Die BOUNTY war sein Schicksal: Das abenteuerliche Leben des William Bligh 9783863120788

Der 28. April 1789 war ohne Frage der schwärzeste Tag im Leben von William Bligh. Eine Gruppe von Meuterern unter Führun

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German Pages 192 Year 2014

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Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
„Ein Gentleman zur See“ Offiziersanwärter in der Royal Navy
„Ein guter Ankerplatz“ Mit James Cook auf der RESOLUTION
„Die Kunst der Navigation“ Aufstieg zum Leutnant
„Brotfruchtbaum für Westindien“ Kommandant der BOUNTY
„In diesem stürmischen Ozean“ Die Reise nach Tahiti
„Ein solch nachlässiger Haufen“ Der Aufenthalt auf Tahiti
„Ich bin in der Hölle“ Die Meuterei auf der BOUNTY
„Nichts als Haut und Knochen“ Die Bootsfahrt nach Timor
„Ein beispielloses Unterfangen“ Vor dem Kriegsgericht
„Von einem schweren Fieber ergriffen“ Die Fahrt der PROVIDENCE
„Ihre Seelen flogen gen Himmel“ Der Prozess gegen die Meuterer
„Wir stehen vor dem Zusammenbruch“ Die Meuterei auf der Nore
„Ein guter und tapferer Mann“ Die Schlacht von Kopenhagen
„Eine Schande für jedes Regiment“ Die Rum-Rebellion in Australien
„Geliebt, respektiert und betrauert“ Die letzten Jahre
Nachwort
Anhang
Bibliographie
Glossar
Die Besatzung der BOUNTY
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Die BOUNTY war sein Schicksal: Das abenteuerliche Leben des William Bligh
 9783863120788

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Jann M. Witt

Die BOUNTY war sein Schicksal Das abenteuerliche Leben des William Bligh

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Primus Verlag ist ein Imprint der WBG. © 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Lektorat: Rainer Wieland, Berlin Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Einbandmotiv: Meuterei auf der Bounty. Kommandant Bligh und 18 Besatzungsmitglieder werden in einer Barkasse ausgesetzt. ©IAM/akg Abb. im Buch: 25: akg-images; 44: IAM/akg; 70: IAM/akg; 100/101: Peter Palm, Berlin; alle anderen Abb.: Jann M. Witt Gestaltung & Satz: Anja Harms, Oberursel Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-86312-041-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-86312-077-1 eBook (epub): ISBN 978-3-86312-078-8

Inhalt

7 Vorwort

10 „Ein Gentleman zur See“ Offiziersanwärter in der Royal Navy

22 „Ein guter Ankerplatz“ Mit James Cook auf der RESOLUTION

35 „Die Kunst der Navigation“ Aufstieg zum Leutnant

43 „Brotfruchtbaum für Westindien“ Kommandant der BOUNTY

57 „In diesem stürmischen Ozean“ Die Reise nach Tahiti

69 „Ein solch nachlässiger Haufen“ Der Aufenthalt auf Tahiti

81 „Ich bin in der Hölle“ Die Meuterei auf der BOUNTY

93 „Nichts als Haut und Knochen“ Die Bootsfahrt nach Timor

107 „Ein beispielloses Unterfangen“ Vor dem Kriegsgericht

111 „Von einem schweren Fieber ergriffen“ Die Fahrt der PROVIDENCE

119 „Ihre Seelen flogen gen Himmel“ Der Prozess gegen die Meuterer

131 „Wir stehen vor dem Zusammenbruch“ Die Meuterei auf der Nore

146 „Ein guter und tapferer Mann“ Die Schlacht von Kopenhagen

159 „Eine Schande für jedes Regiment“ Die Rum-Rebellion in Australien

179 „Geliebt, respektiert und betrauert“ Die letzten Jahre

184 Nachwort

188 Anhang Bibliographie Glossar Die Besatzung der BOUNTY

Vorwort

D

er 28. April 1789 war der schwärzeste Tag im Leben von William Bligh. Eine Gruppe von Meuterern unter Führung

des Ersten Offiziers Fletcher Christian riss das Kommando über Seiner Majestät Transportschiff BOUNTY an sich und setzte den Kommandanten zusammen mit 18 Getreuen mitten im Pazifischen Ozean aus. Es gab in der Geschichte der Seefahrt zahlreiche andere, blutigere Meutereien, dennoch hat keine andere Rebellion an Bord eines Schiffes die Gemüter der Menschen so fasziniert wie die Ereignisse auf der BOUNTY. Verglichen mit anderen Meutereien war das Geschehen an

Bord der BOUNTY unspektakulär. So lehnte sich 1797 die Mannschaft der britischen Fregatte HERMIONE gegen die sadistische Schreckensherrschaft ihres Kommandanten Hugh Pigot auf, der seine Männer gnadenlos auspeitschen ließ. Die Seeleute ermordeten ihn und neun seiner Schiffsoffiziere und liefen anschließend zu den Spaniern über. Es war die blutigste Meuterei in der Geschichte der Royal Navy. Demgegenüber hatte es an Bord der BOUNTY weder Tote noch Verwundete gegeben. Wäre Bligh auch nur im Entferntesten so brutal wie Pigot gewesen, hätte er die Meuterei wohl nicht überlebt. Dennoch ist er zum Sinnbild für einen Tyrannen auf dem Achterdeck geworden. In zahllosen Filmen und Romanen wurde Bligh als brutaler Despot porträtiert, der seine Seeleute so lange schikanierte, bis diese schließlich keinen anderen Ausweg mehr sahen, als sich gegen ihn zu erheben. Dies ist auch die Geschichte, die in dem berühmten Film „Meuterei auf der Bounty“ von 1962 erzählt wird, mit Trevor Howard als William Bligh und Marlon Brando als Fletcher Christian. Seitdem ich

diesen Klassiker zum ersten Mal sah, fasziniert mich die Geschichte der BOUNTY und ihres Kommandanten. In diesem Film wird Fletcher Christian als aufrechter Held porträtiert, den sein Gewissen schließlich dazu zwingt, sich gegen seinen tyrannischen Kommandanten aufzulehnen. So wurde die Meuterei auf der BOUNTY zum Musterbeispiel für einen gerechten Aufstand gegen einen Despoten . Doch nachdem ich mich als Historiker intensiver mit der Biographie William Blighs beschäftigt habe, ergibt sich ein deutlich differenzierteres Bild. Bligh war kein unbarmherziger Menschenschinder, besaß allerdings ein aufbrausendes Temperament. Insbesondere Pflichtvergessenheit und Inkompetenz erregten seinen Zorn. Gleichzeitig war er ein brillanter Navigator, ein tüchtiger Seemann und ein tapferer Offizier, der sich aufrichtig um das Wohl seiner Untergebenen bemühte. Doch obschon es das zentrale Ereignis seiner Biographie ist, umfasst das Leben von William Bligh weit mehr als nur die Meuterei auf der BOUNTY. Vieles an den Ereignissen an Bord der BOUNTY bleibt bis heute mysteriös, nicht zuletzt die Motive Fletcher Christians für seine Rebellion gegen Blighs Autorität. Zumindest teilweise lässt sich die Meuterei als der unvermeidliche Konflikt zwischen zwei Männern mit höchst unterschiedlichem Charakter erklären. In den letzten 225 Jahren wurde über die Meuterei auf der BOUNTY viel geschrieben und spekuliert. 1831 veröffentliche Captain Frederick William Beechey seinen Reisebericht „Voyages to the Pacific“, in dem er auch wiedergab, was ihm John Adams, der letzte überlebende Meuterer, über die Ereignisse an Bord der BOUNTY berichtet hatte. Im gleichen Jahr erschien das von John Barrow, dem zweiten Sekretär der britischen Admiralität, verfasste Buch „The Eventful History of the Mutiny and Piratical Seizure of the Bounty“, in dem Bligh die alleinige Schuld an der Meuterei zugeschrieben wird. An dieser Beurteilung Blighs und der Ereignisse an Bord der BOUNTY hat sich – zumindest in der breiten Wahrnehmung – bis heute nicht viel geändert. Allerdings sind seither zahlreiche weitere Dokumente ans Tageslicht gekommen, die ein differenziertes Bild dieses Mannes zeichnen. Die aktuellste und bislang beste Darstellung der Meuterei auf der BOUNTY gibt das 2003

Vo r w o r t

erschienene Buch „The Bounty. The True Story of the Mutiny on the Bounty“ (dt. „Die Bounty. Die wahre Geschichte der Meuterei auf der Bounty“) von Caroline Alexander. Die wichtigsten Biographien über Bligh sind das zweibändige Werk „The Life of Vice-Admiral Bligh“ von George Mackaness aus dem Jahr 1932 sowie „Captain Bligh – the Man and his Mutinies“ von Gavin Kennedy aus dem Jahr 1989. Zu den wichtigsten Quellen über die Meuterei auf der BOUNTY gehören neben dem Logbuch der BOUNTY und Blighs eigenen Aufzeichnungen die Berichte von John Fryer, dem Sailing Master der BOUNTY, und dem Bootsmannsmaaten James Morrison. Allerdings

müssen alle diese Dokumente mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden. Denn während es Bligh vor allem darum ging, sich und seine Handlungen nach der Meuterei in einem möglichst guten Licht zu präsentieren, wurde Fryer von einem tiefen Groll auf seinen ehemaligen Kommandanten verzehrt; der begnadigte Meuterer Morrison wiederum versuchte, seine Beteiligung an der Rebellion nachträglich dadurch zu rechtfertigen, dass er Bligh als kleinlichen Tyrannen diskreditierte. 225 Jahre nach der Meuterei auf der BOUNTY ist es an der Zeit, mit der vorliegenden biographischen Skizze eine nuancierte Darstellung zu präsentieren, um William Bligh mit der Achtung, aber auch der Kritik zu würdigen, die er verdient. Um den Lesefluss nicht zu stören, habe ich ein Glossar der wichtigsten Fachausdrücke sowie eine Besatzungsliste der BOUNTY im Anhang beigefügt. Als Historiker habe ich mich an die Regeln der Geschichtswissenschaft gehalten; alle Fakten sind sorgfältig überprüft, auch wenn ich der besseren Lesbarkeit willen auf einen Anmerkungsapparat verzichtet habe. Leider kann ich nicht die Namen all derer erwähnen, die mich bei der Arbeit an diesem Buch unterstützt haben. Besonderer Dank gebührt Dr. Marina Vollstedt von der HelmutSchmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg für ihre konstruktive Kritik. Etwaige Fehler fallen allein in meine Verantwortung. Kiel, im Winter 2013, Jann M. Witt

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„Ein Gentleman zur See“ Offiziersanwärter in der Royal Navy

W

illiam Bligh wurde am 9. September 1754 vermutlich in der südwestenglischen Hafenstadt Plymouth als Sohn

des Zolloffiziers Francis Bligh geboren. Im Alter von 32 Jahren hatte dieser im Oktober 1753 die acht Jahre ältere Witwe Jane Pearce geheiratet. William war offenbar das einzige Kind aus dieser Ehe. Er verlor seine Mutter, als er 15 Jahre alt war. Sein Vater heiratete noch zwei Mal, bevor er 1780 im Alter von 59 Jahren verstarb. Die Familie stammte aus Cornwall. Im 16. Jahrhundert hatten die Blighs dort in der kleinen Stadt Bodmin gelebt, wo mehrere von ihnen das Amt des Bürgermeisters innegehabt hatten. Im Jahre 1680 war die Familie nach St. Tudy übergesiedelt. Unter William Blighs Vorfahren und Verwandten waren Adelige, Beamte und Seeoffiziere, darunter Admiral Sir Richard Rodney Bligh (1737–1821).

Kindheit und Jugend

Über William Blighs Kindheit und Jugend ist nicht viel bekannt, doch hat es den Anschein, dass er eine gute und umfassende Schulbildung genoss. Er besaß eine natürliche Begabung für Mathematik und zeigte zudem als Erwachsener ein weitgefächertes wissenschaftliches Interesse. Schon früh zeichnete sich ab, dass William Bligh die Laufbahn des Marineoffiziers einschlagen würde. Ob dies sein eigener Wunsch war, ist unbekannt. Allerdings war ihm der Anblick von Kriegsschiffen seit seinen frühesten Kindheitstagen vertraut. Damals wie heute war Plymouth einer der wichtigsten Stützpunkte der Royal Navy, die hier

Kindheit und Jugend

seit 1691 eine eigene Werft für die Reparatur und Wartung von Kriegsschiffen unterhielt. Da sein Vater als Zolloffizier zu den Gentlemen zählte, besaß William Bligh überdies den richtigen gesellschaftlichen Hintergrund für eine erfolgreiche Offizierskarriere in der Royal Navy. Denn der Dienst als Seeoffizier galt für Söhne aus der Mittelschicht und aus verarmten Adelsfamilien damals als standesgemäße und gesellschaftlich angesehene Profession. Während Bligh in Plymouth aufwuchs, tobte von 1756 bis 1763 der Siebenjährige Krieg. Es war der wohl folgenreichste Konflikt des 18. Jahrhunderts und zugleich der erste weltumspannend ausgetragene Krieg europäischer Mächte. Während Preußen und Österreich in Europa um den Besitz Schlesiens kämpften, rangen Großbritannien und Frankreich um die Vorherrschaft in Indien, Nordamerika und der Karibik. Von Anfang an wurde der Siebenjährige Krieg auch auf See ausgefochten. Großbritanniens Stärke beruhte vor allem auf der Schlagkraft seiner Marine. Die Schiffe der Royal Navy segelten und kämpften im 18. Jahrhundert weltweit auf allen Meeren – in den europäischen Gewässern ebenso wie in Indien, Nordamerika und in der Karibik. Durch den Niedergang des spanischen Kolonialreichs war ein Machtvakuum entstanden, in das nun England und Frankreich drängten, die weltweit um die koloniale Vorherrschaft rangen. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts hatten die Briten ihre klassische Seekriegsstrategie entwickelt, nach der die Royal Navy die Aufgabe hatte, die britischen Inseln vor einer Invasion zu schützen und die Kontrolle über die Seewege zu erringen. Daher versuchten die britischen Kriegsschiffe, den Feind in seinen eigenen Häfen zu blockieren. Sollte der gegnerischen Flotte dennoch das Auslaufen gelingen, war es das Ziel der Royal Navy, diese so schnell wie möglich zur Schlacht zu stellen und zu vernichten. Demgegenüber war Frankreich in erster Linie eine Kontinentalmacht, weshalb die Franzosen ihre Marine als eine im Vergleich zu ihren Landstreitkräften zweitrangige Waffe betrachteten und folglich versuchten, ihre Kriege mit ihrem Heer an Land und nicht mit ihrer Flotte auf See zu gewinnen. Im Siebenjährigen Krieg stieg Großbritannien zur weltweit be-

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„Ein Gentleman zur See“

deutendsten See- und Kolonialmacht auf. In dem am 10. Februar 1763 geschlossenen Frieden von Paris verlor Frankreich Kanada, seine indischen Besitzungen mit Ausnahme von fünf Hafenplätzen, dazu die westindischen Inseln St. Vincent, Dominica und Tobago, während Spanien, das erst kurz vor Kriegsende auf der Seite Frankreichs in den Konflikt eingetreten war, ihre Kolonie Florida an die siegreichen Briten abtreten musste. Wenige Monate vor Ende des Siebenjährigen Kriegs, am 1. Juli 1762, wurde der damals siebenjährige William Bligh in die Musterrolle des mit 64 Kanonen bewaffneten Linienschiffs MONMOUTH eingetragen. Damit gehörte er offiziell zur Besatzung des Zweideckers, auch wenn er vermutlich nie einen Fuß an Bord setzte. Williams ältere Halbschwester Mary, Jane Blighs Tochter aus erster Ehe, war mit John Bond, dem Schiffsarzt der MONMOUTH, verheiratet. Er war es offenbar gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass Bligh auf die Mannschaftsliste des Schiffes gesetzt wurde. Dies war damals eine illegale, aber allgemein übliche Praxis, angehenden Marineoffizieren auf dem Papier zusätzliche Seefahrtszeit zu verschaffen, um eine spätere Beförderung zum Leutnant zur See zu beschleunigen. Seit dem 17. Jahrhundert war im Krieg zur See an die Stelle eines reinen Handelskriegs mehr und mehr der Kampf großer Flotten aus speziell erbauten, mit Kanonen bewaffneten Kriegsschiffen getreten. Im Laufe der Zeit hatten sich verschiedene Kriegsschiffstypen entwickelt, die für unterschiedliche Aufgaben eingesetzt wurden. Große Kriegsschiffe wie die MONMOUTH mit zwei oder drei Kanonendecks wurden als „Linienschiffe“ bezeichnet, da sie groß genug waren, um in der Schlachtlinie zu kämpfen. Indem sie im Gefecht hintereinander in Kiellinie segelten, konnten die Linienschiffe ihre Geschütze optimal einsetzen, ohne sich gegenseitig zu behindern. Die schnellen Fregatten besaßen dagegen nur ein Kanonendeck und wurden hauptsächlich für Aufklärungszwecke oder die Jagd auf feindliche Handelsschiffe eingesetzt. Kleiner als Fregatten waren die Korvetten, in der Royal Navy gewöhnlich als Sloops bezeichnet. Sie waren als Vollschiff oder Brigg getakelt und wurden ähnlich wie die Fregatten zur Aufklärung und im

E i n t r i t t i n d i e Roya l Nav y

Handelskrieg eingesetzt. Darüber hinaus gab es noch eine Vielzahl kleinerer Kriegsschiffe, wie Kanonenbriggs, Schoner, Kutter sowie bewaffnete Transportschiffe. Eine große Flotte wie die Royal Navy benötigte eine effektive Verwaltung. Die oberste Verwaltungs- und Kommandobehörde der Royal Navy war die Admiralität. Keine andere Marine, auch nicht die französische, verfügte über eine vergleichbare Institution. Im Admiralty Office in Whitehall, dem Herz und Hirn der britischen Marine, liefen alle Fäden zusammen. An der Spitze der Admiralität stand der Erste Lord oder Marineminister. Seine Position war sowohl administrativ als auch politisch. Er wurde vom Premierminister ernannt und war Mitglied des Kabinetts. Dennoch wurde der Posten des Ersten Lords oft mit einem Admiral besetzt, denn es war damals nicht ungewöhnlich, dass Marineoffiziere im Parlament saßen oder politische Ämter übernahmen. Neben der Admiralität existierten noch weitere Marinebehörden, darunter das Navy Board, in dessen Verantwortung alle technischen und finanziellen Angelegenheiten der Royal Navy fielen, das für die Versorgung mit Lebensmitteln zuständige Victualling Board, das für das Gesundheitswesen maßgebliche Sick and Hurt Board sowie das für die Bewaffnung verantwortliche Ordnance Board, das jedoch nicht der Admiralität unterstand, sondern eine eigenständige Behörde bildete.

Eintritt in die Royal Navy

Erst nach dem Tod seiner Mutter begann der 15-jährige William Bligh am 27. Juli 1770 an Bord der kleinen, mit zehn Kanonen bewaffneten Sloop HUNTER tatsächlich seinen Dienst in der Royal Navy. Weil es dort keine freie Stelle als Fähnrich zur See oder Midshipman gab, wurde er als Vollmatrose in die Musterrolle eingetragen. Da in der Royal Navy im 18. Jahrhundert noch keine formalisierte Offiziersausbildung existierte, besaßen die britischen Kriegsschiffskommandanten das Recht, selbst Offiziersanwärter an Bord zu nehmen. Die amtlich festgelegte Anzahl der Midshipmen an Bord eines Kriegsschiffs reichte von

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„Ein Gentleman zur See“

zwei an Bord einer kleinen Sloop bis zu 24 auf einem Linienschiff Erster Klasse. Allerdings war es nicht ungewöhnlich, dass Kommandanten über die offizielle Zahl von Midshipmen hinaus die Söhne von Freunden und Verwandten an Bord nahmen. Diese taten, wie im Falle Blighs, zwar Dienst als Offiziersanwärter, wurden aber in den Mannschaftslisten offiziell als Able Seaman oder „Vollmatrose“ geführt, bis sie offiziell auf die Position eines Midshipman aufrücken konnten. Wie die meisten Matrosen gingen auch die Midshipmen in der Regel im Alter von zehn bis 15 Jahren auf ihre erste Reise. Für die seemännische Ausbildung war es sicherlich von Vorteil, dass die Offiziersanwärter bereits als Jungen an Bord kamen, doch fehlte es ihnen aufgrund ihrer begrenzten Schulbildung häufig an den nötigen mathematischen Kenntnissen für die komplizierten navigatorischen Berechnungen. Wie die einfachen Seeleute erwarben auch die angehenden Marineoffiziere ihre beruflichen Kenntnisse in erster Linie durch praktische Erfahrung auf See. Sie wurden als Unteroffiziere eingesetzt und mussten bei den Segelmanövern nicht nur die Aufsicht führen, sondern auch an der Seite der Mannschaft arbeiten. Wie die übrigen Offizierswärter galt auch Bligh als „junger Gentleman“. Er wohnte in der Kadettenmesse und tat Dienst als Fähnrich zur See. Von den Eltern der Offiziersanwärter wurde erwartet, dass sie die notwendige Ausrüstung bezahlten und ihre Söhne auch finanziell unterstützten. Die Grundausstattung bestand unter anderem aus Uniformen, Bettzeug, Büchern und Navigationsinstrumenten; all das musste in eine Seekiste passen. Wie für die meisten Seeleute und Offiziersanwärter wird auch für William Bligh der Eintritt in die Royal Navy mit einem Schock verbunden gewesen sein. Unvermittelt wurde er mit einer neuen, fremden Lebensrealität konfrontiert. Oft werden die britischen Kriegsschiffe des 18. Jahrhunderts als schwimmende Hölle geschildert, bemannt von zum Dienst gezwungenen Seeleuten, die in ständiger Furcht vor ihren sadistischen Offizieren lebten. Obwohl dieses Bild stark überzeichnet ist, war das damalige Leben an Bord nach heutigen Maßstäben unvorstellbar hart. Der Seemannsberuf verlangte Kraft, Wider-

Die Hierarchie an Bord

standsfähigkeit und eine eiserne Konstitution. Der Tod war auf See ein ständiger Begleiter, und selbst in Kriegszeiten starben mehr Seeleute an Krankheiten und Unfällen als im Gefecht.

Die Hierarchie an Bord

An der Spitze der Bordhierarchie stand der Kommandant. Auch auf Handelsschiffen gab es eine klare Befehlsstruktur mit dem Kapitän an der Spitze, obgleich hier die Disziplin meist weniger streng gehandhabt wurde. Große Kriegsschiffe, wie Linienschiffe und Fregatten, wurden von Offizieren im Range eines Post Captains (deutsch Kapitän zur See), kleinere Kriegsschiffe wie Korvetten hingegen von Commandern (deutsch Korvettenkapitän) befehligt, während die kleinsten Schiffe, zum Beispiel Kanonenbriggs oder bewaffnete Transportschiffe, unter dem Kommando eines Leutnants standen. Der Kommandant eines Kriegsschiffs besaß eine fast unumschränkte Kommando- und Strafgewalt über seine Männer. Es lag in der Macht des Kommandanten, ein glückliches Schiff oder eine schwimmende Hölle zu schaffen. Er allein entschied, ob er sein Schiff milde oder streng führte, ob er mit der Peitsche oder durch sein Vorbild an Bord regierte. Die strenge Disziplin an Bord britischer Kriegsschiffe war nicht allein aus militärischen Gründen, sondern vor allem aufgrund der ständigen Auseinandersetzung mit den Naturgewalten erforderlich. Auf See können Notsituationen jederzeit und völlig unerwartet auftreten. Die sichere Beherrschung eines Segelschiffs setzte daher ein hohes Maß an Organisation und das koordinierte Handeln aller Besatzungsmitglieder voraus. Die rechtliche Grundlage der Disziplin in der Royal Navy bildeten die sogenannten Kriegsartikel, englisch: Articles of War. Viele Bestimmungen sahen als einzige Strafe den Tod vor – doch das galt auch für die damaligen Strafgesetze an Land. Während bei schweren Straftaten, wie Desertion oder Meuterei, ein Kriegsgericht zuständig war, wurden kleinere Delikte wie Nachlässigkeit oder Trunkenheit im Dienst ohne Gerichtsverfahren durch den Kommandanten geahn-

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„Ein Gentleman zur See“

det. Bei geringfügigen Verfehlungen wurden Strafarbeiten oder der Entzug der täglichen Rumration verhängt, bei schwereren Vergehen die Matrosen mit der „neunschwänzigen Katze“ ausgepeitscht. Offiziell durfte ein Kommandant ohne ein Kriegsgerichtsurteil höchstens zwölf Peitschenhiebe verhängen, doch wurde diese Vorschrift regelmäßig missachtet. Bei der Führung des Schiffs wurde der Kommandant von seinen Offizieren unterstützt. Sie standen im Rang eines Leutnants und waren durch ein königliches Patent bestallt. Zu ihren Aufgaben gehörte in erster Linie das Wachegehen; zugleich überwachten sie die Ausführung der Segelmanöver und führten im Gefecht den Befehl auf den Geschützdecks. Im Idealfall verband Offiziere und Mannschaft ein auf gegenseitigem Respekt basierendes Vertrauensverhältnis. Gute Offiziere behandelten die ihnen unterstellten Seeleute anständig und sorgten sich um ihr Wohl, denn ohne die Kooperation der Matrosen konnten sie das Schiff nicht führen. Nur schlechte Offiziere schikanierten und tyrannisierten die Matrosen. Verstieß ein Offizier gegen den Verhaltenskodex oder drangsalierte er die Mannschaft über ein tolerierbares Maß hinaus, wurde er von seinen Kameraden sozial geächtet oder von seinen Vorgesetzten aus dem Dienst entfernt. Ein Seeoffizier musste in erster Linie ein fähiger Seemann sein. Aus diesem Grund war seit 1677 für die Beförderung zum Leutnant ein mündliches Examen in Navigation und Seemannschaft vorgeschrieben. Die Kandidaten mussten 20 Jahre alt sein und sechs Jahre Seedienstzeit als Offiziersanwärter nachweisen können. Mehr als andere Institutionen in jener Zeit belohnte die Marine Verdienst und Leistung. Grundlage für eine erfolgreiche Offizierskarriere war professionelles Können. Doch für den Aufstieg in die höheren Dienstränge war neben Glück und der Fähigkeit, Gefechte und Krankheiten zu überleben, die Unterstützung durch hochgestellte Förderer innerhalb und außerhalb der Marine die wichtigste Voraussetzung. Ohne Patronage hatten auch tüchtige Offiziere nur wenig Aussicht auf einen raschen Aufstieg und warteten oft genug vergeblich auf eine Beförde-

Die Hierarchie an Bord

rung. Wie die englische Gesellschaft an Land, war auch die Royal Navy damals von einem komplizierten Geflecht gegenseitiger Beziehungen durchzogen, wobei aber zumeist darauf geachtet wurde, nur geeignete Kandidaten zu fördern, um das eigene Ansehen innerhalb des Seeoffizierskorps nicht zu gefährden. Diese eng gewobenen Patronageseilschaften umfassten Offiziere, Deckoffiziere und sogar einfache Matrosen, die für ihre Treue mit Beförderungen und Dienstposten belohnt wurden. Obgleich die Besatzung eines Kriegsschiffs auf engstem Raum zusammenlebte, existierten zwischen Seeoffizieren und Matrosen deutliche soziale Schranken, deren Überschreiten nur in wenigen Fällen möglich war. Während die Offiziere meist aus dem Adel oder dem Bürgertum stammten, waren die einfachen Seeleute in der Regel Angehörige der ländlichen und städtischen Unterschichten. Der Aufstieg zum Deckoffizier oder Warrant Officer bot aber auch den einfachen Seeleuten gewisse Karrierechancen. Die Deckoffiziere standen im Rang zwischen den Seeoffizieren und den Unteroffizieren. Als erfahrene Fachleute bildeten sie das Rückgrat der Besatzung eines jeden Kriegsschiffs. Im Gegensatz zu den Seeoffizieren erhielten die Deckoffiziere ihre Ernennung jedoch nicht durch ein königliches Patent, sondern durch eine als Warrant bezeichnete Bestallung des Navy Board, der Marineverwaltung. Der höchste Deckoffizier an Bord war der Sailing Master. Als Navigationsoffizier des Schiffs musste er ein tüchtiger Seemann und Nautiker sein. Sein Status und sein Sold entsprachen dem eines Leutnants. Häufig hatten sich die Master bereits als Kapitän oder Steuermann in der Handelsschifffahrt bewährt, bevor sie in den Dienst der Royal Navy getreten waren. Einen deutlich geringeren Rang besaßen die Handwerker unter den Deckoffizieren, wie Bootsmann, Kanonier und Zimmermann, die sich meist aus dem Mannschaftsstand hochgedient hatten. In Friedenszeiten bestanden die Mannschaften der britischen Kriegsschiffe durchweg aus Freiwilligen. In Kriegszeiten, wenn Hunderte von Kriegsschiffen bemannt werden mussten, reichte die Zahl

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„Ein Gentleman zur See“

der Freiwilligen bei weitem nicht aus, sodass meist keine andere Wahl blieb, als Seeleute zu „pressen“, also zum Dienst in der Royal Navy zu zwingen. Laut Gesetz durften nur Seeleute zum Marinedienst zwangsverpflichtet werden. Vom Pressen ausgenommen waren alle Nicht-Seeleute sowie Jungen unter 18 Jahren und Männer über 55 Jahren, ebenso wie Fischer, Lotsen, Offiziere und Kapitäne von Handelsschiffen oder Männer, die einen Schutzbrief, englisch Protection, besaßen. Eine extreme Maßnahme in Zeiten höchster Not war die hot press, bei der die Presspatrouillen wahllos alle Seeleute aufgriffen, deren sie habhaft werden konnten, egal ob sie einen Schutzbrief hatten oder nicht.

Der Alltag an Bord

Das Leben an Bord folgte eigenen Gesetzen. Der Tag an Bord begann nicht um Mitternacht, wie an Land, sondern mit der Messung der Sonnenhöhe um 12 Uhr Mittags. Auf einem Kriegsschiff dauerte der Dienst rund um die Uhr. Tag und Nacht mussten die Segel bedient, Wind und Wetter beobachtet und der Schiffsbetrieb koordiniert werden. Die Mannschaft war dabei in zwei oder drei Wachen eingeteilt, die abwechselnd Dienst taten; eine Wache dauerte in der Regel jeweils vier Stunden. Die strikte Hierarchie an Bord machte sich auch in der Unterbringung bemerkbar. So wohnte der Kommandant achtern vergleichsweise komfortabel in einer großen Kajüte, die sich quer über die Schiffsbreite erstreckte. Die Offiziere und Deckoffiziere waren dagegen in kleinen, durch dünne Segeltuch- oder Holzwände abgeteilten Kammern untergebracht, die trotz ihrer Enge ein Mindestmaß an Privatsphäre gewährten – ein Luxus an Bord eines überfüllten Kriegsschiffs. Die einfachen Seeleute wiederum hausten auf den unteren Decks in qualvoller Enge. Sie schliefen in Hängematten, die so dicht hingen, dass jedem Mann nur ein etwa 60 Zentimeter breiter Raum blieb. Menschliche Ausdünstungen und der aufsteigende Gestank der Bilge verpesteten die Luft, und auch die hygienischen Zustände waren

Der Alltag an Bord

nach heutigen Maßstäben katastrophal; angesichts der eng bemessenen Frischwasservorräte blieb für Körper- und Kleidungswäsche nicht viel übrig. Mit erstaunlicher Anpassungsfähigkeit arrangierten sich die Seeleute mit den harten Lebensbedingungen an Bord. Ohnehin dürfte es den ärmeren Bevölkerungsschichten im damaligen England an Land noch schlechter gegangen sein als an Bord eines Kriegsschiffs. Immerhin erhielten die Besatzungen der Royal Navy regelmäßige Mahlzeiten. Zu den wichtigsten Lebensmitteln an Bord gehörte der Schiffszwieback – trockene, harte Teigplätzchen, die trotz sorgfältiger Lagerung häufig von Ungeziefer befallen wurden, weshalb die Seeleute vor dem Verzehr Maden und Würmer vorsichtig herausklopfen mussten. Weitere Grundnahrungsmittel waren Hülsenfrüchte, wie Erbsen und Bohnen, die sich durch Trocknen gut haltbar machen ließen, sowie eingepökeltes Fleisch. Obgleich die Qualität der Nahrung oft fragwürdig und die Auswahl eintönig und wenig schmackhaft war, kam die Verpflegung an Bord einer ausgewogenen Ernährung wesentlich näher als das, was die meisten Menschen an Land zu essen bekamen. Die Nahrungsmittel konnten oftmals nur mit Hilfe von Salz konserviert werden, und so stieg das Verlangen nach Trinkbarem. Weil das Wasser relativ schnell in den Holzfässern zu faulen begann, waren Bier und Wein oftmals die wichtigsten Getränke an Bord. In der Royal Navy stand jedem Seemann eine Gallone Bier pro Tag zu. Gab es kein Bier, wurde stattdessen Rum, das „Blut der Royal Navy“, mit Wasser verdünnt als sogenannter „Grog“ ausgegeben. Natürlich diente der Alkohol auch als Rauschmittel. Nicht selten gab es Probleme mit betrunkenen Seeleuten. Auf vielen Schiffen der britischen Flotte galt ein Matrose erst als echter Seemann, wenn er mindestens einmal volltrunken gewesen war. Im Februar 1771 wurde Bligh offiziell zum Midshipman ernannt. Im September des gleichen Jahres wechselte er auf die mit 32 Geschützen bestückte Fregatte CRESCENT, auf der er die folgenden drei Jahre als Fähnrich zur See diente. An Bord der CRESCENT lernte er Navigation und Seemannschaft sowie Westindien und die heimi-

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„Ein Gentleman zur See“

schen Gewässer kennen. Im September 1774 wechselte Bligh auf die kleine, mit acht Kanonen bewaffnete Sloop RANGER. Hier wurde er erneut als Vollmatrose in die Mannschaftsliste eingetragen, tat jedoch Dienst als Offiziersanwärter. An Bord der RANGER, die in der Irischen See Jagd auf Schmuggler machte, kam Bligh 1775 das erste Mal auf die Isle of Man. Erst zehn Jahre zuvor war die zwischen Irland und England gelegene Insel unter die Hoheit des britischen Königs gekommen. 1765 hatten die Herzöge von Atholl ihre Souveränitätsrechte an die britische Krone verkauft. Bis heute gehört die Insel zum Herrschaftsbereich der britischen Königin, ohne staatsrechtlich Teil Großbritanniens zu sein. Auf der Isle of Man lernte Bligh die damals 20-jährige Elizabeth Betham kennen. Sie stammte aus einer wohlhabenden Familie. Ebenso wie Blighs Vater war auch ihr Vater, Richard Betham, Zolloffizier. Er stammte aus Glasgow, hatte eine gute Bildung genossen und war den Ideen der schottischen Aufklärung verbunden; unter anderem gehörten die schottischen Philosophen David Hume und Adam Smith zu den Freunden der Familie. Elizabeth war gebildet, charmant, lebhaft und attraktiv, aber keine Schönheit. Auch sie interessierte sich für die Ideen der schottischen Aufklärer, ebenso wie für Naturwissenschaft und Kunst. Offenbar gefiel Elizabeth und ihren Eltern der junge, naturwissenschaftlich gebildete Seemann. Der Kontakt zwischen Bligh und Elizabeth blieb bestehen, auch nachdem er die Isle of Man wieder verlassen hatte. Obgleich William Bligh ein tüchtiger Seemann war, geriet seine Karriere in eine Sackgasse. 1774 war er 20 Jahre alt geworden, verfügte über die erforderlichen sechs Jahre Seedienstzeit sowie über eine ausreichende seemännische Erfahrung, sodass er sich zur Leutnantsprüfung hätte melden können, was er jedoch aus unbekannten Gründen nicht tat. Ohnehin war mit dem Bestehen der Prüfung allein der Schritt in die Offiziersmesse noch nicht geschafft. Zunächst musste der examinierte Offizierskandidat eine freie Leutnantsstelle auf einem Schiff finden; erst dann konnte das Offizierspatent ausgestellt werden. In Friedenszeiten, wenn nur wenige Schiffe in Dienst gestellt

Der Alltag an Bord

waren, konnte sich die Suche nach einer freien Leutnantsstelle ohne Patronage als äußerst schwierig erweisen. Trotz seiner offenkundigen Begabung schaffte Bligh den Sprung zum Leutnant nicht. Anscheinend besaß er keine hochgestellten Gönner, die wohlwollend über seinen Aufstieg wachten. Auch sein Cousin dritten Grades, Richard Rodney Bligh, der zu diesem Zeitpunkt bereits Leutnant war, unterstützte seinen jüngeren Verwandten bei seinem Bemühen um ein Offizierspatent anscheinend nicht. Stattdessen tauchte William Bligh plötzlich als Sailing Master des von dem berühmten Entdecker James Cook befehligten Expeditionsschiffs RESOLUTION auf, das gerade für dessen dritte Reise ausgerüstet wurde.

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„Ein guter Ankerplatz“ Mit James Cook auf der RESOLUTION

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m 17. März 1776 wurde William Bligh offiziell zum Sailing Master der RESOLUTION ernannt. Warum James

Cook für diesen wichtigen Posten ausgerechnet den erst 22-jährigen Bligh auswählte, ist unbekannt. Cook muss entweder eine hohe Meinung von ihm gehabt oder aber dieser muss über außergewöhnlich gute Referenzen verfügt haben. Offenbar besaß Bligh trotz seiner jungen Jahre bereits den Ruf eines tüchtigen Seemanns und Navigators, denn ohne einen Nachweis seiner Befähigung hätte ihn Cook sicherlich nicht akzeptiert. Aber auch Blighs Entscheidung, die Stelle eines Steuermannes unter Cook zu akzeptieren, war ungewöhnlich. Obgleich er für die Navigation des Schiffes verantwortlich war, gehörte der Sailing Master lediglich zu den Deckoffizieren. Er stand in der Hierarchie unter einem Leutnant und hatte auch nicht die Möglichkeit, zum Kapitän zur See befördert zu werden. Möglicherweise war für Bligh die Aussicht verlockend, unter dem berühmtesten Entdecker seiner Zeit zu dienen. Ein weiterer Grund mögen die schlechten Beförderungsaussichten in Friedenszeiten gewesen sein. Das Risiko einer Karrieresackgasse war in Blighs Augen offenbar gering; sollte er seine Sache gut machen, konnte er damit rechnen, dass ihm Cooks Unterstützung die gewünschte Ernennung zum Leutnant einbringen würde. Vermutlich aus diesem Grund meldete sich William Bligh nun zur Offiziersprüfung. Kurz bevor die RESOLUTION England verließ, legte er am 1. Mai 1776 sein Leutnants-

examen ab.

Nav i g ato r u n d Wi s s e n s c h a f t l e r : Ja m e s C o o k

Navigator und Wissenschaftler: James Cook

James Cook ist das wohl berühmteste Beispiel für einen Aufstieg vom einfachen Matrosen zum Kapitän in der Royal Navy. Seine spektakuläre Karriere war außergewöhnlich und in erster Linie seinen überragenden Talenten als Navigator und Wissenschaftler geschuldet. Cook war am 27. Oktober 1728 als zweites von acht Kindern im Dorf Marton-in-Cleveland in Yorkshire geboren worden. Sein Vater hatte sich vom Landarbeiter zum Gutsverwalter emporgearbeitet. Mit 17 Jahren wurde Cook bei einem Kaufmann in die Lehre gegeben. Doch als er nach anderthalb Jahren beschloss, Seemann zu werden, sorgte sein Lehrherr großzügig dafür, dass er von dem Reeder John Walker aus Whitby als Schiffsjunge angenommen wurde. Whitby war damals das Zentrum des englischen Kohlentransports. Von der kleinen Hafenstadt aus versorgten die langsamen, aber seetüchtigen Kohlenschiffe die britische Hauptstadt London mit dem dringend benötigten Brennstoff. An Bord dieser Kohletransporter wurde James Cook in den folgenden zehn Jahren zu einem erfahrenen Seemann. Als ihm Walker im Sommer 1755 das Kommando über eines seiner Kohleschiffe anbot, lehnte Cook dankend ab. Stattdessen meldete er sich freiwillig für den Dienst in der Royal Navy. Dank seiner Fähigkeiten als Nautiker stieg James Cook in der britischen Marine rasch vom einfachen Seemann zum Sailing Master auf. Nach dem Ende des Siebenjährigen Kriegs hatten England und Frankreich ihre Rivalität zur See zeitweilig von der militärischen Auseinandersetzung auf einen friedlichen Wettstreit bei der Erforschung der Meere verlagert. Dabei ging es nicht allein um neue wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch um handfeste ökonomische und strategische Interessen. Seefahrer wie Louis-Antoine de Bougainville (1729–1811), der von 1766 bis 1769 die erste französische Erdumsegelung unternahm, oder Samuel Wallis (1728–1795), der mit der Fregatte DOLPHIN von 1766 bis 1768 im Pazifik nach dem legendären Südkontinent gesucht hatte, stießen in die damals noch unbekannte

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Welt des Pazifik vor und revolutionierten mit ihren Erkenntnissen die Vorstellung von der Erde. Als die Royal Academy, die britische Akademie der Wissenschaften, die Marine im Jahre 1768 bat, eine Forschungsreise zur Pazifikinsel Tahiti auszurüsten, um den Durchgang des Planeten Venus vor der Sonne zu beobachten, wurde Cook aufgrund seines guten Rufes als Nautiker und Kartograph zum Leutnant befördert und zum Kommandanten des Expeditionsschiffs ENDEAVOUR ernannt. Bewusst hatte Cook einen ehemaligen Kohlefrachter für die Reise ausgewählt, denn er hatte in den rauen Gewässern der Nordsee die Robustheit und Seetüchtigkeit dieser langsamen, aber stabilen Schiffe schätzen gelernt. Doch nicht nur das Ziel der Reise der ENDEAVOUR, auch die Fahrt selbst diente der Wissenschaft. An Bord waren neuartige Lebensmittel wie Sauerkraut, Zitronensaftkonzentrat und Malzextrakt, von denen man hoffte, dass sie den Ausbruch des Skorbut verhindern würden – der Vitamin-C-Mangelkrankheit, die durch das Fehlen frischer Nahrungsmittel auf langen Seereisen hervorgerufen wurde. Jahrhundertelang galt der Skorbut als die Geißel der Seefahrer. Durch die regelmäßige Ausgabe von Sauerkraut gelang es Cook, den Ausbruch der Krankheit zu verhindern. Während seiner drei Reisen verlor Cook nicht einen Mann durch Skorbut, was dazu führte, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts dem Skorbut vorbeugende Lebensmittel wie Sauerkraut oder Zitrusfrüchte in der Royal Navy zur Standardverpflegung gehörten. Mit an Bord der ENDEAVOUR war auch eine Gruppe Wissenschaftler unter der Leitung des erst 25-jährigen Joseph Banks, eines wohlhabenden und hochbegabten Amateurforschers. Nach einer fast dreijährigen Weltumsegelung traf die ENDEAVOUR im Juli 1771 wieder in England ein. Cooks Entdeckungen wurden in England begeistert aufgenommen; König Georg III. beförderte Cook zur Belohnung zum Commander. Vor allem die Berichte über die Inseln der Südsee faszinierten viele Menschen, die in der polynesischen Kultur das Traumbild des von der westlichen Zivilisation unverdorbenen „edlen Wilden“ entdeckt zu haben glaubten.

Nav i g ato r u n d Wi s s e n s c h a f t l e r : Ja m e s C o o k

Cooks Schiffe in der Matavai-Bucht auf Tahiti vor Anker liegend

Cooks zweite Expedition dauerte vom 1772 bis 1775 und markierte den Beginn der wissenschaftlichen Erforschung der Antarktis. Cook befehligte die RESOLUTION, wie die ENDEAVOUR ein ehemaliger Kohlefrachter, während das kleinere Begleitschiff ADVENTURE von Tobias Furneaux kommandiert wurde. Mit an Bord war auch eine revolutionäre navigatorische Neuerung: der von John Harrison (1693–1776) konstruierte „Chronometer“, die erste Uhr, die auch unter den extremsten Bedingungen so exakt ging, dass man den Längengrad und damit die Position des Schiffs mit großer, bis dahin unbekannter Präzision bestimmen konnte. Lange war die Navigation weniger eine Wissenschaft als eine Kunst gewesen, die mehr auf Mutmaßungen als auf Wissen über die genaue Schiffsposition beruhte. Nur in Küstennähe war durch Loten oder die Standortbestimmung mit Hilfe von Landmarken ein relativ sicheres Navigieren möglich. Auf hoher See war die Navigation we-

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sentlich schwieriger. Zwar konnte man den Breitengrad bereits annähernd genau berechnen; doch da das Problem der Längengradbestimmung noch nicht gelöst war, erfolgte die Ortsbestimmung auf hoher See meist durch Schätzung des Schiffsstandortes auf der Basis von Kurs und Segelgeschwindigkeit, was jedoch oft zu erheblichen Fehlkalkulationen führte. Schiffbrüche durch mangelhafte Navigation waren damals beinahe an der Tagesordnung. Erst Harrisons Erfindung ermöglichte eine vergleichsweise unkomplizierte Längenbestimmung durch den Abgleich der Ortszeit mit der Zeit eines geographisch bekannten Referenzortes, wie beispielsweise Greenwich. Bei dem Chronometer an Bord der RESOLUTION handelte es sich um eine von dem Uhrmacher Larcum Kendall angefertigte exakte Kopie der „H4“ – der bahnbrechenden Konstruktion von Harrison. Der erfahrene Navigator Cook war zunächst skeptisch gewesen, doch ließ er sich bald von der neuen Methode überzeugen. In seinem Logbuch nannte er die von Kendall gebaute Uhr seinen „nie versagenden Führer“. Fortan war eine präzise Zeitmessung und damit eine genaue Längenbestimmung auf See möglich. Bereits um 1800 waren Chronometer auf britischen Kriegs- und Handelsschiffen recht weit verbreitet. Nach der Rückkehr von seiner zweiten Reise wurde Cook zum Kapitän zur See befördert und in Anerkennung seiner außergewöhnlichen wissenschaftlichen Leistungen zum Mitglied der Royal Society gewählt. Cooks Reisen hatten den Traum von einem unbekannten, reichen Kontinent im Südpazifik endgültig zerplatzen lassen. Doch gab es noch die Hoffnung, die legendäre Nordwestpassage zu finden, einen neuen Seeweg, der im Norden Nordamerikas den Atlantik mit dem Pazifik verbinden sollte.

An Bord der RESOLUTION

Am 12. Juli 1776 stach James Cook mit der RESOLUTION von Plymouth aus erneut in See. Sie wurde diesmal von der DISCOVERY begleitet, ebenfalls ein ehemaliger Kohletransporter. Kommandant der

A n B o r d d e r D I S C OV E RY

DISCOVERY war Kapitän Charles Clerke, der bereits als Steuermanns-

maat und später als Leutnant an Cooks ersten beiden Fahrten teilgenommen hatte. Als Navigationsoffizier gehörte William Bligh zu Cooks engsten Mitarbeitern. Für einen so jungen und vergleichsweise unerfahrenen Mann wie ihn war es eine echte Herausforderung, unter einem so brillanten Nautiker zu dienen. Bligh war von mittlerer Größe, hatte schwarzes Haar und besaß eine auffällig helle Gesichtsfarbe. Auch auf seinen späteren Porträts macht Bligh nicht den typischen Eindruck eines wettergegerbten Seemanns. Blighs eigene Aufzeichnungen über Cooks dritte Reise sind leider verschollen, sodass über seine Rolle an Bord nur wenig bekannt ist. Er galt auf der RESOLUTION als tüchtiger und energischer Offizier, wenn auch mit einer Neigung zum Jähzorn. Bligh hasste Unachtsamkeit, Trägheit und Nachlässigkeit. Lob hörte man von ihm selten. Ebenso lernte er nie, dass man sich nicht viele Freunde macht, indem man flucht und schimpft. Mit Leutnant John Gore, dem Ersten Offizier der RESOLUTION, verstand er sich nicht sonderlich gut, ebenso wenig mit dem Zweiten Offizier, Leutnant James King, den er für einen „aufgeblasenen Wichtigtuer“ hielt. Zu Blighs Freunden gehörte dagegen Leutnant James Burney, der Erste Offizier der DISCOVERY, der nach Cooks Tod auf die RESOLUTION überwechselte. Ihre freundschaftliche Verbindung überdauerte offenkundig das Ende der Reise der RESOLUTION, denn 1792 gab Burney Blighs Bericht über die Reise der BOUNTY heraus. Mit dem Midshipman James Trevenen verstand sich Bligh allem Anschein nach ebenfalls gut. Aber auch Cook besaß offenbar eine hohe Meinung von Bligh, der sich schon bald als exzellenter Seemann, ausgezeichneter Navigator und hervorragender Kartograph erwiesen hatte. Cook erwähnt ihn des Öfteren in seinem Logbuch. Waren schwierige Gewässer zu vermessen oder musste ein sicherer Ankergrund gefunden werden, schickte er häufig seinen jungen Master. Ebenso betraute Cook seinen jungen Navigationsoffizier regelmäßig mit dem „Anfertigen von Seekarten“ und dem „Zeichnen von Plänen von […] Buchten und Häfen“.

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Von Tasmanien bis Alaska vermaß und zeichnete Bligh zahllose Buchten, Küstenlinien und Landschaften. In den Karten finden sich die Spuren seiner unermüdlichen Tätigkeit in Namen wie „Bligh-Kap“ auf den Kerguelen-Inseln im Südindischen Ozean oder „Bligh-Insel“ im Nootka-Sund an der kanadischen Westküste. Die von ihm gefertigten Karten waren detailliert und von großer Genauigkeit. Wie Cook war Bligh auf diesem Gebiet Autodidakt, was seine Leistung umso bewundernswerter macht. Schon bald nahm Cook den jungen Steuermann unter seine Fittiche. Zugleich wurde Cook zu Blighs großem und bewundertem Vorbild. Zwischen dem damals 50-jährigen Entdecker und seinem 25-jährigen Navigationsoffizier bestand ein so enges und vertrauensvolles Verhältnis, dass die Tahitianer sie für Vater und Sohn hielten. Wie Cook achtete auch Bligh auf strikte Disziplin. Für beide stand die Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben an oberster Stelle. Auch sonst waren sie sich sehr ähnlich. So beschränkten sich ihre gemeinsamen Interessen nicht allein auf Navigation und Seemannschaft. Wie sein Vorbild besaß Bligh eine große wissenschaftliche Neugier und richtete sein Augenmerk auf die unterschiedlichsten Forschungsgebiete, darunter Völkerkunde, Botanik und Astronomie. Unter der Anleitung Cooks vervollkommnete Bligh aber nicht nur seine Fähigkeiten als Navigator, Wissenschaftler und Kartograph, sondern lernte auch viel über dessen Methoden bei der Führung des Schiffes. Cook wusste, dass der Erfolg einer Reise nicht nur von guter Seemannschaft und exakter Navigation abhing. Auch die Mannschaft bedurfte der Fürsorge sowie regelmäßiger und intensiver Aufmerksamkeit. Cook hielt an Bord strenge Disziplin, doch war er im Gegensatz zu manch anderem Kommandanten der Royal Navy kein tyrannischer Schinder. Obgleich er nicht vor dem Einsatz der Peitsche zurückscheute, achteten ihn die Männer für seine Bemühungen um ihr Wohlergehen. Zugleich unternahm Cook große Anstrengungen, um seine Besatzung bei guter Gesundheit zu erhalten. Er hatte nicht nur Sauerkraut und Zitronensaft gegen den gefürchteten Skorbut an Bord, sondern achtete ebenso darauf, dass die Seeleute sich und ihre Kleider

C o o k s To d

regelmäßig wuschen. Zudem ließ er die Seeleute auf dem Oberdeck tanzen, damit sie sich körperlich fit und bei Kräften hielten. Dies und vieles andere machte sich Bligh zu eigen.

Cooks Tod

Von Anfang an stand Cooks dritte Reise unter keinem guten Stern: Schäden am Schiff und an der Takelage, die auf mangelhafte Werftarbeit in England zurückzuführen waren, verzögerten die Fahrt. Erst im August 1777 erreichten die RESOLUTION und die DISCOVERY die Insel Tahiti. Da es zu spät war, um noch im selben Jahr die nordamerikanische Pazifikküste zu erkunden, ging Cook im Pazifik auf Entdeckungsreise. Im Januar 1778 sichteten die beiden Schiffe die HawaiiInseln. Die RESOLUTION und die DISCOVERY blieben aber nur kurz, um ihre Vorräte zu ergänzen. Bereits am 2. Februar 1778 verließ Cook Hawaii wieder, um nach der Nordwestpassage zu suchen. Gut einen Monat später, am 6. März, sichtete der Ausguck die nordamerikanische Küste, doch aufgrund des schlechten Wetters konnte Cook erst Ende April mit der Erkundung der Küste beginnen. Am 9. August 1778 erreichten die RESOLUTION und die DISCOVERY die Beringstraße, wo ihnen aber eine Eisbarriere die Weiterfahrt verwehrte. Um die Schiffe zu überholen und seinen Männern ein wenig Ruhe zu gönnen, beschloss Cook, zu den Hawaii-Inseln zurückzukehren. Als Ausgangspunkt für weitere Erkundungen benötigten die Schiffe einen sicheren Ankerplatz. Cooks Wahl fiel schließlich auf die Kealakekua-Bucht im Westen Hawaiis. Am 16. Januar 1779 schrieb Cook in sein Journal: „Am Abend kehrte Mr. Bligh zurück und berichtete, er habe eine Bucht gefunden, die einen guten Ankerplatz bietet und einen einigermaßen leichten Zugang zu Frischwasser.“ Es war sein letzter Logbucheintrag vor seinem Tod. Am 17. Januar 1779 gingen die RESOLUTION und die DISCOVERY in der Kealakekua-Bucht vor Anker. Der Empfang durch die

Hawaiianer war überwältigend. Sie glaubten, Cook sei niemand anderer als ihr Gott Lono, der mit seinen magischen Kanus über das

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Meer gekommen war. Allerdings verstanden die Hawaiianer nicht, weshalb Lono und seine Männer so geizig mit Geschenken waren – vor allem mit Gegenständen aus Eisen, die auf den polynesischen Inseln, wo Metall unbekannt war, großen Wert besaßen. Und so nahmen sich die Hawaiianer, was sie nicht geschenkt bekamen. Sie schwammen nachts hinaus, um die Nägel aus den Schiffsrümpfen zu ziehen. Doch auch diese Diebstahlversuche konnten die Freundschaft zwischen Briten und Hawaiianern nicht ernsthaft trüben. Nachdem die englischen Seeleute die Schiffe überholt hatten, verließen die RESOLUTION und die DISCOVERY am 4. Februar 1779 die gastliche Insel. Doch schon wenig später tauchten die Schiffe erneut in der KealakekuaBucht auf. Drei Tage nach dem Auslaufen war in einem Sturm der Fockmast der RESOLUTION gebrochen. Die Hawaiianer waren von Cooks Rückkehr alles andere als begeistert. Bei ihrem ersten Besuch hatten die englischen Seeleute fast die gesamten Vorräte der Insulaner verbraucht. Zugleich fühlten sich die Hawaiianer betrogen. Anfänglich hatten sie Cook und seine Männer für Götter gehalten, doch mit der Zeit hatte sich gezeigt, dass auch sie nur gewöhnliche Sterbliche waren. Rasch bemerkten die Briten die veränderte Stimmung: Die an Land arbeitenden Männer wurden mit Steinen beworfen, und auch die Zahl der Diebstähle nahm zu. Cook war angesichts des veränderten Verhaltens der Hawaiianer ratlos. Trotz seines aufrichtigen Interesses und seiner umfangreichen ethnologischen Beobachtungen war ihm ein tieferer Einblick in diese den Europäern so fremde Denk- und Lebensweise verwehrt geblieben. Auch nach zehn Jahren intensiver Erforschung des Pazifiks berührten seine Kenntnisse der polynesischen Kultur und Denkweise nicht viel mehr als die Oberfläche. Als Cook am Morgen des 14. Februar 1779 gemeldet wurde, dass die Eingeborenen während der Nacht ein Boot gestohlen hätten, war seine Geduld erschöpft. Er beschloss, einen der Häuptlinge als Geisel zu nehmen, um auf diese Weise die Rückgabe des Bootes zu erpressen. Auch einem Kampf wollte er nicht aus dem Wege gehen. Er befahl Bligh, mit vier Booten den Zugang zur Bucht abzuriegeln. Sollten

C o o k s To d

Eingeborene versuchten, die Sperre zu durchbrechen, hatte Bligh die Erlaubnis, dies notfalls auch mit Waffengewalt zu unterbinden. Die Situation war brisant, die Nerven der englischen Seeleute zum Zerreißen gespannt. Und so kam es, wie es kommen musste. Als sich ein Kanu den Booten näherte, folgte Bligh Cooks Befehl und ließ auf die Hawaiianer schießen. Auch die anderen Boote eröffneten das Feuer; mehrere Insulaner wurden getötet. Unterdessen war Cook in Begleitung einiger Seesoldaten unter Führung ihres kommandierenden Offiziers, des Leutnants der Marineinfanterie Molesworth Phillips, an Land gegangen. Er war mit einer zweiläufigen Muskete bewaffnet, deren einen Lauf er mit Schrot, den anderen mit einer Kugel geladen hatte. Zunächst sah es so aus, als ob Cooks Plan glücken würde. Er war bereits in Begleitung des Häuptlings Kalei'opu'u auf dem Weg zum Strand, als ihm plötzlich ein bewaffneter Krieger den Weg versperrte. Cook feuerte zur Warnung die Schrotkugeln ab, die den Mann aber kaum verletzen konnten. Als die Hawaiianer daraufhin angriffen, flohen die Marineinfanteristen, gefolgt von ihrem Sergeant und Leutnant Phillips, zum Boot und ließen Cook allein am Strand zurück, wo er von den Insulanern erschlagen wurde. Auch der bei allen an Bord verhasste Dritte Offizier der RESOLUTION, Leutnant John Williamson, dem Cook befohlen hatte, ihn

mit seinem Boot zu begleiten, ließ seinen Kommandanten im Stich. Statt diesem zu Hilfe zu eilen, entfernte er sich mit seinem Boot vom Ufer und verbot seinen Männern überdies, ihren bedrängten Kameraden mit ihren Musketen Feuerschutz zu geben. So starb der große Entdecker. In nur elf Jahren hatte James Cook auf seinen drei Forschungsreisen das Bild von der Welt um das östliche Australien, Neuseeland, unzählige südpazifische Inseln und die Küste Alaskas erweitert. Bis heute gilt James Cook zu Recht als einer der größten Seefahrer aller Zeiten. Für Bligh war Cooks Tod ein schwerer Schlag und brannte sich tief in seine Seele ein. Er hatte nicht nur einen väterlichen Freund, sondern auch seinen wichtigsten Förderer verloren. In Blighs Augen war Leutnant Molesworth Phillips, der kommandierende Offizier der Ma-

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rineinfanteristen, der wahre Schuldige am Tod des großen Entdeckers. Feige habe er Cook im Stich gelassen, lautete sein Vorwurf. Abfällig bezeichnete er Phillips als „diese Person, die während der gesamten Reise nie von wirklichem Nutzen war, oder etwas anderes tat als essen und schlafen“. Nach Cooks Tod übernahm Kapitän Charles Clerke von der DISCOVERY das Kommando. Zunächst herrschte eine angespannte Ruhe.

Doch nach wie vor befand sich der Mast der RESOLUTION an Land. Daher gab Leutnant King Bligh den Befehl, mit einigen Männern an Land zu gehen und den Mast wieder an Bord der RESOLUTION zu bringen. Doch kaum hatten Bligh und seine Männer den Mast erreicht, wurden sie von den Insulanern mit Steinen beworfen. Weil er einen Angriff befürchtete, gab Bligh den Befehl, auf die Hawaiianer zu schießen. Von den Schüssen aufgeschreckt, ging Leutnant King an Land und erreichte wenig später den Kampfplatz, wo er den englischen Seeleuten sofort befahl, das Feuer einzustellen. Anschließend wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Doch das war noch nicht das Ende des Blutvergießens. Nachdem ein Hawaiianer, der Cooks Hut auf dem Kopf trug, die RESOLUTION von einem Kanu aus mit Steinen beworfen und die Briten verhöhnt hatte, gingen einige Seeleute an Land, brannten ein Dorf nieder, enthaupteten zwei Hawaiianer und hängten die abgeschlagenen Köpfe weithin sichtbar an die Rahen. Es gelang Kapitän Clerke schließlich, einige Teile der von den Hawaiianern zerstückelten Leiche Cooks zurückzubekommen, die er feierlich auf See bestatten ließ. Nach einem weiteren erfolglosen Versuch, die Nordwestpassage zu finden, gab Clerke den Befehl zur Rückreise. Noch während der Heimfahrt starb er an einer Krankheit. Nach Clerkes Tod fiel der Befehl über die Expedition an den Ersten Offizier der RESOLUTION, Leutnant John Gore, während Leutnant James King, der Zweite Offizier der RESOLUTION, das Kommando über die DISCOVERY übernahm. Nach einer vier Jahre und drei Monate dauernden Reise gingen die RESOLUTION und die DISCOVERY schließlich am 4. Oktober 1780 auf der Themse vor Anker.

Im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg

Im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg

Nach der Rückkehr der RESOLUTION wurde Bligh bei den üblichen Beförderungen übergangen. Bligh hatte mit Cook seinen wichtigsten Fürsprecher verloren, andere einflussreiche Gönner besaß er nicht. Offenbar gehörten weder Leutnant Gore noch Leutnant King zu Blighs Freunden, zumindest drängten sie nicht auf seine Beförderung zum Leutnant, vielleicht verhinderten sie diese sogar. Möglicherweise machte King den Master, dessen Männer den ersten Schuss an dem verhängnisvollen Valentinstag des Jahres 1779 abgegeben hatten, für den Tod Kapitän Cooks verantwortlich. Eine vielleicht noch schlimmere Demütigung für Bligh war die Missachtung seiner Leistungen als Wissenschaftler und Kartograph. In den publizierten Berichten wurde sein beträchtlicher Beitrag zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Reise nicht gewürdigt. Was Bligh besonders erzürnte, war die Tatsache, dass die von ihm gezeichneten Karten im Expeditionsbericht unter anderem Namen veröffentlicht worden waren. Verbittert notierte Bligh an den Rand seines Exemplars des von King herausgegebenen Reiseberichts: „Alle nach Kapitän Cooks entstandenen Skizzen & Tafeln sind exakte Kopien meiner Werke.“ Wenigstens erhielt er ein Honorar für seine Karten und Zeichnungen. Auch wenn King offenbar Blighs Beförderung verhindert hatte, gab es zumindest für einen tüchtigen Sailing Master keinen Mangel an Beschäftigung, denn Großbritannien befand sich mit halb Europa im Krieg. Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges hatte das britische Parlament beschlossen, auch die nordamerikanischen Kolonien zur Deckung der Kriegskosten heranzuziehen, weshalb ab 1764 Einfuhrzölle auf Zucker, Kaffee, Wein, Textilien und viele andere Waren erhoben wurden. Die nordamerikanischen Kolonisten, die im britischen Parlament weder Sitz noch Stimme besaßen, sahen sie durch dessen Beschlüsse ihre Rechte verletzt und lehnten die Besteuerung ab. Der Widerstand wuchs und schließlich erklärten 13 nordamerikanische Kolonien am 4. Juli 1776 ihre Unabhängigkeit. Damit eskalierte der Protest der Kolonisten zum Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg.

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Von Anfang an verlief der Krieg wenig günstig für die Briten. Es fiel ihnen schwer, die militärischen Ressourcen für eine effektive Blockade der nordamerikanischen Küste und entscheidende Offensiven an Land aufzubringen. Ebenso erschwerte die große Entfernung zwischen Großbritannien und dem nordamerikanischen Kriegsschauplatz die strategische Führung des Krieges und die Versorgung der Truppen. Zudem war die Meinung über den Krieg in Großbritannien gespalten. Vor allem die liberalen Whigs zeigten Sympathie für den Freiheitskampf der Kolonisten, die für sich Freiheitsrechte in Anspruch nahmen, die man seit der Glorious Revolution von 1688 durchaus als „urbritisch“ bezeichnen konnte. Überdies trat Frankreich 1778 auf der Seite der aufständischen Kolonien in den Krieg ein, nachdem es die Rebellen bereits zuvor mit Waffen und Geld unterstützt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war die nach dem Siebenjährigen Krieg neu aufgebaute französische Flotte vermutlich die beste der Welt. Zum ersten Mal seit der Zeit der Armada bedrohte eine gleichstarke Flottenmacht Großbritannien. Mit großer Anstrengung gelang es, die britische Flotte zu reorganisieren, doch bewahrte nur der aggressive Kampfgeist der Briten die Royal Navy vor schweren Niederlagen zur See. Hinzu kamen strategische Fehler: Weil die Briten auf die im Siebenjährigen Krieg bewährte Strategie der engen Blockade der französischen Küste verzichteten, gaben sie faktisch die Seeherrschaft auf. Ungehindert von der Royal Navy entsandten die Franzosen Flotte um Flotte nach Amerika und Westindien. Zugleich war Großbritannien in Europa immer weiter ins diplomatische Abseits geraten. 1779 folgte Spanien Frankreich in den Krieg gegen England. Da die Briten überdies im Kampf gegen Frankreich und Spanien nur wenig Rücksicht auf die neutrale Schifffahrt nahmen, schlossen sich die neutralen Seemächte Russland, Dänemark und Schweden 1780 zu einem Bündnis, der sogenannten „Bewaffneten Neutralität“, zusammen. Gemeinsam wollten sie ihre Interessen den Briten gegenüber notfalls auch mit Waffengewalt durchsetzen. Auf den Beitritt der Niederlande zu dieser Koalition hatte Großbritannien im Dezember 1780 seinerseits mit einer Kriegserklärung geantwortet.

„Die Kunst der Navigation“ Aufstieg zum Leutnant

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m 14. Februar 1781 wurde Bligh zum Sailing Master der mit 32 Kanonen bewaffneten Fregatte BELLE POULE er-

nannt. Das ursprünglich französische Schiff war 1780 von den Briten erobert und von der Royal Navy übernommen worden. Unter dem Befehl von Captain Philip Patton operierte die BELLE POULE in europäischen Gewässern. Am 17. April 1781 brachte die Fregatte das mit 34 Kanonen bewaffnete Kaperschiff CALLONNE auf, wofür die Besatzung Prisengeld erhielt – für Bligh ein bescheidener, aber willkommener Geldsegen. Anfang August 1781 gehörte die BELLE POLUE zu einem aus sieben Linienschiffen, vier Fregatten und einem Kutter bestehenden Geschwader unter Vizeadmiral Sir Hyde Parker, das einen Konvoi britischer Handelsschiffe von der Ostsee durch die Nordsee geleitete. Am 5. August 1781 trafen die britischen Schiffe auf der Doggerbank, einer ausgedehnten Untiefe mitten in der Nordsee, auf ein ebenfalls sieben Linienschiffe sowie fünf Fregatten und einen Kutter umfassendes niederländisches Geschwader unter Vizeadmiral Johan Zoutman, die einen von Texel kommenden, aus 70 Handelsschiffen bestehenden Geleitzug in Richtung Ostsee eskortierten. Sobald Admiral Parker die Niederländer gesichtet hatte, überließ er den in seiner Obhut befindlichen Konvoi ohne zu zögern sich selbst und griff an, obgleich sich seine Schiffe in einem ziemlich schlechten Zustand befanden. Zum Kampf entschlossen, stürzten sich die britischen und niederländischen Kriegsschiffe aufeinander. Während des 17. Jahrhunderts hatten die Engländer mehrere Seekriege gegen die

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Niederländer geführt, in denen diese sich als tapfere, aggressive und hartnäckige Gegner erwiesen hatten. In der folgenden blutigen Schlacht gelang es jedoch keiner Seite, einen entscheidenden Vorteil zu erringen, auch wenn die Niederländer die höheren Verluste erlitten. Während es auf den niederländischen Schiffen 140 Tote und 400 Verwundete gegeben hatte, zählten die Briten 108 Tote und 339 Verwundete. Die Niederländer feierten die Schlacht als Sieg, doch blieb ihre Kriegsflotte danach für den Rest des Krieges in ihren Häfen. Obschon die BELLE POULE als Fregatte keine aktive Rolle im Kampf gespielt hatte, scheint sich Bligh in diesem Gefecht bewährt zu haben, denn er wurde kurz nach der Schlacht auf der Doggerbank am 5. September als Sailing Master auf das 74-Kanonen-Linienschiff BERWICK versetzt. Dies konnte durchaus als Auszeichnung gelten, da der

Master eines Linienschiffs große Verantwortung trug und sogar einen höheren Sold als ein Leutnant erhielt.

Im Kampf gegen die spanisch-französische Flotte

Am 5. Oktober 1781, genau zwei Monate nach der Schlacht auf der Doggerbank, wurde Bligh schließlich doch noch zum Leutnant befördert. Bis Ende des Jahres 1781 diente er als dienstjüngster Leutnant auf der BERWICK, wechselte anschließend als Fünfter Leutnant auf den mit 80 Kanonen bewaffneten Zweidecker PRINCESS AMELIA und im März 1782 als Sechster Leutnant auf das ebenfalls mit 80 Geschützen bewaffnete Linienschiff CAMBRIDGE. An Bord dieses Schiffes nahm er an der Schlacht von Gibraltar teil. Im September 1782 hatte Admiral Richard Howe den Befehl erhalten, den von den Spaniern belagerten britischen Stützpunkt Gibraltar mit Nachschub zu versorgen. Aufgrund des schlechten Wetters und widriger Winde erreichten die britischen Schiffe das an der Südküste Portugals gelegene Kap St. Vincent erst am 9. Oktober. Dabei wurden seine 33 schlecht ausgerüsteten und unterbemannten Linienschiffe von einer aus 46 Linienschiffen bestehenden spanisch-französischen Flotte unter dem Befehl von Admiral

Privates Glück

Luis de Córdova abgefangen. Doch bevor es zum Kampf kommen konnte, trieb ein Sturm die spanisch-französische Flotte auseinander. Dagegen gelang es Admiral Howe schließlich unter einigen Schwierigkeiten, seine 31 mit Nahrungsmitteln, Munition und anderen Versorgungsgütern beladenen Transportschiffe zwischen dem 16. und 18. Oktober nach und nach sicher in den Hafen der belagerten Festung zu bringen. Die Flotte brachte genügend Proviant für ein Jahr nach Gibraltar. Mit an Bord der Transportschiffe waren auch Soldaten, um die Besatzung der belagerten Festung zu verstärken. Nachdem die Versorgung Gibraltars sichergestellt war, lief Admiral Howe mit seinen Kriegsschiffen wieder aus, um den Kampf mit der spanisch-französischen Flotte zu suchen. Am 20. Oktober 1782 kam es bei Kap Spartel vor der marokkanischen Küste zum Kampf. Dabei besaßen die spanischen und französischen Schiffe den großen Vorteil, in Luv der britischen Flotte zu stehen, da sie auf diese Weise mit dem Wind auf den Gegner zu segeln und ihn nach ihrem Willen attackieren konnten. Doch kam es nur zu wenigen Schusswechseln. Obgleich weit unterlegen, gelang es Howe, den zögerlich und ungeschickt agierenden Feind auszumanövrieren und so zumindest einen taktischen Sieg zu erringen. Damit zufrieden, Gibraltar gerettet zu haben, kehrte Admiral Howe mit seiner Flotte nach England zurück. Doch trotz dieses Erfolgs endete der Krieg mit einer Niederlage Großbritanniens. Die Kapitulation der britischen Armee bei Yorktown im Jahre 1781 markierte das faktische Ende des Krieges in Nordamerika. 1783 erkannte Großbritannien im Frieden von Paris die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika an. Dagegen blieb Gibraltar bei Großbritannien. Ebenso hatten die Briten die Herrschaft über Kanada und die wichtigsten Kolonien in Westindien bewahren können.

Privates Glück

Nach dem Ende des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs wurde Bligh wie Tausende andere Marineoffiziere entlassen. Die Royal Navy wurde auf Friedensstärke abgerüstet und die Mehrzahl der Schiffe au-

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ßer Dienst gestellt, sodass es für ihn in der stark geschrumpften Marine keine Verwendung mehr gab. Außer seinen Dienstbezügen besaß Bligh keine Einkünfte. Zwar sollte er wie jeder unbeschäftigte Offizier vom Leutnant an aufwärts einen Halbsold erhalten, der ihm eine magere Existenz ermöglichte, doch sahen seine Zukunftsaussichten ohne einen einflussreichen Gönner düster aus. Zumindest hatte er sein privates Glück gefunden. Nach der Rückkehr der RESOLUTION hatte Bligh den Kontakt zur Familie Betham erneuert, die ihn mit offenherziger Freundlichkeit in der Familie aufnahm. Als Teilnehmer an Cooks letzter Expedition hatte Bligh viel zu erzählen, und als Sailing Master war er auch eine standesgemäße Partie für Elizabeth Betham. Offenbar verband die beiden seit Blighs erstem Besuch auf der Isle of Man eine tiefe Zuneigung, und so hatte er am 4. Februar 1781 die inzwischen 27-jährige Elizabeth geheiratet. Die intelligente, gebildete und naturwissenschaftlich interessierte Frau wurde die große Liebe seines Lebens. Im November 1781 wurde ihre erste Tochter Harriet geboren, 1783 folgte die Tochter Mary. Leider war Elizabeth, von ihrem Ehemann liebevoll „Betsy“ genannt, von schwacher Gesundheit. Oft lag sie wochenlang mit zugezogenen Vorhängen im Bett, zu schwach um aufzustehen. Dies zeigt eine andere Seite von Blighs Charakter. Er war ein überaus liebevoller Ehemann, der sich fürsorglich um seine kranke Frau kümmerte. Auch seine Briefe an Betsy waren von großer Feinfühligkeit und Offenheit. Wie der Briefwechsel des Paares bezeugt, verband sie nicht nur gegenseitige Liebe und Achtung, sondern auch eine tiefe Freundschaft. So ermutigte er Betsy, ihre wissenschaftlichen Neigungen zu verfolgen. Von seiner Reise mit Cook hatte Bligh zahlreiche Muscheln mitgebracht, an denen sie große Freude hatte. Der berühmte Naturforscher Sir Joseph Banks, der als junger Mann an Cooks erster Reise teilgenommen hatte, ermunterte sie später dazu, eine eigene Muschelsammlung aufzubauen, indem er ihr dreißig Exemplare schenkte, die zu den Erinnerungsstücken an seine eigene Fahrt in die Südsee gehörten. Betsys zweite große Leidenschaft galt der Kunst; im Laufe der Jahre erwarb sie eine umfangreiche Sammlung von Kunstdrucken.

Privates Glück

Elizabeth Bligh

Elizabeths Vater konnte nur wenig tun, um die finanziell angespannte Situation des jungen Paares zu lindern. Als Leutnant betrug Blighs Halbsold lediglich zwei Schilling am Tag, was einem Jahreseinkommen von 35 Pfund entsprach. Schließlich bot Elizabeths Onkel, der im Westindienhandel tätige Reeder und Kaufmann Duncan Campbell, Bligh das Kommando über eines seiner Handelsschiffe an. Campbell gehörten nicht nur zahlreiche Handelsschiffe, sondern auch etliche der

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berüchtigten Gefängnishulken auf der Themse, ausgediente Schiffsrümpfe, auf denen die Insassen, Häftlinge und Kriegsgefangene, in drangvoller Enge zusammengepfercht waren. Als Kapitän sollte Bligh ein Jahresgehalt von 500 Pfund Sterling erhalten. Dies war mehr als das 14-fache seines jährlichen Leutnantshalbsolds und auch mehr als das Dreifache des jährlichen Halbsolds eines Fregattenkommandanten im Rang eines Kapitäns zur See. Auch als aktiver Leutnant hätte sein jährliches Einkommen – je nach Größe des Schiffs – lediglich zwischen 75 und 92 Pfund gelegen. Campbells Großzügigkeit war jedoch nicht völlig uneigennützig, denn Bligh war nicht nur ein erfahrener Seemann mit einer ausgezeichneten Reputation als Navigator, sondern kannte sich auch in der Karibik hervorragend aus. Zudem war er als Familienmitglied vertrauenswürdig. Bereitwillig nahm Bligh das Angebot an. Sein Leben lang blieb er Campbell zutiefst dankbar. Mitte 1783 erhielt Bligh die Erlaubnis der Admiralität, das Kommando über ein Handelsschiff zu übernehmen. In den folgenden Jahren befehligte Bligh die Westindienfahrer LYNX, CAMBRIAN und BRITANNIA auf der Route zwischen Großbritannien und den briti-

schen Kolonien in der Karibik. Die westindischen Inseln und ihre Produkte waren eine wesentliche Quelle für Englands ökonomischen Aufstieg im 18. Jahrhundert. Sie versorgten das Mutterland mit begehrten Kolonialwaren wie Zucker, Tabak und Baumwolle. Seit Oliver Cromwell 1661 die sogenannte Navigationsakte erlassen hatte, war der Warenverkehr mit den englischen Kolonien ausschließlich britischen Schiffen vorbehalten. Zugleich war jedes produzierende Gewerbe auf den Inseln verboten, alle Fertigprodukte mussten aus England importiert werden. Vor allem mit Zucker wurden damals enorme Vermögen verdient, auf den Inseln ebenso wie in den europäischen Mutterländern. Erkauft wurde der Reichtum mit dem Leiden der afrikanischen Sklaven, die gewaltsam aus ihrer Heimat nach Westindien verschleppt wurden. Dort mussten sie unter unmenschlichen Bedingungen auf den Zuckerrohrplantagen schuften, um den Europäern im wahrsten Sinne

Ein junger Protegé: Fletcher Christian

des Wortes das Leben zu versüßen. Der sogenannte atlantische Dreieckshandel war eine ebenso anstößige wie lukrative Schifffahrtsbranche. Mit billigen Manufakturwaren wie Schnaps, Tüchern und Gewehren beladen, fuhren die Schiffe nach Afrika, um dort ihre Waren gegen Sklaven zu tauschen, die in Westindien mit großem Gewinn verkauft wurden. Anschließend kehrten die Schiffe mit Zucker, Tabak oder Baumwolle beladen nach Europa zurück. An dem schmutzigen Geschäft des Sklavenhandels war Bligh allerdings nicht beteiligt, denn die von ihm befehligten Schiffe verkehrten auf direktem Kurs zwischen Westindien und England.

Ein junger Protegé: Fletcher Christian

Seit 1784 wohnte Bligh mit seiner Familie im Londoner Stadtteil Lambeth auf dem südlichen Themseufer. Fast dreißig Jahre lang lebte er hier in einem bescheidenen, aber eleganten Haus. 1786 lernte Bligh Fletcher Christian kennen, einen jungen Seemann aus einer vornehmen, aber verarmten Familie. Dieser hatte darum gebeten, eine Reise an Bord von Blighs Schiff BRITANNIA machen zu dürfen, weil er seemännische Erfahrung sammeln wolle. Er erklärte sich sogar bereit, auf seine Heuer zu verzichten, „solange er mit den Gentlemen essen dürfe“. Fletcher Christian war Bligh als vielversprechender junger Mann von einem anderen Kapitän empfohlen worden. Tatsächlich erwies er sich schon bald als tüchtiger Seemann. Die Vorfahren des am 25. September 1764 geborenen Fletcher Christian stammten von der Isle of Man, hatten sich aber im 17. Jahrhundert in England niedergelassen. Zu seinen engeren Verwandten gehörten zwei Bischöfe und drei Parlamentsabgeordnete. Zu den Freunden der Familie zählte der berühmte englische Dichter William Wordsworth. Fletchers Eltern Charles und Ann Christian hatten insgesamt zehn Kinder, von denen aber nur sechs überlebten. Seine älteren Brüder John und Edward hatten in Cambridge Jura studiert, doch nach dem Tod des Vaters 1768 war die Familie in Schulden geraten, sodass Fletcher seinen Brüdern nicht auf die Universität folgen und

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ebenfalls eine akademische Karriere einschlagen konnte. Stattdessen trat er in die Royal Navy ein, das traditionelle Auffangbecken für jüngere Söhne aus angesehenen, aber verarmten Familien. 1783 war Fletcher Christian als Midshipman auf der Fregatte EURYDICE auf seine erste Seereise nach Ostindien gegangen, wo er bereits nach einem Jahr zum diensttuenden Leutnant ernannt worden war. Doch in Friedenszeiten waren Stellen als Midshipman rar, sodass Fletcher Christian stattdessen auf Handelsschiffen anheuerte. Angehörige der Besatzung der BRITANNIA erinnerten sich später daran, wie sehr Bligh von dem charmanten jungen Mann eingenommen war. So sprach Fletcher Christian nach Aussage seines Bruders mit großem Respekt von Bligh, der „ihn in der Kunst der Navigation unterrichtet hätte“. Schon bald entwickelte sich zwischen beiden ein ähnlich enges Verhältnis, wie es Bligh einst mit Cook verbunden hatte. Zugleich lernte Christian aber auch die dunkle Seite von Blighs Charakter kennen. Er wusste, dass dieser „sehr leidenschaftlich sei, doch schien er [...] zu wissen, wie man ihn beruhigen könne“, erinnerte sich Fletchers Bruder Edward später. Dank der Unterstützung Campbells war aus dem auf Halbsold gesetzten Leutnant William Bligh ein angesehener Handelsschiffskapitän mit einem ansehnlichen Einkommen geworden, das selbst den jährlichen Sold des Kommandanten eines Linienschiffs Erster Klasse um das anderthalbfache übertraf. Doch Bligh war mit ganzem Herzen Marineoffizier. Die einträgliche, aber langweilige Routine der Handelsschifffahrt konnte den Ehrgeiz und das wissenschaftliche Interesse eines Mannes, der mit Cook um die Welt gesegelt war, kaum befriedigen. Bligh war verbittert darüber, dass seine Verdienste an Bord der RESOLUTION nicht angemessen gewürdigt worden waren. Zugleich

hatte er den Ehrgeiz, eine eigene Forschungsreise in den Pazifik zu führen. Daher war Bligh sehr erfreut, als ihm Anfang 1787 das Kommando über eine von der britischen Admiralität vorbereitete Expedition nach Tahiti angeboten wurde.

„Brotfruchtbaum für Westindien“ Kommandant der BOUNTY

D

ie Expedition, die William Bligh nach Tahiti führen sollte, war einer der ersten, noch zögerlichen Versuche, die erst

wenige Jahre zuvor von James Cook erkundeten Regionen des fernen Pazifik wirtschaftlich zu nutzen. Die Fahrt diente zwar in erster Linie den Geschäftsinteressen der britischen Kaufleute und Plantagenbesitzer, wurzelte aber zugleich auch im Geist der Aufklärung – ebenso wie das Motiv für die drei Reisen von James Cook nicht allein die erhoffte Erweiterung des britischen Kolonialreiches, sondern auch das Streben nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen gewesen war.

Brotfruchtbäume aus Tahiti

Ziel der Reise war es, Schösslinge von Brotfruchtbäumen nach Westindien zu bringen, wo die kopfgroßen, stärkereichen Früchte dieser Bäume als billige Sklavennahrung dienen sollten. Da auf den Zuckerinseln Monokultur herrschte, konnten sich die westindischen Kolonien nicht selbst versorgen und waren auf Nahrungsmittelimporte angewiesen. Nachdem die nordamerikanischen Kolonien als Quelle für preiswerte Nahrungsmittel für die westindischen Plantagensklaven weggefallen waren, glaubte man in der Brotfrucht, die Cook in seinen Reiseberichten als gehaltvolles und schmackhaftes Nahrungsmittel beschrieb, eine Alternative gefunden zu haben. Die Brotfrucht galt als ideale Nahrung, da sie billig war und das ganze Jahr über geerntet werden konnte. Zudem benötigten die robusten Pflanzen keine aufwendige Pflege, um zu gedeihen.

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Bligh hatte den Auftrag, Brotfruchtbaumschösslinge von Tahiti zu den westindischen Inseln zu bringen. Die Brotfrucht sollte für die Sklaven dort als günstige Nahrung dienen.

B r o t f r u c h t b ä u m e a u s Ta h i t i

Die westindischen Pflanzer begannen daher, Druck auf Parlament und Regierung auszuüben, ein Schiff auszurüsten, um Brotfruchtschösslinge von Tahiti nach Westindien zu bringen. Politik und Wirtschaft waren im England des 18. Jahrhunderts eng miteinander verflochten. Die politische Macht in England lag damals in den Händen einer kleinen, vermögenden, aber relativ offenen Elite, wobei die sozialen Grenzen zwischen Adel und Bürgertum in England weniger starr waren als auf dem europäischen Kontinent. Die britischen Kaufleute besaßen genügend politischen Einfluss, um Entscheidungen des Parlaments und der Regierung zu beeinflussen. In Sir Joseph Banks, dem Präsidenten der Royal Society, der über beste gesellschaftliche und politische Verbindungen verfügte, fanden die westindischen Kaufleute und Plantagenbesitzer einen idealen Verbündeten. Banks war 1743 als Sohn einer wohlhabenden Landbesitzerfamilie geboren worden. Nach dem frühen Tod seines Vaters wirtschaftlich unabhängig, widmete sich Banks fortan seiner Leidenschaft für die Naturwissenschaften. Dank seiner gesellschaftlichen Verbindungen hatte Banks, der bereits mit 23 Jahren Mitglied der Royal Society geworden war, die Erlaubnis erhalten, James Cook auf seiner ersten Reise in die Südsee zu begleiten. 1779 war Banks zum Präsidenten der Royal Society gewählt worden, ein Amt, das er mehr als 40 Jahre innehaben sollte. Im gleichen Jahr hatte ihn Georg III., mit dem er eng befreundet war, zum Baronet erhoben, sodass er fortan das „Sir“ vor seinem Vornamen führte. Banks’ besonderes Interesse galt der Botanik. Er baute den königlichen botanischen Garten in Kew zu einer der weltweit größten und bedeutendsten Sammlung von Pflanzen aus aller Welt aus. Es gelang Banks, König Georg III., der sehr an Landwirtschaft interessiert war und daher den Spitznamen „Farmerkönig“ trug, von dem Plan zu überzeugen, Brotfruchtbäume aus Tahiti zu holen, um sie in Westindien anzupflanzen. Dank der Unterstützung des Königs nahm das Unternehmen allmählich konkretere Formen an. Im Februar 1787 kündigte Premierminister Pitt dem Westindischen Ausschuss die Ausrüstung einer Brotfruchtexpedition an. Im Mai wies König

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Georg III. nach einer Unterredung mit Banks die Admiralität an, ein Schiff für eine Expedition nach Tahiti bereitzustellen.

Ausrüstung der BOUNTY

Für die britische Admiralität war die Expedition nach Tahiti eine Angelegenheit von eher untergeordneter Bedeutung. Um die Kosten so gering wie möglich zu halten, wurde beschlossen, kein Kriegsschiff zu entsenden, sondern ein Handelsschiff anzukaufen und für diese Aufgabe auszurüsten. Die Wahl fiel schließlich auf den 215 Tonnen großen Dreimaster BETHIA. Das etwa 27 Meter lange und rund 7,30 Meter breite Schiff gehörte Duncan Campbell und war 1784 in Hull gebaut worden. Am 26. Mai 1787 wurde die BETHIA für den Preis von 1950 Pfund Sterling von der britischen Admiralität erworben, sodass Lord Sydney, der britische Innenminister, an Sir Joseph Banks schreiben konnte, die Admiralität habe „ein Schiff gekauft zu dem Zwecke, den Brotfruchtbaum und andere nützliche Produkte von den Südseeinseln nach den Besitzungen seiner Majestät in Westindien zu bringen“. Zu Ehren König Georgs III., dem Schirmherrn der Reise, wurde die BETHIA in BOUNTY (englisch für „Wohltat“) umbenannt. Die erhaltenen Pläne der BOUNTY zeigen ein schönes Schiff mit klaren, eleganten Linien. Allerdings musste der ehemalige Handelssegler zunächst für seine neue Aufgabe als Expeditionsschiff umgebaut werden. Damit das kleine Schiff den zu erwartenden starken Stürmen besser widerstehen konnte, wurden die Masten gekürzt und die Segelfläche verkleinert. Geschwindigkeit war für die geplante Reise von nachrangiger Bedeutung. Um die Brotfruchtschösslinge sicher transportieren zu können, wurde die große Heckkajüte, die üblicherweise als Quartier des Kommandanten diente, in ein schwimmendes Gewächshaus verwandelt. Damit die Pflanzen genügend Licht erhielten, wurden zwei große Oberlichter eingebaut sowie zwei Luken zur Belüftung in die Bordwand geschnitten. Das Deck wurde mit Bleiplatten belegt, die Abflussöffnungen besaßen, damit beim Gießen der Pflanzen kein wertvolles Wasser verloren ging. Zudem erhielt die BOUNTY ei-

Ausrüstung der BOUNTY

Seitenansicht der BOUNTY, ex. BETHIA

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nen Kupferbeschlag, um das Schiff vor Bewuchs und dem berüchtigten Schiffsbohrwurm Teredo Navalis zu schützen. Zur Verteidigung wurde die BOUNTY mit vier Dreipfünderkanonen auf Lafetten und zehn Drehbassen, leichten Kanonen, die in eisernen Gabeln drehbar am Schanzkleid angebracht wurden, bewaffnet. Am 14. August 1787 waren die Arbeiten am Schiff abgeschlossen. Mit dem Kommando über die BOUNTY wurde auf Vorschlag von Sir Joseph Banks Leutnant William Bligh betraut. Seine Fähigkeiten als Navigator und seine genaue Kenntnis des Pazifiks und der Insel Tahiti ließen ihn als den idealen Mann für diesen Auftrag erscheinen. Offenbar war es Campbell gewesen, der Sir Joseph Banks seinen angeheirateten Verwandten William Bligh für das Kommando über die BOUNTY empfohlen hatte.

Bligh wiederum sah in der Expedition die willkommene Chance, doch noch Karriere als Marineoffizier zu machen. Zugleich begann damit auch seine lebenslange, freundschaftliche Verbindung zu Sir Joseph Banks. In ihm fand er den hochgestellten Gönner, der ihm so lange gefehlt hatte. Doch das Angebot hatte einen Haken. Die BOUNTY war als bewaffnetes Transportschiff klassifiziert worden. Das bedeutete, dass dem Schiff als Kommandant nur ein Offizier im Rang eines Leutnants zustand, sodass aus der erhofften Beförderung zum Kapitän zur See nichts wurde. Zwar wurde Bligh an Bord aus Höflichkeit mit „Captain“ angesprochen, doch das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihm der entscheidende Schritt auf der Karriereleiter verwehrt worden war. Die Beförderung zum Kapitän zur See war so wichtig, weil davon der Zeitpunkt der Beförderung zum Flaggoffizier abhing, die damals nach Dienstalter erfolgte. Zugleich musste Bligh bei seinem Wiedereintritt in die Royal Navy auch erhebliche finanzielle Einbußen akzeptieren. Als Leutnant betrug sein jährliches Einkommen nur noch rund 75 Pfund Sterling im Gegensatz zu den 500 Pfund Sterling pro Jahr, die er in Campbells Diensten verdient hatte. Gleichwohl willigte er ein, die Führung der Expedition nach Tahiti zu übernehmen.

Ko m m a n da n t

Kommandant

Am 16. August 1787 wurde Leutnant William Bligh offiziell zum Kommandanten der BOUNTY ernannt. Sein Auftrag lautete, rund um Kap Hoorn nach Tahiti zu segeln, um Brotfruchtschösslinge nach Westindien zu bringen. Zugleich sollte Bligh die noch wenig bekannten Gewässer zwischen Tahiti und Timor erkunden. Trotz seiner Enttäuschung über die nicht erfolgte Beförderung zum Kapitän zur See machte sich Bligh voller Optimismus und mit großem Enthusiasmus an die Vorbereitungen der Expedition. Er war fest entschlossen, eine perfekte Reise zu machen und dabei alle Kenntnisse und Fertigkeiten einzusetzen, die er von seinem bewunderten Vorbild Cook erlernt hatte. Anders als für die Admiralität war die Reise nach Tahiti für Bligh nicht eine lästige Aufgabe von nachrangiger Bedeutung, sondern die Gelegenheit, seinen Vorgesetzten zu beweisen, dass sie zu Recht ihr Vertrauen in ihn und seine Fähigkeiten gesetzt hatten. Nach erfolgreichem Abschluss der Reise durfte er neben der ersehnten Beförderung zum Kapitän zur See auch auf eine finanzielle Belohnung durch die westindischen Pflanzer hoffen. Ebenso konnte er damit rechnen, sich einflussreiche Freunde zu machen, die ihn bei seiner weiteren Karriere unterstützen würden. Kurz gesagt: Verlief die Reise erfolgreich, wäre Bligh ein gemachter Mann. Seine Ambitionen setzten ihn zugleich unter einen ungeheuren Erfolgsdruck, was das gesamte Unternehmen von Anfang an zu einer überaus problematischen Angelegenheit machte. Es gab viel zu tun, um die BOUNTY seeklar zu machen. Für die Reise war eine Vielzahl von Ausrüstungsgegenständen notwendig wie Ersatzsegel, Reservespieren, Tauwerk von der dünnen Flaggenleine bis zur dicken Ankertrosse und natürlich Tonnen von Proviant. Bligh berichtet: „Außer den gewöhnlichen Nahrungsmitteln hatten wir Sauerkraut,

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Suppengallerte, Malzessenz, getrocknetes Malz und ein gehöriges Quantum Gerste und Weizen geladen. Man hatte mich auch mit ei-

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nem ansehnlichen Vorrat von Eisenwaren und allerlei Spielsachen versehen, die zum Handel mit den Bewohnern der Südseeinseln die-

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nen sollten.“

Darüber hinaus bestand Bligh auf der Ausrüstung des Schiffes mit großen, stabilen Booten – eine Voraussicht, die ihm das Leben retten sollte. Die BOUNTY war schließlich mit Vorräten aller Art so vollgestopft, dass für die Mannschaft nur wenig Raum blieb. Aber auch Bligh musste sich bescheiden. Weil die Achterkajüte, die ihm normalerweise als Kommandant zugestanden hätte, für die Aufnahme der Brotfruchtschösslinge vorgesehen war, hatte er sich mit einer kleinen, stickigen Kammer zu begnügen. Da die BOUNTY als bewaffnetes Transportschiff galt, war Bligh der einzige Seeoffizier an Bord und wurde bei der Führung des Schiffs lediglich vom Sailing Master und den anderen Deckoffizieren unterstützt. Aus dem gleichen Grund wurden auch keine Marineinfanteristen eingeschifft. Üblicherweise hatte jedes britische Kriegsschiff ein Kontingent Seesoldaten an Bord, zu deren Aufgaben die Aufrechterhaltung der Disziplin an Bord, die Verhinderung von Desertionen und die Verhütung von Meutereien gehörten.

Die Mannschaft der BOUNTY

Die Mannschaft der BOUNTY wurde von Bligh persönlich angemustert. Da das Pressen von Matrosen nur in Kriegszeiten üblich war, bestand die Besatzung ausschließlich aus Freiwilligen. Im September 1787 kam es als Reaktion auf eine innenpolitische Krise in den Niederlanden, die sich durch ein mögliches Eingreifen Frankreichs zu einem europäischen Konflikt auszuweiten drohte, zu einer Flottenmobilisierung. Infolgedessen hatte Bligh einige Schwierigkeiten, die Mannschaft vollzubekommen. Einer der ersten, die in die Musterrolle der BOUNTY eingetragen wurden, war sein junger Protegé Fletcher Christian.

Bligh hatte ihn in der Besatzungsliste als Steuermannsmaat eingetragen, womit Christian den Rang eines Unteroffiziers besaß. Zwar hat-

Die Mannschaft der BOUNTY

te er ihn der Admiralität als Midshipman vorgeschlagen, doch besaß Bligh bei der Besetzung der höheren Dienstposten an Bord nur wenig Freiheiten. Bei der Auswahl der Offiziersanwärter hatte Bligh die Interessen seiner Freunde und Gönner zu berücksichtigen, während ihm die Deckoffiziere von der Admiralität zugewiesen wurden. Zum Sailing Master der BOUNTY wurde John Fryer ernannt. Er war 1753 als Sohn eines Handwerkers in Wells-next-the-Sea in der Grafschaft Norfolk geboren worden. Als junger Mann war er zur See gegangen und hatte sich vom einfachen Seemann hochgearbeitet. 1780 hatte Fryer seine Bestallung als Sailing Master erhalten. 1784 war seine erste Frau gestorben. Kurz vor der Ernennung zum Master der BOUNTY hatte er die aus seinem Geburtsort stammende Mary Tinkler

geheiratet. Er nutzte seinen bescheidenen Einfluss, um dem jungen Robert Tinkler, einem Neffen seiner Frau, eine Stelle an Bord der BOUNTY zu verschaffen. Der junge Tinkler wurde als Vollmatrose ge-

mustert, sollte aber Dienst als Offiziersanwärter tun. Bligh kannte Fryer nicht, doch dieser hatte gute Referenzen. So teilte er Banks mit, dass er ihn für einen tüchtigen Mann hielt. Fryers Position an Bord war jedoch von Anfang an problematisch, denn angesichts Blighs großer Erfahrung als Nautiker war ein Navigationsoffizier eigentlich überflüssig. Zugleich war Fryer offenbar eifersüchtig auf Blighs Stellung als Kommandant und meinte, ebenso gut qualifiziert für die Führung des Schiffs zu sein. Schon nach wenigen Wochen verwandelte sich das von Anfang an wenig herzliche Verhältnis zwischen Bligh und Fryer in tiefe gegenseitige Abneigung. Auch der ständig betrunkene, liederliche Schiffsarzt Huggan war Bligh, der nach Cooks Vorbild größten Wert auf Ordnung und Sauberkeit legte, ein ständiger Dorn im Auge. Wie konnte er von seinen Seeleuten verlangen, regelmäßig das Schiff mit Essig zu reinigen, die Bilge zu säubern und ihre Kleider zu waschen, wenn der Schiffsarzt, der für ihre Gesunderhaltung zuständig war, alle Regeln der Hygiene gründlich missachtete. Huggan loszuwerden erwies sich als unmöglich, doch konnte Banks wenigstens dafür sorgen, dass die Admiralität den aus einer angesehenen Ärztefamilie stammenden Thomas Led-

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ward als Assistenten des Schiffsarztes an Bord der BOUNTY schickte. Auch er wurde in der Musterrolle als Vollmatrose geführt. Für den Schiffszimmermann William Purcell war die BOUNTY das erste Marineschiff, auf dem er diente. Er gehörte zu den schwierigsten Charakteren an Bord. Weitere Deckoffiziere waren der Bootsmann William Cole und der Geschützmeister William Peckover, der an allen drei Reisen Cooks teilgenommen hatte und daher ein alter Bekannter von Bligh war. Der Segelmacher Lawrence Lebogue, der Quartermaster John Norton und der Vollmatrose Thomas Ellison waren ebenso wie Fletcher Christian bereits früher mit Bligh nach Westindien gesegelt. Der Bootsmannsmaat James Morrison war für einen Seemann ungewöhnlich gebildet und besaß sogar Grundkenntnisse der lateinischen Sprache. Er hatte 1782 als Midshipman auf der Sloop TERMAGANT gedient, aber offenbar mangels Patronage die Beförderung zum

Leutnant nicht geschafft und stattdessen die Deckoffizierslaufbahn eingeschlagen. 1783 hatte Morrison die Prüfung zum Kanonier bestanden, doch angesichts der geringen Zahl in Dienst gestellter Kriegsschiffe keine Stelle als Deckoffizier gefunden, weshalb er als Unteroffizier auf der BOUNTY angeheuert hatte. Weitere Unteroffiziere waren der Steuermannsmaat William Elphinstone, der Quartermaster Peter Linkletter und der Quartermastermaat George Simpson, der Geschützmeistersmaat John Mills, die Zimmermannsmaate Charles Norman und Thomas McIntosh, der Büchsenmeister Joseph Coleman, der Böttcher Henry Hilbrandt und der Schiffskoch Thomas Hall. Wachtmeister und damit für die Aufrechterhaltung der Disziplin zuständig war Charles Churchill, der sich als einer der schlimmsten Unruhestifter an Bord erweisen sollte. Neben den Deckoffizieren und Unteroffizieren gehörten auch sechs Offiziersanwärter zur Mannschaft. Da Bligh seine Ernennung zum Kommandanten der BOUNTY vor allem seinen Förderern verdankte, besaß er nur wenig Einfluss auf die Auswahl seiner Midshipmen. Da es in Friedenszeiten für Offiziersanwärter nur wenig Möglichkeiten gab, Erfahrungen zu sammeln oder sich auszuzeichnen, waren

Die Mannschaft der BOUNTY

die Midshipmanposten auf den wenigen in Dienst gestellten Marineschiffen hochbegehrt und wurden meist mit Schützlingen hochgestellter Gönner besetzt, um sich deren Wohlwollen zu sichern. Thomas Hayward und John Hallett, die beiden offiziellen Midshipmen der BOUNTY, waren Protegés von Sir Joseph Banks. John Hallet war der

jüngere Bruder von Elizabeth Blighs Freundin Anne Hallet. Wie damals üblich, nahm Bligh darüber hinaus noch weitere „junge Gentlemen“ an Bord, die in der Besatzungsliste als Vollmatrosen geführt wurden, tatsächlich aber Dienst als Offiziersanwärter taten. Der am 5. Juni 1772 geborene Peter Heywood stammte aus einer alten und angesehenen Familie von der Isle of Man. Durch das Ungeschick seines Vaters Peter John Heywood war die Familie verarmt. Zwar hatte dieser schließlich eine Stelle als Verwalter beim Herzog von Atholl gefunden, war aber im Juli 1787 wegen Unterschlagung entlassen worden – für die Familie Heywood eine Demütigung und eine wirtschaftliche Katastrophe. Peter John Heywood starb im Februar 1790. Doch trotz seiner Verfehlungen waren die Heywoods nicht ohne Freunde, und so sorgte Blighs Schwiegervater Richard Betham dafür, dass der junge Peter eine Stelle als Offiziersanwärter auf der BOUNTY fand. Edward Young und George Stewart stammten ebenfalls aus

angesehenen Familien. Young hatte die Stelle auf der BOUNTY vermutlich über Sir Joseph Banks erhalten, während der Vater von George Stewart ein Bekannter von Bligh war. Zur Besatzung der BOUNTY gehörten auch zwei Gärtner. Sie sollten sicherstellen, dass die Brotfruchtbäume die Karibik wohlbehalten erreichten. Die Schösslinge zu sammeln, zu kultivieren, zu verladen und während der langen Fahrt von Tahiti nach Westindien am Leben zu erhalten, erforderte besondere Kenntnisse und große Erfahrung. Zu Blighs großer Freude war es Sir Joseph Banks gelungen, den in den königlichen Gärten in Kew als Botaniker beschäftigten David Nelson für diese Aufgabe zu gewinnen. Nelson hatte an Bord der RESOLUTION als Gärtner an Cooks dritter Fahrt in den Pazifik teilge-

nommen. Auch Bligh schätzte ihn sehr. Beide teilten das Interesse an Botanik; Bligh hatte während der Reise der RESOLUTION zahlreiche

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neue Pflanzen gezeichnet, die Nelson entdeckt hatte. Der ruhige und gelehrsame Botaniker gehörte zu den beliebtesten Besatzungsmitgliedern und erwarb sich während der Reise der BOUNTY den Respekt der Mannschaft. Zugleich war er vielleicht der einzige Mensch, der für Bligh an Bord der BOUNTY einem Vertrauten nahekam. Nelsons Assistent William Brown war früher als Midshipman zur See gefahren, hatte dann aber aus unbekannten Gründen den Beruf gewechselt und war Gärtner geworden. Hinzu kamen noch der Fleischer Robert Lamb, der Kochgehilfe William Muspratt, der Schiffsschreiber John Samuel, Blighs Diener John Smith, zehn Matrosen für die seemännische Handhabung des Schiffs sowie der halbblinde irische Fiedler Michael Byrne, der mit seiner Musik während der Reise für die Unterhaltung der Mannschaft sorgen sollte. Das Durchschnittsalter der Besatzung betrug 26 Jahre. Die drei Jüngsten an Bord waren 15 Jahre, der älteste 39 Jahre alt. Bligh selbst war 33 Jahre alt. Die meisten Besatzungsangehörigen kamen aus Westengland, Nordengland und Südwestengland. Einer der Seeleute stammte aus Westindien, zwei waren Amerikaner, einer, der 24-jährige Henry Hillbrandt, kam aus Deutschland. Er war vermutlich unter dem Namen Heinrich Hildebrandt im Kurfürstentum Hannover geboren worden, das seit 1714 in Personalunion mit Großbritannien verbunden war.

Überfüllt und unterbemannt

Die Zusammensetzung der Mannschaft der BOUNTY war alles andere als optimal. So verfügte das Schiff zwar über eine Besatzung von insgesamt 46 Mann, von denen die meisten jedoch Offiziere, Unteroffiziere, Offiziersanwärter oder Spezialisten waren. Damit war die BOUNTY zugleich überfüllt und unterbemannt. Die tägliche Arbeit des

Segelns des Schiffes lastete fast vollständig auf den zehn Matrosen. Bei Sturm kamen sie oft tagelang nicht unter Deck. Die harte Arbeit schweißte sie zu einem festen Team zusammen, und so verwundert es nicht, dass sieben der zehn Matrosen später zum harten Kern der

Überfüllt und unterbemannt

Meuterer gehörten. Nur drei von ihnen beteiligten sich nicht an der Schiffsübernahme. Hinzu kamen weitere Probleme. Bligh war als Leutnant der einzige Offizier mit Patent an Bord; Fryer und die anderen Schiffsoffiziere besaßen lediglich den Rang von Deckoffizieren oder Unteroffizieren. Damit besaß Bligh keinen Stellvertreter mit der Autorität eines Seeoffiziers, der ihn bei der Führung des Schiffes unterstützen und an den er Aufgaben delegieren konnte. Laut Anweisung der Admiralität sollte Bligh überdies den Posten des Zahlmeisters übernehmen, was ebenfalls zu den späteren Zerwürfnissen an Bord der BOUNTY beitrug. In dieser Funktion hatte Bligh für jedweden Verlust an Proviant und allen anderen Gütern, die in seine Verantwortung fielen, geradezustehen. Es war daher nicht ungewöhnlich, dass ein Zahlmeister nach einer Reise auf einem Berg Schulden sitzen blieb. Die Erfahrung als Offiziersanwärter ohne Protektion und als Leutnant auf Halbsold hatten Bligh wie viele seiner Offizierskameraden zu einem kleinlichen Pfennigfuchser gemacht, der, ständig in Sorge um seine finanziellen Verhältnisse, jeden Penny zweimal umdrehte. Deshalb bemühte sich Bligh während der ganzen Reise mit einer an Knauserigkeit grenzenden Gewissenhaftigkeit, alles zu vermeiden, was ihm finanzielle Verluste bereiten konnte. Zugleich nutzte er während der Reise jede Möglichkeit, um durch kleinere und größere Geschäfte Geld zu verdienen. Dies schürte wiederum das Misstrauen seiner Mannschaft, bei denen die Zahlmeister generell in schlechtem Ansehen standen, da sie den Ruf hatten, sich auf Kosten der Mannschaft zu bereichern, etwa indem sie zu geringe Rationen ausgaben oder schlechten Proviant billig einkauften, um das gesparte Geld in die eigene Tasche zu stecken. Schließlich waren die Vorbereitungen für die Reise abgeschlossen und das Schiff seeklar. Kurz bevor die BOUNTY zum ersten Mal unter Segel ging, traf sich Fletcher Christian noch einmal mit seinem älteren Bruder Charles, der kurz zuvor als Schiffsarzt auf einem Ostindienfahrer in eine Offiziersmeuterei verwickelt gewesen war. In der Royal Navy stand auf Meuterei die Todesstrafe. Doch da sich der Vorfall nicht auf einem Kriegsschiff, sondern auf einem Handelsschiff

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zugetragen hatte, waren die Meuterer mit dem Leben davongekommen. Vielleicht trug diese Geschichte zur der verhängnisvollen Entscheidung Fletcher Christians bei, das Kommando über die BOUNTY an sich zu reißen.

Am 9. Oktober verließ die BOUNTY die Werft in Deptford und erreichte am 4. November den Spithead, den Meeresarm vor Portsmouth zwischen der Isle of Wight und der britischen Hauptinsel. Hier fanden Schiffe jeder Größe bei allen Windrichtungen Schutz. Aufgrund von Verzögerungen und widriger Winde hatte die kurze Reise fast vier Wochen gedauert. Nervös wartete Bligh im Spithead auf seine Segelorder. Vor ihm lag eine Reise von 16 000 Seemeilen, die ihn von England um Kap Hoorn herum, eines der stürmischsten Gebiete der Welt, bis nach Tahiti führen sollte. Er wusste, dass jeder Tag Verzögerung die Schlechtwetterperiode an der Südspitze Amerikas näher rücken ließ und damit seine Chancen auf eine Umrundung Kap Hoorns verringerte. Überdies desertierte mehr als ein Dutzend Seeleute, sodass Bligh in letzter Minute für Ersatz sorgen musste.

„In diesem stürmischen Ozean“ Die Reise nach Tahiti

L

ange hatte Bligh gewartet. Endlich kam der Auslaufbefehl, zwei Monate später als geplant. Am 28. November 1787

verließ die BOUNTY den Spithead, nur um von den ungünstigen Winden wieder zurückgetrieben zu werden. Jeder Versuch, den Ärmelkanal zu verlassen, wurde durch das schlechte Wetter vereitelt, sodass die BOUNTY am 3. Dezember wieder im Spithead vor Anker ging. Bligh

verfluchte die Admiralität, die sein Auslaufen um drei kostbare Wochen verzögert hatte. Zornig schrieb er am 10. Dezember an Campbell: „Wenn es eine Strafe gibt, die für Nachlässigkeit verhängt wird, so sollte sie über die Admiralität verhängt werden, denn während dieser dreiwöchigen Verzögerung haben alle auslaufenden Schiffe den Ärmelkanal hinter sich lassen können, außer mir, der es am meisten ersehnt.“ Diese Verzögerung hatte schwerwiegende Folgen, da sie die geplante Umsegelung Kap Hoorns verhinderte und Bligh zwang, den längeren Weg um das Kap der Guten Hoffnung zu nehmen. Bligh hatte errechnet, dass die direkte Fahrt nach Tahiti um Kap Hoorn sieben Monate, der Weg um das Kap der Guten Hoffnung dagegen zehn Monate dauern würde. Die längere Reise bedeutete, dass die BOUNTY die Insel erst zu Beginn der Regenzeit und damit in der Ruheperiode

der Brotfruchtbäume erreichen würde. Schließlich besserte sich das Wetter. Am 23. Dezember 1787 verließ die BOUNTY zum zweiten Mal den Spithead. Trotz des stürmischen Windes gelang es dem kleinen Schiff, die offene See zu erreichen und Kurs auf Teneriffa zu nehmen, wo Bligh Wasser und frischen Proviant für die lange Umsegelung von Kap Hoorn an Bord nehmen

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„In diesem stürmischen Ozean“

Die Reiseroute der Bounty nach Tahiti

Ko m m a n d o a n B o r d

wollte. Das schlechte Wetter hatte an Bord der BOUNTY einigen Schaden angerichtet; unter anderem war ein Teil des Vorrats an Schiffszwieback durch Seewasser verdorben worden, sodass Bligh die tägliche Brotration um ein Drittel kürzen musste. Bligh berichtet über die Reise: „Nachdem unsere Geschäfte zu Teneriffa erledigt waren, gingen wir am 10. Januar bei Südostwind unter Segel. Die Mannschaft war gesund und guten Mutes.“

Kommando an Bord

Um seiner Mannschaft das Leben an Bord zu erleichtern, führte Bligh nach dem Vorbild Cooks an Bord der BOUNTY anstelle der damals üblichen zwei Wachen ein Dreiwachensystem ein, das den Seeleuten nach vier Stunden Wache acht Stunden Ruhe gewährte. Am 11. Januar 1788 ordnete Bligh an, dass Fletcher Christian die dritte Wache übernehmen sollte: „Ich hielt es für ratsam, die Leute in drei Wachen einzuteilen, und gab die Aufsicht über die dritte Wache einem der Steuermannsmaate, Herrn Fletcher Christian. Diese Einrichtung hielt ich für die beste, denn ich bin überzeugt, das ungestörte Ruhe wahrend der Freiwachen die Gesundheit der Mannschaft fördert und sie auch befähigt, notfalls schnell und wirksam einzugreifen.“ Auf der BRITANNIA hatte Bligh seinen jungen Schützling Christian in See-

mannschaft und Navigation unterrichtet und war stolz auf dessen Fortschritte gewesen. Nun wollte er ihm die Chance geben, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Für Flechter bedeutete dies einen erheblichen Vertrauensbeweis und war eine gute Empfehlung für seine weitere Karriere. Da Christian seine Aufgaben offenbar zu Blighs Zufriedenheit erfüllte, ernannte dieser ihn einige Wochen später vor der versammelten Mannschaft zum diensttuenden Leutnant:

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„Sonntags, den 2. März, ließ ich vormittags Gottesdienst halten, wie alle Sonntage zu geschehen pflegte, nachdem ich vorher gesehen hatte, dass jedermann gewaschen und rein angezogen war. Jetzt erteil-

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„In diesem stürmischen Ozean“

te ich auch Herrn Fletcher Christian den schriftlichen Befehl, das Amt eines Leutnants zu übernehmen.“

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Mit der Beförderung zum diensttuenden Leutnant hatte Bligh seinen Protegé Christian faktisch zu seinem Stellvertreter ernannt. Würde er seine Sache gut machen und sollte die Reise erfolgreich verlaufen, konnte Christian bei seiner Rückkehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit rechnen, offiziell zum Leutnant befördert zu werden. Gleichzeitig bedeutete die Ernennung Christians zum diensttuenden Ersten Offizier eine Zurücksetzung für Fryer. Als Sailing Master der BOUNTY hätte ihm die Stellung des Zweitkommandierenden zugestanden. Nun wurde ihm der Günstling des Kommandanten vor die Nase gesetzt, der noch nicht einmal über eine Bestallung als Deckoffizier, geschweige denn über ein Offizierspatent verfügte. Dies trug erheblich zum Zerwürfnis zwischen Bligh und Fryer bei. Aber auch für Christian war diese Ernennung problematisch, da er lediglich ein Offizier von Blighs Gnaden war, der ihn genauso schnell wieder degradieren konnte, wie er ihn befördert hatte. Blighs Ziel war es, seinen jungen Protegé auf seine Aufgaben als Seeoffizier vorzubereiten. Im Gegenzug für diese einmalige Chance verlangte er von Christian neben Respekt und Loyalität das unermüdliche Bestre-ben, den hohen Anforderungen der neuen Stellung gerecht zu werden. Dabei erwartete Bligh von seinen Schiffsoffizieren nicht nur, dass sie seine Anordnungen befolgten und Befehle gaben, sondern auch, dass sie die Ausführung dieser Befehle überprüften und über jedes Detail an Bord Bescheid wussten. Jedes Versäumnis dieser Überwachungspflicht oder Ausflüchte brachten ihn in Zorn. Bligh erkannte nicht, dass er den unerfahrenen Christian damit überforderte. Als dieser die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllte, reagierte Bligh mit Beschimpfungen und Wutausbrüchen. Für einen zu seelischer Labilität neigenden Menschen wie Christian muss diese Situation überaus schwer zu ertragen gewesen sein, vor allem, als er immer häufiger zum Ziel von Blighs Zornesausbrüchen wurde.

Blighs Menschenführung

Blighs Menschenführung

Wie alle Kommandanten war Bligh ein einsamer Mann. Ohne einen zweiten Seeoffizier an seiner Seite lastete die gesamte Verantwortung für die Reise der BOUNTY auf seinen Schultern. Als pedantischer Perfektionist war Bligh ohnehin kein Mann, der gut delegieren konnte. Sein Ideal war ein tüchtiges Schiff und eine bestmögliche Reise, und jeder, der dieses Ziel gefährdete, bekam seinen Zorn zu spüren – vor allem seine Schiffsoffiziere, wenn ihnen die einfachsten Manöver nicht mit dem Maß an seemännischer Vollkommenheit gelangen, die Bligh voraussetzte. Nachlässigkeit und Inkompetenz brachten die schlimmsten Seiten seines Charakters zum Vorschein. Jähzornig brüllte er seine Schiffsoffiziere beim kleinsten Fehler an und wies sie fluchend vor der versammelten Mannschaft zurecht. Der Schiffsarzt Huggan bereitete ihm ebenfalls Verdruss. Am 23. Januar schrieb Bligh in sein Logbuch: „Ich stelle nun fest, dass mein Doktor ein versoffener Trunkenbold ist, er ist ständig alkoholisiert.“ Auch in der Frage des Umgangs mit der Mannschaft kam es zu Konflikten. So sah sich Bligh gezwungen, den Matrosen Matthew Quintal auspeitschen zu lassen. Nur acht Tage nach Christians Beförderung, am 10. März 1788, zeigte Fryer Bligh einen disziplinarischen Zwischenfall an. Offenbar hatte Quintal es gegenüber Fryer an Respekt fehlen lassen, weshalb ihn dieser wegen „meuterischen Verhaltens“ seinem Kommandanten meldete. Fryer war ein schwacher Mann, der nur wenig Autorität besaß. Ein energischerer Vorgesetzter hätte vermutlich einen anderen, informellen Weg gefunden, den Matrosen zur Räson zu bringen. Doch da Fryer offiziell Meldung gemacht hatte, blieb Bligh nichts anderes übrig, als den Vorfall in das Logbuch einzutragen und Quintal zu bestrafen. Anscheinend hielt er die Vorwürfe des Masters aber für übertrieben, denn er stufte Quintals Vergehen zu „unverschämtem Verhalten gegenüber einem Vorgesetzten“ herab und befahl, den Matrosen mit 24 Peitschenhieben zu züchtigen. Obschon Bligh vermutete, dass Fryer sich gegenüber Quintal nicht korrekt verhalten hatte, konnte er diesen nicht straflos davonkommen

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lassen, ohne die Autorität seines Masters zu gefährden. Dieser Vorfall verstärkte Blighs Aversion gegen Fryer, der durch seine Inkompetenz das Ziel einer friedlichen und harmonischen Reise ohne Bestrafungen zunichte gemacht und ihn gezwungen hatte, die erste Auspeitschung an Bord der BOUNTY anzuordnen. Im Gegensatz zu den meisten Kommandanten in der Royal Navy lehnte Bligh – ganz im Geist der Aufklärung – die Peitsche als Disziplinierungsmittel ab. In seinen Augen richtete sie mehr Schaden als Nutzen an. Er gehörte nachweislich zu den Kommandanten, die ihre Seeleute nur selten auspeitschen ließen. So belegen die erhaltenen Logbücher der in die Südsee entsandten Schiffe der Royal Navy, dass Bligh von allen Kommandanten britischer Marineschiffe, die im 18. Jahrhundert den Pazifik bereisten, die wenigsten Peitschenhiebe verhängt hat. Nur wenn es nicht anders ging, ließ er seine Seeleute körperlich züchtigen. Lieber verließ er sich auf weniger brutale Strafmaßnahmen wie den Entzug der täglichen Rumration. Obgleich jähzornig und aufbrausend, war Bligh aufrichtig um das Wohlergehen seiner Männer besorgt. Es war sein Verdienst, dass die Mannschaft während der Reise bei guter Gesundheit blieb. Unter anderem ließ er regelmäßig die Bilge säubern und verabreichte den Seeleuten Malzessenz als Skorbutprophylaxe. Zwar waren Blighs beharrliches Bemühen um Sauberkeit, eine abwechslungsreiche Ernährung und regelmäßige Bewegung für die Seeleute für sich genommen gute und richtige Maßnahmen, doch gelang es ihm nicht, seine Männer dafür zu begeistern – vor allem das abendliche Tanzen war den Seeleuten verhasst. Im Gegensatz zu seinem Vorbild James Cook besaß er nicht die Gabe, seiner Besatzung verständlich zu machen, dass die strengen Ernährungsvorschriften und die regelmäßige Bewegung, die er ihnen verordnete, nur zu ihrem Besten waren. Wie ein aufgeklärter absolutistischer Monarch diktierte Bligh seine Anordnungen zum Wohle seiner Männer. Statt auf Überzeugung setzte er auf Härte und Disziplin. Als der Geschützmeistersmaat Mills und der Gärtner Brown, sich zu tanzen weigerten, strich er ihnen die Rumration und drohte ihnen Schlimmeres an, sollten sie sich weiter widerspenstig zeigen.

Ku rs au f da s K a p d e r G u t e n H o f f n u n g

Offenbar begriff Bligh die Mentalität seiner Seeleute nicht. Während er mit großem Interesse und Verständnis die tahitische Kultur studierte, blieb ihm die Denkweise seiner eigenen Mannschaft verschlossen. Bligh erwartete von seinen Seeleuten Dankbarkeit für seine Milde und seine Bemühungen um ihr Wohl. Umso enttäuschter war er, als diese anders reagierten als von ihm erwartet. Für die Seeleute bedeutete die Peitsche, dass die Schuld mit der Bestrafung beglichen und die Angelegenheit damit vergessen war. Doch indem Bligh sie ständig an seine Milde erinnerte, gab er ihnen das Gefühl, in seiner Schuld zu stehen. Blighs Verhalten erfüllte sie daher nicht mit Respekt und Zuneigung, sondern mit Ablehnung, was dieser wiederum als Undankbarkeit empfand. Dieses grundlegende Missverständnis oder besser Nichtverstehen war einer der wesentlichen Gründe für das wachsende Zerwürfnis zwischen Kommandant und Mannschaft.

Kurs auf das Kap der Guten Hoffnung

Unterdessen machte die BOUNTY gute Fahrt. Am 5. Februar überquerte sie den Äquator, und am 26. Februar stand das Schiff 300 Seemeilen vor der Ostküste Brasiliens. Am 23. März kam Feuerland in Sicht. Einen Monat später sah sich Bligh angesichts des schweren Wetters gezwungen, den Versuch, rund um Kap Hoorn in den Pazifik vorzudringen, aufzugeben. Bligh notierte: „Es schmerzte mich tief, nunmehr einsehen zu müssen, wie hoffnungslos, ja unverantwortlich jeder weitere Versuch sein würde, auf diesem Wege nach Tahiti zu gelangen. Dreißig Tage hatten wir jetzt in diesem stürmischen Ozean zugebracht.“ Schweren Herzens entschied er sich, den Versuch der Umrundung des Kap Hoorns abzubrechen und den einfacheren, aber wesentlich längeren Weg rund um die Südspitze Afrikas zu wählen. Am 25. April 1788 befahl Bligh, das Schiff zu wenden und Kurs auf das Kap der Guten Hoffnung zu nehmen, das am 22. Mai in Sicht kam. Vom 24. Mai bis zum 29. Juni ankerte die BOUNTY auf der Reede von Simon’s Bay in der gut geschützten False Bay westlich von Kapstadt, wo sich die Mannschaft von den Strapazen der Reise erhol-

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„In diesem stürmischen Ozean“

te, das Schiff ausbesserte und frischen Proviant an Bord nahm. Offenbar war das Verhältnis zwischen Bligh und Christian zu diesem Zeitpunkt nach wie vor gut, denn Bligh lieh seinem jungen Schützling am Kap der Guten Hoffnung Geld – ein deutliches Zeichen der Freundschaft von jemandem, der mit jedem Penny rechnen musste. Allerdings war der in finanziellen Dingen stets vorsichtige Bligh offenbar selbst gegenüber seinem Protegé Christian nicht bereit, einen Kredit ohne Sicherheiten zu vergeben. So berichtete John Adams, der letzte überlebende Meuterer, der aus unbekannten Gründen unter dem falschen Namen Alexander Smith auf der BOUNTY angeheuert hatte, dass es am Kap der Guten Hoffnung zu einem Streit zwischen den beiden kam, bei dem es offenbar um das geliehene Geld ging. Es wurde vermutet, dass Bligh von Christian verlangt hatte, dass dieser ihm zur Sicherheit einen Wechsel über eine höhere Summe ausstellen sollte, als Bligh ihm ausgezahlt hatte. Als Kapitän eines Handelsschiffs hatte Bligh auch mit Wechselgeschäften zu tun gehabt, bei denen man gute Gewinne erzielen konnte, wenn man die Wechsel zu einem geringeren als den nominellen Wert kaufte und später zum vollen Wert einlöste. Was Bligh offenbar nicht verstand, war, dass derartige Geschäfte für einen Handelsschiffskapitän vollkommen normal waren, doch für einen Marineoffizier und Kommandanten eines Schiffes Seiner Majestät höchst unpassend. Ob Adams’ Bericht der Wahrheit entspricht, ist ungeklärt. Jedenfalls begann sich von nun an das Verhältnis zwischen dem Kommandanten der BOUNTY und seinem jungen Schützling zu verschlechtern. Immer häufiger kam es zwischen den beiden zum Streit, wobei Bligh offenbar jedes Mal Christian daran erinnerte, dass dieser ihm zu Dank verpflichtet sei. Auch das Verhältnis zwischen Bligh und Fryer wurde immer schlechter. Sie aßen nicht mehr gemeinsam, und ihr Umgang miteinander war von gegenseitigem Abscheu geprägt, mühsam durch Höflichkeit übertüncht.

Die Saat der Zwietracht

Die Saat der Zwietracht

Sieben Wochen nachdem die BOUNTY das Kap der Guten Hoffnung verlassen hatte, ging das Schiff am 20. August in der Adventure Bay an der Südküste Tasmaniens vor Anker, um Wasser und Holz an Bord zu nehmen. Die Bucht war nach der ADVENTURE, Cooks Begleitschiff auf seiner zweiten Weltumsegelung, benannt worden. Das Landkommando stand unter dem Befehl von Fletcher Christian. Bei dem kurzen Aufenthalt weigerte sich der störrische Schiffszimmermann William Purcell, an Land zu gehen und den Seeleuten beim Holzfällen zu helfen. Allein hätte er es wohl nicht gewagt, seinem Kommandanten offen die Stirn zu bieten, doch hatte er anscheinend Rückendeckung durch Fryer. Bligh reagierte völlig hilflos auf diese Gehorsamsverweigerung. Als Deckoffizier durfte Purcell nicht ausgepeitscht werden. Zwar hätte Bligh den Zimmermann wegen Insubordination vor ein Kriegsgericht stellen können, doch dazu musste er warten, bis er in Westindien oder zurück in England war. Bligh hätte ihn lediglich festnehmen und in Eisen legen lassen können. Purcell bis zur Heimkehr zu inhaftieren war jedoch unmöglich, da das Schiff dringend einen tüchtigen Zimmermann benötigte. Stattdessen befahl Bligh ihm, unter der Aufsicht von Fryer an Bord zu bleiben und bei der Verladung der Wasserfässer zu helfen. Völlig unbeeindruckt, provozierte Purcell seinen Kommandanten weiter. Als Bligh zwei Tage später feststellte, dass der Zimmermann auch diesen Befehl nicht ausgeführt hatte, geriet er in Wut und beschimpfte ihn als Feigling und Drückeberger. Auch Fryer, der das widersetzliche Verhalten Purcells offenkundig unterstützte, zog Blighs Zorn auf sich. Schließlich verkündete Bligh vor versammelter Mannschaft, dass Purcell erst dann wieder Nahrung und Wasser erhalten sollte, wenn er den ihm befohlenen Aufgaben nachkam. Als Purcell daraufhin ein Wasserfass ergriff und sich an die Arbeit machte, beruhigte sich Bligh wieder. Morrison behauptete später, in der Adventure Bay sei „die Saat für ewigen Zwist zwischen Leutnant Bligh und dem

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Zimmermann, und es ist nicht mehr als wahr zu sagen, mit allen Offizieren insgesamt, gelegt worden.“ Durch seine Befehlsverweigerung hatte Purcell die Autorität seines Kommandanten offen herausgefordert. Auf einem so kleinen Schiff wie der BOUNTY, das völlig allein im Pazifik segelte, musste die Autorität des Kommandanten um jeden Preis gewahrt werden. Zwar hatte sich Bligh schließlich gegenüber Purcell durchgesetzt, doch hatte er durch den Vorfall an Respekt eingebüßt. Die meisten anderen Kommandanten hätten vermutlich den renitenten Zimmermann ohne Rücksicht auf dessen Stellung auspeitschen lassen. England war weit weg, und selbst wenn es nach der Rückkehr zu einem Verfahren gekommen wäre, hätte es angesichts der Umstände vermutlich kaum mit einer Verurteilung Blighs geendet. Doch für ein solch rücksichtsloses Vorgehen war der pflichtbewusste Bligh trotz seines Jähzorns offenbar nicht skrupellos genug. Aber auch auf Fryer wirft die Angelegenheit ein schlechtes Licht, da es seine Pflicht gewesen wäre, Purcell zur Arbeit anzuhalten. Zwischen Bligh und Fryer kam es kurz darauf ebenfalls zu einem erneuten Zusammenstoß. Am 9. Oktober ließ Bligh dem Steuermann routinemäßig die Ausgabenbücher des Bootsmanns und des Schiffszimmermanns vorlegen, damit er diese durchsah und die Richtigkeit der Abrechnung mit seiner Unterschrift bestätigte. Doch Fryer erklärte, die Bücher erst abzuzeichnen, nachdem Bligh eine von ihm vorgefertigte Erklärung unterschrieben hätte, in der bescheinigt wurde, dass der Master „während seiner Zeit an Bord keine Verfehlung begangen habe“. Bligh ließ Fryer in seine Kammer rufen, wo er ihm erklärte, dass er es nicht tolerieren würde, dass einer seiner Schiffsoffiziere die Erfüllung seiner Pflicht von Bedingungen abhängig machte, worauf der Steuermann die Kajüte verließ, ohne ein Wort zu sagen. Doch Bligh war nicht bereit, sich dieses an Befehlsverweigerung grenzende Verhalten gefallen zu lassen. Er ließ die Besatzung an Deck antreten und verlas vor versammelter Mannschaft die Kriegsartikel, insbesondere die „diese Angelegenheit bezüglichen Befehle“. Anschließend wies er Fryer an, entweder die Bücher zu unterzeichnen oder aber ei-

Die Saat der Zwietracht

ne schriftliche Stellungnahme abzugeben, warum er den Befehl verweigere. Widerwillig leistete Fryer die geforderte Unterschrift, wobei er Morrison zufolge erklärt haben soll: „Ich unterzeichne, wie Ihr befohlen habt, aber dies kann künftig widerrufen werden.“ Später wurde behauptet, Fryer hätte sich geweigert die Bücher zu unterzeichnen, weil er festgestellt habe, dass Bligh die Abrechnungen manipuliert hätte. Diese Beschuldigung ist jedoch wenig glaubwürdig. Um die Bücher zu fälschen, hätte Bligh die Hilfe dreier Deckoffiziere benötigt, von denen er mit zweien, Fryer und Purcell, im Streit lag. Doch selbst wenn eine Betrugsabsicht vorgelegen hätte, wäre Bligh vermutlich eher auf die Forderung des Steuermannes nach Unterzeichnung der Bescheinigung eingegangen, als die Sache vor der ganzen Mannschaft öffentlich zu machen. Auch der Schiffsarzt blieb für Bligh ein stetiger Quell des Ärgers und der Sorge. Voll Abscheu schrieb er über Huggan, dieser „liebte den Trunk übermäßig und war jeder Bewegung so abgeneigt, dass man ihn während der ganzen Reise nie hatte bereden können, ein halbes dutzendmal hintereinander das Deck entlang zu gehen“. Am 10. Oktober 1788 starb der Matrose James Valentine. Er war von Huggan, der sich nicht nur als unverbesserlicher Säufer, sondern auch als inkompetenter Kurpfuscher erwiesen hatte, zur Ader gelassen worden, wobei er sich eine schwere Infektion zugezogen hatte. Der Steuermannsmaat Elphinstone hatte Bligh die Nachricht überbracht, dass der Matrose Valentine im Sterben lag. Sowohl Fryer als auch Christian scheint Valentines schlechter Gesundheitszustand entgangen zu sein, was ein bezeichnendes Licht auf ihr Pflichtbewusstsein als Schiffsoffiziere wirft. Als Schiffsarzt Huggan meldete, dass die Todesursache Skorbut gewesen sei, geriet Bligh außer sich vor Wut. Er hatte die größten Anstrengungen unternommen, um die Mannschaft bei guter Gesundheit zu halten. Dass einer seiner Männer an Skorbut verstorben sein sollte, empfand er beinahe als persönliche Beleidigung. In seinen Augen war allein die Unfähigkeit des Schiffsarztes Schuld am Tod Valentines – angesichts von Huggans exzessivem Alkoholkonsum sicherlich keine unbegründete Vermutung. Ebenso war er davon überzeugt, dass

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„In diesem stürmischen Ozean“

Huggan die Diagnose Skorbut nur genannt hatte, um ihm eins auszuwischen. Der Todesfall war ein schwerer Schlag für Bligh, der sich wie sein Vorbild Cook gewissenhaft um die Gesunderhaltung seiner Mannschaft bemühte. Als Huggan vier Tage nach dem Tod Valentines bei drei weiteren Seeleuten Symptome von Skorbut diagnostizierte, nannte Bligh den ständig alkoholisierten Schiffsarzt „einen besoffenen Narren“. Und als er am 24. Oktober feststellte, dass Huggan vier Tage lang völlig betrunken in seiner Koje gelegen hatte, war für ihn das Maß voll. Angewidert befahl er, dessen Kabine zu säubern und den privaten Alkoholvorrat des Schiffsarztes zu beschlagnahmen. Zugleich übernahm Bligh persönlich die Verantwortung für das Wohlbefinden der Besatzung, indem er fortan die Aufgaben des Schiffsarztes faktisch miterfüllte. Ohnehin hatte er mit seinen Maßnahmen mehr für die Gesundheit seiner Seeleute getan als der kontinuierlich unter Alkoholeinfluss stehende Huggan. Nach elfmonatiger Reise sichtete die Besatzung der BOUNTY schließlich am 25. Oktober 1788 die Insel Tahiti, wie Bligh berichtet: „Um sechs Uhr abends sahen [wir] Otaheite vor uns liegen.“

„Ein solch nachlässiger Haufen“ Der Aufenthalt auf Tahiti

A

m Morgen des 26. Oktober 1788 ging die BOUNTY an der Nordwestküste Tahitis vor Anker. Bligh berichtet:

„Nachdem wir von der Insel Maitea fünfundzwanzig Seemeilen ge-

[

segelt waren, näherten wir uns der Venusspitze (wo Kapitan Cook 1769 eine Sternwarte errichtet hatte, um den Durchgang der Venus zu beobachten). Bald kamen eine Menge Eingeborene in ihren Booten zu uns [...] Um 9 Uhr gingen wir in der äußeren MatavaiBucht vor Anker, weil der schwache Wind nicht ermöglichte, dem Schiff einen besseren Ankerplatz zu geben [...] Es verdient noch angemerkt zu werden, dass wir von England bis zum Ankerwurf in

]

Otaheite zusammengerechnet 27 068 englische Meilen [...] zurückgelegt hatten.“

Ein tropisches Inselparadies

Otaheite, wie Tahiti damals genannt wurde, ist eine Doppelinsel, die aus zwei erloschenen Vulkanen besteht. Der größere Teil wird Tahiti Nui (Groß-Tahiti), der kleinere Tahiti Iti (Klein-Tahiti) genannt. Beide Teilinseln sind durch den Isthmus von Taravao verbunden. Die von steilen Gipfeln geprägte Insel ist dicht mit tropischer Vegetation bewachsen. Westlich der Hauptinsel liegt die kleinere Insel Mo'orea. Bligh schrieb bewundernd über das tropische Inselparadies: „Ich habe viele Orte auf dieser Welt gesehen, aber Otaheite ist vermutlich allen anderen vorzuziehen.“

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„Ein solch nachlässiger Haufen“

Tahiti – Paradies in der Südsee

Ein tropisches Inselparadies

Die polynesische Gesellschaft war patriarchalisch organisiert und unterlag einer strengen hierarchischen Ordnung. An der Spitze stand der Adel, gefolgt von den Priestern und Handwerkern und Spezialisten, wie Holzschnitzern, Bootsbauern oder Navigatoren. Ganz unten in der Gesellschaftsordnung stand das einfache Volk. Häuptling der Region um die Matavai-Bucht war Tynah, seine Frau hieß Iddeah. Dem Brauch der Insel entsprechend, diente er als Regent für seinen ältesten Sohn, der damals sechs Jahre alt war, bis dieser das Mannesalter erreichen und selbst die Herrschaft übernehmen würde. Die politischen Verhältnisse auf Tahiti waren genauso komplex wie die Beziehungen zwischen den europäischen Staaten. Immer wieder kam es zu blutigen Stammesfehden. Auch das von Tynah beherrschte Gebiet war wiederholt von seinen Rivalen geplündert worden, weshalb er sich von der Ankunft der BOUNTY einen Statusgewinn erhoffte. Gleichwohl lehnte Bligh es rigoros ab, sich in die Konflikte auf Tahiti einzumischen, und bewahrte strikte Neutralität. Immer wieder erkundigten sich die Tahitianer nach dem von ihnen verehrten Captain Cook. Sie hatten Gerüchte gehört, dass Cook nicht mehr am Leben sei, schienen aber über die genauen Umstände seines Todes nichts zu wissen. Bei Strafe verbot Bligh daher seinen Männern, den Tahitianern zu erzählen, dass Cook von den Einwohnern der Insel Hawaii erschlagen worden war. Nachdem die Kontakte mit den Tahitianern zunächst etwas zögerlich verlaufen waren, kam dem Botaniker David Nelson der Einfall, Bligh als Cooks Sohn zu bezeichnen. Damit war das Eis gebrochen. Bligh erwies sich als begabter Diplomat. Mit Geschick gelang es ihm, gute Beziehungen zur örtlichen Bevölkerung aufzubauen. Er und Tynah wurden zu guten Freunden. Zudem traf Bligh auf Tahiti einen alten Bekannten wieder: „Hitihiti, der in den Jahren 1773 und 1774 mit Kapitän Cook gereist war, stattete mir heute einen Besuch ab. Er konnte noch einige Worte Englisch sprechen, die er während der Fahrt gelernt hatte.“ Nur sehr vorsichtig sprach Bligh gegenüber Tynah und den Insulanern den Wunsch an, Brotfruchtschösslinge sammeln und an Bord

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„Ein solch nachlässiger Haufen“

nehmen zu wollen: „Um jedoch den Wert der Brotfruchtbäume nicht unnötig zu steigern oder andere Schwierigkeiten zu veranlassen, hatte ich jedem an Bord verboten, den Insulanern den eigentlichen Zweck unserer Reise zu verraten.“ Die Verhandlungen mit den Tahitianern kamen aber schnell zu einem positiven Ende. Bligh erbat als Gegenleistung für die zahlreichen Geschenke die Erlaubnis, Brotfruchtbaumschösslinge für König Georg III. mitnehmen zu dürfen, was Tynah ihm großzügig gewährte. Auf der Venusspitze wurde ein kleines Lager zur Aufzucht der Brotfruchtbaumschösslinge eingerichtet, in dem neben Nelson und Brown auch Peckover, Heywood und Christian lebten. Bereits Anfang November konnte Bligh erleichtert notieren: „Mit dem Einsammeln von Brotfruchtpflanzen ging es glücklich voran. Wir hatten bereits mehr als hundert Töpfe gepflanzt und die Kajüte zu ihrer Aufnahme vorbereitet.“ Dennoch wurde die Abreise der BOUNTY verzögert. Durch den Umweg um das Kap der Guten Hoffnung war kostbare Zeit verloren gegangen. Die Regenzeit begann, und die Brotfruchtbäume befanden sich in ihrer Ruheperiode. Da aber David Nelson empfahl, die Brotfruchtschösslinge erst an Bord zu bringen, nachdem sicher war, dass sie auch in den Pflanztöpfen gewurzelt hatten, bedeutete dies, dass die Engländer mehrere Monate warten mussten, bevor sie sicher sein konnten, dass die Schösslinge das Umsetzen überstanden hatten.

Sinnliche Verlockungen

Für die meisten Männer an Bord war der lange Aufenthalt auf Tahiti kein großes Opfer. Bligh wusste, dass er auf Dauer weder die Insulaner vom Schiff, noch die Seeleute vom Land fernhalten konnte. Solange sich die Männer an die von Bligh aufgestellten Regeln hielten, durfte die Besatzung regelmäßig an Land gehen. Bligh hatte William Peckover als Mittelsmann für den Handel mit den Eingeborenen bestimmt: „Die Eingeborenen brachten Lebensmittel im Überfluss an Bord, und damit es bei dem lebhaften Handel nicht zu Streitigkeiten kommen sollte, übertrug ich den gesamten Einkauf Herrn Peckover, dem

S i n n l i c h e Ve r l o c k u n g e n

Geschützmeister.“ Dies war eine gute Wahl, da Peckover die tahitische Sprache beherrschte und mit den Sitten der Einwohner der Insel vertraut war. Ein Zehntel aller Lebensmittel, die von den Seeleuten an Land gekauft wurden, beanspruchte Bligh für das Schiff. In den Augen der Matrosen war das eine schreiende Ungerechtigkeit, tatsächlich handelte es sich aber um eine durchaus sinnvolle Maßnahme, um eine ausreichende Versorgung der gesamten Mannschaft mit frischen Lebensmitteln sicherzustellen. Doch die Seeleute waren bald wieder versöhnt. Nach der langen Seefahrt genossen sie das milde Klima des tropischen Inselparadieses, das reichliche Essen und die Gastfreundschaft seiner Bewohner. Für ein paar Eisennägel waren viele der hübschen Tahitianerinnen gern bereit, den hellhäutigen Fremden sexuell gefällig zu sein. Bligh notierte: „Da wir aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem ziemlich langen

[

Aufenthalt auf dieser Insel rechnen mussten, so war nicht zu erwarten, dass der Verkehr zwischen meiner Besatzung und den Eingeborenen in den Schranken strenger Zurückhaltung bleiben würde; deshalb erteilte ich den Befehl, dass sich jedermann vom Wundarzt untersuchen lassen müsse. Zu meiner Zufriedenheit fiel der Bericht des Arztes dahin aus, dass die Mannschaft von der Lustseuche

]

[Syphilis] völlig frei wäre.“

Bei dieser Feststellung handelte es sich zweifellos um eine weitere Fehldiagnose des inkompetenten Schiffsarztes Huggan, denn zahlreiche Matrosen und auch Schiffsoffiziere der BOUNTY waren nachweislich mit der Syphilis infiziert. Angesichts der lockeren Sexualmoral des 18. Jahrhunderts waren Geschlechtskrankheiten wie Gonorrhoe oder Syphilis weit verbreitet. Auch in der Royal Navy waren venerische Infektionen nicht gerade selten; hinter vielen Namen in den Mannschaftslisten britischer Kriegsschiffe stand das Kürzel „VD“ für „venereal disease“, englisch für „geschlechtskrank“. Auch über ein Drittel der Mannschaft der BOUNTY, darunter Fletcher Christian und Peter Heywood, war während der Reise wegen Geschlechtskrankheiten be-

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handelt worden, wofür man den Seeleuten wie damals üblich 15 Schilling von ihrer Heuer abgezogen hatte. Allerdings ist fraglich, ob die Männer tatsächlich kuriert waren. Die damals übliche Therapie venerischer Erkrankungen bestand in der Verabreichung von Quecksilberpräparaten, wobei man hoffte, dass der Patient geheilt wurde, bevor er an den Folgen der Behandlung verstarb. Die meisten Männer der BOUNTY genossen die sexuelle Freizügigkeit der tahitischen Mädchen, nur einige, darunter Christian, gingen feste Partnerschaften ein. Allerdings hatten die meisten Engländer tahitische Freunde, Taios genannt, wie Bligh berichtet: „Die Vertraulichkeit zwischen den Eingeborenen und unseren Leuten war bereits so allgemein, dass kaum ein Mann auf dem Schiff ohne seinen besonderen Freund oder Taio war.“ Eine Besonderheit der polynesischen Kultur waren die Tätowierungen. Männer wie Frauen trugen komplizierte Muster auf der Haut, die Auskunft über ihren gesellschaftlichen Rang gaben. Auch viele Besatzungsmitglieder, darunter Christian, Heywood und Morrison, ließen sich tätowieren. So trug der Bootsmannsmaat das Band des Hosenbandordens, des höchsten englischen Ordens, auf der Haut, Christian einen Stern auf der Brust und ein unbekanntes Muster auf dem Gesäß, während sich Heywood, den Bligh später als „an verschiedenen Stellen tätowiert“ beschrieb, unter anderem das Wappen der Isle of Man hatte einritzen lassen. Ungeachtet aller sinnlichen Verlockungen blieb Bligh allem Anschein nach seiner geliebten Betsy treu. Es gibt keinerlei Hinweise, dass er den Schönen der Insel gegenüber ein über seine anthropologischen Studien hinausgehendes Interesse gezeigt hätte. Die wiederholt geäußerte Vermutung, ihn und Fletcher Christian habe ein sexuelles Verhältnis verbunden, entbehrt jeder Grundlage. Tatsächlich ist nachgewiesen, dass Christian sexuelle Kontakte mit Frauen hatte, er war an Bord der BOUNTY sogar wegen einer Geschlechtskrankheit behandelt worden. Überdies fehlt jeder auch noch so schwache Beweis für die These, Bligh sei homosexuell gewesen. Zum einen liebte Bligh ohne jeden Zweifel seine Frau aufrichtig, zum anderen wäre eine solche

Beobachtungen und Entdeckungen

Veranlagung auf jeden Fall in der späteren Verleumdungskampagne gegen ihn zur Sprache gekommen. Liebe unter Männern wurde in der damaligen Gesellschaft nicht toleriert. Auch in der Royal Navy stand auf Homosexualität nach den Kriegsartikeln die Todesstrafe. So wurde beispielsweise 1807 ein Leutnant namens William Berry wegen Homosexualität von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt. Hätte es auch nur Gerüchte über derartige Verfehlungen gegeben, hätten Blighs Gegner dies sicherlich genutzt, um ihn noch weiter zu diskreditieren.

Beobachtungen und Entdeckungen

Während seine Mannschaft den unfreiwilligen Aufenthalt auf Tahiti nach Herzen genoss, widmete sich Bligh seinen wissenschaftlichen und ethnographischen Studien; er erkundete die Insel und erforschte die Kultur ihrer Einwohner, denen er bereitwillig nützliche Dinge wie neue Nutzpflanzen, Zuchttiere oder Werkzeuge für ein – wenn auch oft nur vermeintlich – besseres Leben überließ. So befahl er Joseph Coleman, dem Büchsenmeister und Schmied der BOUNTY, eiserne Werkzeuge für die Insulaner anzufertigen. Dagegen lehnte es William Purcell strikt ab, einen Schleifstein als Geschenk für den Häuptling anzufertigen. Der Schiffszimmermann war sowohl Deckoffizier als auch Handwerker. Sein Werkzeug war nicht von der Marine gestellt, sondern sein Privateigentum, und so weigerte er sich, weil er sich seine Meißel nicht verderben wollte. Bligh wiederum sah darin Widersetzlichkeit und eine Gefährdung des Ziels der Reise durch einen widerborstigen Egoisten. Wütend schrieb er in sein Logbuch: „Da dieser Mann bereits zuvor sein meuterisches und unverschämtes Verhalten gezeigt hat, war ich gezwungen, ihn in seiner Kammer einzusperren.“ Wieder fehlte es ihm an einer Handhabe gegen den widerspenstigen Deckoffizier. Dagegen wurde am gleichen Tag der Matrose Matthew Thompson wegen Ungehorsams mit zwölf Peitschenhieben bestraft. Am folgenden Tag befahl Bligh dem Zimmermann, seinen Dienst wieder aufzunehmen. Beinahe täglich traf sich Bligh mit Tynah und dessen Hofstaat. Sorgfältig schrieb er jeden Tag seine Beobachtungen und Entdeckun-

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„Ein solch nachlässiger Haufen“

gen in seinem Logbuch nieder: „Bei einem Volk wie die Tahitier, das sonst fern von Anmaßung und Eitelkeit ist, bei einem Volk, dessen Sitten so einfach und natürlich sind, bleibt es unbegreiflich, mit welcher Strenge die oft nur kleinen Unterschiede von Stand und Rang beachtet werden.“ Unvoreingenommen und ohne die kulturelle Arroganz vieler Europäer beschrieb Bligh mit großem Einfühlungsvermögen die Kultur der Polynesier, ihre Sitten und Gebräuche: „Dabei verursachte der Umstand ständige Verwirrung, dass fast jeder von ihnen mehrere Namen hat, sodass man selten weiß, von wem

[

die Rede ist. Im Verlauf von dreißig Jahren kann ein Häuptling seinen Namen wohl ein dutzendmal ändern. Teinas Vater zum Beispiel,

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der jetzt Otau hieß, wurde im Jahre 1769 Happai genannt.“

Gewisse Aspekte der polynesischen Kultur irritierten Bligh jedoch. Insbesondere die Einstellung der Tahitianer zur Sexualität befremdete ihn. Verwundert schrieb Bligh: „Im ganzen genommen, scheint in Tahiti wechselseitige Zuneigung das einzige bindende Ehegesetz zu sein.“ Mit Abscheu schilderte er die rituelle Entjungferung eines siebenjährigen Mädchens. Auch der öffentlich ausgeübte Beischlaf und die allgemein akzeptierte Promiskuität innerhalb von Familien erweckte sein Missfallen. So schliefen Männer regelmäßig mit den Frauen ihrer Brüder. Dagegen führte Untreue außerhalb der Familie häufig zu blutigen Familienfehden.

Disziplinlosigkeit und Inkompetenz

Wenig Arbeit, reichlich zu essen und die freigiebig gewährte Zuneigung der Tahitianerinnen machten die Insel für die an Mühen und Entbehrungen gewöhnten englischen Seeleute zu einem regelrechten Garten Eden. Unvermeidlich lockerte sich in dieser Zeit des Müßiggangs im tropischen Inselparadies die straffe Disziplin der Royal Navy. Während sich Bligh mit den Brotfruchtschösslingen und seinen wissenschaftlichen Studien beschäftigte, machten sich unter der Mannschaft

Disziplinlosigkeit und Inkompetenz

Nachlässigkeit und Pflichtvergessenheit breit. James Cook hätte seine Seeleute niemals so lange untätig faulenzen lassen. Er wäre mit seinem Schiff ausgelaufen, um Tahiti und die umliegenden Inseln zu erkunden und zu vermessen. Auf diese Weise hätte er nicht nur seine wissenschaftliche Neugier befriedigt, auch die Mannschaft wäre sinnvoll beschäftigt gewesen. Im Gegensatz zu seinem großen Vorbild Cook fehlte Bligh aber dieses intuitive Gefühl für die Mentalität seiner Seeleute. Doch das ruhige Leben der Mannschaft der BOUNTY auf Tahiti blieb nicht ungestört. Insbesondere die ständigen Diebstähle durch die Eingeborenen sorgten für Ärger. Die Polynesier hatten im Vergleich zur europäischen Definition von Eigentum eine völlig unterschiedliche Auffassung von Besitz. Die einfachste Möglichkeit, solche Diebstähle zu verhindern, war, alles wegzuschließen, was nicht niet- und nagelfest war. Nach einem Diebstahl im Lager auf der Venusspitze Anfang November geriet Bligh so heftig in Wut, dass Tynah und die übrigen Häuptlinge in die Berge flohen. Einige Stunden später brachte Tynah den Dieb persönlich zu Bligh, der diesen zu 100 Peitschenhieben verurteilte – selbst nach den damaligen Maßstäben der Royal Navy eine barbarische Strafe. Seine eigenen Männer hatte Bligh niemals mit mehr als zwei Dutzend Hieben bestraft. Ungerührt ließ Bligh die Züchtigung durchführen; klaglos nahm der Delinquent die 100 Schläge mit der neunschwänzigen Katze hin. Bligh hatte seine Männer angewiesen, den Tahitianern gegenüber freundlich aufzutreten und „ihnen nicht mit Gewalt abzunehmen, was sie gestohlen haben“. Gleichzeitig wurde ihnen jedoch der Wert der unter ihrer Aufsicht stehenden Gegenstände, die von den Insulanern entwendet wurden, von der Heuer abgezogen. Für die Seeleute war dies ein Dilemma: Wurden sie bestohlen, wurden sie bestraft; versuchten sie einen Diebstahl zu unterbinden, wurden sie ebenfalls bestraft. Am 9. Dezember 1788 starb der Schiffsarzt Thomas Huggan an den Folgen seiner Alkoholsucht und wurde am Point Venus beigesetzt. Er war damit der zweite Europäer, der seine letzte Ruhe auf der Insel Tahiti fand.

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„Ein solch nachlässiger Haufen“

Weil die Matavai-Bucht nur wenig Schutz bot, beschloss Bligh nach einem schweren Sturm, die BOUNTY in die weiter westlich gelegene Oparre-Bucht zu verholen. Tynah, der die BOUNTY nahe bei sich behalten wollte, hatte ihm den Rat gegeben, das Schiff an diesen geschützteren, aber ebenfalls zu seinem Herrschaftsgebiet gehörigen Liegeplatz zu bringen. Kurz vor Weihnachten ließ Bligh daher das Lager an der Venusspitze abbrechen und mehr als 700 Töpfe mit Schösslingen an Bord der BOUNTY bringen. Am 25. Dezember befahl Bligh, den Anker zu lichten. Um in die Oparre-Bucht zu gelangen, musste die BOUNTY zunächst durch das der Küste vorgelagerte, äußere Riff segeln. Dabei ließ Fryer das Schiff aus Nachlässigkeit und Unachtsamkeit auf Grund laufen. Fryer hatte die Durchfahrt selbst vermessen lassen. Damit nicht genug, vermasselten er und Christian auch das Manöver, mit dem sie die BOUNTY wieder vom Riff herunterziehen wollten. Ohne Frage genügte diese Zurschaustellung schlechter Seemannschaft, um einen von Blighs Wutanfällen hervorzurufen. Immer deutlicher zeigte sich, wie sehr die Disziplin an Bord der BOUNTY in den vergangenen Monaten gelitten hatte. Nachlässigkeit

im Dienst hatte immer mehr um sich gegriffen. Kurz nach der Grundberührung musste Bligh feststellen, dass die Reservesegel verrottet waren, weil die verantwortlichen Schiffsoffiziere, nicht zuletzt Bootsmann William Cole, es versäumt hatten, sie zu lüften. Bligh wütete: „Kaum eine Pflichtvergessenheit kommt dieser verbrecherischen Tat auch nur nahe.“ Einige Tage später vergaß Fryer überdies, den für die exakte Bestimmung des Schiffsstandortes unentbehrlichen Chronometer aufzuziehen, sodass die Uhr stehenblieb. Immer wieder klagte Bligh in seinem Logbuch über die Unzuverlässigkeit seiner Schiffsoffiziere. „Ich habe einen solch nachlässigen Haufen unter mir“, schrieb er, nachdem er den Midshipman George Stewart wegen Pflichtvergessenheit bestraft hatte. Vor allem Christians offenkundige Trägheit ließ Blighs reizbares Temperament immer wieder explodieren. Wiederholt wurde jener zum Ziel von Blighs Wutanfällen; mehrfach stauchte er ihn in Anwesenheit von Tynah zusammen. Damit verstieß Bligh einmal mehr gegen die

Disziplinlosigkeit und Inkompetenz

wichtige Regel, Offiziere nicht in der Öffentlichkeit zu maßregeln, da dies deren Autorität untergrub. In den frühen Morgenstunden des 4. Januar 1789 desertierte der Wachtmeister Charles Churchill gemeinsam mit dem Matrosen John Millward und dem Kochsmaat William Muspratt. Letzterer war Posten während der Nachtwache zwischen Mitternacht und vier Uhr Morgens gewesen. Wachhabender war Midshipman Thomas Hayward, der sich jedoch befehlswidrig hingelegt hatte und fest schlief. So gelang es den drei Deserteuren, sich unbemerkt mit einem kleinen Boot davonzumachen. Nach der Desertion wütete Bligh, dass „noch nie auf einem Schiff so nachlässige und wertlose Unteroffiziere gewesen sind, wie auf diesem“. Tatsächlich war das Schlafen während der Wache kein bloßes Vergehen, sondern eine schwere Straftat, die nach den Kriegsartikeln mit dem Tode bestraft werden konnte. Offenbar hatten die drei Deserteure ihre Flucht sorgfältig geplant. Sie hatten acht Musketen nebst Munition dabei und wurden an Land bereits von ihren tahitischen Freunden erwartet, die sie mit ihren Kanus weiter nach Tetiaroa brachten, einem kleinen, etwa 25 Seemeilen von Tahiti entfernten Atoll. Der Grund für die Desertion war vermutlich die Verlockung eines vermeintlich leichten Lebens in einem tropischen Inselparadies. Allerdings scheinen die Bewohner Tetiaroas die Engländer weniger freundlich aufgenommen zu haben als erhofft, denn die Deserteure kehrten schon bald nach Tahiti zurück, wo sie von Bligh aufgespürt und verhaftet wurden. Auf Desertion stand damals die Todesstrafe, die allerdings nur von einem Kriegsgericht verhängt werden konnte. Deshalb bestrafte Bligh die drei Männer mit der Peitsche. Millward und Muspratt bekamen je zwei Dutzend Hiebe mit der neunschwänzigen Katze auf den nackten Rücken, während Churchill aufgrund seiner bis dahin ausgezeichneten Führung nur ein Dutzend Schläge erhielt. Anschließend wurden die Deserteure für einen Monat in Eisen gelegt, um danach noch einmal die gleiche Anzahl Hiebe zu erhalten. Da Bligh wie jeder Kommandant ohne Kriegsgerichtsurteil als Strafe nicht mehr als ein Dutzend Peitschenhiebe verhängen durfte, ließ er zur Absicherung ge-

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„Ein solch nachlässiger Haufen“

gen spätere Anklagen die drei Deserteure einen Brief unterschreiben, in dem diese ihm für seine Milde und die Nachsicht, ihnen ein Verfahren vor dem Kriegsgericht zu ersparen, dankten. Midshipman Hayward, der während der Wache geschlafen hatte, ließ er für 19 Tage in Eisen legen. Es war nicht die letzte Bestrafung: „Am 30. Januar, nachmittags, bestrafte ich den Matrosen Isaac Martin mit neunzehn Peitschenhieben, weil er einen Insulaner geschlagen hatte. Einige Häuptlinge baten mich, die Strafe nicht vollziehen zu lassen, aber das Vergehen bedeutete eine so ernsthafte Verletzung meiner Befehle, dass ich mich nicht erweichen ließ.“ Bligh inszenierte die Auspeitschungen auf Tahiti sorgfältig, um, wie er hoffte, den Abschreckungseffekt zu erhöhen. So ließ er die Strafen stets in Anwesenheit der Insulaner und ihrer Häuptlinge vollziehen. Vor allem unter den Freunden der bestraften Männer sorgte dies für Empörung, während die Anwesenheit so vieler schiffsfremder Zuschauer für die Bestraften eine zusätzliche Demütigung bedeutete. Die Probleme häuften sich: Am 4. Februar wurde während der Nacht das Ankertau der BOUNTY durchschnitten. Allerdings wurde die Tat noch rechtzeitig bemerkt, bevor das Schiff auf Grund getrieben wurde. Ein Schuldiger wurde nie gefunden. Vermutlich war Bligh sehr erleichtert, als endlich alle Pflanzen an Bord und das Schiff bereit zum Auslaufen war: „Am 31. März hatten wir alle Pflanzen in 774 Töpfen, 39 Bottichen und 24 Kästen an Bord. Die Zahl der Brotfruchtpflanzen betrug 1015, aber daneben hatten wir noch andere Pflanzen eingesammelt, nämlich solche, die mir mein Freund Sir Joseph Banks empfohlen hatte.“ Vier Tage später, am 4. April 1789, stach die BOUNTY in See. Beim Abschied schrieb Bligh: „Wir sagten Otaheite Lebewohl, wo wir 23 Wochen lang mit größter Freundlichkeit behandelt und mit dem besten Fleisch und den feinsten Früchten der Welt versorgt worden sind.“

„Ich bin in der Hölle“ Die Meuterei auf der BOUNTY

D

ie Mannschaft der BOUNTY war auf Tahiti träge und faul geworden und wurde nun von ihrem Kommandanten gna-

denlos angetrieben. Bligh geriet in Rage angesichts der schlechten Seemannschaft, die seine Seeleute nach der langen Zeit der Untätigkeit an den Tag legten. Jähzornig brüllte er seine Schiffsoffiziere beim kleinsten Fehler an und wies sie mit wüsten Flüchen vor der versammelten Mannschaft zurecht. Der Kontrast zwischen dem Müßiggang auf Tahiti und den wütenden Versuchen Blighs, die strikte Schiffsdisziplin wiederherzustellen und aus seinen Männern wieder richtige Seeleute zu machen, konnte nicht größer sein – mit verhängnisvollen Auswirkungen auf die Stimmung der Männer, die sehnsüchtig an die unbeschwerten Monate auf Tahiti zurückdachten. Die Spannungen an Bord wuchsen täglich.

Das Zerwürfnis zwischen Bligh und Christian

Auch das Zerwürfnis zwischen Bligh und Fletcher Christian vertiefte sich; immer wieder kam es zwischen ihnen zu heftigen Wortwechseln. Als Bligh Christian zum diensttuenden Leutnant ernannt hatte, war er davon ausgegangen, dass dieser mit seiner Aufgabe wachsen würde. Doch er musste beobachten, wie der junge Mann, in den er so große Hoffnungen gesetzt hatte, als Offizier und Vorgesetzter versagte. Bligh fühlte sich durch die Unfähigkeit seines Schützlings persönlich verletzt. Christian hatte die hochgesteckten Erwartungen seines Kommandan-

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„Ich bin in der Hölle“

ten und Förderers enttäuscht, was ihn Bligh deutlich spüren ließ. Zwar degradierte er seinen Protegé nicht, doch begann er, ihn zunehmend mit kritischen Bemerkungen und Beschimpfungen zu drangsalieren. Auf diese Weise wollte Bligh Christian zwingen, sich stärker anzustrengen. Aber wie so oft erreichten die Schikanen nur das Gegenteil. Für den stolzen und empfindsamen Fletcher Christian waren diese Tage und Wochen eine einzige Tortur. So berichtet Fryer über einen Wortwechsel am 21. April, bei dem Christian gesagt haben soll, Blighs Beschimpfungen seien „so schlimm, dass ich meinen Dienst nicht mit Freude tun kann. Die letzten Wochen mit Ihnen waren die Hölle.“ Daran änderten auch die freundlichen Gesten Blighs nichts, mit denen er, nachdem sein Zorn verraucht war, Fletcher Christian zeigen wollte, dass er immer noch sein Freund war. Am 12. April wurde John Sumner wegen Pflichtvernachlässigung mit zwölf Hieben bestraft. Es war die letzte Auspeitschung vor der Meuterei. Zwölf Tage später, am 24. April, ging die BOUNTY vor der kleinen Insel Nomuka vor Anker, um Frischwasser und Proviant an Bord zu nehmen. Es sollte der letzte Zwischenstopp vor der Endeavour-Straße zwischen Australien und Neuseeland sein. Bligh hatte die zur Tonga-Gruppe gehörige Insel bereits früher mit Cook besucht und wusste, dass die Einwohner zu Diebereien neigten. Er schickte Christian mit einem Trupp Seeleute an Land, um die Weinfässer zu füllen. Weil Bligh aber Konfrontationen mit den Insulanern unbedingt vermeiden wollte, verbot er seinem Ersten Offizier, die zur Sicherheit ausgegebenen Waffen mit an Land zu nehmen. Diese sollten vielmehr in den Booten bleiben, was Christian, der keine Erfahrung im Umgang mit feindlichen Eingeborenen hatte, jedoch ignorierte. Was eigentlich Routine sein sollte, wuchs sich zu einem ernsten Zwischenfall aus: Einheimische stahlen dem englischen Landungstrupp einige Werkzeuge. Als Christian diesen Vorfall meldete, geriet Bligh einmal mehr in Wut, er beschimpfte Christian als „feigen Schurken“, der „trotz seiner Waffen Angst vor ein paar nackten Wilden habe“, worauf der Angegriffene erwiderte, „die Waffen seien nicht von Nutzen gewesen, da ihre Anordnungen uns deren Gebrauch untersag-

Da s Z e r w ü r f n i s z w i s c h e n B l i g h u n d C h r i s t i a n

te.“ Für Bligh war jedoch Fletcher Christian der eigentliche Schuldige. In seinen Augen hatte dieser seine Aufsichtspflicht als diensthabender Offizier sträflich vernachlässigt. Am folgenden Tag schickte er Christian erneut zum Wasserholen an Land, doch wieder musste dieser sich, von den Eingeborenen bedrängt, zu den Booten zurückziehen, wobei ein kleiner Bootsanker gestohlen wurde. Als Bligh davon erfuhr, geriet er in Wut: „Warum haben Sie nicht geschossen – Sie sind ein Offizier“, fuhr er Christian an. Auch Fryer, der ebenfalls an Land gewesen war, um Christian zu unterstützen, musste sich Vorwürfe anhören. Als sich Bligh über den Verlust des Bootsankers aufregte, antwortete der Sailing Master, es sei doch kein bedeutender Verlust, worauf Bligh zornig ausrief: „Bei Gott, wenn es für Euch nicht bedeutend ist, so ist es doch für mich bedeutend.“ Um den Bootsanker zurückzubekommen, griff Bligh zu einem bereits von Cook wiederholt mit Erfolg angewandten Mittel und nahm einige Häuptlinge als Geiseln: „Mittags lichteten wir die Anker und um ein Uhr setzten wir die Segel. Ich eröffnete nun den Häuptlingen, die sich an Bord befanden, dass ich sie nicht eher gehen lassen könne, bis sie den Bootsanker zurückgebracht hätten.“ Doch der Versuch scheiterte. Schließlich sah sich Bligh gezwungen, seine Gefangenen wieder freizulassen, ohne die gestohlenen Gegenstände zurückerhalten zu haben. Nachdem er sie mit Messer, Beilen, Sägen und einigen Nägeln beschenkt hatte, entließ Bligh die Häuptlinge aus seinem Gewahrsam. Sicherlich trug dieser Vorfall nicht dazu bei, das geschwundene Ansehen Blighs unter seiner Mannschaft wieder zu stärken. Die BOUNTY ließ die Insel Nomuka hinter sich und nahm Kurs auf Australien. Bei leichtem Ostwind steuerte der Dreimaster langsam durch das Inselgewirr auf nördlichem Kurs in Richtung der Insel Tofua. Unaufhaltsam spitzten sich die Konflikte an Bord der BOUNTY zu. Wütend über die, wie er meinte, Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit seiner Schiffsoffiziere, machte Bligh seinem Ärger ungezügelt Luft. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Bligh und Christian, der immer mehr zum Ziel für Blighs Zornesausbrüche wurde. Ein Besatzungsmitglied berichtete: „Welcher Fehler auch immer

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„Ich bin in der Hölle“

entdeckt wurde, Mr. Christian durfte sicher sein, den Großteil von Blighs Zorn abzubekommen.“ Blighs wiederholte Verbalattacken belasteten den zunehmend dünnhäutigen Christian schwer. Seine Verzweiflung wuchs von Tag zu Tag. Den letzten Anstoß zur Meuterei gab offenbar ein Streit über einige verschwundene Kokosnüsse.

Der Entschluss zur Verschwörung

In der Nacht auf den 27. April 1789 waren einige der an Deck gelagerten Kokosnüsse entwendet worden. Als Bligh gegen Mittag an Deck kam, wandte er sich an den Steuermann und fragte: „Mr. Fryer, denken Sie nicht, dass sich diese Kokosnüsse verringert haben?“ Der Steuermann antwortete, er glaube, dass der Haufen über Nacht zusammengesackt sei, doch Bligh war davon überzeugt, bestohlen worden zu sein. Er fuhr Christian an: „Verdammt sei Ihr Blut, Sie haben meine Kokosnüsse gestohlen.“ Der erwiderte: „Ich war durstig. Ich habe nicht an die Konsequenzen gedacht. Ich habe nur eine einzige genommen und ich bin sicher, niemand hat eine weitere angerührt.“ Christian schien die Angelegenheit nicht ernst zu nehmen, was für Bligh nur ein weiteres Zeichen von dessen mangelnder Sorgfalt im Umgang mit den Schiffsvorräten war. Bligh geriet immer mehr in Rage. Er beschimpfte die Besatzung und beschuldigte die Männer des Diebstahls: „Gott verdamme euch, ihr Schufte, ihr seid allesamt Diebe […] Ich werde dafür sorgen, dass die Hälfte von euch über Bord springt, bevor wir die Endeavourstraße erreicht haben. Ihr sollt alle zur Hölle fahren.“ Schließlich befahl er seinem Schreiber: „Streichen Sie diesen Halunken den Grog, Mr. Samuels, und geben Sie ihnen morgen nur ein halbes Pfund Yams. Wenn sie weiter stehlen, werde ich die Ration auf ein Viertelpfund verringern.“ Damit hatte Bligh einen wunden Punkt getroffen: Das tägliche Quantum Rum und die Essensrationen waren dem Seemann heilig, da sie das Einzige waren, was das harte Leben an Bord einigermaßen erträglich machte. Nachdem sein Zorn verraucht war, lud Bligh Christian zum

D e r E n t s c h l u s s z u r Ve r s c h w ö r u n g

Abendessen in seine Kajüte ein. Doch dieser lehnte ab, weshalb er stattdessen den Fähnrich Hayward bat, ihm beim Essen Gesellschaft zu leisten. Der Streit um die Kokosnüsse war weniger trivial, als es den Anschein hat. Da die Kokosnüsse offiziell zum Schiffsvorrat gehörten, war der Diebstahl ein schwerwiegendes Vergehen. Gleichwohl war Blighs Reaktion auf den Vorfall übertrieben. Fletcher Christian fühlte sich von den Vorwürfen offenbar tief getroffen. Purcell berichtete später, Christian hätte ihm gegenüber geäußert, im Gegensatz zu ihm besäße er als Schiffszimmermann zumindest den Rang eines Deckoffiziers: „Ihr habt etwas, das Euch beschützt, und könnt Euch wehren, doch wenn ich so zu ihm sprechen würde wie Ihr es tut, würde er mich vielleicht degradieren, vor den Mast schicken und auspeitschen lassen.“ Doch letztendlich war es nicht Bligh, der seinem Protegé die Freundschaft aufkündigte, es war Christian, der sich gegen seinen Förderer und Kommandanten erhob. An Bord eines britischen Kriegsschiffes waren Gehorsam und Pflichterfüllung das oberste Gebot; persönliche Befindlichkeiten und gekränkte Eitelkeiten hatten keinen Raum. Doch während die meisten älteren und erfahreneren Offiziere Blighs Wutausbrüche und Beschimpfungen schulterzuckend als unvermeidlichen Teil des Lebens an Bord akzeptiert hätten, zerbrach der erst 24-jährige Fletcher Christian daran. Nichts Böses ahnend, hatte sich Bligh wie üblich nach seinem abendlichen Rundgang an Deck zur Nachtruhe in seine Kajüte zurückgezogen. Der Vorwurf, Kokosnüsse aus dem Schiffsvorrat entwendet zu haben, hatte den psychisch labilen Christian offenbar vollends aus dem Gleichgewicht gebracht. Sein irrationales Benehmen in der Nacht vor der Meuterei deutet jedenfalls auf einen instabilen Geisteszustand hin. In der Nacht fasste Christian den selbstmörderischen Plan, mit einem selbstgebauten Floß von der BOUNTY zu fliehen und lieber sein Schicksal dem Meer anzuvertrauen, als sich noch länger den Schikanen seines Kommandanten auszusetzen. Er bat daher Purcell, ihm für den Bau des Floßes einige Planken, ein wenig Tauwerk und ein paar Nägel zu überlassen.

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„Ich bin in der Hölle“

Doch eine Gruppe von neun Männern überredete ihn offenbar, seinen Fluchtplan aufzugeben und stattdessen zu meutern und das Schiff zu übernehmen. Mehrere Besatzungsmitglieder erklärten später übereinstimmend, dass George Stewart als Erster die verhängnisvollen Worte „Übernehmt das Schiff“ ausgesprochen hatte. Stewart gehörte zu den wenigen Besatzungsmitgliedern, die eine feste Beziehung mit einer Tahitianerin eingegangen waren, zu der er vermutlich zurück wollte. Zudem, wird von den Zeugen berichtet, soll Stewart ausgerufen haben: „Wenn Sie es tun, Christian, die Mannschaft ist zu allem bereit.“ Tatsächlich war der bei den Seeleuten beliebte Christian als Stellvertreter des Kommandanten der einzige Mann an Bord, der die Schiffsübernahme anführen oder verhindern konnte. Von seiner Entscheidung hing das Schicksal aller Männer an Bord der BOUNTY ab. Nach kurzem Zögern entschied er sich für die Meuterei. Er löste den Wachhabenden Peckover ab und begann mit seinen Getreuen, die Schiffsübernahme vorzubereiten. Die Verschwörer weckten diejenigen der Mannschaft, von denen sie glaubten, dass sie sich an der Meuterei beteiligen würden, und verschafften sich Zugang zur Waffenkiste. Um nachts nicht geweckt zu werden, hatte der für die Waffen verantwortliche Fryer entgegen den üblichen Gepflogenheiten an Bord die Schlüssel für die Waffenkisten an den Büchsenmeister Coleman übergeben. Ohne zu zögern übergab dieser die Schlüssel an den Ersten Offizier Fletcher Christian. Christian befahl Hallet, der befehlswidrig während seiner Wache auf der Waffenkiste geschlafen hatte, an Deck. Widerspruchslos gehorchte der Midshipman, sodass sich die Meuterer bewaffnen konnten.

Die Schiffsübernahme

Die Schiffsübernahme ereignete sich in den frühen Morgenstunden des 28. April 1789 rund 30 Seemeilen von der Südseeinsel Tofua entfernt. Als der Morgen dämmerte, wurde Leutnant William Bligh, Kommandant Seiner Britischen Majestät bewaffneten Transportschiffs BOUNTY, unsanft aus dem Schlaf gerissen, als eine Horde Seeleute in seine

Die Schiffsübernahme

Kajüte eindrang, ihn fesselte und an Deck brachte. Hier wurde ihm zu seiner Bestürzung mitgeteilt, dass sein Erster Offizier Fletcher Christian gemeinsam mit einigen Mitgliedern der Besatzung das Kommando an sich gerissen hatte. Bligh selbst berichtet über dieses Ereignis: „Kurz vor Sonnenaufgang, als ich noch schlief, kamen Herr Christian, der Wachtmeister Churchill, der Konstablersmaat John Mills

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und der Matrose Thomas Burket in meine Kajüte, ergriffen mich, banden mir die Hände auf den Rücken und drohten, mich zu töten, wenn ich auch nur den geringsten Lärm machen würde [...] Ich wurde [...] und im bloßen Hemd an Deck geführt, wobei ich große Schmerzen hatte, weil mir die Hände zu fest gebunden waren [...] Ich fragte wieder, weshalb man so handle, und ich versuchte auch, einige zu ihrer Pflicht zurückzuführen, aber alles war vergeblich, und

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man drohte mir: ,Schweigt, Herr, oder Ihr seid des Todes!‛“

Die rebellierenden Seeleute zerrten Bligh auf das Achterdeck und fesselten ihn an den Kreuzmast. Die bewaffneten Meuterer hielten den Rest der Mannschaft in Schach. „Wenn Sie auch nur den geringsten Versuch unternehmen, Widerstand zu leisten, werde ich Sie sofort töten“, fuhr Christian Bligh an. Ungeachtet der Drohungen Christians, ihn umzubringen, versuchte Bligh mutig, diesen zur Räson zu bringen: „Bedenken Sie, was Sie im Begriff sind zu tun. Um Himmels willen, lassen Sie es nach. Ich gebe Ihnen mein Wort, nie mehr daran zu denken, wenn Sie aufgeben.“ Christian gab keine Antwort. „Ich habe eine Frau und vier Kinder in England und Sie haben meine Kinder auf Ihren Knie gewiegt“, drang Bligh weiter auf ihn ein. „Es ist zu spät. Ich war in der Hölle“, gab Christian zurück. „Es ist nicht zu spät“, antwortete Bligh. „Nein, Captain Bligh, wenn Sie Ehre hätten, wäre es niemals hierzu gekommen, und wenn Sie irgend etwas für Ihre Frau und Ihre Familie empfinden, hätten Sie vorher daran denken und sich nicht wie ein Schurke aufführen sollen“, erwiderte Christian erregt. Die Schiffsübernahme durch die Meuterer erfolgte rasch und ohne Blutvergießen. Wäre Bligh tatsächlich der sadistische Tyrann gewe-

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„Ich bin in der Hölle“

sen, als der er häufig dargestellt wird, hätte er die Meuterei vermutlich nicht überlebt. Den Kern der Meuterer bildeten lediglich neun Mann, darunter auch Churchill und Thompson, die beiden gewalttätigsten Männer der Besatzung; weitere Seeleute schlossen sich ihnen an. Zu Christians Überraschung und Enttäuschung ging aber nur weniger als die Hälfte der Männer zu den Meuterern über, der überwiegende Teil der Besatzung verhielt sich indifferent oder gar ablehnend. Zu einem Haufen zusammengetrieben und von den Meuterern bewacht, standen sie an Deck herum. Doch weder Fryer noch die anderen Deckoffiziere unternahmen auch nur den Versuch, die Kontrolle über das Schiff zurückzuerlangen. Die Meuterer beschlossen, Bligh zusammen mit einigen loyal gebliebenen Besatzungsmitgliedern und Proviant für fünf Tage in einem offenen Boot auszusetzen. Ursprünglich wollte Christian nur Bligh, Samuel, Hayward und Hallet in der Jolle, dem kleinsten Boot der BOUNTY, aussetzen. Dies wäre einem Todesurteil gleichgekommen.

Schließlich beschloss Christian jedoch, ein größeres Boot zu wählen, um auf diese Weise auch diejenigen Besatzungsmitglieder loszuwerden, die sich seiner Meuterei nicht anschließen wollten. Zunächst hatte Christian dafür den mittelgroßen Kutter vorgesehen, doch weil das Boot leckte und nicht seetüchtig war, ließ er auf Bitten Coles schließlich die Barkasse, das größte Beiboot der BOUNTY, ins Wasser setzen. Trotzdem war es nicht geräumig genug, um alle Nicht-Meuterer nebst Vorräten aufzunehmen. Die Barkasse war acht Meter lang, zwei Meter breit und verfügte über sechs Riemenpaare sowie zwei Masten mit Luggersegeln. Bligh durfte einen Kompass, einen Sextanten, das Logbuch des Schiffes und einige private Papiere mitnehmen, jedoch keine Seekarten. Auch den Chronometer behielten die Meuterer an Bord der BOUNTY. Dem Schiffsschreiber John Samuel gelang es jedoch, zahlreiche wichtige Dokumente zu retten, wie Bligh berichtet: „Dem Schiffsschreiber Samuel verdanke ich die Rettung meiner Tagebücher, meines Offizierspatents und verschiedener wichtiger Schiffspapiere. Dies gelang ihm mit viel List, obschon man ihn streng bewachte und genau auf ihn achtgab.“

A u s g e s e t z t i m Pa z i f i k

Ausgesetzt im Pazifik

Schließlich befahlen die Meuterer Fryer, dem Arztgehilfen Ledward und den Fähnrichen Hayward und Hallet sowie dem Schiffsschreiber Sa-muel, die neben der BOUNTY im Wasser liegende Barkasse zu besteigen. Weitere Seeleute, die sich nicht den Meuterern anschließen wollten, verließen ebenfalls das Schiff, bis sich schließlich 18 Männer in dem kleinen Boot drängten. Viele von ihnen hatten sich jedoch vermutlich nicht aus Treue zu Bligh entschieden, ihren Kommandanten zu begleiten, sondern weil sie Fletcher Christians Handlung ablehnten, die Konsequenzen der Tat fürchteten oder daheim in England einiges zu verlieren hatten. Weil die Barkasse zuletzt völlig überfüllt war, mussten manche der an der Meuterei unbeteiligten Besatzungsangehörigen unfreiwillig an Bord der BOUNTY bleiben. Bligh bestieg als letzter das Boot: „Christian sagte nun zu mir: ,Kommt, Kapitän Bligh! Eure Offiziere

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und Matrosen sind jetzt im Boot und Ihr müsst zu ihnen gehen. Wenn Ihr den geringsten Widerstand versucht, kostet es Euch das

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Leben!’“

Bligh blieb nichts anderes übrig, als der Aufforderung Folge zu leisten: „Als man mich vom Schiff drängte, fragte ich ihn, ob das der Dank

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für die Freundschaft sei, die ich ihm erwiesen hatte. Er schien darauf sehr betroffen zu sein und antwortete mir erregt: ,Das ist es eben,

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Kapitän Bligh! Ich leide wie in der Hölle! Ich bin in der Hölle!‘“

Der Rest der Besatzung blieb freiwillig oder gezwungen auf dem Schiff. Bligh schrieb: „An Bord der BOUNTY blieben als Meuterer [...] insgesamt 25, die geschicktesten Leute der Mannschaft.“ Unter den Seeleuten, die gegen ihren Willen an Bord der BOUNTY zurückgehalten wurden, waren der Büchsenmeister Coleman, die Zimmermannsmaate McIntosh und Norman sowie der halbblinde Fiedler Byrne.

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„Ich bin in der Hölle“

Während sich die BOUNTY langsam von dem Boot entfernte, rief Bligh den Männern auf dem Schiff hinterher: „Keine Angst, meine Jungs, falls ich England erreiche, werde ich dafür sorgen, dass ihr Gerechtigkeit erfahrt.“ Kaum war das Schiff hinter dem Horizont verschwunden, begann Bligh, ein Logbuch zu führen und die Beschreibungen der Meuterer niederzuschreiben. Seine Notizen sind erhalten, wasserfleckige Seiten, auf denen er trotz Hunger und Erschöpfung alle Details dieser entbehrungsreichen Fahrt festhielt. Über die vermeintlichen Anführer der Meuterei schrieb er: „Heywood war ebenfalls wie Christian ein geschickter junger Mann

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aus einer guten Familie in Nordengland. Ich hatte für beide eine besondere Zuneigung und gab mir viel Mühe, sie auszubilden, weil es in der Tat schien, dass sie einmal ihrem Vaterland recht nützlich sein würden. Young war mir empfohlen worden und schien mir ein tüchtiger Seemann zu sein, aber er erfüllte meine Erwartungen nicht. Steward war ein junger Mann von angesehenen Eltern auf den

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Orkney-Inseln [...] Er war auch ein guter Seemann und hatte immer den besten Ruf.“

Die BOUNTY war in west-nordwestlicher Richtung davongesegelt. Bligh hielt diesen Kurs für eine Finte. Er ging davon aus, dass die Meuterer Kurs auf Tahiti nehmen würden. Er war der festen Überzeugung, dass die paradiesische Insel mit ihren freundlichen Eingeborenen und den wunderschönen Frauen, die den britischen Seeleuten bereitwillig ihre Gunst geschenkt hatten, der eigentliche Grund für die Meuterei gewesen war. Bligh schrieb: „Ich kann nur vermuten, dass sie davon überzeugt waren, unter den Tahitianern ein glücklicheres Leben führen zu können als möglicherweise in England.“ Tatsächlich kehrte die BOUNTY nach der Meuterei nach Tahiti zurück. Hier wollte Christian polynesische Frauen und Männer an Bord nehmen, die bereit waren, mit den Meuterern gemeinsam auf der Insel Tubuai eine Niederlassung zu gründen. Insgesamt segelten 27 tahitische Männer, Frauen und Kinder an Bord der BOUNTY nach Tu-

A u s g e s e t z t i m Pa z i f i k

Die Meuterer setzen Bligh und die loyal gebliebenen Besatzungsmitglieder aus.

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„Ich bin in der Hölle“

buai. Doch das Siedlungsvorhaben scheiterte, da Christian und seine Gefolgschaft bereits kurz nach der Landung in blutige Konflikte mit den Eingeborenen der Insel gerieten. Schließlich mussten sie im September 1789 ihre Niederlassung wieder aufgeben. Auch unter den Meuterern begannen die Spannungen und Konflikte zu wachsen. Als die BOUNTY nach Tahiti zurückkehrte, verließen 16 Meuterer das Schiff. Unter ihnen befanden sich nicht nur die vier loyalen Seeleute Coleman, McIntosh, Norman und Byrne, die gezwungenermaßen an Bord der BOUNTY geblieben waren, sondern auch die Fähnriche Heywood und Steward. Sie alle wollten lieber Gefangennahme und Hinrichtung riskieren, als ihr Schicksal weiter mit Christian zu verbinden. So blieben sie auf der Insel zurück, während Fletcher Christian am 23. September 1789 mit unbekanntem Ziel wieder in See stach. Außer ihm waren acht Engländer und eine Gruppe von tahitischen Frauen und Männern an Bord, von denen einige aber nicht freiwillig mit auf die Reise gegangen waren. Nach den Erfahrungen auf Tubuai hatte Fletcher Christian beschlossen, sich mit seiner kleinen Gefolgschaft auf dem kleinen, fernab aller bewohnten Inseln gelegenen Eiland Pitcairn niederzulassen. Die rund 1000 Seemeilen westlich von Tahiti und mehr als 3000 Seemeilen östlich von Südamerika mitten im Pazifik gelegene Insel war ein ideales Versteck. Dadurch hoffte Christian, nicht nur Konflikten mit Eingeborenen, sondern auch der Entdeckung durch englische Kriegsschiffe auf der Suche nach den Meuterern der BOUNTY zu entgehen. Nach einer 2000 Seemeilen langen Irrfahrt fanden die Meuterer die in den Seekarten mit einer falschen Position eingezeichnete Insel. Am 15. Januar 1790 ging Fletcher Christian mit acht Meuterern, 13 polynesischen Frauen und sechs polynesischen Männern auf Pitcairn an Land. Die unzugängliche Insel erwies sich als ausgezeichnetes Versteck: Sie war unbewohnt, bot ein angenehmes Klima und besaß auf einem Hochplateau fruchtbaren Boden mit unzähligen Kokospalmen und Brotfruchtbäumen. Nachdem die Meuterer alles Brauchbare von der BOUNTY entfernt hatten, verbrannten sie das Schiff, um eine Entdeckung unmöglich zu machen.

„Nichts als Haut und Knochen“ Die Bootsfahrt nach Timor

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ie Lage der Ausgesetzten war beinahe aussichtslos. Bligh und seine Männer saßen in einem offenen Boot mitten im

Pazifischen Ozean. Die Barkasse war zwar stabil gebaut, doch mit insgesamt 19 Mann Besatzung und den Vorräten hoffnungslos überladen. Das Dollbord befand sich ganze 20 Zentimeter über dem Meeresspiegel, sodass bereits bei geringem Wellengang Wasser ins Boot schwappte. Die Männer mussten sich mit äußerster Vorsicht bewegen, um zu verhindern, dass das Boot aus dem Gleichgewicht geriet und volllief oder gar kenterte.

Gefahren und Entbehrungen

Gefahr ging auch von den Eingeborenen der umliegenden Inseln aus. Nicht alle waren Fremden gegenüber friedlich gesinnt, und die Ausgesetzten waren fast völlig wehrlos. Ihre einzigen Waffen waren vier Entermesser, die ihnen die Meuterer ins Boot geworfen hatten. Auch sonst standen ihre Chancen schlecht: Sie hatten keine einzige Seekarte an Bord. Für die Navigation verfügten sie nur über einen Kompass, einen Sextanten, einen Quadranten, einige Bücher mit nautischen Tafeln zur Bestimmung der Längengrade sowie eine Taschenuhr, die der Geschützmeister Peckover mit ins Boot hatte nehmen können. Zumindest aber bestand kein Mangel an seemännischem Sachverstand: Außer Bligh besaßen auch Fryer und der Bootsmann Cole solide nautische Fertigkeiten, während Peckover, Elphinstone und Linkletter vermutlich über Grundkenntnisse der Navigation verfügten.

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„Nichts als Haut und Knochen“

Was Bligh aber vor allem Sorgen bereitete, war der Proviant. Der Lebensmittelvorrat an Bord der Barkasse bestand lediglich aus 75 Kilogramm Brot, rund 15 Kilogramm Pökelfleisch, 125 Litern Wasser, sieben Litern Rum, sechs Flaschen Wein sowie einigen Kokosnüssen – genug für fünf Tage bei vollen Rationen. Bei gekürzten Rationen würden die Vorräte zwar deutlich länger reichen, doch schien es dringend geboten, die Vorräte und vor allem Wasser zu ergänzen. Bligh nahm daher zunächst Kurs auf die nahe gelegene Vulkaninsel Tofua, um Nahrung und Wasser an Bord zu nehmen, doch die feindlich gesinnten Eingeborenen vertrieben ihn und seine Getreuen. Bligh berichtet: „Nun stand [der Häuptling] Mackackawau auf und sagte: ,Du willst nicht am Lande schlafen? Dann matti!‘ Das hieß geradeheraus: Wir

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töten Dich! [...] Wir stiegen nun alle in das Boot, bis auf einen Mann, der den Strand hinauflief, um das Bootstau loszubinden, obschon

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der Schiffsmeister und andere, die mich ins Boot zogen, ihm zuriefen, er solle zurückkommen.“

Ungeachtet der zahllosen bedrohlich wirkenden Eingeborenen war John Norton aus dem Boot gesprungen und an Land gewatet, um die Ankerleine zu lösen. Er wurde sofort zu Boden geworfen und mit Steinen erschlagen. Bligh berichtet weiter: „Die Steine flogen wie ein Kugelregen nieder. Die Eingeborenen hiel-

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ten das Tau fest und wollten das Boot ans Land ziehen, was ihnen auch gelungen wäre, wenn ich nicht ein Messer in der Tasche gehabt und die Leine durchgeschnitten hätte [...] Wir ruderten in die offene See, aber die Insulaner fuhren um uns herum, und wir konnten uns nur mit den Steinen wehren, die in unser Boot fielen. Da kam ich auf den Gedanken, einige Kleider über Bord zu werfen. Die Insulaner fischten sie eifrig auf und verloren dabei viel Zeit, und da es inzwischen finster geworden war, brachen sie ihren Angriff ab und kehrten zum Ufer zurück.“

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We t t f a h r t m i t d e m To d

Auf Tofua hatte sich Bligh von seiner stärksten Seite gezeigt. Mutig und entschlossen tat er alles, um das Leben seiner Männer zu retten. Die Ausgesetzten waren mit knapper Not davongekommen. Für die Männer im Boot erhöhte der tragische Tod des korpulenten Norton sogar die Überlebenschancen. Das Boot lag nun nicht mehr ganz so tief im Wasser, und für jeden Mann gab es etwas mehr Platz an Bord und ein wenig mehr zu essen.

Wettfahrt mit dem Tod

Trotz der Meuterei war Blighs Stellung als Kommandant und Anführer unangefochten. Nach dem Zusammenstoß mit feindlichen Eingeborenen auf Tofua beschloss er, Begegnungen mit Eingeborenen zukünftig aus dem Weg zu gehen. Ohnehin durften die Männer im Boot nur auf wenig Hilfe hoffen: Die Bewohner von Tongatabu und den Hawaii-Inseln galten als unberechenbar, während die Fidschi-Insulaner im Ruf standen, Kannibalen zu sein. Nach einiger Überlegung entschied Bligh, dass es das Beste sei, ohne weiteren Aufenthalt auf anderen Inseln direkten Kurs auf die 5800 Kilometer entfernte Insel Timor zu nehmen, wo sich seines Wissens nach die nächstgelegene europäische Siedlung befand: „Ich erklärte der Mannschaft, dass wir auf gar keine Hilfe hoffen konnten, bis wir Timor erreichten, das volle 3600 Seemeilen entfernt

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sei. Dort liege eine holländische Niederlassung, aber in welcher Gegend der Insel, das wisse ich selber nicht [...] Dabei hatte ich keine Seekarte und wusste von der Lage der Länder nicht mehr, als was

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mir mein Gedächtnis dazu hergab, wobei mir allerdings ein Handbuch mit Längen- und Breitenangaben sehr zustatten kam.“

Der Vorrat an Wasser und Proviant war für eine so lange Reise jedoch äußerst knapp, weshalb die Vorräte streng rationiert wurden. Bligh ließ alles Überflüssige wie Ersatzsegel, Ersatztauwerk oder Reservekleider über Bord werfen, um das überfüllte Boot leichter und damit

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„Nichts als Haut und Knochen“

seetüchtiger zu machen. Die Bootsinsassen ließ er einen Eid schwören, sich der Rationierung klaglos zu unterwerfen. Um die einzelnen Essensportionen abzuwiegen, fertigte Bligh aus zwei Kokosnussschalen ein Waage an; als Gewichte dienten einige Pistolenkugeln. Fortan erhielt jeder Mann pro Tag lediglich 50 Gramm Schiffszwieback und einen Achtelliter Wasser, wie Bligh berichtet: „Alle waren nun bereit, von einer Unze Brot und einem Quart Wasser täglich zu leben.“ Angesichts der Strapazen war dies kaum genug, um die Männer am Leben zu erhalten. Durch Extrazuteilungen versuchte Bligh, die Lebensgeister der Schwächsten zu stärken. Zudem geriet das Boot wenig später in einen schweren Sturm. Es regnete in Strömen, und immer wieder brachen Sturzseen über das Heck herein. „Fünfzehn Tage lang waren die Männer gezwungen, ununterbrochen auszuschöpfen“, schreibt Bligh. „Die paar Stunden, die wir schlafen konnten, lagen wir mitten im Wasser, und wir erwachten immer mit schweren Krämpfen und Schmerzen in den Knochen.“ Schließlich legte sich der Sturm, dafür brannte die glühende Sonne auf die Männer in dem offenen Boot herab. „Es war nicht meine geringste Not, dass ich ständig um Vergrößerung der Ration gebeten wurde und dies immer wieder abschlagen musste [...] Der Vorrat an Lebensmitteln, den wir vom Schiff mitgenommen hatten, wäre in fünf Tagen aufgezehrt gewesen, wenn uns die Not nicht damit wirtschaften gelehrt hätte.“ Es war eine Fahrt, die von extremen Entbehrungen, brillanter Navigation und wachsenden Spannungen geprägt war. In dieser Situation wuchs Bligh über sich hinaus: Ungeachtet aller Strapazen, trotz Erschöpfung, Hunger, Kälte und Nässe versäumte er es nie, jeden Tag die Position und den Kurs des Bootes niederzuschreiben. Mangels Seekarten musste er aus dem Gedächtnis navigieren, wobei er unterwegs mehrere Inseln der Fidschigruppe und der nördlichen Neuen Hebriden entdeckte und die nordöstliche Küste Australiens erkundete. Bligh kartographierte die Gewässer, die das Boot durchsegelte. Mit unzureichenden Hilfsmitteln fertigte er bewundernswert genaue Seekarten an. Zugleich erwies sich Bligh als mutiger und entschlossener Anführer.

We t t f a h r t m i t d e m To d

Ohne seine planende Voraussicht, seinen unerschütterlichen Willen und seine Härte sich selbst und seinen Männern gegenüber hätte wohl keiner die Fahrt nach Timor überlebt. Neben diesen außergewöhnlichen Führungsqualitäten offenbarte er allerdings auch erneut die Schwächen seines Charakters. Am 29. Mai 1789 erreichten die Ausgesetzten eine kleine Insel, der Bligh zur Erinnerung an den Geburtstag König Charles II. von England (1630–1685) den Namen Restoration Island gab. Mit der Krönung Charles II. war 1660, nach dem kurzlebigen Zwischenspiel der nach dem Englischen Bürgerkrieg von Oliver Cromwell gegründeten Republik, die Monarchie in England wieder hergestellt worden. Der Aufenthalt auf Restoration Island rettete den erschöpften Männern vermutlich das Leben, doch brachte er auch die Zwietracht und die Konflikte wieder zum Vorschein, die während der Bootsfahrt vom gemeinsamen Kampf ums Überleben überdeckt worden waren. So musste Bligh auf der Insel feststellen, dass jemand sich heimlich am Pökelfleisch vergriffen hatte, sodass nur noch zwei Pfund davon übrig waren. Nach zwei Tagen setzten die Männer ihre Reise fort. Kurz darauf, während des Aufenthalts auf einer weiteren, Sunday Island getauften Insel, kamen die Spannungen zwischen Bligh und seiner Mannschaft offen zum Ausbruch. Fryer schlug vor, drei Gruppen zu bilden, die jeweils für sich nach Essbarem suchen sollten. Jeder sollte das essen, was er gesammelt hatte. Für die Schwächsten unter den Männern, die kaum über die nötige Kraft verfügten, nach Nahrung zu suchen, hätte das vermutlich den Tod bedeutet. Doch Bligh, der wusste, dass das Überleben aller von Zusammenhalt und Kameradschaft abhing, ignorierte den Vorschlag seines Steuermanns. Als Purcell mit einem Sack voll Muscheln zum Lager zurückkehrte, befahl ihm Bligh, diese in den gemeinsamen Topf zu tun, was der Zimmermann jedoch verweigerte. Voll Abscheu warf Bligh ihm an den Kopf: „Wenn ich nicht bei euch gewesen wäre, wärt ihr längst untergegangen“, worauf Purcell zurückgab: „Ja, Sir. Und nur wegen Euch sind wir hier gelandet.“ Das war zu viel für Bligh. Rasend vor Wut, erhob er sich und begann den Zimmermann zu beschimpfen, der ebenso zornig antworte-

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„Nichts als Haut und Knochen“

te. Schließlich ergriff Bligh ein Entermesser und forderte Purcell auf, sich ebenfalls zu bewaffnen, der jedoch zu feige oder aber klug genug war, nicht nach einer Waffe zu greifen. Als Fryer sich in den Konflikt einmischte und den übrigen Männern befahl, Bligh festzunehmen, wandte sich dieser gegen ihn und drohte, ihn zu töten. Kurz sah es so aus, als ob der Streit eskalieren würde. Doch als Bligh feststellte, dass er von den anderen Männern keine Unterstützung erhalten würde, warf er das Entermesser fort und ging davon. Bligh selbst schildert den Vorfall etwas anders: „Um acht Uhr morgens landete ich hier und schickte zwei Gruppen

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auf die Suche. Einige Leute fingen vor Schwäche und Müdigkeit an zu murren, sie wollten lieber kein Mittagessen haben, wenn sie es sich erst selber suchen mussten. Einer von ihnen ging sogar so weit, dass er mir mit der Miene eines Aufrührers sagte, ich sei wohl nicht mehr als er. Da ich nicht wissen konnte, wo das noch hinauslaufen würde, entschloss ich mich, solchen Widersetzlichkeiten sofort ein Ende zu machen und entweder mein Ansehen zu retten oder bei dem Versuch zu sterben. Ich ergriff ein Entermesser und befahl ihm, ein

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anderes zu nehmen und sich zu verteidigen. Nun rief er aber, ich wolle ihn umbringen, und er fing an nachzugeben.“

Nicht selten brach in Ausnahmesituationen, wie beispielsweise nach einem Schiffbruch, die Disziplin zusammen und die Offiziere verloren ihre Autorität. Auch Blighs Befehlsgewalt wurde angefochten, doch gelang es ihm letztlich, sich gegen die Aufwiegler durchzusetzen. Neben Fryer und Purcell erwiesen sich Lamb, Tinkler, Hall, Linkletter und Simpson ebenfalls als Unruhestifter. Die meisten der Männer im Boot jedoch befolgten Blighs Befehle ohne Widerrede. Am 12. Juni 1789 sichteten Bligh und seine erschöpften Männer Land. Als sie sich der Küste näherten, erklärte Fryer, dass dies nicht Timor, sondern die südwestlich gelegene, kleinere Nachbarinsel Roti sei. Bligh beharrte darauf, Timor vor sich zu haben. Schließlich meldete sich Peckover zu Wort, der früher bereits auf Timor gewesen war,

Die Rettung

und bestätigte, dass es sich bei der fraglichen Insel um Roti handelte. Für Fryer muss dieser Moment ein kleiner Triumph gewesen sein. In seinem Bericht unterschlug Bligh diese Episode und behauptete, die Insel selbst identifiziert zu haben.

Die Rettung

Zwei Tage später, am 14. Juni 1789, erreichte das Boot nach einer Seereise von 48 Tagen und über 3600 Seemeilen schließlich Kupang auf Timor. Bligh hatte aus einigen Signalflaggen einen kleinen Union Jack, eine englische Flagge, gemacht, die er beim Einlaufen in den Hafen am Mast des Bootes setzte. Dank seiner überragenden Fähigkeiten als Seemann und Navigator hatte Bligh das scheinbar Unmögliche geschafft: In einer siebenwöchigen Wettfahrt mit dem Tode hatte er das überfüllte Fahrzeug sicher bis nach Timor geführt. Es war eine nautische Meisterleistung, die in den Annalen der Seefahrt ihresgleichen sucht. Die Entbehrungen waren entsetzlich gewesen. Bligh schildert den Zustand der Männer: „Unsere Körper waren nichts als Haut und Knochen, unsere Glieder voller Geschwüre und unsere Kleider nichts als Lumpen.“ Für ihn kam das glückliche Ende der strapaziösen Fahrt einem Wunder gleich: „wie auf Tofua unser Leben nur dadurch gerettet worden ist, dass die Insulaner ihren Angriff aufschoben, ferner, dass wir hungernd und

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durchnässt über 3600 Seemeilen zurückgelegt haben, dass unser Boot bei all den Stürmen nicht gesunken ist, dass nicht ein einziger von uns durch Krankheit aufgerieben wurde, dass wir das Glück hatten, an

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den feindlichen Eingeborenen anderer Länder vorbeizukommen und zuletzt die besten hilfsbereiten Menschen anzutreffen.“

Sobald sich Bligh ein wenig erholt hatte, informierte er die niederländischen Behörden über die Ereignisse auf der BOUNTY. Ebenso verfasste er einen langen und bitteren Brief an seine geliebte Frau, in dem

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„Nichts als Haut und Knochen“

er ihr von der Meuterei erzählte: „So wisse denn, meine liebe Betsy, dass ich die BOUNTY verloren habe...“ Abgesehen von seinen Notizen und dem Logbuch war dies der erste schriftliche Bericht über die Ereignisse, für die er sich in England vor einem Kriegsgericht würde verantworten müssen. Am 20. Juli starb David Nelson an einer Fieberattacke. Er hatte sich einige Tage nach der Ankunft auf Timor eine Erkältung zugezogen, die ihn schließlich das Leben kostete. Für Bligh war der Tod des Botanikers, mit dem ihn eine enge Freundschaft verbunden hatte, ein schwerer Verlust. Da es von Kupang aus keine Möglichkeit gab, nach England zurückzukehren, beschloss Bligh, weiter auf die Insel Java nach Batavia, dem heutigen Jakarta, zu reisen, der Hauptstadt und dem wichtigsten Hafen der Kolonie Niederländisch-Indien. Von hier aus hofften die Männer der BOUNTY, auf niederländischen Schiffen zurück nach Europa segeln zu können. Für die Fahrt nach Batavia kaufte Bligh einen kleinen Schoner, den er RESSOURCE nannte. Da Bligh über kein Bargeld verfügte, bezahlte er mit Wechseln, die er auf die Admiralität in London ausstellte. Dank seines Offizierspatents besaß er ausreichend Kredit, sodass er auf diese Weise für alles Notwendige sorgen konnte.

Zwietracht und Konflikte

Während sich die Männer langsam von den Strapazen der Bootsreise erholten, kehrte bei Fryer und Purcell mit den Lebensgeistern auch die alte Streitlust zurück. Unter anderem versuchten sie, ihren Kommandanten gegenüber den Niederländern zu diskreditieren, indem sie seine Kreditwürdigkeit infrage stellten. Der stellvertretende Gouverneur, Timotheus Wanjon, jedoch machte allen Zweifeln ein Ende, indem er anbot, Bligh Geld aus seinem Privatvermögen zu leihen. Bligh blieb Wanjon für sein Entgegenkommen sein Leben lang dankbar und sprach stets in den höchsten Tönen von ihm. Das Zerwürfnis zwischen Bligh, Purcell und Fryer vertiefte sich weiter. Der Schiffszimmermann erzählte einem niederländischen

Z w i e t r a c h t u n d Ko n f l i k t e

Beamten, Bligh habe seine Männer während der Bootsreise so schlecht behandelt, dass man ihn daheim in England mit Sicherheit vor ein Kriegsgericht stellen und entweder hängen oder vor eine geladene Kanone binden würde. Fryer dagegen hatte gegenüber den Niederländern in Kupang behauptet, Bligh habe die Rechnungsbücher der BOUNTY zu seinen Gunsten manipuliert und der Mannschaft zu ge-

ringe Rationen ausgeteilt, um den Gewinn in die eigene Tasche zu stecken. Diese Anschuldigungen waren gefährlich, sodass Bligh auf das Entschiedenste dagegen vorging. In seinem Logbuch begann er belastendes Material gegen Fryer zu sammeln, vielleicht um einen Kriegsgerichtsprozess gegen ihn vorzubereiten. Unter anderem notierte Bligh am 14. August, er habe den Steuermann mit dem Kommando über die RESSOURCE betraut und ihm befohlen, an Bord des Schoners zu blei-

ben, worauf dieser erwiderte: „Solange ich der kommandierende Offizier bin, komme ich an Land, wann es mir passt.“ Diese an Insubordination grenzende Antwort zeigt, wie zerrüttet das Verhältnis zwischen Bligh und Fryer mittlerweile war. Bligh war erpicht darauf, die Insel Timor noch vor Beginn des Monsuns zu verlassen. Nachdem sich die Ausgesetzten ausreichend erholt hatten, verließen sie am 20. August 1789 an Bord der RESSOURCE den Hafen von Kupang und nahmen Kurs auf Batavia. Das Boot der BOUNTY schleppten sie hinterher. Die Reise von Timor nach Batavia

dauerte sechs Wochen. Unterwegs brachen die schwelenden Konflikte zwischen den Überlebenden erneut offen aus. Am 12. September erreichte die RESSOURCE den Hafen Surabaya auf der Insel Java. Hier kam es nicht nur zu einem erneuten Zusammenstoß zwischen Bligh und einigen seiner Männer, sondern auch zum endgültigen Bruch zwischen ihm und Fryer. Nachdem er mehrere Tage an Land verbracht hatte, kehrte Bligh in Begleitung einiger Niederländer auf die im Hafen von Surabaya ankernde RESOURCE zurück, wo Fryer, Purcell, Peckover, Cole, Hallet, Linkletter und

Elphinstone gerade kräftig dem Alkohol zusprachen. Nur Thomas Hayward war nüchtern geblieben. Als Bligh das Deck betrat, riefen ihm die Betrunkenen entgegen: „Ja, bei Gott, wir sind verdammt

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„Nichts als Haut und Knochen“

schlecht behandelt worden.“ In seiner Trunkenheit ließ Fryer seinem lange angestauten Groll freien Lauf und gab auf Blighs Fragen unverschämte Antworten. Schließlich brach es aus ihm heraus: „Ihr behandelt nicht nur mich, sondern jeden auf diesem Schiff schlecht, und jeder wird das Gleiche sagen.“ Der Konflikt drohte zu eskalieren. Purcell erhob sich bereits, um Fryer gegen Bligh beizustehen, der ein auf dem Deck herumliegendes Bajonett ergriff und damit den Zimmermann bedrohte. Bligh forderte die beiden renitenten Deckoffiziere auf, unter Deck zu gehen, was diese nach kurzem Zögern auch taten. Der niederländische Hafenmeister und ein niederländischer Offizier waren Zeugen des Eklats geworden. Am nächsten Tag verlangte Bligh, der seinen „Ruf und seine Ehre“ gefährdet sah, eine offizielle Untersuchung des Vorfalls: „Es war absolut notwendig, diese Männer zu verurteilen, nachdem sie versucht hatten, den Ruf ihres Kommandanten zu beschädigen.“ Bligh verhörte Fryer, Purcell und die anderen Seeleute in Anwesenheit des Gouverneurs und eines seiner Offiziere. Er befragte seine Männer, ob er jemals gewalttätig gegen sie gewesen sei oder sie schlecht behandelt habe. Für die beiden Niederländer muss es ein befremdliches Schauspiel gewesen sein, einen britischen Marineoffizier zu beobachten, wie er in Anwesenheit ausländischer Würdenträger seine Untergebenen befragte, ob sie etwas an ihm auszusetzen hätten. Erwartungsgemäß antworteten die Verhörten, dass sie keinerlei Beschwerden gegen ihren Kommandanten vorzubringen hätten. Die Aussagen wurden niedergeschrieben und von den Seeleuten unterzeichnet. Fryer musste erkennen, dass er gescheitert war. Er hatte nichts Substantielles gegen Bligh vorzubringen, vielmehr hatte dieser mit den Aussagen alle Trümpfe in der Hand, um ihn wegen Aufsässigkeit und übler Nachrede zu belangen. Nun bekam Fryer es mit der Angst zu tun. Er schrieb einen unterwürfigen Brief an Bligh, in dem er diesen um Verzeihung bat. Bligh wiederum verlangte von Fryer einen Widerruf seiner Behauptungen sowie eine schriftliche Entschuldigung. Schließlich beugte sich Fryer dem Druck, entschuldigte sich schriftlich und bat, ihn nicht zurückzulassen, sondern mit nach Batavia zu nehmen, notfalls auch in Ketten. Bligh willigte ein, doch wollte er den

Auf der Heimreise

Steuermann nicht mehr in seiner Nähe haben. Daher wies er Fryer an, auf einer der Praus mitzufahren, die der Gouverneur zum Schutz vor Piraten als Begleitschiffe für die RESSOURCE abgestellt hatte.

Auf der Heimreise

Am 1. Oktober erreichte die RESSOURCE Batavia. Bligh, der an Fieber erkrankt war und zudem unter heftigen Kopfschmerzen litt, erhielt vom niederländischen Oberhospitalarzt Sparling den Rat, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen und in dieser Sache sogar Rücksprache mit dem Generalgouverneur zu nehmen, wie Bligh berichtet: „Seine Exzellenz ließ mir sagen, dass es keine Möglichkeit gebe, meine Mannschaft nach Europa reisen zu lassen, als wenn man sie auf mehrere Schiffe verteile.“ Es gelang Bligh, für sich und zwei Begleiter eine Passage auf dem niederländischen Ostindienfahrer VLYDTE zu buchen. Mit ihm sollten sein Diener John Smith und der Schiffsschreiber John Samuel reisen; beide waren während der Meuterei und der Bootsreise von unerschütterlicher Loyalität gewesen, sodass sie nun mit einer schnellen Heimreise belohnt wurden. Um das Geld für die Überfahrt nach England aufzubringen, musste Bligh den Schoner RESSOURCE und schweren Herzens auch das Boot der BOUNTY ver-

kaufen. Bligh übergab das Kommando über die Männer der BOUNTY an Fryer, dem er genaue schriftliche Instruktionen aushändigte. Er gab sich kaum noch Mühe, seine Verachtung für Fryer, Purcell, Hallett und Cole zu verbergen. Er hatte getan, was er konnte, um ihnen das Leben zu retten und sie sicher nach Hause zu bringen. Doch anstatt ihm zu danken, begegneten sie ihm mit Ablehnung. Bligh weigerte sich, seinen Männern Geld zu leihen, da sie keine Sicherheiten aufbieten konnten. Aus Blighs Sicht war die Weigerung, Kredit zu geben, durchaus nachvollziehbar, wenn man seine eigene finanzielle Situation betrachtet. Er war kein reicher Mann und hatte nichts zu verschenken. Doch klug war es sicher nicht und zudem demütigend für seine Männer, die so viel erduldet hatten.

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„Nichts als Haut und Knochen“

Offenbar ohne schlechtes Gewissen ließ Bligh sie in Batavia zurück, nachdem er alle Rechnungen beglichen und Vorkehrungen für Unterkunft und Versorgung seiner Männer getroffen hatte. Am 16. Oktober 1789 verließ er mit Smith und Samuel auf der VLYDTE Batavia. Fünf Monate später, am 14. März 1790, sichtete der niederländische Ostindienfahrer die englische Küste bei Portsmouth, wo Bligh und seine beiden Begleiter an Land gesetzt wurden. Wenige Tage darauf kehrte Bligh in sein Haus in Lambeth zurück. Von den 19 Ausgesetzten der BOUNTY sahen nur zwölf ihre Heimat wieder. Der Quartermaster John Norton war auf Tubuai erschlagen worden, der Botaniker Nelson in Kupang gestorben. Vier weitere Männer waren den erlittenen Strapazen und dem in Batavia grassierenden Fieber erlegen. Der Arztgehilfe Thomas Ledward wiederum starb, als der niederländische Ostindienfahrer, auf dem er sich für die Rückkehr nach England eingeschifft hatte, mit der gesamten Besatzung sank.

„Ein beispielloses Unterfangen“ Vor dem Kriegsgericht

B

ei seiner Rückkehr nach England im März 1790 war William Bligh voller Energie. Er wollte seinen guten Ruf als

Offizier verteidigen und die Meuterer ihrer gerechten Strafe zuführen. Die Nachricht von der Meuterei auf der BOUNTY und der dramatischen Bootsreise hatte in Großbritannien für großes Aufsehen gesorgt. William Bligh wurde wie ein Held gefeiert, und die britische Öffentlichkeit pries ihn für seine außergewöhnlichen Leistungen, während sie zugleich Fletcher Christian und die Meuterer verdammte. Der English Chronicle erklärte, die Fahrt in dem offenen Boot sei ein „beispielloses [...] Unterfangen jenseits aller Wahrscheinlichkeit“ gewesen, während das Gentleman’s Magazine schrieb: „Die Unbill, die er erduldet hat, gibt ihm ein Anrecht auf jegliche Belohnung.“

Blighs Rechtfertigung

Wie erwartet, wurde Bligh von dem Kriegsgericht, vor dem er sich für den Verlust der BOUNTY verantworten musste, ehrenvoll freigesprochen. Das Verfahren an Bord des mit 84 Kanonen bestückten Zweideckers ROYAL WILLIAM unter dem Vorsitz von Vizeadmiral Samuel Barrington am 22. Oktober 1790 war eine reine Formalität. Laut Vorschrift musste jeder Verlust eines Schiffes Seiner Majestät durch ein Kriegsgericht untersucht werden. Trug der Kommandant Schuld am Verlust seines Schiffes, wurde er bestraft. Doch Bligh hatte vom Kriegsgericht nichts zu befürchten: Nach den Kriegsartikeln war Meuterei ein todeswürdiges Verbrechen, für

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„Ein beispielloses Unterfangen“

das es unter keinen Umständen eine Rechtfertigung gab. Die Frage nach den möglichen Ursachen und Motiven der Rebellion spielte weder bei der Untersuchung des Verlusts der BOUNTY noch bei dem späteren Prozess gegen die Meuterer eine Rolle. Obgleich es an Bord der BOUNTY und auf der Bootsreise mehrfach zu Zusammenstößen zwischen Bligh und seinen Untergebenen, vor allem Fryer und Purcell, gekommen war, kam nichts davon während des Prozesses zur Sprache. Der einzige sichtbare Hinweis auf Spannungen und Konflikte zwischen Bligh und seiner Besatzung war der Kriegsgerichtsprozess gegen Purcell, der am gleichen Tag auf der ROYAL WILLIAM stattfand. Die Anklage lautete auf grobes Fehlver-

halten, Aufsässigkeit und Ungehorsam. Das Urteil besagte, dass die „Vorwürfe gegen William Purcell zum Teil bewiesen wurden und es empfohlen wird, ihm einen Verweis zu erteilen“. Für Bligh war das Urteil eine Genugtuung. Er hatte auch erwogen, Fryer vor ein Kriegsgericht zu bringen, doch schließlich darauf verzichtet. Das war eine kluge Entscheidung, denn es kam ihm vor allem darauf an zu beweisen, dass die BOUNTY bis zum Ausbruch der Meuterei ein wohldiszipliniertes Schiff mit einer zufriedenen Besatzung gewesen war. Ein Prozess gegen einen aufsässigen Deckoffizier konnte dieses sorgfältig aufgebaute Bild nicht ankratzen, ein zweites Verfahren hätte jedoch zu unangenehmen Fragen führen können. Bligh ließ daher die Anschuldigungen gegen Fryer fallen und tilgte in seinem Reisebericht die meisten Hinweise auf dessen kleinliches und erbärmliches Verhalten an Bord der BOUNTY und während der Bootsreise. Allerdings verweigerte er seinem ehemaligen Master das übliche Empfehlungsschreiben. Dennoch setzte Fryer seine Marinekarriere ungehindert fort. Erfahrene Admirale wie Sir Hyde Parker oder Lord St. Vincent schätzten seine Fähigkeiten als Seemann und Navigator. Einer seiner Kommandanten bezeichnete ihn als „sehr guten Navigator, stets nüchternen Mann, sehr kenntnisreich in seinem Beruf und von größtem Eifer“. Kurz nach seiner Rückkehr nach England veröffentlichte Bligh einen kurzen Bericht mit dem Titel „Narrative of the Mutiny on Board

Blighs Rechtfertigung

H. M. Ship Bounty“, in dem er die Meuterei, seine Fahrt im offenen Boot und die Rückreise bis zu seiner Ankunft am Kap der Guten Hoffnung schilderte. Während sich Bligh auf seiner zweiten Reise nach Tahiti befand, erschien 1792 die ausführlichere Schrift über die Reise der BOUNTY mit dem Titel „A Voyage to the South Sea“, die vermutlich von dem Marineoffizier James Burney und Sir Joseph Banks auf der Basis von Blighs Logbuch verfasst worden war. Wiederholt wurde Bligh später vorgeworfen, sein Logbuch, seinen Bericht und andere Dokumente gefälscht zu haben, um sich und sein Verhalten vor und während der Meuterei in einem günstigeren Licht erscheinen zu lassen. Die meisten dieser Anschuldigungen sind nicht haltbar. Bligh schrieb seinen Bericht in einem völlig erschöpften Zustand, nachdem er mitten auf dem Pazifik ausgesetzt worden war und das Boot mit den loyal gebliebenen Besatzungsmitgliedern der BOUNTY in einer navigatorischen Meisterleistung gegen alle Wahr-

scheinlichkeit sicher nach Timor gebracht hatte. Unter diesen Umständen war kaum eine objektive Darstellung zu erwarten, in der die Motive der an Bord Zurückgebliebenen hinterfragt wurden, um zwischen Schuldigen und Unschuldigen zu unterscheiden. Ohnehin war dies die Aufgabe des Gerichts. Bligh listete diejenigen auf, die er für unschuldig hielt, und überließ es den Übrigen, sich selbst zu verteidigen. 2007 wurden bei der Restaurierung des Logbuchs der BOUNTY Hinweise auf eine nachträgliche Manipulation entdeckt. So hat Bligh anscheinend die Seite, auf der er über die Meuterei berichtet, ausgetauscht. Wann und zu welchem Zweck dieser Austausch erfolgte, ist ungeklärt. Aber auch in diesem Fall ist es unwahrscheinlich, dass Bligh wesentliche Sachverhalte verfälscht oder verschwiegen hat, da sich die Aussagen aller Beteiligten weitgehend decken. William Bligh ist daher nicht schuldig, wissentlich die Fakten manipuliert zu haben, auch wenn er ohne Frage gewisse Details ausließ, die möglicherweise zum Vorteil der Meuterer hätten ausgelegt werden können.

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„Ein beispielloses Unterfangen“

Ein neues Kommando

Für Bligh schien sich nun alles zum Guten zu wenden. Nachdem ihn das Kriegsgericht von aller Verantwortung für den Verlust der BOUNTY freigesprochen hatte, sorgte sein Freund und Gönner Sir Joseph

Banks dafür, dass Bligh auf einem Lever, einer morgendlichen Audienz, König Georg III. vorgestellt wurde. Am 14. November 1790 wurde Bligh zum Commander befördert. Knapp einen Monat später, am 15. Dezember 1790, wurde er zum Kommandanten der mit 28 Kanonen bewaffneten Fregatte MEDEA ernannt, womit zugleich auch die begehrte Beförderung zum Post Captain oder Kapitän zur See verbunden war. Nur noch der Tod oder ein Kriegsgericht konnten verhindern, dass Bligh in den Admiralsrang aufsteigen würde. Als besondere Auszeichnung und Rechtfertigung seines Verhaltens empfand es Bligh, dass ihn die Admiralität mit dem Kommando über eine neue Expedition nach Tahiti betraute. Am 16. April 1791 wurde William Bligh zum Kommandanten der Fregatte PROVIDENCE ernannt, mit der er erneut in die Südsee segeln sollte, um Brotfruchtschösslinge nach Westindien zu bringen. Mit dieser zweiten Reise nach Tahiti sollte Bligh beenden, woran er mit der BOUNTY gescheitert war. Zum Ersten Offizier der PROVIDENCE wurde sein Neffe, Leutnant Francis Godolphin Bond, er-

nannt. Offenbar hatte Bligh wie damals üblich die Gelegenheit genutzt, um einen seiner Verwandten zu protegieren. Der 1765 geborene Francis Bond, Sohn seiner Halbschwester Mary, war 1779 als Midshipman in die Royal Navy eingetreten und bereits drei Jahre später zum Leutnant befördert worden. Zur Besatzung der Fregatte gehörten auch der Segelmacher Lawrence Lebogue und Blighs Diener John Smith. William Peckovers Bitte, ihn an Bord der PROVIDENCE mit nach Tahiti zu nehmen, hatte Bligh dagegen abgelehnt.

„Von einem schweren Fieber ergriffen“ – Die Fahrt der PROVIDENCE

A

m 3. August 1791 verließ William Bligh mit der 420 Tonnen großen und mit zehn Vierpfünder-Kanonen bewaffne-

ten PROVIDENCE und der kleineren, nur 100 Tonnen messenden Brigg ASSISTANCE als Begleitschiff die Reede von Spithead. Da die PROVIDENCE im Gegensatz zur BOUNTY als Fregatte klassifiziert und damit

ein Kriegsschiff war, hatte Bligh bei dieser Reise auch einen Zug Marineinfanteristen an Bord, zu deren Aufgaben neben der Aufrechterhaltung der Disziplin auch die Verhinderung von Meutereien gehörte. Wie an Bord britischer Kriegsschiffe üblich stand darüber hinaus Tag und Nacht ein bewaffneter Marineinfanterist als Posten vor Blighs Kajüte. Die ASSISTANCE wurde von dem um 1748 in Virginia geborenen Leutnant Nathaniel Portlock befehligt. Bligh kannte ihn als erfahrenen und zuverlässigen Seemann, denn er hatte als Steuermannsmaat an Cooks dritter Reise teilgenommen. Portlock hatte zunächst auf der DISCOVERY gedient und war nach Cooks Tod auf die RESOLUTION

versetzt worden. Im Gegensatz zu Bligh war er nach dem Ende der Reise 1780 zum Leutnant befördert worden. Dieses Mal sollte die Reise von vornherein rund um das Kap der Guten Hoffnung gehen. Unter allen Umständen wollte Bligh dafür sorgen, dass diese Reise ein Erfolg würde. Voller Selbstvertrauen schrieb Bligh an Banks: „Meine Offiziere werden sich an diese Aufmerksamkeit gewöhnen, die, wie nur wenige wissen, bei solchen Reisen erforderlich ist.“ Einige seiner Offiziere waren dagegen weniger erfreut über ihren Kommandanten, denn schon bald machte sich wieder

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„ Vo n e i n e m s c h w e r e n F i e b e r e r g r i f f e n “

Blighs reizbares Temperament bemerkbar. Sein Neffe Leutnant Bond schrieb, Blighs Befehle würden „mit einem vollständigen Mangel an Einfühlungsvermögen und Takt“ gegeben. Auch Bond gehörte bald zu den Offizieren, die Bligh von Herzen verabscheuten, ebenso wie der Midshipman Matthew Flinders, der später selber ein berühmter Entdecker werden sollte, seine Talente auf der PROVIDENCE aber durch Bligh nur unzureichend gewürdigt sah.

Seelische Narben

Offenbar wurde Bligh jetzt von den traumatisierenden Ereignissen auf der BOUNTY und der anschließenden Bootsreise eingeholt. Es zeigte sich immer deutlicher, dass die Meuterei tiefe Narben in seiner Psyche hinterlassen hatte. Er hatte sein früheres unerschütterliches Selbstvertrauen verloren und witterte überall Widerstand, Widerborstigkeit und Verrat. Auch Blighs Gesundheit war durch die Entbehrungen der Bootsfahrt angegriffen. Bereits kurz nach dem Auslaufen erkrankte er schwer: „Ich wurde von einem schweren Fieber ergriffen“, schrieb Bligh. Ebenso litt er an heftigen Kopfschmerzen. Schließlich sah er sich gezwungen, den Befehl über die PROVIDENCE an Leutnant Portlock, den Kommandanten der ASSISTANCE, zu übergeben. Auch der Segelmacher Lawrence Lebogue und Blighs Diener John Smith, die beiden anderen Überlebenden der Bootsreise an Bord der Fregatte, litten unter heftigen Fieberattacken. Erst am Kap der Guten Hoffnung war Bligh so weit hergestellt, dass er das Kommando über die PROVIDENCE wieder übernehmen konnte.

Am 9. April 1792 erreichten die beiden Schiffe Tahiti. Wie Bligh bemerkte, begann sich die Kultur der Insel durch den Einfluss der Europäer allmählich zu verändern. Zu den Hinterlassenschaften der Schiffsbesatzungen, die das tropische Paradies seit dem Aufenthalt der BOUNTY aufgesucht hatten, gehörten neben Alkohol und Geschlechts-

krankheiten auch Feuerwaffen, wodurch die häufigen Fehden auf der Insel blutiger denn je ausgetragen wurden. Im Gegensatz zu Bligh, der sich stets aus den Streitigkeiten der Insulaner herausgehalten hatte,

Seelische Narben

hatten sich die Meuterer der BOUNTY mit ihren Feuerwaffen in einen Krieg zwischen zwei tahitianischen Königreichen verwickeln lassen. Durch ihre Einmischung in die lokalen Konflikte hatten sie erheblich dazu beigetragen, die tahitianische Gesellschaft zu destabilisieren. Bedauernd schrieb Bligh: „Unsere Freunde hier haben wenig Nutzen aus dem Kontakt mit den Europäern gezogen.“ Unter anderem bemerkte Bligh, dass die Insulaner bevorzugt die Lumpen von Seemannskleidung trugen und ihre Sprache zu einer Mischung aus Tahitisch und englischen Worten verkommen war. „Nichts war so verlockend, wie man es uns beschrieben hatte“, notierte Leutnant Bond enttäuscht. Nicht einmal den tahitischen Frauen konnte er etwas abgewinnen. Dieses Mal dauerte der Aufenthalt auf Tahiti nur knapp drei Monate. Am 19. Juli verließen die PROVIDENCE und die ASSISTANCE mit 2126 Brotfruchtschösslingen und 508 weiteren Pflanzen die Insel, um entlang der australischen Küste nach Timor zu segeln. Zur Versorgung der empfindlichen Schösslinge verhängte Bligh auf der Rückreise zum Missfallen seiner Besatzung eine strenge Wasserrationierung. Pflichtbewusst bis zur Sturheit, war seine einzige Sorge die Vollendung seines Auftrags. Diese Haltung der bedingungslosen Pflichterfüllung ohne Rücksicht auf sich und seine Untergebenen war charakteristisch für Bligh und sollte ihm in den folgenden Jahren immer wieder Schwierigkeiten bereiten. Während der Fahrt nach Timor nahm Bligh zahlreiche Vermessungen vor. Als die PROVIDENCE durch das Große Barrier-Riff in die Torresstraße segelte, nutzte er die Gelegenheit, seine während der Bootsfahrt angefertigte Karte zu berichtigen. Sein damaliger Kadett Matthew Flinders, der von 1801 bis 1804 als erster Europäer den gesamten australischen Kontinent umsegelte, stellte dabei bewundernd fest, dass Blighs verbesserte Karte so genau war, dass für ihn nicht mehr viel zu tun blieb.

[

„Es ist für mich überaus erstaunlich, dass unter solchen Entbehrungen wie Hunger und Erschöpfung [...] Captain Bligh in der Lage war, Material für eine Karte zu sammeln, doch dass diese Karte ein sol-

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„ Vo n e i n e m s c h w e r e n F i e b e r e r g r i f f e n “

ches Maß an Genauigkeit aufweist, ist ein Grund für Bewunderung [...] Er wurde für seine Beharrlichkeit, Fähigkeiten und seine Erfolge gepriesen, und ich habe selbst bei so vielen Gelegenheiten festgestellt,

]

wie sehr er dieses Lob verdiente, dass ich selbst seine Arbeiten immer in Ehren gehalten habe.“

Diese Worte sind ein deutliches Zeichen des Respekts von jemandem, der nicht gerade zu Blighs Freunden gehörte. Auf der Rückreise wurde Bligh erneut krank. Seine wichtigste Stütze in dieser Zeit war Leutnant Portlock, über den er in einem Brief an Betsy berichtete: „Portlock war für mich von großem Nutzen & hat sich sehr gut gehalten; tatsächlich hat jedermann meine Erwartungen erfüllt.“ Blighs Zusammenarbeit mit Portlock war ein voller Erfolg, ihre Fähigkeiten ergänzten sich perfekt. Offenbar gehörte Portlock im Gegensatz zu Fletcher Christian, John Fryer oder Francis Bond zu den Offizieren, die dasselbe ausgeprägte Pflichtgefühl und die gleiche strenge Dienstauffassung wie Bligh besaßen. Am 23. Januar 1793 erreichten die beiden Schiffe die Insel St. Vincent in Westindien. Eine Woche später segelten sie weiter nach Jamaika. Obgleich viele Schösslinge unterwegs eingegangen waren, konnte er auf St. Vincent 544 und auf Jamaika 620 Brotfruchtbäume an Land geben. Die übrigen Pflanzen an Bord waren für Sir Joseph Banks und den Botanischen Garten in Kew bestimmt.

Fluch und Segen

Auf der westindischen Insel wurde Bligh regelrecht gefeiert; es wurden Festessen zu seinen Ehren gegeben. Auf Jamaika erhielt Bligh eine offizielle Danksagung in Anerkennung seiner „Anstrengungen und großen Verdienste bei der glücklichen Vollendung dieses wohltätigen Vorhabens unseres höchst gnädigen Souveräns“. Handfester waren die materiellen Belohnungen. Neben einer Silberplatte im Wert von 100 Guineen erhielt Bligh eine Gratifikation in Höhe von 1000 Pfund Sterling, Leutnant Portlock wurde mit 500 Pfund Sterling belohnt.

Fluch und Segen

„Sie haben einen guten Mann glücklich gemacht, und einen armen Mann vergleichsweise reich“, schrieb Sir Joseph Banks nach Jamaika. Letztlich war das ganze Unternehmen aber sinnlos gewesen. Die westindischen Sklaven lehnten die Brotfrucht ab, weil sie ihnen nicht schmeckte. Auch für einige Offiziere der PROVIDENCE war die Reise alles andere als ein Segen gewesen. So schildert Leutnant Bond in einem Brief seine Erfahrungen mit Bligh: „Ich will nicht seine umfassenden Kenntnisse als Seemann und nau-

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tischer Astronom schmälern, verurteile aber den Mangel an Bescheidenheit, an Selbsteinschätzung [...] Ich möchte Dich wissen lassen, dass er mich (nein, alle an Bord) mit Missachtung und Arroganz behandelt hat [...] Auch wenn seine Erregbarkeit zum Teil dem nervösen Fieber zugeschrieben werden kann, unter dem er während der längsten Zeit der Reise litt, ist sein Verhalten größtenteils aus dem Toben eines unbeherrschbaren Temperaments erwachsen [...] Meine Messekameraden haben gesagt, dass er niemals meine positiven Eigenschaften erwähnt habe, auch wenn er es nie gewagt hat, zu sagen, ich besäße keine. Jeder Offizier, der nautische oder naturwissenschaftliche Kenntnisse hat, ein Talent zum Zeichnen, oder irgendetwas, dass ihn in die Lage versetzen würde, die Welt zu umsegeln, ist ihm verdächtig [...] Die Gemeinschaft mit sehr angenehmen

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Messe-kameraden macht mir das Leben durchaus angenehm, sodass ich mich keineswegs in einem Fegefeuer befinde.“

Möglicherweise waren Bonds Probleme mit Bligh darauf zurückzuführen, dass seine Leistungen als Erster Offizier zu wünschen übrig ließen. In dem Moment, in dem Leutnant Bond das Achterdeck der PROVIDENCE betrat, war er von Bligh nicht länger als Neffe, sondern

als untergebener Offizier behandelt worden. Für Bond war dies offenbar eine Überraschung, es hat den Anschein, dass er die Expedition nach Tahiti in erster Linie als Vergnügungsreise betrachtete. Unter anderem beschwerte er sich, als er wegen Blighs Erkrankung auf die

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„ Vo n e i n e m s c h w e r e n F i e b e r e r g r i f f e n “

ASSISTANCE wechseln musste, über sein „abgeschiedenes Leben und

den Verlust seiner fröhlichen Messekameraden“. Diese Worte offenbaren nicht gerade die Haltung eines eifrigen und pflichtbewussten Offiziers. Gleichwohl bemühte sich Bligh, der offenbar keine Ahnung von den kritischen Äußerungen seines Neffen hatte, nach der Rückkehr 1793 um eine Beförderung für Bond. Doch erst im Jahr 1800 wurde Bond zum Commander und 1802 zum Post Captain ernannt, diente aber nach 1803 nicht mehr auf See. Nach seiner Pensionierung wurde er 1837 im Rahmen einer allgemeinen Beförderung zum Konteradmiral erhoben. Die Tatsache, dass Captain Bond in einem Krieg, in dem Hunderte von britischen Kriegsschiffen auf allen Weltmeeren segelten, kein Seekommando erhielt, lässt vermuten, dass er vielleicht doch kein so tüchtiger Seeoffizier war, wie er selbst dachte. Und so liegt der Schluss nahe, dass Bond ebenso wie Fletcher Christian ungeeignet war, den hohen Anforderungen Blighs zu genügen und die verantwortungsvolle Aufgabe des Ersten Offiziers zu dessen Zufriedenheit auszufüllen. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden aber war, dass Christian unter dem Druck zerbrach, Bond dagegen nicht. Ein anderes Bild von Bligh zeichnet dagegen der Dritte Offizier der PROVIDENCE , George Tobin. In einem Brief an seinen Bruder berichtete er, Bligh besäße „das schnellste Seemannsauge, geleitet von der gründlichsten Kenntnis aller Bereiche des Berufs, die für eine solche Reise erforderlich sind“. Als er 1817 vom Tod Blighs erfuhr, schrieb der inzwischen zum Kapitän zur See aufgestiegene Tobin in einem Brief an Bond: „Vielleicht hat man ihn nie ganz verstanden – ich bin sicher, es gab

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an Bord der PROVIDENCE kein von ihm etabliertes, festgefügtes System der Tyrannei, das dazu angetan war, Unzufriedenheit hervorzurufen. In jenen heftigen Tornados des Zorns vergaß er sich, doch wenn seiner Meinung nach alles gut lief, gab es keinen, der friedlicher gesinnt und interessierter gewesen wäre als er. Ich jedenfalls

Fluch und Segen

fühle mich tief in seiner Schuld. Es war das erste Schiff, auf dem ich als Offizier diente – ich kam voller Besorgnis an Bord – bald dachte ich, dass er nicht unzufrieden mit mir sei – das ermunterte mich und auf der ganzen Reise segelten wir problemlos zusammen. [...] Ein oder zwei Mal habe ich in der Tat die ungezügelte Freiheit seiner Redegewalt zu spüren bekommen, doch nicht ohne kurz darauf so

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etwas wie ein linderndes Pflaster zu erhalten, das die Wunde heilte.“

Obgleich sich Bligh nichts sehnlicher wünschte, als endlich nach Hause aufzubrechen, verzögerte sich die Rückreise nach England. Die Nachricht von der Kriegserklärung des revolutionären Frankreichs hatte kurz zuvor Westindien erreicht. Da die Behörden auf Jamaika einen französischen Angriff befürchteten, konnte Bligh nicht wie gehofft im April aufbrechen, sondern musste zum Schutz der britischen Kolonie noch einige Monate in der Karibik bleiben. 1789 war es angesichts der Krise des französischen Absolutismus zur Revolution gekommen. Doch was als politischer Protest unzufriedener Eliten begonnen hatte, entwickelte sich zu einer vollständigen Umwälzung der politischen und sozialen Verhältnisse, die, von Paris ausgehend, bald ganz Frankreich erfasste. Im September 1792 erklärten die Girondisten und Jakobiner Frankreich zur Republik. König Ludwig XVI. wurde vor Gericht gestellt und am 21. Januar 1793 öffentlich enthauptet. Europa reagierte mit Entsetzen auf diese Nachricht. Bereits seit April 1792 führten Preußen und Österreich Krieg gegen das revolutionäre Frankreich. Die Ausweisung des französischen Gesandten in London durch die britische Regierung nach der Hinrichtung König Ludwigs XVI. führte am 1. Februar 1793 zur Kriegserklärung der Französischen Republik an Großbritannien. Nachdem Verstärkung aus Großbritannien eingetroffen war, konnten die PROVIDENCE und die ASSISTANCE am 15. Juni 1793 endlich den Anker lichten und Kurs auf Großbritannien nehmen. Am 7. August 1793, fast auf den Tag genau zwei Jahre nach seiner Abreise, betrat Bligh wieder englischen Boden. Bei der Rückkehr der PROVIDENCE erwartete Bligh jedoch eine

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„ Vo n e i n e m s c h w e r e n F i e b e r e r g r i f f e n “

böse Überraschung. War er nach der Meuterei als Held gefeiert worden, schlug ihm nun Ablehnung und Feindschaft entgegen. Wenige Monate zuvor hatte der Prozess gegen die Meuterer der BOUNTY stattgefunden, in dessen Folge sich die öffentliche Meinung gegen Bligh gekehrt hatte.

„Ihre Seelen flogen gen Himmel“ Prozess gegen die Meuterer der BOUNTY

U

m die Meuterer der BOUNTY zu fassen und ihrer gerechten Strafe zuzuführen, hatte die britische Admiralität im

November 1790 die Fregatte PANDORA unter dem Befehl von Kapitän Edward Edwards in den Pazifik entsandt. Captain Edwards war ein weitaus schlimmerer Tyrann, als Bligh es je gewesen war. Ihm eilte der Ruf eines Leuteschinders voraus, gegen den Bligh, so wurde gesagt, wie ein Lamm wirkte. Einige Jahre zuvor hatte es an Bord eines von ihm befehligten Schiffs einen Meutereiversuch gegeben, den sieben Seeleute mit ihrem Leben gebüßt hatten.

Den Meuterern auf der Spur

Am 23. März 1791 erreichte die PANDORA Tahiti. Zwar konnte Edwards weder die BOUNTY noch Fletcher Christian aufspüren, doch gelang es ihm, 14 der mutmaßlichen Meuterer in Gewahrsam zu nehmen – jene, die sich entschieden hatten, auf der Insel zurückzubleiben, statt Fletcher Christian auf seiner Suche nach einer neuen Zuflucht zu begleiten. Sie wurden in einem eigens auf dem Achterdeck gezimmerten Deckhaus, das auch als „Büchse der Pandora“ bezeichnet wurde, eingesperrt. Zwei weitere Meuterer, die sich von Christian getrennt und auf Tahiti niedergelassen hatten, waren vorher getötet worden. Matthew Thompson hatte den Wachtmeister Charles Churchill erschossen und war wenig später von dessen tahitianischen Freunden aus Rache ermordet worden. Auf der Rückfahrt nach England lief die PANDORA Ende August

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„Ihre Seelen flogen gen Himmel“

1791 auf der Suche nach einer Passage durch das Great Barrier Reef auf ein Korallenriff und sank trotz der verzweifelten Anstrengungen der Besatzung, das Schiff zu retten. Beim Untergang der PANDORA ertranken 31 Seeleute und vier der Meuterer. Im November 1977 wurde das Wrack der Fregatte wiederentdeckt und in den 1990er-Jahren archäologisch erforscht. Die Überlebenden der PANDORA gelangten in den Beibooten der Fregatte nach einer entbehrungsreichen Fahrt nach Batavia, von wo aus sie nach Großbritannien zurückkehrten. Am 19. Juni 1792 war der Zweidecker GORGON mit den zehn überlebenden Gefangenen der PANDORA nach England in Portsmouth eingelaufen, wo sie auf dem als Wachschiff fungierenden 74-KanonenLinienschiff HECTOR inhaftiert wurden. Unter den Gefangenen war auch der Fähnrich zur See Peter Heywood, dessen einflussreiche Familie alles tat, um ihren Angehörigen vor dem Strick zu retten. Heywoods Onkel Thomas Palsey, Kommandant des Linienschiffs VENGEANCE, schrieb an die Familie seines Neffen: „Jede Anstrengung, so versichere ich Euch, werde ich auf mich nehmen, um sein Leben zu retten.“ Palsey kannte Bligh persönlich und hatte ihm für seine zweiten Südseereise mit der PROVIDENCE Matthew Flinders als Midshipman empfohlen. Auch zu Admiral Richard Howe, seit 1788 Earl Howe, dem Oberbefehlshaber der Kanalflotte, besaß Heywood verwandtschaftliche Verbindungen, da dessen Schwester mit einem entfernten Cousin seines Vaters verheiratet war. Die öffentliche Meinung im England des 18. Jahrhunderts wurde von einer kleinen Gruppe einflussreicher Personen und Familien bestimmt, und sowohl die Heywoods als auch die Christians nutzten alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, um Bligh in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Für Meuterei gab es keine Rechtfertigung. Aber sie verfielen darauf, Bligh als den wahren Schuldigen an den Ereignissen auf der BOUNTY zu präsentieren, um so die Meuterei wenn schon nicht rechtlich, so doch zumindest moralisch zu rechtfertigen. Um Peter Heywood und Fletcher Christian reinzuwaschen, stellten ihre Angehörigen und Freunde Bligh als kleinlichen Tyrannen dar, dessen Verhalten die Meuterei geradezu herausgefordert habe. Da sich

Vo r G e r i c h t

Bligh auf der anderen Seite des Globus befand, war es ihm unmöglich, sich gegen die von den Angeklagten und ihren Angehörigen erhobenen Anwürfe und Beschuldigungen zur Wehr zu setzen. Zugleich schwächte diese Rufmordkampagne auch die Position der Anklage im Prozess gegen die Meuterer.

Vor Gericht

Der Kriegsgerichtsprozess gegen die zehn Meuterer der BOUNTY war die Sensation des Herbstes 1792. Das Verfahren begann am Mittwoch, den 12. September 1792 in der großen Achterkajüte von Lord Hoods Flaggschiff, dem mit 90 Kanonen bewaffneten Dreidecker DUKE. Das Gericht bestand aus zwölf Kapitänen zur See, unter ihnen auch Albemarle Bertie, ein Freund der Familie Heywood. Vorsitzender war Vizeadmiral Lord Hood, Befehlshaber der Flottenstation Portsmouth. Die Anklage lautete auf Meuterei. Paragraph 19 der Kriegsartikel stellte dazu fest: „Sollte irgendeine Person, die in der Flotte dient oder zu dieser gehört, die Tat oder den Versuch unternehmen, eine meuterische Versammlung aus welchem Grund auch immer abzuhalten, so soll jede Person, die sich daran beteiligt und dessen überführt wird, durch das Urteil eines Kriegsgerichts den Tod erleiden.“ Die Anklage wurde von Moses Greetham vertreten, einem zivilen Juristen im Dienst der Royal Navy, der als Judge Advocate unter anderem für die Beaufsichtigung von Kriegsgerichtsverfahren zuständig war. Den Antrag, die Verfahren gegen die einzelnen Angeklagten zu trennen, hatte Lord Hood mit den Worten abgelehnt: „Die Meuterer der BOUNTY sind angeklagt und schuldig des gleichen abscheulichen Verbrechens, das sie alle zur gleichen Zeit begangen haben.“ Bereits früher hatte es auf einzelnen Schiffen der Royal Navy Meutereien gegeben. Solange die Seeleute lediglich im Hafen den Dienst verweigerten, um gegen akute Missstände an Bord zu protestieren, wurden die Meuterer in der Regel mit Nachsicht behandelt. Ereignete sich eine Meuterei jedoch auf hoher See oder kam es dabei zu Übergriffen ge-

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„Ihre Seelen flogen gen Himmel“

gen die Offiziere oder gar zu einer Übernahme des Schiffs durch die rebellischen Seeleute, kannte die britische Admiralität keine Gnade. Bei der Gerichtsverhandlung spielten die Hintergründe, die zur Meuterei geführt hatten, keine Rolle. Auch die Frage nach den Motiven der Meuterer war für das Gericht ohne Bedeutung. Laut den britischen Kriegsartikeln gab es keinerlei Rechtfertigung für eine Meuterei und damit auch keine mildernden Umstände, die die Angeklagten hätten geltend machen konnten. Jeder, der sich an einer Meuterei beteiligt hatte, aus welchem Grund auch immer, war schuldig, und in diesem Fall gab es nur eine Strafe: den Tod. Für das Gericht war die Unterscheidung zwischen Unschuldigen und Meuterern einfach. Alle, die Bligh ins Boot begleitet hatten, waren unschuldig, alle die auf der BOUNTY geblieben waren, galten als Meuterer – mit Ausnahme von

Michael Byrne, Joseph Coleman, Thomas McIntosh und Charles Norman, die nach Blighs Aussage von Christian und seinen Gefolgsleuten unfreiwillig an Bord des Schiffes festgehalten worden waren. Von Anfang an war klar, dass die vier zwangsweise an Bord gebliebenen Angeklagten vom Vorwurf der Meuterei freigesprochen werden würden. Dagegen bestand für Thomas Burkett, Thomas Ellison, John Millward und William Muspratt, die von mehreren Zeugen mit Waffen in den Händen gesehen worden waren, kaum Hoffnung, dem Todesurteil und der Hinrichtung zu entgehen. Auch für Peter Heywood und James Morrison standen die Chancen eher schlecht, denn obgleich ihnen keine aktive Beteiligung an der Meuterei nachzuweisen war, gab es andererseits auch keinen klaren Beweis für ihre Unschuld. Der entscheidende Punkt war, dass laut der Kriegsartikel „der Mann, der neutral bleibt, ebenso schuldig ist wie der, der eine Waffe gegen seinen Kommandanten erhebt“, wie Captain Palsey an seinen Neffen Heywood schrieb. Ein Freispruch für Morrison oder Heywood stand daher außer Frage. Captain Palsey war unermüdlich tätig gewesen, um Heywoods Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Seine persönlichen Kontakte halfen ihm dabei, denn er war mit mehreren der Gerichtsmitglieder befreundet. Ebenso sprach er mit Fryer, Cole, Peckover und Purcell, um sicher-

Vo r G e r i c h t

zustellen, dass sie für Heywood aussagten. Überdies hatte Palsey juristische Berater hinzugezogen, darunter den Anwalt Francis Const und Aaron Graham, der als langjähriger Sekretär des Oberbefehlshabers des Neufundlandgeschwaders große Erfahrungen mit Kriegsgerichtsprozessen besaß, da die Ausübung der militärischen Gerichtsbarkeit auf Auslandsstationen in die Zuständigkeit der jeweiligen Geschwaderkommandeure fiel. Die beiden Rechtsberater agierten im Hintergrund und dirigierten Heywoods Verteidigung. Zur Sicherheit wurden alle seine Aussagen vorher niedergeschrieben und vor Gericht durch seinen Anwalt Francis Const verlesen. Erfolgreich gelang es Heywoods Anwälten, ihren Mandanten als unerfahrenen Jüngling zu präsentieren, der unschuldig in die Meuterei hineingezogen worden war. Auch Cole, Fryer und Purcell sprachen in ihren Zeugenaussagen zugunsten von Heywood. So erklärte Cole, dieser habe vorgehabt, mit den anderen von Bord zu gehen, sei „aber gegen seinen Willen unter Deck gehalten worden“. Hayward und Hallet dagegen belasteten Morrison und Heywood schwer. So erklärte Hayward, er glaube, Heywood sei „auf der Seite der Meuterer“ gewesen. Heywood verteidigte sich mit dem Hinweis auf seine Jugend, seine Verwirrung inmitten der Meuterei und seine Angst, das Schicksal der Ausgesetzten zu teilen: „Zu Tode zu hungern oder zu ertrinken schien unausweichlich, wenn ich in das Boot gestiegen wäre.“ Ebenso versuchte er die Glaubwürdigkeit Hallets zu untergraben. Warum ausgerechnet Muspratt, der auf der BOUNTY lediglich Hilfskoch gewesen war, auf den Gedanken gekommen war, sich einen Rechtsbeistand zu suchen, und womit er ihn bezahlte, ist nicht bekannt. Obgleich er ohne Zweifel zu den Meuterern gehört hatte, gelang es seinem Anwalt Stephen Barney, ihn vor der Hinrichtung zu bewahren. Die übrigen Angeklagten besaßen keinen juristischen Beistand, sondern versuchten sich selber zu verteidigen, so gut es eben ging. James Morrison, der über eine überdurchschnittliche Bildung verfügte, machte seine Sache besonders gut. Rundheraus leugnete er jede Verstrickung in die Meuterei. Zwar gelang es ihm nicht, die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zu entkräften, doch beeindruck-

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„Ihre Seelen flogen gen Himmel“

te er das Gericht durch seine Unerschrockenheit und Eloquenz. Zusammen mit einem Leumundszeugnis von Captain Stirling, unter dem er als Offiziersanwärter auf der Sloop TERMAGANT gedient hatte, sollte ihm sein Auftreten das Leben retten.

Die Urteilsverkündung

Am 18. September 1792 verkündete das Kriegsgericht sein Urteil. Von den zehn Angeklagten wurden vier freigesprochen, sechs für schuldig befunden: Thomas Burkitt, Thomas Ellison, Peter Heywood, John Millward, James Morrison und William Muspratt wurden zum Tod durch Erhängen verurteilt, wobei das Gericht Heywood und Morrison ausdrücklich der Gnade des Königs empfahl. Am 27. Oktober wurde Heywood und Morrison mitgeteilt, dass der König sie begnadigt habe. Auch William Muspratt blieb aufgrund eines formaljuristischen Verfahrensfehlers die Hinrichtung erspart. Das Gericht hatte es Muspratt verwehrt, die Mitangeklagten Byrne und Norman als Zeugen der Verteidigung aufzurufen, obwohl Bligh sie in seinem Bericht von jeder Schuld freigesprochen hatte. Es begründete seine ablehnende Entscheidung mit dem Hinweis, dass es bei Kriegsgerichtsverfahren im Gegensatz zu Prozessen vor zivilen Strafgerichten nicht erlaubt sei, dass sich die Angeklagten gegenseitig verteidigten. Da jedoch in diesem Fall der Freispruch der beiden Zeugen eine reine Formsache war, bot sich Muspratts Anwalt Barney die Möglichkeit, den Richterspruch anzufechten. Auf sein Betreiben hin legte Muspratt Einspruch gegen sein Todesurteil ein und wurde schließlich auf Anraten der rechtlichen Berater der Royal Navy begnadigt und freigelassen. Die übrigen drei Meuterer wurden am Vormittag des 29. Oktober 1792 an Bord des Linienschiffs BRUNSWICK im Hafen von Portsmouth gehängt. Eine große Menschenmenge war zum Hafen geströmt, um der Hinrichtung beizuwohnen. „Anstatt einer ernsten Szenerie der Trauer herrschte eine ausgelassene Stimmung“, schrieb ein Augenzeuge. Die drei Verurteilten Thomas Burkitt, Thomas Ellison und John Millward trugen ihr Schicksal mit Fassung: „Um 11 Uhr wurde die

Anschuldigungen und Diffamierungen

Kanone abgefeuert und ihre Seelen flogen gen Himmel, beobachtet von Tausenden. Ihr Verhalten war von männlicher Festigkeit.“ Die Körper der Hingerichteten hingen zwei Stunden im strömenden Regen, bevor sie abgenommen und beerdigt wurden. Pro Begräbnis wurde dem Navy Board die Summe von sieben Schillingen und einem Sixpence in Rechnung gestellt. Die drei exekutierten Meuterer waren einfache Seeleute, die keine einflussreichen Fürsprecher besessen hatten, die sie vor dem Strick des Henkers retten konnten. Heywood dagegen machte Karriere als Marineoffizier – obgleich er als Meuterer rechtskräftig zum Tode verurteilt worden war. Dank der Unterstützung Lord Hoods und anderer Freunde wurde er im März 1795 zum Leutnant und 1803 zum Kapitän zur See befördert. John Hallett und Thomas Hayward, die gegen ihn ausgesagt hatten, starben dagegen beide innerhalb von drei Jahren nach dem Kriegsgerichtsprozess gegen die Meuterer der BOUNTY auf See. Auch James Morrison setzte seine Karriere als Geschützmeister in der Royal Navy fort. 1806 kam er beim Untergang des Linienschiffs BLENHEIM im Indischen Ozean ums Leben.

Anschuldigungen und Diffamierungen

Auch nach dem Ende des Prozesses hörten die Anschuldigungen gegen Bligh nicht auf. In zahlreichen Veröffentlichungen wurde er als Tyrann geschildert, dessen brutale Schinderei seine Mannschaft schließlich zur Meuterei getrieben hätte. Heywood und Morrison setzten ihren publizistischen Rachefeldzug gegen ihren früheren Kommandanten ebenfalls fort. Joseph Farington, ein Freund von Hallets Vater, schrieb in seinem Tagebuch, dass die Angriffe auf Bligh „zum Teil auf Heywood und seine Freunde zurückgehen“. Fletcher Christians älterer Bruder Edward, Juraprofessor an der Universität Cambridge und ein bekannter Anwalt, beteiligte sich gleichfalls an der gegen Bligh gerichteten Rufmordkampagne. Da Fletcher immer noch auf freiem Fuß war und nicht ausgeschlossen war, dass auch er gefangengenommen und vor Gericht gestellt wurde, versuchte Edward, Bligh zu diskreditieren, in

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„Ihre Seelen flogen gen Himmel“

der Hoffnung, seinen Bruder im Falle einer Gefangennahme so vor dem Galgen retten zu können. Anfang 1794 veröffentlichte er ein polemisches Pamphlet mit von ihm gesammelten Aussagen von Besatzungsmitgliedern der BOUNTY, das an das von Stephen Barney herausgegebene Protokoll der Verhandlung gegen die Meuterer der BOUNTY angefügt wurde. Darin, so behauptete er, würden die wah-

ren Gründe für die von seinem Bruder angeführte Meuterei offengelegt. Mit Hilfe von Bekannten und Freunden hatte Edward Christian eine Art informelle Untersuchungskommission gebildet, bei der er selbst das einzige ständige Mitglied war. Die Kommission hatte zahlreiche Augenzeugen befragt, wobei Edward Christian seine Quellen bewusst verschwieg oder verschleierte. Auch Peter Heywood hatte eine Zeit lang mit Edward Christian zusammengearbeitet, sich jedoch schließlich zurückgezogen. Möglicherweise hatte man ihm geraten, sich nicht in eine öffentliche Auseinandersetzung mit Bligh verwickeln zu lassen, nachdem er kurz zuvor begnadigt worden war. Schließlich wollte er seine Karriere in der Royal Navy weiter fortsetzen. Edward Christian war viel zu klug, um Fletchers Verbrechen zu leugnen. In seinem Pamphlet kritisierte er vielmehr Blighs Kommandoführung und schilderte dessen Verhalten an Bord der BOUNTY in den schwärzesten Farben. Er versuchte den Eindruck zu erwecken, dass Blighs Defizite als Mensch und Offizier der eigentliche Grund der Meuterei gewesen seien und dass sein Bruder Fletcher vielleicht nicht nach dem Gesetz, zumindest aber moralisch im Recht gewesen sei, als er das Kommando über die BOUNTY an sich riss. Dabei verfuhr er wie ein Verschwörungstheoretiker: Alles, was Bligh belasten konnte, wurde in das Pamphlet aufgenommen; alles, was nicht ins Konzept passte oder für Bligh sprach, wurde einfach ausgelassen. Hinzu kamen Übertreibungen und glatte Lügen, wie etwa die Behauptung, das Boot sei nur deshalb überladen gewesen, weil „fast das gesamte Eigentum von Bligh in Kisten und Kästen in das Boot geladen wurde“. Edward Christian präsentierte seinen Bruder als edelmütigen Jüngling, der sich gegen die Tyrannei des verachtenswerten Bligh aufgelehnt hatte. Er verfuhr nach dem Motto, man müsse nur mit viel

Anschuldigungen und Diffamierungen

Dreck werfen, dann würde von den Diffamierungen schon irgendetwas hängenbleiben. Damit behielt er recht: Edward Christians Schrift war eine brillante Polemik, der Bligh nur wenig entgegenzusetzen hatte. Zwar hätte er Christian verklagen können, doch konnte er sich einen langwierigen und womöglich ruinösen Rechtsstreit nicht leisten. Dieser hätte dem gewieften Juristen Christian zudem die Gelegenheit geboten, Blighs guten Ruf weiter zu untergraben. Stattdessen versuchte Bligh, die von Christian erhobenen Beschuldigungen mit einer im Dezember 1794 veröffentlichten Gegenschrift „An Answer to Certain Assertions Contained in the Appendix to a Pamphlet [...]“ zu entkräften, allerdings ohne großen Erfolg. Darin warf er Edward Christian nicht zu Unrecht vor, bei seinen Befragungen Zeugen beeinflusst zu haben, die ihr eigenes Fehlverhalten rechtfertigen wollten. Doch Bligh hatte noch weitere Gegner. Die Ideen der Französischen Revolution besaßen auch in Großbritannien zahlreiche Anhänger, die in der Meuterei auf der BOUNTY ebenso wie in den Ereignissen in Frankreich einen Aufstand von Unterdrückten gegen die Willkür eines Despoten sahen. Man verglich Christians Meuterei mit dem Sturm der Pariser Bevölkerung auf die Bastille, das verhasste Symbol des französischen Absolutismus, und bemühte sich nach Kräften, das Verhalten der Meuterer zu rechtfertigen. Auch im wachsenden Kreis der Sklavereigegner besaß Blighs Name keinen guten Klang, war es doch das Ziel der Expedition der BOUNTY gewesen, mit der Brotfrucht eine preiswerte Sklavennahrung in Westindien einzuführen, um das schändliche, auf Zwangsverschleppung und Zwangsarbeit beruhende Geschäft mit Zucker noch profitabler zu machen. In ihren Augen konnte auch Bligh nur ein finsterer Schurke sein. Und so verbreiteten auch die Sklavereigegner die von Edward Christian in die Welt gesetzte Mär von dem jungen aufrechten Offizier, der sich mutig gegen die Tyrannei seines despotischen Kommandanten aufgelehnt hatte und mit seinen Getreuen in die Freiheit gesegelt war. Damit begann der Mythos von der Meuterei auf der BOUNTY, der bis heute durch die Köpfe vieler Menschen spukt. So war Bligh allgemein als „Bounty-Bastard“ bekannt. Auch der Spitzname „Brot-

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„Ihre Seelen flogen gen Himmel“

frucht-Bligh“ blieb an ihm hängen; einige gebrauchten ihn mit Anerkennung, andere mit Ironie. Die Anti-Sklavereibewegung ließ auch das Journal des ehemaligen Bootsmannsmaaten der BOUNTY, James Morrison, kursieren, in dem dieser ebenfalls schwerwiegende Vorwürfe gegen seinen ehemaligen Kommandanten erhob – viele davon trivial, andere dagegen durchaus schwerwiegend. So behauptete Morrison, dass Bligh zwei Laibe Käse aus dem Schiffsproviant entnommen und an Land gebracht habe, während die BOUNTY in Deptford ausgerüstet wurde, und anschließend die Mannschaft des Diebstahls bezichtigt hatte. Ebenso berichtet er, dass Bligh während der Hinreise am Kap der Guten Hoffnung die Rechnungsbücher der BOUNTY gefälscht habe. Beide Anschuldigungen hätten zu Blighs unehrenhafter Entlassung führen können, hätte es handfeste Beweise dafür gegeben. Morrisons Aufzeichnungen waren der erste Augenzeugenbericht, der Blighs Darstellung über die Gründe der Meuterei widersprach. Sorgfältig vermied Morrison es, die Meuterei zu rechtfertigen, versuchte aber die Tatsache, dass es keinen Widerstand gegen Fletcher Christian und seine Mitstreiter gegeben hatte, mit Blighs tyrannischem Führungsstil zu erklären.

Ein kühler Empfang

Zwar wurde Bligh nach seiner Rückkehr von seiner zweiten TahitiReise für seine Verdienste mit einer Goldmedaille der Royal Society of Arts geehrt, doch hatte sich die öffentliche Meinung gegen ihn gekehrt. Auch sein Empfang durch die Admiralität war kühl gewesen. Angesichts des Krieges mit Frankreich rangierte der ohnehin als nachrangige Aufgabe betrachtete Transport von Brotfruchtschösslingen ziemlich weit unten auf der Prioritätenliste, zumal der Einfluss der Freunde der Heywoods bis in die Admiralität reichte. So stellte Bligh fest, dass sein Gehalt als Kommandant der PROVIDENCE gekürzt worden war. Noch demütigender war, dass es ihm nicht gelang, Beförderungen für seine Offiziere durchzusetzen. Wochenlang bemühte sich Bligh um ei-

Ein kühler Empfang

ne Audienz bei Lord Chatham, dem Ersten Lord der Admiralität. Während alle anderen Offiziere und sogar Leutnant Portlock vorgelassen wurde, ließ man ihn warten. Blighs Neffe Thomas Bond schrieb: „Heywoods Freunde haben alle und jeden bestochen, um ihn zu retten […] und den Charakter unseres Onkels verleumdet.“ Tatsächlich schrieb Heywoods Onkel Captain Palsey an seinen Protegé Matthew Flinders: „Euer Kommandant wird sehr kühl empfangen werden. Er hat sich selbst verdammt.“ Auch sein Verwandter Richard Rodney Bligh, der zu diesem Zeitpunkt bereits recht weit oben auf der Kapitänsrangliste stand, scheint ihn nicht unterstützt zu haben. Ein Trost für Bligh mag gewesen sein, dass ihn Prinz William Henry, der Herzog von Clarence, der selbst Marineoffizier gewesen war und zu den Freunden des berühmten Admirals Horatio Nelson zählte, zu einem Abendessen nach Richmond einlud. Einige Marineangehörige setzten sich sogar öffentlich für ihn ein: So schrieb Edward Harwood, der Schiffsarzt der PROVIDENCE, in einem Leserbrief an die Zeitung The Times über Bligh: „Seine Umgänglichkeit gegenüber seinen Offizieren und seine humane Aufmerksamkeit gegenüber seinen Männern brachten ihm ihre höchste Anerkennung und Bewunderung ein, und dies muss letztendlich jede unvorteilhafte, übereilt in seiner Abwesenheit gefasste Meinung zerstreuen.“ In dieser widrigen Lage stand Elizabeth Bligh ihrem Mann mit unerschütterlicher Loyalität zur Seite und schrieb empörte Briefe an jeden, von dem sie sich Hilfe und Unterstützung versprach. Neun Monate nach der Rückkehr der PROVIDENCE wurden am 21. März 1795 die Zwillinge William und Henry geboren, die aber noch am Tag der Geburt starben. Es waren die wohl dunkelsten Tage im Leben des William Bligh. Vor allem Sir Joseph Banks erwies sich in dieser schweren Zeit als treuer und loyaler Freund. Doch selbst sein Einfluss endete an den Toren der Admiralität. Obgleich Großbritannien Krieg gegen Frankreich führte, blieb Bligh 19 Monate lang auf Halbsold. Zumindest aber konnte er sich von seiner Krankheit erholen und das Leben mit seiner geliebten Betsy und seiner Familie genießen. Hier allein fand er Ruhe.

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„Ihre Seelen flogen gen Himmel“

Seinen Töchtern Harriet (geboren 1781), Mary (geboren 1783), Elizabeth (geboren 1786) sowie den Zwillingen Jane und Frances (geboren 1788) war er ein liebevoller Vater. Blighs besondere Zuneigung galt jedoch seiner jüngsten Tochter Anne, die 1791, nach seiner Rückkehr von der verhängnisvollen Reise der BOUNTY, geboren worden war. Sie war geistig behindert und Epileptikerin. Bis zu seinem Tod kümmerte er sich zärtlich und fürsorglich um Anne, die nie das Sprechen erlernte. Eigenhändig schob er sie im Rollstuhl durch die Londoner Parks – ungewöhnlich in einer Zeit, in der andere Familien von Stand ihre behinderten Kinder nicht den Augen der Öffentlichkeit preisgaben, sondern sie diskret in ländlichen Sanatorien verschwinden ließen. Dieser Zug in Blighs Charakter zeigt einen völlig anderen Mann als den jähzornigen und unbeherrschten Wüterich, als der er üblicherweise dargestellt wird. Am 16. April 1795 wurde Bligh schließlich in den aktiven Dienst zurückgerufen und zum Kommandanten des mit 24 Geschützen bewaffneten Transportschiffs CALCUTTA ernannt, die zur Nordseeflotte unter dem Befehl von Vizeadmiral Adam Duncan gehörte. Mit an Bord der CALCUTTA war auch Joseph Coleman, der ehemalige Büchsenmeister der BOUNTY. Als Bligh im Januar 1796 das Kommando über den mit 64 Kanonen bewaffneten Zweidecker DIRECTOR übernahm, folgte ihm der Schmied auf das neue Schiff. Auch Blighs Diener John Smith scheint mindestens bis 1801 bei ihm geblieben zu sein. Nicht zuletzt ihre Gefolgschaftstreue zeigt, dass Bligh offenbar nicht der schlechte und unbarmherzige Vorgesetzter war, als den ihn seine Feinde hinzustellen suchten.

„Wir stehen vor dem Zusammenbruch“ – Die Meuterei auf der Nore

V

on 1793 bis 1815 kämpften England und Frankreich in einem weltweit ausgetragenen Konflikt um die Vorherr-

schaft in Europa, wobei sich militärische und wirtschaftliche Faktoren vermischten. Der britische Premierminister William Pitt der Jüngere (1759–1806) griff dabei auf die erfolgreiche strategische Konzeption seines Vaters William Pitt der Ältere (1708–1778) aus dem Siebenjährigen Krieg zurück. Wie damals sollten die europäischen Verbündeten der Briten die Hauptlast des Kampfes auf dem Kontinent tragen, während die Royal Navy die Vorteile der Seemacht ausspielte. Die meisten britischen Kriegsschiffe waren jedoch während der fast zehnjährigen Friedensperiode seit dem Ende des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs außer Dienst gestellt gewesen. Dutzende Linienschiffe und Fregatten sowie unzählige kleinere Fahrzeuge mussten bei Ausbruch des Krieges bemannt, seeklar gemacht und wieder in kampfkräftige Einheiten verwandelt werden. Da sich in Kriegszeiten meist nicht genügend Freiwillige für den Dienst in der Marine meldeten, gab es keine andere Wahl, als Matrosen zum Dienst zu zwingen oder zu „pressen“. Auch als 1793 der Krieg gegen das revolutionäre Frankreich ausbrach, hatte die Royal Navy ihren ungeheuren Personalbedarf nur mit Hilfe von Zwangsaushebungen decken können. Innerhalb weniger Jahre wuchs die Royal Navy von einer Friedensstärke von 16 000 Mann auf rund 120 000 Offiziere, Unteroffiziere und Seeleute.

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„Wir stehen vor dem Zusammenbruch“

Im Blockadedienst

Gleich nach Ausbruch des Krieges hatte die Royal Navy damit begonnen, die französische Flotte in ihren Häfen einzuschließen. Für die Schiffe wie für die Männer bedeutete die Blockade eine schwere Herausforderung. Wind und Wetter verschlissen die Schiffe, während die Härte und Eintönigkeit des Dienstes das Durchhaltevermögen der Männer auf eine harte Probe stellte. Nur für dringende Reparaturarbeiten durften die Schiffe das Geschwader verlassen. Die Aufrechterhaltung dieser Blockade war eine logistische Meisterleistung und erforderte ein ausgeklügeltes Versorgungssystem, um den Nachschub mit Wasser und Proviant sicherzustellen. Vor der Revolution hatte Frankreich eine Flotte besessen, die der britischen Royal Navy nahezu gleichwertig, in mancher Hinsicht sogar überlegen gewesen war. Doch als 1793 der Krieg mit Großbritannien ausbrach, existierte diese hochprofessionelle, gut ausgebildete Marine faktisch nicht mehr. Nur wenige der zumeist adligen Seeoffiziere hatten die revolutionären Säuberungsaktionen überstanden. An ihrer Stelle wurden nun Handelsschiffsoffiziere, ehemalige Deckoffiziere und einfache Seeleute zu Marineoffizieren ernannt. Sie waren zwar loyale Anhänger der Französischen Republik, doch mangelte es vielen von ihnen an den notwendigen Fähigkeiten, um ein Kriegsschiff oder ein Geschwader zu führen. Überdies lagen die Schiffe die meiste Zeit im Hafen, sodass es den französischen Marineoffizieren und Mannschaften an Erfahrung im Umgang mit ihren Schiffen auf See fehlte. Die Folge war der vollständige Zusammenbruch der französischen Flotte. Trotz dieser Überlegenheit zur See verlief der Krieg für Großbritannien und seine Verbündeten wenig erfolgreich. Der einzige bedeutende Erfolg war der Sieg der Royal Navy über ein französisches Geschwader in der Seeschlacht vom 1. Juni 1794, bald bekannt als The Glorious First of June, auf Deutsch „Der glorreiche Erste Juni“. Auf dem Kontinent sah die militärische Lage für die Alliierten dagegen denkbar schlecht aus: Die französische Revolutionsarmee mar-

Die Rebellion der Matrosen

schierte von Sieg zu Sieg. 1795 eroberten die Franzosen die Niederlande und riefen die nach dem Vorbild des revolutionären Frankreichs verfasste „Batavische Republik“ aus. Damit erhielt die französische Marine eine erhebliche Verstärkung durch die niederländische Flotte, sodass die Briten gezwungen waren, nun auch die Küste der Niederlande zu blockieren. Bligh kommandierte die CALCUTTA nur gut neun Monate lang. Bevor er Anfang Januar 1796 den Befehl über das Transportschiff abgab, lobte er in einem Schreiben an die Admiralität einen seiner Leutnants, beschwerte sich zugleich aber über drei andere. Am 7. Januar 1796 wurde Bligh zum Kommandanten des mit 64 Kanonen bewaffneten Linienschiffs DIRECTOR ernannt. Der kleine Zweidecker gehörte ebenfalls zur Nordseeflotte unter Vizeadmiral Duncan. Dessen Auftrag lautete, mit seinen Schiffen die Küste der mit den Franzosen verbündeten Niederlande zu blockieren. Sollte der niederländischen Flotte wider Erwarten das Auslaufen gelingen, hatte Duncan den Befehl, die feindlichen Schiffe so rasch wie möglich abzufangen und niederzukämpfen. Weder Bligh noch seine Frau waren glücklich über den eintönigen Dienst in der Nordsee. Im Dezember bat Betsy Sir Joseph Banks, ihrem Mann einen Landdienstposten zu verschaffen, was dieser auch versuchte, allerdings ohne Erfolg. Das ganze Jahr 1796 hindurch versah die DIRECTOR ihren monotonen, ereignislosen und frustrierenden Blockadedienst vor der niederländischen Küste. Doch nicht die niederländische Flotte stellte damals die größte Bedrohung für die britische Seemacht da, sondern der wachsende Groll unter den eigenen Seeleuten.

Die Rebellion der Matrosen

Seit Beginn des Krieges war es auf britischen Kriegsschiffen immer wieder zu Meutereien gekommen, die jedoch meist auf informellem Wege wieder beigelegt wurden. Manchmal gab es jedoch auch ernstere Auseinandersetzungen. So hatte beispielsweise im Oktober 1795 die Mannschaft des im Hafen von Leith liegenden 74-Kanonen-Linien-

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schiffs DEFIANCE gemeutert. Die Seeleute forderten unter anderem die Ablösung des Kommandanten und einiger Offiziere sowie die Gewährung von Landurlaub. William Bligh, der sich zufällig vor Ort aufhielt, bekam den Befehl, das Linienschiff mit Hilfe von Soldaten zu entern und die Meuterei zu beenden, was ihm ohne Verluste an Menschenleben gelang. 17 Rädelsführer wurden verhaftet und vor ein Kriegsgericht gestellt. Acht der Männer wurden zum Tode, vier zu 300 Peitschenhieben und drei zu 100 Peitschenhieben verurteilt; die beiden übrigen Angeklagten wurden freigesprochen. Vier der zum Tode Verurteilten wurden anschließend begnadigt, und auch die Körperstrafen wurden gnadenhalber verringert; die beiden schlimmsten Übeltäter erhielten 60 Schläge, die übrigen 20 Schläge mit der neunschwänzigen Katze. Doch nicht alle Besatzungsmitglieder waren an der Meuterei beteiligt gewesen; ein Teil der loyal gebliebenen Seeleute wurde später auf andere Schiffe versetzt, um sie vor möglichen Racheaktionen der Meuterer zu schützen. Die Meuterei auf der DEFIANCE war aber nur ein Vorgeschmack auf die kommenden Ereignisse. Anfang 1797 begann sich die Unzufriedenheit der Seeleute mit den Verhältnissen in der Royal Navy in respektvoll und ehrerbietig vorgebrachten Forderungen Luft zu machen. Die Beschwerden der Seeleute richteten sich in erster Linie gegen die niedrige Entlohnung. So hatte es seit mehr als einem Jahrhundert keine Heuererhöhung in der Royal Navy gegeben, obwohl die Lebenshaltungskosten im Laufe der Zeit erheblich gestiegen waren. Des Weiteren verlangten sie bessere Verpflegung und das Recht auf Landurlaub. Bemerkenswerterweise gehörte die Abschaffung der Neunschwänzigen Katze nicht zu den Forderungen der Matrosen. Augenscheinlich wurde die Prügelstrafe auch von den Seeleuten als notwendiges Übel zur Aufrechterhaltung der Disziplin an Bord akzeptiert. Im März 1797 hatten sich die Seeleute der Kanalflotte mit einer Bittschrift an ihren Oberbefehlshaber, Admiral Richard Earl Howe, gewandt, der als „Freund der Matrosen“ bekannt war. Doch der 71-jährige Admiral, der in Bath seine Gicht kurierte, antwortete nicht auf das Schreiben der Seeleute. Dafür reagierte Howes Stellvertreter

Die Rebellion der Matrosen

Lord Bridport auf eine weitere Petition der Matrosen an die Admiralität mit der Order, in See zu gehen. Doch als er am Morgen des 16. April den Besatzungen der 16 im Spithead liegenden Linienschiffe das Kommando zum Auslaufen gab, widersetzten sich die Seeleute dem Befehl, die Anker zu lichten, und verweigerten ihren Offizieren offen den Gehorsam. Zum ersten Mal in der Geschichte der Royal Navy hatte ein ganzes Geschwader geschlossen gemeutert. Alles in allem verhielten sich die rebellierenden Matrosen ruhig und diszipliniert. Sie wählten Abgeordnete für ein Komitee, das kurz darauf das Kommando über die Flotte übernahm. Die Delegierten beschlossen, bis auf Weiteres die übliche Routine an Bord beizubehalten, die Offiziere zu respektieren und alle Befehle bis auf den zum Auslaufen zu befolgen. Nach dreiwöchigen Verhandlungen mit den aufsässigen Matrosen war die Admiralität bereit, den Forderungen nachzugeben. Allerdings scheiterte die Beilegung der Meuterei zunächst an der Sturheit der Marinebürokratie hinsichtlich der Versorgung mit Frischgemüse sowie der Forderung nach Straffreiheit für die Mannschaftsdelegierten. Zu allem Unglück erreichte London jetzt auch noch die Nachricht, dass die Franzosen die Invasion Irlands planten, wo bereits ein Aufstand gegen England schwelte. Zwar hatten die meuternden Seeleute König und Regierung ihre Loyalität erklärt und zugesichert, bei einem Auslaufen des Feindes sofort den Dienst wieder aufzunehmen, doch nahmen sie zugleich die Offiziere gefangen oder setzten sie an Land. Bestürzt musste die Admiralität dem fassungslosen Premierminister William Pitt mitteilen: „Wir stehen vor dem völligen Zusammenbruch.“ Jetzt nahm der erfahrene Politiker Pitt die Sache selbst in die Hand. In kürzester Zeit peitschte er einen Gesetzentwurf für eine bessere Bezahlung und Verpflegung der Seeleute durch Unter- und Oberhaus. Um die Meuterei so schnell wie möglich beizulegen, sollte eine von den Seeleuten respektierte Persönlichkeit den Matrosen das neue Gesetz verkünden. Obgleich er sich mehr schlecht als recht von der Gicht erholt hatte, erklärte sich Earl Howe bereit, den meutern-

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den Seeleuten die getroffenen Vereinbarungen zu erklären. Persönlich fuhr der alte Admiral von Schiff zu Schiff, um mit einer Mischung aus väterlicher Güte und militärischer Strenge zu den Besatzungen zu sprechen. Am 15. Mai war die Meuterei im Spithead beendet; bereits am folgenden Tag konnte Lord Bridport mit seinen Schiffen in See gehen. Fast einen Monat lang hatten die rebellierenden Seeleute die gesamte Kanalflotte lahmgelegt. Dennoch erinnern die Ereignisse vom Spithead insgesamt mehr an einen Streik als an eine Meuterei: Sobald ihre berechtigten Forderungen erfüllt worden waren, hatten die Seeleute bereitwillig ihren Dienst wiederaufgenommen. Am 6. Mai wies Admiral Duncan Bligh an, mit der DIRECTOR zur Ausbesserung an die Nore, eine Reede an der Mündung der Themse, zu segeln. Als er dort eintraf, befanden sich die dort liegenden Schiffe in Aufruhr. Obgleich die beschlossenen Reformen für die ganze Royal Navy Geltung besaßen, war am 12. Mai unter den vor der Nore liegenden Schiffen ebenfalls eine Meuterei ausgebrochen.

Im Zustand totaler Meuterei

Die Meuterei auf der Nore war chaotisch und schlecht vorbereitet. Im Gegensatz zur Kanalflotte handelte es sich bei den Schiffen auf der Nore um einen bunt zusammengewürfelten Haufen von drei Linienschiffen, acht Fregatten und einigen kleineren Einheiten. Zudem waren die Meuterer untereinander uneinig. Auch die Mannschaft der DIRECTOR schloss sich der Meuterei an. Es gibt allerdings keinerlei Hinweise darauf, dass Bligh durch seine Menschenführung die Seeleute gegen sich aufgebracht hätte oder dass die Meuterei gegen ihn persönlich gerichtet war. Bereits im März, als die DIRECTOR nach einem Hafenaufenthalt wieder zur Blockadeflotte gestoßen war, hatte sich ein unruhiger und aufsässiger Geist unter der Besatzung bemerkbar gemacht. Seeleute vernachlässigten oder verweigerten ihren Dienst, sodass sich Bligh gezwungen sah, die Männer auspeitschen zu lassen. Die Besatzung war immer rebellischer geworden, bis sie schließlich den Gehorsam verweigerte. Die Männer der

Im Zustand totaler Meuterei

DIRECTOR forderten die Ablösung zweier Leutnants und des Sailing

Masters, da sie die Seeleute schlecht behandelt hätten. Gegen Bligh selbst wurden keine Klagen erhoben. Bligh weigerte sich, seine drei Schiffsoffiziere an Land zu schicken, befahl ihnen aber, ihre Kammern nicht zu verlassen. Anführer der Meuterer auf der Nore war Richard Parker, der das halbverrottete Linienschiff SANDWICH zu seinem Flaggschiff erkor. Der 1767 geborene Parker hatte früher bereits als Midshipman in der Royal Navy gedient, war aber wegen Ungehorsams entlassen worden. Später hatte er sich erfolglos als Schulmeister versucht. Hoch verschuldet war Parker schließlich im Gefängnis gelandet. Um wieder freizukommen, hatte er sich als einfacher Seemann zum Dienst in der Marine gemeldet, wo er sich durch seine Beredsamkeit schnell zum Anführer der unzufriedenen Seeleute aufgeworfen hatte. Ein Augenzeuge berichtete, Parker „schien berauscht von seiner eingebildeten eigenen Bedeutsamkeit.“ Während die meuternden Seeleute im Spithead ihre Vorgesetzten im Großen und Ganzen mit Respekt behandelt hatten, kam es an der Nore zu gewaltsamen Übergriffen auf Offiziere. Der Schiffsarzt des Linienschiffs MONTAGUE wurde geteert und gefedert, besonders verhasste Fähnriche waren im Wasser untergetaucht worden und manche Offiziere entgingen nur knapp der Ermordung durch die aufsässigen Seeleute. Bligh dagegen gehörte nicht zu den Offizieren, die von Bord vertrieben oder bedroht wurden: „Bis jetzt hat sich keine Schiffsmannschaft je besser verhalten, noch hat ein Schiff mehr Zeichen von Zufriedenheit und Ordnung gezeigt“, lobte er seine Seeleute. Nach einer Woche musste aber auch er auf Druck der Anführer der Meuterer sein Schiff verlassen. Doch anders als auf der BOUNTY befand sich Bligh dieses Mal in bester Gesellschaft, denn er war längst nicht der einzige Kapitän, der von seinen Seeleuten von Bord gejagt wurde. Die Entfernung Blighs von der DIRECTOR ging einher mit einer Radikalisierung der Rädelsführer. Im Gegensatz zu ihren Kameraden im Spithead beschränkten sich die Meuterer in der Nore nicht darauf, berechtigte Forderungen zu stellen und unliebsame Offiziere an Land

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zu setzen. Stattdessen hatten sie die rote Flagge, das traditionelle Zeichen des Aufruhrs, gehisst und Kontakt zu frankreichfreundlichen Kreisen in London aufgenommen. Nach seiner Absetzung durch die Meuterer wurde Bligh von der Admiralität nach Yarmouth geschickt, um Vizeadmiral Duncan über die Ereignisse an der Nore zu berichten. In der Nordseeflotte gärte es ebenfalls, und so griff die Meuterei Ende Mai auch auf die Schiffe unter Duncans Kommando über, die gut 80 Seemeilen nördlich der Themsemündung vor Great Yarmouth auf Reede lagen. Wie ein Augenzeuge berichtete, befand sich die Nordseeflotte ab dem 20. Mai im „Zustand totaler Meuterei“. Allerdings war Vizeadmiral Duncan nicht der Mann, der sich von Meuterern aus der Fassung bringen ließ. An Bord seines Flaggschiffs, der mit 74 Kanonen bestückten VENERABLE, gelang es ihm, die Mannschaft zur Vernunft zu bringen, nachdem er die Rädelsführer verhaftet und in Eisen gelegt hatte. Auch auf der Fregatte ADAMANT hatte er die Meuterei im Keim ersticken können. Duncan, ein Hüne von einem Mann und trotz seiner 66 Jahre noch im Vollbesitz seiner Kräfte, hatte den Anführer der Meuterer kurzerhand am Kragen gepackt und, während er ihn am ausgestreckten Arm über Bord hielt, der Besatzung zugerufen: „So Jungs, guckt euch den Kerl an – er wagt es, mir das Kommando über die Flotte abzunehmen!“ Damit war die Rebellion der Seeleute an Bord der ADAMANT beendet. Kurz darauf befahl Duncan seinem Geschwader, die Anker zu lichten. Er hatte gehofft, dass ihm die anderen Schiffe folgen würden, doch eines nach dem anderen desertierte und segelte zur Nore, um sich den Meuterern anzuschließen. Allein mit der VENERABLE und der ADAMANT gelang es Duncan, die Blockade der niederländischen Flotte aufrechtzuerhalten. Unterdessen waren an der Nore Konflikte zwischen den Meuterern und loyal gesinnten Seeleuten ausgebrochen. Auf mehreren Schiffen wollten Teile der Besatzung den Ausstand beenden und zum Dienst zurückkehren, was jedoch von den Anführern der Meuterei verhindert wurde. Auch auf der DIRECTOR versuchten die loyalen Seeleute zweimal vergeblich, die Kontrolle über das Schiff an sich zu rei-

Der Zusammenbruch der Meuterei

ßen. Nur auf dem mit 50 Kanonen bewaffneten Zweidecker LEOPARD gelang es den Loyalisten, die Meuterer zu überwältigen, das Schiff zu übernehmen und Anker auf zu gehen.

Der Zusammenbruch der Meuterei

Die Meuterei auf der Nore war bereits am Zusammenbrechen, als sie durch die Ankunft der meuternden Schiffe der Nordseeflotte neu angefacht wurde. In völliger Verkennung der Realität, glaubte Parker ernsthaft, die Admiralität in die Knie zwingen zu können. Als die Schiffe der Nordseeflotte zu den meuternden Schiffen auf der Nore stießen, bestärkte ihn dies noch in seiner Haltung. Um die Regierung weiter unter Druck zu setzen, blockierten die Meuterer die Themse, wodurch sie die politisch einflussreichen Kaufleute und Reeder gegen sich aufbrachten. Ebenso ungeschickt war die Drohung, mitsamt den Schiffen zu den Franzosen überzulaufen. Damit verloren die Meuterer von der Nore nicht nur das Wohlwollen des Parlaments, sondern auch die Sympathie des Volkes. Weil die Meuterei auf der Nore ausgebrochen war, obwohl man den wesentlichen Forderungen der Seeleute im Spithead bereits nachgegeben hatte, weigerte sich die Regierung, mit den aufständischen Matrosen zu verhandeln. Stattdessen ließ sie die Schiffe vom Nachschub abschneiden. Den Meuterern blieb nur die Möglichkeit, entweder die königliche Amnestie zu akzeptieren und den Dienst wieder aufzunehmen oder zu den Franzosen überzulaufen. Zu Recht setzte die Regierung dabei auf die Loyalität der Seeleute, denn bei aller Unzufriedenheit standen die Meuterer nach wie vor treu zu König und Vaterland. Die harte Haltung der Regierung zeigte Erfolg: Allmählich brach die Rebellion der Seeleute zusammen. Ein Schiff nach dem anderen kehrte zum Dienst zurück, und am 13. Juni war die Meuterei an der Nore beendet. Auch Bligh übernahm nun wieder das Kommando auf der DIRECTOR. Zusammen mit den übrigen Schiffen der Nordseeflotte lief er mit seinem Zweidecker aus, um die Blockade der niederlän-

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dischen Küste wieder aufzunehmen. Parker dagegen wurde mit 13 seiner Spießgesellen vor ein Kriegsgericht gestellt, zum Tode verurteilt und eine Woche nach dem Ende der Meuterei gehängt. Auch 31 Seeleute von der DIRECTOR waren nach der Meuterei festgenommen worden. 19 von ihnen waren dank Blighs Intervention aus der Haft entlassen worden; die übrigen zwölf hatte man zwar vor Gericht gestellt, aber nicht verurteilt. Auch wenn das Leben an Bord der britischen Kriegsschiffe entbehrungsreich blieb, wurden durch höhere Bezahlung und bessere Verpflegung der Seeleute einige der schlimmsten Missstände behoben. Diese weitsichtige Entscheidung legte das Fundament für die Erfolge der Royal Navy im Krieg gegen Frankreich. Doch zunächst bewiesen die Seeleute der Nordseeflotte im Kampf gegen die Niederländer, dass ihre Loyalität, ihr Mut und ihr Kampfeswille trotz der Meuterei ungebrochen waren. Nur selten waren alle Schiffe der Nordseeflotte gleichzeitig auf Station, sodass es Admiral Duncan schwerfiel, die einzelnen Schiffe durch gemeinsame Übungen zu einem wirklichen Flottenverband zusammenzuschweißen. Vielen Kommandanten, darunter auch Bligh, gelang es jedoch, durch Gefechtsübungen und Geschützdrill an Bord ihrer Schiffe einen hohen Grad an Kampfbereitschaft herzustellen.

Die Schlacht von Camperdown

Am 11. Oktober 1797 stieß Admiral Duncan mit seiner Nordseeflotte südlich der Insel Texel an der holländischen Küste vor Kamperduin oder Camperdown, wie die Briten sagten, auf ein niederländisches Geschwader unter dem Kommando von Vizeadmiral Jan Willem de Winter. Bereits seit Wochen hatte ganz England eine große Seeschlacht zwischen den Briten und den Holländern erwartet. Beide Flotten bestanden aus 16 Zweideckern und einer Anzahl kleinerer Schiffe, doch waren die Briten den Niederländern an Tonnage und Zahl der Kanonen überlegen. Um die feindliche Flotte zu stellen, missachtete Duncan bewusst

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die sogenannten Fighting Instructions, die ständigen Kampfanweisungen der Admiralität. Anstatt wie vorgeschrieben eine Schlachtlinie zu bilden, löste Duncan seine Formation auf und befahl seinen Kommandanten, die feindliche Schlachtlinie zu durchbrechen und den Nahkampf zu suchen: „Da ich den Angriff sofort beginnen musste, setzte ich das Signal zum Abfallen, zum Durchbruch und Angriff von Lee aus, jedes Schiff auf sein Gegenüber. Hierdurch kam ich zwischen sie und das Land, dem sie sich schnell näherten.“ Duncans brillante Improvisation sicherte ihm den Sieg. Zielstrebig stürzten sich die britischen Linienschiffe auf die Niederländer, brachen die feindliche Formation auf und legten sich in kürzester Entfernung neben ihre Gegner. Wegen der glatten Kanonenrohre und der ständigen Bewegung des Schiffs waren Treffer auf größere Distanz reine Glückssache. Daher eröffneten die meisten Kommandanten das Geschützfeuer erst auf einer Distanz von 50 Metern oder weniger. Bei dieser geringen Entfernung konnte man kaum vorbeischießen. Im Nahgefecht war zudem eine rasche Schussfolge wichtiger als Zielgenauigkeit. Eine gut gedrillte Geschützmannschaft konnte in zwei Minuten bis zu drei Salven abfeuern. Auf die kurze Distanz durchschlugen die schweren eisernen Kanonenkugeln die hölzernen Bordwände, wobei nach jedem Treffer Holzsplitter wie ein Hagelschauer durch die Luft flogen und zudem fürchterliche Wunden verursachten. Viele Opfer starben später an Wundbrand. Die massiven Kanonenkugeln konnten die Takelage zerfetzen, das Überwasserschiff zu Kleinholz zerschlagen und unter der Mannschaft ein fürchterliches Blutbad anrichten. Doch unter Wasser waren die Schiffe fast unverwundbar. Solange sie nicht Feuer fingen, wurden hölzerne Kriegsschiffe daher nur sehr selten durch Geschützfeuer versenkt. Die Schlacht hatte sich bald zu einem unübersichtlichen Gewirr von Einzelkämpfen entwickelt. Dabei bewies Bligh, dass er „sein Schiff und seine Mannschaft mit Geschick“ führen konnte, wie Admiral Duncan feststellte. Er zählte zu den Kommandanten, die sich im Kampf gegen die niederländische Flotte besonders auszeichneten. Unerschrocken warf Bligh seine DIRECTOR mitten in das Gefecht.

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„Wir stehen vor dem Zusammenbruch“

Zuerst griff er die HAARLEM an, anschließend wandte er sich gegen die mit 74 Geschützen bewaffnete VRIJHEID, an deren Fockmast die Flagge von Admiral de Winter wehte. Kurz zuvor hatte das niederländische Flaggschiff die Attacke des 64-Kanonen-Zweideckers ARDENT blutig abgeschlagen. Entschlossen attackierte Bligh die größere und schwerer bewaffnete VRIJHEID mit einer gut gezielten Breitseite. Im dichten Kampfgetümmel legte er die DIRECTOR längsseits neben das feindliche Flaggschiff. Aus nur 20 Metern Entfernung feuerten seine Kanoniere eine vernichtende Salve nach der anderen auf ihren Gegner: „Wir schossen ihm seinen Fockmast, die Vormars- und Vorbramstenge und kurz darauf seinen Großmast, die Großmars- und Großbramstenge zusammen mit seinem Kreuzmast weg […] Um 3.55 Uhr strich er die Flagge und das Gefecht endete“, beschrieb Bligh den Kampf im Logbuch der DIRECTOR. Seit den englisch-holländischen Seekriegen im 17. Jahrhundert hatte die Royal Navy nicht mehr gegen einen so hartnäckigen Gegner gefochten. Im Unterschied zu Spaniern und Franzosen zielten die Niederländer nicht auf die Takelage, sondern wie die Briten auf den Rumpf des Feindes. Daher glichen die Decks der Schiffe schon bald einem Schlachthaus, während kaum ein Mast oder eine Spiere beschädigt wurde. Doch schließlich entschied die bessere Ausbildung der britischen Seeleute die Schlacht. Die gut gedrillten britischen Geschützmannschaften luden und schossen schneller als ihre niederländischen Gegner. Im Kampf Schiff gegen Schiff auf kürzeste Distanz konnten die britischen Kommandanten die höhere Feuergeschwindigkeit ihrer Kanonen voll zum Tragen bringen. Nach fünfstündigem, tapferem Kampf mussten 13 niederländische Schiffe die Flagge streichen, darunter auch de Winters Flaggschiff VRIJHEID . Nur sieben holländischen Schiffen gelang die Flucht.

Gleichwohl gab es für die triumphierenden Briten kaum Prisengeld, da fast alle aufgebrachten Schiffe so zerschossen waren, dass eine Reparatur unmöglich war oder sich nicht mehr lohnte. Und so gab es nach der Schlacht erbitterten Streit zwischen den Kommandanten und ihrem Admiral über die Aufteilung des Prisengelds.

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Die Schlacht von Camperdown war ein blutiges Gemetzel gewesen. Ihr Sieg hatte die Briten etwa 200 Mann gekostet, und dazu kamen mehr als 600 Verwundete, während die kleinere holländische Flotte ebenso viele Verwundete, aber die doppelte Zahl an Toten verzeichnete. „Es ist ein Wunder, dass zwei solche Riesenkerle wie Duncan und ich dem Blutbad dieses Tages entgangen sind“, bemerkte Admiral de Winter nach der Schlacht zu seinem Gegner Duncan. Trotz ihres Einsatzes mitten im erbarmungslosen Getümmel des Nahkampfes hatte die DIRECTOR keine Toten und nur sieben Verwundete zu beklagen gehabt, wozu ihm seine Offiziere nach der Schlacht gratulierten. Duncan schrieb an Bligh: „Ich habe gegenüber der Admiralität angemerkt, dass wenn Ihr Schiff außer Dienst gestellt wird, ich die Hoffnung habe, dass man Euch sofort ein neues gibt, denn ich habe beobachtet, dass sie wie ein wahres Kriegsschiff geführt wurde.“ Dies war ein großes Kompliment seines kommandierenden Admirals, über das sich Bligh aufrichtig gefreut haben dürfte. Der Erfolg bei Camperdown hatte das nach den Flottenmeutereien von Spithead und Nore angeschlagene Vertrauen der Briten in die Royal Navy wiederhergestellt. Die vor Kurzem noch aufsässigen Matrosen hatten im Eisenhagel der niederländischen Breitseiten Mut und Kampfgeist bewiesen. Zugleich hatte die Schlacht gezeigt, dass die neue, von Admiralen wie Duncan und Nelson eingesetzte Nahkampftaktik den Briten nicht nur im Kampf gegen die spanische und französische Flotte, sondern auch bei einem hartnäckigen Gegner wie den Niederländern Vorteile brachte. Zur Belohnung für seinen überwältigenden Sieg über die niederländische Flotte wurde Admiral Duncan als Viscount Duncan of Camperdown in den Adelsstand erhoben. Im Jahre 1800 holte Duncan seine Flagge nieder und ging in den Ruhestand. Er starb 1804 hochgeehrt und als reicher Mann. Ebenso wie die anderen an der Schlacht von Camperdown beteiligten Admiral und Kommandanten erhielt Bligh eine goldene Ehrenmedaille zur Erinnerung an diesen großen Sieg. Doch nicht alle Offiziere hatten sich wie Bligh im Kampf hervorgetan. So wurde

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„Wir stehen vor dem Zusammenbruch“

Kapitän John Williamson, der einst zusammen mit Bligh unter James Cook gedient und bei dessen Ermordung eine so unrühmliche Rolle gespielt hatte, wegen seines mangelnden Einsatzes in der Schlacht von Camperdown vor ein Kriegsgericht gestellt. Bei Feigheit vor dem Feind drohte die Todesstrafe. Doch obgleich Williamson von seinen über ihn zu Gericht sitzenden Offizierskameraden schuldig gesprochen wurde, war die Strafe vergleichsweise milde; er wurde lediglich an das Ende der Kapitänsrangliste gesetzt und für untauglich erklärt, jemals wieder das Kommando über ein britisches Kriegsschiff zu übernehmen. Bligh dagegen führte das Kommando der DIRECTOR weiter. Der Blockadedienst in der Nordsee war eintönig und ereignislos, nur unterbrochen von den wenigen Hafenaufenthalten. Wieder einmal überwarf er sich mit einem seiner Offiziere. Im Juni 1799 kam es zu einem Kriegsgerichtsprozess gegen Joseph Ramsay, den Sailing Master der DIRECTOR. Blighs Vorwürfe lauteten auf unangemessenes und freches

Verhalten. Unter anderem hatte Ramsay zu seinem Kommandanten gesagt: „Wenn ich nicht in der Lage bin, das Schiff zu segeln, dann wäre es besser, jemand anderes hier zu haben.“ Tatsächlich sprach das Gericht Ramsay schuldig und „entließ ihn aus seinem Posten als Steuermann der DIRECTOR“. Einige Zeit später eskortierte die DIRECTOR einen Konvoi Ostindienfahrer bis zu der im Südatlantik gelegenen Insel St. Helena, wo Bligh zudem die Gelegenheit nutzte, Pflanzen für den Königlichen Botanischen Garten in Kew zu sammeln. Nach der Rückkehr bat Bligh die Admiralität um Genesungsurlaub: „Ich benötige Hilfe aufgrund einer beunruhigenden Taubheit, die meinen linken Arm ergriffen hat infolge einer rheumatischen Erkrankung.“ Seine Beschwerden waren möglicherweise eine Spätfolge der entbehrungsreichen Reise im Boot der BOUNTY. Bligh blieb Kommandant der DIRECTOR, bis der Zweidecker Anfang Juli 1800 außer Dienst gestellt wurde. Nach einer kurzen Zeit auf Halbsold wurde er von der Admiralität mit Vermessungsaufgaben betraut. Bis Anfang 1801 kartographierte Bligh die Küste von Wales sowie die Ostküste von Irland. Als er den südwestlich von Falmouth

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gelegenen Hafen von Helford in Cornwall auslotete, wurde er unter dem Verdacht, ein französischer Spion zu sein, von den Einwohnern des kleinen Dorfes festgenommen und im örtlichen Pfarrhaus inhaftiert, bis der Irrtum schließlich aufgeklärt werden konnte. „Man hatte ihn grob behandelt, was er übel nahm“, schrieb der Pfarrer nach diesem Vorfall, doch habe er später „in das Lob für den Eifer meiner Gemeindemitglieder“ eingestimmt. Offenbar besaß Bligh doch Humor.

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„Ein guter und tapferer Mann“ Die Schlacht von Kopenhagen

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ährend Bligh die britischen Inseln kartographierte, hatte sich im Norden Europas ein neuer Konfliktherd ent-

wickelt. Bei ihrem Bemühen, Frankreich von dringend benötigten Nachschubgütern abzuschneiden, nahmen die Briten, wie schon im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, nur wenig Rücksicht auf die neutrale Schifffahrt. Entsprechend bestanden die Briten auf ihrem Recht, jedes neutrale Schiff anzuhalten, auf verbotene Waren, sogenannte Konterbande, zu durchsuchen und gegebenenfalls aufzubringen. Angesichts der wachsenden Belästigung der neutralen Handelsschifffahrt durch die Briten hatten sich Preußen, Dänemark, Schweden und Russland unter der Führung des mit Napoleon sympathisierenden russischen Zaren Paul I. (1796–1801) daher im Dezember 1800 erneut zu einer „Bewaffneten Neutralität“ zusammengeschlossen.

Die britische Ostseeflotte

Diese Allianz der nordeuropäischen Mächte stellte für England eine ernste Bedrohung dar. Durch die „Bewaffnete Neutralität“ wurde der britische Zugang zum Ostseeraum und damit die Zufuhr des für die Royal Navy dringend benötigten Schiffbaumaterials gefährdet. Ohne Flotte aber war England verloren. Daher war die Reaktion der Briten schnell und hart: Die Vizeadmirale Sir Hyde Parker und Lord Horatio Nelson wurden in die Ostsee entsandt, um den Zugang zur Ostsee zu sichern – durch Diplomatie, notfalls aber auch mit Gewalt.

Die britische Ostseeflotte

Die Regierung hatte Sir Hyde Parker, den Sohn von Admiral Parker, unter dem Bligh 1781 in der Schlacht auf der Doggerbank gedient hatte, ausgewählt, weil man einen Admiral brauchte, der über ein gewisses diplomatisches Geschick verfügte. Die englische Regierung hoffte immer noch, die Dänen ohne die Anwendung von Waffengewalt zum Austritt aus der „Bewaffneten Neutralität“ bewegen zu können. Um aber für den Fall der Fälle einen kampflustigen Admiral vor Ort zu haben, hatte die Regierung Lord Nelson zu Parkers Stellvertreter ernannt. Nelson hatte sein taktisches Genie zum ersten Mal 1797 in der Schlacht von St. Vincent bewiesen, als er, den Befehl seines kommandierenden Admirals Sir John Jervis vorausahnend, durch ein kühnes Wendemanöver der spanischen Flotte den Rückzug abschnitt. Sein erster großer Erfolg als Admiral und Geschwaderchef war die Wiederherstellung der englischen Seeherrschaft im Mittelmeer durch seinen Sieg über die französische Flotte in der Schlacht von Aboukir im Jahre 1798. Am 12. März 1801 verließen die Schiffe der Ostseeflotte die Reede von Yarmouth, eine Woche später sichteten sie die dänische Küste. Das Geschwader umfasste 23 Linienschiffe, einen kleineren Zweidecker mit 50 Geschützen, elf Fregatten und 23 kleinere Fahrzeuge. Da die britische Ostseeflotte hastig zusammengestellt und bislang nur auf Reede gelegen hatte, hatte es kaum eine Gelegenheit gegeben, aus der Ansammlung von Schiffen eine wirkliche Streitmacht zu formen. Allerdings wurden viele der Schiffe von bewährten Kommandanten geführt, die wussten, was sie zu tun hatten, sollte es zur Schlacht kommen. Unter ihnen befand sich auch William Bligh. Er hatte kurz zuvor das Kommando über die GLATTON übernommen, einen ehemaligen Ostindienfahrer, der mit 54 schweren Karronaden bewaffnet war – großkalibrigen Nahkampfgeschützen mit begrenzter Reichweite, die dem Schiff im Gefecht auf kurze Distanz eine ungeheure Feuerkraft verliehen, die der eines Dreidecker-Linienschiffs gleichkam. Neben Bligh gehörten auch John Fryer als Master von Admiral Parkers Flaggschiff LONDON sowie dessen Neffe Robert Tinkler als Erster Leutnant der ISIS zur Ostseeflotte.

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„Ein guter und tapferer Mann“

Nelsons Taktik

Am 23. März 1801 kehrte der britische Gesandte Nicholas Vansittard nach erfolglosen Verhandlungen mit dem dänischen Regierungschef Christian Günther Bernstorff und Kronprinz Friedrich, der seit 1784 die Regentschaft für seinen geisteskranken Vater führte, zur britischen Flotte zurück. Die Dänen waren nicht bereit, sich den britischen Forderungen zu beugen. Nun endlich gelang es dem kämpferischen Nelson, seinen zögerlichen Oberbefehlshaber aufzurütteln und für seinen Plan eines Angriffs auf Kopenhagen zu gewinnen. Am Nachmittag des 30. März ging die britische Flotte bei der fünf Meilen nordöstlich von Kopenhagen gelegenen kleinen Insel Hven vor Anker. Angesichts der drohenden Auseinandersetzung hatten die Dänen in aller Eile begonnen, das mächtige Tre-Kroner-Fort und die kleinere Kronen-Batterie zu befestigen und kampfbereit zu machen, die den nördlichen Hafeneingang schützten. Um die südliche Zufahrt zur Stadt zu sperren, waren im Fahrwasser des Königskanals 18 schwer bestückte Kriegsschiffe, zum Teil ohne Masten, sowie zehn schwimmende Batterien verankert worden. Diese Hulks und Kanonenprähme konnten jederzeit von Land aus mit neuer Munition und frischen Männern versorgt werden. Darüber hinaus wurde die feindliche Schlachtlinie von gut platzierten Festungsbatterien unterstützt. Den Oberbefehl über die dänischen Streitkräfte führte Kronprinz Friedrich persönlich, während die im Königskanal verankerten dänischen Kriegsschiffe und schwimmenden Batterien von Kommodore Johan Olfert Fischer kommandiert wurden. Trotz der günstigen Ausgangslage der Dänen war Nelson zuversichtlich. Allerdings versprach seiner Ansicht nach nur ein Angriff von Süden Aussicht auf Erfolg. Dazu wollte Nelson mit den britischen Schiffen durch die „Hollænderdyb“ oder „Holländertief“ genannte Fahrrinne zwischen dem Middelgrund und der Insel Saltholm hindurchsegeln, um anschließend in den Königskanal einzulaufen und die Linie der dänischen Blockschiffe von hinten anzugreifen. Damit wollte er direkt auf den schwächsten Teil der dänischen Verteidigung zie-

N e l s o n s Ta k t i k

len, da die Dänen ihre stärksten Schiffe im Norden platziert hatten. Zudem gab es hier keine Forts, die das Fahrwasser kontrollierten. Allerdings würde sich die Navigation schwierig gestalten, da die Dänen alle Tonnen entfernt hatten, die das Fahrwasser und die Untiefen markierten. Um die von Süden her nach Kopenhagen führende Fahrrinne des Königskanals zu finden, würden sich die britischen Schiffe daher vorsichtig um das ausgedehnte Flach des Middelgrund herumtasten müssen. Mit diesen Erkenntnissen begab sich Nelson am Abend des 31. März zu einem erneuten Kriegsrat an Bord von Parkers Flaggschiff, dem mit 98 Geschützen bewaffneten Dreidecker LONDON. Mit seiner Überzeugungskraft und seinem Charisma gelang es Nelson schließlich, den schwankenden Sir Hyde Parker zum Handel zu bewegen. Es wurde beschlossen, den von Nelson vorgeschlagenen Plan anzunehmen und diesen mit dem Kommando über die für den Angriff abgeteilten Schiffe zu betrauen. Der harte Kern des Angriffsgeschwaders bestand aus sieben Linienschiffen mit 74 Kanonen, darunter Nelsons Flaggschiff ELEPHANT unter dem Kommando von Thomas Foley. Hinzu kamen drei

kleinere Zweidecker mit 64 Kanonen sowie William Blighs GLATTON mit 54 Kanonen und die ISIS mit 50 Kanonen. Des Weiteren gehörten zu Nelsons Geschwader sieben Fregatten, zwei Sloops, sieben Bombenschiffe und zwei Brander. In ihren Grundzügen war Nelsons Taktik verblüffend einfach. Die britischen Schiffe sollten nacheinander neben einem vorher genau bestimmten dänischen Gegner vor Anker gehen. Sorgfältig hatte Nelson alle 20 Feindschiffe mit der geschätzten Zahl ihrer Kanonen aufgelistet. Den 369 dänischen Kanonen standen 443 britische Geschütze gegenüber. Jedem seiner Schiffe hatte Nelson ein oder mehrere Ziele zugewiesen, wobei er die eigene Linie so geordnet hatte, dass fast jedem dänischen Schiff ein überlegener britischer Gegner gegenüberlag. Allerdings sollte das erste britische Schiff erst neben dem fünften dänischen Schiff ankern; der zweite Brite sollte sich neben den sechsten Dänen legen und so weiter. Durch dieses dem „Bockspringen“ ver-

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gleichbare Vorgehen sollten die ersten vier dänischen Schiffe nacheinander von allen vorbeisegelnden britischen Schiffen unter Beschuss genommen werden. Nelson rechnete damit, dass diese vier Schiffe nach den Breitseiten von zwölf britischen Linienschiffen kaum noch eine Gefahr darstellen würden. Zugleich wären seine eigenen Schiffe auf diese Weise beim Passieren der feindlichen Linie nur dem Feuer einiger weniger feindlicher Schiffe ausgesetzt. Am Morgen des 2. April 1801 hielt Nelson eine Schlussbesprechung ab, und um halb zehn befahl er mit einem Flaggensignal den Schiffen seines Geschwaders, unter Segel zu gehen. Die Dänen unternahmen nichts, um den Vormarsch der Angreifer zu stören. In seinen Gefechtsanordnungen hatte Nelson befohlen, dass jedes Schiff seine Anker klar halten sollte, „bereit, um jeden Moment fallen gelassen zu werden“, denn „große Präzision ist notwendig bei der Positionierung der Schiffe“. Zuverlässig wie immer führte Bligh diesen Befehl aus. Andere Kommandanten waren weniger geschickt in der Handhabung ihrer Schiffe. Die drei britischen Zweidecker AGAMEMNON, BELLONA und RUSSELL liefen auf Grund. Ihr Ausfall bedeutete eine emp-

findliche Schwächung der britischen Schlachtlinie. Den übrigen britischen Schiffen gelang es ohne weitere Missgeschicke, ihre zugewiesene Position zu beziehen.

Im Kugelhagel

Bligh feuerte seine erste Breitseite in den Zweidecker PROVESTEENEN, das erste Schiff der dänischen Schlachtlinie. Die schweren Kugeln seiner Karronaden richteten großen Schaden an. Die zweite Breitseite traf die mit 48 Kanonen bewaffnete WAGRIEN, dann ging die GLATTON in einer Entfernung von rund 200 Metern gegenüber dem mit 62 Kanonen bewaffneten Zweidecker DANNEBROG, auf dem Kommodore Olfert Fischer seinen Breitwimpel gesetzt hatte, vor Anker und begann, eine Breitseite nach der anderen in das gegnerische Flaggschiff zu feuern. Direkt vor der GLATTON lag Nelsons Flaggschiff ELEPHANT, hinter ihr das 64-Kanonen-Linienschiff ARDENT.

I m Ku g e l h a g e l

Von dem Moment an, als sich die Anker der britischen Schiffe in den Grund gegraben hatten, beschränkte sich die Schlacht auf ein Artillerieduell zwischen Dänen und Briten, in dem derjenige den Sieg davontragen sollte, dessen Geschütze schneller feuerten. Bewegungslos lagen sich die Gegner gegenüber: „Da gab es kein Manövrieren. Es war ein totaler Kampf“, schrieb Nelson nach der Schlacht. Bligh notierte in seinem Logbuch: „Mittag, das Gefecht ist immer noch sehr heftig, wir sind schwer getroffen. Unser Gegner, der dänische Kommodore, hat die Flagge gestrichen, aber die Nachbarschiffe vorn und achtern halten immer noch ein starkes Feuer aufrecht.“ Sorgenvoll beobachtete Parker den Gefechtsverlauf. Durch den dichten Pulverdampf konnte er kaum erkennen, wie sich der Kampf entwickelte. Seine Unruhe wuchs, und als die Dänen gegen ein Uhr nachmittags immer noch in unverminderter Stärke feuerten, entschied sich Parker, Nelson den Befehl zum Rückzug zu erteilen. Um halb zwei Uhr stieg an der Rah der LONDON das Signal „Kampf abbrechen“ empor. Lebhaft schildert der Nelson-Biograph Robert Southey, wie dieser auf den Befehl zum Rückzug reagierte: „Ich habe nur ein Auge – ich habe ein Recht, manchmal blind zu sein“, soll Nelson gesagt haben. „Und hierauf in jener Stimmung, welche mit der eigenen Bitterkeit spielt, das Fernrohr vor sein blindes Auge haltend, rief er aus: ,Ich sehe in der Tat das Signal nicht!‘“ Sir Hyde hatte den Rückzugsbefehl jedoch nicht gegeben, weil er eine Niederlage fürchtete, sondern weil er Nelson die Möglichkeit zu einem ehrenvollen Rückzug offenhalten wollte. Parker kannte den kampflustigen Nelson gut genug, um zu wissen, dass dieser nur im äußersten Notfall davon Gebrauch machen würde. Und im Fall einer Niederlage würde er und nicht Nelson die Schuld tragen. Doch selbst wenn er gewollt hätte, wäre Nelson gar nicht in der Lage gewesen, Parkers Signal zu befolgen, denn seine Schiffe lagen nach wie vor unter schwerem Beschuss. Weil der Wind aus Südost wehte, konnten die Briten nicht auf dem gleichen Weg zurücksegeln, den sie gekommen waren. Die einzige Möglichkeit, sich aus dem Gefecht zu lösen, hätte darin bestanden, die feindliche Linie entlang

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nach Norden zu segeln. Doch unter dem konzentrierten Feuer der dänischen Geschütze war das ein unkalkulierbares Risiko. Zudem waren mehrere englische Schiffe auf Grund gelaufen, die man nicht einfach zurücklassen konnte. Nur ein Sieg konnte Nelsons Geschwader aus dieser misslichen Situation retten. Bligh folgte Nelsons Vorbild und ignorierte ebenfalls Parkers Signal, das er auch nicht in seinem Logbuch erwähnt. Die Schlacht verwandelte sich nun in ein erbarmungsloses Massaker. Angesichts der kurzen Entfernung der beiden Schlachtlinien konnte kaum ein Schuss fehlgehen. Salve um Salve hämmerten die Schiffe aufeinander ein, doch immer noch hielten Briten wie Dänen dem mörderischen Geschosshagel tapfer stand. Die Dänen schickten immer wieder neue Männer an Bord, um die Verluste zu ersetzen, sodass Schiffe, die bereits außer Gefecht gesetzt schienen, plötzlich erneut das Feuer eröffneten. Doch schließlich entschied die Überlegenheit der britischen Artillerie die blutige Schlacht. Gegen zwei Uhr nachmittags hatten die britischen Kanonen die meisten ihrer Gegner zum Schweigen gebracht; viele dänische Schiffe brannten, darunter auch die DANNEBROG, die unter anderem sowohl von Blighs GLATTON als auch von Nelsons ELEPHANT unter schweres Feuer genommen worden war. Das däni-

sche Flaggschiff hatte die Flagge gestrichen und trieb brennend vor Kopenhagen, bis es am Nachmittag explodierte. Kommodore Fischer hatte das Linienschiff rechtzeitig verlassen und seinen Stander zuerst auf der HOLSTEIN und später auf der Tre-Kroner-Batterie gesetzt. Um das militärische Patt doch noch in einen Sieg zu verwandeln und dem Gemetzel ein Ende zu bereiten, stellte Nelson gegen halb drei Uhr den Dänen ein Ultimatum: „An die Brüder der Engländer, die Dänen. Lord Nelson hat Anweisung, Dänemark zu schonen, wenn es nicht länger Widerstand leistet. Geht aber das Feuer weiter, so ist Lord Nelson gezwungen, alle bereits eroberten schwimmenden Batterien in Brand zu setzen, ohne dass es in seiner Macht steht, die tapferen Dänen, die sie verteidigt haben, zu retten.“ Obgleich sich die Dänen keineswegs in einer so hoffnungslosen Lage befanden, wie Nelson andeutete, und auch die britischen Schiffe

I m Ku g e l h a g e l

angesichts der schweren, durch die dänischen Kanonen erlittenen Beschädigungen kaum in der Lage waren, den Kampf wie angedroht fortzusetzen, hatte Nelsons Bluff Erfolg: Ein 24-stündiger Waffenstillstand wurde beschlossen und das Feuer kurz nach vier Uhr eingestellt. Nelson befahl nun den ersten fünf Schiffen der britischen Linie, nacheinander Anker auf zu gehen und durch das Königstief nach Norden zu laufen. Doch nur der von Bligh geführten GLATTON gelang es dank der überragenden seemännischen Fertigkeiten ihres Kommandanten, trotz erheblicher Gefechtsschäden unbeschadet durch das enge Fahrwasser zu segeln; die übrigen vier Schiffe liefen allesamt auf Grund. Nelsons Flaggschiff saß so fest, dass es erst am folgenden Tag gelang, den Zweidecker wieder flottzumachen. Beide Seiten hatten im Kampf schwer gelitten. Im Kugelhagel waren sowohl die dänischen als auch die britischen Schiffe übel zerschlagen worden. Von den 18 dänischen Schiffen, die in der Schlacht gestanden hatten, waren 17 verbrannt, versenkt oder als Prise genommen worden. Auch die britischen Schiffe hatten in der Schlacht schwere Schäden erlitten, doch hatte keines die Flagge streichen müssen. Zudem war die Schlacht von Kopenhagen ungewöhnlich blutig gewesen. Die Briten verzeichneten rund tausend Tote und Verwundete, während die Dänen doppelt so viele Gefallene zu beklagen hatten; hinzu kamen die Verwundeten und zahllose Gefangene. Die GLATTON war mit nur 17 Toten und 34 Verwundeten relativ glimpflich davongekommen, obgleich sie mitten im dichtesten Kampfgetümmel gefochten hatte. Unter den zahllosen Briefen und Berichten, die Nelson nach der Schlacht verfassen musste, war auch ein Schreiben, in dem er die Offiziere entlastete, deren Schiffe bei der Anfahrt aufgelaufen waren. Überdies hatte Bligh ihn um eine offizielle Bescheinigung über seine gute Führung in der Schlacht gebeten. Eigentlich war dies unnötig, denn Nelson und alle anderen Teilnehmer der Schlacht wussten, dass sich Bligh und die GLATTON hervorragend geschlagen hatten. Mit seinen schweren Karronaden hatte Bligh dem dänischen Flaggschiff schwer zugesetzt und die DANNEBROG schließlich sogar in Brand ge-

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schossen. Der Grund für Blighs ungewöhnlichen Wunsch war vermutlich die von den Angehörigen der Meuterer von der BOUNTY angezettelte Rufmordkampagne. Bereitwillig bestätigte Nelson Blighs tadellose Führung in einem Brief an den Ersten Lord der Admiralität, Admiral Lord St. Vincent: „Sein Verhalten bei dieser Gelegenheit kann aus meinem Zeugnis kein zusätzliches Lob ernten. Er war mein Beistand, und in dem Augenblicke, da das Gefecht endete, ließ ich ihn auf die ELEPHANT rufen, um ihm für seine Hilfe zu danken.“ Doch nicht nur Bligh, auch viele andere Offiziere hatten furchtlos gekämpft. Aber anders als bei allen vorangegangenen großen Seeschlachten blieben die erwarteten Belohnungen weitgehend aus. Gleichwohl war Bligh sein Leben lang stolz auf die Teilnahme an den Seeschlachten von Camperdown und Kopenhagen. Die Ironie der Geschichte: Eigentlich war die blutige Schlacht von Kopenhagen unnötig gewesen, denn bereits am 24. März 1801 war Zar Paul I. einer Adelsverschwörung zum Opfer gefallen. Mit ihrem Initiator war auch die zweite „Bewaffnete Neutralität“ gestorben. Später gelang es den Dänen, einen Ausgleich mit Großbritannien zu finden und ihre Neutralität noch einmal zu bewahren.

Aufnahme in die Royal Society

Auf Anweisung von Admiral Parker übernahm Bligh am 12. April 1801 den Befehl über das 74-Kanonen-Linienschiff MONARCH, dessen Kommandant, Kapitän James Mosse, in der Schlacht von Kopenhagen gefallen war. Gleich nach der Schlacht hatte Admiral Parker einen seinen Protegés zum Kommandanten der MONARCH ernannt, obgleich es üblich war, in einem solchen Fall den Ersten Offizier zu befördern. Offenbar sorgte diese Entscheidung für einige Spannungen, sodass Parker seinen Schützling wieder abberief und Bligh mit dem Befehl über das Linienschiff betraute. Aber auch diese Entscheidung wurde von der Besatzung mit wenig Beifall bedacht. Der Fähnrich Millard von der MONARCH schrieb: „Captain Bligh war ein exzellenter Navigator und, wie ich glaube, in jeder Hinsicht ein guter Seemann,

Au f n a h m e i n d i e Roya l S o c i e t y

aber seine Manieren und seine Sinnesart waren nicht angenehm und seine Versetzung auf die MONARCH rief unter den Offizieren generell großen Widerwillen hervor.“ Bligh kehrte mit der MONARCH nach Großbritannien zurück, wo das Schiff außer Dienst gestellt wurde. Nur einen Tag nach seiner Ankunft in England erhielt er am 8. Mai 1801 die Ernennung zum Kommandanten des ebenfalls mit 74 Geschützen bewaffneten Zweideckers IRRESTIBLE. Nelson hatte Bligh gebeten, ein Service Kopenhagener Porzellan mit nach England zu nehmen und im Haus seiner Geliebten, Lady Emma Hamilton, abzuliefern, was dieser auch zuverlässig erledigte. In seinem Begleitschreiben nannte Nelson Bligh einen „guten und tapferen Mann“. Im Mai 1801 wurde Bligh wegen seiner „herausragenden Verdienste im Bereich der Navigation, Botanik etc.“ in die Royal Society aufgenommen. Er hatte nicht nur mehr als ein Dutzend pazifischer Inseln entdeckt, sondern besaß durch seine aufmerksamen Beobachtungen auf seinen drei Reisen in den Pazifik auch eine tiefgehende Kenntnis der Sprache und der Kultur Tahitis, die vermutlich im 18. Jahrhundert in Europa unübertroffen war. Mit Recht war Bligh stolz auf seine Mitgliedschaft in der angesehensten Wissenschaftsgesellschaft Großbritanniens. Nachdem am 25. März 1802 der Friedensvertrag von Amiens den Krieg mit Frankreich beendet hatte, wurde die IRRESTIBLE ebenso wie viele andere Kriegsschiffe außer Dienst gestellt und Bligh auf Halbsold gesetzt. Im gleichen Jahr heiratete seine älteste Tochter Harriet den schottischen Landschaftsmaler Henry Aston Barker. Ab 1803 wurde Bligh erneut im Vermessungsdienst an der englischen Kanalküste und vor der niederländischen Küste eingesetzt. Doch der Friede dauerte nur kurz. Aufgrund wiederholter Verletzungen des Vertrags von Amiens durch Napoleon Bonaparte, der 1799 die französische Regierung gestürzt und eine Militärdiktatur errichtet hatte, erklärte England am 16. Mai 1803 Frankreich erneut den Krieg. Wieder wurde die Royal Navy mobil gemacht. Auch Bligh wurde in den aktiven Dienst zurückgerufen. Anfang Mai 1804 wurde er

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zum Kommandanten des 74-Kanonen-Linienschiffs WARRIOR ernannt. Als er das Kommando des Zweideckers übernahm, stand Bligh wie viele andere Kommandanten vor dem Problem, genügend Seeleute zu finden. Normalerweise besaß ein Schiff von der Größe der WARRIOR eine Besatzung von über 500 Mann. An Bord waren aber nur

rund 240 Männer, von denen nur 40 ausgebildete Seeleute waren. Schließlich gelang es Bligh jedoch, ausreichend Matrosen aufzutreiben und die WARRIOR seeklar zu machen.

Vor dem Kriegsgericht

Bligh hatte zunächst den Auftrag, die Mündung der Schelde an der niederländischen Küste zu vermessen. Doch wieder einmal gab es Streit mit einem seiner Offiziere. Ob dieser Konflikt aber allein Blighs Schuld war, ist durchaus fraglich. Nach mehr als zehn Jahren Krieg und angesichts der wachsenden Zahl von in Dienst gestellten Kriegsschiffen der Royal Navy waren gute Seeoffiziere mittlerweile fast ebenso rar wie tüchtige Seeleute. Im Juni 1804 beantragte Bligh ein Kriegsgerichtsverfahren gegen Leutnant John Frazier, den Zweiten Offizier der WARRIOR. Anlass war dessen Weigerung, die Wache zu übernehmen. Frazier, der bei einem Sturz zwischen einige in einem Boot verstaute Fässer am Bein verletzt worden war, hatte erklärt, aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage zu sein, den Wachdienst zu versehen. Daraufhin befahl Bligh, ihn wegen Dienstverweigerung in Arrest zu nehmen. Offenbar hatte es schon vorher Spannungen zwischen Bligh und Frazier gegeben. Das Verfahren endete mit einem Freispruch für den Leutnant, worauf Frazier seinen Kommandanten beschuldigte, ihn „gröblich beleidigt und schändlich“ in „einer tyrannischen und unterdrückerischen und einem Offizier nicht angemessenen Weise“ behandelt zu haben. Viele Offiziere waren allerdings der Ansicht, „dass Leutnant Frazier schlecht beraten sei, seinen Kommandanten wegen solch alberner Gründe von ein Kriegsgericht zu zerren“. Der Befehlshaber der Kanalflotte, Admiral William Cornwallis, wiederum schrieb anerkennend

Neue Aufgaben

an Bligh: „Ihr Verhalten, seitdem Sie unter meinem Kommando stehen, war stets zu meiner vollständigen Zufriedenheit.“ Ein im Februar 1805 einberufenes Kriegsgericht befand allerdings, dass die Vorwürfe gegen Bligh „teilweise zutreffend“ seien. Zahlreiche Zeugen hatten zugunsten Blighs ausgesagt. So wies der Erste Offizier der WARRIOR, Leutnant George Johnston, der bereits auf der DIRECTOR unter Bligh gedient hatte, die Vorwürfe Fraziers entschieden zurück. Er gab zu, dass Bligh mitunter schimpfte und fluchte, doch betonte er, diese Ausbrüche seien „nie mit der Absicht einer persönlichen Beleidigung“ verbunden gewesen. Der Steuermannsmaat William Ranwell erklärte sogar, er betrachte Bligh „mehr als einen Freund“, der stets bereits sei, jenen zu helfen „die es verdienen“. Bligh selbst hatte vor Gericht erklärt: „Ich gebe offen und ohne Rückhalt zu, dass ich kein zahmer und gleichgültiger Beobachter der Art und Weise bin, in der die Offiziere unter meinem Befehl ihre verschiedenen Aufgaben erfüllen.“ Das Gericht erteilte Bligh schließlich einen Verweis und ermahnte ihn, sich zukünftig „einer angemesseneren Sprache“ zu bedienen. Ein Historiker bemerkte über dieses Verfahren, dass die Offiziere, die das Kriegsgericht bildeten, während des Prozesses „insgeheim breit gegrinst haben müssen“, während ein anderer feststellte, dass sie „über das Bündel an Petitessen“, über das sie zu urteilen hatten, wohl sehr erstaunt gewesen waren.

Neue Aufgaben

Offenkundig hatte das Urteil keine negativen Folgen für Bligh. Am 15. März 1805 bot ihm sein Freund und Gönner Sir Joseph Banks, der nach wie vor in allen die fernen Regionen des Pazifik betreffenden Fragen über großen Einfluss verfügte, an, sich für seine Ernennung zum neuen Gouverneur der Kolonie New South Wales im fernen Australien zu verwenden. Das Gehalt für diese Posten sollte 2000 Pfund Sterling jährlich betragen und war damit hoch genug, um für einen Kapitän zur See attraktiv zu sein. Hinzu kam eine Pension von 1000 Pfund Sterling. Auch sein Dienstalter als Kapitän in der Royal Navy sollte ihm erhal-

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ten bleiben. Banks versuchte, Bligh die Aufgabe als gute Gelegenheit zur Altersvorsorge schmackhaft zu machen: „Ich stellte fest, dass Ihr um die 55 Jahre alt seid. Wenn dem so ist, habt Ihr nach der Statistik noch eine Lebenserwartung von 15 Jahren.“ Von seinem Gehalt, so Banks weiter, könne Bligh die Hälfte zurücklegen, was sich bei geschickter Geldanlage zusammen mit seinen Pensionsansprüchen auf ein kleines Vermögen von etwa 30 000 Pfund Sterling summieren würde. Nach einigem Zögern akzeptierte Bligh. Ende April 1805 gab Bligh das Kommando über die WARRIOR ab. Möglicherweise versäumte er damit die Gelegenheit, sich noch einmal in einer großen Seeschlacht auszuzeichnen. Am 22. Juli 1805 kämpfte die WARRIOR als Teil eines Geschwaders unter dem Befehl von Konteradmiral Sir Robert Calder in der Schlacht von Finisterre gegen die vereinigte französisch-spanische Flotte unter Vizeadmiral Pierre Charles Villeneuve. Die Schlacht endete unentschieden, woraufhin sich Villeneuve in den Hafen von Cádiz zurückzog. Lord Nelsons grandioser Sieg über Villeneuve in der Seeschlacht von Trafalgar am 21. Oktober 1805 sicherte der britischen Flotte für ein Jahrhundert die Herrschaft über die Weltmeere. Um den Preis seines Lebens hatte Nelson die französischen und spanischen Seestreitkräfte als strategisches Machtinstrument für die Dauer des Krieges ausgeschaltet. Obwohl es Napoleon gelang, fast ganz Europa zu unterwerfen, war er fortan außerstande, seinen ärgsten Feind direkt anzugreifen. Großbritannien dagegen konnte Napoleons Gegner zu einer Allianz zusammenführen, die den Kaiser der Franzosen schließlich besiegte. 1815 endete der Krieg mit der Niederlage Frankreichs und der Wiedererrichtung des auf dem Gleichgewicht der Mächte beruhenden europäischen Staatensystems.

„Eine Schande für jedes Regiment“ Die Rum-Rebellion in Australien

I

m Februar 1806 verließ Bligh England, um sein neues Amt als Gouverneur von New South Wales anzutreten. Seine Familie

ließ er in England zurück; nur seine zweitälteste Tochter Mary, die mit dem jungen Marineleutnant John Putland verheiratet war, hatte sich entschlossen, zusammen mit ihrem Vater und ihrem Ehemann auf die lange Reise um den halben Globus zu gehen. Wegen ihrer angegriffenen Gesundheit konnte ihn seine geliebte Frau Betsy nicht nach Australien begleiten, sie kümmerte sich aber während seiner Abwesenheit zuverlässig um seine Angelegenheiten.

Überfahrt nach Sydney

Während der monatelangen Reise kam es zu einem Zusammenstoß zwischen Bligh und Captain Joseph Short, der das mit zwölf Kanonen bewaffnete Transportschiff PORPOISE befehligte. Bligh hatte sich mit seiner Tochter und Leutnant Putland, der seinem Schwiegervater während seiner Zeit in Australien als Adjutant zur Seite stehen sollte, an Bord des Transporters LADY MADELAINE SINCLAIR eingeschifft. Obgleich Captain Short nach der Kapitänsrangliste dienstjünger als Bligh war, hatte ihm die Admiralität das Kommando über den aus sechs Sträflings- und Transportschiffen sowie der PORPOISE als bewaffnetem Geleitschiff bestehenden Konvoi übertragen. Dies war für Bligh nur schwer zu ertragen. Als dienstälterer Seeoffizier und designierter Gouverneur stand er seiner Auffassung nach in der Rangfolge höher als Short, dessen Befehlsgewalt er daher in Frage stellte. Einen

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„Eine Schande für jedes Regiment“

Monat nach dem Auslaufen beschwerte sich Bligh in einem Brief an die britische Regierung über ihn: „Ich bedaure, sagen zu müssen, dass Captain Short […] mir als Gouverneur und vorgesetztem Offizier ein so irritierendes und ärgerliches Verhalten gegenüber an den Tag legt, […] dass ich Euch ersuche, ihn aus meinem Kommandobereich zu entfernen.“ Offenbar war aber auch Short ein Mensch, der zu heftigen Reaktionen neigte. Es kam bald zu einem Streit zwischen den beiden Offizieren über die Frage, wer das Kommando über den Geleitzug hatte. Die Auseinandersetzung gipfelte darin, dass Short Kanonenschüsse vor den Bug und hinter das Heck von Blighs Schiff feuern ließ, um ihn dazu zu zwingen, sich seinen Signalen unterzuordnen. Dieses Verhalten war kaum dazu angetan, sich Bligh zum Freund zu machen. Captain Francis Beaufort, der Bligh und Short am Kap der Guten Hoffnung traf, bemerkte, dass zweifellos „beide falsch handelten“, doch „was auch immer ich von ihrem gegenseitigen Verhalten hielt, ich stellte fest, dass der eine (Bligh) ein Mann von Talent und der andere (Short) ein Esel war.“ Nach sechsmonatiger Reise erreichten die beiden Schiffe am 6. August 1806 den Hafen von Sydney. Hier bot sich Bligh alsbald die Gelegenheit, Rache für die erlittene Demütigung zu nehmen. Während der Reise hatte sich Short mit seinem Master Daniel Lyle und seinem Ersten Offizier, Leutnant J. S. Tetley, überworfen. Doch obgleich eine Untersuchungskommission in Sydney feststellte, dass Shorts Vorwürfe gegenstandslos waren, verlangte er ein Kriegsgerichtsverfahren gegen die beiden Offiziere. Das bot Bligh die willkommene Gelegenheit, seinen Widersacher loszuwerden. Er enthob Short seines Kommandos und schickte ihn nach Großbritannien zurück. Während die Transportschiffe LADY MADELAINE SINCLAIR und BUFFALO mit Captain Short und dessen Familie an Bord nach England zurückkehrten, verblieb die PORPOISE in Australien, um die Kolonie gegen Angriffe feindlicher Schiffe zu verteidigen; den Befehl über den bewaffneten Transporter übertrug Bligh seinem Schwiegersohn John Putland. Während der Heimreise an Bord der BUFFALO starben Shorts schwangere Frau und eines seiner Kinder. Zurück in England, wurde

Britanniens Strafkolonie

Captain Short vor ein Kriegsgericht gestellt, jedoch in allen Anklagepunkten freigesprochen, nachdem alle Beweise und Aussagen deutlich zu seinen Gunsten gesprochen hatten. Dies war eine ziemliche Blamage für Bligh. Allerdings war der Freispruch wohl auch darauf zurückzuführen, dass der Vorsitzende Richter, Sir Isaac Coffin, Bligh diskreditieren wollte, um seinen Freund Kapitän zur See William Kent als dessen möglichen Nachfolger als Gouverneur von New South Wales ins Spiel zu bringen.

Britanniens Strafkolonie

Australien diente den Briten damals als Strafkolonie. Nach der Unabhängigkeit der nordamerikanischen Kolonien hatte man ein neues Ziel für Sträflinge gesucht, die zur Deportation aus England verurteilt worden waren. In den Augen der britischen Regierung war das ferne Australien dafür geradezu ideal, weil es hier Land in Hülle und Fülle gab. 1786 hatte die britische Regierung daher beschlossen, in New South Wales eine Niederlassung für deportierte Sträflinge zu gründen. Die Kolonie sollte zum Ausgangspunkt für die Erschließung der neuen, damals noch weitgehend unbekannten Landmasse werden. Als billige Zwangsarbeiter sollten die Sträflinge das Land urbar machen sowie als Hilfskräfte auf den landwirtschaftlichen Betrieben im Besitz der Regierung und auf den Farmen freier Siedler arbeiten. Sechs Monate vor der Abreise der BOUNTY hatte Captain Arthur Phillip im Mai 1787 mit elf Schiffen England verlassen, um am anderen Ende der Welt eine neue Siedlung zu gründen. An Bord waren 570 männliche und 160 weibliche Sträflinge sowie Marineinfanteristen als Wachpersonal, aber auch mehr als 250 freie Siedler, die sich im fernen Australien eine neue Heimat schaffen wollten. Das Ziel dieser First Fleet („Ersten Flotte“) war die Botany Bay an der Westküste Australiens. Der Vorschlag war von Sir Joseph Banks gekommen, der zusammen mit Cook die Küste Australiens auf dessen erster Weltumsegelung erkundet hatte. Die Botany Bay erwies sich jedoch als unfruchtbar, weshalb Phillip die Siedlung weiter nördlich an

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der Stelle des heutigen Sydney anlegen ließ. Hier befand sich eine Bucht mit Namen Port Jackson Bay, die einen exzellenten Naturhafen abgab. Auf der 1500 Kilometer östlich des australischen Festlandes gelegenen Insel Norfolk ließ er zudem einen Außenposten errichten. Nach schwierigen Anfängen entstanden rund um Sydney zahlreiche Farmen und Viehweiden. Um möglichst viel Land zu kultivieren, erhielten die Deportierten nach Verbüßung ihrer Strafe und die Soldaten der Wachtruppe bei ihrer Entlassung ebenfalls ein Stück Land zur Bewirtschaftung zugewiesen. So wurden auch Sträflinge und Soldaten zu Siedlern. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden mehr als 160 000 britische Sträflinge nach Australien deportiert.

Das New South Wales Corps

1791 löste das eigens zur Bewachung der Sträflinge neu aufgestellte New South Wales Corps die Marineinfanteristen als Wachpersonal ab. Doch die Aufseher waren nicht viel besser als die Verbannten. Das Regiment bestand aus dem Abschaum der britischen Armee. Für viele Soldaten war neben der Hoffnung auf schnelle Beförderung vor allem die Aussicht auf lukrative Handelsgeschäfte das wichtigste Motiv gewesen, dem New South Wales Corps beizutreten. Unredlichkeit und Korruption waren in der jungen Kolonie an der Tagesordnung. Da Münzen und Banknoten in der Kolonie knapp waren, entwickelte sich bald eine Art Tauschhandel, dessen wichtigste Währung Rum war. Mit Alkohol wurden Handelswaren oder Dienstleistungen bezahlt, auch die einfachen Soldaten und die Sträflinge wurden häufig mit Rum entlohnt. Die Kontrolle über den Rumhandel lag in den Händen der Offiziere des New South Wales Corps, die ihr faktisches Handelsmonopol nutzten, um sich die Taschen zu füllen. Unter den Soldaten des New South Wales Corps war auch ein junger Leutnant namens John Macarthur. Der 1767 geborene Offizier war reizbar, widerborstig und aggressiv, doch vor allem geschäftstüchtig. Es dauerte nicht lange und er kontrollierte zusammen mit seinen Offizierskameraden den Handel in New South Wales. 1793, drei Jahre

Da s N e w S o u t h Wa l e s C o r p s

nachdem er in Australien angekommen war, war Macarthur Großgrundbesitzer und einer der reichsten Männer der Kolonie. Die ersten Gouverneure waren Marineoffiziere, die über große Vollmachten verfügten und alle Macht in den Händen hielten. Im Dezember 1792 verließ der erste Gouverneur Arthur Phillip die Kolonie. In den zweieinhalb Jahren bis zur Ankunft seines Nachfolgers, Kapitän zur See John Hunter, im September 1795 wurde die Kolonie vom Kommandeur und den Offizieren des New South Wales Corps regiert. Sie nutzten ihre Stellung, um die Machtposition und die wirtschaftliche Stellung des Offizierskorps zu festigen. So übertrug Major Francis Grose, der als befehlshabender Offizier des New South Wales Corps von 1792 bis 1795 als kommissarischer Gouverneur fungierte, den Offizieren seines Regiments Landflächen, auf denen diese mit Hilfe von Sträflingen Landwirtschaft betrieben. Zwar standen pro zugewiesenem Grundstück offiziell nur zwei Sträflinge als Arbeitskräfte zur Verfügung, doch besaßen die Offiziere dank ihres Handelsmonopols die Mittel, um zusätzliche Arbeitskräfte anzuwerben, die sie vor allem mit Rum bezahlten. Gleichzeitig entmachtete Major Grose die zivilen Magistrate und ernannte Macarthur zum Beauftragten für den Arbeitseinsatz der Sträflinge, womit sich dessen Einfluss auf die Geschicke der jungen Kolonie noch weiter vergrößerte. Die wenigen freien Siedler hatten der Übermacht der Offiziere kaum etwas entgegenzusetzen. Dem neuen Gouverneur, Captain John Hunter, gelang es jedoch nicht, sich gegen die korrupten Machenschaften des New South Wales Corps durchzusetzen, deren Angehörige er vielsagend als „Schande für jedes andere Regiment im Dienste Seiner Majestät“ charakterisierte. Vor allem mit Macarthur, den er als die Wurzel allen Übels identifizierte, geriet er immer wieder aneinander. Die Offiziere des New South Wales Corps wurden immer reicher. 1798 besaß Macarthur bereits 200 Hektar Land, die von 40 Männern bewirtschaftet wurden, sowie 50 Rinder, ein Dutzend Pferde und 1000 Schafe. Allein das Vieh war 5000 Pfund Sterling wert. Inzwischen erreichten immer mehr Beschwerden England. So klagten

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die freien Siedler, dass die Offiziere ihr Monopol nutzten, um angelandete Handelswaren mit einem Aufschlag von bis zu 1000 Prozent zu belegen. Im Jahr 1800 schickte die britische Regierung Kapitän zur See Philip Gidley King, der bereits von 1788 bis 1796 als Vizegouverneur auf Norfolk Island gedient und genauestens über die dunklen Geschäfte des New South Wales Corps Bescheid wusste, als neuen Gouverneur nach Australien. King sollte dort der Korruption und Misswirtschaft Einhalt gebieten. Die Regierung in London missbilligte die wirtschaftlichen Aktivitäten der Offiziere und hatte daher King entsprechende Instruktionen mitgegeben. Im Streit zwischen dem neuen Gouverneur und dem New South Wales Corps, das den Handel und die Verteilung der Arbeiter kontrollierte, spielte Macarthur eine zentrale Rolle. Aber auch King schaffte es nicht, ihm und den Offizieren das kriminelle Handwerk zu legen. Zornig schrieb der Gouverneur nach London, Macarthur „hat ein großes Vermögen gemacht, indem er seinen Offizierskameraden geholfen hat, ein kleines zu machen (zumeist auf Kosten der öffentlichen Hand), und er sät Zwietracht und Ärger“. Doch schließlich gelang es King, den Störenfried loszuwerden. Als Macarthur 1801 seinen Vorgesetzten Oberstleutnant William Paterson, Kommandeur des New South Wales Corps und von 1804 bis 1808 amtierender Vizegouverneur im Norden Tasmaniens, in einem Duell an der Schulter verwundete, zögerte der Gouverneur nicht lange und schickte ihn nach Großbritannien. Dank seiner einflussreichen Freunde konnte Macarthur allerdings einer Verurteilung entgehen. Der Prozess vor dem Kriegsgericht endete mit einem Freispruch. Zugleich nutzte der findige und geschäftstüchtige Macarthur seinen Aufenthalt in London, um für seine Idee zu werben, in Australien im großen Stil Schafe zu züchten. Sein Vorschlag stieß auf großes Interesse, da die Wollpreise als Folge der Napoleonischen Kriege stark gestiegen und die britischen Tuchfabrikanten verzweifelt auf der Suche nach neuen Rohstoffquellen waren. Obgleich er sich durch einen Streit Sir Joseph Banks zum Feind machte, gelang es Macarthur, sowohl die

Blighs Reformen

Textilfabrikanten als auch die Regierung für seinen Plan zu gewinnen. Schließlich stellte sie ihm sogar 2000 Hektar Land zur Verfügung, um eine Wollproduktion aufzubauen. 1805 kehrte Macarthur, der inzwischen offiziell aus dem New South Wales Corps ausgeschieden war, nach Australien zurück. Unterdessen hatte sich immer deutlicher gezeigt, dass Gouverneur King nicht in der Lage war, die Ordnung in New South Wales wiederherzustellen. Wie sein Vorgänger Hunter war auch er mit seinem Versuch gescheitert, das Handelsmonopol des Corps zu brechen und gegen den weit verbreiteten Alkoholmissbrauch in der Kolonie vorzugehen. An seiner Stelle hatte die Regierung in London den rechtschaffenen und verlässlichen Bligh nach Australien geschickt, um die Herrschaft von Recht und Gesetz durchzusetzen. Er hatte Anweisung, sein Augenmerk insbesondere auf die Einschränkung des umfangreichen Rumhandels zu richten, der in der Kolonie nach wie vor für große Probleme sorgte. Eine Woche nach seiner Ankunft in Sydney übernahm Bligh den Posten des Gouverneurs von seinem Vorgänger King. Wie damals üblich, hatte er vor der Amtsübergabe von King einige Stücke Land übereignet bekommen mit einer Gesamtfläche von rund 550 Hektar. Allerdings erwähnte Bligh in seinen Berichten nach Hause weder diese Landschenkungen noch die durch ihn erfolgte Übereignung von 320 Hektar Land an die Frau von Gouverneur King, obgleich sowohl King als auch Bligh als Gouverneure angewiesen waren, bei Landschenkungen dieser Größenordnung das Einverständnis des zuständigen Ministers einzuholen.

Blighs Reformen

Pflichtbewusst bemühte sich Bligh, die Anweisungen der Regierung in New South Wales umzusetzen. Bligh fand die Kolonie in einem beklagenswerten Zustand vor. Sträflinge als Arbeitskräfte waren knapp, die Farmen der Siedler hatten schwer unter Überflutungen gelitten, als der Fluss Hawkesbury im März 1806 über die Ufer getreten war. Das

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Handelsmonopol des New South Wales Corps verschärfte die Situation noch, da die Offiziere die Situation ohne Bedenken ausnutzten, um sich zu bereichern. Da seit dem Wiederausbruch des Krieges mit Frankreich im Jahre 1804 kaum Versorgungsgüter die Kolonie erreicht hatten, waren Nahrungsmittel knapp und teuer, wobei die Preise durch gewissenlose Spekulationen der Händler noch weiter in die Höhe getrieben wurden. Zu den Männern, die mit der Not der Menschen skrupellos Geschäfte machten, gehörte auch der zurückgekehrte Macarthur. Als eine Ladung Reis den Hafen von Sydney erreichte, klagte er, „dies kann nur zur Folge haben, dass dadurch der Wert unserer eigenen Produkte sinkt“. Blighs Ziel dagegen war es, den entlassenen Sträflingen und den armen Siedlern zu helfen. Er machte als Gouverneur einen guten Anfang, indem er die Verteilung der Fluthilfe organisierte und den Siedlern versprach, dass die Regierung ihre nächste Ernte aufkaufen würde. Energisch ging Bligh daran, die Kolonie New South Wales neu zu ordnen. Wie er an das Colonial Office in London schrieb, müsse ein Gouverneur „die von ihm getroffenen Maßnahmen entschlossen und bestimmt durchsetzen und darf vor Ort keiner Kontrolle unterliegen“. Doch schon bald musste Bligh feststellen, dass sein Pflichtbewusstsein und sein Bemühen um rasche und bedingungslose Umsetzung seiner Anweisungen bei den örtlichen Honoratioren auf wenig Begeisterung stießen. Insbesondere die Offiziere des New South Wales Corps betrachteten ihn als Tyrannen, der ihre Privilegien beschneiden wollte. Überdies sorgten Blighs Reizbarkeit und Macarthurs Arroganz schon bald dafür, dass die beiden Hitzköpfe aneinandergerieten. Innerhalb weniger Wochen nach seiner Ankunft hatte Bligh eine von 379 Siedlern unterzeichnete Petition erhalten, die sich über John Macarthur beschwerten. Der eigentliche Konflikt zwischen den beiden streitbaren Männern begann jedoch mit einem Streit über die 2000 Hektar Land, die Macarthur in England für seine Schafzucht zugesprochen worden waren. Tapfer, aber ungeschickt, bemühte sich Bligh, seine Reformen durchzusetzen und den korrupten Offizieren das Handwerk zu legen.

Blighs Reformen

Er setzte einige sinnvolle, aber unpopuläre Neuerungen durch, etwa indem er Güter und Kredite nach Bedürftigkeit verteilte. Entsprechend den Anweisungen aus London versuchte Bligh, der umfassende Kenntnisse über Finanztransaktionen besaß, den Handel und das Wirtschaftssystem der Kolonie zu reformieren, indem er die Verwendung von Alkohol als Zahlungsmittel untersagte. Zudem verschärfte er im Oktober 1806 durch eine neue Hafenordnung die staatlichen Kontrollen der Schiffe, ihrer Ladung und ihrer Besatzungen. Am 3. Januar 1807 ordnete er an, dass künftig alle Schuldscheine nur noch gegen Geld eingelöst werden durften. Hintergrund für diesen Erlass war ein Streit zwischen Macarthur und Blighs Verwalter Andrew Thompson über den Wert eines über eine bestimmte Menge Weizen ausgestellten Schuldscheins. Schon früher hatte die in der Kolonie übliche Praxis, Wechsel in Waren zu honorieren, regelmäßig zu Streitigkeiten geführt. Häufig versuchten die Kreditgeber, ihre Schuldner zu übervorteilen, indem sie den Wert der für die Rückzahlung angebotenen Güter, wie etwa Getreide, zu gering ansetzten, um ihren Profit zu erhöhen. Blighs Entscheidung machte ihn bei den freien Siedlern beliebt, erzürnte aber Macarthur und seine Freunde. Zudem brachte Bligh den größten Teil des Offizierskorps und das Heer der Trinker gegen sich auf, als er im sogenannten Rumkrieg gegen den Alkoholschmuggel zu Felde zog. Am 14. Februar 1807 verbot Bligh unter Androhung strenger Strafen die Verwendung von Alkohol als Zahlungsmittel sowie den Tausch von Spirituosen gegen Lebensmittel oder sonstige Waren. Gleichzeitig erneuerte er das regelmäßig missachtete Verbot der Destillation von hochprozentigem Alkohol. Das Verbot, Schnaps zu brennen, betraf vor allem Macarthur und Hauptmann Abbott vom New South Wales Corps, die 1807 zwei Destillierapparate in die Kolonie gebracht hatten. Ebenso verschärfte Bligh die Hafenbestimmungen, um die Einfuhr von Rum zu unterbinden. Diese Verordnung betraf ebenfalls vor allem Macarthur, der Teilhaber mehrerer Handelsschiffe war. Im Oktober 1807 schrieb Bligh einen Bericht an die britische Regierung, in dem er erklärte, die Kolonie sei „in einem erheblich ver-

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besserten Zustand und die Bevölkerung zufrieden, mit der Ausnahme einiger Weniger, die die Gewohnheit gehabt haben, alles zu ihrem Vorteil zu nutzen“. Auch wenn seine Anordnungen sinnvoll und notwendig waren, stieß Bligh mit seinen Maßnahmen die Honoratioren der Kolonie wiederholt vor den Kopf. Damit wuchs auch der Widerstand gegen seine im Grunde richtigen und dringend notwendigen Reformen. So kündigte er im Oktober 1807 an, alle unrechtmäßig in der Stadt Sydney in Besitz genommenen Grundstücke räumen und die darauf errichteten Gebäude niederreißen zu lassen. Zugleich hinterfragte er die Rechtmäßigkeit der Verpachtung von Grundstücken an Macarthur und andere Honoratioren. In einem lobenswerten Versuch, das Aussehen der Stadt Sydney zu verbessern, ordnete er die Räumung von widerrechtlich in Besitz genommenen Parzellen an. Allerdings waren einige von Blighs Handlungen durchaus fragwürdig. Während er selbst staatliche Ressourcen für sein Landgut nutzte, untersagte er dies anderen Siedlern. Nach dem Wiederausbruch des Krieges mit Frankreich waren nur wenige neue Sträflinge nach Australien deportiert worden, sodass alle landwirtschaftlichen Betriebe unter dem Mangel an Arbeitskräften litten – mit Ausnahme von Blighs eigener Farm. Bligh rechtfertigte sich mit dem Hinweis, dass sein Anwesen ein Musterbetrieb sei, um den anderen Siedlern die Vorteile einer effizienten Landwirtschaft zu zeigen. Tatsächlich war die Farm, ebenso wie der Betrieb seines Schwiegersohns John Putland überaus profitabel, doch konnte Bligh anders als die übrigen Siedler auf Regierungsvorräte zurückgreifen. Wie sein Verwalter Thompson bemerkte, „würde ein gewöhnlicher Farmer, der für alles selbst aufkommen muss, niemals solche Gewinne erwirtschaften“. Nach einigem Zögern erklärte sich Bligh schließlich bereit, die von ihm vereinnahmten Waren zu bezahlen. Auch seine Handlungsweise im Fall einiger der Vorbereitung eines Aufstands verdächtigter Iren ist bedenklich. Um jede Möglichkeit einer Rebellion von vornherein auszuschließen, verbannte er die acht Rädelsführer nach Tasmanien und Nordfolk Island, obgleich fünf von ihnen keine Sträflinge waren.

Widerstand der Offiziere

Widerstand der Offiziere

Durch seinen Reformeifer, vor allem aber auch durch seinen schwierigen Charakter hatte sich Bligh rasch mächtige Feinde in der Kolonie gemacht. Seine Motive waren zwar ehrenhaft, doch versagten seine Methoden angesichts von so skrupellosen Männern wie Macarthur, der an der Spitze des Widerstands gegen Bligh stand. Bei seinen Bemühungen, Recht und Gesetz Geltung zu verschaffen, geriet Bligh auch mit den Offizieren des New South Wales Corps aneinander. Angesichts der innerhalb des Offizierskorps herrschenden Korruption hatte er der Regierung in London empfohlen, das gesamte Regiment abzulösen und die Soldaten nach Großbritannien zurückzurufen. Dies war den Offizieren nicht verborgen geblieben. Im Oktober 1807 sandte Major George Johnston, der angesichts der häufigen langen Abwesenheit von Oberstleutnant Paterson faktisch als Befehlshaber des New South Wales Corps fungierte, seinerseits eine Beschwerde über Bligh an seine Vorgesetzten in Großbritannien. Johnston war bereits 1788 als Offizier der Seesoldaten mit der ersten Flotte nach Australien gekommen und hatte als Adjutant von Captain Phillip, dem ersten Gouverneur von New South Wales, gedient. Später war er als Offizier von den Marines zum New South Wales Corps gewechselt. Trotz der zunehmenden Opposition unter den Soldaten scheinen zumindest einige Offiziere Bligh gegenüber loyal geblieben zu sein. So erklärte Hauptmann Anthony Fenn Kemp im September 1807 während eines Streits mit Johnston, seiner Meinung nach verhalte sich Bligh durchaus angemessen. Sich mit dem New South Wales Corps zu überwerfen war Blighs größter Fehler – der aber vermutlich unvermeidbar war, wollte Bligh die Korruption ernsthaft bekämpfen. Seine Stellung wurde weiter erschwert durch die Inkompetenz seiner Beamten. Ein Beispiel war der hoch verschuldete und als korrupter Säufer bekannte Richter Richard Atkins. Bligh nannte ihn „eine Schande für die menschliche Rechtsprechung“. Zwar beschwerte sich Bligh in London über ihn, doch setzte er ihn nicht ab, obgleich er als Gouverneur dazu berechtigt ge-

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wesen wäre. Die Ernennung eines zuverlässigen, ehrlichen und schuldenfreien Richters hätte zweifellos seine Position gestärkt, doch konnte sich Bligh nicht zu einem solchen Schritt überwinden. Der Widerstand gegen Bligh wuchs. Das Vorgehen Blighs gegen Macarthur schreckte die wohlhabenden Landbesitzer, Kaufleute und Offiziere auf, die eine stärkere staatliche Kontrolle und damit eine Beschränkung ihrer geschäftlichen Aktivitäten fürchteten. Zugleich schürte Macarthur gezielt die Stimmung gegen den Gouverneur durch fadenscheinige Klagen über die angebliche Bedrohung von Freiheit und Eigentum durch Bligh. Seine Vorwürfe einer Willkürherrschaft waren allerdings vollkommen haltlos. Zwar hatte Bligh 1807 den Chirurgen Thomas Jamison als Magistrat entlassen, weil sich dieser der „Regierung gegenüber ablehnend“ gezeigt hatte, und auch einige der militärischen Amtsträger durch Zivilisten ersetzt. Doch als Macarthur einen Prozess wegen der angeblich unrechtmäßigen Beschlagnahme eines in Macarthurs Besitz befindlichen, illegalen Destillierapparats gewann, hatte Bligh die Entscheidung des Gerichts ohne Einschränkung akzeptiert. Mittlerweile hatte Macarthur den Plan gefasst, Bligh als Gouverneur abzusetzen. Dafür musste er die Offiziere des New South Wales Corps auf seine Seite bringen, da diese die Streitkräfte kontrollierten. Tatsächlich waren die Offiziere bereit, sich an der Rebellion gegen den Gouverneur zu beteiligen. Bligh dagegen konnte nur auf wenig Hilfe rechnen. Seine kleine Schar von Unterstützern schwand zusehends, auch wenn die Siedler vom Hawkesbury nach wie vor zu ihm standen. Im Juni 1807 war von einem der Schiffe Macarthurs ein Sträfling entflohen, wofür Bligh ihn als Eigner des Schiffs haftbar machen wollte. Macarthur versuchte sich durch einige juristische Manöver der Verantwortung für den Vorfall zu entziehen. Die Auseinandersetzung eskalierte schließlich, als Bligh Macarthurs Schifffahrtsgenehmigung widerrief und diesen am 16. Dezember 1807 wegen Verletzung der Schifffahrts- und Hafenbestimmungen verhaften ließ. Der Termin für den Prozess gegen Macarthur wurde auf den

Widerstand der Offiziere

25. Januar 1808 gelegt, ohne dass die Anklagepunkte spezifiziert worden waren, was Macarthur zu Klagen über „Tyrannei“ veranlasste. Gegen eine Kaution von 1000 Pfund Sterling wurde Macarthur bis zum Beginn des Prozesses wieder auf freien Fuß gesetzt. Der Konflikt zwischen Bligh und Macarthur spitzte sich weiter zu. Mitte Januar 1808 wurde Macarthur mitgeteilt, dass sich das von ihm beanspruchte Grundstück in Sydney widerrechtlich in seinem Besitz befinde und sein Haus daher illegal erbaut worden sei. Seine Bitte um Zuweisung eines neuen Grundstücks wurde von Bligh ignoriert, der stattdessen einige Arbeiter losschickte, um einen von Macarthur errichteten Zaun niederzureißen. Der Prozess gegen Macarthur am 25. Januar 1808 endete mit einem Eklat. Der Angeklagte lehnte Atkins als Richter ab, worauf die sechs als Geschworene dienenden Offiziere, ebenfalls erklärten, Atkins’ Autorität nicht anzuerkennen. Noch am Abend zuvor hatten sie zusammen mit Macarthur gefeiert. Der Prozess gegen Macarthur war geplatzt. Wütend beschuldigte Bligh die sechs Offiziere der Meuterei. Tatsächlich wurde das Gerichtsverfahren gegen Macarthur zum Auslöser für die Rebellion des New South Wales Corps gegen Gouverneur Bligh. Dieser war nicht gewillt, seinen Widersacher einfach davonkommen zu lassen. Am Morgen des 26. Januar wurde Macarthur auf Anweisung Blighs von einigen loyalen Offizieren erneut festgenommen. Zugleich forderte Bligh die Herausgabe der Gerichtsakten. Major Johnston, der sich auf seiner Farm aufhielt, ließ er mitteilen, dass er ihn zu sprechen wünsche, was dieser jedoch ignorierte. Erst als Johnston von Blighs Absicht hörte, die sechs Offiziere, die der Jury im Prozess gegen Macarthur angehört hatten, wegen Hochverrats vor Gericht zu stellen, machte er sich auf den Weg nach Sydney. In der Stadt angekommen, ließ er umgehend Macarthur wieder auf freien Fuß setzen. Der entwarf daraufhin eine Petition, in der Johnston aufgefordert wurde, „Gouverneur Bligh sofort in Arrest und das Kommando über die Kolonie zu übernehmen“. Auch wenn das Papier nur von neun Personen unterzeichnet wurde, war es doch der Vorwand, den die zur Rebellion entschlossenen Offiziere brauchten, um gegen

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den Gouverneur vorzugehen. Johnston erklärte, Bligh plane, „die Gesetze des Landes zu untergraben“, und versuche, „das Gericht einzuschüchtern und zu beeinflussen“. Zudem stünden „Aufstände und Massaker“ unmittelbar bevor, weshalb unverzüglich gehandelt werden müsse.

Die Absetzung Blighs

Am 26. Januar um 6 Uhr abends zogen die Meuterer zu den Klängen des Marsches „British Grenadiers“ an der Spitze von mehreren hundert Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett zum Haus des Gouverneurs, um Bligh zu verhaften, bevor dieser loyale Männer um sich scharen konnte. Tatsächlich gelang es Macarthur und den rebellierenden Offizieren, den Gouverneur zu überrumpeln und ihn zu verhaften. Den einzigen Widerstand setzte ihnen Blighs Tochter Mary entgegen, deren Mann, John Putland, einige Monate zuvor an Tuberkulose gestorben war. Offenbar hatte sie das Temperament ihres Vaters geerbt. Wütend schrie sie die Soldaten an: „Ihr Verräter, ihr Rebellen, ihr seid gerade über das Grab meines Mannes getrampelt und seid nun gekommen, um meinen Vater zu ermorden!“ Die junge Witwe schrie und schimpfte, bis man sie schließlich wegzerrte. Die Rebellen behaupteten später, Bligh habe sich feige unter seinem Bett versteckt – ein Vorwurf, den Bligh empört zurückwies. Tatsächlich ist die Behauptung, Bligh habe sich aus Furcht vor den Soldaten verkrochen, wenig glaubhaft. Bligh hatte mehr als einmal bewiesen, dass er kein Feigling war. Überdies war die Lücke zwischen Bett und Fußboden viel zu klein, als dass der korpulente Bligh sich darunter hätte verbergen können. Während vor dem Haus des Gouverneurs eine betrunkene Soldateska feierte, wurde über die Kolonie das Kriegsrecht verhängt. Bis zur Ankunft des neuen Gouverneurs im Dezember 1809 kontrollierte das New South Wales Corps nun uneingeschränkt die Geschicke der Kolonie. Dies war die dritte Meuterei gegen William Bligh. Der von Macarthur angezettelte Coup wurde später als die „Rum-Rebellion“ be-

Die Absetzung Blighs

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Die Festnahme Blighs durch die meuternden Offiziere des New South Wales Corps.

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kannt. Blighs Bemühungen, den von den Offizieren kontrollierten Rumhandel einzuschränken, gaben der Offiziersmeuterei ihren Namen. Es ging dabei aber nicht nur um Handelsinteressen oder gar um den persönlichen Konflikt zwischen Bligh und Macarthur, sondern vor allem um die Frage, wer zukünftig in der Kolonie herrschen sollte: die Kaufleute und die korrupten Offiziere des New South Wales Corps oder Recht und Gesetz. Die Rum-Rebellion war eine Offiziersrevolte, keine Volkserhebung. Nach der Absetzung des Gouverneurs gingen Major Johnston und Macarthur daran, die Verwaltung der Kolonie nach ihren Vorstellungen neu zu ordnen. Alle Magistrate, einschließlich Richter Atkins, wurden entlassen und durch Freunde von Macarthur ersetzt, der anschließend in einem juristisch mehr als zweifelhaften Gerichtsverfahren von allen gegen ihn erhobenen Vorwürfen freigesprochen wurde. Einige Offiziere und Magistrate, die sich Bligh gegenüber loyal verhalten hatten, wurden dagegen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Zudem verhängten die von den Offizieren kontrollierten Gerichte beinahe willkürlich zahlreiche Körper- und Todesstrafen. Da Bligh sich geweigert hatte, zurück nach England zu segeln, blieb er in Haft. Die Ankunft seines Vizegouverneurs, Major Joseph Foveaux, hatte in ihm die Hoffnung geweckt, das Blatt noch einmal zu wenden, doch weigerte sich dieser rundweg, Bligh wieder in sein Amt einzusetzen. Allerdings unterstützte er auch nicht die meuternden Offiziere, sondern verhielt sich neutral. Unterdessen begannen die Rebellen sich untereinander zu zerstreiten, bis schließlich Oberstleutnant Paterson, der Kommandeur des New South Wales Corps, nach Sydney kam und die Regierungsgewalt in der Kolonie übernahm. Auch er handelte ganz im Sinne der Offiziere; als einige Siedler Petitionen für Bligh einreichten, ließ er die Petitionsführer ins Gefängnis werfen. Gleichzeitig nutzte Paterson die Gelegenheit und verteilte unter seinen Unterstützern in den kommenden zwölf Monaten mehr Land als in den sieben Jahren zuvor.

Erzwungenes Exil

Erzwungenes Exil

Paterson wollte Bligh loswerden. Im Februar 1809 wurde dieser unter der Bedingung, direkt nach England zu segeln, freigelassen und an Bord der PORPOISE gebracht. So schwer mit Bligh unter normalen Umständen auszukommen war, besaß er doch in Krisensituationen das Talent, über sich hinauszuwachsen. Statt sich in das Unvermeidliche zu fügen und mit der PORPOISE nach England zurückzukehren, beschloss Bligh, seinen Anspruch, der rechtmäßige Gouverneur der Kolonie New South Wales zu sein, nicht aufzugeben. Sobald er an Bord der PORPOISE war, brach Bligh seine Zusage mit der Begründung, sie sei erzwungen und nicht aus freien Stücken geleistet worden. Bligh war nicht nur zum Gouverneur, sondern auch zum Kommodore und damit zum Oberbefehlshaber aller Kriegsschiffe in australischen Gewässern ernannt worden. Dennoch hatten Offiziere und Mannschaft der PORPOISE keinerlei Anstrengungen unternommen, ihrem Vorgesetzten gegen die meuternden Offiziere des New South Wales Corps zu Hilfe zu kommen. Legitimiert durch seine übergeordnete Befehlsbefugnis als Kommodore enthob Bligh daher Leutnant William Kent, der seit dem Tod von Blighs Schwiegersohn Putland den Befehl über die PORPOISE führte, seines Kommandos, ließ ihn in Arrest nehmen und übernahm selbst das Kommando über das Schiff. Kurz hatte Bligh überlegt, die ebenfalls im Hafen von Sydney liegende ADMIRAL GAMBIER zu entern. Doch er gab den Gedanken auf und segelte stattdessen mit der PORPOISE nach Hobart am Ufer des Flusses Derwent auf der Insel Tasmanien, um die Hilfe des dortigen Vizegouverneurs David Collins gegen die Rebellen zu erbitten. Sie wurde ihm jedoch verweigert. Als sich Bligh nun auch noch in die Angelegenheit der kleinen Niederlassung einzumischen begann, untersagte Collins jegliche Unterstützung für Bligh. Dieser ließ sich davon nicht beeindrucken und beschloss, die Zeit seines erzwungenen Exils zu nutzen, um die Gewässer rund um die Insel Tasmanien zu erkunden. Während Bligh an Bord der PORPOISE zwischen Australien und Tasmanien hin- und hersegelte, hatten sich die Meuterer über ihre po-

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litischen Kontakte in London bemüht, die Offiziersrebellion mit einem faulen Kompromiss zu beenden. Um die verfahrene Situation zu bereinigen und die Ordnung im fernen Australien wiederherzustellen, beschloss die britische Regierung, Oberst Lachlan Macquarie vom 73. Infanterieregiment zum neuen Gouverneur der Kolonie New South Wales zu ernennen. Als Bligh am 17. Januar 1810 den Hafen von Port Jackson besuchte, erfuhr er, dass Macquarie bereits drei Wochen vorher, am 28. Dezember 1809, mit dem Truppentransporter HINDOSTAN und dem Transportschiff DROMEDARY in den Hafen von Sydney eingelaufen war. Mit an Bord war das 1. Bataillon des 73. Infanterieregiments, das die Soldaten des New South Wales Corps ablösen sollte. Die britische Regierung hatte die Absetzung Blighs durch die Offiziere des New South Wales Corps für ungesetzlich erklärt, da die Entscheidung über die Einsetzung oder Abberufung eines Gouverneurs allein dem König zustand. Auf Anordnung der britischen Regierung erklärte Macquarie zudem alle von Johnstons Gerichten getroffenen Urteile für null und nichtig, auch wenn dies den Ausgepeitschten und Hingerichteten nicht viel nützte. Auch alle Entscheidungen und Landschenkungen durch Macarthurs Gefolgsleute wurden widerrufen. Bligh wurde wieder offiziell als Gouverneur eingesetzt, aber schon am folgenden Tag durch Macquarie abgelöst. Zunächst war das Verhältnis zwischen Bligh und seinem Nachfolger durchaus herzlich, doch kühlte es bald ab, da Macquarie sich bei seinen Regierungsgeschäften auf die Zusammenarbeit mit Major Foveaux stützte, den Bligh für einen der Verschwörer hielt. Macquarie schrieb in einem Brief an seinen Bruder, Bligh sei „eine höchst unangenehme Person […] und sein natürliches Temperament ungewöhnlich streng und extrem tyrannisch“. Andere hatten dagegen eine bessere Meinung von Bligh. Viele Siedler brachten ihm nach wie vor Dankbarkeit entgegen; eine Petition zu seinen Gunsten trug 460 Unterschriften. Darüber hinaus veranstalteten seine Anhänger eine große Versammlung zu seinen Ehren. Kurz bevor Bligh die Heimreise antrat, nahm er an der Hochzeit

Erzwungenes Exil

seiner Tochter Mary mit Oberstleutnant O’Connell, Macquaries Stellvertreter, teil. Am 12. Mai verließ Bligh an Bord der HINDOSTAN in Begleitung der PORPOISE und der DROMEDARY zum letzten Mal den Hafen von Sydney. An Bord der Schiffe befand sich auch ein Teil des New South Wales Corps, das neue 102. Infanterieregiment, das nach Großbritannien zurückgerufen worden war. Die Hälfte der Soldaten hatte beschlossen, in Australien zu bleiben, die übrigen kehrten zusammen mit ihren Frauen und Kindern nach England zurück. 1818 wurde die zwischenzeitlich in 100. Infanterieregiment umbenannte Einheit aufgelöst. Während der langen Überfahrt nach Großbritannien verstarb Oberst Paterson an den Strapazen der Reise und den Folgen seiner Trunksucht. Macarthur und Johnston waren bereits im März 1809 nach Großbritannien gesegelt, um ihre Verteidigung vorzubereiten. Am 25. Oktober 1810 ging Bligh in England an Land, wo er als Zeuge der Anklage im Kriegsgerichtsprozess gegen den kurz zuvor zum Oberstleutnant beförderten Johnston auftrat. Da ein Freispruch eine Rechtfertigung der Meuterei bedeutet hätte, hing für Bligh genauso viel vom Ausgang des Verfahrens ab wie für Johnston. Und so bedeutete Johnstons Verurteilung und Entlassung aus der Armee für Bligh eine große Erleichterung. Zahlreiche Siedler hatten die Mühen und Kosten der langen Reise von Australien auf sich genommen, um im Prozess gegen Johnston zugunsten Blighs auszusagen, wobei sie auch seinen Charakter und seine Objektivität als Gouverneur hervorhoben. Ein zweiter wegen der Meuterei angeklagter Offizier des New South Wales Corps wurde dagegen freigesprochen. Obgleich das Gericht mit seinem Urteil deutlich gemacht hatte, dass Blighs Temperament und sein Verhalten, was zweifellos zur Eskalation der Situation beigetragen hatte, keine Rebellion rechtfertigten, hinterlässt dessen Amtsführung einige Fragen. Offenbar gehörte auch Bligh zu den Amtsträgern, für die ihr Posten eine gute Gelegenheit war, über ihr Gehalt hinaus Geld zu verdienen. Gleichwohl bewiesen Blighs Zeit als Gouverneur und die Ereignisse danach, dass Recht und Gesetz auch in Australien galten und selbst mächtige

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„Eine Schande für jedes Regiment“

Männer wie John Macarthur nicht ungestraft dagegen verstoßen konnten. Doch es sollte noch einige Zeit dauern, bis sich diese Überzeugung unter den Siedlern durchgesetzt hatte. Auch Gouverneur Macquarie, geriet schließlich in Konflikt mit den früheren Offizieren des New South Wales Corps und der kleinen Gruppe wohlhabender Siedler. Nachdem sich diese in einem Brief an den Kolonialminister über Macquarie beschwert hatten, wurde ein Untersuchungsrichter nach Sydney gesandt. Dessen Bericht führte 1821 zur Abdankung des Gouverneurs.

„Geliebt, respektiert und betrauert“ Die letzten Jahre

N

ach seiner Rückkehr aus Australien blieb Bligh an Land. Er setzte sich in seinem Haus in London zur Ruhe. Vier

Wochen nach Johnstons Verurteilung wurde Bligh am 31. Juli 1811 zum Konteradmiral befördert; 1814 erfolgte seine Ernennung zum Vizeadmiral. Dabei handelte es sich jedoch nicht um eine besondere Ehrung, Bligh war schlicht und einfach an der Reihe gewesen. Die Beförderung zum Flaggoffizier erfolgte damals strikt nach Dienstalter. Alle seine Vorgänger auf der Kapitänsrangliste waren inzwischen entweder gefallen, aus dem Dienst ausgeschieden oder in den Admiralsrang aufgestiegen, wodurch sein Name im Laufe der Zeit auf der Liste immer weiter nach oben gerückt war. Der trotz seiner Talente wohl zu glücklose Bligh wurde jedoch nie mehr in den aktiven Dienst zurückgerufen. Er setzte nie seine Admiralsflagge und fuhr auch nie wieder zur See. Doch zumindest erfuhr Bligh, was aus Fletcher Christian und den übrigen Meuterern von der BOUNTY geworden war. 1808 hatte der amerikanische Walfänger TOPAZ zufällig die kleine Kolonie auf der Insel Pitcairn entdeckt. 1810 war in der Zeitschrift Quarterly Review ein Artikel erschienen, der vom grausamen Schicksal der Meuterer berichtete, die sich 1790 unter der Führung von Fletcher Christian zusammen mit einigen tahitianischen Männern und Frauen auf dem abgelegenen Felsen mitten im Pazifik niedergelassen hatten.

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„ G e l i e b t, r e s p e k t i e rt u n d b e t r au e rt “

Die Meuterer auf Pitcairn

Das vermeintliche Inselparadies Pitcairn hatte sich schon bald als Hölle auf Erden entpuppt. Im Gegensatz zu Bligh, der sich trotz seiner Fehler vor allem in Momenten großer Not als fähiger Menschenführer hervortat, versagte Christian in dieser Hinsicht komplett. Statt für einen Ausgleich zu sorgen, schürte er auf Pitcairn die Konflikte zwischen Engländern und Tahitianern. Er teilte das gesamte Land unter den Meuterern auf; die Tahitianer erhielten nichts. Bald zerstritten sich die Engländer untereinander, während sie die Polynesier wie ihre Sklaven behandelten. Selbstsüchtig teilten sie die Frauen unter sich auf und ließen die tahitischen Männer für sich arbeiten. 1793 brachen sich die Konflikte blutige Bahn, als sich die Inselbewohner gegen die Meuterer erhoben und etliche von ihnen, darunter auch Fletcher Christian,

Die Siedlung der Meuterer der BOUNTY auf Pitcairn.

Blighs Ende

ermordeten. Die tahitianischen Männer brachten sich gegenseitig um oder fielen der Rache der Frauen der Ermordeten und der überlebenden Meuterer zum Opfer. Zehn Jahre nach ihrer Ankunft auf Pitcairn lebte von den Männern nur noch der Meuterer John Adams. Von den anderen drei überlebenden Engländern war Matthew Quintal im Streit um die Frauen, die sie wie Vieh unter sich aufgeteilt hatten, umgebracht worden. William McCoy, der angefangen hatte, Schnaps zu brennen, hatte im Alkoholrausch Selbstmord begangen, während Edward Young an einer Krankheit verstorben war. Nachdem Adams mit den Frauen und Kindern allein war, hatte er begonnen, eine friedliche Gemeinschaft auf der Basis der christlichen Lehre aufzubauen. Doch ungeachtet seiner Beteiligung an der Meuterei und seines langen Exils fühlte sich Adams immer noch als Engländer. Als er von den Amerikanern vom überwältigenden Sieg Admiral Nelsons über die spanisch-französische Flotte in der Seeschlacht von Trafalgar am 21. Oktober 1805 hörte, sprang er auf, riss sich den Hut vom Kopf und rief voller Patriotismus: „Hurra! Unser altes England auf ewig!“ Es wurde beschlossen, die kleine Gemeinschaft auf der Insel Pitcairn in Frieden leben zu lassen. Wiederholt wurde behauptet, Christian sei heimlich nach England zurückgekehrt, doch gibt es nicht den geringsten Beweis für die Annahme, dass er nicht 1793 auf Pitcairn ermordet wurde. Für Bligh mag das gewaltsame Ende Fletcher Christians als eine Form der Gerechtigkeit erschienen sein.

Blighs Ende

Die wenigen Lebensjahre, die Bligh noch blieben, waren von einem schweren Verlust überschattet. Am 15. April 1812 starb nach 31 Jahren Ehe seine geliebte Frau Betsy. Ein Nachruf im Gentlemen’s Magazine nannte sie „ein seltenes Beispiel aller Tugenden und liebenswürdigen Eigenschaften“, wobei ihre literarischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse nur durch ihren angenehmen Charakter übertroffen worden seien. Nach Betsys Tod fand er Trost in der Liebe seiner vier

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„ G e l i e b t, r e s p e k t i e rt u n d b e t r au e rt “

unverheirateten Töchter. Er zog nach Farningham in der Grafschaft Kent südöstlich der britischen Hauptstadt. Gelegentlich reiste er nach London, um Freunde und Bekannte zu treffen, und er korrespondierte er regelmäßig mit seinem alten Gönner, Sir Joseph Banks. Ebenso war er Mitglied in zwei Ausschüssen der Admiralität, was ihm das willkommene Gefühl gab, noch immer gebraucht zu werden. Am 7. Dezember 1817 starb Bligh mit 63 Jahren in London an Krebs. Er wurde auf dem Friedhof der St. Mary-Kirche im Londoner Stadtteil Lambeth beigesetzt. Die Kirche ist heute ein Gartenmuseum und der Friedhof ein Garten. Bligh liegt hier neben seiner geliebten Frau Betsy begraben. Sein Grabstein trägt die Inschrift: „Gewidmet dem Gedenken an William Bligh, wohlgeboren, Mit-

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glied der Royal Society, Vizeadmiral der Blauen Flagge. Der gefeierte Navigator, der als erster den Brotfruchtbaum von Tahiti nach Westindien brachte, tapfer in den Schlachten seines Landes focht

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und geliebt, respektiert und betrauert am 7. Tag des Dezember 1817 im Alter von 64 Jahren [sic!] starb.“

Auf einer Seite des Grabsteins befindet sich eine Gedenkinschrift für seine Zwillingssöhne William und Henry, die beide noch am Tag ihrer Geburt gestorben waren. Seine sechs überlebenden Töchter erbten unter anderem seine Besitzungen in New South Wales. Eine seiner Nachfahrinnen, Anna Bligh, bekleidete von 2007 bis 2012 als erste Frau das Amt der Premierministerin von Queensland in Australien. Einige Monate vor Bligh war auch John Fryer gestorben. Bis zu seinem Tod hatte er Bligh nichts als Abscheu entgegengebracht. Nach einer steten, aber unauffälligen Karriere hatte er es bis zum Kommandanten eines Transportschiffs gebracht. Wegen seines schlechten Gesundheitszustands musste er vorzeitig in den Ruhestand gehen; als er sich 1812 in seinem Geburtsort Wells niederließ, war Fryer fast blind und ein gebrochener Mann. Seine letzten Jahre verbrachte er in Armut, da sein Halbsold nicht ausreichte, um sich und seine fünf Töchter angemessen zu versorgen. Er war zum zweiten Mal verwitwet, und sein

Blighs Ende

einziger Sohn, der als Midshipman unter Nelson in der Schlacht von Kopenhagen gedient hatte, war 1804 in Jamaika ums Leben gekommen. Geistig verwirrt, sodass er zuletzt selbst seine Töchter nicht mehr erkannte, starb John Fryer am 26. Mai 1817 im Alter von 63 Jahren „hilflos wie ein Säugling“, wie eine seiner Töchter schrieb Andere seiner Widersacher überlebten Bligh. Fryers Neffe Robert Tinkler hatte schließlich den Rang eines Commanders erreicht und starb 1820 im Alter von 46 Jahren in Norwich. Edward Christian verstarb 1823, nachdem er 35 Jahre lang als Juraprofessor an der Universität Cambridge gewirkt hatte. Peter Heywood hatte in der Royal Navy erfolgreich Karriere gemacht und sich 1816 als Kapitän zur See zur Ruhe gesetzt. Nach einem Schlaganfall starb er am 10. Februar 1831 im Alter von 58 Jahren in London. William Purcell, der ehemalige Schiffszimmermann der BOUNTY, starb 1834 in geistiger Verwirrung. Im gleichen Jahr starb auch

John Macarthur, ebenfalls in geistiger Umnachtung. Nach der Absetzung Blighs hatte er mehrere Jahre in England im Exil verbracht, da ihm in Australien Strafverfolgung drohte. Er hatte die Zeit genutzt, um sich mit dem englischen Wollhandel vertraut zu machen. 1817 war er nach Australien zurückgekehrt, wo er zum führenden Wollproduzenten wurde und als Vertreter der Großgrundbesitzer erneut erheblichen politischen Einfluss gewann. Pitcairn wurde 1838 britische Kolonie. Bis heute leben auf der abgelegenen Pazifikinsel 50 Nachkommen der Meuterer der BOUNTY und ihrer polynesischen Frauen. Sie versorgen sich überwiegend selbst durch Landwirtschaft, nur drei- bis viermal im Jahr steuert ein Versorgungsschiff die Insel an. Doch immer noch ist die Insel alles andere als ein tropisches Paradies der Eintracht und Harmonie: 2002 erschütterte ein Kinderschänderprozess die kleine Gemeinschaft.

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Nachwort

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illiam Blighs Leben war geprägt von bedeutenden wissenschaftlichen Leistungen und herausragenden muti-

gen Taten, aber auch von Meuterei und Demütigung. Obgleich er sich in den Kriegen gegen das revolutionäre Frankreich mehrfach auszeichnete, blieb die Meuterei auf der BOUNTY für ihn ein traumatisches Erlebnis, das ihn für den Rest seines Lebens verfolgte. Vergeblich bemühte sich Bligh, den Makel des ungerechten und grausamen Tyrannen abzuschütteln. Bis heute ist sein Name untrennbar mit den dramatischen Ereignissen auf der BOUNTY verbunden. Bligh war zwar aufbrausend und jähzornig, aber kein brutaler Menschenschinder. Die Meuterei auf der BOUNTY hatte andere Gründe als Härte und Gewalt. Eine wesentliche Rolle spielte wohl der lange Aufenthalt in Tahiti. Während dieser Zeit hatte sich die Disziplin deutlich gelockert. Dass Bligh kein Unmensch war, beweist auch die Tatsache, dass der größte Teil der Besatzung lieber mit Bligh von Bord gehen wollte als sein Schicksal mit Christian und den übrigen Meuterern zu verbinden. Um die Ereignisse auf der BOUNTY zu verstehen, darf man Blighs Charakterschwächen und seine Inkonsequenzen als Kommandant nicht außer Acht lassen. Bligh hielt sich nicht an die ungeschriebenen Gesetze des Lebens an Bord. Nicht übermäßige Härte brachte ihn in Schwierigkeiten, sondern seine Art zu strafen. Damit verstieß er gegen die traditionellen Regeln und Normen, die das Leben an Bord für die Seeleute erträglich machten und ein Gegengewicht zu den Härten und der strikten Disziplin an Bord der Schiffe der Royal Navy bildeten.

Nachwort

Sein Führungsstil, obgleich gut gemeint, half nicht, die Disziplin aufrechtzuerhalten, sondern unterminierte die Ordnung an Bord. Trotz seiner unbestreitbaren Talente, seiner Tüchtigkeit und seines Pflichtbewusstseins stand sich Bligh durch sein aufbrausendes und jähzorniges Wesen immer wieder selbst im Weg – auch wenn unflätige Beschimpfungen zu der damaligen Zeit an Bord britischer Kriegsschiffe nicht ungewöhnlich waren. Immer wieder geriet er in Konflikte, von denen er nicht wenige selbst provozierte. Treffend schrieb der Historiker David Hannay über Bligh: „Bligh war ein Mann, der eine wundervolle Gabe besaß, Rebellionen zu verursachen.“ Die bestimmenden Werte für ihn waren Ordnung, Disziplin und Pflichterfüllung. Dabei neigte er jedoch zu Kleinlichkeit und Pedanterie. Er verlangte von seinen untergebenen Offizieren wie von sich selbst nichts weniger als Perfektion. Er „erduldete Narren nicht mit Freude“, wie er selbst sagte. Inkompetenz und Nachlässigkeit ließen seinen Zorn aufwallen. Doch genauso schnell, wie seine Wut aufflammte, war sie auch wieder verschwunden. Hatte William Bligh die Meuterei durch sein Verhalten gegenüber Fletcher Christian ausgelöst? Vermutlich ja. Christian meuterte, weil er sich in seiner Ehre verletzt fühlte. Viele waren bereit, ihm zu folgen. Es war die Kurzschlussreaktion eines labilen Mannes. Hätte Christian dagegen das Maß an Verantwortungsgefühl und Selbstdisziplin besessen, das – damals wie heute – von einem zukünftigen Seeoffizier erwartet wird, wäre den Männern der BOUNTY, ob Meuterer oder nicht, viel Leid erspart geblieben. Ohne Fletcher Christian hätte es keine Meuterei auf der BOUNTY gegeben. Damit ist er der wahre Schuldige an den Ereignissen. Das spricht Bligh nicht von seiner Verantwortung frei, doch auch Fletcher Christian war alles andere als der edelmütige, romantische Held, als der er immer dargestellt wird. Blighs entscheidender Fehler war es, einen schwachen Mann über seine Fähigkeiten hinaus zu befördern. An Blighs überragenden Fähigkeiten als Seemann und Navigator gibt es keinen Zweifel, ebenso wenig an seinem Mut. In Ausnahmesituationen konnte er über sich hinauswachsen. Ohne seine Standhaftig-

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keit und seine Entschlossenheit hätten die Ausgesetzten die Bootsreise nicht überlebt. Ebenso wurde er für seine Tapferkeit und sein seemännisches Geschick in den Seeschlachten von Camperdown und Kopenhagen belobigt. Doch Bligh suchte nicht Bewunderung, sondern Respekt. Enttäuscht und wohl auch verbittert, musste er immer wieder feststellen, dass andere Offiziere von jedermann geachtet wurden, er jedoch nicht. Bei allen Talenten fehlte ihm die Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen. Bligh wurde nie geliebt wie Nelson oder respektiert wie Cook. Sein einziger Ruhepol war die Liebe zu seiner Frau Elizabeth und seinen Töchtern. Obgleich Bligh nur selten zu Hause war, genoss er das ruhige und harmonische Leben im Kreis seiner Familie. Obgleich sich Bligh im Laufe seiner Karriere zahllose Feinde gemacht hatte und ihm viele mit Verachtung begegneten, wurde er von anderen geschätzt und von manchen sogar verehrt. Anlässlich des Todes von William Bligh schrieb George Tobin, inzwischen Kapitän zur See, an Francis Bond: „Er hatte eine lange und wechselvolle Reise, wie für keinen anderen, und seit der unglücklichen Meuterei auf der BOUNTY stand er ziemlich im Schatten. Doch möglicherweise hat man ihn nie völlig ver-

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standen […] Er hat viel erlitten und wann immer er in Schwierigkeiten war, hat er sich durch Mühe und Ausdauer daraus gerettet. Ich

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habe viele Männer mit größeren Begabungen in seinem Beruf kennengelernt, aber niemanden mit so viel Voraussicht – ich meine vor allem als Navigator.“

Dies ist ein treffender Nachruf für einen Mann, der seit mehr als zwei Jahrhunderten zu Unrecht als Unmensch dargestellt wird. Demgegenüber fällt Fletcher Christians Nekrolog weit weniger positiv aus: Er versagte als Anführer der kleinen Siedlergruppe auf Pitcairn ebenso kläglich wie zuvor als Seeoffizier. Durch seine Meuterei zerstörte er nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner Schiffskameraden. Die von ihm angeführte Meuterei bedeutete für al-

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le Beteiligten nichts als Leiden und Entbehrungen, die bei allen tiefe seelische Spuren hinterließen. Bligh erlitt durch die Meuterei und die folgenden Ereignisse eine Traumatisierung, die ihn für den Rest seines Lebens verfolgte. Doch auch die Meuterer bezahlten einen hohen Preis für ihre Tat – von Peter Heywood und James Morrison vielleicht abgesehen. Ebenso darf man nicht vergessen, dass Fletcher Christian auch die Verantwortung für den Tod zahlloser Polynesier trägt, die bei dem gescheiterten Siedlungsversuch auf Tubuai und später auf Pitcairn von den Meuterern umgebracht wurden. Christians kurzer Moment des Kontrollverlusts hinterließ letztendlich nur Verlierer, keine Gewinner und schon gar keine Helden – mit Ausnahme vielleicht von William Bligh, der es mit Härte und Durchsetzungskraft schaffte, seine Männern in einem überladenen Boot mit einer bis heute beeindruckenden seemännischen Glanzleistung gegen alle Wahrscheinlichkeit sicher bis nach Timor zu bringen und auf diese Weise vor dem sicheren Tod zu retten.

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Bibliographie Anmerkung: Zahlreiche Quellen, darunter das von Bligh geführte Logbuch der BOUNTY, Fryers Aufzeichnungen oder Edward Christians „Appendix“, sind zwischenzeitlich ediert und online zugänglich. In den Einträgen der englischsprachigen Wikipedia zum Thema BOUNTY befinden sich zahlreiche Links, die auf die entsprechenden Webseiten verweisen.

Quellen John Barrow: The Eventful History of the Mutiny and Piratical Seizure of H.M.S. Bounty: Its Cause and Consequences, London 1831. William Bligh: A Narrative of the Mutiny on Board His Majesty’s Ship Bounty; and the Subsequent Voyage of Part of the Crew in the Ship’s Boat, London 1790. William Bligh: A Voyage to the South Sea for the Purpose of Conveying the Bread Fruit Tree to the West Indies, Including an Account of the Mutiny on Board the Ship, London 1792. William Bligh: Meuterei auf der Bounty 1787–1792, neu herausgegeben und bearbeitet von Hermann Homann, Tübingen/Basel 1973. John Fryer: Narrative of the Mutiny on HMS Bounty and the Voyage in the Bounty Launch, Letter and Documents, 1789–1804; with Associated Biographical Information Compiled in 1932; State Library, New South Wales, Safe 1/38. George Mackaness: A Book of the Bounty. William Bligh and Others, Neuausgabe mit einem Vorwort von Gavin Kennedy, London 1981. James Morrison: The Journal of James Morrison, Boatswain’s Mate of the Bounty, herausgegeben von Owen Rutter, London 1935.

Literatur Caroline Alexander: The Bounty. The True Story of the Mutiny on the Bounty, London 2003. Die deutsche Version mit etlichen Übersetzungsfehlern erschien unter dem Titel: „Die wahre Geschichte der Meuterei auf der Bounty“, Berlin 2004.

John D. Byrn: Crime and Punishment in the Royal Navy, Discipline on the Leeward Islands Station 1784– 1812, Studies in Naval History Vol. 2, Aldershot 1989. Greg Dening: Mr Bligh’s Bad Language. Passion, Power and Theatre on the Bounty, Cambridge 1992. Leonard F. Guttridge: Meuterei. Rebellionen an Bord, Berlin 1998. John B. Hattendorf (Hg.): The Oxford Encyclopaedia of Maritime History, Oxford/New York 2007. J. R. Hill (Hg.): The Oxford Illustrated History of the Royal Navy, Oxford 1995. Richard Hough: Captain Bligh and Mr Christian. The Men and the Mutiny, London 1988. Peter Kemp: The Oxford Companion to Ships and the Sea, Oxford 1988. Gavin Kennedy: Captain Bligh – the Man and his Mutinies, London 1989. Brian Lavery: Nelson’s Navy, The Ships, Men and Organisation 1793–1815, Annapolis 1989. George Mackaness: The Life of ViceAdmiral Bligh, R. N., F. R. S., 2 vols, Sydney 1932. Chester W. Nimitz und Elmar B. Potter: Seemacht – Von der Antike bis zur Gegenwart, Herrsching 1982. N. A. M. Rodger: The Command of the Ocean, A Naval History of Britain, Vol. 2, 1649–1815, London 2004. John Toohey: Käpt’n Blighs Alptraum. Das außergewöhnliche Leben des Kapitäns der Bounty, Hamburg 2002. Nicolas Tracy: Nelson’s Battles – the Art of Victory in the Age of Sail, London 1996. Jann M. Witt: Horatio Nelson – Triumph und Tragik eines Seehelden, Hamburg 2005.

Glossar

Glossar Able Seaman: siehe Matrose. Achterdeck: Der hintere Teil des Oberdecks, Aufenthaltsort der Schiffsführung. Admiral: Siehe Flaggoffizier. Admiralität: Oberste Verwaltungs- und Kommandobehörde der Royal Navy. Barkasse: Großes Beiboot eines Kriegsschiffs. Bilge: Tiefster Raum des Schiffs direkt über dem Kiel, wo sich eingedrungenes Wasser sammelt. Bootsmann: Deckoffizier, dem die seemännische Ausrüstung des Schiffs und die Instandhaltung der Takelage obliegt. Bootsmannsmaat: Untergebener des Bootsmanns. Breitwimpel: Kommandozeichen eines Kommodore. Brigg: Mittelgroßes Schiff mit zwei vollgetakelten Masten. Commander: Ursprünglich Master and Commander. Offiziersrang in der Royal Navy, der in etwa dem eines Korvettenkapitäns der Deutschen Marine entspricht. Commander wurden ausschließlich als Kommandanten von Sloops eingesetzt. Deckoffizier: Englisch Warrant Officers, Bezeichnung für die höchsten Unteroffiziere in der Royal Navy, wie den Bootsmann, den Zahlmeister oder den Sailing Master. Sie wurden durch eine vom Navy Office ausgestellte Bestallung ernannt, den sogenannten Warrant, nach dem sie auch ihre englische Bezeichnung erhalten hatten. Dreidecker: Linienschiff mit drei übereinanderliegenden Geschützdecks. Fähnrich: Englisch Midshipman, Seeoffiziersanwärter. Flaggschiff: Führungsschiff eines Geschwaders, auf dem der befehlshabende Admiral oder Kommodore seine Flagge beziehungsweise seinen Stander gesetzt hat.

Flaggoffizier: Der Begriff „Flaggoffizier“ bezeichnet alle Offiziere im Admiralsrang, wie Konter-, Vizeund (Voll-)Admirale. Sie wurden als Flaggoffiziere bezeichnet, weil sie als Zeichen ihres Ranges eine Admiralsflagge im Masttop führten. Fockmast: Der vordere Mast eines vollgetakelten Schiffs. Fregatte: Ein dreimastiges Kriegsschiff mit einem Geschützdeck, das mit 20 bis 44 Kanonen bestückt war, meist eingesetzt als Aufklärer oder Handelsstörer. Großmast: Bei dreimastigen Schiffen der mittlere, bei zweimastigen Schiffen der hintere Mast. Hulk: Abgetakeltes Schiff, oft als schwimmendes Wohnquartier, Warenlager oder Gefängnis verwendet. Jolle: Kleinstes Beiboot eines Kriegsschiffs. Kajüte: Unterkunft für den Kommandanten beziehungsweise einen an Bord befindlichen Geschwaderchef. Kapitän: Englisch Post Captain. Offiziersrang in der Royal Navy, der dem eines Kapitän zur See der Deutschen Marine entspricht. Die Ernennung zum Kapitän war für einen Offizier der wichtigste Schritt auf der Karriereleiter, weil hiervon der Zeitpunkt der Beförderung zum Admiral abhing. Karronade: Nahkampfgeschütz mit großem Kaliber, benannt nach ihrem Erfindungsort, den schottischen Carron-Eisenwerken. Aufgrund ihrer begrenzten Reichweite dienten Karronaden auf größeren Schiffen meist nur als sekundäre Bewaffnung. Lediglich auf kleinen, schnellen Schiffen wie Sloops oder Kanonenbriggs bewährten sich die Karronaden als Hauptbewaffnung. Kiellinie: Linie hintereinander fahrender Schiffe, zum Beispiel in einer Schlachtlinie.

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Knoten: Geschwindigkeitsmaß; ein Knoten entspricht einer Geschwindigkeit von einer Seemeile pro Stunde (1,852 km/h). Kommandant: Befehlshabender Offizier eines Kriegsschiffs. Im Gegensatz zum Begriff „Kapitän“ handelt es sich dabei um eine Dienststellung, nicht um einen Dienstrang. Auch ein Offizier, der nicht den Kapitänsrang besaß, konnte Kommandant eines Kriegsschiffs sein. Das bekannteste Beispiel dafür ist William Bligh. Als Kommandant der BOUNTY wurde er unter dem Namen „Kapitän Bligh“ bekannt, obgleich er nur den Rang eines Leutnants besaß. Kommodore: Geschwaderchef im Rang eines Kapitäns zur See. Kreuzmast: Der hinterste Mast eines Dreimasters. Kutter: 1. Schnelles, einmastiges Fahrzeug mit Gaffelsegel. 2. Beiboot eines Kriegsschiffs. Leutnant: Niedrigster Offiziersrang in der Royal Navy. Linienschiff: Großes Kriegsschiff mit mindestens 64 Kanonen, die auf zwei und mehr Geschützdecks verteilt waren. Benannt nach der Fähigkeit, in der Schlachtlinie zu segeln. Luggersegel: Trapezförmiges, längsschiff stehendes Segel. Maat: Englisch Mate, seemännischer Unteroffizier. Marineinfanterie: Bei der Marineinfanterie, englisch Marines, handelte es sich um ein Korps ausgebildeter Soldaten, das direkt der Admiralität unterstellt war. Zu ihren Aufgaben gehörte die Aufrechterhaltung der Disziplin an Bord, die Verhinderung von Desertionen und die Verhütung von Meutereien. Als ausgebildete Infanteristen bildeten sie die Sturmspitze bei Enterangriffen und den Kern einer jeden Landungstruppe. Master: Siehe Sailing Master.

Matrose: Bezeichnung für die Mannschaftsdienstgrade der Royal Navy. Es wurde unterschieden zwischen Landsmen, das heißt unausgebildeten Männern, die nur für Hilfstätigkeiten eingesetzt wurden, Ordinary Seamen oder Leichtmatrosen und Able Seamen oder Vollmatrosen, die alle Bereiche des seemännischen Handwerks sicher beherrschten. Mit zunehmenden Fähigkeiten konnten die Seeleute vom Landsman zum Able Seaman aufsteigen und, entsprechende Kenntnisse vorausgesetzt, auch weiter bis zum Unteroffizier oder Deckoffizier. Midshipman: Siehe Fähnrich. Navigation: Bestimmung des Standortes und des Kurses eines Schiffes auf See. Dabei wird unterschieden zwischen der terrestrischen Navigation, die sich an Land und Seezeichen orientiert, und der astronomischen Navigation, das heißt der Standortbestimmung mit Hilfe von Himmelskörpern. Erst Ende des 18. Jahrhunderts erreichte die astronomische Navigation einen Stand, der mit Hilfe neuer, wissenschaftlicher Methoden eine genauere Positionsbestimmung erlaubte. Während die eine Methode auf komplizierten Berechnungen mit Hilfe der beobachteten Monddistanzen beruhte, basierte die letztlich erfolgreichere Methode auf der Längenbestimmung durch den Abgleich der Ortszeit mit der Zeit eines geographisch bekannten Vergleichsortes mit Hilfe eines Chronometers. Nore: Schiffsreede an der Themsemündung, 1797 Schauplatz einer großen Flottenmeuterei. Ostindienfahrer: Ein großes bewaffnetes, dreimastiges Handelsschiff, das von den europäischen Ostindienkompagnien auf der Route nach Asien eingesetzt wurde. Post Captain: Englisch für „Kapitän zur See“.

Glossar

Prahm: Flaches, meist viereckiges Wasserfahrzeug ohne eigenen Antrieb. Prau: schnelles Segelboot mit Auslegern malaiischer Bauart. Pressen: Zwangsverpflichtung von Seeleuten zum Dienst in der Royal Navy. Prise: Gekapertes Schiff. Während man aufgebrachte Handelsschiffe normalerweise mitsamt ihrer Ladung verkaufte, wurden eroberte Kriegsschiffe gewöhnlich von der Royal Navy übernommen, oft sogar unter ihrem ursprünglichen Namen. Der Erlös aus dem Verkauf wurde als Prisengeld an Offiziere und Mannschaft des aufbringenden Schiffs verteilt. Quartermaster: Höherer Unteroffizier, Assistent des Sailing Masters und seiner Maaten. Üblicherweise handelte es sich bei den Quartermastern um erfahrene Seeleute. Rah: Quer zum Mast angebrachtes Rundholz, an dem die obere Kante des Rahsegel befestigt wird. Reede: Geschützter Ankerplatz außerhalb eines Hafens, beispielsweise in einer Bucht. Riemen: An einem Ende abgeflachte, hölzerne Stange zum Antrieb von Booten, oft fälschlich als „Ruder“ bezeichnet. Ruder: Seemännischer Ausdruck für das Steuer des Schiffs. Sailing Master: Kurz „Master“. Steuermann, Deckoffizier, dem die Navigation des Schiffs oblag. Schoner: Kleines, zweimastiges Schiff mit Gaffeltakelage. Seemeile: Nautisches Längenmaß, entspricht 1852 Meter. Sloop: Leichtes Aufklärungsfahrzeug unter dem Befehl eines Commanders, entweder als Brigg oder als Vollschiff getakelt. Spiere: Alle in der Takelage verwendeten Holzstangen, wie Masten, Rahen und Stangen. Spithead: 23 Kilometer langer und bis zu sechs Kilometer breiter Meeresarm zwischen der Isle of Wight und

der britischen Hauptinsel. Da der Spithead Schiffen jeder Größe bei allen Windrichtungen Schutz bot, war er einer der wichtigsten Ankerplätze der britischen Flotte. 1797 Schauplatz einer großen Flottenmeuterei. Stenge: Auf den Untermast aufgesetztes Verlängerungsstück eines Mastes. Steuermann: Siehe Sailing Master. Steuermannsmaat: Nautischer Unteroffizier, Untergebener des Sailing Masters. Vollgetakelt: Mit Rahsegeln getakelter Mast; vollgetakeltes Schiff oder Vollschiff nennt man ein Segelschiff mit mindestens drei Masten, das an allen Masten Rahsegel führt. Wachoffizier: Der Wachoffizier führte in Abwesenheit des Kommandanten den Befehl an Deck. Er hatte darauf zu achten, dass das Schiff den richtigen Kurs segelte und dass die Segel optimal standen. Viele Kommandanten zogen es allerdings vor, bei größeren Segelmanövern oder bei Kursänderungen persönlich den Befehl an Deck zu führen. Zahlmeister: Englisch Purser, Proviantoffizier, zählte zu den Deckoffizieren. Auf kleineren Schiffen wurde die Aufgabe des Zahlmeisters mitunter vom Kommandanten übernommen. Zweidecker: Kriegsschiff mit zwei übereinander liegenden Batteriedecks.

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Die Besatzung der BOUNTY Dienststellung

Name

Kommandant Steuermann Bootsmann Geschützmeister Zimmermann Schiffsarzt Steuermannsmaat

William Bligh John Fryer William Cole William Peckover William Purcell Thomas Huggan Fletcher Christian William Elphinstone Fähnrich zur See (Midshipman) John Hallet Thomas Hayward Offiziersanwärter Peter Heywood George Steward Robert Tinkler Edward Young Quartermaster Peter Linkletter John Norton Quartermaster's Mate George Simpson Bootsmannsmaat James Morrison Geschützmeistersmaat John Mills Zimmermannsmaat Thomas McIntosh Charles Norman Segelmacher Lawrence Lebogue Wachtmeister Charles Churchill Büchsenmeister Joseph Coleman Büchsenmeistersmaat John Williams Arztgehilfe Thomas Ledward Schiffsschreiber John Samuel Diener des Kommandanten John Smith Böttcher Heinrich Hillbrant Schiffskoch Thomas Hall Metzger Robert Lamb Kochsmaat William Muspratt Matrosen John Adams

Alter

Verhalten

33 34 ? ? ? ? 22 36 20 20 14 21 17 25 30 ? ? 26 38 28 26 ? 28 38 23 ? ? 36 23 38 21 28

loyal loyal loyal loyal loyal Verstorben auf Tahiti Meuterer loyal loyal loyal Meuterer Meuterer loyal Meuterer loyal loyal loyal Meuterer Meuterer loyal loyal loyal Meuterer loyal Meuterer loyal loyal loyal Meuterer loyal loyal Meuterer

25 Thomas Burkett 26 Michael Byrn (Byrne) 26 Thomas Ellison 15 Isaac Martin 28 William McCoy 25 John Millward 19 Matthew Quintal 21 Richard Skinner 22 John Summer 24 Matthew Thompson 28 James Valentine 28

(alias Alexander Smith)

Botaniker Gärtner

David Nelson William Brown

? 25

Meuterer Meuterer loyal Meuterer Meuterer Meuterer Meuterer Meuterer Meuterer Meuterer Meuterer Verstorben auf der Hinreise loyal Meuterer