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German Pages 272 [274] Year 2018
Thomas Römer
Die Erfindung Gottes Eine Reise zu den Quellen des Monotheismus Vom Autor selbst bearbeitete und aktualisierte deutsche Ausgabe Aus dem Französischen übersetzt von Annette Jucknat
Titel der Originalausgabe: L’invention de Dieu, © 2014 und 2017 Éditions du Seuil Dieses Buch erscheint im Rahmen des Förderprogramms des Institut Français. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Academic ist ein Imprint der wbg. © 2018 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Susanne Fischer, Darmstadt Satz: primustype Hurler GmbH, Notzingen Umschlaggestaltung: Harald Braun, Helmstedt Umschlagabbildung: Unter Verwendung einer Abbildung von Fabian Pfitzmann Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27046-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-534-74393-3 eBook (Epub): ISBN 978-3-534-74394-0
Inhaltsverzeichnis Vorwort................................................................................ Vorbemerkung der Übersetzerin. ................................................. Abkürzungen der biblischen Bücher. ............................................. Transkriptionstabellen Hebräisch-Deutsch. ..................................... Verzeichnis der Karten und Abbildungen........................................ Nachweis der Karten und Abbildungen. .........................................
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Einleitung............................................................................ Die Hebräische Bibel: ein kurzer Überblick...................................... Terminologische Präzisierungen................................................... Von den Anfängen Israels bis zur hellenistischen Zeit......................... Untersuchungsgegenstand und Fragestellung...................................
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1. Der Gott Israels und sein Name.......................................... Das Rätsel des göttlichen Namens................................................. Jhwh, Jhw, Jh. ......................................................................... Jahwe oder Jahû/Jahô: Wie hat man den Namen des Gottes Israels ausgesprochen?....................................................................... Was bedeutet der Name Jahô/Jahwe?. ............................................
38 38 41
2. Die geographische Herkunft Jhwhs. .................................... Ebla (Tell Mardikh). ................................................................. Ugarit................................................................................... Mari. ................................................................................... Zwischen Ägypten und Seir. ....................................................... Die biblischen Belege für eine Herkunft Jhwhs aus dem Süden . ............ Die Theophanie von Richter 5,4–5 im Gesamtzusammenhang des Deboralieds............................................................................ Die Herkunft Jhwhs nach Richter 5 und Psalm 68.............................. Jhwhs Eigenschaften in Richter 5 und Psalm 68................................ Jhwh und Seth........................................................................
49 49 50 51 52 53
57 58 61 62
3. Mose und die Midianiter. ................................................... Eine mosaische Erzählung. ......................................................... Wer waren die Midianiter?......................................................... Midian und die Midianiter in der Bibel. ......................................... Die negativen Texte................................................................
65 65 67 71 72
43 46
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Inhaltsverzeichnis
Die positiven oder neutralen Texte............................................... Die Ankunft des Mose in Midian................................................ Der Priester von Midian, der mehrere Namen hat............................. Der Jhwh-Kult wird von einem midianitischen Priester begründet......... Die Midianiter- bzw. Keniter-Hypothese......................................... Jhwh, Israel und Edom. .............................................................
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4. Wie wird Jhwh der Gott Israels?. ......................................... Die Begegnung zwischen Jhwh und „Israel“ – G edächtnisspuren. .......... Der Name Israel...................................................................... Die Merenptah-Stele................................................................. Die Identität des Israel der Merenptah-Stele..................................... Die Gottheit El im Buch Genesis und in der Hebräischen Bibel. ............ El Eljon (Gen 14,18–22)........................................................... El Roi................................................................................ El Olam.............................................................................. El Schaddai.......................................................................... Wie kann man sich die Einführung Jhwhs in „Israel“ vorstellen?............
84 84 85 86 89 91 92 93 94 94 96
5. Der Einzug Jhwhs in Jerusalem. .......................................... Jhwh in Schilo......................................................................... Jhwh, der Gott Sauls und Davids. ................................................. Jhwh und die Lade................................................................... Was war in der Lade Jhwhs?........................................................ David und Jerusalem................................................................ Jhwh in Jerusalem – ohne Tempel?................................................ Die Erbauung des Tempels durch Salomo........................................ Ein Tempel für Jhwh?. . ..............................................................
100 100 102 104 106 107 109 109 112
6. D er Jhwh-Kult in Israel...................................................... Jhwh, der Gott des Exodus.. ........................................................ Jhwh und Israel auf der Mescha-Stele............................................. Die Heiligtümer und Gottheiten Israels. ......................................... Jhwh und Baal in Israel.............................................................. Jhwh-Bilder in Israel.................................................................
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7. D er Jhwh-Kult in Juda....................................................... Verschiedene Jhwh-Heiligtümer in Juda. ........................................ Der Aufstieg Jhwhs in Jerusalem. ................................................. El und Jhwh in Jerusalem........................................................... Solare Züge Jhwhs in Jerusalem....................................................
140 140 142 143 144
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Inhaltsverzeichnis
Die „Zionstheologie“. ............................................................... Jhwh, der „Kerubimthroner“. ...................................................... Jhwh Ṣĕḇāʾôt. ......................................................................... Jhwh als König. ....................................................................... Der davidische König als Mittler des Königs Jhwh............................. Jhwh Melek und Molek.............................................................. Jhwh und der Tod. ...................................................................
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8. D ie Statue Jhwhs in Juda. .................................................. Stein-Stelen: Spuren eines bildlosen Kultes?..................................... Die Darstellungen Jhwhs............................................................ „Du sollst kein Bildnis machen“ ................................................... Eine Polemik gegen die Idole...................................................... Die Vision des Propheten Jesaja.................................................. Der Thron Jhwhs................................................................... Das Ersetzen der Statue durch den Leuchter. .................................. Das Antlitz Jhwhs. ................................................................. Die Zerstörung des Tempels und Jhwhs Wegzug. .............................. Rückkehr oder Verschwinden der Jhwh-Statue in persischer Zeit?..........
157 157 160 162 162 165 167 169 170 173 175
9. J hwh und seine Aschera. ................................................... Aschera in der Levante und im Alten Orient. ................................... Aschera in der Hebräischen Bibel. ................................................ Die Inschriften von Kuntillet Adschrud und Khirbet el-Kom................ Darstellungen des Paares Jhwh und Aschera?................................... Weibliche Figurinen in Juda........................................................ Die Aschera-Verehrung nach den biblischen Texten........................... Die „Himmelskönigin“.............................................................. Statue und heiliger Pfahl............................................................
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10. D er Fall Samarias und der Aufstieg Judas........................... Das Ende des Königreichs Israel. .................................................. Die Situation in Juda nach 722 v.u.Z. und die Herrschaft des Königs Hiskija.................................................................................. Die Außenpolitik Hiskijas.......................................................... Die Reformen Hiskijas. ............................................................. Die Verehrung Jhwhs in der Regierungszeit von Manasse. ...................
189 189 196 200 205 206
8
Inhaltsverzeichnis
11. D ie Reformen des Königs Joschija. .................................... Die Herrschaft Joschijas. ............................................................ Der König als Wiedererbauer des Heiligtums und das gefundene Buch. ... Archäologische Beweise?............................................................ Glyptik und Epigraphik. ............................................................ Die Hinweise in der Erzählung 2Könige 23...................................... Die Frage der Kultprostitution. .................................................... Die Abschaffung der Göttin........................................................ Reformkönige. . ....................................................................... Ein historisches Argument für die Historizität der Reform Joschijas........ Das Deuteronomium und die Reform Joschijas................................. „Jhwh ist einer“ und die assyrischen Vasallenverträge......................... Die Zentralisationsideologie........................................................ Die Erzählung von der Landnahme und die erste Mosegeschichte. ......... Das Ende Joschijas und seiner Reform. .......................................... 12. Von dem einen Gott zu dem einzigen Gott. Die Ursprünge des biblischen Monotheismus in persischer Zeit....................... Vom Tod Joschijas bis zur Zerstörung Jerusalems.............................. Ideologische Krise und Krisenliteratur........................................... „Das deuteronomistische Geschichtswerk“: Der Weg zum Monotheismus. ....................................................................... Der Monotheismus des Deutero-Jesaja. .......................................... Integration oder Verdrängung des Weiblichem im monotheistischen Diskurs................................................................................. Der Monotheismus und das Problem des Bösen................................ Der Monotheismus des priesterlichen Milieus.................................. Die persischen Einflüsse auf den biblischen Monotheismus.................. Widerstände gegen den Monotheismus.......................................... Vorbiblischer Monotheismus?..................................................... Die wachsende Bedeutung der Tora und die Etablierung des Judentums als „Buchreligion“.................................................................... Jhwh als einziger, unsichtbarer, transzendenter und universeller Gott......
208 208 209 213 214 214 216 218 218 219 220 221 222 225 226
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Schlusswort und Fazit........................................................... 262
Vorwort Kann man Gott erfinden? Viele Religionswissenschaftler würden dies durchaus bejahen, während zahlreiche Theologen mit dieser Formulierung Probleme hätten. Der Theologe Martin Luther hatte in seinem Großen Katechismus die Frage gestellt: „Was ist ein Gott?“ Seine Antwort war: „Woran du nun dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott“. Man kann diese Definition durchaus so verstehen, dass Luther dem Menschen die Möglichkeit einräumt, sich Götter zu erfinden. In dem hier vorliegenden Buch „Die Erfindung Gottes“, dessen erste französische Ausgabe 2014 veröffentlicht wurde, geht es darum, die Herkunft und den Weg des biblischen Gottes nachzuvollziehen, der in der Folge zum „einzigen Gott“ wurde. Für die deutsche Übersetzung wurde die 2. Auflage der französischen Ausgabe zu Grunde gelegt, welche in Bezug auf die Bibliographie und zahlreiche Details für eine deutschschprachige Leserschaft überarbeitet wurde. Im Zusammenhang mit Religionen, seien sie nun poly- oder monotheistisch, von „Erfindung“ zu sprechen, ist nicht selbstverständlich. Obwohl es in vielen Religionen Priester und Theologen gibt, die, indem sie sich auf göttliche Gebote berufen, die offizielle Interpretation ihres Kultes und der mit ihm verbundenen Glaubensüberzeugungen festlegen, kann die Frage nach dem Ursprung der Götter (in den meisten Fällen) nicht mit der Annahme einer Ad-hoc-Erfindung erklärt werden. In Bezug auf Jhwh, den Gott Israels, kann sich der Historiker/die Historikerin auf ägyptische, assyrische, babylonische und andere Quellen stützen sowie auf die biblischen Texte und archäologische und epigraphische Funde. Dieser Methode folgt auch mein Versuch, die Ursprünge des Gottes Jhwh, die Anfänge seiner Verehrung durch „Israel“ und seinen Weg zu dem einen und einzigen Gott nachzuzeichnen. Meine Theorien hinsichtlich einer südlichen, nichtisraelitischen Herkunft des Gottes Jhwh stützen sich auf die Gesamtheit aller heute verfügbaren Quellen. Natürlich bleiben die Ergebnisse hypothetisch und hängen von der jeweiligen Interpretation des archäologischen und literarischen Quellenmaterials ab. Die These, nach der Jhwh ursprünglich ein Wüstengott war und wahrscheinlich auch in einem Gebiet verehrt wurde, das später den Namen Edom erhalten sollte, bevor er in einem langen und komplexen Ablauf zum einen und einzigen Gott wurde, ist natürlich nicht unbestritten und bleibt hypothetisch. Dies ist jedoch das Los aller historischen Rekonstruktionen. Dieses Buch stellt auch eine historische Untersuchung zur Herkunft des Judentums dar, jener monotheistischen Religion, auf der später das Christentum und auch der Islam gründen sollten. In der gegenwärtigen Situation, in der Obskurantismus und „alternative Fakten“ immer mehr Verbreitung finden, scheint
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Vorwort
es mir notwendig, daran zu erinnern, dass diese drei Monotheismen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben und dass sie ein und dasselbe Fundament teilen. Bei vielen Agnostikern und Atheisten stehen die monotheistischen Religionen in einem schlechten Ruf. Man wirft ihnen vor, Intoleranz, Gewalt und Fanatismus hervorzubringen. Die heutige Situation scheint in der Tat eine solche Einschätzung zu bestätigen. Zahlreiche Konflikte und terroristische Attentate, von denen wir tagtäglich hören, sind ideologisch bzw. religiös motiviert. Im Namen des einen Gottes wird getötet, ausgegrenzt, Hass und Intoleranz gepredigt. Dagegen galt das Aufkommen des Monotheismus viele Jahrhunderte lang als ein intellektueller und philosophischer Fortschritt in der Menschheitsgeschichte: Dank des mosaischen Monotheismus, der am Anfang des Judentums gestanden habe und ohne den weder das Christentum noch der Islam entstanden wären, habe die Menschheit die Vergöttlichung der Natur aufgegeben und sich von der abergläubischen Unterwerfung unter die kosmischen Elemente befreit. Der Monotheismus habe so die Autonomie des Menschen und seine Fähigkeit, die Kräfte der Natur und des Kosmos zu kontrollieren, gefördert. Es ist kein Zufall, dass im ersten Kapitel der Bibel die Idee zum Ausdruck kommt, der Mensch – Mann und Frau – sei als Abbild Gottes geschaffen worden und seine Aufgabe sei es, die Welt und alles, was in ihr ist, zu unterwerfen und zu beherrschen. Sollte der Monotheismus also der erste Schritt zum Ausstieg des Menschen aus dem religiösen Denken sein, wie manche Philosophen behaupten?1 Oder sollte er für die ökologischen Katastrophen verantwortlich sein, die die Menschheit seit Beginn der Industriellen Revolution immer mehr verursacht, und für Religionskriege, die es bis heute immer noch gibt? Bei meiner Darstellung der Entstehung des Monotheismus habe ich versucht zu zeigen, dass dieser sowohl eine segregationistische als auch eine universalistische Komponente enthält. In zahlreichen Erzählungen des Pentateuchs erscheint Mose als recht gewalttätig. In der Geschichte vom goldenen Kalb, in Exodus 32, zeigt er sich als Bilderstürmer, er zerstört das Werk seines Bruders Aaron, der den Gott Israels als Stier dargestellt hatte, und kündigt so den bildlosen Kult des wiedererbauten Jerusalemer Tempels in persischer Zeit (im 6. Jh. v.u.Z.) an. In derselben Erzählung lässt Mose auch einen großen Teil des Volkes umbringen, das dieser Jhwh-Statue gehuldigt hatte, und wird so zum klassischen Vertreter einer gewalttägigen und kompromisslosen jahwistischen Religion. In einigen Passagen des Deuteronomiums (zum Beispiel in den Kapiteln 4 und 7) stellt Mose Jhwh als den einzigen Gott dar, der Himmel und Erde erschaffen hat, betont aber auch dessen beson1
Ernst Bloch: Atheismus im Christentum. Zur Religion des Exodus und des Reichs, Frankfurt/Main (Suhrkamp) 1968. Marcel Gauchet: The Disenchantment of the World. A Political History of Religion, Princeton (Princeton University Press) 1995. [frz. 1985].
Vorwort
deres Verhältnis zu Israel, das er sich als seinen Privatbesitz „auserwählt“ hat. Aus diesem Grund muss Israel sich von den anderen Völkern abgrenzen. Dieser deuteronomistische Diskurs, der Mose in den Mund gelegt wird, entspricht einem exklusiven Monotheismus. Neben dieser segregationistischen Konzeption findet man jedoch auch Texte, die eine Haltung religiösen Zusammenlebens widerspiegeln. So war Mose in das Land Midian geflohen, wo er Zippora, die Tochter eines midianitischen Priesters, heiratete. Auch Joseph, der in seinem ägyptischen Exil zum Kanzler des Pharaos wird, heiratet die Tochter eines hohen ägyptischen Priesters und sieht kein Problem darin, theologische Diskussionen mit dem ägyptischen König zu führen, wobei beide dasselbe Wort verwenden, um Gott zu bezeichnen. Die inklusive Tendenz des Monotheismus kommt ebenfalls in der Erzählung von der Berufung des Mose zum Ausdruck, die Teil eines von Priestern verfassten Dokuments ist. Die priesterlichen Autoren entwickeln in dieser Erzählung (im 6. Kapitel des Buches Exodus) die Vorstellung von einer dreistufigen göttlichen Offenbarung: Die gesamte Menschheit kennt Gott unter dem Namen Elohim, einem Namen, der sowohl als Singular als auch als Plural verstanden werden kann; Abraham und seinen Nachkommen, zu denen auch die arabischen Stämme, die Edomiter und andere Völker östlich des Jordan gehören, hat Gott sich unter dem Namen El Schaddai („Gott der Felder“) geoffenbart; und nur Israel allein offenbart er über den Mittler Mose seinen „wahren“ Namen, nämlich Jhwh; einen Namen, der im Judentum sehr schnell tabuisiert wird. Folgt man dieser Argumentation, so verehren alle Völker denselben Gott, auch diejenigen, die ein Pantheon besitzen. Und es gibt folglich überhaupt keinen Grund, sich in seinem Namen zu bekämpfen. So existieren in der Hebräischen Bibel zwei verschiedene Monotheismen nebeneinander. Auf diese Weise entsteht eine Spannung zwischen Inklusion und Segregation, zwischen Kohabitation und Konfrontation. Aus psychologischer Sicht lässt sich anmerken, dass jede Identität sich zwischen diesen beiden Polen herausbildet. Aber aus politisch-historischer Sicht muss man festhalten, dass monotheistische Religionen häufig die exklusive und oft kriegerische Variante des Monotheismus vertreten. Es ist Zeit, an die pazifistische Variante zu erinnern und diese in der aktuellen Situation, die wieder einmal von einer aggressiven und kriegerischen Rhetorik geprägt ist (sei diese nun religiös oder weltlich), stärker hervorzuheben. Paris, im Juni 2018 Thomas Römer
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Vorbemerkung der Übersetzerin Die hier vorliegende Übersetzung beruht auf der französischen Taschenbuchausgabe des Werkes von 2017. Die gesamte Übersetzung wurde vom Autor gegengelesen und an einigen Stellen auch ergänzt. Auch die Literaturhinweise in den Anmerkungen wurden stärker auf ein deutsches Publikum ausgerichtet. Die Schreibung der hebräischen Eigennamen und Ortsnamen folgt weitgehend den Loccumer Richtlinien und orientiert sich auch an „Herders Neuem Bibelatlas“ von 2013. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde, was die Personen aus der Vergangenheit angeht, grundsätzlich die männliche Form gewählt. Natürlich sind da, wo es der Sache nach möglich ist, Personen aller Geschlechter gemeint. Da Thomas Römer für die Originalausgabe die Bibelzitate aus dem Hebräischen selbst ins Französische übersetzt hat und diese Fassungen für seine Forschungsergebnisse maßgeblich sind, wurde für die Übersetzung der Bibelstellen zwar die Zürcher Bibel herangezogen, die Texte wurden aber grundsätzlich mit der Übersetzung von Thomas Römer als maßgeblichem Text abgeglichen und entsprechend korrigiert. Münster, im Juni 2018 Annette Jucknat
Abkürzungen der biblischen Bücher (nach den Loccumer Richtlinien) Amos Baruch 1Chronik 2Chronik Daniel Deuteronomium Esra Ester Exodus Ezechiel (Hesekiel) Genesis Habakuk Haggai
Am Bar 1Chr 2Chr Dan Dtn Esra Est Ex Ez Gen Ha Hag
Abkürzungen der biblischen Bücher
Hohelied Hosea Ijob (Hiob) Jeremia Jesaja Joel Jona Josua Judit Klagelieder des Jeremia Kohelet (Prediger) 1Könige 2Könige Levitikus 1Makkabäer 2Makkabäer Maleachi Micha Nahum Nehemia Numeri Obadja Psalmen Richter Rut Sacharja 1Samuel 2Samuel Jesus Sirach Sprichwörter (Sprüche Salomos) Tobit (Tobias) Weisheit Zefania
Hld Hos Ijob Jer Jes Joel Jona Jos Jdt Klgl Koh 1Kön 2Kön Lev 1Makk 2Makk Mal Mi Nah Neh Num Obd Ps Ri Rut Sach 1Sam 2Sam Sir Spr Tob Weish Zef
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Transkriptionstabellen Hebräisch-Deutsch Die Konsonanten Buch stabe א
Bezeichnung/ Name ʾAlef
Um Aussprache/Lautwert schrift ʾ Knacklaut, wie in deutschen Komposita, um die Worttrennung anzuzeigen („Spiegelʾei“)
ב
Bet
b
wie w; ּב: b
ג
Gimel
g
wie g
ד
Dalet
d
wie d
ה
He
h
wie h
ו
Waw
w
wie engl. w („water“)
ז
Zajin
z
stimmhaftes „weiches“ s („lesen“)
ח
Ḥet
ḥ
wie ch („ach“)
ט
Ṭet
ṭ
wie t
י
Jod
j
wie j
ך/ כ
Kaf
k
wie ch; ּכ: k
ל
Lamed
l
wie l
ם/מ
Mem
m
wie m
ן/נ
Nun
n
wie n
ס
Samech
s
stimmloses „scharfes“ s („Fuß“, „das“, „Fass“)
ע
ʿAjin
ʿ
Knacklaut (siehe oben)
ף/פ
Pe
p
wie f; ּפ: p
ץ/צ
Ṣade
ṣ
wie ts („Zaun“)
ק
Qof
ḳ/q
wie k
ר
Reš
r
wie r
שׂ
Śin
ś
stimmloses „scharfes“ s (wie Samech)
שׁ
Šin
š
wie sch
ת
Taw
t
wie t
Transkriptionstabellen Hebräisch-Deutsch
Die Vokale Zei chen
Bezeichnung/ Name
Um schrift
Aussprache/Lautwert
ַ ֲ ָ ָ ֳ ֶ ֱ ֶי ֵ ֵי ִ
Patach
a
kurzes a („hat“)
Chatef Patach
ă
sehr kurzes a
Qamets
ā
langes a („schlafen“)
Qamets Chatuf
o
kurzes, offenes o („hoffen“)
Chatef Qamets
ŏ
sehr kurzes o (fast a)
Segol
e
kurzes, offenes e (=ä) („Wände“)
Chatef Segol
ĕ
sehr kurzes, offenes e (=ä)
Segol Jod
ê
wie Segol
Sere
e
langes e „steht“
Sere Jod
ê
wie Sere
Chireq
i, î
kurzes oder langes i („Schritt“, „dieser“)
˙ ֻ
Cholem
ō
langes o „Sohn“
Qibbuts
u, ū
kurzes oder langes u („Mutter“, „Hut“)
ֹו ּו ְ
Cholem (plenum)
ô
langes o
Schureq
û
langes u
Schwa mobile
ĕ
Auslautendes -e („Hase“)
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Verzeichnis der Karten und Abbildungen Karte 1: Karte 2: Karte 3: Karte 4: Karte 5: Karte 6: Karte 7: Karte 8:
Der Alte Orient. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Königreiche Israel und Juda. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Midianiter und der Negev. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Orte der Merenptah-Stele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Orte der Mescha-Stele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das neuassyrische Reich und seine Expansion. . . . . . . . . . . . . . . . . Das persische Reich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Provinz Jehud – Rekonstruktion: (A) nach E. Stern; (B) nach L. Grabbe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 32 69 90 129 190 233 257
Abb. 1: Typischer Plan eines Tempels und eines Palastes in der Levante. . 115 Abb. 2: Stele aus Nord-Syrien (Til Barsip/Tell Ahmar) aus den ersten Jahrhunderten des 1. Jt. v.u.Z. mit einem Gewittergott. . . . . 117 Abb. 3: Siegel aus Ebla: Anbetung eines Stieres auf einem Altar. . . . . . . . . 124 Abb. 4: Münze (um 380 v.u.Z.) mit Darstellung Jhwhs. . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Abb. 5. Zwei Personen unter der Inschrift von Pithos A aus Kuntillet Adschrud. Vielleicht Jhwh und seine Aschera. . . . . . . . . 181 Abb: 6: Pithos A (Rückseite) aus Kuntillet Adschrud. . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Abb. 7: Auf einem Thron sitzendes Paar (8.–7. Jh.), das als Jhwh und Aschera gedeutet werden kann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Abb. 8: Graffito auf einer Tonscherbe aus der Davidstadt. . . . . . . . . . . . . . . 185 Abb. 9: Siegel mit einer Göttin, wahrscheinlich Aschera, daneben ein stilisierter Baum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Abb. 10: Ausschnitt aus einem Relief Sargons II., das die Belagerung einer Stadt zeigt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Nachweis der Karten und Abbildungen Die Karten und Abbildungen wurden erstellt von Fabian Pfitzmann, © Éditions du Seuil 2014.
Einleitung In der religiösen Vorstellungswelt der Menschen gilt das Judentum als die älteste monotheistische Religion. Ihr zufolge gibt es nur einen einzigen Gott, der zugleich der Gott des Volkes Israel und der Gott des gesamten Universums ist. Diese Vorstellung von dem einem und einzigen Gott hat sich dann im Christentum und im Islam weiter fortgesetzt und in diesen Religionen unterschiedliche Formen angenommen. Liest man die jüdischen und christlichen Bibeln1 oder den Koran, hat man zunächst den Eindruck, dass dieser Gott immer schon dagewesen ist, denn er ist der Schöpfer des Himmels und der Erde. Sieht man genauer hin, so stößt man jedoch auf Texte, welche die Existenz anderer Götter einräumen; so zum Beispiel die Geschichte über den Streit zwischen Jiftach, dem militärischen Anführer eines israelitischen Stammes, und Sichon, dem König von östlichen Nachbarn Israels, von dem das Richterbuch erzählt. Um Territorialstreitigkeiten zu klären, greift Jiftach zu einem theologischen Argument: „Besitzt du nicht das, was dein Gott Kamosch dir zum Besitz gibt? Und das, was unser Gott uns zum Besitz gegeben hat, besitzen wir das nicht?“ (Ri 11,24). Hier wird der Gott Jiftachs als Schutzgott eines Stammes oder eines Volkes betrachtet, Kamosch hingegen als der Schutzgott Sichons. Setzt man die Lektüre der Hebräischen Bibel2 fort, so entdeckt man noch andere ungewöhnliche Textstellen. Die Adressaten des Buches Deuteronomium werden zum Beispiel oft ermahnt, keinen anderen Göttern zu folgen, ohne dass deren Existenz, also deren Realität, geleugnet würde. Das heißt, in der Bibel selbst lassen sich Spuren dafür finden, dass es in der Levante, ja auch in Israel selbst, eine Vielzahl von Gottheiten gab und dass der Gott Israels, dessen Name vielleicht Jahwe oder Jahu ausgesprochen wurde (wir kommen auf diese Frage im ersten Kapitel zurück), bei weitem nicht der einzige von den Israeliten verehrte Gott war. Aber die biblischen Erzählungen halten noch andere Überraschungen bereit. Als Jahwe sich Mose in Ägypten zu erkennen gibt, tritt er als ein unbekannter Gott auf, denn er sagt ihm, er erscheine ihm hier zum ersten Mal unter seinem wahren Namen. Finden wir hier einen Hinweis darauf, dass dieser Gott nicht 1
Der Plural zeigt bereits an, dass es verschiedene voneinander abweichende christliche Bibeln gibt: Das Alte Testament der Katholiken unterscheidet sich vom Alten Testament der Protestanten, und die orthodoxen Kirchen zählen je nach ihren verschiedenen Traditionen noch weitere Bücher hinzu. 2 Diese konfessionell neutrale Bezeichnung wird im Folgenden der Bezeichnung „Altes Testament“ vorgezogen, da letztere christlichen Ursprungs ist und die jüdische Bibel „nur“ als ersten Teil der christlichen Bibel begreift.
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Einleitung
schon immer der Gott Israels gewesen ist? Warum offenbart er sich ausgerechnet in Ägypten bzw. in der Wüste? In all diesen Punkten muss das, was in der Bibel steht, durch andere Quellen ergänzt werden: archäologische Ausgrabungen, Inschriften, ikonographische Darstellungen, Dokumente und Annalen aus Ägypten, Assyrien, Babylonien usw. Eine Auswertung dieser gesamten Überlieferungslage gestattet es uns, den Weg eines Gottes nachzuzeichnen, der ganz zu Anfang wahrscheinlich irgendwo im „Süden“ zwischen Ägypten und der Wüste Negev lokalisiert werden muss und zunächst ein Kriegs- und Gewittergott ist, der nach und nach zum Gott Israels und Jerusalems wird, um dann nach einer großen Katastrophe, der Zerstörung Jerusalems und Judas, zum einzigen Gott zu werden. Er ist Schöpfer des Himmels und der Erde, unsichtbarer und transzendenter Gott, der jedoch für sich in Anspruch nimmt, ein ganz besonderes Verhältnis zu seinem Volk zu haben. Wie ist aus einem Gott unter vielen der eine und einzige Gott geworden? Dieses ebenso grundlegende wie Grund legende Rätsel will das vorliegende Werk zu lösen versuchen. Dass der Gott der Bibel nicht schon immer „einzig“ gewesen ist, daran besteht – entgegen dem, was einige Theologen immer noch behaupten – kein Zweifel. Die Leserinnen und Leser sind eingeladen, unseren Untersuchungen zu folgen, die die Ursprünge und Wandlungen des Gottes Israels bestimmen wollen. Ihre Ergebnisse können selbstverständlich nur hypothetisch sein, denn wir verfügen nur über ein Bündel von Indizien, die sich vor allem in den biblischen Texten selbst finden – was natürlich Fallstricke birgt, denn die biblischen Autoren sind nicht neutral, sondern wollen, dass die Leser ihrer Version der Geschichte und ihrem Bild vom Gott Israels folgen. Die Bibel muss also aus rein historischer Perspektive untersucht werden, ohne a priori, wie jede andere antike Quelle auch. Vor allem müssen die Ergebnisse der Untersuchung der biblischen Texte mit den vorliegenden archäologischen, epigraphischen und ikonographischen Erkenntnissen abgeglichen werden. Nur so kann es gelingen, den Weg von einem Wüstengott, der von einigen Nomaden verehrt wird, zu dem Gott nachzuzeichnen, von dem die Bibel spricht und dessen Name nicht ausgesprochen werden darf. Diese Studie bricht auch ein gewisses Tabu innerhalb der Bibelwissenschaften. Zumindest in der europäischen Forschung werden seit den 1970er Jahren vor allem die Texte des Pentateuchs – von denen einige bis dahin als sehr alt und in die Anfänge des 1. Jt. v.u.Z. zurückreichend gegolten hatten – für Jahrhunderte jünger gehalten. Aus diesem Grund hat sich ein durchaus gesunder Skeptizismus gegenüber dem historischen Wert dieser Texte entwickelt, die hauptsächlich als spätere theologische Konstrukte angesehen werden. Weil ihre Schlussredaktion oft das Ende des Königreichs Juda, die Zerstörung des Tempels in Jerusalem und das babylonische Exil voraussetzt, hielt man es für illegitim, diese Texte heran-
Einleitung
zuziehen, um die Ursprünge Israels und seines Gottes nachzuzeichnen. Folgt man dieser Argumentation, so vergisst man allerdings, dass die Erzählungen des Pentateuchs und der anderen Teile der Hebräischen Bibel keine Erfindungen sind, die dem Kopf irgendwelcher Intellektueller an ihren Schreibtischen entstammen: Die biblische Literatur ist eine Traditionsliteratur; diejenigen, die sie aufgeschrieben haben, haben sie überliefert bekommen und hatten natürlich Zeit und Muße, sie umzuformen und zu interpretieren, sie neu zu schreiben, wobei sie die älteren Versionen teilweise drastisch abänderten. Aber in den meisten Fällen fußen diese Texte auf archaischen Kernen, die erst sehr spät niedergeschrieben sein können, aber „Gedächtnisspuren“3 älterer Überlieferungen und Ereignisse bewahren. Dass die Hebräische Bibel keine Autorenliteratur ist, geht schon daraus hervor, dass diese Texte anonym und unsigniert sind. Der Autor tritt hinter den Text, den er übermittelt, zurück. Anders ausgedrückt: Auch wenn man die biblischen Erzählungen natürlich nicht als objektive Quellen ansehen darf, so bergen sie doch Erinnerungen an Ereignisse, die der Historiker in Teilen auswerten kann, wenn er sie einer kritischen Lektüre unterzieht und von ihrem mythischen und ideologischen Ballast befreit. Daher scheint es mir legitim, an eine Tradition anzuknüpfen, die zu Beginn des 20. Jh. weit verbreitet war, als man sich sehr für die Ursprünge des Gottes Israels interessierte. Dank zahlreicher archäologischer Ausgrabungen, die unsere epigraphischen und ikonographischen Materialien stark vermehrt haben, haben wir heute allerdings bessere Karten, wenn wir die Untersuchung wieder aufnehmen. Wenn wir von der „Erfindung Gottes“ sprechen, stellen wir uns nicht vor, dass ein paar Beduinen sich eines Tages an einer Oase versammelt haben, um ihren Gott zu erschaffen, oder dass später ein paar Schriftgelehrte die Gottheit Jahwe als Schutzgott Israels aus dem Nichts erfunden haben. Man muss sich diese „Erfindung“ vielmehr als eine schrittweise Konstruktion vorstellen, die aus verborgenen Traditionen entsteht, deren Sedimentlagen die Geschichte so durcheinandergeschoben hat, dass daraus etwas ganz Anderes geworden ist. Und untersucht man, wie sich der Diskurs über diesen Gott entwickelt hat und wie dieser schließlich zu dem einzigen Gott geworden ist, kann man darin eine Art „kollektiver Erfindung“ erkennen, die beständig auf bestimmte historische und soziale Zusammenhänge reagiert hat. Bevor wir unsere Untersuchung mit dem Mysterium des unaussprechlichen Namens des Gottes Israels beginnen, sollen kurz die Form und der Inhalt der jüdischen Bibel vorgestellt werden.
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Jan Assmann, ein berühmter deutscher Ägyptologe, der sich sehr für die Ursprünge des biblischen Monotheismus interessiert, hat diesen Ausdruck sehr häufig verwendet.
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Die Hebräische Bibel: ein kurzer Überblick Die Hebräische Bibel gliedert sich in drei große Teile: die Tora oder den Pentateuch (der griechische Name bezieht sich auf die fünf Bücher, aus denen er besteht), die Propheten (Nebiim im Hebräischen) und die Schriften (Ketubim)4. Innerhalb der Tora kann man zwei große Texteinheiten erkennen. Die erste, das Buch Genesis, handelt von den Ursprüngen: Gott erschafft dort die Welt und die Menschen (Gen 1–3), aber er ist auch Urheber der Gewalt (Kain und Abel, die Sintflut – Gen 4–9) und verantwortlich für die Verschiedenartigkeit der menschlichen Sprachen und Kulturen (Gen 10–11). Es folgt die Erzählung von den Patriarchen Abraham (Gen 12–25) und Isaak (Gen 26) sowie Jakob (Gen 27–36) und seinem Sohn Josef (Gen 37–50), den Stammvätern Israels, aber nicht nur Israels: Abraham und Isaak sind auch die Vorfahren der meisten Nachbarn Israels. Der zweite große Teil des Pentateuchs erzählt die Geschichte des Mose, der Befreiung Israels aus der Knechtschaft Ägyptens und seines Aufenthalts in der Wüste auf dem Weg in das gelobte Land. Dieser zweite Teil beginnt mit der Geburt des Mose und endet mit seinem Tod; er besteht aus den vier Büchern Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium. Von Anfang an wird in dieser Erzählung der besondere Status des Mose hervorgehoben: In zwei Erzählungen ist er Adressat der Offenbarungen Gottes, die unter anderem den Namen des Gottes betreffen, der ihn beruft, sowie die Bedeutung dieses Namens. Die Geschichte von den Patriarchen und die von Mose und dem Auszug aus Ägypten präsentieren dem Leser zwei unterschiedliche Identitätsmodelle. Nach den Erzählungen der Genesis beruht die jüdische Identität auf der Abstammung: Man ist Jude, weil man Abraham, Isaak und Jakob als Vorfahren hat, deshalb finden sich im Buch Genesis zahlreiche Genealogien. Kommt man zur Geschichte des Mose, findet man keine Ahnenlisten mehr. Die Identität des Volkes Jahwes beruht nicht auf der Abstammung, sondern auf der Zugehörigkeit zum Bund zwischen Gott und Israel, zu dessen Mittler Mose wird. Dieser Bund wird nach der Befreiung aus Ägypten geschlossen: Er gründet auf göttlichen Satzungen, die in den verschiedenen Gesetzessammlungen des Pentateuchs niedergelegt sind, die sich immer wieder in den Erzählungen vom Aufenthalt der Hebräer in der Wüste finden. Der Unterschied zwischen der Genesis und den nachfolgenden Büchern lässt sich auch an der Art feststellen, wie die Gottheit beschrieben wird. Im ersten Teil des Buches Genesis sprechen zahlreiche Texte von einem „universellen“ Gott, Erschaffer der Welt, der in der Josefsgeschichte dann auch als Gott der Hebräer und der Ägypter erscheint. In den Erzählungen über 4 Im Judentum gibt es kein eigenes Wort für die Bibel in ihrer Gesamtheit, daher greift man oft auf das Akronym TaNaK zurück, das aus den jeweiligen ersten Buchstaben der drei Teile (Tora, Nebiim, Ketubim) gebildet ist.
Die Hebräische Bibel: ein kurzer Überblick
die Patriarchen dagegen begegnet man oft einem Stammesgott. Er wird der Gott Abrahams, Isaaks oder Jakobs genannt, aber auch der Gott Ismaels und Esaus und ihrer Nachkommen. In der Erzählung von Mose und dem Bund am Sinai treffen wir auf einen kriegerischen Gott, der sich in Sturm, Gewitter und Erdbeben offenbart, einen Vertrag mit seinem Volk schließt und ein zu eroberndes Land verspricht. Diese Eroberung, die unter der Ägide eines gewaltsamen Gottes stattfindet, wird im Buch Josua geschildert. Obwohl Jahwe Mose schon bei seiner Berufung angekündigt hat, er werde das Volk in das Land führen, „in dem Milch und Honig fließen“, stirbt Mose am Ende des Pentateuchs außerhalb des gelobten Landes. Der Pentateuch endet also mit der Nicht-Erfüllung einer Verheißung. Der zweite Teil der Hebräischen Bibel, die „Propheten“, knüpft hier an und erzählt zu Beginn, in den Büchern Josua, Richter, Samuel und Könige, die Geschichte Israels: von der militärischen Eroberung des Landes unter Josua, der von der Gottheit als militärischer Führer eingesetzt wird, über die Errichtung des Königtums unter Saul, David und Salomo bis zum Untergang des judäischen Königreichs und der Zerstörung Jerusalems im Jahr 587 v.u.Z. Auf diese Bücher, die mit dem Zusammenbruch des Königtums und seiner politischen Institutionen enden, folgt die Sammlung der eigentlichen Prophetenbücher5. Sie versuchen, die Ursachen für diese Katastrophe zu erklären, die nach den prophetischen Unheilsansagen daraus folgt, dass das Volk und seine Verantwortlichen die göttlichen Forderungen nach Gerechtigkeit und ausschließlicher Verehrung Jahwes nicht befolgt haben. Der Gott Israels selbst hat also die militärischen Niederlagen seines Volkes herbeigeführt, um es samt seinen Königen dafür zu bestrafen, dass es seine Befehle missachtet hat. Gleichzeitig enthalten diese Bücher auch Versprechen eines Neuanfangs, sei es einer Wiederherstellung des davidischen Königtums, sei es allgemein einer kommenden Heilszeit. Die „Schriften“, der dritte Teil der Hebräischen Bibel, vereinen Bücher unterschiedlicher literarischer Gattungen, vor allem Überlegungen zur conditio humana und zur oft schwierigen Beziehung zwischen Gott und dem Menschen. Das Psalmenbuch, das in den meisten hebräischen Handschriften diese Sammlung eröffnet, enthält Lobgesänge, aber auch und vor allem individuelle und kollektive Klagen, wie sie sich auch im Buch der Klagelieder finden, das die Zerstörung Jerusalems zum Thema hat. Aber man findet in den Schriften auch das Hohelied, eine Sammlung von erotischer Poesie. Zwei Bücher haben Frauen als Heldinnen: Das Buch Rut erzählt die Geschichte einer Ausländerin aus dem Land Moab, die einen der Vorfahren des Königs David heiratet; im Buch Ester tritt eine junge Judäerin auf, die vor den persischen König tritt, um ihren Onkel 5
Es handelt sich um die Bücher Jesaja, Jeremia, Ezechiel und die zwölf „kleinen Propheten“.
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und ihr Volk vor falschen Anschuldigungen zu bewahren. Das Buch Ijob beschreibt einen reichen Grundbesitzer, der sich gegen einen Gott auflehnt, den er als unverständlich empfindet. Denn er stellt fest, dass die Lehre von der Vergeltung, die in einigen Passagen des Buches Sprüche vertreten wird (der Böse wird bestraft, der Gerechte wird im Glück leben), so nicht funktioniert. Dieser Feststellung pflichtet Kohelet (der „Prediger“) bei, der erste Philosoph des Judentums. Er hebt die Unnahbarkeit der Gottheit hervor und fordert den Menschen auf, seine Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. Aber man findet in den Schriften auch das Buch Daniel, das ein Jüngstes Gericht Gottes am Ende der Zeiten schildert. Die Chronikbücher präsentieren dagegen eine neue Version der Geschichte des Königtums, die bereits in den Samuel- und Königsbüchern erzählt wurde. Die Bücher Esra und das Nehemia setzen die Geschichte dann fort. Sie berichten vom Wiederaufbau Judas und Jerusalems in persischer Zeit und von der Einführung des göttlichen Gesetzes in Jerusalem. In den meisten Handschriften wird diese Chronologie nicht respektiert, und die Chronikbücher werden an den Schluss der Schriften gestellt. Somit endet die Hebräische Bibel mit dem Appell des persischen Königs an alle im Exil lebenden Judäer, nach Jerusalem zurückzukehren und das „neue Jerusalem“ aufzubauen6. Man sagt oft, die Bibel sei eine Bibliothek. Das Wort „Bibel“ ist in der Tat von einem griechischen Plural abgeleitet: biblia – Bücher. Die Verschriftlichung sowie die Überarbeitung und die Zusammenstellung der verschiedenen Bücher, aus denen die drei Teile der Hebräischen Bibel bestehen, geschah in einem langen Prozess, der sich über mehr als fünfhundert Jahre erstreckte. Die verschiedenen biblischen Texte sind in Reaktion auf bestimmte historische Kontexte entstanden; trotzdem können sie auch Erinnerungen an ältere Überlieferungen bewahren. Wir werden hier nicht im Detail auf die komplexe und komplizierte Frage nach der Datierung der biblischen Texte eingehen. Wir weisen nur darauf hin, dass wir uns, wie die meisten europäischen Spezialisten, nicht mehr auf die „Urkundenhypothese“ stützen, die die Entstehung des Pentateuchs als Abfolge und Kompilation von vier Dokumenten erklärt7, von denen das älteste aus der Zeit 6 Diese dreiteilige Hebräische Bibel hat eine andere Anordnung als das Alte Testament, das in vier Teile aufgeteilt wird. Zudem gibt es, wie schon gesagt, zumindest drei verschiedene Alte Testamente, entsprechend den drei Hauptrichtungen der christlichen Religion: Katholizismus, Protestantismus und Orthodoxie. Die Unterteilung und die Anordnung der verschiedenen Bücher und die Entscheidung für oder gegen eine Aufnahme mancher von ihnen erklären sich durch die theologischen Optionen der verschiedenen Konfessionen. 7 Der Jahwist (J), der den Gottesnamen Jahwe benutzt, stammt nach dieser Theorie aus dem Jahr 930 v.u.Z., der Elohist (E), der den Namen Elohim für Gott bevorzugt, aus dem 8. Jh., das Deuteronomium (D) aus der Zeit Joschijas (Ende 7. Jh.), die Priester-
Die Hebräische Bibel: ein kurzer Überblick
Salomos stammen soll, das jüngste aus den Anfängen der persischen Zeit. Bedauerlicherweise findet diese Hypothese in populäreren Veröffentlichungen immer noch weite Verbreitung. Das neuere Modell von der Entstehung des Pentateuchs, das hier vertreten wird, lässt von der alten Urkundenhypothese das Entstehungsdatum des Deuteronomiums gegen 620 v.u.Z. sowie die Existenz einer „Priesterschrift“, eines von Priestern redigierten Dokuments, gelten. Möglicherweise sind die ersten mündlichen Überlieferungen des Pentateuchs (Jakob und die Exodustradition) um das 8. Jh. v.u.Z. verschriftlicht worden. Führen wir uns nochmals vor Augen, dass kein biblisches Buch, oder genauer: keine biblische Schriftrolle, in einem Zug geschrieben worden ist. Die Schriftrollen aus Papyrus oder Ziegen- bzw. Kuhhaut hatten eine begrenzte Lebensdauer, und ihr Inhalt musste nach einigen Jahrzehnten auf neue Rollen abgeschrieben werden. Jede Abschrift bot dabei immer auch die Gelegenheit, etwas hinzuzufügen oder etwas wegzulassen oder auch Veränderungen anzubringen. Ein Text wie die Deuteronomiumrolle zum Beispiel erfuhr vom Ende des 7. Jh. bis zum 5. Jh. eine Reihe neuer Ausgaben. Auch die Prophetenbücher haben eine komplexe Redaktionsgeschichte durchlaufen, und viele darin enthaltene Texte stammen nicht von den „historischen“ Propheten, sondern von jüngeren Redaktoren. Ihre gegenwärtige Form haben sie erst in hellenistischer Zeit erhalten. Dasselbe gilt für die Psalmen und andere Texte. Unsere Untersuchung berücksichtigt die jüngeren Forschungsergebnisse zur Entstehung der biblischen Texte, ohne diese Diskussion im Detail aufzurollen. Wir werden aber versuchen, den Leserinnen und Lesern alle Informationen zu geben, die nötig sind, um zu verstehen, wie und warum wir diese Texte heranziehen, um verschiedene historische Situationen zu rekonstruieren und den Weg des Gottes Jahwe herauszuarbeiten. Um das Verständnis zu erleichtern, sollen jetzt einige terminologische Fragen geklärt sowie die wichtigsten Marksteine der Geschichte der Levante vom Ende des 2. Jt. bis in hellenistische Zeit8 vermittelt werden.
schrift (P) aus der Zeit des babylonischen Exils oder aus den Anfängen der persischen Zeit. Siehe dazu Thomas Römer: „Der Pentateuch”, in: Walter Dietrich u.a.: Die Entstehung des Alten Testaments (= Theologische Wissenschaft 1), Stuttgart (Kohlhammer) 2014, S. 52–166. 8 Siehe dazu ausführlich: Jean-Daniel Macchi: „Die Geschichte Israels. Von den Ursprüngen bis zur Zeit der babylonischen Herrschaft“ und Arnaud Sérandour: „Die Geschichte des Judentums in persischer, hellenistischer und römischer Zeit. Von Kyros bis Bar Kochba“, in: Thomas Römer, Jean-Daniel Macchi und Christophe Nihan (Hgg.): Einleitung in das Alte Testament, Zürich (TVZ) 2013, S. 34–64 und 65–103.
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Terminologische Präzisierungen Der Ausdruck Israel hat mehrere Bedeutungen. Um 1210 v.u.Z. taucht er in einer ägyptischen Inschrift auf, wo er eine relativ bedeutende Gruppe (einen Stamm?) bezeichnet, der in den Bergen Ephraims wohnt. Zwischen dem 10. Jh. und dem Jahr 722 v.u.Z. bezeichnet er ein Königreich, dessen Hauptstadt Samaria ist und das weder Jerusalem noch andere Gebiete südlich von Palästina umfasst. Dieses Israel, das bisweilen auch „Nordreich“ genannt wird, wird auch in assyrischen und anderen Texten erwähnt. Nach der Zerstörung dieses Königreichs durch die Assyrer wird „Israel“ zu einem „theologischen“ Begriff für all diejenigen, die den Gott Israels verehren. Der Name Juda bezieht sich zunächst auf eine Gegend (für die man auch den Terminus Judäa gebraucht) und dann auf einen Volksstamm, danach auf das „Südreich“ mit der Hauptstadt Jerusalem, welches bis 587 v.u.Z. von Königen regiert wurde, die sich auf David zurückführten. Nach der Zerstörung dieses Königreichs durch die Babylonier wird Juda oder „Jehud“ zum Namen einer Provinz, die Teil des persischen Großreiches und danach der hellenistischen Königreiche ist. Man kann vor der persischen Zeit, eigentlich sogar vor der hellenistischen Zeit, nicht von Juden oder Judentum sprechen, denn erst gegen Anfang des 4. Jh. entsteht ein religiöses System ähnlich dem, das wir heute als Judentum bezeichnen. Die Bezeichnungen Jude/jüdisch oder Judentum sollte man also für frühere Epochen vermeiden, für die man besser Termini wie „Israelit/ israelitisch“ oder „Judäer/judäisch“ gebraucht. Der Name Kanaan wird in Ägypten, in Mari und dann häufig in der Bibel als wenig präzise Bezeichnung für ein Gebiet verwendet, das große Teile der Levante westlich des Jordan umfasst. In der Bibel wird dieses Lexem teils neutral als geographischer Terminus benutzt, oder man spricht von Kanaanitern/Kanaanäern, um die autochthone Bevölkerung des gelobten Landes zu bezeichnen – dies oft mit einem pejorativen Unterton. Der Terminus Hebräer ist in der Bibel eine archaische oder archaisierende Bezeichnung für Israeliten oder Judäer, später für Juden. Die Beziehung dieses Terminus zu dem akkadischen ʿapiru, einer soziologischen Bezeichnung für die Bewohner von Randgebieten, die sich in verschiedenen ägyptischen, hethitischen und anderen Textquellen des 2. Jt. v.u.Z. findet, ist umstritten9. In den biblischen Texten, insbesondere in den Büchern Genesis (Gen 37–50) und Exodus sowie den Samuelbüchern, wird der Terminus „Hebräer“ von anderen 9 Oswald Loretz: Habiru–Hebräer. Eine sozio-linguistische Studie über die Herkunft des Gentiliziums ʿibrî vom Appellativum habiru, Berlin-New York (De Gruyter) 1984; Nadav Na’aman: „Habiru and Hebrews, the transfer of a social term to the literary sphere“, in: Journal of Near Eastern Studies 45 (1986), S. 217–288.
Von den Anfängen Israels bis zur hellenistischen Zeit
Völkern gebraucht, um die Israeliten zu bezeichnen. Der Wortgebrauch, der sich in den letzten Jahrhunderten v.u.Z. durchsetzt, ist der als bewusst altertümlicher Gentilname; als solcher findet er auch in der rabbinischen Literatur und im Neuen Testament Verwendung.
Von den Anfängen Israels bis zur hellenistischen Zeit Die Geschichte Israels und Judas spielt sich geographisch vor allem in der Levante ab, die den heutigen Ländern Israel/Palästina, Jordanien, Libanon und Syrien entspricht. Dieses Gebiet wurde in seiner gesamten Geschichte immer wieder von den umliegenden Großreichen begehrt und kontrolliert, im 2. Jt. zunächst von Ägypten, im 1. Jt. dann von den Assyrern, den Babyloniern, den Persern, den Griechen und schließlich den Römern. Geographisch und politisch gesehen ist die Geschichte der Levante eng mit der Geschichte des „Fruchtbaren Halbmondes“ verbunden, wie die regenreichen und fruchtbaren Gebiete, die sich von Mesopotamien (den heutigen Ländern Irak und Iran) bis nach Ägypten erstrecken und dabei das Gebiet um Euphrat und Tigris und die Levante miteinschließen, bezeichnet werden. Interessanterweise unternimmt der Patriarch Abraham schon ganz am Anfang seiner Geschichte eine lange Reise, die ihn durch den gesamten Fruchtbaren Halbmond führt. Seine Familie bricht von der Stadt Ur (Tell el-Muqejjir) auf und lässt sich in Harran, in Syrien, nieder; von dort aus zieht er durch das Land Kanaan, macht an strategisch wichtigen Orten wie Sichem und Bethel Halt, steigt dann in die Wüste Negev im Süden hinab und geht von dort nach Ägypten (Gen 11–12). Geographisch deckt diese Reise den gesamten Fruchtbaren Halbmond ab; historisch gesehen sind die Gebiete, durch die Abraham zieht, Regionen, in denen in persischer Zeit (5.–4. Jh.) Israeliten und Judäer im Exil oder in der Emigration lebten. Dieses Beispiel zeigt noch einmal, dass man die Texte des Pentateuchs nicht als historische Berichte lesen darf; sie sind lange nach der Zeit, die sie schildern, niedergeschrieben worden. Blättert man in den Büchern zur Geschichte Israels, die sich an ein akademisches oder gebildetes Publikum wenden, so stellt man fest, dass fast alle diese Werke der Chronologie der Bibel folgen: die Zeit der Patriarchen, Mose und der Exodus, die Landnahme, die Richterzeit, das vereinigte Königreich unter David und Salomo, die beiden Königreiche Israel und Juda bis zum Fall Samarias im Jahr 722 v.u.Z., das Königreich Juda bis zur Zerstörung Jerusalems 587 v.u.Z. und schließlich der Wiederaufbau Jerusalems und Judas in persischer Zeit. In der heutigen Forschung wird jedoch nicht mehr bezweifelt, dass die Erzählungen über die Patriarchen, den Auszug aus Ägypten und die Landnahme sowie über die Zeit der Richter keine aufeinander folgenden und datierbaren Ereignisse widerspiegeln. Es handelt sich vielmehr um Legenden oder Ursprungsmythen,
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Ur
Tayma
Babylon
El Amarna
ÄGYPTEN
Memphis
Theben
Damaskus
Gaza
Ugarit
Tyrus
Mari
ASSYRIEN Ebla Mykene
GRIECHENLAND
MAKEDONIEN
Hattuscha
KILIKIEN
MITANNI
Ninive Assur
AKKAD
ELAM
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Karte 1: Der Alte Orient.
die erst im Nachhinein in eine chronologische Abfolge gebracht worden sind. Um die Geschichte Israels und Judas zu rekonstruieren, muss man – insbesondere für die Frühzeit – auf alle verfügbaren Quellen zurückgreifen, nicht zuletzt auf die archäologischen.
Von den Anfängen Israels bis zur hellenistischen Zeit
Die archäologische Erschließung der Levante hat in den letzten fünfzig Jahren enorme Fortschritte gemacht. Vor allem hat sie sich von dem Joch eines konservativen biblizistischen Milieus emanzipiert, das von der „biblischen Archäologie“ den Beweis erwartete, dass die Bibel die Wahrheit sagt. Die Archäologie in Israel/Palästina, wie sie von einer neuen Forschergeneration – Israel Finkelstein, Oded Lipschits, Aren Maeir10 und vielen anderen – vertreten wird, betont die Autonomie der Archäologie, die keine bloße Hilfswissenschaft sei, die nur herangezogen wird, um diese oder jene religiöse oder politische Option zu rechtfertigen. Dank der Archäologie besitzen wir heute eine bedeutende Zahl an Inschriften und anderen Textquellen sowie ikonographischen Zeugnissen (Siegel, Statuetten, Ostraka, usw.), die für den Historiker von großer Bedeutung sind. Was die Frage betrifft, ob die Bibel als Quelle zur Rekonstruktion der Geschichte Israels und Judas herangezogen werden kann, so ist schon seit einigen Jahrzehnten eine Polemik zwischen „Maximalisten“, für die die Bibel bis zum endgültigen Beweis des Gegenteils ein glaubwürdiges historisches Dokument ist, und „Minimalisten“ zu beobachten. Für letztere ist die Bibel keine vertrauenswürdige Quelle für die Rekonstruktion der Geschichte Israels und der Levante vom Ende des 2. bis zum Ende des 1. Jt. v.u.Z.; sie erlaube es höchsten, die ideologischen Positionen einiger Strömungen innerhalb des Judentums vom Ende der persischen oder Anfang der hellenistischen Zeit besser zu verstehen. Beide Positionen sind nur schwer zu halten: Die maximalistische Position widerspricht dem Ethos des Historikers, die minimalistische Position leugnet dagegen die Tatsache, dass die biblischen Texte, so ideologisch geprägt sie auch sein mögen, dennoch Spuren historischer Ereignisse und alter Traditionen enthalten können11. Archäologisch entsprechen die Anfänge der Geschichte Israels im 13. Jh. v.u.Z. dem Übergang von der Spätbronze- in die Eisenzeit12. Um die Mitte des 2. Jt. wird die Levante von Ägypten kontrolliert. Politisch besteht sie aus Stadt10 Israel Finkelstein und Neil A. Silbermann: Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel, München (dtv) 20095 [Deutsche Erstausgabe München (Beck) 2002]. Oded Lipschits: The Fall and Rise of Jerusalem. Judah under Babylonian Rule, Winona Lake (Eisenbrauns) 2005. Was Aren Maeir betrifft, so können die Leserinnen und Leser, die des Englischen mächtig sind, eine wunderbare Tagung auf YouTube abrufen, wo er die Rolle der Archäologie gegenüber den biblischen Erzählungen von den Anfängen definiert: www.youtube.com/watch?v=3eWqMX716Zs&feature=youtu.be (eingesehen 4.1.2018). 11 Zum Beispiel finden sich einige Ereignisse, von denen in den Königsbüchern berichtet wird, aus anderem Blickwinkel auch in assyrischen und anderen Annalen und Inschriften wieder. 12 Diese Epoche endet in der Terminologie der Archäologie der Levante mit der persischen Zeit.
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staaten, deren Kleinkönige Vasallen des Pharaos sind. Daneben finden sich wenig integrierte Einheiten, wie eben die ʿapiru, Gruppen am Rand des politischen Systems, oft in Konflikt mit den Kleinkönigen Kanaans oder zu Frondiensten bei den Ägyptern verpflichtet. Einige ägyptische Texte erwähnen auch Schasu-Nomaden (š3św), von denen einige Gruppen mit dem Zusatz Jhw(3) charakterisiert werden. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um ein Toponym, das man oft mit dem Namen Jahwe (Jahua?) in Verbindung gebracht hat, welcher später zum Gott Israels wird. Diese Nomaden leben vor allem in den Wüstenregionen zwischen Ägypten und Kanaan. Das Ende des 13. Jh. wird von Umwälzungen bestimmt, die den Untergang der Stadtstaaten zur Folge haben. Neue Bevölkerungsgruppen, die aus der Ägäis oder Anatolien stammenden „Seevölker“, die Philister, lassen sich an der Südküste Kanaans in Städten wie Gaza, Aschdod, Aschkelon oder Ekron nieder. Sie haben eine andere materielle Kultur als die anderen Bewohner des Landes, aber sie assimilieren sich ziemlich schnell13. Während der größte Teil der spätbronzezeitlichen Städte mehr und mehr an Bevölkerung verliert, erlebt die ephraimitische Gebirgsregion ein deutliches Bevölkerungswachstum. Hier finden sich wohl die ersten Spuren der Geburt jenes Israel, das ca. 1210 auf der Siegesstele des Pharaos Merenptah erwähnt wird. Dieses „Israel“ muss eine recht bedeutende Gruppierung gewesen sein, denn der ägyptische König hält es einer Nennung unter den von ihm besiegten Bevölkerungsgruppen für würdig. Während der Pharao sich rühmt, Israel ausgelöscht zu haben, beginnt die Entwicklung dieser Einheit eigentlich gerade erst. Ihre Ursprünge gehen, anders als das biblische Buch Josua behauptet, nicht auf eine militärische Eroberung durch ein von außen kommendes Volk zurück; es handelt sich eher um einen allmählichen, diffusen Prozess innerhalb globalerer Umwälzungen am Ende der Spätbronzezeit. „Israel“ entsteht also aus den autochthonen Bevölkerungsgruppen. Der biblische Gegensatz zwischen Israeliten und Kanaanitern ist keinesfalls ein ethnischer Gegensatz, sondern ein ideologisches Konstrukt biblischer Autoren im Dienst einer segregationistischen Ideologie. Die Gruppierung namens „Israel“ ist zunächst eine Art Clan- oder Stammesgemeinschaft, die Gruppen vereint, die sich wahrscheinlich schon einer bestimmten ethnischen Gemeinschaft zugehörig fühlten. Dies wird zum Beispiel durch das fast vollständige Fehlen der Schweinezucht und eine sich von anderen klar unterscheidende materielle Kultur nahegelegt. Dass Israel vor der Königsherrschaft aus zwölf Stämmen bestanden haben soll, ist eine Erfindung der Verfasser der Bibel in persischer oder hellenistischer Zeit, als diese Vorstellung wichtig war, um die religiöse Einheit Judäas, Samarias und Galiläas zu bekräftigen. 13 Die biblischen Texte nennen sie die „Unbeschnittenen“, denn anders als die Bewohner der Levante kannten die Philister keine Beschneidung.
Von den Anfängen Israels bis zur hellenistischen Zeit
Zu Beginn des 1. Jt. setzt sich in der Levante eine stärker auf Warenaustausch fußende Wirtschaft durch, die die Subsistenzwirtschaft ersetzt. Diese Entwicklung geht einher mit einer politischen Neuordnung hin zur Monarchie; dieses Phänomen lässt sich auch östlich des Jordan beobachten, wo die Königreiche Moab und Ammon entstehen. Die biblische Erzählung verbindet in den Samuelbüchern die Entstehung der Monarchie mit den drei exemplarischen Figuren Saul, David und Salomo. Hier handelt es sich in weiten Teilen um Legenden, die aber einige historisch wohl korrekte Erinnerungen bewahren. Saul, der als erster König Israels dargestellt wird, gelingt es, der Dominanz der Philister Widerstand zu leisten, und er errichtet im Gebiet Benjamins und in den Bergen Ephraims eine Art Staat, zu dessen Oberhaupt er wird. Sein Konkurrent und Nachfolger David ist offensichtlich ein Vasall der Philister, die vielleicht seinen Kampf gegen Saul unterstützen und die Gründung eines konkurrierenden Königreichs in Judäa, zunächst in Hebron, dann in Jerusalem dulden. Folgt man den Erzählungen in den Samuel- und Königsbüchern, die teilweise in den Chronikbüchern wiederaufgegriffen und neu interpretiert werden, so hätten David und sein Sohn Salomo über ein „geeintes Königreich“ riesigen Ausmaßes regiert, „von Ägypten bis zum Euphrat“. Dieser Gedanke entspringt eher den ideologischen Vorstellungen der biblischen Redaktoren, die die Geschichte so darstellen wollten, dass Israel (der Norden) und Judäa (der Süden) zu Beginn in ein und demselben Königreich vereint waren. Die großen Bauten in Megiddo, Hazor und anderen Orten, die man aufgrund der entsprechenden Bibelerzählungen dem König Salomo hat zuschreiben wollen, sind wahrscheinlich ein Jahrhundert jünger und das Werk des Nordreichkönigs Omri. Im Norden entsteht im 9. Jh. v.u.Z. ein durchaus gewichtiger Staat, zu dessen Hauptstadt unter Omri Samaria wird, während der Süden eine eher bescheidene politische Einheit darstellt (man schätzt seine Bevölkerung auf zehn Prozent der Bevölkerung des Nordens). Und Jerusalem ist zu dieser Zeit eine kleine Siedlung, die der Pharao Scheschonq während seines Feldzuges um 930 v.u.Z. für zu unbedeutend hält, um sie in der Liste seiner militärischen Eroberungen zu erwähnen. Mehr als zwei Jahrhunderte lang lebt Judäa im Schatten Israels und ist wahrscheinlich häufig auch dessen Vasall. Die biblische Historiographie wird aber – vor allem in den Samuel- und Königsbüchern – aus südlicher Perspektive geschrieben und stellt den Norden und seine Könige sehr negativ dar. Sie werden beschuldigt, andere Götter als den Gott Israels verehrt und andere Heiligtümer in Konkurrenz zum Jerusalemer Tempel errichtet zu haben. Unter der Dynastie der Omriden14 im 9. Jh. v.u.Z. wird Israel zu einem mächtigen Königtum im Konzert der Königreiche der Levante. Davon zeugen zahl14 Es handelt sich um die Könige Omri, Ahab und Joram.
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reiche Bauten und vor allem die Errichtung der Stadt Samaria. Die Vorherrschaft der Omriden reicht bis nach Transjordanien, was zum Konflikt mit dem Königreich Moab führt, wie die Mescha-Stele bezeugt, die den Konflikt zwischen Israel und Moab aus der Sicht des moabitischen Königs schildert. Omri und seine Nachfolger verfolgten eine Politik der Annäherung gegenüber Phönizien. Deshalb beschuldigen die Redaktoren der Königsbücher sie, eine Gottheit mir Namen „Baal“ verehrt zu haben; dieses religiöse Vergehen wird – aus biblischer Sicht – der Omriden-Dynastie ein Ende bereiten. Laut einer in Tel Dan (das an den Quellen des Jordan liegt) gefundenen Stele mit einer aramäischen Inschrift soll Hasael, der König von Damaskus und Auftraggeber der Inschrift, über eine israelitisch-judäische Koalition triumphiert und Israel und das „Haus Davids“15 besiegt haben. Die Königsbücher stellen das Ende der Omridendynastie als Ergebnis einer Revolution des Generals Jehu dar, dem religiöse Motive unterstellt werden: Als glühender Verehrer des Gottes Israels habe er den Baal-Kult bekämpfen wollen. Historisch gesehen war Jehu eher ein schwacher König. Seine Niederlagen gegen die Aramäer wurden von den biblischen Autoren seinem Vorgänger Joram zugeschrieben. Jehu wird im Übrigen Vasall der Assyrer, die von der 2. Hälfte des 9. Jh. an die Kontrolle über die Levante anstreben. 853 v.u.Z. gelingt es einer Koalition aus Israel und dem aramäischen Königreich Damaskus noch, den assyrischen König Salmanassar III. in der Schlacht von Qarqar zurückzudrängen, aber die folgenden Jahrzehnte werden ebenso wie das 8. Jh. von der Hegemonie Assyriens geprägt sein, die im Übrigen in der Bibel zahlreiche Spuren hinterlassen wird. Ein Obelisk des assyrischen Königs Salmanassar III. enthält eine Darstellung eines vor Salmanassar zu Boden liegenden Königs mit der Inschrift „Tribut Jehus, Sohn Omris16“. Das Königreich Israel erlebt unter der Herrschaft Jerobeams II. (787–747 17) eine Zeit des Wohlstands, da dieser die assyrische Vorherrschaft akzeptiert und sich als ergebener Vasall zeigt. Der Wohlstand der begüterten Schichten wächst dank der positiven Entwicklung der Olivenölproduktion. Diese Art des ProtoKapitalismus geht mit einer Verarmung der einfacheren Schichten einher. Pro15 Diese Inschrift wird, wie auch die Mescha-Stele, im Folgenden ausführlicher besprochen werden. Nach mehrheitlicher Auffassung enthält sie den ersten Beleg für den Namen David außerhalb der Bibel. 16 Jehu war keinesfalls der Sohn Omris, sondern Sohn des Nimschi. Da jedoch für die Assyrer Omri der Gründer Israels war, verstanden sie auch Jehu als seinen „Sohn“. Möglicherweise haben sich die Assyrer auch einfach nicht besonders für die innenpolitischen Verhältnisse Israels interessiert. 17 Es ist unmöglich, die genauen Regierungsdaten der israelitischen und judäischen Könige zu ermitteln; alle chronologischen Angaben zu den Regierungsdaten dieser Könige können also nur Näherungswerte sein.
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Von den Anfängen Israels bis zur hellenistischen Zeit
Tyrus
PHÖNIZIEN
Dan
ARAM
Hazor
Megiddo
Dor
Samaria Sichem
ISRAEL
Bethel
Geser
Rabbat
AMMON Jerusalem
Aschdod Lachisch
Hebron
PHILISTER
0
JUDA
Beerscheba
N
Dibon
20 km
Karte 2: Die Königreiche Israel und Juda.
MOAB
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pheten wie Hosea und Amos verurteilen diese Entwicklungen; Hosea polemisiert außerdem gegen die „Kälber“ in Samaria und Bethel – die Schutzgottheit Israels wurde dort also offensichtlich in Stiergestalt verehrt. Möglicherweise sind unter Jerobeam II. im Heiligtum von Bethel einige biblische Überlieferungen wie die Geschichte von Jakob, der zum Ahnherrn Israels wird, oder die Überlieferung vom Auszug aus Ägypten zum ersten Mal niedergeschrieben worden18. Nach der Regierungszeit Jerobeams beginnt der Niedergang des Königreichs Israel. Um 734 v.u.Z. will eine von Damaskus und Israel angeführte Koalition aus verschiedenen Königreichen der Levante den judäischen König Ahas zu einer Teilnahme am Aufstand gegen die Assyrer zwingen. Dieses Ereignis hat Spuren in zahlreichen biblischen Texten hinterlassen. Ahas sucht auf den Rat des Propheten Jesaja hin den Schutz des assyrischen Königs Tiglat-Pileser II., dessen Vasall er wird. Dieser König siegt ohne größere Probleme über die Aramäer und die Israeliten und verkleinert ihre Königreiche drastisch. 727 sucht der letzte König Israels, Hoschea, Unterstützung bei Ägypten und provoziert so einen Feldzug Salmanassars V. gegen Israel, der zum Fall Samarias im Jahr 722 v.u.Z. führt. Das Königreich Israel wird in vier assyrische Provinzen aufgeteilt. Es kommt zu Deportationen (ungefähr 10–20% der Gesamtbevölkerung), und neue Bevölkerungsgruppen werden auf dem Gebiet des ehemaligen Königreichs angesiedelt. Diese Mischbevölkerung ist der ferne Vorfahr der Gemeinschaft der Samaritaner. Wir wissen fast nichts über die politische und religiöse Situation in dieser Region bis zur persischen Zeit, außer dass die Verehrung des Gottes Israels im ehemaligen Nordreich weitergeht19. Für das Königreich Juda, das als Vasall Assyriens überdauert, bedeutet der Fall Samarias einen Aufstieg. Dies betrifft vor allem Jerusalem, das bis dahin nur eine bescheidene Ortschaft war, die jetzt, gegen Ende des 8. Jh. v.u.Z., stark wächst und zu einer wahrhaften Hauptstadt wird. Dieses Wachstum verdankt sich zumindest teilweise den aus den Gebieten des ehemaligen Königreichs Israel zuziehenden Flüchtlingen. In dieser Zeit gelangen auch Überlieferungen aus dem Norden nach Juda (Jakob, Exodus, Hosea, einige Erzählungen über die Propheten Elia, Elischa und andere). Hier erfahren sie eine Überarbeitung aus judäischer Perspektive. Der Aufstieg Jerusalems beginnt unter dem König Hiskija, dem in der Bibel zahlreiche Bauarbeiten zugeschrieben werden20, die auch archäologisch belegt sind, wie der berühmte Tunnel von Siloah, in dem sich die älteste bisher bekannte judäische Monumentalinschrift findet – was auch auf eine beginnende literarische Tätigkeit 18 Diese beiden Überlieferungen werden im 12. Kapitel des Buches Hosea einander gegenübergestellt. 19 Dies wird auch in Kapitel 17 des 2. Königsbuches eingeräumt. 20 Möglicherweise sind einige Hiskija zugeschriebene Arbeiten eigentlich das Werk des Königs Manasse, den die Verfasser der Königsbücher verabscheuen.
Von den Anfängen Israels bis zur hellenistischen Zeit
hindeutet21. Hiskija betreibt eine waghalsige Politik gegenüber den Assyrern, die am Ende zu einem Feldzug Sanheribs gegen das Königreich Juda führt. Lachisch, die zweitgrößte Stadt Judas, wird eingenommen und zerstört und das Königreich Juda massiv beschnitten. Aber im Jahr 701 ziehen sich die Assyrer aus ziemlich unklaren Gründen von einer Belagerung Jerusalems zurück. Nach der kollektiven Erinnerung gilt Zion, der Tempelberg in Jerusalem, seit diesem Ereignis als unverwundbar. Die Bewohner Jerusalems sahen darin den Beweis, dass der Gott Israels seine Stadt gegen alle Feinde verteidigt. Unter Manasse, einem treuen Vasall der Assyrer, findet Juda zu seinem Wohlstand und seiner territorialen Größe zurück. Obwohl seine Herrschaft mehr als fünfzig Jahre dauerte (ca. 698–642 v.u.Z.), widmen ihm die Verfasser der Königsbücher nur einige Zeilen, die vor allem seine Gottlosigkeit und die Verehrung anderer Götter kritisieren. Er scheint nichtsdestotrotz klug regiert und Juda so eine letzte Phase der Stabilität ermöglicht zu haben. Als König Joschija (640–609) den Thron besteigt, laut biblischer Erzählung im Alter von acht Jahren, beginnt das durch die Babylonier geschwächte assyrische Reich sich aus der Levante zurückzuziehen. Die zweite Hälfte der Regierungszeit Joschijas ist daher von einem gewissen Machtvakuum geprägt. Dieses nutzen der König und seine Berater, um eine Politik der Zentralisierung in die Wege zu leiten, die auch dem neuen Status Jerusalems entspricht. Der Tempel von Jerusalem wird zum einzigen legitimen Heiligtum des Gottes Israels erklärt. Nach 2Könige 22–23, dessen Historizität nicht von vornherein als gegeben angesehen werden kann, soll Joschija alle religiösen Gegenstände der Assyrer aus dem Jerusalemer Tempel entfernt haben, auch soll er das Symbol der Aschera, einer Göttin, die mit dem Schutzgott Judas verbunden war, zerstört und einen Teil des ehemaligen Königreichs Israel annektiert haben. Nach der Erzählung der Königsbücher soll diese Politik einer politisch-religiösen Erneuerung durch die Entdeckung eines Buches ausgelöst worden sein. Obwohl es sich hierbei vielleicht um ein literarisches Motiv handelt, ist es durchaus möglich, dass das Deuteronomium, mit dem man dieses Buch häufig gleichgesetzt hat, in seiner ursprünglichen Form tatsächlich geschrieben wurde, um die Politik der Zentralisierung und der Monolatrie, der exklusiven Verehrung des Gottes Judas und Israels, zu legitimieren. Der Zentralisierungsgedanke bereitet in der Tat eine der Säulen des zukünftigen Judentums vor: die zentrale Stellung Jerusalems und seines Tempels. Auch andere Texte sind in der Regierungszeit Joschijas entstanden, wie die Eroberungserzählungen im ersten Teil des Buches Josua, welche die Expansionspolitik Joschijas legitimieren. Die Schreiber dieses Königs haben auch eine Geschichte der zwei Königreiche ver21 Der zweite Teil des Sprüchebuchs (25,1) gibt im Titel an, zur Zeit des Königs Hiskija kompiliert worden zu sein.
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fasst, in der sie Joschija als eine Art „neuen David“ darstellen. Wahrscheinlich haben sie auch eine „Biographie“ des Mose niedergeschrieben und noch andere ursprünglich mündliche Überlieferungen verschriftlicht. Der Ursprung eines großen Teils der Literatur, die später in die Bibel eingehen sollte, geht also auf die assyrische Zeit zurück. Die meisten dieser Schriften waren in ihrer Bedeutung auf ein intellektuelles Milieu beschränkt, das heißt, auf den Palast und den Tempel. Auf dem judäischen Land im Süden, im Heiligtum von Hebron, erzählte man sich die Episoden aus dem Leben des Patriarchen Abraham wahrscheinlich aus einer ganz anderen theologischen Perspektive als der, die im Palast von Jerusalem vorherrschte. Die Geschichte Abrahams propagiert keine segregationistische Ideologie, sondern betont, dass der Stammvater Israels auch ein Verwandter Lots, des Ahnherrn der Moabiter und der Ammoniter, ist und auch der Vater Ismaels, des Ahnherrn von Halbnomaden, die die Wüste im Südosten von Juda bevölkern. Joschija stirbt 609 v.u.Z., er wird vom König Ägyptens getötet, der für eine kurze Zeit wieder die Levante kontrolliert. Damit beginnt der Niedergang des Königreichs Juda, das unter den Schlägen der Babylonier, die ab 605 zu den neuen Herren im Alten Orient werden, endgültig fallen wird. Mehrere Aufstände der judäischen Könige führen 597 zur ersten Einnahme Jerusalems. Der König Jojachin verhindert eine Zerstörung der Stadt, indem er deren Tore öffnet. Er wird samt seinem Hof nach Babylon verschleppt, ebenso werden die hohen Beamten und Handwerker deportiert. Eine babylonische Tontafel erwähnt Lebensmittelrationen für den König Jojachin, den Gefangenen des Königs von Babylon. Der König Nebukadnezar II. setzt Zidkija als Nachfolger ein, der sich am Ende jedoch ebenfalls einer anti-babylonischen Koalition anschließt. Das Buch Jeremia enthält Erzählungen und Orakel, welche die chaotische Situation in Jerusalem in den Jahren vor seinem Fall widerspiegeln. Im Jahr 587 v.u.Z. bemächtigen sich die Babylonier Jerusalems, zerstören die Stadt und den Tempel und führen eine zweite Deportation durch. Sie setzen Gedalja als Statthalter in der in Benjamin gelegenen Stadt Mizpa ein. Archäologische Feldstudien zeigen Spuren einer gewaltigen Zerstörung auf dem Gebiet von Juda sowie einen deutlichen Bevölkerungsrückgang. Dagegen scheint das Gebiet von Benjamin weniger gelitten zu haben. 582 wird Gedalja von einer Gruppe anti-babylonischer Rebellen ermordet. Dieses Ereignis löst nach dem Buch Jeremia eine dritte Deportationswelle aus sowie die Flucht eines Teils der im Land verbliebenen Judäer nach Ägypten. So gibt es gegen Ende des 6. Jh. v.u.Z. drei Zentren judäischen Lebens: die Gebiete Benjamin und Juda sowie Babylonien und Ägypten (vor allem das Delta und die Insel Elephantine). Anders als die Assyrer beließen die Babylonier die Exulanten in gemeinsamen Kolonien. Die aus der judäischen Elite stammenden Exulanten in Babylonien und Ägypten spielten eine wichtige Rolle bei der Abfassung einiger Schriftrollen,
Von den Anfängen Israels bis zur hellenistischen Zeit
welche die Ursprünge des Pentateuchs und der prophetischen Schriften bilden. Die Zerstörung Jerusalems und seines Tempels durch die Babylonier im Jahr 587 v.u.Z. hatte bei diesen Intellektuellen eine ideologische Krise hervorgerufen. Die identitätsstiftenden Symbole eines altorientalischen Volkes – König, Tempel des Nationalgottes und Land – waren zerstört und außer Kraft gesetzt. Man musste also neue Fundamente legen, um die Identität eines seiner traditionellen Institutionen beraubten Volkes zu stiften. Eine der unterschiedlichen Antworten auf diese Krise war das „Deuteronomistische Geschichtswerk“, das die Bücher vom Deuteronomium bis zum 2. Königsbuch umfasst. Diese Geschichtsdarstellung will aufzeigen, dass die Zerstörung Jerusalems und die Deportation eines Teils der Bevölkerung nicht auf die Schwäche des Gottes Israels gegenüber den babylonischen Gottheiten zurückzuführen ist; ganz im Gegenteil: er selbst habe sich der Babylonier bedient, um sein Volk und dessen Könige dafür zu bestrafen, dass sie die Vereinbarungen seines „Bundes“, die im Deuteronomium niedergelegt sind, missachtet haben. Eine Gruppe von Priestern verfasst ihrerseits eine Geschichte von den Ursprüngen (oft „Priesterschrift“ genannt), die in die Bücher Genesis, Exodus und Levitikus eingegangen ist und die besonders hervorhebt, dass alle wichtigen Rituale und Institutionen bereits vor dem Einzug in das gelobte Land und vor dem Königtum offenbart wurden – letzteres ist also nicht unabdingbar. Für die Verfasser der Priesterschrift werden alle Bräuche, über die sich das Judentum in persischer und hellenistischer Zeit definiert (Beschneidung, Pessach, Speiserituale und -vorschriften), von Mose in der Wüste in Abwesenheit einer politischen Struktur eingesetzt. Diese beiden Textgruppen (das „Deuteronomistische Geschichtswerk“ und die „Priesterschrift“) bereiten in gewisser Weise den Weg zum Monotheismus, denn auf unterschiedliche Weise betonen beide die Einzigartigkeit des Gottes Israels. Im Jahr 539 v.u.Z. bemächtigt sich der persische König Kyros der Stadt Babylon und macht dem babylonischen Reich ein Ende. Seine Religionspolitik ist „liberal“, er lässt zerstörte Tempel wiederaufbauen und erlaubt den Deportierten, in ihre jeweilige Heimat zurückzukehren. Im „Deuterojesaja“22, einer Sammlung von Texten, die der Jesaja-Schriftrolle hinzugefügt wurde, wird Kyros als vom Gott Israels gesandter „Messias“ gefeiert. Die Perser gestehen der judäischen Gemeinschaft, wie anderen in ihr Reich integrierten Völkern, kulturelle und religiöse Autonomie zu. Und unter dem Einfluss der Golah23, der nach Judäa zurückgekehrten Exiljudäer, entsteht eine quasi-theokratische Organisation, deren Zentrum der Tempel in Jerusalem ist, der Ende des 6. oder Anfang des 5. Jh. v.u.Z. wiederaufgebaut wird. Ein Teil der Exulanten zieht es allerdings vor, in Babylon zu bleiben, und einige dort gefundene Schriftstücke zeigen, dass diese 22 Im heutigen Jesajabuch die Kapitel 40 bis 55. 23 Wörtlich „Verbannung/Wegführung“. Bezeichnung für die in Babylon exilierten Juden.
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Judäer Teil der wohlhabenderen und gut integrierten Schichten waren. Bis zur Ankunft des Islam bleibt Babylon, wie auch die Existenz des Babylonischen Talmuds zeigt, ein intellektuelles Zentrum des Judentums. Aber auch in Ägypten geht die starke Präsenz der Judäer keinesfalls zurück. So ist das Judentum von Anfang an eine Diaspora-Religion, die sich in hellenistischer Zeit rund um das Mittelmeer weiter entwickeln wird. Zwischen 400 und 350 werden verschiedene Schriften der Priester, der Deuteronomisten und anderer Gruppen zu einem Proto-Pentateuch zusammengefasst, der zur grundlegenden Schrift des neu entstehenden Judentums wird, aber auch der Samaritaner, deren zentrales Heiligtum sich ab dem 5. Jh. auf dem Berg Garizim befindet. Die biblischen Erzählungen, welche diese Konsolidierung der Schriften zu einer „Tora“ widerspiegeln, finden sich in den Büchern Esra und Nehemia. Diese Bücher konstruieren eine übertriebene Feindschaft zwischen Judäern und Samaritanern und heben das Wohlwollen der Perser gegenüber der Verbreitung des mosaischen Gesetzes besonders stark hervor. 332 v.u.Z. wird Palästina von Alexander dem Großen eingenommen, der die persische Herrschaft beendet. Nach seinem Tod bricht ein Krieg unter seinen Nachfolgern aus, und Palästina fällt zunächst unter die Kontrolle der Ptolemäer (oder Lagiden), die über Ägypten herrschen, während die Seleukiden über Syrien regieren. Diese politischen Veränderungen betreffen die Juden zunächst kaum. Im 3. Jh. erlebt Judäa einen gewissen wirtschaftlichen Aufschwung, von dem die Aristokratie Jerusalems und eine wohlhabende städtische Schicht profitieren. In diese Zeit fallen auch die ersten Kontakte zwischen Griechen und Juden, und die in Ägypten lebenden Juden nehmen die griechische Sprache an. Wohl in der 2. Hälfte des dritten Jh. v.u.Z. wird der Pentateuch ins Griechische übersetzt, und zu derselben Zeit entsteht eine reiche Literatur; einige dieser Texte werden Teil des biblischen Kanons (Hohelied, Kohelet, Ester etc.), andere nicht (wie das Buch Henoch).
Untersuchungsgegenstand und Fragestellung Unsere Untersuchung über den Gott Israels wird also ungefähr den Zeitraum von einem Jt. umfassen, vom Ende des 2. Jt. v.u.Z. bis in hellenistische Zeit. Wir werden zunächst die Frage nach der Bedeutung seines Namens klären, den wir im Folgenden rein konsonantisch schreiben werden, nämlich Jhwh. Es folgt eine Untersuchung der Belege für diesen Namen außerhalb der Bibel und die Frage nach dem geographischen Ursprung des Gottes, der diesen Namen trägt. Dabei werden wir einige Hinweise finden, die uns in den „Süden“ führen werden, zunächst nach Ägypten, wo es Nomaden gibt, die eine Gottheit namens „Jahwa“ verehren, bei der es sich vielleicht um einen vergöttlichten Berg handelt. Wir werden die eigenartige Überlieferung vom Aufenthalt des Mose bei den Midia-
Untersuchungsgegenstand und Fragestellung
nitern untersuchen, während dessen Jhwh sich ihm offenbart. Aber wie wird dieser Gott der Gott „Israels“? Wann erlangte er den Status eines Schutzgottes der Königreiche Israel und Juda? Wurde er in beiden Gebieten auf dieselbe Weise verehrt? Wie gelangte er in dem Tempel Jerusalems? War er dort allein oder teilte er sich den Tempel mit anderen Gottheiten? War er von Anfang an unsichtbar, wie die biblischen Redaktoren behaupten, oder gab es Darstellungen von Jhwh? War er ein „Junggeselle“? Als Ergebnis welchen Prozesses und als Reaktion auf welche Ereignisse hat sich die monolatrische Verehrung, die er nach und nach erfuhr, durchgesetzt? Die Antworten auf diese Fragen werden es ermöglichen, am Ende der Untersuchung zu verstehen, wie der Monotheismus erfunden wurde und wie er die polytheistischen Wurzeln, deren Erbe er bewahrt, in sich aufgenommen hat.
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1. D er Gott Israels und sein Name In den Bibeln lesen wir, wenn vom Gott Israels die Rede ist, Bezeichnungen wie „der Herr“, „der Ewige“ (in jüdischen Übersetzungen), aber auch „Jehova“ und „Jahwe“. Sollte Gott einen Namen haben? Und warum kennt das Judentum ein Verbot, ihn auszusprechen? Um diese Frage zu klären und zu zeigen, warum wir im Folgenden die Transliteration Jhwh benutzen, um den Gott Israels zu bezeichnen, fängt unsere Untersuchung am Ende der Geschichte an, zu einem Zeitpunkt, als die Hebräische Bibel bereits kanonisiert ist. Dieser Vorgriff erlaubt es, eine technische, aber gleichzeitig auch sehr bedeutsame Frage zu beantworten, nämlich die nach dem göttlichen Namen, die das Judentum tief geprägt hat und in der Folge auch das Christentum und den Islam.
Das Rätsel des göttlichen Namens „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Mit dieser wohlbekannten Aussage beginnen die jüdische und die christlichen Bibeln. Im ersten Kapitel der Genesis hat „Gott“ keinen Eigennamen, was ganz normal erscheinen könnte, wenn man die Bibel als ein monotheistisches Buch ansieht. Wenn es nur einen Gott gibt, warum sollte er einen Eigennamen haben? Doch wenn man genauer hinsieht, taucht ein erstes Fragezeichen auf. Das hebräische Wort, das hier mit „Gott“ übersetzt wird – ʾĕlōhîm – hat eine Pluralendung und kann auch mit „Götter“ übersetzt werden. Ein Gott oder Götter? Dasselbe Wort kann Singular und Plural sein, und nur die Verbformen ermöglichen eine Unterscheidung. Vielleicht ist diese Doppeldeutigkeit auch eine Aufforderung, gerade nicht zu entscheiden. Wollte man suggerieren, dass der einzige Gott in sich eine Vielheit von Göttern barg? In der zweiten Erzählung des Buches Genesis, die anders als die erste ausschließlich die Erschaffung des ersten Menschenpaares und der Tiere schildert, schlagen die Übersetzungen andere Bezeichnungen für die Gottheit vor: In den meisten christlichen Bibeln liest man „der Herr“, in jüdischen Bibeln „der Ewige“. Obwohl dies in den Übersetzungen nicht deutlich wird, geben diese beiden Bezeichnungen tatsächlich einen Eigennamen wieder, dessen genaue Aussprache uns unbekannt ist. Warum? Als man angefangen hat, die Texte zu verschriftlichen, die später in der Bibel zusammengeführt worden sind, schrieb man nur Konsonanten, wie das auch heute noch im modernen Hebräisch oder im Arabischen der Fall ist, Sprachen, deren Alphabete konsonantisch sind. In konsonantischer Schreibweise wird der Eigenname des Gottes, der in Kapitel 2 der Genesis und danach sehr häufig auf-
Das Rätsel des göttlichen Namens
tritt, J-h-w-h geschrieben, und diese vier Buchstaben haben zu dem Terminus „Tetragramm“ geführt, mit dem heute der Name des Gottes Israels bezeichnet wird. Erst viel später, zwischen dem 3. und dem 10. Jh. nach Christus, haben jüdische Gelehrte, die Masoreten – ein aramäisches Wort, das „Wächter“ bedeutet –, um die richtige Aussprache der heiligen Texte sicherzustellen, mehrere Vokalisierungssysteme erarbeitet. Eines von diesen, das System der Familie Ben Ascher, setzte sich schließlich durch. Somit verfügten die Schreiber über ein ziemlich gut ausgearbeitetes System, um Texte zu vokalisieren, die fast ausschließlich Konsonanten enthielten1. Um diese Vorgehensweise zu illustrieren, nehmen wir das Wort Grtn. Man errät schnell, dass es sich um Garten handelt und kann das Hinzufügen von Vokalen durch die Masoreten so darstellen: Gₐrtᵉn. Eine Form wie Grn kann auf wenigstens zwei Arten vokalisiert werden: Garn oder Gerne. In derartigen Fällen mussten die Masoreten eine Entscheidung über die Bedeutung treffen, die sie einem Wort, ja sogar einem ganzen Satz geben wollten. Was den Eigennamen des Gottes Israels betraf, so standen sie vor einem Problem: Schon ab dem 3. Jh. v.u.Z. hatte das Judentum damit begonnen, ihn nicht mehr auszusprechen. Diese Tabuisierung zeigt sich bereits in der griechischen Übersetzung des Pentateuchs, der ersten fünf Bücher der Bibel, in denen man statt des Tetragramms Jhwh entweder theós („Gott“) oder in den meisten Fällen kýrios („Herr“) findet. Die Gründe für diese Nichtaussprache sind vielfältig. Im Rahmen einer monotheistischen Konzeption ist es unpassend, dass der einzige Gott einen Eigennamen trägt, da man einen solchen ja nur braucht, um eine Gottheit von anderen zu unterscheiden. Zudem wollte man wahrscheinlich auch magische Verwendungen des göttlichen Namens unterbinden. Eines der zehn Gebote fordert in der Tat: „Du sollst den Namen deines Gottes nicht für Sinnloses missbrauchen“, was man als Verbot einer magischen Anrufung interpretieren kann. Das Verbot, den Namen Jhwhs auszusprechen, hat sich wahrscheinlich schrittweise durchgesetzt. In der Mischna, einer Sammlung rabbinischer Interpretationen des 1. und 2. Jh. nach Christus, findet sich der Gedanke, dass der Hohepriester am Versöhnungstag (Jom Kippur) im Allerheiligsten des Tempels den göttlichen Namen aussprechen darf (Traktat Joma 6,2). Dies spiegelt vielleicht eine Praxis während der letzten Jahrzehnte vor der Zerstörung des Tempels von Jerusalem im Jahr 70 wider. Bei den Samaritanern gibt es eine Überlieferung, wonach der Hohepriester die Aussprache heimlich seinem Nachfolger weitergibt2. 1
Bevor die Zeichen für die Vokale erfunden wurden, konnte man in einigen Fällen bestimmte Konsonanten einsetzen, um die Aussprache anzuzeigen. Sie werden matres lectionis, „Lesemütter“, genannt. 2 Martin Rösel: Adonaj. Warum Gott „Herr“ genannt wird, Tübingen (Mohr Siebeck) 2000, S. 5–8.
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1. Der Gott Israels und sein Name
Was den göttlichen Namen anging, standen die Masoreten vor einem Problem. Sie konnten die Konsonanten Jhwh nicht ändern, denn der konsonantische Text galt als heilig und unantastbar. Aber sie konnten auch keine Vokale einfügen, die es erlaubt hätten, den göttlichen Namen auszusprechen; das hätte gegen die theologische Grundentscheidung des Judentums verstoßen. Daher haben sie eine Unterscheidung zwischen dem Kĕtîb („das, was geschrieben ist“) und dem Qĕrê („das, was man lesen soll“) eingeführt. So haben sie das Tetragramm Jhwh mit den Vokalen von ʾӑdōnāj, „mein Herr“ (tatsächlich vielleicht eine Pluralform), ergänzt und so signalisiert, dass man „adonaj“ aussprechen muss, wenn man Jhwh liest. Je nach Manuskript konnte man dies als Jĕhwah oder als Jĕhᵒwah darstellen3. Die Wiedergabe von Jhwh durch kýrios („Herr“) in der griechischen Bibel entspricht dieser Substitution. Der daraus folgende irrtümliche Versuch, Jhwh mithilfe der Ersatzvokale von ʾӑdōnāj auszusprechen, mit welchen die Masoreten das Tetragramm ergänzt haben, hat zu einer Aussprache geführt, die der Dominikaner Raimundus Marti im 13. Jh. mit jĕh(o)wāh widergegeben hat. Diese Form hat in einigen Bibelübersetzungen bis hin zu den „Zeugen Jehovas“ Verbreitung gefunden. Neben der Lesart „adonaj“ findet man im Judentum auch die Substitution haš-šem, „der Name“, die auch von den Samaritanern gebraucht wird. Deshalb haben einige Forscher die Meinung geäußert, dass die Vokale, mit deren Hilfe man ein Substitut für Jhwh gebildet hat, die des aramäischen šĕmāʾ (der Name) seien. Aus verschiedenen Gründen ist diese Lösung wenig plausibel4. Es ist also wahrscheinlich, dass das erste Substitut in der Tat ʾӑdōnāj war und dass einige jüdische Gelehrte aus Misstrauen gegenüber der Septuaginta (der griechischen Übersetzung) und wegen der Übernahme des Titels kýrios als Bezeichnung für Jesus durch die Christen im Neuen Testament als Ersatz die Lösung „der Name“ gewählt haben. Erinnern wir uns daran, dass in den griechischen Manuskripten manchmal statt kýrios theós („Gott“) steht. Das könnte darauf hinweisen, dass es auch die Absicht gab, das Tetragramm durch ʾĕlōhîm zu ersetzen. Es scheint also anfangs verschiedene Methoden gegeben zu haben, das Tetragramm in der Aussprache durch eine andere Bezeichnung zu ersetzen.
3 Das ĕ trägt der Tatsache Rechnung, dass dem ersten a von ʾӑdōnāj ein Schwa vorangeht, das einen Spiritus anzeigt (phonetisch wie ein spiritus lenis im Griechischen, ein leichter Stimmansatz (Knacklaut) vor dem a; Anm. der Übers.: vgl. dt. Spiegel’ei, siehe die Tabelle am Anfang dieses Buches). Einige Manuskripte vokalisieren nur den ersten und den letzten Vokal (ĕ-a), während andere auch das o hinzufügen. 4 Vor allem wegen einiger masoretischer Vokalisierungen des Tetragramms, denen eine Präposition vorangeht, vgl. Martin Rösel: Adonaj. Warum Gott „Herr“ genannt wird, Tübingen (Mohr Siebeck), S. 2–5.
Jhwh, Jhw, Jh
Nachdem wir den Aspekt der Substitution von Jhwh durch „der Herr“ oder „der Name“ untersucht haben, stellt sich jetzt die Frage nach der originären Aussprache des Eigennamens des Gottes Israel und die nach seiner Bedeutung.
Jhwh, Jhw, Jh Seltsamerweise und trotz der Zensur bewahren die biblischen Texte die Spuren einer Aussprache des göttlichen Namens. Neben dem Tetragramm Jhwh, dessen masoretische Vokalisierung auf das Substitut „Herr“ verweist, existieren zahlreiche Belege für eine Kurzform Jhw, die sich vor allem in den theophoren Eigennamen findet, also Namen, die mit einer Gottesbezeichnung gebildet sind, wie Jirmĕjāhû (Jeremia), Jĕša’jāhû (Jesaja), Jĕhônātān (Jonathan) etc. Diese Namen legen nahe, dass die Kurzform des göttlichen Namens „Jahu“ oder „Jaho“ ausgesprochen wurde. Zu diesen beiden Formen Jhwh und Jhw kommt noch eine dritte, Jh („Jah“), die sich insbesondere im liturgischen Ruf hallĕlû-jāh („lobet Jāh“) findet, aber auch in anderen biblischen Texten, wie „Meine Stärke und mein Gesang ist Jāh“ (Ex 15,2); „Jāh, Jhwh ist meine Stärke“ (Jes 12,2); „Du bist emporgestiegen zur Höhe […], um dort zu wohnen, Jāh Elōhîm“ (Ps 68,19) etc. Eine Kombination von Jhwh und Jh findet man auch außerhalb der Bibel in einer Inschrift, die man in Khirbet Bet Lay5, einem Ort 35 Kilometer südwestlich von Jerusalem, gefunden hat und die wahrscheinlich aus dem Ende des 8. Jh. v.u.Z. stammt. Obwohl man den Anfang der Inschrift kaum entziffern kann, kann man das folgende Gebet lesen: „Schreite ein, gnädiger Jhwh; sprich frei Jāh Jhwh6.“ In und außerhalb der Bibel erscheint die abgekürzte Form Jāh vor allem in Hymnen und Gebeten, Jāh ist also eine liturgische Variante des Tetragramms Jhwh, mit dem es in manchen Fällen zusammen genannt wird, wahrscheinlich um eine Alliteration herzustellen. Die beiden Kurzformen Jahû und Jāh stimmen dahingehend überein, dass die Vokalisierung der ersten Silbe jeweils ein „a“ ist, was es wahrscheinlich macht, dass dies auch beim Tetragramm Jhwh der Fall war. Stellt sich also die Frage nach der Vokalisierung der zweiten Silbe der Langform Jhwh und ihrer Beziehung zur Kurzform Jhw. Um sie zu bestimmen, können wir von der einzigen biblischen Erzählung ausgehen, die eine Art Erläuterung des göttlichen Namens enthält. Es handelt sich um die Erzählung von der Berufung des Mose im 3. Kapitel des Buches Exodus. Nach diesem Text erscheint Jhwh Mose, als dieser gerade die Herde seines midianitischen Schwiegervaters, eines Priesters, weidet. Jhwh fordert ihn auf, 5
Nebenbei bemerkt: Dieser Ort ist für die Mormonen von großer Bedeutung, weil sie glauben, dass sein Name mit Lehi zu tun hat, einem Propheten aus dem Buch Mormon. 6 Johannes Renz und Wolfgang Röllig: Handbuch der althebräischen Epigraphik I. Johannes Renz: Althebräische Inschriften. Text und Kommentar, Darmstadt (WBG) 1995, S. 248.
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1. Der Gott Israels und sein Name
nach Ägypten zurückzukehren, von wo er geflohen war, und den Hebräern ihre Befreiung anzukündigen sowie ihren Aufbruch in ein Land, wo Milch und Honig fließen. Mose wendet zunächst ein, er sei nicht in der Lage eine solche Aufgabe zu vollbringen, aber Jhwh verspricht ihm seine Unterstützung („ich werde mit dir sein/ich bin mit dir7“). Dann stellt Mose die Frage nach der Identität des sich ihm offenbarenden Gottes: (11) Mose sagte zu Gott (ʾĕlōhîm): „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte?“ (12) Er sagte: „Ich werde mit dir sein/ich bin mit dir (ʾehjeh ʿimmāk), und dies sei dir das Zeichen, dass ich dich gesandt habe: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr an diesem Berg Gott dienen.“ (13) Und Mose sagte zu Gott: „Nun, ich werde zu den Israeliten gehen und ich werde ihnen sagen: der Gott eurer Väter hat mich gesandt. Und sie werden mir sagen: Was ist sein Name? Was soll ich ihnen sagen?“ (14) Gott sagte zu Mose: „Ich werde sein, der ich sein werde/ich bin der ich bin (ʾehjeh ʾašer ʾehjeh).“ Und er sagte: So wirst du zu den Israeliten sprechen: ‚Ich werde sein‘ (ʾehjeh) hat mich zu euch gesandt.“ (15) Und weiter sprach Gott zu Mose: „So sollst du zu den Israeliten sprechen: der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs hat mich zu euch gesandt. Dies ist mein Name für immer, so soll man mich anrufen von Generation zu Generation.“ (16) „Geh, und versammle die Ältesten Israels und sage ihnen: ‚Jhwh, der Gott eurer Väter, ist mir erschienen, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, und hat gesagt: Ich habe wirklich auf euch geachtet und auf das, was euch angetan wird in Ägypten.‘“ Mit Martin Buber kann man die „Erläuterung“ des Namens zunächst als Verweigerung einer Offenbarung verstehen: „‚ich bin der ich bin‘, das geht dich nichts an“; in den folgenden Versen wird diese Erläuterung jedoch zum Namen Jhwh in Beziehung gesetzt. Der Ausdruck ʾehjeh ʾašer ʾehjeh enthält zwei Wortspiele. Das ʾehjeh wiederholt zum einen das Beistandsversprechen von Vers 12: ʾehjeh ʿimmāk. „Ich werde sein“ ist zunächst der, „der mit ist“, der Beistand verspricht. Zum anderen verweist das ʾehjeh wahrscheinlich auch auf die Aussprache des Namens Jhwh, der – greifen wir unsere Beobachtungen zur ersten Silbe wieder auf – sich für den Verfasser von Exodus 3 so ausgesprochen haben könnte: „Jahwe“.
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Das biblische Hebräisch erlaubt keine klare Unterscheidung zwischen Präsens und Futur.
Jahwe oder Jahû/Jahô
Jahwe oder Jahû/Jahô: Wie hat man den Namen des Gottes Israels ausgesprochen? Die traditionelle Rekonstruktion Jahwe, die man in einigen christlichen Bibeln, aber vor allem im wissenschaftlichen Kontext finden kann, wenn vom Gott Israels die Rede ist, stützt sich im Wesentlichen auf das Zeugnis einiger Kirchenväter. Clemens von Alexandria (ca. 150–ca.220) schreibt mit Bezug auf Exodus 3: „Der mystische Name aus vier Buchstaben, den nur diejenigen kannten, die Zugang zum adytum [Heiligtum] hatten, war Iaoué, was man als ‚Der, der ist und sein wird‘ übersetzt.“8 Epiphanius von Salamis (4. Jh.) spricht von Ia und Iabé9. Im 5. Jh. präzisiert Theodoret von Kyrrhos, einer kleinen Stadt bei Antiochia, dass die Samaritaner Gott Iabé nennen und die Juden Aia – letzteres bezieht sich auf das ʾehjeh in Ex 3, 1410; bei Photius, Patriarch von Konstantinopel im 9. Jh., ist ebenfalls die Aussprache „Jabé“ oder „Jawé“ belegt11. Origines von Alexandria (185–253), der in seinem Kommentar zu Psalm 2 das bei den Juden geltende Verbot, den göttlichen Namen auszusprechen, diskutiert, spricht vom „Tetragramm“, wenn er sich auf diesen Namen bezieht, aber manchmal auch von Iaḗ (was einem „Jahwe“ zu entsprechen scheint)12. Aber er weiß auch, dass in den theophoren Eigennamen, die auf -jhw enden, die Aussprache des göttlichen Namens „-aiō“ ist. In seinem Werk Gegen Celsus zitiert er die Form Iaṓ und charakterisiert sie als Aussprache der Gnostiker. Fast alle Belege für die Aussprache des Tetragramms stammen aus christlicher Zeit. Abgesehen von Exodus 3 finden sich die ältesten Belege vielleicht in den babylonischen Umschriften der theophoren Namen der Judäer, die sich seit Ende des 6. Jh. v.u.Z. in Babylon niedergelassen hatten. Hier findet sich entweder ia-a-ḫu-ú was „jahu“ entspricht, oder ia-a-wa, was auf eine Aussprache des göttlichen Namens von der Art „Jahwa“ hindeuten könnte, das durch eine Abschwächung von a zu e „Jahwe“ werden kann.13
8 Stromateis V, 6 (um 220 v.u.Z). 9 Epiphanius II Panarion haer, Haereses 34-64, 40, 5,8. 10 Quaestiones in Exodum (XV). Derselbe Theodoret greift die Frage in seinem Werk Haereticarum fabularum compendium (V, 3) wieder auf, wo er schreibt: „Aia bedeutet der, der ist. Dieser Name war bei den Hebräern unaussprechlich … Die Samaritaner lesen es in Unkenntnis der Bedeutung des Wortes Iabai.“ Dieses Zitat zeigt eindeutig, dass der Name Aia sich nicht auf das Tetragramm bezieht, sondern auf den Ausdruck ʾehjeh („ich bin“/„ich werde sein“) aus Ex 3, 14. 11 Amphilochia 162. 12 Comm. in Ps 2, 2 (PG 12, 1104). 13 Josef Tropper: „Der Gottesname *YAHWA“, in: Vetus Testamentum 51 (2001), S. 81– 106.
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1. Der Gott Israels und sein Name
Auch wenn es einige Belege gibt, die eine Aussprache des Tetragramms in der Art „Jahwe“ nahelegen, sind die Kurzformen „Jahû“ oder „Jahô“ weitaus häufiger bezeugt. Die Israeliten und Judäer, die sich seit dem Ende des 7. oder dem Beginn des 6. Jh. v.u.Z. auf der Insel Elephantine niedergelassen hatten, nennen ihren Gott Jhw bzw. in einigen Ostraka auch Jhh was wohl auf eine Vokalisation „Jahô“ schließen lässt14. Ein in Qumran gefundener Text (4QpapLXXLevb), der ein griechisches Fragment des Buches Levitikus enthält, gibt das Tetragramm mit Iaṓ wieder: „Wenn jemand ein einziges Gebot des Iaṓ verletzt und es nicht tut …“ (4,27). Im Griechischen hat Iaṓ zwei Silben und wird ia-o ausgesprochen was dem hebräischen oder aramäischen Ja-hô entspricht. All dies zeigt, dass zu der Zeit, als man den Pentateuch ins Griechische übersetzte, diese Aussprache bekannt und verbreitet war. Man kann dazu auch Diodor von Sizilien (1. Jh.) zitieren, der in seiner Bibliothek (I, 94, 2) schreibt: „Man erzählt, dass […] bei den Juden Mose gesagt hat, er habe die Gesetze von einem Gott namens Iaṓ15 bekommen.“ Außerdem findet man die Aussprache Jaō häufig in sogenannten magischen Papyri, Dokumenten, die einen Synkretismus zwischen den griechischen, ägyptischen, jüdischen u.a. Religionen widerspiegeln, sowie in der christlichen Gnosis16. Die Untersuchung kommt also zu dem Schluss, dass die alte, ursprüngliche Aussprache des Namens des Gottes Israels „Jahô“ war, das heißt, das Tetragramm war ursprünglich also ein Trigramm17. Das bedeutet auch, dass das w in Jhw keinen konsonantischen Wert hat, sondern als mater lectionis gelesen werden muss, die den Laut „o“ anzeigt. Der Endbuchstabe h des Tetragramms Jhwh wäre dann als Längenzeichen für das vorausgehende o zu interpretieren. Wir werden auf die Frage nach den Belegen für den Namen Jhwh außerhalb der Bibel noch zurückkommen. An dieser Stelle soll nur schon einmal festgehalten werden, dass die ältesten (aus Ägypten stammenden) Texte, die vielleicht einen Gott Jahô erwähnen, die Kurzform (das Äquivalent von Jhw) belegen. 14 Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 477, 480–483. 15 Die Aussprache von Iaō („Jahô“) findet sich wahrscheinlich auch auf einer Votivstele aus römischer Zeit (3. Jh.), die Zeus Serapis geweiht ist, einem Gott, der von Ptolemäus I. als Nationalgott Griechenlands und Ägyptens neu erschaffen wurde und der (wohl im Nachhinein) mit Iaō identifiziert wurde (die Stele befindet sich heute im Museum von León in Spanien). Eine Abbildung findet sich unter http://www.ileon.com/cultura/057366/una-lapida-votiva-en-honor-a-serapis-pieza-del-mes-de-diciembre-en-elmuseo-de-leon (eingesehen 14.01.2018) 16 Dazu ausführlich: David E. Aune: „Iao“, in: Reallexikon für Antike und Christentum Bd. 17, 1996, Kol. 1–12. 17 Zu demselben Schluss kommt auch Martin Rose: Jahwe. Zum Streit um den alttestamentlichen Gottesnamen, Zürich (TVZ) 1978.
Jahwe oder Jahû/Jahô
Der bis heute älteste Beleg für die Langform findet sich seinerseits auf der Mescha-Stele, einer schwarzen Basaltstele, die 1868 entdeckt wurde und heute im Louvre aufbewahrt wird. Sie trägt eine moabitische Inschrift aus dem 9. Jh. v.u.Z. und berichtet vom Sieg Meschas, des Königs von Moab, und seines Gottes Kamosch über Omri, den König von Israel und seinen Gott Jhwh. In Kuntillet Adschrud wurden Inschriften entdeckt, die aus der 1. Hälfte des 8. Jh. v.u.Z. stammen und sowohl die Kurzform Jhw als auch die lange Form Jhwh belegen; ab dem 7. Jh. v.u.Z. finden sich dann zahlreiche Belege für das Tetragramm in Inschriften außerhalb der Bibel18. Offensichtlich existierten beide Varianten des Namens nebeneinander, und die Kurzform wurde weitgehend in den theophoren Eigennamen genutzt. Übrigens zeigen auch die theophoren Eigennamen in Inschriften außerhalb der Bibel zwei Varianten, die wahrscheinlich jeweils auf einen unterschiedlichen geographischen Kontext verweisen. Namen mit der Endung -jw (als „Jau“ in den neuassyrischen Dokumenten transkribiert) stammen mehrheitlich aus dem Norden, die Endung -jh („Jah“ oder „Jahû“/„Jahô“) eher aus dem Süden19. Wurde der göttliche Name im Norden und im Süden unterschiedlich ausgesprochen? Das ist nicht unmöglich, aber wir besitzen noch nicht genügend Informationen, um diese Frage zu entscheiden. Dagegen scheint es ziemlich eindeutig zu sein, dass die ursprüngliche Aussprache von Jhwh „Jahô“ oder „Jahû“ gewesen ist. Doch woher kommt die Aussprache „Jahwe“, die vor allem bei den Kirchenvätern belegt ist? Ist diese bloß eine gelehrte Spekulation, ausgehend von der göttlichen Selbstvorstellung in Exodus 3,14 („ʾehjeh ʾašer ʾehjeh“)? Oder handelt es sich – wie der jüdische Gelehrte Theodotion (1. oder 2. Jh.) sagt – um die Aussprache, die bei den Samaritanern üblich war? Oder muss man sich eine allgemeinere Entwicklung von Jahô zu Jahwe vorstellen? Diese Entwicklung kann man mithilfe einer theologischen Hypothese erklären, die auch unterschwellig in der Erzählung von Exodus 3 erkennbar ist, nämlich mit der Erklärung der Bedeutung des Namens Jhwh durch die hebräische Wurzel h-j-h „sein“. Die Aussprache „Jahwe“ entspricht in der Tat der Vokalisierung einer Kausativ-Form dieses Verbs in der 3. Person Singular Maskulinum. Jahwe wäre dann also „der, der sein lässt“, der, der erschafft … Genau diese Spekulation hat zu dieser Aussprache führen können, die wahrscheinlich viel jünger ist als „Jahô“ oder „Jahû“. 18 Eine gute Zusammenfassung der außerbiblischen Belege findet sich bei Johann Renz und Wolfgang Röllig: Handbuch der althebräischen Epigraphik. II/1 Johannes Renz: Die althebräischen Inschriften. Zusammenfassende Erörterungen, Paläographie und Glossar, Darmstadt (WBG) 1995, S. 89–90. 19 Manfred Weippert: „Jahwe“, in: Jahwe und die anderen Götter. Studien zur Religionsgeschichte des antiken Israel in ihrem syrisch-palästinensischen Kontext, Tübingen (Mohr Siebeck) 1997, S. 35–44.
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1. Der Gott Israels und sein Name
Was bedeutet der Name Jahô/Jahwe? Diese Frage gibt Anlass zu langen und leidenschaftlichen Diskussionen. Vielleicht muss man sie relativieren20. Ist es, um jemanden zu benennen oder anzurufen, wirklich so wichtig, die Bedeutung seines Namens zu kennen? Die Etymologie kann in Vergessenheit geraten, sie kann unklar sein und für die kultische Verehrung, die dieser oder jener Gottheit entgegengebracht wird, keine Rolle spielen. Auch kann man im Nachhinein Etymologien erfinden. In jedem Fall definiert der Name nicht notwendigerweise die „Natur“ einer Gottheit. Aus religionswissenschaftlicher Sicht ist es wichtiger, die Funktionen zu kennen, die die Menschen dieser oder jener Gottheit zuweisen, als die ursprüngliche Bedeutung ihres Namens. Die Bedeutung von Jhwh gibt jedenfalls zu zahlreichen Hypothesen Anlass, und man kann nicht sagen, dass schon eine Lösung gefunden wurde, die alle überzeugt. Wir haben gerade gesehen, dass der Text von Exodus 3 eine Verbindung zwischen dem göttlichen Namen und der Wurzel h-j-h impliziert. In der Folge dieser Beobachtung gibt es zahlreiche Erklärungsansätze, die von einer Wurzel „sein“ ausgehen. Tatsächlich findet man in den amoritischen Personennamen, die in Mari belegt sind (einer bedeutenden Stadt des 2. Jt. am Ufer des Euphrat im heutigen Syrien), Namen wie Jaḫwi-ilum („El21 ist, manifestiert sich“); Jaḫwi-Adad („Adad22 manifestiert sich“) etc. Für einige Forscher steht daher die Verbform „Jaḫwi“ am Anfang des Namens Jhwh23. Dass im Fall von Jhwh („Er ist“) der Name der Gottheit fehlt, wäre dann der Beleg dafür, dass die Israeliten von Anfang an eine abstraktere Vorstellung von ihrer Gottheit gehabt hätten als ihre Nachbarn und dass sie ihren Gott angerufen hätten, ohne ihm einen Eigennamen zu geben. Dieser Gedanke ist allerdings sehr theologisch und aus religionsgeschichtlicher Sicht wenig plausibel. Andere gehen vom Laut „a“ in der Präformativsilbe des Wortes Jahwe aus, der nach den Regeln der hebräischen Grammatik eine kausative Form anzeige24: 20 Karel van der Toorn: „Yahweh“, in: Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 19992, S. 910–919. 21 In der Götterwelt von Ugarit/Ras Schamra ist El (Ilu) der oberste Gott. Aber ʾilu kann einfach auch nur „Gott“, „Gottheit“ heißen. 22 Gott des Gewitters. 23 Wolfram von Soden: „Jahwe ‚Er ist, Er erweist sich‘“, in: Hans-Peter Müller (Hg.): Bibel und Alter Orient. Altorientalische Beiträge zum Alten Testament von Wolfram von Soden, Berlin (Walter de Gruyter) 1985, S. 78–88; Frank M. Cross: Canaanite Myth and Hebrew Epic, Cambridge (Harvard University Press) 1973, S. 70. 24 William F. Albright: Yahweh and the Gods of Canaan. A Historical Analysis of two Contrasting Faiths, Winona Lake (Eisenbrauns) 1994 [1968], S. 147–149.
Was bedeutet der Name Jahô/Jahwe?
„der, der sein lässt“, „der, der erschafft“. Dieser Name beschriebe also ursprünglich eine bestimmte Manifestation des Gottes El, dessen vollständiger Name ʾēl jāhweh jiśrāʾēl („El gibt Israel das Leben, El erschafft Israel“) gewesen wäre. Diese Theorie weist gleich zwei Probleme auf: Im Hebräischen gibt es für das Verb „sein“ (h-j-h) keine Kausativform. Und es ist kaum plausibel, dass Jhwh ursprünglich die Bezeichnung für einen Schöpfergott gewesen ist. Eine andere Lösung geht von der Kurzform Jāh aus. Der skandinavische Wissenschaftler Sigmund Mowinckel war zum Beispiel der Ansicht, die ursprüngliche Form von Jhwh sei „Ja huwa“ („da ist er; er ist es“) gewesen. Jah wäre dann also ursprünglich ein kultischer Ruf gewesen, der sich allmählich zu einem Substantiv entwickelt hätte, das die Gottheit bezeichnete, die man anrief25. Für eine derartige Entstehungsgeschichte eines göttlichen Namens gibt es allerdings keine Parallelen. Die Hypothese, dass der Name Jhwh aus einer präformativ konjugierten Verbform gebildet wurde, bleibt ziemlich wahrscheinlich. Was die Wurzel angeht, die Jhwh zugrunde liegt, wurden mehrere Vorschläge gemacht. Man hat eine Verbindung zur semitischen Wurzel ḥ-w-j („zerstören“, hebräisch h-w-h) angenommen: „er zerstört“; Jhwh wäre dann ein zerstörerischer Gott. Eine andere Spur kann darin liegen – und wir werden darauf noch zurückkommen –, dass Jhwh aus dem Süden, aus einem edomitischen, also arabischen Umfeld kommt. Vor allem Ernst Axel Knauf26 hat darauf hingewiesen, dass die präislamischen Araber Gottheiten kannten, deren Namen von einem präformativ konjugierten Verb in der dritten Person abgeleitet waren, wie Jaģū („Er hilft“) und Jaʿūq („Er schützt“)27. Die süd-semitische Wurzel, die man zum Tetragramm in Beziehung setzen könnte, wäre also die semitische Wurzel h-w-j, die drei Bedeutungen hat: „begehren“, „fallen“, „wehen“. Die beiden Bedeutungen „begehren“ und „fallen“ sind auch im biblischen Hebräisch belegt, allein die Bedeutung „wehen“ ist es nicht. Vielleicht handelt es sich dabei um ein bewusstes Vermeiden eben wegen des göttlichen Namens. Wie schon der bedeutende Bibelforscher Julius Wellhausen Ende des 19. Jh. angemerkt hat, passt die Bedeutung „wehen“ sehr gut auf eine Gottheit vom Typ Gewittergott: „Er fährt durch die Lüfte, er weht“28. Diese Er25 Sigmund Mowinckel: „The name of the god of Moses“, in: Hebrew Union College Annual 32 (1961), S. 121–133. Diese These ist wieder aufgenommen bei Alvaro López Pego: „Sobre el origen de los teónimos Yah y Yahweh“, in: Estudios biblicos 56 (1998), S. 5–39. 26 Ernst Axel Knauf: „Yahweh“, in: Vetus Testamentum 34 (1984), S. 467–472. 27 Diese beiden Namen sind im Koran und in der Kitāb al-Aṣnām (Das Götzenbuch) belegt, in dem Ibn al-Kalbī (737–819) von den arabischen Göttern der vorislamischen Zeit spricht. 28 Julius Wellhausen: Israelitische und Jüdische Geschichte, Berlin (Georg Reimer) 1914, S. 25 Anm. 1.
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1. Der Gott Israels und sein Name
klärung ist vielleicht zum jetzigen Kenntnisstand die befriedigendste, obwohl auch sie nicht ohne Probleme ist29. Jhwh wäre also der, der weht, der den Wind bringt, ein Gewittergott, der auch kriegerische Züge haben kann; und eine solche Charakterisierung passt ziemlich gut, wie wir sehen werden, zu den ursprünglichen Funktionen Jhwhs.
29 In der alt-semitischen Lebenswelt sind Götternamen, die von einem präformativ konjugierten Verb abgeleitet sind, eher selten.
2. Die geographische Herkunft Jhwhs Wo kommt Jhwh her? Nach der biblischen Erzählung erscheint Jhwh Mose, als dieser sich verirrt, während er die Herde seines Schwiegervaters weidet und zu einem „Gottesberg“ gelangt, der Horeb heißt (Exodus 3), und ein anderes Mal, als er schon wieder in Ägypten ist (Exodus 6) und zu Jhwh zurückkehrt. Nach diesen beiden Erzählungen besteht die Beziehung zwischen Jhwh und Israel nicht schon von Anfang an, sondern ist vielmehr das Ergebnis einer Begegnung. Die beiden Bibelstellen, die die Berufung des Mose durch den Gott Israels schildern, lokalisieren diese außerhalb des Landes Israel, in einem Gebiet zwischen Ägypten und Juda, dessen Lage wir im Folgenden noch näher bestimmen müssen. Der Gedanke, dass der Gott Jhwh nicht-israelitischen Ursprungs sein könnte, hat sich in der Forschung relativ schnell durchgesetzt. Und aufgrund archäologischer Funde, die man Ende des 19. und im Laufe des 20. Jh. in der Levante und in Mesopotamien gemacht hat, sind verschiedene Hypothesen über seine Herkunft aufgestellt worden. Diese stützen sich oft auf Eigennamen, von denen man glaubte, dass sie mit dem Namen Jhwh in Verbindung gebracht werden können. Die Spuren, die man in Betracht gezogen hat, weisen vor allem nach Ebla, Ugarit, Mari und Ägypten sowie in das Gebiet des Sinai und in den Süden des Negev.
Ebla (Tell Mardikh) Das in Syrien gelegene Ebla war schon seit dem 3. Jt. ein bedeutender Ort und hatte eine geostrategisch wichtige Lage an einem Pass, der den Zugang zum Mittelmeer kontrollierte. Die von italienischen Archäologen geleiteten Ausgrabungen haben Archive zutage gefördert, die mehr als 17.000 Tontafeln bzw. Tontafelfragmente umfassen, die auf Sumerisch oder auf Eblaitisch verfasst sind, einem lokalen Dialekt, der in Keilschrift geschrieben wurde. Die Schriftdokumente beziehen sich vor allem auf das 15. und 14. Jh. v.u.Z. In ihnen stößt man auf Personennamen, die auf -ya enden und die einer der großen Kenner Eblas, Giovanni Pettinato, als Kurzform des Namens Jhwh interpretiert hat1. Doch drängt sich diese Interpretation keinesfalls auf, denn diese Silbe ist entweder eine hypokoristische Endung (also eine Verkleinerungsform) oder eine Möglichkeit, die
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Giovanni Pettinato: „Il calendario di Ebla al tempo del re Ibbi-Sipiš sulla base di TM.75.G.427“, in: Archiv für Orientforschung 25 (1974–1977), S. 1–36.
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2. Die geographische Herkunft Jhwhs
allgemeine Bezeichnung ili („mein Gott“) widerzugeben2. Ein Gott Ja erscheint zudem in keiner Opferliste. Es gibt also keinen Gott Jhwh in Ebla.
Ugarit Ugarit liegt im heutigen Syrien, in der Nähe der Stadt Latakia, und war im 14. und 13. Jh. v.u.Z. ein blühender Stadtstaat. Systematische Ausgrabungen seit den 1930er Jahren haben zahlreiche beeindruckende Dokumente aus Verwaltung, Kult und Mythologie hervorgebracht, von denen einige auf Ugaritisch abgefasst sind, einer semitischen Sprache, die in alphabetischer Keilschrift geschrieben wurde. In einem der mythologischen Texte – innerhalb eines Passus (Keilschriftliche Texte aus Ugarit [KTU] 1.1.IV,13–323), von dem nur noch Fragmente existieren und der sich auf ein Bankett des Gottes El zu beziehen scheint – findet sich eine Wendung, die man vielleicht folgendermaßen übersetzen könnte: „Der Name meines Sohnes, Jw – Göttin/Gott (Götter?)“. Man hat hierin manchmal eine Abkürzung der Kurzform des Namens des Gottes Israels sehen wollen. Der Gott El würde dann also sagen: „Der Name meines Sohnes (ist) Jhwh.“ In diesem Fall könnte man das Fragment mit der ursprünglichen Version eines Verses aus dem Deuteronomium in Verbindung bringen, in dem Jhwh als Sohn des kanaanäischen Gottes El verstanden zu werden scheint. Der masoretische Text (Dtn 32,8–9), so wie man ihn im Pentateuch findet, lautet: „Als der Höchste den Nationen ihren Erbbesitz zuteilte, als er die Menschen voneinander schied, bestimmte er die Gebiete der Völker nach der Zahl der Söhne Israels. Ja, der Anteil Jhwhs ist sein Volk, Jakob ist sein zugewiesener Teil.“ Dagegen lautet der ursprüngliche Text (den man auf der Grundlage der griechischen Übersetzung und eines Qumran-Fragments rekonstruieren kann): „Als Eljon (der Höchste) die Nationen als Erbe gab, als er die Menschen aufteilte, legte er die Gebiete der Völker nach der Zahl der Söhne Gottes (Els) fest. Ja, der Anteil Jhwhs ist sein Volk, Jakob ist sein zugewiesener Teil.“ Nach diesem Text ist Jhwh einer der Söhne des Gottes El, so wie das auch bei besagtem Fragment aus Ugarit der Fall sein könnte. Man kann die Gleichsetzung von Jw und Jhwh nicht definitiv ausschließen, was bedeuten würde, dass Jhwh im 13. oder 12. Jh. v.u.Z. in Ugarit bekannt war und (zumindest am Rande) zu dessen Götterwelt gehörte. Allerdings ist dieser 2 Hans-Peter Müller: „Gab es in Ebla einen Gottesnamen Ja?“, in: Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie 70 (1980), S. 70–92; Karel van der Toorn: „Jahweh“, in: Dictionary of Deities and Demons in the Bible 19992, S. 910–911. 3 Eine deutsche Übersetzung findet sich bei Herbert Niehr: „Mythen und Epen aus Ugarit”, in: Bernd Janowski und Daniel Schwemer (Hgg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge, Band 8, Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus) 2015, S. 177–301, hier S. 191–192.
Mari
Textauszug ziemlich unklar und zu fragmentarisch, als dass man von einer Verehrung des Gottes Jhwh in Ugarit sprechen könnte. André Caquot, der die französische Edition dieses Textes vorbereitet hat, hat eine Verbindung zwischen diesem Jw und einer Gottheit Ieuô vorgeschlagen, die nach Porphyrios von Tyros (234–ca. 305) eine ehemalige Gottheit Beiruts war. Eusebius (ca. 265–339), Bischof von Caesarea, zitiert Porphyrios in seiner Praeparatio evangelica (Vorbereitung auf das Evangelium) I,9: „Sanchuniaton von Berytos hat eine Geschichte der Juden verfasst, die alle Charaktere der Wahrheit enthält und sich sehr gut mit ihren Namen und ihren Orten auskennt; er hatte dazu Erinnerungsnotizen des Hierombalus bekommen, eines Priesters des Gottes Ieuô.“ Dort (I,10) erfährt man auch, dass die Stadt Beirut dem Gott Poseidon gehörte; daher der Gedanke Caquots, Jw sei eine allographische Variante für Jm und würde Jam bezeichnen, den Meeresgott der levantinischen Götterwelt, – zumal Jm eine Zeile später im ugaritischen Text tatsächlich genannt werde4. Das hieße, KTU 1.1.IV beschriebe ein Bankett, dem El vorsitzt und während dessen er seinen Sohn Jam zum König ernennt, wobei er ihm den Namen Jw gibt. Aber vielleicht gibt es eine noch einfachere Erklärung: Es könnte sich um einen Schreibfehler handeln, wie er oft bei der Transkription ugaritischer wie auch anderer Texte vorkommt.
Mari Mari (Tell Hariri) war im 3. und vor allem im 2. Jt. v.u.Z. eine bedeutende Stadt am Ufer des Euphrat in der Nähe der heutigen syrisch-irakischen Grenze. Sie hat den Archäologen einen prächtigen Palast und eine sehr reiche Bibliothek zu bieten. Aufgrund von Eigennamen wie Jaḫwi-ilum, deren Erwähnung man dort gefunden hat, sind einige Forscher auf den Gedanken gekommen, der Gott Jhwh sei im Königreich Mari verehrt worden5. Diese Namen, die mithilfe einer Wurzel, die „sich manifestieren“ bedeutet, gebildet worden sind, können kaum mit Jhwh in Verbindung gebracht werden. Denn man hätte dann einfach nur eine Verbalform („Er manifestiert sich“) ohne den Namen der Gottheit.
4 André Caquot u.a.: Textes ougaritiques. Mythes et légendes, Bd. 1, Paris (Cerf) 1974, S. 309. 5 André Finet: „Yahvé au royaume de Mari“, in: Res Orientalia 5 (1993), S. 15–22.
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2. Die geographische Herkunft Jhwhs
Zwischen Ägypten und Seir In einem ägyptischen Papyrus, der auf 1330–1230 v.u.Z. datiert wird, findet sich ein Eigenname, der an die Kurzform von Jhwh denken lässt, nämlich Jah6. Dieser Name könnte einen kanaanäischen Eigennamen transkribieren: ʾadōnī-rōʿē- jāh, „Mein Herr ist der Hirte des Jah“. Aber dieser theophore Name bestünde aus drei Elementen, entgegen der allgemeinen Norm, die nur zwei zulässt. Man könnte sich eine andere Erklärung vorstellen, nämlich dass „Jah“ hier ein Toponym ist. Vielleicht ließe sich dann auch eine Verbindung zu den berühmten Schasu-Nomaden herstellen, die in ägyptischen Texten – oft zusammen mit der Bezeichnung Jhw – erwähnt werden. Das Wort š3sw könnte vom ägyptischen „herumirren“ oder von š3s „gehen, durchqueren“ abgeleitet sein. In einem Verzeichnis des Amenophis III. aus Soleb im Sudan (gest. um 1370) findet sich unter anderem eine Liste, die verschiedene Erwähnungen dieser Nomaden mit Angabe ihres Territoriums enthält; darunter „Land – der Schasu – Jhw(h)“ oder „Jhw(h) im Land der Schasu“. Dieselbe Bezeichnung taucht noch an einer anderen Stelle in Soleb auf und ebenfalls in einer Liste, die sich in einer Halle des Tempels von Ramses in Amara West (ebenfalls im Sudan)7 befindet. In diesen Texten scheint Jhw3 eine geographische Angabe (ein Berg?) zu sein und eventuell auch ein göttlicher Name; das lässt sich damit erklären, dass der Gott eines bestimmten Ortes mit diesem Ort gleichgesetzt werden und so dessen Namen annehmen kann. In den erwähnten Listen liegen die Gebiete der Schasu vor allem im Negev, also weiter im Süden, aber laut anderen Inschriften gibt es Schasu auch weiter im Norden der Levante bis hinauf nach Qatna im Gebiet des heutigen Syrien. Mit Manfred Weippert kann man das erste Toponym auf der Liste, „Seir“, als eine Art Überschrift verstehen, die das allgemeine Gebiet angibt, in dem sich die danach erwähnten Orte befinden8. Dies würde damit übereinstimmen, dass die ältesten Belege von Jhwh uns nach Süd-Palästina, in das Gebiet von Edom und der Araba führen. Der Papyrus Anastasi VI, der die Schasu von Edom erwähnt, denen der Pharao Merenptah gestattet, sich mit ihren Herden in Ägypten aufzuhalten, bestätigt diese Lokalisierung: „Wir sind damit fertig die Shasu Familien von Edom die Festung des Merenptah … von Tjeku passieren zu lassen nach den Teichen des 6 Thomas Schneider: „The first documented occurence oft the god Yahweh? (Book of the Dead Princeton „Roll 5”)“, in: Journal of Ancient Near Eastern Religions 7 (2008), S. 113–120. 7 Amara West war ab der Regierungszeit von Sethos I. (1294–1279 v.u.Z.) der Sitz der ägyptischen Verwaltung von Obernubien (Kusch) und bekannt unter dem Namen „Haus-des-Ramses-geliebt-von-Amun“. 8 Manfred Weippert: „Semitische Nomaden des zweiten Jahrtausends. Über die Š3św der ägyptischen Quellen“, in: Biblica 55 (1974), S. 265–280 und 427–433.
Die biblischen Belege für eine Herkunft Jhwhs aus dem Süden
Atum-Tempels des Merenptah […] von Tjeku, um sie und ihr Vieh am Leben zu erhalten und ihre Herden am Leben zu erhalten nach dem guten Willen des Pharao […]9.“ Auch der Papyrus Harris I (aus der Zeit Ramses IV., um 1150 v.u.Z.) soll an dieser Stelle erwähnt werden. Hier rühmt sich der Pharao: „Ich vernichtete Seir unter den Schasu-Stämmen, und ich plünderte ihre Zelte – ihre Menschen, ihre Besitztümer, ihr Vieh gleicherweise, ohne Zahl. Nachdem sie gefesselt und als Beute, als Abgabe für Ägypten gebracht worden waren, gab ich sie der Neunheit [den großen ägyptischen Göttern] als Sklaven10.“ Ein ikonographischer Beleg für die Schasu findet sich auf einem beschädigten Relief im Tempel des Amun-Re in Karnak, das die palästinensischen Feldzüge von Sethos I. (1290–1280 v.u.Z.) darstellt. Man erkennt die Schasu an ihrem Spitzbart und an dem Stirnband, dass ihre Haare hochdrückt. Der Kampf des ägyptischen Königs gegen die Schasu bestätigt ihre Bedeutung. Offensichtlich hatten sie mit dem Kupferabbau in den Minen der Araba zu tun, die infolge der ägyptischen Bergwerksexpeditionen zum Zentrum dieser Industrie wurde. Ausgrabungen und Stichproben im Timna-Tal, 30 km nördlich von Eilat, haben Zeugnisse für Kupferabbau und für Kupferschmelze in Öfen zutage gebracht. Der Höhepunkt dieser Abbautätigkeiten im Timna-Tal lag zwischen dem 14. und 13. Jh. v.u.Z. In derselben Gegend liegt auch ein anderer Ort, der im Buch Numeri (33,26) erwähnt und mit den Schasu aus der Liste von Amara West in Verbindung gebracht wird, Punon (Fenan/Feinan in Jordanien). Das heißt: Archäologische, epigraphische und ikonographische Zeugnisse belegen Schasu im Gebiet von Edom, Seir und der Araba zur Zeit des Übergangs von der Spätbronze- zur Eisenzeit. Und unter diesen Schasu gab es vielleicht eine Gruppe, deren Schutzgott Jhw hieß. Diese Belege können zu einer biblischen Überlieferung in Beziehung gebracht werden, wonach der Gott Jhwh ein Gott aus dem „Süden“ ist.
Die biblischen Belege für eine Herkunft Jhwhs aus dem Süden Eine „südliche“ Herkunft Jhwhs geben in der Tat vier poetische Texte der Hebräischen Bibel an. Zunächst heißt es im Buch Deuteronomium in einem Psalm, der Mose zugeschrieben wird (33,2):
9 (Vereinfachte) deutsche Übersetzung nach Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 172–173. 10 (Vereinfachte) deutsche Übersetzung nach Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 193–194.
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2. Die geographische Herkunft Jhwhs
Er sagt: „Jhwh ist vom Sinai gekommen, für sie11 hat er von Seir geleuchtet, er hat vom Berg Paran aus gestrahlt; er ist in Meribat-Kadesch12 angekommen; aus seinem Süden zu den Hängen13, für sie.“ (Dtn 33,2). Dann im Richterbuch, innerhalb eines Liedes, das einen militärischen Sieg der Stämme Jhwhs feiert (Ri 5,4-5): (4) Jhwh, als du aus Seir herauskamst, als du vom Land Edom her näherkamst, bebte die Erde, auch der Himmel triefte, die Wolken trieften vor Wasser; (5) die Berge flohen vor Jhwh – diesem Sinai, vor Jhwh, dem Gott Israels. Eine sehr ähnliche Aussage findet sich in Psalm 68 (v. 8–9 und 18): (8) Oh Gott, als du an der Spitze deines Volkes herauskamst, als du über die ausgetrocknete Erde näherkamst – Pause – (9) bebte die Erde, ja, der Himmel triefte vor Gott – diesem Sinai – vor Gott, dem Gott Israels. (18) Die Wagen Gottes werden in zwanzig Tausenden gezählt, Tausende und Tausende; der Herr ist unter ihnen, der (derjenige vom ?) Sinai14 ist im Heiligtum.
11 Bezieht sich auf die Stämme, die in Vers 5 genannt werden. 12 Der hebräische Ausdruck mēriḇḇōt qōdeš ist schwer zu verstehen, einige übersetzen den masoretischen Text mit „er ist von den heiligen Myriaden gekommen“, was keinen wirklichen Sinn ergibt. Der Parallelismus spricht eher für eine geographische Angabe. Die Septuaginta versteht Qadesh als Eigennamen: „mit den Myriaden von Kadesch“. Manchmal findet man die Korrektur mēʿarḇōt „aus den Steppen“, was einen Sinn ergibt, oder – was ebenfalls möglich ist – mimmĕriḇat („aus Meriba“), da Meriba in Vers 8 erwähnt wird, der an den Aufstand in Meriba erinnert (vgl. Ex 17,7). 13 Das Ende des Verses ist so gut wie unübersetzbar. Die masoretische Vokalisierung schlägt so etwas vor wie: „aus seiner Rechten entspringt ein Gesetzesfeuer“. Der Terminus dāt („Gesetz“) ist ein Lehnwort aus dem Persischen; in diesem Fall könnte es sich um eine Glosse oder eine spätere Ergänzung handeln. Die Septuaginta hat „Engel mit ihm“, wohl um einen Parallelismus zu den Myriaden der Heiligen herzustellen. Die Übersetzungsmöglichkeit, die hier gewählt wurde, ist, das Wort als Femininum Plural zu verstehen, ʾašdôt, was so etwas wie „die Hänge“ bedeutet, den Übergang zwischen Hochgebirge und Wüste. 14 Der masoretische Text ist ziemlich unklar. Der hebräische Text wird manchmal von bām sînaj („in ihnen – Sinai“) in bāʾ mîssinaj („er ist vom Sinai gekommen“) korrigiert, aber es gibt keine Handschriften oder Versionen, die dies stützen.
Die biblischen Belege für eine Herkunft Jhwhs aus dem Süden
Schließlich enthält das 3. Kapitel des Buches, das dem Propheten Habakuk zugeschrieben wird, einen poetischen Text, der ganz ähnliche Gedanken aufgreift (Hab 3,3 und 10a): (3) Gott kommt aus Teman, der Heilige kommt vom Berg Paran. Pause. Sein Leuchten bedeckt den Himmel, sein Lob erfüllt die Erde. (10a) Die Berge sehen dich und zittern. Diese vier Texte sind untereinander durch dasselbe Thema verbunden und durch dieselbe Angabe einer „südlichen“ Herkunft des Gottes Jhwh, auch wenn die Details variieren können. Alle Passagen finden sich in poetischen Texten: Ri 5,4–5 ist die Eröffnung des Lieds der Debora, eines Kriegs- oder Siegesgesangs; Dtn 33,2 ist Teil eines Psalms, der Moses Segen über die Stämme Israels kurz vor seinem Tod einrahmt; Psalm 68 ist ein Hymnus, der das göttliche Eingreifen in kriegerische Auseinandersetzungen rühmt, und Habakuk 3 ein ebenfalls kriegerischer Psalm. Die beiden Textstellen aus Richter 5 und Psalm 68 sind besonders eng miteinander verwandt, wie diese Gegenüberstellung zeigt: (4) Jhwh, als du aus Seir heraus kamst, als du vom Land Edom her näherkamst, bebte die Erde, auch der Himmel triefte, die Wolken trieften vor Wasser; (5) die Berge flohen vor Jhwh – diesem Sinai, vor Jhwh, dem Gott Israels.
(8) Oh Gott, als du an der Spitze deines Volkes herauskamst, als du über die ausgetrocknete Erde näherkamst – Pause – (9) bebte die Erde, ja, der Himmel triefte vor Gott – diesem Sinai – vor Gott, dem Gott Israels.
Der offensichtlichste Unterschied zwischen beiden Textstellen besteht darin, dass das Tetragramm Jhwh in Psalm 68 nicht auftaucht. Denn dieser Psalm ist Teil des „Elohistischen Psalters“ (Psalm 42–83), einer Sammlung, in welcher die Redaktoren irgendwann an vielen Stellen den Namen Jhwh durch ʾĕlōhîm (Gott) ersetzt haben; wahrscheinlich aus universalistischen Motiven oder um ein Aussprechen des Tetragramms bei der Rezitation dieser Psalmen zu umgehen15. 15 Es handelt sich vielleicht um eine theologische Entscheidung der Asaphiten, einer Gruppe innerhalb der Leviten (der Priester, aus denen die Kantoren kamen), die diese Psalmensammlung angelegt und redigiert haben. Dass es genau 42 Psalmen sind, ist wahrscheinlich nicht zufällig. Nach einigen Textzeugnissen enthielt der Elohistische Psalter möglicherweise 42 Erwähnungen des Tetragramms (im Talmud, Traktat Kidduschin 71a findet sich der Gedanke, dass der göttliche Name aus 42 Buchstaben besteht – wahrscheinlich eine Kombination verschiedener Bezeichnungen des Gottes Israels). In Mesopotamien wird diese Zahl oft gebraucht, um lange Hymnen zu untertei-
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Psalm 68 weist am Ende von Vers 9 noch sichtbare Spuren dieses Austausches auf, wo der aktuelle Text „Elohim, Elohim Israels“ wiederholt – was keinen Sinn ergibt. Man sieht sehr gut, dass das erste „Elohim“ ursprünglich „Jhwh“ gewesen ist: „Jhwh, Gott Israels“. Setzt man in Psalm 68 wieder Jhwh an die Stelle von „Elohim“, dann sind beide Texte in weiten Teilen identisch (nebenbei bemerkt, hat sich an anderen Stellen des Psalms das Tetragramm erhalten). In beiden Texten „kommt“ Jhwh „heraus“, um in einen Krieg gegen seine Feinde einzugreifen. In beiden Texten wendet sich der Verfasser zunächst direkt an Jhwh in der zweiten Person, dann spricht er von ihm in der dritten Person. Man findet dieselbe Beschreibung der Erschütterung von Himmel und Erde, die durch das Erscheinen des kriegerischen Gottes hervorgerufen wird. Identisch ist auch die Charakterisierung Jhwhs durch die seltsame Apposition zeh sînaj, auf die wir noch zurückkommen werden. Der größte Unterschied zwischen den beiden Textstellen besteht darin, dass Jhwh im Richterbuch aus Seir/Edom kommt, während Psalm 68 von einem Kommen über jĕšîmôn spricht – ein ziemlich seltenes Wort, das so etwas wie „wüstenähnlicher Ort“ bedeutet. Handelt es sich hier um eine Anspielung auf die Überlieferung vom Aufenthalt Israels in der Wüste – wie zum Beispiel Walter Gross in einem Kommentar zum Richterbuch meint16? Aber in diesem Fall versteht man nicht wirklich, warum der Verfasser, wenn er von der Wüste sprechen will, nicht den viel geläufigeren Terminus midbār benutzt, der diese Überlieferung unmittelbar evoziert. Vielleicht will der Verfasser von Psalm 68 den Akzent auf die Funktion dieses Gottes legen: Er kommt heraus, durchquert die Wüste und bringt dabei Regen und also auch Fruchtbarkeit. Aber es könnte sich auch um eine Anspielung auf eine ganz bestimmte Region handeln, die wir nicht mehr genau identifizieren können. Wie kann man diese Parallelen erklären? Hängen beide Texte von einer gemeinsamen Quelle ab oder greift ein Text den anderen auf? Man muss nicht notwendigerweise eine gemeinsame Quelle postulieren: Man kann die Parallelen wie auch die Unterschiede durch die Hypothese erklären, dass Richter 5 den älteren Text darstellt, den der Verfasser von Psalm 68 wiederaufgreift. Letzterer enthält an verschiedenen anderen Stellen tatsächlich weitere Anspielungen auf andere Passagen des Liedes der Debora. So verweist Ps 68,14 („Werdet ihr im Lager liegen bleiben?“) auf Ri 5,16 („Warum bist du zwischen dem Gepäck gelen. Das ägyptische Totenbuch spricht von 42 Gottheiten und 42 Sünden, die man vermieden haben sollte. In der Hebräischen Bibel und im Neuen Testament steht die Zahl 42 auch in dem Ruf, Unglück zu bringen. Siehe dazu ausführlich Laura Joffe: „The answer to the meaning of life, the universe and the Elohistic Psalter“, in: Journal for the Study of the Old Testament 31 (2006), S. 81–101. 16 Walter Gross: Richter, Freiburg, Basel, Wien (Herder) 2009, S. 306–307.
Die Theophanie von Richter 5,4–5
blieben?“); das himmlische Heer, das in Ps 68,12 erwähnt wird, erinnert an den Kampf der Sterne in Ri 5,20. Abgesehen davon gilt Richter 5 – zumindest in seiner ursprünglichen Form – oft als einer der ältesten Texte der Hebräischen Bibel.
Die Theophanie von Richter 5,4–5im Gesamt zusammenhang des Deboralieds Das Lied der Debora preist die Ermordung des kanaanäischen Generals Sisera durch Jael, die Ehefrau eines seiner Verbündeten, bei der er nach seiner Niederlage gegen die von Barak angeführten Armeen Israels Zuflucht gesucht hatte. Zahlreiche Spezialisten sind heute der Meinung, dass es sich um einen sehr archaischen Text handelt, der in die Zeit vor dem Beginn des Königtums in Israel zurückreicht. Andere Exegeten sind jedoch der Meinung, dass es sich ganz im Gegenteil um einen späteren Text handelt, der die im vorherigen Kapitel (Richter 4) erzählte Episode noch einmal aufgreift, um dieser einen poetischen Abschluss zu verleihen. Die aktuellen Datierungen des Liedes in Richter 5 variieren also und reichen vom 12. Jh. v.u.Z. bis zur hellenistischen Zeit17. Es ist sehr schwierig zu entscheiden, ob sich das Lied auf ein bestimmtes historisches Ereignis bezieht oder ob es sich, wie einige Forscher ebenfalls vorgeschlagen haben, um einen mythologischen Text handelt18. Im Hebräischen bedeutet Debora ‚Biene‘, Barak ‚Blitz‘ und Jael ‚Ziege‘. Dies lässt natürlich an die griechische Mythologie denken, wo Melissa (die Biene) den jungen Zeus füttert und Amalthea (die Ziege) ihn säugt! In Richter 5 gibt Jael dem kanaanäischen General Sisera zwar Milch, aber um ihn zu töten! Diese Parallelisierungen sind sicherlich interessant, aber sie helfen kaum, den Text von Richter 5 zeitlich einzuordnen. Das Hebräisch des Deboralieds wirft zahlreiche Probleme auf: Es ist entweder archaisch oder bewusst archaisierend. Es enthält Verbformen, die in keiner Weise dem üblichen biblischen Hebräisch entsprechen. Man findet auch Aramaismen, die man ebenfalls in zwei völlig verschiedene Richtungen interpretieren kann. Die grammatikalischen Unterschiede von einer Stelle des Gedichts zur anderen zeigen, dass man mehrere Etappen in der Komposition und Verschriftlichung dieser Komposition voneinander unterscheiden muss. Zum Beispiel sieht man ziemlich schnell, dass die Verse 2 und 9–11 eine Interpolation darstellen. Tatsäch17 Christoph Levin: „Das Alter des Deboralieds“, in: Fortschreibungen. Gesammelte Studien zum Alten Testament, Berlin–New York (Walter de Gruyter) 2003, S. 124–141; Bernd-Jörg Diebner: „Wann sang Debora ihr Lied? Überlegungen zu zwei der ältesten Texte des TNK (Ri 4 und 5)“, in: Amsterdamse cahiers voor exegese en bijbelse theologie 14 (1995), S. 106–130. 18 Giovanni Garbini: „Il cantico di Debora“, in: La parola del passato 33 (1978), S. 5–31.
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lich schließen die Verse 6–8 und 12–14 aneinander an. Hier werden die Not und der Ruf zu den Waffen geschildert. Ebenso scheinen innerhalb der Beschreibung der verschiedenen Stämme, die in den Krieg verwickelt sind, die Verse 15–17 später eingeschoben zu sein, denn die Sentenz über Sebulon in Vers 14 setzt sich in Vers 18 fort19. Es ist ebenfalls möglich, dass der theophanische Hymnus von Ri 5,4–5 ursprünglich ein eigenständiges Textstück gewesen ist. Beim Lesen fällt auf, dass die Theophanie die einleitende Aufforderung zum Lobgesang in Vers 3 und den Beginn des Hauptteils mit der Beschreibung der schwierigen Lage in Vers 6 voneinander trennt. Dieser Hymnus könnte also eine alte Überlieferung weitergeben, die ein Redaktor im Nachhinein in dieses Lied eingefügt hat, das sich, wie ein Patchwork, aus verschiedenen Stücken zusammensetzt.
Die Herkunft Jhwhs nach Richter 5 und Psalm 68 Nach Ri 5,4 kommt Jhwh aus dem Gebiet von Edom, das hier parallel zu Seir gesetzt wird. Das hebräische Wort seir bedeutet „behaart“ und bezieht sich als geographischer Terminus auf ein waldreiches Gebiet innerhalb Edoms. Genauer gesagt bezeichnet Seir das Gebirge, das vom Wadi el-Hesa (dem biblischen Sered) bis zum Golf von Akaba (Eilat) reicht und die Grenze zu Moab bildet. Edom kann dagegen ein viel größeres Gebiet bezeichnen, das einen Großteil des südlichen Negev umfasst. In der Bibel werden die Bezeichnungen Edom und Seir jedoch oft synonym verwendet. Nach Richter 5 gehört der Sinai zu diesem Gebiet, denn Jhwh wird hier – wie auch in Psalm 68 – durch die Apposition zeh sînay näher bezeichnet. Wörtlich müsste man diese Wendung mit „Jhwh, das ist der Sinai“ übersetzen. Sinai wäre dann also ein anderer Name für Jhwh. Dies ist durchaus denkbar, wenn man davon ausgeht, dass Jhwh ursprünglich ein Toponym gewesen ist und einen Berg bezeichnet hat, dessen Name durch Bedeutungserweiterung zum Namen des Gottes wurde, der dort wohnte. Aber das Wort Sinai, dessen Bedeutung unklar bleibt, weist keine etymologische Verbindung zu Jhwh auf. Somit müsste man sich zwei verschiedene Berge vorstellen, die man irgendwann miteinander identifiziert hat – eine eher komplizierte Hypothese. Eine bessere Erklärung ist es, zeh in Analogie zum ugaritischen Determinativpronomen d, das es auch in einigen arabischen Sprachen gibt, zu verstehen und zeh sînay mit „derjenige aus dem Sinai“ zu übersetzen. Jhwh wäre dann die Gottheit vom Sinai, so wie die nabatäische Gottheit Ḏū eš-Šarā (Duschara) „der19 Die interpolierten Bibelverse greifen Beschreibungen wieder auf, die sich im poetischen Text von Gen 49,13–16 finden. Die Theorie, wonach die Erwähnung der anderen Stämme in Richter 5,15–17 von einem späteren Redaktor eingefügt worden ist, kann sich auch auf Richter 4 stützen, wo nur die Stämme Naftali und Sebulon erwähnt werden.
Die Herkunft Jhwhs nach Richter 5 und Psalm 68
jenige vom (Berg) Schara“ (im Petra-Gebirge) ist. Duschara war der Hauptgott der Nabatäer und wurde in Form einer Betyle, eines Kultsteins, verehrt, später dann unter hellenistischem Einfluss in der Gestalt eines jungen Gottes mit langen Haaren abgebildet (wie Dionysos) oder als schon ältere Gottheit mit Bart, die in hellenistischer Zeit mit Zeus-Hadad oder auch mit einer Sonnengottheit oder mit Dionysos identifiziert wurde. Diese Gleichsetzungen zeigen schon die unterschiedlichen Funktionen, die ihm zugewiesen wurden: als Schutzgott der Nabatäer ist Duschara Zeus oder ein Sonnengott; als Garant für Fruchtbarkeit ist er Hadad (ein Gewittergott in Mesopotamien und im antiken Syrien); als Patron der thîases (Treffen, bei denen man Wein trank) ist er Dionysos. Nach dieser Parallele wäre der Ausdruck „derjenige vom Sinai“ ein Beiname für Jhwh, der – wie wir noch sehen werden – wie Duschara im Lauf der Jahrhunderte verschiedene Funktionen und Namen annimmt. Die ursprüngliche geographische Lage des Sinai bleibt ein Rätsel. Man hat auch den Eindruck, dass die biblischen Erzähler in diesem Punkt nicht sehr deutlich sind. Der Hymnus in Ri 5,4–5 lokalisier ihn offensichtlich irgendwo in Edom und nicht auf der Halbinsel Sinai, wo die Überlieferung später den Berg der Offenbarung Jhwhs verortet hat. Der Text von Dtn 33,2 schließt diese Möglichkeit nicht aus: „Jhwh ist vom Sinai gekommen, für sie hat er von Seir geleuchtet, er hat vom Berg Paran aus gestrahlt; er ist in Meribat-Kadesch angekommen; aus seinem Süden zu den Hängen, für sie.“ Das Wort Paran wird in der Hebräischen Bibel in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht, und seine exakte Lokalisierung ist unmöglich. Es gibt heute in der Araba ein Naḥal Paran (ein in der Regel ausgetrocknetes Flussbett). Dieser moderne Name kommt vom biblischen Namen Paran, der in den meisten Texten eine Wüste bezeichnet, während es sich im Deuteronomium und im Buch Habakuk dagegen um einen Berg handelt. Nach Gen 21,21 lässt sich Ismael in der Wüste Paran nieder, die nach dem Gesamtzusammenhang dieser Erzählung irgendwo in Richtung Ägypten liegen muss, denn seine Mutter Hagar verheiratet ihn mit einer Ägypterin. In Numeri 13 befindet sich die Wüste Paran in der Nähe der Oase von Kadesch. In anderen biblischen Erzählungen wird mit Paran ein sehr großes Gebiet bezeichnet, das den ganzen Negev umfassen kann. In 1Könige 11,18, das die Flucht Hadads, eines edomitischen Gegners König Salomos, nach Ägypten schildert, ist Paran eine Station auf dem Weg von Midian nach Ägypten („von Midian aufgebrochen, kamen sie nach Paran, nahmen Männer aus Paran mit und kamen nach Ägypten zum Pharao“). Dieser Ort könnte mit der Oase von Wadi Feiran identisch sein, die auf der Strecke von Seir nach Ägypten liegt. Aber die spezielle Bezeichnung Berg Paran (die in der Bibel nur in den beiden Paralleltexten Deuteronomium 33 und Habakuk 3 belegt ist) zeigt wohl eher,
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dass wir es hier mit einer gelehrten Spekulation zu tun haben und nicht mit einer althergebrachten Erinnerung. Da Dtn 33,2 Kadesch erwähnt, kann es nur in der Zeit der Monarchie entstanden sein: Kadesch muss mit der Oase ʿEn el-qederat identifiziert werden, einem befestigten Ort, der zwischen dem 10. und dem 6. Jh. drei längere Siedlungsphasen erlebt hat. Daher ist es möglich, dass Deuteronomium 33 die Erzählungen von Richter 5 und Psalm 68 aufgreift und sie dann – davon ausgehend, dass der Berg Jhwh sich irgendwo auf der Sinai-Halbinsel zwischen Ägypten und dem Negev befindet – neu interpretiert. Hab 3,3 seinerseits nennt als Herkunft Jhwhs Paran, erwähnt den Sinai allerdings nicht: „Gott20 kommt aus Teman, der Heilige kommt vom Berg Paran. Pause. Sein Leuchten bedeckt den Himmel, sein Lob erfüllt die Erde.“ Hier findet sich ein Parallelismus zwischen Teman und dem Berg Paran. Der Terminus Teman ist in Genesis 36 in der Genealogie von Edom als Name einer Person oder eines Clans belegt. In einigen Texten scheint er eine Ortschaft oder ein Gebiet in Edom zu bezeichnen oder ein anderer Ausdruck für Edom zu sein (Jer 49,7 u. 20; Ez 25,13; Am 11,11–12; Obd 8–9). Außerhalb der Bibel erwähnt eine Inschrift aus Kuntillet Adschrud (auf die wir noch zurückkommen werden) neben einem Jhwh von Samaria einen Jhwh von Teman, was ganz einfach den „Süden“ meinen kann. Das Lexem (von der Wurzel y-m-n) bezeichnet in der Tat zum einen den Süden im Allgemeinen und wird zum anderen als geographischer Terminus gebraucht („Südland“). In Habakuk 3 kann Teman entweder den Süden im Allgemeinen meinen oder den Negev oder sogar – nimmt man Richter 5, Genesis 36 und andere Texte hinzu – das edomitische Gebiet21. Das Ergebnis des Vergleichs der vier Texte kann, was die Herkunft Jhwhs angeht, so zusammengefasst werden: Mit Ausnahme von Deuteronomium 33 (das aber insgesamt ziemlich unklar bleibt), wird Jhwh im Süden „lokalisiert“, in edomitischem Gebiet oder, ganz allgemein, in einem Gebiet südlich von Juda. Es ist sehr gut möglich, dass diese vier poetischen Abschnitte eine alte Überlieferung aufgreifen, nach der Jhwh eine Gottheit war, die mit einem Berg in der Wüste im Osten oder im Westen der Araba verbunden wurde. Diese Theorie ist von Henrik Pfeiffer heftig bestritten worden22. Für ihn stammen diese vier Textabschnitte aus viel jüngerer Zeit und setzen die Zerstö20 Hier findet sich der Name Eloah (mit „Gott“ übersetzt), der vor allem im Buch Ijob verwendet wird. 21 Ernst Axel Knauf: Midian. Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens am Ende des 2. Jahrtausends v. Chr., Wiesbaden (Harrassowitz) 1988, S. 52 Anm. 260. 22 Henrik Pfeiffer: Jahwes Kommen von Süden: Jdc 5, Hab 3, Dtn 33 und Ps 68 in ihrem literatur- und theologiegeschichtlichen Umfeld, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2005.
Jhwhs Eigenschaften in Richter 5 und Psalm 68
rung Jerusalems im Jahr 587 v.u.Z. voraus. Seiner Meinung nach sind sie verfasst worden, um den Verlust des Tempels Jhwhs in Jerusalem auszugleichen, indem er aus dem Gebiet von Juda heraus in die Wüste, in „feindliches“ Gebiet verlegt wurde. Die Vorstellung, dass diese poetischen und grammatikalisch schwierigen Texte eine bewusste theologische Erfindung von Redaktoren aus babylonischer oder persischer Zeit gewesen sind, erscheint jedoch anachronistisch. Es ist wahrscheinlicher, dass sie die Erinnerung an einen aus dem „Süden“ stammenden Jhwh bewahren23.
Jhwhs Eigenschaften in Richter 5 und Psalm 68 In Richter 5, im Psalm 68 und in gewisser Weise auch in Habakuk 3 (dieser Text sagt ein allgemeines Gericht über alle Bewohner der Erde voraus) wird das göttliche Erscheinen in einen kriegerischen Gesamtzusammenhang gestellt. Jhwh erscheint zunächst als Kriegsgott, der eingreift, um den Seinen zu helfen. Gleichzeitig lässt die Wortwahl dieser Texte an das Handeln eines Gewitterund Fruchtbarkeitsgottes denken – dem Gott Hadad in Syrien vergleichbar. Habakuk 3 scheint unter anderem auf den Kampf des Gewittergottes gegen das Meer und sein Gefolge anzuspielen, so wie er in den Texten von Ugarit beschrieben wird, die den Kampf Baals gegen Jam, die Personifizierung des Meeres schildern: „Regt Jhwh sich gegen die Flüsse auf? Richtest du deinen Zorn gegen die Flüsse, dein Wüten gegen das Meer, wenn du deine Pferde und deinen siegreichen Wagen besteigst?“ (Ha 3,8). Das Kommen Jhwhs wird in Richter 5 und in Psalm 68 wie auch in Ha 3,10 zudem von Erdbeben und einem Zurückweichen der Berge begleitet. All dies sind für das Erscheinen eines Gewittergottes typische Phänomene: „Die Erde bebte, auch der Himmel triefte, die Wolken trieften vor Wasser; die Berge flohen vor Jhwh“ (Ri 5,4–5); „Die Erde bebte, ja, der Himmel triefte vor Gott“ (Ps 68,8); „Die Berge erblicken dich und erbeben“ (Ha 3,10a). In einem Lobgesang auf Hadad (ca. 1780 v.u.Z.) bebt der Himmel und die Berge stürzen ein: „Hadad, der heldenhafte Sohn Anums, dem die großen Götter in hervorragender Weise die Vollendung seiner Kraft geschenkt haben: ein machtvolles Brüllen, das den Himmel und die Erde beben lässt; mit erhobenem Haupt; von dem die Intensität seiner schrecklichen Blitze es heftig regnen lässt.24“ 23 Die Diskussion geht weiter in: Berliner Theologische Zeitschrift 30 (2013). Henrik Pfeiffer: „Die Herkunft Jahwes und ihre Zeugen“ bleibt hier bei seiner Position, während Manfred Kebernik: „Die Anfänge des Jahwe-Glaubens aus altorientalistischer Perspektive“ die Hypothese von einer südlichen Herkunft Jhwhs für die wahrscheinlichste hält. 24 IV R 28 Nr 2; französische Übersetzung bei Dominique Charpin: „Chroniques biblio-
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Die Vorstellung von einem blendenden Leuchten der Gottheit findet sich auch – auf der Grundlage derselben Wurzel (z-r-h) wie in Dtn 33,2 – in einer Inschrift in Kuntillet Adschrud, einer ehemaligen Festung oder Karawanserei des Königreichs Juda. Auch hier wird das Erscheinen eines Gottes in einem kriegerischen Gesamtkontext von einem Einstürzen der Berge begleitet. Das Triefen der Wolken (Ri 5 und Ps 68) auf ausgetrocknetem Boden (Ps 68) ist eines der Hauptattribute des Gewittergottes. Die Texte unterstreichen zwei Eigenschaften Jhwhs: Er ist ein Kriegsgott, und er ist ein Gewittergott. Man versteht sofort, warum diese Gottheit von Gruppen verehrt wurde, die in trockenen Regionen lebten und in militärische Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen und mit der ägyptischen Zentralmacht verwickelt waren.
Jhwh und Seth Wenn Jhwh ein Gott aus dem Süden ist, hat er möglicherweise auch die Eigenschaften eines Steppengottes. Siegelskarabäen, die man im Negev und in Juda gefunden hat und die eine ikonographische Variante des Motivs des „Herrn der Tiere“ aufweisen, können möglicherweise mit einem solchen Steppengott in Verbindung gebracht werden. Sie stammen zum Großteil aus dem 10. und 9. Jh. v.u.Z. und zeigen eine Person, wahrscheinlich eine Gottheit, die Strauße zähmt25. Nach Othmar Keel und Christoph Uehlinger könnte es sich um eine Darstellung Jhwhs handeln26. Falls sich diese Identifizierung als richtig erweist, hätte man hier einen Hinweis darauf, dass Jhwh nicht nur als Gewittergott verehrt wurde, sondern auch als Gottheit der Steppen, der Dürregebiete. Kann man also vielleicht eine Verbindung zwischen Jhwh und dem ägyptischen Gott Seth herstellen? Dieser Gott ist im Laufe des 2. Jt. aus Ägypten in Richtung südliche Levante gewandert. Seth war immer ein Gott der Extreme, der in den Bergen, der Wüste und den Oasen lebte. Als aggressiver Kriegsgott ist Seth natürlich der Feind Osiris’ und dessen Sohnes Horus und symbolisiert die Unordnung, das Chaos, das Gegengraphiques 3. Données nouvelles sur la région du petit Zab au XVIIIe siècle av. J.-C.“, in: Revue d’assyriologie et d’archéologie orientale 2004, S. 151–178, S. 153. 25 Wir werden die Bedeutung der Strauße auf der midianitischen Keramik im folgenden Kapitel noch behandeln. 26 Othmar Keel und Christoph Uehlinger: Götter, Göttinnen und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen, Freiburg, Basel, Wien (Herder) 1992, S. 155, 157–158. Pirhiya Beck: „Bird figurines“, in: Itzhaq Beit-Arieh (Hg.): Ḥorvat Qitmit. An Edomite Shrine in the Biblical Negev, Tel Aviv (Institute of Archaeology Tel Aviv University) 1995, S. 141–151 ist der Meinung, dass diese Figur eher einen Helden darstellt.
Jhwh und Seth
teil von maʾat (der Ordnung der Welt und der Gesellschaft), aber er ist auch der Begleiter und Beschützer des Sonnengottes. Eine verbreitete ikonographische Darstellung zeigt, wie Seth sich gegen die Schlange Apophis stellt und der Barke des Sonnengottes so ihren Weg freihält. In dieser Funktion trägt er den Namen „Geliebter des Re“. Die Verbindung zwischen dem Sonnengott und Seth zeigt sich auch im Bericht des Wenamun, einer Erzählung aus dem Anfang des 1. Jt. v.u.Z., welcher die Reise eines hohen Beamten nach Byblos schildert. Als dieser am Ziel ankommt, sagt der Fürst von Byblos zu ihm: „Siehe, Amun donnert im Himmel, nachdem er Seth eingesetzt hat in seinen Bereich.27“ Diese enge Verbindung zwischen einem Sonnengott und einem Gewitter- oder Kriegsgott findet man kurze Zeit später wahrscheinlich auch in Jerusalem, als Jhwh sich dort niederlässt. Wie Jhwh ist Seth ein kinderloser Gott28, obwohl er mit der Göttin Nephthys (der Totengöttin) verheiratet ist. Seth wird jedoch für seine große Manneskraft gerühmt und deshalb auch angerufen; später hat man ihn mit fremden Göttinnen aus der Levante wie Anat und Astarte verbunden. Auf diese Weise wurde Seth für die Ägypter der Gott der Fremde und der Schutzgott derjenigen Ägypter, die in der Fremde lebten. Die Ägypter haben einige Götter der Völker der Levante (Baal, Teschub) mit Seth identifiziert; eine Identifizierung von Seth und Jhwh ist demnach ebenso vorstellbar. Belegt ist diese in jüngeren jüdischen und anti-jüdischen Texten aus hellenistischer Zeit29. Eine frühere Verbindung von Seth und Jhwh wird vielleicht durch ein ägyptisches Dokument möglich. Der Papyrus Louvre E 32847 (ein medizinischer Traktat)30 erwähnt einen fremden Gott, der auf dem „Berg Laban“ wohnt, in einer Region, die Ûan genannt wird („Gegend des phönizischen oder roten Wachholders“) und die in Edom gelegen haben muss (der einzigen Gegend in Palästina, wo es diese Pflanze gibt)31. Ein aus der 18. Dynastie stammendes ägyptisches Verzeichnis der Orte, an denen sich die Schasu-Nomaden (von denen ja schon 27 Eine deutsche Übersetzung findet sich in Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 216–223, Zitat S. 220. 28 Das ändert sich im Neuen Testament … 29 Vgl. Willem Pleyte: La Religion des pré-Israélites. Recherches sur le dieu Seth, Leiden (T. Hooiberg & Fils) 1865, S. 117–127. 30 Dieser Text wurde gerade ediert: Thierry Bardinet: Médecins et magiciens à la cour du pharaon. Une étude du Papyrus Médical Louvre E 32847, Paris (Musée du Louvre, Éditions Khéops), 2018. 31 Thierry Bardinet: „La contrée de Ouân et son dieu”, in: Egypte nilotique et méditerranéenne 3 (2010), S. 53–66; vgl. auch Ders.: Médecins et magiciens à la cour du pharaon. Une étude du Papyrus Médical Louvre E 32847, Paris (Musée du Louvre, Éditions Khéops) 2018, S. 270–272.
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die Rede war) aufhielten, erwähnt ein „Land der Schasu von Laban“ und legt so eine Verbindung zwischen diesen Nomaden und Laban nahe, das in diesem Zusammenhang als geographische Angabe verstanden werden muss. Kann man nun eine Verbindung zwischen Jhwh und jenem fremden Gott ziehen, der im Louvre-Papyrus als besonders gewalttätig beschrieben wird? Der ägyptische Ausdruck für diesen Gott identifiziert ihn mit Bebon (einem Affengott), was wiederum die sethianische Bezeichnung des Gottes Thot ist. Es ist schwer zu sagen, ob dieser gewalttätige Gott ohne Namen Jhwh sein könnte. Es ist jedoch interessant, dass in diesem Dokument eine Verbindung zwischen Laban und Edom hergestellt wird. Auf diese Verbindung trifft man auch in der biblischen Erzählung von Jakob (Israel): Er ist der Bruder Esaus (Edoms) und der Neffe Labans. Auch die oben genannten möglichen Verbindungen zwischen Seth und Jhwh32 erklären und unterstreichen einen südlichen Ursprung Jhwhs, sein kriegerisches Auftreten und seine Herkunft aus den Steppen.
32 Im Buch Genesis erscheint Seth als der dritte Sohn Adams (Gen 4,25). Möglicherweise gibt es keine Verbindung zwischen ihm und der ägyptischen Gottheit, obwohl die griechische Schreibweise beider Namen identisch ist.
3. Mose und die Midianiter Nach der Erzählung im 3. Kapitel des Buches Exodus trifft Mose zum ersten Mal auf Jhwh während seines Aufenthalts bei den Midianitern, zu denen er geflohen war, um der Strafe des Pharaos zu entgehen, nachdem er einen ägyptischen Aufseher getötet hatte. Jhwh offenbart sich ihm, als er die Herde seines Schwiegervaters Jitro (der in der Bibel auch noch unter anderen Namen erscheint) hütet. Nach Exodus 18 besucht derselbe Jitro Mose kurz vor der großen Offenbarung Jhwhs am Berg Sinai (im folgenden Kapitel). Es ist kaum vorstellbar, dass diese Verbindung zwischen Mose und den Midianitern erst in späterer Zeit erfunden wurde. Warum hätte man ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als „Mischehen“ zwischen Juden und Nicht-Juden verpönt waren, für Mose eine midianitische Frau erfinden sollen? In Exodus 4,24–26, einer ziemlich unklaren Geschichte über ein Ereignis nach seiner Berufung, schützt ihn diese Frau sogar vor einem Angriff Jhwhs. Allerdings hat sie schon den Bibelredaktoren Probleme gemacht. Nach Exodus 18 ist sie (im Gegensatz zu dem, was man aus Exodus 4 schließen muss) nicht mit Mose nach Ägypten gegangen, sondern in Midian geblieben, weil sie zurückgeschickt worden war („Da nahm Jitro, der Schwiegervater des Mose, Zippora, die Frau von Mose, die er zurückgeschickt hatte“, Ex 18,2). Und nach dem Besuch Jitros bei Mose verschwindet sie mit ihm … Das Kapitel 12 des Buches Numeri erwähnt dann eine andere (neue), kuschitische Ehefrau des Mose. Um diese Widersprüche zu klären, müssen wir uns zunächst mit der Identität des Mose beschäftigen.
Eine mosaische Erzählung Nach den biblischen Erzählungen hat Mose eine doppelte Identität: Er ist zwar am ägyptischen Hof großgeworden, fühlt sich aber solidarisch mit den Hebräern, seinen Brüdern. Wir werden hier nicht im Detail die schwierige Frage seiner Historizität erörtern. Wie der Ägyptologe Jan Assmann zurecht gesagt hat, ist Mose „eine Figur der Tradition, von der aber nie irgendwelche Spuren einer realen geschichtlichen Existenz gefunden werden konnten“1. Außerhalb der Bibel findet sich in der Tat keine explizite Erwähnung des Menschen Mose in alten – ägypti schen oder anderen – Texten. Daher greifen einige Forscher den alten Scherz wieder auf, das einzige, was wir vom historischen Mose wüssten, sei, dass er tot ist … 1
Jan Assmann: „Monotheismus und Ikonoklasmus als politische Theologie“, in: Eckart Otto (Hg.): Mose. Ägypten und das Alte Testament, Stuttgart (Verlag Katholisches Bibelwerk) 2000, S. 121–139; hier S. 123.
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3. Mose und die Midianiter
Es bleibt allerdings sein Name, der ägyptischen Ursprungs ist. Er ist die hebräische Transkription des ägyptischen Lexems msj („gebären, ein Kind bekommen“), das man zum Beispiel im Namen Ramses findet („Re hat ihn geboren“ oder „Kind des Re“). Im 2. und in der 1. Hälfte des 1. Jt. v.u.Z. waren ägyptische Namen in Syrien und Palästina so populär wie bei uns heute Vornamen aus amerikanischen Fernsehserien. Doch ein philologisches Detail zeigt, dass der Name des biblischen Mose älter ist als die Texte, die von ihm erzählen: Der ägyptische Laut „s“ im Namen Mose wird durch den hebräischen Buchstaben šîn wiedergegeben, in den Texten aus dem 1. Jt. v.u.Z. greift man normalerweise aber auf das hebräische sāmek zurück, um diesen Laut zu transkribieren. Der Name Mose verweist also zurück auf das 2. Jt. v.u.Z. In der biblischen Erzählung erscheint Mose als ein Hebräer mit einer sehr hohen sozialen Stellung am Hof des Pharao. In ägyptischen Texten tauchen tatsächlich mehrfach hohe „asiatische“ (ʾ3mw) Beamte auf, die in Ägypten Karriere gemacht haben2. Gegen Ende der 19. Dynastie zettelt ein Kanaanäer einen Aufstand von Asiaten in Pi-Ramses (Ramsesstadt) an. Es handelt sich um einen hohen Beamten, der zwei Namen hat: den semitischen Namen Beja (im Dt. auch: Bay/Bai oder Baja Anm. der Übers.) und den ägyptischen Namen Ra-mseskha-em-neterow („Ramses ist die Manifestation der Götter“?), in dem das Element „mose“ (m-s-s) enthalten ist. Dieser Beja taucht zuerst in der Regierungszeit Sethosʾ II. (1203–1197) auf. Nach dessen Tod proklamiert er – im Einvernehmen mit der Königinmutter Tausret, auch sie eine Kanaanäerin – Siptah, deren Sohn und noch ein Kind, zum Pharao und regiert an seiner Statt. Die enge Beziehung zwischen Mose und dem ägyptischen Hof, die in Exodus 2 beschrieben wird, könnte also ein Reflex auf diese Situation sein. In einem Papyrus aus der Regierungszeit Ramses’ III. (1188–1157) wird diese Zeit als anarchisch und dekadent beschrieben: „Ägypten gehörte den Fürsten und den Magistraten. Man brachte sich gegenseitig um, die hochstehenden wie die kleinen […]. Ein Syrer, ein Parvenu (?3), ist Fürst geworden, er wollte das ganze Land in seine Gewalt bringen […]. Sie beraubten die Menschen und behandelten die Götter, als ob sie Menschen wären […]4“. Als Siptah stirbt (die in der Bibel geschilderte zehnte Plage führt, nebenbei bemerkt, zum Tod des erstgeborenen Sohnes des Pharaos), will Beja Tausret als Königin einsetzen, und ein Bürgerkrieg bricht aus. Es scheint, dass Beja von Asiaten, Mitgliedern des Militärs und Fronarbeitern im Nildelta, unterstützt wurde. Nach einer Inschrift des Pharaos Sethnacht, die man in Elephantine gefunden hat, 2 Siehe dazu ausführlich Thomas Römer: Moïse. „Lui que Yahvé a connu face à face“, Paris (Gallimard) 2002, S. 62–65. 3 Einige verstehen den wenig eindeutigen Terminus „Irsu“ als Eigennamen. 4 Papyrus Harris I; vgl. James B. Pritchard (Hg.): Ancient Near Eastern Texts relating to the Old Testament, Princeton (Princeton University Press) 19693, S. 260.
Wer waren die Midianiter?
soll Beja kanaanäische und ägyptische Söldner (in den ägyptischen Texten ʿapiru genannt – ein Terminus, den man vielleicht zu dem Wort „Hebräer“ in Beziehung setzen kann) verpflichtet haben. Er habe ägyptisches Gold und Silber gestohlen, um seinen Aufstand zu finanzieren (in Ex 11,2 ist die Rede von Gold und Silber, das die Israeliten beim Auszug aus Ägypten mitnehmen). Sethnacht kann Beja und seine Anhänger vertreiben, aber nicht einholen. Doch nach dem Inhalt eines vor einigen Jahren veröffentlichten Dokuments scheint es eher so, dass man den Schatzmeister Beja in Ägypten hingerichtet hat. Dies macht eine Identifizierung mit Mose trotz einiger Übereinstimmungen natürlich hinfällig5. Eine andere Person, die an Mose erinnert, erscheint unter Ramses II.: ein Semit aus Transjordanien, der das wichtige Hofamt eines königlichen „Tranchierers“ bekleidet (der also das königliche Fleisch schneidet und kontrolliert): BenOzen. Auch sein ägyptischer Name enthält ein Element mss. Er greift als Vermittler in einen Konflikt zwischen Schasu-Fronarbeitern und ägyptischen Aufsehern ein. Dies kann an eine Szene aus Exodus 2 denken lassen, in der Mose einen hebräischen Sklaven verteidigt. Keiner der möglichen Kandidaten stimmt mit dem biblischen Mose in jeder Hinsicht überein; dieser muss vielmehr als eine „Konstruktion“ aus verschiedenen Gedächtnisspuren verstanden werden. Die Flucht des Mose aus Ägypten beginnt mit seiner Ermordung eines ägyptischen Aufsehers. Hier wird ein bekanntes ikonographisches Motiv, das den Pharao oder einen hohen ägyptischen Offizier beim Töten eines Feindes darstellt, umgekehrt. Der Verfasser kennt zweifellos diese Konvention und stellt sie auf den Kopf, um so von Anfang an die Autorität des Mose gegenüber der ägyptischen Macht deutlich zu machen. Die Erzählung von der Flucht und vom Empfang bei den Midianitern ist literarisch stark bearbeitet, und es ist sehr schwierig, hinter dieser Episode ein historisches Ereignis auszumachen. Vielleicht beruht sie auf der historischen Erinnerung an die Bedeutung der Midianiter und deren engen Kontakt zu Mose.
Wer waren die Midianiter? Bevor wir die Exodus-Erzählung vom Zusammentreffen zwischen Mose und den Midianitern wiederaufnehmen, sollen die archäologischen und geographischen Informationen, die wir über sie besitzen, zusammengefasst werden. Festzustellen ist, dass es außerhalb der Bibel nur sehr wenige Hinweise gibt.
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Pierre Grandet: „Lˈexécution du chancelier Baӱ“, in: Bulletin de l’Institut français d’archéologie orientale 100 (2000), S. 339–345; Stefan Timm: „Der Tod des Staatsfeindes: Neues zu B3j*“, in: Vetus Testamentum 58 (2008), S. 87–100.
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3. Mose und die Midianiter
Die Bedeutung des Namens Midian ist nicht eindeutig. Wolfram von Soden schlägt eine substantivierte Form der Wurzel m-d-y „sich erstrecken“ vor, ihm folgt Ernst Axel Knauf6. Midian wäre also „die Erstreckte“ und der Name eine Anspielung darauf, dass ihr Territorium sich über weite Täler erstreckt. In der Hebräischen Bibel erwähnt 1Könige 11 ein Land Midian: (17) Und Hadad floh, er und edomitische Männer von den Dienern seines Vaters mit ihm, um nach Ägypten zu entkommen; Hadad aber war noch ein junger Knabe. (18) Und sie machten sich auf aus Midian und kamen nach Paran, und aus Paran nahmen sie Männer mit sich und kamen nach Ägypten zum Pharao, dem König von Ägypten, und der gab ihm ein Haus, sagte ihm Speise zu und gab ihm Land. Nach diesem Text befindet sich das Land Midian südlich von Edom, auf dem Weg, der von Edom über das Wadi Faran nach Ägypten führt. Die griechischen, römischen und arabischen Geographen kennen eine Stadt namens Midama oder Madyan im Osten des Golfs von Akaba, die mit Al-Badʿ im Wadi ʿAfal identifiziert werden muss. Das Land Midian könnte also die Region um diese Stadt als Zentrum sein. Durch das Gebiet führten in der Antike zwei bedeutende Handelsrouten. Die erste beginnt in Akaba, durchquert die Oase des Wadi ʿAfal (Al Badʿ) und führt die Küste des Roten Meeres hinab. Entlang dieser Route findet man archäologische Spuren, die vom 13. Jh. v.u.Z. bis in die nabatäische Zeit (in der römischen Antike) reichen. Die zweite Route durchquert die Ḥismā-Wüste auf zwei verschiedenen Wegen: einem weiter westlichen Weg und einen östlichen Weg über Tabuk. Beide Routen setzen die Domestizierung des Kamels voraus. Das Wadi Sadr markiert vielleicht die südliche „Grenze“ des Landes Midian. Neben Al Badʿ war das Wadi Šarma ein zweites Zentrum midianitischer Präsenz; darauf deuten die Töpferwaren hin, die man dort gefunden hat. Midianitische Keramik hat man auch in Al Qurayyah in der Ḥismā-Wüste entdeckt. Die Midianiter waren „Bauern-Nomaden“, die außerdem wussten, wie man das Kamel domestiziert; sie betrieben also sowohl Ackerbau als auch Viehzucht. Offensichtlich lebten sie in einer Art Verbund oder in mehreren Verbünden, in denen typisch nomadische neben sesshaften Elementen existierten. Die Domestizierung des Kamels erfolgte wahrscheinlich ab dem dritten Jt. in Süd-Ost-Arabien. Man brauchte ein Tier, das in der Lage war, Lasten zu tragen und lange 6 Wolfram von Soden: „Mirjam – Maria ‚(Gottes-)Geschenk‘ “, in: Ugarit-Forschungen 2 (1970), S. 269–272, hier S. 270. Ernst Axel Knauf: Midian. Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens am Ende des 2. Jahrtausends v. Chr., Wiesbaden (Harrassowitz) 1988, S. 77–78.
Pitom
Pi-Ramses
Hebron
Karte 3: Die Midianiter und der Negev. Dscheziret Firaun
Kuntillet Adschrud
Kadesch Barnea
Damaskus
Wadi Fenan
Amman
Tabuk
Tawilan
Al-Bad’
Elat
Beerscheba Arad
Gaza
Geser
Sichem
Tyrus
Sidon
Tayma
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3. Mose und die Midianiter
Reisen zu unternehmen, das aber auch Fleisch, Milch und Wolle liefern konnte. Im 2. Jt. verbreitete dieses Wissen sich bis nach Babylonien und West-Arabien und gegen Ende des 2. Jt. erreichte es langsam die Levante. Im 1. Jt. war die Gegend um Midian bekannt für ihre Kamelzucht. Die Midianiter des ausgehenden 2. Jt. stellten Keramik als Handelsware her; die Spuren dieser Keramik kann man bis in die Levante finden. Es gibt tatsächlich einen Typ Keramik, der sich von der edomitischen Keramik unterscheidet und den man hauptsächlich, jedoch nicht ausschließlich in „Midian“ findet. Diese Keramiken, die man auf das 13. bis 11. Jh. v.u.Z. datieren kann, sind mit Kamelen, Menschen und Straußen verziert. Kamele und Strauße teilen mit den Nomaden eine harte und schwierige Lebenswelt; der Strauß wurde wegen seiner Geschwindigkeit geachtet und wegen seiner Federn und seines Fleisches gejagt. Die Midianiter waren wie die Schasu (zu denen die Ägypter sie vielleicht zählten) wahrscheinlich an der Ausbeutung der (Gold- und Kupfer-)Minen in Timna (el-Meneʿije) beteiligt und standen im Dienst der Ägypter. In Timna hat man ein vielleicht „midianitisches“ Heiligtum an derselben Stelle entdeckt, wo vorher eine ägyptische Kultstätte gestanden hatte, die Hathor geweiht war, der Himmelskuh, die jeden Tag den Horus, den Gott des Himmels und der Sonne, gebiert. Offensichtlich hatten die neuen Besitzer versucht, die Hieroglyphen zu zerstören. Sie verwandelten das Heiligtum anscheinend in eine Art Zelt (man hat bunte Stoffe gefunden, die zusammengefaltet an der östlichen und westlichen Mauer des Heiligtums lagen) und stellten maṣṣebôt (Kultsteine) und ein Wasserbecken auf. Diese Vorrichtungen erinnern an das „Zelt der Begegnung“7, das Mose in den Büchern Exodus und Numeri betritt, um die göttlichen Weisungen zu empfangen. Im Naos, dem Innenraum des Tempels, hat man eine kleine Schlange (12 cm lang) mit einem vergoldeten Kopf und eine ithyphallische Figurine (eine kleine Steinfigur mit erigiertem Phallus) gefunden, wahrscheinlich eine Opfergabe für eine nicht mehr vorhandene Statue oder Stele. Da die Midianiter in der Domestizierung der Kamele weit fortgeschritten waren, kann man sie sich auch als Handeltreibende vorstellen – wie die weite Verbreitung der midianitischen Keramik im Übrigen schon zeigt. In der Hebräischen Bibel findet man die Vorstellung von den Handel treibenden Midianitern in der Josefsgeschichte im 37. Kapitel des Buches Genesis wieder, wo diese zusammen mit den Ismaelitern erwähnt werden: (26) Da sprach Juda zu seinen Brüdern: „Was haben wir davon, wenn wir unseren Bruder umbringen und sein Blut zudecken? (27) Kommt, wir wollen ihn an die Ismaeliter verkaufen, aber uns nicht an ihm vergreifen, er ist doch unser Bruder, unser Fleisch!“ Und seine Brüder waren einverstanden. 7
Es findet sich auch die Übersetzung „Offenbarungszelt“ (Anm. d. Übers.).
Midian und die Midianiter in der Bibel
(28) Es kamen midianitische Händler vorbei, sie zogen Joseph aus der Zisterne herauf, und sie verkauften Joseph für zwanzig Silberstücke an die Ismaeliter. Diese brachten Josef nach Ägypten. […] (36) Die Midianiter aber hatten Josef nach Ägypten verkauft, an Potifar, den Kämmerer des Pharao, den Obersten der Leibwache. Nach Vers 28 verkaufen die Midianiter Josef an die Ismaeliter, die ihn ihrerseits in Ägypten weiterverkaufen, während nach Vers 36 die Midianiter selbst ihn an einen ägyptischen Beamten veräußern. Dieser Widerspruch lässt sich so erklären: In Vers 28 bringt die Ankunft der Midianiter die Brüder um ihren Gewinn, denn diese (und ironischerweise nicht die Brüder selbst) holen Josef aus der Zisterne und verkaufen ihn an die Ismaeliter. Vers 36 fasst das Geschehen dann elliptisch zusammen, denn letztlich ist Josef auf die Initiative der Midianiter hin nach Ägypten verschleppt worden. Offensichtlich macht der Autor dieses Textes, der die Midianiter bereits als Weihrauchhändler kennt (was nicht vor dem 8. Jh. v.u.Z. belegt ist), keinen Unterschied zwischen den ismaelitischen Karawanen und denen der Midianiter – für ihn waren beide einfach arabische Händler. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Midianiter stammesähnlich und wenig hierarchisch organisiert waren (obwohl einige biblische Texte anachronistischerweise von midianitischen Königen sprechen). Nach Exodus 2 züchteten sie Vieh (vgl. auch Jdt 2,26), und einige Verbände waren offensichtlich Nomaden oder Halbnomaden (Hab 3,7). Andere waren sesshaft und betrieben Ackerbau um die Oasen herum. Die Midianiter arbeiteten auch in den Minen beim Gold- und Kupferabbau und trieben Handel.
Midian und die Midianiter in der Bibel Die biblische „Ethnographie“ spiegelt auf verschiedene Weise die Verbindung zwischen „Israel“ und Midian wider. Die wichtigsten Textstellen zur Herkunft Jhwhs und seiner Verbindung zu den Midianitern finden sich in Exodus 2–4 und 18. Bevor wir zu einer Analyse dieser Textstellen kommen, wollen wir einen Überblick über die anderen Erwähnungen Midians und der Midianiter geben. Die biblischen Belege zeichnen ein doppeldeutiges Bild von ihnen. Auf der einen Seite gibt es neutrale, ja sogar positive Texte, auf der anderen Seite stellen einige Texte die Midianiter als einen der schlimmsten Feinde Israels dar.
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3. Mose und die Midianiter
Die negativen Texte Im Buch Numeri, Kapitel 25, ist von Ausschweifungen der Israeliten und der Verehrung fremder Götter die Rede. Die Israeliten werden zu diesen Taten von den Töchtern Moabs und von einer midianitischen Frau verführt, die anschließend vom Priester Pinhas getötet wird. Numeri 25 ist ein sehr komplexer Text: Die Geschichte von der midianitischen Frau wurde sicher nachträglich, nach der großen Überarbeitung des Pentateuchs am Ende der persischen Zeit, eingetragen; noch später hat ein Redaktor dann die Verse 14–18 hinzugefügt, um die Namen der Protagonisten zu erklären8. Die Geschichte endet mit dem Appell, einen Krieg gegen die Midianiter vorzubereiten, der dann in Numeri 31 geschildert wird: Alle Männer, die fünf Könige eingeschlossen, werden getötet (die Namen dieser Könige – Num 31,8 – werden in Jos 13,21 wiederholt), die Frauen gefangengenommen. Mose kritisiert, dass die midianitischen Frauen am Leben gelassen werden, denn sie haben die Israeliten zu Untreue und Ausschweifungen angehalten (Num 31,13–14). Da Mose befiehlt, alle männlichen Midianiter zu töten, sollten die Midianiter wohl ausgerottet werden. Dies widerspricht der Erzählung in Richter 6–8, wo von einem Sieg Gideons über die Midianiter die Rede ist. In Num 31,16 verweist eine Glosse außerdem auf Bileam. In der biblischen Erzählung über Bileam (Num 22) ist nicht von midianitischen Frauen, sondern von den Ältesten von Midian die Rede, die sich mit den Ältesten von Moab9 verbünden, um Bileam zu bitten, die Israeliten zu verfluchen (22, 4 und 7). Diese drei Textstellen stehen zweifellos miteinander in Verbindung und stammen aus persischer Zeit (die ursprüngliche Geschichte Bileams ist älter; das Hinzufügen der Midianiter geht wahrscheinlich auf Numeri 25 und 31 zurück). In diesen Texten stellen die Midianiter, wie die Amalekiter, ein typisches Beispiel für einen nomadischen Feind Israels dar. Der zweite Zusammenhang, in dem die Midianiter als Feinde Israels auftreten, ist die Gideon-Geschichte in den Kapiteln 6–8 des Richterbuches. Die Entstehungsgeschichte dieser Erzählung ist komplex – die älteste Version spiegelt eventuell noch Konflikte zwischen den Israeliten und arabischen Stämmen wider. Die ursprüngliche Geschichte erzählte vom Sieg Gideons über die Midianiter. In einer späteren Überarbeitung, die deuteronomistischen Redaktoren10 8 Ludwig Schmidt: Das 4. Buch Mose. Numeri Kapitel 10,11–36,13, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2004, S. 144–148. 9 Eine Verbindung Moab–Midian findet sich auch in Gen 36,35 (= 1Chr 1,46), wonach einer der edomitischen Könige Midian im Feldzug Moabs besiegt hat. 10 Dieser Terminus bezeichnet eine Gruppe von Schreibern und Redaktoren, die nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 587 v.u.Z. eine bestimmte Anzahl älterer Texte überarbeitet haben, um wie im Buch Deuteronomium den Fall Judas und die Ver-
Midian und die Midianiter in der Bibel
zugeschrieben wird, sind die Midianiter ein „Werkzeug“ Jhwhs, der sie schickt, um die Israeliten dafür zu bestrafen, dass sie Dinge tun, die er nicht billigt. In Richter 6,3.33 und 7,12 erscheinen die Midianiter als Verbündete der Amalekiter und der „Söhne des Ostens“. Nachdem die Israeliten Jhwh um Hilfe angefleht haben, beruft dieser Gideon, um die Israeliten aus den Händen der Midianiter zu befreien. Die Autoren der Verse Ri 7,12 und 8,26 wussten, dass die Midianiter Kamele hatten. Gideon besiegt mithilfe eines kleinen Trupps die Midianiter und deren Anführer Oreb und Seeb, die auch in Psalm 83,12 (beide) und in Jesaja 10,26 (nur Oreb) auftauchen. Oreb ist entweder ein Rabe oder die Personifizierung des „Arabers“ (im Hebräischen haben beide Wörter dieselbe Wurzel). Die erste Bedeutung von Oreb ist plausibler, da Seeb den Wolf bezeichnet und dieses Paar in der arabischen Poesie belegt ist11. In den Versen Richter 8,5 und 12 werden dagegen als Könige von Midian Sebach (Opfer oder Opfernder?) und Zalmunna genannt („der Schatten – der Schutz – hat versagt“; falls es sich hier nicht um einen gänzlich erfundenen Namen handelt, kann man ihn in Beziehung zu der Gottheit Ṣalm setzen, die in Tayma in Arabien seit dem 6. Jh. verehrt wurde). Obwohl die Erwähnung midianitischer Könige anachronistisch ist, ist es möglich, dass die Erzählung in Richter 6–8 Spuren von Konflikten zwischen den midianitischen und den israelitischen Stämmen bewahrt hat. Schließlich scheint der Text von Jes 9,3, in dem von einem „Tag Midians“ die Rede ist, auf einen siegreichen Kampf gegen Midian anzuspielen – vielleicht auf jenen, der in Richter 6–8 beschrieben wird12.
Die positiven oder neutralen Texte Neben den Überlieferungen über Mose und den Sinai erwähnt auch der Text von Habakuk 3 (der im vorherigen Kapitel näher untersucht wurde) Midian im Zusammenhang mit einer Erscheinung Jhwhs, der aus Teman kommt, und bekräftigt so die Verbindung zwischen Jhwh und Midian. schleppung als göttliche Strafe dafür zu interpretieren, dass die Israeliten und Judäer das Gesetz Jhwhs missachtet haben. 11 Manfred Ullmann: Das Gespräch mit dem Wolf, München (Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften) 1981, S. 54–57. 12 Jes 10,26 („Jhwh wird eine Peitsche gegen ihn schwingen, wie bei der Niederlage Midians am Berg Oreb“) und Ps 83,10-12 („[10] Tu ihnen wie Midian, wie Sisera, wie Jabin am Flussbett Kischon! […]“ [12] Verfahre mit ihren Edlen wie mit Oreb und Seeb und mit allen ihren Fürsten wie mit Sebach und Zalmunna […]“) spielen auch auf diese Geschichte an.
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3. Mose und die Midianiter
Im Vers Gen 25,2 (der 1Chr 1,32 entspricht) erscheint Midian als einer der Söhne, die Ketura Abraham schenkt, und Vers 4 (= 1Chr 1,33) enthält eine Liste von vier Söhnen Midians. Das 25. Kapitel der Genesis ist Teil der priesterschriftlichen Fassung der Geschichte Abrahams. Die Priesterschrift wollte die Midianiter vielleicht gegenüber negativen Überlieferungen rehabilitieren, indem sie zeigte, dass verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Midian und „Israel“ bestanden, da beide in Abraham denselben Urahnen hatten. So erklärt sich auch die Ehe zwischen Mose und einer Midianiterin, denn für die Priesterschicht, die Genesis 25 verfasst hat, sind Ehen zwischen Nachkommen Abrahams möglich. Nach Knauf haben die in Gen 25,4 erwähnten Namen der Söhne Midians Parallelen in den nord- und südarabischen Sprachen und enthalten möglicherweise eine ältere Überlieferung oder gehen sogar auf Stämme zurück, die zur Zeit der Verschriftlichung dieser Texte existiert haben13.
Die Ankunft des Mose in Midian Nach einigen Erzählungen des Buches Exodus ist Mose eng mit den Midianitern verbunden. Die sich in Exodus 2–4 und 18 findenden Texte sind das Ergebnis einer komplizierten Redaktionsgeschichte, die nur schwer nachzuverfolgen ist. Rufen wir uns die Episoden aus Kapitel 2–4 in Erinnerung: Mose wird in Ägypten geboren, zu einer Zeit, als die Hebräer von den Ägyptern unterdrückt werden. Von seiner Mutter in einem Binsenkörbchen versteckt und später von der Tochter des Pharaos adoptiert, wird er ein ägyptischer Prinz (Ex 2,1–10). Als Erwachsener erschlägt er einen Ägypter und ergreift vor den Todesdrohungen des Pharaos die Flucht (2,11–15a). Er lässt sich im Land Midian nieder und heiratet Zippora, die Tochter eines midianitischen Priesters (2,15b–24). Als er die Herde seines Schwiegervaters weidet, kommt er zum „Gottesberg“, wo Jhwh sich ihm offenbart, ihn in seinen Dienst stellt und ihm befiehlt, nach Ägypten zurückzukehren und die Israeliten aus diesem Land herauszuführen (3,1–4,18). Auf dem Rückweg will Jhwh seltsamerweise Mose töten, der von seiner Frau gerettet wird (4,19–26). Nachdem er diesen Angriff überstanden hat, kommt sein Bruder Aaron ihm entgegen und beide erreichen Ägypten (4,27–31). Die Erzählung von der Berufung in Ex 3,1–4,18 ist nicht Teil der ursprünglichen Erzählung: Man stellt sofort fest, dass Mose in 4,18 schon zu seinem Schwiegervater sagt, er müsse nach Ägypten zurückkehren, und dieser ihm seinen Segen gibt, während der folgende Vers (4,19) noch einen Befehl Jhwhs enthält, er solle nach Ägypten gehen. Die beste Erklärung für diesen Widerspruch 13 Ernst Axel Knauf: Midian. Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens am Ende des 2. Jahrtausends v. Chr., Wiesbaden (Harrassowitz) 1988, S. 84–86.
Midian und die Midianiter in der Bibel
ist, dass Ex 3,1–4,18 erst im Nachhinein in einen älteren Text eingefügt wurde. Man kann nämlich von 2,23a direkt zu 4,19 übergehen14: „Während jener langen Zeit starb der König von Ägypten“ (2,23a); „Jhwh sprach zu Mose in Midian: ,Geh zurück nach Ägypten, denn alle, die dir nach dem Leben trachteten, sind gestorben.‘ Mose nahm seine Frau und seine Söhne, setzte sie auf Esel und kehrte nach Ägypten zurück“ (4,19–20). Die erste Erzählung von Mose in Midian hätte demnach also die Verse 2,11– 23a; 4,19–20 umfasst. Der Bericht vom Aufbruch des Mose aus Ägypten in die Levante hat literarische Parallelen, zum Beispiel in der Erzählung von Sinuhe (um 1900 v.u.Z.), die die Flucht dieses hohen Beamten schildert und ihn die befestigte Grenze Richtung Sinai-Halbinsel überqueren lässt. Er versteckt sich vor den Wachen und kommt in die Gegend der Bitterseen: „Ein Durstanfall ereilte mich und ich verdurstete (fast), meine Kehle war trocken. Ich sagte (mir): ‚Das ist der Geschmack des Todes.‘ Ich nahm mich zusammen und raffte meine Glieder auf, als ich das Geräusch von Viehrufen hörte. Ich erblickte Asiaten. Ihr Wegführer erkannte mich dort, weil er in Ägypten gewesen war. Da gab er mir Wasser und kochte mir Milch. Ich folgte ihm zu seinem Stamm und gut war, was sie für mich taten.“15 Wie Sinuhe trifft Mose ‒ der von den Töchtern des Midianiters Jitro übrigens für einen Ägypter gehalten wird (Ex 2,19) – auf Halbnomaden auf der anderen Seite der ägyptischen Grenze. Das Treffen an einem Brunnen ist in der Bibel – und auch außerhalb derselben – ein verbreitetes literarisches Thema, das oft einer Heirat vorausgeht. Man kann sich fragen, ob die Szene (Ex 2,15b–20) einer älteren Erzählung hinzugefügt wurde, um sie auszuschmücken. Darauf könnte der Vers 2,15 hindeuten: „Mose floh vor dem Pharao, und im Land Midian ließ er sich nieder (wajjēšeḇ) und setzte sich an einen Brunnen (wajjēšeḇ).“ Man findet hier zweimal das gleiche Verb. Das erste legt nahe, dass Mose in Midian bereits etabliert ist16, während das Sitzen am Brunnen die Integration in die Familie des midianitischen Priesters und die Hochzeit mit seiner Tochter in den Versen 16–20 erst vorbereitet. Die Erzählung zeigt uns einen Mose, der anders als in Ägypten nicht die Flucht ergreift, sondern die sieben Töchter des midianitischen Priesters gegen feindliche Hirten verteidigt. Die „runde“ Zahl sieben soll wahrscheinlich darauf 14 Die Verse 2,23b–25 werden allgemein der – erst später verfassten – „Priesterschrift“ zugeordnet. 15 Dt. Übersetzung bei Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S.51–62, Zitat S. 53. 16 Diese Schwierigkeit wird von der Septuaginta und der syriakischen Übersetzung umgangen, indem sie das Verb „sich niederlassen“ mit „gehen nach“ ersetzen.
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3. Mose und die Midianiter
hindeuten, dass der Priester und Scheich von Midian keinen Sohn hat und Mose daher sehr gut sein Schwiegersohn werden kann.
Der Priester von Midian, der mehrere Namen hat In Exodus 2,16 ist nur vom Priester von Midian die Rede und in Vers 2 nur von „dem Mann“. In der Bibel hat diese Person verschiedene Namen: Reguel (Ex 2,18), Jitro, Priester von Midian (Ex 3,1 und 18,1–2), oder die Variante Jeter (Ex 4,18 – einige Manuskripte und Textzeugnisse haben hier Jitro); Hobab, Sohn des Reguel, Midianiter, Schwiegervater des Mose (Num 10,29); Keni, Schwiegervater des Mose (Ri 1,16 – einige Manuskripte der Septuaginta haben Hobab); Hobab, Schwiegervater des Mose, der hier offensichtlich zu den Kenitern gehört (Ri 4,11). Reguel taucht in Genesis 36 (= 1Chr 1,35.37) mehrfach als Name eines Sohnes von Esau/Edom auf und bedeutet „Freund des El“. Dieser Name ist in verschiedenen semitischen Sprachzonen belegt. Jitro (mit der Variante Jeter, die auch noch in Ri 8,20 für einen Sohn Gideons belegt ist; 1Kön 2,5.32; 1Chr 2,17.32; 1Chr 4,17; 1Chr 7,38 für einen Nachfahren Judas) bedeutet „bleibe, sein Bleiben“ (ein Kind, das nach einer schwierigen Geburt überlebt) und ist ein west-semitischer Name. Eine andere Variante des Namens, Jitran, taucht als Bezeichnung für einen Clan aus Seir auf (Gen 36,26 = 1Chr 1,41) und Jitra oder Jeter als ismaelitischer Name (2Sam 17,25; 1Chr 2,17). Hobab („Freund“) ist ein Name aus dem Südsemitischen. Keni/Keniter bezeichnet einen Stamm, der Eisen zu bearbeiten weiß. Keiner dieser Namen ist typisch „midianitisch“. Man kann jedoch die Verbindung zu den Kenitern hervorheben sowie die Tatsache, dass der Name Reguel ebenfalls ein edomitischer Name ist. Beides weist in den Süden. Es ist allerdings unmöglich, eine bestimmte historische Person hinter diesen verschiedenen Namen auszumachen. Der biblischen Erzählung ist vor allem die Verbindung zwischen Mose und den Midianitern wichtig. Daher offenbart sich Jhwh nach Ex 3,1–4,18 (das zwischen 2,23 und 4,19 eingefügt wurde) auch, als Mose die Herde des Priesters von Midian weidet. Entsprechend liegt nach Exodus 3 auch der Gottesberg, wo Jhwh lokalisiert wird, auf midianitischem Gebiet. Rätselhaft bleibt die nachträglich eingefügte Szene Ex 4,24–26, in der Jhwh Mose angreifen will. Dem Gang unserer Untersuchung folgend, kann man festhalten, dass der Angriff auf dem Weg von Midian nach Ägypten erfolgt und dass die midianitische Ehefrau des Mose diesen rettet, indem sie seinen Sohn beschneidet und das Blut auf das Geschlecht ihres Mannes aufträgt. Spiegelt diese Szene wider, dass die Midianiter die Beschneidung kannten? Jhwh wird in diesem Text als eine gefährliche Gottheit dargestellt, vor der man sich zu schützen
Der Jhwh-Kult wird von einem midianitischen Priester begründet
wissen muss. Aber wie kann man seine Feindseligkeit erklären? Ein Vergleich mit Gen 32,23–32, wo der Patriarch Jakob von einem geheimnisvollen Wesen angegriffen wird, das sich dann als Gott herausstellt, unterstreicht den Initiationscharakter des Aufeinandertreffens. Doch während Jakob sich aus eigener Kraft helfen kann, braucht Mose die Hilfe einer Midianiterin. Ex 4,24–26 betont die Beteiligung einer midianitischen Frau an der Beschneidung, die hier als eine Möglichkeit erscheint, sich gegen Jhwh zu schützen, der in diesem kurzen Bericht als extrem gefährlicher Gott beschrieben wird.
Der Jhwh-Kult wird von einem midianitischen Priester begründet Die Verbindung zwischen Jhwh und dem Priester aus Midian wird in der Erzählung Ex 18, die der großen Offenbarung am Sinai in Ex 19–24 unmittelbar vorausgeht, nochmals unterstrichen: (1) Jitro, der Priester von Midian, der Schwiegervater des Mose, hörte alles, was Gott17 an Mose und an seinem Volk Israel getan hatte […] (2) Jitro, der Schwiegervater des Mose, nahm Zippora, die Frau von Mose, nachdem sie zurückgeschickt worden war, (3) wie auch seine beiden Söhne; der Name des einen war Gerschom, [denn er hatte gesagt]: „Ich bin in ein fremdes Land eingewandert“; (4) der Name des anderen war Elieser, denn: „der Gott meines Vaters ist mir zu Hilfe gekommen und hat mich vor dem Schwert des Pharao gerettet.“ (5) Jitro, der Schwiegervater des Mose, kam mit seinen Söhnen und seiner Frau zu Mose in die Wüste, wo er am Gottesberg lagerte. (6) Er sagte zu Mose: Ich, dein Schwiegervater Jitro, komme zu dir mit deiner Frau und deinen beiden Söhnen. (7) Mose ging hinaus, seinem Schwiegervater entgegen, warf sich nieder18 und küsste ihn. Sie fragten einander nach ihrem Wohlergehen, dann gingen sie ins Zelt19. (8) Mose erzählte seinem Schwiegervater alles, was Jhwh dem Pharao und Ägypten um Israels willen angetan hatte, von all der Mühsal, die sie unterwegs getroffen hatte, und wie Jhwh sie daraus befreit hatte. (9) Jitro freute sich über all das Gute, das Jhwh Israel getan hatte, das er aus der Hand der Ägypter befreit hatte. (10) Jitro sagte: Gepriesen sei Jhwh, der euch aus der Hand der Ägypter und des Pharao befreit hat *und der das Volk aus der Hand Ägyptens befreit 17 Einige Fragmente aus der Kairoer Geniza und der griechische Text haben „Jhwh“. 18 Nach dem samaritanischen Pentateuch verbeugt sich Jitro vor Mose; es handelt sich wahrscheinlich um eine theologische Korrektur. 19 Im samaritanischen Pentateuch und einigen griechischen Manuskripten: „Er hieß ihn eintreten.“
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3. Mose und die Midianiter
hat*20. (11) Und nun weiß ich, dass Jhwh größer ist als alle Götter. Was sie Schlechtes getan haben, ist auf sie zurückgefallen. (12) Jitro, der Schwiegervater des Mose, nahm21 ein Brandopfer und Schlachtopfer für Gott. Aaron und alle22 Ältesten kamen, um mit dem Schwiegervater des Mose vor der Gottheit zu essen […] (27) Mose ließ seinen Schwiegervater ziehen und er ging weg in sein Land. Exodus 18 besteht aus zwei großen Teilen, die durch die Person des Schwiegervaters von Mose verbunden sind. Die oben übersetzten Verse 1–12 (und 27) erzählen von dem Besuch und dem Opfer, das Jhwh dargebracht wird, während die Verse 13–26 die Ernennung von Richtern auf Jitros Rat hin schildern. Denn dieser erkennt, dass Mose nicht alle Konflikte innerhalb des Volkes allein regeln kann. Dieser zweite Teil ist eine spätere Hinzufügung und beruht auf einer Textpassage aus dem Deuteronomium, die ebenfalls die Einsetzung von Richtern zum Thema hat, allerdings ohne Jitro dabei zu erwähnen (Dtn 1,9–18). Exodus 18,1–12 hat die Kommentatoren schon immer irritiert; bereits im Mittelalter hat der jüdische Gelehrte Abraham ibn Esra angemerkt, dass dieser Text problematisch ist: Israel befindet sich schon im Gebirge Gottes, obwohl erst Anfang des folgenden Kapitels von der Ankunft am Sinai die Rede ist; ebenso setzt Vers 12 einen Altar voraus, auf dem Jhwh Opfer dargebracht werden können, doch wird ein solcher Altar erst in Exodus 24,4 erbaut. Deshalb wollte man diese Geschichte oft weiter hinten in der Erzählung von der göttlichen Offenbarung am Sinai ansiedeln (zum Beispiel vor dem Aufbruch vom Sinai, in Numeri 10). Aber, wenn dort ihr ursprünglicher Platz gewesen ist, warum hätten spätere Bearbeiter ausgerechnet diese Passage an einen falschen Ort versetzen sollen? Eine viel bessere Erklärung ist, dass es eine Erinnerung an den midianitischen Beitrag zur Jhwh-Verehrung gab, die man unmöglich weglassen konnte, und dass die einzige Stelle, an der man diese unterbringen konnte, vor der „wahren“ Offenbarung am Sinai war. Liest man die Geschichte in ihrer heutigen Form, so stellt man fest, dass sie Exodus 2–4 und den Auszug aus Ägypten voraussetzt. Es gibt jedoch einige Elemente, die mit der Erzählung der Kapitel 2 bis 4 nicht in Einklang zu bringen sind: vor allem, dass seine Frau Mose nicht nach Ägypten begleitet hat (entgegen dem, was in 4,20 steht) und dass Mose sie zu ihrem Vater „zurückgeschickt“ hat. Letzteres deutet auf eine Scheidung hin. Dieser erstaunliche Hinweis geht vielleicht auf einen späteren Bearbeiter zurück, der eine Kohärenz mit der Erzählung in 20 Der letzte Teil des Verses zwischen den Asterisken fehlt in der Septuaginta. 21 Die syriakische Version wie auch der Targum und die Vulgata schlagen „er brachte“ vor; auch das ist eine dogmatisch begründete Korrektur. 22 Der samaritanische Pentateuch hat „einige“.
Der Jhwh-Kult wird von einem midianitischen Priester begründet
Numeri 12 herstellen wollte, wo von einer (anderen) Heirat des Mose mit einer kuschitischen Frau berichtet wird. Exodus 18 kennt zwei Söhne des Mose und ihre Namen, Exodus 2 spricht dagegen nur von einem (Gerschom), Exodus 4,20 von Söhnen (ohne Namesnennung) und 4,25 erneut von nur einem Sohn. Die Verse 18,2–4 sind wahrscheinlich ein Zusatz zur ursprünglichen Fassung mit dem Ziel, die verschiedenen Angaben zu den Söhnen von Mose miteinander in Einklang zu bringen, indem betont wird, dass die midianitische Familie bei seinem Schwiegervater bleibt und ihn nicht zum Berg Sinai und zur entscheidenden Offenbarung begleitet. Ein Vergleich zwischen Ex 18,5 und Ex 3,1 legt nahe, dass der Gottesberg sich auf midianitischem Gebiet befindet und dass Jitro Mose dort in Empfang nimmt. Es ist wichtig festzuhalten, dass Jitro den Namen Jhwhs kennt, obwohl nirgendwo erwähnt wird, dass Mose ihm diesen mitgeteilt hat. Das „Glaubensbekenntnis“ Jitros in 18,10–11 ist in seiner heutigen Form sicherlich ein späteres Element, das an das Bekenntnis Rahabs, einer Prostituierten aus Jericho, im zweiten Kapitel des Buches Josua erinnert. In persischer Zeit sollten diese Texte zeigen, dass die fremden Völker die Überlegenheit, das heißt die Einzigartigkeit, des Gottes Israels anerkannten. Ex 18,10–11 Gepriesen sei Jhwh, der euch aus der Hand der Ägypter und des Pharao befreit hat und der das Volk aus der Hand Ägyptens befreit hat. Und nun weiß ich, dass Jhwh größer ist als alle Götter.
Jos 2,9–11 Ich weiß, dass Jhwh euch das Land gegeben hat, […] denn wir haben gehört, dass Jhwh das Wasser des Schilfmeeres vor euch ausgetrocknet hat, als ihr auszoget aus Ägypten […]; einem jedem stockt vor euch der Atem, denn Jhwh, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und hier unten auf der Erde.
Die Erzählung in Exodus 18,1–12 endet mit einem Opfer für Jhwh, vor der Errichtung des Heiligtums, das in den Kapiteln 35–40 beschrieben wird, vor der Offenbarung der verschiedenen Opferarten und vor der offiziellen Einsetzung der Priester in Levitikus 1–9. Die Anwesenheit Aarons und der Ältesten bei der Opferszene in Ex 18 beruht wahrscheinlich auf der Absicht eines Redaktors, diesen Text mit Ex 24 in Einklang zu bringen, wo die privilegierte Stellung Aarons und der Ältesten betont wird, die in diesem Kapitel direkten Zugang zum Gott Israels haben. Doch auch in diesem stark bearbeiteten Text hat der Priester von Midian weiterhin eine entscheidende Rolle während des Opfers inne: „Jitro, der Schwiegervater des Mose, nahm (wajjiqaḥ) ein Brandopfer und Schlachtopfer für Gott.“
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3. Mose und die Midianiter
Die Kommentatoren haben viel darüber diskutiert, wer der „Zeremonienmeister“ bei diesem Opfer ist. Die TOB, die französische ökumenische Übersetzung der Bibel, verrät eine gewisse Verlegenheit: „il participa“ („er nahm teil“) statt „il prit“ („er nahm“)23. Den hebräischen Text kann man kaum anders verstehen, als dass Jitro die Initiative zu diesem Opfer ergreift. Selbst die Redaktoren, welche später die Person Aarons eingefügt haben, lassen die Initiative nicht von ihm ausgehen. Die ursprüngliche Fassung dieses Zusammentreffens zwischen Mose und Jitro endet also mit einem Opfer, das der Priester aus Midian Jhwh darbringt. Davon ausgehend ist es durchaus vorstellbar, dass Jitro ein Priester Jhwhs war. Auf der Grundlage der unterschiedlichen Beobachtungen, die wir bisher gemacht haben, kann man die alte Überlieferung grosso modo so rekonstruieren: (1) Jitro, Priester aus Midian, der Schwiegervater von Mose, erfuhr alles, was Gott für Mose und für Israel, sein Volk, getan hatte. (5) Jitro suchte ihn in der Wüste auf, da wo er zeltete, (7) Mose kam heraus und ging seinem Schwiegervater entgegen, warf sich nieder und küsste ihn. Sie fragten einander, wie es ihnen ginge, dann betraten sie das Zelt. (8) Mose erzählte seinem Schwiegervater alles, was Jhwh dem Pharao und Ägypten angetan hatte. (10) Jitro sagte: ,Gepriesen sei Jhwh, der euch aus der Hand der Ägypter und des Pharao befreit hat.‘ (12) Jitro, Schwiegervater des Mose, brachte ein Brandopfer und Schlachtopfer für Gott dar24.
Die Midianiter- bzw. Keniter-Hypothese Als man im 19. Jh. die Bedeutung der Midianiter für die Verehrung Jhwhs erkannte, führte dieses zur sogenannten „Midianiter-“ bzw. „Keniter-Hypothese“25. Zum ersten Mal wurde sie von dem Historiker und Publizisten Friedrich Wilhelm Ghillany, der unter dem Pseudonym Richard von der Alm schrieb, im ersten Band seiner „Theologische(n) Briefe an die Gebildeten der deutschen Nation“ 1862 veröffentlicht. In der Folge ist sie von verschiedenen Spezialisten des Alten Testaments vertieft und modifiziert worden, doch die Grundidee ist, 23 Die deutsche Einheitsübersetzung ist in der Endredaktion nach dem Rückzug der Protestanten nur noch katholisch verantwortet; sie schreibt „er holte“; die Zürcher Bibel übersetzt „er nahm“, die katholische „Jerusalemer Bibel“ und die Lutherbibel 2017 „er brachte dar“. 24 Eine ähnliche Rekonstruktion bei Ernst Axel Knauf: Midian. Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens am Ende des 2. Jahrtausends v. Chr., Wiesbaden (Harrassowitz) 1988, S. 156–157. 25 Joseph Blenkinsopp: „The Midianite-Kenite hypothesis revisited and the origins of Judah“, in: Journal of the Study of the Old Testament 33 (2008), S. 131–153.
Jhwh, Israel und Edom
dass Mose den Jhwh-Kult über die Vermittlung durch die Midianiter bzw. die Keniter kennengelernt hat. Da in einigen Texten der Schwiegervater des Mose als Keniter bezeichnet wird, hat man eine Verbindung zwischen der midianitischen Tradition und der Kains (q-j-n) angenommen, dessen Name sich mit den Kenitern in Verbindung bringen lässt. Nach Genesis 4 tötet Kain seinen Bruder Abel und wird gleichzeitig zum Begründer der Zivilisation. Der Verfasser berichtet danach vom Beginn der Jhwh-Verehrung in der gesamten Menschheit: „Damals fing man an, den Namen Jhwhs anzurufen“ (Gen 4,26). Aber die Verbindungen zwischen dieser Geschichte und den Erzählungen von Mose und den Midianitern/Kenitern sind ziemlich schwach. Interessanter ist vielleicht eine andere Verbindung zu den Kenitern. In Num 24,20 und 21 werden die Keniter den Amalekitern gegenübergestellt: Letzteren verkündet Bileam den Untergang, den Kenitern aber sagt er eine solide Bleibe voraus (v. 21); ebenso ruft Saul die Keniter dazu auf, sich von den Amalekitern zu trennen (1Sam 15,6), denn sie, die Keniter, hätten gegenüber den Israeliten mit ḥesed, „Loyalität“, gehandelt, als diese aus Ägypten heraufzogen. Jael, die in Richter 4 und 5 Sisera, den Anführer des feindlichen Heeres gegen die Stämme Israels, tötet, ist die Frau eines Keniters (Ri 4,17; 5,24), und nach 1Chr 2,55 sind die Rechabiter, eine Gruppe „Jahwisten“ mit nomadischer Lebensweise, kenitischen Ursprungs. Nach Num 32,12 ist Kaleb ein Kenissiter, Angehöriger eines Clans, dessen Namen man vielleicht mit den Kenitern in Verbindung bringen kann26. Kaleb wird unter anderem als ein treuer Diener Jhwhs dargestellt (Num 13–14), deshalb erhält er auch das Gebiet um Hebron (Jos 14,14). Die Kalebiter und die Kenissiter sind also Stammeseinheiten, die mit Juda verbunden sind. Vielleicht war Juda selbst ursprünglich einer der arabischen Stämme, die sich im Süden niedergelassen hatten und mit den Midianitern, Kenitern und Edomitern in Verbindung standen.
Jhwh, Israel und Edom Erinnern wir uns, dass der Papyrus Anastasi VI für die Regierungszeit Sethos II. die Schasu von Edom erwähnt. Die Schasu stehen also ebenfalls mit Edom in Verbindung. In der Genesis und an anderen Stellen (wie Dtn 2,2–8) wird betont, dass Jakob (Israel) und Esau (Edom) Brüder sind. Diese Texte vermitteln den Eindruck, dass zwischen Israel und Edom eine besondere Verbindung besteht, die enger ist als die zu ihren anderen Nachbarn. Laut Dtn 2,5 hat Jhwh selbst Seir den Söhnen Esaus gegeben (eine ähnliche Bemerkung findet sich in Jos 24,4). Und im 23. Kapitel desselben Buches werden die Edomiter als „Brüder“ der Is26 In Gen 15,19 werden Keniter und Kenissiter zusammen genannt.
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3. Mose und die Midianiter
raeliten angesehen: „Einen Edomiter sollst du nicht verabscheuen, denn er ist dein Bruder“ (Dtn 23,8). Außerdem verurteilt die Hebräische Bibel wiederholt die Nationalgötter der Moabiter und der Ammoniter – Kamosch und Milkom –, niemals aber den Gott Edoms. 1Kön 11,1–19 kritisiert König Salomo wegen seiner zahlreichen Frauen, die ihn dazu verführen, ihre jeweiligen Nationalgötter zu verehren. Interessanterweise werden im Text – obwohl es auch Edomiterinnen unter den Ehefrauen gab – nur die Namen der Götter der Ammoniter, der Moabiter und der Sidonier genannt, der Gott Edoms erscheint jedoch nicht! Wenn wir diese Spur weiterverfolgen, stellen wir fest, dass anders als im Falle Moabs und Ammons der Nationalgott Edoms mit Namen Qaus oder Qos in der Bibel keine Erwähnung findet. Explizit ist er erst ab dem 6. oder 5. Jh. belegt, aber er wurde wahrscheinlich schon in assyrischer Zeit verehrt. Dies legen Königsnamen aus dieser Zeit wie Qosmalak oder Qosgabri nahe. Seine Bedeutung spiegeln vielleicht auch Namen wider, die auf ägyptischen Listen auftauchen, die sich grosso modo auf die edomitische Region beziehen: qśrʿ („Kos ist mein Hirte“), qśrbn („Kos ist brillant“) u.ö.27 Den Höhepunkt seiner Popularität erreichte er in idumäischer oder nabatäischer Zeit (ab dem 4. Jh. v.u.Z.). Der Name Qaus oder Qos bedeutet „Bogen“ und ist wahrscheinlich arabischen Ursprungs. Es handelt sich also entweder um einen vergöttlichten Bogen oder einfach um den Namen eines Kriegsgottes. Die Entdeckung eines edomitischen Heiligtums in der Nähe von Arad (im Norden des Negev) hat Inschriften zum Vorschein gebracht, in denen Qos erwähnt wird, sowie Statuetten, die man als diesen Gott selbst oder seine Paredra (d.h. die ihm beigestellte Gottheit) identifizieren kann. Wollte man Schlüsse aus den Beobachtungen über die enge Verbindung zwischen Israel und Edom auf der einen und dem eher späten Auftreten des Gottes Qos auf der anderen Seite ziehen, könnte man spekulieren, dass auch Jhwh in Edom verehrt worden war und dass Qos seine Nachfolge antrat, als Jhwh zur Nationalgottheit Israels und Judas wurde. Man könnte sich auch vorstellen, dass Jhwh und Qos nur zwei Namen, das heißt zwei Titel, ein- und derselben Gottheit waren. Aber all dies verdient eine genauere Untersuchung28. Insgesamt bestätigt das Material zu Mose und Midian die Hinweise, die auf eine südliche Herkunft Jhwhs deuten und auf eine eventuelle Verbindung zu den Schasu, jenen halbnomadischen Stämmen, zu denen man auch die Midianiter und die Keniter zählen kann. Wir haben bereits gesehen, dass Richter 5 Jhwh aus Seir kommen lässt. Die Verbindung zwischen Jhwh und Edom findet sich auch in einem jüngeren Text aus dem letzten Teil des Buches Jesaja: „Wer ist es, der da aus Edom kommt, aus Bozra in grellen Kleidern, die Brust stolz geschwellt unter 27 Ernst Axel Knauf: „Qaus“, in: Ugarit-Forschungen 16 (1984), S. 93–95. 28 An dieser Frage interessierte Leserinnen und Leser können John R. Bartlett: Edom and the Edomites, Sheffield (JSOT Press) 1989, konsultieren.
Jhwh, Israel und Edom
dem Gewand, gespannt von der Kraft seiner Energie? – Ich bin es, der von Gerechtigkeit spricht, der kämpft, um zu retten …“ (Jes 63,1). Schwieriger ist es zu sagen, wieviel historische Erinnerung in den Erzählungen über Mose und Midian steckt. Mose war vielleicht der Anführer einer Gruppe von ʿapiru, die aus Ägypten kam, Jhwh in Midian begegnet ist und ihn dann bei anderen Stämmen im Süden bekannt gemacht hat. Diese Frage wird später noch einmal wiederaufgenommen werden.
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4. Wie wird Jhwh der Gott Israels? Die Begegnung zwischen Jhwh und „Israel“ – Gedächtnisspuren Nach der biblischen Erzählung im Buch Exodus (19–24) wird Jhwh der Gott Israels, nachdem er sich am Berg Sinai geoffenbart und mit den Israeliten einen Vertrag oder einen „Bund“ geschlossen hat. Während dieser Gotteserscheinung hören die Hebräer die Stimme Jhwhs, der ihnen aus einem Donnern heraus die „zehn Gebote“ verkündet. Daraufhin bittet das Volk Mose, Mittler zwischen Gott und Israel zu werden, da es diese unmittelbare Nähe zum Göttlichen nicht ertragen kann. Jhwh selbst stellt sich hier als der Gott vor, der Ägypten besiegt hat: „Ihr habt selbst gesehen, was ich Ägypten getan und wie ich euch auf Adlersflügeln getragen und hierher zu mir gebracht habe“ (19,4); er verkündet nun dem ganzen Volk seinen Namen, den er bis dahin nur Mose offenbart hatte: „Ich bin Jhwh, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus“ (20,2). Die neue Beziehung zwischen Jhwh und Israel wird dadurch besiegelt, dass Mose das Volk und den Altar mit Blut besprengt. Die Geschichte von der Gotteserscheinung am Sinai bewahrt wie die Erzählungen von der Berufung des Mose (Ex 3–4) die Erinnerung daran, dass Jhwh nicht schon immer der Gott Israels gewesen ist; diese Beziehung ist vielmehr die Frucht einer Begegnung. Die Begegnung zwischen Jhwh und Israel wird in den biblischen Texten auf verschiedene Weise beschrieben. In dem Buch, das dem Propheten Hosea zugeschrieben wird, heißt es lediglich, Jhwh habe Israel in der Wüste „gefunden“: „Wie Trauben in der Wüste fand ich Israel, wie Frühfeigen am Feigenbaum, als dessen erste Früchte, habe ich eure Vorfahren angesehen“ (9,10). Nach dem 20. Kapitel des Ezechielbuches beginnt die Geschichte zwischen Jhwh und Israel in Ägypten mit einer bewussten Wahl durch Jhwh: „Sprich zu ihnen: So spricht Jhwh der Herr: ‚Am Tag, als ich Israel erwählte, habe ich für die Nachkommen des Hauses Jakob meine Hand erhoben, und ich habe mich ihnen zu erkennen gegeben im Land Ägypten; ich habe für sie meine Hand zum Schwur erhoben: Ich bin Jhwh, euer Gott.‘ “ Obwohl diese Texte hinsichtlich des Ortes, an dem diese Beziehung geknüpft wurde, nicht einig sind, stimmen sie doch darin überein, dass Jhwh Israel in einem bestimmten Moment ausgewählt hat und dass dieses Volk nicht schon immer sein Volk gewesen ist. Diese Feststellung führt uns zu der Frage nach dem Namen Israels und nach dessen Bedeutung. Was kann man über diesen Namen sagen, wann und unter welchen Umständen muss man sich diese Begegnung historisch vorstellen?
Der Name Israel
Der Name Israel Israel enthält das theophore Element ʾēl, das als Eigenname eines Gottes dienen kann – El (Ilu) trifft man zum Beispiel in Ugarit an als Schöpfergott und Herrscher über den Götterhimmel –, das aber auch eine allgemeine Bezeichnung für „Gott“ sein kann. Der Name Israel ist aus denselben Elementen zusammengesetzt wie der Name Ismael (Jišmāʿ-ʾēl), der „möge El hören“ bedeutet. Es handelt sich also um ein präformativ konjugiertes Verb in der dritten Person Jussiv (eine Aufforderung ausdrückend), das mit dem Namen einer Gottheit kombiniert wird. Die Etymologie des Namens Jiśra-ʾēl ist umstritten. Im Buch Genesis (Kapitel 32) gibt der Verfasser der Geschichte, in der Jakob mit einem mysteriösen Wesen kämpft, das sich als Gott herausstellt, eine volksetymologische Erklärung: „Er sagte: ,Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel, denn du hast mit Gott gestritten (kî śārîtā ʿim ʾĕlōhîm)‘ …“ (32,29). Dieselbe Erklärung findet sich im Buch Hosea: „Als er stark war, kämpfte er mit Gott (ûḇʾônô śārāh ʾêt ʾĕlōhîm)“ (12,4). Nach dieser Etymologie wäre der Name von der Wurzel ś-r-h „schlagen, bekämpfen“ abgeleitet. In diesem Fall wäre die ursprüngliche Bedeutung „möge El kämpfen“ gewesen, denn in theophoren Namen nimmt der Name der Gottheit die Stelle des Subjekts und nicht des direkten Objekts ein. Diese Wurzel taucht in der Bibel aber nur in den beiden oben genannten Texten auf, und es gibt nur wenige Belege in anderen semitischen Sprachen. Allem Anschein nach ist der Name iś-ra-il in Ebla belegt (möglicherweise in der Bedeutung „kämpfen“1). Es gibt auch andere Vorschläge: Der Name könnte auf die Wurzel j-š-r („gerecht sein“) zurückgehen. In diesem Fall würde es sich um eine Afformativkonjugation handeln: „El ist gerecht“. Diese Wurzel findet sich in zwei poetischen Texten im Buch Deuteronomium: „Keiner ist dem El von Jeschurun vergleichbar (ʾên kāʾēl Jĕšūrûn)“ (32,15; 33,5.26). Der Name Jeschurun wird als poetische Bezeichnung für Israel gebraucht2 und scheint auf die Wurzel „gerecht sein“ zurückzugehen. Eine Erklärung, die von der Wurzel j-š-r ausgeht, kann sich auch auf ein Tonscherbenfragment aus Ugarit stützen, das eine Liste soldatischer Wagenlenker enthält. Einer dieser Soldaten trägt den Namen j-š-r-ʾi-l3. Diese 1
Manfred Görg: „Israel in Hieroglyphen“, in: Biblische Notizen 106 (2001), S. 21–27; Peter van der Veen u.a.: „Israel in Canaan (Long) Before Pharao Merenptah? A Fresh Look at Berlin Statue Pedestal Relief 21687“, in: Journal of Ancient Egyptian Interconnections 2 (2010), S. 15–25, bes. S. 25 Anm. 66. Andere bringen den Namen mit der Wurzel „gerecht sein“ oder auch „verteidigen“ in Verbindung. 2 Siehe auch Jes 44,2. 3 UT 2069:3 = KTU 4.623:3.
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4. Wie wird Jhwh der Gott Israels?
Tonscherbe befand sich bei der Zerstörung Ugarits noch im Ofen und kann daher auf das Ende des 13. Jh. v.u.Z. datiert werden; sie ist also zeitgleich zum ersten Beleg für Israel in Ägypten. Aber der Name auf der Ugarit-Liste steht nicht notwendigerweise mit dem biblischen Israel in Verbindung4, und die Vokalisation des Namens Israel in den biblischen Texten spricht eher für ein präformativ gebildetes Lexem. Damit ergibt sich eine andere Möglichkeit: Man kann den Namen mithilfe der gut belegten Wurzel ś-r-r („herrschen, regieren, befehligen, sich als Herr durchsetzen“) erklären: „Möge El sich als Herr durchsetzen, möge er herrschen“. Die Hebräische Bibel hat vielleicht Spuren dieser Bedeutung bewahrt. Der masoretische Text von Hosea 12,5 („Er kämpfte mit dem Engel und gewann [wajjāśar ʾel-malʾāḵ wajjūḵāl]“) ist das Ergebnis einer dogmatischen Bearbeitung. Die Masoreten wollten eine zu große Nähe zwischen Jakob und Gott vermeiden und haben deshalb das Wort malʾāḵ („Engel“) eingefügt und so den Terminus ʾēl, der ursprünglich den Gott El bezeichnet hatte, durch eine leicht veränderte Vokalisation in die Präposition ʾel („gegen, in Richtung von“) verwandelt5. Der ursprüngliche Text kann also vielleicht wie folgt rekonstruiert werden: „El setzte sich durch und gewann (wajjāśar ʾēl wajjūḵāl).“ Zudem sind in der Bibel noch weitere Eigennamen belegt, die auf die Wurzel ś-r-r zurückgehen, zum Beispiel Śĕrājāh oder die Langform Śĕrājāhû, „Jhwh herrscht“. Diesen Namen trägt in 2Kön 25,18 ein Priester und in Jer 36,26 ein Beamter des Königs Zedekia. Die volksetymologische Erklärung mithilfe der Wurzel ś-r-h „kämpfen“ verdrängte in den Texten von Genesis 32 und Hosea 12 die ursprüngliche Etymologie genau zu der Zeit, als aus dem Kriegsgott Jhwh der Schutzgott der Gruppierung „Israel“ wurde. Zu El, dem Obersten über alle Götterhimmel und König der Götter, passt jedoch besser die Wurzel „herrschen“/„sich als Herr durchsetzen“.
Die Merenptah-Stele Der erste eindeutige nichtbiblische Beleg für Israel als Bezeichnung des „biblischen“ Israels findet sich auf der Stele des Pharaos Merenptah, die man auf die Zeit zwischen 1210 und 1205 datieren kann. Diese Granitstele (3,18 m hoch, 1,61 m breit und 31 cm dick) berichtet von den Siegen des ägyptischen Königs während eines Levante-Feldzuges. Dort liest man unter anderem:
4 Philip R. Davies: In Search of „Ancient Israel“, Sheffield (JSOT Press) 1992, S. 57–58. 5 Grammatisch wirft diese Lösung allerdings ein Problem auf: Man würde eher ein ʾēt als Marker für ein direktes Objekt erwarten.
Die Merenptah-Stele
„Große Freude ist in Ägypten entstanden. Jubelgeschrei ist in den Orten des geliebten Landes ausgebrochen. Man berichtet von den Siegestaten, die Mer-en-Ptah Hetep-her-Maat über die Tjehenu6 vollbracht hat. (…).7 Die Fürsten sind niedergeworfen, wobei sie „Friede“ (š-l-m) sagen, keiner erhebt mehr sein Haupt unter den Neun Bögen8. Nun Taḥnu zugrundegegangen ist, ist Ḫatti9 friedlich. Ward Kanaan geplündert mit (?) allem Schlechtem. Ward Askalon weggebracht, Geser gepackt, ward Jenoam10 zunicht (sic) gemacht. Liegt Israel brach ohne Samen, ist Ḫurru11 zur Witwe geworden für Ägypten, sind alle Länder insgesamt in Frieden, wird ein jeder, der umherschweift, bezwungen durch den König von Ober- und Unterägypten, B3-n-Rʿ geliebt von Amūn, den Sohn des Rēʿ, Merenptaḥ-sich-freuend-über-Maat, der mit Leben begabt ist wie Rēʿ alle Tage.“ Den Namen Israel hat man laut einer jüngeren Veröffentlichung in einer von der Merenptah-Stele stark abweichenden Umschrift auf dem Sockel einer Statue gefunden, die etwas älter sein könnte (vielleicht aus der Zeit Ramses II.?). Dort werden wie auf der Merenptah-Stele eindeutig Aschkelon (Askalon) und Kanaan erwähnt; die dritte Kartusche könnte den Namen Israel enthalten12. Aber 6 Die „Libyer“ bezeichnen die Völker, deren Gebiete im Westen und im Süden an das Nildelta angrenzen. 7 Die deutsche Übersetzung dieser Zeilen von Ursula Kaplony-Heckel aus: Otto Kaiser u.a. (Hgg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT). I. Rechts- und Wirtschaftsurkunden. Historisch-chronologische Texte, Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus) 1985, S. 551–552 [CDRom 2005]. Das Folgende aus Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 170–171 mit vereinfachter Schreibweise der Ortsnamen. 8 „Neun Bögen“ ist eine Bezeichnung für die traditionellen Feinde Ägyptens. 9 Bezeichnet die Hethiter in Anatolien. 10 Die Identifizierung ist unsicher. Der Name ist mehrfach in ägyptischen Dokumenten belegt. Jos 16,6 erwähnt eine Stadt mit Namen Janoah an der Grenze zu Ephraim. Aber sie kann nicht sicher mit dem Namen auf der ägyptischen Stele in Verbindung gebracht werden. Offenbar bezeichnet Jenoam eine Gegend in Nordpalästina oder in Transjordanien (Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 102 Anm. 136). 11 Syrien. 12 Peter van der Veen u.a.: „Israel in Canaan (Long) Before Pharao Merenptah? A Fresh Look at Berlin Statue Pedestal Relief 21687“, in: Journal of Ancient Egyptian Interconnections 2 (2010), S. 15–25.
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4. Wie wird Jhwh der Gott Israels?
der Lesevorschlag beruht auf einer Rekonstruktion und lautet Ia-cha-ri oder Iacha-l. Dieses Toponym unterscheidet sich auf den ersten Blick doch ziemlich von dem Isrial auf der Merenptah-Stele. Dies gilt auch für den jüngsten Vorschlag von Manfred Görg, hier a-chi-ru zu lesen. Das Fehlen des göttlichen Namens „El“ in den genannten Rekonstruktionen wird mit der Hypothese erklärt, dass er in diesem Namen, der ja eine Gruppe im Dienst dieses Gottes bezeichne, mitverstanden werden müsse. Bei Görgs Vorschlag würde es sich um die Transliteration der Wurzel š-j-r („singen“) handeln; das „a“ entspräche dann der ersten Person: „Ich will (El) singen“. Und tatsächlich beginnt das Volk nach dem erfolgreichen Zug durch das Schilfmeer dem Gott Jhwh zu singen (in Ex 15,7 findet sich die gleiche Verbalform in der ersten Person Plural)13. Eine solche Annahme, insbesondere der Gedanke, dass ein Eigenname aus einer Verbalform in der ersten Person abgeleitet wird, bleibt aber sehr spekulativ. Festgehalten werden muss hier außerdem, dass das Toponym auf dem Berliner Sockel in einem Rahmen geschrieben ist, was eher für den Namen eines besiegten Landes, einer besiegten Stadt oder Festung spricht. Auf der Merenptah-Stele ist der Name Israel ein Ethnonym (neben dem Namen sind als Determinativum ein Mann und eine Frau abgebildet). Bestenfalls könnte es sich bei der Inschrift auf dem Berliner Sockel also um eine fast zeitgleiche Variante handeln; oder aber um ein ganz anderes Toponym14 … Kehren wir zur Merenptah-Stele zurück, deren Feinsinnigkeit und deren Wortspiele typisch für die königliche Rhetorik sind. Der Name „Israel“ wird durch einen Mann und eine Frau näher bestimmt sowie durch drei vertikale Striche, die den Plural anzeigen. Dies bedeutet nicht, dass es sich um eine Gruppe Nomaden handelt, sondern um eine Gruppe Menschen – im Gegensatz zu einer Region oder einer Ortschaft. Außerdem wird über dieses Israel gesagt, dass es keine „pr.t.“ mehr habe. Dieser Ausdruck hat zwei Bedeutungen: Es kann sich um Sperma oder um Getreidesamen handeln. Bei den Ägyptern gab es (wie auch bei anderen Völkern) den Usus, die Getreidefelder in den besiegten Gebieten zu zerstören. Der Zusatz, dass Israel keinen Samen mehr hat, kann aber auch an den ägyptischen Brauch denken lassen, die Geschlechtsteile der besiegten Feinde abzuschneiden. Der Text will vielleicht bewusst zweideutig sein, denn der Schreiber hätte dem Ausdruck pr.t. drei Getreidekörner oder aber einen
13 Manfred Görg: „Weitere Beobachtungen und Aspekte zur Genese des Namens ‚Israel‘“, in: Biblische Notizen 154 (2012), S. 57–68. 14 Dies ist die Meinung des Ägyptologen Youri Volokhine von der Universität Genf. Sein Fachkollege Thomas Schneider von der Universität San Diego ist noch kategorischer und betrachtet die Verbindung dieser Inschrift mit Israel als haltlose Spekulation. – Ich danke den beiden Kollegen für ihre Kommentare und ihre Hilfe.
Die Identität des Israel der Merenptah-Stele
Phallus hinzufügen und ihn so eindeutig als „Getreide“ oder als „Sperma, Samen“ kennzeichnen können15. Der Folgetext enthält im Ägyptischen eine Alliteration und beschreibt „Syrien“ (das Land, in dem sich Israel befindet) durch eine Personifizierung als trauernde Witwen (Plural). Israel erscheint also als „Mann“ (Samen) und „Syrien“ als „Frau“. Auf verschiedenen Ebenen bekräftigt dieser Vers, wie Israel (die Gruppe) und Syrien (das Land) durch die Macht Ägyptens zusammengebrochen sind. Was genau mit „Israel“ in dieser Inschrift gemeint ist, bleibt offen. Und was hat man unter „Syrien“ zu verstehen? Handelt es sich um ein poetisches Synonym für Kanaan oder nur um einen Teil Kanaans? Der Text der Stele scheint Israel zwischen Aschkelon, Geser und Jenoam anzusiedeln. Wenn Aschkelon und Geser in dieser geographischen Aufzählung den südlichen Rand darstellen und Jenoam den nördlichen, dann kann man sich dieses Israel in den Gebirgsregionen Ephraims vorstellen, das heißt in dem Gebiet, in welchem Saul später sein „Königreich“ gründen wird. Offensichtlich ist „Israel“ jedenfalls eine Gruppe, deren Namen die Ägypter kennen und die sie als potentiellen Unruhefaktor betrachten, aber auch als einen bedeutenden Feind, gegen den es einen schnellen Sieg zu erringen gilt. Die Erwähnung des Namens Israel auf dieser Stele heißt keinesfalls, dass es einen „Exodus“ oder eine Emigration dieser Gruppe aus Ägypten gegeben haben muss. Nichts wird darüber gesagt, dass Israels Ursprünge außerhalb Palästinas liegen. Eine Frage bleibt: Hat diese Gruppe, deren Name schon sagt, dass diejenigen, die ihn tragen, zunächst den Gott El, den Herrscher über die kanaanäischen Götterhimmel, angebetet haben, zum Zeitpunkt der Steleninschrift bereits den Gott Jhwh verehrt?
Die Identität des Israel der Merenptah-Stele Nach André Lemaire geht der Ursprung Israels auf einen Clan, nämlich „ʾAsriel“, zurück, der in den Bergen Ephraims lebte (der Name findet sich in Num 26,31 für eine der Sippen Galaads; in Jos 17,12 und 1Chr 7,14 für einen Sohn Manasses und auf zwei Ostraka aus Samaria – 42 und 48). Dieser sei so bedeutend geworden, dass sein Name dann einen Zusammenschluss mehrerer Clans bezeichnet habe (wie der Name der Franken für Frankreich oder der Name der Region Schwyz für die gesamte Schweiz)16. Diese These ist zwar interessant, aber sehr schwach: Die biblischen Texte, die diesen Clan erwähnen, sind nicht sehr zahl15 Ludwig D. Morenz: „Wortwitz – Ideologie – Geschichte. ‚Israel‘ im Horizont Mer-enptahs“, in: Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft 120 (2008), S. 1–13. 16 André Lemaire: „Asriel, šrʾl et l’origine de la confédération israélite“, in: Vetus Testamentum 23 (1973), S. 239–243.
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4. Wie wird Jhwh der Gott Israels?
(?) Jenoam
ISRAEL?
Geser
Aschkelon
0
50 km
Karte 4: Die Orte der Merenptah-Stele.
Die Gottheit El im Buch Genesis und in der Hebräischen Bibel
reich und stammen alle, ohne Ausnahme, frühestens aus persischer Zeit. Der Wechsel vom Buchstaben aleph zu jod ist ebenfalls ein jüngeres linguistisches Phänomen. Und schließlich versteht man nicht wirklich, warum ein derart marginaler Clan der Ursprung Israels sein sollte. Was das Israel der Merenptah-Stele betrifft, so kann man sich hier einen Zusammenschluss von Clans oder Stämmen vorstellen, die als Schutzgott die Gottheit „El“ hatten und eine eigene Identität, ja Ethnizität besaßen, die sie von den Stadtstaaten der Ebenen Palästinas unterschied17. Es könnte sich um eine „segmentäre Gesellschaft“ gehandelt haben. Dieser von Émile Durkheim geprägte und dann von dem Ethnologen Edward Evans-Pritchard übernommene anthropologische Terminus bezeichnet Gesellschaften, die aus mehreren Gruppen von ähnlicher Stärke und Größe bestehen, was das Ausmaß der Konflikte begrenzt und die Verhandlungsbereitschaft erhöht18. Der Name Israels in der Bedeutung „möge El herrschen“ oder „möge El Herrscher sein“ würde dann das Gesellschaftsideal dieser Art des Zusammenlebens widerspiegeln. Gewisse biblische Traditionen, in denen Widerstände gegen eine Einführung der Monarchie in Israel sichtbar werden, könnten diese Vorstellungen von einer egalitären Gesellschaft ohne dauerhaften Anführer bewahren19.
Die Gottheit El im Buch Genesis und in der Hebräischen Bibel Die Verehrung einer Gottheit vom Typ El, die der Jhwhs voranging, ist auch in der Geschichte der Patriarchen und vor allem in der Jakobs erkennbar, der – als er mit „Gott“ kämpft und seinen Namen ändert – zu „Israel“ wird. Der Name El taucht in den Patriarchenerzählungen der Genesis ziemlich häufig auf. Berücksichtigt man alle biblischen Bücher von der Genesis bis zu den Königsbüchern,20 ist die Frequenz mit 1,06 Nennungen auf 1000 Wörter21 in den Kapiteln 12–50 der Genesis am höchsten. 17 Kenton L. Sparks: Ethnicity and Identity in Ancient Israel. Prolegomena to the Study of Ethnic Sentiments and Their Expression in the Hebrew Bible, Winona Lake (Eisenbrauns) 1998, S. 105–108. 18 Edward E. Evans-Pritchard: The Nuer. A Description of the Models Livelihood and Political Institutions of A Nilotic People, Memphis (General Books) 2010 [Oxford 1940]. 19 Obwohl es Sammlungen legendenhafter Erzählungen über charismatische Anführer verschiedener Stämme Israels enthält, stellt das biblische Richterbuch die Zeit vor der Monarchie als eine Epoche ohne dauerhafte Zentralgewalt dar. 20 Diese Bücher sind durch einen durchgehenden Erzählstrang verbunden und werden oft als „Enneateuch“ bezeichnet. 21 Diese Statistik unterscheidet nicht zwischen ʾĒl als Eigennamen und ʾēl als allgemeiner Gottesbezeichnung.
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4. Wie wird Jhwh der Gott Israels?
Nach Kapitel 33 der Genesis errichtet Jakob in der Nähe von Sichem einen Altar für El, den Gott Israels, offensichtlich um sein Territorium zu markieren: „Er errichtete dort einen Altar und nannte ihn El, Gott Israels (ʾēl ʾĕlōhê jiśrāʾēl)“ (33,20). Wenn sich hinter der Jakob-Tradition Erinnerungen an Clans aus der Zeit des ausgehenden 2. Jt. vor unserer Zeitrechnung finden, kann man sich tatsächlich vorstellen, dass die „Söhne Jakobs“ eine oder mehrere Manifestationen der Gottheit El verehrt haben. Der Ausdruck „El, Gott Israels“ stützt sich möglicherweise auf eine alte Überlieferung. Die meisten Passagen der Genesis und anderer biblischer Bücher, die verschiedene Arten von Manifestationen des Gottes El erwähnen, finden sich in eher jüngeren Texten und gehen davon aus, dass der Leser „El“ als Äquivalent für „Gott“ oder auch für „Jhwh“ ansieht. Dies schließt aber nicht aus, dass diese Texte Spuren einer Verehrung des großen Gottes El bewahren. Die biblischen Autoren haben die Geschichte der Patriarchen zeitlich unmittelbar vor die Zeit des Mose gesetzt und erwecken so manchmal den Eindruck, dass diese nicht Jhwh, sondern den Gott El in seinen verschiedenen Manifestationen verehrt haben. In der Genesis findet man eine ganze Reihe verschiedener Attribute für El.
El Eljon (Gen 14,18–22) Das 14. Kapitel der Genesis, in dem Abraham in eine Art Weltkrieg verwickelt wird, gehört zu den letzten Texten, die man der Geschichte dieses Patriarchen hinzugefügt hat. Die Szene seiner Begegnung mit Melchisedek ist dabei vielleicht noch jünger als die erste Fassung von Genesis 14. Wir lesen, wie Melchisedek, König von Salem22 und Priester des Gottes El Eljon, Abram23 im Namen El Eljons segnet. Abram schwört also bei diesem Gott: „Ich erhebe meine Hand zu (Jhwh24,) El Eljon, Schöpfer der Himmel und der Erde (ʾēl ʿeljôn qōnēh šāmajim wāʾāreṣ)“ (14,22). Es wurde manchmal erwogen, dass „Eljon“ eine andere Gottheit sei als El, da er auch alleine genannt werden könne25. Tatsächlich wird in Sanchuniathons „Geschichte Phöniziens“, von der einige Auszüge durch den Kirchenvater Eusebius von Caesarea überliefert sind (Praep. Evang. 1.10.15–29), 22 Eine Anspielung auf Jerusalem. 23 Abraham heißt bis zu seiner Namensänderung in Genesis 17 zunächst Abram. 24 Der Terminus fehlt in der Septuaginta, in der syriakischen Version und in dem Genesisapokryphon aus Qumran. Es ist gut möglich, dass der ursprüngliche Text den Namen Jhwh nicht enthielt. Einige Kopisten haben ihn wahrscheinlich hinzugefügt, um die Identität Jhwhs mit El zu bekräftigen. 25 In der Bibel ist dies der Fall in Dtn 32,8; Jes 14,14 und Ps 9,3.
Die Gottheit El im Buch Genesis und in der Hebräischen Bibel
ein Gott Elioun erwähnt, der auf Griechisch Hýpsistos („der sehr hohe“) heißt. In einem aramäischen Vertrag zwischen Bar Gaʾjah und Matiʾil, König von Arpad, aus dem 8. Jh. v.u.Z., der auf einer Stele verzeichnet ist, die in Sfire (25 km südöstlich von Aleppo) entdeckt wurde,26 liest man in der Liste der göttlichen Zeugen: „vor El und Eljon“. Es könnte sich in der Tat um zwei verschiedene Gottheiten handeln – oder um einen explikativen Gebrauch der Konjunktion waw: „El, das heißt Eljon“27. Es handelt sich also möglicherweise um ein Epitheton, das sich später zu einem eigenständigen Namen entwickelt hat. Dieser Titel war nicht allein El vorbehalten: In Ugarit wurde er auch für Baal benutzt28; in der Hebräischen Bibel findet man ihn auch in Verbindung mit Jhwh: „Denn du, Jhwh, bist Eljon über die ganze Erde, hoch erhoben über alle Götter“ (Ps 97,9). Aber man trifft dort auch auf einige Textpassagen (insbesondere z.B. Dtn 32,8 und Gen 14,22), die ganz klar zeigen, dass El Eljon zu Anfang eine von Jhwh zu unterscheidende Gottheit war. Im Buch Numeri parallelisiert der fremde Seher Bileam zwei Epitheta von El mit dem Gottesnamen selbst: „Spruch desjenigen, der die Worte des El hört, desjenigen, der die Kenntnis des Eljon hat, desjenigen, der die Offenbarung Schaddais schaut“ (Num 24,16). In Ps 107,11 findet man die Parallelisierung „Worte Els“ und „Ratschlüsse Eljons“. Diese Texte enthalten einige Hinweise auf die Beliebtheit von El Eljon (ein Titel, der später für Jhwh beansprucht und auf ihn übertragen worden ist) in Israel und Juda.
El Roi Dieser Name (den man mit „El des Sehens“ oder „El sieht mich“ übersetzen kann) ist nur in der Erzählung Genesis 16 belegt. Hagar, die Dienerin Sarahs, trifft in der Wüste auf einen Boten Jhwhs und gibt dem Gott, der sich ihr über diesen Engel offenbart und den sie als eine Manifestation des Gottes El ansieht, diesen Namen, der sonst nirgendwo belegt ist. Es könnte sich also um eine Erfindung des Autors handeln, der wusste, dass El von den arabischen Stämmen (als deren Ahnherrin Hagar hier erscheint) unter vielen verschiedenen Bezeichnungen verehrt wurde. Der Autor will zeigen, dass El mit Jhwh identisch ist, denn Ismael (ein Name, der „möge El hören/erhören“ bedeutet), der Name, den Hagar ihrem Sohn geben soll, wird in der biblischen Erzählung mit „Jhwh hat (die 26 Eine deutsche Übersetzung der Sfire-Stelen findet sich in Herbert Donner und Wolfgang Röllig: Kanaanäische und aramäische Inschriften Band I, Wiesbaden (Harrassowitz) 20025, Nr. 222–224. 27 Vorderseite, Zeile 11; vgl. die Parallele: „Schamasch [Sonne] und Nur [Licht]“. 28 KTU 1.16, III, 5–8.
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4. Wie wird Jhwh der Gott Israels?
Schreie) deine(r) Not gehört“ erklärt. Vielleicht wollte der Autor mit dem Namen El Roi neben dem Hören auch das Sehen Els betonen.
El Olam Im 21. Kapitel der Genesis wird von einem Bündnis zwischen dem PhilisterKönig Abimelech und Abraham berichtet. Am Ende dieser Geschichte liest man: „Abraham pflanzte eine Tamariske in Beerscheba, und er rief dort den Namen Jhwhs El Olam an.“ Im hebräischen Text ist das Subjekt nicht eindeutig; die verschiedenen Versionen fügen „Abraham“ hinzu. Dies ist sicher folgerichtig, denn der Text will eine Verbindung zwischen dem im Freien stehenden Altar von Beerscheba und dem Patriarchen herstellen. Wie Jakob, der in Bet-El („Haus des El“) Jhwh anruft, identifiziert Abraham Jhwh hier mit „El Olam“ („El seit immer“, „El der Ewigkeit“). Das Attribut Olam findet man auch in Ugarit, wo es aber nicht El zugeordnet wird, sondern Schapsu, einer Sonnengottheit (KTU 2.42); dies ist auch der Fall bei einer aramäischen Inschrift in Karatepe, die šmšʿlm (Schamasch Olam) erwähnt. In nichtbiblischen Texten handelt es sich offensichtlich also eher um den Beinamen einer Sonnengottheit. Dass er mit El und dann auch mit Jhwh verbunden wird, hängt wahrscheinlich mit einer „Solarisierung“ des Jhwh-Kultes zusammen, auf die wir später noch eingehen werden.
El Schaddai Dieser Beiname finden sich an mehreren Stellen des Buches Genesis (28,3; 35,11; 48,3), im Ezechielbuch (10,5) und oft im Buch Ijob – dort ausschließlich in der Kurzform Schaddai. Die Etymologie des Wortes ist immer noch nicht eindeutig geklärt. Im Allgemeinen bringt man Schaddai mit dem akkadischen šadû „Gebirge“ („der aus dem Gebirge“) in Verbindung; eine andere Möglichkeit ist das hebräische śādeh, das „Feld“ (das sich nicht beackern lässt). Es ist übrigens möglich, dass diese beiden Wörter denselben Ursprung haben und einen für den Menschen unwirtlichen Ort bezeichnen29. Eigennamen, die in Ugarit belegt sind, wie Bʿlšdj – „Baʾalschaddai“30, enthalten vielleicht Anspielungen auf diese Gottheit; in einem anderen Text findet man „El Schaddai jagt“31. Hier scheint El 29 Ernst Axel Knauf: „El Šaddai – der Gott Abrahams?“, in: Biblische Zeitschrift NF 29 (1985), S. 97–105. 30 Frauke Gröndahl: Die Personennamen der Texte aus Ugarit, Rom (Pontifica Universitas Gregoriana) 1967, S. 116. 31 KTU 1.108.12. Hier kann man aber auch „El, in der Wüste, jagt“ verstehen.
Die Gottheit El im Buch Genesis und in der Hebräischen Bibel
Schaddai eine besondere Verbindung zu Wüstenregionen zu haben und ähnelt so dem Typ Gottheit, der in ikonographischen Überresten als „Herr der Tiere“ abgebildet ist. Die Verbindung von Schaddai zu kaum bewohnbaren Gegenden wird durch den Beleg von šdjn (offensichtlich untergeordnete Gottheiten) in einer Inschrift aus Deir ʿAlla und von ʾl śdj in einer thamudäischen Inschrift aus der Umgebung von Tayma bestätigt, die von sesshaft gewordenen Beduinen stammt und auf das 5.–3. Jh. v.u.Z. zu datieren ist. Die rabbinische Etymologie von El Schaddai als „der, der sich selbst genügt“ ist eindeutig eine theologische Spekulation und liegt vielleicht schon der masoretischen Vokalisation zugrunde. Die griechische Übersetzung ist oft pantokrátor und hat viele moderne Übersetzungen beeinflusst, die den Namen mit „der Allmächtige“ wiedergeben. Im Buch Genesis scheint der Titel El Schaddai ausschließlich in priesterschriftlichen Texten aus dem Anfang der persischen Zeit und dort als Epitheton von Jhwh benutzt zu werden. Die Verfasser der Priesterschrift verwandten also einen archaischen Namen – der sich aber noch zu ihrer Zeit auf eine in Arabien verehrte Gottheit bezog – um eine Offenbarungsgeschichte zu konstruieren, die zeigen sollte, dass in der Zeit vor der Offenbarung Jhwhs an Mose (Ex 6) die Patriarchen und ihre verschiedenen Abstammungslinien unterschiedliche Manifestationen des Gottes El verehrten. Zu diesen Abstammungslinien gehörten auch die arabischen Stämme, die sich auf Ismael zurückführten oder aus der Verbindung Abrahams mit Ketura hervorgegangen waren (Gen 25), sowie die edomitischen Stämme, die von Esau abstammten. Die Bedeutung, die El in den Patriarchenerzählungen zugemessen wird,32 und die unterschiedlichen Versuche, ihn mit Jhwh zu identifizieren, könnten die Erinnerung daran bewahren, dass die Vorfahren Israels den Gott El in unterschiedlicher Gestalt verehrt haben. Und wenn die Jakob-Traditionen die Erinnerung an eine Gruppe widerspiegeln, die zunächst El verehrt und danach Jhwh angenommen hat, dann könnte so auch die enge Verbindung von Jakob und Edom erklärt werden – wobei dies natürlich reine Spekulation ist. Den Forschern, die sich für die Frage der Verschriftlichung der PatriarchenTraditionen interessiert haben, hat vor allem die Geschichte Jakobs und seiner Beziehung zu Esau (Edom) Probleme bereitet. Wenn man die Jakobsgeschichte auf die israelitische Königszeit datiert, kann man für diese Zeit nur schwer ein enges Verhältnis zwischen Jakob (Israel) und Esau (Edom) erklären. Deshalb hat man angemerkt, dass die gespannten, aber dennoch engen Beziehungen zwischen den beiden Brüdern in babylonischer oder persischer Zeit Sinn ergäben, wo Jakob in theologischem Sinne zum Ahnherrn von „ganz Israel“ (inklusive 32 Vgl. außerdem „El-Berith“ („El des Vertrags“) in Ri 9,46. Die Vorlage der griechischen Übersetzung hat allerdings „Baal“, wie in 8,33 und 9,4.
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4. Wie wird Jhwh der Gott Israels?
Juda) wurde. Muss man also auch die Erzählungen von ihrer Feindschaft in diese Zeit legen33? Unsere Untersuchung könnte den Weg zu einer anderen Lösung aufzeigen: Wenn man Jhwh bei den „Edomitern“ ansiedeln würde, dann könnte die Verbindung zwischen Jakob und Esau ein altes Wissen um die Adoption eines mit „Esau“ verbundenen Jhwhs durch die „Söhne Jakobs“ widerspiegeln. Diese Spekulation wird durch die Inschriften von Kuntillet Adschrud, die seit einigen Jahren in einem vollständigen Grabungsbericht veröffentlicht vorliegen34, in gewisser Weise bestätigt. Dort trifft man auf einen „Jhwh von Samaria“, also aus Israel, und einen „Jhwh von Teman“, also aus dem Süden.
Wie kann man sich die Einführung Jhwhs in „Israel“ vorstellen? Nehmen wir an, dass ein Gott Jhwh auf einem Berg auf dem Territorium von Edom oder Midian angesiedelt war und dass er von einer jener Gruppen adoptiert wurde, die die Ägypter Schasu oder Hapiru nannten. In hethitischen Verträgen aus dem 2. Jt. v.u.Z. findet man in langen Götterlisten den Ausdruck „die Götter der Hapiru“, was der Wendung ʾĕlōhē ʿiḇrîm („Gott bzw. Götter der Hebräer“)35 entspricht, auf die man auch in den biblischen Texten stößt, vor allem in der Erzählung über den Exodus; zum Beispiel in Ex 5,3: „Sie [die Israeliten in Ägypten] sagten: ‚Der Gott der Hebräer ist uns begegnet. Drei Tagesreisen weit wollen wir in die Wüste gehen und Jhwh, unserem Gott, opfern, damit er uns nicht schlägt mit Pest oder Schwert.‘“ Dieser Text setzt voraus, dass Jhwh, der als gewalttätiger Gott dargestellt wird, mit dem Gott der Hebräer identisch ist. Aber es ist möglich, dass der Ausdruck ʾĕlōhē ʿiḇrîm ursprünglich einen oder mehrere Gottheiten bezeichnete, die gar keinen bestimmten Namen hatten. Darauf könnte noch die Frage hindeuten, die Mose stellt, als Jhwh ihn beauftragt, zu den Israeliten in Ägypten zu gehen: „Also, ich werde zu den Söhnen Israels gehen und ich werde ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich gesandt. Und wenn sie mir sagen: Was ist sein Name? Was soll ich ihnen sagen?“ (Ex 3,13). Dieser Gott der Hebräer hat offensichtlich ein Heiligtum in der Wüste und ist ein kriegerischer und furchteinflößender Gott. Die an den Pharao gerichtete Bitte von Ex 5,3 betrifft keinen endgültigen Aufbruch, sondern eine Art Beurlaubung, um diesem Gott ein Opfer darbringen zu können. Handelt es sich vielleicht um eine Erinnerung daran, 33 So z. B. Ernst Axel Knauf: „Esau“, in: Neues Bibel-Lexikon 4 (1990), S. 587–588. 34 Zeev Meshel, Schmuel Aḥituv und Liora Freud: Kuntillet ʿAjrud (Ḥorvat Teman). An Iron Age II Religious Site on the Judah-Sinai Border, Jerusalem (Israel Exploration Society) 2012. 35 Vgl. zum Beispiel James B. Pritchard (Hg.): Ancient Near Eastern Texts relating to the Old Testament, Princeton (Princeton University Press) 19693, S. 548.
Wie kann man sich die Einführung Jhwhs in „Israel“ vorstellen?
dass eine Gruppe Schasu/Hapiru Jhwh während eines Aufenthalts im Gebiet von Midian/Edom kennengelernt hat? Die Begegnung zwischen dieser Gruppe und Jhwh wird vielleicht in der Geschichte von der Offenbarung am Sinai widergespiegelt. In diesem Text (Ex 19– 24), der in seiner jetzigen Form recht jung ist, kann man den Gedanken erkennen, dass die aus Ägypten ausgezogenen Hebräer während dieser Begegnung zum ʿam jhwh, zum „Volk Jhwhs“, werden. Das hebräische Wort ʿam, hier mit „Volk“ übersetzt, dient auch dazu, eine sehr starke verwandtschaftliche Bindung auszudrücken; es kann einen Clan bezeichnen oder auch kriegerische Konnotationen im Sinne von „Truppe“ haben. Es ist bemerkenswert, dass in den Erzählungen von der Begegnung zwischen Jhwh und Israel in Kapitel 19 und von dem Bundesschluss zwischen Jhwh und Israel in Kapitel 24 vor allem der Terminus ʿam benutzt wird und sehr selten der Name Israel, um die Adressaten der Theophanie bzw. die Partner des Bündnisses zu bezeichnen: Ex 19: (7) Mose kam die Ältesten des Volks zu rufen […] (8–10) Das ganze Volk antwortete einmütig: Alles, was Jhwh gesagt hat, werden wir tun. Mose überbrachte Jhwh die Worte des Volks. Und Jhwh sagte zu Mose: „Siehe, ich komme in einer dichten Wolke zu dir, damit das Volk es hört, wenn ich mit dir spreche […].“ Mose berichtete Jhwh die Worte des Volks. Und Jhwh sagte zu Mose: „Geh zum Volk, heilige sie heute […] (11) […] denn am dritten Tag wird Jhwh vor den Augen des ganzen Volks auf den Berg Sinai hinabkommen. (12) Du wirst eine Grenze um das Volk herum ziehen […].“ (14) Mose stieg vom Berg hinab zum Volk; er heiligte das Volk […] (15) Und er sprach zum Volk: „Haltet euch bereit für den dritten Tag, nähert euch keiner Frau.“ (16) Am dritten Tag, als es Morgen wurde, begann es zu donnern und zu blitzen, und eine dichte Wolke lag auf dem Berg; es ertönte mächtiger Hörnerschall; und das ganze Volk, das im Lager war, wurde von Angst ergriffen. (17) Mose führte das Volk aus dem Lager hinaus, Gott entgegen […] (21) Jhwh sagte zu Mose: „Steig hinab, verbiete dem Volk ausdrücklich, zu Jhwh vorzudringen, um ihn zu sehen; denn dann würden viele von ihnen umkommen.“ (23) Mose sagte zu Jhwh: „Das Volk kann nicht auf den Berg Sinai steigen […]“ (24) Jhwh sagte zu ihm: „[…] Die Priester und das Volk sollen nicht vordringen, um zu Jhwh hinaufzusteigen; denn dann würde er sie töten.“ (25) Mose stieg hinab zum Volk und sagte ihnen diese Dinge. Ex 24: (2) […] und das Volk darf nicht mit ihm hinaufsteigen. (3) Mose verkündete dem Volk alle Worte Jhwhs und alle Gesetze. Das ganze Volk antwortete mit einer Stimme: „Wir werden alles tun, was Jhwh gesagt hat.“ […] (7) Er nahm das Bundesbuch und las es dem Volk vor […] (8) Mose nahm das Blut und sprengte es über das Volk und sagte dabei: „Seht, das ist das
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4. Wie wird Jhwh der Gott Israels?
Blut des Bundes, den Jhwh mit euch geschlossen hat, mit all diesen Worten.“ Dieser wiederholte Gebrauch des Wortes ʿam, das man im Übrigen in Textpassagen findet, die oft ganz unterschiedlichen „Quellen“ oder „Schichten“ zugeordnet werden, könnte auf eine vorliterarische Tradition zurückgehen36. Man könnte daraus schlussfolgern, dass die Gruppe, die den Gott Jhwh verehrte, sich ʿam jhwh nannte. Offensichtlich konstituiert sich das ʿam jhwh hier durch einen Bund, einen Pakt und ein Blutritual, das in der Hebräischen Bibel ziemlich einzigartig ist37. Dieses Ritual soll eine Blutsbande zwischen dem „Volk“ und Jhwh stiften. Solche Rituale sind im präislamischen Arabien durchaus häufig, wie William Robertson Smith hervorhebt: „In der altarabischen Literatur finden sich manche Äusserungen, die sich auf das Blutbündnis beziehen, aber statt menschlichen Blutes kommt das Blut von Opfertieren zur Anwendung … In diesem Falle besteht das Ritual darin, dass alle an dem Bündnisschluss Beteiligten ihre Hände in das Blut tauchen müssen, das gleichzeitig auf den heiligen Stein, der ein Symbol der Gottheit ist, gebracht wird, oder das an seinem Fusse ausgegossen wird“ 38. Diese Texte aus dem Buch Exodus könnten also Spuren eines Rituals bewahren, bei dem eine Gruppe von Schasu/Hapiru sich über einen Mittler als ʿam Jhwh konstituiert, als Volk eines Kriegsgottes, der in ihren Augen für den Sieg über Ägypten gesorgt hat. Diese Gruppe bringt dann diesen Gott Jhwh in die Region von Benjamin und Ephraim mit, wo Israel liegt. Eine Spur dieser Begegnung spiegelt sich vielleicht in dem poetischen Text Dtn 33,2–5 wider: „Jhwh ist vom Sinai gekommen, für sie hat er von Seir aus geleuchtet, er hat vom Berg
36 Dies schlägt Klaus Koch vor: „Jahwäs Übersiedlung vom Wüstenberg nach Kanaan. Zur Herkunft von Israels Gottesverständnis“, in: Friedhelm Hartenstein und Martin Rösel (Hgg.): Der Gott Israels und die Götter des Orients. Religionsgeschichtliche Studien zum 80. Geburtstag von Klaus Koch, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2007, S. 171 –209, hier S. 194. 37 Mose nahm die Hälfte des Blutes und goss es in Schalen, und die andere Hälfte des Blutes sprengte er auf den Altar. (…) Mose nahm das Blut und sprengte es über das Volk und sagte dabei: „Seht, das ist das Blut des Bundes, den Jhwh mit euch geschlossen hat, mit all diesen Worten.“ (Ex 24,6.8). 38 William Robertson Smith: Lectures on the Religion of the Semites, The Fundamental Institutions, Edinburgh (A. & C. Black), 19273, S. 314. Zitat nach der deutschen Übersetzung: Die Religion der Semiten, Freiburg (Mohr) 1899. Nachdruck Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1964, S. 240–41.
Wie kann man sich die Einführung Jhwhs in „Israel“ vorstellen?
Paran aus gestrahlt […]. Ja, er liebt39 sein Volk (ʿam)40 … Er wurde König in Jeschurun41, als die Häupter des Volks sich versammelten zusammen mit den Stämmen Israels.“ Der letzte Vers scheint eine Art Zusammenschluss zwischen den Führern des ʿam jhwh und den unter dem Namen Israel zusammengefassten Stämmen anzudeuten. Die Führer des ʿam jhwh treffen die Stämme Israels, und Jhwh wird so zum Gott Israels. Sollte uns in diesem Text die Spur für den Aufstieg Jhwhs zum Gott Israels vorliegen? Dieser Aufstieg hat offensichtlich zu Beginn der Königszeit stattgefunden, das heißt im Übergang vom 2. zum 1. Jt. v.u.Z., und so wurde Jhwh zum Schutzgott von Saul und David, der ihn in Jerusalem einführte.
39 Das Verb, das hier für „lieben“ gebraucht wird (ḥ-b-b; vgl. das arabische Wort Habib – „Freund“), ist ein Hapax legomenon (also nur dieses eine Mal belegt); in der Bibel erscheint es noch einmal als Eigenname „Hobab“ für den Schwiegervater des Mose oder als Name eines Keniters (Num 10,29; Ri 4,11). 40 Der masoretische Text hat hier einen Plural, die Septuaginta einen Singular. 41 Jeschurun ist, wie schon gesagt, ein poetischer Name für Israel.
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5. Der Einzug Jhwhs in Jerusalem Dass Jhwh erst zur Zeit des Übergangs vom 2. zum 1. Jt. v.u.Z. zum Gott Israels geworden ist, bestätigen judäische und israelitische Toponyme, die wahrscheinlich aus dem 2. Jt. v.u.Z. stammen und in denen das theophore Element Jhwh nicht vorkommt. Diese Toponyme bezeugen die Existenz von Gottheiten wie Anat (Anatot Jer 1,2: Heimatort des Propheten Jeremia), Baal (Baal-Perazim, 2Sam 5: der Ort, an dem David die Philister besiegt), Dagon (Bet-Dagon, Jos 15,41: eine Ortschaft im Gebiet von Juda), El (Bet-El: eines der wichtigsten Heiligtümer Israels), Jarichu (Jericho, Jos 6; die von Josua eroberte Stadt spiegelt den Namen des Mondgottes wider), Schalem (Jerusalem, das den Namen des Gottes der Abenddämmerung enthält), Schamasch (Bet-Schemesch, 1Sam 6: ein dem Sonnengott geweihter Ort in der Nähe von Jerusalem; er diente als Zwischenlager für die Bundeslade). Diese Namen belegen die Verehrung einer ganzen Reihe von Gottheiten, die alle mit Fruchtbarkeit und Ernte verbunden sind.
Jhwh in Schilo Das Heiligtum von Schilo wird zum ersten Mal im Buch Josua erwähnt1. Dieses Buch enthält eine absolut legendenhafte Darstellung von der Landnahme der Israeliten in Kanaan2. Nach Jos 18,1 errichten die Israeliten, nachdem sie das Land in Besitz genommen haben, dort das erste Heiligtum sowie das ʾōhel môʿēd, das „Zelt der Begegnung“. Dieser Vers gehört zu einem jüngeren Passus, dem die priesterschriftliche Vorstellung zugrunde liegt, es habe ein transportables Heiligtum, das man in der Wüste gebaut hatte, gegeben und einen Ort für die Begegnung von Mose und Jhwh. Die gleiche Vorstellung zeigt sich in Jos 22,29, wo die ostjordanischen Stämme auf den Bau eines Altars verzichten. Ihrer Meinung nach befindet sich der einzig legitime Altar vor dem miškān, dem Zeltheiligtum. Dieser „heilige Ort“ ist hier wahrscheinlich erneut eine Anspielung auf Schilo3. Der Ort taucht dann wieder in den letzten Kapiteln des Richterbuches 1 Jos 18,1.8–10; 19,51; 21,2; 22,9.12. 2 Wie wir später noch zeigen werden, wurde die erste Fassung des Buches Josua im 7. Jh. v.u.Z. zusammengestellt und niedergeschrieben. Es hat niemals eine kriegerische Landeroberung gegeben, denn die Einheit „Israel“ besteht, wie bereits betont, zunächst aus einer autochthonen Bevölkerung, zu der dann Schasu- und Hapiru-Einflüsse hinzukommen, die den Gott Jhwh mitbringen. Das Buch Josua könnte jedoch militärische Konflikte widerspiegeln, die es sicherlich zwischen „Israel“ und den kanaanäischen Städten gegeben hat. 3 Trent C. Butler: Joshua, Waco/Texas 1983, S. 249–250.
Jhwh in Schilo
auf (18–21), die oft als ein später hinzugefügter Anhang angesehen werden. Ri 18,31 spricht von einer Zeit, als sich das Haus Gottes (ʾelohîm) in Schilo befand. Offensichtlich bewahren diese späteren Texte die Erinnerung an ein jahwistisches Heiligtum an diesem Ort in Ephraim, dessen Bedeutung in der Übergangszeit von der späten Bronze- zur Eisenzeit archäologisch bestätigt ist. Schilo war schon im 2. Jt. bewohnt und gelangte zwischen dem 12. und dem 11. Jh. zu großer Bedeutung. Gegen 1050 v.u.Z. wurde es offensichtlich durch einen Brand zerstört – der vielleicht mit den Philistern zusammenhing – und war im 8. und 7. Jh. nur noch relativ schwach besiedelt4. Die große Bedeutung dieses Ortes und seine Zerstörung muss die biblischen Autoren beschäftigt haben, ebenso wie die Erinnerung daran, dass Schilo einst ein Heiligtum Jhwhs beherbergt hat. Spätere Redaktoren haben die Zerstörung dann als von Jhwh selbst herbeigeführt interpretiert (Jer 7 u. 26)5. Im 6. Jh. v.u.Z., als diese Texte verschriftlicht wurden, war die Erinnerung daran, dass es in Schilo ein Jhwh-Heiligtum gegeben hatte, noch lebendig. In der Bibel spielt Schilo eine sehr wichtige Rolle in der Geschichte des Propheten Samuel, der – folgt man dem Anfang des ersten Samuelbuches – von Jhwh beauftragt wird, Saul zum ersten König Israels zu salben. Nach der biblischen Erzählung wird Samuel von seiner Mutter im Heiligtum von Schilo Gott geweiht. In der Erzählung wird dieses nicht als Zelt, sondern als fester Tempel mit Mauern beschrieben6 – als ein jahwistischer Tempel, der das Ziel von Wallfahrten ist und in dem Jhwh sich Samuel offenbart (1Sam 3). Die neutrale, ja positive Darstellung des Tempels von Schilo in der Bibel lässt sich mit dem Aufgreifen einer alten Tradition erklären, die ihrerseits wahrscheinlich auf eine historische Erinnerung zurückgeht. Schilo war offensichtlich ein bedeutendes jahwistisches Heiligtum, in dem vielleicht sogar eine Statue Jhwhs stand; und es ist durchaus möglich, dass Jhwh durch diesen heiligen Ort (oder durch den Propheten Samuel) zum Gott Sauls wird.
4 Israel Finkelstein: „Seilun, Khirbet“, in: Anchor Bible Dictionary V, 1992, S. 1069–1072. 5 Derselbe Gedanke findet sich in Ps 78,58–62: „Sie erzürnten ihn mit ihren Kulthöhen, und mit ihren Götzen reizten sie ihn zur Eifersucht. Gott hörte es und wurde zornig, und er verwarf Israel ganz und gar. Er verließ die Wohnung von Schilo, das Zelt, das er unter den Menschen aufgeschlagen hatte. Er gab seine Kraft in Gefangenschaft und seine Zier in die Hand des Feindes. Er überlieferte sein Volk dem Schwert, und über sein Erbe zürnte er.“ 6 Jürg Hutzli: Die Erzählung von Hanna und Samuel. Textkritische und literarische Analyse von 1. Samuel 1–2 unter Berücksichtigung des Kontextes, Zürich (TVZ) 2007, S. 213.
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Jhwh, der Gott Sauls und Davids Die Frage der Historizität der ersten drei Könige Israels und Judas stellt sich dermaßen komplex dar, dass dazu eine ausführlichere Erläuterung nötig wäre7. Wir beschränken uns hier auf die folgenden Bemerkungen: Außerhalb der Bibel haben wir keinen direkten Beleg für die Existenz dieser Könige – einzige Ausnahme: die berühmte Tel-Dan-Stele aus dem 8. Jh. v.u.Z., von der man drei bedeutende Fragmente gefunden hat. Die auf aramäisch geschriebene Inschrift feiert sehr wahrscheinlich den Sieg Hasaels8, des Königs von Damaskus, über eine israelitisch-judäische Koalition. Man liest dort: „[…] den König von Israel; und ich tötete [Aʾhas]ja, den Sohn [Jorams den Kön]ig (von) btdwd. Und ich stellte […]“9. Der Ausdruck btdwd wird in der Forschung mehrheitlich als „Haus Davids“ interpretiert10. Dies sagt noch nichts über die historische Person Davids, zeigt aber, dass die Aramäer das Königreich Juda im 8. Jh. „Haus Davids“11 nannten; ähnlich wie die Assyrer das Königreich Israel als „Haus Omri“ bezeichneten. Es ist sehr schwierig, hinter den biblischen Erzählungen von den Anfängen der Monarchie die konkreten historischen Fakten auszumachen. Man muss feststellen, dass die Könige Saul, David und Salomo von den biblischen Redaktoren als bestimmte „Typen“ dargestellt werden: Saul als verstoßener König – er nimmt die Vision der Redaktoren der Königsbücher in Bezug auf das Nordreich vor7
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Eine erste Orientierung bieten Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman: David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos. München (dtv) 2009 [dt. Erstveröffentlichung 2006]. Nach George Athas: The Tel Dan Inscription. A Reappraisal and a New Interpretation, London, New York (Sheffield Academic Press) 2003, der alle Materialien und die verschiedenen Interpretationen sehr ausführlich erläutert, handelt es sich eher um den Sohn Hasaels, Bar-Hadad, vgl. S. 255–296. Fragment A, Zeilen 8–9. Eine deutsche Übersetzung und eine Einordnung der Fragmente bei Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 267–269. Ich selbst habe zusammen mit Albert de Pury und Ernst Axel Knauf die Probleme einer solchen Lesart betont und stattdessen „Bet Dôd“ vorgeschlagen. Dôd („der Onkel“, der „Geliebte“) ist in der Mescha-Stele belegt, wo der Name als Bezeichnung für den Schutzgott einer Person(engruppe) dient: Ernst Axel Knauf, Albert de Pury, Thomas Römer: „*Baytdawid ou *baytdwd? Une relecture de la nouvelle inscription de Tel Dan“, in: Biblische Notizen 72 (1994), S. 60–69. Aber ich werde angesichts des fast allgemeinen Konsenses nicht darauf bestehen. Nach George Athas: The Tel Dan Inscription. A Reappraisal and a New Interpretation, London, New York (Sheffield Academic Press) 2003 bezieht sich dieser Ausdruck eher auf Jerusalem. Aber die Parallelität zu „Haus Omris“ spricht eher für die Mehrheitsmeinung.
Jhwh, der Gott Sauls und Davids
weg; David als kriegerischer König – er ist von Jhwh erwählt und Begründer des vereinten Königreichs und seiner Dynastie; und Salomo als weiser König und Bauherr des Tempels. Trotz allem weisen die Samuel- und Königsbücher zahlreiche Züge auf, die nicht völlig erfunden sein können. Die Königreiche der Levante (Moab, Ammon, die aramäischen Königreiche) entstehen im Übergang von der ersten zur zweiten Eisenzeit (ab ungefähr 1000 v.u.Z.). Dass ein israelitisches Königreich im Einflussbereich der Philister entsteht, ist sicherlich eine historische Erinnerung. Die Erzählungen aus den Samuelbüchern zeigen, dass die Territorien Sauls und Davids sich in einem Gebiet befinden, das von den Philistern kontrolliert wird. Und David erscheint als einer ihrer Vasallen, auch wenn die biblischen Texte versuchen, dies apologetisch zu deuten. Die Bibel konstruiert die Ursprünge der Monarchie um die Personen Samuel und Saul. Samuel ist sowohl Prophet als auch, wie wir gesehen haben, mit dem Heiligtum in Schilo verbunden; außerdem ist er „Richter“, also ein charismatischer politisch-militärischer Führer, und kämpft gegen die Philister. Auch wenn die Bibel (in den Kapiteln 8 bis 12 des ersten Samuelbuches) widersprüchliche Erzählungen über den Aufstieg Sauls enthält, wird Samuel zwar auf verschiedene Art und Weise aber immer mit der Ernennung Sauls zum „König“ verbunden. Die Etymologie seines Namens ist unklar („El ist herausgehoben“, „Sein Name ist El“); er enthält aber ein theophores Element, das Saul („der, der erbeten wird“ – ein Name, der auch im Neuassyrischen: Saʾuli, und im Phönizischen: šʾl belegt ist) nicht hat. Betrachtet man die Ortsnamen, die in der Saul-Erzählung genannt werden, so stammen sie alle aus einem ziemlich begrenzten Gebiet. Ein entstehungsgeschichtlich alter Hinweis findet sich im zweiten Samuelbuch. Er widerspricht der offiziellen Version, nach der David unmittelbar zum Nachfolger Sauls wird: „Abner aber, der Sohn des Ner, Sauls Heerführer, nahm Isch-Baal12, den Sohn Sauls, und brachte ihn hinüber nach Mahanajim. Dort machte er ihn zum König „in Richtung“ (ʾel) Gilead, über die Ascheriten13, über Jesreel, und über (ʿal) Ephraim, über Benjamin, das heißt; über ganz Israel“ (2Sam 2,8–9). Der Wechsel von der Präposition ʾel zu ʿal könnte einen wichtigen Unterschied anzeigen: ʿal bezeichnet das Gebiet, das direkt unter der Herrschaft Sauls steht, und ʾel die Gebiete, die diese Herrschaft anerkennen, ohne direkt zum Königreich Sauls zu 12 Nach der griechischen Version ist dies der Name des Sohnes Sauls („Mann des Baal“). Die Masoreten haben dem hebräischen Text eine pejorative Wendung gegeben: IschBoschet („Mann der Schande“). 13 Im masoretischen Text: „Aschuriten“. Der Name ist unklar. Handelt es sich um eine Anspielung auf die Assyrer? In diesem Fall würde es sich um eine anachronistische Glosse handeln. Die verschiedenen Versionen haben den Ausdruck nicht verstanden und versuchen ihn zu korrigieren. Ri 1,32 erwähnt einen Clan der Ascheriten, der in der ursprünglichen Version des Textes gemeint gewesen sein könnte.
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gehören14. Dieses Gebiet Sauls könnte dem Israel auf der Merenptah-Stele entsprechen15. Die Namen der Söhne Sauls zeigen jedenfalls, dass er Jhwh verehrte: Jonathan („Jhwh hat gegeben“) trägt einen jahwistischen Namen, Ischbaal („Mann des Baal“) enthält das theophore Element baʿal – ebenso wie der Name eines der Söhne Jonathans, Mephibaal („Geliebt von Baal“). Ist dieser „Baal“ ein anderer Gott als Jhwh oder war baʿal („Herr, Herrscher“) nur ein Titel Jhwhs? Wir werden auf diese Frage zurückkommen.
Jhwh und die Lade In der biblischen Darstellung wird Jhwh, bevor er nach Jerusalem kommt, mit der „Lade“ verbunden (das hebräische Wort ʾāron bedeutet „Kiste, Truhe“). In späteren Überarbeitungen wird aus der Lade die „Bundeslade“ (ʾāron habberît). Die ursprüngliche Bezeichnung war vielleicht „Lade Jhwhs“. Nach den Autoren, die aus dem priesterschriftlichen Milieu stammen, soll die Lade am Sinai zu der Zeit gebaut worden sein, als man auch das tragbare Heiligtum errichtete. In der Erzählung von der Landnahme im Buch Josua wird sie von Priestern getragen; im Richterbuch wird sie so gut wie nicht erwähnt; aber in jedem der beiden Samuelbücher ist ihr ein längerer Abschnitt gewidmet (1Sam 4–6 und 2Sam 6). Diese Kapitel bilden eine eigene Einheit, welche die „Ladeerzählung“ genannt wird. Handelt es sich dabei ursprünglich um eine unabhängige Tradition? Das ist sehr gut möglich, obwohl diese Erzählungen schwer zu datieren sind16. Nach der Geschichte der Bundelade spielt diese eine wichtige Rolle in den militärischen Auseinandersetzungen mit den Philistern. Bei den Kriegs14 Diana V. Edelman: „The ‚Ashurites‘ of Eshbaal’s State“, in: Palestine Exploration Quaterly 117 (1985), S. 85 –91; Ernst Axel Knauf; „Saul, David, and the Philistines: from geography to history“, in: Biblische Notizen 109 (2001), S. 15–18. 15 Die spektakuläre Ausgrabungsstätte von Khirbet Qeyafa, die seit 2008 von Yosef Garfinkel untersucht wird, befindet sich im Einflussbereich der Philister und könnte nach einem Vorschlag Israel Finkelsteins zu jenem Einflussgebiet des Saulschen Königreichs gehört haben; sie würde dann dem Tal der Terebinthen (Elah) entsprechen, an dem laut 1Sam 17 Saul sein Heerlager aufgeschlagen hat [vgl. Israel Finkelstein: The Forgotten Kingdom.The Archaeology and History of Northern Israel, Atlanta (Society of Biblical Literature) 2013, S.5 –59.] Diese Hypothese findet allerdings keine einhellige Zustimmung. – Zu Garfinkels Interpretation der Ausgrabungen in Qeiyafa, die in jedem Falle zeigen, dass die Archäologie für Historiker und Bibelforscher durchaus Überraschungen bereithält, siehe: Yosef Garfinkel u.a.: „Khirbet Qeiyafa 2009 (Notes and News)“, in: Israel Exploration Journal 59 (2009), S. 214–222. 16 Die für die deuteronomistischen Redaktoren typische Sprache fehlt in 1Samuel 4–6. Es kann sich also entweder um eine ältere Überlieferung handeln, die in die deuteronomistische Geschichte eingefügt wurde, oder um eine jüngere Hinzufügung.
Jhwh und die Lade
zügen der Israeliten gegen die Philister dient sie offensichtlich dazu, die Gegenwart Jhwhs anzuzeigen. Als sie von den Philistern erbeutet und in das Heiligtum ihres Gottes Dagon17 gebracht wird, zerbirst dessen Statue; daraufhin wird sie von Aschdod über Gath nach Ekron verbracht, dessen Einwohner Geschwüre bekommen. Durch diese Schilderungen soll die Macht Jhwhs deutlich gemacht werden, der in der Lade zu wohnen scheint oder für dessen Anwesenheit die Lade das materielle Zeichen ist. Deshalb beschließen die Philister, sie den Israeliten zurückzugeben: Die Philister riefen die Priester und Wahrsager und sagten: „Was sollen wir mit der Lade Jhwhs machen? Lasst uns wissen, wie wir sie sie dorthin zurückschicken sollen, wo sie war.“ Diese sagten: „Wenn ihr die Lade des Gottes Israel zurückschickt, schickt sie nicht leer. Im Gegenteil, tragt Sorge, dass ihr ihm eine Sühnegabe entrichtet. Dann werdet ihr gesund und ihr werdet erfahren, warum seine Hand nicht von euch gewichen ist.“ (1Sam 6,2–3) Der sakrale und gefährliche Charakter der Lade kann sich auch gegen die Israeliten richten, wie die Geschichte ihrer Rückkehr zeigt: Jhwh erschlug Menschen aus Bet-Schemesch, denn sie hatten in die Lade Jhwhs gesehen. Und er erschlug siebzig Mann – fünfzig Tausend Menschen18. Das Volk trauerte, denn Jhwh hatte dem Volk einen schweren Schlag zugefügt. Die Menschen von Bet-Schemesch sagten: „Wer kann bestehen in Jhwhs Gegenwart, vor diesem heiligen Gott?“ (1Sam 6,19–20). Die Lade wird daraufhin nach Kirjat-Jearim geschickt und im Haus eines gewissen Abinadab untergebracht, dessen Sohn zum Priester geweiht wird, um in der Lage zu sein, auf sie aufzupassen. Es bedarf also spezieller Eigenschaften, um sich dem Ort der göttlichen Präsenz nähern zu können. Die Lade war zunächst ein transportables Kriegsheiligtum. Ihre Gefährlichkeit gibt der Vorstellung Recht, dass sie den Gott Israels repräsentiert. 17 Dagon (Dagan) ist eine levantinische Gottheit (die mit Fruchtbarkeit und vielleicht auch mit dem Ackerbau verbunden wird). In der Bibel erscheint er als Gott der Philister. Wenn dies irgendeiner Realität entspricht, wäre es ein weiterer Hinweis darauf, wie schnell die autochthonen Gottheiten von den Philistern angenommen wurden. 18 Das Ende des Verses („fünfzig Tausend Menschen“) fehlt in mehreren Handschriften. In den anderen ist es nur sehr schlecht an den vorhergehenden Text angeschlossen. Mit Sicherheit handelt es sich um eine Glosse, die sich zunächst am Rand der Rolle befunden hat und die die Schlagkraft Jhwhs erhöhen wollte. Ein späterer Kopist hat sie dann in den Text eingefügt, der ursprünglich nur die „siebzig Männer“ enthielt.
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Die Lade ist oft mit den transportablen Sanktuarien der Nomaden verglichen worden. Diese Hypothese wird nicht zwingend dadurch gestützt, dass die Lade sich im Heiligtum von Schilo befand. Man kann sie auch mit den heiligen Truhen aus der ägyptischen Ikonographie vergleichen oder mit den Kriegsstandarten der Assyrer oder anderer Völker, die ebenfalls eine Gottheit repräsentierten. Die Standarten von Luristan (im Iran, in der Gegend des Bergs Zagros) aus dem 9. bis 6. Jh. v.u.Z. zeigen zum Beispiel eine Gottheit, die stilisiert als „Herr der Tiere“ dargestellt wird19. Ein Beleg für eine Truhe auf einem Karren scheint es auch für die Phönizier zu geben: Philon von Byblos (um 65 – um 140) berichtet in seiner „Phönizischen Geschichte“, dass zwei Götter mit Namen „Feld“ (agrós – vielleicht identisch mit šaddāj) und „Ländlich“ (agrótes) mit einer Truhe (naós) in Verbindung gebracht würden, die von zwei Tieren gezogen werde. Das Bild oder die Statue eines Gottes in einem tragbaren Sanktuarium ist auch numismatisch auf einem Geldstück aus Hierapolis belegt, einem griechischen Thermalbad, das im 2. Jh. v.u.Z.in der heutigen Türkei errichtet wurde.
Was war in der Lade Jhwhs? Dass die Lade, wie das 6. Kapitel des ersten Samuelbuches berichtet, auf einen von Kühen gezogenen Karren gestellt wurde, zeigt eine gewisse Größe dieses Gegenstandes. Nach einem Text des Buches Exodus, der Teil der Priesterschrift ist (Ex 25,10), maß die Lade ungefähr 112 x 67 x 67 cm. Aber hier handelt es sich – wie auch beim Text aus dem Deuteronomium (Dtn 10,1–5), der berichtet, dass die Lade das Behältnis für die zwei Gesetzestafeln war – um einen relativ späten Text. Auch das erste Königsbuch stellt entschuldigend fest: „Es befindet sich nichts in der Lade, außer den zwei steinernen Tafeln, die Mose am Berg Horeb hineingelegt hat …“ (1Kön 8,9). Aus diesen Texten wird ziemlich deutlich, dass die Gesetzestafeln etwas Anderes ersetzt haben. Vielleicht nehmen sie den Platz zweier heiliger Steine ein, wie man sie auch in den Truhen der Beduinen aus präislamischer Zeit findet. Bei einigen arabischen Stämmen handelte es sich um zwei Göttinnen, ʾal-Lat und ʾal-Uzza, die später durch Koranabschriften ersetzt wurden. Es gab auch Truhen mit einer einzigen Gottheit. Also darf man sich vorstellen, dass die Lade zwei Betylen (heilige Steine) oder zwei Statuen enthielt, die Jhwh und seine Paredra Aschera20 symbolisierten, oder nur eine Statue für Jhwh allein.
19 Bilder in: Ernie Haerinck: Bronzes du Luristan. Énigmes de l’Iran ancien, IIIe–Ie millénaire av. J.-C., Paris (Paris Musées) 2008. 20 Wir werden noch auf die Frage nach einer mit Jhwh verbundenen Göttin zurückkommen.
David und Jerusalem
David und Jerusalem David, Sauls Rivale, ließ sich zunächst in Hebron, auf judäischem Gebiet, nieder. Er muss sich dann der Stadt Jerusalem bemächtigt haben, die damals von relativ bescheidener Größe war. Zum Vergleich: Aschkelon umfasste zu der Zeit 50– 60 ha, Ekron 20 ha, Jerusalem 4–6 ha und Khirbet Qeyafa, das man erst vor einigen Jahren ausgegraben hat, 2,3 ha (die Innenstadt dort war jedoch von einer doppelten Mauer umgeben). Man kann sich die Frage stellen, warum David, wenn er die Philister tatsächlich endgültig besiegt hatte, nicht Aschkelon zu seiner Hauptstadt gemacht hat. Wahrscheinlich war er während seiner ganzen Regierungszeit ein Vasall der Philister21. Die Stadt Jerusalem gibt es seit dem 18. Jh. v.u.Z.22. Ihr Name bedeutet möglicherweise „Gründung von Schalem“. Schalem ist den Texten aus Ugarit als Gottheit des Sonnenuntergangs belegt. Aus den Amarna-Briefen (auf akkadisch verfassten Tontafeln diplomatischen Inhalts, die der König von Ägypten mit anderen Herrschern der Levante ausgetauscht hat) erfahren wir, dass die Stadt im 15. Jh. von einem Kleinkönig namens Abdi-Cheba regiert wurde, der sich beim Pharao über Angriffe der Hapiru beklagt. Jerusalem ist also eine kanaanäische Stadt, deren Macht in der 2. Hälfte des 2. Jt. immer schwächer wird. Dies erklärt die Leichtigkeit, mit der David sich ihrer bemächtigen kann. Dass David Jerusalem als Hauptstadt wählt – die „Stadt Davids“ –, geschieht aus strategischen Gründen: Als kanaanäische Stadt liegt Jerusalem auf „neutralem“ Gebiet und gehört nicht zu einem der Stämme oder Clans, die David als König anerkannt haben. David macht aus Jerusalem „seine“ Stadt, indem er sich mit der lokalen Aristokratie verbündet. Zur Zeit Davids und Salomos besteht die Stadt nur aus einer Ansammlung von Häusern um den östlichen Hügel gegenüber dem Ölberg. Nach dem zweiten Samuelbuch hat David die Lade Jhwhs von Kirjat-Jearim nach Jerusalem bringen lassen; die Entfernung beträgt ungefähr 10 km (2Sam 6). Der Transport der Lade wird in dieser Erzählung wie ein Fest mit sexuellen und erotischen Zügen dargestellt. Der Tanz des nackten, nur mit einem PriesterEphod23 bekleideten David soll vielleicht auf die Bedeutung der Fruchtbarkeit verweisen; seine Frau Michal, die ihn zurechtweist, wird mit Unfruchtbarkeit 21 Ernst Axel Knauf; „Saul, David, and the Philistines: from geography to history“, in: Biblische Notizen 109 (2001), S. 15–18. 22 Für diese Zeit findet man das erste Mal Spuren für eine Mauer. Hinweise auf Bewohner gibt es seit etwa 3100 v.u.Z.. Siehe auch Thomas Römer: „Jerusalem“, in: Leben & Glauben 37/2005, S. 18–19. 23 Nach den Texten der Priesterschrift ist der Ephod eine Art Brusttasche, die der Priester wie einen Brustgürtel über sein Gewand schnallt. Der Ephod wird auch im Zusammenhang mit dem Erkennen göttlicher Weisungen erwähnt, denn in ihm befanden
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gestraft. Wenn die Überführung der Lade tatsächlich den Einzug Jhwhs in Jerusalem bedeutet, dann wäre eine solche Thematik überhaupt nicht ungewöhnlich für eine Gewittergottheit „baalischen“ Typs. Die Nacktheit Davids gegenüber Jhwh findet eine Entsprechung bei Saul. In 1Samuel 19 erfährt man, dass Saul, als er seinen Feind David verfolgt und auf eine Gruppe Propheten trifft, in Ekstase gerät, sich entkleidet und nackt herumläuft: (20) Saul sandte Boten, um sich Davids zu bemächtigen. Sie sahen, dass die Gemeinschaft der Propheten in Ekstase geriet und dass Samuel an ihrer Spitze stand. Der Geist Gottes bemächtigte sich der Boten Sauls, und sie gerieten ihrerseits in Trance. (21) Man erzählte dies Saul, der andere Boten schickte; auch sie gerieten in Trance; Saul schickte eine dritte Gruppe Boten; auch sie gerieten in Trance […] (23) […] Der Geist Gottes bemächtigte sich seiner und bis zu seiner Ankunft in Najot in Rama lief er in Trance weiter. (24) Auch er zog seine Kleidung aus und auch er war im Trance vor Samuel. Dann warf er sich nackt nieder und blieb so den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch. Daher sagte man: „Ist auch Saul unter den Propheten?“ Höchstwahrscheinlich wollten die Bibelredaktoren eine Parallele ziehen zwischen der Nacktheit Sauls und der Davids gegenüber Jhwh. Geht man von 1Samuel 19 aus, kann man sich vorstellen, dass der Tanz Davids in 2Samuel 6 ebenfalls ein Zeichen von Ekstase ist und dass dieser Zustand vielleicht eine legitimierende Funktion hatte. Denn ein König, dem die Mittlerfunktion zwischen dem Volk und dessen Schutzgottheit zukam, musste in der Lage sein, seinen Zugang zur „göttlichen Sphäre“ zu zeigen. David wird, als er sich der Lade nähert, ebenfalls von Jhwh „ergriffen“, aber anders als die Philister oder die Menschen in Bet-Schemesch stirbt er nicht. Während sich in jüngeren priesterschriftlichen Texten den Priestern gegenüber das Verbot findet, ihre Sexualorgane – und sei es ungewollt – offen zu zeigen24, stellt hier die Nacktheit dem Göttlichen gegenüber25 kein Problem dar. sich die Orakel-Knöchelchen Urim und Tummin. In anderen Texten bezeichnet Ephod eine göttliche Statue. 24 In Ex 28,42–43 kann man lesen: „(42) Und mache ihnen linnene Beinkleider, um Ihre Nacktheit zu bedecken; diese sollen von den Nieren bis zu den Schenkeln reichen. (43) Aaron und seine Söhne sollen sie tragen, wenn sie in das Zelt der Begegnung gehen oder wenn sie an den Altar treten, um Dienst zu tun im Heiligtum; so werden sie keine Schuld auf sich laden und nicht sterben.“ 25 Theodor W. Jennings: Jacob’s Wound: Homoerotic Narrative in the Literature of Ancient Israel, New York (Continuum) 2005, S. 83–86.
Die Erbauung des Tempels durch Salomo
Jhwh in Jerusalem – ohne Tempel? Nach der Darstellung in der Bibel hat nicht David, der Dynastiegründer, das offizielle Heiligtum in Jerusalem errichtet. Die Samuelbücher erzählen, dass die Lade zunächst in einem Zelt untergebracht wurde, weil der Tempel noch nicht erbaut war. Dass ein Gründerkönig kein Heiligtum für seinen Schutzgott baut, erstaunt; die biblischen Texte unternehmen verschiedene Erklärungsversuche. Nach 2Samuel 7, wo Jhwh David verspricht, dass seine Dynastie niemals untergehen wird, sagt jener selbst zu ihm, er habe nie in einem Tempel wohnen wollen, sondern in einem Zelt. Das dynastische Versprechen wird in Form eines Wortspiels formuliert: Nicht David wird ein Haus für Jhwh bauen, Jhwh wird für David ein Haus bauen, d.h. für Nachkommen und eine Dynastie sorgen. Daher wird erst Davids Sohn ein Heiligtum für Jhwh errichten. Die Chronikbücher, die zweihundert Jahre später entstanden sind, geben eine andere Erklärung: Sie berichten, dass David zunächst wie ein Architekt den Plan für einen Tempel hergestellt und ihn dann seinem Sohn Salomo übergeben habe, weil David dieses Heiligtum nicht selbst habe erbauen können, da er als Krieger zu viel Blut vergossen habe26. Dass David den Tempel nicht erbaut hat, erklärt sich vielleicht damit, dass es in Jerusalem bereits ein Heiligtum gab, als er die Stadt annektierte; ein Heiligtum, das natürlich von einer anderen Gottheit besetzt war. Die Erzählung in 2Samuel 12 scheint von der Existenz eines Tempels in Jerusalem zu Zeit Davids auszugehen. Nach dessen Ehebruch mit Batseba lässt Jhwh den Sohn, der aus dieser Verbindung hervorgeht, sterben. Als er vom Tod seines Kindes erfuhr, „erhob sich David von der Erde, wusch sich und salbte sich, wechselte seine Kleider und ging ins Haus Jhwhs und warf sich nieder“ (12,20). Hier handelt es sich entweder um eine anachronistische Formulierung oder um die Erinnerung daran, dass David tatsächlich einen schon bestehenden Tempel besucht hat. Nach biblischer Tradition wird jedenfalls Salomo der Erbauer des Tempels.
Die Erbauung des Tempels durch Salomo Jedem, der die Geschichte Salomos in der Hebräischen Bibel liest, fällt sofort auf, wie zwiegespalten sein Porträt dort ist. Salomo wird als der weise König par excellence dargestellt, dessen Urteile exemplarisch sind (1Kön 3,16–28), dem es am Herzen liegt, das gesamte Wissen zu ordnen (1Kön 5,9–14); auch ist er der reichste Mann, der über ein riesiges Reich herrscht (1Kön 5,1), bewundert von den Monarchen am Ende der Welt (1Kön 10). Als Erbauer des Tempels von Jerusalem führt er treu zu Ende, was sein Vater David nicht verwirklichen konnte und errichtet in Jerusalem einen prächtigen Tempel für den Gott Israels (1Kön 26 Vgl. 1Chronik 28, vor allem Vers 3.
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6–8). So war er „an Reichtum und an Weisheit“ „größer als alle Könige der Erde“ (1Kön 10,23). Ein solcher Kommentar findet sich in der Bibel für keinen anderen israelitischen oder judäischen König. Aber gleichzeitig stößt man in 1Kön 1–11 auf eine gewisse Zahl von Charakterzügen, die dieses Bild trüben: Salomo kommt durch Intrigen und Morde an die Macht (1Kön 1–2) – ganz abgesehen von den recht skandalösen Umständen seiner Zeugung (2Sam 11–12). Der vorbildhafte König verstößt gegen die Vorschriften des Deuteronomiums, er liebt viele fremde Frauen (1Kön 11,1–6) und errichtet Kultstätten außerhalb Jerusalems (1Kön 11,7–10); auch unterwirft er sein Volk einer harten Knechtschaft (1Kön 5,27 – dem widerspricht allerdings 1Kön 9,22) und ist verantwortlich für das Auseinanderbrechen des „Vereinigten Königreiches“ (1Kön 11,11–13). Man kann diese Widersprüche synchron natürlich damit erklären, dass der Erzähler den größten König Israels auf kontrastreiche Weise darstellen und an ihm die gesamte widersprüchliche Geschichte des judäischen Königtums aufzeigen wollte27. Aber es ist plausibler, diese verschiedenen Sichtweisen auf verschiedene Entstehungszeiten der Salomo-Geschichte zurückzuführen. Obwohl einige Forscher immer noch dazu neigen, eine Salomo-Geschichte zu rekonstruieren, die im 10. Jh. v.u.Z. entstanden ist, muss man diesen Standpunkt aufgeben. Heute wird kaum mehr bestritten, dass die Vorstellung von einem „Salomonischen Großreich“ reine Fiktion ist und dass die Kapitel 3–11 des ersten Königsbuches Verhältnisse aus dem neuassyrischen Reich auf „Israel“ übertragen, um diesem eine ruhmreiche Vergangenheit zu verleihen28. Die großen Bauten von Hazor, Megiddo und Geser, die man oft als archäologische Beweise für die Existenz eines salomonischen Reiches betrachtet hat, stammen eher aus dem 9. als aus dem 10. Jh. v.u.Z.29. Obwohl der Streit um die „low chronology“ noch nicht endgültig entschieden ist30, kann man nicht leugnen, dass die biblische Erzählung eher die Verhältnisse in assyrischer Zeit als die des 10. Jh. widerspiegelt. Im 10. Jh. ist Jerusalem für die Hauptstadt eines Großreiches nicht groß genug. 27 So zum Beispiel Jacques Cazeaux: Saül, David, Salomon. La Royauté et le destin d’Israël, Paris (Cerf) 2003. 28 Vgl. dazu vor allem: Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman: David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos, München (dtv) 2009 [dt. Erstausgabe 2006]. 29 Gregory J. Wightman: „The myth of Solomon“, in: Bulletin of the American Schools of Oriental Research 277/278 (1990), S. 5–22; Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman: David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos, München (dtv) 2009, S. 240–246. 30 Ein Überblick über den Streit findet sich bei Jan Christian Gertz: „Konstruierte Erinnerung. Alttestamentliche Historiographie im Spiegel von Archäologie und literaturhistorischer Kritik am Fallbeispiel des salomonischen Königtums“, in: Berliner Theologische Zeitschrift 21 (2004), S. 3–29.
Die Erbauung des Tempels durch Salomo
Die Beziehungen Salomos zu den Phöniziern, die das für die salomonischen Bauten notwendige Holz lieferten, reflektieren den Kontext der neuassyrischen Zeit31. Dasselbe gilt für die zahlreichen Kontakte zu Ägypten. Das zweite Samuelbuch, das erste Königsbuch und das erste Chronikbuch erwähnen einen Hiram von Tyrus. Doch der einzige Hiram von Tyrus, der historisch belegt ist, findet sich unter dem Namen Hirammu in den Annalen des assyrischen Königs Tiglath-Pileser (um 730)32. Mehrere Episoden des Tempelbaus durch Salomo (1Kön 6–8) haben eine Entsprechung in zahlreichen mesopotamischen Quellen, aber die Geschichte an sich „ähnelt sehr den assyrischen Bauberichten“33. Das gilt vor allem für die folgenden Abschnitte: Baubeschluss (1Kön 5,15–19), Anschaffung der Baumaterialien (5,20–26), Beschreibung der benötigten Handwerker (5,27–32), Beschreibung des Tempels und seines Mobiliars (1Kön 6–7), Weihe des Sanktuariums (1Kön 8). Solche Parallelen lassen an die Entstehung einer ersten Version der SalomoGeschichte in neuassyrischer Zeit denken; und es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Geschichte dann im 7. Jh. v.u.Z. niedergeschrieben wurde34. Es ist durchaus möglich, dass die Schreiber einige ältere Dokumente zur Verfügung hatten, aber keine schon fertige Salomo-Geschichte. Eine Rekonstruktion dieser Dokumente ist allerdings sehr schwierig. Es könnten im Palast oder im Tempel von Jerusalem die in 1Kön 11,41 erwähnten Annalen Salomos existiert haben. Diese älteren Traditionen zu Salomo kann man vielleicht in einigen Listen in 1Kön 4 finden35. Der Bericht vom Bau des Tempels und seiner Einweihung (1Kön 6–8) 31 Jacques Briend: „Un accord commercial entre Hiram de Tyr et Salomon. Étude de 1 R 5,15–26“, in: Études bibliques et Proche-Orient ancien. Mélanges offerts au Père Paul Feghali, Dekouaneh-Jouineh (Fédération biblique) 2002, S. 95–112. 32 Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman: David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos, München (dtv) 2009, S. 155–157. 33 Victor A. Hurowitz: I Have Built You an Exalted House. Temple Building in the Bible in Light of Mesopotamian and Northwest Semitic Writings, Sheffield (Sheffield Academic Press) 1992, S. 313. Zu den Details s. ausführlich S. 130–310. 34 Nadav Naʾaman; „Sources and composition in the history of Solomon“, in: Lowell K. Handy (Hg.): The Age of Solomon. Scholarship at the Turn of the Millenium, Leiden– New York–Köln (Brill) 1997, S. 76–77; Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman: David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos, München (dtv) 2009, S. 157–158. [2006] 35 Von diesen Listen gab es vielleicht unterschiedliche Ausfertigungen, wie die Septuaginta zeigt, die, anders als der masoretische Text, zwei (nicht identische) Aufzählungen von Beamten Salomos überliefert, und zwar im dritten Buch der Königtümer in den Kapiteln 2,46h und 4,2–6. (In den griechischen Bibeln werden die zwei Bücher Samuel und die zwei Bücher Könige zu vier Büchern Königtümer (Basileion) zusammengefasst; daher entspricht der hebräische Text 1Könige dem griechischen III Basileion). Vgl. Adrian Schenker: Septante et texte masorétique dans l’histoire la plus ancienne du
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ist zum größten Teil das Werk deuteronomistischer Redaktoren; er könnte allerdings einige ältere Traditionen bewahren. Wir werden hier nicht in den Streit um die Historizität der Person Salomos eingreifen, der, anders als David, außerhalb der Bibel keine Erwähnung findet. Es gibt allerdings einige Argumente, die für seine Existenz sprechen, vor allem die doch recht skandalösen Umstände seiner Zeugung: Nach Timo Veijola und Ernst Axel Knauf ist es möglich, dass der historische Salomo tatsächlich ein Usurpator war und dass man die Geschichte des Ehebruchs mit Batseba erfand, um zu zeigen, dass er trotz allem von David abstammte, wenn auch nicht von den „offiziellen“ Frauen des Königs36. Wenn Salomo nicht der biologische Sohn Davids war, wäre die gesamte davidische Dynastie eine mythische Konstruktion – was im Grunde nicht viel ändern würde.
Ein Tempel für Jhwh? Im Mittelpunkt der biblischen Darstellung des Königs Salomo steht der lange Bericht von Bau und Einweihung des Tempels (1Kön 6–8). Dieser ist zwar sehr detailliert, aber nicht immer gut verständlich. Außerdem weist der griechische Text deutliche Unterschiede zum masoretischen Text auf. Entweder hatten die griechischen Übersetzer Schwierigkeiten, den hebräischen Text zu verstehen, oder aber ihnen lag ein anderer hebräischer Text vor als der, den die Hebräische Bibel überliefert. Zunächst kann man sich die Frage stellen, ob der sogenannte Baubericht in 1Kön 6–7 nicht eher die Renovierung oder den Umbau eines bereits bestehenden Heiligtums widerspiegelt37. Konrad Rupprecht hat gezeigt, dass – sieht man von der Einleitung (1Kön 6,2–3) ab, in der die Maße des Tempels angegeben werden – eher von der Errichtung eines Anbaus die Rede ist: „Und an die Mauer des Hauses baute er Anbauten, ringsum an die Mauern, um den Tempel und den
texte de 1 Rois 2–14, Paris (Gabalda) 2000, S. 34–35. (Anm. der Übers.: eine deutsche Übersetzung der Septuaginta liegt seit 2009 vor: Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hrsg. von Wolfgang Kraus und Martin Karrer, Stuttgart (Deutsche Bibelgesellschaft) 2009; 22010.). 36 Timo Veijola: „Solomon: Bathsheba’s firstborn“, in: Gary N. Knoppers und J. Gordon McConville (Hgg.): Reconsidering Israel and Judah. Recent Studies on the Deuteronomistic History, Winona Lake (Eisenbrauns) 2000 [1979], S. 340–358; Ernst Axel Knauf: „Le roi est mort, Vive le roi! A biblical argument for the historicity of Solomon“, in: Lowell K. Handy (Hg.): The Age of Solomon. Scholarship at the Turn of the Millenium, Leiden–New York–Köln (Brill) 1997, S. 81–95. 37 Konrad Rupprecht: Der Tempel von Jerusalem. Gründung Salomos oder jebusitisches Erbe?, Berlin (W. de Gruyter) 1977.
Ein Tempel für Jhwh?
dĕḇîr38, und er machte Seitenbauten ringsum.“ (v. 5). Auch Vers 7 ergibt nur einen Sinn, wenn man von einem bereits existierenden Gebäude ausgeht: „Und als das Haus gebaut wurde, wurde mit rohen Steinen gebaut, die schon im Steinbruch vorbereitet worden waren, und keine Hämmer und kein Meißel, kein Werkzeug aus Eisen war im Haus zu hören, als es gebaut wurde.“ Es ist also ziemlich wahrscheinlich, dass das salomonische Bauwerk – wie die „Bauten“ anderer Heiligtümer im Alten Orient – auf einem bereits existierenden Heiligtum gründet. Man könnte auch in Erwägung ziehen, dass Salomo ein sich im Freien befindendes Heiligtum zu einem Tempel umgebaut hat; die Beschreibung in 1Kön 6–7 spricht aber eher für die erste Hypothese. Den alten Kern der Erzählung von der Einweihung des Tempels in 1Kön 8 findet man wahrscheinlich in den Versen 1–1339. Er könnte wie folgt gelautet haben40: „(2*41) Alle Israeliten versammelten sich um den König Salomo im Monat Etanim zum Fest – es war der siebte Monat. (3) Alle Ältesten Israels kamen und brachten die Lade Jhwhs nach oben. (6) Sie brachten die Lade Jhwhs an ihren Platz, im dĕḇîr, unter den Flügeln der Cherubim.“ Diese alte Version endete mit der Weihe des Tempels durch den König. Im masoretischen Text steht dieser Tempelweihspruch in den Versen 12–13, in der griechischen Version dagegen an ganz anderer Stelle, nämlich im Vers 53 (III Basileion 8,53a) im Anschluss an ein langes Gebet Salomos. Es ist sehr gut möglich, dass die griechische Version auf einen anderen und älteren hebräischen Text zurückgeht42. Den griechischen Text kann man wie folgt übersetzen: Damals sprach Salomo über das Haus, als er es zu bauen vollendet hatte: „Die Sonne [direktes Objekt] hat am Himmel wissen lassen der Herr, Er sprach, er wolle im Dunkeln wohnen, Baue mein Haus, ein erhabenes Haus/ein Regierungshaus für dich, um dort immer wieder von neuem zu wohnen.“ Siehe, steht das nicht geschrieben im Buch des Liedes? 38 Der allerheiligste Teil des Tempels. 39 Dieser Kern hat eine Neuinterpretation und Überarbeitung im Stil der Priesterschrift erfahren. Vgl. Ernst Würthwein: Die Bücher der Könige. 1Könige 1–16, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1977, S. 84–91. 40 Nach Ernst Würthwein: Die Bücher der Könige. 1Könige 1–16, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1977, S. 84–85. 41 Der Asterisk hinter einer Versangabe zeigt an, dass es sich um die vom vorliegenden Material abgeleitete Rekonstruktion einer ursprünglichen Textform handelt. 42 Siehe zum Folgenden Othmar Keel: „Der salomonische Tempelweihspruch. Beobachtungen zum religionsgeschichtlichen Kontext des Ersten Jerusalemer Tempels“, in: Othmar Keel und Erich Zenger (Hgg.): Gottesstadt und Gottesgarten. Zur Geschichte und Theologie des Jerusalemer Tempels, Freiburg, Wien, Basel (Herder) 2002, S. 9–22.
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Der masoretische Text, wie ihn die Hebräische Bibel wiedergibt, scheint klarer zu sein: Da sprach Salomo: „Jhwh hat gesagt, dass er in der dichten Dunkelheit wohnen will! Also um zu bauen, habe ich ein Regierungshaus gebaut, einen Ort für dich, damit du dort für immer wohnst!“ Der griechische Text ist sehr kompliziert, und man kann sich fragen, ob der Übersetzer wirklich verstand, was er da übersetzte. Der erste Satz nach der Einleitung ist abstrus. Wenn das Griechische hier der Wortfolge der hebräischen Vorlage folgt, kann man sich fragen, ob Jhwh (der Herr) nicht in die nächste Zeile gehört; dies würde auch dem masoretischen Text entsprechen. Dann wäre die Sonne nicht das direkte Objekt, sondern das Subjekt und der alte hebräische Text hätte gelautet: Sonne (Schamasch) hat es vom Himmel aus verkündet: „Jhwh hat gesagt, dass er in der Dunkelheit wohnen will“ Diese Rekonstruktion lässt den Schluss zu, dass der Tempel, den Salomo baut – oder besser renoviert –, an erster Stelle ein Haus für Schamasch ist (dem entspräche auch die Ost-West-Ausrichtung des Jerusalemer Tempels, die in 1Kön 6,8 angedeutet wird; dies trifft auch für 1Kön 7,39 zu: „Und er stellt fünf Kesselwagen an die rechte Seite [= Süden] des Hauses und fünf an die linke Seite [= Norden]“). Und in diesem Tempel wäre dann eine Art Seitenkapelle, ein zweites dĕḇîr, für Jhwh reserviert. Das Heiligtum würde also nicht nur einen, sondern zwei Götter beherbergen. Einen zusätzlichen Hinweis auf die Kohabitation zweier Götter im Jerusalemer Tempel kann man vielleicht auch dem Bericht über seine Erbauung entnehmen, wie er in der griechischen Version vorliegt. Laut masoretischem Text folgte der Bau des Tempels dem üblichen Plan43. Dieser bestand normalerweise aus drei Teilen: dem Vorhof (überdacht oder nicht), dem Hauptraum (hêḵāl), dem hinteren Raum (dĕḇîr) oder Allerheiligsten (qōdeš ha-qŏdāšîm). Von diesem Plan geht die Priesterschrift auch für das Heiligtum am Sinai im zweiten Teil des Buches Exodus und in den Kapitel 40–48 des Ezechielbuches aus. 43 Seine Größe wird für das 10.Jh. übertrieben dargestellt, oder sie entspricht derjenigen des Tempels im 7. Jh. v.u.Z., als Jerusalem zu einer bedeutenden Stadt wurde. Der hethitische Tempel von Tell Tayinat in Anatolien im Süd-Osten der heutigen Türkei hat eine vergleichbare Größe. Nach 1Könige 6 war der Hauptraum 60 Ellen (d.h. ungefähr 30 m) lang, was enorm ist.
Jérusalem qui est indiquée en 1 R 6,8 ; 7,39 : « Il plaça cinq bases sur le côté droit [= sud] de la Maison, et cinq bases sur le côté gauche [= nord] de la Maison »). Et, dans ce temple, serait réservée une sorte de chapelle latérale, un deuxième dĕʷîr, pour Yhwh. Le sanctuaire Ein Tempel für Jhwh? abriterait donc non pas un mais deux dieux.
Abb. 1: Typischer Plan eines Tempels (links) und eines Palastes Plan traditionnel d’un temple (à gauche) (rechts) in et der d’unLevante. palais (à droite) dans le Levant Un indice supplémentaire d’une cohabitation deux dieuxErzählung: dans Vergleichen wir die hebräische und die de griechische le temple de Jérusalem vient peut-être du texte grec du récit de sa construction. SelonText le texte massorétique, serait construit Septuaginta, ursprünglicher Masoretischer 1Kön 6,16–19 le temple
(16) Er baute auf zwanzig Ellen die Hinterseite des Hauses mit Brettern aus 133 Zedernholz, vom Boden bis oben an das Mauerwerk, und so baute er das Innere, um daraus den heiligen Raum (dĕḇîr), das Allerheiligste zu machen. 73_InventionDeDieu.indd 133 (17) Das Haus, das heißt der Tempel, in seiner Erstreckung nach vorne, war vierzig Ellen lang. (18) Das Zedernholz im Innern des Hauses war mit kürbisförmigen und blütenkelchförmigen Schnitzereien versehen; alles war aus Zedernholz, kein Stein war zu sehen. (19) Und im Inneren des Hauses errichtete er den heiligen Raum, um die Bundeslade Jhwhs dort hineinzustellen.
Text198, III Basileion 6,16–19 Und er baute die zwanzig Ellen von der Spitze des Hauses her, die Seite (tò pleurón), die einzige [Seite] vom Fußboden bis zu den Balken; und den Dabir, er machte daraus das Al05/07/2017 15:20 lerheiligste. Und vierzig Ellen war das Heiligtum (naós) vor dem Dabir in der Mitte des Hauses im Inneren, um dorthin die Bundestruhe des Herrn zu stellen.
44 Adrian Schenker: „Une nouvelle lumière sur l’architecture du Temple grâce à la Sep-
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Diese recht komplizierte Beschreibung könnte bedeuten, dass Jhwh (seine Statue?) seinen Platz zunächst in einer Seitenkapelle des Tempels hatte; aber es muss eingeräumt werden, dass der griechische Text ziemlich unklar ist. Eine Parallele zu einer doppelten Götterwohnung im Tempel von Jerusalem gibt es in Mesopotamien, wo der Gott Marduk befiehlt, einen Tempel für den Mondgott zu errichten. Auf dem Nabonid-Zylinder aus Sippar (i.8–ii.25) beschreibt König Nabonid von Babylon (556–539 v.u.Z.) die Restaurierung dreier Tempel. Dort kann man lesen: „Marduk sprach zu mir: ,[…] erbaue Ehulhul neu, da Sin eine neue Wohnstätte benötigt.‘45“ Nach III Basileion 8,53a informiert der Sonnengott Salomo darüber, dass Jhwh in den „dichten Wolken“, im „Dunkeln“ wohnen will (griechisch: gnōphoi; hebräisch ʿărāpel), denn dies ist der Herrschaftsbereich Jhwhs als Kriegs- und Gewittergott. So sagt es auch Ps 18,10: „Er öffnete den Himmel und fuhr herab, eine dichte Wolke unter seinen Füßen“. Kommt man zum zweiten Teil des Weihspruchs, fragt man sich, wer das Subjekt der Wendung „um dort immer wieder von neuem zu wohnen46“ aus Basileion III 8,53a ist: der Sonnengott, Jhwh oder der König? Aber vielleicht ist diese Mehrdeutigkeit durchaus gewollt. Der Tempel ist ja auch ein königliches Heiligtum, die heilige Mitte des Königreichs. Wenn der König als Sohn Gottes gilt, ist das Haus Gottes in gewisser Weise auch das Haus des Königs. Die Vorstellung, dort „immer wieder von neuem zu wohnen“ kann sich demnach auch auf die Nachkommenschaft des Königs beziehen und den Gedanken einer ewigwährenden Dynastie wiedergeben. Die Masoreten haben diese Nähe zwischen König und Gott korrigiert, indem sie präzisiert haben, dass nur Jhwh im Tempel von Jerusalem wohnen kann47. Natürlich haben sie auch jeden Hinweis auf eine Sonnengottheit getilgt; der Wunsch, in der Dunkelheit zu wohnen, wird im masoretischen Text von Jhwh selbst geäußert. Die Aussage „damit du dort für immer wohnst“ greift einen Psalm aus dem Buch Exodus wieder auf: „Du bringst tante? La place de l’arche de l’alliance selon 1 R 6:16–17 et 3 Règnes 6:16–17, in: Annali di Scienze Religiose 10 (2005), S. 139–154. 45 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Nabonid-Zylinder (zuletzt konsultiert am 25.5.2018). Dort findet sich auch eine deutsche Übersetzung. 46 Das griechische Wort kainótēs ist nur in der Septuaginta belegt; ein weiteres Mal in Ez 47,12, wo es den Neumond bezeichnet. 47 Vgl. auch in Ez 43,8 die Kritik an den Königen, die Schwelle an Schwelle mit Jhwh gewohnt haben: „Sie haben ihre Schwelle an meine Schwelle und ihren Türpfosten neben meinen Türpfosten gesetzt, so dass zwischen mir und ihnen nur die Mauer war. Und so haben sie meinen heiligen Namen unrein gemacht mit ihren Abscheulichkeiten, die sie verübt haben, und ich habe sie in meinem Zorn vertilgt.“ Diese Weissagung spielt darauf an, dass der Königspalast neben dem Tempel stand (vgl. Abbildung 1 in diesem Kapitel).
Pour résumer, lorsqu’il entre à Jérusalem et trouve sa place dans le temple, Yhwh n’y est pas immédiatement la divinité principale. Il le deviendra durant les siècles suivants, où deux royaumes se revenEin Tempel für Jhwh? diquent de Yhwh.
Abb. 2: Stele aus Nord-Syrien (Til Barsip/ Tell Ahmar) aus den ersten Jahrhunderten des 1. Jt. v.u.Z. mit einem Gewittergott, der in seiner Hand Blitz und Donner (oder eine Waffe) hält; über ihm das Symbol des Sonnengottes.
Stèle nord-syrienne (Til Barsip/ Tell Ahmar) des premiers siècles du premier millénaire avant notre ère montrant un dieu de l’orage tenant dans sa main le foudre et le tonnerre (ou une arme) ; au-dessus de lui se trouve le symbole du dieu solaire
sie hin zum Berg deines Erbes und pflanzt sie ein, an dem Ort, den du bereitet hast, um dort zu wohnen, Jhwh; im Heiligtum, Herr, das deine Hände gegründet haben.“ (Ps 15,17) Hier handelt es sich eindeutig um ein Haus für den Thron Jhwhs und nicht für den eines Königs. Kurz, es scheint ziemlich eindeutig zu sein, dass die griechische Version auf einer älteren Fassung des Tempelweihspruchs beruht, die noch widerspiegelt, dass das Jerusalemer Heiligtum zunächst das einer Sonnengottheit war, der man Jhwh zur Seite gestellt hat. Sonnenkulte gab es in ganz Mesopotamien und in 347573_InventionDeDieu.indd 137 05/07/2017 15:20 Ägypten in unterschiedlichsten Ausprägungen: Die Sonne ist Erschaffer und Garant des Lebens, aber auch Richter über die guten und schlechten Taten der Menschen. Ein Siegel, das man in Jerusalem in einem Grab aus dem 7. Jh. v.u.Z. gefunden hat, zeigt den Sonnengott flankiert von den zwei niederen Gottheiten „Recht“ und „Gerechtigkeit“48. 48 Eine Abbildung in Othmar Keel: Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des
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5. Der Einzug Jhwhs in Jerusalem
Die Vorstellung von einem richtenden Sonnengott findet man in der Bibel in einigen Psalmen sowie in der Geschichte von Sodom und Gomorrha (Genesis 19); hier tritt die göttliche Strafe ein, als die Sonne aufgeht. Man kann sich gut vorstellen, dass die beiden Boten und die Gottheit, von denen in Kapitel 19 der Genesis die Rede ist, den Sonnengott und seine zwei Diener meinen. Im ersten Kapitel des Jesajabuches (1,21, vgl. auch 1,26) erscheint Jerusalem als Stadt, in der Recht und Gerechtigkeit wohnen: „Wie! Die treue Stadt ist zur Hure geworden! Sie war erfüllt von Recht (mišpaṭ), Gerechtigkeit (ṣedeq) war da in der Nacht ...“ Diese Texte könnten Spuren der Existenz eines Sonnengottes in Jerusalem bewahren, der ziemlich schnell mit Jhwh identifiziert wurde. Die Vorstellung von einer gemeinsamen Verehrung eines Sonnen- und eines Gewittergottes wird auch durch die Ikonographie gestützt. Auf Stelen aus dem Süden und sogar auf einigen Stelen aus dem Norden Syriens und aus Anatolien sieht man den Gewittergott mit seinen Attributen, über ihm aber schwebt die Sonnenscheibe. Zusammenfassend kann man sagen, dass Jhwh, als er in Jerusalem einzieht und seinen Platz im Tempel findet, dort nicht sofort die Hauptgottheit ist. Er wird es in den kommenden Jahrhunderten werden, in denen zwei Königreiche Jhwh für sich beanspruchen.
Monotheismus, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2007, S. 278.
6. Der Jhwh-Kult in Israel Die Geschichte der beiden Königreiche Israel und Juda wird in der Bibel aus „südlicher“, d.h. judäischer Sicht geschildert, denn dies ist die Perspektive der biblischen Autoren, wie sie in den Königsbüchern und mit kleinen Abweichungen auch in den Chronikbüchern zum Ausdruck kommt. Es ist daher sehr schwierig, sich eine objektive Vorstellung von der ursprünglichen Form der Traditionen und der Religion des Nordens zu machen. Sicher unterschied sich die Verehrung Jhwhs im Norden ziemlich von dem, was die Redaktoren der Königsbücher darüber schreiben. Sie betrachteten den nördlichen Jhwh-Kult von vornherein als idolatrisch und im Widerspruch zum göttlichen Willen stehend. Daher wird der Sturz des Königreichs Israel im Jahr 722 v.u.Z.1 auch als göttliche Strafe für die „Sünde Jerobeams“, d.h. für die Anbetung Jhwhs in Stiergestalt, interpretiert. Nach der Erzählung in Kapitel 12 des ersten Königsbuches ließ König Jerobeam nach der Trennung der beiden Reiche Heiligtümer in Bethel und Dan in Konkurrenz zum Tempel in Jerusalem errichten; er ist in den Augen der judäischen Autoren deshalb verantwortlich für den devianten JhwhKult im Norden. Juda steht in ihrer Version der Geschichte wesentlich besser dar, obwohl auch dieses Königreich am Ende unter den Angriffen der Babylonier fällt. Jhwhs Bevorzugung des Königreichs Juda wird damit erklärt, dass er David und dessen Dynastie auserwählt und letzterer sogar versprochen habe, sie solle „ewig“ währen (2Sam 7)2. Doch als Jerusalem im Jahr 587 v.u.Z. zerstört wurde, musste diese Niederlage ebenfalls als Strafe Jhwhs für das religiöse Fehlverhalten erklärt werden, dessen sich einige Könige schuldig gemacht hatten. Denn aus der Sicht der Autoren der Königsbücher muss die wahre Verehrung Jhwhs zwei Charakteristika aufweisen: Exklusivität und Zentralisierung des Opferkults auf Jerusalem. Einige Könige, David vor allem, aber in Teilen auch Salomo und verschiedene andere judäische Könige, besonders Hiskija und Joschija, hätten diese „kultische Reinheit“ respektiert. Aber ihr Verhalten und ihre Handlungen konnten die Katastrophe nicht verhindern. Diese biblische Sichtweise – die größtenteils durch das deuteronomistische Milieu bestimmt wird, das während und nach dem sogenannten Exil die Samuel1
Zu dieser Zeit zerstörten die Assyrer, die zehn Jahre zuvor bereits einen Teil Israels annektiert hatten, dessen Hauptstadt Samaria, deportierten einen Teil der Bevölkerung und integrierten den Rest des alten Königreichs in das assyrische Provinzialsystem. 2 Der Terminus ʿôlām bezeichnet im Hebräischen eine sehr lange Zeit, entspricht aber nicht dem griechischen Konzept der Ewigkeit.
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6. Der Jhwh-Kult in Israel
und Königs-Rollen überarbeitet hat – entspricht in mehrfacher Hinsicht nicht den historischen Gegebenheiten. Zunächst einmal ist die Vorstellung, dass Jhwh der einzige zu verehrende Gott und Jerusalem das einzige legitime Heiligtum ist, keine alte Vorstellung, sondern – wie wir noch ausführlicher zeigen werden – ein Konzept, das frühestens im 7. Jh. v.u.Z. aufkommt. Außerdem entspricht die Darstellung der Könige in den ihnen gewidmeten Abschnitten in keiner Weise ihren tatsächlichen politischen Erfolgen oder Niederlagen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Manasse wird als schlechtester aller judäischen Herrscher dargestellt, obwohl er 55 Jahre lang regiert hat und Juda in seiner Regierungszeit eine Phase der Ruhe und des Wohlstands erlebte. Diesen 55 Jahren widmen die Redaktoren nur eine kurze Seite und zählen lediglich stereotyp die schrecklichen Taten auf, die dieser König, ein treuer Vasall der Assyrer, verbrochen haben soll. Sein Vorgänger Hiskija, von dem die deuteronomistischen Redaktoren wahre Loblieder singen, verfolgte dagegen eine ziemlich selbstmörderische Politik des Widerstands gegen die Assyrer, die am Ende dazu führte, dass das kleine Königreich besetzt und sein Territorium drastisch beschnitten wurde. Aber gerade diese anti-assyrische Politik ist der Grund für seine so positive Darstellung. Geopolitisch gesehen hatte zweifellos Israel in den zwei Jahrhunderten, in denen die beiden Königreiche nebeneinander bestanden, die Vormachtstellung inne, während Juda eine kleine Einheit war, welche oft in die Rolle eines „Vasallen“ des „großen Bruders“ im Norden geriet. Israel besaß in der Jesreel-Ebene fruchtbares Land, auf dem Getreide angebaut werden konnte, und in den Bergen von Galiläa Gebiete, die sich für den Oliven- und Weinanbau eigneten. Sehr schnell unterhielt es Handelsbeziehungen zu den aramäischen Königreichen und zu Phönizien. Die judäische Wirtschaftskraft war dagegen weit schwächer. Schließlich entspringt, wie schon gesagt, die Vorstellung von einem großen Königreich unter David und Salomo eher der Phantasie der biblischen Autoren als der historischen Realität. Es bleibt jedoch die Frage, warum dennoch in beiden Königreichen derselbe Nationalgott Jhwh verehrt wurde. Offensichtlich entspricht die Regierungszeit Sauls, Davids und Salomos einer Phase, in der Teile von Juda, Benjamin und Ephraim sich um einen König und um einen Schutzgott vereinten. „Gemeinsam verehrte Götter“ gab es in der Levante im Übrigen auch in anderen Gegenden; das gilt vor allem für den Gott „El“, aber auch für Jhwh selbst, der auch außerhalb von Israel und Juda verehrt wurde. Der Jhwh-Kult hatte sehr unterschiedliche lokale Ausprägungen, wie Inschriften3 und Bibeltexte belegen: Die Texte von Kuntillet Adschrud erwähnen einen Jhwh von Samaria und einen Jhwh von Teman, also aus dem „Süden“, einer Gegend außerhalb Israels und Judas. Die Inschrift von Khirbet Bet Lay spricht von einem 3
Wir werden auf diese Inschriften im Laufe der Untersuchung zurückkommen.
Jhwh, der Gott des Exodus
„Jhwh, Gott Jerusalems“; 2Samuel 15,7 erwähnt einen „Jhwh in Hebron“; Psalm 99,2 einen „Jhwh in Zion“ und Genesis 28,10–22 die Einrichtung eines JhwhKults in Bethel. Beim Thema Religiosität in der Antike muss man, um seiner Komplexität gerecht zu werden, drei Ebenen unterscheiden4. Auf persönlicher und familiärer Ebene sowie auf der Ebene der Sippe wandte man sich an Schutzgötter. Dies waren persönliche Götter, vergöttlichte Vorfahren oder andere. Man brauchte kein Heiligtum und keinen Tempel, der pater familias kümmerte sich um die rituellen Handlungen. Auf einer lokalen Ebene betraf die religiöse Praxis den Zusammenschluss mehrerer Sippen zu einer Agglomeration. Hier gab es lokale, in der Regel nicht sehr bedeutende Heiligtümer, die sich oft im Freien befanden – einige Bibeltexte sprechen ein wenig polemisch von kultischen Handlungen „auf jedem Hügel“ und „unter jedem grünen Baum“. Auf nationaler Ebene kommt dann dem König die Mittlerrolle in einem Kult zu, der um einen Nationalgott und um andere auf die eine oder andere Weise mit ihm verbundene Gottheiten herum organisiert ist. Für diese dritte Ebene stellt sich die Frage, ob der offizielle königliche JhwhKult in Israel und Juda identisch war. Die Spezialisten denken oft, der Jhwh-Kult in Juda habe sich von dem in Israel deutlich unterschieden: Der Jhwh Israels sei eher wie Baal verehrt worden, das heißt als Gewitter- und Fruchtbarkeitsgott, während er im Süden eher die solaren Züge von Schamasch, der ehemaligen Schutzgottheit Jerusalems, angenommen habe. Dieser Gegensatz muss ein wenig präzisiert und relativiert werden. Beginnen wir unsere Untersuchung des Jhwh-Kultes mit dem Königreich Israel in der Zeit von ca. 930 bis 722 v.u.Z.
Jhwh, der Gott des Exodus Das Königreich Israel besteht aus einem Territorium, das grosso modo dem Königreich eines gewissen Labaju oder Labaja von Sichem entspricht, der in den Amarna-Briefen erwähnt wird. Man hat ihn mit biblischen Personen wie Abimelech aus dem Richterbuch identifizieren wollen (der laut dessen 9. Kapitel bei dem Versuch scheitert, die Herrschaft über Israel zu erlangen) oder aber mit Saul. Doch diese Identifizierungsversuche sind wenig überzeugend, denn die Amarna-Briefe, von denen Labaju drei verfasst hat5, sind wesentlich älter als das 4 Manfred Weippert: „Synkretismus und Monotheismus. Religionsinterne Konfliktbewältigung im alten Israel“, in: Jan Assmann und Dietrich Harth (Hgg.): Kultur und Konflikt, Frankfurt a. Main (Suhrkamp) 1990, S. 143–179. 5 Die Briefe mit den Nummern 252–254. Eine deutsche Übersetzung aller Amarna-Briefe: Jørgen A. Knudtzon: Die El-AmarnaTafeln mit Einleitung und Erläuterungen. Anmerkungen und Register bearbeitet von O. Weber und E. Ebeling. Erster Teil: Die Texte, Leipzig 1915. Brief Nr. 254 in Manfred
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6. Der Jhwh-Kult in Israel
israelitische Königtum. Dennoch ist es interessant, dass der Staat Labajus ungefähr den Gebieten entspricht, die später zum Königreich Israel gehören sollten. Laut Bibel ist der „Gründer“ des Nordreiches ein gewisser Jerobeam, der sich nach 1Könige 12 gegen Salomos Politik der Fronarbeit auflehnt und daraufhin nach Ägypten fliehen muss. Nach dem Tod Salomos kommt er zurück und verhandelt als Sprecher der Nordstämme mit Rehabeam, dem Sohn und Nachfolger Salomos. Diese Verhandlungen scheitern, und er wird zum König Israels – so die biblische Erzählung. Seine Residenz ist zunächst in Sichem, dann lässt er Penuël umbauen und befestigen. Dieselbe Erzählung berichtet dann, dass Jerobeam, nachdem er sein eigenes Königreich im Bereich der Nordstämme gegründet habe, zwei Heiligtümer habe errichten lassen, eines in Bethel und eines in Dan. In diesen Heiligtümern habe er Rinderstandbilder aufstellen lassen, die den Gott repräsentieren sollten, der die Israeliten aus Ägypten befreit habe: (28) Der König ließ sich beraten und fertigte zwei goldene Kälber an. Dann sprach er zu ihnen: „Lange genug seid ihr nach Jerusalem hinaufgezogen! Sieh, Israel, das sind deine Götter, die dich heraufgeführt haben aus dem Land Ägypten.“ (29) Er stellte eines in Bethel auf und das andere brachte er nach Dan. (30) Dies aber war eine Sünde. Und bis nach Dan zog das Volk vor dem einen [Kalb] her. Hier wird der Nationalgott Israels mit dem Gott des Exodus gleichgesetzt. Die Statuen in Bethel und Dan werden an der nördlichen und der südlichen Reichsgrenze aufgestellt. Aus archäologischer Sicht ist es problematisch, Dan mit diesem Ereignis aus dem Ende des 10. Jh. in Verbindung zu bringen, denn Dan wurde möglicherweise erst ab dem 8. Jh. israelitisch6. Das Errichten eines Heiligtums in Dan könnte eine Retroprojektion aus der Zeit Jerobeams II. sein, der im Laufe seiner Königsherrschaft im 8. Jh. Dan sehr wohl hätte annektieren und dann dort ein jahwistisches Heiligtum errichten können. Die Redaktoren der Königsbücher, die von einer „Ursünde“ des Nordreiches sprechen wollten, könnten dieses Ereignis retrospektiv dann in die Zeit des „ersten“ Jerobeam verlegt haben. Wie auch immer die genaue Chronologie gewesen sein mag: Die biblischen Autoren wollten zum Ausdruck bringen, dass Jhwh in beiden Heiligtümern, in Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 131–132. Die Briefe auf Englisch: William L. Moran: The Amarna Letters, Baltimore MD (John Hopkins University Press) 1992. Neudrucke 2000 und 2002. 6 Eran Arie: „Reconsidering the Iron Age II strata at Tel Dan. Archaelogical and historical implications“, in: Tel Aviv 35 (2008), S. 6–64.
Jhwh, der Gott des Exodus
Bethel und Dan, als Gott des Exodus galt. Der Plural im Ausruf Jerobeams („das sind deine Götter“) verwundert; er erscheint erneut in der Erzählung vom Goldenen Kalb in Exodus 32. Hier wird die „Sünde Jerobeams“ auf den Sinai verlagert und als „Ursünde“ des Nordens dargestellt. Der Plural ließe sich vielleicht damit erklären, dass es sich in 1Kön 12 um zwei Statuen handelt. Exodus 32 griffe dann die Worte Jerobeams auf und legte sie den Israeliten am Sinai in den Mund, die unbedingt einen sichtbaren Gott haben wollten: 1Kön 12,38 hinnēh ʾēlōhêḵā jiśrāʾēl ʾāšer heʿĕlûḵā mēʾereṣ miṣrājim „Sieh Israel das sind deine Götter, die dich heraufgeführt haben aus dem Land Ägypten.“
Ex 32,4 ʾēlleh ʾēlōhêḵā jiśrāʾēl ʾāšer heʿĕlûḵā mēʾereṣ miṣrājim „Diese sind deine Götter Israel, die dich heraufgeführt haben aus dem Land Ägypten.“
Doch folgt man der Logik der Erzählung in 1Kön 12, so handelt es sich in Bethel und Dan um denselben Gott Jhwh. Eine Erklärungsmöglichkeit wäre, dass es sich um ein göttliches Paar gehandelt hat und dass beide auf theriomorphen Sockeln (Sockeln in Form eines Tieres) thronten7. Es könnte sich also um eine Paredra Jhwhs handeln, eine Göttin, die ihm zur Seite gestellt wird – wie die Göttin Aschera. Aber dies bleibt sehr spekulativ, und es gibt keinen Beleg für eine Verbindung Ascheras oder einer anderen Göttin mit dem Exodus. Vielleicht stand im ursprünglichen Text auch ganz einfach: „das ist dein Gott, der dich heraufgeführt hat aus dem Land Ägypten“. Denn im Hebräischen kann die Form ēlōhêḵā als „deine Götter“ oder als „dein Gott“ wiedergegeben werden. Allein der Kausativ der Verbalform „heraufführen“ unterscheidet sich im Singular ein klein wenig vom Plural. Es ist also durchaus möglich, dass die Masoreten den ursprünglichen Singular leicht verändert haben, um daraus einen Plural zu machen, um die Israeliten des Nordens nicht nur des (idolatrischen) Bilderkults anzuklagen, sondern auch des Polytheismus, der Verehrung mehrer Götter. Dass in Samaria, der Hauptstadt Israels, ein Stier verehrte wurde, wird durch das Buch Hosea belegt. Wird dieser Stier in der Erzählung von 1Könige 12 dann nur von Samaria nach Bethel verlegt, oder gab es im Heiligtum von Bethel tatsächlich auch einen Stier? Die Rinderstatue kann entweder als Sockel für Jhwh gedient oder Jhwh selbst repräsentiert haben. In Ugarit wird Baal entweder in menschlicher Gestalt dargestellt – so sieht man ihn zum Beispiel auf einer Stele im Louvre, wo er seine Waffen, Blitz und Donner, in der Hand hält – oder auch als Stier. Er wird auch manchmal „Stier“ genannt, und im Epos „Baal und der 7
Ernst Axel Knauf: „Bethel“, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart Band 1, 19984, col. 1375–1376.
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6. Der Jhwh-Kult in Israel LE CULTE DE YHWH EN ISRAËL
Abb. 3: Siegel aus Ebla:laAnbetung einestaureau Stieres Sceau d’Ebla montrant vénération d’un surauf un einem autel Altar.
Tod“ paart er sich mit einer Kuh, bevor er zum Totengott Mot hinabsteigt. Der au prophète Amos. Celui-ci est un petit entrepreneur judéen qui se Gott des Exodus und der Stier werden auch in der Weissagung des Propheten présente au sanctuaire de Béthel en y annonçant la mort du roi et la Bileam im Buch Numeri miteinander in Verbindung gebracht: „El führt sie aus fin du royaume d’Israël. Le prêtre de Béthel veut se débarrasser de Ägypten heraus, er besitzt die Hörner eines Stieres.“8 Auf einem Ostrakon aus ce Judéen en lui interdisant l’accès au sanctuaire qu’il caractérise Samaria (Nr. 41) findet sich der Name ʿgljw, den man mit „Kalb Jhwhs“ oder comme étant le plus important d’Israël : « Ne continue pas à pro„Jhwh ist Kalb“car übersetzen kann. du roi, et c’est un temple phétiser àein Béthel, c’est un sanctuaire Ikonographische Belege lassen sich für beide Interpretationen der Rinderroyal » (7,13). statue finden. Auf einem Sigel aus Ebla siehtàman einencomme Stier auf Néanmoins, il a dû y avoir aussi un temple Samarie, le einem Thron, zwischen einer betenden Person auf Sargon, der linken des Gewitters auf montrent l’inscription du roi assyrien qui und parledem de laGott déporder rechten Seite. de DasSamarie, bedeutet: Derque Mensch Zugang zum Gewitter- und tation de statues ainsi celle erlangt de Kuntillet Ajrud, Kriegsgott über Stier.de Samarie ». Le premier livre des Rois mentionnant un den « Yhwh Das bereits erwähnte Buch Hosea kritisiert die Stierstandbilder oft auf sehr polemische Weise, wie das folgende 147 Orakel (Hos 8,5–6) zeigt:
8 Num 23,22 und 24,8. Hier ist allerdings von „El“ und nicht von Jhwh die Rede. Da es 05/07/2017 15:20 sich um einen jüngeren Text handelt, kann „El“ hier einfach „Gott“ meinen; vielleicht wollte man das Tetragramm nicht in den Mund eines heidnischen Propheten legen.
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Jhwh, der Gott des Exodus
„Er hat dein Kalb verworfen, Samaria! Ich bin wütend auf sie. Wie lange sind sie noch unfähig, zur Reinheit zu gelangen? (6) Denn es kommt aus Israel, ein Handwerker hat es gemacht, es ist kein Gott! Ja, das Kalb von Samaria wird zersplittert werden!“ Eine diachrone philologische Untersuchung des Orakels zeigt, dass es aus mehreren Schichten zusammengesetzt ist. Der älteste Teil des Orakels (hier unterstrichen) ist in der dritten Person geschrieben und besteht aus der Ablehnung der Rinderstatue und der Ankündigung ihrer Zerstörung – möglicherweise durch die Assyrer. Dieser Text wurde dann durch eine göttliche Äußerung, die in der ersten Person verfasst ist, ergänzt. Hier wird die Zerstörung der Statue eindeutig dem Zorn Jhwhs zugeschrieben. Schließlich erfuhr die Textstelle eine letzte Bearbeitung (hier kursiv) im Sinne der Bilderpolemik, die man auch im zweiten Teil des Jesajabuches findet, das aus persischer Zeit stammt. Ein anderer Hosea-Text deutet auf die Herstellung von kleinen Statuetten junger Stiere als Devotionalien für den Hausgebrauch hin: „Und nun fahren sie fort zu sündigen: Sie machen sich ein Bild aus geschmolzenem Metall aus ihrem Silber, sie machen sich Götzenbilder nach ihrer Vorstellung; alle sind das Werk von Handwerkern. Man sagt von ihnen: Diejenigen, die Menschen opfern, können auch Kälber küssen!“ (13,2) Dieser Text stellt auch eine Verbindung zwischen der Anbetung von Stieren und Menschenopfern her; derartige Opfer waren, wie wir noch sehen werden, dem Jhwh-Kult nicht fremd. Zusammenfassend kann man festhalten, dass Jhwh zweifellos in Israel, in Bethel, in Samaria und später wahrscheinlich auch in Dan wie Baal in Ugarit in Form eines Stieres verehrt wurde. Man verband diesen Gott mit der Überlieferung vom Auszug aus Ägypten, was zunächst eine Tradition des Nordreichs gewesen zu sein scheint. Im 8. Jh. v.u.Z., unter Jeroboam II., war Bethel das bedeutendste Heiligtum Israels. Dies belegt die dem Propheten Amos zugeschriebene Schriftrolle. Als Amos, ein judäischer Kleinunternehmer, im Heiligtum von Bethel auftritt und den Tod des Königs sowie das Ende des Königreichs Israel ankündigt, will der Priester von Bethel diesen Judäer loswerden und verbietet ihm den Zutritt zum Heiligtum, das er als das bedeutendste Israels und als ein königliches Heiligtum bezeichnet: „In Bethel aber darfst du nicht mehr weissagen, denn es ist ein Heiligtum des Königs und ein königlicher Tempel“ (7,13). Doch muss es auch einen Tempel in Samaria gegeben haben. Dies zeigen eine Inschrift des assyrischen Königs Sargon, die von der Entfernung von Statuen aus Samaria berichtet, sowie die Ostraka von Kuntillet Adschrud, die einen „Jhwh von Samaria“ erwähnen. Das erste Königsbuch belegt ebenfalls die Existenz eines Heiligtums in Samaria. Es berichtet, dass König Ahab „dem Baal einen Altar im Haus des Baal [errichtete], das er in Samaria gebaut hatte“ (1Kön 16,32). Die doppelte Erwähnung Baals ist ein wenig seltsam. Warum sollte man präzisieren,
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6. Der Jhwh-Kult in Israel
dass der König einen Altar für Baal in einem Tempel Baals errichtet? Offensichtlich haben wir es hier mit einer Abänderung des Originaltextes zu tun, in dem von einem „Haus Gottes“ (bêt ʾĕlōhîm)9 oder einem „Haus Jhwhs“ (bêt jhwh) die Rede gewesen sein muss10. Der Urtext lautete demnach: „Er errichtete einen Altar für Baal im Haus Jhwhs, das er gebaut hatte.“ Der Erbauer des Tempels kann Ahab sein, aber es ist wahrscheinlich, dass das Ende des Verses sich auf Omri, den Vater Ahabs, bezieht, der ja Samaria zur Hauptstadt Israels erhoben hatte. Wenn aber die Dynastie der Omriden den phönizischen Baal zu ihrem Schutzgott gemacht hat, könnte man auch mit einem umgekehrten Szenario rechnen: Omri, der den biblischen Autoren verhasst war, hätte in der Tat in seiner neuen Hauptstadt einen Tempel für Baal gebaut und Ahab hätte in dessen Innern einen Altar für Jahwe errichtet11, dessen Haupttempel in Bethel stand. Später berichten die Königsbücher in der Tat von der Zerstörung eines BaalTempels in Samaria durch Jehu, der die Dynastie Omris beendet und selbst König Israels wird (2Kön 10,21–27). Die Archäologie kann zwar noch keine eindeutigen Beweise für die Existenz eines Jhwh- oder Baal-Heiligtums in Samaria liefern, aber die Grabungen umfassen nicht das gesamte Gebiet. Möglicherweise könnten die Ergebnisse von Probeschnitten, die man auf einem Grabungsfeld aus der Eisenzeit 650 Meter östlich der Akropolis von Samaria gemacht hat, als Heiligtum interpretiert werden12. Wie dem auch sei, die historische Logik verlangt, dass die Hauptstadt eines Königreiches ein bedeutendes Heiligtum aufweist.
Jhwh und Israel auf der Mescha-Stele Die Mescha-Stele ist ein schwarzer Basaltblock von über einem Meter Höhe, den der Elsässer Missionar Frederick A. Klein 1868 in Dhiban, im heutigen Jordanien, entdeckt hat. Bevor diese Stele von Beduinen zerstört wurde, die in ihrem Innern einen Schatz vermuteten, hatte Charles Simon Clermont-Ganneau einen Abklatsch veranlassen können. Auf dieser Grundlage konnte der Text in großen Teilen wiederhergestellt werden. Heute wird die Authentizität dieser 9 Stefan Timm: Die Dynastie Omri. Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Israels im 9. Jahrhundert vor Christus, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1982, S. 32–33. 10 Juha Pakkala: God’s Word Omitted. Omissions in the Transmission of the Hebrew Bible (FRLANT 251), Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2013, S. 213–234. 11 Stefan Timm: Die Dynastie Omri. Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Israels im 9. Jahrhundert vor Christus, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1982, S. 35. 12 Detlef Jericke: Regionaler Kult und lokaler Kult. Studien zur Kult- und Religionsgeschichte Israels und Judas im 9. und 8. Jahrhundert v. Chr., Wiesbaden (Harrassowitz) 2010, S. 90–91.
Jhwh und Israel auf der Mescha-Stele
Stele kaum noch bezweifelt, was nicht immer so war13. Die Stele enthält eine Inschrift, die wohl der moabitische König Mescha (9. Jh. v.u.Z.) diktiert hat. Der 34 Zeilen lange Text (es handelt sich um die längste bisher in der Levante entdeckte Inschrift aus dieser Zeit) erscheint als Dank des Königs Mescha an seinen Schutzgott Kamosch. Die Stele berichtet von den Siegen Meschas während seines Krieges gegen das Königreich Israel nach dem Tod König Ahabs14: Ich bin Mescha, der Sohn des Kamosch, der König von Moab, der Dibonit. Mein Vater herrschte dreißig Jahre über Moab, und ich war nach meinem Vater König. Da machte ich diese Höhe für Kamosch in Kerijot als … der Rettung, weil er mich vor all den Königen gerettet hat, und weil er mich über alle meine Feinde triumphieren ließ. Als Omri König von Israel war, unterdrückte er Moab lange Zeit; denn Kamosch zürnte seinem Lande. Da folgte ihm sein Sohn nach und auch er sprach: „Ich will Moab unterdrücken!“ Zu meiner Zeit sprach er so. Da triumphierte ich über ihn und sein Haus; Israel aber ging für immer zugrunde. Da hatte Omri das Land Madeba eingenommen und wohnte darin zu seiner Zeit15 und zur Hälfte der Zeit seines Sohnes, vierzig Jahre; aber Kamosch brachte es zu meiner Zeit zurück. Da baute ich Baal-Meon und machte darin den (Wasser-)Schacht. Da baute ich Kirjaton. Und die Gaditer hatten seit jeher im Land Atarot gewohnt. Aber der König von Israel baute sich Atarot aus. Da kämpfte ich mit der Stadt, nahm sie ein und tötete alles Volk, [und] die Stadt gehörte Kamosch und Moab. Da brachte ich von dort das Bratbecken des Altarherds (ʾrʾl dwdh)16 weg und schleppte es vor Kamosch in Kerijot. Da siedelte ich darin die Leute von Saron und von Mḥrt an. Da sprach Kamosch zu mir: „Auf! Nimm Nebo von Israel weg!“ Da ging ich bei Nacht hin. Da kämpfte ich mit ihm vom Anbruch der Morgenröte bis mittags, nahm es ein und tötete alles (in) ihm, siebentausend Männer und Knaben und Frauen und Mädchen und Sklavinnen, denn der Aschtar13 Ihre Entdeckung hat zu einer ganzen Reihe falscher Inschriften geführt, die als „Moabitica“ bekannt sind. Am Ende des 19. Jh. gab es bei vielen Forschern, vor allem aus Deutschland, den Verdacht, die Stele könnte das Werk eines Fälschers sein, denn sie enthält einige Wendungen, die sehr nah an den biblischen Formulierungen sind. 14 Deutsche Übersetzung weitestgehend nach Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, 244–248; die Schreibung der Namen wurde vereinfacht. Die Schreibung der Ortsnamen orientiert sich anders als bei Weippert am Hebräischen. 15 Dieser Ausdruck bedeutet, dass das moabitische Territorium von Israel annektiert war. 16 Siehe dazu im Folgenden und vgl. Anm. 25 auf Seite 246 bei Weippert.
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6. Der Jhwh-Kult in Israel
Kamosch hatte ich es geweiht (ḥ-r-m). Da nahm ich von dort die Altäre (klj17) Jahwes fort und schleppte sie vor Kamosch. Und nachdem der König von Israel Jahaz ausgebaut hatte, wohnte er darin, als er mit mir kämpfte. Da vertrieb ihn Kamosch vor mir. Und ich nahm dann von Moab zweihundert Mann, alle (von) seiner Elite (?), brachte sie nach Jahaz und nahm es ein, um es an Dibon anzuschließen. Ich baute die Ringmauer der Unterstadt und die der Zitadelle von Kerijot. Und ich baute seine Tore, und ich baute seine Türme, und ich baute einen Königspalast. Und ich machte den zweiteiligen Schacht des Wassers/der Quelle inmitten der Stadt. Und Zisternen gab es nicht inmitten der Stadt in Kerijot. Da sprach ich zu der ganzen Bevölkerung: „Macht euch ein jeder eine Zisterne in seinem Hause!“ Und ich ließ das Bauholz von Kerijot durch Gefangene aus Israel schlagen. Ich baute Aroër. Und ich machte die Straße am Arnon. Ich baute Beth-Bamoth, denn es war zerstört. Ich baute Bezer, denn es lag in Ruinen. Und die Leute von Dibon standen unter Waffen, denn ganz Dibon ist die Garde. Und ich war König über hunderte von Städten, die ich an das Land angeschlossen hatte. Und ich baute den Palast von Madeba und den Palast von Beth-Diblathon und den Palast von Beth-Baal-Meon. Da brachte ich dorthin … das Kleinvieh des Landes. Und in Chawronon wohnte Bet [Da]wid (?)18. Da sprach ich: … Da sprach Kamosch zu mir: „Steig hinab! Kämpfe mit Chawronon!“ Da stieg ich hinab …. Von dort zehn … / zwanzig… Und ich… [Rest zerstört]. Die zwischen 850 und 810 entstandene Inschrift spiegelt die gleichen theologischen Vorstellungen wider wie die Königsbücher und andere biblische Texte: Der Sieg über einen Feind ist das Werk des Nationalgottes. Entsprechend werden Niederlagen oder Besatzungen durch ein anderes Volk mit dem Zorn des Nationalgottes erklärt, der sich von seinem Volk abwendet. Kamosch hat in Moab eine ähnliche Stellung wie Jhwh in Israel. Außerdem erfährt man, dass Israel und Moab um ein Gebiet östlich des Jordan streiten. Dieses Gebiet wird Gad zugeordnet und liegt zwischen Atarot und Nebo. Es hatte im 9. Jh. v.u.Z. ein ähnliches Schicksal wie das Elsass: Es wechselte mehrfach die Zugehörigkeit; mal gehörte es zu Israel, mal zu Moab. Nach der Inschrift von Mescha hat Moab einige von Israel besetzte Gebiete zurückerobert. In Bezug auf die Stadt Nebo rühmt Mescha sich: „Da nahm ich 17 Das Lexem klj, das auch in den Königsbüchern verwendet wird, bezeichnet verschiedene kultische Objekte und Geräte. Siehe dazu auch im Folgenden. 18 Die Erwähnung des Hauses Davids in den schwer leserlichen Zeilen am Ende der Stele ist nicht allgemein akzeptiert.
Jhwh und Israel auf der Mescha-Stele
Bezer
Nebo Kirjaton Baal-Meon
Madeba Diblathon
Atarot Kerijot
Jahaz (?) Aroër
MOAB
0
20 km
Karte 5: Die Orte der Mescha-Stele.
von dort die Altäre Jahwes fort und schleppte sie vor Kamosch.“ Das Wort, das Weippert hier mit „Altäre“ übersetzt (klj) hat eine sehr allgemeine Bedeutung und kann alle möglichen Arten von Kultgegenständen bezeichnen, darunter vielleicht auch Statuen. Auf jeden Fall setzt diese Bemerkung aber die Existenz eines Heiligtums für Jhwh in Nebo voraus, das Mescha zerstört haben soll und dessen Kultgegenstände und Statuen er, wie es Brauch war, in den Tempel des Kamosch gebracht haben soll. Wie auch das Buch Josua für die Eroberung Kanaans durch die Israeliten berichtet, wurde die Beute einer Gottheit geweiht
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6. Der Jhwh-Kult in Israel
(ḥerem)19, in der Mescha-Inschrift Aschtar-Kamosch. Einen Gott Aschtar gibt es in Ugarit20, aber auf der Mescha-Stele lässt die Verbindung mit Kamosch eher an eine Göttin denken. Aschtar ist in der arabischen Stammeskonföderation Schumuʾil als Göttin belegt; sie erscheint meist als Aschtar-Schamaïm in der Oase von Duma, wo sie dem Pantheon vorsteht21. Man muss den Ausdruck „Aschtar des Kamosch“ in Analogie zur Aschera des Jhwh verstehen, als Paredra des Gottes Kamosch. Die Einnahme der Stadt Atarot betreffend, berichtet Mescha detailliert, er habe den Altar (ʾrʾl) des dwdh mitgenommen und ihn nach Kerijot vor Kamosch geschleppt. Das Wort ʾariʾel bezeichnet den oberen Teil des Brandopferaltars22. Der Ausdruck d-w-d ist dagegen weniger eindeutig. Es handelt sich vielleicht um einen Beinamen Jhwhs (der „Geliebte“), für den es ja auch ein Heiligtum in Nebo gegeben haben soll. Aber aus der Perspektive Meschas wäre der alleinige Gebrauch des Titels an dieser Stelle ein wenig ungewöhnlich, da er Jhwh noch gar nicht explizit erwähnt hat. Wenn es sich hier lediglich um eine andere Bezeichnung für Jhwh handeln sollte, dann müsste der Name vor dem Gebrauch des Beinamens bereits erwähnt worden sein. Es ist möglich, dass d-w-d (Dôd) eine andere Gottheit bezeichnet, vielleicht die lokale, von den Israeliten verehrte Gottheit der Stadt Atarot. Ein solcher Gott ist auch in der Bibel, im ursprünglichen Text von Amos 8,14 belegt. Im masoretischen Text, so wie er in der Bibel steht, liest man: „Sie schwören bei der Schuld von Samaria und sagen: ‚Es lebe dein Gott, Dan! Es lebe der Weg nach Beerscheba!‘“ Das Wort d-r-k („Weg“) ergibt hier aber keinen Sinn. Die griechische Version dieses Verses schreibt theós („Gott“) statt „Weg“. Man kann daraus schließen, dass in der Urfassung statt d-r-k der Ausdruck d-d-k (dodeka) stand, der „dein Dôd“, „dein Geliebter“ bedeutet: „Es lebe dein Gott, Dan! Es lebe dein Geliebter (dwd), Beerscheba“. Die Mescha-Stele belegt also für das 9. Jh. ein offizielles königliches JhwhHeiligtum in Nebo und einen lokalen Dôd-Kult in Atarot. Sie bestätigt, dass es in Israel unter den Omriden eine Vielzahl von Kultorten gegeben hat.
19 Dieses Weihen bestand im Verbrennen von Menschen und Beutegegenständen, die dadurch der Gottheit übereignet werden sollten. 20 Im Zyklus „Baal und der Tod“ macht man sich über ihn lustig, weil er den Thron Baals innehaben will, aber zu klein für ihn ist. Es handelt sich offensichtlich um eine Wüstengottheit, die die Trockenheit symbolisiert. 21 Siehe dazu ausführlich: Thomas Römer: „L’énigme de ʿAshtar-Kemosh dans la stèle de Mésha“, in: Israel Finkelstein u.a. (Hgg.): Alphabets, Texts and Artefacts in the Ancient Near East. Studies presented to Benjamin Sass, Paris (Van Dieren) 2016, S. 385–394. 22 Wie man dem Ezechielbuch entnehmen kann, war „der Opferherd (hāʾăriʾêl) zwölf Ellen in der Länge auf zwölf Ellen in der Breite, an allen vier Seiten gleich lang“ (Ez 43,16).
Jhwh und Baal in Israel
Die Heiligtümer und Gottheiten Israels Jhwh wurde im Nordreich entweder in Form eines Stieres verehrt oder anthropomorph als Gewittergott. Jahwistische Heiligtümer gab es in Samaria, Bethel, Dan, Sichem und auch östlich des Jordan, wie wir gesehen haben. Außerdem steht außer Zweifel, dass die Gottheit Jhwh im Nordreich nicht allein und ausschließlich verehrt wurde. Dies bezeugen schon die Königsbücher und einige Prophetenbücher, in denen die Könige Israels dafür kritisiert werden, dass sie andere Götter neben Jhwh verehrt haben. In der Wandinschrift von Tell Deir ʿAlla am Jordan, im heutigen Jordanien, findet man die Namen der folgenden Götter: El, die Göttinnen Aschtar und Schagar und vielleicht auch den Sonnengott Schamasch. Man trifft auch auf den Plural šdjn, den man mit „diejenigen, die zu Schaddai gehören“ übersetzen kann; Schaddai kann hier entweder eine autonome Gottheit oder ein Beiname von El sein. Im Heiligtum von Dan hat man offensichtlich den „Gott Dans“ (ʾĕlōhê dan) verehrt. Dieser Kult ist noch im 2. Jh. v.u.Z. in einer zweisprachigen Inschrift (Griechisch und Aramäisch) belegt: „Theōî tōî en Dánois“. Die Ostraka aus Samaria, Scherben, die man zum Schreiben benutzt hat, belegen einige Eigennamen, die das Element bʿl (Baʿal) enthalten23. Man kann nur schwer sagen, ob das Element bʿl in den Namen als Bezeichnung für Jhwh benutzt wird oder ob es eine andere Gottheit meint. Nach den Königsbüchern (1Kön 18) gab es auch auf dem Karmel ein bedeutendes BaalHeiligtum. Dieses wird in der Erzählung vom Propheten Elija zum Schauplatz eines Machtkampfes zwischen Baal und Jhwh.
Jhwh und Baal in Israel Erinnern wir uns, dass Jhwh im Königreich Israel wie ein „Baal“ verehrt wurde, wie ein Gewittergott vom Typ „Hadad“. In einigen Psalmen und anderen poetischen Texten, die vielleicht im Nordreich entstanden sind, hat Jhwh tatsächlich große Ähnlichkeit mit dem Baal Ugarits. Wie Baal, der in Ugarit den Titel rkb ʿrpt „Wolkenreiter“24 trägt, benutzt Jhwh in den Psalmen die Wolken, um den Himmel zu durchqueren „Wolken macht er zu seinem Wagen“ (Ps 104,3)25. In 23 Johannes Renz und Wolfgang Röllig: Handbuch der althebräischen Epigraphik I. Johannes Renz: Althebräische Inschriften. Text und Kommentar, Darmstadt (WBG) 1995, S. 79–110. 24 KTU 1.3 II 40. 25 Ps 68,5, der in seiner masoretischen Form den Ausdruck rōḵēḇ bāʿărāḇôt („Steppenreiter“) verwendet, spiegelt vielleicht den ursprünglichen Beinamen rkb bʿrpt (be ʿarapôt) oder bʿbwt (beʿāḇôt) „Wolkenreiter“ wider. Vielleicht hat der Psalmist ihn selbst geändert oder spätere Redaktoren haben ihn zensiert.
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6. Der Jhwh-Kult in Israel
Psalm 29, der möglicherweise im Norden entstanden ist und später eine „südliche“ Überarbeitung erfahren hat, wird Jhwh deutlich als ein Gewittergott beschrieben, der wie der Baal aus Ugarit das Wasser bändigt und beherrscht: (3) Die Stimme Jhwhs ertönt über den Wassern, […] Jhwh ist über gewaltigen Wassern (4) Die Stimme Jhwhs mit Macht, die Stimme Jhwhs mit Majestät, (5) die Stimme Jhwhs zerbricht Zedern; Jhwh zerbricht die Zedern des Libanon, (6) wie ein junger Stier lässt er sie springen, wie ein junger Büffel lässt er den Libanon und Sirjon springen. (7) Die Stimme Jhwhs sprüht Feuerflammen. (8) Die Stimme Jhwhs lässt die heilige Wüste26 beben; Jhwh lässt die heilige Steppe beben. (9) Die Stimme Jhwhs bringt die Hirschkuh zum Kreißen, sie macht Wälder kahl. Und in seinem Tempel ruft alles „Gloria!“ Dieser Psalm zeigt die Macht Jhwhs, der mit einem jungen Stier verglichen wird, über die Wasser und die Natur. Ein solches Loblied hätte in Ugarit problemlos auf Baal gesungen werden können. In der Erzählung der Königsbücher geht die Verehrung Jhwhs als Gewittergott mit einem heftigen Kampf zwischen Jhwh und Baal einher. Dieser Kampf soll zur Zeit König Ahabs, des Sohnes und Nachfolgers von König Omri, der bei den Assyrern als der eigentliche Gründer des Nordreichs galt, stattgefunden haben. Auf archäologischer Ebene kann diesem König eine beeindruckende Zahl an Bauten zugeschrieben werden. Wie wir bereits erwähnt haben, gründet Omri die Hauptstadt Samaria und erbaut dort einen Palast und wohl auch einen Tempel. Offensichtlich will Omri einen modernen Staat schaffen. Er verheiratet seinen Sohn Ahab mit Isebel und knüpft so enge Beziehungen zu den Phöniziern. In der Bibel ist Isebel die Tochter des sidonischen Königs (1Kön 16,31), andere Quellen besagen, ihr Vater Etbaal sei König von Tyrus gewesen. Diese Frage muss hier nicht im Detail geklärt werden; eindeutig ist, dass die Heirat Ahabs ein Symbol für die Öffnung Israels gegenüber Phönizien ist. Daher könnte man sich fragen, ob die Verehrung Baals, die Ahab in der Bibel vorgeworfen wird, nicht eigentlich die Verehrung des phönizischen Gottes Melkart ist. In einem Vertrag des assyrischen Königs Asarhaddon mit Baal, dem König von Tyrus, werden mehrere phönizische Götter als Garanten genannt: Baal-Schamem, Baal-Malage, Baal-Zaphon und Melkart sowie Eschmun. Offenbar war Melkart der eigentliche Schutzgott von Tyrus27, sein Titel war bʿl Ṣr, der „Herr von Ty26 Die „heilige Steppe“ ist auch für Ugarit im Mythos von Schahar und Schalimu (Götter des Sonnenunter- und -aufgangs) belegt. Im masoretischen Text wird daraus „die Wüste von Kadesch“. 27 Eine deutsche Übersetzung bei Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten
Jhwh und Baal in Israel
rus“. Es ist daher plausibel, dass diese Gottheit zum Schutzgott der Omriden wurde und dass sie bei der Armee und anderen Mitgliedern des samaritanischen Hofes sehr beliebt war. Man kann die Identifikation des Baal der Omriden mit Melkart zwar durchaus bestreiten28, denn der Name Melkart wird in der Bibel nirgendwo erwähnt. Doch ist die enge Beziehung zu Phönizien gut belegt und verleiht der Hypothese eine gewisse Plausibilität. Hinzu kommt, dass Melkart in einer Inschrift des phönizischen Königs Eschmunasar II. (ca. 475 v.u.Z.) in Begleitung von Astarte genannt wird: „Und wir sind es, die Tempel gebaut haben für die Götter der Sidonier in Sidon-Meerland: einen Tempel für den Baal von Sidon und einen Tempel für Astarte-Name-Baals“29. Auf eine solche Verbindung von Baal und Astarte trifft man auch in einigen biblischen Texten30. Die Einführung des phönizischen Baal in Samaria als Gott Samarias hat nach biblischem Zeugnis zum Aufstand derjenigen Kreise geführt, die den Baal Jhwh verehrten. Dieser Aufstand wird in den Königsbüchern mit der Geschichte des Propheten Elija verbunden sowie mit Jehu, der die Omridendynastie ja dann auch ablösen wird. Anscheinend hat man die Geschichten der beiden Propheten Elija und Elischa erst nachträglich in die Königsbücher eingefügt. Dies schließt keinesfalls aus, dass sie zunächst als unabhängige Texte im Nordreich nach dem Sturz der Omriden verfasst wurden und eine Art „Schwarzbuch Baals“ darstellen sollten, das weitestgehend aus Erzählungen über Elija bestand31. Innerhalb der Königsbücher wurden sie dann in den historischen Kontext der Zeit der Könige Ahab (875–853) und Achasja (853–852), Sohn und Enkel Omris, eingefügt. Elija, der den Beinamen „Tischbiter“32 trägt, erscheint als Hauptfigur im Machtkampf zwischen Jhwh und Baal. Im 17. Kapitel des ersten Königsbuches ergeht der göttliche Befehl an ihn, nach Phönizien zu einer Witwe im Gebiet Sidons zu gehen.
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Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 342–344. Zu Melkart siehe S. 344, Anm. 51. Dany Nocquet: Le Livret noir de Baal. La polémique contre le dieu Baal dans la Bible hébraïque et dans l’ancien Israël, Genf (Labor et Fides) 2004, S. 291–292, 295. Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 475. Ri 2,13 und 10,6 sowie 1Sam 7,3–4; diese Texte gebrauchen allerdings den Plural, mit den „Baalen“ und „Astarten“ sind alle ausländischen Gottheiten gemeint, männliche und weibliche. Vgl. Dany Nocquet: Le Livret noir de Baal. La polémique contre le dieu Baal dans la Bible hébraïque et dans l’ancien Israël, Genf (Labor et Fides) 2004. Oft findet sich die Meinung, dass es sich hier um den Namen seiner Heimatstadt handelt. Aber dieser Ort ist an keiner anderen Stelle belegt. Es könnte sich um ein Wortspiel ausgehend vom Terminus toschab handeln, der ähnlich wie Metöke eine landlose Person in Abhängigkeit von einem Grundbesitzer bezeichnet.
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6. Der Jhwh-Kult in Israel
Dort sorgt Jhwh über seinen Propheten Elija für Mehl und Öl, was dem Baal Sidons nicht gelungen ist. Dieser Text ist also eine Art Gegenpart zu der Vorstellung, die im Vertrag zwischen Asarhaddon und dem König von Tyrus zum Ausdruck kommt, nämlich dass für die Beschaffung von Nahrung und Kleidung der Baal Melkart zuständig ist. In Phönizien erweckt Elija außerdem den Sohn der Witwe, zu der er geschickt worden ist, wieder zum Leben. Auf diese Weise zeigt die Erzählung, dass Jhwh Macht über den Tod hat, anders als der Baal von Ugarit (und der Phöniziens?33), der einen Teil des Jahres im Reich von Mot („Tod“), dem Gott der Unterwelt, verbringen muss. Davon erzählt der Zyklus „Baal und der Tod“. Die Überlegenheit Jhwhs gegenüber Baal wird endgültig im 18. Kapitel bewiesen. Es schildert einen Machtkampf zwischen Jhwh und Baal, der als Wettstreit von Elija und den Propheten des Baal sozusagen stellvertretend auf dem Berg Karmel inszeniert wird. Trotz der ekstatischen Riten seiner Propheten reagiert Baal nicht, anders als Jhwh, der Feuer vom Himmel schickt und so die Schlachtopfer auf seinem Altar verbrennt. Elija macht sich daraufhin lustig, der Baal seiner Gegner schlafe wohl und müsse anscheinend geweckt werden. Diese polemischen Äußerungen hat man zum Ritual des Melkart-Weckens in Beziehung setzen wollen, obwohl die Quellen, die ein solches Ritual belegen, zeitlich ziemlich spät liegen34 und eine ganz andere Intention haben. Die Intention der Erzählung in 1Kön 18 ist es jedenfalls, zu zeigen, dass Jhwh der wahre Baal ist; er bestimmt über die zwei Elemente, die oft mit Baal verbunden werden: Wasser und Feuer. Die ziemlich brutale Geschichte35 endet mit einem Massaker an den Propheten Baals, einer Art Präludium zum Aufstand des Jahwisten Jehu. Hier zeigt sich dieselbe Ideologie wie in einer Weisung aus dem Buch Exodus – „Wer den Göttern opfert und nicht Jhwh allein, wird der Vernichtung geweiht36“ (22,19). Auch in einem Gesetz aus dem Buch Deuteronomium wird das Todesurteil für die Propheten anderer Götter verkündet (13,2–6). Es gibt noch eine weitere Szene in der Erzählung von Elija und Ahab (1Kön 18,31–46), die die „baalische“ Macht Jhwhs untermauert. Jhwh hat eine lange 33 Leider besitzen wir nur sehr wenige Informationen über die phönizische Mythologie. 34 Vgl. Françoise Briquel-Chatonnet: Les relations entre les cités de la côte phénicienne et les royaumes d’Israël et de Juda, Löwen (Peeters) 1992, S. 306–309. Die vorliegenden Fragmente werden Menander (4. Jh. v.u.Z.) zugeschrieben, sind aber deutlich später entstanden. 35 Diese Erzählung wird im nächsten Kapitel (1Kön 19) korrigiert, das erst später hinzugekommen ist. In diesem Kapitel manifestiert sich Jhwh weder im Feuer noch im Gewitter oder im Beben der Erde, sondern in einem leisen Geflüster. 36 Denselben Ausdruck (ḥ-r-m) findet man auf der Mescha-Stele. Hier soll er zeigen, dass das Töten zu Ehren Jhwhs geschieht, da man ihn durch die Anbetung anderer Götter profaniert habe.
Jhwh und Baal in Israel
Hungerperiode über das Land kommen lassen und Ahab muss anerkennen, dass nur Jhwh allein die Macht hat, der Dürre ein Ende zu bereiten und es regnen zu lassen. In der ugaritischen Mythologie muss Baal, wenn er als Herrscher des Regens agieren will, seine Paredra Anat und die Sonnengottheit Schapasch hinzuziehen. Nach einer Erzählung, die man später in die Königsbücher eingefügt hat, waren Elija und besonders Elischa, der Nachfolger Elijas, in den von Jehu angeführten jahwistischen Putsch gegen die Omridendynastie verwickelt. Jehu macht Jhwh zum nationalen „Baal“ des Königreichs Israel, nachdem die Mitglieder der Omridendynastie und die Anhänger des phönizischen Baal-Kults getötet worden sind. Wie Elija versammelt Jehu zunächst alle Propheten Baals (2Kön 10,19)37. Und wie in 1Könige 18 endet das Opferfest mit einem Massaker an den Dienern Baals. Einige Geschichten um Elija und Jehu spiegeln wahrscheinlich das Entstehen eines kompromisslosen Jahwismus wider, der dann seinen Höhepunkt im Deuteronomium findet sowie in dem Buch, das dem Propheten Hosea zugeschrieben wird. Es bleibt die Frage, ob Jhwh erst nach dem Aufstand Jehus zum ersten Mal zum Schutzgott der Könige Israels wird. Für viele hängt die Antwort davon ab, wie man die biblische Erzählung von der Spaltung des Großreiches in 1Könige 12 beurteilt, die wir bereits besprochen haben. Muss das, was diese Erzählung Jerobeam I. zuschreibt, in Wahrheit Jerobeam II. (787–748) zugeschrieben werden, oder gibt es einen wahren historischen Kern, und Jerobeam I. hat um 930 v.u.Z. den Jhwh-Kult in Bethel etabliert? Es ist auch vorstellbar, dass es im Königreich Israel eine Rivalität zwischen Bethel (Jhwh) und Samaria (Melkart oder einem „phönizischen Baal“) gab, die erst durch den Putsch Jehus, der Jhwh endgültig als Nationalgott und Schutzgott des Königtums durchsetzte, entschieden wurde. Der glühende Jahwe-Anhänger Jehu musste sich nichtsdestotrotz den Assyrern unterwerfen und daher die Vorrangstellung ihrer Götter anerkennen. Eine Inschrift Salmanassars (841 v.u.Z.) nennt Jehu unter denen, die dem großen assyrischen König gegenüber tributpflichtig sind. Die Assyrer maßen diesem Kampf zwischen Jhwh und Baal bzw. zwischen einer jahwistischen Faktion und der Omridendynastie keine große Bedeutung bei, denn Salmanassar bezeichnet Jehu als „Sohn“ Omris und dessen legitimen Nachfolger: „Der Tribut des Jaʾuʾa [Jehu] Sohn des Humrî [Omri]: Silber, Gold, eine Schale aus Gold, eine Schüssel38 aus Gold, Kelche aus Gold, Eimer aus Gold, Zinn, ein Szepter für die Hand des Königs […].39“ 37 „Propheten Baals“ werden in der gesamten Hebräischen Bibel nur an diesen zwei Stellen (1Kön 18 und 2Kön 9) erwähnt. 38 Es handelt sich vielleicht um ein schmales, spitz zulaufendes Gefäß. 39 Übersetzung nach Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 264.
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6. Der Jhwh-Kult in Israel
Im Königreich Israel hat der Kampf des Baal Jhwh gegen den phönizischen Baal sicherlich zu der Frage geführt, in welcher Form Jhwh denn verehrt werden soll. Soll man ihn lediglich als einen weiteren Verwandten der zahlreichen Gewittergottheiten der Levante betrachten? Die polemischen Äußerungen gegen Baal, auf die man im Buch Hosea stößt, zielen offensichtlich gegen einige Kultformen, in denen Jhwh als Baal und in Stiergestalt verehrt wird, und spiegeln wahrscheinlich einen Mentalitätswandel wider. Auch auf ikonographischer Ebene kann man für das Gebiet des Königreichs Israel im 8. Jh. eine Veränderung in der Darstellung der Götter beobachten. Auf einer Knochenschnitzerei aus dieser Zeit, die man in Hazor gefunden hat, sieht man einen jungen Gott mit zwei Paar Flügeln. Solche Darstellungen verraten einen starken phönizischen Einfluss. Man findet sie auch auf einigen Siegeln. Ihre Verwendung scheint auf den Norden begrenzt gewesen zu sein. Bis jetzt hat man nichts Vergleichbares in Juda gefunden. Der Gott hält Pflanzen in der Hand, die ihn als verantwortlich für das Leben der Natur kennzeichnen. Die beiden Flügel sind typisch für eine „uranische“ Gottheit, einen Himmelsgott, vielleicht einen Sonnengott. Dieses Phänomen entspricht der Entwicklung Baals zum „Baal Schamem“, dem Himmelsbaal – einer Gottheit, deren Existenz für Phönizien sehr gut belegt ist40. Die hier vorgestellten Darstellungen können sowohl Baal als auch Jhwh meinen. In Eigennamen auf Siegeln findet man jahwistische Wurzeln wie Joab („Jhwh ist Vater“)41 oder Padah42, eine Kurzform von Padajahu („Jhwh rettet“). Möglicherweise haben die Besitzer dieser Siegel in diesen Darstellungen Jhwh als Schutzgottheit gesehen. Eine derartige „Solarisierung“ Jhwhs im Norden spiegelt sich auch in einigen poetischen Texten der Bibel wider. So erscheint Jhwh in Psalm 104 als „Baal Schamem“, einer Kombination von Gewitter- und Sonnengott, umgeben von geflügelten Dienern: (2) Er hüllt sich in Licht wie in einen Mantel, er entfaltet den Himmel wie ein Segel. (3) Er errichtet auf den Wassern seine Zimmer, er macht die Wolken zu seinem Wagen, er bewegt sich auf den Flügeln des Windes fort. 40 Herbert Niehr: Baʿalšamem. Studien zu Herkunft, Geschichte und Rezeptionsgeschichte eines phönizischen Gottes, Löwen (Peeters) 2003. 41 Othmar Keel und Christoph Uehlinger: Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen, Freiburg, Basel, Wien (Herder) 1992, Siegel Nr. 212b. 42 Benjamin Sass: „The pre-Exilic Hebrew seals. Iconism vs. Aniconism“ in: Benjamin Sass und Christoph Uehlinger (Hgg.): Studies in the Iconography of Northwest Semitic Inscribed Seals, Freiburg (Schweiz)–Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 1993, S. 194–256, Siegel Nr. 141.
Jhwh-Bilder in Israel
(4) Er macht aus den Winden seine Boten, das lodernde Feuer steht ihm zu Diensten. Auch im Buch Hosea, das die Anbetung eines Stieres und den Baal-ähnlichen Jhwh-Kult heftig verurteilt, wird Jhwh im 6. Kapitel mit dem Sonnenaufgang verglichen: „(3) So lasst uns ihn erkennen, lasst uns jagen nach der Erkenntnis Jhwhs; so sicher wie die Morgenröte bricht er hervor.“ Und der ursprüngliche Text von Vers 5 setzt die göttlichen Urteile Jhwhs mit dem Licht gleich43. So entsteht eine Vorstellung von Jhwh, in denen die Züge eines Gewittergottes mit den Attributen eines Sonnengottes verbunden werden. Dies führt uns noch einmal zu der Frage nach der ikonographischen Darstellung Jhwhs im Königreich Israel.
Jhwh-Bilder in Israel Im Gegensatz zur Frage nach den Formen der Verehrung Jhwhs in Jerusalem und im Königreich Juda hat die Frage nach den Darstellungen Jhwhs (Statuen, Abbildungen auf Siegeln etc.) im Norden weniger polemische Diskussionen hervorgerufen und die Forscher weniger leidenschaftlich interessiert. Viele von ihnen folgen, bewusst oder unbewusst, dem Urteil der biblischen Redaktoren, nach dem der Kult des Nordens von Idolatrie geprägt und „abweichend“ war. Wir haben im Laufe unserer Untersuchung schon auf einige bildhafte Darstellungen Jhwhs im Norden hingewiesen, so dass es genügt, hier einige Aspekte in Erinnerung zu rufen. Das Nimrud-Prisma44, eine Inschrift Sargons II., die im Jahr 706 v.u.Z. verfasst wurde und von der Zerstörung Samarias berichtet, erwähnt in einer Beuteliste „die Götter, auf die sie vertrauten“. Diese Inschrift kann zu zwei neuassyrischen Reliefs in Beziehung gesetzt werden, auf denen man Soldaten Sargons bzw. Sanheribs sieht, die ihre Beute wegtragen, darunter auch Statuen von Gottheiten45. 43 Im masoretischen Text findet man: „Deine Urteile: ein Licht wird hervorbrechen“, während der griechische Text das Original wiedergibt: „Meine Urteile sind wie das Licht.“ 44 Deutsche Übersetzungen in Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 301–302 und von Rykle Borger in: Otto Kaiser u.a. (Hgg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT) I. Rechts- und Wirtschaftsurkunden. Historisch-chronologische Texte, Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus) 1985 [CDRom 2005], S. 382. 45 Siehe dazu ausführlicher Christoph Uehlinger: „Anthropomorphic cult statuary in Iron Age Palestine and the search for Yahweh’s cult images, in: Karel van der Toorn (Hg.): The Image and the Book. Iconic Cults, Aniconism, and the Rise of the Book Religion in Israel and the Ancient Near East, Löwen (Peeters) 1997, S. 97–156, 124–128.
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6. Der Jhwh-Kult in Israel
Obwohl man nicht sicher weiß, aus welcher Stadt die Statuen auf dem ersten Relief stammen46, kann man mit Bezug auf die Inschrift auf dem NimrudPrisma in diesen Statuen Darstellungen von Göttern sehen, die mit denen aus Samaria vergleichbar sind. Die Statuen auf den Reliefs sind anthropomorph, obwohl einige in unserer Studie behandelte Texte47 die Verehrung Jhwhs in Form eines jungen Stieres zu belegen scheinen. Texte dieser Art erklären vielleicht auch die Stier-Statuette, die man in Israel in der Nähe der Ausgrabungsstätte von Tell Dothan gefunden hat, die aus der Zeit zwischen 1200–1000 v.u.Z. stammt48. Einen indirekten Hinweis auf eine anthropomorphe Statue Jhwhs gibt es in der Geschichte von der Berufung des jungen Samuel zum Propheten Jhwhs im Heiligtum von Schilo, die im zweiten Kapitel des ersten Samuelbuches erzählt wird. Wie wir gesehen haben, ist Schilo eng mit der Lade verbunden, die die Gegenwart Jhwhs symbolisiert oder sogar materialisiert. Der Verfasser der Erzählung von der Berufung Samuels beschreibt sehr genau die kultischen Handlungen, die in diesem Heiligtum vor und nach der Geburt Samuels stattfinden. Die Bemerkung, Samuel „stehe im Dienst Jhwhs“ (1Sam 2,11; derselbe Ausdruck auch in 2,28 und 3,1), ist von besonderem Interesse. In 2,11 ist der masoretische Text grammatikalisch schwierig; wörtlich müsste man ihn so übersetzen: „Der Junge diente Jhwh, Angesicht Elis, des Priesters“. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der hebräische Text bewusst geändert wurde und dass man ihn auf der Basis des griechischen Textes wiederherstellen muss: „der Junge diente dem Angesicht Jhwhs vor Eli, dem Priester“ (dies entspricht übrigens der Bemerkung in 2,18)49. Offensichtlich wollten die Masoreten jegliche Anspielung auf eine göttliche Statue vermeiden50. In der Tat ist die primäre Bedeutung der Wurzel š-r-t „sich kümmern um“, das heißt dienen in einem ganz konkreten Sinne51. Wie Claus Westermann bemerkt hat: „Dieses Bedienen Jahwes kann sich nur auf einen 46 Möglich sind Samaria, Hamat, Qarqar. Das Relief Sanheribs bezieht sich auf die Eroberung von Aschkelon bzw. Gaza, vgl. Christoph Uehlinger: „Hanun von Gaza und seine Gottheiten auf Orthostatenreliefs Tiglatpilesers III”, in: Ulrich Hübner und Ernst Axel Knauf (Hgg): Kein Land für sich allein. Studien zum Kulturkontakt in Kanaan, Israel/ Palästina und Ebirnâri für Manfred Weippert zum 65. Geburtstag, Freiburg (Schweiz)– Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 2003, S. 92–125. 47 1Kön 12, Ex 32, Stellen aus dem Buch Hosea. 48 Amihai Mazar: „The ‚Bull Site‘ – An Iron Age I open cult place“, in: Bulletin of the American Schools of Oriental Research 247 (1982), S. 27–42. 49 Wortlaut des masoretischen Textes: hannaʿar hājāh mĕšārēt ʾet-jhwh ʾet-pĕnê ʿēlî hakkōhēn; Wortlaut des rekonstruierten Textes: naʿar hājāh mĕšārēt ʾet-pĕnê jhwh lipnê ʿēlî hakkōhēn. 50 Jürg Hutzli: Die Erzählung von Hanna und Samuel. Textkritische und literarische Analyse von 1. Samuel 1–2 unter Berücksichtigung des Kontextes, Zürich (TVZ) 2007, S. 81. 51 In Ez 20,23 und 44,12 wird dieselbe Wurzel in der Tat auch gebraucht, um den Kult gegenüber anderen Gottheiten zu bezeichnen.
Jhwh-Bilder in Israel
konkreten Gegenstand beziehen (…). Wird ein Gott bedient, so ist damit seine Statue gemeint, so wie wir das Bedienen eines Gottesbildes in Ägypten kennen.“52 Die Aufgabe von Samuel wäre also der „Unterhalt“ der Statue Jhwhs im Heiligtum von Schilo gewesen. Von dieser Feststellung ausgehend, kann man sich fragen, ob der Ausdruck „sich vor dem Angesicht Jhwhs halten, um ihm zu dienen“, der im Buch Deuteronomium (10,8) die Aufgabe der Leviten beschreiben soll, nicht noch diese konkrete Bedeutung des sich Kümmerns um seine Statue hat53. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Jhwh in Israel mit dem Putsch Jehus zur Hauptgottheit wird. Zuerst wurde Jhwh im Norden vor allem wie ein „Baal“ verehrt, das heißt wie ein Gewittergott, der in mancherlei Hinsicht dem Baal von Ugarit nicht unähnlich war. Er war keinesfalls der einzige Gott in Israel; vielleicht war er zunächst dem Gott El untergeordnet (das gilt vor allem für das Heiligtum in Bethel). Unter den Omriden machen sich zwei baalim Konkurrenz: der phönizische Baal (vielleicht Melkart) und der Baal Jhwh. In der Folge nimmt Jhwh offensichtlich die Züge Els sowie Züge eines Sonnengottes an: er wird ein Baal-Schamem, ein „Herr des Himmels“. Bis zum Fall Samarias im Jahr 722 v.u.Z. war der Jhwh-Kult nicht exklusiv, wie das Nimrud-Prisma zeigt, auf dem Sargon II. die Einnahme der Hauptstadt des Nordreichs schildert: „27280 Einwohner nebst Streitwagen und den Göttern, auf die sie vertrauten, rechnete ich als Beute.“
52 Claus Westermann: „Šrt – dienen“, in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament Band II 19955, Kol. 1019–1022, Zitat Kol. 1020. 53 Diese Hypothese kann gleich zweifach erhärtet werden: Auf der Ebene der Textkritik stellt man fest, dass die Septuaginta das Suffix am Ende des Verbs weglässt und ganz allgemein „um den Dienst auszuüben“ übersetzt – der Grund könnte sein, jegliche Anspielung auf eine Statue vermeiden zu wollen. Und auch andere Textpassagen des Deuteronomiums, die von der Aufgabe der Leviten handeln, haben den Ausdruck verändert. Die Verse 18,5 und 7 sowie 21,5 sprechen vom Dienst „am Namen“ bzw. „für den Namen“ Jhwhs. Vers 10,8 scheint der Zensur entgangen zu sein.
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7. Der Jhwh-Kult in Juda Anders als für den Norden (Israel) ist die Verehrung Jhwhs in Stiergestalt für Jerusalem nicht belegt. In der Hauptstadt des Königreichs Juda erscheint Jhwh vor allem als königliche Gestalt auf einem Thron und erinnert eher an den Gott El. Schritt für Schritt muss Jhwh die Sonnengottheit ersetzt und die Position des höchsten Gottes eingenommen haben, nicht nur in Jerusalem selbst, sondern in ganz Juda. Diese Entwicklung war wohl abgeschlossen, als die Inschrift von Khirbet Bet Lay entstand, einer Ortschaft acht Kilometer östlich von Lachisch. Das Graffito befindet sich im Inneren eines Grabmals, das beim Bau einer Straße entdeckt wurde. Die Inschrift ist schwer zu lesen und offensichtlich bei Dunkelheit gekritzelt worden, könnte aber lauten: „Jhwh ist der Gott des ganzen Landes (der ganzen Erde), die Berge Judas gehören dem Gott Jerusalems“1. Man kann in diesem Text, dessen Datierung zwischen dem 8. und dem 6. Jh. schwankt, den Anspruch auf ein größeres Territorium für einen Gott erkennen, dessen Titel „Gott Jerusalems“ ist. Dies könnte die Theorie erhärten, dass Jhwh zunächst der mit der davidischen Dynastie verbundene Gott Jerusalems gewesen ist. Diese Verbindung würde auch die Vorstellungen Jhwhs als König erklären, die in Juda zu überwiegen scheinen.
Verschiedene Jhwh-Heiligtümer in Juda Wie im Norden ist Jhwh auch im Süden nicht nur an einem einzigen Ort verehrt worden. Außerhalb Jerusalems gab es andere Heiligtümer, selbst wenn einige aus Gründen der Zensur in der Bibel nicht namentlich erwähnt werden. Diese spricht allerdings oft von bāmôt, „Kulthöhen“, die es im Süden offensichtlich noch häufiger gab als im Norden. Diese bāmôt tauchen vor allem in den Samuelund den Königsbüchern auf (und in deren Paralleltexten in den Chronikbüchern). Es handelt sich um lokale Heiligtümer, die nicht der Kontrolle des Königs unterstanden. Oft befanden sie sich auf Hügeln oder Anhöhen. Der Text von 2Könige 23,8 erwähnt die „bāmôt an den Toren“. Dies könnte bedeuten, dass es auch Heiligtümer in den Kasematten gab. Meistens handelt es sich aber um Heiligtümer unter freiem Himmel, in denen sich eine oder mehrere Steinstelen 1
André Lemaire: „Prières en temps de crise. Les inscriptions de Khirbet Beit Lei“, in: Revue biblique 83 (1976), S. 558–568, zu dieser Inschrift S. 558–559. Eine deutsche Übersetzung der Inschriften findet sich bei Johannes Renz und Wolfgang Röllig: Handbuch der althebräischen Epigraphik I. Johannes Renz: Die althebräischen Inschriften. Text und Kommentar, Darmstadt (WBG) 1995, S. 242–251.
Verschiedene Jhwh-Heiligtümer in Juda
(maṣṣēḇôt) und eine ʾăšêrāh (heiliger Baum oder Pfahl oder eine andere Repräsentation der Göttin Aschera) befanden – wie es diese Passage des ersten Königsbuchs beschreibt: „Sie bauten sich Kulthöhen, Mazzeben und Ascheren auf jedem hohen Hügel und unter jedem grünen Baum“ (1Kön 14,23). Manchmal gab es auch überdachte Bereiche für die Opfermahle2. Diese bāmôt waren meist Jhwh-Heiligtümer. Es gibt nur einen Text, in dem Salomo dafür kritisiert wird, dass er „auf dem Berg, der gegenüber von Jerusalem liegt, eine Kulthöhe für Kamosch, das Scheusal Moabs“ errichtet habe (1Kön 11,7). Dass diese bāmôt hauptsächlich Jhwh-Heiligtümer waren, bestätigen einige Bemerkungen in den Königsbüchern, in denen die Redaktoren in Bezug auf bestimmte judäische Herrscher, denen sie wohl gesonnen sind, präzisieren: „Die Kulthöhen aber verschwanden nicht: noch immer brachte das Volk auf den Kulthöhen Schlachtopfer und Rauchopfer dar“ (2Kön 12,4). Zwei Könige, Hiskija und Joschija, werden von ihnen jedoch dafür gelobt, dass sie diese zerstörten. In gewissem Sinne ist dies eine Ironie der Geschichte: Diese Kulthöhen sind wahrscheinlich „jahwistisch“, typisch „israelitisch“, oder besser „judäisch“, aber sie müssen dem Tempel von Jerusalem weichen. Weitere Jhwh-Tempel gab es im Süden wahrscheinlich in Arad, einem Heiligtum mit einem oder zwei maṣṣēḇôt (die vielleicht Jhwh und seine Paredra Aschera repräsentierten). Die Interpretation der archäologischen Funde dieser Grabungsstätte bleibt weiterhin schwierig3. Man hat im Innern des Allerheiligsten umgestoßene Stelen gefunden, in denen man zunächst die Spuren einer Zerstörung durch Joschija bzw. durch die Assyrer sehen wollte. Aber es scheint eher so, dass wir es mit einer inszenierten Verwüstung des Heiligtums zu tun haben, um es einer tatsächlichen Verwüstung durch die assyrische Armee zu entziehen. In der monarchischen Zeit Judas war Arad eine königliche Garnisonsstadt; die Stadt wird daher einen Jhwh-Tempel gehabt haben. Wahrscheinlich gab es auch einen Tempel in der Stadt Lachisch, dem königlichen Verwaltungszentrum für die Schephela. Auf einem assyrischen Relief, das die Einnahme von Lachisch zeigt, sieht man assyrische Soldaten, die ein sehr großes Weihrauchfass wegtragen. Für den privaten Gebrauch ist es viel zu groß, es scheint eher von einer Kultstätte zu stammen. In Beerscheba hat man Reste eines sehr großen Altares mit vier Hörnern gefunden. Dieser deutet ebenfalls auf die Existenz eines Jhwh-Heiligtums hin. Weiter spricht der griechische Text des Buches Amos in 8,13 von dem Gott Beer2 Der Text von 1Samuel 9,19–25 erwähnt eine Mahlzeit in der bāmāh von Rama. 3 Zeʾev Herzog: „The date of the temple at Arad. Reassessment of the stratigraphy and the implications for the history of religion in Judah“, in: Amihai Mazar (Hg.): Studies in the Archeology of the Iron Age in Israel and Jordan, Sheffield (Sheffield Academic Press) 2001, S. 156–178.
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7. Der Jhwh-Kult in Juda
schebas, und 2Kön 23,8 erwähnt die Zerstörung des Heiligtums durch König Joschija. Kürzlich wurde bei einem Ausbau der Autobahn in der Nähe von Jerusalem in Tel Moza ein Tempel aus dem 10. und 9.Jh v.u.Z. entdeckt, der vielleicht auch mit dem Jhwh-Kult in Verbindung gebracht werden kann4.
Der Aufstieg Jhwhs in Jerusalem Wie wir bereits betont haben, wurde auch in Jerusalem nicht nur Jhwh verehrt. Nach unserer Untersuchung ist er im Tempel zunächst zusammen mit einer Sonnengottheit verehrt worden, der er vielleicht unterstellt war. Wann wird Jhwh zum Nationalgott Judas? Betrachtet man die Situation in den Königreichen vergleichbarer Größe östlich des Jordan, stellt man fest, dass in Moab5 und vielleicht auch in Ammon die anderen Götter des kanaanäischen Pantheons (das wahrscheinlich weniger entwickelt war als die großen Götterhimmel der Assyrer) ein wenig hinter den Gott der jeweiligen Dynastie zurücktreten, der mehr und mehr Raum einnimmt. In der kultischen Praxis des Königshauses muss sich die Überlegenheit Jhwhs gegenüber dem Sonnengott ziemlich schnell durchgesetzt haben. Ein Hinweis auf diese Entwicklung findet sich vielleicht im Buch Josua. Das 10. Kapitel berichtet von einer Schlacht der Israeliten unter der Führung Josuas gegen einen gewissen „Adoni-Zedek“ („Mein Herr ist Ṣedeq6“), den König von Jerusalem (!), und eine Koalition amoritischer Könige. Jhwh greift in diesen Krieg ein und wirft große Steine vom Himmel (Jos 10,10-11): Damals […] sagte Josua vor den Augen Israels; „Sonne (Šemeš) steh still über Gibeon, und Mond (Jārēaḥ) über dem Tal von Ajjalon!“ Und die Sonne stand still und der Mond blieb stehen, bis das Volk Rache genommen hatte an seinen Feinden. Steht das nicht geschrieben im Buch des Wackeren? (10,12–13a). Man kann diese Szene auf zweierlei Weise interpretieren: Entweder handelt es sich um einen Text aus dem 7. Jh. v.u.Z., der die Überlegenheit Jhwhs gegenüber den – bei den Assyrern sehr populären – Sonnen- und Mondgottheiten betonen will, oder es handelt sich um einen viel älteren Text, der noch die Konkurrenzsituation zwischen Jhwh, dem Gott der israelitischen Armee, und den Schutzgöttern Jerusalems widerspiegelt. Eine definitive Entscheidung ist schwer zu treffen. Wenn das „Buch des Wackeren“ tatsächlich existiert hat, enthielt es wahrscheinlich eine Sammlung poetischer Textstücke, darunter wohl auch den 4 Shua Kisilevitz: „The Iron IIA Judahite Temple at Tel Moza“, in: Tel Aviv 42 (2015), S. 147–164. 5 Auf der Mescha-Stele ist nur vom Schutzgott Kamosch und seiner Paredra die Rede. 6 Eine mit der Sonne verbundenen Gottheit, die mit der hebräischen Wurzel für „Gerechtigkeit“ gebildet ist.
El und Jhwh in Jerusalem
Tempelweihspruch7, in dem ebenfalls von der Sonnengottheit die Rede ist. Wir hätten es dann mit Fragmenten einer älteren Sammlung zu tun, die versucht, die Beziehung zwischen Jhwh und den anderen Göttern Jerusalems zu bestimmen.
El und Jhwh in Jerusalem Wir haben bereits die in Genesis 14 enthaltene Szene erwähnt, die ein Treffen zwischen Abraham und dem Priester El Eljons in Salem, wahrscheinlich Jerusalem, schildert. Der masoretische Text identifiziert diesen Gott mit Jhwh. Dies scheint im hebräischen Ausgangstext, auf dem die griechische Version beruht, noch nicht der Fall gewesen zu sein. Es ist also möglich, dass diese relativ junge Textpassage noch die Erinnerung daran bewahrt, dass es eine Gottheit mit Namen El Eljon gab, die in Jerusalem auf ähnliche Weise verehrt wurde wie El in Ugarit, und dass Jhwh erst in der Folge mit El identifiziert wurde. Das Buch der Psalmen enthält einige Spuren dieser schrittweisen Identifizierung. So beginnt Psalm 82 mit der Beschreibung einer Götterversammlung, deren Vorsitzender El ist: „Elohim steht in der Versammlung des El, inmitten der Götter hält er Gericht.“ Wer ist dieser „Elohim“? Da dieser Psalm Teil des „Elohistischen Psalters“8 ist, müssen wir hier möglicherweise ein ursprüngliches Jhwh ansetzen. Dann könnte man diese Szene als Hinweis auf den Aufstieg Jhwhs in die Götterversammlung deuten. Nach den Versen 2–5, von denen man nicht genau sagen kann, ob sie an die Regierenden auf der Erde oder an Götter gerichtet sind (der Verfasser des Psalms beschuldigt sie, das Recht nicht zu achten), enthält Vers 6 den Gedanken, dass alle Götter Söhne Eljons sind: „Ich habe gesprochen: ‚Götter seid ihr und Söhne des Eljons allesamt.‘“ Hier findet sich erneut die Vorstellung, dass alle Götter der Levante Söhne El Eljons sind9. Jhwh ist also auch einer seiner Söhne. Sollte Jhwh der Sprecher dieses Verses sein, dann stellt er sich jetzt über die anderen Götter, deren Tod er ankündigt: „Doch fürwahr, wie Menschen sollt ihr sterben, und wie einer der Fürsten fallen.“ Diese Ankündigung hat eine Parallele in Mesopotamien: Der Gott Marduk steigt vom Schutzgott der Stadt Babylon zum wichtigsten Gott des babylonischen Pantheons auf10. 7
Die griechische Version in III Basileion 8,53 nennt ein „Buch des Liedes“ und bezeichnet damit vielleicht dieselbe Schriftrolle. 8 Erinnern wir uns: Im „Elohistischen Psalter“ haben die Redaktoren die meisten Nennungen Jhwhs durch „Elohim“ ersetzt. 9 Derselbe Gedanke findet sich in der ursprünglichen Fassung von Deuteronomium 32,8. 10 Dies wird im Epos „Enuma Elisch“ berichtet, das von der Erschaffung der Welt nach dem Sieg Marduks über das Seeungeheuer Tiamat erzählt. Eine deutsche Übersetzung in Otto Kaiser (Hg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Band III Weisheits-
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7. Der Jhwh-Kult in Juda
Psalm 82 schließt mit einer Weisung der Götterversammlung (Vers 8): „Steh auf, Elohim, richte die Erde, denn dein Eigentum sind die Nationen alle.“ Wenn in diesem Psalm Elohim mit Jhwh identisch ist, beansprucht dieser Vers für Jhwh die Kompetenzen El Eljons. Während Jhwh nach der ursprünglichen Fassung von Dtn 32,8 Israel als sein Patrimonium (naḥălāh) von Eljon erhält, bekräftigt Vers 8 des Psalms 82, dass alle Völker die naḥălāh Elohims/Jhwhs sind. Spuren für eine Identifikation Jhwhs mit El Eljon findet man auch in Psalm 89. Hier ist zunächst die Rede von den großen Taten Jhwhs und vor allem davon, dass er der Dynastiegott des Hauses Davids ist. Vers 7 stellt Jhwh erneut als unvergleichlichen Gott dar: „Denn wer in den Wolken kann sich messen mit Jhwh, wer unter den Söhnen der Götter gleicht Jhwh?“ Nach diesem Vers gehört Jhwh zwar noch zu den Söhnen der Götter, ist aber der höchste von ihnen. Im folgenden Vers ist dann allerdings von El die Rede: „El ist gefürchtet im Kreis der Heiligen, furchterregend für alle rings um ihn her.“ Haben wir es hier mit einer Gleichsetzung Jhwhs mit El zu tun oder bleibt El der großen Bedeutung Jhwhs zum Trotz immer noch der höchste Gott? Das ist schwer zu entscheiden, aber auch nicht besonders wichtig, denn beide Beispiele bewahren eine Erinnerung an den Aufstieg Jhwhs innerhalb der Versammlung der Söhne des El.
Solare Züge Jhwhs in Jerusalem In Jerusalem hat Jhwh wahrscheinlich die Züge und die Funktionen des Sonnengottes angenommen, mit dem er bis dahin in Kohabitation lebte. Die Bedeutung des Sonnenkults in Jerusalem geht unter anderem auf ägyptischen Einfluss zurück. Die Übertragung von solaren Zügen auf Jhwh zeigt sich in theophoren Eigennamen, in der Ikonographie und auch in Beschreibungen von Theophanien Jhwhs. Es gibt einige Namen, die aus der Wurzel ʾ-w-r, „leuchten, Licht“ gebildet worden sind: ʾÛrijjāh („Jhwh ist mein Licht“) – diesen Namen trägt ein General texte, Mythen und Epen Lieferung 4, Göttingen 1994 [Gesamtedition auf CDRom 2005], S. 565–602: Enuma Elisch übers. von G. Lambert. Dort auch das folgende Zitat S. 583: „Sie errichteten ihm einen fürstlichen Sitz, und er ließ sich vor seinen Vätern nieder, um das Königtum zu erhalten. ,Du bist der geehrteste unter den großen Göttern, dein Schicksal ist ohnegleichen […] Dein Ausspruch ist verläßlich, deinem Befehl kann nicht widersprochen werden, keiner der Götter wird eine von dir gezogene Grenze überschreiten. […] wir gaben dir das Königtum über die Gesamtheit des ganzen Universums. Nimm Platz in der Versammlung, dein Wort wird dort hoch sein‘ ….“ (Tafel IV, v.1-15 – Auszüge)
Solare Züge Jhwhs in Jerusalem
Davids, aber auch ein Priester aus persischer Zeit, Nērijjāhû („Jhwh ist meine Lampe“) – der Vater des Schreibers Baruch – oder Jizraḥjāh („Jhwh leuchtet hell“) – ein Musiker aus persischer Zeit. Siegel aus dem 8. Jh. stellen den Sonnengott als geflügelten Skarabäus dar11. Auf einem Siegel unbekannter Herkunft (Hebron?) liest man den Namen Jwʾr: „Jhwh ist (mein) Licht“. Das Siegel zeigt einen Skarabäus, der die Sonnenscheibe (eine Darstellung Jhwhs?) trägt. Hier haben wir eindeutig eine Verbindung zwischen dem Namen des Besitzers und dem ikonographischen Motiv. Besonders interessant ist ein Siegel unbekannter Herkunft ohne Abbildung mit der Inschrift: „für Jizrajah [„Jhwh leuchtet“], Sohn des Hilkijahu, Minister Hiskijas“ – die Authentizität dieses Siegels ist allerdings nicht gesichert. Die Beispiele zeigen, dass man Jhwh Eigenschaften des Sonnengottes zuschrieb. Diese Entwicklung findet man auch auf Vorratskrügen wieder, die Stempel mit der Inschrift l-mlk („für den König“) in Verbindung mit dem Namen einer Ortschaft (vor allem Socho, Hebron, Lachisch, Siph, Mmšt – ein Ort, den man vielleicht mit Ramat Rachel identifizieren kann) tragen12. Die „l-mlk“-Siegel aus der Zeit Hiskijas (aus Lachisch) stellen alle die Sonne dar. Man sah zu der Zeit also keine Schwierigkeiten darin, den Schutzgott Jerusalems und Judas unter Inanspruchnahme der ägyptischen Ikonographie als Sonnengott darzustellen. Psalm 19 belegt ebenfalls, dass man für Jhwh dieselben Bilder benutzt hat wie für den Sonnengott, der über die Einhaltung von Recht und Gesetz wacht: (6) Wie ein Bräutigam kommt er [= die Sonne]13 hervor aus ihrer Kammer, läuft freudig wie ein Held die Bahn. (7) An einem Ende des Himmels geht er auf und läuft bis zum anderen Ende, und nichts bleibt seiner Glut verborgen. (8) Das Gesetz Jhwhs ist vollkommen, es gibt neues Leben; das Zeugnis Jhwhs ist verlässlich, es macht den Einfältigen weise. Vers 12 von Psalm 84 bezeichnet Jhwh als Sonne: „Denn Sonne und Schild ist Jhwh Elohim, Gnade und Ehre gibt Jhwh, kein Glück versagt er denen, die den Weg der Integrität gehen.“ Und nach Psalm 85,14 („Die Gerechtigkeit wird vor ihm hergehen und den Weg seiner Schritte bestimmen“), geht Ṣedek („Gerechtigkeit“) vor Jhwh her, wie in Ägypten die Göttin Maʾat vor dem Sonnengott. 11 Othmar Keel: Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2007, S. 292–293; Nahman Avigad und Benjamin Sass: Corpus of West Semitic Stamp Seals, Jerusalem (The Israel Academy of Sciences and Humanities) 1997, S. 1175. 12 Oded Lipschits und David S. Vanderhooft: The Yehud Stamp Impressions. A Corpus of Inscribed Impressions from the Persian and Hellenistic Periods in Judah, Winona Lake (Eisenbrauns) 2011. 13 Im Hebräischen handelt es sich um das Pronomen für die 3. Person Maskulin Singular.
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Dass die Aufgabe des Sonnengottes, über die Gerechtigkeit zu wachen, auf Jhwh übertragen wird, zeigt sich auch in dem Buch, das den Namen des Propheten Zefania trägt: „Jhwh ist gerecht in ihrer Mitte, er begeht kein Unrecht; Morgen für Morgen schenkt er bei Tagesanbruch sein Recht, ohne es jemals zu versäumen.“ (3,5)
Die „Zionstheologie“ Das dem Propheten Jeremia zugeschriebene Buch enthält einen liturgischen Ausruf, der wahrscheinlich die Jerusalemer Theologie zur Zeit der Monarchie widerspiegelt: „Ein Thron der Herrlichkeit, seit Anbeginn erhaben, ist die Stätte unseres Heiligtums“ (Jer 17,12). Dieser Hymnus verbindet den Thron Jhwhs mit dem Thema des göttlichen Berges bzw. des Urhügels („seit Anbeginn erhaben“), auf dem sich das Heiligtum befindet. Der Berg Jhwhs in Jerusalem wird meist „Zion“ genannt. Die Etymologie dieses Namens hat man auf verschiedene Weise erläutert. Man hat an einen hurritischen Ausdruck gedacht, der „Wasser“ bedeutet. Man hat auch eine Verbindung zur Wurzel ṣ-j-j „trocken sein, ausgetrocknet“ vorgeschlagen. Zion wäre dann „der trockene Ort“. Doch scheint die sinnvollere Erklärung eine Wurzel ṣ-w/j-n zu sein, deren Bedeutung in Anlehnung an eine identische Wurzel im Arabischen „verteidigen“14 sein könnte, daher dann auch die „Festung“. In der Hebräischen Bibel ist das Lexem Zion weder im Pentateuch noch im Buch Josua oder in den Richterbüchern belegt, auch nicht im ersten Samuelbuch15. Im zweiten Samuelbuch und in den Königsbüchern ist der Terminus eher selten; sehr häufig tritt er dagegen in den Psalmen und im Jesajabuch auf. In diesen Texten wird Zion oft parallel zu Jerusalem gebraucht. Ursprünglich bezeichnete der Name den Hügel Ophel im Nordosten der Stadt. Erst in christlicher Zeit bezieht er sich auf den südwestlichen Hügel der Stadt, wo sich der heutige Berg Zion befindet. Die Jerusalemer Theologie bestätigt also, dass Jhwh über Zion herrscht, wo sich sein Heiligtum befindet, und dass sich sein Repräsentant, der König, zu seiner Rechten findet, im Süden, in der Davidstadt. Dass Jhwh mit einem Berg verbunden wird, geht sicher auch auf die Erinnerung an seinen mythischen Ursprungsort zurück.
14 Im Hebräischen ist diese Wurzel allerdings nicht belegt. 15 In gewisser Weise scheint dies „normal“, denn folgt man dem Gesamtduktus der biblischen Erzählung, so gehört Jerusalem erst seit der Zeit Davids zu Juda. In Gen 14 wird allerdings „Salem“ erwähnt und in Jos 10 eine Schlacht Josuas gegen einen König von Jerusalem.
Jhwh, der „Kerubimthroner“
Jhwh, der „Kerubimthroner“ Anders als im Nordreich wurde der Jhwh Jerusalems oft auf einem Thron sitzend vorgestellt, flankiert von Kerubim oder umgeben von Serafim. In mehreren Texten wird Jhwh als der bezeichnet, der über den Kerubim sitzt (j-š-b)16. Wer sind die Kerubim? Das hebräische Wort kĕrub muss mit dem akkadischen kuribu („Schutzgeist“, „göttliches Wesen“) und karibu („respektvoll grüßen“) in Verbindung gebracht werden. Mit Kerubim (kerubim) sind niedere Götter gemeint oder deren Statuen, die am Eingang eines Heiligtums aufgestellt werden und eine Schutzfunktion erfüllen. Die assyrische Ikonographie zeigt, dass es sich um Hybridwesen handelt, der Sphinx nicht unähnlich, mit menschlichem Kopf und tierischem Körper, oft dem eines geflügelten Löwen. Die beiden assyrischen Genien, wie man sie zum Beispiel im Louvre sehen kann, heißen Lamassu und Schedu. Nach traditioneller Interpretation vereinen diese Hybridwesen Intelligenz (Menschenkopf), Kraft (Löwenkörper) und Beweglichkeit (Flügel) in sich. Aber dies ist vielleicht eine allzu moderne Sichtweise. Im Alten Orient saßen die intellektuellen und spirituellen (geistigen und seelischen) Fähigkeiten des Menschen im Herzen (so im Übrigen noch bei Aristoteles) und nicht im Kopf. In der neuassyrischen Ikonographie erscheint der Kerub als gefährliches Wesen, das Flora und Fauna bedroht. Man muss also den furchteinflößenden Aspekt der Hybridwesen hervorheben. Deshalb standen sie auch als Wächter an den Eingängen von Palästen und Tempeln17. Als Sockel für einen Thron sollen sie entweder denjenigen schützen, der auf ihm sitzt, oder die Macht desjenigen zeigen, der über ihnen thront, sie also gebändigt hat (in diesem Fall können die Kerubim auch die Unordnung und das Chaos repräsentieren, die von der Gottheit oder dem König gebändigt und bekämpft werden müssen). In der Levante sind Throne mit Kerubimsockel auf einem Elfenbeinrelief aus Megiddo aus dem 13. Jh. v.u.Z. belegt, das den König der Stadt zeigt, sowie auf dem Sarkophag des phönizischen Königs Ahiram, der zwischen dem 9. und dem 7. Jh. entstanden ist. Ein auf Sardinien gefundenes phönizisches Siegel zeigt den Gott Baal-Melkart, der auf Kerubim thront, über ihm die Sonnenscheibe. Eine Terrakotta aus Zypern (um 700 v.u.Z.) stellt eine Frauenfigur, vielleicht eine Göttin, dar, die auf einem von Kerubim getragenen Thron sitzt. Die Erzählung vom Bau des Tempels in Jerusalem erwähnt die Existenz eines Kerubimthrons im Innern des Tempels (1Kön 6):
16 1Sam 4,4; 1Sam 6,2 (= 1Chr 13,16); 2Kön 19,15 (= Jes 37,16); Ps 80,2 und 99,1. 17 In der Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies in Gen 3 stellt Jhwh Kerubim am Tor des Paradieses auf, um die Menschen daran zu hindern, es wieder zu betreten.
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(23) Für den heiligen Raum machte er zwei Kerubim aus Ölbaumholz, ihre Höhe betrug zehn Ellen. (24) Ein Flügel des ersten Kerubs: fünf Ellen und der andere Flügel: fünf Ellen; zehn Ellen von einem Ende bis zum anderen Ende seiner Flügel. (25) Zehn Ellen für den zweiten Kerub; beide Kerubim hatten dasselbe Maß und dieselbe Gestalt. (26) Die Höhe des ersten Kerubs war zehn Ellen, und ebenso groß war der zweite. (27) Er stellte die Kerubim in die Mitte des Hauses, ins Innere. Die Kerubim breiteten ihre Flügel aus: Der Flügel des ersten berührte die eine Wand, der Flügel des zweiten berührte die andere Wand; und ihre beiden Flügel, die Richtung Hausmitte zeigten, berührten sich, Flügel an Flügel. (28) Und er überzog die Kerubim mit Gold. Nach Kapitel 6 sollten diese Kerubim die Lade beschützen, aber man kann sich fragen, ob sie nicht zunächst Teile eines Throns gewesen sind. Sie würden dann das königliche Bild widerspiegeln, das man sich von Jhwh in Jerusalem machte und das auch in anderen Titeln deutlich wird, die man ihm dort gab.
Jhwh Ṣĕḇāʾôt Der Titel Jhwh Ṣĕḇāʾôt ist in der Hebräischen Bibel gut belegt: 284-mal insgesamt, vor allem im Buch Jeremia (82-mal), in der ersten Hälfte des Buches Jesaja (56-mal), in den Büchern Sacharja (56-mal), Maleachi (24-mal), Psalmen (15-mal) und Haggai (14-mal) sowie in Samuel (11-mal). Dagegen fehlt er völlig im Pentateuch und im Ezechielbuch. Dieser statistische Überblick legt nahe, dass der Titel im Tempel von Jerusalem entstanden ist, denn die Bücher, in denen er oft erscheint, sind fast alle in Jerusalem verfasst worden oder nehmen Jerusalemer Traditionen auf. Der Plural ṣĕḇāʾôt ist vom Wort ṣāḇāʾ, „Armee“ abgeleitet. So lautet die einhellige Erklärung, von der nur Manfred Görg abweicht. Für ihn liegt der Ursprung des Titels im ägyptischen Lexem ḏb3ty, („der auf dem Thron sitzt“)18. Diese Hypothese ist allzu gezwungen und trägt dem kriegerischen Kontext, in dem der Titel oft gebraucht wird, keine Rechnung. Die traditionelle Übersetzung „Jhwh der Heerscharen“ oder „Jhwh der Mächte“ wird von einigen als problematisch erachtet, denn im Hebräischen kann ein Eigenname nicht direkt mit einem Genitivattribut verbunden werden. Deshalb ist vorgeschlagen worden, dass der Titel zunächst „Jhwh, ʾēlohê ṣĕḇāʾôt war, „Jhwh (der Gott der) Heerscharen“. Eine andere Hypothese versteht den Plural entweder als konkrete Apposition zu Jhwh: „Jhwh, das sind die Heerscharen“ oder als Abstraktum: „Jhwh der Mächtige, Jhwh der Allmächtige“. Diese letzte Hypothese kann sich auf die Septua18 Manfred Görg: „ṣbʾwt ein Gottestitel“, in: Biblische Notizen 30 (1985), S. 15–18.
Jhwh Ṣĕḇāʾôt
ginta stützen, die in den meisten Fällen pantokrátor übersetzt (aber manchmal auch die Transliteration sabaoth benutzt). Die Übersetzung „Jhwh der Heerscharen“ ist jedoch nicht absolut unmöglich. Die hier schon erwähnten Texte aus Kuntillet Adschrud zeigen, dass aus einem Namen gebildete Genitivattribute in Verbindung mit Personennamen möglich sind (Jhwh von Teman, Jhwh von Samaria). Es stellt sich dann allerdings die Frage, um welche Armeen es sich handelt. Sollten irdische Armeen gemeint sein, würde der Titel die ursprüngliche Funktion Jhwhs als Kriegsgott widerspiegeln (wie in 1Sam 17,45: „David aber sagte zu dem Philister: ‚Du kommst zu mir mit Schwert und Speer und Krummschwert; ich aber komme zu dir mit dem Namen Jhwhs der Heerscharen, dem Gott der Truppen Israels, den du verhöhnt hast.‘ “) Da dieser Titel manchmal in Verbindung mit dem Heiligtum von Schilo erscheint, entstand der Gedanke, seine ursprüngliche Herkunft sei mit diesem Heiligtum verbunden. Dort habe man einen kriegerischen Jhwh in Verbindung mit der Lade verehrt19. Man kann sich in der Tat vorstellen, dass dieser Titel sich zunächst auf einen kriegerischen Jhwh bezog, ähnlich wie der Titel ṣbʾi für Rescheph in Ugarit (den man mit „Rescheph der Krieger“ oder „Rescheph (Herr) der Armee“ übersetzen kann). Es ist also möglich, dass der Titel sich anfangs auf Stammesheere aus dem „Volk Jhwhs“ bezogen und dann später auf den himmlischen Bereich übertragen wurde, auf den sich die meisten Belege für diesen Titel Jhwhs beziehen. Statistisch gesehen bezeichnet dieser Titel in der Tat häufiger Jhwh als Anführer der himmlischen Heerscharen. Auch das Wort ṣābā dient im Übrigen oft als Bezeichnung für die göttliche Ratsversammlung20. Von einer solchen Ratsversammlung spricht auch Psalm 89: (8) Gott ist gefürchtet im geheimen Rat der Heiligen, furchterregend für alle, die ihn umgeben. (9) Jhwh, Gott der Heerscharen, wer ist wie du, Jah? Deine Zuverlässigkeit ist um dich her. (10) Du bist es, der den Stolz des Meeres bändigt; wenn seine Wellen sich erheben, beruhigst du sie. In diesem Psalm steht der Titel Jhwh Ṣĕḇāʾôt auch in Verbindung mit einem „Schöpfungskampf “, auf den wir noch zurückkommen werden. Es ist vielleicht auch gar nicht notwendig, die Frage nach der Herkunft des Titels eindeutig zu beantworten. Als Kriegsgott hat Jhwh eine himmlische Armee unter sich, während er gleichzeitig die Armee derjenigen befehligt und anführt, die ihn verehren.
19 In 1Sam 4,4 findet sich der Ausdruck „Bundeslade des Jhwh ṣĕḇāʾôt“. 20 1Kön 22,19-23; Ps 103,19–22 und 148,1–5; Dan 8,10–13.
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Die göttliche Ratsversammlung bildet noch den Hintergrund einer Vision, in welcher der Prophet Jesaja die Gottheit Jhwh Ṣĕḇāʾôt sieht (6,1–8. Das „wir“ in der Frage in Vers 8 setzt eine Götterversammlung voraus.): Im Todesjahr des Königs Ussijahu sah ich den Herrn auf einen sehr hohen Thron sitzen; der Saum seines Gewandes füllte den Tempel. (2) Serafim21 standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: mit zweien bedeckte ein jeder sein Angesicht, mit zweien bedeckte ein jeder seine Beine, zwei benutzte er, um zu fliegen. (3) Der eine rief dem anderen zu: „Heilig, heilig, heilig ist Jhwh der Heerscharen! Die ganze Erde ist erfüllt von seiner Herrlichkeit!“ (4) Die Fundamente der Schwellen erzitterten von der Stimme dessen, der rief, und das Haus [der Tempel] füllte sich mit Rauch. (5) Ich sprach: „Wehe mir! Ich bin verloren, denn ich bin ein Mensch mit unreinen Lippen, ich wohne in einem Volk mit unreinen Lippen, meine Augen haben den König, Jhwh der Heerscharen gesehen!“ (6) Aber einer der Serafim flog zu mir mit einer glühenden Kohle in der Hand, die er mit einer Dochtschere vom Altar genommen hatte. (7) Er berührte meinen Mund und sprach: „Dies hat deine Lippen berührt: deine Schuld ist verschwunden, deine Sünde ist vergeben.“ (8) Ich hörte die Stimme des Herrn, der sagte: „Wen werde ich senden? Wer wird für uns gehen?“ Ich antwortete: „Ich bin da, sende mich!“ In dieser Szene sieht der Prophet Jhwh Ṣĕḇāʾôt im Tempel von Jerusalem auf einem Thron sitzend. Die Verbindung zum Tempel wird durch andere Texte bekräftigt, die von Jhwh der Heerscharen als demjenigen sprechen, der auf dem Berg Zion wohnt (wie Jes 8,18), oder durch den häufigen Gebrauch des Titels in den „Zionpsalmen“, die Jhwh als einen Gott beschreiben, der auf seinem heiligen Berg wohnt und ihn gegen Angriffe verteidigt. Oft erscheint dieser Titel in Texten, die ein königliches Bild von Jhwh zeichnen.
Jhwh als König Es gibt eine Reihe von Psalmen, die das Königtums Jhwhs zum Thema haben und die Akklamation Jhwh mālāḵ, „Jhwh ist König [geworden]“ enthalten22. Der skandinavische Exeget Sigmund Mowinckel hat darin eine Verbindung zum babylonischen Neujahrsfest gesehen: Die Psalmen würden ein Ritual reflektieren, mit dem man jeweils zu Neujahr den Aufstieg des Schutzgottes zum König 21 Fliegende Schlangen, wohlbekannt aus der ägyptischen Ikonographie. 22 Ps 93,1; 96,10; 97,1; 99,1. Es gibt noch weitere Psalmen, die Jhwh als den großen König zeigen, der inmitten seines himmlischen Rates thront.
Jhwh als König
gefeiert habe23. Aber die Existenz eines solchen Festes konnte für Israel oder Juda nie bewiesen werden. Die biblischen „Jhwh-König-Psalmen“ können wahrscheinlich in Beziehung zum Baalmythos in Ugarit gesetzt werden. Dort besteigt Baal den Thron nach seinem Sieg über Jam (das Meer) und Mot (den Tod). In Ugarit spiegelt der Aufstieg Baals zum König wohl den Wechsel der Jahreszeiten (Trockenheit und Regen) wider. Einige Psalmen, die oft nur in einer überarbeiteten Fassung vorliegen, wahren Spuren eines Aufstiegs Jhwhs zum König. In der ursprünglichen Fassung von Psalm 4724 wird dieser Aufstieg so beschrieben: „Ihr [Völker] alle, klatscht in die Hände! Empfangt Gott [= Jhwh] mit Jubelrufen! Gott stieg inmitten der Akklamationen empor, Jhwh beim Klang des Horns, Gott [= Jhwh] ist König [über die Nationen], Gott sitzt auf seinem heiligen Thron“ (V 1*; 6*, 9*). Die Verbindung der Wurzeln aufsteigen, sich setzen, König werden/sein findet sich ebenso in den Königspsalmen Jhwhs wie in den Gedichten über Baal; so zum Beispiel in „Baal und die Färse“25: „Baal stieg den Berg hinauf …, der Sohn Dagans in die [?Himmel], Baal setzte sich auf den Thron [seines Königtums], der Sohn Dagans auf den Sitz [seiner Souveränität].“ Nach seinem Sieg über Jam (das Meer) erlangt auch Baal die Königsherrschaft: „Jam ist tot, Baal herr[sche als König].“26 In der Hebräischen Bibel findet man die Verbindung des Themas vom Sieg Jhwhs über das Meer mit dem Königtum des Gottes Israels in den Psalmen 89, 93 und vor allem 74: (12) Aber Gott, du bist mein König von alters her, der Siege vollbringt auf der Erde. (13) Du hast mit deiner Kraft das Meer (jām) gebrochen; du hast den Kopf des Drachen (tannîn)27 über den Wassern zerschmettert. (14) Du hat die Köpfe Leviathans (liwjātān) zerschlagen, du hast ihn dem Volk der wilden Tiere zum Fraß gegeben. (15) Du hast Quelle und Sturzbach gespalten, du hat nie versiegende Flüsse (nahărōt) ausgetrocknet. (16) Dein ist der 23 Sigmund Mowinckel: Psalmenstudien, Kristiana (J. Dybwad) 1922. 24 Dieser Psalm ist Teil des Elohistischen Psalters, in dem die meisten Nennungen Jhwhs durch „Elohim“ (Gott) ersetzt wurden. 25 KTU 1.10 III 12–15. Die folgende Übersetzung des Verfassers folgt teilweise André Caquot u.a.: Textes Ougaritiques. Tome 1: Mythes et Légendes. Paris (Cerf) 1974, S. 287. 26 „Baal und Yamm“, KTU 1.2 IV 30–35. Zitiert nach Otto Kaiser (Hg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT). Band III Weisheitstexte, Mythen und Epen. Lieferung 6: Mythen und Epen in ugaritischer Sprache übersetzt v. Manfried Dietrich und Oswald Loretz, Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus) 1997 [CDRom 2005], S. 1133–1134. 27 Anders als es der masoretische Text tut, muss man hier den Singular lesen; einmal wegen des Parallelismus zu Vers 14 und dann aufgrund dessen, dass tannîn oft als Eigenname verstanden wird.
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7. Der Jhwh-Kult in Juda
Tag, dein ist die Nacht. Du hast Mond und Sonne eingesetzt. (17) Du hast alle Grenzen der Erde festgelegt, du hast Sommer und Winter geschaffen. In seiner heutigen Form setzt der Psalm die Zerstörung des Tempels von Jerusalem voraus, von der in der Einleitung die Rede ist. Aber er greift auf eine weit ältere Tradition vom Kampf gegen das Meer zurück. In Ugarit impliziert der Titel m-l-k für Baal seine Herrschaft über Jam und Mot. Ähnlich verhält es sich in der Bibel. Psalm 74 stammt offensichtlich aus Jerusalem und will das kanaanäische Konzept vom Königtum des Gewittergottes wieder aufgreifen.
Der davidische König als Mittler des Königs Jhwh In Juda wie auch anderswo (für den Norden haben wir zu wenig Informationen) gilt der König als Repräsentant Jhwhs, dessen Königtum er „verkörpert“. Nach Psalm 2 wird der König als Sohn Jhwhs angesehen: „(6) Ich selbst habe meinen König auf Zion eingesetzt, meinem heiligen Berg. (7) Kundtun will ich den Beschluss Jhwhs; er hat mir gesagt: Mein Sohn bist du! Ich habe dich heute gezeugt“. Hier ist weniger die eine „biologische“ Zeugung gemeint, als eine Art Adoption des Königs durch Jhwh im Moment seiner Thronbesteigung. Der König sitzt zur Rechten Jhwhs: „Spruch Jhwhs an meinen Herrn [den König]: ‚Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ich aus deinen Feinden deinen Fußschemel gemacht habe!‘ Jhwh wird von Zion aus das Zepter deiner Macht ausstrecken: ‚Herrsche inmitten deiner Feinde!‘ “ (Psalm 110,1–2). Das davidische Königtum, das nach der Weissagung in 2Sam 7 ewig währen wird, ist das sichtbare Zeichen für das Königtum Jhwhs. Nach Psalm 132 hat sich Jhwh gleichzeitig für Zion und für die davidische Dynastie entschieden. Er werde Zion und den König aus dem Haus Davids gleichermaßen verteidigen: (13) Denn Jhwh hat Zion erwählt, er wollte ihn zu seinem Wohnsitz machen: (14) „Dies ist meine Ruhestatt für immer; ich werde dort wohnen, denn ich habe sie erwählt: […] (17) Dort werde ich ein Horn für David wachsen lassen, ich werde eine Lampe aufstellen für den Mann, der von mir gesalbt worden ist, (18) ich werde seine Feinde mit Schande kleiden, und über ihm wird sein Diadem leuchten.“
Jhwh Melek und Molek
Jhwh Melek und Molek Vier biblische Texte erwähnen das Wort molek im Zusammenhang mit Kinderopfern28. Traditionell hat man Molek oder Moloch als blutrünstige Gottheit betrachtet, die Menschenopfer verschlingt. Der Alttestamentler Otto Eissfeldt hat molek mit dem punischen Wort molk in Verbindung gebracht, das ihm zufolge lediglich ein (nicht notwendigerweise menschliches) Opfer bezeichnet29. Die biblischen Texte stützen diese Hypothese nicht, denn sie gehen von der Existenz einer Gottheit aus, der geopfert wird. Deswegen hat man Molek mit anderweitig bekannten Gottheiten identifizieren wollen. Offensichtlich gibt es in Ugarit eine Gottheit Maliku, aber deren Existenz ist nur sehr dünn belegt, und man findet keinerlei Verbindung zu Menschenopfern. Molek mit dem ammonitischen Gott Milkom zu identifizieren, ist ebenso wenig plausibel30. Jeremia 32,35 nennt Baal und Molek im selben Zusammenhang, aber offensichtlich handelt es sich um verschiedene Gottheiten. Die einfachste (jedoch sehr selten in den Blick genommene) Lösung ist die Annahme, dass der Terminus molek anfangs melek („König“) ausgesprochen wurde und ein Titel für Jhwh war. Wir haben gesehen, dass das Wort melek in der Hebräischen Bibel oft vorkommt – mehr als 50-mal –, um Jhwh zu charakterisieren. Es ist also möglich, dass ihm als Jhwh-Melek31 Kinderopfer dargebracht wurden. Einige Texte gebrauchen den Ausdruck „Kinder durchs Feuer gehen lassen“ in einem königlichen Kontext (z.B. 1Kön 11,7; 2Kön 23,10; Jer 32,35; Ez 23,37–39). Diese These wird von der griechischen Übersetzung von molek im Levitikus-Buch bestätigt. Der Übersetzer hat in den Versen 18,21 und 20,2–5 nicht molek, sondern melek gelesen und dies als Titel für Jhwh interpretiert. Die Kritik der Priester und Propheten aus persischer Zeit bestätigt ebenfalls, dass man derartige Opfer für den „Melek“ Jhwh dargebracht hat: „Du sollst keines deiner Kinder ausliefern, um es Molek [Melek] darzubringen und du sollst den Namen deines Gottes nicht entweihen“ (Lev 18,21). In diesem Verbot wird „molek“ parallel zu Jhwh gebraucht. Ein Kinderopfer an Molek wird hier als Profanation des Namens Jhwhs verstanden und verurteilt. Dies ergibt allerdings nur einen Sinn, wenn es grundsätzlich möglich ist, melek als Attribut dem Gottesnamen hinzuzufügen. Der Text von Jeremia 7,31 geht in dieselbe Richtung: „Sie 28 Lev 18,21; Lev 20,2–5; 2Kön 23,10; Jer 32,35. 29 Otto Eissfeld: Molk als Opferbegriff im Punischen und Hebräischen und das Ende des Gottes Moloch, Halle (Niemeyer) 1935. 30 Sie kann sich nur auf den Vers 1Kön 11,7 stützen, aber die Erwähnung Moleks in diesem Text beruht auf einem Schreibfehler. 31 Johan Lust: „Molek and ARXΩN“, in: Edward Lipiński (Hg.): Studia Phoenici IX. Phoenicia and the Bible, Löwen (Peeters) 1991, S. 193–208.
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7. Der Jhwh-Kult in Juda
bauten Kulthöhen des Taphet32 […], um ihre Töchter und ihre Söhne im Feuer zu verbrennen, was ich nicht befohlen habe und was mir niemals in den Sinn gekommen ist.“ Der Verfasser dieses Texts betont, dass Jhwh niemals Kinderopfer angeordnet hat – was bedeutet, dass Jhwh in den Augen seiner Gegner sehr wohl solche Opfer gefordert hatte. Die Funktion dieser Feueropfer wird in einer Erzählung der Königsbücher deutlich, die ein Menschenopfer des moabitischen Königs Mescha schildert: „Als der König von Moab sah, dass die Schlacht für ihn verloren war […], nahm er seinen erstgeborenen Sohn, der an seiner Stelle regieren sollte, und brachte ihn auf der Mauer als Brandopfer dar. Ein großer Zorn kam über Israel. Sie hielten von ihm ab und kehrten in ihr Land zurück“ (2Kön 3,26–27). In einer militärischen Krise sieht Mescha keine andere Lösung, als das zu opfern, was ihm das liebste ist: seinen Sohn und Thronfolger. Der Text sagt nicht, welcher Gottheit dieses Brandopfer dargebracht wird, Kamosch oder Jhwh. Diese kurze Erzählung, die der Zensur der Bibelredaktoren entgangen ist33, macht es möglich, diese Verbrennung der Kinder als letzten Ausweg in schweren Krisen zu interpretieren. Anders als das Opfern der Erstgeborenen, das (theoretisch) regelmäßig stattfand, waren Brandopfer dieser Art Rituale, die in Situationen größter Gefahr die Gottheit zum Eingreifen bewegen sollten. Indem man diese Opfer Jhwh-Melek weihte, unterstrich man seine Souveränität und erhoffte sein rettungbringendes Eingreifen in Krisensituationen. In persischer Zeit wurden Menschenopfer zum Tabu und man versuchte, sie vom Jhwh-Kult zu trennen. In derselben Absicht änderten die Masoreten später Melek in Molek, indem sie das Wort wie „boschet“ (die Schande) vokalisierten.
Jhwh und der Tod In Ugarit sind das Meer und der Tod die großen Gegenspieler Baals. Man findet in der Bibel Texte, die für Jhwh von einer ähnlichen Situation ausgehen. Wir haben bereits die Texte gesehen, die auf einen Kampf Jhwhs mit dem Meer anspielen. Auch der Tod galt als ein Feind Jhwhs. In den älteren Texten hat er keine Macht über das Totenreich – „Scheol“ genannt –, wo die Verstorbenen vor sich hinvegetieren. Die Etymologie dieses Terminus ist nicht eindeutig geklärt. Außerhalb der Bibel ist er nur in einem Text aus Elephantine aus dem 1. Jt. v.u.Z. 32 Tophet ist eine pejorative Vokalisation auf der Grundlage von boschet (die „Schande“); die ursprüngliche Aussprache war Taphet. 33 Der jetzige Satz „Ein großer Zorn kam über Israel.“ resultiert wahrscheinlich aus einer redaktionellen Bearbeitung, die den Namen der Gottheit entfernt hat. Ursprünglich ging es in der Erzählung um den Zorn des moabitischen Gottes Kamosch gegen die Feinde Moabs.
Jhwh und der Tod
belegt (vielleicht um 500 v.u.Z.)34. Man verbindet ihn oft mit der Wurzel šāʾal („fragen“) und glaubt, er bezeichne den Ort, an dem man die Toten befragen kann. Eine andere Möglichkeit wäre eine semitische Wurzel, die den Begriff „Wüste“ zum Ausdruck bringt. In der Bibel ist das Wort šeʾōl ein Eigenname (es wird nie mit Artikel gebraucht). Er könnte vielleicht eine Gottheit bezeichnen oder eine Personifizierung der Unterwelt sein. Das Leben in Scheol stellt man sich wie den Aufenthalt eines Leichnams unter der Erde vor, in der Familiengruft, an einem kalten, feuchten und dunklen Ort. Der Abstieg des Toten nach šeʾōl bedeutete zunächst eine absolute Trennung von Jhwh. Der Verfasser von Psalm 30 bezieht sich auf die Vorstellung, dass Jhwh ins Totenreich nicht eingreifen kann, und fleht diesen an, ihn von seiner Krankheit zu heilen, denn wenn er erst tot sei, könne er Gott nicht mehr loben. Die Krankheit wird hier sozusagen als Vorzimmer des Todes verstanden. Der Verfasser von Psalm 6 greift auf ein ähnliches Argument zurück: „Denn im Tod gedenkt man deiner nicht; wer soll dich im Totenreich (Scheol) lobpreisen?“ In diesen Texten ist Scheol offensichtlich eine autonome Realität, die kein Werk Jhwhs ist und die seiner Macht entzogen zu sein scheint. Eine Textstelle im 28. Kapitel des Jesajabuches erwähnt Mitglieder der Jerusalemer Aristokratie, die ein Bündnis mit Scheol erwägen, denn sie halten diese Gottheit für mächtiger als den Gott Israels35: „Wir haben einen Pakt mit Scheol geschlossen, die entfesselte Geißel wird uns nicht treffen, wenn sie niederfährt“ (v. 15). In jüngeren Texten, die vielleicht die religiösen Veränderungen widerspiegeln, die während des 8. oder 7. Jh. stattgefunden hatten, wird betont, dass Jhwh genauso mächtig ist wie der Tod. Und man hofft, dass er die Toten aus dem Reich Scheols zurückholen kann: „Gott wird meine Seele (nepeš) aus der Hand Scheols loskaufen“ (Ps 49,16). Ein Graffito aus Khirbet el-Kom, das auf das Ende des 8. Jh. datiert werden kann, enthält einen Segenswunsch, der an Jhwh und seine Aschera gerichtet ist: „Gesegnet sei Ūrījāhū von Jahwe, von seiner Aschera. Und vor seinen Feinden hat er ihn gerettet […]“36. Dieser Segenswunsch, der sich am Eingang eines Grabes befindet, zeigt, dass man Jhwh die Macht zuschreibt, noch im Tod zu segnen, wie er es im Leben getan hat. Auch die Silberamulette aus den Gräbern von Ketef Hinnom37, die man mit den Toten begraben hat, waren mögli34 „Deine Knochen werden nicht nach šeʾōl hinabsteigen“ CIS II, 145. B6. Vgl. Nicholas J. Tromp: Primitive Conceptions of Death and the Netherworld in the Old Testament, Rom (Pontifical Institute) 1969, S. 21–23. 35 Thomas Römer: „Jugement et salut en Ésaïe 28“, in: Positions luthériennes 43 (1995), S. 55–62. 36 Deutsche Übersetzung nach Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 367–368. 37 Nach dem Ausgräber Gabriel Barkay sollen diese Amulette aus dem 7. Jh. stammen
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7. Der Jhwh-Kult in Juda
cherweise dazu bestimmt, diese im Totenreich zu beschützen. Auf diesen Amuletten wird auch der Segen Jhwhs für die Verstorbenen erbeten. Ein Segen, der dann im priesterlichen Segenswunsch von Numeri 6,24–26 auf die Lebenden übertragen wurde: „Jhwh segne und behüte dich, Jhwh lasse sein Antlitz leuchten über dir und bringe dir Frieden.“ Zusammenfassend kann man festhalten, dass Jhwh im Verlauf des 9. und 8. Jh. v.u.Z. im Königreich Juda zum Hauptgott wird, Gott der davidischen Dynastie und Nationalgott Judas. Er nimmt die Funktionen des Sonnengottes in sich auf und vereint in sich die Funktionen zweier Arten von Göttern: El und Baal. Der Tempel von Jerusalem war das Zentrum von Jhwhs Königtum, obwohl es andere jahwistische Heiligtümer gab sowie, vor allem auf dem Land, die bāmôt. Jhwh zeigte gegen Ende des 8. Jh. seine Überlegenheit über den Gott der Unterwelt. Bei militärischen Krisen brachte man ihm auch Menschenopfer dar. Wurde er in Jerusalem nun als sichtbarer oder als unsichtbarer Gott verehrt? Und war er allein in seinem Tempel?
(„The challenges of Ketef Hinnom. Using advanced technologies to reclaim the earliest biblical texts and their context“, in: Near Eastern Archeology 2003, S. 162–171), aber diese Datierung wird nicht einhellig übernommen: Angelika Berlejung („Ein Programm fürs Leben. Theologisches Wort und anthropologischer Ort der Silberamulette von Ketef Hinnom“, in: Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft 120 (2008), S. 204–230) denkt an das 5. Jh.; Nadav Naʾaman („A new appraisal of the silver amulets from Ketef Hinnom“, in: Israel Exploration Journal 61 (2011), S. 184–195) geht in dieselbe Richtung. Die Datierung in hellenistische Zeit von Ferdinand Dexinger („Die Funde von Gehinnom“ in: Bibel und Liturgie 59 (1986), S. 259–261) scheint wenig plausibel.
8. D ie Statue Jhwhs in Juda Laut der Hebräischen Bibel und laut zahlreicher Kommentatoren war die Verehrung des Gottes Jhwh anikonisch, also bildlos. Doch im Laufe unserer Untersuchung ist deutlich geworden, dass es im Jhwh-Kult des Nordreichs zweifellos theriomorphe und wahrscheinlich auch anthropomorphe Bilder gab. Dies lässt sich eindeutig aus einzelnen Bibelstellen schließen. Denn in den Augen der Autoren und Redaktoren, die diese Texte aus „südlicher“ Perspektive schreiben und herausgeben, ist der jahwistische Kult in Israel illegitim und idolatrisch im ursprünglichen Sinne des Wortes. Nach den biblischen Belegen wurde Jhwh in Israel in Form eines Jungstieres dargestellt und verehrt. Die Verteidiger einer ursprünglichen Bildlosigkeit des Jhwh-Kultes können dagegen als einziges Argument vorbringen, die fraglichen Stiere seien nur Sockel für eine unsichtbare Gottheit gewesen1. Aber hier handelt es sich um eine petitio principii. In der Tat kennt man Darstellungen von Gottheiten, die auf Stieren oder anderen Tieren thronen2. Es gibt aber keinen eindeutigen Beleg für Tierstatuen als Sockel für einen unsichtbaren Gott3. Der Stier in den Heiligtümern des Nordens repräsentiert also Jhwh, den man sich als Gewittergott bzw. obersten Gott des Pantheons wie Baal oder El vorstellte und wie diese als Stier repräsentierte. Aber die Frage nach eine bildhaften Darstellung Jhwhs stellt sich auch für das Königreich Juda.
Stein-Stelen: Spuren eines bildlosen Kultes? Hat man sich für das Königreich Juda einen von Anfang an bildlosen Kult vorzustellen? Die Verteidiger dieser Vorstellung führen als Beweis für ihre These einen „De-facto-Anikonismus“ an, der im Mazzeben-Kult, der Errichtung von Steinstelen, deutlich werde. Diese werden in den biblischen Texten häufig erwähnt 1
So Ronald S. Hendel: „Aniconism and anthropomorphism in ancient Israel“, in: Karel van der Toorn (Hg.): The Image and the Book. Iconic Cults, Aniconism, and the Rise of the Book Religion in Israel and the Ancient Near East, Löwen (Peeters) 1997, S. 216– 219. André Lemaire: Naissance du monothéisme. Point de vue d’un historien, Paris (Bayard) 2003, S. 86–87. 2 S. auch oben Kapitel 5 die Darstellung eines syrischen Gewittergottes, der auf einem Stier thront. 3 Silvia Schroer: In Israel gab es Bilder. Nachrichten von darstellender Kunst im Alten Testament, Freiburg (Schweiz) –Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 1987, S. 101, Anm. 147.
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8. Die Statue Jhwhs in Juda
(maṣṣebôt) und sind auch archäologisch reich belegt4. Steinstelen sind für das 2. Jt. für Syrien gut bezeugt, vor allem für Mari; sie erfüllen unterschiedliche Funktionen. Nach den biblischen Texten kann man wenigstens vier Verwendungszwecke unterscheiden. Zunächst dienen sie dem Totengedenken: Im Buch Genesis (35,19–30) errichtet der Patriarch Jakob eine Stele über dem Grab seiner Frau Rachel; im zweiten Samuelbuch (18,18) lässt Absalom, der kinderlose Sohn Davids, eine Stele errichten, damit man später seiner gedenkt. Außerdem können sie als Erinnerung an ein Ereignis dienen: Im Buch Exodus (24,4) errichtet Mose zwölf Stelen für die zwölf Stämme Israels, mit denen Jhwh am Berg Sinai einen Bund geschlossen hat. Ebenso lässt Josua im 4. Kapitel des Buches Josua zwölf Steine inmitten des Jordan aufstellen, um an den Durchzug der zwölf Stämme durch diesen Fluss zu erinnern. Dann findet man Mazzeben im Zusammenhang mit Vertragsabschlüssen: In Genesis 31,43–45 wird ein Stein als Zeuge für einen Vertrag zwischen Jakob und Laban über die Abgrenzung ihrer jeweiligen Gebiete errichtet. Für unsere Untersuchung ist die vierte Funktion der Mazzeben, die in einem Zusammenhang mit einem göttlichen Kultus steht, die wichtigste. Besonders deutlich wird sie im 28. Kapitel des Buches Genesis, das berichtet, wie der Patriarch Jakob zum Gründer des Heiligtums Bethel wird5. Jakob markiert diese Gründung dadurch, dass er eine maṣṣēḇāh errichtet und diese mit einer heiligen Ölung versieht: „Jakob stand früh auf. Er nahm den Stein, den er an das Kopfende gelegt hatte, stellte ihn als maṣṣēḇāh auf und goss Öl über ihn. Er nannte diesen Ort Bethel […]. Er sagte: ‚Dieser Stein, den ich aufgerichtet habe, soll ein Gotteshaus (bêt ʾĕlōhîm) werden‘“ (28, 18–19a und 22). Aus dem hebräischen Wort bêt-ʾēl („Haus des El oder Haus Gottes“) ist über das Griechische das Wort Betyle entstanden, das einen Stein bezeichnet, der eine kultische Rolle hat. Die Frage nach der Funktion und der Symbolik dieser Betylen ist verschieden beantwortet worden. Wurden sie im Rahmen eines Fruchtbarkeitskults gebraucht, wie ihre meist phallusartige Form nahelegen könnte? Stellten sie eine Art (temporäre) Behausung für einen Gott dar? Oder repräsentierten sie die Gottheit selbst? Von dieser letzten Vorstellung ausgehend hat man behauptet, der Stelenkult sei anikonisch gewesen6. Er sei bei den Nomaden entstanden, die anders als die sesshaften Bewohner des Alten Orients ihre Gottheiten nicht mit Hilfe anthropomorpher und theriomorpher Bilder verehrt hätten. Dieser Theorie widersprechen jedoch die folgenden Beobachtungen. 4 Trygge N.D. Mettinger: No Graven Image? Israelite Aniconism in its Ancient Near Eastern Context, Stockholm (Almqvist & Wiksell International) 1992. Vgl. auch Ders.: „Israelite aniconism. Developments and origins“, in: Karel van der Toorn (Hg.): The Image and the Book. Iconic Cults, Aniconism, and the Rise of the Book Religion in Israel and the Ancient Near East, Löwen (Peeters) 1997, S. 173–204. 5 An dasselbe Ereignis erinnert Gen 35,13. 6 So zum Beispiel Mettinger in den weiter oben zitierten Arbeiten.
Stein-Stelen: Spuren eines bildlosen Kultes?
Schon in Mari standen im 2. Jt. v.u.Z. Betylen und Götterstatuen dicht nebeneinander. Man kann also Ikonismus und Anikonismus nicht einfach einander gegenüberstellen. In Mari werden die Steinstelen sikkanum genannt, ein Terminus, der vielleicht von einer Wurzel mit der Bedeutung „aufstellen“ abgeleitet ist, die der hebräischen Wurzel n-ṣ-b entspricht, auf die das Wort maṣṣēḇāh zurückgeht. Die Assyrer bezeichnen solche Stelen als ṣalmu. Im Hebräischen dient dieses Lexem (ṣelem) als Bezeichnung für eine Statue. Ist der Betylen-Kult wirklich bildlos? Es gibt in Mari eine Steinstele, in die weibliche Gesichtszüge und das Geschlecht einer Frau eingraviert sind7. Auf den Mazzeben aus dem Heiligtum Arad im Negev hat man Spuren von Farbe gefunden. Möglicherweise waren sie ebenfalls bemalt, um Gottheiten darzustellen, die man über sie verehrt hat. Eine Bestätigung dieser Hypothese liefert eine Stele aus Petra in Jordanien, die entweder die Gottheit Duschara oder eine ihr zugeordnete Gottheit repräsentiert8. Um wieder auf die Bibel zurückzukommen, so scheint es ziemlich eindeutig, dass die maṣṣēḇāh – möglicherweise vor allem außerhalb Jerusalems – eine Form der Repräsentation Jhwhs ist. Das offensichtlichste Beispiel findet sich in dem hier bereits erwähnten Arad. In diesem Heiligtum gab es zwei Stelen, die wahrscheinlich Jhwh und eine andere Gottheit repräsentieren sollten – es sei denn, eine Stele wäre in das Heiligtum gebracht worden, um die andere zu ersetzen. Die bevorzugten Orte des Stelenkults sind die „Höhenheiligtümer“, die bāmôt. Im Zusammenhang mit diesen Kultorten unter freiem Himmel sprechen die Autoren der biblischen Texte häufig von Stelen und „heiligen Pfählen“ (maṣṣēḇôt waʾāšērîm). Da diese bāmôt jahwistische Heiligtümer sind, ist es plausibel, dass die dort befindlichen Mazzeben auf die eine oder andere Weise den Gott Jhwh verkörpert haben. Dies ist allerdings keinesfalls als Hinweis auf einen anikonischen Jhwh-Kult zu verstehen. Denn später, als das Verbot aufkommt, Statuen anzufertigen, verbietet man gleichzeitig auch die Mazzeben. So findet man im Deuteronomium folgende Weisung: „Du sollst keine Mazzebe aufrichten: Jhwh, dein Gott, hasst es“ (16,22), und im Buch Levitikus werden die jeweiligen Termini für Skulpturen und Mazzeben parallel gebraucht: „Ihr sollt euch keine Götzen (ʾĕlîlim) machen, ihr sollt keine Skulptur (pesel) und keine Stele (maṣṣēḇāh) aufstellen, und ihr sollt in eurem Land keinen einzigen beschlagenen Stein (ʾeḇen maśkît) aufstellen, um euch davor niederzuwerfen, denn ich bin Jhwh, euer Gott“ (26,1). In diesem Verbot beziehen sich die Termini pesel und maṣṣēḇāh auf die Verehrung Jhwhs9; dies dürfte auch bei dem nur hier be7
Vgl. Jean-Claude Margueron: Mari, métropole de l’Euphrate au troisième et au début du deuxième millénaire av. J.-C., Paris (Picard) 2004, S. 56, Abb. 36. 8 Eine Abbildung unter https://en.wikipedia.org/wiki/Nabataean_religion (letzte Konsultation 26.5.2018). 9 Jacob Milgrom: Leviticus 23–27, New York (Doubleday) 2001, S. 2280–2282.
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8. Die Statue Jhwhs in Juda
legten Ausdruck ʾeḇen maśkît der Fall sein. (Vielleicht kann man diesen Terminus mit den oben erwähnten sikkanum aus Mari in Verbindung bringen). In diesem im 6. Jh. v.u.Z. verfassten Text aus dem Heiligkeitsgesetz entspricht die Stele gewissermaßen einer bildhaften Darstellung, denn beide Begriffe werden parallel verwandt, wie dies auch in einem Text aus dem Buch Micha der Fall ist: „Ich werde aus deiner Mitte deine Skulpturen (pĕsîlêḵā) und deine Statuen (maṣṣēḇôtêḵā) entfernen“ (5,12). Andere, später entstandene Texte scheinen gegenüber den Stelen allerdings toleranter zu sein als gegenüber den Statuen. So kann man in einem Text aus dem Jesajabuch, welcher am Ende der persischen oder zu Beginn der griechischen Zeit (zwischen 350 und 300) verfasst worden ist, folgende Vision lesen: „An jenem Tag wird ein Altar Jhwhs (oder für Jhwh) im Herzen Ägyptens stehen, und in der Nähe der Landesgrenze eine Stele (maṣṣēḇāh) Jhwhs (oder für Jhwh)“ (19,19). Hier hat die Stele wahrscheinlich die Funktion eines Altars und ist nicht mehr die Repräsentation des Gottes, sondern ein „Gedenkstein“. Aber zu Beginn wurden die mit dem Jhwh-Kult verbundenen Stelen wahrscheinlich als Repräsentationen seiner selbst und als Symbole seiner Gegenwart verstanden10.
Die Darstellungen Jhwhs Kommen wir auf die Bilder zurück, die speziell Jhwh repräsentieren. Es gibt im Königreich Juda in der Tat eine bedeutende Anzahl von Götterdarstellungen auf allen möglichen Materialien, aber keine wird ausdrücklich mit Jhwh identifiziert. Lassen wir zunächst die Abbildungen außer Acht, die möglicherweise das Paar Jhwh und Aschera zeigen – auf diese werden wir später noch eingehen. Wenden wir uns zunächst Darstellungen auf Siegeln und Münzen zu, in denen man Jhwh hat erkennen wollen. Schon 1906 machte Gustav Dalman den Vorschlag, Jhwh auf einem hebräischen Siegel zu identifizieren, das einem gewissen Elischamaʿ, Sohn des Gedaljahu, gehörte11. Man sieht darauf eine Gottheit, die auf einem Thron sitzt und von zwei Lebensbäumen flankiert wird. Seitdem hat man andere Siegel desselben Typs gefunden, und Benjamin Sass von der Universität Tel-Aviv hat erneut den Gedanken geäußert, dass zwei Siegel, die aus dem 7. Jh. v.u.Z. stammen, Jhwh mit lunaren Charakteristika zeigen könnten – was für die assyrische Zeit nicht ungewöhnlich wäre12. Das Bildnis könnte auch an den 10 Dies galt auch für andere Götter wie 2Kön 3,2 und 10,7 belegen, die eine Baal-Stele erwähnen. 11 Gustav Dalman: „Ein neugefundenes Jahwebild“, in: Palästina Jahrbuch 2 (1906), S. 44–50. 12 Benjamin Sass: „The pre-exilic Hebrew seals: iconism vs. aniconism., in: Benjamin Sass und Christoph Uehlinger (Hgg.): Studies in the Iconography of Northwest Semitic Inscri-
une image de Yhwh vu comme « dieu du ciel » avec des conventions iconographiques provenant à la fois du Levant et de la Grèce 1. Si cette interprétation se confirme, cela signifiera qu’il existait encore à l’époque perse des milieux qui n’avaient pas accepté l’interdicDie Darstellungen Jhwhs tion du judaïsme naissant de figurer Yhwh.
Abb. 4: Münze (um 380 v.u.Z.) mit Darstellung Jhwhs. Auf der einen Pièce de monnaie (vers 380 avant notre ère) représentant Yhwh. Seite einen Räderthron und dieàInschrift „JeSur leeine coté göttliche gauche, oùGestalt l’on voit auf un personnage divin sur un trône hud“ (Juda) oder Jahô. Auf der anderen Seite ein Männerkopf mit einem roues, on peut lire l’inscription « Yehud » (Juda) ou Yahô. Sur le côté korinthischen vielleicht Satrap der Transeuphratene. droit figure laHelm, tête d’un homme ein portant un casque corinthien, peut-être un satrape de la Transeuphratène.
Gott El denken lassen13, aber die jahwistischen Personennamen auf diesen Sieconclusion, existe le territoire d’Israël et de Juda des gelnEnsprechen eherilfür einedans Darstellung Jhwhs. représentations de divinités parmi lesquelles on Gottheit trouve peut-être un Flügelrad. Die Eine Münze aus persischer Zeit zeigt eine auf einem portrait de Yhwh, mais il s’agit, dans la plupart des cas, d’images judäische Herkunft dieser Münze spricht dafür, diese Gottheit mit Jhwh zu idenassez stéréotypées qui conviennent aussi à d’autres divinités. Le tifizieren14. Es ist in der Tat sehr gut möglich, dass wir hier ein Bild haben, das – dossier biblique contient pour sa part des indices plus concluants de den ikonographischen Konventionen der Levante und Griechenlands folgend – l’existence de statues de Yhwh dans le royaume de Juda. Jhwh als „Himmelsgott“ zeigt15. Sollte sich diese Interpretation bestätigen, würde dies bedeuten, dass es noch in persischer Zeit Gruppen gab, die sich nicht an das im beginnenden Judentum entstandene Verbot hielten, Jhwh abzubilden. Es gibt also in den Gebieten Israels und Judas Darstellungen von Gottheiten, unter denen sich vielleicht ein Bild Jhwhs findet. In den meisten Fällen sind die p. 187-196. Voir déjà Ya’akov MESHORER, Ancient Jewish Coinage, Dix Hills, NY, Darstellungen Amphora Books, 2allerdings vol., 1982, §derart 1.25. stereotyp, dass es sich auch um andere Gotthei, « Der “Schiqquz Schomem” und die Jehud-Drachme BMC dagegen überErhard BLUM ten1.handeln könnte. Die biblischen Textdokumente enthalten Palestine S. 181, Nr. 29 », Biblische Notizen, 90, 1997, p. 13-27, surtout p. 23-24. zeugendere Hinweise auf die Existenz von Jhwh-Statuen im Königreich Juda. 193
bed Seals, Freiburg (Schweiz)–Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 1993, S. 194–256, 232–234. 13 Othmar Keel und Christoph Uehlinger: Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (QD 134), Freiburg, Basel, Wien (Herder) 347573_InventionDeDieu.indd 193 05/07/2017 15:20 1992, § 178. 14 Diana V. Edelman: „Tracking observance of the aniconic tradition through numismatics, in: Dies. (Hg.): The Triumph of Elohim. From Yahwisms to Judaisms, Kampen– Grand Rapids (Kok Pharos–Eerdmans) 1995, S. 185–225, besonders S. 187–196. Vgl. bereits Yaʾakov Meshorer: Ancient Jewish Coinage, Dix Hills, NY (Amphora Books) 2 Bde, 1982, § 1.25. 15 Erhard Blum: Der ‚Schiqquz Schomem‘ und die Jehud-Drachme BMC Palestine S. 181, Nr. 29“, in: Biblische Notizen 90 (1997), S. 13–27, besonders 23–24.
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8. Die Statue Jhwhs in Juda
„Du sollst kein Bildnis machen“ Natürlich erzählt uns kein biblischer Text von der Existenz einer Jhwh-Statue im Tempel von Jerusalem oder an einem anderen Ort in Juda. Die Stierbilder im Königreich Israel werden dagegen oft kritisch erwähnt. Grund dafür sind die judäische Perspektive und die theologische Einstellung der Editoren und Redaktoren der biblischen Bücher. Sie wollten insinuieren, dass es im judäischen, „rechtmäßigen“ Jhwh-Kult zu keiner Zeit Repräsentationen dieses Gottes gegeben hat. Doch sieht man genauer hin, so gibt es durchaus einige Hinweise, die es naheliegender erscheinen lassen, dass das Verbot von Jhwh-Bildern eine Neuerung war und dass es sehr wohl eine Jhwh-Statue im Tempel von Jerusalem und an anderen Orten gegeben hat. Der erste Hinweis ist das Verbot selbst. Warum sollte man etwas verbieten, das niemals praktiziert worden ist? Die Redaktionsgeschichte des Dekalogs und des 4. Kapitels des Deuteronomiums ist in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich.
Eine Polemik gegen die Idole Der erste Teil des Dekalogs, der zehn Gebote, von denen es im Pentateuch zwei Versionen gibt16, kann als Versuch gedeutet werden, die Prinzipien aufzuzeigen, auf die sich das Judentum ab der persischen Zeit stützen wird. Während die frühere Forschung den Dekalog oft als einen der ältesten Texte der Hebräischen Bibel betrachtet hat, betonen neuere Untersuchungen, dass die zehn Gebote in ihrer jetzigen Form eher eine Zusammenfassung der verschiedenen Gesetzessammlungen des Pentateuchs darstellen. Sie seien daher das Werk von Redaktoren aus persischer Zeit, welche die verschiedenen israelitischen und judäischen Rechtstraditionen miteinander in Einklang bringen und die theologischen Grundlagen des im Entstehen begriffenen Judentums festlegen wollten. Es ist allerdings durchaus möglich, dass einige der im Dekalog aufgenommen Gebote älter sind und im Laufe ihrer Überlieferung Überarbeitungen und Veränderungen erfahren haben. Die Gebote in der ersten Hälfte des Dekalogs enthalten anders als der zweite Teil Rechtfertigungen und Erklärungen. Es handelt sich hier also um theologische Neuerungen, die sich erst in der Folge zu typischen Charakteristika des Judentums entwickeln sollten. Diese Innovationen sind die Ausschließlichkeit der Verehrung Jhwhs, das Verbot von Gottesbildern, die Theologie des Gottesnamens, die in das Verbot mündet, ihn auszusprechen, der Sabbat, der zum
16 Im 20. Kapitel des Buches Exodus und im 5. Kapitel des Deuteronomiums.
„Du sollst kein Bildnis machen“
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neuen Identitätsmerkmal des weit verstreuten Judentums wird, und die Umwandlung des Ahnenkultes in das Gebot, die noch lebenden Eltern zu ehren. Für das Bilderverbot kann festgestellt werden, dass diese Vorschrift nicht in einem Zuge formuliert wurde, sondern das Ergebnis der Überarbeitung eines älteren Textes darstellt. Wir folgen hier der Version aus Kapitel 20 des Buches Exodus: (3) Du sollst keine anderen Götter mir gegenüber haben. (4) Du sollst dir kein Standbild (pesel) machen oder irgendetwas, das die Form (tĕmûnāh) von etwas am Himmel dort oben oder auf der Erde hier unten oder in den Wassern unter der Erde hat. (5) Du sollst dich vor ihnen nicht niederwerfen und du sollst ihnen nicht dienen, denn ich bin Jhwh, dein Gott, ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Väter bei den Söhnen bis in die dritte oder vierte Generation verfolgt, wenn sie mich hassen. Die Notwendigkeit eines Verbots von Standbildern (pesel) und anderen Darstellungen (tĕmûnāh)17 setzt zuallererst einmal voraus, dass es diese bei den Judäern tatsächlich gab. Ihr Verbot hat sich offensichtbar in zwei oder drei Schritten durchgesetzt18. In der Einleitung des Dekalogs, wie sie in der heutigen, auf die Masoreten zurückgehenden Form vorliegt, scheint das Bilderverbot eine ganz allgemeine Polemik gegen „Götzenbilder“ darzustellen, wie man sie auch im zweiten Teil des Jesajabuches (Kapitel 40–55), der aus persischer Zeit stammt, findet. Betrachtet man den Text genauer, kann man eine ältere Form dieses Gebots rekonstruieren (hier kursiv gesetzt), die das Anliegen widerspiegelt, im Heiligtum Jhwhs Statuen anderer, ihm gegenüber aufgestellter Gottheiten zu verbieten. Der Wille, die anderen Götter aus dem Tempel Jhwhs zu verbannen, entspricht wahrscheinlich der religiösen Reform des Königs Joschija am Ende des 7. Jh. Auf diese Reform werden wir im Folgenden noch detailliert eingehen. 17 Das sehr seltene Wort tĕmûnāh, das man im Deuteronomium (5,8) als Apposition zu pesel und im Buch Exodus (20,4) als einen von pesel verschiedenen Ausdruck in einem Nebensatz findet, taucht im Pentateuch erst in den spät entstandenen Texten von Num 12,8 und Dtn 4 (in den Versen 2, 15, 16, 23 und 25) auf. Außerhalb des Pentateuch ist es nur in Ps 17,15 und Ijob 4,16 belegt. 18 Vgl. Christoph Uehlinger: „Bilderverbot“, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart 1, 19984, Sp. 1574–1577, besonders 1574–1575; und Ders.: „Exodus, Stierbild und biblisches Kultverbot. Religionsgeschichtliche Voraussetzungen eines biblisch-theologischen Spezifikums“, in: Rainer Kessler und Andreas Ruwe (Hgg.): Freiheit und Recht. Festschrift für Frank Crüsemann zum 65. Geburtstag, Gütersloh (Chr. Kaiser–Gütersloher Verlagshaus) 2003, S. 42–77, besonders S. 69–71; Herbert Niehr: „Götterbilder und Bilderverbot“, in: Manfred Oeming und Konrad Schmid (Hgg.): Der eine Gott und die Götter. Polytheismus und Monotheismus im antiken Israel, Zürich (TVZ) 2003, S. 227–247.
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8. Die Statue Jhwhs in Juda
In der ursprünglichen Version dieses Verbotes folgte in Exodus 20 auf Vers 3 (der Dtn 5,7 entspricht) wahrscheinlich direkt die Ermahnung von Vers 5 (bzw. Dtn 5,9), sich nicht vor anderen Gottheiten niederzuwerfen. Der Prohibitiv „du sollst dir kein pesel machen“ (erster Teil von Ex 20,4 und Dtn 5,8) – hier fett gedruckt – ist vielleicht ein erster Zusatz mit dem Ziel, von nun an die Herstellung einer (neuen) Jhwh-Statue zu verbieten. Die Erweiterung dieses Gebots um ein allgemeines Verbot jeglicher Bilder von allem, was sich im Himmel, auf der Erde und im Meer findet (hier unterstrichen), sollte anfangs vielleicht heißen, dass Jhwh durch nichts repräsentiert werden konnte. Aber da dieser Zusatz vor Ex 20,5 (Dtn 5,9) eingefügt worden ist, wurde er bald als Polemik gegen die Bilder anderer Gottheiten verstanden. Im Bilderverbot des Dekalogs kann man also eine Entwicklung erkennen, deren Ausgangspunkt das Anliegen ist, den Jhwh-Tempel von Statuen anderer Gottheiten zu befreien. Als die beiden Dekaloge verfasst wurden, wurde dieses Entfernen dann radikalisiert, indem man das generelle Verbot, Bilder von Jhwh anzufertigen, hinzugefügt hat. Und schließlich ist dieses Verbot als Polemik gegen jegliche Art von Abbildungen verstanden worden. Das 4. Kapitel des Deuteronomiums bestätigt diese Hypothese. Es handelt sich um eine Abhandlung über das Bilderverbot in Verbindung mit einer Erinnerung an die Offenbarung am Sinai. Diese Rede wird wie die anderen Reden des Deuteronomiums in den Mund des Mose gelegt. Vers 12 hebt hervor, dass das Volk während der Theophanie keine Form oder Gestalt Jhwhs gesehen hat: „Jhwh sprach zu euch aus dem Feuer: eine Stimme redete, und ihr habt sie gehört, aber ihr habt keine Form (tĕmûnāh) gesehen, es gab nichts außer der Stimme“. Von dieser Feststellung ausgehend kommt der Verfasser dieses Textes zu dem Schluss, dass die Empfänger keine Jhwh-Statuen herstellen dürfen: „(15) Achtet auf euch selbst: da ihr keine Form (tĕmûnāh) saht, als Jhwh am Horeb aus dem Feuer zu euch sprach, (16a) frevelt nicht, indem ihr ein Standbild, irgendeine Art Statue herstellt (pesel tĕmûnat kol sāmel)“19. Logischerweise kann es sich nur um eine Jhwh-Statue handeln. Denn, da das Volk keine Form von Jhwh gesehen hat, kann es keine Statue herstellen, die diese Form wiedergeben 19 Das Folgende (v. 16b–18) ist ein Zusatz, der – wie dies schon im Dekalog (im 2. Teil von Vers 4 von Exodus 20) der Fall ist – das Verbot von Vers 16a in ein generelles Bilderverbot umwandeln will: „(16b) das Abbild eines Mannes oder einer Frau, (17) das Abbild irgendeines Tieres auf der Erde oder irgendeines Vogels, der am Himmel fliegt, (18) das Abbild irgendeines Tierchens, das über den Boden kriecht oder irgendeines Fisches, der in den Wassern unter der Erde lebt.“. Vgl. Dietrich Knapp: Deuteronomium 4. Literarische Analyse und theologische Interpretation, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1987, S. 36–37; Matthias Köckert: „Vom Kultbild Jahwes zum Bilderverbot. Oder: Vom Nutzen der Religionsgeschichte für die Theologie“, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 106 (2009), S. 371–406, S. 386.
„Du sollst kein Bildnis machen“
würde20. Nach diesem Text wird es zu Exil und Deportation kommen, gerade weil das Volk doch ein Götterstandbild anfertigen wird: (25b) Wenn ihr frevelt und ein Standbild herstellt, irgendeine Form21 (pesel tĕmûnat kol), wenn ihr tut, was Jhwh, deinem Gott, so missfällt, dass es ihn verletzt (26), dann, ich rufe Himmel und Erde heute als Zeugen gegen euch an, werdet ihr sofort aus dem Land verschwinden, das ihr in Besitz nehmen werdet, wenn ihr den Jordan überquert, ihr werdet nicht viele Tage dort leben: ihr werdet vollständig ausgelöscht werden. Dann werden die Israeliten anderen Göttern dienen müssen, die von denjenigen angefertigt wurden, die sie deportieren werden: „(28) Dort werdet ihr Göttern dienen, die das Werk von Menschenhänden sind: aus Holz, aus Stein, die nicht sehen und nicht hören, nicht essen und nicht riechen können.“ Dieser Relektüre der Geschichte Israels und Judas im 4. Kapitel des Deuteronomiums zufolge ist die Existenz einer oder mehrerer Jhwh-Statuen der Grund für die Katastrophe der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier im Jahr 587 und das anschließende Exil. Dieser Passus aus den Anfängen der persischen Zeit stellt ein gewichtiges Argument für die Existenz einer Statue Jhwhs dar.
Die Vision des Propheten Jesaja Der Verfasser des 6. Kapitels des Jesajabuches legitimiert die Berufung des Propheten durch einen Bericht in der ersten Person, der von einer Vision Jhwhs im Heiligtum berichtet: (1) Im Todesjahr des Königs Ussijahu sah ich den Herrn auf einen sehr hohen Thron sitzen; der Saum seines Gewandes füllte den Tempel. (2) Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: mit zweien bedeckte ein jeder sein Angesicht, mit zweien bedeckte ein jeder seine Beine22, zwei benutzte er, um zu fliegen. (3) Der eine rief dem anderen zu: „Heilig, heilig, 20 Halten wir am Rande fest, dass in Num 12,6–8 präzisiert wird, dass Mose in der Tat die tĕmûnāh („Form“) Jhwhs gesehen hat, um ihn von den Propheten und allen anderen Menschen abzuheben. Es handelt sich wohl um einen späteren Kommentar zu Dtn 4. 21 Der Ausdruck „irgendeine Form“ bedeutet das Verbot von Repräsentationen jeder Art, auch Mazzeben, leere Throne usw. Es handelt sich also um jede Form einer symbolischen Repräsentation Jhwhs im Heiligtum. Vgl. Matthias Köckert: „Vom Kultbild Jahwes zum Bilderverbot. Oder: Vom Nutzen der Religionsgeschichte für die Theologie“, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 106 (2009), S. 371–406, S. 389. 22 Euphemismus zur Bezeichnung der Genitalien.
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8. Die Statue Jhwhs in Juda
heilig ist Jhwh Ṣĕḇāʾôt! Die ganze Erde ist erfüllt von seiner Herrlichkeit!“ (4) Die Fundamente der Schwellen erzitterten von der Stimme dessen, der rief, und das Haus [der Tempel] füllte sich mit Rauch. (5) Ich sprach: „Wehe mir! Ich bin verloren, denn ich bin ein Mensch mit unreinen Lippen, ich wohne in einem Volk mit unreinen Lippen, meine Augen (sehen) haben den König Jhwh Ṣĕḇāʾôt gesehen!“ Man hat diese Szene manchmal dahingehend gedeutet, dass die Vision im Himmel stattfinde, in den der Prophet von einem göttlichen Geist entführt worden sei. Diese Lesart von Jesaja 6 findet sich schon im Targum (dem von den ersten Rabbinern verfassten Kommentar zu den biblischen Texten). Sie will wahrscheinlich jede Anspielung auf eine Vision Jhwhs im Jerusalemer Tempel vermeiden, die auf eine Repräsentation der Gottheit hindeuten könnte. Vielleicht haben die Masoreten auch aus diesem Grund im 1. Vers das Tetragramm Jhwh durch „ʾādōnāj“, „der Herr“, ersetzt23. Nach dem Text von Jesaja 6 befindet sich der Prophet eindeutig im Tempel von Jerusalem24. Dies wird zunächst durch den Gebrauch der Termini hahêḵāl (der „Palast“) und habbajit (das „Haus“) deutlich, die oft als Bezeichnungen für den Tempel benutzt werden. Die Erzählung setzt außerdem die Dreiteilung des Tempels von Jerusalem in „Allerheiligstes“ (wo sich der Thron befindet), „Hauptsaal“ und „Eingangsbereich“ (die Schwellen der Türen) voraus. Zudem ergibt der in Vers 4 erwähnte Rauch nur in einem irdischen Tempel einen Sinn und nicht im Himmel. Genauso verhält es sich mit dem in Vers 6 erwähnten Altar. Man darf allerdings keinen absoluten Gegensatz zwischen dem himmlischen Aufenthaltsort der Gottheit und ihrer Wohnstatt auf der Erde konstruieren, denn das irdische Heiligtum stellt die Verbindung zwischen Himmel und Erde her. Über den Tempel gelang man in den himmlischen Bereich. Diese Konzeption ist im Alten Orient und in den biblischen Texten weit verbreitet, wie zum Beispiel in Vers 4 des 11. Psalms: „Jhwh ist in seinem heiligen Tempel; Jhwh hat seinen Thron im Himmel.“ Der irdische Tempel wird hier parallel gesetzt zum Ort des himmlischen Throns Jhwhs. Ein ikonographisches Beispiel dieser Vorstellung findet sich auf einem Relief aus der Zeit des babylonischen Königs Nabû-apla-iddina (885–850)25. Man sieht dort den König, der in Begleitung von zwei Priestern auf den Sonnengott Schamasch in Sippar zugeht. Dieser ist viel größer als die Menschen dargestellt und sitzt auf einem Thron, der von Sym23 Die ursprüngliche Version „Jhwh“ ist in einigen Manuskripten belegt; vgl. Hans Wildberger: Jesaja 1–12, Neukirchen-Vluyn (Neukirchener Verlag) 1972, S. 231. 24 Vgl. Othmar Keel: Jahwe-Visionen und Siegelkunst. Eine neue Deutung der Majestätsschilderungen in Jes 6, Ez 1 und Sach 4, Stuttgart (Katholisches Bibelwerk) 1977, S. 46–52. 25 Eine Abbildung dieses Reliefs: http://fr.wikipedia.org/wiki/Nabû-apla-iddina (letzte Konsultation 10.3.2018)
„Du sollst kein Bildnis machen“
bolen des „Himmelsheeres“ umgeben ist, der Sonne, dem Mond und den Planeten. Die Gottheit wird in ihrem himmlischen Palast dargestellt, der mit dem irdischen Tempel verbunden ist, in dem sich der König befindet; eine Art Sockel mit dem Emblem des Sonnengottes manifestiert seine Gegenwart im irdischen Raum, in dem sich der König und die Priester befinden. Für Kapitel 6 des Jesajabuches muss man sich ein vergleichbares Szenario vorstellen: Der Prophet sieht die Jhwh-Statue, die ihm Zugang zum himmlischen Jhwh verschafft, der so riesig ist, dass der Saum seines Mantels den Hauptraum des Tempels füllt. Der Rauch, von dem in Vers 4 die Rede ist, lässt an eine Theophanie26 denken, an eine Manifestation Jhwhs, die durch Rauch symbolisiert werden kann, der vom Altar kommt. Den Ausruf des Propheten „Ich bin verloren […] meine Augen haben den König Jhwh Ṣĕḇāʾôt gesehen“ kann man so erklären, dass er offensichtlich Zugang zur göttlichen Statue bekommen hat. Dieses Privileg war normalerweise Priestern oder angemessen darauf vorbereiteten Personen vorbehalten, daher die Notwendigkeit einer „Weihe“ des Propheten im weiteren Verlauf der Erzählung. Die Heiligkeit Jhwhs ist in der Tat dergestalt, dass sogar die Serafim ihre Augen verschleiern müssen. Bei ihnen handelt sich um geflügelte Schlangen, die ursprünglich aus Ägypten kommen (urae us) und in Judäa in der Eisenzeit sehr populär waren, wie zahlreiche Siegel mit ihrer Abbildung bezeugen. Bei Jesaja sind sie hybride Wesen, deren Aufgabe wie in Ägypten und dem Vorderen Orient der Schutz des Heiligtums ist. Im JesajaText sind sie halb Schlange, halb Mensch und dienen Jhwh, dessen Thron nicht näher beschrieben wird. Unsere vorherige Untersuchung zu der Vorstellung, dass Jhwh auf den kĕrûḇîm thront, konnte plausibel machen, dass es sich dabei um einen von Kerubim flankierten Thron handelt. Der Text von Jesaja 6 legt nahe, dass sich im dĕḇîr (dem Teil des Tempels, in dem der Gott residiert) des Jerusalemer Tempels ein Thron mit einer Jhwh-Statue befand, die vielleicht wie der Gott El auf dem Thron saß und umgeben war von Kerubim und Serafim.
Der Thron Jhwhs Eine ähnliche Konstellation legt die Vision des Propheten Micha27 nahe, die in Kapitel 22 des ersten Königsbuches geschildert wird. Dieser Prophet kündigt den Königen von Israel und Juda eine Niederlage in der geplanten Schlacht gegen die 26 Eine vergleichbare Theophanie findet sich in Ex 19,18 und 20,18. 27 Es handelt sich nicht um denselben Propheten, nach dem das Michabuch benannt ist. In der Erzählung des ersten Königsbuches wird er „Sohn Jimlas“ genannt. (Anm. der Übers.: In älteren deutschen Übersetzungen erscheint er auch als Michajehu.)
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8. Die Statue Jhwhs in Juda
Aramäer an. Er rechtfertigt dieses Unglücksorakel, indem er genau erklärt, wie Jhwh ihm diese Botschaft übermittelt hat. Die von ihm deshalb beschriebene Vision ist mit der des Propheten Jesaja vergleichbar: „Ich sah Jhwh auf seinem Thron sitzen, und das ganze Heer stand bei ihm, zu seiner Rechten und zu seiner Linken“ (v. 19). Angesichts der zahlreichen literarischen Parallelen ist es durchaus möglich, dass der Verfasser dieser Vision sich direkt von derjenigen im 6. Kapitel des Jesajabuches hat inspirieren lassen oder dass er eine bestehende Jerusalemer Tradition aufgegriffen hat28. Die Vision des Propheten Amos, die im 9. Kapitel des nach ihm benannten Buches geschildert wird, spricht ihrerseits vom Herrn (ʾădōnāj), der auf dem Altar oder in der Nähe des Altars „aufgestellt“ ist (niṣṣāḇ): „Ich sah den Herrn auf dem Altar stehen. Er sagte: ‚Schlage auf die Kapitelle! Dass die Schwellen beben, zerschmettere sie alle an ihrem Kopf! Ich werde den Rest durch das Schwert umkommen lassen“ (v. 1). Handelt es sich hier um die Erinnerung an eine Jhwh-Statue, die wie ein blitzeschleudernder Baal im Heiligtum von Bethel aufrecht stand und deren kriegerischer Charakter durch die Erwähnung des Schwerts unterstrichen wird? Diese Vision ist zu ungenau, als dass man dies mit Sicherheit behaupten könnte. In den Prophetenbüchern aus babylonischer und persischer Zeit verschwinden die direkten Visionen von Jhwh nach und nach29. Der Prophet Ezechiel sieht nur einen tragbaren Thron, der von Hybridwesen gehalten wird, und kann hinter dem Feuer und den Wolken das Gesicht Jhwhs nur „erahnen“ (Ez 1)30: (15) Ich sah die Wesen und ich blickte zu Boden, neben den Wesen war jeweils ein Rad, für jede Seite. (16) Hier das Aussehen der Räder und ihre Machart: sie glitzerten wie Chrysolith und sie waren alle vier ähnlich. Das war ihr Aussehen. Was ihre Struktur angeht, waren sie als ob ein Rad durch das andere ginge […] (19) Wenn die Wesen sich vorwärts bewegten, bewegten sich die Räder an ihren Seiten; und wenn die Wesen sich von der Erde erhoben, erhoben sich die Räder. (20) Sie gingen in die Richtung, in die der Geist gehen wollte; und die Räder erhoben sich gleichzeitig; denn der Geist 28 Micha ist ein Prophet aus dem Norden. Da die Königsbücher jedoch von judäischen Schreibern verfasst wurden und da Micha eine „wahre“ Botschaft Jhwhs anzukündigen hat, muss diese durch eine „orthodoxe“ Vision legitimiert werden ohne irgendeinen Hinweis auf den Jhwh-Kult des Nordens, den die deuteronomistischen Verfasser als illegitim betrachteten. 29 Der Kern des Amosbuches geht möglicherweise auf das 8. Jh. v.u.Z. zurück; das Buch enthält älteres Material als die Prophetenbücher aus babylonischer und persischer Zeit. 30 Siehe zu dieser Vision Christoph Uehlinger und Susanne Müller Truffaut: „Ezekiel 1, Babylonian cosmological scholarship and iconography. Attempts at further refinement“, in: Theologische Zeitschrift 57 (2001), S. 140–171.
„Du sollst kein Bildnis machen“
der Wesen war in den Rädern. […] (22) Über dem Kopf der Wesen war eine Art Gewölbe, glitzernd wie ein strahlender Kristall; es erstreckte sich über ihre Köpfe, weit über ihnen. (23) Unterhalb des Gewölbes waren ihre Flügel ausgebreitet, einer in Richtung des anderen. Jedes wurde von zwei Flügeln bedeckt, jedes hatte zwei, die seinen Körper bedeckten. (24) Und ich hörte das Geräusch, das ihre Flügel machten, wenn sie sich vorwärts bewegten: Es war wie das Geräusch großer Wassermassen, die Stimme von Schaddai; das Geräusch einer großen Menge, das Geräusch eines Heeres. Wenn sie stehenblieben, ließen sie ihre Flügel hängen. (25) Eine Stimme kam aus dem Gewölbe, das über ihren Köpfen war. (26) Und über dem Gewölbe, das über ihren Köpfen war, war wie ein Stein aus Lapislazuli ein thronähnliches Gebilde; und über diesem thronähnlichen Gebilde war etwas, das an die Gestalt eines Menschen erinnerte, darüber, ganz oben. (27) Dann sah ich etwas wie das Glitzern von Rotgold, etwas, das aussah wie Feuer, das ihn rundherum umgab, von der Stelle, wo seine Hüften zu sein schienen, nach oben und von der Stelle, wo seine Hüften zu sein schienen, nach unten sah ich das, was aussah wie Feuer und eine Helligkeit, die ihn umgab. (28) Es war wie das Aussehen des Bogens, der an einem Regentag in der Wolke zu sehen ist: So war das Aussehen der Helligkeit ringsum. Das war das Aussehen, das war die Ähnlichkeit der Herrlichkeit Jhwhs (marĕʾēh dĕmût kĕḇôd-jhwh). Ich sah und ich fiel auf mein Angesicht; ich hörte eine Stimme, die sprach. Diese Vision lässt an die assyro-babylonische und die persische Ikonographie denken, in der man häufig eine göttliche Gestalt auf einem mobilen Thron sieht, der von Hybridwesen getragen wird. Der Verfasser des 1. Kapitels des Ezechielbuches greift dieses Motiv auf, um klarzumachen, dass der Prophet Jhwh nur undeutlich gesehen hat. Dabei beschreibt er die Szene aber so, dass die Adressaten der Erzählung genau verstehen können, wie der Prophet Jhwh „gesehen“ hat: als einen thronenden Jhwh. Es muss sich um einen tragbaren Thron handeln, da das Ezechielbuch berichtet, Jhwh habe nach der Einnahme Jerusalems die Stadt verlassen und die Exilierten nach Babylon begleitet.
Das Ersetzen der Statue durch den Leuchter Die Visionen des Propheten Sacharja, die in persischer Zeit verfasst wurden, erwähnen Jhwh nicht mehr, sondern stellen eine Menora, einen siebenarmigen Leuchter, in den Mittelpunkt31. Im 4. Kapitel des Buches erzählt der Prophet von der folgenden Offenbarung: 31 Françoise Smyth-Florentin: „L’espace d’un chandelier: Zacharie 1,8–6,15“, in: Olivier
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8. Die Statue Jhwhs in Juda
(1) Der Bote, der zu mir redete, kehrte zurück und weckte mich, wie einen, den man aus dem Schlaf ziehen muss. (2) Er fragte mich: „Was siehst du?“ Ich antwortete: „Ich habe eine Vision: Es ist ein Leuchter ganz aus Gold mit einer Schale oben auf und ganz oben mit sieben Lampen und sieben Schnauzen für jede diese Lampen; (3) an seinen Seiten zwei Ölbäume, einer zur Rechten, einer zur Linken der Schale. […]“ (13) Er sagte zu mir: „Weißt du nicht, was sie darstellen sollen?“ Ich antwortete: „Nein, mein Herr.“ (14) Da sagte er mir: „Das sind die beiden Menschen, die für das Öl bestimmt sind, diejenigen, die vor dem Herrn der ganzen Erde (ʾădôn kolhāʾāreṣ) stehen.“ Aus der Untersuchung von Herbert Niehr kann man schließen, dass der Leuchter im wiederaufgebauten Tempel in der Tat die Jhwh-Statue ersetzt hat32. Diese Funktion wird vor allem in Vers 14 deutlich, in dem der Deuteengel erläutert, dass die beiden „Gesalbten“, die von zwei Ölbäumen symbolisiert werden, vor dem „Herrn der ganzen Erde“33 stehen. Wenn es sich in diesem Kapitel des Sacharjabuches tatsächlich um eine Substitution handelt, dann unterstützt dies die Theorie, dass in den älteren prophetischen Visionen auf eine Jhwh-Statue angespielt wurde.
Das Antlitz Jhwhs In mehr als achtzig Psalmenversen wird das Antlitz Jhwhs oder Gottes erwähnt. In vielen Texten findet man Klagen darüber, dass Jhwh „sein Antlitz verhüllt“, oder an ihn gerichtete Bitten, er möge sein Gesicht nicht mehr verbergen34. Auf der anderen Seite gibt es Bitt- und Dankgebete, in denen vom leuchtenden und strahlenden Antlitz Jhwhs die Rede ist35. Der Ausdruck des leuchtenden Antlitzes ist schon in der königlichen Korrespondenz aus Ugarit belegt. Hier drückt er die Bereitschaft des Königs aus, eine
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Abel und Françoise Smyth (Hgg.): Le Livre de traverse. De l’exégèse biblique à l’anthropologie, Paris (Cerf) 1992, S. 281–289. Herbert Niehr: „In search of YHWH’s cult statue in the First Temple“, in: Karel van der Toorn (Hg.): The Image and the Book. Iconic Cults, Aniconism, and the Rise of the Book Religion in Israel and the Ancient Near East, Löwen (Peeters) 1997, S. 73–95, hier S. 90. Vgl. auch Vers 10, in dem die sieben Lampen des Leuchters die Augen Jhwhs darstellen. Ps 10,11; 13,2; 22,25; 27,9; 30,8; 31,21; 44,25; 69,18; 88,15; 102,3; 104,29; 143,7. Ps 4,7; 31,17; 44,4; 67,2; 84,4.8 und 20; 89,16; 119,135.
„Du sollst kein Bildnis machen“
Audienz oder eine Gnade zu gewähren36. In den Psalmen wie auch in anderen Texten bringt er dieselbe Vorstellung zum Ausdruck. Man hat oft gemeint, es handle sich um eine Metapher, an der die solaren Einflüsse auf die Jhwh-Verehrung in Jerusalem deutlich würden37. Doch vielleicht sollte man eher die kultische Bedeutung38 dieses Ausdrucks hervorheben und ihn ganz konkret als Möglichkeit verstehen, Zugang zu Jhwh, das heißt zu seiner Statue zu bekommen. Derselbe Gedanke könnte unterschwellig in den Psalmen vorliegen, die von denjenigen sprechen, die das Antlitz Jhwhs „suchen“39. Es sind vor allem die Psalmen, in denen davon die Rede ist, dass das Antlitz Jhwhs gesehen wird, die sich am besten vor dem Hintergrund einer Jhwh-Statue im Tempel erklären lassen. Der Ausdruck „das Antlitz sehen“ stammt aus der königlichen Herrschaftsideologie des Alten Orient, und bedeutete, zum König zugelassen zu werden. Im Bereich des Kultus umschrieb der Ausdruck „das Antlitz Gottes sehen“ den Zugang zum Heiligtum, in welchem sich die göttliche Statue befand40. Die gleiche Bedeutung böte sich demzufolge auch für die Hebräische Bibel an. Der Begriff „das Antlitz Gottes sehen“ war nicht nur in Mesopotamien verbreitet, sondern ist auch für Ägypten belegt, vor allem im Ritual der Enthüllung eines göttlichen Antlitzes, bei der die Statue für die Zelebranten sichtbar gemacht wird: „Auf dem Gebiet des Kultus bedeutet den Gott sehen meistens, dass man seine Statue sieht oder sehen will, zum Beispiel während einer Prozession.41“ Die mesopotamischen und ägyptischen Parallelen legen den Gedanken nahe, dass die Redewendung „das Antlitz Jhwhs sehen“ in den Psalmen ursprünglich „die Statue Jhwhs sehen“ bedeutete. Das heißt natürlich nicht, dass alle Psalmen, die das Antlitz Jhwhs erwähnen, in dieser Perspektive verfasst worden sind, schon gar nicht die Psalmen, die zwischen dem 5. und dem 2. Jh. v.u.Z. geschrieben wurden und diesen Ausdruck nur noch in symbolischem Sinne verwenden. Dennoch lassen sich einige Psalmen leichter erklären, wenn man von der Existenz einer Jhwh-Statue ausgeht. Psalm 17, eine individuelle Klage, beschreibt einen Prozess, der von der nächtlichen Klage (v. 3: „Du prüfst 36 KTU 2.13 und 2.16. 37 Frank-Lothar Hossfeld und Erich Zenger: Psalmen 51–100, Freiburg, Basel, Wien (Herder) 2000, S. 67 zu Psalm 67,3. 38 Frank-Lothar Hossfeld und Erich Zenger: Die Psalmen. Psalm 1–50, Würzburg (Echter Verlag) 1993, S. 198. 39 Ps 24,6; 27,8; 105,5. 40 Friedrich Nötscher: „Das Angesicht Gottes schauen“ nach biblischer und babylonischer Auffassung, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1969 [1924]. Seltsamerweise behauptet Nötscher, in den Psalmen gebe es keine Anspielung auf eine Statue, da es sich lediglich um eine unsichtbare Präsenz handele (S. 89). 41 Youri Volokhine: Le Visage dans la pensée et la religion de l’Égypte ancienne, Genf (Faculté des lettres) 1998. Thèse de doctorat, (Überarbeitete Version 2000), S. 536.
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8. Die Statue Jhwhs in Juda
mein Herz, untersuchst es bei Nacht, du erprobst mich, du wirst nichts finden.“) zur morgendlichen Erfüllung des Gebetes im Moment des Aufwachens reicht (v. 15: „Ich aber werde zu Recht dein Angesicht schauen; ich werde mich beim Aufwachen an deiner Form (tĕmûnāh) sättigen.“). Der Psalmist verwendet hier das Lexem tĕmûnāh, das im Dekalog im Zusammenhang mit dem Verbot göttlicher Darstellungen verwendet wird und auch in Deuteronomium 4 (v. 16, 23 und 25) gebraucht wird. Das heißt, die Epiphanie, von der in Psalm 17,15 die Rede ist, konkretisiert sich im Erblicken der Statue Jhwhs am Morgen. Denselben Gedanken findet man in den Versen 2 und 3 von Psalm 63, in dem auch von einem Sehen Jhwhs am Morgen die Rede ist: „Vom Sonnenaufgang an sehne ich mich nach dir; meine Seele dürstet nach dir […] So schaute ich dich in deinem Heiligtum und sah deine Macht und deine Herrlichkeit.“ Auch diese Verse sind als Freude über das Privileg zu verstehen, Zugang zur göttlichen Statue bekommen zu haben. Ebenso lässt sich der konsonantische Text von Vers 3 des 43. Psalms einfacher mit „Wann könnte ich kommen und das Antlitz Gottes sehen?42“ übersetzen. Nennen könnte man in diesem Zusammenhang auch die Texte, in denen von Lobgesängen vor dem „Antlitz Jhwhs“43 die Rede ist. Psalm 61 spricht in Vers 8 vom König, der „immer“ vor dem Antlitz Gottes sitze. Dieser Vers drückt die privilegierte Beziehung zwischen dem König und seinem Schutzgott aus, die durch den Zugang des Königs zum Allerheiligsten symbolisiert wird. Die These, dass der Terminus pānîm, „Antlitz“, sich in einigen Fällen auf eine Statue Jhwhs bezieht, gewinnt durch die Wendung leḥem pānîm (wörtl. „Brot des Antlitzes“) an weiterer Wahrscheinlichkeit. Dieser Ausdruck ist allerdings nicht in den Psalmen belegt, sondern in Vorschriften zur Organisation des Heiligtums44. Es handelte sich ursprünglich wahrscheinlich um Brote, die vor die göttliche Statue gelegt wurden und ihr als Nahrung dienten45. Was die Psalmen betrifft, soll noch darauf hingewiesen werden, dass einige Texte die Prozession einer Jhwh-Statue widerzuspiegeln scheinen. Umzüge göttlicher Statuen anlässlich bestimmter Feste oder zu anderen Gelegenheiten sind
42 Vgl. Frank-Lothar Hossfeld und Erich Zenger: Die Psalmen. Psalm 1–50, Würzburg (Echter Verlag) 1993, S. 267-268, und auch einige hebräische Manuskripte. Die Masoreten haben das Verb „sehen“ als Passivform vokalisiert („wann kann ich vom Antlitz Gottes gesehen werden?“), was aber wenig Sinn ergibt. Die griechischen und syriakischen Übersetzungen haben es ausgelassen. Diese Änderungen zeigen, dass die Anspielung auf eine Statue allzu offensichtlich war. 43 Ps 16,11; 68,4; 95,2 und 98,6. 44 Ex 25,30; 35,13; 39, 36; 40,23; 1Sam 29,8; 1Kön 7,48 (= 2Chr 4,19); Jer 52,33. 45 Herbert Niehr: „In search of YHWH’s cult statue in the First Temple“, in: Karel van der Toorn (Hg.): The Image and the Book. Iconic Cults, Aniconism, and the Rise of the Book Religion in Israel and the Ancient Near East, Löwen (Peeters) 1997, S. 88.
„Du sollst kein Bildnis machen“
für den Vorderen Orient und für Ägypten gut belegt46. Zudem kann man Psalm 24 sehr gut im Zusammenhang mit der Prozession einer Kultstatue interpretieren: Der an die Türen gerichtete Appell, sich zu öffnen und den König der Herrlichkeit, Jhwh Ṣĕḇāʾôt (v. 7–1047) eintreten zu lassen, spiegelt die Rückkehr des Gottes in sein Heiligtum nach einer Prozession wider: (7) Erhebt, ihr Tore, euer Haupt! Erhebt euch, ihr uralten Pforten! Dass einziehe der König der Herrlichkeit! (8) – Wer ist der König der Herrlichkeit? – Jhwh, stark und kühn, Jhwh, kühn im Krieg. (9) Erhebt, ihr Tore, euer Haupt! Erhebt es, ihr uralten Pforten! Dass einziehe der König der Herrlichkeit! (19) – Wer ist es, dieser König der Herrlichkeit? – Jhwh Ṣĕḇāʾôt, er ist der König der Herrlichkeit. Psalm 68 bezieht sich wahrscheinlich auf ein vergleichbares Ereignis: „Man schaute deine Festzüge, Gott, die Festzüge meines Gottes, meines Königs (,der) in das Heiligtum (eintrat); voran die Sänger, die Musiker am Ende, in der Mitte die jungen Mädchen, die die Trommel schlugen“ (v. 25–26). Diese beiden Texte sind ein weiteres Argument für die Existenz einer Jhwh-Statue (oder mehrerer Statuen) im Königreich Juda zur Zeit der Monarchie.
Die Zerstörung des Tempels und Jhwhs Wegzug Tatsächlich erwähnt kein biblischer Text die Zerstörung oder den Abtransport einer Jhwh-Statue während der Plünderung des Jerusalemer Tempels durch die Babylonier im Jahr 587. Dies ist allerdings kein Beweis, der gegen die Existenz einer göttlichen Statue spricht. Denn die biblischen Redaktoren der nachexilischen Zeit projizieren ihre religiösen Vorstellungen auf die Anfangszeit und konstruieren die Geschichte Israels und Judas diesen Vorstellungen entsprechend. Aus ihrer judäischen Perspektive heraus geißeln sie den Kult des Nordens (im Buch Hosea wird zum Beispiel die Zerstörung des Stierbildes von Samaria angekündigt), bleiben aber sehr zurückhaltend, was den jahwistischen Kult im 46 Eiko Matsushima: „Divine statues in Ancient Mesopotamia. Their fashioning and cloth ing and interaction with the society“, in: Dies. (Hg): Official Cult and Popular Religion in the Ancient Near East, Heidelberg (C. Winter) 1993, S. 209–219; Angelika Berlejung: Die Theologie der Bilder. Herstellung und Einweihung von Kultbildern in Mesopotamien und die alttestamentliche Bilderpolemik, Freiburg (Schweiz)–Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 1998. 47 Diese Verse bilden den Kern, den ursprünglichen Teil, des Psalms; vgl. Frank-Lothar Hossfeld und Erich Zenger: Die Psalmen. Psalm 1–50, Würzburg (Echter Verlag) 1993, S. 157.
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8. Die Statue Jhwhs in Juda
Südreich betrifft. Liest man das Ende der Königsbücher, so bemerkt man jedoch, dass die aus Babylon verschleppten „Geräte (kĕlê) aus dem Tempel“ (2Kön 25,14– 15) stark hervorgehoben werden. Rein spekulativ könnte man überlegen, ob dieser sehr allgemeine Ausdruck nicht auch eine oder mehrere Kultstatuen miteinschließt; dies umso eher, als der Text von Jesaja 52,11 über die Rückkehr aus Babylon von denen spricht, welche die kĕlê jhwh tragen: „Brecht auf! Brecht auf! Zieht weg von dort! Rührt nichts Unreines an! Zieht weg aus ihrer Mitte! Reinigt euch, die Ihr die Geräte Jhwhs (kĕlê jhwh) tragt!“ Dieser Ausdruck ist singulär; die übliche Wendung wäre „Geräte aus dem Haus Jhwhs“ gewesen. Ein weiterer Hinweis, der für den Abtransport einer Statue spricht, liegt vielleicht in dem Thema vom Aufbruch der Herrlichkeit Jhwhs aus dem Tempel und aus der Stadt Jerusalem, wie er im Ezechielbuch geschildert wird: „Die Herrlichkeit Jhwhs verließ die Schwelle des Tempels; sie blieb über den Kerubim stehen. Da hoben die Kerubim ihre Flügel und erhoben sich vom Boden. Vor meinen Augen entfernten sich die Räder mit ihnen“ (Ez 10,18–1948). Diese Vision greift das Motiv der auf einem Kerub stehenden Gottheit auf. Vers 4 erwähnt einen einzelnen Kerub („Die Herrlichkeit Jhwhs erhob sich von dem kĕrûḇ auf der Schwelle des Hauses“)49, während Vers 8 von Kerubim im Plural spricht und vielleicht auf den von Kerubim flankierten Thron mit der sitzenden Gottheit anspielt. Die schwierige Frage nach der Komposition von Kapitel 10 des Ezechielbuches, das ganz sicher nicht aus einer einzigen Hand stammt50, kann hier nicht im Detail erörtert werden. Es soll an dieser Stelle nur darauf hingewiesen werden, dass die beiden hier erwähnten Bildthemen traditionellerweise mit der Statue einer Gottheit verbunden sind, die sich über den Kerubim befindet. Die Statue ist im Ezechielbuch und an anderen Stellen der Hebräischen Bibel durch den kāḇôd, die Herrlichkeit Jhwhs, ersetzt worden. Der Text bewahrt allerdings Spuren, die uns vielleicht Hinweise auf eine Jhwh-Statue geben, die von den Babyloniern entweder geraubt oder zerstört wurde.
48 Vgl. schon Vers 4; ebenso 11,22–24. 49 Die griechische Version hat den Plural. Aber hier handelt es sich möglicherweise um einen Harmonisierungsversuch. 50 Eine Hypothese dazu zum Beispiel bei Karl-Friedrich Pohlmann: Das Buch des Propheten Hesekiel (Ezechiel). Kapitel 1–19, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1996, S. 146–156.
„Du sollst kein Bildnis machen“
Rückkehr oder Verschwinden der Jhwh-Statue in persischer Zeit? Das Judentum, wie es sich in der 2. Hälfte der persischen Zeit ausbildet, sollte im Kultbilderverbot ein Unterscheidungsmerkmal finden, das in der Folge das Interesse, aber auch die Missbilligung der Griechen und der Römer erregte. Jedoch hat sich das Bilderverbot nicht in allen Schichten des Judentums sofort durchgesetzt. Die bereits erwähnte Silbermünze, auf der sich möglicherweise eine Abbildung Jhwhs befindet, belegt, dass es noch im 4. Jh. v.u.Z. denkbar war, ihn bildlich darzustellen. Es gibt im Übrigen einige Prophetentexte, die der Hoffnung auf eine Rückkehr der Jhwh-Statue Ausdruck zu verleihen scheinen51 – ähnlich wie assyrische, persische und ptolemäische Texte, welche die Rückkehr von deportierten Kultstatuen an ihren Herkunftsort beschreiben. In Jeremia 31 muss man den konsonantischen Text des göttlichen Orakels in Vers 21 so lesen: „Achte auf die Straße, auf den Weg, auf dem ich gehen werde.52“ Im Kontext der nahöstlichen Tradition der Rückkehr von Kultstatuen kann dieser Vers auf die Rückkehr Jhwhs (über sein Abbild) zusammen mit den Exilierten anspielen. Genauso verhält es sich mit einigen Versen des Deutero-Jesaja: „Auge in Auge sehen sie Jhwh, der nach Zion zurückkehrt“ (Jes 52,8)53. Natürlich können diese Texte auch einfach nur den Wunsch zum Ausdruck bringen, dass Jhwh von Neuem in Judäa präsent sein möge, aber man kann nicht ausschließen, dass es Stimmen gab, die forderten, diese Präsenz erneut mithilfe eines Kultbildes sichtbar zu machen. Nach Christoph Uehlinger wurde noch in persischer Zeit darüber diskutiert, ob es möglich sei, eine neue Jhwh-Statue zu errichten54. Die intellektuelle Elite des entstehenden Judentums hat sich allerdings für eine radikale Bildlosigkeit entschieden. Dieser Verzicht auf eine Statue könnte darauf zurückgehen, dass man nach der Zerstörung des Tempels nicht mehr wusste, wie man 51 Bob Becking: Between Fear and Freedom. Essays on the Interpretation of Jeremiah XXX–XXXI, Leiden (Brill) 2004. Und Ders.: „The return of the deity from exile: iconic or aniconic“, in: Yairah Amit u.a.: Essays on Ancient Israel in its Near Eastern context. A Tribute to Nadav Naʾaman, Winona Lake (Eisenbrauns) 2006, S. 53–62. 52 Die masoretische Vokalisation (das qĕrê) bezieht das Verb auf Israel, das in diesem poetischen Text mit einer Frau verglichen wird. Auch wenn diese Form einen Sinn ergibt, kann es sich dennoch um eine dogmatische Korrektur handeln. 53 Vgl. auch 45,2; 52,12 u.ö. 54 Christoph Uehlinger.: „Exodus, Stierbild und biblisches Kultverbot. Religionsgeschichtliche Voraussetzungen eines biblisch-theologischen Spezifikums“, in: Rainer Kessler und Andreas Ruwe (Hgg.): Freiheit und Recht. Festschrift für Frank Crüsemann zum 65. Geburtstag, Gütersloh (Chr. Kaiser–Gütersloher Verlagshaus) 2003, S. 42–77, 70–71.
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8. Die Statue Jhwhs in Juda
Jhwh repräsentieren sollte. Man kann diese Situation mit derjenigen vergleichen, von der auf einer Tontafel des babylonischen Königs Nabû-apla-iddina erzählt wird. Sie berichtet von der Zerstörung des Schamasch-Tempels durch die Sutäer, einen Stamm, der aus den Mari-Texten bekannt ist: Sie hatten die Reliefs zerstört […] sein Aussehen und seine figürlichen Repräsentationen waren verschwunden; keiner hat sie gesehen. Simbar-šipak, König von Babylon, fragte nach seinem Aussehen, aber sein Gesicht hat er ihm nicht gegeben; (denn) er hat sein Bild (ṣalam) und seine Repräsentationen nicht gefunden. Deshalb hat er eine leuchtende Sonnenscheibe vor Schamasch errichtet.55 Anders als bei diesem assyrischen Beispiel gab es in Juda keinen König mehr, und diese Situation hat dazu geführt, dass man ganz auf eine Jhwh-Statue verzichtete. Dieser Bruch mit der Zeit der Monarchie wird in folgendem Text betont, der von der verlorenen Lade spricht: „Man wird nicht mehr sagen: ‚Bundeslade Jhwhs‘. Sie wird nicht mehr in den Sinn kommen, man wird sich ihrer nicht mehr erinnern, man wird sich nicht mehr um sie kümmern; sie wird nicht wiederhergestellt werden. In jener Zeit wird man Jerusalem ‚Thron Jhwhs‘ nennen, alle Völker werden dorthin zusammenströmen …“ (Jer 3,16–17). Dieses Orakel ersetzt die Lade in ihrer Funktion als Thron Jhwhs56 durch die Stadt Jerusalem, die in ihrer Gesamtheit der „Sitz“ des Gottes Israels wird, das Zentrum der Welt. Nach der Durchsetzung des Kultbilderverbots wurden andere Substitute für die Jhwh-Statue gefunden wie die „Herrlichkeit“ Jhwhs oder der Leuchter. Aber wie wir im Folgenden noch sehen werden, war der wichtigste Ersatz die Torarolle. Denn indem sie die Beziehung zwischen Jhwh und Israel verschriftlichte, machte sie das Wort des von nun an unsichtbaren Gottes „sichtbar“57.
55 Die deutsche Übersetzung (der letzte Satz dort nur paraphrasiert) bei Angelika Berlejung: Die Theologie der Bilder. Herstellung und Einweihung von Kultbildern in Mesopotamien und die alttestamentliche Bilderpolemik, Freiburg (Schweiz)–Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 1998, S. 142. Offensichtlich erhält Nabû-apla-iddina später eine Offenbarung: Er findet eine alte Statue der Gottheit, nach der er eine neue Statue anfertigen lassen kann (ebd. S. 143–145). 56 In einigen biblischen Erzählungen nimmt die Lade selbst die Funktion einer Kultstatue ein; so z.B. in 1Sam 4. 57 Karel van der Toorn: „The Iconic Book. Analogies between the babylonian cult of images and the veneration of the Torah“, in: Ders (Hg.): The Image and the Book. Iconic Cults, Aniconism, and the Rise of the Book Religion in Israel and the Ancient Near East, Löwen (Peeters) 1997, S. 229–248. Thomas Podella: „Bild und Text. Mediale und
9. Jhwh und seine Aschera Wenn man der einzig wahre Gott ist, darf man auch keine Partnerin haben. Traditionell gilt Jhwh daher als „zölibatärer“ Gott. Die Erwähnung von Göttinnen in der Bibel, vor allem die der Göttin Aschera oder der „Himmelskönigin“, führte man auf einen nicht-jahwistischen Kult zurück. Genau dieser Sichtweise versuchten die biblischen Redaktoren in der Tat alles unterzuordnen. Für den Historiker stellt sich die Situation jedoch anders dar. Es ist durchaus plausibel, dass Jhwh in Juda und wahrscheinlich auch in Israel eine Göttin zugeordnet war. Natürlich war Jhwh der Nationalgott und hatte von daher – zumindest im offiziellen Kultus – eine privilegierte Stellung. Aber dies schließt keinesfalls aus, dass es an seiner Seite eine Göttin gab, die ebenfalls verehrt wurde. So erfahren wir auf der Mescha-Stele, dass eine Gottheit namens Aschtar dem Nationalgott Kamosch zugeordnet ist1: Da ging ich bei Nacht hin. Da kämpfte ich mit ihm vom Anbruch der Morgenröte bis mittags, nahm es ein und tötete alles (in) ihm, siebentausend Männer und Knaben und Frauen und Mädchen und Sklavinnen, denn der Aschtar-Kamosch hatte ich es geweiht. Da nahm ich von dort die Altäre (klj2) Jahwes fort und schleppte sie vor Kamosch. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Göttin, eine Paredra, die Kamosch auf seinen Kriegszügen begleitete3. In einigen Inschriften wird Jhwh eine „Aschera“ zugeordnet, und diese wird auch in den biblischen Texten erwähnt. Um zu erfahren, wie diese Verbindung zu verstehen ist, wollen wir zuerst die Vorstellungen untersuchen, die man im Alten Orient von Aschera hatte.
historische Perspektiven auf das alttestamentliche Bilderverbot“, in: Scandinavian Journal of the Old Testament 15 (2001), S. 205–256. 1 Deutsche Übersetzung der Mescha-Stele bei Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, 244–248. 2 Das Lexem klj, das auch in den Königsbüchern verwendet wird, bezeichnet verschiedene kultische Objekte und Geräte. 3 Sa-Moon Kang: Divine War in the Old Testament and in the Ancient Near East, Berlin–New York (De Gruyter) 1989, S. 77. Siehe auch unsere Anmerkungen zur MeschaStele in Kapitel 6 dieses Buches.
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9. Jhwh und seine Aschera
Aschera in der Levante und im Alten Orient Die Göttin Aschera ist wahrscheinlich westsemitischen Ursprungs, auch wenn sie zum ersten Mal in Mesopotamien zur Zeit Hammurabis (18. Jh. v.u.Z.) belegt ist. Im Akkadischen und im Hethitischen erscheint sie als Ašratu(m), Aširatu und Aširtu. In Mesopotamien ist sie auch in drei rituellen Texten aus der Seleukidenzeit belegt4. In den Amarna-Briefen wird 92-mal ein König von Amurru namens Abdi-Aširta erwähnt. Aber die wichtigste Informationsquelle über die Göttin aus dem 2. Jt. v.u.Z. sind die Texte aus Ugarit. Im Ugaritischen wird ihr Name ʾaṯrt geschrieben, vokalisiert ʾAṯirat(u). Im Baalzyklus (KTU 1.1–6) erscheint sie als große Göttin, Paredra des Gottes El und Mutter der niederen Götter des Pantheons, der „siebzig Söhne der Aṯirat“: „Er rief seine Brüder in seine Häuser, seine Verwandten inmitten seines Palastes. Er rief die siebzig Söhne der Ascherah5“. Im Keret-Epos wird der Thronerbe des Keret als derjenige bezeichnet, „der die Milch der Ascherah saugen wird“6. Es liegt also nahe, die Göttin mit der Fruchtbarkeit zu verbinden und anzunehmen, dass sie innerhalb der Königsideologie eine wichtige Rolle spielte. In südarabischen Inschriften aus dem 1. Jt. v.u.Z. stößt man auch auf den Terminus aṯrt, der entweder einen göttlichen Namen oder eine Göttin bezeichnet7. Es ist in der Tat möglich, dass Aschera in einigen Fällen nicht unbedingt eine spezifische Göttin meint, sondern die „Göttin“ im Allgemeinen.
Aschera in der Hebräischen Bibel Das Wort ʾăšērāh erscheint in den biblischen Texten 40-mal, meistens mit Artikel. Es ist 18-mal im Singular belegt; im Plural existieren die beiden Formen ʾăšērîm (Maskulinum Plural; 19-mal) und ʾăšērôt (Femininum Plural, dreimal). 4 Nicholas Wyatt: „Ashera“, in: Dictionary of Deities and Demons in the Bible 1999, S. 99–105; S. 101. 5 KTU 1.4 VI: 44–46. Dt. Übersetzung Herbert Niehr: „Mythen und Epen aus Ugarit”, in: Bernd Janowski und Daniel Schwemer (Hgg.): Weisheitstexte, Mythen und Epen (TUAT.NF 8), Gütersloh (G. Mohn) 2015, S. 177–301, Zitat: S. 220–221. 6 KTU 1.15 II: 26. Vgl. Otto Kaiser u.a. (Hgg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT). III. Weisheitstexte, Mythen und Epen hrsg. und übers. v. Manfred Dietrich und Oswald Loretz. Mythen und Epen IV. Lieferung 6: Mythen und Epen in ugaritischer Sprache, Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus) 1997 [CDRom 2005], S. 1235 „der einsaugen wird die Milch der Aschirat“. 7 Die Inschrift 3350 des Répertoire d’épigraphie sémitique (RES) erwähnt einen Tempel von Wadd (Mondgott) und Athirat; Inschrift 3689 belegt ein Paar namens ʿAmm und Athirat.
Die Inschriften von Kuntillet Adschrud und Khirbet el-Kom
Der maskuline Plural verwundert. Man nimmt oft an, dass er gebraucht wird, wenn „Aschera“ die Bedeutung „heiliger Pfahl“ hat (eine Art stilisierter Baum – wir kommen noch darauf zurück). Eine andere Erklärung wäre die Hypothese von Oswald Loretz, wonach der maskuline Plural eine künstliche Erfindung der biblischen Redaktoren ist, um jegliche Anspielung auf die Göttin zu vermeiden8. Man kann die Vorkommen des Lexems Aschera in den biblischen Texten in vier Kategorien einteilen: (a) der Plural ist in stereotypen Aufforderungen belegt, die Altäre, Statuen und Ascheren der anderen Völker zu zerstören9; (b) in einigen Texten wird Aschera dem Gott Baal zugeordnet10; (c) weiter findet man ʾăšērîm neben maṣṣebôt, Kultstelen aus Stein11; (d) schließlich erscheint Aschera in Verbindung mit dem Altar oder dem Haus Jhwhs12. Die biblischen Texte stellen also keine direkte Verbindung zwischen Aschera und Jhwh her. Doch das Nebeneinander von Steinstelen und Ascheren (c), die (wie wir gezeigt haben) Teil des jahwistischen Kultes in den Höhenheiligtümern waren, sowie die unter (d) genannten Texte deuten darauf hin, dass Aschera in den Jhwh-Kult einbezogen war. Die Verbindung von Baal und Aschera in einigen biblischen Texten hat bisweilen zu der Annahme geführt, die Göttin Aschera sei im 1. Jt. zur Paredra von Baal geworden (während sie in den Texten aus Ugarit noch die Paredra Els ist). Diese Hypothese kann sich nur auf die wenigen biblischen Belege unter (b) stützen. Doch da diese Belegstellen alle von den Redaktoren der deuteronomistischen Schule stammen, erscheint es naheliegend, diese Verbindung als reine Erfindung zu betrachten, die Jhwh und Aschera voneinander trennen sollte. Wir haben bereits gesehen, wie Jhwh die Funktionen Els übernommen hat; es ist also ganz normal, dass er auch zum „Ehemann“ der Göttin Aschera wird.
Die Inschriften von Kuntillet Adschrud und Khirbet el-Kom Eine enge Verbindung von Jhwh und Aschera ist anders als in den biblischen Texten in den Inschriften von Kuntillet Adschrud und Khirbet el-Kom belegt. Kuntillet Adschrud liegt fünfzig Kilometer südlich von Kadesch-Barnea, in der Nähe der alten Wüstenroute von Gaza nach Eilat. 1975/76 hat man bei Grabungen der Universität von Tel-Aviv dort Gebäudereste entdeckt, die man als 8 Manfred Dietrich und Oswald Loretz: „Jahwe und seine Aschera“. Anthropomorphes Kultbild in Mesopotamien, Ugarit und Israel. Das Biblische Bilderverbot, Münster (Ugarit-Verlag) 1992, S. 82–85. 9 Ex 34,13; Dtn 7,5 und 12,3. 10 Ri 3,7 (im Plural) und 6,25–30; 1Kön 18,19 erwähnt parallel zu den 400 Propheten Baals die 400 Propheten der Aschera; 2 Ri 21,3. 11 1Kön 14,23; 2Kön 17,10; 18,4; 23,14 u.ö.; 2Chr 14,2 und 17,6. 12 Dtn 16,21; 1Kön 15,13; 16,33; 2Kön 13,6; 21,3 und 7; 23,6–7.
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Heiligtum oder Schule interpretieren wollte. Die wahrscheinlichste Hypothese ist, dass es sich um eine Karawanserei handelt, die vielleicht aus dem Anfang des 8. Jh. v.u.Z. stammt13. Man hat dort Inschriften auf Mauern und auch auf Krügen (píthoi) gefunden14. Pithos A 1 1. Sagt ʾ[…] (Eigenname 1) […] „Sag zu Jehalleʾ[l?] (Eigenname 2), Joasa (Eigenname 3) und […] (Eigenname 4?): ,Ich segne euch (oder: Ich habe euch gesegnet) 2. durch Jhwh von Samaria (šmrn) und seine Aschera.‘“ Pithos B 2 1.–2. Amarjahu sagt: 3. „Sag meinem Herrn: 4. ,Geht es dir gut? 5.–8. Ich segne dich (oder: Ich habe dich gesegnet) durch Jhwh von Teman ((h)tmn)15 und seine Aschera. Dass er (d.h. Jhwh) (dich) segnet und dich beschützt 9. und dass er mit meinem Herrn ist …‘“ Pithos B 3 [Ich segne ihn (ich habe ihn gesegnet)] durch Jhwh von Teman und durch seine Aschera. Alles worum er jemanden bitten wird, wird er (d.h. Jhwh) bewilligen […] und Jhwh gibt ihm gemäß seinem Schicksal […] Heute besteht ein breiter Konsens, was die Bedeutung der beiden Syntagmen jhwh šmrn und jhwh (h)tmn betrifft: Es handelt sich um die Verbindung eines Gottesnamens mit einem Ortsnamen – vergleichbar mit „Ischtar von Ninive“ u.a. Die Inschriften beziehen sich auf die lokalen Erscheinungsformen des israelitischen Nationalgottes, der ein Heiligtum in Samaria und eines in einer Gegend oder in einer Stadt namens Teman (im Südosten des Negev oder in Edom) hatte. 13 Israel Finkelstein und Eli Piasetzky: „The date of Kuntillet ʿAjrud. The 14c perspective“ in: Tel Aviv 35 (2008), S. 135–185. Der Grabungsbericht wurde 2012 veröffentlicht: Zeev Meshel und Liora Freud (Hgg.): Kuntillet ʿAjrud (Ḥorvat Teman). An Iron Age II Religious Site on the Judah-Sinai Border, Jerusalem (Israel Exploration Society) 2012. 14 Vgl. Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 365–366 mit einer deutschen Übersetzung von Pithos A 1 und B 2. 15 Teman in Verbindung mit dem Artikel ist vielleicht eine ganz allgemeine Bezeichnung für den „Süden“.
Die Inschriften von Kuntillet Adschrud und Khirbet el-Kom L’INVENTION DE DIEU
Abb. 5: Zwei Personen unter der Inschrift von Pithos A aus Kuntillet Adschrud. Vielleicht Jhwh und seine Aschera.
Deux personnages sous l’inscription du Pithos A trouvé à Kuntillet Ajrud, représentant peut-être Yhwh et Ashérah
Auf den píthoi finden sich neben den Inschriften Zeichnungen. Es ist aber nicht klar, es eine zwischen Certains chercheurs ontobvoulu voirVerbindung dans le dessin figurant den sur leSegenssprüchen und den Abbildungen deux gibt; und ja, welcher Artou diese sein könnte. Pithos A et représentant êtres wenn apparemment divins démo1 ; Mordechai Einige Forscher wollten in der Zeichnung auf Pithos A, die zwei offenbar niaques Yhwh accompagné de son Ashérah Gilula a proposé d’identifier le personnage de gauche, portant selon lui des Jhwh traits und seine Aschera sehen16; göttliche oder dämonische Gestalten zeigt, bovins, à Yhwh. La figure deGilula droite hat aurait initialement représenté Mordechai vorgeschlagen, die linkeAshéGestalt, die seiner Meinung nach ah. Dans une volonté de censure, on aurait après coup « masculinisé » Die rechte Gestalt habe urbovine Züge aufweist, mit Jhwh zu identifizieren. a déesse en lui ajoutant un pénis. En effet, dans des aus publications sprünglich Aschera dargestellt, doch Gründen der Zensur habe man die anciennes, la deuxième fi gure semblait également être pourvu d’un Göttin nachträglich „vermännlicht“ und einen Penis hinzugefügt. In der Tat sexe masculin.scheint Dans la die dernière publication du dessin par Zeev Meszweite Figur in älteren Veröffentlichungen ein männliches Gehel, il n’est cependant pas clair que cette figure ait letzten vraimentPublikation un pénis. der Zeichnung durch Zeev schlechtsteil aufzuweisen. In der Dans ce cas, l’interprétation d’une représentation du couple Yhwh et Meshel ist nicht eindeutig erkennbar, ob diese Gestalt wirklich einen Penis hat. Ashérah regagnerait en plausibilité. On a aussi avancé l’idée que la Fehlte er tatsächlich, gewönne die Interpretation des Paares als Darstellung von figure redoublée représente le dieu égyptien Bes, qui apparaît souvent Jhwh und Aschera an Plausibilität. Man hat in der Doppelgestalt auch den ägypsous la forme de jumeaux. Que dire alors de la personne jouant de la tischen Gott Bes sehen wollen, der oft als Zwilling erscheint. Wer ist dann die yre qui se trouve plus à droite du même dessin ? S’agit-il simplement leierspielende Gestalt auf der rechten Seite derselben Zeichnung? Handelt es sich ganz einfach um irgendeinen Musiker oder irgendeine Musikerin oder sollte 1. Mordechai GILULA, « To Yahweh Shomron and his Ashera », Shnaton, 3, Aschera ihrem Thron; Brian sein?SCHMIDT Diese, letzte These ist jedoch problematisch: XV-XVI (en anglais) « The ani1979, p. 129-137dies (en hébreu) ; p. auf conic tradition. On reading images and texts in D. V. EDELMAN (dir.), Das Geschlecht derviewing Gestalt ist»,nicht erkennbar, und in den mythologischen TexThe Triumph of Elohim, op. cit., p. 76-105. ten erscheint Aschera nicht als musizierende Göttin. Man kann sich allerdings fragen, ob die Bilder auf der anderen Seite des Kruges nicht eine Aschera-Dar218 stellung enthalten.
eDieu.indd 218
16 Mordechai Gilula: „To Yahweh Shomrom and his Ashera“, in: Shnaton 3 (1979), S. 129– 137 (auf Hebräisch); S. XV–XVI (auf Englisch); Brian Schmidt: „The aniconic tradition. 05/07/2017 15:20The Triumph of On reading images and viewing texts“, in: Diana V. Edelman (Hg.): Elohim. From Yahwisms to Judaisms, Kampen-Grand Rapids (Kok Pharos–Eerdmans) 1995, S. 76–105.
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YHWH ET SON ASHÉRAH
9. Jhwh und seine Aschera
Abb. 6: Pithos A (Rückseite) aus Kuntillet Adschrud: Stilisierter Baum, von einem Löwen getragen, links und rechts des Baumes je ein junger Steinbock.
Pithos A de Kuntillet Ajrud (verso) : un arbre stylisé
Judith Hadley hatbouquetins vorgeschlagen, dem Baum ein Symbol für entouré de deux et portéinpar un stilisierten lion Aschera selbst zu sehen17. Dies würde auch die Darstellung des Löwen erklären, der oft als Lieblingstier der Göttin belegt ist. Doch auch wenn die ikonographische Überlieferung keine eindeutige Interpretation zulässt, erlauben die Ind’un musicien ou d’une musicienne quelconque, ou aurions-nous là schriften keinen Zweifel an der Existenz einer mit Jhwh verbundenen Aschera. Ashérah installée sur son trône ? Cette dernière thèse pose problème : Einede weitere Inschrift, zur gleichen Zeitmytholoentstanden ist wie die Texte le genre la personne n’estdie pasungefähr évident et, dans les textes vonAshérah Kuntilletn’apparaît Adschrud, Khirbet 13 kmOnwestlich von Hebron, giques, paswurde commeinune déesseel-Kom, musicienne. gefunden: „Ūrījāhū der Reiche hat es geschrieben. Gesegnet sei Ūrījāhū von Jahwe, von seiner Aschera. Und vor seinen Feinden hat er ihn gerettet 219 […]“18. Man trifft hier auf dieselbe Beziehung zwischen Jhwh und „seiner“
17 Judith M. Hadley: „Yahweh and ‚his Ashera‘. Archeological and textual evidence for the cult of the goddess“, in: Walter Dietrich und Martin A. Klopfenstein (Hgg.): Ein Gott allein? JHWH-Verehrung und biblischer Monotheismus im Kontext der israelitischen 7573_InventionDeDieu.indd 219 05/07/2017 15:20 und altorientalischen Religionsgeschichte, Freiburg (Schweiz)–Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 1994, S. 235–268. 18 Deutsche Übersetzung bei Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 367–368.
Darstellungen des Paares Jhwh und Aschera?
Aschera. Einige Autoren wenden (aus theologischen Gründen) ein, „Aschera“ beziehe sich in diesen Inschriften nicht auf die Göttin, sondern auf ein Kultobjekt19. Diese Unterscheidung ist allerdings müßig. Selbst wenn es sich um einen heiligen Pfahl – einen stilisierten Baum – als Symbol für die Göttin handeln sollte, änderte das nicht viel, denn im Alten Orient konnten sowohl die anthropomorphen Statuen der Götter als auch ihre Symbole Gegenstand der Verehrung sein20. Einige haben den Ausdruck als „Jhwh und sein Heiligtum“ verstehen wollen21. Diese Verwendung von „Aschera“, die in anderen semitischen Sprachen existiert22, ist für das Hebräische nicht eindeutig belegt23. Die einfachste Erklärung bleibt also, dass diese Inschriften auf das göttliche Paar „Jhwh und seine Aschera“ anspielen. Das Possessivadjektiv „seine“ kann eine gewisse Unterordnung Ascheras zum Ausdruck bringen, spiegelt aber wahrscheinlich ganz einfach nur die traditionelle Vorstellung von der Beziehung zwischen Mann und Frau wider.
Darstellungen des Paares Jhwh und Aschera? Möglicherweise gibt es in der Ikonographie weitere Belege für das Paar Jhwh und Aschera. Christoph Uehlinger hat das Paar als Teil einer Tonfigur identifiziert. Die Figur ist 16 cm hoch und stammt vielleicht aus Tell Beit Mirsim in Juda24. Es handelt sich um ein göttliches Paar auf einem Thron. Die männliche Figur nimmt dabei den zentralen Platz ein, die weibliche sitzt an seiner Seite. Beide sind von heiligen Tieren, Löwen oder Sphinxen, umgeben. Laut Uehlinger könnten die beiden eine Darstellung von Jhwh und „seiner“ Aschera aus dem 19 André Lemaire: „Who or what was Yahweh’s Aschera?“, in: Biblical Archaeology Review 1984, S. 42–51. 20 Die Verehrung der Göttin Aschera spiegelt sich noch in theophoren Eigennamen auf Siegeln aus dem 8. und 7. Jh. v.u.Z. wider, die den Namen Aschera enthalten: ʾšrḥj (Aschera ist mein Leben?). Vgl. Nahman Avigad und Benjamin Sass: Corpus of West Semitic Stamp Seals, Jerusalem (The Israel Academy of Sciences and Humanities) 1997, S. 486. 21 Siehe zuletzt Benjamin Sass: „On epigraphic Hebrew ’ŠR and *’ŠR, and on Biblical Asherah*”, in: Transeuphratène 46 (2014), S. 47–66. 22 aširtum im Akkadischen, ʾšrt im Phönizischen, ʾšrt oder ʾtr(tʾ) im Aramäischen. 23 Zu einer kritischen Bewertung dieser Etymologie vgl. Sung Jin Park: „Short notes on the etymology of Ashera“, in: Ugarit Forschungen 42 (2010), S. 527–534. 24 Christoph Uehlinger: „Anthropomorphic cult statuary in Iron Age Palestine and the search for Yahweh’s cult images, in: Karel van der Toorn (Hg.): The Image and the Book. Iconic Cults, Aniconism, and the Rise of the Book Religion in Israel and the Ancient Near East, Löwen (Peeters) 1997, S. 150–151. Das Objekt wurde auf dem grauen Antiquitätenmarkt erworben; seine Herkunft ist daher unsicher.
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9. Jhwh und seine Aschera
8. oder 7. Jh. v.u.Z. sein. Diese Identifizierung ist durchaus von Interesse, aber sehr unsicher25. Ein judäisches Siegel aus assyrischer Zeit zeigt ebenfalls ein göttliches Paar, das als Jhwh und Aschera verstanden werden könnte. Letztere ist hier als die „Himmelskönigin“26 dargestellt, von der die biblischen Texte sprechen. Judith Hadley hat ihrerseits vorgeschlagen, das Paar Jhwh und Aschera in einem Kultobjekt zu sehen, das man 1968 in Tell Taʾannnek, im südlichen Teil der Jesreelebene in Galiläa gefunden hat27. Dieses Objekt aus dem 10. oder 9. Jh. ist waagerecht in vier Etagen unterteilt28. Die beiden oberen Etagen zeigen einen stilisierten Baum und eine Sonnenscheibe wahrscheinlich neben einem Pferd29. Möglicherweise handelt es sich hier um Symbole für Aschera und Jhwh. Nach Hadley stellt die weibliche Gottheit in der unteren Etage Aschera dar. Daraus schließt sie, das von zwei Sphinxen bewachte Loch könnte dazu gedient haben, die Gegenwart Jhwhs zu symbolisieren – nicht durch ein Bild, sondern durch den Rauch, den man durch die Öffnung entweichen ließ. Diesen Rauch kann man mit der „Herrlichkeit Jhwhs“ in Verbindung bringen, einer Art Wolke, welche die göttliche Manifestation repräsentieren sollte. Dies ist möglich, aber kaum gesichert30. Schließlich hat Garth Gilmour vorgeschlagen, Jhwh und Aschera in einem stilisierten Graffito auf einer Tonscherbe zu identifizieren, die man bei Ausgrabungen in der Davidstadt in den 1920er Jahren entdeckt hat31. 25 Christoph Uehlinger: „Eine anthropomorphe Kultstatue des Gottes von Dan?“, in: Biblische Notizen 72 (1994), S. 85–99 weist auch auf die Möglichkeit hin, dass es sich bei den Fragmenten einer Statue, die man in Tel Dan gefunden hat, um Teile einer JhwhStatue handeln könnte. Auch hier handelt es sich um eine konjekturale Interpretation, die zum Teil davon abhängt, wie man das Syntagma „bjtdwd“ interpretiert, das man auf einer Inschrift an derselben Ausgrabungsstätte gefunden hat. Dieses Syntagma bedeutet aber vielleicht eher „Haus Dods“ und nicht „Haus Davids“ – wie allerdings die große Mehrheit der Forscher meint. 26 Othmar Keel und Christoph Uehlinger: Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (QD 134), Freiburg–Basel–Wien (Herder) 1992, § 197. 27 Judith M. Hadley: The Cult of Asherah in Ancient Israel and Judah. Evidence for a Hebrew Goddess, Cambridge (Cambridge University Press) 2000, S. 187 und 207. 28 Ein Foto unter https://www.biblicalarchaeology.org/daily/ancient-cultures/ancient-israel/asherah-and-the-asherim-goddess-or-cult-symbol/ (letzte Konsultation 26.5.2018). 29 Zu dieser Anordnung vgl. 2Kön 23,11. 30 Vgl. auch die Kritik von Izak Cornelius: „In search of the goddess in ancient Palestinian iconography“, in: Michael Pietsch und Friedhelm Hartenstein (Hgg.): Israel zwischen den Mächten. Festschrift für Stefan Timm zum 65. Geburtstag, Münster (UgaritVerlag) 2009, S. 77–98. 31 Garth Gilmour: „An Iron Age II pictorial inscription from Jerusalem illustrating Yahweh and Ashera“, in: Palestine Exploration Quaterly 141 (2009), S. 87–103.
Weibliche Figurinen in Juda
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L’INVENTION DE DIEU YHWH ET SON ASHÉRAH
Image styliséeAbb. sur un8: tesson provenant de la cité de David : à droite, Graffito auf einer Tonune figure masculine trônant peut-être sur des montagnes ; à gauche, scherbe aus der Davidstadt. deux triangles symbolisant éventuellement une figure féminine.
Rechts eine männliche Gestalt,
1 ; il est possible que nous ayons accompagné sans d’un cheval diedoute vielleicht auf den Bergen Couple assis sur un trône (VIIIe-VIIe siècle) pouvant être interprété ici affaire à des symboles d’Ashérah et de Yhwh. thront; links zwei Dreiecke, dieSelon J. Hadley, Abb. 7: Auf einem Thron sitzendes comme Yhwh et Ashérah la divinité féminine du bas correspondrait à la figure d’Ashérah. eventuell eine weibliche Gestalt Paar (8.–7. Jh.), das als Jhwh und Elle en déduit que l’ouverture gardée par deux sphinx pourrait Un sceau judéen de l’époquewerden assyrienne présente également un symbolisieren. Aschera gedeutet kann. alors être une manière de symboliser la présence de Yhwh, non pas couple divin qui pourrait être compris comme Yhwh et Ashérah, partextes une image, mais par la fumée que l’on faisait s’en échapper et identifiée à la «Gilmour reine du ciel » 1 dont parlent les bibliques. betrachtet die Gestalt rechts als rapprocher männlich de und die vier Bögen als qu’on pourrait la « gloire de Yhwh », une sorte de Judith Hadley proposé, pour sa Teil part,eines de voir le couple Yhwh Berge aoder den oberen Throns. Die stilisierte Gestalt links istPossible, ihm zu-mais peu sûr 2. nuéeàreprésentant la manifestation divine. et Ashérah dans un objet cultuel trouvé en 1968 Ta’anakh dans folge weiblich: Das obere Dreieck stelle ein Gesicht dar und das untere kleinere n, récemment, objet, qui date duGarth Gilmour a proposé d’identifier Yhwh et la partie sud de la vallée d’Izréel en Galilée 2. CetEnfi Dreieck das weibliche Geschlecht. Beidedans sindune durch einstylisée zweitesd’un größeres Ashérah image tessonDreieck trouvé dans les excaXe ou IXe siècle avant notre ère, présente quatre étages 3. Les deux 3. vations de la cité de David dans les années 1920 verbunden. Erneut muss man sagen, dass der Vorschlag zwar interessant ist, aber étages supérieurs font apparaître un arbre stylisé et un disque solaire
hoch spekulativ bleibt.
1. Sur cette disposition, voir 2 R 23,11. 1. O. KEEL et C. UEHLINGER, Dieux, déesses et figures divines, cit.,les § 197. 2. Voirop. aussi critiques de Izak CORNELIUS, « In search of the goddess in Ancient Israel and Judah : Evi2. Judith M. HADLEY, The Cult of Asherah in ancient Palestinian iconography Weibliche Figurinen in Juda», in Michael PIETSCH et Friedhelm HARTENSTEIN (dir.), Israel zwischen den Mächten. Festschrift für Stefan Timm zum 65. dence for a Hebrew Goddess, Cambridge, Cambridge University Press, 2000. Geburtstag, Münster, Ugarit-Verlag, 2009, p. 77-98. 3. Pour une photo de cet objet, voir (dernière 1.12.2013). 8.–7. Jh. v.u.Z.consultation (zum Beispiel Jerusalem, Arad,and Beerscheba, Tell Beit Mirsim,Quarterly, Bet- 141, 2009, p. 87-103.
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Schemesch, Lachisch) gefunden. Insgesamt sind es mehrere Hundert. Außer222 sie nur vereinzelt auf. Die häufigste Form besteht aus eihalb von Juda tauchen 223 nem meist von Hand geformten Pfeiler mit einem stets von Hand geformten weiblichen Oberkörper, darauf ein mithilfe eines Modelabdrucks hergestellter Kopf. Die weiblichen Brüste werden immer besonders betont und oft von den Händen der Figur gehalten32. Diese Pfeilerfigurinen sind ein 222 05/07/2017 15:20vor allem für das 347573_InventionDeDieu.indd 223
32 Eine Abbildung unter http://en.wikipedia.org/wiki/File:Ashera._Eretz_Israel_Mus.jpg (letzte Konsultation 20.3.2018).
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9. Jhwh und seine Aschera
7. Jh. charakteristischer Ausdruck der judäischen Frömmigkeit. Gefunden hat man sie vor allem in Privathäusern, aber auch in Gräbern. Diese Figuren gelten oft als Repräsentation einer Göttin, vielleicht Ascheras33, deren nährende Funktion sie betonen. Die nährenden Brüste stehen eindeutig im Vordergrund, während der erotische Aspekt nur eine untergeordnete Rolle spielt, anders als bei den Darstellungen der nackten Göttin. Der Pfeiler kann sogar als Tunika interpretiert werden; jedenfalls ist das Geschlecht der Göttin nicht zu sehen. Wenn diese Figurinen mit Aschera identifiziert werden können, dann hätte man einen Beweis dafür, dass anthropomorphe Repräsentationen der Göttin hergestellt wurden. Indirekt scheinen dies auch einige biblische Texte zu belegen.
Die Aschera-Verehrung nach den biblischen Texten Wir haben gesehen, dass Aschera in den Inschriften von Kuntillet Adschrud mit Jhwh aus Samaria verbunden wird. 1Kön 16,33 berichtet, dass König Ahab – vielleicht im Tempel von Samaria – eine Aschera34 aufstellte. Nach der kritischen Bemerkung der Redaktoren der Königsbücher zu urteilen, existierte sie auch unter König Joahas (ca. 814–798): „Doch ließen sie nicht ab von den Sünden, die das Haus Jerobeam in Israel begangen hatte, sie blieben dabei; sogar die Aschera in Samaria blieb stehen“ (2Kön 13,6). Wir erfahren, dass die Königinmutter Maacha im Königreich Juda im Tempel ein „Schandbild für Aschera“ errichtet hat, das König Asa (ca. 910–869) zerstört habe: „Er entzog Maacha, seiner Großmutter, sogar den Titel Königinmutter, weil sie ein Schandbild für Aschera angefertigt hatte. Asa zerschlug das Schandbild und verbrannte es am Ufer des Flusses Kidron“ (1Kön 15,13). Von König Manasse (ca. 687–642), den die Redaktoren der Königsbücher besonders verabscheuen, wird berichtet, er habe eine Aschera-Statue, die von seinem Vorgänger Hiskija zerstört worden war (2Kön 18,4), neu anfertigen lassen: „Er stellte das Standbild der Aschera, das er gemacht hatte, in den Tempel“ (2Kön 21,7). Wenn Hiskija tatsächlich versucht hat, den Aschera-Kult auszulöschen – was längst nicht sicher ist –, hätten wir hier einen Beleg für sein Wiederaufleben unter Manasse. Auch wenn die biblischen Redaktoren diejenigen Könige kritisieren, die eine Verehrung Ascheras unterstützt haben sollen, besteht kaum Zweifel daran, dass dieser Kult bis zum Ende des 7. Jh. in Juda eine bedeutende Rolle spielte. Aschera war Jhwh zugeordnet, im Tempel von Jerusalem vielleicht in Form einer Statue, die neben der seinen stand. 33 Raz Kletter: „Between archaeology and theology: the pillar figurines from Judah and the Aschera“, in: Amihai Mazar (Hg.): Studies in the Archaeology of the Iron Age in Israel and Jordan, Sheffield (Sheffield Academic Press) 2001, S. 179–216. 34 Im Hebräischen mit Artikel.
Statue und heiliger Pfahl
Die „Himmelskönigin“ Im 7. Jh. v.u.Z. gab es in Juda einen bei der Bevölkerung beliebten Kult um eine Göttin, die „Himmelskönigin“ genannt wurde. Dort hatten die Frauen offenbar die zentrale Rolle inne. Zwei Texte aus dem Buch Jeremia, die uns von deuteronomistischen Redaktoren überliefert wurden, kritisieren diese Verehrung heftig. Kapitel 44 ist in Form einer Rede des Propheten an diejenigen verfasst, die nach der Zerstörung des Tempels von Jerusalem nach Ägypten geflohen sind. Der Prophet erklärt ihnen, dass es zu der Katastrophe nur kommen konnte, weil sie ständig fremde Gottheiten verehrt hätten. Die Judäer, an die er sich wendet, widersprechen dieser Interpretation des Untergangs von Jerusalem heftig: Wir werden all das tun, was wir beschlossen haben: der Himmelskönigin Brandopfer darbringen, ihr Trankopfer spenden, wie wir es in den Städten von Juda und in den Straßen Jerusalems getan haben … damals konnten wir uns mit Brot satt essen und wir lebten glücklich, ohne das Elend zu kennen. Seit wir aufgehört haben, der Himmelskönigin Brandopfer darzubringen und ihr Trankopfer zu spenden35, mangelt es uns an allem, und wir sterben durch das Schwert und vor Hunger (v. 17–18). Nach dieser Argumentation hat gerade das (wahrscheinlich im Rahmen der joschijanischen Reformen, über die wir noch sprechen werden, erlassene) Verbot, die Göttin zu verehren, den Zorn derselben hervorgerufen und so zum Untergang des Königreichs Juda geführt. Es ist möglich, dass die Himmelskönigin eine Manifestation der Göttin Aschera war. Die bedeutende Rolle der Frauen innerhalb des Aschera-Kults belegt eine Notiz in 2Kön 23,6–7, nach der die Frauen im Tempel von Jerusalem Kleider für Aschera nähten.
Statue und heiliger Pfahl Wahrscheinlich hat man sich zwei unterschiedliche Arten von Aschera-Darstellungen vorzustellen: anthropomorph in den Tempeln von Jerusalem und Samaria (und auch in anderen Städten?) und in Form eines stilisierten Baumes („heiligen Pfahls“) in den Höhenheiligtümern (bāmôt) und anderswo. Die traditionelle Verbindung der Göttin Aschera mit einem stilisierten Baum ist in der Ikonographie seit der Bronzezeit gut belegt. So sieht man auf einem Anhänger aus Tell Adschul einen Ast aus dem Bauchnabel der Göttin sprießen36. Auf ei35 Dieses Opfer fehlt im ursprünglichen griechischen Text und könnte ein Zusatz sein, um eine Harmonisierung mit dem vorausgehenden Vers herzustellen. 36 Eine Abbildung bei Othmar Keel und Silvia Schroer: Schöpfung. Biblische Theologie
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9. Jhwh und seine Aschera
Abb. 9: Siegel mit einer Göttin, wahrscheinlich Aschera, daneben ein stilisierter Baum; über ihr eine Sonnenscheibe, vielleicht Jhwh.
nem Krug aus Lachisch37 kann man folgende Inschrift lesen: mtn.šj [l?] [rb]tj ʾlt – „Opfer: ein Geschenk für mein Dame Elat (oder: die Göttin)“. Unter der Inschrift befindet sich eine Zeichnung, und das Wort ʾlt (Elat) steht exakt über dem von Capriden flankierten Baum. Die Göttin kann mit Aschera identifiziert werden: Tatsächlich sind rbt, „Dame“ und ʾilt „Göttin“ die Epitheta Ascheras in den mythologischen Texten aus Ugarit. Auf den Oberschenkeln einer Göttinnenfigurine aus Revadim ist links und rechts ihrer geöffneten Scheide eine von Capriden flankierte Palme abgebildet38. Mit jeder Brust säugt die Göttin ein Kind. Die Darstellung der Göttin repräsentiert die Fruchtbarkeit auf verschiedene Weise. Man kann ihre Attribute mit den mythologischen Texten aus Ugarit in Verbindung bringen, in denen Aschera die „Göttergebärende“ genannt wird. Sie erscheint mehrfach als Nährmutter und trägt auch den Namen Raḥmaj – wörtlich der „mütterliche Busen“. Auf einem Siegel aus Lachisch aus dem 8. Jh. (das heute verloren ist), sieht man eine Göttin flankiert von einem stilisierten Baum, auf der anderen Seite eine Verehrerin, über ihr das Symbol des Sonnengottes. Wenn es sich um Aschera handelt, könnte die Sonnenscheibe über der Göttin übrigens als Repräsentation Jhwhs gedeutet werden. Dieses Siegel zeigt eindeutig, dass Göttin und „heiliger Pfahl“ keinen Gegensatz bilden: Aschera konnte auf beide Arten dargestellt werden, genau wie Jhwh durch eine Mazzebe und eine Statue repräsentiert werden konnte. Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Göttin Aschera als Paredra Jhwh zugeordnet war, aber dass sie auch unabhängig von ihm, vor allem von Frauen, als Himmelskönigin verehrt wurde. Erst unter der Herrschaft Joschijas wird Jhwh zu einem alleinstehenden Gott – ohne seine Aschera. im Kontext altorientalischer Religionen, Freiburg (Schweiz)–Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht), 2. durchgesehene Auflage 2008 (20021), S. 54–55. 37 Israel Finkelstein und Benjamin Sass: „The West Semitic Alphabetic Inscriptions, Late Bronze II to Iron IIA: Archeological Context, Distribution and Chronology“, in: Hebrew Bible and Ancient Israel II, 2013, S. 153. 38 Vgl. (letzte Konsultation 22.3.2018).
10. Der Fall Samarias und der Aufstieg Judas
Ab dem 9. Jh. v.u.Z. nimmt der Einfluss des neuassyrischen Reiches auf die Levante stetig zu, und mit Beginn der Regierungszeit von Tiglat-Pileser III. (745– 727) stehen alle Königreiche dieser Region de facto unter assyrischer Herrschaft. Das Königreich Israel mit seiner im Vergleich zu Juda weitaus entwickelteren Ökonomie und politischen Organisation ist für die Assyrer interessanter und wird sehr bald in den Status eines Vasallenstaates gezwungen, obwohl es mehrmals versucht, sich ihrer Vorherrschaft zu widersetzen. Nach einer erfolgreichen Militärkampagne von Tiglat-Pileser III. im Jahr 738 v.u.Z. erscheinen die Könige Menahem von Samaria und Rezin von Damaskus in einer assyrischen Liste als Tributpflichtige des assyrischen Königs1.
Das Ende des Königreichs Israel Der Versuch, eine anti-assyrische Koalition unter Führung des aramäischen Königreichs Damaskus zu bilden, der sich auch das Königreich Israel anschloss, hat in der Bibel zahlreiche Spuren hinterlassen. Infolge eines von Damaskus unterstützten Staatsstreichs in Samaria besteigt ein gewisser Pekach den Thron und tritt dem Bündnis bei, dem sich auch die Edomiter (und vielleicht auch die Philister) anschließen. Um den judäischen König zu zwingen, ebenfalls Mitglied der Koalition zu werden, unternehmen die Bündnispartner einen Feldzug gegen das Königreich Juda, der – einem Ausdruck Martin Luthers folgend – oft als „syro-ephraimitischer Krieg“ bezeichnet wird (735–733). Nach dem Zeugnis der Königsbücher und des Jesajabuchs hat der Prophet Jesaja bei diesen Ereignissen als Berater des Königs eine wichtige Rolle gespielt. So findet man im 7. Kapitel des Jesajabuchs eine an den judäischen König Ahas gerichtete Mahnung, er solle Jhwh vertrauen und sich von Aram und Samaria zu nichts zwingen lassen: (5) Sei nicht beunruhigt, weil Aram beschlossen hat, dir Böses zu tun, weil Ephraim und der Sohn des Remaljahu sagen: (6) „Wir werden hinaufziehen nach Juda und dort Panik verbreiten, es in unsere Gewalt bringen und den Sohn des Tabal zum König machen.“ (7) So spricht Jhwh, der Herr: „Das wird nicht gelingen, und das wird nicht geschehen. (8) Sicherlich ist Da1
Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 288–291.
unter Assurbanipal
Jerusalem
Mari
Samaria
Ebla
unter Salmanassar III.
Assur
Ninive
0
200
400 km
10. Der Fall Samarias und der Aufstieg Judas
ASSYRIEN
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Karte 6: Das neuassyrische Reich und seine Expansion.
maskus das Haupt von Aram und Rezin das Haupt von Damaskus – aber in 65 Jahren wird Ephraim zerstört sein wie sein Volk – (9) Samaria ist das Haupt von Ephraim und der Sohn des Remaljahu das Haupt von Samaria. Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht.“ Das ursprüngliche Orakel stammt wahrscheinlich aus der Zeit des Angriffs der anti-assyrischen Koalition auf das Königreich Juda und ermahnt den judäischen
Das Ende des Königreichs Israel
König, sich von dieser Koalition fernzuhalten. Die kursiv gesetzte Prophezeiung wurde wahrscheinlich nach dem Untergang des Königreichs Israel hinzugefügt2. Nach der Erzählung in 2Könige 16, welche dieselbe Situation widerspiegelt, zahlte König Ahas einen freiwilligen Tribut an Tiglat-Pilser III.3 und wurde sein Vasall (v. 6–7). Dies belegt auch eine assyrische Liste aus dem Jahr 729 v.u.Z., auf welcher der judäische König als Vasall des assyrischen Königs erscheint. Also spielte Juda zunächst die assyrische Karte, und es gelang ihm auf diese Weise, eine gewisse Pseudo-Autonomie zu wahren und eine Eingliederung in das assyrische Provinzialsystem zu vermeiden. Für das Königreich Israel galt dies nicht. 733 v.u.Z. bemächtigen sich die Assyrer des Königreichs Damaskus, König Rezin wird gefangengenommen und mit seinen Würdenträgern gepfählt. Israels Territorium wird verkleinert, die annektierten Teile werden zu assyrischen Provinzen. In dieser verworrenen Situation wird König Pekach ermordet und durch einen gewissen Hosea ersetzt, der ebenfalls einen hohen Tribut an das assyrische Reich entrichten muss. In einer assyrischen Quelle heißt es zu diesem Putsch: „Pekah, ihren König, töteten sie. Den Hosea setzte ich [als König] über sie ein. 10 Talente Gold und 1000 Talente Silber empfing ich von ihnen als ihre jährliche [Abgabe].“4 Nach dem Tod Tiglat-Pilesers III. im Jahr 727 v.u.Z. kam es zu internen Kämpfen am Hof, und die Assyrer verminderten für kurze Zeit den Druck auf den westlichen Rand des Reiches. Der israelitische König Hosea stellte offensichtlich seine Tributzahlungen ein. Nach den Informationen von 2Könige 17 soll er bei einem gewissen „Sôʾ, König von Ägypten5“ Unterstützung gesucht 2 Willem A.M. Beuken: Jesaja 1–12. Freiburg–Basel–Wien (Herder) 2003, S. 199. Der Zeitraum von 65 Jahren bereitet Schwierigkeiten, denn das Nordreich wurde ungefähr zehn Jahre nach dem syro-ephraimitischen Krieg zerstört. Es handelt sich wohl um den Zusatz eines Kopisten, der die Jesajarolle nach den Deportationen fremder Bevölkerungsgruppen in das ehemalige Nordreich unter Asarhaddon (680–669) und Assurbanipal (668–627) überarbeitet hat. 3 Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 288–291. 4 Die Übersetzung folgt Rykle Borger in: Otto Kaiser u.a. (Hgg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT) I. Rechts- und Wirtschaftsurkunden. Lieferung 4: Historisch-chronologische Texte, Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus) 1985 [CDRom 2005], S. 284–450; S. 373–374: Aus der „kleineren Inschrift Nr. I“ Tiglatpilesers III. Zitat 374. 5 Es wird heftig diskutiert, wer hier gemeint ist. Es gibt keinen Pharao dieses Namens. Man hat an eine Person gedacht, die in den assyrischen Quellen auftaucht, wie Sibʾe (vgl. John Gray: I & II Kings. A Commentary, London (SCM Press) 19773, S. 583, Anm. a). Der hebräische Name könnte auch eine Anspielung auf die ägyptische Stadt Sais sein oder einfach eine Transkription des ägyptischen Wortes für König (nj-swt), also
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10. Der Fall Samarias und der Aufstieg Judas
haben. Die Hilfe Ägyptens zu suchen, erscheint in dieser Situation plausibel; ähnliche Versuche werden übrigens in dem Buch, das dem Propheten Hosea zugeschrieben wird (nicht zu verwechseln mit dem König desselben Namens) gegeißelt. Diese Politik zwingt Assyrien zum Eingreifen: 724 v.u.Z. beginnt die Belagerung der Stadt Samaria, die ungefähr drei Jahre dauern wird, bis die Stadt 722 v.u.Z. fällt6. Dies geschieht wohl noch unter König Salmanassar V. Sein Nachfolger Sargon II. richtet dann die neue Verwaltungsstruktur des ehemaligen, bereits amputierten Königreichs Israel ein und inkorporiert es in das assyrische Provinzialsystem. Der assyrische Herrscher deportiert einen Teil der Bewohner Samarias und organisiert, wie die biblische Erzählung und das NimrudPrisma berichten, die Stadt neu: […] In der Kraft der großen Götter, meiner Herren, kämpfte ich mit ihnen und 27.280 Menschen zusammen mit ihren Streitwagen und Göttern, ihren Helfern, rechnete ich als Beute. 200 Streitwagen für meine königliche Truppe hob ich unter ihnen aus und den Rest von ihnen siedelte ich inmitten des Landes Assyrien an. Die Stadt Samaria stellte ich wieder her und machte sie mehr als früher. Menschen anderer Länder, die Beute meiner Hände, brachte ich hinein. Einen meiner Eunuchen setzte ich als Statthalter über sie […].7 Die Zwangsumsiedlungen von Teilen der Bevölkerung gehörten zur militärischen und politischen Strategie der Assyrer. Die Deportationen wurden zwar als Sanktionen gegen all diejenigen dargestellt, die vertragsbrüchig geworden waren, aber sie erfüllten auch eine politische Funktion. Durch die Umsiedlung eines Teils der Intelligenzia (Priester, hohe Beamte, Generäle und führende Handwerker) veränderte sich die Sozialstruktur. Die besiegte Armee wurde teilweise in die assyrische Armee integriert, die dadurch einen kosmopolitischen Charakter bekam, wie einige assyrische Reliefs zeigen, auf denen Soldaten unterschiedlichster Herkunft zu sehen sind. Die Exilbevölkerungen wurden in städtieine Anspielung auf Osorkon IV. [Siehe dazu Bernd U. Schipper: „Wer war ‘Sō, König von Ägypten’ (2 Kön 17,4)?” in: Biblische Notizen 71 (1998), S.71–84]. 6 Nach den Annalen Sargons II. hat Sargon die Stadt eingenommen. Nach der Hebräischen Bibel und den babylonischen Chroniken war der Fall Samarias dagegen noch das Werk Salmanassars V. Angesichts der Schwierigkeiten, die Sargons Machtübernahme begleitet haben, scheint es nur logisch, dass er sich aus ideologischen Gründen der Einnahme Samarias rühmt. 7 Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 301–302. Im Zitat wurden alle Klammern entfernt, um die Lesbarkeit zu erleichtern.
Das Ende des Königreichs Israel
schen Zentren wie Ninive oder Nimrud angesiedelt, aber auch in der neu erbauten Stadt Dur Scharrukin, die Sargon zu seiner Hauptstadt machen wollte. Die Ansiedlung anderer ethnischer Gruppen an Stelle der deportierten Bevölkerung ermöglichte den Assyrern eine bessere Kontrolle über die annektierten Gebiete. Die im Land gebliebene Bevölkerung betrachtete die von den Assyrern neu implantierten Gemeinschaften als Repräsentanten der assyrischen Besatzungsmacht, und so hatten diese Deportierten keine andere Wahl, als mit den Assyrern zusammenzuarbeiten8. Die Annalen Sargons berichten, dass arabische Stämme 715 v.u.Z. nach Samaria deportiert wurden: Die Tamūd, Ibādid, MarʾŠīmān, Ġayyāpā, ferne Araber, Wüstenbewohner, die Aufseher und Herrscher nicht kennen, die nie irgendeinem König ihre Abgabe gebracht hatten, machte ich mit der Waffe Assurs, meines Herrn, nieder. Den Rest von ihnen deportierte ich und siedelte sie in der Stadt Samaria an.9 In dieser Bevölkerungsmischung liegt der Ursprung für den pejorativen Gebrauch der Bezeichnung „Samaritaner“ bzw. „Samariter“, deren Kultus in den Augen der Juden synkretistisch war. Die Verehrung Jhwhs muss auf dem Territorium des ehemaligen Königreichs Israel jedoch weitergegangen sein, obwohl wir bis in persische Zeit so gut wie keine Informationen über die dortige religiöse Situation besitzen. Der ansonsten recht polemische Text aus dem zweiten Königsbuch (17,24–33) deutet jedenfalls auf die Fortsetzung des Jhwh-Kults in Samaria hin: (24) Der König von Assyrien aber brachte Bewohner von Babylon, Kuta, Awa, Hamat und Sefarwajim, und an Stelle der Israeliten siedelte er diese in den Städten Samarias an. Sie nahmen Samaria in Besitz und wohnten in den Städten Samarias. (25) In der Anfangszeit aber, als sie dort wohnten, fürchteten sie Jhwh nicht, und so ließ Jhwh Löwen auf sie los, die sie töteten. (26) Sie sagten dem König von Assyrien: „Die Nationen, die du deportiert und in den Städten Samarias angesiedelt hast, wissen nicht, wie der Gott des Landes verehrt wird, und so hat er die Löwen auf sie losgelassen. Und sieh, nun töten diese sie, weil sie nicht wissen, wie der Gott des Landes verehrt wird.“ (27) Der König von Assyrien gab den Befehl: „Lasst einen 8 Vgl. dazu ausführlich Morton Cogan: Imperialism and Religion. Assyria, Judah and Israel in the Eighth and Seventh Centuries B.C., Missoula (Society of Biblical Literature) 1974. 9 Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 305. Im Zitat wurden alle Klammern entfernt, um die Lesbarkeit zu erleichtern.
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von den Priestern, die ihr deportiert habt, dorthin gehen, er soll dort wohnen und sie lehren, wie der Gott des Landes verehrt wird.“ (28) Einer von den Priestern, die man aus Samaria deportiert hatte, ließ sich in Bethel nieder und lehrte sie, wie sie Jhwh fürchten sollten. (29) Nation für Nation aber machten sie sich je ihre eigenen Götter und stellten sie in das Kulthöhenhaus, das die Samarier gemacht hatten. Nation für Nation in ihren Städten, in denen sie wohnten. (30) Die Männer von Babel machten Sukkot-Benot10, die Männer aus Kut machten den Nergal11, die Männer aus Hamat machten die Aschima12, (31) und die Awiter machten den Nibhas13 und den Tartak14. Und für Adrammelech und Anammelech15, die Götter von Sefarwajim, verbrannten die Sefarwiter ihre Söhne im Feuer. (32) Sie fürchteten Jhwh und bestimmten aus ihrem Kreis Priester für die Kulthöhen, die in ihrem Namen in den Häusern der Kulthöhen Dienst taten. (33) Sie fürchteten Jhwh, und gleichzeitig dienten sie ihren Göttern, nach dem Brauch der Nationen, aus denen man sie weggeführt hatte. In seiner jetzigen Form stammt der Text aus persischer Zeit und spiegelt wahrscheinlich anti-samaritanische Polemiken wider16. Das späte Entstehungsdatum wird durch die Form des Hebräischen bestätigt: Zum Beispiel wird das Verb „sein“ in Verbindung mit einem Partizip anstelle eines Narrativs gebraucht, was typisch für das nachbiblische Hebräisch ist und aramäischen Einfluss belegt. 10 Sukkot-Benot kann nicht identifiziert werden. Man hat eine Göttin Banitu vorgeschlagen (Morgan Cogan: „Sukkoth-Benot“, in: Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 19992, S. 821–822), aber man kann die als „Mädchenhütten“ zu übersetzende Wendung auch als Anspielung auf Prostitution verstehen. Die Aufzählung würde also mit Praktiken beginnen, an denen junge Mädchen beteiligt sind, und mit dem Brandopfer von Söhnen enden. 11 Höllengottheit, in Jer 39,3 und 13 auch als Eigenname eines hohen babylonischen Beamten belegt. 12 Die Göttin Aschima ist auch bei den arabischen Stämmen in Tayma belegt; es handelt sich dabei um eine mit dem semitischen Wort „Name“ gebildete Hypostase: „Der Name“ hat den Eigennamen der Gottheit ersetzt (vgl. Am 8,14). Einige Forscher sehen Aschima als Parodie von Aschera. 13 Offensichtlich eine elamitische Gottheit. 14 Diese Gottheit ist ansonsten unbekannt; die Verbindung mit Nibhas legt nahe, dass es sich ebenfalls um eine elamitische Gottheit handelt. 15 Zwei Gottheiten, deren Namen mithilfe des Lexems melek „König“ konstruiert wurde. Laut Text handelt es sich um Gottheiten, denen man Menschenopfer darbrachte; vergleichbar mit molek bzw. mit Jhwh-Melek (siehe dazu oben, Kapitel 7). 16 Jean-Daniel Macchi: Les Samaritains. Histoire d’une légende. Israël et la province de Samarie, Genf (Labor et Fides) 1994, S. 56–71.
Das Ende des Königreichs Israel
Dennoch bewahrt dieser Text möglicherweise einige Erinnerungen an die Situation in Samaria nach dessen Eingliederung in das assyrische Reich. Wir erfahren, dass der assyrische König Samaria mit Deportierten aus Babylon und vielleicht auch aus Syrien17 bevölkert; eine bereits erwähnte assyrische Quelle spricht zudem von der Ansiedlung arabischer Stämme. Hamat könnte eine Stadt am Orontes sein – läge in diesem Fall aber ganz in der Nähe von Samaria –, es könnte sich aber auch um Amati im Süden Mesopotamiens handeln18. Mit Sefarwajim ist entweder Sippar oder Sipiraʾni in der Nähe von Nippur gemeint. Diese Stadt wird in den Muraschu-Dokumenten19 erwähnt, die für die persische Zeit auch judäische Namen in Babylon belegen. Offensichtlich will der Text aussagen, dass ein Teil der Deportierten, die man in Samaria angesiedelt hatte, aus dem Süden Mesopotamiens stammte. Der Text von 2Könige 17 verbindet Aufzählungen mit historischen Anekdoten. Eine Passage zeigt, dass der jahwistische Kultus im Land weiter ausgeübt wurde: Jhwh schickt Löwen als Strafe, und infolge dieser Plage lässt der assyrische König einen israelitischen Priester aus der Deportation zurückholen, der den Jhwh-Kult in Bethel betreuen soll. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass das Heiligtum von Bethel trotz der negativen Sicht, die sich hinter diesem Text verbirgt, auch nach 722 v.u.Z. weiterhin eine gewisse Rolle spielte. Seine Geschichte wird in 2Könige 17 mit einem Hauch von Ironie erzählt: Die hohen Beamten des assyrischen Königs sprechen diesem gegenüber von den „Nationen, die du deportiert hast“, und er befiehlt ihnen, einen der Priester zu holen, „die ihr deportiert habt“ – als wolle er nicht für die Deportation verantwortlich gemacht werden. Der Autor dieser Episode will vor allem die Macht Jhwhs deutlich machen, der über die Kontinuität seines Kultus wacht. Man hat bisweilen in der Löweninvasion ein historisches Ereignis sehen wollen und darauf verwiesen, dass die Zerstörung von Schutzmauern und die Entvölkerung einiger Stätten zu einer starken Ausbreitung der Löwen geführt haben könnte. Dieses Motiv kann aber auch und viel einfacher als rein literarische Schöpfung verstanden werden20. Die Stelle könnte ein Motiv aufnehmen, das sich zum Beispiel in einem Vertrag findet, den der assyrische König Asarhaddon mit einem Baal, König von Tyrus (um 676 v.u.Z.), geschlossen hat. In diesem Dokument wird im Falle einer Nichtbeachtung der Vereinbarungen mit 17 Zur Diskussion um die Identifizierung der Ortsnamen vgl. Volkmar Fritz: Das erste Buch der Könige, Zürich (TVZ) 1996, S. 101. 18 Ran Zadok: „Geographical and onomastical notes“, in: Journal of the Ancient Near Eastern Society 8 (1976), S. 113–126; speziell S. 117. 19 Ran Zadok: „Geographical and onomastical notes“, in: Journal of the Ancient Near Eastern Society 8 (1976), S. 115. 20 Das Heiligtum von Bethel wird schon in 1Könige 13 mit einem Löwen verbunden, und der Löwe ist auch das Symboltier des Stammes Juda.
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einer Löweninvasion als Strafe gedroht: „so mögen […] Bethel und Anat-Bethel euch den Pranken eines gefräßigen Löwen ausliefern …“21. In diesem Text erscheint Bethel als eine Gottheit, als eine Art Materialisation einer Betyle. Der Vertrag ist vielleicht der älteste Beleg für diese Gottheit22, die in Phönizien, bei den Aramäern und auch in den aramäischen und judäischen Gemeinden in Ägypten verehrt wurde23. Möglicherweise etablierte sich auch in Israel ein Kultus für diese Gottheit, wie folgendes Orakel aus dem Buch Jeremia nahelegt: „Moab wird an Kamosch zuschanden werden, wie das Haus Israel zuschanden geworden ist an Bethel, seiner Zuversicht“ (Jer 48,13). Im Text von 2Könige 17 bezeichnet Bethel eindeutig das Heiligtum des ehemaligen Nordreichs. Der Verfasser dieser Passage räumt ein, dass der Jhwh-Kult trotz der Einführung anderer Gottheiten (die teilweise schwer zu identifizieren sind) weitergeht. Leider besitzen wir diesbezüglich nur wenige Informationen, und die uns zur Verfügung stehenden Quellen sind sehr oft polemischer Natur. Aber die Existenz eines jahwistischen Heiligtums auf dem Berg Garizim ist ab Beginn der persischen Zeit auch archäologisch belegt und bestätigt diese Kontinuität.
Die Situation in Juda nach 722 v.u.Z. und die Herrschaft des Königs Hiskija Die Niederlage des „großen Bruders“ im Norden hat wahrscheinlich ganz unterschiedliche Reaktionen unter den Priestern und hohen Beamten des Jerusalemer Hofes hervorgerufen. Handelte es sich hier nicht um ein Zeichen, dass die Götter der Assyrer stärker waren als Jhwh und das kleine Pantheon Israels? Oder hatte Jhwh Israel verstoßen und den Assyrern ausgeliefert, um zu zeigen, dass sein „wahres“ Volk sich in Juda und in Jerusalem befand? Dieser Gedanke findet sich zum Beispiel in Psalm 78: „(67) Er [Jhwh] verwarf die Familie Josefs, er wählte nicht den Stamm Ephraims [das Königreich Israel]. (68) Er erwählte den Stamm Juda, den Berg Zion, den er liebt.“ So entstand in Juda, bzw. am Jerusalemer Hof, das Gefühl, das wahre Volk Jhwhs zu sein, das wahre Israel. Möglicherweise reklamierte Juda auch von da an den Namen Israel für sich, um seinen Anspruch auf das Erbe des ehemaligen Nordreichs anzuzeigen. Die Überzeugung, das wahre Volk Jhwhs zu sein, wurde durch die vorzeitig abgebrochene Belagerung 21 Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 342–344. Zitat S. 344. Zur besseren Lesbarkeit wurden die Klammern weggelassen. 22 Siehe dazu ausführlicher Wolfgang Röllig: „Bethel“, in: Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 19992, S. 173–175. 23 Ein in Hermopolis gefundener Brief erwähnt den Tempel Bethels und den Tempel der Himmelskönigin; in Elephantine gibt es die Triade Jahô, Aschim-Bethel und Anat-Bethel.
Die Situation in Juda nach 722 v.u.Z. und die Herrschaft Hiskijas
Jerusalems im Jahr 701 v.u.Z. sicherlich noch verstärkt; auf diese Belagerung werden wir im Folgenden noch zurückkommen. Die Ereignisse des Jahres 722 v.u.Z. hatten großen Einfluss auf die demographische Entwicklung Jerusalems: „Innerhalb weniger Jahrzehnte – sicher innerhalb einer einzigen Generation – hatte Jerusalem sich von einer bescheidenen Stadt im Bergland von vier oder fünf Hektar zu einem gewaltigen Stadtgebiet von sechzig Hektar verwandelt, mit dicht nebeneinander stehenden Häusern, Werkstätten und öffentlichen Gebäuden. Die Einwohnerzahl hat sich möglicherweise von ungefähr 1000 auf 15.000 verfünfzehnfacht.“24 Diese demographische Veränderung brachte eine Neuorganisation der politischen Strukturen des Königreichs Juda mit sich. Das traditionelle, auf die Clans gestützte, agrarische Wirtschaftssystem wurde mehr und mehr von einer nun zentralisierten Staatsmacht in Frage gestellt. Die judäische Verwaltung erfuhr im 8. Jh. v.u.Z. eine bedeutende Entwicklung und professionalisierte sich zunehmend; das stetige Wachstum der Stadt25 ist Folge und Zeichen dieser Entwicklung. Es ist schwer zu sagen, wann genau sich die Stadt bis zum Westhügel (den heutigen jüdischen und armenischen Vierteln und dem heutigen Berg Zion) ausdehnte. Die Gründe für dieses spektakuläre Wachstum hängen sicherlich mit den Ereignissen von 733 bis 722 v.u.Z. zusammen. Es kam wahrscheinlich eine große Zahl von Flüchtlingen aus Israel, die den Assyrern entkommen wollten26. Andere Autoren stellen ökonomische Gründe für das Wachstum in den Vordergrund: Die Jerusalemer Verwaltung habe die Bevölkerung in den Städten versammelt, um sich den Assyrern besser widersetzen zu können27. Es ist auch möglich, dass das Fehlen kultivierbaren Bodens in den ländlichen Gebieten verbunden mit dem ökonomischen Aufschwung Jerusalems eine von Pauperisierung bedrohte Bevölkerung angezogen hat28. Man kann jedoch für das Ende des 8. und während des 7. Jh. kleinere Siedlungen um Jerusalem herum nachweisen, 24 Israel Finkelstein und Neil A. Silbermann: Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel, München (dtv) 20095, S. 264. [Deutsche Erstausgabe München (Beck) 2002]. 25 Dieses Wachstum bezeugt auch die Entdeckung einer großen Anzahl von Fischgräten in Jerusalem. Dies weist auf eine beachtliche Handelstätigkeit gegen Ende des 9. oder Anfang des 8. Jh. v.u.Z. hin. Siehe dazu ausführlich Ronny Reich: Excavating the City of David. The Place where the History of Jerusalem Started, Jerusalem (The Israel Exploration Society) 2011. 26 Magen Broshi: „The expansion of Jerusalem in the reigns of Hezekiah and Manasse“, in: Israel Exploration Journal 24 (1974), S. 21–26. 27 Baruch Halpern: „Jerusalem and the lineages in the seventh century B.C.E. Kinship and the rise of individual moral liability“, in: Baruch Halpern und Deborah W. Hobson (Hgg.): Law and Ideology in Monarchic Israel, Sheffield (Sheffield Academic Press) 1991, S. 11–107; besonders S. 25–26. 28 Larry G. Herr: „Archaeological sources for the history of Palestine. The Iron Age II
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die umliegenden Dörfer können also nicht vollständig aufgegeben worden sein29. Obwohl sich nicht ausschließen lässt, dass es unterschiedliche Gründe für das spektakuläre Wachstum Jerusalems gab, muss es in jedem Fall eine Bevölkerungsbewegung von Nord nach Süd gegeben haben. Die Hebräische Bibel erwähnt im Übrigen die Gruppe der Rechabiter, die am Aufstand Jehus gegen die Omriden beteiligt gewesen sein sollen30 und die nach dem Buch Jeremia (Kap. 35) am Ende des 7. Jh. v.u.Z. in Jerusalem lebten. Die Erzählung von 2Könige 22 erwähnt in Vers 14 eine ʿîr hammišneh „neue [wörtlich: die zweite] Stadt“, wo die Prophetin Hulda und ihr Mann wohnen. Symbol dieses neuen Jerusalems ist König Hiskija, welcher die so gut wie uneingeschränkte Wertschätzung der biblischen Redaktoren genießt: „Er tat, was recht war in den Augen Jhwhs, ganz wie David, sein Vorfahr, es getan hatte […] von allen Königen von Juda nach ihm war keiner ihm gleich, auch nicht von denen, die vor ihm waren“ (2Kön 18,3 und 5). Es lässt sich nicht genau bestimmen, wann Hiskijas Regierungszeit begann31. Ein Regierungsantritt um 728 v.u.Z. würde eine ausreichende Zeitspanne für die Realisierung der Bauarbeiten in Jerusalem einräumen. Möglicherweise wurde eine neue Mauer um Jerusalem gebaut oder die alte verstärkt. Nach den biblischen Hinweisen ließ Hiskija auch einen Tunnel von 533 m Länge bauen, um das Wasser aus dem Gihon nach Jerusalem zu bringen32. Eine Inschrift berichtet vom Durchbruch des Tunnels von Siloah, der von beiden Enden her gegraben wurde: Dies ist der Durchstich. Und mit dem Durchstich verhielt es sich so: Als noch die Mineure die Hacke schwangen, einer gegen den anderen, und als noch drei Ellen durchzubrechen waren, da konnte man hören, wie einer dem anderen zurief. Denn es war ein Riss (?) im Felsen auf der rechten und auf der linken Seite. Und am Tag des Durchstichs schlugen die Mineure einer dem anderen entgegen, Hacke auf Hacke. Da floss das Wasser von der Quelle zum Teich auf (einer Länge von) tausendzweihundert Ellen. Und
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period: emerging nations“, in: The Biblical Archaeologist 60 (1997), S. 114–151 und 154– 183, besonders S. 155–157. Wolfgang Zwickel: „Wirtschaftliche Grundlagen in Zentraljuda gegen Ende des 8. Jh.s aus archäologischer Sicht. Mit einem Ausblick auf die wirtschaftliche Situation im 7. Jh.“, in: Ugarit Forschungen 26 (1994), S. 557–592, besonders S. 564–586. Nach 2Kön 10,15 und 23. Nach 2Kön 18,10 wurde Samaria im 6. Regierungsjahr Hiskijas eingenommen, dies würde den Beginn seiner Herrschaft um das Jahr 728 ansetzen. Nach 2Kön 18,13 fand die Belagerung Jerusalems im 13. Herrschaftsjahr Hiskijas statt, das würde eine Thronbesteigung um 715/14 v.u.Z. bedeuten. Eine endgültige Entscheidung lässt sich kaum treffen. 2Kön 20,20; Ez 22,9; 2Chr 32,3–4,30.
Die Situation in Juda nach 722 v.u.Z. und die Herrschaft Hiskijas
hundert Ellen betrug die Höhe des Felsens über den Köpfen der Mineure.33 Wurde dieser Tunnel aus verteidigungstechnischen Gründen gegraben oder einfach nur, weil eine Stadt mit einer Bevölkerung von über 15.000 Menschen eine neue Wasserversorgung benötigte34? Nach Ernst Axel Knauf erforderte eine derartige Tunnel-Konstruktion viel Zeit. So lange habe die Regierungszeit Hiskijas aber nicht gedauert. Der Tunnel sei unter Manasse erbaut worden, der ihn auch zur Bewässerung eines königlichen Gartens in der Art der Assyrer habe nutzen wollen. Übrigens ist es sehr gut möglich, dass die meisten Bauarbeiten, welche die Bibel König Hiskija zugeschreibt, in der Tat unter Manasse entstanden sind35. Da den biblischen Redaktoren König Manasse ein Gräuel war, schrieben sie diese Errungenschaften natürlich Hiskija zu. Diese These gewinnt noch an Plausibilität, wenn die Regierungszeit Hiskijas tatsächlich erst gegen 715 v.u.Z. begonnen hat. Bei der erwähnten Tunnelinschrift handelt es sich um die älteste Monumentalinschrift, die aus Jerusalem bekannt ist36. Aus derselben Zeit stammt das Fragment einer für die Öffentlichkeit bestimmten, recht großen Inschrift auf einer Kalksteinplakette. Man kann noch Termini wie ṣ-ḇ-r, „anhäufen“ und ʿ-š-r, „Reichtum“ entziffern37. Hinzu kommt eine bedeutende Inschrift über der Schwelle eines Grabes am Eingang des Dorfes Silwan, in der ein „Palastvorsteher“ mit einem jahwistischen Namen erwähnt wird38. Gegen Ende des 8. Jh. v.u.Z. kann man also eine wachsende Zahl von Bauinschriften beobachten. Dies ist ein weiterer Hinweis für die zunehmende Bedeutung Jerusalems in dieser Epoche. 33 Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 328–329. Zur besseren Lesbarkeit wurden die eckigen Klammern entfernt. 34 David Ussishkin: „The date of the Judaean shrine at Arad, in: Israel Exploration Journal 38 (1988), S. 142–157. 35 Ernst Axel Knauf: „The glorious days of Manasseh“, in: Lester L. Grabbe (Hg.): Good Kings and bad Kings. The Kingdom of Judah in the Seventh Century B.C.E., London– New York (T&T Clark) 2005, S. 164–188. 36 Nach Philip R. Davies und John W. Rogerson: „Was the Siloam tunnel built by Hezekiah?“, in: The Biblical Archaeologist 59 (1996), S. 138–149 stammt diese Inschrift erst aus hasmonäischer Zeit. Diese Theorie hat die Mehrheit der Forscher nicht überzeugt. Vgl. zu den Argumenten gegen diese These Stig Norin: „The age of the Siloam inscription and Hezekiah’s tunnel“, in: Vetus Testamentum 48 (1998), S. 37–48. 37 Johannes Renz und Wolfgang Röllig: Handbuch der althebräischen Epigraphik I. Johannes Renz: Althebräische Inschriften. Text und Kommentar, Darmstadt (WBG) 1995, S. 190–191. 38 Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 369.
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Die Außenpolitik Hiskijas Die biblischen Redaktoren schätzen Hiskija aufgrund seiner anti-assyrischen Politik. Um den Assyrern die Stirn bieten zu können, ließ er wahrscheinlich die Stadt Lachisch befestigen und die Befestigungsanlagen von Beerscheba verstärken. Das genaue Datum seiner Revolte gegen seinen assyrischen Lehnsherrn kennen wir nicht: „Gegen den König von Assur lehnte er sich auf und diente ihm nicht länger“ (2Kön 18,7). Der folgende Vers erwähnt einen assyrischen Feldzug gegen die Philister, der im Jahr 701 v.u.Z. stattgefunden hat39. Möglicherweise plante Hiskija schon vor 701, sich gegen die Assyrer aufzulehnen. Vielleicht hatte er vor, sich einem von der Philisterstadt Aschdod organisierten Aufstand anzuschließen, vor dem der Prophet Jesaja gewarnt hatte: (1) In dem Jahr, als der von Sargon, dem assyrischen König, gesandte Generalissimus Aschdod angriff und sich seiner bemächtigte […] (2) Zu jener Zeit hatte Jhwh durch Jesaja, den Sohn des Amoz, gesprochen: „Geh, hatte er ihm gesagt, löse das Sackleinen, das du um die Hüften trägst, ziehe die Sandalen aus, die du an den Füßen hast“; und so machte er es, nackt ging er und barfuß. (3) Jhwh sagte: „Mein Diener Jesaja ist drei Jahre lang nackt und barfuß gegangen als Zeichen und Warnung an Ägypten und Nubien. (4) So wird der König von Assyrien die ägyptischen Gefangenen fortführen und die nubischen Deportierten, junge und alte, nackt und barfuß, mit entblößtem Gesäß – die Nacktheit Ägyptens! (5) Man wird erschreckt und verwirrt sein wegen Nubien, auf das man schaute, und wegen Ägypten, dessen man sich rühmte.“ (6) Dann werden die Bewohner dieser Gebiete sagen: „Dort sind sie, diejenigen, auf die wir geschaut haben, um zu ihnen zu fliehen, dort Hilfe zu finden und von assyrischen König befreit zu werden. Und wir, wie sollen wir entkommen?“ (Jesaja 20). Nach diesem Orakel scheint es so, dass die Aufständischen eine Allianz mit Ägypten gesucht hätten. Nach seiner Thronbesteigung muss Sanherib (705–681) gegen einen Aufstand in Babylonien vorgehen und ist in der Levante daher weniger präsent. Die Philisterstädte, vor allem Ekron und Aschkelon, unternehmen einen neuen Aufstandsversuch und stützen sich dabei auf Ägypten. Ägypten seinerseits will die Stadtstaaten der Philister und vielleicht auch Judas als Pufferzone gegen die Assyrer unter seine Kontrolle bringen. Die Beliebtheit Ägyptens in Juda gegen Ende des 8. Jh. v.u.Z. belegt übrigens auch eine große Zahl an Siegeln in ägyptischem Stil. 39 „Er schlug die Philister bis nach Gaza und verwüstete ihr Territorium, sowohl die einfachen Wachtürme als auch die befestigten Städte.“ (2Kön 18,8).
Die Außenpolitik Hiskijas
701 unternimmt Sanherib einen Feldzug gegen Palästina, für den es, vor allem in Lachisch, sehr viele archäologische Belege gibt. Außerdem zeigen assyrische Reliefs aus Ninive die Belagerung und den Fall dieser Stadt40. Weitere Zeugnisse sind die Annalen Sanheribs, die Orakel im Jesaja-Buch und zwei verschiedene Berichte von der abgebrochenen Belagerung Jerusalems im zweiten Königsbuch (2Kön 18–20). Nach den assyrischen Texten hatten die Bewohner Ekrons König Padi abgesetzt, der den Assyrern loyal gesonnen war, und ihn an Hiskija ausgeliefert. Dies zeigt die wichtige Rolle, die der judäische König in diesem Aufstand spielte, in dem auch Ägypten stark engagiert war. Sanherib greift daraufhin gegen Ekron ein und setzt Padi wieder zurück auf den Thron: Die Minister, Großen und Leute von Ekron, die ihren König Padi, einen vereidigten Vasallen des Landes Assyrien, in eiserne Fesseln geschlagen und dem Hiskia von Juda in feindlicher Absicht ausgeliefert hatten […] Im Vertrauen auf meinen Herrn Assur kämpfte ich mit ihnen […] Ihren König Padi holte ich aus Jerusalem heraus und setzte ihn (wieder) auf den Herrscherthron über sie […] Von Hiskia von Juda, der sich meinem Joch nicht unterworfen hatte, belagerte (und) eroberte ich 46 seiner Festungsstädte […] 200150 Menschen […] holte ich daraus heraus und rechnete sie zur Beute. Ihn selbst schloss ich wie einen Käfigvogel in Jerusalem, seiner Königsstadt, ein […] Seine Städte, die ich geplündert hatte, trennte ich von seinem Lande ab […] und verkleinerte so sein Land41. Diese Inschrift räumt ein, dass Jerusalem nicht erobert wurde, was in der biblischen Erzählung mit dem wundersamen Eingreifen Jhwhs erklärt wird42. Zahlreiche andere Städte, darunter Lachisch, wurden dagegen eingenommen. Die Annalen und der biblische Text stimmen dahingehend überein, dass Hiskija einen hohen Tribut leisten musste, der ihn nach der Bibel sogar zur Beschädigung einiger Tore des Jerusalemer Tempels zwang: Im vierzehnten Regierungsjahr Hiskijas, zog Sanherib, der König Assyriens, herauf gegen alle befestigten Städte von Juda und bemächtigte sich ihrer. 40 David Ussishkin: The Conquest of Lachish by Sennacherib, Tel Aviv (Institute of Archaeology) 1982. 41 Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 332–333. 42 „(35) Und in jener Nacht ging der Engel Jhwhs hinaus und erschlug hundertfünfundsechzigtausend Mann im Lager der Assyrer. Am Morgen, als man erwachte, gab es überall nur Kadaver, Tote! (36) Sanherib, König Assyriens, floh: er kehrte nach Ninive zurück, wo er blieb.“ (2Kön 19).
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Hiskija, der König von Juda, ließ dem König Assyriens in Lachisch bestellen: „Ich habe einen Fehler gemacht! Zieh ab von mir. Was du mir auferlegst, werde ich erdulden.“ Der König Assyriens erlegte Hiskija, dem König von Juda, dreihundert Talente43 Silber und dreißig Talente Gold als Tribut auf. Hiskija gab das ganze Silber, das sich im Haus Jhwhs und in den Tresoren des königlichen Palastes befand. In dieser Zeit entfernte Hiskija, der König von Juda, auch die Goldbeschläge, mit denen er die Türen und die Türstürze des Jhwh-Tempels überzogen hatte, um sie dem König Assyriens zu geben (2Kön 18,13–16). Obwohl das Königreich Juda deutlich beschnitten worden war44 und obwohl es offensichtlich eine große Zahl an Deportationen gegeben hatte, betrachteten die biblischen Autoren die Ereignisse des Jahres 701 v.u.Z. als ein Zeichen der Allmacht Jhwhs. Wir wissen fast nichts über die Deportierten des Jahres 701 v.u.Z.; die assyrischen Zahlen, die von 200.150 Deportierten sprechen, sind sicher viel zu hoch. Anders als die Babylonier ließen die Assyrer die Deportierten nicht zusammenbleiben, sondern teilten sie auf; einige kamen zur Armee, was ihre Integration und Assimilation förderte. Die Ereignisse von 701, während derer trotz einer vernichtenden Niederlage die Stadt Jerusalem intakt geblieben war, hatten die politisch und religiös Verantwortlichen in der Hauptstadt wahrscheinlich in ihrer Überzeugung bestärkt, dass Jhwh seinen Berg und seine Wohnstatt Zion verteidigt hatte. Nach der biblischen Erzählung hielt ein hoher assyrischer Beamter während der Belagerung von Jerusalem eine Propagandarede vor dem Stadttor Jerusalems. Dies könnte einer realen assyrischen Praxis entsprechen, so wie sie auf einem Relief dargestellt ist, das eine Person in einem Streitwagen mit einer Schriftrolle in den Händen zeigt, auf der sich wahrscheinlich die zu lesende Rede befindet, die er an die Einwohner der Stadt richten soll. (28) Der Adjutant stellte sich hin und rief mit lauter Stimme auf Judäisch; er sprach diese Worte: „Hört das Wort des Großkönigs, des Königs von Assyrien! (29) So spricht der König: Lasst euch von Hiskija nicht verführen, denn er kann euch nicht aus meiner Hand retten! (30) Hiskija soll euch nicht dazu verleiten, Jhwh zu vertrauen und zu sagen: ‚Sicher wird Jhwh uns retten; diese Stadt wird nicht in die Hände des Königs von Assyrien fallen!‘ (31) Hört nicht auf Hiskija, denn so spricht der König Assyriens: 43 In der Regel wird angenommen, dass ein Talent im Vorderen Orient 30 kg entsprach. 44 Einige Forscher behaupten, von Juda sei nur die Stadt Jerusalem und ihr Hinterland übriggeblieben; so zum Beispiel Gösta W. Ahlström: The history of Ancient Palestine from the Palaeolithic Period to Alexander’s Conquest, Sheffield (JSOT Press) 1993, S. 717–730 und Karte 21.
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Die Außenpolitik Hiskijas L’INVENTION DE DIEU
Abb. 10: Ausschnitt aus einem Relief Sargons II., das die Belagerung einer Stadt zeigt; im Streitwagen vor dem Stadttor sieht man eine Person mit einer Schriftrolle in den Händen.
Extrait d’un relief de Sargon II représentant le siège d’une ville ; on voit dans le char devant la porte de la ville un personnage ‚Schließt Freundschaft mit mir, ergebt euch mir, und jeder von euch wird tenant un rouleau
die Früchte seines Weinstocks und seines Feigenbaums essen und das Wasser aus seiner Zisterne trinken, (32) bis ich euch hole und in ein Land führe, (28) L’aide de campgleich se tint debout cria d’une voix forteund en langue das eurem ist, einetLand mit Weizen jungem Wein, ein Land mit judéenne ; il parla en ces termes : « Écoutez la parole du Grand Roi, frischem Öl und mit Brot und Weinbergen, ein Land mit Ölbäumen von du roi d’Assyrie ! (29) Ainsi parle le roi : Qu’Ézékias ne vous abuse Honig, und so werdet ihr leben und ihr werdet nicht sterben.‘ Hört nicht pas, car il ne peut vous délivrer de ma main ! (30) Qu’Ézékias ne auf Hiskija, denn er täuscht euch, wenn er sagt: ‚Jhwh wird uns befreien!‘ vous persuade pas de mettre votre confiance en Yhwh en disant : (33) Haben die Götter der Völker ihr eigenes Land aus der Hand des assyri“Sûrement Yhwh nous délivrera ; cette ville ne sera pas livrée aux schen Königs befreien können? (34) Wo sind die Götter von Hamad und mains du roi d’Assyrie !” (31) N’écoutez pas Ézékias, car ainsi parle Arpad? Wo sind die Götter von Sefarwajim, von Hena und von Awa? Hale roi d’Assyrie : “Liez-vous d’amitié avec moi, rendez-vous à moi, ben sie Samaria aus meiner Hand befreien können? (35) Welcher von all et chacun de vous mangera les fruits de sa vigne et de son figuier Göttern aus diesen Ländern konnte Land et boiraden l’eau de sa citerne, (32) en attendant que jesein vienne vousaus meiner Hand retten, dassvous jetztmener Jhwhdans Jerusalem meiner Handunretten prendresopour un paysaus comme le vôtre, pays könnte?“ (2Kön 18). de blé et de vin nouveau, un pays de pain et de vignobles, un pays Folgt man dieser dannet ist Abbruch Jerusalems der d’oliviers à huile fraîcheLogik, et de miel, ainsider vous vivrez et der vousBelagerung ne
Beweis dafür, dass Jhwh mächtiger ist als die Assyrer und ihre Götter. Es ist schwer zu sagen, warum 246 die Belagerung Jerusalems ergebnislos aufgegeben wurde. Nach 2Kön 20,35–37 schlägt der Engel Jhwhs die assyrische Armee und zeigt, dass der Gott Judas entgegen den Behauptungen der assyrischen Propaganda mächtiger ist als Assur und sein Heer. Auf historischer Ebene wurden zum assyrischen Rückzug folgende Hypothesen geäußert: Die assyrische Armee
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sei nach dem Sieg über Ägypten zu geschwächt gewesen45, oder die Assyrer hätten gar nicht vorgehabt, Jerusalem zu zerstören, sondern ein verkleinertes Juda als Pufferzone erhalten wollen46. Nach einer anderen Version der biblischen Erzählung soll Sanherib die Belagerung abgebrochen haben, weil in Assyrien eine Verschwörung gegen ihn eingefädelt wurde (2Kön 19,7). Wie dem auch sei, im judäischen Bewusstsein wurde die Quasi-Niederlage in einen triumphalen Sieg verwandelt. Es besteht kein Zweifel, dass die Ereignisse des Jahres 701 den Ursprung der symbolischen Bedeutung Jerusalems als Stadt Jhwhs darstellen47. Zunächst hat das Eingreifen der Assyrer in Juda tatsächlich zu einer Art Zentralisierung von Kultus und Verwaltung in Jerusalem geführt, das als einzige Stadt im Königreich Juda nicht von den Assyrern erobert worden war. Die Verschonung Jerusalems hat zur „Theologie des Rests“ geführt, die man vor allem im Jesajabuch findet und nach der Jhwh in allen Katastrophen immer einen „Rest“ in Jerusalem bewahrt hat48. Aber die Ereignisse von 701 bedeuten vor allem eine Stärkung der Zionstheologie, d.h. der Vorstellung, dass Jhwh seinen heiligen Berg für immer erhalten wird. Es ist sehr gut möglich, dass ein Triumphlied wie in Psalm 48, der den Schutz Zions feiert, in der Folge der Ereignisse von 701 komponiert wurde: (2) Jhwh ist groß, er ist würdig eines jeden Lobs, in der Stadt unseres Gottes, seinem heiligen Berg. (3) Schön ist sein Hügel, Wonne der ganzen Welt, der Berg Zion, im äußersten Norden, die Stadt des großen Königs. (4) Gott ist in den Palästen der Stadt bekannt als eine Schutzburg. (5) Denn die Könige taten sich zusammen: sie zogen gemeinsam heran. (6) Sie haben gesehen, sind erstarrt; von Entsetzen ergriffen, sind sie geflohen. (7) Da ergriff sie ein Zittern, wie die Schmerzen einer Frau in den Wehen […] (9) Was 45 Ernst Axel Knauf: „Who destroyed Beersheba II?“, in: Ulrich Hübner und Ernst Axel Knauf (Hgg.): Kein Land für sich allein. Studien zum Kulturkontakt in Kanaan, Israel/ Palästina und Ebirnâri für Manfred Weippert zum 65. Geburtstag, Freiburg (Schweiz)– Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 2002, S. 188–195, S. 188. 46 Ludwig Massmann: „Sanheribs Politik in Juda. Beobachtungen und Erwägungen zum Ausgang der Konfrontation Hiskias mit den Assyrern“, in: Ulrich Hübner und Ernst Axel Knauf (Hgg.): Kein Land für sich allein. Studien zum Kulturkontakt in Kanaan, Israel/Palästina und Ebirnâri für Manfred Weippert zum 65. Geburtstag, Freiburg (Schweiz)–Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 2002, S. 167–180, besonders S. 169–172. 47 Yairah Amit: „When did Jerusalem become a subject of polemic?“, in: Andrew G. Vaughn und Ann E. Killebrew (Hgg.): Jerusalem in Bible and Archeology. The First Temple Period, Atlanta (Society of Biblical Literature) 2003, S. 365–374. 48 Jutta Hausmann: Israels Rest. Studien zum Selbstverständnis der nachexilischen Gemeinde, Stuttgart (Kohlhammer) 1987.
Die Reformen Hiskijas
wir gehört haben, haben wir in der Stadt Jhwhs der Heerscharen gesehen, in der Stadt unseres Gottes: Gott wird sie auf ewig bestehen lassen. Auf dieser Ideologie der Einzigartigkeit Jerusalems und des Tempelbergs wird später die Idee einer Zentralisation des Jhwh-Kults gründen.
Die Reformen Hiskijas Nach den Königsbüchern ist Hiskija ein Vorläufer Joschijas, denn er scheint bereits mit einer Reform begonnen zu haben, die eine exklusiv auf Jerusalem konzentrierte Jhwh-Verehrung zum Ziel hatte. Es gibt eine große Debatte über die Historizität der biblischen Behauptungen, die – abgesehen von einem Detail – ziemlich allgemein gehalten sind. Es ist jedoch durchaus denkbar, dass die Reformen Hiskijas in Zusammenhang mit der gerade beschriebenen Zionstheologie stehen: „Er [Hiskija] hat die Kulthöhen abgeschafft und die Mazzeben zerschlagen, die Aschera zerschlagen und die Schlange aus Bronze, die Mose gemacht hatte, zermalmt, denn bis in jene Tage hatten die Israeliten ihr Brandopfer dargebracht; man nannte sie Nehuschtan“ (2Kön 18,4). Politisch gesehen könnten die „Reformen“ Hiskijas, vor allem das Schließen der Höhenheiligtümer, einfach die geopolitische Situation widerspiegeln. Nach 701 war von Juda kaum mehr als Jerusalem und sein Hinterland übrig. Die biblische Erzählung schreibt Hiskija auch die Zerstörung einer „Schlange aus Bronze“ zu. Diese Mitteilung ist vielleicht keine Erfindung. Diese Schlange, die Mose hergestellt haben soll49, lässt vor allem an ägyptischen Einfluss50 denken, obwohl die Schlangen in vielen Religionen verehrt werden. Möglicherweise kann man sie in Beziehung zu den Serafim setzen, die nach der Vision von Jesaja 6 den Thron Jhwhs im Tempel von Jerusalem umgeben. Aber dass sie einen Namen trägt (Nehuschtan, was nichts anderes als „Schlange“ bedeutet), spricht eher für die spezielle Verehrung einer bestimmten heilenden Schlange. Das Entfernen dieser Statue durch Hiskija kann auf einen Wechsel des Souveräns hindeuten: Infolge seiner erzwungenen Rückkehr unter die assyrische Lehnsherrschaft kann der judäische König beschlossen haben, dieses ägyptische Symbol zu entfernen51. 49 Die Erzählung von Num 21,4–9 liefert in späterer Zeit eine Entstehungsgeschichte dieser Schlange: Mose habe in der Wüste eine Bronzeschlange hergestellt, um die Israeliten vor den Angriffen der feurigen Schlangen zu schützen, die Jhwh gegen die ungehorsamen Israeliten gesandt hatte. 50 Zur Bedeutung der ägyptisierenden Schlangendarstellungen in Juda im Laufe des 8. Jh. vgl. Othmar Keel: Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2007, S. 422–429. 51 Kristin A. Swanson: „A reassessment of Hezekiah’s reform in light of jar handles and iconographic evidence“, in: Catholic Biblical Quaterly 64 (2002), S. 460–469.
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10. Der Fall Samarias und der Aufstieg Judas
Die Verehrung Jhwhs in der Regierungszeit von Manasse Manasse, der Sohn Hiskijas, regierte über eine sehr lange Zeit (55 Jahre), aber erstaunlicherweise kennen wir nur wenige Details über seine Regentschaft. Für die Redaktoren der Königsbücher ist er das Paradebeispiel eines schlechten Königs und tut alles „was Jhwh missfällt“. Historisch gesehen hat seine Politik der Akzeptanz der assyrischen Oberherrschaft dem Königreich Juda eine Zeit der Ruhe und Stabilität gesichert. Möglicherweise sind, wie wir gesehen haben, auch einige der bemerkenswertesten Bauwerke, die die Hebräische Bibel Hiskija zuschreibt, eigentlich das Werk Manasses. Wahrscheinlich hat er Lachisch wiederaufgebaut; er errichtete offensichtlich auch ein System von Festungen, die alle von Jerusalem abhängig waren. Plausibel ist auch, dass Assurbanipal einige judäische Gebiete an Manasse restituierte, um diesen für seine Loyalität zu belohnen52, zu nennen wäre hier vor allem die Schephela. In 2Könige 21 wird Manasse direkt mit dem König des Nordreichs, Ahab, verglichen und als derjenige dargestellt, der assyrische Praktiken wie den Aschera-Kult im Tempel wiedereingeführt hat. Die lange Aufzählung der Vergehen Manasses in 2Kön 21,1–9 und 16–1853 soll zeigen, dass er gegen alle wichtigen Gesetze des Deuteronomiums verstoßen hat. In den Augen der Redaktoren der Königsbücher war so der Weg für die Reformen Joschijas offen. 2Kön 21,2: Manasse „ahmte die Gräuel der Völker nach, die Jhwh vor den Israeliten vertrieben hatte“.
Dtn 18,9: „Du sollst nicht lernen, so abscheulich zu handeln wie jene Nationen.“
2Kön 21,3 und 7: Manasse hat eine Aschera-Statue anfertigen lassen.
Dtn 16,21: „Du sollst keinen Baum (als Symbol) Ascheras einpflanzen.“
2Kön 21,3 und 5: „Er baute Altäre für das ganze Himmelsheer.“
Dtn 17,3: „Wenn jemand anderen Göttern dient und sie anbetet, die Sonne oder den Mond oder das Himmelsheer, ich verbiete es.“
52 Israel Finkelstein und Nadav Naʾaman: „The Judahite Shephelah in the late 8th and early 7th centuries BCE“, in: Tel Aviv 31 (1994), S. 60–79. Und Alexander Fantalkin: „The final destruction of Beth Shemesh and the Pax Assyriaca in the Judahite Shephelah. An alternative view“, in: Tel Aviv 31 (2004), S. 245–261. 53 Bei den Versen 10–15 handelt es sich wahrscheinlich um eine Interpolation späterer Redaktoren, die Manasse zu dem König machen wollten, der die Haupt-, wenn nicht gar die einzige Schuld am Fall Judas trug.
Die Verehrung Jhwhs in der Regierungszeit von Manasse
2Kön 21,6 „Er ließ seine Söhne durch das Feuer gehen; er trieb Zauberei und Wahrsagerei, suchte Totenbeschwörer und Zeichendeuter auf.“
Dtn 18,10–11: „Bei euch soll keiner gefunden werden, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lässt, keiner, der Losorakel befragt, kein Zauberer, Wahrsager oder Hexenmeister […] oder Totenbeschwörer…“
2Kön 21,16: Manasse vergoss viel unschuldiges Blut.
Dtn 19,10: „Das Blut eines Unschuldigen darf nicht vergossen werden“ (vgl. auch 21,8–9)
Man sieht, dass die biblischen Autoren aus Manasse einen König machen wollen, der anders als Joschija kein einziges Gesetz des Deuteronomiums beachtet. Es ist schwer zu sagen, was historisch tatsächlich geschah. Da Manasse ein loyaler Vasall war, hat er möglicherweise die Zahl der assyrisch geprägten Kultsymbole im Jerusalemer Tempel erhöht. Das in 2Kön 21,15 erwähnte Himmelsheer kann die Anbetung von Planeten, von Sonne, Mond und Sternen einschließen. Der Mondgott war im 7. Jh. v.u.Z. in Haran, der „westlichen Hauptstadt“ des assyrischen Reiches, sehr beliebt. Man findet sein Emblem auf zahlreichen Siegeln in der ganzen Levante und auch in Judäa. Es ist also möglich, dass solche astralen Kulte auch unter Manasse eine privilegierte Stellung besaßen und dass man den Mondgott in Juda, d.h. in Jerusalem, mit Jhwh identifizierte54. Ganz allgemein sind die Kultsymbole im 7. Jh. eher assyrischen Stils, während sie im 8. Jh. stärker ägyptisch beeinflusst waren. Über den Nachfolger Manasses, Amon, wissen wir nur wenig. Vielleicht ist sein Name ägyptischer Herkunft, was bedeuten könnte, dass in seiner kurzen Regierungszeit Ägypten bereits wieder die Kontrolle über die Levante innehatte. Die Herrschaft Amons wurde durch einen Putsch beendet, in dessen Folge, dank der Unterstützung durch das ʿam hāʾāreṣ – (wörtlich „Volk des Landes“), eine Koalition aus Repräsentanten von Großgrundbesitzern und anderen einflussreichen Persönlichkeiten55 – der junge Joschija den Thron bestieg. In seiner Regierungszeit wurde Jhwh wahrscheinlich endgültig zu dem einen Gott. 54 Zu den Siegeln aus dieser Zeit, die vielleicht Jhwh mit lunaren Zügen darstellen, vgl. Benjamin Sass: „The pre-exilic Hebrew seals: iconism vs. aniconism“, in: Benjamin Sass and Christoph Uehlinger (Hgg.): Studies in the Iconography of Northwest Semitic Inscribed Seals, Freiburg (Schweiz)–Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 1993, S.232–234. 55 Zu dieser Bedeutung der Wendung ʿam hāʾāreṣ („Volk des Landes“) vgl. Jean-Daniel Macchi: „ʿAm ha-Arets. I. Hebrew Bible/Old Testament“, in: Encyclopedia of the Bible and its Reception, Bd. I (2009) col. 912–914.
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11. Die Reformen des Königs Joschija Die Herrschaft Joschijas Der Herrschaftsantritt Joschijas fällt mehr oder weniger mit dem Untergang des assyrischen Reiches zusammen. Um 627 v.u.Z. erlangt Babylon seine Unabhängigkeit wieder, und die assyrische Präsenz in der Levante wird schwächer, so dass diese für einen kurzen Moment wieder unter ägyptische Kontrolle gerät. Möglicherweise schlossen die Assyrer und die Ägypter unter Psammetich I. (664–610) einen Vertrag, und die Assyrer gaben die Levante als Gegenleistung für militärische Unterstützung an Ägypten zurück. Die Herrschaft Joschijas spielt sich vor diesem Hintergrund ab. Die biblische Darstellung seiner Regierungszeit interessiert sich fast ausschließlich für die „Reform“, die er durchgeführt haben soll. Die Kapitel 22 und 23 des zweiten Königsbuches sowie 2Chr 34–35 berichten von der Auffindung einer Schriftrolle im achtzehnten Jahr der Königsherrschaft Joschijas bei Renovierungsarbeiten im Tempel von Jerusalem. Diese von dem Priester Hilkijahu gemachte Entdeckung und das Verlesen der Rolle vor dem König durch den hohen Beamten Schafan führen bei Joschija zu einer sehr heftigen Reaktion. Die in dem Buch enthaltenen Fluchandrohungen scheinen ihn schwer zu treffen. Der König schickt Hilkijahu, Schafan und andere Beamte zu der Prophetin Hulda, um nach der Bedeutung der Schriftrolle zu fragen. Deren Antwort weist sehr viele Parallelen zu Formulierungen auf, die sich im Buch Jeremia finden. Vor allem kündigt sie an, dass ein Unglück über Jerusalem hereinbrechen werde, da die Judäer sich von Jhwh abgewandt hätten, Joschija werde dagegen in Frieden sterben: (16) So spricht Jhwh: „Ich bringe Unheil über diesen Ort und über seine Bewohner und erfülle so alle Worte des Buches, das der König von Juda gelesen hat. (17) Dafür, dass sie mich verlassen und anderen Göttern Rauchopfer dargebracht haben, um mich zu reizen mit all dem Machwerk ihrer Hände, wird mein Zorn entbrennen gegen diesen Ort, und er wird nicht erlöschen!“ (18) Zum König von Juda aber, der euch gesandt hat, um Jhwh zu befragen, werdet ihr dieses sagen: „So spricht Jhwh, der Gott Israels: Du hast diese Worte wohl gehört, (19) weil dein Herz sich hat berühren lassen, weil du dich vor Jhwh erniedrigt hast […], (20) darum werde ich dich mit deinen Vorfahren vereinen; in Frieden wirst du im Grab mit ihnen vereint werden, und all das Unglück, das ich über diesen Ort bringe, werden deine Augen nicht sehen.“ (2Kön 22)
Der König als Wiedererbauer des Heiligtums und das gefundene Buch
Nachdem seine Beamten ihm die Botschaft überbracht haben, verliest Joschija selbst das Buch vor „dem ganzen Volk“ und geht mit Jhwh einen Vertrag ein. Joschija nimmt danach wichtige kultische Veränderungen in Jerusalem und in Juda vor. Er vernichtet die Kultsymbole von Baal und Aschera sowie das Himmelsheer und setzt ihre Priester ab. Auch profaniert und zerstört er die bāmôt, die Jhwh geweihten Höhenheiligtümer unter freiem Himmel, sowie den tōpet (anscheinend eine Stätte für Menschenopfer). Nach 23,15 zerschlägt er sogar den Altar von Bethel, dem ehemaligen Jhwh-Heiligtum Israels. Die Akte der Zerstörung finden ihren positiven Gegenpart im Abschluss eines (neuen) Bundes zwischen Jhwh und dem Volk sowie in einer Pessachfeier (v. 21–23).
Der König als Wiedererbauer des Heiligtums und das gefundene Buch Frühe jüdische Kommentatoren und einige Kirchenväter hatten das nach 2Könige 22 gefundene Buch bereits mit dem Deuteronomium identifiziert, da die Initiativen Joschijas und die zentralistische Ideologie seiner „Reform“ den Vorschriften des deuteronomischen Gesetzes zu entsprechen scheinen1. Im 19. und 20. Jh. zog man dann diese Identifizierung heran, um eine erste Ausgabe des Deuteronomiums in der Zeit Joschijas anzusetzen. Die erste Ausgabe des Deuteronomiums sei als „fromme Lüge“ entstanden, um die joschijanische Reform zu unterstützen. Man habe sie als Testament des Mose getarnt und so im Tempel versteckt, dass sie leicht habe entdeckt werden können. Diese Theorie setzt allerdings die Historizität der Entdeckung des Buches voraus, was einige Schwierigkeiten mit sich bringt. Bei der Erzählung von 2Könige 22–23 handelt es sich in erster Linie um einen „Gründungsmythos“, verfasst von biblischen Redaktoren, welche die Geschichte des Königtums auf die theologischen Optionen des Deuteronomiums hin ausrichten – die „Deuteronomisten“. Die Erzählung kann nicht einfach naiv als Augenzeugenbericht über die Ereignisse um 620 v.u.Z. gelesen werden. In ihrer jetzigen Form trägt sie der Zerstörung Jerusalems und dem babylonischen Exil bereits Rechnung und wurde demzufolge nach 587 v.u.Z. verfasst. Dies zeigen zum Beispiel auch die Ankündigungen der Prophetin Hulda in 2Kön 22,16–17. Das Motiv von der Auffindung eines Buches ist in der antiken Literatur recht weit verbreitet2 und dient im Allgemeinen dazu, Veränderungen auf religiösem, ökonomischem oder politischem Gebiet zu legitimieren. Als ein Beispiel 1
Vgl. Dtn 17,1–3 und 2Kön 23,4–5; Dtn 12,2–3 und 2Kön 23,6 und 14; Dtn 23,18 und 2Kön 23,7; Dtn 18,10–11 und 2Kön 23,24. 2 Vgl. Bernd Jörg Diebner und Claudia Nauerth: „Die Inventio des sepher hattorah in 2 Kön 22. Struktur, Intention und Funktion von Auffindungslegenden“, in: Dielheimer Blätter zum Alten Testament 18 (1984), S. 95–118.
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11. Die Reformen des Königs Joschija
unter anderen kann hier ein hethitischer Text aus dem 14. Jh. v.u.Z. genannt werden. Der Priester des hethitischen Großkönigs Muršili erklärt in einem Gebet, er habe zwei Tonscherben gefunden und durch sie die Gründe für eine Epidemie erkannt, unter der das Land der Hethiter seit vielen Jahren leide: Eine dieser Scherben erwähne einen Schwur des Vaters von Muršili, den der Vater später nicht mehr gehalten habe3. Der Kirchenvater Eusebius von Caesarea zitiert das Werk eines gewissen Philon von Byblos (1. oder 2. Jh.), der von sich behauptet, die Geschichte Phöniziens eines gewissen Sanchuniathon übersetzt zu haben. Diese Geschichte stütze sich auf sehr alte Tontafeln des Taaut (Thot), die seinerzeit von den Priestern versteckt worden seien und die Sanchuniathon wiedergefunden habe4. Eine ägyptische Variante des Motivs erscheint im letzten Abschnitt von Kapitel 64 des Totenbuchs, von dem es erst in saitischer Zeit (664–525 v.u.Z.) eine einheitliche Ausgabe gab. In diesem Abschnitt heißt es über den Spruch, er sei im Tempel des Totengottes Sokar gefunden worden und stamme aus der Ursprungszeit Ägyptens5. Diese Beispiele zeigen, dass es gut möglich ist, dass die erste Fassung der joschijanischen Reformen noch gar keine Erzählung von der Auffindung eines Buches enthielt6. Im Übrigen taucht der Hinweis auf die Entdeckung des Buches durch den Priester Hilkijahu in Vers 8 ziemlich unvermittelt im Text auf und unterbricht die erste Szene (v. 3–7 und 97). Es ist also sehr wahrscheinlich, 3
Eine deutsche Übersetzung des Textes findet sich in Volkert Haas: Die hethitische Literatur. Texte. Stilistik. Motive, Berlin–New York (de Gruyter) 2006, S. 255–259. 4 Katherine Stott: „Finding the lost Book of the Law. Re-reading the story of ‚The Book of Law‘ (Deuteronomy-2 Kings) in light of classical literature“, in: Journal for the Study of the Old Testament 30 (2005), S. 153–169. 5 Von diesem schwer zu übersetzenden Kapitel gibt es längere und kürzere Fassungen; der letzte Abschnitt lautet in der Fassung des Papyrus Turin 1791 (Theben) = TM 57201: „Dieser Spruch ward in Hermupolis auf einem Ziegel aus Eisenerz gefunden, mit Lapislazuli beschriftet, unter den Füßen dieses Gottes, indem er zur Zeit des Königs von Ober- und Unterägypten Mykerinos, gerechtfertigt, gefunden wurde, indem er dem Königssohn Hordjedjef gewährt ward. Er fand es, nachdem er sich zur Durchführung der Revision der Heiligtümer aufgemacht hatte. … Er brachte es als eine Sensation zum König, daß er sehe, was darauf stand. Es war ein unerschautet (sic!) und unerhörtes Geheimnis. Der diesen Spruch rezitiert sei rein und gesäubert …“. Übersetzung des Spruches 64 von Burckhard Backes in: Totenbuchprojekt Bonn, TM 57201, . 6 Laut Nadav Naʾaman: „The ‚Discovered Book‘ and the Legitimation of Josiah’s Reform“, in: Journal of Biblical Literature 130 (2011), S. 47–62, war das Auffinden der Schriftrolle ein notwendiges Element, um die Reform in Gang zu setzen. Die Parallelerzählung von 2Könige 22–23, 2Chronik 34–35, berichtet aber zuerst von der Reform Joschijas und erst danach von der Entdeckung des Buches. 7 „(3) Im achtzehnten Jahr seiner Herrschaft sandte der König Joschija den Sekretär
Der König als Wiedererbauer des Heiligtums und das gefundene Buch
dass man (wie dies schon oft vertreten wurde) in 2Könige 22 zwei Erzählstränge unterscheiden muss: die Erzählung von der Restaurierung des Tempels und diejenige von der Auffindung des Buches. Möglicherweise handelt es sich bei der Auffindungserzählung8 um einen späteren Einschub, der auf einen Redaktor aus persischer Zeit zurückgeht, welcher im Kontext des entstehenden Judentums zeigen wollte, wie das Buch (der Pentateuch) an die Stelle des traditionellen Kultus tritt. Das Motiv von der „Auffindung des Buches“ hat auch Parallelen in den Gründungsinschriften enthaltenden Tontafeln der mesopotamischen Heiligtümer, die oft von Königen bei späteren Restaurierungen „wiedergefunden“ werden. Die Inschriften von Nabonid (556–539), dem letzten König des neubabylonischen Reiches, sind von besonderem Interesse. Er will sich als Entdecker zahlreicher Dokumente darstellen. Hier der Bericht vom Wiederaufbau des Schamasch-Tempels in Sippar: Ein König früherer Zeit [i.e. Nebukadnezar] hat die alte Gründung gesucht, doch nicht gefunden, aus eigenem Antrieb hat er einen neuen Tempel für Šamaš bauen lassen, doch war er nicht geei[g]net für seine Herrschaft, nicht angemessen dem, was sich seiner Gottheit geziemt. Noch vor der ihm bestimmten Zeit beugten sich die Spitzen dieses Tempels, wurden gänzlich hingeschüttet seine Höhen […] [Ich] flehte [Schamasch] täglich an und brachte ihn um dessentwillen ein Opfer dar und führte ihm (durch Opferschau) eine Entscheidung herbei (mit dem Ergebnis): Šamaš, der erhabene Herr, hat seit fernen Tagen mein, mein gewartet! […] [Ich] versammelte dann die Ältesten der Stadt, die Söhne von Bābil, die Architekten, die Gelehrten […] und so sprach ich zu ihnen: „Die alte Gründung sucht“ […] Schafan, Sohn des Azaljahu, Sohn des Meschullam, zum Haus Jhwhs und sagte: ‚Geh hinauf zu Hilkijahu, dem Hohen Priester; er soll das ganze Silber bereitstellen, das in das Haus Jhwhs gebracht wurde und das die Hüter der Schwelle eingesammelt haben beim Volk. (5) Man soll es in die Hände der Werkmeister geben, die für das Haus Jhwhs verantwortlich sind, damit sie diejenigen bezahlen, die im Haus Jhwhs die Schäden ausbessern: (6) die Zimmerer, die Konstrukteure, die Maurer, und um Holzbalken und Bruchsteine zu kaufen, um das Haus auszubessern. (7) Sie sollen keine Rechenschaft über das Silber ablegen müssen, das in ihre Hände gegeben wird, denn sie handeln gewissenhaft.’ (8) Der Hohe Priester Hilkijahu sagte zum Sekretär Schafan: ‚Ich habe das Buch des Gesetzes im Haus Jhwhs gefunden.‘ Hilkijahu gab Schafan das Buch, der es las. (9) Der Sekretär Schafan ging zum König und erstattete ihm Bericht: ‚Deine Diener haben das Silber, das sich im Haus befand, bereitgestellt, und es in die Hände der Werkmeister gegeben, der Verantwortlichen für das Haus Jhwhs.‘ “ – Die Erzählung liest sich in der Tat leichter ohne Vers 8 (hier kursiv), der später eingefügt wurde. 8 Diese findet sich vor allem in den Versen 8,10–11, 13*, 16–18, 19* und 20* des 22. Kapitels und in den Versen 1–3 des 23. Kapitels.
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11. Die Reformen des Königs Joschija
Unter Flehen zu Šamaš, meinem Herrn, unter Gebet(en) zu den großen Göttern sah die Versammlung der Gelehrten die alte Gründung, und sie prüften die Cella und die Kultsockel und kamen schnell zu mir zurück (und) sprachen zu mir: „Gesehen habe ich tatsächlich die alte Gründung Narām-Sîns, eines Königs ferner Zeit, die beständige Cella des Šamaš, den Wohnsitz seiner Gottheit.“ Es freute sich mein Herz, und meine Züge leuchteten9. Nach diesem Text enthält der Grundstein den Plan des „ursprünglichen Tempels“ und ermöglicht es König Nabonid so, die Restaurierungsarbeiten vornehmen zu lassen. In der Erzählung von 2Könige 22–23 wird der Grundstein durch das Buch ersetzt. Dies zeigt, dass wir es mit einer konstruierten Geschichte zu tun haben, die man nicht als Tatsachenbericht über die Ereignisse des Jahres 622 v.u.Z. verstehen darf. Hinzu kommt, dass die Erzählung vom Wiederaufbau des Tempels durch den frommen König Joschija teilweise wörtliche Übereinstimmungen mit dem Bericht über Renovierungsarbeiten unter dem judäischen König Joasch in 2Kön 12,10–16 aufweist10. Offensichtlich diente die Erzählung von der Restaurierung des Tempels durch Joasch, der im Alter von sieben Jahren gekrönt wurde (und das Zwischenspiel der Königin Atalja beendet), als Modell für die Erzählung von Joschija, der im Alter von acht Jahren König wurde. Joasch wird von den Autoren des zweiten Königsbuches ebenfalls positiv bewertet, obwohl die Höhenheiligtümer unter ihm bestehen blieben (2Kön 12,3–4). Den Autoren der Königsbücher ging es darum, zu zeigen, dass Joschija zu Ende führt, was Joasch nicht umsetzen konnte. In einem allgemeinen Sinne sind die Arbeiten am Heiligtum Teil eines Rituals, mit dem der König seine Treue gegenüber den Göttern demonstriert11. Die Erzählung von 2Könige 22, die typische Motive des Alten Orients (der König als Wiedererbauer des Tempels, das Entdecken al9 Auszüge aus dem Ebabbar-Zylinder. Deutsche Übersetzung bei Hanspeter Schaudig: Die Inschriften Nabonids von Babylon und Kyros‘ des Großen, Münster (Ugarit-Verlag) 2001, 391–394, die hier zitierten Stellen S. 392. 10 Vgl. dazu im Detail Hans-Detlef Hoffmann: Reform und Reformen. Untersuchungen zu einem Grundthema der deuteronomistischen Geschichtsschreibung, Zürich (TVZ) 1980, S. 169–270. Die beiden Erzählungen weisen Parallelen hinsichtlich des Beginns der Arbeiten, der Erwähnung der Arbeiter und ihrer Ehrlichkeit auf. Vgl. zum Beispiel 2Kön 12,16: „… Man verlangte keine Rechenschaft von den Männern, denen man das Silber gegeben hatte, damit sie es an diejenigen geben, die die Arbeiten machten, denn sie handelten verlässlich.“ und 2Kön 22,7: „Sie sollen keine Rechenschaft über das Silber ablegen müssen, das in ihre Hände gegeben wird, denn sie handeln gewissenhaft.“ 11 Victor A. Hurowitz: I Have Built You an Exalted House. Temple Building in the Bible in Light of Mesopotamian and Northwest Semitic Writings, Sheffield (Sheffield Academic Press) 1992.
Archäologische Beweise?
ter Dokumente) in sich aufnimmt, dient zuallererst dazu, Joschija als exemplarischen König erscheinen zu lassen. Was ist nun aber mit der berühmten Reform Joschijas? Handelt es sich um eine reine Fiktion der biblischen Redaktoren, wie eine große Zahl von Exegeten meint? Tatsächlich haben wir keine Beweise aus erster Hand für eine wie auch immer geartete „joschijanische Reform“12, die eine politische oder kultische Neuorganisation belegen würden. Dennoch gibt es eine bedeutende Zahl von Indizien, die es sehr plausibel erscheinen lassen, dass es in der Herrschaftszeit Joschijas zu bedeutenden Veränderungen in der Jhwh-Verehrung kam.
Archäologische Beweise? Es gibt kaum archäologische Befunde, die als Beweise für die Historizität der joschijanischen Reform dienen können. Oft hat man im Niedergang des AradHeiligtums einen Beleg für Joschijas Politik der Zentralisierung sehen wollen13. Die umgestoßenen Altäre und Mazzeben, die man im Heiligtum gefunden hat, deutete man als Spuren für seine Zerstörung durch die Armee Joschijas. Aber diese Interpretation ist keinesfalls zwingend. Nach David Ussishkin soll das Heiligtum erst im 7. Jh. errichtet und bis ins 6. Jh. v.u.Z. genutzt worden sein14. Nach Zeev Herzog muss man die Erbauung des Heiligtums und der Schutzmauer auf das 8. Jh. v.u.Z. datieren. Seiner Meinung nach wurden die beiden Hörneraltäre und die Mazzeben sorgfältig dort niedergelegt oder besser versteckt, wo man sie gefunden hat. Und dies könnte darauf hindeuten, dass man dieses Heiligtum während der assyrischen Invasion in der Zeit Hiskijas tarnen wollte15. Diese einander widersprechenden Ansichten zeigen, wie schwer die archäologischen Befunde zu deuten sind. Unter Manasse oder unter Joschija hat man in Arad ein Fort wiedererrichtet. Dass man das Heiligtum nicht wiederaufgebaut hat, könnte mit der wachsenden Bedeutung Jerusalems, und also mit der Reform Joschijas, zusammenhängen. 12 Zu der Unterscheidung zwischen primären und sekundären Quellen vgl. Ernst Axel Knauf: „From history to interpretation“, in: Diana V. Edelmann (Hg.): The Fabric of History. Text, Artifact and Israel’s Past, Sheffield (Sheffield Academic Press) 1991, S. 26–64. 13 Yohanan Aharoni und Ruth Amiram: „Arad. A biblical city in Southern Palestine“, in: Archaeology 17 (1964), S. 43–53. 14 David Ussishkin: „The date of the Judean shrine at Arad“, in: Israel Exploration Society 38 (1988), S. 142–157. 15 Ze’ev Herzog: „The date of the temple at Arad. Reassessment of the stratigraphy and the implications for the history of religion in Judah“, in: Amihai Mazar (Hg.): Studies in the Archaeology of the Iron Age in Israel and Jordan, Sheffield (Sheffield Academic Press) 2001, S. 156–178.
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11. Die Reformen des Königs Joschija
Glyptik und Epigraphik Die Reform Joschijas spiegelt sich vielleicht in der judäischen Glyptik wider, die zwischen dem 7. und dem 6. Jh. v.u.Z. eine deutliche Veränderung aufweist. Im 7. Jh. zeigen die Siegel der Aristokratie und der Beamtenschaft meist astrale Motive und anthropomorphe Darstellungen von Gottheiten. In einem Corpus von ungefähr 260 Siegeln aus dem Anfang des 6. Jh. stößt man dagegen auf kein einziges astrales Symbol und keine einzige astrale Gottheit, sondern nur auf abstraktere Motive. Das heißt, um 600 v.u.Z. kamen die anthropomorphen und astralen Motive bei der Jerusalemer Elite außer Mode16. Außerdem finden sich ab dem Ende des 7. Jh. keine Darstellungen mehr, die mit dem Paar Jhwh und Aschera identifiziert werden könnten. In der Epigraphik sind die Inschriften von Khirbet el-Kom und Kuntillet Adschrud in Juda die letzten Belege für dieses Paar in Juda17. In der Inschrift von Khirbet Bet Lay (8 km östlich von Lachisch) stößt man auf eine Erwähnung Jerusalems. Diese Inschrift ist kaum lesbar und kann nur schwer datiert werden. Sie scheint zu besagen, dass Jhwh der Gott des ganzen Landes ist, Gott Judas und Jerusalems18. Sollte diese Inschrift vom Ende des 7. Jh. v.u.Z. stammen, würde sie in gewisser Hinsicht die Hypothese von einer Zentralisierung des Jhwh-Kults stützen. Erwähnenswert ist in jedem Fall die Bezeichnung Jhwhs in dieser Inschrift als Gott Judas und Jerusalems.
Die Hinweise in der Erzählung 2Könige 23 Nach 2Könige 23 lässt Joschija zahlreiche Bestandteile eines astralen Kults entfernen, der in der religiösen Vorstellungswelt der Assyrer eine zentrale Rolle spielt. Der Bezug auf die Pferde und Wagen von Schamasch, dem Sonnengott (v. 11), ist historisch im Kontext der assyrischen Vorherrschaft durchaus plausibel: „Er schaffte die Pferde ab, die die Könige von Juda zu Ehren der Sonne am Eingang des Hauses Jhwhs aufgestellt hatten, in der Nähe der Kammer des Eunuchen Netan-Melech, die sich im Annex befand; die Sonnenwagen verbrannte er im Feuer.“ Die große Bedeutung des Sonnenkults in Jerusalem zeigt auch die 16 Christoph Uehlinger: „Gibt es eine joschijanische Kultreform? Plädoyer für ein begründetes Minimum”, in: Walter Groß (Hg.): Jeremia und die „deuteronomistische Bewegung”, Weinheim (Beltz Athenäum) 1995, S. 57–90. 17 Es gibt allerdings in persischer Zeit eine Göttin Anat, die in der jüdischen Gemeinde von Elephantine Jhwh zugeordnet wird (siehe dazu später). 18 André Lemaire: „Prières en temps de crise. Les inscriptions de Khirbet Beit Lei“, in: Revue biblique 83 (1976), S. 558–568. Eine deutsche Übersetzung findet sich bei Johannes Renz und Wolfgang Röllig: Handbuch der althebräischen Epigraphik I. Johannes Renz: Die althebräischen Inschriften. Text und Kommentar, Darmstadt (WBG) 1995, S. 242–251.
Die Hinweise in der Erzählung 2Könige 23
folgende Passage aus dem Ezechielbuch, die den Tempelkult vor der Zerstörung des Heiligtums beschreibt: „Am Eingang des Tempels Jhwhs, zwischen der Vorhalle und dem Altar, waren etwa fünfundzwanzig Männer, mit dem Rücken zum Tempel Jhwhs und den Gesichtern nach Osten; sie warfen sich nieder gegen Osten, vor der Sonne“ (8,16). In der Ikonographie des Alten Orients und der Levante gibt es zahlreiche Pferde- und Reiterdarstellungen sowie Bilder des Sonnengottes in Verbindung mit Pferden. Von besonderem Interesse ist eine Zeichnung auf einer TridacnaMuschel, die man zwar in Sippar gefunden hat, die aber aus der Levante stammt und auf das 7. Jh. v.u.Z. datiert werden kann. Sie zeigt zwei Reiter, die eine – in einer Art Nimbus befindliche – Sonnengottheit flankieren19. Da Jhwh bereits Züge des Sonnengottes angenommen hatte, konnten die solaren Kultelemente der Assyrer in Juda als eine Form der Manifestation Jhwhs verstanden werden. Die Reformerzählung erwähnt auch eine spezielle Klasse von Priestern, die kĕmārîm. Laut Vers 5 „schaffte“ Joschija „die kĕmārîm ab, die die Könige von Juda eingesetzt hatten, um Rauchopfer darzubringen auf den Kulthöhen in den Städten Judas und rings um Jerusalem. Er schaffte auch die ab, die Rauchopfer darbrachten für den Baal, für die Sonne, für den Mond, für die Gestirne und für das ganze Heer des Himmels“ (2Kön 23,5). Das Wort kĕmārîm (aus dem Akkadischen kumru, aber wahrscheinlich aramäischen Ursprungs) kommt in der Bibel ziemlich selten vor. Man findet es in aramäischer Form auf zwei Grabstelen aus dem 7. Jh. v.u.Z. Es handelt sich offenbar um eine spezielle Gruppe von Priestern, die insbesondere den Kultdienst an astralen Gottheiten, dem Mond- und dem Sonnengott versahen. In der biblischen Erzählung kann also eine historische Erinnerung an spezielle Priester vorliegen, die im Zusammenhang mit der assyrischen Besatzung „importiert“ worden waren. Die Schilderung in Vers 12 („der König zerstörte die Altäre in der Kammer Ahas, oben, auf dem Terrassendach, Altäre, die die Könige von Juda erbaut hatten“) spielt vielleicht auf einen Kult an, den man auf den Dächern von Jerusalem dem Himmelsheer darbrachte. König Ahas war ein Vasall des assyrischen Königs, und möglicherweise hatte er einen Kultort auf einer Terrasse errichtet, um seine Loyalität zu zeigen (2Kön 16)20. Man muss sich einen großen Altar vorstellen, zu dem man über eine Treppe gelangte. Diese Vorstellung kann durchaus das Bild einer Dachterrasse ergeben. Das Buch Jeremia erwähnt ebenfalls diesen Kult für Privathäuser mit Terrassen: „All die Häuser, auf deren Dächern sie dem ganzen Heer des Himmels Rauchopfer dargebracht und anderen Göttern Trank19 Rolf A. Stucky: The Engraved Tridacna Shells, São Paulo (Museu de Arqueologia e Etnologia, Universidade de São Paulo) 1976, Nr. 21. 20 Der Text von Jes 38,8 erwähnt übrigens eine Treppe des Ahas, die sich vielleicht auf dieselbe Konstruktion bezieht.
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opfer gespendet haben“ (Jer 19,13). Laut einigen Texten gingen diese Kulthandlungen nach der Reform Joschijas weiter, allerdings nur außerhalb des Tempels in Privathäusern21.
Die Frage der Kultprostitution Die Reform Joschijas betrifft auch die „kultische Prostitution“. Nach Vers 7 von Kapitel 23 des zweiten Königsbuches „zerstörte [Joschija] die Häuser der ‚Heiligen‘ (qĕdēšîm), die im Haus Jhwhs waren, in denen die Frauen die Stoffe22 für Aschera webten.“ Es ist ziemlich klar, dass qādeš männliche und qĕdēšah weibliche Prostituierte bezeichnet23. Das Zerstören der Häuser der Prostituierten verweist literarisch auf eine Notiz über den ersten König Judas, Rehabeam. In seiner Herrschaft am Ende des 10. Jh. führte er nach dem ersten Königsbuch verschiedenste Kulte ein, die den biblischen Redaktoren missfallen, darunter auch die Praxis der männlichen Prostitution: wĕgam qādēš hājāh bāʾāreṣ, „es gab Prostituierte24 im Land“ (1Kön 14,24). Der Terminus q-d-š-(h) kommt auch in ugaritischen Texten vor, wo er Personen bezeichnet, die keine Priester sind, aber einen Gottesdienst verrichten. Sie konnten heiraten, Kinder bekommen und durch königliches Dekret von ihrem Dienst befreit werden. In den ugaritischen Texten wird die sexuelle Aktivität dieser Personen nicht besonders betont. Auf diese scheint sich eine Bibelstelle zu beziehen, die vielleicht zeitgenössisch zur joschijanischen Reform ist und die 21 Das Buch Jeremia wurde ein halbes Jahrhundert nach der Reform Joschijas zum ersten Mal verschriftlicht; auch der Text des Zefanjabuches ist deutlich nach dem Ende des 7. Jh. v.u.Z. entstanden. Zef 1,5 prangert alle möglichen illegitimen Kultformen an: „[…] Jene, die sich niederwerfen auf den Dächern vor dem Heer des Himmels, jene, die sich niederwerfen und ihm schwören, dabei aber gleichzeitig Milkom schwören.“ Wenn dieser Text irgendeine Realität widerspiegelt, so die, dass einige Kulte zwar verboten waren, aber trotzdem ein langes Leben hatten; hier handelt es sich um die gleichzeitige Verehrung des Gottes der Ammoniter und Jhwhs. 22 Der masoretische Text hat an dieser Stelle bāttîm, „Häuser“, was keinen Sinn ergibt. Man muss diesen Terminus entweder abstrakt als „etwas, das bedeckt“ verstehen oder von einer falschen oder tendenziösen Vokalisierung für ein Wort ausgehen, das „Kleidung“ bedeutet (vgl. den arabischen Terminus battun). 23 Die Verbindung von Prostitution und Tempel ist manchmal bestritten worden, wie vor einigen Jahren von Christine Stark: ‚Kultprostitution‘ im Alten Testament? Die Qedeschen der Hebräischen Bibel und das Motiv der Hurerei, Freiburg (Schweiz)–Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Rupreecht) 2006. Die Autorin räumt allerdings ein, dass die qĕdēšîm Teil des Kultpersonals im Dienst der Göttin Aschera waren, was ihre Identifikation mit den assinu (Transvestiten?) im Dienst der Göttin Ischtar plausibel macht. 24 Im Hebräischen steht der Terminus „Prostituierte“ im Kollektivsingular.
Die Frage der Kultprostitution
Prostitution im Heiligtum verbietet: „Unter den Töchtern Israels soll es keine ‚Heilige‘ (qĕdēšāh) und unter den Söhnen Israels soll es keinen ‚Heiligen‘ (qādeš) geben. Du sollst kein Prostituierten (zônāh)-Geld oder Hunde (keleḇ)-Geld in das Haus Jhwhs, deines Gottes bringen auf irgendein Gelübde hin. In der Tat, beides verabscheut Jhwh, dein Gott25.“ Dieses Verbot legt eine übliche Praxis nahe, der man jetzt ein Ende bereiten will. Die Parallelisierung in der Formulierung des Verbots zeigt, dass die „Heilige“ eine Prostituierte (zônāh) und der „Hund“ ein Prostituierter ist. Die Kultprostitution hat zu zahlreiche Debatten geführt und die Phantasie der Kommentatoren in besonderem Maße beflügelt. Nach Karel Van der Toorn handelt es sich um eine „normale Prostitution“, die der Tempel gewissermaßen betrieb, um sich Zusatzeinnahmen zu verschaffen. Die Bemerkung in 2Kön 23,7 könne man so verstehen, dass die Prostituierten spezielle, vielleicht gemietete Plätze im Tempel von Jerusalem besaßen26. Es stellt sich die Frage, ob es eine Verbindung zwischen den beiden Teilen von Vers 7 gibt. Oft wird der zweite Teil über die Frauen, die Kleidung für Aschera weben, als Glosse interpretiert. Aber das muss nicht sein. Wenn das Haus der qĕdēšîm auch der Ort ist, an dem die Frauen Kleidung für die Göttin herstellen, könnte man die qĕdēšîm mit den Transvestiten oder Eunuchen vergleichen, die wir als Diener der Göttin Ischtar kennen, deren Entsprechung Aschera sein könnte27. Im Deuteronomium wird im Übrigen nicht nur die Prostitution, sondern auch der Transvestitismus verboten: „Eine Frau soll keine Männersachen tragen, und ein Mann soll keine Frauenkleider anziehen, denn Jhwh, dein Gott, verabscheut jeden, der dies tut“ (Dtn 22,5). In Mesopotamien kann das „Haus Ischtars“ auch ein Bordell bezeichnen, und es besteht wahrscheinlich eine Verbindung zwischen Ischtar-Kult und Prostitution. Neubabylonische Texte aus Uruk scheinen Hinweise darauf zu enthalten, dass die Priesterschaft – offensichtlich als zusätzliche Einnahmequelle – Frauen an gutsituierte Männer vermietete. Dass es im Tempel von Jerusalem männliche und weibliche Prostituierte gegeben hat, ist demnach plausibel. Und wenn es eine Verbindung zwischen ihnen und der Göttin Aschera gab, ist es ebenfalls verständlich, dass Joschija versucht hat, sie aus dem Tempel zu verbannen.
25 Diese Passage des Deuteronomiums (23,18–19) wurde von dem Milieu verfasst, von dem die Reform Joschijas ausging. 26 Karel von der Toorn: „Cultic prostituion“, in: Anchor Bible Dictionnary V (1992), S. 510–513. 27 Hermann Spiekermann: Juda unter Assur in der Sargonidenzeit, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1982, S. 221.
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Die Abschaffung der Göttin Die Reform Joschijas beinhaltet offenbar auch das Verschwinden der Göttin aus dem offiziellen Kult Jerusalems. 2Kön 23,6 präzisiert, dass Joschija „die Aschera aus dem Haus Jhwhs (schaffte), heraus aus Jerusalem, ins Kidrontal, und im Kidrontal verbrannte er sie und zermalmte sie zu Staub, und ihren Staub warf er auf das Grab der Leute aus dem Volk.“ Die Vernichtung der Göttinnenstatue entspricht der monolatrische Zielsetzung der joschijanischen Reform. Das Verbot der Göttinnenverehrung stellte in der Tat eine große Zäsur dar, die von den Einwohnern Jerusalems und Judas nicht leicht akzeptiert wurde. Ein hier schon erwähnter Text aus dem Buch Jeremia gibt der Überzeugung Ausdruck, die Zerstörung Jerusalems im Jahr 587 v.u.Z. sei als Rache der Göttin zu interpretieren, deren Kult man habe verbieten wollen: „Seit wir aufgehört haben, der Himmelskönigin Brandopfer darzubringen und ihr Trankopfer zu spenden mangelt es uns an allem, und wir sterben durch das Schwert und vor Hunger…“ (Jer 44,18). Diese Rede könnte eine Anspielung auf einen Versuch sein, die Verehrung der Himmelskönigin zu verbieten, die – wie wir bereits vorgeschlagen haben – vielleicht nur ein anderer Name für Aschera ist.
Reformkönige Es gibt auch ein komparatives Argument dafür, dass es unter Joschija möglicherweise zu einem Wandel auf dem Gebiet des Kultus kam. In der Tat sind Reformkönige für das zweite und erste Jt. v.u.Z. auch für andere Reiche im Alten Orient belegt28. So kämpft Echnaton (1353–1337) für eine „Zentralisierung“ des Kultus in der neuen Stadt Achet-Aton und propagiert die Verehrung eines einzigen Gottes (Aton). Nebukadnezar I. (1125–1104) lässt das Epos Enuma Elisch umschreiben und Enlil durch Marduk ersetzen, den er als Hauptgott des babylonischen Pantheons etablieren will. Unter dem assyrischen König Sanherib (705– 681) wird Marduk durch Assur ersetzt, der zum „Gott des Himmels und der Erde“ wird. Vor der Stadt Assur wird ein neuer Tempel errichtet. Aber Sanheribs Sohn und Nachfolger Asarhaddon, der sich auch zum babylonischen König krönen lässt, stellt den Kult Marduks und der anderen babylonischen Götter wieder her. Nabonid (556–539) fördert ganz besonders den Kult des Mondgottes Sin und restauriert zahlreiche Tempel. Andere Götter werden gegenüber Sin „degradiert“: Schamasch wird zum Sohn Sins und Ischtar zu Sins Tochter. Die Einnahme Babylons durch Kyros 539 v.u.Z. macht dieser Entwicklung ein Ende. 28 Nadav Naʾaman: „The king leading cult reforms in his kingdom. Josiah and other kings in the Ancient Near East“, in: Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 12 (2006), S. 131–168.
Ein historisches Argument für die Historizität der Reform Joschijas
Alle diese Reformen, die eine Gottheit in den Rang eines Hauptgottes erheben wollen, gehen vom König aus. Die Reform Joschijas war nicht von Dauer, worin sie mit den gerade skizzierten parallelen Schicksalen der Reformen anderer Könige vergleichbar ist. Dass sie sich nicht sofort durchgesetzt hat, ist also kein Argument gegen die Historizität dieser Reform.
Ein historisches Argument für die Historizität der Reform Joschijas Muss man die Maßnahmen Joschijas, vor allem diejenigen, die sich gegen die assyrischen Kultelemente richten, als Hinweis auf eine anti-assyrische Politik verstehen? Das ist nicht auszuschließen, aber die kultischen Veränderungen in Juda gegen Ende des 7. Jh. v.u.Z. sind genauso ein Zeichen für den starken Rückgang des assyrischen Einflusses in Syrien und Palästina. Durch die schrittweise Auflösung der assyrischen Machtstrukturen entsteht in Syro-Palästina in den letzten Jahrzehnten des 7. Jh. ein kurzzeitiges Machtvakuum. Dies verleiht der Hypothese, Joschija (oder eher seine Ratgeber) hätten eine politische und kultische Neuorganisation vorgenommen, eine gewisse Plausibilität29. In diesem Zusammenhang ist es historisch gesehen auch sehr wahrscheinlich, dass es den Versuch einer Zentralisierung von Kultus, politischer Macht und Steuerverwaltung (diese lag auch in der Zuständigkeit der Heiligtümer) in Jerusalem gab. Die relative Unabhängigkeit Judas um 620 v.u.Z. führte wahrscheinlich in einigen Milieus zu der Überzeugung, Joschija habe ein großes und unabhängiges judäisches Königreichs begründet30. Oft ist behauptet worden, Joschija hätte die auf dem Territorium des ehemaligen Königreichs Israel errichteten assyrischen Provinzen annektieren können. Aber auf eine solche Annexion deutet nur wenig hin. 2Kön 23,15 erwähnt die Zerstörung des Heiligtums in Bethel. Sollte dieses Ereignis, was keinesfalls sicher ist, auch nur einen Funken Historizität besitzen, bedeutet das noch lange nicht, dass auch die samaritanischen Provinzen Samerina, Magidu und Galʾaza von Joschija besetzt wurden31. 29 Nach 2Kön 22,1 war Joschija bei seinem Herrschaftsantritt acht Jahre alt. Wenn diese Information historisch ist, dann haben seine Ratgeber (unter ihnen die Familie Schafans und der Priester Hilkijahu) an seiner Stelle regiert. 30 Vgl. Gösta W. Ahlström: The history of Ancient Palestine from the Palaeolithic Period to Alexander’s Conquest, Sheffield (JSOT Press) 1993, S. 778. 31 Nach Ephraim Stern könnte die Tatsache, dass Joschija in Megiddo von einem ägyptischen König getötet wurde, darauf hindeuten, dass er tatsächlich für kurze Zeit über diese Region geherrscht hat. (Ephraim Stern: Archaeology of the Land of the Bible, Bd. 2: The Assyrian, Babylonian, Persian Periods 732–332 BCE, New York (Doubleday) 2001, S. 68.) Aber man sollte sich Megiddo besser unter ägyptischer Kontrolle vorstel-
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Möglich bleibt jedoch, dass Joschija und seine Ratgeber den Anspruch erhoben, die legitimen Erben „Israels“ zu sein. Die Provinz Benjamin, in der sich auch das Heiligtum von Bethel befand, könnte in der Tat von Joschija annektiert worden sein, denn die Orakel Jhwhs im Buch Jeremia, dessen erste Ausgabe in Juda verfasst wurde, richten sich oft an Jerusalem, Juda und Benjamin. Ein weiteres gewichtiges Argument für eine Integration Benjamins in das Königreich Juda ist auch, dass die Babylonier nach der Zerstörung Jerusalems ihren provisorischen Regierungssitz nach Mizpa verlegen, einer in Benjamin gelegenen Stadt. Obwohl sich die Reform Joschijas, oder besser: die seiner Ratgeber, nicht unmittelbar durchgesetzt hat, war sie für die Weiterentwicklung des Jhwh-Kults von entscheidender Bedeutung. Von da an wird Jhwh zum „einen“ Gott (noch nicht der einzige, aber exklusiv zu verehrende) und Jerusalem zum einzig legitimen Ort, an dem ihm Opfer dargebracht werden können. Diese neue Sicht von Jhwh findet in einer reichen Literatur Ausdruck, die am Anfang des biblischen Textcorpus steht und die von dem Milieu verfasst wurde, das die religiösen Veränderungen unter Joschija unterstützte.
Das Deuteronomium und die Reform Joschijas Die ursprüngliche Version des Deuteronomiums wurde zwar nicht bei Arbeiten im Tempel gefunden, aber durchaus in der Absicht verfasst, die Vorstellungen der joschijanischen Reform zu verbreiten. Sie begann mit der folgenden Feststellung, die sich in der aktuellen Fassung des Buches im 6. Kapitel findet: Šĕmaʿ jiśrāʾēl jhwh ʾĕlohênû jhwh ʾeḥād. Die Aussage, die auf das „Höre Israel“ folgt, kann verschieden übersetzt werden: „Jhwh, unser Gott, Jhwh ist einzig“ oder „Jhwh, unser Gott, Jhwh allein“, „Jhwh unser Gott ist der eine Jhwh“. Am logischsten ist es, diesen Nominalsatz als aus zwei Nominalsätzen zusammengesetzt zu verstehen: „Jhwh ist unser Gott, Jhwh ist einer“. Es handelt sich in der Tat um zwei zentrale Feststellungen, die vor dem Hintergrund der joschijanischen Reform sehr gut verständlich sind: Jhwh ist der (alleinige) Gott Israels und er ist einer, d.h. es gibt nur den Jhwh Jerusalems und keinen Jhwh von Samaria, von Teman, von Bethel oder von anderen Orten. Der Tatsache, dass Jhwh „einer“ ist, entspricht auch, dass es nur einen einzigen legitimen Kultort gibt – wie das Deuteronomium dann, vor allem im 12. Kapitel, erläutern wird. Die ursprüngliche Schriftrolle fährt folgendermaßen fort: „(4) Höre Israel! Jhwh ist unser Gott, Jhwh ist einer. (5) Du sollst Jhwh deinen Gott lieben, mit deinem ganzen Herzen, mit deinem ganzen Wesen, mit deiner ganzen Kraft.“ Diese Verse stehen eindeutig mit der joschijanischen Reform in Zusammenhang. Denn nach der abschließenden Bemerkung len; vgl. in diesem Sinne Gösta W. Ahlström: The history of Ancient Palestine from the Palaeolithic Period to Alexander’s Conquest, Sheffield (JSOT Press) 1993, S. 765.
„Jhwh ist einer“ und die assyrischen Vasallenverträge
zu seiner Regierungszeit im zweiten Königsbuch war Joschija der einzige König, der die Vorschriften von Dtn 6,4–5 genau erfüllt hat: „Vor ihm war kein König, der wie er zu Jhwh zurückgekehrt wäre, mit seinen ganzen Herzen, mit seinem ganzen Wesen und mit seiner ganzen Kraft“ (2Kön 23,25).
„Jhwh ist einer“ und die assyrischen Vasallenverträge Die Bekräftigung der Einheit Jhwhs muss zunächst als Bekräftigung der Einheit des jahwistischen Kults verstanden werden. Die ursprüngliche Fassung des Deuteronomiums wendet sich in der Tat gegen die Vielzahl der Kultorte sowie die Vielzahl der Manifestationen des Göttlichen und spricht sich für einen einzigen Kultort aus. Das Motto der joschijanischen Reform war wahrscheinlich: Jhwh ist einer, das heißt, es gibt nur einen Kultort. Jerusalem wird zum einzigen jahwistischen Heiligtum, in dem Jhwh exklusiv verehrt werden soll. Das Bestehen auf der Einheit Jhwhs geht mit der Forderung nach einer vollständigen und ungeteilten Liebe zur Gottheit einher. Damit ist keine sentimentale Liebe gemeint; was das Gebot fordert, ist absolute Loyalität gegenüber dem Gott Israels. Die sprachliche Form des 5. Verses von Kapitel 6 des Deuteronomiums ist den assyrischen Vasallenverträgen entnommen, in denen die Vasallen des assyrischen Großkönigs verpflichtet werden, ihr Oberhaupt zu lieben. Die engsten Parallelen finden sich im Loyalitätseid, den Asarhaddon die Vasallenkönige im Jahr 672 gegenüber seinem Sohn Assurbanipal leisten lässt32: „§24 (266) (Ihr sollt) Assurbanipal, den Kronprinzen vom „Nachfolgehaus“, (267) den Sohn Asarhaddons, Königs von Assyrien, eures Herrn, (268) (…) wie eure Seelen lieb(en) […] §25 (301) Keinen anderen König und keinen anderen Herrn sollt ihr über euch anstellen.“ Das Deuteronomium ist in weiten Teilen von Stil und Aufbau dieses Vertrages beeinflusst, den der Autor des Deuteronomiums durchaus gekannt haben kann33. Die Parallelen betreffen ebenfalls die Warnung vor Auflehnungsver32 Eine deutsche Übersetzung des Vertrages von Rykle Borger: Die Vasallenverträge Asarhaddons mit medischen Fürsten, in: Otto Kaiser u.a. (Hgg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT). Band I Rechts- und Wirtschaftsurkunden. Historischchronologische Texte. Lieferung 2 Staatsverträge, Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus) 1983, S. 160–176.[ CDRom 2005]. Die folgenden Zitate S. 166 und 167. Die weiteren Zitate S. 170 und 173. 33 Vor ein paar Jahren hat man eine Kopie dieses Vertrages in Tell Tayinat in der südlichen Türkei entdeckt. Dies zeigt, dass er mehrfach kopiert und in den Tempeln der Vasallenländer deponiert wurde. Es ist also vorstellbar, dass er auch in Jerusalem verfüg-
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suchen und vor der Unterwerfung unter andere Herren (wie in Deuteronomium 13). Auch die Fluchandrohungen des Deuteronomiums scheinen die Verwünschungen des assyrischen Vertrages für den Fall der Zuwiderhandlung aufzugreifen und auf Jhwh zu übertragen: §41 (425) Möge Ninurta, der Erste unter den Göttern, mit seinem zornigen Pfeil euch niederstrecken, (426) mit eurem Blute die Steppe füllen, Adler und Geier euer Fleisch fressen lassen. […] §63 (526) Mögen alle Götter, die auf dieser Vertragstafel [namentlich genannt sind], (527) euch den Boden so eng machen wie ein Ziegelstein, […] §64 (530) So wie aus einem Himmel aus Bronze kein Regen fällt […] (532) statt Tau (533) möge es in eurem Land Kohle regnen. Die gleichen Drohungen findet man in Kapitel 28 des Deuteronomiums34: (23) Die Himmel über dir werden aus Erz sein und die Erde unter dir wird aus Eisen sein. (24) Jhwh wird aus dem Regen deines Landes Staub und Sand machen; er wird fallen bis du umkommst […]. (26) Dein Leichnam wird Fraß sein für alle Vögel des Himmels und für alle Tiere der Erde. Es besteht also kaum Zweifel, dass der Autor der ersten Version des Deuteronomiums sich vom Eid zur Thronfolgeregelung Asarhaddons hat inspirieren lassen. Indem es das Gebot der absoluten Loyalität auf Jhwh überträgt, nimmt das Deuteronomium allerdings eine Haltung ein, die man als „subversiv“ bezeichnen könnte: In der Tat hat Israel ein Oberhaupt, dem es absoluten Gehorsam schuldet; doch dieses Oberhaupt ist eben nicht der König Assyriens, sondern Jhwh, der Gott Israels.
Die Zentralisationsideologie Der Aufruf in Dtn 6,4–5 (das Šĕmaʿ Jiśrāʾēl 35) steht in engem Zusammenhang mit dem Zentralisationsgesetz in Kapitel 12. Dieser bedeutende Text hat mehrere Revisionen erfahren, aber es besteht kaum Zweifel, dass die älteste Version des bar war und dass Manasse sich verpflichtet hatte, ihn zu beachten. Vgl. Jacob Lauinger: „Esharhaddon’s succession treaty at Tell Tayinat. Text and commentary“, in: Journal of Cuneiform Studies 64 (2012) sowie Hans U. Steymans: „Deuteronomy 28 and Tell Tayinat“, in: Verbum et Ecclesia (online) 34 (2013), 13 Seiten. 34 Siehe dazu ausführlich Hans U. Steymans: Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons. Segen und Fluch im Alten Orient und in Israel, Freiburg (Schweiz)–Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 1995. 35 Dieser Text ist im Judentum bis heute Teil der liturgischen Gebete.
Die Zentralisationsideologie
Zentralisationsgedankens sich in den Versen 13–18 findet36. Diesem Kern wurden zunächst die Verse 8–12 (die das babylonische Exil voraussetzen) und dann die Verse 2–7 hinzugefügt, die eine strikte Trennung von den anderen Völkern fordern und Anliegen aus persischer Zeit widerzuspiegeln scheinen. Diese chronologische Abfolge (zunächst die Verse 12–18, dann die Verse 8–12 und zuletzt die Verse 2–7) zeigt sich auch in der sich verändernden Formulierung, die für das einzige Heiligtum gebraucht wird. Vers 14 spricht von dem „Ort (māqôm), den Jhwh in einem (ʾeḥād) deiner Stämme auswählen wird“; in Vers 11 ist die Rede von dem „Ort (māqôm), den Jhwh, euer Gott, auswählen wird, um dort seinen Namen wohnen (šakkēn) zu lassen“, und Vers 5 spricht von dem „Ort (māqôm), den Jhwh, euer Gott, unter allen euren Stämmen auswählen wird, um dort seinen Namen hin zu legen, um ihn wohnen zu lassen (š-k-n)37“. Diese sukzessive Erweiterung des Motivs vom auserwählten Ort zeigt auch den Wunsch, nach der Zerstörung des Tempels besonders hervorzuheben, dass Jhwh nur seinen Namen am auserwählten Ort wohnen lässt, während er selbst im Himmel weilt38. Untersuchen wir nun die älteste Formulierung des Zentralisationsgebotes, die wahrscheinlich aus der Zeit Joschijas stammt: (13) Achte darauf, dass du dein Brandopfer nicht an irgendeiner Stelle darbringst, die du siehst, (14) sondern an dem Ort, den Jhwh in einem deiner Stämme auswählen wird, sollst du dein Brandopfer darbringen; dort sollst du alles tun, was ich dir gebiete. (15) Doch nach Herzenslust darfst du schlachten und Fleisch essen in allen deinen Ortschaften, nach dem Segen, den dir Jhwh dein Gott geben wird. Der Unreine und der Reine werden davon essen, wie von der Gazelle und vom Hirsch. (16) Nur das Blut sollst du nicht verzehren, du sollst es auf die Erde schütten wie Wasser. (17) Den Zehnten deines Korns und deines jungen Weins und deines Öls darfst du nicht in deinen Ortschaften verzehren, auch nicht die Erstgeburt deines 36 Vgl. Martin Keller: Untersuchungen zur deuteronomisch-deuteronomistischen Namenstheologie, Weinheim (Beltz Athenäum) 1996, S. 25–44 und Bernard M. Levinson: Deuteronomy and the Hermeneutics of Legal Innovation, New York–Oxford (Oxford University Press) 1997, S. 21–28. 37 Die masoretische Vokalisation von l-š-k-n-w bereitet Probleme. Indem sie die Hauptzäsur nach šām („dort drüben“) ansetzten, verstanden die Masoreten š-k-n als Objekt des folgenden Verbs. Im ursprünglichen Text wurde l-š-k-n-w dagegen als final gebrauchter intensiver Infinitiv innerhalb der Zentralisationsformel verstanden. Vgl. zu dieser Textstelle Martin Keller: Untersuchungen zur deuteronomisch-deuteronomistischen Namenstheologie, Weinheim (Beltz Athenäum) 1996, S. 15–17. 38 Dieselbe Theologie findet sich im Gebet Salomos in 1Kön 8,27–53, einem Text, der ebenfalls von den Deuteronomisten verfasst wurde.
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Groß- und deines Kleinviehs, und alle Votivgaben, die du darbringen wirst, nicht deine freiwilligen Gaben, auch nicht deine Hebeopfer; (18) nur vor Jhwh deinem Gott wirst du davon essen, an dem Ort, den Jhwh dein Gott auswählen wird; du wirst davon essen mit deinem Sohn, deiner Tochter, deinem Diener, deiner Dienerin und dem Leviten, der in deinen Ortschaften ist; du sollst dich freuen vor Jhwh deinem Gott über alle deine Unternehmungen. Diese Vorschrift stellt zunächst einmal die Gesamtheit oder die Mehrzahl der heiligen Orte (kol-māqôm) dem Heiligtum gegenüber, das Jhwh in einem einzigen Stamm auswählen wird39. Das Lexem māqôm bezeichnet hier nichts anderes als den Tempel von Jerusalem und mit dem „einen“ Stamm kann nur (das Königreich) Juda gemeint sein40. Die gleiche Ideologie findet sich übrigens in Psalm 78, wo Jhwh nicht Ephraim (den Norden), sondern „den Stamm Juda, den Berg Zion, den er liebt“ erwählt (v. 68). Der Verfasser des Zentralisationsgesetzes greift die Tradition von der Erwählung Zions auf. Aber er verändert sie und macht daraus eine exklusive Wahl, die jedem anderen Jhwh-Heiligtum das Existenzrecht abspricht. Die Passage in Dtn 12 handelt aber auch und zwar ausführlich von den direkten Folgen der Zentralisation. Das (zumindest theoretische) Schließen der Schlachtereien in den lokalen Heiligtümern macht die Zulassung „profaner Schlachtungen“41 unumgänglich. Diese Neuregelungen nehmen in der Tat mehr Platz ein als die Äußerungen über die Zentralisation. Und so kann man sich natürlich fragen, ob die Passage von Dtn 12,13–18 tatsächlich das ursprüngliche Dekret enthält oder nicht eher das Ergebnis einer ersten Überarbeitung des Zentralisationsgesetzes ist42. Es ist natürlich nie auszuschließen, dass das ursprüngliche Gesetz so oft revidiert worden ist, dass seine Rekonstruktion für immer unmöglich bleibt. Dennoch scheint es ziemlich folgerichtig, dass das Dekret 39 Der samaritanische Pentateuch hat in diesem Text durchgehend die Vergangenheitsform. Dies könnte dem ursprünglichen Text entsprechen, in welchem Dtn 12 noch nicht als Moserede konzipiert war 40 Vgl. Andrew D. H. Mayes: Deuteronomy, Grand-Rapids–London (Eerdmans–Marshall, Morgan & Scott) 1981, S. 227. 41 Man darf „profan“ hier nicht als Gegensatz zu „religiös“ verstehen. Es handelt sich um eine Schlachtung außerhalb des zentralen Heiligtums, die aber höchstwahrscheinlich von bestimmten Ritualen begleitet wird. 42 Norbert Lohfink: „Fortschreibung? Zur Technik von Rechtsrevisionen im deuteronomischen Bereich, erörtert an Deuteronomium 12, Ex 21,2–11 und Dtn 15,12–18“, in: Timo Veijola (Hg.): Das Deuteronomium und seine Deutungen, Helsinki–Göttingen (Finnische Exegetische Gesellschaft–Vandenhoeck & Ruprecht) 1996, S. 127–171, speziell S. 139–142.
Die Erzählung von der Landnahme und die erste Mosegeschichte
über das einzige Heiligtum auch Bestimmungen über das Schlachten der Tiere außerhalb von Jerusalem enthält. Geht man davon aus, dass die ursprüngliche Version des Deuteronomiums, das gegen Ende des 7. Jh. v.u.Z. niedergeschrieben wurde, im Wesentlichen den Kern der Gesetze, wie sie in den Kapiteln 12–16 aufgeschrieben sind, enthielt und ihnen das Šĕmaʿ Jiśrāʾēl aus Dtn 6,4–5 voranging und die Segenswünsche und Verfluchungen (aus Kapitel 28) den Abschluss darstellten, dann kann man das Šĕmaʿ Jiśrāʾēl und den Anfang des Zentralisationsgesetzes als zusammenhängende Einheit lesen: Höre Israel, Jhwh ist unser Gott, Jhwh ist EINER (ʾeḥād). Du wirst Jhwh deinen Gott mit ganzem (bĕ-kol) Herzen, mit deinem ganzen (bĕ-kol) Wesen, mit deiner ganzen (bĕ-kol) Kraft lieben. Hüte dich Brandopfer an jedem (bĕ-kol) Ort, den du siehst, darzubringen. Nur an dem Ort, den Jhwh in EINEM (ʾeḥād) deiner Stämme auswählen wird, wirst du Brandopfer darbringen, und dort wirst du alles (kōl) tun, was ich dir gebiete. Diese Textstelle wird durch den dialektischen Wechsel zwischen kol und ʾeḥād strukturiert. Dem einzigen Gott, dem man sich als gesamte Person hingeben muss, entspricht die Wahl eines einzigen Heiligtums in dem einzigen Stamm sowie die Ablehnung der Gesamtheit aller anderen heiligen Orte und damit auch (wenn auch nicht explizit geäußert) der Gesamtheit aller anderen Stämme (das heißt, des Nordreichs). Gerichtet ist der Text an freie Gutsbesitzer, die über Sklaven verfügen und im Land ansässig sind (v. 18). Die Identität des Sprechers wird nicht präzisiert. Ist es Mose, Jhwh, der König, ein anonymes „ich“? Das Šĕmaʿ Jiśrāʾēl in Dtn 6,4–5 schließt Jhwh als Sprecher so gut wie aus. Aber nichts spricht dagegen, dass es sich in der ersten Version des Deuteronomiums um den König (Joschija) gehandelt hat. Bis dann die große Überarbeitung des Deuteronomiums in der sogenannten Exilzeit dieses in das Testament des Mose verwandeln sollte.
Die Erzählung von der Landnahme und die erste Mosegeschichte Während der Herrschaft Joschijas wurden weitere Schriftrollen verfasst, wie die Landnahmeerzählung, die sich im ersten Teil (den ersten zwölf Kapiteln) des Buches Josua findet. Diese Geschichte greift Elemente und Themen der assyrischen Bild- und Textpropaganda auf43. Daneben kann man feststellen, dass alle 43 K. Lawson Younger Jr.: Ancient Conquest Accounts. A Study in Ancient Near Eastern and Biblical History Writing, Sheffield (JSOT Press) 1990.
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11. Die Reformen des Königs Joschija
Erzählungen, die im Detail von bestimmten Eroberungen berichten, im Gebiet von Benjamin spielen. Es könnte also darum gehen, die Eroberungen Joschijas durch eine Erzählung zu legitimieren, die von den Anfängen der Landnahme berichtet und das Eingreifen Jhwhs dabei so schildert, wie sonst üblicherweise die Unterstützung der assyrischen Götter für die Könige ihres Reiches beschrieben wird. Außerdem erscheint Josua, dessen Historizität keinesfalls gesichert ist, wie ein kaum verkleideter Joschija44. Dass er alle von Jhwh versprochenen Gebiete erobert, zeigt die Überlegenheit des Gottes Israels über die anderen Götter. Das Aufgreifen assyrischer Themen und der assyrischen Ideologie macht aus dem Buch Josua eine Art „Gegengeschichte“ – um einen jüngeren Terminus der Sozial- und Geschichtswissenschaften aufzugreifen45. Eine weitere unter Joschija niedergeschriebene Erzählung könnte die erste Version der Mosegeschichte sein. Die Schilderung seiner Geburt ähnelt stark dem Bericht von der Geburt Sargons, der in der Zeit Sargons II. verfasst wurde46. Man kann also festhalten, dass am Ende des 7. Jh. v.u.Z. der Beginn eines wichtigen Teils der biblischen Literatur steht. Paradoxerweise sind es die den biblischen Autoren so verhassten Assyrer, die einen großen Teil des Materials lieferten, das für das Entstehen dieser Literatur notwendig war, und die so dazu beitrugen, das neue Bild von Jhwh zu formen.
Das Ende Joschijas und seiner Reform Die biblischen Autoren sind nicht besonders auskunftsfreudig, was das wenig ruhmreiche Ende ihres Lieblingskönigs betrifft: In seinen Tagen zog Pharao Necho, der König von Ägypten, herauf gegen den König Assyriens, an den Fluss Euphrat. König Joschija zog ihm entgegen, aber der Pharao tötete Joschija in Megiddo, als er ihn sah. Als er tot war, fuhren ihn seine Diener auf einem Wagen von Megiddo nach Jerusalem. Man begrub ihn in seinem Grab (2Kön 23,29–30). Wir wissen nicht, ob Joschija den ägyptischen König angreifen wollte, weil er der Meinung war, Megiddo gehöre zu den Gebieten, die unter seiner Kontrolle stan44 Richard D. Nelson: „Josiah in the Book of Joshua“, in: Journal of Biblical Literature 104 (1981), S. 531–540. 45 Amos Funkenstein: „History, counter-history and memory“, in: Saul Friedlander (Hg.): Probing the Limits of Representation. Nazism and the ‚Final Solution‘, Cambridge– London (Harvard University Press) 1992, S. 66–82. 46 Meik Gerhards: Die Aussetzungsgeschichte des Mose. Literar- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu einem Schlüsseltext des nichtpriesterlichen Tetrateuch, Neukirchen-Vluyn (Neukirchener Verlag) 2006.
Das Ende Joschijas und seiner Reform
den, oder ob der ägyptische König ihn zu sich gerufen hatte, da er ihn für einen wenig verlässlichen Vasallen hielt. Die in den Chronikbüchern geschilderte Fassung versucht, die Dinge so zu erklären: (20) Nach alledem, als Joschija das Haus wiederhergerichtet hatte, zog Necho, der König von Ägypten, herauf, um bei Karkemisch am Euphrat zu kämpfen. Und Joschija zog aus, ihm entgegen. (21) Necho aber sandte Boten zu ihm und sagte: „Was habe ich mit dir zu schaffen, König von Juda? Nicht gegen dich geht es heute, sondern gegen meinen üblichen Feind. Gott hat mir Eile geboten. Stelle dich nicht gegen Gott, der mit mir ist, sonst wird er dich zerstören.“ (22) Joschija aber änderte seine Meinung nicht, denn er suchte eine Möglichkeit, gegen ihn zu kämpfen. Er hörte also nicht auf die Worte Nechos, die von Gott inspiriert waren, und zog in die Ebene von Megiddo in den Kampf. (23) Die Schützen schossen auf König Joschija, und er sagte zu seinen Dienern: „Bringt mich weg, denn ich bin schwer verwundet.“ (24) Seine Diener hoben ihn aus dem Streitwagen in sein zweites Gefährt. Und sie geleiteten ihn nach Jerusalem. Er starb und wurde in den Grabstätten seiner Vorfahren begraben, und ganz Juda und Jerusalem trauerten um Joschija. (25) Jeremia hielt die Totenklage auf Joschija. (2Chr 35). Nach dieser Version stirbt Joschija, weil er nicht auf die Worte des Pharaos Necho hört, die Gott diesem eingegeben hat47. Außerdem stirbt er nicht in Megiddo, sondern in Jerusalem. Der Tod Joschijas scheint auch das Ende seiner Reform zu bedeuten, zumindest vorerst. Weder im Buch Jeremia noch im Ezechielbuch findet sich irgendein Hinweis auf eine solche religiöse Erneuerung. Und in Elephantine gab es in persischer Zeit sehr wohl ein Jhwh-Heiligtum, das neben dem in Jerusalem bestand. Möglicherweise gab es auch eines in Babylon, wo die exilierten Judäer vielleicht einen Jhwh-Tempel errichtet hatten, ganz zu schweigen von dem jahwistischen Heiligtum auf dem Garizim. Dennoch bereitete die Reform Joschijas in gewisser Weise den Beginn des Judentums vor mit der Betonung der zentralen theologischen Stellung Jerusalems, der Bekräftigung der Einheit Jhwhs, die bis auf den heutigen Tag zentraler Bestandteil der jüdischen Gebete ist, und der monolatrischen Vorstellung einer exklusiven Jhwh-Verehrung, aus der leicht ein Monotheismus werden konnte.
47 Vgl. dazu ausführlich Thomas Römer: „Der Pharao als Gotteswortvermittler: Josia und Josef ”, in: Hanna Jenni und Markus Saur (Hgg.): Nächstenliebe und Gottesfurcht. Beiträge aus alttestamentlicher, semitistischer und altorientalischer Wissenschaft für Hans-Peter Mathys zum 65. Geburtstag, Münster (Ugarit-Verlag) 2016, S. 339–349.
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12. Von dem einen Gott zu dem einzigen Gott. Die Ursprünge des biblischen Monotheismus in persischer Zeit Vom Tod Joschijas bis zur Zerstörung Jerusalems Nach dem Tod Joschijas im Jahr 609 v.u.Z. übernehmen die Babylonier ziemlich bald die Kontrolle über die Levante, die ihnen von den Ägyptern allerdings zunächst streitig gemacht wird. Joahas, der Nachfolger Joschijas auf dem Königsthron, wird von Pharao Necho ab- und durch seinen Bruder Eljaqim ersetzt, dessen Namen der Pharao in den jahwistischen Namen Jojakim (609–v598) mit der Bedeutung „möge Jhwh erhoben sein!“ ändert! Offenbar erkennt der Pharao – zumindest nach der Erzählung der biblischen Redaktoren – Jhwh als Nationalgott Israels an. Jojakim wird jedoch bald ein Vasall Nebukadnezars II., der 605 v.u.Z. die ägyptische Armee bei Karkemisch besiegt. Der babylonische König, der von nun an Syro-Palästina kontrolliert, belässt Jojakim in seinem Amt, wohl um eine gewisse politische Stabilität in Juda zu sichern. Offenbar verhält Jojakim sich Nebukadnezar gegenüber zunächst loyal. Doch im Jahr 601 v.u.Z. endet dessen Ägyptenfeldzug mit einer Niederlage, was Jojakim dazu veranlasst haben könnte, Unterstützung bei den Ägyptern zu suchen. Kurze Zeit später setzt Babylon sich wieder durch und drängt die Ägypter zurück. Im zweiten Königsbuch heißt es, „der König von Ägypten verließ sein Land nicht mehr, denn vom Grenzbach Ägyptens bis zum Euphratstrom hatte der König von Babylon alles genommen, was dem König von Ägypten gehört hatte“ (2Kön 24,7). Nebukadnezar belagert Jerusalem, um Jojakim zu bestrafen, aber dieser verstirbt während der Belagerung. Sein Sohn Jojachin wird nur drei Monate lang regieren und verhindert durch seine Unterwerfung 597 v.u.Z. die Zerstörung Jerusalems. Die Babylonier beschließen als Sanktion eine Deportation großen Ausmaßes, die vor allem die Stadt Jerusalem betrifft. Der König und die Elite seines Hofes, hohe Beamte, Priester und Handwerker werden exiliert. Diese erste Deportationswelle war auch die größte. Die Babylonier setzen Zidkija (Mattanja1), einen anderen Sohn Joschijas und Onkel des exilierten Königs, auf den Thron. Hatte er noch den Status eines Königs oder nur den eines Statthalters? Die Redaktoren des Ezechielbuches jedenfalls scheinen Jojachin als letzten legitimen König Judas zu betrachten. 1
Wie der Pharao im Falle Jojakims nimmt der babylonische König ebenfalls eine Namensänderung vor, wahrscheinlich, um seine Macht zu verdeutlichen.
Vom Tod Joschijas bis zur Zerstörung Jerusalems
In der Herrschaftszeit Zidkijas (597–586) führt unter anderem ein Aufstand in Babylonien zu einem Rückgang der babylonischen Präsenz in der Levante. Wahrscheinlich wird eine Revolte, an welcher sich auch Zidkija beteiligt, vom ägyptischen König Psammetich II. (595–589) unterstützt. Das Buch Jeremia, das in den Kapiteln 37–43 von den letzten Tagen Jerusalems berichtet, erwähnt eine anti-babylonische Fraktion am Hof von Jerusalem. Der Prophet Jeremia selbst predigt allerdings, man solle sich den Babyloniern unterwerfen, und wird deshalb als Verräter bezeichnet. Der König Zidkija scheint unentschlossen, stellt sich dann aber auf die Seite der Aufstandsbefürworter. Diese Rebellion ruft eine sofortige Reaktion seitens der Babylonier hervor: Der Tempel, die Stadt und die Stadtmauer Jerusalems werden im Jahr 587 v.u.Z. zerstört. Neben Jerusalem schleifen die Babylonier auch andere judäische Orte. Und in der Folge kommt es zu einer zweiten Deportation, die nun das gesamte ehemalige Königreich Juda betrifft. Die Babylonier errichten in der kleinen Stadt Mizpa in Benjamin, das weit weniger in Mitleidenschaft gezogen wurde als Juda, ihr neues Verwaltungszentrum und setzen dort Gedalja, ein Mitglied der Familie der Schafaniden, als Statthalter ein. Die demographische Situation Judas ist schwer einzuschätzen. Nach Oded Lipschits geht die Bevölkerung Judas durch Todesfälle, Deportationen und Flucht von ungefähr 100.000 auf 40.000 Einwohner zurück, während Benjamin anscheinend weit weniger betroffen war2. Wir wissen nicht, ob die Babylonier für das ehemalige Königreich Juda einen eigenen Namen hatten. Was wir wissen ist, dass in einen Teil Judas, vor allem den Süden, arabische und edomitische Stämmen einfielen. Kurz nach seinem Amtsantritt wird der Statthalter Gedalja von einer anti-babylonischen Partei ermordet. Als Vergeltungsmaßnahme führen die Babylonier 582 v.u.Z. eine dritte Deportation durch. In den biblischen Texten, die von den letzten Tagen Judas erzählen (2Könige 24–25 und Jeremia 37–44 und 52) weichen die Angaben über die Zahl der Deportierten allerdings stark voneinander ab:
2Kön 24–25 Anzahl der Deportierten
Jer 52 Anzahl der Deportierten
597 v.u.Z.
24,14: 10.000 24,16: 8.000
52,28: 3023
587 v.u.Z.
25,21 „die übrige Bevölkerung“
52,29: 832
582 v.u.Z.
52,30: 745
2 Oded Lipschits: „Demographic changes in Judah between the seventh and the fifth centuries B.C.E.“, in: Oded Lipschits und Joseph Blenkinsopp (Hgg.): Judah and the Judeans in the Neo-Babylonian Peridod, Winona Lake (Eisenbrauns) 2003, S. 323–376.
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12. Von dem einen Gott zu dem einzigen Gott
Die Zahlen am Ende des Buches Jeremia scheinen präziser zu sein als die in den Kapiteln 24 und 25 des zweiten Königsbuches. Sie sind allerdings ziemlich niedrig und passen nicht recht zu dem tatsächlichen Bevölkerungsrückgang in Juda. Eine Erklärung für diesen Unterschied könnte sein, dass sich die Zahlen aus dem Buch Jeremia nur auf die Familienoberhäupter beziehen. Wenn man sie mit fünf oder sechs multipliziert, erhält man für die erste Deportation eine Zahl die ungefähr den gerundeten Zahlen in 2Könige 24 entspricht. Obwohl einige biblische Texte den Eindruck vermitteln, das Land sei während des sogenannten babylonischen Exils völlig leer gewesen3, ging das Leben in Juda und vor allem in Benjamin weiter. Die Bedeutung Benjamins und Mizpas hat vielleicht auch einige Traditionen über den König Saul wiederaufleben lassen. Er stammte ja aus Benjamin, und einige wollten ihm gegenüber der davidischen Linie den Vorzug geben4. Über die im Land verbliebene Bevölkerung wissen wir nur wenig. Die babylonischen Quellen erwähnen sie nicht. Wahrscheinlich ernannten die Babylonier nach dem Mord an Gedalja einen anderen Statthalter. Was die biblischen Texte angeht, wird uns bis auf ganz wenige Ausnahmen das meiste aus der Sicht der in Babylon Exilierten5 berichtet, also aus der Sicht der Elite, die sich als das „wahre Israel“ betrachtete. So stößt man, vor allem im Buch Ezechiel, auf unterschwellige Polemiken gegen die im Land gebliebenen Bewohner. Sie gelten als von Jhwh zurückgewiesen, denn er soll nach den Redaktoren des Buches sein Land verlassen und die Exilierten nach Babylon begleitet haben (Ez 11). Anders als die Assyrer ließen die Babylonier die Exilierten je nach ihrer Herkunft zusammenleben; die hohen Beamten übernahmen wahrscheinlich auch wieder Verwaltungstätigkeiten. Die biblischen Texte erwähnen einige von deportierten Judäern bewohnte Gebiete: Tel Aviv am KebarKanal (Ez 3,15), wahrscheinlich in Zentralbabylonien, nicht weit von Nippur; Tel Melach, Tel Harscha, Kerub Addon, Immer (Esra 2,59); Kasifja (Esra 8,17). Leider sind diese Toponyme ansonsten nicht bekannt. Flavius Josephus erwähnt die Stadt Nehardea6 (die auch im Talmud belegt ist). Es handelt sich um Tell Nihar, am linken Ufer des Euphrat, oberhalb von Sippar, im 3. Jh. u.Z. Sitz einer berühmten Akademie. Eine Keilschrift-Tontafel aus der Sammlung Moussaieff, die 3
Zum Beispiel 2Kön 25,21: „Und so führte man Juda von seinem Boden fort in die Verbannung.“ Zum Mythos des verlassenen Landes vgl. Hans M. Barstad: The Myth oft he Empty Land. A Study in the History and Archaeology of Judah during the „Exilic“ Period, Oslo (Scandinavian University Press) 1996. 4 Diana V. Edelman: „Did Saulide-Davidic rivalry resurface in early Persian Yehud?“, in: J. Andrew Dearman und M. Patrick Graham (Hgg.): The Land that I Will Show You. Essays on the History and Archaeology of the Ancient Near East in Honour of J. Maxwell Miller, Sheffield (Sheffield Academic Press) 2001, S. 69–91. 5 Vor allem derjenigen der ersten Deportationswelle im Jahr 597 v.u.Z. 6 Jüdische Altertümer XV, 1, 2.
Ideologische Krise und Krisenliteratur
(wenn sie denn authentisch ist7) wohl aus Babylon stammt und in die Anfänge der persischen Zeit zu datieren ist, enthält einen Vertrag über den Verkauf von Tieren, in welchem Personen mit jahwistischen Namen aufgeführt werden. Außerdem soll diese Übereinkunft in einer Stadt namens „Al-Jahûdû“ („das [neue] Juda“) geschlossen worden sein, „im 24. Jahr von Darius, König von Babylon, Königs des Landes“8. Genau diesen Namen benutzt eine babylonische Chronik, um Jerusalem zu bezeichnen. Es handelt sich also um ein „neues Jerusalem“, das von Judäern in Babylon gegründet wurde. Leider konnte dieser Ort noch nicht identifiziert werden. Deutlich erkennbar ist hier aber die Bedeutung und die wirtschaftlich gute Lage der babylonischen Golah9.
Ideologische Krise und Krisenliteratur Die Ereignisse von 597 und 587/86 v.u.Z. führten zweifelsohne zu einer größeren kollektiven Identitätskrise der Judäer. Angesichts der bedeutenden Zerstörungen und der Bevölkerungsverschiebungen kann man durchaus von einer Krise sprechen. Wahr ist aber auch, dass die Zerstörung Jerusalems die deportierten Eliten stärker betraf als die ärmere Landbevölkerung, die unbehelligt in ihren Besitzungen geblieben war10. Die Eliten und vor allem die königlichen Beamten11 hatte man von ihrer Machtquelle abgeschnitten. Nach den Ereignissen von 597 und 587 v.u.Z. waren in der Tat die traditionellen Säulen zusammengebrochen, die in einem monarchisch organisierten Staat des Alten Orients den ideologischen und politischen Zusammenhalt gewährleisteten. Der König war deportiert, der Tempel zerstört und die geographische Integrität Judas durch Deportation und freiwillige Auswanderung aufgelöst. Es war absolut logisch, die Situation mit einem Sieg der stärkeren babylonischen Götter über den unterlegenen Nationalgott Jhwh zu erklären oder auch damit, dass Jhwh sein Volk im Stich gelassen hatte. 7 8
9 10 11
Die Sammlung Moussaieff stammt vom „grauen Markt“, also von Antiquitätenhändlern. Francis Joannès und André Lemaire: „Trois tablettes cunéiformes d’onomastique ouestsémitique (collection Sh. Moussaïeff) (Pls. I–II)“, in: Transeuphratène 17 (1999), S. 17– 34, hier S. 17–27 und 33. Dieser Begriff wird für die (nach Babylon) Exilierten benutzt, die sich im Land der Deportation niedergelassen haben. Nach den Angaben des Jeremiabuches profitierte die ärmere Bevölkerung sogar von der Neuaufteilung des Landes durch die Babylonier. Der Text von 2Kön 24,14 und 16 nennt explizit keine Priester unter den Deportierten. Nach 2Kön 25,18–20 wurden zwei namhafte Priester nach der Zerstörung Jerusalems getötet. Möglicherweise blieben Mitglieder der Priesterklasse in Juda und sicherten die Ausübung einer Art Opferkults, wie Jer 42,5 nahelegt.
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12. Von dem einen Gott zu dem einzigen Gott
In der judäischen Aristokratie versuchten einige Gruppen, die Krise durch neue Ideologien zu überwinden, die dem Sturz Judas einen Sinn gaben. Diese Gruppen können nach einem von Armin Steil entwickelten Modell klassifiziert werden. Der von Max Weber beeinflusste Soziologe hat die Semantiken des mit der Französischen Revolution verbundenen Lexems „Krise“ untersucht12. Sein Modell lässt sich jedoch auch auf die in der Hebräischen Bibel geschilderten Reaktionen auf den Fall Jerusalems anwenden. Steil unterscheidet drei Arten von Haltungen angesichts einer Krise: Die des Propheten, die des Priesters und die des Mandarin. Die prophetische Haltung besteht darin, die Krise als Anfang einer neuen Ära zu betrachten; ihre Vertreter sind Randfiguren der Gesellschaft, die aber dazu in der Lage sind, ihre Überzeugungen weiterzuverbreiten. Das Verhalten der konservativen Repräsentanten der zusammengebrochenen Gesellschaftsstrukturen bezeichnet Steil als priesterliche Haltung: Die Krise wird dadurch bewältigt, dass man zu den sakralen, von Gott gegebenen Ursprüngen der Gesellschaft zurückkehrt und die neue Realität ignoriert. Die hohen Beamten nehmen die Position des Mandarin ein: Sie versuchen, die neue Situation zu begreifen und sich ihr dann so anzupassen, dass sie ihre alten Privilegien bewahren können. Die „Mandarine“ wollen die Krise objektivieren, indem sie eine Geschichte konstruieren, welche die Gründe für das Zusammenbrechen der alten Gesellschaftsstrukturen liefert. Die drei Haltungen lassen sich wie folgt tabellarisch zusammenfassen:
Prophet
Priester
Mandarin
Situation
marginal
Repräsentant der ehemaligen Macht
Hoher Beamter
Legitimation
persönliche Kenntnisse
Tradition
Ausbildungsniveau
Krisen semantik
Hoffnung auf eine Rückkehr zu den bessere Zukunft mythischen Ursprüngen
Konstruktion einer Geschichte
Bezugsgröße
Utopie
„Geschichte“
Mythos
Diese drei Haltungen lassen sich in der Hebräischen Bibel und in den von ihr überlieferten Interpretationen der Zerstörung Jerusalems leicht wiederfinden. Oft stößt man in der Forschung auf die Vorstellung, diese Reaktionen seien in der sogenannten Exilzeit (587–539 v.u.Z.13) verschriftlicht worden. Vielleicht ist 12 Armin Steil: Krisensemantik. Wissenssoziologische Untersuchungen zu einem Topos moderner Zeiterfahrung, Opladen (Leske und Budrich) 1993. 13 Diese chronologische Einteilung ist im Übrigen trügerisch, denn obwohl der Unter-
PERSIEN
Pasargadae
Tayma Memphis
Gaza
ÄGYPTEN
Saïs
Persepolis
PARTHIEN Susa Babylon
MEDIEN
TRANSEUPHRATENE
KILIKIEN IONIEN
Thermopylen
THRAKIEN
GRIECHENLAND
Sardes
LYDIEN
KAPPADOKIEN
ARMENIEN
ASSYRIEN
HYRKANIEN
Ideologische Krise und Krisenliteratur
Karte 7: Das persische Reich.
es logischer, die Verschriftlichung dieser Texte in die persische Zeit zu legen, in der die sozio-ökonomischen Bedingungen stabiler waren. gang des neubabylonischen Reiches für die von den Babyloniern exilierten Gruppen die Möglichkeit beinhaltete, nach Hause zurückzukehren, blieben viele Juden in Babylon und in Ägypten, und beide Orte sollten zu intellektuellen Zentren des Judentums werden.
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12. Von dem einen Gott zu dem einzigen Gott
539 v.u.Z. nimmt Kyros II. (559–529) Babylon ein. Dabei wird er von der Priesterschaft Marduks (des obersten Gottes des babylonischen Pantheons), die mit der Religionspolitik des Königs Nabonid unzufrieden ist, unterstützt. Er erweitert die Grenzen seines Reiches, das sich durch eine gewisse Toleranz gegenüber der unterworfenen Bevölkerung auszeichnet: Die Exilierten erhalten das Recht, in ihre Länder zurückzukehren, ihre lokalen Kulte wiederherzustellen und auszuüben. Eine nicht unbedeutende Zahl der biblischen Texte, welche versuchen, die Zerstörung Jerusalem und die Rolle Jhwhs in dieser Katastrophe zu erklären, entstand wahrscheinlich zu dieser Zeit in den intellektuellen judäischen Kreisen der babylonischen Golah.
„Das deuteronomistische Geschichtswerk“: Der Weg zum Monotheismus Die biblische Entsprechung zur „Mandarin“-Position in Bezug auf die Krise ist die deuteronomistische Schule. Ihre Anhänger sind Nachkommen der Schreiber und anderer hoher Beamter des judäischen Hofes, deren Vorgänger die joschijanische Reform unterstützt, oder besser: in Gang gesetzt, haben. Dieser Gruppe lassen das Ende der Monarchie und die Deportation der judäischen Elite keine Ruhe. Daher versucht sie, das Exil durch die Konstruktion einer Geschichte von Jhwh und seinem Volk zu erklären, die von den Anfängen unter Mose bis zur Zerstörung Jerusalems und der Deportation der Aristokratie führt. In der Hebräischen Bibel sind dies die Bücher, die vom Deuteronomium bis zum zweiten Königsbuch reichen14. Dazu überarbeiteten die Deuteronomisten ältere Schriftrollen aus assyrischer Zeit und erstellten eine zusammenhängende Geschichte, die in verschiedene Perioden unterteilt ist (Mose, die Landnahme unter Josua, die Zeit der Richter – der charismatischen Führer –, die der Monarchie vorangeht, der Beginn der Monarchie, die Epoche der zwei Königreiche, die Geschichte Judas vom Fall Samarias bis zu dem Jerusalems). Es geht darum, alle negativen Ereignisse – die Teilung des salomonischen Reiches in ein Königreich Juda und ein Königreich Israel oder die assyrische und die babylonische Eroberung – als „logische“ Folgen des Ungehorsams des Volkes und seiner Führer gegenüber dem Willen Jhwhs erscheinen zu lassen. Die Forderungen Jhwhs sind im Deuteronomium enthalten, wo an den „Bund“15 oder den ursprünglichen Vertrag zwischen Jhwh 14 Vgl. dazu ausführlich Thomas Römer: The So-called Deuteronomistic History. A Sociological, Historical and Literary Introduction, London–New York (T&T Clark–Continuum) 2005. 15 Das hebräische Wort bĕrît wird normalerweise mit „Bund“ übersetzt. Tatsächlich deckt es dasselbe semantische Feld ab wie das assyrische adê, das Vertrag oder Loyalitätseid bedeutet.
„Das deuteronomistische Geschichtswerk“
und Israel erinnert wird. Jhwh selbst ist es, der die babylonischen Eroberungszüge herbeiführte, um Juda dafür zu bestrafen, dass es andere Gottheiten angebetet hat (2Kön 24,3 und 30). Die Deuteronomisten versuchen auf diese Weise, der Vorstellung entgegenzuwirken, Marduk und die anderen babylonischen Götter hätten Jhwh besiegt. So stellt das „deuteronomistische Geschichtswerk“ den ersten Versuch dar, eine vollständige Geschichte Israels und Judas von ihren Ursprüngen bis zu ihrem Ende zu schreiben. In der Antike gibt es andere Beispiele für eine Verbindung zwischen Krisensituation und Geschichtsschreibung. So schreibt Thukydides die „Geschichte des Peloponnesischen Krieges“ im 5. Jh. v.u.Z. für denjenigen, der „das Gewesene klar erkennen will und damit auch das Künftige“ (I,22). Ebenso verfasst Herodot seine „Historien“, damit die Ursachen der persischen Kriege und ihrer dramatischen Ereignisse deutlich werden16. Natürlich ist das deuteronomistische Geschichtswerk kein historiographisches Werk und kein Geschichtswerk im modernen Sinne des „Wie es eigentlich gewesen“ eines Leopold von Ranke aus dem 19. Jh. Es bleibt ein Versuch, die Vergangenheit so zu konstruieren, dass sie die Gegenwart erklärt. Exil und Deportation sind das übergeordnete Thema dieser Geschichte, welche die verschiedenen Traditionen und Perioden so miteinander verbindet, dass am Ende der Untergang der Monarchie, die Zerstörung Jerusalems und der Verlust des Landes stehen – Ereignisse, die in den Augen der Deuteronomisten auf den Zorn Jhwhs gegen sein Volk und dessen Führer zurückzuführen sind. Juda und Jerusalem können dem babylonischen Angriff nicht entgehen, weil Jhwh selbst diese Armee geschickt hat, um Juda und Jerusalem zu vernichten: (2) Da schickte Jhwh die Truppen der Chaldäer, die Truppen der Aramäer, die Truppen der Moabiter und die Truppen der Ammoniter gegen ihn; er ließ sie auf Juda los, um es zu vernichten, nach dem Wort, das Jhwh durch seine Diener, die Propheten gesprochen hatte […] (20) Wegen des Zorns Jhwhs kam es so weit in Jerusalem und in Juda, so dass er sie weit von seinem Angesicht verjagte (2Kön 24). Mit dieser Feststellung wollten die Autoren des deuteronomistischen Geschichtswerks zeigen, dass der Fall Jerusalems keinesfalls den Sieg der babylonischen Götter über den Nationalgott von Juda bedeutete. Die Ereignisse von 597 und 587 konnten nur so erklärt werden, dass der Zorn Jhwhs die treibende Kraft beim den Untergang Judas war. Wenn Jhwh den König von Babylon und seine Götter benutzt hatte, dann bedeutete das aber auch, dass er sie kontrollierte, dass sie seine Werkzeuge waren. Genau dieser Gedanke eröffnet den Weg zu den 16 Vgl. die Einleitung des 1. Buches seiner Geschichte.
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ziemlich eindeutig „monotheistischen“ Feststellungen, die man in den letzten Überarbeitungen des deuteronomistischen Geschichtswerks findet. Zahlreiche Texte des Deuteronomiums weisen den Leser an, „nicht hinter anderen Göttern herzulaufen“. Diese Texte nehmen noch eine monolatrische Perspektive ein: Den „anderen Göttern“ wird ihr Existenzrecht nicht abgesprochen, es wird den Israeliten lediglich verboten, ihnen zu folgen. Hier handelt es sich vielleicht um eine Anspielung auf die Prozessionen, bei denen man Götterstatuen aus den Tempeln holte und vorantrug. In den jüngeren Texten, die in persischer Zeit hinzukamen, wird dagegen betont, dass Jhwh der einzige Gott ist und dass es neben ihm keine anderen gibt: „Du sollst erkennen und dir zu Herzen nehmen: Jhwh allein ist Gott, oben am Himmel und unten auf der Erde und sonst keiner.“ (Dtn 4,39). Aber wenn Jhwh nicht nur die Schutzgottheit Israels, sondern auch der einzig „wahre Gott“ des Universums ist, wie das 4. Kapitel des Deuteronomiums behauptet, wie kann man dann seine spezielle Beziehung zu Israel erklären? Für die Deuteronomisten liegt die Antwort im Gedanken der Erwählung: Jhwh hat Israel aus allen Nationen als sein besonderes Volk auserwählt. In den späten, monotheistischen Texten des Deuteronomiums geht die Feststellung, dass Jhwh den Himmel und die Erde erschaffen hat, oft mit der Feststellung von der Erwählung Israels einher17: (14) Ja, Jhwh deinem Gott gehören die Himmel und aller Himmel Himmel, die Erde und alles was darauf ist. (15) Doch nur deinen Vorfahren hat Jhwh sich zugewandt, und sie hat er geliebt, und euch, ihre Nachkommen, hat er erwählt aus allen Völkern, wie es heute der Fall ist. (16) So beschneidet eure Herzen18 und seid fortan nicht mehr widerspenstig, (17) denn Jhwh euer Gott ist der Gott der Götter und der Herr der Herren, der große, starke und furchtbare Gott, der kein Ansehen der Person kennt und keine Bestechung annimmt (Dtn 10). Das heißt, für die Deuteronomisten ist Jhwh zwar der Gott, der über alle Völker herrscht, aber zu Israel unterhält er eine spezielle Beziehung. Dies ist eine bemerkenswerte Art und Weise, die alte Vorstellung von Jhwh als National- oder 17 Nachgewiesen hat dies Rolf Rendtorff: „Die Erwählung Israels als Thema der deuteronomistischen Theologie“, in: Jörg Jeremias und Lother Perlitt (Hgg.): Die Botschaft und die Boten. Festschrift für Hans Walter Wolff zum 70. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn (Neukirchener Verlag) 1981, S. 75–86. 18 In Dtn 10,16 und 30,6 findet sich das Motiv der „Beschneidung des Herzens“. Dies könnte mit einer Polemik gegen den Versuch der Priesterschaft zusammenhängen, das Ritual der Beschneidung als ein distinktives Merkmal des entstehenden Judentums zu etablieren (wie in Gen 17).
Der Monotheismus des Deutero-Jesaja
Schutzgott zu bewahren und ihn dabei gleichzeitig als einzig wahren Gott zu rühmen.
Der Monotheismus des Deutero-Jesaja Die monotheistischen Überlegungen, die in der Hebräischen Bibel am weitesten entwickelt sind, finden sich im zweiten Teils des Jesajabuches (Kapitel 40–55), dem sogenannten Deutero-Jesaja. Es handelt sich um eine anonyme Orakelsammlung, deren Redaktion sich über mindestens zwei Jahrhunderte erstreckt hat19. Ihren Kern bildet ein Propagandatext, der die Ankunft des Königs Kyros II. in Babylon im Jahr 539 v.u.Z. feiert. Dieser Kern ist stark am „Kyros-Zylinder“ orientiert, in dem der persische König sich (von der Priesterschaft Marduks) als derjenige feiern lässt, der von Marduk auserwählt wurde, um die Völker zu regieren und den Frieden wiederherzustellen20. Während der Kyros-Zylinder betont, dass Marduk Kyros bei der Hand nahm, heißt es in Jes 45,1: „Kyros, den ich bei seiner Rechten ergriffen habe“; so wie Marduk Kyros „nennt“, ruft Jhwh ihn beim Namen. Auf dem Zylinder steht, dass Marduk „ihm Gutium und die Gesamtheit der Meder unter die Füße legte“, Jes 45,1 bekräftigt, dass Jhwh Kyros erwählt hat, „um die Nationen vor ihm zu unterwerfen“. Laut Zylinder „hütete“ Kyros auf Geheiß Marduks „die schwarzköpfigen Menschen in Recht und Gerechtigkeit“21, Jhwh nennt Kyros seinen Hirten (Jes 44,28). In dem Zylinder heißt es, Marduk sei unentwegt an seiner Seite gegangen, während Jhwh Kyros verspricht „ich selbst werde vor dir herziehen“ (Jes 45,2). Der Zylinder hebt hervor, dass Kyros die exilierten Bevölkerungen zurückbrachte: „Alle ihre Menschen holte ich zusammen und brachte sie an ihre Wohnstätten zurück“; dies entspricht dem, was Jhwh über den persischen König sagt: „Er wird meine Deportierten an ihre Orte zurückschicken“ (Jes 45,13). Der Verfasser dieses Textes beweist eine stark universalistische Haltung, wenn er Kyros als Gesandten Jhwhs darstellt. Dabei lässt er sich von der Propaganda des per-
19 Odil H. Steck: Gottesknecht und Zion. Gesammelte Aufsätze zu Deuterojesaja, Tübingen (Mohr) 1992. 20 Eine deutsche Übersetzung im Netz: http://www.nirupars.com/sprache-literatur/inschriften/kyros-cb.php (Stand 11.4.2018) und bei Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 453–456 (die Zitate im Text oben stammen soweit nicht anders angegeben aus dieser Übersetzung). Eine weitere Übersetzung von Rykle Borger in: Otto Kaiser u.a. (Hgg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT) I. Rechts- und Wirtschaftsurkunden. Historisch-chronologische Texte, Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus) 1985 [CDRom 2005], S. 407–410. 21 Zitiert nach der Übersetzung von Rykle Borger, s. die vorherige Anmerkung, S. 208.
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sischen Königs inspirieren, die ihrerseits die assyro-babylonische Königsideologie aufgreift. Andere Texte des Deutero-Jesaja gehen noch weiter und nehmen einen „theoretischen Beweis“ des Monotheismus vor – ein absoluter Einzelfall in der Hebräischen Bibel. In den ersten Kapiteln der Sammlung werden die Völker und ihre Götter aufgerufen, vor Jhwh zu treten und anzuerkennen, dass es keinen anderen Gott als Jhwh gibt: „Damit sie erkennen beim Aufgang der Sonne und bei ihrem Untergang, dass es außer mir nichts gibt. Ich bin Jhwh, es gibt keinen anderen.“ (Jes 45,6). Alle anderen Götter sind nur Chimären und „Brennholz“ (Jes 44,15). Der Verfasser macht sich über den Handel mit Götterstatuen lustig, deren einziger Nutzen darin liege, den Kunsthandwerkern Geld einzubringen: „Die Bildner der Bilder sind alle nichtig, und die Figuren, die sie lieben, nützen nichts. … Wer hat je einen Gott gebildet, damit er nichts nützt?“ (Jes 44,9–10). Dieser Beweis der Einmaligkeit Jhwhs (der im Deutero-Jesaja oft mit El identifiziert wird22) wird als eine Art theologische Revolution dargestellt. Die Manifestation Jhwhs als einziger Gott aller Völker und des Universums kommt einer neuen Offenbarung gleich: (14) So spricht Jhwh, euer Erlöser, der Heilige Israels: „Um euretwillen sende ich nach Babylon, als Flüchtlinge treibe ich sie alle hinab, die Chaldäer auf diesen Schiffen, auf denen sie gejubelt haben. (15) Ich bin Jhwh, euer Heiliger, der Schöpfer Israels, euer König.“ (16) So spricht Jhwh, der einen Weg bahnt im Meer und einen Pfad in mächtigen Wassern, (17) der Wagen und Pferde ausziehen ließ, Truppen und Sturmtrupps gemeinsam, schon liegen sie da, um nie mehr aufzustehen, erstickt wie ein Docht und ausgelöscht: (18) „Denkt nicht mehr an das, was früher war, holt das Vergangene nicht zurück. (19) Seht, ich schaffe Neues, schon sprießt es; erkennt ihr es nicht? Ja, durch die Wüste lege ich einen Weg, Pfade in ödem Land: (29) die wilden Tiere werden mich ehren, die Schakale und die Strauße, denn in die Wüste bringe ich Wasser, Flüsse in die Einöde, um mein Volk trinken zu lassen, mein erwähltes Volk, (21) ein Volk, das ich für mich gebildet habe und das mein Lob verkünden wird.“ (Jes 43). Die Mahnung, nicht mehr an die Anfänge zurückzudenken, kann als Kritik am Diskurs der Deuteronomisten verstanden werden, die von der Zerstörung Jerusalems und dem Exil geradezu besessen sind23. Für den Verfasser dieser Zeilen 22 El hat hier wahrscheinlich die allgemeine Bedeutung „Gott“. 23 Jean-Daniel Macchi: „Ne ressassez plus les choses d’autrefois.“ Ésaïe 43,16–21, un surprenant regard deutéro-ésaïen sur le passé, in: Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft 121 (2009), S. 225–241.
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gehören diese Ereignisse in die Vergangenheit; Jhwh wird nun seine Macht dadurch manifestieren, dass er einen „neuen Exodus“ ermöglicht und (mithilfe des Königs Kyros) die Deportierten aus Babylon befreit24. Wie der deuteronomistische Diskurs betont auch der Monotheismus des Deutero-Jesaja die besondere Beziehung des einzigen Gottes zu Israel. Aber nach den Kapiteln 40–55 des Jesajabuches versucht dieser Monotheismus, zwei weitere große Probleme zu lösen, die aus der Behauptung erwachsen, es gebe nur einen einzigen Gott: Die Frage nach den „weiblichen“ Funktionen des Göttlichen und die nach dem Ursprung des Bösen.
Integration oder Verdrängung des Weiblichenim monotheistischen Diskurs Das Aufkommen des Monotheismus geht mit dem Verschwinden der Göttin einher, die schon die Anhänger der joschijanischen Reform aus dem offiziellen Jerusalemer Kult verbannen wollten. Diese Verdrängung der Göttin spiegelt sich vielleicht in einer Vision des Propheten Sacharja wider (Sach 5,5–11)25. Er sieht eine Frau, rišʿāh („Bosheit“)26 genannt, die in einem Scheffel eingeschlossen ist und von zwei verschleierten Frauen außer Landes und nach Babylon gebracht wird, wo sie ein Heiligtum bekommt und fest auf einem Sockel installiert wird. Diese Vision kann als Metapher für die Verdrängung des Göttinnenkults aus Juda interpretiert werden. Einen Platz für die Göttin kann es von nun an nur bei den heidnischen Völkern geben27. Doch das Verschwinden der Göttin wirft die Frage auf, wie mit dem Weiblichen in dieser „neuen“ monotheistischen Religion, die das entstehende Judentum ja ist, umgegangen werden soll. Auf der einen Seite wird Jhwh zum einzigen, allen überlegenen Gott, aber auf der anderen Seite behält er seine männlichen Titel, wie „Herr“, „König“, „Herrscher“ usw. Es ist sicher kein Zufall, dass sich ausgerechnet im Deutero-Jesaja, der am eindeutigsten monotheistische Vorstellungen vertritt, zahlreiche auf Jhwh bezogene weibliche Bilder finden. So antwortet dieser (aus dem Mund des Propheten) auf die Sorge, er könnte sein Volk vergessen haben: „Würde eine Frau ihren Säugling vergessen? Vergessen, das 24 Der Sieg Jhwhs über die Babylonier wird in denselben Bildern beschrieben wie die Niederlage des Pharaos und seiner Armee im Buch Exodus. 25 Vgl. hierzu Diana V. Edelman: „Proving Jahweh killed his wife (Zechariah 5:5–11), in: Biblical Interpretation 11 (2003), S. 335–344. 26 Das Wort rišʿāh könnte vielleicht als Wortspiel mit dem Namen der Göttin Aschera (ʿăšērāh) verstanden werden. 27 Die Verschleppung der Göttin nach Babylon spiegelt wahrscheinlich die Vorstellung wider, dass die große Göttin Ischtar aus Mesopotamien stammt, wohin sie – nach Sacharja 5 – definitiv zurückkehren muss.
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Kind in ihrem Leib zu lieben? Selbst wenn diese es vergessen würden, werde doch ich dich nicht vergessen!“ (Jes 49,15). Die Haltung Jhwhs gegenüber seinem Volk wird hier mit der Liebe einer Mutter zu ihren Kindern verglichen. Ebenso stellt sich Jhwh in den Versen 2 und 24 des 44. Kapitels als derjenige dar, der Israel schon im Mutterleib geschaffen hat (so auch in Jes 46,3). Die Metapher des Gebärens findet sich auch in Jes 42,14. In diesem Vers wird das Exil der Judäer mit der Tatenlosigkeit Jhwhs erklärt. Aber diese Phase ist vorbei, er wird handeln: „Wie eine Gebärende werde ich nun keuchen, atmen und um Luft ringen zugleich.“ Die Rückkehr der Gemeinde aus dem Exil in ihr Land wird wie eine Neugeburt dargestellt, und Jhwh ähnelt dabei einer Muttergöttin, die in den Wehen der Geburt Neues schafft. Im vorangehenden Vers (v. 13) erscheint derselbe Jhwh noch als Krieger, der seine Feinde jagt. Wir haben hier also den Übergang von einem kriegerischen, männlichen Gott zu einem mütterlichen Gott, der sein Volk zur Welt bringt. Ein vergleichbarer Übergang findet sich in dem am Ende des Deuteronomiums eingefügten poetischen Text (Kapitel 32 – das sogenannte „Lied des Mose“). Der Autor dieser Verse schrieb zur Zeit der Abfassung des Deutero-Jesaja. Hier erscheint Jhwh zunächst als Vater: „Ist er nicht dein Vater, der dich geschaffen hat?“ (v. 6). Aber im Folgenden stößt man auf diesen Vorwurf: „Du hast den Gott, der dich geboren hat, vergessen“28 (v. 18). So erscheint Jhwh hier zugleich als Vater und als Mutter Israels. In den letzten Kapiteln des Buches Hosea, die im 6. und 5. Jh. v.u.Z. überarbeitet bzw. verfasst wurden, beobachtet man ebenfalls eine Integration des Weiblichen in Jhwh29. So greift Kapitel 11 die Funktionen und Darstellungsformen der großen Göttin auf und integriert sie in den Diskurs über Jhwh30. In den Versen 3–4 erscheint Jhwh eindeutig als Nährmutter: „(3) Ich war es, der Ephraim das Gehen beigebracht hat, ich habe es an den Armen genommen, aber sie haben nicht erkannt, dass ich mich um sie kümmerte. (4) […] ich war für sie wie jene, die einen Säugling an ihre Wange heben, und ich reichte ihm etwas zu essen.“ Jhwh bringt Ephraim (das heißt Israel) das Laufen bei, er hebt es wie einen Säugling an seine Wange, er schützt und nährt es. In Vers 9 des 14. Kapitels wird Jhwh mit einem fruchtbaren Baum verglichen („Ich bin wie eine immer grüne Zypresse und von mir kommt deine Frucht“), einem Symbol der Göttin Aschera. Der Beginn dieses Verses wurde vielleicht versehentlich, eher aber absichtlich unverständlich gemacht. Laut Julius Wellhausen begann der ursprüngliche Text 28 Die genaue Bedeutung des Verbs, das hier in der Form des maskulinen Partizips erscheint, ist „niederkommen in den Wehen“. 29 Vgl. Marie-Theres Wacker: Figurationen des Weiblichen im Hosea-Buch, Freiburg–Basel–Wien (Herder) 1996. 30 Martti Nissinen: Prophetie, Redaktion und Fortschreibung im Hoseabuch. Studien zum Werdegang eines Prophetenbuches im Lichte von Hos 4 und 11, Kevelaer–Neukirchen Vluyn (Butzon & Bercker–Neukirchener Verlag) 1991, S. 268–276.
Integration oder Verdrängung des Weiblichen
mit folgender Behauptung Jhwhs: „Ich bin seine ‚Anat‘ und seine ‚Aschera‘ “31. Sollte diese Konjektur korrekt sein, hätten wir hier einen weiteren Hinweis auf die Absicht, die Funktionen der Göttinnen in Jhwh selbst zu integrieren. Die Priesterschrift, mit der wir uns weiter unten noch näher beschäftigen werden, beginnt mit der Erschaffung der Welt, der Tiere und der Menschen durch Gott. Als dieser beschließt, den Menschen zu erschaffen, sagt er, er wolle ihn nach seinem „Bild“ schaffen. Die Durchführung dieser Entscheidung wird so geschildert: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, er schuf ihn nach dem Bild Gottes, er schuf sie als Mann und als Frau“ (Gen 1,27). Dass der Mensch nach dem Bild Gottes männlich und weiblich ist, kann zum einen heißen, dass hier die traditionelle Vorstellung vom göttlichen Paar (Jhwh und Aschera) aufgegriffen und auf das menschliche Paar übertragen wird. Es kann aber auch bedeuten, dass Gott selbst in sich männlich und weibliche Funktionen vereint32. Eine andere Art, das Verschwinden der Göttin zu kompensieren, ist die Personifizierung des Konzepts der Weisheit (ḥokmāh), die man ab dem Ende der persischen Zeit und vor allem in hellenistischer Zeit beobachten kann33. Im 8. Kapitel des Sprüchebuches ergreift die Weisheit selbst das Wort und stellt sich als eine Göttin vor, die sich schon vor der Erschaffung der Welt an der Seite Jhwhs befand: (22) Jhwh hat mich geschaffen, am Anfang seiner Tätigkeit, vor allen seinen Werken von Alters her. (23) Schon immer war ich geheiligt, von den Anfängen, von den Urzeiten der Erde. (24) Als es die Schluchten noch nicht gab, wurde ich geboren […] (30) Ich war immer an seiner Seite, jeden Tag Gegenstand seines Entzückens, spielte zu aller Zeit in seiner Gegenwart, (31) spielte in seinem irdischen Universum; und ich finde mein Entzücken unter den Menschen. Die Weisheit erscheint in diesem Text als Tochter Jhwhs, die von ihm erschaffen wurde, um ihn bei der Schöpfung des Universums zu begleiten und in gewisser Weise als Mittlerin zwischen Jhwh und den Menschen zu dienen. Also ist die Göttin nicht ganz verschwunden, sondern kommt in anderer Gestalt zurück34. 31 Julius Wellhausen: Die Kleinen Propheten. Skizzen und Vorarbeiten 5, Berlin (Töpelmann) 1963 [18893], S. 134. 32 Dies ist umso leichter denkbar, als der Verfasser von Genesis 1 den Terminus ʾĕlōhîm verwendet, der sowohl Singular als auch Plural sein kann. 33 Ein vergleichbares Phänomen gibt es in Ägypten, wo maʾat zunächst ein Konzept ist, das die gerechte Ordnung der Welt bezeichnet, dann aber als eine junge Göttin mit einer Feder im Haar erscheint, dem Symbol der maʾat. 34 Später kann man im Judentum eine ähnliche Entwicklung hinsichtlich des Konzepts der Schechina beobachten. Es handelt sich zunächst um eine Bezeichnung für die gött-
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Der Monotheismus und das Problem des Bösen In einer polytheistischen Vorstellungswelt, in der eine Vielzahl von Göttern durch ihr Handeln das Schicksal der Welt und der Menschen beeinflusst, kann der Einbruch des Bösen und des Leids einfach unheilbringenden Göttern oder Dämonen zur Last gelegt werden. Der Mensch muss sie friedlich stimmen oder versuchen, sich durch Amulette oder auf andere Weise gegen sie zu schützen. In polytheistischen Konzeptionen agieren die Götter durchaus unvorhersehbar und bringen durch ihre Handlungen Unheil über die Menschen, ohne dass letztere ihnen gegenüber einen Fehler gemacht haben müssen. Aber in dem Moment, wo es nur einen einzigen Gott gibt, stellt sich die Frage nach dem Woher und Warum des Bösen mit ganzer Schärfe. Die biblischen Texte geben darauf verschiedene Antworten. In einigen Texten werden das Böse und das Leiden als göttliche Strafen gegen diejenigen erklärt, die etwas Falsches getan haben. Diese Theologie der Vergeltung wird jedoch auch oft in Frage gestellt. So zeigt der Autor des Buchs Ijob, dass Ijob – anders als seine Freunde behaupten – sein Schicksal nicht verdient. Aber er gibt keine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Bösen, das Jhwh über Ijob bringt35. Ebenso stellt die Schöpfungsgeschichte zu Beginn des Buches Genesis fest, dass die Dunkelheit, die Unordnung und der Abgrund – Symbole des Bösen oder des primordialen Chaos – nicht von Gott geschaffen sind, sondern von ihm „beherrscht“ werden, denn er integriert sie in seine Schöpfung. Diese Texte gestehen dem Bösen zwar eine gewisse Autonomie zu, entwickeln allerdings kein dualistisches theologisches System. Der Deutero-Jesaja dagegen schlägt eine radikale Lösung vor und behauptet, dass Jhwh selbst das Böse geschaffen hat36: Ich bin Jhwh und keiner sonst, außer mir gibt es keinen Gott. Ich habe dich37 gegürtet, ohne dass du mich erkannt hast, damit man erkennt, beim Aufgang der Sonne, wie beim Untergang: außer mir, nichts! Ich bin Jhwh und keiner sonst, ich bilde das Licht und ich schaffe die Finsternis, ich ma-
liche Präsenz unter den Menschen, erscheint aber auch manchmal in Form einer Hypostase. 35 In der Rahmenerzählung in den Kapiteln 1–2 und 42, werden die Leiden als Folge einer Wette zwischen Jhwh und dem Widersacher („Satan“) dargestellt. Auf diesen agent provocateur des himmlischen Hofstaats werden wir noch zurückkommen. 36 Martin Leuenberger: „Ich bin Jhwh und keiner sonst“. Der exklusive Monotheismus des Kyros-Orakels Jes. 45,1–7, Stuttgart (Katholisches Bibelwerk) 2010. 37 Gemeint ist der persischen König Kyros.
Der Monotheismus des priesterlichen Milieus
che das Gute (šalôm38) und das Böse (raʿ), ich, Jhwh, ich mache dies alles (Jes 45,5–7). Dieser Text ist praktisch der einzige in der ganzen Hebräischen Bibel39, in dem explizit gesagt wird, dass Gott nicht nur den šalôm, die harmonische Ordnung, sondern auch sein Gegenteil, das Böse oder das Chaos, geschaffen hat. Der Deutero-Jesaja, dessen Haltung der des Propheten aus dem Steil’schen Modell am stärksten entspricht, will betonen, dass alle Mächte, auch die unheilbringenden, ihren Ursprung in Jhwh haben und unter seiner Kontrolle stehen. Da es nur einen einzigen Gott gibt und außer ihm nichts ist (v. 5), kann diesem Gott nichts entgehen. Im Kontext der biblischen Schriften wird eine derartige Behauptung allerdings marginal bleiben.
Der Monotheismus des priesterlichen Milieus Die dritte Kategorie möglicher Reaktionen auf eine Krise ist nach dem Modell von Steil die des „Priesters“. Diese Haltung entspricht in der Tat derjenigen, die in der sogenannten Priesterschrift zum Ausdruck kommt. Es handelt sich dabei um eine Sammlung von Texten, die alle zu Beginn der persischen Zeit im Priestermilieu Babylons oder Jerusalems entstanden sind. Die Priesterschrift lässt sich relativ leicht rekonstruieren. Sie setzt sich aus Texten zusammen, die sich heute im Pentateuch finden, und zwar in den Büchern Genesis und Exodus sowie im ersten Teil des Buches Levitikus. Für die Priesterschrift zählt allein die Anfangszeit (Ursprung der Welt, Zeit der Patriarchen und des Mose). Anders als das deuteronomistische Geschichtswerk interessiert sie sich weder für die Geschichte der Monarchie noch für den Verlust des Landes. Alles wird schon von Anfang an festgelegt: das Blutverbot (nach der Sintflut erlassen), die Beschneidung (ein an Abraham ergangenes Gebot), das Pessachfest (seit dem Auszug aus Ägypten) sowie die Ritus- und Opfergesetze, welche dem Volk während seines Aufenthalts in der Wüste durch Mose vermittelt werden. Die erste Ausgabe der Priesterschrift, die in der Folge erweitert wurde, schloss wahrscheinlich mit dem Ritual des Jom Kippur (des „Versöhnungstages“) im 16. Kapitel des Buches Levitikus40. Darin geht es um die 38 Dieser Ausdruck wird oft mit „Frieden“ übersetzt; er bezeichnet die gerechte Ordnung, wo alles an seinem Platz ist, einen perfekten Zustand ohne Durcheinander. 39 Nur Kohelet (der Prediger) wird zwei Jahrhunderte später in die gleiche Richtung gehen und seinen Lesern raten: „Am Tag des Glücks sei guter Dinge, und am Tag des Unglücks (raʿah) bedenke: diesen wie jenen hat Gott gemacht, so dass der Mensch nicht weiß, was nach ihm kommen wird“ (7,14). 40 Christophe Nihan: From Priestly Torah to Pentateuch. A Study in the Composition of the Book of Leviticus, Tübingen (Mohr Siebeck) 2007, S: 340–378. Vgl. bereits Matthias
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Möglichkeit, mithilfe des Hohepriesters das Heiligtum und die Gemeinde zu reinigen. Im Gegensatz zum deuteronomistischen Diskurs, der auf einer strengen Trennung zwischen dem Volk Jhwhs und den anderen Völkern beharrt, vertritt das Priestermilieu einen inklusiven Monotheismus und versucht, den Platz und die Rolle Israels und Jhwhs inmitten der Völker und ihrer jeweiligen Götter zu definieren. In diesem Sinne entwickelt es mithilfe der göttlichen Namen eine Theorie der „drei Kreise“ oder drei Etappen der Offenbarung Jhwhs41. In den priesterschriftlichen Erzählungen von der Entstehung der Welt und der Menschheit sowie von der Sintflut offenbart Jhwh sich der ganzen Menschheit als „ʾĕlōhîm“. Dieses Wort kann mit „(ein) Gott“, „Götter“ oder „Gott“ übersetzt werden. Wahrscheinlich wird der Terminus ʾĕlōhîm vom Priestermilieu zum ersten Mal im Sinne von „(einziger) Gott“ gebraucht42. Dies zeigt bereits die Schöpfungsgeschichte im ersten Kapitel der Genesis sehr deutlich. Dieser Name ist sowohl Singular als auch Plural. In gewisser Weise können dadurch alle Götter Manifestationen des einzigen Gottes sein. Für das priesterliche Milieu bedeutet dies, dass alle Völker, die einem Schöpfergott huldigen, ohne es zu wissen, den Gott verehren, der sich später unter dem Namen Jhwh dem Volk Israel offenbaren wird. Den Patriarchen und ihren Nachkommen erscheint Jhwh laut Priesterschrift als „El Schaddai“. Die Gruppe der Priester gebraucht diesen Namen, um zu erklären, dass der Gott, der Abraham erschienen ist, auch Ismael, dem erstgeborenen Sohn Abrahams und Erzvater der arabischen Stämme, bekannt sein muss ebenso wie Esau, dem Enkel Abrahams und Erzvater der Edomiter. Mit „El Schaddai“ verwenden die priesterschriftlichen Redaktoren einen Namen, der von ihnen zwar als archaisch dargestellt wird, der aber zu ihrer Zeit noch der Name eines bei arabischen Stämmen verehrten Gottes war43. Köckert: „Leben in Gottes Gegenwart. Zum Verständnis des Gesetzes in der priesterschriftlichen Literatur“, in: Jahrbuch für biblische Theologie 4 (1989), S. 29–61. 41 Die theoretische Grundlage zu dieser Vorstellung findet sich in der priesterlichen Darstellung der Offenbarung Jhwhs an Mose in Kapitel in Exodus 6: „(2) Gott redete mit Mose. Er sagte: ‚Ich bin Jhwh. (3) ich bin Abraham, Isaak und Jakob als El Schaddai erschienen, mit meinem Namen „Jhwh“ habe ich mich ihnen nicht kundgetan‘ “. Dieser Text bezieht sich auf Kapitel 17 der Genesis, das ebenfalls zur Priesterschrift gehört und in dem Jhwh sich Abraham als „El Schaddai“ präsentiert. Vor dieser Offenbarung gegenüber Abraham benutzen die priesterschriftlichen Redaktoren den Terminus ʾĕlōhîm. 42 Albert de Pury: „Gottesname, Gottesbezeichnung und Gottesbegriff. ʾElohim als Indiz zur Entstehungsgeschichte des Pentateuch“, in: Jan Christian Gertz, Konrad Schmid und Markus Witte (Hgg.): Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, Berlin–New York (De Gruyter) 2002, S. 25–47. 43 Ernst Axel Knauf: „El Šaddai – der Gott Abrahams?“, in: Biblische Zeitschrift 29 (1985), S. 97–105.
Der Monotheismus des priesterlichen Milieus
Ganz allein Mose und über ihn auch Israel wird Gott sich unter seinen Namen „Jhwh“ offenbaren. Dies ist das einzige Privileg Israels, das so diesem Gott den angemessenen Gottesdienst erweisen kann. Doch Israel soll von diesem Wissen nicht „profitieren“, daher das Verbot, den Namen Jhwhs auszusprechen, das sich in der 2. Hälfte der persischen Zeit weiter präzisiert. Aus der priesterschriftliche Darstellung folgt auch, dass die unmittelbaren Nachbarn Israels, die mit Israel über Abraham und Jakob verwandt sind – das heißt die arabischen Stämme (über Ismael), die Moabiter und die Ammoniter (über Lot) sowie die Edomiter (über Esau) –mehr mit Israel gemein haben als die weiter entfernt liegenden Nationen44. Nach der Priesterschrift wurden alle kultischen und rituellen Vorschriften den Patriarchen und den Zeitgenossen des Mose gegeben, bevor Israel politisch in irgendeiner Form organisiert war. Das sollte zeigen, dass weder ein Land noch ein Königtum nötig sind, um Jhwh angemessen zu verehren. Diese Abkoppelung des Jhwh-Kults von politischen Institutionen und vom Besitz eines bestimmten Landes bereitet in gewisser Weise der Vorstellung von einer Trennung zwischen religiösem und politischen Bereich den Weg. Die religiösen Vorschriften der Priesterschrift betreffen unterschiedliche Teile der Menschheit in unterschiedlicher Weise: Das Blutverbot nach der Sintflut gilt für die gesamte Menschheit, die „Elohim“ unterstellt ist, die Beschneidung gilt für alle Nachkommen Abrahams, die „El Schaddai“ verehren (und wird von diesen tatsächlich praktiziert). Und das Pessachfest, die Opferrituale, die Nahrungsvorschriften sowie der Jom Kippur sind spezielle Riten, mit denen Israel den einzigen Gott verehrt, der sich ihm über Mose unter seinem Namen Jhwh geoffenbart hat. So entstehen zu Anfang der persischen Zeit verschiedene Diskurse, welche den Jhwh-Kult als Verehrung des einzigen Gottes neu definieren, dabei aber immer seine besondere Beziehung zu Israel hervorheben. Dabei stellt sich auch die Frage, ob die Neudefinition des Gottes Jhwh persische Einflüsse zeigt.
44 Diese Ähnlichkeit zeigt sich auch in der priesterschriftlichen Darstellung von der Beschneidung in Genesis 17, die als Zeichen des Bundes zwischen Jhwh und Abraham erscheint. Diese Beschneidung betrifft nicht nur Isaak, sondern auch Ismael. Der priesterschriftliche Autor wusste also, dass es diese Praxis bei den arabischen Stämmen gab. Dass Ismael mit dreizehn Jahren beschnitten wird, Isaak aber acht Tage nach seiner Geburt, verdeutlicht, dass dieser mit der Pubertät verbundene Übergangsritus sich zu einem Ritus gewandelt hat, der den Eintritt des Neugeborenen in die Gemeinde markiert.
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Die persischen Einflüsse auf den biblischen Monotheismus Es ist sehr schwer, sich eine genaue Vorstellung vom religiösen System der Achämeniden zu machen45. Dazu kommt, dass Lebenszeit und Herkunft Zarathustras nur schwer bestimmt werden können; und auch die Frage nach seiner ursprünglichen „Botschaft“ bereitet Probleme. Das älteste Manuskript der Avesta, des heiligen Buches des Mazdaismus und des auf ihn folgenden Zoroastrismus, stammt aus dem 13. Jh. u.Z. Die Probleme, die eine Rekonstruktion ihrer Kompositionsgeschichte bereitet, erinnern in vielerlei Hinsicht an die Probleme, mit denen sich auch die Exegeten der Hebräischen Bibel auseinandersetzen. Es scheint derzeit wenig wahrscheinlich, dass bereits in der Achämenidenzeit eine mazdäische Textsammlung existierte, auch wenn eine Mehrheit der Forscher durchaus glaubt, die Gathas (die Gesänge Zarathustras) auf den Anfang des 1. Jt. v.u.Z. zurückführen zu können. Doch auch wenn man den „Minimalisten“ folgt, die davon ausgehen, dass Zarathustra 258 Jahre vor Alexander dem Großen gelebt hat, stellt dies nicht in Abrede, dass es in der Achämenidenzeit eine Art Mazdaismus gegeben hat. Eindeutig innerhalb der offiziellen Königsreligion belegt ist dieser seit Darius (521–486 v.u.Z.): In der Behistun-Inschrift legitimiert er sein Königtum mit dem Wunsch und der Unterstützung Ahura-Mazdas46. In der Inschrift aus dem Alvand-Gebirge nennt er diesen „den großen Gott, der diese Erde hier geschaffen hat, der jenen Himmel dort geschaffen hat, der den Menschen geschaffen hat, der die Freude für den Menschen geschaffen hat“47. Die rechte Spalte der Inschrift bezieht sich auf Xerxes und ist fast identisch. Ahura-Mazda wird darin allerdings mit dem zusätzlichen Attribut „der größte der Götter“ bezeichnet. Demzufolge gibt es also auch andere Götter. Auch scheinen die persischen Könige den Untertanen ihres Reiches die Verehrung lokaler 45 Eine erste Orientierung bieten Geo Widengren: Die Religionen Irans (Die Religionen der Menschheit 14), Stuttgart (Kohlhammer) 1965; Jean Kellens: „Die Religion der Achämeniden", in: Altorientalische Forschungen 10 (1983), S. 107–123; Josef Wiesehöfer: Das antike Persien. Von 550 v. Chr. bis 650 n. Chr., Düsseldorf–Zürich (Artemis & Winkler) 2005 [1993]. 46 Übersetzung von Rykle Borger und Walther Hinz in: Otto Kaiser u.a. (Hgg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT) I. Rechts- und Wirtschaftsurkunden. Historisch-chronologische Texte, Lieferung 4, Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus) 1984 [CDRom 2005], S. 419–450. 47 Die Inschrift besteht aus zwei Spalten; die erste bezieht sich auf Darius, die zweite auf Xerxes. Zu dieser Inschrift und einer Übersetzung beider Spalten des Textes https:// de.wikipedia.org/wiki/Gandschn%C4%81me (eingesehen am 17.5.2018). Eine französische Übersetzung dieser beiden und weiterer Inschriften: Pierre Lecoq: Les Inscriptions da la Perse achéménide, Paris (Gallimard) 1997, S. 187–218, hier speziell S. 217.
Die persischen Einflüsse auf den biblischen Monotheismus
Gottheiten gestattet zu haben. Man kann sich also zurecht fragen, ob man hier überhaupt von Monotheismus sprechen kann – es sei denn, man wollte den Mazdaismus der Perser als eine Art synkretistischen oder inklusiven Monotheismus verstehen, in dem die anderen Götter lediglich lokale Manifestationen Ahura-Mazdas darstellen. Unzweifelhaft ist dagegen, dass die Verfasser des Esra- und des Nehemiabuches die sehr enge und positive Beziehung zwischen dem Perserreich und ihren judäischen Protagonisten (dem Statthalter Nehemia sowie dem Schreiber und Priester Esra) hervorheben. Nehemia wird als königlicher Beamter von Susa (Neh 1,1), der Hauptstadt des Achämenidenreiches, und Truchsess dargestellt, was eine hohe soziale Stellung bedeutete48. Auch Esra, Schreiber und Priester in Babylon, ist in seiner Funktion durch königliche Autorität anerkannt. Laut Kapitel 7 des Esrabuches kommt er nach Jerusalem, um ein Gesetz zu verkünden, das sowohl dasjenige des „Gottes der Himmel“ (v. 12) als auch das „Gesetz des Königs“ (v. 26) ist. In diesem Zusammenhang ist es nicht besonders wichtig, ob Esra und Nehemia fiktive oder historische Personen sind49; so oder so stehen sie für die enge Zusammenarbeit zwischen den judäischen und den persischen Autoritäten. Auch übt kein einziger Text der Hebräischen Bibel offen Kritik an einem achämenidischen Herrscher. In den Esra- und Nehemiabüchern erscheinen die persischen Könige als Werkzeuge Jhwhs, als aufgeklärte Herrscher, die eine Wiederherstellung des jahwistischen Kults in Jerusalem zulassen und fördern. Man kann also sagen, dass das entstehende Judentum in persischer Zeit die Vorstellung von einer translatio imperii (wie der Herrschaftsübergang im Mittelalter bezeichnet werden würde) auf die achämenidischen Könige akzeptiert50. Die Frage nach dem direkten Einfluss des Mazdaismus auf das entstehende Judentum ist schwerer zu beantworten. Folgendes kann festgehalten werden: Zahlreiche Psalmen aus persischer Zeit und auch andere Texte beschreiben Jhwh als inmitten der himmlischen Ratsversammlung thronend und die anderen Götter (die auf den Status von „Engeln“ oder „Heiligen“ degradiert werden) beherrschend (Ps 89,6 und 103,20). Das Festhalten an der Vorstellung vom alten Götterhimmel kann zumindest in Teilen auf zwei verschiedene persische Einflüsse zurückgeführt werden: Die Darstellung Jhwhs orientiert sich zum einen 48 Lester L. Grabbe: Ezra–Nehemiah, London–New York (Routledge) 1998, S. 160. 49 Vgl. in diesem Sinne Herbert Niehr: „Religio-historical aspects of the ‚early postExilic‘ period“, in: Bob Becking und Marjo C.A. Korpel (Hgg.): The Crisis of Israelite Religion. Transformation of Religious Tradition in Exilic and Post-Exilic Times, Leiden–Boston–Köln (Brill) 1999, S. 228–244, hier S. 243. Die Historizität Esras bereitet in der Tat einige Probleme; die Nehemias scheint plausibler zu sein. 50 Vgl. dazu Albert de Pury und Thomas Römer: „Terres d’exil et terres d’accueil. Quelques réflexions sur le judaïsme postexilique face à la Perse et à l’Égypte“, in: Transeuphratène 9 (1995), S. 25-34, S. 29–30.
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an den Darstellungen des persischen Großkönigs, der in der Tat der einzig wahre König ist, der alle Könige der anderen Völker überragt51. Aber Jhwh entspricht in dieser Hinsicht auch Ahura-Mazda, der zumindest seit der zarathustrischen Reform als einzig wahrer Gott fest und souverän über dem traditionellen Pantheon thront. Einhellig anerkannt wird zudem, dass die Gestalt Satans als Mitglied des himmlischen Hofstaats in den biblischen Texten erst seit persischer Zeit belegt ist. Er erscheint in der Tat zum ersten Mal im Prolog des Buches Ijob. Dort thront Jhwh im Himmel umgeben von seinen Ministern, unter denen sich ein „satan“, ein „Widersacher“52 befindet, der ein wenig an die Geheimagenten des persischen Königs erinnert. Die Gestalt Satans wurde nachträglich in diesen Prolog eingefügt, um Jhwh von dem Vorwurf freizusprechen, er habe Ijob ohne erkennbaren Grund allen möglichen Schicksalsschlägen ausgesetzt53. Dieselbe Tendenz zu einer Autonomisierung des Bösen lässt sich in den Chronikbüchern in der Neufassung einer älteren Erzählung aus den Samuelbüchern erkennen54. Thema ist eine von David angeordnete Volkszählung, die eine göttliche Strafe zur Folge hat. Am Ende entdeckt David dann den Bauplatz für den zukünftigen Tempel55. Die ältere Erzählung des zweiten Samuelbuches schreibt zu Beginn des 24. Kapitels: „Der Zorn Jhwhs entbrannte erneut über die Israeliten, und er brachte David gegen sie auf.“ Es ist also Jhwh selbst, der eine 51 Dies zeigen das Relief und die Behistun-Inschriften über die Eroberungen des Darius sehr deutlich. 52 In dieser Erzählung ist „Satan“ noch kein Eigenname, sondern bezeichnet eine Funktion. 53 Es ist ziemlich offensichtlich, dass die Verse, die eine Diskussion zwischen Gott und dem Satan schildern, nachträglich in die ursprüngliche Geschichte eingefügt worden sind, in der Jhwh unmittelbar für das Unglück Ijobs verantwortlich ist. Man kann in der Tat das erste Kapitel des Ijob-Buches ohne die Szenen lesen, die am himmlischen Hof spielen. Dies umso mehr, als die Suffixpronomina von Vers 13 („seine Söhne und Töchter“) sich nicht auf den vorangehenden Vers („der Satan entfernte sich vom Angesicht Jhwhs“) beziehen können, sondern nur direkt nach Vers 5 verständlich sind: („das tat Ijob jedes Mal“). Zudem enthält auch der Epilog im 42. Kapitel keine Anspielung auf eine Wette zwischen Gott und dem Satan, sondern handelt eher von einer Abrechnung zwischen Jhwh und den Freunden Ijobs. Die nachträgliche Einfügung Satans in die Ijob-Erzählung kann also als Versuch verstanden werden, das Böse von Gott abzuspalten und zu „personifizieren“. 54 Die Chronikbücher sind jünger als die Samuelbücher und wurden am Ende der persischen oder zu Beginn der hellenistischen Zeit verfasst. 55 Colette Briffard: „2 Samuel 24. Un parcours royal: du pire au meilleur“, in: Études théologiques et religieuses 77 (2002), S. 95–104. Vgl. auch Adrian Schenker: Der Mächtige im Schmelzofen des Mitleids: eine Interpretation von 2 Sam 24, Freiburg (Schweiz)– Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 1982.
Die persischen Einflüsse auf den biblischen Monotheismus
Situation herbeiführt, bei der Tausende Menschen sterben müssen, da David mit einer Pest bestraft wird. In Kapitel 21 des ersten Chronikbuches beginnt dieselbe Geschichte mit folgenden Worten: „Satan stellte sich gegen Israel und verleitete David dazu, Israel zu zählen.“ Es ist schwer zu sagen, ob Satan hier als negativer Gegenpart Jhwhs verstanden wird oder als eine Art Hypostase des göttlichen Zorns. Die Hervorhebung Satans als Protagonisten des Bösen führt gleichwohl zu einem Dualismus, bei dem das Böse als potentiell ebenso mächtig erscheint wie Gott, Schöpfer des Guten. Und man kann sich in der Tat fragen, ob das Auftauchen Satans nicht durch den persischen Dualismus zwischen Ahura-Mazda und Angra-Mainyu (Ahriman) beeinflusst wurde. In den Texten der Hebräischen Bibel bleibt dieser Dualismus eher marginal. Er bricht sich dagegen in einigen Strömungen des Judentums in hellenistischer und römischer Zeit mehr und mehr Bahn56, und möglicherweise kann man gerade in diesen apokalyptischen Strömungen einen starken iranischen Einfluss erkennen57. Auch andere persische Einflüsse auf das Judentum, wie es sich im 6. und 5. Jh. v.u.Z. entwickeln wird, sind erkennbar. So stellt ein Text aus dem MaleachiBuch Jhwh nach dem Vorbild des persischen Großkönigs dar: „Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang ist mein Name groß unter den Nationen. An jedem Ort werden meinem Namen Rauchopfer dargebracht und ein reines Opfer, denn groß ist mein Name bei den Nationen, sagt Jhwh der Heerscharen“ (Mal 1,11). Jhwh ist der universelle Gott, dem alle Völker Opfer darbringen. Auch das Ersetzen der Tieropfer durch Rauchopfer kann auf persischen Einfluss zurückgehen, denn im Mazdaismus werden vegetabile Gaben blutigen Opfern vorgezogen58. Zusammenfassend ist es sehr wahrscheinlich, dass in der Zeit des sich entwickelnden Judentums persische Einflüsse auf die Entstehung des jahwistischen Monotheismus bestanden – auch wenn diese nicht immer so leicht zu beweisen sind, wie einige glauben.
56 Denken wir nur an den Dualismus in der Gemeinde von Qumran, die einen eschatologischen Kampf zwischen den „Söhnen des Lichts“ und den „Söhnen der Finsternis“ erwartete. Auch in der Volksreligiosität zur Zeit Jesu gab es eine sehr komplexe Dämonologie. 57 Frantz Grenet: „Y a-t-il une composante iranienne dans l’apocalyptique judéo-chrétienne? Retour sur un vieux problème“, in: Studia Archaeus 11–12 (2007–2008), S. 15– 36. 58 Jacques Briend: „Malachie 1,11 et l’universalisme“, in: Raymond Kuntzmann (Hg.): Ce Dieu qui vient. Mélanges offerts à Bernard Renaud, Paris (Cerf) 1995, S. 191–204.
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Widerstände gegen den Monotheismus In hellenistischer Zeit wird der Monotheismus zunehmend zum identitätsstiftenden Merkmal des Judentums. Diese monotheistische Religion irritiert die griechischen und römischen Intellektuellen, wird für einen Teil der Aristokratenschicht des römischen Reiches aber auch durchaus attraktiv. Dennoch hat sich das monotheistische Konzept nicht auf einen Schlag durchgesetzt. Das beste Beispiel dafür findet sich in der judäischen Gemeinde von Elephantine, einer Insel im Nil, gegenüber von Assuan, im Süden Ägyptens. In Schriftstücken aus dieser Gemeinde findet man neben Hinweisen auf die Verehrung Jhwhs (Jahôs) Belege für die Verehrung einer Göttin namens Anat. So zum Beispiel in einem Schwur, der anlässlich des Verkaufs einer Eselin von einem der beiden Besitzer gegenüber dem anderen geleistet wird: „Eid, den geschworen hat Menachem, Sohn des Šallum […] gegenüber Mešullam, Sohn des Natan […] am Platz der Verehrung und bei ʿAnat-Jahô.“59 Nach Pierre Grelot soll Anat (eine Göttin, die in Ugarit als Paredra des Baal wohlbekannt ist) mit ʿAtti identisch sein, einer Göttin, die ebenfalls in den Schriftstücken aus Elephantine auftaucht und die Grelot mit der „Himmelskönigin“ identifiziert. In einem Verzeichnis von Opferzahlungen erscheint eine göttliche Trias: „Das Silber, das sich an jenem Tag in der Hand Jedonjas, Sohnes des Gamarjah befand, im Monat Phamenoth60: 31 Karša 8 Šeqel Silber. Darin: für Jahō 12 K(arša) 6 Š(eqel); für ʾĂšīm-Bētʾēl 7 Karša; für ʿĂnāt-Bētʾēl 12 Karša Silber.61“ Man muss also innerhalb dieser judäischen Kolonie eine Verehrung von Jahô (Jhwh) und von Bētʾel annehmen; letzteres wahrscheinlich eine Gottheit der Aramäer von Syene (Assuan); diese beiden Götter sind Teil einer göttlichen Trias, in der die Göttin Anat als Paredra von Jahô erscheint; ʾAšim-Bētʾel ist offensichtlich der Sohn. 59 Pierre Grelot: Documents araméens d’Égypte, Paris (Cerf) 1972, S. 95, document 10. Eine englische Übersetzung bei Bezalel Porten: The Elephantine Papyri in English, Atlanta (Society of Biblical Literature), 20112 [1996], S. 265–266. Die deutsche Übersetzung folgt weitgehend Bob Becking, „Die Gottheiten der Juden in Elephantine“, in: Manfred Oeming und Konrad Schmid (Hgg.): Der eine Gott und die Götter. Polytheismus und Monotheismus im antiken Israel (Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments 82), Zürich (TVZ) 2003, S. 203–226, hier S. 219. 60 7. Monat des ägyptischen Kalenders, entspricht dem babylonischen Tischri. 61 Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 485. Die Personennamen wurden leicht vereinfacht.
Widerstände gegen den Monotheismus
Trotz dieser wenig orthodoxen Verehrung Jhwhs stehen die Führer der Kolonie in Briefkontakt mit den Autoritäten von Jerusalem und Samaria, die sich offenbar irgendwie mit dieser ökonomisch gut dastehenden Gemeinde arrangiert hatten. Als die ägyptische Priesterschaft unter Mithilfe des persischen Satrapen den jüdischen Tempel von Elephantine zerstört, schreiben die Führer der Kolonie im Jahr 407 v.u.Z. dem persischen Provinzstatthalter von Jehud (Juda) und bitten um die Erlaubnis, ihr Heiligtum wiederaufzubauen62. Wir wissen nicht sicher, ob der Tempel wiederaufgebaut wurde, da die Quellenüberlieferung zu dieser Gemeinde gegen 399 v.u.Z. endet63. Die Quellen belegen aber, dass es noch bis zum Ende des 5. Jh. möglich war, einen Opferkult außerhalb Jerusalems auszuüben und Jhwh zusammen mit anderen Gottheiten zu verehren. Der Polytheismus verschwindet also nicht ohne Weiteres, denn wie Pierre Gibert formuliert ist „der Monotheismus sehr schwer zu denken“64. Im Übrigen zeigt schon das Wort selbst, dass es sich um ein modernes Konzept handelt. In der Hebräischen Bibel gibt es den Terminus Monotheismus nicht und auch nicht sein Gegenteil, den Polytheismus. Letzterer scheint das erste Mal bei Philon von Alexandria im 1. Jh. unserer Zeit belegt zu sein, der die dóxa polytheía der Griechen der biblischen Botschaft gegenüberstellt65. Monotheismus scheint ein Neologismus aus dem 17. Jh. zu sein. Die Deisten sprachen von „Monotheismus“, um die universelle Religion des Humanismus zu bezeichnen. Thomas Morus und andere wandten diesen Begriff auf das Christentum an, um es von anderen Glaubensrichtungen der Antike zu unterscheiden und es gegen die jüdische Kritik zu verteidigen, es respektiere das Gebot der Exklusivität Gottes nicht66. Während die Deisten das Konzept des Monotheismus in einem inklusiven Sinne verstehen, teilen die Anhänger der Offenbarungsreligionen ihm eine exklusive Funktion zu: Der monotheistische Glaube erlaubt eine Unterscheidung der biblischen Religionen von den anderen. 62 Eine deutsche Übersetzung bei Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 481–483. Der Papyrus befindet sich in Berlin, eine Darstellung im Netz: https://de.wikipedia.org/wiki/Elephantine-Papyri (letzte Konsultation 3.6.2018). 63 Lester L. Grabbe: A History of the Jews and Judaism in the Second Temple Period. I, Yehud: A History of the Persian Province of Judah, London-New York (T & T Clark) 2004, S. 318–319. 64 Pierre Gibert; „Le monothéisme est très difficile à penser!“, in: Le Monde de la Bible 124 (2000), S. 50–51. 65 Vgl. Gregor Ahn: „‚Monotheismus‘ – ‚Polytheismus‘. Grenzen und Möglichkeiten einer Klassifikation von Gottesvorstellungen“, in: Manfried Dietrich und Oswald Loretz (Hgg.): Mesopotamia–Ugaritica–Biblica (Festschrift Kurt Bergerhof), NeukirchenVluyn (Neukirchener Verlag) 1993, S. 1–24, besonders S. 5–6. 66 Vgl. dazu ausführlich und mit einer Bibliographie Fritz Stolz: Einführung in den biblischen Monotheismus, Darmstadt (WBG) 1996, S. 4–22.
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Schon als das Wort Monotheismus geprägt wurde, gab es also zwei unterschiedliche Arten, den Begriff „Monotheismus“ zu verstehen: exklusiv oder inklusiv. Diese beiden Richtungen spiegeln sich auch im biblischen Diskurs über Jhwh wider. Wie wir gezeigt haben, entwickelt die deuteronomistische Schule einen segregationistischen Diskurs, während das Priestermilieu einen inklusiven Monotheismus vertritt.
Vorbiblischer Monotheismus? Kann man schon vor der Bibel von Monotheismus sprechen? Die mesopotamischen Religionen brachten große Epen hervor, deren Einfluss auf die biblischen Autoren beträchtlich war. Die Grenzen zwischen Monotheismus und Polytheismus sind also durchlässig. Das Gilgamesch-Epos, die Erzählungen von Schöpfung und Sintflut dienten den biblischen Autoren als Modell. Sie haben diese großen Texte aufgenommen und sie aus monotheistischer Perspektive neu interpretiert. Die Erzählung von der Sintflut kann hier als ein Beispiel dienen: In den mesopotamischen Erzählungen von der Sintflut, die seit sumerischer Zeit (3. Jt. v.u.Z.) sehr verbreitet waren, sind die Rollen klar verteilt. Die „bösen“ Götter beschließen, die Menschheit auszurotten, während ein „guter“ Gott und Menschenfreund seinen Auserwählten vor der bevorstehenden Katastrophe warnt und so das Überleben der Menschheit sichert. Im Buch Genesis übernimmt Jhwh, der Gott Israels, aber auch der einzige Gott, beide Rollen: Er beschließt, die Menschheit zu vernichten, Noah und seine Familie aber zu retten. So birgt der einzige Gott auch die dunklen, unverständlichen Seiten in sich. Eine derartige Erfahrung ist den polytheistischen assyrischen und babylonischen Religionen allerdings nicht fremd. In der Tat gibt es auch bei ihnen einige (das Buch Ijob vorwegnehmende67) Texte, in denen ein Mensch darüber klagt, von seinem Schutzgott verlassen worden zu sein oder von ihm verfolgt zu werden. Obwohl die mesopotamische Kultur sich durch einen sehr elaborierten Polytheismus auszeichnet, sind dennoch Tendenzen hin zu einem Henotheismus erkennbar, zu einer spezielleren Verbundenheit mit einem einzigen Gott, ohne dass die Existenz anderer Gottheiten geleugnet würde. Nebukadnezar I. (1125–1104 v.u.Z.) will den Gott Marduk, zunächst nur Schutzgott der Stadt Babylon, zum Zentralgott des babylonischen Pantheons machen. Nabonid (556–539 v.u.Z.) versucht seinerseits, den Mondgott Sin zum obersten Gott des babylonischen Reiches 67 Eva Jenny Korneck: Das Buch Hiob als pädagogisches Konzept. Die Rede von Gottes Allmacht in religiösen Bildungsprozessen (Altes Testament und Moderne 27), Münster (LIT Verlag) 2014, S. 128–129.
Vorbiblischer Monotheismus?
zu erheben. Sein Unterfangen erinnert durchaus an die Kultreform des Pharaos Echnaton (Amenophis IV., 1353–1337 v.u.Z.), der oft als der erste Monotheist in der Geschichte der Menschheit bezeichnet wird. Die Ursprünge und Motive der sogenannten monotheistischen Revolution Echnatons sind nur teilweise bekannt. Im sechsten Jahr seiner Herrschaft verlässt der Pharao Theben und gründet eine neue Hauptstadt, Achet-Aton (Tell el-Amarna), die der alleinigen Verehrung Atons, der Sonnenscheibe, geweiht ist. Der König befiehlt einen großen Bildersturm, der vor allem jegliche Spur Amuns tilgen soll, des Gottes Thebens, der bis zu dem Zeitpunkt Hauptgott des ägyptischen Pantheons war. Aber auch die Spuren der anderen Götter sollen vernichtet werden. Die Aton-Hymne68 zeigt eine Art kosmischen Monotheismus, der den Deismus einiger Vertreter der Aufklärung vorwegnimmt. Aton-das-Licht ist der einzige Gott, der Millionen von Leben (die Sonnenstrahlen) hervorbringt, dabei aber in seiner Einheit bleibt69. Die neue Religion ist weiterhin stark von der Königsideologie geprägt: Echnaton ist der Sohn Atons und der einzige, der den Gott kennt. Andere Texte und andere Darstellungen vermitteln sogar den Eindruck, das Königspaar stelle zusammen mit Aton eine Art Trinität dar, die mit denen der traditionellen Panthea vergleichbar ist. Man hat in der Revolution Echnatons, deren Spuren seine Nachfolger sehr schnell ausgelöscht haben, den Ursprung des biblischen Monotheismus sehen wollen und Mose zum Schüler des bilderstürmenden Pharaos gemacht oder ihn sogar mit Echnaton identifiziert. Doch der biblische Monotheismus stellt sich ganz anders dar. Zum einen entsteht er an die acht Jahrhunderte später, ohne dass es irgendeine chronologische Verbindung zwischen beiden gäbe. Zum anderen wurzelt der jahwistische Monotheismus nicht mehr in der Königsideologie, sondern stellt eine Reaktion auf den Untergang des Königtums und das Zusammenbrechen der traditionellen Nationalreligion dar. Es gibt also keinerlei direkte Verwandtschaft zwischen den beiden Monotheismen. Der Ägyptologe Jan Assmann betont ausdrücklich, dass sich kein Kausalzusammenhang zwischen der monotheistischen Revolution Echnatons und dem jahwistischen Monotheismus herstellen lässt70. Es gibt jedoch „Gedächtnisspuren“ des Monotheismus Echnatons. Und diese Spuren können die biblischen Autoren beeinflusst haben, als sie die Gründungserzählung vom Auszug aus Ägypten und der Offenbarung am Berg Sinai ver68 Spuren dieser Hymne hat man in Psalm 104 finden wollen, aber die Parallelen sind eher dünn. 69 Kleiner Aton-Hymnus 57. Deutsche Übersetzung in Barbara Kern: Das altägyptische Licht- und Lebensgottmotiv und sein Fortwirken in israelitisch/jüdischen und frühchristlichen Traditionen, Berlin (Frank & Timme) 2006, S. 175. 70 Jan Assmann: „Monotheismus und Ikonoklasmus als politische Theologie“, in: Eckart Otto (Hg.): Mose. Ägypten und das Alte Testament, Stuttgart (Verlag Katholisches Bibelwerk) 2000, S. 121–139.
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fassten. Möglicherweise geht die Verbindung von Mose und Echnaton auf Manethon zurück, einen hellenisierten ägyptischen Priester, der im 3. Jh. v.u.Z. in griechischer Sprache geschrieben hat. In seiner Geschichte Ägyptens berichtet Manethon von einem Priester namens Osarsiph, der zur Zeit des Amenophis zum Anführer einer Gruppe Aussätziger geworden sei, die zu Frondiensten gezwungen wurden. Er habe dieser Gemeinschaft Gesetze gegeben, die allen üblichen Gepflogenheiten der Ägypter widersprochen und vor allem die Anbetung der Götter untersagt hätten. Manethon fügt am Ende seiner Erzählung hinzu, dass der Anführer dieser Aussätzigen „seinen Namen änderte und den Namen Mose annahm“71. Man kann Osarsiph als ein Zerrbild Echnatons verstehen; das „Echnaton-Trauma“72 lebte also mehr als ein Jahrtausend fort. Die Interpretation Manethons, Mose sei ein von seinen Landsleuten unverstandener Ägypter gewesen, bereitet einer Annahme den Weg, zu deren prominentesten Vertretern Sigmund Freud gehört73. Die Hebräische Bibel stellt sich uns in ihren drei Teilen zwar als „monotheistische Schrift“ dar, aber die biblischen Autoren und Redaktoren haben nicht alle polytheistischen Spuren gelöscht. Das zeigt sich zum Beispiel im Buch Ijob oder in zahlreichen Psalmen, in denen Jhwh von seinem himmlischen Hofstaat umgeben ist. Das polytheistische Erbe wird also zumindest teilweise in den monotheistischen Diskurs integriert. Im Übrigen werden die Verfasser des Neuen Testaments wie auch die des Koran später mit demselben Problem konfrontiert sein: Wie geht man mit der Pluralität um, wenn man sich dazu bekennt, dass es nur einen einzigen Gott gibt? Der biblische Monotheismus ist keine geschlossene Doktrin, er ist pluralistisch und lädt zum Nachdenken über die schwierige Beziehung zwischen Einheit und Vielheit ein. 71 Zu den Fragmenten der Schriften des Manethon siehe Gerald P. Verbrugghe und John M. Wickersham: Berossos and Manetho Introduced and Translated. Native Traditions in Ancient Mesopotamia and Egypt, Ann Arbor (The University of Michigan Press) 2000. Siehe auch Jan Assmann: „Exodus und Amarna. Der Mythos der ‚Aussätzigen‘ als verdrängte Erinnerung der Aton-Religion“, in: Elisabeth Staehlin und Bertrand Jaeger (Hgg.): Ägypten-Bilder. Akten des ‚Symposiums zur Ägypten-Rezeption‘, Freiburg (Schweiz)–Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 1997, S. 11–34, und Philippe Borgeaud: Aux origines de l’histoire des religions, Paris (Seuil) 2004, S. 97–102. 72 Anm. der Übers.: Jan Assmann spricht in seinem Aufsatz „Monotheismus und Ikonoklasmus als politische Theologie“ [in: Eckart Otto (Hg.): Mose. Ägypten und das Alte Testament, Stuttgart (Verlag Katholisches Bibelwerk) 2000, S. 121–139] in Bezug auf die religiösen Neuerungen Echnatons auf S. 123 von einem „traumatisch erlebte[n] Geschehen“, auf S. 127 von „traumatisierenden Erfahrungen“. Der Aufsatz von Assmann ist auf Französisch in der Nummer 124 der Zeitschrift Le Monde de la Bible erschienen, unter dem Titel „Le traumatisme monothéiste“. 73 Vor allem in Sigmund Freud: Der Mann Moses und die monotheistische Religion, Stuttgart (Reclam) 2010 [1939] und öfter.
Die wachsende Bedeutung der Tora und das Judentum als „Buchreligion“
Die wachsende Bedeutung der Tora und die Etablierung des Judentumsals „Buchreligion“ Der kleinen Provinz Juda schenkten die Perser keine besondere Aufmerksamkeit. Die Informationen, die wir über dieses Gebiet besitzen, stammen mehrheitlich aus biblischen Erzählungen und spiegeln die ideologische Haltung der judäischen Elite in persischer oder sogar hellenistischer Zeit wider74. Nach der Darstellung der Chronikbücher und des Esrabuches erließ König Kyros direkt nach seinem Sieg über Babylon im Jahr 539 v.u.Z. ein Dekret, das den exilierten Judäern gestattete, nach Juda zurückzukehren, und sie aufforderte, den Tempel von Jerusalem wiederaufzubauen. Hier haben wir mit Sicherheit ein ideologisches Konstrukt75 vor uns, das zeigen sollte, wie sehr sich die Perser um die judäische Exilgemeinde sorgten. Dieses Konstrukt stützt sich allerdings auf die unbestrittene Tatsache, dass die ersten persischen Könige von sich behaupteten, die lokalen Kulte wiederhergestellt und die Exilierten wieder in ihrer Heimat angesiedelt zu haben. Selbst wenn diese Behauptungen Teil der königlichen Propaganda waren, so zeigen sie doch, dass die persische Religionspolitik sich von der ihrer Vorgänger unterschied. Es lassen sich sogar Spekulationen über eine Art persischen Synkretismus anstellen, der es den Persern ermöglichte, die lokalen Gottheiten als Manifestationen Ahura-Mazdas zu verstehen. In babylonischer Zeit befand sich die Provinzverwaltung des ehemaligen Königreichs Juda, das nun Teil des babylonischen Reiches war, in Mizpa. Wir wissen weder wann noch warum Jerusalem wieder zur Hauptstadt der Provinz (medina) Jehud wird76. Ziemlich eindeutig zeugen der Wiederaufbau des Tempels und andere Bauarbeiten in Jerusalem zur Zeit Nehemias77 von der wachsenden Bedeutung der Stadt schon in der ersten persischen Periode. Einer der ersten Statthalter (peḥāh) von Jehud scheint Serubbabel gewesen zu sein. Er ge74 Es handelt sich vor allem um die Bücher Esra, Nehemia, Haggai und Sacharja. 75 Jacques Briend: „L’édit de Cyrus et sa valeur historique“, in: Transeuphratène 11 (1996), S. 33–44. 76 Man stößt oft auf die Behauptung, dass Jehud zu Beginn der persischen Zeit nicht autonom, sondern Teil einer größeren Provinz mit der Hauptstadt Samaria war. Erst unter Nehemia habe Jehud sich von Samaria getrennt. Diese Sicht muss aufgegeben werden. Es gibt tatsächlich mehr Belege, die für die Existenz einer unabhängigen Provinz Jehud schon in neubabylonischer Zeit sprechen. 77 Nach der biblischen Darstellung und der traditionellen Forschungsmeinung wurde der Tempel in den Jahren 520–515 wiederaufgebaut. Diana Edelman hat jedoch gezeigt, dass der Wiederaufbau des Tempels besser zu den Aktivitäten Nehemias seit dem Jahr 445 v.u.Z. passt. In der Tat scheint dies angesichts der bedeutenden Veränderungen, die unter dem Achämenidenkönig Artaxerxes I. (465–424) in der Provinz Jehud stattgefunden haben, sinnvoll zu sein. Vgl. Diana V. Edelman: The Origins of the „Second“ Temple. Persian Imperial Policy and the Rebuilding of Jerusalem, London (Equinox) 2005.
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hörte zu den Deportierten und stammte aus dem Geschlecht König Davids. Die Perser hatten ihn vermutlich eingesetzt, weil sie der Meinung waren, seine königliche Abstammung würde die autochthone Bevölkerung dazu bewegen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Möglicherweise hat seine Ankunft in Jerusalem Hoffnungen auf eine Restauration der davidischen Monarchie geweckt und zu entsprechenden Versuchen ihrer Wiederherstellung geführt78. Aber Spuren einer anti-persischen Revolte gibt es, anders als manchmal behauptet wird79, nicht. Das plötzliche Verschwinden Serubbabels aus den biblischen Texten legt jedoch nahe, dass die Perser ihn seiner Funktionen enthoben, um messianischen Erwartungen entgegenzuwirken. Einige seiner Nachfolger im Amt des Statthalters kennen wir aus epigraphischen Quellen; wir wissen aber nicht, ob sie alle Judäer waren oder ob es auch persische Statthalter gab80. In lokalen Angelegenheiten scheint die tatsächliche Macht bei den lokalen Priester- und Laien-Eliten gelegen zu haben, die mit dem Tempel von Jerusalem in Verbindung standen. Weder über die Grenzen noch über die Bevölkerung Jehuds in persischer Zeit haben wir genauere Informationen. Die Zahl von 42.000 aus Babylon nach Juda zurückgekehrte Exilanten aus Esra 2 und Nehemia 9 ist eindeutig unrealistisch. In der ersten persischen Periode lebten in Jehud viel weniger Menschen81. Derzeit wird ziemlich kontrovers über die Bevölkerung Jerusalems in persischer Zeit debattiert. Einige minimalistische Schätzungen belaufen sich auf 200–300 Personen, während andere sich für eine Zahl von ungefähr 1000 Einwohnern aussprechen82. Möglicherweise war Jerusalem vor allem der Standort des Tempels, während sich die per78 Vgl. in diesem Sinne das 2. Kapitel des Haggai-Buches; siehe auch die Bedeutung Serubbabels in den im Sacharja-Buch geschilderten Visionen. 79 Francesco Bianchi: „Le rôle de Zorobabel et de la dynastie davidique en Judée du VIe siècle au IIe siècle av. J.-C.“, in: Transeuphratène 7 (1994), S. 153–165. 80 André Lemaire: „Administration in the fourth-century B.C.E. Judah in light of epigraphy and numismatics“; in: Oded Lipschits, Gary N. Knoppers und Rainer Albertz (Hgg.): Judah and the Judeans in the Fourth Century B.C.E., Winona Lake (Eisenbrauns) 2007, S. 53–74. 81 Solange wir die Größe des persischen Jehud nicht kennen, ist es sehr schwierig, zu einer präzisen Angabe zu kommen. Nach Charles E. Carter: The Emergence of Yehud in the Persian Period. A Social and Demographic Study, Sheffield (Sheffield Academic Press) 1999, S. 246–248 ist die Bevölkerungsgröße dieses Jehud auf zwischen 20 000 und 30 000 Menschen zu schätzen. 82 Vgl. die unterschiedlichen Schätzungen von Oded Lipschits [in: „Demographic Changes in Judah between the Seventh and the Fifth Centuries B.C.E”, in: Ders. und Joseph Blenkinsopp (Hgg.): Judah and the Judeans in the Neo-Babylonian Period, Winona Lake (Eisenbrauns) 2003, S. 323–376] und Israel Finkelstein [in: „The Territorial Extent and Demography of Yehud/Judea in the Persian and Early Hellenistic Periods”, in: Revue biblique 117 (2010), S. 39–54].
Die wachsende Bedeutung der Tora und das Judentum als „Buchreligion“
Lod
Bethel Mizpa
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Jarmut Aseka Keïla
Bet-Zur
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Karte 8: Die Provinz Jehud – Rekonstruktion: (A) nach E. Stern; (B) nach L. Grabbe.
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sische Verwaltung in Ramat Rachel befand, das schon in assyrischer und babylonischer Zeit eine bedeutende Siedlung gewesen war. Wir haben bereits erwähnt, dass die Mitglieder der babylonischen Golah es nicht besonders eilig hatten, nach Jerusalem zurückzukehren. Das babylonische Archiv der Familie Muraschu dokumentiert eine Vielzahl jüdischer Namen. Auch ein möglicher epigraphischer Beleg für eine „Stadt der Judäer“ bzw. ein „Neu-Jerusalem“ (Al-Jâhûdu) in der Nähe von Nippur83 zeigt, wie bedeutend die jüdische Diaspora Babylons in persischer Zeit gewesen ist. Die – möglicherweise auf persisches Betreiben hin – aus Babylon zurückgekehrten Juden unterhielten enge Beziehungen zu ihr. Ziemlich eindeutig lag die ökonomische und ideologische Macht in den Händen der in die Heimat zurückgekehrten Mitglieder der Golah, die das wiederaufgebaute Jerusalem kontrollierten. Aber man darf auch die Provinz Samaria nicht vergessen, obwohl die biblischen Schriften sie nur selten erwähnen und wenn, dann vor allem mit negativem Unterton. Die Ergebnisse archäologischer Grabungen machen die Existenz eines jahwistischen Tempels auf dem Garizim ab dem 5. Jh. v.u.Z. sehr wahrscheinlich84. Das bedeutet, es gab zu der Zeit der Veröffentlichung des Pentateuchs zwei Jhwh-Tempel: einen in Jerusalem und einen auf dem Garizim. Die Samaritaner müssen also zu dieser Zeit weit bedeutender gewesen sein, als die biblischen Schriften zugeben wollen. Die weitere Forschung wird ihre Rolle sicherlich noch genauer aufzeigen. Klar ist jedoch, dass der Pentateuch niemals den Namen Jerusalem nennt, auch wenn er die Vorstellung von einem einzigen Heiligtum vertritt (in Deuteronomium 12). Die Genesis spielt auf Jerusalem im 14. Kapitel an, wo Abraham dem mysteriösen König und Priester von Schalem begegnet. Am Ende des Deuteronomiums erscheint jedoch der Berg Garizim als der Ort, an dem Opfer dargebracht werden sollen85. Das heißt, der Pentateuch, der sowohl von den Juden als auch von den Samaritanern als Gründungsdokument angesehen wurde, lässt zwei verschiedene Lokalisierungen des einzigen Tempels zu. Es handelt sich also um einen echten Kompromisss – nicht nur
83 Laurie Pearce: „New evidence for Judeans in Babylonia“, in: Oded Lipschits und Manfred Oehming (Hgg.): Juda and the Judeans in the Persian Period, Winona Lake (Eisenbrauns) 2005, S. 399–411. 84 Ephraim Stern und Yitzhak Magen: „Archaeological evidence for the first stage of the Samaritan temple on Mount Gerizim“, in: Israel Exploration Journal 52 (2002), S. 49–57. 85 Im masoretischen Text von Kapitel 27 des Deuteronomiums heißt es, dass der Altar auf dem Berg Ebal errichtet werden soll. Der samaritanische Pentateuch spricht vom Berg Garizim. Wie ein Qumran-Fragment bestätigt, handelt es sich hier um die Originalversion. Vgl. Christoph Nihan: „Garizim et Ébal dans le Pentateuque. Quelques remarques en marge de la publication d’un nouveau fragment du Deuteronome“, in: Semitica 54 (2011), S. 185–210.
Die wachsende Bedeutung der Tora und das Judentum als „Buchreligion“
zwischen verschiedenen ideologischen Strömungen innerhalb des Judentums, sondern auch zwischen Juden und Samaritanern. Wahrscheinlich wurden zwischen 400 und 350 v.u.Z. die priesterschriftlichen Texte, das Deuteronomium und andere Traditionen (wie die Josefsgeschichte in Genesis 37–50) zum Pentateuch (der Tora) zusammengefasst. Dabei blieben die prophetischen Schriftrollen und die Bücher über die Ereignisse von der Landnahme bis zum babylonischen Exil (d.h. Josua, Richter, Samuel, Könige) außen vor. Diese Ausgrenzung zeigt zum einen das Misstrauen der religiösen und zivilen Elite gegenüber den Propheten, von denen einige die Rückkehr der davidischen Dynastie ankündigten – was weder den Tempelverantwortlichen noch den persischen Autoritäten gefiel. Zum anderen wird hier der starke Einfluss der Samaritaner deutlich. Für sie waren die Samuel- und Königsbücher sowie die prophetischen Schriften inakzeptabel, da diesen Büchern zufolge der einzig wahre Tempel Jhwhs in Jerusalem stand. Der Pentateuch endet im 34. Kapitel des Deuteronomiums mit dem Tod des Mose, der das gelobte Land nicht betreten darf und so zu einem Symbol für die in der Diaspora lebenden Juden wird. Sein Tod zeigt, dass es nebensächlich ist, ob man in der Fremde lebt oder nicht, solange man treu den von Mose übermittelten göttlichen Geboten folgt. Hierin liegt im Übrigen eine weitere Besonderheit des entstehenden Judentums: Im Nahen Orient sind es die Könige, die die Gesetze von ihren Schutzgöttern erhalten, sie an das Volk weitergeben und auf ihre Einhaltung achten sollen, wie die Gesetzesstele Hammurabis zeigt. Hier ist der babylonische Herrscher abgebildet, wie er vor dem Gott Schamasch steht, der ihm seine Gesetze mitteilt. In der Hebräischen Bibel gibt es dagegen keinen König, der die Gesetze empfängt. Diese Funktion wird allein Mose übertragen. Auch dadurch wird das Judentum als eine Religion definiert, die keiner königlichen bzw. staatlichen Legitimation bedarf. Der Pentateuch ersetzt die politischen Institutionen, aber auch das Land, so dass er – um eine berühmte Wendung Heinrich Heines aufzugreifen – zu einem „portativen Vaterland“ wird. Auf diese Weise ist das Judentum in der Lage, Jhwh überall den Gesetzen der Tora entsprechend zu verehren. Denn die Tora kann man überall lesen, wo es Synagogen gibt. Nach dem Esrabuch geht die Veröffentlichung des Pentateuchs auf den Schreiber und Priester Esra zurück, der mit einem Empfehlungsbrief des persischen Königs nach Jerusalem gekommen sei, um das „Gesetz des Himmelskönigs“ und das Gesetz des Königs durchzusetzen. Auf der Grundlage dieses Textes und anderer Dokumente hat Peter Frei die Hypothese von der Reichsautorisation entwickelt. Die persische Verwaltung selbst soll den verschiedenen Bewohnern des Reiches befohlen haben, ihre jeweiligen religiösen Regeln und Traditionen zu verschriftlichen, um sie dann den Vertretern der achämeni-
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dischen Macht vorzulegen und von diesen genehmigen zu lassen86. Diese Theorie ist allerdings nicht sehr tragfähig87. Nicht alle von Frei angeführten Beispiele können in einen direkten Bezug zur Tora gesetzt werden, da es sich um kurze Dokumente handelt, die oft nur die Regelung von Detailfragen eines lokalen Kultes betreffen. Die Veröffentlichung der Tora ist vor allem ein internes Phänomen der Judäer und Samaritaner mit starker Beteiligung der Golah, die sich in der Figur des Esra widerspiegelt. Die Betonung des persischen Wohlwollens, das explizit in Szene gesetzt wurde, bot eine zusätzliche Legitimation. Mit der Tora wird das Judentum endgültig zu einer mobilen Diaspora-Religion. Jhwh braucht keinen Tempel mehr; aber er wahrt eine besondere Beziehung zu seinem Volk, das nach den Vorschriften der Tora lebt.
Jhwh als einziger, unsichtbarer, transzendenter und universeller Gott Wir haben die These vertreten, dass es im ersten Jerusalemer Tempel eine JhwhStatue gab, deren Existenzrecht offensichtlich auch während der joschijanischen Reform nicht bestritten wurde. Das ursprüngliche Gebot, das dann in den Dekalog eingegangen ist – „du sollst keine anderen Götter mir gegenüber haben“ –, zielte zunächst auf Statuen anderer Götter, die gegenüber der Jhwh-Statue standen. Als der Tempel zu Anfang der persischen Zeit wiederaufgebaut wurde, wurde sicherlich darüber diskutiert, ob eine (neue) Statue errichtet werden solle. Der sogenannte „Deutero-Jesaja“ kündigt die Rückkehr Jhwhs aus Babylon mit folgenden Worte an: „Stimme deiner Wächter! Sie erheben ihre Stimme, zusammen stoßen sie Jubelrufe aus, denn Auge in Auge sehen sie Jhwh nach Zion zurückkehren“ (Jes 52,9) – eine völlig verständliche Beschreibung, wenn man von der Rückkehr bzw. Ankunft einer Statue ausgeht. Doch diese Option hat sich nicht durchgesetzt, die Kompilation der Tora machte eine Statue in der Tat überflüssig. Und genau deshalb betont der Verfasser von Kapitel 4 des Deuteronomiums, dass das Volk keine „Form“ gesehen hat, keine Gestalt, als sich Jhwh Israel offenbart hat: „(15) Achtet auf euch selbst: da ihr keine Form (tĕmûnāh) saht, als Jhwh am Horeb aus dem Feuer zu euch sprach, (16a) frevelt nicht, indem ihr ein Standbild (pesel), irgendeine Art Statue herstellt (tĕmûnat kol sāmel)“. Diese Pas-
86 Peter Frei: „Zentralgewalt und Lokalautonomie im Achämenidenreich“, in: Peter Frei und Klaus Koch (Hgg.): Reichsidee und Reichsorganisation im Perserreich, Freiburg (Schweiz)–Göttingen (Universitätsverlag–Vandenhoeck & Ruprecht) 1996 [= 2. stark bearbeitete und stark erweiterte Auflage], S. 5–131. [19841]. 87 Udo Rüterswörden: „Die persische Reichsautorisation der Thora: fact or fiction”, in: Zeitschrift für altorientalische Rechtsgeschichte 1 (1995), S. 47–61.
Jhwh als einziger, unsichtbarer, transzendenter und universeller Gott
sage kann in der Tat wie ein programmatischer Text gelesen werden, der sich in persischer Zeit gegen das Anfertigen einer Jhwh-Statue richtet88. Die jüdische Bildlosigkeit wurde zum identitätsstiftenden Merkmal, das in hellenistischer und römischer Zeit für Irritationen sorgte. Als Pompeius im Jahr 63 v.u.Z. den Tempel von Jerusalem betritt, stellt er zu seiner großen Verblüffung fest, dass dieser leer ist89, was ihm unvorstellbar erscheint90. Die Transzendenz Jhwhs wird durch einen weiteren Aspekt unterstrichen, nämlich die Entscheidung, den Namen Jhwhs nicht mehr auszusprechen. Dies geschieht wohl im 4. Jh. v.u.Z. Wie wir im ersten Kapitel gesehen haben, wird der Eigenname des Gottes Israels durch „der Herr“ oder „der Name“ ersetzt. Diese Entscheidung, die vor der Übersetzung des Pentateuchs ins Griechische getroffen wurde, erklärt sich in gewisser Weise aus dem neuen monotheistischen Bekenntnis heraus. Da ein Eigenname dazu dient, eine Person oder eine Gottheit von der anderen zu unterscheiden, braucht der einzige Gott einen solchen nicht mehr; im Gegenteil, dieser würde nur an das polytheistische Erbe erinnern. Die griechische Übersetzung des Pentateuchs machte aus Jhwh endgültig einen universalen Gott. Nach dem Aristeasbrief ist die griechische Übersetzung der Tora in Alexandria um das Jahr 270 v.u.Z. unter Ptolemäus II. entstanden. 72 Gelehrte (daher der Name Septuaginta für die griechische Übersetzung des Pentateuchs, der dann auf alle griechischen Übersetzungen der Hebräischen Bibel übertragen wurde) hätten unabhängig voneinander dieselbe Übersetzung geschrieben. Obwohl diese Erzählung fiktiv ist – die verschiedenen Bücher des Pentateuchs wurden nicht in einem Zug und nicht von denselben Übersetzern verfasst –, ist es ziemlich plausibel, dass diese Übersetzung im 3. Jh. v.u.Z. in Angriff genommen wurde. Durch diese Übersetzung wird Jhwh, oder besser kýrios oder theós, in der griechischen Welt bekannt und endgültig zum universalen Gott. Sein Kult verbreitet sich mit den jüdischen Niederlassungen und Synagogen im gesamten Mittelmeerraum. Er irritiert und fasziniert zahlreiche Nicht-Juden. Jhwh wird zu einem universellen Gott, der nicht mehr auf den semitischen Raum begrenzt ist, während das Judentum bis heute seine besondere Verbindung zu diesem Gott bekräftigt. 88 Matthias Köckert: „Die Entstehung des Bilderverbots“, in: Brigitte Groneberg und Hermann Spieckermann (Hgg.): Die Welt der Götterbilder, Berlin–New York (De Gruyter) 2007, S. 272–290. 89 Tacitus Historia V,1. 90 Daher alle möglichen antijüdischen Behauptungen, wie zum Beispiel im Tempel von Jerusalem habe sich ein Esel oder der Kopf eines Esels befunden. Siehe dazu Philippe Borgeaud: „Moīse, son âne et les Typhoniens. Esquisse pour une remise en perspective“, in: Thomas Römer (Hg.): La Construction de la figure de Moīse. The Construction of the Figure of Moses, Paris (Gabalda) 2007, S. 121–130.
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Schlusswort und Fazit Unsere Untersuchung über die Ursprünge Jhwhs, seine Adoption als Gott Israels, seinen Aufstieg zum Schutzgott der Königreiche Israel und Juda, seine Wandlung zu dem einen Gott unter Joschija und dann zum einzigen Gott nach dem Untergang des davidischen Königtums und der geographischen Zerstreuung des „Volkes Jhwhs“ umfasst grosso modo ein Jahrtausend – vom Ende des 13. Jh. v.u.Z. bis in hellenistische Zeit. Wir haben unsere Studie mit der Übersetzung der Tora ins Griechische im 3. Jh. v.u.Z. beendet. Mit dieser Übersetzung beginnt die Eroberung der westlichen Welt durch Jhwh, einen Gott, den man von nun an kýrios, „Herr“, nennen wird. Natürlich hätten wir unsere Untersuchung über die folgenden Jahrhunderte ausdehnen können, aber unser vorrangiges Ziel war es, die Erfindung des Monotheismus zu beschreiben, auf dem das Judentum in allen seinen Strömungen und Richtungen aufbaut, ebenso wie später das Christentum und der Islam. Statt eines Schlussworts wollen wir hier die weitere historische Entwicklung des Judentums bis in römische Zeit skizzieren. Um 200 v.u.Z. gerät Palästina unter seleukidische Kontrolle, während Rom bereits beginnt, seine Macht über den gesamten Mittelmeerraum auszudehnen. Antiochos IV. Epiphanes, der de facto bereits ein Vasall Roms war, versucht, Jerusalem zu hellenisieren. Darin wird er von einem Teil der jüdischen Aristokratie unterstützt. 167 v.u.Z. befiehlt er die Umwandlung Jerusalems in eine griechische pólis und will die Jhwh-Tempel in Jerusalem und Samaria verschiedenen Manifestationen des Zeus weihen, der wahrscheinlich mit Jhwh identifiziert wurde. Einige Jahre später dringt er in den Tempel von Jerusalem ein, offenbar um dort das nötige Geld für seine Tributzahlungen an Rom aufzutreiben. Diese Umwälzungen führen zur Entstehung der apokalyptischen Literatur, von der die Bibel nur wenige Spuren bewahrt hat. Das beste Beispiel ist das Buch Daniel, das die unruhige Zeit unter Antiochos IV. widerspiegelt. Es wurde 164 v.u.Z. geschrieben, kurz vor dessen Tod. Die „Apokalypse“ (der Begriff bedeutet „Offenbarung“) ist eine Literaturgattung, deren Wurzeln in der Propheten- und auch in der orientalischen Weisheitsliteratur liegen. In bestimmten Personen zugeschriebenen Visionen1 wer1
So soll das Buch Daniel auf einen weisen Seher zurückgehen, der in der Zeit der babylonischen Gefangenschaft gelebt haben soll. Durch diese Fiktion wird die Glaubwürdigkeit der in diesem Buch enthaltenen Endzeitvisionen verstärkt. In einigen, leicht zu deutenden Visionen findet sich die Vorstellung einer Abfolge der Reiche bis hin zur Zeit Antiochos IV. Da diese „Vision“ sich erfüllt hat, muss das, was er über das Ende der gegenwärtigen Welt gesagt hat, sich demnach auch erfüllen.
Schlusswort und Fazit
den die Ereignisse beschrieben, die auf den Beginn der Endzeit hindeuten. Diese Ereignisse werden als Sieg Gottes über die Mächte des Bösen dargestellt. Im Buch Daniel steht am Ende ein Gericht über die ganze Menschheit, nach dem die Gerechten, die im Laufe ihres irdischen Lebens für ihre Taten nicht belohnt worden sind, auferstehen werden. Dies ist der erste eindeutige Beleg für die Vorstellung, dass Gott die Toten wieder zum Leben erwecken wird. Der Gott Israels erscheint im 7. Kapitel des Buches Daniel als „Hochbetagter“, der auf einem Räderthron sitzt2 und von einer anderen himmlischen Gestalt begleitet wird, die „Menschensohn“ genannt wird. Ihm überträgt der alte Mann die Herrschaft über die ganze Erde. Diese Konstellation erinnert stark an das Paar El und Baal in Ugarit, wo El ebenfalls als Greis beschrieben wird, der es seinem Sohn Baal überlässt, die Geschicke der Welt zu lenken. Die Gestalt des „Menschensohnes“ wird später in den messianischen Erwartungen eine wichtige Rolle spielen, wo dieser Titel den zukünftigen Messias oder den kommenden idealen König bezeichnet. In der apokalyptischen Literatur ist Jhwh im Himmel nicht allein: Im Buch Daniel tritt Michael auf, der die Armee Jhwhs befehligt und „großer Fürst“ genannt wird (d.h. er gehört zu den Erzengeln). Die Vorstellung, dass der Himmel von unterschiedlichen Engelgestalten bevölkert ist, wird im ersten Henochbuch3 ausführlich erläutert. Es gehört nicht zum Kanon der hebräischen Bibel, ist aber in den ältesten Teilen wahrscheinlich zeitgenössisch zur Redaktion des Buches Daniel, vielleicht sogar älter4. Der „Wächterbuch“ genannte Teil enthält das älteste Verzeichnis der sieben Erzengel5. Wie das Buch Daniel beschreibt auch das Henochbuch ein zukünftiges Gericht, an dem nicht nur Gott beteiligt ist, sondern ganz verschiedene Himmelswesen. Die Vorstellung von einem endzeitlichen Kampf des guten Gottes und seiner Armee gegen die Mächte des Bösen und der Finsternis ist ein konstitutives Element der Qumran-Gemeinde. Eine ihrer Schriften, die Kriegsrolle, schildert den Kampf der „Söhne des Lichts“ gegen die „Söhne der Finsternis“. Das gleiche Szenario findet man im Neuen Testament in der Apokalypse des Johan2 Dies erinnert an die Vision des Propheten Ezechiel, im 1. Kapitel des Buches, das ihm zugeschrieben wird. 3 Der vollständige Text ist nur in äthiopischen Manuskripten des Mittelalters überliefert. Doch die Entdeckung einiger Fragmente in Qumran beweist das Alter bestimmter Teile des Buches, das ursprünglich auf aramäisch verfasst war. 4 Das sogenannte „Wächterbuch“ wird manchmal auf das 3. Jh. v.u.Z. datiert. 5 Uriel, der über den Lauf der Gestirne wacht und über die Engel im Tartarus; Raphael, der die Geister der Menschen beschützt und den Aufenthaltsort der Toten kennt; Raguel, der über die anderen Engel und Erzengel richtet; Michael, der General der himmlischen Armee; Sariel, der Vorsteher der bösen Geister; Gabriel, der über das Paradies und über die Kerubim wacht – er ist auch der Überbringer des göttlichen Willens; und Remiel, der Vorsteher der von den Toten Wiedererweckten.
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Schlusswort und Fazit
nes, der die Vision von einem Kampf des Himmelsheeres gegen Satan (griechisch mit dem Teufel/Diabolos identifiziert) und seine Armee beschreibt. Dieser Kampf endet mit einer neuen Schöpfung6. Diese dualistische Vision, nach der Gott gegen die Mächte des Bösen antreten muss, endet in den Beschreibungen des noch bevorstehenden Kampfes mit dem Sieg des göttlichen Heeres über die Armee der Finsternis. Die Verfasser des Buches Daniel teilen diese Konzeption. Sie stammen aus demselben Milieu wie die Makkabäer, die einen bewaffneten Kampf gegen die Hellenisierung führen. 162 v.u.Z. können sie die Stadt Jerusalem einnehmen und den Tempel, den Antiochos IV. ihrer Meinung nach verunreinigt hatte, neu weihen. Religiös gesehen stellte der Kampf der Makkabäer einen Versuch dar, zu einem nicht hellenisierten Judentum zurückzukehren. Dieser erwies sich schnell als unmöglich. So nahm die aus den Makkabäern hervorgegangene Dynastie der Hasmonäer schließlich die zuvor noch von den Makkabäern bekämpfte hellenistische Kultur und Ideologie an. Unter dieser Dynastie kam es zu einem unabhängigen jüdischen Staat, dessen Ausdehnung unter Alexander Jannäus (103–76 v.u.Z.) ungefähr der in der Bibel angegebenen Größe der Reiche Davids oder Salomos entsprach. Die Unabhängigkeit des hasmonäischen Staates war allerdings relativ; denn das Königreich der Hasmonäer wurde von den Römern nur toleriert, weil es ein Gegengewicht zu den Seleukiden bildete. Im Jahr 63 v.u.Z. ist es mit dieser Toleranz vorbei, und Pompeius bemächtigt sich der Stadt Jerusalem. Er betritt den Tempel und stellt fest, dass dieser leer ist. Die Hasmonäer werden durch die Herodianer ersetzt, zum Judentum übergetretene und hellenisierte Idumäer (Bewohner des Gebiets von Edom), die auf die Unterstützung Roms bauen können. Herodes der Große vergrößerte zwischen 27 und 20 den Tempel von Jerusalem, war den Juden aber wegen seiner Herkunft und seiner Unterwerfung unter die Römer verhasst. An der Schwelle zur christlichen Zeit existierten laut Flavius Josephus vier unterschiedliche ideologische Strömungen im Judentum, die vier verschiedene religiöse Konzeptionen vertraten. Die Sadduzäer7, die mit dem Jerusalemer Tempel verbundene Priesteraristokratie, zeigten sich zwar gegenüber griechischen Einflüssen ziemlich offen, verteidigten aber, was die religiöse Praxis angeht, die alleinige Autorität der Tora, des Pentateuchs. Sie lehnten neue Lehren (wie die von der Auferstehung der Toten) ab und vertraten eine Doktrin der Vergeltung, nach der jeder Mensch für 6 Religionsgeschichtlich gesehen ist dasselbe Thema schon in Mesopotamien im 2. Jt. v.u.Z. belegt: Der Schöpfergott muss ein oder mehrere Meeresungeheuer (vom Typ Schlange oder Drachen), die das Chaos symbolisieren, besiegen, bevor er die Welt erschaffen kann. 7 Der Name ist das erste Mal in 1Makk 12,18 belegt. Er ist möglicherweise von „Zadok“ abgeleitet, dem Namen eines Priesters, der in den Samuelbüchern und dann im Ezechielbuch belegt ist.
Schlusswort und Fazit
das, was er in seinem irdischen Leben getan hat, belohnt oder bestraft wird. Sie standen in Konflikt mit den Pharisäern8, einer Strömung, die aus dem Widerstand gegen die Hellenisierung des Judentums entstanden war. Anders als die Sadduzäer, deren Religiosität auf den Jerusalemer Tempel und seine Rituale bezogen war, konzentrierten sich die Pharisäer auf das Studium der Tora und ihre Aktualisierung in Bezug auf die alltäglichen Lebensbedingungen9. Die Essener10 waren zunächst mit den Pharisäern verbündet. Sie bildeten Bruderschaften, von denen die Qumran-Gemeinde das bekannteste Beispiel ist, und befolgten sehr strenge Regeln. Den im Tempel von Jerusalem praktizierten Opferkult lehnten sie ab, sie hatten ihren eigenen Kalender und erwarteten die Ankunft eines, oder auch zweier Messiasse sowie den Untergang dieser Welt. Allgemein geht man davon aus, dass diese Fraktion mit der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 u.Z. verschwand, aber möglicherweise gab es einige Gruppen noch im 2. und 3. Jh.11. Die Zeloten12 stellten eine bewaffnete Widerstandbewegung gegen die Römer dar. Nach Flavius Josephus, der sie als „vierte Sekte“ bezeichnet, standen die Zeloten den Pharisäern sehr nahe, wobei sie: aber mit großer Zähigkeit an der Freiheit hängen und Gott allein als ihren Herrn und König anerkennen. Sie unterziehen sich jeder möglichen Todesart und machen sich selbst nichts aus dem Morde ihrer Verwandten und Freunde, wenn sie nur keinen Menschen als Herrn anzuerkennen brauchen.13 Diese Gruppierung steht am Anfang des Aufstandes gegen die Römer und verfolgt theokratische Idealvorstellungen. Die Zeloten erkennen keine irdische Macht neben der göttlichen Herrschaft an und nehmen so andere radikale bzw. fanatische Bewegungen vorweg, denen man im Laufe der Geschichte der drei großen monotheistischen Religionen immer wieder begegnet. Der Aufstand im Jahr 70 u.Z. endet mit der Zerstörung des Tempels von Jerusalem. Anders als in 8 Der Name ist von einem hebräischen Verb abgeleitet, das „absondern“ bedeutet. 9 In gewisser Weise sind die Sadduzäer und die Pharisäer die Nachfolger der Vertreter der priesterschriftlichen und der deuteronomistischen Strömungen. 10 Fast alles, was wir über die Essener wissen, stammt aus den Antiquitates Judaicae von Flavius Josephus: XIII,5,9; XV,10,4–5; XVIII,1,5. Ihr Name ist vielleicht von einer aramäischen Wurzel abgeleitet, die „rein, heilig“ bedeutet. 11 Émile Puech: „Khirbet Qumrân et les Esséniens“, in: Revue de Qumrân 25 (2011), S. 63– 102. 12 Der Name stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Eiferer“. 13 Antiquitates Judaicae XVIII, 1,6. Zitiert nach der deutschen Übersetzung von Heinrich Clementz, reprint KOMET MA, genehmigte Lizenzausgabe für den Fourier Verlag, Wiesbaden, 2002.
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der Zeit nach der Zerstörung des ersten Tempels im Jahr 587 v.u.Z. gibt es jetzt allerdings einen Ersatz: Synagogen, die nun endgültig zu den identitätsstiftenden Orten des Judentums werden. Ein letzter Aufstand, der des als Messias präsentierten Bar Kochba in den Jahren 132–135 u.Z., endet mit einer erneuten Niederlage. Die aus Jerusalem vertriebenen Juden sind in Judäa danach endgültig in der Minderheit und lassen sich rund um das ganze Mittelmeer nieder. Die sadduzäischen, essenischen und zelotischen Tendenzen verschwinden oder werden nur noch von wenigen vertreten. Das pharisäische Judentum setzt sich durch und wird in der Folge zum „rabbinischen“ Judentum; Rabbi bedeutet „Meister, Lehrer“. Um die Identität dieses Judentums zu bestimmen und auch als Reaktion auf das entstehende Christentum legen die Pharisäer im Laufe des 2. Jh. genau fest, welche Bücher zu den heiligen Büchern des Judentums zählen. Und erst jetzt entsteht die dreiteilige Bibel, die aus dem Pentateuch (Tora), den Propheten (Nebiim) und den Schriften (Ketubim) besteht. Für das Judentum besitzen diese drei Teile, anders als für das Christentum, allerdings nicht die gleiche Autorität. Dem Pentateuch kommt die größte Autorität zu, dieser muss in der Synagoge vollständig gelesen werden. Die Propheten und die Schriften gelten als bloße „Ergänzungen“ der Tora. Für das Judentum offenbart sich Gott im Wesentlichen über die 613 Gebote der Tora, die durch Mose Israel übermittelt wurden. Das heißt, die praktische Religionsausübung und die Suche nach dem Sinn der göttlichen Gebote charakterisieren das Judentum ebenso wie sein Gott, dessen Namen es nicht ausspricht und dessen Begegnung mit Israel es gedenkt, indem es den Pentateuch immer wieder liest. Eben dieser Pentateuch hat aber auch Gedächtnisspuren eines Gottes bewahrt, der sich ursprünglich stark von dem Gott unterschied, den die monotheistischen Religionen als einzigen und transzendenten Gott bekennen. Das Ziel unserer Untersuchung war es, den Weg des Gottes Jhwh nachzuvollziehen, der von einem kriegerischen Wüstengott zu dem einzigen Gott wird. Statt eines Fazits sollen hier die wichtigsten Ergebnisse unserer Analysen zusammengefasst werden, die freilich – wie wir hier ausdrücklich noch einmal betonen – hypothetischen Charakter haben. Schon die einfache Tatsache, dass der biblische Gott zunächst einen Namen trug – Jahû, Jahô oder Jahwe – zeigt, dass man ihn anfangs nicht als den einzigen Gott betrachtete, sondern als einen Gott unter den vielen Gottheiten, die von den Völkern des Alten Orients verehrt wurden. Die Erzählungen des Buches Exodus zeigen außerdem, dass dieser Gott nicht schon immer der Gott einer Gruppe namens Israel war, da dieser Eigenname ja den Namen des Gottes „El“ und nicht den Jhwhs enthält. Nach beiden Erzählungen von der Berufung des Mose ist diesem der Name des Gottes, der zum Gott Israels werden will, unbekannt. In der Tat gibt es biblische Texte, die
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eine Herkunft Jhwhs aus dem Süden nahelegen, sie lassen ihn aus „Seir“ oder vom „Berg Paran“ kommen. Zwei Texte scheinen Jhwh sogar mit dem Sinai zu identifizieren, ohne dass man sagen kann, wo die Verfasser diesen Berg genau lokalisiert haben14. Die Identifizierung mit einem Berg spiegelt sich vielleicht auch darin wider, dass ägyptische Texte aus dem letzten Drittel des 2. Jt. v.u.Z. Schasu-Nomaden erwähnen, von denen einige mit einem ägyptischen Wort näher charakterisiert werden, das wahrscheinlich dem Namen Jhwh entspricht und vielleicht einen vergöttlichten Berg bezeichnet. Wir hätten dann hier den ältesten Beleg für den Namen des Gottes, der zum Gott Israels werden sollte. Die „fremde“ Herkunft Jhwhs zeigt sich auch darin, dass er sich – nach Kapitel 3 des Buches Exodus – Mose offenbart, als dieser sich im Land Midian befindet und seinem Schwiegervater, einem Priester, zur Hand geht. Daher der Gedanke, Jhwh sei zunächst im Gebiet von Midian und wahrscheinlich auch in Edom verehrt worden. Im Zuge unserer Untersuchung sind wir im Übrigen auf einige Hinweise darauf gestoßen, dass Jhwh zunächst ein Schutzgott der Edomiter war, bevor er zum Schutzgott Israels wurde. Zudem wurde der südliche Jhwh-Kult bis in das 8. Jh. v.u.Z. weitergeführt. Dies belegen die Graffiti von Kuntillet Adschrud, in denen ein Jhwh aus Teman, oder vielleicht allgemeiner aus dem Süden15, erwähnt wird. Der späte Einzug Jhwhs in das Gebiet von Israel wird auch dadurch belegt, dass es in Kanaan praktisch keinen jahwistischen Ortsnamen gibt. Andere Götter findet man dagegen sehr häufig: Karmel („Weinberg Els“), Baal-Hazor („Dorf Baals“), Anatot (der Name geht auf die Göttin Anat zurück), Jericho (der Name geht auf den Namen des Mondgottes zurück). Jhwhs Eintritt in das Territorium Israels geht vielleicht auf das Zusammentreffen einer Gruppe Nomaden, die diesen Gott verehrten, mit einem Stammesverbund zurück, der sich Israel nannte. Für diese Begegnung gibt es außerhalb der Bibel keine Belege. Vielleicht spiegelt der poetische Text in Kapitel 33 des Buches Deuteronomium die Adoption Jhwhs durch Israel wider: „Er wurde König in Jeschurun16, als die Häupter des Volkes [Jhwhs] sich versammelten zusammen mit den Stämmen Israels“ (v. 5). Dies könnte auch für den Bundesschluss zwischen Jhwh und „seinem Volk“ gelten, der im 24. Kapitel des Buches Exodus geschildert wird. Obwohl der Text in seiner jetzigen Form das Produkt einer recht späten Verschriftlichung ist, ist es nicht unmöglich, dass er eine Schilderung dieser ursprünglichen Begegnung enthält. Offensichtlich besteht eine Verbindung zwischen Jhwh und der Errichtung der Monarchie in Israel: Die Erzählungen des ersten Samuelbuches schreiben 14 Die Lage des aktuellen Bergs Sinai geht auf eine christliche Tradition aus dem 4. Jh. zurück. 15 In einer dieser Inschriften hat „Teman“ einen Artikel. Dies legt nahe, dass das Wort nicht als Eigenname, sondern als Substantiv verstanden wurde. 16 Poetischer Name für Israel.
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den Sieg Sauls über die Philister dem Eingreifen Jhwhs zu. Aufgrund seiner kriegerischen Eigenschaften ist Jhwh, der auch ein Gewittergott war, besonders dafür geeignet, die Funktion eines Schutzgottes des ersten israelitischen Königs zu erfüllen. Aber ganz offenbar verehrte Saul auch andere Gottheiten, denn einer seiner Söhne trägt den Namen Ischbaal („Mann Baals“) – es sei denn, man würde „Baal“, das ursprünglich nur den Herrn oder Meister bezeichnete, hier als Titel Jhwhs verstehen. Als David sich der Stadt Jerusalem bemächtigt, begleitet ihn Jhwh nach biblischer Darstellung in einer Lade, einer Kiste, durch die Jhwh an der Seite der Heerscharen seines Volkes gegenwärtig ist. Dies unterstreicht ebenso wie sein Titel Jhwh Ṣĕḇāʾôt, „Jhwh der Heerscharen“ erneut seinen kriegerischen Charakter. Seltsamerweise errichtet David, den die Bibel als Begründer der von Jhwh auserwählten Dynastie hervorhebt, seinem Schutzgott keinen Tempel. Nach der Erzählung in den Samuelbüchern bringt er zwar die Lade nach Jerusalem, doch als Erbauer des Tempels erscheint Salomo. Eine genauere Untersuchung der Baugeschichte des Tempels in den Kapiteln 6 bis 8 des ersten Königsbuches sowie ein Vergleich des masoretischen Textes mit dem griechischen Text der Septuaginta legen nahe, dass es sich nicht wirklich um einen Neubau, sondern eher um die Renovierung und den Umbau eines bereits bestehenden Heiligtums handelte. Der griechische Text des Tempelweihspruchs scheint sogar anzudeuten, dass Jhwh anfangs nicht die einzige dort verehrte Gottheit war. Vielleicht gab es eine Kohabitation mit einer Sonnengottheit, Schamasch, dessen Funktionen er dann schrittweise übernahm. Um den Aufstieg Jhwhs in den ersten Jahrhunderten des 1. Jt. v.u.Z. zu verstehen, muss man die Darstellung der biblischen Autoren gegen den Strich lesen. Denn sie stellen die Geschichte Israels und Judas aus judäischer, d.h. südlicher Perspektive dar, ganz im Dienste ihrer religiösen Ideologie, nach der das einzige legitime Jhwh-Heiligtum der Tempel von Jerusalem ist. Unsere Untersuchung hat gezeigt, wie bedeutend Jhwh auch im Nordreich Israel war. Dies belegt auch die Stele des moabitischen Königs Mescha, deren Inschrift die Existenz von Jhwh-Heiligtümern in den von Israel besetzten moabitischen Territorien bezeugt. In Israel gab es mehrere Jhwh-Heiligtümer, von denen Bethel das bedeutendste war. Hinzu kommt wahrscheinlich ein Tempel in der Hauptstadt Samaria sowie vielleicht und erst im 8. Jh. v.u.Z. ein Tempel in Dan. Im Norden wurde Jhwh vor allem als ein „Baal“ verehrt, als Gewittergott. Omri und seine Nachfolger haben dem Baal Jhwh offenbar den phönizischen Baal (Melkart?) vorgezogen. Dadurch kam es zu einem von Jehu angeführten jahwistischen Putsch. Kaum auf dem Thron, wurde Jehu allerdings zum Vasall Assyriens. Im Königreich Israel war die Jhwh-Verehrung von phönizischen und aramäischen Einflüssen geprägt, während man im Süden eher ägyptische Motive und Konzeptionen beobachten kann. In Samaria wurde Jhwh vor allem in Stiergestalt dar-
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gestellt, wie die Polemiken des Hoseabuches gegen das „Kalb von Samaria“ zeigen. Aber Jhwh war auch „der Gott, der aus dem Land Ägypten herausgeführt hat“. Nach 1Könige 12 hat Jerobeam I. zwei Kälberstandbilder anfertigen lassen und sie mit diesen Worten charakterisiert (1Kön 12,28). Aber möglicherweise handelt es sich hier um die Retroprojektion einer Initiative Jerobeams II., unter dem Israel im 8. Jh. einige Jahrzehnte des Wohlstands erlebte. Die Berichte, nach denen der Patriarch Jakob seinen Namen in „Israel“ geändert (Gen 32) und das Heiligtum von Bethel „entdeckt“ hat (Gen 28), spiegeln die Umwandlung der Jakobstradition in eine israelitische Nationaltradition sowie den Anspruch Jhwhs auf das Heiligtum in Bethel wider. Im Norden hat Jhwh später wahrscheinlich die Eigenschaften von Baal-Schamem, dem in Syrien und Phönizien wohlbekannten „Himmelsbaal“, angenommen. Dies war zunächst einmal nur ein Titel des Gewittergottes, aus dem dann aber eine autonome Gottheit wurde. Möglicherweise hat der Baal Jhwh im Norden auch Züge angenommen, die sonst (zum Beispiel in Ugarit) typisch für El waren. Diese Tendenz Jhwhs, die Funktionen anderer Götter zu übernehmen, hat im Norden allerdings keine Monolatrie hervorgebracht. Denn als die Assyrer im Jahr 722 v.u.Z. das Königreich Israel besiegen und auflösen, tragen sie auch, wie sie schreiben, „die Götter, auf die sie [i.e. die Israeliten Anm. der Übers.] vertrauten“, mit sich fort. So belegen sie die Existenz mehrerer Götter in Samaria. In der Bibel finden sich für die kommenden Jahrhunderte keinerlei Informationen über die Geschichte des ehemaligen Königreichs Israel. Zweifellos wurde der Jhwh-Kult aber weiter ausgeübt, denn die Archäologie kann für das 5. oder 4. Jh. v.u.Z. einen Jhwh-Tempel auf dem Berg Garizim nachweisen. Im Königreich Juda gab es neben Jerusalem ebenfalls eine Reihe anderer Heiligtümer, vor allem in Lachisch und Arad. Hinzu kamen die „Kulthöhen“, Heiligtümer unter freiem Himmel, bescheidener und wahrscheinlich ziemlich zahlreich. Sie kamen den Bedürfnissen der kleineren Siedlungen entgegen. In den Königsbüchern werden die Heiligtümer von Lachisch und Arad nicht erwähnt; die Kulthöhen werden verdammt, obwohl es sich dabei um Heiligtümer handelte, in denen Jhwh – wahrscheinlich zusammen mit anderen Gottheiten – verehrt wurde. Die Sichtweise der biblischen Redaktoren geht schon von der im Laufe des 7. Jh. entwickelten Vorstellung einer Zentralisation des Kultus und der politischen Macht in Jerusalem aus. Vor dieser Zeit ähnelte die Verehrung Jhwhs der Verehrung der Schutzgötter bei den nördlichen und östlichen Nachbarn Judas. Auch wenn es den Redaktoren der biblischen Texte und einigen Theologen missfällt: Jhwh hatte eine Paredra, die Göttin Aschera, auch „Himmelskönigin“ genannt. Möglicherweise gab es auch eine Jhwh-Statue im Tempel von Jerusalem, vielleicht handelte es sich dabei um einen (wie El in Ugarit) auf einem Kerubimthron sitzenden Jhwh. Diese Konstellation spiegelt sich in der Vision des
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Propheten Jesaja und wahrscheinlich auch in der Beschreibung des Jhwh-Throns im ersten Kapitel des Ezechielbuches wider. Dass es eine Jhwh-Statue gegeben hat, wird auch durch die in den Texten aus persischer Zeit enthaltenen Bilderverbote belegt. Denn warum sollte man etwas verbieten, das niemals existiert hat? In einigen „Kulthöhen“ und vielleicht auch im Heiligtum von Arad wurden Jhwh und Aschera offenbar in Form von zwei Steinstelen verehrt bzw. einer Stele und einem stilisierten Baum, dem Symbol der Göttin. Im Laufe des 9. und 8. Jh. v.u.Z. gelangte Jhwh endgültig an die Spitze des Pantheons und übernahm die Funktionen anderer Götter, wie die des Sonnengottes, der auch für die Rechtsprechung zuständig ist. Es gibt in der Tat eine Reihe von Psalmen, die Charakteristika und Funktionen des Sonnengottes auf Jhwh übertragen. Nachdem er zunächst als Sohn Els angesehen wird, übernimmt Jhwh in der Folge die Funktionen des Oberhaupts des kanaanäischen Pantheons und wird – wie El – zum Schöpfer des Himmels und der Erde. Die Entwicklung von dem Jhwh Judas, bzw. Jerusalems, zu der wichtigsten von den Judäern verehrten Gottheit beschleunigte sich nach dem Fall Samarias im Jahr 722. Die Niederlage des großen Bruders im Norden ließ in der Priesterschaft und bei den hohen Beamten die Überzeugung reifen, der „wahre“ Jhwh sei der Jhwh Jerusalems. Die vorzeitig abgebrochene Belagerung der Stadt durch die Assyrer im Jahr 701 verstärkte noch die Überzeugung, dass Jhwh Zion, seinen Berg in Jerusalem, für immer verteidigen werde. Obwohl das Königreich Juda infolge der anti-assyrischen Politik Hiskijas von den Assyrern drastisch beschnitten und zudem ein Teil der Bevölkerung deportiert wurde, erscheint diese Niederlage in der biblischen Darstellung wie ein Sieg. Die Ereignisse des Jahres 701 stehen damit am Anfang der Vorstellung von einem unauflöslichen Band zwischen Jhwh und Jerusalem, welches durch die joschijanische Reform um 620 v.u.Z. noch verstärkt wurde. Infolge der Niederlage Samarias war Jerusalem stark gewachsen und zu einer veritablen Stadt geworden. Die Politik der Zentralisierung durch den König Joschija und seine Ratgeber macht aus dem Tempel der Hauptstadt Judas das einzig legitime Heiligtum. Dies schließt die Erlaubnis zu „profanen“ Schlachtungen an anderen Orten mit ein, solange jeder dafür die Steuern im Tempel entrichtet. Joschija profitiert von der Schwäche der Assyrer und lässt den Tempel von den Statuen und Symbolen reinigen, die religiöse Praktiken der ehemaligen Besatzer widerspiegeln. Das Motto der joschijanischen Reform ist „Jhwh ist einer“ (siehe Deuteronomium 6,4). Dieser Vers hatte in der ersten Ausgabe des Deuteronomiums die Funktion einer Präambel und beruhte auf der Vorstellung, dass es nur einen Jhwh gibt, nämlich den von Jerusalem. Offenbar hat man auch versucht, den populären Kult der „Himmelskönigin“, also der Göttin Aschera, auszulöschen. Später, als Jerusalem zerstört wurde, interpretierten einige nach Ägypten geflohenen Judäer diese Katastrophe als Ma-
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nifestation des Zornes der Göttin darüber, dass man ihr nicht mehr gehuldigt habe. Hinter der Reform Joschijas steht die Absicht, einen monolatrischen Kult zu etablieren (ähnliche Versuche beobachtet man auch anderswo im Alten Orient), der die Existenz der anderen Götter zwar nicht leugnet, aber nur die alleinige Verehrung eines Gottes gestattet. Obwohl der joschijanischen Reform kein unmittelbarer Erfolg beschieden war, stellte sie dennoch ein Schlüsselmoment für den weiteren Aufstieg des Gottes Jhwh dar und legte mit der Vorstellung von der zentralen Stellung Jerusalems und der exklusiven Jhwh-Verehrung das Fundament, auf dem später das Judentum aufbauen sollte. Nicht unerwähnt sollen die wohl unter Joschija beginnenden literarischen Aktivitäten bleiben: In seiner Regierungszeit entstanden die ersten Ausgaben des Deuteronomiums, des Buches Josua, der Samuel- und Königsbücher sowie der Geschichte des Mose und weiterer Texte. Entscheidend für die Wandlung des einen Gottes Jhwh zum einzigen Gott Jhwh war die Zerstörung Jerusalems im Jahr 587 v.u.Z. und die geographische Zerstreuung der Judäer – zunächst innerhalb eines Gebietes zwischen Palästina, Babylon und Ägypten, dann bald auch in Kleinasien und im Mittelmeerraum. Der Verlust des Königtums, eines funktionierenden Tempels und eines eigenen Landes machte die Verehrung Jhwhs als Nationalgott oder als königlicher Schutzgott unmöglich. Wie einige Orakel aus dem zweiten Teil des Jesajabuches zeigen, dachten viele Judäer damals, der „Arm Jhwhs“ sei zu kurz17 und man müsse sich wohl andere Götter suchen, die einem helfen könnten. Paradoxerweise entwickelten gerade in dieser Krisensituation verschiedene Gruppen, die aus der Priesterschaft und aus dem Kreis der ehemaligen hohen Beamten hervorgegangen waren, unterschiedliche Modelle, um die Krise zu erklären und zu überwinden und die Beziehung zwischen Jhwh und Israel neu zu definieren. Die Gruppe der „Deuteronomisten“ komponiert aus dem Deuteronomium, dem Buch Josua, dem Buch der Richter, den Samuel- und den Königsbüchern ein großes Geschichtswerk. Es soll zeigen, dass die Zerstörung Jerusalems und das Exil sich nicht aufgrund einer Schwäche oder der Abwesenheit Jhwhs ereignet haben, sondern dass Jhwh selbst diese Katstrophe verursacht hat: Er hat sich der Babylonier bedient, um sein Volk und seine Könige dafür zu bestrafen, dass sie die göttlichen Gebote, wie sie im Deuteronomium verschriftlicht sind, missachtet haben. Wenn Jhwh sich der Babylonier bedienen kann, dann bedeutet das, dass er sie kontrolliert. Er ist also mächtiger als die babylonischen Götter. So wird einem Monotheismus, wie er in den Kapiteln 40 bis 55 des Jesajabuches zum Ausdruck kommt, der Weg bereitet. Denn in diesen Kapiteln wird betont, 17 In der Tat findet man in den Kapiteln 40 bis 55 des Jesajabuches mehrfach die Jhwh in den Mund gelegte Bekräftigung: „Nein, mein Arm ist nicht kurz“.
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dass Jhwh, der mit El identifiziert wird, der einzig wahre Gott ist und dass die Statuen der anderen Götter nur von Menschenhand geschaffene Trugbilder sind. Die Priesterschrift beschränkt ihre Darstellung auf die Zeit der Anfänge und vertritt – anders als das Werk der Deuteronomisten – einen inklusiven Monotheismus. Sie behauptet, dass alle Völker, ohne es zu wissen, denselben Gott verehren, dessen wahre Identität allerdings nur Israel kennt, was es zu einem besonderen Volk macht. In einer monotheistischen Perspektive stellt sich auch die Frage nach der speziellen Beziehung zwischen dem einzigen Gott und einem spezifischen Volk. Diese Beziehung wird in mehreren biblischen Büchern und vor allem im Deuteronomium mit einer Erwählungstheologie erklärt. Jhwh selbst hat Israel unter allen Völkern ausgewählt, um aus ihm „sein persönliches Eigentum“ zu machen. Die Polemik gegen die Statuen und die Bilder der anderen Götter führte wahrscheinlich zum Konzept eines bildlosen Jhwh-Kultes, der im Fehlen einer Jhwh-Statue im wiederaufgebauten Tempel von Jerusalem zum Ausdruck kommt. In der Tat entstehen in hellenistischer Zeit neben dem Tempel Synagogen, in denen sich der Jhwh-Kult nicht mehr auf die Priesterschaft und blutige Opfer stützt, sondern auf die Verlesung der Tora. Diese Tora, der Pentateuch, wird in einer ersten Fassung in der Mitte der persischen Zeit, zwischen 400 und 350 v.u.Z., veröffentlicht. Er vereinigt die Priesterschrift, einen Teil der deuteronomistischen Schriften und andere Texte. Der Pentateuch findet seine Kohärenz darin, dass in ihm alle göttlichen Gebote enthalten sind, die dem Volk über Mose am Sinai übermittelt wurden. Das bedeutet, man braucht weder ein Königtum noch ein eigenes Land (der Pentateuch endet vor der Landnahme), um den Willen Jhwhs zu erkennen und ihm gemäß zu leben. In gewisser Weise erfindet das entstehende Judentum so die Trennung zwischen politischer Macht und religiöser Praxis sowie zwischen einer religiösen Praxis und einem bestimmten Territorium. Dies ermöglicht es dem Judentum, sich als Diasporareligion zu konstituieren. Die Verwandlung Jhwhs in den einzigen Gott findet ihren Abschluss in der Weigerung des Judentums, seinen Namen auszusprechen, und vor allem in der Übersetzung der Tora ins Griechische. So kann die (aus griechisch-römischer Perspektive) ganze Welt das Judentum entdecken und gegebenenfalls zu ihm übertreten.
Über den Inhalt Woher stammt der „eine“ Gott? In welchen Erscheinungsformen wurde er verehrt? Was waren seine Attribute und wie lautete sein Name, bevor dieser zum unaussprechlichen Tabu wurde? Und wie kam es, dass er sich gegenüber den anderen Göttern durchsetzte? Im Lichte der historisch-kritischen Exegese und unter Berücksichtigung der neusten archäologischen und epigraphischen Zeugnisse zeichnet Thomas Römer die Etappen der Erfindung des einen Gottes über den Zeitraum von einem Jahrtausend hinweg nach. Er begibt sich auf die Spuren eines Wetter-und Kriegsgottes, der nach dem „Sieg“ über seine Rivalen zum einzigen, universellen und transzendenten Gott wurde.
Über den Autor Thomas Römer ist Professor für Bibelwissenschaften am renommierten »Collège de France« sowie an der Fakultät für Theologie und Religionswissenschaft der Universität Lausanne. Er ist ein weltweit anerkannter Spezialist auf dem Gebiet der Forschung zum Alten Testament.