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German Pages [135] Year 2017
Uta Schmidt / Bärbel Trautwein
EDITION
Leidfaden
Die Dunkelheit der Trauer teilen Trauerbegleitung in depressiven Zeiten
V
EDITION
Leidfaden
Hrsg. von Monika Müller
Die Buchreihe Edition Leidfaden ist Teil des Programmschwerpunkts »Trauerbegleitung« bei Vandenhoeck & Ruprecht, in dessen Zentrum seit 2012 die Zeitschrift »Leidfaden – Fachmagazin für Krisen, Leid, Trauer« steht. Die Edition bietet Grundlagen zu wichtigen Einzelthemen und Fragestellungen im (semi-)professionellen Umgang mit Trauernden.
Uta Schmidt / Bärbel Trautwein
Die Dunkelheit der Trauer teilen Trauerbegleitung in depressiven Zeiten
Vandenhoeck & Ruprecht
Mit 9 Abbildungen und 3 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-40279-1 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: en.joy.it/photocase.de © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Produced in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Erster Teil: Trauer und Depression I Trauer macht Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trauer ist keine Erkrankung und keine Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trauer mit schweren depressiven Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung für die Trauerbegleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II Trauerbegleitung macht Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . … wenn Trauernde selbst um Begleitung und Unterstützung suchen … wenn Trauernde über die Interventionen und Angebote selbst entscheiden können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . … wenn Trauerreaktionen kompliziert verlaufen und Trauerprozesse mit depressiven Reaktionen einhergehen . . . . . . . . . .
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III Trauer und Depression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Depression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Depression in Verbindung mit Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deprimiertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Zweiter Teil: Fallgeschichten I Von einem Trauernden mit schweren depressiven Reaktionen Anfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen und Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6 Inhalt
Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Begleitungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 II Von einer Trauernden mit einer angenommenen Depression Anfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen und Annahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftragsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III Von einer Trauernden, die schon vor dem Verlust depressive Verhaltensmuster bei sich wahrgenommen hat . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 IV Von einer Trauernden, bei der sich Depression neben Trauer gezeigt hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfrage und Angebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trauergruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelbegleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelbegleitung, Trauergruppe und Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . Selbsthilfegruppe und Rehabilitationsmaßnahme im Anschluss an die Trauergruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterer Verlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dritter Teil: Methoden I Hilfreiche Ansätze in der Trauerbegleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Hypnosystemische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Systemische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Arbeit am Tonfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
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Anhang Wichtige Adressen, Telefonnummern und Links für Trauernde . . . . 132 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Links . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Vorwort
Sie schleicht sich an, und wer sie nicht kennt, mag oft erst gar nicht begreifen, was mit ihm geschieht. Sie raubt Kräfte und Zuversicht, macht schlaflos oder schläfrig, stiehlt Konzentration und Interessen, raubt Genussfähigkeit, Gefühle und Lebensfreude, lässt erstarren und versteinern. Über das Leben legt sie einen Schleier, Hoffnung kommt in ihrer Anwesenheit nicht mehr vor – die Depression. Etwa jede fünfte Frau und jeder zehnte Mann in Europa leiden mindestens einmal im Leben an ihr (350 Millionen weltweit). Und die WHO hält es für möglich, dass sie in Kürze die zweithäufigste Krankheit in der Welt sein wird. So eindeutig ihr Name ist, so unterschiedlich ist ihr Erscheinen: Depression ist nicht ein Leiden, sondern viele verschiedene, mit Ursachen und Auslösern oder auch völlig unerklärlich. Auch an hilfreichen Behandlungen wird vieles ausprobiert. Zurzeit gilt eine auf Depression zugeschnittene Therapie namens »CBASP« (Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy) als besonders erfolgversprechend. Aber: Trauer ist nicht Depression, und Depression ist nicht Trauer, auch wenn in Öffentlichkeit und Fachkreisen beide oft einander gleichgesetzt werden und die obigen Eingangszeilen oft genug auch auf Trauerprozesse (vorübergehend) zutreffen. Das vorliegende Buch hat keineswegs den Anspruch, eine korrekte Definition von Depression zu liefern oder gar Behandlungsmethoden zu diskutieren.
8 Vorwort
Sicher ist, dass Trauernde mitunter schwere depressive Reaktionen erleben und mit Schwermut zu kämpfen haben. Und sicher ist auch, dass Menschen mit depressiver Erkrankung Verlust und Trauer erleben und nach Begleitung fragen. In der Trauerbegleitung geht es uns darum, sich diesen Trauernden nicht zu versagen und den Trauernden ein angemessenes und ihnen gerecht werdendes Angebot zu eröffnen, das in keinem Fall ihre Leidenszeit verlängert und den Leidensdruck erhöht. Und es geht uns auch darum, dass diesen Trauernden auch vonseiten der Medizin und der Psychotherapie ein hilfreiches Angebot nicht vorenthalten wird. So ist es wichtiger, mit den jeweils behandelnden Ärzten und Psychotherapeuten in Kontakt zu treten (nach vorheriger Absprache mit dem Betroffenen), anstatt einem trauernden Menschen mit depressiven Anteilen die Tür zu weisen mit Bemerkungen wie »Das ist mir zu schwer« oder »Dafür bin ich nicht ausgebildet«. Es gilt, respektvoll, vorsichtig und gleichzeitig furchtlos Menschen mit depressiven Verstimmungen und/oder Depression zu begegnen, ihnen Verständnis anzubieten, gemeinsam abzuwägen, ob eine ergänzende Behandlung sinnvoll ist, und mit ihnen Begleitansätze und Methoden zu erkunden, die sie ihre Trauer etwas leichter ertragen lassen. Eines der wesentlichen Forschungsergebnisse des wissenschaftlichen Projekts »TrauErLeben – Wirkungen von Trauerbegleitung im Rahmen der emotionalen und sozialen Bewältigung von tiefgehenden und komplizierten Trauerprozessen« (Projektleitung Michael Wissert, www.projekt-trauerleben.de) ist, dass die Wirkung von Trauerbegleitung in der Beziehung zum Begleiter begründet ist. Auffallend ist die große Bedeutung, die Trauernde dem Zuhören, der Akzeptanz ihrer Trauer und dem Austausch untereinander, dem Blick auf die Stärken und dem Raum für ihre Trauer als Wirkungsfaktoren geben. Hier ist es nicht entscheidend, mit
Vorwort 9
welchen psychischen Einschränkungen, Belastungen oder Störungen die Trauernden (zusätzlich) behaftet sind. Wie Trauerbegleitung auch bei dieser Zielgruppe gelingen kann, wird auf den folgenden Seiten behutsam und eindrücklich aufgezeigt. Es war an der Zeit, dass dieses Buch erschien. Den Autorinnen mit ihren langjährigen Erfahrungen in der Trauerbegleitung gebührt mein großer Dank! Monika Müller
Einführung
Was mich beugt und lähmt … Freitagabend, 17 Uhr. Bibliodrama zeit. Seit drei Jahren trifft sich eine Gruppe von Frauen, um im Erspielen biblischer Texte neue, spirituelle Einsichten für ihr Leben zu gewinnen. Stärkend. Ermutigend. Tröstend. Auch wenn ansonsten die Eingangsrunden recht lebhaft sind, ist es an diesem Abend ganz anders: Stille, Nachdenklichkeit, Sprachlosigkeit. Eine Schwere im Raum wie sonst nie. Die Frauen sind wie gelähmt. Was war geschehen? Nichts. Nur in der Mitte des Raumes lagen auf einem großen Tuch Stricke, Seile, Bänder in allen farbigen Schattierungen, in verschiedenen Dicken und Breiten, ausgestreckt oder mehrfach geknotet. Dazu ein Schild in der Mitte: »Was mich beugt und lähmt …«. Und dies als Eröffnung gedacht zum »spielerischen« Darstellen der Geschichte »Die Heilung des Gelähmten« (Mk 2,1–12).1 Diese Szene fiel mir, Uta Schmidt, ein, als wir begannen, uns mit diesem Buch zu Trauer und Depression zu befassen: Worte allein können eine intensive Wirkung entfalten. Wir neigen dazu, sie sofort zu interpretieren und dann zu bewerten. Sie beeinflussen uns sodann in unserem emotionalen Erleben und nachsetzendem Reagieren schneller, als wir denken können. 1 Bibelzitate stammen aus der Einheitsübersetzung. – Vgl. Anselm Grün (2015, S. 33–39), der im Bild des Gelähmten Anteile eines an schwerer Depression erkrankten Menschen sieht.
12 Einführung
Und nicht nur das. Wir erzielen eine mitunter als negativ erlebte Wirkung bei denen, mit denen wir zusammen sind. Ob wir nun wollen oder nicht. So auch mit dem Titel dieses Buches: »Die Dunkelheit der Trauer teilen – Trauerbegleitung in depressiven Zeiten«. Trauer ist ein Wort, das nicht gerade Freude auslöst, sondern eher mit Schwere verbunden wird, mit dem Schmerz des Verlustes, der immer durchklingt. Vor allem für die, die sie kennen: die Trauer. Sei es aus eigenem Erleben, sei es im Wissen um andere Trauernde, sei es aus der Begleitung von Trauernden … Dann: »depressive Zeiten« – das klingt nach noch mehr Schwere, größerer Komplexität und Kompliziertheit. Medikamentengabe, Therapie, unter Umständen der Einfindung in einer psychiatrischen Klinik … »Trauer und Depression« als Thema des Buches, quasi in einem Atemzug genannt: Uff! Leid pur! Leichtigkeit und Lebendigkeit klingen da anders. Trauer und Depression werden oft gleichgesetzt. Trauernde, deren Verlusterleben an sich normal ist, werden als depressiv eingestuft und damit als krank erklärt. Und dann passiert es, dass diese Trauernden sich schnell psychisch krank fühlen und von ihrer Umwelt dementsprechend behandelt werden. Sie beobachten sich sogar verstärkt dahingehend, welche depressiven Symptome sie bereits entwickelt haben, und fokussieren sich zunehmend auf depressive Gedanken und Verhaltensweisen bei sich und bei anderen. Und wenn dann noch die Diagnose Depression bereits im Familiensystem gestellt worden ist, müssen wir uns nicht wundern, wenn Trauende neben normalen depressiven Reaktionen im Zuge der Trauerarbeit zunehmend Angst entwickeln, an Depression erkrankt zu sein. Die an sich schon schwer auszuhaltende Trauer fühlt sich ungleich schwerer an. Und mit solchen Trauernden haben wir zunehmend in der Trauerbegleitung zu tun. So sind zumindest unsere Erfahrungen.
Einführung 13
Wir wissen und erleben es, dass Trauernde schwere depressive Reaktionen entwickeln können, in denen sie sich zutiefst gebeugt und gelähmt erleben. Doch sie sind damit nicht an Depression erkrankt. Wirklich nicht. Oder – noch nicht?! Damit eröffnet sich uns ein Thema, das sich uns zunächst in seinen Facetten zeigt von schwer, schwierig, irritierend, spannend bis brisant. Mitunter. Je mehr wir uns mit der so offensichtlichen Schwere des Themas beschäftigten, umso mehr entdeckten wir bei uns eine gedankliche Lähmung und Blockierung, wenn wir an die Verfassung und Gestaltung dieses Buches dachten. Und nun? Nähern wir uns doch einmal der biblischen Geschichte »Die Heilung des Gelähmten« als Heilungsgeschichte in der Hoffnung, Impulse zu entdecken, die uns einen leichteren Zugang zu diesem so offensichtlich schweren und mit Leid versehenen Thema gewähren könnten: »Als er einige Tage später nach Kafarnaum zurückkam, wurde bekannt, daß er (wieder) zu Hause war. Und es versammelten sich so viele Menschen, daß nicht einmal vor der Tür Platz war; und er verkündete ihnen das Wort. Da brachte man einen Gelähmten zu ihm; er wurde von vier Männern getragen. Weil sie ihn aber wegen der vielen Leute nicht bis zu Jesus bringen konnten, deckten sie dort, wo Jesus war, das Dach ab, schlugen (die Decke) durch und ließen den Gelähmten auf seiner Tragbahre durch die Öffnung hinab. Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben! […] Und er sagte zu dem Gelähmten: Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh nach Hause! Der Mann stand sofort auf, nahm seine Tragbahre und ging vor aller Augen weg« (Mk 2,1–12). Während des Anspiels an dem Abend verflog die zu Beginn beinahe niedergedrückte Stimmung zusehends. Die Mienen in den Gesichtern hellten sich auf. Worte sprudelten. Lachen erklang. Bewegung drückte Lebendigkeit aus. In der sich
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anschließenden Reflexion konnte deutlich benannt werden, was in dieser Situation für uns hilfreich und auch heilsam war: •• sich im Leid gesehen zu fühlen und nicht allein gelassen zu werden, •• dem Wunsch nach Veränderung Ausdruck zu verleihen, •• die Vision nach intensiverer Lebendigkeit zu entwickeln, •• sich zeitweise der Unterstützung anderer anzuvertrauen, •• sich definitiv von dem zu verabschieden, was Heilung hindert, •• sich von Erwartungen und Ängsten zu lösen, •• sich von Bewertungen zu lösen, sei es, dass wir uns und andere nicht abwerten, sei es, dass wir den Bewertungen anderer nicht trauen, •• dem Zuspruch Jesu zu trauen: Steh auf!, •• den eigenen Ressourcen zu vertrauen und neue Schritte zu wagen, •• einer scheinbar übermenschlichen und damit für uns göttlichen Heilkraft vertrauen zu können, die Jesus zu vermitteln vermag. Wir erwähnen dies, da dieser Bibliodrama-Abend so eindrücklich zeigte, dass ein schweres Thema nicht schwer bleiben muss. Vielmehr darf es im Erleben leichter werden. So leicht, dass Vertrauen, Lebendigkeit und Kreativität neu erlebt werden können. Und es kann gelingen. Mit den bewegenden Bildern des Abends vor Augen und den berührenden Worten im Ohr eröffnete sich selbst im Nach erleben ein »leichterer« Zugang zu dem Thema »Trauer und Depression«, der in diesem Buch sicher seine Wirkung entfaltet, auf den Leser, die Leserin übergehen mag und bis in die Begleitungen spürbar werden kann. Und nicht nur das: Spannend wird zu sehen sein, dass die im Spiel erlebten heilvollen Begegnungen uns wertvolle Impulse an die Hand geben können, wie Begleitung gelingen kann mit
Einführung 15
trauernden Menschen, die sich wie gelähmt und einer Depression nahe fühlen. Mit ausreichendem Respekt vor dem Thema, hohem Interesse an der Auseinandersetzung und viel Freude unternehmen wir mit diesem Buch nun den Versuch, •• in einem schwierigen Thema für Klarheit zu sorgen: Denn Trauer ist nicht mit Depression gleichzusetzen, und doch lässt sich Trauer nicht immer von Depression abgrenzen. Dabei vermag nicht anerkannte Trauer durchaus Depression auszulösen. Manchmal. Sicher ist, dass Trauernde mitunter schwere depressive Reaktionen erleben. Wir kennen in der Trauerbegleitung durchaus das Erleben von tiefer Niedergeschlagenheit, sozialer Isolierung bis hin zum Nachsterbewunsch und geäußerter Suizidalität. Und dann? Wo ist dann der Unterschied zur Depression gegeben? •• in der irritierenden Auseinandersetzung eine Möglichkeit der Positionierung anzubieten zur Erfassung der Trauerreaktionen in der ICD-11 (Internationale Klassifikation der Krankheiten): Trauer wird als Krankheit beschrieben. Sie soll als Störung erfasst werden können mithilfe von Diagnosekriterien aus der Depressionsforschung. Welche Wirkung könnte dies haben auf Trauernde, auf Trauerbegleitende, auf die Möglichkeiten der Vernetzung mit Psychotherapeuten, Ärzten, Psychologen? •• auf spannende Fragen Antworten zu finden: Denn in der Trauerbegleitung geht es darum, den Trauernden ein angemessenes und hilfreiches Angebot zu eröffnen. Damit müssen wir uns Fragen stellen wie: Wen dürfen Trauerbegleitende begleiten? Welche Voraussetzungen sind hilfreich? Wann sollte eine Übergabe in ergänzende Therapie erfolgen? Wann müssen Begleitungen abgelehnt werden?
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Welche Gefahr könnte von Trauerbegleitung ausgehen? Wie finden Trauernde ein für sie angemessenes Begleitungsangebot? •• einem durchaus brisanten Thema mit Mut und Ermutigung zu begegnen: dank vertiefendem Wissen um Trauer- und Krankheitsprozesse; dank hilfreicher Methoden aus der Begleitungsarbeit; dank einer verstärkt aushaltenden und unbedingt auf Leben und Lebendigkeit schauenden Haltung entgegen aller Lähmung, Sprachlosigkeit, Schwere. Unser großer Dank gilt allen, die uns bei der Fertigstellung des Buches zur Seite gestanden haben: Erwähnen möchten wir besonders alle Trauernden, die wir in all den Jahren in unserer Arbeit begleiten durften. Sie haben uns ihre Anliegen anvertraut, durch die auch wir gewachsen sind und uns in unserer Arbeit weiter entwickeln konnten. Das Buch zeugt davon. Einige Trauernde kommen persönlich zu Wort. Wir danken ausdrücklich dafür, dass sie sich die erneute Reflexion ihres Trauerprozesses zugemutet und uns zur Verfügung gestellt haben. Klaus Apitz danken wir für das großzügige Geschenk seiner Skizzen, die unser Buch lebendig machen. Nicht zuletzt danken wir der Ärztin und Psychotherapeutin Schwester Jutta Musker von den Waldbreitbacher Franziskanerinnen für ihre fachliche Unterstützung. Manche Diskussion mit ihr führte zu einer inhaltlichen Klärung und damit insgesamt zu Klarheit.
Erster Teil: Trauer und Depression
I Trauer macht Sinn
Trauer ist keine Erkrankung und keine Störung
Trauer ist keine Erkrankung, weder in körperlicher noch in psychischer Hinsicht. Trauer kann nicht vorgebeugt werden. Trauer bedarf keiner medikamentösen Behandlung. Trauernde bedürfen in der Regel keines Arztes, es sei denn, sie können ihrer gewohnten Arbeit nicht mehr nachgehen. Denn: Trauer braucht Zeit, und Trauer kostet Energie und Kraft. Manchmal bedürfen Trauernde einer ärztlichen Krankschreibung, da der Trauerprozess so viel Raum einnimmt, so viel Energie aufsaugt, dass sie sich nicht auch noch einer anderen Arbeit zuwenden können. Der Arbeitsplatz zeigt sich dann als zusätzliche Herausforderung, die das Maß an Belastung übersteigt. Dann bedarf es einer Diagnosestellung vonseiten des Arztes. Damit rückt Trauer in die Kategorie Krankheit und wird in Zusammenhang mit Depression bzw. anhaltender Trauerstörung gebracht. Das zeigen die Diskussionen um die ICD-10/ICD-11 eindrücklich. Hinzu kommt, dass Trauernde durchaus auch Krankheitssymp tome entwickeln können, die so stark auftreten, dass sie medizinisch abgeklärt werden müssen und unter Umständen auch einer medizinischen Behandlung bedürfen. Trauernde können auch krank werden, ebenso wie Nicht-Trauernde krank werden können. Dennoch sind Trauernde in ihrer Trauer nicht krank. Nur trauernd. Auch wenn sie sich krank vor Trauer fühlen. Denn Trauer ist eine natürliche Reaktion auf einen Verlust. Der Mensch trauert
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um den Preis seiner Beziehung. Er hat einen Verlust hinnehmen müssen und reagiert mental, körperlich, psychisch und sozial darauf, dass das, was so unmittelbar mit ihm in Verbindung, in Beziehung war, was sein Leben ausgemacht hat, nicht mehr ist: »Wer bin ich, wenn alles, was mich ausgemacht hat, wegbricht und ich der ›Losigkeit‹ ausgesetzt bin?« (Parlings, 2016, S. 31).
Trauer mit schweren depressiven Reaktionen
Trauernde fühlen sich haltlos geworden, denn der Boden ist ihnen unter den Füßen weggezogen. Mitunter sind sie dann orientierungslos, ihr Leben scheint sinnlos, alles Tun erleben sie als zwecklos. Sie fühlen sich lieblos, emotionslos, freudlos. Mutlos schauen sie in die Zukunft. Wenn überhaupt der Blick nach vorn möglich ist. Hoffnungslos geworden werden Trauernde sprachlos, ratlos, perspektivlos. Hilflos kommen sie sich vor. Trostlos erleben sie die Welt, das soziale Umfeld. Die Trauer zeigt ein schmerzliches Vermissen des Menschen, der so nahegestanden hat und nun nicht mehr ist. Trauer ist ein intensives Erleben der »Losigkeit« in vielen Facetten und Ausformungen und zeigt, was Trauernde mit ihrem liebgewordenen Menschen »losgeworden« sind. Damit zeigen Trauernde mitunter depressive Reaktionen, die in ihrer erlebten Schwere durchaus mit den Symptomen einer Depression vergleichbar sind. Doch Trauernde bleiben dabei nicht stehen. Denn bei allem, was sie verloren haben, möchten sie nicht den verstorbenen Menschen loslassen. Sie wollen in Beziehung bleiben, auch wenn diese eine andere sein wird als vorher. Sie suchen danach, dem Verstorbenen einen Platz in ihrem Leben zu geben, auch wenn dies ein anderer sein wird als in früherer Zeit. Und: Sie versuchen nach einer Zeit der tiefen Traurigkeit, der puren Verzweiflung, der unstillbaren Sehnsucht wieder im
Trauer macht Sinn 21
Leben anzukommen, ihren Aufgaben nachzugehen, den Alltag zu meistern. Trauer ist ein Prozess der Anpassung an eine Umwelt, in der der Verstorbene spürbar fehlt, oder anders formuliert: In der Trauer finden Trauernde zu einer sinnhaften Verbindung mit dem verstorbenen Menschen und einen Zugang zu einem lebendigen Leben in der Fülle, in dem neben dem Erleben von Trauer auch Fröhlichkeit, Lebensfreude und Glück einen Platz haben dürfen. Damit können wir die Trauer als Entwicklungsprozess im Sinne einer möglichen Heilwerdung verstehen. Der Trauerprozess kann sich nach Kachler (2014) aufschließen lassen als •• ein komplexer und dynamischer Selbstorganisationsprozess, •• ein komplexer emotionaler, kognitiver und somatischer, aber auch spiritueller und religiöser Erfahrungsprozess, •• ein komplexer systemischer und kreativer Beziehungskomplex, •• ein selbstbezüglicher, widersprüchlicher Identitätsprozess, •• ein komplexer und tiefgreifender Neukonstruktionsprozess. Trauernde setzen sich ihrer Trauer aus und erleben sich anders als vorher. Ganz anders. Trauernde sind in der Lage zu reflektieren, was sich durch den Verlust für sich selbst und in Bezug zum sozialen und beruflichen Umfeld verändert hat. Trauernde erspüren, was sich für sie verändern darf und kann, damit ihre Lebenssituation heilvoller wird. Trauernde erleben, dass Heilung in der Trauer auch dann geschieht, wenn sie Veränderungsprozesse gestatten und sie selber eigene Schritte gehen und Hand anlegen. Damit macht Trauer Sinn: Sinn wider aller Sinnlosigkeit des Verlustes. »Die Zeit ›tröstet‹ ja nicht, wie man oberflächlich sagt, sie räumt höchstens ein, sie ordnet […] Nicht sich hinwegtrösten wollen über einen Verlust, müßte unser Instinkt sein, vielmehr müßte es unsere tiefe, schmerzhafte Neugierde werden, ihn ganz zu erforschen, die Besonderheit, die Einzigartigkeit gerade die-
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ses Verlustes, seine Wirkung innerhalb unseres Lebens zu erfahren […]: dies ist dann unendlich Leistung, die alles Negative, das dem Schmerz anhaftete, alle Trägheit und Nachgiebigkeit, die immer einen Teil des Schmerzes ausmacht, überwindet, dies ist tätiger, innen-wirkender Schmerz, der einzige, der Sinn hat und unser würdig ist« (Rilke in Voss-Eiser, 1997, S. 170).
Bedeutung für die Trauerbegleitung
Der Blick in der Trauerbegleitung wird von vornherein auf den ganzen Prozess gelenkt, also auch auf das, was am Ende anders sein könnte, als es zu Beginn den Eindruck erweckt hat. Das, auf was wir schauen, lenkt unsere Interventionen und Aktionen. Im Wissen darum, dass Änderung möglich ist, dass Heilwerden erfolgen kann, sind wir in der Begleitung anders präsent, als wenn wir allein die Schwere des Trauerns im Moment wahrnehmen. Trauerbegleitende dürfen sich von Anfang an erlauben, neben dem empathischen Zuhören und dem Sich-Einlassen auf das Trauererleben (Mucksch, 2015) auch auf positive Veränderungen im Erzählen von der Trauer zu fokussieren, wahrnehmbare Ressourcen zu benennen und sie immer wieder einzublenden. Wir konnotieren das, was sich uns auch an Schwerem bietet, positiv und erkennen einen Sinn. Wenn auch nicht immer gleich ersichtlich, mag er sich doch im Laufe des Begleitungsprozesses erschließen. Unsere Erfahrung zeigt, dass Trauernde mitunter erst nach einer gewissen Zeit, manchmal aber auch unerwartet schnell durchaus erkennen, dass die Trauer ein Schatz in ihrem Erleben sein kann, dem sie Zeit widmen wollen, um ihn angemessen heben zu können. Einen Schatz, der sie mit dem Verstorbenen verbindet. Einen Schatz, der Trauernden zeigt, welcher Art die Beziehung war. Und wenn sie nun keine Liebesdienste für den Verstorbenen wahrnehmen können, vermögen sie wenigs-
Trauer macht Sinn 23
tens, in einem wertgeschätzten Trauerprozess sich liebevoll ihrer Trauer und damit sich selbst und auch dem Verstorbenem zu widmen. Mit dieser Erlaubnis, die Trauer als Schatz zu begreifen, bewerten sich Trauernde selbst Sinn gebend. Ressourcen dürfen genutzt werden, positives Erleben wird ausdrücklich erlaubt und gesucht. Auch in zutiefst traurigen Tagen. Das mag erstaunen, gerade im Hinblick auf Trauernde mit ausgeprägten depressiven Reaktionen. Auch auf die Gefahr hin, dass es Trauernde sehr irritieren könnte (was es manchmal auch tatsächlich tut), ist es hin und wieder hilfreich, folgende Fragen hypothetisch einzublenden, zum Beispiel: »Mal angenommen, ich würde Sie fragen, ob Sie die Trauer nicht auch irgendwann als Schatz erleben. Wie wirkt dies auf Sie? Woran würden Sie es merken? Welche Bedeutung hätte es?« Diese Fragen stellen wir sicher nicht zu Beginn einer Begleitung. Doch wenn wir das Gefühl haben, dass sich dank empathischen, authentischen und wertschätzenden Begleitens eine vertrauensvolle Begleitungsbeziehung entwickelt hat, dann wirken wir im Sinne von Gunther Schmidt (2015) als »Realitätenkellner«. Überspitzt formulieren wir auch: »Mal angenommen, ich würde Sie danach fragen, also, ich würde Sie nicht wirklich fragen, aber nur mal angenommen …«, dann haftet der Einblendung etwas Spielerisches an. Und auch wenn Trauernde sehr irritiert reagieren, gehen wir entweder auf die Irritation ein oder überlegen mit dem Trauernden, was für ihn als Thema oder als Frage stattdessen hilfreich sein könnte. Selbst wenn Trauernde zeigen, dass dieses »Schatzthema« zurzeit nicht ihr Thema ist, wissen wir um die mögliche positive Wirkung dieser Einblendung auf das Trauererleben. Damit fühlt sich Trauerbegleitung leichter an. Sie kann dann und darf Freude machen wie auch stärkend sein. Für die Trauernden und die Begleitenden. Für Begleitende mag es die zusätzliche Wirkung haben, dass sie auch für sich immer mehr auf das schauen, was auch ihr Leben leichter und lebendiger macht.
II Trauerbegleitung macht Sinn
»Wirkt Trauerbegleitung überhaupt? Und wenn ja, wie bzw. wodurch?« Mit diesen Fragen beschäftigte sich 2009 ein Projekt von ALPHA Rheinland mit Unterstützung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen unter der Leitung von Michael Wissert, Monika Müller und anderen. Ohne auf die leider noch bis zu diesem Zeitpunkt nicht veröffentlichte Untersuchung besonders einzugehen, erlauben wir uns, die drei folgenden Aspekte herauszugreifen, die die Forschungsgruppe erarbeitet hat, und beleuchten sie unter der Fragestellung, wie sinnvoll eine Trauerbegleitung bei Menschen mit schweren depressiven Reaktionen nach einer Verlusterfahrung sein kann.
… wenn Trauernde selbst um Begleitung und Unterstützung suchen
Trauernde suchen nach Begleitung. Sie suchen vor allem dann nach Begleitung, wenn ihnen Menschen fehlen, die sie vorbehaltlos annehmen. Gut gemeinte Ratschläge und leicht ausgesprochene Vertröstungen können dazu führen, dass sich Trauernde bewertet fühlen. Sie sind im günstigsten Fall irritiert. Nicht selten kommt es dann zu weiteren Verunsicherungen in Bezug auf das eigene Erleben der Trauer wie auch auf das
Trauerbegleitung macht Sinn 25
Verhalten in den sozialen Bezügen wie Familie, Freundeskreis und anderen. Trauernde suchen nach Begleitung und •• haben ein elementares Bedürfnis danach, in ihrer Trauer, in ihrem Schmerz gesehen, gehört, verstanden zu werden; •• suchen nach Halt wider aller Haltlosigkeit – und sei es in der Stellvertretung des Trauerbegleitenden, der an der Seite des Trauernden die Dichte und Intensität der Gefühle und Reaktionen mit aushält; •• haben das Bedürfnis, ihre Trauer, ihre Reaktionen zu verstehen und einordnen zu können, ohne auf andere erst einmal Rücksicht nehmen zu müssen; •• wünschen sich eine Distanzierung zu ihren Gefühlen bei bleibender bestehender innerer Verbindung zu dem Verstorbenen; •• wünschen Ermutigung und Neuorientierung; •• suchen nach Integration der Trauer in ihrem biografischen Erleben; •• suchen nach Struktur; •• erhoffen sich Beratung, um Alltagsaufgaben leichter bewältigen zu können. Diese so anerkennenswerten Bedürfnisse finden im (familiären) Alltag mitunter aus vielen und auch sicher oft verständlichen Gründen nicht ausreichend Raum und Zeit. Dann ist es hilfreich, sich Begleitungsangebote zu suchen, in denen Trauernde empathische, wertschätzende und authentische Begleitung und professionelle Beratung im Rahmen ihrer persönlichen Bedürfnisse, Wünsche und Aufgaben erfahren können. Suchen Trauernde dann noch selbst um Begleitung und Unterstützung nach, macht dies deutlich, dass Trauernde selbst wahrnehmen, dass sie einer Situation ausgeliefert sind, die sie nicht mehr allein ertragen wollen. Dazu zeigen sie einen deut lichen Wunsch nach Veränderung, und sei es, dass sie sich
26 Erster Teil: Trauer und Depression
nicht mehr allein fühlen wollen, was ja dann zumindest auch punktuell in der Zeit der Begleitung schon gewährleistet ist. Wenigstens das. Schaffen Trauernde es dann noch, aktiv zu werden, ein wo möglich angemessenes, sie ansprechendes Begleitungsangebot ausfindig zu machen und den Kontakt aufzubauen, zeigt dies, dass Trauernde in punkto Veränderung einen Schritt gehen können, einen eigenen Beitrag leisten. Es gelingt ihnen damit, einen Schritt mehr in Richtung Selbstwirksamkeit zu gehen. Trauernde, die dies tun, die dazu in der Lage sind, zeigen, dass sie nicht nur für sich Verantwortung übernehmen wollen, sondern tatsächlich dieses Wollen in die Tat umsetzen können, auch wenn dies zunächst »nur« darin besteht, sich ein Begleitungsangebot auszuwählen und einen ersten Anruf zu starten. Damit ist eine wesentliche Ressource gegeben, auf die in der Begleitung zurückgegriffen werden kann.
… wenn Trauernde über die Interventionen und Angebote selbst entscheiden können
In der Trauerbegleitung versuchen wir mit all unserer Wertschätzung, Empathie und authentischem Zugegensein die Welt so, wie sie Trauende für sich erschließen, wahrzunehmen und uns ihr anzunähern. Wir bieten im Rahmen der Begleitung dann auch Interventionen bzw. Methoden an, von denen wir glauben, dass sie den Trauernden hilfreich unterstützen könnten. Letztlich entscheiden die Trauernden dann, auf welche Methoden und Interventionen sie sich einlassen wollen und können. Ganz klar. Der personzentrierte Ansatz in der Begleitung und Beratung macht deutlich, wie wichtig es ist, Trauernden empathisch auf Augenhöhe zu begegnen und sie auch darin wertzuschät-
Trauerbegleitung macht Sinn 27
zen, dass sie Lösungsideen für ihre Probleme in sich tragen (Mucksch, 2015). Der systemische Ansatz unterstreicht dieses Phänomen ausgehend von biologischen Beobachtungen, die eine der Grundlagen für die Entwicklung der Systemtheorie sind. Demnach ist es im Gegensatz zu Maschinen lebenden Systemen, wie auch der Mensch einer ist, zu eigen, dass sie •• autonom, •• unberechenbar und •• nicht steuerbar sind. Denn lebende Systeme sind darauf angelegt, sich selbst zu zeugen und am Leben zu erhalten (Autopoiese). Sie leben demgemäß entsprechend einer inneren Struktur (strukturelle Determiniertheit) und geben sich nach außen hin operational geschlossen. Das bedeutet, dass lebende Systeme nur mit ihren Eigenzuständen leben können, ohne dass es Anregungen und Anstöße von außen bedarf. Operationale Geschlossenheit besagt nicht, dass sie nicht Informationen, Impulse von außen aufnehmen könnten. Dazu sind sie durchaus in der Lage. Sie tun es dann, wenn das System anhand seiner inneren Struktur erkennt, welche Impulse von außen als relevant für einen gewünschten Veränderungsprozess erkannt werden. Dementsprechend selektiert es Anreize, die von außen kommen. Werden Impulse und Anregungen als nützlich erkannt und aufgenommen, bestimmt die autopoietische Struktur des Systems, in welcher Form der Impuls, die Anregung, die Intervention wirkt und welche Veränderungen sich daraus ergeben (von Schlippe u. Schweitzer, 2007, S. 54–78). Aufgrund dieser systemischen Grundlage bedeutet dies für die Begleitung auch von Trauernden: •• Nicht die Beratenden, sondern die Trauernden sind in jedem Fall die Experten und wissen, welches Angebot und welche
28 Erster Teil: Trauer und Depression
Intervention ihnen gut tun und sich als hilfreich erweisen könnten. •• Sie nehmen aus den Angeboten und Interventionen das mit, was ihnen nutzt. Dies wird eine Wirkung entfalten, die wir als Begleitende nicht in der Hand haben. •• Es bedarf der »strukturellen Koppelung«, der empathischen, wertschätzenden und authentischen Begegnung, dass sich Trauernde wohlmeinenden Angeboten nicht verschließen. •• Wir arbeiten an den Veränderungswünschen der Trauernden, die sie für sich erahnen und bestimmen. •• Wenn wir Interventionen entwickeln und anbieten, machen wir sie transparent, so dass Trauernde die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, ob sie sich darauf einlassen möchten. •• Wir begegnen damit den Trauernden auf Augenhöhe. Sie kommen auf diese Weise einmal mehr mit sich in Kontakt, mit den eigenen Wahrnehmungen und ihren Veränderungswünschen. Sie übernehmen die Verantwortung für ihren Prozessverlauf. Sie erleben sich in ihrer Selbstwirksamkeit. Ihre Resilienz wird neu spürbar. Wir können in der Begleitung genau diese Aspekte immer wieder in den Blick nehmen, erwärmen, nutzen. Es wird eine stabilisierende Wirkung haben. Das zeigt die Erfahrung. Mal angenommen, wir würden uns als Experten aufspielen und den Trauernden Angebote und Interventionen aufdrängen, bedeutet dies entsprechend der Systemtheorie: Das kann man tun, nur: Trauernde entscheiden sowieso über Interventionen, Methoden, Angebote selber. Alles andere ist somit im günstigen Fall nur mühsam und müßig. Das braucht niemand.
Trauerbegleitung macht Sinn 29
… wenn Trauerreaktionen kompliziert verlaufen und Trauerprozesse mit depressiven Reaktionen einhergehen
Suchen Trauernde mit schweren depressiven Reaktionen selbst nach Trauerbegleitung, gibt es zunächst keine wesentlichen Gründe, die gegen eine Trauerbegleitung sprechen. Denn diese Trauernden sind in der Regel nicht an Depression erkrankt. Sie zeigen sogar, dass sie im Gegensatz zu an Depression erkrankten Menschen zurzeit über ein gewisses Maß an Resilienz und Ressourcen verfügen. Sind Trauerbegleitende darauf ausgerichtet, dass Trauernde über Interventionen und Methoden selbst entscheiden können, und arbeiten Trauerbegleitende bei aller empathischen, wertschätzenden und authentischen Begegnung vor allem stabilisierend, lösungsorientiert, Ressourcen fördernd und Resilienz stärkend, dann kann sich Trauerbegleitung als sehr hilfreich erweisen, wie noch zu sehen sein wird. Zu Beginn des Begleitungsprozesses ist unbedingt zwischen dem Trauernden und dem Begleitenden zu klären, was der Auftrag des Begleitenden ist: Was wünscht der Trauernde? Was vermag der Trauerbegleitende tatsächlich anzubieten? Was soll im gemeinsamen Prozess geschehen bzw. nicht geschehen? Gibt es dann einen Kontrakt zwischen Trauernden und Begleitenden? Dabei ist darauf zu achten, dass die Trauerbegleitung die Reaktionen auf einen vorher erlebten Verlust in den Blick nimmt und würdigt: die Trauerreaktionen, die gesehen und gehört werden wollen. Doch ist zu vermeiden, sich auf mögliche Ursachen des depressiv anmutenden Verhaltens, Denkens und Erlebens zu fokussieren und in eine sogenannte Problemtrance einzusteigen. Nehmen sich Trauernde ausschließlich mit ihren depressiven Reaktionen wahr, gilt es, dieses Erleben in der Begleitung
30 Erster Teil: Trauer und Depression
zunächst mit auszuhalten und zusätzlich auch Ausschau danach zu halten, wann und wie sich Trauernde auch »anders« erlebt haben: Diese Momente können wir uns beschreiben lassen und erwärmen2 und das Erleben dieses »Anders« positiv formulieren sowie im Körper verankern. Denn Trauernde erhalten neben dem Bild des depressiven Trauernden, das sie von sich wahrnehmen, weitere, ergänzende Bilder, die auf sie positiv wirken. Auf diese können sie dann zurückgreifen, wann immer sie es brauchen. Darüber hinaus arbeiten wir in der Trauerbegleitung gezielt mit auf Zukunft gerichteten Veränderungswünschen. Das mag sich seltsam anhören, da wir doch glauben, dass Trauernde in ihren Gefühlen verhaftet sind und keinen Blick in die Zukunft wagen wollen. Denn: Die Zukunft ist nicht vorstellbar ohne den Verstorbenen. Das mag auch für eine erste Zeit gelten. Doch unsere Erfahrungen zeigen, dass Trauernde mit schweren depressiven Reaktionen, die in der Lage sind, nach Begleitungsangeboten zu fragen, bei allem schweren Erleben manchmal, ausnahmsweise, in vielleicht nur wenigen Momenten, im Kontakt mit ihren Ressourcen sind. Diese nehmen wir in der Begleitung gezielt wahr, decken sie auf, erwärmen und verstärken sie. Sie stehen uns dann als Schatz in der Begleitungsarbeit zur Verfügung, den es zu heben gilt. Auch zur Entwicklung einer Perspektive in die Zukunft hinein.
2 »Erwärmen« ist eine Methode aus dem Psychodrama und ausführlich beschrieben bei Schnegg (2014, hier besonders S. 30 ff.). »Erwärmen meint, etwas lebendig, spürbar, warm werden zu lassen. Erwärmt werden ein Empfinden, ein Raum, eine Person, ein Gegenstand. […] Methodisch ist das Erwärmen zu vergleichen mit einem Maler, der mit jedem Pinselstrich ein gegenständliches Bild entstehen lässt. Das Erwärmen ist das Malen eines Bildes oder das Formen einer Skulptur aus Ton. […] Sinn des Erwärmens ist es, einen möglichst plastischen und mit den Sinnen erfassbaren Raum zu schaffen.«
Trauerbegleitung macht Sinn 31
Hell3 beschreibt, wie Angehörige Menschen, die an Depression erkrankt sind, hilfreich unterstützen können. Folgende Verhaltensempfehlungen spricht der Schweizer Psychiater, Psychotherapeut und Autor, der einen ganzheitlichen Ansatz bei der Behandlung psychischer Erkrankungen vertritt, aus, die auch in der Trauerbegleitung bei Trauernden mit schweren depressiven Reaktionen angewandt werden können und sich als hilfreich erwiesen haben: •• depressive Not ernst nehmen, •• depressive Verstimmungen nicht hinterfragen oder beschönigen, •• depressive Reaktionen Trauernden gegenüber nicht interpretieren oder ihnen einen Sinn zuschreiben (das können Trauernde nur selber tun), •• keine Ratschläge erteilen, •• an den depressiven Reaktionen Anteil nehmen, •• ständige Aufheiterungsversuche unterlassen, aber sich selber Mut machen, •• nicht an die Willenskraft appellieren, •• keine einschneidenden Veränderungen der bisherigen Lebensgewohnheiten empfehlen, eher eine regelmäßige Gliederung des Tagesablaufes unterstützen, •• Verständnis zeigen, wenn keine positiven Gefühle gezeigt werden können, •• Gefühlen, die Trauernde zeigen, Raum geben, sie fördern und wertschätzen, •• gegebenenfalls zu einer ärztlichen Behandlung anregen und ermutigen, •• zu Aktivitäten wie Spaziergängen anregen und überlegen, wer unterstützen könnte.
3 www.daniel-hell.com/index_htm_files/UeberDepression.pdf, S. 82.
32 Erster Teil: Trauer und Depression
Diese Empfehlungen unterscheiden sich nicht von dem, was wir in der Trauerbegleitung als hilfreich anerkennen. Das zeigt auch, dass Trauerbegleitende in Vertretung fehlender Angehörige hilfreich sein können, wenn sie Trauernden in der Weise begegnen, wie Hell sie beschrieben hat. Bei allem, was gelingen kann, gilt es, für den Trauerbegleitenden nicht außer Acht zu lassen, dass er angesichts der empfundenen Schwere des Themas und auch der latent oder auch offen drohenden Suizidalität eines besonderen Schutzes bedarf durch •• Wissen um Trauer und Depression, •• Kenntnisse zu Suizidalität, •• Festlegen eines Notfallplanes, •• Vernetzung mit Therapeuten/Therapeutinnen und Psychologen/Psychologinnen sowie •• einer eigenen auf Resilienz ausgerichteten Lebensweise.
III Trauer und Depression
Trauernde befinden sich in der Trauerbegleitung und haben von Angehörigen und/oder Medizinern gehört, sie seien sehr depressiv. Oder sie halten die Diagnose Depression bereits in den Händen. Sie wirken damit sehr belastet. Manche fühlen sich in ihrem Leiden nicht gesehen. In der Trauerbegleitung wissen wir damit nicht viel. Denn Depression zeigt sich mannigfaltig, mit unterschiedlichen Verläufen und Intensitäten. Wir wissen vor allem nicht, ob bei der Diagnose auch die Reaktionen eines Verlustes berücksichtigt worden sind. Die Diagnose Depression, die Interpretation und Bewertung einer Trauerreaktion als depressives Symptom haben Auswirkungen auf das Erleben von Trauerreaktionen bis in die Trauerbegleitung hinein.
Depression
Depression (von lateinisch deprimere: herunter-, niederdrücken) ist eine psychische Störung. Ihre Symptome sind negative Stimmungen und Gedanken sowie Verlust von Freude, Lustempfinden, Interesse, Antrieb, Selbstwertgefühl, Leistungsfähigkeit und Einfühlungsvermögen. Diese Symptome treten auch bei gesunden Menschen zeitweise auf. Bei Depressionen sind sie jedoch länger vorhanden, schwerwiegender ausgeprägt und senken deutlich die Lebensqualität. Eine Depression kann sowohl schleichend als auch plötzlich beginnen.
34 Erster Teil: Trauer und Depression
»Das Erscheinungsbild der Depression ist so vielfältig und komplex, dass es schwer fällt, sie überhaupt als eine abgrenzbare Erkrankung mit bestimmten Symptomen zu verstehen. Im Grunde genommen findet sich kaum ein Bereich der seelischen Befindlichkeit, der nicht von ihr betroffen sein kann, deshalb nannte sie jemand einmal die Krankheit der ›Losigkeiten‹, denn die Depression macht gefühllos, hoffnungslos, antriebslos, hilflos. […] Das Phänomen ›Depression‹ gehört zu den leidvollsten Erkrankungen, denen ein Mensch ausgesetzt sein kann« (Müller-Rörich, Hass, Margue, van den Broek u. Wagner, 2013, S. 3). Es wird danach geschaut, ob Depressionen nicht auch eine besondere Bedeutung haben können, da sich womöglich bisher nicht gesehene und doch anerkennenswerte Bedürfnisse dahinter verbergen, die bislang keinen Raum hatten bzw. haben durften. Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, ist weltweit so beträchtlich, dass für manche eine evolutionäre Anpassung im Sinne einer adaptiven Funktion wahrscheinlicher erscheint als ein isoliertes Krankheitsgeschehen. Eine früher unter Umständen vorteilhafte Reaktionsweise kann jedoch unter heutigen Lebensbedingungen wieder unbedeutend scheinen, das heißt, die jeweilige persönliche Veranlagung wird heute schnell als Krankheit oder Störung gedeutet. Viele Betroffene empfinden sie als Makel, dessen man sich schämen müsse. Doch eine Depression ist weder eine Geisteskrankheit noch ein Zeichen persönlicher Schwäche. Sie kann jeden treffen. Während früher Depressionen in zwei große Gruppen (exogene bzw. neurotische und endogene Depressionen) unterteilt wurden, wird heute die Depression nach Symptomen und Verlauf klassifiziert. Die geläufigsten Systeme zur Diagnose depressiver Krankheitsbilder sind:
Trauer und Depression 35
•• ICD-10 (International Classification of Diseases, No. 10) der WHO (World Health Organization) •• DSM-IV (Diagnostical and Statistical Manual, No. IV) der APA (American Psychiatric Association) In Europa ist der Gebrauch der ICD-10-Klassifizierung üblich. In der Psychiatrie wird die Depression den affektiven Störungen zugeordnet. »Die Begriffe ›Affekt‹, ›Affektivität‹ und ›affektiv‹ gehen auf das lateinische Wort ›affectus‹ (Gemütsverfassung) zurück. Affekte beschreiben zeitlich kurze und intensive Gefühlsregungen wie Wut, Ärger, Freude oder Angst. Als Affektivität wird die Gesamtheit des Gefühlslebens und des Gemüts, das sich aus Affekten und spezifischen Denkinhalten zusammensetzt, bezeichnet. Bei Störungen der Affektivität ist diese Gemütslage krankhaft verändert (krankhafte Stimmungsveränderung). Bei diesen Störungen bestehen die Hauptsymptome in einer Veränderung der Stimmung oder Affektivität entweder zur Depression – mit oder ohne begleitende Angst – oder zur gehobenen Stimmung. Dieser Stimmungswechsel wird meist von einer Veränderung des allgemeinen Aktivitätsniveaus begleitet. Die meisten anderen Symptome beruhen hierauf oder sind im Zusammenhang mit dem Stimmungs- und Aktivitätswechsel leicht zu verstehen. Die meisten dieser Störungen neigen zu Rückfällen. Der Beginn der einzelnen Episoden ist oft mit belastenden Ereignissen oder Situationen in Zusammenhang zu bringen« (Ofenstein, 2010, S. 150). Die Diagnose Depression wird nach Symptomen und Verlauf gestellt. Im gegenwärtig verwendeten Klassifikationssystem psychischer Störungen ICD-10 unterscheidet man manische Episode, bipolare affektive Störung, depressive Störungen, rezidivierende depressive Störungen, anhaltende affektive Störungen, andere und nicht näher bezeichnete affektive Störungen. Die
36 Erster Teil: Trauer und Depression
depressive Symptomatik sollte mindestens zwei Wochen anhalten, und die Betroffenen müssen mindestens zwei Hauptsymptome und zwei Nebensymptome aufweisen, bevor die Diagnose depressive Episode gestellt wird. Die dazugehörigen Begriffe sind: einzelne Episoden von depressiver Reaktion, major depression, majorer Depression, psychogener Depression, reaktiver Depression (ICD-10/F32.0, F32.1, F32.2; Dilling, Freyberger u. WHO, 2014, S. 133). Nach der fachärztlichen Leitlinie »Nationale VersorgungsLeitlinie – Unipolare Depression« der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) wird empfohlen, zum Zwecke der Diagnose nach ICD-10 zwischen drei Haupt- und sieben Zusatzsymptomen zu unterscheiden.
A Symptome Die Hauptsymptome sind: •• depressive Stimmung: Die Depression ist charakterisiert durch Stimmungseinengung oder bei einer schweren Depression durch das »Gefühl der Gefühllosigkeit« bzw. das Gefühl anhaltender innerer Leere. •• Interessensverlust, Freudlosigkeit: Verlust der Fähigkeit zu Freude oder Trauer; Verlust der affektiven Resonanz, das heißt, die Stimmung des Betroffenen ist durch Zuspruch nicht aufzuhellen. •• Antriebsmangel, erhöhte Ermüdbarkeit: Ein weiteres typisches Symptom ist die Antriebshemmung. Bei einer schweren depressiven Episode können Betroffene in ihrem Antrieb so stark gehemmt sein, dass sie auch einfachste Tätigkeiten wie Körperpflege, Einkaufen oder Abwaschen nicht mehr verrichten können.
Trauer und Depression 37
Die Zusatzsymptome sind: •• verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, •• vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, •• Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, •• negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, •• Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzung oder Suizidhandlungen, •• Schlafstörungen, •• verminderter Appetit. Zusätzlich kann ein somatisches Syndrom vorliegen, bestehend aus: •• Interessenverlust oder Verlust der Freude an normalerweise angenehmen Aktivitäten, •• mangelnde Fähigkeit, auf eine freundliche Umgebung oder freudige Ereignisse emotional zu reagieren, •• frühmorgendliches Erwachen zwei oder mehr Stunden vor der gewohnten Zeit, •• Morgentief, •• der objektive Befund einer psychomotorischen Hemmung oder Agitiertheit, •• deutlicher Appetitverlust, •• Gewichtsverlust, •• deutlicher Libidoverlust. Depressive Erkrankungen gehen gelegentlich mit körperlichen Symptomen einher, sogenannten Vitalstörungen. Diese können Schmerzen in ganz unterschiedlichen Körperregionen, am typischsten mit einem quälenden Druckgefühl auf der Brust sein. Außerdem ist in einer depressiven Episode die Infektionsanfälligkeit erhöht. Beobachtet wird auch sozialer Rückzug, verlangsamtes Denken (Denkhemmung), sinnloses Gedankenkreisen (Grübelzwang), Störungen des Zeitempfindens.
38 Erster Teil: Trauer und Depression
Häufig bestehen Reizbarkeit und Ängstlichkeit. Hinzukommen kann eine Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen. B Schweregrad Der Schweregrad wird nach ICD-10 gemäß der Anzahl der Symptome eingeteilt in: •• leichte depressive Episode (F32.0): bei zwei Hauptsymptomen und zwei Zusatzsymptomen, •• mittelschwere depressive Episode (F32.1): bei zwei Hauptsymptomen und drei bis vier Zusatzsymptomen, •• schwere depressive Episode (F32.2): bei drei Hauptsymptomen und fünf oder mehr Zusatzsymptomen, •• Dysthymien (F34.1), das heißt, bei einer über mindestens zwei Jahre andauernden depressiven Verstimmung sind keine Unterscheidungen nach der Schwere vorgesehen, weil sie sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie die Kriterien bzw. die Symptomzahl selbst für eine leichte depressive Episode nicht erfüllen. C Suizidalität Man geht davon aus, dass rund die Hälfte der Menschen, die einen Suizid begehen, an einer Depression gelitten hat. Dabei beträgt die Zahl der betroffenen Männer mehr als das Doppelte der Zahl der betroffenen Frauen. Bei sehr jungen Menschen bis zu einem Alter von 20 Jahren stellt der Suizid die dritthäufigste Todesart dar. Bei der Depression handelt es sich daher um eine sehr ernstzunehmende Erkrankung mit einer signifikant hohen Sterblichkeitsrate. D Klinische Sonderformen depressiver Episoden •• Bipolare Depression: So bezeichnet man eine depressive Episode, die im Verlauf einer manisch-depressiven (bipolar affektiven) Erkrankung auftritt.
Trauer und Depression 39
•• Wahnhafte Depression: Eine mit Wahn einhergehende Depression (auch als psychotische Depression bezeichnet). Der Wahn ist typischerweise synthym, das heißt zur Stimmung passend, also zum Beispiel ein Schuld-, Versündigungs-, Verarmungs-, Krankheits- oder nihilistischer Wahn. •• Agitierte Depression: Bei der agitierten Depression steht nicht die Hemmung, sondern die Agitiertheit (Erregung) von Denken und Bewegung im Vordergrund. Leitsymptom ist die psychomotorische Unruhe in Verbindung mit typisch depressiven Symptomen. •• Erschöpfungsdepression: Tritt eine Depression nach langjähriger Dauerbelastung oder nach wiederholten Traumatisierungen auf, kann man von Erschöpfungsdepression sprechen. •• Wochenbettdepression: Die postpartale Depression wird eigens abgegrenzt, weil das Wochenbett eine Phase mit deutlich erhöhtem Risiko für eine Depression aufgrund hormoneller Umstellungen und ggf. aktueller psychosozialer Konflikte ist. •• Saisonale Depression: Depressive Episoden, die gehäuft im Frühjahr und im Herbst auftreten. •• Depressive Pseudodemenz: Auch Altersdepression genannt, wird von der Demenz abgegrenzt. •• Larvierte Depression: Mitunter wird eine Depression von einer anderen Erkrankung überdeckt und nicht erkannt. Eine Depression kann sich auch vorwiegend durch körperliche Symptome – oft Schmerzen – äußern und wird dann als »larvierte Depression« bezeichnet (die Depression versteckt sich hinter den körperlichen Symptomen wie hinter einer Larve).
40 Erster Teil: Trauer und Depression
E Diagnostik und Behandlung Im US-amerikanischen DSM-IV gab es eine sogenannte Trauer-Ausschlussklausel. Sie besagt, dass bei Hinterbliebenen in den ersten zwei Monaten nach dem Verlust auch dann keine klinische Depression diagnostiziert werden darf, wenn alle dafür notwendigen Symptome eigentlich gegeben sind. In der seit Mai 2013 gültigen Fassung des DSM-5 ist diese Klausel weggefallen. Die Diagnose Depression kann zwei Wochen nach dem Verlust bereits gestellt werden, wenn sich Symptome einer Depression zeigen. Es ist vorgesehen, in der ICD-11 (voraussichtlich 2018) diese Diagnosekriterien aufzunehmen. Trauer wird dann im Rahmen der Kategorie Belastungsstörung subsumiert unter der Diagnosestellung »anhaltende Trauerstörung«. Zurzeit wird intensiv diskutiert, ob dadurch Trauernde nicht zu früh die Diagnose Depression erhalten und welche Wirkung und Folgen sich daraus für sie ergeben könnten.4 Zur Behandlung depressiver Störungen kann nach Abklärung möglicher Ursachen und des Verlaufs der Erkrankung eine kombinierte medikamentöse Therapie und Psychotherapie angeboten werden. Psychotherapie ohne begleitende medikamentöse Therapie kann bei leichten und mittelschweren Depressionen wirksam sein. Zur medikamentösen Therapie: Antidepressiva wirken direkt im Gehirn. Das Gehirn ist ein kompliziertes System von Nervenzellen und funktioniert durch Kommunikation zwischen diesen Zellen, auch Neuronen genannt. Diese Kommunikation findet mittels Botenstoffen, sogenannten Transmittern, statt. Für psy4 Der Bundesverband Trauerbegleitung e. V. bereitet zurzeit eine Stellungnahme zur voraussichtlich in der ICD-11 2018 erscheinenden Diagnose »anhaltende Trauerstörung« vor.
Trauer und Depression 41
chische Funktionen sind hauptsächlich Serotonin, Noradrenalin, Azetylcholin und Dopamin zuständig. Diese Botenstoffe haben die Aufgabe, Informationen von Nervenzelle zu Nervenzelle weiterzuleiten. Dem heutigen Wissensstand nach erklärt sich eine Depression biochemisch gesehen vor allem aus einer Fehlfunktion der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin und aus einem Überschuss des Botenstoffs Dopamin. Antidepressiva nehmen auf diese Botenstoffe Einfluss. Wird die Depression sowohl von der körperlichen als auch von der psychischen und psychosozialen Seite her betrachtet, können individuelle Behandlungskonzepte entwickelt werden. Hierbei werden weitere begleitende Möglichkeiten angeboten wie zum Beispiel •• Körpertherapie, •• Ergotherapie, •• Sport, •• Akupunktur, •• Entspannungstechniken wie Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson und Autogenes Training nach Schultz, •• Lichttherapie bei saisonaler Depression, •• MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction)/Stressbewältigung durch Achtsamkeit nach Kabat-Zinn, •• Arbeit mit dem »Inneren Kind« nach Bradshaw. Selbsthilfegruppen haben eine große Wirkung. Sehr viele Depressive beschreiben die Selbsthilfe als zentrale Kraft im Prozess der Bewältigung. Zu Beginn der Erkrankung und für eine individuell verschieden lange Zeit können Verzweiflung, Erschöpfung und Konfusion so massiv sein, dass man die Kraft zu kämpfen, um Lösungen zu finden, kaum aufbringen kann. Aber der Zeitpunkt dafür wird kommen. Der Austausch mit anderen Betroffenen fördert das Verstehen dieser Erkrankung.
42 Erster Teil: Trauer und Depression
Angehörigengruppen depressiv Erkrankter können sich in einer Selbsthilfegruppe regelmäßig treffen, da sich die Depression auch in das familiäre Umfeld frisst. Für Angehörige eines depressiv Erkrankten ist der Alltag beeinträchtigt. Die Sorge um den geliebten Menschen, gepaart mit Gefühlen der Machtlosigkeit und Passivität, nimmt Kraft, Freude und Lebensqualität. Das »richtige« Begegnen und der Versuch, Balance in der Beziehung zum depressiven Angehörigen herzustellen, sind häufige Fragen, auf die es keine allgemeingültigen Antworten gibt. Hilfreich für Angehörige sind aus der Erfahrung heraus folgende Verhaltenshinweise, zum Beispiel: •• viel Wissen zur Krankheit Depression sammeln, •• realistisch in seinen Erwartungen sein, •• die Alltagsroutine aufrecht erhalten, •• eigene Gefühle äußern, •• den depressiven Angehörigen größtmögliche Unterstützung geben, •• nichts persönlich nehmen (was sehr schwerfallen kann), •• Grenzen setzen, •• in der Beziehung als Team zusammenarbeiten, •• sich Auszeiten nehmen, •• eigene Hobbys pflegen, •• den eigenen Freundeskreis nutzen, •• Hilfe suchen. In der Selbsthilfegruppe lernen Angehörige, dass sie nicht allein sind und dass auch ein stabiles und starkes Umfeld dem depressiven Angehörigen helfen kann.
Trauer und Depression 43
Depression in Verbindung mit Trauer
»Wie kommt es, dass die menschliche Grunderfahrung von Abschied und Trennung in einem Fall zum Anstoß für persönliche Entwicklung und Reifung wird, im anderen eine schwere körperliche oder seelische Erkrankung nach sich zieht?« (Beutel, 1996, S. 23). Diese Kernfrage, die die Erforschung von Trauerprozessen seit ihren Anfängen begleitet, zeigt, dass nach einem Verlust zwischen Trauer und Depression als zwei gegensätzlichen Phänomenen unterschieden werden kann. In der Trauerbegleitung haben wir nicht nur mit Trauer und depressiven Reaktionen nach einem Verlust zu rechnen. Zunehmend finden Menschen in die Trauerbegleitung, die von Angehörigen und auch Medizinern erfahren haben, sie seien depressiv bzw. an einer Depression erkrankt. Wir machen die Erfahrung, dass im Alltag oft nicht mehr zwischen Trauer und Depression unterschieden wird, sondern die Begriffe synonym gebraucht werden. Die Diskussionen um die Neufassungen der ICD-10 und des DSM-IV unter Einbeziehung der Trauer als Anpassungsstörung könnten zu zusätzlicher Irritation bei Begleitenden und damit auch bei Trauernden führen. Unseres Erachtens hilft in der Trauerbegleitung eine sorgfältige Unterscheidung zwischen Trauer, die sich mit depressiven Reaktionen zeigt, einer diagnostizierten »Depression«, die sich auch nach einem Verlust entwickeln kann, und dem Erleben von Deprimiertheit. Dies muss sich in sprachlichen Begriffen ausdrücken. Wenn die Trauer so groß ist, dass sie nicht bewältigt werden kann oder will, erstarren Trauernde möglicherweise in der Depression. Die Depression vermag dann wie eine Art Schockzustand zu fungieren, der den Trauernden davor bewahrt, vollständig in der Trauer zu versinken. Die depressive Phase ist gleichsam eine Auszeit, die sich die Seele holt, bis sie fähig wird, sich der Trauer zu stellen.
44 Erster Teil: Trauer und Depression
Für den depressiv erkrankten Menschen kommt es dann darauf an, die Depression als Begleiterin anzunehmen, die eigentlich ins Leben führen will, und sie ins eigene Lebenskonzept zu integrieren. Dies gelingt umso leichter, wenn die Erkrankung rechtzeitig erkannt, benannt und behandelt wird. Je höher die Bereitschaft ist, die Krankheit innerlich anzunehmen und eine multimodale Therapie durchzuführen, desto größer sind die Heilungschancen. Umso wichtiger ist es, zwischen Trauer und Depression zu unterscheiden, um eine angemessene Trauerbegleitung oder Therapie anzubieten. Folgende Tabellen geben einen Überblick über die Unterschiede zwischen Trauer und Depression. Chris Paul verwendet in ihrer Übersicht (Tabelle 1) den Begriff der »major depression«. Diese Bezeichnung ist in der ICD-10 mit der Diagnose »depressive Episode« erfasst und wird seitdem in der Regel verwendet. Tabelle 1: Unterschiede zwischen Trauerreaktion und major depression (Chris Paul, 2006 – www.chrispaul.de/artikel/TrauerrundDepression-Chris% 20Paul.pdf) Trauerprozess
major depression
natürlicher Prozess
Krankheitsbild
ausgelöst durch einen Verlust
ausgelöst durch verschiedene Faktoren, meist im Zusammenspiel: •• genetische Prädisposition •• Stoffwechseländerungen der Botenstoffe im Gehirn •• Stress, einschneidende Lebensveränderungen •• Medikamente (Nebenwirkung von u. a. Betablockern, Malaria prophylaxe, Antibabypille) •• andere Erkrankungen (Begleiterscheinung von u. a. Gehirnverletzungen, Hormonstörungen, Drüsen erkrankungen, starken Schwankungen des Blut zuckerspiegels)
Trauer und Depression 45
Trauerprozess
major depression
abhängig von der Persönlichkeit und den Lebensumständen, unterschiedliche Bereitschaft zur Einsicht in eigene Trauer und Suche nach Hilfe
krankheitsbedingt keine Einsicht in eine Erkrankung, viel eher Selbstentwertung für so wahr genommene Schwäche und mangelnde Willensstärke, Ableh nung von Hilfe, Isolation aus Scham
gedankliche Auseinandersetzung mit dem Verlust, Sinnsuche, Beschäftigung mit Spiritualität
einseitig negative Sicht auf die Krise, Selbstentwertung, Schuldgefühle, Sinnlosigkeit
viele widersprüchliche und intensive Gefühle
gefühlte Gefühllosigkeit, innere Leere
Tränen
keine Tränen
prozesshaft mit wechselnden Stimmungen, Gedanken und Bedürfnissen
gleichbleibend niedergedrückte Verfassung, keine Veränderung oder schleichende Verschlechterung
sinnerfüllter Prozess mit dem Ziel, Schutzmechanismus vor überden Verlust zu begreifen, wertfordernden Reizen, der seinen schätzende Formen des Erinnerns Sinn verloren hat und nun stumpf zu entwickeln und einen neuorga- gegen alle Reize macht, damit das nisierten Alltag zu leben Er-Leben des Alltags verhindert lebensnotwendiger Prozess, der sich nur dann krankhaft entwickelt, wenn er verhindert wird (z. B. durch dämpfende Medikamente
Krankheit mit guten Heilungschancen bei der richtigen Behandlung (Unterstützung, Psychotherapie, Medikamente)
hilfreich: Akzeptanz, Geduld, stabile Beziehungen, Gespräch
hilfreich: Information über Krankheitsbild, Ermutigung, Gespräch, stabile Beziehungen, Psychotherapie, medikamentöse Therapie
Die Tabelle zeigt vergleichbare und doch signifikante Unterschiede zwischen Trauer und »major depression«. Sie geht vor allem davon aus, dass Trauer sich im Gegensatz zur Depression nach einem Verlust zeigt. Depression scheint nach dieser Tabelle unabhängig vom Verlust aufzutreten. Dennoch zeigen Erfahrungen in der Trauerbegleitung, dass die hier unter Depression beschriebenen Phänomene wie Selbstentwertung, Scham, Schuldgefühle, das Erleben von Sinnlosigkeit, gefühlte Gefühl-
46 Erster Teil: Trauer und Depression
losigkeit, innere Leere, keine Tränen und anderen durchaus auch im Zuge einer Trauerreaktion auftreten können. Auch wenn sie sich mitunter intensiv und lang anhaltend zeigen, sprechen wir in der Begleitung (noch) nicht von der Krankheit Depression. Das bedeutet für die Trauerbegleitung, dass im Wahrnehmen der »depressiven« Reaktionen nicht eindeutig bestimmbar ist, ob es sich nun um Trauer oder Depression handelt. Hildegard Willmann und Heidi Müller zeigen auf (Tabelle 2), dass »normale Trauer und Depression sehr viel deutlicher unterscheidbar werden, sobald Merkmale Berücksichtigung finden, die in den [amerikanischen und internationalen; Ergänzung der Autorinnen] Klassifikationssystemen nicht vorgegeben sind«5 und Aspekte der subjektiven Erfahrung oder Eigenwahrnehmung Betroffener beschreiben. Tabelle 2: »Trauer und Depression – grundverschieden und dennoch zu verwechseln« (Aeternitas/Hildegard Willmann u. Heidi Müller – www.aeternitas. de/inhalt/presse/ARCHIV/2013_11_21_09_02_01 Trauer 1. emotionale Schwingungs fähigkeit
Depression emotionale Erstarrung
2. Erleben von Trost
Erleben von Trostlosigkeit
3. Erleben von Intentionalität
Erleben von Ausgeliefertsein
4. intensives Denken
pessimistisches Grübeln
5. intaktes Selbstwertgefühl
Selbstzweifel und Selbstabwertung
6. partiell eingeschränkte Zukunfts- generalisierte Perspektiv- und perspektive und H offnung Hoffnungslosigkeit 7. Beziehungserleben
Erleben eines umfassendes Abgeschnittenseins
8. Nachtoderfahrungen
Wahnerleben
9. Todeswunsch als »Nachsterben« Todeswunsch als Befreiung von Leid
5 www.gute-trauer.de/inhalt/vortragsmodule_trauer/trauer_depression/ text_depression (S. 3).
Trauer und Depression 47
Diese Tabelle weist eindrücklich auf, wie verwandt und doch unterschiedlich Trauer und Depression sich zeigen können. Deutlich wird hier, dass sich die Phänomene der Depression als so starr zeigen, dass positive Momente auch nicht im Ansatz erlebt werden. Dagegen kennen Trauernde durchaus depressive Momente, wie sie unter »Depression« beschrieben sind, doch erleben sie sich in ihren Trauerreaktionen in Bewegung. Sie nehmen Veränderungen in ihrem Erleben wahr. Vor allem Gefühle wie Trauer, Einsamkeit, Sehnsucht sind für sie intensiv spürbar. Sie sind mehr oder weniger im Kontakt mit den Ressourcen wie Trost erleben, Fähigkeit zu denken, Erleben von Beziehung und anderem. In ihrem Artikel »Trauer oder Depression?«6 zeigen Willmann und Müller anhand der in der Tabelle aufgeführten Kriterien, dass Menschen mit Depression nach einem tiefgreifenden und schmerzvollen Verlust durchaus auch intensive Trauer gefühle erleben können. Sie sind dann in der Lage, zwischen Trauer mit depressiven Reaktionen nach Verlust und einer vorhergehenden Depression zu unterscheiden. Erfahrungen zeigen, dass diese Menschen Angebote in Trauer begleitung in Anspruch nehmen, da sie in ihrer Trauer, ihren Gefühlen und ihrem Erleben nach einem Verlust Begleitung wünschen. Ihre Erwartung ist nicht, von der Depression geheilt zu werden. Dann wird Trauerbegleitung durchaus als sinnvoll erlebt. Das haben wir in den ersten Kapiteln aufgezeigt. Die von uns erstellte Übersicht (Tabelle 3) vergleicht Trauer mit depressiven Reaktionen und Depression miteinander. Sie bezieht die in der ICD-10 genannten Kriterien ausdrücklich mit ein.
6 www.gute-trauer.de/inhalt/vortragsmodule_trauer/trauer_depression/ text_depression.pdf
48 Erster Teil: Trauer und Depression
Tabelle 3: Vergleich von Trauer mit depressiven Reaktionen und depressiven Episoden (U. Schmidt/B. Trautwein, 2017) Trauer mit depressiven Reaktionen
Depressive Episode
individueller Verlauf natürlicher Prozess
Krankheit Klassifizierung nach Symptomen und Zeitverläufen
normale Reaktion auf einen (schwerwiegenden) Verlust oder Schicksalsschlag
Erkrankung nach Verlustereignissen und unabhängig von Verlust erfahrung
depressive Reaktion möglich, auch länger anhaltend
besteht ununterbrochen und länger als einige Wochen oder Monate
wird von Trauernden selbst als quälend, teilweise fremd und doch abschüttelbar erlebt
wird vom Betroffenen selbst als quälend, teilweise fremd und nicht abschüttelbar erlebt
Diese Symptome können auftreten, jedoch in unterschiedlicher Qualität/Intensität und Dauerhaftigkeit/Zeitverlauf.
Symptome wie Gewichtsverlust oder -zunahme, Schlaflosigkeit, Müdigkeit und Energieverlust, Entscheidungsunfähigkeit, Verlust an Freude, Appetitverlust oder -zunahme, seelisch-körperliche Unruhe oder Hemmung, Denkund Konzentrationsstörungen
auf spezifische Versäumnisse bezogene Schuldgefühle
bedrängende, beherrschende Schuldgefühle, Selbstanklage, unbegründete Selbstvorwürfe
vorübergehendes vermindertes Interesse an geschätzten Aktivitäten und Freunden/Rückzug, Einsamkeit und doch Interesse an sozialer Gemeinschaft
gleichbleibende Unfähigkeit (nicht Können trotz Wollen) bezüglich allgemeiner Aktivitäten und sozialen Kontakten, ohne Veränderung
»Nachsterbewunsch«, um mit dem Verstorbenen wieder »vereint« zu sein
Todeswünsche oder gar konkrete Suizidideen bzw. -absichten, um das Leiden an der Depression zu beenden
Welt erscheint leer ohne den Verstorbenen, innere Leere, intensives Gefühlschaos, Erleben von innerer Fülle möglich
gefühlte Gefühllosigkeit, innere Leere
Trauer und Depression 49
Trauer mit depressiven Reaktionen
Depressive Episode
vorübergehend mangelndes Selbstentwertung, gleichgültige Selbstwertgefühl, erschwerter Zu- Selbstvernachlässigung, Verlust gang zu Ressourcen, gedankliche von Selbstvertrauen, Sinnlosigkeit Auseinandersetzung mit dem Verlust, Sinnsuche in der Regel Bereitschaft zur eigenen Trauerbewältigung, Suche nach Hilfe und Unterstützung, Wahrnehmung von Trauerbegleitungsangeboten
fehlende Krankheitseinsicht bis hin zu Leugnung der Diagnose, Ablehnung von Hilfe
Integration des Verlustes in die Krankheit mit guten Heilungseigene Biografie möglich als lechancen bensnotwendiger Prozess: •• um den Verlust zu begreifen •• um kostbare Erinnerungen an den Verstorbenen zu bewahren •• um ohne den Verstorbenen neu leben zu lernen •• um eine sinnerfüllte Beziehung zum Verstorbenen über den Tod hinaus zu gestalten weckt beim Gegenüber Mitgefühl, mitunter Unverständnis
weckt beim Gegenüber Distanziertheit, Ungeduld, Gereiztheit
Die Gegenüberstellung macht deutlich, dass sich Trauer mit depressiven Reaktionen im Vergleich zur Depression allein durch Unterschiedlichkeiten in vergleichbaren Merkmalen beschreiben lässt. Symptome, die sich in depressiven Episoden finden, lassen sich auch in Trauerprozessen mit schweren depressiven Reaktionen ausmachen. Doch darf man diese nicht isoliert sehen, sondern sie sind dann lediglich ein Teil der Anpassung in einem Trauerprozess, der in Bewegung bleibt. Bei lang anhaltenden Trauerprozessen wird in der Trauerbegleitung dann nicht immer klar und deutlich sein, ob wir es nun mit Trauernden oder mit an Depression erkrankten Menschen nach einer Verlusterfahrung zu tun haben. Die Übergänge
50 Erster Teil: Trauer und Depression
scheinen in seltenen Fällen fließend zu sein, spielen aber für die konkrete Trauerbegleitung nicht die wichtigste Rolle, da der Fokus in der Trauerbegleitung auf dem erlittenen Verlust und den darauf folgenden Reaktionen liegt. Wenn nun »erstarrte« oder »blockierte« Trauer Depression auslösen kann, bedeutet dies in einem Umkehrschluss, dass »lebendige Trauer« Depression fernhält. Dies wäre gleichsam ein Plädoyer für ausreichende Trauerbegleitungsangebote, um Menschen nach Verlusterfahrungen in ihren Trauererleben angemessen zu unterstützen und zu begleiten. Trauernde, die in Kontakt mit ihren Gefühlen sind und diesen Ausdruck geben, scheinen seltener an Depression zu erkranken.
Deprimiertheit
Trauernde beschreiben häufig ihre Stimmung mit »niedergedrückt oder niedergeschlagen« bis hin zu einer »entsetzlichen, unbeschreiblichen inneren Qual«, oft verbunden mit Gram, Unbehagen, Sorge oder Hilflosigkeit. Damit drücken sie ein Spektrum ihrer Gefühle aus, die als unangenehm empfunden werden. Sie fühlen sich deprimiert. Diese Deprimiertheit vermag hohe Ausmaße anzunehmen. Sich deprimiert fühlen ist nicht mit depressiv zu verwechseln, da die Depression ein Syndrom ist, das aus mehreren Symptomen besteht. Deprimiertheit ist lediglich ein einzelnes Symptom einer Depression, das allein noch nicht ausreicht, um die Diagnose einer Depression zu stellen. So wie Daniel Hell Deprimiertheit beschreibt, vermag sie durchaus eine Zuschreibung von Trauer zu sein und auch im Trauerprozess als vorübergehende Reaktion hilfreich und sinnvoll erlebt werden. »In all diesen Situationen fühlte ich mich unleidig bis bedrückt, demotiviert, gedanklich verlangsamt und
Trauer und Depression 51
eingeengt, innerlich unruhig und zum Teil auch schlafgestört. Ich fand meinen Zustand als hinderlich und wünschte nichts mehr, als dass diese mühselige Deprimierung ein Ende fände. Rückschauend fällt mir allerdings auf, dass diese vorübergehenden Deprimiertheiten, die ich als zusätzliches Unglück erlebte, kaum jemals Schaden anrichteten, sondern eher dazu beitrugen, eine Sache ohne unbedachte Schnellschüsse durchzustehen. Sie haben mir auch vereinzelt dabei geholfen, mein gewohntes Verhalten zu hinterfragen und über bisher Selbstverständliches nachzudenken. Dadurch haben sie auch zu Veränderungen in meinem Leben beigetragen, meist allerdings erst im Nachhinein, wenn sich die deprimierte Aktionshemmung wieder löste« (Hell, 2012, S. 47). Bei anhaltender Deprimiertheit, wenn also die Beschwerden zu intensiv erlebt werden und sogar beginnen, starr zu werden, hat die Deprimiertheit keinen adaptiven Nutzen mehr. Dann kann aus Deprimiertheit eine Depression werden. Traurigkeit und Deprimiertheit im Trauerprozess dienen der Anpassung an eine neue Lebenssituation, nämlich das Leben nach dem Verlust ohne den Verstorbenen oder dem Verlorengegangenen. Bei Trauer besteht im Allgemeinen Hoffnung auf Erholung und Überwindung des Zustandes.
IV Fazit
Trauerbegleitung vermag ein sinnvolles Begleitungsangebot zu sein nach Belastungssituationen, wie sie zum Beispiel nach dem Verlust eines geliebten Menschen gegeben sind – auch dann, wenn Trauernde sich mit depressiven Reaktionen erleben. In der Begleitung hören wir, was die Trauernden uns sagen, und setzen hier mit unseren Angeboten an: Wir bieten der Trauer Zeit und Raum, fördern das Erleben von Halt und Sicherheit und richten den Blick auf Veränderung. Symptome einer Depression können sich in der Trauerbegleitung zeigen. Bei der Reflexion von Trauerprozessen wurde mitunter deutlich, dass es sich um depressive Reaktionen handelt, nicht um eine Depression. Von daher unterscheiden wir Trauer mit depressiven Reaktionen nach dem Verlust eines nahestehenden Menschen und den Symptomen einer Depression. Trauer mit depressiven Reaktionen gelten in der Trauerbegleitung nicht als »pathologische Trauer«. Es handelt sich vielmehr um eine nicht erschwerte (normale) Trauer bzw. um eine erschwerte Trauer (bei weniger Ressourcen und dem Vorliegen mehrerer Risikofaktoren) mit depressiver Reaktion (Paul, 2011, S. 83). Blockierte Trauer kann in Depression übergehen. Darum ist es in der Trauerbegleitung bedeutsam, dem Trauererleben genügend Raum zur Verfügung zu stellen, damit Gefühle in einen lebendigen Ausdruck gebracht und Ressourcen erwärmt werden können. Damit kann Trauerbegleitung Depression vorbeugen.
Fazit 53
Es kann sich im Zuge einer Trauerbegleitung herausstellen, dass Trauernde an einer Depression erkranken und der Trauerprozess stagniert. Dann sind Mediziner und Psychologen hinzuzuziehen, denn es ist wichtig, zu verhindern, dass einerseits Menschen, die nach einem schwerwiegenden Verlust an einer Depression erkranken, irrtümlich als »normal« Trauernde eingeschätzt, und andererseits Menschen mit normalen Trauer reaktionen irrtümlich als an einer Depression erkrankt diagnostiziert werden. Hier braucht es in der Trauerbegleitung hohe Aufmerksamkeit, damit eine Depression früh und angemessen behandelt werden kann. Symptome von Depression werden als »schwer« erlebt, sei es von betroffenen Menschen und deren Angehörigen, sei es von der Umwelt. In der Trauerbegleitung brauchen wir uns von dieser Schwere nicht irritieren zu lassen. Denn die Menschen finden nach einem Verlust mit ihrer Trauer in die Trauer begleitung. Es ist an uns, ihnen unvoreingenommen und ebenso wie anderen empathisch, wertschätzend und authentisch zu begegnen. Menschen, die unter den Symptomen von Depressionen leiden, zeigen Trauerreaktionen nach einer Verlusterfahrung. Depressive, die eine schwere Verlusterfahrung machen, können auch trauern. Dann kann Trauerbegleitung mit begrenztem und auf den Verlust fokussierendem Auftrag ergänzend zu einer Therapie erfolgen. Der Fokus in der Trauerbegleitung ist dann auf den Verlust gerichtet und darauf, dem Trauererleben den Raum zu geben, den es aus Sicht der Trauernden braucht. Trauerbegleitung kann Suizid verhindern. Aber nicht immer gelingt es. Es kann immer mal vorkommen, dass Trauernde nicht nur den Wunsch verspüren, nachzusterben, sondern ihre quälende Trauersituation tatsächlich durch Suizid zu beenden. Doch nicht die Trauerbegleitung führt in den Suizid. An dieser Stelle möchten wir darauf hinweisen, wie sinnvoll eine Auftragsklärung
54 Erster Teil: Trauer und Depression
zu Beginn der Begleitung ist. Zum einen, damit sich Trauernde keine falschen Hoffnungen machen über das, was Trauerbegleitung leisten kann. Zum anderen dient es Begleitenden dazu, sich auf den Auftrag zu fokussieren, den sie angenommen haben und von dem sie ausgehen können, dass er zu erfüllen ist. Es gibt allerdings Fälle, bei denen nicht deutlich erkennbar ist, ob es sich um einen Trauernden mit depressiven Reaktionen oder um einen an Depression erkrankten Menschen in der Begleitung oder in der Therapie handelt. Mit den Trauernden gemeinsam gilt es dann herauszufinden, welches Begleitungsoder Therapieangebot ihnen momentan am besten hilft. Entscheidend in der Begleitung Trauernder mit schweren depressiven Reaktionen ist für uns, dass wir zunächst mit den Zuschreibungen arbeiten, die Trauernde für sich entwickelt haben. Wir sehen es nicht nur nicht als unsere Aufgabe an, Diagnosen zu erstellen, wir verbieten es uns auch, denn das ist nicht unsere Profession. Um Trauernde auch mit schweren depressiven Trauerreak tionen begleiten zu können, sind weiterführende Fragen wesentlich: •• Bezieht sich die Begleitungsanfrage auf einen vorhergegangenen Verlust? •• Sind Ressourcen in irgendeiner Form erkennbar? Einblendbar? Erlebbar? Verstärkbar? •• Wie nehmen Begleitende die Trauernden wahr, zum Beispiel gleichbleibend in ihrer Trauerreaktion verhaftet? Erkennen sie Bewegung und Veränderungen im Prozess, auch wenn sie kaum wahrnehmbar sind? •• Gibt es einen Veränderungswunsch aus der Sicht der Trauernden? •• Ist die Trauerbegleitung hilfreich im Erleben der Trauernden wie auch in der Wahrnehmung der Trauerbegleitenden, die auf den Prozess und sich selbst schauen, im Erleben und
Fazit 55
Reflektieren der eigenen Haltung: Wie offen bin ich für die Anliegen der Trauernden? Wie begegne ich ihnen? •• Können Begleitende den Trauerraum halten – oder halten sie ihn nicht mehr aus? •• Vermag ich die Struktur des Settings zu halten und den Prozess zu steuern? •• Wie wirkt sich die Begleitung auf ihr Erleben im Alltag aus? Finden sie ausreichend Distanzierung und Abgrenzung? •• Ist es mir weitestgehend möglich, wertschätzend, empathisch und authentisch in der Begleitung zu sein? Können Begleitende diese Fragen für sich bejahen, sehen wir zunächst keinen Anlass, den Prozess zu beenden. Merken Begleitende, dass ihr Angebot nicht ausreichend hilfreich ist, können sie an Kolleginnen und Kollegen verweisen, die neben einer Weiterbildung in Trauerbegleitung entsprechend der Basisqualifikation über zusätzliche Qualifikationen in Beratung und/ oder Therapie verfügen. Sollten die Fragen und Anliegen der Trauernden in den psychotherapeutischen Kontext gehören, ist es unerlässlich, über Psychotherapiemöglichkeiten zu informieren. Wir halten es für dringend geboten, dass Mediziner, Psychotherapeuten, Psychologen und Trauerbegleiter um die jeweils unterschiedlichen Begleitungs-, Beratungs- und Therapieansätze wissen und Trauernde darauf hinweisen, so dass sie ein für sie hilfreiches Angebot entdecken können. Die Diskussion um die Erfassung der Trauer durch Diagnosekriterien in die internationale und amerikanische Klassifizierung ist zu diesem Zeitpunkt nicht abgeschlossen. Sie bewegt sich in dem Versuch, die Trauer in Kategorien einzuteilen und berufsübergreifend so zu erfassen, dass es ein einheitliches Verständnis von Trauer gibt. Die Frage drängt sich auf, ob dies wirklich möglich ist.
56 Erster Teil: Trauer und Depression
Eine andere Frage ist, die Unterschiedlichkeit im Verständnis von Trauer zu nutzen mit der Option, in einen berufsübergreifenden Austausch zu treten, um die jeweiligen unterschiedlichen Kompetenzen zum Wohl trauernder und depressiver Menschen nutzen zu können. Letztlich entscheiden die Trauernden, welches Angebot (Begleitung und/oder Therapie) mit welchem vereinbarten Auftrag sie in Anspruch nehmen wollen, da es sich für sie als hilfreich erwiesen hat oder erweisen könnte. Übrigens: Die Beschreibung einer Trauer als »erschwerte Trauer«, die Belegung Trauernder mit der Diagnose »Depression«, die Selbstbewertung Trauernder als »depressive Menschen« – all dies sind nicht unbedingt Indikationen für einen Begleitungsprozess, der sich »schwer« anfühlt. Das zeigen die folgenden Fallgeschichten deutlich.
Zweiter Teil: Fallgeschichten
In diesem zweiten Teil wenden wir uns Fallgeschichten zu, wie wir sie in unserer Begleitungszeit erfahren konnten. Immer häufiger erleben wir, dass Trauernde zur Trauerbegleitung von Angehörigen, Freunden, Ärzten ermutigt werden, da sie sich sehr depressiv zeigen. Die Menschen im nahen sozialen Umfeld machen sich Sorgen darum, dass eine manifeste Depression im Anmarsch ist, und fühlen sich besorgt und hilflos. Neben der eigentlichen Trauer erfahren sich auch Trauernde zunehmend verängstigt über ihren Zustand: Bin ich noch normal? Wie krank bin ich? Was will ich nicht wahrhaben? Bin ich verrückt? Es irritiert sie, dass sich andere auch noch Sorgen um sie machen. Das ist sicher nicht im Sinne von Trauernden: Anderen zur Last fallen? Deren Leben auch noch schwerer machen? Von daher schauen wir immer danach: Worum geht es? Depressive Reaktionen im Trauerprozess? Zugeschriebene Depressionen? Angenommene Zuschreibungen? Tatsächliche Entwicklung einer Depression? Wahrnehmbare Suizidalität? Die unterschiedlichen Fallgeschichten erzählen davon. Wir zeigen, wie wir unterstützend begleitet und welche Fragen und Impulse uns in unserer jeweils unterschiedlichen Arbeit und Arbeitsweise geleitet haben. Wir stellen uns die Frage danach, ob wir die Begleitung annehmen und wie wir hilfreich sein könnten. Unser Anliegen ist es, über die Anerkennung des Verlustes und der Würdigung der Verstorbenen wie der Trauerreaktionen verdeckte Ressourcen Trauernder einzublenden, sie zu erwärmen und die Resilienz Trauernder zu stärken. Unsere Erfahrung zeigt, dass im Erleben positiver Gefühle, Sichtweisen und Verhaltensmuster depressive Reaktionen abnehmen. Damit wird Trauer nicht verleugnet oder abgeblockt, sondern Trauernde erfahren sich in der Weise stabilisiert, dass sie den Verlust annehmen und ihre Trauer aushalten können.
I Von einem Trauernden mit schweren depressiven Reaktionen
Anfrage Herr K.: •• ein Trauernder, besetzt mit der Angst, sich in seiner Trauer um seine verstorbene Frau zu verlieren, vermochte abends nicht zu schlafen und wollte morgens nicht mehr leben. So blieb er umherirrend nachts auf und fand morgens den Weg nicht aus dem Bett; •• ein Trauernder, der voller Sehnsucht daran dachte, seiner Frau dorthin nachzugehen, wo sie nun war; •• ein Trauernder, für den das Leben in seinem Haus allein und ohne sie so sinnentleert war, wie es nur sein konnte – ein Leben in der Zukunft war nicht denkbar; •• ein Trauernder, der in dieser Situation nicht zu essen vermochte und seinen Garten verwildern ließ; •• ein Trauernder, der vom Leben nichts mehr erwartete und nichts mehr erwarten wollte; •• ein Trauernder, den der Verlust seiner Frau so sehr schmerzte, dass ihm nur noch »zum Heulen« zumute war. Herr K. fand ziemlich genau vier Monate nach dem Versterben seiner Frau zu mir, nachdem ein Bestatter ihn auf meine Trauerangebote aufmerksam gemacht hatte. Denn zusehends machten sich auch noch Panikattacken bemerkbar, die Angst auslösten, sodass der behandelnde Hausarzt ihn in eine psychiatrische Fachklinik einweisen wollte. Die Diagnose »Depression« stand im Raum.
60 Zweiter Teil: Fallgeschichten
Vorgeschichte Nach einer unvorhergesehenen Gehirnblutung morgens im Ehebett wurde Frau K. auf die Intensivstation eines Krankenhauses eingeliefert, wo sie nach 14 Tagen verstarb. Eine normale Kommunikation war nicht mehr möglich gewesen. Für Herrn K. war sofort klar, dass »das nichts mehr mit ihr gibt«. So verbrachte er die noch verbleibende Zeit im Krankenhaus in der Nähe seiner Frau. Herr K. blieb allein zurück. Er hat zwar zwei verheiratete Kinder und zwei Enkelkinder, die allerdings nicht in unmittelbarer Nähe wohnen. Außerdem hat er zwar ein großes Haus samt Garten, aber für einen allein ist die Arbeit zu viel. Frau und Herr K. waren einander sehr verbunden. Herr K. hatte nach der Zeit des einsamen Umherirrens als Vertriebener im Krieg bei ihr eine neue Heimat gefunden. Gemeinsam hatten sie sich eine Lebensperspektive geschaffen. Sie war ihm stets Zuflucht, Lebensgefährtin und vertraute Freundin gewesen. Nun war sie tot.
Fragen und Bedenken War ich in der Lage, Herrn K. in seiner schweren Trauer hilfreich zu begleiten? Mal angenommen, ich würde mich auf einen Begleitungsprozess einlassen, was würde ich wohlmöglich ausblenden? Würde ich sein Leid verlängern? Würde ich Suizidalität heraufbeschwören? Würde ich seinen Nachsterbewunsch verstärken? Welche Verantwortung erlebe ich und bin ich bereit, im Prozess zu übernehmen? Woran kann ich mich orientieren? Eine ambulante oder stationäre Therapie hatte Herr K. für sich rigoros ausgeschlagen. Sie schienen ihm ein nicht hilfreiches Angebot zu sein. Die Angst vor Einweisung war zu groß, das Vertrauen zu gering. Immerhin hatte sich Herr K. bereits einem Neurologen vorgestellt, der ihn mit Medikamenten versorgt hatte.
Von einem Trauernden mit schweren depressiven Reaktionen 61
Angebot Von daher versuchten wir in einem ersten Gespräch, ein Beratungsangebot so zu formulieren, dass es uns beiden Klarheit gab über das, was ich als Auftrag gehört hatte und was ich mir vorstellen konnte, als Auftrag auch anzunehmen. Seinem Anliegen, das Leben solle wieder so sein wie vorher, konnte ich leider nicht gerecht werden. In einem Prozess von zunächst zehn Sitzungen würde ich Herrn K. auf seinem Trauerweg begleiten und mit ihm schauen, wie er mit seiner Trauer leben und wie er die Beziehung zu seiner verstorbenen Frau gestalten kann. Sicherheit fand ich darin, dass Herr K. um Trauerbegleitung angefragt hatte. Herr K. war also durchaus in der Lage, sich um Angelegenheiten, die ihm wichtig waren, zu kümmern und aktiv zu werden – wunderbar. Neben dem Erleben großen Schmerzes und tiefer Trauer entdeckte ich durchaus auch Ansätze von Ressourcen, die in Herrn K. steckten, ihm jedoch nicht bewusst waren – großartig.
Haltung Dazu konnte ich meiner Haltung vertrauen, die sich in anderen Beratungsprozessen als hilfreich und heilend herausgestellt hatte (so wurde mir zumindest berichtet): •• Empathisch, wertschätzend und authentisch vermag ich Leid und Schmerz anzusehen und mitzutragen, und zwar so, dass sich Trauernde gesehen, gehört und berührt erfahren. Die Trauer findet ihren Ausdruck. Trauernde fühlen sich in ihrem Erleben gehalten. •• Ich nehme Trauernde in ihren Anliegen ernst und orientiere mich an deren Zielvorstellungen: Wo möchten sie hin? Was soll anders werden?
62 Zweiter Teil: Fallgeschichten
•• Ressourcenorientiert ermutige ich dazu, Geschichten aus der Vergangenheit und Gegenwart zu erzählen, mit großen Ohren darauf hörend, was von positiven Veränderungen mitschwingt, was neben vielem Nicht-Gelingendem doch glückt: ausnahmsweise, beinahe wie ein Wunder … •• Meine Wahrnehmungen blende ich ein und erfrage deren Wirkung bei den Trauernden: Was ist davon wichtig? Was ist nicht hilfreich und darf ausgeblendet werden? Nun, die Entscheidung darüber liegt allein bei den Trauernden. •• Ich stelle Tools und Methoden vor, mache sie transparent und hole mir das Einverständnis der Trauernden ein, mit ihnen arbeiten zu dürfen. •• Meine Ambivalenzen in Bezug auf meine Wahrnehmungen oder auf Fragestellungen (zum Beispiel: Wie können wir weitergehen?) mache ich ebenfalls transparent und stimme mit den Trauernden ab, in welche Richtung wir weitergehen wollen und was sie glauben, was ihnen nutzen könnte. •• Mit Diagnostizieren, Interpretieren und Bewerten versuche ich mich sehr zurückzuhalten. Darüber hinaus sind mir hypnosystemische und systemische Methoden nicht fremd, die ich nutze, um in der Beratung zu stabilisieren, »positive« Wahrnehmungskanäle zu öffnen, den Blick auf Veränderungsprozesse zu lenken und ziel- und lösungsorientiert zu arbeiten.
Von einem Trauernden mit schweren depressiven Reaktionen 63
Begleitungsprozess Anfangs haben wir uns 14-tägig, nach einem Vierteljahr alle sechs Wochen getroffen. Nach zehn Stunden haben wir innegehalten, den Prozess reflektiert und überlegt, was Herrn K. weiter unterstützen könnte. Begleitet habe ich Herrn K. bis kurz nach dem zweiten Jahrestag des Versterbens seiner Frau. Folgende Entwicklungen fanden in der Trauerbegleitung statt: •• Auftragsklärung: Nachdem ich Herrn K. erklären musste, dass ich garantiert nicht in der Lage bin, ihn dabei zu unterstützen, dass er die Trauer nicht mehr spürt und alles so wie früher wird, entwickelten wir gemeinsam im Gespräch eine Vorstellung davon, wie der Begleitungsprozess aussehen könnte, sodass Herr K. ihn als hilfreich erleben könnte. Am Ende des Prozesses wäre Herr K. zufrieden, wenn die Einsamkeit nicht mehr so weh täte, wenn er in seiner Trauer nicht so allein wäre und wenn er wüsste, wie er in bleibender Verbindung mit seiner Frau bleiben könnte. Positiv formuliert: Herr K. möchte wieder zufriedener leben können – mit dem Verlust und mit der Trauer. Auf diesen nun begrenzten Auftrag konnte ich mich einlassen. Der Fokus lag auf dem Verlust, dem Verlusterleben und der Entwicklung einer Zukunftsperspektive. Erste Spuren waren gelegt. Mit den Fragen, welche Wirkung seine Zufriedenheit auf ihn und auf seine Familie habe, habe ich den Blick auf das Ende des Begleitungsprozesses gelenkt: Trauer ist nicht uferlos. Diese als so schwer erlebte Trauer wird eine Grenze haben. Irgendwann wird die Trauer so erlebt werden, dass ein zufriedeneres Leben möglich erscheint – das macht Sinn.
64 Zweiter Teil: Fallgeschichten
•• Stabilisierung: Auch wenn im empathischen Zuhören der Trauer Raum und Zeit gegeben werden konnte und der Trauernde sich im Erleben seiner Trauer gesehen fühlte, erschien es hilfreich, dem Trauernden für Situationen, in denen er sich seiner Trauer ausgeliefert fühlte, folgende Stabilisierungsmöglichkeiten an die Hand zu geben: –– Einblenden des »Positiven« in der Wahrnehmung: Mal angenommen, in der Zeit des Abschied-nehmen-Müssens, in der ersten Zeit der Trauer gab es neben dem so Schweren und Furchtbaren auch etwas, was gut getan hat, was hilfreich war: Was war es? Wie haben Sie es erlebt? Wer war dabei? Wer hat Sie unterstützt? Was haben Sie dazu beigetragen? –– Imagination eines »inneren sicheren Ortes«, an dem der Trauernde sich geborgen und behütet erlebt: Dieses Erleben wird beschreibbar und kann so verankert werden, dass sich der Trauernde auch in Zeiten der Unsicherheit und Hilflosigkeit imaginär an diesen Ort zurückziehen kann. Dadurch erfährt der Trauernde, wie es ihm gelingen kann, die Trauer zuzulassen, auszuhalten und sein Trauern selbstwirksam zu steuern. –– Strukturierung der Woche durch Erstellen eines Stundenplanes mit gewünschten oder auch erforderlichen Aufsteh-, Essens- und Schlafenszeiten; zusätzlich Beantwortung folgender Fragen: Welche Termine müssen wahrgenommen werden? Welche Termine sollen vereinbart werden? Was gehört erledigt? Mal angenommen, am Ende der Woche/ des Tages bin ich zufrieden: Weshalb? Wann? Wie? Wie kann der Trauernde dafür sorgen, dass es geschieht? Was durfte auch ausgelassen werden? –– Fragen zu Beginn der Sitzungen wie zum Beispiel: Was hat sich für Sie verändert? Wann haben Sie sich zufriedener gefühlt? Was war da anders als sonst?
Von einem Trauernden mit schweren depressiven Reaktionen 65
•• Der Trauer (um die Verstorbene, um das Leben in der Gemeinschaft, um die gemeinsame Zukunft) Raum geben –– durch Erzählenlassen und Nicht-müde-Werden, Komplimente einfließen zu lassen zu dem, was anscheinend gelungen war. –– in achtsamer Wahrnehmung all der Veränderungen in den sich gelegentlich wiederholenden Erzählungen mit Blick auf: Was wird anders erzählt? Welche Wirkung erlebe ich? Bei mir? Beim Trauernden? –– durch Entdecken der Ressourcen: Wie haben Sie es geschafft, dass Sie …? Wie können die Ressourcen, die in der Vergangenheit so hilfreich waren, in der Zukunft genutzt werden? –– durch Aufzeichnen und Reflektieren des Trauerweges als Diagramm: den schweren Phasen wertschätzend begegnen, Veränderungen einblenden, die allmähliche Aufwärtsbewegung trotz mancher Auf und Abs erkennen: Was ist geschehen? Was hat möglich gemacht, dass …? –– durch das Verfassen eines Klagepsalms als wörtlicher Ausdruck eines zutiefst empfundenen Trauerschmerzes. Das Schreiben eines Klagepsalms, beginnend mit den Worten »Mir ist so schwer, Herr« ist von Monika Müller entwickelt worden. Im Sinne des Erwärmens können einzelne Bilder oder Worte hervorgeholt und intensiv erlebt werden. Der Trauernde vermag sich in einzelne Bilder und Worte einzufühlen, indem er sie in der Ichperspektive in seinem ganzheitlichen Erleben wahrnimmt und zum Ausdruck bringt. Besondere Beachtung mag beim Klagenden liegen (Wer bin ich, der hier klagt?), bei der Klage selbst (Wie nehme ich mich wahr als Klage? Welche Wirkung erlebe ich an mir?) und beim Gegenüber (An wen richte ich mich? Welche Bilder habe ich dazu? Ich als »Herr« würde …). Darüber hinaus greifen wir auf Hoffnungsbilder zurück, lassen diese weiterentwickeln und für den Trauernden spürbar werden.
66 Zweiter Teil: Fallgeschichten
Mir ist so schwer, Herr. Ich finde keine Worte, diese Schwere zu beschreiben. Seit R. gestorben ist, hat sich die Schwere so gesteigert, dass ich laut schreien könnte. Wenn ich an sie denke oder ein Bild von ihr anschaue, breche ich in Tränen aus, das Herz rast, und das Atmen fällt mir schwer. Wenn ich mich mit Freunden oder der Familie entspannt unterhalte und mir indes der Gedanke an das Alleinsein nach dem Besuch oder an die Nacht kommt, allein, bricht mir der Schweiß aus, und eine bedrohliche, panische Angst macht sich in mir breit. Und hockt überall in mir und über mir, wie ein böses Etwas. Warum steigern sich diese Schwere und Panik nach der Beisetzung so rasant weiter? Bis auf den heutigen Tag? Anfangs war es verständliche Trauer über den Verlust eines so geliebten Menschen, meine langjährige Gefährtin, Freundin, Geliebte. Mein zweites Ich. Heute muss ich ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, um jeden neuen Tag zu überleben. Mir graut vor der Zukunft. Ich laufe jeder Einladung für ein Gespräch nach, um etwas Zeit zu gewinnen und nicht schon wieder in eine tiefe Depression zu fallen. Herr, mein Gott, es geht so vielen viel schlechter als mir, und ich erlebe mich auch als undankbar, nach so einem erfüllten Leben mit meiner geliebten Partnerin zu klagen. Es liegt aber nicht in meinen Händen, so eine krankhafte Panik und Unruhe abzulegen und das Alleinsein zu ertragen. Ich bin so dankbar für jedes gute Wort und jede Minute, die ich mit Menschen, die etwas Zeit haben, verbringen kann. R., bitte dort, wo du jetzt bist, für mich, dass ich dir keine Schande mache und bald wieder bei dir sein kann. Herr, verzeihe mir und hilf mir, die Schwere zu besiegen und wieder Mensch zu werden.
Von einem Trauernden mit schweren depressiven Reaktionen 67
Diesen Trauerschmerz so selbst in Worte gefasst einmal zu lesen, erschütterte Herrn K. zunächst. Trotzdem gelang ihm eine erste Distanzierung. Wir konnten uns empathisch austauschen über den Menschen, der den Verlust seiner Frau und Gefährtin beklagte und der in der Lage war, einen solchen Psalm zu verfassen. Herr K. erkannte, dass seine Religiosität ihm wie in der Vergangenheit so auch jetzt Halt und Orientierung bot. In der empfundenen Dankbarkeit erlebten wir neben der so schwer empfundenen Trauer eine zweite Erlebensweise im alltäglichen Leben. Die Trauer ist doch nicht in allem und über allem allein. Da gibt es auch noch anderes. •• Sich der Wirklichkeit stellen und den Blick – hin und wieder – auf die Zukunft richten mithilfe von –– Fragen, die die Zukunft betreffen: Mal angenommen, wir haben das Jahr 2017: Was hat sich dann verändert in Bezug auf Haus und Hof? Wie treffe ich Sie an? Wie wird es Ihnen gehen? Wie groß wird Ihre Zufriedenheit sein? Was tun Sie dazu, um …? Welche »Aufträge« haben Sie gehört bzw. nicht gehört oder nicht wahrgenommen? Welche Rollen haben Sie abgelehnt und neu definiert? Wie wird die Zukunft sein? Was darf wachsen und mehr werden? –– Positionierung auf der Landkarte des Erlebens (siehe Abbildung 1)7: Wo waren Sie? Wo befinden Sie sich jetzt? Wo möchten Sie hin?
7 Vgl. Landkarte der Befindlichkeiten unter http://www.schluesselundblume.de/
68 Zweiter Teil: Fallgeschichten
Abbildung 1: Landkarte (Klaus Apitz)
–– Rollenklärung im Rahmen der Familie mithilfe des Familienbrettes und von Tierfiguren: Wer hatte welche Position in der Familie aus der Sicht des Trauernden? Welche Position hatte die Verstorbene? Wo standen die Kinder? Was hat sich verändert durch den Tod der Ehefrau und Mutter? Wer hat welche Rolle inne? Welche Rolle bleibt eventuell unbesetzt? Welche Wirkung hat dies auf wen? Welche Position möchte der Trauernde einnehmen? Welche Einladungen könnte er aussprechen? Welche Wirkung könnten sie haben? Auf wen? Mithilfe dieser Fragen entdeckte Herr K., welche bedeutsame Rolle seine Frau in der Beziehung zu den Kindern, Schwiegerkindern und Enkeln innehatte. Auch im Familiensystem war eine eklatante Lücke entstanden, die Verwirrung ausgelöst hat. Das gehörte nicht bewertet, sondern wurde als Teil des gemeinsamen Trauerprozesses anerkannt. Die
Von einem Trauernden mit schweren depressiven Reaktionen 69
Trauer um die verstorbene Ehefrau, Mutter und Oma stand eindrücklich im Raum. Herr K. musste für sich klären, welche Rolle er in Zukunft übernehmen möchte und welchen Beitrag er leisten kann, dass die Familie zusammenbleibt, wenn es unter Umständen auch anders sein wird als vorher. Für Herrn K. wurde wichtig, zu erkennen, dass er eine jeweils eigene Beziehung zu den so unterschiedlichen Kindern pflegen möchte. –– Einblendung der Verstorbenen: Wo ist sie für den Trauernden jetzt? Was würde sie dem Trauernden sagen können? Eine Zeitlang vermochte Herr K. nicht zu sagen, dass seine verstorbene Frau für ihn in irgendeiner Weise spürbar ist. Das kommt in Trauerprozessen vor. Es gibt Trauernde, die darunter leiden. Von daher setze ich die oben genannte Frage immer mal wieder ein, da ich mir davon eine Wirkung erhoffe. Ich zeichne eine Spur, und die Trauernden entscheiden, ob sie sich davon leiten lassen wollen. •• Der Trauer, der Verstorbenen und dem gemeinsamen Leben einen Sinn zusprechen: –– positive Konnotation der Einsamkeit und der Trauer; –– Aufgabe des Sehnsuchtsziels, ein Leben mit der Verstorbenen zu führen durch die Bestimmung eines zweitbesten Zieles, nämlich sich auf das Leben allein im Haus einzurichten; –– Fragen wie: Was hat die Verstorbene im Trauernden geweckt? Was hat er von ihr gelernt? Was soll unbedingt bleiben? Was kann der Trauernde dazu tun, dass die Verstorbene auf diese Weise lebendig bleibt? Was hat der Trauernde an eigenen Fähigkeiten in die Beziehung mit eingebracht? Was war ihm hilfreich? Was hatte lange keinen Raum mehr und wäre jetzt angemessen? Was kann neu eingebracht werden? Welche Interessen waren verschüttet und können jetzt in den Blick genommen werden?
70 Zweiter Teil: Fallgeschichten
Nachdem Herr K. lange Zeit keine Idee davon hatte, in welcher Verbindung er zu seiner Frau noch steht, konnte er im Erwärmen eines sozusagen geistigen Erbes seiner Frau einen Platz geben: »Ich habe jetzt akzeptiert, dass die Trauer zu meinem Weg dazugehört. Sie ist immer noch da. Sie tut immer noch weh. Ich vermisse sie noch immer sehr. Und doch: Sie lässt mich nicht mehr verzweifeln. Ich bin zufrieden mit dem, wie es jetzt für mich ist.« Sukzessive hat sich Herr K. auch von seinen Tabletten verabschieden können. Seine Aktivitäten nehmen seitdem weiterhin zu. Er kommt zusehends im Alltag an und ist in der Lage, sein Leben zu gestalten. Sein neuestes Projekt ist, dass er sich ein Wohnmobil kaufen wird, um damit durch Schweden zu fahren – die Erfüllung eines immer schon ersehnten Traumes. Seine Frau konnte sich dafür nie begeistern.
II Von einer Trauernden mit einer angenommenen Depression
Anfrage Frau L. beklagte mehrere Todesfälle innerhalb des letzten Jahres im engsten Familien- und auch im Freundeskreis. Sie erlebte bei sich ein »drohendes Burnout«, so glaubte sie, denn sie hatte keine Energie und keine Lust auf irgendetwas. Sie fühlte sich wie in Watte gepackt. Von Frau L. wusste ich, dass sie in der Trauer begleitung eines Hospizvereins tätig war. Hiervon hatte sie sich für unbefristete Zeit abgemeldet. Hinzu kamen Sorgen und Ängste um die studierende Tochter, die gerade in einer schwierigen Phase steckte, bei der es nicht klar war, ob sie das Semester schafft. Frau L. selbst hatte Ärger mit ihrem Arbeitgeber und rechnete mit einer Kündigung. Das Erstellen einer Trauerbiografie zeigte, dass beide Eltern, der Vater vor 20 Jahren und die Mutter vor 13 Jahren, an Krebs verstorben waren. Im Erzählen von der Beziehung zu den Eltern und von deren letzten Lebensphasen kamen bei Frau L. unerwartet heftige Trauerreaktionen zum Vorschein. Zu Beginn der Trauerbegleitung vermisste Frau L. ihre Eltern sehr, da mit deren Versterben und dem Versterben der Tanten und Onkel auch die Geschichtenerzähler von früher gegangen waren. Eine ganze Generation war weggebrochen. Die Eltern hatten vor Jahren den Anfang gemacht.
72 Zweiter Teil: Fallgeschichten
Fast nebenbei erwähnte Frau L., dass ihr Vater an Depression gelitten hatte. Deswegen habe sie ihm vieles nicht mehr sagen können. Der Vater hatte ihr sehr nahe gestanden. Zur Mutter hatte Frau L. ein ambivalentes Verhältnis. Nach dem Tod ihrer Eltern habe sie nicht wirklich trauern können. Die Anforderungen in der Familie und im Berufsleben ließen ihr keine Zeit. Auch bei ihrem Mann sei Depression vor einiger Zeit diagnostiziert worden. Er sitze zu Hause herum und könne nicht am Alltagsleben teilnehmen. Die Zukunft sehe er sehr pessimistisch.
Fragen und Annahmen Das hörte sich nach einer komplexen Begleitung an. Ich war mir nicht sicher, ob Frau L. an Depression erkrankt war. Gehäufte Todesfälle in der jüngsten Vergangenheit, lange zurückliegende Trauerfälle bei nahestehenden Menschen, keine Zeit zur Trauer nach deren Versterben, eine diagnostizierte Depression beim Vater und das Erleben der Depression beim Ehemann, das Wissen darum, dass nicht gelebte Trauer depressiv machen kann – das alles war sicherlich belastend. Aber sie hatte um Begleitung gebeten. Das nahm ich ernst. Außerdem erzählte Frau L. von einer erst kurze Zeit zurückliegenden Amerika-Reise, die ihr so gut getan hatte. Damit konnte ich an vorhandene Ressourcen anknüpfen. Das war für mich ausschlaggebend dafür, den Auftrag anzunehmen. Bereits nach vier Stunden fühlte sich Frau L. so weit stabilisiert, dass die Trauerbegleitung vorerst beendet werden konnte.
Auftragsklärung Was sollte in der Trauerbegleitung geschehen? Was soll am Ende anders sein? Diesen Fragen stellten wir uns zu Beginn des Prozesses.
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Der Auftrag lautete sodann: Reflexion ihrer Reaktion auf die Verluste der letzten Zeit und Stabilisierung.
Prozess In einer ersten Sitzung haben wir die Eltern in den Blick nehmen können. Im Erwärmen des Vaters wurde spürbar, dass neben seiner Depression als seine eine Seite auch seine anderen, durchaus positiven Seiten in der Familie lebendig waren: All das, was Frau L. so sehr an ihrem Vater geschätzt hatte, gewann an Raum, an Bild und entfaltete seine Wirkung. Sie entdeckte ihren Vater als liebgewordenen inneren Ratgeber. Da ich mir nicht sicher war, ob die Trauer um die Eltern verschleppt war, erkundigte ich mich in der folgenden Sitzung danach, ob die Trauer um die Eltern ein Thema geworden ist. Das verneinte Frau L. glaubwürdig. Es sei gut gewesen, dort noch einmal hinzuspüren und den Vater anders wahrzunehmen. Das habe gut getan, und damit sei es für sie gut geworden. In der zweiten Sitzung gab Frau L. an, sie habe sich wieder gefangen. Der Alltag funktioniere wieder. Sie wünschte sich eine weitere Stabilisierung. Ihr Problem sei, dass sie sich schnell verunsichern lasse. Zudem sei sie durch die niederdrückende Situation mit ihrem depressiven Ehemann belastet und könne sich dem nicht mehr entziehen. Daraufhin fragte ich nach Ausnahmen: Wann hat sie sich anders erlebt, und zwar so, dass sie sagen konnte, dass sie sich als stabil empfunden hat? Wie hat sie sich erlebt? Was war anders? Wie hat sich die Stabilität gezeigt, zum Beispiel in ihrer Körperhaltung, Atmung und Mimik? Welche Wirkung konnte sie weiter ausmachen? Bei sich? Bei anderen? Da Frau L. auf diese Fragen sehr spontan und offen reagieren konnte, habe ich mich in der Begleitung sicher gefühlt. Ich
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erlebte sie als belastet, jedoch ausgerichtet auf eine Veränderung ihres Erlebens, und habe von daher angenommen, dass systemische und hypnosystemische Impulse wie die folgenden unterstützend sein können: •• Mal angenommen, die Sitzung wäre vorbei und die Stabilisierung wäre geglückt, was wäre dann anders? Welche Auswirkungen könnte es haben? Mit diesen Fragen hoffte ich, Frau L. in weiteren Kontakt mit einer Stabilisierung zu bringen. Sie sollte so konkret wie möglich antworten. Damit konnte sie ihre Aufmerksamkeit mehr auf das Gelingende richten anstatt auf das, was sie in ihrem Problemerleben destabilisierte. So hat sie ein positives »Stattdessen« für sich gefunden. •• Durch die Imagination eines inneren sicheren Ortes als Schutzraum und einer Steuerposition fiel es Frau L. leicht, sich einen Ort vorzustellen, an dem sie sich stabil, sicher und geborgen erlebte, und sich an diesem Ort in einer Körperhaltung zu positionieren, die ihrer Wahrnehmung entsprach. Den Raum, eine Blumenwiese inmitten einer hügeligen grünen Landschaft, umgab sie mit einem Maschendrahtzaun, um mögliche Angreifer, die ihren Schutzraum bedrohten, von sich und dem von ihr als heilig erkannten Ort fernzuhalten. Die inneren Antreiber »Ich muss das schaffen« und »Ich muss doch helfen« wurden, nachdem sie benannt waren, außerhalb des Raumes verwiesen, allerdings nur so weit, dass sie noch in Sichtweite waren, da Frau L. durchaus die Ambivalenz ihrer Antreiber erkannt hatte. Eigentlich waren sie ja auch gut und machten Sinn. Nur nicht immer und wenn sie überhandnahmen. Frau L. übte, wie sie diese Antreiber dann auch mal vor die Tür stellen konnte, und zwar auf eine solche Art und Weise, dass die Antreiber noch nicht einmal an Widerspruch zu denken vermochten. Die dazu für sie passende Körperhaltung haben wir durch Wiederholung verankert.
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Nicht explizit erwähnt habe ich, dass ich mich während dieser Zeit auf weitere Ressourcensuche bei Frau L. begeben hatte, Schätze entdeckte und diese immer wieder durch »Komplimente«8 hervorgehoben habe. Da sich Frau L. damit schwer tat, Entscheidungen in ambivalenten Situationen zu finden, haben wir in der dritten Sitzung an einem Beispiel das »Tetralemma« als Methode eingeführt und reflektiert: Ihre Ambivalenz drehte sich einerseits darum, Fürsorge für andere zu übernehmen, wie zum Beispiel für den depressiven Mann, und andererseits sich selbst mehr Freiraum zu gönnen. Damit standen sich zwei einander widersprechende Positionen gegenüber: •• Die Eine: Mehr »Hinwendung zu sich« war die erste, für sie »egoistischere« Position, die sie brauchte, um sich nicht zu verzehren. •• Das Andere: Die »Fürsorge für andere« entsprach der zweiten Position, die sich aus den ethischen Werten ergab, auf die sich Frau L. verpflichtet hatte. Frau L. hatte sich in der Familie immer um kranke und sterbende Anverwandte »gekümmert« und ihnen beigestanden. Auch im Freundeskreis war sie in traurigen Zeiten immer wieder ansprechbar, zumal sie in der Hospizarbeit tätig war. Daher wurde sie stets um Rat und Tat angefragt. Doch jetzt war sie an ihre Grenzen gestoßen. Ihr Ziel war es, in Zukunft mehr Klarheit zu haben, wie sie sich entscheiden sollte, ohne sich damit negativ zu bewerten. Dabei wurde ihr deutlich, 8 Der Ausdruck »Komplimente« mag an dieser Stelle unpassend erscheinen. Er bezieht sich auf das Buch »Lösungen (er-)finden« von Peter de Jong und Insoo Kim Berg, die dem »Komplimentieren« ein eigenes Kapitel gewidmet haben. Es geht darum, persönliche Qualitäten und Erfahrungen von Klienten als Ressourcen einzublenden und zu verstärken. Hoffnung und Zuversicht in die eigene Bewältigung anstehender Aufgaben werden dadurch immens gesteigert.
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wie wichtig es ihr geworden war, dass ihr Leben nicht aus dem Lot gerät. Dazu war es nötig, dass sie nicht nur Zeit für sich zur Verfügung hatte, sondern sich auch dem widmen konnte, was ihr Lebensfreude und Lebendigkeit vermittelte. Frau L. hat diesbezüglich durchaus Ideen entwickelt: •• Im Zusammenhang mit der Einführung der dritten Position namens »Beides« überlegte sie, wie die beiden ersten Positionen miteinander verbunden werden können. Wie wäre es möglich, diese zeitlich voneinander zu trennen? •• In der vierten Position des »Keines von beiden« wurde der Raum geöffnet, noch einmal ganz anders zu denken: Gibt es womöglich eine ganz andere Denkweise, die noch gar nicht in Betracht gezogen worden war? Was ist bislang übersehen worden? Frau L. entdeckte dann, dass »Vertrauen« für sie eine wesentliche Grundhaltung war, dank derer sie »das Andere« besser loslassen konnte. Sie brauchte sich nicht für alles verantwortlich und zuständig zu fühlen. Sie durfte darauf vertrauen, dass andere Menschen ihre Fähigkeiten nutzten und ihren eigenen Weg gingen. •• In der fünften Position des »All dies nicht und selbst das nicht«, welches das sich immer wieder verändernde Moment zum Ausdruck brachte, wurde Frau L. deutlich, dass sie es war, die sich den Positionen so zuwendete, wie es im Moment für sie angemessen war. Sie würde sich nicht mehr aus dem Blick verlieren. Sie würde auf die Bedürfnisse der anderen so reagieren, dass es für sie selbst angemessen war. Frau L. erfuhr auf diese Weise, dass es mehr Möglichkeiten gibt als vorher gedacht und dass sie sich nicht für alle Zeiten für eine der vier Möglichkeiten entscheiden muss. Frau L. erkannte, wie wichtig Vertrauen ist: in sich, in die anderen, in die Zukunft. Somit fand sie einen neuen Zugang zu einer überaus hilfreichen Ressource in ihren Prozessen (siehe Abbildung 2).
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Abbildung 2: Tetralemma (Klaus Apitz)
Mithilfe einer Skalierung von 0 bis 10 haben wir in der vierten Sitzung den Prozess reflektiert. Als Zielvorstellung beschrieb Frau L. Gelassenheit/Vertrauen/Stabilität. Für sie gehörten die drei Begriffe zueinander. Das Eine bedingte das Andere und umgekehrt. Symbolisch wählte Frau L. vier Tiere, um sich selbst darzustellen. Das war ihr sehr wichtig. Welche Bedeutung diese Tiere für sie hatten, haben wir zu ermitteln versucht. Frau L. verband mit den einzelnen Tieren besondere Stärken, die ihr auf dem weiteren Weg zur Verfügung standen. Zu Beginn des Prozesses hatte Frau L. auf der Skala auf »2« gestanden mit der Tendenz, auf die »0« zurückzufallen. Frau L. hat überlegt, wie es dazu gekommen war, dass sie von der »2« auf die »5« gehen konnte:
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•• •• •• ••
Was war hilfreich gewesen? Wer hat sie unterstützt? Was hat sie selbst dazu beigetragen? Welche Wirkung konnte sie wahrnehmen bei sich und bei anderen?
Wesentliche Stichpunkte sind auf Moderationskarten festgehalten und neben die Bodenanker positioniert worden. Frau L.s Erleben auf der »5« haben wir »erwärmt«. Sie hat es in einer Körperhaltung zum Ausdruck gebracht und damit verankert (siehe Abbildung 3). Gegen Ende des Prozesses stand Frau L. fest auf der »5« mit dem Wunsch, nächste Schritte in Richtung »10« zu gehen. Einen ersten Schritt hat sie konkretisieren können. Das war Frau L. zu diesem Zeitpunkt genug. Sie war zufrieden mit dem, was sie sich erarbeitet hatte. Sie hat neue Sichtweisen gewonnen und sich neue Aufgaben gestellt, bei denen sie sich in der Lage sah, sie auch zu erfüllen. Damit war dieser Prozess für uns zu Ende. In der Auswertung wurde deutlich, dass sie nicht mehr daran dachte, an Depression erkrankt zu sein, dass sie jedoch in Sorge darum gewesen war. Sie fühlte sich nun in der Lage, diese Sorge beiseite zu legen. Frau L. erlebte sich wesentlich stabiler als zu Beginn der Begleitung. Sie hatte an Gelassenheit und Vertrauen in die Zukunft gewonnen und war gleichgültiger gegenüber Abwertungen ihrer Person geworden. Die Trauer wurde von ihr nicht mehr als Problem benannt. Die erlebten Verluste machten sie nur noch »normal« traurig, was in Ordnung war. Frau L. war es gelungen, schnell und leicht in spürbaren Kontakt mit ihren Ressourcen zu kommen und ihren Trauerweg jenseits von »Depression« weiterzugehen. Dieses Fallbeispiel habe ich deshalb aufgeführt, weil es mir deutlich machte, dass Menschen, die glauben, an einer schweren depressiven Episode im Zuge eines Trauerprozesses zu leiden, unter Umständen »nur« sehr besorgt sind, dass es so ist, wie sie
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befürchten und/oder wie andere meinen, dass es so sein könnte, denn alle Zeichen deuten für sie darauf hin. Dennoch kann es auch ganz anders sein.
Abbildung 3: Zielaufstellung (Klaus Apitz)
III Von einer Trauernden, die schon vor dem Verlust depressive Verhaltensmuster bei sich wahrgenommen hat
Frau H. suchte um Trauerbegleitung nach, da sie sich mit ihrem Trauererleben nach dem plötzlichen Tod der Mutter in ihrem Leben nicht mehr zurechtfand. Sie fühlte sich einer Depression nahe. Zusehends schwand ihr Selbstwertgefühl. Im Zuge der Begleitung verdichtete sich die Ahnung, dass Frau H. schon vor dem Tod der Mutter Verhaltensweisen von ihr übernommen hatte, die ihr jedoch nicht gut taten. Sie isolierten sie wohl von ihrem früheren, sehr lebendigen Lebensgefühl. In der Trauer war nach meiner Wahrnehmung Frau H. sehr lebendig in ihren Reaktionen. Ihrem emotionalen Erleben konnte sie durchaus Ausdruck verleihen. Frau H. stellte ich die folgenden Fragen, um mit ihr den Trauerbegleitungsprozess zu reflektieren. Ihre Antworten sprechen für sich. FRAGE: Was war passiert? FRAU H.: Meine Mutter ist am 23.12.2015 auf der Hochzeit meiner
ältesten Schwester und dem Geburtstag meines Mannes auf der Tanzfläche plötzlich tot umgefallen. FRAGE: Wie haben Sie reagiert? FRAU H.: Wir haben noch versucht, sie zu reanimieren, doch als ich sah, dass sie unter sich gelassen hat, habe ich von ihr abgelassen … Ich wusste: Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, vor dem ich ein Leben lang Angst hatte … meine Mama ist tot, einfach weg! Von da an habe ich nur noch funktioniert. Am 24.12.2015 durften wir dann noch zum
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Bestatter, alles weitere regeln … gestern noch fröhlich getanzt, heute organisierst du die Beerdigung deiner Mutter. Das war alles so unwirklich. FRAGE: Wie haben Sie Ihre Trauer wahrgenommen? FRAU H.:
Schock In den ersten zwei Wochen stand ich total neben mir. Im Herzen wusste ich es doch schon sehr früh, dass Mama nicht mehr wiederkommt, aber mein Kopf wollte es nicht wahrhaben. Als die Beisetzung immer näher rückte, kam mir der Gedanke, selbst eine Rede zu halten, was ich eineinhalb Wochen zuvor niemals für möglich gehalten hätte. Aber ich wollte meiner Mutter die letzte Ehre erweisen und sie in Frieden gehen lassen, indem ich meine eigenen letzten Worte an sie richtete. Dies war für meinem Trauerprozess sehr wichtig: Einerseits konnte ich so die Situation (Mama ist tot und kommt nie mehr wieder) mehr und mehr realisieren und annehmen und andererseits wurde mir bewusst, wie stark ich doch selbst noch bei einem so heftigen Schicksalsschlag sein kann (diese Stärke, die nicht jeder hat, hat mir ja meine Mutter mit auf den Weg gegeben). Verlusterleben Der Tod meiner Mutter hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Wir hatten fast täglich telefoniert, und alle paar Wochen kam sie zu uns zu Besuch und blieb dann auch zwei bis sechs Wochen. Dieser enge Kontakt fehlte plötzlich. Es schmerzte, täglich auch an kleinen Dingen daran erinnert zu werden, dass Mama nicht mehr da ist. Irritationen und Rückzug Nach einigen Wochen merkte ich, dass meine Geschwister irgend wie schon wieder zurück ins Leben gefunden hatten. Ich dachte: Oh Schreck! Jetzt musst du aber auch mal wieder lachen, dein
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Bild bei »WhatsApp« ändern und wieder glücklich sein – und fertig. Aber das ging einfach nicht, und langsam dachte ich, ich sei nicht normal. Ich sollte doch wieder lachen und glücklich sein, doch es ging eher in die andere Richtung. Ich habe meinen Alltag nur noch schleppend erledigt bekommen. Ich hatte keine Kraft und Lebensfreude mehr. Es war alles zu viel. Ich wollte nicht mehr, alles war dunkel und trostlos. Doch meine Kinder waren ja noch da. Ich konnte nicht, wie ich es gerne gewollt hätte, mich einfach im Zimmer einschließen und mich unter der Bettdecke verkriechen. Also ging es weiter und weiter, und irgendwie habe ich mich so durch den Alltag geschummelt. Bekannte und Verwandte machten sich schon Sorgen und meinten, ich sollte doch mal zu einem Arzt oder Therapeuten gehen. Ich dachte selber schon, ich sei nicht normal. Das tiefe, tiefe Loch Und dann, einige Zeit später, kam das nächste tiefe, tiefe Loch: Ich zog mich mehr und mehr zurück, besonders von meinem Mann. Den Tag mit den »Kids« habe ich irgendwie hinbekommen, auch das Kochen und den Haushalt. Aber abends habe ich mich im Schlafzimmer verschanzt und wollte keinen mehr sehen oder hören. Dann stand plötzlich der Geburtstag meiner Tochter vor der Tür, und ich dachte: Wie soll ich den überleben? Ich will nicht! Aber gleichzeitig dachte ich, dass es doch der Geburtstag meiner Tochter ist. Das ist doch etwas Wunderschönes. Ich hatte Angst vor diesem Tag und den ganzen Leuten, die ich doch eigentlich gar nicht sehen wollte. FRAGE: Was war für Sie schwierig? FRAU H.: Erstens in den Alltag zurückzukehren. Zweitens die Trauer zu 100 Prozent anzunehmen – ich wollte doch wieder
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normal sein. Heute weiß ich jedoch, dass es nie wieder so sein wird wie früher. Drittens mich von meinen Geschwistern abzugrenzen und anzunehmen, dass jeder auf seine Art und Weise trauert. Viertens Hilfe anzunehmen. FRAGE: Wie war Ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter vor ihrem Tod? FRAU H.: Es war ein sehr herzliches und enges Verhältnis. Doch durch gewisse Erlebnisse aus der Kindheit habe ich mich ihr gegenüber auch oft verpflichtet gefühlt, und das hat sich dann nicht gut angefühlt. Ich stand öfters im Zwiespalt mit mir und fragte mich: Willst du deine Mutter jetzt zu Besuch haben, oder ist es eher das Pflichtbewusstsein, das dich dazu treibt, sie einzuladen? FRAGE: Was hat Sie bewegt, um Trauerbegleitung anzufragen, und in welcher Situation waren Sie da? FRAU H.: Ich war ganz unten am Boden. Tiefer ging nicht mehr. Ich dachte, ich hätte Depressionen. Ich wollte nicht mehr, alles war zu viel. Aber dann kam der Gedanke: Entweder gehst du jetzt dran kaputt, oder du willst wieder leben, lieben und es bunt um dich haben. Ich habe mich für die zweite Variante entschieden und um Trauerbegleitung gefragt. FRAGE: Was hat sich seitdem für Sie verändert? FRAU H.: Ich weiß, dass ich keine Angst darum haben muss, nicht normal zu sein. Meine Trauer ist normal, und ich darf alles fühlen, was da ist. Es ist gut so. Ich habe wieder zurück ins Leben gefunden und nehme meine Trauer zu 100 Prozent an, denn sie ist ein Teil von mir geworden. Ich stehe zu meiner Trauer. Sie darf sein. Ich habe angemessene Worte für meine Trauer gefunden. Ich habe Ideen bekommen, wie ich im Alltag mit meiner Trauer umgehen kann. Ich habe konkretere Vorstellungen entwickelt darüber, wie ich bevorstehende Ereignisse angehen kann, sodass sie nicht mehr so belastend sind. Allein wäre ich da nie drauf gekommen. Ich rede offen mit den »Kids« über meine Traurigkeit und dass sie sein darf, auch bei
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ihnen. Dass sie jederzeit traurig über den Verlust sein dürfen und auch darüber reden können, wenn Sie wollen. Dass auch ich immer wieder zeigen darf: Hey! Ich versuche mein Leben ohne Mama zu leben. Aber ich bin immer noch sehr traurig, dass sie nicht mehr da ist. Ich habe versucht, dem Tod meiner Mutter einen Sinn zu geben. Das halte ich mir dann von Zeit zu Zeit vor Augen, vor allem dann, wenn es wieder ganz »dolle« schmerzt. FRAGE: Welchen Unterschied gab es für Sie zwischen Trauerbegleitung und Therapie? FRAU H.: Es gibt für mich einen Unterschied zwischen Trauerbegleitung zu Hause und Therapie in der Kur. Es war schon sehr hilfreich, in der Kur jemanden zu haben, der einem zuhört und auch Tipps mit auf den Weg gibt. Ich muss dazu sagen, dass wir mehr in die familiäre Situation gegangen sind und über die Geschwister- und Partnerproblematik gesprochen haben. Die richtige hilfreiche Trauerbegleitung habe ich für mich zu Hause erleben dürfen. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals eine Trauerbegleitung bräuchte. Aber es gibt einfach Situationen im Leben, da ist es Gold wert, Personen an der Seite zu wissen, die einem Halt, Verständnis und Zuversicht geben und die mit einem zusammen Lösungsmöglichkeiten erarbeiten. Sie haben einfach einen anderen Blick auf die jeweilige Situation. Sie geben einem das Gefühl, nicht alleine zu sein und dass alles sein darf. Mir hat es gut getan, als ich hörte, dass die Trauer bis zu acht Jahren andauern kann. Denn ich dachte, ich müsste nach sechs Wochen schon wieder glücklich und munter sein. Für mich ist es auch sehr wichtig, nicht ständig meine Familie damit zu belasten, die mir wahrscheinlich eh nicht so weiterhelfen könnte wie eine Trauerbegleiterin, weil sie emotional mit mir verbunden ist.
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Was ich auch sehr hilfreich fand, war die Aussage, dass es in der Begleitung nicht darum gehen kann, meine Trauer wegzubekommen, sondern Wege zu finden, mit der Trauer besser umzugehen. Ich empfinde es so, dass ein Trauerprozess in der heutigen schnelllebigen Zeit ein Klotz am Bein ist. Schnell mal trauern, und dann geht das Leben aber bitte fröhlich weiter. Deswegen bin ich auch sehr dankbar, eine Trauerbegleiterin an meiner Seite zu haben, dass alles sein darf und muss und dass es viel Zeit braucht. Anders hätte ich es bestimmt schon unterdrückt und weitergemacht. Danke dafür! FRAGE: Wie erleben Sie Ihre Trauer heute? FRAU H.: Es ist immer noch sehr, sehr schmerzlich. Aber ich habe gelernt, Trauer zuzulassen und ihr Raum zu geben, sie aber auch zu steuern. Ich habe in den letzten Monaten gelernt, wieder lachen zu dürfen und mein Leben zu leben und andererseits auch traurig sein zu dürfen. Ich habe verstanden, dass Mama nicht mehr da ist, und spüre, dass ich sie unendlich vermisse. Es ist jedoch nicht mehr alles schwarz und schmerzlich, wenn ich an meine Mutter denke. Ich rede mit meinem Mann jetzt auch offener über meinen Zustand und meine Trauer. FRAGE: Was erhoffen Sie sich von der Zukunft? FRAU H.: Dass die fröhlichen Tage irgendwann wieder das Zepter in die Hand nehmen und überwiegen. Dass ich irgendwann mit einem Lächeln im Gesicht an meine Mama denken kann. Dass ich dann die schönen Momente vor Augen habe und dankbar bin. Dass die Bilder von dem belastenden Ereignis bei der Feier verblassen und dass die schönen Erinnerungen in den Vordergrund rücken. FRAGE: Wie haben Sie Ihre Mutter erlebt? FRAU H.: Meine Mutter habe ich als sehr fürsorglich, aufopfernd, warmherzig, ordnungsliebend, zurückhaltend, nachdenklich, teilweise traurig, organisiert, stark und gleichzeitig schwach wahrgenommen. Sie hat für ihre Kinder gelebt und ihren Part-
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ner in den Schatten gestellt. Mein Vater hatte, glaube ich, nie wirklich eine richtige Chance, Vater und Ehemann zu sein. Meine Mutter hat immer funktioniert und hat kaum Hilfe von anderen angenommen. Aus Erzählungen von ihr weiß ich noch, dass sie mal sagte: »Ich habe morgens meinen Haushalt gemacht, gekocht, und dann seid ihr schon aus Schule und Kiga gekommen, da war keine Zeit zum Rumjuckeln.« Sie hat für uns gelebt und sich total zurückgenommen. Vielleicht, weil sie durch Erlebnisse aus der Kindheit innerlich schon sehr kaputt war. Es war wenig Lebensfreude und Lebendigkeit in ihr zu spüren. Mit vier Kindern war immer viel zu tun, bis spät in die Nacht wurde gebügelt und genäht. Aber für sich hat meine Mutter nie etwas getan. Ich habe meine Mutter und meinen Vater in den neun Jahren, in denen er bei uns war, auch nie als Ehepaar wahrgenommen. Und als meine Mutter sich dann hat scheiden lassen und sie durch meinen Verkehrsunfall einen Polizisten kennengelernt hat, hat sie eine Heirat mit ihm abgelehnt, um ganz für uns da zu sein. FRAGE: Welche Wirkung hatte dies auf Sie? FRAU H.:
Übernahme der Muster Das hat sich bei mir eingeprägt. Ich habe damals viele Glaubenssätze meiner Mutter übernommen, denn das, was meine Mutter sagte, war Gesetz. Ich habe es mir dann zwischen dem neunten und zwölften Lebensjahr zur Aufgabe gemacht, meine Mutter glücklich zu machen. Und dass ich erst glücklich sein kann, wenn sie es ist. Als ich 2008 meinen heutigen Ehemann kennengelernt habe und wir 2010 unseren Sohn bekamen, sollte sich etwas davon wiederholen. Ich führte mit meinem Mann eine sehr innige und harmonische Beziehung auf allen Ebenen. Doch die Geburt unseres Sohnes Hannes veränderte mein ganzes Leben. Das habe ich
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aber erst viel später wahrgenommen. Ich zog mich mehr und mehr zurück von meinem Mann. Zärtlichkeiten und Umarmungen wurden immer seltener. Mein Sohn stand im Mittelpunkt meines Lebens. Ich war immer ein Mensch, der gerne und viel gelacht hat. Aber meine Lebensfreude und meine Liebe zum meinem Partner waren dann plötzlich verschwunden. Ich habe nur noch »funktioniert«. »Du bist jetzt Mutter und hast nur noch für das Kind da zu sein – wie deine Mama«, sagte ich mir. Irgendwie lief das auch viele Jahre so. Dann kam mit Emma noch ein kleiner Mensch zur Welt, der meine volle Aufmerksamkeit brauchte. »Bloß kein Spaß am Leben haben! Schon gar nicht mit dem Partner«, war damals meine Devise. So vergingen die Jahre voller Unzufriedenheit, mit wenig Lebensfreude, einer kühlen Partnerschaft und zwei Kindern, die ständig im Mittelpunkt standen. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich so nicht weitermachen möchte und dass dies hier nicht meine Wahrheit ist, aber ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Ich hatte mittlerweile so viele Muster und Lebenseinstellungen meiner Mutter übernommen, die gar nicht zu mir passten. Der Verlust als Chance Heute, fast zehn Monate nach dem plötzlichen Tod meiner Mutter, sehe ich ihren Tod als Chance für mich, doch noch meine eigene Wahrheit leben zu dürfen. Das macht das Ganze nicht leichter, weil ich oft denke, ich hätte meine Mutter doch so gerne an meiner Seite. Ich hätte es bestimmt auch mit ihr hinbekommen, meine eigene Wahrheit zu leben. Und wenn ich ehrlich zu mir bin, nein, ich hätte es nicht geschafft. Übernommene Glaubenssätze und das vorgelebte Leben sitzen so tief drin in mir, dass ich den schmerzlichen Verlust als Chance sehen darf. Der plötzliche und viel zu frühe Tod muss einen Sinn haben, sonst würde ich vielleicht doch dran kaputt gehen.
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Ich sehe es als Chance, meine Lebensfreude und Lebensenergie wieder ins Fließen zu bekommen und meiner Ehe den Respekt und die Liebe entgegenzubringen, die sie verdient hat. Auch wenn es ein langer Weg wird und ich meine Mutter zutiefst vermisse, weiß ich, dass ich es schaffen werde, Freude, Liebe, Mut, Gelassenheit, Gleichberechtigung, Lebensträume und Zufriedenheit zuzulassen und damit meine Wahrheit zu leben, um glücklich zu sein. Dann weiß ich, dass da oben auf einer Wolke meine Mutter sitzt und glücklich ist, dass ich den Lebenswillen und die Stärke hatte, diesen Weg zu gehen, den sie vielleicht so nie gehen konnte. Bedeutung der Mutter Was ich an meiner Mutter immer geschätzt habe, war die warmherzige Art, mit Kindern umzugehen, ihr Organisationstalent, ihre Bescheidenheit, ihr Kartoffelsalat und ihre Ordnungsliebe – das sind Dinge, die ich gerne lebendig halten möchte. Ihre Traurigkeit, die Wut und die Ablehnung Männern gegenüber, die teilweise fehlende Lebensfreude, die Ablehnung meinem Vater gegenüber, die unbewusste Dominanz in manchen Situationen, der stumme Schrei nach Aufmerksamkeit – das sind Dinge, die ich nicht behalten möchte, weil sie mich in meinem Weiterkommen blockieren würden. Das ist mir in der Trauerbegleitung deutlich geworden. In der Trauerbegleitung wurde sehr deutlich, dass vor allem die Intensität, mit der Frau H. ihre Trauer erlebte und zum Ausdruck brachte, sie in Kontakt mit dem Erleben von Gefühlen und körperlichen Wahrnehmungen brachte, die sie mit Lebensfreude assoziierte. Als Ressourcen vermochte sie diese eingeblendeten Wahrnehmungen in Richtung Veränderung zu nutzen, um dann wieder ein Leben mit Trauer und mit Lebenslust zu leben. Ein lebendiges Leben.
IV Von einer Trauernden, bei der sich Depression neben Trauer gezeigt hat
Anfrage und Angebot Frau L., 72 Jahre alt, kam vier Monate nach dem Tod ihres Mannes in die Trauerbegleitung. Ihr Hausarzt hatte ihr Trauerbegleitung zur Unterstützung in den folgenden Zeiten der Trauer empfohlen. Sie hatte ihren krebskranken Mann drei Jahre zu Hause gepflegt, in der letzten Zeit mit Unterstützung des ambulanten palliativen Pflegedienstes. Eine Verlegung in das örtlich nahegelegene Hospiz beschrieb sie als entlastend, da sie nachts die stationäre Versorgung ihres Mannes beruhigte. Sie empfand die Begleitung im Hospiz in den letzten gemeinsamen Tagen mit ihrem Mann sehr hilfreich und fühlte sich angenommen, auch in ihrem Abschiedsschmerz. Sie konnte sich zusammen mit ihrem Sohn und seiner Familie ausreichend verabschieden. Sie suchte Trauerbegleitung auf, weil sie sich im Alltag allein und einsam fühlte. Das kannte sie so nicht von sich. Sie kam sich hilflos vor und fühlte sich dem Chaos der Gefühle ausgeliefert. Sie wollte wissen, ob das alles noch normal sei in ihrer Trauer und wie ihr Leben denn nun ohne ihren verstorbenen Mann weitergehen könne. Sie seien doch schließlich 53 Jahre verheiratet gewesen. Ihr größtes Interesse war, sich mit anderen Trauernden austauschen zu können, um auch dort zu erfahren, wie andere Betroffene mit solch einem schmerzlichen Verlust umgehen.
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Trauergruppe So kam sie in die zwei Wochen später startende Trauergruppe. Dort trafen sich sechs Witwen, die ihre Ehemänner durch unterschiedliche Todesarten verloren hatten. Beim ersten Gruppentreffen lernten sich die Teilnehmenden kennen, hörten sich aufmerksam zu und teilten sich vorsichtig, aber auch offen mit. Frau L. beteiligte sich rege, weinte zwischendurch mal haltlos und fing sich dann wieder. Beim zweiten Gruppentreffen ging es um die Beziehung zum Verstorbenen. Jede Teilnehmende brachte ein Symbol mit, das ihre persönliche Trauer ausdrückte, und konnte so aus dem gemeinsamen Leben und der Bedeutung der Beziehung zum Verstorbenen erzählen. Frau L. hatte auch ein Symbol mitgebracht. Sie erzählte, dass sie ihren Mann mit 19 Jahren kennengelernt hatte und nach der Hochzeit mit ihm aus dem Elternhaus in eine gemeinsame Wohnung gezogen war. Plötzlich hielt sie inne, wirkte wie abwesend und berichtete nach einer Weile mit weinerlicher Stimme, wie schön doch alles gewesen sei. Sie hätten alles gemeinsam gemacht, den Hof versorgt, den Sohn großgezogen und wären gemeinsam in die Kirche zur Messe gegangen. Sie hätten sich beide genügt. Einen Freundeskreis hätten sie sich nicht aufgebaut. Der Kontakt zu den Nachbarn sei freundlich gewesen. Sie sei mit ihrem Mann ganz eng beieinander gewesen, und jetzt konnte sie es einfach nicht begreifen, dass er sie verlassen hatte. Sie begann fast zu »jammern«. Die anderen Gruppenteilnehmenden fragten vorsichtig nach, ob sie denn auch mal etwas für sich alleine gemacht habe, zum Beispiel Kaffee trinken mit den Frauen aus dem Dorf oder so, und ob sie sich vorstellen könnte, jetzt mal etwas zu unternehmen, vielleicht sich zum Kaffeetrinken in der Stadt mit jemandem aus der Trauergruppe zu treffen. Sie meinte, sie sei zu ängstlich, um von zu Hause wegzugehen. Sie versorge nur den Garten und ihre Woh-
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nung. Ansonsten komme einmal in der Woche ihr Sohn rein oder ab und zu ihre Enkeltochter. Beim dritten Gruppentreffen wirkte Frau L. wie versteinert. Sie teilte der Gruppe mit, dass sie nicht mehr weinen könne, abends um 19 Uhr ins Bett gehe, kein Fernsehen mehr schaue und auch nichts mehr für sich koche und nur ab und zu zum Kaffee ein Brötchen oder eine Schnitte Brot esse. Sie habe schon abgenommen. Morgens erwache sie früh, habe aber schon bis zum Mittag keine Kraft, um irgendetwas zu tun, weder im Haushalt noch im Garten. Nachbarn seien zwar reingekommen, aber sie habe sich nicht über deren Besuch gefreut, sondern habe ihn als lästig empfunden. Ich fragte sie, wie sie sich im Moment in der Gruppe fühle, wo sie gerade der Gruppe ihre Befindlichkeit schilderte. Sie fühlte sich von der Gruppe angenommen, weil sie von niemandem bewertet wurde. Eine Teilnehmende fragte sie, ob sie schon mal an eine Depression gedacht hätte. Ja, das habe sie, antwortete sie, aber sie habe Angst vor der Diagnose. Eine andere Teilnehmende sagte ihr, dass sie depressionserfahren sei, dass sie sich damals Hilfe von außen geholt habe und dass Depression geheilt werden könne. Frau L. schaute diese Teilnehmende sehr lange und intensiv an. Frau L. blieb, zwar still, aber doch mit gewisser Aufmerksamkeit, in der Gruppenstunde dabei und meinte zum Schluss dieses Treffens, sie werde aber erst einmal nur zu ihrem Hausarzt gehen. Ich bestätigte ihr, dass das der erste Schritt sei, um die Diagnose Depression abzuklären. Einige Teilnehmerinnen ermutigten sie zu diesem Schritt.
Fragen Nach dieser Sitzung stellte sich mir die Frage: »Was war passiert?« Hatte Frau L. in ihrer Trauer eine depressive Reaktion oder hatte sie vielmehr Symptome einer Depression?
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Depression ist eine Diagnose, die nur ein Arzt stellen und behandeln kann. Frau L.s Vorhaben, nun zum Arzt zu gehen, wurde durch die Gruppensituation unterstützt. Mir kam der Gedanke, ob Frau L. vielleicht auch an Suizid gedacht hatte. Das Thema Suizidalität stand für mich im Raum und damit auch die Frage, wie ich Frau L. hilfreich sein könnte. Welche Verantwortung hatte ich zu übernehmen? Ich rief Frau L. am nächsten Tag an und fragte sie, wie sie nach Hause gekommen sei und wie die Nacht für sie gewesen sei. Frau L. war gut nach Hause gekommen und hatte schon für übermorgen einen Termin beim Hausarzt gemacht. Ich fragte nach, wie denn das gestrige Trauergruppentreffen für sie gewesen sei. Frau L. erzählte, dass sie niemanden habe, mit dem sie darüber reden könne. Es sei eine große Anstrengung für sie gewesen, sich mitzuteilen, denn sie schäme sich auch wegen ihres Zustands. Sie könne sich selber nicht mehr verstehen. Ich bot ihr neben der Trauergruppe zusätzlich Einzelbegleitung an, sofern sie das wolle. Sie nahm dieses Angebot an und bedankte sich mehrmals für das Telefonat. Beim vierten Trauergruppentreffen konnte Frau L. nicht teilnehmen. Sie sagte, sie habe keine Kraft mehr zu kommen, und wolle dann wiederkommen, wenn sie dazu in der Lage sei. Sie bat mich, dies der Trauergruppe mitzuteilen und alle zu grüßen.
Einzelbegleitung In der Zwischenzeit kam Frau L. in Einzelbegleitung. In ihrem Trauerprozess wurde sie zunächst stabilisiert durch den Einsatz von Entspannungsübungen, Imaginationen und körperorientierten Verfahren. Ihr Hausarzt meinte, sie habe einen Erschöpfungszustand, eine sogenannte Erschöpfungsdepression, er verschreibe ihr Antidepressiva und gebe ihr eine Überweisung zur
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Psychotherapie mit. Frau L. sträubte sich jedoch, Antidepressiva zu nehmen, obwohl sie darüber informiert war, dass diese nicht abhängig machen. In den Stunden der Einzelbegleitung benannte sie ihre Ziele, nämlich dass sie sich anders, wieder besser fühlen möchte und dass der seelische Schmerz nicht mehr so weh tun solle. Sie hatte viele Verluste in ihrem Leben zu betrauern. Sie und ihr Mann hätten gerne mehr Kinder gehabt. Leider hatte sie zwei Fehlgeburten, aber dann kam ihr Sohn. Sie hatte vor sieben Jahren ihre Eltern beide innerhalb eines Jahres verloren. Mit dem Tod ihres Mannes waren alle weggestorben. Hier kumulierten die späte Trauer um die verlorenen Schwangerschaften, die Trauer um den Verlust ihrer Eltern und die Trauer um den Verlust ihres Mannes. Frau L. konnte sich in der Trauerbegleitung ihre Verluste noch einmal bewusst machen. Sie konnte anschauen und benennen, was ihr bei der Bewältigung geholfen und was ihr gefehlt hatte. Sie erkannte, dass sie immer weitergearbeitet hatte, für alle anderen da gewesen war und gut funktioniert hatte. Durch die Trauerbegleitung erfuhr sie Unterstützung, um für sich Möglichkeiten zur Bewältigung fehlender Abschiede zu entwickeln. So überbrückte sie sinnvoll die Zeit, bis sie einen Platz bei einer Psychotherapeutin bekam.
Einzelbegleitung, Trauergruppe und Psychotherapie Frau L. nahm an der sechsten Trauergruppenstunde teil. Bei diesem Treffen ging es um das Thema Rituale, um das Gestalten von Gedenktagen und das Sammeln und Benennen von eigenen Ressourcen. Die Trauergruppe freute sich, dass Frau L. wieder teilnahm. Sie berichtete der Gruppe, dass sie die Diagnose Depression bekommen hatte. Sie war in Psychotherapie, aber das hatte sie nicht als gut für sich empfunden. Eine Teilnehmende
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fragte, was denn nicht gut gewesen sei, sie könne doch noch die weiteren vier Probestunden erst einmal abwarten und sich dann entscheiden. Frau L. meinte, dass das ganz anders als hier in der Gruppe sei, konnte es aber nicht genau mit Worten beschreiben. Sie meinte, die Gruppe sei warmherziger, nicht so streng, und hier schaue auch keiner auf die Uhr. Ich erklärte kurz anhand des Settings den Unterschied von Psychotherapie und Trauerbegleitung. Beim Thema Rituale war Frau L. ganz dabei, ging es doch auf Weihnachten und den Jahreswechsel zu. Das gemeinsame Thema in der Trauergruppe lautete daher: »mein erstes Weihnachten und Silvester ohne dich«. Zwischen den Jahren kam Frau L. zur Einzelbegleitung. Sie war froh, dass es in dieser für sie kritischen Zeit ein Angebot der persönlichen Begleitung gab. Ihr nächster Psychotherapietermin war erst Ende Januar. Sie beschrieb ihren hohen Leidensdruck, der sich in tiefster Verzweiflung und starkem Sehnen nach ihrem Mann ausdrückte. Wir überlegten gemeinsam, ob vielleicht doch ein Antidepressivum vorübergehend Linderung bringen und den Trauerprozess unterstützen könnte. Zu überlegen wäre auch eine Rehabilitationsmaßnahme für sie, in der sie mal ganz woanders wäre und in Gemeinschaft, wohl bedenkend, dass sie ja im Moment ihre Alltagsstrukturen brauche, um sich sicher zu fühlen und um den Tag zu strukturieren. Ich erzählte ihr von einer Selbsthilfegruppe für Menschen mit Depression. Das sprach Frau L. an. Sie wusste ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob sie sich outen wollte und könnte, weil sie Stigmatisierungen ihrer Umgebung befürchtete. Wir überlegten gemeinsam, wie es mit all den Angeboten im Neuen Jahr weitergehen könne, damit es nicht zu viel für sie würde. Sie wollte die vier probatorischen Psychotherapiesitzungen wahrnehmen und die Selbsthilfegruppe für Menschen mit Depression besuchen. In der siebten Trauergruppenstunde wurde von Weihnachten und dem Jahreswechsel erzählt, wie es war und dass es nicht so
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»schlimm« gewesen sei wie befürchtet, wohl aber auch sehr, sehr schmerzhaft. Einige Trauergruppenmitglieder hatten sich sogar an den Festtagen angerufen und sich telefonisch unterstützt. Frau L. berichtete, dass sie bei ihrem Sohn und seiner Familie war und dass sie sich sogar wohl gefühlt habe, denn es wurde an ihren Mann, den Vater und den Großvater, also an den Verstorbenen gedacht. Sie hatte sich in dieser Atmosphäre getraut, die Diagnose ihrer Depression mitzuteilen. Die Familie ihres Sohnes stand zu ihr und sagte ihr Unterstützung zu. Das habe ihr geholfen, selbst die Diagnose Depression anzunehmen. Die Teilnehmerinnen der Trauergruppe waren sehr berührt, ermutigten sie weiterzumachen und waren gespannt, was sie von der Selbsthilfegruppe für Menschen mit Depression erzählen würde. Die Trauergruppe hatte sich für das achte Treffen das Thema Umgang mit Schuldgefühlen gewünscht. Frau L. fühlte sich nicht schuldig am Tod ihres Mannes. Sie sagte, sie sei eher »im Reinen«, und meinte, alles getan zu haben, bis zur Erschöpfung. Hier reflektierte ich mit ihr, dass sie, wenn auch unbewusst, für sich und ihren Mann gesorgt hatte, indem sie stationäre Unterstützung genutzt hatte. Denn dort, im Hospiz, hätten Frau L. und ihr Mann Gemeinschaft erlebt, wenn auch mit wildfremden Menschen. Frau L. entdeckte, dass sie durchaus in der Lage sein konnte, gute und angemessene Lösungen zu finden, wenn es nötig war. Sie kam in Kontakt mit einer für sie wesentlichen Ressource und eroberte sich damit einen hilfreichen Trittstein, den sie in ihrem Trauerprozess nutzen konnte. Frau L. berichtete zwischenzeitlich in der Einzelbegleitung, dass ihr Hausarzt ihr wegen der Depression eine Rehabilitationsmaßnahme in einer psychosomatischen Klinik empfohlen hatte und dass der Antrag gestellt war. Inzwischen habe sie doch Vertrauen zu der Psychotherapeutin gefasst und wollte dort weitermachen. Antidepressiva lehnte sie aber weiterhin ab. Zwar habe sie oft diese depressiven Reaktionen, die sie auch genau mitbe-
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komme. Dann sei sie wie erstarrt. Anschließend wechsele sie aber auch wieder in einen Zustand, in dem ihre heftigen Gefühle mit einer Wucht und einem so unerträglichem Schmerz ausbrächen, dass sie am liebsten davor fliehen würde. Manchmal, wenn sie so gar keinen Antrieb und keine Kraft zur Alltagsbewältigung verspürte, falle sie in das Verhaltensmuster der Depression, so wie sie es im dritten Trauergruppentreffen beschrieben hatte.
Selbsthilfegruppe und Rehabilitationsmaßnahme im Anschluss an die Trauergruppe Beim neunten Trauergruppentreffen fehlte Frau L., da sie an der Selbsthilfegruppe für Menschen mit Depression teilnahm. Danach war Frau L. für sechs Wochen in einer Rehabilitationsklinik.
Weiterer Verlauf Inzwischen war die Trauergruppe nach zehn Treffen abgeschlossen. Frau L. kam zum Nachtreffen, welches sechs Wochen nach Abschluss der Trauergruppe stattfand. Sie war dankbar dafür, dass sie wieder in der vertrauten Trauergruppe war. Die Teilnehmenden erzählten, wie es bei ihnen inzwischen weitergegangen war. Frau L. berichtete von ihrem Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik. Dort gelang es ihr, für die Strukturierung ihres Alltags neue Möglichkeiten zu entwickeln. So fuhr sie jetzt jeden Sonntagnachmittag mit zwei Nachbarinnen, die auch verwitwet waren, zum Kaffeetrinken in die Stadt. Sie hatte die Zeit in der Rehabilitationsklinik sogar als »Auszeit« empfunden. Die Gemeinschaft dort hatte ihr geholfen. Nur das Nach-Hause-Kommen in das leere Haus war für sie zu schmerzhaft. Zu realisieren, dass ihr Mann
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nicht mehr da war, hatte ihr unendlich weh getan. Sie war wieder mehr in ihrer Depression. Frau L. kam noch zweimal in Einzelbegleitung. Wir überlegten gemeinsam den Abschluss von Trauerbegleitung, da sie sich in der Psychotherapie gut und sicher fühlte und ab und zu in die Selbsthilfegruppe für Menschen mit Depression ging. Zum Abschluss reflektierte Frau L. ihren eigenen Trauerweg. Sie meinte, dass sie ihr Ziel noch nicht erreicht habe. Sie fühle ihren Schmerz unverändert. Auf der Skala stand sie auf der »8«. Sie beschrieb aber auch, dass sie sich nicht mehr selber so bedauere, manchmal auch Dankbarkeit für die Zeit mit ihrem Mann empfinden konnte und sich der Weg zu ihren Zielen geändert habe. Frau L. beschrieb ihre Strategie so, dass sie gelernt hatte, die Depression anzunehmen, weil sie um die anderen Zeiten, nämlich der Trauer, wisse. Sie kannte den Unterschied zwischen Depression und Trauer. Ihre große Hoffnung war, dass die Depression zurücktreten würde. Besonders habe ihr die Trauergruppe geholfen, denn da habe sie sich sicher und geborgen gefühlt und letztendlich hätten die anderen sie in ihrer Depression ausgehalten. Auch die Einzelbegleitungen zwischen den einzelnen Trauergruppentreffen hätten sie stabilisiert und ihr Mut gemacht. Sie wünschte sich ein Treffen in der Trauerbegleitung in einem halben Jahr, weil dann der erste Todestag ihres Mannes vorbei sei, und sie hoffte, dass sich in ihrem Leben Veränderungen einstellen würden bezüglich ihres Leidens am Verlust ihres Mannes und der Beziehung zu ihrem Mann über seinen Tod hinaus. Beim Nachtreffen wirkte Frau L. gelöst. Sie berichtete, dass sie mithilfe der Psychotherapeutin einen Rahmen für eine regel mäßige Auseinandersetzung mit sich selbst und eine Hinführung zu den krankmachenden Themen gefunden hatte. Sie hatte sich in der Selbsthilfegruppe informiert, über die Krankheit gelesen und mit den anderen Teilnehmenden der Selbsthilfegruppe kom-
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muniziert. So wuchs ihr Verständnis dafür, was da in ihr selber passierte. Alles, was die Arbeit an ihr selbst unterstützte, erforderte zunächst einmal, aus der passiven Haltung herauszugehen und aktiv zu werden. Ganz langsam entwickelte sie ein eigenes Empfinden dafür, sich selbst etwas Gutes zu tun, auf ihr Seelenheil zu achten und gut mit ihrem Körper umzugehen. Bei Rückfällen unterstützte ihre Psychotherapeutin sie bei deren Überwindung, sodass sie begann, sich zu stabilisieren und zu festigen. Ziel der Therapie war, dass ihr Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen gestärkt wurden und dass sie aus einer depressiven Reaktion, welche sie haben konnte und durfte, auch wieder herausfand. Anstrengend empfand sie allerdings noch, eine gesunde Lebensführung einzuhalten und achtsam mit sich umzugehen. Sie lehnte nach wie vor die medikamentöse Therapie mit Antidepressiva ab. Bei der erforderlichen Veränderung der Denkweise und Lebensführung wurde ihr Wille, die neu gewonnenen Erkenntnisse auch tatsächlich in die Realität umzusetzen, durch die Psychotherapie unterstützt, denn letztendlich galt für sie, aus dem depressiven Kreislauf auszusteigen. Sie beschrieb sich selber so, dass die Depression ungefragt komme und da sei und dass sie nichts dagegen tun könne. Sie meinte, dass die Depression in ihrer Trauer lauere. Ihren seelischen Schmerz bewertete sie hoch, jedoch nicht anhaltend, eher kämen die Gefühle jetzt wie in Wellen, manchmal noch sehr heftig. Sie fühlte ihre Bindung zu ihrem Mann noch eng, sei aber überrascht, dass die Zeiträume, wo sie nicht an ihren Mann denke, fast unmerklich, doch ein ganz klein wenig größer geworden seien. Ich machte ihr Mut, auf diesem Weg weiterzugehen. Frau L. fühlte sich in der Psychotherapie auch in ihrer Trauer gesehen. Sie wollte in Kontakt mit mir bleiben. Damit sie sich nicht überforderte, wünschte sie sich einen weiteren Termin in drei Monaten, wohlwissend, dass sie jederzeit anrufen könnte. Sie erlebte die Behandlung der Depression als Unterstützung
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und Förderung in ihrem Trauerprozess. Sie fragte sich, ob ihre Depression eine Funktion in ihrem Trauerprozess gehabt haben könnte. Mithilfe ihrer Psychotherapeutin fand sie für sich heraus, welche Bedeutung hinter ihrem Leiden und manchmal auch hinter den erlittenen Qualen stand und dass ihre Depression vielleicht eine Chance gewesen war: Das »erzwungene Innehalten« gab ihr die Möglichkeit, zu begreifen, dass sie ihre Belastungsgrenzen nicht mehr gespürt hatte. Sie wurde durch den Zustand der völligen Lähmung in ihrer Depression aus diesem belastenden Kreislauf herausgenommen. Sie glaubte, dass sie in dieser Botschaft eine tiefere Sinnhaftigkeit ihrer Depression sehe. Davon erzählte sie in der Trauerbegleitung. Das Hinterfragen und die geduldige Arbeit der Psychotherapeutin hatten ihr geholfen, sich und ihr Leben besser zu verstehen, eben anders, zusammenhängend. Sie nahm wahr, dass es mit ihr bergauf ging. Abschließend fanden wir heraus, dass ihre Willenskraft, die sie von ihrer Mutter hatte, ihre wichtigste Ressource war. Sie bekam ein Bewusstsein für ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Für mich als Trauerbegleiterin war die Klärung hilfreich, welche Verantwortung ich in meiner Rolle übernehmen konnte. Frau L. habe ich in ihrem Trauerprozess weiter unterstützen können. Die Verantwortung für die Behandlung ihrer Depression habe ich bei ihr gelassen. Gemeinsam mit ihr habe ich medizinische und therapeutische Angebote als weitere Unterstützungsmöglichkeiten überlegt. Sie selber hat für sich entschieden, welche sie davon nutzen wollte. Diese Klärung hat mir in meiner Rolle Sicherheit gegeben, dank derer ich den Prozess gut und leicht weiter begleiten konnte.
Dritter Teil: Methoden
I Hilfreiche Ansätze in der Trauerbegleitung
Wenn wir im folgenden Abschnitt Methoden beschreiben, die wir als hilfreich erleben, möchten wir nicht unerwähnt lassen, dass wir in Begleitungen nicht nur mit Methoden arbeiten, wie die Fallbesprechungen und der Methodenteil vielleicht vermuten lassen. Mit unserer Offenheit lassen wir uns auf das Bild ein, das die Trauernden von ihrer Wirklichkeit gezeichnet haben. Mit Empathie fühlen wir uns in ihr Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln ein und begegnen ihnen mit Verständnis, Respekt und Wertschätzung. Das empathische Sich-Einlassen auf das Trauererleben des Trauernden, auf die Wahrnehmung seiner Wirklichkeit und auf sein Erleben des Verlustes sowie der Aufbau einer vertrauensvollen, wertschätzenden Beziehung sind unbedingte Voraussetzung für weiteres methodisches Vorgehen. Wir nehmen die Fragen und Themen Trauernder ernst, greifen ihre Sehnsucht nach Veränderung auf und sehen ihre Zielvorstellungen als für uns leitend an, weil sie am ehesten wissen, was hilfreich für sie ist. Gemeinsam mit den Trauernden überlegen wir, welche Schritte sie weiter gehen können, und sehen es als unsere Aufgabe an, die in ihnen ruhenden Kräfte lebendiger werden zu lassen, ihre Ressourcen neu zu erwärmen und sie in ihrer Resilienz zu stärken. Genau dazu setzen wir Methoden aus der systemischen und hypnosystemischen Beratungsarbeit ein. Wir mussten uns auf
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die Methoden beschränken, die wir als besonders hilfreich erlebt haben und die auch in unseren Fallgeschichten vorkommen (weitere systemische Methoden siehe Rechenberg-Winter u. Fischinger, 2010; hypnosystemische Fragen und Imaginationen siehe Kachler, 2014).
II Methoden
Hypnosystemische Methoden Imagination eines inneren sicheren Ortes und Aufbau einer Steuerposition
Diese Methode eignet sich zur Stabilisierung des Trauernden. •• Sie unterstützt die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Kontrollfähigkeit. •• Sie dient der Wahrnehmung positiven Erlebens neben aller Trauer. •• Sie vermittelt Gefühle wie Halt und Geborgenheit. Der innere sichere Ort ist ein besonderer Ort, an dem der Trauernde sich geschützt und geborgen weiß. Hier fühlt er sich wohl. Hier kann er seiner Trauer nachgehen. Hier wird er nicht gestört. Hier kann er so sein, wie er möchte. An diesem Ort sind andere Menschen nur nach besonderer Einladung willkommen, auch die Verstorbenen. Einladung: 1. Ich nehme eine entspannte Position ein. Ich stelle mit beiden Fußsohlen einen sicheren Bodenkontakt her. Ich schließe meine Augen oder richte sie auf einen bestimmten Punkt im Raum. Ich lenke meine Aufmerksamkeit auf die »Haltepunkte«, zum Beispiel auf den Boden, der trägt, oder auf den Stuhl, der Halt gibt. Ich achte auf meinen Atemfluss.
106 Dritter Teil: Methoden
2. Ich sehe vor mir eine Landschaft, in der ich mich wohlfühle: –– Kenne ich sie schon von früher? Ist sie mir vertraut? –– Ist alles da, was ich brauche? –– Was ist mir für mein Gefühl an Sicherheit und Geborgenheit wichtig? Zum Beispiel Berge, Wasser, Meer, Fluss, See, eine grüne Fläche, Wiese, Wald, einzelne Bäume? –– Was noch? 3. Ich lasse mich an einer besonderen Stelle in dieser Landschaft nieder. –– Wie ist sie gestaltet? –– Was ist das Besondere? Ich bin an diesem Ort und fühle mich sicher, gehalten und geborgen. 4. Das Erleben von Sicherheit und Geborgenheit wird weiter entfaltet. –– Wie erlebe ich es? Welche körperliche Empfindung ruft es hervor? –– Mit welcher Farbe bringe ich es in Verbindung? –– Mit welcher Körperhaltung? Wie erlebe ich sie? 5. Dieser Raum, in dem ich mich sicher und gehalten erfahre, ist wie groß? Wie viel Platz habe ich um mich herum? Wie sieht dieser Raum aus? Wie ist er nach außen abgegrenzt? Wie oder womit ist dieser Raum so umgeben, dass Belastendes draußen bleibt? 6. Wie ist meine Körperhaltung in der Situation, in der ich mich unsicher und haltlos fühle? (dazu einladen, diese Körperhaltung einzunehmen) 7. Wie ist meine Körperhaltung in der Situation, in der ich mich sicher und gehalten erlebe? (wie in einer Gymnastik zwischen beiden Körperhaltungen mehrmals hin und her pendeln) 8. All das, was ich an Belastendem (Störfaktoren) ausgemacht habe, positioniere ich außerhalb des Steuerraumes, sei es
Methoden 107
in Form der Begleiterin oder künstlicher Stellvertreter wie Figuren, symbolische Gegenstände und anderes. 9. Mal angenommen, die Störfaktoren wollen in den inneren sicheren Ort eindringen: –– Wie verhindere ich diesen Angriff? –– Ich verweise die Störfaktoren energisch auf ihre Position jenseits meines Schutzraumes durch meine Körperhaltung, durch meine Bewegung, durch meinen Befehl oder durch ein Symbol. 10. Ich begebe mich wieder zurück an meine Stelle an diesem inneren sicheren Ort, an dem ich mich geborgen und gehalten weiß. 11. Ich nehme den Raum, den inneren sicheren Ort bewusst wahr und verabschiede mich von ihm. Ich weiß, ich kann jederzeit zu ihm zurückkehren. Immer dann, wenn ich das Bedürfnis nach Halt und Sicherheit erlebe. Dazu nehme ich mir die Zeit, die ich dazu brauche. 12. Ich bin wieder in meiner gewohnten Umgebung. Ich bewege die Zehen und Füße. Ich öffne die Augen, recke und strecke mich, atme tief durch und bin ganz da. Weitere Hinweise im Umgang mit der Methode: Diese Methode nutze ich auf unterschiedliche Weise. Ich habe sie als Imagination beschrieben. Wenn sich Trauernde damit schwer tun, sich auf eine »Übung« einzulassen, dann versuche ich über hypothetische Fragen, mich an einen »inneren Ort« heranzutasten, wie zum Beispiel: »Mal angenommen, es gibt einen Ort, an dem Sie sich … Wie könnte er aussehen?« Varianten: •• Es gibt auch Situationen, in denen ich bei der Beschreibung des Ortes stehenbleibe und keine Steuerposition aufbaue. Dann verwende ich mehr Zeit darauf, diesen Raum imaginär
108 Dritter Teil: Methoden
einzurichten unter der Verwendung von Symbolen, Farben, Kraftgegenständen usw. Ich lade ein, die Atmosphäre und die Stimmung, die in dem Raum sind, wahrzunehmen. Das Erleben von Schutz und Halt darf aufgenommen und mit in den Alltag genommen werden. Der Trauernde hat immer wieder die Möglichkeit, an diesen besonderen Ort zurückzukehren. Abschließend bleibt die Möglichkeit, diesen Ort mit Farbe und Form in einem kreativen Prozess zu gestalten und sichtbar aufs Papier zu bringen. •• Alternativ verbleibe ich bei dem Erleben des Gefühls von Sicherheit, von Geborgenheit und des Gehaltenseins und rege an, es zu vertiefen und zu verankern. Ich lade den Trauernden dann dazu ein, seine Wahrnehmung in einer passenden Körperhaltung darzustellen. •• Manchmal nutze ich die Ich-Form wie angegeben. Manchmal nutze ich auch die Sie-Form und rede die zu Begleitenden damit konkret an. Verankerung eines positiven Gefühls oder Bildes im Körper
Über das intensive, verdichtete Erleben von positiven Bildern und Gefühlen erfährt die Trauer eine »andere Seite« als die, die von Einsamkeit, Hilflosigkeit und anderem geprägt ist. Indem Trauernden eine Möglichkeit gegeben wird, sich positives Erleben zur Seite zu stellen, fühlen sie sich der »dunklen Seite« der Trauer nicht mehr so hilflos ausgeliefert. Sie selbst können ihre Aufmerksamkeit mehr und mehr in Richtung positiven Erlebens fokussieren. Einladung: 1. Um welches Gefühl geht es? Was ist für Sie hilfreich, um es in Zukunft mehr in den Blick zu nehmen und zu erreichen?
Methoden 109
2. Welche Situation in der Vergangenheit gibt es, aus der Sie das Gefühl kennen? Wann haben Sie es schon einmal erlebt? Wie intensiv? Oder zumindest annähernd? 3. Wie war die Situation? Wer war beteiligt? Wie haben Sie die Situation erlebt? 4. An welcher Stelle im Körper nehmen Sie das Gefühl … genau wahr? (mit den Händen darstellen) 5. Das Gefühl, das Sie aus der Situation schon gut kennen und das Sie in Ihrem Körper so … wahrnehmen, da es sich dort … befindet: Wie groß ist es für Sie? (anzeigen lassen) 6. Welche Farbe geben Sie diesem Gefühl? (genau beschreiben lassen; vergleichbar mit …) 7. Das Gefühl …, das … (alles wiederholen), welche Konsistenz hat es? Vergleichbar mit …? 8. Welchen Geruch verströmt es? 9. Auf der Skala von 0 bis 10, wie intensiv verspüren Sie nun das gewünschte Gefühl, das … 10. Wenn es nicht intensiv wahr genommen wird, wozu macht es Sinn, dass Sie es auf der Skala bei … erleben? Was brauchen Sie, damit Sie es intensiver erleben? 11. Welches Symbol finden Sie für das Gefühl von …? (genau beschreiben oder aufmalen lassen) 12. Wie können Sie dieses Gefühl … zum Ausdruck bringen? Körperhaltung? Ton? Mimik? Das Gefühl … ist nun im Körper verankert. Es steht zur Verfügung in Zeiten, in denen Sie es brauchen. Sie können sich dieses Gefühl immer wieder vergegenwärtigen über die Erinnerung an das Symbol oder die Einnahme der Körperhaltung, gegebenenfalls in Verbindung mit der Visualisierung des Symbols und dem Hören des Tons.
110 Dritter Teil: Methoden
Imagination eines sicheren Ortes für Verstorbene
In vielen Kulturen gibt es die Vorstellung, dass die Verstorbenen an einem Ort weiterleben – wie auch immer dieser aussehen mag. Dies entspricht dem tiefen Bedürfnis von Trauernden, die Verstorbenen an einem sicheren Ort zu wissen und sie dort aufsuchen zu können. Haben Trauernde einen Ort vor Augen, der den Vorlieben der Verstorbenen entspricht, oder wünschen sie sich die Verstorbenen an einen solchen Ort, dann ahnen Trauernde sie in Sicherheit und Geborgenheit. Haben Trauernde diesen Ort so vor Augen, dass sie ihn konkret beschreiben können, sind sie in der Lage, diesen Ort immer wieder zu imaginieren, um die Verstorbenen dort aufzusuchen. Für das Gehirn spielt es keine Rolle, ob es diesen Ort in der Wirklichkeit gibt. Die hilfreiche Wirkung eines konkreten Bildes von diesem Ort ist für Trauernde entscheidend. Diese Wirkung darf therapeutisch genutzt werden. Folgende Fragen können leitend sein: •• Mal angenommen, es gibt ihn: einen Ort, an dem Sie sich Ihren verstorbenen … vorstellen können, einen Ort, der ihm gefallen würde, einen Ort, den Sie sich für ihn wünschen. Was wäre dies für ein Ort? In einem Haus? In einer Landschaft? Oder ganz woanders? Im transzendenten Bereich? •• Wie sähe dieser Ort aus? Wie könnten Sie ihn beschreiben? (möglichst so genau, dass wir eine konkrete Vorstellung davon bekommen) •• Wie groß ist dieser Ort? •• Welche Form würden Sie ihm geben? •• Wie ist er gestaltet und eingerichtet? •• Welche Farbe, denken Sie, hat er? •• Welchen Geruch würden Sie dort vermuten? •• Wie ist dieser Ort geschützt? •• Wer darf noch an diesem Ort sein?
Methoden 111
•• Gibt es ein Motto, das über diesen Ort verhängt ist? Das Lebensmotto Ihres Verstorbenen? •• Wenn Sie sich nun Ihren Verstorbenen an diesem Ort vorstellen, welche Wirkung hat das auf Sie? Welche Auswirkungen oder Folgen? Bezogen auf eine Landschaft wäre dementsprechend ein Landschaftsbild oder auch ein abstraktes Bild zu erfassen. Interview mit der dritten Person
Wenn Trauernde ihr Erleben schildern, bewerten sie sich mitunter negativ. Sie sind mit sich nicht zufrieden. Wieder einmal haben sie nicht das geschafft, was sie sich vorgenommen haben. Ihr Verhalten Freunden, Nachbarn und Familienangehörigen gegenüber lief anders, als sie es sich gewünscht haben. Trauernde mit depressiven Reaktionen neigen dazu, sich weiter zurückzuziehen. Die Wirkung der Selbstabwertung wird deutlich spürbar. Das Interview mit der »dritten Person« kann eingesetzt werden, wenn Trauernde zu sehr mit ihrem negativen, belastenden Erleben identifiziert sind. Mit dieser Methode gelingt es, Abstand zu gewinnen und sich mit anderem Erleben zu befassen. Darüber hinaus entdecken Trauernde womöglich ihr Selbstmitleid für sich in ihrer Situation. Selbstmitleid kann an die Stelle von Selbstabwertung treten. So sagt Christian Firus: »Selbstmitgefühl ist das Gegenteil einer – oft unbewussten – Selbstabwertung. […] Gerade jetzt, in einer Phase von Traurigkeit, Rückzug, eingeschränkter Lebensfreude und pessimistischer Sicht auf das Leben benötigen Menschen einen freundlichen Blick und einen mitfühlenden Umgang mit sich selbst. Gerade jetzt ist es notwendig, gut zu sich zu sein.« »Wie kann dies gelingen?« »Am Anfang geht es darum, das, was gerade ist, anzunehmen und zu akzeptieren. Denn wer Sorgen und Nöte oder auch
112 Dritter Teil: Methoden
depressive Gefühle bekämpft, kann beobachten, wie diese immer mehr und immer größer werden. […] die freundliche Annahme und Akzeptanz dieses momentanen Zustandes, dieser gegenwärtigen Verletzung der eigenen Seele, die am allermeisten einer liebevollen Umarmung und tröstender Worte bedarf. […] So paradox es erscheint, stößt die Abkehr von der Abwehr oftmals Veränderung an. Selbstmitgefühl bedeutet dann, die Person, die gerade diese scheußliche Depression durchleidet, freundlich in den Arm zu nehmen« (Firus, 2016, S. 88 ff.). Hilfreich kann es sein, Trauernde einzuladen, sich hinter einen Stuhl zu stellen, in der dritten Person das Anliegen des Trauernden zu erzählen und vor allem nicht auszulassen, wie er was erlebt und wie es sich für ihn anfühlt. Der Trauernde »Peter Müller«, der vor mir auf dem Stuhl sitzt, hat erlebt … Dann wird »Peter Müller« von der Trauerbegleiterin und von der dritten Person wertschätzend in den Blick genommen. Sie versuchen, sich auf der Metaebene in ihn einzufühlen, und sprechen ihm Respekt und Trost zu. »Peter Müller« spürt nach, welche Wirkungen dies bei ihm hinterlässt. In einer Art »Reflecting Team« entwickeln die Trauerbegleiterin und die dritte Person Hypothesen darüber, was »Peter Müller« brauchen könnte und was hilfreich für ihn wäre: •• Was könnte er tun? •• Wie könnten andere ihn unterstützen? •• Was wäre im Kontext hilfreich? Mal angenommen, die Situation hätte sich für »Peter Müller« verändert, welche Auswirkungen wären dann zu spüren? •• Für ihn? •• Für andere? •• Im Kontext?
Methoden 113
Systemische Methoden Zielfrage
Wenn Trauernde Ziele formulieren, können sie ihre Bedürfnisse und Wünsche in Worte fassen. Sie erfahren, dass sie ernst genommen werden und dass ihre Bedürfnisse Vorrang haben dürfen. Sie erleben auch, dass es auf sie selbst ankommt und dass sie sich dafür einsetzen können und müssen, damit ihren Bedürfnissen und Wünschen Rechnung getragen wird. Die Frage nach dem Ziel dient der Fokussierung auf Lösung und positive Veränderung. Kennzeichen einer Zielformulierung sind: •• Das Ziel wird positiv benannt. Oft wird zum Ausdruck gebracht, was nicht erwünscht ist. Dann ist eine Frage nach dem »Stattdessen« hilfreich, um in positiven Bahnen zu denken. •• Das Ziel wird möglichst konkret gefasst. Damit wird es anschaubar. •• Das Ziel ist erreichbar dank des eigenen Beitrags. •• Das Ziel sollte im Hier und Jetzt erreichbar sein. •• Das Erreichen des Zieles hat eine positive Wirkung auf sich und andere. Die Erarbeitung von erreichbaren Zielen kann für Trauernde schwere und ungewöhnliche Arbeit bedeuten. Ich setze die Zielfrage dann ein, wenn Trauernde Bereitschaft zeigen, in Richtung Veränderung zu gehen. So, wie bisher darf/ kann/soll es nicht weitergehen. Mit der Zielerarbeitung können kleinere, überschaubare Ziele verfolgt (für die Stunde der Trauerbegleitung, für eine Strukturierung der Woche oder des Tages) oder auch Spuren in die Zukunft gebahnt werden (Was möchte ich bis wann erledigt haben, um … irgendwann welche Wirkung zu erreichen?). Folgende Fragen unterstützen die Zielerarbeitung:
114 Dritter Teil: Methoden
•• Was wünschen Sie sich anders? Welche Vorstellung haben Sie davon, wie »anders« aussehen könnte? •• Was wird ein gutes Ergebnis für Sie sein? Nach dieser Stunde? Nach dem Prozess? Nachdem Sie …? •• Angenommen Sie haben das … erreicht, das für Sie hilfreich ist, Sinn macht, …, woran würden Sie das merken? Zum Beispiel heute Abend? •• Was wird dann konkret anders sein? •• Wer merkt was davon? Wer noch? Woran? •• Wer merkt noch, dass Sie einer guten Lösung näher kommen? Wenn die Zielfrage nicht hilfreich ist und Trauernde zu sehr irritiert, nähere ich mich mit der »Wunderfrage« einem Erleben von »anders als jetzt«. Damit beschäftigen sich Trauernde nicht mehr nur mit ihren jetzigen Gefühlen und Gedanken, sondern richten ihren Blick auf Veränderung, die nach einer intensiven Trauerzeit auch sein darf. Wunderfrage
Wunderfragen eignen sich dazu, in Richtung Veränderung zu denken, ohne dass eine Zielvorstellung greifbar ist. Angenommen, Sie gehen heute Abend wie gewöhnlich zu Bett, und während Sie schlafen, geschieht ein Wunder. Das Wunder besteht darin, dass die Probleme, von denen Sie mir erzählt haben, gelöst sind. Nur, Sie haben geschlafen, und so wissen Sie nicht gleich, dass sie gelöst sind und wie dieses Wunder geschehen konnte. •• Was denken Sie, ist am Morgen anders? •• Was könnte Ihnen sagen: Die Dinge stehen besser? •• Was wäre das Erste, was Sie bemerken würden, was anders wäre, sodass Sie glauben, ein Wunder muss geschehen sein? •• Wer würde wie darauf reagieren? •• Welche Wirkung hätte es bei wem zuerst? Und dann?
Methoden 115
•• Was noch? Wie wäre das für Sie? •• Was noch? •• Entwicklung und Ausmalung eines Wunderbildes … •• Gibt es Zeiten in den letzten zwei Wochen, die so ähnlich wären wie heute Morgen, nachdem das Wunder geschehen ist? Erzählen Sie davon. (möglichst genau beschreiben lassen) •• Wie geschah das alles? •• Was hat es möglich gemacht? •• Was haben Sie dazu beigetragen? (genau erfragen, bestätigen, Komplimente machen, Ressourcen verbalisieren und bestärken) •• Auf der Skala von 0 bis 10: Wie groß ist Ihr Zutrauen, dass Sie in der kommenden Woche noch einen Ausnahmetag erleben, sodass er wie ein Wunder ist? •• Was können Sie dazu tun? Skalierung von 0 bis 10
Die Skalierung ist eine einfache Methode, die eingesetzt werden kann, um •• Wahrnehmungen aus der Sicht der Trauernden konkreter zu fassen, •• den Blick auf ein mögliches Ziel zu lenken, •• auf Veränderungswünsche zu achten, •• Veränderungen in den Blick zu nehmen, •• die Bedeutung des eigenen Beitrags zu erkennen, •• mit eigenen Ressourcen in Kontakt zu kommen, •• weitere Unterstützungsmöglichkeiten zu entdecken. Einzelne Schritte: •• Angenommen, es gibt ein(e) besondere(s) Anliegen/Thema/ Wahrnehmung, dann erarbeiten wir ein erwünschtes »Stattdessen«: Was soll anders sein? Was wäre eine gute Lösung? Welches Ziel möchten Sie erreichen?
116 Dritter Teil: Methoden
•• Was steht auf der 0 (soll nicht sein), und was steht auf der 10 (besonders wünschenswert)? •• Auf der Skala von 1–10: Wo erleben Sie sich in puncto des »…« jetzt im Moment? Auf welcher Ziffer stehen Sie? Wie erleben Sie sich da? Was ist gut? Was ist weniger gut? Welche Wirkung hätte es, auf der Ziffer … stehen zu bleiben? •• Wo werden Sie wann stehen wollen? Wie wird es dort sein? Welche Wirkung hat es auf Sie? Auf wen noch? •• Was haben Sie getan, um nicht auf der 0 zu landen? •• Was können Sie davon nutzen, um auf der Skala einen Schritt weiterzugehen? Was noch? •• Was kann im schlimmsten Fall passieren? •• Mal angenommen, wir treffen uns in einer Woche wieder, was können Sie mir erzählen, was Sie bis dahin unternommen haben? Um die Skalierung intensiver zu nutzen, setze ich Bodenanker ein, das heißt, die einzelnen Ziffern sind auf Moderationskarten geschrieben und wie eine Skala im Raum ausgelegt. Trauernde werden eingeladen, sich zu den jeweils passenden Ziffern zu stellen. Verstärkend können zu den Ziffern passende Symbole gelegt werden. Trauernde, die körperorientiert arbeiten möchten, nehmen eine für ihr Erleben angemessene Körperhaltung auf den Bodenankern ein. Dadurch kann positives Erleben im Körper geankert werden und steht bei Bedarf zur Verfügung. Tetralemma
Mithilfe des Tetralemmas können sich Entscheidungssituationen klären. Festgefahrene Dilemmata lassen sich auf einer Meta ebene anschaulich darstellen und reflektieren. Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer (2010) beschreiben in ihrem Buch »Systemische Interventionen« das Tetra-
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lemma neben anderen systemischen Interventionen in der Beratungsarbeit wie folgt: »Das ›Tetralemma‹ […] ist eine Form der Aufstellung, die darauf abzielt, eine Erstarrung im Denken in Dilemma-Situationen zu überwinden. […] Wie schon der Name vorgibt, lassen sich im Tetralemma vier Positionen beschreiben. Die für einen Ambivalenzkonflikt kennzeichnenden beiden Positionen ›das Eine‹ oder ›das Andere‹ werden um zwei weitere Positionen erweitert: ›Beides‹ oder ›Keines von beidem‹. Sie werden später noch um eine fünfte ergänzt, die außerhalb des Rahmens steht: das ›Freie Element‹ oder auch genannt als das ›Alldiesnichtundauchdasnicht‹« (von Schlippe u. Schweitzer, 2010, S. 74 f.). Der Aufsteller beschreibt zunächst, auf welches Ziel hin er diesen Konflikt für sich lösen möchte. Die Aufstellung erfolgt in einer Gruppe durch Positionierung von ausgewählten Gruppenteilnehmern im Sinne von Stellvertretern der einzelnen Positionen. In der Einzelberatung können aber auch Figuren, Symbole oder Bodenanker aufgestellt werden. Die fünf Positionen sind wie folgt bezeichnet. Sie werden vom Ratsuchenden wie in der Aufstellung nacheinander als ein Bild im Raum gestellt: •• Der Fokus: Zunächst wird ein Stellvertreter (für die eigene Person) im Raum platziert, also derjenige, der sich im Konflikt befindet und nach einer Lösung sucht. •• Position 1: »Das Eine« ist die eine Seite des Ambivalenzkonfliktes. •• Position 2: »Das Andere« kommt als Gegenposition ins Spiel. Es ist die andere Seite des Dilemmas. Wichtig ist, darauf zu achten, das »Das Andere« nicht die Negation der Position 1 ist, sondern als Alternative formuliert ist. Im aufmerksamen Experimentieren mit der Positionierung des Stellvertreters oder des Bodenankers werden bereits neue Sichtweisen möglich. •• Position 3: »Beides« ist die Position, in der bisher nicht gesehene Vereinbarkeiten ausprobiert werden. Dies kann auf
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vielfältige Art und Weise geschehen, etwa durch das Ent decken von Kompromissen, mit denen die Verbindung beider Gegensätze gelingt. Durch abwechselndes Einnehmen beider Positionen können Respekt und Achtung für die eine Position in die Entscheidung für die andere Position hineingenommen werden. •• Position 4: »Keines von beiden« führt in die Distanz zum Konflikt. Sie kann den Blick erweitern für die Frage, wofür der Konflikt bislang gestanden hat. Was wird vielleicht an Aufgaben erkennbar, wenn es nicht ständig um die Oszillation zwischen Position 1 und 2 geht? •• Position 5: Interessant wird diese Art von Aufstellung durch die Hineinnahme der fünften Position, die den gesamten Kontext – und sich selbst – infrage stellt: »All dies nicht und auch das nicht!« Der Stellvertreter, der diese Position einnimmt, darf sich im Gegensatz zu den anderen ohne Aufforderung bewegen und hat vom ersten Moment an die Aufgabe, sich ausschließlich um sein Wohlergehen zu kümmern. Mitunter wird durch die Erlaubnis der Position 5 eine andere Zielformulierung gefunden. Verwende ich diese Methode in der Einzelberatung, nutze ich anstelle von Symbolen auch Bodenanker. Ich beschrifte einzelne Moderationskarten mit den jeweiligen Positionen, die der Trauernde im Raum verteilt. Im Einnehmen der Bodenanker geschieht ein intensiverer Kontakt mit den jeweiligen Positionen und möglichen Wirkungen. Im Verändern von Nähe und Distanz zwischen den Bodenankern und Positionen können »spielerisch« andere Sichtweisen erkundet werden. Aus dem Blick von oben auf die Positionierungen der Bodenanker können sich hypothetische Fragen ergeben, die zu einer Klärung führen können.
Methoden 119
Arbeit am Tonfeld®
Die Arbeit am Tonfeld® als Handlungsstruktur und Entwicklungsgestaltung wurde 1972 von Heinz Deuser (Fachhochschule für Kunsttherapie, Nürtingen) begründet und seither erforscht und in Theorie und Praxis entwickelt. Grundlagen der Methode, auf die seine Arbeit zurückgreift, sind unter anderem die Lehre vom kollektiven Unbewussten sowie die Archetypenlehre von C. G. Jung und E. Neumann, die Erkenntnisse der Ganzheitsund Gestaltpsychologie, entwicklungspsychologische Erkenntnisse von J. Piaget, D. W. Winnicott und A. Gehlen sowie hinsichtlich in ihrer dynamischen Ordnung die Gestaltkreislehre von V. von Weizsäcker. Ich berühre und werde berührt
»Das Tonfeld ist ein haptischer Gegenstand. Er erfährt im haptischen Gegenstand seine Bedeutung. An ihm realisieren wir, wie wir uns äußern, wie wir uns einlassen, wie wir uns orientieren und wie wir gestaltend und verwirklichend antworten auf das, was uns in diesem Tun begegnet. Die haptische Organisation in diesem Vorgang gegenwärtigt uns in unserem Weltbezug. Haptik ist der Handlungsvorgang, durch den wir uns mit unseren Händen wahrnehmend äußern und orientieren. Dazu sind die Basissinne von Bedeutung: der Hautsinn, das Gleichgewicht, die Tiefensensibilität mit dem Empfinden von Druck. Die Haptik weist uns in eine Realität, die eine ›absolute‹ Evidenz besitzt, weil sie sowohl psychisch wie auch weltlich ist. Simultan entwickelt sich eine Beziehung nach innen und nach außen. In der Antwort auf beide Herausforderungen entwickelt sich das seiner selbst bewusst werdende Ich. Haptisches Begreifen umfasst daher immer zwei Erfahrungsbereiche: Indem wir etwas äußerlich berühren, sind wir gleichzeitig innerlich berührt in unserem psychophysischen Sein« (Verein für Gestaltbildung e. V., 2016, S. 14).
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Erwachsenen eröffnet die Arbeit am Tonfeld® Begleitung und Klärung in Krisen- und Konfliktsituationen, Reflexion von Beziehungsmustern, Stärkung von Beziehungsfähigkeit, Selbsterfahrung, Ich-Bildung, Ich-Stärkung, Unterstützung bei seelischen Belastungen wie Lebenskrisen, Krankheit, Trauer oder Sucht sowie Freude an der eigenen Gestaltungskraft. Das Tonfeld bietet in einer überschaubaren Situation die Bedingungen und Möglichkeiten, in denen sich ein jeder nach seinem ursprünglichen Lebensimpuls gestalten kann. Erwachsene arbeiten mit geschlossenen Augen, um den Zugang zur eigenen Intuition zu verstärken. Das Schließen der Augen erleichtert Erwachsenen den Zugang zu sensomotorischer Wahrnehmung – das bewusstseinsnähere, oft kontrollierende Sehen tritt in den Hintergrund. Auf diese Weise werden vorbewusste Schichten angesprochen, schlummernde Ressourcen aktiviert und ursprüngliche Vitalität geweckt, die manchmal in und nach einem Verlust verloren scheint. Das Tonfeld besteht aus einem flachen, rechteckigen Holzkasten, der mit gut formbarer, glatt gestrichener Tonerde gefüllt ist. Das begrenzende Feld bietet den wahrnehmenden Händen Halt. Die ebene Fläche gibt freien Raum. Dabei nimmt der Ton jede Berührung auf und lässt Gestaltung und Verwandlung zu. Es können neue Handlungsmuster ausprobiert werden. Es lädt ein zum schöpferischen Selbstausdruck, es regt an zur Modifizierung und Entwicklung, es belebt und vitalisiert. Als Experimentierfeld bietet es einen sicheren Rahmen. Der weiche Ton, das formbare Material, ermuntert zum Tasten und Ergreifen. Tastsinn und Greifen werden unmittelbar angesprochen. Was im Tonfeld Gestalt gewinnt, spiegelt die ganz eigene Weise der Weltwahrnehmung und Welterfahrung wider. Ton ist in seiner Substanz nach fest genug, um Sicherheit zu spüren, und ist doch flexibel genug, um in jeder Bewegung mitzugehen. Er ist fest und weich zugleich.
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Die Arbeit am Tonfeld® beruht auf der Erkenntnis, dass jede Bewegung, in der wir uns artikulieren, unsere gesamte Lebensund Erfahrungsgeschichte in sich trägt und ausdrückt. Jedes Hinwenden und Berühren, jedes Greifen zeigt die erworbene und eingeprägte Weise, wie wir auf die Welt zugehen, ihr begegnen und mit den vielfältigen Aspekten des Lebens in Beziehung treten. Setting
Auf einem stabilen Tisch stehen das Tonfeld und eine Schale mit Wasser; ein einfacher Stuhl zum Hinsetzen für den zu Begleitenden, der am Tonfeld arbeitet, und ein Stuhl für den Begleiter. Der zu begleitende Mensch am Tonfeld begibt sich in einen greifenden, handelnden und schöpferisch gestaltenden Umgang mit dem Material. Der begleitende Mensch sitzt mit etwas Abstand neben dem Tisch. Er unterstützt durch Ermutigung und Erlaubnis die intuitiven Wünsche und Impulse und nimmt das Geschehen in diesem Prozess wahr. Prozess
Das, was seelisch beeindruckt hat, kann hier zum Ausdruck kommen, kann sich als Gegenüber darstellen und kann sichtbar und greifbar verändert werden. Indem wir der Spur unseres eigenen Greifens begegnen, begegnen wir auch der Art und Weise unseres Tuns. Im Greifen begreifen wir. Geleitet werden wir dabei von dem tiefen, ursprünglichen Verlangen nach Ausgleich mit uns selbst und nach Erfüllung. Ein wesentlicher Vorteil der Arbeit am Tonfeld® ist, dass durch die Berührung mit dem Ton ein unmittelbarer Kontakt zu sich selbst entsteht. Das Streichen, Greifen und Formen der Tonerde stärkt Leibgewissheit und Körperwahrnehmung. Der Tastsinn wird intensiv angesprochen und die Sinne werden in ihrer ursprünglichen Sinnlichkeit wieder erschlossen. Tiefe
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Schichten der Persönlichkeit werden berührt. Eigene Handlungsimpulse bestimmen das Geschehen. Eigene Wünsche, Sehnsüchte und Freuden werden wiederentdeckt. Im gemeinsamen Nachgespräch werden neue Erfahrungen noch einmal sprachlich nachvollzogen und dadurch wird das Gewonnene ins Bewusstsein gehoben. Es dient zur Betonung und Bezeugung des Geschehenen. Im Tonfeldprozess finden mehrere Tonfeldstunden statt. Jedes einzelne Tonfeld bietet die Möglichkeit, mehr und mehr auf die eigenen vitalen Bewegungsimpulse zu vertrauen. Jede Tonfeldarbeit an sich ist ein Prozess, im eigenen Tempo und eigenen Maß die für diesen Augenblick stimmige Endgestalt zu finden, an der die Hände und das Innere zur Ruhe kommen. Für die Arbeit am Tonfeld® sind keine Vorkenntnisse erforderlich, man braucht weder Erfahrung noch Talent. Es gibt für das Gestalten am Tonfeld keine inhaltliche Vorgabe, keine Anweisung in Bezug auf Gestaltung und keine Erwartungen an Ergebnisse. Wichtig ist vielmehr das Aufspüren und Verwirklichen der eigenen Lebensimpulse. Dabei entsteht nichts Vorgeplantes oder Ausgedachtes. Es ist unser spontaner Greifdrang der Hände, der sich nun im Material Tonerde abbildet und ausdrückt: Bewegung wird Gestalt (nach Deuser, 2004). Die Person, die am Tonfeld arbeitet, bzw. der Klient oder Patient, erfährt sich in ihrem Tun als kompetent und fähig. Der Tonfeldprozess ermöglicht es, in der eigenen Zeit und auf eine ganz individuelle Art Lösungen zu finden. Hieraus erwächst ein Vertrauen in die eigene Begreif- und Bewältigungsfähigkeit. Diese Zuversicht wirkt sich nicht nur stärkend auf den Prozess in der Arbeit am Tonfeld aus, sondern trägt auch nachhaltig zur Lebensbewältigung im Alltag bei. Trauernde können Stabilität, innere Orientierung in den eigenen Lebensbedürfnissen, Verlässlichkeit und emotionalen Halt, soziale Kompetenz, Selbstwertgefühl und Ich-Stärke
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gewinnen. Festgefahrene Lebenssituationen können wieder in Fluss kommen. Gerade bei depressiven Verstimmungen kann diese Bewegung lockernd wirken, ja sogar die Gefahr der Versteinerung vermindert werden. Körper, Geist und Seele kommen in einen Austausch. Die eigene Mitte wird spürbar und somit in Krisenzeiten erinnerbar. Somit kann die Arbeit am Tonfeld® eine wirksame Methode in der Trauerbegleitung sein. Gleichzeitig ermöglicht sie durch das unmittelbare leibliche Erleben Erfahrungstiefe und eine körperliche Verankerung der Veränderungsschritte. Die am Tonfeld arbeitende Person kann ein tieferes Verständnis für biografisch erworbene Beziehungs- und Handlungsmuster gewinnen. Das Sich-Ausprobieren in der Begegnung mit dem Material ermöglicht den Erwerb von Selbstwahrnehmung und das Erleben von Selbstwirksamkeit, was gerade in dem Gefühl des Vereinsamtseins nach einem Verlust viel Kraft geben kann. Begleitung in der Arbeit am Tonfeld®
Begleitung in dieser Arbeit heißt, den Dialog der Hände wahrzunehmen und ihre Impulse zu fördern. In der Begleitung wird die Entstehung eines Entwicklungsprozesses unterstützt, Lösungsmöglichkeiten und Strategien werden entdeckt, und das Gefühl für die positive Bewältigung wird gespeichert. Die Begleiterin hält sich zurück, bezeugt und unterstützt den Prozess und hilft im Nachgespräch bei der Zusammenfassung dessen, was geschah. Zusammenfassung
Arbeit am Tonfeld® schafft Möglichkeiten, •• sich selber wahrzunehmen über das Berühren und Bearbeiten des Materials als grundlegendes Erleben (sensorisches Erleben),
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•• das Unsagbare, Ungesagte und Unbewusste begreifbar und sichtbar zu machen, •• Bewegungsimpulsen Raum zu geben, •• sich in seiner schöpferischen Kraft wahrzunehmen. Arbeit am Tonfeld® erschließt neue Wege zur eigenständigen Entwicklung neuer Perspektiven und Problemlösungen durch: •• Ich-Stärkung und Stärkung des Selbstbewusstseins, •• Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit, •• Erweiterung der Handlungskompetenz, •• Erweiterung der sozialen Kompetenz, •• Verbesserung der Beziehungs- und Bindungsfähigkeit, •• Verbesserung der Dialog- und Kooperationsbereitschaft, •• Angstbewältigung, •• Stressabbau, •• Spannungsabbau, •• Einsichten in biografisch erworbene Muster und Verhaltensweisen, •• Wecken von Neugier und Lernbereitschaft, •• Verbesserung von Aufmerksamkeit und Konzentration. Weitere Informationen zur Arbeit am Tonfeld® mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unter www.tonfeld.de.
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Beispiel In der Trauerbegleitung biete ich gelegentlich die Arbeit am Tonfeld® an. Im Folgenden zeigt ein Beispiel die Begleitung der Arbeit am Tonfeld® in einem Trauerprozess. Frau G., eine Trauernde, die nach dem Tod ihres Mannes in meiner Trauerbegleitung war, erklärte sich bereit, ihren persönlichen Trauerweg hier mit einfließen zu lassen. Ihr Mann starb mit 57 Jahren. Er war sehr lange chronisch nierenkrank gewesen. In den letzten Jahren seines Lebens verschlechterte sich sein Gesundheitszustand durch die Nebenwirkungen der immunsuppressiven Therapie rapide, verbunden mit Herzschwäche, Hautund Zungenkrebs. Frau G., 56 Jahre alt, schrieb: »Es war der 18. Dezember 2014, der schwerste Tag meines Lebens, ja, so würde ich ihn bezeichnen. ›Schatz, ich bete für dich‹, mit diesen Worten und einem Kuss habe ich mich von meinem Mann verabschiedet, nichtsahnend, dass es ein Abschied für immer war. Jedenfalls für diese Erde, denn dass wir uns im Himmel wiedersehen werden, davon bin ich fest überzeugt, Gott sei Dank. Das lange Warten vor dem Bettenaufzug wollte nicht enden. Keine Nachricht aus dem Herzkatheterlabor, über zwei Stunden. Da saß ich nun, an der Seite meines Sohnes und in Verbindung mit Gott, komplett ausgeliefert, jedoch erstaunlich ruhig. Dann der Schockmoment, als sich die Türen des Bettenaufzugs öffneten. Der Oberarzt erschien sichtlich mitgenommen. Auf direktem Weg ging es in einen Abschiedsraum, dekoriert in den Farben Grau-Schwarz, mit einer Sitzgruppe und ausreichend Platz für eine Totenbahre. Ja, das war der 18. Dezember 2014, der Beginn meiner Trauer um meinen geliebten Mann. Weihnachten, diesmal ganz anders, die Beerdigung am 29. Dezember, Silvester, alles ging seinen Lauf, die Erde schien sich weiterzudrehen, ja, es wurde tatsächlich jeden Morgen hell. Manches Mal stand ich am Fenster meines
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Schlafzimmers und bestaunte die aufgehende Sonne, die mich freundlich aus Richtung Friedhof begrüßte. Durfte ich mich darüber freuen? Ich tat es, ohne nach den Umständen zu fragen, und war ein bisschen stolz auf mich. Mit ›hochgekrempelten Ärmeln‹, einer Portion guten Willen und reichlich Tränen stand ich immer wieder auf und kämpfte nach altem Muster.« Ihre Ressourcen waren: »Halt, Beistand, Licht im Tunnel, ja, das alles gab es sehr wohl: Da waren meine drei glücklich verheirateten Kinder mit damals sechs munteren Enkelkindern (inzwischen acht an der Zahl), meine zwei Brüder und drei Schwestern, Glaubensgeschwister aus der christlichen Gemeinde, liebe Nachbarn, eine Freundin, Freundinnen aus der Patchwork- sowie Line-Dance-Gruppe, Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus dem Orchester, verständnisvolle Kolleginnen und Kollegen, nicht zu vergessen mein Vater im Himmel, Gott, der alles in seinen Händen hält, ja, mein unerschütterlicher Glaube an ihn, der mich trug bis zu diesem Augenblick. Sollte der Schöpfer des Himmels und der Erde meiner vergessen?« Auf der Suche nach Unterstützung folgte Frau G. dem Hinweis ihrer Freundin: »Diese hatte gute Erfahrungen nach dem Tod ihres Mannes in der Trauerbegleitung gemacht. Ich nahm per E-Mail Kontakt auf. Gab es nicht wieder Grund zur Freude? Der zeitnahe Termin für ein erstes Gespräch bei der Trauerbegleiterin Frau Trautwein, ein richtig guter Eindruck danach, die Zusage für weitere Termine, alles das durfte ich dankbar annehmen. Das Gefühl, an die Hand genommen zu werden, die Gespräche und das Angebot verschiedener Möglichkeiten des kreativen Gestaltens und nicht zuletzt die Arbeit am Tonfeld® waren es, die die Trauer begreifen ließen, im wahrsten Sinne des Wortes. Hatte Frau Trautwein mich erreicht? Ja, es flossen Tränen, die ihren Platz hatten. So beschenkten wir uns doch gegenseitig zum Abschied stets mit einem Lächeln.«
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Da ich bei Frau G. ihren Erschöpfungszustand und ihre vorübergehende Niedergedrücktheit wahrnahm und da ich sie sehr kognitiv in ihrer Trauer erlebte, aber gleichzeitig viele kreative Ressourcen gehört hatte, entschied ich mich, ihr die Arbeit am Tonfeld® anzubieten. Sie willigte ein und ließ sich auf den Tonfeldprozess in der Arbeit am Tonfeld® ein. Wir reflektierten am Ende einer jeden Tonfeldstunde das je einzelne Tonfeld. Frau G. gab jedem Tonfeld einen Titel, was dem Thema, welches sich am Tonfeld zeigte, entsprach, und fotografierte es. Aus Frau G.s Tonfeldtagebuch: »Vorsichtig streichen meine Hände über das angenehm weiche Neuland aus feuchter Tonmasse. Sollte ich mich auf Unbekanntes einlassen? Mit geschlossenen Augen, einer Portion Neugierde und zwei Händen, die einfach taten, transportierte ich so manches aus meiner verwundeten Seele nach außen, direkt ins Tonfeld vor mir. Ja, wie von selbst entstand mein erstes ›Trauerkunstwerk‹ aus Eheringen, einem Herz, einer Achtelnote, einem Lebensfluss mit Knüppeln sowie dem Schriftzug meines verstorbenen Mannes« (siehe Abbildung 4).
Abbildung 4: Erstes Trauerkunstwerk
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»Hier eine Übersicht meiner folgenden Tonfelder innerhalb des ersten Trauerjahres: •• das Tränentonfeld mit Hantel (Ausdruck von Kraft), •• Freude und Leid gehen Hand in Hand, •• die betenden Hände, •• der Abdruck meiner Unterarme und meiner rechten Gesichtshälfte, •• der Graben mit Tonherz, •• Grabgestaltung mit Stele (siehe Abbildung 5), •• Lebenswege mit mir als kleine Tonkugel (siehe Abbildung 6), •• großer Sorgenberg (siehe Abbildung 7), •• das Tunneltonfeld, Eingang für Neues (siehe Abbildung 8), •• mein altes Leben in die Hand genommen, das Tonfeld mit einem Griff ausgeräumt, •• das leere Tonfeld mit mir als kleine Tonkugel auf neuen Lebenslinien, •• der Tunnel, in dem sich meine Hände berühren konnten.
Abbildung 5: Grabgestaltung mit Stele
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Abbildung 6: Lebenswege mit mir als kleine Tonkugel
Abbildung 7: Großer Sorgenberg
Abbildung 8: Der Eingang eines Tunnels
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Zu dieser Tonfeldstunde schrieb Frau G. in ihr Tonfeldtagebuch: »Gearbeitet habe ich im Stehen, in der Aufrichtung habe ich körperlich und seelisch mehr Kraft. Ich bin bis auf den Grund des Tonfeldes gekommen und habe den ausgeräumten Ton in Form von Klumpen daneben gelegt. Es sind meine Sorgenberge, die ich ausgeräumt habe. Ich habe Platz für Neues geschaffen.« Frau G. ging dann für sechs Wochen in eine Rehabilitationsmaßnahme und anschließend auf eigenen Wunsch als Nachsorge in Psychotherapie. Sie kam zum Abschluss der Trauerbegleitung noch einmal an das Tonfeld (siehe Abbildung 9).
Abbildung 9: Ich gehe weiter
Sie erlebte sich am Tonfeld geerdet, stabilisiert und in ihrem Trauerprozess unterstützt. Sie sagte abschließend: »Mein Glaube ist unerschütterlich. Ich bin gestärkt und glaube noch tiefer denn je. Neulich hörte ich in einem Gottesdienst des ERF (Evangelischer Rundfunk): ›Dankbarkeit ist ein Schatz, der sich zu leben lohnt, denn da wird es hell in unserem Leben, wo wir dankbar sind.‹ Schließen möchte ich mit einem Gebet: Danke Jesus, dass du selbst für meine Sünden am Kreuz gelitten hast und auch für mich ganz persönlich gestorben bist. Ich durfte dich in frühester
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Jugend als meinen Retter und Heiland annehmen. Du hast das Ruder meines Lebensschiffes in die Hand genommen. Nun hast du meinen geliebten Mann von seinem chronischen Leiden erlöst. Er darf jetzt ausruhen. Ich aber bleibe zurück und erlebe eine meiner schwersten Lebenskrisen. Danke, dass du bis zum heutigen Tag bei mir warst und mir viele liebenswerte Menschen zur Seite stelltest, die mir halfen, immer wieder aufzustehen (nicht zuletzt war es meine Begleiterin mit ihrer wunderbaren Fähigkeit, Trauernde zu hören und gleichsam an die Hand zu nehmen). So möchte ich weiterhin mit Zuversicht und mit der festen Gewissheit, dass du, Herr, für mich das Beste im Sinn hast und mich glücklich sehen möchtest, meinen neuen Weg suchen und finden. Amen.« »Der gesamte Mensch ist in seiner Hand versammelt, und so werden alle ihre Bewegungen lebendig und bedeutsam« (Deuser in Tschachler-Nagy et al., 2007, S. 1).
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Wichtige Adressen, Telefonnummern und Links für Trauernde www.veid.de und www.leben-ohne-dich.de: für Eltern, die ein Kind verloren haben www.initiative-regenbogen.de und www.stillgeboren.de: für Eltern, die ihr Kind in der Schwangerschaft oder bei der Geburt verloren haben www.verwitwet.de: für Menschen, die einen Partner verloren haben www.agus-selbsthilfe.de: für Menschen, die einen Angehörigen durch Suizid verloren haben www.allesistanders.de: für junge Menschen, die jemand für sie Wichtiges verloren haben www.tod-und-trauer.de und www.trauernetz.de: allgemeine Informationen zum Thema www.trauerspruch.de: Vorschläge für Kondolenz- und Trauersprüche www.bestatter.de: Informationen zur Bestattung www.hospiz-bw.de und www.dhpv.de: Allgemeines zur Hospizarbeit www.sternenkinderbruecke.de: für den Umgang mit sterbenden und verstorbenen Kindern www.anuas.de: für Angehörige, die einen nahen Menschen durch Gewalt verloren haben Kinder- und Jugendlichentrauerbegleitung mit ihren regionalen Angeboten Geschwistertrauerbegleitung mit ihren regionalen Angeboten www.bv-trauerbegleitung.de www.depressionsliga.de www.deutschedepressionshilfe.de/forumdepression www.buendnis-depression.de www.agus-selbsthilfe.de AGUS e. V. Angehörige um Suizid Telefonseelsorge bundesweit: evangelisch 08001110111, katholisch 08001110222 Kinder- und Jugendtelefon: 08001110333 Elterntelefon: 08001110550 SPZ Sozialpsychiatrische Zentren, regional
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SHG Selbsthilfegruppen, regional Psychotherapeutensuche: Man findet sie zum Beispiel bei den jeweiligen Psychotherapeutenkammern der Bundesländer und ebenso bei allen Krankenkassen sowie bei der Zentrale in Berlin: Psychotherapeutensuche Berlin Psychotherapeutischer Infodienst – Tel.: 030/209166330 Ehe-, Familien- Lebensberatungsstellen in den örtlichen Gemeinden LVR als Rheinische Landesklinik mit interkultureller Ambulanz, vermittelt Therapeuten in unterschiedlichen Landessprachen Selbsthilfegruppenverzeichnisse gibt es in den jeweiligen Regionen
Literatur Beutel, M. (1996). Der frühe Verlust eines Kindes. Bewältigung und Hilfe bei Fehl-, Totgeburt und Fehlbildung. Göttingen: Verlag für angewandte Psychologie. Die Bibel (2014). Einheitsübersetzung (11. Aufl.). Ostfildern: Patmos. De Jong, P., Berg, I. K. (2008). Lösungen (er-)finden. Das Werkstattbuch der lösungsorientierten Kurztherapie. Dortmund: Verlag modernes Lernen. Deuser, H. (2004). Bewegung wird Gestalt. Der Handlungsdialog in der Arbeit am Tonfeld®. Bremen: Edition Doering. Dilling, H., Freyberger, H. J., Weltgesundheitsorganisation (2014). Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen (7. Aufl.). Bern: Huber. Firus, C. (2016). Wieder Land sehen. Selbsthilfe bei Depressionen. Ostfildern: Patmos. Grün, A. (2015). Wege durch die Depression (2. Aufl.). Freiburg: Herder. Hell, D. (2012). Depression als Störung des Gleichgewichts. Wie eine personenbezogene Depressionstherapie gelingen kann. Stuttgart: Kohlhammer. Hell, D. (2015). Depression – Wissen, was stimmt. Freiburg: Herder. Kachler, R. (2014). Hypnosystemische Trauerbegleitung. Ein Leitfaden für die Praxis (2. Aufl.). Heidelberg: Carl Auer. Mucksch, N. (2015). Trauernde hören, wertschätzen, verstehen. Die personzentrierte Haltung in der Begleitung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Müller-Rörich, T., Hass, K., Margue, F., van den Broek, A., Wagner, R. (2013). Schattendasein – Das unverstandene Leiden Depression. Berlin: Springer. Ofenstein, C. (2010). Lehrbuch Heilpraktiker für Psychotherapie. München: Urban & Fischer/Elsevier. Parlings, C. (2016).Völlig losgelöst. Leidfaden, 01, 31–34. Paul, C. (2011). Neue Wege in der Trauer- und Sterbebegleitung. Hintergründe und Erfahrungen für die Praxis. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. Rechenberg-Winter, P., Fischinger E. (2010). Kursbuch systemische Trauerbegleitung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
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Schlippe, A. von, Schweitzer, J. (2007). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung (10. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schlippe, A. von, Schweitzer, J. (2010). Systemische Interventionen (2. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schmidt, G. (2015). Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung. Heidelberg: Carl Auer. Schnegg, M. (2014). Erwärmen in der Trauer. Psychodramatische Methoden in der Begleitung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Tschachler-Nagy, G., Fleck, A., Pliessnig, H., Strauß, A., Hüther, G., Deuser, H., Brockmann, A. D., Osterwald, B., Kühn-Eschenbach, S., Geiß, M. L. (2007). Im Greifen sich begreifen. Die Arbeit am Tonfeld nach Prof. Heinz Deuser. Hinterzarten: Verlag Tonfeld, Anna Sutter. Verein für Gestaltbildung e. V. (Hrsg.) (2016). Der haptische Sinn. Beiträge zur Arbeit am Tonfeld®. Hinterzarten: Verlag Tonfeld, Anna Sutter. Voss-Eiser, M. (1997). Noch einmal sprechen von der Wärme des Lebens. Freiburg: Kreuz.
Links www.daniel-hell.com/spezgeb.html Daniel Hell, Spezialgebiet Depression www.DGPPN.de Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde www.gute-trauer.de Trauerportal: Leben mit Tod und Trauer. Aeternitas e. V., Hildegard Willmann und Heidi Müller www.leitlinien.de/nvl/html/depression/Kapitel-2 DGPPN, BÄK, KBV, AWMF, AKdÄ, BPZK, BApK, DAG SHG, DEGAM, DGPM, DGPS, DGRW: www.leitlinien.de/nvl/depression S3 – Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie, Leitlinienreport, 2. Aufl., 2015, Version 4. – letzte Bearbeitung 10/2016 – Zugriff am 06.11.2016 www.tonfeld.de