat. Dieses Vorrecht erhielten zunächst Stammesange200

hörige der Häduer, denen ihr altes Bündnis mit Rom zugute gehalten wurde; insofern entsprach die Bevorzugung der Häduer auch einer Verpflichtung des Kaisers als ihrem patronus. Anders als Senatoren aus der Narbonensis, die in der Regel durch die Bekleidung lokaler Ämter vor ihrer Berufung in den Senat schon über politische Erfahrungen verfügten und mit den Sitten und Gepflogenheiten der römischen Zivilisation vertraut waren, stammten die nunmehr als ‚senatsfähig’ anerkannten primores aber nicht aus römischen coloniae oder municipia in der Provinz; sie fühlten sich von ihrer Herkunft und Lebensführung her in erster Linie ihren Stammesverbänden (‚civitates’) verbunden und zugehörig. Darüber hinaus erhielt das ‚Neue’ an der Entscheidung des Senats eine besondere Note durch die Regelung, dass erstmals den Adligen eines gesamten Stammes generell, und nicht wie bisher üblich, Einzelnen das als ius honorum bezeichnete Vorrecht zuerkannt wurde. Die Kompetenzen des Kaisers wurden durch das senatus consultum nicht berührt; vielmehr wurde sein politischer Spielraum ausgeweitet. Mit der Entscheidung, einzelne primores, die den Vorstellungen eines vir bonus entsprachen und die Erwartungen des Prinzeps erfüllten, durch eine adlectio in den Senat aufzunehmen, eröffnete sich die Möglichkeit, dass auch ‚Seiteneinsteiger’ aus den Provinzen in führende Positionen des Reiches gelangen konnten, ohne dass sie vorher öffentliche Ämter auf lokaler oder regionaler Ebene übernommen bzw. ausgeübt hatten. Die adlectio stellte insofern für den Kaiser die am besten geeignete Form für die Zulassung Provinzialer in den Senat dar, als die Entscheidung im Einzelfall in seiner Hand lag und er selbst Herr des Verfahrens war. Eine Vergabe des latus clavus an die primores ‒ sieht man einmal von der nicht unerheblichen Anzahl möglicher Anwärter oder Bewerber ab, die im Senat Widerstand hervorgerufen hätte ‒, würde bei einer notwendigen Begrenzung bzw. Auswahl der Kandidaten Probleme hinsichtlich der erforderlichen Kriterien verursacht, vor allem aber bei denen, die von diesem Vorrecht ausgeschlossen waren, über das Gefühl der persönlichen Verbitterung hinaus Rachegedanken und den Willen zum politischen Widerstand hervorgerufen haben, der im Extremfall in einem offenen Aufruhr gegen Rom seinen Ausdruck finden konnte. Die generelle Öffnung des Zugangs zum Senat für einen neuen, zunächst eng umgrenzten Personenkreis wirft die Frage nach ihrer konkreten Realisierung und damit nach den Konsequenzen und Auswirkungen auf. Hier ist zumindest auf den ersten Blick hin ein Widerspruch festzustellen zwischen der rechtlichpolitischen Entscheidung im Senat und den fehlenden literarischen Nachweisen oder epigraphischen Zeugnissen. Der Mangel an entsprechenden Belegen lässt zumindest den Schluss zu, dass offenbar der von Claudius initiierte Beschluss von ihm selbst nicht oder nur in sehr begrenztem Umfang in praktische Politik umgesetzt worden ist, vielleicht durch die Aufnahme einzelner Stammesfürsten der Häduer in den Senatorenstand. Ebenso lassen sich für eine Verleihung des latus clavus an Angehörige dieses gallischen Stammes keine Nachweise finden. 201

Soweit erkennbar ist der angesprochene Grundsatzbeschluss wohl mehr oder weniger auf dem Papier stehen geblieben. Die Bevorzugung von Adligen aus der Gallia Narbonensis in unmittelbarer Nachbarschaft auch in der Folgezeit, wie sie u. a. in Claudius’ Bestimmung über die Freizügigkeit von Senatoren aus dieser Provinz, d. h. die generelle Erlaubnis, ohne Genehmigung durch den Prinzeps Rom zu verlassen und die heimischen Landgüter aufzusuchen, zum Ausdruck kommt, wie andererseits die Beschränkung gallischer Soldaten auf eine Dienstleistung in den Auxiliartruppen können als deutliche Hinweise dafür gelten, dass trotz der Gallierfreundlichkeit, wie sie Claudius unterstellt wurde, in Rom bei der Behandlung der Provinzialen und ihrer primores weiterhin erhebliche Unterschiede zwischen den Provinzen der Comata und der Narbonensis bestanden, die u. a. auch zum Ausbruch des Aufstands in 68/69 beigetragen haben. Claudius’ Rede wie auch die Entscheidung im Senat über den Antrag sind auch Gradmesser für das wechselseitige Verhältnis der beiden Institutionen. Der Kaiser tritt als Antragsteller für eine Maßnahme auf, von deren Notwendigkeiten er selbst überzeugt ist und andere überzeugen, zumindest zu einer Unterstützung seines Anliegens überreden will. Dass er das Anliegen der Gallier überhaupt in den Senat einbringt, ist ein Hinweis auf die Brisanz, die hinter dem Antrag steckt. Rechtlich betrachtet steht die Entscheidung über die Zulassung zum Senat Claudius selbst aufgrund seiner Kompetenzen als Kaiser wie auch als amtierender Censor zu. Es sind nicht die vermeintlichen Vorurteile einiger Senatoren, wie sie in Tacitus’ Version der Rede formuliert werden, es ist vor allem die Ungewissheit, welche nicht vorhersehbaren Auswirkungen die geplante ‚Neuerung’ zur Folge haben könnte, die Claudius die Einschaltung des Senats in dieser Angelegenheit für sinnvoll und erforderlich halten lässt. Die Einbeziehung des Senats in Claudius’ aktuelle politische Entscheidungen entspringt somit nicht einem Ausweichen vor der Übernahme von Verantwortung in einer politisch heiklen Situation, sondern zeugt von einer pragmatischen Entscheidungssuche: es ist nur folgerichtig, wenn die Institution, die von der geplanten Maßnahme betroffen ist, auch an der Entscheidung darüber beteiligt wird. Für Claudius ist die Beteiligung des Senats nicht eine reine Formalität; sie ergibt sich für ihn vielmehr aus seiner Auffassung von der Machtverteilung im Prinzipat. Insofern zeichnet die Rede einen Kaiser, der hier als princeps senatus auftritt, der seine Zuhörer als gleichrangig betrachtet, ohne sich bei ihnen anzubiedern. In diesem Zusammenhang muss auch auf Tacitus’ Redeversion und seine Darstellung der Vorgänge unmittelbar vor und nach der Rede hingewiesen werden; seine Sicht auf Claudius unterscheidet sich in diesem Fall radikal von seiner sonstigen negativen Charakterisierung des Kaisers in den Annalen, wenn er hier die in der Originalrede sichtbare Tendenz des Kaisers zur Ausweitung des Rekrutierungsrahmens für Senatoren aufnimmt und sich in dieser Frage an die Seite des Prinzeps stellt.

202

Für eine modifizierte neue Sicht auf Claudius und seine Regierung bietet die Rede überzeugende Anhaltspunkte. Bereits die Anordnung der Inschrift auf der Bronzetafel zeigt eine Einteilung in Abschnitte und gibt damit eine Gliederung für den gesamten Text vor. Auch wenn die Originalrede nur fragmentarisch überliefert ist und ihr ursprüngliche Gesamtumfang nur annäherungsweise bestimmt werden kann, lässt die Aufteilung des Textes auf der Tafel den Schluss zu, dass der Autor in seiner Rede einen wohldurchdachten Gedankengang logisch entwickelt und zur Grundlage seiner weiteren Ausführungen genommen hat. In seiner Argumentation zu den einzelnen (Teil-) Aspekten geht er folgerichtig und konsequent vor. Der ihm von nicht wenigen modernen Kritikern vorgehaltene Auffassung, dass seine Rede nicht genügend durchdacht sei, sprachliche und stilistische Mängel bzw. Defizite zeige und dem Thema nicht angemessen sei, kann daher nicht beigepflichtet werden. Bei dieser Kritik bleibt zudem häufig unklar, welche Rede und welche Redesituation hier als Vergleichsgrundlage herangezogen wurden. Es besteht nun einmal ein ganz erheblicher Unterschied zwischen einer frei gesprochenen Rede, die unter Umständen ein Eingehen auf ad hoc - Situationen verlangt und die vom Sprechen und vom Zuhören ‚lebt’, und einer literarischen, kunstvoll verfassten und bis ins Detail ausgearbeiteten Rede, wie sie z. B. bei Cicero oder auch in der taciteischen Version von Claudius’ Originalrede zu finden ist. Die Frage, ob Claudius im Vergleich mit anderen römischen Staatsmännern zu den großen Rednern zu zählen ist, ist an dieser Stelle müßig. Interessant und für eine Beurteilung wichtiger scheint der Nachweis, dass seine Rede in ihrem Aufbau und ihrer Gliederung sachgerecht angelegt ist und in seinem Vortrag überzeugt. Claudius’ rhetorische Kenntnisse zeigen sich nicht nur in der Verwendung zahlreicher stilistischer Formen und Muster, sondern ebenso in der ausführlichen Nutzung historischer exempla, mit denen er seine Argumentation untermauert und anschaulich macht. Nicht zu unterschätzen ist außerdem die stark bildhafte Ausdrucksweise, wenn er z. B. die gedankliche Annäherung an sein zentrales Thema sprachlich in der Art einer Reise vorträgt oder sich des Modells konzentrischer Kreise bei der Darstellung der Ausweitung der Vergabe des römischen Bürgerrechts oder bei der Erweiterung des Bewerberpotenzials für den Senat bedient. Selbst wenn diese Redemuster nicht expressis verbis bzw. nur andeutungsweise ihren Niederschlag in der Rede gefunden haben, so gibt ein Blick in die taciteische Version Auskunft über das methodische Vorgehen des Kaisers. Schließlich muss auch noch auf einen wichtigen, bislang zumeist vernachlässigten und unterschätzten Aspekt in der Rede hingewiesen werden: es geht dabei um den Humor, den Claudius in seinem Vortrag durchblicken lässt. Diese Seite seines Wesens, die oft verkannt worden ist, ist erst in Beiträgen aus den letzten Jahren genauer analysiert worden, wobei besonders J. B. Meister zu erwähnen ist, der dem Humor in Claudius’ Rede sogar eine „systemstabilisierende Funktion“ attestiert. Die Untersuchungen in der hier vorgelegten Arbeit lassen in der 203

Frage der Rezeption der Person des Kaisers wie auch seiner Politik, die seit Tacitus und Sueton weitgehend von negativen Vorstellungen über Claudius belastet war und erst in den letzten Jahrzehnten einer differenzierten Beurteilung Platz gemacht hat, neue Wesenszüge und politische Strukturen zutage treten, die das revidierte Bild des Kaisers und seiner Regierung stärker konturieren. Die Rede stellt zudem einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer Integration der provinzialen Eliten dar, auch wenn ihre Wirkung zunächst sehr eingeschränkt war. Realistisch betrachtet muss sie als Zeugnis für die grundsätzliche Bereitschaft der römischen Führungsschicht betrachtet werden, Mitglieder aus der Oberschicht in die Verwaltung und Regierung des Reiches einzubeziehen und in ihre Gremien aufzunehmen. Keineswegs kann sie jedoch als Beweis einer planmäßigen und kontinuierlichen Integrationspolitik des Kaisers Claudius herangezogen werden, wie einige Althistoriker nachzuweisen versuchen. In ihren Augen erscheint dabei Claudius, dem eine weitsichtige und zukunftsweisende Politik bei der Bürgerrechtsvergabe und der Ausweitung des Bewerberpotenzials unterstellt wird, gleichsam als Vorläufer Caracallas, der mit der Constitutio Antoniniana 212 n. Chr. eine mehr oder weniger gradlinig verlaufende Erweiterung des provinzialen Rekrutierungspotenzials für Senatoren in Verbindung mit einer kontinuierlichen Vergabe des römischen Bürgerrechts zum Abschluss gebracht habe. Ob die Rede wirklich diese Funktion einer Wegbereiterin für eine umfassende Einbeziehung der provinzialen Eliten in den römischen Reichsdienst übernommen hat, muss zumindest in Zweifel gezogen werden, wenn man bedenkt, dass das Echo auf diese Rede in Rom selbst äußerst gering gewesen ist, wie die fehlenden Reaktionen der römischen Historiker erkennen lassen. Von ihnen hat einzig Tacitus das Ereignis für die Nachwelt überliefert. Schließlich tritt in dieser Frage auch der Redner selbst für eine Begrenzung bei der Ausweitung des Bewerberpotenzials ein, wenn er seinen Antrag ganz konkret auf die Comata beschränkt und so eine Generalisierung oder Ausweitung auf andere oder alle Provinzen des Reiches expressis verbis ausschließt. Im Übrigen darf auf keinen Fall außer acht gelassen werden, dass Claudius’ Rede das einzig bekannte Beispiel aus der Kaiserzeit darstellt, in dem Provinziale selbst den Kaiser um eine Gewährung der Aufnahme in den Senat bitten. Diese einmalige und sicher ungewöhnliche Vorgehensweise hat außerhalb der Gruppe der römischen Senatoren jedoch keinen Widerhall gefunden und ist in anderen Provinzen auch nicht nachgeahmt worden.

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VII. Bibliographie Periodika sind entsprechend der Année Philologique und DNP abgekürzt. Artikel und Beiträge aus Handbüchern und Lexika sind nur dann einzeln verzeichnet, wenn sie grundlegende Bedeutung für die Arbeit haben. Lexika und Sammelwerke ADB

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260

VIII. Abbildungen

Tabula Claudiana – Musée de la Civilisation Gallo-Romaine, Lyon 261

Ae. Tschudis erste Abschrift der tabula Claudiana aus dem Jahr 1545; Manuskript 668, S. 243/265, der Stiftsbibliothek St. Gallen.

262

Ae. Tschudis zweite Abschrift der tabula Claudiana (mit Zeilenangaben), angefertigt zwischen 1546 und 1555; Manuskript 1089, S. 6, der Stiftsbibliothek St. Gallen. 263

Lageplan zu Condate und der ara Romae et Augusti (nach: A. Audin, Essais sur la topographie de Lugdunum, Lyon 1956, S. 151, Abb. 7).

264

Münze mit dem Bild der ara von Condate aus der Regierungszeit des Tiberius. Av.: TI CAESAR AVGVST F IMPERAT VII. Mit Kopfbild des Tiberius. Rv.: ROM ET AVG unter einer Frontansicht der mit Figuren geschmückten ara, die rechts und links von Siegesgöttinnen auf Säulen umrahmt wird (RIC I, S. 58, 245, BMC I S. 96, 585). (aus: https://www.forumancientcoins.com/monetaromana/corris/b414/grande.html vom 27.9.2017)

265

Denar, 49-50 in Rom geprägt. Av.: TI CLAUD CAESAR AVG P M TR P VIIII IMP XVI, Kopf des Kaisers nach rechts. Pv.: DE BRITANNI, auf dem Architrav eines Triumphbogens, auf dem eine Reiterstatue zwischen zwei Trophäen nach links steht (RIC2 45; BMC 50). (aus: https://davy.potdevin.free.fr/Site/claudius.html vom 8.10.2017)

266

Quellen und Forschungen zur Antiken Welt herausgegeben von Prof. Dr. Peter Funke, Universität Münster Prof. Dr. Hans-Joachim Gehrke, Universität Freiburg Prof. Dr. Gustav Adolf Lehmann, Universität Göttingen Prof. Dr. Carola Reinsberg, Universität des Saarlandes

Band 66: Christina Wolff: Sparta und die peloponnesische Staatenwelt in archaischer und klassischer Zeit 2010 · 282 Seiten · ISBN 978-3-8316-0994-9 Band 63: Heinz Jakobsmeier: Die Gallier-Rede des Claudius aus dem Jahr 48 n. Chr. · Historisch-philologische Untersuchungen und Kommentar zur tabula Claudiana aus Lyon 2019 · 280 Seiten · ISBN 978-3-8316-4769-9 Band 62: Claudio Biagetti: Genos, ethnos, basileia · Intersezioni fra mito e identità nella letteratura storica sui Messeni 2018 · 222 Seiten · ISBN 978-3-8316-4751-4 Band 61: Elena Franchi: Die Konflikte zwischen Thessalern und Phokern · Krieg und Identität in der griechischen Erinnerungskultur des 4. Jahrhunderts 2016 · 528 Seiten · ISBN 978-3-8316-4538-1 Band 60: Susanne Pilhofer: Romanisierung in Kilikien? · Das Zeugnis der Inschriften · 2., erweiterte Auflage 2015 · 350 Seiten · ISBN 978-3-8316-4367-7 Band 59: Felix Bartenstein: Bis ans Ende der bewohnten Welt · Die römische Grenz- und Expansionspolitik in der augusteischen Zeit 2014 · 224 Seiten · ISBN 978-3-8316-4185-7 Band 58: Jens Barschdorf: Freigelassene in der Spätantike 2012 · 334 Seiten · ISBN 978-3-8316-4143-7 Band 57: Katharina Knäpper: Die Religion der frühen Achaimeniden in ihrem Verhältnis zum Avesta 2011 · 180 Seiten · ISBN 978-3-8316-4065-2 Band 56: Janina Göbel, Tanja Zech (Hrsg.): Exportschlager – Kultureller Austausch, wirtschaftliche Beziehungen und transnationale Entwicklungen in der antiken Welt 2011 · 464 Seiten · ISBN 978-3-8316-4037-9 Band 55: Uwe Heinemann: Stadtgeschichte im Hellenismus · Die lokalhistoriographischen Vorgänger und Vorlagen Memnons von Herakleia 2010 · 308 Seiten · ISBN 978-3-8316-0974-1 Band 54: Peter Herrmann, Eva Herrmann, Norbert Ehrhardt: Briefe von der archäologisch-epigraphischen Stipendiatenreise 1955/56 in den Ländern des Mittelmeerraums 2008 · 192 Seiten · ISBN 978-3-8316-0807-2 Band 53: Nikolai Povalahev: Die Griechen am Nordpontos · Die nordpontische Kolonisation im Kontext der Großen Griechischen Kolonisationsbewegung vom 8. bis 6. Jahrhundert v. Chr. 2008 · 292 Seiten · ISBN 978-3-8316-0758-7

Band 52: Rainer Albertz, Anke Blöbaum, Peter Funke (Hrsg.): Räume und Grenzen · Topologische Konzepte in den antiken Kulturen des östlichen Mittelmeerraums 2007 · 300 Seiten · ISBN 978-3-8316-0699-3 Band 51: Barbara Hochschulz: Kallistratos von Aphidnai · Untersuchungen zu seiner politischen Biographie 2007 · 260 Seiten · ISBN 978-3-8316-0678-8 Band 50: Inga Meyer: Von der Vision zur Reform · Der Staat der Gesetze: Ciceros Programm einer Neuordnung der Römischen Republik: 56–51 v. Chr. 2006 · 208 Seiten · ISBN 978-3-8316-0602-3

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