Die Dionysiaka des Nonnos

Die Dionysiaka („Geschichten von Dionysos“) sind ein in der Spätantike verfasstes Epos, das das Leben und den Triumph de

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German Pages [1028] Year 1958

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Die Dionysiaka des Nonnos

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THASSILO VON SCHEFFER

NONNOS DIONYSIAKA

SAMMLUNG DIETERICH

,

SAMMLUNG DIETERICH BAND 98

NONNOS DIONYSIAKA VERDEUTSCHT

VON

THASSILO VON SCHEFFER

DIETE RICH’S CHE VERLAGSBUCHHANDLUNG WIESBADEN

Alle Rechte Vorbehalten • Nachdruck verboten Dieterich’sehe Verlagsbuchhandlung, Inh. W. Klemm GmbH. Wiesbaden

Gesamtherstellung: L. Steifen, Limburg Druck: Chr. Scheufele, Stuttgart

PROFESSOR

DR. ERICH VON PRITTWITZ UND GAFFRON IN DANKBARKEIT GEWIDMET

INHALT

Einleitung........................................................ IX Erster Gesang................................................. 1 Zweiter Gesang............................................... 21 Dritter Gesang ............................................... 47 Vierter Gesang................................................ 63 Fünfter Gesang............................................... 80 Sechster Gesang............................................ 102 Siebter Gesang.............................................. 116 Achter Gesang................................................ 129 Neunter Gesang............................................... 145 Zehnter Gesang............................................... 157 Elfter Gesang................................................... 172 Zwölfter Gesang............................................. 191 Dreizehnter Gesang....................................... 206 Vierzehnter Gesang......................................... 226 Fünfzehnter Gesang....................................... 242 Sechzehnter Gesang....................................... 258 Siebzehnter Gesang ....................................... 274 Achtzehnter Gesang....................................... 289 Neunzehnter Gesang....................................... 303 Zwanzigster Gesang....................................... 316 Einundzwanzigster Gesang........................... 332 Zweiundzwanzigster Gesang......................... 345 Dreiundzwanzigster Gesang......................... 360

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Inhalt

Vierundzwanzigster Gesang......................... Fünfundzwanzigster Gesang......................... Sechsundzwanzigster Gesang....................... Siebenundzwanzigster Gesang..................... Achtundzwanzigster Gesang......................... Neunundzwanzigster Gesang......................... Dreißigster Gesang......................................... Einunddreißigster Gesang............................. Zweiunddreißigster Gesang........................... Dreiunddreißigster Gesang........................... Vierunddreißigster Gesang........................... Fünfunddreißigster Gesang........................... Sechsunddreißigster Gesang......................... Siebenunddreißigster Gesang........................ Achtunddreißigster Gesang........................... Neununddreißigster Gesang......................... Vierzigster Gesang......................................... Einundvierzigster Gesang............................. Zweiundvierzigster Gesang........................... Dreiundvierzigster Gesang ........................... Vierundvierzigster Gesang ........................... Fünfundvierzigster Gesang........................... Sechsundvierzigster Gesang.......................... Siebenundvierzigster Gesang.......................... Achtundvierzigster Gesang........................... Überschriften der Gesänge ........................... Anmerkungen.................................................

373 386 408 423 436 449 464 476 487 499 514 529 544 562 592 610 626 649 666 688 706 719 734 748 777 814 820

EINLEITUNG

Die »Dionysiaka« (d. h. Geschichten von Dionysos) finden hier ihre erste und bisher einzige Versübersetzung in eine lebende Sprache. Die französische Marcellus-Version von 1856 und neuerdings eine englische Übersetzung verzichten auf die Wie­ dergabe des Rhythmus, der aber gerade das Charakteristische des Nonnos’schen Sprachstils darstellt. Das 48 Gesänge umfassende Riesenepos des Nonnos von Panopolis, der nach Mutmaßung von A. Ludwich zwischen 390 und 450 n. Chr. lebte und wirkte, hat von allen Dichtungen der Weltliteratur wohl das wechselvollste Schicksal im Auf und Ab der Wertung erfahren. Das Wort »Weltliteratur»ist nicht zu hoch gegriffen, denn zweimal standen die »Dionysiaka« führend und beeinflussend an der Spitze der abendländischen Ependichtung, um dazwischen diese hohe Stellung nicht nur einzubüßen, sondern sogar gänzlich in Vergessenheit zu sin­ ken. In diesem Wechsel prägt sich schon der Zwiespalt dieser gepriesenen, dann auch wieder ganz vernachlässigten Dich­ tung aus, die zur Zeit sehr zu Unrecht derart in den Schatten geschoben, ja als bloße Gelehrtenpoesie verächtlich geschmäht wurde, daß selbst Fachwissenschaftler sie kaum kennen, fast nie nennen und ganz über die Achsel anschauen, und daß der Name des Dichters so verschollen ist, daß selbst Literaten sogar heute noch ihn nie gehört haben. Wie ist dies Schicksal erklärlich, das kein Gegenstück in der Geschichte der europäischen Poesie hat? Das Wort »euro­ päisch« läßt allerdings schon stutzen, denn diese fast eintönig-

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meisterhaft gemeißelten, griechischen Hexameter sind ein Produkt der heißeren Sonne Ägyptens, wobei man aber als naheliegende Parallele bedenken muß, daß ja ganz ebenso auch Homers herrliche Dichtungen nicht im Mutterlande und nicht in Europa entstanden sind, sondern dem ionischen Kleinasien angehören. »Nonnos, dazu bestimmt, den Cyclus der griechischen Dichter zu schließen, war mit allen Gaben des großen Dichters ausge­ rüstet und hätte sich wahrscheinlich zum großen Dichter ent­ wickelt, wenn das Zeitalter ihm nicht eine falsche Richtung gegeben hätte. Bis auf Nonnos suchten die griechischen Dich­ ter den Gedanken festzuhalten und doch die Form zu vervoll­ kommnen. Nonnos, der letzte Epiker, hauchte einen fremden Geist den epischen Formen ein und hob den Versbau zum höchsten Grad der Künstlichkeit empor.« Über tausend Jahre liegen zwischen Homer und Nonnos, aber trotzdem uns dieser zeitlich soviel näher gerückt ist, wissen wir über den Dichter der »Dionysiaka« nicht viel mehr als sich aus seinen Werken ergibt. Hier liegt schon einer der Gründe der wechselnden Einschätzung. Daß dies griechische Riesenepos, die unfangreichste Dichtung der ganzen Antike, ja fast der Welt, in Ägypten entstand, braucht uns nicht zu wundern, denn die antike Bildung war mit Ausbreitung des Hellenismus in den Jahrhunderten um Christi Geburt von dem immer mehr verblassenden Athen hauptsächlich in Ale­ xandria beheimatet und wirkte erst von hier aus ebenso auf das Abendland wie Homer von Ionien auf Hellas. Aber die ionischen Dichtungen beeinflußten und beglückten unvergeß­ lich und dauernd ein bis zur herrlichsten Blüte emporreifen­ des Zeitalter; das Epos des Nonnos dagegen trat erst in den letzten Jahrzehnten der Antike auf den Plan, begeistert be­ grüßt, gepriesen und die ganze zeitgenössische Dichtung in Bann schlagend. Ganz kurze Zeit darauf aber brach die rö­

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misch-griechische Welt in fürchterlichem Untergang endgül­ tig zusammen und riß damit auch die Dichtung des Nonnos, seine Wirkung und seinen Ruhm in das unliterarische, dunkle, von Kriegsstürmen dröhnende Chaos des frühesten Mittel­ alters. Wäre nicht das oströmische Reich und Byzanz ein Hort für einen großen Teil der geistigen Schöpfungen der Griechen­ welt geblieben, so wären nicht nur Nonnos, sondern auch Homer und so viele Dichtungen der Antike für immer in Ver­ gessenheit geraten und verloren geblieben. Der große Name Homers war allerdings so viele Jahrhunderte die strahlende Sonne griechischer Dichtung gewesen, daß er unvermindert weiter wirkte und voll höchster Ehrfurcht genannt wurde, wenn auch die Werke selber bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts im Abendlande bei der Unkenntnis des Griechischen so gut wie unbekannt blieben. Der junge Ruhm des Nonnos jedoch, der doch nur wenige Jahrzehnte über Gebühr geglänzt hatte, hielt dieser Entwurzlung nicht stand und glimmte nur noch in byzantinischen Gelehrtenkreisen leise weiter. Die erste Phase in der wechselnden Schätzung des Epos war also scheinbar hoffnungslos abgelaufen. Da trieb die Erstür­ mung Konstantinopels durch die Türken (1453) die verängsteten Gelehrten um die Mitte des 15. Jahrhunderts nach Südita­ lien, und sie retteten mit sich die geistigen Schätze der Antike, so weit es irgend möglich war. Damals fing die Renaissance zu blühen an oder wurde gerade durch diese befruchtende Be­ rührung mit der bisher nur gepriesenen, aber nicht gekannten griechischen Dichtung zu rascher Entfaltung gebracht, und auch für Nonnos und sein Epos hob das zweite Morgenrot neuen Ruhmes an. Ja, der Einfluß der »Dionysiaka« auf die Dichter von Neapel (Politianus usw.) war derart groß, daß heute für uns unbegreiflicherweise das in Ägypten entstandene Epos nun noch höher als Homer gepriesen wurde und for­ mend auf die Poesie dieser Epoche wirkte. Es war das eine

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ungebührliche Übertreibung, die sich dadurch rächte, daß allmählich bei stäkerer kritischer Einschätzung und größerer Vertiefung in den nun gelesenen Homer und in die im Mutter­ lande nie ganz vergessene Dichtung der Aeneide des Vergil doch der Enthusiasmus für Nonnos abflaute, nach etwas über einem Jahrhundert nur noch schwach ertönte, aber immerhin noch die erste und bis zu der hier vorliegenden Verdeutschung einzige Versübersetzung und zwar in lateinischen Hexame­ tern hervorbrachte. Dann aber ging es mit der Hochschätzung rasch abwärts und Nonnos und seine Dionysiaka versanken wieder in fast völlige Vergessenheit. Erst Jahrhunderte später taucht die Dichtung wieder aus dem Dunkel auf, aber, von einigen Gelehrtenaufsätzen abgesehen, kümmerte sich zunächst fast niemand um das Epos. Eine seltsame Neubelebung am Anfang des 19. Jahrhunderts unter­ brach unerwartet und kurz den scheinbaren Todesschlaf des Epos, wobei eigentümlicherweise wieder äußere historische Ereignisse im Spiele waren. Auf dem Wiener Kongreß wußte eine aller Mystik und okkulter Überlieferung ergebene balti­ sche Dame (Baronin Barbara Juliane von Krüdener-Vietinghoff?) in Überschätzung dieser Seite der Dionysiaka den ähn­ lich gesonnenen Zaren Alexander I. durch einen Bericht über das Epos und seinen Inhalt für das Werk des Nonnos lebhaft zu interessieren, und der Herrscher faßte den Plan, seine Ge­ lehrten zur Neubelebung, Herausgabe und womöglich Über­ setzung anzuregen, er fand hierfür den für die Dichtung schon lange begeisterten S. S. Ouwaroff. Schon früher hatte dieser dem gleichgesonnenen Gelehrten Friedr. Graefe zu dessen Werk, »Hymnos und Nikaia«, das eine der wichtigsten Epi­ soden der Dichtung (im 15. Gesang) behandelt (Petersburg 1813) die Vorrede geschrieben. Nun wollte Graefe eine Text­ ausgabe herstellen, und Ouwaroff selbst schrieb sein von tiefer Hingabe und gründlicher Kenntnis zeugendes Buch

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»Nonnos von Panopolis, der Dichter« (Petersburg 1817), die erste und auch einzige, von warmer Begeisterung getragene Würdigung der »Dionysiaka«, der er eine Briefvorrede in tiefer Verehrung an Goethe voranschickte. Nun schien der Weg zu neuem Leben für die Dichtung frei, aber leider blieb es nur bei diesem erfreulichen Anlauf; denn wenn auch Goethe starkes Interesse zeigte und sich mehrfach in diesem Sinne äußerte, so hatte es damit sein Bewenden. Für einige Jahr­ zehnte sank wieder das verhängnisvolle Dunkel, von dem die Dichtung so oft und unheilvoll verfolgt schien, schattend über das Epos, da die mancherlei kleinen Einzeluntersuchungen wie bisher in ihrem engen Kreise blieben. Immerhin lag nun ein Text vor (Fr. Graefe, Leipzig 1819 bis 1826), wenn er auch nicht ganz den heutigen philologischen Ansprüchen genügen sollte, die später erst durch A. Ludwich (1909) in Deutschland erfüllt wurden. »Traurig aber, wenn man den großen Dichter unter dem ge­ lehrten Mythographen verkennen sollte! Wo Nonnos seinem Jahrhundert zufolge einen übertriebenen Aufwand von Ge­ lehrsamkeit in antithesenvollen Ausdrücken anhäuft, wird seine Poesie schwülstig, kalt und langweilig; wo er aber die My­ thologie behandelt wie Ariosto die Geschichte, da nimmt sein Gedicht einen leichten, kräftigen, genialischen Schwung; sein stets schöner und korrekter Versbau schwebt zu lyrischer Be­ geisterung und malerischer Kühnheit empor. Mit einem Wort: das Manirierte und Bombastische in seinem Epos gehört sei­ nem Zeitalter, dem- Dichter aber gehört die reizbare Phantasie und der so seltene Reichtum an Gedanken und Gefühlen, der selbst alten, ausgestorbenen Überlieferungen ein neues Leben einhaucht« (aus Ouwaroffs Vorrede zu Graefes »Hymnos und Nikaia« 1813). »Um aber Nonnos zu genießen, muß man auf alle vorgefaßten Meinungen, auf alle streng bestimmten An­ sichten, auf alle sogenannten Kunsturteile, die zum Schien-

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drian der Schulpoetik gehören, Verzicht tun. Die beste Recht­ fertigung des verkannten Dichters liegt in der näheren Be­ kanntschaft mit seinem Werke. Der spätere Nonnos trägt manche Spuren des ihm selbst vielleicht unbekannten Ein­ flusses der neuen Weltordnung an sich. Seine Bilder der Liebe neigen sich schon zu romantischer Poesie. Sie verkünden den Übergang zu einer anderen Geltung der Dichtkunst, die der Dichter selbst nicht ahnte.« »Schon die Exposition (Ges. I) gibt einen Begriff der Nonni­ schen Manier, weil sie eben einen großen Teil dieser Manier enthält. Der künstliche, harmonische Versbau, das Über­ schwengliche und Phantastische der Darstellung, das bunte Gemisch der Erscheinungen und dabei der gelehrte Anstrich, die originelle Zusammensetzung der Worte, das Wiederkehren der gewählten Ausdrücke, das bis zum Bombast Erhabene und zugleich das Witzelnde des ganzen Bildes, lassen sich nicht verkennen. Ein »buntes« Lied hat der Dichter ver­ sprochen, und er hat Wort gehalten. Nicht zu leugnen ist eben, daß Nonnos mehr Sinn besaß für das Anmutige und Phan­ tastische als für das rein Epische.« Zunächst müssen wir nun versuchen, das Wenige zu berich­ ten, das über Nonnos überliefert ist, und uns auch ein Bild seiner Zeit, seiner Kultur, seiner Beeinflussung und Zusam­ menhänge machen. Auf die Vorzüge und Mängel der so heiß umstrittenen Dichtung wurde zum Teil schon hingewiesen, wodurch sich vielleicht eine gewisse Erklärung ihrer wech­ selnden und der Zeit und den Stilströmungen unterworfenen Einschätzung finden, wenn es auch nicht ganz leicht sein mag, zwischen den Polen übertriebener Lobpreisung und ebenso unberechtigter Verachtung den richtigen mittleren, nicht von Mode und individuellen Geschmäckern beeinflußten Weg zu finden, wobei immer noch genug psychologische und künst­ lerische Probleme ungelöst übrig bleiben und weiter das Feld

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der Kritik gegenüber den »Dionysiaka« auf und ab beeinflussen werden. Um das Wesen der Dichtung klar zu erkennen und sich nicht vorschnell zu einer Ablehnung hinreißen zu lassen, ist es vor allem notwendig, die »Dionysiaka« beileibe nicht als ein antikes Epos im Sinne Homers und seiner Nachfolger aufzufassen. Bei Nonnos befinden wir uns bereits in einer ganz neuen, an­ deren, unhellenischen Welt, sogar schon über den eigentlichen Hellenismus hinaus. Von schlichter Größe, edler Harmonie und ursprünglicher Dichterkraft ist wenig zu spüren. Dafür tobt sich ein wildes Barock überquellend und oft maßlos in tollem Wirbel und unbegrenzter Weitschweifigkeit aus und sucht durch Überladung eine poetische Größe nur vorzu­ täuschen ohne durchweg einen rein dichterischen Genuß her­ vorzubringen. Dem allen gegenüber aber wird ein unbefange­ nes Urteil nicht an der kritiklos nachgesprochenen Wertung festhalten dürfen, daß es sich bei Nonnos und anderen, spä­ teren Dichtern des alexandrininschen Hellenismus nur um trockene Gelehrtenpoesie handelt, die mit Bienenfleiß mytho­ logische Stoffe aufzuhäufen sucht und schwülstig in reiner Intellektualarbeit darbietet. Solch eine Beurteilung wäre ganz abwegig und erinnert etwas an die Abneigung des klas­ sisch gereiften Goethe gegenüber der Überverschnörkelung der Gotik oder der tropischen Maßlosigkeit indischer Tempel­ plastik. Dichtungen wie die »Dionysiaka« wollen nicht im Ver­ gleich, sondern von innen heraus und nach ihrem eigenen Stil gewertet werden. Und gewiß hat Nonnos durchaus einen eigenen Stil, der einen immer mehr gefangen nimmt, wenn man sich in diese unge­ wohnte Art der Darstellung erst richtig eingelesen hat. Dann wird man an vielen Stellen eine starke Anschaulichkeit, ja echte dichterische Schönheit finden, wenn auch zuweilen all­ zustarke Sinnlichkeit, ja fast Lüsternheit abstößt. Ohne ein

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starkes dichterisches Ingenium, mag es auch noch so kraus und fremd anmuten, wäre es unmöglich gewesen, ein solches Riesenepos zu schaffen und stofflich zu bewältigen, wozu der ganz eigenartige, fast paradoxe Reiz tritt, daß dies ganz unantike Schwelgen und Übertreiben sich in den reinsten, meisterhaft geschliffenen Hexametern äußert, die in der Un­ erbittlichkeit ihrer überstrengen Rhythmen fast zu einem dröhnenden Gehämmer werden können, wovon eine deutsche Übertragung aber kaum einen Begriff zu übermitteln im­ stande ist. Wenn Wilamowitz dem Verfasser dieser Über­ setzung schrieb: »Wieviel schöne Kraft verschwenden Sie auf das schlechteste Produkt der griechischen Dichtung« und wenn ein anderer bekannter Gelehrter eine Übersetzung für überflüssig hielt, obgleich er selbst jede Inschrift eines orien­ talischen Ziegelsteins der Übersetzung für wert erachtete, so ist damit die unbelehrbare Gegnerschaft gegen Nonnes ge­ kennzeichnet, und man könnte darüber lächeln, wenn nicht diese Einschätzung den Nonnos fast vernichtet hätte. Übersehen dürfen wir auch nicht, daß Nonnos in den »Dionysiaka« eine Unmenge mythologischen Materials überliefert, von dem wir manches nur hier finden. Ferner widmet er sich leidenschaftlich dem astronomisch - astrologischen Wissen sei­ ner Zeit, wenn ihm auch zahlreiche Irrtümer auf diesem halbocculten Gebiet unterlaufen, die dann mancher schwülen Ver­ stiegenheit und bedenklicher Mystik Vorschub leisteten, aber uns andererseits auch auf diesem vielumstrittenen Gebiet an die antik-orientalischen Quellen der Sternenreligion heran­ führt, jedenfalls darf man diese viel zu wenig genutzte Fund­ grube nicht achtlos beiseite schieben. Diese Neigung zur Mystik vereint sich nun bei Nonnos mit sei­ ner religiösen Einstellung überhaupt, die uns besonders wichtig sein muß, weil wir hauptsächlich nur in ihr einige Hindeu­ tungen auf das so unbekannte Leben des Dichters finden und

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weil ferner hier das betont ethische Element der »Dionysiaka« stark, wenn auch ganz unantik auf völlig neuen Anschauun­ gen beruht, die durch die Erlösungslehre des Christentums alle Geister jener in völligem Umschwung befindlichen Welt ergriffen und beeinflußt hat. Das Schaffen des Nonnos ist das stärkste Produkt jenes Zwiespalts zwischen der sterbenden antiken Welt und dem Heraufkommen des sich immer elemen­ tarer hervordrängenden Christentums. Nonnos hat nämlich neben den so verschollenen »Dionysiaka « noch ein anderes Werk geschrieben, das allen theologischen Fachgelehrten wohl bekannt und wichtig ist, nämlich eine Paraphrase des Johannisevangeliums. Hier stehen wir nun vor einem Problem und scheinbarem Widerspruch. Das schon erwähnte ethische Element der »Dionysiaka« beruht nämlich bewußt auf dem Wunsch, der seelenerlösenden Heilslehre des Christentums nun von antiker Seite aus auch einen »Heiland« entgegen zu stellen, der das Leid der Menschheit mildern soll, und Nonnos erwählt sich dazu die Gestalt des »Sorgenbre­ chers « Dionysos und die Erfindung des Weines als eines Mit­ tels, leichter über das Erdenleid hinwegzukommen. Erklären läßt sich diese polar von einander abweichende Lehre der beiden Dichtungen nur dadurch, daß Nonnos wahrscheinlich die Dionysiaka in jungem Mannesalter noch ganz im Bann der olympischen Religion und als eine Art Apotheose des Alexanderzugs nach Indien geschrieben hat, dann aber wohl im Alter mit tieferer Einsicht zum Christentum hinüberwech­ selte. Alexandrien und seine geistige Welt, wo wir uns den Dichter wirkend denken müssen, war ja gerade damals der alle Geister aufwühlende Tummelplatz der aufeinander pral­ lenden Weltanschauungen. Manche Geister suchten eine Harmonie der verschiedenen Lehren zu Anden. So lehrte da­ mals in Alexandrien die edle, kluge Hypatia in neuplatonisch»heidnischem« Sinn Mathematik und Philosophie und wurde

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von dem darüber empörten christlichen Pöbel 405 n. Chr. brutal ermordet. Und doch saß dieser faszinierenden Frau der fromme Bischof Sinesius von Kyrene andächtig zu Füßen, ohne daß er dadurch sein tiefes Christentum beeinträchtigt fühlte. In diesem Trubel und Zwiespalt der Geister müssen wir uns den Dichter Nonnos hineinversetzt denken, und nur die wohl allmähliche Evolution religiöser Anschauungen ließ ihn das Verhängnis der genannten Philosophin vermeiden. In Nonnos muß neben seinem Hang zu einer Erlösungstheorie auch noch ein anderer edler Gedanke fruchtbar gewesen sein, dem wir, wenn auch religiös ganz anders gefärbt, schon im frühen Hellas begegnen, nämlich dem Glauben, daß man den Himmel und eine Vergöttlichung nur dann erringen kann, wenn man durch Leistung und Leid bewiesen hat, daß man einer solchen Erlösung auch wirklich würdig ist. Dies ist ja bereits die ethische Grundtendenz des Heraklesmythos und der zwölf schweren Arbeiten des Heros, und die Parallele zu Dionysos wird auch daraus ersichtlich, daß er wie Herakles, beide Söhne des himmlischen Vaters und einer sterblichen Mutter sind und sich nur durch große Taten von ihren irdi­ schen Schlacken frei kämpfen können. In beiden Fällen ha­ ben sie die eifersüchtig grollende Himmelsmutter Hera als schwer versöhnliche Gegnerin gegenüber und müssen auch erst dieser deutlich zeigen, daß sie der erlösenden Auffahrt in den Himmel würdig sind. Immer wieder betont Nonnos in seinem Epos ausdrücklich diese Notwendigkeit schwerer ethi­ scher Leistung und Selbstüberwindung, und die Tiefe dieses Gedankens versöhnt mit mancher Frivolität der Dichtung. Man sieht aus welch gemischten Elementen die »Dionysiaka« gebaut sind und kann durch diesen Einblick eher begreifen, daß die wechselnden Weltanschauungen, ja literarische Mode­ strömung und ihre Tendenzen vor anderthalb Jahrtausenden das Epos bald aufs höchste priesen, bald unverdient ver-

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dämmten und totschwiegen. Die rein dichterischen Qualitäten allein waren eben nicht stark genug, um den »Dionysiaka« einen dauernden Platz in der Weltliteratur unangefochten zu sichern, aber heut wird bei größerer Liberalität der unbe­ fangene Leser an vielen Stellen neben dem rein gelehrten Mythologischen auch den Dichter deutlich spüren. Nur ein solcher konnte z. B. die herrlichen Ampelosgesänge (Buch X und XI) schreiben, die der idyllischen Jugendfreundschaft des Gottes mit dem schönen Satyrnbuben gewidmet sind und hierin die Erfindung des Weines verstecken; nur einem wahren Dichter konnte der Nikaiahymnos (XV. Ges. Schluß) ge­ lingen, dem Dr. Graefe ein ganzes Buch gewidmet hat, und wenn die Horenverse (Ges. XI. Schluß und Ges. XII. An­ fang) nach Professoren-Urteil ohne Beachtung der dichteri­ schen Schönheit als »brutal eingeschoben « gilt, so gehört doch sie zu den klangvollsten, eigenartigsten und anschaulichsten Stellen der Dichtung und möge darum auch gleich hier als Probe zitiert werden: Die Horen, Töchter des schnellen Erzeugers, des unbeständigen Jahres, Senkten in Helios’ Haus ihr rosenleuchtendes Antlitz. Eine von ihnen, ihr schneeig Gesicht beschattend mitfinsterm, Schwarzem Wolkenglanz, dem feiner Schimmer entströmte, Festigte Hagelsandalen sich unter die eisigen Sohlen, Schnürte ums feuchte Haupt sich fest die Fesseln der Haare Und umband die Stirn mit regenerzeugendem Schleier, Der nun fahl ihr Haupt umschmiegte, und sie bedeckte Ihres Busens Reif mit schneeig weißer Umgürtung. Und die zweite entsandte des Schwalbenwindes gelindes, Menschenerfreuendes Wehn, des zephyrliebenden Hauptes Frühlingshaar umschlang sie dann mit tauiger Binde; Blumenhaft lachend ließ sie ihre Gewänder durchfächeln Von dem weit sich breitenden Duft geöffneter Rosen.

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Doppelt sang sie ihr Lied: für Adonis und für Kythereia. Und zum Erntefest schritt mit den Schwestern die dritte der Horen, Hob eine zitternde Ähre mit stachelhaarigen Spitzen In der Rechten empor, dazu eine schneidende Sichel, Diese Botin der Ernte. Den Leib umhüllte die Jungfrau Sich mit weißem Linnen, und wenn sie im Tanze sich drehte, Leuchtete durch das dünne Gewand der Schenkel Geheimnis. Ihres Angesichts von feuchten Tropfen bedeckten Wangen wurden genetzt von einer heißeren Sonne. Und die vierte, die Herrin des regelsicheren Reigens, Wand um die schüttere Schläfe sich einen Zweig der Olive, Feucht von den Wassern des Nils, des siebenmündigen Stromes. Dünn hing ihr das Haar und dürftig über die Schläfen, Und ihr Leib war dürr. Sie schor als Höre des Herbstes Nieder das Haar der Bäume mit laubvergießenden Winden. Flossen doch noch nicht mit verschlungenen Spitzen der goldnen Ranken die Trauben der Rebe hinab auf den Nacken der Jungfrau. Noch nicht machte als lauterer Wein aus triefender Kelter Trunken sie der Saft maronisch purpurnen Nasses, Noch nicht sproßte empor der irrend sich windende Efeu. Aber damals nahte die Schicksalsstunde. Es eilten Ihr zu Liebe die Horen hinab zu Helios’ Hause.

Also bei den Terrassen des Westokeanos schifften Diese zu dem Palast des Helios, ihres Erzeugers. Hesperos, der Stern, sprang gleich, sobald sie sich nahten, Ihnen aus dem Gemach entgegen. Und stürmisch im Fluge Stieg Selene empor auf rindergezogenem Wagen. Und die Horen beim Anblick des lebenspendenden Lenkers Scharten sich rings um ihn; und er nach vollendetem Bogen

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Kehrte heim aus den Lüften. Des feueräugigen Lenkers Glühendheißes Joch und auch die sternige Geißel Legte vom Viergespann der leuchtende Phosphoros seitlich, Und er reinigte dann in des nahen Okeanos Fluten Den noch schweißenden Leib der feuergefütterten Pferde. Schüttelnd die feuchten Mähnen am Nacken stampften die jungen Rosse mit flimmernden Hufen der glänzenden Krippe entgegen. Und die Töchter des Chronos, die rings den flammenden Thronsitz Des unermüdlichen Lenkers in fliegendem Tanze umkränzen, Helios’ Dienerinnen, die zwölf umkreisenden Horen, Nahten zum Gruß den vier dem funkelnden Wagen gesellten Wechselnden Priesterinnen des J ahres: sie beugten den Nacken Dienend dem urgezeugten, allewigen Lenker des Weltalls. (Ges. XL Schluß. Ges. XII Anf.)

Überhaupt ist die erste Hälfte des Riesenepos die bedeuten­ dere, während die späteren Gesänge allmählich öder werden, hin und wieder aber doch eigenartig schöne Stellen zeigen, zumal, wenn Nonnos große Vorbilder früherer Dichtungen, vor allem Homer, auf sich wirken läßt. Aber naturgemäß war es nicht der Urvater der Epik allein, dessen Einfluß stofflich und gestaltend so vielfach, wenn auch meist nur äußerlich, zu spüren ist. Denn Nonnos weiß sich nach seiner ganzen Naturanlage und kulturellen Herkunft doch viel un­ abhängiger von den großen ionischen Epen zu halten als die vier Jahrhunderte früher verfaßte Aeneide des Vergil. Selbstverständlich aber haben im Ausgang der Antike auch die meisten anderen großen Werke der hellenischen, helleni­ stischen und römischen Dichter ihre Spuren hinterlassen. Der Kenner wird neben Homer auch zuweilen Hesiod spüren und an Theokrit, Kallimachos und an Apollonios Rhodios u. a.

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erinnert werden. Vor allem aber hat Nonnos eingehend die orphischen Schriften und astrologischen Lehren geprüft und hier den »occulten« Einschlag seines Gedichtes gefunden, der bis in die deutsche Theosophie und die »Geheimlehre« der Blavatsky (russische Spiritistin um 1850) nachwirkt und dort genannt wird. — Lieber aber möge zum Schluß ein anderes wichtiges Element der großen Dichtung nicht unerwähnt bleiben, weil es ganz wesentlich zum poetischen Reiz dieser Verse gehört und doch viel zu selten beachtet wird. Das ist die musikalische Note, die nicht nur in der gemeißelten Sprache ertönt, die über tausend Jahre nach Homer zwar ein andersentwickeltes, barockes, aber doch dem alten noch sehr ähnliches Griechisch erklingen läßt. Daneben aber wirkt in echt hellenischer Weise überall ein musikalisches Element belebend, tönend, ja öfter entschei­ dend mit, wie sich ja der Hellene alles Leben immer nur mit Musik durchtränkt und beeinflußt vorstellen konnte. Hier nun greift die Musik, sehr ähnlich wie in der alten Hermes Argos-Sage, schon im Anfang der Dichtung (Ges. I.) weltenund götterrettend ein, und als Zeus nach Verlust seiner Blitze dem alles zerstörenden Titanenungeheuer Typhon preisge­ geben scheint, da greift er zu der List, durch den als Hirten verkleideten Europabruder Kadmos das Ohr des entsetzlichen Erdgiganten mit den Klängen einer Schalmei so berauschen und betören zu lassen, daß der Riese in Verzückung alle Wild­ heit vergißt und sich dem Zauber dieser Klänge hingibt:

»Kadmos, spiel die Schalmei, dann wird der Himmel beruhigt I« (Ges. I. v. 378) so ermahnt Zeus seinen Boten, weil er weiß, daß Harmonien stärker sind als alle Bedrohungen des Chaos und der Titane. Die durch den rohen Giganten fast zu Grunde gerichtete Welt wird gerettet, denn:

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».............. wie ein üppiger Jüngling Liebeswund durch den Stachel, den süßen, bezaubert von seinem Mädchen, einmal die silbernen Kreise des süßen Gesichtes, Dann die schweifenden Locken des langen Haares betrachtet, Schaut auf die rosige Hand, dann auf das bindenumschnürte Rund des blühenden Busens, und schon verschüchtert von ihrem Bloßen Nacken, und wie ihn übermäßig bezaubert Ihre Gestalt, und hierhin und- dorthin ganz unersättlich Irrt sein Blick, und nie mehr will er die Jungfrau verlassen, So überließ sich dem Kadmos der liederbezauberte Typhon. (Ges. I. Schluß)

Möge diese ganz eigenartige und typische Probe der nonnidischen Dichtung zeigen, welche Tendenzen und welcher Ton­ fall dem Epiker eigen sind, und gleichzeitig sollen wir daraus einen Vorgeschmack dieser überall seltsamen Poesie-Form und Sprache gewinnen. Sei nun diese trotz allem grandiose Dichtung dauernd ihrer grausamen Vergessenheit entrissen, so lange das Leben der gesamten Antike noch in uns beglückenden Widerklang findet. Es gilt ein großes Unrecht gut zu machen, denn wohl nirgends mehr als hier in der Literatur aller Völker und Zeiten ist der Spruch des alten Terentianus Maurus (2. Jhrhd. n.Chr.)gültig: Habent sua fata libelli.

Die hier vorliegende Übersetzung der »Dionysiaka« des Non­ nos beruht auf der zweibändigen Textausgabe von A. Ludwich (Leipzig 1909 bei B. G. Teubner) und auf einer Inter­ linearversion in Prosa von Univ.Prof. Dr. Hans Bogner (gest. 1947), der auch stark an der Abfassung der »Erläuterungen« beteiligt war. Als Unterlage für die Kommentarangaben über

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den indischen Krieg und die indische Geographie der Antike (besonders 26. Gesang) dienten die freundlich überlassenen Forschungen von Univ. Prof. Dr. W. Sieglin. Die erste Textausgabe stammt von Gerhard Falkenburg, Ant­ werpen 1659; die bisher einzige Versausgabe (in lateinische Hexameter übersetzt), wurde von Eilhard Lubinus verfaßt und erschien 1609 in Hannover. Text und Prosaversion (französisch) des Grafen Marcellus erschien in Paris 1856 bei Didot frères. Erst 1948 erschien die erste englische Übersetzung (in Prosa) in der Loeb - Library, Oxford. Verwiesen sei besonders auf das stark für die Einleitung be­ nutzte Werk von S. S. Ouwaroff: »Nonnos von Panopolis, der Dichter«, Petersburg 1817, ferner das Buch von Friedrich Graefe: »Des Nonnos Hymnosund Nikaia« (Petersburg, 1813). Nähere Orientierung findet man in vielen Einzelabhand­ lungen der Philologischen Fachblätter, besonders in den letzten Jahrzehnten, wovon die Textausgabe von Ludwich (Teubner S. XVI bis XXIII) eine gute Übersicht bringt. Eine kurze, kritische Auseinandersetzung mit den vielen, meist astrologisch-astronomischen Irrtümern des Nonnos, findet sich in der »Deutschen Literaturzeitung vom 4. Okt. 1930, Heft 40, S. 1889 von Paul Maas. Zum genauen Ein­ dringen in die Materie sind ensprechende Arbeiten von R. Koehler, P. Friedländer und von P. Maas und R. Keydell, Fr. Boll und anderen Fachgelehrten ganz unentbehrlich, be­ sonders auch: Vikt. Stegemann: »Astrologie und Universal­ geschichte« (Leipzig 1930). — Die erste Auflage der hier vorliegenden Übersetzung erschien 1925 bis 1933 bei F. Bruckmann, München. Diese zweite Auflage wurde gründlich überarbeitet und besonders rhyth­ misch vielfach verändert. Thassilo von Scheffer

ERSTER GESANG

Nenne mir, Göttin, den Diener Kronions in blendendem Glanze, Gluthauch des Donners, der mit bräutlichem Funken Gebarung Bringt, und in Semeles Kammer den Blitz, und nenne des Bakchos Zweimalgeborene Art; ihn hob noch feucht aus dem Feuer Zeus, der hilflosen Wöchnerin Frucht, zur Hälfte vollendet, Grub sich mit schonender Hand einen Schnitt in den Schenkel, gebar ihn So aus männlichem Leib, zugleich als Vater und Mutter. Wohl verstand er auch andre Gebarung: aus fruchtbarem Haupte Schleuderte er - unglaublich - die ohne Samen erzeugte Bürde aus schwangerer Schläfe: die waffenumstrahlte Athene

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Bringt mir den Narthexstengel3 und schwingt die Cymbeln, ihr Musen, Und gebt mir in die Hand des besungnen Dionysos Thyrsos. Unserem Reigen zum Anschluß vom Nachbareiland von Pharos Schafft mir den Proteus3 herbei, den vielgewandten, zum bunten Wechsel seiner Gestalt, denn bunt erschalle das Lied mir. 15 Windet er kriechend sich herbei als Drache, so werd ich

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Erster Gesang

Singen den göttlichen Kampf, wie Bakchos die grausigen Scharen Drachenhaar’ger Giganten mit epheunem Thyrsos zerspellte; Starrt er aber als Löwe und schüttelt im Nacken die Mähne, Dann erhebe mein Jubel den Gott auf dem Arme der Rheia,4 Wie er erlistet die Brust der löwennährenden Göttin; Saust er mit schnellendem Fuß in stürmischem Flug durch die Lüfte Als ein Panther herbei in kunstvoll ändernder Formung, Preis ich den Sohn des Zeus, wie er die Inder getötet Und mit den Pantherwagen die Elefanten zermalmte; Gleicht einem Wildschwein er, so tön ich vom Sohne Thyones8, Wie er Aure8 begehrte, die schweinetötende Gattin, Die kybelidische Mutter des dritten späteren Bakchos’; Wird er zum Wasserspiegel, so will ich Dionysos singen, Wie er tauchte ins Meer, als sich Lykurgos8 gewappnet; Schüttelt er sich als Baum und tönt in falschem Gesäusel, Denk ich, Ikarios8, dein, wie bei der bakchantischen Kufe Eifernde Sohlen rasch um die Wette die Trauben zerstampften. Bringt mir den Narthexstengel, ihr Mimallonen10, und schnürt mir Statt des gewohnten Gewandes das wilde, scheckige Rehfell11 Über die Brust, voll Duft maronischen Weines wie Nektar; Aber die Robbenhaut, die schwere, sei bei Homeros Und Eidothea12 für Menelaos im Meere geborgen. Gebt mir die tönenden Pauken, die Ziegenfelle, doch sendet Andern die doppelte Flöte, die süße, auf daß mir nicht zürne Mein Apollon. Er haßt des Schilfrohrs schallenden Atem, Seit er des Marsyas18 gottbekämpfende Flöte besiegte, An einen Baum seine Haut gehängt, die die Lüfte nun bauschten, Und dem geschundenen Hirten die Glieder gänzlich entblößte.

Zeus entführt Europi

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Auf, o Göttin,beginne von Kadmos11, dem irrenden Späher! 45 Einst am sidonischen Strande als Stier mit ragenden Hörnern Ahmte Zeus ein Brüllen der Sehnsucht aus trügender Kehle Nach, von süßem Reize gelockt, und Eros, der kleine, Wand um des Weibes Leib der Hände doppelte Fessel, Hob es gar leicht empor, und nahe beugte den krummen 50 Nacken dem Mädchen zum Aufstieg der wasserdurch­ furchende Farren. Seitwärts hingebeugt, gestreckt die Spannung des Rückens, Hob er Europa empor. Die rudernden Hufe des Stieres Gruben nun beim Durchschreiten ins lautlose Wasser des Meeres Nur eine flüchtige Spur. Und über dem Meere das Mädchen 55 Schiffte bebend vor Furcht dahin auf dem Rücken des Stieres Unentwegt und unbenetzt. Du hättest sie leichtlich Für Galateia gehalten, für die Gemahlin Poseidons, Oder für Aphrodite, vom Triton getragen, für Thetis. Staunendsah der bläulich Gelockte” das wuchtende Fahrzeug. 60 Triton, als er vernahm des Gottes trügendes Brüllen, Brüllte ein Gegenlied ihm zu und sang auf der Muschel Hochzeitsweisen. Und Nereus16 erweckte derstaunenden Doris Bange Furcht und wies auf die fortgetragene Jungfrau. Fremd erschien ihm der Schiffer, der hochgehörnte. Das 65 Mädchen Fuhr mit dem Stier, als wär er ein leichtbefrachtetes Lastschiff, Bebte beim hohen Sprung der feuchtbeflügelten Reise, Hielt wie ein Steuer das Horn, und Himeros17 lenkte das Fahrzeug. Boreas18 bauschte listig voll Hochzeitslüfte ihr weites, Wehendes Gewand, der ungezogne, und beide 70 Knospenden Brüste umpfiff er vollheimlich-neidischer Lüste. Wie wenn der Tiefe eine der Nereiden enttauchte

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Erster Gesang

Und nun auf einem Delphin die Stille des Meeres durch­ rudert — Hochgehoben bewegt sie, als ob sie schwömme, im Takte Die benetzte Hand, und unberührt von der Salzflut Trägt sie der feuchte Wandrer halbsichtbar über das Wasser Auf gewölbtem Rücken, und durch das Wasser sich schlängelnd Schreibt eine leichte Spur die Doppelflosse des Schwanzes So hob den Rücken der Stier, und wie er im Laufe sich streckte, Peitschte Eros als Hirt mit dem Gürtel den knechtischen Nacken, Gleich einem Hirtenstab hob er von den Schultern den Bogen, Mit dem Krummstab der Kyprisls den Gatten Heras zu weiden Auf der feuchten Wiese Poseidons. Schamvoll wie Purpur Glühte die Jungfraunwange der mutterlosen Athene, Weil sie Kronion erblickte, von einem Weibe gezügelt. Nicht vermochte das Meer das Sehnen des über die feuchten Furchen stürmenden Zeus zu löschen; hatte das Wasser, Schwanger von himmlischer Saat, doch Aphrodite geboren Aus der Tiefe. Wie so das Mädchen des Rindes geräuschlos Eilen lenkte, wars Fracht und Schifferin. Und es erblickte Ein achaischer Seemann auf Fahrt das trügende, schnelle, So verständige Schiff und ihm entfuhren die Worte: »0, meine Augen, welch Wunder! Wie kommts, daß die Wogen ein Landstier Mit den Füßen durchschneidet und schwimmt durch das wüste Gewässer? Macht nicht Zeus am Ende die Erde schiffbar, und eilt nicht Flutbenetzt durchs Meer auf feuchten Furchen ein Wagen ? Trügende Fahrt erspähe ich über den Wogen. Selene Eilt wohl nach dem Äther durchs Meer auf jochlosem Stiere, Thetis aber zügelt, die meerestiefe, die Seefahrt?

7ms entführt Europa

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Nicht die Gestalt eines Rindes vom Lande hat dieses Meerrind Sich erwählt-es erscheint wie ein Fisch-und statt einer nackten Treibt eine Nereide in langem Gewände den zaumlos WasserdurchschreitendenWandrer, den Stier, den sonderbar fremden. Ist es die ährenhaar’ge Demeter, die drüben des Meeres Bläulichen Rücken durchfurcht mit dem wasserdurchwandelnden Rinde, Siedle, Poseidon, dann du von den Wogen der Tiefe zum trocknen Rücken der Erde über und wandle auf ihr wie ein Pflüger! Mit dem Meeresschiff schneide dann dort die Furchen Demeters Und ein schreitendes Segel entfalte auf Erden dem Landwind! Stier, du wurdest verschlagen, du irrtest vom Wege; denn ■ Nereus Ist kein Hirt und Proteus kein Pflüger und Glaukos20 kein Winzer. Auen und Wiesen liegen nicht in den Wellen, auf wüstem Meere schneiden die Schiffer das ungepflügte, befahrne Wasser mit dem Steuer und spalten es nicht mit dem Eisen. Keine Furchen besä’n des Erderschütt’rers Gesellen, Nein, das Meergewächs ist Seetang und Wasser das Saatfeld; Schiffer ist Ackermann, Fahrt zieht Furchen, der Kiel ist die Pflugschar. Woher aber denn trägst du eine Jungfrau? Entführen Stiere sogar sich Weiber in toller Liebesverblendung? Hat wohl gar Poseidon, der trügerische, das Mädchen Sich in Stiergestalt geraubt, gehörnt wie ein Flußgott? Spann eine neue List er nun nach Tyros Berückung21, Wie er es jüngst getan, der Wasserbuhle, der rauschend Trugvoll nachgeahmt die Flut als falscher Enipeus ? «

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Erster Gesang

125 Also auf seiner Fahrt sprach laut ein hellenischer Schiffer Staunend. Da ahnte das Mädchen des Stieres hochzeitlich Werben, Raufte ihr Lockenhaar und schrie in heulendem Jammer: »Taubes Wasser, ihr Wellen, ihr schweigenden, kündet dem Stiere, Falls ein Rind euch hört: Du Unhold, schone des Mädchens! i3o Kündet, ihr Brandungswellen, es meinem liebenden Vater: Heimatverlassen sitzt auf einem Stiere Europa, Einem Räuber und Schiffer und, wie mir ahnt, einem Buhlen. Meiner Mutter bringt diese Locken, ihr kreisenden Lüfte! Boreas, wie du geraubt die attische Jungfrau22, so fleh ich: 135 Nimm mich mit deinen Flügeln hinauf! O Stimme, ver­ stumme, Daß mir nicht nach dem Stier auch Boreas hebestoll nahe.«

Riefs und ward auf dem Rücken des Rindes weitergeleitet. Und so kams, daß Kadmos, von Land zu Lande gewandert, Folgte der wechselnden Spur des brautentführenden Stieres. 140 Auch zu der tödlichen Grotte der Arimer23 kam er, als Hügel Irrend schmetterten wider Olympos’ unbrechbare Pforten, Als geflügelte Götter hoch oben am winterverschonten Nil mit luftigem Wehn auf fremden Spuren gerudert, Nachzuahmen der Vögel ganz unerreichbare Wandrung24, 145 Und als gepeitscht der Pol25, der siebengegürtete. Hatte Zeus doch, getragen zum Lager der Pluto28, damit er erzeuge Tantalos27, den Toren, den Räuber himmlischer Becher, In einem Felsenwinkel des Äthers Rüstung verborgen Und den Blitz versteckt. Da entquoll den also geborgnen iso Donnerkeilen ein Rauch und schwärzte die blendende Klippe. Durch versteckten Funken des Pfeils mit der feurigen Spitze

Kadmos und Typhon

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Wurden die Quellen warm, und von den Strömen des Erdspalts Schäumte Mygdoniens Kluft und brauste voll tosenden Dämpfen. Und seine Hände streckend, als Mutter Erde ihm winkte, Stahl die verschneiten Waffen des Zeus der kilikische iss Typhon ”, Feurige Waffen; entfaltend die Reihe der brüllenden Kehlen, Schrie er gar mannigfaltig, als heulten Bestien im Chore Nieder auf Häupter von Panthern ergossen sich seine verknäulten Drachen, sie leckten der Löwen wildtrotzige Haare und wanden Schlängelnd ihre Schwänze um Rinderhörner wie Gürtel. 16O Gift entschleuderten sie den schmalen Zungen der Kiefern Und vermischten es mit dem schäumenden Geifer der Eber. Unter gehöhltem Fels verbarg er die Rüstung Kronions Und erhob zum Äther die Saat der riesigen Arme. Seiner Hände Heer ergriff den Fuß des Olympos3’: 165 Mit der einen schnürt’ er den Schwanz des Hundes und drängte Aus der Bahn mit der andern den an die Achse gelehnten Rist der parrhasischen Bärin31, ergriff den Bootes und stieß ihn Fort, zog Phosphoros33 weg, und unter dem zyklischen Drehpunkt Pfiff der Morgenschall der himmlischen Peitsche33 vergeblich. 170 Weg riß er die Morgenröte, er hemmte das Stierbild, Und halbfertig zur Unzeit ließ ab die schirrende Höre. Und durch die schattigen Locken der natternhaarigen Köpfe War das Licht gemischt mit Finsternis. Helios hob sich Mit Selene zugleich und beide strahlten am Tage. 175

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Erster Gesani

Noch ließ der Gigant nicht ab; von Norden gen Süden34 Wandte er seinen Weg und tauschte den Pol mit dem Pole. Mit seiner langen Hand ergriff er packend den Fuhrmann, Peitschte dann den Rücken des hagelbringenden Steinbocks, iso Zerrte auf das Meer die beiden Fische vom Äther, Stieß den Widder35 fort, das Nabelgestirn des Olympos Über dem nachbarlichen und feurigen Kreise des Frühlings, Der mit gleicher Waage verteilt den Tag und das Dunkel. In die Höhe erhob sich Typhon auf schleppenden Füßen 185 Wolkennah, und entfaltend die weitverästelten Hände, Deckte er dunkel den silbernen Glanz des offenen Äthers, Schüttelte seiner Schlangen gewundenes Heer, und die eine Hochgebäumt durchlief die Krümmung des Kreises der Achse, Und dann sprang sie auf das Rückgrat des himmlischen Drachen, 190 Schnaubend vor Wut. Die andre, ganz nah der Tochter des Kepheus33, Schlug einen weiteren Kreis, sich windend zwischen den Sternen, Und umschnürte neu mit Fesseln Andromedas Fesseln Seitlich unter den Banden. Der dritte hörnergeschmückte3’ Drache krümmte sich um das Horn des ähnlichen Stieres, 195 Wand Spiralen über dem Haupt des Rindes und schreckte Mit geöffnetem Maul die anders geformten Hyaden33, Abbild der horngeschmückten Selene. Es schlang der verknäulten Drachen Geflecht sich Gift entspritzend um den Bootes. Wild fuhr ein anderer Drache empor, sobald er am Himmel 2oo Sah eine Schlange den Arm des Schlangenträgers umzucken. Krümmend seinen Nacken und auf dem Bauche sich ringelnd, Flocht er als anderer Kranz sich um den Kranz Ariadnes. Und des Westwinds Gürtel und drüben den Fittich des Ostwinds

Kadmos und Typhon

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Schüttelte hin und her der hundertarmige Typhon, Schwankte nach beiden Angeln des Himmels; nach Phos205 phoros riß er Hésperos” fort und den Schopf des Atlas. Im moosigen Meergrund Griff er suchend zusammen den Wagen Poseidons und zog ihn Aus der Tiefe ans Land. Von der Krippe unter dem Wasser Riß er das Stallpferd zurück an meerdurchfeuchteter Mähne, Schleuderte dann zum Bogen des Himmels das irrende Füllen 210 Lanzengleich zum Olymp und traf des Helios Wagen, Und es wieherten unter dem Joch die kreisenden Rosse. Vielfach schüttelte er einen brüllenden Stier, der des Pfluges Ländliche Deichsel verlassen, mit drohenden Armen, und schleudernd Warf er gegen Selene40 ein gleichbeschaffenes Abbild, 215 Hemmte ihre Bahn, und in den Zügel ihr fallend, Warf er das weiße Stiergespann der Göttin herunter41 Mit verderblichem Zischen der giftentsprühenden Natter.

Doch die Titanin Mene42 wich nicht dem Waffenbewehrten, Auf nahm sie den Kampf, und gegen die hornigen Häupter 220 Stieß sie ihr Stiergehörn mit seinen lichtbringenden Kreisen. Laut aufbrüllten da die schimmernden Rinder Selenes, Bang erschrocken vor der Kluft des Typhonischen Schlundes. Furchtlos bewehrten die Horen die schlachtgerichteten Sterne, Und in rollendem Kreise die Reihen der Himmelsgewinde 225 Leuchteten hell zum Kampf. Es brauste mit feurigen Bränden Vorwärts das glitzernde Heer,denÄther entflammend,sie alle, Die da den Nordwind, den Rücken des Westwinds, die Zonen des Ostwinds Und die südlichen Buchten erlöst. Gleicheifernder Schlacht­ lärm Trieb den standhaften Chor unirrbarer Sterne42 von dannen. 230

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Erster Gesang

Eingeholt wurden drüben die Streuner“. Es brauste vom Nachhall Die in dem leeren Raum des Himmels gerichtete Achse Fest in der Mitte. Beim Anblick der Rudel reißender Tiere Zog Orion das Schwert, und wie sich sein Träger bewehrte, Funkelte Tanagras“ Messer mit glänzend strahlendem Rücken. Schüttelnd den hellen Schimmer des feuerumloderten Kinnes, Kläffte der durstige Hund dazu aus dem sternigen Schlunde Heißes Gebell, und statt den gewohnten Hasen" zu jagen, Rülpste er gegen das Untier, den Typhon, den Dunst seiner Zähne. Laut erdröhnte der Pol. Und seine Stelle verändernd Ließ an den sieben Zonen des Himmels das siebengekehlte Echo den Schrei erschallen der gleichgezählten Pleiaden; Und ein ebenmäßig Gedröhn entfuhr den Planeten. Als der Schlangenträger, der helle, des grausen Giganten Schlangenfülle gewahrte, da warf er aus wehrenden Händen Fort die bläulichen Rücken der feuergemästeten Drachen. Buntes, krummes Geschoß entsandte er. Rings um die Lohe Sausten Finsternisse. Vom Bogen schnellten die schiefen, Natterartigen, trunken die Luft durchtobenden Pfeile. Neben dem fischigen Steinbock*7 der kühne, laufende Schütze Ließ auch sein Geschoß entfliehn. Im Kreise des Wagens*8 Schüttelte nun der Drache, der mitten zwischen den beiden Bären erglühte, den schimmernden Bug des ätherischen Rückgrats. Auch der Nachbar der Jungfrau“, Bootes, der neben dem Wagen Treibend schreitet, schwang mit leuchtendem Arme den Krummstab. Neben dem Knie58 des Bildes beim nahewandelnden Schwane Kündeten laut den Sieg des Zeus die Sterne der Leier.

Kadmos und Typhon

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Typhon packte wild erschütternd Korykions “ Gipfel. Und die Heimatflut des kilikischen Stromes bedrängend, Preßte in seiner Hand erTarsos62 und Kydnos zusammen. Felsgeschosse entsandte er schleudernd und scheuchte des Meeres Scharen auf die Klippen, er peitschte zum Äther die Fluten. Während so der Gigant die schleppenden Füße im Wasser Netzte, blieb unversehrt von den Wellen die nackende Hüfte, Und die Mitte der Schenkel umtosten die rauschenden Wogen. Wütend zischten die Drachen aus flutdurchtosenden Kehlen, Schwammen wider das Meer heran zum Kampfe und spieen Gift. Und wie in der Tiefe des fischdurchwimmelten Meeres Typhon stand, da staken ihm fest die Sohlen der Füße In dem moosigen Grund. Den Leib umspülten die Lüfte, Von den Wolken umballt. Und wie er vom Haupt des Giganten Hörte das grause Gebrüll der mähnigen Löwen, da barg sich Tief der Löwe der See im schlammigen Grunde. Bedrängung Preßte die weite Zahl der wäßrigen Bestien im Meere; Denn der Erdgeborne, der größer noch als die Erde, Füllte mit trockenen Weichen die Flut, es brüllten die Robben Und die Delphine versteckten sich in der Tiefe des Meeres. Ob sich der schlaue Polyp auch wickelnd wandte und drehte, Wurde er doch gezwängt an seinen felsigen Standort, An der Klippe blieb die Gestalt, ein Abbild der Glieder. Alle packte ein Zittern. Sogar die wilde Muräne, Die doch selber giert nach Drachenbegattung0, erbebte Vor der schwimmenden Drachen die Götter bekämpfenden Anhauch. Aufwärts ward das Meer getürmt und schlug an den Himmel Mit dem untersten Grund. Und bei der steigenden Strömung Ward in den Lüften vom Meere der trockene Vogel befeuchtet. Mit dem Abbild des Dreizacks der Tiefe schnitt eine Insel, Ein getrenntes Stück der meerbegrenzenden Erde,

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Erster Gesang

Typhon schlitternd ab mit der Schwingung der riesigen Hände, 290 Drehte sie wie einen Ball und warf sie in wirbelndem Schwünge. Und die Hände des wilden Giganten, des Schleuderers schroffer Vorgebirge, waren im Himmelsgewölbe gerüstet. Nahe den Sternen verdunkelten sie in den Lüften die Sonne. Tief in das äußerste Meer und hoch zu den Gipfeln der Erde 295 Streckte der falsche Zeus die Hand mit den feurigen Blitzen, Und die Rüstung Kronions erhob mit den mächtigen, langen Zweihundert Händen nur mit Mühe der grausige Typhon Wuchtend —mit Einer Hand kann sie Kronion erheben. In den trockenen Fäusten des wolkenlosen Giganten 3oo Sandte der Donner lautlos mit dumpfem Murmeln des Schalles Leises Geräusch. Kaum floß ihm in den trockenen Lüften Nieder der nasse Tau des Schnees in stöbernden Tropfen. Dunkel wurde der Blitz, und ähnlich schimmerndem Rauche Leuchtete dünn sein Feuer wie niedergeschlagnes Geflimmer. 305 Als sie bemerkten, wie wenigerfahren die Hände des Trägers, Kehrten ins Weibliche gleich die Blitze ihr männliches Feuer. Häufig glitten sie nun mit eigenmächtigen Sprüngen Aus den gewaltigen Fäusten; irr liefen die feurigen Brände, Nach der gewohnten Hand ihres himmlischen Trägers sich sehnend. 3io Wie wenn ein Rossestachler, ein unerfahrener Fremder, Peitscht ein sträubendes Füllen, das schäumend seinem Gebisse Wehrt, er müht sich umsonst, denn dreist mit feurigem Mute Spürt die falsche Hand und törichte Lenkung das Füllen, Scheu mit wildem Sprunge steigt steil es empor in die Lüfte, 315 Stützt dabei sich fest auf die Hufe der hinteren Füße, Hoch die vorderen Füße erhebt es mit schlagendem Schwünge,

Kadmos und Typhon

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Seine Mähne fliegt, von beiden Schultern geschüttelt Weht das wirre Haar ihm wild hernieder vom Nacken: So ermüdete Typhon, sobald er mit wechselnden Händen Suchte das flüchtige Flimmern der irrenden Blitze zu heben. 320 Während der irrende Kadmos so bei den Arimern schweifte, Ließ am Ufer von Kreta der wasserdurchwandernde Farren Unbenetzt vom Nacken das Mädchen nieder zur Erde. Und wie Hera gewahrte den sehnsuchtverzehrten Kroniden, Sprach sie eifersüchtig in lachendem Grolle die Worte: »Phoibos, hilf doch deinem Erzeuger, damit nicht ein Pflüger Greife den Zeus und spanne ihn vor den ackernden Pflugsterz. Griff er ihn doch und spannte ihn ein,dann würde ich rufen: ,Dulde nun doppelte Stacheln, vom Bauer und von den Eroten!‘ Werde doch deinem Erzeuger zum Hirten, gepriesener Schütze, Daß nicht den Kroniden die Herrin der Rinder, Selene, Bei dem eiligen Lauf zu Endymions“ Lager, des Hirten, Ohne Schonung am Rücken mit ihrer Geißel beflecke. Herrscher Zeus, die Jungfrau, die hörnertragende Io66, Hat es verfehlt: nie sah sie dich so als Gatten, um einen Gleichgearteten Stier zu gebären dem hornigen Buhlen. Hüte dich vor den Künsten des Rinderdiebes Hermeias “, Daß er nicht greife den Stier und stehle den eigenen Vater Und deinem Sohne Phoibos dafür die Leier beschere, Dieses Kleinod des selbst geraubten Räubers. Was tu ich? Lebte doch Argos67 noch, von schlafgemiedenen Augen Leuchtend am Körper bedeckt, dann zog er Kronion auf öde Weide und schlüg seine Flanken als Heras Hirt mit dem Stabe.«

Hera sprachs. Der Kronide verließ des Stieres Gestaltung. Nun wie ein Jüngling umgarnte er eifrig das züchtige Mägdlein,

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Erster Gesang

Seine Glieder betastend. Und von dem Busen der Jungfrau Löst’ die umschlingende Binde er erst und drückte der straffen Brüste schwellendes Rund wie unabsichtlich; er küßte Auf die Lippen das Mädchen. Und als nun schweigend Kronion 350 Aufgewickelt den heilig behüteten Gürtel der Jungfrau, Erntete er die herbe Frucht der Eroten der Kypris. Und ihr strotzender Leib schwoll auf von doppelter Zeugung, Da nun hinterließ der Gatte Kronion die junge Schwangere Frau mit der heiligen Frucht dem namenlos reichen 355 Ehegemahl Asterion“. Und neben dem Knöchel des Fuhr­ manns Hob der Bräutigam sich als schimmerndes Stierbild des Himmels. Frühlingsphaethons“ fröhlich betauten Rücken bewachend, Geht vornübergebeugt er auf mit gebogenen Knieen. Halb verborgen erscheint er, wie er Orion den rechten 36o Vorderfuß hinstreckt, und schneller den Abendbogen beschreitend, Wandert er vorbei an dem mitlaufenden Fuhrmann.

So ward der an den Himmel gestellt. Doch sollte nun Typhon Nicht mehr beherrschen die Rüstung des Zeus. Mit dem pfeilebewehrten Eros zusammen verließ der Kronide die Drehung des Poles 365 Und begegnete so dem bergdurchspähenden, irren Wanderer Kadmos. Gemeinsam entwarf er listigen Ratschlag, Typhon zu verstricken ins Netz der vernichtenden Moira. Pan, der Ziegenhüter, mit Zeus, dem Walter des Weltalls Wandelnd, beschenkte den Gott mit Rindern, Ziegen und Schafen.

Kadmos und Typhon

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Schilfrohr flocht er umwunden zusammen, und über dem Boden Machte er so ein Versteck, und unerkennbar gestaltet Hüllte er den Leib des Kadmos in Hirtengewänder; Und einen falschen Hirten schuf so er mit täuschenden Kleidern, Schenkte auch sodann dem kundigen Kadmos die list’ge Rohrschalmei, daß sie ihn geleite zu Typhons Verderben. Den verkappten Hirten und auch den geflügelten Kuppler Rief nun Zeus herbei, einen einzigen Plan zu enthüllen:

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»Kadmos,spiel die Schalmei, dann wird der Himmel beruhigt. Zögernd stehst du, nun wird gepeitscht der Olympos, denn Typhon Ist jetzt ausgerüstet mit unsern himmlischen Waffen. 38o Nur die Aigis blieb mir noch übrig, aber was könnte Meine Aigis tun im Streit mit den Blitzen des Typhon! Fürchte ich doch das Lachen des greisen Kronos •• und scheue Meines Gegners,des stolzen Iapetos’1, freudigen Nacken; Fürchte das fabelnde Hellas noch mehr, es nennte dort 385 leichthin Ein Achaier nun Typhon den regenbringenden, höchsten HerrscherundschändetesomeinenNamen. Werde zum Hirten Nur diesen einzigen Morgen hindurch und spiele dem Tollen Deine Schalmei und so beschirme den Hirten des Weltalls, Daß ich nicht höre den Schall des wolkensammelnden Typhon, 390 Nicht den Donner gar eines anderen, falschen Kronion, Sondern den Donnerschleud’rer, den Kämpfer der Blitze, vernichte! Stammst du wirklich vom Blute des Zeus und von Inachos’ Tochter Io", so dämpfe den Sinn des Typhon mit wehrendem, klugem

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Erster Gesan^

395 Schall der Schalmei. Ich gebe, um deine Mühe zu lohnen, Dir ein doppelt Geschenk. Ich mach dich zum Retter der Welten — Harmonie und zu Harmonias ehlichem Gatten. Du jedoch, erster Sämann der zeugungschaffenden Ehe, Eros,spanne denBogen,dann taumeltdas Weltall nicht länger 400 Stammt nun alles aus dir, liebfördernder Hirte des Lebens, Spanne das Eine andre Geschoß, um alles zu retten. Feurig wappne dich gegen den Typhon! die feurigen Blitze Werden dann wieder durch dich in meine Hände sich wenden Allbezwinger, es treffe dein Feuer den einen, ihn jage, 405 Ihn bezaubre dein Pfeil, den nicht Kronion besiegte. So überwältige ihn der Zauber Kadmeischen Sanges, Wie mich Sehnen bezwang, mich mit Europa zu einen.« Sprachs und stürmte hinweg und glich einem hornigen Stiere. Daher derNameTauros,das Stiergebirge. Doch Kadmos 4io Spannte scharf den täuschenden Schall der klingenden Rohre, Lehnte an eine Eiche des fruchtbaren Waldes den Rücken, Und wie ein wirklicher Hirt in seinen ländlichen Kleidern Sandte zum Ohre des Typhon er seine listige Weise, Blies die Wangen auf und spielte liebliche Töne. 415 Aufsprang der Gigant, der liederfrohe, und wand die Schlangenfüße; er lauschte der listigen Weise. Kronions Flammende Waffen ließ er in der Höhle bei seiner Mutter Gaia63 und spürte nach dem bestrickenden, nahen Schalle. Und wie ihn Kadmos so nah dem Verstecke gewahrte, 420 Barg er wie zitternd sich unter dem schroff zerklüfteten Felsen. Als das Ungeheuer, der Typhon, erhobenen Hauptes Den Entweichenden sah, da winkt’ er mit stummen Gebärden Und erkannte nicht die tönende Falle. Er streckte Hin seine eine Rechte dem feindlichen Hirten und merkte

Kadmos und Typhon

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Nicht das verderbliche Fangnetz. Und lächelnd brach aus dem blut’gen, Menschlichen, mittleren Antlitz hervor ein prahlender Ausruf: »Ziegenhirt, was birgst du zitternd die leuchtenden Augen ? Stünde mirs an, nach Zeus einen sterblichen Mann zu ver­ folgen ? Stünde mirs an, die Schalmei zugleich mit den Blitzen zu rauben ? Was haben feurige Donnerkeile mit Rohren gemeinsam? Halte dein Spielwerk für dich, denn Typhon gewann sich ein andres Himmlisches Werk, das tönt von selber. Nun sitzt er mit leeren, Lautlosen Händen da, der wolkenlose Kronion, Und bedarf deines Spielwerks, des Donners Gewöhnung entbehrend. Deiner wenigen Rohre Geräusch, das mag er behalten Rohre, die reihweis mit Rohren verbunden, mag ich nicht schwingen, Sondern Wolken wälz ich und ball sie mit Wolken und lasse Schallen ein Getön, das gleich dem himmlischen Rasseln. Willst du aber, so machen wir freundlichen Wettstreit: entsende Singend das Lied der Schalmei, ich aber schmett’re den Donner. Deine Wangen schwellen von deinem Hauche, sobald du Mit deinem Munde bläst, dieweil gepeitscht von des Bläsers Boreas Schnauben mir die Donnerkeile entbrausen. Für dein Spielwerk, Hirt, werd ich dich lohnen: sobald ich Szeptertragend an Stelle des Zeus den Himmelsthron lenke, Laß ich auch dich mir folgen und nach der Erde zum Himmel Bringen mitsamt der Schalmei und, willst du, auch mit deiner Herde. Von deinen Tieren brauchst du dich nicht zu trennen. Ich stelle

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Deine Ziegen über den Rücken des ähnlichen Steinbocks 450 Oder dem Fuhrmann"* nah, der am Ellenbogen im Himmel Streckt die glänzende Ziege mit seines Unterarms Schimmer. Neben dem breiten Nacken des regenerzeugenden Stieres Stelle ich deine Rinder verstirnt am Himmel zum Aufgang Oder neben den Drehpunkt, den tauigen, wo aus der Kehle 455 Lebenwärmend die Rinder Selenes“ die Lüfte durchbrüllen. Dein geringes Versteck ist nicht vonnöten, statt dessen Mag deine Herde blitzen mitsamt den Söckchen im Äther. Eine andere Krippe werd ich dir formen, damit sie Ebenso leuchte neben der nahen Krippe der Esel“. 460 Werde auch dich verstirnen, du einstiger Hirt, wo Bootes“ Leuchtet,und strecke du aus den sterngewordenen Krumm­ stab. Sei ein arkturischer Treiber“ des lykaonischen“ Wagens. Herdgenosse des himmlischen Typhon, gesegneter Hirte, Singe du heut auf Erden und morgen im Himmelsolympos! 465 Für dein Lied als würdig Geschenk bei der sternigen Gruppe Setze ich an den Himmel nun deine Flöte und knüpfe Deine süße Schalmei dann hoch an die himmlische Leier. Wenn du willst, gewähr ich dir heilige Hochzeit mit Pallas; Wenn du die Augenhelle nicht magst, so geb ich dir Leto, 470 Artemis, Kythereia und Charis, ja Hochzeit mit Hebe; Nur auf ein einziges Lager, das unserer Hera, verzichte. Hast du zum Bruder jedoch einen roßerfahrenen Lenker, Mag er sich gerne nehmen des Helios flammendes Vierspann. Wünschst du als Ziegenhirt die Aigis ” Kronions zu schwingen, 475 Geb ich sie dir zur Gabe. Ich aber wandre zum Himmel, Unbekümmert um Zeus, den waffenlosen; denn Pallas, Was denn könnte solch Weib mir tun trotz all ihrer Rüstung! Rinderhirt, auf! Heb an und singe vom Siege desTyphon! Feiere mich als den neuen und echten Herrscher des Himmels, 480 Der Zeus’ Szepter trägt und seinen strahlenden Mantel.«

Kadmos und Typhon

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Sprachs,und Adrasteia71 schrieb auf so mächtige Worte. Als aber Kadmos merkte, daß freien Willens ins Jagdnetz Durch das Gespinst der Moiren72 der Sohn der Erde hineinlief, Von dem süßen Stachel betörender Rohre getrollen, Da entwich ihm, ohne zu lachen, ein listiger Zuruf: »Staunend hörtest du meiner Schalmei bescheidene Stimme. Sag, was würdest du tun, wenn auf der Kithara sieben Saiten schmetternd ich deinem Sessel ein Siegeslied sänge ? Denn ich wars, der auch die Leier des Phoibos im Wettstreit Mit dem himmlischen Stäbchen besiegte, doch unsere süßen Saiten hat der Kronide mit seinen Blitzen zerrissen Seinem besiegten Sohn zuliebe. Doch finde ich einmal Wieder die schwellenden Sehnen, dann singt mein Stäbchen ein Lied wohl, Das die Bäume, die Berge, die wilden Tiere bezaubert. Den um die Altersgenossin, die Erde, ursprünglich geschlungnen Kranz, des Okeanos Strom, der in sich zurückkehrt, den werde Ich verhindern, den Kreis der Flut um die Erde zu schwingen, Heiße der festen Sterne Geflecht, den Lauf der Planeten Stillstehn,und Phaethon73 auch mitsamt derDeichsel Selenes. Triffst mit dem Feuergeschoß du aber den Zeus und die Götter, Dann verschone allein den Bogenmeister, daß Phoibos Mit mir streite um den mahlzeitverteilenden Typhon, Wer wohl den andern im Preise des mächtigen Typhon besiege. Töte auch nicht den Chor der Pieriden74, damit sie, Wenn den Festzug ich, euer Hirt, oder Phoibos geleiten, Weiblichen Reigen schwingen zum Takte des männlichen Sanges.«

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Erster Gesang

Sprachs, da nickte Typhon mit seinen finsteren Brauen76, Schüttelte seine Locken, und Natterngift spieen die Haare Weit umher, daß rings sie alle Hügel benetzten. 5io Schnell zu seiner Höhle enteilend hob er Kronions Sehnen auf und schenkte sie dann dem listigen Kadmos76, Sehnen, die in der Schlacht mit Typhon zur Erde gefallen.

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Und die ambrosische Gabe gefiel dem trügenden Hirten. Rings betastete er die Sehnen, und wie eine künft’ge Saite der Leier verbarg er sie in felsiger Höhle, Wohl behütet für Zeus, den Gigantenvernichter; behutsam Schloß er die Lippen und drückte sie an die Rohre, entlockte Ihnen ein feines Blasen geheim, und so mit des Schalles Spannung sang er lieblich ein Lied. Da spitzte die vielen OhrenTyphon und lauschte den Harmonien77, nichts merkend. Und dem bezauberten Riesen zur Seite blies so der falsche Hirt die Schalmei, als spielt’ er der Götter feiges Entfliehen, Während er wirklich tönte vom nahen Siege Kronions. Typhons Verderben sang er so dem sitzenden Typhon, Weckte noch mehr seine Gier. Und wie ein üppiger Jüngling Liebeswund durch den Stachel, den süßen, bezaubert von seinem Mädchen, einmal des süßen Gesichtes silberne Kreise, Dann die schweifenden Locken des langen Haares betrachtet, Schaut auf die rosige Hand, dann auf das bindenumschnürte Rund des blühenden Busens, und schon verschüchtert von ihrem Bloßen Nacken, und wie ihn übermäßig bezaubert Ihre Gestalt, und hierhin und dorthin ganz unersättlich Irrt sein Blick, nie mehr will er die Jungfrau verlassen: So überließ sich dem Kadmos der liederbezauberte Typhon.

ZWEITER GESANG

Also blieb jener dort an dem Fuße des fruchtbaren Waldes, Kadmos, der Agenoride, der falsche Hirt, und er schob die Oben offne Schalmei entlang den schwellenden Lippen. Unerreichbar, unmerklich kroch lautlos unter die Höhle Zeus und bewehrte aufs neu mit dem früheren Feuer die s Hände. Und eine Wolke bedeckte den Kadmos neben dem Felsen, Daß nicht Typhon den Trug des verstohlenen Diebes der Blitze Merke und schnell sich besinnend den wetterwendischen Kuhhirt Töte. Doch Typhon wollte noch länger dem lieblichen Stachel Sich überlassen und lauschte dem Takt des betörenden Sanges. 10 Wiewennein Schiffer vernimmt das trügende Lied der Sirene, Und es zu früh ihn zieht zum selbstverschuldeten Tode, Wenn ihn die Weise bezaubert-er fürchtet nicht länger die Wellen, Zieht die Ruder ein und schont die Bläue des Wassers; Gleitend in die Netze der lieblich tönenden Moira 15 Denkt er beseligt nicht länger des Steuers; des Siebengestirnes Achtet er nicht, noch schaut er den Bogen der kreisenden Bärin: So ward jener ergriffen vom Hauche des listigen Liedes, Von dem süßen Geschoß des Spielwerks verderblich getroffen. Aber da schwieg das hauchende Rohr des tönenden Hirten, 20 Den der schattige Gürtel der Wolken versteckte, und Kadmos

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'¿weiter Gesang

Schloß seine Harmonien. In grimmem Zorne fuhr Typhon Auf, zum Kampf gestachelt, und lief in den Winkel der Höhle Suchte mit wühlender Wut nach dem windbeflügelten Donner 25 Und unerreichbarem Blitz; und forschte mit spürendem Fußi Nach dem feurigen Glanz der nun gestohlenen Keile Und fand leer die Höhle. Kronions listige Absicht Merkte er nun zu spät und Kadmos’ trügenden Anschlag. Berge warf er wie Lanzen und bäumte sich gegen den Himmel 30 Schlangenartig wand er auf krummen Spuren die Füße, Und aus dem Munde spie er schleudernd giftigen Geifer. Von den Natternhaaren des gipfelhohen Giganten Regneten giftige Quellen, daß Ströme die Schluchten durch schossen. Und wie er stürmisch nahte des Landes tieferem Sitze, 35 Ward der unbeugsame Grund der kilikischen Erde erschütter Von den Füßen der Drachen, und während der tosende Schlachtlärm Donnernd schmetterte wider die hügligen Weichen des Tauros Hüpfte die nahe, steile, pamphilische Küste inÄngsten. Unter der Erde brausten die Klüfte, es bebten die hohen •io Ufer, die Winkel wichen und gleitend zerbarsten die Klippen, Als der Sand sich löste vom Schwung der erschütternden Füße. Da blieb unverschont nicht Land noch Tiere; die wilden Bären wurden zerrissen von des Typhonischen Hauptes Bärenmäulern. Schlünde, die ähnlich den Häuptern von Löwen, 45 Schlangen die glänzenden Glieder der mähnigen Löwen herunter; Von den Natternkehlen des Typhon wurden die kahlen Rücken der Drachen zerfleischt, die sich am Boden ernähren. Auch die luftigen Vögel, die durch die Ferne des Äthers Fliegen, verspeiste er gleich mit Vogelkehlen, besonders so Fraß er den Adler, da dieser Kronions Vogel genannt wird,.

Bekämpfung des Typhon. Sieg der Götter

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Fraß das pflügende Rind, und auch der Anblick des blut’gen, Jochzerscheuerten Nackens erregte keinerlei Mitleid. Auch die Ströme dörrte er aus und trank sie zum Nachtisch. Aus den Flüssen drängte er der Najaden Gemeinschaft; Und eine Nymphe derTiefe und wassergewohnte Najade, Die die Pfade der Flut bestieg, stand plötzlich mit trocknen Gliedern sandalenlos da. Und wie sich mit fliegender Sohle Nun das Mädchen schwang im ausgetrockneten Flußbett, Staken die Knie ihr fest, umschnürt mit lehmiger Fessel. Als da ein greiser Hirt gewahrte des grausen Giganten Vielgestaltig Gesicht, da warf er erschrocken sein Spielwerk Fort und entfloh. Beim Anblick der weitverbreiteten Hände Hielt ein Ziegenhirt nicht länger die fallende Flöte. Nicht bedeckte die Saat mit Erde der fleißige Pflüger, Streute auch rückwärts nicht die Frucht in die offenen Schollen, Und da Typhon den Boden schon furchte mit tobenden Händen, Schnitt er nicht neue Furchen mit erddurchwühlendem Eisen, Nur seine Rinder sandte er los. Das Geschoß des Giganten Spaltete weit die Erde, und offen lagen die Höhlen. Eine Wasserader ward frei, des klaffenden Abgrunds Unterster Schlucht entsprudelten hell hochschießende Quellen, Und den entblößten Boden beschwemmte verborgenes Wasser. Klippen wurden geschleudert; sie stürzten in schäumende Schluchten Aus den Lüften herab und wurden im Meere geborgen. Wasser wurde zu Land, und durch die erd’gen Geschosse Baute sich nun der Grund zu neugeborenen Inseln. Mit den Wurzeln wurden die Bäume der Erde entrissen. Unreif fiel die Frucht zu Boden, der knospende Garten Wurde verwüstet, zu Staub die rosige Wiese verwandelt, Und der Zephyr durchbebte die dürren Blätter gestürzter,

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Zweiter Gesang

Fortgewälzter Cypressen. In klageseligen Tönen Sang Apollon von der Hyakinthen1 Zerstörung Eines Trauerliedes Gefüge; noch mehr als Amyklais Blüten bestöhnte er den teuren, zerschlagenen Lorbeer. 85 Traurig errichtete Pan seine niedergebrochene Fichte, Und in Erinn’rung Morias2, der schirmenden, attischen Jungfrau; Stöhnte die leuchtende Pallas um ihren zersplitternden Ölbaum. Paphos’ Göttin3 beweinte die Anemonen im Staube, Und das Blütengelock der duftigen Kelche betränend 90 Raufte sie wegen Vernichtung der Rosen die üppigen Flechten. Deo beklagte die Ähren, die halbvollendet verdarben; Nicht mehr sollte sie leiten den Erntereigen. Die Nymphen Weinten um die gleichalten und neu entschatteten Bäume.

Eine Hamadryade, die mit dem schönen, zerspellten 95 Lorbeer verbunden lebte, entwich da ohne ihr Stirnband, Und eine andre Jungfrau, die aus der Fichte enteilte, Nahte und sprach zu der ihr benachbarten, fremden Dryade: »Lorbeerhamadryade, du ehescheue, wir beide Wollen laufen, nicht Pan und nicht Apollon zu sehen. loo Holzfäller! geht vorbei an diesen Bäumen; verschonet Den verehrten Stamm der zitternden Daphne, und schneide Keine Fichtenbalken, o Zimmermann, zimmre kein Lastschiff, Daß nicht das Holz die Wellen der Aphrodite1 berühre. Ja, Holzfäller, vergönne die letzte Gunst mir und schlage los Mich mit der Axt an Stelle der Stämme. Durch unseren Busen Hefte das züchtige Erz der unvermählten Athene, Daß ich noch vor der Hochzeit als Jungfrau eile zum Hades, Die ich bis jetzt wie Pitys, wie Daphne den Eros gemieden.«

Bekämpfung des Typhon. Sieg der Götter

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Sprachs und flocht für die Stirn eine täuschende Binde6 aus Blättern, Deckte die Rundung der Brüste mit lichtem, grünendem Gürtel Züchtig voller Scham, und preßte Schenkel an Schenkel. Und wie die andere Nymphe sie sah, da rief sie verzweifelt: »Jungfräuliche Furcht beherrscht mich,werd ich doch selber So verfolgt wie Daphne, ich, die ich Daphne entsprossen: Wohin flieh ich? verberg ich mich unter Felsen? zu Asche Schlugen die Donnerkeile die himmelgeschleuderten Hügel. Auch deinen lüsternen Pan“, den fürcht ich, er wird mich bedrängen, Wie die Pitys, wie Syrinx7. Und nun ich selber verfolgt bin, Werd ich zur zweiten, die Berge durcheilenden, tönenden Echo. Nicht mehr kehr ich zurück zu diesem Stamme; die hohen Berge bewohne ich nach dem Baum, wo Artemis selber Jagt, dieJungfraufreundin; Kronion aber erlangte, Sich in Artemis verwandelnd, das Lager Kallistos’. In das Meer enteil ich! Was frommt mir Ehe ? doch dort auch Wird Asteria* verfolgt vom weibertollen Poseidon. Hätt’ich doch leichte Schwingen, dann zog ich in schwin­ delnder Höhe Mit den luftigen Winden auf ihren Bahnen von dannen. Aber vergeblich ist wohl auch das Schwingen der Flügel, Weil ja die riesigen Hände desTyphon dieWolken berühren. Zwänge er mich zu böser Vermählung, würd ich mich wandeln, Unter die Vögel mich mischen, und als geflügelte Schwalben Werde ich Freundin sein des Frühlingszephyrs,und künden Werd ich die Nachtigall, die Rose und tauige Blumen, Zwitschern werd ich geschwätzig als Schwalbe unter dem Dache Und in geflügeltem Tanze mein Nest in Kreisen umgaukeln.

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Prokne10, die du so bitter gelitten, mit trauerndem Liede Weine um deinen Sohn, und ich beweine die Hochzeit. Herrscher Zeus, o mache mich nicht zur Schwalbe, damit nichl Zornvoll auch mich ein geflügelterTereus verfolge: der Typhon. Luft, Gebirge und Meer sind mir verschlossen. Drum berg ich Mich im Innern der Erde. Doch von den Sohlen des Riesen Dringen auch in denGrund giftschleudernde, lauernde Hydren. Flöß ich als feuchte Flut durchs Land doch wie die Komaitho11! Mischte mein junges Wasser dem Vaterstrome des Kydnos! Nein! Sonst müßte ich nach der Sage mein jungfräulich Wasser Einen mit den Wellen der unglücklich liebenden Jungfrau. Wohin flieh ich? Ergeb ich michTyphon? Aber dann werd ich Einen ihm ähnlichen,fremden, vielförmigen Sohn ihm gebären. Wär ich ein anderer Baum und eilte aus Eiche in Eiche, Wahrt’ ich den Namen mir eines züchtigen Kindes. Statt Daphne Würd ich dann nicht wie das frevelnde Reis der Myrrha12 geheißen. Ja, ich erflehe neben Eridanos13 jammerndem Strome Eine der Heliaden11 zu sein. Dann träufle ich vielen Bernstein aus meinen Brauen und werde die klageerfreuten Äste der nahen Pappel mit meinem Laube umschlingen, Während Tränen dann mir um mein Magdtum entströmen. Klag ich um Phaethon doch nicht. Sei gnädig, o Lorbeer, Scheu ich mich doch, nach demWaldbaum zu anderem Baume zu werden. Stein wie Niobe werde auch ich, dann mögen die Wandrer Mitleid auch für mich, die steinerne Stöhnerin, fühlen. Was aber hülf mir die Form der Schmähenden15! Leto.sei gnädig! Möge der gottlose Name der Unglücksmutter vergehen !«

Bekämpfung des Typhon. Sieg der Götter

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Riefs. Und Phaethon nun, die Himmelskugel verlassend, Lenkte zum Untergang den Wagen. Da sprang von der Erde Hochgespannt wie ein Kegel die schweigende Nacht in die Lüfte 165 Und umhegte den Himmel mit ihres sternigen Mantels Ätherschmuck. Es schweiften am nie umnebelten Nilstrom Die Unsterblichen irrend umher. Bei dem hügligen Tauros Wartete Zeus auf das Licht der kampfentfesselnden Frühe. Nachtwars. Wachendstanden die Himmelsscharen der Sterne 170 Siebenzählig um ihre Zonen. Hoch wie von Zinnen Scholl ein mächtig Geschrei, gewaltig wellte der Sterne Anderer Klang dahin. Der Weltenachse Getöse Trug ihren Schall vom Standort Saturns zum Drehpunkt Selenes. Und mit der dichten Hülle gedrängter, kränzender Wolken 175 Sperrten die Horen den Himmel, die Wächterinnen des Äthers, Phaöthons Dienerinnen. Der unverletzlichen Tore Westlichen Riegel verschlossen die Sterne, damit nicht ein Haufe, Während die Seligen fern verweilten, den Himmel erobre. Statt des gewohnten Klangs der Flöten und der Schalmeien iso Pfiffen sausend die Winde ihr Lied mit mächtigen Schwingen. Der mit dem Ätherdrachen vereinte, alte Bootes Hatte von oben erspäht des Typhon nächtigen Angriff; Schlaflosen Auges bewachte der Greis die arkadische Bärin. Acht auf den Aufgang gab der Morgenstern, über den Abend 185 Wachte der Abendstern, und während der Schütze den Süden Schützte, umkreiste Kepheus des Boreas regnichte Tore. Wachtfeuer lohten rings, weil überall funkelnd die Sterne Und das nächtige Leuchten der nimmermüden Selene Gleich wie Fackeln strahlten. In stürmischen Kreisen 190 durchrasten Unaufhörlich vom Äther die Sterne die Höhen des Himmels

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'¿weiter Gesang

Und beschrieben im Angriff die Luft mit feurigen Bränden Rechts von Zeus. Und zuckend mit Zacken sich über­ schlagend, Unaufhörlich sausend durch wildzerrissene Wolken, 195 Tanzte der Blitz; es wurde in unstet wechselndem Andrang Bald sein Glanz verdeckt, bald strahlte er wieder aufs neue. Feurige Flechten flocht sich traubenförmig in rauhem Lichte der Komet mit seinem haarigen Glanze. Seine Ruten nahten mit Flimmern; sie spannten wie ries’ge 200 Balken sich aus den Lüften mit langen, lohenden Bränden, Um für Zeus zu kämpfen. Und leuchtend unter den Strahlen Des ihr entgegen eilenden Phaethon krümmte der Iris Farbige Furche sich bogig und lief mit dem Regen zusammen, Während sie Blass und Dunkel und Weiss und Rötlich vermischte.

205 Nike in Lotos Gestalt durcheilte die luftigen, hohen Pfade auf ihren Sandalen, und tröstend trat sie zum einsam Weilenden Zeus, um ihren Erzeuger zu wappnen,und gellend Schrie sie mit harter Stimme den klugverschlagenen Ausruf: »Herrscher Zeus, nun kämpfe für deine Kinder, damit ich 2io Nicht mitTyphon sich gattend die keusche Athene erschaue. Mache nicht gar zur Mutter die Mutterlose1S, nein, kämpfend Hebe glanzverbreitend den Blitz, die Lanze des Himmels. Sammle auch wieder die Wolken, du Regenbringer Kronion. Wird doch schon der Sitz des festbegründeten Weltalls 215 Von den typhonischen Händen erschüttert, und da die geeinten Vier Elemente sich lösten, verweigert Demeter die Saaten. Hebe entglitt der Becher, und weg warf Ares die Lanze, Hermes entsank der Stab, fort schleuderte Phoibos die Leier, Ließ die geflügelten Pfeile dann fallen, und selber entfliegt er 220 Flügelnd in Schwanengestalt, und da die Göttin der Ehe, Aphrodite, umherirrt, bleibt unbefruchtet das Weltall.

Bekämpfung des Typhon. Sieg der Gotter

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Die unlösbaren Bande Harmonias lösten sich; Eros, Der doch alle bezwingt, der unbezwingliche, dreiste, Ließ erschrocken fallen den fruchtbaren Bogen. Sein altes Lemnos verlassend naht dein Schmied Hephaistos, der lahme, 225 Ungestützt und schleift die ungehorsamen Kniee. Selbst deine Hera,so sehr sie mir grollt, 0 Wunder, bedaur’ich. Kommt gar dein Erzeuger zurück in den Reigen der Sterne ? Möge das nie geschehn! Denn heiß ich auch eine Titanin, Will ich doch nie die Titanen als Herrscher des Himmels 230 gewahren, Sondern nur deine Kinder und dich. Mit rollendem Donner Kämpfe vor Artemis, der keuschen! Oder behüt ich Mitgiftlos die Jungfrau für einen erzwungenen Buhlen? Soll die Würd’ge ihr Kind gebären sehen?17 Und soll sie Strecken die Hände nach mir, welch gnädige Eileithyia18 235 Nenn ich der Schützin, liegt Eileithyia selber in Wehen?« Riefs. Da brachte der Schlaf im Schwung des schattigen Fittichs Still die atmende, ganze Natur zur Ruhe. Doch schlaflos Blieb Kronion allein. Auch Typhon streckte den trägen Rücken und lehnte sich lang auf das belastete Lager. Ganz erfüllte er so die Mutter Erde. Ihr Busen Öffnete sich; da wurde nun klaffend des bergenden Lagers Schlucht gehöhlt von den Köpfen der erdeintauchenden Nattern.

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Als die Sonne erschien, da brüllte im Chore der Kehlen Gellend laut zum Kampfe der hundertarmige Typhon. 245 Zeus, den großen, rief er schallend. Die schreckliche Stimme Tönte da, wo verwurzelt der Fuß der Okeanosströmung Wie ein Kranz im Kreise rings alle Länder umgürtet Und sich schlingt um des runden Weltalls vierfache Teilung.

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Zweiter Gesang

250 Auf des Giganten Ruf erwiderte brausend den vielen Stimmen von allen Seiten,nicht nurvon einer,der Nachhall. Als er die vielen Formen des Wuchses nun also gerüstet, Gellte das helle Bellen der Wölfe, das Brüllen der Löwen, Schnaufen der Sauen, Röhren der Rinder, Zischen der Drachen, 255 Dreistes Gähnen der Pardel, das Maul gerüsteter Bären, Wütender Hunde Geheul. Aus der menschenähnlichen Milte Rauschte zeusbedrohend der laute Schrei des Giganten:

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»Schmettert, meine Hände, ans Haus Kronions! Des Weltalls Grund erschüttert mitsamt den Seligen ! Brechet des Himmels Göttlich gedrehte Riegel mir auf! Die ätherische Säule Werde zur Erde gestürzt, der erschütterte Atlas entfliehe 1 Von sich schleudere er des Himmels sternigen Bogen 1 Nicht mehr quäle ihn dann des Äthers Kreisung,denn künftig Dulde ich nicht, daß der Sohn der Erde mit pressenden Schultern Aufwärts stemme gebeugt des Äthers notwendige Rollung; Nein, den übrigen Göttern belaß er die endlose Bürde Und bekämpfe selber die Seligen. Felsenzersprengend Treffe er nun den Pol der Sterne mit rauhen Geschossen, Den er vormals hob, und von den Hügeln beworfen Sollen die kraftlosen Horen erschrocken fliehen den Himmel, Helios’ Dienerinnen. Nun packt und mischt, meine Hände, Erde mit Luft, mit Wasser das Feuer, das Meer mit dem Himmel! Die vier Winde werde ich selber zwingen und knechten, Geißle den Nordwind, hetze den Südwind, peitsche den Ostwind, Schlagen möcht ich den West, die stürmische Nacht mit dem Tage Mischen. Es stürme die Fülle der Flut mein Okeanos-bruder

Bekämpfung des Typhon. Sieg der Götter

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Aus den hundert Quellen des Schlundes hinauf an den Himmel. Über die Sphären, die fünf parallelen, zur Höhe gerissen Überschwemm er die Sterne. Dann irre im Wasser die durst’ge Bärin und in dieTiefe mag tauchen die Deichsel desWagens. Ihr, meine Stiere, berennt der Äquinoktien Bogen, Füllt mit Brüllen den Äther und brecht mit zürnenden Hörnern Das Gehörn des ähnlich gestalteten, flammenden Stieres! Wechseln sollen die Rinder Selenes die wäßrigen Pfade Angstgeschüttelt vor meiner Häupter drohendem Brüllen. Schauerlich klaffend entfalte ihr Maul die typhonische Bärin Und verjage so die scheue Bärin des Himmels. Dem ätherischen Löwen stell sich mein Löwe entgegen, Wider seinen Willen ihn aus dem Tierkreis zu jagen. Vor unsern Drachen schaure die Drachenschlangels des Wagens...“ Wenige Blitze nur rüsten Kronion. Aber des Meeres Wütende Wellen, die Gipfel des Landes, die Buchten der Inseln Dienen mir als Schwerter, und Schilde sind mir die Hügel, Unzerbrechliche Panzer die Felsen, Lanzen die Steine, Und die Ströme Verlöscher der minderwertigen Blitze. Für Poseidon bewahre ich nun des Iapetos Fesseln. Um des Kaukasos Gipfel soll flügelnd ein stärkerer Adler Blutig kreisen, die stets erneuerte Leber zu fressen Jenes Feuerschmiedes Hephaistos, denn wegen des Feuers Leidet Prometheus den Fraß der wiederwachsenden Leber. Bin ich auch Gegenbild der Söhne Iphimedeias21, Berge ich doch den Sohn der Maia unlösbar gefesselt Gut in ehernem Faß“ verwahrt. Dann könnte man sagen: ,Hermes löste wohl Ares die Fesseln, doch schmachtet nun selber.“ Artemis löse das Siegeider Jungfrau, das keiner berührte, Und gewaltsam werde sie die Gemahlin Orions. Uralt heil’ge Gewänder entfalte dem Tityos23 Leto,

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Zu erzwungener Ehe geschleppt. Den Männervernichter Ares werde ich fesseln entblößt vom zerschmetterten Schilde, Und den Schlachtengebieter, den sanftgewordenen Mörder, Führ ich als Beute hinweg. Dem Ephialtes zu später Ehe werde ich die erbeutete Pallas vermählen, Daß ich Ares in Fron und Athene in Wehen erblicke. Mühsam hebe empor mit stemmenden Schultern Kronion Statt des Atlas die Drehung des Himmels, und aufwärts gerichtet Möge dem Festgesange zu meiner Vermählung er lauschen Und seine Eifersucht bergen, denn Hera nehm ich zur Gattin. Ich bedarf keiner Fackeln; von selber diene des Blitzes Glanz zum Brautgemache zu leuchten, und Phaethon selber Mag mir statt einer Fackel, am eigenen Feuer entzündet, Mir,dem BräutigamTyphon, als Sklave halten die Leuchte. Hochzeitsfunken sollen die Sterne gegen den Himmel Sprühen und sollen blitzen als Leuchter meiner Begierde, Sie, die Lichter des Abends. Und mit der beglückenden Kypris Soll als Dienerin dann Selene, Endymions Buhlin, Mir das Lager bereiten, und wenn ich des Bades benöt’ge, Werde ich in des verstirnten Eridanos Wassern mich baden. Zimmert, ihr kreisenden Horen, nun mir, dem Typhon, des Eros Brautbett wie einst dem Zeus. Und vom Okeanos bringt mir, Leto, Athene, Paphia, und Charis, Artemis, Hebe, Mir, dem brautbekränzenden Typhon, brüderlich Wasser. Mit dem Hochzeitsstäbchen bei meinem Tische zur Mahlzeit Singe dem Typhon statt dem Zeus der Sklave Apollon. Nicht nach fremdem Gefild steht meine Sehnsucht. Ich werde Unseren Bruder lenken, des Uranos sternigen Rücken, Und den Sohn der Erde, den Himmel, nehm ich zum Hause; Werde zum andern Mal ans Licht den schlingenden22 Kronos, Meinen Kampfgenossen und Bruder, dem Abgrund entziehen, Werde lösen der Fesseln Gewalt. Die Titanen zum Äther .

Bekämpfung des Typhon. Sieg der Götter

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Bringe ich wieder zurück; die erdgebornen Kyklopen Nehme ich in den Himmel als Hausgenossen und mach mir Andere Feuerwaffen, denn vieler Blitze bedarf ich. Brauche ich doch zweihundert, nicht bloß zwei Hände zum Kampfe, Alle wie die des Kroniden. Und andersgestaltete,stärkre, Später geborene Blitze mit heller leuchtendem Feuer Werde ich schmieden und werde dann einen breiteren, achten, Anderen, höheren Himmel da droben errichten und werde Mit noch helleren Sternen ihn schmücken, denn dieser so nahe Leuchtende Pol kann nicht den ganzen Typhon umhüllen. Nach den Töchtern und Söhnen des kinderreichen Kronion Pflanze ein neues Blut ich selber vielhalsiger, andrer, Junger Seliger, werde den Chor der Sterne nicht unnütz Ehelos lassen; ich werde den männlichen Sternen gesellen Weibliche Sterne, damit alsdann die geflügelte Jungfrau Dienende Kinder gebäre im Ehebett dem Bootes.«

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Also schallte sein Ruf, und lachend vernahm ihn Kronion. Beider Getümmel brauste heran. Auf Seiten des Typhon Leitete Eris, und vor Kronion führte zum Kampfe Nike. Es war kein Streit um Rinder oder um Schafe, War auch nicht ein Zwist um eine junge und schöne Frau, auch nicht ein Ringen nur um ein Städtchen. Der Äther Selber war der Preis, und auf den Knieen der Nike Lagen als Lohn des Krieges der Thron und das Szepter Kronions.

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Unter gegeißelten Wolken ließ schmettern ein donnerndes Brüllen Zeus aus dem Äther, drommetend Enyos’ grausige Weise. Knüpfend um die Brust wand er die Fülle derWolken, Sich zu decken vor des Giganten Geschossen. Auch Typhon

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Zweiter Gesang

Blieb nicht still; die Häupter der Rinder entsandten von selbei Ihr Gebrüll, als tosten Trompeten gegen den Himmel, 370 Und es zischte wie Flöten des Ares der Drachen Verknäulung Typhon wappnete nun die Reihe der riesigen Glieder, Zwängte eine Klippe auf eine noch größere, bis sich Unzerbrechlich türmten in langen Reihen die Schroffen. Felsen entriß er dem Grund und warf sie auf Haufen von Felsen. 375 Wie ein gerüstetes Heer erschien er; es drängte sich nahe Block an Block, und Joch an Joch, und Gipfel an Gipfel. Wolkenhoch fügte sich so ein Gebirg auf die Schluchten des andern, Hügel dienten dem Typhon als rauhe, steinerne Helme, Da er mit ragenden Kuppen von Felsen die Köpfe bedeckte. 380 Trotz seiner hundert Hälse besaß der kämpfende Riese Einen Körper nur, doch endlose Scharen: hier Hände, Dort in Löwenkiefern die spitzen Reihen der Zähne, Andere wieder aus Natterngeschlecht zum Sturm auf die Sterne. Bäume wurden tief von typhonischen Händen gebogen 385 Und geschüttelt wider Kronion, auch andere schöne Blütengewüchse der Erde, die nun mit wuchtigen Händen Ungern Zeus zerstäubte mit einem einzigen Blitzschlag. Viele Ulmen wurden mit Fichten, ihren Gefährten, Und mit ries’gen Platanen geschleudert. Es flogen Kronion 390 Pappeln entgegen, und rings ward hohl die Erde gespalten. Alle vier Seiten des Weltenkreises wurden mißhandelt, Und die vier mit Zeus zusammen kämpfenden Winde Türmten in den Lüften den schattenden Staub,und dieWogen Wölbten sich hoch. Es wurde vom wildgegeißelten Meere 395 Ganz Sizilien erschüttert; Peloriens“ Ufer erbrausten Und die Eingeweide des Ätna. Es brüllten die Felsen

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Lilybaions2S, die Künder der Zukunft. Pachyniens2’ Küste Krachte unter der westlichen Flut, und nahe der Bärin Rings um das thrakische Waldtal schrie laut die Nymphe des Athos. Bei Pierien28 heulten die makedonischen Wälder, 400 Wankend erbebten die Gründe des Ostens; die bäume­ belaubten, Weihrauchduftenden Höh’n des assyrischen Libanon barsten.

Kämpfend wider Kronions so unermüdliche Blitze Wurden viele Geschosse von Typhons Händen geschleudert. Sausend flogen die einen vorbei dem Wagen Selenes 405 Und zerfetzten die glatten Flanken der unsteten Stiere; Andere wurden mit scharfem Pfiff durch die Lüfte gewirbelt Und zur Seite geweht vom feindlichen Blasen der Winde. Viele irrten ab von Zeus’unnahbarem Haupte; Voller Freude empfing mit seiner Hand sie Poseidon, 410 Ständig gebrauchend den Dreizack mit erdaufreißender Spitze. Neben die Furt des Kronosmeeres23 setzte der greise Nereus dem Zeus zur Weihe die wassergetauchten Geschosse. Wappnend Schrecken und Graus, des Enyalios30 beide Schlimme Söhne, erwählte ihr Vatersvaler Kronion 415 Sie zu .schildbeschirmten Begleitern des Äthers; er stellte Auf den Blitz den Schrecken und stützte den Graus auf den Donner, Grausen dem Typhon zu bringen. Empor hob Nike und streckte Vor Kronion den Schild; und drüben gellte Enyo. Ares toste. Da ward mit Wirbelstürmen im Andrang 420 Hergetragen hoch aus den Lüften Zeus mit der Aigis, Saß in flügelgeschmücktem, vierspännigemWagen des Kronos;

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/Aueiter Gcsan.

Rosse waren davor die zusammengekoppellen Winde. Bald bewehrte er sich mit Blitzen, bald mit dem Donner; Einmal griff mit Donner er an, ein andermal warf er Wassergeschosse im Schwall des Regens, des starrenden Hagels Steinernen Strich ergoß er, und Wassersäulen zerbarsten Häufig mit scharfem Wurf an den vielen Häuptern des Riese, Typhons Hände wurden, als wenn ein Messer sie schnitte, Aufgewetztvon dem Schwung der Hagelgeschosse. Essankihi Eine Hand in den Staub und hielt noch den Felsen um­ klammert; Und so von dem Hieb des schneeigen Hagels getroffen, Kämpfte sie auch gefallen noch weiter. Die Erde durch­ stürmend Schwang die rasende Hand in Sprüngen wälzend sich weite, Wie um auch noch jetzt den Kreis des Olympos zu treffen. Und der himmlischen Scharen Gebieter,schüttelnd von oben Fouergeschosse, lenkte den rechten Flügel dem linken Gegenüber und hoch erschien er im Kampfe. Der Riese Hundertarmig stürmte zu feuchten Schluchten und preßte Dicht der verflochtenen Finger selbsttätige Fessel zusammen. In die Höhlung der viel umfassenden Hände erhob er Mitten aus stürmischen Flüssen das bergdurchschießende Wasser Und entsandte so aus der Tiefe der Hände geteilte Fluten wider den Blitz. Aus den Schluchten vom Strome getroffen Leuchte te durch das Wasser hindurch die ätherische Flamme Lodernder auf, und siedend ward nun das feurige, trockne Wasser. Die feuchte Natur ward trocken durch glühende Masse. Wollte der dreiste Gigant doch löschen das Feuer des Äthers,

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Tor, der nicht bedachte, daß feuerleuchtender Donner Und die Blitze entstehen aus regengebärenden Wolken. Wieder packend die Höhlen geradgeschnittener Bäche Wollte er treffen die Brust des Zeus, die kein Eisen verwundet. Gegen Kronion streckte sich eine Klippe: mit spitzer Lippe blies Zeus nur leis, und trotz der Steilheit genügte Nur ein leichtes Blasen, den kreisenden Felsen zu wenden. Mit der Hand erhob der entsetzliche Typhon den Gipfel Einer Insel hoch zum Kampf, und in schmetterndem Wirbel Schoß er ihn wider Kronions ganz undurchdringliches Antlitz. Aber der vermied den Prall der marmornen Lanze Seitlich das Haupt gebeugt. Und da nun traf den Giganten Heiß die gewundene Bahn durchzuckend der Blitz, und der oben Weiße Fels ward sehn eil geschwärzt, sein Dampfen bewies es. Einen dritten Felsen entsandte Typhon, doch lenkte Zeus den sausenden Block mit der mittelsten Wurzel der weiten, Grenzenlosen Hand wie eine hüpfende Scheibe Wieder aufTyphon zurück,und so auf kehrenderWandrung Traf gewendet der Fels in staubigem Wirbel der Lüfte Wie aus eigener Kraft den, der ihn selber geschleudert. Wilder noch warf Typhon zum vierten Male. Der Steinblock Traf die äußersten Troddeln derAigis und wurde zerspalten. Noch einen andern entsandte er da: der stürmische Felsen Leuchtete halbverbrannt, vom Donnerkeile getroffen. Nicht zerschlitzten die Steine die feuchten Wolken, zer­ schmettert Von dem Wassergewölk zerbarsten die felsigen Höhen.

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Und mit gleicher Waage gesellte Enyo sich beiden, 475 Dem Kronion und Typhon. Mi l lautem Brausen durchschossen

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Tobend gleich wie Tänzer die Donnerkeile den Äther. WalTenstarrend kämpfte der Sohn des Kronos. Im Schlacht­ lärm Dienten ihm der Donner zum Schild, die Wolken zum Panzer 480 Und als Lanze schwang er den Blitz. Die entsendeten Keile Fuhren durch die Luft wie Pfeile mit feurigen Spitzen. Denn schon schweifte umher vom unterirdischen Hohlraum31 Hoch der trockene Dunst der Erde in fliegendem Sprunge; Und in derWolke, eng bedrängt vom feurigen Schlunde, 485 Ward er erstickt und erhitzte das schwangre Gewölk. Von dem Rauche Wurden geräuschvoll bedrängt die feuergemästeten Wolken. Schwer aus dem Innern gepreßt glitt nun die verborgene Flamme Trachtend nach mittlerer Bahn. Denn hoch nach oben zu eilen Kommt dem Lichte nicht zu. Den aufwärts springenden Blitzstrahl 490 Hält die durchfeuchtete Luft zurück, mit Regen gesättigt, Und verdichtet darüber die nassen Wolken. Von unten Macht sich das Trockne auf, und nun breitet sich springend das Feuer. Wie wenn Stein an Stein beim Schlag in Flammengebärung Schleudert das eigengezeugte, gedrückte, steinerne Feuer, 495 Wenn an männlichen Fels ein weiblicher Feuerfels schmettert, So entzündet die himmlische Flamme sich unter dem engen Drucke von Wolken und Dunst. Und aus dem zarten und feinen Erdentquellenden Rauche sind dann die Winde entbunden. Einen anderen Dampf der Erde, der triefend dem Wasser 5oo Sich entwindet, saugt ihm gegenüber die Sonne Flammenblickend empor zum sengenden Bogen desÄthers. Dort verdickter sich und gebiert die Umhüllung der Wolken. Wird seine dichteste Form von dünnerem Dampfe erschüttert,

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Löst er das weiche Gewölk und gibt als schüttender Regen Wieder zurück die feuchte, ihm angeborene Masse. 505 Das ist die Flammennatur der Wolken, aus denen zusammen Donnerkeile entstammen und gleichgeartete Blitze. Zeus, der Vater kämpfte. Dem Widersacher entgegen Schleuderte er wie stets den Brand, der Löwen zerschleudert, Und beschoß das bunte Getös unermeßlicher Kehlen Mit dem himmlischen Strahl. Ein einziges Leuchten der schnellen Göttergeschosse verbrannte die Fülle der Hände,ein einz’ges Leuchten zerstäubte die Unzahl der Schultern, die schillern­ den Drachen, Und die Lanzen des Äthers zerrissen die endlosen Häupter, Und der gewundne Komet zerstäubte die Flechten des Typhon. Funken sprühte er ihnen aus feurigen Haaren entgegen, Daß die Köpfe entflammten; und die durch die himmlische Lohe Angezündeten Haare und zischenden Locken versanken Stumm in Schweigen. Doch dann getrocknet verebbte des Giftes Schießender Strom aus den Kieferbacken verendender Drachen. Eingeäschert wurden des wilden Giganten Gesichter Von dem qualmigen Rauch. Die schneegetroffenen Wangen Seiner Häupter wurden geweißt von eisigen Furchen, Und er mußte den Zwang vierspänniger Winde ertragen. Wandte er gegen Aufgang die wankenden, bangen Gesichter, So empfing er nah den flammenden Angriff des Euros32; Spähte er nach der arkadischen Bärin stürmischem Sinken, Ward er vom kalten Reif des Winterorkanes getroffen; Floh er aber des schneeigen Boreas38 frostiges Wehen,

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530 Ward er von ebenso heißen, wie feuchten Geschossen geschüttelt; Sah er gen Untergang, gegenüber der schrecklichen Eos, So erschauerte er von den Abendstürmen Enyos34 Und erlauschte den Schall der Frühlingspeitsche des Zephyrs. Und der Südwind rings um den Mittagsbogen des Steinbocks 535 Geißelte die Kreise der Lüfte mit glühendem Blasen; Flammend auf Typhon warf er die Glut des feurigen Hauches. Schüttete Zeus dann regnend herab den Fall der Gewässer, BadeteTyphon rings die Haut mit den lindernden Bächen, Abzukühlen die heißen, vom Blitz ermatteten Glieder. sw Und von den rauhen Geschossen des schneedurchstöber­ ten Hagels Ward auch die nährende Mutterndes ringenden Sohnes gegeißelt. Wie sie auf der Haut des Giganten als Zeugen der Moira Wasserzapfen gewahrte und steinerne, feste Geschosse3“, Bat sie Helios, den Titanen, mit murmelnder Stimme 545 Um ejn Sommerlicht flehend, ein einziges nur, um durch wärmer Leuchtendes Feuer zu lösen des Zeus versteinertes Wasser Und seinen ewigen Glanz auf Typhons Verschneiung zu schütten. Bald verzehrte ihn aber die Wärme. Doch wie nun die Mutter Brennend den Feuerkranz der riesigen Hände gewahrte, 550 Bat sie flehend den Sturm der Winterlüfte, zu nahen Einen einzigen Morgen, damit sie mit frostigem Wehen Auszulöschen versuchten die trockenen Nöte des Typhon. Da aber senkte Kronion der Schlacht gleichschwebende Waage. Kummervoll mit der Hand warf da der Bäume Umhüllung

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Mutter Erde hinweg, als sie der typhonischen Häupter 555 Rauch erblickte; und als die Gesichter des Riesen verbrannten, Lösten sich seine Knie, und vorverkündend erdröhnte Hell mit Donnergebrüll die laute Drommete Kronions. Niederstürzte im Taumel vom flammenden Himmelsgeschosse, Nicht von eiserner Waffe verwundet, der ragend erhobne 560 Typhon, und rücklings auf die Mutter Erde geworfen Lag er da, mit Staub die Schlangenglieder besudelnd, Und verhauchte sein Feuer. Da höhnte ihn lachend Kronion; Solche Worte entströmten dem scherzeliebenden Munde:

»Schönen Beistand fand der greise Kronos, 0 Typhon, (Erde hat mächtigen Sohn dem Iapetos mühsam geboren.)37 Angenehmer Rächer für die Titanen! doch seh ich, Schnell ja sind die Blitze Kronions zur Ruhe gekommen. Wie lang zauderst du noch, im fernen Äther zu hausen, Lügender Szepterträger? Der Sitz des Olympos erharrt dich. Nimm dochSzepter und Kleid desZeus, gottringenderTyphon. In den Himmel geleite doch den Astraios“, und willst du, Mögen Eurynome39 und Ophion kehren zum Äther, Und mit beiden eile auch Kronos. Und wenn du den bunten Bogen der hohen Sterne am Himmelsrücken durchwandelst, Komme mit dir der den Fesseln entflohene, list’ge Prometheus, Und der erbarmungslose Verschmauser der wachsenden Leber, Jener freche Vogel, geleite die Reise zum Himmel. Sag, was wolltest du nach der Schlacht noch andres gewahren, Als den Zeus mit Poseidon als Diener deiner Gelage, Als den Zeus ganz schwach, beraubt des himmlischen Szepters, Seines Donners entkleidet und seinerWolken? und statt des

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Göttlichen Feuers der Blitze und seines üblichen Donners Sollte er halten die Fackel dem Brautgemache desTyphon 585 Als ein Diener Heras, die du zur Gattin erbeutet, Und in Eifersucht und Zorn dein Lager betrachten; Wolltest daneben Poseidon entspannt dem Meere gewahren, Wie er nach der Flut nun euch bei Tische bediene, In der trocknen Hand deinen Becher an Stelle des Dreizacks. 590 Ares muß dir fronen, du nimmst zum Sklaven Apollon. Sende zu den Titanen den Sohn der Maia als Diener, Deinen himmlischen Glanz und deine Herrschaft zu künden. Laß auf gewohntem Lemnos den werkbeflissnen Hephaistos, Daß er dort voll Kunst für deine junge Gemahlin 595 Einen bunten Halsschmuck mit farbigem Zierat erschaffe Oder helles Gefunkel von wandelkräft’gen Sandalen, Deiner Gattin zum Schmuck zu dienen, oder er fert’ge Einen neuen Thron des Olympos in goldenem Glanze, Daß sich die thronende Hera erfreue des prächtigen Sitzes. 6oo Nimm zu Bewohnern des Himmels die unterird’sehen Kyklopen, So den neuen Funken noch besserer Blitze zu zeugen. Aber den Eros, der listig dir Siegeshoffnung gegaukelt, Fess’le mit Gold und mit ihm die goldene Aphrodite. Ares aber umschnüre mit Erz, den Gebieter des Eisens. 605 Ohne Widerstand fliehen vor deiner Enyo4’die Blitze. Woher entrannst du nicht dem feigen Feuer des schwachen Blitzes, oder warum vernahm die Schar deiner Ohren Angstvoll die Regengeräusche des leise tönenden Donners? Wer hat dich so schwach gemacht? Wo sind deine Zähne, 6io Wo die Hundeköpfe, und wo das Gähnen der Löwen, Wo das unterird’sche Gebrüll deiner mächtigen Kehlen, Wo der giftige Geifer der schattenden Haare der Drachen ? Zischen dir nun nicht mehr die natterhaarigen Flechten ? Wo ist deiner Rinder Gebrüll und wo deiner Hände

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Teller,mit denen du die schroffen Klippen geschleudert?*1 Geißelst du nicht mehr der Sterne gewundene Bahnen ? Weißen denn nicht mehr die langen Rüssel der Sauen Ihren feuchten Schlund mit lichtem,schäumendem Geifer? Wo sind der rasenden Bärin wildbleckende, gräßliche Kiefern ? Weiche den himmlischen Göttern, du Staubgeborner, denn eure Zweihundert Hände - besiege mit Einer Hand ich ja alle. Möge das dreigespitzte Sizilien überall schnürend Mit den Schluchtenhöhen den ganzen Typhon umfangen, Den erbärmlichen Protz mit den hundert bezwungenen Händen. Dennoch, war dein Sinn auch übergewaltig und sprangst du Gegen den Himmel selbst voll unerfüllbarer Hoffnung, Werd ich ein leeres Grab12 dir, Unglücksel’ger, errichten Mit der Inschrift am äußersten Hügel, leichtsinniger Frevler: Hier ist der Leichenstein des Riesen Typhon, der einmal Felsen zum Himmel warf und im Feuer des Himmels verbrannte.«

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Höhnend sprach er so zum toten, aber beseelten Sohn der Erde; da brüllte ein Siegesecho dem großen Waltenden Zeus der kilikische Tauros aus steinernem Munde. Auf seinen Wasserfüßen im Tanze jauchzte des Kydnos” Krummer Lauf zum Siege des Zeus mit feuchtem Geheule; 635 Mitten durch seine Stadt, durch Tarsos, ergoß er die Strömung. Weinend zerriß ihr steinern Gewand die klagende Erde Tiefgebeugt, und statt mit einem trauernden Messer Schor sie durch die Winde sich ab ihr splitterndes Baumhaar. Von ihrem Haupte schnitt sie nieder die waldigen Locken 640 Wie im Laub abschüttelnden Mond und zerfleischte durch­ furchend

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Ihre verschluchteten Wangen. Da rannen in wasserdurchtobten Höhlen wie ein Strom die Tränen der weinenden Erde. Aus den typhonischen Gliedern entweichen wirbelnde Stürme“, 645 Geißeln die Wogen, und, werfend im Schwall sich wider die schweren Schiffe, reiten sie über den glatten Spiegel des Meeres. Nicht nur über die Wellen enteilen sie, treibende Wolken Wirbelnden Staubes jagen auch auf der Erde wie Fluten Über das Aufwärtsstreben der üppigen Reben des Weinbergs. 650 Schaffnerin der Welt, Natur sich neuernden Stoffes, Fügte wieder zusammen den gähnenden Hohlraum der Erde. Wieder versiegelte sie untrennbar mit fügenden Banden Inselstreifen, die durch Flüsse vom Lande geschnitten. Nicht mehr kreisten verworren die Sterne,denn Helios stellte 655 Wieder den mähnigen Löwen, der an dem Tierkreis vorüber Eilt in stürmischem Laufe, zur ährentragenden Jungfrau. Und zum Sprunge gegen das Haupt des himmlischen Löwen Zog Selene wieder den Krebs, des kühleren Steinbocks Gegenbild, zurück in seine früheren Bahnen.

660 Nicht aber hatte vergessen den liederspendenden Kadmos Zeus, der Kronide. Das Schattengewölk der finsteren Lüfte Streute er auseinander und ließ seine Worte erklingen: »Kadmos, es feierte deine Schalmei die Pforten des Himmels, Werde drum deine Hochzeit mit himmlischer Leier ver­ schönern, 665 Mache dich zum Eidam des Ares und der Kylhere“, Und beim irdischen Mahl sind deine Gäste die Götter. Kommen werde ich in dein Haus. Was könntest du lieber Als der Seligen König an deiner Tafel gewahren !

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Willst du aber entrinnen den wechselnden Wogen des Schicksals, Deine Lebensreise auf glattem Meere durchsegeln, Hüte dich dann, je den dirkäischen Ares zu reizen“; Ist er in seinem Zorne doch furchtbar. Aber zur Nachtzeit Hebe deine Augen empor zum himmlischen Drachen; Opfere auf dem Altar den Duft ophitischen Steines; Bete zum Schlangenträger am Himmel. Im Feuer verbrenne Eines illyrischen Hirsches Geweih mit vielerlei Enden, Daß du dem bitteren Schicksal entrannest, wie es der Moira Tanzende Spindel dir notwendig zwingend gesponnen, Falls sich die Fäden der Moira bereden lassen. Erinnre Deines Erzeugers dich nicht,des zorn’genAgenors. Für deine Schweifenden Brüder banne die Furcht; es leben ja alle, Wenn auch getrennt4’. Denn Kepheus, der aithiopische Herrscher, Wählte zu seinem Sitz die kephenischen,südlichen Lande. Thasos kam nach Thasos, und rings um des ragenden Tauros Schneeige Gipfelkette gebeut den Kilikiern Kilix, Und zu Thrakiens Fuß gelangte der flüchtige Phineus. Ihn mit dem Reichtum vieler Metalle will ich als Eidam Zu Oreithyia, zum Thraker Boreas leiten, Ihn, den Seher und der bekränzten Kleopatra Gatten. Du, dem die Moira ein gleiches Gespinst wie den Brüdern gewoben, Sei der Kadmeier König und laß deinen Namen den Bürgern. Gib sie auf, der schweifenden Pfade kreisende Irrfahrt, Folge der wechselnden Spur des Rindes nicht länger, durch Kypris’ Ehegebot vermähle sich eure Schwester dem Kreter Asterion4“, dem Herrscher des korybantischen Ida. So viel will ich selber verkünden und lasse dem Phoibos

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Zweiter Gesang

Alles weitere. Schreite, o Kadmos, zum Nabel der Erde, In das Orakeltal des delphischen Pytho19 enteile!«

Sprachs Kronion und sandte den Agenoriden als fremden 7oo Wanderer fort, und stürmend zum Kreise der himmlischen Sterne Wandt’er den goldenen Wagen. Die Siegesgöttin zur Seite Trieb das väterliche Gespann mit himmlischer Peitsche. Wiederum kam der Gott zum Pole, und wie er sich nahte, Öffneten weit die Tore des Himmels stolznackige Horen 705 Und bekränzten den Äther. Die rückverwandelten“ Götter Kehrten heim zum Olymp zugleich mit dem Sieger Kronior Und entäußerten ihrer Gesichter gefiederte Täuschung. Weich im Prunkgewande kam, eisenlos, Pallas zum Himrne Führte Ares zum Fest, und Siegeslieder sang Nike. 7io Themis zeigte die Rüstung des toten Riesen der Törin Gaia, seiner Mutter, zum Schreck für künftige Zeiten, Und sie hängte sie hoch an die vorderen Pforten des Himmels

DRITTER GESANG

Aus war so der Streit bei Winters Ende, und leuchtend Mit der Messerschneide am unbewölkten Gehenke1 Zog Orion empor. Nicht wusch das kreisende Wasser Die bereiften Spuren des untergegangenen Stieres. Nicht in der Gegend der regenerzeugenden, durstigen Bärin Schritt man unbenetzt dahin über steinernes Wasser; Wäss’rige Gleise grub der Massagete2 nicht länger In den erstarrten Istros3, sobald er sein wandelndes Wohnhaus Peitschend über die Fluten mit hölzernen Rädern4 dahintreibt. Feuchtete nun doch schon die schwangere Stunde des Jahres, Zephyrs Botin, mit Tau die Lüfte; aufsprangen die Knospen, Und der Frühlingsherold der Menschen, die tönende, ständig Zwitschernde Schwalbe, die eben erschienen, störte den frühen Morgenschlaf, und frei von ihrer duft’gen Umhüllung Lachte die Blume, durch des Lenzes lebenerfüllten Tau gebadet. Und da ließ Kadmos des ragenden Tauros Felsenhang, und durch der Kiliker gelbblühende Schluchten Schritt er früh am Morgen, als Eros das Dunkel gespalten. Günstig war die Stunde dem Schiffer,und so für des Kadmos Abfahrt wurden vom Lande gelöst die Taue der Schiffe. Aufgerichtet wurde der hohe Mastbaum; im Fahren Schnitt er die hohen Lüfte. Ein leichtes Wehen des Windes Kräuselte sanft im Morgenhauch die Fläche des Meeres Mit begleitendem Lied. Er wölbte immer mit Blasen Neue Wogen und hinderte so am spielenden Tanze Die Delphine, die Gaukler des glatten, schweigenden Meeres

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Zischend sangen im scharfen Braus die geflochtenen Slricki Und es knarrten dieTaue im drängendenWinde,die Segel Blähten sich auf und wurden gebauscht von schwellenden Lüften. 30 Wieder schloß sich das kielgespaltene, ruhlose Wasser; Wogend schäumte das Meer. Am flutdurchfurchenden Schiff Rauschte um den Kiel der Schall der brausenden Wellen. Spaltend zog die Spitze des Steuers über das Wasser Eine schimmernde Spur in den wölbigen Rücken des Meeres

35 Und als windelos zum zehnten Male sich Eos Aufwärts wandte, ward Kadmos von linden Lüften Kronion Durch die troische Furt der wasserwandelnden Helle6 Fort vom raubenden Winde geschleppt in der brüllenden Eng Gegenüber dem Kämpfer Skamandros zum Eiland von Samos 40 Nahe Sithonia7, wo noch jetzt als Jungfrau für Kadmos Wurde Harmonia gut behütet. In göttlichem Drange Leiteten kündende Lüfte das Schiff an das thrakische Ufer.

Als die Schiffer auf Samos die immer leuchtende Fackel Freudig gewahrten, da refften sie nah dem Lande die Segel, 45 Näherten drauf ihr Schiff dem ruhigen Platze zum Ankern, Während die Spitzen der Ruder das glatte Wasser durchschnitten, Und so legten sie an im Schutze des Hafens. Nun ruhten Still die Schiffe, vertäut am durchlöcherten,steinernen Haken: Und im durchfeuchteten Sande am Strande des höhligen Busens so Wurden krummgezahnt die Zügel des Schiffes befestigt8. Nieder sank die Sonne. Auf ungebetteten Lagern Betteten sich sodann im Ufersande die Schiffer Nach dem Abendmahl, und zu den sinkenden Lidern Müder Menschen schweifte der Schlaf geräuschlos hernieder.

Kadmos kommt zu Elektra

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Aber als neben dem Fittich des purpurflammenden Ostwinds Auf dem Kamm der zerborstenen Felsen des teukrischen Ida" Hafenbeschützerin Eos, den Tag ausschleudernd, erschienen Und gegenüber mit Glanz die schwarzen Fluten bestrahlte, Machte Kypris, dem Gatten Harmonia bräutlich zu einen, Unbeschiffbar das Meer und breitete schweigende Glätte. Schon durchschnitt der Schrei des Morgenvogels die Lüfte, Und es stampften die schönbehelmten Reihen der einsam Hausenden Korybanten10 im Tanz mit dem knossischen11 Schilde In gemessenem Schritt. Und während das dröhnende Kalbfell Wirbelnd geschlagen ward von eifernden, eisernen Schlegeln, Tönte die Doppelflöte und sang den Tänzern zum Ansporn Hauchend in schmiegendem Klange ihr Lied zum Schwingen des Tanzes. Leise säuselten nun die Eichen, es brüllten die Felsen, Und es schüttelten sich bewußt die trunkenen Wälder, Und die Dryaden tosten. Es eilten die Bären in dichten Scharen herbei zum Tanz und sprangen paarweis im Kreise; Um die Wette brüllten die Kehlen der Löwen und ahmten Nach das Kriegsgeschrei mysterienfroher Kabiren Voll verständigem Wahn. Der hundeliebenden Göttin, Hekates, der besungnen hellschwärmende Flöten erbrausten, Deren Doppelgetön der drechselnde Kronos erfunden.

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Und das tosende Rasseln des korybantischen Lärmes Weckte Kadmos früh im Schlummer, und seine Gesellen, Diesidonischen Schiller, vernahmen des rasselnden Kalbfells Morgenstörendeu Klang. Und von den kiesligen Betten so Hoben sie sich und verließen das Lager am Strande des Meeres. Um eine Stadt zu erspähen, ließ Kadmos seine Gefährten

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Neben dem Schiff und wanderte eilends und traf auf dem Wege Zu Harmonias Haus die dienende Schaffnerin Peitho’1, 85 Einer Sterblichen ähnlich. Und lastend hielt sie am Busen Wie eine Arbeitsfrau, die Wasser geschöpft an der Quelle, Einen silbernen Krug von schöner Rundung. So glich sie Einer Botin der Zukunft, da vor der Hochzeit nach Sitte Man den Bräutigam netzt mit lebenspendendem Bade. 90 Und es war nahe der Stadt, woselbst in höhligen Gruben Weiber die dichten Ballen der schmutzigen Kleider zu treten Pflegen mit den Füßen und vielfach hierhin und dorthin Eifrig zu springen. Und da nun leitete Peitho den Kadmos, Eingehüllt vom Scheitel bis an die äußersten Sohlen 95 In umdunkelndem Nebel, hin durch die verschwommene Feste. Wie er so spähte nach dem Palast eines gastlichen Königs, Führte sie ihn des Wegs auf Paphias13 Wink. Und ein Vogel Saß dort unter dem grauen Gedeck eines üppigen Ölbaums, Eine wahrsagende Krähe11. Sie sperrte den schwatzhaften Schnabel loo Wider den Jüngling auf, dieweil er mit lässigem, leichtem, Hochzeitlichem Schritt zu derJungfrau Harmonia hinschlich, Und da krächzte sie voll Spott und schlug mit den Flügeln: »Ist denn Kadmos ein Tor oder kennt er noch nicht die Eroten ? Eros,der schnelle,weiß nichts von lahmen Liebenden. Peitho, los Habe Erbarmen! es zögert dein Kadmos, wo Kypris ihn antreibt. Eros ruft dich,der heiße. Was wanderst du,Bräutigam,träge? Hochwillkommen bist du, du Nachbar des schönen Adonis“, Hochwillkommen: du wohnst so nah den Frauen von Byblos. Nein, ich irre. Du kennst nicht die Flut des Adonis und niemals

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Sahst du das Haus der Chariten im Lande von Byblos. Da 110 tanzt ja Die assyrische Kypris und nicht die keusche Athene. Hast du die Amme doch der Eroten, die eheerfreule Peitho, zum Geleit, nicht Artemis. Spare die Mühe! Freu an Harmonia dich und laß Europa dem Stiere! Eile! und gastlich empfängt dich Elektra16,und sicher 115 entnimmst du Ihren Händen die Fracht der hochzeitlichen Eroten, Und einen Liebeshandel verschaffst du so Aphrodite. Nimm die Tochter der Kypris, die deinem Brautbett bewahrt ist, Wie eine zweite Kypris und loben wirst du die Krähe, Nennen mich der Eroten die Hochzeit kündenden Vogel. 120 Ja,ich fehlte; doch trafen mich Paphias Wehen. Durch Kypris Künde ich deine Ehe, auch wenn ich der Vogel Athenes!«

Sprachs und versiegelte dann den geschwätzigen Schnabel mit Schweigen. Als jedoch auf des Volkes gewundener Straße dem Wandrer Weithin sichtbar und allumfassend die säulenerhöhte 125 Königshalle erschien, da streckte Peitho den Finger, Diesen verständigen Zeugen der andersartigen Stimme, Mit diesem schweigenden Herold wies sie ihn hin auf das bunte, Leuchtende Haus. Und wieder verwandelt tauchte die Gottheit, Sich auf Flügelsandalen erhebend, zurück in denÄther. 130 Und da schweiften die Augen des Kadmos über das Haus hin, Des Hephaistos verständiges Werk, das der jungen Elektra Einst durch myrinische16' Kunst der Werkmann aus Lemnos gefertigt. Vielerlei Zierat trugs: des neugefügten Gebälkes1’

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Dritter Gesang

135 Eherne Schwelle war gar gangbar. Doppelgeflügelt Streckten sich hoch die Pfosten der reichgesclinittenenTore Nabelförmig schmückte ein Knopf bekrönend den Giebel Mitten auf dem Dach. Hin über der steinernen Mauer Festgefügten Rücken zog eine kreidige Gipsschicht wo Von der Schwelle bis tief ins Innre. Nahe dem Hofe War ein Garten gar reich mit tauigen Früchten belastet Vor dem Hause, er war vier Morgen groß. Männliche Blätter Streckte ein Palmbaum sehnend der weiblichen Palme1“ entgegen. Auch ein fruchtbarer Birnbaum, mit einem andern verwachsen 145 Säuselte leise im Morgenwind und fegte, sich schwingend, Mit den Zweigen nah dem Stamm einer fetten Olive. Neben dem spröden Lorbeer im leichten Hauche des Lenzes Wiegten sich Myrthenblätter. Der schöngezweigten Cypresse Morgendlich Laub umfächelten leis die duftenden Winde. iso Bei der rötlichen Frucht der süßen Feige entsproßte Ein Granatenbaum mit weinrot schwellenden Früchten Nahgepflanzt, und es wuchs der Apfel neben dem Apfel. Auf den kundigen Blättern des Phoibos1’ waren gar viele Lettern den Hyakinthen, den Klagefrohen, verwoben. 155 Und als so der Zephyr den sprossenden Garten durchwehte, Schaute verzehrt von Sehnsucht mit flackernden Augen Apollon, Wie im Hauche sich wiegte die Blume des blühenden Jünglings; Und gedenkend des Diskos erbebte er,daß es dem Knaben Eifersüchtig nicht gar der Wind auf den Blättern verarge, 160 Wenn Apollon ihn wirklich, als jener im Staube sich streckte, Mit den sonst von Tränen verschonten Augen beweinte. Und die Blume behielt die Tränen des Phoibos; im Bilde Zeigt Hyakinthe den klagenden Laut, den er selber verschuldet.

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So war der schattige Garten und nah eine doppelte Quelle, Wo die Bürger schöpften zum Tranke und leitend der Winzer les Aus dem Graben den Lauf des vielgeschlängelten Wassers Lenkte von einer Pflanze zur andern. Es brauste die Strömung An den Stamm des sanft von Phoibos singenden Lorbeers. Und da stützte den Fuß manch goldner, prächtiger Knabe Auf einen steinernen Sockel und streckte den schwelgenden 170 Gästen Abendlich leuchtend den Glanz der Fackel zum Nachtisch entgegen. Viele beseelte Reihen von täuschend gestalteten Hunden Standen hüben und drüben den Türen nahe und schienen Aus geöffnetem Maul die Zähne drohend zu weisen, Schweigend reckten sie hoch die gleichgestalteten Glieder. 175 Neben dem silbernen bellte aus schwellender Kehle ein goldner Hund und wedelte an die Bekannten. Aber als Kadmos Kam, entfuhr ihm, die Gäste begrüßend, das künstliche Bellen; Hin und her wedelte er das Abbild des freundlichen Schwanzes.

Während Kadmos noch immer mit regem Antlitz die Augen iso Schweifend kreisen ließ hin über den Garten des Herrschers, Und die Schnitzereien, die ganze Schönheit des bunten Hauses beschaute, dazu im Stein der Metalle Gefunkel, Da verließ den Markt Emathion just und der Mannen Streitigkeiten, er, der Ares’ Sitz Samothrake iss Innehatte, und lenkte den stolzen Nacken des Rosses Zu dem königlich hohen Palast seiner Mutter Elektra. Damals regierte er dort allein und führte der Herrschaft Zügel für seinen Bruder; denn Dardanos20 hatte der Heimat Boden verlassen und wohnte nun drüben am Saume der Erde 190 In dem hochgetürmten Dardania, das er auf Idas Scholle mit kreisendem Pflug begründet und nach sich benannte.

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Dritter Gesang

Dort den Heptaporos21 trinkend und die Gewässer des Rhesos22 Überließ er Szepter und Land der Kabiren dem Bruder, 195 Er, Emathions Bruder, der einst Kronion entsprossen, Er, den Dike nährend betreut, als des Kronos Gewänder Und das Szepter des Zeus und den Stab des Olympos die Horen Griffen und eilten zum Hause der Fürstin Elektra, prophetiscl Über Ausonien ihr unzerstörbare Herrschaft23 zu künden, 200 Und die erzogen das Kind. Und als der Knabe zum Jüngling Blühend erwachsen, verließ er nach Zeus’ nietrügendem Spruche Den Palast Elektras, als sich die Wogen der dritten Türmenden Flut ergossen und überschwemmten das Weltall. Denn als zum ersten Mal die Sintflut rauschte, versuchte 205 Ogygos24 den Äther durchs hohe Wasser zu kreuzen. War doch die ganze Erde von oben beflutet, die Spitzen Des thessalischen Berges verborgen, der pythische25, steile Felsen ward wolkonnah von schneeigen Strömen bewässert. Das war die zweite Flut, als das schneeige Wasser m i t wildem, 2io Wütendem Schwalle begrub die Wölbung der kreisenden Erde, Als Deukalion2“ einsam mit Pyrrha, seiner Gefährtin, Während der Menschenvernichtung in hohlem Kasten den ringsum Wirbelnden Guß der grenzenlosen Sintflut durchfurchte 215 Und als Seemann durchkreuzte die wasserbeladenen Lüfte. Als die dritte Flut des Zeus die Lande bespülte Und die Warten bedeckte, daß selbst Sithonias27 trockner Rücken und der des Athos sich in den Wassern versteckte, Da fuhr Dardanos spaltend dahin durch der wachsenden Sintflut Wogenschwall und stieg auf den alten, benachbarten Ida. 220 Als Emathion nun, sein Bruder, Sithonias kühler

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Schneegefilde Herrscher den brausenden Marktplatz verlassen, Staunte er über des Kadmos Gestalt; denn in seiner Erscheinung Einte sich Männlichkeit mit Schönheit und blühender Jugend; Staunte über das j unge Gesicht. Denn der kundigen Herrscher Herolde seiberwaltend sind ihre stimmlosen Augen. Und er ergriff seine Hand,und mit der bemühten Elektra Nahm er ihn gastlich auf und rüstete prächtige Mahlzeit, Schmeichelte leicht dem Gast mit gebührenden, freund­ lichen Worten, Nötigte viel. Doch tief bog jener den Nacken zu Boden, Wandte fort von den Mägden die unbeschwichtigten Augen Und genoß nur wenig. So saß er der gastlichen Wirtin Grade gegenüber mit scheuverstohlenem Antlitz, Und mir schamhaft langte die züchtige Hand nach den Speisen. Wie sie da schmausten, da brausten zu ihnen die atem­ gefüllten, Engverbundenen Rohrendes korybantischen Ida. Unter dem Springen der Finger auf all den Löchern der Rohre Scholl mit dem Gellen der Flöte zusammen das brausende Klingen Tanzender Daktylen™, die die Weise pressend entlockten. Und mit tönendem Schall in schneller, rasselnder Schwingung Dröhnten dumpf dazu die doppelten, ehernen Becken Zu dem Lied der Schalmei. Und unter dem Stäbchen erbebte Auch die helle Saite der siebentönigen Leier.

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Aber als nach dem Mahl sich an der bistonischen30 Flöte Kadmos gesättigt, da zog er nahe der fragebegier’gen Fürstin den Sessel, verwand die Sorgen der irrenden Seefahrt, 245 Nannte sein glänzend Geschlecht, und in nieversiegender Fülle

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Dritter Gesang

Strömten ihm wie ein Quell aus geöffnetem Munde die Worte: »Freundliche Frau, was fragst du den Adel meines Geschlechtes 181 Dünken mich doch wie Blätter die schnellhinsterbenden Menschen, 250 Blätter, von denen die einen zu Boden schütteln die Stürme, Wenn im sinkendenJahr der Herbst sich nähert; die andern Läßt die Fülle der Wälder im gründenden Frühling entsprießen. So ist das kurze Geschlecht derMenschen. Verderben vernichtet Eins auf der Fahrt durch die Bahn des Lebens, das andere grünt noch, 255 Um einem dritten zu weichen, derweil in wandelndem Wechsel Ständig vom Altersgrauen die Zeit zum Neuen dahiniließt. Hör meine weitbekannte und kindergesegnete Sippe: Ist eine rühmliche Stadt, heißt Argos, die reisige Stätte Heras, inmitten der Insel des Tantaliden; dort zeugte 260 Einst zurWeibergeburt ein Mann eine herrliche Jungfrau. Inachos hieß er, Inachia drum der Name des Landes. Priester war er, und so ersann er der schützenden Göttin Gottbegeisterte Feier in schauerlich heimlicher Weihung, Er zuerst, und den Feldherrn der Götter, den Herrscher der Sterne, 265 Zeus, begehrte er nicht zum Eidam aus Ehrfurcht vor Hera32, Damals als rindgestaltet, verwandelt zur Jungkuh, die Io Mit auf die Weide wurde zur Herde ins Freie getrieben, Und als Hera dem Rind als klugen, schlummerverschonten Hirten den Argos gab, dem nie die Augen sich schlossen, 270 Der auch Zeus bewachte, sich nicht der Gehörnten zu gatten, Zeus, den zu schauen verboten. So ging zur Weide das Mädchen, Zitternd vor den Blicken des hundertäugigen Hirten. Aber unter den Qualen der stechenden Bremse umeilte Io mit irrendem Huf den Schwall des ionischen Meeres, 275 Kam auch zu meinem Strome Aigyptos,— den die Bewohner

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Neilos, den rechtbenannten, benennen, weil über die Erde Stets von Jahr zu Jahr getragen der nasse Befruchter Neuen Schlamm verbreitet mit lehmigströmenden Wellen — Kam zum Aigyptosstrom und wandelte wieder aufs neue Ihre Rindsgestalt und die Götterstrafe der Hörner In eine fruchtbare Göttin. Der Hauch der sich hebenden Früchte Meiner Demeter Ägyptens, der Io, der hörnergeschmückten, Wälzt sich wallend dahin mit wohlig duftenden Winden. Dort gebar sie dem Zeus den Epaphos33, also geheißen, Weil der inachischen Kuh der göttliche Buhle den reinen Busen voll Liebeswut betastet. Vom göttlichen Sohne Epaphos Libye stammte, und wandernd zu Libyes Brautbett Kam Poseidon bis Memphis als Fremder gezogen und spürte Nach der Epaphostochter, der Jungfrau, und als sie des Meeres Herrscher wie einen Wandrer des Festlands empfangen, gebar sie Belos, den libyschen Zeus, den Pflügerunsres Geschlechtes. Zukunftsdeutend schreien die trocknen Wüsten die neue Weisung des Zeus der Asbyster31,die ja von gleicher Bedeutung Wie die chaonische33 Taube. Der Fünfzahl entsprechend erzeugte Ein gar zahlreich Geschlecht von Kindern Belos,der Vater: Phineus36und Phoinix, den stadtverlassenden, blühend daneben DenAgenor. Erwarmein Vater: der schweifte durch viele Länder unstet umher, und wandernd zog er von dannen Erst nach Memphis und dann nach Theben und dann nach Assyrien. Ferner den klugen Besiedler aigyptischer Lande Aigyptos, Ihn,den Unglücksvater so vieler Kinder; ihm blühte Kurz nur ein männlich Geschlecht jungstrebender Herden von Knaben.

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Und den flüchtigen Danaos37 auch, der die Weiber bewaffnet Gegen das Männergeschlecht mit dem Hochzeitsschwerte, daß blutrot 3os Sich die Betten färbten und Hochzeitslieder zergellten; Schwerter ruhten verborgen auf eisentragenden Lagern, Wehrlos sank durch Enyo, ein Weib, der männliche Ares. Nur der Hypermnestra mißfiel die bräutliche Schandtat; Von sich stieß sie die argen Gebote ihres Erzeugers, 3io Übergab das Wort des Vaters den luftigen Winden Und bewahrte rein vom Blut die Hand und das Eisen. Heilige Hochzeit ward den beiden. Doch unsre erblühte Schwester ward frech geraubt von einem irrenden Stiere, Wenn es in Wahrheit ein Stier: mir wird es noch immer nicht deutlich, 315 Ob denn Rinder wirklich nach Hochzeit mit Weibern verlangen. Und mich schickte Agenor mit meinen Brüdern zusammen, Aufzuspüren sein Kind und den wilden Räuber der Jungfrau Jenen falschen Schiffer, den Farren, auf spiegelndem Meere. Seinetwegen kam ich hierher auf planloser Irrfahrt.« 320 Solcherlei sprach im schönen, aus Stein gebauten Palaste Kadmos, ihm flössen rasch von beredten Lippen die Worte, Sprach von der Drohung des Vaters, der gierte, die Tochter zu retten, Und von dem täuschenden Stier, dem Wandrer auf tyrischen Wogen, Der unerreichbar geraubt die verborgne, sidonische Jungfrau. 325 Als es Elektra vernahm, da rief sie mit tröstendem Zuspruch: »Fremdling! deine Schwester,die Heimatunddeinen Erzeugei Senke in Lethes Strudel und in vergessendes Schweigen. Denn so fließt es hin, das Leben der Menschen, von einer Mühsal zur andern, da alle, die sterblicher Mutter entsprossen.

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Unterliegen müssen der zwingenden Spindel des Schicksals. 330 Zeuge bin ich, eine Königin zwar, auch wenn ich als eine Jener Pleiaden geboren, die früher einmal die Mutter Unter dem Herzen trug, die sieben weiblichen Kinder. Siebenmal rief sie bei ihrem Gebären die Eileithyia, Ihr zu erleichtern die Qual der stets erneuten Geburten. 335 Zeuge bin ich; ein Haus bewohn ich fern von den Eltern. Sterope38 nicht, nicht Maia sind meine Gefährten. Kelaino Weilt nicht schwesterlich mehr mir nah im Hause; am Busen Hege ich nicht Lakedaimon, der Schwester Taygete frohen Knaben, hin und her ihn wiegend mit pflegenden Händen. 340 Nicht in der Nähe seh ich das Haus Halkyones, höre Nicht zu meines Herzens Beglückung Meropes Stimme. Mehr noch beklag ich dazu das Eine: mein eben erblühter Sohn verließ, als grade der Flaum ihm sproßte, die Heimat: Dardanos siedelte über zum Busen idaiischen Landes, 345 Weihte sein jugendlich Haar dem phrygischen Strome Simoeis Und aus Thymbris ’ Wellens” genoß er fremdländisch Wasser. Und an Libyens Grenzen bemüht sich noch immer mein greiser Vater Atlas, so tief gebeugt mit pressenden Schultern Aufzustützen die Räume des siebenzonigen Äthers. 350 Soviel litt ich und nähre trotzdem die tröstende Hoffnung, Wie es mir Zeus verhieß, einst mit den anderen Schwestern Von der Erde zu ziehn zum atlantischen Pole"der Sterne Und der siebente Stern im himmlischen Hause zu werden. Sänftige deine Sorgen auch du. Denn wider Vermuten 355 Gegen dich wälzt sich der Wirbel der lebenverschlagenden Fügung. Unerschüttert besiegelt ist Moiras schrecklicher Faden. Dulde, flüchtig den Zwang der Fessel des Schicksals zu tragen, Und behalte voraus die Hoffnung besserer Zukunft. Wenn nun dein Geschlecht vom Stamm der Io entsprossen, 360

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Dritter Gesang

Wenn von Libye Blut Poseidons durchtränkt deine Sippe, Bleibe im Ausland dann, wie Dardanos, gründe dein Haus di Fern in fremder Stadt gleich deinem Vater Agenor Und wie Danaos, deines Erzeugers Bruder. Denn noch ein 365 Heimatlos schweifender Mann aus los göttlicher Sippe, Byzas41nach Kronion genannt, ein ätherischer Sprößling, Siebenmündiges Wasser des seibererstandenen Neilos Trinkend, bewohnt ein nachbarlich Land, wo an Bosporos’ Küste Spült das Wasser, das einst die irrende J ungfrau durchquerte. 370 Allen brachte er Licht, die rings da wohnten, sobald er Jenes rasenden Stieres unbeugsamen Nacken gebogen.«

Also verstand sie, die Sorgen des Agenoriden zu schläfern. Zeus aber sandte den Boten, den schnellen, flügel­ beschwingten Sohn der Maia, zum Hause Elektras, damit er dem Kadinos 375 Die Harmonia zur Harmonie der Hochzeit beschere, Jene vom Himmel hernieder gesiedelte Jungfrau, die Ares Buhlerisch einst erzeugt in verstohlener Liebe mit Kypris. Und aus Scheu vor dem Kinde, des heimlichen Lagers Verräter, Zog es die Mutter nicht auf, und fort von dem himmlischen Busen 380 Brachte sie auf dem Arm den kleinen Säugling, das Mädchen, In das betreuende Haus Elektras, als grade die Horen Sie in feuchter Geburt entbanden und pflegten im Kindbett, Und ihre Brüste noch strotzten von weißem, sprudelndem Safte. Gleich einem eigenen Kinde empfing sie die unechte Tochter, 385 Einte an einer Brust mit dem Sohne Emathion auch das Ebengeborene Mädchen und pflegte also mit gleicher Liebe ihr zwiefach Geschlecht mit sorglich nährenden Händen.

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Wie wenn eine wilde und zottige Löwin im Lager Zwillinge erst geworfen und nun die säugenden Jungen Gleich nach der Geburt an Zwillingsbrüsten vereinigt Und den Zwillingskindern geteilt die Mutterbrust spendet, Haut beleckt und Hals, den unbehaarten, und ihren Altersgleichen Nachwuchs mit gleicher Pflege emporzieht: Also nährte damals am kinderfreundlichen Busen (Kypris’ Kind und den kleinen Sohn die treue Elektra,)12 Um das Zwiegespann der jungen Kinder beschäftigt. Oftmals nährte sie mit der Altersgenossin den kleinen Sohn zusammen; sie wandten auf liebegebreiteten Händen Hier und dort sich beide zum Saft des strotzenden Busens. So mit dem Mädchen setzte sie auf die Kniee den Knaben, Ais auseinander sie spreizend die beiden Schenkel gebreitet Und in der Mitte den Bausch des vertieften Gewandes erweitert. Und sie sang, den Schlummer herbeizuzaubern, ein helles Lied und brachte so sorglich zum Schlaf die zwei, die da ruhten. Schmiegend unter den Nacken der Kinder hielt sie die Arme, Bot ihre Kniee beiden als Bett und fächelte leise Mit ihres Mantels Saum den beiden Gesichtern der Kinder Kühlung zu, und es löschte der Hitze drängende Wellen Dieser künstliche Wind und blies sie wehrend von dannen.

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Während Kadmos zur Seite der klugen Fürstin so dasaß, Schlich indessen, verborgen dem Wächter, auf diebischen 410 Sohlen43 Unvermutet und nicht erreichbar, gestaltet als Jüngling, Hermes in das Haus. Und rings um das rosige Antlitz Quoll ihm lose herab die reiche Fülle des Haares Unbedeckt. Es kränzte die zarte Rundung der Wange Rötlich schimmernd ein Flaum von leise sprossendem Barthaar; 415

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Dritter Gesang

Eben entkeimt umschlang er sein Antlitz. Gleich einem Heroi Hob den üblichen Stab der Gott. Verborgenen Hauptes Und mit Wolken umhüllt vom Scheiteibis tief zu den Füßen Trat er zum üppigen Tisch, wo eben die Mahlzeit beendet. 42o Zwar Emathion merkte ja nicht das Nahen des Gottes, Nicht Harmonia, Kadmos der Gast nicht, keiner vom Chore Dienender Männer. Allein die fromme Elektra gewahrte Den beredten Hermes; in einen Winkel des Hauses Führte er sie plötzlich und sprach mit menschlicher Stimme: 425 »Sei mir gegrüßt, du Gattin des Zeus, du Schwester der Mutter, Aller künftigen Frauen Glückseligste, da ja Kronion Unter deinen Kindern die Herrin des Weltalls behütet. Herrschen wird dein Geschlecht über alle Städte der Erde, Deiner Liebe zum Lohn. Du sollst mit Maia, der Mutter, 430 Unter den Sternen des Siebengestirns am Himmel erglänzen Kreisend mit Helios droben und mit Selene im Aufgang. Bin ich doch, Kinderfreundin, von deiner Sippe, bin Hermes, Der beschwingte Bote der ewigen Götter. Vom Himmel Sandte mich dein Buhle, der gastbeschützende Herrscher, 435 Deinem frommen Gaste zulieb, und darum gehorche Du auch deinem Kronion und gib geschenklos die Tochter, Gib Harmonia Kadmos, dem Fremdling, zur treuen Gefährtin. Diese Gunst erweise dem Zeus und den Göttern. Denn singend Hat dein Gast ja alle bedrängten Götter gerettet. 440 Dieser Mann hat deinem sich mühenden Gatten geholfen, Dieser Mann hat den Tag der Freiheit des Himmels entfaltet. Möge dein Mädchen dich nicht durch zärtlich Gejammer bezaubern. Schenke sie drum zur Hochzeit dem unheilwehrenden Kadmos Und gehorche Kronion, dem Ares und der Kythere.«

VIERTER GESANG

Hermes sprachs, der Gott mit dem schönen Stabe, und schwang sich Leichten Flugs zum Himmel; es glitten der Sohlen Sandalen Rudernd durch die Lüfte dahin so schnell wie die Winde. Und die thrakische Frau, die die Kabiren'beherrschte, (Weigerte sich nicht, die Tochter dem Kadmos zu geben.)2 Denn voll Ehrfurcht scheute sie Zeus; so streckte mit kluger Hand sie winkend den Finger, Harmonia rufend, des Ares Unvermählte Tochter, mit dieser künstlichen Stimme. Und Harmonia wandte ihr zu die glänzenden Augen, Sah wie jedes Lächeln vom Antlitz Elektras verschwunden, Wie die Wangen der Mutter als Herold schweigend verrieten Eine schwere Last versteckten, plötzlichen Kummers. Und die Jungfrau sprang empor und folgte der Mutter In das hochgieblige Haus; und da nun öffnete diese Die versiegelten Riegel des siebenwinkligen Zimmers, Und die steinerne Schwelle beschritt sie. Da bebten die Kniee Der erschrockenen Frau in heißer Liebe zur Tochter. Und die rosige Hand des Mädchens erhob sie und hielt sie Mit ihrer Hand, so weiß wie Schnee; leicht konntest du glauben, Hebe zuschaun an der Hand der Hera mitblendenden Armen. Als nun aber ihr Schritt auf roten Purpursandalen In den äußersten Kreis des schönen Gemaches getreten, Hieß die Atlastochter die Jungfrau in ihrer Betrübnis

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Vierter Gesang

Auf einen prächtigen Sessel sich setzen. Auch ihrerseits nahm sie Neben dem Mädchen Platz auf silberglänzendem Stuhle, 25 Sagte die Botschaft des Zeus der widerstrebenden Tochter Und belehrte sie dann, was alles der himmlische Herold Anders gestaltet ihr als Menschenjüngling verkündet. Doch als die Jungfrau vernahm von einer Ehe voll Wandern Und einem heimatlosen Gemahl, einem Fremdling im Hause 30 Lehnte sie ab die Ehe und was von Zeus, seinem Vater, Hermes, der Rindertreiber, der Schützer des Kadmos, verkündet. Einen Landsmann wollte sie lieber zum Gatten, zu meiden Eine geschenklose Ehe, die mit dem Haushalt herumzieht. Mit ihren Fingern umschloß sie schüchtern die Hand ihrer Amme 35 Tränenüberströmt und sprach mit scheltender Stimme: »Meine Mutter, was traf dich, daß du dein Mädchen verleugnest 1 Derart verknüpfst du die Tochter mit einem, der eben erst eintraf! Welche Gabe denn wird mir dieser Seemann bescheren? Wird er als Brautgeschenk vielleicht die Taue mir reichen 1 40 Kinderfreundin, das wußte ich nicht, daß du deine Tochter Nur zur Wanderehe als flüchtige Jungfrau behütet. Andere Bürger sind mir da doch bessere Freier. Sprich, was nützts, einen nackten, geschenklosen Gatten zu haben, Der seinem Vater entflohen und nun im Ausland umherstreicht! 45 Aber du sagst, er war deinem Gatten Kronion von Nutzen. Warum erhielt er denn nicht von Zeus eine himmlische Gabe, Wenn, wie du sagst, er wirklich den Himmel verteidigt? und warum Gab nicht die Zeusfrau Hera die Jungfrau Hebe dem Retter?

Kadmos segelt mit Harmonia nach Hellas

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Nein, der waltende Zeus, dein Gatte, bedarf keines Kadmos. Mag sich Kronion erbarmen: es log der göttliche Hermes, so Was er von Zeus gesagt; ich kann es wirklich nicht glauben, Daß Kronion den Ares, den wilden Schlachtgott, entlassen Und einen sterblichen Mann berief zur Hilfe im Wettstreit, Er, der Herrscher der Welt und des Äthers. O mächtiges Wunder, Wieviel Titanen hält er doch im Abgrund gefangen! 55 Und da brauchte er Kadmos, um einen einz ’gen zu knechten ? Weißtdu die Doppelehe der Väter von Bruder und Schwester? Zeus, mein Vorfahr, teilte das Bett der leiblichen Schwester Hera und schloß nach Sitte Vermählung in eigner Familie. Ares und Kythereia, in Einem Lager verbunden, 60 Sie, Harmonias Eltern, sie stammen von Einem Erzeuger, Blutsverwandte Genossen der Ehe. O wehe des Zwanges: Schwestern haben den Bruder, ich einen Verbannten zum Gatten.« Vom verweinten Gesicht der Sprecherin wischte den Regen Die betrübte Mutter. Voll Zwiespalt fühlte sie Mitleid Mit Harmonia, suchte die Drohung Kronions zu meiden.

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Da umschnürte ihre Gestalt die listige Kypris Mit dem Gürtel des Vorteils, dem sinnberückenden Bande, Hüllte sich in die Gewänder der liebeerweckenden Peitho, Um in die duftige Kammer der Maid Harmonia zu tauchen. 70 Und die schönen Züge des Himmelsgesichtes verwandelnd, Sah sie Peisinoe3 ähnlich an Wuchs, einer Tochter des Nachbarn. Sehnsucht heuchelte sie nach Kadmos; wie heimliche Krankheit Strahlte sie matten Glanz vom blassen Antlitz und trieb die Mägde hinaus; und als sie allein war, da saß sie zur Seite 75

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Vierter Gesang

Nieder wie verschämt und sprach mit listiger Stimme: »Glückliche, sag, welch schönen Fremdling hast du im Haus Seligste, welcher Freier ward dein ! Welch herrlichen Gattei Wirst du erschauen, den nie eine andere Jungfrau gewönne: so Führt er doch echtes Blut aus seiner assyrischen HeirnalJ, Wo die Flut des zarten Adonis. Wirklich berückend Ist dieser Jüngling; er kommt vom Libanon, Tanzplatz Kytheres. Doch ich irrte: kein irdischer Leib hat Kadmos geboren, Sondern er stammt von Zeus und hat seine Abkunft verheimlicht. 85 Aber ich weiß, woher der olympische Jüngling: hat Atlas Je die Maia erzeugt als Schwester Elektras, so kam wohl Zu Harmonia als Gemahl und ohne die Flügel Vetter Hermes. Wird er denn nicht als Kadmilos5 gepriesei Tauschte die Himmelsgestalt und wird nun Kadmos geheilter 90 Ist es jedoch in Menschengestalt eine andere Gottheit, Hat Emathion wohl im Palaste den Phoibos bewirtet. Jungfrau, du Allbegehrte! Für himmlische Hochzeit und Sehnsucht Bist du seliger wohl als deine Mutter! Welch Wunder! Hat der waltende Zeus auch heimlich Elektra geehlicht, 95 öffentlich freit nun selbst um Harmonia Phoibos Apollon. Glückliche du, ersehnt vom großen Schützen! O würde Phoibos doch auch mit mir, Peisinoe, Hochzeit begehren ! Nicht wie Daphne würde ich je Apollon mich weigern, Nicht kann ich die Gesinnung Harmonias teilen; verlassene loo Heimatland und Haus und Eltern, die ich so liebe, Würde mir auf der Reise mit Phoibos die Ehe erblühen. Wohl erinnre ich mich an ähnlichen Anblick: als einmal Ich den Vater geleitet zum zukunftkündenden Tempel ”, Sah ich das Pythische Bild, und als mir der Fremdling erschienen,

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Glaubt ich das Götterbild des Phoibos hier wieder zu schauen, Aber du sagst, wie Gold so strahlte die Binde des Phoibos, Golden am ganzen Leibe ist Kadmos. Und willst du, so nimm dir Alle meine Sklaven, die ungezählten; für jenen Würde mein ganzes Gold und Silber ich gerne dir schenken. Königsgewänder geb ich dir gern des tyrischen Meeres; Willst du, nimm auch mein väterlich Haus, und, dürfte mans sagen, Nimm dir dann sogar auch Vater und Mutter, nimm alle Dienerinnen und gib mir diesen Einz’gen zum Gatten! Jungfrau, was zitterst du denn ? das Meer befährst du im Frühling Über die Enge dahin: mit dem herrlichen Kadmos zusammen Würd ich im Winter sogar des Ozeans Weiten durchkreuzen. Zittere nicht vor dem Brausen des Meeres; es wird ja erretten Kypris, die Flutentochter, des Eros Fracht auf den Fluten. Jungfrau, Kadmos ist dein, nicht trachte nach himmlischem Throne. Nicht Erythraias7 schimmernden Stein der Inder begehr ich, Nicht die goldene Frucht der Hesperiden; ich schätze Bernstein der Heliaden8 nicht so wie das einzige Dunkel, Wann Peisinoe liegt in dieses Fremden Umarmung. Sorgst du um deine Abkunft von Aphrodite und Ares, Wohl, so stiftete dir deine Mutter würdige Hochzeit. Sah ich solche Blüte doch nie: es schenkte von selber Die Natur dem Kadmos die ganze Fülle des Frühlings. Sah ich doch seine Finger wie Rosen schimmern, die Blicke Süßen Honig tröpfeln, im liebeerweckenden Antlitz Röten sich die Wangen wie Rosen, und die an der Spitze Hellen Doppelspuren der schneeigen Füße erglänzen In der Mitte wie Purpur; wie Lilien leuchten die Hände.

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Seine Flechten verschweig ich, damit ich nicht Phoibos erzürne; Müßt ich doch schmähen die Farbe der Hyakinthe Therapnais11. Wenn er das Antlitz wendet mit seiner lieblichen Rundung Und seine Augen kreisen, so leuchtet die ganze Selene Flammend vor Licht, und hat er die Locken zur Seite geschüttelt Und den Nacken entblößt, so sieht man Phosphoros10 glänzen. Laß mich die Lippen verschweigen; im Munde, der Furt der Eroten, Wohnt wohl Peitho, und süßer entfließt ihm die Stimme als Honig. Und die Chariten umschweben sein ganzes Wesen; ich mag nicht Schildern die Fingerspitzen, um nicht die Milch zu beschämen Nimm mich zur Hausgenossin, mich Unglücksel’ge, denn wenn ich Nur seine Rechte betaste und seine Gewänder berühre, Fänd ich ein tröstend Mittel für dieses heimliche Sehren. Schauen möcht ich entblößt den Nacken, des Sitzenden Finge Drücken wie unabsichtlich,und sterben möcht ich, wenn er nu Willig seine Hand auf meinen Busen herabläßt, Um die freie Wölbung der beiden Brüste zu drücken, Wenn er mir den Mund mit seinen Lippen verschlösse Und mich im Taumel der Küsse beseligte. Würde ich einmal Diesen Jüngling umarmen, dann würd ich zum Acheron sinken Ganz von selbst und würde am Tränenstrome der Lethe Den Verblichenen künden, wie süß ich gestorben, damit ich Mitleid samt Eifersucht wecke der kalten Persephoneia. Reden werde ich von charitendurchatmeten Küssen All den unseligen Weibern, die Feuer der Sehnsucht getötet;

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Ihre Leichen noch mache ich eifersüchtig, wenn an der Lethe die Paphia noch nach dem Tode die Weiber beneiden. Willst du, so folge ich dir als Fahrtgenossin, ich fürchte Nicht die fremde Irrfahrt. Hartherzige, werde des Kadmos Rechtlich Eheweib, ich will als Wärterin walten, Um Harmonia mit ihrem Gatten gemeinsam zu dienen. Aber ich fürchte auch dich, selbst wenn du es trachtest zu bergen, Daß ich nicht wegen des Lagers dir Groll und Eifersucht wecke, Wie ja auch Hera, obwohl sie des Äthers göttliche Herrin, Haßvoll die Nebenfrauen Kronions auf Erden befeindet. Der Europa grollt sie und kränkte die unstete Io; Göttinen selbst verschonte sie nicht, und weil seine Mutter Zürnte, verjagte Ares die schwangere, kreißende Leto11. Ist dir Eifersucht fremd, so gib mir, mein Sehnen zu stillen, Deinen Ehegatten für einen einzigen Morgen, Flehentlich bitte ich, nur für eine Nacht. Solltest du’s neiden, Töte mich deine Hand, damit ich Ruhe erreiche, Die ich ja Tag und Nacht ein nicht zu stillendes, wildes, Fressendes Feuer hege in meinem innersten Herzen!«

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Sprachs und trieb mit dem Gürtel das ehemeidende Mädchen, Stachelte die schon selbst lustsehnende Jungfrau zur Seefahrt, Die ihren Sinn bereits gewandelt: mit doppeltem Plane Trachtete sie, den Gast zu besitzen, sein Land zu bewohnen, iso Und so entfuhren ihr denn, gedrängt von Stachel, die Worte: »Wehe,wer wandelte mir mein Herz! ich scheide; o Heimat, Lebe, Emathion, wohl, mein Haus, ihr kabirischen Grotten, Lebet wohl, ihr Höhen der Korybanten, denn nie mehr Schau ich zu nächtiger Zeit der Hekate schwärmende iss Fackeln.

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Jungfernschaft, leb wohl, mich ehlicht der herrliche Kadmos. Artemis, zürne mir nicht, ich durchquere das schäumende Salzmeer; Kündest du auch, die See sei unerbittlich: ich achte Nicht der tosenden Brandung; vereint im Tode empfange iso Mich, Harmonia, gleich mit Kadmos mein mütterlich Wasser,2. Folgen werd ich dem Jüngling und rufe der Göttinnen Ehe: Wenn auf der Fahrt mit mir mein Gatte segelt gen Osten, Künde ich, wie Orion die Nebelgeborne ersehnte, Und des Kephalos13 Brautbett gedenk ich; doch eil ich dem dunklen 195 Abend entgegen, so tröste mich dann die Selene des Latmos Um Endymion hat auch sie ein Gleiches gelitten.«

Also sprach die Jungfrau in sinnverwirrenden Sorgen, Hielt sich nicht mehr, das Herz vom Stachel der Sehnsucht zerrissen. Ganz benetzt das Antlitz von Tränenströmen vor Jammer, 2oo Küßte sie Elektra auf Hand und Augen und Füße15 Und auf Haupt und Brust, und ob er ihr leiblicher Bruder, Drückte sie voll Scham auf Emathions Antlitz die Lippen. Alle Dienerinnen umarmte sie, schluchzend liebkoste Sie die kunstgeschnitzten, so schönen Kreise der Türen, 205 Ob sie auch leblos, die Wände des Mädchengemaches, ihr Lager. Bückend ergriff und umfaßte den Staub der Heimat die Jungfrau. Und da führte Elektra-die Götter waren dess’Zeuge Unbeschenkt die Tochter Harmonias Kadmos entgegen, Wie sie verpflichtet, und trocknete sich die Tränen vom Antlitz. 2io So verließ der Wandrer mit Kypris’ Tochter und einer Alten Magd das Haus frühmorgens; hin durch die Feste

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Führte ein Diener, der Fürstin Geschenk, sie nieder zum Meere.

Als aber Mene die Jungfrau am hohen Strande gewahrte, Wie sie dem Fremden folgte und glühte vor brennendem Zwange, Schalt sie Kypris und schrie ihr zu voll spottender Schmähsucht: »Kypris, zückst du die Waffen auf eigene Kinder und schützt du Nicht die eigene Frucht sogar vor dem Sporn der Eroten? Hast du kein Mitleid mit deiner Geburt, du Harte, welch anders Mädchen erbarmt dich, erweckst du der eigenen Sippe Begierden! Liebling, Paphias Tochter, so irre du auch und sag ihr: Phaethon'“ schmähte dich und mich verunglimpft Selene. Flüchtiges Unglückskind, den Buhlen Endymion magst du Mene lassen und kürnmre dich selbst um den Wanderer Kadmos; Dulde die gleiche Mühe und denke in liebender Sorge Niedergebeugt auch du der sehnsuchtkranken Selene.«

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Also rief sie. Da trieb schon Kadmos am Strande die Freunde, Abzulösen die Taue des vorwärtsstrebenden Lastschiffs, Daß die Segel sich bauschten im milden Winde des Frühlings. Mit einem Pflock verbindend die beiden doppelten Taue17, Lenkte er durch die Wogen den Balkenwagen des Meeres 230 Ebenmäßigen Schrittes dahin, und da er Phoiniker, War er auch klug geübt in den heimischen Künsten der Schiffahrt. Stetig hielt er das Steuer; im Heck auch mußte sich setzen

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Maid Harmonia, die noch unberührte Gefährtin, 235 Wie er gewahrte, daß Fremde das Schiff bestiegen zur Mitfahr, Gegen Bezahlung. Und als ein solcher Reisender einstieg, Sah er die beiden, und leise entfuhr ihm der wundernde Ausruf: »Eros ist dieser Schiffer leibhaftig. Was stände dagegen, Daß einen Segler geboren die meerentstandene Kypris! 240 Aber Pfeil und Bogen und einen Feuerbrand trägt doch Eros, der Flügelknabe, der kleine, ich aber sehe Ein sidonisches Schiff. Der listige, diebische Ares Sitzt da wohl im Heck, die Aphrodite des Westens Fort zum Libanon hin von Thrakiens Küste zu führen. 245 Sei mir gnädig, du Mutter des Eros! auf spiegelnder Fläche Schick mir günstigen Fahrwind auf mütterlich ebenem Meere!« Solch ein heimliches Wort entfuhr dem reisenden Schiffer, Zu Harmonia schielte sein Auge seitlich hinüber. Und so beendete Kadmos die Fahrt nach Hellas, es zog ihn 250 Zu der Stimme Apollons, und unaufhörlich im Ohre Lag ihm, treibend, Kronions untrügliche, göttliche Weisung. Neue Geschenke gab er den Panhellenen, durch seine Lebenspendende Kunst18 verdunkelnd jene des bösen Danaos, Wasserfinders. Was gab der denn viel den Achaiern, 255 Wenner je, den Boden mit ehernem Spaten durchgrabend, Ausgeschaufelt die Tiefen der aufgeschüttelten Erde Und die Dürre von Argos beseitigte, Plätze voll Wasser Den bestaubten Füßen der Bürger als gastliche Gabe Schenkte, ein wenig Wasser aus Erdentiefen! Doch Kadmos 260 Brachte dem ganzen Hellas Geschenke voll Sinn und voll Sprache19. Werkzeuge schuf er, die mit dem Laut der Zunge im Einklang. Denn vermischend Mitlaut und Selbstlaut in reihender Fügung,

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Rundete er beredten Schweigens geschriebenen Umriß. Wohl in der herrlichen Kunst, der Heimat Geheimnis, bewandert, Brachte er die Weisheit Ägyptens zur Zeit, da Agenor, Memphis’ Bewohner, gegründet das hunderttorige Theben. Von der geheimen Milch hochheiliger Bücher gesättigt, Ritzte mit gleitender Hand er schräge Rillen und schrieb so Kreisgebogene Bilder. Er zeigte die lärmenden Feiern Des Dionysosgottes Ägyptens, des irren Osiris, Und er lehrte die heimliche Kunst der nächtigen Weihen, Rief einen Zauberhymnus mit heimlicher, schwärmender Sprache; Flüsternd tönte das Schreien. Die in die Tiefe der Mauer Eingegrabenen Zeichen des Tempels voll steinerner Bilder Lernte er schon als Knabe. Mit klugverständigem Streben Maß er den flammenden Bogen der nichtzuzählenden Sterne, Kannte des Helios Bahn und wußte die Maße der Erde. Und er drehte die Hand und bog die verbundenen Finger, Merkte sich so die verschiedenen Kreise im Lauf der Selene, Wie sie die Wechselgestalt in dreifacher Windung verändert, Neuerscheinend, dann halb im Monat, schließlich im Vollglanz, Wie ihr Licht vom männlichen Feuerherd abhängt und abfließt, Mutterlos geboren von Vater Helios’ Schimmer, Und sich erborgt des Erzeugers ureignes, stets quellendes Feuer.

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So war Kadmos. Um schnell zu achaiischen Städten zu eilen, 285 Gab er die Schiffahrt auf. Und mit Harmonia zusammen, Führend als Wandrer des Festlands den Schwarm der Schiffergefährten, Zog er mit Pferdewagen und lastentragendem Fuhrwerk Zu dem weissagenden Tempel, und als er des kündenden Pytho Delphische Nabelachse” daselbst erreichte, da fragte 290

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Vierter Gesang

Er das Orakel, und klug aus ihrem Kreise von selber Gab ihm mit hohler Stimme die pythische Achse die Kündune »Kadmos, du schweifst vergebens umher auf irrenden Spuren, Einen Stier zu suchen, der nicht von Rindern entstammte, 295 Einen Stier zu suchen, den nie ein Sterblicher findet. Laß Assyrien fahren, als deiner Leute Geleiter Folg einer irdischen Kuh und frag nicht nach himmlischem Stiere! Denn den Buhlen Europas, den weiß kein Kuhhirt zu treiben Keine Weide besucht er und keine Wiesen und keinem 3oo Stachel gehorcht er und fügt sich keiner Peitsche. Er trägt nui Kypris’sanftes Joch und nicht die Sielen des Bauern; Nur dem Eros streckt er den Nacken und nicht der Demeter. Zähme dein Verlangen nach deinem Erzeuger in Tyros, Bleibe im Ausland, und eine nach deinem aigyptischen Theben 305 Gleichbenannte Stadt begründe an nämlicher Stätte, Wo die göttliche Kuh mit schweren Knieen sich lagert.« Sprachs und ließ verstummen der Dreifüße schwärmende Stimme. Lauschend dem nahen Schall des Phoibos wurden Parnasses’ Spitzen erschüttert. Es wallte prophetisch tönend die Strömung 3io Gottbegeistert dahin aus der weisen, kastalischen21 Quelle. Kadmos fügte sich gleich dem Spruche des Gottes. Beim Tempel Sah eine Kuh er ziehn, und mit ihr ging er. Die Männer Folgten dem lässigen Huf des sicherschreitenden Rindes Wandernd hinterher mit gemessener, eilender Vorsicht, 315 Emsig beflissen. Da ward auf seinem Pfade dem Kadmos Sichtbar der heilige Ort, wo in neunbogiger Windung Pythios22 einst in den Bergen den Rücken des Drachen gewahrte Und das tödliche Gift der Schlange von Kirrha23 beschwichtigt.

Kadmos erschlägt den Drachen

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Und der wandernde Mann verließ den Grat des Parnassos, Und das benachbarte Daulis betrat er, wo sich das Schwatzkleid21 Philomeles befindet, der unglückspinnenden Stummen; Tereus schändete sie, als Hera, die Göttin der Ehe, Floh die ohne Tanz gefeierte Hochzeit im Bergland, Als das Mädchen über das ungebettete Brautbett Auf der Erde stöhnte. Und als die zungenberaubte Jungfrau in Thrakien dann erzwungene Liebe beklagte, Stöhnte die stimmlose Echo mit nachgebildeten Tränen Jammernd um Philomele, die ehefliehende Jungfrau, Als mit dem purpurnen Blut der ebengeschnittenen Zunge Sich das Blut des Magdtums zu gleichem Strome vermischte. Auch des Tityos” Stadt erschien ihm, wo einstens der Erde Frecher Sohn durchschritten den schönen Hain von Panopeus”, Um dort Leto zu zwingen, die heil’gen Gewänder zu heben. Und des Kadmos Fuß betrat auch Tanagras27 Stätte; Von Koroneia aus wechselnd auf Haliartos’ Gefilde Kam er zu Thespierstädten und nach Plataiai im Walde, Kam auch Aonia2’nah, als er Boiotien durchkreuzte, Wo dem Orion einst, dem schlimmen Sohne der Erde2’, Der Skorpion, der Helfer der ehlosen Göttin der Pfeile, Tödlichen Fall bereitet, dem Mächtigen, als er der keuschen Göttin zu lüpfen versuchte den äußersten Saum des Gewandes. Langsam kriechend erreichte das Untier der Erde des Gegners Sohlen und ritzte ihn dann mit seinem erstarrenden Stachel. Auch ins Chaironische3’ Land kam Kadmos, wo sich des Rindes Hufe weisslich färbten im silberschimmernden Staube; Und auf der steinigen Reise soviel gewundenen Gänge Schüttelte ab die Kuh von den Hufen die weiße Befleckung. Und dann streckte das Rind gemäß dem Orakel sich nieder,

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Vierter Gesang

Kündend so der Stadt Entstehung. Als sich dem Kadmos 350 So der pythische Spruch aus den Tiefen der Erde erfüllte, Brachte das heilige Rind er neben den dampfenden Altar, Forschte nach einem Quell, um dort zu reinigen seine Seherhände und über das Opfer lauteres Wasser Auszugießen; denn noch war nicht im rebenbepflanzten 355 Garten die üppige Frucht gedeihlicher Lese erschienen.

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Und nun trat er heran zur drachennährenden Dirke. Staunend stand er still, weil wie zur Fessel gewunden Ares’ Schlange die Quelle mit schillerndem Rücken umkränzte Und sein Heer verfolgte, das zahlreich hinter ihm herzog. Einen biß sie unter der Brust mit den bläulichen Kiefern, Einen andern ritzte sie packend mit blutigem Zahne, Anderem Kämpfer zerriß sie die lebenerhaltende Leber, Daß er verschied. Ihr floß natürlich locker vom Nacken Eine Mähne, die rings den schlüpfrigen Schädel umkrauste. Einen andern erschreckte der Drache; über die Schläfe Sprang er, warf unhaltbar sich einem anderen an die Kehle, und giftigen Tau ihm schleudernd wider die Augen Ließ er den schimmernden Glanz der getroffenen Augen erlöschen. Bei der Sohle packte er einen andern, und blitzschnell Biß er ihn mit den Kiefern. Der Zähne gelblichen Geifer Spie er auf des Jünglings Gestalt: wie bläuliches Eisen Färbte sich der erkaltete Leib von dem gelblichen Gifte. Einem andern, der röchelnd dem Schlag der Kiefern erlegen, Tobten wild wie Wogen die Adern unter der Kopfhaut Von dem giftigen Biß, und von dem triefenden Hirne Stürzte durch die Nase ein Strom von blutigem Wasser. Schnell umwand der Drache, sich aufwärts schlingend, des Kadmos Beine, sie so umgürtend mit einer gefährlichen Fessel.

Kadmos erschlägt den Drachen

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Aufgebäumt den Leib in hochgerundeten Ringen Sprang er wild empor zum Nabelkreise des Stierschilds. Und da ermattete schon der Mann in den klemmenden Schlingen, Die seine Füße schleppend mit Natternbanden umstrickten. 370 Grauenhaft war die Bürde; und ihren belasteten Träger Zerrte aus stehender Stellung der Drache nieder zu Boden, öffnete weit sein bitteres Maul, und der schauerlich wilden Kehle blutiges Tor fuhr klaffend weit auseinander. Und der Drache bog den Kopf zur Seite; ihn schüttelnd 375 Schlängelte er empor den krummen, mittleren Nacken. 376 Schon war Kadmos fast ermattet; da nahte Athene, 389 Ihre Aigis schwingend, die Künderin zukünftigen Sieges, 390 Die da prangend zeigt das Natternhaupt der Gorgone, Und dem Erschrockenen schrie die kampfentfesselnde Göttin: »Kadmos, der du dem Zeus, dem Gigantenvernichter, im Kampfe Halfest, du fürchtest dich vor Einer Schlange? im Kampfe Hat im Vertrauen auf dich Kronion den Typhon geworfen, 395 Der doch so viele Häupter von Drachen prangend emporhob. Zähme dein Zittern vor dem Zischen der Zähne des Untiers. Pallas treibt dich an, und nicht bei der mordenden Dirke Wird den kriechenden Wächter der eherne Ares erretten. Greife darum des Scheusals entsetzliche Zähne, sobald es 400 Hingesunken, und säe die Natternfrucht in die Erde; Schneide die Schlangensaat der kampfentflammten Giganten; Weihe Einem Verderben der Erdgeborenen Phalanx; Fünf nur laß am Leben. Und in dem künftigen Theben Sprosse zu herrlichen Früchten die Sippe jener Gesäten.« 405

So ermutigte Pallas den bang erschrockenen Kadmos. Schnell wie der Wind im Schwung durchschneidend die Tiefen der Lüfte,

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Vierter Gesang

Tauchte sie wieder ins Haus des Zeus. Da entriß einen Steinblock Kadmos der nährenden Scholle, aus räumiger Erde ein runde 4io Felsiges Wurfgeschoß, hielt stand und schleuderte malmend Wider den Kamm auf dem Scheitel des Drachen den sausenden Felsen. Von der Seite riß er rasch die Schärfe des Messers Und durchschnitt den Nacken des Untiers. Neben dem Rumpf Lag die Schläfe getrennt, und ringelnd wälzte im Staube 4i5 Sich der zitternde Schwanz und löste die übliche Krümmung Lang lag auf dem Boden des Drachen Leiche, und zürnend Über dem Leichnam schrie der grause Ares und grollte3': Kadmos solle einst mit windenden Gliedern verwandelt Fremdgeartet stehn am Ende illyrischen Landes 420 Als ein seltsam Bild mit drachenartigem Antlitz. Aber das lag im Schoße der Zeit. Im ehernen Helme Sammelte Kadmos nun die Frucht des Verderbens zusammen Diese schreckliche Ernte der Kiefern des Untiers. Dann zog er Erdwärts vom heiligen Platz den Pflug der heimischen Pallas. 425 Kriegsgebärende Furchen schnitt er nun pflügend im Acker, Reihenweis säte er dann hinein die giftigen Zähne: Selbstgeboren wuchs da auf die Saat der Giganten. Hohen Hauptes schoß einer empor und streckte die Spitzen Seiner bepanzerten Brust; ein andrer mit reckendem Kopfe 430 Dehnte über deröffnung der Erde die schrecklichen Schultern; Einer beugte sich vor in Nabelhöhe, dem Acker Halbentsprossen, und hob die erdentstandene Waffe. Schüttelnd beugte ein andrer den Schopf, der eben empor­ schoß, Ehe die Brust erschien; und eh er den Flanken der Mutter 435 Langsam entkrochen,streckte erwider den tapferen Kadmos Die von selber gewachsene Wehr. O mächtiges Wunder:

Kadmos erschlagt den Drachen

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Eileithya halt’ einen im Leibe der Mutter gewappnet. Einer schnellte empor; halbsichtbar griff er die Lanze, Die mit ihm entstand; ein andrer hob sich zum hellen Licht, es hafteten ihm halbfertig die Sohlen im Erdreich. Nicht aber hatte Kadmos den Auftrag Athenes vergessen, Sondern mähte die Saat der stets erneuten Giganten. Einen traf er über der Brust mit der sausenden Lanze, Traf einen andern am Schlüsselbein in den strotzenden Nacken Und zerspaltete ihm die Knochen der bärtigen Kehle. Einen, der bis zum Bauche erschien, zerbarst er mit schnellem, Sausendem Stein; und als das Blut der Unglücksgiganten Stromgleich sich ergoß, glitt Ares im blutigen Schlamme Aus und färbte die Glieder, und im Getümmel daneben Wurde der Nike Gewand von purpurnen Tropfen gerötet. In die Hüfte traf das Schwert einen anderen Kämpfer Und durchschnitt mit der Weiche zugleich den Rücken des Schildes. Fürchterlich war das Morden, und wie die Giganten erlagen, Sprudelte aus den Schwertgetroflnen verderblich ein Rinnsal Blutigen Taus. Doch Kadmos nach Pallas’ verständigem Rate Hielt einen Felsblock über der Erdgeborenen Köpfe. Die aber, völlig trunken von blutiger Mordgier Enyos, Wurden von Ares rasend und trafen sich tödlich einander Mit dem gewachsenen Eisen und wurden im Staube begraben. Einer stritt mit dem andern; vom roten Strome des Mordbluts Färbte sich dunkel des feuchten Schildes fleckiger Rücken Eines erlegnen Giganten; von ackerentwachsenem Messer Brudermordend wurde die Frucht der Erde geschlachtet.

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Als nun Kadmos die Schlangensaat des Krieges geschnitte Hingemäht die Halme der zähneentsproßnen Giganten, Blut, die Opfergabe des Kampfes, dem Ares gespendet, Reinigte er den Leib bei der drachennährenden Dirke, Opferte dann die delphische Kuh auf geweihtem Altäre, Pallas zur festlichen Spende. Die heilige Handlung beginnem Streute er hier und dort auf beide Hörner des Rindes Gerstenkörner. Dann zog er neben dem Schenkel das blanke Opfermesser - er trug es an assyrischem Riemen Und schnitt ab das äußerste Haar des hornigen Hauptes Mit dem beknauften Schwert. Theoklymenos packte des Rindes Hörner und beugte ihm den Hals mit straffendem Zuge. Drauf durchschlug der Kuh die Sehnen des Nackens Thyeste. Mit zweischneidigem Beil. Von des Rindes blutigen Spuren Ward der Steinaltar der onkaiischen' Pallas gerötet. Als die gehörnte Stirn des Rindes vom Schlage getroffen, Stürzte die Kuh vornüber, und als sie dem Eisen erlegen, Da zerstückelten sie ihr mit dem Messer die Flanken, Zogen die rauhe Rindshaut herunter und spannten dann diese Hülle aus; und Kadmos, am Boden schleppend das Festkleid, Mühte sich selbst, der Herrscher, zerschnitt der prächtigen Schenkel Rohes Fleisch, es dann in kleinere Teile zerstückelnd, Doppelt in Fett gehüllt; auf Kohlenfeuer sie breitend, Steckt er langgedehnt die Geweide auf eiserne Spitzen,

Kadinos gründet Theben

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Um sie bei schwächerer Glut zu rösten, der Reihe nach brachte Der Zerleger das Fleisch, das mitten vom Erze durchbohrt war, Setzte zu ebener Erde es auf die blumige Tafel Und erhob dabei so manchen glühenden Bratspieß. Dampfend wälzte sich durch die Luft des assyrischen Weihrauchs Irrender Hauch, und als das Opfer vollendet, da fand die Mahlzeit statt. Und Kadmos griff zu, verteilte und reichte Jedem gleichgewogen den Anteil der köstlichen Speise, Bis am runden Tisch die Reihen der schmausenden Leute Ihr Verlangen gestillt und sich am Mahle gesättigt. Noch nicht waren die Mühen des Drachentöters beendet, Sondern nach dem Wurm und nach den wilden Giganten Kämpfte er mit den Ektenern!und mit der aonischen’ Mannschaft, Mähend des Ares barbarische Saat. Die nahe behausten Temmiker4 überfiel er, und als er Streiter herbeirief, Nahte sich bunt zu Hilfe ein Schwarm umwohnender Völker. Eris erweckte das Wüten Enyos in beiderlei Heeren Und gebar ein Gemetzel. Da wurden im taumelnden Aufruhr Bogen gespannt und Speere geschwungen und Helme geschüttelt, Und die Geschosse schwirrten. Im nabelförmigen Kreise Traf ein Mühlstein wider den Schild, der schütternd erdröhnte, Und es floß der Getöteten Blut. Auf der fruchtbaren Erde Wälzte sich halberschlagen so mancher köpflings im Staube, Und da beugten die Gegner sich gnadeflehend vor Kadmos. Aus war nun der Streit. Nach dem Mordgewirbel des Kampfes Legte Kadmos den Grund der künftigen Türme von Theben, Mancherlei Furchen wurden, indem man die Räume verteilte, Hier und dort geschnitten. Der vielverästelten Pfade Feste Orte wurden vom Rinderpfluge umrissen;

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Fünfter Gesang

Mancherlei Straßen, die nach allen vier Winden sich teilten, 55 Wurden regelrecht auf der grasigen Fläche vermessen, Und die aonische Stadt ward bunt mit der steinernen Schönheit Tyrischer Kunst geziert. Da keuchten tätige Leute Einer neben dem andern, als an dem boiotischen Hügel Sie mit Meißeln schnitten den farbigen Felsen, der dalag 60 Unter den bergigen Höhn des eichenbewachsnenTeumessos, Der auch im Helikon wuchs und den der Kithairon erzeugte Göttertempel und Häuser der Menschen vollendete Kadmos Messend mit der Richtschnur; auf unzerstörbarem Grundsteil Zeichnete er die Stadt, von sieben Toren umzogen, 65 Kunstvoll nachzuahmen den siebenzonigen Himmel. Dem Amphion5 beließ er, in Zukunft die Mauer der Städ ter Zinnentürmend durch der Kithara Spiel zu erbauen. Sieben Tore ließ er errichten, den sieben Planeten Gleichgeartet. Er fügte zuerst gen sinkenden Abend 70 Das onkaiische6 Tor der augenleuchtenden Mene, So genannt nach dem Brüllen der Kuh, dieweil ja in Stierform Selber hörnerbogig, die Hirtin der Rinder, Selene, Dreifach sich gestaltet wie die Athene Tritonis7. Dem Hermaon gab er, dem leuchtenden Nachbar der Mene, 75 Ehrend das zweite Tor; das vierte aber benannt’ er Das Elektra-Tor8 nach Phaethon, weil er am Morgen Wie Elektra flimmert von gleichem, farbigem Glanze, Und so war es errichtet dem feurigen Helios östlich“ In der Mitte1’, weil er der mittlere aller Planeten. so Ares gab er das fünfte und Aphrodite das dritte, Daß von beiderlei Seiten der mittlere Phaethon wäre, Hier den stürmischen Ares und dort Aphrodite zur Seite. Glänzender wurde geschmückt für Zeus zur Weihe das sechste Ragend. Der siebente Stern des Kronos erlöste das letzte.

Kadmos' Hochzeit mit Harmonia

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So erschuf er den Sitz. Nach des heiligen Baues Begründung 85 Nannte er nun mit Namen ihn gleich dem ägyptischen Theben, Bunt das irdische Bild wie das Himmelsgewölbe verzierend.

Der Aonier Töchter begannen beim Tanze Harmonias Hochzeitslied zu singen; beim ehebeglückten Palaste Riefen die Tänzerinnen den Namen der thrakischen Jungfrau. 90 Paphia schmückte selbst das neue Brautbett dem Kadmos, Und als zärtliche Mutter besang sie die götterbefohlne Hochzeit ihres Kindes. Voll Freude über die Tochter Tanzte ohne Schild der sanfte Ares, ihr Vater; Ungepanzert ruhte auf Kypris die Rechte des Gottes, 95 Und er blies auf der Hochzeitstrompete das Lied der Eroten Wechselnd mit der Syrinx im Klang. Des gewappneten Hauptes Üblichen Helmbusch legte er nieder vom wallenden Kriegshaar, Und mit Flechten, rein von Blut, umband er die Locken, Schlang ein festlich Lied dem Eros; und tanzend mit Göttern 100 Kam zu Harmonias Hochzeit geeilt der ismenische11 Phoibos, Lockte Liebesgesang aus siebensaitiger Leier, Und die neun Musen spielten ein lebenerhaltendes Festlied. Polyhymnia schwang die Hände, die Mutter des Tanzes, Ahmte so in der Luft ein Bild der tonlosen Stimme, 105 Ließ in klugem Schweigen die Hände reden und deuten Und die Augen kreisen. Auf vielbewegter Sandale Stand als Kammerfrau Nike dabei, Kronion zuliebe, Und umjubelte Kadmos, Kronions Krieger; ums Brautbett Schlang ein hochzeitlich Festlied der Mund der göttlichen 110 Jungfrau, Und sie wiegte den Fuß; zum wohlgerundeten Reigen Schwang sie züchtig die Flügel zur Seite der flücht’gen Eroten. Aus der Strahlenfülle der weithinglänzenden Fackeln Täuschend stieg das Licht wie Morgenröte am Abend.

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Fünfter Gesant

ns Heller Stimmenklang beim reigenliebenden Brautbett Feierte durch die Nacht das Fest. Es schlangen die Sänger Unermüdlichen Tanz. Und eilend zur schlaflosen Hochzeit I17a--------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 12

Ohne den üblichen Stab, denn der ist Walter des Schlafes. Und so wurde Theben zum Tanzplatz des Himmels; man konnte i2o Kadmos zusammen mit Zeus an Einer Tafel gewahren13.

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Und da brachte zum Ehegemach die bräutliche Stunde Steigend am Himmel der Drache, des nördlichen Wagens Begleiter, Künder der Zukunft, dieweil mit seiner Ehegenossin Einst Harmonias Gatte aus Menschenleibern zu Schlangen Sollte verwandelt werden. Die Seligen hintereinander Boten Geschenke dem Kadmos, der nach dem Brautgemach strebte. Zeus gab alle Erfüllung; und seiner Schwester zu Ehren, Hera, der von allen geliebten, der Mutter des Ares, Reichte Gaben des Meeres der reisige Bläulichgelockte, Hermesein Szepter, Ares den Speer, einen Bogen Apollon, Und einen Kranz, geschmückt mit vielen, farbigen Steinen, Legte Hephaistos auf das Haupt Harmonias nieder, Eine goldene Binde, die Haar und Schläfen umschmiegte. Marmornen Thron verlieh die goldenthronende Hera, Und Aphrodite, die verschlagne, die Ares begünstigt, Bot eine goldene Kette mit künstlich schimmernden Steinen, Hell geschlungen um den rosigen Nacken der Jungfrau, Die Hephaistos voll Kunst der Kypristochter geschmiedet Als eine Gabe beim Anblick des Eros, des trefflichen Schützen. WähntederwankendeGottdochimmer.eswerdeihm Kypris Einen hinkenden Sohn mit den Füßen des Vaters gebären.

Kadmos’ Hochzeit mit Harmonia

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Aber sein Glaube war eitel, und als er den flinken, beschwingten, Strahlenden Sohn ersah, der ähnlich dem Sohne der Maia, Fertigte er eine Kette, gar bunt. Ihr sterniger Rücken Glich der gewundnen Gestalt einer Schlange. Denn grade wie eine Doppelmündige Amphisbaina11 durch mittlere Windung Sich zusammenzieht, giftspritzend aus beiderlei Köpfen, Sich im Kreise ringelt mit doppeltgleitenden Gliedern, Kopf an Kopf zusammenfügt in kriechendem Gange, Schräggewendetsich rings mit krummem Rücken herumwellt: Also bog sich bunt die Kette und spannte den krummen Rücken ringsherum mit rundem, doppeltem Halse, Dicht bis in die Mitte des Leibes mit Schuppen gepanzert, Doppelköpfig zur Schlange gedreht. Durch künstliche Krümmung Zitterte rings der goldene Kreis des gebogenen Rückgrats; Und der Kopf, geschüttelt im Schwung von mancherlei Drehung, Ließ aus seinem Munde ein täuschendes Zischen entweichen. Zwischen den beiden Mäulern, wo Anfang an Ende geschlossen, Stieg ein goldener Adler, als wollt er die Lüfte durchqueren, Aufrecht mitten zwischen den doppelten Köpfen der Natter, Leuchtend im Viererschmuck der vierfachen Flügel nach oben. Gelblichen Jaspis zeigte der eine, der andre Selenes Völlig weißen Stein, der schwindet, wenn die gehörnte Göttin abnimmt, und der da wächst, wenn Mene aufs neue Aufwärts den feuchten Schimmer der strahlenden Hörner emporstreckt, Um sich ureigenes Feuer15 des Heliosvaters zu melken. Eine Perle trug der andere Flügel, so schimmernd, Daß um ihretwillen des Roten, blendenden Meeres

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Fünfter Gesang

Blauglanz funkelt. Es zierte die Nabelmitte des vierten 170 Flügels aus Indien ein matter Achat mit feuchtem Geleucht, Wie so die Häupter einander von beiden Seiten genähert, Öffneten sich die Schlünde der beiden Köpfe des Drachen Und umschlossen rings mit beiden Kiefern den Adler, Ihn umwickelnd hüben und drüben. Aus glänzendem Antlit 175 Schleuderten dort als Augen Rubine ihr eigenes Feuer Blendend und grell, als brennte des Lichtes entzündete Flamme. Prunkvoll aber aus Steinen von mannigfaltigen Formen War da ein Meer; dem strahlenden Stein des grünen Smaragdes Fügte sich nachbarlich der Bergkristall ähnlich wie Seeschaum, iso So dem weißlichen Gischt der schwärzlichen Salzflut vergleichbar. Drinnen war alles kunstreich gebildet, drinnen erglänzten Hell in goldenem Schimmer die Wasserherden der Tiefe Wie in kreisendem Sprung. Und in der Mitte erscheinend, Tanzte manch eilender, feuchter Delphin und streifte die Fluten 185 Täuschend bewegte er wie von selber die Flossen des Schwanzes War da auch andersfarbig ein Chor von Vögeln; du hättest Leicht gewähnt, den Hauch der fliegenden Schwingen zu hören, Als Kythereia das Mädchen mit dieser Kette beschenkte; Golden und edelbesteint umhing sie den Nacken der Jungfrau.

190 Und vermählt durch den Gürtel, den Lenker ehlicher Sehnsucht, Trug Harmonia Nachwuchs im kindergesegneten Schoße, Bald ward er geboren. In mannigfacher Entbindung

Töchter des Kadmos / rlristaios und der Honig

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Löste töchtererzeugend sie ihre schwangere Bürde, Während viermal sich neun Kreise Selenes erfüllten. Erst entsprang Autonoe da dem fruchtbaren Schoße, Und die Mutter entband, was sie neun Monde getragen, In den Wehen der ersten Geburt. Von nämlicher Sippe' Wuchs dann die schöne Ino empor, des Athamas Gattin, Die ihm zweimal gebar. Als dritte sproßte Agaue, Die dann Hochzeit schloß mit einem Giganten“ und einen Ähnlichen Sohn gebar dem zahnentsproßnen Gemahle. Wie die Chariten schön mit sehnsuchtumschattetem Antlitz Blühte Semele dann, für Zeus behütet, als vierte Tochter empor; nur sie allein, die einzige, jüngste, Hatte Natur begabt mit siegreich schöner Gestaltung. Spät erst gebar die Gattin dem frohen Kadmos ein junges Söhnlein und gab den Töchtern den männlichen Bruder­ gefährten, Polydoros den Morgenstern der aonischen Heimat, Jünger als Semele noch, die rosige. Später in Theben Mußte er Pentheus weichen, der rechtlos Herrschaft und Szepter An sich gerissen. So ward es in grauen Tagen vollendet.

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Einzeln einte Kadmos die Töchter mit liebenden Gatten In verschiedener Hochzeit in vierfach ehlichem Brautbett, Fügte so Bund auf Bund. Denn erst mit reichen Geschenken Schloß Aristaios“, der Nomios auch und Agreus geheißen, 215 Der der geschickten Kyrene, dem wissenden Phoibos entsprossen, Mit Autonoe Hochzeit nach Brauch der ehlichen Zeugung. Kadmos war der Eidam genehm, vielnährende Künste Wußte er ja, der lebenerhaltende Sproß des Apollon. Ihm, der durch den Hauch belebender, himmlischer Winde 220 Den verderblichen Stern der feurigen Maira besänftigt1“,

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Fünfter Gesang

Einteerseine Tochter und gab sie dem weisen Gemahle. Stattlich war die Hochzeit: ergab dem Mädchen alsBrautsch; Rinder,bescherte ihr Ziegen und schenkte ihrHerden am Berj 225 Und gar mancher Hebel, von schwerem Zwange belastet, Hob empor die Fracht des doppelgehenkelten Ölkrugs, Hochzeitsgeschenke; er brachte auch von den emsigen Biene Vielfach ihr künstlich Werk, das wabenreiche Erzeugnis.

Jener Mann durchlief zuerst im Sprunge die Berge 230 Und entdeckte die Müh, auf Hängen Rehe zu hetzen, Wie mit feiner Nase am Rande des nährendes Waldes Witternd spürt der Hund den Geruch verborgenen Wildes Und die Ohren reckt und steile Pfade dahinschießt. Auch die listige Kunst des maschigen Jagdgarns verstand er 235 Und er erfand das Stellnetz. Die Spuren desWildes im Sande, Morgendlich eingedrückt in die unbetretene Erde 236a-------------------------------------------------------------------------------------------------------

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Und er lehrte den Mann, in unaufhaltsamem Ansturm Hundehetzend die Jagd zu treiben, die Füße mit hohen Stiefeln bekleidet, geschürzt zum Knie die kurze Gewandung, Daß dem Jäger nicht der Schwung des eilenden Fußes Rückgerissen wurde vom niederwallenden Kleide. Jener Mann ersann, die Bienenstöcke durchlöchert Aufzureihen, zum Standplatz der einsam irrenden Biene, Die auf derWiese wechselnd von Blüte zu Blüte dahinfliegt Und sich schwingt zu dem Gipfel des früchteschimmernden Baumes, Um den äußersten Saft mit dem Rande der Lippen zu saugen. Und mit den linnenen Maschen des vielgeflochtnen Gewandes Von dem Wirbel zur Zeh sich alle Glieder umwickelnd, Schützte er sich vor dem schrecklichen Stachel der wehr­ haften Immen, Und durch die listige Kunst des stickend feurigen Rauches

dristaios und der Honig

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Zähmte er nach der Beraubung die Biene. Er schwang einen schnellen, Flackernden Span, zu bedräuen das bienenstockliebende Tierchen, Und zwei eherne Becken erhob er, die Brut in dem Korbe, Die in wildem Getümmel ihn laut und summend umschwirrte, Durch den doppelten Schall vielklappernder Hände zu schrecken. Und die vielen Spitzen der Hülle des Wachses zerschneidend, Wußt er der Honigbrut hellschimmernde Gabe zu zeideln. Er zuerst erfand den Saft des tropfenden Salböls, Als er die Frucht zerschnitt auf mühlsteinähnlichem Felsblock Und die fetten Früchte des feuchten Ölbaums zerquetschte. Auf die buschigen Weiden am Hange des schattigen Bergwalds Brachte er die Hirten und lehrte, auf Wiesen, auf Auen Früh von Sonnenaufgang bis spät zum Abend zu weiden. Und das Getriebe der Schafe, die unerreichbar und störrisch Hierhin und dorthin schweiften und irrten und immer nur langsam Folgten zur blumigen Trift, vereint’er auf einzigem Pfade; Denn er gab eine Ziege dem drängenden Zuge als Leittier. Auch den Hirtengesang des Pan in den Bergen ersann er, Brachte auch den feurigen Stern der Maira zur Ruhe21 Und entfachte dem Zeus-Ikmaios den duftenden Altar. Stierblut goß er über das süße Opfer der Spende Auf dem Altar und auf die schimmernde Gabe der Biene, Füllte die üppigen Becher mit Mus aus Mehl und aus Honig. Vater Zeus vernahm es und sandte dem Enkel zu Ehren Jenen Gegenhauch der unheilwehrendenWinde, Um den Sirius so am feurigen Brande zu hindern. Heute noch kühlen als Boten des Aristaiischen Opfers Zeusgesandte Winde alljährlich lindernd die Erde Immer, so oft der Trauben buntschimmernde Ernte heranreift.

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280 Ihn nun, den keischen Sohn des Phoibos, geleitete Eros22 Zur aonischen Hochzeit. Und bei dem Opfer des Rindes Waren die ganze Stadt bekränzt und die Länge der Straße Voll von Tanz, und an den Pforten der bräutlichen Kämmt Regten die Bürger rasch beim Hochzeitssange die Füße, 235 Und die Frauen ließen ein Lied der Sehnsucht erklingen, Und mit der Hochzeitssyrinx erscholl die aonische Flöte.

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Aus Autonoes Ehe mit Aristaios entsproßte Später Aktaion. Ihn trieb hinauf in die Berge sein wildes Jägerblut. Durchschweifend die Jagdgefilde des Vaters, Streifte er durchs Gebirge als Artemis’ Diener — kein Unreell War die Liebe zur Jagd des unglücksel’gen Aktaion, Da er der Enkel Kyrenes“, der löwentötenden Jungfrau. Niemals entkam ihm ein Bär des Gebirges, niemals vertrieb ihn Selbst das entsetzliche Auge der jungebehütenden Löwin. Oft erlegte er lauernd den wider ihn schnellenden, wilden Pardel im Sprung. Und aus dem Verstecke sah in der Höhe Staunenden Auges ihn der herdenweidende Pan-Gott, Wenn er stürmisch die Bahn des flüchtigen Hirsches verfolgte. Aber ihn nützte nichts der Lauf der Füße, ihn schützten Nicht der Köcher, die Listen der Jagd und der treffende Pfeilschuß. Nein, das Schicksal ließ ihn als Hirsch von Hunden zerreißen, Ihn, der immer noch nach dem indischen Kriege24 so kampffroh. Einst auf hohem Sitz auf einer mächtigen Buche Sah er die volle Gestalt der Göttin der Pfeile im Bade, Die doch keinem zu schauen erlaubt; da konnte sein Blick sich Nicht an dem heiligen Leib der niemals Verehlichten sattsehn Ganz in der Nähe. Und wie er die unbekleidete Göttin So mit verstohlenem Auge bespähte, da sah ihn das scheele

Schicksal des dktaion

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Auge einer Najade von fern, die ohne ihr Stirnband. Ängstlich schrie sie auf, um ihrer Herrin die wilde 310 Keckheit des brünstigen Mannes zu künden. Doch Artemis raffte Halb nur sichtbar das Rund des Gürtels und ihre Gewänder, Deckte die züchtigen Brüste mit ihrer Jungfrauenbinde, Tauchte die feuchten Glieder noch tiefer hinein in die Fluten; Rasch den ganzen Leib verhüllte die schamhafteJungfrau. 315

Schwer getroffner Aktaion, da schwand dir eilig die frühre Menschengestalt, nun zeigten vier Füße gespaltene Hufe, Länger streckten sich dann an deinen Kiefern die Wangen, Dünner wurden die Beine, und auf der Stirne da wuchsen Langgespitzt und krumm zwei vielverzweigte Geweihe. Scheckig wurde die Truggestalt an den fleckigen Gliedern, Zotteln umhüllten den Leib; es blieb dem flüchtigen Hirsche Unverändert nur der Verstand. Mit eilenden Sprüngen Kreuzte nun wild sein Huf das unwirtliche Gebirge, Und vor Jägern bebte der Jäger. Nun kannten die Hunde Nicht in der neuen Gestalt den frühem Gebieter. Getrieben Von dem unwendbaren Wink der grausam-zornigen Schützin Tobten und rasten sie keuchend dahin in wütender Wildheit, Gruben furchend ins Fell die hirschzerfleischenden Zähne, Und verblendet und irr durch das täuschende Aussehn des Tieres Schlangen sie geifernd hinunter die trügerisch scheckigen Glieder. Mehr noch plante die Gottheit: es sollten die Hunde gemächlich Den noch immer mit vollem Verstand beseelten Aktaion Nach und nach zerfleischen, damit er im Geiste noch schlimmre Qualen erlitte. Da brüllte er stöhnend mit menschlichem Fühlen Über sein Todeslos und rief mit winselnder Stimme:

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Fünfter Gesang

»Sel’ger Teiresias25, du erblicktest ohne Gefährdung Nackend die Gestalt der keuschen, barmherzigen Pallas. Nicht ward dir der Tod, nicht Hirschverwandlung, auf deiner 340 Stirn erhoben sich nicht die Stangen steiler Geweihe. Leben bliebst du, verlorst das Licht der Augen, doch legte Dir in den Geist die Göttin Athene das Leuchten der Augen Schrecklicher grollt die Schützin als Pallas Tritogeneia. Hätte sie ähnlichen Schmerz doch mir bereitet und hätte 34s Meine Augen nur wie Pallas Athene getroffen ! Hätt’ sie den Geist zugleich mit dem Leibe verändert! Zum Tiere Ist mir mein Leib verwandelt, doch füllt ihn menschliches Fühlen. Wann aber hörte man je wilde Tiere ihr Ende bestöhnen 1 Leben gedankenlos und ohne vom Tode zu wissen. 350 Mir allein blieb klarer Verstand, und während ich sterbe, Rollen bewußte Tränen mir aus den tierischen Wimpern. Jetzt erst wurdet ihr Hunde so wild; ihr stürztet doch niemals Früher euch auf Löwen mit solchem wütenden Ansprung. Klaget, ihr lieben Hügel, nun laut über euern Aktaion! 3S5 Ja, so fleh ich auch euch, ihr wilden Tiere. Kithairon, Künde Autonoe, was du weißt, und melde dem Vater Aristaios durch Felsentränen, wie ich geendet, Und wie grausam die Hunde gewütet. O bitteres Schicksal! Eigenhändig habe ich meine Mörder erzogen. 360 Hätte mich doch ein Löwe der Berge bewältigt, ein bunter Pardel mich schleppend zerrissen! o hätten mit wütenden Pranken Mich erbarmungslos die Bären in wilder Umarmung Als einen Hirsch zerfleischt in ihren finstern Gebissen, Statt daß die eigenen Hunde mich überwältigt! Sie kennen 3:5 Meine Gestalt nicht mehr und nicht die veränderte Stimme.«

Schicksal des dktaion

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Halbverendet rief er es aus. Die rasenden Rüden Achteten nicht des Flehens der traurigen, tierischen Stimme. Sinnvolle Worte entsandt’er, doch statt der menschlichen Stimme Tönte nur ein Geräusch von unverständlichen Lauten.

Selbstentstanden flog schon vom Gebirge die Kunde Zu Autonoe, daß den Sohn die Hunde zerrissen, Nicht aber, daß er verwandelt im Fell eines Hirsches erlegen, Nur, daß er getötet. In heißer, zärtlicher Liebe, Schuhlos, ohne Stirnband, beweinte ihn jammernd die Mutter. Und sie zerraufte die Flechten, zerfetzte ihre Gewänder, Furchte in wildem Gram mit ihren Nägeln die Wangen, Bis sie von Blut bepurpurt. Die nackte Wölbung des Busens Rötete sie, die Brust, die Leben den Kindern gespendet, Der Geburt gedenkend. Und mit des Trauergesichtes Nie versiegenden Tränen benetzte sie ihre Gewänder. Und durch die Hunde Aktaions, die vom Gebirge sich nahten, Wurde die schlimme Kunde bestätigt, denn sie verrieten Durch ihre schweigenden Tränen das Ende des blühenden J ünglings. Tiefer noch stöhnte die Mutter, als sie die Klagenden schaute, Und der greise Kadmos schor ab sein grauendes Haupthaar. Laut schrie Harmonia auf; der klageseligen Weiber Dumpfes, gemeinsames Stöhnen durchtönte die ganze Behausung.

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Und Autonoe zog mit Aristaios, dem Gatten, Wandernd davon, zu suchen die trügenden Reste des Leichnams. Denn wohl sah sie den Sohn, doch kannte ihn nicht, denn 390 sie schaute Einen schlanken Hirsch und nicht ein menschliches Antlitz.

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Oft ging sie vorbei an des trügenden Hirsches Gebeinen, Der da am Boden lag, und erkannte ihn nicht; denn ihr Augi Suchte ja ihr ermordetes Kind in menschlichem Leibe. Tadeln kann ich sie nicht, die arme Autonom fremde Reste des Kindes sah sie und konnte im tierischen Rachen Nicht sein Antlitz vermuten und nicht die Rundung der Wangen, Faßte das Horn und kannte doch nicht die Schläfe des Sohnes. Schlanke Beine fand sie und sah nicht menschliche Sohlen. Schlanke Beine sah sie anstatt der runden Sandalen. Tadeln kann ich sie nicht, die arme Autonoe; sah sie Doch nicht menschliche Augen des Hingeschwundenen, schaute Keines Menschenleibes Gestalt und konnte unmöglich Wiedererkennen das Kinn des Sohnes mit rötlichem Flaumhaar. Schweifenden Fußes durchstrich sie den Grat der waldigen Berge Über den schroffen Rücken der unzugänglichen Höhe, Schuhlos, die Kleider gelöst. Nach all den Qualen der Wandrung Kehrte sie wieder nach Haus, und da ihr Suchen erfolglos, Schlief sie voll Gram erst spät mit dem unglückzeugenden Gatten. Beide wurden da überschattet von finsteren Träumen, Als ihre Augen gestreift vom Fittich des klagenden Schlafes. Vor dem bestürzten Vater stand da die Seele des Jünglings Schattenhaft in der Gestalt eines scheckigen Hirsches; bewußte Tränen entströmten den Augen, er sprach mit menschlicher Stimme: »0 mein Vater, du schläfst und ahnst nicht meine Bedrängnis. Auf! erwache, erkenne das falsche, unkenntliche Antlitz!

Schicksal des Aktaion

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Auf! erwache, umarme des lieben Hirsches Geweihe! Küß das vernünftige Wild, das Autonoes Leibe entsprossen. Sieht doch dein Auge mich selbst, den du erzogen, denn zwiefach Schaut dein Blick den Aktaion und hört dein Ohr den Aktaion. Sehnst du dich, die Hand und die Finger des Kindes zu streicheln, Sieh dann die Vorderfüße, um meine Hand zu erkennen. Wenn du das Haupt ersehnst,das Haupt des Hirsches betrachte; Wenndiemenschlichen Schläfen,beschau die langen Geweihe; Wenn die Füße Aktaions,so sieh die hinteren Hufe; Wenn du siehst die Behaarung der Glieder: es sind meine Kleider. Vater, erkenne den Sohn, den nicht Apollon errettet. Vater, bestöhne den Sohn, den nicht der Kithairon behütet. Fremdgestaltet birg dein Kind im traurigen Staube; Nicht soll dich verwirren der trügend unglaubliche Anblick; Deinem verendeten Hirsch versage nicht das Begräbnis. Hättest du mich bewahrt, nach Ungewohntem zu jagen, Nicht dann hätt ich ersehnt die einsame Göttin der Pfeile, Nicht dann hätt ich gesehn die olympischen Glieder. O hätt ich Doch ein sterblich Mädchen begehrt; die irdisch erzeugten Weiber ließ ich für andre zu flüchtig schwindender Ehe Und begehrte die eine Unsterbliche. Weil mir die Göttin Zürnte, ward ich zum Mahl der eigenen Hunde; die Höhen Könnens bezeugen; und glaubst du den Felsen nicht, frage die Nymphen, Die Najaden; es wissens ja meine Eichen. Die andern Wilden Hirsche befrage, die Hirten, die ich gerufen. Aber, Vater, gewähr mir die letzte Liebe trotz deiner Trauer um dein Kind: verschon die vernunftlosen Mörder. Übe Gnade, sie sind ja frei von Tadel, denn meine Wildgestalt beirrte sie Widerwillen und Absicht.

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Welcher Hund verschont denn je des Hirsches, und welcher Mensch zürnt Hunden, die Hirsche getötet! Wie laufen die Armen Rings nun da und dort, die runden Kuppen umkreisend, Witternd den Toten zu suchen, den sie getötet; bewußte Tränen vergießen sie nun aus ihren Augen. Die Pfoten Schlingen um meine Netze sie wie umarmend und zärtlich Wie betrübte Menschen es tun, und über den erdwärts Hingestreckten weinen sie selber mit trauerndem Bellen. Ja, ich flehe dich, töte sie nicht, die Klagenden! sahen Sie doch nur im Fell mein haariges Antlitz und folgten Drum der Bitte nicht und hemmten nicht ihre Gebisse, Als sie den brüllenden Ton meiner anderen Stimme vernahmen. Und sie befragten mit winselndem Maul mein steiles Gebirge: ,Wer hat heut den Aktaion geraubt, o sagt es, ihr Felsen ? Wohin hetzte sein Lauf die Rehe, o sagt es, ihr Nymphen?1 Also sprachen die Hunde, und Antwort tönte der Hügel: ,Hetzen bergdurchschweifend denn Rehe je andere Rehe? Kenn ich doch keinen Hirsch, der Hirsche erlegte. Verwandelt Ward zum vernünftigen Hirsch Aktaion in andrer Gestaltung Der einst Tiere erschlug. Und der dem Jagdgott20 entsprossen, Ward nun selber erjagt von der mordenden Göttin der Pfeile. So in die Trauer der Hunde ertönte die Stimme der Felsen. Artemis sprach gar oft zu meinem spürenden Mörder: .Duldender Hund, laß ab, auf trügenden Spuren zu irren ! Suchst du doch den Aktaion, den du im Bauche verschlungen Suchst du doch den Aktaion, den du getötet, und willst du, Wirst du die Knochen allein als Reste der Mahlzeit gewahren. Aber der Reihe nach, Vater, will ich mein Schicksal dir brüllen War da ein dichter Busch von wilden und edlen Oliven. O ich Armer, ich ließ der wilden Olive Gezweige Und den heiligen Stamm der edlen Olive bestieg ich;

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Nach dem verbotnen Anblick der nackten Artemis späht ich. 0 ich Verblendeter! voll von doppelt törichtem Frevel Schlich ich zum Baume Athenes, den Leib der Göttin der Pfeile Kühnlich zu betrachten. Da hat den Aktaion das grimme Drohen der Artemis und der Pallas Athene getroffen. Denn im Schweiß vom Dunst der feuerleuchtenden Hitze Badete Artemis sich gerade im lauteren Wasser Nach dem beschwerlichen Laufe der Jagd. Da blendete meine Augen, mich bestrahlend, der Schimmer der badenden Göttin Weiß wie Schnee und glänzte mir durch die Fluten entgegen. 0, du hättest gewähnt, im Kreis der Okeanosströmung Schimmere durch das Wasser die abendlich nährende27 Mene. Ihre Begleiterinnen, die Nymphen, schrieen; es kreischte Loxo und mit ihr Upis29; der Zuruf hemmte die Schwester Hekaerge, die schwimmend die spiegelnden Fluten durch­ kreuzte. Dunkelheit senkte sich durch die Luft mir über die Augen; Hoch vom Baume glitt ich häuptlings nieder zur Erde, Und einen scheckigen Leib erhielt ich plötzlich; mich deckte Statt der Menschengestalt ein Fell am Leibe unkenntlich, Und da grub ihre Zähne in mich die jagende Meute. Schweigen will ich; was soll ich den Schmerz zum zweiten Mal künden, Daß ich nicht erneut im Schlaf dein Stöhnen errege! Oft gingst du vorbei an jenem Baume, da liegen Des Aktaions Reste; da schrittest du traurig vorüber An den über den Boden verstreuten Knochen des bunten Hirsches, die fleischentblößt und angefressen am Boden Rings durcheinander lagen. Ich will dir brüllen ein andres Sicheres Zeichen, daß ich gestorben: du könntest gewahren Meinen Köcher und Pfeil bei jenem unseligen Baume, Falls die Göttin nicht auch die gefiederten Pfeile verwandelt, Falls nicht Artemis gar zu einem Baume des Waldes

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Meinen Bogen geformt und meinen Köcher verändert. Selig war Otos2“: er wurde ja nicht zum irrenden Hirsche; 510 Nicht (zerrissen) die Hunde den Hundehetzer Orion Hätte doch der Skorpion Aktaion stechend getötet! Wehe, ein leeres Gerücht hat meine Sinne verblendet: Als ich vernahm, daß Phoibos, der Bruder der jauchzenden Schützin, Bei Kyrene geruht und meinen Vater erzeugte, 515 Wähnt ich, ich dürfte die mir verwandte Artemis freien. Wieder als ich vernahm, daß sich zum Buhlen die helle Eos den Orion, Selene Endymion raubten, Und den sterblichen Mann Iasion Deo geehlicht, Wähnte ich, ähnlich sei die Göttin der Pfeile gesonnen. 52o Drum, mein Vater, bestatte den Trugleib mit den Geweihen, Laß nicht ganz zum Spielwerk ihn werden für andere Hunde. Hast du dann meine Reste im Grund der Erde geborgen, Dann gewähre mir noch die Gabe: Bogen und Pfeile, Hefte sie an den Hügel, die Ehrengabe der Toten. 525 Aber, mein Vater, nein, laß Pfeil und Bogen! an Pfeilen Freut sich die Schützin und liebt den krummen Bogen zu spannen. Bitt’ einen kundigen Künstler: im Bildnis ritze er meinen Fleckigen, täuschenden Leib vom Nacken nieder zur Zehe; Nur dem Antlitz lasse er seine menschlichen Formen, 530 Auf daß alle erkennen, wie trügerisch meine Gestaltung. Nicht aber schreibe darauf mein Los, o Vater. Es kann nicht Über mein Bild und mein Schicksal zugleich der Wanderer weinen.«

Also sprach im Traume der Hirsch, der beseelte, und plötzlich War sein Bild verflogen. Auf sprang Autonoes Gatte 535 Und warf ab den Fittich des kunderaunenden Schlafes. Von dem Lager weckte er die erschrockne Gemahlin,

Erzeugung des Zagreus, des ersten Bakchos

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Um das geweihgeschmückte und tierische Antlitz des Kindes Ihr zu melden und was der Hirsch, der beseelte, gesprochen. Und da wurde der Jammer noch ärger, noch einmal enteilte Suchend von dannen die Gattin des Aristaios, und gramvoll 540 Schritt sie durch das dichte Versteck hochstämmiger Bäume. Wandelnd die Windung der rauhen und unzugänglichen Pfade, Fand sie mit Mühe den Baum, den mordbefleckten, und fand auch Köcher und Bogen zur Seite des einsam stehenden Stammes. Die bald da, bald dort auf der Erde verstreuten Gebeine, 545 Was da von Resten lag, das sammelte mühsam die Mutter, Streichelte sanft mit liebender Hand die süßen Geweihe, Küßte diehaarigen Lippen des schrecklich verendeten Hirsches. Und mit schrillem Schrei begrub den Leichnam die Mutter. Alles ließ sie am Hügel verzeichnen, wie es vom Vater 550 Nächtlich traumerschienen die Stimme Aktaions gefordert. Während die Trauer brauste in Aristaios’ Palaste, Schenkte dem Giganten Echion die schöne Agaue Einen kühnen Sohn, einen Götterbekämpfer. Er wurde Pentheuswegen derTrauergenanntum den eben Verblichnen. 555 Nach der früheren Hochzeit und Ehe mit Nephele führte Athamas81 bräutlich heim zum Gemache die züchtige Ino. Grauses zu dulden, gebar sie Learchos und dann Melikertes, Meeresbewohnerin künftig, die kinderpflegend auch später Nahrungspendende Amme des Bromios82 wurde; denn beiden 560 Bot sie die gleiche Brust, dem Dionysos und dem Palaimon88. Semele wurde bewahrt für hellerglänzende Hochzeit: Denn Dionysos wieder aufs neue entstehen zu lassen, Ein gehörntes Abbild des früher geborenen Bakchos, Plante jetzt Zeus, an Zagreus84, den elend verendeten, denkend, 565 Den in Drachenbegattung dem Zeus einst Persephoneia, Die Gemahlin des schwarzen Beherrschers der Tiefe, geboren,

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Fünfter Gesang

Als in Truggestalt vor Zeiten Kronion, geringelt Zu einem sanften Drachen in lieblich lockender Windung, 570 Raubte die Jungfernschaft der keuschen Persephoneia, Der verborgenen, damals, als alle olympischen Götter Von dem Einen Mädchen, dem hochzeitsreifen, bezaubert, Stritten voll Liebesglut und ihr zur heiligen Ehe Gaben brachten. Nicht ging da mehr zum Lager der Peitho 575 Hermes hin; er brachte den Stab als bräutliche Gabe; Phoibos reichte als Brautgeschenk die klingende Leier; Ares als Hochzeitsgut bescherte den Speer und den Panzer Und zur Vermählung den Schild. Noch glühend vom tosenden Ofen, Bunt und eben vollendet in vielfach farbigem Schimmer, 580 Bot einen Halsschmuck ihr der lahme Hephaistos aus Lemnos. Ungern hatte er schon die frühere Gattin verleugnet, Wie er Aphrodite von Ares trunken erkannte. Zeigt’ er den Seligen doch den buhlenden Räuber der Ehe35, Als er nach Phaethons Meldung mit einem Spinnengewebe 585 Fest an den nackten Ares die nackte Göttin gefesselt. Mehr noch bezaubert war Zeus, der Vater, von Persephoneia, Und wie der Gott erspähte die Jungfrauenfrische des Wuchses, Eilte sein Auge voraus als Führer der Liebesdämonen, Unersättlich nach Persephoneia. Und dauernd durchbrausten 590 Ihm das Herz die Stürme rastloser Qualen der Liebe. Bald war er entflammt aus Paphias winzigem Funken Zu gewaltiger Glut. Vom schönen Busen der Göttin Waren geknechtet die Augen des liebestollen Kronion. Einst vergnügte sich mit ehernem Spiegel das Mädchen, 595 Der wie ein Richter der Schönheit sie widerstrahlte; so fand sie Ihre Gestalt von selbst von dem schweigenden Herold bestätigt,

Erzeugung des Zagreus, des ersten Bakchos

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Wie sie den täuschenden Körper im schattenden Spiegel beprüfte. Lächelnd erblickte sie dort ihr Abbild. Und Persephoneia, Wie sie ihr Antlitz schaute in selbstsichzeichnender Spieglung, Sah sie die Truggestalt: eine täuschende Persephoneia. Und ein andermal, wie sie die feuerstrahlenden, dunst’gen Gluten am Mittag floh, wann sengend die Horen dahinziehn, Rastete müd das Mädchen von Müh und Arbeit am Webstuhl, Trocknete sich die Tropfen vom feuchterhitzten Gesichte, Löste den züchtigen Gürtel, der ihren Busen umschnürte, LTnd sie benetzte die Glieder, sich zu erquicken, im Bade. Fort ward sie getragen vom Schwall der erfrischenden Strömung Und ließ ihr Gespinst zurück am Webstuhl der Pallas. Nicht blieb sie verborgen Zeus’ allesschauenden Augen, Hüllenlos sah er die ganze Gestalt der badenden Jungfrau. Nicht so begehrlich raste er nach der Göttin von Kypros”, Als er in fruchtloser Sehnsucht den Samen ins Ackerland streute, Und ihm von selbst entquoll der heiße Schaum der Eroten, Dem im Kerastischen Kypros3’ aus zeugungsförderndem Grunde Doppelfarbig der Stamm wildhörniger Männer entsproßte. Und der Walter der Welt und Zügellenker des Himmels Beugte der Sehnsucht den Nacken, den starken. Da halfen ihm keine Blitze und auch kein Donner, wenn Aphrodite gerüstet. Heras Haus verließ er, wies ab das Lager Diones38, Themis floh er, ließ Leto, entzog sich der Liebe zu Deo, Einzig zur Hochzeit bezaubert mit ihr, mit Persephoneia.

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Nicht aber fühlte Sehnen allein der Vater, auch alle Anderen Himmelsbewohner, vom gleichen Pfeile getroffen, Suchten mit Gaben die Hochzeit mit Deos göttlicher Tochter. Bleichend schwand der Glanz vom rosigen Antlitz der Deo, s Und ihr wogender Sinn ward wild von Schmerzen gepeinigt. Von dem Haupte knüpfte sie ab die fruchtbare Binde, Löste ihre Locken, die niederwallten zum Nacken, Zitternd um ihr Kind. Und der bekümmerten Göttin Wangen wurden von selbst benetzt mi t strömenden Tränen, io Weil so viele Freier, von Einem Feuergeschosse Aufgestachelt zum Streit, nun um die Wette die Hochzeit Suchten, gemeinsam von Eros berauschte Rivalen der Liebe. Angstvoll bebte vor allen die nährende Mutter, besonders Fürchtete sie als Gatten des Kindes den lahmen Hephaistos; 15 Eilenden Fußes schritt sie dahin zum Haus des Astraios', Des prophetischen Gottes. Der ungeflochtenen Locken Hinter ihr flatterndes Haar beließ sie den wehenden Lüften. Wie sie Heosphoros2sah, da gab er Meldung. Und aufwärts Hob sich der greise Astraios; er hatte den Rücken des Tisches 20 Grade mit Staub bedeckt und darin Striche gezogen. Furchend zeichnete er mit krummem Eisen im Umriß Eines Vierkants Seiten hinein in die rußige Asche Und im anderen Bild mit gleichen Seiten ein Dreieck. Das nun ließ er beiseite, durchschritt die Türe und eilte 25 Auf Demeter zu. Und wie sie die Wohnung durchquerten, Leitete Hesperos, ließ dann Deo sitzen im Sessel

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Neben des Vaters Stuhl; mit gleicher Liebe bemühten Sich die Winde, den Nektar im Kruge zu mischen, der Got theit Grüßend sich zu nahn mit leidenlindernden Bechern, Sie, des Astraios Söhne. Zu trinken weigerte Deo, Um Persephone schon vor Kummer trunken, denn immer Zittern um Lieblingskinder, die nur ein einziges zeugten. Mühsam nur bewogen des redesüßen Astraios Sinnbetörende Worte die sich noch sträubende Deo. Rüsten ließ da der Greis eine herrliche Mahlzeit, Demeters Herzzerreißende Qual und Sorgen bei Tisch zu zerstreuen. Und die vier Winde, die Diener des Vaters, umwanden die Weichen Sich mit festlichen Binden und schmückten die Häupter mit Kränzen. Euros streckte hin zum Nektarkruge die Becher, Schenkte sie voll, und Wasser hielt in der Kanne zur Mahlzeit Notos, und Boreas brachte Ambrosia, setzte es nieder Auf den Tisch, und Zephyr, ringsum die Flöte betastend, Ließ, der weibische Wind, die Frühlingsrohre ertönen; Und Heosphoros wand zu Kränzen Blumen und Blüten, Deren Spitzen vom Morgentau noch prangend befeuchtet; Und der nächtigen Leuchte gewohnten Feuerbrand hebend, Schwang sich Hesperos rings im Tanze mit fliegenden Füßen Auf gewundener Spur, er, der die Liebe heraufführt, Und er sorgte im Sprung für Reigenlieder der Hochzeit.

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Aber als nach dem Mahl die Göttin müde des Tanzes, so Warf sie den lastenden Stachel des sinnverwirrenden Kummers Fort, um die Weissagekunst zu befragen; des liebenden Alten Kniee berührte sie flehend mit ihrer Linken und faßte Mit der Rechten ihn an des Bartes wallenden Haaren. Und sie zählte ihm auf die vielen Freier der Tochter, 55 Wünschend ein tröstlich Orakel, denn Weissagungen vermögen

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Qualen in der Hoffnung auf glückliche Zukunft zu lindern. Ihr versagte sich nicht der Greis Astraios, und als ihm Kundig die ersten Geburtenmaße der einzigen Tochter Und unfehlbar genau die Zeit und die Bahnen der ersten Unverrückbaren Stunde, da krümmte er wendend die Finger Und berechnete so des Kreises Drehung in stetig Wiederkehrender Zahl mit doppeltem Wechsel der Hände, Und es hob auf seinen Befehl Asterion3, sein Diener, Hoch die runde Kugel, das Abbild des Äthers und Weltalls, Setzte sie neben ihn nieder und nahm von der Lade den Deckel. Voller Sorgfalt drehte der Greis die Spitze der Achse, Auf den Tierkreis rings die Augen heftend und spähend Hüben und drüben auf feste Gestirne und auf die Planeten. Und da ließ die Kugel er kreisen, in schwingendem Wirbel Wurde unstet im Lauf der nimmerendenden Drehung Mit den gefertigten Sternen der künstliche Äther gebogen, Mitten durchbohrt von der Achse. Und da entdeckte der Dämon, Als er im Kreise die Kugel beschaute, daß vollen Gesichtes Durch den krummen Rücken der schneidenden Linien Selene Lief und auf Einer Linie die Sonne dem Monde gegenüber Auf dem untersten Zirkel dahin getragen. Ein dunst’ger Kegel, der scharf sich erhob von der lüfteschwebenden Erde, Hüllte, in Gegenstellung der Sonne, die ganze Selene. Weil er von den Rivalen der Hochzeitsliebe vernommen, Suchte er sonderlich Ares, und über dem westlichen Hause Sah er den Eheräuber beim Abendsterne der Göttin Kypris und fand das Los, das nach den Eltern benannt war, Unter der Sternen-Ähre der Jungfrau4. DieÄhre umkreisend, Lief der glänzende Stern des Regengottes Kronion. Als er alles erkundet, den Bogen der Sterne berechnet, Barg er im hohlen Gehäuse die immer sich drehende Kugel,

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Die buntrückige Kugel, und stieß der forschenden Göttin Dreifach sein Orakel hervor mit prophetischem Schalle: »Tochterliebende Deo, nun unter dem schattigen Kegel so Des entschwundenen Strahls der lichterloschnen Selene Hüte dich vor einem Freier und Räuber Persephoneias, Einem heimlichen Dieb der unverletzbaren Tochter, Wenn das Schicksal bereden sich läßt. Doch wider Erwarten Schaust vor der Hochzeit du einen falschen, heimlichen Buhlen, 95 Halb ein Untier voll Tücke, dieweil ich im westlichen Punkte Neben Paphia sehe den ehebrechenden Ares Und den Drachen gewahre im Aufgang beiden zur Seite. Seligste nenne ich dich. Du wirst dem vierfachen Weltall Früchtebringerin sein; du wirst ja Früchte der wüsten 100 Erde schenken. Denn über dem Elternlose des Mädchens Streckt ja ährentragend die Hand die Jungfrau Astraia’.« Sprachs und ließ im Mund die prophetische Stimme verstummen. Sichelträgerin Deo vernahm die Hoffnung auf künft’ge Früchte, und, als sie hörte vom ungeheißenen Buhlen, 105 Dem gesetzlosen Räuber des teuren Kindes, des keuschen, Stöhnte sie lächelnd. Und eilig auf hohen, luftigen Pfaden Tauchte sie wieder zurück in ihr Haus mit bekümmerter Sohle. Und da legte sie schwer bei der Drachenkrippe’ des Joches Biegung nieder zugleich auf der Bestien doppelten Nacken; 110 Und das unbezwungne Gewürm umschloß sie mit Riemen. Ihm die Kiefern umschnürend mit krummgezähnten Gebissen, Führte die blonde Demeter auf diesem entsetzlichen Wagen Fort ihr Kind im Geflecht der dunklen Wolkenumgürtung. End des Boreas Tosen, der ihrem Wagen entgegen 115 Brauste, übertönte die drachenbeherrschende Peitsche; Und es lenkte die Göttin die leichten Flügel der wilden

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Drachen, die rossegleich die Bahn der Lüfte durchjagten Rings um den Kreis des libyschen Arms der Okeanosströmung Und den diktäischen7 Schall vom Schütteln der Helme vernehmend, Fuhr sie vorbei an dem kretischen Chor, der des dröhnenden Kalbfells Rücken im wirbelnden Klange der eisernen Schläger umtanzte. Eine Felsenbehausung zu suchen tauchte die Göttin Zu der pelorischen8 Klippe des dreigespitzten Siziliens An der Adria Ufern, allwo die Strömung der Salzflut Ruhlos gen Untergang ziehend wie eine Sichel sich umbiegt Und von Norden gen Süden die Krümmung des Wassers entsendet. Dort, wo häufig der Fluß die Jungfrau Kyane9 umspülte Und im quellenden Strudel ergoß sein werbendes Wasser, Sah sie eine Bucht wie eine Behausung benachbart, Rings im Kranz bedeckt mit einem steinernen Dache, Wo die Natur ein Tor durch stürzende Felsen gemauert Und einen steinernen Webstuhl gefügt in der Obhut der Nymphen. Und die Göttin Demeter, durchwandernd die finstre Behausung, Barg in felsiger Höhle nun wohlversiegelt die Tochter; Ihre Drachen löste sie ab vom beflügelten Wagen, Stellte den einen neben den rechten Absturz der Pforte Und den anderen links an des Tores steinernen Riegel Beide als Wächter der unschaubaren Persephoneia. Kalligeneia ließ sie, die kinderliebende Amme, Dort zurück mit Körben und allem, was weiblichen Wesen Pallas, die handgeschickte, zum Schweiß des Spinnens erteilte. Mit ihren Sohlen durchschnitt sie die Lüfte und gab dann in Obhut Einsamhausender Nymphen der Felsen den bogigen Wagen.

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Und das Mädchen bemühte sich um die eisernen, scharfen 1« Zähne des Striegels und krempelte rings um den Wollkamm die Wolle, Wickelte sie auf die Spindel, und rasch in drehendem Schwünge Hüpfte diese und rollte und wand sich tanzend in Sprüngen, Kreisend durch die Ziehung der langgesponnenen Fäden. Eilenden Fußes lief von Rand zu Rande die Jungfrau 150 Und begann das Gewebe; den ebenbefestigten Aufzug Wand um den Webebaum sie und spann sodann mit dem Schiffchen, Zog den gespulten Faden heraus und rief bei der Arbeit Ihre Schwester an, die webesegnende Pallas.

Jungfrau Persephoneia, du fandest kein Mittel, der Ehe Zu entgehen, dir ward mit einem Drachen Vermählung, Als da vielgeringelt Kronion, das Antlitz verwandelt, Als ein freiender Lindwurm, gekrümmt in verlockender Windung In den finsteren Grund desjungfraugemaches hineindrang, Tückisch schüttelnd die Mähne; er schläferte gleitend die Augen Der gleichartigen Drachen, die neben der Pforte gelagert. --------------------------------------------------------------------- 10 Und er beleckte den Leib des Mädchens mit freienden Kiefern Schmeichelnd. Und durch die Hochzeit mit diesem himmlischen Drachen Wurde fruchtbar der Schoß der Persephoneia geschwängert Zur Geburt des Zagreus, des hörnernen Säuglings, der einzig Stieg auf den himmlischen Sitz Kronions und schwenkte mit kleiner Hand den Blitz; und von des neugeborenen Trägers Kindischen Fäusten wurden die Donnerkeile gehoben.

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Sechster Gesang

Aber nicht dauernd besaß er den Thron Kronions; es strichen 170 Heimlich die Titanen sich täuschenden Gips um das Antlitz Durch den Groll der Hera, der lieblos zürnenden Gottheit, Und vernichteten ihn mit dem Messer des Tartaros11, wie er Grad sein täuschendes Bild gegenüber im Spiegel erspähte. Als die Titanen ihm mit dem Eisen die Glieder zerteilten, 175 Wurde sein Lebensende der Anfang neuer Entstehung. Anders beschaffen verwandelt, vertauschte er vielfach die Formen: Bald als der listige, junge Kronide mit schüttelnder Aigis, Bald als Kronos, der Greis, schwerknieig, regenentsendend; Einmal ward er ein Säugling in buntem Wechsel und wurde iso Dann wie ein rasender Jüngling; die junge Blüte des Flaumes Zeichnete dunkel am Rand das sanftgerundete Antlitz. Bald auch tobte er zornig als täuschender Löwe, entsandte Schauerliches Gebrüll aus zähnefletschendem Schlunde, Aufgesträubt vom Nacken die dichtbeschattende Mähne, 185 Und er schlug sich über den Bug des zottigen Rückens Rings den Leib mit des Schweifes von selber tätigen Peitsche. Dann, verlassend das Bild des löwenförmigen Hauptes, Brauste er wiehernd und glich dem nackenhebenden Rosse; Jochfremd sträubt es stolz sich wider den Zwang des Gebisses, 190 Reibend färbt sein Kinn sich weiß von schimmerndem Schaume. Wieder ein andermal schoß ihm ein sausendes Zischen vom Maule, Wälzte schuppenbedeckt sich her als Drache mit Hörnern, Streckte die Zunge weit hervor aus klaffendem Schlunde, Sprang auf das grausige Haupt dann einem Titanen und schnürte 195 Wickelnd ein Schlangenhalsband ihm rings im Kreis um den Nacken.

Strafe der Sintflut

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Und verlassend den Leib des immer sich windenden Wurmes, Ward er buntgestreift zum Tiger. Ein andermal glich er Einem Stier, entsandte dem Maul ein täuschendes Brüllen Und berannte und stieß mit scharfem Horn die Titanen. Und so kämpfte er um sein Leben, bis plötzlich mit wildem 200 Brüllen die Luft durchbrauste aus eifersüchtiger Kehle Stiefmutter Hera, entflammt vor Zorn; zugleich mit der Göttin Sandten die Pforten des Himmels vom Äther ein dröhnendes Donnern. Da brach nieder der kühne Stier. Mit dem Messer zerschnitten Den Dionysosstier die Mörder wechselnd in Stücke. 205 Aber als Vater Zeus des frühem Dionysos Schlachtung Merkte, das schattige Bild des listigen Spiegels gewahrte, Trieb der Titanen Mutter er fort mit rächenden Bränden, Sperrte dann hinter das Tartarostor gefangen die Mörder Des gehörnten Zagreus. Da brannten die Bäume, und 210 flammend Wurde verzehrt das heiße Gelock der bekümmerten Erde. Osten entzündete er, und von den Feuergeschossen Brannte das baktrische Land gen Morgen. Assyrische Wogen Setzten das Kaspische Meer in naherWallung in Flammen Und auch Indiens Berge. Die Erythräischen Buchten 215 Wogten in Glut und wärmten dadurch den arabischen Nereus. Auch gegenüber den Westen zerstörte mit feurigem Donner Zeus seinem Kinde zulieb. Und unter den Sohlen des Zephyr Lag das Abendmeer halb verbrannt in feuchtem Geleuchte.. .ia Auch die nördlichen Berge. Und mitentzündet verglühte 220 Brodelnd der Rücken auch des gefrorenen Meeres im Norden. Wallend unter der Senkung des brennenden südlichen Steinbocks Wogte die Bucht gen Mittag und sprühte heißere Funken.

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Sechster Gesang

Aus benetzten Wimpern vergoß Okeanos flehend 225 Tränenflüsse und strömte sein schutzerbittendes Wasser; Zeus aber zähmte den Groll, und als er die blitzeverzehrte Erde gewahrte, erbarmte er sich und wollte mit Wasser Kühlen die Aschenbesudlung und brandigen Wunden des Ackers.

Damals überschwemmte der Regenbringer Kronion 230 Rings die ganze Erde und barg den Himmel in Wolken ; Donnerkrachend brüllte Kronions Himmelstrompete, Damals, als alle Gestirne in ihren Häusern13 gesondert Ihren Lauf vollzogen, dieweil vierspännig im Wagen Helios über dem Rücken des Löwen leuchtend dahin zog 235 Auf der Fahrt in sein Haus. Und drüber kreiste im Wagen Um den achtfüßigen Krebs die dreigeformte14 Selene. Unter dem tauigen Saum bei derÄquinoctien Kreise Rückte Kypris fort vom Horn des Widders14 zu ihrem Frühlingshause: dem Stier des Olympos, dem winter­ verschonten. 2« Helios’Nachbar Ares besaß den Herold des Pflügens, Den Skorpion, zum Haus, begrenzt vom flammenden Stiere; Schielend betrachtete er sich gegenüber die Kypris. Zeus, der Beginner der Nacht und auch des Jahres Vollender, Der zwölfmondige Wanderer lief in die Sterne der Fische, 245 Und er hatte zur Rechten die runde, dreiförmige Mene; Kronos aber durchschritt den Regenrücken des Steinbocks, Von bereiftem Scheine benetzt. Beim Schimmer der hellen Jungfrau war erhöht auf seinen Flügeln Hermeias, Hatte als Pfleger des Rechts die Dike zum Hause’8. Geöffnet 25o Wurden die Wasserschleusen des siebenzonigen Äthers, Und es regnete Zeus. Beim lauten Rauschen der Meerbucht Brüllten mit vollerem Strom die niederstürzenden Bäche. Vom Okeanos jetzt getrennte Töchter des Wassers

Strafe der Sintflut

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Bildeten sich als Seen. Die Brunnen sprudelten lufthoch Unterirdisches Wasser, hochschleudernd Okeanos’ Fluten, Und es tropften die Warten; vom bergentrauschenden Gießbach Wurden wie von Strömen beschwemmt die trockenen Höhen. Aufwärts stieg das Meer; aus Wassernymphen derTiefe Wurden droben an Gipfeln nun Nymphen der Berge. Die arme Echo mußte schwimmen mit unerfahrenen Händen, Wieder voll Sorge wegen des langbehüteten Gürtels, Daß sie nicht, Pan entfliehend, nun mit Poseidon sich gatte. Ungewohnt der Felsen durchschweiften Löwen des Meeres Nun mit feuchten Gliedern die Höhlen der auf dem Lande Lebenden Löwen. Es traf in der Bucht, wo Felsen sich türmten, Mit einem Wasserdelphin ein irrender Eber zusammen. In den gemeinsamen Wassern der bergentströmenden Sintflut Schifften die wilden Tiere zur Seite der Fische. Sich windend Warf sich bergdurchwandelnd der Krake wider den Hasen. Und die feuchten Tritonen am Rande des bergenden Wassers Schwenkten seitlich das Grün des doppelflossigen Schwanzes, Sich bei Pan zu verstecken in felsiger Höhlenbehausung, Und überließen den luftigen Winden ihr fleckig gewundnes Muschelhorn zur Mitfahrt. Auf gutbewässerter Höhe Traf den Wartenfreund, den Pan, der vertriebene Nereus, Und der Felsenbewohner, der Berg mit Fluten vertauschte17. Ließ die durchnäßte Syrinx von dannen schwimmen und hauste Nun in der feuchten Höhle der dachgeborgenen Echo. Damals wurden die Menschen, von feuchtem Verderben geschwollen, In den Wassern begraben, und zahlreich trieben die Toten, Hier der eine, der andere dort, auf wogender Strömung.

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Sechster Gesang

Schnappend mit offenem Maul nach dem rauschenden Wasser der Sintflut Fielen auf derWarte beim gierigen Trinken des Bergstroms Löwen und Bären zum Opfer. Zu Einem Wasser zusammen Einten sich Seen und Ströme, die Güsse Kronions, des Meeres Fluten alle vermengt. Die vier zu Einem vereinten StürmendenWinde peitschten das urigeschiedene Wasser. Als der Meereserschüttrer gewahrte, daß drohender Regen Alles Land überschwemmte, weil jetzt mit stärkeren Kräften Zeus allein es peitschte, da warf er von sich sein Werkzeug, Zornig fragend, welch Land wohl nun sein Dreizack erhöbe. Nereiden befuhren in Scharen das brausende Wasser, Und die Thetis trug auf grüner Flanke ein feuchter Wanderer, ein Triton, mit breitem Kinne; auf eines Fisches Rücken lenkte Agaue's ihr Reittier im Luftraum. Und mit krummem Nacken durchschnitt die wäßrige Strömung Ein Delphin, hob Doris1’ empor und entwanderte eilend. Und ein Walfisch der Tiefe durchquerte in irrenden Sprüngen Rings die Höhen und suchte das Lager der Löwen am Boden. Und als damals Pan durchnäßt unter nahen, umwogten Felsen schwimmen gewahrte die Galateia, da schrie er: »Galateia, wohin durchtreibst du Berge statt Wogen? Suchst du doch nicht gar das liebliche Lied der Kyklopen ? Bei der Paphia fleh ich dich an und bei Polyphemos: Weißt du’s,so birg mir nicht, was ich ersehne, ob schwimmend Bei den Felsen du sahst die bergdurcheilende Echo. Gleitet sie nun wie du auf feuchten Pfaden? und fährt wohl Sitzend auf einem Delphin der meerentstiegenen Kypris Meine Echo zur See wie Thetis ohne ihr Stirnband? Fürchte ich doch, sie treibt in widrigen Wogen des Meeres, Fürchte ich doch, daß die mächtige Flut sie berge. DieÄrmste

Strafe der Sintflut

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Unstet im Gewoge durchwandelt Berge statt Flüsse. Ach, als Wasserecho erscheint die Echo der Berge! Laß deinen Polyphemos, den öden! Ist es dein Wille, Werd ich auf meine Schultern dich selber heben und retten. 31s Mich überwältigt nicht die Strömung, und wenn ich es wollte, Könnt ich auf Ziegenfüßen zum Himmelsgewölbe gelangen.«

Aber diese Antwort gab Galateia dem Sprecher: »Pan, durchs Wasser trage du deine meerfremde Echo. Frage mich nicht so nutzlos, warum ich heute hier wandle20. 320 Laß du nur das Lied des Kyklopen, so süß es auch töne; Andere, bessere Fahrt gab mir der Regenkronion. Nicht sizilische Wellen erstreb ich: ich bange vor dieser Großen Flut und kümmre mich nicht mehr um Polyphemos.« Sprachs und glitt vorbei an des wasserbewohnenden 325 Berggotts Höhle. Und wie so dauernd die riesige Sintflut dahinfloß, Ward eine jede Stadt und Gemeinde zu Wasser; kein Winkel War noch trocken, kein Grat mehr frei, nein, weder des Ossa, Noch des Pelion Gipfel,und unter der dreifach gespitzten21 Insel schrie die Tyrsenische See. Im gegeißelten Meere 330 Brausten der Adria Felsen vom Sturm sizilischer Wasser Regenüberflutet. Und in den Bahnen der Lüfte Wurde Phaethons Leuchten vom Flutschwall weiblich gemildert. In der siebenten Zone hoch über der Fläche der Erde Mußte Selene den Glanz in riesigen Wogen verhauchen. 335 Hemmend hielt sie der Stiere im Wasser gebadeten Nacken; Regenwasser vermischte sich mit den Scharen der Sterne, Weißer noch wurde durch Gischt die milchige Straße am Himmel.

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Sechster Gesang

Schüttend mit zeugender Flut sein siebenmündiges Wasser 340 Traf der irrende Nil den liebeverzagten Alpheios'-2. Einer von ihnen wollte durch fruchtbare Furche dahingehr Und mit feuchten Küssen die durstenden Nymphen erfreue) Aber der andere stürmte am Weg der frühergewohnten Jagd voll Kummer vorbei; und als er den sehnsuchterfüllten 345 Pyramos mit sich wandeln gewahrte, da rief er die Worte: »Nil, was soll ich tun, da Arethusa verborgen? Pyramos”, wohin eilst du? wem hast du Thisbe gelassen? Seliger Euphrat! Spürt er doch nicht die Qualen der Liebe. Eifersucht fühl ich gemischt mit Bangen. Liegt doch am End, 350 Gar der wäßrige Zeus bei Arethusa, der holden. O, ich fürchte, er eint sich deiner Thisbe in Güssen. Pyramos, ja, du bist der Trost des Alpheios, uns beide Quält der Regen des Zeus nicht so wie die Pfeile der Kypris. Folge mir doch, wenn sehnend ich suche nach Arethusas 355 Syrakusanischer Spur; du, Pyramos, forsche nach Thisbe. Aber du sagst, es werde die Erde geschüttelt, es quäle Uns der Himmel, wir würden vom Meere bewältigt, es woge Selbst der Äther, der nie beschiffte, von schäumendenWogen. Aber was kümmert mich die rasende Sintflut. O Wunder: 360 Rings die brennende Erde, die Flammen des Meeres, die Ströme Hat der Regen des Zeus gereinigt, nur dem Alpheios Löschte er nicht der Paphia arges, entzündetes Feuer. Dennoch, wenn mächtige Flut mich treibt, wenn Feuer mich peinigt, Gibt es doch gegen mein Weh ein kleines Mittel: es irrt ja 365 Auch der zarte Adonis umher zum Kummer der Kypris.« Ehe sein Wort geendet, bewältigte Bangen die Stimme. Als Deukalion damals die hohen Gewässer durchkreuzte, War er auf irrender Luftfahrt ein unerreichbarer Schiffer24;

Strafe der Sintflut

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Seiberfahrend durchfurchte die Arche, die selber die Pfade Steuer- und hafenlos fand, das schneedurchflutete Wasser.

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Ungefügt wäre nun worden der Welt Gefüge, die Menschheit Samenlos aufgelöst vom allernährenden Aionat. ¡Doch auf die heilige Weisung Kronions sprengte Poseidon Die Thessalischen Berge, durchstach sie mitten mit seinem 'Erderschütternden Dreizack; da wich das flimmerndeWasser 375 Rückwärts durch die Mitte der wildzerrissenen Gipfel. Von sich stieß die Erde die hohe Strömung der Sintflut, Tauchte wieder empor; und als die Fluten in tiefe Schlünde getrieben, erschienen entwässert aufs neue die Berge. Und die feuchte Stirn der Erde trocknete dörrend 380 Helios’heller Glanz, und als die Fluten gerannen Durch noch heißere Strahlen, da wurde wieder wie vorher Fest der Schlamm. Durch größere Kunst der Menschen gefertigt, Wurden Ansiedlungen auf steinernem Grunde befestigt, Häuser wurden gebaut, der neugegründeten Städte 385 Straßen wurden gebahnt von frischentstandenen Menschen. Wieder lachte Natur, und mit den Winden zusammen Schwangen die Vögel die Flügel und ruderten neu durch die Lüfte.

SIEBENTER GESANG

Schon mit der sprossenden Frucht des nieversiegenden Lebens Mischte männlichen Samen hinein in die weibliche Furche Eros, der Sämann der Liebe, das fruchtlose Weltall besäend. Und die Natur, die Amme des Werdens, wurde bewurzelt, 5 Mischte Erde mit Feuer und Luft mit Wasser und formte So das Menschengeschlecht aufs neue durch vierfache Bindung. Ewig aber erneut beherrschte Drangsal der Menschen Leben, das ja mit Mühen beginnt und immer voll Kummer. Und es zeigte dem waltenden Zeus der ebenso alte io Aion *, wie freudelos die Menschen Elend erdulden. Hatte der Vater doch noch nicht die Fäden des Kindbetts 2 Aufgelöst und den Bakchos aus schwangerem Schenkel geschleudert, Um den Jammer der Menschen zu lindern. Noch machte der Weihguß Trunken nicht die Bahnen der Luft von duftendem Rauche is Weingetränkt. Die Töchter des Jahres, die freudlosen Horen, Flochten aus Wiesengras ja nur die Kränze der Götter, Denn es mangelte Wein; noch unbegeistert von Bakchos Kreiste genußlos der Tanz nur halb vollendet. Der Leute Augen nur wurden bezaubert, sobald mit drehendem Schwünge 20 Rhythmisch der kreisende Tänzer im Sturme regte die Sohlen, Winke alsWorte,die Hand als Mund,die Finger als Stimme.

Aion bittet Zeus

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Aber da breitete auf den Knieen Kronions sein weißes Haar der wechselnde Aion, den Schlüssel des Werdens in Händen, Hob den lockeren Zug des flehenden Bartes und brachte Seine Bitten. Er bog das Haupt zu Boden und beugte 25 Hingedehnt den Rücken hinab und krümmte den Nacken. Streckend gebogenen Fußes die Hand, die grenzenlosweite, Sprach der greise Hüter des nieversiegenden Lebens: »Herrscher Zeus, betrachte auch du die Schmerzen des Weltalls. Siehst du nicht, daß Kriegswut8 die ganze Erde geknechtet 30 Und die reife Saat der vergänglichen Jugend dahinmäht. Noch sind nicht die Spuren vergangen, seit du der Menschen Stämme alle beschwemmt, und seit der Regen in Strömen Durch den Luftraum wogte und bis zum Monde emporstieg. Fahre dahin das Leben der raschvergänglichen Menschen! 35 Nicht mehr lenk ich das himmlische Steuer ihrer Geschicke, Nicht des Weltalls Schiffstau. Ein Bessrer der Seligen möge Nun das Steuer des stets erneuerten Lebens empfangen. Möge ein andrer die Bahn meiner Jahre durchlaufen; ich fühle Mitleid mit dem Geschlecht der duldend gepeinigten 40 Menschheit. Ist es nicht genug am Alter, das blühende Jugend Aufzehrt und den Mann mit sinkendem Haupte ermüdet, Wenn er zittrig gebückt mit überzähligem Fuße Wandert mit schweren Knieen, gestützt am Stabe des Alters! Ist es nicht genug am Tode, der an der Lethe 45 Oft den Bräutigam birgt, der eben der Jungfrau verbunden, Und unlösbarer Bindung belebende Bande zerschneidet! Weiß ich doch, wie heiter die Hochzeit, wenn sich die Syrinx Pans in hellem Klang vermischt mit der Flöte Athenes. Aber was nützt es, was hilfts, wenn nah dem bräutlichen Lager so Laut der Schall erklingt der siebensaitigen Leier!

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Siebenter Gesan.

Die Schalmeien lösen doch keine Sorgen. Es warf selbst Eros fort die Fackel der tanzentbehrenden Feier, Als er sah, wie leer von aller Freude die Hochzeit. 55 Aber lebenerhaltend erblüht den gepeinigten Menschen Qualenlindernd ein Mittel. 0 hätte lieber Pandora Damals nicht den Deckel der himmlischen Büchse geöffnet, Jenes süßen Übels der Menschen, aber Prometheus, Der sich derÄrmsten erbarmt, ist an dem Elend der Menschen 60 Selber schuldig. Denn statt des unglückstiftenden Feuers Hätte den süßen Nektar zum Labsal der Menschen er lieber Stehlen sollen und ihnen dann diese Gabe bescheren, Um durch deinen Trank den Kummer der Erde zu bannen. Aber laß beiseite die Sorgen des rauschenden Lebens, 65 Schau, wie deine Feiern so traurig siechen. Berückt dich Ohne Spende denn noch des Opferrauchs nichtiges Irren?« Als der Greis gesprochen, erwog in langem Bedenken Schweigend der waltende Zeus bei sich den ewigen Ratschluß, Seine Gedanken ließ er schweifen; mit drängenden Plänen 7o Drehten im fruchtbaren Hirn sich wechselnd seine Entwürfe. Und der Kronide gab dem Aion göttliche Kunde Und ein Orakel, noch größer als das der prophetischen Achse: »Vater, du eigner Hirt und Schöpfer ewiger Jahre, Zürne nicht! Menschennatur wird nie vorzeitig versagen, 75 Bald sich füllend und bald sich mindernd, gleich der Selene. Nektar laß den Göttern, ich will den Menschen zur Tröstung Schenken den Wein, vergleichbar dem seiberfließenden Nektar, Anderen Trank, der Menschen gemäß. Das ewige Weltall Wird so lange leiden, bis einen Sohn ich entbinde: so Ich, der Erzeuger, gebär ihn und werde im männlichen Schenkel Weibliche Wehen ertragen, die Frucht derWehen zu retten.

Zeus berückt Semele

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Gestern auf den Wink der weithinherrschenden Deo Hat die Erde, vom Eisen, dem Freier der Ähren, gespalten, Trockne Frucht geboren des garbenerzeugenden Ackers. Jetzt wird auch mein Sohn, der Gabenspender, im Boden Pflanzen die feuchte, duftende Frucht schmerzlindernder Lese. Trauerfeindlich weckt Dionysos trauerlos Trauben, Er, Demeters Rival. Du wirst mich loben, sobald du Schaust, wie rot sich färbt die Rebe vom Safte des Weines Als ein Herold der Freude, und wenn vom Lande die Leute Bei der Kufe die Lese mit lastenden Füßen zerstampfen, Wenn der Bakchantinnen Schar in die Lüfte über den Schultern Jauchzend die rasenden Locken, die ungeflochtenen, schüttelt. Und im bakchantischen Taumel der Sinne mit wechselnden Bechern Werden sie alle bejubeln an lauten tosenden Tafeln Den Dionysos, ihn, den Retter des Menschengeschlechtes. Diesen zum Sternenlauf wird dann nach irdischen Kämpfen, Nach der Gigantenschlacht und nach dem indischen Kriege, Um mit Zeus zu leuchten, der schimmerndeÄther empfangen. Und der Gott der Reben wird eine auf schattigem Efeu Liegende Natter wie einen Kranz um die Locken sich winden, ---------------------------------------------------------------------- < Eine Schlangenbinde, die neue Gottheit bezeichnend. Als einen Himmlischen werden die Menschen ihn ehren und nennen Reben-Dionysos, so wie sie Apollon den Schützen, Hermes den Goldstabträger und Ares den ehernen heißen.« Sprachs, der Vater, da nickten die Moiren, und über die Worte Niesten’die schnellen Horen, die Heroldkünder der Zukunft. Nach dem Gespräche trennten sich beide; es eilte der eine Zu Harmonias Haus, zu Heras Palaste der andre.

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Siebenter Gesang

iio Eros, der ewige Walter, der Weise, der Seibergelehrte, Schlug an die dunstige Pforte des ganz zu Anfang entstani Chaos; er trug mit sich den göttlichen Köcher, der einzig Zu dem Wechselbegehr der Lust nach irdischer Hochzeit Feuergenährte Pfeile für Zeus umfaßte; es waren ns Zwölf, und in Versen schrieb er für einen jeden ein goldnes Wort auf den mittleren Rücken des sehnsuchtweckenden Köchers: ,Erster bringt Zeus zum Lager der kuhgestalteten Io6.* .Zweiter eint Europa dem diebisch raubenden Stiere.* .Pluto zu freien zwingt der Dritte den Herrscher des Himmel 120 .Vierter zu Danae ruft hinab den goldenen Buhlen.* .Fünfter bereitet alsdann für Semele flammende Hochzeit.' ,Zu Aigina gesellt der sechste Kronion als Adler.* .Siebenter wird den listigen Satyr Antiope einen.* .Achter führt den Schwan zur nackten Leda, den klugen.* 125 ,Neunter mit einem Hengst vereint die Perrhaibische Dia.* .Zaubernd trifft der zehnte Alkmenes dreinächtigen Buhlen .Elfter führt herbei die Hochzeit Laodameias.* ,Den geringelten Gatten zieht zu Olympia Zwölfter.* Aber als Eros alle betrachtet und reihweis betastet, 130 Ließ er die anderen Pfeile, die feuergespitzten, beiseite, Hob den fünften empor und tat ihn an feurige Sehne. Efeu warf er dazu auf die Spitze des fliegenden Pfeiles Für den Gott der Reben als sinngemäße Bekränzung, Tauchte dann das ganze Geschoß in die Feuchte des Nektars, 135 Daß Dionysos nun nektarische Lese beschere.

Während Eros sich dann zum Hause Kronions emporschwang, Brach auch Semele auf in rosiger Frühe des Morgens Und ließ durch die Stadt die silberne Geißel erschallen, Trieb die Mäuler; es schrieb gradaus der prächtige Wagen

Zeus berückt Semele

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Eine schmale Spur in die Oberfläche des Staubes. Denn als vom Lethefittich des Schlafes ihr Auge beschattet, Da umgaukelte ihr ein Traum die irrenden Sinne, Schillernd wie Prophezeiung; sie glaubte mit ebenentsproßnen Ranken ein schöngeblättert Gewächs im Garten zu schauen, Grün und schwer belastet von reifen, schwellenden Trauben, Die Kronions Tau, der wachstumfördernde, feuchtet. Plötzlich fiel herab vom Äther himmlisches Feuer Und verzehrte ganz die Rebe, doch schonte die Traube. Diese, halbgereift und unentwickelt geboren, Raffte so flügelspannend empor ein schweifender Vogel, Reichte sie dann Kronion; der nahm sie im freundlichen Schoße Auf und nähte sie sich in den Schenkel. An Stelle der Traube Sproßte in Stiergestalt ein Mann und oben mit Hörnern Selber sich vollendend hervor aus der Scham des Erzeugers. Semele war die Pflanze; und schauernd über die Maßen Sprang das Mädchen vom Lager empor und schreckte den Vater, Ihm den glänzenden Dunst schönblättriger Träume ver­ kündend. Hörend, daß Semeles Pflanze im Feuer verlodert, erbebte Kadmos und rief den gottbegeisterten Sohn der Chariklo’ Und erzählte ihm früh die Flammenträume des Kindes. Als der Vater sodann Teiresias’ Deutung empfangen, Sandte er, wie gewohnt, sein Kind zum Tempel Athenes, Um dem donnernden Gotte Kronion als Opfer zu bringen Einen Stier, ein Abbild der Hörnergestalt des Lyaios", Und einen Bock, den Vertilger der Trauben künftiger Lese. Und so eilte sie vor die Stadt, dem Walter der Blitze Den Altar zu entzünden. Da stand sie neben den Opfern Und benetzte den Busen mit Blut; der Mord der erschlagnen

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Siebenter Gesang

Tiere besprengte das Mädchen und färbte ihr blutig die Locken; 170 Tropfen fielen vom Rind und bepurpurten ihre Gewänder Und sie lenkte die Bahn entlang der schilfigen Wiese; Schimmerndgekleidet schritt die Jungfrau hin zu der nahe Heimatflut des Asopos, um ihre befleckten Gewänder Von den vielen Tropfen des Bluts in den Fluten zu wasche 175 Anderen Sinnes wurde sie da; in der Nähe des Ufers (Bei des Unheilvertilgers Dionysos Morgenbeginnen9,) Schüttelte sie in die Flut, in die Winde der Träume Beklemmung. Nicht ohne göttliche Fügung betrat sie die Fluten, geleitet Zum Erguß des Stromes von vorverkündenden Horen.

iso Und als luftdurchschweifend Erinys in des Asopos Fluten Semele badend gewahrte, da lachte sie gellend, Denn sie gedachte Kronions, dieweil er zum Tode gemeinsam Beide treffen sollte mit seinem flammenden Blitzstrahl...10 Semele reinigte dort den Leib; mit den Mägden zusammen 185 Eilte das Mädchen nackt mit rudernden Händen durchs Wasser. Unbenetzt erhob sie das Haupt, im Schwimmen erfahren, Über dem Schwall in die Höhe gestreckt und bis zu den Haaren In das Feuchte getaucht. Die Brust der Strömung entgegen, Stieß mit den Füßen sie wechselnd das hinter ihr fließende Wasser. 190 Nicht verborgen blieb sie Kronions Allblick; er rollte Droben den ewigen Kreis des Auges wegen des Mädchens. Spannend in der Luft den Bogen, den Helfer des Lebens, Stand dem spähenden Vater da Eros grad gegenüber,

Zeus berückt Semele

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Unerreichbarer Schütze. Und unter dem blumengeschmückten Pfeile blinkte die Sehne, und als er sie rückwärts gezogen, Tönte des Bogens kluges Geschoß in bakchischem Echo. Vater Zeus, den hehren, nahm er zum Ziele. Dem Nichtsnutz Eros beugte der Gott den Nacken, und wie eine Sternbahn Drang mit hochzeitlichem Gezisch der Pfeil der Eroten Zeus gar wunderlich tief ins Herz mit wissendem Schwünge. Seine äußersten Kerben berührten die Fläche des Schenkels, Vorzuverkünden die künft’ge Gebärung. Da lenkte Kronion Unstet seine Augen, die Führer zum Zwange der Ehe, Und ergierte die Jungfrau, gepeitscht von dem Gürtel der Sehnsucht. Semele sah er und fuhr in die Höhe, als hätte er wieder Nah dem Ufer Europa erschaut, und wieder ersehnte Die Phoinikerin er zur Herrin. Die Schönheit des Mädchens War ja von gleicher Art, und um ihr Antlitz erstrahlte Immer, ihr angeboren, der Glanz der Schwester des Vaters. Trügerisch wechselte seine Gestalt der Vater Kronion, Und er schwebte aus Liebe zum Mädchen als Adler der Frühe Über der Flut des Asopos, des töchtergebärenden Stromes, Als verkündete er die wohlbeflügelte Hochzeit Mit Aigina’1, und spähte mit Vogelaugen hinunter. Dann verließ er den Äther, und nah dem Laufe des Stromes Maß er musternd die nackte Gestalt des lockigen Mädchens. Denn er begehrte sie nicht von fern zu schauen, er wollte Näher die ganze, weiße Gestalt der Jungfrau betrachten, Weil er sein grenzenloses, umfassendes, mächtiges Auge, Den Beschauer des Weltalls, nach allen Seiten entsendend, Nicht genügend hielt, eine einzige Jungfrau zu schauen. Von den rosigen Gliedern ward purpurn das schattige Wasser, Und es wurden zur Wiese des Stromes sehnende Wellen, Strahlend von so viel Reiz. Und wie sie die Jungfrau gewahrte,

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225 Rief eine stirnbandlose Najade mit staunender Stimme: »Hat nicht wie früher bei Kypris mit eheraubender Siche Kronos den Vater entmannt, bis nochmals wissender Sam' So zu selbstvollzogner Geburt das Wasser befruchtet, Daß es Gestalt gewann in junger Meer-Aphrodite? 230 Hat nicht nach der See der Fluß in schwangeren Bahnen Selbstgebärende Wogen gewälzt zu ersehnter Entbindung Und als Rivale der See eine neue Kypris geboren ? Ist in mein heimatlich Wasser gar eine der Musen vom nahen Helikon niedergetaucht und hat der Pegasosquelle 235 Rossespeisendes Wasser, das dunkle, eilig verlassen Oder die Flut des Olmeios ?12 In meinem Wasser erspäh ich, Wie eine Jungfrau die Wellen mit Silberfüßen durch­ schneidet. Wähne ich doch, Selene, das Lager am Latmos zu suchen13 Und des Endymion, des schlaflosen Hirten, Umarmung 240 Nehme wohl gar ihr Bad dort in den aonischen Wassern. Reinigt sie aber den Leib dem süßen Hirten zuliebe, Warum bedarf sie dann außer Okeanos noch des Asopos ? Aber wenn weiß wie Schnee auch ihre himmlischen Glieder, Was bezeichnet sie sonst als Mene? Abgeschirrt seh ich 245 Nur ein Maultiergespann, einen silbergeräderten Wagen Nah dem Ufer. Doch nicht vermag Selene ein Maultier Einzuspannen, sie weiß nur Rinderwagen zu lenken. Wenn aber eine Göttin vom Himmel gestiegen - ich seh ja Leuchtend wie blauen Glanz die heiteren Augen der Jungfrau250 Badet die blaugeäugte Athene, die früher dem Seher'4 Thebens zürnte, hier wieder und legte die Aigis beiseite. Göttergestaltet ist das rosenarmige Mädchen. Hat ein irdischer Leib diese glänzende Bürde geboren, 0, so ist sie doch würdig des himmlischen Lagers Kronions.«

'¿eus berückt Semele

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Solches sprach in den Fluten die Stimme unter dem Wasser. Zeus, von dem Stachel der Sehnsucht, dem feuergespitzten, geschüttelt, Heftete seinen Blick auf die rosigen Finger des Mädchens; Unstet drehte sich da sein Auge schweifend im Kreise. Bald beschaute er nun das rosigschimmernde Antlitz, Bald den kuhäugigen Glanz der Augen, dann wieder die Locken, Die in den Lüften flogen, und wehte der Wind sie zur Seite, Späht’er den freien Nacken des unbekleideten Mädchens, Aber besonders die Brust. Ihre nackenden Hügel erschienen Gegen Kronion gerüstet, als wären es Liebesgeschütze. Ihren ganzen Leib besah er, aber es irrte Schamhaft sein Auge vorbei an dem schoßverborgnen Geheimnis. Da nun verließ der Geist den Leib des himmlischen Vaters, Um mit der schwimmendenJungfrau zusammen zu schwimmen; bezaubernd Knechtete sein Gemüt der Funke lieblichen Wahnsinns, Und es besiegte der Sohn den Vater; den Walter der Blitze Hatte der kleine Eros mit nichtigem Pfeile entzündet. Nicht der Sintflut Strom und nicht der Blitze Entflammung Nützten dem feurigen Träger: das große, himmlische Leuchten Wich dem schwachen Feuer der kriegemeidenden Kypris. Gegen das rauhe Vlies15 stand streitend Eros, der kleine, Gegen die Aigis der Gürtel. Vom liebeerzeugenden Köcher Wurde das dumpfe Getöse der Donnerkeile geknechtet. Und vom berückenden Stachel der Sehnsucht nach Semele wurde Staunend der Gott geschüttelt; dem Staunen folgte Begierde.

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Und nur ungern kam der listige Herrscher Kronion 280 Heim zum Himmel, zurück das göttliche Antlitz verwandelt. Zu besteigen gewillt der Semele nächtiges Lager,

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Siebenter Gesang

Sah er gen Westen, ob bald der süße Abendstern käme, Tadelte Phaethon, weil er so lang den Nachmittag dehnte, Und sein liebender Mund rief bittersehnende Klage: »Sag mir, zögernde Nacht, wann sinkt die neidische Eos? Hebe doch du die Leuchte, den Zeus zur Liebe zu leiten, Und verkünde die Fackel des nächtigen Schwärmers Lyaios. Eifersüchtig bedrängt mich Phaethon. Ob er wohl selber Semele sich ersehnt und mir, dem Begehrenden, mißgönnt? Helios, quäle mich nicht; denn kennst du die Qualen der Liebe, Warum schonst du die Geißel und treibst die Rosse so langsam ? Anderen Untergang kenn ich, gar plötzlichen. Wenn ich es wollte, Würd ich die Nebelgeborne und dich mitWolken verhüllen; Während du verborgen, wird Nacht am Tage erscheinen, Hochzeit dem eilenden Zeus zu richten, daß alle Gestirne Sichtbar werden am Mittag; und den Geleiter der Liebe, Hesperos, ruf ich herauf und laß ihn nicht wieder versinken. Nieder zum Untergang zieh den Heosphoros, der dir voranläuft, Dir zuliebe und mir, dem Sehnenden. Freue die ganze Nacht deiner Klymene16 dich, dieweil ich zu Semele eile. Schirre mir deinen Wagen auch du, lichtvolle Selene,. Sende dein Licht, drin Pflanzen gedeihn,denn diese Vermählung Weissagt die Geburt des pflanzenfördernden Bakchos. Über Semeles Haus, dem heißersehnten, erscheine, Leuchte mir Sehnsuchtsvollem zugleich mit dem Sterne der Kypris, Mache lang dem Zeus das süße Dunkel der Hochzeit.«

Also sprach der Vater von seiner Sehnsucht getrieben. Als dem Eilenden aber in erdgeborenem Auftrieb 3io Hochgespannt der riesige Kegel der Finsternis aufsprang

Zeus berückt Semele

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Und der sinkenden Eos feuchtschattiges Dunkel hervorrief, Schritt der ätherische Zeus hinweg vom sternigen Hause, Semele nun zu freien; mit unbemerkten Sandalen Kreuzte im ersten Sprung die schnellende Sohle die ganzen Pfade der Lüfte; es brachte ihn bis nach Theben der zweite Schnell wie ein Flügel oder Gedanke. Und wie er ins Haus dann Eindrang, öffneten sich von selbst die Riegel des Tores. Und seine Hand umfaßte die Jungfrau mit liebender Fessel; Bald ließ Rindergebrüll er über dem Lager erschallen, Hatte zwar menschliche Glieder, jedoch ein Antlitz mit Hörnern, Und dem rindergehörnten Dionysos glich er im Abbild. Bald erwählte er sich die Gestalt eines mähnigen Löwen, Ward zum Pardel sodann, einen kühnen Sohn zu erzeugen, Einen Pardeltreiber und Wagenlenker von Löwen. Dann umschnürte er auch sein natterndurchwundenes Haupthaar, Er, der Bräutigam, mit einem Gewinde von Reben, Und die Locken umschlang er mit dunklem, gebogenem Efeu, Bakchos’geflochtener Zier. Gekrümmt als kriechender Drache, Leckte er lüstern den rosigen Nacken der ängstlichen Jungfrau Schmeichelnd mit den Lippen, und gleitend über den Busen Schlang er sich um das Rund der straffen, hügligen Brüste, Zischte ein Hochzeitslied und träufte der schwärmenden Biene Süßen Honig und nicht der Natter giftigen Geifer. Lange feierte Zeus die Hochzeit, und wie bei der Lese Rief er Evoe laut, den Ruf des zu zeugenden Sohnes. Liebestoll schloß er Mund auf Mund, und lockenden Nektar Ließ der Buhle sprudeln, um Semele trunken zu machen, Daß sie als Sohn den Gebieter nektarischer Lese gebäre. Zukunftskündend erhob er die sorgenstillende Traube,

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Siebenter Gesang

340 Seinen Arm gestützt auf den feuerbringenden17 Narthex. Dann wieder hob er den Thyrsos, mit dunklem Efeu umwunden, Und ein Hirschfell trug er; es wurde die scheckige Decke Von der linken Hand des Weibertollen geschüttelt. Und da lachte nun rings die Erde, es sproßten von selber 345 Blätter, ein Rebengarten umgrünte Semeles Lager; Aus den Mauern entsproßten die Blumen der tauigen Wiese Wegen des Bromios18 Zeugung, und wolkenlos über dem Lager Dröhnte mit Donnern der heimlich im Hause verborgne Kronion, So vorher zu verkünden des nächt’gen Dionysos Pauken. 350 Nach der Vermählung sprach er zu Semele freundliche Worte, Seine Braut zu trösten mit zukunftsfreudiger Hoffnung: »Weib, ich bin Kronion, dein Bräutigam. Himmlischem Gatten Bist du verbunden und drum erhebe stolz deinen Nacken: Höher dünke dich keine Vermählung mit sterblichem Manne. 355 Danaes Hochzeit kann mit deiner nicht streiten; verdunkelt Hast du sogar die Hochzeit mit einem liebenden Stiere Deiner Vatersschwester. Denn nach der Freude des Lagers Eilte Europa nach Kreta, doch Semele kommt in den Himmel. Außer Äther und Sternen, was kannst du noch Beßres verlangen! 360 Künden soll man dereinst: Kronion behäufte mit Ehren Minos18 unter der Erde, Dionysos droben im Himmel. So, nach Autonoes sterblichem Sohn20 und dem Kinde der Ino21 — Einer erliegt den Rüden, es soll der andere sterben Durch den beflügelten Pfeil des eignen, mordenden Vaters365 Und nach dem kurzen Leben des Sohns der verzückten Agaue22 Werde nun dein Sohn ewig und du unsterblich geheißen. Selige ¡Wonne wirst du den Göttern und Menschen gebären, Schwanger mit einem Sohn, der den Kummer der Sterb­ lichen lindert.«

ACHTER GESANG

So sprach Zeus und schritt zurück zum Himmel; doch oben Auch im Palast umschweifte sein Sinnen noch immer die Jungfrau, Sehnte nach Theben sich mehr als nach demÄther. Als süßer Himmel erschien dem Gott das Haus des Mädchens; ums Lager Wurden zu Mägden des Kadmos Kronions leichtfüßige Horen.

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Durch den befruchtenden Tropfen der zeusverbundenen Hochzeit Schwoll nun Semeles Leib, von drückender Bürde belastet. Zu verkünden das Werden des kränzeliebenden Bakchos, Freute sie sich an Kränzen; auf blütenbewachsenem Gipfel Schlang sie die Windung des Efeus in ihre bakchantischen 10 Haare, So die Bassariden1 verkündend; den künftig gebornen Frauen bescherte sie so des Efeus spätre Benennung. Wenn sie schwer bebürdet durch ihre Götterbegattung Eine Schalmei vernahm, das Spiel eines weidenden Greises, Oder lauschte dem Lied der flurenliebenden Echo, 15 Eilte sie aus dem Gemach verzückt in leichter Gewandung; Schollen der Doppelflöte gebirgdurchirrende Töne, Sprang sie schuhlos auf und eilte aus eigenem Antrieb Von dem hohen Palaste zum Grat des einsamen Waldes; Gellte eine Cymbel, so drehte sie schwingend die Füße, 20

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Achter Gesang

Sprang auf gewundener Bahn mit kreisender, leichter Sandale ; Hörte sie das Gebrüll eines Stieres mit mächtigen Hörnern, Ahmte sie nach die Kehledes Rindes und brüllte zur Antwort. Unter dem Hirtenberg zuweilen in heller Verzückung 25 Sang sie zusammen mit Pan ein Lied und tönte mit Echo. Und bei dem Weideschall der wachsverbundenen Flöte Drehte sie sich im Reigen. Der ungeborene, kluge Knabe sprang tanzend im Leibe zugleich mit der künftigen Mutter Wie nach dem rasenden Lied der Flöte, und eigengelernte 3o Lieder ließ singend im Schoße der Halbvollendete schallen. So gedieh als Bürde des knabentragenden Leibes Frohsinns Bote, verständige Frucht. Und wegen des Kindes Kränzten die Horen den Himmel, die Dienerinnen Kronions. Phthonos2, der die Ehe des waltenden Gottes erspähte 35 Und die gottentsproßne Geburt aus Semeles Leibe, Faßte Eifersucht auf den ungeborenen Bakchos, Lieblos, selber leidend, vom eigenen Gifte getroffen. Und mit schlauem Sinn erwog er tückischen Anschlag, Hüllte sich in den Leib des andersgestalteten Ares, 4o Ahmte die Rüstung nach, und wie mit blutigem Streifen Strich er künstlich gewonnen den Saft einer heilenden Pflanze Über des Stierschilds Rücken. Und wie bei erschlagenen Männern Tauchte er färbend die Finger in gleichgeartetes Rötel Und bepurpurte rot mit falschem Blute die Hände; 45 Und seinem Schlunde entfuhr neuntausendfältiges Brüllen: Heerezerbrechend ergoß sich aus greulichem Munde die Stimme. Mit berückenden Worten erregte er Pallas Athene Und entflammte noch mehr zum Zorn die neidische Hera; Beide reizte er auf und sprach zu ihnen die Worte:

Semeles Feuerhochzeit und Tod

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»Such einen neuen andern Gemahl im Äther dir, Hera, Andern, denn Semele raubte dir deinen. Sich ihrer zu freuen, Schritt er zur Hochzeitsschwelle des siebentorigen Theben, Und die sieben Zonen des Himmels verschmäht er. Statt deiner Hält er lustvoll im Arm ein irdisches, schwangeres Mädchen. Meine Mutter, wohin enteilte dein Eifer? Hat etwa Heras Groll sogar gebilligt Semeles Hochzeit? Wo ist dein Bremsenstachel, der schonungslose ? Und treibt sie • Noch nicht flutgeschreckt als Kuh im Meere? Bewacht nicht Argos, der Rinderhirt, mit unermüdlichen Augen Dieses neue Lager des Ehebrechers Kronion ? Aber was soll mir noch dies Haus des Himmels! Ich eile Nieder zur Erde und will des Vaters Äther verlassen, Willin Thrakien wohnen,um nicht die Schmerzen der Mutter, Der betrübten, zu schauen, nicht Zeus, den Buhler. Und kommt er Einmal in mein Land und wünscht ein bistonisches Mädchen, Soll er erkennen, was Ares im Zorn bedeutet. Mit meiner Mordenden Lanze, die einst Titanen vernichtete, werd ich Fort aus Thrakien treiben den weibertollen Kroniden. Unter dem Vorwand, daß er die Jungfrau zum Lager gerissen, Werd ich aus eignem Entschluß dein Lager’rächen,weil ersieh Eingelassen hat in so manche irdische Hochzeit Und den bunten Äther mit seinen Liebschaften anfüllt. Bleib mir der Himmel gewogen, wenn Menschen da wohnen6! Die Achse Soll ich betreten? Es dreht sich Kallisto6 am Himmel, wo schimmernd Glänzt das Sternbild, genannt die stolze, arkadische Bärin. Die Pleiaden haß ich, die siebenfachen; am Himmel Drängt Elektra mich neben dem leuchtenden Lichte Selenes. Warum rastest du jetzt? Den Sohn im Schoße der Leto, Phoibos, hast du gekränkt, und läßt Dionysos ruhen?

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Achter Gesang

so O du Geburtenhelfer Athenes, Hephaistos! Kronion Selber wird den Sohn eines Kebsweibs aus männlichem Schenkel Dann entbinden, der noch höher als Tritogeneia. Nicht mehr ist dein Beil vonnöten. Weiche, Athene’, Preise die Kindbettwölbung der Schläfen Kronions nicht länger, 85 Weil Dionysos nun des geburtvollendenden Hauptes Weise Frucht geschändet, und weil er, irdischgeboren, Ein Olympier wird, ein selbsterzeugter wie Pallas, Und er verdunkelt den Ruhm der Mutterlosen. Ich selber Schäme mich noch weit mehr, wenn einer der Sterblichen kündet: 90 ,Zeus gab Ares den Streit, Dionysos gab er den Frohsinn. ’ Ach, ich laß den Äther den Bastardkindern Kronions Und zieh fort vom Himmel; des Istros8 gefrorenes Wasser MagdannseinenGebieter auf schweifenderlrrfahrt empfangen, Eh ich den Mundschenk des Zeus, Ganymedes, den lockigen Hirten, 95 Hier als Gott bemerke, der erst ein Pergamosbürger, Wie er den heiligen Becher der himmlischen Hebe erhalte, Eh als Bewohner des Himmels ich Bakchos und Semele sehe Und unter Sternen den Kranz Ariadnes, des irdischen Weibes, Schaue bei Helios und der Nebelgeborenen kreisen. wo Dort verweil ich, nicht Ketos“, nicht Perseus’ Krumm­ schwert zu sehen, Nicht Andromedas Bild, das Aug’ der Gorgone Medusa, Die am Himmelsgewölbe Kronion später noch aufstellt.«

Sprachs und erregte den Sinn der selbstentstandnen Athene; Mehr noch schürt’er den Groll der eifersüchtigen Hera. los Schnell fuhr Phthonos von dannen und schwang die gebogenen Kniee;

Semeles Feuerhochzeit und Tod

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Durch die Lüfte beschrieb er gewundene Pfade und stürmte Rauchgleich menschlichen Augen und irdischem Denken entgegen, Während sein Sinn sich tückisch mit List und Bosheit bewehrte.

Auch Kronions Gemahlin, die bitterzürnendc Hera, Rastete nicht; sie stürmte mit rasender Sohle vorüber An dem glitzernden Himmel, den leuchtende Sterne bekränzten. Ungezählte Städte durcheilte sie schweifenden Fußes, Um die list’ge Apate’°zu suchen, wo sie sie fände. Als sie auf Kreta dann über dem korybantischen Felsen Sah des nahen Amnisos11 entbindungsförderndes Wasser, Traf sie auf dem Gebirge die wetterwendische Gottheit; Immer weilte sie ja bei dem lügenden Grabe11 Kronions Und ergötzte sich an den Kretern, dieweil sie Betrüger. Um die Hüften floß ihr eine kydonische Binde”, Drin für die Sterblichen alle Betörungsmittel gebettet. In ihr lag der kluge Betrug, das trauliche, süße Überreden, da lag die Fülle der Ränke, ja selber Auch der täuschende Eid, der mit luftigen Winden dahinläuft.

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Und da bat mit listigem Wort die verschlagene Hera Schmeichelnd die list’ge Apate, sie an dem Gatten zu rächen: 125 »Gruß dir, listige Göttin, du listberückende! Weichen Muß dir der täuschende Hermes sogar, der gaukelnde Schwätzer. Gib doch den bunten Gürtelauch mir, den ehemals Rheia14 Um ihre Hüften geschlungen, bis sie den Gatten betrogen. Bringe ich doch nicht jetzt dem Zeus ein Felsengebilde, 130 Nicht berück ich den Gatten mit einem listigen Steine,

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Achter Gesang

Nein, ein irdisch Weib bedrängt mich, und wegen der Liebschaft Weigert Ares im Zorn, noch weiter im Himmel zu hausen. Mehr noch! Was nützt mir selbst die Göttlichkeit? Denn eine wind’ge 135 Sterbliche hält meinen Gatten, den Leto, die Göttin, nicht raubte. Ruhte bei Danae doch nur einmal der Regenkronion, Mußte doch, erst versiegelt im eisengeschützten Palaste, Dieses Weib auf dem Meere enteilen und fluchte dem goldnen Regen der Hochzeit; ihr Liebesgeschenk war Wasser der Salzsee, ho Und auf den Wogen schwamm im Spiel der Winde der Kasten; Und nach Kreta schiffte nicht wieder der Stier des Olympos, Sah nach dem Lager nicht mehr Europa: es schiffte ins Feuchte Bremsen gestachelt zur See die hörnertragende Io. Auch die Ehe der Göttin war voller Nöte1'; es mußte 145 Mit befruchtetem Leib selbst Leto irren und laufen, Spähend nach wechselnden Ufern im Meere irrender Inseln Und nach nierastender Flut des gastverweigernden Meeres. Kaum bekam sie zu schaun das Reis des entbindenden Ölbaums: Soviel duldete Leto, weil ihr der Gatte nicht beistand, iso Bei einem einzigen früh hinsterbenden Weibe zu ruhen, Sagte er ab dem Lager der schwesterlich-himmlischen Hera. Fürchte ich doch, daß Zeus, genannt mein Gatte und Bruder, Aus dem Äther mich treibe dem Lager des Weibes zuliebe, Daß er Semele gar zur Himmelskönigin mache. 155 Wenn du mehr als der Hera dem Zeus Kronion gefällig Und mir nicht geben magst den sinnberückenden Gürtel, Daß mein irrender Sohn aufs neu zum Himmel sich wende,

Semeles Feuerhochzeit und Tod

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Dann verlasse ich wegen der sterblichen Hochzeit den Äther Und begebe mich zu des Okeanos äußerstem Saume, Um mit Tethys zu hausen, der urentstandenen; dorther 16O Nah ich Harmonias Haus und weile dicht bei Ophion1’. Darum ehre des Zeus allmütterliche Gemahlin, Gib mir den helfenden Gürtel, damit ich den flüchtigen, wilden Ares besänftige, wieder im himmlischen Äther zu wohnen.«

Antwort gab gehorsam auf diese Worte die Göttin: 165 »Enyalios'17 Mutter, des Zeus hochthronende Gattin, Geben will ich den Gürtel, auch wenn du noch Höheres forderst. Ich gehorche, weil du mit Zeus den Göttern gebietest. Nimm denn diesen Gürte), und um den Busen ihn schnürend, Magst du Ares aufs neu zum Himmel leiten, und willst du, 170 So bezaubre denn Zeus und nötigenfalls den erzürnten Gott Okeanos. Wird doch Zeus aus eigenem Antrieb Irdische Liebschaft verlassen und wieder zum Himmel sich wenden, Und es beugt sein Sinn sich meinem listigen Gürtel. Dieser, mein Gurt, beschämt Aphrodites betörenden Gürtel.« 175

Sprachs und floh davon, die windbeflügelte, list’ge Gottheit und durchmaß beschwingten Fußes die Lüfte. Hera verließ der diktaeischen18 Höh schildschwingende Grotte Und die Geburtenhöhle der lebenentbindenden Göttin; Täuschend ging sie sodann hinein in Semeles Kammer, Eifersuchtschnaubend. Sie glich der schmelzend-redenden, greisen, Kinderliebenden Amme, und dieser Pflegerin ähnlich,

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Die Agenor selber zu Ehren erhoben — er hatte Ihr ein Gütchen geschenkt und wie ein Vater sie später Einem Manne vermählt; und dankbar für diese Versorgun Zog sie selber am Busen dann auf den lallenden Kadmos, Hegte auch freundlich im Arm den jungen Säugling Europi Und in dieser Gestalt schritt Hera in die Behausung Gegen Semele und gegen Kypris und Bakchos voll Ingrimi Der doch noch nicht zum Licht geboren. Und neben des Mädchens Hochzeitslager kehrte sie drüben zur Mauer das Antlitz Und die Augen, um nicht das Bett Kronions zu schauen. Peisianassa ließ auf einem Stuhle sie sitzen, Semeles Dienerin, aus tyrischem Stamme gebürtig; Und Thelxinoe schmückte den blanken Sessel mit Decken. Ränkespinnend ließ die Göttin sich nieder, sie sah ja, Wie von der reifenden Frucht bereits das Mädchen belastet. Zwar der Leib verriet es noch nicht, noch hatte Selene Nicht die Frucht gezeitigt; jedoch die Blässe der Wangen Und der rosigen Glieder ward zum Verräter. Und Heras Sitzende Truggestalt erbebte in täuschender Regung. Nieder preßte sie nun mit tiefer Neigung zur Erde Ihre Schultern und krümmte den greisen, gebogenen Nacken. Mühsam suchte sie dann nach einem Vorwand und stöhnte Bei dem Bericht und wischte vom Antlitz geheuchelte Tränen, Sinnberückend sprach sie darauf die trügenden Worte: »Sag, Prinzessin, wovon sind deine Wangen erblichen? Wohin ging deine Schönheit, und wer zerstörte in bösem Zorn auf deine Gestalt den Purpur deines Gesichtes ? Wer hat in Anemonen vergänglich die Rosen verwandelt ? Warum schwindest du hin, Betrübte? Hast du gar selber All das Schlechte gehört, das sich die Leute erzählen ? Fluch dem verderblichen Mund der unheilstiftenden Weiber! Nenne mir, birg mir nicht, wer deinen Gürtel entwandte;

Semeles Feuerhochzeit und Tod

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Wer von den Göttern hat dich befleckt, wer raubte dein Magdtum 1 Wenn sich Ares heimlich mit meinem Mädchen vermählte Und bei Semele schlief und Aphrodite verschmähte, Trete er an dein Bett mit dem Speere zum Zeichen der Hochzeit; Deine Mutter kennt ja ihren streitbaren Zeuger. Wenn mit schnellen Sandalen dir Hermes als Bräutigam nahte Und wegen Semeles Schönheit nun seine Peitho verleugnet, Bring er dir dann den Stab als Botschaft seiner Vermählung, Oder er schmücke dich mit seinen goldnen Sandalen Als ein würdig Geschenk für deine Liebe, damit du Selber so goldsandalig wie Hera, die Gattin Kronions. Kam als dein Gemahl vom Himmel der schöne Apollon Und vergaß seine Daphne, weil er nach Semele gierte, Schwinge er durch die Luft sich zu dir offen und ehrlich In dem prunkenden Wagen, gezogen von rauschenden Schwänen, Und er bescher dir als Gabe für deine Liebe die Leier Als ein untrüglich Zeichen der Hochzeit. Wenn er sie ansieht, Wird ja Kadmos erkennen die himmlische Leier des Phoibos, Deren Ton er einst an seinem Tische vernommen, Als sie hell erklang zu Harmonias irdischer Hochzeit. Wenn dich der Bläulichgelockte, der weibertolle, bezwungen Und um dich Melanippe ”, die weise, besungne, verschmähte, Werbe er öffentlich nun um dich und hefte an Kadmos’ Pforten als Bräutigamszeichen dann seinen spitzigen Dreizack Als ein gleiches Geschenk bei der drachennährenden Dirke, Wie er in Argos einst bei der löwennährenden Lerna Durch ein Zeichen den Bund mit Amymone”besiegelt; Heißt doch der Ort der Nymphe von Lerna noch jetzt nach dem Dreizack. Aber was nenne ich dich des Erderschüttrers Genossin ?

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Achter Gesang

Welch ein Zeichen hast du, daß dich Poseidon geehlicht ? 245 Seine nassen Künste ergießend umarmte er Tyro21, Als er mit listiger Flut sie täuschte als falscher Enipeus. Wenn aber, wie du sagst, Kronion dein Bräutigam wäre, Trete er an dein Lager mit seinem entzückenden Donner, Mit dem Vermählungsblitz gerüstet, daß man verkünde: 250 Donnerkeile sind Heras und Semeles Führer zur Hochzeit. Trotz ihrer Eifersucht wird dir Kronions Gattin nicht schaden, Denn das würde Ares, dein Mutterbruder, nicht dulden. Sel’ger als Semele war Europa, die auf den Schultern Der gehörnte Zeus erhob. Des sehnenden Stieres 255 Hufe berührten kaum die Oberfläche des Meeres, Und der Gewaltige wurde zum Schiff des Eros. O Wunder, Eine Jungfrau lenkte am Zügel den Lenker des Äthers. Sel’ger als Semele preise ich Danae: golden vom Dache Rann in ihren Schoß hernieder der Regenkronion 260 Mit dem reichen Schwall des weibertollen Ergusses. Nicht verlangte ein golden Geschenk die seligste Jungfrau; Hatte sie doch den ganzen Gemahl als Gabe des Eros. Aber schweigen wir, daß nicht Kadmos, dein Vater, uns höre.« Sprachs und verließ das Haus und die schon zagende Jungfrau, 265 Die voll Eifersucht, weil so unnachahmlich der Hera Ehe; sie schalt Kronion. Doch Hera wandelte wieder Heimwärts in den Äther, und als sie am himmlischen Throne Liegen sah die Rüstung des Zeus, doch ohne den Träger, Sprach sie mit freundlichem Schmeicheln, als könne das Rüstzeug sie hören: 270 »Donner, so hat auch dich meinWolkensammler verlassen! Wer hat dich geraubt und deinen Träger entwaffnet? Abgelegt wurdest du,doch nicht istTyphon der Schuld’ge. Tröste dich; leidest du doch das gleiche wie Hera; um seine

Semeles Feuerhochzeit und Tod

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Braut besorgt verschmäht uns beide der Regenkronion. Nicht mehr wird die Erde genetzt mit Fluten, der feuchte Regen läßt schon nach und Dürre trocknet des Ackers Furchen; da wächst die Frucht nun taub. Es nennen die Bauern Zeus den wolkenlosen und nicht den dunkelumwölkten. Auf, ihr Blitze, erhebt zu Zeus die flammende Stimme! Sprecht, ihr lieben Donner, zum weibertollen Kronion ! Auf, als Leidensrächer der eifersüchtigen Hera, Eilt als Hochzeitsbereiter zu Semele, daß sie als Gabe Für ihren Gürtel sich selbst ihre feurigen Mörder erflehe!«

Also sprach die Göttin zum stummen Rüstzeug Kronions, Und es wogte ihr Busen vor Gram und neidischem Ingrimm.

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Semele aber, das Herz von frischem Kummer gefesselt, Sehnte den Blitz herbei, den feurigen Liebesgeleiter, Und ihr scheltender Mund erflehte von ihrem Gemahle, Feuer möge ihr Lager wie das der Hera umkränzen: »Bei der so überreichen Vermählung Danaes fleh ich, 290 Tu mir die Liebe, Europas gehörnter Gatte! Mitnichten Nenn ich dich Semeles Gatten, den nur im Traume geschauten. Sel’ger als Kadmos ist Akrisios22. Möcht ich doch selber Goldene Hochzeit schauen, du Regenbringer Kronion, Wenn dir nicht dies Geschenk des Perseu^Aiutter entrissen. 295 Wollte ich doch, du trügest auf deinen Sei altem durchs Wasser Mich als irrender Stier, daß Polydoros, mein Bruder, Ebenfalls wandernd schweife wie Kadmos, den Dieb der geraubten Jungfrau aufzuspüren, ihn, meinen Träger Kronion. Aber was sollte mir denn Stier- oder Regenvermählung? 300 Ich will kein gleiches Geschenk wie sonst eine irdische Gattin;

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Achter Gesang

Laß der Europa den Stier und Danae habe den Regen. Heras Hochzeit nur beneide ich. Willst du mich ehren, Schmücke das Brautbett mir mit deinem himmlischen Feue Laß deine Wolken lieblich erglänzen, und für meine Liebe Zeig deinen Blitz als Gabe der zweifelnden Schwester Agaue! Ja, Autonoe bebe, wenn meinem Bette zur Seite Sie das Donnerlied hört der brautbesorgten Eroten, Selbstverkündendes Zeichen der ungemeldeten Hochzeit. Gib mir die liebe Flamme zum Greifen; ich möchte mich freuen, Wenn ich den Blitz berühre und deinen Donner betaste! Gib mir die Ehefackel des Brautgemaches. Ein jedes Mädchen hat eine Leuchte, die sie zur Hochzeit geleitet. Bin ich dir etwa nicht würdig für deine ehlichen Blitze, Ich, die dem Blute des Ares und eurer Kypris entstamme ? O ich Arme, nur kurz ist Semeles ehelich Feuer, Irdisch sind ihre Fackeln; doch mit dem Donner in Händen Und den Blitz berührend schließt deine Hera die Hochzeit. Bräutigam, donnererfreuter, du gehst in Göttergestaltung In das schimmernde, helle Gemach zum Lager der Hera, Und mit Hochzeitsblitzen beleuchtest du deine Vermählte Als ein feuriger Zeus; mir nahst du als Stier oder Drache. Jene hört das Rollen des himmlischen Schalls der Eroten; Semele sieht dein Bild nur wie in schattigem Umriß Und vernimmt rirr ein falsches Gebrüll eines täuschenden Stieres. Wolkenlos ohne Geräusch naht meinem Lager Kronion, Aber der Wolkensammler vereint sich der mächtigen Hera. Kadmos, mein Vater, flieht die Schande der übelvermählten Tochter und birgt sich im Haus und meidet der Männer Begegnung, Zeigt sich nicht den Bürgern aus Scham, weil alle Bewohner Um die heimliche Hochzeit mit dir sich lästernd erregen

Semeles Feuerhochzeit und Tod

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Und nun Semele schmähn, dieweil ihr Gatte verborgen. Schön war dein Brautgeschenk: der Schwestern scheltender Vorwurf; Und mich tadeln die Mägde, vor allen andern besonders Fürcht ich die freche Zunge der redeseligen Amme. 335 Denk, wer hat dem Typhon ein listiges Ende gesponnen Und dir wiedergeschenkt den Glanz des entwendeten Donners. Zeig doch meinem Erzeuger, was er dir verschaffte. Der greise Kadmos fordert von mir ein Zeichen unsrer Vermählung. 8ah ich doch noch nicht das Antlitz des wahren Kronion, 340 Nicht den glänzenden Strahl der Augen, und ich bemerkte Nichtsein leuchtend Gesicht und nicht das Blitzen des Bartes. Deine Gestalt sah ich noch nicht olympisch, ich schaue Löwen oder Pardel, doch nie als Gottheit den Gatten. Sterblich erscheinst du mir, die ich eine Gottheit gebäre. 345 Andere Flammenhochzeit ward mir berichtet: umarmte Helios Klymene doch als Braut mit bräutlichem Feuer.«

Sprachs und erbat den eigenen Tod; denn die sterbliche Gattin Hoffte, ihr würde ähnlich wie Hera zur Hochzeit erscheinen Schmeichelnd das schimmernde Licht eines ruhig-heiteren Bhtzes.

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Vater Zeus vernahm es und zürnte den neidischen Moiren; Mitleid erfaßte ihn da mit Semeles Jugend, und deutlich Ward ihm der tückische Groll der harten Hera auf Bakchos. Hermes befahl er, er solle hinweg vom flammenden Blitze Baffen den jungen Sohn der feuergetroffnen Thyone”; 355 Und zu dem stolzen Mädchen begann der Vater und sagte: »Weib, dich berückte mit Listen die Absicht der neidischen Hera. Wähnst du etwa, Weib, daß Blitze schmeichelnd umkosen ?

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Duld es, auf spätere Zeit zu warten, solang du noch schwänge 360 Duld es, auf spätere Zeit zu warten, bis Bakchos entbunden Fordre nicht vor der Geburt von mir die feurigen Mörder. Nicht benutzt ich den Blitz, um Danaes Magdtum zu rauben; Nicht mit Donnerkeilen und nicht mit Blitzen beging ich Meine Vermählung mit der tyrischen Jungfrau Europa; 365 Nicht gewahrte den Glanz die inachische Färse, und keine Sterbliche forderte, was nicht Leto, die Göttin, verlangte.«

Also erscholl sein Wort. Doch wollte Kronion nicht hadern Mit den Fäden der Moira. Und durch die Tiefe des Äthers Fuhr er blitzend dahin; unwillig erfüllte die Bitte 370 Seines jungen Weibes der Gatte, der Blitze Gebieter. Nieder zu Semele glitt er und schwang in bekümmerten Händen, Bräutliche Funken sprühend, den ehezerstörenden Donner. Blitze durchflammten die Kammer, und von dem Hauche des Feuers Glänzte hell der Ismenos“, das ganze Theben erstrahlte. 375 Und als Semele da ihre flammenden Mörder gewahrte, Hob sie stolz den Nacken und rief die erhabenen Worte: »Nicht Schalmeienklang bedarf ich; was soll mir die Flöte! Gelten mir doch die Donner des Zeus wie Liebesschalmeien; Flöte ist mir dies Himmelsgekrach; des ätherischen Blitzes 380 Glanz ist mir die Leuchte der bräutlichen Kammer. Der nicht’gen Fackeln achte ich nicht: die Donnerkeile sind Fackeln. Ich bin des Zeus Gemahlin, Agaue die des Echion. Mögen Autonoe sie Aristaios’ Gattin benennen; Ino hat Nephele nur zur Rivalin, doch Semele Hera. 385 Nicht des Athamas Weib ward ich, nicht hab ich den Waldfreund,

Semeles Feuerhochzeit und Tod

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Den Aktaion, geboren, den jung die Hunde zerrissen. Ich bedarf nicht der Leier, der nichtigen; droben am Himmel Singt die Sternenharfe das Lied zu Semeles Hochzeit.« Kühnlich rief es ihr Mund; mit Händen wollte sie greifen Den vernichtenden Bli tz, und achtlos gegen das Schicksal Rührte mit kecker Hand sie an die tödlichen Blitze. Ihre Hochzeit brachte ihr Tod. Es machte Erinys Ihr das Brautbett zugleich zum Scheiterhaufen und Grabe. Und mit entbindendem Strahl verbrannte des harten Kronion Hochzeitlich glühender Donner die ganze Jungfrau zu Asche. Blitz ward Wehemutter, der Donner ward Eileithyia. Den in dem brennenden Schoß der Wöchnerin tanzenden, jungen Bakchos entband voll Schonung die himmelentstandene Flämme; Muttertötend durchriß der Brand die Bande der Hochzeit. Und diese Frucht, zu früh, doch ohne Verletzung geboren, Badeten schonend nun in ihrem Gluthauch die Blitze. Semele, als sie gewahrte ihr feuriges Ende, da schwand sie In gebärendem Tode voll Freude. In Einem Gemache Sah man Eileithyia und Himeros25und die Erinen. Hermes brachte sodann aus dem Bade des himmlischen Feuers Halbvollendet die Frucht dem Erzeuger zu ihrer Entbindung.

Zeus aber wandte den Sinn der eifersüchtigen Hera Und besänftigte bald die erneuerte Wucht ihrer Drohung, Führte Semele dann, des Bakchos flammenverzehrte Mutter zum Sternenhaus hinauf zu himmlischem Wohnsitz Als eine Hausgenossin der Ätherbewohner, aus Heras Sippe, Harmonias Kind, die Ares und Kypris entstammte.

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Achter Gesang

Und ihr neuer Leib, in heiligen Flammen gebadet, 413a------------------------------------------------------------------------------------------------------------ 25

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Unvergänglich ward im Himmel ihr Leben; statt Kadmos, Statt Autonoe und Agaue und irdischer Heimat Ward ihr zu Artemis’ Seite ein Thron und der Umgang Athenes; Und ihr Brautgeschenk wurde der Himmel: da saß sie an Einem Tische mit Zeus und Hermes, mit Aphrodite und Ares.

NEUNTER GESANG

Vater Zeus nahm auf den Sprößling aus dem entflammten Schoß der Semele, ihn, der blitzentbunden heraussprang, Halb vollendet und nahte den Bakchos in männlichen Schenkel Ein und harrte des Lichts der reifenden Göttin Selene. Und Kronions Hand, die Lenkerin seiner Entbindung, 5 Die der vernähten Frucht selbsttätige Wehmutter wurde, Löste die schmerzlichen Fäden des kindergebärenden Schenkels, Und es erschlaffte das Rund des kreißenden Schenkels Kronions: Mutterlos ward der zu früh geborene Knabe entbunden, Der aus dem weiblichen Leib in männlichen Mutterleib 10 eintrat. Den aus Göttergebärung Herausgetretenen kränzten Mit einem Efeukranz die seiner wartenden Horen, Künder kommender Zeit. Auf blumenbelastetem Haupte Unter dem krummen Gewinde der hörnertragenden Drachen Kränzten sie den gehörnten und stiergestalteten Bakchos. 15 Und auf Drakanons* Höhe, wo er entbunden, da nahm ihn In seine hegenden Arme der Sohn der Maia Hermeias, Flog durch die Lüfte hinab und gab dem entbundnen Lyaios Einen Vatersnamen, der seiner Entbindung gedachte, Nannte Dionysos ihn, Zeuslahmheit, weil der Kronide 20 Lahm den Fuß geschleppt mit diesem belasteten Schenkel; Denn auf Syrakusanisch bedeutet Nysos: der Lahme.

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Neunter Gesang

Eiraphiotes’hieß der Gott, der eben geboren, Weil ihn derVater genäht in den leichtgebärenden Schenl 25 Und den badlos nach der Entbindung enteilenden Knaben, Der nie weinte, hielt sein Bruder Hermes im Arme, Und den Säugling, das Abbild der schöngehörnten Selene, Übergab er den Töchtern des Lamos3, den Nymphen des Flusses, Ihn, den Sohn des Zeus, den Traubenpfleger, zu warten. 30 In die Arme nahmen sie Bakchos und ließen dann jede Sprudeln in Kindermund den Milchsaft strotzender Brüste. Und der Knabe, richtend die Augen droben zum Himmel, Lag da auf dem Rücken und schlaflos; wechselweis stieß er Strampelnd in die Luft die beiden Beine voll Freude. 35 Ungewöhnlich erschien ihm das Himmelsgewölbe und staunend Sah er den Sternenbogen, den väterlichen, und lachte.

Voller Wut erblickte den Säugling die Gattin Kronions. Tief in Wahnsinn trieb die bitterzürnende Hera Lamos’Töchter durch die Geißel göttlicher Bosheit. 40 Über die Mägde fielen sie her im Hause, am Kreuzweg Schlachteten sie den Wandrer mit fremdetötendem Messer. Schauerlich schrieen sie schrill, und unter wirbelndem Drange Rollten sie die Augen der ungeschmückten Gesichter. Überall da und dort in sinnverwirrtem Bestreben 45 Liefen sie eilend hin mit unstet springenden Sohlen, Trunken flogen ihnen im tobenden Winde die wirren Locken; die krokosfarbnen, den Busen umhüllenden Kleider Wurden hell von Schaum geweißt bei jedem der Mädchen. Und nun hätten sie wohl in wütend wallendem Wahnsinn so Mit dem Messer gar den jungen Lyaios zerstückelt, Hätte nicht unvermerkt auf leise raubenden Sohlen

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Der geflügelte Hermes den Bakchos heimlich gestohlen; Und er trug an schützender Brust den ebengebrachten Säugling zum Pflegehaus der jüngst entbundenen Ino. Diese hob empor den ihrer Entbindung entsprungnen 55 Noch unmündigen Knaben und hegte im Arm Melikertes4 Mit ihrer pflegenden Hand. Ihr schwollen strotzend die Brüste, Und es drängte die Milch hervor wie tauiger Sprudel. Schmeichelnd sprach da Hermes mit freundlicher Stimme zur jungen Frau, und göttliche Worte entströmten prophetisch dem 60 Munde:

»Nimm da, Weib, den jungen Sohn und birg ihn am Busen, Ist er doch Semeles Kind, deiner Schwester, das neben dem Lager Nicht der volle Glanz des Blitzes verbrannte; nicht konnten Muttervernichtende Funken der Donnerkeile ihn töten. Und der Kleine werde im Dunkel des Hauses behütet; 65 Nicht soll ihn gewahren im hochgewölbten Palaste Phaethon’bei Tage und nachts das Auge Selenes, Daß nicht Hera, und wird sie auch kuhäugig geheißen, Eifersüchtig erzürnt ihn sieht im Verstecke emporblühn. Nimm und empfange das Kind deiner Schwester; es wird 70 dir ein Zehrgeld Zeus dafür bescheren, das würdig deiner Bemühung. Selig wurdest du von allen Töchtern des Kadmos: Ist doch Semele schon vom Flammengeschosse bezwungen, Mit ihrem toten Sohne wird Erde Autonoe decken, Und der Kithairon mag beide in Einem Hügel begraben. 75 Das Gebirge durchrasend gewahre Agaue den schlimmen Tod des vernichteten Pentheus“,nachdem sie ein Trugbild bekämpfte.

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Kindermörderin wird sie und Ausgestoßne; doch du nur Wirst voll Stolz Bewohnerin sein des mächtigen Meeres, so Übersiedeln ins Haus Poseidons; als Göttin der Salzsee, Wie Galateia und Thetis, wird Wasser-Ino dein Name. Nicht in erdiger Höhlung wird der Kithairon dich bergen, Nein, du wirst ja eine der Nereiden. Statt Kadmos Wirst du in besserer Zukunft den Nereus Vater benennen, 85 Und Melikertes, dein Sohn, wird mit dir leben unsterblich. Als Leukothea führst du den Schlüssel der Stille des Meeres, Wirst nächst Aiolos’ sorgen für gute Reise: geruhsam Schifft im Vertrauen auf dich der handeltreibende Seemann, Richtet Einen Altar Poseidon und Melikertes, 90 Beiden zu opfern.Und um den Meereswagen zu lenken, Nimmt den Palaimon8 auf Poseidon, der bläulichgelockte.« Hermes sprachs und eilte unnahbar wieder zum Himmel, Wirbelnd durch die Luft die windbeflügelten Sohlen. Ino gehorchte dem Gott; sie nahm in zärtlicher Regung 95 Bakchos, den mutterlosen, in ihre pflegenden Arme; Und auf diesen erhob sie das Paar der Kinder und reichte Beiden die doppelte Brust,dem Dionysos und dem Palaimon. Und den Kleinen gab sie der jungen Dienerin Mystis9, Mystis, der schöngelockten Sidonierin, die noch als Mädchen loo Vater Kadmos einst als Zofe der Ino erzogen. Diese nun nahm den Bakchos vom götternährenden Busen Und verbarg ihn in dunklem Versteck, daß keiner ihn sähe. Aber als laute Verkündung, daß Zeus den Bakchos entbunden, Leuchtete licht sein Angesicht in strahlendem Glanze. los Schimmernd hellte sich auf das dunkle Gemäuer des Hauses; Und das Licht des verborgnen Dionysos scheuchte das Dunkel. Und die ganze Nacht saß Ino bei Bromios’ Spielen; Oft erhob Melikertes sich haltlos wankend und führte

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Seine saugenden Lippen zum nahen Busen der Mutter; Seitlich kroch er heran zu dem Evoe lallenden Bakchos. Nach der Herrin reichte dann Mystis dem Gotte die Brüste, Neben Lyaios saß sie mit schlafgemiedenen Augen; Und da lehrte die kluge, nach mystischen Künsten genannte Magd die festlichen Feiern des nächtig schwärmenden Gottes. Schlummerlose Weihe dem jungen Lyaios zu rüsten, Hob ja sie zuerst die Pauke dem Bakchos als Klapper, Schwang auch das Doppelerz der ringsumdröhnenden Cymbeln. Sie zuerst entflammte die Fackel des nächtigen Reigens, Ließ ihr Evoe schallen dem schlummergemiedenen Bakchos. Sie schnitt sich zuerst vom Zweig die gebogene Ranke Und umwand mit der Fessel der Rebe die offenen Locken. Sie umflocht den Thyrsos zuerst mit schattigem Efeu Und befestigte dran auf äußerster Spitze ein Eisen Unter dem Schutze der Blätter, damit sie Bakchos nicht ritze. Ihr Gedanke wars, mit eherner Schale die nackte Brust zu schmücken, die Lenden mit einem Rehfell zu gürten; Und die mystische Kiste10, die schwanger von heiliger Weihe, Lehrte sie als Spielwerk dem Bakchos, als er heranwuchs; Sie zuerst umschlang den Leib mit zusammengeflochtnen Natternriemen: ein Drache, zum doppelten Gürtel gewunden, Krümmte knotenschlingend sich rings als fesselnde Schlange.

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Aber den Wohlgeborgnen gewahrte unter des Hauses Siegel die schauende Hera mit unbeirrbaren Augen, Ihn, den im innern Palaste unmerkbar Mystis beschützte; Und sie schwor bei der Styx späträchend verborgenem 135 Wasser, Mit gar mancherlei Übel das Haus der Ino zu treffen. Und nun hätte sie wohl Zeus’ Sohn vernichtet; doch Hermes

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Griff ihn und bracht ihn zum Grat des kybelidischen Wald Hera eilte herbei mit schnellbeschwingten Sandalen 140 Unstet herab aus der Höhe, doch schneller war Hermes u hüllte Sich in die ew’ge Gestalt des erstentstandenen Phanes”; Und als Hera gewahrte den Urgezeugten, da wich sie Rückwärts und duckte sich vor dem Trugglanz seines Gesichtes Und bemerkte nicht die List des täuschenden Abbilds. 145 Leichten Fußes schritt er über den Grat des Gebirges; Um das gehörnte Kind hielt er die Arme geschlungen, Bracht es zur Mutter des Zeus, der löwennährenden Rheia11 Und zu der göttlichen Frau, der großen Gebärerin, sprach ei »Nimm den jungen Sohn deines Zeus, o Göttin. Mit Indern iso Wird er kämpfen und kommt nach irdischem Leben zum Himmel, Späterder zürnenden Hera zur Wonne; es ziemte sichgarnicht. Daß nur Ino einen von Zeus Entbundenen pflegte. Zeus ’ Erzeugerin nur sei Pflegemutter des Bakchos: Mutter Kronions sei sie und Amme zugleich seines Sohnes.« 155 Sprachs und eilte wieder zum Himmel, der hurtige Hermes, Und durchkreiste die Lüfte mit windbeflügeltem Fittich, Tauschte das höhere Bild des urentstandenen Phanes Und nahm wiederum an die frühre Gestaltung, nachdem er Nun den reifenden Bakchos der pflegenden Mutter gelassen. 160 Und die Göttin erzog ihn, und noch, so lang er ein Knabe, Machte sie ihn zum Lenker des wilden Löwengespannes. Flinke Korybanten18 im gottumhegenden Hofe Schlangen da um den Bakchos den kinderpflegenden Reigen, Ließen die Schwerter erklingen und schlugen in wechselndem Schwünge

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Wider ihre Schilde mit lautem, spielendem Eisen, So des Dionysos Jugend im Auferblühen zu bergen. Und der Knabe, im Ohr der Schilde behütendes Dröhnen, Wuchs in der Korybanten treuväterlicher Bewahrung, Hetzte jagend bereits im neunten Jahre die Tiere, Überholte im Lauf den Hasen mit schnelleren Füßen, War mit kindlicher Hand schon stark im Treiben der Rehe, Hob eine scheckige Hindin auf seinen Nacken und trug sie, Hielt gestreckt auf der Schulter auch einen wilden, gestreiften Tiger und hob ihn leicht und ohne ihn vorher zu fesseln. Junge Löwen packt’ er und zeigte sie Rheia, der Mutter, Fortgeraubt ganz klein von der Löwin nährenden Zitzen. Grausige Leuen schleppte er her lebendig und bot sie Seiner Mutter zur Gabe, sie an den Wagen zu schirren, Preßte die Tatzenpaare mit beiden Händen zusammen. Staunend mit fröhlichem Lachen gewahrte Rheia den starken Männermut und die Kämpfe des jüngst geborenen Bakchos; Und als der Vater Kronion den Iobakchos14als Lenker Grimmiger Löwen gewahrte, da lachte er fröhlichen Auges. Über seinen Leib zog einen wolligen Leibrock Euios15, eben frisch erblüht, ein kindlicher Jäger. Um die Schultern trug er das fleckige Fell1' eines Hirsches Wie ein ahmendes Abbild der glitzernd himmlischen Sterne. Zu den Hürden trieb er Luchse in Phrygiens Auen, Und seinen Wagen bespannte der Knabe mit fleckigen Pardeln, Gleich als wollte im Bilde er feiern die Wohnung des Vaters. Oftmals fuhr er dabei auf dem Wagen der ewigen Rheia; In der kleinen Linken, der zarten, den Bogen der Zügel, Lenkte er das Gespann der eilenden Löwen im Fluge. Und wie in ihm der Mut des erhabnen Kronion emporwuchs, Streckte er seine Rechte zum Maul einer wütenden Bärin Und tat furchtlos die Finger auf ihre schrecklichen Lefzen, Jugendliche Finger, und still stand schmeichelnd das Untier;

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Unterwürfig bot es das Maul dem Kinde Lyaios, Rauhe Küsse drückte es auf die Finger des Bakchos. 200 So wuchs dieser auf bei der höhenliebenden Rheia, Eben zum Jüngling erblüht, ein Bergkind. Rings um die Felsen Reihten sich Pane um den tanzenden Sohn derThyone17; Die umsprangen die Schroffen mit raschen, haarigen Schenkeln Und bejubelten laut den Bakchos. Und wie sie sich tanzend 205 Drehten, klapperten hell die Ziegenhufe beim Springen.

Semele aber im Himmel, noch immer vom Donner umwoben, Hob gar hochgemut den stolzen Nacken und sagte: »Hera, du wurdest geschädigt, denn Semeles Sohn ist der bessre: Zeus entband mein Kind und wurde Mutter statt meiner. 2io Er, der Vater, säte, gebar den Erzeugten aus eignem, Männlichem Mutterleib und zwang die Natur, sich zu wandeln. Bakchos ist starker als dein Ares; hatte doch diesen Zeus ja nur erzeugt und nicht aus dem Schenkel geboren. Theben verdunkelt den Ruhm Ortygias18: mußte doch heimlich 215 Die verfolgte Leto, die himmlische, Phoibos gebären. Leto gebar den Apollon und nicht sein Erzeuger Kronion. Maia gebar den Hermes und nicht entband ihn der Gatte, öffentlich ward mein Sohn vom Vater geboren. O Wunder, Schau den Dionysos, wie er deiner eigenen Mutter 220 Liegt im pflegenden Arm. Sie selbst, des ewigen Weltalls Schaffnerin, sie, der Götter urerster, zeugender Ursprung, Sie, die Mutter des Alls, ward Bromios’ Amme: dem Säugling Bakchos bot sie die Brust, dran Zeus, der Herrscher, gesogen. Welcher Kronide entband und welche Rheia ernährte

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Ares, deinen Sohn? Doch Kybele19, deine gepriesne Mutter, aus Einem Leib belebte sie Zeus und den Bakchos: Beide trug sie im Arm, den Sohn und seinen Erzeuger. Nicht mit Semeles Sohn soll vaterlos streiten Hephaistos, Den kein Erzeuger gesät, den Hera alleinig geschaffen, Und der nun hinkend schwankt auf schwachen Füßen, verratend, Daß er der Mutter allein und unvollendet entsprossen. Semele ist auch nicht der Maia ähnlich; denn deren Sohn Hermeias nahm listig Gestalt und Waffen des Ares, Bis er Hera getäuscht, die Milch ihrer Brüste zu saugen. Weichet mir! Semele nur erkieste zu ihrem Gemahle Einen, der seine Sippe zugleich gebar und erzeugte. Seligste wegen des Sohnes ist Semele, ohne zu trügen Wird mein Dionysos einst zum Chore der Sterne gelangen, Wird des Vaters Äther bewohnen, weil er so großer Göttin Milch empfing aus götternährendem Busen. Eigenkräftig wird er kommen zum Himmel, er braucht nicht Heras Milch, er hat ja bessere Brüste getrunken.«

Sprachs und blähte sich so auch noch im Äther. Doch zürnend Scheuchte Zeus’ Gemahlin die Ino fort in die Fremde. Unvorhergesehen betrat sie des Athamas Wohnung Voller Wut auf Bakchos, der noch als Knabe heranwuchs. Fort aus der Kammer entfloh die Unglücksehefrau Ino; Schuhlos übersprang ihr Fuß die rissigen Höhen, Und sie folgte der Spur des verlorengegangenen Bakchos. Schweifend rannte das Weib dahin von Höhe zu Höhe, Bis sie in die Schlucht des Delphischen Pytho gelangte. Sorgsam wich sie aus bei der drachennährenden Höhle, Wo sie Schreckliches sah. Vom nackten Busen herunter Riß sie ihr Gewand zum Herold ihrer Betrübnis2",

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255 Rasend vom Wahnsinn gepeitscht. Des sinnverworrenen Weibes Ungewohntes Geschrei vernahm der Hirt und erbebte. Oftmals wand sie die Schlange, die dreifach um des Orakels Dreifuß geringelt, sich selbst ins wilde, struppige Haupthaar, Schnürte sie alsdann um den Scheitel des Hauptes und zwängte 260 So ihr langes Haar in drachengebildete Fessel. Jungfrauen, die dort dienten, verfolgte sie. Damals war keine Spende, da brachte man keins der üblichen Opfer; beim Tempel Tanzte kein delphischer Mann. Des Efeus langes Geranke Geißelte gliederstriemend die Weiber in peitschender Windung. 265 Jäger entwichen beim Anblick der bergdurchrasenden Ino Und verließen die List der linnenen Netze. Die Ziegen Trieb der Ziegenhirt unter des Steilbergs bergende Schluchten, Und der greise Pflüger, der unter dem Joche erhitzte Rinder trieb, entsetzte sich über die Sprünge der Ino. 270 Meidend den fremden Schall der unterirdischen Stimme, Irrte Pythia durch die Berge, die kündende Jungfrau; Wild umflog ihr Haupt Panopeus’21 Lorbeergewinde, Und sie entwich auf die Gipfel in waldige Schluchten und hauste Dort in der delphischen Höhle aus Furcht vor der wütenden Ino. 275 Doch auf stürmender Flucht im Waldesdickicht entging sie Nicht dem Allblick Apollons, und nah zu ihrem Verstecke Eilte in Menschengestalt er schnell und voller Erbarmen Zu dem Weibe hin, und um den Scheitel der Ino Schlang er mit schonenden Händen die Zweige der wissenden Daphne82, 280 Senkte sie tief in Schlaf, und mit Ambrosia salbte Er die ganze Haut der schlummernden, traurigen Ino. Qualenlindernd benetzten die Tropfen die rasenden Glieder. Und eine Zeitlang blieb sie dort im parnassischen Walde.

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Bis in das vierte Jahr, und bei dem prophetischen Felsen Gründete sie die Chöre des noch unmündigen Bakchos 285 Nach Apollons Orakel. Und durch die Nächte mit Fackeln Eilten die Mänaden des Korykos”hin zu der Feiern Weihrauchduft und suchten mit heiligen Händen ein heilend Mittel, der Wut zu wehren, und heilten also die Ino.

Auf des Athamas Ruf enteilten die Diener und suchten Spürend überall. Auch Mägde durchschweiften die Berge, Wanderten hin und her auf vielgewundenen Pfaden, Um die wirre Spur der verlorenen Herrin zu finden, Die unerreichbar verirrt. Der klageseligen Weiber Trauernder Nagel zerfleischte die purpurgerötete Wange; Willig bekriegten die Finger wie Waffen die rosigen Brüste. Und die ganze Stadt durchgellte mit heulenden Klagen Jammernd der Palast, den Not und Trauer erfüllte; Und besonders ergriff der Gram die sinnige Mystis, Doppelten Schmerz empfindend um ihre irrende, arme, Mühsal duldende Ino und um den gestohlenen Bakchos.

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Athamas trauerte aber nicht lang um die arme Gemahlin, Sondern vergaß die Sehnsucht um seine verlorene Ino. Und nach Nepheles“Lager, die ihm zwei Kinder geboren, Stieg er zum üppigen Bett der gürtelschlanken Themisto26. 3os Als er in dritter Ehe die Tochter des Hypseus geehlicht, Schwand ihm die Liebe zu Ino. Und wie eine üppige Amme Spielt, so schwang in die Lüfte er hoch im Wirbel den jungen, Lallenden Melikertes, beschwichtigend seiner zu warten, Und als der Knabe weinend die Milch der Mutter begehrte, 310 Reichte die männliche Brust er ihm und stillte sein Sehnen.

Aus dem Ehebunde mit Athamas sproßten Themistos Wohlgewappnete Söhne, gewaltige Recken im Kampfe,

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Schoineus und Leukon29, so hieß der junge, mannhafte Nachwuchs, 315 Früchte der ersten Geburt. Zu beiden gebar noch die Mutter Wiederum zwei Söhne in einer einz’gen Gebarung: Brachte zur Welt und nährte am strotzenden Busen den Ptoios Und den Porphyreon, Blüte der feindbekämpfenden Jugend, Beide nachgeboren von gleichem Alter, die später 320 Ihre Mutter Themisto erschlug: sie wähnte, es wäre Doppelte Stiefgeburt der kindergesegneten Ino.

ZEHNTER GESANG

So zur Mörderin ward die kindertötende Mutter Voller Wahnsinn. Athamas aber, der Vater, zur klaren Buße, daß er Themisto, Verderberin seines Geschlechtes, In sein Haus genommen, begab sich, getrieben von wilder Geißel Pans, in die Mitte der Herden, und peitschte die schuldlos Friedlichen Scharen der wolligen Schafe, als wären es Sklaven. Und eine Ziege, als wäre sie seine verbundene Gattin, - Zwillings]unge hingen an ihren strotzenden Eutern Trug er von dannen, umschnürte ihr dann die zottigen Beine Doppelgefesselt; gelöst von der Hüfte den schlingenden Riemen, Geißelte er den Leib der falschen, gebundenen Ino; Und er bemerkte nicht den Trug, denn immer im Ohre Lag ihm des Kronossohns, des Pan1, lautschallende Geißel. Oft fuhr unstet er empor vom Sessel, und furchtsam Wähnten seine Ohren das Zischen von Drachen zu hören. Häufig spannt’ er den Bogen und zog den Pfeil mit der Sehne, Schoß ihn zu nichtigem Ziel in unverwundbare Lüfte. Schlangengestaltet erschien ihm ein Bild derTartarosgöttin; Angstvoll bebte er vor dem bunten Spuk der Erscheinung. Weißer Geifer entfloß ihm und ließ den Wahnsinn erkennen, Und wie trunken rollten die Augen drohend im Kreise. Während er spähend blickte umher in irrendem Drange, Wurden blutunterlaufen die Augen, und ihm an den Schläfen Pochte ruhelos hämmernd das zarte Geäder des Kopfes.

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25 Da ward ihm ein Drittel der Seele2 vernichtet; es wurden Irr von dem kranken Hirn die sonst gesunden Gedanken, Und es drehten getäuscht sich rings die rasenden Augen Des besessenen Mannes. Vom ungeschorenen Haupte Flatterte wild sein Haar, und wirr umflog es den Nacken. 30 Stammelnd bebte sein Mund, und in die Lüfte entsandten Seine Lippen Worte, ganz unverständlich und seltsam. Und die menschlichen Sorgen des Lebens waren dem Wehen Der Eumeniden gewichen; schwer brüllte die rasende Zunge. Er vermeinte zu schaun, daß um sein Antlitz im Kreise 35 Trügend sich drehte ein Abbild der unsichtbaren Megairaa. Athamas schüttelte sich, ganz wirr vom Wahnsinn gestachelt, Und aus der grausigen Hand der unvernünftigen Göttin Suchte er mit Gewalt die Natternpeitsche zu reißen. Und sein Schwert entblößte er wider die Stirn der Erinys, 40 Um das Natternhaar Tisiphones niederzuschneiden. Mit der nahen Wand begann er leere Gespräche, Denn sein betrogener Blick vermeinte in trügendem Abbild Artemis zu schaun; mit diesem Blendwerk im Auge Trieben in wilde Begier nach Jagd ihn feindliche Schemen. 45 Spät nach dem vierten Jahr gelangte die tränende Ino Wieder nach Hause zurück. Und als das Weib ihres Gatten Wahnsinn bemerkte und sah Themisto söhnegesegnet, Traf sie ein zwiefacher Schmerz. Ihr Gatte aber erkannte Nicht die so lang Geliebte, die wiedergefundene Ino; so Gierte der Schnelle doch nach Jagd und flüchtiger Hirschhatz. Auf die Höhen stürmte er fort mit beschwingten Sandalen, Hielt für ein Wild mit Geweihen den Sohn und spannte den Bogen Auf ihn gerichtet und sprang unnahbar wider Learchos4, Wähnte verblendet, es sei ein Hirsch mit hohen Geweihen, 55 Trügerisch wie ein Wild die Glieder gestaltet. Doch flüchtig

Wahnsinn des Athamas

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Rannte zitternd der Sohn dahin mit schnelleren Knieen. Ziehend mit wütenden Händen den Pfeil, den stürmisch beschwingten, Hemmte der Vater den Sohn mit kinderverderbendem Mordschuß, Schlug mit dem Messer ihm ab das Haupt, das gar nicht erkannte, Das ihm als Hirsch verwandelt erschien. Er packte am Rande 6o Seines blutigen Bartes das trügende Antlitz und lachte, Rings wie ein Wild es betastend, und lief in wütenden Sprüngen, Während der Sohn noch zuckte, der unbegrabne Learchos, Um nach der Mutter zu spüren, und rollte die Augen im Kreise. Keine der Mägde wagte sich ihm zu nähern, und irrend 65 Eilte er durchs Gemach, das siebenwinklige5; stürmisch Rief er nach seinem Sohn, den er selber getötet, und als er Eben ins Haus gebracht Melikertes, den jungen, gewahrte, Stellte er auf den Herd einen feuersiedenden Kessel, Warf dann mitten hinein den Sohn, und in flammendem 70 Brande Wallte der mordende Kessel empor mit den Dämpfen des Wassers.

Lallend schrie sein Sohn laut auf, und keine der Mägde Kam ihm zu Hilfe; doch schnell wie ein Sturmwind eilte die Mutter Her und riß ihn versengt und halbverbrannt aus dem Kessel. Irren Sprunges stürzte von dannen die eilende Ino. 75 Weil sie dann den Staub der Gefilde von Leukas durchmessen, Wurde Leukothea sie benannt. Hinweg vom Palaste Rannte mit tobenden Knieen der rasende Athamas vorwärts Und verfolgte umsonst durch die Berge die schnellere Ino. Als jedoch fortgescheucht der Gatte eilends sich nahte, so

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Unstet wandelnd und schwankend auf seinem Wege, da machte Halt die Ärmste, den Fuß schon naß vom wallenden Meere; Und um den heulenden Sohn entfuhr ihr in brüllendem Jammer Lauter Zorn auf Zeus und den Maiasohn, seinen Boten: »Blitzgott,schönen Lohn gabst du für die Pflege des Bakchos! Da, schau halbverbrannt meinen Knaben, den Freund des Lyaios. Willst du, so schmettere auch mit grausamem Blitze die Mutter Nieder samt ihrem Sohn, den ich am selbigen Busen Auferwachsen ließ mit deinem göttlichen Bakchos. Kind, ein großer Gott ist der Zwang. Wohin denn entfliehst du ? Welcher Berg verbirgt dich, der du zum Meere geflohen? Welcher Kithairon wird dich hüten in schattigen Höhlen? Welcher Sterbliche schützt dich, den selbst sein Vater nicht schonte ? Schwert oder Meer, was wählst du? Doch wenn die Not es gebietet, Wird man immer noch besser vom Meer als vom Messer bewältigt. Weiß ich doch, woher dies Leid deine Mutter befallen8; Weiß es, woher, denn Nephele hetzt die Erinyen auf mich, Daß ich sterbe im Meer, in das auch Helle hineinfiel. Hörte ich doch, daß luftig zum Lande der Kolcher getragen Phrixos, der irrende Lenker des raubenden Widders, im Ausland Fern noch immer lebe. 0 daß wie jener doch gleichfalls Auch mein Sohn Melikertes landflüchtig entrinne auf diesem Schwindelnd hohen Pfad des goldenwolligen Widders! Daß doch,wie früher Apollon, der Meergott nun deine Ino Voll Erbarmen errette, der freundliche Heger des Glaukos’! Fürchte ich doch: nach dem Tode des unbegrabnen Learchos Sehe ich unbeweint und grablos deinen zerstörten Leichnam, wie er zuckt am blutigen Messer des Vaters.

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Eile dich, zu entfliehn dem rasenden Athamas, daß du Nicht den Kindermörder erblickst als Vernichter der Mutter. 110 Nimm, o Meer, nun du mich auf nach dem Lande! O Nereus, Nimm mit gastlicher Hand nach Perseus8 nun auch Melikertes, Nimm auch Ino auf nach der Danae segelnder Arche! Strafe ward auch mir für Götterverachtung: Kronion’ Machte unfruchtbar auch unsere eigene Sippe, ns Wie ich unfruchtbar gemacht die nährende Scholle. Wollt ich als Stiefmutter doch des Athamas frühere Kinder Tödlich niedermähn, und wider mich wütet nun Hera, Die selbst Stiefmutter ward des neugeborenen Bakchos.« Sprachs und sprang hinab ins Meer mit zitternden Knieen, Stürzte kopfüber hinein mitsamt dem Sohne. Da nahm sie Als Leukothea10 breit in die Arme der Bläulichgelockte, Als Genossin der Götter in feuchter Tiefe; nun hilft sie Den verschlagenen Schillern. So wurde die Ino des Meeres Zur Nereide und Herrin der lautlos-ebenen Fluten.

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Diese nun zeigte der Herrscher Kronion der Mutter des Bakchos, Daß um des Bromios willen sie Göttin geworden. Voll Freude Rief sie der Schwester im Meer die spottendenWorte entgegen: »Ino, du hast das Meer, doch Semele waltet im Himmel. Weiche mir, denn den Zeus, der meine Sippe erzeugte, 130 Hab ich zum ewigenGatten, ihn, der statt meiner geboren Meines Leibes Frucht. Du wurdest dem irdischen Gatten Athamas anvermählt, der deine Sippe gemordet. Deinem Sohne ward das Meer; doch meiner im Äther Kommt in das hohe Haus des Zeus. Nicht will ich vergleichen 135 Meinen himmlischen Bakchos mit Melikertes im Meergrund.« So rief Semele laut, die Braut des Himmels, und schmähte Inos, ihrer Schwester, im Meere herrschendes Dasein.

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Blühend inzwischen erwuchs Dionysos über den Fluren Lydiens, schwang die Cymbeln der kybelidischen Rheia, Evoe rufend, erreichte gewollte Größe, und fliehend Vor der Mittagsgeißel des Helios droben am Himmel, Reinigte er den Leib im ruhig plätschernden Bade Des maionischen11 Stroms; und dem Lyaios zuliebe Rauschte Paktolos laut und goß goldsäendes Wasser An den purpurnen Strand, wo in der Tiefe Metalle Köstlich und reich gelagert,umkreist von goldenen Fischen. Satyrn hoben im Spiel hoch in die Lüfte die Sohlen, Stürzten sich kopfüber hinab in die Fluten des Flusses. Einer von ihnen schwamm gestreckt mit rudernden Händen Vorwärts im Wasser dahin, und mit dem Rückstoß der Füße Furchte eine Spur er spaltend im reichen Gewässer. Einer tauchte hinab in die Tiefen der Grotten am Grunde, Trieb dort seltsame Jagd auf Flossenfüßler und streckte, Ohne daß sie es sahn, die Hand nach schwimmenden Fischen. Dann verließ er die Tiefe und reichte die Fische dem Bakchos, Die wie Gold bepurpurt vom Schlamm des gewaltigen Stromes. Eng aneinandergepreßt der Beine Schenkel und Füße Sprang, einen Satyr zu necken, Silen12, der schweifende, köpflings Vorgebeugt hinab ins Wasser und wälzte sich vorwärts Nach dem Sprung in die Tiefe; da blieb im Schlamme sein Haupthaar Haften, er steckte die Füße hinein in des lehmigen Bodens Schimmer, als wolle er schürfen den Kieselsegen des Stromes. Und in die Lüfte erhob aus der Strömung den Nacken ein andrer, Unbenetzt vom Wasser die Schultern; er tauchte die Hüften Strandnah unerschüttert. Es streckte ein andrer die freien Ohren, mit flimmerndem Naß die zottigen Schenkel benetzend, Während sein Satyrschwanz geringelt die Wasserflut peitschte.

Bakchos' Liebe zu rfmpelos

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Vorgestreckt die Brust, mit erhobenem Haupte und rudernd Mit den Händen durchfurchte der Gott den goldenen Spiegel. 170 Wogenfreiem Gestade entblühten Rosen von selber, Lilien sproßten empor, und die Horen kränzten die Ufer Wegen des badenden Bakchos; und von der blendenden Strömung Ward das offne Gelock des bläulichen Haares gerötet.

Einmal auf der Jagd in den Schlünden des schattigen Waldes Ward er von ros ’ger Gestalt gleichaltrigen Jünglings bezaubert. Denn auf den phrygischen Höhen war damals als spielender Knabe Ampelos18 aufgesprossen, das neue Reis der Eroten; Noch nicht zeigte sich zart ein Flaum am rötlichen Kinne Und dem unbehaarten Bezirk der schneeigen Wangen, Goldne Blüte der Jugend. Der rückwärts wallenden Haare Ringellocken rannen herab auf silberne Schultern Ungeflochten, und flatternd im hellen Sausen des Windes Hob sie ein jeder Hauch; und flogen die Haare beiseite, Sah man oben hell entblößt die Mitte des Nackens. Schattenlos strahlte von ihm ein Leuchten, als schimmerte glänzend Mitten aus einem Spalt einer feuchten Wolke Selene. Honigatmend floß von dem rosigen Munde die Stimme. Aus den Gliedern erglänzte ein ganzer Frühling; vom Schritte Seiner silbernen Füße ward rot von Rosen die Wiese. Wenn er das strahlende Rund der großen, leuchtenden Augen Schweifen ließ im Kreis, erglänzte die ganze Selene. Zum Gefährten nahm Dionysos diesen und fragte In der Lust des Spiels, ob seiner Schönheit verwundert, Sterblich scheinend — schlau verbarg er sein göttliches Wesen: »Welcher Vater erzeugte, welch himmlische Mutter gebar dich ?

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Zehnter Gesang

Welche Charitin entband dich, welch schöner Apollon erschuf dich ? Künde es, Freund, verbirg nicht deine Herkunft; und kommst du Köcher- und pfeillos ein zweiter, doch ungeflügelter Eros, Sag, welch Seliger dich mit Aphrodite erzeugte. Nein, ich bange, Kypris als deine Mutter zu künden, Daß ich nicht Ares oder Hephaistos Erzeuger benenne. Kamst du aber vom Äther als Hermes, wie sie ihn nennen, Zeig mir die leichten Flügel, beseelter Sohlen Sandalen! Wie doch ungeschnitten hängt dir das Haar auf den Nacken. Bist du am Ende nicht gar, doch ohne Leier und Bogen, Phoibos, der schnittverschontudas offne Lockenhaar schüttelt? Wenn mich Zeus gezeugt und dich von irdischer Herkunft Nur kurzlebig Blut rindshörniger Satyrn durchsickert, Herrsche gleich mir, dem Gott, als Sterblicher; nimmer beschämen Wird dein olympischer Wuchs das himmlische Blut des Lyaios. Aber was nenne ich dich von irdisch vergänglicher Sippe, Ich erkenne dein Blut, auch wenn du dich mühst, es zu bergen: Denn bei Helios ruhend hat dich Selene geboren. Völlig gleichst du ja dem schönen Narkissos15: ätherisch Ist auch deine Gestalt, ein Bild der gehörnten Selene.«

Also sprach er. Es freute der Knabe sich über die Rede, Stolz, weil er die Schönheit gleichaltriger Jugend noch heller An Gestalt überstrahlte. Und fügte der Bube im dunkeln 220 Bergversteck ein Lied, so hörte es Bakchos voll Freuden. War der Jüngling fort, ward trüb sein lächelndes Antlitz. Schlug ein Satyr beim Mahl des tänzeliebenden Tisches Mit den Händen die Pauken und schmetterte rasselnde Weise, Und der Jüngling war fort, um Jagd auf Hirsche zu treiben,

Jjakchos’ hiebe zu Ampelos

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Wies er ab den Klang, so lang der Knabe nicht da war. Und als dieser einst am blumigen Strom des Paktolos Länger verzog, damit er für die Mahlzeit das Wasser Hole und seinem Gebieter dadurch noch lieber erscheine, Wurde Bakchos von Gram gepeitscht um den säumigen Knaben. Hob er die freche Flöte,das Spielwerk der lybischen Echo, Blies die Wangen auf und entlockte ihr leise ein Klingen, O,dann wähnte Bakchos, es sei der mygdonische Spieler'8, Sohn des weisen Hyagnis, der unglückselig gestritten Mit Apollon im Spiel auf der Doppelflöte Athenes. Wenn der Jüngling saß an Einem Tische mit Bakchos, Lauschte mit frohem Ohr der Gott den Worten des Knaben, Doch wenn dieser schwieg, so bleichte Trauer sein Antlitz. Wenn dahingetrieben von Lustbegierde zum Springen Ampelos wirbelnd kreiste im Tanz der schwingenden Füße, Mit einem Satyr spielend die Hand im Reigen vereinte Und mit rasendem Wechsel der Füße eilend dahinglitt, Ward bei dem Anblick Bakchos von neidischem Kummer geschüttelt. Wenn er mit Satyrn verkehrte und wenn er mit Altersgenossen Sich zusammentat, um Jagd und Weidwerk zu pflegen, Wollte ihn eifersüchtig Dionysos hemmen, damit nicht Einer getroffen würde von gleichbetörendem Pfeile, Ganz von Liebe geknechtet, und dann den Leichtfuß verführe Und dem Lyaios gar den reizenden Jungen entfremde Und als frischer Knabe den Altersgenossen ergötze. Wenn er den Thyrsos geworfen auf eine wütige Bärin Oder den wuchtigen Narthex auf eine Löwin geschleudert, Dann hob Bakchos gen Westen die Augen, die Lüfte durchspähend, Ob des Zephyrs Hauch nicht wieder tödlich sich nahe, Wie der bittere Wind einst jenen Knaben getötet,

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Zehnter Gesang

255 Als er auf Hyakinthos den fliegenden Diskos geblasen Furcht befiel ihn, es möchte Kronion mit liebendem Fittich Wie ein Erotenvogel unnahbar über dem Tmolos18 Plötzlich erscheinen und hoch in die Lüfte den Knaben mit zarten Fängen entführen wie einst den troischen Jüngling” als Mundschenk; 260 Auch vor der Liebeswut des Meerbeherrschers erbebt’ er, Daß nicht wie einst den Tantalossohn20 auf dem goldenen Wagen Nun im Flügelgefährt zu luftdurcheilender Reise Tollverliebt der Erschüttrer der Erde den Ampelos raube. Süßer Traum erschien ihm auf träumeerzeugendem Lager: 265 Freundlich plauderte er mit dem täuschenden Gaukel des J ünglings Und erblickte wie Schatten das Trugbild seiner Erscheinung. War auch mißgeformt so manches am lieblichen Antlitz, So erschien es erst recht voll Reiz dem sehnenden Bakchos, Lieber noch als des Jünglings gesamter Körper. Und hing ihm 27o Schlaff an der Hüfte geringelt des Schwanzes übliche Steilheit21, O, so war dem Bakchos das noch viel süßer als Honig; Und die schmutzigen Flechten despflegeentbehrendenHauptes Freuten ganz besonders das Auge des rasend Verliebten. Tags ergötzte er sich an gemeinsamer Wandrung, und traurig 275 Sank ihm immer die Nacht, da ihm nicht länger des Knaben So gewohnte Stimme bezaubernd im Ohre ertönte, Wenn er schlief in der Grotte der kindergewaltigen Rheia. Einer der Satyrn sah ihn, von göttlichen Formen bezaubert, Und es entfuhr ihm leise der heimlich liebende Ausruf: 280 »Herrin des Menschenherzens, du freundschaftsfördernde Peitho22,

Bakchos’ Liebe zu jlmpelos

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Einzig allein sei mir dieser liebliche Jüngling gewogen! Hätt ich wie Bakchos ihn zum Spielgefährten, dann wollt ich Nicht denÄther wählen zur Wohnung, wollte kein Gott mehr Sein, auch Helios nicht, die Leuchte der Menschen, begehre Auch Ambrosia nicht noch Nektar, mich sollt es nicht kümmern, Ob Kronion mich haßt, wenn mich nurAmpelos liebe.«

Also ließ er tönen, im Herzen von Liebe vergiftet, Das verborgene Wort mit eifersüchtiger Stimme, Von Bewunderung und Verlangen bezaubert; doch rief auch Euios in der süßen Begehr nach der Neigung des Jünglings Lächelnd zum Kroniden, dem heftigverliebten Erzeuger: »Nicke, phrygischer Zeus, mir Liebendem einzige Gnade! Als ich noch Kind war, sagte mir Rheia, die noch meine Amme, Daß du einst Zagreus dem früheren Bakchos, den Blitzstrahl Schenktest, als er noch lallte, die feurigleuchtende Lanze Und das Krachen des Donners,den Regenguß aus der Höhe; Und so ward er als Kind schon ein zweiter Regenkronion. Deines Wetterstrahls ätherisches Feuer behalte! Nicht begehr ich die Wolken, nicht rollenden Donner. Doch willst du, Gib dem feurigen Gott Hephaistos den Funken des Donners; Ares mag sich hüllen in deine Wolken als Panzer. Gib Hermaon die Gunst des zeusentströmenden Regens, Und den Blitz des Erzeugers mag auch Apollon erheben. Liebster, Geringeres wünscht dein reigenliebender Bakchos. 0, das wär mir was Schönes, der Semele billiger Blitzstrahl! Unergötzlich sind mir die muttertötenden Funken. Ich bewohne Maionien; was soll dem Bakchos der Äther! Meines Satyrs Schönheit ist lieber mir als der Olympos.

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Zehnter Gesang

Sprich, mein Vater, verhehl es nicht, dein Mundschenk sei Zeuge: 310 Wenn du als Adler den Buben am Fuß des teukrischen Ida Einst zum Himmel gehoben mit zarten, raubenden Fängen, War der Rinderhirt, den du noch duftend nach Kuhstall Zu der ätherischen Tafel gesellt, sag, war er so schön wohl! ? Vater Zeus, hab Mitleid, du flügelbreitender, nenne 315 Mir den Weinschenk nicht, den Becherdiener aus Troja, Weil mit hellerem Glanze in seinem Antlitz der schöne Ampelos die Gestalt des Ganymedes verdunkelt. Der vom Tmolosberg ist besser als jener vom Ida. Viele liebliche Scharen von Knaben gibt es; sie alle 320 Liebe, wenn du willst, doch laß dem Lyaios den Einen.« Also sprach er, geschüttelt vom Stachel seines Begehrens. Nicht so ward Apollon24, als in Magnesias dichtem Walde er die Herden des hehren Admetos geweidet, Von dem süßen Stachel des herrlichen Knaben getroffen, 225 Wie sich der spielende Bakchos an jenem Jüngling ergötzte. Beide gingen und scherzten zusammen in ihren Bezirken, Schleuderten bald in die Lüfte hinauf den irrenden Thyrsos, Schlenderten längs dem Strand, dem schattenlosen, und zogen Auch in die Felsen, zu fangen die Jungen der Löwin im Bergwald. 330 Einmal allein gelassen am Rande des einsamen Ufers, Im vereinten Spiel auf dem Kieselsande des Stromes Stritten um die Wette aus Scherz sie beide im Ringkampf. Keinen Dreifuß hatten sie dort zum Preise, dem Sieger Galt kein blumiger Kessel und keine weidenden Pferde, 335 Sondern die Doppelflöte der liederfreuten Eroten. Lieblich war der Wettstreit der beiden Knaben; inmitten Stand der gierige Eros geflügelt als richtender Hermes25, Aus Hyazinthen und aus Narzissen den Liebeskranz windend.

Wettkämpfe

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In die Mitte traten sie beide als Kämpfer des Eros, Um den Rücken flochten sie ihre Arme wie Kränze, Und umschnürten die Hüften sich mit der Fessel der Fäuste; Eng aneinandergepreßt, gespannt die Muskeln der Arme, Suchten sie in die Höhe den Leib vom Boden zu lüpfen Immer mit wechselndem Griff. Da wähnte sich Bakchos im Himmel Wegen der Honigsüße des Ringkampfs; köstlich und doppelt Fühlte er süßen Genuß: gehoben werdend und hebend. Ampelos mit seiner Hand umschlang des Bromios Hände, Preßte wie doppelte Knoten die enggeeinigten Fäuste, Drückte zusammengefügt die Finger mit zwiefacher Fessel Und umschnürte die Rechte des willigergebenen Bakchos. Aber Bakchos schlang nun um die Hüften des Jünglings Seine Arme, und pressend den Leib in toller Begierde, Hob er Ampelos hoch. Da stieß dem Bromios dieser Hinten in die Knie; nun glitt mit zärtlichem Lachen, Von dem zarten Fuß des Altersgenossen gestoßen, Euios hintenüber und wälzte sich selber im Staube, Und dem willigen Bakchos, der dort zur Erde gesunken, Setzte nun auf den nackten Leib sich rittlings der Knabe. Hingegossen rollte sich jener lustig am Boden, Hob mit dem Unterleib die süße Bürde; er stemmte Auf den Sand die Sohlen der bodentretenden Füße Und erhob aufs neu den gesunkenen Rücken. Nur schonend Zeigte er seine Kraft, und mit zögerndem Schwünge der Hände Schüttelte nieder er die liebe Bürde zur Erde. Aber die Seiten gekrümmt, die Ellenbogen am Boden, Schnellte der rasche Knabe sich auf den Rücken des Gegners, Packte ihn um die Brust und schlang die eigenen Beine, Knöchel an Knöchel gefügt, rings um Dionysos’Weichen Und umstrickte den Leib in der Mitte mit doppelter Fessel. Er umpreßte die Rippen und flocht die gradegestreckte

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Herrlicher an Gestalt und rosig hätt er das helle Glanzgesicht beschämt des Kephaloss0und des Orion. Deo hätte dann nicht mit früchtespendenden Armen lasion31 liebend umarmt, und den Endymion hätte Nicht Selene umfangen; leicht hätte der schönere Jüngling Sich als einziger Gatte vermählt mit den Göttinnen beiden, Hätte die saatenreiche, die blonde Deo geehlicht Und als Lagergenossin die eifersüchtige Mene. So war der schöne Freund des Kalamos, Blüte der Liebe, Prangend in Schönheit; es spielten die beiden Altersgenossen Oben am Ufer des nahen, sich vielfach windenden Stromes. Doppelt hin und her war ihre Rennbahn; sie rannten Um die Wette; und Kalamos lief so schnell wie der Sturm­ wind, Gab eine Ulme als Auslauf und eine Fichte als Wendpunkt Und durchquerte das Ufer von einem Ende zum andern, Und absichtlich stürzte der hurtige Kalamos nieder; Willig überließ er den Sieg dem reizenden Karpos. Badete sich der Bube, so badete Kalamos mit ihm, Und sie erneuerten dann im Wasser den eilendenWettkampf. Aber er schwamm nicht schnell im Strom und ließ es dem Karpos, Ihm zuvorzukommen; die Flut mit den Händen zerteilend, Wollte er fersennah als zweiter dem schwimmenden Karpos Folgen und frei den Rücken des Jünglings vor sich erspähen. (Und von der feuchten Schranke begann das Rennen; es strebten “ Beide, wer wohl den andern besiege, wenn sie von beiden Ufern hin und her sich zweimal wandten und schwammen Und das Land gegenüber mit rudernden Händen erreichten. Durch die Strömung eilte ihr Weg, und immer dem Freunde

Tod des Ampelos

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Nah, bezähmte Kalamos doch die eilenden Hände Und bespähte vor sich die rosigen Finger des Karpos.) Aber als Kalamos dennoch zuvorgekommen, da hielt er An sich und wich dem Jüngling. Nun stürmte mit rudernden 420 Händen Dieser vorüber, den Nacken gestreckt aus den schwellenden Wogen. Und nun wäre Karpos ans Ufer den Fluten entstiegen, Hätte den Wassersieg nach seinem Landsieg erstritten. Aber da stieß ein feindlicher Wind ihn wiederum rückwärts, Tötete mitleidlos den holden Knaben: denn endlos 425 Schoß das Wasser ihm in seine geöffnete Kehle. Kalamos flüchtete sich vor den Stößen des neidischen Windes Und erreichte dann ohne den Jüngling das nahe Gestade. Als er bemerkte, daß dieser nicht rief und nirgends zu sehen, Schrie er voll Sehnsucht auf und rief mit klagender Stimme: 430 ,0 Najadenverkünder, welch Wind entführte den Karpos? Ja, ich flehe, erweist mir den letzten Gefallen und fliehet Zu einem andern Strom aus des Vaters tötendem Wasser, Daß ihr die Flut nicht trinkt, die meinen Karpos ermordet. Doch mein Zeuger hat nicht den Knaben getötet: ein 435 Sturmwind Tat es aus Neid auf mich wie einst auf Phoibos Apollon; Und begehrlich traf ihn sein eifersüchtiges Wehen. Statt einen Diskos warf er dem Knaben sein Brausen entgegen. Noch nicht tauchte mein Stern gebadet empor aus den Fluten, Noch nicht leuchtete mein Heosphoros38. Da in den Wogen 440 Karpos untergetaucht, was lohnt mir der Anblick des Lichtes ? Kündet,Najaden,wer verlöschte den Glanz des Geliebten? 442 Knabe, was zögerst du noch ? Warum gefällt dir das Wasser ? 446 Fandest du dort einen besseren Freund, und bei ihm zu bleiben, Schlugst du nun in den Wind des armen Kalamos Liebe ? Wenn eine Nymphe dich aus zehrender Sehnsucht entführte,

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Elfter Gesang

450 Sag es, und wider alle will ich mich rüsten; doch freist du Meine Schwester“ und freut dich das Hochzeitslied der Eroten, Sags, und ich will in den Wellen dir dann dein Brautbett errichten. Karpos, du schiffst mir vorüber, vergißt das gewohnte Gestade' Müde schon bin ich vom Rufen, du aber hörst nicht mein Schreien. 455 Blies dich der freche Ost, der Süd, dann soll er sich tanzlos Fortverirren, der wilde, der frevelnde Mörder der Liebe. Wenn dich Boreas zwang, so geh ich zu Oreithyia“. Wenn dich die Woge verhüllte und deine Schönheit nicht scheute Und mein Vater dich fing mit grausam reißenden Wogen, 460 Nehm er auch seinen Sohn ins menschenmordende Wasser, Decke auch Kalamos zu, nachdem er Karpos getötet. Köpflings stürz ich dorthin, wo der irrende Karpos gestorben, Daß ich die Liebesglut mit dem Trank aus dem Acheron M lösche. ’ Sprachs, und es stürzten Tränen aus seinen Augen; er schnitt sich 465 Wegen des Toten sein dunkles Gelock mit schmerzlichem Eisen, Wohlgepflegt und gewachsen, und streckte sein trauerndes Haupthaar Seinem Erzeuger Maiandros mit letzten Worten entgegen: ,Nimm nach meinen Locken auch meinen Körper. Ich kann nicht Ohne Karpos sein, nicht einen einzigen Tag lang. 470 Karpos und Kalamos haben ein einzig Leben, und beide Waren vom gleichen Stachel des Eros auf Erden getroffen: Drum vereine auch beide ein einziger Tod in den Fluten. Rüstet, ihr Najaden, zuhöchst am Ufer des Stromes

Die Horen bei Helios

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Ein gemeinsam Grab uns beiden; mit trauernden Lettern Sei dann dieser Vers auf unserem Grabe geschrieben: Karpos’und Kalamos’Grab bin ich, die beide vorzeiten Hier in Liebe vereint das grausame Wasser getötet. Schneidet für Kalamos, euern unglücklich liebenden Bruder, Nun er gestorben, nur ein wenig nieder vom Haupthaar, Doch für den toten Karpos schert ab die Fülle der Locken! ’ Also sprach er, und wild sich niederwerfend ins Wasser, Trank er des weigernden Vaters den Sohn ermordende Wellen. Kalamos schenkte dem Schilf nach seinem Namen benannte Ähnliche Art, und Karpos wuchs später als Frucht auf der Erde.«

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Also suchte sanft und freundlich den Bakchos zu trösten Eros, der stürmische Gott, um seine Qualen zu lindern. Aber nur bitterer peitschte er seinen Jammer, und schwerer Grämte den Bakchos des Knaben so frühes Ende.-Die 485 Horen”, Töchter des schnellen Erzeugers, des unbeständigen Jahres, Senkten in Helios’ Haus ihr rosenleuchtendes Antlitz. Eine von ihnen, ihr schneeig Gesicht beschattend mit flnsterm Schwarzem Wolkenglanz, dem feiner Schimmer entströmte, Festigte Hagelsandalen sich unter die eisigen Sohlen, 490 Schnürte ums feuchte Haupt sich fest die Fesseln der Haare Und umband die Stirn mit regenerzeugendem Schleier, Der nun fahl ihr Haupt umschmiegte; und sie bedeckte Ihres Busens Reif mit schneeig weißer Umgürtung. Und die zweite entsandte des Schwalbenwindes gelindes, 495 Menschenerfreuendes Wehn; des zephyrliebenden Hauptes Frühlingshaar umschlang sie dann mit tauiger Binde; Blumenhaft lachend ließ sie ihre Gewänder durchfächeln

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Elfter Gesang

Von dem weit sich breitenden Duft geöffneter Rosen; 5oo Doppelt sang sie ihr Lied: für Adonis und für Kythereia. Und zum Erntefest schritt mit den Schwestern die dritte de, Horen, Hob eine zitternde Ähre mit stachelhaarigen Spitzen In der Rechten empor, dazu eine schneidende Sichel, Diese Botin der Ernte. Den Leib umhüllte die Jungfrau 505 Sich mit weißem Linnen, und wenn sie im Tanze sich drehte, Leuchtete durch das dünne Gewand der Schenkel Geheimnis. Ihres Angesichts von feuchten Tropfen bedeckte Wangen wurden genetzt von einer heißeren Sonne. Und die vierte, die Herrin des regelsicheren Reigens, 5io Wand um die schüttere Schläfe sich einen Zweig der Olive, Feucht von den Wassern des Nils, des siebenmündigen Stromes. Dünn hing ihr das Haar und dürftig über die Schläfen, Und ihr Leib war dürr. Sie schor als Höre des Herbstes Nieder das Haar der Bäume mit laubvergießenden Winden. 515 Flossen doch noch nicht mit verschlungnen Spitzen der goldnen Ranken die Trauben der Rebe hinab auf den Nacken der Jungfrau. Noch nicht machte als lauterer Wein aus triefender Kelter Trunken sie der Saft maronisch purpurnen Nasses, Noch nicht sproßte empor der irrend sich windende Efeu. 52o Aber damals nahte die Schicksalsstunde. Es eilten Ihr zu Liebe die Horen hinab zu Helios’ Hause.

ZWÖLFTER GESANG

Also bei den Brauen des Westokeanos schifften Diese zu dem Palast des Helios, ihres Erzeugers. Hesperos, der Stern, sprang gleich, sobald sie sich nahten, Ihnen aus dem Gemach entgegen. Und stürmisch im Fluge Stieg Selene empor auf rindergezogenem Wagen. 5 Und die Horen beim Anblick des lebenspendenden Lenkers Scharten sich rings um ihn; und er nach vollendetem Bogen Kehrte heim aus den Lüften. Des feueräugigen Lenkers Glühendheißes Joch und auch die sternige Geißel Legte vom Viergespann der leuchtende Phosphoros seitlich, 10 Und er reinigte dann in des nahen Okeanos Fluten Den noch schweißenden Leib der feuergefütterten Pferde. Schüttelnd die feuchten Mähnen am Nacken stampften die jungen Rosse mit flimmernden Hufen der glänzenden Krippe entgegen. Und die Töchter des Chronos, die rings den flammenden is Thronsitz Des unermüdlichen Lenkers in fliegendem Tanze umkränzen, Helios’Dienerinnen, die zwölf umkreisenden Horen, Nahten zum Gruß den vier dem funkelnden Wagen gesellten Wechselnden Priesterinnen des J ahres: sie beugten den Nacken Dienend dem urgezeugten, allewigen Lenker des Weltalls'. 20 Und da sprach zu ihm die traubenpflegende Höre Mit der Sichel des Herbstes als Zeugin der Bitte in Händen:

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Zwölfter Gesang

»Helios, Nahrungspender, du Pflanzenpfleger und Fruchtherr, Wann entsproßt dem Weinberg die weinerzeugende Traube ? 25 Welchem der seligen Götter bestimmte Aion’dies Vorrecht? Ja, ich flehe dich, birg es mir nicht, denn einzig von allen Schwestern bin gabenlos nur ich, denn weder die Ernte Laß ich entstehen, noch Ähren, noch Gras und den Regen Kronions.« Sprachs. Da redete ihr, der Pflegerin künftiger Lese, 30 Helios tröstend zu und wies auf die Wand gegenüber Mit dem Finger und zeigte Harmonias doppelte Tafeln Dort dem kreisenden Mädchen: denn da ja liegen in Einem Alle Göttersprüche, die als das Schicksal des Weltalls Die verkündende Hand des ewigen Phanes3 geschrieben 35 Und das richtige Haus zu jeder der Tafeln gezeichnet4.

Und dann sagte zu ihr Hyperion, der Feuergebieter: »Schau auf der dritten Tafel, von wannen die Lese des Weines Kommen wird, dort, wo Löwe und Jungfrau, und auf der vierten, Wer der Szepterträger der Traube, wo Ganymedes 40 Hebt mit gemalter Hand den süßen Nektar im Becher.«

Als der Gott geendet, da wandte mit suchenden Blicken Sich zur kündenden Wand die rebenliebende Jungfrau, Schaute die erste Tafel gleichalt mit dem ewigen Weltall, Die da alles in Einem enthielt, was Herrscher Ophion3 45 Schuf, was Kronos’, der Greis, vollzogen, als er des Vaters Männlichen Pflug gemäht und mit ihm das Wasser geschwängert Und mit Samen besäte des tochtergebärenden Meeres Unbesamten Rücken, der einst im klaffenden Schlunde Schlang den steinernen Sohn, den täuschend falschen Kronion.

Astrologische Voraussage des Weins

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Und der Stein entband den Stamm der im Bauche versteckten 50 Kinder und brach heraus die Frucht des schwangeren Schlundes. Als da die schnelle Höre, des Helios dienende Jungfrau, Sah den kämpfenden Zeus im feuerleuchtenden Siege Und das Grausen des Krieges in Kronos’ Hagelgestöber, Schaute die nächste Tafel sie an; und diese erzählte, 55 Wie das Menschengeschlecht aus der Fichte7 entbunden und plötzlich Fruchtbar dieser Baum sich in Entbindung entfaltet Und einen Sohn gebar, der samenlos selber vollendet; Wie da alle Städte der regnende Zeus überschwemmte Und aus den tiefsten Tiefen das Wasser steigend emporhob; eo Wie der Süd und der Nord, der geißelnde Ost und der Westwind Nah zum Monde hoben Deukalions irrende Arche, Luftdurchstreichend und ohne den Platz zum Ankern zu finden. Als nun zur dritten Tafel mit raschen Schritten des Jahres Heilige Dienerin eilte, da blieb sie stehen und schaute 65 Viele schicksalsbestimmte und tiefe Orakel des Weltalls, Purpurne Lettern dort geritzt mit künstlichem Rötel, Alle die ein uraltes und sagenbewandertes Wissen Weissagend eingeritzt, und auf der Tafel nun las sie: »Argos8, Heras Hirt, wird einst zum Vogel verwandelt 70 Mit einem mannigfachen Gebilde glänzender Augen. Harpalyke“, die nach sündiger Ehe den eignen Sohn dem Erzeuger geschlachtet, der seine Tochter geehlicht, Wird in geflügelter Wandrung die luftigen Höhen durchrudern Als ein stürmischer Vogel. Die webende Maid Philomele10, 75 Die in ihr kündend Gewand die künstlichen Laute geschrieben, Wird mit buntem Hals zur leise zwitschernden Schwalbe, Die ein Zeugnis ruft des zungenlosen Verstummens.

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Zwölfter Gesang

Niobe11 wird als Fels beseelt an des Sipylos Fuße ao Dort, mit steinernen Tränen die Schar ihrer Kinder beklagend, Mitleiderregend stehn und hat als Nachbarn zur Seite Pyrrhos11, den rasend Verliebten, den phrygischen Felsen, der immer Frevelhaft noch Rheia ersehnt und unmögliche Hochzeit. Thisbe13 wird feuchtes Wasser mit Pyramos, ihrem Genossen, 85 Beide in Sehnsucht vereint. Und Milax, das Mädchen im schönen Kranze begehrend, wird Krokos11 zur lieblichen Blüte der Liebe. Und nach dem Hochzeitslauf und stürmisch schneller Vermählung Und nach Paphias Äpfeln wird Artemis in eine Löwin Atalante16 verwandeln und wird sie scheuchend vertreiben.«

9o An dem allen zusammen schritt rasch die Höre vorüber, Bis sie zur Stelle kam, wo der feurige Gott Hyperion Die prophezeienden Zeichen dem eilenden Mädchen gewiesen, Wo das strahlende Bild des Löwen gezeichnet und wo auch Täuschend die Gestalt der verstirnten Jungfrau gemalt war, 95 Eine Traube in Händen, die Sommerblüte der Ernte; Dort blieb stehen die Tochter des Chronos, und folgendes las sie: »Kissos, ein lieblicher Jüngling, wird luftwärts klettern am Baume; Efeu wird er, gekrümmt schon in den Trieben. Der Jüngling Kalamos wird zum schlanken Rohr, von den Lüften geschaukelt, loo Als ein zartes Reis der pflanzentreibenden Erde, Edle Reben zu stützen. In eine Pflanze verwandelt, Spendet Ampelos dann den Früchten der Rebe den Namen.«

Bakchos’ Trauer um Ampelos

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Aber als dies Orakel das Erntemädchen gelesen, Suchte sie jenen Platz, wo an der Wand gegenüber Ganymedes’ Bild in täuschendem Umriß gezeichnet, 105 Wie er in goldene Becher den feuchten Nektar verschenkte, Und wo eingegraben die Worte der vierten Verkündung. Jubelnd sah es die Göttin, die traubenfrohe, sie fand ja Folgende Sprüche bewahrt für den Efeuträger Lyaios: »Dem Apollon hat Zeus gewährt den kündenden Lorbeer 110 Und die purpurne Rose der rosigen Göttin von Kypros, Bläulichen Zweig der Olive der blaugeäugten Athene Und der Demeter die Ähren, die edle Rebe dem Bakchos.« Solches sah auf den Tafeln die evoeliebende Jungfrau. Freudig stürmte sie fort, ergriff die Hände der Schwestern Und enteilte sodann zu Okeanos’ östlicher Strömung, Stets dem Sonnenwagen zur Seite laufend”.-Lyaios Fand nicht heilenden Trost für den toten Gefährten; des Tanzes Dachte er nun nicht mehr; von liebender Sehnsucht gepeinigt, Tönte er bittere Klage, und unbeachtet verstummen Ließ er den ehernen Rücken des nicht mehr dröhnenden Kalbfells. Auch die Schalmei erfreute ihn nicht, und während der Jammer Alles Lachen verlöschte im Antlitz des zärtlichen Bakchos, Hemmte der lydische Hermos17 die rohrumwachsenen Wellen Und den reißenden Schwung der windbeflügelten Strömung Und begehrte nicht mehr zu fließen. Sein trauerndes Wasser Hemmte der safrangelbe, so überreiche Paktolos Gleich dem Ebenbild eines trauernden Menschen; es hielt auch Rückwärts wegen des Toten den Zug des wallenden Gusses Des Sangarios18 phrygische Flut. Das seufzerbenetzte, Odemlose Bild der traurigen Tantalostochter19

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Strömte verdoppelte Tränen, weil ja Dionysos klagte. Und die Fichte, ächzend mit ihrer Freundin, der Föhre, Säuselte leis; und ob er der Baum des Phoibos, dem imm 135 Schnittverschont das Haar, warf doch der Lorbeer sein Laubhaar In die trauernden Winde. Die fette, beschützte Olive Goß ihre Blätter zur Erde, obgleich sie der Baum der Äthern

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Weil der tränengemiedne Dionysos sehnend so stöhnte, Ließen die Moiren wieder die schrecklichen Fäden sich lösen Um den Gram des betrübten Dionysos lindernd zu trösten, Kündete gottentflammt die verläßliche Atropos20 solches: »Dir, Dionysos, lebt dein Knabe. Des Acheron bittre Wasser wird er nie durchschreiten. Du lösest mit deinem J ammer das strenge Gespinst der unwiderruflichen Moira. Ampelos ist nicht tot, auch wenn er gestorben: den Knaben Will ich in lieblichen Trank, in süßen Nektar verwandeln. Wird doch im tanzenden Schwung der spielenden Finger ihn immer Feiern die Doppelflöte, des Mahles klingender Wohllaut, Ihn in phrygischem Takt oder dorischerWeise besingen21, Oder voll Rhythmus wird ein Mann auf der Bühne ihn preisen Mit ismenischem Schall im Klang aonischer Rohre Oder vor Marathons Bürgern22; es werden die Musen in Liedern Rühmen des Ampelos Reiz zur Seite des Reben-Lyaios. Sinken läßt du vom Haupt der Natternbinde Gewinde, Und mit Traubenkränzen wirst du die Locken umflechten, Phoibos’ Eifersucht wirst du wecken, weil er ja nur traur’ge Hyazinthen erhebt mit pflanzengewordenem Wehruf, Weil du aber hegst den Trank, der Menschen Erquickung, Irdisches Abbild des Nektars des Himmels, und also vor deinem

Bakchos’ Trauer um Ampelos

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Jüngling erbleicht der Ruhm des amyklaischen Knaben. i6o Wenn auch dessen Stadt das Erz der Krieger hervorbringt, Deines Knaben Heimat läßt doch den wonnigen, feuchten Rötlich leuchtenden Saft in vollen Strömen gedeihen, Prangend ganz von Gold und nicht am Eisen sich freuend. Wenn aber Hyakinthos211 sich rühmt des brausenden Flusses: 165 Besser als der Eurotas ist doch des Paktolos Gewässer. Ampelos, Trauer erschufst du dem trauergemiedenen Bakchos, Um in süßen Tropfen dann deines gedeihenden Weines Seligkeit zu erschaffen dem ganzen vierfachen Weltall Und die Spende den Göttern und dem Dionysos Frohsinn. 170 Bakchos, der Herrscher, weinte, das Weinen der Menschen zu lindern.«

Also sprach die Gottheit und schwand mit den Schwestern zusammen. Aber ein großes Wunder erschien dem klagenden Bakchos, Denn es hob sich empor wie eine Schlange des holden, Toten Ampelos Leib und ward von selber verwandelt, ns Ward ein lieblich Gewächs; und des veränderten Leichnams Leib wuchs hoch empor als Strauch, die Finger der Hände Sproßten als ragende Zweige, die Sohlen wurden zu Wurzeln, Trauben wurden die Locken, und umgestaltet von selber Ward zur farbigen Blüte der reifenden Lese das Rehfell. iso Zu einem Rebengerank erwuchs der ragende Nacken, Und wie die Ellenbogen entstanden sich krümmende Triebe Voller schwellender Dolden; und bei des Hauptes Verwandlung Ahmten die krummen Ranken die Form der gebogenen Hörner. Unermeßlich sproßten da Reihen von Pflanzen; ein Garten iss Selbstentstandener Reben entrollte grünende Triebe, Und mit der neuen Frucht des Weins umschlang er die Bäume.

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Zwölfter Gesang

Neues Wunder geschah. Denn wie der spielende Knabe Kissos mit stemmenden Füßen auf hohe Bäume geklettert, 190 Wurde seine Gestalt nun aufwärtsstrebend verpflanzlicht Zu der gekrümmten, nach ihm benannten Ranke, und fesseln Schlang er sich um den eben entstandnen veredelten Gartei

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Mit dem geliebten Laub beschattete Bakchos die Schläfe; Trunken machte die Locken mit diesem berauschenden Laub Der triumphierende Gott. Des pflanzennährenden Knaben Früchte schnitt er ab, die reif zur Lese geworden. Selbstgelehrt und ohne die Hilfe der Kelter und Füße Preßte der Gott die Trauben in wuchtigen Fäusten zusammen Brachte der Trunkenheit Ursprung mit seinen umspannen­ den Händen Neu ans Licht, die Masse der strömenden rötlichen Lese, Süßen Trank erfindend. Des weinvergießenden Bakchos Weiße Finger wurden an feuchten Händen gerötet, Und er nahm zum Becher das krumme Horn eines Rindes, Kostete mit dem Rand der Lippen die köstliche Labe, Kostete auch die Frucht, und, sich an beidem erfreuend, Klang ihm also das Wort aus übermütigem Munde: »Ampelos, meines Zeus Ambrosia schufst du und Nektar; Und trotz seiner zwei geliebten Pflanzen kann Phoibos Lorbeerfrüchte nicht essen, die Hyazinthe nicht trinken. Süßer Trank quillt nicht aus Ähren, verzeih mir, Demeter. Speise und nicht nur Trank will ich den Sterblichen schenken. Ampelos, auch dein Ende ist lieblich; es linderte Moira Doch dein Schicksal, dir und deiner Schönheit zuliebe. Gegen dich erfaßte selbst Hades Mitleid, verwandelt Gegen dich ward selbst die Härte der Persephoneia; Dich, den Toten, belebte sie Bruder Bakchos zuliebe. Nicht wie Atymnios21 mußtest du sterben; du mußtest nicht schauen

Bakchos’ Trauer um Ampelos

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Wasser der Styx,Tisiphones Flamme “, das Auge Megairas28. Nein, noch lebst du, mein Knabe, auch nach dem Tode. Die Lethe Barg dich nicht, kein Grab, das allen gemeinsam; die Erde 220 Selber scheute sich, deine Gestalt verhüllend zu bergen. Nein, seinen Sohn zu ehren, schuf dich mein Vater zur Pflanze, Deinen Leib hat Zeus in süßen Nektar verwandelt. Nicht hat die Natur wie auf den Blättern Therapnais27 In dein tränenlos Laub den Ruf der Klage geschrieben. 225 Noch auf den Ranken bewahrst du deine Frische, mein Knabe; Auch dein Tod verkündet den hellen Glanz deiner Glieder, Noch aus deiner Gestalt ist nicht die Röte geschwunden, Aber niemals stehe ich ab, dein Ende zu rächen. Opfern werde ich deinen Vernichter und gieße zur Spende 230 Über den Menschenmörder den Wein. Der Hamadryade Blätter beschämt dein Laub, das schöne. Im lieblichen Dufte Deiner Trauben spüre ich noch den Hauch deiner Liebe. Kann ich je die Frucht der Äpfel mischen im Kruge? Kann ich träufeln je in Nektarbecher die Feige? 235 Feige wie Apfel sind nur eine Freude des Gaumens. Keinerlei Pflanze kann mit deinen Beeren sich messen: Rose nicht, nicht schöne Narzisse, nicht Anemone, Lilie und Hyazinthe: dem Reis des Bakchos gleicht keine; Denn in dem neuen Tropfen der vielgeriebenen Lese 240 Wird dein Trank ja alle die andern Gewächse enthalten. Einziger Trank, gemischt mit allen; zu einzigem Wohlruch Wird er verbunden sein mit allen möglichen Blumen. Schmücken wird deine Blüte die ganzen Wiesen des Frühlings. Weich mir, gepriesener Schütz, weil du mit trauriger Fessel 245 Klagender Blätter kränzest die trauergemiedenen Locken.

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Klageruf ist geschrieben auf deine Blüten, und kränzt sich Der gepriesene Schütz im Garten, so schöpfe ich süßen Wein und schlinge um mich ein lieblich Gewinde und trage So als Freund im Herzen den ganzen Ampelos selber. Weiche dem Traubenreichen, du Helmgott! Blutige Hände Spenden dem Ares Blut, und dem Dionysos gießen Traubentriefende rot den Saft weinwerdender Traube. Deo und Pallas, ihr wurdet geschädigt, denn die Oliven Geben ja keine Lust und kein Ergötzen die Ähren. Süß wie Honig ist die Frucht der Biene, die Myrte Trägt gar duftige Blüten, doch nicht mit berauschenden Früchten Können sie menschliche Sorgen in alle Winde verstreuen. Mächtiger ward ich mehr als ihr, denn wenn es an meinem Weine mangelt, alsdann verdorren die Freuden des Mahles: Weinermangelnd muß der Tänze Zauber verbleichen. Kannst du es, Blaugeäugte, so trink die Frucht der Olive; Deine Pflanze muß weichen vor meiner bereichernden Lese; Schafft dein fettes Öl denn Freude, wenn sich zum Kampfe Männer damit salben? Ein Mensch,der qualengepeinigt Weib oder Tochter verlor in allgemeinsamem Tode, Oder wer da trauert um seine verlorenen Eltern, Vater oder Mutter: sobald er kostet vom süßen Wein, so weicht die verhaßte Belastung des wachsenden Jammers. Ampelos, auch im Tode erfreust du Dionysos’ Sinne. All meine Glieder will ich mit deinem Safte durchtränken. Rings die Bäume alle mit niedernickendem Haupte Beugen wie Bittende nun vor dir den krümmenden Nacken, Greise Palme senkt geneigt die ragende Krone. Rings um die Esche spannst du deine Füße, du faltest Um die Feige die Hände und lehnst dich an sie, und beide Stützen deine Reben wie Dienerinnen die Herrin,

Bakchos' Trauer um Ampelos

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Wenn du hochgewunden mit deinen strebenden Blättern Über die Schultern der Mägde dich hebst. Es werden die zarten Andersfarbigen Blätter der nahen, gebreiteten Gipfel 2so Dir, als lägst du im Schlaf, von Kühlung bringenden Winden An dein Angesicht geweht mit schonendem Anhauch, Wie wenn Sklaven den feinen, gewohnten Fächer in Händen Schwingen, um künstlichen Wind dem König kühlend zu bringen. Wenn am heißesten droht der Brand der Sonne am Mittag, 285 Wird deinen Trauben voraus alljährlich wehen ein Windhauch, Der den dörrenden Stern der feurigen Maira28 beschwichtigt Immer, so oft dich die Bahn der Sommerhore erwärmend Trifft und den reifenden Saft mit Glut des Sirius siedet.«

Riefs voll Stolz und warf bei Seite den finsteren Kummer. Heilend tröstete ihn um den Knaben die duftende Lese.

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Also singt man über der Rebenpflanze Entstehung, Die nach dem Knaben benannt. - Doch von den Hymnen­ verkündern Gibt es noch andere Sage, noch ält’re, wie früher zur Erde Fruchtbar olympisches Blut der Göttervom Himmel geronnen, 295 Bakchischen Trank der Trauben erzeugte, und wie auf den Höhen Pfleglos, selbstentstanden die Frucht der Lese emporwuchs. Noch nicht hieß sie da die edle Rebe; im Dickicht Sproßte sie wildverwachsen mit vielverschlungenem Eppich Wie ein Rebenwald von weingebärenden Pflanzen, 300 Denen der Saft entquoll aus schwerer Trauben Belastung. Und es war manch Geflld,wo reihenweis übereinander Rötlicherglänzend Rebe bei Rebe sich schwankend bewegte, Die zu einem Teil in buntem Purpurgewande

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Zwölfter Gesang

305 Halbvollendet erst trug der Früchte farbigen Wechsel, Während andere weiß wie Schaum sich färbten und reiften. Zahlreich lehnte ein Nachbar sich an den verbundenen Nachbar, Goldgelb von Natur; und gänzlich leuchteten andre Schwärzlich blau wie Teer und machten mit rankenden Trauben 3io Trunken die nahen Oliven mit ihren schimmernden Früchten. Andere, deren Frucht noch unreif glänzte wie Silber, Färbte wie hingemalt ein dunkler, selberentstandner Hauch, der die lastende Traube zu schwellender Reife entwickelt. Und gegenüber die Fichte ward von der gewundenen Rebe 315 Ringsumdeckendem Reis mit dichtem Gezweige umschlungen. Und der Sinn des Pan gewahrte es freudig; vom Nordwind Rauhgeschüttelt senkte die weinbeseligte Föhre Näher zur Rebenranke der Zweige duftende Nadeln. Rings um sie geschmiegt das schiefgewundene Rückgrat, 320 Schlürfte den köstlichen Nektar der träufenden Lese ein Drache; Und wie den bakchischen Trank er schleckte mit schreck­ lichen Kiefern, Rann ihm aus dem Maul der weingewordenen Traube Saft und rötete ihm den Bart mit purpurnen Tropfen.

Und mit Erstaunen gewahrte der bergdurchschweifende Bakchos, 325 Wie ein roter Saft gleich Wein den Rachen der Schlange Färbte. Und als das bunte Gewürm den Euios schaute, Wälzte es fort den Leib mit seinen gesprenkelten Schuppen, Und es tauchte hinab in ein nahes, höhliges Felsloch. Bakchos, die Traube schwanger von rötlichem Safte gewahrend,

Erfindung des J-Veins

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Dachte an alte Orakel, die früher Rheia gekündet. Und da lockerte er die Höh’n; mi t des spaltenden Eisens Scharfer Spitze höhlte er aus die Tiefe des Felsens, Glättete rings die Seiten des hohlen Raumes und machte Eine Grube so, das Abbild der schwellenden Kelter. Erntend mit scharfem Thyrsos die frischgewachsenen Trauben, Schuf er das Abbild der krummen und zahnigen späteren Sichel Und der Satyrnchor war seine Begleitung; von ihnen Sammelte einer gebückt, es schnitt ein andrer die Trauben In ein hohles Gefäß; ein dritter streifte verflochtne Blätter ab und entfernte die grüne Deckung der Früchte. Eisenlos streckte ein andrer die Rechte den Ranken entgegen Ohne den Thyrsos und ohne ein spitzes, gediegenes Eisen, Und so brach er ab das äußerste Traubengewinde, Hockte zusammengekrümmt und hob zur Rebe die Augen. In die geglättete Höhlung versenkte Bakchos die Lese, Türmte dann in der Mitte der Kluft den Haufen der Beeren, Legte die Traubendolden dann dicht in der Senkung geschichtet Ausgebreitet hin, und wie mit Korn auf der Tenne Füllte er voll die Tiefe und sammelte alles im Felsloch Und zerstampfte die Trauben mit springendem Schwünge der Füße. Und die Satyrn ließen ihr Haar wie rasend im Winde Fliegen und ahmten nach, was sie Dionysos lehrte: Um die Schultern knüpften sie sich das scheckige Rehfell, Einstimmig jauchzten sie die laute, bakchische Weise Und zerstampften unter den springenden Füßen die Lese. Evoe sangen sie laut. Im traubengefüllten Gesenke Rötete sich die Kluft von übersprudelnder Weinflut.

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Und es entquoll der Lese, bedrängt von den wechselnden Tritten, Unter den Füßen weiß der Schaum des rötlichen Saftes. 36o Und mit Rinderhörnern — denn damals gab es noch keine Becher - schöpften sie ihn, und darum wurde dann später Der gemischte Wein mit dem göttlichen Namen geheißen2’.

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Und als einer geschlürft das Naß des betörenden Bakchos, Schwankte er hin und her mit krummen, wankenden Knieen, Seinen rechten Fuß mit dem linken Fuße vertauschend, Und bespritzte mit Saft des Bakchos die haarigen Wangen. Und ein anderer sprang, vom Wirbelrausche gestachelt, Hoch empor beim grausen Gedröhn des schmetternden Kalbfells; Schlürfend den lindernden Wein, den unwiderstehlichen, färbte Einer den dunklen Bart sich purpurn mit rötlichem Tranke; Einer hob verblendet den Blick und schaute auf hohem Wipfel eine Nymphe, halbsichtbar, ohne ihr Stirnband; Und da wäre er schnell auf den ragenden Gipfel im Bergwald Füßeklammernd geklettert, obgleich die Kniee ihm wankten, Hätte Dionysos nicht ihn aufgehalten; ein andrer Jagte um die Quelle im tollen Taumel des Rausches Eine Wassernajade, die nackt und ohne Gewänder. Und er hätte sie schwimmend mit haarigen Armen umschlungen, Wäre sie nicht entwichen, sich tief in den Fluten zu bergen. Nur dem Dionysos schenkte, dem weinbeseligten Gotte, Rheia den Amethyst30, der wehrt des Rausches Bezwingung.

Viele der hornigen Satyrn mit wilden Scherzen und Sprüngen Zogen aufgereizt zum Reigen; und einer von ihnen

Erfindung des Weins

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Spürte neue, heiße Begierde, der Liebe Geleiter. Eine Bakchantin umschlang er mitten mit zottigen Armen; 385 Einer, geschüttelt vom Stachel des sinnverwirrenden Rausches, Packte beim züchtigen Gürtel ein ehelos Mädchen und suchte Keck zur Liebe die Kleider der trotzigen Jungfrau zu lüpfen, Und seine Hand berührte von hinten die rosigen Schenkel. Einer zerrte herbei die sträubend sich weigernde Mystis, 390 Die dem Bakchos die Fackel des nächtigen Reigens entzündet; Und den Oberleib mit tastenden Fingern umschlingend, Drückte er ihr den prallen Bogen der strotzenden Brüste.

Aber Dionysos selbst mit dem Schwarm der duftenden Lese Tauchte prangend hinab in die Höhle der göttlichen Rheia, Abgeschnittene Trauben in blumenliebenden Händen, Und Maionien81 lehrte er seine nächtige Feier.

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Vater Zeus entsandte zur göttlichen Wohnung der Rheia Iris1 mit der Botschaft zum kampferregenden Bakchos, Daß er die kecken Inder, die ledig jeder Gesittung, Fort aus Asien treibe mit seinem verfolgenden Thyrsos 5 Und den Kämpfer zur See vertilge, den hornigen Flußsohn, König Deriades2, und die schwärmenden, nächtig-geheimen Feiern die Völker lehre und auch die Lese des Weines. Iris schnellen Schwunges mit ihren rudernden Flügeln Tauchte hinab in den Grund der löwenbrüllenden Höhle, io Ließ sich lautlos nieder und preßte des dienenden Mundes Schweigende Lippen zusammen, und vor der Herrin der Berge Stand sie tiefgebeugt, und niedersenkend den Scheitel, Küßte sie die Füße der Rheia mit flehenden Lippen. Und auf den ernsten Wink der Rheia bedienten gefällig 15 Sie die Korybanten beim Krug des göttlichen Tisches. Staunend trank sie die Flut des neugeschaffenen Weines Und ergötzte sich bakchisch entzückt, dann tönte die Gottheit Schweren Hauptes dem Sohn des Zeus den Ratschluß des Vaters:

»Starker Dionysos, dir befiehlt dein hehrer Erzeuger, 20 Völlig auszurotten den Stamm der gottlosen Inder. Drum in deiner Hand erhebe den streitbaren Thyrsos. Handle des Äthers würdig! es kann Zeus’ ewige Wohnung

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Nur nach Kampf und Mühen dich bergen; dir können die Horen, Ringst du nicht um den Preis, die Tore des Himmels nicht öffnen. Kam doch auch Hermes nur darum zum Himmel, weil er 25 mit seinem Stabe den von den Füßen zum Scheitel mit Augen besetzten Hirten Argos’getötet und Ares von Fesseln befreite; Weil er Delphyne ‘bezwang, bewohnt Apollon den Äther. Selbst nicht dein Erzeuger, der Feldherr der Götter, der große Zeus, stieg ohne Mühen zum Himmel, der Herr der Gestirne, 30 Ehe er nicht zuvor die Himmelsbedroher gefesselt, Die Titanen, und sie in Tartaros’ Tiefen verborgen. Und wie Apollon und Hermes, so wird dir, wenn du dich abmühst, Für dein Ringen der Lohn: im Äther des Vaters zu wohnen.« Sprachs, und zum Olymp entschwebte die Göttin; dasandte Allmutter Rheia geschwind den kriegerholenden Boten Pyrrhichos, einen Tänzer beim Lärm des dröhnenden Kalbfells, Um zu verkünden, daß Lyaios zum Kriege sich rüste.

Und dem Dionysos sammelnd ein vielgestaltetes Schlachtheer, Stürmte Pyrrhichos hin durch die Sitze des ewigen Weltalls. Alle Stämme Europas, die Völker Asiens führte Er herbei und kehrte zum Lande der üppigen Lyder.

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Doch den Heroenstamm der weitverbreiteten Kämpfer Und der zottigen Satyrn, das Blut des Kentaurengeschlechtes, Und der Silenen Geschwader, die Söhne des haarigen Greises, 45

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Dreizehnter Gesang

Auch die Mänaden verkündet mir nun, korybantische Musen! Hätt ich der Zungen zehn, ich könnte so viele Geschlechter5 Aus zehn Mündern nicht besingen mit dröhnendem Erzschall, Wieviel Dionysos kürte, der Lanzenschwinger, nein, gellend 50 Will ich die Musen als Führer, Homer als Helfer mir rufen, Diesen höchsten Hort wohltönender Rede, wie Schiffer Irrend um Hilfe flehn zum blaugelockten Poseidon.

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Erstlich auf den Ruf des thyrsosschwingenden Bakchos Eilte der schnelle Aktaion, der gleichen Sippe entsprossen, Aus Aonien her, der siebentorigen Heimat. Der Boioten“ Geschwader erschienen, die des umtürmten Thebens Gefilde bewohnten und Peteon und auch Onchestos, Diesen Sitz des Poseidon, Okalea und auch Erythrai, Arne, das traubenreiche, das auf Dionysos stolz ist. Die da Mideia bewohnen, die vielbesungnen Gemeinden Skolon am Ufer des Meeres, Eilesions Stätte und Thisbes Traubenschönen Hafen der Aphrodite des Meeres Und die Marken von Schoinos und Eleons laubige Haine, Kopai, das hochgepriesne, wo jetzt noch, wie ich vernehme, Sich der gleichbenannte, bekannteAalsee befindet, Medeons buschiges Land, und die von den Weiden von Hyle, Und die geräumige Heimat des Tychios7, Lederbereiters, Und das weite Gefild des unterirdischen Raunens, Das den Namen erhielt nach dem Wagen des Amphiaraos8, Und derThespier Stadt und tief im Walde Plataiai, Haliartos, das feuchte, getrennt von Helikons Gipfeln Durch den mittleren Lauf des bergentsprungenen Stromes, Die dann nahe dem Meer das entlegne Anthedon bewohnten, Das geringe Städtchen des ewigliebenden Fischers Glaukos, des Meerbewohners, und die vom stürmischen Askra, Jener Lorbeerheimat des nimmerschweigenden Hirten’, Graias10heilige Stadt und Mykalessos’ Gefilde,

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Dessen Name ähnlich erklingt11 dem Euryaleschlunde Und das nisaiische Land und die Stadt, die Koronos gegründet: Diesen allen voran auf dem Zuge zum Osten der Erde so Schritt der Kämpfer Aktaion; es nieste zum Siege des Jünglings Lorbeerbekränzt der Seher Apollon, der Vater des Vaters.

Und es war der Führer des zweiten boiotischen Haufens Hymenaios, der schöne, gelockt, am Kinne noch flaumlos, Eben erblüht, geliebt von Bromios. Und als Erzieher Folgte dem Knaben ein Feldherr der Stadt, der Phoinix geheißen Und dem Laokoon12 ähnlich, der früher einmal die Argo, Jasons Schiff, bestiegen und dann zum Lande der Kolcher Mitgesegelt, zu leiten den Meleagros im Kampfe. So als Knabe noch in frischer, kindlicher Jugend Zog in den indischen Krieg Hymenaios im prächtigen Haarschmuck, Dem zu beiden Seiten die Locken die Wangen umflogen, Und ihm gaben Geleit die schildbewehrten Gefährten: Die da Aspledon bewohnten, die nie von Charis verlassne Minyasstadt13Orchomenos, wo die Eroten im Haine Tanzen; und die da hausen im götterbewirtenden Hyria, Das nach Hyrieus14so benannt, dem Gästeempfänger, Wo der gewalt’ge Gigant, der keiner Ehe entsprossen, Der drei Vätern entstammte Orion aus Gaia, der Mutter, Aufsprang, als des Urins Ergießung infolge der Götter Dreifacher Zeugung von selbst zur Kindgebärung sich formte Und den Schoß der kindaustragenden Stierhaut befruchtet, Samenlos den Sohn die Tiefen der Erde entbunden; Die da bewohnten den fremdenempfangenden Ort der Achaier, Jenes felsige Aulis, den Sitz der Göttin der Pfeile, Wo die erzürnte Göttin bei ihrem Altar in den Bergen

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Als ihr Opfer empfing eine falsche Iphigeneia, Und eine Hindin der Berge in reinem Feuer verbrannte Als ein Trugbild der echten, entrückten Iphigeneia, ho Die der verschlagne Odysseus als künftiges Weib des Achilleus Hergelockt als Lohn für Kämpfe, weswegen dann Aulis Hochzeitbereiterin heißt der ehegemiedenen Jungfrau; Und nun pfiff ein leitenderWind den argeiischen Schiffen, Peitschte die lautlose Fläche des schiffehemmenden Meeres ns Und erbrauste aufs neu dem hindinopfernden König. Später gelangte das Mädchen dann luftwärts zum Lande der Taurer, Lernte den grausigen Brauch, in mordenden Kesseln die Fremden Opfernd zu schlachten, und dort beim Todesaltare belebte Neu sie ihren Bruder, den meerverschlagnen Orestes. i2o Solch ein großes Heer unzählig boiotischer Mannen Zog in den indischen Krieg in Hymenaios’ Gefolgschaft. Ihm gesellten sich dort beim Heer die Phoker15, die hausen Nah dem delphischen Felsen, dem weisen, und die da besaßen Kyparissos, das heil’ge Hyampolis1*, das, wie ich höre, 125 Nach der aonischen Sau benannt, die wegen der Schönheit Stolz den Nacken trug, sich messend mit Tritogeneia17; Die da Pytho erlöst und das schroffenumschlossne Gelände, Das besungene Krisa und auch Panopeus und Daulis, Nachbarn des Bakchos, dieweil der Iorbeerbekränzte Apollon i3o Seine Bezirke vereint mit seinem Bruder Lyaios, Des Parnassos doppelten Gipfel; der Kriegerversammlung Ließ sein göttlich Orakel der pythische Felsen erklingen Und der redende Dreifuß, und auch der kastalischen Quelle Lauter, geschwätziger Schwall vergoß die prophetischen Wellen.

Dionysos wirbt ein Heer gegen die Inder

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Und der Euboier18 Geschwader ward von den Schildebewehrten Korybanten gereiht, die Bakchos’Jugend betreuten, Die an der phrygischen Bucht bei Rheia, der Herrin der Berge, Den noch kindlichen Bakchos beim Lärm des Kalbfells umkreisten, Als sie ihn einst, gehüllt in purpurrote Gewänder, Auf den Höhen gefunden als Säugling mit Hörnern, wo Ino Ihn bei der pflegenden Mystis, Korymbos’19 Mutter, gebettet. Diese kamen da alle von jenem besungenen Eiland: Prymneus, der Tänzer, und Mimas, der bergdurch­ schweifende Akmon, Damneus und schildbewehrt Okythoos; ihnen zur Seite Kam als Idaios’ Gefährte der helmgeschmückte Melisseus, Sie, die ihr Vater Sokos in gotteslästerndem Irrwahn20 Einst vertrieben hatte aus meerumgürteter Heimat In Gemeinschaft mit Kombe, der Mutter der sieben. Sie kamen Flüchtig nach Knossos’ Gefilden und wurden von Kreta dann wieder Fern nach Phrygien verschlagen, von dort zum Lande Athenes, Fremd dort angesiedelt als Herdgenossen, bis Kekrops Dann mit rächendem Erz zur Strafe den Sokos getötet; Und sie ließen zurück die Erde an Marathons Küste, Wieder heimzukehren zum heiligen Land der Abanten21, Irdische Sippe der frühem Kureten, denen die Flöten, Denen der Schall hellklingender Schwerter Leben bedeutet, Denen der rhythmische Reigen, der Schildtanz, am Herzen gelegen. Mit ihnen zogen zu Feld der Abanten streitbare Söhne: Die da Eretrias Höhn erlösten, die beides erlösten: Styra und auch Kerinthos und des besungnen Karystos’

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Sitz und das rauhe Dion und die die Küste besaßen, Wogenreiche Küste des unschweigsamen Geraistos, Styx und das Gebiet von Kotylaia und Siris Und Marmarions Feld und die Au des ogygischen Aigai. 165 Ihnen gesellten zum Zuge sich Mannen, die Chalkis die Heimat Nannten, die Mutterstadt der hintenbeschopften Ellopier22. Sieben Führer bewehrten das Heer, doch hatten sie alle Einen stürmischen Mut; auf loderndem Feueraltare Sänftigten sie die Sterne, die rings den Tierkreis bewohnen, 170 Anvertrauend den Kampf den siebengezählten Planeten.

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Kekropiden28 bewehrte Erechtheus24, der rasende Kämpfer, Führte das goldene Blut des kinderreichen Erechtheus, Den vor Zeiten am fackelbeleuchteten Parthenonhange Pflegend am männlichen Busen die seiberentstandene Jungfrau Säugte, die blaugeäugte, die ehelose; und schamvoll Nährte die Jungfrau den Knaben mit unerfahrenen Händen, Den Hephaistossohn, weil seinen Samen der lähme, Schlechtvermählte Gott in entarteter Liebe zur Erde Säte, als heiß von selbst der Schaum zu Boden geflossen. Also kam Erechtheus als Herr des athenischen Heeres, Hatte aus gleicher Stadt den Führer Siphnos zur Seite Die auf der fruchtbaren Scholle Oinoes, und die da besaßen Bienenreiche Schluchten der Gipfel des nahen Hymettos Und den Baumbezirk von Marathons reichen Oliven Und des Keleos Stadt und die vom Hafen Athenes, Die in Brauron2iam Meer, beim Leergrab Iphigeneias Und in Thorikos auch, im geburtenleichten Aphidna, In Eleusis, dem Land der tochterprangenden Deo, Hausten und feierten dort die körbetragende, reiche Göttin; sie stammten aus Triptolemos’ Sippe, der einstens Durch die Lüfte lenkte den Schlangenwagen der Deo,

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Peitschend gesprenkelte Rücken der ährenbringenden Drachen. Mancher Greis von Acharnai bewegte die ehernen Waffen Hin und her und reichte sie den sich wappnenden Söhnen. Attikas Scharen eilten herbei, und während zum Streite Sich mit Speeren und Schwertern die kampfbeginnenden Bürger Scharten, jauchzte Athen, das schönbehelmte, begeistert, Und von den stürmischen Kriegern erschallte der Hafen Phaleron. Und geheftet als Zeichen ureingesessener Sippe Ward manch goldne Zikade28 in schöngeflochtene Locken. Aiakos auch verließ die Heimat, den einmal ein falscher27 Vogel erzeugte, sich einend mit des Asopos geraubter Tochter, der fliegende Zeus, ein Adler, der Gatte Aiginas. Aiakos28 ward er genannt nach dieser Hochzeit; er strebte Allen voran, dem Bruder Dionysos helfend zu nützen. Kundig rüstete er der Myrmidonen Geschwader, Die einst Ameisen28 waren und früher mit zahlreichen Füßen Eifrig am Boden krochen, bis daß der Herrscher Kronion Ihre erdentstammte Gestalt aus nichtigem Aussehn Später verwandelt und sie zu besserm Körper geschaffen. Und da sproßte empor ein bewaffneter Haufe, denn plötzlich Ward der erderzeugte, stimmlose, andersgeformte Ameisenschwarm verändert in menschlich redende Leiber. Aiakos führte sie an; er hatte auf prächtigem Schilde Zeus zum Wappen der Sippe als klugen, trügenden Vogel Aufgemalt, wie er zart das Weib in den Krallen emporhob; Und ein feuriger Strom war dicht daneben80; das nahe Mädchen war bitter betrübt, selbst hier im leblosen Bilde; Seitlich wandt’ es die Augen, als ob es den Vater beklagte, Den steifbeinigen Greis Asopos, so schien sie zu rufen:

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»Wehe, welch Brautgeschenk bringst du mir: des Vaters Ermordung!«

Kretas sprachenreiche Bewohner führte der schöne Glünzendgestaltete Held Asterios’1, ward ihm doch beides: Lieblichkeit und Stärke in gleichem Maße. Ihn hatte 225 Androgeneia geboren aus Phaistos, als sie für Minos Bei der Hochzeit in Kreta den züchtigen Gürtel geöffnet: Der nun führte die Mannen aus hundert Städten zum Weingott Bakchos und pries das Blut gemeinsamer Sippe von seines Vaters Seite; denn Minos war ja der Semele Vetter, 230 Gleicher Herkunft wie Kadmos; die vielverbreiteten Kämpfer Alle scharten sich um den einen rührigen Führer, Krieger waren die einen aus Knossos32, die andern aus Lyktos, Seite an Seite mit den miletischen Scharen; mit ihnen Wappneten sich viel Bürger des hochgelegenen Gortyns, 235 Rhytions Krieger dazu und die vom reichen Lykastos, Die aus dem Land des kretischen Zeus und dem Sitze von Boibe Und die in Kisamos hausten, den schönen Städten Kytaios’. Derart kamen gezogen die Feldherrn der Kreter. Dem Führer, Dem Asterios, strahlte der nach dem Ares genannte 240 Stern, prophetischen Glanz mit heißeren Strahlen vergießend, Künftigen Sieg zu künden; doch als er später im Feldzug Siegte, da packte den wilden ein unnatürlich Begehren Nach dem fremden Gebiet; nicht wollte er ferner erblicken Am idaiischen Fels der Heimat helmschimmernde Grotte, 245 Sondern ergab sich lieber landflüchtigem Leben. So wurde Dieser Knossier statt ein Kreter ein skythischer Bürger, Ließ den greisen Minos und Androgeneia; der Kluge Zog zu barbarischen Stämmen der fremdenmordenden Kolcher,

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Nannte Asterier sie und belegte mit kretischem Namen“ Die von Natur mit anderer Satzung versehenen Kolcher. Meidend die pflegende Furt des Heimatstromes Amnisos, Trank er mit schamhaftem Munde das fremde Wasser des Phasis.

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Aristaios allein kam träge, der letzte von allen, Die das Gebiet an der Grenze hellenischen Landes bewohnten. Wegen des süßen Honigs durchlöcherter Körbe der Bienen 255 Hob er den Nacken stolz und maß sich mit Bakchos, dem Weingott, Streitend in törichter Hoffnung, es siege die Süße des Honigs. Richter der beiden waren des Himmels gesamte Bewohner. Aber der Phoibossohn, der das neue Rinnsal der Bienen Den Unsterblichen brachte, ging süßen Sieges verlustig, 260 Weil die Götter, nachdem sie der blütenliebenden Tiere Dicken Seim gekostet, sich seiner wenig erfreuten. Überdruß schuf den Göttern der dritte Becher, und als er Ihnen den vierten bot, da kostete keiner von ihnen Trotz ihres großen Durstes, doch als Dionysos schöpfte, 265 Labten sie ihren Sinn am prächtigströmenden Safte: Ununterbrochen schlürften sie Wein von Morgen bis Abend. Trunken bestaunte ein jeder von ihnen die Süße des Weines, Forderte Becher auf Becher in ausgelassenem Frohsinn; Unersättliche Freude am Zauber des Weines umfing sie. 270 Zeus bestaunte das Werk der honigtröpfelnden Biene, Diese künstliche Schöpfung der bienenstockliebenden Wesen, Aristaios’ Gabe, doch mußte er Bakchos, dem Weingott, Geben den ersten Preis der Kunst, den Kummer zu trösten. Darum zog Aristaios nur langsam zum indischen Kriege; 275 Mählich nur alten Groll auf den siegentreißenden Knaben Dämpfend, verließ er den Sitz des Hermes, die Stätte Kyllene. Denn noch hauste er nicht auf der früheren Insel Meropis“,

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Dreizehnter Gesang

Hatte noch nicht gehemmt die Glut des trockenen Jahres, 280 Nicht gebracht des schützenden Zeus belebenden Windhauch, Hatte in eiserner Rüstung85 noch nichtdas Leuchten des Sternes Sirius betrachtet, noch nicht sein funkelndes Feuer Fortgetrieben und nachts besänftigt; nun kühlen die Winde Ihn mit feinem Blasen, der noch aus brennendem Schlunde 285 Seine trockene Glut durch den Äther schleudernd entsendet. Nein, noch hauste er ja auf Parrhasios’ Auen, und mit ihm Rüsteten sich die Arkader, die eichelessenden Wilden, Die da Läsion hatten, Lykaios’prächtige Haine55, Stymphalos’rauhes Gefild und das besungene Städtchen 290 Rhipa und Stratia auch und Mantinea, Enispe Und das belaubte Parrhasia, wo sich noch heute befindet Unbetretbar der Ort, wo Rheia, die Göttin, entbunden, Und auch Pheneos’ Flur, Orchomenos herdengepriesen, Den Geburtsort der Tänze, den Sitz der Apidaneer; 295 Die in Arkadia hausten, der Stadt des Arkas37, den früher Seine Mutter Kallisto dem Zeus geboren. Der stellte Unter die Sterne ihn als Hagelbringer Bootes. Einem so großen Heer befahl Aristaios; er brachte Den arkadischen Trägern der Lanze Hunde zum Feldzug, 3oo Er, den einst Kyrene, der jagenden Artemis Abbild, Löwentötende Jungfrau, dem Phoibos in Liebe geboren, Als in Libyens Sand dereinst der schöne Apollon Auf dem raubendenWagen die wandernde Jungfrau entführte. Wie er nun nahte, verließ Apollon den kündenden Lorbeer 305 Und bewehrte, sein Vater, ihn selbst mit eigenen Händen, Gab dem Sohne den Bogen und fügte am Arme den schönen, Künstlichen Schild und befestigte ihm am Rücken den hohlen, Niederhängenden Köcher an rohen, ledernen Riemen. Von Sizilien88 stieß zu ihm der Schütze Achates, 3io Und es zogen in seinem Geleit schildtragende Männer,

Dionysos wirbt ein Heer gegen die Inder

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Ein gewaltiges Heer Killyrier, Elymer, Krieger Aus der Paliker Sitz und die die Feste bewohnen Nahe dem Katanasee und bei den Sirenen, die früher In rindshörniger Ehe dem Acheloos die schöne Maid Terpsichore schenkte, wie er sie stürmisch umarmte; 31s Die da in Kamarina behaust, wo brausend der wilde Hipparis sprudelnd entsendet sein krummgeschlängeltes Wasser, Hyblas’heilige Stadt und die da hausen am Ätna, Wo die Feuerkessel des angezündeten Felsens Aufwärts den heißen Glanz des typhonischen Lagers 320 versprühen, Die da Häuser bewohnten beim Vorgebirge Peloros Und den Inselboden des meerumbrausten Pachynos Und den sizilischen Quell Arethusa”, wo irrend Alpheios Ausgewandert kriecht, geschmückt mit der Binde von Pisa; Vorwärts drängt er den Schwall, und über die Fläche des 325 Meeres Zieht er unbenetzt sein oberes liebendes Wasser, Heißentflammtes Feuer in kühlen Fluten bewahrend. Phaunos stieß zu ihm, nachdem er den feuerumschloßnen Saum Peloriens und das Dreieck Siziliens verlassen, Den dem Zeus des Meeres in Liebe Kirke geboren, 330 Des Aietes Schwester, die Zaubergewalt’ge, die wohnte Tief im Schattenkreis des Felsenhauses im Buschwald. Und auch Libyer‘“kamen, die in hesperischer Gegend Wolkennahe Städte des Wanderers Kadmos bewohnten. Denn dorthin verschlagen vom Wehen widriger Winde, Wohnte da einige Zeit mit der Maid Harmonia Kadmos Mit der sithonischen Braut und Reisegefährtin; die Sage Von ihrer Schönheit bewehrte zum Kampf die feindlichen Nachbarn.

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Dreizehnter Gesang

Charis ward sie genannt vom libyschen Volke —sie blühte 340 Zarter noch als eine zweite bistonische Charis auf Erden, Und in Libyen hieß nach ihr der Berg der Chariten. Ihrer Schönheit wegen zu raubendem Kampfe von toller Liebesgier entflammt, ergriffen wild und barbarisch Die maurusischen Mannen, die einsambehausten, die Waffen 345 Aber in weibtollen Händen den Speer der libyschen Pallas « Hielt vor Harmonia da den Schild ihr kämpfender Buhle Und versetzte in Schrecken die Aithiopen Hesperiens Mit dem gewappneten Zeus, Aphrodite und Ares im Bunde. Bei dem tritonischen See auch dort, erzählen die Leute, 350 Lag bei Harmonia dann, der schönen, der Wanderer Kadmos, Und es fügten ein Lied die hesperischen Nymphen, aus deren Garten Kypris mitsamt den Eroten das Ehebett schmückte, Goldene Früchte hing sie in die Kammer als Gabe, Liebesgeschenk für die Braut; Harmonia aber und Kadmos 355 Wanden sich da die Blätter auf reichem, prächtigem Brautbett Mit den üppigen Ranken in ihre lockigen Haare Statt der Hochzeitsrose. Noch lieblicher glänzte die junge Braut in dem goldnen Schmuck, der Gabe der goldenen Kypris. Und eine festliche Weise aus sterniger Kithara weckend, 36o Ließ ihr Mutterbruder im Kreis mit schwingenden Händen Rings den Himmel sich drehn, der gebeugte libysche Atlas, Und ein harmonisch gefügter Gesang entquoll seinem Munde. Und zum Angedenken an seine bräutliche Liebe Schenkte Kadmos Plätze zum Siedeln dem libyschen Lande. 365 Hundert Städte baute er dort und schenkte dann jeder Unüberwindliche Mauern, gekrönt von steinernen Türmen. Dessen gedachten die Bürger, und als des streitenden Bakchos Krieger zogen sie nun voran mit Schilden zum Kampfe, Kamen von ihren Sitzen, die nah dem Geburtsort der Mene12

Dionysos wirbt ein Heer gegen die Inder

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Und dem Südbezirk des asbystischen43, hörnergeschmückten, Kündenden Zeus, wo oft in früheren Zeiten als Ammon In dem Kopfschmuck des dreifach gewundenen Widder­ gehörnes Der hesperische Zeus aus prophetischem Munde geweissagt. Auch die bei der Flut des Chremes, bei Kinyphos’Wasser, Wohnten am sandigen Saum des dürren, trockenen Landes, Bakaler und Auschisen, die mehr als alle die andern Kampfbeseelt an der Zephyrbucht im Westen erwuchsen. Soviel Krieger sandten die hundert Städte; die Menge Führte Krataigonos an, den einst die Tochter des Chremes, Jungfrau Anchiroe, bei dem Flußbett ihres Erzeugers Kurzvermählt geboren dem tolleichtsinnigen Psyllos, Ihrem Gatten, dem Feind der Götter, dem einmal der heiße, Südliche Wind die Ernte mit trockenem Hauche verbrannte. Er jedoch rüstete Schiffe mit Mannen in schillernden Helmen, Sammelte eine Seemacht und wollte, Vergeltung zu üben, Wider die Winde der Luft sich stürzen in rasender Kampfwut, Um den feurigen Süd zu töten. Schon nahte die Flotte Schildbeschirmt dem Aioloseiland; zu brausender Sturmschlacht Rüsteten sich jedoch, den rasenden Krieger zu treffen, Peitschend wider das Schiff die Winde und wirbelten wütend Enganeinandergedrängt in sturmentfesselter Abwehr, Und sie begruben das Heer und den Psyllos im Grunde des Meeres.

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Schildträger strömten dort aus Samothrake“zusammen, Die Emathion sandte, der Herrscher im wallenden Barte, Dessen Kniee schon schwer und weiß die schneeigen Haare. 395 Den Titanen glichen an Wuchs die Krieger, die wohnten Nah dem Meere in Myrmex und auf dem umblühten Saoke, Hatten Teumerios’Äcker und auch die schattigen Haine

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Dreizehnter Gesang

In Phesiades’grünem Gelände in baumreicher Wildnis 400 Und das geweihte Zerynthos der schweifenden Korybanten, Gründung der Perseide, der hehren; der Jungfrau zu Ehren Schwärmt dort um die Felsen mit Fackeln die heilige Feier. Jene auch, die längs der felsenzackigen Küste Rings um Brontion wohnen und die am Strande des Meeres 405 In Atrapitoi hausen, genannt der Steig des Poseidon. Soviel Scharen zogen zusammen, und alle gehorchten Dem versippten Geschlecht der Stammesmutter Elektra; Hatten dort doch Ares und Zeus und Kypris dem Kadmos, Der den Göttern half, die meer- und himmelentstammte 4io Maid Harmonia ohne Entgelt zur Ehe gegeben. Diesen Gewappneten und dem thyrsostragenden Bakchos Stieg der siebente Stern Elektra aufwärts im Äther Als ein günstiges Zeichen der Feldschlacht; wegen des Sieges Rauschte mit hallendem Laut der Jubelschrei der Pleiaden 415 Dem Dionysos zu, der der Sippe der Schwester entstammte, Und beseelte das Heer mit gleicher Kühnheit. Die Mannen Führte Ogyros dann, ein zweiter Kriegsgott, zum Kriege, Ogyros hohen Hauptes, ein Ebenbild der Giganten. Nicht zu beugen war sein ganzer Körper; vom Kopfe 42o Und den Nackensehnen auf hinten haarigem Rücken Zogen ihm Borsten wie bei stacheltragenden Igeln Bis zu den Weichen hinab. Von ungemessener Länge War sein Hals und glich einer hohen, felsigen Warte. So verriet er barbarisches Blut; zum östlichen Kriege 425 Gegen die Inder zog er stärker als alle die andern Außer Dionysos; und er schwor bei der Nike den Eidschwur, Mit dem Speere allein das indische Land zu verwüsten.

Und der kühne Sohn des Ares, Pimpleia verlassend, Oiagros“, der Bewohner bistonischen Landes, zog mit ihm, 430 Ließ den Orpheus zurück auf den Knieen der Kalliopeia

Dionysos wirbt ein Heer gegen die Inder

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Als einen Säugling noch, der die quellende Mutterbrust schlürfte. Kyprische18 Reihen führte geordnet der mutige Litros Und der gelockte Lapethos; gar viele ergriffen die Waffen, Die Sphekeia besaßen, das runde Eiland im Meere, Kypros, die gastliche Insel der Göttin beschwingter Eroten, Die nach Kypris genannt, der selbstentstandnen. Es hatte Nereus diesem Kypros mit spitzem Dreizack den Umriß Eines Delphins den Küsten entlang umschreibend gegeben, Zu den Zeiten als des Uranos fruchtbarer Tropfen, Rinnend aus männlichem Mordblut, entquoll zu entbindendem Schaume Und die Paphia zeugte. Und zu dem kerastischen Kypros Schwamm ein vernunftbegabter Delphin fort über die Wogen, Der auf der Rückenflosse die sitzende Göttin dahintrug— Die da Hylates’ Land besaßen, die Sitze von Sestos, Tamasos auch und Tembros und Erythraia, das Städtchen Und den heiligen Hain des Panakros hoch in den Bergen; Auch aus Soloi zogen viel Krieger, auch aus Lapethos, Das man später so nach dem Führer benannte, der damals Jene Krieger gesammelt; und später im Thyrsosgetümmel Fiel er und ward bestattet und ließ den Namen den Städtern; Die da die Stadt Kinyreia besaßen, den Felsen,der jetzt noch Sich nach Kinyras nennt, dem Ahn, und Uranias Ortschaft, So nach dem Ätherraum geheißen, weil sie ja Bürger Auferzog, die glänzten nach Art der Sterne am Himmel; Ferner die Krapaseia,das meerumschlungne, besaßen, Paphos auch, das bekränzte Gestade gelockter Eroten, Jene Stelle, wo einst Aphrodite den Fluten entstiegen, Wo das Hochzeitswasser der Paphia, wellengeboren, Setrachos’4’lieblicher Strom, wo oft mit einem Gewände Kypris nach dem Bade den Sohn der Myrrha bekleidet;

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Dreizehnter Gesang

Auch des Perseus Stadt, des Ahnen; ihm hatte einst Teukros" Als er vor Telamons Zorn die Salamisinsel verlassen, Diese Salamisstadt verjüngt mit Türmen errichtet.

Üppige Lyder strömten herbei, die beides bewohnten: 465 Kimpsos’ Kieselbett und hoch am Berge Itone; Die da Torebios’ Breite und die die Amme des Reichtums, Sardes", die Fruchtstadt, besaßen, die alt wie die Nebelgeborne, Und das Traubengelände des Bakchos,wo Rheia,derMutter, Einst der Rebengott Dionysos Weintrunk im Becher 470 Mischte zum ersten Mal und nannte die Stätte Kerassai50; Die auf Oanos’Warten, und die da wohnten am Hermos Und in dem feuchten Metallon, allwo des Paktolos Gewässer Goldig blitzt und wirft den goldenen Segen ans Ufer. Und von Stataloi zog ein großer Haufe, wo Typhon 475 Einst den heißen Dampf des feurigen Strahles hervorschoß, Rings das benachbarte Land verbrannte, und wie er so schwälte In dem wirbelnden Rauch, zerfielen die Höhen zu Asche, Als ihre Gipfel zerschmolzen in gliederzerfressendem Feuer. Doch des lydischen Zeus schönduftenden Tempel verlassend, 480 Kämpfte eisenlos ein Priester mit stachelnden Worten, Mit geschleuderten Worten und nicht mit schneidendem Eisen, Zwang zum Gehorsam den Erdensohn mit der Zunge; ihm dienten Wort als Schwert und Mund als Speer, als Schild seine Stimme. Solche Worte entquollen dem gottbegeisterten Munde: 485 »Steh, du Toller! «H Da stand durch unwiderstehlicher Worte Mystische Kunst gar klug gefesselt der flammende Typhon Angstvoll vor dem Mann mit jener Lanze der Klugheit,

Dionysos wirbt ein Heer gegen die Inder

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Eisenlos gefesselt allein durch die zürnenden Worte. Nicht so angstvoll bebte der tausendarmige Riese Vor dem blitzenden Zeus als vor dem Zwang des Geweihten, Dessen beredtem Mund der Pfeil entschnellte. Verwundet Sank er durch die Stimme, zerspellt vom schneidenden Ausruf. Schon vom Feuer verwundet, von heißem Speere gespalten, Unterlag einem andern noch heißeren, geistigen Feuer Typhon und ließ gezwungen die Natternsohle verwurzeln, Unerschütterlich fest an Mutter Erde gefesselt, Unverletzt verwundet vom unbebluteten Speere. Aber das geschah zur Zeit vergangner Geschlechter. Stabios und auch Stamnos bewehrten wider die Inder Scharen, die dröhnend laut im Takte traten den Boden. Und bei dem Anblick des Heeres, das sprang, als wär es ein Tänzer, Hättest du leicht gesagt, daß nicht zum Kampfe der Feldherr, Nein, zum Tanze führe die Scharen gewappneter Mannen; Denn dem ziehenden Heer erbrauste, als wär es ein Tanzlied, Kriegsverkündend laut zum Kampf die mygdonische Leier; Männerhetzend zum Ringen und nicht zum Reigen erscholl sie, Kriegsdrommeten dienten dabei als Liebesschalmeien, Und berekyntische“ Flöten, die doppeltverbundenen, tönten; Dumpf auf beiden Seiten, von rasenden Händen geschlagen, Brüllte das Kalbfell laut vom Prasseln eherner Schläge.

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Auch die Phryger“ nahten zur Seite der streitbaren Lyder, Die da Budeia bewohnten, die vielbesungene Feste Temeneia, geborgen im schattigen Haine des Landes, Die da Dresia besaßen und Obrimos’Wellen, die strömend In die geschlängelte Flut des Maiandros ihr Wasser ergießen, 515 Und auch die Doiasebne, und die da bewohnten die goldne Stätte Kelainai und auch das Bild“, das Gorgo versteinert.

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Dreizehnter Gesang

Ihnen zur Seite zogen auch jene, die in den Städten Nah am Sangarios wohnten und im elespischen Lande. Und ihr Führer,der Dirke65,die Drachenquelle, verlassen, Priasos hieß er, war fremd in aonische Lande gewandert. Denn als der Regenzeus beschwemmte Phrygiens Triften Und in Wolkenbrüchen das steigende Wasser herabgoß, Als es die Bäume bedeckte, und trockne Höhen, wo früher Disteln wuchsen, nun umbrandet wogten wie Ströme, Da verließ die feuchte, vom Regen verschleierte Heimat Und die wallende Flut, die dunkel sein Haus überrannte, Priasos und zog fort in den Schoß der aonischen Fluren, Und so floh er vor des Zeus todbringendem Regen. Immer weinte er Tränen nun in der Fremde, gedenkend Des Sangarios’Flut; die heimischen Wellen ersehnend, Trank er fremdes Wasser nunmehr im aonischen Strome. Spät erst dämpfte den Schwall und der Sintflut böse Gewalten Zeus, der höchste Gott, und aus des Sipylos Gipfeln Trieb er wieder zurück die Wasser, die Phrygien deckten, Und mit dem Dreizack jagte der Erderschüttrer die ganze Flut in die tiefen Schlünde des wüsten, pfadlosen Meeres, Und es entblößten die Höhen sich aus der brausenden Sintflut. Damals nun verließ Boiotiens Lande und kehrte In die Heimat, die nie vergeßne, Priasos wieder, Und der Heimgekehrte umschlang voll seliger Freude Seinen wankenden Vater, ihn, den der gewalt’ge Kronide Frommer Werke wegen aus jener Sintflut errettet, Ihn, den man Brombios nennt. So zogen aus Phrygiens Gründen Stolzen Hauptes die Streiter, sich rings um Priasos scharend. Während fern von ihm sein Vater Asterios hinzog, Kam auch der junge Miletos herbei in Bakchos’ Gefolge; Mit ihm zog als Kämpfer sein Bruder Kaunos, noch Knabe,

Dionysos wirbt ein Heer gegen die Inder

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In den Inderkrieg und führte die karischen Mannen. Denn noch fügte er nicht unglücklich liebend ein listig Lied, die Schwester56 ersehnend, die unerfahrne, und noch nicht Sang er, daß Hera, die Schwester,doch einst in ähnlicher Liebe Dem Kroniden im Lager sich einte, das beide erstrebten; Sangs noch nicht bei der Hürde des schlaflosen Hirten am Latmos5’, Pries am benachbarten Felsen noch nicht Endymions Liebe, Den als Buhlen umwarb die sehnsuchtgetroffne Selene. Nein, noch liebte Byblis ihr Magdtum, Kaunos dagegen Lernte die Jagd, noch fremd in Liebe zu nämlichem Blute. Noch nicht hatte die Maid, da ihr lockiger Bruder entwichen, Ihren Leib durch Tränen zu strömenden Fluten verwandelt, Und sie entsandte die Wellen noch nicht als klagende Quelle. Diesem nun gesellten sich kühne Krieger zum Kampfe, Die in Mykale wohnten und die das gewundene Wasser Des bald unter der Erde, bald droben strömenden, krummen Flusses Maiandros besaßen,der sich durch Höhlen dahinzieht. Soviel Scharen kamen. Die gleichbegeisterten Schritte Der sich sammelnden Mannen durchhallten der Kybele Höfe, Und es füllten sich rings die Straßen der lydischen Feste.

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VIERZEHNTER GESANG

Rheia, sandalenbeschwingt, band in der bergigen Höhle Bei der Krippe fest die mähnigen Nacken der Löwen, Hob die windgeschwinden, die Lüfte durchlaufenden Füße Und durchruderte so mit ihren Sandalen den Äther. 5 Göttliche Schlachtreih’n für Lyaios zu sammeln, durcheilte Sie wie Flügel oder Gedanken die Sitze des Weltalls Hin nach Süden, nach Norden, nach Abend, zur Stätte des Aufgangs, Und an Bäume und Flüsse erging gemeinsam ihr Anruf, An Hadryaden und Najaden1, die Scharen des Waldes. io Und das Geschlecht der Dämonen, die Kybeles Stimme vernahmen, Strömte überallher. Vom Himmel zum lydischen Lande Eilte hoch durch die Luft die sicherschreitende Rheia, Hob zurückgekehrt die nächtige, mystische Fackel Und erwärmte aufs neu die Luft mit mygdonischem2 Feuer. 15 Darum nach dem Stamm der sterblichen Helden und Führer Lehrt das göttliche Heer mich auch, ihr Lüfte des Phoibos!

Erstlich von den Höhn des feuerspitzigen Lemnos Rüsteten auf die Kunde bei Samos’mystischer Fackel Sich Hephaistos’ Söhne, die beiden Kabiren“; sie führten 2o Sippenverwandt den Namen der Mutter: es hatte sie beide

Rheia rüstet die Dämonen

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Einst dem himmlischen Schmied Kabeiro aus Thrakien geboren; Alkon hießen sie und Eurymedon, kundig der Esse.

Und es sammelten sich aus Kreta schreckliche Krieger, Daktylen‘hoch vom Ida, der rauhen Höhe Bewohner, Korybanten, der Erde entsprossen, die einstens der Rheia, 25 Selber sich vollendend, hoch aus dem Boden gewachsen, Sie, die nach der Geburt das Zeuskind neben dem Felsen, Wo er erwuchs, umringten, die Schilde schwingend zum Tanze, Während ihr Festgesang die Berge trügend durchdröhnte Und die Lüfte berauschte; des hellgeschmetterten Erzes 30 Wolkennaher Schall durchbrauste die Ohren des Kronos, Und dieJugend Kronions verhehlten ihm rasselnde Trommeln. Und es zogen voran dem korybantischen Tanzchor Pyrrhichos und Idaios, der schildbewehrte; mit ihnen Wappnete bunte Scharen gleichnamig der Knossier Kyrbas. 35 Und es kamen geschart die neiderfüllten Telchinen5 Zu dem Inderkrieg aus tiefen Schlünden des Meeres; Und in langer Hand eine übermächtige Lanze, Nahte Lykos, und Skelmis kam, dem Damnameneus folgend, Steuernd den Meereswagen des Vaters Poseidon; sie waren 40 Seedurchirrende Wandrer, die auf Tlepolemos’ Insel Früher gehaust, erboste Dämonen des Meeres, die einstens Wider ihren Willen aus väterlichen Gefilden Thrinax und Makareus und der glänzende Auges vertrieben, Helios’ Söhne. Doch jene, von nährender Scholle verstoßen, 45 Schöpften Wasser der Styx mit rachegierigen Händen; Unfruchtbar zu machen die Fluren des fruchtbaren Rhodos, Sprengten auf die Felder sie rings die Tartaroswasser.

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Vierzehnter Gesang

Ferner doppelnaturig der milde Stamm der Kentauren: so Chiron zog zur Seite des roßgestalteten Pholos8; Roßgestaltet war er und nie gezäumt und gebändigt.

Auch Kyklopen7 strömten herbei in Scharen; im Kampfe Schleuderten sie Berge aus unbewaffneten Händen, Felsige Lanzen, es dienten die steilen Schroffen als Schilde; 55 Als zerklüfteter Helm erhob sich der Gipfel der Warte, Und sizilische Funken entflogen als brennende Pfeile. Hoch den hellen Glanz der heimischen Esse geschwungen, Wappneten sich in Händen mit Feuerbränden die Streiter Brontes, Steropes und Euryalos neben Elatreus, 60 Arges und Trachios und dazu voll Stolz Halimedes. Aber trotz seiner Größe und Kraft blieb einer dem Kriege Fern, Polyphemos, der hoch wie Wolken, vom Stamme Poseidons. Denn ihn hielt zurück und hemmte eine Geliebte Drunten im Wasser, ihm lieber als Krieg. Denn wenn er gewahrte 65 Galateia nur halbsichtbar, so sang er am Meere Jungfrauliebenden Schall aus seinerwerbenden Flöte. Und aus bedeckten Höhlen erschienen die Gipfelbewohner, Die nach Pan genannt8, dem einsamhausenden Vater: Pane wappneten sich, gesellt dem Zuge; sie trugen 70 Zu der Menschengestalt das Antlitz zottiger Ziegen; Mit dem täuschenden Aussehn von solchen hornigen Häuptern Waren zwölf Pane da mit Hörnern, und alle entstammten Sie dem einen Pan, dem bergbewohnenden Zeuger. Einen riefen sie bezeichnend Kelaineus, den dunklen, 75 Einen andern Argennos, den hellen, weil er so aussah; Passend ein anderer hieß Aigikoros, ziegengesättigt,

Rheia rüstet die Dämonen

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Weil er genährt von der Milch, gepreßt aus den Eutern der Herde. Eugeneios, der Kinnbart, so hieß ein andrer erlauchter Pan, weil die Flächen des Kinns ein Bart mit Zotteln bedeckte. MitOmester, dem Rohling, kam auch Daphoineus, der blut’ge, so Kam auch Phobos, der Schreck, mit Philamnos, dem zottigen Lammfreund, Xanthos, der blonde, zog mit Glaukos, dem blauen; es glich ja Glaukos mit seinen Gliedern so ganz der Farbe des Meeres, Bläulich funkelnd, und Xanthos erhielt den Namen von seinen Blonden Haaren, er, der Bergbewohner mit Hörnern. 85 Und der beherzte Argos, der helle, kam schneeigen Haares. Ihnen waren zwei Pane gesellt, die Hermes erzeugte In getrennter Liebe mit zwei verschiedenen Nymphen: Zeugte den einen mit Sosa, der kündenden Nymphe der Berge; Er wär gottbeseelt und voll prophetischer Worte, 90 Agreus hieß er, der Jäger, gewandt im tötenden Weidwerk; Zeugte den Nomios auch, den Freund der Weiden, nachdem er Sich der ländlichen Nymphe Penelopeia gesellte, Nomios, der da spielt die Hirtenflöte; mit ihnen Nahte Phorbas dem Zuge, der unersättliche, wilde. 55

Auch der greise Silen”, der doppelnatur’ge, gehörnte Rüstete sich, der Sohn der Erde, gestützt auf den Narthex, Und es begleiteten ihn drei Söhne: zum Kampfe gerüstet Nahte Astraios und Maron erschien und es folgte ihm Leneus; Und zur Stütze des greisen, die Berge durchschweifenden 100 Zeugers Gaben sie ihm zwei Knüttel; der kraftverlassenen Greise Schlaffe Leiber lehnten sich auf die Stäbe von Reben. Waren ja hochbetagt, von denen die doppelnatur’ge Hitzige Sippe der oft vermählten Satyrn entsprossen.

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Vierzehnter Gesang

105 Thiasos, Poimenios und Hypsikeros neben Orestes1’ Rüsteten dort die Schar der gehörnten Satyrn als Führer. Auch PhJegraios kam mit dem gehörnten Napaios; Gemon nahte, dazu der kühne Lykon; dem frohen Zecher Petraios folgte der scherzbelustigte Phereus. ho Und gemeinsam schritt der bergdurchschweifende Lamis Mit Lenobios; Skirtos kam schwärmend zur Seite des Oistros; Mit Pherespondos nahte auch Lykos, ein schallender Herold, Pronomos auch, der kluge: sie alle erzeugte Hermeias, Mit der Nymphe Iphthime in heimlicher Hochzeit verbunden, ns Die einst Doros erzeugt, ein Sproß vom Stamme Kronions. Er war Ahn der Hellenen; von diesem Urvater Doros Sproßte empor das achaiische Blut des dorischen Stammes. Eiraphiotes schenkte dann ihnen Szepter und Würde Des uranischen Herolds, des weisheitverleihenden Zeugers. i2o Immer wenn sie trunken von Bechern lauteren Weines, Taten die Satyrn alle gar kühn; doch kam es zum Kampfe, Drohten sie immer nur und flohen aus brausender Feldschlach t, Löwen fern vom Kampf, doch im Getümmel nur Hasen, Waren gar kundige Tänzer und wußten besser als andre 125 Lieblich süßen Wein aus vollem Kruge zu schlürfen. Ihrer wenige sind als Streiter geboren, die Ares Kühnlich lehrte des Krieges so mannigfache Geschäfte, Die Geschwader zu ordnen; und während sich Bakchos bewehrte, Bargen die einen den Leib in rohen Häuten von Rindern, 130 Andre rüsteten sich mit mähnigen Fellen von Löwen, Andre umhüllten sich auch mit schrecklichen Vliesen von Pardeln, Andere waffneten sich mit hochgeschossenen Ästen, Andere gürteten sich die scheckigen Felle von stolzen Hirschen um ihre Brust, ein Abbild des sternigen Himmels.

Rheia rüstet die Dämonen

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Andere steckten sich hoch um die Stirnen neben den Schläfen 135 Doppelt auf beiden Seiten gar scharfgespitzte Geweihe. Dünn nur sproßte ihnen das Haar auf spitzigem Schädel Bis zu den schielenden Augen hinunter, und wenn sie dann liefen, Bliesen ihnen die Winde sogleich die Ohren nach rückwärts Grade ausgestreckt, und dabei klatschten gedehnt sie 140 An die bärtigen Backen. Ein Pferdeschweif zierte den Rücken Lang herunter und wallte auf beiden Seiten der Lenden.

Auch das zweite Geschlecht der wunderlichen Kentauren Nahte, die zottige Sippe gehörnter Pheren11; von Hera Hatten sie Leiber gehörnt, doch menschenähnlich; sie waren Kinder der Wassernajaden und früher sterblich gebildet, Söhne der Hyaden vom Stromgeschlechte des Lamos. Einstmals pflegten die Pheren den zeusentbundenen Bakchos, Als er wimmernd aus den Nähten des Schenkels geboren, Kinderpflegende Hüter des blickversteckten Lyaios, Die noch menschlich gestaltet. Und in der Schattenbehausung Hegten sie den Knaben gar oft in bergenden Armen, Der nach dem Äther schrie, dem Sitz des Vaters Kronion. Denn das Kind war klug trotz seiner Kleinheit; es ähnte Bald einem Böcklein, soeben geboren. Im Hürdenverstecke War es mit langen Haaren am ganzen Körper bewachsen Fremdgestaltet; es stieß aus dem Munde ein täuschendes Blöken Und versuchte wie Ziegen mit falschen Hufen zu schreiten. Trügerisch war er bald gleich einem Weibe gebildet, Und in Krokosgewändern erschien er wie ein verkapptes, Ebenerblühtes Mädchen. Die Mißgunst Heras zu täuschen, Ließ er weibliche Stimme aus fremden Lippen erklingen Und umband die Flechten mit einem duftenden Kopftuch.

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Frauengewänder trug er gar bunt und prächtig und schlang sich 165 Eine Binde um die straffe Wölbung des Busens, Und als Jungfrauengürtel umgab er zum Schutze des Magdtums Rings die Hüften sich mit einem Purpurgewinde. Zwecklos war die List, denn Hera sah es von oben Mit allschauenden Augen im ringsgewendeten Antlitz 170 Und erspähte des Bakchos sich immer wandelnde Formen. Ingrimm erfüllte sie gegen des Bromios Wächter, und pflückend Tückische Wiesenblumen im nächtigen Dunkel Thessaliens, Goß sie bannenden Schlaf hinab auf die Häupter der Wächter, Und mit Zaubertränken beträufte sie ihnen die Scheitel; 175 Ihre Gesichter salbend mit feinem, magischem Öle, Wußte sie zu verwandeln ihr früher menschliches Aussehn: Ihre Gestalt war nun mit langen Ohren behaftet, Und ein Roßschweif hob aus ihren Lenden sich aufrecht Und umpeitschte die Flanken des brustbezottelten Trägers, iso Während ein Rindergehörn an ihren Schläfen entsproßte. Glotzend weiteten sich die Augen der hornigen Stirnen, Und an den Köpfen wuchs das Haar zu geringelten Flechten, Länger wurden ihnen die Backen mit bleckenden Zähnen, Eine befremdliche Mähne entquoll von selber dem Halse iss Und verbreitete sich vom zottigen Bug zu den Hufen. Diese ganze Schar war von zwölf Führern gerüstet: Spargeus und Gleneus, der Tänzer; und an Eurybios ’ Seite Nahte fremdgestaltet der traubenpflegende Keteus, Neben Rhiphonos schritt sein Freund Petraios; der Zecher i9o Aisakos nahte sich mit Orthaon zusammen; es einte Den Amphithemis und den Phaunos gemeinsame Wandrung; Mit dem gehörnten Phanes kam als Begleiter Nomeion.

Rheia rüstet die Dämonen

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Doppelnaturig zog eine andere Gruppe Kentauren12 Her von Kypros,wo einst Aphrodite in fliegender Eile Vorwärts stürmte, die Spur des begehrlichen Zeugers zu meiden, Daß sie den Vater nicht als frevelnden Buhlen erkenne. Vater Zeus enthielt sich der Hochzeit. Unangetastet Ließ er die allzuschnelle unnahbar sich weigernde Kypris. Statt Aphrodites Lager ward nun die Erde sein Saatfeld: Drein ergoß er den Liebesregen des zeugenden Pfluges. Und die Erde, empfangend den Hochzeitssamen Kronions, Liess das Fremdgebild einer hornigen Sippe entsprudeln.

Und es eilten zusammen mit diesen Kriegern die Bakchen18, Von Maioniens Klüften die einen, die anderen stürmten Nieder von den Höhn des schroffen Sipylosgipfels; Oreaden in langen Gewändern mit männlichem Mute Wallten tobend herbei mit thyrsosgerüsteten Streitern, Sie, die in der Wende der wiederkehrenden Jahre Länger zu leben pflegten, die einen als weidende Nachbarn Auf den Höhen bei Hirten, die andern hatten verlassen Ihre laubigen Haine, des wilden Waldes Gebirge, Nymphen der Bäume, mit diesen von gleichem Wesen und Alter: Alle die eilten zusammen zum Kampf; die einen ergriffen Eherne Tamburine, die Instrumente der Rheia, Andere hatten die Flechten bedeckt mit Efeugewinden, Andere wieder waren mit Natternschlingen gegürtet; Mit den Händen erhoben sie spitzen Thyrsos, geleitet In den Inderkrieg von lydischen, kecken Mänaden. Stärker als diese zogen voll wissender Künste zum Kriege Schwärmende Bassariden, die einst Dionysos’Ammen: Aigle, Kallichore auch, Eupetale und auch Ione, Kalyke voller Lachen, Bryusa, Gefährtin der Horen,

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Vierzehnter Gesang

Und Seilene und Rhode, Okynoe neben Ereutho Und Akrete und Methe, es folgte die Freundin der Harpe, 225 Rosenzarte Oinanthe und silberfüß’ge Lykaste Und Stesichore, Prothoe auch; und trunken vom Weine Wappnete Trygie sich, die lächelnde Alte, als letzte.

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Jeder führte sein Heer gesondert dem Bakchos entgegen. Feuerbrausend zog vor allen Eiraphiotes14 Hell wie der Blitz und sichtbar für alle. Tanzend zum Kampfe Trug er nicht wilden Speer, nicht Schild, nicht legte ein Schwert er Um die Schultern, kein Helm bedeckte die wallenden Locken Als ein eherner Schutz des unverletztlichen Hauptes, Nein, er umwand sich nur die ungeflochtenen Haare Mit einem Natterngeschling, einem grausigen Kranze; an Stelle Schöner Schienen trug er bis hinauf zu den Knieen Purpurrote Kothurne “, geschmückt mit silbernen Schienen. Seine Brust umgab er mit einem zottigen Hirschfell Als einem Panzer, gesprenkelt, als wär es ein Abbild der Sterne14; Um die Hüften schlang er rings einen goldenen Gürtel. Voll von süßem Wein trug in der Linken ein Horn er, Golden und köstlich gefertigt; aus diesem strömenden Horne Rann vom saftigen Trank eine Spur gerade herunter. Seine Rechte erhob einen stachelnden Thyrsos, mit dunklem Efeu umwunden, es ragte an seinem äußersten Ende Erzbeschwert eine Spitze, die rings von Blättern beschattet.

247 Als Dionysos nun im korybantischen1’Hofe Sich mit dem goldenen Schmuck der Göttin des Krieges gerüstet, Zog er aus stiller Behausung der tänzeliebenden Rheia

Kampfbeginn

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Von Maionien fort. Mit bergdurchschweifenden Bakchen 250 Stürmten die Kämpfer zusammen davon mit dem Gotte der Trauben. Manche von ihnen saßen als Lenker auf Maultiergespannen Und beförderten Sprossen der neuen Pflanze des Bakchos. Maultiere zogen dahin in langen Reihen und schleppten Doppelhenklige Urnen mit Rebennektar am Rücken, 255 Und auf den lastbaren Rist der langsamschreitenden Esel Legten sie purpurne Decken und scheckige Felle von Hirschen. Ändere Zecher trugen zugleich mit goldenen Bechern Silbergeformte Krüge zum Mischen, Geräte der Tafel. Und Korybanten umschwärmten die Krippe wildblickender 260 Pardel Und umgürteten ihnen mit Jochgeschirren den Nacken, Bändigten auch die Löwen mit efeuumschlungenen Halftern Und umschnürten ihnen die Lefzen mit drohenden Zäumen. Einer der Kreaturen mit stachelhaarigem Kinnbart Streckte aus eigner Lust ins Joch den willigen Nacken; 265 Und noch lauter gierend nach Wein als alle die Satyrn, Wieherte hell diesWesen,halb roß-,halb menschengestaltet, Und begehrte den Bakchos auf seinen Schultern zu tragen.

Und der Gott auf dem Sitz des zweigeumschlungenen Wagens Zog an Sangarios’ Flut18durch die Tiefe des phrygischen 270 Landes Und vorbei an der steinernen Niobe trauerndem Felsen1’. Und mit Tränen schaute der Stein die wider Lyaios Kämpfenden Inder und schrie ihnen zu mit menschlicher Stimme: »Rüstet nicht gegen die Gottheit den Kampf, ihr törichten Inder,

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Vierzehnter Gesang

275 Gegen den Sohn des Zeus, damit er euch dräuende Krieger Nicht zu Stein verwandelt wie mich Apollon, auf daß ihr Nicht beklagen müßt, zu steinernem Bilde zu werden, Daß beim Orontesstrom20 ihr nicht den Inder Orontes, König Deriades121 Eidam, müßt fallen sehen im Kampfe. 280 Rheia, die zorn’ge, vermag noch mehr als die Göttin der Pfeile. Flieht vor Bakchos, dem Bruder des Phoibos, ich müßte mich schämen, Tränen um Fremde, um euch getötete Inder, zu weinen.« Also rief der Stein und wieder versank er in Schweigen. Und der Rebengott nach dem Saum der phrygischen Höhen 285 Kam nach Askanien22. Alle die dort versammelten Bürger, Denen da IobakchosMdie Lese reichte, empfingen Auch die Weihen gern, begrüßten die Tänze und beugten Ihren Nacken dem Bakchos, dem unbesiegbaren Gotte, Nur geglättete Stille unblutigen Friedens begehrend. 290 Also war das Heer gehörnter Bakchen; mit ihnen Schritten Bakchantinnen auch. Dem schlafabholden Lyaios Donnerte laut die ganze Nacht der Himmel, und Blitze Furchten ihn feurig, weil damals mit diesem bezeugenden Brande Rheia der Inder Besiegung und ihren Tod prophezeite. 295 Morgendlich zog zum Kampf der Gott, zu vernichten den Hochmut Dunkelfarbiger Männer, den dienenden Nacken der Lyder Und auch Phrygiens Bürger und die in Askanien wohnten Abzuschirren vom Joch der schrecklich drückenden Herrschaft. Bakchos sandte den Feinden zwei Kriegsherolde entgegen, 3oo Jenen zu künden: entweder zu fliehen oder zu kämpfen.

Kampfbeginn

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Mit ihnen zog auch Pan, der Gott der Ziegen; es wallten Schattend ihm über die Brust die langen Haare des Bartes.

Hera mit schnellen Sandalen und in Gestalt eines Inders, Melaneus’21, des gelockten, befahl: nicht solle Astraeis“, Speergewandter Führer der Männer, den Thyrsos erheben 305 Und sich gesellen dem Jubel der weinbeseligten Bakchen, Sondern unerbittlich den Kampf gegen Bakchos erregen, Und so klang ihr Wort dem Feldherrn der Inder entgegen: »Prächtig wär es, zu fürchten der Weiber weichliche Scharen: Nein, Astraeis, kämpfe! auch du, Kelaineus28, bewaffne 3io Dich mit Erz, zu zerspellen den kranzgeschmückten Lyaios. Nicht ist der Thyrsos dem Speer gewachsen, und darum, Kelaineus, Scheu Deriades’2’Wut, er würde dich sicherlich töten, Fliehst du vor solch einem nicht’gen und unbewaffneten Weibe.« So überredete ihn der Dämon und schwand in die Lüfte, Sie, die Stiefmutter, grollend dem kriegerischen Lyaios.

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Und von dannen zogen des Bromios28 Boten. Astraeis Wütete in der Nähe gar übermütig und drohend Und vertrieb den Pan und die rinderhörnigen Satyrn, Schmachvoll handelnd wider des schmeichelnden Bakchos 320 Gesandte. Die aber wandten voll Furcht zurück die Sohlen und eilten Heim auf flüchtiger Spur zum kampfentfachenden Bakchos.

Der aber stellte sein Heer den nahenden Indern entgegen. Nicht entzog sich die Göttin Enyo29 dem düstern Kelaineus, Nein, sie rannte geschwind, das Heer der Inder zuwaffnen. 325 Und der kühne Astraeis in stetig wachsender Kampflust

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Vierzehnter Gesang

Machte halt am astakischen See”, dem brausenden Wasser, Und erwartete dort des Rebengottes Heranziehn. Als nun aber die Führer auf beiden Seiten des Heeres 330 Doppelt aufgestellt die ganzen Reihen der Mannschaft, Warfen die dunklen Inder sich schreiend ins wilde Getümmel’1, Wie die Kraniche schreien in Thrakien, wenn sie davonfliehn Vor der Geißel des Winters und vor den Güssen des Regens Und ihre Scharen in Schwärmen sich auf das Haupt der Pygmäen 335 Werfen bei Tethys ’ Wellen und mit der Schärfe des Schnabels Die entkräftete Brut des nicht’gen Geschlechtes verderben Wie eine Wolke im Flug hoch über Okeanos’ Strömung. Tobend rannten zur Schlacht auch auf der anderen Seite Die unbeugsamen Diener des kampfentfachenden Bakchos. 340 Strömend nahten die Reihn der Bassariden In ihrem Haufen umwand die eine das Haupt mit Natterngewinden, Während die andre ihr Haar mit duftendem Efeu umkränzte, Eine bewehrte die Hand mit erzbeschlagenem Thyrsos, Glühend vor Kampfbegier; es ließ eine andre vom Nacken 345 Ohne Binde gelöst die langen Haare entwallen, Eine Mänade ohne ihr Stirnband”; über den beiden Schultern fachte der Wind die ungeflochtenen Locken. Eine schüttelte laut das Erz der doppelten Klappern Und bewegte wild des Hauptes gewundene Flechten. 350 Eine andere ließ, gepackt von wütendem Wahnsinn, 352 Laut den Widerhall des Kampfgetümmels erdröhnen 351 Durch den Wirbel der Hände auf rasselndem Rücken des Kalbfells. 353 Und zu Lanzen wurden die Thyrsosstäbe; verborgen War unter Rebenblättern am Schaft eine eherne Spitze. 355 Eine andre, begehrlich nach blutigem Morde, umwand sich

Kampfbeginn

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Fesselgleich den Nacken mit fleischverschlingenden Drachen; Eine legte sich um die Brust des scheckigen Pardels Fell, eine andere trug gleich einem Gewände am Leibe Die gesprenkelte Haut des bergbewohnenden Hirsches Und umschnürte sich rings mit dieser bunten Umhüllung. Eine andre, ein Junges der zottigen Löwin im Arme, Ließ es an falscher, menschlicher Brust die Muttermilch saugen. Eine band zum Schutz eine dreifach geringelte Schlange Um den Schoß als Gürtel, im Innern verborgen ; die schnappte Nach dem nahen Schenkel mit leisem Zischen, bewachend Schlaflos die Jungfraunschaft des schlafenden, trunkenen Mädchens. Durch die Berge lief eine andere ohne Sandalen, Schritt mit nackender Sohle auf Dornen und stachligen Disteln Und ließ fest den Fuß auf scharfen Hagedorn treten. Eine stürmte dahin auf hohem, langbein’gen Kamele, Und seinen langen Hals durchschnitt sie mit mähendem Thyrsos. Und mit blinden Füßen und rings die Pfade verfehlend, Flog nun halb das Tier dahin auf gewundenen Wegen, Kopflos eilte der Rumpf des irren Kameles von dannen; Tiefe Spuren grabend im Grund mit tastenden Hufen, Glitt es hintenüber von selbst, sich wälzend im Staube. Eine lenkte den Schritt zum rindernährenden Waldgrat, Packte unaufhaltsam das Fell eines wütenden Stieres Und zerfleischte den Nacken und schälte mit grimmigen Nägeln Wild von ihm herunter die undurchbohrbare Stierhaut. Eine andere riß heraus die Gedärme. Man sah auch, Wie eine Jungfrau ohne ihr Stirnband und ohne Sandalen

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Vierzehnter Gesang

Auf dem hohen Felsen am schroffen Abgrund herumsprang, Ohne zu schaudern vor der steilen Tiefe; es ritzte 38S Nicht der scharfe Grat die nackten Füße des Mädchens. Zahlreich wurde rings am Lauf des astakischen Wassers Von der Kureten31 Eisen das Heer der Inder gemetzelt. Und die Krieger umringten des Gegners gelichtete Reihen Mit den feindlichen Waffen und ahmten mit kreisend geschwungnen 390 Füßen nach dabei im Takt den üblichen Schildtanz. Und mit haariger Hand eine Gipfelwarte erhebend, Die er vom spitzen Haupt eines Berges gebrochen, bewehrte Leneus35 sich und entsandte den Felszack wider die Feinde. Bakche ließ hallend und laut den Ruf zum Kampfe erschallen, 395 Bassaris warf die Schärfe des rebenumwundenen Thyrsos, Männerhäupter sanken gar viel durch die Waffen der Weiber. Um mit mordendem Ast einen kühnen Krieger zu treffen, Waffnete da Eupetale33sich; und den rebenumhüllten, Stechenden Efeu warf sie im Flug, des Eisens Zermalmer. 4oo In das Getümmel sprang Stesichore37 traubenumwunden Und verscheuchte die Feinde mit männerbrechender Pauke, Kreisend schwang sie das doppelte Erz der dröhnenden Zymbeln.

Beide Heere kämpften gar hart; es brauste die Syrinx, Kampferregerin Syrinx, es scholl die Flöte Enyos, 405 Bassariden jauchzten, und im entstehenden Schlachtlärm Prophezeiten mit Donner die schwarzen, brüllenden Lüfte Bromios nahen Sieg von seinem Vater Kronion. Mancher Haufe fiel. Es ward die trockene Erde Ganz gerötet von feuchtem Blut. Des astakischen Wassers 4io Abfluß rauschte blutig gefärbt vom Morde der Inder.

Kampfbeginn

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Und es beklagte der Gott im heiteren Herzen die Feinde, Und er goß in den See den berauschenden Trank; in den Fluten Wandelte er schneeweiße Natur zu gelblichem Wasser: Süß wie Honig flössen dahin die strömenden Wellen Und berauschten die Mündung, und von den verwandelten 415 Fluten Wehten duftende Lüfte des frischvergossenen Rauschtranks. Purpurn wurden die Ufer, und als ein mutiger Inder Trank, da ließ sein Mund die staunende Stimme erklingen:

»Fremd ist mir der Trank und unverständlich. Das ist nicht Weiß wie Ziegenmilch und nicht so dunkel wie Wasser. 420 Auch erscheint er mir nicht wie jener, den summende Bienen In durchlöcherten Körben zum süßen Wachse entbinden, Sondern sein Hauch ergötzt mit lieblichen Düften die Sinne. Lechzt ein Mann vertrocknet vom brütenden Sengen der Lüfte, Und er schöpft mit den Händen nur wenig von diesem 425 Gewässer, Schüttelt er ab sogleich die Qual des heiseren Durstes. Rascher übersättigt der Honig. O mächtiges Wunder, Trinke ich dies, begehre ich neu zu trinken, denn beides: Süß ist die Flut und läßt doch keinen Überdruß wachsen. Hebe”, nimm empor den Becher und eile zur Stelle 430 Mit dem troischen Mundschenk, dem Diener heil’ger Pokale, Daß Ganymedes schöpfe aus diesem süßen Gewässer Und mit dem Tranke fülle dann alle Krüge Kronions. Eilt, ihr Freunde, und kostet vom honigsüß träufelnden Strome! Dies erscheint mir ein Bild des Himmels, denn jenen von 435 selber Fließenden Nektar des Himmels, genannt die Labe Kronions, Sprudeln hier Najaden herauf in irdischen Fluten.«

FÜNFZEHNTER GESANG

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Also sprach er ; da strömten die dunklen Inder wie Wolken Dicht um die duftende Flut des Flusses. Der eine von ihnen Näherte sich, und fest in den Schlamm die Füße vergrabend, Stand er halbsichtbar da; und nabelbenetzt von den Wellen, Beugte zum Fluß gestreckt er krumm den Rücken und schöpfte In seine hohlen Hände das honigsüßträufelnde Wasser. Und ein anderer neben der Strömung, von Durst überwältigt, Tauchte den langen Bart hinein in die purpurne Woge, Legte sich mit der Brust auf die Uferböschung des Stromes, Und dann sog er am Saft des Bakchos mit offenem Munde. Einer neigte sich vor, die Lippen den Fluten zu nähern, Und die nassen Hände gestemmt an das sandige Ufer, Schlürfte mit durstigen Lippen er ein das lockende Wasser. Wieder andere schöpften mit irdenen Bechern den Rauschtrank, Und sie benutzten den Boden von einem zerbrochenen Kruge. Und ein gedrängter Schwarm sog an der Röte der Wellen, Schenkte in hölzerne Becher die Fülle des Saftes im Flusse Und bediente sich so der ländlichen Hirtengefäße. Wieder erbrachen die Gegner den Wein aus der Tiefe des Schlundes, Und ihre Augen wähnten, die Felsen doppelt zu sehen; Auch das Wasser erschien vor ihren Blicken wie doppelt. Und es rauschte der Guß des weingewordenen Stromes, Sprudelte gelbliche Flut des berückenden Trankes; es prallten

Berauschung der Inder

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Von den duftenden Ufern die Wellen des labenden Weinstocks. Und die lautere Flut berauschte die Feinde. Ein Inder, 25 Von der Trunkenheit Stachel beraubt der Sinne und taumelnd, Stürmte wieder zur Herde, und aus verbergendem Laubwerk Zerrte gefesselt er einen dräuenden Farren von dannen. Zog ihn an der Spitze geschärfter Hörner mit starken, Überkühnen Händen, als schleifte den doppeltgehörnten, 30 Stiergestalteten Bakchos er unter das zwingende Jochband. Einer erhob die Schärfe der schrecklichen, eisernen Sichel Und durchschnitt einer Ziege der wilden Berge die Kehle, Scharf mit der Sichel zerstückt, als wenn dem hörnernen Pan er Das Genick zerschnitte mit krummer, eherner Klaue. 35 Wieder ein andrer zerdrosch die Herde der hornigen Rinder, Wähnend, die Stiergestalt der Satyrnsippe zu mähen. Wieder ein andrer verfolgte die Hirsche mit hohen Geweihen, Denn wenn er so sah die buntgesprenkelten Häupter, : Glaubte er, zu vernichten die Bassariden1; ihm waren 40 Ja die Augen verwirrt durch die bunten, ähnlichen Felle. Und den ganzen Panzer mit blutigen Tropfen befleckend, Färbte ein bräunlicher Inder sich rot mit geschleudertem Mordblut. Einer wappnete sich laut rufend und schwenkte die Geißel Wider einen Baum, und wenn er von lenzlichen Winden 45 Sich bewegen sah der Bäume verschlungenes Laubwerk, So zerhieb er die Triebe der zartbeblätterten Zweige Und zerfetzte das Laub der dichten Eiche, als schnitt’er Mit einem Messer die Flechten des schnittverschonten11 Lyaios3, Kämpfte so gegen Blätter und ließ die Satyrn beiseite, 50 An einem Schattensieg sich sinn- und nutzlos erfreuend.

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Fünfzehnter Gesang

Auch ein anderer Chor der Feinde ward rasend. Der eine Schnallte an Stelle der Lanze am Schulterriemen die dumpfe Trommel sich um, erhob sie, und von dem doppelt­ geschlagnen Fell ertoste doppelt der Schall des klirrenden Erzes. Einer, gestachelt vom Pfiff der vieldurchlöcherten Flöte, Raste tobend dahin im gewundenen Schwünge der Füße. Einer drückte ein Rohr4 an unerfahrene Lippen Und blies doppeltönend den Klang mygdonischer Flöte5; Dann enteilte er rasch zu der Wurzel einer bejahrten, Nahen Olive und zog einen graulichen, regenbenetzten, Tauigen Zweig herab, als ob er pressend dem Maron’ Aus der Spitze des Bartes ein Weingeriesel entzöge. Andere Inder, unhemmbar vom sinnbetörenden Weine Ganz benebelt, versuchten mit Schwertern und Spießen und Helmen Nachzuahmen die Feiern der wilden, schildebewehrten Korybanten7 und schwangen im Waffentanze die Füße; Und wie sie wechselnd so die Hände kreuzten und schwangen, Dröhnten die Schilde laut beim Schlag des spielenden Eisens. Wieder einer erspähte die Feiern der schwärmenden Muse, Suchte nachzuahmen im Sprung die Tänze der Satyrn, Und wie ein andrer vernahm das Gedröhn des getrommelten Kalbfells, Wurde er sanft und still, und von dem Getöse beseligt, Warf er den Winden hin den schauerlich starrenden Köcher Voller Verzückung. Ein andrer weibtoller Krieger der Inder Packte beim flatternden Haar eine nackenstolze Bakchantin, Schleppte die reine Jungfrau zu frevelhafter Vermählung, Zwängte sie würgend zu Boden, und selbst sich streckend im Staube, Suchte er liebestoll mit der Hand den Gürtel zu öffnen, Ganz überwältigt schon von eitler Hoffnung; denn plötzlich

Berauschung der Inder

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Kroch aus dem Schoß eine Schlange hochaufrecht neben der Hüfte8, Schoß dann wider den Hals des Feindes, und rings um den Nacken Ringelte sie den Schwanz im Kreis, als wär es ein Gürtel. Schleunig auf zitternden Füßen entrann der bräunliche Inder. Und um den Hals die Schlange wie eine Kette, entschwand es ihm Schnell die heiße Begier nach ihm verbotener Liebe. Während so voll des Weins die Inder die Berge durch­ rannten, Überfiel sie gar süß der Schlaf und senkte den dichten Fittich herab auf die taumelnden Augen der ruhenden Krieger. Leise besänftigte er die weinerfüllten Gemüter Dem Dionysos, der Pasithea’Vater, zu Liebe. Rücklings schlief der eine, das Antlitz nach oben gerichtet, Weinbewältigt schnarchte er schlafend mit röchelnder Nase. Und ein anderer legte das schwere Haupt auf ein Felsstück, Streckte sich träge hin am Kieselufer des Stromes, Während Träume am Tag ihm seine Sinne verwirrten; Seine Finger preßte gestreckt er wider die Schläfen. Einer lag vornüber gedehnt; ihm hingen die beiden Hände lang herab zu beiden Seiten der Schenkel. Und ein anderer stützte den Kopf auf die Hände und hielt ihn, Um den Wein zu erbrechen; und einer ruhte mit krummen Gliedern gebogen da wie eine geringelte Schlange. Und in dem feindlichen Chor, der auf waldigen Schroffen gelagert, Schlief bei der Eiche der eine, ein andrer im Schutze der Ulme; Einer lehnte, seitlich gesunken, sich an eine Buche,

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Fünfzehnter Gesang

Seine erhobene Stirn gestützt in die Höhlung der Linken. Viele lagen wie Leichen, doch lallten sie noch, und die Lüfte Füllte das wilde Getos mit unverständlichen Lauten Der betrunkenen Schar. Ein anderer schwankenden Hauptes ho Lehnte den breiten Rücken an einen alternden Lorbeer. Einen, der breit entschlummert auf tiefgeschüttetem Lager, Traf der säuselnde Hauch vom Dach der nur an der Spitze Laubigen Palme oder dem wohlruchduftenden Ölbaum. Einer streckte am Boden sich tief in die Masse des Staubes, 115 Während ihm unten der Strom die Zehenspitzen bespülte. Einer raste dahin im Taumel sinnlos betrunken, Lehnte schwer sein Haupt an eine benachbarte Fichte, Und einem anderen zuckte beim schweren Keuchen der Stirnnerv.

Wie er nun so die Feinde entschlummert gewahrte, da lachte 120 Herrscher Dionysos laut und rief mit befehlender Stimme: »Indertöter, ihr Diener des unbezwingbaren Bakchos, Fesselt ohne Kampf die sämtlichen Söhne der Inder, Fangt sie alle lebendig und ohne Blut zu vergießen, Und sein dienendes Knie dem starken Dionysos beugend, 125 Sei meiner schwärmenden Rheia nun untertänig der Inder, Schwinge mit laubigem Wein den Thyrsos, er werfe der Schenkel Silberne Schienen fort und umschnüre den Fuß mit Kothurnen10 Und umkränze das Haupt mit meiner Binde aus Efeu. Er befreie die Flechten vom Helm mit dem flatternden Haarbusch, 130 Lasse das Kriegsgeschrei und das Klirren der Speere verstummen; Evoe’1 juble er laut dem kränzetragenden Bakchos.«

Berauschung der Inder

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Riefs. Da tummelten sich die Diener. Der eine von ihnen Schlang eine Schlangenfessel im Kreis um den Nacken der Feinde, Zog den geknebelten Mann am Drachenbande von dannen; Einer packte den flatternden Zug des buschigen Bartes Und zog hoch empor den Mann an den Zotteln des Kinnes. Einer spannte die Hände um einen Krauskopf und zerrte Ungefesselt den Mann nun kriegsgefangen am Haarschopf. Wieder ein anderer fügte dem Gegner die Hände zusammen Hinter dem Rücken und flocht ihm dann eine Binde von Ruten Rings um den Hals, und Maron trug schwankend mit zitternden Knieen Einen betrunkenen Inder auf seinen alternden Schultern. Einer griff einen Krieger, der schlummerbewältigt, und schleifte Ihn von dannen, den Hals mit Reben umschlungen, und warf ihn Auf das Rund des Wagens, bespannt mit scheckigen Pardeln. Einem Liegenden band die hinter den Rücken gezognen Hände evoejauchzend ein wilder schwärmender Haufe, Setzte auf Elefanten, den starken Tieren, ihn rittlings. Mancher andere nahm den Riemen des kreisrunden Schildes Und hielt einen Inder an diesem Bande gefesselt. Und eine Bassaride erhob den Krummstab des Schäfers, Schäumend überwogt von sinn vergessenem Wüten, Und einen indischen Mann, der den Reichtum des Meeres durchspürte Riß sie mit tollkühner Hand am starkgekräuselten Haare In die Knechtung des Jochs. Und von Lyaios ermuntert, Hielt einen Panzergeschmückten der eiserne Krieger Erechtheus1’ Auf unbeugsamen Schultern. Und eine Bakchantin der Berge

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Fünfzehnter Gesang

Trieb das schwarze Tier eines trunkenen Treibers von dannen, Elefanten, die sie erbeutet, die Flanken zerpeitschend. 160 Und einen goldenen Schild erhob Hymenaios14; er hatte Ihn einem Manne entrissen, der goldbeschildet; und freudig Schaute Bakchos den Knaben mit liebesehnenden Blicken, Wie er so leuchtend stand in der Wehr des schlafenden Trägers; Und es strahlte der Jüngling im reichen Schimmer der Rüstung, 165 Wie Diomedes, der Krieger, mit üppigem Schilde erglänzte16, Als von dem lykischen Glaukos erWehr und Waffen empfangen. Aber das bakchische Heer ergriff noch weitere Feinde, Die da lagen im Schlaf, des süßen Weines Begleiter.

Dort mit krummem Bogen, behaust im einsamen Walde1’, 170 Blühte eine Jungfrau bei astakidischen Nymphen17, Die gar schöne Nikaia, der Jägerin Artemis gleichend, Noch der Liebe fremd und unerfahren der Kypris. Tiere erlegte ihr Pfeil, und sie durchspürte die Höhen, Denn sie barg sich nicht im Duft des Frauengemaches, 175 Und ihr diente auf Felsen am einsamen Saume des Berges Statt des Rockens der Bogen; ihr galten immer im Buschwald Die geflederten Pfeile für Spindeln, der Netze Gestelle Waren der Webebaum für diese Athene der Berge, Und zur Jagd gesellte sie sich der Göttin der Pfeile. iso Und sie flocht das Garn des gewohnten Weidwerks an Felsen Lieber als ein künstlich Gespinst, und nie mit dem Bogen Zielte sie auf das Reh, das mutlos-schwache, gescheckte; Nicht der Gazelle folgte ihr Fuß, nicht jagte sie Hasen, Sondern sie schirrte ins Joch mit blutgeröteten Riemen iss Geißelschwingend die Rücken von grauen mähnigen Löwen. Oft schwang sie den Speer entgegen der wütenden Bärin;

Episode von Hymnos und Nikaia

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Tadelnd schalt sie die Schützin18, die bogenerfreute, weil diese Achtlos ließ den Stamm der Löwen und scheckigen Pardel Und ihren Wagen statt dessen mit nichtigen Hirschen bespannte. Nicht verlangte sie je nach Salben, nach honiggemischten 190 Bechern, sie liebte mehr des Felsens sprudelnde Quelle, Frisches Wasser schöpfend; es diente natürlicher Hohlbau Einsamer Klüfte dem Mädchen als unzugänglicheWohnung. Oftmals nach dem Lauf gewohnten, ermüdenden Weidwerks Setzte sie sich zu Pardeln und blieb in der Höhlung des Felsens 195 Bis zur Mittagszeit bei einer kreißenden Löwin; Und das schmeichelnde Untier mit ruhig-glänzenden Augen Leckte des Mädchens Leib mit nie verletzenden Kiefern, .Und wie ein winselnder Hund mit furchtsamer Kehle, so knurrte Leise das gierige Maul der wildgebärenden Löwin 200 Mit verschonenden Lefzen; und sie für Artemis haltend, Beugte sich der Löwe mit flehend zu Boden geneigtem Haupte vor dem Mädchen und senkte den mähnigen Nacken. Und im Gehölz erblühte ein junger Stierhirt, ein Bergkind, Hochgereckt, sehr groß und stärker als seine Genossen; 205 Hymnos war er geheißen und weidete prächtige Rinder Mitten im wilden Wald und nicht gar weit von der Jungfrau. Und dieweil er so schwang mit schönen Händen den Krummstab, Kam ihm ein tiefes Verlangen, nicht freute ihn länger die Herde Gleich dem rosenschönen Anchises”, dem ja vor Zeiten 210 Kypris die silberne Schar der bergbeweidenden Stiere Selber betreute und scheuchte mit ihrem Gürtel. Und wie er In der Wildnis erblickte das weiße, jagende Mädchen, Achtete nun der Hirt nicht länger der Herde: es irrte

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Fünfzehnter Gesang

215 Weidend hin zur Au von selbst die einsame Jungkuh, Fern von dem früheren Hirten, dem glücklos liebenden, schweifend, Und das Kalb auch eilte dahin im Sprung auf den Höhen, Seinen Hirten suchend; und dieser selber, der junge, Irrte, das rosige Rund eines Mädchengesichtes zu schauen. 220 Und der listige Eros erregte den sehnenden Hirten Mit gar heftigem Stachel; denn als im Gebirge die Jungfrau Unerreichbar schnell, das Wild zu jagen, dahinlief, Bauschte ein leichter Wind ihr ganzes Gewand in die Lüfte, Und die Schönheit der Haut erblühte; weiß glänzten die Schenkel, 225 Rötlich strahlten die Knöchel, und wie Anemonen und Lilien Schimmerte hell die rosige Au der schneeweißen Glieder. Sehnsuchtgetrieben schaute mit unersättlichen Blicken Hymnos die bloße Wölbung der unbekleideten Schenkel, ______________________________________________ 20 230 Und es bewegte der Wind die rückwärts wallenden Locken, Hob sie zu beiden Seiten, und wie er die Haare so lüpfte, Schimmerte hell und weiß entblößt in der Mitte der Nacken. Und der junge Berghirt geleitete häufig das Mädchen, Bald ihre Netze berührend und ihren Bogen betastend; 235 Bald, wenn sie die Waffe, die sehnsuchtgetroffene21, spannte, Schaute er auf die rosigen Finger der reizenden Jungfrau. Wenn sie die Sehne zog zum Schuß und der Bogen sich krümmte Und sich der Arm entblößte, so schielte seitlich der Jüngling Unbemerkt auf die Weiße des pfeilentsendenden Armes. 240 Immer wieder fragte sein Blick, der Leiter der Liebe, Ob wohl Heras Arme so weiß wie die der Nikaia, Und er wandte sein Antlitz zum westlichen Himmel, zu schauen, Ob wohl silberner sei die Jungfrau oder Selene.

Episode von Ifymnos und Nikaia

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Und so trug der Jüngling die Liebeswunde im Herzen, Und ob nah, ob fern, er dachte immer des Mädchens, 245 Wie sie lenkte den Pfeil auf die bergbewohnende Bärin, Wie sie mit der Hand den Hals des Löwen umschnürte Und die beiden Arme als Fessel um ihn herumschlang Und dann ganz erhitzt sich labte im Bade der Quelle Halb nur sichtbar; und mehr noch gedachte er ihres Gewandes, 250 Wie es einst der Wind bewegte und über des Leibes Mitte emporhob und so die blühende Haut ihr entblößte. Daran gedachte er stets und flehte die zärtlichen Lüfte, Daß sie den tiefen Bausch des Gewandes noch einmal so schürzten.

Und als unstet einst der Jüngling bei seiner gehörnten Herde nah erblickte das stolze, jagende Mädchen, Da entfuhr ihm das Wort mit eifersüchtiger Stimme:

255

»Wäre ich doch ihr Pfeil, ihr Netzgarn oder ihr Köcher, Wäre ich doch ihr tötender Pfeil, damit sie mit ihren Bloßen Händen mich trüge; noch lieber wär ich des Bogens 260 Rückwärts gespannte Sehne, damit sie mich näher an ihren Schneeigen Busen zöge, entblößt vom züchtigen Gürtel, Ja, beim Kalb, bei der Kuh! entblößt vom züchtigen Gürtel. Jungfrau, wahrlich, dein Pfeil, wie glücklich ist er; beglückter Sind deine Pfeile als dein herdenweidender Hymnos; 265 Werden sie doch berührt von deinen berauschenden Händen. Deine süßen Netze, die lieben, stummen, beneid ich, Aber nicht nur sie erregen mir Sehnsucht, ich fühle Eifersucht auch gegen den Bogen, den stimmlosen Köcher. Daß sie doch mittags bei der liebenden Quelle die Glieder 270 Kühle und ich könnte das stolze Mädchen gewahren, Ja, beim Kalb, bei der Kuh! entblößt vom neidischen Kleide. Kann so große Not dich, Kythereia, nicht rühren?

252

Fünfzehnter Gesang

Nein, Thrinakia kenne ich nicht und die hornige Herde22; 275 Niemals weidet’ ich dort in den Bergen des Helios Rinder, Nicht verriet mein Vater das himmlische Lager des Ares. Jungfrau, verstoße mich nicht, wenn ich auch Rinder nur weide! Waren doch Hirten oft Besteiger himmlischer Lager, War doch der ros’ge Tithonos28 ein Hirt, und weil er so herrlich, 280 Hemmte den Wagen und raubte ihn dann die leuchtende Eos. Auch der Mundschenk des Zeus war Hirt, und ob seiner Schönheit Trug ihn der fliegende Zeus mit schonenden Krallen gen Himmel. Komm und weide die Rinder, und eine junge Selene Will ich dich nennen, gesellt einem andern Endymionhirten “. 285 Laß den Pfeil und ergreife den Krummstab, daß man verkünde: Siehe, Kypris weidet dem Hirten Hymnos die Rinder.« Riefs und flehte und preßte mit weibbeseligten Händen Ihre lieben Kniee und folgte ihr, zitternd zu künden Seiner Liebe Qual, und zürnte dem eigenen Schweigen.

290 Einst von Mut geschwellt, dem Diener vermählender Liebe, Nahm er das Jagdgerät Nikaias vom Boden, das dalag, Hob die wilde Lanze, und mit noch heißerm Verlangen Hob er den süßen Köcher empor des grollenden Mädchens, Küßte die stummen Netze, die odemlosen Geschosse, 295 Drückte den mordenden Pfeil an seine beseligten Lippen, Riß ihn an sein Herz und preßte ihn wild mit den Händen, Und dann murmelte er mit leiseerlöschender Stimme: »Bei Aphrodite, sprecht, ihr Eichen, wie damals zu Pyrrhas,

Episode von Ifymnos und Nikaia

253

Zu Deukalions“ Zeit, beschwichtigt das rasende Mädchen! Liebe Daphne auch du, laß deine Äste erklingen: 300 Hätte die schöne Nikaia doch früher gelebt und Apollon Hätte die zartre verfolgt, dann wäre Daphne kein Lorbeer.« Sprachs, und auf der Schalmei in der Nähe des züchtigen Mädchens Ließ er ein Hochzeitslied als Zeugen der Sehnsucht erklingen. Aber die Jungfrau sprach voll Lachen über den Hirten: 305 »0, dein Pan ist süß, pfeift er der Paphia” Weise“. Oft besang er die Liebe, doch ward er nicht Echos Vermählter. 0, wieviel sang Daphnis“, der Hirt, doch wegen des Liedes Barg sich die Jungfrau noch mehr in unzugänglichen Klüften Und entfloh dem Hirtengeschrei. Wie hörte so oft doch 310 Daphne den Phoibos singen mit unbezauberten Sinnen.« Sprachs, und wies ihren Speer, den wilden, dem törichten Hirten. Aber der, gepeinigt vom süßen Stachel der Liebe, Konnte nicht glauben, daß die Amazone30so spröde, Und unseliger Ausruf, des Todes Geleiter entfuhr ihm: 315 »Ja, ich flehe, entsende den Speer, den willkommenen, töte Mich mit der schneeigen Hand. Ich freue mich dessen. Nicht fürcht ich, Ehefeindin, dein Schwert, nicht deine Lanze, sie schenken Mir ja das rascheste Ende, damit ich einmal der bittern, Ständigen Liebe entrinne, dem fressenden Feuer im Herzen. 320 Sterben möcht ich, denn süß wär dieses Schicksal. Und willst du, Bogenträgerin, mich gleich Kypris tödlich verwunden, Bei der Paphia”, sende den Wurf mir nicht in den Nacken, Nein, ins Herz, das schon vom Pfeil der Liebe getroffen.

254

Fünfzehnter Gesang

325 Send in den Nacken doch lieber die Lanze und schone des Herzens: Keiner zweiten Wunde bedarf es. Doch macht es dir Freude, Duld ich auch da ein andres Geschoß; dann mag mich die Erde Bergen, verwundet vom Feuer der Liebe, verwundet vom Eisen. Schone nicht deine Sehne und töte den glücklos Verliebten. 330 Aber das Eisen wird weich, wenn du die Pfeile nur anrührst. Selber biet ich mich dir zum Ziel; mit freudigen Augen Seh ich rings um die Kerbe den Glanz deiner schimmernden Finger, Wie sie sich strecken und wieder die liebliche Sehne zurückziehn, Die mit der rosigen Rechten nun deinem Busen sich nähert. 335 Freiwillig sterbe ich so dahin als Opfer der Liebe; Acht ich doch nicht des Todes und fürchte nicht Wolken von Pfeilen, Wenn mein Auge schaut entblößt deine schneeige Rechte, Wie sie den Bogen berührt und zielt mit dem lieblichen Pfeile. Gegen mich versende du alle Geschosse des Köchers, 34o Gegen mich laß fliegen die Mordgeschosse. Noch bittrer Werde ich ja bedrängt von andern feurigen Pfeilen. Tötest du mich jedoch mit sinnbetörendem Bogen, Jungfrau, so verbrenne mich nicht im üblichen Feuer; Noch ein Scheiterhaufen ist mir nicht nötig, doch schütte 345 Süßen Staub, du Mädchen, rings über mich Toten mit deiner Hand als kleine Gunst, als letzte, damit man verkünde: Wie erbarmt sich die Jungfrau doch dessen, den sie getötet! Nicht Schalmei, nicht Flöte lieg auf dem Grabe des Toten, Auch nicht der Hirtenstab als Zeuge meines Gewerbes, 350 Sondern dein Geschoß nur stecke mir dort auf den Hügel, Das noch rot vom Blut des so unglücklich Verliebten. Gib mir noch andere Gunst, die letzte: laß über dem Hügel

Episode von Ifymnos und Nikaia

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Sprießen jene Blume des sehnsuchtgetroffnen Narkissos” Oder den Krokos88 oder die Liebesblume des Milax84. Pflanze die Anemone des Frühlings, die rasch sich entblättert, 355 Daß sie alle melden, wie rasch meine Jugend dahinschwand. Wenn nicht das grausame Meer, nicht Felsen dich haben geboren, 0, so vergieß eine Träne, nicht größer, als wenn dir ein ; Tropfen Tau das rosige Rund der reizenden Wange befeuchtet, Und es schreibe alsdann deine Hand mit dem trauernden 360 Rötel: Hier ruht Hymnos, der Hirt, der unvermählte, ermordet Von der Jungfrau Nikaia, die hier den Toten bestattet.« über solcherlei Worte ergrimmte Nikaia, und zornig öffnete sie der Pfeile verderblichen Deckel des Köchers Und zog eines heraus der raschen Geschosse und tat es 365 An das Horn ihres Bogens, den sie nun krümmte zum Halbkreis, Und sie entsandte dann gleich den schnellen Pfeil in die Kehle Des noch sprechenden Hirten, und unaufhaltsam im Ansturm Schnitt er mitten entzwei das Wort im redenden Munde.

Aber nicht unbeweint blieb liegen der Tote. Es zürnte Traurig die Nymphe der Berge der männermordenden Jungfrau Und beseufzte Hymnos, den toten; es stöhnte im feuchten Grunde des Rhyndakos88 die Wassermaid ohne Sandalen. Auch die Najaden weinten, und auf dem Sipylos88 seufzte Niobes naher Fels noch mehr mit strömenden Tränen. Und das jüngste Mädchen, noch unerfahren der Ehe, Das noch nicht auf der Flur das Lager Bukolions8'teilte, Abarbarea, eine Najade, zürnte der Jungfrau.

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Fünfzehnter Gesang

Nahe des Dindymon38 Wildnis beklagten auch ihre Gefährten, 380 Die Astakiden, das Tun des kybelidischen88 Mädchens, Und ihr Jammer erscholl; nicht lauter tönte das Weinen Der Heliaden", als in Flammen Phaethon umkam. Und als der mordenden Jungfrau unbändiges Herz er erkannte, Schleuderte Eros fort den Bogen und schwur bei dem Hirten, 385 Einst das Mädchen gezwungen ins J och des Bakchos zu beugen. Mit den nieweinenden Augen bestöhnte vom Dindymon Rheia Auf ihrem Löwenwagen den hingemordeten Jüngling, Sie, die Mutter des Zeus, die Gebieterin. Und es beklagte Echo41 sogar den Hymnos, die ehehassende Jungfrau. 390 Und die Eichen sangen: »Was tat der Hirt denn so Schlimmes ? Nimmer sei Kythereia13und nimmer dir Artemis gnädig.« Adrasteia48 schaute, sie schaute die blutige Jungfrau, Adrasteia schaute den Toten noch zuckend am Eisen, Und sie zeigte der Göttin von Kypros den eben Erschossnen, 395 Ja, sie schalt auch selbst den Eros. In laubiger Wildnis Netzten den Hymnos sogar die Tränen des trauernden Stieres, Und es weinte die Kuh, und klagend stöhnten die Rinder Um den noch zuckenden Hirten. Es war, als wollten sie rufen: »Tot ist der schöne Hirt, das schöne Mädchen erschlug ihn, 400 Ja, dieJungfrau erschlug den Sehnsuchtsvollen. Sie gab ihm Statt der Liebe den Tod. Mit dem Blute des sehnenden Hirten Salbte sie ihr Erz und löschte das Feuer der Liebe —

Tot ist der schöne Hirt, das schöne Mädchen erschlug ihn Und sie betrübte die Nymphen, sie hörte nicht auf des Gebirges

Episode von Hymnos und Nikaia

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Felsen, sie hörte nicht auf die Ulmen und nicht auf der Fichten 405 Flehen: Entsende nicht den Pfeil, nicht töte den Hirten! Auch der Wolf bestöhnte den Hymnos, die grausamen Bären, Ja, es beklagte den Hirten der augendräuende Löwe.

Tot ist der schöne Hirt, das schöne Mädchen erschlug ihn. Sucht eine andere Höh, ihr Rinder, wählet, ihr Stiere, Fremdes Gebirge. Mein Hirt, der süße, erlag ja der Liebe, Von der Hand eines Weibes gemordet. Zu welchen Gefilden Lenk ich die Spur? Fahrt wohl, ihr Ruhestätten, ihr Triften.

410

Tot ist der schöne Hirt, das schöne Mädchen erschlug ihn. Lebet wohl, ihr Quellen, lebt wohl, ihr Warten und Berge! 41s Lebet wohl, Najaden, ihr, meine Eichen! Es schrieen Beide, Pan, der Hirt, und Phoibos: ,Verbannt sei die Flöte! Wo ist Nemesis, Kypris? Du, Eros, meide den Bogen! Syrinx,spiele nicht mehr! Tot ist der Hirt, der dich spielte1.« Und des unseligen Hirten so edles Opfer der Liebe 42 Zeigte Phoibos der Schwester. Und Artemis selber bestöhnte Hymnos’, des toten, Liebe, so fremd ihr selber die Liebe.

SECHZEHNTER GESANG

Nicht blieb ungerächt des armen Hirten Ermordung, Sondern den Bogen ergreifend, die sehnsuchterregenden Pfeile, Wappnete zornig und wild sich Eros gegen Lyaios, Der da saß an des Stromes mit Kieseln bedecktem Gestade. 5 Und die flinke Nikaia, die nach dem üblichen Jagdlauf Unerträglich erhitzt vom Durcheilen beschwerlicher Höhen, Tauchte den nackten Leib ins Bad des sprudelnden Bergquells. Eros zögerte nicht, der sichere Schütze; er legte Das befiederte Ende des raschen Pfeils an die Sehne, io Krümmte seinen Bogen und ließ in das Herz des verliebten Bakchos hasten das volle Geschoß. Und als in den Wogen Nun Dionysos sah das nackte, schwimmende Mädchen, Ließ ihn der heiße Pfeil in süßem Wahnsinn entflammen. Überall eilte er nun, wo immer die Jägerin weilte. 15 Bald bespähte er so die gewundenen Flechten der Haare, Wenn sie flogen im Taumelder Lüfte beim Laufe der Jungfrau; Bald wenn die Locken seitlich sich öffneten, sah er den hellen, Haarentblößten Nacken, als glänze der Schimmer Selenes. Und er ließ die Satyrn und freute sich nicht mehr der Bakchen, 2o Schaute zum Himmel und rief mit liebe weckender Stimme:

»Eilen willich,wo sie den Tau durchschreitet, wo Köcher, Wo der liebliche Bogen und Pfeil, und wo von dem Lager Haucht der süße Duft der keuschen Jungfrau Nikaia.

Dionysos bezwingt Nikaia

259

Fassen will ich die Netze und spannen will ich ihr Flechtwerk, Jagen will auch ich und meine Hirsche vernichten. 25 Wenn sie mich aber schmäht als Amazone unnahbar Und ihre süße Drohung und weiblichen Ingrimm entladet, Nähere ich die Hand den Knieen des zürnenden Mädchens Und berühre wie flehend den lieblichen Leib. Ich erhebe Nicht den Zweig der Olive, sie ist ja der Baum der Athene, 30 Dieser ehelosen und unverführbaren Jungfrau. Nein, statt der fetten Ranke, der bittern, will ich dem süßen Mädchen die Rebe, den Träger der Honiglese des Weines, Zeigen als Zeichen des Flehns. Doch zürnt mir die Jungfrau mit krummem Bogen, o daß sie dann nicht in den Leib mir schieße den 35 Jagdspeer, Nicht den Mordpfeil wider mich schnelle, sondern nur zögernd Scheu mir schlage den Leib mit der Spitze des lieblichen Bogens! Solch berückender Schlag läßt mich nicht bangen, und will sie, Mag sie mit süßen Händen bei meinen Haaren mich packen Und die willigen Locken der künstlichen Flechten zerraufen. 40 Hindern will ich sie nie, die Jungfrau, aber dann werd ich Pressen schonungslos die mich umschnürende Rechte, Packen mit krummer Fessel die rosigen Finger, sie sollen Trösten mein Liebesleid alsdann; es raubte die Jungfrau Meine olympische Schönheit ja ganz. Erbarme dich, Kerne!’ 4E Ward die Astakerin1 doch eine neue, rosige Eos, Wuchs empor als zweite Lichtbringerin, oder Nikaia Ist eine jüngre Selene, die immer leuchtet im Vollglanz. Wechselnd möchte ich meine Gestalt vor Sehnsucht verwandeln: Wenn nicht Scheu und Achtung vor meinem Vater mich 51 hemmte,

260

Sechzehnter Gesang

Würd ich wogendurchwandelnd als Stier durch die tyrischen Wasser Unbenetzt von den Fluten mir meine Nikaia entführen, Segelnd wie der Geliebte Europas, und hätte dann meinen Rücken geschüttelt, damit das Mädchen in banger Erregung 55 Mit seiner weißen Rechten dann fest meine Hörner umklammre. O, ich wollte, ich wär ein geflügelter Gatte, dann hob ich Auf meinen Rücken das Weib in sicherem Sitze und kreiste Wie einst Zeus mit Aigina3, damit ich begattend erzeuge Noch einen Aiakos'als ein zweites, hochzeitlich Sternbild. 60 Nicht will ich mit dem Blitz meines Weibes Vater vernichten3 Und diese frevle Ermordung der Braut als Erbe bescheren, Daß sich die süße Nikaia nicht wegen des Toten betrübe. Wäre ich täuschend doch ein geflederter Vogel, weil gleichfalls Auch mein Mädchen so befreundet geflederten Pfeilen. 65 Lieber wünschte ich noch die feuchte Liebe zur Jungfrau Danae3, daß ich buhlend als goldner Regen ihr nahte, Hochzeitsgabe und Gatte zugleich, damit ich im Taumel Reichlich ergösse den Saft des liebebefördernden Regens. Ziemte sich doch, daß Nikaia, mein augenherrliches Mädchen, 70 Golden, wie sie erscheint, auch goldnen Buhlen erhalte.«

Liebeswütig rief er so laut mit rasender Stimme. Wie eine duftende Wiese er einst durcheilte, erschienen Seinen Blicken die Farben der Blüten wie jene des Mädchens, Und da entflog ihm so das Wort in die luftigen Winde:

75 »Deine Gestalt, Nikaia, hab ich hier eben gesehen. Hat sich nicht deine Schönheit in Blüten verwandelt? Denn als ich Schaute die herrliche Rose, da schien sie mir deine Wange.

Dionysos bezwingt Nikaia

261

Aber deine Rose blüht unverwelklich, du hegst ja Rötliche Anemone, dir angeboren und ewig. Sah ich der Lilie Weiß, so dacht ich der blendenden Hände, Schaute ich Hyazinthen, erschien mir das Dunkel der Locken. Nimm mich als Jagdgefährten mit dir, und wenn es dir recht ist, Trage ich deine Netze als süße Bürde, ich selber Deine Stiefel, den Bogen und die entzückenden Pfeile, Ja, ich selber; nicht brauch ich die Satyrn. Hat in der Wildnis Nicht Apollon auch selber Kyrenes’ Netze getragen ? Wer verargte es mir, tät ich das Gleiche. Es fiele Mir ja nicht schwer, Nikaia auf eigenen Schultern zu tragen. Ich bin nicht mehr als mein Vater, und der hat doch in den Fluten Als ein ruderndes Rind Europa sicher getragen. Rosige Jungfrau, warum bist du eine Freundin der Wälder ? Deine lieblichen Glieder verschone doch, laß nicht auf Felsen Ein gar rauhes Lager dir deinen Rücken zermürben. Wenn du es willst, so werd ich dein Kammerdiener, und selber Will ich dir im Gemach dein Lager betten; darüber Breite ich bunte Felle von Pardeln, lege daneben Auch eine schreckliche Hülle, die zottigen Vliese von Löwen, Meine eigenen Glieder entblößend. Du aber schlummre Lieblich und süß,bedeckt von Dionysos’scheckigem Hirschfell. Drüber werf ich dir noch die Haut mygdonischer’ Hirsche Und entblöße die Satyrn. Und sind dir Hunde willkommen, Schenk ich dir meines Pans gesamte Meute auf einmal. Bringen will ich aus Sparta dir andere Hunde, die dorten Mein karneischer Phoibos’ zur Freude der Jünglinge aufzieht, Und ich rufe dir auch Aristaios’10 jagende Rüden. Fangnetz und Stellnetz will ich besorgen, als passende Gaben

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Sechzehnter Gesang

Stiefel des Nomios und Agreus11, der selber vor Zeiten Lehrte, Triften beweiden und auch den ermüdenden Jagdlauf. Wenn du aber die Glut der trocknen Sommerzeit fürchtest, ho Laß ich über dein Lager dir edle Reben entsprossen, Und umwehen sollen dich trunkenmachende Düfte, Wenn du da liegst in der Mitte der rebenreichen Bedeckung. Schweifende Jungfrau, erbarme dich deiner vom Leuchten der Sonne Heißbeschienenen Wangen des sehnsuchtsüßen Gesichtes, ns Daß nicht Helios’ Strahl den Glanz der Glieder verzehre, Und die Winde dir nicht die gesalbten Flechten zerraufen. Schlummre inmitten der Blüten von Hyazinthen und Rosen. Lehne sanft dein Haupt an die nahe Pflanze des Bakchos, Daß vier Göttern zugleich du gemeinsame Freude verursachst, 120 Dem Apollon, dem Zephyr, der Aphrodite und Bakchos. Kriegsgefangen möcht ich die dunklen Inder als deines Lagers Kammerdiener dir schenken. Doch warum erwähn ich Jenes braune Geschlecht als deines Bettes Bereiter? Eint sich die blendende Eos der Nacht im finsteren Mantel? 125 Du, Astakerin, wurdest zur jüngeren Artemis, darum Will ich dir sechzig Mägde1* als deine Begleiter besorgen, Daß ich als zahllosen Chor dir ein Gefolge geselle, Gleichgroß wie die Schar bei der pfeilfrohen Göttin der Berge, Ähnlich Okeanos’Töchtern, damit dich die jagende Göttin 130 Artemis nicht befeinde, auch wenn sie Herrin der Jagd ist. Will dir auch die Chariten des heil’gen Orchomenos19 schenken Und sie als meine Kinder der Aphrodite entwenden. Zähme unzähmbaren Sinn durch Sehnsucht, dann soll dich empfangen Nach der Plage der Jagd mein Lager, damit du erscheinest 35 Artemis im Gebirge und im Gemach Aphrodite. Wer verargte es dir, mit dem Jäger Lyaios zu jagen?

Dionysos bezwingt Nikaia

263

Gierst du aber nach Kampf wie eine bogenberühmte Amazone, so eile zum Inderkriege, damit du Seist Athene im Streit und fern vom Männerkampf Peitho11. Wenn du es willst, so nimm des Lyaios hirschtötenden 140 Thyrsos; Reherlegerin werde du so. Es werde mein Wagen Durch deine Hände geschmückt und deine Sorgfalt, sobald du Pardel oder Löwen ins Joch des Wagens hineinspannst.«

Also rief er, verfolgte die nahe Jungfrau der Berge, Und er schrie: »Erwarte, du Jungfrau, Bakchos, den Buhlen!« 145 Aber das Mädchen ergrimmte; aus keckem Munde entfuhr ihr Ein gar wilder Ruf dem Gott Lyaios entgegen: »Geh und richte solch Wort an eine zärtliche Nymphe! Kannst du Artemis oder Athene zerren zur Hochzeit, Dann erst sei dir als Braut die starke Nikaia zu willen. 150 Bin ich doch beider Genossin, doch wenn dir am Ende die Hochzeit Mit Athene entgeht, die des Gebärens ja fremd ist, Und du auch nicht bezauberst der spröden Artemis Sinne, Such dann auch nicht das Lager Nikaias. Daß ich nicht sehe Dich meinen Bogen berühren und meinen Köcher betasten, 155 Daß ich auch dich noch erlege, nachdem ich den Hymnos gemordet! Bakchos werd ich verwunden, den unverwundbaren. Bist du Gegen Eisen gefeit und können dich Pfeile nicht ritzen, Ahme ich nach der Iphimedeia hochragende Söhne1’: Unauflöslich will ich mit eisernen Banden dich fesseln1’, 160 Daß es dir ganz so gehe wie deinem Bruder, verborgen Will ich in ehernem Faß dich aufbewahren gleich Ares, Bis dir dann doch wohl nach des Mondes zwölfmaligem Umlauf1’

264

Sechzehnter Gesang

Deine Sehnsucht nach mir in die luftigen Winde davonfliegt. 165 Nicht mit begehrlichen Händen sollst du meinen Köcher betasten; Mein ist der Bogen und dein der Thyrsos. Auf Astakos’ Höhen Sende ich meinen Pfeil hier gegen Sauen und Löwen, Artemis zugesellt, doch du auf Libanons11 Felsen Magst nur Hirsche verfolgen als Jagdgefährte der Kypris. ko Dir ergeb ich mich nicht, auch wenn du vom Blute Kronions. Wenn ich begehrte, es sei ein Gott mein Gatte, dann würd ich Nicht den weibischen Schwächling, den waffenlosen, gelockten Buhlen Dionysos wählen, mein Brautbett wäre dem Schützen Phoibos als.Gatten oder dem ehernen Ares bereitet; 175 Einer böte den Bogen, der andre sein Messer1’als Gabe. Aber da ich ja keinen der Seligen möchte, und mich auch Kein Verlangen erfaßt, Kronion Schwieger zu nennen, Such eine andere junge und willige Gattin dir, Bakchos. Warum eilst du! du läufst nach unerreichbarem Ziele, iso Wie einstApollon die Daphne, Hephaistos Athene verfolgte”. Warum eilst du? dein Lauf ist zwecklos. Hier in den Bergen Sind ja Stiefel besser als deine Kothurne zu brauchen.« Sprachs und verließ den Bakchos. Doch immer durch wuchernde Wildnis Weiter verfolgte der Gott die bergdurchschweifende Jungfrau, iss Mit ihm rannte begleitend ein Hund verständigen Sinnes, Den der hornige Pan, der hundezüchtende*1, einstmals Dem Dionysos schenkte, dem jagenden Freunde der Berge. Ihn betrachtend, als hätte der Hund Verständnis und Stimme, Der da auf gleichem Pfad sich mit ihm plagte und mühte, 190 Sprach zu dem Hunde gar freundlich der tollverliebte Lyaios: »Warum, schweifender Hund, gesellst du dich immer dem Bakchos ?

Dionysos bezwingt Nikaia

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Würd’ger Gefährte des Pan, des sehnsuchtgeplagten, warum denn Spürst du allein nach der Jungfrau zusamt dem spürenden Bakchos ? Lehrte dich dein Erzieher mit Liebe Mitleid zu haben ? Unsere Jungfrau suche nur weiter und nicht auf den Felsen Laß den irrenden Bakchos allein zurück im Gebirge. Du nur hast Mitleid mit mir, und gleich einem Menschen verfolgst du Hoch zum waldigen First das hügeldurchschweifende Mädchen. Müh dich für deinen König, und als Entgelt für die Plagen Sei dir mein Dank beschert: ich will dich zum Sirius bringen, Zu dem Gestirn der Maira22, und mach dich im Äther zum Sternbild Nah dem früheren , Hund ‘2S, damit die Trauben dann reifen Auch durch deine Glut, die den Saft der Reben entbindet. Steige als ein dritter Hund21 am Himmel! Wer will es verargen ? So erscheinst auch du als des Hasengestirnes25Verfolger. Schilt aus Mitleid mit mir, wenn es recht ist, das züchtige Mädchen Scheelen Blicks im Lauf zum kybelidischen Waldgrat, Weil mir suchendem Gott das Weib noch immer davonflieht. Schilt auf beide zugleich, auf Adonis22 und auf Kythereia. Durchs Gebirge verfolge die schweifende, unstete Echo2’, Daß sie mein Mädchen nicht noch in der Scheu vor der Ehe bestärke. Laß nicht in trauriger Sehnsucht den Pan der Jungfrau sich nähern, Daß er nicht gar sie packe und zur Vermählung sie zwänge. Wenn du die Jungfrau siehst, dann renn und meld es mit klarem

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Sechzehnter Gesang

215 Schweigen oder auch klug durch Bellen dem suchenden Bakchos. Sei ein Bote der Sehnsucht! Es mögen andere Hunde Sauen oder Löwen von felsigen Höhen verjagen. Lieber Pan, ich nenne dich überselig, weil deine Hunde geschaffen sind, um Liebesspuren zu folgen. 220 Schillernde Schicksalsgöttin, du spielst mit Menschen­ geschlechtern, Allbezwingerin, sei barmherzig, denn wie über Menschen Herrschst du auch über Hunde, es dient dieser irrende Arme Nach dem Pan nun auch dem sehnsuchtsvollen Lyaios. Scheltet die Jungfrau, ihr Felsen, ihr lieben Eichen, verkündet: 225 Hunde selbst fühlen Mitleid, die Amazone hat keines. Auch unter Hunden gibt es verständige, denen Kronion Menschliches Fühlen verlieh, doch menschliche Rede versagte.« Sprach so bei einem Baume, und durch den laubigen Wipfel Hörte des weibertollen Lyaios Stimme die alte 230 Melie”, und da schrie sie mit gellend-schmähender Stimme: »Andere Hundejäger, Dionysos, pflegen ihr Weidwerk Hier für die Göttin der Pfeile, du aber treibst es für Kypris. O wie nett, ein zartes und keusches Mädchen zu fürchten! Bakchos, der kühne, ward zum flehenden Diener der Liebe, 235 Streckt einem schwachen Mädchen die indermordenden Hände. Dein Erzeuger pflegte doch nicht mit betörender Rede Zur Vermählung, zur Hochzeit ein williges Mädchen zu locken. Semele bat er nicht, bis sein Begehren erfüllt war; Danae” quälte er nicht, bis er ihr Magdtum bezwungen. 240 0, du weißt, wie das Weib Ixions80 Kronion sich einte, Kennst sein Ehegewieher, die roßgestaltete Hochzeit,

Dionysos bezwingt Nikaia

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Kennst die scherzende Liebe, mit der er Antiope81 freite, Und den lachenden Satyr, den trügerisch ahmenden Buhlen.«

Also sprach sie und schmähte des bangenden Bakchos Gefühle, Zog sich dann wieder zurück in die ihr verbundene Eiche. 245 Über die Höhen verfolgte voll Ungeduld Bakchos die wilde Jungfrau mit liebenden Füßen, doch unstet durchrannte die flücht’ge Amazone die Warten der unzugänglichen Berge, Irreführend den Pfad des nach ihr spürenden Bakchos. Und da Phaöthons“ Fackel voll Glut des durstigen Mädchens 250 Haut bedrängte, so wurden die lechzenden Lippen ihr trocken. Ahnungslos der List des weibentflammten Lyaios Sah sie das gelbliche Wasser des weingewordenen Stromes “, Schlürfte die süße Flut, da wo die Inder getrunken, Und es wurden berauscht die Sinne des Mädchens, sie raste, 255 Und ihr schwankte das Haupt, ihr drehte sich alles im Taumel, Und sie wähnte den See, den vollen, doppelt zu sehen. Sie verdrehte die Augen, und niedersinkenden Hauptes Sah sie doppelt den Rücken der wildernährenden Höhe. Und ihr schwankten die Füße; sie glitt zur Erde und wurde 200 Niedergesunken von selbst vom Fittich des Schlummers umfangen, Und das wankende Mädchen berückte vermählender Tiefschlaf. Eros gewahrte sie so entschlummert und wies sie dem Bakchos Voller Mitleid mit Hymnos; und Nemesis84 sah es und lachte. Und der listige Bakchos auf unvernehmbaren Sohlen 265 Schlich sich Schritt für Schritt geräuschlos zu seiner Vermählung.

268

Sechzehnter Gesang

Dicht bei der Jungfrau zog er das Ende des schützenden Knotens An dem Keuschheitsgürtel und löste mit sicherer, leiser Hand ihn auf, damit die Jungfrau nicht plötzlich erwache. 270 Und da entfaltete rings die Erde ein duftiges Blühen Und gebar eine Pflanze dem Gotte Bakchos zuliebe. Gleich einer Hülle erhoben sich dichte Reben und kränzten Einen Pfahl; er stand belastet von Trauben umflochten. Durch die Blätter ward das Lager beschattet; von selber 275 Wanden sich wie eine Laube die edlen Reben darüber, Und zuweilen wurde hoch oben eine der vollen, Schwankenden Dolden im Wind der Aphrodite geschüttelt Und verbarg die beiden. Mit eppichtragender Ranke Machte ein lieblich Gewächs, das mit dem Weinstock verbunden, 280 Trunken des Efeus Geschling, der an der Rebe sich aufrankt.

Und die erlistete Hochzeit glich einer Umarmung im Traume, Unterstützt vom Schlaf; da wurde das schlummernde Mädchen Seines Magdtums beraubt, und sah als Bringer der Liebe Nahen den Schlaf, den Kuppler der weinüberraschten Vermählung. 285 Hoch durch den wogenden Wald ertönte ein Wehen und fügte Wallend mit singendem Ton ein Lied der Liebe von selber; Und wie der Wind verwehte die bräutliche Feier der Berge, Ließ die Jungfrau Echo“ zurück mit schamhaftem Munde Einen Nachhall erklingen, die Pangeliebte. Und tanzend 290 Sang auf dem Boden die Flöte: »O Hymenaios, o Hymen!« »Lieblich ist diese Vermählung«, so scholls von der Fichte im Bergwald.

Dionysos bezwingt Nikaia

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Irrend stürmte heran im Winde die Seele des Hirten, Nah die schlafende Jungfrau in nächtigen Träumen zu reizen: »Rachegötter dienen auch Liebenden, glückliche Braut, du! Flohst du den Buhlen Hymnos, so ward nun Bakchos dein 295 Buhle. Seltsam beugst du das Recht, du hochzeitfeiernde Jungfrau: Schmachtenden Freier erschlägst du, doch bist du dem Räuber gefällig. Jungfrau, ehernen Schlaf verliehst du dem liebenden Hymnos, Jungfrau, tiefer Schlaf hat dir dein Magdtum vernichtet. Lachend sahst du sinken im traurigen Blute den Hirten: 300 Stöhnend mußt du nun sehn des Magdtums trauriger Bluten.«

Also sprach und stürmte hinweg wie rauchiger Schatten Trauernd die weinende Seele des sehnsuchtgetroffenen Hirten, Und sie tauchte geschwind zum allumfassenden Hades, Eifersüchtig auf Bakchos und seine trunkene Hochzeit.

305

Und mit tönenden Rohren ließ Pan, der hymnenbegabte, Seine Eifersucht bergend, ein Lied zur Vermählung erschallen, Eine tadelnde Weise zu dieser befremdlichen Hochzeit. Einer der Satyrn, der aus den benachbarten Büschen Unersättlich beschaute die augenverbotene Einung, 310 Rief beim Anblick des Gotts und der lieblichen Lagergenossin: »Pan, gehörnter, mußt du allein noch laufen nach Liebe? Wann wirst du ein Freier der Echo, der immer verfolgten? Wann wird dir einmal ein listiger Anschlag gelingen, Der dir verhilft zu der noch nicht vollzogenen Hochzeit? 315 Lieber Pan, verwandle dich doch vom Hirten zum Gärtner; Und dem hütenden Krummstab entsage und laß bei den Felsen

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Sechzehnter Gesang

Deine Rinder und Schafe. Was kann denn Hirten gelingen! Pflanze den Liebeswein, der wird dir helfen zur Hochzeit.« 320 Ehe das Wort verhallt, rief Pan, der Gebieter der Ziegen: »Wenn mich mein Vater doch lehrte die List des vermählenden Weines! Wär ich wie Bakchos Gebieter der sinnbetörenden Traube! Stillen würde ich dann der Liebe irrende Sehnsucht, Sähe ich trunken im Schlaf die spröd sich weigernde Echo. 325 O ihr Augen, verzeiht mir das Wort: doch während am Bach ich Nutzlos die Schafe tränke, verlockt durch lautere Weinflut Bakchos zur Vermählung die widerspenstigsten Jungfraun, Schuf als Liebesarznei diese Pflanze. Weg mit der Schafmilch! Weg mit der Ziegenmilch! denn die vermag nicht den Schlummer 330 So nach Wunsch zu bringen, noch Mädchen zur Hochzeit zu locken. Ich allein, Kythereia, muß leiden. Weh mir der Liebe! Syrinx “wußte stets der Hochzeit mit Pan zu entgehen, Aber bejubelt die eben vollzogne Vermählung des Bakchos Mit ihren eigenen Weisen, ja mit dem üblichen Liede 335 Hallt auf die Stimme der Syrinx die mit ihr tönende Echo. Menschenbezaubernder Herr des bräutlichen Rausches, o Bakchos, Selig wurdest nur du, denn wenn sich Weiber dir weigern, Hast du Liebeswein zur Liebeserzwingung erfunden.«

Also tönte das Wort des Pan, des glücklos verliebten; 340 Eifersucht quälte ihn wegen Lyaios’ vollzogner Vermählung. Als ihm nun Liebe und Gier nach dem Lager am Wege verflogen,

Dionysos bezwingt Nikaia

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Hob sich Dionysos leise davon auf unhörbaren Sohlen. Und das Mädchen erwachte und schalt auf die Wellen des Stromes, Voller Zorn auf Hymnos, auf Bakchos und auf Aphrodite. Ströme von Tränen rannen ihr nieder, in ihrer Betrübnis Hörte sie noch verklingen das Hochzeitslied der Najaden, Und als Verkünder der Hochzeit des sehnsuchtgetroffnen Lyaios Sah sie das Lager am Boden von Rebenblättern beschattet Und als Decke darüber Dionysos’bräutliches Rehfell, Einen gar lauten Boten erschlichner Vereinung; sie sah auch Ihren Jungfraungürtel betaut vom Blute der Hochzeit. Und mit den Nägeln zerriß sie die rosigen Wangen, die beiden Schenkel schlug sie und schrie mit traurig] ammernder Stimme: »Weh, meine Jungfernschaft! sie raubte des Euios87 Wasser. Weh,meine Jungfernschaft! sie raubte der Schlaf der Eroten. Weh, meine Jungfernschaft! sie raubte der schweifende Bakchos. Fluch dem listigen Trank der Najaden! Fluch dieser Hochzeit! Nymphen der Bäume, auf wen soll ich denn schelten, denn meine Jungfernschaft haben Schlaf, Wein, List und Liebe bewältigt. Artemis ließ im Stich auch andere Jungfrauen, aber Warum warnte mich nicht die ehescheuende Echo ? Warum hat mir nicht ins Ohr, unhörbar für Bakchos, Pitys” gesäuselt,warum hat mir nicht Daphne8’verkündet: Jungfrau, hüte dich wohl, das trügende Wasser zu trinken! Pfaden. Immer richtet der Drache sein Aug auf des größeren Bären Haupt, am Leib gegürtet mit sternigen Schuppen. Der Bären

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Fünfundzwanzigster Gesang

410 Zeichen umkränzen ihn rings, und auf der Spitze der Zunge Glanzausschleudernd schimmert ein vorgestreckter, gar heller Stern in vielzahnigem Glanz in der Mitte nahe den Lefzen.

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Solches hatte klug der Schmied auf dem Rücken des schönen Schildes wohl gefertigt; und dem Lyaios zuliebe Bildete er dazu des liederbezwungenen Thebens Kuhgegründete Mauern", wie nach der Reihe die sieben Tore errichtet wurden; und Zethos41 hob für die Heimat Mühevoll einen Felsen empor, der die Schultern ihm preßte, Und Amphion spielte, der Lautenschläger; es tanzte Bei dem Liede von selbst sich wälzend die rundliche Säule, Auch auf dem Schilde wie verzaubert. Da möchtest du glauben, .................................. (daß sie sich bewege).......................... Ob sie auch nur ein Abbild, denn unter scherzenden Sprüngen Schiens, als bebte leis ihr unbewegliches Ragen. Wenn du daneben den Mann mit der lautlosen Leier ge­ wahrtest, Wie ihn auf scheinbaren Saiten befeuernde Lieder ent­ strömten, Eiltest du, näherzutreten, der zinnenbezähmenden Leier Mit dem Ohre zu lauschen und deinen Sinn zu ergötzen, Steinbewegende Weise auf sieben Saiten zu hören.

Kunstvoll war das Rund des Schildes, wo sich der Sterne 430 Reigen befand: es war ja dort der troische Mundschenk In dem Hof des Zeus vom Gotte künstlich gebildet, Wie ein Adler, gar trefflich gefertigt, den Schenken davon­ trug, Selbst auf dem Bilde wie gebannt von den raubenden Fängen. Bebend schoß der fliegende Zeus dahin durch den Äther 435 Mit dem erschrockenen Buben in seinen schonenden Krallen

Beschreibung des Schildes

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Und bewegte nur leis die sanft sich regenden Flügel, Daß Ganymedes nicht kopfüber stürze vom Himmel Tief hinunter ins Grab der tödlichen Fluten des Meeres. Noch mehr fürchtete Zeus die Moira, daß nicht der schöne Knabe zuerst seinen Namen dem nahen Meer verleihe 440 Und so die Ehre erhalte, die später für Helle“ bestimmt war. Bei der Göttermahlzeit der himmlischen Tafel erblickte Hera den Buben ganz wie einen Schenken gebildet. Einen Mischkrug hielt er voll seiberfließendem Nektar, Reichte dem schmausenden Zeus den Becher, und Hera 445 daneben Auf dem Schilde saß auch dort noch grollend; man sah ja Deutlich aus ihrer Gestalt die Eifersucht, wie sie der Pallas Neben ihr zeigte den Buben, und daß des himmlischen Nektars Süße nun wandelnd hier unter Sternen ein Kuhhirt kredenzte, In der Hand die Becher, die eigentlich Hebe erlöste. 450 Auch Maionien13 schuf er im Bilde als Amme des Bakchos, Moria“ und gesprenkelt die Schlange, die göttliche Pflanze Und Damasen, den Töter des Drachens, der Erde gewalt’gen Sohn, und den Tylos, geritzt vom scharfen, giftigen Tode, Der in Maionien kurz nur lebte und einst auf dem Gange 455 An dem hügligen Land des mygdonischen Stromes, des nahen Hermos15, mit der Hand eine Schlange berührte; die streckte Breit den Nacken und Kopf; mit vernichtendem Klaffen des Schlundes Sprang sie wider den Mann, und seine Hüfte bedrängend, Ringelte sturmschnell sie sich mit dem kreisenden Rückgrat 460 Um den Körper des Mannes, ihn mit den Ringen umkränzend, Und dann sprang sie zum Rund des jungen, flaumigen Kinnes, Ritzte mit vielem Zischen die Oberfläche der Wange,

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Fünfundzwanzigster Gesang

Speiend schleuderte sie den tödlichen Saft aus den Kiefern, Und ihm ward von der Schlange, die seine Schultern bedrückte, Mitten auch der Hals von dem ringelnden Schwänze um­ gürtet, Schlangenhalsschmuck des Hades, ein Nachbar tödlichen Schicksals; Und wie ein Baum zur Erde, so sank der Tote zu Boden. Um den Jüngling klagend, der dort dem Tode verfallen, Stöhnte stirnbandlos in der Nähe eine Najade; Es zu bezwingen, riß sie zurück das mächtige Untier. Denn nicht nur Ein Hirt und Wanderer war ihm erlegen, Auch nicht Tylos allein vorzeitig; in seinem Verstecke Hausend, fraß es auch Tiere und schleifte sich oft in die Höhle Einen entwurzelten Baum, und unter den Klammern der Zähne Barg es ihn in der Höhlung des unergründlichen Schlundes, Atemholend tief mit grausem Blasen der Kiefern. Oft auch wirbelte sie einen bangerschrockenen Wandrer, Schleifte ihn dann und zerrte ihn in ihr keuchendes Maulwerk; Sichtbar schlang sie ganz den Mann in das Klaffen des Schlundes. Moria aber lauernd sah fern den Mörder des Bruders Spähenden Auges, es bebte erschrocken die zitternde Jungfrau, Als sie gewahrte die Reihen der giftentschleudernden Zähne Und um die Kehle des Bruders die Fessel der tödlichen Kette. Wie sie so schluchzend stand bei der drachennährenden Höhle, Traf sie den Damasen, den himmelragenden Erdsohn, Den einst unbegattet die Mutter Erde entbunden. Von Geburt an deckte ihm dichter Bartwuchs die Wangen. Als er zur Welt kam, war ihm Eris Amme und Lanzen

Beschreibung des Schildes

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Mutterbrust, der Mord sein Bad, seine Windeln der Panzer. Ihn belastete breit die Bürde mächtiger Glieder; Speere warf schon das Kind, ein starker Säugling; dem Äther Nahe schwang er schon früh die verwandte Lanze; es reichte Eileithyia den Schild zum Tragen dem Ebenentstandnen. Als bei der schönen Weide des Waldes das Mädchen den Riesen Sah, da beugte sie flehend sich nieder und zeigte mit Winseln Den entsetzlichen Wurm und daß er den Bruder gemordet Und noch zuckend im Staube den eben gebissenen Tylos. Ungerührt blieb nicht der mächtige Krieger; es riß schon Aus dem Mutterschoß der Gigant einen Baum mit der Wurzel, Stellte sich geduckt dem reißenden Drachen entgegen, Und der geringelte Gegner griff an nach Weise der Schlangen: Aus des Halses Trompete entsandte er zischenden Kampfruf. Fünfzig Plethren dehnte sich lang die Schlange, geringelt Schlang sie um Damasen eine doppelte Fessel, umschnürte Seine Füße, umdrängte in schiefer Windung den Leib ihm, Öffnete klaffend weit die wütenden Tore der Zähne, Spie mit den Lippen das nasse Geschoß, und die grausigen Augen Rollte sie mordbegierig; ins Angesicht des Giganten Warf sie das regnende Gift, das ihren Kiefern entquollen, Weit den gelblichen Schaum der bleckenden Zähne ent­ sendend. Und sie sprang auf das Haupt des hochgewachsnen Giganten, Bäumte erderschütternd sich steil mit dem Schwung ihrer Ringe. Aber da schüttelte nur der grause Gigant seine Glieder, Die wie Berge, und schleuderte ab den lastenden Drachen, Und er schwang mit der Faust eine dichtbeblätterte Lanze, Warf dann gradeaus das Baumgeschoß, und mit der Wurzel Haftete da der Baum im Drachenhaupte, gerade

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Fünfundzwanzigster Gesang

Wo an dem runden Hals sich Nacken und Rückgrat vereinen. 520 Wieder Wurzel fassend durchdrang ihn der Baum; auf der Erde Lag der Drache und rührte sich nicht, ein geringelter Leich­ nam. Plötzlich kehrte sein Weibchen zurück, am Boden sich schleppend. Nach dem gekrümmten Gatten sah rings die geringelte Gattin, Gleich einem Weibe, das sucht den toten Gemahl. Auf die Höhen 525 Schlängelte sie geschwind das lange, schleifende Rückgrat Stürmisch den grasigen Berg hinan. In einem Verstecke Rupfte mit ihrem Maul die Schlange das Kraut des Kronion, Brachte mit spitzen Lippen die schmerzenstillende Pflanze, Und dies Kraut, das vom Tode den grausigen Leichnam befreite, 530 Fügte der trockenen Nase sie ein, und durch diese Blüte Brachte sie wieder Leben dem steifen, giftigen Leichnam. Und da zuckte auch schon der geringelte Tote. Ein Teil war Hauchlos, ein anderer regte sich schon, ein anderer weiter War nur halb noch tot, denn schon bewegte der Schwanz sich. 535 Neuen Atem hauchte er in die erkalteten Kiefern, Pfiff in kurzer Zeit wie sonst mit offenem Maule; Frischgewonnen erscholl aufs neu sein Zischen, und endlich Konnte er kriechen und tauchte zurück in das Dunkel der Höhle. Moria hob die Blume des Zeus, und sie tat auf des Toten 540 Lebenerzeugende Nase die lebenerweckende Pflanze, Und das belebende Kraut mit seinen heilenden Spitzen Weckte beseelend den Leib des Toten zu Atem und Leben. Neu ging in den Leib die Seele und wärmte den ganzen Körper durch die Hilfe der Glut, die in ihr verborgen.

Beschreibung des Schildes

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Langsam begann das Leben zurück in den Toten zu kehren: 545 Schon bewegte er rechts die Sohle des Fußes und hob sich Links dann auf dem Bein und stand gerade gerichtet, Und er glich einem Manne, der auf dem Lager am Morgen Eben die Augen öffnet und von sich schüttelt den Schlummer. Wieder wallte sein Blut; des neudurchatmeten Leichnams 550 Hände hoben sich hoch, der Wuchs kam wieder in Ordnung, Füße in Gang, und den Augen ward Licht und den Lippen die Stimme.

Abgebildet war auch Kybele4“ nach der Entbindung, Wie eine nachgeahmte und nicht entbundene Leibfrucht Ihre Arme hielten; und dem unzärtlichen Gatten 555 Reichte ein steinernes Kind die listenspinnende Rheia, Schlimmes, schweres Mahl; das menschenähnliche Abbild Schlang, diesen steinernen Sohn, der Vater mit schmausen­ der Kehle Und fraß so den Leib eines vorgetäuschten Kronion. Und die schwere Geburt des Steines im Bauche, erbrach er 560 Heftig die zahlreiche Sippe der arggeknechteten Kinder Und spie wieder aus die Bürde des schwangeren Schlundes. Solche vielfachen Bilder, von Künstlerhänden gefertigt, Fanden sich auf dem Kriegsschild des quellenreichen Olympos Für Lyaios; und wechselnd beschauten ihn alle mit Staunen, 565 Und sie umringten den Träger des kreisgebogenen Schildes, Preisend die feurige Esse des göttlich-olympischen Schmiedes.

Während sie sich ergötzten, durchmaß die Sonne den Westen Und versank mit dem Glanz des feueräug’gen Gesichtes; Schweigende Nacht umschwärzte die weiten Schattengefilde. 570 Nach dem Mahle sanken auf ihre Lager am Boden Hier und dort verstreut die Krieger in felsige Betten.

SECHSUNDZWANZIGSTER GESANG

Zu dem entschlummerten König Deriades bei dem betrübten Lager stellte sich, Bakchos getreu, die tapfre Athene, Künftigen zweiten Sieg für ihren Bruder zu küren. Ändernd hatte sie ihre Gestalt dem hehren Orontes 5 Nachgeformt und glich dem Eidam des riesigen Königs. Ihn, der ledig schon der Gier nach Mord und nach Kämpfen, Wußte das täuschende Antlitz des Trugtraums1 neu zu betören; Denn mit solchem Wort ermunterte sie, gegen Bakchos Neu zu kämpfen, den König, der wegen der Toten verzagte:

io »Schläfst du, König? ich zürne dir drob. Den städtegewalt’gen Fürsten ist es doch fremd, die ganze Nacht zu durchschlafen. Ratgeber haben den Schlaf gemessen. Sieh, rings um die Zinnen Drängen die Feinde, und du erhebst nicht einmal den Kampfspeer, Hörst nicht den brausenden Schall der Trommel, die Weise der Flöten. 15 Nicht vernimmst du den Klang der heerverführenden Tuba. Fühle mit deiner Tochter, der jungen, trauernden Witwe, Mit Protonoe2, Mitleid, mit meiner jammernden Gattin. Laß nicht ungerächt, o König, deinen Orontes. Meine Mörder erschlage, die unbewaffneten; immer 20 Leben die Mörder noch deines junggefallenen Eidams.

Neue Inderkämpfe

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Schau doch meine Brust, vom scharfen Thyrsos getroffen. Weh mir! hier wohnt nicht der kriegsgewohnte Lykurgos. Weh mir! daß du nicht der starken Araber König! Sah ich vor weiblichen Gegnern doch König Deriades fliehen. Bakchos war kein Gott, es jagte ein sterblicher Mann ja Ihn in das Meer und machte ihn zum Bewohner der Tiefe. Sei ein furchtloser Löwe, denn vor einem Manne im Panzer Floh gleich einem Hirsch der hirschfellgekleidete Bakchos. Jener hat nicht den Stamm der tapferen Inder getötet; Das hat dein eigener Vater getan. Denn als er erblickte, Daß deine Feldherrn flohn, da hat sie Hydaspes bewältigt. Du bist doch anders gebildet, denn deine Adern durchfließt doch Himmlisches Blut der Tochter des Helios, deines gewalt’gen Flammenden Ahns. Du bist nicht sterblich: Schwert oder Pfeile Können dich nicht bezwingen beim Ansturm wider Lyaios.«

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Sprachs und aufwärts flog zum Himmel die listige Pallas, Als sie wieder das Aussehn des Traumgesichtes verwandelt. König Deriades hieß den Herolden morgens, sie sollten Alles Volk aus der Stadt und von den Inseln versammeln; Und gar mancher Herold enteilte mit stürmischer Sohle, Mannschaft zusammenzutreiben aus all den verschiedenen Städten An die östliche Grenze. Die aresrasenden Streiter Strömten auf Königsruf von allen Seiten zusammen. Erstlich rüsteten sich als leitende Feldherrn des Krieges Phlogios und Agraios, gemeinsame Führer des Volkes, Söhne des Eulaios. Der Vater war eben verstorben, Eben sein Grab errichtet. Mit ihnen zogen zu Felde

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Sechsundzwanzigster Gesang

Alle, die Kyra3 bewohnten und Baidion1, Städte am breiten, Fremdbarbarischen Wasser des indischen Stromes Ombelos, Rhodoes3 feste Türme, das Land der tapferen Inder Und den felsigen Grund Propanisos“ und die auf der Graien Runden Insel’ wohnten, wo Kinder statt bei der Mutter Saugen am männlichen Busen des milchenthaltenden Vaters Warzen und dort schlürfen das Naß mit spitzigen Lippen; Die im Sesindion8 wohnten, im steilen, im leinenbeschützten Gazos3, das sie getürmt aus fadengeflochtenen Bauten, Unzerreißbar errichtet auf gutgesponnenem Grundstein, Unerschütterte Feste des Ares; noch niemals zerrissen Feindliche Männer je mit Erz die linnenen Zinnen.

60 Ferner strömten zu diesen noch andere tapfere Streiter, Darder1’ und Prasierscharen11 und auch die goldreichen Stämme Der Salangen13, voll Schätzen daheim, die immer gewohnt sind, Hülsenfrüchte als Speise zu essen; an Stelle des Brotes Mahlen sie die Frucht auf kreisender Scheibe der Mühle. 65 Ferner der Zabier13 Scharen mit wirren Haaren; ihr Führer War der verständ’ge Palthanor, der den Deriades haßte Und aus Gottesfurcht mit Bakchos Einer Gesinnung. Nach dem Kriege nahm ihn der Herrscher Dionysos mit sich, Gab ihn als fremden Bürger dem leiergegründeten Theben. 70 Dort bei der Dirke blieb er, nachdem er Hydaspes verlassen, Und in Aonien trank er das Wasser des Flusses Ismenos.

Zu ihnen führte gewappnet der stolze Morrheus11 ein zahllos Heer, des Didnasos Sohn, mit seinem Vater, der damals In seinem Greisenalter auch noch voll Trauer zum Kampf zog. 75 Mit seiner greisen Hand erhob er das Kunstwerk des Schildes, Und nun schüttelte er am Kinn den schattenden, langen

Neue Inderk'dmpfe

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Bart, der deutlich sein betagtes Alter bezeugte, Und mit Tränen beseufzte der alte Didnasos seinen

Junggefallenen Sohn Orontes; mit rächender, hoher

Lanze folgte ihm Morrheus, der Fürst, damit er des Bakchos

so

Ganze Mannschaft vernichte. Auch war er entschlossen, mit

Bakchos Ganz allein zu kämpfen, dem Mörder des Bruders; Thyones Unverwundbaren Sohn war er bestrebt zu verwunden.

Und es geleitete sie der Inder vielsprachige Sippe:

Die des Helios Stadt besaßen, das herrliche Aithra15

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In einem wolkenlosen Gebiet, und die beides besaßen:

Das Gehölz von Anthene16, dazu Orykias17 Dschungeln

Und das heiße Nesaia18, das winterlose Melainai19 Und das runde, vom Meer umkränzte Gebiet Patalen es“. Dazu kam der Dyssaier21 geballte Menge, mit ihnen

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Rüsteten sich der Sabeirer22 brusthaarige, schreckliche Stämme;

Selbst ihre Herzen sind dicht behaart, drum haben sie immer

Mut in der Seele und drücken sich niemals feige vom Kampfe.

Mit zu ihnen strömten herbei die Uatokoiten23,

Ohrenschläfer, die pflegen auf langen Ohren zu schlafen.

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Phringos und Aspetos schleppten sie her zum Kampfe, der stolze

Danyklos kam als Begleiter, und als des Hippuros Genosse Kam auch Egreus gezogen, der trefflich-sichere Schütze. Gleichgesonnen bewehrten nun da der Uatokoiten Ganzes Heer die fünf nach Blut begierigen Führer.

Tektaphos24 auch, der Schütze, zog aus zum Kampfe; er sog

einst Mit den hungrigen Lippen die leidabwehrenden Ströme

Aus der Tochter Brust, der vaterernährenden, list’gen,

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Sechsundzwanzigster Gesang

Tektaphos, ausgedörrt, mit zersprungener Haut, ein lebend’ger Leichnam: ihn hatte einst der wilde Deriadeskönig Grausam bedroht und ihn mit geflochtenen Stricken gefesselt Und als Gefangnen gesperrt in eine modrige Grube Wasser- und nahrungslos, sich selber vor Hunger verzehrend, Nicht des Sonnenlichts und der Scheibe des Mondes teilhaftig. Und da lag er gefesselt in unterirdischem Abgrund Ohne Speise und Trank und ohne Menschen zu schauen, Sondern auf Felsgestein in ausgebuchteter Höhlung Lag er voll Qual; er war von langem Hunger verschmachtet, Seinem lechzenden Munde entquoll ohnmächtiges Keuchen, Noch lebendig, schien er schon leblos. Wie von einer Leiche Wehte ein scheußlicher Hauch von seinem vertrockneten Leibe. Und eine Schar von Wächtern bewachte dort den Gefangnen; Aber die Tochter vermochte mit listig-trügenden Worten Sie zu täuschen: es stöhnte und schrie und flehte die junge Frau, die eben entbunden, und schüttelte listig die Kleider:

»Schlagt mich nicht tot, ihr Wächter! Ich trage wirklich nichts bei mir. Kam ich doch nicht, den Vater mit Speise und Trank zu erquicken. Tränen, Tränen allein kann ich dem Vater besorgen; Meine leeren Hände bezeugen es. Wenn ihr mir aber, 125 Wenn ihr mir nicht traut, so löst den unsträflichen Gürtel, Schleudert mein Kopftuch aus und schüttelt mein Kleid mit den Händen! Nicht mit belebendem Tranke bin ich gekommen. Mich selber Bergt mit dem Vater zusammen in unterirdischer Grube! Garnichts habt ihr zu fürchten, auch wenn es der König vernähme!

Neue Inderkämpfe

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Wer wird zürnen, wenn einer um Tote trauert? wer grollt denn Einem, der qualvoll stirbt? wer hat mit Entseelten kein Mitleid ? Schließen will ich ja nur des Vaters brechende Augen. Dann begrabt mich! Wer sollte den Tod mißgönnen ? Und beide, Vater und Tochter soll Ein Grab im Tode vereinen.«

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So beredete sie die Wächter. Dann eilte die Tochter In die Tiefe, um Trost dem Vater im Finstern zu bringen, Ließ dort in seinen Mund die Milch ihrer rettenden Brüste Fließen unverzagt. Mit Staunen hörte der König Von der frommen Eeria Tat, und er löste die Bande Des fast schattenhaften Erzeugers der listigen Tochter. Rings erschallte davon die Kunde. Im Heere der Inder Pries man die listige Brust des unheilwehrenden Weibes. Tektaphos glänzte da in der Bolinger25 Mitte: so schimmert Hesperos äthererhellend inmitten der anderen Sterne, Hesperos, Bote des Dunkels, das lichtverlassen ihm nachfolgt.

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Ginglon20, der mächtige Riese, der fußbehende Thyraieus Und der wolkennahe Hippalmos am Rande der Erde Waffneten vielerlei Stämme der Arachoten27 mit Lanzen Und der Dersaier28 Reihen daneben, die ihre vom Eisen Kampferschlagenen Toten in erdigen Hügeln begraben. (In der Schlacht Gefallnen stets in der Erde bestatten.)2’ Und zu Hilfe führend die bogenbewaffneten Krieger, Kam Habrathoos50 langsam; er schämte sich wegen der eben Abgeschnittenen Haare und hegte trauernden Ingrimm Gegen den stiergehörnten Deriades, weil ihm der König

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Sechsundzwanzigster Gesang

Übermütig die Haare in blindem Wüten geschoren, Eine gar große Schmach für Inder. Zum Kriege gezwungen, Kam er nur ungern zum Kampf, und unter der Höhe des Helmes Barg er seine Schande, die haarlose Wölbung des Schädels, Voller heimlichem Groll im Herzen. So lange es Tag war, Kämpfte er in der Schlacht, doch stets in nächtiger Stunde Schickte er einen Boten, des Königs Pläne zu melden, Einen getreuen Diener, an Bakchos. So war er gerüstet Heimlich gegen den König und öffentlich gegen Lyaios. Xuther31 und Ariener88, die wilden, tapferen Stämme, Rüstete er, und das Volk der Zoarer88, der Earer31 Haufen Und der Kaspeirer36 Sippe, die Arbier38, die an dem Flusse Hysporos87 wohnen, der mit leuchtenden Wellen dahinzieht, Denn es prangt die Flut mit den reichen Metallen des Bernsteins; Die in Arsania88 saßen, der weithinsichtbaren Feste, Wo an Einem Tag die Weiber am Webstuhl der Pallas Pflegen ein ganzes Kleid mit schnellen Händen zu weben.

Dazu rüsteten sich noch ferner als Taucher im Kampfe Die Kyraier”; sie kennen der Inseln umbrandete Ufer Und den Seekrieg wohl, doch meerbefahrende, feste Handelsschiffe kennen sie nicht; sie nehmen zum Segeln Ungegerbte Häute und leiten sie klug wie ein Holzschiff. So auf Häuten treiben sie falsche Seefahrt. Der Schiffer Gleitet über die Glätte der Wogen und sitzt da in einem Nachgeahmten Lastschiff und kreuzt den Rücken des Meeres. Thyamis ordnete sie und Holkasos, Führer der Mannen, Söhne des Tarbelos, des lanzenführenden Vaters. Zahlreich kam ein Schwarm, der Areizanteia“ verlassen, Amme des fremden Honigs in Bäumen, wo die belaubten

Neue Inderkämpfe

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Bäume schlürfen den Tau des Nebels belebender Frühe 185 Jung am Morgen und so als wär es das künstliche, kluge Werk der Immen den Saft von selbstgebärenden Blättern Gelblich erzeugen. Es schleudert nach ihrem Ozeanbade Nieder auf diesen Boden die aufwärtssteigende Sonne Wachstumfördernde Tropfen der morgengefeuchteten Haare 190 In die Pflanzenfurche der lebengebärenden Erde. Solcher Honig quillt in Areizanteia. Es labt sich Ein gewaltiger Vogel, der über den Blättern in großen Kreisen schwebt, an ihm, und eine kriechend-gekrümmte Schlange schlingt geringelt sich um die Süße des Baumes, 195 Saugt den zarten Tau mit ihrem gierigen Maule, Und ihre Lippen belecken das süße Erzeugnis der Ranken. Dann ergießen die Schlangen aufs neu den Honig und sprudeln Wieder den Baumsaft süß hervor, und nicht soviel bittres Gift verspritzen sie als diese Speise der Bienen. 200 Singen sieht man dort auf honigtriefenden Ästen Den Horion, den Vogel, den süßen, dem Schwane ver­ gleichbar. Nicht nur entsendet er, mit dem Wehen des Zephyrs im Einklang, Wie einen Wind das Brausen der sangerzeugenden Flügel, Nein, mit klugem Schnabel singt er ganz so, wie die Menschen 205 Mit der Schalmei zum Geleite der Braut ein Hochzeitslied 206 schmettern. Katreus, der Vogel, sagt voraus den kommenden Regen; 212 Goldgelb ist er und singt gar süß; ein Leuchten verbreitet Sich aus seinen Augen wie Morgenstrahlen der Frühe. 214 Flötend läßt er gar oft von einem luftigen Baume 207 Nahe mit dem Horion zusammen Lieder ertönen. Purpurfarben sind seine Flügel; du möchtest vermeinen, Wenn du das Morgenlied vernimmst des singenden Katreus, 210

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Sechsundziuanzigster Gesang

211 Daß ihr Köpfchen drehend am Morgen die Nachtigall sänge. 215 Dort war auch ein Heer kampflustiger Bürger; sie führte Des Hippalmos Sohn, der unverzagte Pyloites Und sein Bruder Billaios, der mit als Führer hinauszog. Dazu wappneten sich die Siben41 und auch die Hydarken42, Auch ein anderes Heer, das die Feste Karmina43 verlassen; 220 Kyllaros und Astraeis, der Inderführer, geboten Ihnen, Söhne des Brongos, geschätzt vom Deriadeskönig.

Und ein anderer Zug kam von den dreihundert Inseln44, Die in Gruppen ringsum verstreut gelegen, doch alle Nahe einander, wo in einem mächtigen Delta 225 Doppelmündig der Indos sein Wasser geschlängelt dahin­ führt Und ein wenig entfernt von Indiens Dschungeln zur Seite, Wo er sich beugt zu dem Landstrich, der in das Ostmeer hinauszieht, Sich von selber wälzt über Äthiopiens Scheitel, Dort, vermehrt von dem Zug der sommergeborenen Wasser, 230 Steigen all seine Arme durch selbstentstandene Fluten, Und das fette Land umarmt der feuchte Geliebte; Seiner Geliebten Lechzen mit feuchten Küssen ergötzend, Giert er mit vielen Armen nach garbenerzeugender Hochzeit. Stets zu gleicher Zeit gebärt er steigende Fluten 235 Gleich dem ägyptischen Nil, der östliche Inder Hydaspes. Dort durchfurcht mit dem Huf die schwarzen Kiesel des Flusses, Durch das Wasser schweifend, ein schwimmendes Flußpferd, so wie es Auch durch den Sommerschwall in meinem Nile dahinkreuzt Und dort lebt, ein feuchter Durchwandrer des tiefen Ge­ wässers,

Neue Inderkämpfe

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Mit seinen mächtigen Toren des Mauls; und wenn es an

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Land geht, Spaltet es mit der Schneide der Zähne das Dickicht des

Waldes, Raubt die Früchte des Feldes mit glattem wässrigem Maule Und mäht Ähren und Halme mit diesem Sichelgebilde, Eisenloser Mäher der garbenbringenden Saaten.

Solche Wesen wie die des siebenmündigen Nilstroms

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Leben im mächtigen Indos, so sagt man. — Die streitbaren Männer

Ließen, die krummen Bogen der Inseln im Rücken, die Sitze

Nahe dem Indos und griffen zur Wehr, und an ihrer Spitze Führte sie Rhigbasos an, ein Ebenbild der Giganten.

Und es fehlte auch nicht der Greis Aretos, ein schwerer

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Mann, als Deriades rief zum Kampfe; er fügte um seine

Haarige Brust sogleich den schweren, ehernen Leibrock,

Hob auch noch den Schild auf seinen altersgeschwächten Rücken und hängte um seinen gebeugten Nacken den Riemen.

Und da wappnete er zum Krieg gezwungen die Heerschar

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Mit fünf Söhnen zusammen, mit Lykos und Myrsos daneben.

Periphas, Glaukos dazu und dem spätgebornen Melaneus, Auf sein eisgrau Haupt tat er die Schwere des Helmes

Und begab sich schnell zum linken Flügel des Heeres,

Aber die rechte Seite der Schlacht beließ er den Söhnen,

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Denen die Natur die Kehlen stimmlos gefesselt Und ihre Zungen verschnürt, die Quelle vernünftiger Rede.

Denn als Aretos einst an der Pforte der bräutlichen Kammer

Tanzte und nach Brauch sich der Laobia ehlich Angelobte zur Feier der kinderversprechenden Hochzeit,

Gab es ein göttliches Wunder; denn neben dem Hochzeitsaltare

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Sechsundzwanzigster Gesang

Brachte der Bräutigam grad der brautbeschützenden Kypris Nach dem Tanze ein Opfer: im eben noch liedererfüllten Festraum stieß eine Sau voll Qual den Schrei der Entbindung 270 Aus erhobenem Rüssel und ward zur Prophetin der Zukunft; Trug sie doch eine Geburt kaum glaublich, seltsam befremdend, Denn ein unnatürlich Geschlecht von Fischen entband sie; Feuchte Fischbrut warf sie schleudernd hervor aus den Flanken, Und sie gebar statt Tieren des Landes solche des Meeres. 275 Und nun durchflog die Kunde vom fischgebärenden Schweine Überall die Leute; sie sammelten sich und der Bürger Scharen und sie bestaunten der Landgeburt zahlreiche Menge, Die doch ganz erschien wie junge Brut aus dem Meere. Und Aretos befragte den gottbegeisterten Seher; 280 Der prophezeite ihm da nur stumme Kinder in Zukunft Als des Meergeschlechtes, des zungenentbehrenden, Abbild. Und der Seher gebot den Spruch des Orakels zu bergen, Bis er den Sohn der Maja, den flügelbeschuhten, versöhne, Den Geleiter der Zunge, den Lenker vernünftiger Rede. 285 Als in mancher Entbindung Laobia niedergekommen, Da gebar sie Söhne soviel der Sau ihre Jungen, Stimmlosen Fischen gleich. Doch nach dem Siege erbarmte Ihrer sich Herrscher Bakchos und löste der stimmlosen Kehlen Zungenfessel und heilte das angeborene Schweigen 290 Und begabte jeden mit spätverliehener Sprache. Und mit diesen zogen zu Felde die schildebewehrten Bürger von Pylai“ und die nicht weit vom Lande des Ostwinds Eukolla*’ bewohnen, Bezirk der streitbaren Eos, Und das treffliche Saatfeld der heiligen Flur Goryandis*’.

Neue Inderk'ämpfe

419

Mit ihnen zogen gerüstet die Bürger der Fläche von Oita4’, Der Elefanten, der lange lebendigen, baumreiche Mutter, Denen Natur vergönnt, zweihundert kreisende Jahre So in ewiger Zeit vielbogigem Umlauf zu leben Oder auch dreihundert; sie weiden einer beim andern; Schwarzgehäutet sind die Tiere von Kopf zu den Füßen, Und es ragen ihnen aus mächtigen Kiefern zwei große Zähne zum Stoßen in Form der krummen, mähenden Sichel Mit ihrer Spitze und Schneide, und so durchschreiten die Wälder Sie auf den riesigen Schenkeln. Sie haben nach Art der Kamele Einen gekrümmten Nacken, und auf dem umfassenden Rücken Thront einem jeden ein zahlreicher Schwarm dichtsitzender Führer. Drehend ist der Gang mit ungebogenen Knieen. Seine breite Stirn gleicht ganz dem Kopfe der Natter, Und der Nacken ist kurz und krumm. Das Aussehn des Kopfes Gleicht einem Schweinsgesicht durch ähnlich geartete Augen. Mächtig und groß erscheint er, und wenn er sich wandelnd dahinwälzt, Hangen die Ohren fleischlos ihm nah den Schläfen49 und wollen Schon beim leisesten Blasen der luftigen Winde sich blähen. Häufig schüttelt er auch den dünnen, beweglichen, kleinen Schwanz und peitscht damit den Leib in ständigem Schwünge. Oftmals schwingt das Tier im Kampf den Stoßzahn des Kinnes, Greift einen Krieger an mit seinem mächtigen Stierkopf, Stößt die schneidende Sichel der scharfen, seltsamen Zähne

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Sechsundzwanzigster Gesang

Beiderseits vor, des Kinnes ihm angeborene Lanze,

320 Und einen Krieger hebt er trotz des Schildes und Panzers

Oftmals hoch empor, durchbohrt ihn mit raubendem Maule, Schmettert nieder den Mann mit der Schärfe der schneiden­ den Zähne,

Und den Leichnam, der im Staube wirbelnd sich hinwälzt,

Schleudert er in die Höh wie einen kreisenden Flieger. 325 Rund in Wirbeln schwingt er hoch die Krümmung des Rüssels, Den scharfzugespitzt die beiden Zähne umrahmen

Und der langgewickelt dem Natternrückgrat vergleichbar;

Bis zu den Füßen streckt er die scharfen Schwerter der Zähne.

Nach dem Kriege führte der Herrscher Dionysos diese

330 Tiere am Kaukasossaume zum Amazonengewässer5“, Setzte die Weiber dort, die schönbehelmten, in Schrecken,

Da er saß auf dem Rücken der Elefantenkolosse. Doch das war nach dem Krieg. Zum Streite gegen Lyaios Kam auf Deriades’ Ruf herbei sein Feldherr Pyloites. 335 Einen Elefanten, steilfüßig, lenkte zur Schlacht er,

Tapferes Blut aus der Sippe des Marathon61, söhnegesegnet.

Ihm aber folgte ein Volk benachbart, doch anderer Sprache,

Das des Kopfschmucks Stadt Eristobareia62 verlassen.

Und dem Deriades folgten auch der Derbiker63 Geschlechter

340 Und Aithiopen51 und Saker66, die bunte Mischung der Baktrer58, Auch ein zahlreich Heer der krausen Blemyer5’. Anders

Pflegten in der Schlacht die Aithiopen zu kämpfen: Tragen sie doch die Wölbung von Schädeln getöteter Pferde,

Und so verbergen sie täuschend das wahre Rund des Gesichtes,

345 Sie verhüllen ihr menschlich Gesicht mit anderem Antlitz, Fügen auf das lebend’ge ein totes. Lind in den Gefechten

Neue Inderkämpfe

421

Drängen sie mit dem Trughaupt den nichts vermutenden Gegner, Und ihr Führer entsendet dem Munde täuschende Laute Und mit menschlicher Stimme ergießt er ein Pferdegewieher.

Die versammelten sich, dem Ruf des Königs gehorsam,

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Und sie alle führte zum Kampf der Herrscher der Inder, Den in feuchter Liebe gezeugt der Vater Hydaspes68;

Hochzeitlich umfing er die wohlgebärende Astris, Helios’ Tochter. Doch sagt man auch, er habe zur Mutter Keto, eine Najade aus des Okeanos Sippe,

355

Und es hätte sie, kriechend zu ihrem Bett in den Wogen, Einst Hydaspes als Buhle umarmt in feuchter Vermählung, Der vom echten Geblüt der Titanen: denn aus der versippten

Ehe mit Thaumas gebar die rosenarm’ge Elektra, Seines Lagers Genossin, ihm doppelten Nachwuchs: ent-

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sproß doch

Aus der Ehe der Flußgott und auch die Botin der Götter,

Die beschwingte Iris, der schnelle Fluß des Hydaspes,

Jene mit hurtigen Füßen und dieser mit stürzenden Fluten. Gleicher Art wanderten beide, jedoch entgegengesetzte Pfade, Iris im Himmel und unter den Flüssen Hydaspes.

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Also nahte das Heer. Die Stadt war völkerbeladen; Nach den vier Winden waren behelmte Reihen gerichtet,

Und sie füllten der Stadt sich vierfachteilende Straßen. Dichtgedrängt, die einen am Kreuzweg, andre auf Schwellen,

Vor den ragenden Mauern die einen, und andre auf Türmen 370

Schlummerten kummerlos auf lanzenstarrenden Lagern. Und die Schar der Führer bewirtete in dem Palaste König Deriades dann, und alle auf Sesseln in Reihen Mit dem gastlichen König genossen gemeinsame Mahlzeit.

Abendliche Mahlzeit und nächtiger Fittich des Schlafes

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Sechsundzwanzigster Gesang

Lag ihnen ob; das Heer schlief nah dem Kampfe in Waffen. Während sie schlummerten, pflogen im Traum sie tapfere Kämpfe, Und sie wähnten zu streiten mit satyrgleichen Gestalten.

SIEBENUNDZWANZIGSTER GESANG

Aber sobald sie den Fittich erlösenden Schlafes vertrieben, Hob sich Kampfmutter Eos von Kephalos’1 glänzendem Lager, Öffnete dann die Tore des Ostens. Der düstere Ganges2 Hellte sich auf vom Strahl der drüberwandernden Sonne, Und kaum lichtgetroffen, entwich der Finsternis Kegel, Durch die Strahlen gespalten. Von Eos’tauigem Wagen Wurde die Morgenfrucht mit Frühlingstropfen gebadet.

5

Und Getümmel entstand. Den Lauf der feuergenährten Rosse hemmte der flammende Hirt3 der ewigen Jahre, Als er das Klirren vernahm vom Helm des rasenden Ares, 10 Und er lockte das Heer mit Feuerstrahlen zum Speerkampf, Schleudernd sein heißes, rotes Geschoß. Hinab auf die Erde Goß der Wasser-Zeus fremdartig-blutigen Regen4 Hoch vom Himmel, der Inder Erliegen vorauszuverkünden; Und von dem Mördernaß der kriegverkündenden Tropfen 15 Ward der trockene Rücken der schwärzlichen Erde gerötet In dem indischen Land. Und von dem blinkenden Eisen Blitzte so schimmernd ein Glanz wie hell von den Strahlen der Sonne.

Wie nun die Reihen der Inder erschienen, da stellte der kecke, Übermütige König zum Kampf die Streiter und trieb sie Heftig an mit solchem Befehl aus dräuendem Munde:

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Siebenundzwanzigster Gesang

»Meine Knechte, nun kämpft mit sieggewohntem Vertrauen!

Und den kecken, man sagt behörnten Sohn der Thyone5 Unterwerft dem auch gehörnten Deriadeskönig!

25 Tötet mir auch die Pane mit eurem zermalmenden Eisen.

Sind sie aber Götter, und ist verwehrt, mit dem scharfen Eisen eines Pans unverwundbaren Leib zu versehren, Will ich die Pane der Berge doch als Gefangne erbeuten,

Daß sie die Elefanten, die einsamhausenden, hüten.

30 Wilde Tiere gibt es auch hier gar viele, mit denen Ich die Pheren6 und Pane des Gottes Dionysos paare.

Meiner Tochter will ich Scharen von Dienern bescheren, Aufzuwarten bei Tisch, wenn Morrheus sitzt an der Tafel.

Und ein phrygischer Krieger, des Weingotts Bakchos Gefolgsmann, 35 Bade nun seinen Leib in der Flut eines indischen Stromes: Statt am Sangarios7 werde er heimisch am Flusse Hydaspes. Und ein anderer, der aus Alybe8 Bakchos gefolgt ist,

Frone nun hier, und soll, nachdem er des silbernen Stromes

Wellen verlassen, nunmehr den goldenen Ganges genießen. 40 Weiche, Dionysos, schnell und entrinn des Deriades Lanze!

Ist doch ein endlos Meer9 auch hier; so mag dich auch unsre Woge umfangen so wie einst die arabischen Fluten. Noch ein breiteres Meer schäumt hier sein wildes Gewässer Und ist groß genug, um Satyrn und Bakchen zu bergen

45 Und auch die Bassariden. Hier wird kein freundlicher Nereus, Keine indische Thetis dich wohl empfangen, nicht wird sie

Gleich der gastlichen Woge im Grunde den Flüchtigen retten

Voller Scheu vor meinem dumpftosenden Heimat-Hydaspes. Doch du wirst sagen, ich stamme vom himmlischen Blute

Kronions.

so Aber die Erde gebar den sterndurchwimmelten Himmel10. Du entstammst dem Himmel, dich wird meine Erde bedecken.

Auch den Kronos, der grausam die eigenen Söhne gefressen,

Weitere Kämpfe gegen die Inder

425

Der dem Himmel entstammt, verhüllt der Abgrund der Erde.

Speergewandten Kriegern gebiete ich, und ich bin stärker Als Lykurgos, der dich und die feigen Bakchen verfolgte.

55

Daß du zeusentstammt, berührt mich wenig; von jener Feurigen Hochzeit deiner unseligen Semele hört ich. Nenne nicht den Blitz als Brautgeleiter Kronions,

Sprich nicht vom Haupte des Zeus und seiner männlichen

Lende!

Mich berührt ja nicht des kreißenden Gottes Entbindung;

60

Hab ich mein eigenes Weib doch oft in Wehen gesehen.

Will er, so möge Zeus, dein selbstgebärender Vater,

Wappnen mit dir, dem Mann, die weibliche Helferin Pallas, Die man auch Nike11 heißt, damit ich mit schmetternden

Riffen

Blutig färbe das Haupt Athenes mit malmenden Felsen

65

Oder mit kühnem Speer, und von dem hörnernen Bogen

Will ich mit Pfeilen bespicken den Schenkel des dräuenden Bakchos,

Seiner gehörnten Satyrn Gebieter, und wenn er verwundet, Spreche ich Hohn dem Zeus, dem Bakchos und Pallas Athene.

Sollte sich mit den beiden auch noch der Hinkende rüsten,

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Gut, ich bedarf ja des Künstlers Hephaistos, daß er auch

mir noch, Dem Deriadeskönig, gar viele Waffen verfertigt.

Niemals bebe ich vor der weiblichen Kämpferin; schwingt sie Des Erzeugers Blitz, so habe ich heimisches Wasser.

Und den Kühnen, den man als Bromios’ Vetter bezeichnet,

75

Aiakos12, diesen Sprößling des himmlischen Vaters Kronion,

Send ich geschlachtet zum Hades, dem unterirdischen Herr­

scher, Und der geflügelte Zeus entführe ihn nicht durch die Lüfte.

Wie ich vernehme, fielen schon viele Söhne Kronions:

Dardanos13 stammte von Zeus und starb und Minos gingunter, so

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Siebenundzwanzigster Gesang

Und ihn rettete nicht, daß Zeus als Stier ihn erzeugte. Wenn er im Hades richtet, was sollen die Inder es neiden, Spricht auch Aiakos dort das Recht den Toten? Und will er, Herrsche er über die Leichen und trage das Szepter des Abgrunds. Und vernichtet mir auch die erdgebornen Kyklopen, Die zum Himmel ragen so riesig! Die Schärfe des Speeres Stoßt ihnen nicht in Brust oder Nacken, nein, heftet das schwere Erzgeschoß in die Mitte des kreisgerundeten Auges. Halt, vernichtet mir nicht die Erdkyklopen! Ich brauche Jene ja auch: es soll an feuriger Esse in Indien Brontes14 mir eine Trompete voll dumpfer Klänge verfert’gen, Die wie der hallende Donner ertönt; dann gelte ich selber Als ein irdischer Zeus; und Steropes bilde mir neuen, Schimmernden Blitz auch hier. Dann werd ich Kronion beschämen, Wenn ich die Satyrn bekämpfe. Der eifersücht’ge Kronide Wird sich den Sinn noch mehr zerquälen, wenn er mich selber Donnern und blitzen sieht; dann bangt er vor Indiens Herrscher, Der den Wetterstrahl, den hochentstandenen, schleudert. Wer verargt es, wenn ich die Hand mit dem Feuerblitz wappne? Meiner Mutter Erzeuger, der flammenden Sterne Gebieter, Phaethon15 ist durchaus ein feuriger Kämpfer. Doch hab ich Flußgeblüt von Seite des Vaters, so werde ich feuchte Plage Dionysos bringen mit nassen Wassergeschossen Und die feindlichen Häupter der Bakchen im Strome er­ säufen. Und zerschneidet mir auch die Leiber der Meeres -Telchinen14 Mit zermalmendem Eisen, in ihrem Meere begrabt sie!

Weitere Kämpfe gegen die Inder

Seien sie ihrem Vater Poseidon befohlen: das blaue Joch des kunstvollen Wagens, die meerdurchstürmenden Hengste Bringt dem Deriades dann als würdige Preise des Sieges. Und den gefesselten Bürger der keuschen Pallas Athene, Den der Feuerhephaistos gesät, den sengt mir mit heißen Fackeln! Man nennt ihn Erechtheus1’, er trägt ja jenes Erechtheus’ Weitbekanntes Blut, den die ehemeidende, keusche, Mutterlose Pallas an ihrem Busen ernährte, Den sie heimlich und schlaflos bei brennender Lampe betreute. Bleibe er dann verborgen in indischer, brennender Kiste Und im leeren Geheg des dämmernden Jungfraungemaches. Und die flinken Schläger des tanzgetrommelten Kalbfells, Jene Meister des Reigens des Ares mit prächtigen Helmen, Die Korybanten, bringt mir ohne Rüstung; Kabeiro18 Möge beweinen den Tod der untergegangenen Söhne, Dieses lemnische Weib, entblößt vom Stirnband. Es werfe Fort die Feuerzange der ruß’ge Hephaistos und schaue Auf der Kabiren Wagen den Tilger seines Geschlechtes, Den Deriades, lenkend die ehernhufigen Rosse. Ich erschlage die Söhne des Zeus, doch gönn ich dem Morrheus, Den Aristaios19 zu töten, den Sohn des Phoibos, der Hasen Jagt und von dannen treibt die schwache, zürnende Biene. Ihr mit euren Sicheln und doppelschneidigen Messern, Tötet die zarten Scharen der Bassariden! Des Flußgotts Hörniger Sohn erschlage Kronions mächtiggehörnten9’ Sohn, daß keiner erschrecke vor diesem Treiber der Löwin Oder dem Kämpfer auf den Flanken der wilderen Bärin, Keiner vor des wilden Gespanns entsetzlichem Maule. Wer weicht Pardeln und Löwen, wo Elefanten gerüstet?«

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Siebenundzwanzigster Gesang

Also rief der König. Die Inder zogen ins Treffen,

Rücklings auf Elefanten zum Teil, die eisengerüstet,

Teils auch eilten sie hin auf windbeflügelten Rossen.

Und es nahten zu Fuß unermeßliche Scharen, mit Speeren ho Teils und teils mit Schilden und andre mit schließenden

Köchern.

Einer schwang in den Lüften die erzbeschlagene Sichel Als ein Mäher im Krieg, ein andrer trug auf dem Marsche

Schild und hurtigen Bogen und windbeflügelte Pfeile.

Und zur Schlacht geordnet an naher Mündung des Indos21, 14S Drangen sie vor in die Ebne. Sodann in baumreicher Wildnis

Wappnete seine Streiter der Thyrsosträger Lyaios

Mit unzerbrechlichen Zweigen und auch mit Schilden und Schwertern.

Und beachtend der vier Winde vierfache Richtung, Stellte er viergeteilt das Heer der Bakchen zum Kampfe: iso Erstens im baumreichen Nord am Fuß des kreisenden Bären22, Wo von den Kaukasosbergen das zeusgesendete Wasser22

152 Wallend in der Flut verzweigter Flüsse dahinzieht 157 Bei demselben Hang, allwo in endlosen Bahnen iss Der Hydaspes wirbelt und strömt mit dumpfem Gebrause. 153 Zweitens ordnete er eine Reihe, wo sich im Kreise

154 Niederneigt zur westlichen Gegend24 der Mitte von Indien26

155 Bergdurchwandernd der Indos mit seiner doppelten Mündung,

156 Der mit wälzender Flut Patalene26 kränzend umgürtet.

161 Und den dritten Teil bestellte er, wo in des Südens2’ 159 Bucht mit rotem Gewässer die Mittags - See sich dahinzieht.

160 Und die vierte Heerschar, die gut gepanzerte, stellte

162 Gegen Aufgang auf der Herr, wo zwischen den Dschungeln Plätschernd der Ganges sich windet mit köstlich duftendem Wasser.

Weitere Kämpfe gegen die Inder

429

Als er gesondert so jede der beingeschienten Geschwader, Da bestimmte der Herr vier Führer, mit Helmen gewappnet; 165

Und er entflammte das Heer und rief die befeuernden Worte:

»Tanzt, ihr Bassariden, auch hier! die barbarischen Stämme

Eurer Gegner erschlagt und kreuzt mit Lanzen und Schwertern

Eure Thyrsosstäbe, und statt bei der üblichen Tafel Töne meine Schalmei als erregende Kampfestrompete

170

Heut für meine Satyrn ! die grünen Blätter der Lese

Sollen das Eisen bekämpfen und scharfe Speere besiegen. Statt zum nächtigen Reigen des Bakchos stimme nun meine

Flöte den rächenden Festgesang zu Ehren Enyos Und verstumme dafür beim Schmaus des ergötzenden

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Bakchos.

Wenn Hydaspes das Knie mir beugt als Sklave und nicht mehr

Wider die Bassariden sich rüstet mit zornigen Wellen, Werde ich gnädig ihm sein ganzes glänzendes Wasser

Wandeln in bakchischen Wein durch die strömenden Fluten

der Kelter,

Voll von süßen Wellen; die ragenden Wipfel des Urwalds

iso

Will ich mit Zweigen kränzen und ganz mit Reben bedecken. Will er aber aufs neu mit unheilwehrenden Güssen Sinkenden Indern helfen und seinem Deriadessohne,

Menschlich in der Gestalt eines hornigen Flußgotts gebildet, So überbrückt die Flut des übermütigen Stromes;

iss

Unbenetzt durchwandert sodann das trockene Gewässer.

Und den nackten Sand des trocknen Hydaspes beschreitend, Sollen die Hufe der Rosse den Staub im Marsche durch­

streifen.

Wenn der erschrockene Führer jedoch der grimmigen Inder Wirklich aus dem Geschlecht des himmlischen Phaethon

abstammt,

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Siebenundzwanzigster Gesang

Der dann gegen mich entbrennt in feuriger Kriegswut, Um die stiergehörnte Geburt seiner Tochter zu ehren, Rüste ich wider ihn zum Kampf den wässrigen Meergott, Meines Kronion Bruder, um auszulöschen das Feuer. 195 Eilen will ich zur Insel Thrinakia28, wo sich die Herden Und die Rinder befinden des feurigen, himmlischen Lenkers; Und des Helios Tochter Lampetia trotz ihres Sträubens Will ich ins Sklaven]och als Kriegsgefangene schleifen, Daß sie das Knie mir beuge, und Astris soll in den Bergen 200 Schweifen, um dort den Sohn als gefesselten Knecht zu be­ klagen. Wenn sie so will, so wandre sie in die Lande der Kelten29, Daß mit den Heliaden auch sie, zum Baume gewandelt, Oft den Deriadessohn mit klagenden Tränen beweine. Eilet dahin und malet das schwarzgehäutete Antlitz 205 Der erbeuteten Inder mir weiß mit mystischem Gipse“, Und den dreisten König, mit Rebenranken umflochten, 206a-------------------------- (bringt mir her.)--------------------- 31 Mit einem Rehfell bekleidet mir dann den gepanzerten König. Sklavisch nach dem Sieg die Kniee dem Bromios beugend, Werfe seinen Panzer der indische Fürst in die Winde, 2io Seinen Leib zu decken mit stärkerer, haariger Rüstung32. Purpurne Kothurne soll an die Füße er schnüren Und den Lüften belassen die silbernen Schienen der Schenkel; Und nach dem mordenden Bogen, den Werken des üblichen Kampfes Soll er lernen die nächtig getanzten Weihen des Bakchos, 215 Und an der Kelter schüttle er seine barbarischen Locken. Bringt die Häupter der Feinde, gespießt auf bezeugenden Thyrsos, Als ein Siegeszeichen dem windumbrandeten Tmolos33. Viele Scharen der Inder will nach dem Ringen lebendig

Weitere Kämpfe gegen die Inder

431

Aus dem Kampfe ich schaffen, und bei den Toren der Lyder Nagle ich dann fest des tollen Deriades Hörner.«

220

So entflammte er sie. Da strömten heran die Bakchanten, Und die Silene schrieen die wilde Weise des Kriegsrufs, Und die Satyrn ließen dazu die Kehlen erklingen, Und dazwischen tönte die schallende Pauke ihr lautes, Schauriges Brüllen, es klang in der klapperfreudigen Weiber 22s Wechselnden Händen hell des Doppelschalles Geschmetter, Und an der Spitze schrillte der Syrinx phrygischer Rhyth­ mus 3#.

Und dem Heer voran, sich senkend auf das Getümmel, Flimmerte durch die Luft mygdonisch36 sprühende Flamme Und verkündete so die Feuergeburt des Lyaios; Und auch von Silens”, des Greisen, horniger Stirne Leuchtete das Gefunkel. Um einer Bakchantin der Berge Ungeflochtenes Haar lag eine Schlange geringelt. Und die Satyrn kämpften, geweißt mit Gips die Gesichter Nach geheimen Weihen, und grausig hing von den Wangen Trügerisch geformt ein stimmlos-täuschendes Antlitz. Einer peitschte entgegen dem Feind einen wütenden Tiger Und zersprengte so die Elefantengespanne. Und den grauen Maron87 umwanden Zweige als Rüstung, Um mit dem Rebenschößling den Leib der kämpfenden Inder Zu zerspalten. — Und alle, die hoch den Himmel bewohnen, Thronend neben Zeus im götterempfangenden Hofe, Sammelten sich nun schleunig auf reichvergoldeten Sesseln. Ihnen schöpfte beim Schmaus vom Krug die Süße des Nektars Ganymedes38, im Schmuck der Locken, und bot ihn den Göttern. Damals brauste ja nicht der Krieg der Achaier und Troer,

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Siebenundzwanzigster Gesang

Daß wie vormals wieder die lockige Hebe die Becher

Für die Seligen mischte und jener troi'sche Weinschenk

Fern den Unsterblichen weilte, um nicht das Unglück der

Heimat 250 Hören zu müssen. Nun sprach der waltende Zeus zu den

Göttern, Und er redete an Apollon, Hephaistos und Pallas:

»O prophetischer Herrscher der Nabelachse von Pytho39, König der Bogenkunst, Lichtbringer, Bruder des Bakchos,

Denke des Parnassos und deines Dionysos denke!

255 Wohl entging dir nicht des Ampelos frühes Verderben, Kennst auch der beiden Gipfel40 gedoppelte, mystische Fackel.

Darum kämpfe nun du für deinen Bruder Lyaios,

Spann den olympischen Bogen, den Bassariden zu helfen!

Ehre auch des hohen Parnassos gemeinsamen Felsen, 260 Wo im Reigentanz die Bakchantin schwärmerisch aufjauchzt, Die ihr Lied für dich und den schlafgemiedenen Bakchos

Singt und das delphische Feuer euch allen beiden entzündet.

Deiner Kyrene41 gedenke, der löwentötenden; schütze, Und begünstige beide, den Agreus und den Lyaios.

265 Kämpfe als Weidegott für die Sippe der weidenden Satyrn. Wehre dem neidischen Ärger der Hera, damit nicht des Phoibos

Stiefmutter einst verlache den fluchtvertriebenen Bakchos, Die voll Eifersucht und voll Groll wegen mancherlei Buhl­

schaft

Gegen meine Kinder sich immer rüstet. Ich brauche

270 Dich nicht zu erinnern an deiner eigenen Mutter Schwere Entbindung, wie Leto mit doppelter Bürde42 im Leibe Irren mußte, gepeitscht vom Triebe niederzukommen,

Eingriff der Götter

433

Als des Peneios43 Flut vor ihr entfloh und die Dirke

Sie von dannen wies und als sogar der Asopos

Rückwärts sich wälzte trotz der schweren Lähmung der

275

Kniee,

Bis der Kreißenden Delos dann half und bis da ein alter

Palmenbaum Leto entbunden mit seinem schwachen Gezweige. Du auch, furchtlose Tochter des Zeus, der dir Vater und Mutter,

Pallas, hilf deinem Bruder, der deiner Heimat Gebieter! Schütze deine Bürger, die jetzt dem Dionysos folgen,

280

Mögest du niemals sehn deines Marathon“ Kinder verderben !

Ehre des attischen Ölbaums die Stadt erhaltenden Zweige Und begünstige auch den greisen Ikarios“! ihm auch Wird der traubenbunte Dionysos schenken die Lese.

Des Triptolemos und des Ackermanns Keleos“ denke!

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Nicht die fruchtbaren Körbe der Metaneira verachte!

Hat doch aus schwangerem Schenkel dein fruchtbarer

Vater Kronion Deinen Traubengott, den Helfer Bakchos’, entbunden,

So wie er dich, das weibliche Kind, aus dem Haupte geboren.

Schwinge darum deine Lanze, die mit dir von Anfang

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entstanden!

Schüttle die Zotteln47 der Aigis, die alle Kämpfe entscheidet!

Werde mir Helferin der Satyrn, weil ja auch diese Solche Zotteln von Ziegen der Berge als Röcke umkleiden. Und der Gott der Bauern, der Hirtenflöte Beherrscher,

Pan bedarf deiner Zotteln, der Hirt bezottelter Ziegen,

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Der, verbunden einst mit meinem heiligen Szepter,

Wider die Titanen gekämpft und in Bergen gehütet Die bezottelte Geis Amaltheia48, die mich ernährte.

Schütze ihn denn, Athens zukünftigen Helfer4’ im Streite, Der, wenn Marathon bebt, es medermordend errettet.

300

434

Siebenundzwanzigster Gesang

Deine Aigis schüttle und halte den Schild über Bakchos, Deinen Bruder, den Gott mit schwarzer Aigis5“, der deine Heimat retten wird und Thebens Feldherrn vertreiben. Und für die Rettung singen ein Danklied Eleusis’ Bewohner, 305 Apaturios preisend, den treuen, den Sohn der Thyone, Wenn Athen die beiden in phrygischem Rhythmus bejubelt: Den limnaiischen61 neben dem eleusinischen Bakchos. Wetterwendisch Geschlecht der Himmlischen, wehe, welch Wunder! Hilft die argolische Hera doch diesem Deriadesfremdling, 310 Aber die attische Pallas verläßt kekropidische Krieger62. Seiner Mutter treu und abgewendet von meinem Sohne Dionysos und seiner thrakischen Heerschar, Sucht mein thrakischer Ares die Scharen der Inder zu schützen. Aber mit flammendem Feuer im Streit auf Dionysos’ Seite, 315 Rüste ich allein mich gegen alle, bis Bakchos Ausgerottet bis zur Wurzel dies dunkle Gelichter. Jungfernliebhabender, der gebärenden Erde Verlobter53 Ruhig bleibst du, Hephaistos, und kümmert dich Marathon garnicht, Wo doch hochzeitlich glänzt die Ehescheue ? Ich brauche 320 Dich nicht die mystischen Fackeln der ewigen Leuchte zu lehren. Denk an das Jungfraungemach und die kinderhegende Lade: Drinnen lag der Sohn der Erde; am männlichen Busen Nährte das Mädchen da deinen selbstgereiften Erzeugten. Deine entbindende Axt erhebe, daß du errettest 325 Mit deinem Schlächterbeil die Bürger deiner Athene. Ruhig bleibst du, Hephaistos, und willst deine Kinder nicht retten ? Heb die gewohnte Fackel, die den Kabiren vorankämpft, Heb deine Augen auf und schau deine alte Geliebte,

Eingriff der Götter

435

Wie Kabeiro in Liebe zu ihrem Sohne dich tadelt. Deiner Hilfe bedarf auch Alkimacheia64 von Lemnos.« Auf die Worte Kronions enteilten die Himmelsbewohner, Als vereinte Helfer Apollon und Pallas Athene, Und der Feuerhephaistos geleitete Tritogeneia65. Hera gesellte sich der Schar der anderen Götter, Ares an der Hand und den wasserreichen Hydaspes, Um auf Seiten der Feinde mit gleichem Eifer zu kämpfen. Mit ihnen zogen der Schreck und der Graus, es eilte zu ihnen Bromios’Widerpart, die ährenspendende Deo, Neidisch auf Bakchos, den Freund der Trauben und Lebens­ erzeuger, Weil er den Rauschtrank erfand und den älteren Ruhm überschattet Des Zagreus, des von Anfang geschaffnen Dionysosgottes.

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335

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AC H TUN D Z WAN Z I G STE R

GESANG

Da erhob sich ein Streit1, der schwer zu beschwichtigen: beide,

Phaunos und Aristaios, erglühten gemeinsam in Kampflust, Und auch Aiakos hielt zu ihnen, er leistete Taten,

Würdig seines Erzeugers, des Zeus, den ehernen, schönen

5 Schild auf dem Rücken schüttelnd, auf dessen Rundung gar viele Künstliche Werke gebildet, vom Ambos in Lemnos gefertigt.

Mannigfach war das Heer zum Indergefechte gerüstet.

Rottenweis nahten die Krieger; der eine mit schneidendem Efeu Lenkte ein Pardelgespann geschwind, nachdem er den

schönen io Wagen bestiegen; es spannte ein andrer in schaudernde Sielen Die ery thräischen2 Löwen der Berge vorn an den Wagen,

Und er lenkte gar gut dies schreckliche Zweigespann.

Furchtbar

Schreckte ein dritter mit Schüssen die dunklen Reihen der Inder,

Unentwegt einen Stier, einen ungezähmten, mit Hieben 15 Geißelnd. Ein anderer sprang der kybelidischen3 Bärin Auf den Rücken und griff mit schwingendem Thyrsos die Feinde An und schreckte die Lenker der Elefantenkolosse.

Wieder ein andrer beschoß das Heer mit schneidendem

Efeu;

Die Induschlacht geht weiter

437

Hatte er doch kein Schwert, kein Schildrund, keine mit

rotem Blut benetzte Lanze, er schwang nur gewundene Ranken

20

Und erlegte mit leichtem Gezweig einen Mann in der Rüstung.

Und es krachte der Donner an Stelle der jubelnden Flöte, Die Silene jauchzten, und die Bakchantinnen nahten Mit einem Rehfell die Brust umgürtet an Stelle des Panzers;

Und ein Satyr der Berge, als ritte er irgendein Füllen,

25

Sprang mit gespreizten Beinen hoch auf den Rist einer Löwin.

Drüben erhoben die Inder den Schlachtruf. Die Streiter zu sammeln, Brauste das Kriegsgetön der barbarischen, führenden Flöte.

Kränze schallten den Helmen, der Panzer der Aigis entgegen,

Gegen die Lanzen raste der Thyrsos; die feindlichen Schienen 30

Maßen sich mit den Kothurnen. Der gliedgeordneten Krieger Aufgereihte Schilde aus Rindshaut prallten zusammen,

Und Gepanzerte auf Gepanzerte. Hoch auf den Häuptern Stießen mygdonische1 Helme sich hart an pelasgische Helme.

Vorn mit wechselndem Glück war Kriegsgetümmel: der eine

35

Wirbelte hoch dahin im Sprung des bakchischen Reigens,

Einer fiel und stöhnte, ein anderer stampfte im Tanze,

Einer zuckte getroffen, ein andrer hüpfte für Bakchos. Wieder ein andrer entsandte aus seinem Munde ein Kriegslied, Ares’ Lanze besang er, ein andrer Dionysos’ Festmahl,

Und zum Schlachtlärm brauste des Bromios heilige Feier. Euios’Tamburine erdröhnten; die Krieger zu führen Klang mit der Schalmei der sammelnde Schall der

Drommete, Mischte zur Spende Blut und mengte Morden zum Tanze.

40

438

Achtundzwanzigster Gesang

45 Doch als allererster in wildem, rasendem Ansturm

Warf Phaleneus6 die Lanze dem indischen König entgegen;

Und es traf der Wurf die unzerbrechliche Rüstung, Aber es haftete nicht im Leib die verderbliche Lanze, Sondern sie sauste vorbei und fuhr in die Erde. Und wütend, so Als er den stürmenden Feind in der Nähe des Königs

bemerkte, Warf Korymbasos“ rasch sich tapfer Phaleneus entgegen,

Traf des Stürmenden Kehle mit seinem Schwerte und schnitt sie Mittendurch, er mähte den Kopf, und blutübergossen,

Abgeschnittenen Hauptes sank tot Phaleneus zu Boden.

55 Lärmender Kampf umtobte die Leiche. Dexiochos’ streifte Mit dem Erz inmitten der Brauen des Phlogios8 Stirne,

Und der Hieb auf die Wölbung der Stirn zerspellte den

Helm ihm;

Aber voll Furcht entwich er langsam mit schlotternden Knieen, 59 Suchte Deckung unter dem riesigen Schild seines Bruders, 61 So wie vor Zeiten den Teukros8, den Schützen aus Dar­ danos’ Sippe,

62 Einst sein Bruder Aias mit siebenhäutigem Schilde 60 Schützte und ihn so mit dem Schilde des Vaters bewahrte. 63 Aber Korymbasos zog sofort das Schwert aus der Scheide,

Mähte Dexiochos’Nacken mit diesem Messer herunter; 65 Doch da stellte rasch im Sprung quer über den Toten

Klytios10 sich, der wilde, ein Kämpfer zu Fuß, und die Lanze Warf er reißend schnell auf den riesigen König der Inder.

Hera lenkte jedoch den Speer des Helden zur Seite, Weil sie Klytios grollte und auch dem mordenden Bakchos. 70 Aber es fehlte nicht ganz der rasche Held: er durchbohrte

Die gewaltige Kehle des riesenmächtigen Tieres;

Die Induschlacht geht weiter

439

Tödlich traf er des Herschers steilstampfenden Bergelefanten, Und der erschütterte nun den ganzen Wagen, in Qualen Hin und her bewegte das riesige Untier den dunklen Nacken und schwang den Stoßzahn, der krumm vom 75 Maule ihm vorsprang, Und riß hoch empor sein blutbesudeltes Zaumzeug. Aber der Lenker bog sich raschentschlossen mit seinem Schwerte unter das Joch, das vielverknüpfte, durchhaute Die verbindenden Riemen, und von der riesigen Krippe Nahm Kelaineus11 zur Fahrt ein großes, anderes Jungtier. so

Unbestrittenen Sieg erhoffte Klytios kühnlich, Forderte wild heraus des Dexiochos Mörder mit lauter Stimme verderbliche Worte aus frevlem Munde entsendend: »Steh, du Hund! entflieh mir nicht, Korymbasos, lerne, Wie wir Speere versenden, wir Heergesellen des Bakchos. 85 Fort nach Phrygien schleppe ich euch als Beute. Zerstören Wird diese Lanze die Städte der Inder, und wenn ihr erlegen, Werd den Deriades ich zum Knecht des Dionysos machen. Ohne Bräutigam wird die indische Jungfrau des Magdtums Ledig und wird sich zur Hochzeit mit zottigem Satyr 90 bequemen, Wenn sie geschändet liegt am Bord des mygdonischen Hermos12.«

Über das Wort ergrimmte Korymbasos, und er durchbohrte Des zu spät zum Kampf entschlossenen Klytios Kehle; Hoch flog ihm das Haupt im Todessprunge herunter Und besprengte rings den Staub mit blutigen Tropfen. Und nachdem er verlassen den tanzgewirbelten Leichnam, Schreckte Korymbasos, der Inderheld, die Silene, Mutiger Held wie Morrheus und wie der indische König.

95

440

Achtundzwanzigster Gesang

Mit der Lanze traf er Sebes13, den Meister des Speeres, loo Auf der Wölbung der Brust und stieß sie hinein, und dann

zog er

Blutig den Speer heraus; da sank der Tote zu Boden. Gegen Oinomaos11 stürmte er an, doch der flüchtete eilends Und entwich in das Heer des Bromios ängstlichen Schrittes.

Aber ihn sah und verfolgte der Feind, und mitten ins Rückgrat

los Bohrte er ihm die Lanze, und sie durchsauste den Körper: Drüben am Bauche drang heraus beim Nabel die Spitze.

Der Getroffene aber, gespießt an das blutige Eisen,

Frisch geschlachtet, glitt kopfüber und stürzte zu Boden, Und ihm senkte sich über die Brauen todbringendes Dunkel. ho Nicht ließ ab vom Kampf der riesige Krieger; es wurden

Gleich vier Streiter im Helm von Einem Mörder getötet: Thoon, Tyndarios auch und Antesion neben Onites16.

Nicht wie ein Leichnam lag der ebengetötete Pylos13 Köpflings zu Boden gestreckt, nicht lang hintenübergesunken, ns Nein, als Toter stand er unerschüttert noch aufrecht

Gleich einem fechtenden Kämpfer, als wollte er jetzt noch die Lanze

Schwingen, den schnellen Bogen noch spannen und Pfeile verschießen. Und der wehrhafte Tote, noch kampfbegierig als Leichnam,

Zwang der Moiren Gespinst auf solche Weise, vergleichbar 120 Einem Lanzenkrieger, der nun aus zahlreichen Bogen

Ganz vom Wirbel zur Zeh durchbohrt von Pfeilen sich reckte

Wie ein aufrechtes Standbild des Ares. Mit staunenden Augen

Sahen die andern Streiter den toten Meister des Speeres, Wie er die Lanze noch lenkte und auch vom Schilde nicht

abließ,

125 Dieser schildbewehrte und lanzenschwingende Tote.

Die Induschlacht geht weiter

441

Einer traf einen Athener und mähte mit schrecklichem Eisen Ihm die Rechte ab vorn an der Spitze des Armes.

Und die Hand schlug Rad und fiel zu Tode getroffen Zuckend nieder und frisch von ihrer Schulter geschnitten

Und überströmte tropfend den braunen Rücken des Staubes. 130 Und nun hätt er der springenden Hand die Lanze entrissen, Um aufs neue den Kampf mit der treffenden Waffe zu führen,

Hätt in der linken Hand sie weiterkämpfend geschwungen; Aber ihm kam zuvor ein eilender, feindlicher Krieger

Und schlug mit dem Schwert ihm auch die Linke vom Leibe. 135

Und da fiel die Hand zu Boden, den Mörder bespritzte Und besprengte weit geschleudert des purpurnen Saftes Blutig triefender Streif. Am Boden wälzte sich zappelnd

Fort die arme Hand von selbst in rasenden Sprüngen, Ganz von Blut gerötet, und preßte mit krallender Fessel

140

Die gekrümmten Finger mit starkem Druck in die Erde, So als umklammre die Hand aufs neu den Riemen des

Schildes. Heldentränen vergießend, begann der Athener zu klagen:

»0, ich wünschte mir noch eine weitere Hand, zu vollenden

Taten mit dreifachen Händen, die würdig der Tritogeneia!

145

Aber ich will den Feind auch ohne Hände verfolgen.

Soviel Tapferkeit blieb mir, damit man den Ruhm der

Athener Künde in allen Lagen, weil sie auch noch mit den Füßen Weiterkämpfen als Helden bei abgeschlagenen Händen.«

Sprachs und eilte stürmisch den feindlichen Kriegern entgegen,

Waffenlos warf er sich voll Wut auf seine Verderber.

Einen um den andern erfüllte der Anblick mit Staunen,

Und den halben Kämpfer umringten die Feinde im Kreise,

Und so empfing allein er einen Hieb nach dem andern

150

442 155

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16S

170

175

Achtundzwanzigster Gesang

Schonungsloser Schwerter mit wechselnden Schlägen des Eisens. Endlich fiel er zu Boden; er war so tapfer wie Ares, Für seinen späteren Landsmann, für Kynegeiros17, ein Vorbild.

Nicht nur das Fußvolk allein ward damals niedergehauen, Sondern auch Reiter fielen. Todbringend stürmten sie vorwärts Einer nach dem andern, und Reiter stießen auf Reiter, Warfen entweder den Speer in den Nacken flüchtiger Feinde Oder durchbohrten die Brust, wenn einer tapfer sich stellte, Und von den Pferden warfen sie in den Staub die Getroffnen Eines der Rosse, dem ein Pfeil die Weichen durchbohrte, Warf den Reiter ab und schleuderte ihn auf die Erde, Wie einst den Bellerophontes18 der schnelle Pegasos abwarf, Als er zur Höhe flog mit windbeflügelten Lüften. Argerschrocken glitt vom glatten Rücken des Rosses Einer langgestreckt am Bauch des Pferdes zu Boden Und stand köpflings daneben; es schlug sein Haupt auf die Erde, Aber die Füße hingen noch auf der Kruppe des Pferdes.

Auch die riesenstarken Kyklopen umringten die Streiter, Diese Helfer des Zeus. Der staubumdunkelten Mannschaft Hob Argilypos19 hell zur Leuchte die glänzende Fackel, Und gewappnet war er mit irdischem, feuergespitztem Wetterstrahl, kämpfte mit Bränden, und zitternd bestaunt« der Inder Dunkle Scharen dies Feuer: es glich dem himmlischen Blitzstrahl. Flammend erschien der Kämpfer; und auf die Köpfe der Feinde

Die liyklopcn eilen zu Hilfe

443

Wurde der irdische Blitz in Funken niedergeprasselt.

Und der Kyklop besiegte durch seine heißen Geschosse

iso

Lanzen und zahllose Schwerter, er schüttelte glühende

Schärfe Und gebrauchte die Brände als Pfeile und hintereinander Flammte er zahllose Inder mit Fackelpfeilen zu Boden.

Nicht nur Einen Salmoneus20, entlarvt des unechten Blitzes, Nicht nur Einen Feind der Götter erschlug er, es mußte

iss

Nicht nur Eine Euadne des Kapaneus21 Ende beklagen.

Und auch Steropes22 war mit künstlichen Blitzen gerüstet: Hielt in der Hand eine Flamme, die ähnlich den Blitzen des Äthers,

Doch von löschbarer Glut, von hesperischer23 Flamme geboren,

Samen sizilischen Feuers und dortiger glühender Esse.

190

Wolkenähnlich beschützte ein Dach ihn, und drinnen

geborgen Ließ er mit wechselndem Schwung den Glanz bald leuchten,

bald löschen, Ähnlich dem himmlischen Licht geartet, so wie auch die

hellen Blitze bald flüchtig erlöschen und bald auch sich plötzlich

erneuern.

Und auch Brontes24kämpfte mit lautem, schmetterndem

195

Tosen, Das genau so schallte, als wäre es rollender Donner. Falsche Tropfen ergoß er des bodengeborenen Regens

Einen kurzlebigen Trug des echten Wassers des Äthers. Regnend erschien er als falscher und wolkenloser Kronion.

Aber nun unterließ er das künstliche Donnergetöse

Und begann den Feind mit sizilischem Eisen zu morden;

200

444

Achtundzwanzigster Gesang

Über den Schultern schwang er hocherhoben den Hammer Und zerschmetterte so gar viele feindliche Häupter, Schlug in die dunklen Scharen nach beiden Seiten, so wie er 205 Sonst mit ätnäischem Schall beim Schmieden schlägt auf

den Ambos. Schmetternd den felsigen Zacken von einer ragenden Warte, Stürzte er wider den König mit dieser steinernen Lanze,

Warf den mächtigen Fels mit unbarmherzigen Händen

Wider den schwarzen König Deriades, eisern gerüstet,

210 Und er traf seine zottige Brust mit dem steinernen Speere; Aber der taumelte nur, von dem mühlsteinartigen Felsen Hart auf der Brust beschwert. Doch den Tod des getroffenen Sohnes

Wehrte Hydaspes ab. Aus nieermatteten Händen Sank dem kühnen König, dem wundenmatten, die Lanze,

215 Zwanzig Ellen lang aus Erz; vom bebenden Arme

Glitt ihm der Schild zu Boden, und von der steinernen Spitze

Wider die Wölbung der Brust getroffen, sank er kopfüber Nur noch mit schwachem Atem vom hohen Wagen hernieder Wie einer riesigen Fichte gewaltiger Gipfel - im Fallen

220 Überdeckt sie weit ein Tal der gebreiteten Erde. Ihn umrannten die Inder und hoben ihn hoch auf den

Wagen, Vor dem Kyklopenscheusal voll Angst, daß dieses nicht

wieder Neu einen mächtigen Zacken vom Haupt des Berges sich

bräche LTnd mit dem rauhen Geschoß den König völlig ermorde,

225 Dieser Kyklop, der an Länge dem Polyphemos nicht nach­ stand. Mitten auf der Stirn des grausigen Kämpfers erglänzte

Kreisrund das Gefunkel des Auges mit Einer Pupille. Wie des grausen Kyklopen Geschau die schwärzlichen Inder

Die Kyklupcn eilen zu Hilfe

U5

Sahen, da schüttelte sie Entsetzen und banges Erstaunen; Wähnten sie doch, im Gesicht des erdgebornen Kyklopen

230

Glänze vom Himmel her die olympische Göttin Selene, Blitzend in vollem Licht, um für Lyaios zu kämpfen.

Vater Zeus gewahrte den kampfnachäflenden Riesen;

Hoch in den Wolken lachte er laut, weil der irdischen

Wolken Fremden Regen die Erde im unerfahrenen Busen

235

Hinnahm weitbeschwemmt. Doch keines Taues Begießung Netzte den trockenen Luftraum; sein freier Rücken blieb trocken.

Trachios“ rüstete sich; mit seinem Bruder zusammen

Schwang in mächtiger Faust den Schild, einem Berge

vergleichbar, Elatreüs wolkenhoch und hielt eine riesige Fichte,

240

Und er köpfte die Feinde mit dieser baumigen Lanze.

Auch Euryalos2“ rüstete sich, durchbrach im Getümmel Eine mächtige Schar, die meerwärts floh aus der Eb’ne, Schloß die Reihen der Inder dann ein in die fischreiche Tiefe

Und besiegte die Feinde im lanzenstarrenden Meere,

245

Schwang durchs Wasser sein Schwert, das zwanzig Ellen

an Länge,

Und er schlug mit dem Beil sich einen Felsen vom Ufer, Schleuderte ihn auf die Gegner: da mußten viele erfahren Doppelt das Todesgespinst des grablosen Schicksals im

Meere: Durch das rauhe Geschoß und durch den Tod in den Wellen. 250

Mit ihm glänzte auch noch Halimedes2’, ein anderer Bruder. 257 Tobend focht der ries’ge Kyklop mit mächtigen Gliedern

Aclitundziuanzigstcr Gesang

446

Und erschreckte die Feinde; das kreisrunde Auge zu schützen

260 Hielt er davor den Rücken des hochgebuckelten Schildes. Phlogios28 sah ihn, ein Rächer der hingesunkenen Inder,

Spannte den Bogen und zog den beflügelten Pfeil, denn er wollte

Treffen mit dem Geschoß das mittenleuchtende Auge.

Aber der ries’ge Kyklop bemerkte den auf ihn gezielten,

265 Sausend nahenden Pfeil und bog sich seitwärts und wußte So den Schuß zu meiden; doch nun eine Klippe ergreifend, Warf er dies Steingeschoß auf Phlogios. Flüchtig enteilte Dieser und stellte sich neben den Wagen des hörnernen

Königs. Kaum vermied er die luftdurchsausende, steinerne Schärfe

270 Und verharrte dort. Im Zorn über Phlogios’ Fliehen Klaffte Halimedes weit auf sein greuliches Maulwerk

Und verdarb zwölf Männer mit Einem brüllenden Ausruf;

Männertötend ergoß sich die wütig dröhnende Stimme.

Bis zum Himmel erscholl das Kriegsgeschrei der Kyklopen

275 Und ihre schreckliche Stimme. Da stürmten die Tänzer des Krieges, Die Korybanten alle von Dikte, herbei zum Getümmel.

277 Damneus29 kämpfte und hieb verfolgend die feindliche Rotte----------

251 Kampfgeschrei erfüllte das Feld; zu den eilenden Bakchen39 Kam der frohe Prymneus31 gleich einem Winde, der rück­

wärts Beistand leistet dem Schiffer, der mit dem Wogen dahin­

fährt: Sehr erwünscht erschien er dem Heer, so wie Polydeukes32

255 Meeresglätte beschert den arggeschüttelten Schiffen 256 Und die schweren Wogen des stürmischen Meeres besänftig

Die Kyklopen eilen zu Hilfe

447

Und Okythoos33 scheuchte mit flinkeren Füßen die Streiter Auseinander; er brachte gar vielen tödliches Ende. Mit dem Speer bezwang er den einen, den andern erschoss er Aus der Ferne und traf einen andern mit grimmigem Schwerte. Einen andern, der schnell wie der Wind von dannen enteilte, Holte der Wütige ein und regte stürmisch die Kniee. Ganz dem Iphiklos34 glich er im Lauf, der mit flüchtigen Sohlen Über die Oberfläche des unbetretbaren Meeres Lief und über die Spitzen der hohen Ähren dahinglitt, Ohne daß von dem Tritt der Füße die Halme sich beugten: So beflügelt lief Okythoos. In dem Getümmel Kämpfte Mimas36und focht in füßetanzendem Rhythmus Und erschreckte das Heer mit tanzaufspielendem Schwertschwung. Nicht zur Lust geschah das bewaffnete Springen der klugen Sohlen, wie Pyrrhichos38 einst vor den Ohren des Kronos vom Ida Lärm erregte, indem er dröhnend den Schild mit dem Schwerte Schlug und täuschenden Schall so gegen Feinde erregte, Um zu verbergen, daß Zeus dort jugendlich blühend heranwuchs. Und so ahmte nun auch der erzgerüstete Mimas Einen Waffentanz nach und schwang die wirbelnde Lanze; Mähend die eiserne Saat der feindlichen Häupter im Kampfe, Brachte mit schneidendem Schwert und indertötendem Beile Eine Erntegabe von Feinden dem schauenden Bakchos, Statt eines Rinderopfers und statt des üblichen Weines Einen blutigen Trank dem Gott Lyaios zur Spende.

278 280

285

290

295

300 302

Unsteten Fußes kam, gewandt auf den Sohlen sich drehend, 309 Akmon3’,Okythoos’Freund,im hellen Schimmer des Helmes; 310

448

Achtundzwanzigster Gesang

Unerschütterlich kämpfte er wie sein Name: der Ambos, Korybantischen Schild erhob er; es hatte Kronion

Oft in dessen Mulde als Kind im Gebirge geschlafen. Und Zeus’ Haus war nur eine kleine Höhle; ihn säugte 315 Dort die heilige Ziege mit falschen Brüsten, aus ihnen

Eigenartige Milch geschickt entquellend, wenn dröhnend Klang der Schall des Schildes bei kindverbergenden

Schlägen,

318 Mitten auf dem Rücken vom tanzenden Eisen getroffen. 322 Ihretwegen konnte dann Rheia statt des Kroniden 323 Einen trügenden Stein dem Kronos bieten zum Mahle.

303 Zu dem Kampffest eilte der augenscharfe Idaios38;

Vielgewandt, ein Tänzer des Krieges, durchkreuzte die Bahn er

305 Hemmungslos voll Gier nach indertötendem Kampfe.

Und der Bienenmann Melisseus39 erschreckte die ganze Dunkle Schar unerschüttert an Mut. Getreu seinem Namen,

308 Ahmte er nach den furchtbaren Stachel der kämpfenden Biene.

319 Gegen die flinken Kureten warf Morrheus einen gewalt’gen 320 Fels und fehlte Melisseus, der grade ihm in den Weg lief, 321 Fehlte; man kann mit Steinen nicht Korybanten erlegen.

324 Mit einander zu eins verbunden, kämpften des finstern

325 Ares Tänzer so gemeinsam. Und mit ihren Schilden Drängten sie alle sich rings um des Deriades Wagen,

Schlugen auf ihre Waffen und schlossen mit rhythmischem Fechten

Schildbeladen im Tanz sich um ihn wie eine Mauer.

Durch die Lüfte drang der Schall zum Hofe Kronions, 330 Und vor dem Tosen der beiden Heere erbleichten die Horen.

NEUNUNDZWANZIGSTER GESANG

Hera, wie sie das Sinken der indischen Reihen bemerkte,

Gab unbezwingliche Kühnheit dem tapfern Deriadeskönig.

Und noch stärker wuchs die Kampfbegier in dem grimmen Herrscher; mit wütendem Anruf die Krieger treibend, durchlief er

Nacheinander rings alle Reihen des finsteren Ringens,

5

Hemmte die fliehenden Scharen und führte sie wieder zum Streite;

Einen zwang er zur Umkehr durch Milde, den andern durch Drohung,

Und er wurde noch kühner. In Scharen strömten die Inder Auf des Königs Befehl zurück in des Treffens Getümmel.

Ganz zersprengte Morrheus, der treffende Schütze, die

10

Satyrn;

Bald vom gespannten Bogen entsandte er wider die Feinde

Eine Wolke von Pfeilen, die sausend die Lüfte durch­ schwirrten,

Bald auch schwang er wirbelnd die wilde Lanze und schreckte Rückwärts in die Flucht der Silene hörnerne Sippe.

Mit dem Schwerte focht der lockige Held Hymenaios1,

Unerreichbar sitzend auf einer thessalischen Stute,

Und die dunkelen Inder erschlug seine rosige Rechte.

Schau den Glanz! du wähnst, der strahlende Phosphoros’ leuchte,

Der das häßliche Dunkel begleitet, inmitten der Inder;

15

450

Neiinundzwanzigster Gesang

20 Und er schreckte die Feinde, dieweil ihn Bakchos im Kampfe

Wegen seiner Schönheit mit göttlicher Stärke erfüllte.

Wie Iobakchos ihn so heldenhaft streitend gewahrte,

Freute er sich und wünschte sich als Genossen im Kampfe

Nicht so sehr die Blitze des Zeus wie die Lanze des Jünglings. 25 Und wenn dieser stürmisch sein Roß. in die Inderschlacht

lenkte,

Geißelte Bakchos den Nacken der bunten, schrecklichen Tiere, Näherte seinen Wagen dem Pferde, und dicht bei dem Jüngling

Liebte er ihn wie Phoibos den Knaben Atymnios

immer

Blieb er ihm nah, und gleich von Mut und Liebe durch­ drungen, 30 Trachtete er, daß ihn der Bube gewahre; er wähnte

Sich im Himmel im Streit als Kampfgenosse des Knaben.

Eins erregte ihn nur, daß nicht dem himmlischen Vater

Phlegios’4 Sohn entstammte und daß er irdisch geboren.

Immer war er ihm nah, wie ein Vater den Buben betreuend, 35 Voller Furcht, es möchte den Pfeil ein Schütze entsenden

Und den Jüngling treffen, und nahten die Schüsse, so streckte

Er die Rechte6, den Knaben mit seinem Schilde zu schützen, Und dem jungen Helden rief er ermunternd entgegen:

»Lieber Knabe, entsende den Pfeil, und Ares muß rasten. 40 Deine Schönheit verwundet selbst mich, den Giganten­

bezwinger8.

Triff mit deinem Schuß auch diesen törichten König, Der die Götter bekämpft; dann wird man später verkünden:

Beide erreichte und traf mit Einem Pfeil Hymenaios, Den Deriades in den Leib, in das Herz den Lyaios.«

45 Auf des Bromios Ruf entbrannte der liebliche Schütze

Hymenaios noch wilder zum Kampf. Da fühlte der tolle

Fortgang der Schlacht

451

Bakchos in seiner Freude noch immer heißere Kriegswut Und erschreckte gewaltig das ganze finstre Gelichter. Und wie einer den Bakchos im schwingenden Wirbel des Schlachtfelds Sah, wie er unersättlich beschoß die Häupter der Inder, so Rief er dem Melaneus’, dem habsuchtgeschwellten, entgegen:

»Schütz, wo ist dein Bogen, wo sind die beflügelten Pfeile? Uns beschießen da ja nur üppiggekleidete Weiber. Auf denn! entsende den Pfeil auf den todgeweihten Lyaios! Laß dich die Sage nicht täuschen, daß er dem Himmel ss entstamme. Nimmer bebe vor Bakchos; er erbte vom irdischen Vater Raschhinsterbendes Blut; die Abkunft von Zeus ist erlogen. Dorthin schnelle den Schuß, und triffst du das Ziel, so empfange Unermeßliche Gaben des schätzegesegneten Königs, Wenn auf dem Scheiterhaufen, von deinem Pfeile bezwungen, 6o Er den Dionysos sieht, den tapfern Sohn der Thyone. So beende den Kampf ein einziger Pfeil! Und zu beiden, Hebe zum Wasser die Hände und bete zur Erde, der Mutter! Opfergaben den beiden nach deinem Siege zu bringen, Mußt du sonder Trug versprechen, und bei dem Altäre 65 Soll einen hörnernen Stier der stiergehörnte Hydaspes Und ein schwarzes Lamm die dunkle Erde empfangen.« Riefs und Melaneus, den gewaltigen Schützen, bewog er Einen Mann, dem die Gier nach Schätzen die Sinne ver­ wirrte. Aber schweigend hob dieser von seinem Köcher den Deckel, 70 Nahm einen Pfeil heraus und zog mit der Hand die gewohnte Sehne so nach rückwärts, daß rund der Bogen sich krümmte; Und wie die eiserne Spitze des Bogens Kreisung berührte,

452

Neunundzwanzigster Gesang

Näherte sich der Brust die mordende Sehne aus Rindsdarm. 75 Aber der sausende Pfeil glitt an Lyaios vorüber, Abgelenkt von Zeus; doch traf den herrlich bekränzten

Hymenaios der Pfeil und ritzte ihm blutig den Schenkel.

Nicht entging dem Bakchos der abgeschossene, schnelle, Zischende Pfeil, der fliegend die grausamen Lüfte durcheilte, so Und er schwächte den Schuß des luftdurchschneidenden

Pfeiles

Und verhinderte so einen tödlichen Treffer des Inders. Paphia“ lenkte schleudernd des Pfeiles Spitze zur Seite,

Sich dem verliebten Bakchos als Schwester gefällig zu zeigen, Und vertrieb das Geschoß vom Leibe, wie eine Mutter

85 Von dem schlummernden Kind verscheucht die schweifende

Mücke, Leise fächelnd vor dem Antlitz den Zipfel des Mantels.

Und die böse Wunde des blutigen Schenkels am Körper

Zeigte Hymenaios dem nahestehenden Bakchos.

Eine liebliche Träne entquoll ihm, damit ihn beglücke 90 Helfend die heilende Hand des unheilwehrenden Gottes.

Denn er bedurfte des Arztes, sein Leben zu retten, und dieser Führte an weißer Hand den Hymenaios auf seinen Wagen und lenkte ihn fern aus dem lärmenden Tosen des

Kampfes, Legte den matten Knaben bei naher Buche im Schatten9

95 Nieder; dem schmerzte der Kopf, und wie einst Apollon

den Jüngling

Hyakinthos1’ bestöhnte, den tödlich der Diskos getroffen, Und auf Zephyr schalt, den eifersüchtigen, wilden, Also raufte auch Bakchos sich immer wieder die Locken:

Er, der tränenlose, beweinte klagend den Jüngling. loo Doch, wie er außerhalb der Haut die Haken des Pfeiles11

Verwundung des Hymenaios

453

Sah, da faßte er Mut, und aus dem blutigen Schenkel, Leise die doppelfarb’ge, weiß-rote Wunde berührend,

Zog er mit schonender Hand heraus die Spitze des Pfeiles;

Und sobald er die Tränen des jammernden Knaben bemerkte,

Zürnte er allen beiden, dem Melaneus und auch dem Ares,

105

Wischte den süßen Schweiß dem Hymenaios vom Antlitz, Mit unterdrückter Stimme entfuhren ihm tadelnde Worte:

»Ampelos starb vom Stier, doch Ares erschlägt Hymenaios. Hätte er doch dafür all meine Streiter getötet Und diesen Einen verschont und nicht verwundet! wie sollte

j 10

Michs im Kampfe grämen, wird ein Kabire ermordet! Eines Satyrs Verwundung, wie könnte sie Bakchos erregen! Mag der Traubensilen hinsinken, die Bassariden

Fliehen, wenn nur den Einen ich unverwundet erblicke. Mag mir der Gott mit dem Bogen verzeihen: wenn Aristaios

ns

Fällt, was soll ich da ihn betrauern, der ja der Bienen

Seim für besser erklärt als meine labende Lese!

Mir ist wohl bestimmt, mich um einen Knaben zu grämen. Muß ich doch diesen vielleicht auch wieder als Toten beklagen.

Welche Mißgunst verfolgte sie beide? darf ich es sagen:

120

Hera erspähte Bakchos mit eifersüchtigen Blicken

Und diesen jungen Mäher der schwarzgehäuteten Sippe; Neidisch auf den Jüngling und auf den verliebten Lyaios,

Wappnete sie den Ares, um Hymenaios zu treffen,

Ares, der sich trügend in Indermaske versteckte,

125

Daß sie kränke das Herz des glücklos verliebten Lyaios. Darum greif ich die Lanze und spanne den mordenden Bogen,

So mich auf Melaneus, den falschen, zu werfen, damit er Für den lieblichen Hymenaios Buße mir zahle.

Stirbst du, Hymenaios, noch eh das Ringen vollendet, Weiche ich aus dem Krieg und hebe nie mehr den Thyrsos.

All den Feinden will ich gern ihr Leben belassen,

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155 157 160 158 159

Neunundzivanzigster Gesang

Treffe ich nur den Einen, den Melaneus, der dich gemordet. Nicht Deriades traf dich, so sehr er Dionysos grollte. Kythereia, verzeih! nach Myrrhas tapferem Sohne12 Traf einen zweiten, sanften Adonis der unsanfte Ares, Traf ihn, berührte die Haut, die rosige, wieder zur Erde Strömte soeben aus dem Schenkel das Blut der Eroten. Drum, gefällig deinem verliebten Dionysos, sende Mir hierher den Bruder Apollon, den Arzt aller Schmerzen, Und dann wird er heilen den Buben. Doch, Stimme, verstumme! Nicht bemühe im Himmel den Phoibos, ihn nicht zu erregen Durch Erinnerung an Hyakinthos’liebliche Wunde. Sende mir, wenn du willst, den Paieon13. Möge er kommen. Sehnsucht ist ihm fremd und fern begehrende Liebe. Eine mir neue Art Verwundung erleb ich: im Kampfe Blutet der eine Mann, vom Speer in die Flanke getroffen; Einer litt an der Hand vom Schwerthieb, einer vom Pfeil­ schuß In dieWeiche, ein andrer durchs Ohr; ich aber im Herzen Wurde mit Hymenaios zusammen tödlich getroffen.« Sprachs und sorgte sich sehr, indem er mit seitlichen Blicken Nach der Wunde sah, die der liebliche Knabe empfangen. Um den Schenkel wand er rings des Euios Pflanze, Leise die doppelfarb’ge, weißrote Wunde berührend, Weckte den Buben wieder mit heilendem Efeu zum Leben Und besprengte rings Hymenaios mit rettendem Weine. Schnell wie die schimmernde Milch vom Safte der Feige geronnen Und der weiße Schaum durch das Gären der Flüssigkeit schwindet, Daß der Ziegenhirt dann das so Geronnene forme Und in Käsekörben es runde auf radiger Fläche,

Verwundung des Hymenaios

455

Also stillte auch Bakchos durch Kunst Apollons das Bluten.

161

Frisch und gesund begann der Knabe wieder zu kämpfen, Da ihm die stillende Hand des Bakchos zum Heile geworden.

Und gerichtet aufs Ziel den Pfeil, den Durcheiler der Lüfte, Krümmte er wieder den Bogen und schenkte mit seinem

165

Geschosse

Eine Wunde als Gegengabe dem Melaneusschützen.

Kühnlich stürmte der Knabe dahin, und Bakchos zur Seite Schoß er immer auf Männer und wich nicht mehr von

Lyaios.

Gleich wie unbelebt das Schattenbild eines Mannes

Flach am Boden nah mit ihm zusammen dahingeht,

170

Wenn er selber eilt, stets mit ihm schreitet und stillsteht, Wenn er steht, und sitzt, wenn jener dasitzt, und mit ihm

Bei der Tafel wie er die Schattenhände emporhebt:

So verblieb der Knabe des Weingotts steter Geleiter.

Und Dionysos ließ nicht nach. Er durchbohrte im Kampfe

175

Einen Mann und hob ihn hoch, gespießt auf den Thyrsos,

Steil in die Höhe geschwungen; und hoch in die Pfade der

Lüfte Hob er den Inder und wies ihn der eifersüchtigen Hera.

Heiß im Kampfe rang, gemäß dem dreifachen Namen,

Aristaios16, der Held, als Jagdgott Agreus geheißen,

iso

Nomios aber als Gott der Hirten, nun schwang er den

Krummstab, Er, der treffliche Schütz, Autonoes Gatte; im Kampfe

Ahmte er nach mit dem Bogen den bogenberühmten Erzeuger,

Zeigte die rasende Kühnheit der pfeilentsendenden Mutter,

Hypseus’ einstiger Tochter Kyrene16. Und einen entflammten iss Gegner fing gefesselt der unerschrockene Agreus,

456

Neunundzwanzigster Gesang

Wie ein Wild auf der Jagd, und warf einen mächtigen Felsblock,

Diesen Feindezermalmer, mit kundigen Händen. Beim

Stemmen War es, als presse er aus das Oel der fetten Olive. 190 Mit der gewohnten Klapper vertrieb er die tapferen Gegner,

Schmetterte jenes Erz, das stets er schüttelt, sobald er Will die wütenden Stacheln der schwärmenden Bienen

erschrecken.

Feuergewallige Bürger des thrakischen Samos, die beiden

Söhne der Kabeiro1’von Lemnos, begannen zu rasen: 195 Aufwärts den Feuerbrand des Vaters Hephaistos

entschleudernd, Sprühten ihre Augen die angeborenen Funken.

Stählern war ihr Wagen; er war von Rossen gezogen, Die mit ehernen Hufen den Boden dröhnend zerstampften

Und ein heißes Gewieher aus ihren Mäulern entsandten.

2oo Vater Hephaistos hatte sie unnachahmlich und kunstvoll So gebildet: den Zähnen entlohte dräuendes Feuer,

Wie er auch dem Aietes”, dem starken König der Kolcher, Einst ein Zweigespann erzfüßiger Stiere geschaffen

204 Mit einem heißen Geschirr und einer flammenden Deichsel. 211 Held Eurymedon lenkte an feuerstrahlenden Zügeln

212 Fest das feurige Kinn der stählernhufigen Rosse; 205 In der Rechten hielt er die lemnische Lanze, geschmiedet Auf dem Ambos des Vaters; an wohlgebildeten Schenkeln

Trug er ein blitzendes Schwert, und wenn ein Mann einen kleinen

Stein in die Höhe hob mit den Fingerspitzen und dann ihn Warf auf des spitzigen Schwertes nun feuerverbreitenden

Rücken,

210 Wurden von selber Funken aus seinem Eisen geschleudert.

U't’ileit’ Kampfe Alkon umklammerte fest ein Flammengeschoss mit den

213

Händen, Hekates19 festliche Fackel, der Heimaisgöttin, und schwang

sie.

Schüttelnd den stolzen Schmuck des hohen, buschigen

215

Helmes, Zogen die Korybanten von Kretas Insel zum Kampfe,

Mutentflammt. Sie schlugen wetteifernd wider die Schilde

Dröhnend das nackte Erz entblößter Schwerter, die rückwärts Nach dem Schlage prallten; sie ahmten mit kreisend geschwungnen

Füßen nach dabei im Takt den üblichen Schildtanz29,

220

Jauchzend vor Kampfbegier. Von bergbewohnenden Hirten Ward mit kuretischem21 Eisen das Heer der Inder gemetzelt;

Und es stürzte kopfüber gar mancher Krieger zu Boden,

Als er das dumpfe Gebrüll des dröhnenden Kalbfells vernommen.

Und eine Bassaride erhob die blumengeschmückte

225

Lanze und schleuderte sie. Vom bakchosfremden Geschlechte

Sanken Männerhäupter gar viel durch Waffen der Weiber.

Und mit haariger Hand eine Gipfelwarte erhebend, Die er vom spitzen Haupt eines Berges gebrochen, bewehrte

Leneus22 sich und entsandte den Felszack wider die Feinde.

230

Bakche rief gellend zum Kampf. Und rebenumblätterte Pfeile Flogen dahin aus den Händen der efeutragenden Weiber.

Preisend mit lautem Lied den Ares und den Lyaios, Wappnete auch Eupetale23 sich, und den rebenumhüllten,

Stechenden Efeu warf sie im Flug, des Eisens Zermalmer,

Und vernichtete so mit Ranken die Sippen der Inder.

Und die Wolke der Feinde mit mordendem Thyrsos bedrängend,

235

458

240

245

250

255

Neunundzwanzigster Gesang

Hüpfte die Traubenfreundin Terpsichore21 in das Getümmel. Kreisend schwang sie das doppelte Erz der dröhnenden Cymbeln. Herakles jagte nicht so laut die stymphalischen Vögel25 Mit dem klirrenden Erz, gleichwie die Scharen der Inder Hier Terpsichore trieb mit klapperschallendem Kriegstanz. Schweren Schrittes blieb die alte Trygie26 hinter Allen andern als letzte zurück; ihr waren die Füße Furchtgelähmt, und kein Silen blieb bei ihr; sie ließen Sie in Ängsten allein, des Schutzes bedürftig. Zum Zecher Maron hob sie die Hände, doch ab wies Maron die Greisin, Weil sie die Chöre der Satyrn und der dem Weine ergebnen Korybanten nur hemmte. So flehte er stets zu den Göttern, Daß die unnütze Alte Deriades’ Lanze erläge. Kalyke2’ aber kämpfte an des Dionysos Seite, Toll vor Wut; und trunken im Taumel kreiste Oinone28 Allen andern voraus, und arg im Getümmel belastet, Regte sie schwer die Knie; der weinbeseligten Nymphe Schwollen die Adern des Kopfes, die Stirn begann ihr zu schmerzen.

Dumpfes Stöhnen ertönte. Im wirren Getümmel verfolgte Astraeis29 Staphyle wild, der Kalyke folgte Kelaineus. Morrheus,der Lanzenschwinger, vertrieb die Front der Silene, Die vom Schlachtbeil geschlagen. Durch einen einzigen Zuruf 260 Trieb er Astraios“, und Maron entfloh, es duckte sich Leneus, Diese drei Kinder des zott’gen Silen, der ohne Vermählung Ungezeugt von selbst aus Mutter Erde entbunden. Doryklos91 aber scheuchte die schöne Lykaste von dannen-----Ihnen stand Bakchos bei. Auf die Wunden getroffener Weiber

Weitere Kämpfe

459

Legte er heilende Mittel; er half der stirnbandentblößten Gorge32, die von dem Eisen des Kriegsgotts am Fuße getroffen, Und den umwickelte er mit den Rebenbinden des Wein­ stocks, Löschte das Götterblut mit Wein, das Eupetales Wunde Frisch entströmte, und hemmte mit Singen Staphyles” Bluten, Heilte die wunde Hand des Myrtos34 mit Zweigen der Myrte. Kalybe33 rettete er: er zog das Geschoß aus der Schulter Und bespritzte mit Saft der Kelter die blutige Wunde. Nysas34 Schmerz zu stillen am frischverwundeten Antlitz, Salbte er rechts und links mit weißem Gipse die Wangen. Tränenlos beweinte er doch die gefallne Lykaste. Als der thyrsoswilde Dionysos also die Qualen Der Bassariden gestillt, begann er noch ärgere Kämpfe. Und besessen vom Sprung der sinnberaubenden Tollheit, Trieb eine Bassaride als tobende Feindin die Inder, Dir, du lydischer Dämon, zu liebe. Vom Haar der Bakchantin, Ohne sie zu verbrennen, floß Feuer den Nacken herunter.

265

270 271 273 272 274 275

280

Und noch weitere Schwärme gewaltiger Krieger ermunternd, Tönte der Flöte Schall, das Heer zum Streite zu sammeln. Und auch die Korybanten, die lärmbeseligten, schlugen Mit ihren beiden Händen des Kalbfells doppelte Wölbung. 285 Cymbeln klapperten laut; es sang auf andere Weise Auch die klingende Syrinx des Pan im wilden Gefechte. Näher brausten heran die Reihen der Feinde; es schwirrte Durch die Luft in Fülle die Menge gefiederter Pfeile. Bogen tönten und Blöcke erdröhnten, laut heulten 290 Trompeten.

Neunundzwanzigster Gesang

460

Wie sie nun aber zur Furt gelangt, wo gleitend Hydaspes

Seine weißen Wasser mit trunkenen Fluten gerötet, Brüllte Dionysos auf so laut aus der Tiefe der Kehle, Wie neuntausend Mann zusammen brüllen im Kriegs­

schwarm 37

295 Schauerlich wie gemeinsam aus Einem Munde; und unstet Stürzten weichend die Inder hinab ins gelbe Gewässer,

In die Ebene andre. Geteilt erschlugen des Bakchos

Krieger die Feinde hier im Feld und dort im Hydaspes, Denn sie waren von Durst gequält und ermattet; es stieg ja

3oo Auf zur Mitte des Himmels der Tag, wann der Wandrer im

Schweiße Vor der Mittagsgeißel des glühenden Helios zittert.

Und da forderte laut der Gott der Reben den Herrscher

Indiens drohend heraus und schrie mit wütender Stimme: »Was soll ich fürchten ? Stammt der Inderkönig vom Flußgott,

305 So ist mein Geblüt vom Himmel; Lyaios ist soviel Größer als jener Trotzkopf wie größer Zeus als Hydaspes. Wenn ich wollte, so wüchse ich bis zu den Wolken, und

wollt ich, Könnt in gerader Bahn mein Pfeil Selene erreichen.

Bist du so hochgemut jedoch, weil Hörner dich zieren,

3io Kämpfe dann, wenn du kannst, mit dem rindsgehörnten Lyaios.«

Also rief der Gott; da schrieen brüllend die Streiter. Alle beeiferten sich um die Wette, für Bakchos zu fechten.

Auf seinen Ziegenfüßen kam Pan, der weiche, zum Kampfe. Mit der spitzen Schärfe des Hufes zerriß er des Schützen 315 Melaneus ganze Seite und schlitzte ihm klaffend den Bauch auf,

Also Buße heischend für Hymenaios’Verwundung,

Ares und Aphrodite

461

Und um so zu mindern die feuerbesiegelten Qualen Des von Tränen verschonten und dennoch trauernden

Bakchos.

Rasend in seiner Wut lief Iobakchos zum Streite,

Langte hoch an die Wolken und rührte den Himmel mit

320

Händen,

Dehnte weitgestreckt den Leib bis hoch an den Äther;

Während die Sohlen am Boden, stieß hoch das Haupt an den Himmel.

Über den Kämpfenden stieg der Abendstern in die Höhe Und beendete so das Blutbad unter den Indern.

325

Und da trat auf Rheias Befehl zu dem schlafenden Ares Listig ein Traumgesicht und malte ihm trügende Bilder,

Und der täuschende Schatten ließ solche Worte ertönen:

»Ares, Ares, du rauher, lieg weiter einsam im Schlummer, Erzgerüstet; es hält Hephaistos die Paphia wieder

Auf seinem Bette umfaßt, deine frühere Lagergenossin;

330

Aus dem Hause vertrieb er die eifersüchtige Charis58.

Eros selber traf die widerspenstige, frühre Gattin mit seinem Pfeil und zog Aphrodite ins Ehbett,

Seinem Vater Hephaistos gefällig. Aber auch selber Überredete Pallas, die sehnsuchtsfremde, den großen

335

Zeus voller List, damit sie dem Hephaistos entränne, Eingedenk der verfehlten, die Erde befruchtenden

Hochzeit, Daß sie an männlicher Brust nach dem Tode des frühen Erechtheus50

Nicht einen jüngeren Sohn der Erde zu nähren gezwungen.

Auf, erwache und eile zum Grat der thrakischen Berge!

Schau deine Kythereia auf ihrem heimischen Lemnos.

340

462

Neunundzwanzigster Gesang

Schau, wie die Pforten von Paphos und wie die Sitze von Kypros

Ein geleitender Schwarm von Eroten mit Blumen umwindet. Horch, wie die Weiber von Byblos10 die Aphrodite besingen

345 Und die frische Freundschaft der wiedererneuerten Hochzeit. Ares, du bist deiner Kypris beraubt: der langsame Gatte Überholte den schnellen Erleger der Männer. Besinge

Du auch die neu mit dem Feuerhephaistos geeinigte Kypris. Nach Sizilien eile und fleh dort neben der Esse

350 Die Kyklopen an; denn kundig des Meisters Hephaistos Und beflissen, gleich ihm geschickte Arbeit zu leisten, Schaffen ein listiges Werk sie dir und werden dir schmieden Eine jüngere Fessel11 gleich deiner alten. Dann kannst du Beide unauflöslich mit listigen Banden umpressen,

355 Deiner Ehe Dieb mit rächender Fessel umschlingen Und den hinkenden Gott mit Aphrodite verschnüren. Preisen werden dann laut dich alle Götter des Himmels,

Daß du, einst selber gefesselt, den Liebesräuber gefangen. Auf, erwache, werd auch zum Ränkeschmied und gedenke

360 Deiner geraubten Geliebten! Was quält dich Deriades’ Unstern ? Nun muß ich verstummen, daß mich nicht Helios höre.«

Sprachs und eilte davon. Und aus den Banden des Schlafes, Als er das blitzende Licht der ersten Frühe bemerkte,

Riß sich der hitzige Ares und weckte den Graus und den Schrecken,

365 Anzuschirren ihm gleich den schnellen, blutigen Wagen. Und sie gehorchten des Vaters Geheiß. Es umschnürte der

rasche Graus das Kinn der Rosse mit krummgezahnten Gebissen,

Fesselte ins Geschirr den dienenden Nacken der Pferde

Unter das beiderseits befestigte Joch. In den Wagen

Ares und Aphrodite

463

Stieg dann Ares; es lenkte der Schreck den Wagen des Vaters, 370 Eilte vom Libanon fern nach Paphos, und fort von Kythere Wandte er dann das rasche Gespann zum kerastischen42 Kypros. Oftmals, oftmals spähte er eifersüchtig nach Lemnos, Mehr als nach anderen Orten nach jener glühenden Esse, Kypris aufzuspüren in eifersüchtiger Eile, 375 Ob er wohl Aphrodite an ihres Gatten Kaminen Stehen sähe wie sonst, und fürchtete ernstlich, das Antlitz Aphrodites wäre geschwärzt vom Rauche unkenntlich. Auf von Lemnos fuhr er zum Himmel, damit er mit Eisen Kampf um der Gattin willen im Kreis der Götter errege, 330 Unter Helios, Zeus, Hephaistos und Pallas Athene.

DREISSIGSTER GESANG

Also stürmte Ares zum siebenzonigen Himmel,

Eifersüchtig und schwer erzürnt. Es eilte im Tanzschritt

Gott Lyaios, der kühne, zur Schlacht; die schwärzlichen Inder Griff er an, bald unter den Ersten mit drohenden Sprüngen,

5 Bald in der Mitte der Kämpfer. Und mit dem Thyrsosgeschosse

6 Mähte er rings die Schwarzen, die volle Ernte des Kampfes, 8 Und durchtobte metzelnd die Scharen der feindlichen Phalanx.

7 Und der Gott entflammte die Satyrn gegen der Inder 9 König, wie er gewahrte, daß Ares dem Streite entwichen.

io

Einer focht mit dem andern. Des rankentragenden Treffens Gierigen Rachen dem Gott auf dem rechten Flügel belassend,

Eilte Aristaios zum linken Flügel des Heeres.

Und wie Morrheus gewahrte, daß Bromios’ Diener noch immer

Mit den Zweigen kämpften und mit den Pflanzengeschossen, 15 Rief er voll Erstaunen dem törichten König entgegen:

»Was für ein Wunder ist das? Deriades, sieh, meine Streiter Sinken mir hingemäht vom Thyrsos und nichtigen Zweigen; Schildentblößte Streiter vernichten uns Waffenbewehrte.

Ob auf die Bassariden auch Beile und schneidende Schwerter

20 Schlagen, sie bleiben heil. Wenn es zu sagen erlaubt ist, Szepterträger, so senke auch du die eherne Lanze.

Erneuerung der Schlacht

465

Hebe den Rebenthyrsos voll Blut. Die Feinde vermögen Mit den Zweigen ja doch viel mehr als wir mit dem Eisen.

Solche Kampfart hab ich noch nie gesehen: die nicht’gen

Sausenden Thyrsosstäbe sind besser als fliegende Lanzen.

25

Gib ein grünes Geschoß auch mir zum Siegen, denn unsre Pfeile wurden besiegt vom kriegsunkundigen Narthex.

Gib mir gelbe Sandalen zum Tragen, denn den Kothurnen Mußten ja sogar unzerbrechliche Schienen erliegen.

Sage, was nutzt mir viel mein eherner Schild, wenn die Weiber 30 Ungerüstet besser noch kämpfen, wenn laut im Getümmel

Sie nur Cymbeln schlagen und unsere Leute erliegen, Und wenn den Kränzen die Helme, dem Rehfell weichen die Waffen? Oftmals trat ich entgegen dem unverwundbaren Bakchos,

Wähnte mit gutem Speerwurf den unversehrbaren Bauch

35

ihm Aufzuschlitzen - doch wenn die Lanze Lyaios berührte, Bog sich die scharfe Spitze des nicht zu biegenden Erzes.«

Lachend hörte solch Wort der kühne Herrscher; er lugte Scheel nach seinem Eidam mit unheilkündendem Schweigen,

Und dann brach er gegen ihn los mit wütender Drohung:

40

»Törichter Morrheus, du bebst vor dem ungerüsteten Bakchos?

Netter Held ! Er fürchtet den Kinderkampf mit den Satyrn.«

So mit furchtloser Drohung ermutigte er seinen Eidam.

Und der riesige Morrheus griff an des Bromios Streiter; Pen Eurymedon traf er, durchbohrte mitten die Scham ihm

Mit dem blutigen Speer. Die rasende Lanze durchsauste Ihm den Schenkel, zerschnitt die Haut der schwellenden

Muskeln, Und der Getroffene sank ins Knie zu Boden. Gerüstet

45

466

Dreißigster Gesang

Ließ da Alkon nicht im Stich den gefallenen Bruder; so Schützend stellte er sich vor den Bezwungnen. Die Lanze Hob er, den runden Schild und deckte den Körper des Manne Ganz mit dem Schild wie mit einer Mauer, und gegen die Feinde Schüttelte er den Speer nach allen Seiten im Wirbel; Und so schützte der Bruder den Brüder. Und über den Wunden 55 Stellte er sich, wie ein Löwe die Jungen schützt, und er brüllt« Mit wutschäumenden Lippen und korybantischer Stimme. 57 Wie ihn so gespreizt, in klug berechneter Stellung 60 Als Beschützer des Bruders, des hingesunknen Kabiren, 58 Morrheus, der riesige, sah, begann er wie Typhon zu toben, 59 Gegen die beiden Brüder gerüstet, damit ihre Mutter, 61 Die Kabeiro, dereinst die gefallenen Söhne beweine, Wenn sie an Einem Tag von Einem Eisen getötet. Und nun hätte er beiden das gleiche Verderben bereitet; Aber mit keuchender Stimme und stoßweis drängenden Worten 65 Rief Eurymedon laut zu seinem lemnischen Vater: »Feuerhauchender Herr werkschaffender Künste, o Vater, Gib mir geschuldeten Dank zurück für früher, als Deo, Diese Ackergöttin, das dreigespitzte Sizilien Raubte allein zur Mitgift für ihre versunkene Tochter. 70 Seitwärts stieß in deine hesperischen1 Blasebälge Und die breite Esse und deine packende Zange. Aber ich scheuchte sie fort, um meinen Vater zu schützen Und deinem Ambos zu helfen. So ist es mir zu verdanken, Glüht die finstere Luft von deinen sizilischen Funken. 75 Schütze nun deinen Sohn, den der wilde Morrheus verwundet.« Riefs, und der Feuerhephaistos fuhr stürmisch vom Himmel hernieder.

Erneuerung der Schlacht

467

Wirbelnd das angeborne und springende, züngelnde Feuer, Schwang ein Flammengeschoß seine Hand. Um den Nacken des Morrheus Drehten sich von selbst die kluglebendigen Brände Und umzwängten den Hals mit glutaushauchender Kette, Vorwärtsgewälzt; nachdem sie die Kehle feurig umschlungen, Sprangen im Schwung sie über bis an die unteren Sohlen Und umwanden den Fuß des Helden wie feurige Seile Und versprühten von hier, gebannt am Boden, ihr Leuchten; Schon erglühte die Spitze des feuerentzündeten Helmes. Und nun wär er gestürzt, von Flammengeschossen getroffen, Hätte es nicht gewehrt Deriades’Vater Hydaspes. Saß doch, die Schlacht zu betrachten, der Stiergewaltige ragend Auf einem Felsen, in Menschengestalt sich trugvoll verhüllend. Der belebte ihn wieder mit feuerlöschendem Wasser, Kühlte das heiße Glühen des flammengetroffnen Gesichtes, Spülte ihm auch vom Helme die Aschenflecken herunter Und entraffte den Morrheus, indem er mit deckendem Nebel In ein Purpurgewölk die geschundenen Glieder verhüllte, Daß ihn der hinkende Gott, der lichte Hephaistos, nicht töte Mit dem vernichtenden Schwung der feurigen Flamme von Lemnos, Daß nicht der Kinderfreund, der greise Hydaspes, noch einen Eidam des Königs beklage, nachdem der erste erlegen, Und nach Orontes’ Tod nicht den des Morrheus beweine.

Alle Streiter vertrieb der Feuerträger Hephaistos, Die den Sohn umringten, den frischverwundeten, hob ihn Auf die Schultern und lehnte ihn an benachbarte Buche Fern dem Kampfgetöse, belebte den Wunden aufs neue, Und die durchbohrte Scham verband er mit heilenden Kräutern.

so

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90

95

ioo

468

Dreißigster Gesang

105 Nicht aber hatte Morrheus des früheren Kampfes vergessen,

Sondern stand neugerüstet, nachdem er dem Feuerverderben Und dem blitzenden Kämpfer, der glühenden Lanze

entronnen. Und des Strophios Sohn, den wirbelnden Phlogios2, traf er

Und erschoss ihn, den Tänzer des sprüngeliebenden Bakchos, no Ihn, der bei den Schmausen des tränenfremden Lyaios

Vielgewandt die Finger an beiden Händen bewegte

Und mit kluger Hand den Tod des Phaethon malte. Ungewohnte Tränen ließ er die Schmauser vergießen,

Die um den Untergang des erdichteten Phaethon weinten,

ns Und durch solch Gemälde des brennend sich wälzenden

J ünglings Schuf er Jammer und Trauer dem trauerfremden Lyaios. Wie er ihn taumeln sah, rief Morrheus, der treffliche Speerheld:

»Anders war der Reigen, den du beim Mahle geschlungen, Der du fröhlichen Tanz im Kreis der Pokale geboten. 120 Warum ist dein Tanz nun nach dem Kampfe so kläglich?

Hat dich Verlangen erfaßt nach der Reigenfeier des Bakchos, Dann begehe die Weihen des Hades. Des Gipses bedarfst du

Nicht, denn es deckt und färbt ja Staub von selber dein

Antlitz.

Wenn du willst, so tanze bei Lethe, der klageerfreuten, 125 Und dein Reigen belust’ge die ernste Persephoneia.«

Also prahlte er laut und rannte heran wie ein Sturmwind, Daß die Silene erschraken. Mit riesenmächtigem Schwerte

Folgte ihm Tektaphos3 gleich, der schildbewehrte, den einstens

Im gewölbten Verließ der König gefesselt verborgen. 130 Zweimal durfte er nicht dem Tode entrinnen. Wer könnte

Verwundung und Tod des Tektaphos

469

Einen Mann dem Zwange des grausamen Todes entreißen,

Wenn die Herrscherin Moira, die harte, zu sterben gebietet? Gab es doch keine List, den Helden vom Tode zu retten,

Der da tobend die Scharen des Gottes Lyaios verjagte

Und die frohen Glieder der hörnernen Satyrn zermalmte.

135

Er durchschnitt die Kehle des Kampferregers Pylaieus1,

Traf des Onthyrios Stirn mit nichtsverschonendem Schwerte

Und zermalmte mit Eisen den brustgewaltigen Pithos6. Und nun hätt er erlegt noch weitrer Bakchanten Gedränge,

Aber Eurymedon sah ihn, der schnelle, und trat ihm entgegen, 140 Seine doppelte Streitaxt, die korybantische, hebend.

Und er zermalmte dem Feind die Stirn; aus gespaltenem Haupte

Sprudelte steil ein Strahl blutroten Taus in die Höhe. Nieder stürzte der Held zu Boden; er färbte die Erde

Blutig und wälzte sich dort halbtot. Er bestöhnte das alte

145

Unglück des erdgeborgnen Verließes, daneben sein jetz’ges

Schicksal, und eingedenk des listighelfenden Heiltranks

Seiner rettenden Tochter, entfuhr ihm ein winselndes Brüllen,

Und bei diesem Gewinsel vermengte sein Blut sich mit

Tranen:

»Mutter und Amme mir, unglückliche, listige Tochter,

150

Warum kommst du nicht zu mir, wo mir der Untergang

nahe? Warum hilfst du mir jetzt nioht wieder, du tapfere Tochter ?

Wohin kam dein belebender Trank? Bewahrst du die Treue Deinem noch lebend’gen, noch nicht gestorbenen Vater?

Gibt es ein listig Mittel, wie man dem Hades entränne, 0, dann erfind eine andre, noch bessere List und ein nützlich Mittel gegen den Tod, daß ich wie einst aus dem Abgrund Nun den Pforten des Hades sogar im Kriege entrinne,

Wenn ein Rückweg erlaubt aus rückwegweigernder Tiefe.«

155

470

Dreißigster Gesang

160 Nur noch mühsam sprach er, und ihm versagte die Stimme. Und wie die arme Eeria’ hoch von der Zinne den Vater Frischverwundet gewahrte, entfuhr ihr tränende Klage. Schändlich entstellte sie mit Staub die lockigen Haare; Sie zerriß ihr Kleid, und sie entblößte den Busen, 165 Schlug sich wider das Haupt, und ihrem rettungsverlornen Vater rief sie, als könnt er es hören, endlos entgegen:

»Schwerbetroffener Vater, du Sohn deiner säugenden Tochter, O, besäße ich heut auf die atemverlassenen Lippen Eine andere Milch belebend, mit der ich Verlorne 170 Neu deine Seele gewänne, um sie dir wiederzubringen! Welch eine andere Brust böt ich dir wieder zur Rettung? Ach, vermöchte ich doch den Aidoneus zu täuschen! Dir, o Vater, wartet ein anderer Preis, denn ich lasse Dich nicht unter den Toten allein. Und stirbt deine Tochter, 175 Nimm ihres Nackens Blut wie früher die Milch ihrer Brüste. Kommt denn heran, ihr Wächter des Königs! an Stelle des alten Zeigt mir ein neues Verließ tief unter der Erde, wohin ich Gehe, um wieder lebendig den toten Vater zu machen. Hades ist nicht gleich den Hütern, so muß eine andre iso Lösende List ich nun erfinden, dem Vater zu helfen. Hätt ich doch jenes Schwert, das blutige, daß ich mich selber Gramvoll zu Tode stürze ins vatermordende Eisen. O du Feind, der du das Haupt des Vaters zerschlugest, Töte nach Tektaphos auch Eeria, daß man verkünde: 185 Mit dem gleichen Schwert erschlug er Vater und Tochter.«

Also sprach sie weinend. Noch härter wurde die Mühsal. Lodernd in beiden Heeren erwachte erneuerte Kampflust. Der Tainaride Dasyllios’ starb vom Schwerte des Morrheus,

1'erit'undung und Tod des Tcktaphos

471

Er, der nie vor dem Feinde sich seines Schildes entledigt,

Der Bewohner Amyklais, der nie vor Gegnern erschrocken.

190

Rechts in den Kieferknochen fuhr ihm die Lanze des

Morrheus.

Und der tötete auch die bergdurchrennende Jungfrau Alkimacheia8, die schöner als alle und ebenso tapfer, Des Harpalion Tochter, des traubenreichen Erzeugers,

Die es einst gewagt, zum Hause der Hera zu schreiten

195

Mit dem Arm voll Efeu, den Argos’ Herrin so haßte, Wie sie heiß den roten, gewohnten Granatapfel liebte;

Und sie hatte gepeitscht mit ihrem Thyrsos das schöne

Götterbild und sein Erz mit Rebenranken geschlagen, So die schwererzürnte Stiefmutter des Bakchos entehrend.

200

Drum entrann auch nicht dem Groll der beleidigten Hera Alkimacheia von Lemnos, die gottbekämpfende; ruhen

Mußte in fremder Erde sie nun und durfte nach allen Kämpfen nicht wiedersehn den Vater Harpalion, auch nicht Lemnos, ihr Vaterland, das Brautgemach Hypsipyleias",

205

Der Geliebten Jasons. Nun ward sie bei Fremden begraben, Tödlicher Rache erlegen. O weh der Ärmsten, sie mußte

Fern von Harpalion liegen und ward getrennt von Lyaios.

Aber der Wüterich Morrheus war nicht gesättigt, nachdem er Alkimacheia geschlachtet, die gottempörte Mänade;

210

Nein, auch die Jungfrau Kodone’“, die auf olympischer Aue

Elis bewohnte am Strom des schönbekränzten Alpheios“, Traf sein tödlicher Schlag. 0, wollt verzeihen, ihr Moiren! Nicht erbarmte er sich des Haars des geschlagenen Hauptes,

Nicht des rosigen Strahls im staubbesudelten Antlitz; Nicht erbarmte er sich, als er wie rundliche Äpfel Ihre Brüste gewahrte, die feste Straffheit des Brustbands,

Und er scheute auch nicht die tiefe Spalte der Schenkel. Nein, soviel noch nicht erblühte Schönheit erschlug er.

215

Dreißigster Gesang 220 Wund fiel sie zu Boden, und Morrheus im Helme verfolgte Viele schönumhüllte Mänaden und schlug sie zu Boden: Sterope, Soe auch, Eurypyle12 mähte sein Schlachtschwert; Staphyle13 metzelte er, die rötliche Jungfrau Gigarto

Traf er und durchbohrte die beiden rosigen Brüste

225 Meliktaines14 und färbte sie purpurn mit mordendem Eisen.

Und die neiderfüllten Telchinen16 strömten zum Kampfe, Einer mit riesiger Lanze, der andre mit einem gewalt’gen

Kornelkirschenstamm samt seinen Wurzeln; der dritte Malmte mit einem Riff die Feinde, und gegen die Inder

230 Zog er in rasenden Händen mit einer steinernen Lanze.

Aber die launische Hera, um auf Lyaios zu lasten, Schenkte Kraft und Mut dem tapfern Deriadeskönig, Auf seiner Heldenlaufbahn ließ sie ihn leuchtend erstrahlen,

Seine Feinde zu schrecken; und dem gerüsteten Inder

235 Funkelte blutiger Glanz von seinem geschwungenen Schilde, Und auf dem Helmbusch sah man hüpfen ein leuchtendes Feuer.

Und der kühne Bakchos erbebte, als er gewahrte, Wie des Deriades Schild mit feurigem Nabel erglänzte,

Und wie die Lüfte der Schimmer des flammenden Helmes durchstrahlte.

240 Dieser Anblick erfüllte Lyaios mit Staunen; er wagte Keine Gegenwehr; die List der gerüsteten Hera Wohlbemerkend, wich er widerstrebend von dannen.

Und da warfen die Reihen der Inder sich in das Getümmel,

Als der Gott das Schlachtfeld verlassen. Und wie es der König

245 Merkte, metzelte er noch größere Scharen Bakchanten; Wirbelnd im Kreise schwang er nach beiden Seiten die Lanze.

Waldjlucht des Diubysos

473

Voller Mißmut schritt Iobakchos zur waldigen Höhe,

Und in die Winde zerflog ihm alle Hoffnung zu siegen; Bebte er doch vor der Stiefmutter Grimm. Da nahte Athene

Hoch vom Himmel, als Botin entsandt vom waltenden Vater, 250 Daß sie des fliehenden Bruders, der so vor Hera in Angst war,

Sinn bekehre und ihn aufs neue schleppe zum Schlachtfeld. Hinter ihn trat sie und faßte den Gott ans lockige

Blondhaar16,

Sichtbar ihm allein, die grimmige Göttin; die Augen Leuchteten feurig ihr im Antlitz wie sprühende Blitze.

255

Und sie hauchte dem Gott lebendige Funken entgegen

Und fuhr zornig ihn an mit kampfentflammender Stimme:

»Wohin entfliehst du, Lyaios? was fürchtest du dich, statt zu fechten ?

Wo ist dein Thyrsos, und wo sind deine Pfeile aus Reben? Was soll über dich ich meinem Kronion berichten?

200

Sah ich denn in der Schlacht den König der Inder erschlagen ?

Nein, Deriades lebt, und Morrheus kämpft immer noch

weiter. Womit bewiesest du denn deine himmelgeborenen Kräfte?

Kamst du nach Libyen je und bestandest Kämpfe wie Perseus ?

Sahst du je das Auge der blickversteinernden Sthenno17,

265

Den unnahbaren Schlund, aus dem Euryale aufbrüllt? Schautest du wohl die Flechten der natternbehaarten Medusa,

Und umzingelte dich der Rachen zahlreicher Schlangen?

Keinen Helden gebar doch Semele; Danae aber

Schenkte Zeus einen würdigen Sohn, der die Gorgo getötet. Der geflügelte Perseus ließ meine Sichel nicht fallen,

Und er ehrte den Hermes, den Geber seiner Sandalen”; Gut bezeugt es mir das versteinerte Meerungeheuer.

Frage doch den Kepheus ”, was Perseus’ Sichel vollführte,

270

Dreißigster Gesang

273 Frage den Osten doch und frage den Westen, denn beide”: Die Nereiden beben vor dem Andromedagatten; Die Hesperiden besingen den Hauptabmäher Medusas. Bakchos ist ja nicht dem tapfern Aiakos ähnlich; Der hat nicht vor den Indern gebebt und den König gemieden. 280 Zitterst du wieder wie neulich vor dem arabischen Herrscher? Ungern seh ich seitdem Lykurgos’Vater, den wilden Ares, der die Trägheit des fliehenden Bakchos verspottet. Dein und mein Erzeuger hat nie im Kampfe gezittert, Als die Titanengötter sich gegen den Himmel gerüstet. 285 Hast du Orsiboe21 denn, die Herrin der Inder, erbeutet? Nicht die Cheirobie zeigst du der Rheia als deine Gefangne. Mag mir der große Zeus verzeihen; nicht kann ich dich Bruder Nennen, der floh vor dem König und seinem feigen Gesinde. Drum ergreife aufs neu den Thyrsos und eile zum Streite. 290 Kämpfe dem Heer voran ! Dann wirst du sehen, wie Pallas Wohlgepanzert hilft im Kampf dem gerüsteten Bakchos Hoch mit der Aigis, des Himmels ganz unverwundbaren Waffe.« Sprachs und hauchte Mut in Bromios’ Seele. Aufs neue Warf er sich in die Schlacht, erstarkt im Herzen, und setzte 295 Jede Hoffnung künftig zu siegen auf Tritogeneia22. Wer war der erste und wer der letzte, den Bakchos erschlagen, Als ihn neu ermutigt die kampfunersättliche Pallas ? Mit dem grausamen Thyrsos erschlug er ein Hundert der Feinde, Viele verwundete er mit vielfachtreffender Lanze 3oo Oder mit Pflanzenranken und mit den Zweigen der Reben Oder mit sausenden Steinen, gar rauhen Geschossen; und alle, Die die dämonische Geißel getroffen, begannen zu rasen.

Waldjlucht des Dionysos

475

Mit dem Thyrsos traf er die linke Schulter des Phringos28; Der aber lief und entwich geschwind; doch mitten im Laufen Schmetterte ihn Melisseus21 mit scharfem Beile zu Boden. Dem Egretios26 stürmte, die bakchische Lanze in Händen, Thyrsosrasend Bakchos entgegen, der sichere Schütze; Fliegend durchschwirrte die Luft die Schärfe des Speers des Lyaios, Um den Krieger zu treffen. Und nach Egretios’ Fliehen Fiel er die Bolinger28 an und setzte die kämpfenden, wilden Arachoten2’ in Schrecken; und von dem Weinlaub ge­ schlachtet, Sank die grausige Sippe der speerberühmten Salangen88; Schildbewehrte Scharen der Ariener29 entflohen. Und des Egretios Krieger und die des Phringos verfolgend, Scheuchte Lyaios rings das Heer der Uatokoiten88. Auch den Lygos81 vertrieb vom blutigen Schlachtfeld der starke Iobakchos, und den auf einem Baume verborgnen Listigen Helden Meilanion82 schlug er wund mit dem Thyrsos, Weil er die Bassariden mit heimlichen Pfeilen beschossen. Doch ihn belebte wieder die schwerzubekämpfende Hera, Weil er mit List gerüstet und aus Verstecken gar häufig Die Bakchanten bekämpfte; bald barg ihn irgendein Felsen Oder ein ragender Baum mit dichtverhehlendem Laubwerk; Ungesehen beschoß er so die Männer mit Pfeilen. Und die Inder stürzten ins männertötende Tosen, Bebend vor dem Mute des unbesiegbaren Bakchos.

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325

EINUNDDREISSIGSTER GESANG

So getroffen vom Zauber des Inderstreites, durcheilte

Bakchos schnell das Tal des erythräischen Landes; Golden umflogen ihm die Locken die schneeigen Wangen.

Hera aber, das Herz von Neid und Kummer geschwollen,

5 Kreuzte mit drohenden Schritten die hohen, luftigen Räume

Wie sie gewahrte, daß der Inder zahlreiche Scharen Hingemordet erlagen den Thyrsosstäben des Bakchos.

Mit noch ärgerem Groll am erythräischen Meere1 Sah sie verwickelt liegen den Rest von Andromedas Fesseln

io Und den Stein im Sande, Poseidons grausiges Zeichen.

Ärgerlich wandte sie ab ihr Auge, um nicht am Meere

Schauen zu müssen des Gorgomörders eherne Sichel.

Denn mit schneller Sohle durchflog schon segelnd die Lüfte Perseus über der Dürre des trocknen, libyschen Landes,

15 Mit den Flügeln schwimmend. Nachdem er der schlaflosen, greisen

Phorkis fortgenommen das einzige, wandernde Auge, Eilte er in der Höhle beschwerlichen Eingang und mähte

Bei dem Felsen die Ernte der krummen, zischenden Haare Und durchschnitt der Gorgo die schwangere Kehle, daß

purpurn 2o Sich die Sichel färbte; und als er Medusa gemetzelt, Badete er im Geifer der Vipern die blutige Rechte.

Abschnitt er das Haupt: da wurde dem Halse entbunden

Hera wiegelt die Tartarosgötter auf Eine Zwillingsgeburt: ein Pferd und der Sohn mit dem

Goldschwert.

Brausend entbrannte Grimm voll Neid im Zwerchfell der

Hera;

Ihre Eifersucht spie sie auf Lyaios und Perseus.

25

Und so wollte sie Sinne und Augen Kronions bezaubern2

In betrüglicher Liebe, daß er dem Fittich des süßen Schlafes nach der Einung erläge, und sie dann den Bakchos

Während des Schlummers des Zeus mit listigen Künsten bewält’ge. Zu des Hades düsterm und allumfassenden Hofe

30

Schritt sie, und wie sie Persephone traf, begann sie verschlagen:

»Seligste nenne ich dich, weil du den Göttern so fern wohnst. Du brauchst Semele nicht behaust im Himmel zu sehen.

Muß ich doch fürchten, daß Bakchos, der sterblichem Leibe entbunden, Gleich wie einst Zagreus des Blitzes waltet, und daß ich

35

Ihn mit den Donnerkeilen in irdischen Händen erblicke.

Früchtespenderin, dich beraubt man, denn an des Nilstroms Feldern feiert man statt deiner spendenden Mutter

Festlich im Zug eine andre unechte, nährende Deo;

Dort verehrt man als Kuh gestaltet die hörnerne Io.

40

Ares, den ich gebar aus meinem himmlischen Leibe,

Meinen Sohn, umband mit irdischer, schändlicher Fessel Ephialtes11 und hielt ihn im Krug umschnürt und verborgen.

Ihm hat nicht mein Gatte, der Himmelskronion, geholfen,

Aber der Semele Frucht errettete er aus den Flammen, Und den Embryo Bakchos belebte er wieder vom Blitz­

schlag, Seinen unechten Sohn, noch halbentwickelt; doch kämpfte

45

478

Einwiddreißigster Gesang

Nie er für Zagreus, den gemetzelten, himmlischen Bakchos. Mehr erregte mich noch, daß Zeus das Sternengewölbe so Semele schenkte zur Mitgift, den Tartaros Persephoneia. Vorbehalten wird der Himmel für Phoibos, im Himmel Wohnt auch Hermes, doch du hast diese finstre Behausung. Was bedeutets, daß er in Truggestalt eines Drachen6 Mit dem Gürtel dir raubte dein raubgesichertes Magdtum, 55 Wenn er deine Frucht danach zu vernichten begehrte ? Zeus, der Herrscher, hat im Himmel ein Haus voller Sterne; Seinem Bruder, dem Walter der Feuchte, gab er das Salzmeer, Und deinem Gatten ließ er das düstere Dunkel als Wohnung. Deine Erinyen wappne drum gegen den Traubenlyaios, 60 Daß ich als Himmelsbeherrscher nicht einen Sterblichen sehe. Scheue die flehende Gattin des Zeus und scheue auch Deo, Scheue die flehende Themis", die heilige, daß sich die Inder Etwas erholen können, wenn ich Lyaios bedränge. Schall Genugtuung mir in meinem Grame, weil Zeus ja 65 Nektar dem Bakchos beschert, dem Ares das Mordblut Enyos. Nicht soll Athen einen neuen Dionysos feiernd besingen; Nicht sei er geehrt wie der eleusinische Bakchos’; Nicht übernehmen soll er die Weihen des frühem Iakchos; Nicht entwürdige gar seine Lese den Korb der Demeter.«

70 So bewog sie gänzlich den Sinn der Persephoneia. Mit geheuchelten Tränen benetzte die Göttin die Wangen, Schmeichlerisch schwatzend; es nickte die Göttin der Göttin Gewährung Und gesellte Megaira" ihr als Begleiterin. Diese Sollte mit bösem Blick die Wünsche Heras erfüllen. 75 Hera sauste dahin mit sturmbeflügelter Sohle; Dreimalschritt sie aus und kam mit dem vierten zum Ganges’,

Hera wiegelt die Tartarosgdtter auf

479

Wies der ernsten Megaira die Haufen erschlagener Inder Und den Schweiß des Heeres und des Dionysos Wildheit. Als nun Megaira sah, was Bakchos mordend geleistet, Packte Megärenwut sie mehr als die himmlische Hera. Der aber lachte das Herz; zu der schlangenhaarigen Göttin Sprach sie mit höhnischem Lächeln, doch mit erstickender Stimme:

so

»Sieh, so suchen zu glänzen die neuen Herrscher des Himmels. So entsendet den Speer ein Bastard Kronions; so zeugte Zeus mit Semele sich einen Sohn, daß dieser die sanften, ss Braven Inder alle vernichte; doch es erfahre Zeus, der Frevler, samt Bakchos, wie groß die Kraft der Megaira. 0 wie gesetzlos ist doch der Sinn des waltenden Vaters! Nie bekämpfte er ja die schlimmen Tyrsener1’, die kundig Diebischer, böser Bräuche auf gastverleugnenden Schiffen 90 Fremde Güter rauben auf Fahrt in sizilischen Meeren. Nicht erschlug er die Sippe der gottlosen Dryoper11, die nur Kämpfen und morden, nein, die frommen Inder erschlägt er, Die wohl am Busen Themis, die allgeliebte, erzogen. Ach, wie ist sein Sinn doch so gesetzlos: den hehren 95 Gott Hydaspes läßt er von sterblichem Manne entzünden, Läßt den Zeusgezeugten von sterblichem Manne entzünden.« Sprachs und flog davon durch die Räume des Äthers. Doch schweigend Wechselte jene am nahen, verborgenen Kaukasossaume“ Furchtbar die Schlangengestalt der Glieder und glich nun 100 an Aussehn Einer Eule und blieb so lange, bis sie den großen Zeus entschlummert bemerkte, wie Hera, die Herrin, geboten.

480

Einunddreißigster Gesang

Die aber war geeilt zum hesperischen Wasser des Chremes18

Ränkeschmiedend, dorthin, wo der libysche Atlas, derschwere los Greis, gekrümmt sich müht, das Himmelsgewölbe zu tragen.

Und sie suchte die Iris11, die Gattin des glücklos verliebten Zephyrs, die Zeus als Botin entsendet, daß sie aus den Lüften

Eile mit schneller Nachricht zum Schlaf, dem schattigen Hypnos.

Die nun rief sie schmeichelnd und sprach mit freundlicher Stimme:

lio »Iris, des Pflanzennährers, des Zephyrs, goldflüglige Gattin,

Glückliche Mutter des Eros, beeile dich, stürme von dannen Zu dem hesperischen Haus des dunkelschaltigen Hypnos,

Auf dem umbrandeten Lemnos15 da such ihn, und wenn

du ihn findest, Sag ihm, er solle bezaubern des zaubergefeiten Kronion 115 Augen nur Einen Tag, daß ich die Inder errette.

Wandle deine Gestalt in die ungestaltete, dunkle,

Schwarzgegürtete Göttin, die Nacht, die Mutter des Hypnos. Werde, fälschlich benannt, zur Finsternis, wie ich auch

selber, Wenn es die Not gebietet, die eignen Glieder verwandle

120 In das Aussehn der Themis, der Artemis oder der Kypris. Hypnos verheiße die Liebe Pasitheas1G; sehnend nach ihrer

Schönheit, helfe er mir. Dich brauche ich nicht zu belehren, Daß einWeibberückter aus Hoffnung alles vollendet.«

Hera sprachs; da flog die goldbeflügelte Iris

125 Spähend durch den Luftraum und wandte nach Paphos, nach Kypros Ihr nie irrendes Auge; noch schärfer sah sie nach Byblos1’

Auf des assyrischen J ünglings Adonis18 vermählendes Wasser,

Um die schweifende Spur des irrenden Hypnos zu finden,

Hera beschwatzt den Schlafgott Hypnos

481

Und sie entdeckte ihn dann auf Orchomenos ’18 Hochzeits gefllden.

Denn da weilte er wieder, beraubt der klaren Besinnung,

130

Stets sich wendend zu Pasitheas lieblichem Vorhof.

Iris verwandelte da unsichtbar ihre Gestaltung, Kleidete sich in der Nacht, der dunklen, unkenntliches

Aussehn Und trat voller List an Hypnos’ Seite, als wär sie Seine Mutter, und sprach voll Trug die berückenden Worte:

135

»O mein Kind, wie lange verachtet mich noch der Kronide? Nicht genug, daß mich auch Helios knechtet, daß mich auch

Orthros, der Morgen, beschießt und die Göttin der Frühe mich fortjagt, Zeus hat dazu einen Bastard erzeugt, um Hypnos zu kränken.

Schändet doch meinen Sohn und mich ein Sterblicher;



flammend

Brennt er die ganze Nacht die Fackel zu heiliger Feier, Macht unkenntlich mich, und wachend spottet er deiner.

Schlaf, was nennt man dich den Allbezwinger? denn nicht mehr Kannst du die wachen Menschen bezaubern; des Erdenlyaios Unechter Glanz besiegt mein Fest, weil Bakchos mit hellerm

145

Fackelscheine nun meine strahlenden Sterne verdunkelt. Schändet mich doch ein Bringer des Lichts, ein Sterblicher,

weil er

Meiner Selene Glanz trotz deren Größe verfinstert. Muß ich die Nebelgeborne doch scheuen, denn über mich

Düstre

Lacht sie, weil ich zur Nacht nun unecht leuchte: ich werde Ja eine taghelle Nacht durch eine künstliche Sonne.

Darum zürne auch du, mein lieber Knabe, nun beiden:

iso

482

Einunddreißigster Gesang

153 Weihenfeiernden Satyrn und schlafverachtendem Bakchos. iss Sei der Hera gefällig und deiner bekümmerten Mutter 154 Und das Auge Kronions das zaubergefeite bezaubre 156 Nur einen einzigen Tag, daß Hera die Inder errette,

Die von den Satyrn bedrängt und vor Dionysos flüchtig.

Schlaf, was nennt man dich den Allbezwinger? gefällts dir,

Wende dein Auge, und bei dem siebentorigen Theben 160 Kannst du die ganze Nacht Kronion wachend gewahren.

Räche mir doch den Frevel des ruchlosen Zeus: in der Fremde,

Seinem Ehebett fern, steht eisengerüstet im Kampfe Held Amphitryon20 jetzt, und nun liegt Zeus bei Alkmene

Unersättlich schon drei Nächte lang als ihr Geliebter. 165 Daß ich nicht eine vierte den Zeus dort wachend gewahre! Wappne dich, Kind, drum gegen Kronion, daß er nicht weiter

Noch eine wache Nacht, lang wie neun Nächte, dort zubringt. An Mnemosyne21 denk, bei der er schlummernd vor Zeiten

Weilte neun Nächte lang mit schlafgemiedenen Augen,

170 Viele Kinder sich wünschend aus solcher schlaflosen Feier. Auch ein zwingender Gott, beflügelt und ähnlich dem Schlafe,

Eros, der kleine, besiegte mit schwachem Geschoss den Kroniden. Ach, erbarme dich du des schwärzlichen Volkes der Inder! Sei gefällig! sie sind ja wie deine Mutter so schwärzlich.

175 Dunkelbeschwingter, errette die Dunklen, erzürne nicht Gaia22,

Altersgenossin meines Erzeugers23, von dei' doch alleine Alle Bewohner des Himmels, so viele auch ihrer, entsproßten.

Bebe nicht vor dem Kroniden, ist dir nur Hera gewogen. Bebe vor Semele nicht, die der eigene Buhle verbrannte.

iso Wird doch der feurige Blitz mit dir vergeblich sich messen, Auch nicht der rollende Donner beim lauten Krachen der Wolken.

Hera beschwatzt den Schlafgott Hypnos

483

Rege die Flügel, dann wird auf unbeweglichem Lager

Regungslos Zeus verharren, so lang du, Hypnos, gebietest. Wie ich höre, begehrst du eine Charitin, doch wenn du

Heiß ihr Lager ersehnst, so hüte dich und erzürne

185

Nicht Pasitheas Mutter, die ehebettwalten de Hera. Wenn du bei Tethys24 wohnst auf dem leukadischen Felsen,

Hilf dem Deriades dann, den der Inder Hydaspes erzeugte.

Dem Okeanos wahre, dem brausenden Nachbar, die Treue; Ist doch der laute Okeanosstrom des Deriades Urahn.«25

190

So beschwatzte sie ihn. Als hätt er die Mutter vernommen,

Fuhr der Schlaf empor; des schlafgefeiten Kroniden Augen schwor er zu bannen, bis dreimal der Morgen gekommen.

Iris aber bat, daß er in Bande des Schlafes

Einen einzigen Tag nur den Kroniden verstricke.

195

Hypnos blieb nun dort und harrte der Stunde der Hochzeit.

Heimwärts wieder flog die windbeflügelte Iris; Eilends meldete sie der Herrin die treffliche Botschaft.

Die aber flog durch die Räume des Äthers mit stürmischer

Sohle, Neue Tücke spinnend: sie wollte Kronion sich nahen

200

Mit der Binde des Sehnens, dem sinnebezauberndem Gürtel. Paphia suchte sie auf, und auf dem Libanon traf sie

Die assyrische Kypris allein auf einsamem Sitze. Denn die Tänzerinnen Orchomenos’, Frühlingschariten, Waren entsandt zu den Gärten und bunten, blühenden Blumen.

Eine pflückte kilikischen Krokos, die andre begehrte Balsamstauden zu finden, dazu des indischen Schilfrohrs

205

484

Einunddreißigster Gesang

Pflanze, es suchte die dritte nach duftenden Zweigen von Rosen. Staunend und überrascht erhob vom Sitze sich eilends 210 Aphrodite, die Tochter des Zeus, sobald sie Kronions Gattin in Trauer gewahrte, und liebenswürdig begann sie:

» Hera, Gemahlin des Zeus, was welken so blass dir die Wangen ? Königin, warum trägst du die Augen so niedergeschlagen ? Wurde der Wasserzeus betrügerisch wieder zu Regen?28 215 Ward er wieder zum Stier, zum feuchten Wandrer im Wasser? Welche Europa bezwingt dich gar aufs neue ? welch andre Jungfrau Antiope will, obwohl sich Nykteus, ihr Vater, Weigert, die zott’ge Umarmung des trügenden Satyrs erdulden ? Drängt denn vernunftbegabt ein neues Roß zur Vermählung, 220 Während sein trügendes Maul ein falsch Gewieher entsendet? Freite er denn mit entbindendem Brand eine andere neue Semele, während er schwang den Blitz als Liebesgeleiter? Tanzt er etwa, um sich der hörnernen Kalbin zu einen Mit verliebtem Gebrüll? Und willst du, so magst einen andern 225 KuhbehütendenWächter du für Kronion erwecken, Einen Hirten Argos2’, besät mit schlaflosen Augen. Gib mir Antwort, und wenn ich es kann, so will ich dir helfen.« Sprachs, und Hera begrüßte sie freundlich mit listigen Worten: »Göttin Kypris, wir müssen den Himmel den Sterblichen lassen. 230 Zeus hat Semele, Mutter des Bakchos, zum Himmel geleitet;

Hera beschwatzt den Schlafgort Jfypnas

485

Auch den Dionysos wird er zum Äther führen. Welch Haus dann Bleibt der Hera, und wo soll ich dann weilen ? Mit Scham nur Sehe ich Semele dort, die falsche Herrin des Himmels. Fürcht ich mich doch des dunklen Iapetos Haus28 zu ererblicken, Daß mein Gatte vom Himmel mich wie den Kronos verstoße. Fürchte ich doch, er pflanze zur Schande des Nektars im Äther Nach der Erde nun auch bei uns, was da Rebe genannt wird. Möge das nie geschehn, 0 Recht und Erde und Wasser! Bring er die Triebe nicht zum Äther, daß ich nicht müßte Rebenhimmel sagen statt Sternenhimmel des Weinstocks Wegen und andern Trank statt Himmelsnektar genießen. Fürchte ich doch, ich sehe betrunken die tapfre Athene, Daß sie dann gegen Ares und Kypris die Lanze erhebe, Daß durch gefährliche Tropfen des sinnberückenden Bakchos Einen gewaltigen Streit die Sterne im Äther erregen, Weinbenebelt, und wider einander zu wüten beginnen, Daß nicht in bakchischem Rausch die sämtlichen Himmels­ bewohner Ahmend die heiligen Feiern der Schildkorybanten vollziehen. Ists nicht genügende Schande, verhaßt den Göttern, zu sehen, Wie der troische Knabe, der Zeus den Becher bereit hält, Unseren Himmel schändet und Hebe, die Schenkin Kronions, Wenn Ganymedes schöpft den Nektar mit irdischen Händen. Auf die Erde will ich schamvoll gehen, und beiden Will ich den Äther lassen, dem Ganymedes und Bakchos Will ich den Äther lassen, das Haus der Semele. Eine Wohnung gemeinsam sei der Himmel für Perseus und Bakchos. In mein Argos geh ich29, die glänzende Feste Mykenes. Erdbewohnerin will ich sein. Der bekümmerten Mutter

235 238

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Einunddreißigster Gesang

Folgt selbst Ares, dein Gatte. Betritt du selber dein Sparta, Und es soll empfangen zugleich mit dem ehernen Ares Die in Erz gehüllte und heftig zürnende Kypris3".

0, ich weiß, warum mir diese Qualen bereitet:

265 Die Erinys des Vaters will seine Peinigung rachen3', Weil die Titanentochter, weil Hera dem kämpfenden

Gatten Zeus im Streite gegen den Vater Kronos geholfen.

Prächtig ist es für mich, den Dionysos mitten im Himmel

Sitzen zu sehen bei Eros als Hausgenossen der Kypris

270 Mit der Aigis, die früher Kronion und Pallas gehalten. 271 Göttin, steh mir drum bei, und meinen Nöten zu helfen, 273 Leih mir die bunte Binde, den allbezaubernden Gürtel,

272 Nur einen einzigen Tag, die Augen Kronions zu bannen 274 Und meinen Indern zu helfen, so lange Kronion ent­ schlummert.

236 Deine Schwiegermutter bin ich ja doppelt, denn du bist 237 Meines Sohnes Hephaistos und auch des Ares Gemahlin.

275 Tu mir die späte Gunst, weil die Sippe der schwärzlichen Inder Immer gastlich war der erythräischen Kypris,

Diese Inder, die Bakchos nun grimmig bestreitet und denen Auch der weibertolle, leichtsinnige Söhne-Erzeuger

Zeus so grollt und den Blitz, für Bakchos streitend, entsendet.

280 Leih mir die helfende Binde, die bunte, mit der du alleine Alles in Einem bezauberst; auch ich bin wert, sie zu tragen Als die Göttin der Ehe und der Eroten Gefährtin.«

ZWEIUNDDREI SSIGSTER GESANG

So beschwatzte sie sie, und Aphrodite, die list’ge,

Folgte ihr kluggesinnt: sie zog hervor aus dem Busen Den Erotengürtel und gab ihn der freudigen Hera, Und sie sagte dazu noch wegen des Zaubers der Binde: »Nimm denn diesen Gürtel, um deine Qualen zu lindern.

5

Alles in Einem bezaubert die sehnsuchtweckende Binde, Helios, Zeus und den Äther und alle kreisenden Sterne, Auch die unstete Flut des weiten Okeanosstromes.«

Sprachs und eilte fort in Assyriens Libanonberge. Hera aber begab sich zum sternumwandelten Himmel,

10

Und sie schmückte dort schnell den überall leuchtenden

Körper.

öfters ordnete sie die planlos über die Stirne Hingestreuten Locken des irrendflatternden Haares,

13

Und sie salbte die Länge der Flechten mit duftendem Öle.

16

Wird das ausgegossen im Meere oder im Äther1, Breitet sich weit der Duft, und trunken macht er die Erde.

Und sie tat ums Haupt einen glitzernden Reif, worin viele Leuchtenden Steine saßen, Erwecker der Liebe2; die senden, Wenn sie geschüttelt werden, hellfunkelnde Flammen der

Kypris.

Jenen Stein auch trug sie, der Männer mit Sehnsucht um­ fesselt, Mit dem glänzenden Namen der sehnsuchtgetroffnen Selene

Und den schmachtenden Stein des liebeerweckenden Eisens

20

488

Zweiunddreißigster Gesang

25 Und den indischen Stein der Liebe, der aus den Gewässern Sprosst und darum verwandt der schaumgeborenen Göttin, Ferner den Hyazinth, den dunklen, der lieb dem Apollon. Um ihre Flechten schlang sie das Kraut der Liebe ’, das Kypris Gern hat wie die Rose und Anemone und das sie 30 Trägt, wenn sie gewillt, sich Myrrhas Sohne zu einen; Mit dem gewonnenen Gürtel umkränzte sie schnürend die Hüften. Und sie trug ein buntes Gewand, ihr ältestes; drinnen4 Hielt sich noch ein Rest des alten Magdtums ergossen, Als sie in heimlicher Liebe, noch Jungfrau, dem Bruder sich hingab; 35 Dieses sollte den Gatten an frühere Liebe erinnern. 14 Dann aber wusch sie ihr Antlitz, umgab sich mit schimmerndem Mantel, 15 Fügte auch ordnend ihr Kleid mit einer Spange zusammen; 36 Und nachdem sie den Leib geziert und im Spiegel betrachtet, Eilte sie durch den Äther wie Fittiche oder Gedanken.

Und sie gelangte zu Zeus, und als sie der Herrscher der Höhe Sah, da peitschte der Gürtel noch heißer seine Begierde, 40 Und die schauenden Augen des Zeus erlagen wie Sklaven, Und beim Anblick der Gattin begann der Kronide zu fragen: »Hera, was schreitest du denn zum Morgengefilde der Erde? Welcher Wunsch beseelt dich und lenkt hierher deine Schritte ? Rüstest du grollend wieder dich gegen den Traubenlyaios, 45 Und begehrst du zu helfen den übermütigen Indern?«

Sprachs, und lachend sagte die listenspinnende Hera Voller Eifersucht zu ihrem Gatten Kronion:

Hera berückt Zeus

WA

»Vater Zeus, mein Weg zieht anders. Kam ich doch nimmer,

Mich um den indischen Krieg und des indermordenden Bakchos

Fremde Sorgen zu kümmern. O nein, ich geh zu des Ostens

so

Glühenden Toren, den Nachbarn des Helios, eilends von dannen.

Denn der geflügelte Eros verweilt bei den Wassern der Tethys, Giert er nach Rhodope doch, Okeanos’ Tochter6, und darum

Hat er der Liebenden Einung versäumt; die Ordnung des

Weltalls

Geht aus den Fugen, das Leben wird unnütz, seit Hochzeit

55

geschwunden. Eros will ich rufen, und darum bin ich gekommen.

Weißt du doch, ich heiße die Ehegöttin, denn meine Hände regieren ja auch der Niederkunft gute Vollendung.«

Sprachs, und glühend entflammt gab ihr der Gatte zur

Antwort:

»Teures Weib, vergiß den Streit! mein tapferer Bakchos,

60

Der das Geschlecht der dionysosfremden Inder ermordet, Fahre wohl. Uns beide vereine das Lager der Liebe. Denn nicht die Begierde nach einer irdischen Gattin,

Nicht nach einer Göttin berauschte mich so durch den Gürtel----------8 Nach Taygete7 nicht, der Atlastochter, aus deren

65

Bunde mir erwuchs der alte Stadtherr von Sparta. Nicht begehrte ich so nach Niobe8 nahe bei Lerna,

Tochter des Stammbeginners Phoroneus, nicht nach der Io“,

Inachos’ Tochter, die irrte als Rind, und die dann am Nile

Epaphos’ Sippe gebar und die Keroessas, der Ahnin; Nicht so sehr ersehnte ich Paphia; — nach ihr verlangend,

Pflanzte ich die Kentauren1", als ich die Erde besamte, Wie mich jetzt nach dir ein süßes Schmachten bewältigt.

70

490

'/AVeiunddreißigster Gesang

Triffst du, Göttin der Ehe und Walterin aller Begattung, 75 Deinen eigenen Gatten mit Aphrodites Geschossen?«

Also rief Kronion und türmte goldene Wolken Und umbreitete rings den Platz mit runder Umhüllung11.

Künstliches Brautgemach ward so geschaffen; im Kreise Kränzte es da der Iris vielfarbiger, purpurner Bogen. so Und da fanden nun Zeus und die lilienarmige Gattin

Eine natürliche Deckung zur Hochzeit im freien Gebirge: So vollzog sich von selbst die Einung von Schwester und Bruder.

Die nun pflogen der Liebe nach Satzung herzlicher Ehe,

Und die Erde ließ ein duftiges Blühen entkeimen 85 Und bekränzte das ehliche Lager mit köstlichen Blumen. 86 Und kilikischer Krokos entsproß zusammen mit Milax13 88 Und verflocht die männlichen Blätter mit weiblicher Staude,

89 Gleichsam Sehnsucht atmend im Blühen als zarter Geliebter. 87 Und ein doppelt Geranke verzierte das Lager der beiden: 90 Krokos deckte den Zeus und Milax Hera, die Gattin.

Steigend voll Sehnsucht zeigte der Anemone Narkissos Die entflammte Brunst des Zeus, verständnisvoll schweigend.

Keiner gewahrte damals der Götter umschattetes Lager, Nicht in der Nähe die Nymphen und nicht der Allüber­

schauer 95 Helios, nicht der Blick der kuhgehörnten Selene; War doch das Lager zum Schutz mit dichten Wolken

um gürtet.

Und nun bezauberte Hypnos, der Liebe Geleiter, Kronions Augen, und während der Gott weich auf den Blüten gebannt war,

In den Armen sein Weib auf unerschaubarem Lager,

liera schlägt Bakchos mit Wahnsinn

491

Wappnete sich im Gebirge die vielgestalt’ge Erinys11

100

Auf Befehl der Hera, um gegen Bakchos zu kämpfen. Knallend ließ sie da vor Dionysos’Augen im Schwünge Unter lautem Klatschen die Natternpeitsche erschallen,

Schüttelte wild das Haupt voll Schlangenhaaren, die grausig

Sie umflatterten und sie rings verderblich umzischten,

105

Und die einsame Höhe bewässerten giftige Quellen----------

106

(Einmal erschien sie dem Gott mit menschenähnlichem

106a

Antlitz,)

Aber ein andermal mit dem Gesicht eines gräßlichen Untiers, Drohte als wütender Löwe mit mähnenumflatterter Kehle

Und bestürmte Bakchos mit blutgerötetem Rachen.

Ihn erblickte im Bann des sinnberaubenden, wilden

110

Angriffs Artemis dort und wollte die Feindin verjagen;

Aber Hera im Himmel vertrieb sie mit rollendem Donner

Und mit geschleudertem Feuer. Da wich die jagende Göttin, Ihrer Stiefmutter grollend, doch ward sie dem rasenden

Bakchos Doch ein wenig zum Wächter, und dräuend hielt sie die

115

wilden Tiere zurück und legte auch ihre Hunde an Leinen;

Sie umfesselte sie mit vielverwickeltem Halsband, Daß sie nicht den Leib des tollen Bakchos verletzten.

Und Megaira, finster im unterirdischen Kleide, Eilte wieder ins Dunkel und ließ auf Bromios stürmen

Vielgestalt’ge Phantasmen; da wurden wider Lyaios Viele giftige Tropfen von ihrem Haupte geschleudert,

Grausige Funken dazu. Nun sauste ihm immer im Ohre,

Die Besinnung raubend, der Knall der Tartarospeitsche.

120

492

'Zweiunddreißigster Gesang

125 Und Dionysos eilte gequält in einsamer Wildnis

Wandertoll dahin durch die unzugänglichen Berge,

Von dämonischem Bann beklemmend belastet. An Felsen Schmetterte er die Hörner, dem wilden Stiere vergleichbar,

Und ein rauhes Gebrüll entwich der rasenden Kehle. 130 Da ließ Echo den Pan15 und ihren singenden Nachklang;

Mißgetönt und brüllend entfuhren ihr rasende Laute,

Als dem Dionysos sie mit dreistem Widerhall nachschrie. Und den schnellen Hirschen, den zottigen Löwinnen folgte

Bakchos windgeschwind und trieb so Jagd im Gebirge; 135 Nicht einmal der Löwe, der kühne, wagte zu nahen, Aufgeschreckt verbarg sich hinter Felsen die Bärin,

Und sie duckte sich scheu vor der Wut des dräuenden

Bakchos, Wenn ihr Ohr voll Furcht das Nahen des Gottes bemerkte. Lange Schlangen, die an einem Felsen sich freundlich ho Züngelnd ringelten, schnitt er entzwei mit grausamem

Thyrsos.

Hohe Warten bebten beim Stoß der spitzigen Hörner; Flehende Löwen, die sonst unbeugsam, erschlug er in

Scharen. Aus dem fruchtbaren Boden der Erde riß er die Eichen, Jagte die Hadryaden von dannen und, wider die Klippen

145 Pfeile verschießend, vertrieb er die flußenteilenden Nymphen.

Bassariden schwärmten und konnten ihn dennoch nicht

greifen; Schaudernd bargen die Satyrn sich tief im Grunde des Meeres,

Ihm nicht nahe zu kommen, voll Furcht vor wuchtender Drohung, Daß er sie nicht bestürme mit wilden, befremdlichen Lauten,

iso Voll von weißem Schaum die Lippen, dem Zeichen der Tollwut.

Die Inder dringen vor

493

Überkühn bedrängte der indische König die Bakchen, Als auf Heras Befehl des Dionysos Sinne zerrüttet. Wie wenn brüllend im Sturm und Wetter mit rasenden Wellen Unschiffbar das Meer im Prall der Winde sich schüttelt, Daß die Wogen bis hoch zum Himmel die Lüfte benetzen iss Und an des Schiffes Heck die Böen beim Angriff der Wellen Alle Taue zerreißen und keuchend gierige Winde Rütteln am Segeltuch und den wankenden Mastbaum umhüllen, Daß ihn die Segel zerfetzt umklatschen, die Rahen sich biegen Und die verzweifelten Schiffer nur noch dem Meere 16O vertrauen: So durchtobte der indische Ares die bakchische Heerschar.

Da ward nicht gekämpft nach Regel und Sitte; die Mannen Rangen nicht gleichgeordnet und unentschieden, es brauste Unermüdlich heran der eherne, wiedergekehrte Ares; er glich dem Helden Molaios1“, der mehr als die andern Unersättlich sich freute am unerfreulichen Blutbad, Der das Morden mehr als Schmausen liebte; das Bildnis Der behaarten Medusa trug er gemalt auf dem Schilde Gleich dem Schlangengeringei der Gorgolocken; so schien er Dem Deriades gleich von nämlicher Farbe. Gestaltet Wie Molaios, wie er mit schauerlich finsterem Antlitz, Mit dem krausen Haar und mit dem Wappen des Schildes, Eilte wutentbrannt zum Kampf der befeuernde Ares Und entflammte die Helden. Einstimmig tönte der Inder Schlachtgeschrei; da Bakchos verschwunden, lärmten sie furchtlos. Wie neuntausend Krieger schrie laut der verderbliche Ares, An seiner Seite im Streit die schweifende Eris1’. Er stellte

165 167 169 168 170

175

Zweiunddreißigster Gesang

494

Ins Getümmel den Schrecken und Graus als Gefährten des Königs.

Und es hetzten das Heer des einsam irrenden Bakchos iso Indiens König, der Schlaf des Zeus und mit ihnen Ares.

Die gemischten Reihen wetteifernder Kämpfer umschlösse; Sämtliche Bassariden mit einem eisernen Kreise;

Viele der Flüchtigen wurden von Einem Mörder getötet, Von den Schwertern erschlagen. Sagt an, homerische Musen

185 Wer erlag, wer fiel von der Lanze des indischen Königs? Thyamis18 und Opheltes, Aibialos und auch Ormenios, Kriasos, Argas’ Sohn, und Telebes, Antheus von Lyktos1’,

Thronios und Aretos, der lanzenstarke Moleneus20, Und Komarkos21, der tapfre, so sanken sie übereinander

iso Unter Deriades’ Speer, ein Heer von Leichen. Am Boden Lag der eine der Toten gestreckt, ein andrer versuchte

Schwimmend zu fliehen und fand den Tod in den Wellen, ein andrer Mußte im Meer ertrinken, und den vom Eisen verfolgten Frischverwundeten barg der arabischen Nereus im Wasser.

195 Stürmischen Laufes durchrannte ein andrer die Berge und suchte So dem Tod zu entgehen, ein andrer ließ mitten im Leibe

Eine Lanze stecken und kroch in das bergende Dickicht, Rettung heißersehnend von dem verschwundenen Bakchos.

Unbestattet sank Echelaos22, der stolze, im Tode,

2oo Von einem malmenden Felsen des riesigen Morrheus getroffen.

Kyprier war er; ihm sprosste der erste Flaum um sein

Antlitz, Einem Palmbaum ähnlich, der oben beblättert. Im Kampfe Sank der Fackelträger, der üppige, niemals geschorne,

Die Inder dringen vor

495

An der Hüfte getroffen, wo die Natur in die Pfanne23 Mit dem Leibe verbunden die Achse des Schenkels gefestigt.

205

Und er verblich; noch hielt er die mystische, flammende Fackel, Zuckend verbrannte sein Haupt in ihrem Feuer zu Asche,

Da er die Locken selbst mit der qualmenden Fackel versengte.

Prahlend sprach zu ihm der schmähsuchtliebende Morrheus:

»Knab,dem gepriesenen Land, das dich ernährte, entfremdet, 210

Echelaos, du Jüngling, verleugnest du Kypros, die Heimat? Nicht von Pygmalion24 stammst du, dem Aphrodite ver­

gönnte,

Durch ein langes Leben gar viele Jahre zu wandern. Nicht hat Ares dich, der Paphiabuhle, errettet;

Nicht beschenkte dich mit zahllos kreisenden Jahren

215

Deine Kytliereia, mit keines Gespannes Beschwingtheit,

Daß du dem Ende entrannest auf solchem rettenden Wagen;

Maultiere lenktest du immer, die schwer die Kniee bewegen.

Falsch! du stammst ja wirklich aus Kypros: dein flüchtiges

Dasein Hat ja Ares wie einst den Sohn der Myrrha25 bezwungen.«

220

Speerheld Morrheus riefs und schleuderte wider die Nächsten,

Und den gewandten Bilithos2“ erreichte er, tötete Denthis, Den Erigbolos27 traf er, den Tänzer, zerhieb ihm den Nacken

Mit seinem fliegendem Speer die phrygischen Streiter erschreckend;

Mit dem scharfen Geschoß warf er den Sebes28 zu Boden. Die thebanischen Reihen und den Aktaion verfolgend, Tötete er den Eubotes29, den Bürger kadmeischen Landes, Des Aktaion Gefährten. Ein Schrei der vielen ertönte,

Die auf der Flucht vor dem König und seiner entsetzlichen

Stärke

225

496

Zweiunddreißigster Gesang

230 Eilvoll gerieten ins Netz des ihnen gesponnenen Schicksals: Selbstgetötet erlagen sie so dem zermalmendem Eisen,

Von einem einzigen Manne bedrängt. Im Sturz aufeinander

Wurden reihenweis mit blutigem Staube beschüttet Krimisos und Iaon, Himaleon neben Thargelos30,

235 Phrasios zugezählt sank über die Toten noch Koilon; Sterbend wälzte sich da auch Kyes im eigenen Blute. Unermeßlich war das Morden; die trockene Erde

Badete sich in der Fülle des Blutes der Eisengetroffnen

Und empfing diesen fremden, von Ares vergossenen Regen.

240 Schwer bedrängte der Feind die bakchischen Reihen, denn

planlos

Rannte das Fußvolk davon, und flüchtig jagten die Reiter Aus dem Getümmel fort mit den edelsteinblitzenden Zäumen Bergdurcheilend verbarg sich der eine in felsiger Höhle,

Und ein anderer eilte auf laubige Höhen der Wildnis

245 Blätterversteckt, es kroch in Löwenhöhle ein andrer. Einer wählte sich rasch das Lager grausiger Bären,

Und ein andrer entwich durch die hohen Gipfel der Felsen

Und durchwanderte dort die Schluchten der zackigen Warten Bebend strich eine Bakche vorbei am Platze, wo eben

250 Eine Bestie geboren; da mied sie eilends die Klippe,

Denn sie begehrte nicht mehr auf Löwenfelsen zu hausen, Sondern sie suchte die Grotte der kraftlosen Hirsche zu finden, Die ja mutlos sind: sie hatte die frühre Gesinnung

In das Herz eines Hirsches statt das einer Löwin gewandelt.

255 Einer der schnellen Satyrn lief sturmbeflügelt und angstvoll Ohne Sandalen dahin, als wär er ein wellender Windstoß, Flüchtig vor dem Drohen des gottbekämpfenden Königs.

Irrend strebte der alte Silen31 nach den schützenden Höhen, Häufig fiel er zu Boden und schwärzte das Antlitz im Staube;

Die Inder dringen vor

497

Immer glitt er aus, die greisen Kniee versagten. Wieder hob er empor den zottigen Leib; auf den Höhen Barg er sich, statt zu kämpfen, und gab des Euios Lanze Notgedrungen preis und den schwachen Winden den Thyrsos; Kaum entrann er dem Speer des heimumfunkelten Morrheus. Zögernd nur entwich mit trägen Füßen Erechtheus82; Oftmals wandte er da das Rund des Auges nach rückwärts; Denn er schämte sich vor der Stadtbeschirmerin Pallas. Widerwillig entzog sich der bakchischen Schlacht der Mänaden Aristaios33; es traf ihn links ein Pfeil in die Schulter. Aus den Korybanten, der lanzentapferen Heerschar, Löste sich Melisseus 3‘, von erythräischem Speere Auf der haarigen Brust grad bei der Warze verwundet. Selbst die grausen Kyklopen vergaßen der Ehre und drängten Schnell und betroffen zur Flucht; zugleich mit ihnen enteilte Aus dem Inderkampf der sonst so tapfere Phaunos85. Mit sich in die Flucht riß seine hörnerne, ganze Schar der parrhasische Pan“, der alte, und raste von dannen; Lautlos tauchte sein Schritt hinein in das Dickicht des Waldes, Daß seine Flucht durch die Berge die unstete Echo nicht sähe Und ihn verlache und auch noch gar einen Feigling benenne.

Alle vordersten Kämpfer entflohen; da ließ man im Ringen Aiakos87 ganz allein. Der kämpfte weiter, verlangend Nach dem jetzt entschwundnen, doch unüberwindlichen Bakchos. Ja, er harrte dort aus. Von der Höhe versteckten die Nymphen Unter den Wassern sich in einem Najadengemache; Eine gesellte sich dort den Hydaspes-Nymphen und andre Übernachteten in den nahen Indusgewässern.

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498

/Aveiunddreißigster Gesang

Andre mit Sydros-Nymphen38 zusammen, andre im Ganges

Spülten das frische Blut sich ab; es nahm sie da zahlreich,

290 Als sie scharenweis dem wässrigen Lager sich nahten, Auf am gastlichen Tor die silberfüß’ge Najade

In die Höfe ihres umwogten Mädchengemaches.

Andre suchten Verstecke bei einer Hamadryade Schattigen Ranken und schlüpften in offene Flanken der

Bäume.

295 Viele Bassariden bei tropfender Quelle am Felsen Weinten Ströme von Tränen; und durch den ebenentquollnen Tränenregen, der feucht ihr klagvoll Antlitz benetzte,

Füllte mit lautem Rauschen sich ganz die Tiefe der Quelle

Und beweinte die Trauer des trauergefeiten Lyaios.

D RE I UN D D RE I S S I GSTER GESANG

Der aber stürmte dahin und schweifte mit jagenden Füßen Und beflügelten Knieen gleich einem hörnernen Stiere; Schreckliches Keuchen entfuhr ihm im Drang des wütenden

Wahnsinns. Und eine eilige Charis beim erythräischen Garten1 Pflückte dort die Sprossen der herrlich duftenden Rohre,

s

Um für Aphrodite in feuerhauchenden Kesseln

Saft des assyrischen Ölbaums mit indischen Blüten zu

mischen,

Um ihrer Herrin daraus eine duftende Salbe zu brauen. Als sie so allerlei Pflanzen, von Tau befeuchtete, pflückte, Schaute sie rings umher, und als sie da in der Wildnis

10

Ihren Erzeuger Lyaios besessen von Wahnsinn erblickte, Weinte sie tiefbetrübt, und zärtlichkeitsüberwältigt Furchte sie in ihrer Trauer mit ihren Nägeln die Wangen.

Und sie erspähte die Satyrn, die bang aus dem Kampfe entflohen,

Sie bemerkte Kodone2 und die so junge Gigarto,

15

Wie sie gemordet lagen im Staube, der sie nicht deckte.

Sehr bedauerte sie Chalkomede’, die sich in Eile

Flüchtete vor dem Speer des rasend tobenden Morrheus. Neid erfaßte sie da beim Anblick des rosigen Mädchens, Daß nicht einst seine Schönheit die glänzende Kypris besiege. 20

Traurig kehrte zum Himmel sie heim mit betretenem Schweigen,

500

Dreiunddreißigster Gesang

Nichts verriet sie über das Leid ihres Vaters Lyaios. Blässe deckte das Rund der Wangen, es welkte ihr Blühen, Und auf ihrem Gesicht erlosch der leuchtende Schimmer.

25 Zu der Niedergeschlagnen begann mit tröstenden Worten Kypris, Adonis’ Geliebte, - denn aus Pasitheas4 Antlitz, Aus dem beredten Schweigen entnahm sie deutlich den Kummer —: »Mädchen, was ist dir geschehn, daß du so völlig verändert? Jungfrau, was hat dir so das rosige Antlitz verwandelt? 30 Wer verlöschte auf deinem Gesicht den strahlenden Frühling? Deine Glieder leuchten nicht mehr in silbernem Glanze; Deine Augen lachen nicht mehr so fröhlich wie früher. Künde mir deinen Kummer. Dich drückt mit bitteren Qualen Wohl mein Sohn ? Du liebst auf sehnsuchtgetroffenem Felsen 35 Irgendeinen Hirten wie einst Selene’. Es peitschte Dich mit dem Zaubergürtel wohl Eros wie früher die Eos. Ja, ich weiß, warum du so erblasstest, o Mädchen: Wirbt doch als düsterer Freier um dich der schweifende Hypnos’. Gegen deinen Willen zwing ich dich nimmer und werde 40 Nie dem schwarzen Hypnos die weiße Pasithea einen.«

Also sprach sie. Die Charis begann zu weinen und sagte:

»Die du das ewige Weltall besamst, du Mutter der Liebe, Mich bedrängt kein Hirt, kein dreister Hypnos umwirbt mich; Nicht wie Selene und Eos verzehrt mich glücklose Liebe. 45 Nein, mich grämt die Pein des irreschweifenden Bakchos, Meines Vaters, der vor den grausen Erinyen schauert. Kannst du, so kämpfe für Bakchos: er ist ja dein leiblicher Bruder.«

Pasithea entdeckt des Bakchos Wahnsinn

501

Und sie erzählte der Herrin die ganze Pein ihres Vaters, Auch wie die Bassariden von Morrheus endlos gemordet, Und wie die Satyrn alle entflohen. Und sie erzählte 50 Auch, wie Lyaios so arg von dämonischer Geißel erschüttert, Und wie mit winselndem Zucken Gigarto am Boden gelegen, Und sie erwähnte auch die frühgefallne Kodone, Schamvoll sprach sie vom Leid und der Schönheit Chalkomedeias. Da verwandelte Kypris, die gerne lachte, ihr ewig Schimmerndes Antlitz und ließ ihr übliches Lächeln erstarren, Und sie bestimmte Aglaia’ zu ihrer Botin, zu rufen Eros, den wilden Sohn, der hoch die Lüfte durchschweifte, Diesen Lenker der Zeugung im irdischen Menschen­ geschlechte.

55

Und da eilte die Charis davon und spähte nach allen Seiten auf Erden, im Meer, im Himmel, ob sie nicht fände Eine flüchtige Spur des überall fliegenden Eros, Der in Kreisen umschwingt des Weltalls vierfache Wölbung.

60

Und auf dem spitzen Gipfel des goldnen Olympos, da fand sie8 Ihn, wie er Nektartropfen zum Spiel aus Bechern verspritzte. 65 Zierlich stand bei ihm als Spielgefährte ein Knabe, Hymenaios", im Schmuck der Locken; die sinnreiche Arbeit Seiner klugen Mutter, der sternenkund’gen Urania, Einen drehbaren Globus des Himmels, der ähnlich dem Argos10 Bunt betupft, bestimmte er als den Preis für den Sieger. 70 Und der geflügelte Eros hielt einen goldenen, runden Halsschmuck seiner Mutter, der Aphrodite des Meeres,

502

Dreiunddreißigster Gesang

Und bestellte ihn als schimmernden Preis. Auf dem Kampfplatz

Lag ein silbernes Becken; ein Bild der Weinschenkin Hebe 75 Stand drin mitten als Ziel. Der Schenke Kronions, der schöne Ganymedes, war bestimmt als Richter des Wettstreits,

Einen Kranz in den Händen. Und nun begannen die Kämpfer

Tropfen fortzuschleudern mit kunstvoller Stellung der Finger; Denn sie hielten die einen gestreckt in die Höhe, die andern

so Dicht an der Wurzel der Hand und enganeinander gefesselt. Reizend erglühten beide im Eifer. Der üppiggelockte Hymenaios begann durchs Los, und den Becher ergreifend,

Warf er hoch in die Luft die Nektartropfen und sandte

Schleudernd sie über das Becken; doch seiner Mutter, der Muse,

85 Machte er keine Ehre: denn die aus dem Becher gestürzte

Flüssigkeit schnitt nur hoch durch die Luft in geschwunge­ nem Bogen. Abgelenkt aber wurde der Schuß der springenden Tropfen; Denn im Rückflug traf er auf das Antlitz des Bildes

Und den Scheitel des Hauptes, doch lautlos ohne zu klatschen11. 9o Eros, der listige, griff nach kunstreichem Brauche als zweiter

Nach dem prächtigen Becher und flehte zur Göttin von Kypros

Heimlich in seinem Herzen, und fest das Auge geheftet Auf das Ziel, entsandte er weit die geschleuderten Tropfen.

Und das wirbelnde Naß des Nektartrankes erreichte, 95 Ohne abzubiegen, gerade die Schläfe des Bildes;

Wider die Stirne klatschte es laut aus den Lüften hernieder.

Hell erklang das Bild, und dem Sohne der Göttin von Kypros Klatschte den Siegesschall zurück das goldene Becken. Lachend gab Ganymedes das Kranzgewinde dem Eros, loo Der die schimmernde Kette behielt; den Globus im Arme,

Eros und Ganymedes beim Kottabos - Spiel

503

Hatte er doppelten Preis für den Tropfenwettkampf gewonnen;

Und nun hüpfte er froh, schlug Purzelbäume und tanzte Prahlend umher, der Frechling, und suchte häufig dem Gegner

Von dem betrübten Antlitz die beiden Hände zu ziehen11.

Nah zu ihm trat Aglaia, und in des berückenden Herrschers

105

Händen gewahrte sie die Preise. Sie winkte dem Knaben, Seitlich zu treten, und sagte mit kündendem Schweigen in Eros’ Ohren das listige Wort der trugbeflissenen Herrin:

»Unbezwungner Bezwinger, du Zeitgenosse des Weltalls, Lebenserhalter, eile, denn Kypris bedrängt man, es bleibt ja

no

Keine der Mägde bei ihr, denn Charis18 und Peitho entwichen;

Pothos, der unstete, floh, und mich alleine entsandte Sie zu dir, verlangend nach deinem siegreichen Köcher.«

Darauf fragte Eros, damit er alles erfahre;

Wollen doch allesamt die Buben, wenn sie den Anfang

ns

Einer Geschichte hören, auch gern ihr Ende vernehmen, Und so entsprudelten ihm die ungezügelten Worte:

»Wer denn kränkte so meine Paphia, daß ich die Hände

Wappne, mit allen zu kämpfen? Wenn meine Mutter bedrängt wird, Will ich selbst gegen Zeus die allbezwingende Sehne

Spannen, ihn machen zum tollen, verliebten, buhlenden Vogel,

Zu einem Adler, oder zum Stier, des Meeres Durch­ schwimmer.

Wenn aber Pallas sie reizte und gar der Hinkende kränkte, Der den leuchtenden Brand der kekropischen Lampe11

entzündet,

120

504

Dreiundclrcijiigster Gesang

125 Kämpf ich mit allen beiden, mit Pallas und auch mit Hephaistos. Wenn sie die Göttin der Pfeile, die Hasenjägerin, ärgert, Zieh ich das feurige Schwert des himmlischen Helden Orion, 128 Artemis zu verwunden und aus dem Äther zu jagen-----128a (Tat ihr Hermes ein Leid, so will ich Hermes ergreifen)“ Und den Sohn der Maia, den auch beflügelten, packen, 130 Der dann Vergebens ruft nach der Hilfe der unnützen Peitho. Meine Pfeile verlassend, des Köchers feurigen Knoten, Will ich mit Lorbeerzweigen den willigen Phoibos be­ drängen 16 Und mit Hyakinthos, der redenden Blume, gefangen Ihn umwinden. Nicht beb ich vor Ares’ Stärke, es lohnt nicht, 135 Ihn zu peitschen, der schon vom Zaubergürtel gefesselt. Und die Leuchtenden will ich beide als Diener nach Paphos Niederziehen vom Himmel und sie der Mutter gesellen: Phaethon, Klymene auch, Endymion mit der Selene1’, Auf daß alle erkennen, daß ich sie alle bezwinge.« 140 Sprachs, und stracks in die Lüfte erhob er die Sohlen und schwang sich Weit Aglaia voran im Doppelschwirren der Flügel, Bis er an das Haus der harrenden Kypris gelangte. Heiteren Angesichts umfing die Göttin mit beiden Armen den Knaben und spannte um ihn die fröhlichen Hände, 145 Hob die liebe Last aufs Knie, und wie sie so dasaß, Küßte sie den Buben auf Mund und Augen, berührte Den bezaubernden Bogen und auch den Köcher, und listig, Wie von Zorn durchglüht, entfuhren ihr solcherlei Worte:

Eros schießt auf Morrheus

505

»Kind, du hast vergessen des Phaethons und Kythereias.

Trachtet Pasiphae18 doch nicht mehr nach der Liebe des

iso

Stieres. Helios lacht mich aus und rüstet den Sprossen der Astris, Seiner Tochter Kind, den tapfern Deriadeskönig,

Daß er die Bassariden des geilen Dionysos töte Und von dannen treibe des Bromios lüsterne Satyrn.

Mehr erregt mich noch, daß unter menschlicher Maske

iss

Ares, der Kampferreger, mit seiner Gefährtin Enyo,

Ohne der alten Liebe zu Aphrodite zu achten, Sich auf Heras Geheiß zum Streit gegen Bakchos gepanzert In des indischen Königs Gefolge. Nun streite im Treffen

Für den König nur Ares, du aber kämpfe für Bakchos.

iso

Ares führt die Lanze, doch du den stärkeren Bogen, Dem der hohe Zeus, der rechtliche Hermes, der wilde

Ares sich beugen; ihn scheut sogar der Schütze Apollon. Willst du, lieber Knabe, der Schaumgeborenen helfen, Dann für die Bassariden und unsern Dionysos kämpfe.

165

Drum begib dich eilig zur östlichen Gegend der Erde

Bei dem indischen Land, wo eine unter den Bakchen

Dem Lyaios dient, weit schöner als ihre Gefährten.

Chalkomedeia heißt sie; sie liebt ihr Magdtum, und wenn du Beide im Libanon siehst, die Kypris und Chalkomedeia,

in>

Kannst du Aphrodite nicht unterscheiden, mein Knabe.

Eile dorthin und hilf dem einsamhausenden Bakchos, Schieße auf Morrheus, damit er die Schönheit Chalkomedes

spüre.

Und als würdigen Preis für deine Schießkunst beschenk ich Dich mit einem Reif von herrlicher, lemnischer Arbeit,

Der wie Helios glänzt. Entsende die Süße des Giftes Und sei beiden gefällig, der Kypris und dem Lyaios,

Ehre meinen und deinen vermählenden Vogel der Liebe, Diesen Freudenherold der leben verbindenden Hochzeit.«

175

506

Dreiunddreißigster Gesang

180 Kypris sprachs; da sprang vom Schoß der Mutter wie rasend

Eros auf und hob den Bogen, und über die linke

Schulter hängte er dann den allbezwingenden Köcher.

Und mit Fittichen flog er durch den Äther; bei Kerne19, Drehend die leichten Flügel den Strahlen der Eos entgegen,

iss Flog er und lächelte, weil er des himmlischen Wagens gewalt’gen

Lenker verwundet hatte mit kleinem, sengendem Pfeile,

Und so der Glanz der Eroten des Helios Leuchten besiegte. Eilig begab er sich in die Mitte der indischen Feldschlacht, Stützte den Bogen auf die Schulter Chalkomedeias, 190 Richtete seinen Pfeil am Rand der rosigen Wange Und entsandte ihn so ins Herz des Morrheus. Dann flog er

Rudernd seine Bahn mit schwimmenden Flügeln und hob sich Mit ihrem Doppelschlag zu den heimischen, sternigen Toren; Hinter sich ließ er den Inder, durchbohrt vom feurigen Pfeile.

195 Immer nun da und dort, vom Gift der Sehnsucht geschüttelt,

Wo die Jungfrau ging, ging Morrheus liebegepeinigt, Und sein Schwert ward sanft und seine Lanze verschonend,

Und seinen trotzigen Sinn zerpeitschte der Gürtel der Sehnsucht. Liebestoll verschlangen sie seine kreisenden Blicke

2oo Auf der Kypris Befehl, die sonst unbezwingbaren Augen.

Aber die Jungfrau täuschte gar listig den Führer der Inder,

So als spüre sie Sehnsucht, doch nur ein trügerisch Abbild

Solcher Sehnsucht ahmte das Mädchen nach, und es wähnte Morrheus sich im Himmel voll eitler Hoffnung; er dachte,

205 Daß auch des Mägdeleins Herz der gleiche Liebespfeil streifte. Törichter Mann, der wähnte, ein züchtig Mädchen zu kirren

Morrheus’ Liebe zu Chalkomedeia

507

Mit seinen schwarzen Gliedern; er hatte sein Aussehn ver-

vergessen. Listig und scherzerfreut verlachte das Mädchen den Inder,

Zeigte sich ihm in der Nähe und reizte den glücklos Verliebten. Und sie erzählte dem Feind, wie die ehescheuende Nymphe

210

Stürmisch entwich, die einst den Phoibos schnell wie der Nordwind Floh, und wie sie beim Wasser des langhin ziehenden Stromes Jungfräulich den Fuß beim breiten Orontes verwurzelt,

Wo die klaffende Erde am Rand des prächtigen Weihers Das verfolgte Mädchen voll Mitleid im Schoße geborgen.

215

Morrheus sprang empor bei diesen Worten voll Freude; Eines nur machte ihm Kummer, daß auch der Gott die

verfolgte Daphne nicht erwischte und nicht die Jungfrau geschändet,

Und er schalt ihn langsam und tadelte etwas die Erde, Daß sie die Jungfrau verborgen, die noch die Ehe nicht kannte. 220

Denn er fürchtete, bebend in süßem Feuer, es möchte Auch Chalkomede so ihr Magdtum lieben wie Daphne, Daß er bei ihrem Anblick vergeblich zu laufen begänne Und wie Apollon sich mühe um unerfülltes Verlangen.

Nahte jedoch die Nacht, die schlachteinschläfernde Stunde,

225

Eilte Chalkomedeia zur einsamwaldigen Höhe, Um des sinneverwirrten Dionysos Spuren zu suchen.

Keine Tamburine und bakchischen Cymbeln der Rheia Schwang sie dabei wie bei heimlichen Festen des wachen

Lyaios,

Sondern niedergeschlagen und nicht des Reigens gedenkend, Schwieg sie ungewohnt mit sonst nieschweigenden Lippen,

Denn sie verstand sich wohl auf des Helfers Dionysos Krankheit.

230

508

Dreiunddreißigster Gesang

Zögernden Schrittes schlich nur langsam mühevoll Morrheus, Wandte oft sein Auge und spähte nach Chalkomedeia; 235 Und er grollte der Sonne geschiedenem Laufe, sein Sinnen War wie ein ständig Geleit ja stets auf das Mädchen gerichtet. Zürnend der Lockung der Kypris entfuhr ihm der weich­ liche Ausruf, Weil ihn im Herzen das Gift der nächtigen Liebe bewegte:

»Fahre hin, du Bogen und Pfeil des Ares! ein andrer 240 Stärkerer Sehnsuchtspfeil bezwingt mich. Fahre, du Köcher, Hin! Es besiegte der Riemen des Zaubergürtels mein Schildband. Nicht mehr will ich gerüstet die Bassariden bekämpfen, Sondern Wasser und Erde, die Heimatgötter, verlassend, Will ich einen Altar der Kypris und Bakchos errichten 245 Und den Speer des Ares und der Athene verwerfen. Nicht mehr fackelhaltend will ich mich rüsten, die schwache Erosfackel hat gelöscht die Flamme des Ares. Von einem heißeren Feuer bin ich getroffen. O, daß ich, Daß ich ein Satyr wäre, ein weibertoller, zu tanzen 250 Unter den Bassariden und meine Arme auf ihre Schultern zu stützen, den Nacken mit Liebesfesseln zu binden. Mag nach Phrygien mich, den Diener des Königs, Lyaios Schleppen unter das Joch der Sklaven. Statt meiner Heimat Mag Maionien mich das reiche, als Bürger empfangen. 255 Nach dem Kaukasos will ich den Tmolos“ bewohnen; den alten, Indischen Namen verleugnend, will ich nun Lyder genannt sein Und dem Dionysos beugen den erosgeknechteten Nacken. Trage mich der Paktolos. Was nützt mir der HeimatHydaspes!

Morrheus' Liebe zu Chalkomedeia

509

Chalkomedeias Haus, das süße, soll mich umfangen. Suchten doch Kypris und Bakchos gemeinsam gewappnet

260

des Königs Schwiegersöhne heim, damit man später verkünde:

Morrheus erlag dem Gürtel, der Thyrsos schlug den Orontes.«

Also rief er aus, und in der Brandung des Kummers Schmolz er, wenn er der Jungfrau gedachte. Es werden im

Dunkeln

Immer noch heißer ja die sengenden Funken der Liebe.

265

Springend empor mit dem ihm eigenen, schattigen

Schwünge, Schwärzte sich schon der lautlose Kegel des wolkengemiednen Dunkels und einte alles in Einem zitternden Schweigen.

Keiner der Inder durcheilte die Stadt mit wandernden Schritten,

Keine Spinnerin saß jetzt mehr bei üblicher Arbeit;

270

Nicht ihr in den Händen bei spindelliebendem Lämpchen Wirbelte rasch von selbst im Kreise die drehende Spindel,

Unstet angezogen vom tanzenden Ziehen des Fadens, Sondern schweren Hauptes bei niemals schlafender Lampe

Schlief die Arbeitsfrau. Eine stille, kriechende Schlange

275

Lag da hingesunken; den Kopf mit dem Schwänze berührend,

Krümmte sie im Schlaf das lange Rückgrat des Körpers, Und bei der nahen Wand schlief auf gewaltigen Beinen

Aufrecht ein Elefant, an eine Eiche sich lehnend.

Damals eilte schlaflos allein und lautlosen Schrittes Morrheus, wandte sich ständig nach rückwärts, sich ruhelos

quälend,

2so

510

Dreiunddreißigster Gesang

Und ließ einsam im Schlummer Cheirobie in ihrer Kammer. Da ihn ein alter Weiser einst unterwiesen, als früher21 Er bei kilikischen Männern am nahen Tauros gefochten,

285 Und er somit in den Sternen den göttlichen Stachel der Liebe

Kannte, so wandt er das Auge zum luftüberspannenden Äther

Und besah da den Freier Europas, den Stier des Olympos. Und den schweifenden Blick auf die Himmelsachse gerichtet,

Sah er Kallisto dort und die unsteten Bahnen des Wagens,

290 Wissend, daß sie als Weib einen weiblichen Buhlen genommen, Der in der falschen Gestalt der Göttin der Pfeile verkleidet

Mit unkenntlichen Gliedern. Den über dem Stiere erhobnen

Myrtilos sah er an, den feurigen Lenker des Wagens, Der dem Liebesbund half und beim Rennen um Hippodameia

295 Räderförmig aus Wachs ein Abbild der Räder gefertigt: So fand Pelops die Ehe. Und nahe der Kassiopeia

Sah er flügelspannend den Adler, den Buhlen Aiginas, Und begehrte desgleichen nach solcher listigen Schlauheit,

Daß er das Magdtum löse der Jungfrau Chalkomedeia.

3oo Schlummergemiedenen Auges begann er also zu reden:

»Hörte ich doch, daß einst der waltende Zeus, als ein Satyr

Listig umgebildet, die Jungfrau Antiope22 freite

Und so nachgeahmt die sprungbeglückte Vereinung. Solch einen Leib begehre auch ich, um tanzen zu können 305 Und mich unkenntlich zu einen der Schar der hörnernen

Satyrn, Daß ich in Liebe dann freie die weinfrohe Chalkomedeia. Kythereia, ich weiß, warum du den Indern so zürnest:

Deine Pfeile bedrängen ja doch des Helios Nachbarn. Noch vergißt du nicht ihm deines Lagers Entlarvung.

Morrheus’ Liebe zu Chalkomedeia

511

Ich entstamme ihm nicht. Warum bedrängst du mich, Kypris ? 310 Auch der Pasiphae nicht, der stierbesessnen; auch bin ich

Nicht Ariadnes Bruder. O Steine, erhebet die Stimme!

Nach Chalkomede schmacht ich, die mich verschmähte. 0 Köcher, Fahre hin, fahrt hin, ihr Pfeile und mordender Bogen !

Ares bewahrte mich nicht, als sich Aphrodite gerüstet.

315

Eros, der kleine, bezwang den nicht von Bakchos

Erschlagnen.«

Also rief umsonst bei Nacht der glücklos verliebte Morrheus. Es schläferte nicht der Fittich betäubenden, süßen

Schlafes Chalkomede ein, die ehescheue; sie wollte Lieber sterben, voll Furcht, es möchte der rasende Morrheus 320 Fort sie schleppen und hitzig sich ihr in Notzucht vereinen,

Während Dionysos fern. Am erythräischen Meere Lenkte sie nächtig den Lauf und rief in das taube Gewässer:

»Melis24, ich preise dich glücklich, denn unerfahren der Liebe

Hast du einst ins Meer dich freien Willens geworfen.

325

So dem weibertollen Damnameneus bist du entronnen. 0, ich preise dein Ende als Jungfrau, denn einen besessnen Freier hat gegen dich die Tochter des Meeres gewappnet, Kypris, doch dich bewahrte das Meer, der Paphia Mutter, Und du starbst in den Fluten, noch Jungfrau. Darum behüte

330

Auch das Wasser des Meeres die willige Chalkomedeia; Denn es begehrt ja Morrheus die Ehescheue, auf daß man Neu eine Britomartis25 mich, ehefliehend, benenne, Nenne, die das Meer dereinst empfing und wieder herausgab, Als sie nicht beachtet die kyprische Liebe des Minos.

Und mich scheuchte nicht der liebestolle Poseidon Wie die jungfräuliche Asteria26, die er verfolgte, Wie sie irrend ins Meer entlief, bis daß sie Apollon,

335

512

Dreiunddreißigster Gesang

Als sie so unstet trieb im wechselnden Wehen des Windes, 340 Unerschütterlich fest im Schoß der Wellen verwurzelt. Nimm mich, nimm mich auf, du Meer, im gastlichen Schoße! Nimm Chalkomede auf wie Melis, nimm sie als jüngre Britomartis auf, die jede Hochzeit verweigert, Daß ich dem Morrheus entrinne und deiner Tochter, der Kypris. 345 Jungfrauenhelferin du, erbarme dich Chalkomedeias.« Ganz von Sinnen rief sie so am Ufer des Meeres. Und nun wär sie von selbst in die Fluten gestürzt und gesunken, Aber da half ihr Thetis, um Bakchos sich freundlich zu zeigen. Leibverwandelt trat sie Chalkomedeia zur Seite, 350 Einer Bakchantin gleich, und sprach die tröstenden Worte:

»Chalkomedeia, halt aus und fürchte nicht Morrheus’ Begierde. Nimm mich als günstiges Zeichen, daß du dein Magdtum bewahrest, Denn ich bezeuge dir sicher ein immer jungfräulich Lager. Ich bin die ehescheue, dir ähnliche Thetis2’; ich liebe 355 Auch den Jungfernstand wie Chalkomedeia. Vom Himmel Wollte mich Vater Zeus verfolgend zur Ehe gewinnen, Hätte der greise Prometheus nicht seine Begierde gezügelt, Kündend, ihm würde sonst ein stärkerer Knabe entsprossen, Daß nicht Thetis’ Sohn einst seinen Vater bedränge 36o Und den Kroniden vertreibe, wie Zeus den Kronos vertrieben. Werde du selbst voll List eine Lebenserretterin: wenn du Selbst den Tod erwählst, noch unerfahren der Hochzeit, Wird der stolze Inder die Bassariden vernichten.

Morrheus' Liebe zu Chalkomedeia

513

Täusche ihn drum, und so wirst du vom Tode erretten Deine flüchtige Schar des geißelgequälten Lyaios,

365

Wenn du das eitle Schmachten der Paphia gaukelst. Und

möchte Morrheus zum Lager dich schleppen, die du die Hochzeit

verweigerst,

Brauchst du gegen Kypris doch keinen Helfer: als Wächter Deines Gürtels hast du die mächtige, helfende Schlange.

Deine Schlange 28 wird nach diesem indischen Kriege

370

Bakchos nehmen und sie an den Sternenhimmel versetzen

Als eine ständige Botin für deines Magdtums Bewahrung, Nah des eigenen Kranzes Geleucht, wenn er in den Sternen Schafft ein großes Zeichen der Ariadne von Kreta.

Gleichgestellt wird dort dein Drache dem nördlichen

375

Drachen

Und mit dem Schlangenträger zusammen den Sterblichen leuchten.

Loben wirst du später die Meeres-Thetis, sobald du Siehst deinen feurigen Stern mit Selene blitzen zusammen.

Wegen der Ehe sei du ganz beruhigt: kein Buhle Wird den festen Knoten dir deiner Jungfernschaft lösen.

380

Nein, bei dir und Bakchos, der meiner Mahlzeit sich freute, Nein, bei dir und dem Thyrsos und bei der Meeraphrodite.«

Also tröstend verbarg sie in einer Wolke das Mädchen,

Daß es nicht die Wächter, noch einer der Späher gewahrten

Oder ein listiger Wandrer auf heimlich nächtigen Pfaden Oder ein frecher Hirt, ein weibertoller, der abends Sich die Jungfrau schleife zur Hochzeit neben dem Wege.

385

VIERUNDDREISSIGSTER GESANG

Und das Mädchen durchschweifte die Berge mit eiligen Schritten;

Lautlos glitt sie dahin hinauf bis zur waldigen Höhe.

Und auch Thetis verharrte nicht länger am Ufer, sie tauchte

Wieder zum Hofe des Nereus, dem heimischen, tangüber-

wachsnen.

5 Immer noch starrte Morrheus zum klaren, nächtigen Luftraum; Doch nun ward er es satt, die kreisenden Sterne zu schauen, Sorgengegeißelt im Herzen begann er also zu reden:

»Wetterwendisch ist mir zumut, ich werde geleitet Nicht von Einem Plan und Einem Sinne, nein, viele

io Wünsche kreisen um mich, und keinen kann ich erfüllen. Töt ich das teure Mädchen ? was soll ich dann selber beginnen, Daß nicht sie durch Sehnsucht nach ihrem Tode mich tötet? Oder laß ich lebendig sie unverwundet, und schleif ich

Öffentlich die Jungfrau zur Hochzeit? Nein, ich erbebe 15 Vor Deriades ja und hab mit Cheirobie Mitleid.

Niemals werd ich die Jungfrau ermorden, denn schlag ich

sie nieder, Wie kann ich dann leben, wenn ich sie nicht mehr erblicke? Leide ich doch, wenn ich sie nur Eine Stunde entbehre.«

Zwecklos redete so der sonst so erfahrene Morrheus, 20 Qualenüberbrandet, von Kummer und Sehnsucht getroffen.

Morrheus' Liebe zu Chalkomedeia

515

Wie er so hin und her am Ufer irrte - vergessen

Hatte er seine Gattin, ihr einsames Lager verlassenHyssakos1 sah ihn da, der immer wachsame, kühne; Schlau als sein treuester Diener erriet er den heimlichen Stachel

Einer verschwiegenen Liebe, und listig begann er zu fragen

25

Und mit täuschenden Worten zu Morrheus also zu sprechen:

»Warum hast du dein Bett und die schlafende Gattin ver-

verlassen

Und durchirrst das Dunkel, du unerschrockener Morrheus ? Hat Deriades dich durch eine Drohung vertrieben ?

Grollt Cheirobie dir in eifersüchtigem Herzen

30

In der Meinung, du liebst eine kriegsgefangne Bakchantin ? Denn wenn Frauen die Männer entflammt von Liebe

gewahren,

Sind sie ja immer neidisch und wähnen heimliche Buhlschaft. Rüstet Himeros2 gar, der allbezwingende Frechling,

Gegen dich bräutliche Funken aus unermüdlichem Köcher?

35

Giert dein Sinn nach einer der Bassariden? Ich höre,

Drei Charitinnen gibts, Orchomenos’ tanzende Jungfraun, Mägde des Phoibos; doch hat der Reigenschlinger Lyaios Wohl eine Schar von dreihundert Chariten3, und eine von ihnen Scheint über alle andern zu strahlen, wie auch Selene,

40

Wenn ihr runder Schimmer sich breitet, mit hellerem Glanze All die andern Sterne und ihr Geflimmer verdunkelt.

Mit einem Doppelgeschoß in Einer Fügung gewappnet, Schießt sie mit ihrer Schönheit und wirft zugleich mit dem

Eisen.

Eine Charis gibt es in blankem Helme; die Bakchen Nennen Chalkomede sie, ich selber möchte sie nennen Artemis silberfüßig und goldbeschildet Athene.«

45

516

Iderunddreißigster Gesang

Sprachs und schwieg; da senkte der liebetrauernde Morrheus

Nieder die Augenbrauen und sprach mit schämigem Munde:

so »Sicherlich tauchte Bakchos hinab in die Woge des Meeres Damals aus Furcht vor Lykurgos, und dort in der Tiefe

der Wellen Hat er die Nereiden gewappnet und brachte von dorten Seine eigene Schwester zu Ares, die Meeraphrodite.

Statt mit bräutlichem Kleide und düftedurchwehtem

Gewände 55 Schmückte mit eisernem Panzer er sie, mit eherner Lanze Statt des Zaubergürtels, und namenändernd benannte1

Er sie Chalkomedeia, gewappnete, eherne Kypris.

Zu den Bassariden ist sie gesellt, und mit beiden Kämpfe ich ahnungslos, mit Kypris und mit Lyaios. 60 Warum schwing ich vergeblich den Speer? Du Schärfe,

entweiche! Wenn Aphrodite sogar den Schleudrer der Blitze besiegte, Wenn sie den Lenker der Kriege mit ihren Funken bewältigt, Wenn sie des Helios Licht durch größere Gluten versengte

Und den Flammenden zwang-was soll mir das Eisen

dann nützen? 65 Gebt mir guten Rat zum Schutz vor der Göttin von Kypros. Soll ich den Eros verwunden ? doch wie den geflügelten

fangen ? Heb ich den Speer? Er kämpft mit Feuer. Zieh ich mein Schlachtschwert?

Er hat den Bogen, von ihm hat mich das Feuer entzündet. Oftmals ward ich verwundet im Kampf, doch meine Verletzung 70 Rettete stets ein Heiler durch lebenerhaltende Künste,

Morrheus’ Liebe zu Chalkomedeia

517

Wehn er schmerztötendes Kraut auf die Wunde der Glieder gebettet. Hyssakos, birg es mir nicht: mit welchen heilenden Mitteln

Mache ich jetzt mein Herz von den Wunden der Liebe genesen ?

Gegen Feinde war ich immer tapfer, doch wenn ich

Chalkomedeia erblicke, wird all meine Schärfe zur Milde.

75

Nicht vor Dionysos beb ich, ein Weib jedoch macht mich verschüchtert,

Weil es mit seinem Glanz des sehnsuchtgetroffnen Gesichtes

Und mit seiner Gestalt mich trifft, und dann senk ich den Bogen. Eine der Nereiden erblickte ich; darf ich es sagen:

Thetis oder auch Galateia helfen dem Bakchos.«

so

Sprachs, und langsam auf den äußersten Spitzen der Füße, Um im nächtigen Schlaf nicht seine Gattin zu wecken, Kehrte er wieder zurück ins Schlafgemach, aber er drehte

Weg vom schwarzen Busen der Gattin sein Auge und wünschte, Daß Chalkomede glänze und bald der Morgen erschiene.

85

Zornig auf Eros sank er auf sein trauriges Lager,

Und sein müder Diener, der bisher schlaflos geblieben, Hyssakos streckte sich nieder auf seine Kuhhaut zum Schlummer.

Aber dem schlafenden Morrheus erschien ein trügendes

Traumbild; Sinnetäuschend eilte es fort aus den Elfenbeintoren5,

Und mit trügenden Worten begann es lieblich zu reden:

»Bräutigam Morrheus, empfange die willige Chalkomedeia.

Deine Braut empfange im Bett nach der Kämpfe Beendung.

90

518

Fierunddreißigstcr Gesant

Wenn du am Tage mich sahst, so war dein Auge voll Freude,

95 Schlummre nun auch bei Nacht bei der mannbeseligten Jungfrau.

Auch im Schlafe gibt es den Reiz der Hochzeit, es gibt ja Auch im Traume den Stachel der Sehnsucht in süßer

Vereinung.

Dich umarmen wollt ich, doch nah schon leuchtet das Frührot.«

Sprachs und flog davon; und Morrheus fuhr aus dem

Schlummer,

loo Und er bemerkte den Schein der hochzeitraubenden Frühe,

Und er wähnte, es habe Chalkomede Sehnsucht, und leise Sprach er zu sich selbst voll trügender Hoffnung aus Liebe:

»Dreifach bringst du Licht, du Nebelgeborne, du bringst ja Chalkomedeia und leuchtest auch selbst und verjagest das

Dunkel. 105 Komm doch, Trösterin du des unruhigschlafenden Morrheus,

Chalkomedeia, und leuchte noch mehr als die rosige Eos. Niemals erzeugen solch eine Rose die Horen der Auen. Reizendes Jungfräulein, auf deinen Wangen erblühen

Frühlingsauen, die keine Zeit zu welken verstünde. ho Blumen blühen dir auch zur Zeit der herbstlichen Horen.

Deine Lilien leuchten sogar im Winter; dein Leib ist Wie einer Anemone nie welkende, liebliche Röte,

Die die Chariten pflegen und keine Winde zerstören. Ehrenvoll schmückt dich dein Name, weil du mit dem Eisen so tapfer,

ns Und er paßt gar gut zur Tapferkeit: Chalkomedeia

Nennt man dich nicht grundlos; dich zeugte der eherne Ares,

Als er tanzte im Bett der liebeerweckenden Kypris. Chalkomedeia nennen dich alle, ich aber heiße

Neuer Kampf

519

Chrysomedeia6 dich, weil du schön wie die goldene Kypris.

Wähne ich doch, du stammst aus Sparta7, denn, wie ich

120

meine,

War Aphrodite in Eisen gekleidet, Chalkomedes Mutter.«

Also sprach der Held auf schlafgemiedenem Lager.

Doch wie die Schützin Eos, die Schlachtverkünderin, aufsprang

Und ihren Glanz entsandte von ihrem rötlichen Antlitz, Wappnete neu die Inder der kriegerentflammende Ares,

125

Und da strömten gerüstet vom schöngedrechselten Lager

Alle Inder herbei, gedrängt um Deriades’Wagen.

Weil verschwunden war der unbesiegbare Bakchos, Eilten die Bakchanten nur niedergeschlagen ins Treffen;

Nicht mehr zogen sie nun beherzt und tapfer zum Kampfe,

130

Sondern sie bebten vor Furcht, und nicht mehr krieger­ vernichtend Rasten in voller Wut die erzgekleideten Weiber,

Nicht mehr sandten sie mit schäumender Lippe aus tiefer Kehle ein laut Gebrüll, nein, schweigend, ohne zu rasseln,

Lautlos ungegerbt lag da der Rücken des Kalbfells.

135

Nicht mehr verbreiteten Fackeln das Licht der Leuchte des Ares, Der sonst tötender Rauch entfährt: nein, unter dem Drange

Der dämonischen Geißel erschlafften weibisch die Streiter.

Nicht mehr lärmten die Satyrn, und nicht mehr tönte die Flöte Kampferweckend wie sonst; in unbegeistertem Streite

Fochten die Silene behutsam; sie hatten ihr Antlitz Nicht mit Rötel bestrichen, der Farbe des rötlichen Mordbluts,

Hatten nicht zur Täuschung ihr gelbliches Aussehn be purpurt,

140

520

IGerunddrcißigster Gesang

Um zu erschrecken. Auch hatten sie nicht ihre Stirnen mit weißem

145 Gips bedeckt wie sonst. Und nicht mit schlürfendem Munde Hatten die schnellen Pane der einsamhausenden Löwin Frisches, heißes Blut getrunken, im Kampfe zu rasen,

Sondern sie waren mild aus Furcht und stampften die Erde Zögernd nur behutsam und mit geräuschlosen Hufen

iso Ohne die grausigen Sprünge des bergdurcheilenden Tanzes.

Auf die Mänaden warf sich der mächt’ge Deriadeskönig, Schüttelte wie einen Helm die Spitze seines Gehörnes, Und auf die Weiber stürzte sich Morrheus in wütendem Rasen Denn Chalkomede stand nicht in der Reihe der Bakchen,

155 Daß er sie scheu verschone und seine vom Blute der Weiber

Purpurgerötete Lanze nicht brauche zu weiterem Ansturm,

Sondern damals focht die schöne, liebliche Jungfrau In den vordersten Reihen als neue, bogenberühmte

Amazone nur leicht bekleidet mit blitzendem Rüstzeug 160 Im Gefilde; das hatte die kluge Thetis verordnet,

Ganz das leidende Heer des erschütterten Bakchos zu retten.

Da zerhieb nun Morrheus das Ebenbild des Gesichtes Der Chariten und fing elf Bassariden, die wehrlos; Sie erlas er sich als die schönsten nach Chalkomedeia,

165 Band den Mänaden die Hände unlöslich rückwärts zusammen,

Schleifte unter das Joch die haarumflatterten Scharen, Und seinem Schwiegervater Deriades gab er die Mägde

Als eine zweite Gabe zur Hochzeit für seine Gemahlin,

Die er als Braut zu erringen schon tapfer am Tauros8 gefochten, 170 Als er die junge Prinzessin, die Tochter des indischen

Herrschers, Die ihm altersgleiche Cheirobie führte ins Brautjoch.

Neuer Kampf

521

Denn der Inderkönig nahm keine Hochzeitsgeschenke

Für sein Kind, kein lockendes Gold und auch nicht des Meeres Schimmernden Stein; auch Herden von Rindern und Her­ den von Schafen Wies Deriades ab, und in geschenkloser Ehe

175

Wählte er für die Töchter die kampferregenden Streiter

Morrheus zum Eidam, dazu Orontes, neun Ellen an Länge.

Sein Geschlecht vermählte er beiden Feldherrn, dem Morrheus

Gab die Cheirobie er, Protonoe gab er Orontes.

Morrheus war ja nicht gewöhnlichen Sterblichen ähnlich,

iso

Sondern hohen Hauptes und mit gigantischen Gliedern

Ward ihm natürliche Stärke der erdgeborenen Inder Und die ursprüngliche Art des himmelragenden Typhon, Als bei der Arimer9 Volk, dem feuergenährten, am Felsen

Er dem Kydnos bewies die angeborene Stärke,

iss

Bringend als Hochzeitsgabe den Schweiß kilikischer Kämpfe, Bräutigam ohne Schätze: die Braut erwarb er durch

Kühnheit.

Damals beugte so dem Eisen, dem Werber des Morrheus, Ganz Kilikien sich, und der kilikische19 Tauros Krümmte den Felsennacken ins Joch des Deriadeskönigs,

190

Nieder duckte Kydnos, der kühne; im Land der Kiliker Wird drum Morrheus noch heut als Herakles-Sandes11

gepriesen.

Das geschah vorher, und nun in späterm Gefechte Fing die Mänaden Morrheus erbarmungslos mit der Lanze; Zügellos entfuhr ihm laut der prahlende Ausruf:

»Scepterträger, ich bring dir für deine Tochter als Gabe Erst die Bakchen, dann will ich dir Bakchos selber

bescheren.«

195

522

Fierunddreißigster Gesang

Auf die Worte des Morrheus erwiderte Indiens König:

»Ohne Freiergaben empfingst du Cheirobie, Morrheus,

200 Reichtest würdige Gaben zur schildetragenden Hochzeit, Gabst du in stolzem Siege mir doch die kilikischen Städte.

Eben gewährtest du wieder mir neue Geschenke; drum,

willst du, So erbeute noch mehr der Bassariden und fülle Ganz Cheirobies Haus mit Mägden. Wegen des Bakchos

205 Brauche ich Morrheus nicht, ich fehle ihn selber unlösbar,

Unter der Knechtschaft Joch werd ich Dionysos ziehen.

Hüte dich nur vor der Sehnsucht, dich einer Gefangnen zu einen,

Daß du nicht ähnlich seist den weiberrasenden Indern.

Spähe nicht nach den Augen und silberglänzendem Nacken 2io Einer Bakchantin, sonst machst du mir eifersüchtig die

Tochter.

Aber sobald ich ganz des Bromios Heerschar vernichtet, Ziehe ich in das Land Maionien, wo ich der Lyder Endlosen Reichtum schöpfe, soviel der Paktolos nur hergibt

Auch nach Phrygien komm ich, ins rebenreiche, zu Rheia, 215 Die den Bakchos erzog, und will zerstören das nahe

Segensreiche Gefilde der Silberstadt Alybe'2, nehmen Will ich die reiche Schicht der schneeig-weißen Metalle;

Brechen will ich auch das siebentorig genannte Theben und will verbrennen der Semele Flammenhaus, wo noch

220 Liegt im Brautgemach die heiße Asche der Hochzeit.«

So sprach frevelnd der König; von seinem streitbaren Eidam

Nahm er als Kampfgeschenk die ganzen Scharen der Mägde Und er schenkte die Bakchen dem Phlogios’3 und dem Agraios,

Gefangennahme der Bassariden

523

An den Flechten geschleift; in zusammengeschlungener Fessel Waren die Hände umschnürt mit unzerreißbaren Riemen.

225

Phlogios führte die Bakchen, den Sieg des Königs zu künden, Durch die ganze Stadt in ihren Fesseln. Die einen Wurden vorn an den Pforten des schöngebauten Palastes

Drosselnd hochgespannt von halsumschnürender Schlinge, Andere ließ er heiß in feurigem Tode verbrennen;

230

Andere wurden bestattet in erdgegrabenen Fluten In der Tiefe des Brunnens, wo wechselnde Hände das Wasser In die Höhe zogen aus unterirdischen Quellen.

Manche drunten schon in der nassen Tiefe des Hohlraums Sprachen halb nur sichtbar und starr mit sterbender Stimme: 235

»0, ich hörte, die Gottheit der Inder sei Erde und Wasser14,

Und nicht ohne Grund wird so verkündet, denn beide Wappneten gegen mich sich einig, und in der Mitte

Schwebe ich zwischen dem Tod auf Erden und Wasser­

verderben.

Doppelt naht mir das Ende: mich hält eine schlammige,

240

fremde Fessel hier fest, ich kann nicht mehr die Sohlen erheben;

Feucht im Lehme stecken mir meine Kniee verwurzelt; Regungslos steh ich da, dem Todesschicksal verfallen,

Wenn mich ein Fluß verfolgte, erbebte ich nie vordem Wasser. Wäre doch dies auch hier solch rauschend Gewässer, dann könnt ich Rudernd mit beiden Händen die schwarzen Gluten zerteilen.«

Sprachs, und es strömten die Güsse ihr in die geöffneten

Lippen,

Und sie starb gar bald in unbestattetem Tode.

245

524

Vierunddreißigster Gesang

Aber von süßem Verlangen nach Chalkomedeia gefesselt, 250 Jagte Morrheus die Schar der waffenentblößten Mänaden

In die Hügelstadt und stach mit dem Speere von hinten. Wie ein Hirt in den Winkel der vielumfassenden Hürde

Die zerstreuten Scharen vermischter Schafe zusammen

Treibt und mit dem Krummstab die wolligen Tiere gar eifrig

255 Lenkt, und es pflegen dabei noch viele Hirten zu helfen; Sie umringen die Herde mit festverbundenen Händen,

Drängen sie reihenweis vorwärts, damit nun von der

umschlossnen Herde kein Schwarm sich trennt und sich dann irrend

verlaufe:

Also drängte ins Tor hinein die Scharen der Weiber

260 Morrheus sturmgeschwind und trieb in die ragende Feste Alle Bakchen hinein, die losgerissen vom Kampfplatz. Listig hatte er sich vergeblich gemüht, in dem Streite,

Als er die schönen Weiber getrennt vom Schlachtfeld erbeutet,

Auch Chalkomede unter das Joch der Knechtschaft zu

schleppen

265 Mit den anderen Scharen von Weibern, damit sie ihm immer

Diene unter Tags und nächtens teile sein Lager, Wechselnd zu vollbringen der beiden Göttinnen Werke:

Heimlich die Werke der Kypris und offen den Webstuhl Athenes.

Morrheus säumte nicht, der Speerheld; vorne im Kampfe

270 Überließ er dem König die flüchtigen, weiblichen Feinde

Und bekämpfte stattdessen die männlichen, bakchischen Scharen,

Um auch die Männer umkreisend zu fangen; und in dem Getümmel

Gefangennahme der Bassariden

525

Flohen diese voll Furcht; das wirbelstürmende Mädchen

Stand in vollem Schmuck ganz nah an den Zinnen der Feste Ohne Schleier da. Sie ahmte der liebebesessnen

275

Weiber Wesen nach mit täuschend-künstlichen Winken.

Sie verdrehte die Augen, und außerhalb ihres Brustbands Schien das weiße Kleid durch die Röte des Busens wie

Purpur.

Morrheus schaute es selig, denn unter dem dünnen Ge­ wände Ahnte er zarte Brüste in schwellender Rundung zu sehen.

280

Einen behauenen Stein gleich einem gerundeten Diskos

Raffte die Jungfrau empor, kein Wagen hätt ihn bewältigt, Schleuderte ihn geschickt auf den heimumleuchteten

Morrheus,

Und der Stein durchflog mit scharfem Zischen die Lüfte, Schmetterte auf die Fläche des Schildes, wo golden das

285

Bildnis Der Cheirobie war —ihr Leib war täuschend gefertigt— Und sie traf den Kopf, er fiel zu Boden, die Spitze

Des geschleuderten Steins zerschlug das künstliche Antlitz Und vernichtete so im runden Kreise das Abbild.

Glücklich pries der Inder den Schild und schwenkte ihn

290

aufwärts, Und aus lachendem Herzen entfuhr ihm der heimliche Ausruf:

»Tapfere Chalkomedeia, du junge, rosige Peitho16, Üppiges Glanzbild der Kypris und auch der gerüsteten

Pallas,

Bakchische Morgenröte und niegesunkne Selene, Meines Weibes Gemälde hast du zerschlagen. O hättest

Du doch der wirklichen Gattin Cheirobie Nacken getroffen!«

295

526

Vicrunddreißigster Gesang

Riefs, und vor der Stadt das keusche Mädchen verfolgend, Dräute er wohl mit der Zunge, doch ruhen ließ er die Hände; Worte warf er, doch stach er die Jungfrau nicht mit der Lanze

3oo Und ließ rasten den Speer in sanftverschonenden Händen. Fürchterlich dräuend ließ er schreckliche Rufe erschallen

Wie in wirklichem Groll, der sanfte Streiter; denn beides Hatte er: lachenden Sinn, doch finster drohenden Ausdruck.

Leicht im Schwünge warf er die Lanze so, daß sie fehlging,

305 Zwecklos - absichtsvoll zum Ziel, doch Chalkomedeia Rührte die Füße schnell und floh mit den luftigen Winden. Wie gestreckten Laufes sie so in Eile dahinflog, Wehten ihr die Winde empor die lockigen Flechten Und entblößten den Nacken; er leuchtete hell wie Selene.

3io Aber Morrheus folgte dem Mädchen absichtlich behutsam; Bald auf ihre Füße, die frei von genähten Sandalen,

Spähte er, auf die Knöchel, die rosigen, blickte dann wieder Hinten auf das gewundne Gelock des schwankenden Haares; Und mit schmeichelnder Rede verfolgte er Chalkomedeia

315 Und mit schmelzendem Wort aus nicht mehr schäumendem Munde:

»Harre doch, Chalkomedeia, auf deinen sehnenden Streiter! Deine Pracht beschützt dich und nicht dein Laufen; es treffen Speere nicht so sehr den Mann wie Funken der Liebe.

Fürchte dich nicht, ich bin kein Feind, denn meinen entflammten,

320 Ehernen Speer besiegte ja deine köstliche Schönheit. Keiner Lanze bedarfst du und keines Schildes, du hast ja

Als einen wilden Speer, als Schwert dein leuchtendes Antlitz.

Deine Wangen kämpfen viel besser als jegliche Lanze. Schwand doch meiner Hand gewaltige Stärke, man könnte

325 Mich nicht schelten, daß nun meine stürmische Lanze besiegt ist.

Gefangennahme der Bassariden

527

Wird doch der wilde Ares auch weich beim Nahen der

Kypris. Nimm mich als Gefährten zu deinen Satyrn; im Kampfe Siegen ja die Inder, so lang ich die Hände gerüstet;

Willst du aber, so bin ich dem Dionysos hörig. Willst du, so bezwinge mich mit dem Leib oder Nacken.

330

Leicht ist mir der Tod, von deiner Lanze getroffen,

Weine über mich nur, wenn ich gefallen, mich werden Chalkomedeias Tränen sogar aus dem Hades erlösen. Mädchen, was bebst du, weil ich die sanfte Lanze erhebe?

Wie ich dein Ringelhaar auf deinen Schultern gewahre,

335

Lege ich ab den Helm, entblößten Hauptes zu gehen.

Seit ich das Rehfell erspäht, verschmäh ich den ehernen Panzer.«

Riefs. Da lief sie davon und mischte sich unter die Bakchen; Und entronnen dem Pfad des mörderisch streitenden

Morrheus,

Kämpfte sie kühn und focht inmitten des Männergemetzels.

340

Und der bakchische Haufe ließ ab von des lärmenden Streites Wirbel und atmete auf, weil Morrheus die Wahlstatt

verlassen.

Aber vor der Stadt schlug mit dem Schwerte der König Die Bassariden und trieb sie bis in die Nähe der Zinnen,

Und er drängte alle hinein in der ragenden Mauer

345

Offenes Tor. Sie kamen so durch des Eisens Verfolgung

Bis in das Innre der Stadt, getrennt von der Wälder Gewöhnung.

Unstet gerieten die Scharen auf fremd sich windende Wege, Da und dort geschieden, die einen zum Fittich des Ostwinds,

Andre zum tosenden West am Abendlande der Erde,

350

528

I'ienmddreißigster Gesang

Andere irrten am Saum des Südwinds, andere Frauen

Wurden zum Nordwind gedrängt. Ihr männermutiges Wesen

Tauschten die Mänaden und wurden wieder zu Weibern Und verleugneten so den Kampf und gedachten des Web­

stuhls

355 Und der Wollarbeit und wollten wieder der Pallas Spindel besorgen und nicht die heil’gen Geräte des Bakchos.

Und der schwarze König erschlug die schneeweißen Scharen

Wild im Straßenkampf, der innen die Feste durchtobte.

FÜNFUNDDREI SSIGSTER GESANG

Rasend kämpfte im Streit der ries’ge Deriadeskönig, Und der Herrscher der Inder griff an des Bromios Mägde;

Bald warf er die Lanze, die riesige, bald auch zum Morde Schwang er das feste Schwert und ließ Geschosse wie Hagel Sausen und schnelle Pfeile und flog so schießend vorüber.

s

So bedrängte die Weiber im Mauerkranze der Feste Des Deriades Speer. In vielen Sprachen durchtoste

Beiderseits Lärm die Stadt, und Ströme rötlichen Blutes

Machten purpurfarbig die gutgepflasterten Straßen,

Als in der Stadt die Weiber mit WafTengetöse erlagen.

10

Unbeweglich sahen die Greise herab von den Zinnen

Auf das wilde Gemorde, und von der Höhe der Dächer

Schauten auch die Weiber die thyrsostragende Heerschar. Manche Jungfrau im langen Gewände auf dem Palaste

Lehnte an ihrer Amme und sah auf die weibliche Kampfwut

is

Und beklagte weinend den Tod gleichaltriger Mädchen.

Keiner aber packte und schändete reizende Jungfraun, Denn der Herrscher hatte den geilen Männern befohlen,

Nicht sich zu vereinen mit feindlich erbeuteten Weibern,

Daß sie nicht über der Liebe die Werke des Kampfes vergäßen.

Einer Jungfrau aber, im Staube zuckend am Boden,

Glitt das Kleid zur Seite, daß sich ihr Körper entblößte;

Schönheitgerüstet lag sie und machte, selber verwundet,

20

530

Fi'mfunddreißigster Gesang

Wund den begehrlichen Mörder. So ward ihr Leib ihre

Waffe, 25 Und sie siegte sterbend. Es waren die Schenkel gewappnet

Nackend gegen den Feind wie treffende Schützen der Lieb' Und nun eine Leiche begehrend —so wie Achilleus — Auch eine Penthesileia1 geschreckt am Boden gewahrend,

Hätt er den kalten Mund geküßt des Weibes im Staube, 3o Wenn er nicht so voll Angst vor der Drohung des Königs

gewesen. Und er beschaute den Leib des nackten, verbotenen

Mädchens, Sah auf die weißen Knöchel, den Spalt der gewandlosen

Schenkel Und berührte die Glieder; die schwellenden, rosigen Brüste Starrte er an, die immer noch reifen Äpfeln vergleichbar.

35 Ja, er wollte sich ihr sogar in Liebe vereinen, Und in verspäteter Sehnsucht entfuhr ihm der sinnlose Ausruf:

»Rosenarmige Jungfrau, den glücklos liebenden Mörder Hast du, Wunde, verwundet, den Lebenden zwingst du im Tode.

Deinen Verderber hast du mit deinen Brauen getroffen; 40 Deine Schönheit besiegte den Speer, und deines Gesichtes

Strahlen bedrängen mich, als wären es Spitzen von Speeren. Dir zum Bogen dient dein Busen, denn deine Brüste

Kämpfen besser als Pfeile, sie sind ja Schützen der Liebe.

Eigenartiges Sehnen berührt mich unglaublich: ich trachte, 45 Mich einem toten Mädchen in liebender Hochzeit zu einen.

Ein entseeltes Ding hält mich Beseelten, und dürft ichs

Sagen, so mögen beseelt aufs neue die Lippen dir sprechen, Daß ich, Jungfrau, dein Wort aus süßem Munde vernähme,

Wenn du rufst: ,Die jetzt sich wälzt am Boden, getötet

Straßenkampf und Gemetzel in der Inderstadt

531

Ünd geplündert von dir, Entsetzlicher, schone die Jungfrau,

so

Die dein Erz gemetzelt, berühre nicht meine Gewänder. Was begehrst du den Leib, den du verwundet? betaste

Nicht die Wunde, die du geschlagen.1 - Fahr hin, meine

Lanze, Kühnheit der Hand, fahr hin! sie ließ ja von den Silenen Und ihren greisen Haaren und von der sämtlichen Satyrn

55

Mißgestalteter Rotte und hat an Stelle der Greise, Statt der Brustbehaarten ein zartes Mädchen bewältigt. Aber betast ich die Wunde des Sehnsucht-weckenden Leibes,

Welchen Waldgrat müßt ich auf schönen Wiesen durch­

wandeln, Um, deine Wunde zu heilen, den greisen Lebenserretter

60

Chiron2 zu dir zu bringen ? Wo find ich ein heilendes Mittel, Ein Geheimnis der Kunst des Schmerzenstillers Paieon?3

Was sie Kentaurenkraut benennen, möcht ich besitzen, Auf deine Glieder zu drücken die qualenlindernde Blume, Dich lebendig zu retten aus rückkehrweigerndem Hades.

65

Welchen magischen Sang, welch Lied der Gestirne besaß ich, 66

Daß ich zu singen begänne mit götterbeschwörender Stimme, 68

Um das Blut deiner Wunde am Unterleibe zu stillen?

67

Wäre doch hier in der Nähe ein lebensprudelnder Quellbach, 69 Auf deine Glieder zu sprengen das schmerzenstillende Wasser 70

Und deine liebliche Wunde zu sänftigen, daß ich aufs neue Deine Seele dir wieder zurückgewonnen verschaffe.

Glaukos4, der du wälzest den Wirbel zahlloser Jahre, Darfst du, so verlasse den Schlund des ruhlosen Meeres, Zeig mir das Kraut, das Leben erhält, 0 zeige mir jenes,

Das du einst mit dem Munde gekostet, und ewiges Leben Trägst du unsterblich davon im Kreise unendlicher Zeiten.«

Sprachs und entwich und barg, wie sehr er die Leiche ersehnte.

75

532

Fiinfunddreißigster Gesang

Und den erschlagnen Gemahl zu rächen, enteilte nun seine

so Gattin Protonoe, die noch immer Orontes bestöhnte,

Und sie durchschritt die Schar der Weiber, man glaubte zu sehen

Atalante5 aufs neue, die erythräische Männin. Auch Cheirobie nahm einen Schild und die Lanze des

Morrheus,

Sich auf die Bassariden zu stürzen, als wäre sie Gorgo8, 85 Die dereinst im Ringen um Kalydons ragende Feste

Toxeus’ Schild ergriff, des eigenen Bruders, und kämpfte, Ob sie auch nur ein Weib, als Meleagros so zürnte. Auch Orsiboe kam mit dem tapferen Gatten zusammen,

Ahmte nach die Kühnheit der Kriegerin Deianeira’,

90 So wie diese einst am ungastlichen Parnassos

Gegen die Dryoper focht, zur Amazone geworden. Viele Mädchen wurden umschlossen in weiten Palästen;

Unter den Dächern erklang ein unermeßliches Stöhnen. Streitbar tobte noch eine andere Jungfrau im Kampfe 95 Mitten auf der Straße; es wappneten sich auf den Dächern

Auch noch weitere Weiber und griffen nach Steinen zum Schleudern.

Tobend toste der Kampf der eingekeilten Geschwader.

Während so wildes Gefecht die ganze Feste durchraste

Und Vernichtung brachte den lydischen Bergbassariden, loo Stand inzwischen allein vor der Mauer Chalkomedeia;

Rückwärts wandte sie sich, als ob sie dem Kampfe entwiche, Wartend, ob nicht Morrheus verlangen gestachelt ihr folge. Und da nahte er schon beflügelten Fußes; mit tollen

Blicken verschlang er fast die Jungfrau, wie er sie schaute, los Und die Sehnsucht ließ ihn noch schneller die Kniee bewegen.

Während er sie verfolgte, da lüpfte der Wind ihre Kleider, Und ihn bezauberte nun noch ärger die köstliche Nacktheit,

Straßenkampf und Gemetzel in der Inderstadt

533

Wie ihm stirnbandlos das weiße Mädchen voranlief. Sie aber täuschte ihn und rief mit schämiger Stimme,

Doch in Sorge vor des Morrheus schnelleren Schritten:

110

»Wenn du wirklich mein Lager erstrebst, o freiender Morrheus,

Dann entledige dich des eisernen Panzers, wie Ares Üppiggekleidet tanzt, will er der Kypris sich einen, In ein schneeig Gewand gehüllt wie Phoibos Apollon,

Daß Aphrodite und Pothos8 mit Einem Bande uns beide

115

Fesseln, wenn wir zusammen das Lager der Liebe besteigen, Ares, der wilde, den Morrheus und Kypris die Chalkomedeia.

Auf dem Bette nehme ich keinen ehernen Gatten, Der vom Blut gerötet und noch vom Staube besudelt.

Reinige drum den Leib im Wasser, daß du erscheinest

120

So wie Phaethon einst von Okeanos’Wellen gebadet.

Wirf den Kriegsschild fort, wirf weg die mordende Lanze,

Daß der tödliche Speer nicht meinen Körper verletze.

Leg den schrecklichen Helm von deinen Haaren zu Boden,

Denn ich ängstige mich vor dem Busch des wallenden

125

Roßschweifs;

Schau ich doch nicht gern den Trug eines Eisengesichtes. Kann ich nach dir verlangen, wenn du in Eisen gehüllt bist?

Nicht mehr strebe ich nach Maionien, nicht auf dem Lager

Werde ich, wenn du willst, nach Morrheus auch Bakchos empfangen. Inderin werde auch ich, mein Freund, und werde mit

130

Rauchwerk

Statt der lydischen Kypris die erythräische ehren,

Heimlich dem Morrheus ergeben. Es soll ein indischer Krieger

Mich als seine Geliebte zur Seite haben im Kampfe. Doppelte, gleiche Geschosse entsendet gegen uns beide

Himeros, gegen dich und mich, uns Qual zu bereiten,

135

534

Fünfunddreißigstcr Gesang

Treffend des Morrheus Herz und den Sinn der Chalkomedeia. Mühsam such ich mein Sehnen nach dir zu bergen, es fordert

Doch eine keusche Jungfrau nicht selbst den Buhlen zur

Liebe.«

So beschwatzte das Weib den liebegeschüttelten Krieger ko Trugvoll, und da lachte der sehnsuchtsgepeinigte Morrheus:

»Könnte man es verargen, wenn Morrheus, der Streiter

im Helme, In Chalkomedes Bett behält die eherne Lanze, Erzbehaltend dich, die erzbenannte, zu lieben?

Dennoch sage ich ab dem Schild und der blutigen Lanze. 145 Wie du gefordert, tanze mit blutgereinigten Händen Ich gebadet zu dir, ein anderer Buhle als vordem, Daß ein nackter Ares die nackte Kypris umfange

Nach dem Kampf. Ich entsage Deriades’Tochter: ich selbst will

Aus dem Hause jagen die eifersüchtige Gattin. iso Wenn du befiehlst, bekämpf ich die Bassariden nicht länger, Sondern wende mich gegen befreundete Bürger, vernichte Mit dem Thyrsos die Inder und nicht mit der ehernen Lanze.

Meine eigene Rüstung werf ich beiseite und schwinge Zarte Blüten und streite für deinen König Lyaios.«

iss Also rief der Held und schleuderte weit aus den Händen

Seine Lanze und band den Helm vom schwitzenden Haupte, Streifte vom Arm den Riemen des feuchten Schildes, denn

dieser

War benäßt von den Tropfen der schwerbelasteten Schulter. Auch den ehernen Panzer, den blutbesudelten Harnisch

160 Zog er von der Brust, und Kypris zeigte dem Ares

Göttereingriff im Kampf

535

Dort am Boden all das Rüstzeug des brünstigen Morrheus,

Das dort lag, besiegt von der ungepanzerten Jungfrau,

Und da sagte Kypris, um ihren Buhlen zu reizen:

»Ares, du wurdest entwaffnet, denn Morrheus verleugnet

das Kämpfen Panzerlos und schwertlos: nach einem reizenden Weibe

165

Gierend, warf er fort aus seinen Händen das Rüstzeug.

Sage auch du so ab dem wilden Speere und bade

Schildentblößt im Meere, denn unerfahren des Krieges Kämpft doch Kypris besser als Ares, weder des Schildes,

Noch der Lanze ermangelt sie je, denn ihrer ist beides:

170

Meine Schönheit hab ich zur Lanze, den Körper zum Schwerte.

Meiner Augen Strahlen benutz ich als fliegende Pfeile; Meine Brüste treffen noch besser als Speere, denn Morrheus

Ward aus kühnem Kämpfer zu einem schmachtenden Freier. Eile nicht nach Sparta8, wo kampfbeseligte Bürger

175

Eine gewappnete Kypris in ehernem Bilde verehren, Daß nicht die Speeraphrodite mit deinem Eisen dich schlage.

Du triffst nicht so weit wie meine Brauen, denn Lanzen

Können Männer nicht so wie schießende Augen verwunden. Schau auf deine Diener, die von den Eroten geknechtet.

iso

Beuge den dreisten Nacken der unbesiegbaren Kypris.

Ares, du wurdest besiegt, weil Morrheus die eherne Lanze Ließ und dafür wählt Chalkomedes hochzeitlich Rehfell.«

So sprach kriegverlachend die gerne lächelnde Kypris, Um ihren Freier Ares zu necken. Am Ufer des Meeres

Ließ sein rauhes Gewand der Krieger Morrheus am Strande, Um den Leib zu baden, erhitzt von beseligten Sorgen.

Nackend stand er, dann wusch er sich rein in der Kälte des Meeres,

185

536

Fi'mfunddreißigster Gesang

Wund von dem Pfeil der Göttin, dem süßen, kleinen; im

Wasser 190 Flehte er laut zur erythräischen Kypris der Inder;

Hörte er doch, es sei die Göttin dem Meere entsprossen.

Wieder entstieg er schwarz dem Bade, ihn hatte ja also Die Natur gefärbt, und darum konnte die rote

Salzflut nicht den Leib und die Farbe des Mannes veränden

195 Und so wusch er sich in eitler Hoffnung, denn schneeweiß Wollte seine Brunst vor dem keuschen Mädchen erscheinen. Und er schmückte den Leib mit einem weißen Gewände,

Wie es unter dem Panzer die Krieger zu tragen gewohnt sine

Lautlos und schweigend stand die listige Chalkomedeia

2oo An dem Strande des Meeres; das Mädchen drehte gewendet Ihre züchtigen Blicke hinweg von dem Kleiderentblößten, Schamvoll vor des Mannes entblößtem Leibe; es scheute

Sich das Mädchen als Weib einen Mann im Bade zu schauen.

Als einen einsamen Platz er passend zur Einung erblickte, 205 Streckte er dreist die Hand nach der schämigen Jungfrau und faßte

Keck das keusche Mädchen am unberührbaren Kleide; Und nun hätt er die so von Männerhänden Gepackte Vergewaltigt, das Mädchen des Bakchos, im Feuer der Liebe

Doch eine Schlange sprang empor aus dem Busen der Jungfrau, 2io Um der Unvermählten zu helfen; um ihren Gürtel

Krümmte sie sich und umschloß den Leib mit bewachender Schlingung. Unaufhörlich entfuhr ein scharfes Zischen der Kehle, Und es brüllten die Felsen. Vor Furcht erzitterte Morrheus, Wie aus dem Halse er hörte das falsche Trompeten­

geschmetter

Göttereingriff im. Kampf

537

Und die Behütung sah des unantastbaren Magdtums.

215

Und der geringelte Streiter begann den Krieger zu scheuchen; Kreisend wickelte er den Schwanz um den Nacken des Mannes

Mit dem gierigen Rachen als Lanze; da wurden gar viele

Natternpfeile fliegend und giftentschleudernd verschossen. Etliche sausten der Jungfrau aus ihren gelockerten Flechten, 220

Andere aus der Hüfte, der schlangenbeschützten, die dritten Tobten von ihrem Busen in kriegerisch zischender Kampfwut.

Während Morrheus so stand vor der hochgelegenen Feste, Sich vergeblich mühend, die listige Jungfrau zu freien, Konnte der Bassariden bewaffnete Heerschar inzwischen

225

Fliehen vor der Lanze des unbezwinglichen Königs. Denn vom Himmel sprang der schnellbeflügelte Hermes

Mit einem Angesicht, das gleich einem Abbild des Bakchos,

Und seine mystische Stimme erscholl zu allen Bakchanten. Und die Weiber, vernehmend den Dämonschall des Lyaios,

230

Eilten an Einen Platz; und der Gott mit den schnellen Sandalen

Führte vom dreifachen Weg die ganze Schar der Mänaden Auf gewundenen Pfaden bis in die Nähe der Zinnen,

Und der Reihe nach goss er auf die schlummergemiednen Augen der Wächter Schlaf mit allbezauberndem Stabe,

235

Der verstohlene Hermes, ein nächtiger Kämpfer. Und

plötzlich Dunkelte es für die Inder, doch für die nicht sichtbaren

Bakchen Leuchtete jäh ein Licht. Der ungeflügelte Hermes

Führte durch die Stadt die leise eilenden Weiber Heimlich; mit göttlichen Händen die wuchtigen Riegel der

hohen Tore öffnend, ward er zur Rettungssonne der Bakchen.

240

538

Fimfunddreißigster Gesang

Als der Lichtbringer Hermes das Tagesdunkel vertrieben, Suchte mit zweckloser Drohung der übergewaltige König

Nach den Bassariden, die wandernd die Feste verlassen. 245 Wie wenn jemand nachts in bereichernden Träumen beselig

Sich an Hoffnungen freut, die unerfüllbar, und heftig Diesen kurzen Segen mit üppigen Händen umklammert, Täuschender Hoffnung sich ergebend, so lange er schlummert;

Aber wenn alsdann beim Schein der rosigen Frühe 25o Das Gesicht zerrinnt und die reichen Träume entweichen,

Sieht er sich wach und hält nichts mehr in Händen und

schleudert Ab das Schattenergötzen der sinnberückenden Träume:

Also ging es dem König; als Dunkel die Gassen umhüllte, Freute er sich in dem Wahn, von selber liefe die Beute

255 Der Bassariden ihm zu im Innern der sperrenden Tore,

Aber es war sein Sieg nur wie ein Schatten und zwecklos; Als beim Erglänzen des Lichtes er keine Bakchen mehr schaute,

War ja alles zerronnen gleich einem Traume, und trauernd Schrie er zornig zu Zeus und grollte der Sonne und Bakchos,

260 Suchte die flüchtigen Weiber; da lärmten rings um die Zinnei Die Bassariden ohne ihr Stirnband mit bakchischem Jauchzen

Neue Verfolgung begann Deriades. Doch da erwachte Zeus auf des Kaukasos Gipfel, entrang sich dem Fittich

des Schlafes, Und die trügende List der schändlichen Hera durchschauend. 265 Sah er die flücht’gen Silene und wie den dreifachen Wegen,

Wie den Zinnen in Horden die Schar der Mänaden enteilte. Er bemerkte, wie hinter den Mädchen der indische König Alle Satyrn vertilgte und mordend mähte die Weiber.

Seinen Sohn sah er am Boden liegen, und ringsum

7,eus erwacht

539

Standen Nymphen im Kreis, und er im Wirbel des Staubes

270

Lag mit schwerem Kopf ohnmächtig keuchenden Odems; Weißer Schaum, das Zeichen der Tollwut, entquoll seinem

Munde. Und die mißlungene List der neidischen Hera entlarvend,

Schalt mit stechenden Worten Kronion die tückische Gattin. Und nun hätte er wohl den Hypnos im nebligen Abgrund

275

Zu Iapetos10 dort gesperrt ins Dunkel, doch flehend

Bat die Nacht für ihn, die Herrin der Götter und Menschen11.

Mühsam bezwang Kronion den Grimm und sagte zu Hera:

»Hast du an Semele dich noch nicht gesättigt, du Böse, Sondern grollst du auch noch der Entschwundenen? Hat

280

dir nicht einmal

Jene Hochzeitsflamme den wilden Ingrimm besänftigt, Die das Lager Thyones, von Zeus getroffen, zerstörte?

Sprich, wie lange noch quälst du den indertötenden Bakchos ?

Deine Ambosse12 fürchte aus früheren Zeiten; noch sind sie,

Noch sind sie mir helfend zur Hand, sie dir an die Füße

285

Anzuschnüren. Da mußtest du zwangvoll über der Erde

Haltlos schweben droben im Äther und hoch in den Wolken.

Ares mußte sehn, wie wolkenumwickelt gefesselt Über der Erde du schwebtest, und konnte der Mutter nicht

helfen.

Auch der Feuer-Hephaistos kam nicht zu Hilfe; er kann ja 290 Nicht einen einzigen Funken des feurigen Blitzes ertragen.

Wieder binde ich dir die Hände mit goldenen Fesseln. Schnüren will ich den Ares mit unzerrreißbaren Stricken

293

Auf ein sich drehendes Rad, das mit ihm kreist, wie den

295

Flüchtling

Tantalos13, Luftdurchstreicher, auch wie den verbannten Ixion,

296

540

Fünfunddreißigster Gesani

294 Und ich will ihn geißeln mit nicht zu heilenden Schlägen, 297 Bis mein Sohn die Söhne der Inder im Kampfe besiegte. Drum sei deinem Zeus gefällig, ob du vertreibest

Die erschreckende Tollwut vom schlimmgegeißelten Bakchos.

3oo Deinen zürnenden Gatten laß nicht im Stich, sondern eile Auf die grasigen Höhn am Grat des indischen Waldes. Reiche dem Bakchos die Brust wie früher Rheia, die Mutter11, Daß er das heilige Naß mit seinem vollkommenen Munde Schlürfe, das ihm dereinst den Weg zum Himmel eröffnet.

305 Mache gangbar so den Äther dem irdischen Bakchos.

Salbe mit deiner Milch den Leib des Lyaios und lösche So die häßlichen Flecken der sinnberaubenden Krankheit.

Eine würdige Gabe werd ich dir rüsten, ich werde

Einen Bogen heften hoch an den Himmel, vergleichbar

3io Deinem Naß, genannt die Milch der Hera, auf daß ich

Ehre so den gepriesenen Tau deines rettenden Busens. Achte die Drohung des Zeus, der seinem Sohne gewogen, Und vermeide, aufs neu eine List gegen Bakchos zu schmieden.«

Sprachs, und sandte davon die grollende Lagergenossin

315 Hera und zwang sie so, des Bakchos Krankheit zu heilen, Gnädig und freundlich gesinnt dem sinnbetäubten Lyaios, Daß sie des Bromios Leib mit eigenen Händen bestreiche Mit dem Tau der Milch aus ihrem göttlichen Busen.

Hera befolgte das wohl; sie salbte den Leib des Lyaios 320 Mit dem göttlichen Naß der mühsalheilenden Brüste

Und beseitigte so die Flecken dämonischer Tollwut. Zweifach fühlte sie Neid, obwohl ihn ihr Antlitz verhehlte, Wie den Dionysos sie so schön und so männlich gewahrte,

Und mit neidischen Händen den rasenden Bakchos berührend,

Hera heilt Bakchos durch ihre Milch

541

Tat für seinen Mund sie rings die Kleider beiseite

325

Und entblößte ihre ambrosiastrotzenden Brüste;

Pressend ließ die Flut sie eifersüchtig entströmen, Und sie weckte ihn wieder zum Leben und musterte lange Die so große Frische des lockengeschmückten Lyaios,

Ob wohl solche Gestalt einem irdischen Leibe entsprossen,

330

Ob der beschildete Ares so groß war, ob Hermes so groß war

Oder Phaethon oder der stimmensüße Apollon,

Und da wünschte sie ihn im Äther als Freier der Hebe, Hätte nicht später gemäß dem Schicksal der waltende Vater Herakles ihr bestimmt, den zwölfmal siegreichen Helden.

335

Als sie so geheilt des Bakchos bedrängende Tollwut, Stieg sie leuchtend wieder empor zum Reigen der Sterne, Um nicht anzusehn,wie Dionysos’eisenentblößtes

Heer nur mit dem Narthex und mit den Ranken der Reben Focht und die indischen Krieger dem schwachen Thyrsos

340

erlagen.

Nicht enthielt sich länger der Sohn Kronions des Streites,

Kehrte zurück und bewehrte die Krieger und trieb sie mit Jauchzen, Schneidenden Efeu in gigantenmordenden Händen:

»Fechtet aufs neue kühn, denn wieder im Männergemetzel Kämpft an unserer Spitze Kronion, gnädig dem Sohne

345

Bakchos; vom Himmel naht die Schar der Unsterblichen,

haltend

Über Lyaios den Schild, und Hera grollt uns nicht länger.

Wer kann gegen den Blitz Kronions kämpfen ? wann halten

Feige Feinde stand, wenn Wetterstrahlen sie treffen? Meinem Erzeuger will ich gleichen, denn in den Kämpfen

Hat mein Zeus besiegt die erdgebornen Titanen. So besiege auch ich die bodengeborenen Inder.

350

Fünfunddreißigster Gesang

542

Heute noch sollt ihr schaun nach rankentragendem Siege, Wie Deriades fleht mit zagem Gehorchen, und wie die 355 Schar der Inder beugt den Nacken dem freudigen Bakchos,

Und wie der Fluß sich wandelt zu Wein, des Euios Wasser. Sehen sollt ihr die Feinde, wie sie im Becher des Bakchos

Gelbes Wasser trinken vom weinverwandelten FlusseI6,

Und wie des Weingotts Efeu den kühnen Fürsten der Inder

360 Fesselt und ihn umklammert mit seinen Blättern und Ranken, Wie er Banden trägt gleich denen, die taumelbegeistert

Nysas18 fromme Nymphen mit lautem Lobe verkünden,

Zeuginnen meiner Gewalt und Stärke, weil mit des Efeus Drosselnder Fessel auch meine mutige Lese Arabiens

365 Gottbekämpfenden Mann umschnürte und ihn erschreckte, Als Lykurgos erlag der Macht der Rebenverknotung. Drum nach mancherlei Wechsel des langandauernden Kampfes Raubt die Beute der Feinde und nehmt die glitzernden

Steine, Den Besitz des Meeres. Zu meiner Mutter, der Rheia,

370 Schafft die Weiber, geschleift an ihren lockigen Flechten. Rächt die gefallenen Helden, um die ich in grämender Sorge Meinen Sinn zerquäle und beides fühle im Herzen:

Trauer und Zorn zugleich, weil ich Deriades lebend Sehe, doch unbestattet liegt noch mein toter Opheltes ”,

375 Tadelnd noch im Tode die lässige Hand des Lyaios. Nicht mehr rüstet sich Kodone18, nicht mehr die arme Lanzenschwingerin Alkimacheia, ward doch bewältigt Auch Aibialos18, und noch immer hemm ich den Thyrsos.

Schäm ich mich nach dem Kampf doch vor Arestor2", er könne

380 Hören, es habe dem toten Opheltes ein Helfer gemangelt. Nicht durchqueren kann ich des korybantischen Kretas

Rückkehr des Bakchos zur Schlacht

543

Feste, daß nicht Agelaos den Tod des Sohnes bejammre,

Hört er, daß Antheus21 erlag und noch keine Sühne gefunden. Scheu ich mich doch vor Minos, denn immer noch in der Hütte

Leidet Asterios22 wund, den ich doch starker als alle

385

Schützen müßte, er stammt ja von Europa, doch werd ich

Ihn erretten und frisch den mir Versippten dem Vater Bringen nach dem Kampf, damit nicht Kadmos vernehme, Held Asterios habe vermißt den flüchtigen Bakchos.

Streitet drum wieder! ich will euch helfen allen in Einem, Wenn ich den Einen nur töte, der gar so viele gemordet.«

390

SECHSUNDDREISSIGSTER GESANG

Also sprach der Gott und entflammte die freudigen Führer, Während Deriades drüben die eigenen Kämpfer bewehrte,

Und es stellten sich auch zu beiden Heeren die Götter, Die Bewohner des Himmels, gesondert als Lenker der Kampfwut,

5 Des Deriades Helfer die einen, die andern des Bakchos. Zeus, der hohe Lenker und Herr der Götter, auf Kerne1

Hielt geneigt die Schalen derWaage des Krieges; vom

Himmel Rief der Wassergott, der blaugelockte, den Glutgott2

Helios; Ares rief Athene, Hephaistos Hydaspes.

io Gegen Hera stellte sich Artemis, Göttin der Berge; Mit seinem Stabe nahte sich Hermes zum Streit gegen Leto.

Doppelt brauste der Schwall des Götterkampfes auf beiden

Seiten der Seligen laut; sie stürmten alle ins Treffen. Sieben Plethren3 groß focht Ares gegen Athene4,

15 Wild den Speer entsendend; die unverwundbare Göttin

Traf er gerad in die Mitte der Aigis, wo tödlichen Blickes Das Gorgonenhaupt von Schlangenhaaren umflattert.

Dort verwundete er den zottigen Schild der Athene;

Luftdurchzischend ritzte des unverbiegbaren, spitzen

20 Speeres Schärfe das Flechtgebild der falschen Medusa.

Ihrerseits bestürmte die kampferregende Pallas, Die ohne Mutter Erzeugte, mit ihrer Lanze den Ares, Die mit ihr geboren, mit der sie zur selbigen Stunde

Göttereingriff im Kampf

545

Aus dem gebärenden Haupte des eigenen Vaters empor­

sprang. Und getroffen brach ins Knie der riesige Ares,

25

Aber Athene erhob den Taumelnden wieder und schenkte

Nach dem Streite heil ihn seiner Mutter, der Hera.

Gegen Hera stritt mit dem bergbewohnenden Bakchos5 Artemis, Göttin der Berge, dem Gott zur Seite. Sie krümmte

Zielgerichtet den Bogen; wetteifernd packte im Kampfe

30

Hera eine Wolke des Zeus, mit der sie die Schultern

Wie mit festem Schild umhüllte, und Artemis sandte Einen Pfeil nach dem andern durch nebeldunstige Wölbung;

So zu zwecklosem Ziel verschoß sie die Pfeile des Köchers Und überdeckte mit Pfeilen die unverletzbare Wolke.

35

Diese durchirrten rings die Luft, den Kranichen ähnlich,

Wenn sie fliegen in Form eines Kranzes in wechselndem

Bogen. In die schattige Wolke geheftet staken die Pfeile,

Blutlose Wunden ertrug die unverletzliche Hülle. Und ein Felsengeschoß, ein windbeflügeltes, hob nun

40

Hera und ließ dann wirbelnd den festen Rücken des Hagels

Wider Artemis sausen und traf sie mit stürzendem Schüsse; Und der Block zerbrach die krummen Kurven des Bogens.

Aber noch rastete nicht des Zeus Gemahlin, denn mitten Traf sie die Spitze der Brust der Artemis; diese, verwundet

4s

Von dem Reifspeer, ließ den Köcher zu Boden entgleiten,

Und da lachte die Gattin des Zeus und sprach zu der Göttin:

»Artemis, schieße nur Wild! was stellst du dich Großem

entgegen ?

Steige auf schroffe Berge! Was soll das Getümmel dir? trage Zahme Stiefel zur Jagd und laß die Schienen der Pallas.

Spann deine listigen Netze, denn deine reißenden Hunde

50

546

Sechsunddreißigster Gesang

Fangen die Beute, das können nicht deine gefiederten Pfeile.

Deine Hand regiert kein löwentötendes Schießwerk. Schwacher Mühe Lohn sind dir nur wehrlose Hasen.

55 Kümmre dich um die Hirsche, die schöngeweihten, am Wagen, Kümmre dich um deine Hirsche! Was willst du den Sohn

des Kronion Feiern, den Treiber der Pardel und Lenker mähniger

Löwen ?

Willst du aber, behalte den Bogen, auch Eros hat einen. Wehenlindernde Jungfrau, du ehescheue, der Liebe 60 Gürtel, der Port der Eroten, gebührt dir, Entbindung zu

fördern, Mit Aphrodite und Eros, denn du regierst das Gebären.

Darum, Lenkerin du geburtenreifer Vermehrung,

Eile jetzt zum Lager der kindergebärenden Weiber Und mit entbindendem Pfeil beschieße lieber die Frauen. 65 Sei wie der Löwe nah bei seiner gebärenden Löwin",

Sei eine Wehemutter statt kampfbeseligt, doch nenne

Dich nicht länger keusch mit deinem Gürtel der Keuschheit, Weil der waltende Zeus, in deine Glieder gekleidet, Keusche Jungfraun freit; es raunen Arkadiens Wälder

70 Heute immer noch von deinem buhlenden Abbild,

Das die keusche Kallisto7 verführte; noch immer bestöhnen

Rings die Höhen deine vernünftige Bärin als Zeugin.

Klagt sie doch über die falsche und brünstige Göttin der Pfeile, Daß ein weiblicher Buhle das Bett eines Weibes bestiegen. 75 Drum entledige dich des zwecklosen Köchers und meide,

Mit der stärkeren Hera fortan zu streiten, und willst du, Kämpf als Entbinderin doch mit der eheschmiedenden

Kypris.«

Göttercingriff im Kampf

547

Hera sprachs und schritt an der matten Göttin vorüber. Phoibos Apollon holte die Angstbetäubte vom Schlachtfeld;

Rasch umfaßte er sie mit beiden, tragenden Armen,

so

Brachte und stellte die Schwester dann wieder in einsame Wildnis; Eilig kehrte er drauf zurück zum Kampfe der Götter.

Und da trat der feurige Held dem Kämpfer des Meeres8 Streitend entgegen, Apollon bekämpfte Poseidon, er legte

Einen Pfeil auf die Sehne und hob der delphischen Fackel

85

Feurigen Brand geschickt mit beiden Händen, zu rüsten

Feuer wider die Wellen, den Bogen wider den Dreizack.

Und die feurige Lanze und auch die wässrigen Pfeile Trafen aufeinander, und während sich Phoibos bewehrte,

Ließ sein Heimatäther ein Donnergetöse als Kriegslied

90

Laut erdröhnen, doch auch die Sturmdrommete des Meeres Jagte ihren Schall in die Ohren Phoibos Apollons. Breit umbartet blies in seine Muschel ein Triton,

Halb nur ein Mensch, doch abseits der Hüften ein grün­ licher Fischleib.

Nereiden jauchzten, und brüllend erhob aus den Wogen

95

Sich der arabische Nereus8 beim Kampf des geschwungenen Dreizacks.

Aus der Höhe den Ruf des himmlischen Heeres

vernehmend10, Schrie der Zeus in der Tiefe, daß nicht der Erschüttrer der Erde

Die von den stürmischen Wellen gepeitschte Erde, des Weltalls

Fügung, mit dem Dreizack aus ihren Angeln erhebe, Daß er nicht rüttle die Feste der unterirdischen Tiefe, Daß er nicht sichtbar mache den blickverbotenen Abgrund,

100

548

I

Sechsunddreißigster Gesang

Daß er nicht den Gang zum Hause des Hades zerbreche, In des Tartaros Höhle nicht schütte das steigende Wasser

ros Und nicht überschwemme die modrige Pforte da unten.

Solch Getöse erhob sich beim Prall der streitenden Götter.

Unterirdisch erschollen Drommeten, doch schmeichelnd versuchte Hermes beide Teile mit seinem Stabe zu trennen,

Und gemeinsam sprach er zu dreien11 der ewigen Götter:

lio »Bruder des Zeus und sein Sohn! du, Bogenmeister, belasse

Brand und Bogen den Winden, und du die Spitze des Dreizacks,

Daß die Titanen nicht über die Schlacht der Seligen lachen,

Daß nach dem Kampfe mit Kronos, der unseren Himmel

bedrohte, Nicht wieder innerer Krieg sich unter den Göttern erhebe,

115 Daß ich nicht noch einen Strauß nach der Schlacht mit Iapetos12 sehe,

Daß nicht nach Zagreus auch wegen des späteren Bakchos

Grollend Zeus mit Feuer die ganze Erde verbrenne Und aufs neue die Wölbung des ewigen Weltalls beschwemme

Und mit Regen fülle den flutenden Äther. Ich mag nicht 120 Sehen von Wellen benetzt in den Lüften den Wagen Selenes.

Möge nicht wieder Vereisung das Feuer des Helios dämpfen. Weiche du, Apollon, dem altern Gebieter des Meeres,

Deinem Vatersbruder erkenntlich; ehrt doch der Wogen

Erderschütternder Herr dein meerumbrandetes Delos. 125 Höre nicht auf, die Palme13 zu lieben, des Ölbaums zu denken.

Welcher Kekrops14, Poseidon, ist hier entscheidender Richter? Welcher Inachos15 wies denn hier seine Feste der Hera, Weil du auch gegen Apollon dich wappnest wie gegen Athene

Und nach der früheren Fehde nun wieder haderst mit Hera?

Bakchos kämpft mit Deriades

549

Du Gehörnter auch, des mächt’gen Deriades Vater,

130

Hüte nach Bakchos’ Fackel dich vor der Glut des Hephaistos, Daß er dich nicht senge mit feuerspitzigem Blitze.«

Riefs und beendete so den Bruderkrieg zwischen den Göttern. Da erneuerte wütend die Schlacht der bittererzürnte König Deriades, wie er noch heil die Bakchen gewahrte.

135

Wie er Dionysos sah gesundet mitten im Kampfe,

Stachelte er zur Schlacht die angstergriffenen Führer. Drohungen stieß er aus gemeinsam für Fußvolk und Reiter, Donnernde Worte rief er aus tiefer, barbarischer Kehle:

»Heute zerr ich entweder an seinen Flechten den Bakchos,

140

Oder sein Angriff wird den Stamm der Inder vernichten.

Ihr sollt euch der Satyrn erwehren und sie bezwingen, Aber Deriades rüstet sich ganz allein gegen Bakchos.

All die edlen Reben und bunten Geräte des Gottes

Zündet mir an und auch die Zelte. Die Schar der Mänaden

145

Bringt als Dienerinnen dem stolzen Deriadeskönig

Und vernichtet durch Feuer die Thyrsosstäbe der Feinde.

Mäht mit malmendem Eisen mir ab die rindergehörnten Köpfe der Silene und auch der zahlreichen Satyrn.

Alle Gebäude bekränzt mit rinderhörnigen Schädeln.

150

Phaethon lenke nicht die feurigen Pferde gen Westen, Eh ich die Satyrn nicht beseitigt und Bakchos umfesselt

Unzerreißbar und ihn mit meiner Lanze durchlöchert, Daß sein Leibrock ihm die Brust in Fetzen umhülle,

Wenn er weggeworfen den Thyrsos. Das rebenumlaubte

155

Haar der Weiber versengt mit meinem Brande zu Asche.

Zeigt euch tapfer und kühn, und nach dem indischen Kriege Sollt ihr den rühmlichen Sieg des Deriadeskönigs besingen,

Daß auch in späteren Zeiten die Männer schaudern, zu streiten

Gegen die erdgebornen und unbesiegbaren Inder.«

160

550

Sechsimddreißigster Gesang

Riefs und wandte sich bald zu diesem und jenem der Kämpfer, Stachelte an die Lenker der Elefanten, die lange Leben, er stellte auf Geleiter des Fußvolks in Haufen,

Turmgeschlossen zu kämpfen. Wetteifernd drüben im Treffei 165 Feuerte thyrsosrasend Dionysos Bestien der Wildnis An zum Kampf, und diese den Bergen entwachsenen Streite

Wurden unter Gebrüll durch dämonische Geißel begeistert. Manche Bestie stand voll Zorn mit klaffendem Maule, Schlangen spieen Gift aus ihren reißenden Zähnen ho Und entsandten weit in die Luft den spritzenden Geifer,

Aufgesperrt den Schlund, aus dem ein Zischen ertönte; Schräg hinauf im Sprung und fliegend gegen die Feinde,

Fanden die Natternpfeile von selbst den natürlichen Zielpunkt

Querumwunden wurden die Leiber der Inder umgürtet;

175 Gleich einem Strick umschnürten die Schlangen die Füße der Leute, Die entfliehen wollten. Die streitbeseligten Weiber Suchten gleich Phidaleia1“, der Schlangenschützin, zu

kämpfen,

Die einst, voll Verlangen nach weiblichem Schlachten­ getümmel,

Durch ihre Natternbüschel die Widersacher besiegte, iso Schleudernd aus ihrem Maul den Wurf, den schatten­ gedehnten,

Spie eine Schlange ihr Gift dem Inderkönig entgegen, Und die tödlichen Tropfen benetzten den stählernen Harnisch. Und ein Toter lag da, von lebendiger Lanze getroffen,

Das beseelte Geschoß im Busen. Es schnellte ein Pardel,. 185 Der in gewaltigem Sprunge sich hoch in die Lüfte geworfen,

Sich auf den wölbigen Nacken steilragender Kriegselefanten. Immer wieder setzte er sich auf den Kopf des Kolosses

Und verzögerte so den Lauf der riesigen Tiere.

Gegenseitiges Gemetzel

551

Eine gewaltige Schar sank nieder, sobald sie aus tiefen Kehlen das grause Gebrüll der wilden Löwen vernommen. 190 Mancher wurde besiegt, der bebend das Brüllen des Stieres Hörte und sah, wie die Spitze des schauerlich scharfen Gehörnes Schräg die Luft durchstieß; wie rasend stürmte ein andrer Flüchtig davon, voll Angst vor klaffenden Kiefern des Bären. Und zusammen mit dem Klaffen der Bestien blaffte 195 Ein Hund nach dem andern des unbesiegbaren Pan-Gotts, Und es scheuten den Kampf mit den Bellern die dunklen Inder.

Beide Teile begannen sich gegenseitig zu metzeln, Durstig wogte die Erde, die trockne, vom wallenden Blute Hüben und drüben Erschlagner; es staute sich Lethes 200 Gewässer Durch die gewaltige Menge so vieler bezwungener Toten. Hades schob die Riegel des grausigen Dunkels beiseite, Um die breiten Tore des weiten Palastes zu öffnen Für die beiderseits Gesunknen, und wie sie zum Abgrund Sausten, da dröhnten die Ufer des Charon ein Tartarosbrüllen. 205 Tosend wuchs der Tumult. Die Wunden der tödlich getroffnen Gegner waren verschieden: es glitt der eine von ihnen Nieder von seinem Roß, an seiner Kehle getroffen, Wieder ein andrer verletzt am wölbigen Brustkorb; ein dritter Sank vom Wagen herab, am Unterleibe durchstochen. 210 Einen traf oben am Nabel des Pfeiles Spitze; verwundet Wälzte er sich und ward vom nahen Tode umfangen. Einen traf der Schlag aufs Haupt, auf die Schulter den andern; Flüchtig fiel ein andrer, durchbohrt vom Speere am Rückgrat,

552

Sechsunddreißigster Gesang

215 Kämpfend zu Fuß, nachdem er den wunden Renner verlassen. Bartlos fiel ein andrer, sein junges Leben beweinend; Einer, dem der Pfeil die Leber tödlich zerrissen, Sank vom Elefanten kopfüber nieder zu Boden, Und ihm glitt das Haupt zur Seite; mit wirbelnden Händen 220 Krallte er jammernd die Finger in blutbesudelte Erde. Quer entgegen stellte sich einem Reiter ein Krieger, Seinen hohlen Schild gefüllt mit lockerem Staube, Fest auf den Boden gestemmt, den Ansturm des Feindes erwartend. Dann aber streckte er vor mit dreistem Arme den Trugschild 225 Und besprengte ganz mit Sand die Augen des Rosses. Wild und tobend warf das Roß den Kopf in die Höhe, Suchte aus seinen Mähnen den Staub zu schütteln, und speiend Stieß es heraus die Bogen des steingezierten Gezäumes. Von dem Reiben bedeckte ein Schaum die Zähne der Kiefern. 230 Bäumend taumelte es mit aufgerichtetem Halse, Schüttelte ihn und stand wie toll und zaumlos auf beiden Hinterfüßen da, und mit den Hufen die Erde Wirbelnd, schleuderte es ins Feld den gleitenden Reiter. Schnell aber stürzte sich auf den sinkenden Krieger der wilde 235 Gegner mit nacktem Schwert, und während am Boden der schwarze Inder noch lag, durchschnitt er ihm mit dem Schwerte die Kehle.

Scheu und irrend versuchte ein anderes Roß zu entweichen, Alá es den Peitschenknall eines nahenden Lenkers vernommen; Seinen sterbenden Treiber, den armen, trat es zu Boden. 240 Frischgemetzelt lag der Inder noch zuckend im Staube.

Gegenseitiges Gemetzel

553

Und der große Kolletes1’, der schwerzubekämpfende Riese, -Maß er doch neun Ellen und war dem Alkyoneus18 ähnlich Wütete gegen Bakchos. Inmitten des Männergemetzels Wollte er nach dem Treffen die Bassariden gewaltsam Schleifen zum Hochzeitslager und ohne Gaben zu spenden; 245 Aber eitel war des Kämpfers Hoffnung: so glich er Otos18, dem frechen, der einst dem trittverbotenen Äther Nahte aus Gier nach dem Lager der keuschen Göttin der Pfeile, Ähnlich auch jenem, der Pallas, die reine, zum Weibe begehrte, Dem Ephialtes, der hoch wie die Wolken den Himmel be- 250 schleudert. Denen glich Kolletes, der ätherragende Riese Aus der irdischen Sippe von götterbekämpfenden Ahnen, Des ursprünglichen Indos88; er hätte Ares, den wilden, Fesseln können wie einst die Söhne Iphimedeias. Dennoch aber erschlug ihn ein Weib mit malmendem 255 Felsblock, Charopeia21, die Frau, die führte den bakchischen Reigen. Als ein andrer das stolze und kühne Mädchen gewahrte, Rief er voller Groll und doch bewundernd und furchtsam: »Ares, Ares, o laß den Bogen, den Schild und die Lanze! Ares, du wurdest entwaffnet; verlaß den Kaukasos. Bakchos 260 Schickt eine andere Art Amazonen ins Männergemetzel: Ohne Schild verjagen sie erzgerüstete Männer. Seine Weiber brachte er nicht von deinem Thermodon22. Bah ich doch ein Bild unglaublich seltsam:"denn schildlos Kämpfen ohne Speer die Amazonen des Bakchos. 265 Nicht so heldisch streiten des Kaukasos panzerbewehrte Weiber; die Bakchen aber aus zweigeliebenden Händen

554

Sechsunddreißigster Gesang

Schleudern belaubte Äste und ohne ein Eisen zu brauchen. Dreimal wehe über den rasenden König: es spalten 270 Weiber mit bloßen Nägeln die festen, ehernen Panzer.« So rief einer, bestaunend das rauhe Geschoß, wie es packte Eine Bakchantin und solch einen ragenden Helden zermalmte.

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Eilig stürzte der König sich wider die rasenden Bakchen Hinter Charope her, der steinbewaffneten, aber Diese entrann und kämpfte gar kühn auf Dionysos’ Seite, In der Euiosschlacht den blumigen Thyrsos entsendend. Den Orithallos22 schlug mit dem Eisen Deriades nieder, Den Kuretengenossen, den Bürger abantischen Landes. Und der Fürst der Abanten, Melisseus, aus Zorn um des Freundes Sinken, warf der Karminer Beherrscher, den Kyllaros“, nieder Und zerschlug ihm den Nacken mit einem gewaltigen Schwerthieb. Auch den Logasides25 traf er, der einzig als tüchtiger Kämpfer Mehr dem Deriades galt als die indischen Schwinger der Speere, Und nächst Morrheus schätzte ihn Indiens König, und öfters Saß bei Orsiboe er mit dem Herrscher an nämlicher Tafel, Hausgenosse der Töchter des Königs, denn sämtliche Jugend Übertraf er zugleich durch beides: durch Lanze und Klugheit. Mancher Krieger stritt mit manchem Krieger; es kämpfte Gegen Peuketios26 wild Halimedes, der riesige, rasche. Phlogios kämpfte mit Maron und Leneus focht gegen Thureus.

Vater Kronion neigte die Waageschalen des Krieges, Und Dionysos warf sich wider den wuchtigen König,

Bakchos kämpft mit Deriades

555

Kreuzend mit der Lanze den Thyrsos; und er verhüllte Wechselnd seine Gestalt vor dem lanzenwerfenden Gegner, Mannigfach verwandelt, verborgen in bunten Gebilden. Bald erschien er gerüstet als stürmische, rasende Flamme; Flackernd flirrte ihr Glanz in wechselnd qualmigen Rauche, Dann aber strömte er wild in Wogen als täuschendes Wasser Feucht und entsandte die Nässe der Pfeile, dann aber wieder Ward er völlig an Haupt gleich einem Löwen gebildet; Steil nach oben warf er den Kopf, und grausiges Brüllen Strömte ihm dabei aus mähnenhaariger Kehle, Gleich dem Donnerton des eigenen, krachenden Vaters. Dann aber barg er sich wieder in der Gestalt einer Traube; Ganz verwandelt erschien er, und gleich einer Pflanze der Erde Schoß er von selbst empor und ragte bis hoch an den Äther Wie eine Fichte, wie eine Platane. Die Haare des Hauptes Ahmten Blätter nach und waren wie unechtes Baumhaar; Und es wurde sein Leib zu mächtigem Stamme, zu Ästen Machte er seine Hände und schuf zur Rinde die Kleidung, Eingewurzelt die Füße, und hindernd des kämpfenden Königs Hörner, umsäuselte er mit diesem Laube sein Antlitz. Dann aber ließ er die Glieder zu fleckigem Bilde verwandeln, Und im Sprunge schoß er empor als schnellender Pardel, Sprang dann auf den Nacken der Elefantenkolosse Leichtbeschwingt, und der Elefant, den Wagen zerschmetternd, Schleuderte ins Gefild den gottbekämpfenden Lenker, Rüttelte wild das Joch, und die bogigen Zäume zerbrachen. Aber auch sinkend kämpfte der mächtige Held mit des f Bakchos Truggebild und verletzte mit seiner Lanze den Pardel. ^Wieder wandelte sich der Gott, und heiß in die Lüfte

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Sechsunddreißigster Gesang

Tauchte er auf und drehte sich schweifend in feurigem Kreise Windbewegt als ein flammend Geschoß, und so überquerte Er die zottige Brust des indischen Königs im Kreise, 325 Und von den springenden Funken des hochaufqualmenden Rauches Ward an den silbernen Flanken geschwärzt der arabische Harnisch, Funkenübersprüht. Des feuergetroffenen Trägers Halbverbrannter Helm ward heiß auf dem kochenden Haupte. Statt des gräßlichen Löwen erschien ein tobender Eber, 330 Riesig öffnete er den Schlund des borstigen Maules, Näherte sich mit dem Nacken dem Bauch des indischen Königs. Auf die Hinterfüße sich hebend, versuchte das Untier, Mitten in die Hüfte die spitzen Hauer zu stoßen. Und Deriades rang mit dem unempfindlichen Trugbild, 335 Eitle Hoffnung im Herzen: mit nichtsberührenden Händen Wollte er immer ergreifen den unerreichbaren Schatten. Und dem Löwenbild die Stirn mit der Lanze durchbohrend, Schrie er dräuend entgegen dem vielgestaltigen Bakchos: »Warum versteckst du dich, Bakchos? was soll der Trug statt des Kämpfens ? 340 Wandelst du ängstlich den Leib aus Furcht vor Deriades’ Stärke ? Nicht bedrängt mich der Panther des kampfentflohenen Bakchos; Auf den Bären schieß ich und schneide den Baum mit dem Schwerte; Ganz zerreißen will ich die Flanke des täuschenden Löwen. Aber gegen dich send ich die waffenlos weisen Brahmanen27. 345 Nackend sind sie, doch haben sie oft mit Zaubergesängen Gottanrufend vom Himmel Selene niedergezwungen,

Bakchos kämpft mit Deriades

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Als sie die Lüfte durchkreiste gleich ungebändigtem Stiere. Oft auch haben sie ja auf seinem Laufe den schnellen Wagen des Phaethon, des wilden Lenkers, verzögert.«

Sprachs, und spähend auf Dionysos’ wechselndes Trugbild, Blieb er ungläubigen Sinns: mit unbesänftigtem Willen Seine Zauberkünste am Gotte Bakchos versuchend, Hoffte er Zeus’ Sohn durch mystische Kunst zu besiegen.

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Und da lief der König zu seinem Wagen in Eile, Und als der Gott gewahrte den törichten Götterbekämpfer, 355 Ließ einen Weinstock er als Helfer sprießen im Kampfe; Und ein gottgelenktes Gezweig der traubenbeladnen Rebe kroch allmählich am silberrädrigen Wagen Des Deriades hoch und umschlang ihn mit dräuenden Ranken. Ringsherum war so der König umfesselt, und frische, 360 Schwankende Trauben hingen zugleich entstanden herunter, Leicht am geschüttelten Spross bewegt, und des rasenden Königs Antlitz beschatteten sie und umwanden fesselnd ihn völlig, Und der köstliche Duft der Pflanze berauschte den Herrscher. Eine Schlinge, die nicht aus Eisen, umschloss ihm die Füße, 365 Ließ auch verwurzeln die Beine des Elefantengespannes, 366 ----- (mit Gewinden umfesselt)------------------ 28 366a Von unzerreißbarem Efeu: es würde kein Lastschiff des Meeres So gebannt auf See von den scharfen Zähnen im Maule Jenes Fisches, den man den Hemmer der Schiffe29 geheißen. So war die Fessel auch hier; vergebens suchte der Lenker 370 Mit der klatschenden Geißel die Elefanten zu treiben Und ihre sträubenden Rücken mit scharfem Stachel zu ritzen. So besiegte im Kampf die Ranke den indischen Herrscher,

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Sechsunddreißigster Gesang

Der unzähligen Lanzen nicht wich. Es wurde die Kehle 375 Des Deriades fest vom Sproß der Rebe umsponnen Und umdrosselt vom Druck der ringsumschlingenden Klammer. Trotz aller Mühe konnte er sich nicht regen; da fing er Leise, doch rasend an aus frommem Munde zu klagen; Lautlos winkend vergoss er gnadeflehende Tränen, 380 Stumm die Hand gestreckt; sein Schweigen bezeugte doch schreiend, Wie entsetzlich er litt; die Träne ward ihm zur Stimme. Gott Dionysos aber zerteilte die Schlinge der Lese, Zog von Deriades’ Fuß die traubenschwellende Fessel Und die Umkränzung der Rebe, er löste des Efeus Geringei 385 Von dem gefesselten Nacken des Elefantengespannes. Aber entronnen den Banden der langgeschossenen Ranken, Diesem bedrohlichen Zwang, der ihn von selber umgarnte, Hörte Deriades doch nicht auf, überheblich zu drohen, Sondern bekämpfte aufs neu den Gott und hatte sich zweifach 390 Vorgenommen: Lyaios zu fangen oder zu knechten. Aber die Finsternis kam und hinderte beide am Kampfe; Neuer Streit begann am Morgen, und die von den Lagern Sich Erhebenden sandte zur Schlacht die erwachende Eos. Noch war das Ende des Kampfes dem ungeduldigen Bakchos 395 Nicht beschieden, es mußten erst viele Jahre verrinnen Unter vergeblichem Drohen der Kriegsdrommeten des Ares.

In dem langen Verlauf der kampferregenden Jahre Tobte der bakchische Krieg noch stärker zu später Vollendung. Aber nicht vergaßen des kriegsentflammten Lyaios wo Anbefohlenes Wort und warfen es nicht in die Winde Die Rhadamanen80 aus Kreta, die gleichgesinnten; sie schufen

Seeschlacht ■ Waffenstillstand

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Dem Dionysos Schiffe, und sie durchstreiften die Wildnis, Hier der eine und da der andre: der rundete Pflöcke, Der war beschäftigt, den Kiel in der Mitte zu biegen, ein andrer Fertigte über der Reihe der Ständer die Rippen81 und fügte 405 Seitlich die Wände des Schiffes, er ordnete fest aneinander Langgestreckte Bohlen, und in der Tiefe des Schachtes Richtete in der Mitte den Mast der arabische Zimmrer, Um daran das Segel zu hissen; doch hoch an der Spitze Rundeten die Meister des handgeschickten Hephaistos 410 Und der Pallas Athene zwei hölzern gebogene Hörner.

So bemühten sich diese; mit unnachahmlichen Künsten Schufen sie Bakchos Schiffe. Denn über das Kämpfen erbittert, Dachte Bakchos, daß Rheia ihm einst geweissagt: des Krieges Ende werde erst dann erscheinen, wenn die Bakchanten 415 Mit dem Volke der Inder in einer Seeschlacht sich mäßen. Lykos82 zog heran durch die Oberfläche der Fluten; Untertänig dem strengen Befehl des Gottes Lyaios, Lenkte er unbenetzt den wandernden Wagen des Meeres, Als die Rhadamanen, die meerdurchschweifenden Wandrer, 420 Schiffe geschickt gefertigt dem seedurchfahrenden Bakchos. Und mit dem kreisenden Wechsel der vierfachen Zeiten des ; Jahres Trieb schon Aion den Wagen des sechsten Jahres in Um­ lauf------ 83 Und zur Versammlung rief das Volk der schwärzlichen Inder Der Deriadeskönig; und um die Mannschaft zu sammeln, 425 Eilte der Herold davon, dem viele Sprachen geläufig. Und da sammelten sich sogleich die Reihen der Inder; Zahlreich setzten sie sich gestaffelt auf steigende Stufen; Morrheus, der Herrscher, aber begann zu der Menge zu reden:

560

Sechsunddreißigster Gesang

430 »Freunde, ihr wißt doch alle, wie einst ich hoch auf dem Tauros Kämpfte, bis daß die Männer Assyriens und auch Kilikiens34 Dienend den Nacken unter das Joch des Deriades beugten. Wißt ihr doch auch, wie ich mit dem Speer Dionysos angriff, Wie ich wider die Satyrn gestritten und mähend die Häupter 435 Rindsgehörnter Geschlechter gefällt mit schneidendem Eiseii, Als ich die Bassariden gefesselt schleifte zur Feste Und dem Deriades sie als Kriegspreis schenkte; es wurden Rot von ihrem Blut der Stadt gepflasterte Straßen, Als man sie niederschlug. Und andere mußten zum Tanze 440 Halsumdrosselt schweben, von Henkersfesseln erhoben. Andere mußten im Wasser den Tod erproben, verborgen Tief in einem Schlund, der hohl in den Boden gegraben. Aber besseren Rat geb ich aufs neue den Bürgern; Über die Rhadamanen vernehm ich, sie hätten gar künstlich 445 Schiffe angefertigt dem kampfentflohenen Bakchos. Dennoch bebe ich nicht vor dem Seeschlachtholze; seit wann denn Werden gewappnete Männer auf schildetragenden Schiffen Von den Weibern getötet mit ihren nichtigen Zweigen ? Oder wann wird Pan, der berückende, hornige Berggott, 450 Mit den spitzen Hufen die Schiffe der Inder zerspellen ? Nicht vermag Silen, das brausende Wasser durchstampfend Mit dem weichlichen Narthex ein Kriegsschiff niederzubohrer Wenn er in blutigem Tanz mit rasender Sohle dahinspringt, Kreisend in tödlichem Reigen, und nicht auf dem Meere bezwingt er 455 Einen Mann in der Nähe, den seine Hörner durchbohren, Wenn er seinen Bauch ihm in der Mitte zerrissen. Nein, kopfüber wird er unbestattet im Tode In die Fluten sinken, und gleitend werden die Bakchen, Von den langen Spießen getroffen, tief in der Salzflut

Seeschlacht • Waffenstillstand

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Mordenden Abgrund sinken, und Bakchos’ Schiffe 460 vernicht ich, Und es durchstößt sie mein Speer, der zwanzig Ellen an Länge. Freunde, drum kämpft getrost! Es möge keiner sich drücken, Wenn er drüben die Reihen der feindlichen Schiffe des Bakchos Sieht, denn immer waren die Inder kundig des Seekampfs. Ja, sie glänzen noch mehr im Streit auf wogendem Meere, 465 Als im Kampf zu Lande. Mit unbesiegbarem Eisen Mag ich nicht länger Satyrn erbeuten, nein, an den Haaren Will ich statt zweihundert Streitern nur einen einzigen schleppen, Diesen weibischen Bakchos als Knecht des Deriadeskönigs.« Also prahlend beschwatzte den zaubergefeiten Gebieter Morrheus, der listige Mann, und Beifall riefen die Krieger, Denen die Worte gefielen. Aus allen Kehlen ertönte Laut ein einziger Ruf wie brausenderWogen Getöse. Und es löste der Fürst die Versammlung und sandte den Herold, Seekampf anzusagen dem schlachtentschlossenen Bakchos. Und es wurde vereinbart von beiden Teilen, es sollte Waffenstillstand herrschen für drei sich rundende Monde, Bis sie bestattet hätten die Schar der geschlachteten Toten. Aber es war ein Friede von kurzer Dauer, und immer Streitumwittert, und rings lag kampfgeschwängerte Stille.

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SIEBENUNDDREISSIGSTER GESANG

Freundschaftbeflissen schlug das Heer der besonnenen Inder In den Wind die gegen Lyaios entfesselte Kampfwut; Tränenlosen Auges bestatteten sie ihre Toten, Da ja diese den Fesseln des irdischen Lebens entronnen1. 5 Heimwärts ging ihre Seele, woher sie gekommen, im Kreislauf Wieder zum Ausgangspunkt. Aufatmeten Bakchos’ Geschwader.

Als Dionysos rings die freundliche Ruhe bemerkte, Trieb er die Maultiere morgens und die sie begleitenden Männer: Trockenes Holz befahl er von den Bergen zu holen2, io Daß er im Feuer verbrenne den umgekommenen Opheltes.

Ihnen wies den Weg durch die Fichtenstämme des Waldes Phaunos3, der gar wohl vertraut mit der einsamen Wildnis, Dieser Behausung der Mutter, der Bergbewohnerin Kirke. Niederschlug die Axt in Reihen die Stämme der Bäume; 15 Manche Ulme wurde gefällt von eherner Schneide, Mancher Eichenwipfel fiel krachend nieder, und manche Fichte lag hingestreckt, und manche Föhre mit dürren Nadeln sank zu Boden. Und durch das Fällen der vielen Bäume Jagen gar bald entblößt die starrenden Felsen. 20 Unter den Hamadryaden zog manche Nymphe von dannen Und gesellte sich eilends zu fremden Mädchen der Quellen.

Leichenspiele für Opheltes

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Bergdurcheilende Männer begegneten anderen Männern Auf verschiedenen Pfaden; da sah man von ragender Warte Manchen Wandrer gebeugt herniedersteigen und tastend Nach dem Wege suchen. Mit festgeflochtenen Seilen Fesselten sie die Balken dicht aneinander und legten Sie auf der Maultiere Rücken, und diese eilten in Reihen Über die Berge hin mit klappernden Hufen und rannten, Und dahinter wurde die Fläche des sandigen Bodens Schwer von dem Druck der hinten geschleiften Bäume belastet. Satyrn und Pane keuchten; es schlug der eine von ihnen Mit dem schneidenden Eisen die Äste der Bäume herunter, --------------- (andere)----------------------------- 1 Hoben die Kloben auf mit unermüdlichen Armen; Auf der Höhe vernahm man das Klappern der springenden Füße. Nieder warfen das Holz die Waldarbeiter, wo Bakchos Angewiesen den Platz für den Hügel des toten Opheltes.

Vielerlei Volk zog her aus verschiedenen Städten, und trauernd Schnitt für den Toten die Locken6 es ab mit bekümmertem Eisen; Stöhnend strömten die Leute von allen Seiten zusammen Und bedeckten gemeinsam mit ihren Haaren die Leiche. Trauerlosen Gesichts beklagte Bakchos den Toten, Tränenlosen Auges; vom niegeschorenen Haupte Schnitt er eine Flechte und opferte sie dem Opheltes.

Hundert Fuß die Länge und Breite errichteten Scheite' Die idäischen7 Diener des bergernährten Lyaios, Bahrten dann den Toten inmitten der Scheite; dann zückte Der diktäische Held Asterios’ sein an der Seite

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Hängendes Schwert und durchschnitt den Hals zwölf schwärzlichen Indern, Schleppte sie her und legte sie dicht im Kreise geordnet, so Henkelkrüge stellte er hin voll Öl und voll Honig, Und auch viele Rinder und Schafe wurden geschlachtet Vor dem Scheiterhaufen. Er häufte rings auf den Toten Frischgetötete Rinder und Reihen geschlachteter Pferde, Und er entnahm das Fett aus einem jeglichen einzeln, 55 Hüllte es um den Toten und formte aus Speck einen Gürtel. Feuer war da not. Der bergeliebenden Kirke9 Einsamhausender Sohn, Gott Phaunos vom Land der Tyrsener, Der die Werke der Mutter als Kind in der Wildnis erlernte, Brachte Steine, die Feuer gebären, Werkzeuge der Bergkunst, 60 Von einem Gipfel herab, und wo zum Zeichen des Sieges Donnerkeile vom Himmel als kündende Zeugen gefallen, Brachte er Überreste des göttlichen Feuers, des Toten Scheite zu entzünden, und mit dem Feuer der Blitze Salbte und bestrich er die feuerschwangeren, beiden 65 Wölbigen Steine und schabte von erythräischer Ranke Einen Span und einte ihn mit dem doppelten Steine, Rieb dann hin und her, und aus männlich und weiblichem Steine Zog er durch Schlag hervor das verborgne, von selber entstandne Feuer und tat es unter die Scheite, das struppige Waldholz.

70 Nicht entfachte das Feuer sogleich die Scheite des TotenI0, Aber da richtete Bakchos, der Gott, die Augen zur Sonne Und rief nah herbei den östlichen Morgenwind Euros, Um mit helfendem Zug in den Scheiterhaufen zu wehen. Und wie Bromios rief, vernahm Heosphoros11 nahe

Leichenspiele für Opheltes

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Dieses Gebet und entsandte gleich seinen Bruder zu Bakchos, 75 Um mit vollerem Hauch den lodernden Brand zu entzünden. Und die rosigen Kammern der Mutter Eos verlassend, Fachte der Wind sofort die flammenden Scheitern die ganze Nacht, und da flackerte springend das windgefütterte Feuer. Und die rasenden Stöße des Windes vom Aufgang der so Sonne Schleuderten in die Luft den Glanz. Mit Lyaios zusammen Hielt Asterios nun aus Kreta, Opheltes’Verwandter, Einen Becher aus Knossos mit doppelten Henkeln voll süßen, Duftenden Weines und machte so trunken die lockere Erde, Um des Arestoriden12 windschweifende Seele zu ehren. 85

Aber sobald als Bote des tauigen Wagens der Eos18 Rötlich der Morgen erstrahlte und nächtige Nebel zerstreute, Sprangen alle empor und löschten aus wechselnden Bechern Mit Dionysos’ Naß den Scheiterhaufen des Freundes. Und mit hurtigen Schwingen entwich der glühende Euros 90 Zu des Helios Haus, dem lichten. Asterios aber Sammelte die Gebeine aus ihrer doppelten Fettschicht, Bettete dann die Reste des Toten in goldener Urne. Und die Korybanten, die flinken Bewohner des Ida, 94 Die bestatteten nun den toten Körper des Landsmanns, 96 Kretas echtes Blut; im tiefen Grunde der Erde 97,9 Rundeten sie den Hügel durch erdgegrabene Höhlung 95,9 Und beschütteten drauf mit fremdem Staube Opheltes. 98 Dann errichteten sie das Grab mit steileren Steinen, Und dem Trauerhügel verliehen sie folgende Inschrift: 100

»Hier liegt junggestorben der tote Arestoride, Bromios’ Krieger Opheltes, der Indertöter aus Knossos.«

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Siebenunddreißigster Gesang

Grabgeschenke besorgte der Gott der Reben und hemmte15 Dort die Mannen und hieß sie alle sich sammeln und setzen los Und bestimmte das Ziel1’ für das Wagenrennen. Es lag da Auf dem Boden ein Stein, der war so breit wie ein Klafter; Halbkreisförmig war er, als wär er ein Abbild des Mondes. Wohlgeglättet glänzten die beiden Flanken, wie schaffend Ihn ein weiser Meister mit kundigen Händen vermessen, iio Für ein Götterstandbild bestimmt. Den hob von der Erde Ein gewalt’ger Kyklop mit beiden Händen und tat ihn Nieder als steinernen Zielpunkt und ihm gerad gegenüber Stemmte er in den Grund einen ähnlichen, anderen Felsblock. Mannigfach waren die Preise: Schild, Bogen, Dreifuß und Pferde, ns Schlamm vom Paktolos und Silber und indische Steine und Rinder.

Und die Siegespreise bestimmte der Gott für die Lenker: Einen Bogen dem ersten und amazonischen Köcher Und einen Halbschild und ein kriegerisch Weib, das er einstens, Wie es sich badete,fing, als er an dem Ufer Thermodons'7 120 Wandelte, und er nahm es dann nach Indien mit sich. Für den zweiten gab er ein Roß, so schnell wie der Nordwind, Falb an Farbe, am Nacken beschattet mit stattlicher Mähne. Tragend war es, doch erst die halbe Zeit; von der Bürde Ihres Fohlens war der Leib der Stute geschwollen. 125 Einen Harnisch bestimmte der Gott dem dritten; dem vierten Einen Schild, gefertigt vom besten lemnischen Ambos, Rings mit goldenem Schmuck verschönt, und silberner Zierat Schmückte in der Mitte den runden Nabel des Schildes; Zwei Talente dem fünften, die am Paktolos18 gewonnen.

Leichenspiele für Opheltes

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Und es erhob sich der Gott und sprach zu den Lenkern ermunternd: Freunde, die Ares begabt mit städtezerstörender Kampfwut, Die der Bläulichgelockte gelehrt, mit Rossen zu rennen, Nicht entflamme ich Männer, die unerfahren in Drangsal, Bondern harte Ermüdung gewohnt, denn all meine Streiter Sind ja tapfer beflissen in allen heldischen Künsten. Denn wenn ein lydischer Mann am Tmolosgebirge geboren Wird er im Wagensieg sich würdig des Pelops erweisen; Stammt aber einer aus Pisa, der ebenen Amme der Rosse, Elis’, des wagenreichen, Bewohner, Oinomaos’ Landsmann, Wird er den wilden Zweig von Olympias Ölbaum ja kennen. Aber hier ist nicht Oinomaos’ Rennbahn, hier haben Kein Verlangen die Lenker nach gastmißhandelnder Hochzeit, Nein, hier rennt man nicht aus Liebe, man rennt um die Ehre. Wenn aber einer vom Blute Aoniens oder aus Phokis, Kennt er den von Apollon geschätzten, pythischen Wettkampf. Waltet in Marathon er des ölbaumtragenden, weisen Bodens, so kennt er den Krug, der voll des öligen Nasses. Ist er aber ein Bürger des fruchtbaren Landes Achaia, Dann vernahm er wohl auch, wie in Pellene die Männer Frierenden Wettkampf bestreiten um einen Mantel als Siegpreis, Um in den Winterflausch die kalten Glieder zu hüllen. Nährte ihn aber Korinth, die meerumgürtete Feste, 0, so kennt er meines Palaimon isthmischen Wettkampf.«

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Also sprach er. Da liefen die Führer herbei und um­ schwärmten ¡Eilig-wechselnd dieWagen. Erechtheus brachte als erster“ 155 Seinen Renner Xanthos und führte ihn unter das Jochband,

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Diesen Hengst, und schirrte dazu die Stute Podarke, Die einst Boreas zeugte, als er auf luftiger Ebne Sich Harpyia einte, der schnellen, sithonischen Stute; 160 Als dann die attische Jungfrau Oreithyia21 der Sturmwind Raubte, gab dieser Eidam als Preis dem Erechtheus die Rosse. Als der zweite schwang Aktaion22 ismenische Geißel, Und der dritte war der Sproß des Gebieters der Meere, Skelmis22 mit schnellen Fohlen, der oft das Wasser durch­ furchte 165 Auf dem Meereswagen des Vaters Poseidon als Lenker. Phaunos24 rannte als vierter hinein in die Mitte des Platzes, Er allein an Aussehn gleich dem Erzeuger der Mutter, Und sein Viergespann lenkte er wie Gott Helios selber. Einen sizilischen Wagen bestieg Achates25 als fünfter, 170 Leidenschaftlich ergeben dem Rennkampf, wie er an Pisas Ölbaumflusse herrscht, denn er wohnte im Land der Geliebten Des verschmähten Alpheios29, der zu Arethusa sein Wasser Lenkte, verschont vom Meer, mit Kränzen die Braut zu beschenken. Und den kühnen Aktaion nahm aus der Menge beiseite27 175 Sein Erzeuger und riet gar freundlich dem eifrigen Sohne: »Kind des Aristaios, des hochverständigen Zeugers, Weiß ich doch wohl, du hast genügende Kräfte; der Jugend Eingeborene Blüte beseelst du mit tapferem Mute. Bist du doch vom Geblüt des Vaters Apollon28. Es stürmen iso Unsre arkadischen Stuten geschwinder als andre im Laufe. Aber vergeblich wäre das alles; die Kraft und die Schnelle Siegen bei Rossen nicht so sehr wie des Lenkers Verständnis. Listiger Klugheit nur bedarfst du; mit Rossen zu rennen, Braucht vor allem ja einen erfahrenen, verständigen Lenker.

Leichenspiele für Opheltes

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Höre auf deinen Vater! die mancherlei Künste beim Rennen Will ich dich lehren, wie ich sie selber allmählich erfahren. Mühe dich, Sohn, den Vater durch deine Gewandtheit zu ehren. Auch das Wagenrennen bringt Ruhm wie Schlachten und Kämpfe. Müh dich, auch nach dem Kampf mich in der Rennbahn zu ehren. Trachte nach anderem Sieg, nachdem du tapfer gefochten, Daß ich dich Preisträger nenne und nicht nur Lanzen­ beherrscher. Sohn, erweise dich wert des dir verwandten Lyaios, Wert des Phoibos und auch der händestarken Kyrene Und übertriff die Taten des Aristaios, des Vaters. Zeig deine Lenkerkunst, wie klug der Sieg zu gewinnen, Deine schlaue Berechnung, dieweil in der Mitte der Rennbahn Ungeschickt ein andrer den eilenden Wagen verzögert, Dahin und dorthin irrt, wenn den Lauf der verworrenen Pferde Keine Geißel mehr bändigt, sie nicht mehr dem Zügel gehorchen, Und dem Zielstein fern der rückgewendete Lenker Fortgerissen wird von ungehorsamen Rossen. Wer aber wohlbeflissen der schlauerfahrenen Künste, Solch ein kluger Lenker hält selbst mit schlechteren Pferden Stets die Richtung und blickt auf jenen, der ihm voranfährt. Hart an dem Zielstein lenkt er und schwenkt den Wagen ganz nahe Dicht um das Ziel herum, doch ohne es jemals zu streifen. Schau genau und hemme mit deinem steuernden Zügel Deinen linken Gaul, wenn du dem Drehstein dich näherst; Lege schräg dich seitlich beim Biegen, den Wagen beschwerend.

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210 Nah, doch unberührt und stets mit nötigem Abstand Lenke die Bahn und achte mit Vorsicht, damit dir die Nabe Deines sich wendendenWagens den Rand des Zielsteins nur scheinbar Streift, doch nicht berührt, mit dem nahen, gerundeten Rade. Also beachte den Stein, daß nicht die Achse zerschmettert, 2i5 Und du Rosse und Wagen mit Einem Schlage vernichtest. Lenke den Wagen wohl auf beiden Seiten der Rennbahn. Ganz wie ein Steuermann handle und achte auf beides: bedränge Mit dem Stachelstab und mit ermunternder Drohung Deinen rechten Gaul und treibe ihn, schneller zu laufen 220 Und laß locker ihm den Druck des zwängenden Zügels. Ganz wie ein Steuermann handle, wenn du den Wagen im Laufe Grade gerichtet lenkst: bei kunstvoll kluger Erwägung Ist des Lenkers Verstand gleich einem Steuer des Wagens.« Sprachs und zog sich zurück, nachdem er so mancherlei Listen 225 Wohlvertrauter Fahrkunst dem Sohne klüglich gewiesen.

In den Helm griff nun ein jeder von ihnen, wie üblich29, Mit der blinden Hand und abgewandten Gesichtes, Nach besonderem Los begierig, gleich einem Spieler, Der die Würfel packt und schüttelnd die launischen hinwirft. 230 Nach einander losten die Lenker; der rossebesessne Phaunos, der vom besungnen Geblüt des Phaethon stammte, Wurde durchs Los der erste, der zweite aber Achates, Und nach diesem trafs den Skelmis, Damnameneus’ Bruder, Und danach den Aktaion; jedoch der beste der Renner 235 Kieste das letzte Los, der Rossetummler Erechtheus.

Leichenspiele für Opheltes

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Und da erhoben die Fahrer bereits die ledernen Geißeln; Hintereinander standen sie auf der Reihe der Wagen, Und ihr Richter war der ehrliche Aiakos30, achtend, Daß die begehrlichen Lenker den Zielstein richtig umbögen. Zeuge derWahrheit war er, um Streit und Hader zu schlichten 240 Und mit unirrbaren Augen dem Lauf der Rosse zu folgen.

Von der Schranke begann ihr Lauf. Der eine der Schnellen War voraus, ein zweiter bemühte sich, den an der Spitze Einzuholen, es folgte ein vierter dem dritten, ein fünfter Suchte den Wagenlenker, der vor ihm war, nahe zu streifen. In der Bahn überholte der eine Lenker den andern, Wagen kreuzte Wagen, die Männer schwangen die Zügel In den Händen und hielten die Pferde mit scharfen Gebissen. Unentschiedener Wettstreit entbrannte zwischen zwei Fahrern, Die in gleicher Höhe, stets nahe einander, sich mühten, Hockten bald nieder und bald gestreckt, bald straff, wenn es nötig, Bald die Hüfte gebeugt, und trieben die willigen Rosse Schonend mit Kennerhand und leichtem Schwünge der Geißel. Oft auch wandte der Lenker das Antlitz und schaute nach rückwärts, Sich vor dem Wagen zu hüten, der stürmend hinter ihm nahte. Und dem Eilenden wären nun bald der bäumenden Pferde Hufe entglitten, sie hätten dabei sich selbst überschlagen, Hätte der Fahrer nicht rasch im Schwung die Zügel der Rosse Rückwärts gerissen und so gehemmt den Wagen dahinter. Einer eilte vor, ihm folgte hinten ein Wagen, Aber in feindlichem Rennen mit gleichbeflügelter Schnelle, Und so lenkte er kreuz und quer und hemmte den nahen Hintermann. Und Skelmis,des Erderschütterers Sprosse,

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Schwang die Meeresgeißel des Vaters Poseidon und lenkte 265 Rosse aus der Zucht des Vaters, die hausen im Meere. Nicht flog so geschwind mit luftdurchrudernden Schwingen Pegasos in die Höh, wie die Hufe der Ozeanpferde Uneinholbar nun auf dem festen Lande entrannen.

Alle Mannen drängten zu Einem ragenden Orte, 270 Reihenweis saßen sie da, ihr Auge folgte dem Wettkampf, Und so betrachteten sie von fern die eilenden Renner. Einer von ihnen stand voll Bangen, der andre bewegte Deutend die Fingerspitze, den Fahrer zur Eile zu treiben. Einer wurde selbst von Rennverlangen geschüttelt: 275 Roßbesessen stürmte er mit dem Lenker zusammen. Mancher, der voraus den erkorenen Fahrer gewahrte, Klatschte in die Hände, und andere schrieen voll Trauer; Lachend, ermunternd und zitternd erscholl so jedem ein Zuruf. Prächtige Wagen, die schneller als eine wütende Windsbraut, 280 Flogen bald hoch empor, bald rührten sie wieder die Erde Nur mit dem äußersten Rand im Fluge über den Staub hin. Und die kreisenden Räder der gradefahrenden Wagen Hinterließen und drückten die Spur im Sande der Rennbahn. Alle beseelte der Wettstreit, und bis zu den Brüsten der Pferde 285 Wirbelte hoch empor des Staubes steigende Wolke; Heftig sah man die Mähnen die sausenden Lüfte durchflattern, Und als ein einziger Ton aus der Kehle der rasenden Fahrer Tönte schallender Zuruf noch gellender als eine Geißel. Als sie die letzte Runde vollendet, da lag an der Spitze 290 Skelmis in rasendem Treiben auf seinem Ozeanwagen.

Leichmspiele für Ophehes

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Held Erechtheus folgte ihm auf den Fersen und peitschte Sein Gespann; da konnte man wähnen, das hintere Fahrzeug Steige hoch empor auf den Wagen des Meeres-Telchinen, Denn es bäumte sich steil das mutige Roß des Erechtheus. Seinen beiden Nüstern entfuhr ein schnaubendes Keuchen, 295 Schon erhitzte sein Odem den Nacken des vorderen Lenkers. Und nun hätte Erechtheus ihn hinten gepackt an den Haaren, Auf den Vordermann die scharfen Augen gerichtet, Und nun hätte gar leicht das schäumende Stallpferd mit wildem 299 Wirbeln der Kiefern sich des Zügelgebisses entledigt: 303 Rasch aber riß Erechtheus den Wagen rückwärts zur Seite, 300 Straffte mit raffendem Schwung die prächtiggefertigten Zügel 301 Und bedrängte mit Zwang die nahen Lefzen des Gaules; 302 Wieder sauste er dicht dahin, dem Unheil entronnen. 304 Und wie Skelmis den Ansturm des feindlichen Wagens 305 gewahrte, Schrie er drohend dem Gegner mit wilder Stimme hinüber: »Laß den vergeblichen Streit mit meinen Ozeanrossen! Pelops’ einst als Lenker auf einem anderen Wagen Meines Vaters besiegte Oinomaos’ siegreiche Rosse. Als den obersten Herrn der Fahrkunst rufe ich selber 310 An den Gott der Rosse, den Flutenherrn. Du aber, Lenker, Setzt deine Hoffnung des Siegs allein auf die Weberin Pallas. Nicht ist hier von nöten dein nichtiger Ölbaum, ich führe Einen Rebenkranz und nicht die schwache Olive.«

Riefs. Da packte den raschen Erechtheus noch stärkerer 315 Ingrimm31, Und voll trügender List in klugersonnenem Plane Zügelte er mit den Händen die Fahrt, doch rief er im Herzen Stadtgebieterin Pallas, der Fahrkunst Helferin, flehend An, und ein Stoßgebet entfuhr ihm auf attische Weise:

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Siebenunddreißigster Gesang

320 »Mutterlose Pallas, roßtummelnde Herrin Kekropiens, Wie du einst Poseidon bei deinem Wettstreit besiegtest, Möge über den Sohn Poseidons dein eigener Landsmann Siegen, der rasche Lenker auf attischem Wagen, Erechtheus!«

Also rief er und schlug mit der Geißel die Flanken der Pferde; 325 Neben den Wagen des Gegners trieb er den eignen und packte Mit der linken Hand ins Zaumzeug der feindlichen Rosse, Riß gewaltsam am Zügel zurück den Wagen zur Seite, Geißelte mit der rechten die eignen stolznackigen Pferde, Und die jagten davon. So brachte er Skelmis vom Pfade, 330 Trat an dessen Platz und ließ den Lenker weit hinten. Sprudelnd aus seinem Munde ergoß sich ein kränkender Wortschwall, Schmähend rief er zur Antwort dem Sohn des Poseidon hinüber, Wandte sich und zeigte sein höhnisch lachendes Antlitz: »Skelmis, du wurdest besiegt, und stärker als du ist Erechtheus, 335 Weil deinen Balios32, der dem Blute Zephyrs entstammte, Deinen jungen Hengst, der unbenetzt von dem Meere Hinstürmt, meine Stute, die alte Podarke, besiegte. Wenn du wegen der Kunst des Pelops so mutig dich brüstest Und den Meereswagen des Vaters Poseidon so feierst: 340 Jener erschlichene Sieg war nur durch Myrtilos’33 Ränke Möglich, weil er aus Wachs eine täuschende Achse gefertigt. Bist du aber so stolz, weil du Poseidon entstammtest, Den du den Pferdegott nennst, den Besteiger des Wagens der Tiefe, Den Beherrscher des Meeres, den starken Regenten des Dreizacks, 345 Nun, deinen männlichen Helfer besiegte die weibliche Pallas.«

Leichenspiele für Opheltes

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Riefs, und der Landsmann Athenes fuhr an dem Telchinen vorüber. Hinter diesem kam Phaunos, sein rasches Viergespann peitschend, Und dann hinter Phaunos kam rasch Aktaion als vierter, Immer noch eingedenk der klugen Rede des Vaters Aristaios. Es nahte zuletzt der Tyrsener Achates. Und der dreiste Aktaion ersann einen listigen Anschlag; Eilig holte er ein den vor ihm fahrenden Phaunos, Geißelte schärfer noch die Rosse und lenkte sie seitlich Neben Phaunos’Wagen zu seinem größeren Vorteil, Kam ihm ein wenig zuvor, und das Knie an die Seitenwand stemmend, Streifte er mit schrägem Gefährt den Wagen des Gegners, Und so fuhr er schnell in die Beine der feindlichen Pferde. Seitlich fiel der Wagen zur Erde; durch seine Erschüttrung Kamen drei der Rosse ins Wanken und stürzten zu Boden, Eins auf den Bauch und eins auf den Hals und eins auf die Flanke. Ausgebogen blieb nur eines aufrecht, es stemmte In den Grund die Hufe, und wild mit schüttelndem Nacken Stützte es ganz das Bein des neben ihm ziehenden Pferdes, Riß das Joch empor und hob so wieder den Wagen. So nun lagen dort am Boden die Rosse; der Lenker Wälzte sich beschmutzt dicht bei dem Rade des Wagens, Aufgeschürft die Stirn, am Kinne war er verwundet, Und zerschunden stieß sein Ellenbogen ins Erdreich. Rasch aber sprang er wieder empor und stellte dann eilends Sich aufs neue neben den niedergebrochenen Wagen; Schamvoll riß er empor die hingesunkenen Renner Und ermunterte sie mit raschen Hieben der Geißel, Und als der dreiste Aktaion den sich bemühenden Phaunos

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Neben dem Wagen erblickte, entfuhr ihm der spöttische Ausruf:

375 »Laß doch ab, vergeblich die bockigen Gäule zu treiben ! Laß, es ist umsonst, denn früher meld ich dem Bakchos: ,Phaunos ließ voraus die sämtlichen anderen Fahrer; Später erst wird er kommen, und hinter sich schleift er den Wagen.“ Spare deine Geißel! der Anblick deiner vom Stachel 380 Hautzerschundenen Pferde erfüllt mich wirklich mit Mitleid.«

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Riefs und trieb gar schnell den eiligen Wagen vorüber Mit geschwinderer Geißel, und Phaunos hörte es trauernd. Mühsam beugte er sich zu Boden und packte den dichten Schweif des gestürzten Rosses, es wieder aufwärts zu ziehen; Und einen anderen Gaul, der jochentbunden ihm fortlief, Führte er rasch zurück und zwang ihn wieder ins Zaumzeug. So, nachdem er aufs neu die entgleisten Rosse geordnet, Stieg er auf den Wagen und lenkte ihn wieder zur Rennbahn, Und zum zweitenmal fuhr nieder die schreckliche Geißel. Heißer noch trieb Phaunos die Rosse und spornte sie vorwärts Und verfolgte wild den schnellen, vorderen Fahrer34. Und er holte ihn ein, denn es belebte die Rosse Pferdegott Poseidon, dem kühnen Sohne zu Ehren. Einen Engpaß35 sah er auf einem felsigen Hohlweg, Und da spann er klug einen listigen Plan, den Achates Kunstvoll einzuholen und an ihm vorüberzueilen. T ief war dort die Schlucht, sie hatte bei wütendem Wetter Einst überschwemmendesWasser des luftdurchströmenden Gottes Zeus in den Boden gerissen. Durch eingeschlossene Fluten Des zerstörenden Regens ward hohl der Rücken des Landes. Widerwillig hemmte dort seinen Wagen Achates,

Leichenspiele für Opheltes

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Weil er entrinnen wollte dem näherrückenden Phaunos,

Und dem Nahenden rief er mit ängstlicher Stimme entgegen:

»Immer noch starren von Schmutz deine Kleider, törichter

Phaunos, Noch sind voller Sand die Ränder deines Gefährtes,

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Noch nicht wischtest du den Staub von den struppigen Pferden. Reinige deine Beschmutzung. Was treibst du noch weiter

den Wagen? Daß ich dich nicht stürzen und zappeln aufs neue gewahre!

Hüte dich, daß nicht der dreiste Aktaion dich einholt

Und dir den Rücken beflecke mit seiner Peitsche aus

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Rindshaut,

Daß er nicht noch einmal kopfüber zu Boden dich

schleudert. Deine runden Wangen sind ja noch immer zerschunden.

Phaunos, was bist du so toll und setzt gemeinsamer Schmach aus

Helios, deinen Ahn, und deinen Vater Poseidon38. Scheue dich doch auch vor der Satyrn spottendem Maulwerk, 415 Hüte dich vor den Silenen und vor des Dionysos Mägden,

Daß sie nicht über dich lachen und deinen kotigen Wagen.

Wo sind die Blüten, die Kräuter, die Zaubermittel der Kirke ? Alles verließ dich, alles, als du den Wettkampf begännest.

Wer vermeldet nun wohl deiner hehren Mutter, wie hart du

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Mit dem Wagen stürztest und deine Geißelbeschmutztest?«

Solche stolze Rede entfuhr den Lippen Achates’

Schmähend; doch Nemesis merkte sich so überhebliche Worte. Phaunos aber kam näher, und neben den Wagen des Gegners

Fuhr er und mit der Achse zerschmetterte er und zerbrach er 425

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Siebenunddreißigster Gesang

Mitten den feindlichen Pflock, gestreift von der Rundung des Rades. Und des Achates Rad brach ab und wälzte sich vorwärts Wie bei Oinomaos’ Wagen ”, als durch Erhitzung des Wachses Unter den Strahlen der Sonne die trügende Achse geschmolzen, 430 Und so alle Fahrkunst des rasenden Lenkers versagte. Wartend hielt Achates in jener Enge des Hohlwegs, Bis auf seinem Sitz des Viergespannes der Gegner Phaunos mit schneller Geißel an ihm vorübergefahren, Gleich als ob er nichts merke. Der schwang noch höher die Geißel, 435 Peitschte wild und schnell den Rücken der rasenden Renner Und war hinter Aktaion so weit, wie ein springender Diskos38 Weitgeworfen fliegt mit lang sich streckendem Schatten, Wenn ihn mit wuchtiger Hand ein rüstiger Krieger entsendet. Alle Mannen tobten und stritten widereinander38’, 440 Schlossen Wetten ab, wer wohl des schwankenden Sieges Krone erhielte; da lagen Gewinne, wer von den schnellen Rossen siege, ein Schild, ein Schwert, ein Becken, ein Dreifuß. Landsmann stritt mit Landsmann, der Freund mit seinem Gefährten, Greis mit Greis und Mann mit Mann und Jüngling mit Jüngling, 445 Meinungsverschiedener Zwist auf beiden Seiten: der eine Rühmte Achates, es setzte der andre den Phaunos herunter, Der zu Boden gefallen mit seinem sich wälzenden Wagen. Einer wettete aber, Erechtheus würde der zweite, Später käme er als der lenkende Meeres -Telchine. 450 Aber ihm widersprach der andre, es würde Athenes Nahender, tüchtiger Landsmann die Pferde vor ihm besiegen

Leichenspiele für Opheltes

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Und vorüberstürmen an Skelmis, der jetzt noch voranlag. Noch war der Zwist im Gang, als schon Erechtheus zuvor­ kam 39; Immerfort peitschte er rechts und links die Schultern der Rosse. Von den Pferdenacken rann Schweiß in Strömen herunter 455 Und von der haarigen Brust, und auf den Lenker des Wagens Spritzte in dichter Menge der Schmutz des trockenen Staubes. Rollend rannte derWagen heran in den Spuren der Pferde, Wirbelnd und springend; es streifte des Rades eiserne Rundung Kaum die Oberfläche des dünnen, unstreifbaren Staubes. 460 Nach dem stürmischen Flug hoch auf dem Sitze des Wagens Kam in die Mitte des Platzes Erechtheus; mit seinem Gewände Wischte er ab den Schweiß von seiner triefenden Stirne. Nieder stieg er rasch vom Bock und lehnte die lange Peitsche seitlich an des Joches prächtige Fügung, 465 Bis Amphidamas kam, sein Diener, der löste die Rosse. Freudig und schnell ergriff er die ersten Preise des Sieges: Bogen und Köcher, dazu das Weib mit dem prächtigen Helme, Und den benabelten Rücken des Halbschilds schwenkte er schüttelnd. Nach ihm kam als zweiter auf seinem Ozeanwagen Skelmis und trieb gar wild das poseidonische Fahrzeug, Nur soweit zurück, wie zwischen dem Pferd und den Rädern Noch ein Abstand bleibt, wenn der Gaul die Schienen des Rades Fast berührt mit der Spitze des rückwärts fliegenden Schweifes.

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Siebemmddreißigster Gesang

475 Also den zweiten Preis erhielt er, die trächtige Stute Gab er voll Eifersucht dem Damnameneus4", daß er sie halte.

Und als dritter hob Aktaion das Zeichen des Sieges, Den goldstrahlenden Harnisch, das glänzende Werk des

Olympos.

Und nach ihm kam Phaunos; zur Stelle treibend den Wagen,

480 Hob er das silberne Rund des nabelgebuckelten Schildes; Immer noch war er bedeckt von den Resten des trockenen

Staubes.

Und als Achates betrübt auf langsamem Wagen sich nahte, Kam ein sizilischer Diener und wies ihm zwei goldne Talente,

Die Lyaios ihm sandte aus Zartgefühl und aus Mitleid.

485 Dann aber rief der Gott zum Wettspiel im schwierigen Faustkampf41,

Und er bestimmte dem ersten aus indischem Stalle als Gabe Einen Stier, für den zweiten von einem bräunlichen Inder

Einen Barbarenschild mit farbig schillerndem Rücken. Aufrecht stand er da und rief ermunternd zum Wettkampf

490 Zweier Männer, die tüchtig, sich um den Sieg zu bewerben:

»Dies hier ist ein Kampf der harten Fäuste. Dem Sieger

Will ich den zottigen Stier als Preis und Gabe bescheren; Der geschichtete Schild sei dem Besiegten zu eigen.«

Bromios riefs. Da sprang der Schildeschwinger Melisseus

495 Auf; er pflegte immer des Faustkampfs. Nach dem gehörnten Stier griff seine Hand und laut begann er zu rufen:

»Wer den bunten Schild begehrt, der komme. Ich lasse

Keinem andern den Stier, so lange ich die Hände noch rege.«

Leichenspiele für Opheltes

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Also rief er, und alle befiel ein lähmendes Schweigen; Nur Eurymedon42 stellte sich ihm; es hatte ihm Hermes

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Starke Faustkampfsglieder geschenkt. Sonst saß er ja immer

An der Feueresse des Vaters, der Sohn des Hephaistos,

Eifrig dort bemüht, den gehämmerten Ambos zu schlagen.

Der sprang auf, und ihn betreute Alkon, sein Bruder, Legte den Gürtel ihm an und schürzte das Tuch um die Hüfte,

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Dann umschnürte er auch die langen Hände des Bruders Mit den Wickelbinden aus trockenen, ledernen Riemen.

Und in die Mitte trat der Kämpfer, zum Schutz des Gesichtes Hob er die linke Hand wie einen natürlichen Leibschild, Künstliche Lanzen waren für ihn die schneidenden Riemen.

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Immer gab er acht auf die schreckliche Stärke des Gegners, Damit dieser nicht gar ihn treffe auf Stirn oder Auge

Oder ihn blutig boxe und ihm die Nase zerprügle Oder ihn zerhaue und auf die Schläfen ihn schlage Mitten mit schmetternder Wucht auf die Oberfläche des

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Hirnes

Oder mit rauher Hand mit einem Hieb auf die Schläfen

Ihn des Auges beraube, daß ihm das Antlitz erblinde, Oder ihm ganz das Kinn mit blutigem Schlage zermalme

Und aus dem Munde ihm schlüge die Doppelreihe der Zähne.

Da dem Eurymedon schlug Melisseus, als jener heransprang, 520 Oben auf die Brust. Der aber stieß auf des Gegners

Antlitz vergebens die Hand und fehlte, es war nur ein Luftschlag.

Immer umlief er ihn voll Angst, und, selber entweichend, Suchte die nackte Brust er mit der Rechten zu treffen.

Aufeinander prallten sie einer hinter dem andern; Tänzelnd wechselten sie den Schritt mit wägender Vorsicht, Fäuste mischten sich da mit Fäusten; mit schnellerer

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S iebenunddreißigster Gesang

Sauste der schreckliche Ton der zusammengeflochtenen Riemen, Die ihre Hände umschlossen. Und schlugen sie sich auf die Wangen, 530 Wurden die Riemen bald mit blutigen Tropfen bepurpurt. Ihre Kinnbacken krachten, und wo die Wangen sich wölbten, Schwollen breiter auf die scharfgeschlagnen Gesichter, Daß ihnen beiden die Augen wie tief in Höhlen verborgen.

Held Eurymedon wich der Meisterkunst des Melisseus. 535 Blendete doch die Sonne ihn unerträglich und schien ihm Mitten ins Angesicht; da stürmte Melisseus mit scharfen, Wirbelnden Sprüngen heran und schlug ihm unter dem Ohre Einen Kinnhaken plötzlich. Das warf den andern zu Boden, Hintenüber schlug er nieder und wälzte sich rückwärts; 540 Ohnmacht umfing ihn, er glich einem Trunkenen. Seitlich hernieder Sank ihm schwer das Haupt, und Schaum entquoll seinem Munde Mit verdicktem Blut. Da schleppte Alkon, sein Bruder, Traurig auf seinem Rücken den Unterlegnen vom Kampfplatz, Den der scharfe Schlag der Sinne beraubte. Und schleunig 545 Nahm er den zweiten Preis, den großen, indischen Stier­ schild.

Und Dionysos rief ermunternd zwei willige Kämpfer13, Den Bewerbern befahl er einen Wettkampf im Ringen; Und einen Dreifuß, bot er als Preis dem Sieger im Streite, Zwanzig Maß an Inhalt; ein blumengehämmertes Becken 550 Nahm er und setzte es aus als Gabe für den Besiegten. Aufgerichtet rief er wieder mit weisender Stimme:

Leichenspiele für Opheltes

583

»Kommt, ihr Freunde, erweckt auch diesen prächtigen Wettkampf!« Riefs, und auf das Geheiß des kränzeliebenden Bakchos Hob Aristaios sich als erster, und nach ihm als zweiter Aiakos, kundig der Regeln des armekräftigen Ringkampfs. Ihnen deckte ein Schurz die Scham, die den Blicken verboten, Sonst aber nahten die Kämpfer mit nacktem Körper, und beide Packten einander zuerst mit beiden Händen an beiden Handgelenken und suchten einander wechselnd hinunter In den Staub zu ziehn mit fest verschlungenen Händen Und verschnürten Fingern; sie drängten sich vorwärts und rückwärts, Drehten sich hin und her und trieben sich wechselnd im Schwünge Ziehend und gezogen; und dann umschlangen sich beide Kreuzweis mit den Armen; sie bogen krümmend den Nacken, Stemmten ihren Kopf dem Feind auf die Mitte der Stirne; Unbeweglich starrten sie erdwärts. Von den gepreßten Stirnen floß der Schweiß, der Bote naher Ermattung. Ihre beiden Rücken, gedrückt durch die Spannung der Arme, Wurden entkräftet durch den doppeltverflochtenen Handdruck. Manche Schwiele hob sich von selbst und schimmerte färbig, Heiß durchblutet, es ward gefleckt der Körper der Ringer.

Wechselnd zeigten sie beide einander die findigen Kniffe Guter Ringerkunst. Da packte den kräftigen Gegner Aristaios zuerst mit scharfumschlingenden Armen, Und er hob ihn empor. Der schlaue Aiakos aber Ließ nicht außer Acht die listige Abwehr; verstohlen

555

560

565 567 572

575

5bo

584

Siebenunddreißigster Gesang

Stieß dem Aristaios er links in die Kehle des Kniees. Hintenüber warf er den Wälzenden nieder zu Boden Wie einen steilen Berg, der stürzt. Die Mannen im Kreise

Schauten mit staunenden Augen, wie der gewaltige, stolze,

585 Weitberühmte Sohn des Phoibos niedergebrochen. Aiakos hob alsdann aufs neue hoch von der Erde Mühelos leicht empor den riesigen Sohn der Kyrene,

So für die künftigen Söhne11 ein heldenmütiges Beispiel, Für des Telamon Kraft und den unermüdlichen Peleus,

590 Hielt den andern im Arm, ohne Rücken und Nacken zu biegen, In der Mitte den Gegner mit beiden Armen umklammernd, Ähnlich wie zwei Sparren im Dach, die ein Zimmerer fertigt, Um der stürmischen Wut der heftigen Winde zu wehren.

Aiakos preßte tief in den Staub den geworfenen Gegner, 595 Warf dann selber mitten sich auf den Rücken des Feindes

Und umklammerte ihm den Bauch mit der Länge der Beine, Hinderte fesselnd ihn mit rückgebogenen Knieen,

Stemmte Fuß auf Fuß und lähmte ihn so an den Fersen.

Schnell so ausgestreckt auf dem Rücken des feindlichen Ringers,

600 Bog und fügte er wie zu einem Kranze die Arme, 601

Krümmte wie eine Fessel sie um den Nacken des andern,

568 Und es floß sein Schweiß hinab auf die lockere Erde, 569 Aber mit trockenem Sand bestrich er die schlüpfrigen Stellen, 570 Daß ihm der Feind nicht entwiche, vom Knoten der Hände umklammert,

571 Denn vom gepreßten Nacken rann heißes Geträufel

hernieder.

602 Wie er den andern so preßte, da strömten in rascher

Bewegung Würdige Herolde her, die Überwacher des Wettkampfs,

Leichenspiele für Opheltes

585

Daß er ihn nicht gar töte durch seinen doppelten Armdruck.

Damals gab es noch nicht die gleiche Satzung wie später,

605

Wie sie die Nachwelt erdacht, den Kampf beenden zu lassen,

Wenn in erstickender Qual der nackenumspannenden Fessel

Einer den Sieg des Gegners bezeugt durch deutliches Schweigen

Und sich betrübt den Armen des siegreichen Gegners

entwindet.

Myrmidonen, die Diener des triumphierenden Königs,

6io

Trugen rasch von dannen den zwanzigmäßigen Dreifuß,

Auch Aktaion15 sprang auf, nahm rasch das Becken und eilte Mit diesem zweiten Preis des Vaters traurig von dannen.

Und Lyaios gebot nun einen Wettkampf im Schneilauf4“;

Siegeskleinodien gab er für den ersten Gewinner,

615

Einen silbernen Krug und ein kriegsgefangenes Mädchen, Und ein thessalisches Pferd mit nickendem Halse dem zweiten,

Und ein scharfes Schwert mit geschmiedetem Riemen dem letzten. Aufgerichtet sprach er zu laufbeflügelten Männern:

»Diese Preise sollen geschwinden Läufern gehören.«

620

Also rief er; da nahte der wettlauftüchtige Kreter48

621

(-------------------------- Held Okythoos 47--------------------------------------- )

62ia

Ihm gesellte sich schnell der listige, rasche Erechtheus,

Wohl von Pallas Nikaia4“ behütet, aber zu diesem Priasos“ noch, der geschwinde Bewohner lydischer Lande. An der Schranke begann ihr Lauf; Okythoos rannte

An der Spitze als erster mit windbeflügelten Füßen In gestrecktem Lauf vor ihnen allen; doch stürmend

625

586

Siebenunddreißigster Gesang

Kam dicht hinter ihm als zweiter der rasche Erechtheus,

Und sein Atem streifte bereits Okythoos’Nacken

630 Und erhitzte sein Haupt. So weit bei dem spinnenden

Mädchen Vor der Brust die Spindel sich dreht, die die webende Jungfrau

Stets in bestimmter Entfernung bewegt mit kundigen

Händen,

Soweit war er hinter dem Gegner; er trat auf dem Boden Immer in dessen Spuren, bevor der Staub sie bedeckte.

635 Unentschieden wäre nun leicht das Rennen geworden; Doch als Okythoos merkte, wie jener gleichmäßig ihm

folgte,

Streckte er sich und lief leichtfüßig in größerem Abstand Als der Schritt eines Mannes; und bangend wegen des Sieges, Flehte zu Boreas da mit lauten Worten Erechtheus5":

640 »Eidam61, deinem Erechtheus und deiner Gattin sei hilfreich, Wenn dich zu meiner Tochter noch süße Liebe bewältigt.

Gib mir nur Eine Stunde den raschen Schwung deiner Flügel, Daß ich Okythoos vor mir, den schnellen, rasch überhole.«

Boreas aber vernahm des Läufers flehenden Ausruf,

645 Und er machte ihn schneller als selbst den jagenden Sturmwind. Alle drei bewegten mit gleicher Schnelle die Beine,

Aber es stand nicht gleich, und so viel weiter im Wettlauf Hinter Okythoos’Führung Erechtheus hinten zurückblieb,

In der gleichen Entfernung war hinter dem raschen Erechtheus

650 Priasos dann, der stolze, von phrygischer Herkunft. Und als nun Schon die letzte Runde die Läufer springend durcheilten,

Leichenspiele für Opheltes

587

Glitt Okythoos aus, der so beflügelte Renner; Denn da lag viel Mist von Rindern, die nahe dem Grabe Mit mygdonischem Messer Dionysos metzelnd geschlachtet.

Rasch aber sprang er wieder empor mit gewandter

655

Bewegung, Und er jagte aufs neue dahin im Sprunge beflügelt,

658

Während sein Gegner vorauslief. Okythoos suchte mit

659

schnellen Sohlen noch kurz vor dem Ziel, ob er den Landsmann

656

Athenes

Noch bezwange oder ob unentschieden der Lauf sei.

657

Doch Erechtheus hob des schönen, sidonischenM Mischkrugs

660

Schimmernde Wölbung empor, der Held Okythoos aber

Zog das thessalische Pferd mit fort, als dritter kam langsam Priasos und empfing das Schwert mit den silbernen Riemen.

Und da lachten laut die scherzbeseligten Satyrn,

Als sie starrend vor Dreck den Korybanten gewahrten,

665

Wie er Mist ausspie, er hatte noch immer den Mund voll.

Und eine Scheibe brachte aus rohgegossenem Eisen53 Bakchos vor das Volk, nach Diskoswerfern verlangend,

Bot für den ersten Sieger zwei Speere mit buschigem Helme,

Setzte sie aus und gab für den zweiten das Rund eines hellen 670

Gürtels und eine Schale dem dritten, dem vierten ein Rehfell, Das der Schmied des Zeus mit goldener Schließe

durchstochen.

Aufgerichtet rief er in der Mitte ermunternd:

»Dieser Wettkampf soll die Diskoswerfer entflammen.«

Auf dies Wort erhob sich der Schildeschwinger Melisseus “,

Und als zweiter kam Halimedes55, der hurtige Läufer,

675

588

Siebenunddreißigster Gesang

Und Eurymedon5’ nahte als dritter und Akmon als vierter;

Und die viere reihten sich einer neben den andern, Aber die Scheibe ergriff zuerst Melisseus und warf sie, 680 Doch die Silene lachten ob des nur mäßigen Wurfes, 681 Und Eurymedon preßte als zweiter die Hand an den

Diskos----------

68ia--------- (und warf etwas weiter als Held Melisseus)--------------Dann aber packte die Scheibe mit kundig lenkendem Handgriff

Akmon, der nackenstarke, und sandte sie wirbelnd von dannen. Und das Geschoß durchschnitt die Luft, als wär es ein Windstoß,

685 Und überholte noch weit den Punkt, wo Eurymedon

hintraf,

Scharf im Wirbel. Da warf der lange Held Halimedes

Schleudernd durch die Luft zum Ziel den schweifenden Diskos,

Und die Scheibe durchschnitt mit zischendem Laute die Lüfte,

Als sie der starken Hand entflog; wie der Pfeil von dem Bogen

690 Vorwärts fliegt, so schoß sie wirbelnd im Wehen des Windes

Grade aus und fiel zu Boden und wälzte sich hüpfend Noch im Sprunge weiter und von dem drehenden Handwurf Immer noch belebt und schwang sich von selber von dannen, Bis sie vorübergeglitten an allen Zeichen. Da lärmten

695 Alle Leute laut, die bei dem Kampfe zugegen, Und bestaunten den Schwung des unaufhaltsamen Diskos.

Schüttelnd die zwei Speere mitsamt dem buschigen Helme,

Nahm sich die doppelte Gabe der tapfere Held Halimedes. Hinkend nahte Akmon und griff den goldenen Gürtel,

Leichenspiele für Opheltes

589

Und als dritter faßte die nicht vom Feuer berührte,

700

Doppeltgehenkelte Schale Eurymedon; traurigen Auges Hob Melisseus empor den scheckigen Rücken des Rehfells.

Und Dionysos rief die Helden zum Kampf mit dem Bogen67

Für einen sicheren Schuß. Ein siebenjähriges, schnelles Maultier zog er herbei und stellte es dann in das Kampffeld, 705

Bot einen prächtig geschmückten Pokal als weiteren Siegpreis, Für den geringeren Mann bestimmt. Euryalos68 aber

Richtete hoch von der Erde empor einen riesigen Schiffsmast, Fügte ihn tief in den Sand des Bodens, und hoch an der Spitze

Fesselte er an den Mast eine festgebundene Taube;

710

Ihre beiden Füße umschlang er mit schmächtigem Faden.

Und die Versammelten rief der Gott ermunternd zum

Wettkampf Und wies hoch in der Luft den Schützen den lockenden

Zielpunkt: »Wer mit seinem Schuß durchbohrt den Körper der Taube,

Soll als Siegespreis das tüchtige Maultier erhalten,

715

Aber wessen Schuß am Ziel der Taube vorbeiirrt Und den Vogel nicht mit spitzem Pfeile verwundet,

Sondern nur die Schnur berührt mit dem Fiedergeschosse, Der schießt schlechter und soll geringere Gabe empfangen:

Statt des Maultiers nehm er den Becher, damit er dem

720

Schützen Phoibos zum Opfer spende und auch dem Weingott Lyaios.«

Als ein solches Wort der reiche Bakchos gerufen, Eilte in die Mitte der lockige Schütz Hymenaios69

723

-------------------------------- (und Asterios)00 ----------------------------------

7 2 3s

Held Asterios, den das Los als ersten bezeichnet,

Sandte gegen den Mast gradaus den sausenden Pfeilschuß

725

590

Siebenunddreißigster Gesang

Von seinem Bogen aus Knossos, bespannt mit rundlicher

Sehne, Und er traf die Schnur, und als sie vom Pfeile durchschnitten,

Hob sich in die Lüfte empor der fliehende Vogel,

Und der Faden fiel zur Erde. Da lenkte sein Auge

730 Hymenaios spähend empor zur Höhe der Wolken, Und der Schütze entsandte von wohlbereiteter Sehne Auf das Ziel in der Luft den windbeflügelten Pfeilschuß, Scharfgezielt und gegen die fliehende Taube gerichtet.

Und der gefiederte Pfeil durchkreuzte oben die Lüfte, 735 Hoch erscheinend, als streife er mitten den Rücken der Wolken,

Und er zischte im Wind, ihn lenkte Phoibos Apollon

Treulich für seinen Bruder, den glücklos verliebten Lyaios.

Und Hymenaios traf im Flug die stürmende Taube; Vorn durchbohrte er ihr die Brust, mit sinkendem Haupte 740 Sauste der schnelle Vogel herab durch die Luft auf die Erde.

Halbgetötet tollte die Taube mit taumelndem Fittich Torkelnd auf den Füßen um Bakchos, den reigenerfreuten.

Aufsprang da der Gott beim Sieg des herrlichen Jünglings,

Schlug die Hände zusammen und rief Hymenaios voll Freude. 745 Alle zusammen in einem, soviel beim Kampfe zugegen, Staunten über des Jünglings die Wolken durchschneidenden

Weitschuß.

Und Dionysos zog mit eigenen Händen das Maultier Lachend herbei und gab es dem wohlverdienten Gewinner, Und für Asterios trugen die Freunde den Becher von dannen.

750 Zu einem Freundschaftskampfdie Lanzenwerfer ermunternd'1,

Brachte indische Preise der Gott und tat sie aufs Kampffeld: Ein Paar Schienen und auch den Stein des indischen Meeres.

Aufgerichtet sprach er und zweien Streitern befahl er,

Leichmspiele für Opheltes

591

Daß sie in scherzendem Kampf und nicht mit tödlichem Eisen Nur das ahmende Abbild unblutigen Kampfes gewährten: 755 »Dieser Kampf, den jetzt zwei Lanzenwerfer bestehen, Kennt nur freundlichen Ares und eine sanfte Enyo.«

Bromios sprachs. Da schwang Asterios eisernes Rüstzeug, Hüllte sich in die Wehr, und Aiakos trat in die Mitte Mit der ehernen Lanze und schwang des Schildes Gebilde, 760 Wie ein Löwe der Wildnis auf eine borstige Wildsau Oder den Stier sich stürzt. In eisernen Panzern bewegten Sie sich in der Mitte, mit Erz umkleidet, die beiden Lanzenkämpfer des Ares. Asterios sandte den wilden Speer und verwundete schon, so stark wie Minos, sein Vater, 765 Oben den rechten Arm des Gegners, die Haut ihm zerfleischend. Der aber reckte gegen die Kehle die eherne Lanze, Aiakos, würdig an Taten des waltenden Vaters Kronion, Und war schon bestrebt, sie mitten dem Feind zu durchbohren. Aber da hemmte ihn Bakchos, entriß ihm die blutige Lanze, 770 Daß er nicht den Hals mit geschleudertem Eisen durch­ schnitte. Beide stieß er zurück und rief mit rasender Stimme: »Werft dies Rüstzeug weg und erhebt ein freundliches Streiten. Friedlich solltet ihr kämpfen und ohne ernstliche Wunden.«

Riefs. Und gleich ergriff die Ehrengabe des Sieges 775 Aiakos da, der stolze, die schönen, goldenen Schienen, Reichte sie seinem Diener, Asterios nahm die geringre Gabe, den indischen Stein, den er mit dem Speere errungen.

ACHTUNDDREISSIGSTER GESANG

Aus war nun der Streit. Die Mannen suchten der Wildnis Inneres auf und kamen zu ihren Hütten. Die Pane, Frei zu hausen gewohnt, bezogen Wohnungin Schluchten,

Denn sie hausten in naturbefestigten Höhlen s Einsamer Löwen am Abend, die Satyrn gruben sich aber

Mit ihren spitzen Nägeln und nicht mit schneidendem Eisen Mäßige Felsenlager in Bärenhöhlen zur Ruhe, Bis der lichtbringende Morgen aufs neu entflammte und

wieder

Strahlend sich erhob der Glanz der heiteren Frühe io Beiden, Indern und Satyrn. Denn damals in kreisender Drehung Schuf die dehnende Zeit einen Aufschub des indischen

Kampfes

Und des mygdonischen Kriegs, und damals gab es bei beiden Keinen Mord und Zwist; da ruhte fern von der Wahlstatt Spinnwebbezogen der Schild, den Bakchos sechs Jahre getragen.

15 Als das siebente Jahr der Kämpfe die Horen begannen, Kam ein himmlisches Zeichen zur Vorverkündung für

Bakchos,

Ein unglaubliches Wunder: denn unvermutet entstand da

Finsternis mitten am Tage. Ein Nebel deckte am Mittag Mit einem dunklen Gewände die helle Sonne und barg sie;

20 Und da die Strahlen entwichen, so wurden die Hügel beschattet.

Idmon prophezeit den Sieg

593

Mancher irrende Brand1 fiel nieder vom himmlischen Wagen

Da und dort verteilt, die Oberfläche der Erde

Fegte ein strömender Regen, und von den Wassern des Luftraums Wurden die Felsen umschäumt, bis mit dem Wagen aufs

neue

Mühsam in die Höhe der feurige Helios aufstieg.

25

Glückverheißend flog dem ungeduldigen Bakchos

Durch die Lüfte ein Adler und trug eine hörnerne Schlange In den scharfen Fängen; sie wand gar mutig den Nacken,

Und kopfüber glitt sie sich wälzend in den Hydaspes. Bebendes Schweigen hielt in Bann die mächtige Heerschar;

30

Aber der kluge Idmon2, da er Uranias Weihen Einst empfangen, der Muse, die kundig des Sternengewölbes,

Stand allein voll Mut, denn durch die Wissenschaft kannte Er das beschattete Rund3 der sonnenverbundnen Selene

Und die rötliche Flamme4 der hinter dem finsteren Kegel

35

Dunkel verborgenen Sonne, die nun nicht sichtbar dahinfuhr,

Und das Donnerkrachen zusammengeschmetterter Wolken Und das himmlische Brüllen, den blitzenflammten Kometen Und die feurigen Ruten, das Zucken des glühenden Blitzes. Da er nun solcherlei von der Göttin Urania lernte,

40

Stand er ruhig und kühn; die Glieder der anderen aber Schlotterten bang. Doch Idmon, der greise Prophet mit dem

frohen,

Leuchtenden Antlitz und kundig klugüberredender Worte, Wußte das ganze Heer zu ermutigen, weil er erkannte: Über ein Kleines werde ein Sieg das Schlachten beenden.

Und Erechtheus befragte den weisen, phrygischen6 Seher Bei dem Anblick der Zeichen des höchsten Kronion, ob

Kriegsglück

45

594

Achtunddreißigster Gesang

Sie für die Feinde oder den mordenden Bakchos besagten. Doch er ersehnte nicht so das Ende des Kampfes, er wünschte so Mehr noch die mystischen Sprüche der Himmelsbefehle zu hören Und die Reihen der Sterne und die Perioden des Mondes Und wie sich dunkel der Tag gesenkt und des Glanzes der Sonne Unteilhaftig ward, denn immer sind die Bewohner Attischer Lande begierig, von Göttersprüchen zu hören.

55 Und der greise Prophet war willig, er schwang des Lyaios Evoe-Thyrsos und nicht Panopeus’’ Lorbeergezweige, Und aus dem Munde entwichen ihm solche verkündenden Worte: »Sinnerfreuende Rede willst du vernehmen, Erechtheus, Die allein den Göttern, des Himmels Bewohnern, bekannt ist? 60 Reden werde ich so, wie mein Lorbeer-Apollon mich lehrte. Zittre nicht vor dem Blitz, nicht fürchte das schweifende Feuer, Nicht die verdunkelte Bahn der Sonne und nicht des Olympos Vogel, den kündenden Boten des nahen Sieges des Bakchos. Wie von den schlimmen Schneiden der spitzen Krallen verwundet 65 Und durchbohrt von des Vogels geschärften, raubenden Fängen In die Flut des Stroms der gehörnte Drache geglitten Und der greise Hydaspes die tote Schlange geborgen, So wird das Wasser des Vaters den indischen Herrscher umhüllen, Dem ein Stiergehörn gleich seinem Erzeuger gewachsen.«

Idmon prophezeit den Sieg

595

Also äußerte sich der greise Prophet, und das ganze

70

Heer bejubelte laut die kündenden Worte; noch viel mehr

Zeigte Erstaunen und Preude der Landsmann der Göttin Athene,

Süßer Hoffnung voll, als ob er in Marathon selber Nach dem indischen Krieg schon froh und stolz

triumphiere.

Und da eilte vom Himmel Hermeias, der Bote Kronions,

75

Nieder zu seinem Bruder, dem einsamen Bakchos im Bergwald,

Und er versicherte ihn des Sieges mit folgenden Worten:

»Sorge dich nicht um dies Zeichen, auch wenn es Nacht

ward bei Tage.

Dies ist, tapferer Bakchos, nur Vorverkündung des Sieges Von deinem Vater Kronion. Der wiederkehrenden Sonne

so

Neues Erscheinen vergleich ich dem hellerstrahlenden Bakchos,

Und die Finsternis ist der kühne, bräunliche Inder. Kann man doch amÄther das bildlich schauen, denn wie die

Finsternis verhüllte das Bild der strahlenden Eos7, Und dann Helios wieder auf feuerglänzendem Wagen,

85

Neu emporgestiegen, das nächtige Dunkel verjagte,

So verjagtest auch du von deinen Augen das finstre,

Undurchsichtige Dunkel der Tartarosgöttin Erinys; Strahlen wirst du im Kriege gleich Hyperion aufs neue. Führte doch nie herauf ein solches Wunder der greise

90

Aion, seit, getroffen vom Hauch des dämonischen Feuers,

Phaethon halbverbrannt aus des Helios glänzendem Wagen Köpflings niederstürzte, bedeckt vom keltischen Strome;

Und bei Eridanos’“Brauen bestöhnen den tapferen Jüngling Heute die Heliaden9 noch immer mit klagenden Zweigen.«

95

Achtunddreißigster Gesang

596

Sprachs, und voll Freude vernahm Lyaios die Hoffnung zu siegen, Und er fragte den Hermes und wollte noch Näheres hören Über die Himmelsmär, die den westlichen Kelten vertraut ist,

Wie sich Phaethon einst durch den Äther wälzte und warum loo Die Heliaden dann bei Eridanos’klagender Strömung,

In Gewächse verwandelt, von schönbeblätterten Bäumen Nieder in die Flut hellschimmernde Tränen geträufelt.

Freundlich öffnete Hermes auf diese Frage die Lippen,

Göttliche Kunde gab er dem wißbegierigen Bakchos:

los »Menschenerfreuender Hirt des irdischen Lebens, o Bakchos, Wenn dich ein süßes Verlangen nach alten Mären erfaßte,

Will ich die ganze Sage von Phaethon gründlich erzählen. Der Okeanosstrom, der die Wölbung des Weltalls umgürtet, Der um den feuchten Drehpunkt sein erdeumfassendes

Wasser

lio Führt und von Anbeginn mit Tethys ehelich lebte, Zeugte als wässriger Gott die Klymene10, schöner als alle Die Najaden, die Tethys am feuchten Busen ernährte,

Eine zarte Jungfrau mit blendenden Armen, um deren Schönheit Helios litt, der die zwölf Monde des Jahres ns Wälzt und die sieben Zonen11 des Äthers im Kreise durchwandelt.

Walter des Feuers, litt er durch anderes Feuer: des Wagens

Flamme, den Glanz seiner Strahlen bezwang das Feuer der Liebe.

Als er einst über der Bucht des besonnten Okeanosstromes Seinen heißen Leib in den östlichen Wassern erfrischte, 120 Da erblickte er nah die Jungfrau, wie sie im Strome

Nackend schwamm im Spiel auf der Flut des Vaters und

leuchtend

Hermes erzählt Phaetons Schicksal

597

Schimmerte dort im Bade; so glich sie im Glanze dem

hellen, Vollgerundeten Schein der doppelten Hörner, wenn abends

Sich die nährende Mene im stillen Wasser bespiegelt. Ohne Sandalen stand halbsichtbar im Wasser das Mägdlein;

125

Ihre rosigen Wangen beschossen Helios; mitten

Schnitten den Anblick des Leibes die Wellen, und damals verhüllte Keine Binde die Brust des Mädchens, durchglänzend die

Feuchte, Schimmerte rot das Rund der Kuppel der silbernen Brüste.

Und der Vater vermählte die Jungfrau dem Lenker des

130

Äthers. Klymenes Brautlied sangen die schrittbeflügelten Horen

Und das Hochzeitsfest des leuchtenden Helios; ringsum

Tanzten Najaden-Nymphen, und bei dem wässrigen Brautbett Wurde in blitzender Hochzeit gefreit die fruchtbare

Jungfrau,

Und mit kühlen Armen empfing sie den heißen Verlobten.

135

Brautbettdienender Glanz erstrahlte vom Heere der Sterne, Und der Stern der Kypris, Heosphoros12, Künder der Ehe, Flocht ein hochzeitlich Lied, und zum Geleite der Feier

Sandte bräutlichen Strahl statt einer Fackel Selene.

Hesperiden jauchzten; mit Tethys, der Gattin, zusammen

140

Brauste Okeanos laut Gesang mit quellender Kehle.

Klymenes Leib schwoll an durch die befruchtende Ehe, Und als reif die Frucht, gebar die Jungfrau ein Kindlein, Einen göttlichen Sohn von leuchtendem Glanze; es brauste

Bei der Geburt des Knaben ein Lied der Äther des Vaters. Als er dem Schoße entsprang, da wuschen Okeanos’ Töchter

145

598

Achtunddreißigster Gesang

Diesen herrlichen Sohn in den Wogen des Ahns, sie

umwanden

Ihn mit Windeln; da stürmten die Sterne in glänzendem Fluge, Wie sie gewohnt, hinab in die Flut des Okeanosstromes

iso Und umringten den Knaben. Die Wehemutter Selene13

Sandte leuchtenden Schimmer; und Helios nannte den

Knaben Mit seinem eigenen Namen, mit Recht, denn die Schönheit des Sohnes Zeugte dafür; es war auf dem strahlenden Antlitz des Buben

Sichtbar all der Glanz, der dem Vater Helios eigen.

iss Und Okeanos nahm zuweilen in zärtlichem Spiele Kinderliebend empor den luftdurchfliegenden Enkel

Mitten um den Leib. Er warf in das Sausen des Windes

Wirbelnd ihn empor, daß er sich drehte, und fing ihn Wieder mit der Hand beim Niederfallen, und wieder i6o Schleuderte er ihn hoch, und einem drehenden Rade

Glich der Knabe, entglitt Okeanos’kundigen Händen, Und dann stürzte er wieder ins wirbelnde, dunkle

Gewässer, Wie den eigenen Tod verkündend. Da seufzte der Alte,

Als er den Wahrspruch erkannte, doch schwieg er, nicht zu betrüben

los Die noch ahnungslose, den Sohn so liebende Tochter, Wenn er das bittre Gespinst von Phaethons Moira ihr sagte.

Eben erwachsen, bewegte der doch noch bartlose Knabe Bald sich in Klymenes Haus, und bald auch eilte er wieder Zu Thrinakias11 Auen, wo bei Lampetia häufig

170 Er verweilte und dort die Rinder und Schafe betreute.

Voller Sehnsucht, den Wagen gleich seinem Vater zu lenken,

Hermes erzählt Phaetons Schicksal

599

Fügte künstlich er eine Achse mit Hölzern zusammen,

Fertigte runde Räder an diesem kindlichen Wagen, Machte ein Zuggeschirr, und von blumenhegenden Gärten

Flocht er aus dünnen Ranken sich dreigewundene Geißel,

175

Und dann spannte er in die neuen Zügel vier Lämmer. Auch einen künstlichen Stern Heosphoros machte der Knabe

Sich aus weißen Blüten, gleich einem Rade gerundet, Ließ voran ihn laufen dem schienenprächtigen Wagen

Als des Morgensterns Abbild. Und rechts und links an die

iso

Locken Steckte aufrecht er sich feuerglänzende Fackeln,

Nachzuahmen so mit täuschenden Strahlen den Vater; Dann umfuhr er im Kreis die meerumbrandete Insel.

Als er herangewachsen in blühender Frische der Jugend15, Da berührte er oft des Vaters Flamme mit zarter

iss

Hand, und das heiße Geschirr und die Sternengeißel ergriff er, Machte sich mit dem Rade zu schaffen, berührte der Rosse

Leib mit den weißen Händen und freute sich solcherlei Spiele,

Und die feurigen Zäume betastete er mit der Rechten. Sehnsucht machte ihn toll, den Wagen zu lenken; sich setzend 190 Zu den Knieen des Vaters und flehend Tränen vergießend,

Bat er ihn um das Gefährt und den Lauf der ätherischen Rosse.

Aber der Vater verneinte den Wunsch, und da flehte der Knabe Süßer noch; um zu trösten ihn wegen des luftigen Wagens, Sagte zum jungen Sohn der Vater mit zärtlicher Stimme:

»O du Heliossohn, Geblüt des Okeanosstromes, Wünsch eine andere Gabe. Was soll dir der himmlische Wagen?

195

600

Achtunddreißigster Gesang

Meide den schnellen Lauf der Rosse, denn du vermagst nicht Meinen Wagen zu lenken, den ich ja selber kaum meistre. 200 Niemals18 war Ares, der wilde, mit flammenden Blitzen

gerüstet,

Sondern er bläst die Drommete und läßt nicht den Donner erklingen; Nicht versammelt Hephaistos die Wolken seines Erzeugers,

Nicht wird er wie Zeus ein Sammler der Wolken geheißen, Nein, er hämmert den Amboß bei seiner feurigen Esse; 205 Künstlichen Wind erzeugt er mit seinem künstlichen Blasen. Den geflügelten Schwan, nicht schnelle Rosse hat Phoibos;

Niemals hebt empor des Vaters feurigen Blitzstrahl Hermes, der Gott des Stabes, nicht hält er die Aigis des

Vaters.

Aber du sagst: ,er lieh Zagreus die funkelnden Blitze.1

2io Ja, der führte den Blitz, doch deshalb ist er verdorben.

Scheue auch du dich, Kind, ganz gleiche Leiden zu leiden.«

Nicht überzeugten die Worte den Knaben; zerrissenen Herzens17,

Ließ er noch heißere Tränen auf seine Gewänder entströmen. Seine Hände berührten das flammende Kinn seines Vaters;

215 Nieder kniete er dann zu Boden und beugte den Nacken Flehend, und dieser Anblick erfüllte den Vater mit Mitleid. Und auch Klymene bat und klagte noch stärker. Der Vater, Wohl erkennend im Herzen das unabwendbare Schicksal18,

Nickte schmerzlich Gewährung und wischte mit seinem Gewände

220 Ab den Tränenregen vom Antlitz des jammernden Sohnes,

Küßte seine Lippen und sprach so tönende Worte:

»Zwölf der Häuser gibt es zusammen im feurigen Äther19, Die befestigt sind auf rundem, wölbigem Tierkreis,

Hermes erzählt Phaetons Schicksal

601

Hintereinander, geneigt in einer Reihe, durch die nur

Schief der gewundene Pfad unsteter Planeten dahinzieht.

225

Und der kreisende Kronos19» durchwandert jedes der Häuser, Kriechend mit schweren Knieen, bis spät er mühsam vollendet

Zehn und zwanzig Kreise der stets erneuten Selene Auf der siebenten Zone Umkränzung. Und dann auf der

sechsten Kreist gegenüber Zeus auf schnellerer Bahn als sein Vater

230

Und durchwandelt sein Stück im Jahre. Und in der fünften Läuft in sechzig Tagen vorbei der feurige Ares,

Nachbar seines Erzeugers. Und ich in der vierten durchsteige

Selbst mit dem Wagen im Kranz das ganze Himmelsgewölbe,

Folgend den vielgekrümmten, am Himmel sich windenden

235

Kreisen2“. Den vier Jahreszeiten bestimm ich die Maße im Kreislauf

Um die gleiche Wende, bis ganz das Haus ich durchquerte

Und so angefüllt einen üblich vollendeten Monat. Erst wenn der Pfad vollendet, betret ich den Rückweg21, doch kehr ich

Nie in die alte Spur, dieweil die andern Planeten

240

Sich in mancherlei Windung auch wieder rückwärts bewegen Und dann wieder vorwärts, zugleich nach vorn und nach

hinten, Halb die Bahn vollendend und halb sie auch unterbrechend; Beiderseitig empfangen sie mein einseitiges Leuchten22.

Himmelbleichend gehört die gehörnte Selene zu ihnen;

Füllte sie ganz den Kreis23, so schafft sie den Monat mit

weisem

Feuer, mittelsichtbar, erst sichelförmig, dann Vollmond. Ich aber wälze dem Mond gegenüber als Kugel gestaltet

Meinen Schimmer zur Nahrung der garbenerzeugenden Mutter

245

602

Achtunddreißigster Gesang

250 Und umwandle den Drehpunkt im Tierkreis, dem ständigen Rundlauf; So erzeug ich die Maße der Zeit, und die Häuser

durchwandernd,

Schaff ich ein ganzes Jahr, nur Einen Kreislauf vollendend. Aber den Knotenpunkt24 vermeide, sonst kommt er zu nahe Und umwindet dein Fahrzeug mit einem schattigen Kegel, 255 Raubt dir das ganze Licht und deckt deinen Wagen mit

Dunkel.

Überschreite auch nicht den üblichen Bogen der Kreisbahn.

Siehst du die parallelen, gebogenen Kreise“ am Himmel,

Trage dann kein Verlangen nach den gestreckten und

krummen Linien und verlasse dann nicht die Fahrbahn des Vaters,

260 Daß dich die schweifenden Rosse nicht irreführen im Äther. Spähe nicht umher auf die zwölf Kreise der Fahrbahn, Eile von einem Haus zum andern, und wenn du mit deinem Wagen im Widder fährst, so dränge dich nicht nach dem

Stiere, Nicht verfolge den Boten der baldigen Ackerbestellung, 265 Den Skorpion unter Sternen, wenn du in die Waage

hineinfährst, Falls du noch nicht vollendet die dreißig Grade dazwischen.

Also höre mein Wort: ich will dich in allem belehren. Wenn ich den Widder28 erreiche, die Mitte des Alls und des

Himmels

Nabel, erhöhe ich mich und lasse wachsen den Frühling. 270 Aber den Wendekreis, den Boten des Frühlings, betretend, Wo die Länge der Nacht gleich ausgewogen dem Tage,

Lenk ich den tauigen Gang der schwalbenbringenden Höre. Wandernd durchs tiefere Haus, das gegenüber dem

Widder Steh ich in beiden Schalen derWaage und gebe die gleiche

Hermes erzählt Phaetons Schicksal

603

Länge dem Tag und der Nacht auf meiner Rückkehr am

275

Himmel

Und die entlaubende Bahn der herbstlichen Höre durchzieh ich, Mit geringerem Glanz zu dem niedrigen Wendekreis fahrend Im laubraubenden Monat; dann bring ich den Menschen den Winter Auf des fischigen Steinbocks28 vom Regen beschüttetem

Rückgrat, Daß die Erde dem Bauern viel nährende Garben bescheide

280

Und entbindenden Tau und begattenden Regen erhalte.

Auch bewirk ich den Sommer, den Ährenboten der Ernte; Dann mit heißeren Strahlen bedräng ich die glühende Erde,

Wenn mich meine Fahrt am oberen Wendekreis hinführt

Hoch im Krebs, er wandelt dem kühlen Steinbock genüber.

28S

Beides lass ich sich dann vermehren: den Nil und die Traube29. Wenn du die Bahn beginnst, geh nah an Kerne80 vorüber,

Phosphoros nimm als Begleiter, um nicht den Weg zu

verfehlen, Daß er dein Vorläufer sei, und dann in wechselndem

Wandern Lenken deine Fahrt die zwölf umkreisenden Horen.«

290

Also sprach der Vater und setzte Phaethon häuptlings

Seinen goldenen Helm, umgab ihn mit feurigem Kranze; Siebenfach umwand er des Sohnes Flechten mit Strahlen. Mit dem weißen Gürtel umkränzte er Phaethons Hüfte,

Und er bekleidete ihn mit seinem feurigen Leibrock

295

Und umschnürte ihm auch die Füße mit Purpursandalen.

Dann überließ er dem Knaben den Wagen; von östlicher Krippe Führten die Horen herbei des Helios feurige Rosse.

Kühn trat an das Joch Heosphoros, und er umschloß dort Mit dem hellen Geschirr der Pferde dienenden Nacken.

300

604

Achtunddreißigstcr Gcsanl

Phaethon aber stieg ein. Es gab ihm die Zügel zu lenken,

Schimmernde Zügel, dazu die bunte, glänzende Geißel, Helios, sein Erzeuger; er zitterte ängstlich und schweigend,

Denn er erkannte, wie kurz das Leben des Sohnes. Am Ufer

305 Sah ihn den Wagen besteigen die halb nur sichtbare Mutter; Klymene bebte vor Freude in ihrer Liebe zum Sohne.

Phosphoros funkelte schon, die morgenbringende Leuchte;

Da ging Phaethon auf. Den östlichen Bogen betretend,

Badete er in den Wassern des Ahns, des Okeanosstromes. 3io Kühn und hoch im Äther als Lenker der glänzenden Rosse

Schaute er weit den Himmel mit seinem Reigen von Sternen,

Wie er die sieben Sphären31 umschließt, und er sah die Planeten, Die da gegenläufig, und als ihr Zentrum die Erde

In ihrer Mitte befestigt, mit langen, ragenden Bergen

315 Überall hochgetürmt durch ihre inneren Winde; Und er beschaute die Ströme und des Okeanos Brauen32, Der seine Strömung wieder ins eigene Wasser zurückgießt.

Wie nun sein Auge den Äther und Haufen von Sternen erblickte,

Mancherlei Stämme der Erde, den ruhlosen Rücken des Meeres 320 Und die so vielen Sitze des weiten, unendlichen Weltalls,

Da durchliefen ihm seine ins Joch geschlossenen, hellen

Rosse den Tierkreisbogen nach ihrer alten Gewohnheit.

Unerfahren peitschte mit seiner feurigen Geißel Phaethon wie toll den Rücken der Pferde, und diese

325 Scheuten, wildgemacht von dem Stachel des grausamen Lenkers. Unwillig rannten sie über die Schranken des üblichen Pfades, Und die Rosse irrten am Achsendrehpunkt33 vorüber,

Hermes erzählt Phaetons Schicksal

605

Da sie ein anderes Geißeln gewohnt von dem früheren

Lenker. Und es herrschte Verwirrung bei Boreas’ nördlichem Rücken

Und beim südlichen Ende, und da bestaunten die schnellen

330

Horen am Himmelstor des Tages veränderte Formung; Eos zitterte bang, und der Stern des Phosphoros gellte:

»Wohin jagst du denn, Knabe; was treibst du den Wagen so rasend?

Spare die mutige Geißel. Vor beiden mußt du dich hüten:

Vor dem Chor der Planeten und dem der befestigten Sterne,

335

Daß nicht der kühne Orion mit seinem Schwerte dich töte, Daß nicht der greise Bootes mit flammender Keule dich schlagesl.

Hüte dich weiterhin vor irrem Treiben, damit dich Nicht der Himmelswalfisch in seinem Bauche begrabe, Daß dich der Löwe nicht zerreiße oder des Himmels

340

Stier dich nackengekrümmt mit flammendem Horne durchstoße.

Scheue dich vor dem Schützen, daß er die Sehne nicht

an zieht

Und dich dann erschießt mit feuerspitzigem Pfeile. Mag kein neues Chaos entstehen und morgens die Sterne Hell am Himmel erscheinen, und nicht womöglich am Mittag 345 Dann der taumelnde Tag der hellen Selene begegnen.«

Riefs, und Phaethon trieb den Wagen noch ärger im Zickzack

Bald nach Süden, nach Norden, nach Westen und wieder

nach Osten,

Und es herrschte Verwirrung im Äther. Des stetigen Weltalls Fügung erschütterte er, daß sich am Ende die Achse35

Krümmte, die mitten durch des Äthers Umschwung hindurchgeht.

350

606

Achtunddreißigster Gesang

Mühsam das Sterngewölbe, das selbst sich drehende, hebend,

Stand mit gebogenen Knieen gekrümmt der libysche Atlas36 Nun noch mit schwererer Bürde. Da streifte den Himmels­ äquator

355 Außerhalb des Bären mit krummer Windung des Bauches37 Zischend der Drache, der läuft mit dem Sternbild des

Stieres zusammen.

Gegen den brennenden Hundsstern erhob der Löwe sein Brüllen, Der den Äther erhitzt mit heftigem Feuer und kühnlich

Stand, mit zottigem Ansturm bedrängend des Krebses acht

Füße. 360 Hinten an den Flanken und Pranken des himmlischen Löwen Peitschte der dürstende Schweif die nahewandelnde

Jungfrau, Die geflügelte Maid; und an Bootes vorüber Stürmend, kam sie nah der Achse und traf auf den Wagen;

Und beim Westpunkt des Himmels, verirrtes Leuchten entsendend,

365 Stieß der Morgenstern auf den Abendstern38 ihm gegenüber.

Eos irrte umher, und statt nach dem üblichen Hasen Grill nach der irrenden Bärin des Sirius brennende Leuchte. Zwiefach verlassend der eine den Süden, der andre den Norden,

Sprangen auf den Himmel die sterngewordenen Fische, 370 Die dem Wassermann nah benachbart; mit tauchendem

Schwünge

Ringelte sich der Delphin im Tanz in Gesellschaft des Steinbocks.

Nahe dem Skorpion“’, der seitlich irrte vom Südpfad Und, sich ringelnd, bereits das Schwert Orions berührte, Zitterte dieser sogar als Sternbild, daß ihm die Ferse

375 Wieder mit seinem Stachel das kriechende Untier verwunde.

Jlermes erzählt Phaetons Schicksal

607

Und ihren halben Schein vom Antlitz speiend40, sprang schwärzlich

Mene schon am Mittag empor, denn sie konnte erborgten Glanz nicht mehr entwenden vom männlichen, feurigen Brande Phaethons ihr gegenüber und konnte sein Urlicht nicht

melken. Schweifender Widerhall auch der siebengestirnten Pleiaden

380

Hallte mit kreisendem Laut um den siebenzonigen Himmel. Und gleich ihnen auch aus sieben Kehlen erhoben

Tobend ein lautes Geschrei die Wandelsterne im Rücklauf. Stieß doch Zeus die Kypris und Ares den Kronos, mein

eigner Irrender Stern41 geriet nun nah der Frühlingspleiade.

385

Mit dem Siebengestirn verwandtes Leuchten vermischend,

Ging er halbsichtbar auf bei meiner Mutter, der Maia,

Seitlich vom himmlischen Wagen gewandt, mit dem er zusammen Oder am Morgen voran ihm läuft; am Abend dann aber

Sendet er späteres Licht beim Untergange der Sonne.

390

Wenn er auf gleichem Grad die gleichen Bahnen

durchwandelt,

Nennen die Sternerfahrnen ihn Herz der Sonne42 mit Namen.

Und von träufelndem Tau den streckenden Nacken befeuchtet,

Brüllte der Himmelsstier, der Freier Europas; schon hob er Seine gekrümmten Füße zum Lauf und senkte zu Boden Schief die Stirn mit dem scharfen Gehörn gegen Phaethon

feindlich

Und durchstampfte den Bogen des Himmels mit flammenden Hufen.

Und der kühne Orion43 zog neben der glänzenden Hüfte

395

Achtunddreißigster Gesang

608

Aus der Scheide das Schwert; Bootes schwang seinen

Krummstab. 400 Hoch erhob die Kniee der sterngewordenen Beine44

Pegasos, wieherte laut; mit den Hufen den Himmel erschütternd, Lief auf den nahen Schwan halbsichtbar der libysche

Renner.

Zornig schwang er die Flügel, damit er aufs neu einen

andern Lenker zu Boden schleudre vom Äther, wie er ja einstens

405 Auch den Bellerophontes vom Himmelsbogen geworfen. Nicht mehr bei dem obern, dem nördlichen Wendekreis tanzten,

Zugekehrt einander die Rücken, die kreisenden Bären,

Nein, sie gerieten nach Süden, und bei dem hesperischen Meere

Badeten sie den Fuß in den fremden Okeanosfluten.

4io Da aber schmetterte Zeus mit dem Blitzstrahl Phaethon

nieder,

Daß er wirbelnd hinab in die Flut des Eridanos45stürzte.

Neugewonnene Fügung wie früher fesselnd und einend,

Überließ er die Rosse dem Helios wieder und führte Wieder den himmlischen Wagen zum Osten; da liefen die schnellen,

415 Sonnendienenden Horen auf ihren üblichen Pfaden. Wieder lachte rings die ganze Erde; von oben

Reinigte weit die Felder ein Regen des Lebensverleihers Zeus, und er löschte mit nassem Getröpfel das schwelende

Feuer, Alles, soviel auf die Erde aus heftig brennenden Mäulern

420 Hoch vom Himmel gegeifert die wiehernden, glühenden Rosse.

Hermes erzählt Phaetons Schicksal

609

Auf ging Helios, lenkte den wiedergewonnenen Wagen,

Und es mehrte sich neu die Saat, es lachte der Weinberg Und empfing wie früher des Äthers belebende Leuchte.

Vater Zeus verstirnte den Phaethon droben am Himmel” Gleich einem Fuhrmann und auch mit diesem Namen; den

425

hellen

Himmelswagen haltend mit seinen schimmernden Armen,

Sieht er aus wie ein im Lauf hinstürmender Fuhrmann,

Gleichsam noch unter Sternen des Vaters Wagen begehrend.

Auch der versengte Fluß47 kam hoch zum Pol der Gestirne

Durch Gewährung des Zeus, und auf der sternigen Rundbahn 430 Dreht sich Eridanos nun mit feurig geschlängeltem Wasser.

Und die Schwestern des jäh gestürzten, verendeten

Fuhrmanns Wandelten ihre Gestalt in Gewächse; die klagenden Bäume

Träufeln den köstlichen Tau noch jetzt von den Zweigen hernieder.«

NEUNUNDDREISSIGSTER GESANG

So erzählte Hermeias, und blitzschnell schwand er zum Himmel;

Freude und Staunen ließ er seinem Dionysosbruder.

Während Bakchos noch immer sich über den Wirbel der

Sterne

Und des Phaethon Absturz verwunderte, wie bei den Kelten

5 Jener Feuerbrand in hesperische Fluten geglitten, Kamen inzwischen die Schiffe heran, die gegen die Inder

Auf dem Meere in Reihen die Rhadamanen1 zur Seeschlacht Lenkten und mit den Kielen die glatten Fluten durchkreuzten,

Während sie das Gewässer mit wechselnden Schlägen

durchfurchten, io Ruderleute des Krieges; und auf Lyaios’ Betreiben Pfiff ein geleitender Wind den neugefertigten Schiffen.

Lykos2 führte und fuhr den Wagen über das Wasser,

Ohne daß mit den Hufen die Rosse die Fluten berührten.

Hoch von den Zinnen8 bemerkte der macht’ge Deriadeskönig

15 Zürnenden Auges die Segel der Schiffe, die sich wie Wolken

Näherten, und sobald er in seinem Übermut hörte, Daß ein arabischer Meister die Schiffe zum Kampfe gezirkelt, Schwur er den Zimmerleuten Arabiens Krieg und

Vernichtung,

Und er drohte, er würde die Stadt des Lykurgos zerstören 20 Und mit dem Eisen mähend die Rhadamanen zermalmen.

Erneuerung der Kämpfe und der Seeschlacht

611

Bei diesem Anblick der Flotte erbebte der sonst so erprobte

Inder und sah voll Schrecken die Macht auf dem Meere, bis schließlich Selbst dem kühnen König die Kniee zitternd sich lösten. Mit gekünsteltem Lachen im ruhig-heitern Gesichte

Hieß der Inderfürst von seinen dreihundert Inseln1

25

Beim unzugänglichen Saum der Elefanlengefilde Mannschaft herbeizuführen; und schleunig eilte der Herold Auf die Straße und schritt durch die Lande mit hurtigen

Füßen. Und die Flotte kam rasch von vielen Gruppen von Inseln Auf des Königs Geheiß; der hob das Haupt voller Kühnheit,

30

Und zum Seekampf lenkend das schönbehelmte Geschwader, Sprach er mit mutiger Stimme zur ganzen Mannschaft ermunternd:

»Krieger, auferzogen von meinem erprobten Hydaspes, Kämpft jetzt wieder getrost und bringt ein flammendes Feuer Rasch zur Schlacht und dann entzündet zahllose Fackeln,

35

Daß ich mit glühenden Bränden die nahenden Schiffe vernichte

Und im Meere begrabe die wasserbefahrende Heerschar Samt ihren Speeren und samt ihren Panzern, samt Schiffen

und Bakchos. Ist Lyaios ein Gott, zerstör ich mit Feuer Lyaios. Ist es denn nicht genug, daß er listiges Gift5 in die Fluten

40

Goss und meinen Hydaspes mit Kräutern Thessaliens färbte, Und ich es schweigend sah und jetzt noch tatenlos trage,

Anzuschauen, wie gelb die Wellen des rasenden Stromes?

Würde diese Flut zu fremdem Flusse gehören,

Wäre sie nicht mein Vater, der tapfere Inder Hydaspes, Ja, dann hätt ich den Strom gefüllt mit lockerem Staube,

Um den Traubenduft des Dionysos so zu vermindern,

45

612

Ncununddreißigster Gesang

Hätte die trunkene Flut des eigenen Vaters beschritten

Und mit staubigen Füßen das Wasser trocken durchlaufen, so Wie man bei den Argeiern erzählt5’, daß der Länder­ erschüttrer

Einst das Wasser getrocknet, und daß die Hufe der Rosse Statt des Stromes den Staub des versiegten Inachos scharrten. Nein, er ist kein Gott, kein Gott: die Abkunft erlog er.

Was denn schüttelt er als olympische Aigis Kronions ?

55 Hat er denn einen Funken des zeusgeschleuderten Blitzes? Hält er etwa in Händen den himmlischen Strahl seines

Vaters ?

Nein, der Kronide rüstet sich nicht mit Efeu zum Kampfe;

Nicht vergleich ich das Lied des Donners mit Cymbelgeschmetter;

Auch den Thyrsos nenn ich nicht ähnlich Kronions Gewittern 60 Und bezeichne auch nicht Zeus’Wolke als irdischen Harnisch.

Wie mit farbigem Rehfell vergliche ich flimmernde Sterne ?

Aber man sagt, er empfing die Traube, die strömende Weinflut Als Geschenke von Zeus, dem pflanzensegnenden Vater. Einem ländlichen Hirten aus troischem Blute, dem Schenken 65 Ganymedes, verlieh Kronion den Nektar des Himmels. Thyrsosstäbe, entweicht! der Wein gleicht nimmer dem

Nektar. Bakchos schmaust auf Erden mit seinem Satyrgefolge, Doch an der Seite der Götter im Himmel speist Ganymedes. Stammt dieser Sterbliche wirklich von einem Vater im Himmel,

70 Würd er an gleicher Tafel mit Zeus und den Seligen sitzen.

Hörte ich doch, daß Zeus den Sitz und das Szepter des Himmels“ Dem Zagreus als Ehre gegeben, dem ältesten Bakchos,

Dem Zagreus den Blitz, dem Wein - Lyaios die Rebe.«

Erneuerung der Kämpfe und der Seeschlacht

613

Sprachs und stürmte zum Kampf. Zusammen strömten

die Mannen Mit ihren Speeren und Schilden, und späte Hoffnung zu

75

siegen Übertrugen sie nun vom Landkrieg auch auf den Seekampf.

Und mit rasender Stimme rief Bakchos den Kriegern entgegen:

»Starke Kinder des Ares und der gepanzerten Pallas, Deren Leben der Krieg und deren Hoffnung das Kämpfen,

Müht euch, auch zu Wasser den Stamm der Inder zu tilgen

so

Und erringt einen Sieg zur See nach dem Kampf auf dem Lande. Darum nehmt zur Hilfe im Seegefechte nun Stangen

Doppelt in die Hand, mit doppelter Fessel verbunden, Waffen zur See, zusammengefügt, mit eherner Spitze, Und beginnt auf dem Meer ein schreckliches Metzeln der

85

Feinde. Kommt den Gegnern zuvor, daß nicht der Deriadeskönig

Feuerleuchtend die Fackel erhebt und die Kriegsschiffe

ansteckt. Fechtet ohne Furcht, ihr Mimallonen! Die Hoffnung

Unserer Wasserfeinde ist eitel Prahlen; und wenn nicht Trotz aller Mühe der König den Sieg auf dem Lande

90

errungen,

Wo er doch hoch auf dem Rücken der Elefantenkolosse Wolkennah thronte, untreffbar und unerreichbar im

Luftraum, Dann bedarf ich sogar nicht meiner Streiter, dann ruf ich Keinen anderen Helfer als meinen Vater Kronion,

Den Gebieter des Äthers, den Herrn des Meeres; und will ich, 95

Werd ich Poseidon wappnen, den Bruder meines Kroniden, Daß er die indische Flotte mit seinem Dreizack vernichte.

614

Ncununddrcißigster Gesant

Einen breitbärtigen Helden vom Blute des Länder-

erschüttrers,

Glaukos’, hab ich zum Helfer, der meinem Theben

benachbart, loo Jenen Meeresbewohner Anthedons im Lande Aonien.

Glaukos hab ich und Phorkys8, und das vom Meere

bedrängte

Schiff des Deriades wird mir Melikertes9 versenken, Ehrend den blutsverwandten Dionysos, denn seine Mutter

Nährte, die Meeres-Ino, den Bakchos einstens als Säugling;

los Bot sie doch eine Milch den beiden: Palaimon und Bakchos. Auch dem prophetischen Greise, der meinen künftigen Seesieg

Mir aus der Tiefe der Wasser mi t seiner Stimme verkündet, Jenem Proteus’9 bin ich befreundet; es rüstet zur Seeschlacht Meine Thetis” die Töchter des Meeres, und in den Kämpfen ho Eilt meine Ino gewappnet den Bassariden zu Hilfe.

Auch den Aiolos’2 will ich zum Kampfe rüsten, damit ich Euros mit der Schleuder und Boreas werfend erblicke,

Meines Erechtheus Eidam, den Räuber der attischen Jungfrau,

Und als Kämpfer für Bakchos den aithiopischen Notos.

ii5 Zephyros wird noch stärker in stürmischem Streite die Schiffe

Meiner Feinde zerstören, denn Iris, meines Kronion Botin, hat er ja zur Lagergenossin. Nein, besser

Halte sich schweigend fern dem Inder- und Thyrsosgefechte Aiolos, dieser Frechling, und mit der üblichen Fessel

120 Schnüre er lieber zu den Schlauch der Winde’3, damit nicht Heldenhaft die Winde die Inder keuchend ermorden.

Ich will den Kampf beenden mit schiffvernichtendem

Thyrsos.«

Riefs und wappnete dann die zuversichtlichen Führer.

Schon ertönte laut die Trompete, des Krieges Verkündung;

Erneuerung der Kämpfe und der Seeschlacht

615

Kampferregender Ruf erscholl von den Flöten des Ares,

125

Alle Mannen versammelnd, und das getrommelte Kalbfell

Hallte zum Seekampf wider von ehernen Schlägern; es mischte Laut ihr Tosen dazu die heerschauleitende Syrinx.

Statt der Felsenstimme erscholl verhallender Kriegsruf Von der Meeresecho, der Pangeliebten, die nachspricht.

130

Wildes Getümmel erhob sich unter den Kämpfern, es

schallte Lautes Geschrei, und es kämpften die Mannen mit üblicher Kriegskunst.

Ganz umkränzten sie kreisend das Heer der Feinde, inmitten

Ward von verbundenen Schiffen die Flotte der Inder

umgürtet, Wie man Fische fängt im Netze. AiakosHaber,

135

Gleich als ob er den Enkeln die Seeschlacht von Salamis

künde, Rief bei Kampf beginn mit gottesfürchtiger Stimme:

»Wie du ja früher schon meine flehenden Bitten erhörtest Und von dem weiten Geflld die fruchtvernichtende Dürre Triebst und die lechzende Erde erquickt mit belebendem

140

Wasser,

Regenbringender Zeus, sei spät mir wiederum gnädig,

Ehre durch Wasser mich auch hier, und mancher mag sagen, Sieht er unseren Sieg: ,wie auf dem Lande Kronion Seinen Sohn verherrlicht, verherrlicht er ihn auch im Meere“.

Und ein andrer Achaier mag sagen: ,in einerlei Fügung

Ist auch ein Lebenerzeuger der mordende Aiakos; beides Tut er: er mäht die Köpfe der Feinde, gibt Früchte den

Furchen, Und so erfreut er Demeter und schafft Dionysos Wonne.“

145

616

Nexmunddreißigster Gesang

Schütze nun auf der Fahrt mein Schiff, denn wie ich dem

dürren 150 Erdenraume geschenkt das neubelebende Wasser,

Rüste ich auch den Schwall der tödlichen Schlünde des

Meeres,

Um mit den Heeren und Schiffen des indischen Königs zu kämpfen.

Szepterträger du des Lebens und Kampfes, mein Vater,

Sende mir deinen Adler15, den Herold meiner Erzeugung, 155 Laß ihn zur Rechten der Helden und meines Dionysos fliegen,

Und es schwebe den Feinden zur Linken ein anderer Vogel, Als ein Schicksalszeichen für beide, aber verschieden.

Einen der Vögel möchte ich fliegen sehen, dieweil er In den raffenden Fängen, zerrissen von schneidenden Nägeln,

160 Tot eine riesengroße, gehörnte Schlange111 dahinträgt, Um so vorzumelden das Ende des hörnernen Feindes; Aber beim Heer der Gegner, da fliege ein anderer, schwarzer, Dunkeigefiederter Vogel, der Inder Ermordung verkündend,

Als das schwarze Abbild des plötzlichen Todes, und willst du, 165 So prophezeie dazu mit Donnerschlägen den Sieg mir,

Und dein Blitz, der des Bakchos Geburt erhellte, verkläre

Deinen Sohn noch einmal mit Feuer, aber der Feinde Wohlgerüstete Schiffe vernichte dein Wetterstrahl völlig.

Vater, ja, gedenke Aiginas, daß du nicht schändest

170 Deiner Geliebten Freier, den fliegenden Vogel der Liebe.«

Riefs und kämpfte weiter. Es wrandte hinauf in die Lüfte17

Seinen Blick entgegen der wiederkehrenden Bärin Held Erechtheus und rief zum Eidam mit flehender Stimme:

»Boreas, wappne dich, Eidam, dem Vater deiner Gemahlin 175 Leih deinen Beistand im Kampf mit deinem Brausen und

biete

Erneuerung der Kämpfe und der Seeschlacht

617

So als Freiergabe den Sieg zur See für die Brautnacht.

Nahe des Bromios Schiffen mit flotteerrettenden Winden Und sei beiden gnädig, dem Bakchos und dem Erechtheus.

Peitsche das rasende Meer entgegen Deriades’ Schiffen, Wappne mit wogendem Brausen die Wut deiner wehenden

iso

Winde; Bist du doch wohlerprobt in solchem Kampfe, weil du ja Auch in Thrakien wohnst wie der streiterfahrene Ares —;

Und die Reihen der Feinde bedränge mit widrigen Winden, Mit bereiftem Speer bewehre dich gegen den König,

Überfalle die Feinde mit heftig kämpfendem Sturmwind,

iss

Schieße auf die Gegner mit harten Hagelgeschossen,

Halte Zeus die Treue und auch Athene und Bakchos.

An Kekropien18 denk mit den herrlichen Mädchen: da weben

Bunt die Weiber im Bilde die Hochzeit mit deiner Geliebten.

Ehre den Hochzeitsführer Ilissos ”, wo dir die Lüfte

190

Hoch das attische Mädchen entrafft als Lagergenossin, Wie unerschüttert sie saß auf deinen ruhigen Schultern.

Zwar ich weiß, es kommt zu Hilfe den Feinden ein andrer Östlicher Wind, den Indern benachbart, aber im Kampfe

Zittre ich nicht vor ihm, dem frechen Ostwind, denn alle

19;

Flügelbehafteten Winde, die wehen, sind Boreas hörig. Der Aithiopen Gebieter Korymbasos2" kehre nicht wieder An den südlichen Rand der Erde, er werde bewältigt,

Ob auch sein heißer Helfer der aithiopische Südwind,

Und Korymbasos trink auf dem Meere das tödliche, kalte Wasser, ich kümmre mich nicht um Zephyr, wenn Boreas hilfreich.

Zeig deinem Schwiegervater dich wohlgesonnen; vom Himmel Wird zusammen mit dir Poseidon den bakchischen Scharen Mit dem Dreizack beistehn und helfen im Kampfe, gleich

Pallas,

20

618

Neununddreißigster Gesang

205 Sie ihren Bürgern und er der Sippe des eigenen Bruders. Auch der Feuerhephaistos, das Blut Erechtheus’21 zu ehren, Wird mit Wohlgefallen zum Wassergemetzel erscheinen, Um auf Deriades’ Schiffe die streitbare Fackel zu wirbeln. Auch zu Wasser gewähre mir Sieg, und es bringe Erechtheus 210 Unversehrt sein Heer danach in Kekropiens Lande, Und es besinge Athen dann dich und Oreithyia.«

Also rief er und stürzte sich in die wogenumbrüllte Schlacht mit kundiger Lanze, und als ein Marathonbürger Hatte er Lust am Seekampf; im Rudertreffen war damals 215 Ares22 wohlgerüstet als Schilfer, es hielt in den Händen Phobos das Steuerruder, und Deimos, der Leiter des Treffens, Löste die Haltetaue der lanzenstarrenden Schiffe. Auf dem Meere fuhr die Schar der Kyklopen, und schleudernd Warf sie auf die Schiffe die ufergebrochenen Klippen, 220 Und Euryalos23 schrie zum Streit, im brandenden Seekampf Raste zur Schlacht Halimedes, der himmelragende Riese. Und bei beiden Heeren schrie laut der Ares des Meeres Nach der Festlandsfehde; mit meerdurchbrausendem Schlachtschrei Strömten wider die Schiffe des Bakchos die indischen Schiffe. 225 Beiderseits tobte Gemetzel, es kochten die Wogen von Mordblut. Leute fielen in Massen auf beiden Seiten, von frischem Blute rötete sich der Rücken des bläulichen Meeres.

Zahllos da und dort ins ausgegossne Verderben Stürzten Schiffer und schwammen nun auf den Fluten gedunsen; 230 Wirbelnd in den Wellen und von den Winden geleitet,

Erneuerung der Kämpfe und der Seeschlacht

619

Trieben Scharen von Leichen im Wettlauf mit wütigen Winden.

Während die Wirbel der Schlacht sich wälzten, glitten

gar viele Tief in die Flut und tranken gezwungen das bittere Wasser Und erlagen dem Netz der meerabgründigen Moira21, Schwer vom Panzer bedrückt; es barg das finstere Wasser

235

Viele gleichfarbigen Leiber der dunklen, gedunsenen Leichen

In der tangreichen Tiefe, und samt dem schiffenden Träger Wurde von Schlamm und Lehm bedeckt der eherne Leibrock. Und es wurde zum Grab das Meer; im Maule der Seebrut

Wurden gar viele bestattet. Im fischdurchwimmelten

240

Schlunde Schüttelte und begrub einen hauchlosen Toten die Robbe; Gelbliches Blut erbrach sie. Und der Vernichteten Rüstung

Deckte die Flut des Meeres; des frischgemetzelten Trägers Buschiger Helm schwamm oben von selbst durchs Wasser,

das Kinnband Hatte sich ja gelöst, und auf den wirbelnden Wogen

245

Irrten treibend umher gar manche wölbigen Schilde

Samt den durchnässten Riemen, und auf den Wassergebirgen Sprudelte rötlicher Schaum aus den graulichen Fluten des

Meeres; Blutige Spuren durchzogen weithin die weißlichen Wogen.

Und Melikertes wurde von blutigen Tropfen bepurpurt,

250

Und Leukothea“ jauchzte laut auf, die Amme des Bakchos,

Stolz den Nacken erhoben, und wegen des Indergemetzels Kränzte die Nymphe ihr Haar mit den blühenden Zweigen des Seetangs.

Über das Wasser erhob sich Thetis ohne ihr Kopftuch,

Stützte ihre Hände auf Panopeia26und Doris Und betrachtete fröhlich den Thyrsosträger Lyaios.

255

620

Neununddreißigster Gesang

Aus der Tiefe des Meeres durchschwamm Galateia27 die Seebucht,

Halb nur sichtbar durchschnitt sie den glatten Spiegel des Meeres.

Als sie das schreckliche Wüten des Mordkyklopen28 im Wasser

260 Sah, da bebte sie bang; vor Schrecken erblassten die Wangen.

Glaubte sie doch Polyphemos im Inderkampfe zu sehen, Wie er Bakchos zur Seite den indischen König bekriegte. Zitternd flehte sie laut zur Aphrodite des Meeres,

Daß sie den tapferen Sohn des Gottes Poseidon errette;

265 Dann beschwor sie sogar seinen zärtlichen, bläulich-

gelockten Vater, selber zu schützen den tapferen Sohn Polyphemos. Und es umkreisten den Herrn des abgrundgebietenden Dreizacks

Alle Töchter des Nereus. Gelehnt auf die zackige Waffe,

Sah auf den nahen Kampf der mächtige Meeresgebieter,

270 Er beschaute das Heer des starkgepanzerten2S Bakchos Und erblickte voll Neid den Kampf eines andern Kyklopen

Und sprach heftig scheltend zum Flutdurchtober Lyaios:

»Bakchos, du hast zur Schlacht so viele Kyklopen gesammelt.

Einen einzigen nur beließest du fern diesem Kriege,

275 Und so hat dir der Kampf nun sieben Jahre gedauert Voller schwankender Hoffnung im unermeßlichen Streite,

Weil doch deine Krieger in diesem gewaltigen Ringen

Alle Einen vermissen, den unbesiegbaren Helden

279 Polyphemos; wär dieser, mein Sohn, zur Fehde gekommen, 281 Hätte er hier den Dreizack, des Vaters Waffe, geschwungen, 280 Ja, dann hätte er sicher im Kampf an Dionysos’ Seite

284 Bald des Deriades Brust, des stiergehörnten, durchstoßen

Erneuerung der Kämpfe und der Seeschlacht

621

Und die Feinde in Menge mit seinem Dreizack gemetzelt

282

Und so an einem Tage die sämtlichen Inder erschlagen.

283

Auch schon ein anderer Sohn von mir - er hatte der Hände

2ss

Hundert — hat deinem Erzeuger beim Sturz der Titanen

geholfen. Viele Arme hatte Aigaion30, und Kronos erbebte,

Als seiner Hände Verzweigung der Riese himmellang streckte

Und mit gesträubten Haaren das Licht der Sonne verschwärzte;

Da aus dem Himmel entwichen die grausen Titanen und

290

flohen Vor des Briareos Wut und seinen gewaltigen Armen.«

Solcherlei Worte rief der Gott in neidischem Unmut. Doch die verschämte Thoosa31 ließ niedersinken die Wangen,

Weil so liebestoll Polyphemos dem Treffen sich fern hielt.

Als sich zu Ende32 neigte die Plage des brausenden Streites,

295

Da gewahrte Nereus sein Meer mit Blut übergossen, Staunend sah auch Poseidon den Rücken der Wellen gerötet

Und wie die Fische von Leichen sich nährten und alle die Toten

Wie eine trockene Brücke die Fläche des Meeres

bedeckten ---------(Bakchos’ Scharen stürzten sich auf die bräunlichen

Krieger)33

Eine unendliche Schar der Feinde stürzte; von denen, Die in der Schlacht von Schwertern und scharfen Pfeilen

getroffen,

Drang das Geschoß in die Weiche dem einen, den anderen aber

300

622

Neununddreißigster Gesant

Hatte die eherne Lanze gerad an der Schläfe verwundet

305 Und ein gewaltiges Loch in seinen Schädel gegraben. Viele aus der Menge der Schiffer spalteten rudernd Da und dort die See mit ihren wechselnden Schlägen, Daß mit weißem Gischt die blauen Fluten sich färbten,

Aber unnütz war die Mühe der eiligen Schiffer, 3io Und mit dem Eisen durchhieb die engverbindenden Stricke

Einer der Schwertbewehrten und teilte das Tau mit der Waffe.

Und von den beiden Geschwadern entstand in den Lüften ein Zischen

Durch einen strömenden Regen langschattender, treffender

Pfeile; Einer traf mitten den Mast, ein anderer aber durchbrauste 3i5 Schnell die Lüfte und bohrte sich in das drehbare Segel.

Einer haftete tief im Spanntau, ein andrer im Mastschacht,

Und da lag er. Ein weitrer, die Luft durchschneidender Pfeilschuß Traf gerade die Spitze der hocherhobenen Rahe.

Einer der Pfeile stak ganz tief im Verdecke, und andre 320 Waren abgeirrt vom Ziel, wohin sie gerichtet,

Und nun streiften sie wirr die äußerste Spitze des Steuers. Phlogios“ aber, der Schütz, zog an die Sehne, doch traf er

Nur die Rippen des Schiffs, verfehlte aber Lyaios.

Einen geflederten Pfeil, der auf dem Wasser dahintrieb,

325 Sah man, von einem Polypen mit krummen Armen umschlungen.

Einer fehlte den andern; mit erythräischem Eisen Traf den Pompilos-Fisch85 statt Bakchos einer der

Schleudrer. Mit der Lanze versuchte Korymbasos einen der Satyrn

Grade am Schwänze zu treffen, er fehlte aber, und sausend

330 Ritzte der Speer einen Fisch am doppelflossigen Schwänze

Erneuerung der Kämpfe und der Seeschlacht

623

Mit seiner Spitze. Es sandte, sein scharfes Eisen gebrauchend, Auf ein zweckloses Ziel, den unverwundbaren Bakchos, Seinen Speer der König; er sauste an Bakchos vorüber. Einem Delphin durchschnitt die verderbliche Schärfe den Rücken, Da wo der krumme Nacken des Fisches den Flossen sich 335 anschloß. Kreisend, wie üblich, drehte der Fisch sich sterbend im Tanze; Halbgetötet schnellte er sich noch einmal nach oben. Zahlreich da und dort, dem sichern Verderben verfallen, Tauchten und tanzten Fische mit pfeildurchschossenem Rücken.

Sleropes36 kämpfte allen voran; Halimedes im Laufe Griff mit der Hand einen Vorsprung der meergeborenen Höhe, Hob ihn und warf ihn wider die Feinde; das wankende Seeschiff Sank, getroffen vom Rund des radgebildeten Steines. Eine von Schiff zu Schilf weit über die Wogen geworfne, Scharfe Lanze knüpfte mit einer gemeinsamen Fessel Beide Schiffe zusammen; sie prallten, als wären sieWolken, Enggeballt aneinander, und laut erdröhnte der Nachhall.

340

345

Beide Flotten kämpften in vier geteilten Geschwadern: Eines, im Rücken getrieben vom hellen, wehenden Ostwind, Eins bei dem tauigen Fittich des Westwinds, ein andres 350 beim Nordwind Und das vierte im Süden. Mit stets erneuertem Andrang Schreckte der schnelle Morrheus, sich schwingend von Fahrzeug zu Fahrzeug, Hart die Bassariden im grausen Kampfe zu Wasser,

624

Neununddreißigster Gesani

Auch auf dem Meere ein Held im Streite, doch Euios traf Hin 355 Mit dem Thyrsos und trieb ihn aus dem nassen Gemetzel;

Qualgeschüttelt eilte der Inder zur Feste von dannen.

Während wundertätig ihm dort die göttliche Wunde Die Brahmanen37 heilten durch lindernde Künste Apollons

Und mit beschwörendem Lied und heilig sühnendem Sange, 360 Warf der lydische Bakchos aufs neu sich wider die Inder.

Wo die Schiffe auch fuhren, war Kampf, und es eilte Enyo

Fechtend den Segeln voran; im meerdurchbrausenden Treffen

Herrschte verschiedener Kampf auf beiden Seiten, es fielen

Viele Feinde, getroffen von harten Felsengeschossen

365 Oder von mordenden Zweigen, von Lanzen oder von Schwertern, Griffen ins dunkle Gewässer mit schwimmunkundigen Händen Und ereilten ihr Grab in den ruhlosen Wellen des Meeres.

Sank aber einer der Streiter des Brornios in das Gewoge, Rührte er rüstig die Arme und hielt sich oben und teilte 370 Wasserbekämpfend die Wellen und stritt im brausenden Treffen

Nun mit den Wogen wie früher mit Männern und kreuzte das Wasser.

Und da neigte Kronion die Waageschalen der Seeschlacht,

Daß dem Dionysos er den Sieg zu Wasser bereite;

Und der Bläulichgelockte, bewehrt mit dem Dreizack des Meeres,

375 Kämpfte wider die Gegner, und, unbenetzt von den Fluten, Lenkte Melikertes den rasenden Wagen Poseidons.

Reitend über das Meer in viergewirbeltem Ansturm, Wappneten sich die Winde und türmten Wogen auf Wogen,

Erneuerung der Kämpfe und der Seeschlacht

625

Gierig, zu versenken die Reihe der feindlichen Schiffe.

379

Dem Deriades halfen die einen, die andern dem Bakchos;

38i

Zephyros war gerüstet, der Südwind zischte dem Ost zu;

380

Boreas stürmte herbei mit thrakisch wehender Brise,

382

Und er geißelte wild den Rücken des tobenden Meeres, Und des Deriades Flotte regierte Eris und lenkte Sie im Treffen, jedoch die Segel der Schiffe des Bakchos

305

Bauschte die Göttin Nike mit indermordenden Händen. Nereus preßte im Streit an den nassen Mund eine Muschel, Und er brüllte ein Lied auf dieser Meerestrompete.

Thetis brauste auch eine meerdurchschallende Weise

Und beschirmte Lyaios mit heimatlichem Gewoge.

390

Einer der Kabiren, Eurymedon, mit dem gewohnten

Brand in Händen, erfand eine helfende Kriegslist: sein eignes

Schlachtschiff steckte er an freiwillig mit feuriger Fackel, Und nun irrte das Schiff den feindlichen Schiffen entgegen Auf des Bakchos Geheiß und sprang umher auf den Wogen;

395

Und auf gewundener Bahn schwamm nun von Fahrzeug zu Fahrzeug

Dieses wandelnde Feuer in selbst sich drehenden Kreisen Und entzündete da und dort die verschiednen Geschwader.

Wie eine Nereide die feurigen Fluten erblickte, Tauchte sie ohne ihr Stirnband hinauf aus der Tiefe des Meeres, 400

Und durch die brennende Flut entfloh sie den wässrigen

Flammen.

Und da entwich die Schar der Inder vom Meere ans Ufer.

Helios lachte, weil nun wie einst aus früheren Fesseln38 Ares im Seekampf genötigt, dem Feuerhephaistos zu weichen.

Schnell entfloh der König beim Anblick der eilenden Flamme 405

Ins Gefild und regte geschwind die Kniee, der nassen

Kampfwut des Meereskriegers Dionysos so zu entweichen.

VIERZIGSTER GESANG

Nicht entging er der Dike1, der allesschauenden, auch nicht Dem Gewebe der harten, unbeugsamen Spinnerin Moira2, Nein, als Pallas Athene den weichenden König erblickte Saß sie doch im Meer auf einem felsigen Vorsprung, 5 Um die gerüsteten Inder von dort im Seekampf zu sehen — Sprang sie auf von der Warte, in einen Krieger verwandelt, Um mit berückender Rede den Herrscher der Inder zu täuschen, In des Morrheus Gestalt, und dem Lyaios zu liebe Hemmte sie nun den König, und wie besorgt um das Treffen, io Strömten ihr schaurige Worte mit heftig-tadelnder Stimme:

»Herrscher, du entfliehst? Wem überläßt du den Seekampf? Wagst du vor deinen Bürgern dich so zu zeigen, und willst du Ruhig ins Antlitz schauen der tapfern Orsiboe3, wenn sie Hört, Deriades floh und ist vor Weibern gewichen? 15 Schäme dich vor der starken Cheirobie4, daß sie nicht merke, Wie du dich drückst vom Kampf mit dem waffenlosen Lyaios, Sie, die mit rasendem Speer und mit dem wuchtenden Schilde Gegen die Bassariden gekämpft an der Seite des Gatten. Scheue dich, mir, dem Morrheus, den Kampf zu lassen, doch willst du, 20 Werde ich selber im Streit den kraftlosen Bakchos vernichten. Schwiegervater nenne ich keinen Flüchtling; ein andrer Werde der Gatte deiner Cheirobietochter, denn schamvoll

Dcriadcs fällt im Kampf

627

Will ich die Stadt verlassen, zum Lande der Meder zu ziehen Oder nach Skythien gar, um nicht dein Eidam zu heißen.

Doch du wirst sagen, es kenne den Kampf meine tapfre

25

Gemahlin. Auch im Kaukasos gibt es Amazonen, wo viele

Weiber noch viel besser als deine Cheirobie kämpfen. Ohne Freiergabe will ich eine derbe Gefangne Dort zur Ehe mir holen, wie mir gefällig, denn nicht mehr

Nehme ich in die Kammer die Tochter des flüchtigen Vaters.« 30

Also beredete sic den stolzen Deriadeskönig

Und beseelte mit Mut ihn nochmals, daß er erliege Unter der mordenden Wucht des Thyrsos des kämpfenden Bakchos.

Und der Kühne, der nicht die listige Pallas erkannte Und nicht merkte, daß ihn ein falscher Morrheus so

35

schmähte,

Ließ mit schamvoller Lippe nun diese Beschwichtigung hören:

»Spare deine Worte! Was schiltst du mich, tapferer Morrheus?

Nein, dieser stete Verwandler5, der ist kein Krieger, kein Krieger.

Ratlos bin ich, mit wem ich kämpfe und wen ich bewerfe. Strebe ich, Bakchos zu treffen mit einem geflederten Pfeile

40

Oder ihn mit dem Schwert auf den Nacken zu schlagen, am Leibe

Ihn mit dem Speer zu verwunden, erreiche ich statt des

Lyaios

Einen scheckigen Pardel, der schnellend wider mich anspringt---------(Richte ich aber den Speer auf das bunte Fell dieses Untiers“, 43u

Vierzigster Gesang

628

43b Seh ich den Pardel nicht mehr, es öffnet ein Löwe den

Rachen)

Eilig such ich den Nacken des wilden Löwen zu treffen, 45 Da statt seiner gewahre ich eine entsetzliche Schlange.

Greif ich sie an, erscheint mir statt ihrer der Rist eines Bären.

Gegen die Biegung des Ristes entsend ich die stürmische Lanze,

Aber vergeblich schwing ich die lange Waffe, es zeigt sich Unverwundbaren Feuers Geflacker an Stelle des Bären.

so Einen sich nahenden Eber erblick ich, vernehm eines Rindes Brüllen, und statt einer Sau erscheint ein Stier mir, die Stirne

Tief zu Boden gesenkt, und stößt mit funkelnden Hörnern

Meinen Elefanten. Und so gegen mancherlei Tiere Zück ich mein Schwert und kann kein einziges Tier überwinden.

55 Einen Baum erblick ich und schwinge dieWaffe, doch flieht er

In die Bahnen der Luft, und ich sehe ein Wasser sich

krümmen. Daher zittre ich vor den Zauberkünsten und Wundern

Und mit Dionysos meid’ ich, so wetterwendisch zu kämpfen.

Doch nun will ich mich wieder dem Bakchos stellen, um diese 60 Künstlichen Gaukeleien des Ränkeschmieds zu entlarven.«

Sprachs und rüstete sich aufs neue, wütend wie immer.

Wieder brauste der Kampf im Felde, und gegen den tapfern

Bakchos wappnete sich der König nun nach der Seeschlacht, Und er hatte vergessen den früheren Sieg des Lyaios,

65 Wie er einst, am Nacken von Pflanzenfesseln umflochten’,

Seine flehenden Bitten verzweifelt zu Bakchos erhoben. Wieder bekämpfte der Held den Gott, er hatte die Absicht

Zwiefach: entweder Lyaios zu knechten oder zu fangen. Dreimal entfuhr ihm der Speer und fehlte und traf nur die Lüfte,

Deriades füllt im Kampf

629

Wie er jedoch zum vierten den Gott des Weines berannte

70

Und zum zwecklosen Ziel die schwebende Lanze entsandte, Rief der gewaltige König als einen Beistand im Kampfe8 Seinen Eidam herbei; doch nirgends war Morrheus zu sehen,

Sondern Athene, die wieder sich listig zur Gottheit gewandelt,

Half dem Gott der Trauben, und wie das Deriades merkte,

75

Lösten sich seine Knie in unermeßlichem Bangen. Nun erkannte er, daß ein menschlich täuschendes Abbild

Nachgeahmt den Morrheus und ihm nur trügend geglichen.

Nun durchschaute der König die List der klugen Athene, Aber Dionysos freute sich bei dem Anblick der Gottheit,

80

Denn er erkannte im Herzen: sie half ihm im Streite als Trugbild.

Und nun faßte der Zorn den Traubengott, und er tobte Hochgereckt und riesig, als wär er der Fels des Parnassos,

Und er verfolgte den raschen Deriades, aber der eilte Flüchtig gestreckten Laufs dahin, so schnell wie die Lüfte.

85

Aber als sie den Ort erreicht, wo die wütenden Wellen Kampferzeugend in Strudeln der alte Hydaspes verströmte, Blieb der eine stehn gewaltig am Ufer des Flusses, So als hülfe sein Vater, der rauschende Kämpfer, dem

Streiter Als ein feuchter Beschießer des waffengerüsteten Bakchos;

90

Und der Rebengottwarf den hautzerschneidenden Thyrsos, Doch nur die äußerste Haut des Königs konnte er ritzen; Aber als dieser getroffen vom männervernichtenden Efeu,

Glitt er kopfüber hinab in die strömendenWasser des Vaters.

Er überbrückte das breite Gewässer mit riesigen Gliedern, Suchte und fand den Tod. Nun kehrten die Götter nach

langem

Inderkriege zurück mit dem waltenden Zeus in den

Himmel.

95

630

Herzigster Gesang

Überall jauchzten die Bakchen, des unbesiegbaren Bakchos Sieg besingend, sie strömten in Menge zusammen und schlugen loo Wunden mit ihren Lanzen dem Leib des Deriadeskönigs.

Jammervoll klang das Klagen Orsiboes hoch auf den Zinnen Und sie beweinte den Gatten, der eben erschlagen dahinsank Mit ihren Nägeln zerriß sie traurig ihr rundliches Antlitz

Und sie zerraufte den Schopf des krausen, verwilderten Haares, los Und sie beschüttete auch ihr Haupt mit rußiger Asche,

los Auch Cheirobie schluchzte um ihren erschlagenen Vater, loo Und sie peitschte sich selbst mit dunkeln Armen; ihr helles

107 Kleid zerriß, und da entblößte sie ganz ihren Busen. loo Frei von ihren Sandalen, zerfleischte Protonoe’ihre

iio Wangen und schändete so ihr staubbesudeltes Antlitz.

Und sie weinte um beide, um ihren Gemahl und den Vater Doppelt von Schmerz bedrückt, und schrie mit trauernder Stimme:

»Gatte, vom Leben schiedest du jung und hast mich als Witwe Im Palaste gelassen, noch niemals hab ich geboren,

ns Keinen kleinen Sohn zum Tröste; nicht nach dem Siege Sehe ich wiederkehren den Gatten, nein, von dem eignen

Eisen ward er bezwungen und gab seinen Namen den Wogen. Unter Fremden erlag er: so nenn ich denn Gatten den

feuchten, Samenlosen Orontes, der selbstgemordet nicht heimkehrt. 120 Beide muß ich bejammern, Deriades und auch Orontes;

Gleich erlagen beide dem nassen Tode: die Welle Barg den mordenden König, die Flut begrub den Orontes.

Meiner Mutter gleiche ich nicht; Orsiboe nämlich

Deriades fällt im Kampf

631

Feierte doch zuvor der eigenen Töchter Vermählung, Sah Protonoes Hochzeit, empfing den Eidam Orontes, Einte Cheirobie mit dem unbesiegbaren Gatten, Der sogar den großen Dionysos schreckte. Noch lebend Hegt Cheirobie ihren Gemahl, den weder der Thyrsos Noch die Flut bezwang, doch ich trag doppelte Leiden: Ging doch mein Gatte dahin und ward mir mein Vater erschlagen. Amme, laß ab, vergebens dein Kind zu trösten, gewähre Mir meines Mannes Besitz, dann klag ich nicht mehr um den Vater, Zeige mir einen Sohn, mich um den Gatten zu trösten. 0, wer brächte mich wohl zum breiten Strome Hydaspes, Daß ich küsse die Flut des honigträufelnden Stromes ? 0,wer brächte mich wohl zum heiligen Tale von Daphne10, Daß ich im Wasser auch noch Orontes könnte umarmen ? Wär doch ein liebender Fluß auch ich, 0, wäre doch ich auch Wasser geworden durch Tränen, um dort als Quelle zu sprudeln, Wo mein Wassergemahl im Tode strömend dahinfließt, Ich als Wassergemahlin ! dann würde ich sein wie Komaitho u, Die in den reizenden Fluß sich einst vor Zeiten verliebte Und voll Freude auch jetzt noch den Gatten Kydnos umklammert. Diese Mär, die sich die kilikischen Männer erzählen, Hab ich von meinem Schwager, dem Helden Morrheus, vernommen12. Doch ich Sehnende gehe nicht an dem süßen Orontes Flüchtig wie Periboia13 vorüber, nicht zieh ich des Wassers Krümmung zurück und werd mir den feuchten Gatten bewahren. Wenn ich nicht sterben durfte in Daphne11, nah dem Orontes, Möge der Vatersvater Hydaspes im Wasser mich bergen,

125

130

133 135 136 134 137

iio

145

iso

632

Vierzigster Gesang

154 Daß ich nicht schlafen muß im Arm eines hörnernen Satyrs, 151 Daß ich den phrygischen Festschwarm nicht sehe, nicht

Cymbeln in Händen 152 Schwingen muß, nicht begehen die scherzenden W’eihen,

nicht sehen

153 Muß Maionien ''5, nicht den Tmolos, das Haus des Lyaios 155 Oder das lastende Joch der Knechtschaft, daß man nicht künde:

.Kriegsgefangen ist die Tochter des lanzengewait’gen Königs Deriades nun nach dem Kampf dem Dionysos hörig b

Riefs und stöhnte gar kläglich, mit ihr die Weiber zusammen Denen ein Sohn oder Bruder gefallen oder der Vater 160 Oder ein junger Gatte mit flaumigem Barte. Vom Haupte Raufte Cheirobie wild das Haar und zerkratzte die Wangen

Zwiefach von Qualen gegeißelt, und sie bestöhnte den Vater Nicht so schwer, wie sie auf ihren Gatten erbittert. Hörte sie doch von der Not des rasend liebenden Morrheus

165 Und von der täuschenden List der züchtigen Chalkomedeia,

Und sie zerriß ihr Gewand und rief mit klagender Stimme:

»Ohne Speerwurf erschlug doch Morrheus meinen Erzeuger;

Nicht ward er zum Rächer des Toten, und Chalkomedeia Wild begehrend, vertrieb er nicht die kämpfenden Weiber,

170 Nein, noch ist er gefällig den Bassariden. O Moiren, Sagt, welch neidisches Schicksal zerstörte die Inderstadt,

welches

Neidische Schicksal befiel die beiden Deriadestöchter? Sank im Kampfe doch Orontes, und ohne Versorgung

Ließ er als trauernde Witwe Protonoe, seine Gemahlin,

175 Und der Cheirobie, die noch lebt, entsagte der Gatte. Noch viel schlimmere Leiden als meine Schwester ertrag ich:

Hatte Protonoe doch einen vaterlandliebenden Gatten,

Deriades fällt im Kampf

633

Aber Cheirobies Gatte war ein Vernichter der Heimat, War ein unnützer Streiter, ein tapfrer Gefolgsmann der

Kypris, Flatterhaft-wetterwendisch und eines Sinnes mit Bakchos.

iso

Gegen mich auch war mein Gatte gerüstet, denn während Morrheus schmachtete, wurde die Stadt der Inder geplündert.

Dank meinem Manne ward ich beraubt des Vaters, und die ich

Früher die stolze Tochter des Königs, die Fürstin der Inder, Werde auch ich zur Magd; am Ende werde ich Arme

iss

Sklavin Chalkomedeias und muß sie Gebieterin nennen. Heute, Betrüger Morrheus, gefällt dir noch indischer Boden,

Morgen gehst du ins Land der Lyder auf eigenen Antrieb,

Wegen Chalkomedes Schönheit dem Gotte Dionysos hörig. Halte doch öffentlich Hochzeit mit Chalkomedeia, du Freier,

190

Zitterst du doch nicht mehr vor Deriades’ zürnender Rede.

Weiche! es ruft dich wieder die Schlange1“, die dich verjagte Und mit bewahrendem Zischen erzwungne Vermählung verwehrte.«

Also seufzte die junge Vermählte mit bitteren Tränen; Wieder schluchzte laut Protonoe, und die betrübte

195

Mutter legte die Hände auf beide Töchter und klagte:

»Hoffnungen unserer Heimat, ihr seid gefallen, und nie mehr Schau ich den König, den Gatten, und nie mehr den Eidam Orontes. Ist doch Deriades tot, die Stadt der Inder geplündert,

Niederstürzte des Landes unbrechbare Mauer; ach, finge

Bakchos auch mich und vernichte mich mit dem vernich­ teten Gatten,

Packe mich rasch und werfe mich in den wilden Hydaspes;

Mich, die der Erde entsagt, mich nehme das trauernde Wasser.

200

634

Vierzigster Gesang

Auch in den Wassern will ich Deriades sehen, nicht will ich 205 Schauen Protonoe,wie sie gezwungen Dionysos nachfolgt.

Niemals will ich noch einmal Cheirobies Jammer ver­

nehmen,

Wenn man sie schleppt zur Brunst der kriegsgefangenen Hochzeit.

Nach Deriades will ich keinen Gatten mehr sehen. Möge ich den Najaden mich zugesellen, es nahm ja

210 Auch die Leukothea bald zu sich der Bläulichgelockte, Und nun gilt sie als eine der Nereiden; ich werde Statt einer weißen Ino als dunkelfüß’ge erscheinen.«

Also jammerten laut die langgewandeten Weiber; Reihenweis standen sie auf den lärmumbrandeten Zinnen.

215 Und die Bakchen schlugen die Cymbeln, sie ließen vom Kampfe,

Und wie mit Einer Stimme, so schrieen sie alle zusammen:

»Großer Ruhm ist unser, wir schlugen den Fürsten der

Inder.«

Siegestrunken erbebte Dionysos lachend vor Freude, Und er atmete tief von der Müh und dem blutigen Kriege.

220 Erst bestattete er die noch unbegrabenen Toten, Einen riesigen Hügel mit breiter Vertiefung errichtend Und einen Scheiterhaufen, lang hundert Fuß; für die Toten Klagte ein Wehelied die mygdonische, tonreiche Syrinx,

Und die Phrygier bliesen auf Flöten gewaltige Weise

225 Mit ihren trauernden Lippen; die Bakchen begannen zu tanzen, Schmelzend sang dazu Ganyktor17 mit bakchischer Stimme, Kleochos18spielte laut berekyntische, doppelte Flöten,

Eine grausige Klage aus Libyen, wie sie einst beide,

Schluß des Inderkrieges

635

Sthenno und ihre Schwester Euryale1’, zischten und

schluchzten Über die frischgeköpfte Medusa aus all ihren Hälsen,

230

Während aus zweihundert Häuptern die Schlangen

fürchterlich schrieen; Mittels dieser Haare, die zischend in Ringeln sich bogen,

Sangen sie vielköpfig ein trauerndes Lied für Medusa.

Als er den Streit beendet und sich mit Wasser gereinigt,

Gab er den Molaios2’ als gottesfürchtigen Herrscher

235

Den befriedeten Indern; und bei gemeinsamem Becher Saßen an Einer Tafel sie mit dem schmausenden Bakchos,

Gelbes Wasser trinkend vom weingesättigten Strome. Unbeschreiblicher Reigen begann, es hüpfte gar manche

Bassaride herbei und stampfte mit toller Sandale,

240

Und ein Satyr bestürmte den Grund mit dröhnender Sohle,

Und er tobte umher mit schiefem Gegaukel der Füße,

Seinen Arm gelehnt auf den Hals einer tollen Bakchantin. Und die Fußsoldaten des Bromios tanzten mit ihren Schilden und jagten im Schmuck der Waffen im Kreise

245

den Rhythmus

Der Korybanten ahmten sie nach, der schildebewehrten. Und zum Reigen nahten auch heimumfunkelte Reiter Und bejauchzten laut den Sieg des Bezwingers Lyaios.

Keiner verhielt sich stumm; zum siebenzonigen Himmel

Stieg aus Einer Kehle der Schall des stürmischen Jubels.

250

Aber sobald vorbei der schmerzenlösende Festschwarm, Nahm Dionysos nach dem Inderstreite die ganze Beute und dachte wieder an seine frühere Heimat

Und verließ die Gefilde des siebenjährigen Kampfes.

Und die Streiter raubten den ganzen Reichtum der Gegner, Einer den indischen Jaspis, ein andrer den phoibosgeweihlen,

255

636

Vierzigster Gesang

Bunten Hyazinth, ein dritter das Grün des Smaragdes.

Einer trieb von den Warten des festgefügten Imaios21 Schreitende Elefanten herbei, die Beute des Krieges; 260 Einer jagte aus tiefem Geklüft der Höhn des Hermodos“

Indische Löwen auf und fing sich prahlend ein flüchtig Paar; ein andrer umschlang den Hals eines Pardels mit fester

Schlinge und suchte das Tier zum mygdonischen23 Strande zu schleifen.

Fahrend sauste ein Satyr dahin; er peitschte mit Weinlaub 265 Einen gescheckten Tiger, und schwärmend schlug er dies

Zugtier. Einer kehrte heim; der kybelidischen21 Gattin Brachte er duftende Pflanzen von meerentstiegenen Rohren

Und den blitzenden Stein des erythräischen Meeres23.

Häufigward ausder Kammer mit ihrem noch jungen Gemahle

270 An den schwarzen Flechten ein Weib als Beute gerissen, Um ins Sklavenjoch den gefesselten Nacken zu beugen. In den Händen die Fülle verschwenderisch quellenden

Reichtums, Schritt zu den Warten des Tmolos die gottentflammte

Bakchantin; Jubelnd pries sie im Schwarm Dionysos’ endliche Heimkehr.

275 Und die Beute des Sieges verteilte Bakchos dem Heere;

Heimwärts schickte er alle die Krieger, die mit ihm im Streite Gegen die Inder gekämpft. Die Mannen eilten von dannen; Köstliche, östliche Gaben des Meeres und schimmernde Vögel

Trugen sie fort und brachten bei ihrer wandernden Rückkehr

280 Einen jubelnden Festzug dem unbesiegbaren Bakchos; Alle rasten verzückt, und ihr Erinnern verblaßte

An den ganzen Krieg, den schweren, und es verwehte Gleich dem nördlichen Winde. Mit Weihegaben des Sieges

Kehrte ein jeder spät nach Hause; doch statt in der Heimat

Bakchos eilt nach Assyrien und Tyros

637

Ließ sich Asterios211 damals allein in dem frostigen Lande

285

Nieder am Phasis-Strom2’, wo die Bären die Füße nicht netzen,

Beim massagetischen Busen28, und wohnte nun an dem verschneiten

Fuße des Vatersvaters, des sterngewordenen Tauros; Knossos2", die Stadt vermied er, die männliche Sippe des Vaters,

Voller Abscheu gegen Pasiphae3"und gegen Minos;

290

Skythien zog er vor der eigenen Heimat. Doch Bakchos

Nur mit seinen Satyrn und indertötenden Bakchen Zog vom Kaukasoskrieg31 am amazonischen Strande

Nach Arabien wieder zum zweiten Male und weilte Dort und lehrte das Volk der Araber, die ihn nicht kannten,

295

Narthexstengel zur Weihe zu tragen, und er bekränzte

Rings mitWein die Berge der üppigen Wildnis von Nysa32.

Dann verließ er das Land und Arabiens schattige Haine Und durcheilte zu Fuß denWeg nach Assyrien, trachtend,

Nun der Tyrier Land, die Heimat des Kadmos, zu schauen.

300

Dorthin lenkte sein Schritt, und die Pracht der Gewebe bemerkend, Staunte er über die Stücke assyrischen, farbigen Handwerks

Und die Silbergespinste von babylonischer Arbeit. Und er beschaute die Tücher, gefärbt mittyrischer Schnecke; Schienen sie doch zu sprühen von purpurnen Funken des

305

Meeres. Einst am Gestade verzehrte ein Hund33, im Meere beschäftigt,

Gierig ein wunderbares, von Schalen umschlossenes Seetier, Und da bepurpurten sich seine weißlichen Wangen und Lefzen

Rot von dem Blute der Schnecke, als wäre es flüssiges Feuer.

Damals färbte es nur die Glanzgewänder von Herrschern.

310

Vierzigster Gesang

638

Und er beschaute mit Freuden die Stadt, die der Länder­ erschüttrer 34 Zwar nicht völlig umschlungen mit flüssigem Gürtel des

Meeres,

Sondern von der Gestalt, wie sie droben am Himmel Selene

Bildet, sobald sie fast voll und nur eines Stückes ermangelt, 315 Und wie das feste Land er meerverbunden gewahrte, Faßte ihn doppeltes Staunen, denn Tyros liegt draußen im

Meere Abgeschnitten vom Land, doch mit dem Meere verbunden

Und von Einer Umgürtung an allen drei Seiten umschlungen. Unbeweglich liegt es gleich einem schwimmenden Mädchen,

320 Das dem Meer überläßt den Kopf, den Hals und den Busen Und die Arme breitet inmitten des zwiefachen Meeres Und sich weißlich färbt den Leib mit dem Schaume der Wogen

Und mit den Füßen fest an Mutter Erde sich anstemmt. Und der Ländererschüttrer umfließt in fester Umschlingung 325 Wie ein nasser Freier die Stadt, als wenn er der Jungfrau Rings mit schäumendem Arm den Nacken berührt und

umklammert.

Bakchos bestaunte noch weiter die Feste Tyros, wo einzig

Nah der Rinderhirt dem nahen Seemann begegnet, Flötenspielend am Ufer, der Ziegenhirte dem Fischer, 330 Wenn er die Netze zieht, und während die Fuder das Wasser Spalten, wird mit dem Pflug die erdige Scholle zerschnitten,

Und es plaudern zusammen am nahen Wald und am Meere Fischer mit Bäumefällern. So braust an dem selbigen Platze

Meeresrauschen und Brüllen von Rindern und Blättergesäusel,

335 Pflanze, Seefahrt und Hain, Seil, Wasser, Pflug, Seeschiff

und Lastschiff, Schafe, Nachen und Sichel, Schilf, Netze, Segel und Panzer; Und bei diesem Anblick entfuhr ihm verwunderter Ausruf:

Bakchos eilt nach Assyrien und Tyros

639

»Wie, eine Insel erblick ich auf Festland? darf ich es sagen:

So etwas Schönes sah ich noch nie, denn himmelgereckte Bäume säuseln neben den Wogen, und wenn Nereiden

340

Sprechen im Meer, so hörts in der Nähe die Hamadryade’5.

Über tyrische Wogen sowohl wie Felder am Meere Weht ein üppiger Süd vom Libanonberge und spendet

Erntegebärendes Sausen und schifferrettende Brise, Kühlend zugleich den Landmann und auch den Schiffer

345

befördernd.

Nah die ländliche Sichel dem Meeresdreizack der Tiefe,

Spricht die Ernte-Deo hierselbst zum Walter des Meeres, Der seinen Wagen trocken auf lautlosen Fluten dahinfährt,

Und die Spenderin strebt auf gleichen Bahnen mit ihrem Wagen und lenkt ihn und geißelt die hohen Rücken der

350

Drachen. Rühmliche Stadt, Gestalt der Erde und Abbild des Äthers,

Dreiseitig bist du vom Meere umgürtet und mit ihm verwachsen.«

Riefs und wanderte durch die Stadt mit suchenden Augen,

Und da zeigten nun die steingepflasterten Straßen Seinen spähenden Blicken den Schimmer mancher Metalle,

355

Und da sah er das Haus und Gehöf t des Ahnen Agenor86 Und des Kadmos Gemach und drang in die übelbewachte

Mädchenkammer der einst geraubten Jungfrau Europa,

Voller Erinnerung an den hörnernen Zeus. Und die alten Quellen bewunderte er noch mehr, wo das Wasser aus tiefer

360

Höhlung, in die es sich goß, nach einer Stunde von selber

Wieder in reichem Sprudel wie neuentstanden hervorbricht.

Auch das fruchtbare Wasser der Abarbareas’sah er,

Schaute die liebliche Quelle Kallirrhoe, und er erblickte Auch den reichen Ausbruch des bräutlichen Drosera-

Wassers.

365

Vierzigster Gesang

640

Als er das alles betrachtet mit frohergötztem Gemüte, Schwärmte er zu dem Tempel Astrochitons”, und der

Gestirne Führer rief er dort an mit lauter, mystischer Stimme:

»Herakles, sternengekleidet, du Feuergebieter und Weltherr“,

370 Helios, weiter Gebieter und Hirt des sterblichen Lebens, Der du den ganzen Himmel umfährst mit glänzender

Scheibe4“,

Und den Sohn der Zeit, das Jahr, zwölfmondig dahinwälzt, Kreis ziehst du nach Kreis; es fließt von deinem Gefährte Lebenszeit und Form hinab zu Alten und Jungen. 375 Amme geschickter Geburt, das dreifach sich wandelnde

Bildnis Mutterloser Mene entbindest du, wenn sich geahmtes

Feuer die feuchte Selene aus deinem gebärenden Strahle

Melkt, und ihr Stiergehörn, das krummgebogne, sich ausfüllt.

Völlig helles Auge des Äthers, du bringst auf dem Vierspann 380 Nach dem Herbst den Winter und wandelst den Frühling

zum Sommer;

Rasch von dannen getrieben vom schnellen Flug deiner Fackel,

Weicht ohne Halten die Nacht, wenn unter dem silbernen Joche

Deine Rosse gegeißelt aufrechten Nackens erscheinen.

Wenn du dann heller strahlst, dann ist nicht länger die bunte,

385 Leuchtende Himmelsau geziert mit strahlenden Sternen. Östlich badest du dich in der Flut des Okeanosstromes, Schüttelst das zeugende Naß vom kühlen Haare herunter,

Bringst den fruchtbaren Regen, und auf die gebärende Erde Sprengst du den dunstigen Tau der feuchten Tropfen am

Morgen.

Bakchos im Tempel des Astrochiton

641

Ährenfrüchte läßt durch deine Scheibe du wachsen,

390

Und das nährende Korn begießt du in zeugender Furche. Belos bist du am Euphrat, in Libyen nennt man dich Ammon11,

Apis am Nil, in Arabien Kronos und Zeus in Assyrien.

Herrlich duftende Hölzer in krummen Krallen

umklammernd, Wird der Vogel Phönix, der tausendjährige, weise,

395

Auf deinem Duftaltar geboren; er endet sein Leben, Um es frisch zu beginnen, der Zeit sich erneuerndes Abbild; Lösend im Feuer sein Alter, gewinnt er aus Feuer sich Jugend.

Ob du Serapis bist, niewolkiger Zeus in Ägypten,

Oder ob Kronos, ob Mithras, ob Phaethon, vielfach

400

bezeichnet, Babylons Helios oder der delphische Phoibos in Hellas,

Oder ob Gamos, den Eros in Schattenträumen erzeugte

Und so die trügende Sehnsucht geahmten Beischlafs erfüllte, Als aus dem schlafenden Zeus, wie er die Erde mit feuchtem

Samen bestrich mit der Spitze des selbstvermählenden

405

Schwertes,

Durch die himmlischen Tropfen sich rings die Höhen entbanden. Ob du der Schmerzenstiller Paieon bist oder der bunte

Äther und darum heißt Astrochiton - denn in der Nachtzeit Wird der Himmel ja rings erhellt von bestirnten

Gewändern —

Neige gnädig dein Ohr und nimm meinen Anruf entgegen.«

Solche Worte entströmten dem Gott Dionysos. Plötzlich Blitzte göttergestaltet im gottbehütenden Tempel

Hell Astrochiton auf; die feuerpupillenen Augen

Seines Gesichtes entsandten ein rötlich geschleudertes Glimmen,

4io

642

Vierzigster Gesang

«5 Und es reichte die Hand der glänzende Gott dem Lyaios, Buntgewandet nach Art des Äthers, ein Abbild des

Weltalls,

Strahlend am blonden Kinn und seinem sternigen Barte, Und er bewirtete Bakchos erfreuend an freundlicher Tafel. Der erlabte sein Herz am fleischentbehrenden Mahle,

420 An Ambrosia und an Nektar. Was sollte nicht süßen Nektar er genießen nach Heras unsterblicher Brustmilch!

Und den Astrochiton fragte er wißbegierigen Sinnes:

»O Astrochiton, lehre mich Land- und Insel-gestaltung.

Welcher Gott fügte die Stadt, welch Himmlischer hat sie

gezeichnet? 425 Wer hat die Klippen erhöht und festgewurzelt im Meere ? Wer erschuf diese Pracht, wer gab den Quellen den Namen?

Wer band an das Festland die meerverbundene Insel?«

Sprachs, und Herakles gab ihm befriedigend freundliche Antwort:

»Bakchos, vernimm meine Rede, ich will dir alles erklären.

430 Menschen wohnten einst hier als einzige, nämlichen Alters Wie das ewige All; so sah sie der auch so erschaffne

Aion, keusches Ergebnis jungfräulicher Erde. Sie wurden

Einst geboren aus Schlamm, der nie gepflügt und besät war. Die errichteten hier mit bodenständigen Künsten

435 Eine Stadt, unerschütterlich fest auf felsigem Boden. Einst auf der Erde gelagert bei wassersprudelnden Quellen

Unter dem Lethefittich des sinnergötzenden Schlafes,

Während die Erde gegeißelt vom Gluthauch feuriger Sonne, Schlummerten sie beisammen. Und ich, stadtliebenden Herzens,

440 Stand auf der Höhe still zu Häupten der Irdischgebornen;

Bakchos im Tempel des Astrochiton

643

Und als beschattetes Bild mit menschlich erscheinendem

Antlitz Rief ich ein Götterwort aus prophezeiendem Munde:

,Tatenlosem Schlummer entreißt euch, Kinder der Erde!

Schafft einen seltsamen Wagen42, das Meer zu befahren; mit scharfen

Beilen schlagt mir nieder den fichtenbewaldeten Berggrat.

445

Schallt ein geschicktes Werk: auf dichte Rippen für Schiffe

Nagelt Planken und ordnet sie enganeinander; verbindet

Dann das Ganze unlöslich mit einer passenden Fessel, Diesen Wagen des Meeres, den ersten Kahn, der hinausfährt Und durch die See euch trägt. Von Spitze zu Spitze gebogen, 450

Legt einen langen Balken zuerst, um alles zu stützen. Dann auf den Rippen fügt mir Bretter, verbunden im Umkreis, Zu dem gewichtigen Bild einer Holzwand, und in der Mitte

Strecke sich aufrecht hoch ein Stamm, mit Banden befestigt.

Heftet ein linnenes Tuch ganz breit an den mittleren Balken, 455 Segeltaue dazu, an beiden Seiten verflochten, Und entspannt mit ihnen das Tuch dem Winde am Morgen,

Daß es, schwanger vom Hauch, das Schiff dahintreibt. Gefügte, Klaffende Balken verschließt mit dünnen, befestigten Latten

Und umzäumt sie stark zur festen Verbindung der Wände

460

Mit einem Mattengeflecht aus Weiden, damit sich nicht heimlich

Durch eine Ritze ein Schwall in die innereWölbung ergieße. Und ein Ruder des Bootes, die Reise richtig zu steuern,

Einen hin und her gewendeten Lenker auf nasser Straße, dreht nur dahin, wohin die Wünsche euch ziehen; Furcht den Rücken des Meeres mit euerm hölzernen

Hohlraum,

Bis ihr zum Platze kommt, den euch das Schicksal bestimmte,

465

644

Vierzigster Gesang

Wo zwei unstete Felsen im Meere irren und schweifen, Die von Natur benannt die ambrosischen43. Mitten auf ihnen

470 Sproßt, von selber gewurzelt, das Reis eines mächtigen Ölbaums Mitten auf dem Nabel des seebefahrenden Felsen.

Einen horstenden Adler erblickt ihr dann auf den äußersten Zweigen Und eine prächtige Schale. Es speit von dem flammenden Baume

Gar erstaunliche Funken ein seibertätiges Feuer. 475 Glut frißt rings um den Stamm des unverbrennbaren

Ölbaums, Und eine Schlange umwindet den Baum mit der ragenden

Krone;

Beiden, den Augen sowohl als den Ohren erregt sie Erstaunen: Denn nicht in drohender Stellung zum droben fliegenden Adler

Wirft sich lautlos kriechend herum die geringelte Schlange,

480 Und sie geifert auch nicht das tötende Gift ihrer Zähne Und verschlingt mit den Kiefern auch nicht den Vogel, und

gleichfalls

Rafft der Adler auch nicht die ringelgewundene Schlange Mit den Klauen, sie hoch in die Lüfte von dannen zu tragen,

Und verletzt sie auch nicht mit dem scharfgerandeten

Schnabel. 485 Auch die Flamme, die hoch in den Zweigen des ragenden

Baumes Saust, verzehrt doch nicht den unzerstörbaren Ölbaum;

Auch die Schlangenschuppen ersticken mit ihrem Gewickel Nicht den umschlungenen Baum. Und auch der Fittich des

Vogels

489 Wird nicht angerührt vom nahen, springenden Feuer;

Bakchos im Tempel des Astrochiton

645

Mitten am Baume haucht die Flamme freundliche Gluten. Nicht zu Boden fällt der unbewegliche, hohe, Schwebende Kelch, entgleitend von windgeschüttelten Zweigen. Fangt nun den klugen Vogel, der grade so alt wie der Ölbaum, Opfert dem Bläulichgelockten44 den himmelfliegenden Adler, Gießt alsdann sein Blut auf die meerdurchschweifenden Felsen Für die Seligen und Kronion: nicht länger mehr unstet Irrt alsdann der Fels im Wasser, nein, fest und verbunden Eint er sich unbeweglich von selbst dem anderen Felsen. Gründet dann eine Stadt, auf beiden Höhen befestigt, Beiderseits am Strande auf beiden Ufern des Meeres.1 Solche prophetischen Worte ließ ich ertönen; erwachend Bebten die Erdgebornen, und immer noch jedem im Ohre Brauste die göttliche Rede der niemals irrenden Träume. Nach den geflügelten Träumen ließ ich noch andere Zeichen Den Betrübten erscheinen, aus Liebe zu meiner Besiedlung, Ich als künftiger Stadtherr. Es tauchte empor aus dem Meere Ähnlich einem Schiff und gleich wie dieses gestaltet Auf der Nautilos-Fisch45 zu angeborener Seefahrt. Da betrachteten sie den meerschiffähnlichen Seefisch; Mühelos lernten sie so das Bauen prächtiger Schiffe, Fügten einen Kahn, dem Fische ähnlich, und ahmten So die Schiffahrt nach, wie Fische das Wasser durchschneiden. Seefahrt entstand, und unter dem ebenmäßig verteilten Gleichgewicht von vier Steinen vertrauten die Fahrt sie dem Meere. Und sie ahmten nach der Kraniche48 niemals beirrten Zug, wie diese im Innern der Schnäbel als Beistand der Reise Lastende Steine tragen, auf daß nicht während des Fluges

492 490 491 493

495

500

505

510

515

Vierzigster Gesang

646

Ihre so leichten Schwingen die Winde seitlich verschlagen, Bis die Leute den Platz erblickten, wo unter des Sturmes

S2o Stößen die treibenden Höhen von selbst die Fluten beschiflten.

Halten ließen sie dann den Kahn bei der Insel im Meere,

Stiegen dann auf die Klippen zum Baum der Göttin Athene, Suchten darauf den Vogel, den Ölbaumbewohner, und willig Bot sich aus freien Stücken der fliegende Adler dem Tode.

525 Und die Erdgebornen ergriffen die prächtig beschwingte,

Göttliche Beute und bogen den Kopf ihm rückwärts und legten

Frei von Federn dann die ausgebreitete Kehle,

Und dann opferten sie dem Zeus und dem Meeresgebieter Mit dem Messer den Adler, der selbst sich ihnen geboten.

530 Von der durchschnittenen Kehle des eisengetöteten, klugen Vogels floß göttliches Blut; die meerdurchfahrenden Höhen

Ließ er durch göttliche Tropfen im Grunde der Fluten verwurzeln

Nahe bei Tyros am Meer. Auf unzerbrechlichen Felsen Bauten die Erdgebornen die mütterlich wölbige Feste.

535 Herrscher Dionysos, dir hab ich vom bodengenährten Blut dieses Urvolks berichtet, dem himmelbefruchteten, daß du

Wissest um deiner Ahnen uralte, tyrische Herkunft. Nun will ich von den Quellen erzählen: es waren vor alters Kluge Jungfrauen einst, doch war der hitzige Eros

540 Auf ihre Gürtel erzürnt; anziehend den Pfeil des Verlangens, Wandte er so das Wort an die ehefeindlichen Nymphen:

,Jungfrauenstolze Najade, auch dich, Abarbarea, treffe Dieser Pfeil, der rings die Schöpfung getroffen. Hier will ich

Bauen Kallirrhoes Brautbett und Droseras Hochzeitslied singen.

545 Sagen wirst du: ich bin von nasser Herkunft, aus Fluten

Bakchos im Tempel des Astrochiton

647

Bin ich von selber entstanden; mir ward eine Quelle zur Amme.

Klcmene1’war Naiade und war des Okeanos Tochter, Dennoch fügte sie sich der Ehe und nahm einen Freier, Wie sie den Bläulichgelockten, den starken, von Eros

geknechtet Sah und wie er geschüttelt von Liebesverlangen. Es fühlte

550

Auch der urentstandne Okeanos, Herr aller Fluten,

Liebe zur Göttin Tethys und feierte wässrige Hochzeit. Schicke dich drein und ertrage das Gleiche wie Tethys,

denn ob auch Galateia48 entstammt dem großen Meere und keiner Kleinen Quelle, verlangte sie doch nach dem Sang

555

Polyphemos’. Sie, die das Meer bewohnt, hat einen Festlandgeliebten,

Aus dem Meere wandert an Land sie liederbezaubert. Quellen auch traf mein Pfeil; ich brauche dich nicht zu belehren Über die feuchte Sehnsucht, du hörtest die wässrige Liebe

Der Arethusa49, der syrakusanischen, sehnenden Quelle.

560

Auch von Alpheios hast du erfahren, der wässrigen Armes Auf dem feuchten Brautbett die liebende Nymphe umarmte.

Quellen versippte du, was freut dich die Göttin der Pfeile? Artemis ist nicht vom Wasser wie Aphrodite entsprossen.

564

Künde Kallirrhoe das und laß es Drosera wissen.

566

Etwas freundlicher sei zu Kypris, beugte doch diese

565

Auch dem Eros den Nacken, sie, die die Eroten ernährte.

567

Fühle den Stachel der Sehnsucht, und eine Göttin des

Meeres

Heiß ich dich dann nach Geburt, nach Liebe die Schwester

der Kypris.1 Also sprach er und sandte von rückgezogener Sehne

Dreifach sein Geschoß, und so auf wässrigem Brautbett

570

648

Vierzigster Gesang

Einte er mit den Naiaden die Söhne der Erde in Liebe. Und so schuf er die götterentstammte Sippe von Tyros.«

So erzählte der Held des Äthers, Herakles, fröhlich 575 Plaudernd dem Bakchos; und der vernahm das alles mit Freuden,

Schenkte dem Herakles einen goldstrahlenden, glänzenden Mischkrug, Der mit himmlischen Künsten geschmiedet. Herakles aber

Hüllte Dionysos drauf in einen sternigen Leibrock.

Und den Stadtherrn von Tyros, den Gott im Sternkleid, verlassend,

580 Wandte sich Bakchos von dannen zum weitern assyrischen Lande.

EINUNDVIERZIGSTER GESANG

Jetzt aber steckte er auf den Gipfel der Libanonhöhe In den Boden hinein die glänzende Traube der Lese; Trunken machte er rings des Landes befruchtete Räume.

Wie er das Hochzeitshaus Aphrodites gewahrte, bedeckte Er den schattigen Hain mit der Reben frischsprossenden

5

Trieben,

Und er schenkte den Weinstock Adonis1 und auch Kythereia.

Und die Charitinnen schlangen den Reigen; mit steigendem Schwünge

Sprang auf den Rebenhügel der wachstumhegenden Pflanzung

Hoch empor der Efeu und kletterte um die Zypresse.

Aber beim nahen Gefilde von Beroe, Stätte des Rechtes,

10

Musen von Libanon, singt der Amymone2ein Preislied,

Und des Meereskroniden und hymnenreichen Lyaios

Wogenden Kampf besingt und die Schlacht der Reben und Trauben!

Beroe ist eine Stadt, ein Lebensgrund, Hafen der Liebe, Inselschön, auf dem Meere befestigt, grünend, mit engem

Grate, lang läuft er hin, und mitten zwischen zwei Meeren Peitschen auf beiden Seiten die Wogen die Streckung des

Nackens.

All das breitet sich unter dem laubigen Hange3 des hellen

15

650

Einundvierzigster Gesang

Euros beim Libanonberge Assyriens, wo zu den Leuten 20 Lebenspendender Hauch mit munterem Pfeifen dahinbraust, 21 Während rings die Zypressen im duftenden Winde sich wiegen-----so Wo der alte Hirt musiziert mit dem Fischer zusammen. 22 Und da wohnen die Bauern, wo oftmals nahe derWildnis Sichelträgerin Deo dem spielenden Pane begegnet, Und ein Ackersmann, schwer gebeugt am Pfluge, der säend 25 Rückwärts streut die Frucht in frischgezogene Furchen, Ein gekrümmter Bauer mit seinem Stier am Gespanne, Trifft an des nährenden Waldes Begrenzung den weidenden Nachbar. Doch an dem Meere herrscht die Stadt und bietet Poseidon Ihren Busen, und dort umschlingt der wässrige Buhle 30 Mit dem nassen Arm den fruchtbaren Nacken des Mädchens; Wogenküsse drückt er auf die Lippen der Nymphe. Und von dem Meeresgebieter empfängt die Geliebte am Busen Als eine Gabe des Freiers Poseidon die Herde der Tiefe, Farbig schillernde Fische für ihre Tafel und Mahlzeit; 35 Und sie springen empor auf der Meeresfläche des Nereus Drunten beim Saume des Bären *, wo durch die Länge des Raumes Sich die brandende Küste in nördlicher Richtung entlangzieht. Bei dem Mittagsnacken der sinnerfreuenden Erde Führen sandige Wege hinan zum Grate des Südwinds 40 Ins sidonische Land, wo Gärten mit mancherlei Bäumen, Reben und Trauben prangen und mit langschossigen Zweigen Sich ein schattiger Pfad dem sicheren Wanderer bietet. Brandend wirft im Bogen das Meer die Wellen ans Ufer Bei dem bläulichen West, wo Zephyr mit tönender Sohle 45 Hin über das Gefilde hesperischer Gegenden reitet,

Bakchos auf dem Libanion

651

Wo die libysche Bucht sein tauiges Pfeifen umfächelt,

Und wo Blumen blühen und wo in der Nähe des Meeres Allerlei Pflanzen sprossen und wo von Bäumen mit schönen Blättern in rauschendem Brausen durchwehte Wälder

49

ertönen.

Menschen wohnten dort, so alt wie die Göttin der Frühe;

51

Unerschaffne Natur erzeugte sie ohne der Ehe,

Ohne der Hochzeit Fügung, noch Vater, Entbindung, noch Mutter, Denn es formte durch vierfache Einung vermischter Atome,

Nämlich verbunden aus Wasser und feurigem Hauche der

55

Lüfte, Einen Sohn der Schlamm, der samenlose, gar künstlich,

Der den schwangeren Lehm in lebendiger Zeugung beseelte. Ihnen gab die Natur vollendete Form, denn dem Kekrops5

Glichen sie nicht, dem urentstandnen, der schleppenden Fußes Giftig mit Schlangensohlen die Erde wetzte und hinkroch,

60

Unten Drache, doch oben vom Kopf zur Hüfte erschien er Anders und doppelgestaltig ein Mann, nicht völlig vollendet.

Und sie erschienen auch nicht so wild wie Erechtheus“, den einstens

Gott Hephaistos zeugte in taubegatteter Furche,

Sondern als göttliches Abbild aus bodenständiger Wurzel

65

Wurde die goldene Saat der ersten Menschen entbunden.

Und sie besiedelten dann die urentstandene Stätte Beroe, die von Kronos erbaut, als die listige Rheia

Ihm eine kantige Mahlzeit’ im klaffenden Schlunde geborgen, Und er, den lastenden Stein als Wehegöttin im Leibe,

Eine zahlreiche Schar gepress’ter Kinder erbrochen.

Offenen Mundes soff er die ganze Flut eines Flusses, Saugte in rauschende Brust geburtenhelfendes Wasser

70

Einundvierzigstcr Gesang

652

Und entledigte sich der Magenbürde; so stieß dann

75 Dicht nacheinander zwei Söhne8 hervor sein schwangerer

Kehlkopf, Und ihm diente der Schlund als gebärende Furt der

Entbindung. Zeus war damals ein Knabe, noch eher ein Säugling, und

noch nicht

Spaltete leuchtend der Blitz mit springendem Schwünge die heiße Wolke, es wurden noch nicht, um Zeus im Kampfe zu helfen,

80 Wider die Schar der Titanen die Donnerkeile geschleudert; Nicht in brüllendem Schwung zusammenprallender Wolken

Brauste donnernder Schall mit Krachen und platzendem Regen. Nein, denn Beroe war schon früher: der anfangsentstandne

Aion’sah sie zugleich so alt wie die Erde erscheinen. 85 Damals gab es kein Theben und kein beglückendes Tarsos10,

Auch nicht Sardes”; allwo die goldausspeienden Ufer

Des Paktolos schimmern mit ihrem gesegneten Schlamme, Sardes, das doch so alt wie Helios; Menschengeschlechte!'

Gab es damals noch nicht, noch achaische Städte, nicht einmal 90 Vor dem Monde noch Arkadien

Beroe sprosste

Älter als Phaethon einzig, von dem doch Selene ihr Licht hat, Früher sogar als die Erde, die mütterlich mit ihrem Busen Melkt den neuen Glanz des hellen Helioslichtes

Und das spätere Licht der schlummerlosen Selene: 95 Beroe schleuderte ab zuerst den Kegel der schwarzen

Finsternis und stieß weg des Chaos düstere Hülle.

Früher auch als Kypros und als Korinth mit dem Isthmos Öffnete Beroe weit der Kypris die gastlichen Tore,

Wie aus dem Meere sie eben geboren, und wie sie das Wasser,

Legende von Beroe

653

Schwanger von Uranos’ Saat13, als Meer-Aphrodite

100

entbunden, Als, ohne Hochzeit die Flut mit männlichem Blute

bepflügend,

Sich von selber der Keim aus tochtererzeugendem Schlamme Formte, und die Natur zur Amme wurde. Entstanden

Mit der Göttin, umwand der Zauberriemen im Kreise

Seibertätig und wie ein Kranz der Gebieterin Hüfte.

105

Und wie die Göttin durchs Wasser nach nicht umbrandeter

Küste Forschte, stieg sie nicht aus bei Paphos11, betByblos, sie

setzte Nicht ihren Fuß auf das steile Gestade von Kolias,

schnellstens Eilte sie laufend sogar vorbei an der Küste Kytheres.

Nein, sie rieb ringsum den Leib mit rötlichem Tange

110

Und bepurpurte sich noch mehr; des geglätteten Meeres

Gottgebärendes Wasser durchfurchte mit rudernden Händen Schwimmend sie, und sie bot die Brust den Wogen und schlug auch

Mit den Sohlen der Füße die Furche der schweigenden

Salzflut;

Und sie hob den Leib und teilte den Spiegel des Meeres,

115

Wechselnd stieß sie nach hinten die wogende Flut mit den Füßen.

Und in Beroe stieg sie an Land. Die Bewohner von Kypros

Haben erlogen die Stapfen der meerentsteigenden Göttin. Beroes Feste empfing zuerst die Kypris, auf naher

Reede erblühten von selber entstandene Wiesen, das Gras quoll

Da und dort empor, am sandigen Strande des Busens Färbten sich purpurrot von Rosenranken die Ufer.

120

Einundvierzigster Gesang

654

Und der umschäumte Fels, der schwanger von duftendem Weine,

Brachte an steinerner Brust hervor ein purpurnes Kindlein,

125 Jenen dunklen Erguß der Reben im Keltergeträufel--------- 15 Milchiges Naß entsprang mit silberplätschernden Wellen, Und der Myrrhendunst, der in die Höhe emporstieg,

Machte trunken die Bahnen der Lüfte mit duftenden Winden. Da gebar sie den Eros, den stürmischen Anfang der Paarung, 130 Diesen Lebensspender und Lenker der Fügung des Weltalls,

Nahe den Brauen des Weltalls18, die ebenerschienene Göttin.

Und der beschwingte Knabe beeilte mit männlichem Taktschlag

Seiner Füße die schwere Geburt des schwangeren Leibes; Dröhnend klopfte er an den Schoß der ehlosen Mutter,

135 Hitzig schon vor der Geburt, und leicht die Flügel entfaltend, Öffnete er das Tor der Entbindung mit gaukelndem Schwünge.

Hurtig sprang Eros empor zum schimmernden Arme der Mutter,

Schwang sich ohne Rast hinan zu den prallenden Brüsten, An den hegenden Busen geschmiegt. Und von selber entstand ihm ho Das Verlangen nach Nahrung: er biß in die Spitze der

Warzen,

Die noch nie gemelkt, und völlig sog er die Fülle Nährend gepreßter Milch unersättlich aus schwellenden Brüsten.

Beroe, Wurzel des Lebens, du Herrscherruhm, Amme der Städte,

Ersterschienene, Schwester des Aion, so alt wie das Weltall, 145 Sitz des Hermes, Gefilde der Dike, Bezirk der Gesetze17,

Paphias Haus, du Heil der Eroten, Euphrosynes18 Stätte,

Legende von Beroe

655

Heiterer Tempel des Bakchos und Heim der Göttin der Pfeile Zierde der Nereiden, du Areshof, Haus des Kronion, Stern des Libanonlandes, Orchomenos - Ort der Chariten, Tethys an Jahren gleich, Okeanos’ gleiche Gefährtin”, 150 Der die Beroe pflanzte in seinem vielquelligen Brautbett, Als er in feuchter Umarmung sich einte der göttlichen Tethys, Beroe, auch Amymone benannt, als in wässriger Liebe Sie die Mutter gebar auf dem Bett in der Tiefe des Meeres. Doch eine jüngere Sage erzählt, es habe ja selber Kythereia, die Göttin, die Lenkerin menschlichen Lebens, Dem Adonis Assyriens die schlohweiße Tochter geboren. Und erfüllend die Bahn von neun umkreisenden Monden, Trug sie die Bürde; da kam auf hurtigen Sohlen, in Händen Eine latinische Tafel21 mit Satzungen, Botin der Zukunft, Hermes, bei der Geburt der Beroe helfend zu wirken, Und als Wehemutter auch Themis, und der bedrängten Frucht bereitete sie den Weg in dem schwellenden Leibe Und erleichterte so die scharfen Schmerzen der reifen Frucht, mit Solons Gesetzen in Händen. Und unter dem Drucke Der Entbindung lehnte den Rücken schwer an die Göttin Kypris und litt Wehen, und über dem attischen Buche Bracht sie ein kluges Mädchen zur Welt, wie Lakoniens Weiber Ihre Söhne gebären auf einem gerundeten Schilde. Und vom Mutterleib stieß sie das ebengeborene Kindlein Mit eines Mannes Hilfe, des richtenden Sohnes der Maia. Und sie brachte das Kind ans Licht. Da wurde das Mädchen Von den vier Winden gebadet, die alle Städte durcheilen, Daß sie von Beroe aus die Welt mit Gesetzen erfüllten. Und der Entbundenen gab als Künder jetzt gültigen Rechtes

155

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16S

170

175

656

Einundvierzigst er Gesang

Gott Okeanos rasch einen Guss, der in ewiger Gürtung Um die Hüften des Kosmos sein Wasser windet und flutet. Aion, sein Zeitgenosse, umfügte des eben gebornen

Mädchens Leib mit Gewändern der Dike in runzligen Händen, iso Dieser Künder der Zukunft, damit er die Bürde des Alters Wechsle, wie eine Schlange die schwachen Schuppen sich

abstreift Und sich wieder verjüngt, gebadet im Schwall der Gesetze

Als aber Aphrodite die göttliche Tochter entbunden, Sangen im Chor die vier das Jahr regierenden Horen.

iss Aber sobald die Tiere von Aphrodites Entbindung

Hörten, tollten sie fröhlich: ein Löwe in zärtlichen Spielen Preßte da einem Stier sanft auf den Rücken die Lippen,

Aus gespitztem Maul ein freundliches Brüllen entsendend; Und es raste ein Roß mit schnellen, stürmischen Hufen

190 Dröhnend dahin und ließ sein übliches Wiehern ertönen;

Und mit schnellender Tatze kam rasch ein scheckiger Pardel Springend herbei und hüpfte dem Hasen friedlich entgegen,

Und mit lautem Geheul aus freudig scherzender Kehle Grüßte der Wolf die Herde und schonte die kratzenden

Klauen. 195 Ohne der Rehjagd länger im Waldgebüsche zu achten,

Sondern in anderem süßen Begehren begann einen Reigen Mit dem hüpfenden Eber der Hund wetteifernd zu tanzen.

Und es umschlang der Bär mit aufgerichteten Pranken

Eines Kalbes Hals in unschädlicher Umarmung; 2oo Spielerisch senkend und biegend die Wölbung des

freundlichen Kopfes, Sprang die Jungkuh heran und leckte den Körper der Löwin,

Und ihre junge Kehle ließ leises Brüllen ertönen. Und einem Elefanten berührte ein Drache die heitern

Legende Von Beroe

657

Zähne; die Bäume sprachen; mit frohem, ruhigem Antlitz Lachte fröhlich wie immer die gernelachende Kypris,

205

Als sie sah, wie die Tiere sich spielend in Liebe ergötzten.

Überall wandte sie hin ihr freudeleuchtendes Antlitz

Allen Wesen zumal; nur mied ihr Auge der Sauen

Lust in prophetischer Angst, es sollte im Bilde des Wildschweins

Ares23 mit scharfem Zahn und tödlichem Gifte in wilder

210

Eifersucht einst den Tod dem Jüngling Adonis bereiten.

Noch als Säugling nahm von der Mutter das lachende Kindlein Beroe in ihre Hut die Mutter der Weiten des Weltalls,

Jungfrau Astraia21, des goldnen Geschlechtes ernährende

Göttin, Und erzog zum Gesetz am klugen Busen das Kindlein,

215

Ließ mit der Jungfrauenmilch die strömenden Satzungen

quellen Und benetzte die Lippen des Kindes und goß in des Mädchens Mund den Honig, den künstlich in vieldurchlöcherten Waben

Attische Bienen erzeugen; sie drückte die Waben und mischte In einem weisen Becher den redefördernden Honig;

220

Wenn das Mädchen einmal zu trinken heischte, so reichte

Sie ihm das redende Wasser von Delphi, dem Phoibos

geheiligt, Oder die Flut des Ilissos, beseelt von attischer Muse,

Die pierische25 Lüfte des Phoibos am Strande umwirbeln.

224

Und sie bog an der Spitze die sterngewordene, goldne

228

Ähre und legte als Kette sie um den Nacken des Mädchens.

229

Und aus Orchomenos’ Stadt die reigentanzenden Mädchen,

225

Paphias Mägde, schöpften zum üppigen Bade aus kluger

226

Hippokrene“ das Wasser, das den neun Musen gehörig.

227

658

Einundvierzigster Gesang

230 Beroe wuchs empor, und mit der Göttin der Pfeile Schweifte sie, hielt dabei die Netze des jagenden Vaters,

Und sie ahnte im Aussehn der Mutter Paphia völlig Und an den glänzenden Füßen. Und wenn aus den Fluten

des Meeres

Thetis im Sprunge sich hob mit schneeweiß hüpfender Sohle,

23S Sah eine andere Thetis sie silberfüßig, und schäm voll Barg sie sich wieder voll Furcht vor Kassiopeias27

Verhöhnung. Als er ein neues, noch keusches, assyrisches Mädchen2’

gewahrte, Fühlte sich Zeus begeistert und wollte sich wieder

verwandeln; Stiergestaltet wäre er so, von Eros belastet, 240 Mit den Füßen ins Wasser getaucht zu eiligem Rudern,

Um auf dem Rücken das Weib verschont von den Fluten zu tragen,

Hätte ihn nicht gehemmt die Erinnerung an die gehörnte Hochzeit in Sidon; es ließ da eifersüchtig ein Sternlied

Brüllend der Freier Europas, der Stier des Himmels,

ertönen, 2« Daß im Äther Zeus nicht forme ein ähnliches Stierbild Und so ein jüngres Gestirn meerwandelnder Liebe erschaffe.

Und die zu feuchter Hochzeit bestimmte Beroe ließ er Seinem Bruder als Buhlin und hütete sich, mit Poseidon Um ein bräutliches Mädchen, ein irdischgebornes, zu

kämpfen.

250 So war Beroes Art, ein Reis der Chariten, und wenn sie Worte äußerte, süßer als Waben und träufelnder Honig, Trat zu ihren Lippen die süßbeschwatzende Peitho,

Reizend den klugen Sinn der schwerzubezaubernden Männer.

Legende von Beroe

659

Und die ebenso alte, assyrische Jugend ward dunkel Vor ihren lachenden Augen, den Schleudern der Liebe,

255

die heller

Strahlten, um wieviel mehr Selene die Sterne verdunkelt,

Wenn sie ihr helles Geleucht, durch keine Wolken behindert, Voll entsendet. Die weißen Gewänder tief bei des Mädchens

Knöcheln bepurpurten sich an ihren rötlichen Gliedern. Nicht erstaunlich wars, daß sie mehr als die ebenso alte

260

Jugend so herrlich erschien, da ja von ihrem Gesichte All die schimmernde Schönheit der beiden Eltern erglänzte.

Kypris bemerkte sie damals, und voll von prophetischer

Kündung, Ließ sie schneller ihr Denken bei ihrer Wanderung wirbeln,

Und im Geiste rings die kreisende Erde umstürmend,

265

Musterte prüfend sie der alten Städte so stolze Fundamente, weil auch das von kyklopischen Mauern

Rings umkränzte Mykenai88sich nennt nach dem

strahlenden Mädchen, Jener Nymphe Mykene, und weil am südlichen Nile Theben den Namen trägt nach der ursprünglichen Thebe8".

270

Und so begehrte sie auch, eine Stadt mit Beroes Namen Zu bezeichnen, und wünschte, die wäre ebenso herrlich.

Und sie bedachte die Reihe der hehren Gesetze des Solon, Und voll Eifersucht gegen die rechtbetreuende Schwester, Lenkte sie auf Athens geräumige Stätte die Blicke.

275

Mit ihren schnellen Sandalen durchfuhr sie den wölbigen

Luftraum

Zu Harmonias81 Haus, der großen Mutter, wo diese Wohnte in einem Gebäude, das gleich dem vierfachen Weltall,

Das sich selbst errichtet; vier Türme der starken Behausung, Unzerbrechliche, wurden von den vier Winden umgürtet,

280

Einundvierzigster Gesang

660

Und den Umlauf des Hauses, das Abbild des Weltalls,

beschützten Mägde da und dort, und bei den verschiedenen Türen Lief Antolie33um die Pforte des Ostens im Dienste, Dysis, Selenes Amme, betreute die Pforte des Westens,

285 Und Mesembrias schützte den südlichen, feurigen Riegel, Und das dicht von Wolken umhegte, hagelbestrichne

Tor des Nordens versorgte die dienstbeflissene Arktos.

Charis33, der Schaumgebornen Begleiterin, eilte der Göttin

Vor und schlug an das Morgentor des Euros; im Innern, 290 Als an der Safranpforte des Aufgangs das Pochen ertönte, Sprang nun Astynomeia34, die Hüterin, auf, und gewahrend, Daß die Göttin Kypris zum Vorhof des Hauses gekommen, Wandte sie sich und eilte zu ihrer Herrin mit Botschaft.

Diese ging just entlang am künstlichen Webstuhl Athenes, 295 Webte ein Kleid mit dem Schiffchen und fügte in dieses

Gewebe35 Erst in die Mitte die Erde und rundete weit um die Erde

Rings den Himmel, geschmückt mit dem Bilde der Sterne,

und fügte Passend das enge Meer an das ihm verbundne Gestade.

Und sie formte die Flüsse: da wurde auf menschlicher Stirne 3oo Einer grünen Gestalt Gehörn wie bei Stieren geschaffen.

Und am äußersten Rande des schöngesponnenen Kleides

Formte Okeanos sie, der um das Weltall herumläuft. Und die Dienerin kam und trat zu dem weiblichen

Webstuhl Mit der Meldung, es stände ja Aphrodite im Vorhof.

305 Wie das die Göttin vernahm, da warf sie den Einschlag des Kleides Und das göttliche Schiffchen aus webebeflissenen Händen;

Schnell umhüllte sie sich den Leib mit schneeigem Kleide,

Legende von Beroe

661

Ließ sich glänzender nieder auf goldnem, üblichem Sitze, So Kythereia erwartend, und als die weitleuchtende Göttin

Aphrodite sich nahte, sprang ehrerbietig vom Stuhl sie,

310

Und Eurynome bot in langem Gewände der Göttin

Neben der Herrin zum Sitz einen Sessel; erschrocknen Gesichtes

Sah die allnährende Göttin Harmonia, welche Bedrückung

Kypris so deutlich zeigte; da sprach sie mit schmeichelnder Stimme:

»Lebenswurzel, du Amme der Zeugung und Göttin der

315

Keime, Hoffnung des ganzen Alls, von deinem Ratschluß getrieben,

Spinnen vielfältige Fäden die unbeirrbaren Moiren---------»----------Künde der Fragenden du, und als die Amme des Lebens,

Als die ernährende Göttin der Seligen, alt wie das Weltall, Sage mir, welcher der Städte sind Königsstimme und ew’ge

320

Zügel vorbehalten leidlösender, fester Gesetze?

Hab ich doch Zeus, als lang ihn Sehnsuchtstriebe geschüttelt Und ihn nach Hochzeit verlangte mit seiner Schwester,

der Hera, Und er dreihundert Jahre schon schmachtete, ehlich

verbunden, Und zum Danke versprach er mir durch Nicken des weisen

325

Hauptes als würdigen Lohn für diese Tat und die Hochzeit, Daß er einer der Städte, die ich erkoren, des Rechtes Satzungen geben werde. Nun möcht ich erfahren, ob diese Gaben für Kypros bestimmt, ob für Korinth oder Paphos Oder für Sparta, woher Lykurgos stammt, oder etwa

Für die mannhafte Heimat der Beroe, die meine Tochter.

Sorge darum für das Recht und gib Harmonie für das Weltall,

330

662

Einundvierzigster Gesang

Da du Harmonia bist, die lebenbehütende. Sandte Mich doch persönlich zu dir die Amme rechtpflegender

Männer, 335 Jungfrau Astraia; noch mehr erstrebt der richtende Hermes

Diese Verleihung, damit ich allein in Gefahren und Nöten Männer, die ich gesät, durch Ehegesetze errette.«

Sprachs; da ermutigte sie die Göttin und ließ sich vernehmen:

»Sei getrost und fürchte dich nicht, du Mutter der Liebe,

340 Hab ich auf Tafeln doch sieben Orakelsprüche des

Weltalls, Und nach den sieben Planeten sind diese Tafeln geheißen.

Erste Tafel trägt den Namen der runden Selene, Und die zweite heißt des Hermes goldene, blanke Tafel; auf ihr sind die Weihen von allen Gesetzen gefertigt.

315 Deinen Namen führt die rosige dritte, sie trägt ja Deines Morgensterns Bild; die vierte, die Helios zukommt, Ist die mittlere Tafel der siebenbahn’gen Planeten.

Fünfte Tafel heißt nach dem rötlichen, feurigen Ares.

Phaethon” wird genannt die sechste, Planet des Kroniden.

350 Siebente Tafel heißt nach dem höhedurchwandernden Kronos. Auf diese Tafeln schrieb die schicksalbestimmenden, bunten

Sprüche des Weltalls der greise Ophion ” mit rötlichem Zeichen.

Frägst du mich also wegen der klarbestimmten Gesetze,

So bewahrt ich dies Amt der älteren unter den Städten.

355 Ob nun Arkadien älter, ob älter die Feste der Hera3", Oder ob Sardes älter, ob gar das besungene Tarsos

Gelte als erste Stadt, ob eine sonstige andre, Weiß ich nicht, es lehrt das alles die Tafel des Kronos4’,

Die da früher entstand und gleichen Alters wie Eos.«

Legende von Beroe

663

Sprachs und führte sie zu der Wand mit den glänzenden 360 Sprüchen, Bis sie die Stelle sah, wo über Beroes Heimat Kunstvoll Ophion geschrieben ein späterfülltes Orakel Auf der Tafel des Kronos, vermerkt mit weinfarbnem Rötel:

»Beroe kam zuerst, gleichzeitig, gleichalt mit dem Weltall, Heißt nach der späteren Nymphe, und ausgewanderte Söhne Der Ausonier11, Lichter der consularischen Roma, Werden sie Berytos nennen, weil sie dem Libanon nahe------ “ Solch prophetisches Wort erfuhr sie. Als aber die Göttin Den verkündenden Anfang der siebenten Tafel durchmustert, Spähte sie auch noch weiter, wo auf derWand in der Nähe Andere bunte Zeichen vielfältig künstlich geschrieben Mit wahrsagenden Worten: »Zuerst wird die Syrinx ersinnen13 Weidegott Pan, die Leier der helikonische Hermes, Doppelweise auf Löchern von Flöten der zarte Hyagnis, Orpheus geweihten Gesang und gottbegeisterten Ausstrom, Linos, phoibosentflammt, die Beredsamkeit, Arkas, der Wandrer, Der zwölf Monate Maße und auch des Helios Kreisbahn, Diese Mutter der Jahre, die durch das Viergespann wachsen. Und Endymion wird, der weise, mit wechselnder Beugung Seiner Finger erkennen die unstet dreifachen Kreise Stets erneuter Selene, und Mitlaut mit Selbstlaut vermischend, Wird dann Kadmos lehren Geheimnisse fließender Sprache, Solon die reinen Gesetze, und der unlösbaren Ehe Schließende Bande, gefeiert mit attischer Fackel, lehrt Kekrops.«

Paphia aber, nach all den vielen Sprüchen der Muse, Musterte mancherlei Taten sodann aus zahlreichen Städten.

365

370

375

38o

385

664

Einundvierzigster Gesang

Und auf der mittleren Täfel'“, die über dem wölbigen Weltall, Fand sie dies weise Wort vielzeilig in griechischen Versen:

»Wenn mit dem Szepter Augustus die ganze Erde wird lenken, 390 Wird der ausonische Zeus der heiligen Roma die Herrschaft

Schenken, der Beroe aber die Lenkung aller Gesetze, Wenn sie panzerumhüllt auf schildetragenden Schiffen

In einer Schlacht zur See15die Macht Kleopatras gebrochen. Vorher läßt ja nicht ab der städtezerstörende Frevel,

395 Städteerhaltenden Frieden zu stören, bis Berytos selber, Diese Amme des Rechts und heiteren Lebens, das Recht

spricht Gleich über Land und Meer und mit fester Gesetze Ummaurung

Städte befestigt, die einzige Stadt die Städte des Weltalls.«

Und nachdem die Göttin Ophions ganze Verkündung -wo So erkannt, da kehrte sie wieder heim, und sie stellte

Neben den Sohn, der da saß, den goldbeschlagenen Sessel,

Und sie schloss in die Arme mit heiterem Antlitz den Knaben Und umhalste ihn zärtlich und drückte ihn froh an den Busen, Und sie hob auf den Schoß die liebe Last, und sie küßte 405 Beides, den Mund und die Augen des Kindes, und sie

berührte Den bezaubernden Bogen, und sie befühlte den Köcher.

Unmut heuchelnd begann sie dann mit listigem Ausruf:

»Hoffnung des ganzen Lebens, der Schaumgeborenen Tröstung, Meine Kinder allein quält unbarmherzig Kronion.

4io Denn nachdem ich schwanger beschwerlich neun Monde durchlebte,

Legende von Beroe

665

Hab ich das herbe Geschoss qualvollen Gebärens erfahren,

Und Harmonia15 ward; die duldet nun vielerlei Leiden

Traurig, doch Leto erhielt eine wehelindernde Tochter, Artemis, die die Frauen beschützt und Gebärenden beisteht. Dich, Amymones leiblichen Bruder, muß ich nicht lehren,

415

Daß ich mein Blut aus dem Meer und dem Äther47 erhielt, darum wollt ich Würdige Tat vollbringen, daß ich bei dem Meer, meiner

Mutter, Wie ich vom Himmel stamme, auch Himmel auf Erde

verpflanze. Spanne darum den Bogen —es gilt die Schönheit der Schwester —

Und bezaubre die Götter und triff mit dem Pfeile in Einem

420

Schüsse zugleich Poseidon und auch den Rebenlyaios, Diese zwei seligen Götter. Und deine Mühe zu lohnen,

Will ich dir für den Schuss geziemende Gabe bescheren: Eine Hochzeitsleier18 aus Gold, die einstens beim Brautbett

Der Harmonia Phoibos geschenkt, ich will sie dir geben, Einer künftigen Stadt zu gedenken, dann würdest du beides:

Nicht nur ein Schütze, nein, auch ein Leierspieler wie Phoibos.«

425

ZWEIUNDVIERZIGSTER GESANG

So überredete sie den Eros. Mit schneller Sandale

Schwang sich hoch in die Lüfte der hitzige Gott und durcheilte

Schnell und wolkenhoch den Raum beflügelten Fußes

Mit seinem feurigen Bogen. Von seiner Schulter hernieder

5 Hing der Köcher, gefüllt mit schmeichelnd betörendem Feuer.

Wie durch den klaren Äther, den wolkenlosen, als scharfer1 Wandrer ein Stern gradaus gestreckt im Glanze dahinzieht Sei es wohl für ein Heer als Zeichen, oder dem Schiffer

Schreibt er sich in den Rücken des Äthers mit feuriger Furche -

io So auch Eros, der wilde; ein scharfes Schwirren ertönte Von den geschwungenen Flügeln, er brauste dahin wie ein Windstoß,

Schwirrte dann aus der Luft herab; beim assyrischen Felsen

Tat er in Einer Fügung zwei hitzige Pfeile zusammen, Gleiches Liebesverlangen nach jener Jungfrau in beiden 15 Freiern zu entzünden in eifersüchtiger Werbung:

Bei dem Traubengott und bei dem Beherrscher des Meeres.

Als nun der eine die Tiefen am meernahen Hafen verlassen Und der andre den Saum von Tyros, da trafen sich beide An dem gleichen Platz auf dem Libanongipfel; es löste 20 Maron2 am schrecklichen Wagen den schwitzenden Panther

vom Joche,

Bakchos’ und Poseidons Liebe zu Beroe

667

Schüttelte ihm den Staub vom Leib und bespülte mitWasser Den geschundenen Nacken den heißen Tieren zur Kühlung. Eros, der schnelle, kam, und wegen der nahenden Jungfrau

Schoß er den doppelten Pfeil auf beide Götter, um Bakchos Zu begeistern, der Jungfrau Kleinodien zu überreichen,

25

Freude des Lebens und auch die süße Traube der Lese, Und um den Meeresgebieter zu heißem Verlangen zu

stacheln, Doppeltes Liebesgeschenk dem Mädchen am Meere zu

bringen:

Nassen Wasserkampf3 und vielfache Speisen zur Tafel.

Heißer entflammte er Bakchos, weil Wein die Sinne zur

30

Sehnsucht Reizt, und weil Jüngere mehr in unvernünftigem Triebe, Unbeherrscht und noch frisch, dem Einfluß des Zaubers erliegen.

So traf Eros den Bakchos voll in das Herz mit dem Pfeile Heiß und berückte ihn auch mit dem Honig der Liebes-

beschwatzung.

Beide stachelte so er auf; und durch luftige Bahnen

35

Schwang er sich dann dahin so schnell wie reißende Winde Als ein unechter Vogel mit seinen Rudersandalen

Und rief schmähend hinab: »Wenn Dionysos durch seinen Weintrunk

Männer bedrängt, so errege ich Bakchos selber durch Feuer.«

Und da hob der Gott der Reben die Blicke und schaute

«o

Musternd die zarte Gestalt der flechtenprächtigen Jungfrau.

Staunen, der Leiter der Sehnsucht, erfaßte ihn, und seine

Augen Wurden zu Vorverkündern der frischbeginnenden Liebe.

Und Dionysos irrte im sinnergötzenden Walde; Heimlich auf Beroe lenkte er seine behutsamen Augen,

45

'¿weiundvierzigster Gesang

668

Und er folgte in kleiner Entfernung den Schritten des

Mädchens. Nicht verdroß es ihn, dauernd zu schauen: je mehr er die Jungfrau

Vor sich stehen sah, je stärker gierte sein Auge. Helios flehte er an, den Herrn der Gestirne, und mahnte so Ihn an seine Liebe zu Klymene1, daß er am Wagen

Mit dem Zügel hemme die Rosse und haltend das süße Licht verlängre, damit er langsam ziehe gen Westen

Und die Geißel schone, das Leben des Tages zu dehnen. Stets in gleichem Abstand den Spuren Beroes folgend,

55 Eilte er hin, als ob er die Jungfrau nicht kenne, und heimlich

Stahl aus dem Libanon sich Poseidon zögernden Fußes, Wandte sich von dannen mit langsam gehorchender Sohle; Unstet war sein Sinn wie die schwankenden Fluten des Meeres

Und umbrandet von Wogen der ewig rauschenden Sorge.

GO Unersättlich der Süßen inmitten des Libanonwaldes, War Dionysos einsam bei seinem einsamen Mädchen, War Dionysos einsam. O sprecht, ihr Nymphen der Berge,

Was auch Lieberes wollte er sehn als den Körper des

Mädchens, Ungestört und frei von dem glücklos verliebten Poseidon !

64 Heimlich schleichend küßte er mit unzähligen Küssen 71 Ihres Fußes Spuren, da wo mit Rosensandalen Über den Staub hinweg die strahlende Jungfrau gegangen.

Und den süßen Nacken, die Knöchel des schreitenden

Mädchens Schaute Bakchos, die ganze, naturverliehene Schönheit,

75 Schönheit, die nur Natur erschaffen; nicht gelbliche Salbe

Lag auf den rosigen Kreisen des Angesichtes und färbte Beroes Wangen falsch mit Rot und unechtem Feuer.

Bakchos’ und Poseidons Liebe zu Beroe

669

Nicht in spiegelndem Erz, ihr Ebenbild dort zu betrachten, Lachte sie an eines falschen Gesichtes seelenlos Abbild,

so

Ihre Schönheit zu prüfen, und nicht mit künstlicher Fügung Ordnete häufig sie die Haare über den Brauen, Rückte auch nicht zurecht die losen, entgleitenden Locken,

Sondern viel mehr bedrängte den Weibertollen mit scharfem Stachel des ungepflegten Gesichtes natürliche Schönheit.

85

Sind doch wirre Locken des schmuckentbehrenden Hauptes Zierlicher, weil sie flatternd und ungeflochten und zwanglos Wehen und rings im Kreise das schneeige Antlitz umkränzen.

Einmal eilte sie dürstend zu einer benachbarten Quelle,

Von dem Siriushauch6 des feurigen Himmels gegeißelt,

90

Und mit lechzenden Lippen und abwärts gerichtetem Haupte

Bückte sie sich gekrümmt, und häufig schöpfte das Mädchen In den Becher der Hände zum Munde das Wasser der Heimat, Bis sie befriedigt die Flut verließ, und als sie gegangen,

Beugte Dionysos tief das Knie vor der lieblichen Quelle,

85

Ahmte mit hohlen Händen dann nach das entzückende

Mädchen, Schlürfend das Wasser, das süßer als seiberfließender

Nektar.

Lind wie ihn so vom Stachel der Liebe geschüttelt des Quelles Nymphe gewahrte, da rief sie tiefgegürtet und barfuß:

» Kaltes Wasser trinkst du vergebens, Dionysos, löschen Kann auch der ganze Okeanos nicht durstbrünstige Liebe.

Frage doch deinen Vater: durchquerte der Freier Europas Nicht das Meer und löschte doch nicht das Feuer der Sehnsucht? Nein, er litt noch mehr in den Wassern. Du sahst ja

Alpheios“

ioo

670

'¿weiundvierzigster Gesang

los Schweifen als deutlichen Diener des flutendurchwandernden Eros, Weil er in solchenWogen sein Wasser durch Wasser dahinzog,

Ohne dem heißen Gott zu entrinnen, der wässrige Wandrer.«

Riefs, und es tauchte hinab die stirnbandlose Naïade

In ihr heimatlich Wasser, den Gott Lyaios verlachend. ho Und derGottjVoll Groll auf den Wassergebieter Poseidon,

Bebte voll Eifersucht, weil die JungfrauWasser getrunken Statt des Weines; so rief er den tauben Lüften entgegen,

Gleich als hätte er vor sich das willig lauschende Mädchen:

»Jungfrau, wähle doch Nektar und meide dies Jungfrauen­

wasser, 115 Meide den Trunk aus dem Quell, damit nicht der bläulich­

gelockte

Wassergott in den Wassern dir deine Jungfraunschaft stehle. Ist doch derWeibertolle gar listig. Du weißt von der Liebe

Der thessalischen Tyro’ und ihrer Umarmung im Feuchten.

Hüte auch du dich vor der listigen Flut, daß nicht trügend

120 Er deinen Gürtel löse, ein Buhle, wie früher Enipeus. O ich wollte, auch ich wär Flut wie der Länderumstürmer: Brausend umarmte ich dann bei der sehnsuchtgetroffenen

Quelle Meine unbedachte und dürstende Libanon-Tyro.«

Sprachs, der Gott, und sich selbst an Leib und Gliedern

verwandelnd,

125 Tauchte Euios dort in das Dickicht des Waldes, wo grade

Sich die Jungfrau befand; er glich einem Jäger, gesellte

Sich dem lockigen Mädchen, unkenntlich, andersgestaltet, Wie ein Jüngling gebildet, und unbeweglich im Antlitz Heuchelten seine Züge voll Trug ein züchtiges Schämen.

Bakchos’ und Poseidons Liebe zu Beroe

671

Bald betrachtete er die Spitze der einsamen Höhe,

130

Bald auch zwang er gewaltsam sein Aug auf des ragenden Waldes Schattigen Grat und auf die Fichte und bald auf die Föhre

Oder auf eine Ulme, und mit verstohlenen Blicken

Schaute behutsam er an seiner Seite das Mädchen, Daß sie nicht abgewandt entrinne; denn für einen Jüngling,

135

Wenn er Schönheit und Augen gleichaltriger Mädchen

betrachtet, Ist das ein kleiner Trost in sehnender Liebesbegierde.

Und er kam Beroe näher und suchte Worte zu formen,

Aber ihn fesselte Furcht. Du Jubelgott, sage, wo war dein Mordender Thyrsos und wo die schrecklichen Hörner? wo

140

blinkten Blau in den Locken die Schlangenfesseln sich windender

Drachen ? Wo war das donnernde Brüllen aus deinem Munde? O Wunder,

Vor einer Jungfrau erbebte Lyaios, vor dem die Giganten8 Zitterten: Liebesangst bewältigte ihren Vernichter.

Er, der den mächtigen Stamm kampfwütiger Inder gemordet, 145

Fürchtete nun so bang ein schönes, wehrloses Mädchen, Fürchtete eine Frau mit zarter Haut; in den Bergen Hatte bestienzähmend sein Narthex das grausige Brüllen

Wilder Löwen bewältigt, nun bangte er vor einem Weibe.

Und es drängte sich ihm im erschrockenen Munde ein schweifend

Wort auf die Spitze der Zunge, ganz nah den Lippen und gierte,

Aus dem Herzen zu eilen und weiter zum Herzen zu gehen.

Aber in seiner Angst, der bittersüßen, verharrte

Er in Schweigen und hemmte die redebegierige Stimme.

iso

672

Zweiundvierzigster Gesang

155 Kaum gelang ihm zu spät, des Mundes Fessel zu sprengen,

Dann aber unterbrach er das tatverzögernde Schweigen

Banger Scham und fragte die Beroe, trügerisch rufend:

»Artemis,wo ist dein Bogen ? wer raubte dir deinen Köcher ?

Wo ist dein üblich Gewand, das bis zu den Knieen hinabreicht?

160 Wo sind deine Sandalen, die schneller als wirbelnde Winde ? Wo der Chor der Mägde, das Netz, die hurtigen Hunde? Rehhatz rüstest du nicht, dir will es ja niemals behagen,

Dort zu jagen, wo Kypris sich bei Adonis’gelagert.«

Also sprach er zu ihr mit geheucheltem Staunen, im Herzen

165 Lächelte da die Jungfrau und warf in harmlosem Drange Stolz das Haupt zurück und ihrer Frische sich brüstend,

Weil sie, ein irdisches Weib, gleich einer Göttin gebildet; Sie durchschaute ja nicht die List des berückenden Bakchos.

169 Mehr noch bekümmerte ihn, daß ihr das Sehnen noch fremd war

in In ihrem kindischen Wesen; er wollte, daß sie erführe, 170 Wie ihn die Sehnsucht quälte, denn hat ein Mädchen

Verständnis, 172 Bleibt dem Jüngling die Aussicht auf endlich erfülltes

Verlangen Und zukünftige Liebe, doch in erfolglosem Drange

Müssen die Männer schmachten, sobald die Weiber nichts merken.

175 Tag um Tag verweilte der Gott im tauigen Walde; Nachmittags und mittags und morgens ging er und abends Zu dem Mägdelein hoch und wollte noch länger verweilen.

Alles werden die Menschen ja satt: die Süße des Schlafes Und das tönende Lied und wenn ein Mann sich im Tanze

Bakchos’ und Poseidons Liebe zu Beroe

673

Schwingend dreht, allein der Weibertolle wird niemals

iso

Seines Sehnens satt; das Buch Homers10hat gelogen.

Qualgeschüttelt brüllte der Gott, doch stumm und

verschwiegen, Von dämonischer Geißel verzehrt; im Innern verbarg er

Heimliche Herzenswunde der schlummergemiedenen Liebe. Wie in Eile ein Rind auf seinem Wege am Strande

iss

Dem gewohnten Schwarm berghausender Stiere voranläuft,

Weggescheucht von der Herde, wenn in beblätterter Wildnis

187

Eine Rinderbremse es stach mit der Schärfe des Stachels

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Unvorhergesehen; von winzigem Stachel getroffen,

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Wird das große Tier bedrängt; steil über den Rücken

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Wirft es den Schweif empor und peitscht ihn dann wieder rückwärts, Seinen gekrümmten Rücken an Höhen reibend, sein scharfes,

Feindliches Horn gesenkt auf unverwundbare Lüfte:

Also quälte auch jetzt den oft vom Siege gekrönten

Bakchos der winzige Eros mit allbezauberndem Stachel.

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Endlich ein stillendes Mittel für seine Liebe zu finden, Offenbarte er Pan, dem brustbehaarten, in heißer, Liebestoller Rede die schlaflos quälende Sehnsucht,

Ihm zu raten, wie er sich dieser Liebe erwehre.

Wie er vernommen des Gottes gleich Feuer schnaubende

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Qualen,

Lachte der hörnerne Pan u, doch war er im Herzen erschüttert,

Er, der glücklos Verliebte den glücklos Verliebten bedauernd. Liebesrat gab er; es war ihm ein Trost in seiner Verliebtheit, Einen andern zu sehen von gleichem Feuer verwundet:

»Gleiches fühlend, erbarmt mich, lieber Bakchos, dein Kummer.

Wie besiegte auch dich der freche Eros? und darf man’s

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'¿weiundvierzigstcr Gesan*

Sagen: es leerte Eros auf mich und auf Bakchos den Köcher. Aber vielkundige Art des listigen Schmachtens verrat ich: Jedes Weib sehnt stärker als Männer, aber des Eros Stachel verhehlt sie aus Scham, so toll sie von Liebe benommen, Und sie leidet viel ärger; es sind ja die Funken des Eros Noch viel heißer, sobald die Weiber im innersten Herzen Tief vom Pfeil der Liebe getroffen und müssen ihn bergen. Wenn sie nämlich einander die Not ihres Schmachtens verraten, Täuschen sie über den Gram sich weg mit erlösendem Plaudern. Du nun, Dionysos, trage, um deine Liebe zu fördern, Weiter die täuschende Röte nachahmender Scham und bewahre Stets in züchtiger Scheu ein ernstes, nicht lachendes Antlitz. Bleibe wie unabsichtlich bei Beroe stehen; das Jagdnetz Schüttle, betrachte dann listig bewundernd das rosige Mädchen, Lob seine Schönheit, die höher, als sie selbst Hera erlangte, Heiße auch die Chariten geringer und find einen Makel Selbst an den Göttinnen beiden: an Artemis und an Athene, Und die Beroe nenne noch glänzender als Aphrodite. Hört das Mädchen sodann den trügenden Tadel, so bleibt sie Häufig stehn, von dem Lobe ergötzt; denn Goldes in Menge Mag sie nicht so gern wie das Lob ihres rosigen Ansehns, Daß sie noch schöner sei als alle gleichaltrige Jugend. Locke die Jungfrau zur Liebe mit ernstverständigem Schweigen, Gib ihr Winke dabei mit leise beweglichen Brauen, Strecke die Hand und schlage die Stirn dir ohne Erbarmen, Zeige bedeutungsvoll durch Schweigen dein täuschendes Staunen.

Bakchos’ und Poseidons Liebe zu Beroe

675

Doch dich beherrscht ja Furcht vor einem züchtigen Mädchen. Sprich, was soll eine Jungfrau allein dir antun ? sie schwingt ja Keine Lanze, kein Pfeil entfliegt ihren rosigen Händen, Nur die Augen des Mädchens sind Speere als Schleudern der Liebe, Und die Pfeile der Jungfrau sind ihre rosigen Wangen. Als Geschenke der Sehnsucht und als Kleinodien schüttle Für dein Mädchen in Händen nicht indische Steine noch Perlen, Wie es bei Weibertollen gebräuchlich; denn Liebe zu finden, Ist ja deine Gestalt genügend; die Weiber begehren Nach einer zarten Schönheit und nicht nach goldenen Schätzen. Weiteres Beispiel braucht es nicht, denn welche Geschenke Nahm von dem üppig gelockten Endymion einstens Selene ?12 Welch ein Liebesgeschenk gab denn Adonis der Kypris? Nicht bescherte Silber Orion der Nebelgebornen; Kephalos schenkte nicht erwünschten Reichtum, nur einzig Gab Hephaistos, weil lahm und weil er reizlos gebildet, Manche Geschenke und konnte doch Pallas nicht überreden. Sein entbindendes Beil13 war nutzlos, denn er verfehlte Doch die Göttin, nach der er sich sehnte. Drum werde ich, willst du, Anderen starken Zauber zur Hochzeitsverbindung dich lehren. Schlag mit der Hand die Leier, die deiner Rheia geweiht ist, Kypris’ üppiges Prachtstück beim Wein; ergieße mit beiden, Mit dem Mund und dem Stäbchen, verschieden tönende Weise. Singe zuerst von Daphne, vom Lauf der unsteten Echo Und dem redenden Nachhall der ungern schweigenden Göttin;

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676

Zweiundvierzigster Gesang

Künde, daß beide verachtet die schmachtenden Götter, doch singe

Auch von der Ehescheu der Pitys14, die schnell wie der Bergwind

260 Lief, um ungewünschter Vermählung mit Pan zu entgehen, Singe, wie dann verwurzelt sie endete; tadle die Erde.

Beroe weint vielleicht, die Pein der klagenden Nymphe

Und ihren Tod bedauernd; du freue dich leise im Herzen, Wenn du die süßen Tränen gewahrst des schluchzenden

Mädchens.

265 Nichts ist so erfreuend, wie wenn durch Röte die Weiber Nur noch reizender w’erden, sobald sie seufzen und jammern. Singe auch süß von Selene, die toll Endymion liebte, Singe vom Liebesbund des schönen Adonis und künde

Auch, wie Aphrodite zerfetzt und barfuß umherlief15, 270 Um den schweifenden Freund im Gebirge zu finden. Es

rennt dir Beroe nicht davon bei der lockenden Liebesgeschichte

Ihrer Heimat. Das alles vernimm, du glücklos Verliebter. Lehre auch du mich, wie ich meine Echo bezaubre.«

274 Also sprach er, und freudig verließ ihn der Sohn der Thyone 65 Legte in ernste Falten aus List sein Antlitz und fragte17 Dann die liebliche Jungfrau nach ihrem Vater Adonis

Wie ein Jagdgenosse und Freund im Gebirge; und wie sie Stillstand, näherte er die Hand ihrer Brust, und er drückte Gleichsam absichtlos das Brustband. Des weiberentflammten

70 Gottes Rechte erstarrte, wie sie die Brüste berührte.

275 Einmal fragte da das Mädchen harmlos Kronions Gegenwärtigen Sohn nach Heimat, Herkunft und Vater,

Und da fand er zur Not einen Vorwand, wie er der Kypris Rebengarten sah und die nährenden Saaten der Erde

Und die tauigen Wiesen und mancherlei Arten von Bäumen.

Bakchos' und Poseidons Liebe zu Beroe Voller List und scheinbar ein Bauer vom Lande begann er

280

Wegen seiner Liebe sich doppeldeutig zu äußern:

»Landmann bin ich hier auf deinem Libanon. Willst du,

Werd ich dein Land bewässern und deine Früchte vermehren.

Die vier Jahreszeiten kenn ich im Ablauf: sobald ich Sehe, wie der Herbst sich neigend endet, so ruf ich:

285

,Nahrungspendend geht auf der Skorpion, der Verkünder

Fruchtgesegneter Furchen. Nun spannt an die Pflugschar die Rinder!

Die Pleiaden sinken hinab; wann streuen wir Saat aus?

Früchte gebären die Furchen, wenn Tau die Lande befeuchtet,

Die unter Phaethon dörren.“ Und wenn ich beim Regen

290

des Winters Seh am arkadischen Wagen den nahen Arkturos, dann sag ich:

,Wann wird die trockene Erde vom Regen Kronions geschwängert 1 ‘ Jetzt, wo der Frühling beginnt, will ich am Morgen

verkünden: ,Deine Blüten sind offen, wann pflücke ich Lilien und Rosen ? 294 Sieh,wie die Hyazinthe so drängend der Myrthe sich nähert, 301 Wie die Narzisse lacht, zur Anemone sich neigend.“

302

Und sobald ich die Traube im Sommer gewahre, so sag ich:

295

,Üppigen Wuchses reift die Rebe, verschont von dem Messer. Jungfrau, die Zeit ist da. Wann ernten wir beide die Lese? Hochgewachsen ist dein Korn, des Mähers bedarf es. Ich will mähen die Saat der Ähren, und statt für Demeter

Will ich für deine Mutter, für Kypris, die Erstlinge brechen.“

300

Nimm mich Landmann an, in deinem Weinberg zu wirken.

303

Mach mich zum Winzer bei deiner dem Schaum

304

entstiegenen Mutter,

678

'Zweiundvierzigster Gesang

305 Daß ich ein nährend Gewächs ihr pflanze, daß ich der Reben Unreife Beeren gewahr’ und die frischen mit Händen betaste. Weiß auch, wie Äpfel reifen, weiß wohl zu pflanzen den hohen, Ragenden Ulmenbaum, gestützt an eine Zypresse; Mit dem weiblichen misch ich den frohen, männlichen Palmbaum18; 3io Willst du, so laß bei der Winde ich blühen den köstlichen Krokos. Reich mir kein Gold für die Wartung, denn ich bedarf keiner Gabe, Nur zwei Äpfel und Eine einmalig geerntete Traube.« All das sprach er umsonst; das Mädchen gab keinerlei Antwort, Denn es verstand ja nicht den Wortschwall des geilen Lyaios. 315 Aber Eiraphiotes19 spann eine List zu der andern, Und aus Beroes Hand nahm er das Jagdnetz, als ob er Seine künstliche Arbeit bestaune. Er schwang es im Kreise Wirbelnd hin und her und fragte öfters das Mädchen: »Welcher Gott schuf das Werk und welche himmlischen Hände? 320 Wer erschuf es? ich kann nicht glauben, daß dem Adonis Gott Hephaistos Geräte in seiner Eifersucht machte.«

Sprachs und verwirrte den Sinn des unverdorbenen Mädchens. Einmal lag er tief entschlummert auf offnen, erblühten Anemonenblättern; er sah im Traume die Jungfrau 325 In einem Brautgewande. Denn was man am Tage getrieben, Schaut man wieder leicht im Schlaf als nächtiges Traumbild.

Bakchos“1 und Poseidons Liebe zu Beroe

679

Schlafend treibt der Hirt gehörnte Rinder zur Weide, Netze erscheinen dem Jäger im Traumgesichte vor Augen, Landleute sehen im Schlummer, daß sie die Felder bepflügen Und die Furchen besäen zu künftiger Ernte; wenn einer Mittags befallen wurde von trocken brennendem Durste, Führt ihn der trügende Schlaf zurWasserleitung, zur Quelle. So in Dionysos auch entstand das Bild seiner Mühen Nachgeahmt im Traum vor seinen beflügelten Sinnen, Und ließ schattenhaft ihn Hochzeit feiern. Vom Schlafe Aufgewacht, sah er nicht die Jungfrau und wollte aufs neue Schlummern und dachte, wie nichtig die Freude so kurzer Vereinung, Wie auf der Anemone vergänglichen Blättern er ruhte. Scheltend die stumme Fülle der Blumenblätter, erbat er Ungeduldig von Hypnos, der Abend-Kypris und Eros, Noch einmal zu erblicken das gleiche Traumgesicht, sehnend Nach dem Truggebilde der Liebesvereinung. Er ruhte Neben der Myrthe oft, doch ohne von Liebe zu träumen. Nein, ihn quälte nur süß ein Schmerz, und in sehnender Sorge Lösten sich gar die Glieder des gliederlösenden Bakchos. Wandernd mit Beroes Vater, dem Sohn der Myrrha, gemeinsam, Zeigte er seine Jagdkunst; er warf den Thyrsos und hüllte Sich in die fleckigen Felle der frischgetöteten Rehe, Heimlich nach Beroe spähend. Doch wenn Dionysos Stillstand, Barg die Jungfrau ihr Antlitz vor seinen flackernden Blicken, Und mit dem Mantel bedeckte sie ihre strahlenden Wangen. Mehr noch entflammte sie so den Gott, weil die Knechte des Eros

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33s

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Zweiundvierzigstcr Gesang

Schamhafte Weiber noch mit größrer Begierde bespähen Und noch heißer ein Antlitz, das sich verhüllte, ersehnen.

355 Als er einmal allein Adonis’ ledige Tochter Sah, da ging er zu ihr, und seine menschlichen Glieder Wandelte er zum Gott und trat dem Mädchen entgegen,

Sagte ihr Name und Art und sprach von der Tötung der Inder, Von dem Rebentanz und den Wellen des labenden Weines,

360 Daß er ihn für die Menschen erfunden; in zärtlichem Drange Mischte er dreiste Keckheit mit schamverletzender Frechheit

Und fing schmeichlerisch an, auf solche Weise zu reden:

»Jungfrau, weil ich dich liebe, bewohn ich nicht länger den Himmel.

Schöner als der Olymp sind deine Grotten der Väter, 365 Mehr als den Aether liebe ich deine Heimat; ich wünschte

noch Hochzeit Kronion.

Heißer

mit dir als das Szepter des Vaters

Über Ambrosia geht mir deine Schönheit; mir wehen Deine Gewänder den Hauch aetherisch duftenden Nektars. Jungfrau, nur staunend vernehm ich, daß deine Mutter die

Kypris,

370 Weil dich der Zaubergürtel so hart gelassen. Nur du hast 371 Einzig Eros zum Bruder und kennst nicht den Stachel der

Liebe? 374 Doch auch die Augenblaue mied Hochzeit, so wirst du

erwidern; 375 Keiner Ehe entsproßte Athene und kennt nicht die Ehe. 372 Dich gebar nicht Athene, nicht Artemis; aber du, Mädchen,

373 Bist vom Blute der Kypris; was fliehst du die Weihen der Kypris ?

376 Mache doch keine Schande der Art deiner Mutter. Wenn wirklich

Bakchos’ und Poseidons Liebe zu Beroe

681

Du dem Blute entstammst des assyrischen, schönen Adonis,

Lern dann die zarten Gesetze des hochzeitsegnenden Vaters, Folge der Paphia Gürtel, dem mit ihr entstandenen Zauber.

Hüte dich vor dem Zorn der hochzeitlichen Eroten;

380

Grausam sind die Eroten, wenns not tut, wenn sie die Buße Unvollzogener Liebe von Weibern strafend verlangen. Weißt du doch, welche Sage sich um die spröde und keusche“

Syrinx21 rankt, dieweil sie den feurigen Köcher mißachtet,

Daß sie zur Pflanze geworden als täuschendes Rohr und

385

der Liebe Pans zwar so entging, doch singt noch immer des Gottes

Sehnsucht. Die Tochter des Ladon22, des weitbesungenen

Flusses,

In ihrem Abscheu vor Liebe verwandelte sich zum beseelten, Säuselnden Baum und umkränzte, dem Lager Apollons entwichen,

Mit prophetischer Ranke die Haare Phoibos Apollons.

390

Hüte auch du dich vor hartherzigem Grolle, daß dich nicht

Zorn voll der hitzige Eros bedränge. Drum schone nicht deinen

Gürtel und doppelt beherrsche so Bakchos: als Diener und Buhlen. Selber möchte ich tragen das Garn deines Vaters Adonis

l’nd bereiten das Bett meiner Schwester, der göttlichen

395

Kypris.

Was für würdige Gaben wird dir Poseidon bereiten?

Wird er als Hochzeitsgeschenk dir bitteres Wasser gewähren Und dir die Felle von Robben, Poseidons Meeresgewänder, Breiten mit ihrem üblen, dem Meer entstiegenen Dufte? Nimm diese Robbenfelle nicht an. Ich will für dein

Brautbett

Dir die Bakchen als Mägde und Satyrn als Knechte

bescheren. Nimm als bräutliche Gabe dazu die Lese der Trauben.

400

Zweiundvierzigster Gesang

682

Wenn einen wilden Speer du wünschst als Tochter Adonis’, Nimm meine Lanze, den Thyrsos, und laß die Spitze des

Dreizacks.

405 Flieh, du Liebste, das schlimme Getöse nieschweigenden Meeres,

Flieh den Stachel, mit dem die Eroten Poseidon verwundet.

Bei einer anderen Magd Amymone23ruhte Poseidon; Doch sie ward nach dem Lager zu einer gleichnamigen Quelle.

Auch bei der Skylla24 schlief er und schuf sie zum Felsen im Meere, 4io Ging Asteria25nach: sie ward zur einsamen Insel.

Auch die Jungfrau Euboia28 verwurzelte er in den Wellen.

Sollte Der Amymone sich einen, damit er auch sie dann Nach der Vermählung versteinre? Der wird dir als Gabe zu eurer Hochzeit ein wenig Wasser, am Ende auch Seetang

bescheren

415 Oder auch eine Muschel der Tiefe. Ich aber stehe 416 Zögernd ob deiner Schönheit: was kann ich, was kann ich

dir schenken ? 4i6a---------- (sollte ich vom Paktolos dir Gold bescheren

1)--------

417 Nicht bedarf des Goldes das Kind der goldenen Kypris. Soll ich aus Alybe27 lieber dir viele Schätze besorgen

1

Silberarmige, du verweigerst Silber. Doch bring ich

420 Dir des glänzenden Stromes Eridanos schimmernde Gaben, Macht deine Röte zu schänden die helle Fülle des Reichtums Der Heliaden; es schimmert ja gleich den Strahlen der Eos

423 Ähnlich der Farbe des Bernsteins der schönen Beroe Nacken. 423a--------- (Deine Schönheit verdunkelt)-----------

424 Auch den blitzenden Stein. Beschämt doch den köstlichen

Marmor 425 Deine schöne Gestalt. Und ob deiner glänzenden Augen

Bachkos’ und Poseidons Liebe zu Beroe

683

Bring ich dir nicht den Leuchtstein28, der schimmert wie brennende Fackeln. Daß ich als Gabe nicht Rosen dir reiche mit eben erblühten Knospen am Zweige, verhindert das rosige Blühn deiner Wangen.«

Solcherlei sprach er; da hielt mit beiden Händen das Mädchen Sich die Ohren zu, um nichts mit ihnen zu hören, «o Nicht eine zweite Rede zu Eros’Preis zu vernehmen; Waren ihr doch ein Greul dieWerke der Liebe. So schuf sie Qual zu Qual dem sehnenden Gott. Welch hündischer Leiden Gibt es als Liebe, wenn Weiber dem Mann entweichen, der rasend Und gemütsverzehrend gequält vom Stachel des Schmachtens, 435 Wenn sie durch ihre Keuschheit ihn noch mehr reizen? Im Innern Schwelende Brunst quält doppelt, wenn Mädchen von Männern sich wenden. So vom Zaubergürtel der rasenden Sehnsucht gepeinigt, Mied Lyaios die Jungfrau; zum ungegürteten Mädchen Sandte er als Gefährten sein jagendes, schweifendes Sinnen, 440 Bittersüßen Stachel im Herzen. Da stürmte mit nassen Schritten aus der Tiefe des Meeres durch trockne Gebirge Gott Poseidon und suchte, der Flut entwichen, die Jungfrau; Seine feuchten Sohlen bewässerten rings die Gefilde. Wie er so eilte dahin am Wiesenhange des Waldes, 44s Wurden vom Schwung der Füße die Häupter der Berge 446 erschüttert.

----- (Da erblickte er schon die Jungfrau und hemmte die Schritte)------

446«

684

Ziveiundvierzigster Gesang

Schaute Beroe an und maß von Kopf zu den Füßen

Musternd die göttliche Frische und Jugend des stehenden Mädchens. Scharf durch das dünne Gewand, als ob ein Spiegel ihm

diene. 450 Prüfte da unbeirrbar sein Blick die Formen der Jungfrau. Auch, als lägen sie bloß, erspähte seitlich sein Auge Ihre schimmernden Brüste; die Binde aber, die neidisch

Bergend den Busen ihr umschnürte, machte ihn zornig.

Kreisend ließ er schweifen die tollbeseligten Augen. 455 Unersättlich beschaute er ganz sie; sehnsuchtgepeinigt Flehte zur Meer-Kythereia“der erderschütternde Seeherr

In seiner Qual, und dann bei einer ländlichen Weide,

Wo die Jungfrau stand, begann er mit schmeichelnden Worten:

»O, ein einzig Weib beschämt das weibergepriesne

460 Hellas; nicht Paphos, nicht Lesbos30, das Schönheit gebärende Kypros Werden noch länger besungen, und auch das jungfrauen­

schöne Naxos feire ich nicht mehr länger. Sogar Lakedaimon

Muß sich besiegt erklären mit seinen Geburten und Kindern.

Paphos nicht, nicht Lesbos, die orientalische Heimat 465 Amymones ließ allen Ruhm von Orchomenios bleichen. Eine einzige Charis hegt jene Heimat, denn jünger Als die drei Chariten erwuchs Amymone als vierte.

Jungfrau, verlaß das Land, so schickt es sich. Denn deine

Mutter Ist doch nicht dem Lande entsprossen, die Meer-Aphrodite.

470 Nimm als bräutliche Gabe das Meer, das unendliche, größer Als alle Länder. Wetteifre du schnell mit der Gattin Kronions,

Daß man erzähle, Zeus’ Gattin und die Geliebte Poseidons

Bakchos' und Poseidons Liebe zu Beroe

685

Herrschten ja überall; denn des beschneiten Olympos Szepter hält Hera, doch Beroe nahm die Herrschaft des

Meeres.

Rasende Bassariden werd ich dir nicht überweisen,

475

Keinen hüpfenden Satyr und keinen Silen dir bescheren. Nein, ich gebe zum Diener an deinem ehlichen Lager

Dir den Proteus und mache zu deinem Knechte den

Glaukossl. Auch den Nereus empfange und, wenn du willst,

Melikertes. Auch den breit um die Wölbung des ewigen Weltalls

480

gewundnen,

Wilden Okeanos will ich deinen Diener benennen, Will dich mit sämtlichen Flüssen als deinen Trabanten

beschenken.

Falls du dich auch an Mägden erfreust, so will ich des

Nereus

Töchter zu dir bringen. Nur Eine Schaffnerin werde Streng zurückgewiesen: Dionysos’Amme, die Ino.«

485

Sprachs, doch das Mädchen entwich ihm unberedet und

grollend. Da ergoß in die Lüfte Poseidon folgenden Wortschwall:

»Myrrhas gesegneter Sohn, weil du so herrliche Tochter Zeugtest, hast du allein eine doppelte Ehre: man nennt dich Beroes Vater nun und der Schaumgeborenen Buhlen.«

So ward der Ländererschüttrer vom quälenden Gürtel gegeißelt.

Viele Geschenke bot er Adonis und auch Kythereia Für die Liebe der Tochter. Vom gleichen Pfeile getroffen,

Brachte Dionysos Schätze, soviel nur an Edelmetallen

490

686

Zweiundvierzigster Gesang

495 In der Nähe am Ganges die goldenen Minen bescherten, Aber umsonst war all sein Flehen zur Meer-Aphrodite.

Paphia wurde besorgt. Des vielumworbenen Mädchens Beide Freier machten ihr Furcht, und wie sie bei beiden Eifer und Sehnsucht gewahrte in gleichgearteter Liebe, 5oo Schlug sie den Freiern vor, sie sollten um Beroe kämpfen, Und befahl einen Krieg der Liebe und sehnenden Streitlust. Dann mit weiblichem Schmucke bedeckte Kypris die Jungfrau Völlig und stellte auf den höchsten Gipfel der Heimat Das umstrittene Mädchen als üppigen Preis der Eroten, 505 Und zu beiden Göttern begann sie gemeinsame Rede: »Hätte ich doch zwei Töchter bekommen, sie zu verbinden Eine dem Ländererschüttrer voll Ehrfurcht, die andre dem Bakchos. Weil ich aber nicht Mutter von zweien wurde, und weil es Heilige Ehegesetze verbieten, ein einziges Mädchen 5io Wechselweise zugleich mit zwei Geliebten zu einen, Mag denn ein Brautkampf um die Eine Gattin entstehen. Nicht ohne Mühe gewinnt man Beroes Lager. So kämpft denn Beide um die Braut im Kampf vor solcher Vermählung. Wer da siegt, gewinne sich Beroe ohne Geschenke. 515 Beide binde ein Eid, denn wegen des Mädchens befürcht ich Viel für die nahe Stadt, wo ich die Schützerin heiße, Daß ich nicht Beroes Heimat durch Beroes Schönheit verderbe. Drum vor der Ehe verpflichtet euch beide, daß nicht nach dem Kampfe Wegen des Gegners Sieg der erderschütternde Meerherr 520 Mit des Dreizacks Spitze das Land vernichte, und daß nicht

Bakchos'1 und Poseidons Liebe zu Beroe

687

Grollend Dionysos wegen der Amymone Vermählung All die Rebengärten der Stadt zermalmend vernichte.

Nach dem Kampfe zeigt euch edelmütig, und beide Eifert in gleicher Liebe und nach den Gesetzen der Eintracht, Glänzender noch mit Schönheit die bräutliche Heimat zu

525

schmücken.«

Also sprach sie; den Freiern gefiel es. Es leisteten beide

Einen festen Schwur bei Zeus und Erde und Himmel Und den stygischen Fluten. Die Moiren bestätigten förmlich Diesen Vertrag. Zu beginnen den Streit, der Liebe Geleiter, Wappnete beide Gegner die ehesegnende Peitho.

530

Nieder vom Himmel stiegen, um zuzuschauen dem Streite, Alle Olympbewohner und weilten als Zeugen des Kampfes,

Um Kronion geschart, auf des Libanon felsigen Höhen.

Doch ein gewaltiges Zeichen32 geschah dem sehnenden Bakchos:

Sturmschnell stürzte ein Habicht mit windgetriebenem

535

Fittich

Auf eine pickende Taube. Ein Seeadler aber entraffte

Plötzlich die Taube vom Boden und flog zum Meere von

dannen, In die Höhe tragend den Vogel mit schonenden Krallen.

Wie ihn Dionysos sah, entschwand seine Hoffnung zu siegen; Dennoch schritt er zum Kampfe. Und über den Wettstreit

der beiden Freute sich Vater Kronion mit fröhlich lachenden Augen,

Wie er von oben den Hader des Bruders und Sohnes beschaute.

540

DREIUNDVIERZIGSTER GESANG

Also ließ der Zwist, der stete Geleiter der Liebe,

Hochzeitliches Getöse des Brautstreits gellend erklingen,

Und es legte Enyo1 den Grund zur Schlacht um die Hochzeit.

Und der den Strauß erregte dem Erderschüttrer und Bakchos, s War Hymenaios2, der wilde; er schwang sich tanzend zum Treffen,

In der Hand die Lanze der Aphrodite Amyklais3,

Und ein Kriegslied blies er auf seiner phrygischen Flöte. Für den König der Satyrn und für den Lenker des Meeres War eine Jungfrau der Preis; sie stand in schweigender Abwehr io Gegen das Hochzeitslager des meerentstiegenen Freiers,

Fürchtete sich vor den feuchten Gemächern umbrandeter

Liebe Und begehrte weit mehr Dionysos. Deianeira4

Glich sie, die einst, als Freier im Kampf sie brausend

umstritten,

Sich den Herakles wünschte und dastand voller Befürchtung i5 Vor der Vermählung mit dem hörnernen, unsteten Flußgott.

Und der Äther, der sich im Kreis von selber herumschwingt, Ließ, von Wolken klar, ein Kampflied blasend ertönen.

Und ein schauerlich Brüllen aus rasender Kehle ergießend,

Wappnete sich mit assyrischem Dreizack der Bläulich­ gelockte,

Bakchos und Poseidon kämpfen um Beroe

689

Schwungbereit den Speer des Meeres. Doch dräuend den

20

Fluten, Schwärmte mit seinem Thyrsos der Weingott Bakchos zum Kampfe

Hoch imWagen der Rheia, der berggebietenden Mutter. Und eine Rebe, von selbst an der Muschel mygdonischen6

Wagens Aufgesprossen, bedeckte den ganzen Körper des Bakchos Und bekränzte, verbunden mit Efeu, die Locken des Gottes.

25

Schüttelnd unter den Riemen des Jochs den umfesselten

26

Nacken, Scharrte mit scharfer Tatze ein Löwe die Fläche des Bodens; 28 Schauerlich Brüllen erscholl aus seinem klaffenden Maule.

27

Und ein Elefant, der Quelle langsam sich nähernd,

29

Grub seine aufrechten Beine wie Säulenstützen ins Erdreich, 30 Schlürfte mit trockenen Lippen das Regenwasser und dörrte

So die Fluten aus, und weil der Grund sich schon zeigte, Floh die dürstende Nymphe des Quells gewandlos von

dannen.

Und es rüstete sich der Herr der Fluten. Getümmel

Unter den Nereiden erhob sich; die Götter der Feuchte

35

Zogen zur Schlacht auf dem Rücken der See. Von mächtigen Zweigen Wurde Poseidons Haus, das Wasser des Meeres, gegeißelt.

Und wie erschüttert zu Lande die ragenden Berge sich neigten,

Riß aus dem Boden heraus der Dreizack die Libanonreben. Auf eine schwarze Herde von Rindern Poseidons, die weidend

Schritten am Ufer, warfen sich die Thyiaden'in wildem,

Gierigem Drang, und eine durchschlug dem mächtig­

geäugten

40

690

Dreiundvierzigster Gesant

Stier, ihn packend, den Rücken, und eine andre zerspellte

Die bedrohlichen Spitzen der beiden kräftigen Hörner. 45 Eine andre zerriß ihm den Bauch mit mähendem Thyrsos,

Und eine vierte zerschnitt die ganze Flanke des Rindes. Halbgetötet rollte der Stier sich rücklings am Boden,

Und wie so frisch erschlagen das Tier im Staube sich wälzte, Zerrte die eine an den Hinterfüßen, die andre

so Riß an den Vorderfüßen und warf in kräftiger Schwingung Hoch in die Lüfte wie Bälle die wildverwirbelten Hufe.

Und Dionysos stellte die Führer des Heeres geordnet

In fünf Reihen auf zum Kampf mit den wässrigen Fluten. Und der ersten gebot der rebenreiche Kilikier

55 Oineus, den nahe am Tauros einst Ereuthalion zeugte7, Als er in freier Natur die Phyllis liebend umarmte.

Führer der zweiten war Helikaon, der dunkelgelockte, Blond mit rosigen Wangen; es quoll mit zierlichen Flechten Rings um seinen Nacken das Haar in schönem Gekräusel. 60 Und Oinopion waren und Staphylos dritter und vierter

Führer, Oinomaos’ Söhne, des trankgefestigten Zechers. Lenker der fünften war Melanthios, Herrscher der Inder, Den die Efeu-Nymphe Oinone geboren; es hüllte

Rings um den Knaben die Mutter die Triebe der duftenden Pflanze,

65 Und umwickelte ihn sodann mit Windeln aus Reben, Und sie reinigte auch den Sohn in dem Rauschtrank der Kelter.

Solch eine Phalanx, bewaffnet mit Efeuranken als Schießzeug, Rüstete sich als Gefolge des Rebenbakchos, und dieser Wappnete seine Mannen und sprach zum Heere ermunternd:

70 »Bassariden, nun kämpft! Und des bewaffneten Bakchos Hörnerne Flöte soll ein Kampflied gellen und helle

Bakchos und Poseidon kämpfen um Beroe

691

Weise ertönen entgegen des Muschelhorns brüllendem Tosen. Und es sollen die Cymbeln im Doppelschlage zur Fehde Ehernes Dröhnen donnern, und dann soll tanzend im Kampfe Maron8 den Glaukos beschießen mit männermordendem Thyrsos. Fesselt die Flechten des Proteus’ mit niegetragenem Efeu, Und das ägyptische Wasser des Meeres von Pharos verlassend, Nehm er statt Robbenfellen das scheckige Rehfell zum Kleide, Um mir den stolzen Nacken zu beugen. Und falls Melikertes10 Es vermag, so kämpfe er gegen den Zecher Seilenos. Lehrt den greisen Phorkys11: er soll mit dem Thyrsos sich wappnen Als Bewohner des Tmolos statt tangdurchzogener Tiefen, Und so werde der Alte ein Rebengärtner des Festlands. Standhaft verharre ein Satyr im Kampfe und schwinge den Narthex Und verjage so aus dem Meer mit ländlichen Händen Nereus, den dürstenden Gott. Umwindet das Haar des Palaimon Mit einer Rebenfessel aus Gärten, die eben wir pflanzten, Und dann bringt aus den Tiefen des isthmischen Meeres” als Diener Diesen Wagenlenker der See zu Rheia, der Mutter, Daß er dort Löwen lenke mit seiner wässrigen Geißel; Nicht belasse ich länger in meinem Meere den Vetter”. Schauen will ich das Heer des kampferoberten Meeres Mit der Nebris geschmückt. Den spielunkundigen Nymphen Reicht die fremden Cymbeln, und unter die Bakchen verteilet Die Hydriaden ”, und nur das Haus der gastfreien Göttin Thetis ” verschont mir gut, obwohl sie vom Meeresgeschlechte.

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so ei 82 85 83

84 so

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Dreiundvierzigster Gesang

Mit Kothurnen umschnürt Leukotheas19 schuhlose Sohlen. Festlandwesen geworden, soll mit des Lyaios Bakchantin

Doris17 ziehen und hebe die Fackel in meinem Gefolge, loo Und es schüttle den Tang der Salzflut die Meer-Panopeia1”

Aus ihren Locken und kränze das Haar mit umrankenden Schlangen.

Rasselnde Tamburine soll ungern Eidothea19 nehmen.

Sollte denn Galateia29, die gleich dem rasend verliebten Bakchos von Liebe gequält, sich weigern, daß sie ihm diene, 105 Um als Gabe zur Hochzeit der Amymone mit eigner

Hand einen Mantel zu weben für sie, die Libanonherrin? Nein, laßt laufen die Sippe des Nereus. Die Mägde des Meeres

Möchte ich nicht, sie könnten ja Beroes Eifersucht wecken.

Waffenlos mit der Spitze des zweigumwundenen Hauptes ho Soll mein alter Pan, der Bergdurchschweifer, Poseidon

Pressend packen und stoßen mit spitzen Hörnern und

treffen Mitten auf seine Brust mit dieser gebogenen Schärfe

Oder mit felsigen Klippen; mit seinen Klauen zerreiß er

Tritons Rücken, wo ihm die zwei Naturen verbunden, ns Glaukos, der Diener Poseidons, des erderschütternden

Meerherrn,

Beuge sich Bakchos und halte in seinen Händen der Rheia Rasselnde Cymbeln, die ihm am Hals mit Riemen befestigt.

Nicht um Beroe streit ich allein, es gilt auch der Heimat

Meines Mädchens: es soll dies unerschütterlich feste iso Land mir nicht der Meerherr, der Erderschüttrer, zer­ schmettern,

Liegt es auch mitten im Meer, und nicht mit dem Dreizack vernichten, Weil ich gegen sein Rüsten mich wappne, denn beides ist

gültig:

Bakchos und Poseidon kämpfen um Beroe

693

Liegt auch das Land am Meer, so trägt es doch zahllose

Pflanzen, Zeichen des Bakchossieges; denn auf dem nahe dem Meere

124

(Liegenden Libanonhöhen sind meine Reben entsprossen.)

124a

Aber wie einst zu Pallas komm jetzt zu Bakchos ein andrer

125

Kekrops21, den Streit zu entscheiden, damit man auch

künftig den Weinstock

Gleich der Olive besinge als staatserhaltende Pflanze.

Und ich will der Stadt eine andere Lagerung schaffen,

Nicht sie am Meere belassen: mit felszerspaltendem Narthex Treib ich die Tiefen des Meeres zurück von Berytos’ Seiten

130

Und versteinre das Meer zu Klippen und mach es zu Festland;

Und der steinerne Damm soll gleichen dem spitzigen Thyrsos.

Kämpft darum aufs neue, ihr Mimallonen, ihr seid ja

Tapfer und sieggewohnt. Noch schwärzt der erschlagnen Giganten Frischvergossenes Blut mein Rehfell; es zittert der Osten

135

Immer noch vor mir, und alle indischen Krieger

Beugen vor mir den Nacken, und flehende Tränen vergießend, Weint der greise Hydaspes vor Bromios angstvolle Wogen. Wenn ich die Libanonbraut in nassem Kampfe errungen,

Werde ich eine Gunst dem schmachtenden Meerherrn

149

gewähren: Will er, so sing er ein Lied für meine Liebe zur Hochzeit, Daß er mir Beroe nicht mit scheelen Blicken betrachte.«

So ertönte das Wort des Bakchos; mit dräuender Stimme Schmähte darauf zur Antwort den Gott der Bläulichgelockte:

»Schamvoll kämpfe ich, Bakchos, dieweil den Schwinger

des Dreizacks

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Dreiundvierzigster Gesang

Du bekämpfen willst, der floh vor der Axt des Lykurgos. Hierher blicke, Thetis, welch schönes Geschenk für die Rettung Bietet dem gastfreien Meer dein meerentronnener Bakchos. Aber das wundert mich nicht, du Glänzender, denn du entsprössest Muttertötendem Feuer und handelst auch deshalb wie Feuer. Auf, ihr lieben Tritonen, nun helft und fesselt die Bakchen, Macht sie zu Flutbewohnern. Es sollen die Wogen des Meeres Schleifen den alten Silen, den bergbehausten, und seine Cymbeln überschwemmen; die Flöte des schwimmenden Satyrs In dem brandenden Schwall, auf der er Bakchos bejubelt, Irre in kreiselnder Fahrt. Es sollen im Wasserpalaste Mir statt dem Bakchos das Lager die Bassariden bereiten. Nein! in der Tiefe brauche ich weder Mänaden noch Satyrn; Sind doch die Nereiden weit besser. Aber im Meere Sollen die Mimallonen ihr Dürsten stillen und schlürfen Meine salzige Flut statt ihres berauschenden Weines. Manche Bassaride, durchbohrt von Proteus mit nasser Lanze, gleite kopfüber hinab in die Wellen und gaukle Einen Totentanz zu Ehren des Gottes Lyaios. Schleppt mir herbei der Inder und Aithiopen Geschwader Den Nereiden zur Beute. Des übelzüngigen Weibes Kassiopeias22 Kinder bringt meiner Doris als Sklaven Spät zur Strafe; es soll mit unbezwinglichen Fluten Der Okeanos baden der Maira22 Feuerstern, diesen Vorverkünder des endlos die Kelter umkreisenden Tanzes, Diesen Rebensirius, und ihn vom Himmel vertreiben. Also, lydischer Bakchos, laß du den geringeren Thyrsos; Such dir ein ander Geschoß und streife das scheckige Rehfell, Diesen wertlosen Schutz, von deinen Gliedern, und hat dich Einst der freiende Zeus in Hochzeitsflammen entbunden, Kämpf du Feuergewöhnter dann jetzt mit Feuer und schleudre

Bakchos und Poseidon kämpfen um Beroe

695

Deines Erzeugers Strahl dem Lenker des Dreizacks entgegen; Schwinge selber den Blitz und schüttle die Aigis des Vaters.

Nicht der Deriadesheld ist heut dein Gegner, du führst nicht Gegen Lykurgos Krieg und schwache Araber, heute

iso

Gilts dem gewaltigen Meer. Und noch vor der Lanze der Fluten

Zittert der Himmel, der einst meiner Wogen Streitlust

verspürte. Phaethon24auch erfuhr auf seiner Fahrt in der Höhe Meines Dreizacks Schärfe, als sich des Meeres gewalt’ge

Heerschar wegen Korinths zum Kampf mit den Sternen

185

gerüstet.

Bis zum Äther erhob sich die See. Der dürstende Wagen

Ward von Okeanos’ Flut gebadet, und nah in die Salzflut Tauchte sein heißes Kinn der Hund der Maira26 zur Kühlung.

Aufwärts stiegen die Höhen der tiefen Räume, es türmten Sich die Wogen hoch, auf wildgegeißeltem Meere

19c

Traf der Himmelsdelphin28sich mit dem Wasserdelphine.«

Sprachs und wühlte die Tiefen des Meeres empor mit dem

Dreizack, Und mit rauschender Flut und himmelschwellenden Wellen

Brausten die Bahnen des Wassers herauf und peitschten

den Luftraum. Und es wappneten sich der Salzflut Scharen mit feuchten

19

Schilden; es schwang Melikertes den Speer der tiefen

Gewässer Bei des Meeres-Kronions27 von Wasser umfluteter Krippe;

Eilig schirrte er an den isthmischen Wagen, und seitlich Hing er neben die Speichen die Lanze des Meeresgebieters;

Ritzend den Rücken der See mit spitzer, dreiteiliger Walle,

Schirrte den isthmischen Wagen er an; mit dem Rosse­ gewieher

21

696

Dreiundvierzigster Gesang

Dröhnte schallend zusammen das Brüllen der indischen Löwen.

Und so fuhr er dahin auf der Feuchte; es blieben die Hufe Trocken beim rasenden Lauf auf der Oberfläche des Meeres.

205 Und es stampfte zum Ringen ein Triton mit wallendem Barte, Doppelnaturig gebildet, von menschenähnlichen Formen,

Aber auch andersartig und grünlich; vom Kopf zu den Hüften War er ein halber Mensch, doch hing ihm gebogen vom feuchten

Gürtel ein fischiger Schwanz mit doppelflossigem Ende.

210 Glaukos auch schirrte an den schnellen, von wirbelnden Winden

Hingetragenen Wagen im Meeresstalle und peitschte Mit der feuchten Geißel den Nacken der flutenverschonten

Rosse, und er verfolgte die Satyrn. Im Meeresgetümmel Schlug der hörnerne Pan, ein leichter Wandrer der öden

215 Fluten, unbenäßt mit Ziegenhufen das Wasser Wild im Tanze und peitschte mit seinem Krummstab die Wellen,

Während seine Schalmei ein Kriegslied flötete. Lauschend

Hörte er aus der Flut des Tones täuschenden Nachhall, Und er durchstürmte das Meer mit den bergdurchstreifenden Füßen,

220 Spähend nach jenem Schall: so wurde sogar auf dem Meere Noch der luftige Nachhall verfolgt, den die Syrinx erzeugte. Wieder ein anderer riß eine ragende Insel aus festem

Grunde und warf sie auf die Hydriaden; das Felsstück

Irrte vorbei und traf Palaimons Gehöfte im Seetang.

225 Proteus, verlassend den Schwall der isthmischen See von

Pallene

Hüllte sich in den Panzer der Flut: die Felle von Robben; Doch ihn umströmten im Kreis die dunkelhäutigen Inder

Iiakchos und Poseidon kämpfen um Beroe

697

Auf des Bakchos Geheiß. Die Schar kraushaariger Mannen Packte den Robbenhirten, den vielgestaltigen Proteus.

Vielfach war die Gestaltung des so umfesselten Greises:

230

Proteus suchte sogleich die Glieder ahmend zu wechseln

Und verwandelte sich in den Leib eines scheckigen Pardels; Aufrecht sproßte er dann als wachsender Stamm aus der Erde,

Ganz zum Baume verwandelt, und mit den beweglichen Blättern

Säuselte täuschend er ein Flüstern im wehenden Nordwind.

235

Rings den Rücken bedeckt mit schönen, farbigen Schuppen

Kroch er als Drache, und hoch die Mitte des Bauches gezogen, Hob er den Ringelleib, und dann mit tanzendem Schwünge Wedelte er mit der Spitze des kreisend sich windenden

Schweifes, Aufgerichtet das Haupt, und aus den klaffenden Kiefern

240

Schleuderte er hervor das Gift aus zischender Kehle.

Wetterwendisch sich wandelnd, gestaltvertauschend, erschien er

Bald als starrender Löwe, als eilender Eber, als Wasser, Und so umschlossen die Inder nur nasse Fluten mit

schlimmen Banden, und vorgetäuscht entglitt das Wasser den Händen.

245

Dieser listige Greis, erfahren im Wechsel der Formung,

War an Gestaltungskunst dem Periklymenos29 ähnlich,

Der von Herakles einst getötet, als zwischen zwei Fingern Dieser das täuschende Bild einer falschen Biene zerdrückte.

Ungeheuer der See umringten in Horden den greisen

250

Proteus, wie er zum Ufer sich wandte; aus offenen Mäulern

Sandgewohnter Robben floß rauschend gurgelndes Wasser.

Nereus, der alte, rief zum Bakchoskampfe die Reihen Seiner Töchter und nahm als Waffe die Ozeanlanze;

Gegen die Elefanten mit meerdurchteilendem Dreizack

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Dreiundvierzigster Gesang

Sprang er, entsetzlich zu schauen. Viel Ufer am nahen Gestade Wurden krummgebogen von Nereus’wässriger Waffe. Schlachtgeschrei erhob mit seinem Vater zusammen Das Nereidengeschlecht, und halb nur sichtbar und schuhlos Tobte der Salzflut Chor zum Kampf auf der Fläche des Meeres. Ino“, die irre, fiel in altes Rasen und rannte Eisenlos, ungerüstet auf das Getümmel der Satyrn Und spie weißen Schaum aus wahnsinntriefendem Munde. Auch Panopeia31 stürmte, die grausige, über die Fluten, Auf einer Seelöwin sitzend, und peitschte den bläulichen Rücken. Mit Polyphemos’, des glücklos verliebten, Keule sich wappnend, Stürzte die Meer-Galateia auf eine wilde Bakchantin. Unbeweglich trug auf meergemästetem Rücken Durch das Wasser der Pompilosflsch32 die trockene Eido. Wie ein Wagenlenker geschickt auf der Krümmung der Rennbahn Dicht das linke Pferd um die Säule am Ziele herumlenkt Und mit gelockertem Zügel das rechte im äußeren Bogen Treibt mit dem Stachelstab und heftig jagender Drohung, Hockt sich krumm und stemmt an das Rund des Wagens die Kniee, Seitlich übergelehnt, und peitscht den willigen Renner Schonend nur ein wenig bei seiner kunstvollen Führung, Rückwärts wirft er den Blick mit seitlich gewendetem Antlitz, Um zu beachten den Wagen des hinter ihm fahrenden Lenkers: Derart trieben um die Wassersäule des Wettkampfs Damals die Nereiden die Fische wie rasende Rosse. Eine andere lenkte entgegengesetzt auf den Wellen

Bakchos und Poseidon kämpfen um Beroe

699

Einen Delphin mit Zügeln und ragte über die Fluten Auf des Fisches Rücken; in wasserrasendem Rennen Ritt sie über die Glätte, und toll als Wasserdurchstreicher Stieg der Delphin und sprengte die Mitte der andern Delphine. Gegen Dionysos brausten zum Kampf die Ströme Poseidons Ihrem Herrscher zu Hilfe; von ihren stets strömenden Kehlen Brauste der brüllende Gott Okeanos gähnend sein Wasser Wie eine Schlachtenbotschaft und als Drommete Poseidons. Wölbend bogen die Meere sich hoch, dem Dreizack zu helfen. Der myrtoische warf sich auf den ikarischen Busen33, Der sardinische auf den hesperischen; über Iberiens Busen schwoll jener der Kelten, und mit dem doppelten Pontos Mischte sein schlängelndes Wasser des Bosporos wogende Wildheit. Des ägäischen Meeres Gewoge peitschte die raschen, Windgetriebenen Massen des wilden, ionischen Meeres, Die mit jenem verbunden. Der Rand der sizilischen Salzflut Prallte wogentürmend auf adriatische Salzflut Wolkenhoch. Unter dem Wasser der Syrte31 ergriff eine Schnecke Libyens Nereus35 und brüllte auf dieser Meerestrompete. Festlandwandernd stürmte ein Meergott empor aus den Fluten, Stemmte auf eine Höhe den linken Fuß, mit dem rechten Brach er mit berstendem Tritt die spitzen Gipfel des Berges Ab und schleuderte sie auf einer Mänade geweihtes Haupt; und werfend gegen Lyaios den Dreizack des Meeres, Tobte auch Melikertes in Sprüngen gleich seiner Mutter.

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Dreiundvierzigster Gesang

Auch Bassariden zogen heran in Reihen zum Kampfe; Eine schüttelte wild die fliegenden Locken des Haares, Schwärmerisch toll sich waffnend zum Wasserkampfe,

denn ruhlos 3io Ward sie angestachelt vom hüpfendem Schwünge der Füße. Eine der Nereiden, die in samothrakischer Grotte

Sonst behaust, erhob sich im Sprung aüf des Libanon Schroffen Mit barbarischem Jauchzen der korybantischen Weise.

Eine andre vom Tmolos auf einer weiblichen Löwin, 315 Eine Mimallone Maioniens, ohne ihr Stirnband,

Aber ihr männliches Haar mit Schlangenfesseln umwunden, Brüllte auf und setzte den Fuß auf das hohe Gestade,

Und sie ahmte nach mit schäumendem Munde den Meerschaum. Die Silene erbrachen die Fülle kilikischen Weines, 32o Und sie wappneten sich als Treiber mygdonischer Löwen.

Brausend stürzten sie sich im Tanz auf die Scharen der Tiefe,

Hielten in ihren Händen die Rebenlanze Enyos, Streckten die Arme nach dem Nacken der Ozeanlöwen, Packten die Mähnen und rissen die unbezwinglichen Träger 325 Unerschrocken zurück an diesen zottigen Zügeln.

Einen Felsen brach Silen aus zerklüfteter Höhlung, Warf sich mit diesem wider Palaimon kämpfend und trieb die

Irrende Ino durchs Wasser mit seiner Lanze aus Efeu.

Gegner stritt mit Gegner; es scheute sich nicht die Bakchantin, 330 Stürmend ihren Thyrsos dem Dreizack entgegenzuschleudern, Sie, die doch nur ein Weib; voran den Scharen des Meeres

Stritt, aus den Wellen getaucht, Gott Nereus mit brausenden Armen

Wider den Berggott Pan. Es jagte mit blutigem Efeu Eine Bergbakchantin von dannen den Gott von Pallene36,

335 Aber sie traf ihn nicht, und als sich Glaukos auf Bakchos

Bakchos und Poseidon kämpfen um Beroe

701

Stürzte, vertrieb ihn Maron mit scharfgeschleudertem Thyrsos. Erderschütternd stampfte ein wolkenragender, wilder Elefant mit festen und ungebogenen Knieen,

Und mit dem Rüssel bekämpfte er eine Robbe am Boden.

Auch die Satyrn stürmten und tauchten zum Kampfe ins

340

Wasser Stiergestaltig, vertrauend auf ihre Hörner; beim Laufen

Hing der Schwanz, der sonst gerade, nun wechselnd vom Rücken.

Auch die Silene nahten gereiht; der eine von ihnen Ritt mit gespreizten Beinen auf einem Stiere und blies dort Doppeltönige Weise auf einer verbundenen Flöte.

345

Eine Bakchantin aus Mygdonien ließ ihre Haare Flattern im stürmischen Winde und schlug die verbundenen Cymbeln, Geißelte einer Bärin den sträubenden Nacken und stürzte

Wild auf ein Seeungeheuer grad los, und der zornige, wilde

Panther der Berge wurde vom Stachelthyrsos getrieben.

350

Eine Mänade, besessen von sinnumnebelnder Tollwut,

Sprang auf dem Meere umher und netzte nicht einmal die Füße, Gleichsam als tanze sie auf dem Haupte des Länder-

erschüttrers.

Und es stieß mit der Ferse die Wogen und drohte dem stummen Meer eine Bassaride, vom Wasser getragen, und peitschte

355

Geißelnd mit ihrem Thyrsos die tauben Wellen; es blitzte

Seiberentstandenes Feuer vom Haar der Jungfrau und sengte Nicht ihren Nacken, ein Wunder. Am nahen Strande des Meeres

Jammerte Psamathe3’ laut, als sie den schrecklichen

Seekrieg Des Dionysos sah, und schrie gepeinigt voll Schrecken:

36o

702

Dreiundvierzigster Gesang

»Weißt du der Thetis Dank und des Briareos38 Fäusten, Denkst du noch an Aigaion als Schützer deiner Gesetze, Herrscher Zeus, so hemme den tollen Bakchos. Ich will nicht Sehen des Glaukos Tod und nicht die Knechtung des Nereus, 365 Nicht erliegend dem Bakchos die so viel weinende Thetis, Daß ich sie nicht als Magd des Bromios schaue im Lande Lydien nahe dem Meer, in Einem Jammer bestöhnend Pyrrhos, Achilleus und Peleus, den Enkel, den Sohn und den Gatten. Und erbarme dich auch der armen Leukothea39; raubte 370 Ihr doch der Gatte den Sohn und schlachtete ihn, und der wüste Vater ermordete selbst sein Kind mit der Schärfe des Messers.«

Riefs, und der waltende Zeus vernahm durch den Äther die Stimme, Und er entschied, es solle Poseidon Beroe freien. Weise beschwichtigte er die streitenden Freier; vom Himmel, 375 Um den wütenden Brautkampf, noch eh er vollendet, zu hemmen, Wurde Dionysos rings mit drohenden Blitzen umzingelt. Und der Rebengott, von brennender Liebe geschüttelt, Trachtete nach dem Mädchen; der waltende Vater Kronion Stieß ihn jedoch zurück mit schmetternder Donnerdrommete, 380 Und so hemmte den Drang zur Schlacht das Dröhnen des Vaters. Zögernd nur wich Lyaios, ein träger, unlustiger Wandrer; Mürrisch wandte er sich noch einmal um nach dem Mädchen, Und voller Scham vernahm er mit eifersüchtigen Ohren, Wie im Meere erschallte das Hochzeitslied Amymones. 385 Halbvollzogne Vermählung rief aus die Syrinx des Meeres, Und es schwang in den Wassern unlöschbar bräutliches Feuer

Bakchos und Poseidon kämpfen um Beroe

703

Nereus als Brautgeleiter zum Hochzeitsbett Amymones, Und auch Phorkys flocht ein Lied, und ebenso eifrig Sprang in die Höhe Glaukos, es jauchzte laut Melikertes. Auch Galateia durchbrach den Hochzeitsreigen und kreiste 390 Wild und wirbelnd umher im tanzenden Schwünge der Füße, Hochzeitslieder singend; Musik verstand sie vortrefflich, Wohl auf der Hirtensyrinx des Polyphemos gebildet. Und nach der Wasservermählung mit Beroe wandte sich freundlich An die bräutliche Heimat der erderschütternde Gatte, Und als Hochzeitskleinod für Beroes Heimatbewohner Schenkte er ihnen später den triumphierenden Seesieg10. Und die Hochzeit war üppig, denn zu der Kammer im Meere Brachte Arabiens Nereus gar würdige Gaben der Liebe, Künstliche Himmelswerke des Gottes Hephaistos, er brachte Für die Braut eine Kelte und schleppte Gewänder und Kelche, Wie sie unnachahmlich der lemnische Meister bei Kypris Für die Nereiden gefertigt; und mitten im Meere Schlug er den Feuerambos und brauchte die feurige Zange, Mit dem Blasebalg ahmte er nach die Winde und ließ ihn Tüchtig hauchen, und als der Ofen zum Schmelzen entzündet, Brannte flutverborgen ein unauslöschliches Feuer. Diese schönen Geschenke gab Nereus; es reichte demMädchen Zierliche, .spinnenzarte Gewebe der persische Euphrat11; Der iberische Rhein12 gab Gold; der greise Paktolos Hielt Geschenke, gefertigt aus seinen reichen Metallen, In behutsamen Händen, weil er vor seinem Gebieter Bakchos, dem lydischen Herrn, erbebte und auch vor der nahen Rheia, der Städteherrin mygdonischen Landes; es schenkte Der Eridanos Bernstein der Heliaden von üppig

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704

Dreiundvierzigster Gesang

Tropfenden Bäumen zu funkelnder Zier, und was an Metallen Irgend vom silbernen Berg der Strymon43 brachte und

Geudis, Das gab der Bläulichgelockte der Amymone als Brautschatz.

Also gleich nach dem Reigen im Brautgemach unterWasser

420 Freute sich der Erschüttrer der Erde. Dem neidischen

Bakchos, Dem das Lachen vergangen, rief tröstend Eros, sein Bruder:

»Warum schiltst du noch, Bakchos, den hochzeitschaffenden

Gürtel? Nicht dem Bromios ziemte Vermählung mit Beroe; paßte Diese Verbindung doch nur zum Meere; der See-Aphrodite

425 Tochter einte ich drum dem meerbeherrschenden Gatten. Deinem Lager bestimmt’ich die zartere Maid Ariadne Aus dem Geschlechte des Minos. Die mindere Amymone, Die vom Blute des Meeres, die überlaß auch dem Meere.

Wenn du des Libanon Gipfel, die Flut des Adonis verlassen, 430 Kommst du nach Phrygien, dem mädchengepriesnen, wo deiner das Lager11 Aures, der Titanide, verschont von Okeanos, wartet. Dann wird Thrakien dich, das hochzeitsfrohe, empfangen,

Wo dir der Kranz im Kampf und das Bett einer Jungfrau

bereitet. Dahin ruft dich auch die tapfre Pallene, bei deren

435 Lager ich dich als Sieger mit Hochzeitsranken umwinde, Dich, der den reizenden Ringkampf der Aphrodite vollendet.«

So sprach Eros, der wilde, zu seinem weiberentllammten Bruder Lyaios. Er spannte der Flügel feuriges Brausen,

Hob sich zur Morgenreise als täuschender Vogel und eilte

Bakchos kehrt zurück nach Lydien

705

Zu der Behausung des Zeus. Und vom assyrischen Wasser

440

Zog in reicher Gewandung Lyaios zum Lande der Lyder Den Paktolos entlang, wo sich des üppigen Stromes

Dunkles Wasser rötet von goldenthaltendem Schlamme. Nach Maionien kam er und stand vor Rheia, der Mutter,

Königliche Geschenke des indischen Meeres ihr reichend.

Dann verließ er die Fluten des überreichen Gewässers, Phrygiens Felder, die Sippe verweichlicht“lebender

Männer,

Pflanzte seine Lese in nördlich gelegenen Ländern Und besuchte die Burgen Europas nach Asiens Städten.

445

VIERUNDVIERZIGSTER GESANG

Als er bereits das daulantische Volk1 des illyrischen Landes

Und Haimoniens2 Grund und des Pelion Gipfel verlassen, Näherte er sich Hellas, und bei Aoniens3 Saume

Ließ er die Chöre halten. Und als der Hirte die hellen

5 Flöten vernahm, da pries er den Pan von Tanagra4 feiernd. Und es rauschte der Quell6, wo ein feuchter Roßhuf den Boden

Stampfte, und, danach benannt, entsprang aus der Höhlung

das Wasser. Feuerhauchend tanzte mit seinen Fluten Asopos“ Wirbelströmend dahin; mit ihrem Erzeuger Ismenos7

io Tanzte Dirke und ließ die Fluten kreisend sich drehen. Manchmal hob halbsichtbar sich eine der Hamadryaden8 Aus einem Zweige empor und sang auf der Höhe des Baumes,

Um zu preisen den Namen des zweigetragenden Bakchos, Und sandalenlos sang mit ihr die Nymphe der Quelle.

15 Und durch die Berge erscholl des rohen Kalbfells Gepauke Und erreichte das Ohr des weihenunkundigen Pentheus9.

Bakchos, dem Weingott, grollte der ungesittete Herrscher, Rüstete rasch ein Heer zum Streit, und den Bürgern be­ fahl er,

Rings zu bewachen die Pforten der siebentorigen Feste. 20 Hintereinander wurden sie nun geschlossen, doch plötzlich

Öffneten wieder sich von selbst die Schlösser der Tore, Und vergeblich legten die Diener die sperrenden, langen

Dionysos bringt seinen Kult nach Hellas

707

Balken vor die Pforte und wehrten sich wider den Windhauch.

Keiner derWächter hemmte da eine erblickte Bakchantin; Vor den waffenlosen und greisen Silenen erbebten

25

Krieger mit Schild und Lanze; gemeinsamer Jubel erfaßte Alle, nicht achteten sie den Zorn des dräuenden Königs

Und ergaben sich häufig dem Tanz; die prächtigen Schilde Schwangen sie hoch und sprangen empor in kreisendem

29

Reigen, Und so ahmten sie nach der Korybanten Getose’“.

33

Im Gebirge brummten entsetzlich die wütenden Bären,

30

Und mit fletschenden Zähnen erhob sich ein Pardel in hohem, 31

Fliegendem Sprung; ein Löwe entsandte in zärtlichem Spiele

32

Schmachtendes Brüllen entgegen der Löwin, seiner Gefährtin. 34

Schon geriet von selbst der Hof des Pentheus ins Wanken,

35

Kreisend löste er sich vom unbeweglichen Grunde,

Aufsprang drehend die Pforte vom schotternden Beben der Erde, Nahendes Leid voraus zu künden. Es löste im Wirbel

Sich der Steinaltar der onkaiischen11 Pallas von selber, Den einst Kadmos gegründet, wo zur Errichtung der Zinnen 40

Müden Hufes sich legte die stadtbegründende Färse’2. Aus dem heiligen Bild der Theben beherrschenden Göttin ’a Brach von selber Schweiß, den eine Gottheit bewirkte.

Angst erfaßte die Bürger, und nieder vom Haupt zu den Füßen

Strömte Blut aus dem Bilde des Ares zum Zeichen der Zukunft.

Und die Bewohner erbebten. Die Mutter des prahlenden Pentheus Zitterte bang vor Furcht, wie toll in ihrer Bedrängnis;

45

708

rierundvierzigster Gesang

Mußte sie doch eines frühem, gar blutigen Traumes gedenken; Bitteres kündete er. Denn einst, als Pentheus des Vaters

so Erbschaft an sich riß, ward auf dem Lager Agaue,

Die die ganze Nacht in festem Schlummer gelegen,

Bang empor geschreckt von einem ahmenden Traumbild, Das aus der beinernen Pforte“, der niemals trügenden,

nahte. Deuchte ihr doch, daß Pentheus als tanzender, üppiger

Wandrer 55 Seinen männlichen Leib mit Weiberkleidern umhüllte Und zu Boden warf den purpurnen Mantel des Herrschers,

In den Händen den Thyrsos an Stelle des üblichen

Szepters. Weiterhin wähnte Agaue, die Kadmostochter, zu sehen, Wie er hockend saß auf hohem, schattigen Baume;

6o Und der ragende Stamm, auf dem der tapfere Pentheus Saß, ward rings umzingelt von wilder Bestien Toben, Die versuchten, den Baum mit dräuenden Zähnen zu fällen Und mit reißenden Rachen. Und wie der Baumstamm nun

wankte, Stürzte in wirbelnden Kreisen kopfüber Pentheus herunter,

65 Und den Gestürzten zerrissen dann unten wütende Bären.

Eine wilde Löwin sprang ihm ins Antlitz und brach ihm Aus dem Gelenk den Arm; dann stemmte das rasende

Untier

Auf die Kehle die Pranken dem Halbzerfetzten und riß ihm Unaufhaltsam den Schlund entzwei mit spitzigen Krallen,

70 Und das blutige Haupt des armen Gemetzelten raubte Mit den Tatzen die Löwin und wies es dem schauenden

Kadmos, Schwang es und rief mit menschlicher Stimme die ruch­

losen Worte:

Traum der .4gatte

709

»Ich bin deine Tochter, die Jägerin, ich bin die Mutter16 Des glückseligsten Pentheus, die kindererfreute Agaue.

Habe dies Wild erlegt; so nimm von der siegenden Löwin

75

Dieses Haupt entgegen, den ersten Gewinn meiner Stärke. Solch ein Wild hat nie meine Schwester Ino getötet, Auch Autonoe nicht; du aber nagle die Beute

Deines Kindes Agaue, die Großes geleistet, ans Haustor.«

Solch einen grausigen Traum erlebte erblassend Agaue.

oo

Als sie dann ganz erschrocken dem Fittich des Schlafes

entronnen, Ließ sie am Morgen den Seher, den Sohn der Chariklo erscheinen,

Und als Prophetin der Zukunft erzählte sie diesem den Mordtraum.

Voll des Gottes befahl Teiresias, gegen den grausen, Blutigen Traum ein männliches Rind zum Opfer zu bringen

85

An dem Altäre, wo man zu Zeus, dem rettenden, betet,

Bei dem ragenden Stamm einer Fichte, wo sich der hohe Gipfel Kithairons breitet, und auch für die Hamadryaden Hieß er, ein weibliches Schaf im wilden Walde zu schlachten.

Denn er erriet ja dieses beseelte Wild und Agaue,

90

Die die Frucht ihres Leibes zerriß; er erkannte den

Mordkampf

Gegen ihr Kind und das Haupt des Pentheus, aber mit Schweigen

Überging er dabei das täuschende Traumbild des Sieges, Daß er nicht seinen König, den zürnenden Pentheus,

verstimme. Folgsam dem weisen Greis, begab sich die zärtliche Mutter In Begleitung des Kadmos zum hohen Gipfel des Berges,

Während Pentheus ihr folgte; zum horngeschmückten Altäre,

Wo der Hain des Zeus inmitten des Bergwalds gelegen,

95

710

Vierundvierzigster Gesang

Führte Kadmos, der Sohn des Agenor, den hörnernen Farren loo Und ein weibliches Schaf und brachte gemeinsame Opfer

Zeus und den Hamadryaden und ließ zu beider Ergötzung Feuer auf dem Altäre entflammen, und wie es nun brannte,

Breitete wirbelnd sich mit dem duftenden Rauche des Fettes

Wallender Dampf. Und wie man den Stier zerlegte, da spritzte los Steil ein blutiger Strahl empor und bepurpurte rötlich

Wie von einem Morde die Hände der Tochter Agaue----------

Rings den langen Hals im Kreise ringelnd und streckend, Bog ein schmeichelnder Drache die angeschwollne, gekrümmte

Kehle näher und kroch heran in schlängelnder Windung, ho Und des Kadmos Haupt umwand mit schleichendem Kranze

Diese sanfte Schlange, den Bart mit der Zunge ihm leckend,

Während sie freundliches Gift aus den schmeichelnden, klaffenden Kiefern

Spritzte; Harmonias1’ Schläfe umkroch ein weiblicher Drache Und umflocht auch ihr die blonden Strähnen des Haares.

115 Und Kronion versteinte die beiden Körper der Schlangen, Weil dereinst an dem Sund des illyrischen, drachengefüllten18

Meeres Harmonia und auch Kadmos zu Schlangengebilden ns Sollten ihr Angesicht und ihre Glieder verwandeln.

121 So mit neuem Schrecken zum frühem, schreckenden Traume

122 Schritt Agaue nach Hause mit ihrem Sohn und dem Vater.

119 Solche Erscheinung gewahrte sie einmal; des kündenden Traumes

120 Sich erinnernd, bebte die zärtliche Mutter Agaue.

123 Schon verbreitete sich in der siebentorigen Festo

Ein Gerücht von den Weihen des zweigetragenden Bakchos.

125 In der Stadt ergaben sich alle dem Tanze. Die Straßen

König Pentheus von Theben

711

Wurden mit Frühlingslaub geschmückt von ländlichen

Bauern. Und der Semele Kammer, die noch von den freienden

Funken Jenes Blitzes schwelte, beschattete eine von selber

Sprossende Ranke mit Zweigen und machte sie trunken vom Dufte

Ihrer Früchte. Und wie mit wilder Eifersucht Pentheus

130

Sah die vielen Formen der schaurigen Wunder des Bakchos,

Schwoll ihm der Übermut, und pomphaft schrie er den Dienern Frevelhaften Sinns mit leerer Drohung entgegen:

»Meinen lydischen Sklaven bringt her, den weibischen

Wandrer, Daß er bei der Tafel den schmausenden Pentheus bediene,

135

Wo er mit anderm Getränk als Wein die Becher dann fülle; Milch oder süßen Erguß (der blütenliebenden Biene

137

Schöpfe er aus dem Krug). Und mit vergeltenden Schlägen

137«

Will ich meiner Mutter Geschwister Autonoe geißeln.

138

Und wir berauben der Locken den niegeschorenen Bakchos; 147 In die Winde werfen wir seine schallenden Cymbeln,

139

Das berekyntische Klappern, der Rheia jubelnde Pauken.

140

Schleift die Bassariden, die rasenden,schleift mir die Bakchen,

Schleift des Bromios Mägde mir alle herbei und beschießt sic Hier in Theben und in Ismenos’ feuchten Bezirken. Seine Naiaden mischt mir unter aonische Nymphen,

Gleichen Alters wie sie. Der alte Kithairon geselle

>45

Seinen Hadryaden die Iladryaden des Bakchos.

146

Bringt mir Feuer, ihr Diener, weil ich nach Satzung der Buße 148

Bakchos mit Feuer bedenke, falls er aus Feuer entstanden. Zeus zwang Semele, ich will den Lyaios vernichten.

Will er sich etwa auch an meinen Blitzen versuchen,

iso

712

Kienmdvierzigster Gesang

Merk er, welch irdisches Feuer ich selber hege, denn heißre

Funken als Himmelsfeuer enthält mein Feuer dagegen;

Heute zum Feuergott werde ich dann den Feiergott machen.

155 Wenn er zu Krieg und Kampf sich naht mit erhobenem Thyrsos, Wird meinen irdischen Speer er schmecken; ich werde ihn

töten, Ohne daß er am Fuß, an Brust oder Bauch oder Lenden

Eine Wunde erhält. Nicht werde ich ihm mit dem Schlachtbeil

Beide gekrümmten Hörner auf seiner Stierstirn zerhauen, 160 Nicht will ich mitten ihm den Nacken zerschmettern, ich

will ihm Mit meinem ehernen Speer den Oberschenkel durchbohren,

Weil er seine Geburt aus dem Schenkel Kronions erlogen Und als Heimat den Himmel; ich will ihn statt zum I’alaste,

Statt zur Pforte des Zeus hinunter zum Hades entsenden

165 Oder will ihn bedecken, sucht er am Boden zu fliehen, Mit des Ismenos Fluten, und nicht des Meeres bedarf es. Keinen Sterblichen nehm ich als falsche Gottheit, und

darf ichs

Sagen, so werde wie Bakchosich meine Herkunft verleugnen;

Nicht von dem irdischen Kadmos entstamm ich, der Herr der Gestirne, 170 Helios, ist mein Vater, und nicht dem Echion entsproß ich,

Mich gebar Selene und nicht entband mich Agaue.

Ich bin vom Stamme des Zeus und bin ein Bürger des Äthers.

Meine Feste ist droben der Himmel — verzeih mir, o Theben ! Pallas ist meine Buhlin, mein Weib die unsterbliche Hebe,

175 Und die gebietende Hera gab Pentheus wie Ares die Brüste. Nach dem Phoibos gebar den Pentheus die heilige Lelo. Artemis18 werde ich freien, die Schützin, und weiß doch,

wie einstens

König l’entheus von Theben

713

Sie vor Phoibos, als er ihr Magdtum begehrte, entwichen, Um zu vermeiden die Schmach, daß sich Geschwister

geehlicht. Semele ist wohl nicht verbrannt in himmlischer Flamme;

iso

Wegen der Tochter Schmach verbrannte Kadmos sein eignes

Haus und nannte Blitz das irdisch entzündete Feuer, Und das Fackellicht hieß er einen Funken des Blitzes.«

Also lief der König; da nahten waffengerüstet Seine Krieger, den Kampf mit leeren Lüften zu führen,

iss

Und ein gewaltiges Heer stand unter den Fichten des

Waldes, Um zu entdecken die Spur des unsichtbaren Lyaios.

Wahrend der Herrscher Pentheus den Bürgern Befehle

erteilte, Blickte Dionysos spähend hinaus ins nächtige Dunkel,

Und zur gerundeten Mene rief er hinauf in den Himmel:

iio

»O du Ilelioskind, AllnährerinM, ewiglich kreisend,

Mene, des silbernen Wagens gebietende Herrin Selene,

Magst du Hekate21 sein, die namenreiche, und nächtens Helle Fackeln schwingen bei meiner Feier zur Leuchte,

Nächtlich Wandelnde, komm, du Hundenährende, freut dich 195 Doch der Hunde Gehetz des Nachts mit klagendem Winseln.

Magst du Artemis sein, die hirscherlegende Göttin,

Jagen auf Höhen zur Seite des reherlegenden Bakchos, Komm deinem Bruder zu Hilfe, denn ich, der selber dem Blute

Kadmos’, des Ahns, entstamme, ich werde aus Theben vertrieben,

Wo meine Mutter daheim, aus Semeles Vaterstadt: drängt

mich

200

714

P'ierundvier zigster G esat^

Doch ein sterblicher Mann, ein Götterbekämpfer. Du Nächt’gc,

Hilf deinem nächtigen Bruder Dionysos, den man vertrieben.

Bist du Persephone22, die die Toten hütet, sind deine

205 Seelen untertan dem Thron des Tartaros, laß dann Mich den Pentheus getötet erblicken, und des betrübten Bakchos’Tränen stille dein seelengeleitender Hermes. Mit der Tartarosgeißel Megairas oder der wilden

Göttin Tisiphone ende des erdgeborenen Pentheus 210 Törichte Drohung, nachdem die unwiderstehliche Hera

Gegen den neuen Lyaios23den späten Titanen bewaffnet. Also bezwinge du den Sittenlosen; du ehrst ja So des anfangsentstandnen Zagreus Dionysosnamen.

Herrscher Zeus, auch du schau auf des Rasenden Drohung,

215 Höre, Vater und Mutter21! da man Lyaios so mißehrt, Soll dein freiender Blitz der Rächer Semeles werden.«

Riefs; da schrie stiergehörnt schrie Mene also am Ilinirnel:

»Nächtig leuchtender Bakchos, du Pflanzenfreund, Mencs

Geselle,

Sorge um deine Reben, mich kümmern die Weihen des Bakchos.

220 Bringt die Erde doch die Frucht deiner Pflanzen zur Reife, Wenn sie das tauige Flimmern der schlummcrlosen Selene Überkommt. Ja, Bakchos, du Tänzer, den Thyrsos in

Händen, Denke an deine Herkunft, dann wirst du der Menschen

Geschlechter, Diese schwachen, nicht fürchten, ihr Sinn ist leicht, und

es müssen

225 Darum die Eumenideii25 sie stets mit Geißeln bedräuen;

Die rasenden Weiber von Theben

715

Mit dir werd ich die Feinde bekämpfen, denn ähnlich wie

Bakchos Bin ich entarteter Tollheit Gebieterin, bakchische Mene

Bin ich, nicht nur weil ich im Äther die Monate drehe,

Sondern auch weil ich Manie errege und Wahnsinn erwecke.

Straflos lasse ich keinen auf Erden, der gegen dich frevelt.

230

Irrt doch schon Lykurgos28, der dem Dionysos dräute, Er, der früher so hurtig und scharf die Mänaden verfolgte,

Blind umher und muß sich eines Führers bedienen. Lehnen doch in den Landen des erythräischen Schilfrohrs

Immer noch da und dort als deiner Stärke Verkündung

235

Viele erschlagenen Inder; in widerwilliger Strömung Barg sein Vater Hydaspes den tollen Deriadeskönig, Den deine Efeulanze getroffen, aber entrinnend Fiel er als schwere Last in die trauernden Fluten des Vaters.

Deine Stärke erfuhren auch die Tyrsener27, als damals

240

Sich ihr ragender Mast zu einer von selber entstandnen Rebe verwandelte, und sich unter schattigen Zweigen Reich mit Trauben beladen das Segel blähte, und zischend

Sich die Taue des Schiffes in Natternbündel verkehrten, Giftentspritzend; es warfen Verstand und Menschen-

235

gestaltung

Deine Feinde ab und schwammen völlig verwandelt Auf dem Meere umher als unvernünft’ge Delphine.

Immer noch ziehen sie so als des Dionysos Festschwarm Durch das Wasser und springen wie Gaukler im Spiegel

des Meeres. Und ein Toter, getroffen von deinem schneidenden Thyrsos, Liegt in Assyriens Flut geborgen, der Inder Orontes“,

Noch im Wasser voll Furcht vor deinem Namen, 0 Bakchos.«

So zu Bromios sprach die Göttin der goldenen Zügel.

Aber noch während er so mit der kreisenden Mene verkehrte,

25«

716

yierundvierzigster Gesang)

255 Wappnete hilfsbereit des Zagreus-Dionysos wegen

Göttin Persephone29 ihre Erinyen; immer noch zornvoll Half dem Dionysos sie, dem spätgeborenen Bruder.

Auf den befehlenden Wink der Gattin311 des Hadesgebieters

Wandten die Eumeniden sich wider des Pentheus Behausung. 260 Eine von ihnen durcheilte im Lauf die finstere Hölle;

Wirbelnd schwang sie die natterngeflochteneTartarospeitsche,

Und sie schöpfte das Wasser der Styx und die Flut des Kokytos,

Und sie nässte die Hand Agaues mit Tropfen des Abgrunds,

Gleichsam vorverkündend das Weinen und Jammern in Theben.

265 Und die Dämonin brachte das attisch-aktaiische31 Messer, Das den Itylos einst gemordet, als seine Mutter Prokne löwenmutig mit Philomele32 zusammen

Ihren blühenden Sohn mit ihm zerstückelte und ihn Tereus zur Speise bot, den eigenen Sohn zu verzehren.

270 Dieses Messer, das einst den Mord vollzogen, in Händen, Scharrte sie unheilstiftend mit ihren Nägeln die Erde

Und verbarg das attische Schwert bei den bergigen Wurzeln Einer hohen Fichte am Ort der Mänaden, wo Pentheus

Kraftlos sterben sollte; sie brachte das eben entströmte

275 Blut der Gorgone Medusa, in einer Muschel gesammelt, Salbte sodann den Stamm mit purpurnen, libyschen Tropfen33.

Das tat im Gebirge die rasende, wilde Erinys.

Aber im Dunkel trat der nachterleuchtende Bakchos Stiergestaltet in das Haus des Kadmos, und wirbelnd 280 Schwang er die Kronosgeißel des Pan34 in rasenden Händen,

Machte Autonoe dann, die zügellose Gemahlin Des Aristaios, toll und schrie mit rasender Stimme:

Bakchos macht Autnnoe und Agaue wahnsinnig

717

»Mehr als Semele bist du gesegnet, Autonoe86, bist du

Doch Rivalin des Himmels durch deines Sohnes Vermählung, Und du raffst dir den Ruhm des Äthers, weil den Aktaion

285

Artemis sich zum Buhlen erwählte, wie früher Selene Den Endymion; starb doch nicht Aktaion, er wurde

Nicht zum fleckigen Hirsch mit spitzen Geweihen verwandelt, Nicht vertauschte er seine Gestalt mit trügendem Aussehn, Mußte nicht seine Hunde als seine Mörder erblicken,

290

Sondern mit bösen Zungen und sinnentstelltem Gerede

Haben deines Sohnes Ermordung die Hirten erlogen, Hassvoll gegen den Buhlen der Buhlschaft hassenden Göttin. 0 ich weiß gar wohl, wie die Lüge entstanden: bei fremder

Hochzeit sind eifersüchtig auf Lust und Ehe die Weiber.

295

Spring drum auf und stürme dahin in eiligem Laufe Schleunigst in das Gebirge, und droben wirst du Aktaion

Schauen auf der Jagd mit dem Lyaios zusammen, Artemis ihm zur Seite, wie er die künstlichen Netze

Und die Stiefel trägt zur Jagd und daneben den Köcher.

300

Mehr als Semele bist du gesegnet, Autonoe, weil du

Schwiegermutter wurdest der Ehegöttin der Pfeile.

Seliger bist du als Ino, die sohnbeglückte, denn dein Sohn Teilte das Bett einer Göttin; nicht teilt’ es der mutige Otos”.

Auch der kühne Orion87 ward nicht der Artemis Buhle.

305

Wegen des Sohnes Braut verjüngt vor Freude, umschwärmt nun Droben im Gebirge dein Kadmos das Brautbett im Freien

Und sein schlohweißes Haar läßt in den Lüften er flattern. Glückliche Mutter, erwache als Brautgeleiterin; prächtig

Fügt sich diese Liebe: der keuschen Artemis Freier Ist ihres Bruders Sohn; so ward ihr kein Fremder zum

Buhlen. Sollte die Ehescheue dann einen Knaben gebären,

Nimm dann du den Sohn der züchtigen Göttin der Pfeile

310

Vierundvierzigster Gesang

718

Hegend empor und zeig ihn der eifersücht’gen Agaue. 315 Was ist denn Schlimmes dabei, wenn die jagende Göttin

als Gattin Gern einen Sohn als Jäger gebiert, einen Hasenverfolger,

Ähnlich dem Aktaion, der bergerfreuten Kyrene“,

Und er dann fährt auf dem Wagen der Mutter mit hurtigen Hirschen ?«

FÜNFUNDVIERZIGSTER GESANG

Auf des Bromios Worte, von wütender Freude besessen, Rannte die Frau aus dem Hause, damit sie Aktaion gewahre,

Wie er als Bräutigam säße zur Seite der Göttin der Pfeile. Wankenden Fußes eilte sie hin, und schnell wie die Winde

Folgte ihr slirnbandlos zum Berg die wilde Agaue,

5

Und von der Kronos-Peitsche'in ihrem Geiste gegeißelt, Rief sie mit schäumender Lippe die unbegreiflichen Worte:

»Gegen den nichtigen Pentheus bewaffne ich mich, daß er

merke:

Kadmos zeugte Agaue als mutige Amazone.

Ebenso tapfer bin auch ich, und wenn ich gewillt bin,

10

Werd ich mit bloßen Händen den ganzen Pentheus

bezwingen. Waffenlos werd ich erschlagen die wohlgerüstete Heerschar. Mein ist der Thyrsos; was soll ich Speer oder Lanze

gebrauchen?

Mit dem Rebenspeer beschieß ich den Träger der Lanze. Ohne Panzer bezwinge ich doch den Panzergeschützten.

15

Mit geschüttelten Cymbeln und doppeltgetrommeltem

Kalbfell

Feiere ich Zeus’ Sohn und ehre mit Dichten den Pentheus. Reicht mir lydische Pauken! Was säumt ihr, Stunden der

Feier ? Auf zu den Höhen eil ich, wo die Mänaden, wo Weiber

Sich um Lyaios geschart, mit dem jagenden Gotte zu jagen.

20

720

Funfundvierzigster Gesang

Bakchos, voll Eifersucht denk ich Kyrenes2, die Löwen bezwungen.

Schon’ mir den Brornios,schon’ ihn, du gottbekämpfender Pentheus!

Auf zu den Höhen will ich schleunigst eilen, damit ich

Auch den Euios preise und kreise singend im Reigen. 25 Nicht mehr verweigere ich die Weihen des Traubenlyaios, Nicht mehr haß ich den Chor der Bassariden, denn ich auch Fürchte Dionysos fromm, der göttlichem Bunde entsprossen,

Den der waltende Zeus in Wetterstrahlen gebadet.

Schnellsandalig werd ich zur Seite der Göttin der Pfeile 30 Ihr die Netze tragen und nicht die Spindeln Athenes.«

Riefs und flog dahin, eine neue Sprung-Mimallone3,

Ganz im Kelterreigen dem jauchzenden Sprunge ergeben, Den Lyaios bejubelnd und die Thyone*besingend,

Und zu Semele rief sie, dem Weibe des Zeus in der Höhe, 35 Und besang den Glanz der leuchtend-freienden Blitze.

Zahlreich war auf den Höhen der Chor; es schrieen die Felsen

Rings, es umeilte den Grund des siebentorigen Thebens

Laut ein wechselnder Schall; einstimmig brauste, der Sänger Wildes Gejohle erwidernd, dumpftosend der hohe Kithairon. 40 Brandend rauschten die Wogen des Meeres; man konnte

bemerken, Wie die Bäume schwärmten und wie sich die Klippen besprachen.

Manches junge Mädchen verließ im Tanze die Kammer,

Als die hörnerne Flöte mit ihren Öffnungen tönte. Und der schmetternde Schall des ungeglätteten Kalbfells 45 Machte die Mägdlein toll; von wohlbereiteten Häusern

Trieb er sie auf den Berg als einsam-hausende Bakchen. Aufgestachelt stürzte mit rasend eiligen Schritten

Venlheus und der Seher Teiresias

721

Manche Jungfrau, das Haar gelöst, aus behüteter Kammer, Ließ die Spindel, die Werke der Webemeisterin Pallas,

Riß von wirren Flechten die Haube herunter und mischte

so

Sich unter Bassariden und ward zur aonischen Bakche.

Aber Teiresias brachte dem unheilwehrenden Bakchos

Opfer auf neuem Altar, damit er dem Frevel des Pentheus Wehre und zähme den Groll des nicht zu zähmenden Gottes;

Doch er flehte vergebens, denn anders beschloß es die Moira.

55

Und auch Semeles Vater berief der verständige Alte, Sich zu beteiligen an den Reigentänzen des Bakchos. Schweren Fußes schwang sich der greise Kadmos im Tanze,

Sein schlohweißes Haar bekränzt mit aonischem Efeu. Mit ihm wanderte auch Teiresias; stampfend begann er

60

Dem mygdonischen5 Gott einen phrygischen Reigen zu tanzen

Und gesellte sich tanzend dem eilig stürmenden Kadmos, Seinen greisen Arm gestützt auf den heiligen Narthex.

Und als der Frevler Pentheus mit scheelen Blicken die beiden Greise dahinziehn sah, da rief er den Seher und Kadmos:

65

»Kadmos, bist du denn rasend? Wem weckst du da göttliche

Ehren ? Kadmos, leg ab den Efeu, der deine Haare verunziert, Tu auch beiseite den Narthex des sinnverwirrenden Bakchos;

Halte empor das züchtige Erz der onkaiischen Pallas’. Toller Teiresias du, Bekränzter, wirf in die Winde

Aus den Flechten dies Laub, den falschen Kranz, und ergreife

Statt des Thyrsos lieber Apollons ismenischen Lorbeer’.

Rücksicht nehme ich auf dein Alter und achte die grauen

Haare, die mir bezeugen, wie überlange du lebtest.

to

722

Fünflindvierzigster Gesant

75 Würden nicht dieses dein Alter und deine Haare mich

hemmen, Ließe ich deine Hände unlöslich mit Banden umwinden Und dich in düsterm Gemach gefangen in Fesseln versiegeln.

Deine Gedanken kenn ich: denn du aus Neid gegen Pentheus Machst einen Menschen durch falsche Verkündung zum

unechten Gotte,

so Nimmst Geschenke dazu von dem Schwindler, dem lydischen Manne,

Ja, Geschenke“, gemacht aus dem Gold des gepriesenen

Stromes. Sagen wirst du dagegen, daß Bakchos die Lese erfunden; Immer zieht die Betrunkenen der Wein zur Göttin der Liebe; Haltlosen Menschen erregt er zu Mord und Frevel die Sinne. 85 Aber er gleicht an Gestalt und Gewand seinem Vater Kronion

Goldne Gewänder umleuchten, nicht Felle von Rehen, den großen

Zeus in der Seligen Kreis; und gegen die Männer kämpft

Ares Mit der ehernen Lanze und nicht mit dem Thyrsos in Händen.

Nicht mit Rinderhörnern gehörnt ist Phoibos Apollon. 90 Freite ein Flußgott gar um Semele, und sie gebar dann

Einen gehörnten Bastard dem rinderhörnigen Buhlen ? Doch du wirst sagen: es schreite die Blaugeäugte zum

Streite, Pallas Athene mit Schild und mitgeborener Lanze--------- “

Schwinge auch du die Aigis Kronions, deines Erzeugers.«

95 Pentheus sprachs, und es sagte der kluge Seher dagegen:

»Was bedrängst du den Bakchos, den Zeus, der Herrscher, erzeugte,

1

Pentheus und der Seher Teiresias

723

Den der Kronide als Vater aus schwangerem Schenkel entbunden,

Und den mit Milch die Mutter der Götter, Rheia, ernährte, Ihn, den halbvollendet, noch feucht vom Leibe der Mutter, Die nicht zündenden Funken des Wetterstrahles gebadet?

100

Er ist der einz’ge Rival der garbenerzeugenden Deo, Stellt er doch neben das Korn die reiche Lese der Trauben.

Hüte dich drum vor Bromios’Groll! Von Götterverachtung Werd ich dir, willst du, Kind, ein sizilisches Märchen erzählen. Söhne der Tyrsener beschilften einstens das Salzmeer,

105

Fremdentötende Fahrer, wildschweifende Räuber von

Schätzen, Überall raubten sie am Ufer Herden von Schafen;

Mancher alte Seemann von speereroberten Schiffen Stürzte da und dort zu bitterem Ende ins Wasser

Halbgetötet; manch Hirt, dem schon die Haare erbleichten, lio

Kämpfte für seine Herde und lag im Blute ermordet. Kreuzte damals die Wogen ein Kaufmann oder es schiffte

Ein Phoinikier auch mit sidonischen Purpurgewändern, So kam plötzlich über das Meer der tyrsenische Räuber

Heimlich gejagt auf seinen von Schätzen strotzenden

115

Schilfen,

Und so mancher Phoinikier, nachdem er ersatzlos verloren

Seine köstliche Fracht, ward zur Arethusa10 gefesselt In Sizilien gebracht, um Heimat und Schätze betrogen.

Aber Dionysos täuschte, nachdem er sein Aussehn verwandelt, Listig die Tyrsener; er nahm eine falsche Gestalt an.

Noch mit glattem Kinn erschien er als lieblicher Knabe,

Seinen Hals umwunden mit goldener Kette; die Schläfen Kränzte ein blitzender Reif, geschmückt mit dem eigenen

Glanze

120

Illi

Fünfundvierzigster Gesang

Des unauslöschlichen Leuchtsteins und mit des grünen Smaragdes 125 Rücken, mit indischen Steinen, dem Kleinod des funkelnden

Meeres.

Ihn umschmiegten Gewänder, noch röter als jene der Eos,

Wenn sie leuchtend sich hebt und glänzt wie lyrischer Purpur;

Und so stand er am Rande des Strandes, als warte er selber Auf ein fahrendes Schiff, um einzusteigen. Da sprangen

130 Sie herbei und raubten Thyones listigen, schönen Sohn und entrissen ihm rasch den Schmuck; Dionysos

wurden

;

Rücklings dann die Hände mit festen Stricken gebunden.

Plötzlich aber wuchs der Jüngling zu göttlicher Höhe,

Männlich gebildet, gehörnt, und ragte hoch an den Himmel,

135 Stieß an die Decke der Wolken, und laut mit tönender Stimme Brüllte er auf, als brüllten neuntausend Krieger zusammen. Natterngewinde wurden die langen Taue der Segel,

Umgestaltet in krumme, belebte Rücken von Drachen, Und die Taue zischten, und eine Hornviper schnellte,

iw Rasch wie der Wind sich ringelnd, empor zum Horne des Mastes.

Himmelhoch und rings von grünendem Laube beschattet, Wandelte sich der Mast zu einer steilen Cypresse;

Aufwärts vom Mastschacht wuchs ein Efeu bis hoch in den Äther, Wie ein natürliches Seil um eine Cypresse geflochten.

145 Neben dem Steuer tauchte empor aus den Wogen des Meeres

Ein mit Rebenfrucht beladener, bakchischer Weinpfahl.

Auf dem Hinterdeck erhob sich sprudelnd aus tiefer11

Höhlung süßer Wein als Trunkenheit schaffender Rausch­ trank.

Bakchos im Palast des Penthaus

725

Auf dem ganzen Verdeck erschienen über dem Kielraum

Rudel von wilden Tieren; da sah man brüllende Stiere,

iso

Schauerlich brüllte auch ein Löwe aus klaffendem Maule. Die Tyrsener schrieen, von wilder Tollheit besessen,

Voller Schrecken und Angst. Aus pflanzengebärendem

Meere

Brachten Wasserblüten empor die schäumenden Wogen; Rosen sproßten hoch, als wäre die Fläche des Meeres

iss

Rings ein Garten; wo sonst es schäumte, da glänzte es purpurn. Lilien durchschimmerten hell die Fluten, und als die

Tyrsener Täuschende Wiesen gewahrten, da ward ihr Auge wie trunken,

Und es zeigte sich ihnen ein Berg mit Bäumen und

Wäldern, Bauern in tanzendem Reigen und Hirten mit Herden von

100

Schafen, Und da wähnten sie alle ein Lied ertönen zu hören, Das der Hirtenschalmei der Hüter der Herde entlockte. Wie sie die Weise vernahmen, die hell aus den Öffnungen

strömte,

Glaubten sie gleich, obwohl sie die Weite des Meeres durch­

fuhren, Festes Land zu erblicken; in sinnbenebelnder Tollheit

165

Stürzten sie in die Tiefe und tanzten als Meeresdelphine

Auf dem Spiegel der See. So wurde völlig zu Fischen

Dieses Männergeschlechtes Natur verkehrt und verwandelt.

Hüte auch du dich, Kind, vor dem listigen Groll des Lyaios. Doch du wirst sagen: ich bin doch stark, ich stamme vom wilden,

Erderblühten Blut der zahnentwachsnen Giganten.

Flieh die dämonische Hand des riesentötenden Bakchos,

170

726

Fünfundvierzigster (iesan,

Der am Fuße einst des tyrsenischen Berges Peloros'2

Alpos13 zerschmetterte, ihn, den Sohn der Erde, der ruchlos

175 Götter mit Felsen bekämpfte und hochgeschleuderten Bergen. Voller Furcht vor den Reihen der Kehlen des wilden Giganten,

Wagte damals kein Wandrer, auf jenen Gipfel zu steigen;

Zog aber ahnungslos ein Mann den schwierigen Saumpfad,

Geißelnd sein mutiges Pferd, so sah ihn der Erdensohn

droben iso Von seinerWarte, umwand ihn mit vielverästelten Händen

Und begrub dann Reiter und Roß verschlingend im Schlunde. Oft wenn der alte Hirt die Schafe mittags zur Weide

Leitete durch die Bäume des Berges, ward er gemetzelt. Damals spielte dort nicht bei Ziegenherden und Hürden

iss Auf verbundenen Rohren der musikalische Pan-Gott,

Und es erwiderte nicht dies Lied die ahmende Echo, Ihr versiegelte Schweigen die so geschwätzigen Lippen,

Die sonst der Flöte des Pan, des unschweigsamen, erwidert, Weil der Gigant sie alle bedrängte; damals betrübten

190 Hirten nicht, nicht Faller von Bäumen die Nymphen der Bäume,

Balken für Schiffe zu fällen, kein kundiger Zimmermann fügte Dort mit Balken ein Schiff, ein meerdurchsegelndes Fahr­

zeug, Als einst jene Gipfel mit schwingendem Evoe-Thyrsos

Bakchos durchzog. Da stürzte sich auf den Wandrer Lyaios 195 Wild der Erdensohn, der wolkenragende Riese,

Einen Felsenschild auf seinen mächtigen Schultern. Mit einem Block zum Wurf in Händen, sprang er auf

Bakchos Los; ihm diente als Lanze ein luftdurchsausender

Baumstamm;

Bakchos im Palast des Pentheus

727

Eine Eichte oder Platane warf er auf Bakchos. Auch seine Keule war fichten; als Schwert erhob er zum

200

Schlage Einen Olivenstamm, mit Wurzeln der Erde entrissen. Wie er aber durch Würfe die Höhen der Berge entleerte

Und den baumreichen Grat des schattigen Waldes entblößte, Da entsandte zum Ziel der thyrsosrasende Bakchos

Auch sein zischend Geschoß und traf den riesigen Alpos

205

Auf die breite Kehle, und durch die Mitte des Schlundes Sauste die lange Spitze der grünen Lanze des Bakchos.

Und der Gigant, durchbohrt von dem kleinen, schneidenden Thyrsos,

Rollte halbtot im Staube und fiel ins benachbarte Salzmeer. Ganz erfüllte sein Leib die große Tiefe der Seebucht;

210

Dadurch stiegen die Fluten, und durch den typhonischen

Krater11

Überschwemmten sie des Bruders glühendes Erdbett, Und es kühlte ihr Wasser ihm seine feurigen Glieder. Hüte dich also, Kind, daß dir nichts Ähnliches zustößt

Wie den Tyrsenern und wie dem dreisten Sohne der Erde.«

215

Nicht überzeugte den Pentheus Teiresias; furchtlosen

Schrittes Stieg der Seher zum Gipfel des Berges mit Kadmos

zusammen,

Mit im Reigen zu tanzen. Und zu den gerüsteten Kriegern Sprach, den Schild in der Hand, der Herrscher im

leuchtenden Helme:

»Zieht11’, meine Krieger, zum Hain und in das Innre des

Waldes. Bringt in schweren Fesseln mir diesen schwächlichen Streuner,

Daß er dann, getroffen vom Takt der Geißeln des Pentheus,

220

728

Fünfundvierzigster Gesang

Mit dem Zaubertranke nicht mehr die Weiber berücke,

Sondern das Knie mir beuge, und bringt von den Höhen auch meine

225 Bakchisch tollende Mutter, die sohnerfreute Agaue; Trennt sie von dem Chor, dem schlafgemiedenen, irren,

Zerrt sie heran an dem flatternden Haar der gelockerten

Flechten.«

Rasch nach solchen Befehlen enteilten des Pentheus Trabanten,

Hoch auf den schroffen Grat des wipfelrauschenden Waldes

230 Suchend nach den Spuren des bergdurchschweifenden Bakchos. Kaum erblickten sie da den thyrsosrasenden Weingott

Bei einem einsamen Felsen, da strömten die Streiter zur Stelle,

Und mit Riemen umschnürten sie rings des Bromios.Hände, Denn so wollten sie fesseln den unbesiegbaren Bakchos.

235 Aber da war er nicht mehr zu sehen, denn fliegenden

Schrittes War er im Nu verschwunden. Von göttlichem Banne

bezwungen, Beugten schweigend sich des Pentheus Diener; sie wollten So vermeiden den Groll des unsichtbaren Lyaios, Voller Furcht. Und Bakchos, gleich einem Krieger gestaltet,

240 Packte mit seiner Hand einen wilden Stier bei den Hörnern; Gleichsam als Diener des Pentheus bedrängte er diesen gehörnten,

Falschen Bakchos, und scheinbar mit grimmigem Antlitz

dem bösen, Wütenden Pentheus sich nahend, begann Lyaios zu spotten Über den stolzen Prunk des tollen, thronenden Königs 245 Und rief schaurig-ernst die hinterhältigen Worte:

Bakchos im Palast des Pentheus

729

»Dieser Mann da, o Herrscher, verführte deine Agaue, Dieser Mann da begehrt die Königswürde des Pentheus. Nimm drum diesen schlimmen, gehörnten, schweifenden

Bakchos,

Fessle unentrinnbar drum diesen Bewerber des Thrones; Hüte dich vor dem Haupt des rindergehörnten Lyaios,

250

Daß er dich nicht erfasse und stoße mit spitzem Gehörne.«

Sinnlos schrie vor Wut auf des Dionysos Rede Diese ruchlosen Worte der gottbekämpfende Pentheus:

»Fesselt, fesselt mir den ! die Herrschaft will er mir rauben;

Gegen mein Szepter hat er sich gewappnet und nahte,

255

Um nach dem Sitz des Kadmos und Semeles Heimat zu trachten.

Wahrlich, das wäre mir schön, mit Bakchos, dem

bastardgebornen, Mit einem menschlichen Stier die Ehre der Herrschaft zu

teilen, Der mit erborgtem Glanz sich schmückt die hörnerne Stirne, Semele hat ihn wohl einst einem hörnernen Stiere geboren,

260

Der Pasiphae16 ähnlich, und buhlte mit ihm auf der Weide.«

Riefs und preßte zusammen des Wildstiers Füße und

schnürte Ihn in unlösbare Fesseln und packte ihn statt des Lyaios,

Führte ihn dann gefesselt zur Pferdekrippe, als ob er

Semeles kühnen Sohn und nicht einen Wildstier gefangen.

265

Er umknotete auch den Bassariden die Hände Und versiegelte sie gefesselt in modrigem Keller

In einem tiefen Gewölbe zu unerfreulichem Zwange,

Einem kimmerisch-finstern16, das unentrinnbar und lichtlos,

Sie, des Dionysos Mägde, die hart gefesselt und denen

270

730

Fünfundvierzigster Gesang

Auch die Arme drückend von festen Banden umschlungen

Und die Füße dazu umschnürt mit ehernen Ketten.

Aber sobald die Stunde des Wirbelreigens gekommen,

Tanzten die Mänaden, und eine beschwingte Bakchantin 275 Drehte in wilden Kreisen sich unstet mit springenden Füßen,

Löste sich aus dem Gewinde der unzerreißbaren Riemen,

Klatschte den bakchischen Schall mit freigewordenen

Händen, Rhythmisch prasselnd, und durch des Tanzes rasende Wirbel

Riß an den Füßen entzwei die schwere, eherne Kette.

28o Gottgesandter Glanz umkränzte das düstre Gebäude, Sickerte in das Dunkel der Bassariden hinunter, Und da öffneten sich die Pforten des schattigen Kellers

Ganz von selbst. Nun packte ein wildes Entsetzen die Wächter, Und sie flohen in Angst vor dem Brüllen und schäumenden Zähnen 285 Der Bassariden, und die der Haft entflohenen Weiber Stürmten wieder zurück zum Grat des einsamen Waldes.

287 Eine von ihnen erschlug eine Rinderherde von Stieren 287a--------------------------- (mit dem Thrysos)---------------------------------

Felldurchbohrend und färbte sich rot die Hand mit dem

Mordblut, Denn sie zerriß dem Stier mit ihren Nägeln die harte

290 Haut; eine andre durchschnitt mit blutbesuldelten Zweigen Unverletzliche Herden von Schafen mit wolligen Vliesen;

Eine tötete Ziegen; gerötet wurden sie alle Von den blutigen Tropfen der niedergemetzelten Herde.

Und eine andre entwand der Mutter ihr dreijährig Söhnlein, 295 Und stand da und hielt auf der Schulter den gar nicht

erschrocknen, Sicheren, kecken Knaben; da saß er fröhlich und lachend

Hoch in den Lüften fest und ohne zu Boden zu fallen.

Bakchos im Palast des Pentheus

731

Milch begehrte das Kind wie von der Mutter und preßte Rings die Brust der Bakchantin; der nie verehlichten

Jungfrau Quoll aus dem Busen von selber hervor die milchige Nahrung. 300

Und sie enthüllte ihr dichtes Gewand dem hungrigen Buben,

Reichte den Kinderlippen des Busens sprudelnde Quelle,

Und so stillte die Jungfrau das Kind mit befremdlichem Tranke.

Viele nährten als Ammen die von der eben entbundnen, Zottigen Mutterlöwin geraubten, säugenden Jungen.

305

Eine andere schlug mit spitzem Thyrsos den trocknen

Boden; da spaltete sich der Berg, und, von selber entstanden,

Quoll aus dem starren Fels des Weines purpurner Ausbruch Bäche von Milch ergossen sich aus dem geschmetterten

Felsen,

Und sie rannen weiß in seiberströmenden Fluten.

310

Eine warf einen Drachen an eine Eiche; die Schlange Wand sich um den Baum und ward zum irrenden Efeu;

Rings umgürtete er den Stamm mit gewundener Flechte, Und so ahmte er nach einer Schlange umgleitende Windung. Und ein Satyr kam mit zähnefletschenden, wilden

315

Tieren; auf seinem Rücken befand sich ein grimmiger Tiger,

Der trotz seiner Wildheit nur sanft den Träger berührte. Und ein greiser Silen zog einen Eber an spitzen

Hauern und warf zum Scherz das zahnige Schwein in die Lüfte.

Einer stürmte heran und schwang mit hurtigem Sprunge

320

Eiligst einem Kamel sich auf den ragenden Höcker.

Rittlings trabte ein andrer auf einem Stiere von dannen.

Das geschah auf den Höhen. Im leiererrichteten17 Theben Zeigte bunte Wunder Dionysos sämtlichen Bürgern.

Und es tollten die Weiber dahin mit gleitenden Füßen,

325

732

Fünfundvierzigstcr Gesang

325a------------------------------- (Evoe schrieen sie)-------------------------------Laut mit schäumenden Lippen; das ganze Theben erbebte. Feurige Funken sprühten die Straßen, es zitterten wankend

Alle Fundamente, und wie aus Kehlen von Rindern Brüllten mit dumpfem Laut die starren Pforten der Häuser

330 Ja, der feste Palast erbrauste in lautem Getümmel,

Und sein steinerner Bau ertönte wie eine Drommete.

Nicht ließ seinen Groll Dionysos fahren. Er brüllte Mit dämonischem Ruf zum Bogen der sieben Planeten

Wie ein wütender Stier empor aus zorniger Kehle. 335 Deutlich bedrängte er mit Feuer den rasenden Pentheus,

Daß das ganze Haus erglänzte; und rings an den Wänden

Hüben und drüben sprang ein zackig-flackerndes Feuer, Das der brennenden Glut entsprühte. Die Purpurgewänder

Und die Brust des Königs im scharlachfarbenen Mantel 340 Traf ein schlängelndes Feuer, doch ohne die Kleider zu sengen. Abgesonderte Strahlen, die heiß im Sprunge sich lösten,

Liefen vom Fuß zum Rücken und von der Hüfte zum

Scheitel Um den Nacken des Pentheus, ihn rings im Wechsel

erhellend. Oft in gaukelndem Schwung entsprühte dies eigene Feuer 345 Auf dem gebreiteten Lager des erdentstammenden Königs;

Ohne zu zünden, tanzten umher die göttlichen Funken.

Und wie Pentheus das Ringeln der Glut gewahrte, da rief er

Brüllend nach seinen Dienern, um Wasser zum Löschen zu

bringen, Daß sie rings den Brand der flackernden Flamme erstickten

.iso Und das Haus zur Rettung mit nassen Fluten besprengten. Doch da erwies sich das Wasser versiegt in den wölbigen Grotten,

Bakchos im Palast des Pentheus

733

Und so groß sie auch war, so ward doch trocken des Flusses Strömung ausgeschöpft von endlos vielen Gefäßen.

Aber die Mühe war vergeblich, unnütz das Wasser, Ja, von den Güssen wird das getroffene Feuer noch stärker

Und noch heißer die Glut, und unter dem Dache erdröhnte Laut ein tiefes Gebrüll, als brüllten zahlreiche Stiere,

Und es hallte der Hof des Pentheus vom Donner im Hause.

355

SECHSUNDVIERZIGSTER GESANG

Als nun aber der Herrscher vernahm, daß von selber die Fesseln

Sich gelöst an den Händen der kettenbeladnen Mänaden, Und daß diese dann flüchtig gestürmt auf die waldigen Berge,

Als er auch hörte den Trug des unsichtbaren Lyaios,

s Kochte in frevelndem Groll der ruhegemiedene Pentheus; Und wie den Wiedergekehrten er sah, die Locken mit Efeu

Rings umkränzt und die Schultern mit ungeflochtenen Strähnen Langer Haare umwallt, die nieder vom Haupte ihm flössen,

Schäumte er wütend auf und rief mit zornigem Munde:

io »Reizend, wie du zu mir den Schwindler Teiresias schicktest,

Aber dein Seher wird mir nicht die Sinne berücken. Rede das anderen ein. Wie hätte denn Rheia, die Göttin,

Nicht ihren Sohn Kronion genährt, doch den der Thyone? 14 Frag in den Bergen Kretas die heimdurchrasselte1 Höhle,

io Frag auch die Korybanten, warum als spielender Knabe 17 Zeus am Ziegeneuter der Amaltheia2 gesogen 15 Und seine Kraft gemehrt, doch nicht am Busen der Rheia. 18 Haftet doch auch an dir die Art deiner listigen Mutter.

Zeus verbrannte einst die Lügnerin Semele blitzend;

20 Hüte dich, daß er nicht dich wie deine Mutter bewältigt. Nein, ich stamme nicht vom Blut der Barbaren, mich säte3

Unser Ahn Ismenos, doch nicht der feuchte Hydaspes.

Bakchos im Palast des Pentheus

735

Den Deriades kenne ich nicht, noch heiß ich Lykurgos. Drum mit deinen Satyrn und mit den rasenden Bakchen

Weiche von Dirkes1 Flut, und, willst du, so töte mit deinem

25

Thyrsos einen andern, assyrischen, jüngern Orontes.

Nicht dem Himmelsgeschlecht des Zeus entstammts du; es

schreien Laut die Schande deiner vernichteten Mutter die Blitze, Sind die Strahlen doch Zeugen von ihrer heimlichen

Buhlschaft.

Nicht hat der Regen-Zeus, nachdem er Danae6 freite,

30

Sie verbrannt; er hat Europa“, die Schwester des Kadmos,

Unerschüttert befördert und nicht im Meere verborgen.

Weiß ich doch, daß die Flamme des Äthers das noch nicht entbundne

Kind samt der brennenden Mutter zerstörte, so wurde des Bastards Halbvollendete Frucht vom Feuer verzehrt und beseitigt.

35

Sagst du, sie fraß es nicht, weil an der irdischen Einung Und der heimlichen Buhlschaft der Mutter du selber nicht

schuld bist, Glaube ich deinen Worten, und widerwillig benenn ich

Dich dann Sohn des Zeus und nicht ein Opfer des Blitzes. Lehre du mich doch dies mit überzeugender Wahrheit:

-10

Wann hat Zeus aus dem Schenkel Apollon und Ares

entbunden?

Stammst du vom Blute des Zeus, so geh doch zur himm­ lischen Sippe,

Wohne im Äther und laß dem Pentheus sein väterlich Theben.

Eine andere Mär mußt du vortrefflich erfinden; Überredung mische mit sinnberückender Lüge, Daß dich Zeus, wie gewohnt, aus seiner Schläfe geboren.

Glaubhafter klänge solch Wort, daß er auch seinerseits

Bakchos

45

736

Sechsundvierzigster Gesang

Gleich wie früher die Pallas aus ehlosem Haupte entbunden. Wenn du himmlischer Sippe entstammst und wenn der

erhabne so Zeus dich wirklich gesät, so werd ich die Sippe Kronions

In Lyaios besiegen, ich, der ich der Sohn des Echion7.«

Solche Worte verargte ihm Bakchos und sagte zur Antwort, Tief im Herzen verbergend die Wucht dämonischer Drohung:

»Glücklich preis ich das Land der Kelten8: barbarische Sitte 55 Richtet dort über das echte Geblüt der Ebengebornen. Schiedsrichter ist der Rhein bei zweifelhaften Geburten,

Und er weiß zu entlarven des Blutes unechten Ursprung. Ich aber werde nicht durch dieses rühmlichen Rheines

Nichtige Wogen gerichtet, ich habe an Stelle der Fluten 60 Glaubenswertere Zeugen: die Wetterstrahlen des Blitzes. Suche nicht starkre Beweise als jene Blitze, o Pentheus; Wie der Galater’ glaubt dem Wasser, so glaube du selber

Dem untrüglichen Feuer. Nach deinem irdischen Hause

Trachte ich nicht, mein Heim ist droben der Äther des

Vaters. 65 Müßte man wählen zwischen der Erde und sternigem Himmel,

Antworte mir: was nennst du selber wohl besser, des Himmels

Sieben Zonen10 oder das siebentorige Theben?

Nein, ich trachte nicht nach Pentheus’ irdischem Hause.

Preise die dunklen Tropfen, die meiner Lese entquellen, 70 Und mißachte mir nicht den Trank des Reben-Lyaios.

Nicht gegen Bromios streite, den Indertöter; bekämpfe, Wenn du es kannst, allein eine männerbesiegende Bakche.

Einen gar passenden Namen verlieh die kündende Moira Dir, einen Boten des Todes; nicht ungehörig erscheint es,

Bakchos im Palast des Beruhens

737

Daß der unselige Pentheus11 vom erdgeborenen Blute

75

Erdentstammten Erzeugers erleidet das Los der Giganten.

Ungehörig erscheint es nicht, daß der himmelentstandne

Bakchos handelt gleich dem riesentötenden Vater. Frage Teiresias, wem du zürnest, frage auch Pytho12,

Wer die Semele freite und zeugte den Sohn der Thyone.

so

Willst du lernen jedoch die Weihen des Reigen-Lyaios, Laß die Königsgewänder zurück, 0 Pentheus, und weigre Weibliche Kleidung nicht und gleiche dem Weibe Agaue,

Daß nicht, wenn du jagst, dir dann die Weiber entwischen.

Spannst du mit deiner Hand den wilderlegenden Bogen,

85

Wird dich Kadmos loben, wenn du die Mutter begleitest. Miß dich mit Bakchos nur und, gehts, mit der Göttin der

Pfeile, Daß ich dich nach Aktaion dann Löwentöter benenne. Leg diese Rüstung ab, denn meine Weiber erschlagen

Ohne Wallen sogar die eisengerüsteten Krieger.

90

Wenn du im Kampfe erliegst den ungewappneten Weibern,

Du, der panzergeschmückte, welch Bürger würde dann länger Preisen einen Mann, den Frauen im Strauße besiegten? Bassariden fürchten nicht Speer und gefiederte Pfeile.

Listig bedecke darum dein Antlitz und mach es unkenntlich, 95 Daß du dann alle Weihen des Reigen - Bakchos gewahrest.«

Also beredete ihn Dionysos, da ja des Herrschers Sinne von irrer Wut gebannt und geschüttelt, und geißelnd

98

----------------------- (wilde Verblendung ihn peitschte)---------------------- 13 98«

Und um Bakchos zu helfen, warf sich auch Mene auf Pentheus

Mit dämonischer Geißel. Der kühne, rasende Ansporn

Der mit Lyaios verbundnen, sinnblendenden Göttin Selene Malte dem tollen Pentheus buntgaukelnd erscheinende

Bilder,

100

738

Sechsundvierzigster Gesang

Ließ den Echioniden sein früheres Trachten vergessen Und umbrauste täuschend das Ohr des Herrschers mit

wildem,

105 Gellend dämonischem Schall verderblich lauter Drommeten.

Außer sich wurde der Mann, und wahnsinngestachelt enteilte Pentheus ins Haus und verlangte die festlichen Weihen des Bakchos.

Und er öffnete dort die duftenden Truhen; da lagen

Prächtige Weibergewänder, gefärbt mit sidonischem Purpur; lio Und er umhüllte den Leib mit bunten Kleidern Agaues;

Rings um die Locken schlang er sich Autonoes Haube, Schnürte die Königsbrust in kunstgeschlungene Binden,

Und die Füße umschloß er beide mit Frauensandalen Und ergriff einen Thyrsos, und wie er den Bakchen so nachslieg,

ns Schleifte der bunte Mantel an seiner spürenden Sohle.

Ahmend begann der König mit wirbelnden Füßen zu tanzen, Süßen Wahnes voll; er stampfte mit schräger Sandale Wechselnden Schrittes den Boden und wirbelte weibisch die beiden

Arme hin und her in wilder, doppelter Schwingung, 120 Wie eine tanzende Frau, die scherzt. Als schlüge er rasselnd

Auf einem Tamburin eine Weise mit doppeltem Becken,

Überließ er das irre Gelock den Winden der Lüfte Mit einem lydischen Liede für Bakchos. Da konnte man

leichthin Wähnen, man schaue im Tanz eine schwärmende, wilde

Bakchantin. 125 Doppelt sah er die Sonne und doppelt die Feste von

Theben,

Und er glaubte, er trüge auf unermüdlichen Schultern Mit sich eine Pforte des siebentorigen Theben.

Bakchos im Palast des Pentheus

739

Wie ein Kranz ungaben ihn rings im Kreise die Bürger, Einer auf runder Kuppe, ein andrer auf ragendem Felsen,

Und ein dritter, den Arm gestützt auf befreundete Schulter,

130

Hob die Ferse und stellte sich auf die Spitze der Zehen. Wieder ein andrer bestieg einen ragenden Gipfel des Landes,

Und einer Brustwehr Vorsprung ein anderer; seitlich

versuchte Einer herabzuspähn von den Zinnen der ragenden Türme. Eine Säule umschlang mit seinen Armen ein andrer,

i35

Und, die Beine gespreizt, erkletterte er ihre Höhe, Um den Pentheus zu sehen, den wutgewirbelten Herrscher,

Wie er den Thyrsos schwang und schüttelnd die Haube bewegte.

Selber schon öffneten sich in ihren Angeln die Tore, Und er eilte vorbei an des siebentorigen Thebens



Mauern und warf in die Lüfte, schon vor der Feste, die

Locken,

Stürzte vorbei an den Wassern der drachennährenden Dirke,

Stapfte reigenstampfend dahin mit wütigen Füßen, Und so zog er des Weges mitsamt dem Dämon der Reben.

Aber als sie den Platz der Eichen und Tänze erreichten,

145

Wo man die schwärmendenWeihen des Bromios feierte, wo auch Barfuß die Bassariden die Hatz der Rehe betrieben, Da erblickte inmitten der Wildnis der Reben-Lyaios

Freudevoll eine Fichte, gleich hoch wie die Felsen daneben, Einen alten Baum von riesiger Größe; der Krone

Zweige beschatteten gar die wolkenragenden Höhen. Schonungslos zog der Gott die höchste Spitze des Baumes

Tief zu Boden herab, zu Boden streckte sich Pentheus, Legte sich dann auf einen der höchsten Äste und packte

iso

Sechsundvierzigster Gesang

740

155 Mit umklammernder Hand die aufwärts schnellenden Zweige, Und mit wirbelnden Füßen nach allen Seiten gewendet,

Ward wie ein wilder Tänzer der Herrscher nach oben getragen.

Nun den Bassariden begann die Stunde des Tanzes,

Und sie riefen einander und gürteten hoch die Gewänder,

160 Warfen die Rehfelle um, und laut mit gellendem Aufschrei Schrillte bergdurchschweifend Agaue, schäumenden Mundes:

»Eile, Autonoe, komm, da wo der Reigen des Bakchos,

Da wo die Töne der Flöten wie immer die Berge durchgellen Daß ich ein jubelndes Lied dort singe und daß ich erfahre,

165 Welche zuerst für Bakchos den festlichen Reigen beginne, Welche verzückter als andre begeht den Dienst des Lyaios.

Ino16 kommt uns zuvor, du Säumige, wenn du nicht tanzest: Weilt sie doch nicht mehr fern im Meer, schon kam sie

gelaufen Aus den Fluten mitsamt dem Meeressohn Melikertes,

170 Kam, zu kämpfen zum Schutz des ringsverfolgten Lyaios, Daß sich nicht auf ihn stürze der ungesetzliche Pentheus.

Eilt, ihr Ismenos-Bakchen, eilt, ihr Geweihten, zur Höhe, Laßt uns die Feier begehen und laßt uns messen im Reigen Mit den Bassariden aus Lydien, daß man verkünde: 175 Phrygiens Mimallonen besiegt die Mänade Agaue.«

Also rief sie; da sah die Mutter, wie hoch auf dem Baume Saß ihr ruchloser Sohn, als wäre er droben ein Löwe,

Und da zeigte sie ihn den tollen, versammelten Bakchen. Hieß den vernünftigen Sohn mit rasender Stimme ein wildes

iso Tier, und von allen Seiten umringten die Weiber im Kreise

.Igaue ermordet Pentheus

741

Den im Laube Versteckten. Mit kräftigen Fäusten umpackten

Sie gemeinsam den Baum und wollten den Stamm mit dem

Pentheus Nieder zu Boden stürzen. Die Wucht der verbundenen Arme

Fest um den Baum geschlungen mit erderschütterndem

Schwünge, Riß aus dem Boden heraus Agaue den Stamm mit der

iss

Wurzel,

Und sie warf ihn zur Erde; entblößt erschien der Kithairon.

Und da stürzte von selber in wirbelndem Drehen der dreiste

Herrscher Pentheus kopfüber zu Boden und wälzte sich drunten.

Da verließ ihn die Tollwut des sinnbenebelnden Bakchos,

Klar ward wieder sein Geist wie früher, und drunten am

190

Boden

Sah er sein nahes Ende und schrie mit jammernder Stimme:

»Bergt mich, ihr Nymphen der Bäume, daß nicht mit

mordenden Händen

Mich Agaue bewältigt, den eigenen Sohn zu erschlagen. Mutter, unmenschliche Mutter, o hemme dein grausames

Wüten. Warum nennst du denn mich eine Bestie? habe ich etwa

195

Eine zottige Brust und pfleg ich wie Tiere zu brüllen ? Kennst du mich nicht, den du selbst ernährtest? Siehst du mich garnicht?

Wer hat dir Sinn und Augen geblendet? Leb wohl, 0

Kithairon,

Bäume und Berge, lebt wohl, bleib wohlbehalten, 0 Theben, Wohlbehalten auch du, kindtötende Mutter Agaue.

Sieh diese Menschengestalt, die jungbebärteten Wangen; Bin ich doch wahrlich kein Löwe, und keine Bestie schaust du.

200

Sechsundvierzigster Gesani Schon’ deine Leibesfrucht, Unzärtliche, schon’, den du säugtest;

Mich, den Pentheus, erblickst du, den du ernährtest. O Stimme,

205 Schweig und wahre die Worte: nicht kann dich Agaue vernehmen. Wenn du mich hier bewältigst, dem Rebengott zu Gefallen,

Töte dann du allein dein Kind, du Ärmste, und laß nicht Deinen Sohn von Fremden, von Bassariden, erschlagen.«

Also flehte er laut, doch nicht vernahm ihn Agaue.

210 Schreckenerregend umströmten ihn rings die rasenden Weiber Alle mit eifernden Händen, und wie er im Staube sich wälzte,

Riß die eine ihm wild die Füße ab, eine andre

Packte die Rechte und riß sie ihm aus, Autonoe aber Zerrte dafür an der Linken; Agaue in ihrer Verzückung

215 Stemmte den Fuß auf die Brust des sich wälzenden Sohnes und schnitt ihm Mitten mit scharfem Thyrsos entzwei den prangenden

Nacken,

Eilig lief sie dann fort in Mörderfreude und Tollwut, Um das blutige Haupt dem erschrockenen Kadmos zu weisen.

Prahlend mit der Erlegung des falsch-vermeintlichen Löwen,

220 Fuhren ihr solche Worte heraus aus wütiger Kehle:

»Seliger Kadmos, dich nenn ich noch seliger, denn in den Felsen

Schaute Artemis, wie Agaue waffenlos diesen

Preis gewann, und die Göttin, obgleich sie Herrin des Jagens, Zürnte voll Eifersucht nicht deiner löwentötenden Tochter.

225 Und auch die Dryaden bestaunten mein Werk, und der Vater Deiner Harmonia16, er, der wilde, lanzenbewehrte Ares bestaunte dein Kind, das panzerlose, das schleudernd

dgaue ermordet Pentheus Seinen Thyrsos warf und den Löwen zermalmte, und Ares Rühmte sich. Kadmos, ruf den Pentheus, der heute auf

deinem

Throne sitzt, hierher, damit er mit neidischen Blicken

230

Schaue die große Tat der wilderlegenden Mutter. Meine Knechte, enteilt! am Eingangstore des Kadmos

Heftet fest dies Haupt als Weihegeschenk meines Sieges.

Nie hat ein solches Wild die Schwester Ino getötet. Du, Autonoe, schau und beuge den Nacken Agaue;

235

Solchen Ruhm wie ich hast du dir niemals erworben,

Denn den gepriesenen Sieg Kyrenes beschämte ich, deiner

Löwentötenden Schwieger, die Aristaios geboren.«

Schrie’s und hob empor die teure Last, und der alte

Kadmos, wie er gewahrte das irre, drohende Prahlen

240

Seines Kindes, da sprach er, erstickt von Tränen, voll Trauer:

»Wie ein Wild erschlugst du diesen Menschen, Agaue? Wie ein Wild erschlugst du, den du doch selber geboren?

Wie ein Wild erschlugst du, den einst Echion erzeugte?

Schau diesen Löwen an; als er noch klein war, da hob ihn

245

Kadmos empor und hielt ihn voll Freude pflegend im Arme.

Schau diesen Löwen an: deine Mutter Harmonia hat ihn Oft dir dargereicht, an deinen Brüsten zu saugen. Deinen Sohn suchst du, um deine Taten zu schauen.

Wie soll ich Pentheus rufen? du hältst ihn ja selber in

250

Händen. Wie soll ich rufen den Sohn, den du unwissend getötet?

252

Schau deine Beute an, den Sohn dann wirst du erkennen.

251

Schönes Pflegegeld bringst du deinem Kadmos, Lyaios;

253

Schöne Vermählung mit Harmonia gab mir Kronion!

Das ist des Ares würdig, der Kypris, der Uranostochter. Ino liegt drunten im Meer, vom Blitz mußte Semele sterben,

255

Seclisundvierzigster Gesant Ihr gehörntes Kind18 bejammert Autonoe; mordend

,

Schlug Agaue die junge, die einzige Frucht ihres Leibes, Elend ist Polydoros17, mein heimatvertriebener Flüchtling.

260 Ich allein bin übrig, ein lebender Leichnam. Wohin denn

Flieh ich nach Pentheus’ Ermordung und nach Polydoros’

Vertreibung? Welche fremde Stadt empfinge mich? Fluch dir, Kithairon,

Beide Alterspfleger des Kadmos hast du getötet: Pentheus liegt tot auf dir, und auch den Aktaion umhüllst

du.«

265 Kadmos rief es, und da entsandte der alte Kithairon Aus der quelligen Tiefe ein Stöhnen mit strömenden Tränen,

Und es jammerten laut die Eichen, es schrieen gar traurig Die Naiaden. Da ehrte die grauen Haare des Kadmos

Und seinen Jammer Lyaios; sein trauergemiedenes Antlitz

270 Mischte Lachen mit Weinen; er kehrte den Sinn der Agaue Wieder zu heller Vernunft, damit sie Pentheus betraure.

Klargewordenen Sinnes, mit wieder sehenden Augen

Stand eine Zeitlang starr die Mutter und ohne zu reden.

Als sie dann aber das Haupt des getöteten Sohnes erkannte, 275 Stürzte sie nieder und wälzte sich auf der Erde, bestreute

Sich die Haare mit Staub und zuckte am Boden, die Ärmste. Ihre Fellgewänder riß sie vom Busen herunter

Und die Schalen dazu der Bromiosfeier; die Brüste

Rötete sie mit Blut, die sonst so sorglich verborgnen, 280 Und sie küßte das Auge, das bleiche Antlitz des Sohnes

Und die lieblichen Flechten des blutbesudelten Hauptes, Und dann hallte ihr Ruf in scharfem, schneidendem Jammer:

»Grausamer Bakchos, verfolgst du so unablässig die Deinen? Laß mir die frühere Tollheit, denn jetzt bei klarer Besinnung

Jgauc kommt zur Besinnung

745

Leide ich ja viel schlimmer. Gib wieder mir jene Verblendung, 285

Daß ich den Sohn aufs neu eine wilde Bestie nenne. Wähnte ich doch, ich traf eine Bestie, aber des Pentheus

Haupt hier halt ich statt das eines hingeschlachteten Löwen. Trotz ihrer Tränen preis ich Autonoe selig: den toten

Sohn bestöhnt sie und hat ihn nicht als Mutter erschlagen.

290

Ich nur habe mein Kind gemordet. Nicht den Learchos18

Und Melikertes erschlug die ausgewanderte Ino,

Nein, der Vater bezwang, den er erzeugte. Ich Ärmste! Zeus ward Semeles Gatte, damit ich Pentheus bejammre; Zeus gebar als Vater aus seiner Hüfte den Bakchos,

295

Daß dann dieser das ganze Geschlecht des Kadmos vertilge.

Bakchos, verzeih, du hast schon Kadmos’ Sippe vernichtet.

Aber wie einst beim Mahl der götterladenden Hochzeit, Bei Harmonias Lager und bei des Kadmos Vermählung

Rühre Apollon selbst die alte Leier noch einmal,

300

Spiele ein Trauerlied für Autonoe und für Agaue Und beklage Aktaion und den ermordeten Pentheus.

Sprich, mein Knabe, welch Mittel kann meine Qualen vermindern ?

Niemals führe ich dich zur Braut mit den Fackeln der Hochzeit,

Niemals vernahm ich das Lied der Liebe bei deiner

305

Vermählung, Niemals kann mich ein Kind von dir nun trösten. O, hätt dich Eine andere Bakche und nicht Agaue erschlagen!

Schilt nicht die rasende Mutter, du unglückseliger Pentheus,

Schilt Lyaios vielmehr, denn deine Agaue ist schuldlos”. Meine Hände sind blutig, du lieber Knabe, von deinem

Abgeschnittenen Nacken; das ganze Kleid deiner Mutter Ist von dem Blute gerötet, das deinem Haupte entströmte.

Ja, ich flehe, o gebt mir des Bromios Becher; stattWeines

310

Sechsundvierzigster Gesang

746

Opfere ich sodann das Blut meines Pentheus dem Bakchos. 315 Tränenvoll errichte ich dir zu zeitig Geschiednem

Mit meinen eigenen Händen den Hügel und berge im Boden Deinen kopflosen Leib und schreibe dann auf dies Grabmal: Wanderer, hier liegt Pentheus. Agaues sohnesbeglückter

Leib gebar mich, mich schlugen die sohnermordenden Hände.«

320 Also rief sie rasend bei klarem Verstände und schluchzte, Und Autonoe suchte sie, selber klagend, zu trösten:

»Eifersucht fühl ich und giere nach deinem Unglück, Agaue, Denn du umarmst ja noch das liebliche Antlitz des Pentheus

Und den Mund und das Haar, die süßen Augen des Sohnes. 325 Schwester, ich preise dich selig, auch wenn du als Mutter

den eignen

Sohn erschlugst, doch ich statt meines Aktaion beweinte Einen verwandelten Hirsch, und statt des Hauptes des Sohnes

Mußt ich das lange Geweih eines trügenden Hirsches begraben. Nimm als geringen Trost in deinen Qualen: du mußt nicht

330 Fremdgestaltet sehen den Sohn im Tode und tragen Haariges Fell und Hirschgeweihe und unnütze Hufe.

Ich nur mußte den Sohn als trügende Leiche gewahren; Ein geflecktes, fremdes und stummes Trugbild bestöhn ich. Mutter eines Hirsches, nicht eines Kindes, so heiß ich.

335 Du aber, Tochter des Zeus, du keuschheitsfrohe, verkläre Deinen Bruder Apollon, den Zeuger meines Gemahles Aristaios, und wandle zum Hirsch mein menschliches Aussehn.

Dies gewähre dem Phoibos. Wie einst den Aktaion, so biete

Auch Autonoe jetzt der selben Meute zum Fräße 340 Oder deinen Hunden, und schauen soll der Kithairon Nach dem Sohne die Mutter von Hunden zerrissen, und

spanne

dgaue kommt zur Besinnung

747

Nicht mich Arme, sobald du mich zum Hirschen verwandelt,

Auch an deinen Wagen, mich unerbittlich zu geißeln. Baum des Pentheus, fahr wohl, fahr wohl, unsanfter Kithairon,

Ihr auch, ihr Narthexstäbe des sinnberückenden Bakchos.

345

Bleibe wohlbehalten, du menschenerfreuende Sonne,

Leuchte den Höhen und beiden: der Leto-Tochter und

Bakchos“. Wenn du vermagst, auch Menschen mit deinen Strahlen zu töten,

Triff dann Agaue und mich mit deinem gereinigten Feuer. Sei Pasiphaes21 Rächer, dann wirst du Harmonias Mutter

350

Aphrodite kränken und kannst sie spöttisch verlachen.«

Sprachs, und da klagte noch lauter die sohnberaubte Agaue, Und die Mutter begrub den Toten, den sie gemordet; Tränenströme rannen ihr heiß vom Antlitz herunter; Und die Bürger erbauten ein großes, prächtiges Grabmal.

355

Also stöhnten die Frauen in ihrer Trauer. Der Anblick

Rührte den Herrscher Bakchos; der klageseligen Weiber Winseln beendete er, indem er der Reihe nach jeder Schmerzenlinderndes Mittel in süßem Weine vermischte,

Einen Vergessenstrank. Und auch des klagenden Kadmos

360

Traurigen Jammer besänftigte er mit tröstender Rede; Und auch Autonoe und Agaue beruhigte Bakchos,

Zukunftshoffmmgen beiden durch Götterorakel erweckend. Nach Illyriens Land zum Strand des hesperischen Meeres

Brachte er heimatfern Harmonia und ihren alten Kadmos; dort irrten sie beide, bis ihnen die Stunde bereitet,

Wo es beiden vergönnt, zu steinernen Schlangen zu werden.

Und mit Panen und Satyrn und seinen gegeißelten Luchsen Schwärmte fort zum beredten Athen der üppige Bakchos.

365

SIEBENUNDVIERZIGSTER GESANG

Schon durchflog die Stadt, von selbst entstanden, die Kunde Da und dort, es nahe der traubenreiche Lyaios, Attika zu besuchen; zum Reigen des schlummergemiednen

Gottes Dionysos tollte die fruchtbare Stadt der Athener. 5 Laut erbrauste das Fest, und die versammelten Bürger Regten alle die Hände und schmückten mit bunten Gewändern

Überall die Straßen; es kränzte die Feste sich selber Mit den Rebenzweigen des pflanzensegnenden Bakchos.

Und die Weiber banden die Last der ehernen Schalen' io Sich auf die Brüste, um so den Busen zur Weihe zu

schmücken; Und die Jungfrauen schlangen den Reigen; mit Zweigen

von Efeu

Kränzten sie an den Schläfen die attisch geflochtenen Haare. Der Ilissos3 durchschoß die Stadt mit begeisterten Fluten,

Um Lyaios zu preisen, und ebenso eifrig im Tanze 15 Sangen für Euios laut ein Lied des Kephisos3 Gestade.

Pflanzen schossen empor; es wuchsen vom Boden der Erde

In die Höhe von selbst die süßen, reifenden Trauben, Und das Olivengefilde von Marathon färbte sich rötlich.

Säuselnd rauschten die Eichen, es brachten die Horen der

Auen 2o Weit sich öffnende Blüten von doppelfarbigen Rosen.

Lilien sproßten wild empor aus dem Schoße der Hügel, Und die Flöte Athens erklang mit den phrygischen Flöten;

Bakchos und der Bauer Ikarios

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Und die Schalmei von Acharnai4 ertönte mit doppeltem Brausen Unter der Hände Druck. Mit gleichem Tone zusammen Sang in dumpfem Klang mit der keuschen, mygdonischen

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Jungfrau6

Auch die heimische Bakche ein doppeltes Lied, und sie lehnte Sich auf das junge Weib, das am Paktolos geboren.

Und zum nächtigen Reigen hielt sie die doppelte Leuchte Für den Ur-Zagreus und den spätergeborenen Bakchos.

Weberin Philomele und Itylos“ völlig vergessend,

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Sang und drehte ihr Köpfchen die attische Nachtigall

schluchzend; Unter dem Dache zirpte des Zephyr geschwätziger Vogel,

In die Winde schlagend das Angedenken an Tereus.

Niemand in der Stadt enthielt sich des Tanzes. Doch fröhlich Ging zu Ikarios’Haus Lyaios, denn jener verstand es

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Besser als andere Bauern, verschiedene Bäume zu ziehen.

Und wie der alte Pflanzer das Nahen des Gottes bemerkte, Schwang er die Bauernfüße im Tanz. Den Gebieter der edlen Reben bewirtete er an seiner bescheidenen Tafel.

Und Erigone schöpfte die Milch der Ziegen vom Mischkrug,

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Aber da hielt sie Bakchos zurück und schenkte dem guten Greise volle Schläuche des kummerlösenden Rauschtranks, Hielt in der Rechten den Becher voll süßen, duftenden

Weines,

Gab dem Ikarios ihn und grüßte mit freundlichen Worten:

»Greis, nimm dies Geschenk, das die Athener nicht kennen. Greis, ich preise dich selig; dich werden die Bürger besingen:

Solchen Ruhm gewann Ikarios; er übertraf noch

Keleos, und Metaneira’ muß der Erigone weichen.

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Siebenundvierzigster Gesang

Eifersüchtig bin ich auf Deo8, weil sie vor Zeiten so Einem anderen Landmann die Segensähre bescherte;

Dem Triptolemos ward die Ähre und dir ward die Traube. Du nur bist, o Greis, Rival Ganymedes’ im Himmel,

Seliger als wie früher Triptolemos: Ähren vermögen Nicht die zehrenden Sorgen zu lindern, aber des Weines

55 Trauben sind Erlöser der qualengepeinigten Menschheit.«

Also sprach der Gott und reichte dem gastlichen Greise Hin den üppigen Becher voll geisterweckenden Weines.

Becher auf Becher trank der alte, pflegende Pflanzer,

Unersättlich nach der köstlichen Labung begehrend. 60 Und nun schöpfte das Mädchen statt Milch vom flutenden Weine Und kredenzte dem Vater den Becher, bis er betrunken.

Aber wie er gesättigt an bechergesegneter Tafel,

Taumelte wirbelgerecht der Bauer mit wankenden Schritten Und begann zu tanzen mit wechselnden Füßen, und jubelnd 65 Sang er das Lied des Zagreus dem Traubengotte zu Ehren.

Und dem ackernden Greis bescherte der Dämon der Pflanzen

Rebenschößlinge, ihm für die Bewirtung zu danken, Und ihn lehrte der Herrscher, wie man mit pflegenden

Händen Solche Schößlinge bricht und in Vertiefungen einsetzt.

70 Und es brachte dann auch zu anderen Bauern der alte Gärtner diese Geschenke und des Dionysos Reben

Und belehrte sie, wie man Wein aus der Pflanze gewinne.

In eine Bütte schüttend des Weines unendliche Menge, Reichte er Becher auf Becher den Hocherfreuten beim

Schmause, 75 Und aus dem Schlauche ließ er rinnen die duftende

Weinilut.

Bakchos und der Bauer Ikarios

751

Und bei dem herrlichen Trank des süßen, begeisternden Weines Schmeichelte einer dem Vater Erigones freundlich und sagte: »Greis, wie fandest auf Erden du diesen Nektar des Himmels? Nicht vom Kephisos bringst du dies goldenfarbige Wasser; Diese süße Gabe stammt auch nicht von den Naiaden; Quellen sprudeln nicht Güsse, so honigsüße wie diese, Und es rötet sich nicht die strömende Flut des Illissos. Das war nicht der Trank der doldenliebenden Biene, Der die Menschen bald ekelt. Ein andersartiges Wasser Brachtest du uns, es ist noch süßer als Süße des Honigs; Solches Geschenk gibt nicht der attische Ölbaum der Heimat. Köstlicher mundet dein Naß als Milch und besser als jener Mischtrank, den man mengt aus Flüssigkeiten und Honig. Brächten einen Trank die rosenarmigen Horen Aus den Blütenkelchen der laubigen Gärten den Menschen, Ja, dann nennte ich dies den Frühlingstrank des Adonis Und der Kythereia, den Tau der duftenden Rosen. Seltsam ist dein Trank und schmerzenlösend: es flattern Meine Sorgen zerstreut davon in den luftigen Winden. Schenkte ihn dir wohl gar vom Äther die selige Hebe, Oder es brachte ihn dir die stadtbeherrschende Pallas? Wer denn raubte vom Himmel den Krug, aus dem Ganymedes Schöpft und mischt die Becher für Zeus und die ewigen Götter ? ¡Glücklicher bist du als der gastliche Keleos; hast du Etwa auch zu Haus einen Himmelsbewohner bewirtet? Ja, ein anderer Gott kam sicher zu dir, so wähn ich, Und er schenkte dies Naß für deine freundliche Mahlzeit Unserm attischen Lande, wie Deo die Ähre bescherte.«

so

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Siebenundvierzigster Gesang

Also bestaunte er laut die Süße des Trankes, und jubelnd los Sang er ein ländliches Lied, von holdem Wahnsinn begeistert Reichlich füllten die Bauern sich ihre Becher und wurden Alle wie rasend und toll vom sinnberaubendenWeine; Ihre Augen rollten, und da sie die Becher nicht mischten, Röteten sich gar bald die blassen Wangen; der Bauern lio Brust ward heiß entflammt, vom Trinken sanken die Köpfe Schwer, und es schwollen stark auf ihren Stirnen die Adern Ihre Augen vermeinten, es bebe die Tiefe der Erde, Und die Eichen tanzten, und hüpfend sprangen die Felsen. Nicht des Weines gewohnt und voll vom verführenden Tranke, ns Sanken die Trunknen zu Boden und wälzten sich rücklings im Staube.

Und der Chor der Bauern, von Mordbegierde geschüttelt, Stürzte mit rasender Wut auf den unglückseligen Pflanzer, Weil sie wähnten, der Wein sei Gift, das er listig bereitet. Einer nahm eine Hacke, ein andrer ein eisernes Schlachtbeil, 120 Und ein dritter ergriff eine ährenschneidende Sichel Mit der Hand, ein andrer erhob einen riesigen Felsblock, Und ein fünfter sprang auf mit wild geschwungenem Krummstab. Und sie schlugen den Alten, und einer ergriff eine Geißel Und durchbohrte den Leib des Ikarios mit ihrem Stachel. 125 Qualengeschüttelt stürzte der alte Gärtner zu Boden, Oft von Knütteln getroffen, dann sprang er hinauf auf die Tafel, Stieß dort an die Bütte, und in den Fluten des Weines Wälzte er sich halbtot; von seinem sinkenden Haupte, Das die Schläge der Bauern von allen Seiten getroffen, 130 Rötete blutiger Tau die gleiche Farbe des Weines; Nahe dem Tode, lallte er noch mit Mühe die Worte:

Die trunkenen Bauern ermorden Ikarios

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»Wein meines Bromios du, o Tröster menschlicher Sorgen, Büß den andern, bist du zu mir nur unsanft, denn Freude Brachtest du allen, doch mir, dem Ikarios, tödliches Ende. Süßer, du wurdest ein Feind Erigones: Trauerfeind Bakchos Hat ja meine Tochter in tiefe Trauer gestoßen.«

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Sprechen noch wollt er, doch brach ihm schon im Tode die ' Stimme, Und da lag der Verschiedne mit weitgeöffneten Augen, Fern der züchtigen Tochter. Auf nackter Erde gebettet, Ruhten seine Mörder in süßem Schlafe am Boden, 140 Weinbeschwert und ähnlich wie Tote, und,als sie erwachten Und erschrocken erkannten, wen sie gemordet, da hoben Seufzend den Toten sie hoch auf ihre Schultern und trugen, Wieder klaren Sinnes, ihn aufwärts zum Walde und wuschen Seine Wunden dort in bergentsprungener Quelle, 145 Und den eben Erschlagnen, den sie so sinnlos getötet, Senkten dort ins Grab die ruchlosen Hände der Mörder.

Und des Ikarios Seele gleich einem Rauche enteilte In Erigones Haus, und menschenähnlich gestaltet War das Traumgesicht und glich einem schattigen Abbild, iso Ganz wie ein Mann, der frisch verwundet; es hatte die arme Seele ein fleckiges Kleid, den bösen Mord zu bezeugen, Denn es war blutgerötet, von schmutzigem Staube besudelt, Und war ganz zerfetzt von den Stößen der eisernen Waffen. Und die Erscheinung streckte die Arme und wies auf die 155 Wunden Der gemetzelten Glieder und ließ die Tochter sie schauen. Lautes Schluchzen entfuhr im Traume der jammernden Jungfrau, Wie die Arme das Haupt mit so viel Wunden erblickte, Und wie rot das Blut ihm frisch vom Munde herabrann.

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Siehmundvierzigster Gesang

160 Und der Schatten des Vaters sprach so zur trauernden Tochter: »Auf, erwache vom Schlaf, du Arme, und schau deinen Vater, Auf, erwache und forsche nach meinen betrunkenen Mördern. Bin ich doch dein gepeinigter Vater, den wegen des Weines Bauern in ihrer Wut mit hartem Eisen erschlagen. 165 Kind, ich preise dich glücklich, denn bei der Ermordung des Vaters Brauchtest du nicht das Krachen des berstenden Hauptes zu hören, Nicht mein greises( Haar von Blut gerötet zu sehen, Und wie frischgemetzelt der Sterbende zuckte im Staube, Nicht die Knüppel zu schauen, die mich erschlugen, ein Dämon ho Hielt dich vom Vater entfernt und hat deine Augen behütet, Nicht zu schauen den Tod des niedergeschlachteten Vaters. Sieh hier diese Gewänder, von meinem Blute gerötet; Haben doch trunkene Bauern, die immer wieder aus Bechern, Nicht des Weines gewöhnt, das Naß des Dionysos schlürften, 175 Gestern mich rings umzingelt, und als ihre Eisen mich trafen, Rief ich die Hirten, doch haben sie nicht mein Schreien vernommen. Meine Stimme hörte allein die schwatzende Echo, Und deinen Vater bestöhnte sie mit dem klagenden Nachhall. Mit dem Krummstab wirst du nun nicht mehr mitten im Walde iso Schreiten zur blühenden Trift und auf den blumigen Auen Deine Herden weiden mit deinem ländlichen Vater. Nicht mehr wirst du die Hacke zur Pflege der Bäume ergreifen, Nicht mit Grabenwasser des Gartens Fruchtbarkeit steigern.

Die trunkenen Bauern ermorden Ikarios

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Werde nicht überdrüssig der süßen Lese, beweine Deinen gesunkenen Vater, und immer will ich als Waise Dich gewahren fortan und ohne frohe Vermählung.«

Also sprach das Traumbild und eilte geflügelt von dannen. Und erwachend zerkratzte das Mädchen die blühenden Wangen, Und ihre Nägel zerfleischten die festen Brüste vor Trauer. Völlig riß sie sich aus die langen Locken der Haare, Und sobald sie das Vieh am Felsen wartend gewahrte, Schrie das betrübte Mädchen laut auf mit schluchzender Stimme:

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»Wo ist Ikarios’ Leiche, geliebte Hügel, 0 sagt es! Meine trauten Stiere, verkündet den Tod meines Vaters. Sprecht, wer waren die Mörder, die meinen Erzeuger 195 erschlagen ? Wohin ist entschwunden mein süßer Vater? er ging wohl, Einen Nachbarn das Pflanzen der jungen Reben zu lehren, Und nun sitzt er bei den Bauern oder bei einem BäumepflegendenHirten und weilt beim gastlichen Schmause. Sagt es mir Armen,dann werde ich seine Heimkehr erwarten. 200 Wenn mein Vater noch lebt, so will ich die Reiser des Gartens Neu bewässern und leben mit meinem Erzeuger zusammen. Starb mein Vater jedoch und kann nicht Bäume mehr pflegen, Will ich ebenso sterben wie mein entschwundener Vater.«

Also rief sie und eilte geschwind zur waldigen Höhe, Um zu suchen die Spuren des jüngst gemordeten Vaters. Aber kein Ziegenhirt gab dreist ihr Auskunft, kein Viehhirt Zeigte in seinem Mitleid im Walde der fragenden Jungfrau Die verlorene Spur des ganz verschollenen Vaters;

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Siebenundvierzigster Gesang

210 Keiner der alten Hirten wies ihr Ikarios’Leiche, Nein, sie irrte vergebens. Doch endlich fand sie ein Pflanzer, Und mit Schluchzen erzählte er ihr die entsetzliche Wahrheit, Und er führte sie nah zum Grab des ermordeten Vaters. Bei dieser Kunde raste die Jungfrau, im Rasen noch züchtig, 215 Riß die Locken sich aus und streute sie auf das geliebte Grab, das Haupt entblößt und barfuß. Hemmungslos strömten Ihre Tränen herab und nässten ihre Gewänder. Keine Worte tönten von ihren schweigenden Lippen Lange. Ein kluger Hund allein, der Jungfrau Geleiter, 220 Rannte mit bangem Winseln dem trauernden Mädchen zur Seite; Mit der Klagenden klagte auch er. Da lief sie wie rasend Zu einem ragenden Baum, und um die Äste des Stammes Schlang sie einen Strick, der auch ihren Nacken umschnürte, 224 Und so tötete sie sich selbst, erdrosselt; die Jungfrau 226 Hing dort droben und schwebte am Ast mit zappelnden Füßen, 225 Und so starb sie selbst aus freien Stücken. Und immer 227 Kreiste um das Mädchen der Hund mit traurigem Bellen, Tränen entquollen den Augen des so verständigen Tieres.

Nicht verließ der wachsame Hund das einsame Mädchen, 23o Sondern er blieb beim Baum, die wilden Tiere verjagend, Pardel oder Löwen; vorüberziehenden Wandrern Wies sein stummes Gebaren das keusche, verstorbene Mädchen, Das von der drosselnden Schlinge umschnürt vom Baume herabhing. Und die Wanderer klommen, von Mitleid bewältigt, am hohen 235 Baum des Waldes empor, und von den laubigen Zweigen

Tod der Ikariostochter Erigone

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Brachten sie die Leiche der Jungfrau herunter; sie höhlten In der Nähe ein Grab mit bodenschaufelnden Hacken, Und verständig half der Hund den grabenden Leuten, Tiefer höhlte er trauernd mit klugen Pfoten den Boden, Rings mit den scharfen Krallen das lockere Erdreich durchscharrend. Dann begruben die Leute die jüngst verblichene Tote, Und bedrückt im Herzen von der gemeinsamen Trauer, Schritt zu seiner Arbeit ein jeder eilig von dannen. Nur der Hund allein blieb an der Seite des Grabes, Weil er Erigone liebte, und starb dort selber freiwillig.

Mitleid fühlte Zeus, und an die Sphäre des Himmels“ Setzte Erigone er verstirnt beim Riste des Löwen. Und das Mädchen vom Lande hielt dort die Ähre, sie wollte .Nicht die Traube tragen, die ihren Vater gemordet. Droben unter die Sterne, dem nahen Mädchen zur Seite, Setzte er auch den Greis Ikarios, und er benannte Ihn den hellen Bootes, dicht bei der arkadischen Bärin. Und den funkelnden Hund, den Hasenjäger, versetzte Er als feurigen Stern dort, wo am Bogen des Himmels In verstirnter Gestalt die Meeres -Argo dahinfährt.

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Also erzählt eine Sage Achaias, künstliche Rede Mischend mit Dichtung. Doch das ist die Wahrheit: Vater Kronion Teilte Erigones Seele dem Sternbild des ährenbeladnen, Himmlischen Mädchens zu, mit ihm verbunden, und setzte Nah dem himmlischen Hund einen Hund von ähnlichem 200 Aussehn, Jenen Sirius, den man den herbstlichen nennt, und des Gärtners Luftdurchwandelnde Seele verband er dem Bild des Bootes.

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Siebenundvierzigster Gesang

Diese Gnade bescherte Kronion dem attischen Weinland, Um den Dionysos so zugleich mit Pallas zu ehren.

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265 Und der üppige Bakchos verließ des Stromes Illissos Süße Wellen und zog zum Rebengelände von Naxos. Um ihn schwang die Flügel der kecke Eros, und Kypris Eilte Lyaios voran, ihn zur Vermählung zu leiten. Hatte der grausame Theseus doch eine schlafende Jungfrau, 270 Ihrer Heimat beraubt, am Strande verlassen, und selber War er von dannen gesegelt, nicht achtend seiner Gelübde. Bakchos sah Ariadne dort schlafend verlassen, und Staunen Mischte sich mit Begierde in ihm, und voller Verwundrung Sprach er behutsam zu den reigenschlingenden Bakchen:

275 »Rasselt nicht mit den Pauken, ihr Bassariden, es schalle Weder Syrinx noch Schritt, laßt diese Kypris entschlummert. Aber sie trägt nicht den Gürtel, das Zeichen der Göttin von Kypros: Eine Charis, so wähn ich, vermählt sich dem listigen Hypnos w. Aber wenn Eos sich zeigt und hell der Morgen emporsteigt, 280 Weckt aus dem Schlafe die schöne Pasithea. Aber in Naxos Wer hat die nackende Charis bekleidet? ist sie wohl Hebe? Aber wem ließ sie den Becher der Seligen ? Liegt da am Strande Strahlend die Rinderhirtin, die leuchtende Göttin Selene? Warum schläft sie denn nicht an ihres Endymion Seite ? 285 Oder erblick ich am Strande die silberfüßige Thetis ? Aber nicht nackt ist ihr rosiger Leib, und darf ich es sagen, Ruht wohl die naxische Göttin der Pfeile dort, müde vom Jagen, Abgewaschen im Meer den Schweiß nach der Hetze des Wildes.

Bakchos bei Ariadne auf Naxos

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Immer erzeugt ja Mühsal so süßen Schlummer. Doch wer schon Sah mit langen Gewändern im Walde Artemis ? Bakchen, 290 Haltet! Maron, bleib stehen! Tanzt hier nicht. Hemme dein Spielen, Lieber Pan, sonst störst du den Morgenschlaf Pallas Athenes. Aber wem ließ denn Pallas die Lanze, wer trägt denn statt ' ihrer Nun den ehernen Helm und die Aigis der Tritogeneia ?«11 So sprach Bakchos. Vom Sande erhob sich aus fliehendem ' Schlummer Rasch erwachend das arme, verliebte, unselige Mädchen Und sah keine Flotte und keinen treulosen Gatten. Wie ein Eisvogel klagte da laut die kydonische Jungfrau1*, Und nur das Brausen der Brandung klang wie Erinnrung der Liebe. Laut rief sie den Jüngling mit Namen, sie raste am Strande, Spähte nach einem Frachtschiff und zürnte dem neidischen Schlafe, Grollte der Paphia, aber noch mehr deren Mutter, dem Meere. Und den Boreas-Wind beschwor sie mit innigem Flehen, Oreithyia13 beschwor sie, noch einmal zum Strande von Naxos Den Geliebten zu führen, das teure Schiff zu erblicken. Heißer noch flehte sie an den harten Aiolos1*; nickend Hörte er auf ihr Flehen; dem Gegenwinde befahl er Günstig zu wehen, doch nicht um das sehnsuchtgepeinigte Mädchen Kümmerte Boreas sich, der glücklos verliebte; es grollten Ihrerseits auch der Jungfrau die eifersüchtigen Lüfte,

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Siebenundvierzigster Gesang

Die gerade das Schiff nach Attika trieben. Voll Staunen Sah selbst Eros die Jungfrau; auf trauerfeindlichem Naxos Wähnte er Aphrodite in Jammer und Tränen zu sehen. Doch nur noch herrlicher machte der Schmerz das Mäd­ chen, ihr Leiden 315 Schuf sie in ihrem Kummer nur schöner; die lachende Kypris Mußte bei einem Vergleich trotz reizvollem Lachen ein wenig Weichen der schluchzenden Jungfrau, und vor den Tränen des Mädchens Auch die Augen der Peitho, des Eros und die der Chariten. Endlich aber entfuhren der weinenden Jungfrau die Worte: 320 »Süßer Schlaf befiel mich, bis Theseus, der süße, enteilte. Doch er verließ mich, so lang ich mich noch freute; im Schlafe Sah Kekropien16ich, und im Gehöfte des Theseus War für Ariadne Gesang und üppige Hochzeit Und ein Reigen dazu. Ich zierte mit fröhlichen Händen 325 Den Altar der Eroten mit blühenden Frühlingsgewinden, Und mich schmückte ein Brautkranz; in meiner Nähe war Theseus Festlich in Bräutigamskleidern und brachte Kypris ein Opfer. Ach, wie süß war doch der Traum, nun ist er entflohen Weit hinweg und ließ mich als Jungfrau. Verzeih mir, o Peitho! 330 Das bescherte mir alles das nächtige, bräutliche Dunkel, Und das raubte mir alles das Licht der neidischen Eos. Nicht beim Erwachen mehr fand ich meine Sehnsucht. Sind etwa Eifersüchtig auch Träume auf Scheingebilde der Liebe, Weil ich das Truggesicht von ehevollziehenden, schönen

Bdkchos bei Ariadne auf Naxos

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Träumen erblickte und doch der liebliche Theseus enteilte T Feindlich ist mir auch der freundliche Hypnos. Ihr Felsen, Kündet mir glücklos Verliebten: wer raubte den Bürger Athenes ? Weht der Boreaswind, so komm ich zu Oreithyia; Aber die zürnt mir sicher, sie ist ja selber entsprossen Attischem Blut, woher der teure Theseus entstammte. Wenn mich Zephyr bedrängt, so zeigt der Gattin des Zephyr“, Iris, der Mutter1’ des Pothos, wie er Ariadne mißhandelt. Drängt mich der freche Euros und Notos, so eil ich zu Eos, Um die Mutter der Winde, die glücklos verliebte, zu schelten. Hypnos, gewähre mir wieder die kleine Vergünstigung: schick mir Neu einen lieblichen Traum, dem anderen ähnlich, damit ich Schlafend das süße Trugbild des Liebeslagers erlebe. Weile auf meinen Augen, damit ich atembeklemmend Süße Liebesbegier erträumter Hochzeit genieße. Ob zum attischen Lande, du trügender Bräutigam Theseus, Deine Fahrt aus Naxos die raubenden Lüfte geleitet, Künde das meinem Zweifel, und gleich zu Aiolos eil ich, Um dort laut zu schelten die neidischen, ruchlosen Winde. Setzte aber grausam mich Heimatberaubte ein Seemann Ohne dein Wissen aus auf ödem Naxos und eilte Weiter, so frevelte er gegen mich, gegen Themis18 und Theseus. Solchem Schiffer wehe nie wieder ein freundlicher Windhauch, Niemals, wenn er reitet im unsteten Wirbel der Stürme, Sei Melikertes ihm gnädig, der wellenglättende Meergott, Nein, der Notos wehe, wenn ihm der Boreas nötig, Und ihm erscheine Euros, wenn er den Zephyr ersehnte. Wenn alle Seebefahrer der Frühlingslüfte sich freuen, Ringe er allein mit Winterfluten. Ein Frevler

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Siebenundvierzigster Gesang

War dieser schlimme Seemann, doch war ich auch selber verblendet, Weil ich mich sehnte nach dem Landsmann der keuschen Athene. Hätt ich ihn nie ersehnt, ich glücklos Verliebte! So sehr auch Theseus voll Liebreiz ist, so ist er doch rauh und verschlossen. Davon sagte er nichts, als er meinen Faden gewickelt; Davon sagte er nichts beim Labyrinthe in Kreta. Wäre er doch erlegen dem wilden Stiere! 0 Wahnsinn, Schweig, du tötest ja sonst den süßen Jüngling. O, weh mir! Weh meiner Liebe! Allein fährt Theseus zur Stadt der Athener. 0, ich fühle, warum er mich verlassen: ihn faßte Liebe zu einem der Mädchen, die mit ihm. In Attika tanzt er Mit einer andern neu zur Ehe, mich ließ er in Naxos. Naxos wurde mein Brautbett, du täuschender Bräutigam Theseus. Vater und Bräutigam hab ich verloren. Weh meiner Liebe! Nicht mehr sehe ich Minos und kann nicht Theseus erblicken, Habe mein Knossos verlassen, doch nicht dein Attika sah ich: Ach, ich Ärmste, ich mußte von Vater und Vaterland scheiden. Lohn meiner Liebe ist nun das Meer. Zu wem soll ich flüchten ? Welche Gottheit entrafft mich, die mich nach Marathon1“ brächte, Mich, Ariadne, mein Recht gegen Kypris und Themis zu suchen ? Wer ergreift mich und bringt mich über die Fluten ? O fände Ich doch auch einen Faden, um mir die Pfade zu weisen! Solchen Faden begehre auch ich, damit ich entrinne Dem aigaiischen Meere und bis nach Marathon dringe,

Bakchos bei Ariadne auf Naxos

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Daß ich dort dich umarme, auch wenn dir verhaßt Ariadne, Daß ich dort dich umarme, den eidvergessnen Geliebten. Wenn du es willst, so laß mich dort dein Lager bedienen; Betten will ich es dann für dich und deine Geliebte Und nach Kretas Auen in Attika wohnen, ich Ärmste, Wie eine Kriegsgefangne, und für deine glückliche Gattin Werde ich es ertragen als Magd am klappernden Webstuhl, Werde ungewohnt auf spröden Schultern die Kanne Tragen, um Wasser nach Tisch dem süßen Theseus zu reichen. Sehen nur will ich Theseus. Auch meine Mutter“ hat einmal Arbeit bei Bauern verrichtet und beugte das Haupt einem Hirten, Und einem stummen Stier ergab sie sich dort auf der Weide Und gebar dem Rind einen Stier. Nach des spielenden Hüters Flöte begehrte sie nicht so sehr, wie das Muhen zu hören. Nicht den Krummstab will ich fühlen, nicht an der Krippe Will ich stehen, ich werde nah meiner Herrin verweilen Bei dem redenden Theseus und muß kein Muhen vernehmen. Lieblich werde ich singen bei deiner Hochzeit und werde Meine Eifersucht hehlen vor deiner jungen Gemahlin. Halten lass, wenn du an Naxos’Ufern vorbeifährst, Halten lass mir dein Schiff. Auch du, 0 Seemann, bist grausam. So bist also auch du aus Attika; kommst du dann aber In deine liebliche Heimat, allwo das Haus der Eroten, Nimm mich Ärmste dann auf, die Stadt des Kekrops zu schauen, Läßt du mich aber grausam zurück und segelst von dannen, Dann berichte dem Theseus von Ariadnes Gejammer, Von ihrem Schelten über den Trug des gebrochenen Eides. 0, ich weiß, warum des lügenden Theseus Gelübde Eros in schwerem Zorn vereitelte: hat mir doch Theseus Nicht bei der Ehegöttin, bei Hera, die Ehe geschworen;

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Siebenundvierzigster Gesang

Nein, bei der keuschen Athene, die unteilhaftig der Ehe. Bei Athene schwor er. Was hat sie mit Kypris zu schaffen ?« Voller Ergötzen vernahm ihr Klagen Bakchos, er hörte, 420 Was sie von Kekrops sprach; er kannte den Namen des Theseus Und die trügende Fahrt aus Kreta. Nahe dem Mädchen Glänzte in Göttergestalt er auf. Zu höherer Sehnsucht Geißelte mit dem Gürtel der Gier der hitzige, wilde Eros das junge Weib, damit die Tochter des Minos 425 Willig sich vereine mit seinem Bruder Lyaios. Und um die klagende Jungfrau im Leid der Liebe zu trösten, Sagte Bakchos zu ihr mit sinnbezaubernder Stimme:

»Jungfrau, was jammerst du so um den falschen Lands­ mann der Pallas ? Laß die Gedanken an Theseus, nun hast du den Bakchos zum Buhlen, 430 Statt des sterblichen einen unsterblichen Gatten, und wenn dich Freut der irdische Leib des Altersgenossen, so kann doch Niemals Theseus an Wert und Schönheit mit Bakchos sich messen. Doch du wirst sagen: er hat des Labyrinthes Bewohner, Diese Doppelnatur21 aus Mensch- und Stierleib, erschlagen. 435 Aber du kennst seinen Helfer, den Faden, nur mit der Keule Hätte nie der Athener die Kraft zum Kampfe gefunden, Hätte ein rosiges Weib ihm nicht geholfen; ich muß dich Nicht über Eros und Kypris und deinen Faden belehren. Schwerlich wirst du behaupten, Athen sei mehr als der Äther; 440 Nicht dem mächtigen Zeus ist völlig Minos, dein Vater, Gleichgestellt und nicht ist Knossos dem Himmel vergleichbar.

Hochzeit mit Ariadne

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Diese Flotte ist nicht umsonst von Naxos entsegelt, Nein, es bewahrte dich Pothos für höhere, bessere Hochzeit. Selige, weil du verlassen des Theseus geringeres Lager Und nun schauen wirst das Bett des herrlichen Bakchos. 445 Welchen höheren Ruhm kannst du begehren ? denn beides Wird dir: der Himmel als Haus, als Schwiegervater Kronion. Nicht kann Kassiopeia22 sich dir vergleichen trotz ihrer Tochter sternigem Schmuck am Himmel; ätherische Fesseln Läßt der Andromeda auch noch unter Gestirnen ihr Perseus. 450 Dir aber sei ein Kranz von Sternen bereitet, damit du Heißest die Glanzgemahlin des sternbekränzten Lyaios.«

Also sprach er tröstend, da bebte vor Freude das Mädchen; All die Erinnerung an den Athener warf sie ins Salzmeer, Als sie das Heiratsversprechen des himmlischen Freiers 455 vernommen. Und dem Dionysos schmückte nun Eros selber das Brautbett; Hochzeitsreigen erklangen, und um das bräutliche Lager Sproßten Blüten in Menge, und mit den Zweigen des Frühlings Kränzten Orchomenos’“ tanzende Mädchen die Ufer von Naxos. Eine der Hamadryaden besang die Vermählung; beim 460 Quellbach Pries eine schleierlose, sandalennackte Naiade Die mit dem Traubengott sich einende Maid Ariadne. Und Ortygia21 jauchzte; dem Bruder des Städtebeherrschers Phoibos, dem Lyaios, begann sie singend ein Brautlied, Und sie hüpfte zum Reigen, trotz ihrer festen Verwurzlung. 465 Purpurne Rosen flocht prophetisch der feurige Eros Zu einem runden Kranz, er glich an Farbe den Sternen Wie ein Vorverkünder des himmlischen Kranzes; es hüpfte Um die Jungfrau von Naxos das Hochzeitsgeleit der Eroten.

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Siebemmdvierzigster Gesang

Und im Hochzeitsgemach bei ehelich süßer Vereinung Säte der goldene Vater “als Buhle zahlreiche Sippe. Und nach dem langen Kreislauf der grau hinziehenden Jahre Dachte wieder der Gott seiner fruchtbaren Mutter, der Rheia, Und das charitenumschwärmte, untadlige Naxos verlassend, Zog Lyaios in Hellas zu allen Städten; er nahte Argos’Rossegefilden, obwohl am Inachos“ Hera Herrschte; es wiesen die Bürger ihn fort, sie verjagten die Satyrn Und die tanzenden Weiber, die Thyrsosstäbe verschmähend, Daß nicht Hera einmal den Sitz des Pelasgos“ vernichte, Eifersuchtgequält und zornvoll Bakchos bedrängend. Und es hemmten die Weiber die greisen Silene; voll Unmut Stachelte Bakchos zum Wahnsinn am Inachos sämtliche Frauen. Brüllend jubelten da die achaiischen Weiber; am Dreiweg Fielen sie jeden an, der ihnen begegnete. Messer Zückten die Armen wider die eignen, ebengebornen Kinder, den Sohn erschlug mit blankem Schwerte die Mutter, Schmetternd schlug eine andre ihr dreijährig Söhnlein zu Boden, Eine schleuderte hoch in die Luft ihren fliegenden Knaben, Der nach der lieben Milch noch gierte. Der Inachos raste Wegen der Todesvernichtung der ebengeborenen Kinder. Mütter töteten Söhne, und ihre ernährenden Brüste Kannten kein Sehnen, vergessen war alle Not des Gebärens. Und der Asterion-Fluß“, wo so viele Jünglinge immer Scheren ließen vom Haupte als Erstlingsopfer“ die Locken, Nahm nun die Kinder selber und nicht nur die lockigen Haare. Wie da beim Nahen des Gottes ein Bürger pelasgischen Landes

Bakchos macht die Weiber van Argos rasend

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Einen der Diener des Bakchos gewahrte, da sprach er die Worte:

»Der mit der Traubenfrucht ist doppelnaturig“, doch Argos Braucht nicht den Bakchos, es hat den herawürdigen Perseus’1. Habe schon einen Sohn des Zeus, was brauch ich den Bakchos ? Stampft Dionysos auch mit vielen Sprüngen die Lese, Unser Landsmann jedoch durchwandert droben die Lüfte. Nicht mit dem Efeu sollt ihr die Sichel vergleichen, denn besser Als der Thyrsosträger ist Perseus, der Träger der Sichel”. Tötete Bakchos das Heer der Inder, so seien sie gleichen Preises würdig, Lyaios und Perseus, der Gorgo bezwungen. Wenn Dionysos einst im Westen des brausenden Meeres Ein tyrsenisches Schiff zu Stein in den Wellen verwandelt, Hat mein Perseus versteinert ein riesiges Meerungeheuer. Wenn Dionysos einst am öden Meeresgestade Ariadne errettet, die schluchzend am Ufer gelegen, Hat der geflügelte Perseus gelöst Andromedas Fesseln, Und das versteinerte Untier war würdige Gabe des Freiers. Niemals hätte doch Perseus Andromeda liebeverblendet Sich als Braut errettet, dieweil sie nach Theseus geschmachtet. Nein, er begehrte nur nach keuscher Verbindung. Es wurde Danae nicht vom Blitz wie Semele flammend getroffen. Perseus’ Vater kam als himmlischer Regen der Liebe Golden zur Hochzeit herab und nicht als versengender Buhle. Nein, nicht solchen Helden kann ich bewundern, denn welchen Wilden Aresspeer besitzt er? Perseus, halt an dich! Nicht mit der Gorgo - Sichel bekämpfe den weibischen Efeu. Deine Hand beflecke nicht mit den Weiberkothurnen; Nicht den Hades-Helm”auf deinem Haupte bewege

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Siebenundvierzigster Gesang

525 Gegen den Rebenkranz, denn willst du, so wappne du lieber Die Andromeda gegen den ungewappneten Bakchos. Weiche, Dionysos, meide das Rossegefllde von Argos, Hetz deine Weiber zurück zum siebentorigen Theben. Töt einen anderen Pentheus. Was soll denn Perseus mit Bakchos! 530 Laß die reißenden Fluten des Inachos, gib dich zufrieden Mit dem lässigen Strom des aonischen Theben, ich brauch dich Nicht zu erinnern,wie dampfte vom Blitz der matte Asopos“.« So zu Dionysos sprach der Bürger mit höhnenden Worten. Doch die pelasgische Hera bewehrte das Heer der Argeier, 535 Und sie glich an Gestalt dem Seher Melampus voll Ingrimm Schrie sie kampfbegeistert vor Perseus, dem Mörder der Gorgo:

»Spross von himmlischer Abkunft, o Perseus im leuchtenden Helme, Hebe die Sichel empor, daß nicht mit dem schwächlichen Thyrsos Kraftlose Weiber dir das schöne Argos verwüsten. 540 Zittere du nicht vor dem Haarband8’ einzelner Schlangen, Tötete deine Sichel doch viele Bestien blutig, Als sie gemäht die Saat so vieler Schlangen Medusas. Wappne dich gegen die Schar der Bassariden, gedenke Jener ehernen Kammer, wo Zeus als goldener Regen 545 Drang in Danaes Schoß und so die Ehe erschlichen, Daß nicht nach der Hochzeit und nach der goldnen Begattung Danae dienend ihr Knie dem wind’gen Dionysos beuge. Zeige jetzt, daß du wirklich dem Blute Kronions entsprossen, Zeige jetzt, daß du stammst von goldener Abkunft, bekunde

Bakchos kämpft mit Perseus

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Deutlich das Himmelsgestöber, das köstlich die Mutter befruchtet. Streite wider die Satyrn und dem gewappneten Bakchos Strecke das blutige Antlitz der Schlangen - Medusa entgegen, Und nach dem strengen Herrn der umbrandeten Insel Seriphos“ Werde aufs neue zu Stein ein anderer Held Polydektes. Mit dir wappnet sich ja die siegende Hera von Argos, Stiefmutter des Lyaios. Und für Mykenai zu kämpfen, Hebe stadterrettend die Sichel, damit ich bemerke, Wie Ariadne dem Perseus als Kriegsgefangene nachfolgt. Töte die hörnerne Schar der Satyrn; das sterbliche Antlitz Der Bassariden verwandle durch das gorgonische Auge In ein ähnlich Gebilde, von selbst entstanden, und schmücke Deine Straßen sodann mit solcher versteinerten Schönheit; Bunte Statuen schaße so längs dem Inachos - Ufer. Warum bangst du vor Bakchos, den Zeus ja niemals erzeugte ? Sprich, was kann er dir tunt Wann kann einen flügelbeschwingten Kämpfer in Lüften je ein Krieger am Boden erreichen t« So ermutigte sie den Perseus; nun flog er zum Kampfe. Brausend rief die Bewohner der Klang der PelasgerDrommete. Einer führte die Lanze des lanzenkämpfenden Lynkeus”, Einer des ältern Phoroneus ", ein andrer den Speer des Pelasgos, Wieder ein anderer trug den Schild des Abas“ am Arme, Und des Proitos“ Speer und des Akrisios Köcher Trug ein anderer Mann, und mutig nahte zum Kampfe Einer mit Dañaos’"Schwert, das dieser einst zückend geschwungen,

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Siebenundvierzigster Gesang

575 Seine Töchter damit zu mordender Hochzeit zu wappnen. Einer führte ein mächtiges Beil, mit dem am Altäre Inachos“ gottbegeistert als Priester der Stadtherrin Hera Stand und mit dem erhobnen die Stirn der Rinder zermalmte. Und es eilte herbei das Heer auf trabenden Rossen 580 Mit dem fechtenden Perseus zusammen zum Streite; da stand er, Und aus dreistem Mund entfuhr ihm ein wütender Schlachtschrei, Stand zu Fuß und bespannte mit einer Sehne den Bogen, Und auf die Schultern warf er rückwärts die Höhlung des Köchers. So die Argeier führte der sicheltragende Perseus, 585 Und er umschnürte die Füße mit Flügelsandalen, und aufwärts Hielt er das Haupt der Medusa, den unertragbaren Anblick. Und auch Bakchos bewehrte die lockenumflogenen Weiber Und die gehörnten Satyrn, er raste im Kampfe, und als er Sah, wie der feindliche Held geflügelt die Lüfte durchkreuzte, sw Packte er seinen Thyrsos und trug, um sein Antlitz zu schützen, Hell einen Diamant, den Stein, den der Regen Kronions“ Härtet und der da wehrt dem versteinernden Blick der Medusa, Um den feindlichen Glanz des tötenden Hauptes zu meiden.

Als der behelmte Perseus die Bassariden gewahrte 495 Und die heil’gen Geräte des Bakchos, da lachte er schaurig: »Nett, wie du mit dem Thyrsos, dem grünen Geschoß, auf mich los steigst,

Bakchos kämpft mit Perseus

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Dich mit nichtigen Blättern bewaffnest, den Krieger zu spielen! Stammst du wirklich vom Blute des Zeus, so bewähre die Herkunft. Ist das goldene Wasser des Flusses Paktolos dein eigen, So ist ein goldener Vater der meine: der Regen - Kronion. Sieh die Jungfrauenkammer; noch schimmert der Boden dort rötlich“, Trägt er doch noch die Reste des köstlichen Himmels­ gestöbers. Fliehe darum aus Argos, weil hier die siegende Hera Ihren Wohnsitz erlöste, die deine Mutter vertilgte, Daß sie nicht wahnsinnig mache dich selbst, den Wahnsinnserreger, Daß ich nicht noch einmal dich sehe von Tollheit befallen.«

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Also rief er und kämpfte. Die allbezwingende Hera Wappnete alle zum Streit und auch den Mörder Medusas, Und sie scheuchte die Bakchen, sie ließ herab auf Lyaios Künstliche Blitze leuchten, ein göttliches, springendes Feuer, 6io Und gegen Bromios warf sie die strahlende, glühende Lanze. Aber Dionysos lachte und schrie mit rasender Stimme: »Deine Lanze ist nicht von Eisen und kann auch nicht blitzen. Mich versehrst du nicht, und wäre die Waffe auch feurig. Blitze des Zeus verletzen mich nicht, den kindlichen Bakchos 615 Haben ja halbgeboren schon Wetterstrahlen gebadet; Blieb er doch unverletzt im Guß des brausenden Gluthauchs. Du auch, Sichelträger, du stolzer Perseus, entweiche. Hier bekämpfst du nicht eine schwache Gorgone, der Kampfpreis Ist kein gefesseltes Mädchen Andromeda, gegen Lyaios 620

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Siebmundvierzigster Gesang

Kämpfst du, den zeusentstammten, dem einzig Rheia vor Zeiten Reichte die Lebensspende der Brüste, der einstens im Brande Von der freienden Flamme verschonender Blitze entbunden. Ihn bestaunen der Westen, der Osten; die Scharen der Inder 625 Wichen vor ihm, es fielen Deriades und auch Orontes, Der doch wie ein Gigant zum Himmel fürchterlich ragte, Bebend; ihm brach in die Knie der kühne Alpos, der Erde Sohn, der ungeschlachte, der wolkenhohe, ihm beugten Araber einst den Nacken; sizilische Schiffer besingen 630 Immer noch die Verwandlung tyrsenischer Räuber, die einstens Ich in Delphine verkehrte, und statt wie Menschen gestaltet, Springen sie nun im Meer umher als tanzende Fische. Thebens Trauer vernahmst du, ich brauche dich nicht zu belehren Über den rasenden Pentheus, und wie ihn Agaue gemordet. 635 Nicht bedarfst du Kunde noch Zeugnis, daß den Lyaios Gut dein Argos kennt, allwo die achaiischen Weiber Immer noch jammern über der eigenen Säuglinge Tötung. Kämpfe drum, Freund, und den nur schwach mit Zweigen bewehrten Bakchos wirst du wohl loben, denn sehen wirst du, wie meinen 640 Festen Kothurnen weichen die Flügel deiner Sandalen. Nie zerstreust du im Kampfe die Bassariden, und niemals Hemme ich gegen dich den fliegenden Thyrsos, bis Argos Sieht, wie ich deine Kehle mit Rebenlanzen durchbohre Und wie die Blätter die Sichel besiegen. Dich soll nicht erretten 645 Mein Kronion und nicht die Blaugeäugte, nicht Hera, Zürnt sie auch noch so gewaltig dem starken DionysosHelden.

Bakchos kämpft mit Perseus

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Nein, ich töte dich, und das übermüt’ge Mykenae Sehe enthauptet den Mann, der einst Medusa enthauptet. Oder in einer Lade will ich dich noch stärker umschnüren Und ins vertraute Meer47 als Schwimmer zum zweitenmal 6so werfen. Willst du, so lande dann noch einmal an deinem Seriphos. Wenn du rühmend prahlst mit deinem goldnen Erzeuger, Nimm dann als nutzlose Hilfe im Kampf die goldene Kypris.«

Also rief er und kämpfte. Die Bakchen zogen zum Streite, Und die Satyrn fochten. Und über des Bromios Haupte Schwebte Perseus in Lüften mit leicht sich schwingenden Flügeln. Doch Iobakchos erhöhte den Leib, und nahe zum Äther Hob er sich ungeflügelt und wuchs mit den Gliedern noch höher Über den fliegenden Perseus; dem siebenbahnigen Äther Näherte er die Hand, und als er den Himmel berührte, Preßte er dort die Wolken, und Perseus bebte erschrocken, Als er Dionysos sah, der unaufhaltsam die Sonne Mit der Rechten berührte und bis zum Monde emporgriff.

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Ab von Dionysos ließ er und kämpfte gegen die wilden Bakchen; er schwang in der Hand das tötende Haupt der 665 Medusa Und versteinerte so die gewappnete Maid Ariadne. Wilder noch brauste Bakchos beim Anblick der steinernen Jungfrau. Und nun hätte er Argos zerstört und Mykenae zerschmettert, Sämtliche Danaer hätte er niedergemetzelt, er hätte Hera sogar verwundet, die unverwundbare Göttin, 670 Die unkenntlich kämpfte im menschlichen Leibe des Sehers; Wider das Schicksal wär der beflügelte Perseus erlegen,

Siebenundvierzigster Gesang

Wäre nicht hinten Hermes mit Flügelsandalen erschienen; Rückwärts zog er den Gott an seinen goldenen Locken 675 Und begrüßte ihn freundlich, um weiteres Unheil zu wehren:

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»Zeusgebürtiger, Stiefkind der eifersüchtigen Hera, Weißt du noch, wie ich dich einst vom Feuer Kronions errettet Und dich den Nymphen gereicht, den. Töchtern des Lamosgewässers “, Als du ein Säugling warst? Und wieder trug ich im Arme Weiter dich von dannen zum Haus deiner pflegenden Ino. Dankbar zeige dich nun deinem Retter, dem Sohne der Maia. Bruder, bekämpfe nicht länger den Bruder, seid ihr doch beide, Perseus sowohl wie Bakchos, gesät vom gleichen Erzeuger. Schmäh nicht das Heer der Argeier und nicht die Sichel des Perseus; Stritt er im Kampfe doch nicht aus freiem Willen, nein, Hera Hat ihn bewaffnet, denn, verkappt als Seher Melampus, Streitet sie offenbar. Du weiche und senke die Waffen, Daß dich nicht wieder bedränge die schwerzubekämpfende Hera. Zwar du wirst sagen, du habest die Gattin verloren, doch fand sie Rühmlich im Kampfe den Tod, du sollst die gestorbne Geliebte Selig preisen: sie fand ja einen gewaltigen Mörder, Der nicht irdischer Sippe, nein, der dem Himmel entstammte, Der das Seetier erlegt und Medusa, die Pegasos-Mutter19. Unentrinnbar ist das Gewebe der Moiren; es mußte Sterben Elektra19, die Buhlin des himmlischen Herrschers, verblichen Ist Europa sogar, des Kadmos Schwester, Kronions Gattin, nachdem sie geruht bei Zeus; deine eigene Mutter

Bakchos kämpft mit Perseus

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Wurde vernichtet, bevor sie dich aus dem Leibe geboren. Semele öffneten sich nicht vor dem Tode des Himmels Pforten, erst als sie verschied. Und deine versteinerte Gattin 700 Wird zum sternigen Himmel gelangen und wird in der Nähe Meiner Maia leuchten, der einen der sieben Plejaden“. Könnte denn Ariadne sich Größeres wünschen, als droben Ätherbewohnend nach Kreta zu leben als Leuchte der Erde ? Senke darum den Thyrsos und laß dein Wüten verwehen, 705 Und das von selber entstandne Gebilde der Maid Ariadne Richte hier auf, wo schon das Abbild der himmlischen Hera. Schone doch diese Stadt, die deine Ahnen gegründet. Ehre gebührend die Fluren der rinderhörnigen Io5a Mit der Senkung des Thyrsos, und die achaiischen Weiber 710 Wirst du loben danach, weil sie der kuhäugigen Hera Einen Altar55 beschert nebst deiner beglückten Gemahlin.«

Also sprach Hermes und flog aus Argos’ Rossegefilden Wieder zum Himmel hinauf und errichtete Satzung der Eintracht Zwischen den beiden Kämpfern, dem Perseus und dem 715 Lyaios. Auch verharrte nicht länger am Ort die argolische Hera, Nein, sie entäußerte sich des falschen, menschlichen Aussehns; Göttlich gestaltet kehrte sie wieder zurück in den Himmel. Und am Inachos sprach zu den Kriegern der greise Melampus, Lynkeus, dem Urahn, entstammt, vom Blut des frommen 720 Pelasgos“: »Mir gehorchet, dem Seher, und schmettert dem Rebenlyaios, Schmettert ihm eherne Pauken und jubelnde Cymbeln der Rheia, Daß er nicht völlig vertilge des Inachos sämtliche Sippe,

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Siebenundvierzigster Gesang

Daß er nicht nach den Kindern auch die Erwachsnen vernichte, 725 Daß er nicht nach dem Verscheiden der Kinder die Weiber erschlage. Nein, mit Opfern sollt ihr den Zeus und den Bakchos ergötzen Und einen Reigen schlingen für Perseus und für Lyaios.«

So überredete er die Leute, und alle versammelt Stimmten an ein Lied für Bakchos beim nächtigen Reigen 730 Und begingen die Weihen, sie tanzten und riefen die Gottheit. Pauken krachten, es schallte dazu das Klappern der Sohlen, Und die Fackeln erglänzten. Die ringsversammelten Bürger Färbten mit mystischem Gips sich weiß zur Feier die Wangen, Und es dröhnten die Cymbeln, es prallten mit doppeltem Klange 735 Eherne Becken zusammen; es röteten sich die Altäre . Von dem Blute der Stiere, die reihenweis niedergeschlachtet; Massenhaft wurde das Vieh gemetzelt. Beim Feueraltare Sänftigten Männer den Bakchos, und ihn versöhnten die Weiber. Und die Lüfte durchscholl ein Lied der singenden Frauen, 74o Rettungshymnen zur Antwort. Die rasenden InachosWeiber Schlugen nun in den Wind ihr sinnbetäubendes Wüten.

ACHTUNDVIERZIGSTER GESANG

Aber Dionysos fuhr in der Muschel des panthergezognen Wagens davon und schwärmte umher im thrakischen Lande, Als er die Rossegefllde des Ahns Phoroneus1 verlassen. Nicht ließ fahren den Groll die grimme Inachos - Hera Über das Rasen in Argos, und stets sich erinnernd des s Wahnsinns Der achaiischen Frauen, bewehrte sie sich gegen Bakchos Neu und nahte listig mit Bitten der Allmutter Gaias, Und sie schrie von den Taten des Zeus und dem Mut des Lyaios, Wie er die riesige Wolke der indischen Völker vernichtet. Als die spendende Mutter vernahm, daß Semeles Sprößling 10 Das Geschlecht der Inder in raschem Tode geschlachtet, Stöhnte sie laut, ihrer Kinder gedenkend. Wegen Lyaios Wappnete sie in den Bergen die selbstentstandnen Giganten Und befeuerte wild zum Streit ihre riesigen Söhne:

»Meine Kinder, bekämpft mit Felsen den zweiggegeschmückten ßakchos. Verfolgt den Sohn des Zeus, der die Inder getötet, keine eigene Sippe. Denn ich will später im Himmel Nicht mit Zeus zugleich einen falschen Herrscher gewahren. Fesselt, fesselt den Bakchos, daß er die Kammer bediene, Wenn dem Porphyrion * ich die Hebe zur Ehe gewähre Und dem Chthonios gebe die Kythereia, wenn Pallas Ich als Enkelados’ Buhlin und als des Alkyoneus Gattin

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Achtundvierzigster Gesang

Artemis preise. So bringt mir Dionysos, daß ich Kronion Durch den Anblick des Bakchos als Kriegsgefangnen erbittre, 25 Oder verwundet ihn mir mit schneidendem Eisen und tötet Ihn gerade wie einst Zagreus1, daß einer der Menschen Oder ein Gott dann sage, es habe Gaia aus Ingrimm Über Kronions Geschlecht zweimal die Mörder gewappnet: Gegen den früheren Bakchos die Sippe der altern Titanen, 30 Gegen den späteren aber das Junggeschlecht der Giganten.«

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Also entflammte zum Kampf sie alle Gigantengeschwader, Und es zogen die Reihen der Erdgebornen zum Streite. Nysas6 felsigen Grund trug einer, ein andrer zertrennte Wolkenragende Schluchten mit scharfem Eisen als Waffen Gegen Lyaios und warf ihm solche Klippen entgegen. Einer ergriff einen Gipfel des meerumbrandeten Landes, Einer mit einem Grat vom wogenumgürteten Isthmos Eilte zur Schlacht. Es packte mit unermeßlichen Händen Pelions’ ragenden Gipfel der Riese Peloreus als Schleuder Und entblößte die Grotten der Philyra’; wie er des Berges Spitze so entdachte, erbebte Chiron, der greise, Der zur Hälfte ein Mensch, mit einem Pferde verwachsen. Bakchos aber schwang die gigantenvernichtende Rebe Und lief gegen den Riesen Alkyoneus, ohne den wilden Speer zu heben und ohne des Schwertes blutige Schärfe. Ab schlug er dem Riesen die breitverästelten Arme Mit geschleuderten Zweigen; so wurde der bodenentwachsnen Drachen schaurige Schar von lauterem Weinlaub geschlachtet. Wie er so den Giganten die natternhaarigen Köpfe Schlug, da tanzten im Staube die abgeschnittenen Hälse. Riesige Scharen wurden getötet, es wogte in Strömen Rings das fließende Blut der niedergeschlagnen Giganten,

Bakchos bekämpft Gaia und die Giganten

m

Und es röteten sich von Purpurbächen die Schluchten. Rasende Furcht ergriff die ganzen Gigantengeschwader Vor dem Schlangengelock des natternhaarigen Bakchos. Und es kämpfte der Gott mit Feuer; er warf in die Lüfte Brände, den Feind zu vernichten. In hohen Bahnen am Himmel Lief die bakchische Flamme in selberwirbelndem Sprunge, Und es zerfraßen die Funken die Glieder der brennenden Riesen. Und eine Schlange trug die Glut in dräuendem Schlunde, Zischte halbverbrannt mit feuersengender Kehle Und spie Rauch heraus und nicht des Giftes Verderbnis.

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Und da herrschte Getümmel ganz unermeßlich. Es streckte Bakchos sich gegen die Häupter der Feinde mit Bränden als Waffe, So mit irdischer Fackel den Leib der Giganten versengend, 65 Ein genaues Abbild der zeusgeschleuderten Blitze. Und die Fackeln erglühten; auf des Enkelados Schädel Wirbelten lufterhitzend die fliegenden Brände des Feuers. Doch er bezwang ihn nicht; die Glut der irdischen Flamme Beugte Enkelados nicht, der Blitz erst sollte ihn treffen. 70 Gegen Lyaios sprang der Riese Alkyoneus heftig, Mit einem thrakischen Felsen gewaffnet; um Bakchos zu töten, Hob er den stürmischen Gipfel des himmelragenden Haimos8 Zwecklos gegen das Ziel, den unverwundbaren Bakchos, Und entsandte den Fels, doch als die Schroffen des Gottes 75 Unzerreißbares Rehfell berührten, zerfielen sie splitternd. Und Emathiens“ Gipfel entblößte der jüngere Typhon, Hochgestaltet und völlig dem früheren ähnlich, der einstens

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Achtundvierzigster Gesang

Viele entrissene Schollen der Mutter Erde geschleudert; so So bewarf nun der Riese mit Felsengeschossen den Weingott. Einem, der zuckend am Boden sich wälzte, entriss der Gebieter Bakchos das Schwert, sich gegen die Riesenhäupter zu wappnen Und die Schlangensaat giftspritzender Haare zu mähen. Waffenlos schlachtete er die selbstentstandenen Scharen 85 Wütend im Kampf, und zum Beschießen der ragenden Riesen Diente ihm laubiger Efeu, der grün die Bäume umklammert.

Alle hätte er nun mit dem mordenden Thyrsos getötet; Freiwillig aber wandte er sich und wich aus dem Toben Und überließ seine Feinde noch lebend seinem Erzeuger. 9o Und nach Phrygien wäre er raschen Schrittes gewandelt, Aber es hemmte ihn noch ein weiteres Ringen, er wollte Nach dem Tode so vieler noch Einen Mörder erlegen, Den Erzeuger Pallenes10, den Henker, der wider die Satzung Seine eigene Tochter begehrte und so ihre Ehe 95 Hinderte und ihr jede Vermählung versagte und viele Ehewillige Freier erschlug. Die Plätze zum Ringen Waren rauschend gerötet vom Blute dieser Erschlagnen, Bis Dionysos kam, das Recht zu verteidigen. Nahe Trat er dem schlimmverliebten Erzeuger der hochzeitlich reifen loo Tochter und freite verwegen um dieses entsetzliche Mädchen Mit unermeßlichen Gaben, und auf das Verlangen des Gottes Kündete einen Ringkampf der grausige Mann um die Hochzeit, Führte ihn dann hinaus auf den gästemordenden Ringplatz,

Zweikampf mit Pallene

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Und da stand die kühne, die lanzenschwingende Tochter, Mit einem Jungfrauenschild auf ihren Schultern gewaffnet.

los

Kypris leitete da den Kampf; es stand in der Mitte Nackend Eros und reichte den Hochzeitskranz dem Lyaios. Um die Braut erhob sich der Ringkampf. Peitho11 bedeckte Ihren zarten Leib mit einem Silbergewande Und prophezeite den Sieg des freienden Gottes Lyaios. no Fallen ließ Pallene der starken Glieder Gewandung, Legte den Freierspeer, den wilden, beiseite, und reizend Ohne Sandalen und Kopfband stand da die Tochter des Sithon, Eisenlos, weiblich gebildet. Mit rötlicher Binde umsäumte Sie die runde Wölbung der unzerdrückbaren Brüste. 115 Hüllenlos war ihr Leib; der unermeßlichen Haare Ungeflochtene Locken umwallten den Nacken des Mädchens. Sichtbar waren die Waden und unbekleideten Schenkel, Da sie ganz kurz geschürzt, und ihre Hüften umfügte Sie mit weißem Gewebe, die weibliche Scham zu verdecken 120 Ihre Haut war rings mit fettem öle bestrichen, Und ihre Arme am stärksten, damit sie leichter entschlüpfe, Wenn ein unlösbarer Griff die feuchte Jungfrau umpresste.

Und sie bedrängte Lyaios mit schrecklicher Stimme und trat dann Nah an den sehnenden Freier und warf die doppelte Fessel 125 Ihrer verbundenen Arme ihm um den Hals und den Nacken. Aber es löste rasch den Hals aus dieser Umschlingung Bakchos und schleuderte fort die zarten Finger des Mädchens Durch ein Schütteln des Nackens, denWeiberfesseln um­ flochten. Gleich einem Kranze umschlang er mit beiden Armen 130 Palienes

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Achtundvierzigster Gesang

Weichen und schüttelte sie im Wechseltritte der Füße, Und dann packte er sie beim rosigen Arme und fand so Liebestrost, der Jungfrau die schneeigen Hände zu drücken. Nicht begehrte er so das Mädchen zu Boden zu stürzen, 135 Als die zarte Haut zu berühren, ergötzt von dem süßen Ringen, und er kämpfte mit trügerisch täuschendem Keuchen Gleich einem Menschen und ließ den Sieg freiwillig verzögern. Kunstvoll wollte im Schwung des Ringens die schöne Pallene Mit ihren weiblichen Armen den Leib des Dionysos lüpfen, ho Doch sie vermochte es nicht, die Last war schwerer; da ließ sie Los die männlichen Glieder des unbesiegbaren Bakchos. Doch da umfaßte der Gott mit ebensolcher Umschlingung Rings die liebliche Jungfrau, als ob er den Thyrsos erhöbe, Lüpfte sie, warf sie quer sich über die Schulter, und schonend 145 Schüttelte er dann ab das muskelgewaltige Mädchen, Und dann bettete er sie unbeweglich zu Boden, Sah ihr dann ins Antlitz mit listig blinzelnden Augen Und beschaute im Staube die haarüberflutete Jungfrau Und die starrenden Flechten des wildumflatterten Hauptes, iso Aber mit plötzlicher Drehung erhob sich vom Boden das Mädchen, Und sie schnellte sich wieder empor und stand auf den Füßen. Schonungslos stieß Lyaios mit schnellen, wechselnden Knieen Gegen Palienes Leib und suchte mit kräftigen Schwüngen Wieder die Jungfrau zu stürzen und auf den Boden zu wälzen. 155 Anders umschlang er ihr mit seinen Armen die Hüften, Bog den eigenen Hals in schräger Stellung zur Seite Und umklammerte ihr mit festen Fingern den Rücken; Und er versuchte die Knie, den Fuß oderWaden zu packen. Schließlich warf der Gott aus freien Stücken sich selber 160 Nieder, von schwachen Händen besiegt, und also gewann er Ein gar liebliches Mittel, die Liebe zu heilen. Im süßen

Zweikampf mit Polierte

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Staube hielt der Schöne auf seinem Leibe die schöne Last und blieb so liegen und suchte sich nicht zu befreien; Nein, er bannte die Maid mit sinnbezaubernder Sehnsucht. Sie aber wirbelte wieder empor mit gelenkigem Schwünge Hocherhoben und löste des liebestollen Lyaios Männliche Hand; da wandte sich ohne besondere Mühe Wieder der Gott und warf das rosige Mädchen zu Boden Lang im Staube; nun lag gestreckt auf der Erde die Jungfrau, Flach die Hände gebreitet. Und wie sie am Boden so dalag, Da umfesselte Bakchos ihr stark mit den Armen den Nacken. Aber schon stürzte geschwind der Vater hinein in den Ringplatz, Riss die Tochter zurück, die weiter zum Kampfe entschlossen, Und beendete so den Freierkampf um die Hochzeit, Ja, den ersehnten Sieg sprach er Lyaios zu eigen, paß er die Jungfrau nicht töte, die unentrinnbar gefesselt. Und nach solchem Siege bekränzte mit Willen Kronions Eros seinen Bruder mit hochzeitlichen Gewinden, Ihn, der den Liebeswettkampf als tapferer Freier gewonnen. Und so glich der Kampf ganz dem, wie Hippomenes1’ einstens Über die eilende Maid Atalanta siegte, indem er Goldene Äpfel nahm und rollend als Gabe ihr hinwarf.

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Aber wie Bakchos so die Braut im Ringen gewonnen, Und noch triefte vom Schweiß nach Beendung des freienden Streites, Schlug er mit scharfem Thyrsos den Sithon tödlich zu Boden, 185 Den Vernichter der Freier, und als der Vater gesunken, Gab Lyaios der Tochter den Thyrsos, die mordende Mitgift. Reich an Liedern erklang die Hochzeit, die Kammer der Liebe War von Silenen durchtost, die Bakchen schwangen den Reigen,

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Achtundvierzigster Gesang

190 Und es priesen die Liebe im Liede die trunkenen Satyrn Und besangen den Wettkampf und die gewonnene Hochzeit. Nereiden in Menge beim Nachbarufer des Isthmos Scharten sich um Lyaios und tanzten bräutlichen Reigen Unter hellem Gesang, es tanzte beim thrakischen Meere 195 Bromios’ gastlicher Wirt, der greise Wassergott Nereus; Hüpfend schwang Galateia sich über hochzeitlich Wasser Und besang die Vermählung des Bakchos und der Pallene. Und auch Thetis tanzte, obwohl sie abhold der Liebe, Und den Hochzeitsgrat des meerumgürteten Isthmos 2oo Kränzte Melikertes18 und sang Pallene ein Brautlied. Eine der Hamadryaden beim nahen, feurigen Lemnos, Eine von Athos, entflammte die thrakische, bräutliche Fackel. Und zum Tröste der Braut, die um den Vater noch schluchzte, Sprach mit freundlichem Plaudern der evoeliebende Gatte: 205 »Jungfrau, bestöhne nicht länger den schlimmverliebten Erzeuger, Jungfrau, bestöhne doch nicht so deines Magdtums Bedränger! Welcher Vater verführt denn die eigene Tochter zur Ehe? Laß die nutzlose Trauer um deinen erschlagenen Vater Sithon. Tanzend lacht ja Dike über sein Ende; 2io Und mit Jungfrauenhänden die Hochzeitsfackel entzündend, Preist die Ehelose im Lied deine eigene Ehe, Da sie gewahrt, wie wieder ein andrer Oinomaos14 hinsank. Ward doch Oinomaos auch vernichtet, doch trotz seines Todes Freute sich Hippodameia mit ihrem jungen Geliebten. 215 Drum entsage auch du der Sehnsucht nach deinem Erzeuger; Freue dich deiner Vermählung mit deinem Rebengeliebten, Die du der Härte des Vaters entronnen; denke doch selber An die verzögerte Hochzeit und Sithons feindliche Liebe. Hätte er doch, in Händen die freiermordende Lanze,

Hochzeit mit Pallene

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Altern dich lassen, bevor du die Wonnen der Liebe gekostet, 220 Hätte die Hochzeit vereitelt, daß einsam bleibe dein Lager. Schau doch die faulenden Reste der hingemordeten Freier, Die Aphrodite geschmückt und die wilde Erinys getötet. Schau jene Köpfe an, die deinem Hause geopfert, Das noch triefende Blut der gastrechtschändenden Hochzeit. 225 Du entstammst ja gar nicht dem irdischen Sithon18,ich glaube, Daß dich dein Himmelsgott, der thrakische Ares, erzeugte, Daß Kythereia selbst dich aus dem Leibe entbunden. Darum folgtest du selbst auch nur dem Wesen der Eltern, Zeigst des Ares Art und heitern Sinn Aphrodites. 230 Oder ich wähne, dich pflanzte der Wettkampfherrscher Hermeias Auf dem üppigen Lager der ehe vollendenden Peitho; Sicher lehrte er dich den Ringkampf, der Liebe Geleiter.« Also linderte ihr Lyaios tröstend den Kummer, Und er stillte den Reiz der Tränen des jammernden Mädchens. Längere Zeit verweilte er bei der jungen Gemahlin, Und er ergötzte sein Herz an frischer Liebe und Ehe.

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Dann verließ er das Haus Palienes. Aus Boreas’ Landen18 Zog er zum Wohnsitz der Rheia; dort lagen an Phrygiens Saume Die kybelidischen Höfe der glücklich entbindenden Gottheit. 240 Damals, als er dort jagte am Fuß des Dindymon-Berges1’, Wuchs am Rhyndakos-Fluß18 die Jungfrau Aure, die Bergmaid, Unerfahren der Liebe; sie zog mit der Göttin der Pfeile; Garnichts wollte sie wissen vom Wesen weichlicher Mädchen, Und sie glich einer jungen, lelantischen Artemis; einstens 245 Zeugte sie der Titan Lelantos mit Periboia18,

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Achtundvierzigster Gesang

Der Okeanos-Tochter; er zeugte das hurtige Mädchen, Das so männlich geartet und spröd von Liebe nichts wußte. Herrlicher sproßte sie auf als ihre Altersgenossen, 250 Rosenarmig und reizend und immer der Berge sich freuend. Oft beim Jagen stürzte sie sich auf wütende Bären, Sandte den wilden Speer und zwang die Löwin zu Boden, Aber es lag ihr nichts an leichter Hasen- und Rehjagd. Nein, es triefte ihr Köcher von Blut, und die Jägerin eilte 255 Heftig hinter den Rudeln von bergdurchstürmenden, wilden Löwen und schoß sie nieder, und Aure hieß sie, die Windsbraut, Weil sie im Laufe so schnell wie der stürmisch jagende Bergwind. Einst in der durstigen Stunde des heißen, feuerdurchglühten Mittags ruhte die Jungfrau vom Jagdgetriebe und streckte 260 Schlafend den müden Leib auf kybelidischem Grase, Angelehnt das Haupt an des züchtigen Lorbeers Gezweige; Und so schlief sie am Mittag, und von ihrer künftigen Hochzeit Sah sie ein liebliches Bild in vorverkündendem Traume, Sah, daß der feurige Gott, den Pfeil an glühender Sehne, 265 Jener stürmische Eros, die Hasen der Wildnis beschieße Und mit schwachen Pfeilen die Tiere in Menge erlegte. Und sie erblickte im Traum, wie, ihrem Knaben (zur Seite)2’ Auch die lachende Kypris sich nahte, (gelehnt an Adonis)21, Myrrhas Sohn, und Aure trug statt der Artemis Bogen 270 Die befremdliche Last des Köchers des jagenden Eros. Der aber tötete Wild, bis seine Sehne gesättigt, Schoss in die grausigen Mäuler von Panthern und Bären, und lebend22 Fing er die Löwin ein mit allbezauberndem Gürtel, Und das Untier wies er gefesselt der fröhlichen Mutter.

Dionysos und Aure

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Ferner schaute die Jungfrau im Dunkel, wie Eros, der wilde, 275 Sie zu reizen versuchte, sich an Adonis und Kypris Anzulehnen, dieweil vor Aphrodite er selber Beugte das dienende Knie der stolzen, erbeuteten Löwin. Und dann rief er ihr zu: »Bekränzte Mutter der Liebe, Aure führ ich dir zu, die keusche beugt dir den Nacken. 28O Auf, ihr Orchomenos-Mädchen23, ihr Tänzerinnen der Liebe, Auf, bekränzt dies Band, den fördernden Gürtel der Ehe, Zwang er doch sogar die unbezwingliche Löwin.« Solche prophetischen Worte vernahm da Aure, die Bergmaid. Nicht war eitel der Traum für die Eroten, sie bringen Ja die Männer ins Garn und wissen die Weiber zu hetzen.

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Als das Mädchen erwachte, da zürnte sie bitter dem klugen Lorbeer und wehrte sich gegen die Kypris und Eros und grollte Noch weit stärker dem Schlaf, dem frechen, und drohte dem Traume; Und sie zürnte den Blättern und sprach mit tonloser 290 Stimme: »Daphne, was drängst du mich so, was hast du mit Kypris 292 zu schaffen ? O, ich wurde verführt, als unter dir ich entschlummert, Und ich wähnte doch, keusch sei deine Pflanze; nun täuschte Mich dein Ruf und meine Erwartung. So hast du denn, 295 Daphne, Bei deines Leibes Verwandlung auch deine Gesinnung verändert? Bist du denn nach dem Tode der Ehe - Kypris verfallen ? Ist das ein Jungfrauenbaum oder der einer eben 298 Vermählten ?

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Achtimdvierzigster Gesang

291 Wohl ist erlaubt, bei der Myrte sich solcher Träume zu freuen, 299 Aber dieser Traum ist der einer Dirne. Hat Peitho 300 Oder der Lorbeer-Apollon dich hier als Pflanze gesiedelt?«

Also rief sie und zürnte dem Traum, dem Eros und Hypnos. Einst, als Artemis jagte, die Herrin der Jagd, in den Bergen, Und ihr den Leib die Strahlen der glühenden Hitze ver­ sengten, Rüstete sie den Wagen, damit sie im Kreise der Nymphen 305 Kühle den heißen Leib im bergentsprungenen Bade. Und es war mitten im Sommer zur Zeit, als gerade am Mittag Helios auf dem Rücken des Löwen den leuchtenden Wagen Mit der sengenden Geißel am Himmel feurig dahintreibt. Artemis aber spannte, die bergdurchschweifende Göttin, 3io Unter das Joch die Hirsche, und neben sie hoch auf den Wagen Stieg die Jungfrau Aure und lenkte mit Peitsche und Zügel Klug das schnelle Gespann der Hirsche mit stolzen Geweihen. Und es eilten die Töchter des ew’gen Okeanosstromes Ohne ihr Stirnband dienend der Göttin der Pfeile zur Seite. 315 Eine rannte der Herrin voran mit hurtigen Knieen, Neben ihr eine andre mit hochgeschürztem Gewände Blieb ihr nahe; es lief mit den schlankgefesselten Hirschen Eine ebenso schnell, die Hand am Korbe des Wagens. Aber das leuchtende Antlitz der Göttin der Pfeile erstrahlte 320 Heller als das der Mägde, wie wenn im ätherischen Wagen Bei dem leuchtenden Schein von schlafvertreibenden Fackeln Göttin Selene glänzt am klaren Himmel in vollem Schimmer und in der Mitte der feuergenährten Gestirne Alle himmlischen Scharen mit ihrem Glanze verdunkelt. 325 So erglänzend durcheilte die Göttin der Pfeile den Bergwald,

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Bis sie zum Platze kam, allwo sich mit rauschenden Wellen Zeusentstammt das Wasser des schönen Sangarios “schlängelt. Und da hemmte Aure den Schwung der sausenden Geißel, Riß die Hirsche zurück an ihren goldenen Zügeln, Ließ bei den Fluten halten den Wagen der glänzenden Herrin, 330 Und dann sprang aus dem Korbe die Göttin; herab von den Schultern Nahm ihr Upis den Bogen und Hekaerge “ den Köcher Und die Okeanostöchter die schöngeflochtenen Netze, 333 (Und eine andere hielt) die Koppel der kläffenden Hunde; 333a Loxo löste der Göttin von ihren Füßen die Stiefel. Trotz der Mittagshitze beachtete dennoch die Göttin 335 Heilige Scham der Jungfrau inmitten der Wogen und kreuzte Nur mit Vorsicht die Wellen; sie schürzte nur wenig das 337 lange, Ganz sie umwallende Kleid, das nur am Saume benetzt 339 ward. Beide Beine preßte die heilige Jungfrau zusammen 338 Und bespülte allmählich des Leibes verborgene Teile. 340 Schräg durch das Wasser bespähte mit scharfen Augen die Bergmaid Aure frechen Blickes im unverschämten Gesichte Keck den heiligen Leib der blickverbotenen Jungfrau Und die göttlichen Formen der keuschen, gebietenden Herrin. Mit gestreckten Armen und ausgebreiteten Füßen 345 ¡Schwamm mit der schwimmenden Göttin zugleich die liebliche Aure. Halb nur sichtbar dann am Uferrande des Stromes Trocknete Artemis pressend die tropfendurchfeuchteten 348 Locken. Da betastete Aure zur Seite der jagenden Göttin Ihre Brüste und rief die gottverletzenden Worte: 350

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Achtundvierzigster Gesang

»Artemis, sieh, du bist ja nur dem Namen nach Jungfrau; Hängen dir doch schon schlaff die runden Brüste, du hast Paphias Weiberbusen und nicht die männlichen Brüste Pallas Athenes; wie glühen dir doch die Wangen so rosig. Wenn du denn also gleichst der sehnsuchtweckenden Göttia So regiere auch du mit der lieblichen Kypris die Ehen. Einen Bräutigam nimm in deine Kammer, und willst du, Schlafe bei Hermes und Ares und laß die Pallas Athene. Willst du, so trage du den Bogen und Pfeil der Eroten, 360 Falls du kühnlich begehrst nach pfeiletragendem Köcher. Mag deine Schönheit verzeihen, da schätz ich mich selber doch höher. Schau, wie so kräftig mein Leib, sieh, wie der Körper der Aure Männlich gebildet und wie sie gleich dem Zephyr dahineilt; Schau die schwellenden Muskeln der Arme, sieh meine Brüste. 365 Knospen sie doch nicht weiblich, bei dir aber könnte man, wahrlich, Wähnen, es strotzten dir die Brüste von sprudelndem Milchsaft. Warum sind deine Arme so zart? warum ist dein Busen Nicht so kreisgerundet und fest wie jener der Aure, Daß man von selbst erkenne, wie du dein Magdtum bewahrtest?« 351 353 352 354 355

370 Also sprach sie schmähend, und niedergeschlagen und schweigend Grollte im Innern die Göttin voll schwellend kochendem Ingrimm, Und ihre Augen sprühten und schossen tödliche Blitze. Aufsprang sie vom Ufer und hüllte sich in die Gewänder, Und ihre reinen Lenden umschloß sie neu mit dem Gürtel 375 Unmutsvoll. Dann ging sie, die Nemesis26 suchen, und fand sie

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Bei den ragenden Gipfeln des Tauros, wo sie am nahen Kydnos das stolze Prahlen typhonischer Drohung beendet. Laufend drehte ein Rad sich an den Füßen der Herrin Als ein Zeichen, daß die allbezwingende Göttin Mit dem sühnenden Rund der Rache von oben im Wirbel 380 Alle Starken fällt und die Bahnen des Lebens verändert. Nahe dem Thronsitz umflog die Göttin ein rächender Vogel, Ein geflügelter Greif, er schwang auf seinen vier Füßen Sich empor als ein Bote der fliegenden Göttin, weil diese Auch des Weltalls vierfach geteilte Sitze durchwandert. 385 Kecke Männer umfesselt sie mit unlösbarem Zügel Zum symbolischen Bilde, und wie mit der Geißel des Unheils Wälzt sie den stolzen Mann gleich selber rollendem Rade. Gleich auf den ersten Blick erkannte am blassen Gesichte Nemesis Artemis’ Kummer und mörderisch drohende Absicht 390 Und begrüßte die Göttin mit freundlich fragenden Worten:

»Artemis, deinen Ingrimm verkünden laut deine Wangen. Welcher Erdensohn bedrängt und lästert dich Göttin? Was für ein Typhon ist neu aus diesem Boden gewachsen ? Hat etwa Tityos2’ wieder mit liebeverblendeten Augen 395 Deine Mutter berührt und ihre heilige Kleidung? Artemis,wo ist dein Bogen und wo die Pfeile Apollons? Welcher Orion28will dich wieder nötigen? Immer Liegt noch jener, der einst verblendet den Saum dir berührte, In seiner Mutter Schoß, ein odemlos Toter. Doch hat ein 400 Mann deine Kleider betastet mit sehnsuchttrunkenen Händen, Schaff einen Skorpion aufs neue als Rächer des Gürtels. Trachteten Otos28, der freche, der stolze Held Ephialtes Wieder, sich dir zu einen in unerreichbarem Bunde, Wohl, so töte den Freier um dein unnahbares Magdtum. 405 Ward deine Leto beleidigt von kindergesegnetem Weibe, Mag um die Brut dann dieses versteinert wie Niobe klagen.

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Achtundvierzigster Gesang

Warum sollt ich nicht noch einen Stein auf dem Sipylos” schaffen 1 Treibt dich dein Vater etwa wie einst die Pallas zur Ehe?al 4io Zeus hat dich doch nicht dem Hermes zum Weibe versprochen, Wie er Hephaistos den Bund mit der keuschen Athene gewährte ? Kränkte ein Weib auch dich wie einst deine Mutter, die Leto, Wohl, so werde ich rächen der Pfeilegöttin Betrübnis.« Kaum war die Rede verklungen, da schrie der vergeltenden Gottheit 415 Schon die jagende Maid mit raschen Worten entgegen:

»Allbezwingende Jungfrau, du Lenkerin alles Geschehens, Nicht der freche Otos, nicht Zeus noch Niobe quält mich, Nicht will Tityos sich an Letos Gewände vergreifen, Nicht will ein Erdensohn, ein neuer Orion, mich zwingen. 42o Nein, mit schmähenden Worten hat mich gar bitter beleidigt Des Lelantos Tochter, die unglückselige Aure. Aber was soll ich vor dir das alles erörtern ? mich grämt es, Zu wiederholen, wie sie meine Brüste und Glieder beschimpfte. Gleich meiner Mutter mußte ich leiden: in Phrygien kränkte 425 Niobe meine Leto, die nur zwei Kinder geboren; Wieder in Phrygien kränkt nun mich die lästernde Aure. Jene aber wurde gestraft durch ihre Verwandlung, Tantalos’Tochter; noch weint die unglückselige Mutter Tränen aus steinernen Augen. Doch mir blieb Schande und Kränkung 430 Ohne Sühne und Strafe: die keuschheitliebende Aure Wäscht nicht Felsen mit Tränen, und keine Quelle erblickt sie, Die da strafend verkündet, wie unvorsichtig sie höhnte. Ehre du selber drum den Ruhm titanischer Abkunft:

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Wie meiner Mutter, so hilf auch mir, damit ich erblicke Unbeweglich zu Stein den Leib der Aure verwandelt. 435 Laß nicht länger voll Gram die Jungfrau deines Geblütes, Daß ich nicht wieder erlebe, wie Aure höhnisch mich auslacht, Oder es mache sie rasend die Macht deiner ehernen Sichel.«

Tröstend gab die Göttin auf diese Worte zur Antwort:

»Keusche Tochter der Leto, du Jägerin, Schwester des 440 Phoibos, Nicht mit der Sichel will ich die Titanide bezwingen, Nicht will ich zu Stein die Jungfrau in Phrygien wandeln. Stamm ich doch selber auch vom uralten Blut der Titanen, Daß mich der Vater Lelantos ob solcher Kunde nicht tadle. Eins aber, Göttin der Pfeile, gewähr ich: die schweifende Aure 445 Hat dich als Jungfrau geschmäht, so bleibe sie selber nicht länger Jungfrau. Du sollst sie sehn, wie sie in den Schluchten des Gießbachs Heiße Tränen vergießt und ihren Gürtel bejammert.« So sprach Nemesis tröstend; die Jungfrau Artemis aber Fuhr aus den Bergen davon in hirschgezogenem Vierspann, 450 Bis sie nach Phrygien kam. Und ebenso eilig verfolgte Adrasteia, die Jungfrau, die harte Kämpferin Aure. Eingespannt in die Zügel die hurtig eifernden Greife, Eilte sie durch die Lüfte dahin auf sausendem Wagen, Und sie hemmte den Lauf erst auf des Sipylos Gipfeln, 455 Und vor Niobes Antlitz, der steinernen Tantalostochter, Band die vierfüßigen Vögel sie fest mit verschlungenen Zügeln. Und sie näherte sich der mutigen Aure und traf dann Mit der Schlangengeißel den stolzen Nacken des Mädchens,

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460 Stieß mit dem runden Rade der Rache sie, also zu beugen Den unbeugsamen Sinn der unvernünftigen Jungfrau. Wirbeln ließ um den Gürtel des Mädchens die Peitsche aus Nattern Adrasteia von Argos. Unkundig selber der Liebe, Schuf sie, der Göttin gefällig, in ihrem Dionysosbruder 46s Nach dem Bund mit Pallene nun neue Liebe, obgleich er Immer noch heftig erzürnt nach Ariadnes Verscheiden. In ihrer Heimat weilte Pallene verlassen, in fremdem Lande stand Ariadne versteinert, ein Kultbild wie Hera. Heißere Liebe als zur entgangenen Beroe schuf sie. 470 Nemesis flog von dannen zum schneeigen Taurosgebirge, Bis sie wieder zum Kydnos“ gelangte. Und Eros entflammte Den Dionysos wild für die Maid mit dem Pfeile der Sehnsucht, Und dann schwang er die Flügel und kehrte zurück in den Himmel.

Heißeres Feuer durchglühte den bergdurcheilenden Weingott. 475 Nicht der geringste Trost war ihm beschieden; er hatte Keinerlei Hoffnung auf die Liebe des Mädchens, kein Mittel Gegen die Sehnsucht, ihn trieb mit betäubender Fackel noch stärker Eros zum späten Bund mit der rasenden, störrischen Aure. Nur mit Mühe verbarg er sein Sehnen; nicht in der Wildnis 480 Pflog er verliebte Gespräche mit Aure aus banger Besorgnis, Daß sie ihm dort entwiche. Was kann wohl hündischer quälen, Als wenn Männer begehren und sich die Weiber verweigern ? Und er fühlte den Pfeil der Liebe im innersten Herzen, Wenn die Jungfrau die Wildnis mit ihren Hunden durchhetzte. 485 Wenn verliebte Winde das Kleid des Mädchens erhoben,

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Schmolz der irrende Bakchos beim Anblick der leuchtenden Schenkel. Endlich, von wallender Gier nach Aure qualvoll geschüttelt, Schrie der ratlose Bakchos dies Wort mit rasender Stimme: »Ganz so geht es mir wie Pan, dem glücklos verliebten; Flieht mich doch ein Mädchen mit Windeseile, und einsam Schweift sie, beweglicher als die nie zu schauende Echo. Seliger bist du, Pan, als Bromios; gegen die Liebe Fand dein Suchen ein Mittel: die sinnbezaubernde Stimme. Rufst du, so gibt dir Antwort der Echo flüchtiger Nachhall, Und ein ähnlicher Klang tönt dir entgegen. O ließe Nur ein einziges Wort der Mund der Aure entschlüpfen. Anders wie sonst bei allen ist diese Liebe; denn Aure Ist ja garnicht so wie andere Mädchen geartet. Welches Mittel lindert mir meine Qualen ? Berück ich Sie mit Liebesgebärden? Doch wann wird Aure bezaubert Durch bewegliche Blicke? Und könnten denn Hochzeits­ geschenke Und ein zärtliches Auge zu heißer Liebe und Wollust Je eine Bärin berücken? Wer mag einer Löwin sich einen? Wer spricht denn zu Eichen und nützt erloschene Fackeln ? Wer berückt denn Holz und führt einen Felsen zur Ehe ? Welcher Mann wohl kirrt die unverführbare Aure ? Welcher Mann wohl kirrt sie? Wer lockert der Jungfrau die Kleider ? Wer wohl sprach ihr von Ehe, vom Zaubergürtel der Liebe ? Wer von Aphrodite, vom süßen Stachel des Eros? Eher ließe sich noch Athene bereden. Die kecke Artemis flöhe mich nicht so sehr wie die züchtige Aure. Würde ihr lieber Mund mir nur dies Eine verkünden: Bakchos, du sehnst dich vergebens; begehre nicht Aure, die Jungfrau.«

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sos

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Also sprach er klagend auf einer blumigen Wiese 515 Zu den luftigen Winden; und bei der duftigen Myrte Ließ er zu süßer Rast am Mittag ruhen die Füße, An einen Baum gelehnt in säuselnder Brise des Zephyr, Müdigkeitsgebannt und liebebewältigt. Da beugte Zu dem Ruhenden sich aus ihrer laubigen Wohnung 520 Eine Hamadryade; die Jungfrau ohne ihr Stirnband, Treu der Kypris gesinnt, sprach so zum sehnenden Bakchos: »Niemals vermöchte Lyaios die Aure zum Brautbett zu führen, Wenn er nicht zuvor mit unzerreißbaren Fesseln Arme und Füße ihr mit Banden der Kypris umwunden, 525 Oder er beuge sie unter das J och der Ehe im Schlummer, Ohne Mitgift so der Maid ihr Magdtum zu rauben.« Sprachs und barg sich zurück in die ihr verbundenen Zweige, Wieder eingetaucht in die laubige Wohnung. Doch qualvoll Glitt des Lyaios Sinn in liebegebärende Träume. 530 Schweifend im Winde trat der verblichenen Maid Ariadne Seele dem schlummerversunknen Dionysos leise zur Seite; Eifersüchtig noch nach dem Tode sprach sie das Traumwort:

»Nicht mehr eingedenk des früheren Bundes, o Bakchos, Gierst du nach Aure und denkst an Ariadne nicht länger. 535 Ach du mein Theseus, den die bitteren Winde entführten, Ach du mein Theseus, den sich Phaidra” zum Gatten erlöste! Mir war wohl bestimmt, einen treulosen Buhlen zu finden. Mied der süße Jüngling mich doch im Schlafe; statt seiner Nahm mich der schlimmverliebte und trugvolle Bakchos zum Weibe. 540 Warum beschied mir das Schicksal nicht einen sterblichen Buhlen ?

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Denn gerüstet gegen den liebestollen Lyaios, Wäre auch ich dann eines der lemnischen Weiber” geworden. Aber nach Theseus muß ich auch dich einen treulosen Freier Nennen, einen Besteiger vielfältiger Lager der Hochzeit. Fordert dein Mädchen nun von dir eine Gabe der Liebe, 545 Mag sie diese Spindel als Freundschaftszeichen empfangen; Übergib, du Arger, sie deiner Felsengeliebten Als Geschenk deiner Gattin aus Kreta, damit man verkünde: ,Theseus gab sie den Faden und schenkte die Spindel dem Bakchos.1 Du auch, gleich Kronion, der Lager mit Lager vertauschte, sso Ahmst die Taten nach des weibertollen Erzeugers; Unersättlich fühlst du Begierde nach wechselnder Liebe. Wohl ist mir bekannt, daß du Pallene geehlicht, Deine sithonische Gattin; auch weiß ich den Bund mit Althaia”. Nicht von Koronis” red ich: aus eurer gemeinsamen Liebe sss Sproßten die drei Chariten, die stets verbundnen. Mykenai, Töne von meinem Tode, dem grausamen Auge Medusas. Schreit, ihr Gestade von Naxos: die spröde Maid Ariadne Ward zur Liebe gezwungen. O höre, Bräutigam Theseus, Minos’ Tochter ruft dich, weil sie auf Bakchos erbittert. söo Aber was denke ich an Kekropien ? wegen der Liebe Muß ich beide tadeln, den Theseus und auch den Lyaios.«

Also sprach sie und stürmte hinweg wie ein rauchiger Schatten, Und der verwegene Bakchos erwachte, entriß sich dem Schlafe Und beklagte den Schmerz der geträumten Maid Ariadne. Und er erwog eine List, die schlau zur Liebe ihn leite; Er gedachte, wie er die astakische Nymphe87 bewältigt,

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Achtundvierzigster Gesang

Wie er durch täuschenden Trank das liebliche Mädchen gewonnen, Als ihm Bezechtheit und Schlaf zum Liebesgenusse verhalfen.

570 Während Dionysos so zu buhlerisch trügenden Listen Sich bereitete, schweifte Lelantos’Tochter im Walde, Eine Quelle zu suchen, gequält von brennendem Durste. Nicht entging dem Bakchos der bergdurchstürmenden Aure Quälender Durst, und rasch, auf einen Felsen gesprungen, 575 Schlug er mit seinem Thyrsos die Erde; da klaffte der Hügel Und entsandte von selbst aus duftender Brust eines Rausch­ tranks Purpurnen Schwall. Es bemalten des Helios Mägde,die Horen, Dem Lyaios zu Liebe den Rand der sprudelnden Quelle Rings mit Blumen; es strich der Hauch von duftenden Winden 580 Durch die köstliche Luft der ebenentstandenen Wiese, Und sie enthielt die Blüte, die nach Narkissos geheißen’8, Jenem lieblichen Jüngling, den einst beim laubigen Latmos Hirt Endymion zeugte, der hellen Selene Geliebter, Und der sterben mußte, als er die Schattenerscheinung 585 Seiner eignen Gestalt, ein wesenlos täuschendes Trugbild, Einst im Wasser gewahrte, das sie von selber gespiegelt. 587 Auch enthielt sie den Duft der Hyazinthe Amyklais; 589 Und in flatterndem Schwarm auf blütentragenden Zweigen 588 Sangen die Nachtigallen hoch über den Blumen des Frühlings. 590 Dort gerade lief in ihrem Durste am Mittag 592 Aure und spähte rings nach einem Wasser Kronions” 593 Oder nach einem Quell, einem bergdurchströmenden Flusse, 591 Dunkelheit aber goß ihr Eros über die Augen. 594 Wie sie aber sodann des Bakchos Trugquell erreichte, 595 Da ließ Peitho die Wolke vor ihren Blicken zerfließen, Und sie sprach zu Aure, als wenn sie die Hochzeit verkünde:

Dionysos und Aure

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»Jungfräulein, komm her! Der ehevollziehenden Quelle Fluten empfange im Munde und den Geliebten im Schoße.« Freudig sah es das Mädchen; sie warf sich neben die Quelle, Und ihre Lippen schlürften das Naß des Dionysos durstig. Als die Jungfrau jedoch vom Quell getrunken, da rief sie:

6oo

»Welches Wunder, Naiaden! Woher dies köstliche Wasser? Wer schuf diesen Trank? Welch himmlische Quelle gebar ihn? Sicher, nach diesem Trunk kann ich nicht länger mehr laufen. Nein, meine Füße sind schwer, ein süßer Schlummer 6os bezwingt mich; Stotternd entquillt meinem Munde ein seltsam tönendes Lallen.« Riefs und wankte umher unsicheren Fußes, und strauchelnd Irrte sie hier und dort, versuchte vergeblich zu laufen, Und sie fühlte schmerzvoll das Pochen der Schläfen am Kopfe. Langsam sank das Haupt ihr auf die Schulter zur Seite, 6io Und am Boden entschlief sie, wo lange Äste sich streckten, Unbewacht ihr Magdtum dem Erdenlager vertrauend.

Wie der feurige Eros die wankende Aure bemerkte, Sprang er schnell vom Himmel hernieder mit heiterem Antlitz, Und verständnisvoll lächelnd sprach er zu Dionysos also:

»Jagst du, Dionysos? Aure, die Jungfrau, wartet doch deiner.« Riefs und eilte zurück zum Himmel; mit schwingenden Flügeln Wich er von den Blüten, in die er die Worte geschrieben:

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Achtundvierzigster Gesang

»Freier, vollziehe die Ehe, solange die Jungfrau noch schlummert. 620 Schweigen wir, daß das Mädchen nicht aus dem Schlafe erwache.«

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Als Iobakchos sie sah auf rauher Erde gebettet Unter dem Lethefittich des hochzeitschenkenden Schlafes, Schlich er sandalenlos auf Zehenspitzen und lautlos Näher und stieg auf das Lager der stimm- und gefühllosen Aure. Vorsichtig tat er zur Seite den hohlen Köcher der Jungfrau Und verbarg ihren Bogen in einer Höhle des Felsens, Daß sie ihn nicht erschieße, sobald ihr Schlummer entwiche. Und mit unlösbaren Fesseln umwand er die Füße des Mädchens Und umschnürte die Hände mit einem gewundenen Seile, Daß sie ihm nicht entrinne. Dann breitete er auf den Boden Zur Umarmung geeignet die tiefentschlummerte Jungfrau, Und dann stahl er die bräutliche Reife der schlafenden Aure. Gabenlos nahm sie der Gatte. Die arme Trunkne am Boden, Die sich nicht rühren konnte, ward von Lyaios bewältigt. Und den Leib der Aure mit schattigem Fittich umfesselnd, Waltete Hypnos, der Schlaf, als Diener des Bakchos; er selber Hatte schon Liebe versucht, und mit Selene verbunden, Ist er der Liebesgeleiter der nächtig zärtlichen Spiele. Und die Vermählung glich einem Traume; es hüpfte der Hügel Hoch von selber empor im Reigen, es drehte halbsichtbar Eine Hamadryade die mit ihr verbundene Föhre. Aber die einzige, die in den Bergen nicht tanzte, war Echo: Schamvoll verbarg unerreichbar sich in den Felsen die Jungfrau, Nicht zu bemerken die Hochzeit des weibertollen Lyaios.

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Als der Rebenbuhle geräuschlos die liebende Einung 645 Auf dem Lager vollzogen, erhob er sich leise und küßte Zärtlich die lieblichen Lippen des Mädchens und löste die Fesseln Ihrer Füße und Arme; er nahm von der felsigen Klippe Köcher und Bogen und legte sie wieder neben das Mädchen. Zu den Satyrn schritt er liebeatmend von dannen 6sc Und überließ dem Winde das Lager der schlummernden Aure.

Nach der Vereinigung sprang empor die Nymphe, sich lösend Aus dem erquickenden Schlaf, dem Zeugen erzwungener Liebe, Und sie bemerkte mit Staunen, wie von der züchtigen Binde Ihr der Busen entblößt und nackt die Spalte der Schenkel, Wie ihr Gewand befleckt vom roten Blute der Hochzeit Und ihr den pfandlosen Raub des Magdtums kündete. Zornig Raste sie bei dem Anblick, und sie beschattete wieder Mit dem Gürtel die Brust, und mit der Binde der Jungfrau Schnürte das Weib den Busen an üblicher Stelle - vergebens. Gramvoll schluchzte sie auf; mit wütenden Sprüngen verfolgte Sie die Ackerbauern, und an dem umlaubten Gestade, Um sich am tückischen Buhlen nach strafendem Brauche zu rächen, Schlachtete sie die Hirten der Schafe; mit grausamem Eisen Mehr noch die der Rinder: sie wußte vom Freier der Eos, Jenem schönen Tithonos10, dem lieblichen Hirten der Rinder, Und daß auch Selene, die rindertreibende Göttin, Den Endymion freite, den Rinderhirten am Latmos; Und sie wußte auch von dem bitteren Leide des Hymnos, Dieses phrygischen Hirten, den eine Jungfrau getötet. Wilder noch schlachtete sie in grausem Grame der Ziegen Hüter und Reihen von Ziegen, weil sie den übelverliebten Pan ihnen ähnlich geschaut von ziegenzottigem Aussehn.

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Achtundvierzigster Gesang

Denn sie vermutete sehr: von Liebe zu Echo geschüttelt, 675 Habe im Schlafe sie Pan, der Ziegentreiber, bezwungen. Ärger noch überfiel sie die Bauern, weil diese der Kypris Gerne huldigen und der Bauer Iasion41 einstens Sich als Buhle geeint der Garbengöttin Demeter. Und sie erschlug den Jäger, denn einer älteren Sage 58o Schenkte sie Glauben: der Landsmann der mutterlosen Athene Kephalos12 war ein Jäger und Gatte der rosigen Eos. Und sie schlachtete auch die Pflücker der bakchischen Lese, Weil ja diese den Saft des lauteren Rauschtranks erzeugen, Trunkene Diener des Bakchos und übel der Liebe ergeben. >85 Aber noch war ihr nicht die List des Dionysos kundig Und der tückische Trank des lauteren Weines der Liebe, Sondern sie leerte die Hütten der höhenliebenden Hirten Und besprengte so rings die Berge mit purpurnem Blute.

Dann erschütterten Sinnes und wutgeschüttelt enteilte >90 Sie zum Tempel der Kypris. Vom neugesponnenen Kleide Löste sie der Göttin den zauberdrohenden Gürtel, Peitschte die üppigen Glieder der unbesiegbaren Göttin, Raubte das heilige Bild der ehevollziehenden Kypris Und begab sich zum Flusse Sangarios; nackten Naiaden 95 Schenkte sie die in den Fluten sich nackend wälzende Göttin. Und nachdem sie das Kultbild mit eigener Geißel geschlagen, Schleuderte sie in den Staub des Eros liebliches Abbild. Fort aus dem leeren Tempel der phrygischen Kypris enteilte Schweifend und unerreichbar sie in der Wildnis Vertrautheit, oo Machte sich mit den Netzen zu schaffen und ging wieder jagen. Tränenden Auges beklagte sie ihr verlorenes Magdtum, Und mit schrillem Schluchzen entfuhr ihrem Munde der Ausruf:

Dionysos und Aure

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»Welcher Gott hat mir des Magdtums Bande gelockert? Wenn mich während des Schlummers auf meinem einsamen Lager Wohl der waltende Zeus gestaltvertauschend berückte Und sich vor meiner Rheia, der nahen Göttin, nicht schämte, Werd ich, wie früher die Tiere, jetzt droben die Sterne beschießen. Hat mich Schlafende aber der Gott Apollon bewältigt, Will ich das heilige Pytho, das felsige, völlig vernichten. Hat mein Lager jedoch der kyllenische Hermes bestiegen, Will ich mit meinen Pfeilen Arkadien gänzlich zerstören Und zur Magd mir machen die stirnbandgoldene Peitho. Oder wenn unversehens und heimlich in listiger Einung Gott Dionysos gar mich meines Magdtums beraubte, Werde ich suchen, bis ich das Haus der Kybele finde, Und von den Gipfeln des Tmolos den brünstigen Bakchos verjagen. Um meine Schultern will ich hängen den mordenden Köcher, Mich gegen Phrygien wappnen und gegen Paphos, denn beide Will ich mit Pfeilen beschießen: Dionysos und Aphrodite. Pfeilegöttin, dir groll ich noch mehr, weil du selber als Jungfrau Schlafend mich nicht getötet, als ich noch Jungfrau, und weil du Deine reinen Geschosse nicht gegen den Buhlen gerichtet.«

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