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German Pages 319 [332] Year 1948
Die Finanzwirtschaft des Staates und der Gemeinden Eine Einführung in die Staatsfinanzwirtschaft
Von
Dr. Fritz Terhalle Professor der Staatswissenschaften an d er Universität München
1948 DUNCKER
&
HUMBLOT
f
BERLIN
Der Verlag Duncker & Humblot ist von der Amerikanischen Militärregierung. zugelassen. Lizenz Nr. B 234
Alle Rechte vorbehalten Auflage 5000. Gedruckt im März 1948 im Druckhaus Tempelhof, Berlin
Vorwort Titel und Untertitel sollen die Zielsetzung dieses Buches zum Ausdruck bringen. Dieses will nicht mehr - aber auch nicht weniger als eine Einführung in die hisher bei uns gemeinhin als "Finanzwissenschaft" benannte Disziplin sein. In ihm geht es nicht so sehr um das Technische und Einzelne wie um das Ganze der heutigen gebietskörperschaftliehen Finanzwirtschaft. Dieses Ganze aber ist wirtschaftlich, und zwar politisch-wirtschaftlich begründet. Nur eine Finanzwirtschaftslehre, welche sowohl das Einzel- wie das Volkswirtschaftliche entsprechend beachtet, kann an Gesichtswinkeln und Urteilsgrundlagen vermitteln, was in dieserWiederauf-und Umhauzeit noch weniger entbehrt werden kann als schon in normalen Zeiten. Der vorliegende Leitfaden ist daher nicht nur an der neueren Theorie orientiert, sondern vor allem durch das bestimmt, was uns die finanzpolitische Praxis derzeit an einmaligen und alltäglichen Aufgaben stellt. Diese Einführung ist nicht nur für Studierende gedacht. Ihr Verfasser hofft vielmehr auch, den in der Finanzverwaltung praktisch Tätigen zu dem z11 verhelfen, was sie erfahrungsgemäß infolge ihrer tausend Obliegenheiten im täglichen Betrieb nur allzuoft nicht mehr haben können: den Besinnlichkeit und Kritik ermöglichenden, daher unerläßlichen geistigen Abstand von der beruflichen Aufgabe. Nachdem die Staatsfinanzwirtschaft ein besonders wichtiges Gebiet der politischen Ökonomie ist, war es schließlich auch des Autors Bestreben, das Gehör der politisch Interessierten und Entscheidenden zu haben - somit gerade auch zu denen zu sprechen, welche das finanzpolitische Wohl und Wehe mehr oder minder in ihrer Hand haben. Wegen des erstrebten vielseitigen Leserkreises ist in diesem Buche darauf verzichtet, das "gelehrte Beiwerk" mehr zu pflegen als unerläßlich. Um so mehr wurde Wert darauf gelegt, dem Geist und den Bewegungskräften der gebietskörperschaftliehen Finanzwirtschaft nachzuspüren, und zwar in erster Linie nach Maßgabe der wesent· liehen Tatsachen. Ehen das ist ja wohl die große Aufgabe einer wissenschaftlichen Einführung in das hier behandelte wichtige Teilgebiet unseres öffentlichen Lehens. München, im Oktober 1947
Fritz Terhalle
Inhaltsübersicht Vorwort............................................................. 111 Erster Teil
Finanzwirtschaft und Staatsfinanzwirtschaftslehre § 1.
Die Finanzwirtschaft als Teilbereich und Mitträger der Volkswirtschaft.. 1. Die verschiedenen Bereiche und Träger der Volkswirtschaft; ihre Aufgaben und ihre verbundmäßige Stellung im Ganzen. 2. Der finanzwirtschaftliche Sektor im besonderen; das Kriterium aller Finanzwirtschaft, der freien und der Zwangsgemeinwirtschaft. 3. Die gebietskörperschaftliche Wirtschaft als gemischte Wirtschaft finanzwirtschaftlicher Grundstruktur. 4. Name und Qualifizierung der gebietskörperschaftliehen Wirtschaft
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§ 2.
Die gebietskörperschaftliche Wirtschaft volkswirtachaftspolitisch gesehen . . 1. Einzelwirtschaftlich interessierte und politische Gestaltung der Volkswirtschaft. 2. Die Finanzwirtschaft als Mittel staatlicher Wirtschaftspolitik. 3. Die Notwendigkeit einer wirkungsmäßigen und technischen Einheit von Finanz- und sonstiger Wirtschaftspolitik
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§ 3. Die Staats- und Gemeindefinan:wirtschaft als Zwangsgemeinwirtschaft . .
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1. Das Besondere der gebietskörperschaftliehen gegenüber der sonstigen Finanzwirtschaft; die Zwangsgemeinwirtschaft als Welt für sich. 2. Staats- und Gemeindefinanzwirtschaft als Mittel zum Zweck. 3. Die besondere Problematik, illustriert an einigen Grundfragen
§ 4. Die Individualität, insbesondere die rwtionale Note jeder gebietskörperschaftliehen Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Die mehrseitig bedingte Individualität aller konkreten Finanzwirtschaft im allgemeinen. 2. Die organisatorisch bedingte Individualität im besonderen
§ 5.
Die Staatsfinanzwirtschaftslehre (Finanzwissenschaft) . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Die Staatsfinanzwirtschaftslehre als Wissensgebiet, insbesondere ihr Verhältnis zum Finanzrecht und zur Volkswirtschaftslehre. 2. Finan:liwissenschaft und Politik. 3. Die konkreten Objekte. 4. Entstehung und Fortentwicklung des Wissensgebietes, insbesondere in Deutschland. 5. Literaturhinweis Zweiter Teil
Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben § 6. Der gebietskörperschaftliche Finanzbedarf im Spiegel der Statistik
1. Kritische Vorbemerkungen zum finanzstatistischen Material. 2. Größenordnungen: Die geschichtliche Entwicklung· des Gesamtbetrages der staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben im besonderen
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Inhaltsübersicht
§ 7.
Die mancherlei Ursachen fur die Zunahme des Staatsfinanzbedarfs; das Gesetz der wachsenden Ausdehnung des Finanzbedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Beachtung der Zunahme im Alltag und in der Theorie; Adolph Wagners "Gesetz". 2. Einmalige Anlässe zu besonders großen Ausgabesteigerungen. 3. Gründe für das stetige Steigen § 8. Die Höchstgrenzen der staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben . . . . . . . • . . . 1. Die Möglichkeiten der finanzwissenschaftliehen Antwort. 2. Die ver· fehlte Grundorientierung der öffentlichen Diskussion: Die Staatsfinanznut alimentierte oder auch produzierende Wirtschaft? 3. Ausgabemäßige Bedingtheiten des staatlichen Finanzbedarfs. 4. Einnahmemäßige Bedingtheiten; die verschiedene Reichweite der einzelnen Finanzierungswege § 9. Die verschiedenen Ausgabearten . . . . . . . . • . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . • • . . . . 1. Das finanzstatistische Bild. 2. Notwendigkeit und Möglichkeiten einer wesentlich volkswirtschaftlich wertenden Gliederung der Staatsausgaben. 3. Das wirtschaftlich orientierte System der gebietskörperschaftliehen Ausgaben. 4. Die volkswirtschaftliche Wertung der verschiedenen Staatsausgaben in der amtlichen Sonderstatistik § 10. Die gebietsMrperschaftlichen Ausgaben als finan:wiruchaftspolitische Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . • . . . 1. Vorsorge gegen eine unverantwortliche und eine sonstige unerwünschte Entwicklung des Finanzhedarfs. 2. Die Ausgaben als Rechenaufgabe. 3. Die Ausgaben als Wirtschaftsauf~abe § 11. Die öffentlichen Ausgaben als wirtschaftspolitische Wirkungsmöglichkeit l. Die wirtschaftspolitische Orientierung der anfallenden staatlichen und gemeindlichen Ausgaben. 2. Wirtschafts- und sozialpolitische Zweckausgaben
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Dritter Teil
Die staatsfinanzwirtschaftliehen Einnahmen 1. Abschnitt
Übersicht über die einzelnen Finanzierungsmöglichkeiten; die verschiedenen Einnahmen außer Steuer- und Krediteinnahmen
§ 12. Die Finanzierungsquellen der Staatsfinanzwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89 1. Die verschiedene Orientierung bei der Systematisihung öffentlicher Einnahmen. 2. Das ökonomisch-politische System der Staatseinnahmen. 3. Der Anteil der verschiedenen Einnahmequellen an der Gesamtfinanzierung. 4. Die Beteiligung der verschiedenen Einnahmen in Zahlen § 13. Vermögen und Vermögenseinkünfte der GebietsMrperschaften . . . . . . . . . . . 97 1. Umfang und Arten des Vermögens der öffentlichen Hand. 2. Die Vermögenseinkünfte der deutschen Gebietskörperschaften nach Größe und Art § 14. Die Einnahmen aus Betrieben im besonderen ........................ 101 1. Entstehungsgründe; die derzeitige (frühere) gesetzliche Regelung der Zulässigkeit von wirtschaftlichen Unternehmen. 2. Die Problematik wirtschaftlicher Wertung der gebietskörperschaftliehen Betriebseinkünfte. 3. Die Einnahmen aus Betrieben, haushaltspolitisch beurteilt. 4. Deutsche gesetzliche Regelungen der betrieblichen Geldleistungen an den allgemeinen Haushalt
Inhaltsübersicht
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§ 15. Rechtsform und organisatorische Stellung der öffentlichen Betriebe 112 1. Die Rechtsform als wirtschaftspolitische Aufgabe. 2. Die verschiedenen Methoden der Verselbständigung des Betriebes gegeniiher der allgemeinen Verwaltung § 16. Die Einnahmen aus der Verwaltung und der Rechtspflege ............. 116 1. Der finanzwirtschaftliche Charakter der Einnahmen aus Verwaltung und Rechtspflege. Die Notwendigkeit einer klaren und eindeutigen Kennzeichnung. 2. Die Unterarten, insbesondere die Gebühren und die Beiträge (Vorzugslasten). 3. Größenordnungen. 4. Die einschlägige finanzpolitische Orientierung 2. Abschnitt Die Steuern; allgemeine Steuerlehre
§ 17. Wesen und Begründung der Steuern; Steuerquellen und Steuerarten
1. Wesen und Begründung der Steuern. 2. Die wirtschaftlichen und die technischen Möglichkeiten der Besteuerung
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§ 18. Das Gam;e der Steuern; das Steuersystem .. ... .... , . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. System oder Haufen der bestehenden Steuern? Die Antwort der amtlichen Steuer-Statistik. 2. Der unausweichliche Zwang zur Systematik bei stärkerer Anspannung der Steuerschraube. 3. Das marktwirtl!chaftlich gewordene System der Steuern neben dem belastungspolitisch gewollten
§ 19. Das deutsch11 Steuersystem vom ersten bis zum zweiten Weltkrieg ... .. .... 142
§ 20. Die Individualität des einzelnen Steuersystems und ihre Ursachen ....... 147 1. Ergebnisse der vergleich.e nden internationalen Statistik. 2. Gründe für die zeitlichen und örtlichen Unterschiede in den Steuersystemen
§ 21. Steuerpolitische Zielsetzungen und Wertungen im allgemeinen ....... .. 152 1. Die Besteuerung als allgemein-politische und nicht einseitig fiskalische Maßnahme. 2. Oberste Steuergrundsätze in der Finanzwirtschaftslehre. 3. Die steuerpolitischen Ideale im Wandel der Zeiten § 22. Die heutigen Gesichtspunkte steuerpolitischer Wertung .......... .. ... 157 1. Das unterschiedliche und vielseitige Interesse als Ausdruck verschieden orientierter Wertung. 2. Finanzwirtschaftliche Gesichtspunkte. 3. Volkswirtschaftliche Gesichtspunkte. 4. Die Wertungen unter allgemein-politischem Aspekt. 5. Schematische Zusammenfassung
§ 23. Steuerpolitische Gerechtigkeit die fundamentale politische Forderung
1. Der politische Charakter des Gerechtigkeitspostulats. 2. Tunliebste Gerechtigkeit als Aufgabe der steuerpolitischen Praxis. 3. Die Konkretisierung des Gerechtigkeitsideals
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§ 24. Die technischen Möglichkeiten gerechter Lastenverteilung .............. 168 1. Die objektiven und die subjektiven Beurteilungsgrundlagen. 2. Die unterschiedliche gerechtigkeitspolitische Eignung der einzelnen Steuerarten. 3. Gegenseitige Ergänzung von einzelnen Steuerarten und abstufende Steuertarife als Mittel gerechter Lastenverteilung. 4. Die unterschiedliche Tariftechnik
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Inhaltsübersicht
§ 25. Die Steuer als Wohltat und als Last der Volkswirtschaft ............... 175 I. Die Steuer als Prämie für die privatwirtschaftliche Organisationsform der Volkswirtschaft. 2. Die einzel- und die volkswirtschaftliche Last der Steuern. 3. Verbleib und Ansatzstelle der Steuern in ihrer Bedeutung für die Volkswirtschaft
§ 26. Besteuerungsmethoden und Leistungsfahigkeit der Volkswirtschaft ...... 183 I. Das Angebot an Arbeit, Boden und Kapital in seiner steuerpolitischen Bedingtheit. 2. Der Einsatz der drei Produktionselemente unter dem Einfluß von Menge und insbesondere Methoden der Besteuerung. 3. Besteuerungsmethoden und organisatorische Verfassung der Volkswirtschaft
§ 27. Die Steuer im Ordnungssystem der Verkehrswirtschaft ................ 194 I. Die Steuern das verkehrswirtschaftlich Störende der Staatsfinanz· wirtschaft. 2. Die Steuern als Mittel zur Förderung versorgungsgebotener Umstellung bei Angebot und Nachfrage. 3. Die Steuer als Instrument der Struktur- und der Konjunkturpolitik § 28. Rechtsetzung und Rechtsanwendung im Dienste der Besteuerung . . . . . . . 204 1. Die klare belastungspolitische Linie und die strenge Systematik als Voraussetzung guten Steuerrechts. 2. Der Wirkungsgrad des Steuerrechts in seiner Bedingtheit durch Sprache, Darstellung und Reichweite der Steuergesetze. 3. Erfassung aller Steuerpffichtigkeit, Ermittlung der Berechnungsgrundlagen und verständige Anwendung des Steuer· rechts als Aufgaben der Steuerverwaltung 3. Abschnitt Der Kredit im Dienste der Staatsfinanzwirtschaft § 29. Die verschiedene Anwendung des Kredits in der Staatsfinanzwirtschaft 215 I. Die Vielseitigkeit der staatlichen Kreditbeziehungen, besonders der passiven; Stundungs-, Geldbeschaffungs· und wirkungspolitisch ent· standene Kredite. 2. Die verschiedenen Geldaufnahmekredite
§ 30. Der passive Finanzierungskredit im besonderen . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . 224 I. Die Erkennbarkeit des Finanzierungskredits; unechte Kassenkredite und sonstige versteckte Finanzierungskredite. 2. Die Anlässe zur Aufnahme von Finanzierungskrediten. 3. Fiskal- und volkswirtschaftliche Würdigung des Anleihekredits § 31. Die Herbeischaffung der Anleihemittel; Borgquellen und -formen ...... 236 I. Fiskalisch-internes Borgen; "Schulden aus öffentlichen Mitteln". 2. Das Borgen am Markte; Anstaltskredite und Emissionskredite. 3. Zwangsanleihen. 4. Die Formen der Kapitalmarktschulden
§ 32. Die wichtigsten Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 I. Der Zinssatz. Freie und manipulierte Zinsen. 2. Zinskonversionen. 3. Laufzeit und Tilgungsmethoden. 4. Steuervergünstigungen
§ 33. Größenordnungen und Grundfragen der neuesten Staatsverschuldung . . . 255 I. Die zahlenmäßige Entwicklung, insbesondere in Deutschland. 2. Bestimmungsgründe für die wirtschaftlich tragbare staatliche Verschul· dung. 3. Wege zur Beseitigung einer Überschuldung; Vermögenssubstanzbesteuerung; Entschuldungsgewinne aus einer Wiederherstellung der Geldordnung; die Herabsetzung des Kapitalbetrages und der Zinsen der Staatsschuld
Inhaltsübersicht
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Vierter Teil
Die Ordnung der einzelnen Finanzwirtschaft; Planen und Rechnen § 34. Die grundlegenden Wirtschaftsziele und Rechenaufgaben . . . . . . . . . . . . . . • 267 1. Das Finanzierungsziel. 2. Das Wirtschaftsrechnungsziel. 3. Das Wirtschaftsüherwachungsziel. 4. Das Finanzausgleichsziel
§ 35. Obersicht über das tatsächliche Rechenwerk der Staatsfinanzwirtschaft • . 270 1. Der Haushaltsplan als normsetzender Voranschlag (Plan). 2. Die laufende Verrechnung. 3. Zeitbücher und Sachbücher im besonderen. 4. Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung. 5. Die Rechnungsprüfung § 36. Der Haushaltsplan im besonderen • . . • . . . . . • • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 1. t"inanzplan und Wirtschaftsplan als Pläne neben dem Voranschlag. 2. Die Ausgestaltung des Haushaltsplanes in materieller und formeller Hinsicht. 3. Der verschiedene Inhalt der Haushaltsnorm. 4. Haushaltsausgleicb, -fehlbetrag und -üherschuß
Fünfter Teil
Die Ordnung des Nebeneinanders der gebietskörperschaftliehen Finanzwirtschaft § 37. Die finanzausgleichspolitische Ordnungsaufgabe im ganzen . .•. . • .. .... 283 1. Die Ordnungsaufgabe als Ganzes, ihre finanztechnische Seite und ihr konstruktiver Kem. 2. Die möglichst leistungsfähige Finanzwirtschaft als Konstruktionsaufgahe. 3. "Ausgleich" und staatliche Anordnung
§ 38. Maßnahmen der Finanzausgleichspolitik ..•..•..... • •••..•..••...••• 290 1. Die Einnahme- und Ausgabezuweisung sowie ihre Bedeutung für den Haushaltsausgleich; Finanzzuweisungen als notwendige Korrektur. 2. Die finanzausgleichspolitischen Ordnungsmaßnahmen auf dem Steuergebiete
§ 39. Tatsachen des finanzausgleichspolitischen Nebeneinanders der deutschen Gebietskörperschaften vor dem Zusammenbruch des Reichs . . . . . . • . . • . . . 298 1. Die zahlenmäßige Beteiligung der verschiedenen Gehietskör.perschaften an den einzelnen Ausgabe- und Einnahmearten. 2. Die finanziellen Zuweisungen des Staates an die Gemeinden § 40. Die Entwicklung des reichsdeutschen Finanzausgleichs bis zum Ende des :weiten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . • . • . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . • . • . • • 301 1. Der Finanzausgleich unter der Bismarckschen Reichsverfassung. 2. Der Finanzausgleich in der Weimarer Republik. 3. Der deutsche Finanzausgleich nach dem Übergang aller Hoheitsrechte von den Ländern auf das Reich
Sachver:eichnis. . . . . . . . . • • . . . • . • • . . . . . . . • • • . • . . . . • • . . • • . . . . . . . . • . . • . • • 31 0
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Inhaltsübersicht
t.lhersicht über die finanzstatistischen Tabellen 1. Die Ausgaben von Reich und Einzelstaaten (Ländern) 1881-1930
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2. Finanzbedarf der deutschen Gebietskörperschaften 1913-1938 verglichen mit Volkseinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Bundes·, Einzelstaaten- und Gemeindeausgaben in USk 1890-1928 (Studenski) ............ .. ............... .. .. . ....... •. . . . . . . . . . 38 4. DieEntwicklung des englischen Staatsfinanzbedarfs 1692-1933 (J.Jessen) 39 5. Beteiligung der verschiedenen Verwaltungszweige am deutschen Finanz· bedarf 1913-1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 6. Die sachliche Aufteilung des deutschen Finanzbedarfs 1926-1932 . . . . .
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7. Die Verteilung des Finanzbedarfs auf verschiedene Ausgabezwecke; internationaler Vergleich (Studenski) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 8. Volkswirtschaftliche Analyse des deutschen Finanzbedarfs 1913-1932 . .
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9. Die Einnahmequellen der deutschen Gebietskörperschaften 1913-1932 • .
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10. Die Finanzstruktur Frankreichs, Großbritanniens, der Schweiz und der USA vor dem zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 11. Die Erwerbseinkünfte im deutschen gebietskörperschaftliehen Haushalt 1913-1936 ...•.......... .... ............ ... ..................... 98f. 12. Das deutsche gebietskörperschaftliche Steueraufkommen nach der amtlichen Statistik 1913-1937; die Beteiligung der verschiedenen Steuern am Gesamtaufkommen ............... . .......... . .... . •.......... 142f. 13. Beteiligung der Einkünfte•, Besitz- und Ausgabesteuern am deutschen Steueraufkommen 1913-1937 ................ .. ........ . ... . . ... .. . 146 14. Das deutsche Steuersystem, verglichen mit demjenigen von sechs anderen Ländern (nach Tax Systems ofthe World) ...... . .................... 148 15. Verwendung der deutschen gebietskörperschaftliehen Anleihen vor dem zweiten W ~tkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 16. Realverzinsung deutscher öffentlicher Anleihen 1913-1932 (Stat. der R eichsbank) ..... . . . ................... . .............. .. ... ...... 248 17. Die Staatsschulden-Entwicklung in Deutschland, Frankreich, Großbritannien 1914--1944 ........................ . .................... 256 18. Reichs-, Länder· und Gemeindeschulden 1914.----1938 ....•.. • ...• •.... • 257 19. Die Entwicklung des Betrages der kurzfristigen sowie der lang- und mittelfristigen deutschen Inlandschulden 1939-1944 ... . . • ...... ... . .. 257 20. Die Beteiligung von Reich, Ländern und Gemeinden am Finanzbedarf insgesamt und in den einzelnen Verwaltungszweigen . . . . . . . . . . . . . • . . . . • 298 21. Die Beteiligung von Reich, Ländern und Gemeinden am Gesamtauf· kommen an Steuern, Verwaltungseinnahmen und Einnahmen aus Erwerbs· vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . • 298 22. Die Beteiligung der zentralen, der mittleren und der lokalen Finanzwirtschaft am Steueraufkommen Deutschlands, Großbrit anniens, Frankreichs, der Schweiz und USA vor dem zweiten Weltkrieg (nach Tax Systems of the World) ... ...... . .... .. . ... .......... . .. . . . ......... 300
Inhaltsübersicht
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Im Text gebrauchte Abkürzungen D GO. Deutsche Gemeinde-Ordnung EBVO. Eigenbetriebsverordnung K. u. RVO. Verordnung über das Kassen- und Rechnungswesen der Gemeinden RAO. Reichsabgabenordnung RBewG. Reichsbewertungsgesetz RHO. Reichshaushaltsordnung RSchO.
Reichsschuldenordnung
Erster Teil
Finanzwirtschaft und Staatsfinanzwirtschaftslehre §1 Die Finanzwirtschaft als Teilbereich und Mitträger der Volkswirtschaft I. Die verschiedenen Bereiche und Träger der Volkswirtschaft; ihre Aufgaben und ihre verbundmäßige Stellung im Ganzen. 2. Der finanzwirtschaftliche Sektor im besonderen; das Kriterium aller Finanzwirtschaft, der freien und der Zwangsgemeinwirtschaft. 3. Die gebietskörperschaftliche Finanzwirtschaft als gemischte Wirtschaft finanzwirtschaftlicher Grundstruktur. 4. Name und Qualifizierung der gebietskörperschaftliehen Wirtschaft
l. Eine anfängliche Charakterisierung der Finanzwirtschaft kann von einer kritischen Wertung ihres Namens ausgehen. Das ist auch oft geschehen. Freilich besteht dann ein gut Teil der Anfangsaufgabe auch darin, naheliegenden Mißdeutungen des Wortes "Finanz" und damit der Verwechselung verschiedenster Wirtschaftsbezirke zu begegnen. Die Hauptaufgabe aber: eine positive Erklärung des Wesens der Finanzwirtschaft zu gehen, tritt dabei leicht mehr oder minder in den Hintergrund. Daher soll die Finanzwirtschaft in dieser Einführung -von vornherein in einer anderen Art skizziert werden: in einer U mreißung ihrer Stellun.g im Ganzen der Volkswirtschaft, einem Ganzen, das ja mehr ist als nur die Summe der von ihr umfaßten selbständigen Einzelwirtschaften. Eine solche Kennzeichnung kommt dem heutigen Fühlen und Denken mehr entgegen als eine an den Namen und seine Geschichte anknüpfende erste Charakterisierung. Sie zwingt vor allem dazu, von Anfang an sowohl das entscheidend wichtige politische Moment gebührend zu beachten wie auch die Finanzwirtschaft, vorzüglich die staatliche, stets als wesentlichen Teil der Volkswirtschaft zu sehen.
Die besonderen Funktionen der Finanzwirtschaft im Ganzen der Wirtschaft eines Volkes, nicht minder die in der Finanzwirtschaft wirksamen Kräfte werden schon in einer einfachen vergleichsweisen Gegenüberstellung ihrer Aufgaben und derjenigen der übrigen Mitträger unserer heutigen Volkswirtschaft schnell erkennbar. Allerdings darf diese dann nicht einfach als Summe aller Einzelwirtschaften im Raume eines politisch abgegrenzten Gebietes aufgefaßt werden. Eine solche Auffassung der Volkswirtschaft müßte jede tiefere Einsicht in das moderne Wirtschaftslehen versperren; sie würde insbesondere das für die Finanzwirtschaft Wesentliche verdecken. Letzteres wird nur
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I. Finanzwirtsch.aft und Staatsfinanzwirtschaftslehre
sichtbar, wenn man eben die Volkswirtschaft als einen großen selbständigen Organismus, als "gesellschaftliche" oder "Verbund"-Wirtschaft, die Finanzwirtschaft aber als Verbundsglied ansieht. Diese Finanzwirtschaft kann nur aus ihrer Verknüpftheit mit den anderen Einzelwirtschaften richtig erkannt werden. Sie ist ebenso ein eigengeartetes wirkendes Glied des volkswirtschaftlichen Ganzen wie der durchschnittliche private Haushalt von heute oder wie die Unternehmung. Jeder dieser drei hauptsächlichen Träger der Volkswirtschaft hat im Ganzen der Wirtschaft eines Volkes seine besondere Aufgabe und seine eigengeartete Verknüpfung mit den ührigeu. Das ist vorweg kurz zu zeigen: Im privaten Haushalt wird über Geldmittel disponiert, welche nicht dort "verdient", sondern von außen hereingekommen waren. Die Verausgahung geschieht hier vor allem im Dienste des persönlichen Konsums; bei ihr geht es nicht mehr um das Ein-, sondern um das Auskommen. Was nicht für die Befriedigung des eigenen Konsums ausgegeben wird, wird gespart oder als Zuwendung, Beitrag oder Steuer weitergegeben. Die Betonung der Aufgaben des Auskommens und des möglichst rationellen Verbrauchs kann und soll nicht verdecken, daß in der Haushaltswirtschaft auch neue Güter hergestellt und nicht nur vorhandene "mundgerecht" gemacht, instandgehalten oder -gesetzt werden. In jedem Falle handelt es sich aber um eine Selbstversorgung; die hauswirtschaftliche Produktson als solche steht außerhalb der in folgendem vorzugsweise interesierenden "Verbundwirtschaft", mag sie in Umfang und Eigenart noch so bedeutend sein. Die (trotz der ha"Q.swirtschaftlichen Selbstversorgung wichtige) gesellschaftliche Verknüpfung des privaten Haushalts ist schon angedeutet: dieser ist mit den anderen beiden Trägern der Volkswirtschaft durch seine Einnahmen, seine Einkäufe und durch anderweitige Hingabe oder Entgegennahme von Geld oder auch von Gütern und Leistungen, insbesondere auch durch Ersparnisanlage und öffentliche Abgaben verbunden. Das Einkommen des privaten Haushalts stellt dessen grundlegende Verhindung mit der Unternehmung her, diesem zweiten großen Träger der Volkswirtschaft und Prototyp der Erwerhswirtschaft. Freilich trifft das nicht für jeden Fall unmittelbar zu, z. B. nicht für das Einkommen von Staatsbeamten und -gläubigem, Vereins- und Hausangestellten oder von Hypothekengläubigern des Eigentümers eines von diesem selbst bewohnten Einfamilienhauses, auch nicht für den sogen. freiberuflichen Erwerb. Der größere Teil der privaten Haushaltungen zur Disposition stehenden Geldmittel kommt aber unmittelbar aU!! einer Unternehmung, dieser quantitativ und qualitativ wichtigsten Erwerhswirtschaft; mittelbar stammen noch mehr daher - über Zwischenhände hinweg. Das aus einer Unternehmung
§. 1. Finanzwirtschaft als Teilbereich und Mitträger der Volkswirtschaft
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bezogene Einkommen ist seinerseits meist das Ergebnis deren Beitrags zum Sozialprodukt; es ist also Anteil an Markterlösen. Daß bei der Erstellung dieses Beitrages seitens der fraglichen Erwerbswirtschaften noch anderweit beEchaffte Güter und Leistungen verbraucht werden, beweist die vielseitige gesellschaftliche Verknüpfung gerade dieser Art Einzelwirtschaften. Die grundlegende gesellschaftswirtschaftliche Verhindung für die Unternehmung ist natürlich der Verkauf: die marktmäßige Verwertung der eigenen Leistung. Man braucht nur an die Entstehungsgeschichte der gewerblichen Unternehmung, an die Ausgliederung von Produktionsaufgaben aus der ehedem selbstgenügsamen Einzelwirtschaft zu erinnern, um die Funktionen der Unternehmung und deren organische Verbindung mit den Haushaltswirtschaften für hier genügend deutlich zu machen. Schließlich besteht bei der Unternehmung - noch mehr als beim privaten Haushalt - über das Borgen und Leihen von Geldmitteln sowie über die von ihr zu zahlenden mancherlei Abgaben eine rege Verbindung mit der wirtschaftlichen Außenwelt und damit auch eine Eingliederung in das Ganze der Volkswirtschaft. Daß alle schon bisher verzeichnete Verbundwirtschaft das wirtschaftstechnische Instrument "Geld" nicht entbehren kann, ist offensichtlich. Ohne das allgemeine Zahlungsmittel wäre die moderne Verkehrswirtschaft nicht entstanden sowie auf die Dauer und im großen nicht aufrechtzuerhalten. Ohne die Einrichtung des Geldes gäbe es auch keine Möglichkeit eines Großwerdens des dritten wesentlichen Trägers der neuzeitlichen Wirtschaft, der vielen nicht eigen-, sondern gemeinwirtschaftlicher Zwecke halber gegründeten Einzel-, der sogenannten Fin,anzwirtschaften. Diese werden nicht des Verdienens, sondern des Dienens für Dritte wegen betrieben; im Gegensatz zur Erwerbswirtschaft ist in ihnen das Dienen niemals Mittel zum Zweck, sondern stets Selbstzweck. Sie müssen daher auch von ihren Gründern bzw. Trägern unterhalten werden. Dadurch stehen sie erst recht- und dies in besonderer Weise- im Verbande der gesellschaftlichen Wirtschaft. 2. Versucht man durch illustrierende Hinweise auf ihr Vorkommen näher an das Wesen der Finanzwirtschaft heranzukommen, so zeigt sich bald, wie groß und wie mannigfaltig das finanzwirtschaftliche Gebiet der Volkswirtschaft ist. Nicht minder schnell ergibt sich dabei, wie gut man daran tut, die Lehre von der Finanzwirtschaft wenigstens vorab auf die weitaus wichtigste Gruppe der Finanzwirtschaften, die Wirtschaft der Gebietskörperschaften, zu beschränken. Jede Vereinswirtschaft, also jeder Zusammenschluß von einzelnen zur Förderung ihrer gemeinsamen oder öffentlichen Interessen, stellt eine Finanzwirtschaft dar, sofern nur materielle Mittel als ständiger Zuschuß vorgesehen wie nötig sind und außerdem keine unmittelbare Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder bezweckt ist. I*
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I. Finanzwirtschaft und Staatsfinanzwirtschaftslehre
Materielle und ideelle, eigen- und gemeinnützige Ziele können in einer solchen Vereinswirtschaft verfolgt werden. Alle privaten Vereinswirtschaften beruhen jedoch grundsätzlich auf freiem Zusammenschluß, sie sind freie Gemeinwirtschaften. So kann es nicht überraschen, daß bei ihnen die gemeinwirtschaftliche Zielsetzung auf die Wahrung der gemeinsamen Interessen einer Gruppe beschränkt sein kann und weithin auch ist. Freie Gemeinwirtschaften verkörpern daher keineswegs auch schon den Willen zur unmittelbaren Förderung der Gesamtheit des Volkes. Das ist der Idee nach völlig anders bei den ohne Rücksicht auf den Willen Privater im Wege obrigkeitlichen Dekrets ins Lehen gerufenen Finanzwirtschaften, den "Zwangsgemeinwirtschaften" (Adolph Wagner), namentlich also bei den Wirtschaften der Gebietskörperschaften. Nur ihr Zweck: ausschließliche und unmittelbare Förderung des Gemeinwohls - kann den obrigkeitlichen Zwang zur gemeinwirtschaftliehen Zusammenfassung, ~u dieser weitaus wichtigsten der mancherlei Finanzwirtschaften, auf die Dauer ermöglichen. Damit sind Wesen und Aufgaben aller Finanzwirtschaft sichtbar geworden: Unter Aufwand von Mitteln und ohne daß die Leistungen der sie bewirkenden Wirtschaft dieser entsprechend oder überhaupt unmittelbar etwas einbringen, soll für das Ganze einer Mehrzahl von Interessenten oder für die Volksgesamtheit etwas geleistet werden. Insbesondere Gerloff bezeichnet die Finanzwirtschaften insofern nicht mit Unrecht als Leistungswirtschaften. Immerhin befriedigt diese Bezeiclmung insofern nicht ganz, als schließlich jede Wirtschaft etwas für die Bedürfnisbefriedigung leisten soll. Auch die Unternehmung ist eine Wirtschaft, die etwas leisten soll und gewiß auch leistet. Während sich die Unternehmertätigkeit aber grundsätzlich einzelwirtschaftlich bezahlt machen soll, muß die Finanzwirtschaft aus Zuweisungen, Stiftungen, Beiträgen oder Abgaben alimentiert werden. Als solche "verdient" sie nicht oder nicht genügend. Nicht daß die Finanzwirtschaft überhaupt etwas auf dem Gebiete der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse leistet, sondern daß sie leisten will, ohne aus einem Entgelt für ihre Leistungen hinreichende Einnahmen zu haben, macht ihr Wesen aus. Wird das beachtet, dann erübrigt sich die früher zur Kennzeichnung der Staatsfinanzwirtschaft für unerläßlich gehaltene Feststellung des Primats der Ausgaben vor den Einnahmen, ist der Streit darüber hinfällig, ob sich die Ausgaben nicht auch bei den Gebietskörperschaften nach den Einnahmen richten. Das so charakteristische Fehlen der die eigene Existenz der Finanzwirtschaft sichernden Entgelte hat zwei Ursachen: Teils dienen die finanzwirtschaftliehen Leistungen einer Selbstversorgung, welche auf Hilfe von außen angewiesen ist. Insofern ist die Finanz- eine Art Haushaltswirtschaft. Teils wird (in Natural- oder Geldform) an Dritte geleistet, ohne daß diese Dritten
§ I. Finanzwirtschaft als Teilhereich und Mitträger der Volkswirtschaft
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überhaupt oder entsprechend dafür zahlen sollen. In dieser Beziehung und verkehrswirtschaftlich gesehen kann man daher die Finanz- als eine Wohltätigkeitswirtschaft bezeichnen, sofern man das Wohltun nur nicht im engen sozialpolitischen, sondern in einem viel allgemei· neren Sinne begreift. Nach alledem ist die Finanzwirtschaft eine auf Zuschüsse abgestellte Einzelwirtschaft, deren Zweck die vereinsmäßige oder politische Selbstversorgung mit bestimmten Leistungen oder aber die entgeltliche oder unentgeltliche Versorgung Dritter oder endlich beides ist. Über die gesellschaftswirtschaftliche Verknüpfung der Finanz· wirtschaft braucht nach dieser Definition hier nicht viel mehr gesagt zu werden. Sie besteht in der Übernahme einer Gemeinschaftsver· sorgung, in den besagten Leistungen an andere Wirtschaften und in de1· aus dem Zurückstellen des eigenen Geldverdienens sich notwen· digerweise ergehenden besonderen Finanzierung, dem finanzwirt· schaftliehen Angewiesensein auf eine Alim.entierung. Die Notwendig· keit einer marktbestimmten Beschaffung von Arbeitskräften, Leistungen und Waren im Dienste der gekennzeichneten Aufgaben schafft eine weitere wesentliche Verhindung der Finanzwirtschaft mit den beiden anderen Trägern der Volkswirtschaft. Diese letzte Verknüpfung ist freilich nicht erst im Wesen der Finanzwirtschaft gegeben, sondern schon in der Aufgabespezialisierung in der verkehrswirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft begründet. Sie ist namentlich von seiten des Staates mit der starken Zunahme der finanz· wirtschaftlichen Ausgaben mehr und mehr als wirtschaftspolitische Chance benutzt worden. Damit hat sie aber eine Note erhalten, welche dem Gesamtcharakter der Staatsfinanzwirtschaft als eines entscheidenden wirtschaftspolitischen Instruments entspricht. (Vgl. § 2.) 3. Auf ihrem wirkungs-und größenmäßig bedeutsamsten Anwendungsgehiet, in der gebietskörperschaftliehen Wirtschaft, ist die ge· dankliehe Konstruktion der Finanzwirtschaft in der Regel nicht überall bis zum letzten verwirklicht. Der "Staat als ökonomisches Gebilde betrachtet" ( H. Fick), die Finanzwirtschaften des Staates, der Gemeinden und Gemeindeverhände im besonderen waren hzw. sind in beachtlichem Maße erwerbswirtschaftlich namentlich von öffentlichen Betrieben durchsetzt. Die gebietskörperschaftliehen Wirtschaften sind damit nicht mehr schlechtweg Finanzwirtschaften. Zwar steht der finanzwirtschaftliche Grundzug dieser öffentlichen Gemeinwirtschaften außer Frage, aber wenn es darum geht, die gebietskörperschaftliehen Wirtschaften - von jeher fast schlechthin der Gegenstand der einschlägigen Wirtschaftslehre - als Ganzes so zu sehen und auch so zu kennzeichnen, wie sie wirklich sind, muß man feststellen, daß nicht alle Teile der gebietskörperschaftliehen Wirt· schaft ein finanzwirtschaftliches Gepräge tragen.
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Im ganzen handelt es sich bei der Wirtschaft von Gehietskörper· schaften oft oder gar durchweg um eine Mischung von Finanz· und Erwerbswirtschaft. Die Leistungen der gebietskörperschaftliehen Wirtschaft an Dritte im Rahmen der "Nehenverwaltung", d. i. der Betriebe, werden gegen ein Entgelt bewirkt, welches mehr oder minder beachtliche Überschüsse für den liefemden Betrieb ermöglicht. Gewiß ist die ganze Atmosphäre in den Betrieben der öffent· liehen Hand meist eine wesentlich andere wie diejenige in privaten Unternehmen, dennoch muß auch sie naturnotwendig einen mehr betriebswirtschaftliehen als verwaltungsmäßigen Grundzug aufweisen. Anderseits entsteht auch die Frage, ob und inwieweit das von den Betrieben her kommende einzelwirtschaftliche Fühlen und Streben nicht rückwirkend die hoheitsmäßigen Bereiche der einzelnen gebietskörperschaftliehen Wirtschaft in etwa und mehr heeinßußt, als man es zunächst für möglich ansehen könnte. Diese Frage ist um so berechtigter, als die öffentlichen Betriebe grundsätzlich jedenfalls nicht nur oder nicht in erster Linie als Pfründe denn als Fürsorge· und Einwirkungsm,öglichkeit angesehen werden sollen. Die Grenze zwischen Betrieb und Verwaltung ist politisch gesehen weniger schroff gezogen, als einzelwirtschaftlich zu vermuten ist. Die Feststellung, daß es sich bei der gebietskörperschaftliehen Finanzwirtschaft vielfach um eine Mischung von Verwaltungs· und Betriebswirtschaft handelt, ist für die Aufgabestellung der Staatsfinanzwirtschaftslehre bedeutsam. Wer in dieser eine Lehre der gesamten wirklichen gebietskörperschaftliehen Wirtschaft will, muß auch deren Mischcharakter beachten, kann mithin insbesondere an den öffentlichen Betrieben nicht vorbeigehen. 4. Die gebietskörperschaftliche Wirtschaft wird im Alltagslehen wie in fachlichen Veröffentlichungen oder Unterhaltungen in verschiedener Weise bezeichnet. Darin kommt eine gewisse Verlegenheit um einen allumfassenden und allgemein anerkannten Namen zum Ausdruck. Ginge es nur um die Vokahel, so brauchte man sich nicht damit zu befassen. Tatsächlich kann der Name gerade Anfänger und Außenstehende leicht auf eine falsche Fährte leiten, ist er doch vielfach eine vorweggenommene wesentliche Qualifizierung des Be· nannten durch den Namengeher. "Nomen est omen!" Der für die gebietskörperschaftliche Wirtschaft vielfach gehrauchte Name Staatswirtschaft kann zwar heute kaum noch zur Verwechselung mit der Volkswirtschaft führen. Vor etwa hundert Jahren, als Hermann seine "Staatswirtschaftlichen" Untersuchungen erscheinen ließ (1832)- eine an die Klassiker anknüpfende Theorie der Volkswirtschaft-, war das anders. Dennoch befriedigt der Name nicht recht. Staatswirtschaft kann auch staatliche Erwerbswirtschaft sein. Staatsfinanzwirtschaft ist deswegen wohl eine ungleich bessere
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Bezeichnung. Wörtlich genommen deckt sie freilich nicht alle gebietskörperschaftliche Finanzwirtschaft, in11besondere nicht die sehr bedeutende gemeindliche. Läßt man aber in Aufrechterhaltung einer jahrzehntealten fachwissenschaftliehen Tradition ein pars pro toto gelten, so hat man wohl den besten Namen und gleichzeitig eine gewisse Grenzziehung zu derjenigen öffentlichen Finanzwirtschaft, welche einem bestimmten Einzelzweck - etwa einer Sozialversicherung - dient und gemeinhin als verselbständigt gesehen und behandelt wird. Alle Gebietskörperschaften im Namen des sie behandelnden Wirtschaftsfaches auch förmlich und unmittelbar zu erwähnen, wäre im übrigen reichlich schwerfällig - abgesehen davon, daß die vereinfachende Zitierung nur des Staates mindestens seit Adolph Wagner üblich ist. Im Gegensatz zur Bezeichnung Staats- oder Staatsfinanzwirtschaft ist der Name Öffentliche Wirtschaft viel zu weit. Er ist überdies ungenau, weil er den wirtschaftlichen Grundzug vernachlässigt. Besser wäre schon eine deutsche Übersetzung des in England und Amerika eingebürgerten Public Finance, obwohl auch sie irreführen könnte und ungenau wäre. Wenig zweckmäßig ist ferner die hier und dort bei uns gebräuchliche Bezeichnung V erwaltungswirtschaft. Das ergibt sich schon aus der Tatsache, daß die Praxis die öffentlichen Betriebe wohl als das Gebiet der Neben-"Verwaltung" bezeichnet. Große privatwirtschaftliche Unternehmungen haben im übrigen auch ihre "Verwaltungen". Weit eher wäre die beliebte Namensgebung: "Öffentlicher Haushalt" empfehlenswert. Nur ist dabei die gebietskörperschaftliche gar nicht mehr von der sonstigen öffentlichen Finanzwirtschaft geschieden. Wichtiger ist, daß die gewiß in Theorie und Praxis lange Zeit gern geübte und (gewollt) kennzeichnende Verweisung auf den Haushaltscharakter mißverständlich sein kann. Es liegt aber im Interesse einer richtigen Sicht der Funktionen unserer Staatsfinanzwirtschaft, daß diese nicht einen einseitig die Konsumtion betonenden Namen hat. Die Behandlung der Staats- und Gemeindefinanzwirtschaft in der Lehre der englischen Klassiker kann in dieser Beziehung kein Vorbild sein. Es ist schon geboten, die Produktionsleistungen im fraglichen Bereiche stärker zu betonen - zumal diese Leistungen im Gegensatz zum privaten Haushalt in weitem Maße nicht der sie bewirkenden, sondern dritten Wirtschaften zugute kommen. Schließlich ist in dem beliebten Namen de1· Zwangscharakter und damit für die Gegenwart auch die Steuerfundierung vernachlässigt. Zu stark und zu einseitig kommt dieser in "Steuerwirtschaft" zum Ausdruck. Als solche mag die moderne Staatsfinanzwirtschaft gelten; die steuermäßige Finanzierung ist aber weder Wesensnotwendigkeit für die Staatsfinanzwirtschaft, noch ist sie unbedingt auf diese beschränkt, wie das Beispiel der Kirchensteuern zeigt.
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I. Finanzwirtschaft und Staatsfinanzwirtschaftslehre
§2 Die gebietskörperschaftliche Wirtschaft volkswirtschaftspolitisch gesehen l. Einzelwirtschaftlich interessierte und politische Gestaltung der Volkswirtschaft. 2. Die Finanzwirtschaft als Mittel staatlicher Wirtschaftspolitik. 3. Die Notwendigkeit einer wirkungsmäßigen und einer technischen Einheit von Finanz- und sonstiger Wirtschaftspolitik
l. Auf ihrem quantitativ und qualitativ wichtigsten Gebiete, der gebietskörperschaftliehen Wirtschaft, ist die Finanzwirtschaft nicht nur Teilbereich und Mitträger, sondern auch vorzüglicher Mitgestalter des großen und vielgliedengen Baues der Volkswirtschaft. Sie ist durch diese zwar selbst wesentlich bedingt, aber anderseits ist sie auch Mitursache dafür, daß die einzelnen Volkswirtschaften so verschiedene Züge tragen. Um die gebietskörperschaftliche Wirtschaft gerade in ihrer Bedeutung als wirtschaftgestaltender Faktor zu kennzeichnen, ist eine Einteilung der die Volkswirtschaft auf- und ausbauenden menschlichen Kräfte in einzelwirtschaftlich interessierte und staatspolitische förderlich. Zur ersten Gruppe gehören die private Nachfrage nach Gütern und Leistungen und das erwerbswirtschaftliche Angebot an solchen. An dieser Stelle braucht nun gewiß nicht lange untersucht zu werden, ob sich "Seine Majestät der Kunde" oder der (gedanklich-konstruktiv unmittelbar oder mittelbar in seinen Dienst gestellte) Unternehmer mehr durchsetzen, es genügt die Feststellung, daß beider Wollen und Verhalten von Haus aus durch ihr Einzelinteresse bestimmt werden. Ehen deswegen veranlassen sie vielfach den Staat, als Sachwalter des Gesamtwohles einzugreifen. Letzteres aber kann auf verschiedene Weise geschehen. Eine Methode ist die finanzwirtschaftliche, also die einnahme- oder ausgabepolitische Korrektur der Verkehrswirtschaft. Die gebietskörperschaftliche Finanzwirtschaft soll mit ihren Mitteln nebe~ die marktwirtschaftliche eine finanzwirtschaftspolitische Gestaltung der Volkswirtschaft setzen. Verkehrswirtschaftlich - also unter dem Blickpunkt des in den meisten Ländern wenigstens grundsätzlich herrschenden Organisationsprinzips - gesehen bedeutet das eine Andersgestaltung der Dinge. Letzteres ist schon bei gemeinnützigen Vereinigungen, Stiftungen mit wohlfahrtspolitischer Zielsetzung u. ä. der Fall. Erst recht trifft es bei der eigenen Wirtschaft der Gebietskörperschaften zu. Diesen, insbesondere dem Staat, stehen zur Verwirklichung ihres Korrekturzieles infolge der obrigkeitlichen Stellung des auf Abhilfe Bedachten weit mehr Wirkungsmittel zur Verfügung als den ähnliches anstrebenden Privaten. Die gebietskörperschaftlichen Einnahmen oder Ausgaben sind vielfach nur eine von mehreren möglichen Methoden öffentlicher wirtschaftspolitischer Gestaltung. Sie stehen also insofern in Konkurrenz mit Geboten und Verboten, mit preis-, lohn-, handelspolitischen und anderen Maßnahmen der "obrigkeitlichen'· Wirtschaftspolitik.
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2. Die finanzwirtschaftliehen Möglichkeiten gebietskörperschaftlieber Gestaltung der Volkswirtschaft liegen sowohl bei den Ausgaben wie bei den Einnahmen. Jedoch sind die Möglichkeiten hüben und drüben verschieden groß. Entgegen einer anscheinend weitverbreiteten Annahme "unterliegt es keinem Zweifel, daß die Möglichkeit einer bewußten Lenkung der Wirtschaft auf dem Gebiete der Ausgabegestaltung . . . größer ist als bei der öffentlichen Einnahme· gewinnung, die sehr viel eher auf die in der Struktur des heutigen Wirtschaftssystems liegende Grenze stößt" (Jecht). Eine Volkswirtschaftsgestaltung bezweckt jede der drei großen Ausgabegruppen: die Aufwendungen zur Befriedigung eines Gemeinschaftsbedarfs oder von Gemein-(Sammel-)Bedürfnissen und endlich die Zuweisung von Einkommen oder Vermögen. Was der Staat etwa auf dem Gebiete des Landesschutzes, der Rechts· und Sicherheitspßege, der allgemeinen Hygiene usw. an Leistungen verschiedenster Art im Dienste der Deckung eines Gemeinschaftsbedarfs bewirkt, wäre ohne seine finanzwirtschaftliche Betätigung weithin entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht in der nun vollzogenen Weise geleistet. Im Gemeinschaftsbedarf liegt die erste Begründung der Existenz gebietskörperschaftlicher Finanzwirtschaft. In ihm ist auch die erste finanzpolitische Korrektur der verkehrswirtschaftlichen Organisation der Volkswirtschaft gegeben. Die Natur dieses in besonders offensichtlichem Maße politischen Bedarfs und die politischen Ansprüche, die man bei seiner Befriedigung stellt und stellen muß, bringen es mit sich, daß auf diesem Gebiete von Haus aus eine entschiedene Tendenz zur staats- und gemeindeeigenen Übernahme auch der technischen Aufgabe besteht, die "Vergebung" derselben an Private aber gemieden wird. So ergibt sich denn eine Andersgestaltung der Volkswirtschaft in zweifacher Beziehung, sowohl bezüglich der Durchsetzung des Gemeinschaftsbedarfs wie der volkswirtschaftlichen Ergänzung der privaten durch eine öffentliche Produktion, denn um eine solche handelt es sich ja bei der Sorge für die hier fragliche Bedarfsbefriedigung. Die gebietskörperschaftliehen Aufwendungen im Dienste der Befriedigung von Gemeinbedürfnissen - also von Bedürfnissen vieler einzelner - wie z. B. die Ausgaben für das öffentliche Unterrichtswesen, die Krankenfürsorge u. a. und die durch sie bezweckte Andersgestaltung der Volkswirtschaft sind verschieden begründet, gelegentlich sogar weniger aus der Aufgabe selbst als aus innerpolitischen Erwägungen. Der Staat will bei dieser zweiten großen Ausgabeart diesen oder jenen Dienst selbst leisten, ihn nicht privaten Personen oder Organisationen überlassen. Das geschieht etwa, um auf dem fraglichen Gebiete absolut und leicht gebieten zu können. Weiter kann die gebietskörperschaftliche Übernahme der Deckung von Gemeinbedürfnissen der Qualitätskontrolle halber oder aus anderen tech-
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nischen Gründen erfolgen. Hier und da ist sie auch einmal aus der Absicht entsprungen, einen vermeintlichen oder wirklichen "Staat im Staate" zu verhindern oder zu beseitigen, also die Stärke der politischen Position eines privaten Trägers bestimmter Versorgungsaufgaben zu bekämpfen. Wirtschaftlich weitaus am wichtigsten ist aber, daß die konkrete Bedarfsdeckung allgemein in einer finanzwirtschaftlieh ausgerichteten Bedarfsordnung vor sich gehen soll - unentgeltlich nämlich oder jedenfalls zu einem Entgelt, welches die Kosten nur zu einem Teile deckt. Die außerordentliche Bedeutung dieser Orientierung ist offensichtlich: Die Erreichbarkeit des Dienstes für den einzelnen Staatsbürger ist eine andere, vor allem aus der stattgehabten Verbilligung, manchmal auch aus d~r mengenmäßigen Zuteilung. Verbilligung dieses oder jenen Bedarfs ist ja meist die Voraussetzung dafür, daß es überhaupt zu einem Massenkonsum der fraglichen Art kommt. Eine Gratisleistung von seiten der Gebietskörperschaft aber gibt im übrigen weithin dieser erst die Möglichkeit, einen Konsumzwang auszuüben, wie z. B. auf dem Gebiete des Volksschulwesens. Sowohl bei der öffentlichen Deckung von Gemeinschafts- wie bei derjenigen von Gemeinbedürfnissen müssen Kräfte und Güter verbraucht werden, die zum größten Teil gegen Entgelt beschafft werden. Daraus entsteht eine weitere wirtschaftspolitische Wirkungsmöglichkeit. Wem die öffentlichen Aufträge erteilt werden, welche Bedingungen für die Beschaffung gelten, zu welchem Zeitpunkt die Vergebung großer Aufträge erfolgt - all dies ist von erheblichem, gelegentlich sogar von überragendem Einßuß auf die Struktur und den Ablauf der ganzen Wirtschaft eines Landes. Auch durch die Bedingungen, unter welchen Beamte, Angestellte und Arbeiter der Gebietskörperschaften beschäftigt werden, wird bewußt oder unbewußt, unmittelbar oder mittelbar auf allen Arbeitseinsatz eingewirkt. Freilich können Staat und Gemeinden auch hier meist nicht einfach diktieren, aber wenn sie in dem von ihnen gezahlten Entgelt nicht "konkurrenzfähig" sind, gehen sie leer aus, wenigstens auf die Dauer. Am meisten offensichtlich ist die finanzwirtschaftlich erreichte Andersgestaltung der verkehrswirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft wohl da, wo die öffentliche Finanzwirtschaft einzelnen ein Einkommen auszahlt, ohne sie zu einer Gegenlieferung oder zu einer Dienstleistung an sich selbst zu verpßichten, wo sie also - verkehrswirtschaftlich gesehen - scheinbar "Geld verschenkt". Die Korrektur der marktmäßigen Einkommensverteilung durch persönliche Zuwendungen, also die Beteiligung auch solcher Personen am Sozialprodukt, die nicht an ihm mitgeschafft haben und die auch keine privatrechtliehen Beteiligungsansprüche geltend machen können, ist dabei in ihrer Bedeutung als wirtschaftspolitische Maßnahme
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gnmdsätzlich vielleicht noch weniger interessant als die Subventio· nierung von Unternehmen, also die Zuweisung von Geldmitteln mit der stillschweigenden oder ausdrücklichen Auflage eines bestimmten erwerbswirtschaftlichen Verhaltens. In diesem zweiten Falle wird unmittelbar in die erwerbswirtschaftliche Güterbereitstellung eingegriffen - im Gegensatz zu den Geldunterstützungen an private Haushaltungen, welche nur mittelbar auf Produktion und Konsumtion wirken. Durch letztere soll nämlich wenn auch nicht allein, so doch weit überwiegend alimentiert und nicht protegiert werden. Mag der Sinn der Finanzwirtschaft, namentlich der gebietskörperschaftlichen, in erster Linie aus ihrer Zielsetzung bei der Veraus· gabung abzulesen sein, auch ihre Finanzierungspolitik kann bedeutsam wirtschaftslenkend orientiert sein und erst recht so wirken. Das gilt vorzüglich von der Ausgestaltung der Besteuerung. Die große wirtschaftspolitische Bedeutung der Steuer ist denn auch seit langem erkannt und in steigendem Maße ausgenutzt. Im übrigen hängt die Wirtschaftspolitik auf dem Gebiete der Einnahmen teilweise mit derjenigen der Verausgabung zusammen, da nämlich, wo es sich um das Ob und das Wieviel eines Entgelts für die Leistungen der Finanzwirtschaft an Dritte geht. Schließlich wird auch die staatliche Kreditpolitik als wirtschaftspolitisches Instrument benutzt, mag man bei ihr auch vielleicht manchmal nur aus der Not eine Tugend machen. Anscheinend kann hier das rein fiskalische Denken aber noch schwerer zurückgedrängt werden als auf dem Gebiete der Besteuerung. Das Ergebnis von alledem ist die Gewißheit einer wirklich weitgreifenden und vielseitigen Bedeutung der Finanzwirtschaft als staatlichen wirtschaftspolitischen Instruments. Mit seiner Hilfe kann die öffentliche Verwaltung ebenso anderen Wirtschaften dienen wie eine Selbstversorgung betreiben, sowohl die Einkommens- und Ver· mögensverteilung wie die Struktur der Volkswirtschaft wesentlich beeinflussen, nicht zuletzt auch im Dienste dieser Aufgaben und durch sie mitgeformt den so gewaltig gestiegenen öffentlichen Geldbedarf durch einen Dispositionswechsel "mobilisieren". 3. Es ist nicht immer entsprechend beachtet, daß die gebiets· körperschaftliche Finanzpolitik unmittelbar oder mittelbar auch höchst wichtige Wirtschaftspolitik sein kann. Zwar ist etwa eine finanzwirtschaftliche Hilfe für diesen oder jenen Erwerbszweig wohl stets als wirtschaftspolitische Maßnahme gewertet. Erst recht sind die volkswirtschaftlichen Wirkungen der verschiedenen Steuern von jeher ernst erörtert und auch von der Politik wenigstens in etwa berücksichtigt. Aber die Abstimmung der verschiedenen Methoden staatlicher Einflußnahme, ja selbst diejenige der unmittelbaren HilfsmaBnahmen untereinander, läßt manchmal viel zu wünschen übrig. Oft genug war es so, daß mit finanzpolitischen Mitteln, insbesondere auch durch Unterstützungen wiedergutgemacht werden sollte, was
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vorher wirtschaftspolitisch gefehlt war und umgekehrt. Auch die Frage ist zwar viel diskutiert, aber wohl kaum schon hinreichend geklärt worden, ob und inwieweit kostspielige, aber ungemein lockende Staatsausgaben im Dienste der Sozialpolitik für die zu Fördernden materiell schließlich keine Wohltat, sondern eine Plage bedeuten. Kaum etwas hat den engen Zusammenhang zwischen Finanz- und sonstiger staatlicher Wirtschaftspolitik einer breiten Öffentlichkeit schon vor Jahren so deutlich gemacht wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch die öffentliche Arbeitsbeschaffung. Bei ihrer Durchführung war man mindestens hier und da auf zweckmäßigste Abstimmung der einzelnen finanzwirtschaftspolitischen Maßnahmen untereinander und dieser mit den allgemeinwirtschaftlichen sowie den rein politischen Zielsetzungen bedacht. Es ist auch alles andere eher als ein Zufall, daß der in aller Welt ungewöhnlich stark beachtete und erörterte Beveridge-Plan für soziale Sicherheit auf dem Gedanken einer Untrennbarkeil von Finanz-, Volkswirtschafts- und Sozialpolitik geradezu basiert. So braucht man denn heute die in der Theorie längst betonte Notwendigkeit einer Einheit aller Volkswirtschaftspolitik, insbesondere die Gebotenheil des Einbaues der Finanz- in die allgemeine Wirtschaftspolitik kaum noch länger zu begründen. Es geht nur noch darum, das erkannte Ziel zu verwirklichen. Dazu war im zweiten Weltkrieg übrigens eine besondere, extensiv wie intensiv auch genutzte Gelegenheit gegeben. Fast jede große kriegswirtschaftspolitische Maßnahme hat nämlich ihre sehr wesentliche finanzpolitische Seite und umgekehrt. Insbesondere die Kriegsfinanzierung ist im zweiten Weltkrieg weit mehr als im ersten in ihren allgemein-wirtschaftlichen Bedingtheilen und Folgen nicht nur gefühlt oder gesehen, sondern auch betrieben worden. Für die Sicherung einer rationellen wirtschaftlichen Gesamtpolitik kommt es im übrigen nicht nur auf eine einheitliche Zielsetzung von allgemeiner Wirtschafts- und besonderer Finanzpolitik oder mindestens auf eine gebührende Abstimmung der beiderseitigen Zielsetzungen, Methoden und vermutlichen Ergebnisse, sondern auch auf die jeweils beste Technik der staatlichen Einflußnahme überhaupt an. So· kann etwa die Förderung eines bestimmten Produktionszweiges auf verschiedenen Wegen angestrebt werden, handels-, preis-, verkehrspolitisch, durch unmittelbare geldliche Zuwendungen oder durch steuerliche Vergünstigungen. Weiche Methode der Rüfeleistung gewählt wird, ist vielfach nicht zuletzt politisch-psychologisch bedingt; die verschiedenen technisch möglichen Wege sind politisch nicht immer in gleichem Maße durchsetzbar oder empfehlenswert. Es ist bekannt, daß insbesondere handels- und tarifpolitische Unterstützungen, auch Bürgschaften und Ahnahmeverpflichtungen mit Subventionscharakter meist leichter gewährt werden als offene
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unmittelbare Subventionen. Das gilt auch da, wo keine parlamentarischen oder regionale "Klippen" zu überwinden sind. Zum Teil hängt es damit zusammen, daß offene Geldzuwendungen weniger einfach von einem einzigen Ressort aus betrieben werden können, verdeckte dagegen viel leichter. Damit ist auf eine in der Mehrzahl der technischen Möglichkeiten liegende Gefahr hingewiesen: Übersicht und Vergleichbarkeit sind manchmal bedroht. Das " Nachrechnen" ist oft nicht einfach, und zwar nach zwei Richtungen hin. Was im Einzelfall an öffentlicher Hilfe gewährt ist, erscheint meist nicht in einer Gesamtrechnung. Eine solche Rechnung ist übe:~;dies häufig recht problematisch, da man zwar leicht die Ziffern der unmittelbaren Zuwendungen, schon weniger leicht die der gesamten finanzwirtschaftliehen Leistungen, sehr schwer aber oft die volkswirtschaftlichen Kosten einer anderen wirtschaftspolitischen Hilfe wie etwa einer preis- und einer handelspolitischen berechnen kann. Das ist wirtschaftlich auf jeden Fall ein Nachteil, mag es auch politisch manchmal als durchaus nicht unangenehm empfunden werden. Es ist daher geboten, jeweils die verschiedenen finanzpolitischen Methoden der Wirtschaftspolitik mit den nichtfinanzwirtschaftliehen auf ihre Zweckmäßigkeit vergleichend zu untersuchen und dann möglichst rationell zu verfahren. Auch die so verstandene Einheitlichkeit aller Wirtschaftspolitik verlangt Überwindung ressortmäßigen Denkens und Handelns, insbesondere auch Zurückstellung des rein fiskalischen hinter das schwierigere und mehr Mut erfordernde volkswirtschaftliche Denken.
§3 Die Staats· und Gemeindefinanzwirtschaft als Zwangsgemeinwirtschaft 1. Das Besondere der gebietskörperschaftliehen gegenüber der sonstigen Finanzwirtschaft; die Zwangsgemeinwirtschaft als Welt für sich. 2. Staats- und Gemeindefinanzwirtschaft als Mittel zum Zweck. 3. Die besondere Problematik, illustriert an einigen Grundfragen
1. Wer sich über Bereich und Funktionen der Staatsfinanzwirt· schaft Klarheit verschafft hat, scheint gegen jede Verwechselung von Staats· und Volkswirtschaft gesichert zu sein. In unverkennbarem Gegensatz zu unserer Volks- ist die Staatswirtschaft ja eine Einzelwirtschaft - wenn auch diejenige des Souveränitätsträgers, also desjenigen, der in erster Linie das wirtschaftliche Gesamtinteresse wahren soll. Weniger einfach ist die Grenzziehung zwischen gebietskörperschaftlicher und sonstiger, namentlich privater Finanzwirtschaft. Die Tatsache einer öffentlich-rechtlichen Legitimation kann allein als Kriterium nicht ausreichen. Sie findet sich nämlich auch bei anderen als den gebietskörperschaftliehen Finanzwirtschaften, so z. B. bei öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörpern der Wirtschaft. Darüber hinaus besitzen manche öffentliche Betriebe
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die Eigenschaft einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Immerhin ist die besondere politisch-juristische Legitimation der Staats- und Gemeindefinanzwirtschaft insofern für deren wirtschaftliche Kennzeichnung wesentlich, als sie im konkreten Falle ein Handeln erlaubt, welches auf einer privatrechtliehen Basis nicht möglich wäre. Letztlich kommt es aber auf die Schlußfolgerungen an, welche aus der juristisch-politischen Qualifikation ihres Trägers von Staats wegen gezogen sind. Sucht man nach der besonderen Note der gebietskörperschaftliehen im Gegensatz zur sonstigen Finanzwirtschaft, so muß man schon von den eigentümlichen Aufgaben der ersteren ausgehen. Die Befriedigung von Gemeinschafts- oder von Gemeindebedürfnissen und die Zuwendung von Einkommen, diese Hauptaufgaben der Staatsund Gemeindefinanzwirtschaft, könnten technisch gesehen weithin, wenn nicht durchaus, etwa von privaten gemeinnützigen Organisationen übernommen werden - sofern es nur zu entsprechend leistungsfähigen Institutionen käme und sofern dem Staat solche Organisationen politisch auch genehm wären. Von dem letzteren, rein politischen Wenn kann in diesem Zusammenhang abgesehen werden. Aus dem ersten Wenn aber und den aus ihm gezogenen Konsequenzen muß die besondere Note der Staats- gegenüber der sonstigen Finanzwirtschaft abgeleitet werden. Stiftungen oder Vereine sind auf den Wohltätigkeitssinn oder das geschäftliche Interesse Privater, auf deren freiwillig gezahlte Alimente angewiesen. Das, was der Staat unter Einsatz von mehr oder minder beträchtlichen materiellen Mitteln im Interesse des Ganzen leisten muß, kann aber politisch gesehen unmöglich dem freien guten Willen Privater überlassen werden. Es kann bei der modernen Entwicklung der an den Staat gestellten Ansprüche und bei Aufrechterhaltung der verkehrswirtschaftlichen Organisationsform der Volkswirtschaft auch nicht mehr aus Vermögenseinnahmen des Staates einigermaßen ausreichend finanziert werden. Das auch wirtschaftlich Kennzeichnende der gebietskörperschaftlichen gegenüber der sonstigen Finanzwirtschaft Jiegt daher zunächst im Zwang. Die Staats- und Gemeindefinanzwirtschaft ist, wie schon gesagt "Zwangsgemeinwirtschaft"; der moderne Staat wird wesentlich aus Abgaben finanziert. Diese Kennzeichnung ist nur scheinbar absolut einnahmepolitisch begründet. Tatsächlich ist sie letzten Endes die Folge der eigentümlichen Aufgaben aller Staatsfinanzwirtschaft, des in diesen gelegenen Zwangs zur politischen Verausgabung ohne Rücksicht darauf, ob diese aus freiwillig oder gezwungen gegebenen Geldmitteln bestritten wird. Nun gibt es freilich auch Zwangsgemeinwirtschaften, welche keine gebietskörperschaftliehen Wirtschaften im engsten Sinne des Wortes sind, etwa die Finanzwirtschaften der Sozialversicherung, auch diejenigen der staatlich erzwungenen Organisationen der Erwerbswirt-
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schaft. Materiell handelt es sich bei ihnen aber im Grunde stets um ausgegliederte Teile einer bestimmten Gebietskörperschaft, und zwar in der Regel derjenigen, welche die bezügliche Gründung erzwang. Die Ausgliederung kann ihrerseits verwaltungstechnisch begründet sein. Meist ist sie die Folge einer po'.litischen Unmöglichkeit oder Unzweckmäßigkeit, die Kosten solcher öffentlicher Leistungen, welche nur oder vorzugsweise einer bestimmten Gruppe von Personen oder Körperschaften zugute kommen, einfach auf die allgemeine Staatskasse zu übernehmen, insbeson.dere also aus allgemeinen Steuern zu bestreiten. Die Staats- wie die sonstige gebietskörperschaftliche Finanzwirtschaft können mit der erwerbswirtschaftlichen Elle nicht richtig gemessen werden. Sie dürfen aber auch nicht als einfache, wenn auch besonders große (den privaten ähnliche) Haushaltswirtschaften angesehen werden. Die Welten hüben und drüben sind dafür zu verschieden. Diese Verschiedenheit zeigt jeder selbst bei den Anfängen bleibende Vergleich. In der Finanzwirtschaft wird im Gegensatz zur Unternehmung nicht für den Verkauf, insbesondere nicht für einen weiten "Markt" gearbeitet. Da es bei ihr, wenn überhaupt, erst in zweiter oder späterer Linie um Entgelte geht, können ihre Leistungen bestenfalls teilweise aus Gegenleistungen finanziert werden. Auch gegenüber der privaten Haushaltswirtschaft ist eine andere Welt gegeben. In die Staats- und Gemeindefinanzwirtschaft werden die auszugebenden Mittel nicht in erster Linie oder gar allein "eingebracht". Über ihre Ausgaben entscheidet grundsätzlich nicht der einzelne, welcher die Mittel zur Verfügung stellt, als solcher oder gar nach Maßgabe seiner Beitragsleistungen, sondern ausschließlich der Politiker in seiner Funktion als Treuhänder der Volksgesamtheit. Dieser letztverzeichnete Umstand bedeutet auch einen wesentlichen Unterschied gegenüber der privaten Finanzwirtschaft, in der die einzelnen Geldgeber wenn nicht schon unmittelbar, so doch mittelbar über ihre Gaben weg die Verwendung der verfügbaren Mittel beeinflussen oder gar absolut bestimmen. Wer die heutige staatsfinanzwirtschaftliche Welt in rein privatwirtschaftliche Zahlen oder Begriffe bringen will, kann ihr daher nicht gerecht werden. Will man die moderne gebietskörperschaftliche, insbesondere die Staatsfinanzwirtscliaft positiv kennzeichnen, so kann man sagen: Sie ist eine ein ganzes politisches Gebiet und nicht nur einzelne Personenkreise oder Sachbereiche umfassende staatliche Organisation l. zur Befriedigung von Gemeinschaftsbedürfnissen; 2. zur Übernahme der Befriedigung von bestimmten Gemein-(Sammel-) Bedürfnissen grundsätzlich unter Zurückstellung des Entgeltlichkeits- und des Überschußzieles und 3. zur Änderung der verkehrswirtschaftlichen Einkommens· oder Vermögensverteilung
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dies alles letztlich vor allem ermöglicht auf Grund zwangsweiser Inanspruchnahme der privaten Ein.zelwirtschaften, wenn auch teilweise erst im Gefolge kreditmäßiger Vorfinanzierung. 2. Die Finanzwirtschaft der Gebietskörperschaften als eine wirtschaftliche Welt für sich hat naturnotwendig ihre eigenen Probleme. Das zeigt sich schon, wenn man sie grundsätzlich so werten will, wie politisch alle Einzelwirtschaft gewertet werden muß: als Mittel zum Zweck. Mittel und Zweck lassen sich nämlich in der Staats· finanzwirtschaft besonders schwer, ja rein wirtschaftlich wenigstens oft überhaupt nicht mit Aussicht auf Erfolg vergleichen. Auch darin liegt eine Besonderheit, daß das Mittel seinerseits vielfach noch vergleichend gewertet werden muß, wenn man ein abschließendes Urteil haben will. Als Mittel zum Zweck weist die Finanzwirtschaft immer insofern einen argen Zwiespalt auf, als sich das Mittel, weil es lebt und Lebensanprüche stellt, gegen den Zweck auswirken kann. Eine unvermeidlich eigensüchtige Einzelwirtschaft soll als Instrument staatspolitischer Gestaltung dienen. Es ist daher immer mit der Möglichkeit zu rechnen, daß das Gemein- durch das Einzelwirtschaftsinteresse zurückgedrängt wird. Während nun der Staat auf dem Gebiete der privaten, insbesondere der bezüglichen Erwerbswirtschaften unparteiisch dafür sorgen kann, daß der einzelwirtschaftliche Egoismus in Zaun gehalten wird, ist er bei seiner eigenen Wirtschaft stets Polizei und Richter in eigener Sache. Das ist um so bedeutsamer, als gerade derjenige, welcher die Aufgabe hat, durch seine eigene Wirtschaft nur dem öffentlichen Wohle zu dienen, bestrebt sein wird, diese auch gut auszustatten. Er ist leicht geneigt, die reichlichste eigene Versorgung ohne weiteres als einen Gewinn fürs Ganze anzusehen. Je größer und verzweigter der ganze Verwaltungsapparat wird, um so mehr macht sich ein rein ressortmäßiges Denken und Fühlen geltend, das eine solche Einstellung begünstigt. Dieser stellt sich im Gegensatz zur privaten Erwerbswirtschaft kein auf die Ermittlung des totalen Einzelwirtschaftserfolges ausgerichtete rechnerische Kontrolle entgegen; sie ist daher nicht in gleichem Maße faßbar und damit zu bekämpfen wie eine Unwirtschaftliehkeit in der privaten Wirtschaft. Mittel und Zweck können in der gebietskörperschaftliehen Wirtschaft nur schwer und rein rechnerisch vielfach überhaupt nicht miteinander verglichen, also nicht "saldiert" werden. Die einschlägigen Zahlen der fiskalwirtschaftlichen Rechnung sagen insoweit nicht genug. Selbst aus der Jahresrechnung etwa einer Aktiengesellschaft kann man auch bei rechnungsmäßig einwandfreien Ziffern nicht schon ohne weiteres ihre volkswirtschaftliche Leistung ablesen, obwohl die Grundidee der Verkehrswirtschaft doch gerade ist, einzelwirtschaftliche Gewinne als Prämie für eine Volkswirtschaft-
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liehe Leistung auszusetzen. Noch ganz ungleich weniger sagen die rein fiskalwirtschaftlichen Zahlen, ob der eigentliche soziale Sinn des Ganzen überhaupt und wie gut oder schlecht er gegebenenfalls erreicht ist. Die ausgeglichene und rechnerisch einwandfreie Jahresrechnung zeigt gewiß etwas Wesentliches, nämlich daß das besondere Instrument der Staatspolitik, eben die Fiskalwirtschaft, in der fraglichen Wirtschaftsperiode wenigstens in gewisser Hinsicht in Ordnung gehalten ist, keineswegs aber schon, ob sich deren Einsatz auch hewährt hat - also das, worauf es vor allem ankommt. Das Urteil über die Bewährung muß staatspolitisch orientiert sein, insbesondere sagen, ob eine politische Harmonie zwischen den Leistungen der Staatsfinanzwirtschaft und dem besteht, was diese der übrigen Wirtschaft eines Volkes auferlegt. Bezeichnenderweise hieß es in § 7 der Deutschen Gemeindeordnung: "Die Gemeinden haben ihr Vermögen und ihre Einkünfte als Treuhänder der Volksgemeinschaft gewissenhaft zu verwalten. Oberstes Ziel'ihrer Wirtschaftsführung muß sein, unter Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Kräfte der Ahgahepßichtigen die Gemeindefinanzen gesund zu erhalten." Der Zwiespalt zwischen gemein- und eigennütziger Zielsetzung einerseits und andererseits die Unmöglichkeit einer Rechnung, in welcher politische Tatbestände wie der Nutzen öffentlicher Ausgaben und die Last der Besteuerung miteinander saldiert werden, sind natürliche Schwächen der Staatsfinanzwirtschaft. Maß und Ausdrucksformen wechseln bei diesen sie selbst aber bleiben und stellen immer eine schwierige praktische Aufgabe, mag sie vielleicht auch nicht empfunden oder gar gesehen werden, weil die finanzwirtschaftliehe Praxis leicht zu mehr oder minder zusammenhangsloser Wertung der Ausgaben oder der Einnahmen verleitet. 3. Die besondere, im Vergleich zur sonstigen Einzelwirtschaft wesentlich andere Problematik ist im einzelnen leicht zu illustrieren: Das Kosten- und Nutzenvergleichen, Ausgangspunkt und ständige Aufgabe allen Wirtschaftens, ist in der Erwerbswirtschaft ob ihres eindeutigen Rentabilitätsgesichtspunktes grundsätzlich leicht~ mag es auch noch so viele Rechnungsschwierigkeiten im einzelnen gehen. Im privaten Haushalt fällen das Urteil über Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit diejenigen, die auf beiden Seiten die Betroffenen und daher bestens legitimierte Beurteiler sJnd. Anders in der Staats-finanzwirtschaft. Hier wird eine politische Entscheidung ohne viel unmittelbares Befragen aller Beteiligten getroffen; der Politiker muß als Treuhänder nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden. "Die Entscheidung über die Frage, ob und in welchem Grade eine öffentliche Leistung mit sichtbarem Effekt als wirtschaftlich oder unwirtschaftlich anzusehen ist, hängt von politisch oder traditionell bedingten Werturteilen ab, denselben, die für die Bewilligung des entsprechenden Haushaltspostens durch die gesetzgehenden hzw.
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beschlußfassenden Organe maßgebend waren"- heißt es mit Recht in einer wertvollen Veröffentlichung "Finanzen und Steuern im Inund Ausland" des früheren Statistischen Reichsamts (1930 S. 554). Ein weiterer, der Zwangsgemeinwirtschaft eigentümlicher Fragenkomplex entsteht aus der Finanzierungsaufgabe: Wieweit soll das Entgeltlichkeitsprinzip zurückgedrängt werden ? Wie soll die Besteuerung ausgestaltet werden ? Soll zunächst im Borgwege und erst später aus Steuern finanziert werden oder nicht? Das sind nur einzelne der offensichtlich elementaren Fragen der Staats- und Gemeindefinanzpolitik, welche nicht einzelwirtschaftlich-kalkulatorisch, sondern politisch beantwortet werden müssen - das heißt aber in einem Kompromiß zwischen volks- und einzelwirtschaftlichen sowie rein politischen Zielen. Das, was finanzwirtschaftspolitisch unternommen wird, muß end· lieh in die allgemeine Politik eingebaut werden. Es ist auch insoweit nicht schon aus dem einzelwirtschaftlichen Gesichtspunkt zu entscheiden. Daß es bei alledem ungleich schwieriger als in der privaten Erwerbs- oder Haushaltswirtschaft sein muß, eine total ausgerichtete Wirtschaftlichkeitskontrolle - die ja mehr ist als eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit auf dem Gebiete einzelner Einnahmen und Ausgaben - erfolgreich zu handhaben, liegt auf der Hand. Mag im privaten Haushalt ein Kalkulieren unter dem Rentabilitätsgesichtswinkel wegfallen, Übersichtlichkeit und Vergleichsmaßstäbe können aber leicht durch Augenschein gewonnen werden. Auch in der privaten Finanzwirtschaft, ja selbst in der nur bestimmte einzelne Personengruppen oder Sachgebiete umfassenden Zwangsgemeinwirtschaft, ist das meist nicht viel anders. Ernste wirtschaftliche Überlegung kann insofern schon zunächst einen gewissen wirt· schaftliehen Schrecken bewirken. Stets führt sie zur Feststellung, daß die Staatsfinanzwirtschaft wirklich eine ökonomische Welt für sich ist, eine Welt, die man weder mit der erwerbswirtschaftlichen Elle messen noch auch als einfache, wenn auch besonders große Haus· haltswirtschaft ansehen kann. Die Welt ist hüben und drüben schon grundverschieden, die staatsfinanzwirtschaftliche sogar grundsätzlich am wenigsten eine.reil). ökonomische Welt. Wer ihren letzthin wesentlichen Erfolg nur in fiskalwirtschaftlichen Ziffern erkennen oder nur mit solchen beweisen will, kann nicht zum Ziele kommen. Daß solche Zahlen zur Pflege des Mittels zum Zweck, zur Durchführung der sog. formellen Ordnung wesentlich sind, soll in diesem Zusammenhang ausdrücklich festgestellt werden. Die Frage des Rechnens in der Staatswirtschaft ist im übrigen Gegenstand einer späteren eingehenderen Behandlung (vgl. §§ 34ff.). Ob eine konkrete Finanzwirtschaft gut oder schlecht geführt ist, muß gewiß zunächst unter dem einzelwirtschaftlichen Gesichts· winkel, insbesondere unter dem des Haushaltsausgleichs und der
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Vermögensentwicklung beantwortet werden. Aber mit dieser fiskalischen, namentlich mit einer rein finanzierungsmäßigen Einstellung kann man einer durchaus politischen Wirtschaft, wie sie in der Staatsfinanzwirtschaft doch gegeben ist, unmöglich schon gerecht werden. Die eben erwähnte grundsätzliche Bestimmung der derzeiti· gen Deutschen Gemeindeordnung über die gemeindliche Vermögens· verwaltung zeigt das letzthin Entscheidende. Ihm gegenüber kann die Übereinstimmung von Einnahmen und Ausgaben oder von Soll und Ist nur dasjenige sein, was sich eigentlich von selbst versteht. Die ideale staatliche Finanzwirtschaft muß zwei Anforderungen genügen: Erstens darf es kein "Über-die-Verhältnisse-Leben" des Staates, aber auch nicht das Gegenteil davon geben. Öffentliche Ausgaben treten ja an die Stelle von privaten, welche insbesondere durch Steuern unmöglich gemacht werden. Zwischen dem staat· liehen und dem privaten "Lebensstandard" muß eine politische W ohlabgestimmtheit bestehen. Dies schließt ein, daß durch die Staatsfinanzpolitik nicht die Grundlagen des Volkswohlstandes und damit auch letztlich der Staatsfinanzen beeinträchtigt werden. Zwei· tens muß rationell verausgabt und vereinnahmt werden. Auch hier umschließt die politische Orientierung die ökonomische. Richtige Rangfolge der Ausgaben, rationelle Verausgabung im Sinne des besten Effektes und nicht einfach in dem eines Sparens um jeden Preis, schließlich zweckmäßige, Einnahmepolitik im Sinne der poli· tisch richtigen ·Anwendung bzw. Ausschaltung des Entgeltlichkeits· prinzips, vor allem aber in dem einer "verantwortlichen" Besteue· rung. "Das" Kriterium guter Finanzwirtschaftspolitik ist schließlich die gesicherte Zustimmung der "Regierten" -etwas, was meist zunächst nur vermutet und erst später festgestellt werden kann. Wer nur in Zahlen zu denken gewohnt ist, einerlei ob es solche der kameralistischen oder der kaufmännischen Buchführung sind, wird dieses Kriterium im ersten Augenblick sicher als armselig empfinden und daher zurückweisen wollen. Auch er wird aber schließlich zugeben müssen, daß es kein anderes gibt.
§4 Die Individualität, insbesondere die nationale Note der gebietskörperschaftliehen Wirtschaft 1. Die meh~eitig bedingte Individualität aller konkreten öffentlichen Finanzwirtschaft im allgemeinen. 2. Die organisatorisch bedingte Individualität im besonderen
1. Die Respektierung des inneren Wesens aller Zwangsgemeinwirt· schaft ist erste Voraussetzung einer guten Finanzwirtschaftspolitik; sie muß die Grundhaltung bestimmen. Erfolgreiche Finanzpolitik setzt freilich noch erheblich mehr voraus, nicht zuletzt auch ein Fertigwerden mit den konkreten, außerordentlich unterschiedlichen finanzwirtschaftliehen Gegebenheiten mancherlei Art. Die einzelne
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Staatsfinanzwirtschaft ist ja in Zielsetzungen und Lebensbedingungen genau so einmalig wie das bezügliche Staatsgebilde selbst. Trotz vieler gleicher Einzelerscheinungen sind nicht zuletzt auch die Finanzwirtschaften der dem Staate untergeordneten Gebietskörperschaften von Land zu Land oft überraschend verschieden. Selbst die gemeindlichen Finanzwirtschaften desselben Landes weisen untereinander beachtliche Unterschiede auf, sogar diejenigen der gleichen Größenklasse. So ist jede einzelne Finanzwirtschaft schon eine Individualität, erst recht aber der Gesamtbau der nationalen Finanzwirtschaft, " der materielle Ausdruck der Verfassung und Verwaltung eines Staates'' (Schäffle). Das ist sowohl aufgabe-wie auch einnahme-, wie endlich durch die organisatorische Verfassung bedingt. Ins· besondere das Neben- und Miteinander gebietskörperschaftlicher und auch sonstiger öffentlichen Finanzwirtschaft ist örtlich und zeitlich sehr verschieden geregelt und gehandhabt. Schon bezüglich der Aufgabestellung der Staatswirtschaft bestehen von Land zu Land erhebliche Verschiedenheiten, politisch frei gewollte und erzwungene. Diese oder jene Aufgabe ist im einen Lande überhaupt nicht oder nicht so wie im anderen gestellt. Das eine Mal ist sie vom Staat oder von der Gemeinde, das andere dagegen von einem anderen Träger in die Hand genommen und dabei wieder im einen Falle erwerbswirtschaftlich, im anderen dagegen finanzwirtschaftlich besorgt. Bestimmte Aufgaben etwa d er Wirtschafts- oder der Sozialpolitik werden im einen Falle auf dem finanzpolitischen Wege zu lösen versucht, das andere Mal nicht mit Subventionen, Unterstützungen u. ä., sondern mit Hilfe der Handels-, der Verkehrs-, der Preis- und Lohnpolitik, also mit Hilfe "volkswirtschaftlicher" Maßnahmen. Dadurch wird das Gesicht' der nationalen Finanzwirtschaft wesentlich beeinflußt. Wie von Land zu Land bestehen auch von Zeit zu Zeit beachtliche Verschiedenheiten. Manche der heute staatlichen oder gemeindlichen Einrichtungen auf dem Gebiete der Kultur- oder der Gesundheitspflege waren früher einmal nur oder jedenfalls auch in erwerbswirtschaftlichen Händen, von dem Wechsel der Trägerschaft im Verhältnis von gebietskörperschaftlieber und sonstiger (etwa kirchlicher) Finanzwirtschaft nicht zu reden. Adam Smith schien es noch ganz natürlich, daß das Schulwesen erwerbswirtschaftlich orientiert sei. In Deutschland sind die privaten höheren Schulen weithin zurückgedrängt worden; in einigen anderen Ländern haben sie noch heute eine erhebliche Bedeutung. Wo in Deutschland gebietskörperschaftliche Wohlfahrts-, Gesundheits- und auch Kultureinrichtungen bestehen, findet map anderswo Stiftungen und Vereine als Träger der gleichen Aufgabe. Das ist bei internationalen finanzstatistischen Vergleieben zu beachten. Die einfachen Ziffern der Staatsfinanzwirtschaften ergeben also häufig für sich allein ein schiefes Bild. Man kann sie meist schon deswegen nicht
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als Ausdruck der gesamten einschlägigen Leistungen hüben und drüben ansehen, abgesehen davon, daß die Kosten einer Betätigung noch nichts über deren Wirtschaftlichkeit und Güte sagen. Mag schließlich im Ganzen der verglichenen Volkswirtschaften auch einmal kein wesentlicher Unterschied bestehen, die einzelnen finanzwirtschaftlichen Gruppen, die öffentlichen wie die privaten aller Art, können sich aus ihrer verschiedenen Einspannung doch wesentlich unterscheiden. Das ist nicht etwa nur formal beachtlich. Eine weniger eingespannte öffentliche, insbesondere Staatsfinanzwirtschaft hat eine andere politisch-psychologische Belastungsplattform als eine stärkstens bepackte, wobei freilich noch die Frage ist, ob eine bessere oder schlechtere. Nicht minder als auf der Ausgabe- zeigt sich die Individualität der einzelnen Finanzwirtschaft auf der Einnahmeseite. Schon wieweit jeweils das Entgeltlichkeitsprinzip beachtet ist, welche gebietskörperschaftlichen Leistungen an Dritte als Verwaltungs- und welche als Betriebsaufgabe angesehen werden, kann verschieden beantwortet werden und wird es zeitlich wie örtlich auch. Wie hoch Gebühren und Beiträge einerseits und Betriebstarife andererseits angespannt werden, ist eine politisch keineswegs gleichgültige und eben deswegen auch nicht einheitlich geregelte Frage. Erst recht tritt die zeitliche und vor allem die nationale Bedingtheit der gebietskörperschaftliehen Finanzwirtschaft aber in der Besteuerung in die Erscheinung. Namentlich mancherlei zwischenstaatliche Unterschiede in der Besteuerung sind weniger Ausdruck politischer Willkür als Beweis verschieden gelagerter sachlicher Voraussetzungen. Zu diesem gehört nicht zuletzt auch die für die Ausgabe- wie die Einnahmegestaltung sehr wichtige Leistungsfähigkeit der Verwaltungsstellen. Zu alledem kommen die verschiedene Aufgliederung der gesamten gebietskörperschaftliehen sowie das ebenfalls schon erwähnte unterschiedliche Nebeneinander von gebietskörperschaftlicher und anderer Finanzwirtschaft. Diese beiden Nebeneinander sind nicht nur allgemein-politisch von Interesse, sondern haben auch ihre besondere finanzwirtschaftliche Bedeutung. Das gilt namentlich für das Neben-, Mit- oder Gegeneinander der gebietskörperschaftliehen Finanzwirtschaft, wie das jahrzehntelange Arbeiten am sog. Finanzausgleich immer wieder bewiesen hat. 2. Die organisatorisch bedingte Individualität jeder konkreten öffentlichen Finanzwirtschaft, der staatlichen wie der kommunalen, wie endlich aller übrigen, ist durch das unterschiedliche Neben- und Miteinander verursacht. Staats- und Gemeindefinanzwirtschaft inshesondere stehen in den verschiedenen Ländern keineswegs im gleichen finanzpolitischen Verhältnis zueinander. Das ist zum Teil die Folge einer ausgabe- oder einnahmepolitischen Zwangslage, zum Teil ist es aber auch durch die allgemeinpolitische Stellung der
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Gemeinde bedingt. Der Wille zur kommunalen Selbstverwaltung und die Amgestaltung dieser selbst sind schon in den westeuropäischen Ländern recht unterschiedlich. So ist die englische Selbstverwaltung begrifflich etwas anderes als die deutsche. Sie bedeutet im wesentlichen Lokalverwaltung unter weitgehender staatlicher Kontrolle. Im Gegensatz dazu umfaßt die deutsche vielleicht nicht so viele verschiedene Aufgaben, aber sie ist in ihrer konkreten Aufgabestellung nicht auf die ausdrückliche gesetzliche Zuweisung von Seiten des Staates angewiesen. Vor allem ist die deutsche Selbstverwaltung freier von staatlichem Hineinreden als die englische, insbesondere auch bezüglich der ihnen vom Staat gegebenen Zuschüsse. In Frankreich aber sind die Gemeinden gar keine Selbstverwaltungskörper im deutschen oder englischen Sinne. Es ist schon charakteristisch, daß die staatliche Aufsicht über sie amtlich als "Vormundschaft" hezeichnet wird. Die hier nur angedeutete Unterschiedlichkeit in Vorhandensein und Inhalt der gemeindlichen Selbstverwaltung ist aber von wesentlicher Bedeutung für die kommunalen Finanzen. Sie wirkt sich nicht nur im verhältnismäßigen Wieviel und im Wofür der Gemeindeausgaben sowie in der gemeindlichen Einnahmegestaltung aus, sondern vor allem im ganzen Nebeneinander von Staatsund Gemeindefinanzpolitik. Bei diesem geht es auch um weit mehr als um Maßnahmen und Einrichtungen der technischen Gestaltung. Die gemeindliche Selbstverwaltung im deutschen Sinne will inshesondere selbstverantwortliches Handeln, freie Betätigung im Rahmen der Gesetze, damit aber auch die Vermeidung jeder unnötigen Egalisierung. Ihr Ziel war von Haus aus die möglichst individuelle Gestaltung der Ausgaben und Einnahmen, die Überwindung eines "Lebens in Formen und Dienstmechanismus" durch Anregung kräftigen Handeins (vom Stein} gerade auch auf dem finanzwirtschaftliehen Gebiete. Ist die gemeindliche Selbstverwaltung aber in den verschiedenen Ländern und Zeiten in Art und Maß unterschiedlich verwirklicht, so muß auch das Bild der konkreten gesamten nationalen Finanzwirtschaft erheblich dadurch beeinfl.ußt werden. Finanzstatistische Daten sagen oft genug manches Wesentliche nicht, jedenfalls nicht schon auf den ersten Blick. Außer durch das jeweilige finanzpolitische Verhältnis von Staat und Gemeinden ist die organisatorisch bedingte Individualität einer nationalen Finanzwirtschaft auch wesentlich dadurch bestimmt, daß die Staatsmacht bei einem oder bei mehreren Trägern liegen, der Staat also Einheits· oder Bundesstaat sein oder einem Staatenbund angehören kann. Beim Bundesstaat aber können die Kompetenzen zwischen Bund und Gliedstaaten wieder sehr verschieden verteilt, die Gliedstaaten außerdem unter sich sehr uneinheitlich sein. Man braucht in all diesen Beziehungen nur kurz an die Entwicklung der deutschen Verfassung von der Entstehung bis zum Zusammenbruch
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des Deutschen Reiches zu erinnern, um die elementare Bedeutung der Staatsverfassung für die finanzpolitische Struktur eines Landes deut• lieh zu machen. Technisch rationelle und politisch gewollte Aufgabe· und Einnahmeverteilung stehen im Bundesstaat oft in einer ungleich größeren Spannung zueinander als im Einheitsstaat. Im übrigen ist das ziffernmäßige Verhältnis zwischen dem Finanzbedarf des Bundes und dem seiner Gliedstaaten örtlich und zeitlich oft sehr verschieden. Vor dem zweiten Weltkrieg waren z. B. die Ausgaben des Bundes in den Vereinigten Staaten drei· bis viermal so hoch wie diejenigen der Gliedstaaten (gegenüber dem Doppelten etwa zehn Jahre vorher). In der Schweiz war es umgekehrt; dort betrugen die kantonalen Aus· gaben etwa das Eineinhalbfache der Bundesausgahen. Der vermeintlich ein für allemal oder der nur für eine längere Zeit festgelegte sog. Finanzausgleich zwischen Bund und Bundesmitgliedern wirkt unweigerlich als Schema, je länger desto mehr. Will man Initiative und möglichst wirksame Selbstverantwortung in allen Teilen einer nationalen Finanzwirtschaft, so muß man namentlich für genügend selbstbewirtschaftete Einnahmen, vorzüglich Steuereinnahmen aller drei großen Finanzwirtschaftsträger sorgen- des Bundes, der Gliedstaaten und der Gemeinden -. Das ist aber nur um den Preis vermehrter Steuerkonkurrenz, also geringerer Ausgeglichenheit der gesamten Steuerpolitik möglich. Manchmal werden einzelne Steuern im Gegensatz zum belastungspolitisch Rationellen nur deswegen geschaffen oder aufrechterhalten, weil es das Nebeneinander von Bundes- und einzelstaatlicher Finanzwirtschaft nahelegt oder verlangt. Die Geschichte der deutschen hundesstaatlichen Finanzwirtschaft hat dafür drastische Beispiele. Auch diejenige ausländischer Staaten mit entsprechender Verfassung, etwa derVereinigten Staaten oder der Schweiz, liefert Belege dieser Art, mag der nicht so arge Steuerdruck es auch weniger herausstellen. Die verfassungsrechtliche Struktur eines Staatsgebildes ist nach alledem in besonderem Maße die Ursache der finanzwirtschaftliehen Einmaligkeit eines Landes in einem gegebenen Zeitpunkt. Die organisatorische Verfassung einer Finanzwirtschaft ist in beträchtlichem Umfange freilich politischer Willkür entzogen. Sie ist weithin durch Ausmaß und Art der gebietskörperschaftliehen Aufgaben und Möglichkeiten bestimmt. Je mehr Aufgaben der Staat sich stellt, je umfangreicher und differenzierter namentlich seine sozial-, wirtschafts- und kulturpolitischen Aufgaben werden, um so eher und mehr ergibt sich die Zweckmäßigkeit oder gar die Notwendigkeit einer Ausgliederung bestimmter, mehr oder minder "ausgefallenen", in den Rahmen der allgemeinen Verwaltung nicht recht hineinpassenden Einzelaufgahen. Diese erfolgt dann im Wege der Schaffung von Nebenverwaltungen und ·fiszen. Was Nebenfiszen - gelegentlich at~.ch hilfefiskalische Einrichtungen oder intermediäre Finanz-
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gewalten (Mann und Herrmann) genannt - aber quantitativ - und damit für das Gesamtbild einer nationalen Finanzwirtschaft bedeuten können, zeigt die Tatsache, daß der Etat der deutschen Sozialversicherung, des größten deutschen Nehenfiskus, unmittelbar vor dem zweiten Weltkrieg höher war als derjenige der deutschen Gemeinden. In England waren demgegenüber damals die Ausgaben der Sozialversicherung nur etwa ein Drittel der Gemeindeausgaben. Ein sehr bedeutendes, stark auf Verstecken und Täuchung bedachtes Nebeneinander von staatlicher und sonstiger Finanzwirt· schaft bestand während der Naziherrschaft in Deutschland im Verhältnis von Staat und Partei. Dabei handelte es sich schließlich um einen Jahresaufwand von weit mehr als einer Milliarde RM. Auch insofern brachte diese Zeit eine deutsche finanzwirtschaftliche Besonderheit, als Zwangsorganisationen der Wirtschaft Aufgaben übernahmen, welche anderswo in der Hand des Staates lagen. Diese Organisationen hatten im übrigen das Recht zur Erhebung von Abgaben (Beiträgen), teilweise unter Inanpruchnahme der staatlichen Steuerverwaltung. Denkt man weiter daran, daß zur Finanzierung außergewöhnlicher Staatsaufwendungen etwa für Rüstungs- oder Arbeitsbeschaffungszwecke gelegentlich Sonderinstitute geschaffen werden, und zwar unterschiedlich im Verhältnis von Land zu Land, so ergibt sich auch daraus, daß die einzelnen nationalen Finanzwirtschaften ihr eigentümliches Gesicht tragen und daher oft nur schwer miteinander vergleichbar sind. Besteht aber ein offenes oder verstecktes Nebeneinander von Fiskus und Nehenfiskus, so ist für Zusammenarbeit und Ausgleich zu sorgen. Nicht minder wichtig ist, daß gegebenenfalls ein geordneter Wettbewerb statthat, nicht dagegen eine Ausnützung innerpolitischer oder wirtschaftlicher Machtstellung. Maß und Methode der bezüglichen staatlichen Vorsorgemaßnahmen sind aber ihrerseits örtlich und zeitlich verschieden. Auch dadurch kommt wieder ein individueller Zug in das Gesamtbild der öffentlichen Finanzwirtschaft eines Landes.
§5 Die Staatsfinanzwirtschaftslehre (Finanzwissenschaft) I. Die Staatsfinanzwirtschaftslehre als Wissenschaftsgebiet, insbesondere ihr Ver· hältnis zum Finanzrecht und zur Volkswirtschaftslehre. 2. Finanzwissenschaft und Politik. 3. Die konkreten Objekte. 4. Entstehung und Fortentwicklung des Wissensgebietes, insbesondere in Deutschland. 5. Literaturhinweis.
I. Bedenkt man die vielerlei Staatstätigkeit, die verschiedenen Methoden der Staatsfinanzierung, die Fülle der technischen und politischen Fragen, welche sich bei der täglichen Verwaltungsarheit ergehen, berücksichtigt man schließlich auch die Tatsache der gesetz· lichen Regelung eines großen Teils von alledem, so ergibt sich ohne
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weiteres, daß finanzwirtschaftlich wesentliche Tatsachen und Fragen von verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen behandelt werden müssen. Die Staatsfinanzwirtschaftslehre (Finanzwissenschaft) faßt nun nicht etwa alles das zusammen, was von ganz verschieden inter· essierten Wissenszweigen unter deren Gesichtswinkel erarbeitet ist, sondern hat als Lehre von der Wirtschaft des Staates eine eigene und - wegen der hier ausschlaggehenden Bedeutung des Wirtschaftlichen - sogar grundlegende Aufgabe. Das gilt insbesondere dann, wenn man die Staats· und Gemeindefinanzwirtschaft so sieht, wie es in diesem Buche schon einleitend geschah: als besonderen volkswirtschaftlichen Bereich, als wirtschaftspolitisches Instrument des Staates und als Einzelwirtschaft eigener Art. Gewiß befassen sich etwa die Lehre von der öffentlichen Verwaltung, die Rechts·, insbesondere die Finanzrechtslehre, auch eine ganze Reihe anderer spezifisch technischer Disziplinen (Erziehungs·, Gesundheits-, Wohlfahrtswesen usw.) mit Teilfragen der Staatsfinanzwirtschaft, aber bei keiner geht es in erster Linie um die wirtschaft· liehe Seite der Einzeldinge, erst recht nicht um eine Lehre von der ganzen gebietskörperschaftliehen Finanzwirtschaft. Die zu behandelnden Themen sind vielfach gleichlautend, am meisten im Ver· hältnis von Finanzrechts- und Finanzwirtschaftslehre. Das will aber für den ernsten Interessenten und Beurteiler nicht viel sagen. Viele Fachwissenschaften haben gleiche Gegenstände zu behandeln wie andere, haben aber nichtsdestoweniger eine ganz verschiedene Aufgabe. Das gilt auch im Verhältnis von Finanzwirtschaftslehre und Finanzrecht. Gesichtswinkel und Forschungsziel sind hüben und drüben verschieden ; das eine Mal sind sie wirtschaftlich, das andere aber juristisch. Finanzrecht ist daher keineswegs "angewandte Finanzwissenschaft", wie Schultzenstein derzeit zur Einführung seiner Schriftenreihe "Finanzrechtliche Streitfragen" (1930) versicherte. Daß hüben und drüben so besonders oft dieselben Objekte zur Diskussion stehen, kann nicht überraschen, da die förmliche gesetzliche Regelung auf dem Gebiete der gebietskörperschaftliehen Finanzwirtschaft fast stets eine Selbstverständlichkeit ist. Trotz des vielfach gleichen Objektes haben Finanzwirtschaftslehre und Finanzrecht ein verschiedenes Arbeitsziel, wenn sie richtig vorgehen. Für die Unterscheidung zwischen hüben und drüben führt -wie Popitz mit Recht sagt - nicht die Auswahl des Objektes weiter, "vielmehr liegt der Schwerpunkt in der Frage, wie das Objekt behandelt wird und welches Ziel dabei erreicht werden soll ... Die Verschieden· heit von Methode und Ziel bleibt freilich nicht ohne Einfluß auf das Objekt ..." Argumentiert der Jurist freilich nicht de lege lata, sondern wirtschaftlich de lege ferenda, zeigt er Ziele, welche über das rein Rechtspolitische und Juristisch-Technische hinausgehen, also finanzpolitischer oder finanztechnischer Natur sind, so betätigt er sich
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finanzwirtschaftspolitisch. Für die gründliche wissenschaftliche Gesamtarbeit kann das von erheblichem Gewinn sein, weil dieselben Probleme so unter letztlich verschiedenen Ausgangs- oder Gesichts· punkten angepackt werden müssen. Es ist deswegen im Interesse der gegenseitigen Förderung wichtig, zwischen hüben und drüben für eine hinreichende Fühlung zu sorgen- auch damit unnützeDoppelarbeit, insbesondere von dem Nachbarfach längst überwundene Arbeitsstadien vermieden werden. Was Popitz unter dem Gesichtswinkel des Finanzrechts sagt, gilt entsprechend 1auch unter dem der Finanzwissenschaft: "Der Beruf des Interpreten der steuerlichen Rechtsnormen verweist den Finanzrechtier unmittelbar auf die engste Fühlungnahme mit der Schwesterwissenschaft ... Je mehr er diese Fühlungnahme aufrechterhält, desto mehr wird er Gelegenheit nehmen können, auch gleichzeitig die grundsätzliche Verschiedenheit der Aufgabe und des Zieles des Finanzrechts im Gegensatz zur Finanzwissenschaft zu betonen." Ohne ein Mindestmaß gegenseitiger Aushilfe kann die Alltagsarbeit übrigens an keiner Stelle auskommen. Für den Finanzwirtschaftler insbesondere ist die dauernde Heranziehung des positiven Rechts und der entsprechenden Lehre schon deswegen geboten, weil in ihm ein gut Teil des zu verarbeitenden Materials gegeben ist. Das Finanzrecht anderseits wird kaum umhin können, das gesetzte Recht aus den finanzpolitischen Zielsetzungen, Einrichtungen und Maßnahmen zu erklären, auszulegen und - vielen erst lebendig und deutlich zu machen. Im Rahmen aller Wirtschafts- hat die Staatsfinanzwirtschaftslehre ebenfalls eine selbständige Aufgabe. Daß sie keine pure Einzelwirtschaftslehre, mithin kein Gegenstück zur landwirtt;;chaftlichen oder kaufmännischen Betriebswirtschaftslehre sein kann, folgt aus der Tatsache, daß die Staatsfinanzwirtschaft für ihren Träger in erster Linie keinen einzelwirtschaftlichen, sondern einen politischen Sinn haben soll. Anderseits kann man die Staatsfinanzwirtschaftslehre nicht gut derart als Teilgebiet der Nationalökonomie ansehen wie etwa die Agrar-, die Gewerbe- usw. Politik. Mag auch sie wirtschaftspolitische Gestaltung zum Gegenstand ihrer Untersuchung haben, so ist doch das in Rede stehende Instrument der Wirtschaftspolitik, eben die Finanzwirtschaft des Staates und der Gemeinden, in ihrer vielfältigen Bedingtheit, ihrer bunten Ausgestaltung sowie wegen ihres einzelwirtschaftlichen Charakters als ein eigenartiger Organismus anzusehen. Dieser verlangt nach einer selbständigen und geschlossenen wissenschaftlichen Behandlung. Diese "muß die Untersuchung der allgemeinwirtschaftlichen und marktwirtschaftliehen Zusammenhänge, in denen natürlich auch die öffentliche Wirtschaft steht, zu verbinden wissen mit der Beobachtung des staatlich politischen Charakters der Staatswirtschaft. Sie muß ihr komplexes Objekt .. . von allen wesentlichen Seiten sehen: einzelwirtschaft-
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lieh ... , marktwirtschaftlich ... , volkswirtschaftlich ... ·· (Teichemacher). 2. Die Staatsfinanzwirtschaftslehre ist in besonderem Maße Staatswissenschaft, ein Stück der "Politischen Ökonomik'', denn ihr Gegenstand, die gebietskörperschaftliche Wirtschaft, ist ausgesprochener· maßen politische Wirtschaft. So ist es für die finanzwissenschaftliche Arbeit und die Wertung ihres Ergebnisses wesentlich, stets das Ver· hältnis von Politik und Wissenschaft zu beachten. Da es in der Politik wie in der Staatsfinanzwirtschaftslehre grundsätzlich um die Förderung des Gesamtwohls geht, besteht kein Unterschied im Sinne des Strehens und Arheitens zwischen hüben und drüben. Auch die Finanzwirtschaftslehre soll nicht um ihrer selbst oder des persönlichen Genusses halber, sondern letztlich des gemeinen Nutzens wegen betrieben werden. Im übrigen aber besteht ein entscheidender Gegensatz. Die Staatsfinanzwirtschaftslehre hat weder die Legitimation noch die Fähigkeit, politische Ziele zu setzen. Diese Ziele muß sie vielmehr "draußen" suchen, als gegeben hinnehmen. Es ist allerdings ihre Aufgabe, die finanz- und volkswirtschaftlichen sowie die sozialen Folgen politischer Zielsetzungen zu zeigen. Sie hat nicht zuletzt auch die Methoden suchen zu helfen, welche zur besten Verwirklichung des gesetzten politischen Zieles verfügbar und jeweils empfehlenswert sind. Damit ist die Problemstellung zwar politisch orientiert, die einschlägige Wissenschaft bleibt aber auf dem Boden, welcher allein die Erreichung ihres Zieles ermöglicht: die Herausarbeitung allgemein anerkannter, dem politischen Streit entrückter Lehren. 3. Fragt man nun nach dem konkreten. Objekt der Staatsfinanzwirtschaftslehre (Finanzwissenschaft), so ist in Anknüpfung an schon Gesagtes vorab festzustellen, daß es um die Tatsachen und Probleme aller gebietskörperschaftliehen Wirtschaft geht, soweit sie wirtschaftlich wesentlich sind. Dabei , ist sowohl nach dem Gesamtbau der nationalen und der einzelnen Finanzwirtschaft.en als auch nach den vielerlei Einrichtungen und Maßnahmen zu fragen, selbstverständlich auch nach allen für Gesamthau und Einzelobjekte wesentlichen Ereignissen. Stets geht es aber nicht um ein bloßes Tatsachenwissen, sondern um ein Verstehen staatsfinanzwirtschaftliehen Lehens, um die Sicht der Zusammenhänge. Eine Beschränkung der Finanzwissenschaft nur auf die staatliche Finanzierungspolitik ist hier nicht beabsichtigt. Eine solche reicht nicht weit genug. Sie ist im übrigen ohne Bezugnahme auf die Ausgahetatsachen auch nicht möglich, denn die gehietskörperschaft· liehen Einnahmen müssen aus ihrem Rahmen heraus gesehen und behandelt werden. Schon die Tatsache, daß es im Staate keinen Finanzierungs· wohl aber einen "Staatsminister der Finanzen" gibt, daß der Leiter einer jeden gebietskörperschaftliehen Finanzwirtschaft bestrebt sein muß, nicht nur einen Teil, sondern das Ganze dieser
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Einzelwirtschaft zu kontrollieren und zu beherrschen, spricht offensichtlich und eindeutig für eine gebietskörperschaftliche Finanzwirtschafts- und gegen eine Finanzierungslehre. Freilich nimmt auch in einer so aufgefaßten Disziplin die Einnahmelehre immer einen hesonders breiten Raum ein. Das ist auch natürlich, denn hei der Staatsfinanzierung geht es in weit höherem Maße um spezifisch finanzpolitische Ziele als hei den sonstigen Aufgaben der öffent~chen Verwaltung. Bei den letzteren stehen verwaltungstechnische Fragen im Vordergrund, das Wirtschaftliche betrifft hier "nur" Grundlage, Ordnung und finanzielle Grenzen der Arbeit. 4. Seitdem Heer und Beamtenturn einen großen Geldbedarf des Staates verursachen, giht es ein beachtliches, politisch und ökonomisch interessantes Schrifttum staatsfinanzwirtschaftlicher Art. Es ist älter als die englische klassische Volkswirtschaftslehre, von dieser dann aber erhehlich heeinflußt. Herkunft und Denken der Vertreter des finanzwirtschaftliehen Schrifttums prägen diesem deutlich seinen Stempel auf. Mit Recht erinnert Teschemacher auch in seinem vielheachteten Beitrag zur Schanz-Festgahe 1928 (Üher den traditionellen Problemkreis der deutschen Finanzwissenschaft) daran, daß die wissenschaftliche Behandlung vom Denken über den Staat ausgegangen ist. "Die geschlossenste ältere Darstellung des Finanzwesens steht nicht zufällig in den ,Six livres de Ia Repuhlique' des Bodin (1577), des Vaters der modernen Staatsrechtswissenschaft, und breite Reste dieser staatlichen Auffassung der Finanz sind in Adam Smiths W ealth of Nations hinübergenommen, mit dem wir üblicherweise den Übergang der Finanzprobleme von der Staatslehre zur Nationalökonomie zu datieren pflegen." Wie Herkunft und Denkrichtung der Vertreter finanzwissenschaftliehen Schrifttums diesem, ihr geistiges Gepräge gehen, zeigen namentlich die ältere und die jüngere Kameralistik, vor allem aber die an die theoretische Volkswirtschaftslehre anknüpfende finanzwirtschaftliche Lehre. Bei den Kameralisten ist die Finanzwirtschaftslehre Teil der Unterweisungen, welche die beste Führung der fürstlichen Schatzund Rentenkammern zeigen sollen. Sie ist also, namentlich im Anfang, nicht nur in erster Linie einzelwirtschaftlich orientiert, sondern auch in enger Verhindung mit hetriehs- und verwaltungstechnischen Lehren gegeben. Im finanzwirtschaftliehen Teil dieser Kameralwissenschaft wird entsprechend ihrem Gesamtziel sehr intensiv das Finanztechnische behandelt. Je stärker aber die Auf-die-DauerBetrachtung betont wird, das einzelwirtschaftliche Denken also ins Volkswirtschaftliche vorstößt, um so mehr wird mit der Zeit das Technische in der Lehre zugunsten des "Polizeilichen" zurückgedrängt. Es kommt zur "Staatswirtschaft oder systematische Abhandlung aller ökonomischen und Kameralwissenschaften, die zur Regierung eines Landes erfordert werden". Justi, der Verfasser dieses 1755 in
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erster Auflage erschienenen maßgehliehen Lehrbuches veröffentlichte einige Jahre später zwei spezifisch finanzwissenschaftliche Werke: Ausführliche Abhandlung von den Steuern und Abgaben (1762) und System des Finanzwesens (1766). Sonnenfels' Grundsätze der Polizei, Handlung und Finanz (1765) stellen ebenfalls einen gewissen Abschluß der ersten Entwicklungsperiode der Staatsfinanzwirtschaftslehre dar; sie sind weniger originell als Zeugnis des damaligen Standes der Finanzwirtschaftslehre unter Einbeziehung der außerdeutschen. Die Begründer der neuzeitlichen Volkswirtschaftslehre wollten nach Adam Smith'Feststellung eine Wissenschaft mit dem "Zweck, . .. das Volk und den Herrscher zu bereichern". Die staatlichen Einnahmemöglichkeiten wie auch die öffentlichen Ausgaben waren mithin als wissenschaftliche Fragen nicht zu übergehen. Der Verfasser des 1758 erschienenen Tableau economique, Quesnay, zog aus seiner Theorie vom produit net die entsprechende steuerpolitische Folgerung, die Forderung eines impot unique. Alle Reformbedürftigkeit des der· zeit in Frankreich bestehenden Steuersystems hat es freilich nicht vermocht, das Experiment der Alleinsteuer in einem größeren Bereiche zu wagen. Selbst in Adam Smith' Untersuchung über die Natur und den Ursprung des Nationalwohlstandes {1776) wird die Lehre von der Staatsfinanzwirtschaft, namentlich diejenige von den Steuern, mehr beiläufig fortgebildet, wenn auch auf verhältnismäßig breitem Raum un9 mit bedeutsamerem unmittelbaren Ertrag für die Praxis. Die vier ersten Bücher seines Werkes behandeln das Einkommen des Volkes, "das fünfte und letzte . . . das Einkommen des Souverains oder des Gemeinwesens", namentlich die Steuern und noch aus· giebiger die Verwendung der Staatseinnahmen. In Ricardos Grundsätzen der Volkswirtschaft und Besteuerung {1817) fehlt die Lehre von den Staatsausgaben; was über die Besteuerung gebracht wird, ist vor allem Verteilungstheorie - ganz im Sinne der Zielsetzung des Gesamtwerkes: Die Gesetze aufzufinden, welche die Verteilung unter die "drei Klassen des Gemeinwesens, nämlich den Eigentümer des Bodens, den Besitzer des Vermögensstammes oder Kapitals ... und die Arbeiter ...", bestimmen. Wo schließlich alles auf die Untersuchung des verkehrswirtschaftlichen Bereiches der Volkswirtschaft ankommt, diese fast mit jenem identifiziert wird, muß die Staatsfinanzwirtschaftslehre zu kurz kommen. Daher kann es nicht einmal sonderlich überraschen, daß sie der "Systematiker und Propagandist der Smithschen Lehre", Say, in seinem zuerst 1803 veröffentlichten Traite d'economie politique noch mehr zurückstellte, sie vom zweiten Teil seines Werkes, der Lehre von der Verteilung, in den dritten, die Theorie vom V erbrauch des Reichtums, verwies. Dazu paßt es, daß Say den kleinsten Staatsetat für den besten erklärte. Alles in allem hat Gerloff schon recht: "Es war für die Entwicklung der Finanzwissenschaft verhängnisvoll, daß die britische politische Ökonomie
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die öffentliche Wirtschaft als einen Fremdkörper in der im wesent· liehen aus privaten Wirtschaften sich zusammensetzenden Volkswirtschaft ansah ... In der Theorie der individualistischen Verkehrs· wirtschaft ist für die öffentliche Wirtschaft kein Raum." Die deutschen K.ritiker und hervorragenden Förderer der Volks· wirtschaftsichre Thünen und List hatten aus ihrer Problemstellung heraus erst recht keinen Raum für eine Theorie der öffentlichen Wirt· schaft. Für eine solche gab es aber zwei Ansatzpunkte in der deutschen Wissenschaft: die fortgebildete, vom nichtwirtschaftlichen Beiwerk entlastete Kameralwissenschaft und die Staatslehre. Den zweiten wählte Lorenz von Stein in seiner 1860 erstmals erschienenen Finanz· wissenschaft. Als Lehre von den Grundlagen, dem System und dem Recht der Staatseinnahmen ist ihm die Finanzwissenschaft ebenso ein Teil der Staatswirtschaftslehre wie die Lehren vom Staatshaushalt und von den Staatsausgaben. Die Staatswirtschaftslehre soll ihrer· seits "einer der wichtigsten Teile der Verwaltungslehre und ihrer Rechtsbildungen sein". Trotz des originellen und weitreichenden Aus· gangspunktes hat die Steinsehe Richtung als solche wenigstens bis in die jüngste Gegenwart wenig Schule gemacht, erst recht nicht die Führung in der Fortbildung der Staatsfinanzwissenschaft errungen. Ausgangspunkt für beides waren vielmehr die Grundsätze der Finanz· wissenschaft von Karl Heinrich Rau, der dritte Band seines Lehr· buches der politischen Ökonomie (1832 und 1837). In diesem von Adolph Wagner als "seinerzeit vorzüglich"' gepriesenen Werk sollte eine aus der fortgeschrittenen Kameralwissenschaft entwickelte selbständige deutsche Finanzwirtschaftslehre "in genauer Verbindung mit der Volkswirtschaftslehre" gebracht werden. In der Tat nützten die Grundsätze Raus die Lehren der volkswirtschaftlichen Theorie nicht entsprechend aus; sie waren eine "theoriefremde neomerkanti· Iistische Finanzwirtschaftslehre" (Lampe). Aus der Neubearbeitung der 1877 erschienenen sechsten Auflage ging ursprünglich die epoche· machende vierbändige Finanzwissenschaft Adolph Wagners hervor. Diese Neubearbeitung war nach Wagners eigener Feststellung von vornherein "eine tiefgreifende Umgestaltung". Es blieb schließlich nur noch "eine Benutzung von Notizen und einzelnen kleinen Ausführungen" Raus in Wagners Werk, alles andere war original : Soziale Sicht der Dinge, wirtschaftstheoretische Gründlichkeit, strenge Systematik und ein umfassendes, in- und ausländische Finanzen betreffendes Material zeichnen die Leistung Wagners gleichermaßen aus. Sie bildete zweifellos einen Höhepunkt der finanzwissenschaftlichen Literatur der ganzen Welt. An der späteren Fort· bildung der Staatsfinanzwirtschaftslehre sind ausländische Autoren in hervorragendem Maße beteiligt, insbesondere amerikanische, eng· lische, französische, italienische u. a. Man kann neuerdings kaum noch sagen, daß ein Land eindeutig die fachliche Führung hat. Dagegen
§ 5. Staatsfinanzwirtschaftslehre (Finanzwissenschaft)
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spiegelt die neuere finanzwissenschaftliche Literatur in aller Welt durchaus die eindringliche Lehre der Praxis wider, daß Finanz· und sonstige Wirtschaftspolitik eine materielle Einheit bilden. Die mo· derne Staatsfinanzwirtschaftslehre ist daran, wirklich Teil der "Politischen Ökonomie" zu werden. Das darf wohl als wesentlicher Fort· schritt gegenüber der ersten Zeit nach der Jahrhundertwende und als eine manches versprechende Erneuerung des Faches angesehen werden. Diese muß eben mehr von Volkswirtschaftlern als von Finanztechnikern kommen, so hoch auch deren Arbeit mit Recht geschätzt werden mag. 5. Seit Jahr und Tag ist die deutsche wissenschaftliche Arbeit auch auf dem Gebiete der Staatsfinanzwirtschaftslehre ohne rechte, ja seit dem zweiten Weltkrieg fast überhaupt ohne jede wesentliche Fühlung mit dem Forschen und dem vielseitigen Geschehen "draußen". Die politische Isolierung Deutschlands seit 1933 bewirkte ein großes wissenschaftliches Manko. Es wird wohl noch längere Zeit dauern, bis dieser elementare Mangel nicht nur durch Beibringung des fehlenden literarischen und Quellenmaterials, sondern vor allem auch gehaltsmäßig durch die deutsche Finanzwissenschaft überwunden sein wird. Der nachfolgende kurze literarische Wink für ein staatsfinanzwirt· schaftliehes Weiterstudium muß schon deswegen unvermeidlich lückenhaft sein. Selbst soweit es sich um einen Hinweis auf dieneueren deutschen Lehrwerke handelt, muß mit der Feststellung eines Man· gels begonnen werden: die größeren finanzwissenschaftliehen Lehr· bücher stammen fast alle aus der Zeit vor und um 1930, sind also wenigstens in manchem überholt. Letzteres gilt auch von einer (selbst unter den heutigen ungünstigen Bedingungen in Deutschland) jedermann noch verhältnismäßig leicht erreichbaren Literaturübersicht, derjenigen, welche A. Lampe seinen Beiträgen "Finanzwirtschaft", "Finanzwissenschaft" und "Finanzpolitik" zur IV. Auflage des "Wörterbuches der Volkswirtschaft" (Jena 1930-1933) anfügt. Seit Erscheinen dieser Veröffentlichung ist an größeren Lehrbüchern nur die in der Richtung der ersten Auflage (von 1916) weitergeführte, auf breitester historischer Basis ruhende "Finanzwissenschaft" von W. Lotz in der II. Auflage (München und Leipzig 1931) als selbständiges Buch der Öffentlichkeit vorgelegt. Die "Finanzwissenschaft" des Verfassers dieser Einführung stammt aus dem Jahre 1930 (Jena). Mit W. Lotz selbst ist auch die deutsche "historische Schule" auf dem Gebiete der Staatsfinanzwissenschaft zu Grabe getragen. Was A. Lampe an Einzelbeiträgen finanzwissenschaftlicher Art zum Wörterbuch der Volkswirtschaft bringt, bietet freilich tatsächlich in seiner Gesamtheit schon eine äußerst anregende und lehrreiche Finanzwissenschaft. Diese ist in vielem das gerade Gegenstück zum Werke von Lotz, steht in ihr doch nicht das Historische, sondern das Theoretisch-Grundsätzliche im Vordergrund.
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I. Finanzwirtschaft und Staatsfinanzwirtschaftslehre
In dem dreibändigen, von W. Gerloff und F. Meisel in Verbindung mit 37 in- und ausländischen, als Fachleute legitimierten Autoren herausgegebenen "Handbuch der Finanzwissenschaft" besitzt die deutsche Staatsfinanzwirtschaftslehre ein umfassendes, spezielles Sammelwerk hohen Ranges. Dessen beide ersten Bände (Tübingen 1926 und 1927) behandeln die gebietskörperschaftliche Finanzwirtschaft in ihren verschiedenen Seiten und unter verschiedenen Blickpunkten. Der dritte Band (Tübingen 1929) ist dem Staatshaushalt und den Finanz~stemen von 27 verschiedenen Ländern gewidmet. Die beiden Herausgeber selbst haben nicht das wenigste, vorzüglich auch in qualitativer Hinsicht, zu diesem großen Gemeinschaftswerk beigetragen. W. Gerloff gibt in seiner Aufsatzsammlung "Die öffentliche Finanzwirtschaft" (Frankfurt a. M. 1942) auch seine beiden vielbeachteten, tiefschürfenden Beiträge zum Handbuch der Finanzwissenschaft, die "Grundlegung der Finanzwissenschaft", und die "Steuerwirtschaftslehre•• in einer Überarbeitung neben andern, bisher schon anderswo veröffentlichten oder bislang unveröffentlichten größeren Arbeiten. Wenn er selbst auch sagt, es sei nur für einzelne Teile der Sammlung eine lehrbuchmäßige Vollständigkeit erreicht - eine fürwahr achtunggebietende Feststellung - , so ist das Ganze doch eine hervorragende und großangelegte Grundlegung der Staatsfinanzwirtschaftslehre überhaupt. Diese ist auch deswegen an dieser Stelle herauszuheben, weil sie als umfassender Nachweis alter und neuer, in- und ausländischer Literatur dienen kann. Eine bedeutende wissenschaftliche Fundgrube ist auch die von H. Teschemacher herausgegebene zweibändige und fast 900 Seiten ausmachende, von 36 Fachmännern - ganz überwiegend Fachprofessoren und zum guten Teil Träger weltbekannten Namens bestrittene "Festgabe für Georg von Schanz••, den Begründer und langjährigen Herausgeber der besonderen deutschen Fachzeitschrift: "Finanzarchiv" (seit 1884). Seit dem Tode von Schanz' (1933) wird die Zeitschrift in neuer Folge von H. Teschemacher herausgegeben.
Zweiter Teil
Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben §6 Der gebietskörperschaftliche Finanzbedarf im Spiegel der Statistik 1. Kritische Vorbemerkungen zum finanzstatistischen Material. 2. Größenordnungen: Die geschichtliche Entwicklung des Gesamtbetrages der staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben im besonderen
1. So wenig fiskalwirtschaftliche Endziffern für sich allein schon etwas Endgültiges über den Erfolg oder Mißerfolg einer konkreten Finanzwirtschaftspolitik auch sagen mögen, schon der wissenschaftlichen Behandlung finanzpolitischer Fragen wegen ist ein Arbeiten mit Größenordnungen unentbehrlich. In der Finanzwirtschaftspraxis aber beginnt und endet die Arbeit mit einem Rechnen. Da nun aber zwischen den Einnahmen und den Ausgaben der Staatsfinanzwirtschaft kein solcher Zusammenhang besteht wie in der Erwerbs· wirtschaft - in welcher Ausgaben ja grundsätzlich nur zur Er· zielung von Einnahmen gemacht werden - , ist im großen ganzen kein Aufrechnen ("Saldieren") möglich; Ausgabe· und Einnahmeziffern sind daher für sich getrennt zu ermitteln und nachzuweisen. Alles finanzwirtschaftliche Rechnen beginnt grundsätzlich bei den Auegaben, sind diese doch wenn auch nicht das absolut Grund· legende, so doch Ausdruck des Zweckes, für den die Einnahmen, namentlich die Steuereinnahmen, bereitgestellt werden müssen. Ab· gesehen davon besteht gute Finanzpolitik zwar nicht nur, aber doch sehr wesentlich auch in einer weisen Ausgabepolitik. Im übrigen muß jeder, der vergleichbare Größenordnungen für die gesamte Finanz· wirtschaft oder einzelne Verwaltungszweige haben will, woh] oder übel zunächst zur Ausgabestatistik greifen. Die Gesamtsumme des Voranschlages oder der Rechnung eines Staates oder einer Gemeinde sind oft nicht einmal bei einem zwischen· zeitlichen Vergleich für dieselbe Finanzwirtschaft, erst recht aber nicht bei einem Vergleich verschiedenster Finanzwirtschaften unter· einander ohne weiteres verwertbar. Ausgliederungen und Wieder· eingliederungen von Nebenfiszen (hilfsfiskalischen Einrichtungen, intermediären Finanzgewalten- wie immer man sie auch benennen mag) oder sonstige Änderungen in den rechnerischen Grundlagen (wie etwa andere zeitliche Verrechnungen) können erheblich irre· leiten. Nicht unwichtig ist auch, daß die öffentlichen Betriebe im 8
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II. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
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einen Falle ganz oder teilweise mit ihren Bruttoziffern, im anderen dagegen nur mit ihren Ablieferungen oder mit den Barzuweisungen, welche sie im Endergebnis verlangen, in die bezüglichen Haushaltspläne bzw. -rechnungen aufgenommen werden. Die zwischenwirtschaftliche Vergleichbarkeit der statistischen Ziffern wird dadurch zuweilen wesentlich beeinträchtigt; insbesondere ist das im Verhältnis von In- und Ausland der Fall. Rechentechnische Vorsicht ist auch wegen des zeitlich und örtlich meist ganz verschieden geregelten Nebeneinander der Finanzwirtschaften desselben Landes geboten. Zuweisungen der einen Gebietskörperschaft an die andere im Rahmen des sogenannten Finanzausgleichs bewirken eine Doppelzählung. Sie führen bei der zuweisenden Finanzwirtschaft zu einem Gesamtausgabe-, der nur zum Teil Eigenbedarf ist. Daher unterscheidet die deutsche Finanzstatistik insbesondere zwischen " Ausgaben insgesamt" und "Reinem Finanzbedarf". Die Ausgaben insgesamt "enthalten die Doppelzählungen, die sich aus dem Verrechnungsverkehr (Zuschüsse, Beiträge u.dgl.) zwischen den jeweils zu einer Gruppe zusammengefaßten Gebietskörperschaften gleicher Art (z.B. Gemeinden) ergeben. Die von allen diesen Doppelzählungen bereinigten Ausgaben sind der Finanzbedarf." "Reiner Finanzbed'arf" ist demgegenüber - ehenfalls nach der amtlichen Feststellung und in deren Worten- "der Teil des Finanzbedarfs, der nach Abzug der Zuschüsse, Beiträge, Erstattungen u.dgl. von Gebietskörperschaften anderer Art, z. B. von Ländern an Gemeinden verbleibt, für den also die Gebietskörperschaft selbst die Deckung aufzubringen hat. Die Errechnung des reinen Finanzbedarfs ermöglicht die Ausschaltung von Doppelzählungen bei der Zusammenfassung aller Gebietskörperschaften". "Zuschußhedarf" endlich ist "der nach Abzug der speziellen Deckungsmittel (Gebühren, Beiträge, sonstige Verwaltungseinnahmen, Schuldaufnahmen, Entnahmen aus Rücklagen, Rückzahlungen von Darlehen usw.) verbleihende Teil des reinen Finanzbedarfs". Dieser letztere interessiert in der Lehre von den öffentlichen Ausgaben weniger; in ihr kommt es auf den reinen Finanzbedarf an.
Auch bei einem Arbeiten mit dem reinen Finanzbedarf ist bei der vergleichenden Statistik Vorsicht geboten. Da er nur eine fiskalwirtschaftliche Einzel-, dagegen keine absolute wirtschaftliche Größe ist, versagt er bei volkswirtschaftlich orientierten Vergleichen. Dieselbe Aufgabe kann im einen Lande erwerbs-, im anderen dagegen staatsfinanzwirtschaftlich, das eine Mal von einer gebietskörperschaftlichen, das andere aber von einer privaten Finanzwirtschaft in die Hand genommen sein. Die volkswirtschaftlichen Gesamtausgaben hüben und drüben können also die gleichen sein, obwohl die staatsfinanzwirtschaftliehen Ziffern wesentlich voneinander abweichen, und umgekehrt. Die auf einen zeitlichen Vergleich bedachte Finanzstatistik hat mit zwei besonderen Schwierigkeiten zu rechnen: Zunächst können sich die Grenzen der einzelnen Finanzwirtschaft im Laufe der Zeit wesentlich geändert haben - etwa durch staatliche Gebietserwerbungen
§ 6. Gebietskörperschaftlicher Finanzbedarf im Spiegel der Statistik
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oder -ahtretungen oder durch Ein- hzw. Ausgemeindungen. Noch wichtiger aber ist die Veränderlichkeit des üblichen W ertausdrucksmittels, des Geldes. Änderungen in der Kaufkraft des Geldes sucht die Statistik hier und da durch eine behelfsmäßige Umrechnung zu berücksichtigen. Die deutsche Finanzstatistik nahm z.B. die "Mark Vorkriegskaufkraft" derzeit als einen einheitlichen Nenner. Die Umrechnung erfolgte nach dem Durchschnitt von Lebenshaltungs- und Großhandelsindex. Sie zeigt ohne weiteres das Behelfsmäßige der Lösung. Besonders problematisch ist ein zwischenstaatlicher finanzstatistischer Vergleich in Zeiten von Valutastörungen. Schon bei heiderseits stabiler Währung ist die Umrechnung der nationalen Währungseinheiten über den durchschnittlichen Wechselkurs für manche Ausgaben materiell durchaus nicht einwandfrei, bei Valutastörungen aber ist sie meist höchst fragwürdig. Die zeitlichen und gebietliehen Unterschiede in den Geldsummen des Finanzbedarfs sind in der Regel so erheblich, daß ein Argumentieren nur mit den absoluten Beträgen schon rein gefühlsmäßig alsbald zurückgewiesen wird - und das mit Recht. Es ist allerdings nicht einfach, wirklich einwandfreie Relativwerte zu bekommen. Für einzelne Ausgabearten ist es leichter als für den ganzen Finanzhedarf. Im ersteren Falle kann bei gleichartigen Ausgaben in vielen Fällen durch Anknüpfen an die technische Natur der fraglichen Leistung un· schwer ein materiell einheitlicher Nenner (wie z. B. Schülerzahl, Unterstützungsfälle, Zahl der Verpflegungstage u. dgl.) gefunden werden. Beim Vergleich des gesamten Finanzbedarfs ist ein leistungstechnisch hasierter Maßstab unmöglich. Die Abhilfe wird hier vor allem auf zweierlei Weise versucht: in einer Pro-Kopf-Rechnung und in einem Vergleich mit dem Volkseinkommen. Die Tatsache, daß heide Größen häufig nebeneinander gehracht werden, deutet aber schon an, daß schließlich auf jedem der beiden Wege nicht mehr gegeben werden kann als gewisse Vorstellungswerte. Immerhin sind die bezüglichen Zahlen sicher brauchbarer als absolute Ziffern. Die Pro-Kopf-Zahlen sind mehr kostenmäßig, die Prozentziffern des Volkseinkommens zeigenden hingegen mehr verteilungspolitisch orientiert. Die Pro-Kopf-Zahl für den gesamten Staatsfinanzbedarf arbeitet mit zwei großen Fiktionen: erstens tut sie so, als oh der gesamte Finanzbedarf zeitlich hzw. gebietlieh gleich zusammengesetzt wäre. Tatsächlich bestehen aber häufig Unterschiede, auf die es volkswirtschaftlich wesentlich ankommt. Zweitens arbeiten die Pro-KopfZahlen mit der Annahme gleichen politischen W ollens und gleicher sachlicher Notwendigkeit zum konkreten finanzwirtschaftliehen Helfen. Tatsächlich ist aber namentlich die Hilfsbedürftigkeit gebietlieh und zeitlich höchst verschieden. Altersaufbau, soziale Schichtung, Wirtschaftszustand und manches andere sind in der Regel von Land zu Land und innerhalb desselben Landes im Vergleich verhältnis-
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II. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
mäßig kurzer Zeiträume häufig nicht einigermaßen gleich. Eine Er· höhung des Pro-Kopf-Betrages der Staatsausgaben kann hier daher im einzelnen Falle genau so gut Ausdruck eines gestiegenen Wohlstandes wie derjenige eines wirtschaftlichen Notstandes sein. Über manche Schwierigkeiten eines gebietliehen und zeitlichen Vergleichs führt die Angabe des Größenverhältnisses zwischen Finanzbedarf und Volkseinkommen hinweg. Entgegen dem ersten Eindruck sind aber bezüglich dieser Vergleichsziffer eher größere denn geringere Einwendungen angebracht als gegenüber der Pro-Kopf-Ziffer. Diese Einwendungen könnten schon an die Tatsache anknüpfen, daß das (in seiner Berechnung weithin problematische) Volkseinkommen vorwiegend aus Markterlösen ermittelt ist und als eine Summierung von Privateinkommen immer noch Doppelzählungen aufzuweisen hat, wo· gegen der Finanzbedarf in Kostenziffern angegeben ist. Dieser wird in der Statistik nicht in vollem Umfange der gebietskörperschaftliehen Leistungen auch als volkswirtschaftlicher Wert angesetzt. Wichtiger als diese Einwendungen sind diejenigen gegen die der Vergleichszahl zugrunde liegende Idee. Letztere ist doch durchweg: Es soll dargetan werden, wie groß der Anteil der Staatsfinanzwirtschaft am Volkseinkommen ist, wie stark dieses also durch den Finanzbedarf in Anspruch genommen wird. Nun liegt aber in beträchtlichem Umfange gar keine Fiskalheteiligung, sondern nur eine Zwischenschaltung des Fiskus bei der Verteilung des Volkseinkommens vor, z.B. bei der Zahlung von Zinsen auf innere Staatsschulden. In diesem Falle ist die Quote, zu der Private über das Volkseinkommen disponieren können, nicht anders, als wenn keine Staatsschulden bestünden oder wenn sie nicht bedient würden. Auch der Anteil des Fiskus am Volkseinkommen wird durch einen "durchlaufenden Posten" nicht berührt. Eins bringt die hier in Frage stehende Vergleichsgröße allerdings zum Ausdruck: die verhältnismäßige Größe des Betrages, über den der gehietskörperschaftliche Fiskus bei der Verteilung des Volkseinkommens mitspricht. Aber das ist nicht allzuviel, denn volkswirtschaftlich kommt es weniger darauf an, über wieviel als mit welcher Zweckhestimmung disponiert wird, wofür also die verfügbaren Güter und Leistungen verwandt werden. Ein Finanzbedarf im gleichen Prozentsatz des Volkseinkommens kann je nach der volkswirtschaftlichen Wirkung der Ausgabeverwendung das eine Mal mehr, das andere Mal dagegen weniger volkswirtschaftlich belasten, ein drittes Mal vielleicht entlasten . .Auch für die Beteiligungsziffer der Staatsfinanzwirtschaft am Volkseinkommen gilt mithin dasseihe wie für die Pro-Kopf-Ziffer des Finanzbedarfs: wegen der offensichtlichen Unvergleichharkeit der absoluten Summen ist man mangels etwas Besserem auf sie schließlich angewiesen. 2. Die geschichtliche Entwicklung der Größe des deutschen gehiets· körperschaftlichen Finanzbedarfs ist nur in mehr oder minder prohle-
§ 6. Gebietskörperschaftlicher Finanzbedarf im Spiegel der Statistik
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matischen Zahlen zu illustrieren. Diese beweisen immerhin eindeutig, daß bis in die jüngste Gegenwart eine starke Zunahme des öffentlichen Finanzbedarfs stattgefunden hat. Die Sachlage wird schon einigermaßen durch Summen des Finanzbedarfs von Reich und Einzelstaaten (Ländern) während des halben Jahrhunderts von 1881 bis 1930 gekennzeichnet. Diese Gebietskörperschaften gaben nämlich in Mrd. Mark bzw. RM aus:
1881
1891
1901
1913
1925
1930
1708
2763
6947
7178
8685
12193
In den bezeichneten fünfzigJahrenstiegen also die deutschen Staatsausgaben auf mehr als das Sechsfache ihres Ausgangsbetrages. Der Endbetrag dieses Zeitraums aber war nur unbedeutend niedriger als der Jahresfinanzbedarf, den nach Kolb 1883 alle europäischen Staaten zusammen zu verzeichnen hatten (12,5 Mrd. M)! Da die Ausgaben der deutschen Gemeinden in der fraglichen Periode noch stärker zunahmen - mindestens doppelt so stark wie die Staatsausgaben - , ist in der Zahlenreihe die gesamte Progression nicht zu hoch, sondern zu niedrig gezeichnet. Insgesamt wird man wenigstens mit einer Ver· achtfachung der deutschen staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben im bezeichneten Halbjahrhundert zu rechnen haben. Anscheinend verlangsamt sich der verhältnismäßige Anstieg mit der fortschreitenden Entwicklung. Die größenmäßige Entwicklung des gesamten Finanzbedarfs der deutschen Gebietskörperschaften (Reich, Länder und Gemeinden) in der Zeit vom ersten bis kurz vor dem zweitenWeltkriegzeigt die nachfolgende Zusammenstellung. Die Zahlen sind (bis auf die beiden letzten zu a sowie die selbstberechneten zu c und d) der amtlichen Statistik entnommen. Der Finanzbedarf 1934 und 1938 mußte mangels entsprechender Veröffentlichungen für den Reichsanteil geschätzt werden. Er ist wohl eher zu niedrig als zu hoch angesetzt. Finanzbedarf und Volkseinkommen sind in Mrd. M bzw. RM angegeben.
·----~--~ !_1913 a) Finanzbedarf .... b) Volkseinkommen . c) b in % von a ..... d) M bzw.RMp.Kopf der Bevölkerung ..
I I
7,2 45,7 15,7 108
11926 1. 1929 1 1932 17,2: 20,9 62,6 : 75,9 27,5 27,4 270
324
14,5 45,2 32,1 221
1
1934
1938
17,3 I 35,0 52,5 77,0 33,0 45,9 261
513
Zum Vergleich sei eine Übersicht beigefügt, welche Studenski in seinen "Chapters in Public Finance" (New York 1930) für die
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II. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
Entwicklung in den Vereinigten Staaten gibt. Die Pro-Kopf-Ausgabe an gebietskörperschaftliehen Ausgaben betrug dort in "1913-$": Bund 1890 1913 1923 1928
....... ....... ....... .......
5,73 7,17 24,13 23,66
Einzelstaaten Gemeinden Insgesamt 1,52 3,97 7,72 10,88
9,59 19,10 31,91 40,60
16,84 30,24 63,76 75,14
In nominellen Dollars war die Erhöhung der gesamten Ausgaben in den fraglichen 38 Jahren knapp das Achtfache, in Dollars von 1913 aber knapp das Viereinhalbfache. Sie war bemerkenswerterweise am stärksten in den Einzelstaaten. Dort stieg die Ausgabesumme auf das Sechseinhalbfache gegenüber dem Vierfachen im Bund und bei den Gemeinden. Deren absolute Ausgabebeträge sind freilich weit höher, als diejenigen des Bundes oder gar der Einzelstaaten 1928 waren. Die besonders starke Zunahme der einzelstaatlichen Ausgaben scheint bis zum zweiten Weltkrieg angehalten zu haben, denn die bezügliche Ausgabesumme stieg in den 34 Jahren von 1903 bis 1937 um 1786%, hingegen die Ausgaben von 146 Städten in den 25 Jahren von 1903 bis 1928 um 474%. Die enormen Ausgaben des Bundes für wirt· schaftspolitische und für die Zwecke der Kriegführung haben das Zahlenverhältnis neuerdings verschoben, gab doch der Bund schon 1941 allein 97 $pro Kopf der Bevölkerung aus (gegenüber 105,2 $alle Gebietskörperschaften zusammen in 1928), obwohl seine Ausgaben damals weniger als ein Sechstel derjenigen von 1946 betrugen. Die zahlenmäßige Entwicklung des nationalen Finanzbedarfs ist für Deutschland über hundert oder gar mehrere Hundert Jahre hinweg nicht einigermaßen nachzuweisen. Es fehlt nicht nur an den entsprechenden Quellen, sondern es stehen auch die Ereignisse der deutschen politischen Geschichte hinderlich im Wege. Um den Vergleichsschwierigkeiten, welche aus Gebietsänderungen erwachsen, zu entgehen, hat Jens Jessen die Entwicklung des Betrages der englischen Staatsausgaben untersucht. Dabei ging er davon aus, daß eigentlich nur ein Staat existiert, der "während eines nicht zu kurzen Zeitraumes keine nennenswerten territorialen Veränderungen aufweist .." und auch " . . . einigermaßen zuverlässige Zahlenangaben über die Staatsausgaben während eines längeren Zeitraumes" hat, eben England. (Das Gesetz der wachsenden Ausdehnun,g des Finanzbedarfs. Schmollers Jahrbuch. 67. Jgg. 1943. S. 539 ff.) Aus der "Entwicklungsspitzen" bestimmter Zeitperioden nachweisenden Statistik sollen hier neben den absoluten Ausgabebeträgen das prozentuale Verhältnie von Finanzbedarfund Volkseinkommen sowie die Pro-Kopf-Quote des staatlichen Finanzbedarfs wiedergegeben werden:
§ 7. Mancherlei Ursachen für die Zunahme des Staatsfinanzbedarfs
Zeitabschnitt
··--··-------- - -···--·-----·
.
Ausgaben " 1.n Mt'll. ;r;.
1
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! i
% des Volks-
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Kopfquote • k em ommens der Ausgaben . P II
I
ID;r;.
····- - --.---- --- - ---- r---~------·--
1692 ..... , . . . . . . . bis 1755. . . . . . . . . . . . . 1756............. bis 1792............. 1793............. bis 1835. . . . . . . . . . . . . 1836............. bis 1890. . . . . . . . . . . . . 1891. . . . . . . . . . . . . bis 1933.............
i
4,1 6,4 7,0 18,6 18,1 50,1 52,7 96,5 98,6 725,0
9,1 5~~
5,8 8,1 8,0 11,9 12,5 6,0 6,1 20,7
I
0,6 0,8 0,9 1,7 1,7 2,0 2,0 2,6 2,6 16,0
Die ständige Steigerung des absoluten Betrages der Staatsausgaben bedarf keines Kommentars. Das stetige Anwachsen der Kopfquote scheint dazu zu passen. Nach Jessen selbst hängt deren geradliniges Aufsteigen "zweifellos zunächst besonders mit dem Fortschreiten der Geldwirtschaft zusammen, wie aus der Wirtschaftsgeschichte hinreichend bekannt". Besonders auffallend aber ist die ungleichmäßige Entwicklung der prozentualen Größen. Mag sie "die ganze Fragwürdigkeit des Begriffes des Volkseinkommens überhaupt" noch so sehr dartun, die Prozentsätze für die Zeit 1836 bis 1890 einerseits und 1891 bis 1933 anderseits sind auf jeden Fall sehr eindrucksvoll. Jessen äußert sich kommentierend nur zu letzteren: "Nur eins steht über allem : die ungeheure Ausdehnung des Finanzbedarfs in der jüngsten Zeit!" Gerade verglichen mit dieser letzten Periode ist aber auch die erste bemerkenswert, und zwar als Zeit eines vergleichsweise außerordentlichen wirtschaftlichen Aufstiegs in einer langen Friedenszeit, englischer industrieller Vorherrschaft sowie eines überwiegend liberalen wirtschaftspolitischen Denkens.
§7 Die mancherlei Ursachen für die Zunahme des Staatsfinanzbedarfs; das Gesetz der wachsenden Ausdehnung des Finanzbedarfs I. Die Beachtung der Zunahme im Alltag und in der Theorie; Adolph Wagners "Gesetz". 2. Einmalige Anlässe zu besonders großen Ausgabesteigerungen. 3. Gründe für das stetige Steigen
1. Die im ganzen stetige, von Zeit zu Zeit aber ruckartige Steigerung des Betrages der staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben wird von der breiten Öffentlichkeit kaum so beachtet und gewertet wie sie es verdient. Diese beschäftigt sich mit ihr meist nur dann mehr, wenn in wirtschaftlich schlechten Zeiten der Steuerdruck besonders groß,
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II. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
wenn es aber - politisch und in manchem auch wirtschaftlich außerordentlich schwer ist, wieder "abzubauen". Selbst an enorme ruckartige und offensichtlich zum guten Teil nicht wieder rückführbare Erhöhungen der öffentlichen Ausgaben gewöhnt sie sich wenigstens in Deutschland manchmal auffallend leicht - wenn sie nur geschickt angesprochen wurde. Wurden sie als "Finanzwunder", als Riesenauftrag für die heimische Wirtschaft oder als Ausdruck erstaunlicher und ungebrochener Lebenskraft dem Publikum hinge· stellt, so war etwa auftauchenden Bedenken und Kritiken schon weithin begegnet. Freilich war der Boden für eine solche Täuschung in der Zeit einer Rüstungs- oder Kriegskonjunktur und einer Kreditausdehnung besonders günstig. Ob anderswo die urteilsmäßigen Voraussetzungen besser sind, ist keineswegs schon ausgemacht. Der Tenor solcher amtlichen Auslassungen über Stand und Aussichten auf dem Gebiete der volkswirtschaftlichen Lage, welche just zur Zeit des Planens großer zusätzlicher Staatsausgaben erfolgen, läßt schon vermuten, daß ein Gutwettermachen beizeiten nicht nur vereinzelt zum politischen Handwerk gehört. Im Gegensatz zur breiten Öffentlichkeit hat die Theorie eigentlich nie aufgehört - auch nicht, nachdem die feindliche Grundhaltung gegenüber aller öffentlichen Verausgabung lange überwunden war - , sich ausgiebig mit der ständigen Zunahme des Finanzbedarfs zu befassen. Seit über einem halben Jahrhundert ist insbesondere Adolph Wagners beiläufig schon erwähntes "Gesetz der wachsenden Ausdehnung der öffentlichen, insbesondere der Staatstätigkeiten" ein wesentlicher und gern behandelter Bestandteil der sonst ziemlich knapp gehaltenen Lehre von den Staatsausgaben. Stellt man im Anschluß an die Ergebnisse der Finanzstatistik die Frage nach den Ursachen für die so starke Erhöhung des gebietskörperschaftliehen Finanzbedarfs, so liegt es besonders nahe, gerade an dieses "Gesetz" anzuknüpfen. Wagner leitete es aus dem ganzen volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Werden ab: Zwei Momente der volkswirtschaftlichen Entwicklungsgeschichte seien besonders wichtig, "die Ausbildung des Rechtsinstituts des Privateigentums an den sachlichen Produktionsmitteln ... sodann in nunmehriger Rückbildung dieses historischen Prozesses ... das mehr und mehr zur Geltung kommende große volkswirtschaftliche Entwicklungsprinzip, welches sich als Übergang von der mehr privatwirtschaftliehen zu der mehr gemein- und besonders zwangsgemeinwirtschaftliehen Organisation der Volkswirtschaft formulieren läßt und sich in der fortschreitenden Ausdehnung der öffentlichen, besonders der Staatstätigkeiten offenbart". Das "Gesetz der wachsenden Ausdehnung des Finanzbedarfs" ist nach ihm nur die finanzwirtschaftliche Seite des erstbezeichneten Gesetzes. Es könne durch finanzielle Schwierigkeiten in seiner Ausdehnung gehemmt werden, "aber auf die Dauer überwindet das Entwicklungsbedürfnis
§ 7. Mancherlei Ursachen für die Zunahme des Staatsfinanzbedarfs
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fortschreitender Völker diese Schwierigkeiten immer wieder". In der Tat verbieten oder hemmen solche Widerstände ein Noch-Mehr Geldausgehen, aber selbst Notzeiten und nicht selten gerade diese bringen bedeutende Mehrausgaben, weil der Zwang und der Wille zum finanzpolitischen Helfen dann größer werden. Zu klären bleibt, wieweit der Entwicklung des staatlichen Finanzbedarfs tatsächlich ein "volkswirtschaftliches" Entwicklungsprinzip zugrunde liegt und inwieweit nicht. Daß ein solches Prinzip besteht, ist kaum zu verkennen, aber wiederholte, geradezu ruckartige Ausgabesteigerungen lassen doch sofort auf sehr wichtige außerwirtschaftliche Ursachen schließen. Im übrigen gibt es auch beachtliche rein finanz·, also einzelwirtschaftliche Ursachen für die erhebliche Zunahme der Staatsausgaben. 2. Das Nebeneinander von ruckartiger und stetiger Zunahme der gebietskörperschaftliehen Ausgaben zeigt, daß man zwischen mehr oder minder einmaligen Anlässen der Ausgabesteigerung und der stetigen Zunahme des öffentlichen Finanzbedarfs unterscheiden muß. Einmalige Anlässe dieser Art sind vor allem Wettrüsten und Krieg, daneben auch Naturkatastrophen, wirtschaftliche Krisen und politische Umwälzungen. Was sie zahlenmäßig bedeuten, zeigen folgende Tatsachen: Nach den Feststellungen des Völkerhundes betrugen die Rüstungsausgaben aller Länder 1913 2,5 Mrd., 1932 4,3 Mrd., 1935 5,6 Mrd., 1937 aber schon 7,1 Mrd. Golddollar. 1938 stiegen sie weiter. Der Schatzkanzler Großbritanniens sah sich damals wegen der Verdoppelung der englischen Kosten in nur zwei Jahren zu einem Alarm· ruf gezwungen: "Die Zukunft müsse schaudern machen, wenn es nicht gelinge, einen Weg zu finden, um dem ständigen Wachsturn der Rüstungsausgaben ein Ende zu machen." Die Kosten des ersten Weltkrieges wurden derzeit vom Camegie-Institut auf insgesamt 338 Mrd. $ berechnet, diejenigen des zweiten aber schätzte New York Herald Tribune (18.3.46) auf 1352 Mrd. $,also auf das Vierfache derjenigen des ersten. Mit dem Ende eines Krieges hören zwar die un· mittelba,ren Kriegskosten auf, die Erbschaft der Schulddienstverpflichtungen und weiterer "Kriegslasten" verschiedenster Art (Kriegsversorgungsgehührnisse, Entschädigungen für Kriegsschäden, Wiedergutmachungslasten usw.) helasten den Staatshaushalt aber weiter, und zwar meist ganz ungewöhnlich schwer. Schon die oben gebrachten wenigen Zahlen über die Entwicklung des deutschen Staatshaushalts zeigten das für die Zeit nach dem ersten Weltkrieg klar. J essen kommt zum gleichen Ergebnis auf Grund seiner Untersuchung des englischen Finanzbedarfs in der Zeit von 1692 bis 1933: Die Hauptursache der Zunahme des Finanzbedarfs "ist in den militärischen Ausgaben, mittelbarer und unmittelbarer Natur, zu erblicken ... Im Ergebnis endet vor allem jeder Krieg mit einem Haushalt, der sich auf einem wesentlich höheren Ausgabeniveau befindet als der Vorkriegshaus· halt".
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II. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
Außer den ausdrücklich als solchen bezeichneten "Kriegslasten'' gibt es noch eine Reihe anderer kriegs-, also einmalig bedingter Ausgabesteigerungen. Sie sind ein Beweis dafür, daß die Wirkungen einmaliger Ursachen für die Steigerung des staatlichen Finanzbedarfs sich in der Regel auf eine lange Zeit erstrecken. Vor allem ein Krieg, der ungeheure Ansprüche des Staates an die Millionen seiner Angehörigen stellt, ist meist auch Anlaß zu einer dauernden Steigerung der sozialen Belastungen und Ansprüche. Es wäre merkwürdig, wenn gerade in einem solchen Falle die Gegenrechnung ausbliebe. In Deutschland war sie nach dem ersten Weltkriege jedenfalls schwerwiegend. Als in der Weltwirtschaftskrise der finanzielle Zusammenbruch vieler Städte eingetreten war, stellte Most diesbezüglich in einer Untersuchung über die Finanzlage der Ruhrgebietsstädte rückblickend fest, man habe "im Zuge der politischen Umgestaltung" Dinge in die Hand genommen, die man bei wesentlich günstigeren Finanzverhältnissen "um der finanziellen F9lgen willen'' nicht auf sich zu nehmen gewagt hätte. Außer den ausdrücklich als solchen bezeichneten "Kriegslasten" (Kriegsversorgung, Kriegsschädenausgleich, Reparationen u.dgl.) gibt es noch eine Reihe von anderen kriegs-, also einmalig-bedingten Ausabestgeigerungen. Sie sind ebenfalls ein Beweis dafür, daß die Wirkungen einmaliger Ursachen für die Steigerung des Finanzbedarfs sich leicht auf eine lange Zeit erstrecken. Wie stark einmalig wirkende Ursachen die öffentlichen Ausgaben in die Höhe treiben können: illustrieren in etwa schon die Zahlen für den deutschen Finanzbedarf von 1913 bis 1926. Die großen Kriegsschulden waren materiell zum größten Teil durch die Inflation beseitigt, dennoch war 1926 der deutsche Finanzbedarf doppelt so hoch wie derjenige von 1913. Das Reich gab 1925 rund zwei Drittel der Summe seines Etats für 1913/14 nur für Kriegsversorgungszahlungen, für Pensionen an Kriegshinterbliebene und -geschädigte, aus. Seine gesamten (unmittelbaren) "K.riegslasten" überstiegen den Reichsetat von 1913 um etwa SO%. Dabei begannen die förmlichen Reparationszahlungen damals erst. Die unmittelbaren finanziellen Auswirkungen des ersten Weltkrieges zeigten sich besonders im Staatshaushalt Großbritanniens. Die Staatsschuld war infolge des Krieges auf das Zwölffache des Vorkriegsstandes gestiegen; die englischen Schulddienstausgaben aber waren 1921 mehr als zwanzigmal so hoch wie 11}14. Was nach dem Krieg allein für Zinsen und Verwaltung der Staatsschuld aufzubringen war, betrug das 1 Yzfache des ganzen Vorkriegsetats des Staates. An Kriegspensionen aber mußte das englische Mutterland unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg mehr als die Hälfte des Betrages ausgehen, den die allgemeine Staatsverwaltung im Jahre 1913/14 benötigte. Daß die finanziellen Auswirkungen des zweiten Weltkrieges seihst im Lande des größten und reichsten Siegerstaates recht revolutionär sein werden, ergibt sich schon aus einer einzigen und volkswirtschaftlich nicht der schlimmsten Tatsache; aus dem Anwachsen der Staatsschuld der Vereinigten Staaten. Eine dreiprozentige jährliche Schulddienstausgabe auf das Schuldenmehr von 200 Mrd. $ macht so viel aus wie das ganze Bundesbudget für 1934 und das halbe für 1941. Noch an ein weiteres bekanntes Beispiel für einmalige Ausgabesteigerungen kann hier erinnert werden: In der Zeit von 1933 bis 1941 gaben die Vereinigten Staaten
§ 7. Mancherlei Ursachen für die Zunahme des Staatsfinanzbedarfs
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rund 18 Mrd. $ allein für Arbeitslosenhilfe, für diese und öffentliche Arbeiten zusammen sogar 26 Mrd. $ aus -im Durchschnitt der neun Jahre also über drei Viertel des Bundesbudgets von 1933. Auch solche Depressionsausgaben wird vielleicht mancher als Ausdruck eines "volkswirtschaftlichen Entwicklungsprinzips" ansprechen, Wagner selbst hat sicher nicht daran gedacht. Er dachte bei seinem "Gesetz" nur an dauernd wirksame Tendenzen.
3. Das ständige Anwachsen des gebietskörperschaftliehen Finanzbedarfs hat eine Reihe von Ursachen. Zum Teil ist es gewiß die Folge einer allgemeinen Erhöhung der Geldeinkommen im Laufe der Zeit und einer besonderen für die Beamten, Angestellten und Arbeiter der Gebietskörperschaften. Auch die umstrittene und nach dem Urteil Sachkundiger wenigstens zeitweise überspannte versorgungsmäßige .Besserstellung der in der öffentlichen Verwaltung Beschäftigten ist wohl nicht ganz unwichtig. Eine Verteuerung der Verwaltung infolge einer Arbeitszeitverkürzung oder zu hoher Einstufungen kommt hinzu. Aber diese buchstäbliche Verteuerung des Personalaufwandes war im ganzen nicht ausscblaggebend. Die wesentlichen Gründe für die stetige Steigerung der Ausgaben von Staat und Gemeinden sind ganz anderer Art. Zum Teilliegen sie in der Natur der finanzwirtschaftliehen Ausgaben begründet, zum Teil in den politischen und verfassungsmäßigen Verhältnissen der einzelnen Staatsfinanzwirtschaften. Es kann kaum überraschen, daß mit der Zunahme der Bevölkerung eine Tendenz zur Ausgabesteigerung verhunden ist. Wichtiger als die absolute ist die mit einer wesentlichen Zunahme der Bevölkerung meist verbundene relative Mehrung des öffentlichen Finanzbedarfs. Diese ist um so bedeutender, je mehr das Bevölkerungsplus mit einer weiteren "Verstädterung" verbunden ist. "Der Großstadtbewohner verursacht der öffentlichen Verwaltung drei- bis viermal soviel Kosten wie der Einwohner einer kleinen Landgemeinde." (Popitz). Damit ist zum Ausdruck gebracht, daß die finanzwirtschaftliche "Anfälligkeit" der modernen Gesellschaft größer ist als die der früheren- nicht minder freilich meist auch ihre Fähigkeit und Willigkeit, finanziell ungleich mehr zu leisten als ehedem. Als eine nachhaltig wirkende Ursache für die große absolute Zunahme des öffentlichen Finanzbedarfs ist vor allem der technische Fortschritt zu nennen. Das gj.lt namentlich deswegen, weil er den im Staatshaushalt der meisten Staaten so wesentlichen Rüstungsaufwand ungemein verteuerte. Schon Adam Smith mußte feststellen, daß der technische Fortschritt "die Kosten der Einübung und Disziplinierung der Soldaten in Friedenszeiten sowie ihre Verwendung im Kriege noch weiter erhöht. Ihre Waffen und Munition sind teuerer geworden. Eine Flinte ist eine teurere Maschine als ein Wurfspieß oder als Bogen und Pfeile; eine Kanone oder ein Mörser ist teurer als ein Mauerbrecher oder Katapult". Was schon damals wichtig war, ist es nach der neuerenund neuestentechnischen Entwicklung erst recht. Und was für das Gebiet der militärischen Rüstung gilt,
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II. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
hat auch anderswo in der staatlichen Ausgabewirtschaft seine große Bedeutung. Jeder Vergleich der vor einem Menschenalter noch zu verzeichnenden Ausstattung eines Krankenhauses, einer Lehranstalt, ja selbst des einfachsten Büros zeigt den großen Abstand zwischen einst und jetzt schon auf den ersten Blick. Fortschritte der Technik und erhöhte Ansprüche gehen freilich oft ineinander über und übersteigern sich leicht. Im zweiten Band (S. 35) der zitierten Untersuchung über die Finanzlage der Ruhrgebietsstädte klagte Bühler z. B.: "In scharfem Widerspruch mit unserer so unvergleichlich viel schlechteren Finanzlage ist nach dem Kriege der Aufwand der Schulen in jeder Beziehung ganz außerordentlich gesteigert: durch Ausstattung der Schulen mit Lehrmitteln, wie wir sie uns früher nicht träumen ließen, durch Vermehrung der Schultypen bis zur völligen Unübersichtlichkeit, Vermehrung der teueren mittleren Schulen in den kleinen Städten, Ausbau des Berufs- und Fachschulwesens . . . " Übrigens scheint es im Auslande wenigstens teilweise nicht anders gewesen zu sein. So stiegen die englischen Schulkosten damals ebenfalls sehr bedeutend. Bei ihnen ergab sich 1913/14 ein Jahresaufwand je Schüler von 4 f 16 sh 6 d, 1920/21 dagegen ein solcher von ll f 9 sh 0 d. Nach den Ermittlungen des früheren Statistischen Reichsamtes betrug der deutsche Zuschußbedarf auf dem Gebiete des Schulwesens 1913 16,06 RM je Kopf der Bevölkerung, 1927/28 aber RM 31,46; derjenige im Bereiche des Wohlfahrtswesens 7,27 bzw. 37,92, derjenige im Bereich der Polizei 3,45 bzw. 5,00 RM. Bei Würdigung der Zunahme ist freilich die etwa ein Drittel ausmachende Steigerung des Preisniveaus im Jahre 1927/28 zu berücksichtigen. ~ Die Übernahme von neuen Aufgaben durch die Gebietskörperschaften und die dadurch bewirkte Erhöhung des öffentlichen Finanzhedarfs ist vielleicht am meisten Ausdruck des von Adolph Wagner gezeigten volkswirtschaftlichen Entwicklungsprinzips. 1930 sprach Popitz von einer Zunahme der Staatstätigkeit, "die längst auf dem Wege vom Verwaltungsstaat mit seinem Gegenstück dem Steuerstaat, die Stufe des Wohlfahrtsstaates überwunden hat und die Entwicklung zum Versorgungsstaat schlechthin zu nehmen droht." Sie betrifft vor allem die zeitlich spätere staatsfinanzwirtschaftliche Fürsorge auf dem Gebiete einer anderen Verteilung der "Güter dieser Erde". Die möglichste Beteiligung breiter Massen am Genuß der Kulturgüter ist je länger desto mehr eine politisch selbstverständliche Forderung geworden. Ihre entsprechende Verwirklichung nur über die verkehrswirtschaftliche Einkommenszuteilung kann und will der Staat weder abwarten noch wagen. So wird eine finanzwirtschaftliche Versorgung wesentliches Mittel zum Zweck. In den meisten Ländern will oder muß der Staat sie in die Hand nehmen. Der Übergang von der privaten (oft bahnbrechenden und Erfahrungen sammelnden, aber von einem gewissen Punkte ab nicht mehr
§ 7. Mancherlei Ursachen für die Zunahme des Staatsfinanzbedarfs
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genügend kräftigen) zur öffentlichen Hand ist hier eine bekannte Er· scheinung. Sie findet sich sowohl auf dem Gebiete der Kultur- wie auch auf dem der Wohlfahrtspflege. Die Übernahme neuer Ausgaben auf demjenigen der verkehrswirtschaftlichen Einkommenskorrektur durch den Staat ist nicht minder bekannt. Je größer und dringlicher die sozialwirtschaftliche Not, je erheblicher die Einkommens- und Vermögensunterschiede, je lockerer endlich die Familienbande werden, um so mehr müssen Staat und Gemeinde ausgleichend und helfend wirken. Mit einer ausgleichenden Besteuerung allein ist durchaus nicht genügend getan. Es muß nicht nur an der einen Stelle genommen, sondern auch an einer anderen gegeben werden - in Geld, in natura oder in Verhilligun.gsmaßnahmen. Suhventionierun· gen sind stets eine Korrektur der Produktion, strukturelle oder kon· junkturelle Andersgestaltung der Volkswirtschaft. Alles das steigert natürlich die Kosten des Verwaltungsapparates beträchtlich. "Die intensive politische und staatliche Lenkung bedingt, daß mehr Stellen geschaffen werden. Und das Nebeneinander dieser Stellen, die doch irgendwie gehört werden müssen, damit ein Entschluß zustande kommt, bedeutet eben Mehrarbeit". (Stadtkämmerer Lebmann, Probleme der Gemeindefinanzen i931, I. S. 28). Geht der Staat dazu über, nicht nur für Kriegs· und ähnliche Notstandszeiten, sondern für länger eine sog. Bewirtschaftung durchzuführen, Devisen, Investitionen, Wohnungen und manches andere zu "rationieren", überhaupt eine staatsbefohlene Wirtschaftsplanung zu hetreiben, um so mehr muß mit einer solchen Melirarbeit gerechnet werden. Es ist kaum übertrieben, wenn man gerade auf diesem Gebiete der (mittel· oder unmittelbar) öffentlichen Ausgaben von einer Tendenz zu fast geometrischer Kostensteigerung spricht. Gewiß sind viele der neuerlichen Mehrausgaben von Staat und Gemeinden durch politische Störungen der Wirtschaft verursacht. Mit diesen werden auch sie ganz oder zum Teü wieder verschwinden. Aber ein guter Teü der neueren Aufgaben muß bleiben, weü er wirk· lich entwicklungsmäßig begründet ist. Der Einengung der verkehrswirtschaftlichen Ordnung sind freilich irgendwie Grenzen gesetzt. Jessen meinte in seiner oben erwähnten einschlägigen Untersuchung sogar: "Man möchte fast geneigt sein, zu sagen, daß das Ende der Ausdehnung des Staatsbedarfs gekommen ist, wenn nicht überhaupt die europäische Zivilisation in eine Gesellschafts· und Wirtschafts· verfassung übergeht, in der der Begriff Finanzbedarf verschwindet, weü er nicht mehr zu bewältigen ist." Schließlich muß hier allerdings Quantität in Qualität umschlagen. Man darf und kann einfach nicht annehmen, daß eine Zuschußwirtschaft mehr oder minder für sich allein eine Volkswirtschaft ausmachen kann. Sie bleibt auf die Ali· mentierung aus Überschüssen der Erwerbswirtschaft angewiesen. In dieser Notwendigkeit liegt in der Tat die absolute Grenze für eine
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II. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
"schrittweise Verdrängung des persönlichen durch den kollektiven Bedarf''. Im übrigen ist entschieden zu betonen, daß der Kollektivaufwand weitgehend im Dienste des persönlichen Bedarfs steht und daß überhaupt die volkswirtschaftliche Last staatlicher Ausgaben mehr durch das Wie als durch das Wieviel bestimmt wird. Das wird noch eingehend zu behandeln sein (vgl. § 9 insbes. Z. 4). Es ist nicht schwer, die große quantitative Bedeutung einiger neuen Staatsausgaben finanzstatistisch zu belegen. Für die wirtschaftliche Fürsorge einschließlich der Arbeitslosenfürsorge gab die deutsche Finanzwirtschaft z. B. 1913 218, 1928 2142 und 1932 3009 Mill. M bzw. RM aus. Für das Wohnungswesen waren die entsprechenden Ausgaben 1913 31, 1928 1542, 1932 337 Mill. M bzw. RM. Neuere Gesamtzahlen fehlen. Für 1943 betrugen die Ausgaben des Reiches für Kinderbeihilfen, Ausbildungsbeihilfen, Einrichtungsdarlehen und-zuschüssefür die Landbevölkerung über eine Milliarde RM (1026 Mill.). Manches an "Ausgleichsauf~en dungen" ist übrigens aus der Statistik nicht ohne weiteres ersichtlich, weil es in Preis- und Gebührenkonzessionen usw. vorgenommen wird. Die Schwierigkeit eines zahlenmäßigen Nachweises besteht namentlich auch für Aufwendungen zum Zwecke der Arbeitslosenfürsorge und der Arbeitsbeschaffung. Zum Teil entstehen diese nämlich bei der Erteilung öffentlicher Aufträge. Manchmal haben die bezüglichen Aufwendungen den Charakter von Verbilligungszuschüssen. In diesem Falle ergeben die fiskalwirtschaftlichen Zahlen volkswirtschaftlich nur ein unvollständiges Bild. Neuere Ausgaben der hier in Rede stehenden Art gibt es im übrigen in aller Welt. Auf die Aufwendungen der Vereinigten Staaten im Dienste der Bekämpfung der Folgen der Arbeitslosigkeit und dieser selbst wurde schon hingewiesen. Die im gleichen Lande vom Bunde der Landwirtschaft gemachten Zuwendungen betrugen von 1933 bis 1941 zusammen rund 5 Milliarden $.
Die Übernahme neuer Aufgaben oder die (ohne einen in den Ausgaben selbst liegenden Grund) reichlichere Dotierung älterer Ausgabepositionen durch Staat und Gemeinden hängen in erheblichem Maße vom eigenen politischen Wollen ab. Dieses ist also mithin für die Zunahme des gebietskörperschaftliehen Finanzbedarfs, vor allem für diejenige im letzten halben Jahrhundert verantwortlich. Schon lange ist in der finanzwissenschaftliehen Theorie auch auf die Willensbildung auf dem Gebiete der gebietskörperschaftliehen Ausgaben und die in ihr begründete Möglichkeit einer Überverausgabung hingewiesen worden.
Der deutsche Finanzwissenschaftler Gustav Cohn tat es z.B. schon 1889 und durchaus nicht im Sinne einer Ablehnung der "demokratischen Ideen des neuen Zeitalters". Er sah die Erglnzung der "üblichen Wahlen und Stimmrechte durch soziale Einrichtungen, welche der Hebung des Kulturniveaus der unteren Klassen dienen", als natürlich und selbstverständlich an. Der Engländer Bastahle beargwöhnte drei Jahre später den ,,neuen Radikalismus" weit mehr als Cohn. Er kritisiert die damalige demokratische Finanzpolitik wegen ihrer Mißachtung von Grundsätzen und ihrer äußersten Unfähigkeit, finanzielle Möglichkeiten richtig einzuschätzen. Ob diese kritische Einstellung einer Zeit, in welcher das Gegenstück, der autoritäre Staat, noch nicht bis zur letzten Konsequenz dur.chkostet war, von ihrem derzeitigen Vertreter auch heute noch so stark betont würde, mag dahingestellt sein. Immerhin wird man anerkennen müssen, daß die Art der staatsfinanzwirtschaftlichen Willensbildung Gefahren für eine ökonomische Ausgabenpolitik in sich birgt. Das wird bis in die Gegenwart nicht zuletzt in den Vereinigten Staaten häufig festgestellt.
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Die Voraussetzung bei der demokratischen Regierungsform sei -so heißt es in einer von amtlichen amerikanischen Stellen vertriebenen Schrift - "that most voters will be intelligent and socially minded". Man habe aber Anlaß, zu bezweifeln, ob diese Voraussetzung wohlbegründet sei. Den Abgeordneten würde nicht selten bedeutet: "to bring home the money oder don 't come back" (Economics, Principles and Problems. War Dep. Ed. Man. Vol II S. 248). Werden aber Gruppen- und Lokalinteressen in den Vordergrund geschoben, so ist der Weg zum "Kuhhandel" (zum logrolling oder back-scratching) nicht weitab, derjenige sparsamer Ausgabepolitik aber rückt in die Feme. Man weiß nicht recht, wie in der Beziehung " the multiplication of pressure groups", welche die Parlamentshallen suchen, um ihre privaten Interessen durchzusetzen, wirkt. Der amerikanische Finanzwissenschaftler Haensel macht sie jedenfalls "for a large share" verantwortlich für die Zunahme des öffentlichen Bedarfs. Gaston Jeze beklagte sich fast zur gleichen Zeit über "demagogische" Staatsausgaben. "Bei den Demokratieen sind es die Verschleuderung öffentlicher Gelder, das rapide Anwachsen der offentliehen Verschuldung, bei den Diktaturen Jedenfalls Prestigeausgaben, Sporteln für die Parteigänger, Größenwahnsinn betrifftBastiats Skeptizismus: L'Etat c'est Ia grande fiction a travers laquelle tout le monde s'efforce de vivredetout le monde" (zitiert nach Studenski) nicht nur eine Lebensfrage der öffentlichen Finanz, sondern gerade auch der Demokratie. 0
o
."
Für die größenmäßige Entwicklung des öffentlichen Finanzbedarfs sind schließlich Denken, Fühlen und Handeln der Verwaltung sehr wesentlich. Im Gegensatz zu früheren Zeiten besteht weniger die Gefahr der Knickerei und Knauserei wie die einer Üppigkeit und Sorglosigkeit. "Solange es öffentliche Verwaltungen gibt, wird es Mittel und Wege geben, einen Teil der öffentlichen Einnahmen für unwichtige und unnötige Zwecke auszugeben. Denn es liegt in der menschlichen Natur, bei der Verwaltung fremder Gelder nicht die gleiche Sorgfalt und Zurückhaltung walten zu lassen, wie bei der Verwaltung des eigenen Geldes", meinte vor einer Reihe von Jahren schon Staatsfinanzrat v. Dungern (Die Finanzkontrolle im Staat und in den Gemeinden. 1933 S. 24). Jedenfalls hängt es wesentlich vom Geist der Verwaltung ab, ob man aus dem insgesamt gewiß zutreffenden Gesetz des zunehmenden Staatsbedarfs für die Praxis der einzelnen Verwaltungsstellen nur allzu schnell die resignierende Auffassung von der "Zwangsläufigkeit" folgert oder im Gegenteil alles unternimmt, um jedem nicht unbedingt nötigen Steigen des öffentlichen Finanzbedarfs zu begegnen. Ein diesbezügliches Resignieren kostet Staat und Volkswirtschaft unübersehbare Millionenbeträge. Je größer die einzelne Finanzwirtschaft und je komplizierter der nationale finanzwirtschaftliche Gesamtbau - beides ist heute gegehen - , um so wichtiger wird es, mit allen Kräften und Mittelnjeder unnötigen Zunahme des Finanzbedarfs entgegenzuarbeiten. Wer die spezifisch-konstitutionellen Wirklichkeiten und Gefahren bezüglich einer überdurchschnittlichen staatsfinanziellen V erausgabung feststellen will, wird namentlich an der Tatsache des oft zu großen "Apparates" nicht vorbeigehen können. Es ist eine alte Erfahrung, daß alle Verwaltung, öffentliche wie private, mit steigender Ausdehnung und Komplizierung verhältnismäßig mehr unproduktive Arbeit und mehr
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li. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
Leerlauf auf !!lieh nehmen muß. "Jeder Beamte nimmt nicht nur mit seiner eigenen Arbeit am Produktionsprozeß teil, sondern erzeugt auch für andere Beamte Mehrarbeit" (Schlegelberger, Zur Rationali· sierung der Gesetzgebung. 1922, S. 2). "Bürokratismus" gibt es gewiß nicht nur in der Staatsverwaltung, aber in ihr - schon ob ihrer Größe -in der Regel doch mehr als unvermeidbar. Je mehr die Selbstverwaltung zurückgedrängt wird, um so mehr unproduktiven Aufwand gibt es daher. Eine Klage der Gemeinden aus dem Jahre 1926 ist heute materiell keineswegs überholt. "Reich und Länder regieren in Fragen hinein, die nach gesunden Verwaltungsgrundsätzen der Selbstverwalt-i}ng vorbehalten sein sollten. Das Ergebnis ist die Verteuerung der gesamten Verwaltung" (Städte, Staat und Wirtschaft. Denkschrift des Deutschen Städtetages. 1926, S. 80). Erst recht darf nicht daran vorbeigegangen werden, daß die Politisierung der Stellenbesetzung seit über einem Menschenalter die öffentliche Verwaltung absolut und relativ verteuert- ohne daß man genügend daraus lernte. Unzweckmäßige Regelungen des sog. Finanzausgleichs, der mit einer stärkeren Zentralisation unvermeidlich schematischer wird, taten derzeit ein übriges. Schließlich bestehen auch für das Gebiet der Abgaben Verteuerungstendenzen. Die Anspannung der Besteuerung setzt von einem gewissen Punkte an normalerweise keine Kostendegression in Kraft, sondern eher das Gegenteil. Es ist nicht möglich, einigermaßen genau zu sagen, wie die mancherlei konstitutionell bedingten Schwächen der Staatsfinanzwirtschaft zahlenmäßig an der Zunahme des öffentlichen Bedarfs beteiligt sind. In deren Wertung klingt sehr leicht Gefühlsmäßiges mehr oder minder mit. Immerhin wird man eine gewisse Übersteigerung des öffentlichen Bedarfs in jedem Falle auf das Schuldkonto eben dieser Schwächen bringen müssen.
§8 Die Höchstgrenzen der staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben 1. Die Möglichkeiten der finanzwissenschaftliehen Antwort. 2. Die verfehlte Grund· orientierung der öffentlichen Diskussion: Die Staatsfinanz- nur alimentierte oder auch produzierende Wirtschaft? 3. Ausgabemäßige Bedingtheiten des staatlichen Finanzbedarfs. 4. Einnahmemäßige Bedingtheiten; die verschiedene Reichweite der einzelnen Finanzierungswege
1. Namentlich in Zeiten einer außergewöhnlichen Steigerung des Staatsfinanzbedarfs wird häufig danach gefragt, wieviel öffentlicheAus· gaben denn die Volkswirtschaft überhaupt oder ohne großen Schaden aushalten könne. Durch bekannte Statistiken beeindruckt- wie etwa durch die der B IZ betr. den für Kriegskosten verwandten Teil des Volkseinkommens: 1944 in England 54; in USA46; in UdSSR 44% - möchte man allgemein in einer einzigen oder doch höchstens in
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wenigen Zahlen die knappe und sofort unmittelbar auswertbare Antwort. Das ist gewiß verständlich, aber so wie gewollt ist der Wunsch nicht zu erfüllen. Wieviel Staat und Gemeinden jeweils höchstens ausgeben können, ist nämlich durch verschiedenste Momente beeinflußt. Es ist eine recht billige Antwort, zu sagen, der Staat könne so viel ausgeben als er einzunehmen vermöge, es komme also nur darauf an, festzustellen, wie hoch die Einnahmen des Staates und der Gemeinden im gegebenen Falle (oder allgemein) sein könnten. Aber eben das letztere ist so vielseitig bedingt, insbesondere auch volks- und finanzwirtschaftlich, daß ein einfaches Rechenexempel weder genügen würde noch überhaupt möglich ist. Das gilt um so mehr, als die Frage nach dem möglichen oder ratsamen Höchsthetrag staatsfinanzwirtschaftlicher Verausgabung in der breiten Öffentlichkeit gemeinhin just in dem Moment gestellt wird, in welchem die wirtschaftliche W obifahrt stärkstens bedroht oder schon erheblich getroffen ist. Die vorläufige Antwort auf die Frage nach dem möglichen oder ratsamen Höchstbetrag öffentlicher Ausgaben muß schon mit der gewiß bescheidenen Aussage beginnen, der Finanzbedarf könne in einem reichen Lande ganz anders sein wie in einem armen. Trotz der Selbstverständlichkeit des Inhalts dieser Feststellung lohnt es sich, nach ihrem Warum zu suchen. Dieses aber liegt in der Eigenart und in dem Gewicht der staatsfinanzwirtschaftliehen Aufgaben: Gemeinschaftsbedürfnissetreten in größerem Maße erst auf, wenn die primitivsten Einzelbedürfnisse erträglich gedeckt sind. Auch Gemeinbedüifnisse zu bedienen an einer finanzwirtschaftliehen Verbilligung, kann sich ein Land wenigstens nicht in ungewöhnlichem Umfange leisten, wenn es arm ist. Eben dann ist es aber endlich meist nicht leicht und vor allem nicht sehr ergiebig, Einkommen an der einen Stelle zu nehmen, um es in einer anderen auszuschütten. Je wohlhabender ein Volk, desto größer sind eben die wirtschaftlichen Möglichkeiten für seinen Staat, in diesen drei Richtungen zu wirken, also seine Ausgaben zu erhöhen. Je ärmer es ist, um so mehr muß es sieh gerade auch in dieser Richtung bescheiden. Eine allgemeine Wohlhabenheit ist freilich nicht nur Voraussetzung, sondern in manchem auch eine Folge von Staatsausgaben (wie umgekehrt ein Land durch übermäßige Staatsausgaben wirtschaftlich ruiniert werden kann). Was der Staat überhaupt und was er ohne erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden ausgeben kann, ist schließlich zum guten Teil auch von der Art der Staatsfinanzierung, insbesondere von der Steuerpolitik abhängig. Die Zusammenhänge sind also nicht einfach, sondern kompliziert. Noch ein zweites ist vorweg festzustellen: Der Charakter der modernen Staats- als Geldzuschußwirtschaft und auch als Produzentin ganz bestimmter wirtschaf1:lichen Leistungen bringt es mit sich, daß 4
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sie ohne enge Verpflechtung mit ande1·en Einzelwirtschaften nicht leben und wachsen kann. Sie setzt eine weitgehende unternehmungsmäßige Spezialisierung, erst recht eine Überwindung der Naturaldurch die Geldwirtschaft voraus. Je mehr die einzelwirtschaftliche Selbstversorgung hintangedrängt ist, je mobiler damit die Wirtschaftserträge geworden sind, um so günstiger ist bei gleichem Versorgungsstand der gesamtwirtschaftliche Boden für die Staatsfinanzwirtschaft, um so größere Einnahme- und folglich auch Ausgabemöglichkeiten müssen für die öffentliche Finanzwirtschaft gegeben sein. Die Staatsfinanzwirtschaftslehre kann nach alledem auf die Frage nach den Höchstgrenzen der gebietskörperschaftliehen Ausgaben einfach nicht derart antworten, wie es sich der Laie wohl meist denkt und wünscht. Sie würde ihr~ Aufgabe, insbesondere den entscheidenden volkswirtschaftlichen Kern der Frage nicht verstehen, ihre Kräfte auch weit überschätzen, wenn sie versuchen würde, mit einer Zahl oder Rechenformel zu antworten. Sie muß sich darauf beschränken, die entscheidenden volkswirtschaftlichen Faktoren und darüber hinaus zu zeigen, welche spezifisch finanzwirtschaftliehen Momente das Höchstmaß des öffentlichen Finanzbedarfs ihrerseits bestimmen hzw. mitbestimmen und wie sie es tun. 2. Gewöhnlich fußt die öffentliche Frage nach dem Höchstmaß des Staatsfinanzbedarfs auf einer simplen und scheinbar keines Kommentars bedürftigen Überlegung: Die nichtfinanzwirtschaftliehen Teile der Volkswirtschaft müssen für die Kosten der gebietskörperschaftliehen Wirtschaft aufkommen; die Aufbringungskraft der ersteren aber ist begrenzt. Es wird also von den Fragestellern offenbar gar nicht bedacht, daß es sich im Verhältnis von Staatsfinanz- und sonstiger Einzelwirtschaft keineswegs nur um eine absolut einseitige Alimentierung handelt. Tatsächlich konsumiert die gebietskörperschaftliche Wirtschaft nicht allein, insbesondere das in der übrigen Wirtschaft Produzierte, sondern sie arbeitet auch selbst für diese andere Ein.zelwirtschaft. Das gilt mittelbar sogar für den von ihr befriedigten Gemeinschaftsbedarf. Ohne dessen Deckung gäbe es in manchem keine Schaffensmöglichkeit und keine genügende Ordnung im erwerbsbewirtschafteten Bereiche. Was die Erwerbswirtschaft als Kosten verursacht, steht nicht alles auf ihrem allgemeinen Unkosten-, sondern zu einem gewissen Teile auch auf ihrem Steuerkonto verbucht. Damit ist freilich ein richtiger Kern des Arguments anerkannt: Wie die allgemeinen Unkosten, so können auch die Steuern unerträglich hoch werden. Zu hohe und unzweckmäßig "umgelegte" Kosten der staatlichen Produktionsvorsorge bringen die Erwerbswirtschaft in Bedrängnis, zumal die hier fragliche staatliche Vorsorge für sie oft nur eine sehr mittelbare ist. Bei der zweiten staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgabegruppe, den Aufwendungen zur
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Befriedigung von Gemein-(Massen-)Bcdürfnissen, liegen die Dinge insofern anders, als der Staat hier gar nicht selbst konsumieren, wohl dagegen ein bestimmtes Bedarfsgebiet der privaten, namentlich der Haushalts-Wirtschaften finanzwirtschaftlich, d. h. aber anders ordnen will, als es unter der Herrschaft des Marktes geordnet wäre. Einer privatwirtschaftliehen Steuerbelastung steht hier also die staatsfinanzwirtschaftliche Versorgungsleistung gegenüber; dies gewiß nicht in jedem einzelnen Falle, wohl aber bei der Gesamtheit der privaten Wirtschaften. Eine Verkennung der wirklichen Sachlage kommt auch da nicht selten vor, wo man das Alimentierungsargument ins Volkswirtschaftliche ZU übersetzen sucht: Die Staatsfinanzwirtschaft müsse vor allem aus dem Sozialprodukt, vorzüglich aus dem Volkseinkommen leben. Gegen diese Selbstverständlichkeit kann natürlich nichts gesagt werden. Sie wird aber da falsch ausgespielt, wo man als Sozialprodukt oder Volkseinkommen nur das in der Erwerbs- und der sonstigen privaten Wirtschaft Erarbeitete oder Verdiente versteht. Tatsächlich sind auch die gebietskörperschaftliehen Leistungen zum größeren Teil nichts anderes als ein Beitrag zum Sozialprodukt. Nur soweit die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben nicht Kosten einer realen und positiven Verwaltungsleistung, sondern reine Einkommens- oder Vermögenszuweisungen sind, liegt keine Produktion vor. Hier wird durch das Mittel der staatlichen Einnahmen und Ausgaben das Sozialprodukt anders verteilt. Es wird also vom Staate überhaupt nich!s auf Kosten der gesamten privaten Verausgabung konsumiert oder investiert. Alles in allem bestimmt das Wieviel des Finanzbedarfs keineswegs in dem Maße seine Höchstgrenze, wie das gemeinhin angenommen wird. Jeder Finanz- ist seiner Natur nach freilich fiskalwirtschaftlicher Zuschußbedarf, letztlich also auf eine Alimentierung von seiten der Überschußwirtschaft angewiesen. Dort drückt die Alimentierungslast um so mehr, als ihr keine Ausgabeentlastungen durch Staatsleistungen kompensierend gegenüberstehen. Die Höhe des fiskalischen Zuschußbedarfs ist demnach in diesem Zusammenhang auch nicJlt, wenigstens nicht unmittelbar entscheidend. Neben dieser "saldierten" belastungspolitischen Seite des Finanzbedarfs spielt für dessen Begrenzung noch die alsbald zu kennzeichnende finanzierungs-, insbesondere die steuertechnische Seite eine Rolle. 3. Soweit es auf die Ausgaben ankommt, ist das Höchstmaß der gebietskörperschaftliehen Verausgabung wirtschaftspolitisch letzten Endes durch zweierlei bestimmt: Teils durch die Möglichkeit, Menschen und sachliche Mittel nicht in der privaten, sondern in der Staatsfinanzwirtschaft einzusetzen (sie nicht zuletzt auch der Erwerbswirtschaft zu entziehen oder vorzuenthalten), teils durch die Fähig· keit des Staates, finanzwirtschaftlich, d. h. durch staatliche Ein· 4*
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nahmen und Ausgaben, die verkehrswirtschaftliche Einkommensund Vermögensverteilung für sich auszunutzen, insbesondere aber zu seinen Gunsten zu korrigieren. Das Verhältnis der staatsfinanzzur erwerbswirtschaftlichen Arbeit aber hängt von dem politisch ertragenen Ziel der gebietskörperschaftliehen realen Leistungen- dem freiwillig übernommenen oder dem zwangsweise durchgesetzten ab. Dieses Ziel kann die Deckung eines Gemeinschaftsbedürfnisses sein. Gerade dieser Ausgabezweck muß materiell anerkannt oder wenigstens ertragen, durch Steuerleistungen "legitimiert" sein. Geht es um die Deckung von Gemein-(Sammel-)Bedürfnissen, wird also durch die Staatsleistungen ~in privater Bedarf befriedigt, so ist die Legitimation leichter gesichert. Immerhin handelt es sich auch hier immer noch um eine Konsumtionsregelung "von oben", nicht um eine solche der eigenen Wahl privater Konsumenten. Dient die Staatsproduktion nicht einer Befriedigung entsprechend empfundener und gewerteter Bedürfnisse jener, welche in der erwerhswirtschaftlichen Produktion arbeiten, so müssen diese insoweit auf ihren Beitrag zum Sozialprodukt verzichten. Sie müssen dann die Staatsbeamten und -angestellten gewissermaßen mitversorgen und den bezüglichen sachlichen Amgahehedarf des Staates tragen. Das scheint nur eine Frage der Besteuerungstechnik zu sein. Tatsächlich ist es mehr, denn das Maß der Besteuerung kann offensichtlich ein anderes sein, wenn der Staat seinerseits den Privaten etwas an Brauchlichkeiten liefert. Letzten Endes kommt es hier also auf das Wofür der gebietskörperschaftliehen Ausgaben an. Das wird auch weithin empfunden. Es gehört nicht viel wirtschaftliche Einsicht dazu, mindestens zu ahnen, daß etwa im Inlande verbleihende Schulddienstausgaben volkswirtschaftlich anders wiegen, güterversorgungsmäßig bedingt eine höhere Ausgabeziffer möglich machen können als Trihute ans Ausland, auch als manche neuen Staatsdienste, Bauten, Anschaffung von KriegEgerät. Bedeuten die verschiedenen AuEgaben unter Umständen volkswirtschaftlich wesentlich Unterschiedliches - und sie tun es, wie später noch eingehender zu würdigen ist (vgl. § 9) -,so kann das für die Grenze der Staatsausgaben nicht belanglos sein. Auch das Wann der staatsfinanzwirtschaftliehen Verausgahung ist wichtig, wenn es um ihr Höchstmaß geht. Ist die private Nachfrage nach den verfügbaren Gütern und Leistungen besonders dringlich und groß, so ist der Staatsanteil an ihnen naheliegenderweise weniger leicht erhöhbar als im umgekehrten Falle. Bei einer Unterbeschäftigung kann die spezielle staatliche Arbeitsbeschaffung, d. i. aber ein Mehr an Staatsausgahen, sogar ebenso ein finanzwirtschaftliches wie volkswirtschaftliches Gebot sein. Weil staatlicherseits mehr amgegeben wird, stehen in diesem Falle alsbald mehr Steuereinnahmen zur Verfügung.
§ 8.
Höchst~renzen
der staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
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Ist die Wirkung der gebietskörperschaftliehen Ausgaben auf die volkswirtschaftliche Leistungskraft so wesentlich, dann ist auf seiten der Ausgaben noch anderes als das ganz allgemeine Wofür und Wann der Ausgaben zu beachten. So kann von bestimmten Staatsaufträgen eine besondere Produktivitätswirkung positiver oder negativer Natur ausgehen, je nachdem etwa die konkrete Beschäftigungslage in dem beauftragten Zweig der Volkswirtschaft oder in dem einzelnen Unter· nehmen ist. Nicht unwichtig ist auch, ob die Auftragsvergebung betrieblich oder räumlich oder gar persönlich wohl oder nicht differenzierend erfolgt und damit Ergiebigkeit wie Ausgeglichenheit der gesamten Produktionswirtschaft beeinflußt. Sind aber das Wofür, das Wann, das An wen und schließlich das Wie der öffentlichen Aufträge wichtig, dann ergibt sich auch insoweit, daß die Staatsfinanzwirtschaft keineswegs nur aus einem durch sie selbst gar nicht mitbe· stimmten volkswirtschaftlichen "Fonds" lebt, daß sie vielmehr aus ihrer eigenen Betätigung ihren Lebensstandard sowie die Grenzen ihrer Ausgaben mitbestimmt. 4. Auch die lockendsten Denkbarkeiten auf dem Gebiete des ge· bietskörperschaftlichen Finanzbedarfs nützen Staat und Gemeinde nichts, wenn diese sie nicht realisieren, finanzierungstechnisch mei· stern können. Die Höchstsumme des öffentlichen Aufwandes ist da· her auch noch bezüglich ihrer Einnahmebedingtheit zu erforschen. Wenn auch Staatsaufgaben, welche nicht finanziert werden kön· nen, eben unerfüllt bleiben müssen, so ist damit noch nicht gesagt, daß die Finanzierung nur gegebene volkswirtschaftliche Möglich· keiten einfach mehr oder minder realisiert, sie aber nicht ihrerseits auch beeinflußt. Derart ist das Verhältnis beider zueinander nicht. Die Wirklichkeit lehrt klar etwas anderes. Werden Staatsaufgaben etwa aus einer Inanspruchnahme der Notenpresse finanziert, so be· deutet die Schöpfung zusätzlichen Geldes nicht nur eine Kassen· aufbesserung für den Staat, sondern oft auch ein sonst nicht erreich· bares Zurückdrängen des nichtstaatlichen zugunsten des staatlichen Konsums. Finanzierungstechnische, volkswirtschaftliche und poli· tische Bestimmungsgründe für das Maß der öffentlichen Ausgaben greifen vielfach ineinander. Bei der Untersuchung der einnahmemäßigen Bedingtheiten des realisierbaren gebietskörperschaftliehen Finanzbedarfs ist zunächst nach dem Alimentierungs- und Finanzierungsraum zu fragen. Steht Auslandshilfe zur Verfügung, so kann von Staat und Gemeinden mehr ausgegeben werden als ohnedies. Das gilt auch für den Fall, daß die aus dem Auslande kommenden Mittel nicht von der Staatsfinanzwirt· schaft selbst hereingenommen werden. Auslandsgelder bringen im Zeitpunkt ihres Zuflusses nämlich in jedem Falle eine Inlandsent· lastung, damit dann aber auch irgendwie erhöhte finanzpolitische Möglichkeiten für den heimischen Fiskus. Diese sind natürlich am
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zeitigsten und bedeutendsten, wenn die Gebietskörperschaften selbst Adressaten des Auslandsgeldes sind. Es mag angemerkt werden, daß es selbstverständlich schon für eine rein wirtschaftliche Entscheidung über ein Borgen im Ausland oder .einen V erzieht darauf nicht nur auf den Augenblickserfolg ankommt. Auslandszuschüsse für die heimische V erausgabung werden im übrigen nicht nur im Wege des Kredits, sondern auch im Wege eines Verkaufs von Vermögenswerten hereingeholt. In Kriegszeiten treten dazu oft noch andere Methoden wie "Beihilfen", Überwälzung ober Übernahme von Besatzungs- oder anderen Militärkosten, Tribute, Sperre von Ausländerguthaben bei Inlandsschuldnern u. a. m. Bei der finanzierungsmäßigen Bedingtheit der gebietskörperschaftliehen Ausgaben geht es allgemein sowohl um das Heranholen vorhandenen Geldes zur Bezahlung der staatsfinanzwirtschaftliehen Beschaffungen und anderweit bedingter Geldforderungen als zum guten Teil auch um die Freisetzung des Geldes, welches an den Staat gelangen soll. So ist die Steuer nicht nur Finanzierungsmittel, sondern auch ein Zwang zum Konsumverzicht des Steuerzahlers. Sie leistet in den beiden Richtungen nicht gleich viel und muß deswegen nach der weniger wirksamen Seite hin gelegentlich gestützt werden, wie z. B. im Kriege durch die Güterzuteilung mit Hilfe von Karten, Bezugsscheinen u. ä. Damit ist schon angedeutet, daß es für das Maß der möglichen Staatsausgaben von seiten der öffentlichen Einnahmen her auf zweierlei ankommt, auf die technische Leistungsfähigkeit der verschiedenen Einnahmebeschaffungsmethoden und auf den Rahmen, innerhalb dessen sich die Technik auswirken kann. Die technische Leistungsfähigkeit der hauptsächlichsten Einnahmearten ist sehr verschieden. Die beiden wichtigsten Finanzierungsmittel Steuern und Kredite, reichen jedes für sich und namentlich in der Ergänzung des Besteuerns durch das Borgen weit. Soll aber das Letztmögliche herangeholt werden, so müssen beide überspannt werden. Das wird im einzelnen namentlich im Rahmen der Abschnitte über Steuern und Kredite eingehender zu behandeln sein. Hier soll nur ein skizzierender Nachweis der unterschiedlichen technischen Leistungsfähigkeit gegeben werden. Gebühren der Verwaltung sind nur wenig anspannungsfähig, weil sie entweder mit einem Zwang zur Inanspruchnahme oder mit dem staatlichen Wunsch einer weitgehenden Wirksamkeit der bezüglichen Verwaltungsstellen kollidieren. Aus Steuern dagegen sind weit mehr Mittel für die Staatsfinanzierung zu mobilisieren. Dennoch haben auch sie Aufbringungsgrenzen, welche häufig genug praktisch werden. Bei der Steuer ist das durch die Natur jeder Abgabe als eines (verkehrswirtschaftlich gesehen) mechanischen Finanzierungsmittels verursacht. Überhöhte Steuern stehen weithin gegen die verkehrswirtschaftliche Organisationsform der Volkswirtschaft. W enn man nach
§ 8. Höchstgrenzen der staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
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der Leistung Einkommen zuweisen will, darf man nicht zuviel davon wieder wegsteuem, insbesondere Leistungsprämien nicht beseitigen. Im übrigen muß sich das verkehrswirtschaftlich an sich grobe Mittel der Steuer gegen die verkehrswirtschaftlich bedingten Preise und damit Einkommen durchsetzen. Das ist aber nicht ohne Reibungen möglich. Im Gegensatz zur Steuer wirbt die Anleihe von Haus aus. Sie paßt sich mithin dem einzelnen wirtschaftlichen Können und Wollen besser an. Ihre Abhängigkeit vom privaten Wollen ist freilicli auch ihr Manko. Dieses letztere kann wenigstens teilweise durch leisen oder kräftigen Druck überwunden werden, allerdings nicht, ohne das Mittel zu vergröbern. Tatsächlich muß die Anleihe gerade in fiskalischen Notzeiten meist die zunächst eingesetzte und gehörig angespannte, vielleicht schon überspannte Steuer ergänzen. Das gilt vor allem im Kriege, der seinerseits in der Regel als letzte und weitest reichende Finanzierungsaushilfe noch die Notenpresse bringt. Deren Inanspruchnahme erfolgt heute meist in der Form der Geldmarktkreditc. Aus alledem ergibt sich eine Stufenfolge in der Leistungsfähigkeit der wichtigsten gebietskörperschaftliehen Finanzierungsmethoden, damit aber eine wesentliche Abhängigkeit des Maßes der öffentlichen Ausgaben von der Finanzierungstechnik. Die technisch bedingte Leistungsfähigkeit der verschiedenen Finanzierungsmittel ist nicht schon gleichbedeutend mit ihrer wirklichen. Für diese kommt es wesentlich auf die Auswirkungsmöglichkeiten im Einzelfalle an. Je nach der volkswirtschaftlichen Situation und auch nach dem Ineinandergreifen (oder dem Gegeneinander) von Finanzierungs- und allgemeiner Wirtschaftspolitik kann die Staatskasse bei gleicher Einnahmebeschaffungsmethode mehr oder weniger Geldeingänge verbuchen. Ob z. B. die Steuer oder die Anleihe oder in welchem Verhältnis zueinander beide gleichzeitig eingespannt werden müssen, wenn es auf ein gutes Finanzierungsergebnis ankommt, muß nach Maßgabe der gesamten Verhältnisse des Augenblicks entschieden werden. Der Zusammenhang zwischen Finanzierungs- und sonstiger Wirtschaftspolitik ist namentlich im Kriege demonstriert worden. Die allgemeine Wirtschaftspolitik war für die Finanzwirtschaft derzeit eine erhebliche Einnahmestütze; sie leistete ihr gewissermaßen Zutreiberdienste. Wenn durch Verbrauchsrationierung oder Investitionskontrolle Einkommensbeträge zwangsweise vom Markte der Güter und Leistungen ferngehalten werden, hat es der Staat erheblich leichter, Geld in seine Kassen zu holen; Steuern werden dann leichter genmnmen und als Anlage von Ersparnissen kommt unmittelbar oder mittelbar nur ein Ausleihen an den Staat in Frage. Selbst dasjenige, was die Notenpresse zur möglichsten Füllung der Staatskasse hergehen kann, hängt wesentlich vom wirtschaftspolitischen Rahmen ab, innerhalb dessen sie betrieben wird. Die finanzwirtschaftliehen Mög lichkeiten und die volkswirtschaftlichen Folgen einer solchen "alles"
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II. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
versuchenden Finanzierungsweise sind nämlich wesentlich davon heeinflußt, ob und inwieweit der Staat es versteht, die Folgen der Kreditausweitung zu kontrollieren und zu beherrschen. Eine straff gelenkte Volkswirtschaft, die schon über Rationierung, lnvestitionskontrolle, Produktionsgestaltung u. a. die Verausgabungsmöglichkeiten steigern kann, hat es weithin in der Hand, die Grenzen der staatlichen Verausgabung über das sonst gegebene Maß hinauszuschieben. Je mehr sie es tut, um so wichtiger wird es- freilich, zu erkennen, daß hohe und steigende Staatseinkünfte nicht stets auch Ausdruck einer hohen und gestiegenen volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit oder eines vermehrten Wohlstandes sind. Manchmal zeigen sie das Gegenteil einer volkswirtschaftlich günstigen Lage an, ein Lehen von der Substanz, der menschlichen wie der gütermäßigen.
§9 Die verschiedenen Ausgabearten l. Das finanzstatistische Bild. 2. Notwendigkeit und Möglichkeiten einer wesentlich volkswirtschaftlich wertenden Gliederung der Staatsausgaben. 3. Das wirtschaftlich orientierte System der gebietskörperschaftliehen Ausgaben. 4. Die volkswirtschaftliche Wertung der verschiedenen Staatsausgaben in der amtlichen Sonderstatistik
1. Jede ernste politische oder wirtschaftliche Wertung der gebiets· körperschaftlichen Ausgaben muß auf einer Analyse ihres Gesamtbetrages fußen. Die Gruppenbildung wird je nach dem Wertungsgesichtspunkt verschieden sein. Die bei ihr am meisten interessierende Frage ist jedenfalls: Wofür werden die Milliarden im gegebenen Falle ausgegeben ? Die deutsche Finanzstatistik ist nicht unmittelbar auf die Frage nach dem Verwendungszweck der Staatsausgaben ausgerichtet. Sie gliedert die gebietskörperschaftliehen Ausgaben vor allem nach den Ausgabestellen, und zwar nach Verwaltungszweigen und Gebietskörperschaften. Aufstellung und Durchführung des Haushaltsplans erfolgen eben gebietskörperschaftlich gesondert und dort wieder in einer ressortmäßigen Arbeitsteilung. Da letztere jedoch in erster Linie aus einer Aufgabespezialisierung entstanden ist, so gibt die nach Verwaltungszweigen gegliederte Ausgabestatistik wenigstens einen leidlichen oder ungefähren Überblick über das Wozu der Verausgabung. Immerhin ist das zur Verfügung stehende Zahlenmaterial, namentlich wenn es um einen zwischenstaatlichen Vergleich geht, mit Vorsicht zu Rate zu ziehen. Die Verteilung der Aufgaben auf die verschiedenen Behördenzweige erfolgt nämlich nicht nach einem einzigen Schema, sondern zeigt manchmal von Land zu Land, durchaus nicht selten auch im gleichen Lande vom einen zum anderen Z.eitpunkt, erhebliche Unterschiede.
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§ 9. Verschiedene Ausgabearten
Die Statistik der "Ausgaben der öffentlichen Verwaltung im Deutschen Reich" liegt nur bis 1932/33 vor; für die Länder und Gemeinden sind noch bis 1936/37 entsprechende Daten veröffentlicht. Da es in diesem Buche um einen ersten Überblick geht, genügen die vorliegenden, zwanzig Jahre umfassenden Gesamtzahlen, obwohl sie nicht bis in die Gegenwart reichen. Der deutsche gebietskörperschaftliche Finanzbedarf verteilte sich in den bezeichneten Rechnungsjahren in Vomhundert des Gesamtbetrages wie folgt: 1913
- - - - - - - - - - - - ···- - - ------
I. Allgemeine Verwaltung. . . . . . . lA. Finanz- und Steuerverwaltung II. Staats- und Rechtssicherheit • . . msgesamt 1. Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtspflege ............. 3. Wehrmacht .............. 111. Bildungswesen insgesamt 1. Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . 2. Volks- und höhere Schulen. . 3. Wissenschaft, Kunst, Kirche IV. Wohlfahrtswesen ........... V. Wohnungswesen ............ VI. Wirtschaft und Verkehr ...... VII. Gemeindl. Anstalten und Einrichtungen versch. Art . . . . . . . VIII. Schuldendienst und Schuldenverwaltung des Reichs und der Länder ............ .. ...... . IX. Sonstige Ausgaben und Einnahmen ..... ... . . . ... . . .. . X. Kriegslasten insgesamt 1. Innere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Außere. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I 6,7 1 3,6
1925
1930
1932
5,4 4,6
4,5 4,2 3,9 ! 4,6
13,2 5,0 3,8 4,4 16,5 0,3 12,6 3,7 16,7 7,5 9,8
13,6 11,3 4,1 4,9 3,5 i 3,8 3,7 4,3 15,4 I 15,3 0,3 i 0,3 11,7 I 11,7 3,4 I 3,3 28,8 21,9 2,3 6,3 9,7 10,3
1
I
j32,9 . 3,1 I 4,7 25,1 19,2 0,3 ; 15,6 I 3,3 I 9,2 j 0,4 j 13,9 : ; 5,8 1 1
1
I
I !
I
3,3
3,4
3,3
6,9
1,4
3,7
Ii 5,0
0,1 0,9 0,9
0,2 21,4 13,0 8,4
0,6 19,0 9,8 9,2
i
1,0 11,9 10,6 1,3
---r-----r----~------r-----
Summi~e·r·~~-s~~~~~.i~ ~~~--~.~~~.' 17,252 114,477120,405114,534 Die Gliederung der staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben nm· nach Verwaltungszweigen mag für eine weniger anspruclisvolle Ermittlung
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li. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
dee mit den Ausgaben verfolgten Ziele& vielleicht auareichen, die fiskalwirtschaftliche Praxis strebt von vomeherein nach mehr. Eine formelle Ordnung der einzelnen Finanzwirtschaft, die Grundlage jeder materiellen Ordnung, verlangt immer nach weiterer Aufgliederung. So kommt es aus der Aufgabe der Haushaltsplanung z. B. zu einer Unterscheidung zwischen persönlichen und sachlichen Ausgaben. Diese Unterscheidung ist auch für die Kostenkontrolle wichtig. Die fiskalwirtschaftliche Beschaffung und Auswertung des Zahlenmaterials für die Haushaltsführung fragt aber nicht zuletzt danach, ob es sich um ordentliche oder außerordentliche Ausgaben handelt, zusätzlich vielleicht auch noch, ob die einzelnen Ausgaben dem laufenden Verbrauch oder aber dem Erwerb von Real- oder Kapitalvermögen dienen. So kann denn die Finanzstatistik ihrerseits das aus der finanzwirtschaftlichen Praxis gegebene Material weiterverarbeiten, inshesondere auch eine das fiskalwirtschaftlich Sachliche mehr in den Vordergrund stellende weitere Ausgabeanalyse geben. Das bei dieser beobachtete, in der nachstehenden Tabelle zum Ausdruck kommende Einteilungsschema ist materiell schon aufschlußreich. In den bezeichneten Rechnungsjahren waren in Vomhundert des Finanzbedarfs von Reich, Ländern und Gemeinden nachgewiesen als I i
1926
i
-- -- -- -- -- - -- ------ --~---- --,--
Persönliche Ausgaben ....... . Kriegsversorgungsgebührnisse . Gewährung von Darlehen und Fondsbildung ............ . Neubauten, Grundstückskäufe usw....... .. ............ . Schuldendienst ............. . Kriegsentschädigungen ..... . Sonstige Ausgaben ......... .
26,8 8,20 . .} 1 1
18,57 3,54 7,61 35,62
1930
1932
27,85 7,76
32,15 7,92
6,00
2,04
5,72 6,57 9,21 36,89
3,25 8,16 1,26 45,21
- - - - - - - --
-···
Eine gewisse Analyse der gesamten öffentlichen Ausgaben verschiedenster Länder brachten derzeit die "Internationalen Übersichten" im Anhang des Statistischen Jahrbuchs für das Deutsche Reich (z,B. Jahrgang 1938 S. 275 ff.). Das geschah für nicht weniger als 24 ausländische Staaten, und zwar getrennt nach den Ausgabebeträgen des Staates und nach denen der nachgeordneten Gebietskörperschaften. Studenski stellte 1933 in seinen "Chapters in Public Finance" aus verschiedene Quellen die folgende (wenn auch in den einzelnen Ausgabegruppen nicht durchweg ohne weiteres vergleich· bare, aber im ganzen höchst lehrreiche) Analyse der Staatsausgaben zusammen.
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§ 9. Verschiedene Ausgabearten
Im Vomhundert des Gesamtbetrages der Staatsausgaben entfielen auf f in USA
Großbri- Frank- Deutsch. Italien \ Rußtannien reich land I land -------------+--1_9_2_7_+__1_9_29___,_1_92_9_ 1929 1928 1 1927
Allgemeine Verwaltung 4,451 5,28112,82 1- 8,97 116,58 Militärausgaben einI i schl. KriegsversorI , , ' I ! gungsgebührnisse u. Reparationen .. . .. 32,87 22,26 37,66 46,131 )131,48 Wirtschaft u. Verkehr . 10,47 5,35 7,26 2,76 9,53 Wohlfahrts- und Bildungswesen . . . . . . . 1,31 15,60 9,66 8,12 ! 9, 76 I Betriebsinvestitionen 1 ' 0,02 oder -defizite ...... I 0, 77 o,22 1 4,75 ! l Finanzhilfe für di~ j 2,61 i 0,03 29,66 1,08 Lokalverwaltung .. i 1,23 0,95 24,70 Schuldenzinsen ...... 122,75 39,80 Schuldentilgung. . . . . . 14,76 7,38 !} 31,07 3,19 1,19 1,34 Steuererstattungen ... [ 4,91 0,93 Verschiedenes ........ 1 6,48 - ; 1,72 0,14 l Überschuß ........ . . i i[
:
!,
I I
8,4o
I
i
1 12,30 1 s.u. :
i
! 6,30
I 152,80 s.o. 14,10
} 4,40
!
0,30 1,40
1) Davon 25,27 Reparationen.
2. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben sind von jeher Gegenstand volkswirtschaftstheoretischer und -politischer Auseinandersetzung gewesen. Es ist nicht schwer, für jede Beurteilung namhafte Vertreter zu nennen. Bekannt ist das nicht allzu freundliche Urteil der liberalen volkswirtschaftlichen Klassiker. Aus ihm wurde bei Epigonen gelegentlich eine generelle Negation volkswirtschaftlichen Vorteils staatlicher Ausgaben. Manchmal macht man sich nicht nur auf seiten des Fiskus und seiner Anwälte das Urteilen reichlich leicht da nämlich, wo man schon zufrieden ist, wenn das Geld nur "rollt", insbesondere "im Lande bleibt", dort Handel und Wandel vermeintlich stets gleich "befruchtet" . Daß man schließlich "jede Sultans· laune, jedes imperialistische Abenteuer wenigstens vom wirtschaftlichen Standpunkte" mit einer solchen "Vulgärökonomie" rechtferti· gen könnte, hat Heinrich Dietzel vor Jahren einmal in einer glänzenden Polemikbetont (Die Nationalisierung der Kriegsmilliarden.1919). Die neuere tatsächliche Entwicklung des staatlichen Finanzbedarfs, namentlich diejenige in der Zeit der Reparationszahlungen nach dem ersten Weltkrieg, hat die volkswirtschaftliche Theorie der Staatsaus· gaben auch in Deutschland neu belebt und wohl auch nicht unwesentlich gefördert.
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li. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
Der neueren einschlägigen Theorie geht es vor allem um die im Grunde zwar selbstverständliche, aber doch immer wieder übersehene volkswirtschaftliche Tatsache, daß Mark keineswegs gleich Mark ist, daß im Gegensatz zur Prädizierung der öffentlichen Ausgaben als schlechtweg unproduktiv ein Mehr an Staatsausgaben volkswirtschaftlich unter Umständen besser sein kann als ein Einsparen an ihnen. Sie steht daher insofern durchaus auf dem Boden des 1927 veröffentlichten Colwyn Report: "For many social objects wise collective expenditure is clearly more economic than expenditure left to the individual". Für diese neue Theorie ist mithin die Ablehnung jedes rein privatwirtschaftliehen Denkens in der volkswirtschaftlichen Wertung kennzeichnend. Sie will für sich eben nicht nur die Perspektive des Staatslieferanten, sondern auch diejenige des Besteuerten überwinden. Damit ist gerade auch der finanzpolitischen Praxis wesentlich ·gedient. Dieser muß eine vermehrte Einsicht in die unterschiedlichen Wirkungen der Staatsausgaben willkommen sein. Freilich wird man sie auch auf das Wenn und Aber hinweisen müssen. Ein abschließendes Urteil muß nämlich in jedem Falle neben der Natur der konkreten Ausgabe durchaus auch den volkswirtschaftlichen Rahmen im Zeitpunkt ihrer Tätigkeit berücksichtigen. Bei der ersteren aber geht es um zweierlei: den "gütermäßigen" Inhalt des vom Staate gestellten Anspruchs an die Volkswirischaft und die volkswirtschaftliche Wirkung des aus ihm möglich werdenden Staatsdienstes, um den bewirkten Nutzen oder Schaden. Mit der Klarlegung des gütermäßigen Aufwandes und des wirtschaftlichen Effekts der bezüglichen staatlichen Betätigung ist noch nicht alles gesagt, was ökonomisch bewertet werden muß: Es ist außerdem zu beachten, daß das Geld, welches der Staat jeweils ausgibt, so nur aus einem Verzieht auf anderweitige Verwendung ausgegeben werden kann. Da es vor allem um Steuergelder geht, muß also für die endgültige wirtschaftliche Wertung das, was der Staat mit den "Steuergroschen" anfängt, mit dem verglichen werden, was mit diesen Groschen sonst geschehen wäre, dann nämlich, wenn sie "freie" Groschen geblieben wären, konsumptive oder reproduktive Verwendung über die Hand des Besteuerten gefunden hätten. Das ist aber offensichtlich meist nicht gerade einfach festzustellen. Immerhin ist es möglich, manche W ahrscheinlichkeiten zu ermitteln und dam~t dem Politiker wichtiges Material für seine Entscheidung, dem Volkswirt aber die Grundlage für sein Urteil zu geben. Jede volkswirtschaftliche Wertung der mancherlei Staatsausgaben unter dem Gesichtswinkel ihres güterwirtschaftlichen Inhalts stößt bald auf die Feststellung, daß manche Ausgabeposten einen Verzicht des Staates auf einen eigenen Anspruch auf "reale" Werte bedeuten. Bei diesen handelt es sich um einen in England wohl als "nichteffektiv" benannten und gekennzeichneten Finanzbedarf. So wird
§ 9. Verschiedene Au8gabearten
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bei Schulddienstleistungen des Staates an im Inlande wohnende (und dort das . Geld wiederausgehende) Gläubiger oder bei staatlichen Geldunterstützungen an Inländer der Anteil der privaten Wirtschaft am Sozialprodukt oder -vermögen nicht geschmälert. Mag dem einen Privaten auch Einkommen oder Vermögen weggesteuert sein, ein anderer erhält dafür den entsprechenden Betrag .ausgezahlt, ohne unmittelbar etwas dafür als Gegenleistung zu gehen. Derartigen Staatsfinanzbedarf kann man als Übertragungs- oder als Verrechnungshedarf (oder in der Ausdrucksweise des früheren Statistischen Reichsamts auch als "Einkommenverschiehungen') hezeichnen im Unterschiede vom Aufhringungshedarf. Bei l~tzterem gibt die Staatsfinanzwirtschaft kein Geld aus, ohne dafür Zug um Zug Güter oder Dienstleistungen zu bekommen, die sie selbst irgendwie verbraucht. Gibt der Staat von ihm gekaufte Güter alsbald weiter etwa in Naturalunterstützungen, so ist die Ausgabe für solche nicht in Geld, sondern in Gütern erfolgende Zuweisungen Verrechnungshedarf. Die Finanzwirtschaft konsumiert eben auch in diesem Falle nicht selbst, sondern gibt nur weiter. Anders bei ins Ausland gehenden Schulddienstausgahen; diese müssen aus dem Sozialprodukt oder -vermögen erfolgen, schmälern also das der inländischen Privatwirtschaft an Gütern und Leistungen Verfügbare. Ob das der Gesamtheit der Privatwirtschaften an Realwerten Verfüghare geändert wird oder nicht, ist also das eigentliche Merkmal der Unterscheidung zwischen Aufhringungs- und Verrechnungshedarf. Mit dieser ist freilich noch nicht allzuviel gesagt. Kommt es auf das volkswirtschaftliche Gewicht des staatlichen Anspruchs an, so gibt es schon noch die Aufgabe und auch die Möglichkeit, den Aufhringungshedarf weiter aufzugliedern und selbst heim Verrechnungshedarf zu differenzieren, ja über diese erste und augenfällige Unterscheidung hinwegzusehen. Eine Unterscheidung der gebietskörperschaftliehen Ausgaben danach, ob sie der Gesamtheit der privaten Wirtschaften unmittelbar ein Minus an verfügbaren Gütern und Leistungen bringen oder nicht, ist volkswirtschaftlich durchaus nicht so aufschlußreich, wie es zunächst wohl scheint. Sie schweigt sich sogar über das sozialökonomisch Wichtigste aus, nämlich den jeweiligen volkswirtschaftlichen Effekt einer Ausgabe. Dieser kann im Einzelfalle positiv, negativ oder neutral sein, und zwar sowohl produktivitäts- wie stabilitätspolitisch gesehen. Er ist, wie schon in den Ausführungen über die Höchstgrenze der Staatsausgaben festgestellt werden mußte, keineswegs nur von der Natur der einzelnen Ausgabe bestimmt, sondern auch von der volkswirtschaftlichen Gesamtlage des Ausgabezeitpunktes abhängig. Überdies ist er der konkreten Ausgabe in manchen Fällen gar nicht ohne weiteres anzusehen. Wie z. B. staatliche Schulddienstzahlungen verwandt werden, insbesondere ob Zinszahlungen heim
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II. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
Empfänger zur Konsumtion (zu einer lehensnotwendigen oder überflüssigen) oder zu einer Investition führen, ist eine Tatfrage. Die gleiche Ausgabeart kann im übrigen gemeinhin produktivitätspolitisch günstig, stabilitätspolitisch dagegen ungünstig wirken und umgekehrt. Auch wenn derartige Schwierigkeiten für ein nur den jeweiligen Ausgabeeffekt in den Mittelpunkt stellendes System der Staatsausgaben nicht bestünden, ein solches also erarbeitet würde, müßte doch vor dem art- und umweltbedingten ein lediglich artbedingtes System der Staatsausgaben vorhanden sein. Der Aufstellung eines solchen gelten die Überlegungen des folgenden Absatzes. 3. Im Hinblick auf die artbedingte Wirkung der mancherlei Staatsausgaben kann man sechs verschiedene Hauptarten von Ausgaben unterscheiden: a) Staatsfinanzwirtschaftlicher Eigenbedarf: Die Verausgahung zum Zwecke der Beschaffung solcher Güter und Dienstleistungen, deren Verbrauch die bezügliche Leistung des Staatsapparates ermöglicht. Die fraglichen Ausgaben sind also Voraussetzung für die Befriedigung von (wirklichen oder vermeintlichen) Gemeinschaftsoder von Gemeinhedürfnissen, Mittel zu diesem Zweck. Für die Feststellung, ob und wie dieser Bedarf die Volkswirtschaft seiner Natur nach belastet, sind nicht alle einschlägigen Zahlen des Haushaltsplans hzw. der Rechnung ohne weiteres gleich gewichtig. Selbst in diesem· engeren Bereiche ist nicht einmal Mark gleich Mark. Wenn der Staat z. B. Verwaltungsräume mietet und es handelt sich um schon vorhandenen Raum, dann entzieht er diesen durch sein Mieten höchstens einer anderweitigen Nutzung. Alsdann beansprucht er zwar einen größeren Anteil an der Nutzung früher geschaffener Dauergüter, aber nichts (jedenfalls nicht unmittelbar etwas) vom gegenwärtigen Sozialprodukt. Würde im Hinblick auf einen mit dem Staate abgeschlossenen Mietvertrag von privater Seite der Raum aber erst gebaut, so würde die volle volkswirtschaftliche Belastung weit größer sein, als in den fiskalischen Jahreszahlen zum Ausdruck kommt. Die erste staatlicherseits gezahlte Jahresmiete würde nicht der Anfang, sondern das Ende eines volkswirtschaftlichen Kapitaleinsatzes für Staatszwecke sein. So muß man bei der Verwertung des gewöhnlichen Zahlenmaterials volkswirtschaftlich wertend manchmal nicht nur korrigieren, sondern auch grundsätzlich unterscheiden, ob die konkrete Ausgabe zu Lasten des Sozialprodukts geht oder aber die Nutzung des Sozialvermögens betrifft. Je nachdem ist mit einer verschiedenartigen und wohl auch verschieden großen volkswirtschaftlichen Belastung zu rechnen. Gerade heim staatsfinanz· wirtschaftlichen Eigenbedarf, zu dem etwa sowohl Straßenhau·, wie Bildungs·, wie Gesundheitsfürsorge wie auch Rüstungs· und Kriegs· ausgaben zählen, ist nochmals zu betonen, daß die gütermäßige
§ 9. Verschiedene Ausgabearten
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Belastung allein noch kein endgültiges Urteil über den volkswirtschaftlichen Wert oder Unwert einer Ausgabe begründen kann. b) Subventionierungsbedarf: Da es sich bei der hier vorgenommenen Gliederung nicht um die einzelne Gebietskörperschaft, sondern um die Staatsfinan:l.wirtschaft schlechthin handelt, ist unter dieser zweiten Bedarfsart nicht ein Zuschuß der einen Gebietskörperschaft an eine andere oder ein solcher im Verhältnis von Haupt· und Nebenfiskus zu verstehen, sondern eine zweckorientierte Zuwendung an private Finanz- oder an Erwerbswirtschaften. Häufig zahlt die staat· liche Finanzwirtschaft an eine private einen Zuschuß in Anerkennung des öffentlichen Interesses an deren Leistung, so namentlich bei Wohlfahrtsvereinen, privaten Anstalten auf dem Gebiete des Gesundheitswesens, der Volks- und Berufsbildung, der Wirtschaftspfl,ege usw. Damit werden alle diese Einrichtungen als eine Art verlängerter Arm der Staatsfinanzwirtschaft, ihre Ausgaben also als mittelbare staatsfinanzwirtschaftliche anerkannt. Der einschlägige Subventionsbedarf ist mithin bei einer volkswirtschaftlichen Wertung genau so weiter zu gliedern wie der Staatsfinanzbedarf selbst. Anders ist es bei einem solchen Subventionierungsbedarf, der Zuschuß für eine (private oder staatliche) Erwerbswirtschaft sein soll. Auch ein Zuschuß der Gebietskörperschaften an ihre eigenen Betriebe ist Subvention - einzelwirtschaftliche Kalkulationskorrektur. Subventionierungsbedarf der hier fraglichen Art ist also ein Mittel der Pro· duktionssteuerung, eine konjunktur- oder häufiger eine strukturpolitische Maßnahme, welche Art und Größe des Sozialprodukts und .nicht nur die Disposition über ein gegebenes Sozialprodukt betrifft. Er ist manchmal nicht aus den Zahlen des Haushaltsplanes oder der Rechnung ohne weiteres ersichtlich, weil er auch versteckt, ja vielleicht bevorzugt, so gewährt werden kann. So müssen in einer volkswirtschaftlichen Wertung etwa Ausgaben für Sacheinkäufe genau geprüft und gegebenenfalls möglichst nach materiellen Gegenwerten und Subventionen aufgeteilt werden. Für den volkswirtschaftlichen Charakter der hier fraglichen Ausgabeart ist es unerheblich, ob die Subvention unmittelbar an den Produzenten oder als eine Art Verbilligungszuschuß an den Abnehmer einer Ware oder Dienstleistung gegeben wird. Solche Zuschüsse an die Nachfragenden sind daher mittelbar stets auch Subventionsleistungen an die Anbietenden. Dennoch wird man sie im Hinblick darauf, wem jeweils allein oder in erster Linie vom Staate geholfen werden soll, den Produzenten oder den Konsumenten, zweckmäßigerweise im volkswirtschaftlichen System der Staatsausgaben nicht als ein und dasselbe behandeln. c) Volkswirtschaftlicher Ablieferungsbedarf: Hier verliert die Volkswirtschaft, was der Staat an Ausgaben tätigt, und zwar an eine fremde Volkswirtschaft. Diese erhält die Geld- oder Sachleistungen des eigenen Staates, ohne gleichzeitig oder überhaupt dafür eine
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II. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
Gegenleistung zu machen. Das Paradebeispiel sind Tribute, Reparationen u. dgl. Freilich gehören auch staatliche Schulddienstleistungen, welche ins Ausland gehen, dazu. Auch sie sind im Augenblick ihrer Leistung volkswirtschaftliche Ablieferungen. War die zu bedienen~e Auslandsanleihe entsprechend produktivitätsfördernd verwandt, so ist die folgende Ablieferung insofern leicht oder doch le~chter tragbar. Im anderen Falle würde sie üble volkswirtschaftliche Last sein- wenn auch meist wohl nicht annähernd eine solch' nachteilige wie Reparationszahlungen. Diese nehmen ja meist nicht nur gegenwertlos vom Sozialprodukt oder -vermögen, sondern wirken dazu noch weltwirtschaftlich destruktiv. d) Inländischer Versorgungsbedarf: Ausgaben, welche Zuwendung von Einkommen oder Vermögen an Privatpersonen bezwecken. Ob es sich um eine geldmäßige oder um eine naturale Versorgung handelt, ist für die volkswirtschaftliche grundsätzliche Wertung nebensächlich. Zum Versorgungsbedarf zählen Pensionszahlungen ebenso wie Familienbeihilfen, Wohlfahrts- und Armenunterstützungen. Der Rechtstitel des Bezugsberechtigten ist für die wirtschaftliche Natur dieser Staatsausgabe unwichtig, so bedeutsam er für ersteren und vor allem auch sozialsein mag. Natürlich werden Pensionszahlungen und Armenunterstützungen wenigstens bis zu einem gewissen Gerade verschieden von den Empfängern benützt. In beiden Fällen wird jedoch von seiten des Fiskus geleistet, ohne zur Zeit der Leistung eine Gegenleistung zu erhalten; hüben wie drüben geht es um einen Übertragungsbedarf. Wird einmal ausnahmsweise die Versorgung ins Ausland gezahlt, so ist insoweit ein volkswirtschaftlicher Ablieferungsbedarf gegeben. e) Finanzierungstechnischer Bedarf: Diese Ausgaben des Fiskus sind kein volkswirtschaftlicher Aufwand. Was für einen Borgzweck einst güter- und dienstleistungsmäßig in der heimischen Volkswirtschaft aufgebracht, von anderen Einzelwirtschaften vorgelegt war, wird diesen mit Zinsen, erstattet. Schulddienstleistungen, welche ins Ausland gehen, sind mehr als nur finanzierungstechnischer Bedarf; sie bewirken ein Versorgungsminus für die heimische Volkswirtschaft. Natürlich kann dieses Minus durch Auslandsanleihen, Einkommen aus dem Auslande u. dgl. kompensiert werden, aber das ändert nichts an der Natur des Ausgabepostens. Finanzierungstechnischer Bedarf ist mithin ebenso wie der inländische Versorgungs- ein typischer Übertragungsbedarf. In volkswirtschaftlicher Beziehung ist er im Kern weitgehend mit demjenigen finanzwirtschaftliehen Eigenbedarf gleich, welcher Nutzung von privatem Realvermögen ist. Von diesem unterscheidet er sich dadurch, daß hinter dem finanzierungstechnischen Bedarf vielfach keine gegenwärtige Nutzung von Realvermögensstücken mehr steckt.
§ 9. Verschiedene Ausgabearten
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f) Vermögensbildungsbedarf: Geldausgabeq zur Begründung von Einlagen oder sonstigen (echten) Darlehnsforderuilgen, zum Erwerb von ertragbringendem Real- oder W ertpapiervermögen. Das Ergebnis der gebietskörperschaftliehen Verausgabung ist hier also ein Finanz(im Gegensatz zum Verwaltungs-) Vermögen. Vermögensorientiert gesprochen werden die bezüglichen Beträge nicht "ausgegeben'\ sondern "angelegt". Werden Wertpapiere oder Grundstücke angekauft, so gehen die Entgelte an die Verkäufer. Diese werden sie aber wenigstens zum größten Teile nicht als Einkommen, sondern nur als eine andere Form ihres Vermögens ansehen und entsprechend verwenden. Die Bildung von staatsfinanzwirtschaftlichem Vermögen ist daher in der Regel auch Angebot von volkswirtschaftlichem Kapital - ob Mehrangebot oder nicht, hängt davon ab, welche Verwendung die fraglichen Gelder sonst gefunden hätten. Wo die namentlich aus Steuern oder Anleihen aufgekommenen Beträge zur Stillsetzung von Zahlungsmitteln führen, für eine Kontraktion des Geldumlaufs eingesetzt werden, fehlt eine (entsprechende) volkswirtschaftliche Kapitalbildung. Würden die abzuschöpfenden Beträge gar vollständig beseitigt (etwa durch Vernichtung von Papiergeld oder endgültigen Verzicht auf die Abhebung von Bankguthaben), so würde in einem solchen (wenig wahrscheinlichen) Falle auch kein einzelwirtschaftliches Kapital geschaffen. Eine Begründung von Verwaltungsvermögen kann nach dem zu a Gesagten nicht hierher zählen; diese wäre finanzwirtschaftlicher Eigenbedarf. Freilich ist die Grenze zwischen Verwaltungs- und Finanzvermögen in der Alltagswirklichkeit weniger leicht zu ziehen als in der grundsätzlichen Unterscheidung. Oft genug werden z. B. von Gemeinden vorsorglich Rentengrundstücke erworben, die nur möglicherweise später einmal für Verwaltungszwecke benützt werden sollen. Weiter werden häufiger aus Steuermitteln erhebliche Geldfonds gebildet, aus denen dann Darlehen zu wesentlich ermäßigten Zinsen, zinslos oder endlich gar mit der Aussicht auf einen gänzlichen oder teilweisen Erlaß der Kapitalschuld gewährt. Hier gehen Kapitalbildungs- und Subventionierungsbedarf ineinander. In einer dispositioneilen Übersicht würde das hier vertretene volkswirtschaftliche System der Staatsausgaben folgendermaßen aussehen: a) Finanzwirtschaftlicher .Eigenbedarf mit !X) Anspruch an das Sozialprodukt ß) Anspruch an die Substanz des Sozialvermögens /..) Anspruch an Auslandshilfe 15) Anspruch an die Nutzung des Sozialvermögens b) Subventionierungsbedarf !X) Finanzwirtschafts-Dotierung /~) Erwerbswirtschafts-Subventionierung
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II. Die staatsfinanzwirtschaftliehen Ausgaben
c) d) e) f)
Volkswirtschaftlicher Ablieferungsbedarf Inländischer Versorgungsbedarf Finanzierungstechnischer Bedarf Vermögensbildungsbedarf cx) zur Kapitalbildung ß) zur Geldabschöpfung (-sterilisierung). Wie beachtlich sich die artbedingte volkswirtschaftliche "Gewichtigkeit" der Staatsausgaben gelegentlich verschieben kann, zeigt die nachstehende Übersicht. In ihr wurde versucht, das eben gebrachte System der Staatsausgaben anzuwenden. In Vomhundert des Finanzbedarfs der deutschen Gebietskörperschaften entfielen auf die einzelnen Ausgabegruppen
Finanzwirtschaftlieber Eigenbedarf Subventionierungsbedarf (soweit offen ausgewiesen) ..... Volkswirtschaftlicher Ablieferungsbedarf Inländischer Versorgungsbedarf .... Finanzierungstechnischer Bedarf . Vermögensbildungsbedarf.•......... .
(
1913
1925
1927
1930
1932
66,5
61,0
56,8
52,6
55,0
3,0
4,4
3,9
7,2
6,8
0,0
7,5
9,5
9,4
1,2
4,3
17,8
15,8
18,2
26,3
10,7
1,7
4,9
6,6
8,2
11,5
7,6
9,1
6,0
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4. Die deutsche reichsamtliche Statistik hatte es sich derzeit ebenfalls angelegen sein lassen, die Ausgabestatistik auch volkswirtschaftlich orientiert zu glieden1 (Finanzen und Steuern im In- und Ausland. Berlin 1930. S. 547 ff.), und zwar "um Fehlurteilen vorzubeugen". Ihre Unterscheidungen knüpftim an die wissenschaftlichen Arbeiten der damaligen Zeit an. Sie sind zum grundsätzlichen Durchdenken und in ihrer Anwendung auf das Zahlenmaterial lehrreich genug, um hier wiedergegeben zu werden. Das StRA. unterschied zunächst: Finanzbedarf und Finanzbelastung. Letztere "differiert mit dem gesamten Finanzbedarf um die öffentlichen Einkommensverschiebungen: Schuldendienst nichtwerbender Anleihen, Subventionen, Kriegs-, Wohlfahrts- und Sozialrenten. Diese Beträge werden von der öffentlichen Wirtschaft nicht für ihre eigenen Zwecke beansprucht. Sie :fließen •.. zurück, der für die Zwecke der privaten Wirtschaft verfügbare Teil des Sozialprodukts erfährt zwar eine Verschiebung hinsichtlich der Empfänger, aber keine Schmälerung". Die "wertmäßige Färbung" dieses engeren Begriffs sei aber "nicht ganz zutreffend", denn es würden "der Privatwirtschaft in der Gesamtheit als Gegenwert die öffentlichen Verwaltungsleistungen zur Verfügung gestellt". Endgültige Einkommensminderung- der dritte bzw. vierte Begriff -liege nur da vor, "wo die öffentliche Einkommensbeanspruchung zum Zwecke der Übertragung ins Ausland ohne Gegenleistung erfolgt".
§ 10. Gebietskörperschaftliche Ausgaben als finanzwirtschaftspolitische Aufgabe 6 7 Diese wertungsbedachte amtliche Aufgliederung ist nur zum Teil gleich orientiert wie die hier unternommene in bezug auf die volkswirtschaftliche "Belastung im strengen Sinne". Die Herausstellung der "Einkommensverschiebungen", welche auch der Verf. dieser Einführung vor Jahren (1921) in einer Unterscheidung von "Verrechnungs- und Aufbringungs"-Lasten vornahm, ist letzten Endes doch wohl nur halb befriedigend. Wichtiger als die Einsatzstelle ist nämlich volkswirtschaftlich der Einsatzzweck, die Wirkung staatlicher Verausgabung auf die gesamte wirtschaftliche Disposition. Letztere wird durch die Gliederung des StRA. und die eigene frühere doch zu sehr in den Hintergrund gedrängt. Das zeigt nichts besser als das Beispiel staatlicher Subventionierung einzelner Unternehmen. Subventionen sind gewiß Einkommensverschiebungen, schmälern den Anteil "der" Privatwirtschaft am Sozialprod-g,kt nicht, haben aber doch gerade die Aufgabe, dieses selbst und die Struktur der ganzen Wirtschaft zu beeinflussen. Was im übrigen materiell zur Gliederung des Reichsamtes zu sagen ist, ergibt sieb hinreichend aus der Begründung des hier vorgeschlagenen Systems. Formell ist der Vorbehalt des Prädikats "Finanz· belastung" leicht irreführend; alle Steuern sind eine Finanzbelastung im Alltagssinne des Wortes, ganz gleich, wofür ihr Ertrag ausgegeben wird.
§10 Die gebietskörperschaftliehen Ausgaben als finanzwirtschaftspolitische Aufgabe
1. Vorsorge gegen eine unverantwortliche und eine sonstige unerwünschte Entwicklung des Finanzbedarfs. 2. Die Ausgaben als Rechenaufgabe. 3. Die Ausgaben als Wirtschaftsaufgabe
I. Ist die Finanzwirtschafts- weit mehr als nur Finanzierungspolitik, so beginnt sie schon im Stadium der ersten Erwägung jeder einzelnen Aufgabe. Daher gibt es in jeder gebietskörperschaftliehen Finanzwirtschaft eine Reihe mehr oder minder wirksamer Einrichtungen und Normen, welche vorbeugend die Verantwortlichkeit allen Finanzbedarfs sichern sollen. Sie sind teils auf die wesensmäßigen Eigentümlichkeiten aller gebietskörperschaftlichen, teils auf die politische, wirtschaftliche und organisatorische Verfassung der konkreten Finanzwirtschaft abgestimmt. Insgesamt handelt es sich um eine bunte Vielzahl, deren baldige umfassende vergleichende Darstellung erwünscht wäre. Die mannigfache ausgabepolitische Vorsorglichkeit ist im Grunde ein Mißtrauensausdruck sowohl gegenüber den einzelnen Verwaltungsstellen, wie auch gegenüber der ganzen Institution der Staatsfinanzwirtschaft. Das zeigt die konkrete Zielsetzung: Es soll vor allem erreicht werden, daß möglichst nirgendwo zu großzügig und zu einseitig unter einem sachfremden oder unter dem Gesichtswinkel der einzelnen Fachressorts, überall aber unter gleichmäßiger Be· achtung von Verwaltungsleistung und Finanzierungslasten die öffentlichen Mittel ausgegeben werden. Gegenüber dem Vorbeugen gegen ein gesamtes Zuviel tritt dasjenige gegen ein entsprechendes Zuwenig an Ausgaben im ganzen wesentlich zurück. Eine minimale Verwaltungsleistung und damit ein Minimum der bezüglichen finanzwirtschaftliehen Ausgaben auf bestimmten einzelnen Gebieten wird allerdings häufiger gefordert. Das ist namentlich da der Fall, wo überr,•
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geordnete Gebietskörperschaften oder Behörden bestimmte Leistungen sichern wollen. Die dabei beobachtete Form ist verschieden, mal ist es die einer Gesetzesbestimmung, mal diejenige einer Anordnung. Im Gegensatz zur Form ist hier entscheidend, daß die Vorschrift bestimmter Mindestausgaben auf diesem oder jenem Gebiete eine Verantwortlichkeit der einflußnehmenden Stelle für die Mittelbereitstellung mit sich bringt. Tatsächlich besteht denn auch häufig ein Junctim von angeordneter Ausgabeverpflichtung und zugewiesenen Geldern oder Einnahmequellen (etwa Zwecksteuero). Die schon einmal erwähnte und als problematisch erkannte Tatsache, daß in der gebietskörperschaftliehen Wirtschaft vermeintlich .,anderer Leute Geld" ausgegeben wird (vgl. § 7 Z. 3), braucht allein, keineswegs immer zur Verschwendung oder zu weniger streng geprüfter Verausgabung zu führen. Eine gewissenhafte Beamtenschaft kann durchaus das Gegenteil anstreben wollen, sie fühlt aber sicher im ganzen nicht minder auch die Verpßichtung in sich, im Interesse der ressortmäßigen Zielsetzung alles, was möglich ist, an Geldmitt!)ln anzufordern und auszunutzen. Dazu kommt, daß "die Freude an besonders guten technischen Leistungen, an schönen Bauten, Schulen u. dgl." (v. Dungern) manchmal sehr übertrieben wird. Ohne bremsende Vorsorge kommt es also aus verschiedenen Gründen leicht zu nichtverantwortlichen Ausgaben. Der große Apparat jeder modernen Staats- und Gemeindefinanzwirtschaft wirkt in der gleichen Richtung. Er unterstreicht die Notwendigkeit vorbeugender Maßnahmen und Einrichtungen. Er tut es auch mehr als in einer gleich großen Erwerbswirtschaft, weil deren Ausgaben immer wieder durch die Rentabilitätsrechnung kontrolliert und weithin auch reguliert werden. Die Vorkehrungen gegen eine nichtverantwortliche, insbesondere gegen eine übertrieben hohe staatsfinanzwirtschaftliche Verausgabung sind teils verfassungs-, teils verwaltungsmäßiger, teils endlich spezialgesetzlicher Art. So hat man z. B. in den Vereinigten Staaten sogar mit konstitutionellen Beschränkungen für die einzelstaatliche und lokale Steuererhebung sowie Anleiheaufnahme vorzusorgen versucht. Der Erfolg dieser Maßnahme war aber erklärlicherweise nicht ermutigend. "These mechanical devices ... often fail to prevent extravagance and waste. They are too rigid and in frequent cases are evaded or else prevent socially desirable expenditures." Die bekannteste und bedeutendste verfassungspolitische Einflußnahme auf die gebietskörperschaftliche Verausgabung ist das Etatsbewilligungsrecht der Volksvertretung. Gelegentlich besitzt diese in einem unabhängigen Generalkontrolleur einen Anwalt, welcher die Verwaltung auf ihre Sparsamkeit und sonstige Wirtschaftlichkeit kontrollieren soll. Ein solcher besteht z. B. in denVereinigten Staaten. Als der Präsident die Einrichtung vor einigen Jahren abschaffen wollte, weil sie ihm
§ 10. Gebietskörperschaftliche Ausgaben als finanzwirtschaftspolitische Aufgabe 69
wiederholt Schwierigkeiten in seiner Ausgabepolitik machte, drang er damit (nach Haensel) nicht durch. Es war die staatliche Finanzierung durch Steuern, welche die parlamentarisch-demokratische Verfassung wesentlich begründete und festigte. Freilich war das Parlament ursprünglich weit mehr bremsende Institution als später. Gerade in seinen Anfängen, als es noch meist gesetzlich mit-, aber nicht allein entscheidende Instanz war, nicht selten auch noch lange nachher, bewirkte es wohl mehr eine zu geringe als eine zu hohe Verausgabung. Dagegen war es schließlich häufig übertreibende Kraft. Insbesondere Finanzminister des Reiches beklagten wiederholt "die Umkehrung des natürlichen Verhältnisses" insbesondere die "Bewilligungsfreudigkeit des Reichstages". Die Ursache dieser Umkehrung waren nach Neumark (Der Reichshaushaltsplan. 1929, S. 108) "nicht allein die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der Egoismus der Parlamentsmitglieder", sondern in vielen Fällen das taktische V er· halten der Regierung, nicht zuletzt die Scheu der Finanzminister der deutschen Republik, das Druckmittel der Rücktrittsdrohung so zu benutzen, wie es anderswo zur gleichen Zeit geschah. Nicht mit Unrecht wurde derzeit vermerkt: Man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es nicht Schuld der Gesetze, Verordnungen und Kabinettsbeschlüsse gewesen sei, "wenn die Finanzminister ... die Sparsam.k eit der Verwaltung nicht oder nicht genügend durchgeführt haben" (Trumpler). Bei emer derartigen Sachlage ist schließlich auch ein mehr auf gutachtliche Tätigkeit beschränkter Sparkommissar keine wesentliche Abhilfe - es sei denn, daß er von der Regierung geschickt und entschieden als Vorspann benutzt werden kann und auch wird. Ende 1922 wurde der Präsident des Rechnungshofes für das Deutsche Reich für dieses als solcher Sparkommissar eingesetzt. Ende 1933 wurden die Aufgaben des Reichssparkommissars dann auf die Präsidialabteilung des Rechnungshofes übertragen - eine mehr formell als irgendwie materiell bedeutsame Maßnahme. Sie wird als solche dadurch bestätigt, daß der damalige Kommissar "das Wesen und den Inhalt dieser Bezeichnung, als eine frei übernommene Aufgabe, kein Nebenamt" bezeichnete und das Auftragsverhältnis als Ausdruck eines besonderen Vertrauens zum Präsidenten des Rechnungshofes betrachtete. Weiche Staatsl"echtsverfassung auch immer herrschen mag, stetE hat der Leiter del:" gebietskörpel"schaftlichen Finanzwirtschaft, im Staate also in der Regel der Finanzministel", "der das ökonomische Gewissen des Staates zu vertreten hat" (Sartorius von Waltershausen), die große Aufgabe und die Möglichkeit, entscheidend bei der Ausgabegestaltung mitzusprechen. Seine etatspolitische Position kann er sich nur dadurch auf die Dauer wirklich sichern, daß er alle Geldanforderungen gleich strenge prüft und behandelt. Die verausgebenden Verwaltungsstellen fordern durchweg aus dem Gesichts-
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winkel des besonderen Faches oder Ressorts Mittel an. Sie gehen gerne aus, was sie irgend können - überzeugt von der Wichtigkeit ihrer eigenen Arbeit, vielleicht auch gelegentlich darauf bedacht, bei der Zuweisung von Mitteln im Verhältnis zu anderen Verwaltungszweigen nur nicht zu kurz zu kommen. Hier muß im Staate die Gesamtregierung und in ihr tatsächlich der Finanzminister für ein SichBescheiden sorgen. Das ist in gesetzlichen Bestimmungen auch vielfach anerkannt, insbesondere durch Festigung seiner Stellung bei der Beschlußfassung der Gesamtregierung über den Haushaltsplan, gelegentlich - wie derzeit im Reiche - in einer Abweichung von der Verfassung, wie Schulze und Wagner im Kommentar zu § 21 der Reichshaushaltsordnung feststellten. Die Höhe der gebietskörperschaftliehen Ausgaben wird mittelbar wesentlich durch alle der Ausgabenkontrolle dienenden Einrichtungen heein:ßußt. Namentlich die letzte mehr und mehr verwaltungsunabhängig gestellte Prüfungsstelle kann höchst bedeutsam wirken, etwa - wie es dem Rechnungshof für das Deutsche Reich derzeit vorgeschrieben war - bei der Feststellung, "ob nicht Einrichtungen unterhalten, Stellen aufrechterhalten oder in sonstiger Weise Reichsmittel verausgabt worden sind, die ohne Gefährdung des Verwaltungszwecks hätten eingeschränkt oder erspart werden können" (§96 RHO). Für das Maß ihres Einflusses ist die möglichste Verwaltungsunabhängigkeit sicher sehr wichtig, noch bedeutsamer aber ist die Achtung, welche man der obersten Rechnungsbehörde auf Grund ihrer Arbeit entgegenbringt. Gerade diese Behörde schafft wesentlich mit den Regierungen überdauernden - wirtschaftlichen "Geist", welcher im Bereiche der von ihr zu prüfenden Gebietskörperschaft herrscht. Außer den üblichen allgemeinen Rechnungskontrollstellen gibt es oft noch besondere Verwaltungseinrichtungen zur Sicherung einer rationellen V erausgahung. In England und Frankreich soll sich eine Durchsetzung des "Exekutivpersonals" mit einem disziplinarisch nur der Verwaltungsspitze unterstellten "Finanzpersonal" sehr hewährt haben. Die Aufgabe dieses ständig delegierten Finanzpersonals ist es nach Hilton Young, "to enforce economy", und zwar durch laufende Aufsicht und Beratung des V erwaltungspersonals, notfalls durch besonderen Bericht an die V erwaltungsspitze. Im Falle der Wehrverwaltungen ist nach derselben (bei Meister, Das deutsche und englische Budget. 1933 S. 131 f. zitierten) Quelle "the independant financial side within the office the hest and only guarantee of a rigid economy in details, as it is in details that money is wasted". In der italienischen Staatsverwaltung gibt es seit langem in allen Abteilungen vom Schatzamt ernannte Beamte, welche alle Ausgabeanweisungen vorzuprüfen und zu visieren haben. Mag darin auch in erster Linie die vorgängige als teilweiser Ersatz der nachgängigen Rechnungsprüfung beabsichtigt sein, so wirkt sie sich doch gerade auch ausgabe-
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wirtschaftlich prompt und daher auch eindringlicher aus. In Anlehnung an eine in Frankreich getroffene gesetzliche Regelung wurde dem Reichsfinanzminister 1923 durch Kabinettsbeschluß das Recht eingeräumt, zeitweise Beauftragte in die einzelnen Ministerien abzuordnen. Diesen Beauftragten waren auf ihr Verlangen von den Etats· referenten alle von ihnen für erforderlich gehaltenen Auskünfte zu geben (vgl. Schulze u. Wagner, Kommentar zu§ 26 RHO). Offenbar handelte es sich bei dieser Maßnahme im Grunde nur um eine ernste Verwirklichung der unerläßlichen Einsichtnahme in die gesamte Wirtschaftsgebarung der Reichsverwaltung, wie sie schließlich für jede gründliche Etatsvorberatung möglich und notwendig ist, kaum um mehr, aber freilich auch nicht um weniger. Zu den Normen verschiedenster Art, welche einer unerwünschten Ausgabehöhe entgegenwirken sollen, zählt in erster Linie die allge· meine Vorschrift, alle Haushaltsmittel wirtschaftlich und sparsam zu verwalten, sie bei den einzelnen Zweckbestimmungen nur so weit in Anspruch zu nehmen, als es zur wirtschaftlichen und sparsamen Führung der Verwaltung nötig ist(§ 26 Abs. I der RHO). Die Wirksamkeit einer solchen gesetzlichen Bestimmung ist freilich nur durch eine fachkundige und strenge Kontrolle zu erreichen. Auch eine Reihe ausgabepolitischer Einzelvorschriften soll eine voll verantwortliche Verausgahung durch die Verwaltungsstellen besorgen. Hierher ge· hört beispielsweise das grundsätzliche Gebot des Einkaufs auf Grund einer öffentlichen Ausschreibung, ein Gebot, durch welches " die finanziellen Interessen des Staates so weitgehend wie irgend möglich und ohne Einfluß etwaiger persönlicher Momente gewahrt werden" sollen, wie es in seiner Begründung heißt. Eine Abweichung wird nur erlaubt, wenn die Natur des Geschäftes oder besondere Umstände es rechtfertigen. Es findet eine natürliche Ergänzung in einem Verhot von Verdingungskartellen. Wichtig ist auch die Bindung der persönlichen Ausgaben durch Gehaltsordnungen, Tarife und dgl. sowie durch Stellenpläne. Gewiß schaffen erstere ein zuweilen teureres und manchmal recht hinderliches Schema, aber im ganzen überwiegen die Vorteile doch wesentlich. Bei den ebenfalls der jährlichen Haushaltsverhandlung entzogenen, für längere Dauer berechneten Stellen· plänen kam es nicht minder darauf an, "der Partei- und Vettern· politikwesentliche Mittel der Betätigung aus der Hand zu nehmen" (Jessen). Eigenartig war eine 1930 im Reiche versuchte gesetzliche Ausgaben· begrenzung: Der damals geschaffene sogenannte Ausgabenplafond he· stimmte, daß die Ausgaben der Jahre 1932 und 1933 nicht höher sein durften als die des Jahres 1931. Man wollte sich also in Form eines Gesetzes (das wieder aufgehoben oder geändert werden konnte) für kurze Zeit ausgabepolitisch festlegen. Die Maßnahme - so hieß es in
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einer amtlichen Verlautbarung Anfang 1932 - "fand damals besondere Beachtung, auch in der Öffentlichkeit, weil man glaubte, daß hierdurch die steigende Tendenz der öffentlichen Ausgaben unterbunden werden könnte". Ebendort wurde auch festgestellt, daß sich die Maßnahme aber "nach kurzer Zeit als in großem Umfange durch die Entwicklung der Haushaltslage als überholt erwies", weil inzwischen keine öffentliche Verwaltung mehr daran denken konnte, noch Summen auszugeben, die zur Zeit der Dekretierung des Ausgabeplafonds noch als durchaus tragbar galten. Eine wirkliche Probe auf das Exempel dieser Vorsorgemaßnahme fand also nicht einmal statt. Daß schließlich "von oben" kommende Mahnungen zur Sparsamkeit im umfangreichen und hier nicht vollständig wiedergegebenen Register der Rezepte nicht fehlen, kann nicht üperraschen. Ihre Wirksamkeit wird allerdings durch eine jährliche, bei jeder Gelegenheit vorgenommene und stets gleich dringlich formulierte Wiederholung doch wohl beeinträchtigt. Die Meinungen darüber gehen jedoch erheblich auseinander, wie nicht zuletzt die Tatsache der jährlichen Wiederholung zeigt. Auch mit einnahmepolitischen Mitteln kann ein unerwünschtes Anwachsen der öffentlichen Ausgaben bekämpft werden. Einst war namentlich in Frankreich - die Kontingentierung von Steuern ein solches. Die bis heute, wenn auch als Ausnahme von der Regel, ge· bliebenen Zwecksteuern wirken als Begrenzung der aus ihrem Aufkommen zu bestreitenden Ausgabe- freilich unter Umständen auch als unter- oder überdurchschnittliche finanzielle Versorgung. Ein· nahmebeschränkungen aller Art kommen namentlich auf dem Gebiete des sogenannten Finanzausgleichs, also der Regelung des Nebenein· ander verschiedenartiger Finanzwirtschaften im Interesse der Ein· heitlichkeit des Ganzen, vor. Durch Zuweisung oder Vorenthaltung von Steuern, durch allgemeine Finanz- oder durch Zweckzuweisungen, durch Genehmigung von Tarifen für Verwaltungs- oder Betriebsleistungen kann insbesondere der Staat die Ausgabemöglichkeiten der Gemeinden wesentlich beeinflussen und tut es auch. Auch ein Zwang zur Rücklagebildung ist eine Ausgabebeschränkung, mag vielleicht auch der Hauptzweck Sicherung der gesamten Finanzlage sein. Ähnliches gilt von Schuldtilgungsbestimmungen. Vielleicht die wichtigste mittelbare d. h. über eine Einnahmebeschränkung gehende Einengung der öffentlichen Ausgaben liegt aber in der Erschwerung des Schuldenmachens. Wenn man glaubt, sich in der Gegenwart "auf Kosten der Zukunft" und zur Förderung dieser etwas leisten zu können, gibt man seitens der Gebietskörperschaften im allgemeinen schon ungleich leichter mit vollen Händen aus, als wenn man für sofortige Steuerdeckung der Ausgaben zu sorgen hat. Trotz im wesentlichen gleicher Grundsätze ist die Krediterschwernis tatsächlich im allgemeinen bei den Gemeinden wirksamer als beim Staate.
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Die mancherlei unmittelbaren und mittelbaren Ausgabebeschränkungen dürfen nicht darüber hinwegsehen lassen, daß die wichtigste Vorsorge gegen unerwünBchte und unnötige staatsfinanzwirtschaftliche Ausgaben auf dem Gebiete der allgemein.en und der Wirtschaftspolitik liegen muß. Gerade die Erfahrungen seit dem ersten Weltkriege haben das jedermann eindringlich gezeigt. Durch die staatliche Wirtschaftspolitik und durch die organisatorische Ausgestaltung der gellamten nationalen Finanzwirtschaft kann im übrigen stets auch unmittelbar viel an öffentlichen Ausgaben gespart oder vertan werden. Zentrale oder dezentrale, Staats- oder Selbstverwaltung, unübersichtlicher, verschachtelter oder klarer Aufbau der gesamten öffentlichen Wirtschaft - ob diese und ähnliche Fragen so oder so entschieden werden, ist für die Höhe der Staatsausgaben unmittelbar sehr wichtig. Was schließlich die wirtschaftspolitische Vorsorge anlangt, so macht sich die staatliche Preis-, Lohn- und Zinspolitik unmittelbar in den öffentlichen Ausgaben bemerkbar. Schon in Friedenszeiten ist es wichtig, zur rechten Zeit einzukaufen, zu bauen usw. Im Kriege aber ist eine richtig orientierte und wirksame Kontrolle der vom Staat zu zahlenden Preise von fundamentaler Bedeutung. Mit Recht ist im letzten Kriege der auch für die staatlichen Friedensausgaben noch beherzigenswerte Satz aufgestellt, daß "ersparte Milliardenbeträge, die der Finanzminister auf Grund niedriger Preise nicht auszugeben braucht, schwerer wiegen als nachträglich herangeholte Steuern ..." Wird freilich eine nur oder in erster Linie fiskalisch orientierte Wirtschaftspolitik getrieben, so können gerade auch für den Fiskus "die letzten Dinge ärger als die ersten" sein. 2. Da es auch in der Staatsfinanzwirtschaft kein Wirtschaften ohne Rechnen gibt, stellen die Ausgaben entsprechende Aufgaben. Dabei geht es um zwei Ziele: eine Zuschußberechnung und eine Wirtschaftlichkeitsrechnung. Der Charakter der gebietskörperschaftliehen Finanzwirtschaft als Zuschußwirtschaft erfordert eine Vorausberechnung der Ausgaben zwecks Ermittlung des erforderlichen Wieviel an Geldmitteln und auch des Wie der Finanzierung. Ein solches Berechnen stößt auf mancherlei Unübersehbarkeiten. In gewissem Umfange treten im Verlaufe des Wirtschaftsjahres immer wieder Ausgabenotwendigkeiten ein, an die man vorher weder gedacht hat noch denken konnte. Das gilt auch dann, wenn keine Natur· oder politischen Katastrophen eintreten. Ungleich bedeutsamer als diese sind im allgemeinen di.e Schwierigkeiten einer Vorausberechnung der Kosten mancher solcher Ausgabeverpßichtungen, deren Eintritt bei Aufstellung des Haushaltsplanes durchaus übersehbar ist. Im einen wie im anderen Falle muß vorgesorgt werden. Der Unübersehbarkeit des Anfalls einer Ausgabe kann man bei der Planung in gewissem Umfange durch Bereitstellen
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von Dispositionsmitteln oder auch durch ein Rechnen mit Ausgaben für "Unvorhergesehenes" u. ä. begegnen. Bei ungewöhnlich großen Summen ist dieses Aushilfsmittel aber weder zweckmäßig noch über· haupt anwendbar. Hier muß man es auf eine Außerplanmäßigk,eit der Verausgabung ankommen lassen, damit gegebenenfalls auf eine stärkstens oder ganz aus Schuldenaufnahme zu finanzierende Ausgabe. Das Wieviel der Berechnung des erforderlichen Geldbetrags macht manchmal wenig, in anderen Fällen aber mehr oder minder große Schwierigkeiten. Gesetzlich oder vertraglich festliegende Schulddienstleistungen z. B. oder persönliche Ausgaben, welche nach Maßgabe von Stellenplänen und Gehaltsordnungen anfallen, bieten keine Möglichkeiten erheblicher Fehlschätzungen. Bei anderen Ausgaben, insbesondere bei manchem Sachbedarf, kennt man ungefähr oder ge· nau die notwendigen Quantitäten, weiß aber nicht, wie hoch die Be· schaffungskosten sein werden. Auch mit diesen Ungewißheiten muß man fertig werden, und zwar nicht nur bei der Planung, sondern auch bei der Durchführung der Aufgaben. Bei der Planung geschieht das vor allem durch eine "vorsichtige" Veranschlagung, welche lieber etwas zuviel als zuwenig als erforderliche Geldausgabe vorsieht. Bei der Ausführung des Voranschlags aber muß - soweit Einsparungen nicht möglich oder hinreichend sind - eine Überplanmäßigkeit in Kauf genommen werden. Diese ist dann mangels eines laufenden Einnahmeüherschusses aus Betriebsmitteln, Rücklagen und notfalls durch Kreditaufnahme zu finanzieren. In bestimmten Fällen können auch "Haushaltsvorgriffe" helfen (vgl. § 36 Z. 4). Mit einem bloßen Berechnen oder Schätzen der voraussichtlichen Geldausgaben während einer bestimmten kommenden Periode ist es allein nicht getan. Auch in der Finanzwirtschaft hängen wirklicher Überblick und gute Wirtschaftsführung wesentlich von einem Qualifizieren der einzelnen Ausgabeposten ab. Die simple Addition genügt nur für eine lediglich kassenmäßige Planung. Wirtschaften ist aber mehr als Sicherung einer Kassenbereitschaft. Ausgaben für laufende Gehaltszahlungen z. B. müssen in einer wirtschaftlichen Wertung offenbar anders wiegen als solche für den Bau eines vielleicht viele Jahrzehnte benutzbaren Verwaltungsbaues. Die Unterschiede in Wiederkehr oder Nutzungszeit der beiden hier nur beispielsweise ge· brachten Ausgabearten sind so wesentlich, daß sie in den grundlegen· den Rechenwerken der Staatsfinanzwirtschaft, dem Voranschlag und der Rechnung, nicht ohne großen Nachteil übergangen werden kön· nen. Die Praxis der deutschen Staatsfinanzwirtschaft unterscheidet daher wenigstens grundsätzlich zwischen ordentlichen und außer· ordentlichen Ausgaben, innerhalb der ordentlichen vielleicht noch zwischen fortdauernden und einmaligen. Auf die Problematik und die Handhabung dieser Unterscheidungen wird in der Lehre vom Vor·
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anschlag (Haushaltsplan) noch zurückzukommen sein (vgl. § 36 Z. 2). Hier war die aus der Qualität der Ausgaben folgende wirtschaftliche Unterscheidung nur als konkrete Aufgabe der finanzwirtschaftliehen Praxis zu registrieren. Es braucht ehenfalls nur am Rande vermerkt zu werden, daß die Ausgaben sowohl in der kassen-wie in der kontenmäßigen Verrechnung verbucht werden müssen. Als Material für eine Wirtschaftlichkeitskontrolle sind die Ausgaben stets Gegenstand des Rechnens. Die Aufwandskontrolle geschieht freilich tatsächlich meist nebenher - und daher vielfach noch unzureichend. Auf sie ist die buchmäßige Erfassung, wenn überhaupt, erst in zweiter Linie eingestellt, insbesondere bei der "Gliederung" des Haushaltsplans. Die in der erwerbswirtschaftlichen Kostenkontrolle grundsätzlich stets gemachte Unterscheidung zwischen Ausgaben und Aufwand (ganz gleich, in welchem Zeitpunkt er eine Kassenausgabe war) ist für ein richtiges Rechnen aber auch in der Finanzwirtschaft unerläßlich. 3. Die Ausgaben sind formell zweimal Gegenstand des gebietskörperschaftlichen Wirtschaftens, zunächst bei der Planung, namentlich bei der jährlichen, und dann bei ihrer Tätigung. Tatsächlich hängt beides eng miteinander zusammen - und zwar derart, daß die Wirtschaftlichkeit eine gewisse Gefahr läuft und nicht einfach zu sichern ist. Das Zahlenmaterial für die Veranschlagung der Ausgaben liefern in der Regel diejenigen Stellen, welchen die Verausgahung zufällt. Es liegt nahe, daß diese ihre Bedarfsmeldungen lieber zu reichlich als zu knapp vornehmen. Diese Tendenz ist allen überprüfenden Stellen bekannt. Aber damit ist die Wirtschaftlichkeit in der Planung noch nicht gesichert. Das ist höchstens dann der Fall, wenn eine sachkundige Prüfung der Anmeldungen unter Heranziehung genügender Vergleichszahlen erfolgt. Selbst in diesem Falle kann nur auf den Durchschnitt hin kontrolliert werden. Fehlt es jedoch an der entsprechenden Prüfung, so wird entweder zuviel bewilligt oder schematisch gestrichen. Das heißt aber Unwirtschaftlichkeit. Bei alledem ist zu berücksichtigen, daß jeder Verwaltungszweig bis zu seiner Spitze viel wirken und zu diesem Zwecke gern auch viel ausgehen möchte. Er geht sicher nicht selten an die Ausgabeplanung in der Einstellung heran, der Finanzminister oder der Kämmerer- vom Parlament nicht zu reden - könnte ja bei einem Zuviel der Anforderung ein Nein sagen und täte es schon auch. In der Tat wird von diesen Stellen in der Regel "gedrückt", Mehranforderungen sind bei ihnen erst durchzusetzen. Manche Ausgabewünsche müssen mehr als einmal zurückgestellt werden. Bei dieser Sachlage ist es zu verstehen, daß die Entwürfe aller jährlichen Ausgabevoranschläge von den maßgehenden Stellen in erster Linie daraufhin geprüft werden, ob und gegebenenfalls mit welcher Berechtigung Mehranforderungen gestellt werden -
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und daß jede Verwaltungsstelle festhält, was sie kann, und nur ausnahmsweise mal etwas ,.zurückgibt". So kann nur durch eine ständige und verständige, alle Verwaltungszweige umfassende Kontrolle ein Höchstmaß an Wirtschaftlichkeit erzielt werden. Die Tätigung der Ausgaben, die zweite Gelegenheit zu guter oder schlechter Ausgabepolitik, erfolgt "im Rahmen" des Haushaltsplanes bzw. der zur Verfügung gestellten Geldmittel. Das heißt aber leicht, daß von den einmal zur Verfügung gestellten Mitteln in jedem Falle nicht viel übrig bleibt, mag auch nur eine Berechtigung und nicht eine Verpflichtung zur Ausgabe vorliegen. Schon weil Mehrforderungen nicht leicht durchzusetzen sind, aber auch weil jede Verwaltung immer noch genügend unbefriedigte Ausgabewünsche hat, vielleicht auch, weil Nachfragen wegen zu hoher Anmeldungen zum Voranschlag gefürchtet werden - gibt wenigstens die durchschnittliche Ausgabestelle aus, was sie nur kann. Was der Etat ermöglicht, ist öfter und mehr gefragt, als was wirtschaftlich ist. Daher muß es die besondere Aufgabe der Finanzwirtschaftsleitung sein, ständig die Wirtschaftlichkeit aller Verausgabung zu überwachen. Daß mehr oder minder Einrichtungen und Normen dafür da sind, ist schon im vorigen Abschnitt gesagt, insbesondere, daß den dispositionsberechtigten Stellen allgemein eine "sparsame und wirtschaftliche'' Verwaltung gesetzlich zur Pflicht gemacht ist. Letztere gehört schon - wie es in der Begründung des § 26 der Reichshaushaltsordnung hieß - zu den "Grundregeln einer sachgemäßen Wirtschaft mit öffentlichen Geldern". Freilich wird die Auflage nicht überall gleich verstanden. Selbst die tüchtigsten Verwaltungsspezialisten sind keineswegs stets auch gute Wirtschafter. Vielleicht können sie es in manchem ohne ständige entsprechende Unterrichtung nicht einmal sein, denn schließlich ist die Wirtschaftlichkeit einer bestimmten Ausgabe nicht nur aus dem Rahmen des einzelnen Verwaltungszweiges zu beurteilen. Besser als bezüglich des Ob der Wirtschaftlichkeit einer bestimmten Verausgabung sind die Aussichten bezüglich des Wofür, und zwar unter dem Gesichtswinkel der bei der Geldausgabe erhaltenen Gegenleistung. Das gilt freilich nur unter der selbstverständlichen Voraussetzung einer absoluten Unbestechlichkeit, einer Vertrautheit der einkaufenden Stellen mit den "Marktverhältnissen" sowie endlich einer Mindestgeschicklichkeit der Einkäufer. Die "qualifizierte Sparsamkeit" bei der Ausführung des Ausgabeplanes ist wenigstens dann einigermaßen bedroht, wenn aus irgendeinem Grunde nicht gemäß dem Voranschlag oder wenn nur in Teilquoten desselben ausgegeben werden darf. Muß im Laufe des Haushaltsjahres von den vorgesehenen Ausgabeheträgen gestrichen werden, etwa weil eine finanzielle Notlage eintritt, so wird in der Regel und erklärlicherweise gern zunächst h