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German Pages 265 Year 1999
Soziologische Schriften Band 68
Die Beobachtung des Risikos Zur Konstruktion technisch-ökologischer Risiken in Gesellschaft und Politik
Von
Mathias Heidenescher
Duncker & Humblot · Berlin
MATHIAS HEIDENESCHER
Die Beobachtung des Risikos
Soziologische Schriften Band 68
Die Beobachtung des Risikos Zur Konstruktion technisch-ökologischer Risiken in Gesellschaft und Politik
Von
Mathias Heidenescher
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Heidenescher, Mathias: Die Beobachtung des Risikos : zur Konstruktion technischökologischer Risiken in Gesellschaft und Politik / von Mathias Heidenescher. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Soziologische Schriften ; Bd. 68) Zugl.: Bielefeld, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08963-4
Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0584-6064 ISBN 3-428-08963-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9 7 0 6 θ
Vorwort Die Risikothematik wird seit einigen Jahren in der Soziologie breit wahrgenommen; einschlägig dabei ist das Jahr 1986 mit zwei prominenten Veröffentlichungen: Becks Risikogesellschaft und Luhmanns Ökologische Kommunikation. In der vorliegenden Arbeit wird die risikosoziologische Forschung aufgenommen und in eine Politische Theorie eingearbeitet. Obwohl Technik der bevorzugte Gegenstand der soziologischen Risikoforschung ist und Katastrophen durch Großtechnologien wie Atomkraftwerke (zum Beispiel Tschernobyl) und gentechnologische Versuche geeignete Untersuchungsgegenstände abgeben, wird in dieser Arbeit der Risikobegriff viel weiter gefaßt und impliziert ebenso Krankheiten wie AIDS und mögliche Krankheitsübertragungen von BSE, immer aber in exemplarischer Weise hinsichtlich einer Politischen Soziologie. Denn wie selbstverständlich ist es die Politik, die als erster Adressat in Frage kommt, wenn es um den gesellschaftlichen Umgang mit Risiken und unsicheren Zukünften geht. Die Möglichkeiten der Politik werden dabei bestimmt durch die ihr eigenen Arbeitsweisen, vor allem durch das Macht-Konkurrenzverhältnis der Parteien sowie durch das Eigengewicht politischer Programme. Die neuen Risiken sind in diesem Zusammenhang allerdings besonders interessant. Definitiv zuverlässige Gewißheiten zukünftiger Verlaufsmuster gibt es weder über gentechnologische Versuche noch darüber, ob Rinderwahnsinn sich auf Menschen überträgt oder nicht. Was die einen für sicher halten und allenfalls mit der Kategorie eines zumutbaren Restrisikos bezeichnen, ist für andere ein Katastrophenpotential. Es handelt sich auf der einen wie auf der anderen Seite vornehmlich um Behauptungen. Wir haben es daher mit kommunizierten Risiken zu tun, die sich durch ihren abstrakten Charakter in ganz besonderer Weise zur Politisierung eignen. In dieser Situation muß die Politik bereits gegenwärtig über offene Zukünfte entscheiden. Die vorliegende Arbeit zeigt das politische System unter diesen zwei Bedingungen neuartiger, kommunizierter Risiken und politik-eigener, geschlossener Operationsweise. Die Risikoforschung hat dabei exemplarischen Charakter und könnte als Ausgangspunkt dienen, eine allgemeine Beschreibung der Arbeitsweise der Politik angesichts offener Zukünfte zu gewinnen. Der Text lag in etwas anderer Form der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld im Sommer 1995 als Dissertation vor. Ich möchte mich an dieser Stelle bei Kollegen und Freunden für die vielfältige Unterstützung bedanken, die ich während der Abfassung erfahren habe. Wertvolle Hinweise und Hilfen erhielt ich
6
Vorwort
von den beiden Gutachtern, Prof. Dr. Adrienne Héritier und Prof. Dr. Klaus P. Japp, mit dem ich außerdem mehrere Seminare an der Universität Bielefeld durchführte, durch die ich viele Anregungen erhielt. Mein ganz besonderer Dank gilt Cornelia Borgards und Johannes F. K. Schmidt, die mir in unseren Diskussionen sowohl durch fachlich-kompetente Kritik als auch mit freundschaftlichen Vorschlägen und Hilfestellungen zur Seite standen und obendrein die Manuskripte in ihren verschiedenen Arbeitsstadien kommentierten und korrigierten. Auch wird dem Leser der Einfluß Niklas Luhmanns nicht entgehen; ihm möchte ich für viele Gespräche, zum Teil noch während des Studiums und später, danken. Schließlich gilt mein Dank auch Monika Wirbel für ihre Unterstützung und Ermunterungen, insbesondere in der Überarbeitungsphase. Die Verantwortung für den vorliegenden Text trage ich selbstverständlich allein.
Bielefeld, im Juli 1998
Dr. Mathias Heidenescher
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil Die gesellschaftliche Konstruktion von Risiken I.
Einleitung
11
II.
Zur Risikosoziologie
29
1. Die Risikotypen 2. Risikotheorien 3. Die strukturelle Kopplung von Gesellschaft und Technik
29 41 52
I I I . Die Theorie der Beobachtung
65
1. Beobachtung als Unterscheidung 2. Klassische Paradoxien 3. Die Paradoxie von Unterscheiden und Bezeichnen 4. Die Form re-entry als Paradoxieentfaltung 5. Die Beobachtung zweiter Ordnung 6. Paradoxien und Soziologie
65 70 73
IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität
86
V.
75 80 84
1. Sinn als Zwei-Seiten-Form 2. Die Zurechnungsforschung 3. Die Zeitdimension des Risikos 4. Die Sachdimension des Risikos 5. Die Sozialdimension des Risikos
86 91 95 100 104
Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
112
1. Warum Kulturtheorie? 2. "Seltsame Schleifen" zwischen Kultur und Kommunikation 3. Markt, Hierarchie und Gemeinschaft 4. Die Naturkonzepte 5. Ziel Verfolgung versus Zielgenerierung 6. Zusammenfassung und Kritik
112 114 123 131 134 137
Inhaltsverzeichnis
8
VI. Zwischenbetrachtung
140
Die strukturelle Kopplung von Gesellschaft und Risiko und die kulturelle Einbettung der Risikokommunikation 140
Zweiter Teil Das politische System und seine Risikobearbeitung V I I . Die Analyse des politischen Systems 1. Die Ausdifferenzierung autopoietischer Systeme 2. Die Funktion der Politik und die binäre Codierung der Macht 3. Programm und Leistungserstellung 4. Die Binnendifferenzierung der Politik 5. Der Verlust des gesellschaftlichen Zentrums VIILEinrichtungen der Risikobearbeitung 1. Regulatives Recht und Verrechtlichung 2. Von der Gefahrenabwehr zur Risikovorsorge 3. Informales Verwaltungshandeln 4. Die Techniksteuerung durch Verbände 5. Grenzwerte IX. Die Darstellungsleistungen der Politik
X.
149 149 153 158 163 168 171 171 174 179 184 187 196
1. Inkrementale Politik 2. Die Entscheidungsrationalität politischer Organisationen 3. "Hypocrisy" und "double talk" 4. Institutionen symbolischer Politik 5. Konsequenzen des "talk"-Mechanismus
196 201 207 210 219
Die Rationalität "reduzierter" Politik
221
1. Anspruchsreduzierung der Politik 2. Dimensionen der Anspruchsreduzierung 3. Interne Komplexität 4. Ein neues Verwaltungsrecht 5. Schluß
221 223 227 230 234
Literaturverzeichnis
236
Sachwortregister
258
Abbildungsverzeichnis
Schaubild 1: Das re-entry der System/ Umwelt-Unterscheidung in das System
76
Schaubild 2: Das re-entry der Politik/ Gesellschaft-Unterscheidung in die Politik
78
Schaubild 3: Das Grid/ Group-Schema Schaubild 4: Das Diagramm der Naturkonzepte der Kulturtheorie
123 132
Erster Teil Die gesellschaftliche Konstruktion von Risiken I. Einleitung Unbestritten sind die Sensibilitäten und Aufmerksamkeiten für Risiken verschiedenster Art in der Gesellschaft, wie sie sich aktuell zeigt, gestiegen und man kann wohl behaupten, daß neben den Fragen des Arbeitsmarktes die Problemlagen ökologischer, technologischer und gesundheitlicher Art zu den brisanten Themen unserer Tage zählen. Die Massenmedien tun das ihrige dazu, vergeht doch kein Tag ohne Meldungen über technische Unfälle, nicht aufgeklärte Pannen, neue Krankheiten, etc. Die vorliegende Arbeit versteht sich als Beitrag, diesen Befund mit genuin soziologischen Mitteln zu analysieren. Als erste theoretische Entscheidung soll dazu eine gesellschaftstheoretische Bemerkung gemacht werden, die dann allerdings von erheblicher Tragweite für den Aufbau und die Schlüssigkeit der weiteren Argumentation ist: In der modernen Gesellschaft (was immer das im einzelnen heißen mag) besitzen die Kategorien von Individuum und Handlungsfreiheit, von Rationalität und Entscheidungsverhalten zentrale Bedeutung in der Beobachtung und Sinnstiftung von Handlungen; das gilt sowohl für die sozial- und geisteswissenschaftliche Literatur, wie auch für das vorwissenschaftliche Alltagsverständnis. Die Ausstattung des Individuums mit Freiheitsgraden führt dazu, daß Handlungen auf Entscheidungen zurückgeführt werden. Entscheidungen zeichnen sich dadurch aus, daß sie anders etwa als das Schicksal nicht zwingend sind und also das Eintreten eines Ereignisses von der Entscheidung des Handelnden abhängt und entsprechend durch eine andere Entscheidung ein anderes Ereignis eingetreten wäre. Das unterscheidet den Schaden eines Fehlverhaltens von einem Unwetter. Die Zurechnung von Ereignissen auf Entscheidungen bildet einen zentralen Hintergrund unserer Argumentation. Die Betonung der Entscheidungsabhängigkeit von zukünftigen und damit ungewissen Ereignissen heißt zunächst natürlich, daß der Handelnde als Entscheider für das eingetretene Ereignis verantwortlich gemacht wird, Verantwortung ist die Kehrseite von Entscheidungsfreiheit. Soziologisch interessant an diesem Punkt ist nun folgendes: Während eventuell noch ein Einzelentscheider
I. Einleitung
12
daraus die Konsequenz ziehen kann, sich durch den Verzicht auf Entscheidung von Verantwortungsübernahme zu befreien, gilt das nicht mehr für Entscheidungszusammenhänge, die öffentlich stattfinden und gesellschaftlich beobachtet werden. Natürlich springt hier der Zusammenhang mit politischem Entscheiden ins Auge. Die Entscheidungsabhängigkeit zukünftiger Ereignisse tritt in solchen Fällen als zweischneidiges Schwert auf, denn hier heißt wählen können immer auch wählen müssen. Für öffentlich beobachtbares Entscheiden entfällt damit die Möglichkeit, sich nicht zu entscheiden! Der Grund dafür: genau das wieder kann als Entscheidung beobachtet werden. So kann die Politik sich nicht einfach aus der gentechnologischen Entwicklung heraushalten, etwa weil die Informationslage undurchsichtig ist. Wenn sie so verfahren sollte (was die interne Arbeitsweise als Konkurrenz zwischen den Parteien ohnehin verhindert), muß sie sich dafür entscheiden und entsprechend Verantwortung übernehmen. Es verhält sich ähnlich dem Straftatbestand der "unterlassenen Hilfestellung": die Strafe bezieht sich nicht auf das, was jemand getan hat, sondern darauf, was jemand nicht getan hat. Jeder Entscheidung aber ist genuin eine offene Zukunft beschieden, denn sie greift in eine Welt aus, die in der Zeit weiterläuft, sozusagen ohne Rücksicht auf die Entscheidung Zustände ändert und aus der Entscheidung etwas anderes macht, als ursprünglich geplant war. Und selbst wenn alles gut geht, liegt es in der Regel nicht allein an der Entscheidung selbst, die ja sehr informiert und überlegt getroffen sein kann; das Ergebnis bleibt kontingent. Die Kontingenz von Entscheidungen kann geradezu als weiteres Kennzeichen der modernen Gesellschaft gesehen werden.1 Die Zurechnung eines Ereignisses auf einen Entscheider bedeutet nun aber nicht, daß der Zurechnende in jedem Fall der Entscheider selbst sein muß. Bei mißliebigen Ereignissen liegt es nahe, die Verantwortung an anderer Stelle zu lokalisieren und das Ereignis so zu beschreiben, daß man ihm unfreiwillig - eben durch einefremde Entscheidung - ausgesetzt ist. So wird man unfreiwillig zum Passiv-Raucher, wenn jemand anderes sich entscheidet, eine Zigarette anzuzünden. Wir haben damit die Unterscheidung von Risiko und Gefahr gewonnen, eine Unterscheidung, die berücksichtigt, daß es einen Unterschied macht, ob man sich für ein Risiko entscheidet (z.B. Rauchen) oder einer Gefahr ausgeliefert wird (z.B. Passiv-Rauchen). Die Unterscheidung basiert auf der Zurechnung der Entscheidungsinstanz2 und konstituiert die soziale Differenz von Entscheidern und Betrof-
1
Vgl. N. Luhmann (1992a): Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft; in: ders., Beobachtungen der Moderne, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 93-128. 2
Vgl. zu den Zurechnungsprozessen ausführlich das Kapitel IV.
I. Einleitung
fenen, die in unserem Zusammenhang von großer Bedeutung sein wird.3 Um auch ohne die Zurechnungsproblematik und die entsprechende Unterscheidung von Risiko und Gefahr schon hier über offene Zukünfte reden zu können, benutzen wir als den Einheitsbegriff diesseits der Unterscheidung den Begriff Unsicherheit. Die Beschäftigung mit Unsicherheit als ungewisse Zukunft ist auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur natürlich ein altes Thema, etwa als Gegenstand der Implementationsforschung mit dem Konzept der unerwünschter Nebenfolgen. Dabei handelt es sich um Reibungsverluste in der Umsetzung politischer Programme oder auch um Motivationsprobleme beteiligter Stellen, aus welchen Gründen auch immer, nicht "mitzuziehen".4 Die Begrifflichkeit der "unerwünschten Nebenfolgen" stellt allerdings nicht die Frage danach, für wen ein eingetretenes Ereignis eigentlich unerwünscht ist; schließlich muß man ja zwischen verschiedenen Beobachtungsmöglichkeiten unterscheiden. Statt die Perspektive desjenigen zu übernehmen, der eine Entscheidung fällt und damit für sich das Risiko unerwünschter Nebenfolgen in Kauf nehmen muß, soll hier eine gesamtgesellschaftliche Perspektive eingenommen werden. Gerade die Pluralität an gesellschaftlichen Beobachtungsmöglichkeiten tritt als ganz eigene Quelle von Unsicherheit vor allem für die Politik auf. Es ist die Unsicherheit darüber, wie in der Gesellschaft Entscheidungen und deren mögliche oder tatsächliche Konsequenzen wechselseitig beobachten und zugerechnet werden. Diese kommunikative Seite von Unsicherheit ist der eigentliche Gegenstand der Arbeit. Nehmen wir als Beispiel die Hochtechnologie. Ein Kraftwerk stellt sich je nach Beöbachterperspektive ganz unterschiedlich dar, so für den Betreiber als betriebswirtschaftliche Chance zur Gewinnerzielung, für eine Regierung unter dem Gesichtspunkt der flächendeckenden Stromversorgung oder zur Demonstration von Handlungsfähigkeit und schließlich für Atomkraftgegner als Bedrohung. Der kommunikative Charakter dieses Risikos bzw. dieser Gefahr wird hier besonders deutlich, da die Kritik sich nicht davon irritieren läßt, daß noch nichts passiert ist und die andere Seite sich nicht dadurch irritieren läßt, nicht garantieren zu können, daß auch in Zukunft nichts passieren wird. Gerade Hochtechnologien, aber auch andere Formen neuartiger Risiken, die noch zu definieren sein werden, haben
3
Vgl. N. Luhmann (1991b): Entscheider und Betroffene; in: ders., Soziologie des Risikos, Berlin/ New York: de Gruyter, S.l 11-134; wir kommen unter Pkt. IV.5 darauf zurück. 4
Zu Implementations- und Motivationsproblemen, sowie Wissens- und Steuerbarkeitsproblemen vgl. R. Mayntz (1987): Politische Steuerung und gesellschaftliche Steuerungsprobleme - Anmerkungen zu einem theoretischen Paradigma; in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft (hrsg. von T. Ellwein/ J.J. Hesse/ R. Mayntz/ F.W. Scharpf, Bd.l, Baden-Baden, S. 89-110 (95ff).
I. Einleitung
14
schon als Entscheidung einen enorm hohen Politisierungseffekt und nicht erst dann, wenn es zu Unfällen und Katastrophen kommt. Das hängt mit der Typik neuer Risiken zusammen, die eine eigentümliche Risikowahrnehmung und kommunikation konstituiert.5 Da neue Risiken sich dadurch auszeichnen, daß sie abstrakt und schleichend sind, wie Radioaktivität oder AIDS-Erreger und die Belastungen in Art und Umfang oft gar nicht bekannt sein können, und zwar weder der zuständigen Verwaltung noch den Betroffenen selbst, sind sie etwas konstitutiv anderes als Risiken, die man vielleicht als "mechanisch" bezeichnen kann. Gemeint ist damit ein verfügbares Kausalwissen über Ursache-WirkungsZusammenhänge, anhand dessen sich Entscheidungen für oder gegen eine Technik orientieren können. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei abstrakten Risiken um erwartete und behauptete Sicherheiten bzw. Gefahren. 6 Die Fälle, in denen es zur strategischen Zurückhaltung von Informationen kommt und die Öffentlichkeit mit Sicherheitsbehauptungen versorgt wird,7 stellen wenn überhaupt nur einen Sonderfall dessen dar, was hier gemeint ist. Statt um strategische Zurückhaltung von Information geht es hier viel grundsätzlicher darum, sich trotz ungewisser Zukünfte festlegen zu müssen und darum, unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen das wie geschieht.8 Unsicherheiten in unserem obigen Sinne müssen, um auf der Bildfläche der Gesellschaft oder der Politik zu erscheinen, als Kommunikation auftreten. Denn
5
Siehe dazu ausführlich das Kapitel II.
6
" (...) in Gefährdungslagen (bestimmt) das Bewußtsein das Sein (...)", U. Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S.31. Beck reaktiviert damit eine wissenssoziologische Grundlage, die wir teilen, vorausgesetzt Bewußtsein wird durch Kommunikation ersetzt. 7
Vgl. Ch. Perrow (1987): Normale Katastrophen. Die unvermeidbaren Risiken der Großtechnik, Frankfurt/New York: Suhrkamp, S. 1-13 (Vorwort zur deutschen Ausgabe). 8
Wir grenzen uns damit ab von einer Argumentationfigur des "non-decision" im Sinne von Bachrach/ Baratz; vgl. P. Bachrach/ M.S. Baratz (1963): Decisions and Nondecisions: An analytical Framework; in: The American Political Science Review 57, S. 632-642 (neu abgedruckt in: dies. (1970): Power and Poverty: Theory and Practice, New York). Eine Tradition, an die U. Beck in einer Luhmann-Kritik anzuknüpfen scheint, wenn er die von Luhmann angenommene Kommunikationsabhängigkeit von Risiken so auslegt, als ob man Risiken durch Kommunikationsverbot, durch eine Art "Maulkorbpolitik" aus der Welt schaffen könnte, nach dem Motto: "Schweigen entgiftet!" (U. Beck 1988: Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 171). Das verkennt aber die "systemtheoretisch-konstruktivistischen" Grundannahmen Luhmanns, die wir noch offen legen müssen. Außerdem könnte man empirisch auf Beck antworten, daß sich in einer funktional differenzierten und pluralistischen Gesellschaft ohnehin immer jemand findet, der über Risiken kommuniziert.
I. Einleitung
Gesellschaft besteht aus oder ist Kommunikation.9 Die rein physischen Ereignisse einer Objektwelt "sprechen nicht für sich", sondern sind nurmehr Irritationen - fast könnte man sagen Gesprächsstoff - für die Gesellschaft, die sie nutzen kann, um zu kommunizieren und sich somit zu reproduzieren. Wir haben es dabei nicht mit einem "qualitativen Sprung" eines objektiven Vorkommnisses in die Sphäre der Gesellschaft zu tun, denn das hieße, eine Objektwelt als Grundlage der Kommunikation überhaupt vorauszusetzen. Es handelt sich also nicht um eine Übertragung von der einen (objektiven) Welt in die andere (gesellschaftliche) Welt, die dann entweder adäquat ausfällt oder kognitiv bzw. ideologisch verzerrt sein kann. Vielmehr erschafft die Gesellschaft die soziale Welt in einem ganz konstitutiven Sinne nach eigenen, kommunikativen Maßstäben. Dazu gehört auch die Kommunikation über Risiken mit ihren typischen Ausprägungen von Sicherheitsversprechen, der demonstrativen Betonung von Kompetenz, Billigung, Mißtrauen, Angst, Betroffenheit, Beschwichtigungen, politische Auseinandersetzungen, Expertise, etc. Selbstverständlich darf die Aussage nicht so mißverstanden werden, daß Kommunikationen einfach etwas erfinden können, wonach ihnen gerade der Sinn steht.10 Natürlich muß beispielsweise ein Flugzeug tatsächlich abgestürzt sein, um darüber kommunizieren zu können, genau das aber geschieht nach gesellschaftlichen Standards wie fieberhafte Fehlersuche, Überprüfungen, Bildung einer Untersuchungskommission, Zurechnung von Schuld, Hochsetzen von Sicherheitsstandards, etc. Als Anlaß für gesellschaftliche Kommunikation bleibt die Welt "draußen" unentbehrlich, sie wird deshalb aber nicht zu deren Ursache. Die Kommunikation als Kommunikation erklärt sich nicht aus der Objektwelt, alsofremdreferentiell, sondern aus sich selbst heraus, eben selbstreferentiell. D.h. in Orientierung daran, was an Kommunikationen bereits vorliegt, dieses aufnehmend und damit Anschlußkommunikationen auslösend. Es ist dies eine Orientierung an gesellschaftlichen Kriterien wie allgemeine Erwartungen, Tabus, rechtlich Legalem, politisch Möglichem, wissenschaftlichen Erkenntnissen und Standards, aber auch massenmedial verbreiteten Stimmungen, politischen Strömungen, etc. Die Kommunikation, so kann man auch sagen, setzt sich fort, nicht weil sie die Objektwelt adäquat abbildet, sondern weil sie interne Anschlüsse ermöglicht.11
9 So N. Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?, Opladen: Westdeutscher Verlag (insb. S. 62ff). 10 Von Erfindungen wie Gerüchte und Klatsch sehen wir hier ebenso ab wie oben von strategischer Interessenspolitik. 11
Vgl. N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 55 lf, dort im Hinblick auf Evolution.
I. Einleitung
16
Für den Spezialfall der Politik als gesellschaftlichem Teilsystem besteht dementsprechend die "Wirklichkeit" darin, politisch zu kommunizieren. Etwa im Hinblick auf das Ozonloch heißt das nichts anderes, als daß die Politik nicht das Klima macht, sondern nurmehr Klimapolitik, etwa in Form von Klimagipfeln oder Grenzwertsetzung. Was hier wie selbstverständlich klingt, scheint doch allzuoft übersehen zu werden, von gesellschaftlichen Beobachtern wie von der Politik selbst, die allein schon durch ihren Sprachgebrauch oft den Eindruck erweckt, im Direktkontakt zu ihren Gegenständen zu stehen. Die Kommunikationsabhängigkeit von Ereignissen im allgemeinen und Unsicherheit im besonderen läßt sich an einem gesellschaftspolitischen Beispiel der früheren Bundesrepublik zeigen. In der Diskussionen um die zivile Nutzung der Kernkraft (ab den späten 60er Jahren, mit Breitenwirkung wohl erst in den 70er Jahren) wurde man öffentlich auf die Gefahren radioaktiver Belastungen aufmerksam. In dieser Situation tauchte plötzlich auch eine Diskussion über frühere Atomversuche der 50er und 60er Jahren auf, ein Thema also, das nachträglich geboren wurde. Nicht interessant ist daran, daß über Ereignisse nachträglich debattiert wird, sondern daß sie genau darüber eigentlich erst erschaffen werden. Denn ohne Kommunikation kommt das Ereignis als gesellschaftliches - also in dem uns hier allein interessierenden Sinne - gar nicht vor! 12 Die Welt beobachten heißt, mit Heinz von Foerster formuliert, die Welt "errechnen".13 Die bis hierher getroffenen, theoretischen Entscheidungen haben erheblichen Einfluß auf die Analyse des Verhältnisses von Politik und Gesellschaft. Es muß daher soziologisch verwundern, wenn die gesellschaftlichen Beobachtungen trotz ihrer Vielfältigkeiten und konkurrierender Möglichkeiten je für sich in Anspruch nehmen, mit ihrer Blickrichtung auf die Welt nicht lediglich einen möglichen, aber nicht zwingenden Standpunkt zu vertreten, sondern einen un-
12
Und darüber hinaus kann die Gesellschaft nicht einmal sehen, daß es nicht vorkommt - denn dann gäbe es das Ereignis bereits. Denn eine Beobachtung, oder Kommunikation "(...) sieht nicht, daß sie nicht sieht, was sie nicht sieht (...)", N. Luhmainn (1993c): Die Paradoxie des Entscheidens; in: Verwaltungs-Archiv 84 (3), S. 287-310 (293). 13
Zum Begriff des "Errechnens" siehe H.v. Foerster (1981): Observing Systems, Seaside Cal.; ferner ders. (1993): Wissen und Gewissen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp: "Das Wort 'rechnen' kommt von einem im Hochdeutschen nicht mehr vorhandenen Adjektiv, das 'ordentlich, genau' bedeutet. 'Rechnen' heißt also ursprünglich 'in Ordnung bringen, ordnen'. Dazu gehört u.a. auch 'Rechenschaff und 'rechf. Es braucht damit also keineswegs auf numerische Größen Bezug genommen werden. Ich möchte den Begriff des 'Rechnens' in diesem sehr allgemeinen Sinn verwenden, um jede (nicht notwendig numerische) Operation zu benennen, die beobachtete physikalische Entitäten ("Objekte") oder deren Symbole transformiert, modifiziert, ordnet, neu anordnet usw. " (S. 32). Betonung im Original).
I. Einleitung
zweifelhaft definitiven. In jeder Perspektive scheint die Sache für sich zu sprechen, die es aber für andere gar nicht gibt. Abweichende Beobachtungen gelten als kognitive Fehlleistungen oder als ideologische Verbohrtheit. Oder es wird eine böse Absicht unterstellt, etwa die, das Gemeinschaftswohl dem bornierten Einzelinteresse zu opfern. Die Konstruktionsabhängigkeit von Beobachtungen tritt besonders deutlich zu Tage am Gegenstandsbereich der Hochtechnologie.14 Sie generiert Risiken, die am allerwenigsten eine Referenz auf eine externe Objektwelt erlauben. Die Beobachtung von Hochtechnologie-Risiken ist daher in besonders plastischer Weise selbstreferentiell, d.h. von gesellschaftlichen Kriterien getragen, die im Verlauf der Arbeit näher bestimmt werden müssen. Andererseits muß man sehen, daß Unsicherheiten in dem sehr allgemeinen Sinne der Unvorhersagbarkeit genuin an jeder Entscheidung auftreten und erst recht an politischen Entscheidungen, die ein ausdifferenziertes Kollektiv binden sollen. Für eine politische Entscheidungstheorie darf daher der Fall Hochtechnologie nur ein besonders darstellungsfreundlicher Grenzfall sein - wie der luftleere Raum für die Physik.15 Entwickeln wir unser konstruktivistisches Argument auch zunächst am Sonderfall neuer Technologien (vgl. Kap. II), hindert uns das nicht daran, im zweiten Teil der Arbeit (insbesondere im Kapitel IX) theoretische Verallgemeinerungen vornehmen. Am Beginn unserer Analyse des gesellschaftlichen Unsicherheits-Managements steht das Problem der Intransparenz. Jeder, der die Meldungen in den Massenmedien verfolgt, wird Tag für Tag mit einer nicht zu übersehenden Flut an Informationen, Nachrichten, Daten, Forschungsergebnissen, Expertenmeinungen, Statements und Aufrufen für oder gegen etwas konfrontiert. Dennoch - oder besser: gerade wegen der Informationsflut - gibt es keinen gesellschaftlichen Ort, der bindend darüber informieren könnte, was "der Fall ist".16 Die anwachsenden Kommunikationsmöglichkeiten verringern nicht die Intransparenz, sondern vergrößern sie; je mehr informiert wird, um so mehr wird informiert - beispielsweise in Form von Gegendarstellungen. Und das in einer Gesellschaftsstruktur, die keine Instanz mehr kennt, die autoritär entscheiden kann, was richtig und was falsch ist. Informationsvielfalt kann nicht durch die Unterscheidung von richtig und falsch begründet werden. Intransparenz tritt daher nicht auf als kognitive
14
Vgl. N. Luhmann (1991a): Der Sonderfall Hochtechnologie; in: ders., Soziologie des Risikos, Berlin/ New York: de Gruyter, S. 93-110. 15
Daher auch das Plädoyer für eine Oberwindung der technikzentrierten Risikoforschung; vgl. W. Bonß (1991): Unsicherheit und Gesellschaft - Argumente für eine soziologische Risikoforschung; in: Soziale Welt 42 (2), S. 258-272. 16
N. Luhmann (1993b): "Was ist der Fall?" und "was steckt dahinter?". Die zwei Soziologien und die Gesellschaftstheorie, in: Zeitschrift für Soziologie 22 (4), S. 245-260.
2 Heidenescher
I. Einleitung
18
Grenze, die es gelte, durch Forschungsanstrengungen und Kompetenz im Rahmen eines Nullsummenspiels allmählich zu überwinden, sondern ist konstitutiv an der modernen Gesellschaft beteiligt. Wie im Wettlauf zwischen Hase und Igel ist bei aller Bemühung um Informiertheit die Intransparenz immer schon da. Nichtkonkurrenzfreie Gesellschaftsbeschreibungen sind leicht zu beobachten; das wird wohl von niemandem bestritten. Ihre soziologische Analyse erfordert aber nicht unerhebliche theoretische Anstrengungen. Die soziologischen Debatten über den gesellschaftlichen und speziell politischen Umgang mit denjenigen Unsicherheiten und Irritationen, die der Gesellschaft aus technischen und ökologischen Entscheidungen und Entwicklungen erwachsen, ist so aktuell wie vielseitig. Während die Bestandsaufnahmen der "Risikogesellschaft" 17 jenseits theoretischer und methodologischer Unterschiede in der soziologischen Literatur viele Gemeinsamkeiten aufweisen, laufen die Therapievorschläge fast unvereinbar auseinander. Vor allem hier zeigen sich erhebliche theoretische Differenzen. 18 Wohl unumstritten ist dagegen die Verabschiedung strenger Rationalitätskonzepte (die nur in ökonomischen Lehrbüchern zu finden sind) und paternalistischer Staatskonzepte. Durchweg angenommen werden einige, nicht zu übersehene Momente gesellschaftlicher Entwicklung, so vor allem die Eigendynamik von Funktionssystemen.19 Umstritten ist vielmehr der weitere Umgang mit diesem Befund. Die dominierende Demarkationslinie zwischen einer "handlungstheoretischen" und einer "systemtheoretischen" Soziologie liegt in der Beobachtung dieser Ausdifferenzierungen und Verselbständigungen unter Gesichtspunkten der Steuerung und Steuerbarkeit einerseits und Gesichtspunkten der Evolution andererseits. Das systemtheoretische Evolutionskonzept läßt sich am besten darüber beschreiben, von was es sich abgrenzt, also qua Negativ-Definition. Danach ist ein evolutionärer Verlauf nicht gekennzeichnet durch Rationalität20, nicht gekennzeichnet durch Konsens und nicht gekenn-
17 Vgl. U. Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 18
Rein voluntaristische Ansätze, die die Lösung im Umgang mit riskanten Sachlagen vor allem im guten Willen der Menschen sehen, werden wohl kaum noch vertreten; der Appell an den guten Willen gehört denn auch eher in politische Reden als in eine soziologische Analyse des politischen Systems. 19
Vgl. etwa den Sammélband R. Mayntz/ B. Rosewitz/ U. Schimank/ R. Stichweh (1988): Differenzierung und Verselbständigung. Zur Entwicklung gesellschaftlicher Teilsysteme, Frankfurt a.M./ New York: Campus. 20
Das sei hier nur der Vollständigkeit halber gesagt, denn auch in Theorien, die nicht explizit als Evolutionstheorien auftreten, befindet sich der Rationalitätsbegriff seit langem in Auflösung, wie die Diskussionen auf dem Gebiet von MRational-Choice"-Theorien
I. Einleitung
19
zeichnet durch Intentionalität.21 Der Operationsmodus heißt vielmehr Selbstreferenz; er kennt als Außeneinwirkung nur Irritationen, deren Wirkungen in Richtung und Ausmaß aber im Dunkeln liegen. Anders die Perspektive, wenn die Theorie von Intentionalität ausgeht: dort wird mit der Unterscheidung von Erfolg und nicht-intendierten Nebenfolgen gearbeitet. In "kausal-genetischen" Ansätzen stehen die Nebenfolgen dann zur Bearbeitung an.22 So finden sich im Anschluß an modifizierte Rationalitätsannahmen23 Überlegungen zu Strategiemöglichkeiten des Handelns unter Bedingungen von Unsicherheit und Intransparenz.24 Die vorliegende Arbeit ist dicht an die Theorie sozialer Systeme Luhmanns gebaut, stellt daneben aber auch den Versuch dar, andere Ansätze mit aufzunehmen. Wir wählen dazu eine Kombination mehrerer "Konstruktivismen". KnorrCetina unterscheidet verschiedene "Spielarten des Konstruktivismus"25, so den "kognitionstheoretischen (= erkenntnistheoretischen) und den "empirischen". Ersterer ist eine Verbindung aus Neurobiologie (Maturana, Varela) und Systemtheorie (v. Foerster, Luhmann), letzterer speist sich u.a. aus anthropologischen
zeigen, vgl. nur J. Elster (1986): Rational Choice, Oxford (insb. S. 1-33); ferner die Aufsatzsammlung, herausgegeben von J. Elster (1987): Subversion der Rationalität, Frankfurt a.M./ New York. 21
Vgl. N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 549-615 (insb. S. 550f); ferner ders. (o.J.): Die Politik der Gesellschaft, Ms. Bielefeld, S. 196-211. 22
Vgl. R. Mayntz (1988): Funktionelle Teilsysteme in der Theorie sozialer Differenzierung, in: R. Mayntz/ B. Rosewitz/ U. Schimank/ R. Stichweh, Differenzierung und Verselbständigung, Frankfurt a.M./ New York: Campus, S. 11-44. "Kausal-genetische" Konzepte wenden sich gegen rein evolutionäre Vorstellungen sozialer Entwicklungen. Sie betonen die immerhin graduelle Gestaltbarkeit gesellschaftlicher Entwicklungen durch Ursachenforschung, Entdeckung konkreter Zusammenhänge, Strategien, Intentionen und Ressourceneinsatz. 23
Vgl. als Überblick neuerer Überlegungen J. Elster (1986): Rational Choice, Introduction, S. 1-33. 24 Vgl. H. Wiesenthal (1990): Unsicherheit und Multiple-Self-Identität: Eine Spekulation über die Voraussetzungen strategischen Handelns, MPIFG Discussion Paper, Köln. Ganz anders gelagert und nur noch selten zu finden sind Überlegungen zu einem "dialektischen" Gesellschaftsverlauf, die in der Hoffnungen darauf münden, daß der riskante Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung ein progressives Potential enthält und qualitativ umschlagen wird, wenn sich die herkömmlichen Institutionen des Risikomanagements (vor allem Politik und Wissenschaft) zu sehr und allzu häufig widersprechen und versagen; vgl. U. Beck (1988): Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 25
Vgl. K. Knorr-Cetina (1989): Spielarten des Konstruktivismus. Einige Notizen und Anmerkungen; in: Soziale Welt 40 (ιΛ), S. 86-96.
2*
I. Einleitung
20
Untersuchungen (Geertz) und ist wissenssoziologisch orientiert. Hierher gehören auch die kulturtheoretischen Arbeiten von Mary Douglas und Aaron Wildavsky. Über diesen Zweig liest man bei Knorr-Cetina: "(Es geht um die) Konstruktionsmaschinerie von Wirklichkeit und der Konstruktionsprozesse der Teilnehmer (...) Realität hat keinen 'Kern1, keine 'Essenz', die man unabhängig von den sie konstituierenden Mechanismen identifizieren könnte."26 Hinreichend abstrakt betrachtet, kennzeichnet beide Spielarten des Konstruktivismus die Figur des strange loop im Sinne Hofstadters. 27 Danach läßt sich ein Beobachter (im Sinne der Systemtheorie) nicht vom Gegenstand der Beobachtung trennen, sowie sich ein Teilnehmer nicht von der Realität trennen läßt, die er selbst mitkonstituiert hat.28 Es erscheint daher nicht abwegig, die Systemtheorie Luhmanns und die Kulturtheorie Douglas' und Wildavskys' voneinander profitieren zu lassen. Die neueren Entwicklungen der Systemtheorie Luhmanns (etwa seit 1988) zeichnen sich dadurch aus, daß in einer "konstruktivistischen Wende" der Kommunikationsbegriff seinerseits als Form von Beobachtung umgearbeitet wird. Beobachtungen sind Unterscheidungen zweier Seiten, die einem Beobachter zur Verfügung stehen, um eine Seite zu bezeichnen und darüber Identität zu erlangen. Da die andere Seite aber nicht Nichts ist, sondern ihrerseits zu einer - eben anderen - Identität führt, haftet an der Entscheidung für eine Seite notwendigerweise Kontingenz.29 Beobachtungen sind in einer modern ausdifferenzierten Gesellschaft die "a priori aller Relativismen".30 Diese Relativismen sind standortgebunden, d.h. beobachterabhängige Sichtweisen in Bezug auf einen Sachverhalt, (der damit eigentlich als solcher aufhört zu existieren). Die Relativismen treten in verschiedenen Dimensionen auf, so erstens in zeitlicher Hinsicht.31 Dabei wird in der Gegenwart die Vergangenheit und die Zukunft so aufeinander bezogen, daß aus demfrüher eine Erwartung an das später entsteht. Man kann dann beispielsweise einer Technologie vertrauen, weil bisher nichts passiert ist und entsprechend an ihr festhalten wollen. Andererseits kann trotz sicherer Vergangenheit im Hinblick auf
26
K. Knorr-Cetina (1989): Spielarten des Konstruktivismus, S.91f.
27
D.R. Hofstadter (1985): Gödel, Escher, Bach. Ein endlos geflochtenes Band, Stuttgart: Klett-Cotta (insb. das Kapitel 20, S. 728ff). 28
Eine Veranschaulichung aus der Literaturgeschichte mag das Gemeinte verdeutlichen: Ein Autor namens James Joyce hat "Ulysses" erschaffen, aber genauso hat umgekehrt "Ulysses" den Autor als James Joyce erschaffen. 29
Dazu ausführlicher das Kapitel III.
30
N. Luhmann (1992): Ökologie des Nichtwissens, in: ders., Beobachtungen der Moderne, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 149-220 (157). 31
Vgl. N. Luhmann (1992): Ökologie des Nichtwissens, S. 171.
I. Einleitung
die Zukunft Mißtrauen oder sogar Angst entstehen. Die Vergangenheit spielt für die Zukunft dann keine Rolle und beispielsweise ein Ausstieg aus der Atomkraft scheint dringend geboten. Zweitens haben wir den räumlichen Relativismus. Er bezieht sich auf die Rolle des lokalen Standorts eines Beobachters, man kann auch sagen, auf das Verhältnis von Nähe und Ferne eines Beobachters im Hinblick auf den Gegenstand der Beobachtung. Ist ein Atomkraftwerk gefahrlich, obwohl es weit weg ist und in der Ukraine steht? Ist die Technologie vielleicht ganz unabhängig von Kilometerzahlen gefährlich oder erst wenn sie am eigenen Stadtrand steht? Oder sogar auch dann noch nicht, weil die Technologie sicher ist? Auch hier werden wie in der Zeitdimension die Beobachtungen in der Gesellschaft auseinandergehen. Drittens fragt die Sachdimension der Relativismen nach der Bedeutung und Gewichtung von Sachverhalten. Was ist gefahrlicher: Ein neuer Flughafen oder neu aufkeimende Ausländerfeindlichkeit? Was schafft die größere Betroffenheit, die immer schlechten Meldungen der Bundesanstalt für Arbeit oder das Waldsterben? Die Interessensdivergenzen zwischen Ökonomie und Ökologie gehören ja mittlerweile zum klassischen Repertoire politischer Kontroversen. Der vierte, der soziale Relativismus besteht in der Unterscheidung von Betroffenen und Entscheidern.32 Während diese nach (eigenen) Nutzenkalkülen entscheiden, sehen sich jene Situationen ausgesetzt, auf die sie selbst keinen Einfluß haben. Dennoch handelt es sich nicht um Schicksal, denn wenn die Belastungen auch nicht auf eigene Entscheidungen zurückgehen, so doch auf fremde; es bleiben also Entscheidungen in der Gesellschaft und sind nicht etwa von Gott gewollte Prädestinationen. Jede Beobachtung vermehrt nur die Perspektivenvielfalt, die moderne Gesellschaft erscheint als multiperspektivisch und polykontextural.33 Interessant daran ist nicht so sehr, daß es verschiedene Meinungen gibt und wir in einer pluralistischen Gesellschaft leben; das ist ohnehin klar. Entscheidend ist, wie wir noch ausführlicher zeigen müssen, daß verschiedene Beobachter gar nicht in derselben Welt leben und nicht über identische Gegenstände reden, wenn sie denn mit- bzw. gegeneinander reden. Ein einfaches Beispiel aus der Tagespresse zeigt das Gemeinte:34 Dort geht es um den Bau eines Autobahnabschnitts in RheinlandPfalz. Das Oberverwaltungsgericht in Koblenz fordert in Anlehnung an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, daß neu zu bauende Autobahnabschnitte vorab einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen. Das Verkehrs-
32 Vgl. N. Luhmann (1991b): Entscheider und Betroffene; in., ders., Soziologie des Risiko, S.l 11-134; ferner: N. Luhmann (1992): Ökologie des Nichtwissens, S. 171. 33
"Die (post)- moderne Gesellschaft erscheint multiperspektivisch oder, wie man in Anlehnung an Gotthard Günther formulieren kann, polykontextural", P. Fuchs (1992): Die Erreichbarkeit der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 7. 34 "Gericht vermißt Umweltprüfung", in: Frankfurter Rundschau vom 30. Dezember 1994, S. 1.
I. Einleitung
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ministerium in Mainz bedauert das mit der Begründung von Nachteilen fur die Wirtschaftsstruktur der Region. Drei Sichtweisen auf die Welt treffen hier aufeinander: Ein Rechtsspruch wird politisch kommentiert im Hinblick auf mögliche ökonomische Überlegungen, mit der Konsequenz, daß die je spezifischen Beobachter gar nicht über denselben Gegenstand reden; sie leben in einer je anderen Welt.35 Ein anderes Beispiel: Wenn indische Hindus in den Ganges steigen, tun sie dies aus religiösen Beweggründen; in Deutschland in den Rhein zu steigen, stünde dagegen eher unter gesundheitlichen Gesichtspunkten. Während Momente wie Schadstoffgehalt, Meßwerte und Grenzwerte bei uns im Zusammenhang mit Flüssen ganz oben in der Aufmerksamkeitsskala stehen, spielen sie für Hindus gar keine Rolle. Solche Unterscheidungsdifferenzen treten in der Gesellschaft unvermeidbar und massenhaft auf. Eine multiperspektivische Gesellschaft kann als "hyperkomplex" bezeichnet werden, als System, in dem "intern eine Pluralität von Komplexitätsbeschreibungen prozessieren (...)" 3 6 Auf der Gesellschaftsebene ist damit ein umfassender, flächendeckender und stabiler Konsens im Umgang mit einer unsicheren, offenen Zukunft nicht zu erwarten. Normativ anspruchsvolle Konzepte einer an universellen Werten orientierten Politik "im Interesse aller" 37 oder neu belebte Konzepte einer "civil society" (Kommunitarismus)38 müssen vor dem Hintergrund einer polykontexturalen Gesellschaft als illusorisch bezeichnet werden. Nochmals sei betont, daß die Pluralität von Meinungen hier nicht der entscheidende Punkt ist, vielmehr geht es uns um die Konstruktion verschiedener Welten durch gesellschaftliche Beobachtungsverhältnisse.39 Jede Entscheidung, und erst recht jede politische Entscheidung, die unter Dauerbeobachtung von Parteienkonkurrenz, Massenmedien und (kritischer) Öffentlichkeit steht, ist riskant, da sie eben nicht nur in eine unsichere Zukunft ausgreift, sondern in ihrem Vollzug nicht kontrollieren kann, wie sie ihrerseits mit welchen Konsequenzen beobachtet wird. Ergebnisse zeigen sich erst immer post festum, weil sich im Laufe der Zeit Handlungs- und Erfolgsbedingun-
35
Beobachtungstheoretisch formuliert kann man auch sagen, die Welt ist "dekonstruiert", vgl. dazu das Kapitel III. 36
P. Fuchs (1992): Die Erreichbarkeit der Gesellschaft, S. 42.
37
Vgl. J. Habermas (1992): Faktizität und Geltung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp (insb. Kap. VIII: Zur Rolle von Zivilgesellschaft und politischer Öffentlichkeit; S. 399-467). 38
"Kommunitarismus" ist kein einheitliches Konzept, und die hier geäußerte Kritik betrifft die "harte", basisdemokratische Variante etwa von Charles Taylor oder Benjamin Barber und sicher nicht die liberale Fassung Michael Walzers, der gerade gesellschaftliche "Sphärentrennung" stark macht; vgl. W. Reese-Schäfer (1994): Was ist Kommunitarismus?, Frankfurt a.M./ New York: Campus. 39
Genaueres zum Begriff der Beobachtung folgt in Kapitel III.
I. Einleitung
gen in einer Weise ändern können, die der Entscheider nicht mehr beeinflussen kann.40 Die Nähe solcher Überlegungen zur Systemtheorie erklärt sich aus der Absicht, die gesellschaftliche Entwicklung nicht durch die Unterscheidung von intendierten und nicht-intendierten Konsequenzen einer Zwecksetzung zu erklären. Für eine Analyse komplexer Gesellschaften ist diese verbreitete Unterscheidung zwar notwendig, denn schließlich wird jeder - auch ein Politiker - sofort einräumen, daß sein Handeln nicht-beabsichtigte Nebenfolgen mit sich bringen kann. Sie ist aber für einen theoretischen Ansatz nicht hinreichend. Zwei Argumente sprechen dagegen. Einmal das Konzept der funktionalen Differenzierung, in dem festgehalten wird, "(...) daß die wichtigsten Funktionssysteme, vor allem Wissenschaft, Wirtschaft, Recht und Politik, von sich her nicht auf Bearbeitung ökologischer Probleme eingerichtet sind."41 Von nicht-intendierten Nebenfolgen zu reden, macht aber nur Sinn im Hinblick auf einen (ökologischen) Zweck, den die genannten Systeme gar nicht haben. Der zweite Grund liegt darin, daß die moderne Gesellschaft eine Vielzahl ko-existierender Beschreibungen anfertigt, von denen keine einen höheren Grad an Gültigkeit für sich in Anspruch nehmen kann als eine andere Beschreibung. Was im Kontext von Zweck-Mittel-Vorstellungen und zweckgerichtetem Handeln als nicht-intendierte Nebenfolgen auftritt, sind nur für den Zwecksetzenden selbst nicht-intendierte Nebenfolgen, während sie für einen anderen Beobachter nichts weiter sind als ein pool möglicher Informationen. Beispielsweise erhöht die Politik eine Steuer und verteuert damit den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die dadurch ausgelöste Kapitalflucht und Gefährdung von Arbeitsplätzen ist für die Politik in der Tat eine nicht-beabsichtigte Nebenfolge, die ihrerseits dann nachgesteuert werden muß. Für das Wirtschaftssystem aber ist das nichts anderes als eine neue Rahmenbedingung, die bestimmte Anschlußentscheidungen nahelegt und andere damit unwahrscheinlich macht. Wie immer sie auch ausfallen mögen, sie orientieren sich an ökonomischen Rationalitätsstandards und nicht (oder nicht primär) an politischen Erwägungen. Indem die Systemtheorie offene Zukünfte im allgemeinen und technisch-ökologische Probleme im besonderen als Medien gesellschaftlicher Reproduktion via
40
Es ist wie L. Carrolls Cricket-Spiel in "Alice im Wunderland": Ob das benutzte Schlagwerkzeug überhaupt geeignet ist, stellt sich ebenso erst nach dem Schlag heraus, wie die Plazierung der Tore, denn wo eben noch eines stand ist plötzlich Leere. Karl E. Weick (1985) faßt das kognitionstheoretisch in die Formulierung: "Wie kann ich wissen, was ich denke, bevor ich sehe, was ich sage?"; in: Der Prozeß des Organisierens, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 14. 41
Vgl. N. Luhmann (1991a): Sonderfall Hochtechnologie, S. 107. Eine ausführliche Begründung für das politische System müssen wir hier aufschieben, sie folgt im VII. Kapitel.
I. Einleitung
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Kommunikation thematisiert, fokussiert sie die Argumentation auf den Aspekt der Anschlußfähigkeit. Statt Problemlösungen zu suchen, argumentiert die Theorie: Hauptsache ist, daß es nur irgendwie weitergeht; so liest man bei Luhmann: "Überhaupt handelt es sich eher um die Botschaft, Probleme durch Nichtlösung zu lösen, das heißt: sie als Moment der Autopoiesis des Systems durch laufende Zielsuche und durch ein Umdirigieren von Strukturen (Optimisten sagen: durch Lernen) zu erhalten. Je unlösbarer das Problem, desto größer sein Reproduktionswert". 42 Obwohl erheblich von der Systemtheorie beeinflußt, soll die Arbeit in zweierlei Hinsicht über sie hinausgehen. Erstens werden wir vorschlagen, Beobachtungen als in kulturelle Kontexte eingebettet zu beschreiben.43 Dies läßt sich gerade an der Risikodiskussion gut aufzeigen. Zweitens wird die Arbeit auch neoinstitutionalistisch argumentieren.44 Wir benutzen die Bezeichnung Neo-Institutionalismus für eine Entscheidungstheorie, die zwar nicht einheitlich auftritt, an der sich aber doch einige markante Aspekte finden lassen, die für unseren Kontext bedeutend sind, so die Unsicherheit jeder Entscheidung und die Gefahr des nachträglichen Bedauerns sowie die Bildung von Präferenzen und Interessen aus Kontexten heraus, J. Elster spricht von exogener Präferenzbildung. 45 Genau diese Momente sind es auch, die die Systemtheorie und den Neo-Institutionalismus kompatibel machen. Die Arbeit unterscheidet zwischen instrumenteller Politik als substantieller Problemlösung (was immer das im Einzelfall bedeuten mag) und symbolischer Politik als Handhabung divergierender Erwartungen der Gesellschaft. Es soll anhand dessen gezeigt werden, wie die Politik durch die (symbolische) Inanspruchnahme von Steuerungskompetenz die gesellschaftlichen Ansprüche pariert, aber ihrerseits auch forciert. Das politische System gerät in eine sich selbst verstärkende Rückkopplungsschleife von eigener Arbeitsweise und gesellschaftlichen Ansprüchen. Zugespitzt formuliert beschäftigt sich die Politik mit selbsterzeugten
42
N. Luhmann (1992): Ökologie des Nichtwissens, in: ders., Beobachtungen der Moderne, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 149-220 (209). 43
Zum Begriff der Einbettung vgl. M. Granovetter (1985): Economic Action and Social Structure: The Problem of Embededdness; in: American Journal of Sociology 91 (3), S. 481-510. 44
Gemeint sind damit in erster Linie Veröffentlichungen wie die von J.G. March/ J.P. Olsen (1984): The New Institutionalism. Organizational Factors in Political Life; in: The American Political Science Review 78 (3), S. 734-749; dies. (1989): Rediscovering Institutions - The Organizational Basis of Politics, New York/ London: The Free Press; ferner W.W. Powell/ P.J. DiMaggio (1991, Hrsg.), The New Institutionalism in Organizational Analysis, Chicago/ London: The University of Chicago Press. 45
J. Elster (1987): Subversion der Rationalität, Frankfurt a.M./ New York: Campus (insb. S. 211-243).
I. Einleitung
Erwartungen aus der Gesellschaft. Zwischen Politik und gesellschaftlich beobachteten Unsicherheiten besteht danach die Logik eines strange loop im Sinne Hofstadters. 46 D.h. es sind zwei Seiten eines Verhältnisses, die sich wechselseitig mit Existenzgrundlagen beliefern und es unentscheidbar bleibt, was eigentlich zuerst da war. Die Entstehung dieses strange loops soll aus dem Operationsmodus der Politik als selbstreferentielles und operativ geschlossenes System erklärt werden. Die Politik erscheint dann vor allem unter dem Gesichtspunkt der Überforderung, dies insbesondere, wenn es um Lernchancen im Hinblick auf den Umgang mit offenen Zukünften geht. Deshalb versucht die Arbeit in einem Schlußkapitel, entsprechende Lernmöglichkeiten zu thematisieren. Es werden Vorschläge gemacht, um in die ausgeprägte Nüchternheit systemtheoretischevolutionstheoretischer Konzeptionen immerhin etwas Bewegung zu bringen, ohne normativ überzogenen Vorstellungen das Wort reden zu wollen. Die vorliegende Arbeit besteht aus zwei Hauptabschnitten. Der erste Abschnitt widmet sich der Analyse der gesellschaftlichen Konstruktion neuer Risiken. Dies geschieht mittels einer Theorie der Beobachtung in einem noch zu explizierenden Sinne. Im zweiten Hauptabschnitt wird das entwickelte Konzept für die Analyse des politischen Systems genutzt. Im einzelnen baut sich die Arbeit folgendermaßen auf: Im ersten Schritt liefern wir eine Beschreibung des primären Gegenstandes, nämlich neuartige Risiken sowie Ansätze ihrer theoretischen Bearbeitung (Kapitel II). Zunächst wird dazu das Neue an den neuen Risiken aufgezeigt. Es folgt eine Kritik sowohl an ingenieurwissenschaftlichen wie an kognitionspsychologischen Ansätzen, die die Risikothematik vor allem anhand der Unterscheidung von Experten und Laien und der Empfehlung für mehr Informationsgewinnung bearbeiten. Für unseren konstruktivistischen Ansatz stellt sich dagegen das Verhältnis von ökologischen Risiken bzw. Gefahren als strukturelle Kopplung dar. 47 Dabei handelt es sich um ein Verhältnis zweier Einheiten - hier Technik und Gesellschaft -, deren Strukturen füreinander unzugänglich sind. D.h. weder kann Gesellschaft die Technik determinieren, noch Technik die Gesellschaft. Die Verbindungen bestehen statt dessen in wechselseitigen Irritationen. Das impliziert vor allem die Unkontrollierbarkeit ausgelöster Effekte in der anderen Einheit. Das II. Kapitel abschließend werden die bis hierher getroffenen Theorieentscheidungen zu der Aussage gebündelt, daß der gesellschaftliche Umgang mit einer (technisch) unsicheren Zukunft sich nicht selbstevident aus der Objektwelt selbst erklärt, sondern auf soziale Definitionen zurückgeht.
46 47
Vgl. D.R. Hofstadter (1985): Gödel, Escher, Bach, S. 728ff.
Vgl. H.R. Maturana/ F.J. Varela (1984): Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens, Bern/ München: Scherz, S. 85; ferner für die Risikothematik N. Luhmann (1991a): Sonderfall Hochtechnologie, S. 108f.
I. Einleitung
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Daran anschließend entwickelt die Arbeit im III. Kapitel eine konstruktivistische Theorie des Verhältnisses von Gesellschaft und Objektwelt. Der Ansatz liegt in einer Theorie der Beobachtung, worunter sehr formal die Handhabung von Unterscheidungen zu verstehen ist. Unterscheidungen sind immer binär, bestehen also aus zwei Seiten. Indem der Beobachter sich auf eine Seite festlegt und die andere Seite damit ausschließt, konstituiert er seine (kontingente) Identität, beispielsweise als Betroffener. Beobachtungen, oder soziologischer: Kommunikationen sind rein gesellschaftlich und gestalten sich anhand von Erwartungen, sozialen Arrangements, in Organisationsstrukturen, in Interaktionsstilen, durch die Massenmedien; das sind die Orientierungspunkte des Handelns und Beobachtens. Die Objektwelt (z.B.Technik) dagegen kennt keine Erwartungen oder politischen Programme und Perspektiven und bleibt deshalb einem Beobachter unzugänglich, wie umgekehrt die Objektwelt ihrerseits den Beobachter nicht determinieren kann. Dennoch treten Beobachtungen in einer Weise auf, als seien es Aussagen über die Welt selbst, z.B. 'das Kraftwerk ist sicher' oder 'Gentechnologie ist zu gefährlich'. Solche Aussagen machen aus einer kontingenten Welt eine definitive. Der dazu notwendige, soziale Mechanismus besteht in Zurechnungsvorgängen.48 Zurechnungen oder Attributionen sind Vereinfachungen der Beobachtung zur eindeutigen Identifizierung und Lokalisierung der Ursache von Verantwortung für eine Entscheidung, für ein Ereignis, für eine Belastung, etc. Sie verhindern einen infiniten Regreß in der Ursachensuche und transformieren Unklarheiten in eindeutige Aussagen (vgl. Kapitel IV). Anschließend wird die Beobachtungs- und Zurechnungsthematik der vorangestellten Kapitel in einen kulturtheoretischen Rahmen gestellt (Kapitel V). Damit erhalten wir die Möglichkeit, die Einbettung perspektivischer Eigenarten in einen sozialen Kontext genauer zu beschreiben. Darüber hinaus kommt uns die hier gemeinte Kulturtheorie thematisch entgegen, behandelt sie doch explizit aktuelle Risikothemen wie AIDS. Eine Zwischenbetrachtung faßt die Beobachtungs- und Zurechnungsabhängigkeit sowie die kulturellen Einbettungen zusammen und leitet zum zweiten Teil der Arbeit über, nämlich zur Analyse der Politik. Das politische System hat es in der Perspektive dieser Arbeit mit zwei Momenten zu tun, nämlich mit gesellschaftlichen Beobachtungsverhältnissen und mit der eigenen, operativen Geschlossenheit. Während die Beobachtungsproblematik im ersten Abschnitt der Arbeit abstraktallgemein herzuleiten ist, wird sie im folgenden auf die Politik übertragen werden.
48
Vgl. E.E. Jones/ D.E. Kanouse/ H.H. Kelley/ R.E. Nisbett/ S. Valiens/ B. Weiner (1972, Hrsg.), Attribution: Perceiving the Causes of Behavior, New York: General Learning Press.
I. Einleitung
Vor allem meint das die wechselseitigen Beobachtungsverhältnisse zwischen politischem Zentrum und Peripherie. 49 Während im Zentrum als dem Staat kollektiv bindend entschieden wird, liefert die Peripherie als Resonanzboden der gesellschaftlichen Kommunikation der Politik Themen, Anregungen, Störungen etc. für (oder gegen) das Zentrum. Während Luhmann unter Peripherie die organisierte Kommunikation von Parteien und Interessensverbänden versteht, liegt die Betonung von Habermas auf der kritischen Öffentlichkeit als alternativer Kommunikationsstruktur, beispielsweise von Sozialen Bewegungen, Bürgerinitiativen, kritischen Wissenschaftlern und Intellektuellen, Medien, etc. Das zweite für unseren Zusammenhang zentrale Merkmal des politischen Systems ist dessen operative Geschlossenheit, die noch genau darzustellen sein wird. Dazu müssen wir das politische System im Zusammenhang mit der funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaften sehen (Kapitel VII). Als gesellschaftliches Funktionssystem ist das politische System einerseits operativ geschlossen (Codierung) und andererseits thematisch offen (Programme, Absichten). Operativ geschlossen heißt, daß die Politik nur eine Funktion in der Gesellschaft erfüllt, nämlich mittels (Ämter)-Macht kollektiv bindende Entscheidungen fällen. Politik ist demnach die auf den Staat (also auf Ämtermacht) hin orientierte Kommunikation.50 Die Politik kann nichts anderes, während andere Systeme gerade dies nicht können, gerade das meint funktionale Differenzierung. Andererseits thematischprogrammatisch offen zu sein heißt für die Politik, gesellschaftliche Themen aufzunehmen und sie in Form politischer Kommunikation zu bearbeiten.51 Dies aber eben als Politik, also durch kollektiv bindendes Entscheiden und nicht z.B. durch religiöse Hinweise auf transzendentale Ziele oder durch Geldzahlungen.52
49
Die Unterscheidung von Zentrum und Peripherie der Politik findet sich bei so verschiedenen Politischen Soziologien wie die von J. Habermas (1996): Faktizität und Geltung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S.435ff und die von N. Luhmann (o.J.): Die Politik der Gesellschaft, unv. Manuskript, Bielefeld - natürlich mit unterschiedlichen theoretischen Absichten. 50 Das Staat als Ergebnis politischer Kommunikation ist danach das "(...) innere Modell der Politik von sich selbst", H. Willke (1992): Die Ironie des Staates, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 9; ferner N. Luhmann (o.J.): Die Politik der Gesellschaft, Ms. Bielefeld, S. 104. 51
Hier sieht man, daß Systeme in der Systemtheorie selbstverständlich nicht - wie mancherorts als Kritik formuliert wird - isoliert voneinander sind, eine Vorstellung, die keinerlei Plausibilität besitzt, denn die Politik tastet ja pausenlos die Gesellschaft nach Themen ab. 52
Wenn die Politik selbst Geld ausgibt, ist das politische daran die Entscheidung zur Geldausgabe, während die konkrete Transaktion als die Schaffung von Zahlungsfähigkeit an anderer Stelle bereits ökonomisch ist.
I. Einleitung
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Obwohl thematisch universell zuständig, hat die Politik in der funktional differenzierten Gesellschaft die Stellung des gesellschaftlichen Zentrums verloren und erscheint daher unter ständiger Überforderung. Entlastungen durch das Recht und die Verbände sind nur sehr bedingt zu erwarten, was mit deren internen Strukturen zusammenhängt, wie sich zeigen wird (vgl. Kapitel VIII). Folglich müssen wir uns den unter diesen Bedingungen noch verbleibenden Möglichkeiten der Politik selbst zuwenden (Kapitel IX). Im Mittelpunkt dieses Kapitels wird ein Entscheidungsstil diskutiert, der wesentlich auf Rituale und Symbole zurückgreift. 53 Die Prämisse dieser Annahme besteht darin, daß das politische Entscheiden unter Bedingungen inkonsistenter Anforderungen, divergierender Umwelterwartungen und unklarer Zielvorstellungen verläuft. Um dennoch operationsfähig zu sein und Entscheidungen mit Bedeutung versehen zu können, ist eine Form der symbolischen Politik notwendig.54 Auch das wird später genauer zu skizzieren sein. In einem abschließenden Ausblick versucht die Arbeit theoretisch abzuleiten, wie die Politik dennoch Rationalitätspotentiale freisetzen kann (vgl. Kapitel X). Dabei darf die operative Geschlossenheit nicht übersehen werden, so daß unser Ansatz in einem Verhältnis von Selbst- und Fremdreferenz, also von Geschlossenheit und Offenheit liegen wird. Vorgestellt wird Rationalität als eine Pendelbewegung zwischen redundanter, symbolischer Politik (Selbstreferenz) und variablen, thematischen Öffnungen (Fremdreferenz). Unterstützt wird diese Idee durch ein Konzept von Verständigung zwischen Gesellschaft und Politik, das auf Provisorien setzt und Konsens immer nur temporär und revidierbar vorstellt.
53 54
Vgl. die Literaturangaben oben Fußnote Nr. 44.
Vgl. N. Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy. Talk, Decision and Actions in Organizations, Chichester/ New York/ Brisbane/ Toronto/ Singapore: John Wiley & Sons.
I I . Z u r Risikosoziologie 1. Die Risikotypen Die Literatur zur Risikothematik ist in den letzten Jahren enorm angewachsen und für den Einzelnen kaum noch zu überblicken. Außerdem ist sie über verschiedene Disziplinen wie Soziologie, Psychologie, Mathematik, Ökonomie und Ingenieurwissenschaften verstreut; sie kann und soll hier also nicht detailliert wiedergegeben werden. Der folgende Abriß dient vielmehr dazu, einige zentrale Etappen der Diskussion zu skizzieren und auf die These hinzuführen, daß eine genuin soziologische Risikotheorie auf die Konzepte von Beobachtung, Kommunikation und Zurechnung nicht verzichten kann. Da die Arbeit vor allem die Auseinandersetzungen über technische Risiken als Anschauungsmaterial zur Verdeutlichung der Argumentation zu Grunde legt, sei zunächst definiert, was unter Technik zu verstehen ist. Generell soll unter Technik ein Artefakt verstanden werden als ein simplifizierendes, geschlossenes Gebilde in einer komplexen und kontingenten Welt technisch-sozialer Handlungsabläufe.1 Wird aber vorschnell das Artifizielle der Technik mit "Normierung" übersetzt2, so liegt bereits ein Spezialfall vor. Ebenso wenn man von "vernetzten Artefakten" spricht3 in dem Sinne, daß (groß-)technische Anlagen Beziehungen und Interdependenzen schaffen, die über den technischen Kern weit hinausgehen.4 Die Arbeit setzt diesseits jener Spezialfälle grundsätzlicher an und definiert Technik über die Intention, die mit jedem Technikeinsatz verbunden ist und in der Vorhersagbarkeit des Ergebnisses besteht. Technische Einheiten funktionieren in Absehung von
1
So zum Beispiel G. Wagner (1994): Vertrauen in Technik; in: Zeitschrift für Soziologie 23 (2), S. 145-157(145). 2
Vgl. G. Wagner (1994): Vertrauen in Technik, S. 153ff.
3
So über Großtechnologie V. Schneider (1992): Kooperative Akteure und vernetzte Artefakte. Überlegungen zu den Formen sozialer Organisation großtechnischer Systeme; in: G. Bechmann/ W. Rammert (Hrsg.), Jahrbuch: Technik und Gesellschaft, Bd.6, Frankfurt a.M./New York: Campus, S. 113-139. 4 Ein Beispiel ist die weltweite Telekommunikation, ohne die auch viele nicht-technische Bereiche gar nicht denkbar wären.
30
II. Zur Risikosoziologie
Außeneinflüssen nach "Wenn-dann"-Beziehungen, es sind anders formuliert "closed systems".5 Der Sachverhalt läßt sich ebenso mit der Unterscheidung von loser und fester Kopplung darlegen: "Technik soll im folgenden als funktionierende Simplifikation kausaler Zusammenhänge verstanden werden. Das bedeutet, daß Technik mit Hilfe einer Grenze installiert wird, die den kontrollierten Kausalbereich vom nichtkontrollierten Kausalbereich trennt. Mit einigem Recht kann man daher auch von kausaler Schließung und strikter Kopplung von Ursachen und Wirkungen sprechen".6 Verläßlichkeit und strikte Kopplung impliziert eine Art technisch vermittelter Unsicherheitsabsorption, indem der Technikanwender die Kausalbeziehungen und ihre Momente selbst nicht mehr hinterfragt, so wie etwa Organisationsmitglieder sich auf die Informationen verlassen, die von zuständiger Stelle stammen.7 Das technische Artefakt der strikten Kopplung nimmt nun verschiedene Formen an und entsprechend bilden sich verschiedene Risikotypen aus. So läßt sich trotz der Breite und Vielfältigkeit der Risikoliteratur eine Kategorisierung von Risikotypen vornehmen; man unterscheidet zwischen traditionellen, industriell-wohlfahrtsstaatlichen und neuen Risiken.8 Risiken, so hatten wir in der Einleitung gesagt, werden nicht an sich, sondern nach gesellschaftlichen Maßstäben beobachtet und verhandelt. Wie wir sehen werden, zeigt sich die "Konstruiertheit" von Risiken in ihrer ganzen gesellschaftlichen und vor allem politischen Bedeutung insbesondere im Zusammenhang mit neuen Risiken.
5
Vgl. H. Radder (1986): Experiment, Technology and the Intrinsic Connection Between Knowledge and Power; in: Social Studies of Science 16, S. 663-683 (664). Im Prinzip der Voraus- oder Vorhersagbarkeit ("prediction") anhand von "Wenn-dann"-Beziehungen besteht eine Parallele zwischen Technologie und (Natur)-Wissenschaft, die natürlich dazu die "ceteris paribus"-Klausel voraussetzt. 6 N. Luhmann (o.J.): Umweltrisiko und Politik, unv. Ms. Bielefeld, S. 4. Betonungen im Original. Der Begriff der "strikten Kopplung" wird aber in Anlehnung an Perrow (1987) häufig vorschnell? - im Zusammenhang mit Hochtechnologie verwendet, so auch G. Bechmann (1993): Risiko als Schlüsselkategorie der Gesellschaftstheorie; in: ders. (Hrsg.), Risiko und Gesellschaft. Grundlagen und Ergebnisse interdisziplinärer Risikoforschung, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 237-276 (251): "Moderne Technologien mit hohem Katastrophenpotential sind Systeme, deren Komponenten eng gekoppelt sind und eine hohe Aktionsdichte aufweisen." Betonung im Original. 7 Vgl. N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 197: "Technik, technisch, Technisierung soll (heißen), daß der Vollzug ohne allzuviel Reflexion, vor allem aber ohne Rückfragen beim Subjekt oder beim Beobachter möglich ist." 8
Vgl. als Überblick Ch. Lau (1989): Risikodiskurse: Gesellschaftliche Auseinandersetzungen um die Definition von Risiken; in: Soziale Welt 40 (3), S. 418-436 (420).
1. Die Risikotypen
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Traditionelle Risiken werden durch individuelles Entscheiden in die Welt gesetzt und generell positiv bewertet; zu denken ist an den Habitus bestimmter Berufsgruppen wie Generäle, zur See fahrende Handelsleute oder auch an Glücksspieler.9 Ihre Risikobereitschaft tritt auf als Chance, 10 einen sozialen und/ oder materiellen Gewinn zu erzielen, insbesondere sichert sie die Sozialintegration bestimmter Berufsgruppen ab.11 Die Typik traditioneller Risiken zusammenfassend schreibt Lau: " (...) traditionelle Risiken (sind) individuell zurechenbar und zeitlich begrenzt. Sie werdenfreiwillig eingegangen in der Befolgung gruppenspezifischer Verhaltensregeln"} 2 Die industriell-wohlfahrtsstaatlichen Risiken dagegen zerstören das heroische Flair traditioneller Risikobereitschaft. Es sind Risiken, die historisch durch die Technisierung und Kapitalisierung der Wirtschaft entstehen. Einerseits handelt es sich um arbeitsweltliche Risiken, die negativ bewertet werden und Betroffenheiten entlang der sozialen Differenzierung von "Klasse und Schicht"13 entstehen lassen, so vor allem Gefährdungen der Gesundheit am Arbeitsplatz oder Arbeitsplatzverlust.14 Wiewohl individuell getragen, werden die industriellen Risiken nicht
9
Es ist dies die Idee: "Wer wagt, gewinnt". Impliziert ist die "liberalistische" Vorstellung eines individuellen Entscheiders, der die Folgen seiner Entscheidung nur selbst zu tragen hat. Unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Interdependenzen sieht man aber sofort die Revisionsbedürftigkeit dieser Vorstellung. Insbesondere werden wir bei den neuen Risiken sehen, daß eine riskante Entscheidung immer auch andere tangiert und Betroffenheiten auslöst. 10
Vgl. "(...) um einer Chance willen. Von der Gefahr zum Risiko", A. Evers/ H. Novotny (1987): Über den Umgang mit Unsicherheit. Die Entdeckung der Gestaltbarkeit von Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 32-40. 11
Selbstverständlich gibt es heute auch noch die Denkart, durch Risikoübernahme belohnt zu werden, man denke an den innovativen Unternehmer oder an Sportler, die ihre Erfolgschance in eben der Risikobereitschaft sehen. Dies zeigt, daß die hier benutzte Typisierung zwar eine Bedeutungsverschiebung von traditionellen hin zu neuen Risiken impliziert, nicht aber so mißverstanden werden darf, als ob es ein traditionelles Risikoverständnis nicht mehr gäbe. 12
Ch. Lau (1989): Risikodiskurse, S. 421. Betonungen im Original.
13
Vgl. zur Auflösung dieser "Demarkationslinie", U. Beck (1986): Jenseits von Klasse und Schicht; in: ders., Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 121-160. 14 Das bekannteste Beispiel einer industriellen, riskanten Technik war der Dampfkessel, der auch Gegenstandfrüherer Schutzmaßnahmen war wie die preußische Dampfkesselgesetzgebung von 1831 (vgl. R. Wolf (1987): Die Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft; in: Leviathan 15, S. 357-391) und die Gründung des Dampfkesselüberwachungsvereins " (...) in dem zunehmenden Bewußtsein, daß die Nutzung der Dampfmaschine als wichtigster Energiequelle der damaligen industriellen Produktion durch die Dampfkessel-
II. Zur Risikosoziologie
32
freiwillig, sondern mangels Alternative übernommen. Auch auf der Seite des "Kapitals", beim Unternehmertum zeigen sich Verschiebungen im Risikoverständnis. Die Entscheidungslogik einer Abwägung von Risiken und Chancen wird zwar beibehalten,15 aber vom traditionellen Pathos des Heroischen befreit und statt dessen rationalisiert. Eigentlich erst jetzt kann von Kalkulation in einem modernen, rechenhaften Sinne gesprochen werden kann. Die Vorstellung einer berechenbaren Welt hat Max Weber bekanntlich religionssoziologisch untersucht und mit einer umfassenden, okzidentalen Rationalisierung, vor allem mit "(...) dem Prinzip der rationalen Kalkulation gleichgesetzt (...)"· 16 Bonß nimmt die Webersche Vorstellung auf, bezieht sie aber explizit auf die Risikosoziologie und erweitert sie entsprechend um den spezifischen Gesichtspunkt der Wahrscheinlichkeitsrechnung, Bonß schreibt: "Als implizites Sicherheitskonzept des neuzeitlichen Risikohandelns ist das Prinzip der rationalen, oder besser gesagt: der zweckrationalen Kalkulation ein höchst voraussetzungsvolles Konzept, das unter historischen Gesichspunkten oft mühevoll eingeübt werden mußte. Die hierfür notwendigen Dekontextualisierungs- und Abstraktionsleistungen lassen sich in der von Weber hervorgehobenen Dimension des zweckrationalen Handelns aber nur unzureichend beschreiben. Denn sie basieren zugleich auf einer spezifischen Vorstellung über den Gesamtzusammenhang der Welt. Gemeint ist das Weltmodell der Wahrscheinlichkeit, das vor der Renaissance unbekannt war, seinen Aufschwung im 17./18. Jahrhundert erfuhr und neue Kontingenzen eröffnete". 17
explosionen mit häufigen Arbeitsunfällen verbunden war (...)", A. Windhoff-Héritier (1989): Institutionelle Interessenvermittlung im Sozialsektor; in: Leviathan 17, S. 108-126 (110). 15
Damit liegt hier der typische Fall der sozialen Differenzierung in Entscheider und Betroffene vor. Letzteren schlägt die entscheidungsrelevante Kalkulation als Gefahr entgegen; vgl. N. Luhmann (1991b): Entscheider und Betroffene, in: ders., Soziologie des Risikos, Berlin/ New York: de Gruyter, S. 111-134. 16
Wolfgang Bonß (1991): Unsicherheit und Gesellschaft - Argumente für eine soziologische Risikoforschung; in: Soziale Welt 42 (2), S. 258-277 (266). Betonung im Original. Bei Max Weber liest sich das so: "Wie jedes Handeln kann auch das soziale Handeln bestimmt sein 1. zweckrational·, durch Erwartungen des Verhaltens von Gegenständen der Außenwelt und von anderen Menschen und unter Benutzung dieser Erwartungen als "Bedingungen" oder als "Mittel" für rational, als Erfolg, erstrebte und abgewogene eigene Zwecke (...) Zweckrational handelt, wer sein Handeln nach Zweck, Mittel und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwägt: also jedenfalls weder affektuell (und insbesondere nicht emotional), noch traditional handelt", Max Weber (1980): Wirtschaft und Gesellschaft, 5. rev. Auflage, Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), S. 12f. Betonungen im Original. 17
W. Bonß (1991): Unsicherheit und Gesellschaft, S. 267. Die Wahrnehmung von Wahrscheinlichkeiten ist selbst also ein gesellschaftliches Konstrukt. Ein Argument gegen die Meßbarkeit der Welt ist die Unmöglichkeit, überhaupt geschlossene Ereignisräume zu
1. Die Risikotypen
33
Wenden wir uns den Merkmaien neuer Risiken zu, wie sie vor allem an hochtechnologischen Anlagen18 wie Kernkraftwerken und anderen eng gekoppelten Risikosystemen19 auftreten, fällt auf, daß hier einige bedeutende Merkmale traditioneller bzw. industrieller Risiken fehlen, namentlich die Freiwilligkeit der Risikoübernahme, die Kalkulationsmöglichkeit der Schadensgröße, die individuelle Zurechenbarkeit der Schadensverursachung, die soziale Differenzierung der Schädigung nach "Klasse und Schicht" sowie die zeitlich-räumliche Begrenzung des Schadens.20 Dazu nun einige Ausführungen. Folgt man der psychologischen Literatur, ist die Freiwilligkeit der Risikoübernahme ein entscheidendes Kriterium für dessen Ausmaß. In der Rolle des Autofahrers riskiert man danach mehr als in der Rolle des Beifahrers, der fühlt sich schneller unwohl.21 Die Unfreiwilligkeit der Risikoübernahme allein ist aber noch kein Kennzeichen neuer Risiken, tritt sie wie gesagt doch auch in der klassischen industriellen Arbeitswelt auf. 22 Anders als dort sind hochtechnologische Risiken aber zeitlich-räumlich unbestimmt und ein (sogar freiwillig gewählter) Aufenthaltsort wie etwa der Wohnort kann durch Zufälligkeiten wie Wetter und Windrichtung zu einer Belastung oder Gefährdung führen. 23 Zweitens sind bei neuen Risiken die Schadensursachen und Verantwortlichkeit oft nicht eindeutig auf individuelle Entscheidungsträger oder -instanzen zurechenbar. 24 Zuviele Variablen und deren Wechselwirkungen untereinander sind im
schaffen und die relativen Wahrscheinlichkeiten möglicher Einzelereignisse zu ermitteln. Das sind aber schon Überlegungen aus dem Kapitel II.2 zu den Risikotheorien. 18
Vgl. N. Luhmann (1991a): Der Sonderfall Hochtechnologie; in: ders., Soziologie des Risikos, Berlin/ New York: de Gruyter, S. 93-110. 19
Vgl. Ch. Perrow (1987): Normale Katastrophen. Dort zu den Begriffen von loser und fester Kopplung sowie Beispiele vgl. insb. S. 13 Iff. 20
Vgl. Ch. Lau (1989): Risikodiskurse, S. 426f.
21
Vgl. zu dem Thema der Freiwilligkeit Ch. Starr (1969): Social Benefit versus Technological Risk. What is our society willing to pay for Safety?; in: Science 165, S. 1232-1238, (neu abgedruckt in: G. Bechmann (1993, Hrsg.), Risiko und Gesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 3-24). 22
Die Dichotomie von Freiwilligkeit versus Nichtfreiwilligkeit wird weiter unten nochmals aufgegriffen in den beiden Begriffspaaren von Risiko/ Gefahr (vgl. Pkt.IV.4) und Entscheider/ Betroffene (vgl. Pkt. IV.5). 23
Wenn die unübersehbaren Folgenriskanter Entscheidungen sowohl die Entscheider selbst wie auch die unfreiwillig Betroffenen treffen, kann man auch von "Gefahren zweiter Ordnung" sprechen; vgl. W. Bonß (1991): Unsicherheit und Gesellschaft, S. 265f. 24 Geschieht dies dennoch, nämlich eine Zurechnung auf das Restrisiko "menschliches Versagen", ist das oft nicht vielmehr als eine Verlegenheitslösung.
3 Heidenescher
34
II. Zur Risikosoziologie
Spiel, als das eindeutige Kausalketten gebildet werden könnten. Weder lassen sich sachliche Ursachenketten nachzeichnen noch ist die Adressierbarkeit von Schuld auf individuelle Entscheider möglich.25 Das bringt erhebliche rechtliche Konsequenzen mit sich, denn somit kann das klassische Haftungsrecht nicht eingreifen, da es auf dem Verschuldungsprinzip basiert, und die Zurechnung auf ein schuldhaftes Handeln voraussetzt. Es ist in seinen Reaktionsmöglichkeiten im Hinblick auf neue Risiken kein probates Mittel.26 Eine graduelle Abschwächung des Kausalitätsprinzips findet sich durch die Umstellung vom Verschuldensprinzip auf die Gefährdungshaftung, wonach derjenige, der die Öffentlichkeit durch die Betreibung von technischen Anlagen gefährdet, im Schadensfall auch ohne direkt schuldhaftes Handeln dennoch haftet. 27 Die Gefährdungshaftung ist aber im Vergleich zum Verschuldensprinzip nur als Ausnahme gedacht und bleibt abhängig davon, daß die besondere Gefährlichkeit einer Tätigkeit oder einer Anlage erst vom Gesetzgeber festgestellt werden muß; es bleibt daher immer das Ergebnis eines politischen Abwägungsprozesses.28 Ein drittes Merkmal neuer Risiken ist die Abstraktheit der durch sie bedingten Belastungen. Strahlungen, Vergiftungen von Lebensmitteln oder die Vergrößerung des Ozonlochs sind unmittelbar nicht wahrnehmbar oder manchmal erst, wenn es zu spät ist. Es sind gewußte oder kommunizierte Risiken, die aus den biases der Beobachter hervorgehen. 29 In diesem Zusammenhang sind einige Bemerkungen zur gesellschaftlichen Erzeugung von Informationen angebracht. Generell ist die
25
Die Frage nach den Ursachen für Ereignisse ist der Gegenstand einer breiten sozialpsychologischen Forschung, der Attributionsforschung. Ihre Kernaussage besteht letztlich darin, daß jede Zurechnung eine Entscheidung ist, die keine notwendige Entsprechung in der Umwelt hat. Im Zusammenhang mit der Risikodebatte und den Eigenschaften moderner Risiken wird diese Forschung besonders interessant; wir widmen ihr daher ein ganzes Kapitel, das Kapitel III. 26
Vgl. E.-H. Ritter (1992): Von den Schwierigkeiten des Rechts mit der Ökologie, in: Die Öffentliche Verwaltug 45, S. 641-649; ferner J. Schmidt (1994): Gesellschaftliche Risikoregulierung durch Risikoerzeugung, unv. Diplomarbeit, Universität Bielefeld, S. 4ff und S. 41fT. 27 Vgl. E. Feess-Dörr/ Prätorius/ Steger (1992): Umwelthaftungsrecht. Bestandsaufnahme, Probleme, Perspektiven, Wiesbaden: Gabler; ferner K.P. Japp (1997): Die Idee ökologischer Prävention als moderner Mythos: Das Beispiel der Umweltgefährdungshaftung; in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 80, Heft 1/97, S.80-99. 28 29
Vgl. J. Schmidt (1994): Gesellschaftliche Risikoregulierung, S.41f.
Vgl. zum "bias"-Konzept M. Douglas/ A. Wildavsky (1982): Risk and Culture. An Essay on the Selection of Technological and Environmental Dangers, Berkeley/ Los Angeles/ London: University of California Press, S. 7-82 ("Assessment is Biased"). Ausführlicher dazu unten das Kapitel V.
1. Die Risikotypen
35
Art und die Bereitschaft der Informationsaufnahme im weitesten Sinne kulturell bedingt.30 So liest man bei Beck: "Gefahren sind historisch-kulturellen Wahrnehmungen und Einschätzungen unterworfen, die von Land zu Land ebenso schwanken wie von Gruppe zu Gruppe und von Zeit zu Zeit."31 Weiterhin spielen hier die Eigenarten der massenmedialen Verbreitung von Information und ihre Selektivität eine konstitutiv wichtige Rolle, wie sie von Luhmann in Die Realität der Massenmedien aufgezeigt werden: Neuheit, Dramatisierbarkeit, Konflikt, individuelle Konkretisierbarkeit, Normverstöße, lokaler Bezug."32 Und speziell bezogen auf das Kriterium des dramatischen Katastrophenfalls heißt das: "In der Berichterstattung der Medien spiegelt sich das Gefühl, daß ein Flugzeugabsturz schlimmer ist als die vielfache Anzahl der im gleichen Moment an Lungenkrebs sterbenden einzelnen Menschen".33 Entscheidend an dem Argument ist, daß Massenmedien nicht nur selektiv beobachten, sondern die Selektion eine Systematik hat, und zwar nach den genannten Kriterien. Die Selektivität der Selektionen bedeutet, daß Massenmedien die Welt nicht nur ausschnitthaft beobachten, vielmehr erschaffen sie eine neue Welt. Die massenmediale Selektivität gestalten ihrerseits die weitere Risikowahrnehmung erheblich.34 Und gerade die abstrakte Öffentlichkeit der aktuellen Gesellschaft ist ja vor allem eine massenmedial vermittelte.35 Und schließlich unterliegt die Informationsgewinnung und -ver-
30
Vgl. die Arbeiten von M. Douglas und A. Wildavsky, dazu ausführlich das Kapitel V.
31
U. Beck (1988): Gegengifte, S. 144.
32
N. Luhmann (1995b): Die Realität der Massenmedien, Opladen Westdeutscher Verlag (hrsg. von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften); femer N. Luhmann (1993b): "Was ist der Fall?" und "Was steckt dahinter?"; in: Zeitschrift für Soziologie 22 (4), S. 245-260 (253). 33 H. Jungermann/ P. Slovic (1993): Die Psychologie der Kognition und Evaluation von Risiko; in: G. Bechmann (Hrsg.), Risiko und Gesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 167-207 (173); stärker noch auf die Selektivität, d.h. die Systematik der massenmedialen Selektionen abstellend, N. Luhmann (1995b): Die Realität der Massenmedien; ferner N. Luhmann (1993b): "Was ist der Fall" und "Was steckt dahinter?". Die zwei Soziologien und die Gesellschaftstheorie; in: Zeitschrift für Soziologe 22 (4), S. 245-260. 34
Das ist ein Befund aus der kognitions-psychologischen Risikoforschung; danach wird in der Risikowahrnehmung bevorzugt auf gut verfügbare Informationen zurückgegriffen und für die Verfügbarkeit sind neben persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen eben die Massenmedien hauptverantwortlich; vgl. zu diesem Konzept der "availability": P. Slovic/ Β. Fischofl/ S. Lichtenstein (1980): Facts versus fears: Understanding perceivedrisk;in: R. Schwing/ W.A. Albers (Hrsg.), Societal Risk Assessment: How safe is safe enough?, New York, S. 464-489. 35
In kritischer Absicht behandelt Habermas die Massenmedien als ein Strukturmoment des Wandels des räsonnierenden Publikums in eine nur noch abstrakt existierende, konsumierende Öffentlichkeit, vgl. J. Habermas (1962): Strukturwandel der Öffentlichkeit, Darmstadt/ Neuwied: Luchterhand. 3*
36
II. Zur Risikosoziologie
breitung konjunkturellen Schwankungen wissenschaftlicher Aufmerksamkeiten und Erklärungsansätze. So erscheint beispielsweise bleifreies Benzin mal als umweltschonend, dann als krebserzeugend.36 Kehren wir aber zur Charakterisierung neuartiger Risiken zurück. Ein weiteres ihrer Kennzeichen ist viertens ihr ungewisser Wirkungsgrad, der möglicherweise globale Ausmaße annehmen kann. Weniger ist dabei an einen militärischen Schlagabtausch mit "overkiH"-Kapazitäten gedacht als mehr noch an den Abbau oder die Zerstörung nicht-regenerierbarer Ressourcen, die Zerstörung der Ozonschicht oder die Überbevölkerung. Fünftens weisen moderne technologisch-wissenschaftliche Risiken spezifische Eigendynamiken auf, die eine Kosten-Nutzen-Kalkulation erschweren oder sogar verunmöglichen. Ein zentraler Auslöser solcher Eigendynamiken ist die extreme Langfristigkeit möglicher Gefährdungen. Zunächst einmal sind da die exorbitanten Halbwert- und Zerfallszeiten von radioaktivem Abfall. Diese bedingen ihrerseits Folgeentwicklungen, insbesondere den Transport, die Lagerung, Wiederaufbereitung und Endlagerung mit jeweils spezifisch-notwendigen SicherheitsVorkehrungen und entsprechenden Risikofaktoren. Es handelt sich, so könnte man sagen, um atomare Transaktionskosten, die ihrerseits je eigene Dynamiken entwickeln können.37 Dahinein gehören - und das ist unser sechster Punkt - die Gefahren einer Technik- und Wissenschaftsmythologie, die in der Auffassung zum Ausdruck kommt, Technik ließe sich durch Technik beherrschen.38 Die technische Gestaltung und Kontrolle der Technik birgt nun aber selbst wieder verschiedene Gefahrenmomente in sich. So führen technische Antworten auf Technik zu Interferenzen, deren Auswirkungen unbekannt sind.39 Darüber hinaus wohnt technischen Antworten auf technische Probleme zumeist eine Art Blindheit für kumulative Effekte inne; die Anhäufung nur kleiner Fehler kann zu gravierenden Konsequenzen führen. 40 So kann man in
36
Vgl. U. Beck (1988): Gegengifte, S. 231.
37
Und zwar nicht nur technische Eigendynamiken, sondern auch gesellschaftliche, wie beispielsweise die politischen und rechtlichen Auseinandersetzungen um den "Castor"Transport im Frühjahr 1998 zeigten. 38
Vgl. R. Wolf (1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft; in: Leviathan 15, S. 357-391 (insb., S. 365ff). Technikbeherrschung wird dort verhandelt als Normierung nach "Stand von Wissenschaft und Technik". 39 40
Vgl. N. Luhmann (1991a): Der Sonderfall Hochtechnologie, S. 99.
Zu typischen kognitiven Fehlleistungen von Experten schreiben P. Slovic u.a.: "Some common ways in which experts may overlook or misjudge pathways to disaster are (...) overconfidence in current scientific knowledge (and) failure to appreciate how technological systems function as a whole (and) slowness in detecting chronic, cummulative effects (...)", P. Slovic/ B. Fischhoff/ S. Lichtenstein (1980): Facts versus fears, S. 477.
1. Die Risikotypen
37
Atomkraftwerken Sicherheitsstandards von Kühlkreisläufen, von Ventilen, von Druck- und Hitzeverhältnissen, von Sicherheitsmänteln und anderem mehr festlegen und die Anlagen daraufhin überprüfen. Über kumulative Effekte - als Gefahrenherde eigener Art - zwischen den einzelnen Schnittstellen ist damit aber noch gar nichts gesagt, insbesondere wenn und soweit sie "eng gekoppelt" sind.41 Einzeln auftretend müssen diese Momente keine Gefahr darstellen und kommen auch in herkömmlicher Technik vor. Die kumulativen Effekte mit Katastrophenpotential aber gibt es typischerweise im Falle hochtechnischer Anlagen. Außerdem kann bei der technischen Steuerung von Technik nicht ausgeschlossen werden, daß den kompliziertesten Anlagen der ganz normale Alltag einen Streich spielt dann aber möglicherweise mit nicht-alltäglichen Folgen.42 Speziell für Hochtechnologie gilt darüber hinaus- und das ist unser nächster Punkt -, daß Risiken und Nebeneffekte schon in der Entscheidungs- und Planungsphase auftreten und bereits dort eine erhebliche Rolle spielen: "(Es) ist bezeichnend, daß Risiken sich bereits bei der Entscheidung abzeichnen (wenn auch ohne wann und wie) und das speziell entwickelte Techniken eingesetzt werden, um diese möglichen Schäden zu verhindern." 43 Fahren wir in der Beschreibung neuer Risiken fort, zeigt sich achtens, daß die Kompliziertheit der Hochtechnologie zu erhöhter Störempfindlichkeit oder Fehler-Unfreundlichkeit fuhrt. Man kann auch sagen, die Durchlässigkeit der Grenze zwischen der strikten Kopplung der Technik und der losen Kopplung der Umwelt, z.B. menschliches Versagen, erhöht sich; sie wird sowohl wahrscheinlicher als auch gefährlicher. 44 Die Konsequenz besteht darin, daß nicht nur Unfälle, sondern bereits der Normalbetrieb als kontingent erfahren wird. 45 Dies bedingt außerdem die Notwendigkeit
41
Ch. Perrow (1987): Normale Katastrophen, S. 136.
42
Ein Beispiel, wie Großtechnologien mit den Kleinigkeiten des Alltags zu kämpfen haben, liefert die "Süddeutsche Zeitung" vom 8. März 1994, S.5: "Meißel verursacht Motorbrand im Kernkraftwerk". In literarischer Form finden sich solche grotesken Alltagssituationen in Fülle in den "Sterntagebüchern" von Stanislav Lem, z.B. S.233ff, wo die Reparatur der Steuerung eines futuristischen Raumschiffs daran scheitert, daß der Astronaut eine Schraube nicht anziehen kann, weil sich auf der anderen Seite des Gerätes, außerhalb der Reichweite des Astronauten, die Mutter mitdreht. 43
N. Luhmann (1991a): Der Sonderfall Hochtechnologie, S. 100.
44
Zum Begriff der "Kopplung" zwischen Technik und seinen Umwelten vgl. N. Luhmann (o.J.): Umweltrisiko und Politik, unv. Ms. Bielefeld, S. 5ff. 45 Ein Indiz dafür: Flugkapitäne bekommen von den Gästen nach der Landung Applaus, nicht so aber Busfahrer an der Haltestelle. Im Vergleich zu Bussen gelten Flugzeuge als komplizierter und gefährlicher, obwohl das von den Passagieren wohl die wenigsten beur-
II. Zur Risikosoziologie
38
eines hochqualifizierten Bedienungspersonals in großtechnologischen Anlagen, denn Hochtechnologien müssen auch und gerade bei Dysfunktionen weiterfunktionieren. Dies geschieht durch höhere oder nachgelagerte Schaltkreise, für die aber dasselbe gilt.46 Technik wird durch Technik kontrolliert und aufrechterhalten, allerdings unter folgenden Bedingungen: "Die Interferenz nichttrivialisierter Prozesse bedeutet dann zum Beispiel, daß die Maschine sich auf unerwartete Weise selbst umkonstruiert; daß sie ihren Output, statt ihn als Produkt und Abfall abzugeben, als Input verwendet; daß sie von ihrem eigenen momentanen Zustand ausgeht; daß sie Abweichungen verstärkt; daß sie etwas tut, was eigentlich nur Menschen können: daß sie etwas unterläßt."47 Zwar kann über nicht erwartete Rückkopplungsschleifen auch ein Lernprozeß ausgelöst werden und das Prinzip "trial and error" ist ein solcher Mechanismus, der entwicklungsgeschichtlich eine bedeutende Rolle gespielt hat. Die Riskanz der neuen Risiken liegt aber u.a. darin, daß man einerseits nur mittels Störungen mehr über sie erfährt, andererseits gerade die Störung schon der Katastrophenfall sein kann.48 Außerdem, und das ist ein weiterer Aspekt, muß bei Störfällen in der Hochtechnologie das Abschalten seinerseits eingeschaltet werden. Während bei konventionellen Risiken beispielsweise des Autofahrens die "Problemlösung" im Ressourcenentzug besteht, (der Fahrer ist handlungsunfähig, das Auto liegt im Graben, die Räder haben keinen Bodenkontakt mehr), erfordert die Problemlösung in der Hochtechnologie gerade umgekehrt Ressourcenzufuhr durch qualifizierte Reaktionen (Einschalten von Sicherheitskreisläufen, etc). Und eine letzte Charakteristik neuer Technologien sei genannt, um damit die Auflistung abzuschließen. Die Gesellschaft selbst wird zum Labor.* 9 Im Unterschied zu herkömmlichen technisch-naturwissenschaftlichen
teilen können. Außerdem gibt es im Straßenverkehr mehr Tote als im Luftverkehr. Wahrscheinlich ist das Gefährlichste am Fliegen demnach die Fahrt zum Flugplatz; das wird aber von den Fahrgästen nicht weiter berücksichtigt. Der Grund liegt wohl im hohen Katastrophenpotential des Fliegens: Wenn dort etwas passiert ist es meistens katastrophaler als die meisten Busunglücke. 46
Vgl. N. Luhmann (1991a): Der Sonderfall Hochtechnologie, S. 10Iff.
47
Ν. Luhmann (1991a): Der Sonderfall Hochtechnologie, S. 103. Wenn das Bild zutrifft, hat die Realität ehemalige Science-Fiction-Phantasien eingeholt, wie z.B. "Hai", der Computer in "2001-Odyssee im Weltraum" es unterläßt, die sich im Tiefschlaf befindenden Astronauten mit Sauerstoff und Körpertemperatur zu versorgen, sie also umbringt. 48
Vgl. K.P. Japp (1990a): Komplexität und Kopplung. Zum Verhältnis von ökologischer Forschung und Risikosoziologie; in: J. Halfmann/ K.P. Japp (Hrsg.), Riskante Entscheidungen und Katastrophenpotentiale, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 176-195 (187). Die technische Reaktionsweise darauf besteht im "containment" als der Ermöglichung von Störungen ohne katastrophale Folgen und damit der Aufrechterhaltung von Lernchancen. 49
Vgl. dazu W. Krohn/ J. Weyer (1990): Die Gesellschaft als Labor. Risikoformation und Risikokonstitution durch moderne Forschung; in: J. Halfmann/ K.J. Japp (Hrsg.), Ris-
1. Die Risikotypen
39
Entwicklungen entfällt bei den neuen Technologien die Trennung zwischen Experiment und Anwendung. Die Sicherheitsfragen etwa bei gentechnologischen Freiluftversuchen müssen zunächst positiv entschieden werden, bevor sie überhaupt ihrerseits dann wissenschaftlichen Untersuchungen ausgesetzt werden können. Die technischen Gefahren beherrschen somit mehr die wissenschaftliche Forschung als diese jene kontrolliert. Aus Sicht einer Politischen Soziologie ist vor allem daran interessant, daß Experimente gerade das voraussetzen, was eigentlich zu erzeugen ihre bisherige Funktion war, nämlich gesellschaftliche Akzeptanz. Der vorangestellte Katalog verdeutlicht wohl sattsam, daß neue Risiken die Angelegenheit gesellschaftlicher Kommunikation, sozialer Definitionen und politischer Auseinandersetzungen sind. Insbesondere liegt das an der Verunmöglichung von sicherem Wissen sowohl über Gefahrenursachen als auch über Gefährdungen und Betroffenheiten. Deshalb ist das Wissen um Sicherheit bzw. Unsicherheit auf Beobachtungen (= einseitig verwendeten Unterscheidungen) und Zurechnungen angewiesen. Zurechnungen haben ihre Logik darin, Ursachen "festzustellen", obwohl es auch anders sein könnte. Es sind a/s-oô-Konstruktionen von Wissen.50 Die Kontingenz der Zurechnung wird im eigenen Vollzug allerdings nicht mitgesehen - denn das würde natürlich die Sicherheit des Wissens und der Behauptungen zerstören. Oder grundlegend formuliert: es käme nicht zur Ausbildung von Identität. Die Zurechnungsabhängigkeit im Hinblick auf Gefahrenursachen liegen einmal in der Faktorenvielfalt des technischen Kerns der Hochtechnologie sowie in der Unkalkulierbarkeit und Eigendynamik nachgeschalteter Kontrollinstanzen. Zweitens in dem Freisetzen von Wirk- und Belastungsstoffen, die als einzelne schon nicht umfassend bekannt sind und in ihren Wechselwirkungen erst recht nicht. Drittens verunmöglichen gesteigerte Sensibilitäten zwischen technischen und sozialen Kontexten ein sicheres Wissen über Gefahrenursachen. 51 Die Fehleranfälligkeit hochtechnologischer Anlagen erfordert ein hochqualifiziertes Bedienungspersonal, das aber seinerseits die Interaktionen zwischen technischen und sozialen Kontexten nicht nivellieren kann, sondern Teil dessen ist. In
kante Entscheidungen und Katastrophenpotentiale: Elemente einer soziologischen Risikoforschung, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 89-122. 50
Die Formulierung des "als-ob" findet sich bei D. Ciaessens (1965): Rationalität Revidiert; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 7, S. 465-476. Das Kennzeichen moderner Gesellschaften, ihre Modernität, besteht nach Ciaessens in der "Beliebigkeit" (= Optionsviefalt) von Weltbetrachtungen Nicht-Beliebiges gibt es dann nur noch unter dem Prädikat "als-ob". 51
Die Zurechnung auf menschliches Versagen ist immer nur ein Mittel, wenn alle anderen Erklärungsversuche nicht überzeugen; es ist eine Art universell einsetztbare Restgröße.
40
II. Zur Risikosoziologie
Störfällen wird ein Beobachter auch hier auf Zurechnungen und deren Simplifizierungen angewiesen bleiben. Wenden wir uns der Seite der Öffentlichkeit zu, sieht man, daß hochtechnologische Belastungen in Art und Umfang nicht genau gewußt werden können, oder nicht einmal feststeht, ob überhaupt eine Belastung vorliegt. Hinzu kommt, daß sich die Typik der neuen Risiken (ihre Abtraktheit, ihre Unheimlichkeit, ihre Langlebigkeit) dazu eignet, eventuell auftretende fremde Belastungen (an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit) für die eigenen zu nehmen; die Sorge um zukünftige Generationen oder um die ganze Menschheit sind hier Beispiele, die im Zeitalter des Dampfkessels natürlich keine Plausibilität hätten gewinnen können. Das Phänomen der Kombination aus artikulierter Betroffenheit ohne sichere und direkte Gefährdung ist typisch für neue Risiken und demonstriert abermals ihren gesellschaftlichen Charakter. Eine Gesamteinschätzung läuft auf das Urteil hinaus, daß man im Zusammenhang mit neuen Risiken von der verfügbaren Palette kognitivistisch orientierter Bearbeitungsmöglichkeiten nicht all zu viel erwarten darf, als da sind: Kausalanalyse zwischen Ursachen und Wirkungen, Expertise, Berücksichtigung möglichst vieler Randvariablen, Informierung der Öffentlichkeit, mehr Forschungsanstrengungen. Selbstverständlich und ganz berechtigt liegt das Gegenargument auf der Hand, nämlich in der Frage: Was denn sonst? Und so wird mangels Alternative nach wie vor an Wissenschaft und wissenschaftlich betreuter Politik festgehalten. Das soll nicht degradiert werden, nur kann man zeigen, daß die Institutionen von Wissenschaft und Politik nicht wegen ihrer besonders adäquaten Problemlösung "im Amt sind", sondern mangels Alternative! Und sicher ist es kein Zufall, daß gerade im Zeitalter der neuen Risiken sich sowohl Politik als auch die Wissenschaften mit Verdrossenheit und Ansehensverlusten konfrontiert sehen. Dennoch sind Kausalitätsvorstellungen und die Vorstellung einer Berechenbarkeit der Welt nicht ad acta gelegt, weder in der Öffentlichkeit, noch in der Theorie. Die bedeutendsten theoretischen Ausprägungen an Kausalitätsvorstellungen und Expertise im Zusammenhang mit der Risikothematik sind ingenieurwissenschaftlicher und kognitions-psychologischer Art. In der Problematisierung der Risikowahrnehmung und der gesellschaftlichen Akzeptanz von Risikoübernahme bauen sie auf Konzepte wie Quantifizierungen von Daten ("Mortalitätsraten") bzw. auf Informationsgewinnung. Wir werden sie kurz darstellen und einer Kritik unterziehen, die darauf hinauslaufen wird, daß sie sich zwar auf die gerade beschriebenen neuen Risiken beziehen, ihr theoretisches Rüstzeug aber nur für traditionelle und industrielle Risiken tauglich ist. Dadurch bekommen diese Ansätze die gesellschaftlich-selbstreferentielle Konstruktion von Wissen über Risiken und Gefahren in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung nicht in den Blick.
2. Risikotheorien
41
2. Risikotheorien Im folgenden sollen die Risikotheorien vorgestellt werden, die zwar einen prominenten Status in der Risikodebatte einnehmen, aber die gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen von Risiken nicht oder nicht hinreichend berücksichtigen. Es handelt sich um Konzepte, die den gesellschaftlichen Umgang mit Risiken entweder zu quantifizieren suchen (ingenieurwissenschaftlicher Ansatz) oder aber auf eine individuelle Ebene der Kognition reduzieren (Psychologie). Indem Konzepte, die allenfalls noch im Zusammenhang mit einer Analyse traditioneller und industrieller Risiken adäquat sind, auf die Untersuchung des gesellschaftlichen Umgang mit neuen Risiken schlicht übertragen werden, begehen diese Ansätze, wie sich vor dem Hintergrund unserer obigen Risikotypologie zeigen wird, eine Art Kategorienfehler. Beginnen wir mit dem ingenieurwissenschaftlichen Ansatz. Dessen Grundlage besteht im Konzept einer Kosten/Nutzen-Abwägung im Hinblick auf Wohlfahrtsgewinne bzw. -Verluste durch die Nutzung riskanter Technologien. Den Hintergrund dazu bildet die klassische Auffassung vom Risiko als dem Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und die durch es möglicherweise bedingte Schadensgröße. "Der Begriff'Risiko' (...) meint die Möglichkeit eines Schadens oder Verlustes als Folge eines Ereignisses (z.B. Erdbeben) oder einer Handlung (z.B. Rauchen). Etwas schärfer formuliert hat der Begriff also zwei Komponenten, nämlich (a) die Unsicherheit künftiger Zustände, meist definiert als Wahrscheinlichkeit, und (b) einen negativen Zustand als eine mögliche Konsequenz, oft definiert als Schadens- oder Todesfall." 52 Wahrscheinlichkeitsrechnungen anhand von Mortalitätsraten stehen im Mittelpunkt modifizierter ingenieurwissenschaftlicher Risikoforschung, namentlich bei Ch. Starr. 53 Einerseits hält Starr als Ingenieur an der Definition von Risiko als Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensgröße fest. Andererseits, und darin liegt die Modifikation, sieht Starr, daß im Zusammenhang mit großtechnischen Anlagen die gesellschaftliche Akzeptanz zu einem bedeutenden Faktor wird. 54 Eine reine Kosten/Nutzen-Abwägung zwischen Technikeinsatz und erwartetem Wohlfahrtsgewinn muß deshalb ergänzt werden durch die Berücksichtigung
52
H. Jungermann/ P. Slovic (1993): Die Psychologie der Kognition und Evaluation von Risiko; in: G. Bechmann (1993, Hrsg.), Risiko und Gesellschaft. Grundlagen und Ergebnisse interdisziplinärer Risikoforschung, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 167-207 (169). 53
Vgl. Ch. Starr (1969): Social Benefit versus Technological Risk. What is our society willing to pay for safety? in: Science 165, S. 1232-1238; neu abgedruckt in: G. Bechmann (1993, Hrsg.), Risiko und Gesellschaft, S. 3-24. 54
Dies gilt aus zwei Gründen: erstens läßt sich eine einmal implementierte Hochtechnologie wie die Kernkraft nicht einfach wieder zurücknehmen und zweitens erfolgt die Implementation schneller als eventuelle Nebenfolgen bekannt sein können.
II. Zur Risikosoziologie
42
gesellschaftlicher Werte, die ihrerseits quantifizierbar vorgestellt werden.55 Diese Quantifizierung von gesellschaftlich akzeptierten Risiken läuft bei Starr über die statistische Wahrscheinlichkeit von Todesfallen pro Stunde in der Ausübung einer riskanten Tätigkeit.56 Die bislang von einer Gesellschaft akzeptierten Mortalitätsraten im Zusammenhang mit dem Einsatz bestimmter Techniken oder der Ausübung riskanter Tätigkeiten gelten als numerische Grundlage zur Ermittlung der noch akzeptierten Mortalitätsrate einer neuartiger Technologie oder allgemeiner: einer gesellschaftlichen Praxis. In einer konkreten Übersetzung lautet die Logik dann: Eine Gesellschaft, die Verkehrstote in Kauf nimmt (unter Wohlfahrtsgesichtspunkten in Kauf nehmen muß), akzeptiert auch bei entsprechender Wohlfahrtssteigerung Todesunfälle etwa in der Chemieindustrie. Diese "empirischhistorische-Methode" verlängert akzeptierte Vergangenheiten in die Zukunft und erlaubt, Akzeptanzvorhersagen auch fur neuartige Risiken vorzunehmen.57 Denn eine Gesellschaft, die eine bestimmte Mortalitätsrate im Zusammenhang mit herkömmlichen Risiken akzeptiert, billigt die gleiche Mortalitätsrate bei neuen Risiken. Dabei ist allerdings ein qualitatives Unterscheidungsmerkmal zu berücksichtigen, nämlich die bereits mehrfach angesprochene Freiwilligkeit der Risikoübernahme.58 Danach werden freiwillig eingegangene Risiken (z.B. Autofahren) weit schneller und im größeren Ausmaß akzeptiert als die Risiken, die durch
55
Was z.B zählt in Zukunft mehr und um wieviel mehr: Einkommen oder Arbeitsplatzbedingungen oder Arbeitszeit? Oder was wird höher eingestuft und um welche Rate: ein sicheres Verkehrsmittel oder ein schnelles? 56
Siehe Ch. Starr (1993): Sozialer Nutzen, S. 9.
57
"Wenn wir von der Annahme ausgehen, daß in derartigen historischen Situationen (bspw. die Einführung von Flugzeugen, Anm. M.H.) ein gesellschaftlich annehmbarer und annähernd optimaler Ausgleich (von Kosten und Nutzen, Anm., M.H.) der Werte erreicht würde, können wir behaupten, daß die dargelegten Verallgemeinerungen sich für Vorhersagezwecke benutzen lassen. Dieser Ansatz könnte eine ungefähre Antwort auf die anscheinend sehr einfache Frage geben: 'Wie sicher ist sicher genug?'", Ch. Starr (1993): Sozialer Nutzen, S. 7. 58
Vgl. Ch. Starr (1993): Sozialer Nutzen, S 7f. Die Einschätzung und die Akzeptanz ist in diesen beiden Fällen grundsätzlich anders: "Einige Hauptmerkmale der Nutzen-RisikoVerhältnisse sind offensichtlich, das hervorstechenste davon ist die Differenz, um einige Größenordnungen, zwischen der gesellschaftlichen Bereitschaft, 'freiwilliges' oder 'unfreiwilliges' Risiko zu akzeptieren. Wie zu erwarten, lassen wir andere uns ungern das antun, was wir ohne Zögern uns selbst zumuten" (ebenda, S 12). Zu diesem "double standard" in der Risikobereitschaft schreibt Luhmann unter dem Gesichtpunkt der Moral: "Wenn man anderen die Gefahren zumuten könnte, die man für sich selbst als Risiko akzeptiert, würde das Proteststürme auslösen. Wenn noch gälte: 'Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst', könnte dieser sich auf allerhand gefaßt machen.", N. Luhmann (1993d): Die Moral des Risikos und das Risiko der Moral; in: G. Bechmann (Hrsg.), Risiko und Gesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 327-338 (330).
2. Risikotheorien
43
fremde Entscheidungen entstehen und denen man daher unfreiwillig ausgesetzt ist (z.B. Atomkraftwerke). Die Unterscheidung in freiwillige und unfreiwillige Risikoübernahme macht aber nur dann Sinn, wenn man überhaupt annimmt, daß es riskante Tätigkeiten gibt, die ganz überwiegend ausschließlich auf den Entscheider selbst zurückfallen. Das ist aber eine Bedingung, die vor dem Hintergrund der vielfältigen Interdependenzen einer modernen Gesellschaft oft schon bei kleinformatigen Risiken nicht erfüllt wird, wie die Verhältnisse im Straßenverkehr hinreichend zeigen: auch der vorsichtige Autofahrer kann durch andere gefährdet werden. 59 In Anlehnung an die obigen Diskussion der Risikotypen ist die Unterscheidung in freiwillige oder unfreiwillige Risikoübernahme analytisch zwar naheliegend und im Einzelfall auch sinnvoll, aber selbst auf traditionelle Risiken nur bedingt anwendbar. Wieviel weniger dann aber im Hinblick auf die beschriebenen neuen Risiken! Selbst für die Seite der Entscheider kann man oft nicht mehr von freiwilliger Risikoübernahme sprechen (von den Betroffenen ganz zu schweigen), wenn unerwünschte Nebenfolgen in quantitativer und/oder qualitativer Hinsicht außer Kontrolle geraten und eben auch die Entscheider in einem Ausmaß treffen, das siefreiwillig nicht eingegangen wären. In der Literatur findet sich hierfür der Begriff der "Gefahren zweiter Ordnung".60 Die Quantifizierung qualitativ unterschiedlicher Risiken und die Betrachtung gesellschaftlicher Werte anhand einer Kalkulationslogik unter Wahrscheinlichkeitsannahmen kann man als typische Bearbeitungsmethode industrieller Risiken bezeichnet; sie wird aber von Starr auf die neuen Risiken übertragen. Damit überschätzt Starr die Möglichkeiten der Quantifizierungsmethode und unterschätzt die Bedeutung gravierender qualitativer Unterschiede in den Risikotypen im Hinblick auf gesellschaftliche und politische Konsequenzen. Ganz zu schweigen von individuellen Neigungen zur Risikoaversion oder zur Risikoübernahme als zwei Lebensstile. Es gibt eine Vielzahl weiterer qualitativer Momente, die für die Bereitschaft, Risiken zu übernehmen bzw. nicht zu übernehmen, verantwortlich sind. Diese sind Gegenstand der im folgenden zu skizzierenden kognitions-theoretischen Risikoforschung.61 Die Arbeiten dieser Forschungsrichtung überwinden die Vorstellung eines nutzenkalkulierenden Risikoumgangs und berücksichtigen den Umstand, daß für
59 Man sieht, wie unser obiges Beispiel der freiwilligen Risikoübernahme im Straßenverkehr nur bedingt zutrifft. 60
W. Bonß (1991): Unsicherheit und Gesellschaft, S. 265: "Von 'Gefahren zweiter Ordnung' wäre dann zu sprechen, wenn bestimmte Handlungen zeitlich, sozial und/ oder sachlich versetzte Nebenfolgen haben, die vorab nicht absehbar sind, das zugrundeliegende Risikokalkül sprengen und dem Verursacher kaum zugerechnet werden können." 61
Vgl. W. Krohn/ G. Krücken (1993): Riskante Technologien, S. 25ff.
II. Zur Risikosoziologie
44
die Einschätzung vonriskantenHandlungsweisen oder Technologien quantitative Methoden nicht in jedem Fall und nicht für jedermann gleichbedeutend sind.62 Während es beispielsweise für den einen Flugzeugpassagier beruhigend ist zu wissen, daß die Teilnahme an einem Flug statistisch gesehen ihn kaum gefährdet, fühlt ein anderer sich durch die gleiche Statistik erheblich beunruhigt.63 Es bedarf also neben den Zahlen und Raten immer noch eines interpretierenden Urteils, so schreibt Slovic: "At some point, human judgement is needed to interpret the findings and determine their relevance."64 Allerdings handelt es sich bei den Interpretationsleistungen um individuell-kognitive Akte des Einzelnen. Die Interpretationsleistungen und die Akte der Bedeutungsfindung sind konstitutiv für jede Art der Wahrnehmung und entsprechend Gegenstand einer breiten philosophischen und wahrnehmungspsychologischen Literatur, die theoriegeschichtlich weit früher als eine Soziologie des Risikos auftaucht. 65 Die Bedeutung von Interpretationsleistungen oder wie man sagen könnte: "Gestaltungen" werden aber gerade in unserem Zusammenhang der Risikoforschung interessant, so schreiben Jungermann/ Slovic: "Wir nehmen eben Objekte, Aktivitäten oder Situationen wahr, und wir hören oder lesen etwas über die damit verbundenen Risiken; diese Wahrnehmungen führen zu einem Urteil oder Gefühl bezüglich des Risikos der Gefahrenquelle. 'Risiko' ist ein Merkmal, das Objekten, Aktivitäten und Situationen aufgrund von Wahrnehmungs-, Lern- und Denkprozessen zugeschrieben wird." 66 Das klingt schon sehr nach einer De-Ontologisierung des Risikos, d.h. nach Loslösung von einer Objektwelt. Allerdings trügt der Schein, wenn man berücksichtigt, unter welchem Gesichtspunkt dieser kognitionspsychologische Ansatz die Wahrnehmung von und die Informiertheit über Risiken thematisiert.
62 Als Gegenposition zum Konzept der Nutzenkalkulation vgl. A. Tversky/ D. Kahneman (1986): The Framing of Decisions and the Psychology of Choice; in: J. Elster (ed.), Rational Choice, Oxford, S. 123-141; ferner gegen ein reines "risk-, environmental- und technology-assessment" vgl. K.P. Japp (1990a): Komplexität und Kopplung. Zum Verhältnis von ökologischer Forschung und Risikosoziologie, in: J. Halfmann/ K.P. Japp (Hrsg.), Riskante Entscheidungen und Katastrophenpotentiale, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 176-195(187). 63
Das Flugzeug-Beispiel bei P. Slovic/ B. Fischofl7 S. Lichtenstein (1980): Facts versus fears, S. 484: "For example, although some people feel enlightened upon learning that a single takeoff or landing in a commercial airliner reduces one's life expectancy by a average of 15 minutes, others find themselves completely bewildered by such information." 64
P. Slovic/ B. Fischöl S. Lichtenstein (1980): Facts versus fears, S. 463.
65
Vgl. nur beispielhaft fur die Theoriegeschichte der Wahrnehmungspsychologie F. Heider (1926): Ding und Medium; in: Symposium I, Heft 2, S. 109-157. 66 H. Jungermann/ P. Slovic (1993): Die Psychologie der Kognition und Evaluation von Risiko; in: G. Bechmann (Hrsg.), Risiko und Gesellschaft. Grundlagen und Ergebnisse interdisziplinärer Risikoforschung, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 167-207 (171).
2. Risikotheorien
45
Das geschieht nämlich betontermaßen unter dem Gesichtspunkt der Verzerrung. Deutlich wird das an der programmatischen Differenzierung von facts und fears 67 und der daran orientierten, konzeptionell zentralen Trennung zwischen Experten und Laien, eine Differenzierung, die aufzeigen soll, daß Experten Risiken richtiger einschätzen als Laien. Das gilt insbesondere für neue Situationen mit fremden Risiken, über die es noch kein Erfahrungswissen gibt, also "(...) in cases where people do not know, or have difficulty appraising, what they want."68 Was aber, so muß man fragen, sollte falsch oder richtig, verzerrt oder nicht verzerrt wahrgenommen werden, wenn nicht eine vom Beobachter unabhängige Realität? Wir kommen auf diesen Punkt abschließend noch zurück, zeigen aber zuvor noch auf, worin die Wahrnehmungsverzerrungen genauer liegen, liefern sie doch wertvolle Hinweise für unser Argument der Gesellschafisabhängigkeit der Risikowahrnehmung (ohne allerdings die konstruktivistischen Konsequenzen daraus zu ziehen). Nach der hier skizzierten Risikopsychologie laufen vor allem die Informationsverarbeitung der Laien sowie deren Urteilsvermögen unter (notwendigen) Verzerrungen ab, d.h. primär unter Bedingungen kognitiver Begrenztheit und Zeitdruck. Deshalb ist ein Beobachter darauf angewiesen, auf sogenannte Heuristiken zurückzugreifen. 69 So werden beispielsweise gut verfügbare und leicht erinnerbare Informationen gegenüber alten und seltenen Informationen bevorzugt, obwohl das sachlich nicht zwingend ist. Zwei weitere, weit verbreitete Heuristiken bestehen darin, ein übertriebenes Vertrauen (a) in die eigenen Fähigkeiten (etwa als Autofahrer) wie auch (b) in das eigene Wissen zu besitzen: "A particulary pernicious aspect of heuristics is that people typically have great confidence in judgements based upon them".70 Außer der grundsätzlichen Bedeutung von Heuristiken berücksichtigt die kognitions-psychologische Literatur weitere qualitative Merkmale von Risiken, wie wir sie oben in unserer Typologie aufgeführt haben, aber in den Modellen quantitativer Nutzenkalkulation nicht hinreichend berücksicht sind, namentlich der Abstraktheitsgrad von Gefahren und das inhären-
67 So die Formulierung bei P. Slovic/ B. Fischöl S. Lichtenstein (1980): Facts versus fears: S. 464-489. 68
B. Fischofïï P. Slovic/ S. Lichtenstein (1980): Labile Values: A Challenge for Risk Assessment; in: J. Conrad (Hrsg.), Society, Technology and Risk Assessment, London/ New York/ Toronto/ Sydney/ San Francisco: Academic Press, S. 57-66. 69
Vgl. P. Slociv/ B. Fischofïï S. Lichtenstein (1980): Facts versus fears; femer D. Kahneman/ P. Slovic/ A. Tversky (Hrsg.), Judgement under Uncertainty: Heuristics and Biases, Cambridge (insb. S. 3-20). 70
P. Slovic/ B. Fischofïï S. Lichtenstein (1980): Facts versus fears, S. 472.
II. Zur Risikosoziologie
46
te Katastrophenpotential.71 Zum ersten Punkt: Je abstrakter eine Gefahr ist, umso unheimlicher erscheint sie. Beispielsweise führen die Unsichtbarkeit von Radioaktivität, die Unvertrautheit im Umgang damit, die intuitive Nähe von Radioaktivität zu den Nuklear-Waffen, die Irreversibilität der Kernkrafttechnologie und die Unfreiwilligkeit der Risikoübernahme dazu, daß insbesondere von Laien der Nutzen aus der nuklearen Stromerzeugung enorm niedrig oder vernachlässigbar, das Risiko dagegen für unakzeptabel hoch eingeschätzt wird. 72 Zweitens besteht eine weitere wesentliche Korrektur am Konzept der Nutzenkalkulation im Katastrophenpotential oder den Katastrophenschwellen neuer Risiken.73 So schreiben Jungermann/ Slovic: "Das Risiko wird höher eingeschätzt, wenn eine Technik ein Potential zur Verursachung von Unfällen mit vielen Todesfällen hat, als wenn die Todesfälle einzeln eintreten. Es macht ganz offenbar für die meisten Menschen einen Unterschied, ob Ν Menschen auf einmal sterben oder ob zu Ν Zeitpunkten je ein einzelner Mensch stirbt."74 Die genannten Wahrnehmungsneigungen betreffen vor allem den Risikoumgang der Laien. Während die Experten Szenarien modellieren und Wahrscheinlichkeitsrechnungen zur Verfügung haben, sind die Laien stärker auf Intuition und besagte Heuristiken angewiesen.75 Sie schätzen infolgedessen unbekannte und
71 Die Kriterien der Abstraktheit und der Katastrophenschwelle zeigen den Bezug auch dieser psychologischen Ansätze auf die oben beschriebenen Hochtechnologien und neuen Risiken. 72
Vgl. P. Slovic/ B. Fischofïï S. Lichtenstein (1980): Facts versus fears, S. 285.
73
"Man akzeptiert die Ergebnisse einer (...) Kalkulation, wenn überhaupt, jedenfalls nur dann, wenn sie die Schwelle nicht berühren, jenseits derer ein (noch so unwahrscheinliches) Unglück als Katastrophe empfunden werden würde", N. Luhmann (1991): Der Begriff Risiko; in: ders., Soziologie des Risikos, S. lOf. Das Katastrophenpotential ist denn auch mitkonstituierender Faktor derjenigen sozialen Bewegungen, die ihre Wahrnehmung auf "lowprobability-highconsequence'-Risiken konzentrieren; vgl. M. Douglas (1992a): Risk and Blame. Essays on cultural theory, London/ New York: Routledge, Kap. 4. 74
H. Jungermann/ P. Slovic (1993a): Charakteristika individueller Risikowahrnehmung; in: W. Krohn/ G. Krücken, Riskante Technologien, S. 79-100 (83). 75 Siehe etwa H. Jungermann/ P. Slovic (1993): Die Psychologie der Kognition und Evaluation von Risiko, S. 168: "Experten in Wissenschaft und Technik wenden die in diesem Gebiet (gemeint ist "Risk Assessment", Anm., M.H.) entwickelten Verfahren an, wenn sie beispielsweise ein technisches System oder ein bauliches Projekt mit hohem Gefahrenpotential formal evaluieren und auf diese Weise einer rationalen Entscheidung zugänglich machen wollen. Die meisten Bürger dagegen müssen sich ihr Urteil weitgehend intuitiv bilden. Da ihnen die Grundlagen, Funktions- und Wirkungsweisen moderner Technik und Systeme unvertraut und unverständlich sind, können sie meist weder auf eigenes Wissen noch auf eigene Erfahrung zurückgreifen, sondern müssen sich in erster Li-
2. Risikotheorien
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möglicherweise katastrophale Techniken regelmäßig als sehr viel gefährlicher ein als die Experten. Deren Aufgabe ist es deshalb, so die Theorie, Informationen an diejenigen weiterzuleiten, die mit Gefahren umgehen müssen, wie Politiker, Juristen und Öffentlichkeit. 76 Die Funktion der Experten liegt in der Transformation kognitiver Neigungen und Gefühle in sachliche Informationen. Dieser Belehrungsansatz muß aber einige Tücken der Informationsverarbeitung berücksichtigen, will er nicht allzu naiv erscheinen, ein Punkt, der bei unseren Autoren auch ansatzweise auftaucht. Da sind einmal die hinlänglich bekannten kognitiven und zeitlichen Beschränkungen der Informationsempfänger. 77 Darüber hinaus gewinnt in diesem Zusammenhang die sogenannte "Verfügbarkeits-Heuristik" an Bedeutung: "Damit ist die in vielen empirischen Untersuchungen bestätigte Tendenz von Menschen gemeint, ein Ereignis für um so wahrscheinlicher zu halten, je leichter Beispiele für dieses Ereignis erinnert oder vorgestellt werden
nie auf Berichte in den Nachrichtenmedien verlassen bzw. auf die Meinungen derjenigen Vertreter in Wissenschaft und Politik, denen sie vertrauen. Daher konnte es eigentlich nicht sonderlich überraschen, daß die Beurteilungen von Risiken durch Experten und durch Laien oft nicht kongruent sind." Der Unterschied ist aber nur graduell zu verstehen, denn das Arbeitsgebiet "Risk Assessment" verhindert nicht, daß auch Experten kognitive Fehlleistungen vollbringen und unter Bedingungen heuristischer Wahrnehmungen operieren, z.B. in Form von "(...) overconfidence in current scientific knowledge", P. Slovic/ B. Fischoff7 S. Lichtenstein (1980): Facts versus fears, S. 477. Auch wird an anderer Stelle eingeräumt, daß die laienhafte Schätzung von Schadengrößen als Folge riskanter Tätigkeiten oft gar nicht weit von den Schätzungen der Experten liegen, vgl. H. Jungermann/ P. Slovic (1993a): Charakteristika individueller Risikowahrnehmung; in: W. Krohn/ G. Krücken (Hrsg.), Riskante Technologien, S. 79-100 (83). 76
Es liegt dann eine Art Arbeitsteilung im Risikomanagement vor, in der die Experten den kognitiven Teil übernehmen, während die Leistung der Laien in der Berücksichtigung und Artikulation gesellschaftlicher Werte liegt. "Proponents of risk assessment typically advocate a devision of labor between technical experts and the lay public, with the former being responsible for the facts, the later for the values.", B. Fischhoff, P. Slovic, S. Lichtenstein (1980): Labile Values: A Challenge for Risk Assessment; in: J. Conrad (Hrsg.), Society, Technology and Risk Assessment, London/ New York/ Toronto/ Sydney/ San Francisco: Academic Press, S. 57-66. 77
"Despite these good intentions, creating effective informational programms may be quite difficult. Doing an adequate job means finding cogent ways of presenting complex, technical material that is often clouded by uncertainty. Not only is the allotted time sometimes very limited, but message must confront the listeners' preconceptions (and perhaps misconceptions) about the hazard in question and its consequence. For example, in some situations, misleading personal experiences may promote a false sense of security, whereas in other circumstances, mere discussion of possible adverse consequences may enhance their apparent threat", P. Slovic/ B.Fischofï? S. Lichtenstein (1980): Facts versus fears, S. 478.
II. Zur Risikosoziologie
48
können".78 Genau das aber geschieht durch Informationsverbreitung, die ihrerseits unter den genannten Selektivitäten der Massenmedien als der primären, in den allermeisten Fällen einzigen Informationsquelle in modernen Gesellschaften, steht. Ganz unwahrscheinliche Katastrophenfälle rücken so allein durch ihre Erwähnung in den Medien in den Bereich des Möglichen oder sogar Wahrscheinlichen. So fuhren Experten-Anhörungen beispielsweise über mögliche Gefahren einer hochtechnologischen Anlage nicht zur Beruhigung der Öffentlichkeit, sondern macht umgekehrt diese erst recht darauf aufmerksam, was alles schief gehen kann.79 Denn die mitgeteilten Gefahren sind dann als Information verfügbar und gestalten infolgedessen wesentlich die weitere Risikowahrnehmung.80 Darüber hinaus klingt in der Unterscheidung von Experten und Laien eine Heuristik an, die soziologisch wohl die bedeutenste ist, nämlich die der gesellschaftlichen Werthaltungen. Denn aufgrund des mangelhaften Wissensbestandes der Laien spielen in deren Risikomanagement gesellschaftliche Werthaltungen eine bedeutende Rolle: "Proponents of risk assessment typically advocate a devision of labor between technical experts and the lay public, with the former being responsible for the facts, the latter for the values."81 Implizit handelt es sich aber nicht um eine gleichberechtigte Stellung zwischen Faktenwissen und Werthaltungen, sondern um eine Privilegierung des ersten, und so muß der kognitions-
78 H. Jungermann/ P. Slovic (1993): Die Psychologie der Kognition und Evaluation von Risiko, S.188. 79
K.P. Japp spricht daher vom "Kommunikationsparadox"; vgl. K.P. Japp (1992a): Mehr Sicherheit durch Technik?; in: G. Bechmann/ W. Rammert (Hrsg.), Technik und Gesellschaft, Jahrbuch 6: "Großtechnische Systeme und Risiko", Frankfurt a.M./ New York: Campus, S. 175-191 (185); vgl. ferner P. Slovic/ B. Fischofï/ S. Lichtenstein (1980): Facts versus fears, S. 486f. In dem Versuch, Vertrauen zu schaffen, wird es gerade zerstört. Das Dilemma löst sich aber auf, wenn man sieht, daß das Vertrauen in Technik ohnehin nicht auf Informiertheit basiert, sondern auf der Lebensweltlichkeit als problemloser Vertrautheit der Technik; vgl. G. Wagner (1994): Vertrauen in Technik; in: Zeitschrift für Soziologie 23 (2), S. 145-157. 80 Eine grundsätzliche, soziologische Kritik an dem Zusammenhang von expertengeleiteten Informationen und einem dadurch besonnenem Umgang mit Risiken, liegt in der Überlegung, daß umgekehrt die Fähigkeit, in riskanten Situationen handlungsfähig zu sein, davon abhängt, von zuviel Informationen und Kalkulationen abzusehen und statt rational "impressionistisch" zu entscheiden, vgl. K.P. Japp (1992): Selbstverstärkungseffekte riskanter Entscheidungen; in: Zeitschrift für Soziologie 21 (1), S. 31-48. Dort wird unterschieden zwischen Rationalität (der Experten) und Risiko (als Bereitschaft, kurzfristig zu handeln, auch wenn es laienhaft ist). Zum Begriff des "impressionistischen" Entscheidens vgl. N. Brunsson (1985): The Irrational Organization, S. 45ff. 81
B. Fischhofïï P. Slovic/ S. Lichtenstein (1980): Labile Values: A Challenge for Risk Assessment; in: J. Conrad (Hrsg.), Society, Technology and Risk Assessment, London/ New York/ Toronto/ Sydney/ San Francisco: Academic Press, S. 57-66.
2. Risikotheorien
49
psychologische Ansatz konsequenterweise an den Kategorien von Informationsgewinnung und -Verbreitung festhalten. 82 Übrig bleibt letztlich nur das Plädoyer für mehr Information : "Informing people, whether by warning, labels, package inserts, or extensive media programs, is but part of the larger problem of helping people cope with the risks and uncertainties of modern life. We believe that some of the responsibility lies with our schools."83 Kommen wir zur kritischen Einschätzung dieses Ansatzes. Er berücksichtigt qualitative Unterschiede in den Risiken und die Herausbildung entsprechender Heuristiken, sowie gesellschaftliche Werthaltungen; er geht damit über das Konzept der Nutzenkalkulation hinaus. Dennoch ist er theoretisch unter konstruktivistischen Gesichtspunkten nicht überzeugend. Erstens wird letztlich doch eine Objektwelt zugrunde legt, (über die sich dann die Interpretationsleistung des Einzelnen erhebt, die im Falle von Verzerrungen durch die Experten korrigiert werden muß). Zweitens handelt es sich methodisch um einen individualistischen Reduktionismus, liegt der Fokus doch auf den individuell-kognitiven Leistungen Einzelner. Der Ansatz bleibt der individuellen Ebene verhaftet und ignoriert damit die konstitutive Bedeutung gesellschaftlicher Entstehungsbedingungen von Wissen, Informationen und Risiken bzw. Gefahren. Kognitivistisch bleibt das Moment der Informationsgewinnung und -Verbreitung zentral, wobei Informationen so vorgestellt werden, als seien es Daten über die Welt. Der Ansatz verbleibt in der Gegenüberstellung von Tatsachenwissen versus Heuristiken und gesellschaftlichen Werten. 84 Gefahren und Risiken werden danach um so richtiger (im kognitiven Sinne) wahrgenommen, desto weniger die Wahrnehmung durch Neigungen und Werte abgelenkt ist. Daraus erklärt sich der Aufklärungsauftrag der informierten Experten gegenüber den wertorientierten Laien. Allerdings, so kann man abschließend hinzufügen, ist die Kategorie des Tatsachenwissens im Zu-
82
Und die Bedeutung von Informationen hat ja sicher zugenommen, beispielsweise erkennbar an Fernsehkampagnen zur AIDS-Vorsorge oder an den relativ neuen Beipackverordnungen zu Arzneimittelverpackungen. Aber auch hier muß man sichfragen, ob es sich eigentlich um Information handelt oder nicht vielmehr um Informationspo/zYz'£; als Indiz vgl. die "Frankfurter Rundschau" vom (Thema: Aids-Vorsorge in Frankreich und die "Diskursivität" von Sexualität i.S. Foulcaults. 83
P. Slovic/ B. Fischofïï S. Lichtenstein (1980): Facts versus fears, S. 484.
84
Die Berücksichtigung gesellschaftlicher Werte halten sich unsere Autoren sehr zu Gute und sie schreiben: "Das zunehmende Bewußtsein für solche Gefahren, die sich konventioneller Analyse und konventionellem Management entziehen, kommt in der seit etwa zehn Jahren anhaltenden Diskussion um das Risiko zum Ausdruck, das unterschätzt bzw. überschätzt werde und das eingegangen werden müsse bzw. nicht eingegangen werden dürfe", H. Jungermann/ P. Slovic (1993): Die Psychologie der Kognition und der Evaluation von Risiko, S. 167.
4 Heidenescher
50
II. Zur Risikosoziologie
sammenhang mit abstrakten und großformatigen Risiken auch in diesen Ansätzen nicht unumstritten: "Die Lösung von Konflikten über das 'Tatsachenwisssen' (...) scheint in der Gewinnung von bzw. Kommunikation über Information zu liegen. Und oft ist dies auch der Fall (Bspw.: Rauchen, Sicherheitsgurte, Aids). (Aber) Lösungen dieser Art (werden) um so schwerer, je häufiger sich behauptete Tatsachen als bloße Meinungen herausstellen."85 Die Idee, die Kategorie des Tatsachenwissens zu verlassen und Wissen als Meinungswissen zu entlarven, weist schon die Richtung an, in die wir argumentieren werden. Nur gehen wir über den kognitionspsychologischen Ansatz hinaus, indem wir strikt einen Gefahrenobjektivismus, der in der Unterscheidung von Experten und Laien impliziert ist, zu überwinden suchen. Während die Literatur zur Psychologie des Risikos lediglich etwas verlegen von einer Interdependenz zwischen Wissen und Werthaltungen spricht, nehmen wir grundsätzlicher ein Konstitutionsverhältnis zwischen diesen Momenten an. Informationen und Wissensbestände gehen danach ihrerseits auf gesellschaftliche Werthaltungen zurück wie umgekehrt Werthaltungen als Wissen auftritt. Denn schließlich muß möglichst mit harten Daten begründet werden, warum eine Technologie begrüßt oder abgelehnt wird. 86 Formal gesehen greifen beide Seite auf dieselbe Kategorie zurück, nämlich auf die Wissenschaften. Der Objektivismus wie der Individualismus macht die Risikopsychologie, obwohl die Logik der Nutzenkalkulation überwindend, für unsere Absichten letztlich untauglich. Uns kommt es unter Rückgriff auf kulturtheoretische Überlegungen darauf an, die Interpretation von Informationen und Ereignissen, sowie ihre Aufladung mit Bedeutungen in ihrer Konstruiertheit aufzuzeigen, ohne eine Letztbegründung in einer ontisch-objektiven Welt anzunehmen. Wir verfolgen hier einen Ansatz, der die Konstruiertheit der neuen Risiken, ihre Generierung aus den "(...) Auseinandersetzungen um ihre soziale Definition und Klassifikation (...)" thematisiert und betont.87 Eine soziologische Risikotheorie muß konstitutiv davon ausgehen, daß die Gefahren und Risiken selbst sowie auch Betroffenheiten, an denen sich soziale und politische Auseinandersetzungen entzünden, soziale Konstrukte sind. "Risiko ist vielmehr als eine bedeutend breitere soziale und kulturelle Konstruktion zu begreifen, die unter soziologischen Perspektiven als spezifischer Typus sozialen Handelns zu beschreiben wäre, nämlich als ein Handeln unter Bedingungen der Unsicherheit, das je nach den sozialen Konstellatio-
85
H. Jungermann/ P. Slovic (1993): Die Psychologie der Kognition und Evaluation von Risiko, S.199. 86 Die Ungewißheiten, die an neuen Technologien haften, sind also nicht mangelnder Forschung geschuldet, sondern sind technischen, wie auch ökologischen Systemen inhärent, vgl. K.P. Japp (1990a): Komplexität und Kopplung, S.177. 87
Ch. Lau (1989): Risikodiskurse, S. 426.
2. Risikotheorien
51
nen unterschiedlich konstruiert wird." 88 Verabschiedet ist damit ein Gefahrenobjektivismus, der Gefahren und Risiken als von Beobachtungen, Definitionen, Entscheidungen und Auseinandersetzungen unabhängige Größen vorstellt. Eine Form von Risikoobjektivismus vertreten zu haben, ist aber auch innerhalb der Soziologie keine unbekannte Diskussion und stellt eine der verbreitetsten Kritiken an Becks Risikogesellschaft (1986) und Gegengifte (1988) dar. 89 Die vorliegende Arbeit dient nun nicht dazu, ausführlich in diese Auseinandersetzung einzusteigen.90 Nur gibt es Äußerungen von Beck, die eher eine kulturtheoretische Richtung aufweisen, die der Argumentationsweise der vorliegenden Arbeit recht nahe kommt, so schreibt Beck etwa: "Zwischen der Gefahr und der Verweigerung ihrer Hinnahme liegen drei unabhängig voneinander variierende Größen: Das Ausmaß der Zerstörung (...), das öffentliche, soziale Wissen um sie (...) und die symbolisch vermittelte Bewertung dieses Wissens in der kulturellen Akzeptanz". 91 Die kulturelle Akzeptanz von Informationen, die gesellschaftlichen Grundlagen des Wissens und die Beobachtungsabhängigkeit von Risiken: all das sind Momen-
88
W. Bonß (1991): Unsicherheit und Gesellschaft, S. 261. Das Argument ist hier gedacht gegen einen rein technisch ausgerichteten Risikobegriff in der Tradition des "risk assessment". Dennoch bleiben aber Großtechnologien der bevorzugte Anwendungsfall von Risikotheorien. 89
Vgl. nur W. Bonß (1991): Unsicherheit und Gesellschaft, S. 260: Beck fokussiert danach seinen Risikobegriff "(...) in einer dem 'risk assessment' vergleichbaren Form von Anfang an auf technische Phänomene und reduziert ihn letztlich hierauf. Oder anders ausgedrückt: Risiken werden bei Beck nicht in Terms sozialen Handelns begriffen; sie erscheinen vielmehr ausschließlich als technische Gefährdungen, die gesellschaftlich nur in dem Maße relevant werden, als sie mit sozialen Auswirkungen verknüpft sind." Ähnliche Kritiken eines "a-sozialen" Risikoverständnisses Becks bei K.P. Japp (1990): Das Risiko der Rationalität für technisch-ökologische Systeme; in: J. Halfmann/ K.P. Japp (Hrsg.), Riskante Entscheidungen und Katastrophenpotentiale: Elemente einer soziologischen Risikoforschung, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 34-60 (37); ferner W. Krohn/ G. Krücken (1993): Risiko als Konstrukt und Wirklichkeit; in: dies. (Hrsg.), Riskante Technologien, S. 9-44 (9). 90 Vermutlich ist ein Großteil der Kontroverse auf eine unglückliche Begriffebestimmung Becks zurückzuführen, so vor allem in seiner Kritik am von ihm so titulierten Gefahrenrelativismus: "Der kulturelle Gefahrenrelativismus' (...) tendiert dazu, durch die Betonung der kulturellen Vielfalt der Gefahrenwahrnehmung von der Besonderheit technologischer Großgefahren abzusehen. Diese sind - anders als ihre vorindustriellen Vorfahren - entscheidungsabhängig entstanden und damit in ihren Ursachen und Urhebern letztlich nicht politisch auf ein Außen hin neutralisierbar", U. Beck (1988): Gegengifte, S. 262. Betonung im Original. Als Kritiker eines Gefahrenrelativismus erscheint Beck dann - vorschnell - als Vertreter eines Gefahrenobjektivismus. 91
4*
U. Beck (1988): Gegengifte, S. 81.
52
II. Zur Risikosoziologie
te, die uns die Typik neuer Risiken vor Augen hält, aber auch entscheidend über eine bloße Typologisierung hinausgeht und auf das Verhältnis von Gesellschaft und Technik verweist. Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Informiertheit aber können, wie wir sahen, das Verhältnis nicht ausreichend abbilden. Um der gesellschaftlich-selbstreferentiellen Konstruktion von Risiken und Gefahren gerecht zu werden, greifen wir in der weiteren Untersuchung des Verhältnisses von Technik und Gesellschaft auf das Konzept der strukturellen Kopplung der Systemtheorie zurück.
3. Die strukturelle Kopplung von Gesellschaft und Technik Der Begriff der "strukturellen Kopplung" wurde bereits in der Einleitung angesprochen; er soll jetzt ausgeführt und in den Zusammenhang des II. Kapitels gestellt werden. So können die bisherigen Befunde auf ein theoretisches Konzept hin fokussiert werden. Strukturelle Kopplung ist ein Konzept, das sich der Doppellanforderung selbstreferentieller Systeme widmet, nämlich zugleich operativ geschlossen und kognitiv offen zu sein. Denn die autopoietische Schließung eines Systems negiert nicht die kognitive Offenheit, sondern ist im Gegenteil auf sie angewiesen, denn externe Irritationen liefern dem System notwenige Gelegenheiten für das eigene autopoietische Operieren. Operative Schließung meint keinesfalls Solipsismus oder Isolierung, so Luhmann: "Der Zusammenhang von Geschlossenheit und Offenheit muß mithin als ein Steigerungsverhätnis begriffen werden (...) Nur geschlossene Systeme, die sich selbst von ihrer Umwelt unterscheiden können, können sich mit ihren eigenen Operationen auf das einstellen, was sie als Information der Umwelt (und nicht sich selbst) zurechnen. Information ist zwar immer ein systeminternes Konstrukt, aber was im Schema der Information verarbeitet wird, kann auf Irritationen des Systems durch seine Umwelt zurückgehen."92 Die Irritationssensibilitäten oder Aufmerksamkeiten des Systems sind dabei gekennzeichnet durch eine Selektivität, die je nach System unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Generell aber gilt: Sie führen dazu, daß vieles aus der Umwelt ignoriert wird, dasjenige aber, das die Sensibilität trifft, notwendigerweise kognitiv verarbeitet wird. 93 Die Selektivität des Umweltkontaktes ist in ihrer
92 93
N. Luhmann (o.J.): Die Politik der Gesellschaft, unv. Ms. Bielefeld, S. 58f.
Die Notwendigkeit von Selektivität findet sich in vielen Strukturen, nämlich in denjenigen, die nach dem Prinzip: "weniger ist mehr" aufgebaut sind, so beispielsweise das Gehirn und die Sprache. Immer geht es um das paradoxe Unterfangen, durch Einschränkungen Spielräume nicht einzubüßen, sondern im Gegenteil zu gewinnen. So etwa auch in der Musik: durch vielerlei Beschränkungen (Festlegung der Anzahl von Tönen und Intervallen, ausgedrückt im Notationssystem) wird Musik nicht verhindert, sondern überhaupt erst möglich, sonst wäre es Lärm.
3. Die strukturelle Kopplung von Gesellschaft und Technik
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Bedeutung kaum zu überschätzen, da sie sowohl die Independenz (Unabhängigkeit von der Umwelt) als auch die Interdependenz (Kopplung zur Umwelt) steigert.94 Das Konzept gehört daher zu den Grundlagen einer allgemeinen Theorie sozialer Systeme. Unser Thema des Kapitels, das Verhältnis von Gesellschaft und Technik, eignet sich besonders gut dafür, anhand des Konzeptes der strukturellen Kopplung analysiert zu werden.95 Denn obwohl das Verhältnis von Gesellschaft und Technik sicher an Problematik und Dramatik zugenommen hat, ist es sicher keines der einfach möglichen Zielgerichtetheit, beispielsweise in Richtung auf mehr Sicherheit für alle. Die Brechungen an den Systemgrenzen, die Unmöglichkeit zweckgerichteter Beziehungen, in unserem Fall von Gesellschaft und Technik, aber sind gerade Gegenstand des Konzeptes struktureller Kopplung. Die Riskanz moderner Technik und die Interdependenzen moderner Gesellschaften machen deutlich, daß die klassische entscheidungstheoretische Unterscheidung von Zwekken, Mitteln und Nebenfolgen, die etwa als Restrisiko auftreten, nicht mehr ausreicht, um das Verhältnis von Gesellschaft und Technik befriedigend und angemessen zu thematisieren. Diese Perspektive ignoriert z.B. den Zeitbindungseffekt riskanter Entscheidungen, d.h. eine irreversible Technologie trifft auf sich laufend verändernde Umweltverhältnisse. Vor allem aber wird in Konzepten von Zwecksetzung und Intentionalität nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt, daß die gesellschaftliche Kommunikation sich als eine Vielfalt divergierender Beobachtungen darstellt, so daß man immerfragen muß, wessen Zwecke es sind, die auf Kosten welcher Betroffenheiten gesetzt werden! Uns geht es dabei nicht um die Frage einer gerechten Verteilung von Gewinnen und Belastungen, sondern um den Versuch, die Generierung der Beobachtungsperspektiven aus der Selbstreferentialität der Gesellschaft zu erklären. Selbstverständlich gibt es Zwecksetzungen, zum Beispiel politische Programme oder die Festlegung von Grenzwerten. Aber das sind Reaktionen auf gesellschaftsinterne Erwartungen, sie gehen zurück auf Irritationen der Politik durch die politische Peripherie. Und außerdem ist zu berücksichtigen, daß die Politik nicht hinreichend kontrollieren kann,
94
Vgl. N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 41; ferner H. Willke (1989): Systemtheorie entwickelter Gesellschaften. Dynamik und Riskanz moderner gesellschaftlicher Selbstorganisation, Weinheim/ München: Juventa, S. 48. 95
Weitere Anwendungsfälle für strukturelle Kopplungen sind die Beziehungen zwischen Bewußtsein (als außergesellschaftliche Umwelt) und Kommunikation, vgl. N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 11-67, sowie die Verhältnisse zwischen innergesellschaftlichen Umwelten, vgl. N. Luhmann (o.J.): Die Politik der Gesellschaft, unv. Ms., S. 182ff. Dort findet sich die Behandlung der strukturellen Kopplung zwischen Politik und Wirtschaft (Steuern, Abgabe, Finanzierung öffentlicher Haushalte), zwischen Politik und Recht (Rechtsstaat, Verfassung) und zwischen Politik und Wissenschaft (Beratung, Expertise).
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II. Zur Risikosoziologie
welche Irritationen sie ihrerseits an anderen Stellen der Gesellschaft auslöst. Das gilt übrigens dann ganz besonders, wenn sie erfolgreich ist. Die Beobachtungsvielfalten der Gesellschaft verunmöglicht einen Zusammenhang zwischen Zwecksetzung und Problemlösung und zwar erstens aufgrund der Vielfalt der Perspektiven selbst und zweitens aus dem Grund, daß die Beobachtungvielfalten nicht mit der Unterscheidung vonrichtigemund falschem Beobachten erklärt werden kann und entsprechend durch Aufklärung zu beheben sei. Der oben benutzte Begriff der Polykontexturalität meint vielmehr die Koexistenz verschiedener Welten, die je für sich aber evident und definitiv sind, also die Perspektivität der Perspektive nicht mitsehen. Das Konzept der strukturellen Kopplung umfaßt mithin eine Reihe theoretischer Begriffe: Zunächst den der Irritation, der das Zweckmodell einer zielgerichteten Kausalität zwischen Systemen und/ oder Systemen und Umwelten ersetzt, dann den der Selektivität dieser Irritationen, d.h. der systeminhärenten Unterscheidung dessen, was für das System bedeutend und was für das System unbedeutend ist, dann den Begriff der zwingenden Notwendigkeit der Selektivität, denn erst durch den selektiven Zugriff auf die Umwelt konstituiert sich überhaupt erst ein System, sowie schließlich die Vorstellung, daß die Irritationen zum Aufbau systemeigener Komplexität genutzt werden. Die Idee der strukturellen Kopplung selbst stammt aus der Biologie von Maturana und Varela und wird von den Autoren folgendermaßen beschrieben: "Bei diesen Interaktionen (zwischen System und Umwelt, Anm. M.H.) ist es so, daß die Struktur des Milieus in den autopoietischen Einheiten Strukturveränderungen nur auslöst, diese also weder determiniert noch instruiert (vorschreibt), was auch umgekehrt für das Milieu gilt. Das Ergebnis wird (...) eine Geschichte wechselseitiger Strukturveränderungen sein, also das, was wir strukturelle Kopplung nennen".96 Dieses Konzept ist von Luhmann übernommen worden, um es für die Soziologie zu nutzen, allerdings nicht, ohne es in temporaler Hinsicht zu modifizieren. Strukturelle Kopplung bezeichnet bei Luhmann, zunächst noch ganz analog zu Maturana und Varela, ein System/Umwelt-Verhältnis im Sinne einer Anpassungsleistung des Systems an Umweltbedingungen. Anpassung heißt aber nicht, daß sich das System graduell aufgibt und der Umwelt entgegenkommt oder gar in sie aufgeht. Vielmehr verläuft Anpassung evolutionär, das heißt, sie verläuft zufällig und nicht gradlinig97. Außerdem entspricht sie nicht einem optimalen Verlauf im Sinne eines survival of the fittest ,so Luhmann: "Selbstreferentielle
96
H.R. Maturana/ F.J. Varela (1987): Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens, Bern/ München: Scherz, S. 85. 97 Vgl. C. Borgards (1993): Systemtheorie und Rational Choice Theorie - Konkurrenzoder Komplementärverhältnis?, Diplomarbeit, Universität Bielefeld, S. 67.
3. Die strukturelle Kopplung von Gesellschaft und Technik
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autopoietische Systeme sind endogen unruhig und reproduktionsbereit. Sie entwikkeln zur Fortsetzung ihrer Autopoiesis eigene Strukturen. Dabei bleibt die Umwelt als Bedingung der Möglichkeit und als Beschränkung vorausgesetzt. Das System wird durch seine Umwelt gehalten und gestört, nicht aber zur Anpassung gezwungen und nicht nur bei bestmöglicher Anpassung zur Reproduktion zugelassen".98 Denn die Anpassung an Umweltirritationen erfolgt ausschließlich unter Verwendung des systemeigenen Operationsmodus. Was auch geschieht, die Politik kann als Politik nichts anderes machen, als Politik betreiben, das heißt, nichts anderes als mittels Ämtermacht, Mehrheitsverhältnissen, Koalitionsbildung, Kompromißbildung, etc. kollektiv verbindliche Entscheidungen vorbereiten und fällen. Nur in dieser Form kann Politik mit Technik umgehen.99 Die umweltbedingten Irritationen determinieren oder zerstören nicht das System, sie fuhren zu ständiger Erneuerung systemeigener Zustände: "Die Anpassung eines autopoietischen Systems an Umweltbedingungen wird durch strukturelle Kopplung vermittelt, die die kognitiven Prozesse des System (die Informationsaufnahme und Verarbeitung, Anm. M.H.) nur irritieren, nicht aber determinieren können."100 Der Systemzustand findet dabei keine "Entsprechung"101 in der Umwelt, d.h., daß die Umweltirritationen nicht zur "Festlegung künftiger Systemzustände" fuhren. 102 Das heißt für unser Thema: Ein und dieselbe Technologie bedeutet für verschiedene Beobachter Verschiedenes und muß nicht einmal zwingend für alle Beobachter eine Irritation darstellen. Darüber hinaus sieht man, daß selbst eine gleichgerichtete Irritation, zum Beispiel Bedrohung, zu verschiedenen Beobachtungen führen kann, etwa zu fatalistischer Hinnahme der Bedrohung, zu Hoffnung darauf, daß nichts passieren wird oder zu Protest und Widerspruch. 103 Wie die Rolle der Umwelt in der Theorie genau aussieht, ist nicht ganz einfach auszumachen, heißt es doch einerseits: "Die Umwelt muß (...) nicht selbst irritiert sein, um als Quelle von Irritationen des Systems zu dienen" und andererseits: "(Irritation) setzt auf der Seite der Umwelt Diskontinuitäten voraus (..."). 104 Für das Verhältnis von Gesellschaft und Technik kann aber ohne Probleme beides angenommen
98
N. Luhmann (1986): Ökologische Kommunikator Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 36. 99
Vgl. ausführlicher dazu unten das Kap. VII.
100
Ν. Luhmann (o.J.): Die Politik der Gesellschaft, unv. Ms., Bielefeld, S. 176. Betonung im Original. 101
Vgl. N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 40.
102
N. Luhmann (o.J.): Die Politik der Gesellschaft, unv. Ms., Bielefeld, S. 176.
103
Zu Letzterem vgl. A.O. Hirschmann (1970): Exit, Voice and Loyality. Responses to Decline in Firms, Organizations and States, Cambridge, Mass.: Harvard University Press. 104
Beide Zitate bei Ν. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 40.
II. Zur Risikosoziologie
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werden, wenn man davon ausgeht, daß die Technik als Umwelt der Gesellschaft auf einem Kontinuum zwischen Normalbetrieb und Katastrophe verläuft und beides gesellschaftliche Reaktionen auslösen kann. Im Fall von Katastrophen ist das fast selbstverständlich,105 aber auch bereits der Normalbetrieb ohne Diskontinuitäten oder sogar nurmehr die Planung riskanter Techniken kann und wird gesellschaftliche Reaktionen auslösen. Die Nicht-Entsprechung zwischen Umwelt und Systemreaktion wird von Luhmann bereits in Ökologische Kommunikation (1986) unter dem Stichwort Resonanz behandelt.106 Resonanz meint, daß ein System Umweltbedingungen a) nur sehr selektiv aufnehmen kann und b) diese Selektivität zwingend notwendig ist, damit das System überhaupt zwischen sich und Umwelt unterscheiden kann. Das heißt, trotz Irritationen bleibt das System in seinem Modus das, was es ist. In unserem Falle bleibt Politik gegenstandsunabhängig Politik und wird nicht durch Technologiepolitik graduell selbst zur Technik.107 Die Umwelt, in unserem Fall die Technik, stellt der Gesellschaft Komplexität in Form von Irritationen zur Verfügung, die die Gesellschaft selektiv für die eigene Autopoiesis nutzt. Anhand fremder Komplexität wird so eigene Komplexität, werden eigene Möglichkeiten des Operierens und des Seiegierens, aufgebaut. Strukturelle Kopplungen sind in einem formalen Sinne Beobachtungen, 108 indem sie zwischen dem unterscheiden, was sie bezeichnen und was sie nicht bezeichnen, also zwischen bedeutendV unbedeutend unterscheiden. So kommt es zur Ausbildung von Kommunikationen wie politischen Auseinandersetzungen, öffentlich-massenmedialen Debatten, Expertisen, Protest, Gegendarstellungen, etc. Technik wird so kommunikativ moduliert, modifiziert, "errechnet" im bereits erwähnten Sinne Heinz von Foersters.109 Luhmann modifiziert das biologische Modell im Hinblick auf die temporalen Anforderungen gesellschaftlicher Reproduktion. Über Maturana und Varela
105
Wenn in einer Theorie und erst recht in einer "konstruktivistischen" nicht Nichts selbstverständlich wäre. 106
N. Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation, S. 40-50.
107
Hier werden Anlehnung der soziologischen Systemtheorie an die kognitive Biologie deutlich, denn auch dort heißt es, daß Lebewesen nicht graduell existieren können; "System" heißt immer "alles oder nichts"/ "entweder - oder". 108 109
Vgl. dazu das folgende Kapitel III.
Der Vorgang verläuft allerdings nicht in vollkommener Beliebigkeit, vielmehr führt die Autopoiesis eines Systems zu typischen, für das System naheliegende Verarbeitungsmuster von Informationen, die Resonanz auf Irritationen verbleibt daher im Bereich "kontrollierbarer Operationen"; vgl. N. Luhmann (1993e): Das Recht der Gesellschaft, S. 444.
3. Die strukturelle Kopplung von Gesellschaft und Technik
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hinausgehend betont Luhmann dementsprechend die Gleichzeitigkeit des evolutionären Verlaufs von System und Umwelt. Darin liegt das Hauptargument gegen die Vorstellung systemischer Verläufe und Kopplungen als zweckgerichtet und kausal. So betont Luhmann: "Am Begriff der strukturellen Kopplung ist vor allem wichtig, daß es kein Kausalverhältnis bezeichnet und erst recht keine zweckgerichtete Beziehung, sondern ein Verhältnis der Gleichzeitigkeit (...) von System und Umwelt und Gleichzeitigkeit heißt immer auch: Unkontrollierbarkeit." 110 Systemische Kognitionen setzen Interpunktionen in die Ko-Evolution von System und Umwelt, indem sie aus der evoluierenden Umwelt punktuell und spezifisch Irritationen als Informationen aufnehmen. 111 Dieses Verhältnis läßt sich auch mit der Unterscheidung von analog und digital formulieren: "Strukturelle Kopplungen übersetzen analoge Verhältnisse in digitale. System und Umwelt existieren kontinuierlich-gleichzeitig, wie die Zeit 'fließt', und operieren insofern analog (...). Aber (der "Normalbetrieb" eines Systems, Anm. M.H.) schließt gelegentliche bis häufige, überraschende bis reguläre Irritationen nicht aus, sondern ein. Und Irritationen erscheinen im System fallweise, also digital."112 Das Fließen der Zeit heißt, daß in die Zukunft eines Systems oder der Umwelt nicht zielgerichtet eingegriffen werden kann, weil der Eingriff zu einem anderen Zeitpunkt, in einer anderen Gegenwart erfolgt, als die Implementation.113 Deshab verbieten sich durch das Konzept der strukturellen Kopplung Fragen derart: 'Wie kann die Gesellschaft Technik verändern, um weniger Störungen auftreten zu lassen'?114 Technik und Gesellschaft verändern sich ohnehin laufend, nur eben nicht im direkten, sondern im struktur-gekoppelten Bezug. Mit Kommunikation über Technik wird nicht Technik verändert, sondern direkt nur die Gesellschaft selbst; sie steuert sich durch kommunikative Prozesse und kann neben anderem dazu Technik nutzen. Es entstehen dann etwa neue Etikettierungen wie Informationsgesellschaft, Protestgesellschaft, Wegwerfgesellschaft, Autogesellschaft, etc. und entsprechende Kontro-
110
N. Luhmann (1991a): Der Sonderfall Hochtechnologie, S. 108f.
111
Im Zusammenhang mit einer kybernetischen Erkenntnistheorie schreibt G. Bateson über die Informationsaufhahme selbstregulierender, geschlossener Systeme: " Ein 'Bit' Information läßt sich definieren als ein Unterschied, der einem Unterschied macht (...) Wir wissen, daß kein Teil eines solche in sich interaktiven Systems eine einseitige Kontrolle über den Rest (= Umwelt, Anm. M.H.) oder über irgendeinen anderen Teil haben kann", G. Bateson (1983): Ökolgie des Geistes, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 408. 112
N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 39f.
113
"Sobald man mit Hilfe des Kausalschemas beobachtet, postuliert man mindestens implizit eine Zeitdifferenz von (vorhergehender) Ursache und (darauffolgender) Wirkung", N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 58. 114
Vgl. N. Luhmann (o.J.): Umweltrisiko und Politik, unv. Ms., Bielefeld, S. 5
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versen.115 Selbstverständlich werden dennoch Kausalbeziehungen geltend gemacht und in Auseinandersetzungen werden die Argumente mit harten Fakten untermauert. In einer soziologischen Analyse muß aber zweierlei dazu gesagt werden: Erstens handelt es sich um "Kausd\konstruktionen" U6 und zweitens können diese Konstruktionen ihrerseits auf soziale Einbettungen zurückgeführt werden. 117 Hier spielen die Eigenarten der Kommunikation eine entscheidende Rolle, insbesondere die kulturspezifischen Ausprägungen von Erwartungen. Darüber erlangt ein System "hinreichende (innere) Führung"118 und stabilisiert sich gegen die Umwelt. Mit dem Konzept der strukturellen Kopplung wird daher mehreres sichtbar. Zunächst einmal der systemimmanente Komplexitätsaufbau der Gesellschaft durch Kommunikation, sowie deren Binnendifferenzierung in eine etwa spezifisch politische Kommunikation.119 Darüber hinaus impliziert strukturelle Kopplung systemeigene Reaktionszeiten. Wie schnell in der Politik auf Außenereignisse reagiert wird, hängt demnach von politikimmanenten Faktoren ab und nicht von dem Ereignis selbst. Das Ereignis selbst kommt nur vor, es kennt dabei aber nicht die Unterscheidung in dringend und nicht dringend; das ist eine Unterscheidung in der Politik! Außerdem ergeben sich durch umweltunabhängige Erwartungsstrukturen in einem System spezifische Möglichkeit des "Vorgriffs und Rückgriffs". 120 So kann an ehemalige Ereignisse wie Katastrophen erinnert werden, um vor Zukünftigen zu warnen ("Kassandra-Rufe"). So kann sich eine Kommunikation selbst tragen, ohne das es ein entsprechendes Ereignis in der Welt gibt. Dramatisierungen und "Angstkommunikation"121 einerseits sowie Verharmlosungen und Sicherheitsversprechen andererseits spielen hier sicher eine Rolle. Fassen
115 In ihrer Pauschalität aber berücksichtigen diese Beschreibungen nicht, daß es immer eine Unterscheidung ist, die zu einer Beschreibung als die bezeichnete Seite fuhrt, gleichwohl aber es eine nicht-bezeichnete Seite gibt, über die die Bezeichnung erst ermöglicht wird. Die Beschreibungen treten daher mit einer "positivistischen" Selbstsicherheit auf, die die Konstruktion und die eigene Kontingenz nicht mitberücksichtigt. Außerdem fehlt diesen Beschreibungen eine hinreichende Berücksichtigung der funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaften und der dadurch bedingten Perspektivenvielfalt. 116
N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 39; siehe ferner das Kapitel III. 117
Siehe dazu ausführlich das Kapitel V.
118
Vgl. N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 46.
119
Ihre Funktionsweise und Mechanismen betrachten wir genauer in den Kapiteln VII und IX. 120 121
N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 59.
Vgl. N. Luhmann (1986): Angst, Moral und Theorie; in: ders., Ökologische Kommunikation, S. 237-248.
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wir noch einmal als den entscheidenden Punkt zusammen, daß Technik die Gesellschaft nicht direkt beeinflussen oder gar determinieren kann, sondern diese immer nur nach eigener Maßgabe irritiert wird. Die gesellschaftlichen, kommunikativen Reaktionsweisen auf technisch-ökologische Entwicklungen verlaufen entlang der gesellschaftlichen Autopoiesis. Die spezifisch politische Kommunikation ist dabei eine mögliche Ausprägung, nämlich diejenige, die in Hinblick auf kollektiv bindendes Entscheiden stattfindet. Kommen wir nun zu den strukturellen Kopplungen, die spezifisch das Verhältnis von Gesellschaft und Technik betreffen; auf Luhmann zurückgreifend können wir drei benennen.122 Die erste Kopplung basiert darauf, daß der gesamte private wie öffentliche Alltag auf funktionierende Technik angewiesen ist, so auf Gebäude, Straßen, öffentlichen Personenverkehr, Autos, Telefone, Haushaltsgeräte und andere unzählige Dinge mehr. Technik wird hier ganz in unserem obigen Sinne eines simplifizierten Kausalzusammenhangs verstanden, als strikte Kopplung, die in kontrollierter Weise abgegrenzt wird von den losen Kopplungen der Welt. Nicht-funktionierende Technik wie das kaputte Auto kann verstanden werden als Zerstörung dieser festen Kopplungen, als Auflösung des fest umrissenen Kausalzusammenhangs. Diese Dysfunktionalitäten sind Irritationen, die in den meisten Fällen durch Routinearbeiten behoben werden können, wie Reparaturen und Auswechseln. Die primäre und häufigste Reaktionsweise der Gesellschaft auf technische Irritationen ist Routine unter Einsatz entsprechenden Sachverstandes. Die zweite, schon ganz andere Art von Irritation bilden die Stör- und Katastrophenfälle. In der Regel antwortet die Gesellschaft hierauf mit neuer Technik wie bspw. zusätzlichen Steuerkreisen, neuen Sicherheitsbestimmungen, containment, etc. Oft aber zeigt sich, daß die neue Technik ihrerseits Risiken in sich birgt und ein Endlosprozeß des Nachkorrigierens erforderlich wird. Außerdem gehört in das Standardrepertoire an Kommunikation über Katastrophen die Zurechnung auf die nicht steuerbare Restkategorie menschlichen Versagens, um so der Technik selbst ihre Unschuld zu bewahren. Hier aber kommen wir zu einem entscheidenden Punkt, tritt doch jetzt das kommunikative Moment in den Vordergrund. Neuere techniksoziologische Ansätze zeigen nämlich, daß es nicht Menschen sind, die mit Großtechnologien umgehen, sondern soziale Systeme.™ Diese Forschungsansätze bestätigen das Konzept der strukturellen Kopplung durch ihre Betonung der nichtindividualistischen, kommunikativen Formen des Umgangs mit Technik bzw. mit technischen Dysfunktionalitäten bis hin zu Störfällen. So beschreibt Weick neue
122
Vgl. zum folgenden N. Luhmann (o.J.): Umweltrisiko und Politik, unv. Ms., Bielefeld; ferner: ders., (1991a): Der Sonderfall Hochtechnologie, S. 108ff. 123
Vgl. K. E. Weick (1990): Technology as Equivoque; in: P.S. Goodman/ L.S. Sproull (Hrsg.), Technology and Organization, San Francisco/ Oxford: Jossey Bass, S. 1-44.
II. Zur Risikosoziologie
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Technologien darüber, daß sie keine eindeutigen Kausalzurechnungen von Ursachen und Wirkungen mehr erlauben und statt dessen fur die Anwender Mehrdeutigkeiten produzieren. Folglich gibt es in der Deutung von Meldungen immer eine Mehrzahl an Interpretationsmöglichkeiten, zumal sich stoffliche Konsequenzen einer Entscheidung oft erst mit zeitlicher Verzögerung zeigen. Entscheidungen in großtechnischen Anlagen (wie beispielsweise in der Chemieindustrie) gewinnen ihre Bedeutung nicht mechanisch über Zwecksetzungen und Mitteleinsätze, sondern durch die Interpretationsleistungen sozialer Systeme wie Gruppen und Netzwerke, Perrow spricht von komplexen Interaktionen. 124 Ein Merkmal dieser sozialen Systeme scheint zu sein, daß sie in ihren Deutungen nicht nur eine Realität erschaffen, sondern diese auch hartnäckig gegen anderslautende Informationen und Rückmeldungen zu verteidigen suchen. In Anlehnung an Brunsson125 spricht Japp von Selbstverstärkungseffekte sozialer Systeme.126 Insbesondere unter Bedingungen von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten fuhrt die Kombination von Erfolgserwartungen, hoher Entscheidungsmotivation und der Verpflichtung gegenüber spezifischen Werten zu einer hartnäckigen Verteidigung einer selbstinduzierten Realität und zu der Zerstörung von Alternativenreichtum und Optionsvielfalt. Soziale Systeme entscheiden und handeln unter diesen selbst geschaffenen Zeitbindungseffekten. Die dritte strukturelle Kopplung von Gesellschaft und Technik betrifft nun den eigentlichen, schwerpunktmäßigen Gegenstand unserer Arbeit und thematisiert den kommunikativen Umgang mit Störfallen durch diejenigen, die nicht direkt mit (Groß-)Technik umgehen. Gemeint ist die Reaktionsweise auf Irritationen, die ausschließlich kommunikativ und in diesem allgemeinsten Sinne gesellschaftlich ist. Zu denken ist an die gesamte Palette von Artikulationsmöglichkeiten im Hinblick auf Technik, auf technische Möglichkeiten und Chancen, auf technische Störfälle und Katastrophen sowie auch auf die vermutete Zukunft von Technik. Gerade der letzte Punkt macht die Kommunikationsabhängigkeit dieser Kopplungsform besonders deutlich, muß doch eine Dysfunktionalität noch gar nicht vorliegen, um dennoch über sie kommunizieren zu können. Besonderes Gehör verschaffen sich diese Kommunikationen, wenn sie in organisierter oder institutionalisierter Form ablaufen, in Parteien, Parlamenten, politischen Gruppen, den Kirchen, durch Inhaber öffentlicher Ämter und natürlich in den Massenmedien.
124
Vgl. Ch. Perrow (1987): Normale Katastrophen.
125
N. Brunsson (1985): The Irrational Organization. Irrationality as a Basis for Organizational Action and Change, Chichester/ New York/ Brisbane/ Toronto/ Singapore: John Wiley & Sons. 126
Vgl. K.P. Japp (1992): Selbstverstärkungseffekte riskanter Entscheidungen. Zur Unterscheidung von Rationalität und Risiko; in: Zeitschrift für Soziologie 21 (1), S. 31-48.
3. Die strukturelle Kopplung von Gesellschaft und Technik
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Wie wir noch sehen werden, ist es in der Politik insbesondere das Konkurrenzverhältnis zwischen Regierung und Opposition, das in Form dieser dritten Stufe der strukturellen Kopplung zur Aufheizung der Politik fuhrt, wie sie Steuerungskompetenz in Anspruch nimmt und schließlich pendelt zwischen kollektiv bindendem Entscheiden einerseits und dem symbolischem Auffangen divergierender, gesellschaftlicher Erwartungen andererseits. 127 Die politischen Bearbeitungsweisen sollen erst später ausführlich behandelt werden, im Prinzip geht es dabei um die Transformation technischer in politische Risiken. Entscheidend soll hier die Feststellung sein, daß die gesellschaftlichen Be- und Verarbeitungsweisen nicht durch Technik determiniert sind und durch sie nicht einmal instruiert werden. Strukturelle Kopplungen sind Formen der Entkopplung von Gesellschaft und Technik, oder anders formuliert, Entkopplungen zwischen technischem und gesellschaftlichem bzw. politischem Risiko. Die Einzelkomponenten der kommunikativen Kopplung von Gesellschaft und Technik sind die Momente von Information bzw. Wissenschaft 128, Abstufungen von Betroffenheiten sowie öffentliche Akzeptanz bzw. Inakzeptanz von Risiken. Wenn diese Momente sich als Ausprägungen struktureller Kopplung bilden, muß im Zusammenhang unseres theoretischen Konzeptes deutlich betont werden, daß sie nicht unter dem Gesichtspunkt von Verzerrungen analysiert werden können, etwa in dem Sinne von zuviel oder zuwenig Information, zuviel oder zuwenig Betroffenheit. Denn dafür gibt es keinen objektiven oder vernünftigen Gradmesser, letztlich bliebe man mit solchen Verzerrungsvorstellungen einem ontologischen Risikobegriff verhaftet. Unser Punkt ist der, die Konstruktion von Information, Betroffenheit und Akzeptanz darzustellen. Erstens ist dazu festzuhalten, daß die Informationen über ein Risiko gesellschaftsintern generiert werden. Oftmals ist die massenmediale Verbreitung von Informationen die einzige Quelle überhaupt.129 Unter Gesichtspunkten der selbstreferentiellen Geschlossenheit von Massenmedien fällt auf, daß eine einmal ausgelöste Aufmerksamkeit für ein Thema nun ihrerseits eine weitere Senkung von Aufmerksamkeitsschwellen zur Folge hat. Selbst kleinere Zwischenfälle oder nur "Beinahe-Unfälle" finden dann einen Platz in den Massenmedien, den vielleicht zu anderen Zeiten nicht einmal
127
Vgl. dazu ausführlich das Kapitel IX.
128
Vgl. U. Beck (1986): Risikogesellschaft, S. 254-299; ferner ders., (1993): Politische Wissenstheorie der Risikogesellschaft; in G. Bechmann (Hrsg.) Risiko und Gesellschaft. Grundlagen und Ergebnisse interdisziplinärer Risikoforschung, Opladen: Westdeutscher Verlag S. 305-326. 129
Hier ließen sich Überlegungen zur selbstreferentiellen Geschlossenheit der Massenmedien anschließen; vgl. N. Luhmanns (1995b): Die Realität der Massenmedien, Opladen, Westdeutscher Verlag.
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größere Unglücke bekommen hätten. So entstehen massenmediale Epochen von Kraftwerkszwischenfällen, Tankerunglücken, Flugzeugabstürzen, Touristenentführungen, etc. Es werden die Aufmerksamkeiten auf bestimmte Ereignisse gelenkt, über deren Häufigkeit in der Welt damit aber noch gar nichts ausgesagt ist.130 Zweitens kann ein Vorfall in der Gesellschaft Betroffenheiten auslösen, die ihrerseits gesellschaftsintern erklärt werden müssen. Daß sie mit einem Ereignis nicht direkt, quasi kausal in Verbindung stehen, sieht man schon daran, daß sie in Ausmaß und Intensität enorm variieren. 131 Sind Betroffenheiten gesellschafisinduziert, so ebenfalls die Schwellen zwischen Akzeptanz und Nichtakzeptanz eines als riskant beobachteten Ereignisses. Auch hier gibt es keine quasi kausale Verknüpfung zwischen Beobachtung und Protest. Nicht jeder von einem Risiko oder vermeintlichem Risiko Betroffene kündigt die Akzeptanz auf und entschließt sich zu Protestformen. 132 Umgekehrt findet auch dort Protest statt, wo direkte Betroffenheit gar nicht vorliegt und die Betroffenheit eher in der Betroffenheit anderer liegt. Die Momente von Risiko, Information, Betroffenheit und Akzeptanz variieren also frei untereinander. 133 Ihr Zusammenhang ist kein sachnotwendiginstrumenteller, sondern ein gesellschaftlicher und verläuft demgemäß nach gesellschaftlichen Kriterien. Nicht die Giftigkeit eines Giftes oder das Kriegerische eines Krieges sind Ursache von Akzeptanzaufkündigungen. Dazu bedarf es vielmehr einer symbolisch vermittelten Bedeutungsaufladung, durch die dann ein Risiko als riskant und eine Gefahr als gefährlich erscheint. Das verdeutlicht die Reflexmtät der modernen Gesellschaft, ihre Selbstreferentialität, demgemäß sich Kommunikation durch Kommunikation reproduziert. Spezifisch im Hinblick auf ökologisch-politische Auseinandersetzungen handelt es sich um die Konfrontation der Gesellschaft mit sich selbst und die Ausprägungen von Risiko und Gefahr, von Informationen, Betroffenheiten und Akzeptanz sind einige ihrer Momente. Im Vorgriff auf später zu erörternde, kulturtheoretische Ideen sieht man, wie dabei verschiedene, voneinander abweichende, gleichwohl aneinander orientierte Konzepte von Natur und Ressourcen aufeinandertreffen. Es handelt sich um gesellschaftliche Entwürfe dieser Momente, die ihrer-
130 Ein anderes Beispiel verdeutlicht die selbe Logik: Der Krankheitsstand eines Stadtteils hängt gar nicht direkt mit den Krankheitsständen selbst zusammen, sondern mit der Dichte der Arztpraxen. 131 Offenkundige Beispiele aus den letzten Jahren liefern die öffentlichen Reaktionen auf die Nachricht von verschiedenen Kriegen: Während anläßlich des "Golfkriegs" von 1991 im Rheinland die Karnevalsumzüge abgesagt wurden, geschah das später während der Bürgerkriege in Ex-Jugoslawien nicht. 132
Vgl. A.O. Hirschman (1970): Exit, Voice and Loyality.
133
Vgl. U. Beck (1988): Gegengifte, S. 81ff.
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seits entsprechende Positionen nahelegen und dabei auch politische Kulturen ausbilden.134 Wer beispielsweise die Natur als knappe Ressource sieht, wird für einen vorsichtigen Umgang mit ihr plädieren, wer sie als Füllhorn beobachtet, wird eher die Wohlfahrtssteigerung betonen, die durch ihre Ausbeutung möglich ist. Die Haltung betrifft aber nie die Natur selbst, sondern immer einen "kulturellen Entwurf von Natur". 135 Gerade dadurch reproduziert sich die Gesellschaft selbstreferentiell, in dem sie sich mit Entwürfen von Natur, Ressourcen, etc. kontrovers beschäftigt. 136 Diese Entwürfe geben Zurechnungsprozessen und politischen Positionen Orientierungshilfen und eine innere Führung und generieren unter anderem die soziale Differenzierung von Entscheidern und Betroffenen. 137 Das ist ein Fall, der Beobachtungsdifferenzen zu einem Politikum macht und das politische System unter Dauerbeobachtung der politischen Peripherie setzt. Halten wir an dieser Stelle fest: Erstens treten die Größen Risiko, Information, Betroffenheit und Akzeptanz als gesellschaftliche auf, das heißt als von einer Objektwelt unabhängig. Zweitens besteht die Operationsweise der modernen, reflexiven Gesellschaft im kommunikativen Umgang mit den eigenen Entscheidungs- und Handlungsfolgen. Es ist dies die Auseinandersetzung mit sich selbst, aus der auch politische Positionen hervorgehen. Dementsprechend liegt unserer Arbeit ein Politikverständnis zugrunde, daß über eine reine "politics of interests" hinausgeht.138 Denn das Politische der Risikogesellschaft liegt nicht primär in der Verfolgung von Interessen, sondern in der Generierung von Interessen (wobei es Interessenspolitik selbstverständlich nach wie vor gibt und hier nicht bestritten werden soll). Wirrichtenunsere Aufmerksamkeit daher auf Fragen der Art: Wie entstehen gesellschaftliche Interessen und Interessensdivergenzen? Wie gewinnt ein Beobachter Beobachtungss/cAerAe/Y, wenn doch an anderer Stelle das strikte Gegenteil oder mit ganz anderen Unterscheidungen beobachtet wird? Zur Beantwortung dieser "07e-Fragen" abstrahieren wir im nächsten Kapitel von der sozialwissenschaftlichen Literatur und wenden uns einem Gebiet zu, das mit
134 Vgl. M. Schwarz/ M. Thompson (1990a): Political Cultures: A new Framework for Policy Analysis; in: dies., Devided We Stand, New York/ London/ Toronto/ Sydney/ Tokyo: Harvester Wheatsheaf, S. 56-80. 135
U. Beck (1988): Gegengifte, S. 91.
136
Luhmanns Buchtitulierung: "Ökologische Kommunikation" (1986) kann man daraus erklären, daß alle ökologischen Verhandlungsgegenstände gesellschaftliche Entwürfe sind. 137
Vgl. N. Luhmann (1991b): Entscheider und Betroffene; in: ders., Soziologie des Risikos, Berlin/ New York: de Gruyter, S. 111-134. 138
Vgl. M. Schwarz/ M. Thompson (1990): Beyond the Politics of Interest; in: dies., Devided We Stand, S. 39-55.
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cognitive science bezeichnet werden kann.139 Im weiteren Umfeld des Konstruktivismus140 finden wir Erklärungen dafür, wie Informationen, Kommunikationen, Entscheidungen, Handlungen, die Entstehung von Interessen und die Festlegung auf Standpunkte zustande kommen, ohne eine entsprechende Ursache in der Welt vorzufinden. Kognitionen im weitesten Sinne der Verarbeitung von Umweltdaten nehmen danach eine bestimmte Form an, "(...) für die es in der Umwelt keine Entsprechungen gibt, nämlich die Form der Bezeichnung von etwas im Unterschied zu anderem."141 Genau das ist die Form der Beobachtung, die wir im folgenden darstellen wollen.
139
Vgl. K. Knorr-Cetina (1989): Spielarten des Konstruktivismus, S. 92: "WIE Wirklichkeit konstruiert wird muß beantwortet werden, um zu klären, WAS diese ausmacht"; ferner N. Luhmann (1990): Identität - was oder wie?; in: ders.: Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven, Opladen: Westdeutscher Verlag, 14-30. 140
Siehe als Überblick Siegfried J. Schmidt (1987, Hrsg.), Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 141
N. Luhmann (o.J.): Die Politik der Gesellschaft, unv. Ms., Bielefeld, S. 175.
I I I . Die Theorie der Beobachtung 1. Beobachtung als Unterscheidung Im vorangegangenen Kapitel hatten wir gesehen, wie Gesellschaft und Technik strukturell gekoppelt sind. Die Irritationen eines Systems sind danach nicht kausaler, sondern kommunikativer Art. Im Hinblick auf gesellschaftliche Interessen im Zusammenhang mit neuen Risiken und Gefahren hatten wir die Aufmerksamkeit umgelenkt von der Kategorie der Interessensverfolgung, die durch politische Rahmenbedingungen gestaltet wird, hin zur Generierung von Interessen und der Frage, wie gesellschaftliche und politische Positionen überhaupt entstehen und dann mit dem Nimbus des Sachzwangs versehen werden, während sie die eigene Kontingenz nicht mitsehen. Mit dieser Frage kommen wir zu einem sehr spezifischen und formalen Begriff von Beobachtung. Moderne Gesellschaften, und das heißt für uns primär funktional differenzierte Gesellschaften, bestehen aus rekursiven Beobachtungsverhältnissen, d.h. aus dem Beobachten von Beobachtern. Beobachtungen können dabei je für sich keine richtigkeitsverbürgenden Grundlagen in Anspruch nehmen. Sie gewinnen ihren "Realitätsgehalt" nicht aus etwas Zugrundeliegendem, also dem Wesen von etwas, sondern durch den Umstand ihres faktischen Vollzug. Davon abweichende Beobachtungen sind auf der Ebene der Gesellschaft keine Irrtümer, sondern nur eben andere, aber auch mögliche Beobachtungen. Moderne Gesellschaften lassen sich daher auch über die Allgegenwart von Kontingenz beschreiben, darüber, daß es potentiell immer mehr Möglichkeiten des Beobachtens und Handelns gibt, als aktuell realisiert werden können.1 Das hat für die Soziologie und speziell für eine Soziologie des politischen Systems weitreichende Folgen, wir wollen uns aber zunächst Fragen der Erkenntnistheorie und des vor-wissenschaftlichen Urteilens zuwenden.2 Die Beziehungen zwischen einem erkennenden Subjekt und einer
1 Vgl. N. Luhmann (1992): Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft; in: ders., Beobachtungen der Moderne, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 93-128. 2
Daß sowohl wissenschaftliches wie auch vor-wissenschaftliches Erkennen und Urteilen Konstruktivismen bis hin zu interpretierender Willkür aufweisen, zeigt im Zusammenhang mit der Weberschen verstehenden Soziologie Felix Kaufmann (1936): Methodenlehre der Sozialwissenschaften, Wien: Julius Springer, S. 153-169; S. 204-218.
5 Heidenescher
III. Die Theorie der Beobachtung
66
Objektwelt ist danach nicht nur keine wahre und richtige Beziehung, vielmehr muß man davon ausgehen, daß eine direkte Beziehung gar nicht besteht. Denn eine direkte Beziehung kann wahr oder falsch sein, kognitiv oder ideologisch verzerrt sein oder das gerade nicht. Der für uns zentrale Punkt ist aber, daß "(...) eine solche Beziehung gar nicht bestehen darf, weil dies zu einer Überlastung mit Informationen fuhren und Erkenntnis damit ausschließen würde".3 Erkenntnis ist daher nicht umweltadäquate Abbildung von Umwelt, sondern die Verarbeitung von Umweltdaten zu systemspezifischen Informationen. Diese werden zum Aufbau systemeigener Komplexität genutzt, und das heißt auch zu systemeigener Selektivität. Diese Abschottung und Beziehungslosigkeit zu einer Außenwelt ist ein Befund aus der Gehirnforschung, der für die Theorie sozialer Systeme genutzt wird, so schreibt Luhmann: "In der Gehirnforschung weiß man seit langem, daß das Gehirn fast ohne Kontakt mit der Umwelt auskommt. Es benutzt eine operative Sprache auf elektrischer Basis, für die es in der Umwelt keinerlei Äquivalente gibt. Es ist, wie man sagt, indifferent codiert, d.h. es benutzt die gleiche Operationsweise für Sehen, Hören, Fühlen und Riechen. Die entsprechenden Qualitätsunterschiede werden erst im Gehirn erzeugt".4 Zur Konzeptionierung einer Beziehung, die nicht auf Entsprechungen zurückgeht, sondern auf die Transformation in systemeigene Informationen, diente uns entsprechend dieser Logik das Konzept der strukturellen Kopplung. Die Umweltdaten nach je systemeigener Operationsweise zu tansformieren, macht die Informationen eines Systems zu kontingenten Informationen. D.h. sie sind nur für das System selbst zwingend, nicht aber für andere Systeme. In Globalperspektive betrachtet sind sie demnach möglich, aber nicht notwendig. Das System selbst erzeugt die internen Informationen kontingenz-frei und erhält darüber Sicherheit in der eigenen Positionierung. Der Erklärungsansatz für dieses Phänomen liegt in einem formalen Konzept von Beobachtung, dem wir uns jetzt genauer zuwenden müssen. Beobachten heißt in unserem konstruktivistischen Ansatz etwas anderes als das alltagsweltliche Verständnis von Beobachten als Aufzählung von Gegenständen, die in der Welt vorkommen (Baum, Mensch, Haus, usw). Denn das hieße, einen ontologischen Beobachtungsbegriff zu Grunde legen und annehmen, daß es diese Welt unabhängig vom Beobachter bereits gibt. Demnach würden sämtliche Beobachter, abgesehen von kognitiven Fehlleistungen, dasselbe wahrnehmen und sich tendenziell in ihrer Identität angleichen. Es wäre dies eine ontische Welt, wobei unter Ontotogie hier die Unterscheidung von Sein und Nicht-Sein verstanden werden soll: "(Wir verstehen) unter Ontologie* nicht ein dem Substanz-
3 4
N. Luhmann (1992): Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft, S. 95.
N. Luhmann (1988): Neuere Entwicklungen in der Systemtheorie; in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 42, S. 292-300 (294).
1. Beobachtung als Unterscheidung
67
begriff verhaftetes Denken, sondern die Beobachtung der Welt mit Hilfe der Primärunterscheidung von Sein und Nichtsein. Der Substanzbegriff und ebenso der aus ihm entwickelte Begriff des Subjekts ist nur ein Kondensat dieser Beobachtungsweise, das sich ergibt, wenn man meint, bei der Bestimmung des Beobachtens den Unterschied von Sein und Nichtsein weglassen zu können, weil man nur an Seiendes und nicht an Nichtseiendes anschließen kann."5 Das Kondensat der Substanz spielt aber offensichtlich theoriegeschichtlich eine erhebliche, wenn nicht die zentrale Rolle, wobei sich der Anschluß an die Seite des Seins darin äußert, die Welt in Form von Einteilungen und Kategoriesierungen des Seins zu beschreiben, beispielsweise das Wesen des Menschen (das "Menschenbild") oder das aristotelische Wesen der Politik, zum "guten Leben" anzuleiten. Das Wesentliche eines Wesens liegt im ontologischen oder kategorialen Denken diesseits des empirisch Beobachtbaren. Und so können die beiden Bereiche des empirisch Faktischen und des wesentlich Geltenden gegenübergestellt werden etwa in dem Sinne, daß sich das Geltende (noch) nicht in vollem Umfang durchgesetzt und man es statt dessen mit "verzerrter Kommunikation" zu tun hat.6 Im konstruktivistischen, post-ontologischen Denken gibt es dagegen kein transzendentales Sein, sondern Systeme bestehen aus nichts anderem als aus ihren empirischen Operationen, die eine Seite einer zweiseitigen Unterscheidung darstellen, also kontingent sind. Man könnte auch sagen, der Konstruktivismus kennt in der Unterscheidung von Sein und Nicht-Sein sehr wohl diese andere ausgeblendete Seite, sie ist aber nicht Nichts, sondern ein Anders-Sein. Der Terminus "Sein" erhält dadurch natürlich eine ganz andere Auslegung und ist jetzt differenztheoretische angesetzt. Die Kategorien der Ontotogie werden ersetzt durch die Unterscheidungen der Beobachtungstheorie! Identität ist danach nurmehr eine beobachterabhängige Kategorie, d.h. sie muß ohne transzendentale Sicherheitsgarantien und ohne Konsens auskommen. Die Politik beispielsweise findet ihre Identität danach nicht in einem Wesen(-tlichen), sondern in der Differenz zu anderen Formen gesellschaftlicher Kommunikation, in denen es nicht um die primäre Orientierung an der Macht geht. Wenn es ein zugrundeliegendes Sein in der Welt nicht gibt, ist es der Beobachter selbst, der seine Welt erschafft. Dieser Vorgang vollzieht sich anhand von Beobachtungen, die hier verstanden werden als die Nutzung einer Unterscheidung mit zwei Seiten, um eine davon zu bezeichnen; eine Beobachtung ist
5
N. Luhmann (1994): Gesellschaft als Differenz; in: Zeitschrift für Soziologie 23 (6), S. 477-481 (477); vgl. ferner N. Luhmann (1991): Ökologie des Nichtwissens; in: ders., Beobachtungen der Moderne, S. 149-220 (168). 6
Vgl. J. Habermas (1992): Faktizität und Geltung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp; femer N. Luhmann (1986): Die Lebenswelt - nach Rücksprache mit Phänomenologen, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 72, S. 176-194 (178f). 5*
III. Die Theorie der Beobachtung
68
eine Entscheidung für eine Seite einer Unterscheidung. Denn es können nicht beide Seiten zugleich bezeichnet werden, wie ein System nicht zugleich für sich selbst Umwelt sein kann. Die Idee der Beobachtung als Unterscheidung und Bezeichnung liegt in einem Konzept von "Form", wie es von G. Spencer Brown entwickelt wurde.7 Am Ausgangspunkt steht die Entdeckung der Form von Gesetzen; ihr allumfassender Kern ist immer eine Aufforderung, nämlich: Draw a distinction ,8 also 'Beginne mit einer Unterscheidung'. So schreibt H.v.Foerster über Spencer Browns Laws of Form: "Gesetze sind keine Beschreibungen, sie sind Befehle, Aufforderungen: 'Handle!'. Daher ist die erste konstruktive Proposition in seinem Buch, die Aufforderung: Triff eine Unterscheidung!', eine Ermahnung, den allerursprünglichsten, den schöpferischen Akt zu vollziehen".9 Eine Form ist eine Unterscheidung mit zwei Seiten und eine Beobachtung nutzt die Form, um mit Hilfe der Unterscheidung eine der beiden Seiten zu bezeichnen. Eine Beobachtung setzt also eine Unterscheidung in die Welt: Figur/Hintergrund, System/Umwelt, diese Entscheidung/eine andere Entscheidung. Eine Entscheidung gewinnt ihre Identität lediglich daraus, daß sie eine anderen Seite hat, eine Art Negativabdruck, der nicht berücksichtigt wird, und gerade dadurch als Hintergrund dient, eine Entscheidung also als Entscheidung wahrnehmbar macht.10 Die Unterscheidung muß eine Seite der Unterscheidung bezeichnen, sonst macht die Formsetzung des Unterscheidens keinen Sinn, so Spencer Brown: "We take as given the idea of distinction and the idea of indication, and that we cannot make an indication without drawing a distinction".11 Mit anderen Worten: Eine Form ist eine paradoxe Angelegenheit, sie ist gleichzeitig einseitig und zweiseitig. "Machen wir uns das implizierte Paradox noch einmal klar. Das Unterscheiden- und Bezeichnen ist als Beobachten eine einzige Operation; denn es hätte keinen Sinn, etwas zu bezeichnen, was man nicht unterscheiden kann, so wie umgekehrt das bloße Unterscheiden unbestimmt
7
G.Spencer Brown (1971): Laws of Form (2. Auflage), London: Allen and Unwin; vgl. auch als Diskussionsband, D. Baecker (1993, Hrsg.), Kalkül der Form, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 8
G. Spencer Brown (1971): Laws of Form, S. 1.
9
Η.ν. Foerster (1993; orig. 1969): Die Gesetzte der Form; zit. nach: D. Baecker (1993, Hrsg.), Kalkül der Form. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 9-11 (9). 10 Es gibt ein Schwarz-Weiß-Bild in der Wahrnehmungspsychologie (vgl. P. Watzlawick: 1976), auf der die Silhouetten weißer und schwarzer Vögel abgebildet sind und zwar derart, daß bei der Wahrnhmung weißer Vögel die schwarzen als Hintergrund fungieren und umgekehrt. Man kann aber in dem Bild nicht gleichzeitig weiße und schwarze Vögel beobachten. 11
G. Spencer Brown (1971): Laws of Form, S. 1.
1. Beobachtung als Unterscheidung
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bliebe und operativ nicht verwendet werden würde, wenn es nicht dazu käme, die eine Seite (das Gemeinte) und nicht die andere (das Nichtgemeinte) zu bezeichnen."12 Jede Beobachtung ist eine Paradoxie, nämlich das Zugleich zweier differenter Momente, hier: Unterscheiden und Bezeichnen. Da eine Seite einer zweiseitigen Form immer notwendigerweise ausgeblendet wird, ist die Form des Beobachten ein ganz allgemeinen Evolutionsmechanismus, nämlich die Produktion von überschüssigen Möglichkeiten. "Das Unterscheiden postuliert mehr Möglichkeiten als nur die, die dann bezeichnet wird". 13 Es entsteht Selektionszwang und die bereits mehrfach betonte Kontingenz wird omnipräsent. Denn an der bezeichneten Seite bleiben Spuren der ausgeblendeten Seite haften, so wie jede Entscheidung verdeutlicht, daß sie auch hätte anders ausfallen können. Es bleibt die andere Seite als Möglichkeit, als Hintergrund virulent. Der Kontakt zur Welt ist für einen Beobachter nur durch die Form des Unterscheidens möglich. Auffallend ist, daß die Psychologie schon seit langem das Argument kennt, nur mit Hilfe von Unterscheidungen seien Wahrnehmungen möglich; sie spricht in diesem Zusammenhang von der Unterscheidung zwischen "Figur" und "Hintergrund".14 Eine Figur ist als Figur nur dann beobachtbar, wenn sie sich von einem Hintergrund, der anders geartet ist, abhebt. So hört man einen Laut nur dann und sieht eine Farbe nur dann, wenn sie sich als akustische bzw. optische Welle von einem Hintergrund anderer Wellenlängen unterscheiden. Wir müssen hier allerdings über die Trennung von Figur und Hintergrund hinausgehen und Unterscheidungen auf ihre Einheit hin betrachten, denn nur so werden wir unserer Ausgangsannahme von allgegenwärtiger Kontingenz gerecht. Beobachtungen als Unterscheidungen erscheinen als Einheit betrachtet paradox, da sie als Einheit der Unterscheidung zweiseitig auftreten, als Identität aber nur einseitig genutzt werden! Dem Paradoxie-Thema wollen wir uns jetzt soziologisch zuwenden. Denn da auch Luhmanns Systemtheorie mit einer Unterscheidung beginnt, bekanntlich mit der System/Umwelt-Unterscheidung, sind Verbindungen zwischen Erkenntnistheorie und Soziologie auf dieser formalen Ebene möglich.15
12
N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 68-121 (94f). 13 N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 81. 14
Vgl. etwa P. Watzlawick (1976): Wie wirklich ist die Wirklichkeit, München/ Zürich: Piper & Co; oder früher, Fritz Heider (1926): Ding und Medium, Symposion I, Heft 2, S. 109-157 (gekürzt neu abgedruckt in: Psychological Issues 1,1959, S. 1-34). 15
Vgl. Ν. Luhmann (1988): Neuere Entwicklungen in der Systemtheorie, S. 26.
III. Die Theorie der Beobachtung
70
Eine mögliche Plausibilität für die soziologische Nutzung der Paradoxiethematik liegt in den gesellschaftlichen Unsicherheiten unserer Tage, von denen die technologischen, wissenschaftlichen und politischen nur spezifische Ausprägungen sind. So schreibt Luhmann: "In periods of semantic uncertainty and structural transitions paradoxes will become fashionable (...).". 16 So läßt sich begründen, die soziologischen Grundbegriffe von Kommunikation, Handlung und Entscheidung als Paradoxien zu thematisiert. Auf die Frage, wozu die Beschäftigung mit Paradoxien lautet die Antwort " (...) es gibt keine andere Möglichkeit der Letztbegründung, weder für Erkennen noch für Handeln und schon gar nicht für Entscheidungen."17 Nach einem kleinen Abstecher in die Ideengeschichte der Paradoxien wenden wir uns der Paradoxie der Beobachtung zu, sowie dem Umgang mit Paradoxien, dem Paradoxiemanagement\ das Kapitel abschließend kommen wir nochmals auf die soziolgische Bedeutung der Argumentation zurück.
2. Klassische Paradoxien Die Beschäftigung mit Paradoxien hat eine lange Tradition, die bis in die Antike zurückgreift. Paradoxien als sprachliche oder logische Formen bilden keine einheitliche Kategorie in den Denktraditionen, sondern variieren erheblich nach Art und Aufbau und ebenso divergieren die entsprechenden Lösungsmöglichkeiten und -probleme.18 Das braucht uns hier nicht näher zu interessieren. Unter einem reduzierten Anspruch und sehr selektiv sollen Paradoxien im folgenden ausschließlich unter spezifischen Gesichtspunkten behandelt werden, unter denen wir sie für unsere Argumentation nutzen können. Für unseren Zusammenhang sind folgende Kennzeichen von Paradoxien zentral: Erstens ihre Selbstbezüglichkeit, d.h. bei Paradoxien handelt es sich um Unterscheidungen zweier Seiten, die sich auf sich selbst beziehen, wie wir gleich sehen werden. Zweitens konstituieren sie die für uns wichtige Unentscheidbarkeit, d.h. Paradoxien erzeugen einen infiniten Regreß des Oszillierens zwischen den zwei Seiten einer Unterscheidung.19 Über
16
Vgl. N. Luhmann, The Paradoxy of Observing Systems, unv. Ms. Bielefeld 1994,
S. 8. 17 N. Luhmann (1993): Die Paradoxie des Entscheidens, in: Verwaltungs-Archiv, 84. Band (3), S. 287-310(294). 18
Als Überblick mit vielen klassischen Beispielen, mit Diskussionen über die Verhältnissen unter den Paradoxien und Lösungsmöglichkeiten vgl. R.M. Sainsbury (1993): Paradoxien, Stuttgart: Reclam. 19
Die Unentscheidarkeit zerstört die Eindeutigkeit von Bestimmungen; Paradoxien halten damit die "Alternativität" zwischen zwei Momenten, das "oder" zwischen "A oder B" virulent.
2. Klassische Paradoxien
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die genannte Momente hinaus ist die Funktion gerade klassischer Paradoxien eine rhetorische. Paradoxie, vom Wort her zusammengesetzt aus dem griechischen para (= wider) und doxa (Meinung), ist eine allgemeine Bezeichnung für die Erzeugung einer sonderbaren, überraschenden und damit Aufmerksamkeit erregenden Aussage.20 Wenn wir also zwei Klassen an Paradoxien unterscheiden, haben wir erstens die rhetorischen Paradoxien und zweitens die logischen Paradoxien mit strengen Kontradiktionen zweier Seiten ("Antinomien"). Vor allem das logische Problem ist für uns von Bedeutung, bei dem zwei sich ausschließende Seiten einer Unterscheidung zugleich gelten. Die Ursache aller Paradoxien liegt in Verhältnissen der Selbstbezüglichkeit, es sind autologische Aussagen, die in ihrer eigene Aussage wieder vorkommen und damit ein unentscheidbares Oszillieren zwischen zwei Seiten erzeugen.21 Einige Beispiele sollen das verdeutlichen. Unser erstes Beispiel ist das bekannte LügnerParadox: Die Paradoxie besteht in der Behauptung des Kreters Epimenides, alle Kreter lügen. Strukturell das gleiche Paradox weist der Satz auf: 'Dieser Satz ist falsch'. Es handelt sich um Fälle negativer Selbstbezüglichkeit, denn der Aussagende bzw. die Aussage sprechen negierend über sich selbst. Das hat zur Konsequenz, daß die Aussage genau dann wahr ist, wenn sie falsch ist und falsch ist wenn sie wahr ist. Wir erhalten damit das unentscheidbare Oszillieren zwischen wahr und falsch. Ein eben solches unentscheidbare Oszillieren zwischen zwei Seiten einer Unterscheidung finden wir in Greilings Prädikat-Mengen. Die Definition des Prädikats "heterologisch" (= nicht-selbstbeschreibend) führt in eine Paradoxie, wenn man sich fragt, ob "heterologisch" heterologisch ist.22 Wenn es nicht selbstbeschreibend ist, ist es selbstbeschreibend und wenn es selbstbeschreibend ist, ist es nicht-selbstbeschreibend. Und schließlich als drittes Beispiel dient uns der bekannte Fall des Barbiers™ In einem Dorf gibt es einen Barbier, der alle Männer rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Entsprechend gibt es zwei Gruppen Männer in dem Dorf: die Menge der Männer, die der Barbier rasiert, und die Menge der Männer, die sich selbst rasieren. In welche Menge gehört nun der Barbier, wenn er sich selbst rasiert? Piaziert man den Barbier in die Menge derjenigen, die sich selbst rasieren, rasiert er sich nicht, denn er rasiert ja nur
20
Historisches Wörterbuch der Philosophie (1989), Bd.7, Basel: Schwabe, S. 81-97.
21
Im Prinzip laufen daher alle Paradoxie-Vermeidungsstrategien auf ein Verbot von Selbstbezüglichkeit hinaus, vgl. R. Rheinwald (1988): Semantische Paradoxien, Typentheorie und ideale Sprache, Berlin/ New York: de Gruyter; vgl. femer E. Esposito (1991): Paradoxien als Unterscheidungen von Unterscheidungen, S. 36. 22
D.R. Hofstadter (1985): Gödel, Escher, Bach. Ein endlos geflochtenes Band, Stuttgart: Klett-Cotta, S. 22. 23
Vgl. R.M. Sainsbury (1993): Paradoxien, S. 8.
III. Die Theorie der Beobachtung
72
diejenigen, die sich nicht selbst rasieren; piaziert man ihn auf die Seite derjenigen, die sich nicht selbst rasieren, tut er gerade das doch, denn er rasiert ja alle diejenigen, die sich nicht selbst rasieren. Die Paradoxie liegt darin, daß der Barbier sich genau dann rasiert, wenn er sich nicht rasiert. Die genannten Beispiele verdeutlichen auch, daß nicht jede Selbstbezüglichkeit zwingend in Paradoxien führen muß. Wenn zum Beispiel Epimenides der Kreter gesagt hätte: 'Alle Kreter sagen die Wahrheit' bezieht er sich zwar auch auf sich selbst, ohne aber eine Paradoxie zu erzeugen. Es handelt sich dann einfach um den Vollzug einer Operation, einer Äußerung, die keinen Gegenwert hat. Paradox sind Selbstbezüglichkeiten aber nur dann, wenn mit einer Operation gleichzeitig auch ihr Gegenwert in Geltung gebracht wird, beispielsweise beim Lügner-Paradox die Lüge neben der Wahrheit. Man kann auch so formulieren: nicht Operationen erzeugen Paradoxien, sondern Beobachtungen, weil Beobachtungen die Bivalenz zweier differenter Werte umfaßt. Die Paradoxie wird dadurch erzeugt, indem die Einheit der Unterscheidung gesehen wird, während Operationen zu einem Zeitpunkt nur eine Seite sehen und diese konkret genug ist, um für weitere Anschlüsse genutzt zu werden. "Im Gegensatz zur Operation, die 'blind' ist und nur Objekte hervorbringen kann, ohne imstande zu sein, diese zu erkennen, hat die Beobachtung einen Inhalt, der von all dem abgesetzt wird, was nicht zu ihr gehört. Während eine Operation (eine Kommunikation, ein Gedanke) eine Unterscheidung ('Kommunikation/ Nicht-Kommunikation', 'Gedanke/ Nicht-Gedanke') nur 'unbewußt' hervorbringen kann, benutzt die Beobachtung immer eine Unterscheidung, um das Objekt zu identifizieren, auf das sie sich bezieht".24 Das infinite Oszillieren zwischen zwei Werten einer Bivalenz führt in die Unentscheidbarkeit, und für soziale Systeme heißt das Handlungsunfähigkeit. Dies gilt aber nur für den Fall, das Paradoxien im empirischen Verlauf von Systemen tatsächlich eine Rolle spielen würden. Empirisch aber halten sich Systeme in und durch ihre Operationen handlungsfähig, indem sie den autologischen Schluß der Selbstbezüglichkeit auf sich selbst unterlassen. Mit anderen Worten: Soziale Systeme operieren auf der einen Seite einer Unterscheidung, ohne die Einheit der Unterscheidung zu beobachten^. Das Wissenschaftssystem beispielsweise, das mit der Unterscheidung von wahr/ falsch beobachtet, kann intern nicht entscheiden, ob die Unterscheidung ihrerseits wahr oder falsch ist. Und für die Politik gilt, daß die systemkonstituierende Unterscheidung von Macht/ keine Macht selbst nicht mächtig oder ohnmächtig ist. Die gleichzeitige Bezeichnung beider Seiten muß in sozialen Systemen unterbleiben, sie wären andernfalls blockiert und hörten auf, als das je spezi-
24
E. Esposito (1991): Paradoxien als Unterscheidungen von Unterscheidungen; in: H.U. Gumbrecht/ K.L. Pfeiffer (Hrsg.), Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 35-57 (S. 42f).
3. Die Paradoxie von Unterscheiden und Bezeichnen
73
fische System zu existieren. Luhmann umschreibt diesen (erkenntnistheoretischen) Blockierungsgesichtspunkt mit einer an die antike Herkunft vieler Paradoxien erinnernden Anekdote, indem er "(...) an die Gorgonen erinner(t), jene drei grausigen Schwestern, deren Anblick jeden Sterblichen erstarren läßt. Nur eine von ihnen ist sterblich: Medusa. Sie kann getötet werden. Stheno dagegen und Euryale sind unsterblich. Man muß sich also nicht nur bei dem Versuch, sie zu töten, vorsehen, sondern hat gar keine andere Wahl als: nicht hinzusehen. Die Gorgonen hatten somit den gleichen Effekt wie Paradoxien".25 Das Wegschauen, das Ignorieren der Einheit einer Unterscheidung ist das Paradoxie-Management, das wir oben implizit über die Kategorie des Bezeichnens bereits benannt hatten, und dem wir uns nun nochmals explizit zuwenden müssen. Insofern behandeln wir hier ein erkenntnistheoretisches Problem, das auf den ersten Blick empirisch gar kein Rolle spielt. Das gilt aber nur für den Beobachter oder das System selbst, das die Selbstbezüglichkeit vermeidet. Ein anderer Beobachter, zum Beispiel eine wissenschaftliche Analyse, kann ihrerseits die Beobachtungen anderer beobachten und zwar mit der Absicht, das als kontingent zu entdecken, was für das System selbstverständlich und alternativlos erscheint. Die Paradoxiethematik dient uns genau dazu, das Kontingenzbewußtsein hinsichtlich gesellschaftlicher Positionen zu schärfen. Kontingenz hatten wir oben schließlich als "Eigenwert" der modernen Gesellschaft bezeichnet.
3. Die Paradoxie von Unterscheiden und Bezeichnen Paradoxien so hatten wir gesagt, konstituieren sich aus dem Zugleich zweier differenter Seiten einer Unterscheidung. Der Vorgang der Beobachtung wird jetzt erkennbar als seinerseits paradoxe Angelegenheit, den sie unterscheidet und bezeichnet zugleich. Man kann dies als die Ausgangsparadoxie bezeichnen, denn die Formtheorie Spencer Browns startet mit genau dieser Paradoxie; zur Erinnerung wiederholen wir nochmals das bezeichnende Zitat: "We take as given the idea of distinction and the idea of indication, and that we cannot make an indication without drawing a distinction."26 Beide Momente sind aufeinander angewiesen und nur in Bezug aufeinander, also nur als Einheit, denkbar. Zugleich müssen die beiden Seiten unterschieden werden, um eine Seite bezeichnen zu können. Dabei implodieren beide Momente in einem Vollzug: "Ein Beobachter kann nicht
25
N. Luhmann (1991): Sthenographie und Euryalistik; in: H.U. Gumbrecht/ K.L. Pfeiffer (Hrsg.), Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 58-82 (58). 26
G. Spencer Browns (1971): Laws of Form, S. 1.
III. Die Theorie der Beobachtung
74
unterscheiden, ohne nicht schon bezeichnet zu haben".27 Das ist das Problem der Paradoxie der Form. Das Problem löst sich nicht, indem man Spencer Browns Instruktion folgt: draw a distinction , denn das geht eben nur anhand einer ZweiSeiten-Unterscheidung. Hinter die Form einer Unterscheidung gibt es offensichtlich kein zurück, wenn man die Welt nicht ontisch, sondern differenztheoretisch konzipiert. Andererseits muß die Unterscheidung als Unterscheidung ausgeblendet werden, weil sonst keine Bezeichnung möglich ist und es zur Blockade des Systems kommt. Denn die Grundbedingung des Operierens ist, daß der Gesamtzugriff auf die Einheit der Unterscheidung unterbleibt, denn eine voll zugängliche Welt ist unzugänglich. Und trotzdem muß mittels der nämlichen Unterscheidung bezeichnet, also operiert werden. Die Paradoxie der Form läßt sich auch so formulieren: Die Unterscheidung muß für die Bezeichnung zur Verfügung stehen und gleichzeitig darf sie gerade nicht zur Verfügung stehen; die Unterscheidung muß zugleich anwesend und abwesend sein. Bei dem erwähnten Gesamtzugriff, also auf der Ebene der Paradoxie der Form, sind beide Seiten zugleich anwesend und zwar "gleichberechtigt" anwesend. Ein Operationsversuch auf dieser Ebene würde dazu führen, das die bezeichnete Seite, z.B. ein System, sich mit der nichtbezeichneten Seite, also Umwelt, verwechselt. Wie in dem Barbier-Beispiel nicht eine Menge bezeichnet werden kann, ohne das nicht unverzüglich die andere Menge auftaucht, so läßt sich auf der Ebene der Einheit der Form ebensowenig zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz unterscheiden. Die Operationsfahigkeit (Kommunikation, Entscheidung, Handlung), ist verunmöglicht, das System befände sich in der Lage des Esels, der zwischen zwei Heusäcken steht und an seiner Unentschiedenheit verhungert. Die Frage des Paradoxiemanagements ist nun die, wie man den Esel oder den Babier definitiv auf eine Seite bekommt, ohne die andere Seite als Pendant zu zerstören. Die Unterscheidung muß dazu so gehandhabt werden, daß keine paradoxiebedingte Blockierung erfolgt; es ist dies die Paradoxieentfaltung. Das Problem der Paradoxieentfaltung besteht darin, beide Seiten einer Unterscheidung zur Verfügung zu halten - denn Operieren geht nur mittels Unterscheidungen - und dennoch eine Grenze zwischen den beiden Seiten der Unterscheidung aufzubauen, um eine Seite zu bezeichnen und die andere auszublenden. Wir haben es offensichtlich mit einer Asymmetrisierung zu tun, denn die " (...) beiden Seiten sind (...) nicht in gleicher Weise an der Formbildung beteiligt. Die operative Verwendung der Form kann nur von einer ihrer Seiten ausgehen. Sie muß irgendwo anknüpfen, denn andernfalls wäre es unnötig, die beiden Seiten überhaupt zu unterscheiden".28 Wie aber hat man sich eine
27
N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp,
S 84. 28 Ν. Luhmann (1993): Die Paradoxie der Form; in: D. Baecker (Hrsg.), Kalkül der Form, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 197-212 (199f).
4. Die Form re-entry als Paradoxieentfaltung
75
strikte Grenze vorzustellen, die die nicht erreichbare Seite dennoch verfügbar hält? Wir greifen dazu auf ein Konzept von Selbstreferenz zurück, das als re-entry bezeichnet wird. Was ist darunter zu verstehen?
4. Die Form re-entry als Paradoxieentfaltung Paradoxieentfaltung vollzieht sich, so Spencer Brown, in der Form des "reentry" (= Wiedereintritt). 29 Die Figur des re-entry ist zunächst eine selbstreferentielle Schleife, in der sich eine Unterscheidung auf sich selbst bezieht, so L.H. Kauffmann in Bezug auf das Ausgangsparadox Spencer Browns vom Zugleich von Unterscheidung und Bezeichnung: "Another way to view self-similarity is through the concept of re-entry. This view was first made explicit by Spencer Brown (...) Here, one encounters the idea of a form that re-enters its own indicational space".30 Gemeint ist damit, daß eine Zwei-Seiten-Unterscheidung in sich selbst wiederholt wird. Es ist dies der Wiedereintritt der Unterscheidung in das Unterschiedene. Dieselbe Figur nun, die aus nichts anderem besteht als aus Wiederholungen ihrer selbst, soll über sich hinausführen. "Was ausgeschlossen sein muß, ist nur die sich selbst voll zugängliche Einheit (...)." 31 Dies geschieht dadurch, daß der Wiedereintritt der Unterscheidung nur auf einer der beiden Seiten der Unterscheidung stattfindet. Das re-entry behält zwar die Unterscheidung bei, verhindert aber den Vollzugriff auf die Unterscheidung, da sie jetzt nur noch der einen Seite der Unterscheidung zur Verfügung steht. Funktional im Hinblick auf die Überwindung von Paradoxien und ihren Blockierungen beschreibt Luhmann den Wiedereintritt so: "Die Unterscheidung wird mit pragmatischer Intention getroffen, um die eine, aber nicht die andere Seite zu bezeichnen. Das, was man unterscheidet, muß deshalb von der Unterscheidung unterschieden werden (...) Er (Spencer Brown, M.H.) unterscheidet Bezeichnung (indication) und Unterscheidung (distinction). Aber Terminologie oder nicht: das Problem bleibt. Wir kommen nicht zur Operation, wenn nicht die Unterscheidung von Unterscheidung und Bezeichnung in die Unterscheidung hineincopiert wird." 32 Der Vollzug von Beobachtung "(...) beruht auf der Unterscheidung von Unterscheidung und Bezeichnung, aktualisiert eine Unterscheidung, die in sich selbst wieder vor-
29
Vgl. G. Spencer Brown (1971): Laws of Form, S. 69-76.
30
L. H. Kauflman (1987): Self-reference and recursive forms; in: Journal of Social and Biological Structures 10, S. 53-72. 31 32
N . Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 74. N. Luhmann (1993): Die Paradoxie der Form, S. 200.
III. Die Theorie der Beobachtung
76
kommt." 33 Beide Seiten der Unterscheidung stehen dann für Anschlußoperationen zur Verfugung, aber jetzt ausschließlich einseitig für die bezeichnete Seite und nicht mehr als Vollzugriffauf die Einheit der Unterscheidung. "Jede Beobachtung verwendet also eine Unterscheidung zugleich zweiseitig und einseitig. Sie braucht (und kann) diese Eigenart jedoch nicht selbst beobachten. Sie ist also paradox fundiert, bleibt aber trotzdem operationsfähig, weil sie ihre Paradoxie durch die Faktizität ihres Vollzugs verdeckt - verdecken kann, verdecken muß. Sie sieht nicht, daß sie nicht sieht, was sie nicht sieht, und das ist, wenn man noch einmal transzendentaltheoretisch formulieren will, eine Bedingung ihrer Möglichkeit." 34 Die bezeichnete Seite, zum Beispiel ein System, kann die Unterscheidung von System und Umwelt systemintern nutzen, ohne selbst zur Umwelt zu werden, ohne überhaupt zur Umwelt werden zu dürfen. Machen wir uns die Form des re-entry anhand zweier Unterscheidungen schematisch klar, und zwar zunächst an der allgemeinen Unterscheidung von System und Umwelt, dann spezifischer auf unser Thema zugeschnitten anhand der Unterscheidung von Gesellschaft und Politik. Der Wiedereintritt einer Unterscheidung auf einer Seite ihrer selbst sieht dann so aus:
Schaubild 1
Die Unterscheidung von System und Umwelt kommt zweimal vor, sie wird lediglich wiederholt. Dennoch ist die Welt nachher eine andere als vorher, denn die Unterscheidung wird jetzt auf einer Seite genutzt, auf der Seite des Systems. Auch das System kommt durch den Wiedereintritt zweimal vor, einmal als die eine Seite der Unterscheidung und dann als die bezeichnete Seite, die die Ausgangsunterscheidung für sich nutzt. Damit kann das System intern die Unter-
33 34
N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 95.
N. Luhmann (1993c): Die Paradoxie des Entscheidens, in: Verwaltungs-Archiv, 84. Band (3), S. 287-310(293).
4. Die Form re-entry als Paradoxieentfaltung
77
Scheidung zwischen sich selbst (Selbstreferenz) und seiner Umwelt (Fremdreferenz) handhaben und kommt so zum systemeigenen Operieren, ohne sich mit der Umwelt zu verwechseln. Ein kurzer Blick in die Gesellschaftsgeschichte zeigt weitere Ausprägungen von re-entries', nehmen wir je ein Beispiel aus Antike, früher Neuzeit und Moderne. 35 In die antike Unterscheidung von ökonomischem Haushalt und politischer Stadt wird die Unterscheidung auf jeder der beiden Seiten wiederholt, indem in die Politik die Ökonomie dringt (Steuerabgaben) und in die Haushalte die Politik dringt (Politische Bildung). So handhabt die Politik Geldausgaben, ohne selbst zur Geldwirtschaft zu werden und die Haushalte bekommen es mit Politk zu tun, ohne ihre eigene Logik der Güterversorgung zu verlieren. Vielmehr wird es überhaupt jetzt erst möglich, die je andere Seite dazu zu nutzen, eine eigene Identität aufzubauen. In die alteuropäische Unterscheidung von Ordnung und Chaos dringt auf der Seite der Ordnung das Chaos ein, zum Beispiel durch Korruptionserfahrungen und verdeutlicht dadurch eigentlich erst, was Ordnung ist. Drittens: Das moderne Rechtssystem proklamiert Freiheit (Abwesenheit von Schranken) und Gleichheit (Abwesenheit von Ungleichheit). Rechtsnormen aber ziehen unvermeidbar in die Seite der Freiheit die Unfreiheit ein (denn man muß immerfragen wessen Freiheit) und in die Seite der Gleichheit die Ungleichheit. Und wieder sieht man, daß das re-entry genutzt wird, um zwei Werte zu identifizieren, die genau dazu ihr Gegenteil nutzen. Hinreichend abstrakt betrachtet ergibt sich das Bild, daß sowohl die Antike, diefrühe Neuzeit wie auch die Moderne auf Paradoxien und dem Paradoxiemanagement des re-entries fußen. Auch die Soziologie als Teil des Wissenschaftssystems kann so thematisiert werden: Sie beschreibt "soziale Tatsachen", ohne selbst zu diesen Tatsachen zu werden; sie handhabt die Unterscheidung zwischen Soziologie und Gesellschaft intern, unter anderem mittels Theorien und Methoden, d.h. nur auf der eigenen Seite. Man sieht ebenfalls an diesem Beispiel, daß das re-entry nur eine Paradoxieentfaltung für die bezeichnete Seite ist, während ein externer Beobachter den Zugang zur Einheit der Unterscheidung hat, also Zugang zur Ausgangsunterscheidung und dann sieht, daß auch die Soziologie selbst eine soziale Tatsache ist. Der Fall von re-entry , der unserem Thema am nächsten kommt, ist aber das Verhältnis von Politik und Gesellschaft. 36
35
Vgl. N. Luhmann (1993f): Observing Re-entries; in: Graduate Faculty Philosophy Journal 16 (2), S. 485-498 (486f). 36
Vgl. etwa für den historischen Fall des 19. Jahrhunderts N. Luhmann (1987): Tautologie und Paradoxie in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft; in: Zeitschrift für Soziologie 16 (3), S. 161-174.
78
III. Die Theorie der Beobachtung
Das folgende Schaubild zeigt den Wiedereintritt der Unterscheidung von Politik und Gesellschaft in das politische System, die dann dort intern genutzt werden kann:
Politik
Politik
—- —
Gesellschaft
Gesellschaft
Schaubild 2
In diesem Beispiel tritt die Unterscheidung von Politik und Gesellschaft in die Politik wieder ein. Die Politik wird handlungsfähig, indem sie sich als etwas anderes sieht als die Gesellschaft, gleichwohl aber den Bezug zur Gesellschaft natürlich für ihre Operationen braucht. Durch die Differenz zur Gesellschaft ist die Politik in der Lage, in ihrer spezifischen Operationsweise Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Man sieht hier deutlich das Potential des re-entry : Eine Unterscheidung wird in ihrer Einheit überwunden (da die Politik sich sonst von der Gesellschaft nicht unterscheiden könnte) und steht dennoch für die Operation der bezeichnenden Seite zur Verfügung. Konkreter: Die Politik nimmt gesellschaftliche Erwartungen und Ansprüche wahr und kann sie mit den eigenen Erwartungen, Ansprüchen und Möglichkeiten abgleichen. Als Kommunikationssystem gehört die Politik selbstverständlich zur Gesellschaft, als Politik aber orientiert sie sich dennoch an der eigenen Operationsweise und den systemspezifischen Beschränkungen wie politischen Programmen, Mehrheitsverhältnissen, dem Recht, etc. Im zweiten Hauptabschnitt unserer Arbeit wird dieses Argument eine zentrale Rolle spielen. Die Ermöglichung von Operationen setzt offensichtlich das Ausblenden einer Seite einer zweiseitigen Unterscheidung voraus, um sie dennoch zur Identifikation der eigenen Identität qua Negativabdruck zu nutzen. Und das darf im Vollzug einer Operation nicht mitgesehen werden. In der Bezeichnung einer Seite bleibt die Paradoxie der Zwei-Seiten-Form für den Beobachter selbst unerkannt, die Bezeichnung einer Seite verläuft notwendigerweise blind. Bei genauem Hinsehen treffen wir hier aber auf eine Verkomplizierung der Figur. Denn die Markierung
4. Die Form re-entry als Paradoxieentfaltung
79
einer Seite ignoriert nicht nur die andere Seite der identischen Unterscheidung, sondern auch die Unterscheidung als Unterscheidung. Man sagt auch, der faktische Vollzug einer Beobachtung, also das Operieren, braucht einen blinden Fleck. 37 Der Beobachter benutzt eine Unterscheidung, die im Moment ihres Vollzugs nicht von anderen Unterscheidungen unterschieden wird. Sie muß die Unterscheidung als Unterscheidung, als Einheit von zwei differenten Seiten, ausblenden. So entsteht für den Beobachter eine definitive Welt. Wird eine Seite einer Unterscheidung bezeichnet, haben wir es genauer besehen mit der gleichzeitigen Handhabung von zwei Unterscheidungen zu tun. Zunächst kann die Beobachtung nicht gleichzeitig beide Seiten einer Unterscheidung - AJ A' - bezeichnen. Eine Seite wird ausgeblendet, ist aber gleichwohl anwesend. Auch sie zu bezeichnen ist für einen anderen Beobachter oder für den selben Beobachter zu einem späteren Zeitpunkt möglich (auch wenn er dann von anderen Beobachter als "unmöglich" bezeichnet wird). Zweitens aber setzt die Beobachtung damit zugleich eine zweite Unterscheidung in die Welt, nämlich die zwischen Ά 1 und 'dem Rest der Welt' ("unmarked space").38 Man hat es also zugleich mit dem Unterscheiden von Unterscheidungen zu tun,39 oder anders formuliert: mit der Unterscheidung von "Umgebungen" (AJ B/ C/, etc.).40 Beispielsweise beobachtet jemand ein Atomkraftwerk nicht mit der Unterscheidung "sicher/ unsicher", sondern unter dem Gesichtspunkt "billige/ teure Stromerzeugung". Er schafft damit einen neuen Sachverhalt oder anders gesagt: Er lebt in einer anderen Welt. Die erste Unterscheidung mit zwei erreichbaren Seiten (AJ A') erlaubt noch eine konsensuelle Haltung über die Beschaffenheit der Welt, wenn auch im Rahmen der Unterscheidung die Bestimmung der Beschaffenheit unterschiedlich ausfällt. Die zweite Unterscheidung aber unterscheidet solche Unterscheidungen und riegelt sie voneinander ab; sie zeigt so die Welt als eine Vielzahl koexistierender Unterscheidungen: negativ/ positiv; sicher/ unsicher; gefährlich/ ungefährlich, etc.
37
Vgl. nur Heinz v. Foerster (1993): Über das Konstruieren von Wirklichkeiten; in: ders., Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 25-49 (26f). 38
Vgl. N. Luhmann (1994): Gesellschaft als Differenz; in: Zeitschrift für Soziologie 23 (6), S. 477-481 (477): "Wenn man aber eine solche Form mit zwei erreichbaren Seiten wählt, erzeugt man damit zugleich die Unterscheidung dieser Unterscheidung von ihrem unmarked space (...)." Betonung im Original. 39 40
Vgl. E. Esposito (1991): Paradoxien als Unterscheidungen von Unterscheidungen.
Der Begriff "Umgebung" bei E. Meyer (1990): Der Unterschied, der eine Umgebung schafft; in: Ars Electronica (Hrsg.), Im Netz der Systeme, Berlin: Merve, S. 110-122. Die Autorin nennt in Anspielung auf Gertrude Stein ein Beispiel einer Unterscheidung (einer Umgebung) und den Unterschied zu anderen Umgebungen: "Es ist der Unterschied zwischen Alleinsein und Nicht-Alleinsein und der Verwerfung der Alternative als solcher im Nicht-Dran-Denken", (S. 110).
III. Die Theorie der Beobachtung
80
Die Welt ist damit immer nur eine Welt, nämlich die des Beobachters. Informationen, die der Beobachter für weitere Anschlüsse nutzen kann, liegen nicht in der Welt und warten darauf, entdeckt zu werden. Informationen werden vom Beobachter durch das Wie seiner Beobachtung erst konstituiert. Denn die Beobachtung benutzt bestimmte Unterscheidungen, die für sie bedeutend sind und ignoriert Unterscheidungen, die für sie unbedeutend sind. Informationen sind demnach Unterscheidungen, die einen Unterschied machen, also bedeutend sind und den Systemzustand des Beobachters verändern. Wir verwenden hier den Informationsbegriff G. Batesons, der Informationen definiert als "(...) any difference which makes a difference in some later event".41 Beobachter beobachten also ihre Welt, sie konstituieren ihre Realität. Ein mittelalterlicher Kreuzritter beispielsweise beobachtet die Welt mit der Unterscheidung von Christen und Heiden und richtet danach sein Handeln aus. Er verrät damit aber mehr über sich selbst als über die Welt, denn die von ihm so bezeichneten Heiden sind für sich selbst gar keine Heiden sondern andersgläubig, aber nicht wttgläubig.
5. Die Beobachtung zweiter Ordnung Um das zu sehen, um die Ausblendung einer Seite der Unterscheidung zu sehen bzw. die Unterscheidung eines Beobachters als Unterscheidung zu beobachten, muß eine zweite Ebene eingezogen werden, die Beobachtung zweiter Ordnung. Die Möglichkeit dazu liefert das Konzept der Beobachtung selbst. Denn wenn Beobachtungen Informationen über den Beobachter liefern und nicht Wissen über die Welt, entsteht dadurch die Möglichkeit, die Beobachter nun ihrerseits zu beobachten, also Beobachtungen "zweiter Ordnung" vorzunehmen, so die Idee Heinz von Foersters.42 In der Beobachtung zweiter Ordnung, also in der Beobachtung von Beobachtung, tritt die Unterscheidung als Unterscheidung auf. "Auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung sieht man die Unterscheidung der Beobachtung erster Ordnung als Form". 43 So erscheint die Bezeichnung der einen Seite einer Unterscheidung als beobachterabhängig und damit als kontingent; außerdem wird im gleichen Zuge die benutzte Unterscheidung ihrerseits unterscheidbar von anderen Unterscheidungen. Da Systeme ihre operative Auto-
41
G. Bateson (1983): Ökologie des Geistes, S. 381.
42
Vgl. D. Baecker (1993): Kybernetik zweiter Ordnung; in: Heinz v. Foerster, Wissen und Gewissen, S. 17-24; ferner N. Luhmann (1993a): Deconstruction as Second OrderObserving, in: New Literary History 24, S. 763-782 (767). Stabilitäten wie Objekte entstehen dann dadurch, daß die Beobachtung immer wieder in gleicher Weise vollzogen wird, sie ist dann ein "Eigenwert" des Beobachters. 43
N. Luhmann (1993c): Die Paradoxie des Entscheidens, S. 294.
5. Die Beobachtung zweiter Ordnung
81
poiesis qua re-entry aufrechterhalten, ohne die Einheit der benutzten Unterscheidung zu beobachten und das wieder beobachtet werden kann, muß man zwischen Operation und Beobachtung unterscheiden.44 Es ist dies die Unterscheidung in Beobachtung 1. Ordnung und Beobachtung 2. Ordnung. Die Unterscheidung von Operation (= Beobachtungen 1. Ordnung) und Beobachtung (Beobachtungen 2. Ordnung) impliziert die Trennung von real und objektiv, oder anders formuliert, die Trennung von natürlicher und artifizieller Paradoxieentfaltung.45 Als notwendig tritt eine Paradoxieentfaltung auf, wenn sie Bedingung der Möglichkeit des Beobachtens erster Ordnung ist, artifiziell ist sie, wenn die Unterscheidung als kontingent erscheint, wenn also durch eine Beobachtung der Beobachtung der Blick frei wird für die Unterscheidung als Unterscheidung. "One would have to assert that the natural is artificial because it is produced by society and that the necessary is contingent because under different conditions it may have to accept different forms. These are paradoxical statements but we need them when we have to distinguish different observers or self-observation and external observation. For the self-observer things may appear as natural and necessary whereas when seen from the outside they may appear as artificical and contingent."46 Die Operationen sind real, für den Beobachter 2. Ordnung aber trotzdem nicht objektiv notwendig. Anders formuliert: Die Aktualität der Operation ist für die Beobachtung lediglich eine Potentialität. "The distinction actual/possible is a form, that 're-enters' itself. On the one side of the distinction, the actual, the distinction actual/possible reappears, it is copied into itself so that the system may have the impression to be able to continue actual operations in spite of an uncreasing change of themes, impressions, intentions".47 Ambiguitäten und Kontingenzen werden abgebaut, während Systemstabilität aufgebaut wird. Das vorgestellte Beobachtungskonzept impliziert verschiedene Konsequenzen, von denen sich zusammenfassend mindestens fünf nennen lassen. Erstens haben Systeme keinen Direktzugang zur Welt, es gibt keine direkte "1:1 "-Entsprechung zwischen System und Umwelt, ja streng genommen gibt es überhaupt keine Beziehung zwischen Beobachtung und Gegenstand. Daher hatten wir oben auf das Konzept der strukturellen Kopplung zurückgegriffen. Zur Erinnerung: Das Konzept der strukturellen Kopplung betont die Unzugänglichkeit der Welt und meint
44
Vgl. auch E. Esposito (1991): Paradoxien als Unterscheidungen von Unterscheidungen, S. 42ff. 45 Vgl. N. Luhmann (1987): Tautologien und Paradoxien in den Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft, in: Zeitschrift für Soziologie 16, S. 161-174 (171). 46
N. Luhmann (1995a): The Paradoxy of Observing Systems; in: Cultural Critique 31, S. 37-55 (37). 47
N. Luhmann (1995a): The Paradoxy of Observing Systems, S. 41.
6 Heidenescher
III. Die Theorie der Beobachtung
82
nicht etwa, daß es zu irgendwie gearteten Schnittmengen zwischen System und Umwelt kommen kann, in denen diesselben Elemente benutzt werden. "Strukturelle Kopplung fuhrt nicht zu einer gemeinsamen Benutzung von Elementen durch verschiedene Systeme (...) M · 48 Und ebenso impliziert das formale Konzept der Beobachtung, daß es keinen Zugang zu einer außerhalb ihrer selbst liegenden Realität gibt, die Beobachtung ist schon die Realität. Zweitens sind Systeme nichttrivial, d.h. sie sind strukturell "unzuverlässig" (Heinz von Foerster), oder "strukturdeterminiert" (Maturana). Strukturdeterminismus ist dabei vor allem ein Begriff in Abgrenzung zur Voraussagbarkeit künftiger Systemzustände.49 Systeminterne Vorgänge verhindern zuverlässige Voraussagen über künftige Systemzustände. Drittens sind Systeme im Augenblick des Operierens für sich selbst intransparent, brauchen einen blinden Fleck, d.h., sie haben keinen Zugang zur Einheit ihrer Unterscheidung. Die vierte Implikation besteht darin, daß Systeme entlang ihrer eigenen Geschichte operieren. Sie nutzen ihren output in Form von Rückkopplungsschleifen für den nächsten input. Soziale Systeme verfügen daher über eine Kultur als eine Art Gedächtnis, um intern die Unterscheidung von erinnern/ vergessen handhaben zu können.50 Darüber werden bestimmte Anschlüsse nahegelegt und andere Möglichkeiten ignoriert. Die Verhaftung an der eigenen Geschichte kann als Verhinderung von Rationalität verstanden werden, Rationalität ist demnach die Abwesenheit von Tradition, ist die systeminterne Orientierung an der Unterscheidung von System und Umwelt, also die Unterscheidung in Selbst- und Fremdreferenz. Zur Definition von Rationalität kann abermals die Figur des reentry dienen, so Luhmann: "(...) we define rationality as the re-entry of the distincton between high complexity and low complexity into low complexity."51 Fünftens schließlich besitzen Systeme kein Wesen, haben nichts Zugrundeliegendes, das sie außerhalb ihrer Operationen auszeichnet. Sie gewinnen ihre Identität und bestehen aus nichts anderem, als aus dem aktuellen Vollzug ihres Operie-
48
N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 31, Fn.34.
49
Vgl. H.R. Maturana/ F.J. Varela (1984): Der Baum der Erkenntnis, Bern/ München: Scherz, S. 134f. 50 Das Operieren entlang der eigenen Geschichte ist auch ein Argument der neo-institutionalistischen Organisationssoziologie; wir kommen im Kapitel VIII darauf zurück, können aber schon hier daraufhinweisen, daß hier ein Verbindungsstück zwischen der sehr formalen Beobachtungstheorie und der Systemtheorie einerseits und der Organisationssoziologie andererseits liegt. 51
N.Luhmann (1993f): Observing re-entries; in: Graduate Faculty Philosophy Journal 16 (2), S. 485-498 (493). Das formale Verständnis von Rationalität als die Handhabung einer Zwei-Seiten-Form werden wir noch im Zusammenhang mit Rationalitätspotentialen der Politik im Kapitel IX nutzen.
5. Die Beobachtung zweiter Ordnung
83
rens.52 Sie sind immer gerade das, wie (!) sie beobachten bzw. wie sie von Beobachtern beobachtet werden. Diese Implikationen eines formalen Beobachtungskonzeptes und der Figur des re-entry als Paradoxiemanagement bestätigen auf sehr abstrakter Ebene unsere Konzeption des Verhältnisses von Gesellschaft und Technik, bzw. von Gesellschaft und neuen Risiken als strukturelle Kopplung. Erkenntnistheoretisch von Bedeutung ist an dieser Argumentation, die ontologische Unterscheidung von Subjekt und Objekt auszutauschen durch die Unterscheidung in Operation und Beobachtung. Entgegen einer Subjekttheorie ist hier der Beobachter nicht Subjekt, das sich einem Objekt zuwendet, sondern der Ort, der Operationen vollzieht beziehungsweise Beobachtungen beobachtet. Operation und Beobachtung stehen dabei nicht kausal zueinander wie in der ontologischen Unterscheidung von Gegenstand und Erkenntnis. Das Verhältnis von Operation und Beobachtung ist vielmehr komplementär. Und das ist nicht nur erkenntnistheoretisch, sondern auch empirisch bedeutend, denn in einer differenzierten Gesellschaft werden Beobachtungen in der Regel ihrerseits beobachtet, oder zumindest besteht immer die Möglichkeit dazu. Es kommt zu rekursiven Beobachtungsverhältnissen, die für das Anlaufen selbstreferentieller Systeme sorgen. Auf Gesellschaftsebene führen sie im Zusammenhang mit neuen Risiken zu politischen Kontroversen und zu der noch zu thematisierenden Unterscheidung beispielsweise in Entscheider und Betroffene. Hier muß nun noch eine weitere Schlußwendung eingebaut werden. Denn schon diesseits spezifischer gesellschaftlicher Ausprägungen rekursiver Beobachtungsverhältnisse etwa via Massenmedien oder politischer Kontroversen ist der Mechanismus der Beobachtung zweiter Ordnung grundsätzlich am Aufbau sozialer Systeme beteiligt. Nehmen wir zur Demonstration eine einfache Äußerung als kommunikative Handlung: 'Es ist schon 12.00 Uhr'. Die für Kommunikation konstitutive Unterscheidung (und wir argumentieren ständig in Unterscheidungen) ist die von Information und Mitteilung.53 Der Angesprochene als Beobachter versteht die Äußerung als Unterscheidung, indem er zwischen diesen beiden Momenten unterschieden und bezeichnen kann; er beobachtet mit anderen Worten eine Beobachtung. So kann er sie statt als sachliche Information über die Uhrzeit auch als soziale Mitteilung und als Appell deuten mit der Implikation: 'Ich muß gleich gehen'. Das zeigt: "Komplexe soziale Systeme kommen ohne beobachtende Operationen nicht aus, ihre Autopoiesis ist darauf angewiesen. Schon Kommunikation ist eine sich selbst beobachtende Operation, weil sie eine Unterscheidung
52
In diesem Sinne nennt Luhmann Systeme "empirisch", wenn und wie sie in der Welt vorkommen, empirisch ist hier der Gegenbegriff zu transzendental. 53 Vgl. N. Luhmann (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 191-241 (195ff).
6*
III. Die Theorie der Beobachtung
84
(von Information und Mitteilung) prozessieren und den Mitteilenden als Adressaten und Anknüpfungspunkt für weitere Kommunikation ausfindig machen, also unterscheiden muß."54 Als sozial bedeutender Mechanismus der Beobachtung zweiter Ordnung und damit verantwortlich für den Aufbau sozialer Systeme sind soziale Zurechnungsprozesse. Besonders brisant werden sie im Zusammenhang mit unserer Risikothematik, denn schließlich beziehen sich die Behauptungen von behaupteten Risiken auf die Ursache des Risikos und Zurechnungen sind gerade diejenigen Prozesse, die Ursachen lokalisieren. Daher behandeln wir im nächsten Kapitel ausführlich soziale Zurechnungsvorgänge, wie sie von der Attributionsforschung eingehend untersucht wurden und werden.
6. Paradoxien und Soziologie Worin liegt nun die Bedeutung von Paradoxien für den gesellschaftlichen Umgang mit offenen Zukünften? Ist die Paradoxiethematik geeignet, eine soziologische Risikotheorie zu unterstützen? In der obigen Einleitung sprachen wir von zeitlichen, räumlichen, sachlichen und sozialen Relativismen einer polykontexturalen Welt. Es ging um die Unterscheidungen von dringend/ nicht-dringend, nah/ fern, bedeutend/ unbedeutend, Risiko/ Gefahr, Entscheider/ Betroffene. 55 Diese Relativismen lassen sich jetzt als Paradoxien erkennen. Denn immer geht es um die Logik der gleichzeitigen ein- und zweiseitigen Verwendung von Unterscheidungen. Diesen Einseitigkeiten, so zeigt uns das Paradoxiekapitel, liegen Operationen eines Beobachters zu Grunde und nicht Erkenntnisse über die Welt. Eine Beobachtung transformiert eine paradoxe Welt in eine "orthodoxe Welt". 56 Wir erhalten damit eine erkenntnistheoretisch fundierte Bestätigung unserer im Vorwort aufgestellten These, Risikokommunikation bestehe vor allem aus Behauptungen, wir haben es demnach mit behaupteten Risiken sowie mit behaupteten Sicherheiten zu tun. Da eine zweiseitige Unterscheidung immer nur einseitig benutzt wird und damit nicht nur die andere Seite der selben Unterscheidung sondern auch andere Unterscheidungen ausgeblendet werden, demonstriert uns die Formtheorie trotz aller Abstraktheit doch einen soziologisch bedeutenden Aspekt, nämlich den Überschuß an Möglichkeiten, den die Gesellschaft für jede Beobachtung bereit hält. Da in einer Beobachtung potentielle Bezeichnungen nicht aktualisiert werden und
54
N. Luhmann (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft, S. 77.
55
Wir kommen ausführlicher in den Kapitels IV.3-5 darauf zurück.
56
K. Krippendorff (1984): Paradçx and Information; in: B. Dervin/ M.J. Voigt (Hrsg.), Progress in Communication Sciences Bd.5, N.J.: Norwood, S. 31-58.
6. Paradoxien und Soziologie
85
nicht aktualisiert werden dürfen, kann jede Beobachtung als Entscheidung beobachtet werden, also unter dem Gesichtspunkt, daß sie auch hätte anders ausfallen können. Und Entscheidungen, so hatten wir oben gesagt, sind im Zusammenhang mit der Risikothematik vor allem unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit für mögliche Belastungen und Schädigungen zu thematisieren. Durch die Theorie der Beobachtung haben wir uns ein Kontingenzbewußtsein für all das geschaffen, was in der Gesellschaft artikuliert wird und damit Kontingenz nochmals als Eigenwert, als das Letztmoment moderner Gesellschaften, aufgezeigt. Deutlich sollte geworden sein, daß ein Beobachter in der Artikulation von Interessen, Betroffenheiten, in seiner Betonung spezifischer Informationen bei gleichzeitiger Ausblendung anderer, gegenläufiger Informationen - das dieser Beobachter in seinen Beobachtungen immer nur Aussagen über sich selbst macht und nicht über die Welt. Beobachtung ist in der Form von Unterscheiden/ Bezeichnen ein rein formales Konzept und historisch und sozialstrukturell unspezifisch, eben ein "a priori". Im empirischen, historischen Verlauf sozialer Systeme ist allerdings nicht alles möglich, wie der Kontingenzbegriff zunächst nahelegen könnte. Beobachtungen verlaufen nicht nach einem uferlosen anything goes und deshalb werden wir im V. Kapitel die gesellschaftlichen Beobachtungen von Risiken spezifizieren. Wir greifen dazu auf eine kulturtheoretische Literatur zurück, denn Kulturen sind es schließlich, die das Paradoxiemanagement leisten. "The society produces culture, that is memory, and its culture will decide whether distinctions and indications may be communicated as natural (not artifical), as normal (not pathological) and as necessary or impossible (not contingent)."57 Wir schreiben damit eine Art "Wissenssoziologie". Dazu muß eine konstruktivistisch angelegte Soziologie allerdings von ontologischen Kategorien Abschied nehmen und sie durch Unterscheidungen ersetzen. Der soziale Mechanismus zur Handhabung von Unterscheidungen aber sind Zurechnungsprozesse. Von ihrem strukturellen Aufbau her entsprechen sie genau den Anforderungen von Beobachtungen, nämlich im Rahmen einer Unterscheidung eine Seite definitiv auszuwählen und sie damit für die folgende Anschlußselektion verbindlich zu machen. Paradoxiemanagement vollzieht sich unter Zuhilfenahme von Zurechnungsprozessen. Ihnen wenden wir uns nun im nächsten Kapitel ausführlich zu.
57
N. Luhmann (1995a): The Paradoxy of Observing Systems, S. 45.
IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität 1. Sinn als Zwei-Seiten-Form Das vorherige Kapitel konzipierte Beobachtung als paradoxe Form, als eine Form, die zwei Seiten hat und nach einer Seite hin aufgelöst wird, ohne damit die andere Seite aus der Welt zu schaffen. Die Festlegung einer Seite ist die Bezeichnung im Vorgang der Beobachtung. Sie ist zu sehen unter Kontingenzgesichtspunkten, denn es ist die Beobachtung selbst, nicht die Welt, die bezeichnet. Wir wenden uns jetzt denjenigen Mechanismen zu, die die Bezeichnung einer Seite innerhalb einer Zwei-Seiten-Form empirisch leisten, nämlich den sozialen Zurechnungsprozessen. Denn Zurechnungen besitzen wie Beobachtungen jene zweiwertige Form; strukturell entsprechen Zurechnungen daher Beobachtungen in der Form des Unterscheidungs und Bezeichnungs und leisten darüber hinaus empirisch das Paradoxiemanagement. Die Zurechnungsforschung liefert uns also ein Konzept kommunizierten Paradoxiemanagements. Unter Anspielung auf die vielleicht transzendental anmutetende Diskussion um Paradoxien kann man formulieren: Soziale Systeme verlieren über Zurechnungsprozesse zwar nicht die theo-'logischen'Mucken der Marx'schen Ware, wohl aber die Paradoxie der Form. Wir stellen anhand der Zurechnungsforschung also die Paradoxiethematik auf soziologische Füße. Entsprechend der strukturellen Zwei-Seiten-Form von Beobachtungs- und Zurechnungsprozessen liegt es nahe, uns mit Zurechnungen zu beschäftigen. Sie erlauben eine Fortschreibung unseres konstruktivistischen Ansatzes. Denn es sind Mechanismen der Konstruktion von Wirklichkeit, indem sie Ursachen bewirkter, beobachtbarer Wirkungen bezeichnen und für weitere Anschlüsse verbindlich machen; Zurechnungen lokalisieren Ursachen} Die entsprechende Forschung, die Attributionsforschung, thematisiert Zurechungen dabei immer unter dem Aspekt der Beobachterabhängigkeit solcher Lokalisierungen. Sie ermittelt die sozialen und psychologischen Bedingungen unter denen spezifische Zurechnungen wahrscheinlich werden und andere unwahrscheinlich. Sind Zurechnungen generell für
1
Sehr häufig findet man in der (sozial-)psychologischen Literatur die Begrifflichkeit von "locus of control" für die Stelle, die ein Beobachter als die Ursache eines Ereignisses identifiziert.
1. Sinn als Zwei-Seiten-Form
87
die evolutionäre Entwicklung der Gesellschaft von größter Bedeutung, indem sie Ursachen kommunizieren, so ist die Attributionsforschung für eine Analyse des gesellschaftlichen Umgangs mit behaupteten Risiken enorm attraktiv, da Zurechnungen von der Forschung in ihrer Konstruiertheit und Kontingenz betont werden. Ursachen für ein Etwas (eine Handlung, ein Ereignis, ein Zustand) beobachtet ein Beobachter, indem er zurechnet! Die aktive Rolle der Konstitution von Ursachen liegt damit im Akt der Beobachtung, bzw. im Prozeß der Zurechnung, während die Welt draußen selbst keine Ursachen kennt. Unter diesen Gesichtspunkten ihres strukturellen, nämlich binären Aufbaus und ihrer Funktion der Beobachtung von Ursachen wollen wir uns nun die Prozesse der Zurechnung näher anschauen. Das Kapitel ist dazu in zwei Schritten anzugehen. Zurechnungsprozesse werden in der Systemtheorie Luhmanns vor dem Hintergrund eines phänomenologischen Konzeptes von Sinn thematisiert. Handelt es sich bei Zurechnungsprozessen doch um Mechanismen der sinnhaften Engführung von Systemen, also der Absorption von Sinnüberschüssen. Zurechnungen in dieser Funktion zu sehen, erfordert daher einen immerhin rudimentären Einblick in das Sinnkonzept Luhmanns, der seinerseits explizit auf die Phänomenologie Husserls zurückgreift. Die folgenden, teils sehr allgemeinen, theoretischen Entscheidungen werden später die Grundlage ftir die Analyse des politischen Systems abgeben, indem das Sinnkonzept mit Macht übersetzt wird. Wir werden darauf zurückkommen, hier muß es zunächst bei der Ankündigung bleiben. Nach der Vorstellung des Sinnkonzeptes werden wir die sozialen Zurechnungsprozesse in ihrer zeitlichen, sachlichen und sozialen Dimension beleuchten.2 Soziale Systeme sind Sinnsysteme, sie verarbeiten Sinn und konstituieren sich darüber. Sie operieren, wenn und solange sie Sinn transportieren, das heißt, solange die Kommunikation nicht abbricht. Kommunikationen ihrerseits sind ereignishafte Elemente, das heißt, sie sind extrem temporalisiert, also kurzlebig. Sie flackern nur momenthaft auf und verschwinden wieder im Zuge ihrer Entstehung; sinnverarbeitende Systeme sind daher basal instabil.3 Sie sind darauf angewiesen, daß ständig neue Elemente generiert und verknüpft werden. Sinn ist dazu die strukturelle Voraussetzung. Denn Sinn liefert einen pool an Verknüpfungsmöglichkeiten für Elemente eines Systems, und zwar potentiell mehr, als vom System je aktuell realisiert werden können. Sinn produziert also Möglich-
2 Vgl. dazu M. Heidenescher (1992): Zurechnung als soziologische Kategorie. Zu Luhmanns Verständnis von Handlung als Systemleistung; in: Zeitschrift für Soziologie 21 (6), S. 440-455. 3
Vgl. dazu N. Luhmann (1984): Soziale Systeme, S. 98ff.
IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität
88
keitsüberschüsse, und genau unter diesem Gesichtspunkt hatten wir bereits Paradoxien kennengelernt. Sinn steht dafür, daß sozialen Systemen ein Überschuß an Anschlußmöglichkeiten zur Verfügung steht, der das System hinreichend variabel für offene Zukünfte beläßt und doch die Möglichkeiten temporärer Festlegung auf eine Identität hin erlaubt. Küppers/ Krohn beschreiben denn auch Sinn als Informationsressource für den Systemaufbau: "Sinn ist potentielle Information, die durch die konkrete Entscheidung realisiert wird."4 Nicht umsonst erinnert das Zitat an die Bivalenz von Aktualität und Potentialität. Die Leistung von Sinn liegt darin, Überschüsse als Potentialität bereitzuhalten und dennoch durch selektives Entscheiden diese Überschüsse auf eine identitätsstifiende Aktualität des Systems hin engzuführen. Dabei werden die nicht aktualisierten Überschüsse mitgeschleppt und stehen potentiell für spätere Anschlüsse weiter zur Verfügung. Dazu Luhmann: "Das Phänomen Sinn erscheint in der Form eines Überschusses von Verweisungen auf weitere Möglichkeiten des Erlebens und Handelns."5 Welche Struktur nun weist Sinn auf, um dies zu leisten? Wir greifen zur Klärung auf die Phänomenologie Husserls zurück. In Erfahrung und Urteil (1948) untersucht Husserl die Bedingungen der Möglichkeit von alltagsweltlicher Erfahrung. 6 Diese findet er in der Horizontstruktur der Welt angelegt. Horizont ist eine Metapher dafür, daß eine je aktuelle Wahrnehmung oder eine je aktuelle Erfahrung über sich hinausweist auf weitere Möglichkeiten anderer Wahrnehmungen und Erfahrungen. Das Konzept von Horizont soll anzeigen, daß die Welt aus Verweisungen zwischen Aktuellem und Möglichem besteht und daraus, Aufmerksamkeiten und Erfahrungen zwischen diesen beiden Momenten wandern zu lassen. Die aktuellen Momente einer Erfahrung bilden dabei den Innenhorizont dieser Erfahrung. Der Innenhorizont eines Gegenstandes oder einer Erfahrung steht für die Möglichkeit eines Beobachters, sich aufmerksam verschiedenen Momenten des Gegenstandes untersuchend und forschend, eben interessiert zu widmen, ihn zu apperzipieren, dazu Husserl: "Und dieses in seiner Unbestimmtheit ist im Voraus in Mitgeltung als ein Spielraum von Möglichkeiten, als ein Gang der Näherbestimmung vorzeichnend, die erst in der wirklichen Erfahrung für die bestimmte Möglichkeit entscheidet, sie verwirklichend gegenüber anderen Möglichkeiten."7 Die Horizontstruktur von Welt meint aber noch mehr: Im Verlaufe der Aufmerksamkeitswanderung kann ein Gegen-
4
G. Küppers/ W. Krohn (1992): Zur Emergenz systemspezifischer Leistungen, in: W. Krohn/ G. Küppers, (Hrsg.), Emergenz: Die Entstehung von Ordnung, Organisation und Bedeutung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 161-188 (173). 5
N. Luhmann (1984): Soziale Systeme, S. 93.
6
E. Husserl (1948): Erfahrung und Urteil, Hamburg: Ciaassen & Govert.
7
E. Husserl (1948): Erfahrung und Urteil,S. 27.
1. Sinn als Zwei-Seiten-Form
89
stand oder eine Erfahrung über sich hinausweisen auf andere Gegenstände oder andere Ereignisse, kurz: auf andere Umgebungen. Dies ermöglicht strukturell der sogenannte Außenhorizont. Jede Erfahrung, so Husserl, ist "(...) hinausmeinend über dieses Ding selbst mit allen seinen antizipierten Möglichkeiten künftiger Weiterbestimmung, hinausmeinend auf die anderen mit ihm zugleich, wenn auch zunächst bloß im Hintergrund bewußter Objekte. Das heißt, jedes erfahrene Ding hat nicht nur einen Innenhorizont, sondern es hat auch einen offenen endlosen Außenhorizont von Möglichkeiten, (...) denen ich zwar im Augenblick nicht zugewendet bin, denen ich mich aber jederzeit zuwenden kann als von dem jetzt erfahrenen verschiedenen oder ihnen in irgend einer Typik gleichen."8 Die Horizontstruktur der Welt meint also die Existenz von Verweisungen in die beiden Richtungen von Innen- und Außenhorizont. In jeder zeitpunktgebundenen, aktuellen Beobachtung zeichnen sich Spuren latenter Möglichkeiten ein, die Möglichkeit des Seitenwechsels innerhalb einer Unterscheidung oder des Umgebungswechsels im Sinne einer Unterscheidung von Unterscheidungen; in Husserls Worten: "Damit haftet jeder Einzelapperzeption, jedem jeweiligen Gesamtbestand und Einzelapperzeptionen eine Sinnestranszendenz an, einerseits in Hinsicht auf die beständig antizipierte Potentialität möglicher neuer Einzelrealen und realer Gesamtgruppen als künftigen Gang der Verwirklichung des Ins-BewußtseinTretens aus der Welt zu erfahrender, andererseits auch als Innenhorizont in jedem schon auftretenden Realen hinsichtlich des Bestandes an noch nicht apperzipierten Merkmalen."9 Eine soziologische Nutzung der Transzendentalphilosophie Husserls ist nun unter der Annahme naheliegend, daß nicht nur kognitive Prozesse des Erfahrens und Urteilens, sondern auch der genuin soziologische Gegenstand der gesellschaftlichen Kommunikation als in der Struktur des Horizonts konstituierend beschrieben werden kann, (wenn man in der Husserlschen Metaphorik bleiben will). Denn auch Kommunikation braucht eine Art Bewegungsgesetzt, um Anschlüsse sicherzustellen. Sie baut sich dazu mit Hilfe von Unterscheidungen auf, d.h. sie aktualisiert ein Moment selektiv aus einem Möglichkeitsraum und blendet alle anderen Möglichkeiten zwar momenthaft aus, hält sie aber als Möglichkeiten weiterer Anschlüsse dennoch bereit und unter Aufwendung von Zeit (und vielleicht weiterer Ressourcen) sind sie erreichbar. In unserer bisherigen Terminologie kann man auch formulieren: Kommunikation bezeichnet eine Seite einer Unterscheidung, sie ist aber flüssig genug, die andere Seite zu bezeichnen oder auch hinausmeinend auf andere Kontexte und andere Umgebungen.
8
E. Husserl (1948): Erfahrung und Urteil, S. 28.
9
E. Husserl (1948): Erfahrung und Urteil, S. 30.
IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität
90
Entsprechend nimmt bei Luhmann der Sinnbegriff die Form von Verweisungsüberschüssen zwischen Möglichem und Aktuellem an, bezeichnet durch die Begrifflichkeit von "Horizont" und "Gegenhorizont".10 Sinn tritt danach einerseits in einem abgrenzbaren, aktuellen Zusammenhang auf, weist aber andererseits zugleich über dies je Aktuelle hinaus, läßt also immer Potentialitäten mitlaufen. "Das Phänomen Sinn erscheint in der Form eines Überschusses von Verweisungen auf weitere Möglichkeiten des Erlebens und Handelns. Etwas steht im Blickpunkt, im Zentrum der Intention, und anderes wird marginal angedeutet als Horizont für ein Und-so-weiter des Erlebens und Handelns. Alles, was intendiert wird, hält in dieser Form die Welt im Ganzen offen, garantiert also immer auch die Aktualität der Welt in der Form der Zugänglichkeit."11 Zu beachten ist dabei, daß das Ausselegierte (prinzipiell aber Mögliche) ebenso dem Systemaufbau dient wie das aktuell Realisierte, also keinesfalls unwichtiger oder randständig ist. Eine Entscheidung wird nicht nur über das tatsächlich Umgesetzte identifiziert, sondern auch darüber, was nicht umgesetzt wird. Wie die Horizontstruktur bei Husserl, so ist Sinn bei Luhmann für soziale Systeme unausweichlich. Sinn vermittelt auf Sinn und (re-)produziert neuen Sinn. "Sinn kann überhaupt nur durch Verweisung auf jeweils anderen Sinn aktuelle Realität gewinnen (...). Ml2 Das Sinnkonzept ist hier von großer Bedeutung für uns, da es analog zum Beobachtungsbegriff ein rein formales Konzept darstellt, das zum Aufbau einer systemspezifischen Handhabung der Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz dient. Sinn qualifiziert daher Systeme nicht in sinnvoll und sinnlos, da sich soziale Systeme ausschließlich über Sinn konstituieren, in welcher inhaltlichen Ausprägung auch immer. Es gibt entsprechend dieses formalen Konzeptes nichts Sinnloses in der sozialen Welt. Sinnlosigkeit hieße, daß das System aufhört zu existieren. Sinn ist ein konstitutiv inhaltsleerer Begriff, der nichts mehr und nichts weniger besagen soll, als daß Systeme ihre Elemente produzieren in einem Verweisungshorizont zwischen Aktuellem und Möglichem.13 Und so gewinnt auch eine politische Entscheidung als Entscheidung Identität, weil sie nicht nur etwas festschreibt, sondern auch Negationsmöglichkeiten virulent hält. Und genau das hatten wir oben als paradoxe Situation beschrieben. Die Bedeutung von Negationsmöglichkeiten ist in differenzierten, massenmedial vermittelten Gesellschaften ohnehin immer gegeben, und daher hat es einiges an Plausibilität für sich, moderne Gesellschaften auf der
10
Vgl. N. Luhmann (1984): Soziale Systeme, S. 92-147.
11
N. Luhmann (1984): Soziale Systeme, S. 93.
12
N. Luhmann (1984): Soziale Systeme, S. 95.
13
Vgl. N. Luhmann (1981): Handlungstheorie und Systemtheorie, in: Soziologische Aufklärung 3, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 50-66 (60); ferner N. Luhmann (1984): Soziale Systeme, S. 105.
2. Die Zurechnungsforschung
91
Grundlage von Paradoxien zu beschreiben. Nach dem kleinen Ausflug in die Phänomenologie Husserls wollen wir uns jetzt den sozialen Zurechnungsprozessen und ihren Dimensionen selbst zuwenden.
2. Die Zurechnungsforschung Horizonte sind konstitutiv verweisungsoffene, unendliche Horizonte, darin liegt ihre Struktur. Die Horizontstruktur von Welt zeigt somit die Unmöglichkeit der Bezeichnung einer in der Welt liegenden, von einem erkennenden Subjekt lediglich noch zu entdeckenden Kausalität an. Die Welt kennt keine Kausalitäten, sondern eben jene Verweisungszusammenhänge und -Überschüsse von Horizont und Gegenhorizont. Anders formuliert: Die Welt ist im Verhältnis zu Systemen überkomplex. Infolgedessen brächten Wahrheitsaussagen über Ursachen ein erkennendes Subjekt sofort in die Ausweglosigkeit eines infiniten Regresses, da Wahrheiten auf tieferliegende Wahrheiten verweisen, diese auf abermals tieferliegende Wahrheiten usw; dazu F. Kaufmann (1936) in seiner Methodenlehre: "(...) es läßt sich also festhalten, daß dem Horizontcharakter der Erfahrung ein regressus indefinitus in der Verifizierung von Urteilen entspricht".14 Darin nun pflanzt der Zurechnungsmechanismus eine Stoppregel ein, indem er Ursachen identifiziert und kommuniziert. Im Hinblick auf unsere Risikothematik geschieht das u.a. institutionalisiert durch die Wissenschaften, deren Ursachenforschung theoretisch, methodisch angeleitet wird. Zurechnungsprozesse leisten eine Abarbeitung von Sinnüberschüssen unter Inkaufnahme gleichzeitiger Bewahrung dieser Überschüsse. Fast kann man analog zur Marxschen Geschichtsdialektik davon sprechen, daß Systeme Sinnüberschüsse aufheben in eben jenem Doppelsinn von überwinden und bewahren. Zurechnungen, so kann man auch sagen, leisten zugleich Komplexitätsreduktion und Komplexitätsaufbau. Der gemeinsame Nenner aller Zurechnungsforschungen verschiedener Provenienz (ökonomisch, rechtlich, psychologisch, soziologisch) besteht darin, Kausalrelationen als positive Beziehungen zwischen Ursachen und Ereignissen zu thematisieren. Unter Zurechnungen versteht man Operationen, durch die Ereignisse auf vermeindlich ursächliche Faktoren zurückgeführt werden, d.h. verstehbar werden. Zurechnungsprozesse stellen also eine Beziehung her zwischen einem Ereignis und einer Ursache, liefern somit Antworten auf "Warum-Fragen ": "Thus, attribution theoriests deal with 'why' questions, or the relationship between phenomena (effects) and the reasons (responsible agents) for those events. The perception of causality is an ascription imposed by the perceiver; causes per se are
14 F. Kaufmann (1936): Methodenlehre der Sozialwissenschaften, Julius Springer: Wien, S.18.
IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität
92
not directly observable".15 So kann die Ursache für eine Verhaltensweise in den stabilen Eigenschaften des Handelnden gesehen werden oder aber in temporären Ereignissen, wie Entscheidungen oder kontextbedingten Handlungsweisen, oder aber auch in situativen Umständen.16 So kann beispielsweise ein Mißerfolge erklärt werden durch mangelnde Fähigkeit oder durch ungenügende Bemühung. Außerdem wird der Betreffende selbst wahrscheinlich anders zurechnen als ein externer Beobachter: Während dieser mehr Anstrengung und Leistungsbereitschaft fordert, wird jener die mißlichen äußeren Umstände betonen.17 Erkenntnistheoretisch gesehen re-installieren Zurechnungen damit eine Subjekt-Objekt-Trennung, so daß sich die Zurechnung/wr den Zurechnenden auf eine objektive Welt bezieht. Damit sorgen Zurechnungen für die Entfaltung von Paradoxien, denn WarumFragen erzeugen eben jene objektiv verursachte Welt des Subjekts. Sie leisten damit Identitätsbildung, zum Beispiel die der Entscheider oder der Betroffenen in der Risikokommunikation. Dagegen öffnen Wie-Fragen, also die Ersetzung von 'Warum ist etwas so?' durch 'Wie wird hier beobachtet?' den Blick auf die Einheit von Unterscheidungen, sie sehen also auf beide Seiten einer Unterscheidung zugleich. Zurechnungen sind für soziale Systeme operativ notwendig, sie verhindern den infiniten Regreß der Unentscheidbarkeit, mit der wir oben Paradoxien gekennzeichnet hatten. Neben ihrer empirischen Notwendigkeit müssen wir ihren Konstruktionscharakter betonen, wie er in Weiners Zitat bereits anklingt. Zurechnungen sind Simplifizierungen von Welt, indem sie eine Seite einer Zwei-SeitenUnterscheidung betonen und die andere Seite ausblenden. Im Zusammenhang mit dem obigen Sinnkonzept schreibt Luhmann: "Zurechnungsprobleme werden im Hinblick auf Relationierungen binär schematisiert, weil dies eine Voraussetzung ist für eine Verknüpfung selektiver Ereignisse, die als Verknüpfung ihrerseits erforderlich und vorteilhaft ist angesichts der offenen, verweisungsreichen Struktur von Sinn schlechthin."18 Die so geschaffene Welt und die als solche bezeichne-
15
B. Weiner (1972): Cognitive Approaches and Attribution Theory, in: ders., Theories and Motivation, Chicago, S. 270-353 (310). 16 Vgl. E.E. Jones/ K.E. Davis (1965): From Act to Disposition. The Attribution Process in Person Perception, S. 219-266; in: L. Berkowitz (Hrsg.), Advances in Experimental Social Psychology 2, New York/ London: Acad.Pr. 17
Vgl. E.E. Jones/ R.E. Nisbett (1972): The Actor and the Observer: Divergent Perceptions of the Causes of Behavior; in: E.E. Jones/ D.E. Kanouse/ H.H. Kelley/ R.E. Nisbett/ S. Valins/ B. Weiner (Hrsg.), Attribution: Perceiving the Causes of Behavior, New York: General Learning Press. 18 N. Luhmann (1981): Erleben und Handeln; in: ders., Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 71.
2. Die Zurechnungsforschung
93
te Ursache ist zwar für den Beobachter zwingend, für eine andere Beobachtung aber artifiziell. Eine Zurechnung, also eine Beobachtung, sagt daher mehr über den Beobachter aus als über die beobachtete Welt. Gleichwohl aber muß die Beobachtung als Prozeß so auftreten, als ob es eine Beschreibung der Welt wäre. 19 So erscheint dem Beobachter 1. Ordnung ein Gegenstand als etwas, das ihm in seiner Objektivität gegenübertritt und ihm als Ursache der Erkenntnis gilt. Es ist dies eine notwendige Bedingung des Beobachtungsaktes, der sonst nicht zustande käme. Auffallend ist die Verwandtschaft zwischen der formalen Beobachtungstheorie und der Zurechnungsforschung. Hier wird die Verbindung zwischen Ursache und Wirkung gekappt, dort die Verbindung zwischen Erkenntnis und Gegenstand! Entscheidend ist in beiden Fällen, die Vorstellung einer Entsprechung zwischen Subjekt und Welt aufzugeben, bzw. sie als notwendiges Artefakt eines Beobachters zu konzipieren. Kognitionen, Informationen, Entscheidungen, Handlungen werden daher nicht selbstevident durch die Welt nahegelegt, sondern sind Eigenarten und Eigenleistungen des Systems. Zurechnungen als Simplifizierungen sind zwar system- oder beobachterabhängig, deswegen aber nicht auch willkürlich, sie müssen sich als "gesellschaftsfähig" ausweisen. Zurechnungen sind daher weder definitiv, weil sich kein Punkt als ontisch einheitsstifiender Endpunkt der Welt aufzwingt, sie sind aber auch nicht infinit, weil eine Vereinfachung von Kausalität stattfinden muß und empirisch stattfindet. Die Konstruktion der sozialen Welt ist fachspezifisch bekanntermaßen ein altes Thema der Soziologie und Gegenstand ausführlicher Analysen im Umkreis der phänomenologischen Literatur. Für eine verstehende, phänomenologische Soziologie der Deutung sinnhaften Handelns, (das das eigene Handeln sein kann), unterliegt der Deutungsprozeß einem Akt der "Kür," 20 eben indem es als sinnhaft konstruiert werden muß: "Darum wird nicht selten die Bestimmung des Sinns eigenen abgelaufenen Handelns konstruktive Momente erhalten müssen, insbesondere wird häufig mit erheblicher Willkürlichkeit eine den zurückschauenden Blick als relevant erscheinende Wirkung des Handelns als 'ursprünglich gestecktes Ziel' deklariert werden".21 Analog heißt es bei Weick: "Verhalten ist nicht zielgerichtet, sondern zielinterpretiert". 22 Die konstruktiven Momente verstärken sich selbstverständlich, wenn der Sinn fremden Verhaltens gedeutet wird, das ja in
19 Zu den Weltbetrachtungen im Modus des "Als ob" vgl. D. Ciaessens (1965): Rationalität revidiert; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 17, S. 465476. 20
Vgl. A. Schütz (1974): Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 21
F. Kaufmann (1936): Methodenlehre, S. 160.
22
K.E. Weick (1985): Der Prozeß des Organisierens, S. 278.
IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität
94
verschiedenen Graden der Distanz zum Deutenden steht.23 Deutlich wird damit, daß die Kategorien von richtig und falsch im Zusammenhang mit Deutungsprozessen inadäquat sind; das gilt ebenso für Zurechnungsprozesse als Mechanismus der Deutung sozialen Sinns. Zurechnungen leben vielmehr davon, daß die kausale Verknüpfung von Ursache und Wirkung, die getroffene Unterstellung von Kausalität, eine plausible ist, d.h. in Bezug auf einen sozialen Kontext hinreichend schnell Anschlüsse ermöglicht.24 Die Zielorientierung oder anders formuliert der Zweckgesichtspunkt, nach der die Auswahl der allein berücksichtigten und nur in diesem Sinne richtigen Ursachen aus der Mannigfaltigkeit kausaler Zurechnungsmöglichkeiten stattfindet, ist bei Zurechnungsprozessen funktional ausgerichtet auf Anschlußfähigkeit. Die Nutzung der Zurechnungsforschung für unsere Arbeit liegt jetzt auf der Hand: Die Wahrnehmung und kommunikative Deutung neuer Risiken, wie wir sie oben dargestellt haben, unterliegen und vollziehen sich anhand simplifizierender Zurechnungen! Wie wir noch sehen werden, gilt das auch für die Deutung aller politischen Entscheidungen. Risiken und Gefahren sind nicht objektive Sachverhalte, die ein Subjekt in der Welt entdecken kann. Auch sie entstehen überhaupt erst kommunikativ durch Zurechnungen im Vollzug rekursiver Beobachtungsverhältnisse, also differenztheoretisch formuliert durch die Handhabung von Unterscheidungen. Die Zurechnungsabhängigkeit solcher Sachverhalte werden wir nun mittels der wahrnehmungs- und sozialpyschologischen Attributionsforschung behandeln und sie soziologisch nutzen. Zwar spielte die Zurechnungsforschung ganz allgemein auch auf anderen Gebieten eine große Rolle, so vor allem in der früheren Nationalökonomie, in der es um die Zurechnung von Wertschöpfung auf die Faktoren Arbeitskraft, Kapital und Boden ging25 und natürlich im Recht in Fragen der Zurechnung von Schuld. Der sozialpsychologische Zweig hat aber für uns den Vorteil, rekursive Beobachtungsverhältnisse zugrunde zu legen, also das soziologisch bedeutende Beobachten von Beobachtern in differenzierten Gesellschaften zu thematisieren: "Erst die nach dem zweiten Weltkrieg einsetzende sozialpsychologische Attributionsforschung erreicht die Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung (...) Nun kann man beobachten, wie ein anderer Beobachter zurechnet (...)" 2 6 Kommen wir jetzt zu den einzelnen Dimensionen der Zurech-
23
Vgl. A. Schütz (1974): Der sinnhafte Aufbau, S. 198-306.
24
So auch K. Weick (1985): Prozeß des Organisierens, S. 27-40.
25
Vgl. H. Mayer (1928): Zurechnung; in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften (4. Auflage), Bd. VIII, Jena: Fischer, S. 1206-1228. 26 N. Luhmann (1991): Der Begriff Risiko; in: ders., Soziologie des Risikos, Berlin/ New York: de Gruyter, S. 9-40 (34); ferner ders. (1990): Identität - was oder wie?; in: ders.
. Die
idimension des Risikos
95
nungsprozesse und beginnen mit der Zeitdimension. Eins sei noch vorausgeschickt: Die Differenzierung der Zurechnungsdimensionen in eine zeitliche, eine sachliche und eine soziale ist rein analytisch zu verstehen. Im empirischen Aufbau sozialer Systeme müssen alle drei Dimensionen gleichzeitig aktualisiert werden. Ein soziales System bildet eine sinnhafte Einheit nur aus, wenn und indem es sich in den drei Dimensionen gleichzeitig auf die Umwelt in systemspezifisch selektiver Weise bezieht. Es kann zwar eine Dimension gegenüber den anderen dominieren und dem System seinen Stempel aufdrücken, etwa wenn bei einem Streit die Sozialdimension (die Meinungsverschiedenheit zwischen ego und alter ego) gegenüber der Sachdimension im Mittelpunkt steht. Allerdings braucht auch eine Auseinandersetzung einen Gegenstand und Zeit; Gewichtsverlagerungen ändern also nichts an der notwendig gleichzeitigen Koexistenz aller drei Dimensionen.
3. Die Zeitdimension des Risikos Risiko hat diesseits aller Problematik des Begriffs und des Gegenstandes selbstverständlich etwas mit offenen, ungewissen Zukünften zu tun; wir beginnen daher mit der Zeitdimension von Risiko. Die Zeitdimension von Zurechnung konzipieren wir als Zwei-Seiten-Form, die beiden Seiten der Form werden gebildet aus der Unterscheidung von Stabilität und Instabilität in der Zeit. Theoriegeschichtlich beziehen wir uns hier auf die wahrnehmungspsychologischen Arbeiten Heiders.27 Ganz allgemein betrachtet treffen wir denn auch bei Heider auf die Figur einer Zwei-Seiten-Form, von der eine Seite markiert und die andere ausgeblendet wird. Heider geht davon aus, daß die Bestandteile der uns umgebenen Umwelt qualitativ in zwei Kategorien einzuteilen sind, eben in stabile und instabile. Während die einen als "Ding" bezeichnet werden, handelt es sich bei den anderen um "Medien". Während ein Ding das Objekt der Wahrnehmung ist, stellt das Medium die Vermittlungsinstanz dar, durch die wahrgenommen wird, etwa Lichtwellen oder Perspektiven. Das konstitutive Merkmal eines Dings ist seine "Innenbedingtheit"28, d.h. sie besitzen eine stabile Eigenform. Ein Medium dagegen ist "außenbedingt", d.h. es birgt viele 'Geschehensmöglichkeiten' in sich. Seine Funktion liegt nicht darin, eigenständig in Erscheinung zu treten, sondern
Soziologische Aufklärung 5, Konstruktivistische Perspektiven, Opladen: Westdeutscher Verlag; S. 14-30. 27
F. Heider (1926): Ding und Medium, in: Symposion I, Heft 2, S. 109-157; gekürzt neu abgedruckt in: Psychological Issue (1959), Vol.1, (No.3), S. 1-34; femer F. Heider (1930): Die Leistung des Wahrnehmungssystems, in: Zeitschrift für Psychologie 114, S. 371-394. 28
F. Heider (1926): Ding und Medium, S. 116.
96
IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität
die Erscheinungsform eines Dings zu vermitteln. Medium und Ding unterscheiden sich also durch die Außen- oder Fremdbedingtheit (Medium) und die Innen- oder Eigenbedingtheit (Ding). Während es sich bei ersteren um variable Faktoren handelt, die sich in der Zeit ändern, sind letztere in der Zeit konstant (oder werden eben als Ding zerstört). Die Idee von Heider besteht nun darin, daß unsere Wahrnehmung einseitig nur die konstanten Momente wahrnimmt, während die Medien obwohl ebenso existent und für die Wahrnehmung konstitutiv wichtig - ignoriert werden und nicht eigenständig in Erscheinung treten. Sie finden in einer anderen, unzugänglichen Welt statt. Die Wahrnehmung also distinguiert zwischen konstant und variabel, obwohl die Welt selbst gar nicht derart hierarchisiert ist. Wir haben es auch bei Heider in diesem Sinne mit einer konstruktivistischen Theorie zu tun. Danach tritt ein Beobachter nicht in Direktkontakt zur Umwelt, sondern mittels einer "eigentümlichen Strukturbetrachung". 29 Deren zentrales Moment ist die sogenannte Bedeutungsebene, also die Stelle, an der Wahrnehmungen eigentlich konstituiert werden.30 Ein Beispiel für die Leistung der Bedeutungsebene mag das verdeutlichen: Betrachtet man einen Gegenstand wie z.B. ein Auto mal frontal, mal seitlich, würde ein Direktzugang der Wahrnehmung zwei gänzlich verschiedene Gegenstände erzeugen. Statt dessen aber nehmen wir ein Auto aus unterschiedlicher Perspektive, in verschiedenen Zuständen (vielleicht verbeult) und sogar bei Funktionsuntüchtigkeit (keine Räder mehr) immer als etwas Identisches wahr, als Auto. Das genau leistet die Bedeutungsebene des Wahrnehmungsapparates, der nach außen nur quantitativen (elektrischen) Kontakt hat und qualitative Bedeutungen intern erst herstellt; es ist genau der Befund aus der Gehirnforschung, den wir oben bereits angeführt hatten. Das Konzept der Bedeutungsebene trifft damit in etwa den Punkt, den Husserl mit "apriorisierender Wahrnehmung" bezeichnet. Gemeint ist damit eine pauschalisierende Wahrnehmung unter Zuhilfenahme von Typiken, so Husserl: "Indem das in Erfahrung tretende Ding nur Seinssinn hat als das eines jeweiligen Innenhorizontes, obgleich von ihm in faktische und eigentliche Kenntnis nur ein Kern von Washeiten getreten ist, hat das Ding, hat jedes Reale überhaupt als Erfahrbares sein allgemeines 'Apriori 1, eine Vorbekanntheit, als unbestimmte, aber als ständig selbige identifizierbare Allgemeinheit eines apriorischen Typus, zugehörig einem Spielraum apriorischer Möglichkeiten."31 Auf dieser Bedeutungsebene erst kommt es, so Heider, zu einer "Hierarchie der Strukturen"32, indem eine Menge an Reizen zu einem integrierten
29
F. Heider (1930): Leistung des Wahrnehmungssystems, S. 372.
30
F. Heider (1930): Leistung des Wahrnehmungssystems, S. 372.
31
Vgl. E. Husserl (1948): Erfahrung und Urteil, S. 32.
32
F. Heider (1958): The Psychology of Interpersonal Relations, S. 65.
. Die
idimension des Risikos
97
Ganzen in seiner Typik zusammengefügt werden; dies ist die Grundlage für die entscheidende Differenzierung in konstante und variable Momente sowie der einseitigen Betonung der Dingseite. Mit dem Begriff der Gestaltung verfolgt in Anlehnung an die Schützsche "Kür" später dann Weick in seiner phänomenologischen Organisationstheorie vom Prozeß des Organisierens die gleiche Logik; dort kann man lesen:" Wenn gegenwärtige Mehrdeutigkeiten durch diese (...) Gestaltungen gefiltert werden, bleibt mancherlei unbemerkt, während anderes als vertraut,fremd, relevant, usw. etikettiert wird." 33 Die Gestaltung von Umwelt auf der Bedeutungsebene zeigt die lose Kopplung (wir sprachen oben von struktureller Kopplung) von Welt und Beobachtung der Welt. Mit noch einer anderen, auch in der Soziologie vertrauten Begrifflichkeit können wir diesen Sachverhalt als Einbettung beschreiben.34 Gemeint ist damit, daß Einzelmomente ihre Bedeutung erst aus der Einbettung in einen Gesamtzusammenhang, in eine Typik gewinnen; so Heider nochmals: "Nur der größere Zusammenhang macht das Einzelne eindeutig"35, oder: "Der Begriff Einbettung bezieht sich auf die Tatsache, daß in vielen Fällen die äußere Erscheinung des lokalen Reizes durch seine Umwelt bestimmt oder zumindest mitbestimmt wird." 36 Die Argumentationsfigur der Einbettung hat einen klassischen Vorläufer in der Romanliteratur, es ist eines der großen Themen in Marcel Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit", dessen vielfältige Motive Anlaß für Heider waren, den Roman wahrnehmungs- und entwicklungspsychologisch unter die Lupe zu nehmen.37 Zur Veranschaulichung des Gemeinten sei eine Passage aus Prousts Werk vorgestellt: "Da mein Vater immer von der Gegend um Méséglise als von dem schönsten Ausblick in der Ebene sprach, den er überhaupt kannte, und von der Gegend um Guermantes als der idealen Flußlandschaft, gab ich beiden Seiten, indem ich sie als zwei Wesenheiten begriff, jene Zusammengehörigkeit und Einheit, die nur den Schöpfungen unseres Geistes eigen ist; der geringste Teil davon schien mir kostbar und eine Bekundung ihrer speziellen Vollkommenheit (...) Vor allem aber legte ich zwischen sie weit mehr als die in Kilometern ausdrückbare Entfer-
33
K. Weick (1985): Prozeß des Organisierens, S. 252.
34
Zwei prominente Beispiele für die soziologische Argumentation mit der Einbettungsmetapher sind K. Polany (1978; zuerst 1944): The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Wien: Suhrkamp; ferner M. Granovetter (1985): Economic Action and Social Structure: The Problem of Embeddedness; in: American Journal of Sociology 91 (3), S. 481-510. 35
F. Heider (1926): Ding und Medium, S. 153.
36
F. Heider (1958): The Psychology of Interpersonal Relations, S. 51.
37
Vgl. F. Heider (1959): The Description of the Psychological Environment in the Work of Marcel Proust; in: Psychological Issue, Vol.1, S. 85-123. 7 Heidenescher
IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität
98
nung jene andere, die zwischen den beiden Teilen meines Gehirns bestand, in denen ich an sie dachte, eine jener Distanzen im geistigen Bereich, die die Dinge nicht nur auseinanderhalten, sondern wirklich trennen und auf verschiedene Ebenen verweisen. Diese Absonderungen wurden dadurch noch endgültiger, daß wir die Gewohnheit hatten, niemals am gleichen Tage auf einem einzigen Spaziergang nach beiden Seiten zu gehen, sondern vielmehr einmal nach Méséglise zu und einmal in Richtung Guermantes; dadurch wurden sie weit voneinander unerkennbar füreinander in die gesonderten und verbindungslosen Gefäße verschiedener Nachmittage eingeschlossen."38
Der Figur der Einbettung, ausgedrückt darin, daß 'der geringste Teil davon (...) mir kostbar und eine Bekundung ihrer speziellen Vollkommenheit (schien)', werden wir in unserem kulturtheoretischen Kapitel wiederbegegnen und dort sehen, daß Kulturen die Funktion übernehmen, Einzelereignisse in einen bedeutungsvollen Zusammenhang zu stellen und diesen in seiner speziellen Vollkommenheit von anderen möglichen Bedeutungszusammenhängen zu trennen. Im übrigen begegnen wir in der zitierten Romanstelle der Konstruktion einer ZweiSeiten-Form, die ja unsere Argumentation ganz wesentlich stützt. Kommen wir aber zurück zur Zeitdimension der Zurechnung. Uns liegt jetzt die erste Unterscheidung, die zeitliche Zwei-Seiten-Form der Zurechnungsforschung vor, nämlich variabel/ konstant. Indem Heider das Begriffspaar nutzt, um aufzuzeigen, daß konstante Formen von der Wahrnehmung gegenüber den variablen Medien bevorzugt und letztere geradezu ignoriert werden, wird deutlich, daß es sich um eine Unterscheidung, um eine Zwei-Seiten-Form in unserem bisherigen Sinne handelt. Die wahrnehmungspsychologische Fokussierung Heiders auf die konstanten Faktoren braucht die Soziologie nicht als Vorentscheidung einer Zurechnung zu übernehmen. Der gesellschaftlichen Zurechnung stehen variable wie konstante Faktoren zur Verfügung; welche Seite dann bezeichnet wird, ist eben Gegenstand der gesellschaftlichen (Risiko-)kommunikation. Wir kommen damit zu einer soziologischen Nutzung der Heiderschen Figur. Im Rahmen einer Theorie der Interaktion übersetzt Luhmann die Unterscheidung von Ding und Medium in die Kategorien von "Konditionierung" und "Selektion".39 In einer Interaktion kann dann entweder auf stabile Eigenschaften oder auf variable Fähigkeiten zugerechnet werden. Für unsere Zwecke können wir die
38
M. Proust (1979): Auf der Suche nach der verlorenen Zeit; zit. nach der Übersetzung von Eva Rechel-Mertens in der 10-bändigen Ausgabe von Suhrkamp, Frankfurt a.M. 39
Vgl. N. Luhmann (1981b): Schematismen der Interaktion, in: ders., Soziologische Aufklärung 3, Opladen: Westdeutscher Verlag, S.81-100 (84); femer N. Luhmann (1984): Soziale Systeme, S. 125.
3. Die Zeitdimension des Risikos
99
Unterscheidung verallgemeinern und der Risikosoziologie zukommen lassen. Konditionierung heißt ganz generell die Abwesenheit von Optionsspielräumen, Selektion heißt Entscheidungsfreiheit und Gestaltungsspielraum. Von zentraler Bedeutung wird diese Unterscheidung dann im Hinblick auf die Ausbildung von Erwartungen: Wird sich eine Handlungsweise, eine gesellschaftliche Entwicklung, der Zustand einer großtechnischen Anlage und dergleichen in der Zukunft genau so gestalten wie bisher, also als konstant herausstellen? Die Vergangenheit ließe dann Rückschlüsse über wahrscheinliche oder sichere Verläufe in der Zukunft zu. Oder sind Veränderungen, Überraschungen oder gar Katastrophen erwartbar? In diesem Falle von Variabilitäten wird die Zukunft etwas anders hervorbringen als das bisher Bekannte an Erfahrung gebracht hat. "Von welcher Gegenwart aus soll bestimmt werden, was wann nicht mehr zu ändern ist und was noch weit in der Zukunft liegt? (...) Wie weit müssen wir jetzt schon beachten, daß das, was wir jetzt tun, künftig Vergangenheit und dann nicht mehr zu ändern sein wird (...)?"40 Die wechselseitige Bezugnahme von Vergangenheit und Zukunft, man kann auch sagen die Einheit der Differenz von Vergangenheit und Zukunft, konstituiert Gegenwart: "(...) beim Unterscheiden (hängt) alles davon ab, wie eine Zäsur gesetzt wird, die zwei Seiten trennt. Als Gegenwart fungiert dann derjenige Einschnitt, der es ermöglicht, Vergangenheit und Zukunft zu unterscheiden."41 Risikokommunikation in ihrer zeitlichen Dimension gestaltet sich darüber, wie das Verhältnis von Vergangenheit und Zukunft gegenwärtig beobachtet wird. Die Bezeichnung der einen oder anderen Seite konstituiert eine spezifische Perspektive und legt entsprechend verschiedene Anschlußselektionen nahe, man sieht "(...) daß die Wahl von Unterscheidungen und Bezeichnungen (...) Konsequenzen hat für das, was von da aus beobachtet bzw. nicht beobachtet werden kann".42 Wird eine großtechnische Anlage oder ein gentechnologischer Versuch oder ähnliches unter Stabilitätsgesichtspunkten beobachtet, überwiegt das Vertrauen in bisherige Sicherheiten und es wird angenommen, es werde nichts passieren, weil bisher nichts passiert ist. Das gilt zumal dann, wenn sich über die Wissenschaften und den technischen Fortschritt Sicherheitsstandards verbessern lassen. Wer dagegen die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Gefahren betont, für den drängt die Zeit und es bleibt die Forderung eines (sofortigen) Umdenkens oder Ausstiegs, um der Katastrophe zu entkommen. Festschreibungen auf riskante, zukunftsunsichere Technologien sind in dieser Perspektive besonders fatal, da sie die Gesellschaft konditionieren und ihr damit Selektionsspielräume rauben.
40
Vgl. N. Luhmann (1992): Ökologie des Nichtwissens, in: ders., Beobachtungen der Moderne, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 149-220.
7*
41
N . Luhmann (1992): Ökologie des Nichtwissens, S. 169.
42
N. Luhmann (1992): Ökologie des Nichtwissens, S. 170.
100
IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität
Wir haben mit solchen Kontroversen die dritte Ausprägung struktureller Kopplung von Gesellschaft und Technik in der Zeitdimension vorliegen. In der Perspektive der Beobachtungstheorie wird der Behauptungs- und (manchmal auch der) Übertreibungscharakter solcher Kontroversen deutlich, denn weder kann die eine Seite definitiv wissen, daß nichts passieren wird, noch die andere Seite, daß genau das der Fall sein wird. In beiden Fällen geht es eigentlich nur um den kommunikativen Umgang mit Nichtwissen. Und der ist auf die Einseitigkeiten von Zurechnungen angewiesen.
4. Die Sachdimension des Risikos Die sachliche Dimensionierung von kausalen Zurechnungen läuft ebenfalls über eine Zwei-Seiten-Form und die Markierung einer der beiden Seiten. Es ist in diesem Fall die Unterscheidung von innen und außen,43 oder - soziologisch vertrauter formuliert - die von System und Umwelt. Es handelt dabei um eine Übersetzung der phänomenologischen Unterscheidung von Innen- und Außenhorizont, der wir oben bereits begegnet waren. In Anlehnung an die Vorstellung eines Oszillierens zwischen den beiden Seiten der Horizontstruktur bedeutet dieser binäre Schematismus, daß ein Ereignis, ein Zustand, eine Handlung oder dergleichen entweder dem System, also zum Beispiel dem Handelnden selbst und seinen Eigenschaften zugerechnet wird, oder gedeutet wird als von der Umwelt und äußeren Umständen verursacht. Im ersten Fall handelt es sich um internale Zurechnung, im zweiten um externale Zurechnung.44 Wir beziehen uns mit der Unterscheidung von internaler und externaler Zurechnung theoriegeschichtlich auf die sozialpsychologischen Arbeiten Heiders; er schreibt: "(...) behavior can be ascribed primarily to the person or to the environment; that is, behavior can be accounted for by relatively stable traits of the personality or by factors within the environment".45 Nehmen wir als Beispiel die Situation, daß Person A die Person Β lobt. 46 Auf die Person A, in diesem Fall internal, wird naheliegenderweise
43
F. Heider (1958): The Psychology of Interpersonal Relations, New York/ London/ Sydney: John Wiley & Sons, Inc. 44
Vgl. F. Heider (1958): The Psychology of Interpersonal Relations, S. 82. Im Anschluß daran gab es eine Vielzahl weiterer Forschungen der Attributionspsychologie, so etwa die Weiterführung Heiders durch H.H. Kelley (1967): Attribution Theory in Social Psychology; in: D. Levine (ed.), Nebraska Symposium on Motivation 15, S. 192-240. 45 46
F. Heider (1958): The Psychology of Interpersonal Relations, S. 56.
Vgl. H. H. Kelley (1972): Causal Schemata and the Attribution Process; in: E.E. Jones/ D.E. Kanouse/ H.H. Kelley/ RE. Nisbett/ S. Valins/ B. Weiner (Hrsg.), AttributionPerceiving the Causes of Behavior, New York: General Learning Press, S. 151-174 (160f).
. Die Sadimension des Risikos
101
zugerechnet, wenn Person A ohnehin sämtliche Leute in seiner Umgebung lobt, das Loben also gewissermaßen zu seiner Disposition gehört; verstärkt wird diese Zurechnung dann, wenn niemand anderes die Person Β lobt. Anders der Fall, wenn A nur in Ausnahmefällen lobt, das Loben also eine ausgewählte Handlung ist und außerdem noch viele andere auch den Β loben; in diesem Fall liegt eine externale Zurechnung auf Β nahe. Und in Anlehnung an die älteren wahrnehmungspsychologischen Arbeiten begegnet uns auch das Argument der Simplifizierungsleistung von Zurechnungen, die sich einseitig festlegen, wieder; so Heider: "(...) the tendency to unipolar attribution lead to neglect of one or the other factors. How often do we feel that we have only to describe the person or the object to explain the enjoyment or other behavior in question".47 Insbesondere unter Bedingungen von Komplexität, Intransparenz, lückenhafter Informationslage und Zeitdruck, also den Momenten, die entscheidungstheoretisch von großer Bedeutung sind, wäre ohne eine einseitige Zurechnung auf die ein oder andere Seite der Unterscheidung ein Systemaufbau gar nicht möglich. So betont die sozialpsychologische Forschung die Bedeutung kausaler Zurechnung unter Bedingungen lückenhafter Information und spricht von einem Kausalschema: "(...) attributions and causal inferences, particulary those made on the basis of partial information, are derived from causal schemata. A causal schema is a gemerai conception the person has about how certain kinds of causes interact to produce a specific kind of effect". 48 Gerade unter den genannten, entscheidungstheoretischen Prämissen von intransparenz und lückenhafter Information liegt der Zusammenhang dieser Forschung zur Risikothematik auf der Hand. Ein weiterer prominenter Zweig der sozialpsychologischen Attributionsforschung ist die Lerntheorie im Anschluß an Rotter; sie untersucht die Konsequenzen einer internalen bzw. externalen Zurechnung auf die Lernmotivation des Handelnden. Ihre Grundannahme ist dabei kurz gesagt die: Die Lernmotivation steigt, wenn ein Handelnder positive Handlungsergebnisse, etwa eine Belohnung, internal auf sich selbst, auf seine Eigenschaften und Fähigkeiten zurechnet, sie ist weniger hoch, wenn das Ergebnis externalen Umständen wie einem einmaligen Glücksfall zugerechnet wird. Internale Zurechnung erhöht die Erwartung, gezielt erwünschte Ergebnisse wiederholen zu können, so Rotter: "Reinforcement under skill condition had a greater effect on raising or lowering expactancies for future reinforcement". 49 Diese Ausrichtung der Lerntheorie findet sich in etwa später in
47
F. Heider (1958): The Psychology of Interpersonal Relations, S. 154.
48
H.H. Kelley (1972): Causal Schemata and the Attribution Process; in: E.E. Jones/ D.E. Kanouse/ H.H. Kelley/ R.E. Nisbett/ S. Valins/ B. Weiner (Hrsg.), Attribution Perceiving the Causes of Behavior, S. 151-174 (151). 49
J.B. Rotter (1966): Generalized Expectancies of Internal versus External Control of Reinforcement, in: Psychological Monographs 80, S. 1-28 (5).
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IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität
Konzepten über Lernen in Organisationen wieder. Danach sind diejenigen Organisationen am lernfähigsten, die (ob berechtigt oder nicht) so handeln, als ob sie aktiv ihre Umwelt gestalten; gelähmt sind dagegen diejenigen Organisationen, die sich als Spielball ihrer relevanten Umwelten sehen.50 Auch organisationssoziologisch kann also die Zurechnungsforschung genutzt werden. Die Zurechnungsforschung und die Unterscheidung von internal/ external erlaubt uns, einen nicht-ontologischen Risikobegriff zu entwerfen und die Arbeit im Duktus einer Beobachtungstheorie fortzuschreiben. Um was handelt es sich bei einem Risiko, wenn es nicht ein objektiver Sachverhalt in der Welt ist, den ein Subjekt nur noch erkennen muß? Was heißt es, Risiko sei beobachterabhängig? Diese Fragen können wir anhand der Zurechnungsforschung konkretisieren. Denn Zurechnungsentscheidungen einer Beobachtung sind es, die die Kategorien von Risiko und Gefahr konstituieren. So schreibt Luhmann: "Der Unterscheidung von Risiko und Gefahr liegt ein Attributionsvorgang zugrunde, sie hängt also davon ab, von wem und wie etwaige Schäden zugerechnet werden. Im Falle von Selbstzurechnung handelt es sich um Risiken, im Falle von Fremdzurechnuïïg um Gefahren (...) Wenn also etwaige Schäden als Folge der eigenen Entscheidung gesehen und auf diese Entscheidung zugerechnet werden, handelt es sich um Risiken (...) Von Gefahren spricht man dagegen, wenn und soweit man die etwaigen Schäden auf Ursachen außerhalb der eigenen Kontrolle zurechnet."51 Es ist dies die Spezifizierung dessen, was Luhmann mit der Unterscheidung von Handeln und Erleben bereits früher eingeführt hatte, zwei Kategorien, die ihrerseits über internale bzw. externale Zurechnung konzipiert sind.52 Zieht man die beiden Begriffspaare zusammen, kommt man zu folgender Feststellung: Wird mit der internalen Zurechnung von Handlungsfolgen die Kategorie Risiko generiert, die auf riskantes Handeln zurückgeht, so mit der externalen Zurechnung von Handlungsfolgen die Kategorie Gefahr, die erlebt wird. Macht man die Zukunft im Hinblick auf Wohlfahrtsgewinne von eigenen Entscheidungen abhängig, setzt man sich dem Risiko möglicher Schädigungen aus, die vermieden werden können, wenn man sich gegen das Risiko entscheidet. Wird der mögliche Schaden dagegen
50
Vgl. J.G. March/ J.P. Olsen (1976): Organizational Learning and the Ambiguity of the Past; in: dies., Ambiguity and the Choice in Organizations, Bergen, Norway: Universitetsforlaget, S. 54-68; femer dies., (1975): The Uncertainty of the Past: Organizational Learning under Ambiguity; in: European Journal of Political Research 3, S. 147-171. 51
N. Luhmann (1990a): Risiko und Gefahr; in: ders., Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 131-169 (148f); femer ders. (1991i): Verständigung über Risiken und Gefahren; in: Die politische Meinung 36 (H. 258), S. 86-95. 52 Vgl. N. Luhmann (1981a): Erleben und Handeln; in: ders., Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 67-80.
. Die Sadimension des Risikos
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fremden Entscheidungen, die außerhalb der eigenen Kontrolle liegen, zugerechnet, handelt es sich um Gefahren. So kann man im Straßenverkehr auch bei eigener Zurückhaltung durch jemand gefährdet werden, der sich entschließt, riskant zu fahren. Betreiber einer großtechnischen Anlage entscheiden sich für das (technische, aber auch betriebswirtschaftliche) Risiko einer Inbetriebnahme, während Anlieger oder weitere Öffentlichkeiten sich der Gefahr einer Entscheidung ausgesetzt sehen, an der sie nicht mitgewirkt haben. Um Gefahren zu vermeiden, müssen andere angehalten werden, anders zu entscheiden. Daraus entstehen dann Ansprüche an die Politik. Da in modernen Gesellschaften Handlungen als Entscheidungen beobachtet werden können und dies gerade im Zusammenhang mit politisch-öffentlichen Themen pausenlos geschieht, habe wir es mit einer Dauerproduktion von Gefahren zu tun. Gesellschaftliche Freiheitsräume vervielfachen die Entscheidungsgelegenheiten und erzeugen permanent an anderer Stelle Gefahren für andere. Dies ist eine Konsequenz der rekursiven BeobachtungsVerhältnisse der Moderne. Das Thema des zweiten Hauptabschnitts der Arbeit wird entsprechend sein, wie die Politk sich darauf einrichten muß, unter Gefahrengesichtspunkten beobachtet zu werden. Die Funktion der Zurechnungsthematik liegt in der Überwindung der Vorstellung, offene Zukünfte stellen sich für alle gleich dar, lägen also in der Natur der Sache. Denn die "(...) Außenwelt selbst kennt keine Risiken, denn sie kennt weder Unterscheidungen, noch Erwartungen, noch Einschätzungen, noch Wahrscheinlichkeiten - es sei denn als Eigenleistung beobachtender Systeme in der Umwelt anderer Systeme. ,f53 So wird deutlich, daß Risiko und Gefahr nur durch Beobachter und entsprechende Zurechnungen auf internal oder external in die Welt gesetzt werden. Entsprechend muß eine soziologische Risikotheorie die Generierung von Risiken vom individuellen Entscheider und dessen psychischen Eigenarten wie Mut zum Risiko ablösen54, zumal wenn sie die engmaschigen gesellschaftlichen Interdependenzen der sich selbst beobachtenden Gesellschaft berücksichtigt. Diese Beobachtungsverhältnisse sind ihrerseits aber nach wie vor auf die Simplifizierungsleistung von Zurechnungen angewiesen. Entsprechend der Unterscheidung von Risiko und Gefahr differenziert sich die Gesellschaft, wie wir sehen werden, in Entscheider und Betroffene.
53 N. Luhmann (1991): Der Begriff Risiko; in: ders., Soziologie des Risikos, S. 14f, Betonung im Original. 54
Vgl. N. Luhmann (1991): Der Begriff Risiko; in: ders., Soziologie des Risikos, S.13.
104
IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität
5. Die Sozialdimension des Risikos Direkt an die Unterscheidung von Gefahr/ Risiko schließt die Sozialdimension von Zurechnungen an und fuhrt uns in die Unterscheidung von Entscheidern und Betroffenen. 55 Entscheider rechnen sich die Folgen des Einlassens auf Unsicherheiten selbst zu (zum Beispiel: Rauchen, Glücksspiele, Unternehmertum); es handelt sich um eine internale- oder Selbstzurechnung. Betroffenheiten dagegen entstehen, wenn die Folgen des Einlassens auf Unsicherheiten nicht auf das eigene, sondern auf dasfremde Entscheiden zugerechnet werden, an denen die dann Betroffenen selbst nicht mitgewirkt haben; es handelt sich um externaleoder Fremdzurechnung. Mit der sozialen Unterscheidung von Entscheidern und Betroffenen blenden wir einerseits an den Beginn der Arbeit zurück und erinnern an die Unterscheidung von Experten und Laien; andererseits greifen wir andeutungsweise auf das Schlußkapitel vor, insofern als die Unterscheidung von Entscheidern und Betroffenen die Frage nach gesellschaftlichen Umgangsformen damit aufwirft. Die Entscheider sind zumindest im Zusammenhang mit hochtechnischen Anlagen Experten, denen Sachkenntnis und die Fähigkeit zur kontrollierten Risikoübernahme attestiert wird, während den Laien als Betroffene nichts anderes übrig bleibt, als genau darauf zu vertrauen. Die Sozialdimension des Risikos gewinnt nun dadurch Brisanz, daß dieses Verhältnis zu bröckeln beginnt und die Laien den Experten immer weniger zutrauen. Der Vertrauensverlust macht die Kategorie des Betroffenseins eigentlich erst relevant. Andererseits fuhrt uns die Unterscheidung von Entscheidern und Betroffenen bereits hier insofern zum Schlußkapitel der Arbeit, als die Frage auf der Hand liegt, wie die Gesellschaft die Sozialdifferenz bearbeiten kann. Wir können hier nicht ausführlich vorgreifen, nur zwei der bekanntesten Bearbeitungsmodi seien genannt, nämlich Information und Aufklärung der Laien durch die Experten sowie Partizipation. Die Einschätzung dieser Vorschläge verschieben wir auf später, sie hängt aber mit dem hier entscheidenden Punkt zusammen, nämlich dem, die Konstitution der Differenz von Entscheidern und Betroffenen als soziales Konstrukt von Zurechnung zu sehen. So tauchen Fragen der Art auf, ob Informationen Beobachtungsneigungen überhaupt verändern können und wenn ja, in welche Richtung; oder: Was passiert, wenn durch Partizipation aus Betroffenen selbst Entscheider werden? Zu beachten ist auch der bereits oben behandelte Befund aus der sozialpsychologischen Risikoforschung, daß Selbst- bzw. Fremdzurechnung über den Grad an Empfindlichkeit entscheidet, mit der eine Gefährdung beobachtet wird, in dem Sinne, daß die Risikobereitschaft bei externaler Zurechnung auf fremde Entscheidungen weit niedriger ausfällt als bei Selbstübernahme. Die Selbst- bzw. Fremdzurechnung von
55
Vgl. N. Luhmann (1991b): Entscheider und Betroffene; in: ders., Soziologie des Risikos, S. 111-134.
5. Die Sozialdimension des Risikos
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Riskanz ist deshalb von Bedeutung, weil die beiden Sozialkategorien nicht einfach aneinander vorbei leben können, sondern in den Interdependenzen der modernen Gesellschaft verstrickt bleiben. Es handelt sich also um ein und denselben "Sachverhalt", der Entscheider und Betroffenen je nach Zurechnung konstituiert. Wir haben es also abermals mit einer paradoxen Situation zu tun. Die Paradoxie der Sozialdimension erkennt man daran, daß es ein Sachverhalt ist, der zwei Perspektiven erzeugt; Entscheider und Betroffene konstituieren sich wechselseitig, indem sie die andere Seite beobachten: "Aber der Anlaß zur Gegnerschaft ergibt sich nicht aus den Tatsachen, sondern aus den Beobachtungsweisen der anderen Seite (...)·"56 Die wechselseitigen Beobachtungsverhältnisse in der Moderne fuhrt zu der Möglichkeit und sogar zu der Wahrscheinlichkeit, an betroffener Stelle immer zufragen: Wer hat eigentlich entschieden? Die Unterscheidung von Risiko und Gefahr erscheint hier in der Sozialdimension möglichen Dissenses und politischen Zündstoffs. Denn eine politische Entscheidung, die nicht beobachtet wird, sei es von innergesellschaftlichen Umwelten der Politik (Wirtschaft, Wissenschaft, Religion, Recht, etc.), sei es in der Politik selbst, in der Beobachtung des Zentrums durch die Peripherie (z.B. Neue soziale Bewegungen), kommt in einer massenmedial vermittelten Gesellschaft praktisch nicht vor. Eine Konsequenz ist die Kommunikationsform "Protest"; es handelt sich dabei eine Beobachtungsform, die in die Gesellschaft eine Markierung, eine Grenze einzieht, mit der die Unterscheidung von innen und außen aufgebaut wird. Protest kann damit die Gesellschaft von außen beobachten. Ein Beobachter, der das beobachtet, sieht freilich die Einheit von innen und außen und sieht den Protest als Kommunikation in der Gesellschaft, denn wo sonst sollte kommuniziert werden. Protest ist demnach eine spezifische Ausprägung gesellschaftlicher Selbstbeschreibung.57 Dabei ist nicht nur explizites Entscheiden für ein Risiko Anlaß entsprechender Zurechnung durch Betroffene. Auch das, was in älteren Gesellschaften als Schicksal gedeutet wurde, wie zum Beispiel Krankheiten und Naturkatastrophen, kann heute von Betroffenen legitimerweise auf Entscheidungen an anderer Stelle zurückgeführt werden. Zumeist ist dabei die Politik der Zurechnungsadressat und sei es auch nur indirekt, indem der Politik unterlassenes oder zu spätes Eingreifen gegen die Entscheider vorgeworfen wird. Durch die allgegenwärtigen Beobachtungs- und Zurechnungsmöglichkeiten ist die Politik der Möglichkeit beraubt, nicht zu entscheiden. Die Unausweichlichkeit des Erzeugens von Betroffenheiten wird dadurch aufrechterhalten und verstärkt, daß sich auch nicht direkt Betroffene zu Betroffenen erklären können und daraus eine Stellvertreterpolitik ableiten. Diese Möglichkeit
56
N. Luhmann (199le): Beobachtung zweiter Ordnung; in: ders., Soziologie des Risikos, S. 235-247 (236). 57 Vgl. N. Luhmann (1991c): Protestbewegungen; in: ders., Soziologie des Risikos, S.135-155 (150).
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IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität
macht deutlich, daß Dringlichkeiten, Gefahren und Betroffenheiten, etc. beobachterabhängig konstruiert werden. Durch Zurechnungen werden Verantwortungen, Motive und Interessen auf konkrete Personen adressiert, (also mittels der Kategorien, die konzeptionell in handlungstheoretischen Ansätzen eine zentrale Rolle spielen). Personen sind damit neben Organisationen eine der beiden Adressaten, denen Handlungen zugerechnet werden können.58 Konstruktivistisch gesehen ist dabei abermals die Simplifizierungsleistung von Zurechnungen zu betonen: "Relativ zur konkreten Komplexität des Sozialsystems ist dies ein Isolationsvorgang, eine Abstraktion, die durch Ausblenden anderer Möglichkeiten zustandekommt.59 Hinter dieser Darstellungsvereinfachung "Person" (wie auch im Falle von "Organisation") stecken aber soziale Systeme der Zurechnung. In der Konsequenz heißt das, (und das ist nicht als In-Schutznahme von Entscheidern zu lesen), daß ein Entscheider sich in seiner Entscheidung immer daran orientieren muß, was an tragbaren Anschlüssen in der Gesellschaft und im politischen System zur Verfugung steht. Das seinerseits erklärt sich aus dem evolutionären Verlauf der Gesellschaft selbst. Ein prominentes Beispiel im Zusammenhang mit gesellschaftlich-evolutionärer Risikobearbeitung ist das neue Umwelthaftungsrecht von 1991.60 Es vollzieht einen Wandel von der Gefahrenabwehr zur Risikovorsorge und zwar durch die Abkehr vom Verschuldensprinzip hin zur Gefährdungshaftung. Während beim Verschuldensprinzip der Haftungsfall nur bei persönlichem Verschulden, also Fahrlässigkeit oder Vorsatz, eintritt, installiert das neue Umwelthaftungsrecht die verschuldensunabhängige Haftung. Dieser Haftungsfall tritt auch dann ein, wenn die Schädigung aus dem störungsfreien und bestimmungsgemäßen Normalbetrieb etwa einer technischen Anlage resultiert. Insbesondere die Kategorie der sogenannten Änderungsrisiken sind hier von Bedeutung. Dabei handelt es sich um Risiken, deren mögliches Schädigungspotential zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung nach dem "Stand von Wissenschaft und Technik" nicht vorhersehbar war. Hier tritt nun der Faktor der gesellschaftlichen Evolution in ganz bedeutender Weise in Erscheinung, hängt es doch von gesellschaftlichen Entwicklungen, eben Änderungen ab, was als Risiko nachträglich und dennoch haftungsrelevant definiert wird.
58
Vgl. N. Luhmann (1991h): Die Form "Person"; in: Soziale Welt 42, S. 167-175.
59
N. Luhmann (1981b): Schematismen der Interaktion, S. 83.
60
Vgl. E. Deutsch (1991): Umwelthaftung: Theorie und Grundsätze; in: Juristen Zeitung 46, S. 1097-1102; ferner als Einschätzung E. Feess-Dörr/ G. Prätorius/ U. Steger (1992): Umwelthaftungsrecht; ferner unter Gesichtspunkten der Präventionsleistung des neuen Umwelthaftungsrechts K.P. Japp (1997): Die Idee ökologischer Prävention als moderner Mythos: Das Beispiel der Umweltgefährdungshaftung; in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 80 (1), S. 80-99 (84).
5. Die Sozialdimension des Risikos
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Neben dem Fortschritt im "Stand von Wissenschaft und Technik" entstehen Änderungsrisiken vor allem durch veränderte Auslegung rechtlicher Bestimmungen. "So ist auch nicht ausgeschlossen, daß durch das UmweltHG selbst Änderungsrisiken in dem Sinne generiert werden, daß von ihm Ausstrahlungswirkungen auf die richterliche Auslegung von Schadensbegriff und umweltbezogener Sorgfaltspflichten sowie auf die sog. Anspruchsmentalität von Geschädigten ausgehen. Wesentlich ist also nicht (allein) der Gesetzestext, sondern dessen Inanspruchnahme durch die Rechtspraxis."61 Durch veränderten Richterspruch kann so die Entscheidung für das Betreiben einer gefährlichen Anlage Verantwortlichkeiten erzeugen, die esfrüher für dieselbe Entscheidung nicht gegeben hatte. Die Abkürzungsleistung der Sozialdimension von Zurechnung besteht darin, Verhaltensweisen eindeutig adressieren zu können, systemspezifische Selektionen also auf Personen oder Organisationen zuzurechnen und damit soziale Bestimmtheit herzustellen. Außerdem wird ganz deutlich, daß Zurechnungen selbst der gesellschaftlichen Evolution unterliegen. Auf den ersten Blick sind Sach- und Sozialdimension ganz dicht aneinander gebaut. Im Rahmen unsere Analyse müssen sie aber getrennt werden; nur so kommt die Eigenständigkeit der Sozialdimension von Entscheidern und Betroffenen zur Geltung. Der Subjektbegriff vereinigt beide Dimensionen, indem er ego mit innen gleichsetzt, so Luhmann: "Selbst die Subjekt-Theorie setzt noch ein einziges Innen-Außen-Verhältnis an die Stelle, wo Sachdimension und Sozialdimension im Sinne verschiedener Doppelhorizonte zu unterscheiden wären". 62 Die Notwendigkeit der Trennung der Dimensionen wird deutlich, wenn man sich die konstitutive Bedeutung der jeweiligen Gegenhorizonte verdeutlicht, denn jede Fixierung eines System ist dies immer nur vor dem Hintergrund der Negation; diese ist ebenso konstitutiv für die Einheit des Systems wie das System selbst. Bei der internalen Zurechnung besteht die Abgrenzung hinsichtlich der situationalen Momente, während durch die Sozialdimension deutlich wird, daß jede Zurechnung und damit jede Identität eines Systems kontingent ist und zumindest der Möglichkeit nach unter Dissensgefahr steht. Sozial wird Sinn nicht schon dadurch, daß er an innen oder außen festgemacht wird, sondern dadurch, daß Simplifizierungsleistungen so oder auch anders beobachtet werden können und dies in der Regel auch geschieht. Erst durch die Eigenständigkeit der Sozialdimension wird deutlich, wie im Hinblick auf einen Sachverhalt je nach Perspektive verschiedene Bedeutungen kommuniziert werden. Die Sozialdimension ist daher ein wichtiges, selbstständiges Moment63 in den operativen Möglichkeiten bzw. Notwendigkeiten
61
J. Schmidt (1994): Gesellschaftliche Risikoregulierung durch Risikoerzeugung, S.82.
62
N. Luhmann (1984): Soziale Systeme, S. 119.
63
Vgl. N. Luhmann (1984): Soziale Systeme, S. 119.
108
IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität
eines sozialen Systems, sie erlaubt: "(...) einen ständig mitlaufenden Vergleich dessen, was andere erleben können bzw. erleben würden und wie andere ihr Handeln ansetzen könnten."64 Daß die soziale Einheit im Modus von Konsens oder Dissens verläuft, impliziert keinesfalls eine Wünschbarkeit für Konsens, denn unter dem Gesichtspunkt des Systemaufbaus ist Dissens genauso "leistungsfähig" wie Konsens, ja gerade über Konflikt können extreme Formen der Integration erreicht werden. Daher geht es der soziologischen Systemtheorie nicht um Konsens oder Dissens, sondern um die Frage: Wie kommt die Kommunikation in Gang und wie findet sie ihre Anschlüsse? Gerade bei Zurechnungsprozessen kommt es zu "systematisch-verzerrenden Tendenzen"65 und eine der bekanntesten besteht darin, daß ein Handelnder selbst anders zurechnet als ein Beobachter; wir sprachen bereits oben davon.66 Schon Heider geht davon aus, daß ein Handelnder eher die externale Veranlassung betont und dabei seine selektive Wahrnehmung nicht in Rechnung stellt, während ein Beobachter eher zu internaler Zurechnung neigt, also das Ereignis als fremde Selektion begreift und seinerseits dabei Umweltfaktoren übersieht.67 So können auch Entscheidungen da beobachtet werden, wo gar keine stattgefunden haben, zumindest nicht aus der Perspektive des Zurechnungsadressaten selbst. Besonders stark sind derartige Divergenzen zwischen Beobachtern, wenn sie sich in einer direkten Konkurrenzsituationen sehen. Die Beobachtung des Gegenüber wird dann nicht auf situationale Umstände, sondern auf die typischen Eigenschaften des Kontrahenten attribuiert: "(...) interactions persons in conflict tend to underestimate the degree to which the conflict they experience is due to the common external situation."68 Die Paradoxielastigkeit der Unterscheidung von Entscheidern und Betroffenen kommt dann in unser Blickfeld, wenn wir die Einheit der Unterscheidung betrachten. Es handelt sich um das Sozialparadox, das
64
N. Luhmann (1984): Soziale Systeme, S. 121.
65
Vgl. N. Luhmann (1981a): Erleben und Handeln, S. 73.
66
Vgl. nochmals E.E. Jones/ RE. Nisbett (1972): The Actor and the Observer; in: E.E. Jones/ D.E. Kanouse/ H.H. Kelley/ R.E. Nisbett/ S. Valins/ B. Weiner (Hrsg.), Attribution - Perceiving the Causes of Behavior, S. 79-94; ferner als empirische Fallstudie Ν. Luhmann (1973): Zurechnung von Beförderung im öffentlichen Dienst, in: Zeitschrift für Soziologie 2, S. 326-351. 67 68
Vgl. F. Heider (1958): The Psychology of Interpersonal Relations, S. 157.
H.H. Kelley (1972): Attribution in Social Interaction, in: E.E. Jones/ D.E. Kanouse/ H.H. Kelley/ R.E. Nisbett/ S. Valins/ B. Weiner (Hrsg.), Attribution - Perceiving the Causes of Behavior, S. 1-26 (19); femer ders., (1972): Attribution in Social Interaction, S. 19. Vgl. H.H. Kelley (1970): A Comparative Experimental Study of Negotation Behavior; in: Journal of Personality and Social Psychology 16, S. 411-438.
5. Die Sozialdimension des Risikos
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anzeigt, daß Entscheider und Betroffene sich wechselseitig durch rekursive Beobachtungsverhältnisse konstituieren. "Wir stehen vor einem klassischen Sozialparadox: Die Risiken sind Gefahren, die Gefahren sind Risiken, weil es sich um ein und denselben Sachverhalt handelt, der mit einer Unterscheidung beobachtet wird, die eine Differenz der beiden Seiten verlangt. Dasselbe ist verschieden".69 Zusammenfassend können wir festhalten, daß Zurechnungsprozesse die drei Dimensionen sozialer Systeme "bearbeiten", also die Zeitdimension (konstant-variabel), die Sachdimension (innen-außen/ Risiko-Gefahr) und die Sozialdimension (ego-alter ego/ Entscheider-Betroffene). Die "Identitätsfindung" der Systeme vollzieht sich durch einseitige Verkürzungen sinnhaften Deutens, durch Zurechnungen, die damit ein vereinfachtes, systeminternes Bild von "Wirklichkeit" entwerfen. "So wenig wie es Erleben ohne Handeln gibt oder Konstanz ohne Variabilität, sowenig gibt es ein Ego ohne Bezug auf ein Alter und ohne Vermittlung zu der Erfahrung, daß Alter ein alter Ego ist. Aber das weitere Prozessieren erfordert es, diese wechselbezüglichen Relationierungen auf einen Punkt zu verkürzen, Informationen entsprechend zu raffen und Unsicherheiten zu absorbieren, damit im weiteren Verlauf etwas Bestimmtes für Neurelationierungen zur Verfügung steht".70 Die einseitige Engführung ist also unter funktionalen Gesichtspunkten des Aufrechterhaltens von sozialen Systemen zu verstehen. Zurechnungsprozesse sind simplifizierende Mechanismen, durch die man sich mit dem Alltag in Verbindung setzt.71 Ganz ähnlich läßt sich der Begriff des "Organisierens" bei Weick lesen: "(...) es ist jedoch wesentlich, sich zu vergegenwärtigen, daß Entscheiden in dem Modell des Organisierens heißt, irgendeine Interpretation der Welt und irgendeine Reihe von Schlüssen aus dieser Interpretation auszuwählen und dann diese Zusammenfassungen für nachfolgendes Handeln verbindlich zu machen."72 Trotz des theoriegeschichtlichen Hintergrundes soll hier selbstverständlich nicht eine Psychologisierung der Soziologie betrieben werden. Soziologisch relevant sind Zurechnungsprozesse durch ihre Funktion, die selbstreferentielle Ausdifferenzierung und Stabilisierung von sozialen Systemen zu ermöglichen.73 Zurechnungsprozesse leisten den Aufbau von Systemgrenzen durch die
69
N. Luhmann (1991b): Entscheider und Betroffene; in: ders., Soziologie des Risikos, S. 117. 70
N. Luhmann (1984): Soziale Systeme, S. 126.
71
Vgl. N. Luhmann (1982): Die Voraussetzungen der Kausalität, in: N. Luhmann/ K.E. Schorr, Zwischen Technologie und Selbstreferenz, Frankfurt a.M: Suhrkamp, S. 41-50 (46). 72
K. Weick (1985): Prozeß des Organisierens, S. 250.
73
Vgl. N. Luhmann (1981b): Schematismen der Interaktion, S. 92.
110
IV. Zurechnung - die Beobachtung von Kausalität
funktionale Äquivalenz einer so oder so ausgerichteten Beobachtung. Die Zurechnungsprozesse sind die Reaktion auf das Problem der Komplexität, also der Notwendigkeit des selektiven, riskanten Zugriffs auf Umwelt, oder anders formuliert: sie bewerkstelligen die notwendige Paradoxieentfaltung. Ohne Zurechnung ist der Aufbau sozialer Zusammenhänge gar nicht denkbar: "Die Offenheit, der Verweisungsüberschuß von Sinn erzwingt mithin Selektivitätsbewußtsein, und Selektivitätsbewußtsein erfordert Zurechnungen immer dann, wenn Beziehungen zwischen verschiedenen Selektionen hergestellt werden müssen: Man muß wissen, wo die Entscheidung gefallen ist oder fallen wird oder fallen könnte, wenn man ihr andere Selektionen zuordnen will". 74 Damit verdeutlicht die Wirkungsweise von Zurechnungsprozessen auch die wechselseitige Konstitution von Handlung und System. Die Zurechnungen sind wie gesehen einerseits Mechanismen in komplexen, systemischen Zusammenhängen, sie sind Reaktionen auf die damit zwingend gegebene Notwendigkeit des selektiven Zugriffs auf Umweltdaten. In diesem Sinne bringt das System qua Zurechnung Handlung als Ergebnis der Komplexitätsreduktion hervor. Gleichzeitig aber leisten die Zurechnungen damit gerade auch den Systemaufbau selbst, indem sie dem System punktuell Identität verleihen. Handlungen sind also sowohl das Ergebnis eines systemischen Zusammenhangs, als auch ihrerseits Voraussetzung für den Systemaufbau, sie sind gleichzeitig Artefakt des System und dessen Baustein. Die Dimensionen der Zurechnung stehen durch ihre Bipolarität in struktureller Verwandtschaft zum phänomenologischen Horizontbegriff. Vor allem aber tragen und verdeutlichen sie den Konstruktivismus der Luhmannschen Systemtheorie, nämlich durch die Umstellung der Frage von dem "(...) was etwas Identisches ist, (zum) wie das erzeugt wird, was dem Beobachten als Identisches zu Grunde gelegt wird" (...) 75 tritt ins Zentrum der Theorie. Deutlich sollte nun der Zusammenhang zwischen dem erkenntnistheoretischen Konstruktivismus der Paradoxiethematik und deren soziologische Bedeutung in der Beobachtung via Zurechnung geworden sein. Die Kategorie des Risikos ist in diesem Konzept kein Sachverhalt, vielmehr geht es um offene Zukünfte, die je nach Perspektive mit verschiedenen Bedeutungen beobachtet werden. So entsteht ein gesellschaftliches Gemengelage von Interessen und Ansprüchen, mit denen es dann vornehmlich die Politk zu tun bekommt. Dieses Kapitel abschließend, läßt sich festhalten: Zurechnungen übersetzten eine "paradoxe" Welt in eine "orthodoxe" Welt; dies gilt ganz allgemein und für verschiedene Ebenen gesellschaftlicher Kommunikation, vollzieht sich in Interaktionen, in Organisation und Verbänden, in Parteien und bei Sozialen
74 75
N. Luhmann (1981a): Erleben und Handeln, S. 70.
N. Luhmann (1990b): Identität - wie oder was? in: ders., Soziologische Aufklärung 5, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 14-30 (21).
5. Die Sozialdimension des Risikos
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Bewegungen; es gilt für Betroffene wie für Entscheider. Diesen erscheint freilich ihre Beobachtung nicht als sinnhafte Engführung einer verweisungsoffene Horizontstruktur oder als Paradoxieentfaltung; der Blick auf die Einheit von Unterscheidungen hat für einen Beobachter keinen Informationswert, er zerstört ganz im Gegenteil die Operationsgrundlage. Vielmehr ist für Beobachter die Beobachtung "selbstevident". 16 D.h., die Beobachtung ist für sich selbst alternativlos aus der Welt direkt abgeleitet, reproduziert also den alten Zusammenhang von Erkenntnis und Gegenstand. Der theoretische Gewinn der Zurechnungsforschung liegt nun darin, daß die Beobachtung von Risiko bzw. Gefahr in ihrer Kontingenz deutlich wird. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden Präferenzen und Interessen in ihrer sozial eingebetteten Generierung gezeigt, denn selbstverständlich finden Beobachtungen bzw. Zurechnungen nicht in einem historischen und sozialen Vakuum statt. Sie sind eingebettet in spezifische kulturell-institutionell Kontexte, die ihnen Orientierungshilfe geben.77
76
Vgl. A. Wildavsky (1987): Choosing Preferences by Constructing Institutions: A Cultural Theory of Preference Formation, in: American Political Science Review 81 (1), S. 3-21 (4). 77
Vgl. dazu J.G. March/ J.P. Olsen (1984): The New Institutionalism: Organizational Factors in Political Life, in: The American Political Science Review 78 (3), S. 734-749; femer: dies. (1989): Rediscovering Institutions - The Organizational Basis of Politics, New York, London: The Free Press; ferner A. Wildavsky (1987): Choosing Preferences by Constructing Institutions. A Cultural Theory of Preference Formation; in: American Political Science Review 81(1), S. 3-21.
V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation 1. Warum Kulturtheorie? Beobachtung von Risiken und Gefahren, wie überhaupt die Konstitution einer stabilen, definitiven Welt vollzieht sich über Zurechnungsprozesse und ist damit kontingent. Durch das vorangegangene Kapitel haben wir das Kontingenzthema, das zunächst durch das Konzept der Beobachtung und Paradoxieentfaltung sehr abstrakt dargestellt war, soziologisiert und an genuin soziologische Kategorien wie Kommunikation (von Zurechnung) und Erwartung (zwischen ego und alter ego) herangeführt. Aber unsere Analyse kann an diesem Punkt nicht stehen bleiben, denn die Theorie der Beobachtung wie auch die Attributionsforschung beantworten noch nicht die Frage nach den sozialen Bedingungen, warum welche Beobachter wie zurechnen! Nehmen wir beispielhaft die Sozialdimension der Zurechnung: Sie besteht in der Differenz von Entscheidern und Betroffenen und der Unvermeidbarkeit dieser Differenzierung in der modernen Gesellschaft. Warum aber sollte das eigentlich so sein? Zur Beantwortung dieser Frage gehören sicher aktuelle soziologische Themen wie das der Diversifizierung von Lebenslagen,1 der Erosion von Werten2 sowie der Frage nach der Legitimation politischer Ordnung. Soziologisch interessant daran ist nun nicht der Befund der Diversifizierung als solcher. Vielmehr beschäftigt uns die Frage nach den Kontexten, die die Zurechnungen einrahmen und gestalten. Von welchen sozialen Faktoren hängt es ab, ob etwas als Risiko bzw. Gefahr beobachtet wird? Wir stellen also im folgenden Kapitel die Frage nach den gesellschaftlichen Faktoren des Selektionsprozesses in der Risiko/ Gefahr-Beobachtung. Theoriegeschichtlich kann man hier zunächst an die Wissenssoziologie Karl Mannheims denken, er schreibt: "Es ist die Hauptthese der Wissenssoziologie, daß es Denkweisen gibt, die solange nicht adäquat verstanden werden können, als ihr gesellschaftlicher Ursprung im Dunkeln bleibt (...) Nur in einem ganz begrenzten Sinne schafft das Individuum aus sich selbst die Sprech- und Denkweise, die wir ihm zuschreiben. Es spricht die Sprache seiner Gruppe; es denkt in der Art, in der seine Gruppe
1 2
Vgl. U. Beck (1986): Risikogesellschaft, S. 113ff.
Vgl. R. Döbert (1994): Die Überlebenschancen unterschiedlicher Umweltethiken, in: Zeitschrift für Soziologie 23 (4), S. 306-322.
1. Warum Kulturtheorie?
113
denkt."3 Anders aber als im gesellschaftskritisch gemeinten Ideologiekonzept bei Marx ist bei Mannheim eine gesellschaftliche Verankerung die substantielle Bedingung jeglichen (nicht notwendig falschen) Wissens. Die gruppenbezogene, oder allgemeiner: die gesellschaftliche Einbettung von Sprech- und Denkweise, von Beobachtung und Zurechnung wie auch die Bildung von Präferenzen tritt jetzt ins Zentrum unserer Analyse. Siefindet in der konstruktivistischen Systemtheorie zu wenig Berücksichtigung. Von Mannheim wird sie thematisiert unter sozialstrukturellen Gesichtspunkten der Zugehörigkeit zu Klassen und Schichten; unsere Arbeit dagegen wird sie kulturtheoretisch begründen.4 Der bisherige Argumentationsgang legt zunächst eines deutlich nahe: Da die Perspektive des Entscheiders und des Betroffenen durch Prozesse der Zurechnung zustandekommt, handelt es sich nicht um ontische Kategorien; dies haben wir erkenntnistheoretisch und wahrnehmungstheoretisch bereits gezeigt. Die Unterscheidung in Beobachtung 1. Ordnung und Beobachtung 2. Ordnung, also die Möglichkeit, Beobachter zu beobachten hat zur Konsequenz, daß ein Beobachter nicht determiniert und nicht determinieren kann, ob und wie er beobachtet wird. Das gleiche gilt für Entscheidungen und in unserem Fall besonders für das politische Entscheiden: Die Beobachtung der Entscheidung, ihre Zurechnung auf internale oder externale Faktoren, die simplifizierende Markierung einer Seite unter Ausblendung anderer Möglichkeiten, all das liegt bereits außerhalb der politischen Entscheidung selbst. Die Politik, also Personen oder Organisationen des politischen Systems, können zwar nach "bestem Wissen und Gewissen" entscheiden und handeln, die Art der Beobachtung ihres Tuns und welche Bedeutung es für wen bekommen wird, liegt aber außerhalb ihres Einflußbereiches. Über die Frage nach den gesellschaftlichen Bedingungen der Bedeutungsgewinnung von Entscheidungen kommen wir zur angekündigten Kulturtheorie anthropologischer Prägung. Mit ihrer Zuhilfenahme gehen wir über die erkenntnistheoretische Herleitung von Intransparenz und Kontingenz hinaus und versetzen uns in die Lage, die gesellschaftlich-kulturellen Ausprägungen zu ihrer Abarbeitung zu thematisieren. Die Kulturtheorie liefert uns einen Ansatz, der verdeutlicht, daß die Welt nicht selbstevident at face value vor uns liegt, daß die Bedeutung von Entscheidungen nicht in sachadäquater Problemlösung liegt und daß Interessen sich nicht direkt aus Lebenslagen erklären. Die beiden Kategorien von Problemlösung und Interesse sind zu hoch aggregiert, als das sie die gesellschaftliche Praxis ausreichend berücksichtigen könnten, und genau auf diese
3
K. Mannheim (1952; 3. Auflage): Ideologie und Utopie, Frankfurt a.M.: SchulteBulmke, S. 4. 4 Mit "Kulturtheorie" meinen wir hier den zunächst anthropologisch gestarteten Ansatz von M. Douglas und A. Wildavsky.
8 Heidenescher
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V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
kommt es uns hier an. Denn erst in der gesellschaftlichen Praxis konkretisiert sich das, was dann als Problem, als Lösung, als Interesse auftritt. Mitunter kann man die Kritik lesen, die Kulturtheorie verbleibe in einem methodischen Individualismus und leiste eigentlich nichts weiter als eine Erweiterung der von uns oben kritisierten, kognitions-psychologischen Ansätze. Mit Seitenblick auf die Kulturanthropologen kritisiert Luhmann: "Diese Bemühungen setzen aber immer noch einen individualistischen Ausgangspunkt voraus. Sie modifizieren die Ergebnisse der psychologischen Forschung (...) In dem Maße, als dies Wissen zunimmt, kommt man aber schließlich an den Punkt, an dem manfragen muß, ob die Zurechnung auf individuelles Entscheiden (sei es rational, sei es intuitiv, gewohnheitsmäßig usw.) überhaupt noch haltbar ist".5 Diese Stoßrichtung der Kritik ist eigentlich schon damit ausgeräumt, wie wir das kulturtheoretische Kapitel vorbereitet haben, nämlich durch die Theorie der Zurechnung. Mit der Idee der kulturellen Einbettung von Zurechnung wird "(...) das Phänomen Risiko nur am Sinn von Kommunikationen erfaßt (...)";6 die Kulturtheorie ist also unseres Erachtens durchaus Soziologie-tauglich, wenn man sie auf Zurechungsprozesse und damit letztlich auf Kommunikationen anwendet. Denn wenn es sich auch aus erkenntnistheoretischen wie aus soziologischen Gründen verbietet, Risiken auf individuelles Entscheiden zuzurechnen, läßt sich doch die gesellschaftliche Praxis nicht davon abhalten, genau das zu tun. Darüber hinaus kann mittels der Kulturtheorie gezeigt weiden, daß Beobachtungen bzw. Risikokommunikationen eine erhebliche Stabilität besitzen und sich durch anderslautende oder neu verfügbare Informationen nicht leicht irritieren lassen, obwohl es nur Meinungswissen ("doxa") ist und damit kontingent. Wie sieht nun die kulturtheoretische Argumentation im Einzelnen aus?
2. "Seltsame Schleifen" zwischen Kultur und Kommunikation Im Zentrum der Kulturtheorie steht das Konzept eines wechselseitigen Konstitutionsverhältnisses. Danach werden einerseits Interessen als spezifische, als sozialen Kontexten endoge erklärt, andererseits die Konstitution dieser Kontexte aus den Interessenskommunikationen der Gesellschaft selbst erklärt. In einer anderen Terminologie kann man auch von der Einheit von Theorie und Praxis sprechen, der Einheit von (theoretischen) Grundsätzen und der (praktischen) Artikulation von Interessen. Auch modifizierte Ansätze im Umkreis der Rational-Choice-Theorien thematisieren unter dem Begriff der "adaptiven
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N. Luhmann (1991): Der Begriff Risiko; in: ders., Soziologie des Risikos, S. 12f.
6
N. Luhmann (1991): Der Begriff Risiko; in: ders., Soziologie des Risikos, S. 13.
2. "Seltsame Schleifen" zwischen Kultur und Kommunikation
115
Präferenzen" ausfuhrlich die Endogenität von Interessensbildung.7 Adaptive Präferenzbildung meint die kausale, determinierte Anpassung von Zielsetzungen an die kontextspezifischen Möglichkeiten. Der Unterschied zu kulturalistischen oder konstruktivistischen Ansätzen liegt darin, daß das Verhältnis von Präferenzen und Kontext nicht als ein sich wechselseitig konstituierendes angenommen wird. Es handelt sich im Rahmen rationalistischer Ansätze um je selbständige Bereiche. Die Problematik der Rational Choice-Theorien kreist dann um die Möglichkeiten, aus der adaptiven, kontextabhängigen Präferenzbildung eine intentionale, "authentische" Präferenzbildung zu machen. Aber zurück zu unserem eigentlichen Thema. Das Konstitutionsverhältnis von Kontext und Präferenz, von Kultur und Interesse, von Glaubensgrundsätzen und Giaubensbekundimgen hat in der Terminologie Douglas R. Hofstadters die Form einer seltsamen Schleife} Seltsame Schleifen sind Verhältnisse zwischen zwei Momenten, die sich einer hierarchischen Anordnung entziehen und statt dessen wie Henne und Ei in einem zirkulären Verhältnis wechselseitiger Konstitution stehen. Diese Argumentationsfigur finden wir nun in der Logik der anthropologischen Kulturtheorie wieder. Sie zielt darauf ab, Interessen, Präferenzen und Handlungen niemals selbstevident, aus sich selbst heraus erklärend zu konzipieren, sondern diese Momente in die Welt treten zu sehen "(...) by constructing institutions (...)"·9 Dies ist im Sinne Krippendorffs, um auf die Beobachtungstheorie des III. Kapitels zurückzukommen, eine Art Paradoxiemanagement, als die Erschaffung einer stabilen Welt kultureller Deutungsmuster.10 Die Kulturtheorie legt als ihren theoretischen take off die Annahme zugrunde, daß soziale Kontexte der Baustoff sind, der - frei nach Goethe - 'die Welt im Innersten zusammenhält'. Zur Bezeichnung dieses Baustoffs werden die Begriffe Kultur und Institution von Wildavsky synonym verwendet.11 Gemeint sind damit Formen sozialer Austauschbeziehungen, von denen Markt und Hierarchie die wohl bekanntesten, aber natürlich nicht einzigen in der soziologischen Theorie sind. Funktional betrachtet heben Institutionen bzw. Kulturen jede Einzelhandlung aus ihrer Isolierung auf, transzendieren diese und stellen sie in den Kon-
7 Vgl. etwa J. Elster (1987): Subversion der Rationalität, Frankfurt a.M./ New York: Campus, insb. S. 211-243. 8
Vgl. D.R. Hofstadter (1985): Gödel, Escher, Bach. Ein endlos geflochtenes Band, Stuttgart: Klett-Cotta, S. 728ff. 9 Siehe A. Wildavsky (1987): Choosing Preferences by Constructing Institutions: A Cultural Theory of Preference Formation; in: American Political Science Review 81 (1), S. 3-21.
8*
10
Vgl. Κ. Krippendorff (1984): Paradox and Information.
11
Vgl. A. Wildavsky (1987): Choosing Preferences by Constructing Institutions.
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V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
text kultureller Deutungen. Phänomenologisch gesehen versorgen Institutionen die Einzelhandlung mit Bedeutung und konstituieren das, was als Wirklichkeit auftritt. So schreibt Plessner im Vorwort zu Berger/ Luckmanns Gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit: "Vortheoretische Wisseningredienzien, von der jeweils situations-gemäßen Sprache geprägt und illuminiert, strukturieren jede Art von Wirklichkeit, die sich in einer und als eine Gesellschaft konsolidiert. Conditio sine qua non solcher Konsolidierung sind die Prozesse der Institutionalisierung und Legitimierung mit Hilfe symbolischer Funktionen normierender Art". 12 Auf dieser allgemeinen Ebene der institutionell vermittelten Bedeutungsgewinnung kann man die spätere, zitierte deutsche Wissenssoziologie und die anthropologische Kulturtheorie also durchaus zusammenbringen. Darüber hinaus können wir an dieser Stelle einen Brückenschlag zur Wahrnehmungs- und Sozialpsychologie Heiders und dem Kapitel über Zurechnung schlagen: Danach etablieren Institutionen neben der Handlungsebene eine Bedeutungsebene und wie in der Wahrnehmung erst diese Bedeutungsebene den Einzelreiz in ein sinnvolles Ganzes stellt, so stellt eine kulturelle Institution die Einzelhandlung in einen gesellschaftlichen Kontext. Die institutionelle Einbettung von Beobachtung, Kommunikation, Information und Handlung kann in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden, vollbringt sie doch für die gesellschaftliche Praxis gleichzeitig drei zentrale Leistungen. Sie verleiht erstens all diesen Momenten innere Stabilität und schirmt sie ab von anderen Institutionen. Es entsteht eine Welt definitiven Wissens und "spursicherer" Kommunikation. Zweitens legitimiert sie dieses Wissen und diese Kommunikation und erklärt damit andere institutionelle Ausprägungen als nicht oder weniger legitim. Entsprechend ist die Grundlage einer jeden Kritik an "kulturellen Gegnern", die Legitimität ihrer Kultur anzuzweifeln und denfremden Interessen Mißachtung entgegenzubringen. Drittens wirken Institutionen im gleichen Zuge noch handlungsinstruierend, etwas was hochaggregierte Kategorien wie Klasse und Schicht nicht zu leisten im Stande sind. So ist die Gestaltungskraft von Institutionen das entscheidende Moment für die Entstehung von Präferenzen im allgemeinen und - für unser Thema von zentraler Bedeutung - die Kommunikation der Gesellschaft im Umkreis der Risikothematik im besonderen. Das impliziert, daß die technologische Entwicklung, die die Gesellschaft erlebt, ihrerseits zur abhängigen Variable wird, die der Erklärung bedarf, statt einfach mit und durch sie die Risikolastigkeit der Gesellschaft zu erklären! Hinsichtlich moderner Technologie muß man also sagen: Aus dem Explanans wird ein Explanandum. Die aufgezeigte Argumentationsfigur gilt auch für die politische Praxis. Wenn die Beobachtungen der Politik und speziell die politische Risikokommunikation
12
H. Plessner (1980): Vorwort zur deutschen Ausgabe von P.L. Berger/ Th. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit, S.XII.
2. "Seltsame Schleifen" zwischen Kultur und Kommunikation
117
als durch die politische Praxis selbst induziert gilt, ist dies eine endogene Erklärung ihrer Entstehung. Auch die politische Kommunikation wird gestaltet durch ihre Einbettung, d. h. Unterstützung bzw. Ablehnung spezifischer politischer Institutionen.13 Ein konkretes Beispiel aus den politischen Entscheidungsprozessen zur Europäischen Union zeigt die institutionelle Bedeutung der Interessensgenerierung: Im Zusammenhang mit der Abstimmung über den EUBeitritt ihres Landes war die dänische politische Linke noch im Juli 1992 strikt dagegen. Später war sie an der Regierung beteiligt und im Mai 1993 (also nur knapp ein Jahr später) war sie nach der institutionellen Einbettung in die Regierungsverantwortung vehement für den EU-Beitritt Dänemarks. Man kann den Präferenzwandel auch so lesen: Aus den Betroffenen wurden Entscheider und das verstärkt in der Regel die Bereitschaft zum Ja-Sagen. Es ist dies ein allgemeiner Mechanismus, der risikopolitisch durch die Installation von Partizipationsmöglichkeiten etwa im Zusammenhang mit der Errichtung einer hochtechnologischen Anlage genutzt werden kann. Die Kulturtheorie weist damit konzeptionelle Nähe zum amerikanischen "Neo-Institutionalismus" auf. Denn wie wir noch sehen werden, steht dort im Zusammenhang mit der Generierung von Präferenzen und der Auswahl von Handlungen der Begriff der "Angemessenheit " im Vordergrund. 14 Die Parallele zwischen den beiden Theorien liegt dann entsprechend in der Überlegung, daß kontextuell geprägte Präferenzen als in Bezug auf diesen Kontext angemessene Präferenzen sind. Kommen wir nun auf die Ausgangsfigur der seltsamen Schleifen zurück und komplementieren sie. Die eine Seite der Figur besteht in der Endogenität der Präferenzbildung; sie haben wir gerade behandelt. Die Komplementärseite besteht in der Überlegung, daß Kulturen keine andere Existenz haben als eine kommunikative; Kulturen fuhren kein abstraktes Eigenleben außerhalb der gesellschaftlichen Praxis ihrer kommunikativen Umsetzung. Nochmals sei betont, daß mit einer solchen Theorieentscheidung unser Ansatz über diejenigen Vorstellungen hinausgeht, die die Generierung von Präferenzen an die Existenz großer Kategorien hängen, wie zum Beispiel an Klassenzugehörigkeit oder Parteimitgliedschaften. Wildavsky nennt diese Ansätze "Schemata-Theorien".15 Sie leiten Präferenzen und Interessen aus schematischen, d. h .formalen Zugehörigkeiten ab. Was aber, so muß man fragen, sind diese Schemata ohne ihre konkreten Aus-
13 Vgl. J.G. March/ J.P. Olsen (1984): The New Institutionalism: Organizational Factors in Political Life; in: The American Political Science Review 78 (3), S. 734-749. 14
Vgl. J.G. March/ J.P. Olsen (1989): Rediscovering Institutions - The Organizational Basis of Politics, New York/ London. "Angemessenheit" ist eine Formulierung aus dieser neo-institutionalistischen Organisationstheorie. 15
Vgl. A. Wildavsky (1987): Choosing Preferences by Constructing Institutions, S. 10.
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V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
prägungen in der gesellschaftlichen Kommunikation? Die Kulturtheorie nimmt daher gemeinsam geteilte Werte einerseits und die gesellschaftliche Praxis ihrer Kommunikation andererseits in den Blick, während den "Schemata-Theorien" die konkrete Kontextierung fehlt. 16 Festzuhalten ist, daß sich institutionelle Arrangements oder Regeln und die gesellschaftliche Praxis ihrer Anwendung gar nicht als zwei unabhängige Momente fassen lassen, sondern sich wechselseitig abstützen, so Wildavsky: "Always, in cultural theory, shared values and social relations go together: there are no disembodied values apart from the social relations they rationalize, and there are no social relations in which people do not give reasons for or otherwise attempt to justify their behavior".17 Kulturelle Kontexte als gemeinsam geteilte Werte und ihre Kommunikation als dem Kontext angemessen sind demnach nur zwei Seiten eines unteilbaren Prozesses der Entstehung von Sozialität. Werden Präferenzen kulturell geprägt, wird der kulturelle Kontext selbst überhaupt erst durch die Artikulation von Präferenzen zum Leben erweckt. Die sozialen Kategorien kultureller Einbettung von Kommunikation und normativen Verpflichtungen auf Werte sind vor allem Bezugsgruppen, Professionen, Berufsethos, wissenschaftliche Sozialisation, aber nicht zuletzt auch Freundeskreis und Familie. In einer anderen Terminologie kann man seltsame Schleifen auch dadurch beschreiben, daß die Unterscheidung von Produzent und Produkt nicht mehr möglich ist. Spezifisch im Zusammenhang mit politischen Austauschverhältnissen in Netzwerken findet sich eine solche Argumentationsfigur bei Bernd Marin: "Conceiving generalized political exchange as a structured circular flow of determining influences between mutually interpenetrated, but relatively autonomous systems level, can be done by using the notion of strange loops or tangled hierarchies (...) Collective actors are creators as well as creatures of market hierarchies of meta-games; political exchange are constituted by certain games while constituting other games called meta-games, in order to disentangle the seeming paradox of a strange loop".18 Mit dem Konzept der Endogenität der Präferenzbildung begibt sich die Kulturtheorie in Opposition zu zwei anderen, auch im weitesten Sinne ent-
16 Dies ist übrigens auch ein bewußtseinsphilosophisches Argument, demgemäß sich das Bewußtsein aus der gesellschaftlichen Praxis heraus bildet. Ein Beispiel aus der Literatur findet man bei E.T.A. Hoflmanns "Lebensansichten des Kater Murr": Kater Murr begreift was ein richtiges Katerleben ausmacht, nämlich sich nachts herumzutreiben statt Bücher zu lesen, dadurch, daß er es ausprobiert. 17 18
A. Wildavsky (1987): Choosing Preferences by Constructing Institutions, S. 5.
Β. Marin (1992): Generalizd Political Exchange. Preliminary Considerations; in: ders. (Hrsg.), Generalized Political Exchange. Antagonistic Cooperation and Integrated Political Circuits, Frankfurt a.M.: Campus, S. 37-65 (60). Betonungen im Original.
2. "Seltsame Schleifen" zwischen Kultur und Kommunikation
119
scheidungstheoretischen Ansätzen, nämlich zur Politischen Philosophie des Utilitarismus und zur Kognitionspsychologie, von der wir uns oben bereits abgegrenzt haben und dies hier im direkten Zusammenhang mit der Kulturtheorie nochmals verdeutlichen können. Die Politische Philosophie utilitaristischer Provenienz, dessen berühmtester Vertreter wohl Hobbes mit seinem Leviathan ist, erklärt soziale Ordnung durch die Institution des Vertrags. Sie reagiert historisch gesehen unter dem Eindruck der Religionskriege darauf, daß die soziale Ordnung kognitiv nicht mehr sicher war und statt dessen jetzt normativ abgesichert werden mußte. Die Institution des Vertrags besitzt funktional gesehen Werkzeugcharakter im Hinblick auf die Aufrechterhaltung sozialer Ordnung. Damit haben wir den entscheidenden Unterschied zur Kulturtheorie markiert, denn sie kennt keine instrumenteile Zweck-Mittel-Beziehung zwischen Institutionen und der gesellschaftlichen Praxis. Institutionen dienen nicht der effektiven Ziel- und Interessensverfolgung, wie es überhaupt seit Durkheim bekannt ist, daß Interessen instabil sind und der gesellschaftlichen Stabiii- sierungsmechanismen bedürfen. 19 Entscheidend ist, daß Zwecksetzung in unserem Ansatz ein nur noch sekundärer Gesichtspunkt darstellt und gegenüber der Zielgenerierung in den Hintergrund tritt. Institutionen erscheinen hier in ihrem Eigenwert. Die zweite Demarkationslinie verläuft in Abgrenzung zur kognitiven Psychologie und betrifft den Informationsbegriff. Die Psychologie nimmt an, daß der Präferenzbildung notwendigerweise ein Informationssuchprozeß vorausgeht. Dies aber würde selbst bei begrenzter Informationsaufhahme, wie sie Herbert A. Simon in seiner verhaltenstheoretischen Aufsatzsammlung Models of Man annimmt,20 schnell zur Überlastung des Entscheiders fuhren. Im Zusammenhang mit der Unterscheidung von Risikoakzeptanz und Risikoaversion zeigen sich deutlich die Grenzen einer kognitivistischen Entscheidungstheorie. Gehört zwar Informiertheit in der Regel zur Selbstbeschreibung eines Entscheiders, ergeben sich doch Diskrepanzen zum tatsächlichen Verhalten; es ist dies die Unterscheidung zwischen "expressed preferences ", die man auf Nachfrage erhält und "revealed preferences ", die ein externer Beobachter sieht.21 Ein Fallbeispiel aus dem Versicherungswesen zeigt deutlich die Kluft zwischen Selbsteinschätzung und tatsächlicher Handlungs-
19 Vgl. E. Durkheim (1977, zuerst 1893): Über die Teilung der sozialen Arbeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp; und im Anschluß daran D. Lockwood (1964): Social Integration and System Integration; in: G.K. Zollschan/ W. Hirsch, Explorations in Social Change, London: Routledge & Paul, S. 244-257. 20
Vgl. H.A. Simon (1957): Models of Man, New York: Wiley & Sons.
21 Vgl. M. Douglas/ A. Wildavsky (1982): Risk ans Culture. An Essay on the Selection of Technical and Environmental Danger, Berkeley/ Los Angeles/ London: California Press, S. 68f.
120
V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
ausrichtung.22 In einem krisengefährdeten Gebiet, das von Flutkatastrophen bedroht ist, werden Versicherungen gegen Naturereignisse angeboten und so teilt sich die Bevölkerung in NichtVersicherte und Versicherte. Legt man die Schätzungen der NichtVersicherten zugrunde, in denen sie das Verhältnis von Versicherungsbeitrag und geschätzter Eintrittswahrscheinlichkeit einer Naturkatastrophe abwägen, müßten sie eigentlich eine Versicherung abschließen, dennoch sind sie nicht versichert. Auf der einen Seite haben sie selbstverständlich ein Interesse daran, sich möglichst schadlos zu halten, auf der anderen Seite steht eine dem nicht entsprechende Handlung gegenüber. Das nämliche Phänomen taucht vice versa auf der Seite der risikoaversen Versicherungsnehmer auf. Sie schätzen auf Nachfrage den Nutzen ihres Versicherungsschutzes durch die vermutete geringe Wahrscheinlichkeit eines Katastrophenfalles im Verhältnis zu den Beitragskosten so gering ein, daß sie eigentlich gar nicht versichert sein dürften. Ihre Handlungsweise stellt sich einem Beobachter als Verlustrisiko dar: Es ist eben auch riskant, nichts zu riskieren. 23 Handlungen bilden Präferenzen also gar nicht ab und Informationen spielen offensichtlich keine bedeutende Rolle im Umgang mit Risiken. In diesem Zusammenhang schreiben Douglas/ Wildavsky : "Most people are not very good judges of probabilities. They hardly go out of their way to get information about dangers confronting them. In addition, they do not take note of information thrust vigorously upon them. They do not make the rational calculation that they are expected to make. They do not worry about remote probabilities of disaster."24 Die Einschätzung von Situationen als Gewinnchance oder als Risiko vollzieht sich statt dessen unter maßgeblichem Einfluß institutioneller Vorentscheidungen. "When we look closely at how private individuals make choices, we will see that they choose not to be aware of every danger. The institutions in which they live screen some disasters from their ken. Their social environment sorts and clips the prospects before them. If they did not edit their universe, they would be liable to the same stultification and freeze on resources as would afflict an imaginary government that might try to institute total protection and zero risk."25 Das gilt aber nicht nur in Risikosituationen und in der Schätzung von Eintrittswahrscheinlichkeiten möglicher Katastrophenfälle. Ganz generell läßt sich dieser Zusammenhang beobachten, und um einmal einen ganz anderen Kontext anzusprechen, nehmen wir beispielsweise den kultursoziologischen Fall des Fernsehens. Handelt es sich bei dem Kommunikationsmittel
22
Vgl. M. Douglas/ A. Wildavsky (1982): Risk ans Culture, S. 67-82.
23
Vgl. Α. Wildavsky (1979): No Risk Is the Highest Risk of All; in: American Scientist 67, S. 32-37. 24
M. Douglas/ A. Wildavsky (1982): Risk and culture, S. 74.
25
M. Douglas/ A. Wildavsky (1982): Risk and culture, S. 72f.
2. "Seltsame Schleifen" zwischen Kultur und Kommunikation
121
Fernseher um ein Risiko oder um eine Chance? Ist es ein Kommunikationsmittel, das informiert, aufklärt, die Welt näher bringt und die Lebensqualität erhöht, oder handelt es sich umgekehrt um Teufelswerk, das Kommunikationsformen und soziale Einheiten zerstört, sowie zur Entfremdung und Vereinzelung führt? Die divergierenden Einschätzungen werden je für sich wohl nicht alle möglichen Gesichtspunkte berücksichtigen und "irgendwie" haben beide recht. Der springende Punkt aber ist der: Eine einheitsstiftende Globaleinschätzung gibt es nicht und nur für die je Betreffenden selbst kommt es darauf an, mit ihrer Einschätzung richtig zu liegen. Mittels der Kulturtheorie lassen wir folglich die Dichotomie von richtig und falsch hinter uns; dazu Schwarz/ Thompson: "What we have is not the real risks versus a whole lot of misperceptions of those risks but the clash of plural rationalities, each using impeccable logic to derive different conclusions (solution definitions) from different premises (problem definitions). Nor is it the calm authority of science versus the irrational and emotional fears of the public. The scientists too are devided".26 Die Kulturtheorie sieht, daß die Einschätzung im entscheidenden Ausmaß von kulturellen Vorentscheidungen oder Neigungen ("biases") getragen wird. Das alles soll selbstverständlich nicht heißen, daß die Bedeutung von Information unterschätzt oder gar negiert wird. Entscheidend ist aber zu sehen, daß Informationen immer die Informationen von Institutionen sind und von diesen erschaffen werden, also nicht einfach in der Welt aufzufinden sind. Danach sind Informationen immer schon interessierte Informationen, d.h. sie dienen dazu, ihrer Institution zu entsprechen und diese zu bestätigen und zu konsolidieren und in diesem Sinne sind sie "angemessen". "One could say that they (the individuals, M.H.) have been fabricating their prejudices as part of the work of designing their institutions. They have set up their institutions as decision processors which shut out some options and put others in favourable light".27 Weil der Entstehungsprozeß, die "sozio-kulturelle" Einbettung, der Interessensgenerierung von den Beobachtern selbst nicht mitgesehen wird, haben wir es mit einer Art "Unsicher-
26
M. Schwarz/ M. Thompson (1990): Devided We Stand. Redefining Politics and Social Choice, New York/ London/ Toronto/ Sydney/ Tokyo: Harvester Wheatsheaf, S. 57. Die Gespaltenheit der Wissenschaft aufzuzeigen, wird auch Ulrich Beck in Gegengifte (1988) nicht müde zu betonen. Sie ist für ihn ein Indiz für das Versagen herkömmlicher Problemverarbeitungs-Institutionen (hier: die Wissenschaften) einerseits, bietet aber auch die Möglichkeit zur Institutionen- und Gesellschaftstransformation andererseits. Durch eine widersprüchlich-dialektische Entwicklung werden die alten Institutionen in neue im doppelten Sinne "aufgehoben": Ihre Möglichkeiten werden weiterhin genutzt, ihnen wird aber nicht mehr vorbehaltslos vertraut. 27 M. Douglas (1992): Risk and Blame, London, New York: S. 58; vgl. dazu auch M. Douglas/ A. Wildavsky (1982): Risk and Culture, S. 72.
122
V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
heitsabsorption" als einem Konzept aus der frühen verhaltenstheoretischen Organisationssoziologie zu tun.28 Danach wird in der Verwendung von Informationen, Perspektiven, Schlußfolgerungen und dergleichen der Entstehungsprozeß dieser Momente nicht weiter problematisiert oder kontrolliert, sondern "unbesehen" für weiteres Handeln genutzt; im Zusammenhang mit formalen Organisationen schreiben March/ Simon: "Uncertainty absorption takes places when inferences are drawnfrom a body of evidence and the inferences, instead of the evidence itself, are then communicated. The successive editing steps that transform data obtained from a set of questionnaires into printed statistical tables provide a simple example of uncertainty absorption."29 Und entsprechend konzipiert Weick den (phänomenologischen) Prozeß des Organisierens, an ihm ist "(...) wesentlich, sich zu vergegenwärtigen, das Entscheiden in dem Modell des Organisierens heißt, irgendeine Interpretation der Welt und irgendeine Reihe von Schlüssen aus dieser Interpretation auszuwählen und dann diese Zusammenfassungen für nachfolgendes Handeln verbindlich zu machen".30 Wir können folgendes an dieser Stelle festhalten: Die Entstehung von Präferenzen und Interessen sowie die Gewichtung von Informationen unter Ausblendung anderer Informationen gestaltet sich nicht deskriptiv, also in Orientierung daran, was ist, sondern präskriptiv in Orientierung daran, was sein sollte. Die Orientierung richtet sich mehr nach geltenden Werten denn nach faktischem Wissen. Daß das ohnehin immer nur lückenhaft ist, wird nicht als Defizit beobachtet, sondern unmittelbar ausgeglichen durch sogenannte "educatedguesses", d.h. Mutmaßungen mangels genauer Informationen. Denn: "(...) what is known is so small compared with what is not known that risk assessors are not the only ones who fill the gaps in knowledge with educated guesses".31 Die Funktion von Informiertheit, Erwägungen und Begründungen besteht nicht in der prinzipiell noch offenen Erschließung des möglicherweise Machbaren oder Nicht-Machbaren, sondern in der nachträglichen Konsolidierung dessen, was ohnehin längst entschieden ist. Unser Thema sind seltsame Schleifen zwischen gesellschaftlich-kulturellen Kontexten und gesellschaftlicher Kommunikation und unser Argument besteht darin, daß zwischen diesen beiden Momenten eigentlich nicht zu unterscheiden ist. Das Konstitutionsverhältnis zwischen ihnen kann durch die hier zugrunde gelegte Kulturtheorie spezifiziert werden. In der nun folgenden Ableitung werden genau vier solcher kulturellen Spezifikationen entwickelt.
28 Vgl. J.G. March/ H.A. Simon (1958): Organizations, London/New York/ Sydney: John Wiley & Sons. 29
J.G. March/ H.A. Simon (1958): Organizations, S. 165.
30
K.E. Weick (1985): Der Prozeß des Organisierens, S. 250.
31
M. Douglas/ A. Wildavsky (1982): Risk and culture, S. 80.
3. Markt, Hierarchie und Gemeinschaft
123
3. Markt, Hierarchie und Gemeinschaft Die Kulturtheorie von Mary Douglas umfaßt an konkreten kulturellen Ausprägungen genau vier an der Zahl, vor allem die prominenten Integrationsformen von Markt, Hierarchie und Gemeinschaft; daneben gibt es noch die Kategorie des Fatalismus, die wir hier aber als Restgröße vernachlässigen. Theoriebautechnisch geht die Herleitung der Kulturen auf die Kreuztabellierung zweier noch genauer zu beschreibender Konzepte zurück, nämlich dem sogenannten Identitätskonzept und dem sogenannten Verpflichtungskonzept. 32 Da, wie wir sehen werden, Identität einen Bezug zur Kategorie der Gruppe hat ("group") und Verpflichtung einen Bezug zu Verpflichtungsnetzen, spricht man auch von der "grid/ group-theory". 33 Es folgt die kreuztabellarische Darstellung des Grundmodells mit einigen anschließenden Erläuterungen. Das Grid/ Group-Schema: Identitätskonzept ("group")
streng (+)
low-group (-)
high-group (+)
Fatalismus (Apathie)
Hierarchie (Organisation)
Individualismus (Markt)
Egalitarismus (Gemeinschaft)
Verpflichtungskonzept ("grid") schwach (-)
Schaubild 3
Beginnen wir mit der Erläuterung des Identitäskonzeptes. Das Identitätskonzept umfaßt die alternativen Möglichkeiten von schwach beziehungsweise stark ausgeprägter Inklusion in einen Gruppenzusammenhang, es ist dies daher die "group"-Kategorie der Theorie. Unter diesem Gesichtspunkt nehmen soziale
32 Dazu eine Literaturauswahl: M. Douglas/ A. Wildavsky (1982): Risk and Culture, Berkeley, University of California Press; St. Rayner (1992): Cultural Theory and Risk Analysis, in: Sheldon Krimksky/ Dominic Golding (Hrsg.), Social Theories of Risk, Westport, Conn./ London, S. 83-115; M. Thompson/ R. Ellis/ A. Wildavsky (1990): Cultural Theory, Boulder, San Francisco & Oxford: Westview Press, S. 1-18. 33
Vgl. zum Aufbau der Kreuztabelle und ihrer theoriegeschichtlichen Herkunft, J.V. Spickard (1989): A Guide to Mary Douglas's Three Versions of Grid/ Group Theory; in: Sociological Analysis 50 (2),S. 151-170.
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V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
Handlungszusammenhänge entweder individualistische und/ oder wettbewerbsmäßige Formen an, nämlich für den Fall schwach ausgeprägter Gruppengrenzen. Oder sie nehmen für den Fall stark ausgeprägter Gruppengrenzen und einer strengen sozialen Schließung die Form von Solidargemeinschaften an. Die Alternativität der "group"-Kategorie besteht letztlich in der Gegenüberstellung von individualistischer und kollektivistischer Integrationsform. Kommen wir zum Verpflichtungskonzept des Schemas. Es konstituiert die Alternativität von strengen, zahlreichen Verpflichtungen einerseits und schwachen, in ihrer Zahl geringen Verpflichtungen andererseits. Die Kategorie erscheint unter dem Gesichtspunkt, wie eng- beziehungsweise weitmaschig das Netz ("grid") der Verpflichtungen geknüpft ist. Mit einem anderen Begriff belegt, handelt es sich hier um die Frage nach der Loyalität, zum Beispiel hoheitlichen Entscheidungen gegenüber, was insbesondere in unserem Zusammenhang der Risikokommunikation interessant ist. Die Kreuztabellierung von Identitätskonzept und Verpflichtungskonzept konstituiert also vier Kulturen aus der Kombination der zwei Momente von "grid" und "group". Kommen wir nun zu der substantiellen Ausfüllung der so entstandenen vier Felder, zu den vier Kulturen. Vorab aber noch eine Bemerkung: Wenn auch eine Kreuztabellierung schnell den Eindruck erweckt, lediglich eine starre und formalistische Theorie liefern zu können, ist doch der Douglas'sche Ansatz in der Lage, erhebliche Erklärungskraft bezüglich der kulturellen Einbettung gesellschaftlicher Risikokommunikation zu entwickeln. Allerdings werden wir an gegebener Stelle Modifikationen vornehmen. Das meint vor allem eine historische Dynamisierung des Modells sowie die Differenzierung der egalitaristischen Kultur in Bürgerinitiativen und weltanschaulichen Gruppen. Schon ein erster Blick zeigt, daß die beiden prominentesten Integrationsmechanismen, die die soziologische Theorie kennt, auftauchen und zwar in der Diagonale von links unten nach rechts oben die Kategorien von Markt und Hierarchie, als zwei unterschiedliche Ordnungsmechanismen mit je eigener Steuerungslogik. 34 Diese Diagonale wird von Douglas und Wildavsky auch als gesellschaftliches Zentrum bezeichnet. Zu vermuten ist, daß die "Zentrumshafligkeit" der beiden Kulturen in ihrer allgegenwärtigen Durchsetzungsfähigkeit in der modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft besteht.35 Betrachten wir zunächst den Individualismus, zeichnet sich dieser aus durch einen eigen-
34 Im Transaktionskostenansatz der Ökonomie ist die Beziehung der beiden Integrationsformen bekanntlich die, daß jede Organisationsbildung als Marktversagen interpretiert wird; vgl. O.E. Williamson (1981): The Economic of Organization: The Transaction Cost Approach; in: American Journal of Sociology(3), S. 548-577. 35 "The Center is Complacement", schreiben M. Douglas/ A. Wildavsky (1982): Risk and Culture. An Essay on the Selection of Technical and Environmental Dangers, Berkeley/ Los Angeles/ London: University of California Press, S. 83ff.
3. Markt, Hierarchie und Gemeinschaft
125
bestimmten, freiwilligen Rückzug aus sozialen Kontexten, insbesondere denen, die als traditionell und einschränkend eingeschätzt werden. Der Prototyp des Anhängers einer solchen individualistischen Orientierung ist der erfolgsorientierte, risikobereite Unternehmer. Ein Beispiel für diesen Risikotyp liefert Rayner (1993) in einer Fallstudie über Arbeitsplatzgefahren durch ionisierte Strahlen im Krankenhaus.36 Chirurgen als eine Beispielgruppe für Individualisten verletzen die amtlichen und Krankenhausvorschriften im Umgang mit Strahlungen massiv und permanent. Die Risiken gelten ihnen als zum Berufsbild und zur Erfolgsorientierung gehörig und daher als normal. Die Einschätzung von Risiken wird getragen von der Freiwilligkeit der Risikoübernahme, dem Eindruck persönlicher Kompetenz und dem Vertrauen darauf, die Situation zu beherrschen. Die Risiken spielen im Verhalten keine große Rolle, sie werden vernachlässigt. Für die Haltung, Risiken letztlich nicht einzukalkulieren, hat die (amerikanische) Risikoliteratur ein entsprechendes Akronym erfunden und bezeichnet diese Gruppe als die "nimbles" (= not in my bottom line). Soziologisch weitaus interessanter ist neben der individuellen, noch psychologisch zu erklärenden Risikobereitschaft Einzelner aber der Umstand, daß Kulturen auch immer eine Vorstellung gesellschaftlicher Integration implizieren (hier Markt), die im Zusammenhang mit der modernen Risikothematik zu ordnungspolitischen Vorstellungen führt. Nur in dieser Hinsicht haben wir es im engeren Sinne überhaupt mit Risikokommunikation zu tun. Risikopolitisch ist die individualistische Kultur darüber zu beschreiben, daß sie das Chancenpotential von Risiken in den Vordergrund stellt und die möglichen Wohlfahrtsgewinne von Risikobereitschaft betont. Steve Rayner schreibt über diese Orientierung: "Entscheidungen über Risiken sind situationsorientierte Fachurteile, die durch möglichst wenige Formalismen behindert werden dürfen". 37 Es ist dies das Modell der nicht-hierarchischen, liberalen und leistungsorientierten Gesellschaft. Dazu gehört auch eine offensive Technologiepolitik. Zur Abdeckung von Verlusten bevorzugt diese ordnungspolitische Vorstellung den Mechanismus wettbewerbsorientierter Versicherungen. Die andere Seite des gesellschaftlichen Zentrums ist diejenige, die eine ausgeprägte soziale Inklusion mit hoher Regelgebundenheit kombiniert. Es sind dies hierarchisch gestaltete Kontexte; von der Organisationsform her betrachtet
36
S. Rayner (1993): Risikowahrnehmung, Technologieakzeptanz und institutionelle Kultur: Fallstudien für einige neue Definitionen; in: Bayrische Rück (Hrsg.), Risiko ist ein Konstrukt. Wahrnehmungen zur Risikowahrnehmung, München: Knesebeck, S. 213-243 (230). 37
S. Rayner (1993): Risikowahrnehmung, Technologieakzeptanz und institutionelle Kultur, S. 230.
126
V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
haben wir es hier mit dem Weberschen Bürokratiemodell zu tun. 38 Typische Kennzeichen sind die Regelgebundenheit und die Formalisierung der Kommunikationsabläufe, Programmierung von Entscheidungsabläufen, feste, hierarchisierte Zuständigkeiten und Befehlsgehorsam. Die weitläufige Kritik an einem solchen Modell formaler Organisationen brauchen wir an dieser Stelle nicht wiederholen. 39 Risikosoziologisch interessant ist für uns, daß diese Handlungsorientierung Risiken zu bearbeiten sucht im Rahmen von Zuständigkeiten und formalisierten Verfahren. Ihre Vertreter handeln nach dem Prinzip, keine regelverletzenden Risiken (während der Amts- oder Dienstzeit) verantworten zu müssen. Entsprechend dieser Maxime von "not in my term of office" lautet das Akronym dieser Handlungsorientierung "nimtos". Die risikopolitische Blindheit dieser Maxime liegt in der Ignoranz gegenüber solchen Risiken und Gefahren, die routinemäßig nicht wahrnehmbar sind, weil sie in entsprechenden Programmen nicht vorgesehen sind. Tschernobyl ist wohl das bekannteste Beispiel einer "(...) systemimmanent nicht zurechenbaren, nicht verantwortbaren, nicht bearbeitbaren Gefahr(en)." 40 Außerdem bewirkt die Erstellung und Überwachung von Schutzvorschriften und Grenzwerten den Eindruck, daß es sich um Verfahren und Grenzwerte handele, die in der Natur der Sache lägen und bei Überprüfung und Einhaltung der Vorschriften eine sonst mögliche Riskanz verhindern würden. Gerade die Diskussion um Grenzwerte aber zeigt, daß solche Verfahren umgekehrt Belastungen geradezu legitimieren. 41 Denn die (Un-)Giftigkeit liegt durch solche Verfahren dann nicht mehr in der Sache selbst, sondern in den festgelegten Grenzwerten. Da es sich hier um staatliche Technologiepolitik handelt, muß selbstverständlich auf gesamtgesellschaftliche Akzeptanz geachtet werden; dies geschieht durch die Orientierung an formalen Verfahren, um deren inhärente Legitimationspotentiale freizusetzen. Technologiepolitisch kennzeichnet diese Orientierung daher eine Art "kontrollierte Offensive", ein Votum für technologische Innovation unter der Voraussetzung, sie einer verfahrensmäßigen und rechtlichen Kontrolle zu unterwerfen sowie sich die Option für Reversibilität offen zu halten. In diesem Zusammenhang laufen neuere Vorschläge auf weiche, indirekte Formen von Risikoprävention hinaus. Sie tragen dem Umstand Rechnung, daß eine Prävention, die auf gesichertes Kausalwissen zurückgreifen
38
Vgl. M. Weber (1980): Wirtschaft und Gesellschaft, S. 551-579.
39
Vgl. nurN. Luhmann (1964): Funktionen und Folgen formaler Organisationen; ferner ders. (1971): Zweck-Herrschaft-System. Grundbegriffe und Prämissen Max Webers; in: R. Mayntz (Hrsg.), Bürokratische Organisation, Köln/ Berlin, S. 36-55. 40 41
U. Beck (1988): Gegengifte, S. 104.
Siehe G. Winter (1986, Hrsg.): Grenzwerte. Interdisziplinäre Untersuchungen zu einer Rechtsfigur des Umwelt-, Arbeits- und Lebensmittelschutzes, Band 1, Düsseldorf.
3. Markt, Hierarchie und Gemeinschaft
127
kann, in komplexen Hochtechnologien ohnehin nicht mehr zu haben ist. Eine dieser weichen formen indirekter Prävention ist das "auditing". 42 Die beiden Seiten des gesellschaftlichen Zentrums, also Markt und Organisation, unterscheiden sich nun wesentlich voneinander durch ihre jeweils typischen Zeithorizonte. 43 Der Markt ist idealtypisch kurzfristig orientiert, er setzt auf die variable, innovative Anpassung an je neue Möglichkeiten und Bedingungen der Technikentwicklung, die ihrerseits zukunftsorientiert ausgerichtet ist. Die Orientierung an formalen Verfahren kennzeichnet das Rechtssystem und im Zusammenhang mit risikopolitischen Steuerungsaufgaben vor allem das Verwaltungshandeln. Es ist in seiner herkömmlichen Ausprägung vergangenheitsbezogen und innovationshemmend. Allerdings zeigt die neuere Literatur der Verwaltungs- und Risikosoziologie auch ein erhebliches Potential der Verwaltung zur flexiblen Gestaltung von Technologie- und Umweltpolitik, insbesondere durch das "informelle Verwaltungshandeln". 44 Betrachten wir nun im Gegensatz dazu die Kultur der gesellschaftlichen Peripherie. 45 Sie umfaßt zunächst ein Momente von hoher sozialer Integration ihrer Mitglieder untereinander, die auf der Identifikation mit gemeinsam geteilten Werten basiert und die oftmals expressiv zur Geltung gebracht werden. 46 Hinzu kommt die mehr oder weniger ausgeprägte, zum Teil auch nur kontextbedingte Ablehnung staatlicher Hoheitspolitik. Es ist dies die Kultur der Neuen sozialen Bewegungen, die entsprechende Kommunikationsform ist der Protest. Die zentrale Maxime dieser Orientierung ist weder die erfolgreiche Teilnahme am Markt, die bestenfalls das bornierte Einzelinteresse fördert, aber gerade darin eine gemeinschaftliche Rationalität verhindert. Noch legt man hier viel Vertrauen in formale Verfahren rechtlicher und technischer Steuerung, deren Rationalitäts- und Legitimationspotential vielmehr in Zweifel gezogen wird. Die tragende Säule
42 Vgl. als kritische Einschätzung M. Power (1997): From Risk Society to Audit Society; in: Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie 3 (1), S. 3-21. 43
Vgl. P. Hiller (1993): Der Zeitkonflikt in der Risikogesellschaft. Risiko und Zeitorientierung in rechtsförmigen Verwaltungsentscheidungen, Berlin: Dunker & Humblot. 44 Vgl. P. Hiller (1994): Risiko und Verwaltung; in: K. Dammann/ D. Grunow/ K.P. Japp (Hrsg.), Die Verwaltung des politischen Systems, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 108-125. 45 46
Vgl. Dazu M. Douglas (1992): Risk and Blame, London/ New York, S. 55-82.
Vgl. etwa H. Kriesi (1987): Neue soziale Bewegungen: Auf der Suche nach ihrem gemeinsamen Nenner; in: Politische Vierteljahresschrift 28 (3), S. 315-334 (326).
128
V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
dieser Kultur ist vielmehr die Solidarität der "Gemeinschaft" im Sinne Tönnies.47 "Gemeinschaft" ist danach der Gegenbegriff zu "Individualismus" und umfaßt bei Tönnies die Momente einer "gemeinschaftlichen Willenssphäre (...) von Wollen und Können oder Mögen (Dürfen) und Wollen als Müssen oder Sollen"(S. 19); eine gemeinsame Gesinnung, denn: "Gegenseitig-gemeinsame, verbindende Gesinnung, als eigener Wille einer Gemeinschaft, ist das, was hier als Verständnis (consensus) begriffen werden soll" (S. 20); Ähnlichkeit der Erfahrung (S. 20); eine strenge Abgrenzung nach Außen (S.23) sowie die Abwesenheit von Tausch (S.28) als dem Inbegriff individualistischer Lebensführung. In Anlehnung an die anthropologischen Wurzeln der Douglas'schen Kulturtheorie kann man auch in der Charakterisierung der egalitaristischen Kultur an die Kategorie des "Kollektivbewußtseins" bei Durkheim denken.48 Hier nun wird eine Modifikation der "grid/ group "-Theorie notwendig, denn sie konzipiert die Kulturen als monolithische Einheiten, denen zudem zentrifugale Kräfte innewohnen, die sie auseinanderdriften lassen. Im Gegensatz dazu lassen sich im Zusammenhang mit Risikokommunikation aber unter der Kategorie "Gemeinschaft" doch recht verschiedenene Orientierungen fassen, die wir graduell danach unterscheiden können, wie ausgeprägt sie sich vom gesellschaftlichen Zentrum unterscheiden. Da sind einmal die sogenannten "low probability-high risk"-Gruppen. Sie thematisieren Risiken, die nicht unmittelbar wahrnehmbar sind (ein Kennzeichen neuer Risiken!) und deren Eintrittswahrscheinlichkeit so extrem niedrig ist, daß sie vom gesellschaftlichem Zentrum als "Restrisiko" bezeichnet werden, während die "low probability-high risk"-Gruppen das inhärente Katastrophenpotential betonen. Der kulturalistische Ansatz erklärt diesen Wahrnehmungstyp damit, daß die Gemeinschaft als soziale Kategorie sich auszeichnet durch hohe interne Gruppenkohäsion und stabile Außengrenzen und diese aufrechterhalten werden durch die gemeinsame Erwartung einer Zukunft, und zwar unter gegebenen Umständen als Katastrophe. Da diese Erwartung nun nicht unmittelbar bestätigt wird und auch nicht genauer terminiert werden kann, wird sie durch eine weit in die Zukunft liegende, auf den Tag X gerichtete, Wahrnehmung aufrechterhalten. Da sich damit Kalkulationsüberlegungen über mögliche Wohlfahrtsgewinne durch Technikeinsatz verbieten, lehnen diese Gruppen ganze Technologien grundsätzlich ab, unabhängig vom Standort oder vom (vermeindlichen) technischen Fortschritt. Ihr radikales Motto lautet: "Not on planet earth", mittels des
47 Vgl. F. Tönnies (1963): Gemeinschaft und Gesellschaft, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 8. verb. Auflage Leipzig 1935 (zuerst 1887); ders. (1955): Die Entstehung meiner Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft, unv. Manuskripte; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 7, S. 463-467. 48 Vgl. E. Durkheim (1977, zuerst 1893): Über die Teilung der sozialen Arbeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
3. Markt, Hierarchie und Gemeinschaft
129
entsprechenden Akronym handelt es sich demnach um die "nopes". Da diese Gruppen anders als etwa Bürgerinitiativen selbst oft gar nicht räumlich oder zeitlich von einer Gefahr bedroht sind, greifen sie auf abstrakte, nicht wahrnehmbare zukünftige Risiken zurück und sind daher in der Lage, Gefahren des Tages X wahrzunehmen. Außerdem fuhrt die argumentative Hinzuziehung zukünftiger Generationen als mögliche Betroffene, die nicht gefragt werden, zur grundsätzlichen Ablehnung etwa hochtechnologischer Anlagen. Diese Haltung erfüllt eine Art Frühwarnfunktion für die Gesellschaft im Hinblick auf Gefahren, die (noch) kein anderer beobachtet. Daneben nun gibt es auf der Seite des Protestes die oftmals lokal ausgerichteten Bürgerinitiativen. Sie sind in der Regel politisch weniger radikal bis sogar konservativ und konzentrieren sich in der Ablehnung staatlicher Technologiepolitik auf nur einen Gegenstand; es sind dies die "Single-Issue"-Bewegungen.49 Ihr Protest richtet sich nicht gegen technischen Fortschritt generell, sondern nur gegen die örtliche Nähe einer Gefahr und damit gegen persönliche Betroffenheit; der Protest ist entsprechend lokal begrenzt. Es ist dies das "Not-in-my-Backyard"-Syndrom, mit dem entsprechenden Akronym versehen haben wir es hier mit den "Nimbys" zu tun. Entsprechend kleinformatig und örtlich bezogen sind die Sorgen der "Nimbys", wie die ästhetische Beeinträchtigung der Landschaft, die befürchtete Zeugungsunfähigkeit von Kühen oder Störungen beim Fernsehempfang. Anders als die "weltanschaulichen Egalitaristen" pflegen die "Nimbys" trotz ihres Protestes oftmals eine konservative Lebensführung und scheinen auf den ersten Blick nichts mit diesen gemein haben. Obwohl aber die egalitäre oder Protestkultur in sehr verschiedenen Facetten auftritt und politisch alles andere als ein einheitliches Bild liefert, sind doch mindestens vier risikotheoretisch bedeutende Momente auszumachen, die es erlauben, sie dem gesellschaftlichen Zentrum als Einheit gegenüberzustellen. Erstes, einheitsstiftendes Moment ist in diesem Zusammenhang die Exklusion von Entscheidungen, von denen man sich doch massiv betroffen sieht. Über die externale Zurechnung von Gefährdungen auf fremde Entscheidungen hatten wir oben entsprechend die sachliche Kategorie der Gefahr und die soziale Kategorie der Betroffenen definiert. Hier sehen wir die dazugehörige Kommunikationsform, nämlich Protest. Das unterscheidet diese Kommunikationsform auch von der vierten Kultur des "Fatalismus", die wir hier als Restgröße behandeln und vernachlässigen können. Zweiter gemeinsamer Nenner dieser Gruppen ist die Ablehnung hierarchischer Entscheidungsstrukturen, also Kritik an der "(...) hierarchischen Trennung zwischen den Entscheidungsträgern und denjenigen (...), die die Entscheidungen umsetzen müssen und deren Folgen zu tragen haben". 50
49
Vgl. H. Kriesi (1987): Neue soziale Bewegungen, S. 325.
50
S. Rayner (1993): Risikowahrnehmung, Technologieakzeptanz und institutionelle Kultur, S. 219. 9 Heidenescher
130
V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
Drittens treffen wir auf das in der Risikoliteratur weit verbreitete Thema des Verhältnisses zwischen Experten und Laien und dem implizierten Mißtrauen ersteren gegenüber, das sowohl in Weltanschauungsgruppen als auch in Bürgerinitiativen anzutreffen ist, Fischer schreibt dazu: "Frustration, Wut und Angst sind sehr allgemeine Merkmale, die diese Gruppen kennzeichnen; das ihnen gemeinsame spezifischste Merkmal ist, daß sie alle die Rolle von Technokraten und Experten als letzte Instanz, wenn es um die Beurteilung technologischer Risiken und technologischen Wandels geht, in Frage stellen."51 Hinzu kommt eine im Zusammenhang mit dem Expertenmißtrauen zu beobachtende Politisierung von Bürgerinitiativen, die sie gegen angebotene Ausgleichszahlungen immunisiert. 52 Das vierte, einheitsstiftende Moment dieser Kultur besteht in der Betonung der Unausgewogenheit zwischen den erwarteten Gewinnchancen fur die einen und die erwartete Bedrohung für die anderen im Falle von riskantem Technikeinsatz. All diese Punkte konstituieren, wenn auch in verschiedenen Ausprägungen, nun Formen von Gleichheit und berechtigt uns dazu, sie unter der Kultur des "Egalitarismus" zu beschreiben. Zusammenfassend zu der Typologie der Kulturen schreiben Schwarz/ Thompson: "The central message of this diagramm is that all is bias. Our knowing is biased, our acting is biased, our justifying of our actions is biased, and our judging of the actions of others is biased. Bias is to organizing as gravity is to walking about: we would be in a bad way without it. So bad, in fact, that we would have no society and no culture: no social relations and no cognition." 53 Deutlich sollte geworden sein, daß die Kulturen auch immer ordnungs- und technologiepolitische Orientierungen implizieren. Die Kulturtheorie ist daher mehr als nur eine Verlängerung der psychologischen Literatur, sie umfaßt politische, und damit kommunikativ-gesellschaftliche Momente und kann daher soziologisch und speziell risikosoziologisch genutzt werden. Spezifisch für unseren Gegenstand der Risikokommunikation interessant ist darüber hinaus, daß die drei vorgestellten kulturellen Ausprägungen von Kommunikation auch
51
F. Fischer (1993): Bürger, Experten und Politik nach dem "Nimby"-Prinzip, S. 459.
52
Vgl. M. O'Hara (1977): "Not On My Block You Don't": Facility Siting and the Strategic Importance of Compensation; in: Public Policy 25 (4), S. 407-458. 53
M. Schwarz/ M. Thompson (1990): Devided We Stand, S. 61. Zwei Zusatzannahmen Wildavskys zum "Grid/ Group"-Schema sind noch zu nennen, nämlich das "Unmöglichkeitstheorem" und das "Notwendigkeitstheorem". Das Unmöglichkeitstheorem ist die Inanspruchnahme von Vollständigkeit in der Herleitung möglicher Kulturen. Unmöglich ist es danach, weitere Kulturen zu finden als die, die sich aus der vorgestellten Kreuztabellierung herleiten lassen. Das Notwendigkeitstheorem besagt, daß zur Identitätsund Bedeutungsstiftung einer Kultur gerade die Koexistenz der anderen drei Kulturen unerläßlich ist. Sie fungieren als Negativabdruck, als Hintergrund, vor dem die ReferenzKultur als Figur erscheint.
4. Die Naturkonzepte
131
verschiedene Konzepte von Natur implizieren, die den Hintergrund für die ordnungspolitischen Vorstellungen der Kulturen abgeben.
4. Die Naturkonzepte Im Verhältnis von Gesellschaft und Technik spielen Naturkonzeptionen eine sehr bedeutende Rolle. Im Zusammenhang mit gesellschaftlicher Risikokommunikation entscheiden sie darüber, was eigentlich unter einer Ressource zu verstehen und wie mit ihr umzugehen ist. Ressourcen können als natürliches Potential gesehen werden, zu denen der Mensch in einem Abhängigkeitsverhältnis steht. Ressourcen sind danach strikt begrenzt auf das von der Natur lieferbare. Demgemäß lautet das Credo: Zurückhaltung in der Nutzung. Die Gegenposition geht davon aus, daß die Natur lediglich Rohstoffe zur Verfügung stellt, die erst durch zielgerichtete Eingriffe überhaupt zu einer Ressource werden. Nicht die Natur selbst ist hier die Ressource, sondern erst ihre Bearbeitung durch Arbeit, Wissenschaft und Technologie schafft Ressourcen. In dieser Perspektive sind die Grenzen des Nutzbaren gestaltbar. In der Konsequenz legen die verschiedenen Positionen unterschiedliche Umgangsweisen mit Natur und eine divergierende Einschätzung von Technik nahe. Der behutsamen Nutzung immer knapper werdender Ressourcen im ersten Fall steht die Ausbeutung der Natur als Füllhorn im zweiten gegenüber. Innerhalb eines angenommenen Kontinuums dieser Extrempositionen gibt es eine Mittelposition, die sowohl einen zu vorsichtigen als auch einen zu verschwenderischen Umgang mit Natur ablehnt und eine Art "kontrollierte Offensive" vorschlägt; es ist dies eine Orientierung an der Verhältnismäßigkeit der Mittel im Hinblick auf realistischerweise erwartbare Wohlfahrtsgewinne. Die Konzepte von Natur und Ressourcen lassen sich in der Zeitdimension abbilden. Die Konzepte spiegeln die Dichotomie von Kurz- bzw. Langzeitorientierung wieder. Natur als knappe Ressource zu sehen heißt, ihre prinzipielle Begrenzung zu betonen. Es handelt sich um eine Langzeitorientierung insofern, als mit der Natur im Hinblick auf ihre Erhaltung zurückhaltend und sehr vorsichtig umzugehen ist, um ihre zeitliche Begrenztheit nicht obendrein noch technisch-artifiziell abzukürzen. Berücksichtigung sollen auf diese Art und Weise auch zukünftige Generationen finden. Die Natur aber als Füllhorn zu betrachten, legt eine Gegenwartsorientierung nahe. Es handelt sich dabei um die Überlegung, daß auch bei verschwenderischem und riskantem Umgang mit Natur Engpässe technologisch vermeidar sind, zum Beispiel durch Atomenergie, durch Erfindung synthetischer Stoffe oder durch Gentechnologie. Der Zusammenhang von instrumentellem Eingriff in die Natur und Ausmaß an Riskanz gesellschaftlicher Zustände wird an folgendem Diagramm verdeutlicht. Auf der x-Achse wird der Umfang an eingesetzter Technologie abgetragen, auf
9*
132
V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
der y-Achse das Ausmaß an vermuteter Riskanz für die Gesellschaft. Zunächst das Diagramm und anschließend einige Erläuterungen. Gefahr/Risiko
+ /
+
> Technologie
Schaubild 4
Das Konzept der Natur als knapper Ressource erscheint als parabolische Kurve. Jeder Eingriff in die Natur führt danach zu überdurchschnittlich hohen Gefahrenlagen. Der soziale und politische Preis der Technologie ist dann schnell zu hoch. Die Gegenposition liest sich als eine exponentielle Kurve, auf der die Risiken mit zunehmender technologischer Entwicklung exponentiell abnehmen. Die Lebensqualität steigt im Verhältnis zu den Risiken des modernen Lebens derart an, daß eine Alternative zur Technologie hier gar nicht zur Disposition steht. Die Gerade in der Mitte zeigt einen linearen Zusammenhang zwischen Technologieentwicklung und Risiko- und Gefahrenzunahme an. Je mehr und kompliziertere Technologie zum Einsatz kommt, um so aufwendiger und notwendiger werden Sicherheitsmaßnahmen. Die aber, richtig angewandt, in der Lage sind, Technologie zu kontrollieren. Die im Diagramm schon eingetragene Zuordnung zu der nun bereits bekannten Grid/ Group-Typologie fällt folgendermaßen aus: Die Vertreter der parabolischen Kurve thematisieren großformatige, wenn auch unwahrscheinliche Katastrophen und sehen sich diesen unfreiwillig ausgesetzt, in unseren kulturellen Kategorien handelt es sich hier am ehesten um die Egalitaristen. Die entsprechende Kommunikationsform ist Protest.
4. Die Naturkonzepte
133
Auf der exponentiellen Kurve finden sich diejenigen, die zur Risikoübernahme bereit sind und (hoch-) technologische Risiken als Chance sehen, Lebensqualität zu steigern und negativ gewendet das Risiko darin sehen, nichts zu riskieren. Da das moderne Leben in dieser Perspektive ohne Risiken ohnehin nicht mehr zu haben ist, wird durch übertriebene Risikoaversion der Lebensstandard abgebaut, und zwar überproportional, d.h. in einem Ausmaß, das nicht lohnt. Ihr Motto lautet: Risiko - such is life. Die Mittelposition eines linearen Zusammenhangs von Technikeinsatz und Riskanz legt eine besonnene, überlegte Vorgehensweise nahe. Das Ausprobieren neuer Technologien empfiehlt sich danach nur im Rahmen bewährter technischer und rechtlicher Verfahren. Es ist dies wohl vor allem die Position staatlicher Stellen. Die Besonderheit oder die Besonnenheit dieser Position liegt der Idee nach darin, je nach Folgenabschätzung zwischen rigider und weniger offensiver Regelung pendeln zu können. Im Rückgriff auf die Theorie der Beobachtung (Kapitel III) und insbesondere der dort behandelten Figur der Paradoxieentfaltung können wir nun sehen, daß und warum die divergierenden Konzepte von Natur, die verschiedenen Auffassungen von Ressourcennutzung sowie die verschiedenen Grade an akzeptierter Riskanz je für sich als sachgemäße Position auftreten, obwohl es sich "lediglich" um positionsabhängige, also kontingente Beobachtungen handelt. In einer paradoxie-sensibilisierten Formulierung nennen Schwarz/ Thompson das die " contradictory certainties "54 Ob beispielsweise die Kernenergie die gesellschaftlichen Risiken in unverantwortlicher Weise ansteigen läßt oder umgekehrt im Hinblick auf Wohlfahrtsgewinne Risiken abgebaut werden und der Verzicht auf Kernenergie als unverantwortlich Chancenverschwendung beobachtet wird, beide Positionen werden mit erstaunlicher, gleichwohl notwendiger Sicherheit behauptet. Notwendig deshalb, weil erst so Mehrdeutigkeiten in Eindeutigkeiten umgewandelt werden. Unsere These ist, daß das auf die kulturelle Einbettung von Kommunikation zurückzuführen ist. Die kulturellen Cluster sind die stabilisierende Kontextierung der kommunizierten Positionen, der Natur- und Ressourcenvorstellungen, der damit korrespondierenden Zeitvorstellungen, der Vorstellungen über Lebensführung und authentische Konsumbedürfiiisse, der Haltungen zur Technik, der Risikowahrnehmung, der Definitionen von Verschmutzungen und Gefährdungen, wie generell der Vorstellungen über das Machbare und Nicht-Machbare. Weitere Differenzierungen lassen sich anschließen, so etwa eine Typisierung von Lernstilen. Dem individualistischriskantem "trial and error" steht die risikoaverse Position entgegen, wonach nur Innovationen in Frage kommen, die Irrtümer und auch die Kategorie des "Restrisikos" als inakzeptable ausschließen. Die Verfahrensrationalität staatlicher
54
Vgl. M. Schwarz/ M. Thompson (1990): Devided We Stand, S. 56-80 (58).
134
V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
Technik- und Risikopolitik versucht darüber zu lernen, unsichere Zukünfte möglichst weit antizipieren zu können und zwar in (mittelfristigen) Zeithorizonten, die Reversibilitäten zulassen. Und ein letztes Beispiel in diesem Zusammenhang: Die Kulturen konstituieren divergierende Konzepte sozialer Gleichheit. Eine individualistische, liberale Kultur betonen, so könnte man formulieren, die input-Seite von Sozialität. Die Gleichheit ist die equality of opportunity , das heißt die Gleichheit der Ausgangsbedingungen fur alle; unterschiedliche Leistungspotentiale bringen dann selbstverantwortete Ungleichheit im Resultat. Egalitaristische Positionen wenden sich der output-Seite sozialer Vergleichsverhältnisse zu, betonen die equality of results. Für Ordnungsvorstellungen, die auf Verfahrensrationalität setzen gilt vor allem die formale Gleichheit, was insbesondere die Gleichheit vor dem Gesetz meint. Fassen wir zusammen: Die kulturellen Einbettungen nicht nur von Kognition, sondern vor allem auch von Kommunikation konstituieren "ihre" Realitäten, liefern dafür verfügbare Begründungen, Selektionskriterien für Optionen, schaffen Problemlagen und halten probate Lösungen parat. Für eine Politische Theorie ist das insbesondere in einer Hinsicht besonders bedeutend, nämlich in der Fokussierung der Forschung auf die Generierung kommunizierter Interessen, statt lediglich deren Verfolgung zu thematisieren. "The cultural theory tells us that it is this vital link between organization and cognition that structures uncertainty and, in so doing, places the entire debate beyond the reach of the politics of interests." 55 Die theoretischkonzeptionelle Umstellung von Interessensverfolgung auf Interessensgenerierung wollen wir uns jetzt etwas näher anschauen.
5. Zielverfolgung versus Zielgenerierung Ganz deutlich muß betont werden, daß es in dieser Arbeit nicht um die Analyse der bestmöglichen und/ oder institutionalisierten Formen der politischen Interessensverfolgung geht. Unser Thema ist die Entstehung politischer Interessen und deren Kontextabhängigkeit. Deshalb setzt die Arbeit mit einer Theorie der Beobachtung sehr abstrakt erkenntnistheoretisch an und auch die kulturtheoretische Soziologisierung ist immer noch weit weniger spezifisch als Einzelfallstudien über Interessensverfolgung in einem ausgesuchten Politikfeld. In einer Weberschen Terminologie kann man auch sagen, daß wir in unserer Analyse der politischen Risikokommunikation nicht ein Zweckmodell im Sinne einer Abwägung erfolgsorientierten Handelns nach Zwecken, Mitteln und Nebenfolgen zugrunde legen,56 sondern statt dessen fragen, wie die Zwecke überhaupt zustande
55
M. Schwarz/ M. Thompson (1990): Devided We Stand, S. 58.
56
Max Weber (1980): Wirtschaft und Gesellschaft, S. 12f.
5. Ziel Verfolgung versus Zielgenerierung
135
kommen. Die Institutionen von Markt und Hierarchie und ihre entsprechenden ordnungspolitischen Vorstellungen werden in ihrer Bedeutung für eine Risikosoziologie damit grundlegend modifiziert. In den Wirtschaftswissenschaften werden gesellschaftliche Instiutionen als abhängige Größe konzipiert, das heißt als Mittel zur Verfolgung gesteckter Ziele. Und unter Gesichtspunkten der Minimierung von Transaktionskosten entstehen so marktmäßige oder hierarchische Kontexte.57 Methodisch verfahren auch diejenigen politikwissenschaftlichen Ansätze identisch, die institutionelle Arrangements als Resultat politischer Auseinandersetzungen konzipieren, auch hier bleiben die Ziele selbst in ihrer Entstehung ungeklärt. Es ist dies die pluralistisch ausgerichtete Politische Wissenschaft, die das Motto 'Interessen regieren die Welt' zu ihrem analytischen Ausgangspunkt macht.58 Die Logik der Politik besteht in dieser Perspektive in den Auseinandersetzungen von: "Who gets what and how?" 59 Interessen erscheinen danach als Ursache von Handlungen und als der Motor der Politik. Politik ist danach Ressourceneinsatz, Strategiewahl, Interessenausgleich und Koalitionsbildung. Unsere Analyse sieht unter Zuhilfenahme einer kulturalistischen Argumentation weder Markt und Hierarchie als Werkzeug der Verfolgung gesteckter Ziele, noch die Politik als "abhängige Variable" gesellschaftlicher Interessen. Wir betonen statt dessen die Eigenlogik der Risikokommunikation und insbesondere im zweiten Hauptabschnitt der Arbeit die Eigenlogik der Politik. Demgemäß grenzen wir uns von ökonomischen und pluralistischen Ansätze mit folgenden Argumenten ab: Erstens konzentrieren sich die Ansätze auf die Zielverfolgung und blenden die Zielgenerierung aus. Zweitens stellen sie die Rationalität der Kommunikation in ein sozio-kulturelles Vakuum, so als ob die Evidenz einer Beobachtung in der Sache selbst läge; davon hatten wir uns aber bereits oben aus erkenntnistheoretischen Gründen ausführlich abgegrenzt. Drittens erscheinen Institutionen in diesen Ansätzen nicht personen-unabhängig, werden also nicht als soziales Gebilde "sui generis" im Sinne Dürkheims gesehen.60 Und viertens wird damit die Legitimationsproblematik ignoriert, denn Zwecke müssen
57
Vgl. O. E. Williamson (1981): The Economics of Organization: S. 548-577; ferner als Überblick zum Transaktionskostengedanken: A. Picot (1982): Transaktionskostenansatz in der Organisationstheorie: Stand der Diskussion und Aussagewert; in: Die Betriebswirtschaft (DBW) 42 (2), S. 267-284. 58
Vgl. als historische Studie des Siegeszuges dieses Credos A.O. Hirschman (1980): Leidenschaften und Interessen, Frankfurt/ M.: Suhrkamp. 59 Als institutional istische Kritik daran vgl. J.G. March/ J.P. Olsen (1984): The New Institutionalism: Organizational Factors in Political Life; in: The American Political Science Review 78 (3), S. 734-749 (741). 60
Vgl. E. Durkheim (1961): Was ist ein soziologischer Tatbestand? in: ders., Regeln der soziologischen Methode: Luchterhand, S. 105-140.
136
V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
in ihrer Kommunikation auf Akzeptanz und Folgebereitschaft stoßen. In Abgrenzung zu all dem verkehrt unsere Analyse die Verhältnisse, in denen nicht die Zwecke kontraktuelle, hierarchische oder institutionalisierte Kontext schaffen, sondern nun die Kontexte ihrerseits die Zwecke und Interessen gestalten. Diese sind den Kontexten analytisch nachgeordnet und ihnen daher endogen. Den Gesichtspunkt der Legitimation wollen wir nochmals vor dem Hintergrund der Stabilisierungsleistung aufnehmen, denn in dieser ganz zentralen Hinsicht kann man schon bei Max Weber lesen: "Eine nur aus zweckrationalen Motiven innegehaltene Ordnung ist im allgemeinen weit labiler als die lediglich kraft Sitte, infolge der Eingelebtheit eines Verhaltens, erfolgende Orientierung an dieser: die von allen häufigste Art der inneren Haltung. Aber sie ist noch ungleich labiler als eine mit dem Prestige der Vorbildlichkeit oder Verbindlichkeit, wir wollen sagen: der "Legitimität", auftretende." 61 Legitim ist danach eine Ordnung, wenn sie mit Geltung versehen ist, das heißt, die Ordnung besitzt Orientierungskraft, solange sie mit Verbindlichkeit und/ oder Vorbildlichkeit auftritt. In der vorliegenden Analyse ist es die kulturelle Einbettung jeglicher Kommunikation, die diese mit Vorbildlichkeit und/ oder Verbindlichkeit ausstattet und ihr darüber innere Führung verleiht. Die Legitimation politischer Kommunikation und der kulturelle Hintergrund der Zielgenerierung sind zwei Momente eines Prozesses und für unsere Analyse von zentraler Bedeutung. Die Generierung politischer Zwecksetzung liegt jenseits pluralistischer und utilitaristischer Ansätze. Gleichzeitig wird der Interessensbildungsprozeß von uns unter Stabilitätsgesichtspunkten thematisiert. Die kulturellen Kontexte sind als ein Schließungsmechanismus vorzustellen, der als Filter für Informationsaufnahmen und Urteilsbildungen fungiert und sie konsolidiert. Wird die moderne Gesellschaft im soziologischen "mainstream" unter Gesichtspunkten des desembeddedness beschrieben, 62 also unter dem Gesichtspunkt des Verfalls traditioneller Weltbilder und der Errichtung von "Beliebigkeit",63 sind andererseits doch Stabilitäten und Erwartbarkeiten auch in der modernen Gesellschaft schwer zu übersehen. Im Zusammenhang einer Diskussion um Modernisierungstheorien und Theorien der Moderne schreibt dazu Offe: "(...) die Lage der 'modernen" Gesellschaften (erscheint) als ebenso blockiert, mit Mythen, Rigiditäten, Entwicklungsschranken behaftet (...), wie dies
61
M. Weber (1980): Wirtschaft und Gesellschaft, S. 16 (Betonungen im Original).
62
Zum Begriff des "desembededdness" vgl. K. Polanyi (1978, zuerst 1944): The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Wien: Suhrkamp. 63 So D. Ciaessens (1965): Rationalität Revidiert; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 17, S. 465-476. Dort wird das Moderne der Moderne in Anlehnung an G. Simmeis "Philosophie des Geldes" in der Beliebigkeit sozialen Austausches gesehen und nicht etwa in der Rechenhaftigkeit im Sinne Max Webers.
6. Zusammenfassung und Kritik
137
die Modernisierungstheorie an 'vormodernen' Gesellschaften diagnostiziert hatte". 64 Diese Rigiditäten oder neutraler: die Stabilitäten sind notwendige Komplementärgröße zur Legitimität politischer Ordnungen. 65 Anders formuliert übernimmt jede Kommunikation eine Art Verantwortung für das Kommunizierte und muß sich deshalb mit guten Gründen ausstatten und auf Nachfrage reagieren können. Das geschieht dadurch, daß kommunizierte Interessen als Teil einer legitimen Ordnung dargestellt werden. Jede Kommunikation und besonders jede politische Kommunikation liegt daher innerhalb eines Optionsraumes kulturell vermittelter Legitimation. Fassen wir nun die Hauptgedanken von Kapitel 4 übersichtshalber zusammen.
6. Zusammenfassung und Kritik In komprimierter Form lassen sich die Funktionen von Kulturen in einer Argumentationskette aufzeigen, die neun Momente umfaßt. Erstens: Der Prozeß der Informationsgewinnung verläuft entlang kultureller "biases". Zweitens greift die Beobachtung dabei auf eine Bedeutungsebene zurück, die dafür sorgt, daß einzelne Anhaltspunkte ("clues") in einen sinnhaften Zusammenhang gestellt werden. Erst darüber wird kollektives Handeln überhaupt möglich. Der Bedeutungsfilter führt drittens zur Konsistenz in den Beobachtungen, da lediglich bestätigende Informationen aufgenommen oder zumindest gegenüber anderen privilegiert behandelt werden. Die Bedeutungsebene führt viertens zur moralischen Urteilsbildung, d.h. die Achtung der eigenen Bedeutungen steht der Mißachtung fremder Beobachtungen gegenüber. Fünftens versorgt der Verpflichtungscharakter der moralischen Urteile und deren Geltungsanspuch die Beobachtungen mit Legitimität. Die so abgesicherten Beobachtungen sind sechstens handlungsinstruierend, das heißt der Beobachtende weiß, was zu tun und was zu lassen ist. Neben den Einzelhandlungen konstituiert dies siebtens die Handlungszusammenhänge. Das alles zusammen läßt achtens eine Wirklichkeit entstehen, die rekursiv genau diejenigen Momente bestätigt, die zu ihr geführt haben. Und ein letzter, ein neunter Punkt: Neuartige Situationen mit unbekannten Momenten und Mehrdeutigkeiten müssen gar nicht als solche gesehen werden, sie werden behandelt, als ob es altbekannte wären. 66
64
C. Offe (1986): Die Utopie der Null-Option; in: J. Berger (Hrsg.), Die Moderne Kontinuität und Zäsuren, Soziale Welt, Sonderband 4, Göttingen: Schwartz, S. 97-117 (98). 65 Zur zentralen Bedeutung von Legitimationsgrundlagen im Zusammenhang mit politischer Kommunikation vgl. H. Willke (1992): Ironie des Staates, Frankfiirt/a.M.: Suhrkamp. 66
So auch J. G. March/ J. P. Olsen (1989): Rediscovering Institutions.
138
V. Die kulturelle Einbettung von Kommunikation
Wenn die Kulturtheorie auch ein leistungsfähiges Konzept zur Analyse von Interessensgenerierung und Risikokommunikation liefert, so sind doch auch einige kritische Bemerkungen zu machen. Erstens macht es erhebliche Schwierigkeiten, die Vorstellung aufrechtzuerhalten, kulturelle Einbettungen wirken als Zentrifugalkräfte, die Überschneidungen, Schnittmengen und Mischverhältnisse unwahrscheinlich machen bis verunmöglichen. Die Differenzierung gemeinschaftlicher Orientierungen in Bürgerinitiativen, "Nimby's" und - wenn man so will - "Weltanschauungsgruppen" entwirft dagegen wohl ein viel realistischeres Bild. Solche Differenzierungsvorstellungen lösen ein Problem, das indirekt bei Döbert (1994) angeschnitten wird: "Wenn wir in multiplen Interaktionszusammenhängen mit je unterschiedlicher Struktur im Sinn von Douglas et al. agieren, in terms welcher Kosmologie denken wir dann?".67 Unser Antwortvorschlag lautet: Ein Beobachter denkt und beobachtet nicht ein fur allemal in der statischen Kosmologie einer Kultur. Das "grid/- group"-Schema liefert nicht mehr als ein idealtypisches Muster möglicher Beobachtungen, zum Beispiel Vertrauen in hoheitliches Entscheiden. Damit ersetzen wir das unrealistische Bild hermetisch abgeschirmter Zirkel ohne Grenzübergänge. Ein zweiter Kritikpunkt an der Kulturtheorie schließt sich an und betrifft gesellschaftliche Wertpostulate. Die Beobachtung moderner Risiken wird ganz erheblich von normativen Postulaten gestaltet, die quasi religiöse Geltung besitzen und daher den Status einer "Zivilreligion" einnehmen: "(Der) Begriff der 'Zivilreligion' soll Mindestelemente eines religiösen oder quasireligiösen Glaubens bezeichnen, für den man bei allen Mitgliedern der Gesellschaft Konsens unterstellen kann."68 Besonders die Momente von Information und Informiertheit sowie Rationalität genießen einen solchen gesellschaftlichen Stellenwert. Das fuhrt dazu, daß nicht alle Beobachtungsmöglichkeiten in der Risikokommunikation gleichberechtigt nebeneinander bestehen. So kann in politischen Kontroversen niemand verfassungsrechtlich verankerte Grundwerte und den politischen Ordnungsgedanken von "Demokratie" ernsthaft in Frage stellen, ohne sich zu disqualifizieren. Es handelt sich um Eigenwerte der modernen Gesellschaft. In diesem Zusammenhang weist Rip (1991) daraufhin, daß der Umgang mit Risiken immer von einer gesellschaftlichen Grundverfassung getragen wird. 69 So entstand etwa um 1900 die "Anti-Schmutz-Gesellschaft": Das
67
R. Döbert (1994): Die Überlebenschancen unterschiedlicher Umweltethiken; in: Zeitschrift für Soziologie 23 (4), S. 306-322 (318). 68
Vgl. N. Luhmann (198le): Grundwerte als Zivilreligion: Zur wissenschaftlichen Karriere eines Themas; in: ders., Soziologische Aufklärung 3, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 293-308 (293). 69
A. Rip (1991): The danger culture of industrial society; in: R.E. Kasperson, P.J.M. Stallen (Hrsg.), Communicating Risks to the Public, 1991, Dordrecht/ Boston/ London, S. 345-365.
6. Zusammenfassung und Kritik
139
medizinische und dann auch das Alltagswissen um Bakterien und Keime hatte stark zugenommen und ließ einen neuen Risikoumgang aufkommen. Das Ritual des "Hände-waschens" trat in den Status eben eines Eigenwertes, der unter instrumenteilen Gesichtspunkten nicht mehr hinterfragt wurde. Zwei weitere Beispiele neueren Datums sind im Kontext mit Ernährungsfragen die "Vitamingesellschaft" und im Kontext mit technischen Einrichtungen die "Normierungsgesellschaft". Zur Zivilreligion erhoben kann niemand ernsthaft gegen Vitamine in Nahrungsmitteln oder gegen Normierung technischer Anlagen sein. Insgesamt ist alle Risikokommunikation, gleich welcher Ausrichtung, darauf angewiesen, die eingenommene Position mit harten Daten der Informiertheit zu unterfiittern. In ihrer Form als harte Daten sind sie nicht-hinterfragbare Eigenwerte der Gesellschaft, zu denen es keine Alternative gibt. Einrichtungen wie Technikfolgenabschätzung, Umwelt- und Sozialverträglichkeitsanalysen und Grenzwertfestlegungen bestätigen diese Aussagen. Entsprechend sind extreme Positionen von Individualismus einerseits und Egalitarismus andererseits in der Risikokommunikation kaum zu finden. Das sehr viel nüchternere Bild politischer Auseinandersetzungen um die Riskanz moderner Gesellschaften steht eher im Zeichen etablierter politischer Organisationen, Verbände und Institutionen sowie in deren Irritation aus der politischen Peripherie durch Protestbewegungen.
V I . Zwischenbetrachtung Die strukturelle Kopplung von Gesellschaft und Risiko und die kulturelle Einbettung der Risikokommunikation Die Zwischenbetrachtung dient zwei Funktionen: Einmal übernimmt sie eine Art Bestandsaufnahme des bisherigen Argumentationsverlaufs, sowie deren Fokussierung auf die These, daß die Gesellschaft Risikokommunikation betreibt, d.h. beobachterabhängige Perspektiven im Hinblick auf offene Zukünfite konstruiert, dies aber in Form jeweils selbstversicherter Orthodoxie tut. Die zweite Aufgabe der Zwischenbetrachtung besteht in der Herstellung eines Brückenschlags hin zur Analyse des politischen Systems, handelt es sich bei Politik doch um diejenige Stelle in der Gesellschaft, an die Steuerungskompetenz vornehmlich adressiert wird und zwar in dem Doppelsinn von Zuständigkeit und Fähigkeit. Die Arbeit konzipiert das politische System als ein operativ geschlossenes und nach systemspezifischen Modi evoluierendes System - und das hat erhebliche Konsequenzen auf den politischen Umgang mit der Risikokommunikation der Gesellschaft; das zu zeigen ist der Inhalt des II. Hauptabschnitts der Arbeit. Die Argumentation brachte bisher folgende Ergebnisse: Neue, technischökologische Risiken sind qualitativ abgrenzbar von traditionellen und alt-industriellen Risiken. Während der Grad an Freiwilligkeit der Risikoübernahme kein sehr distinguierendes Kennzeichen neuer Risiken ist, da auch industrielle Risiken etwa am Arbeitsplatz nicht freiwillig übernommen werden, liegt ihr Kennzeichen vor allem in der Unmöglichkeit individueller Zurechnungen. Das gilt sowohl für die Verursachung riskanter Sachlagen und unerwünschter Nebenfolgen als auch im Hinblick auf Betroffenheiten. Denn Art und Umfang einer Schädigung, wie auch ihre zeitliche Ausdehnung und mögliche Spätfolgen lassen sich oft nicht hinreichend genau identifizieren. Außerdem ist oft der Tatbestand der Betroffenheit nicht geklärt, den möglicherweise Betroffenen selbst nicht klar oder abhängig von Zufälligkeiten wie Windrichtung und Niederschlag. Tragendes Kennzeichen einer solchen Situation ist das, was man in Anlehnung an die verhaltenstheoretische Organisationssoziologie mit "Ambiguität" bezeichnen kann: Mehrdeutigkeiten und unklare Kausalverhältnisse beherrschen die Verhältnisse. Auch die Institutionen von Expertentum und Wissenschaft, Expertisen und Gutachten sind häufig nicht vielmehr als ein Ausdruck von Verlegenheit und dienen mehr dazu, politisches Bemühungen zu demonstrieren oder Zeit zu gewinnen. Vor allem aber
VI. Zwischenbetrachtung
141
gibt es, wie es scheint, zu ihnen keine Alternativen! Dennoch sind im Zusammenhang mit neuen Risiken die klassischen Bearbeitungsmethoden wie Zweckmodell und rechenhafte Kalkulation, Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Szenarien keine probaten Mittel mehr. Deshalb grenzt sich die Arbeit strikt ab von denjenigen Ansätzen der Risikotheorie, die ingenieurwissenschaftlich oder kognitionspsychologisch ausgerichtet sind, also den Schwerpunkt auf Informationsgewinnung und -Verarbeitung legen und eine Belehrung der Öffentlichkeit durch Experten fordern. Denn Informationssammlung und -Verarbeitung ist in einer ambiguitären Situation oft nicht viel mehr als die Symbolisierung vernünftigen Verhaltens, die aber in keinem direktem Zusammenhang mit tatsächlichem Entscheiden steht. Informationen dienen oft ohnehin nicht dazu, den besten Mitteleinsatz für gegebene Zwecke zu ermitteln oder bei gegebenen Mitteln den Zweck zu optimieren. Vielmehr sind sie, ohne das sie überhaupt genutzt werden müssen, der Trägerstoff für Kommunikation; für Organisationen schreiben Feldman/ March: "Organizations gather gossip - news that might contain something relevant but usually does not - in situations in which relevance cannot be specified precisely in advance".1 Und die Thematisierung riskanter Zukünfte läd geradezu dazu ein, Information über Information zu produzieren. So bleibt selbstverständlich auch für einen konstruktivistischen Ansatz die Informationskategorie ein zentrales Moment, denn wie sonst sollten Systeme ihren Umweltkontakt herstellen. Entscheidend ist aber die Betonung der Konstruiertheit von Information, und zwar nicht im psychologischen Sinne der Verzerrungen und kognitiven biases, sondern im Sinne einer systemspezifischen und daher genuin sozialen Generierung von Informationen. Das zugrundegelegte Konzept dieser Argumentation ist das der strukturellen Kopplung von Gesellschaft und Technik. Danach ist die gesellschaftliche Kommunikation über Risiken nicht zielgerichtet-fremdreferentiell, sondern gesellschaftlich-selbstreferentiell ausgerichtet. D.h. Risikokommunikation ist keine Übersetzungsleistung von einer riskanten Objektwelt in die kommunikative Gesellschaft, sondern das, was als Risiko bzw. Gefahr beobachtet wird, entsteht nur und findet sich nur in der Gesellschaft selbst. Risiken determinieren nicht die Kommunikation, sondern "irritieren" sie lediglich. Um ihre gesellschaftliche Bedeutung zu analysieren, muß man den Übersetzungsprozeß der gesellschaftlichen Kommunikation sehen, denn diese verarbeitet Risiken nach eigenen Maßstäben selektiv und zwar mittels der Möglichkeiten, die der Gesellschaft kommunikativ zur Verfügung stehen, wie Politik, Wissenschaften, Protest, Massenmedien, thematische Moden, Übertreibungen, "Angstkommunikation", Beschwichtigungen und Sicherheitsversprechen. Betroffenheiten, Akzeptanz, Risiko und Gefahr - das alles sind Momente, die gesellschaftsintern entstehen und nicht durch ein erkennendes Schauen
1
M.S. Feldman/ J.G. March (1981): Information in Organizations as Signal and Symbol; in: Administrative Science Quarterly 26, S. 171-186 (176).
142
VI. Zwischenbetrachtung
eines Subjektes auf ein objektives Gegenüber. Das Konzept der strukturellen Kopplung soll zeigen, daß Risiken und Gefahren gesellschaftliche Entwürfe über die Welt sind; Entwürfe über die Welt aber die Welt verändern. 2 Obwohl es sich um gesellschaftsinterne Kommunikationen handelt, sind es für die Beobachter selbst Kommunikationen über die Welt, so also ob Kommunikation die Welt abbilde. So werden denn auch Positionen und Interessen mit definitiver Bestimmtheit vorgetragen und mit einer eben solchen Sicherheit von anderer Stelle widerlegt. Was aber soll an der (riskanten) Welt objektiv sein, wenn es zwei oder mehrere Objektivitäten gibt? Mit soziologisch vermitteltem Abstand betrachtet sind die Selbstsicherheiten der Risikokommunikationen artifiziell im Sinne des Ausblendens weiterer Möglichkeiten und der Blindheit für diesen Vorgang in der Kommunikation selbst. Erst diese Blindheit als der Verzicht auf weitere, andere Unterscheidungen erzeugt die Handlungsfähigkeit, aus der soziale Systeme bestehen. Entsprechend identifiziert Brunsson (1985) den Verzicht auf Entscheidungsrationalität als Handlungsressource. 3 Handlungsfähigkeit in Organisationen greift danach statt auf Rationalitätsmomente auf die drei Ressourcen Erwartung, Motivation und Verpflichtung zurück, nämlich auf die Erwartung, einem kollektiven Ziel zu dienen, der Motivation, sich dafür einzusetzten und der reziproken Verpflichtung der Mitglieder auf dieses Ziel. Dies führt zur Abkürzung der Alternativensuche und einer einseitigen Einschätzung von Handlungsfolgen als die zwei wichtigsten Ausprägungen von Rationalitätsverzicht. Bleibt noch anzumerken, daß dieser Rationalitätsverzicht nicht als kognitve Fehlleistungen von Einzelentscheidern verstanden wird, sondern als Notwendigkeit des Anlaufens sozialer Systeme. Das gleiche Argument findet sich bereits bei Luhmann (1984) etwa im Zusammenhang mit seiner Bürokratietheorie: organisationales, also soziales Entscheidungshandeln wird durch Erwartungen der Organisation an ihre Mitglieder ausgelöst, während rationale Momente der Zwecksetzung oder des Mitteleinsatzes dafür sekundär sind.4 Wie es bei Luhmann (soziales) Entscheiden ohne Rationalität gibt, so bei Brunsson Handeln ohne (kognitives) Entscheiden. Wir haben diese Ausrichtung der Argumentation mittels der konstruktivistischen Theorie formaler Beobachtung und am Konzept des blinden Flecks themati-
2
"(...) interpretations of life affect life" schreiben M.S. Feldman/ J.G. March (1981): Information in Organizations as Signal and Symbol, S.182. 3
Vgl. Ν. Brunsson (1985): The Irrational Organization. Irrationality as a Basis for Organizational Action and Change, Chichester/ New York/ Brisbane/ Toronto/ Singapore: John Wiley & Sons, S. 18ff. 4
N. Luhmann (1984b): Soziologische Aspekte des Entscheidungsverhaltens; in: Die Betriebswirtschaft 44 (4), S. 591-603.
VI. Zwischenbetrachtung
143
siert. Beobachtungen als die Handhabung von Unterscheidungen schaffen zwar eine sichere Welt, da nur eine Seite der Unterscheidung bezeichnet wird. Die Welt wird aber in ihrer Kontingenzhaltigkeit deutlich, wenn man sieht, daß die nichtmarkierte Seite in ihrer Abwesenheit anwesend ist und nur so der markierten Seite überhaupt zur Identität verhilft. Mittels der Beobachtungstheorie hat die neuere Systemtheorie eines ihrer alten, zentralen Anliegen reformuliert, nämlich die Thematisierung der Reduktion von Komplexität und deren Kontingenzhaltigkeit: Danach ist die Welt immer komplexer als Systeme; diese bilden sich, wenn weniger Möglichkeiten genutzt werden als zur Verfügung stehen, also durch Reduktion von Komplexität, und genau das leisten Beobachtungen durch die einseitige Nutzung einer zweiseitigen Unterscheidung. Dabei dient der Rückgriff auf den Formenkalkül Spencer Browns in der neueren Systemtheorie dazu, mehr als früher den Systemaufbau in all seiner Kontingenz deutlich zu machen. Die Beobachtungstheorie ist aber keine soziale Theorie, sondern eher formal-logisch. Um ihre Logik dennoch für eine Soziologie nutzen zu können, haben wir über sie die Zurechnungsforschung gelegt. Ausgehend von einem phänomenologischen Sinnkonzept als Zwei-Seiten-Form von Aktualität und Potentialität, liefert die Metapher des Horizontes die Vorstellung des unproblematischen Wanderns zwischen diesen beiden Momenten als strukturelle Bedingung schneller Anschlußselektionen und damit Ermöglichung von Systemaufbau. Dieser vollzieht sich durch Zurechnung einer bewirkten Wirkung auf die eine oder andere Seite des Horizonts, auf System oder Umwelt. Der strukturelle Aufbau von Beobachtungen und Zurechnungen ist damit identisch und auch funktional sind die beiden Konzepte auf Systemaufbau gerichtet. Zurechnungen operieren entlang von ZweiSeiten-Unterscheidungen, um eine Seite zu bezeichnen, die andere zu ignorieren und die Bezeichnete für Anschlüsse zu nutzen, um so eine sichere Welt zu schaffen. Zurechnungen identifizieren Ursachen, aber die Zurechnungsforschung macht deutlich und findet eigentlich darin ihren Schwerpunkt, daß es sich um beobachterabhängige als-ob-Ursachen handelt. Zurechnungen erschaffen die Welt immer so, als ob es eindeutige Ursachen gäbe, indem sie ausblenden, daß ein anderer Beobachter anders zurechnen kann und andere Kausalitäten sieht. So entsteht durch internale Zurechnung eines Entscheiders die Kategorie des Risikos und durch die externale Zurechnung auf Umweltfaktoren die Kategorie der Gefahr. So entstehen ebenfalls zurechnungsabhängig Dringlichkeiten zur Bearbeitung riskanter Sachlagen und Betroffenheiten. Entscheidend für uns daran ist, die zurechnungsabhängigen Kategorien in ihrem artifiziellen Charakter zu zeigen. D.h. Zurechnungen zeichnen sich dadurch aus, Kausalitäten auch da zu sehen, wo das in einer überkomplexen Welt nur beobachterabhängig und kontingent - also kausalitäts-vernichtend - möglich ist; sie verwandelt damit eine "paradoxe" (zweiwertige) Welt in eine "orthodoxe" (einwertige). Die Zurechnungsforschung wurde von uns genutzt, um die Beobachtungstheorie zu soziologisieren. Denn anders als der Formenkalkül umfaßt sie die drei soziologischen Dimensionen der
144
VI. Zwischenbetrachtung
Zeit-, Sach- und Sozialdimension sowie die Vorstellung des Aufbaus von (sozialen) Systemen durch die Reduktion von Komplexität. Die Stabilitäten von Positionen in der Risikokommunikation sind also nicht zwingend, das zeigen die Konzepte von Beobachtung und Zurechnung. Sie sind aber andererseits auch nicht willkürlich oder zufallig. Denn Kommunikationen benötigen wie alle Handlungen eine Identität, um als Elemente des Systemaufbaus qualifiziert zu sein. Nur so gewinnen sie sinnhafte Bedeutung und stehen für Anschlußselektionen zur Verfugung. Den artifiziellen und dennoch nicht willkürlichen Charakter von Kommunikation haben wir mit Rückgriff auf die anthropologische Kulturtheorie dargestellt. Wenn die Bedeutung und Legitimation von Kommunikation nicht schon in ihrer Richtigkeit liegt (was in einer diversifizierten, polykontexturalen Welt nicht möglich ist) - wo aber dann? Unsere Antwort lautet: in ihrer kulturellen Einbettung; damit verliert der Kommunikationbegriff wie auch der Rationalitätsbegriff jede subjektivistische Anbindung.5 Die Kommunikationen und Zurechnungen sind immer Momente sozialer Systeme, die in der vorliegenden Arbeit allerdings nicht wissenssoziologisch sozialstrukturell abgeleitet werden, sondern kulturell durch die dargestellte Kreuztabellierung von Identität und Verpflichtung. Die kulturellen Einbettungen und nicht Kognitionen im Sinne der Gewinnung von Erkenntnissen über Gegenstände gestalten die Generierung von Informationen und Präferenzen, und das gilt auch für die Risikokommunikation. Die Grundlage von Zurechnungen sind kulturelle Deutungsmuster, die spezifische Zurechnungen wahrscheinlich machen und andere ausschließen. So verortet der erfolgsorientierte Individualist die Kontrollierbarkeit riskanten Handelns in der eigenen Person, der Bürokrat vertraut auf Einhaltung von Programmen und Verfahren und der Egalitarist betont die prinzipielle Nichtkontrollierbarkeit einer offenen Zukunft. In jedem Fall handelt es sich dabei um endogene Deutungsmuster von Kulturen. Darüber hinaus hatten wir gesagt, daß die Kulturen ihrerseits aus nichts anderem als aus eben jenen Kommunikationen bestehen, die den Deutungsmustern entspringen, also aus der gesellschaftlichen Praxis. Dieses Konstitutionsverhältnis zwischen kulturellen Erwartungen, Motivationen und Verpflichtungen einerseits und konkreten Handlungen andererseits hatten wir mit dem Konzept von strange loop im Sinne Hofstadters bezeichnet. Kulturelle Muster etablieren das, was wir im Zusammenhang mit der Wahrnehmungspsychologie als Bedeutungsebene bezeichnet hatten. D.h. Daten über die Welt sind immer schon systemspezifisch sinnhaft aufgeladen und genießen dadurch eine erhebliche Stabilität, die sich noch dadurch erhöht, daß auch neue Informationen systemspezifisch gedeutet werden und eher Bestehendes bestätigen als Neues zulassen.
5
Vgl. M. Granovetter (1985): Economic Action and Social Structure: The Problem of Embededdness; in: American Journal of Sociology 91 (3), S. 481-510.
VI. Zwischenbetrachtung
145
Weil die Kulturen und ihre kommunikativen Ausprägungen eigenbedingt existieren und zu einer Objektwelt notwendigerweise nur lose Kopplungen bestehen, bleiben auch die Bedeutungen und Interpretationen von Welt gegenüber Veränderungen in der Welt stabil insofern, als auch die Verschiebungen genuin sozial, also endogen erklärt werden müssen. Die Bedeutung dieser Befunde wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß wir es mit einer Gesellschaft zu tun haben, die wir als Pluralität von füreinander unzugänglichen Welten, die sich in rekursiven Beobachtungsverhältnissen aufeinander beziehen, beschreiben müssen. Das hat nun erhebliche Konsequenzen für die Politik, die selbst ein Teilsystem der Gesellschaft ist. Vor dem gesellschaftstheoretischen Hintergrund der funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaften legen wir eine Theorie der Politik zugrunde, die das politische System als ein operativ geschlossenes System konzipiert, das nach systemspezifischer Codierung abläuft und sich darin evolutionär entwickelt. Die Politik hat es mit innergesellschaftlichen Umwelten, den anderen Funktionssystemen zu tun, die ihrerseits einer eigenen Logik folgen und sich nicht in irgendeiner direkten Form gestalten lassen. Die systemischen Beziehungen zwischen der Politik und anderen gesellschaftlichen Systemen lassen sich entsprechend mit dem bereits vorgestellten Konzept der strukturellen Kopplung als Irritation beschreiben. Das betrifft alle kommunikativen Ebenen, Interaktion, Gruppe und Organisation. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Systeme isoliert voneinander als Monaden existieren, sondern, daß ihr Verhältnis zueinander das einer Ko-Evolution wechselseitiger Irritationen entspricht. Außerdem ist die Politik darüber hinaus intern differenziert. Auf der Ebene der Organisationen findet sich die Unterscheidung in Zentrum und Peripherie. 6 Während das Zentrum (der "Staat") die Funktion erfüllt, kollektiv bindende Entscheidungen zu fällen, erbringt die Peripherie Zulieferdienste für das Zentrum, indem es Willensbildungsprozesse in Gang bringt und Themen politisiert. Dabei ist die Peripherie segmentar differenziert, d.h. die Organisationen der Peripherie stehen in einem nicht-hierarchischen Verhältnis zueinander und konkurrieren um politische Macht. Neben Verbänden und anderen politischen Gruppen ist es vor allem die Differenzierung in Parteien und deren Orientierung an der Unterscheidung von Regierung und Opposition, die das politische System in Gang hält und oftmals aufheizt. Die Differenzierung in Zentrum und Peripherie ist evolutionär im Zuge des Entstehens des Parlamentarismus und der Herausbildung von Parteien entstanden und gestaltet nun ihrerseits die weitere Evolution des Systems als ein Wechselspiel von Willenbildungsprozessen in der Peripherie und kollektiv bin-
6
Vgl. N. Luhmann (o.J.): Die Politik der Gesellschaft, unv. Manuskript, Universität Bielefeld, S. 99ff. 10 Heidenescher
VI. Zwischenbetrachtung dendem Entscheiden im Zentrum. Solchermaßen evolutionstheoretische Ansätze negieren die Vorstellung, ein System könne voluntaristisch im Hinblick auf bestimmte Aufgaben erfunden und eingesetzt werden und es ist offensichtlich, daß die Politik nicht genuin erfunden wurde, um die relativ jungen technisch-ökologischen Probleme zu bearbeiten. Das also ist die Beschaffenheit, mit der die Politik auf gesellschaftliche Ansprüche stößt, wenn sie, als die primäre Steuerungsadresse, mit Risiken umzugehen hat: Auf der Seite der Gesellschaft haben wir rekursive Beobachtungsverhältnisse und untereinander unzugängliche "Umgebungen" der Weltbeobachtungen, ein Befund, der durch die Typik neuer Risiken nur geschürt wird. Auf der Seite der Politik haben wir die Orientierung der Politik an ihren eigenen Differenzierungen und intern entdeckten Themen. Ausführlicher werden wir diesen Befund mit dem Konzept der operativen Geschlossenheit später wieder aufnehmen. So trifft die operativ geschlossene Politik auf eine polykontexturale Gesellschaft, die sich durch politisches Entscheiden in technisch-ökologischen Risikolagen nicht beruhigen läßt. Denn unvermeidbar ist, daß die Politik mit ihren Entscheidungen an dieser oder jener Stelle in der Gesellschaft Betroffenheiten erzeugt, auf die wiederum die Politik reagieren muß. Im Vollzug des Nachsteuerns gerät die Politik so in einen Mechanismus hinein, der durch sich selbst verstärkende Rückkopplungen zwischen politischen Steuerungsbemühungen und Sicherheitsversprechen einerseits und einer vollkommenen Grenzöffnung zur Gesellschaft für immer weitere Thematisierungen und Politisierungen andererseits gekennzeichnet ist. Die Politik steht daher unter Dauerirritationen der Gesellschaft nicht obwohl, sondern erst recht wenn sie erfolgreich ist. In einer solchen Situation muß die Politik zu Abwehrmaßnahmen greifen, die eine Überforderung verhindern oder zumindest eindämmen. Diese Abwehrmaßnahmen können die Außen- , wie auch auf Binnenverhältnisse der Politik betreffen. Nach außen gerichtet hat die Politik die Möglichkeit und unterliegt der Notwendigkeit, öffentliche Angelegenheiten durch nicht-politische Stellen bearbeiten zu lassen. Die klassischen Institutionen in diesem Zusammenhang sind das Recht und die gesellschaftliche Selbststeuerung durch Verbände. Hinzu tritt gerade in der jüngeren Vergangenheit der Vorschlag, auch öffentliche Aufgaben dem Marktmechanismus zu überlassen. Im Binnenverhältnis hat die Politik darüber hinaus die Möglichkeit, auf einen Mechanismus zurückzugreifen, den man mit Brunsson als "hypocrisy" bezeichnen kann.7 Politische Organisationen, zu deren Paradebeispielen Parlamente und Parteien gehören, (womit aber auch eine Leitungsebene in Unternehmen gemeint sein kann), zeichnen sich dadurch aus, daß sie auf vielfältige, inkonsistente Umweltanforderungen reagieren und gerade darüber ihren Bestand sichern. Ihre
7
N . Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy. Talk, Decisions and Actions in Organizations, Chichester/New York/ Brisbane/ Toronto/ Singapore: John Wiley & Sons, S. 19ff.
VI. Zwischenbetrachtung
147
interne Aufmerksamkeit ist auf Konflikte gerichtet und orientiert sich an einer Mehrzahl divergierender Weltanschauungen ("ideologies"). Gerade das ermöglicht die breite Öffnung für eine Vielzahl gesellschaftlicher Themen, zumal dann, wenn eine direkte Handlungsumsetzung nicht erforderlich ist, wie es konstitutiv für die politische Peripherie ist. Im Zusammenhang mit besagter Differenzierung des politischen Systems in Zentrum und Peripherie schreibt Brunsson: "The concepts of the 'ruling majority' and the 'opposition' helps in parliaments to keep the organizational conflict alive, as the very purpose of the opposition is to criticize the policy of the majority and to suggest alternative courses of action. This is greatly facilitated by the fact that the opposition knows their suggestions cannot by definition be carried out, just because they come from an opposition. It is always easy to find alternatives that need not work and for which one will not be held responsible."8 Neben der Konflikthaftigkeit und ideologischen Inkosistenz politischer Organisationen ist ihr drittes Merkmal die Orientierung an Problemen, statt an Lösungen, sowie viertens ihr rationalistischer Entscheidungsstil. D.h. politische Organisationen bemühen sich darum, eine Vielzahl an Handlungsalternativen zu berücksichtigen und deren jeweiligen Konsequenzen zu evaluieren; außerdem stehen die nicht-intendierten Nebenfolgen von möglichen Entscheidungen auf der Tagesordnung. All das ist möglich, weil politische Organisationen die Bürde der Handlungsfähigkeit nicht tragen müssen; Brunsson greift hier auf seine Unterscheidung von Entscheidungsrationalität und Handlungsrationalität zurück. 9 A l l diese Momente führen zu einem Wachstumsprozeß politischer Organisationen, der seine Erklärung in den endogenen Faktoren solcher Organisationen findet. "Instead of specializing, the political organization tends to generalize itself. The reflection of inconsistent values is in itself an expression of generalizing strategy. But any political organization that wants to grow will do more than this; it will actively seek to incorporate new ideas in the environment into its own organization. No group need be left outside its domain. The organization grows by reflecting an increasing number of inconsistencies."10 Diese Absorption externer Inkonsistenzen vollzieht sich - neben der Erstellung öffentlicher Güter - in politische Organisationen vornehmlich über die beiden Mechanismen von mündlichen und schriftlichen Verhandlungen und Debatten (Brunsson spricht von "talk") und dem Fällen von Entscheidungen ("decision "). Die eigentliche Strategie der Politik besteht nun darin, auf externe Inkonsistenzen mit internen Inkonsistenzen zu antworten, um so den gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden. Genau das bezeichnet Brunsson als "hypocrisy"; sie besteht darin, daß die Verhand-
8
N. Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy, S. 21.
9
Vgl. Ν. Brunsson (1985): The Irrational Organization, S. 13-34.
10
io•
Ν. Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy, S. 23.
VI. Zwischenbetrachtung lungen, Debatten und Auseinandersetzungen nicht mit dem übereinstimmen müssen, was dann als Entscheidung mitgeteilt wird. "Talk, decision and products are mutually independent instruments used by the political organization in winning legitimacy and support from the environment (...) in order to reflect inconsistencies in the environment the political organization can employ inconsistencies, not only within the separate areas of talk or decisions or products but also between them. In other words hypocrisy is a fundamental type of behavior in the political organization: to talk in a way that satisfies one demand, to decide in a way that satisfies another, and to supply products in an way that satisfies a third." 11 Wie wir später sehen werden, handelt es sich bei dieser Strategie um einen für die Politik unabdingbaren Generalschlüssel für die Bearbeitung verschiedenster Problemlagen in polykontexturalen Gesellschaften. Die Strategie des "hypocrisy" ist also nicht auf die Bearbeitung technisch-ökologischer Probleme beschränkt, obwohl die ökologische Kommunikation ein besonders guter Nährboden dieser Strategie ist. Um einem verbreiteten Mißverständnis vorzubeugen sei noch gesagt, daß die Strategie des "hypocrisy" nicht zu verwechseln ist mit symbolischer Politik im Sinne M. Edelmans12: Während dieser unter symbolischer Politik die taktische Verschleierung von Fakten durch die Politik meint, um berechtigte Interessen in der Gesellschaft nicht aufkommen zu lassen, ist bei Brunsson die symbolische Darstellung von Kompetenz eine systeminhärente Antwort auf evolutionär entstandene Situationen, also keine Taktik, sondern die Handlungslogik eines spezifischen Systems. Im Zusammenhang mit Bürokratien hat Luhmann (1964) diesen Sachverhalt mit der Unterscheidung von interner Erstellung von Entscheidungen einerseits und deren Außendarstellung für Nichtmitglieder andererseits geschildert; über die Außendarstellung liest man: "Die Differenzierung von Schauseite und Innenansicht eines Systems ist nicht reiner Schwindel, sondern eine strategische Konzeption, die eine sinnvolle Anpassung an spezifische Systemgrenzen mit ihren je besonderen Anforderungen ermöglicht." 13 Diese Bemerkungen machen schon deutlich, daß der politische Umgang mit einer gesellschaftlichen Beobachtung technisch-ökologischer Risiken eine ausführlichere Analyse des politischen Systems und der politischen Handlungslogik erfordert. Diese werden wir nun im Zusammenhang mit der primären Differenzierungsform moderner Gesellschaften, der funktionalen Differenzierung, darstellen.
11
N . Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy, S. 27.
12
Vgl. M. Edelmann (1967): The Symbolic Uses of Politics, Urbana/ Chicago/ London: University of Illinois Press. 13
N. Luhmann (1964): Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin: Duncker &Humblot,S. 116.
Zweiter Teil Das politische System und seine Risikobearbeitung V I I . Die Analyse des politischen Systems 1. Die Ausdifferenzierung autopoietischer Systeme Wir werden im folgenden die Anlehnung an die soziologische Systemtheorie beibehalten und das politische System der Gesellschaft als ein autopoietisch geschlossenes System konzipieren. Im Hinblick auf unseren Gegenstand der politischen Risikobearbeitung hat die Politik es demnach mit zwei Fronten zu tun, nämlich erstens mit den gesellschaftlichen Beobachtungsverhältnissen, wie wir sie im ersten Teil der Arbeit beschrieben haben, und zweitens mit der eigenen autopoietischen Geschlossenheit. Es folgt entsprechend die Analyse des politischen Systems - als ein autopoietisch geschlossenes System - im Hinblick auf die Konsequenzen einer politischen Risikobearbeitung. "Autopoiesis" (als Wortbildung aus "Selbst" und "Produktion"/ "Kreation") ist ein interdisziplinär verwendeter Begriff, der den Aufbau von Systemen als SelbsterzeugungsprozQÜ beschreibt. Gemeint ist die Selbstbezüglichkeit eines Systems im Reproduktionsprozeß; Zeleny definiert: "An autopoietic system is a distinguishable complex of component-producing processes and their resulting components, bounded as an autonomous unity within its environment, and characterized by a particular kind of relations among its components and component-producing processes: the components, through their interaction, recursively generate, maintain, and recover the same complex of processes which produced them."1 Ein System reproduziert also die Elemente, aus denen es besteht, ausschließlich mittels der Elemente, aus denen es besteht.2 Dabei betont das Konzept der Auto-
1
M. Zeleny (1980): Autopoiesis: A Paradigm Lost? in: ders. (Hrsg.), Autopoiesis, Dissipati ve Structures, and Spontaneous Social Orders, Boulder, Colorado: Westview, S. 3-43 (4). Betonungen im Original. 2
Vgl. H. Maturana (1980): Man and Society; in: F. Benseier/ P.M. Hejl/ W.K. Köck (Hrsg.), Autopoiesis, Communication, and Society. The Theory of Autopoietic Systems in the Social Sciences, Frankfurt a.M./New York: Campus, S. 11-31 (insb. S. 29).
150
VII. Die Analyse des politischen Systems
poiesis den evolutionären Charakter der selbstbezüglichen Schaffung sozialer Ordnung. Es handelt sich damit erstens um ein Konzept, das die Möglichkeit einer intentionalen Schaffung von Ordnung negiert. Im Zusammenhang mit dem politischen System meint das, daß eine absichtsvolle, zweckgerichtete Steuerung von Programmabläufen für unrealistisch gehalten wird angesichts der selbstbezüglichen Operationsweise der Politik. Zweitens legt das Konzept die Annahme zugrunde, autopoietische Systeme sind in ihrer Entwicklung nicht auf Konsens angewiesen. Für die Politik wird damit zum Problem, was unter einem "Kollektivgut" eigentlich zu verstehen ist. Politik in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft kann nicht durch die Funktion beschrieben werden, im Interesse aller zu handeln. Vielmehr ist Politik ein System, das auf das evolutionär entstandene Problem antwortet, wie ohne erreichbaren, gesellschaftlichen Konsens und in einer kontingenten Welt, in der immer Annahme- und Ablehnungsmöglichkeiten zugleich existieren, dennoch kollektiv bindendes Entscheiden überhaupt möglich ist. Durch das Konzept der Autopoiesis verlagert sich die theoretische Aufmerksamkeit bezüglich der Reproduktionsprozesse sozialer Systeme von der Ebene der Struktur von Systemen auf die basale Ebene der Elemente.3 Die basalen Elemente der Gesellschaft, also die Elemente, die von der Gesellschaft nicht weiter zerlegt werden können (etwa in psychische Zustände) sind Kommunikationen. Entsprechend ist das Element des politischen Systems die politische Kommunikation. Das heißt, die Kommunikation ist dann eine politische, wenn und insofern sie sich an der Verteilung (staatszentrierter) Macht als der Befugnis zum kollektiv bindenden Entscheiden orientiert. Entsprechend der obigen Definition von Autopoiesis reproduziert sich das politische System selbstreferentiell, indem das basale Element der Machtkommunikation auf frühere Machtkommunikation (Entscheidungen) zurückgeht und ihrerseits weitere Machtkommunikation auslöst. Um das politische System in seiner operativen Geschlossenheit analysieren zu können, werden wir es im Zusammenhang mit dem Prozeß der Ausdifferenzierung von Funktionssystemen darstellen. 4 Die Ausdifferenzierung von Funktionssystemen und ihre autopoietische Geschlossenheit sind dabei zu verstehen als zwei Seiten eines identischen Prozesses gesellschaftlicher Evolution.
3
Vgl. N. Luhmann (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 60ff. 4 Das Konzept der funktionalen Differenzierung ist die gesellschaftstheoretische Grundlage für unsere Darstellung des politischen Umgangs mit Unsicherheit, daher für uns also essentiell wichtig.
1. Die Ausdifferenzierung autopoietischer Systeme
151
Unser Ausgangspunkt ist die moderne Gesellschaftsstruktur als eine primär funktional differenzierte. 5 Die Konzepte funktionaler Differenzierung stellen keine einheitliche Theorie dar und sind so vielfältig behandelt worden, daß gebündelte Aussagen darüber immer problematisch bleiben müssen.6 Zunächst und ganz allgemein gesprochen sind Theorien funktionaler Differenzierung Gegenkonzepte zur funktionalen Diffusheit. 7 Strukturelle Grundlage des Differenzierungsprozesses ist immer eine irgendwie geartete Grenzziehung zwischen Dazugehörigem und Ausgeschlossenem, zwischen System und Umwelt, um in dieser Terminologie zu bleiben. Allerdings kann darunter etwas sehr unterschiedliches verstanden werden, nämlich die Zerlegung eines gesellschaftlichen Ganzen in Teilsysteme oder die Ausdifferenzierung füreinander unzugänglicher "autistischer" Systeme. Typisch für das Konzept der "Zerlegung" ist der Seitenblick aufs Ganze in Form von ReOrganisationsversuchen. 8 Das systemtheoretische Konzept der Ausdifferenzierung verzichtet dagegen auf diesen Re-lntegrationsblick und spricht von Gesellschaften als "polyzentrische". D.h. die Gesellschaft hat Zentrum und Spitze verloren und auch die Politik kann diese Positionen nicht mehr besetzen. Dagegen ist es für "kausal-genetische" Ansätze9 oder für "machttheoretische" Überlegungen 10 immer noch eine Sache empirischen Verlaufs von Differenzierungsprozessen, wo die Politik tatsächlich zu piazieren ist. Die Systemtheorie betont dagegen die Momen-
5 Als Evolutionstheorie thematisieren Differenzierungskonzepte die Zerlegung eines Ganzen (die Gesellschaft) in Teile und die Neuordnung auf gesellschaftlicher Ebene. Die Typik dieser Re-Arrangements ist es, die sich im evolutionären Verlauf verändert und Gesellschaften als segmentare, stratifikatorische oder funktional differenzierte auszeichnet. 6
Vgl. dazu H. Tyrell (1978): Anfragen an die Theorie der gesellschaftlichen Differenzierung; in: Zeitschrift für Soziologie 7 (2), S. 175-193; ferner: R. Mayntz (1988): Funktionelle Teilsysteme in der Theorie sozialer Differenzierung; in: dies., u.a., Differenzierung und Verselbständigung. Zur Entwicklung gesellschaftlicher Teilsysteme, Frankfurt a.M./ New York: Campus, S. 11-44. 7 Vgl. H. Tyrell (1978): Anfragen an die Theorie der gesellschaftlichen Differenzierung, S. 178. Beispiele funktionaler Diffusheit in vormodernen Gesellschaften sind Religion (Diffusion von Transzendenz und politischer Macht) und Familie (Diffusion von Produktion (= Betrieb) und Reproduktion (= Haushalt). 8
Klassisch natürlich hier die "Teilung der sozialen Arbeit" in Berufsgruppen bei Emile Durkheim und die Thematisierung der gesellschaftlichen Gesamtintegration, bei Durkheim vorgestellt durch "Solidarität"; vgl. E. Durkheim (1977): Über die Teilung der sozialen Arbeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 9
Vgl. R. Mayntz (1988): Funktionelle Teilsysteme in der Theorie sozialer Differenzierung; in: dies., u.a., Differenzierung und Verselbständigung. Zur Entwicklung gesellschaftlicher Teilsysteme, Frankfurt a.M./ New York: Campus, S. 11-44 (12). 10
Vgl. D. Rueschemeyer (1977): Structural Differentiation, Efficiency, and Power; in: American Journal of Sociology 83: 1-25.
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VII. Die Analyse des politischen Systems
te der internen Operationsweise ausdifferenzierter Systeme. Zwei Perspektiven werden damit eröffnet; sie seien hier kurz benannt, um sie dann ausführlicher herzuleiten. Erstens: Da sich die Operationsweise von Systemen anhand von Unterscheidungen vollzieht, werden spezifische Systemzustände in ihrer Kontingenz deutlich. Zweitens: Die Vorstellung der Zerlegung eines Ganzen in Teile wird ersetzt durch die Vorstellung, die Teile - also die gesellschaftlichen Funktionssysteme - sind je für sich schon das Ganze; jedes System ist für sich schon die ganze Welt. Das hat auch für unser Thema des politischen Umgangs mit technischökologischen Risiken erhebliche Konsequenz, daß die Systeme auf ihrer Operationsseite untereinander vollkommen unzugänglich sind; diese Argumentation soll im folgenden ausführlicher hergeleitet werden. Die nun folgende, notwendig abstrakte Darstellung der Ausdifferenzierung von Funktionssystemen im allgemeinen und der Ausdifferenzierung des politischen Systems im besonderen baut sich auf den nächsten Seiten folgendermaßen auf: Gesellschaftliche Teilsysteme haben eine Beziehung zum umfassenden System der Gesellschaft (= Kommunikation), für die sie eine Funktion erfüllen. Funktionen sind strukturell gesehen Zwei-Seiten-Formen, die zur Identifizierung der nächsten Anschlußstelle genutzt werden. Man kann auch sagen, Funktionen sind spezifische Ausprägungen von "Sinn". 11 In ausdifferenzierten Funktionssystemen, wie die Politik eines ist, sind zur Funktionserfüllung, also zur Handhabung einer ZweiSeiten-Form, spezifische binäre Codierungen ausgebildet. Im Falle der Politik besteht die binäre Codierung in der Einheit der Unterscheidung von Macht haben und Macht nicht haben}2 Wie bei allen Zwei-Seiten-Formen, sind auch bei der binären Codierung immer beide Seiten der Unterscheidung zugleich anwesend, die Codierung verschafft der Politik also noch keine konkrete Ausprägung. Sie benötigt zum Operieren daher außer ihrem Code noch Themen, Absichtserklärungen und Programme, die innerhalb der Codierung distinguierend wirken und dem einen zur Macht verhelfen und deshalb den anderen von ihr ausschließen. Während beide Seiten der Codierung zur Politik gehören, dienen Programme als Kriterien der Differenzierung in die Seite, die Macht hat und diejenige, die Macht nicht hat. Entsprechend kann man die Codierung des politischen Systems auch an der Differenz von Regierung und Opposition festmachen. Neben dem Bezug zur Gesellschaft bauen die einzelnen Funktionssysteme auch untereinander Beziehungen auf, indem sie füreinander Leistungen bereitstellen. Die Leistung der Politik für andere Funktionssysteme besteht in der Erstellung
11 12
Vgl. Kap. IV. 1, S. 86ff.
Vgl. N. Luhmann (1975): Macht, Stuttgart: Enke; ferner ders. (o. J.), Die Politik der Gesellschaft, unv. Ms. Universität Bielefeld, S. 9ff.
2. Die Funktion der Politik und die binäre Codierung der Macht
153
kollektiv bindender Entscheidungen, die von anderen Systemen als Erwartungssicherheiten genutzt werden können. Wir haben es zusammenfassend also in Ausdifferenzierungsprozessen mit den Momenten Funktion, binäre Codierung, Programme und Leistungen zu tun. Es sind dies die systematischen Momente von Ausdifferenzierung, auf eine historische Perspektive müssen wir hier allerdings verzichten. Der Zusammenhang dieser Momente soll nun für das politische System dargestellt werden; wir erhalten damit eine konzeptionelle Grundlage für den typisch politischen Umgang mit Unsicherheiten.
2. Die Funktion der Politik und die binäre Codierung der Macht Ausdifferenzierte gesellschaftliche Funktionssysteme, wie die Politik eines ist, stellen in ihrem operativen Aufbau drei Beziehungen her, nämlich die Beziehung zur Gesamtgesellschaft (es ist dies ihre Funktionserfüllung), die Beziehungen zu anderen Funktionssystemen (als wechselseitiges Bereitstellen von Leistungen) und eine Beziehung zu sich selbst (es ist dies die Reflexionebene, auf der etwa die Politik ein Bild von sich selbst entwirft und daraus "Staatsaufgaben" ableitet). Zu den beiden ersten Momenten liest man bei Luhmann: "Grundsätzlich muß man in einem funktional differenzierten Gesellschaftssystem unterscheiden zwischen den Beziehungen zwischen den einzelnen Teilsystemen und der Beziehung eines Teilsystems zur Gesellschaft. Im erstgenannten Falle handelt es sich um Leistungen, in denen die Teilsysteme sich lernend und adaptiv danach richten, was in der innergesellschaftlichen Umwelt von ihnen verlangt wird. In der Beziehung zur Gesellschaft dagegen sind sie autonom, weil sie hier sozusagen Richter in eigener Sache sind, nämlich eine Funktion für die Gesellschaft wahrnehmen." 13 Die Kategorie der Funktion eines Systems bezieht sich also auf das Verhältnis eines Systems zur Gesellschaft. Jede Systembildung zerlegt danach die Einheit der Gesellschaft in eine ihr eigene, spezifische Differenz von System und Umwelt. Ein System erfüllt für die Gesellschaft eine je spezifische Funktion und benutzt dazu "Sinn" als Medium. Evolutionstheoretisch betrachtet ist die folgenreichste Form der funktionalen Ausdifferenzierung die Strukturierung von Kommunikation durch binäre Codierung. Die selbstreferentielle Schließung eines Systems vollzieht sich durch die interne Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz. 14 Das aber setzt voraus, daß das System das "Selbst" überhaupt erkennt, und genau dafür sorgt die Codierung. Beispielhaft über das System der Massenmedien schreibt Luhmann in
13
N. Luhmann (1988a): Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 63; vgl. femer grundsätzlich ders., (1977): Differentiation of Society; in: Canadian Journal of Sociology 2, S. 29-53. 14
Es ist dies nochmals die Figur des re-entry , wie beschrieben unter Pkt. III.4, S. 75ff.
154
VII. Die Analyse des politischen Systems
diesem Zusammenhang: "Mit der systemtheoretischen Unterscheidung Selbstreferenz/ Fremdreferenz ist noch nichts darüber ausgemacht, wie das Selbst das Selbst bestimmt, oder anders: wie die Anschlußfähigkeit von Operationen im System erkannt und wie die Differenz von System und Umwelt produziert und laufend reproduziert wird. Dies geschieht im typischen Fall von Funktionssystemen, und so auch im Fall der Massenmedien, durch einen binären Code, der unter Ausschließung dritter Möglichkeiten einen positiven und einen negativen Wert fixiert." 15 Codes dienen demnach dazu, daß das System sich von der Umwelt unterscheiden kann und sich nicht mit anderen Systemen verwechselt. Binäre Codierung meint, daß die Erzeugung von Informationen in einem System durch die Einheit der Unterscheidung eines positiven und eines komplementären negativen Wertes ins Werk gesetzt wird. 16 Es handelt sich wiederum um den strukturellen Aufbau einer Zwei-Seiten-Unterscheidung, die wir oben in Kapitel III ausfuhrlich behandelt hatten. Der positive Wert, die bezeichnete Seite, zeigt an, von wo aus der nächste Anschluß stattfindet. Der Negativwert aber (die gerade nicht aktualisierte Potentialität) ist damit nicht eliminiert, sondern zeigt an, daß der aktualisierte Zustand nicht selbstverständlich ist und in seiner Identität überhaupt auf anderen Möglichkeiten als Potentialitäten aufbaut; eine akademische Seminarsitzung beispielsweise wird nicht nur darüber bestimmt, was gesagt wird, sondern auch darüber, was nicht gesagt wird und wer nicht anwesend ist. Die Codierung der Politik läuft über das Medium Macht, seine Identität gewinnt das System über die an der Unterscheidung von Macht/ keine Macht (bzw. in institutionalisierter Form: Regierung/ Opposition) orientierten Kommunikation. Die binäre Codierung, an der sich die Politik selbst erkennt, ist die Einheit der Unterscheidung von Macht haben und Macht nicht haben. Eine weitere, dritte Kategorie (z.B. Geld, Moral, Religion) ist auf dieser Ebene ausgeschlossen und wenn die Politik über diese Dinge auf der Programme bene spricht, dann im Hinblick auf Macht-(um)verteilung. Im Hinblick auf die Gesellschaft erfüllt die Politik damit die Funktion der Verteilung von Befugnissen zum kollektiv-bindenden Entscheiden, und zwar unter der Prämisse eines nicht erreichbaren, gesellschaftsweiten Konsenses. Auch gesellschaftliche Funktionssysteme sind - wie oben die Beobachtungen - entlang von Differenzen aufgebaut und das heißt vor allem: sie sind nicht an transzendentale, außerhalb ihrer selbst liegende Zwecke gebunden. Die Bestimmung der politischen Funktion aus der Einheit der Differenz von Macht haben und Macht nicht haben, die "(...) Kapazität zum kollektiv
15
N. Luhmann (1995b): Die Realität der Massenmedien, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 16. 16 Ausfuhrlicher dazu N. Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation, Opladen: Westdeutscher Verlag, Kap. VIII, S. 75ff.
2. Die Funktion der Politik und die binäre Codierung der Macht
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bindenden Entscheiden (...)" bereitzuhalten 17, negiert das ontologische Bild von Politik, sie sei an spezifische, wertbezogene Ziele gebunden und finde darüber zu ihrem identitätsstiflenden "Wesen", wie etwa die Menschen "zum Guten zu (verleiten" (Aristoteles). Der "Motor" der Politik besteht nicht aus "wesentlichen" Zielen, sondern aus dem Spannungsverhältnis der Machtverteilungen. Von der Funktionsseite her betrachtet ist dies Verständnis von Politik ein rein formales und sieht ab von substantiellen, programmatischen Zielen dieser oder jener (Partei)Politik. Die systemspezifischen Codes sind für das jeweilig fokale System Totalkonstruktionen von Welt; anhand "seiner" Codierung erschließt sich ein System die ganze Welt. Das bedeutet, die Codierung der Funktionserfüllung führt zu einem bemerkenswerten Komplementärverhältnis zweier gegenläufiger Momente des Systems, nämlich Partikularismus und Universalismus. Partikularistisch ist die Politik, da sie nur und ausschließlich Politik, also Machtkommunikation, betreibt. Sie kann dabei nicht die Funktionen anderer Systeme übernehmen, also etwa weder religiös noch wissenschaftlich kommunizieren; selbstverständlich kann die Politik auf programmatisch-inhaltlicher Ebene über Religion und Wissenschaft debattieren und Entscheidungen fällen, sie kann dies aber nur in Form von Politik tun, also im Rahmen von Ämter- und Machtstrukturen, andernfalls wäre sie nicht als Politik identifizierbar. Auch bleibt die Politik in ihrer Techniksteuerung oder ihrer Umweltpolitik eben Politik, sie kann nur politisch über Technik und Umwelt entscheiden. Im Hinblick auf andere Funktionen etabliert die autopoietische Geschlossenheit eine "legitime Indifferenz". 18 Universalistisch dagegen ist die Politik, da sie (wie andere Funktionssysteme in deren Funktionserfüllung auch) im Hinblick auf ihre Funktion exklusive Zuständigkeit besitzt, d.h. in der Funktion der Machtkommunikation (und deren Deckung durch physische Gewalt) treten keine gesellschaftlichen Konkurrenten auf und entsprechend spricht Max Weber vom modernen Staat als einem "(anstaltsmäßigem) Herrschaftsverband mit dem Monopol legitimer Gewaltsamkeit".19 Sämtliche Machtkommunikation, die ganze "Welt der Macht", spielt in der Politik, sonst nirgendwo. So kann sich die Politik darauf verlassen, die einzige Stelle bindenden Entscheidens zu sein (und die
17
N. Luhmann (o.J.): Die Politik der Gesellschaft, unv. Ms., Universität Bielefeld, S.46.
18
Vgl. H. Tyrell (1978): Anfragen an die Theorie der gesellschaftlichen Differenzierung, S. 183. Ursprünglich der Terminus "Zone of Indifference" bei Ch.I. Barnard (1938): The Function of the Executive, London: Oxford University Press; dort im Zusammenhang mit der Anerkennung von Autorität in formalen Organisationen. 19
M. Weber (1980): Wirtschaft und Gesellschaft, S. 82Iff (§ 2); zur Konzentration von Staatsgewalt und der Befriedung von Gesellschaft vgl. auch N. Elias (1980, zuerst 1939): Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bd., Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
156
VII. Die Analyse des politischen Systems
einzige Stelle, die dafür die Rückendeckung der legitimen Gewaltanwendung besitzt). Sobald eine Kommunikation sich nicht des Mediums Macht bedient, ist es keine politische Kommunikation. Das gilt auch dann, wenn sich die Kommunikation in einem Plenarsaal abspielt und an ihr Politiker als Personen beteiligt sind. Deutlich wird hier, daß das systemische an Systemen nicht festgemacht werden kann an Personen, Räumlichkeiten oder "Seinsordnungen". 20 Hier verdeutlicht sich im übrigen der Unterschied der Argumentation zu kausal-genetischen Ansätzen, etwa bei Mayntz. 21 Dort werden alle Handlungen und Akteure, die zur Erstellung einer Leistung beitragen, unter ein System subsumiert. Danach gehört etwa der Krankenhaus-Manager, der selbst nicht heilt oder pflegt, sondern für die Ausstattung und den Einkauf zuständig ist, zum Gesundheitssystem. In der Logik Luhmanns dagegen reproduziert er durch den Vollzug von Zahlungen das Wirtschaftssystem, nicht das Gesundheitssystem, schließlich erzeugt er durch den Einkauf etwa eines neues Gerätes an anderer Stelle des Marktes Zahlungsfähigkeit und nicht Gesundheit. Mit der Exklusivität und Universalität kollektiv bindenden Entscheidens wird für die Politik aus der Entscheidungsbefugnis eine Entscheidungsverpflichtung mit der erheblichen Konsequenz, daß alles politisch Entschiedene der Politik auch direkt zugerechnet werden kann und weiter zurückreichende Kausalitäten unberücksichtigt bleiben können. Damit ist die Politik ungeschützt den vielfältigsten Erwartungen ausgeliefert, sofern sie an den verschiedenen Stellen des politischen Zentrums oder der politischen Peripherie kommuniziert werden. Hierin sehen wir den Motor politischer Eigendynamiken, wie sie insbesondere auch im Zusammenhang mit Risikothemen zu beobachten ist. Eine weitere Implikation codierten Operierens in geschlossenen Systemen besteht in der Orientierung an einer spezifischen Handlungslogik, eine Art Verhaltensstil, der durch den Operationsmodus des Systems nahegelegt wird; wir werden darüber unter Stichworten wie Inszenierung und symbolische Politik noch sprechen.22 Deutlich wird daran auch, daß nicht Menschen Politik machen, sondern soziale Systeme, als Interaktion von Personen und zwischen Organisation. Die Codierung ist einerseits ein Filter, ein Schließungsmechanismus, durch den sich das System gegen Umwelten immunisiert, aber andererseits auch die Ermöglichung der Informationsaufnahme, die aber nicht "irgendwie" stattfindet (oder "irgendwie" stattfinden darf), sondern in systemspezifischer, codierter Form:
20
Vgl. N. Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation, S. 87.
21
Vgl. R. Mayntz (1988): Funktionelle Teilsysteme in der Theorie sozialer Differenzierung, S. 31. 22
Vgl. dazu ausführlicher unten das Kapitel IX.
2. Die Funktion der Politik und die binäre Codierung der Macht
157
"Codierung ist Voraussetzung dafür, daß Umweltereignisse im System als Information erscheinen, das heißt: mit Bezug auf etwas interpretiert werden können. Und binäre Codierung bewirkt, daß dies in folgenreicher, systemintern anschlußfähiger Weise geschieht".23 Deshalb kann das System nicht willkürlich das wahrnehmen, wonach ihm gerade der Sinn steht, es wird von außen mit Themen angeregt, die es sich nicht aussuchen kann, aber die Umsetzung ist dann eine systemspezifische. "Selbstreferentielle Geschlossenheit besagt nicht, daß das politische System tun oder lassen könnte, was ihm beliebt. Gemeint ist, daß das System nur mit eigenen (eben politischen) Operationen definieren kann, was als Politik Beachtung und Fortsetzung findet". 24 Im modernen Parlamentarismus ist das Medium Macht und die Befugnis zum kollektiv bindenden Entscheiden an den Besitz von Ämtern gebunden, politische Macht ist Amtsmacht. Um für ein Thema politische Wirkung zu erzielen, müssen entweder diese Ämter als Ansprechpartner für Erwartungen gewählt oder direkt der Besitz des Amtes angestrebt werden. "Der Code ist mit der staatlichen Zentrierung politischer Macht gegeben. Politisch ist Macht jetzt nur noch, sofern sie zur Deckung kollektiv bindender Entscheidungen eingesetzt werden kann, und die Frage, wer und wer nicht dazu befugt ist, wird durch das Innehaben von Staatsämtern definiert (...) Die Zuspitzung auf Entscheidungen in staatlichen Ämtern etabliert die Politik dann nicht als Einheit, sondern als Differenz. Es geht um Innehaben bzw. Nichtinnehaben der Positionen, in denen öffentliche Gewalt ausgeübt werden kann (...)"· 25 Politik betreiben heißt dann: Im Vollzug eines öffentlichen Amtes in Parlament, Regierung oder Verwaltung bindende Entscheidungen zu fällen, eine solche Entscheidungsbefugnis anzustreben oder im Hinblick auf amtliche Entscheidungsbefugnis gesellschaftliche Themen zu artikulieren. Politik meint aber auch sämtliche Kommunikationen wie öffentliche Äußerungen und Besuche, Pressemitteilungen sowie Rundfunk- und Fernsehenauftritte, die Bezug auf diese öffentlichen Ämter nehmen. Der Ämterkampf stellt die "Zweitcodierung" der politischen Macht dar; sie meint die institutionalisierte Rollenverteilung von Regierung und Opposition. Diese Differenz und das Konkurrenzverhältnis zwischen Regierung und Oppositionen verstärkt das Phänomen der Politisierung von Gegenständen und des schnellen, kurzfristigen politischen Entscheidens, weil sie erstens in Abbildung der gesellschaftlichen Perspektivenvielfalt und Polykontexturalität eine politische Themenvielfalt garantiert, und zweitens Entscheidungsgdringlichkeiten provoziert. Denn unter öffentlichkeits-
23
N. Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation, S. 219f.
24
N. Luhmann (1991d): Ansprüche an die Politik; in: ders., Soziologie des Risikos, Berlin/ New York: de Gruyter, S. 172. 25
Ν. Luhmann (1986): ökologische Kommunikation, S. 169f.
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VII. Die Analyse des politischen Systems
wirksamen oder wahltaktischen Gesichtspunkten ist es allemal günstig, schnell und mutig zu entscheiden, Themen schnell und entschlossen zum Abschluß zu bringen, statt zu zaudern. Das fuhrt zur Begnügung mit nur "lokalen" Rationalitäten, 26 und das heißt für den Entscheider, das Thema eher zu verharmlosen, um trotz des Entscheidungstempos nicht als fahrlässig zu gelten. Das begünstigt einen politischen "Inkrementalismus" im Sinne Lindbloms, 27 genau der aber seinerseits die Kritik anderer Beobachter auf sich zieht, was gerade an der Ökologie- und Technologiedebatte gut zu sehen ist. Das politische Thema gerät so in ein Wechselspiel von Verharmlosung und Dramatisierungen als Dauerirritation des politischen Systems. Wir sehen an dieser Stelle deutlich den Zusammenhang zwischen dem ersten und dem zweiten Teil der Arbeit, zwischen rekursiven, polykontexturalen Beobachtungsverhältnissen in der (politischen) Gesellschaft und der (selbstverschuldeten) Dauerirritation der Politk. Da immer beide Seiten der binären Codierung zum System gehören und wechselseitig aufeinander verweisen, operiert auf der Funktionsebene das System in einem unendlichen Regreß, vom strukturellen Aufbau her ist ein System in der Terminologie des Kapitel I I I genuin "paradox" und muß zur Ausbildung von Identität "entparadoxiert" werden. 28 Dies vollzieht sich über Themen und Programme, an denen sich die Funktion der Machtkommunikation orientiert.
3. Programm und Leistungserstellung Um nicht in reiner Selbstreferenz verfangen zu bleiben, sind soziale Systeme neben ihrer Geschlossenheit auf der Codeebene notwendigerweise offene Systeme auf der Programmebene. So verbietet es sich in der Politik, Macht um ihrer selbst willen zu gewinnen. Vielmehr ist derjenige, der sich um ein politisches Amt bewirbt genötigt, gute Gründe (Programme) dafür anzugeben, warum gerade er und nicht der Gegenkandidat die Befugnis kollektiv bindenden Entscheidens erhalten soll. Die Programmebene garantiert die thematisch-inhaltliche Offenheit des politischen Systems trotz operativer Geschlossenheit. Neben der Redundanz der Operationsebene (alle Kommunikation ist ausnahmslos auf Machtverteilung
26
Die Unterscheidung von "lokaler" und "globaler" Rationalität bei J. Elster (1987): Subversion der Rationalität, S. 36ff. 27
Vgl. Ch.E. Lindblom (1964): The Science of "Muddling Through; in: H.J. Leavitt/ L.R. Pondy (Hrsg.), Readings in Managerial Psychology, Chicago/ London, S. 61-78 (neu abgedruckt in: E. Grochla (1976, Hrsg.): Organisationstheorie, 2. Band, Stuttgart: Poeschel, S. 373-388. 28
Wir wenden damit die Argumentationsfigur des Beobachtungskapitels III auf die Verhältnisse der gesellschaftlichen Funktionssysteme an.
3. Programm und Leistungserstellung
159
hin orientiert) tritt die Varietät und Vielfalt der Themenwahl. Operative Geschlossenheit heißt mitnichten Isolierung und hermetische Abriegelung des Systems nach außen, sondern meint lediglich die systemspezifische Aufnahme und Verarbeitung von Informationen und (im weitesten Sinne) Irritationen. Und eines der Hauptthemen der Politik in den letzten Jahren sind die Auseinandersetzungen um technologisch-ökologische Risiken. Die Codierung der Macht in die Unterscheidung von Macht haben und Macht nicht haben enthält kein Kriterium, die eine Seite vor der anderen zu präferieren; die Regierung ist nicht besser oder moralischer als die Opposition, sondern nur mächtiger. Politik macht auch die Opposition, aber eben eine etwas andere (zumindest in der Darstellung) und das äußert sich in Programmen, in der Themenwahl und -behandlung, sowie in Absichtserklärungen. Erst darüber, erst über die programmatische Öffnung, also über Fremdreferenz, erhält ein politischer Beobachter (z.B. ein Wähler) Kriterien dafür an die Hand, sich für die eine oder andere Seite entscheiden zu können. Politische Programme und Absichtserklärungen "entparadoxieren" die Selbstreferenz der politischen Machtkommunikation. Durch Programme besitzen Systeme kognitive Offenheit, also Sensoren, mit denen sie Außenirritationen aufnehmen und intern als Information weiterverarbeiten. Für die Politik sind das neben Parteiprogrammen auch Themenwahl, Absichtserklärungen und Stellungnahmen. Diese Momente sind in unserer obigen Terminologie "strukturelle Kopplungen" zwischen Politik und Gesellschaft. 29 Programme dienen in der Politik im übrigen auch dazu, für bestimmte Konsequenzen aus anderen Programmen keine Verantwortung übernehmen zu müssen; nicht "die Politik" schlechthin ist verantwortlich, sondern jeweils nur bestimmte, identifizierbare Stellen, nur bestimmte Ämter oder Personen. Über solche Zurechnungen partizipieren die politischen Beobachter und Entscheider an der Machtkommunikation und können so versuchen, durch ihre Programme und Absichten einen Wechsel von Regierung und Opposition herbeizuführen bzw. ihn zu verhindern. Man sieht, wie Codierung und Programmierung ineinandergreifen. In der soziologischen Systemtheorie sind soziale Systeme als zugleich offen und geschlossen zu verstehen. Denn die Momente von Schließung und Öffnung des Systems sind nicht nur komplementär zu denken, so als ob es sich um zwei unabhängige Kategorien handelt, die nebeneinander ko-existieren. Vielmehr lassen sie sich im empirischen Operieren des Systems gar nicht voneinander trennen. Erst und gerade durch die Öffnung schließt sich das System, denn die Politik kann Themen welcher Art auch immer nur politisch behandeln und umgekehrt kann Politik nur anhand von Themen überhaupt beobachtet werden. Selbst-
29
Zum Konzept der "strukturellen Kopplung" vgl. oben das Kap. II.3, S. 52ff.
160
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referenz und Fremdreferenz stehen in einem Konstitutionsverhältnis. Falsch ist es daher, die Ausdifferenzierung funktionaler Teilsysteme so vorzustellen, als bewege sich die Gesellschaft in ihrem historisch-evolutionären Verlauf weg von Fremdreferenz (zum Beispiel auf Religion) hin zu Selbstreferenz: "Politik, so könnte man diese Entwicklung auf eine Formel bringen, stellt von Fremdreferenz auf Selbstreferenz um (...)"· 30 Dagegen liegt eine entscheidende Pointe der Systemtheorie als Differenztheorie gerade darin, beide Momente in ihrer wechselseitigen Bedingtheit anzunehmen. Ein System operiert darüber, daß es als Einheit die Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz intern für Anschlüsse nutzt und sich damit in der Öffnung schließt und in der Schließung öffnet. Personen und Organisationen des politischen Systems machen nichts als Politik, suchen aber in diesem Vollzug die Umwelt ständig auf Themen hin ab, mit denen man Politik machen kann. "Gerade weil das System operativ geschlossen ist, öffnet es sich für Anregungen aus der Umwelt, die aber nur intern, nur in der Form von Politik verarbeitet werden können."31 Durch die programmatische Öffnung nach außen und dadurch, daß Machtkommunikation immer gegenständlich sein muß und anders gar nicht zustande kommen kann, stellt die Politik Leistungen für andere Systeme zur Verfügung, nämlich die materiale Ausprägung von Machtkommunikationen in Form kollektiv bindender Entscheidungen. Die Leistungskategorie bezieht sich auf das Verhältnis der gesellschaftlichen Funktionssysteme untereinander, so das Verhältnis der Politik zur Wirtschaft, zum Recht, zur Wissenschaft, zur Religion, etc. Funktionale Ausdifferenzierung von Systemen führt diese daher in ein janusköpfiges Verhältnis von Interdependenz und Independenz. Independenz heißt die NichtSubstituierbarkeit der Systeme in ihrer Funktionserfüllung. Das heißt, einerseits kann die Politik nicht für andere Systeme einspringen, wenn es zu Störungen kommt und andererseits können andere Systeme nicht das Geschäft der Politik übernehmen. Deshalb muß die Funktionserfüllung der Politik aus ihrer Eigenlogik heraus geschehen und in diesem Sinne ist die Politik (wie alle anderen Funktionssysteme je für sich auch) in ihrer Funktionserfüllung rücksichtslos, eben an sich selbst orientiert. Gerade aber deshalb bekommen die Funktionssysteme andererseits ihre Interdependenz zu spüren, werden sie doch ständig mit Turbulenzen und Irritationen aus ihren Umwelten konfrontiert. So wird die Technikentwicklung durch politisches Entscheiden irritiert und die Technik antwortet in einer Art und Weise, auf die die Politik keinen Direktzugriff hat. Unter steuerungstheoretischen
30
G. Kneer/ A. Nassehi (1993): Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Eine Einführung, München: Fink, S. 130. Betonungen im Original. 31
174.
N. Luhmann (1991d): Ansprüche an die Politik; in: ders., Soziologie des Risikos, S.
3. Programm und Leistungserstellung
161
Gesichtspunkten weist Willke ebenfalls auf den Punkt hin:" Zwei Evolutionsprinzipien werden sich zunehmend wechselseitig zum Problem: zum einen das Prinzip der funktionalen Differenzierung, wonach mit steigender Spezialisierung und thematischer Verengung der Funktionen ihre Interdependenzen zunehmen, weil jeder gesellschaftliche Funktionsbereich nur im Zusammenspiel mit den anderen Teilen eine funktionsfähige Gesellschaft konstituieren kann. Und zum anderen das Prinzip operativer Geschlossenheit, wonach mit steigender Autonomie, Indifferenz und Rekursivität der Subsysteme ihre Independenzen zunehmen, weil mit basaler Zirkularität und Selbstreferentialität diese Bereiche zu "innengeleiteten" Systemen werden, welche sich nur noch schwer von außen beeinflussen und beeindrucken lassen."32 Trotz des Komplementärverhältnisses von Codierung und Programmierung, trotz der Gleichzeitigkeit von Inter- und Independenz bleibt die primäre Orientierung des Systems die an der autopoietisch geschlossenen Funktionserfüllung, sie wird durch die Leistungskategorie nicht graduell abgeschwächt; so schreibt Tyrell: "Zu warnen ist davor, die Interdependenz und den 'Leistungsaustausch' zwischen den Teilsystemen zu eng und zu symmetrisch aufzufassen, und erst recht davor, die Teilsysteme selbst als primär auf den Output von Leistungen hin orientiert oder gar organisiert zu interpretieren". 33 Fast kann man mit Elster sagen, die Leistungserstellung von Systemen ist eigentlich nur als "Nebenprodukt" der Funktionserfüllung zu haben: "Einige psychische und gesellschaftliche Zustände scheinen die Eigenschaft zu besitzen, daß sie nur als Nebenprodukt von Handlungen entstehen können, die zu anderen Zwecken unternommen werden. Das heißt, sie verdanken sich weder kluger Einsicht noch können sie je absichtlich hervorgebracht werden, weil der bloße Versuch dazu den angestrebten Zustand ausschließt."34 Ersetzen wir den Zweckbegriff durch den Funktionsbegriff wird deutlich: Leistungen werden erstellt, weil sich die Funktion veräußern muß. Für das politische System heißt das: Politische Programme sind nichts anderes als die Vergegenständlichung von Machtkommunikation und erklären sich aus dem selbstreferentiellen Verlauf der Politik heraus, vornehmlich aus dem Konkurrenzverhältnis zwischen Regierung und Opposition. Andere Gütekriterien politischen
32
H. Willke (1989): Systemtheorie entwickelter Gesellschaften, Weinheim/ München: Juventa, S. 48. Betonungen im Original. Bleibt anzumerken, daß es in unserer Arbeit nicht um eine graduelle Einflußnahme auf Systeme geht, sondern hier angenommen wird, daß sämtliche Außenkontakte von Systemen konstitutiv über den Mechanismus der strukturellen Kopplung laufen. 33
H. Tyrell (1978): Anfragen an die Theorie der gesellschaftlichen Differenzierung, S.
190. 34
J. Elster (1987): Zustände, die wesentlich Nebenprodukt sind; in: ders., Subversion der Rationalität, Frankfurt a.M./ New York: Campus, S. 141-209 (141).
11 Heidenescher
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Entscheidens wie Rationalität, Besonnenheit, Besorgnis um das Allgemeinwohl, etc. gehören dagegen in den Bereich der politischen Selbstbeschreibung. Fassen wir die letzten Seiten nochmals kurz zusammen, insbesondere um daraufhinzuweisen, welche Konsequenzen das Konzept der Autopoiesis für unser Thema hat und wie sich darüber die spezifische Operationsweise der Politik theoretisch herleiten läßt. Erstens: Die operative Schließung des politischen Systems erzeugt eine Differenz von System und Umwelt. Zweitens ergibt sich daraus die Notwendigkeit, intern zwischen Selbst- und Fremdreferenz zu unterscheiden; dies geschieht mittels der binären Codierung von Macht, die sich im vollentwickelten System der Politik an Ämter bindet. Drittens muß diese Unterscheidung anhand von Programmen und Themen ständig neu justiert werden; dabei sind die Informationen, auf die das System zurückgreift, eigenproduzierte Informationen, die den Filter von Codierung und Programm durchlaufen haben und dann im System Zustandsveränderungen auslösen. Es ist dies der bereits oben verwendete Informationsbegriff von Gregory Bateson. Zur Erinnerung: Man hat es dabei mit zwei Unterscheidungen zu tun, die aufeinander bezogen werden. Denn Unterschiede werden zu jeder Zeit in jedem erdenklichen Ausmaß produziert, aber nicht alle werden von einem System für den nächsten Anschluß genutzt. Nur derjenige Unterschied, der dafür genutzt wird, ist eine Information. Der Informationsbegriff ist also zweiteilig: "Die eine Komponente ist freigestellt, einen Unterschied zu registrieren, der sich als Abweichung von dem einzeichnet, was schon bekannt ist. Die zweite Komponente bezeichnet die daraufhin folgende Änderung der Strukturen des Systems, also die Eingliederung in das, was für die weiteren Operationen als Systemzustand vorausgesetzt werden kann. Es geht, wie gesagt, um einen Unterschied, der einen Unterschied macht". 35 Beide Unterscheidungen sind aber systemspezifisch und das heißt, daß eine Informationsübertragung von System zu System oder von Umwelt zu System unmöglich ist. Viertens kommen wir zu der zentralen Konsequenz dieses Konzeptes: Systeme bauen durch die Unterscheidung zur Umwelt eigene Komplexität auf, die keine Entsprechung in der Umwelt hat. Die Politik bildet so eigendynamisch Kommunikationen aus, die sich vom Außenanlaß abkoppeln und sogar überleben können, wenn dieser ganz wegfällt. Was Politik ist und was nicht, entscheidet jetzt nur noch die Politik selbst.36 Das betrifft nicht nur die Themenwahlen der Politik, sondern auch ihre Binnendifferenzierung durch die Einrichtung neuer Posten und
35 36
N.Luhmann (1995b): Die Realität der Massenmedien, S. 22.
Hierin ist der Grund zu sehen, warum es zuweilen zu politischen Auseinandersetzungen kommt, die groteske Züge annehmen, so z.B. der Konflikt darüber, ob die Sitzordnung im neuen Berliner Reichstag kreisförmig oder elliptisch sein solle; vgl. "Frankfurter Rundschau", 10. März 1995, S. 34: "Kreisförmig oder elliptisch, das war die Frage".
4. Die Binnendifferenzierung der Politik
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Ämter. In der Logik unserer Arbeit erklärt sich die Einrichtung z.B. eines Umweltministeriums aus politischen Gründen, nicht aus ökologischen Gründen. Und die These in unserem Zusammenhang mit technisch-ökologischen Risiken lautet dann: Gerade neue Risiken sind durch ihre Typik und gesellschaftliche Beobachtung besonders gut geeignet, das politische System "anwachsen" zu lassen. Es entwikkelt bezüglich dieser Thematik enorme "Resonanzfähigkeit" und hinterläßt letztlich den Eindruck der Überforderung. Wichtig an dieser Argumentationsstelle ist aber, das Anwachsen der Politik aus dessen autopoietischer Geschlossenheit abzuleiten und nicht dadurch, daß die Welt komplizierter und riskanter geworden ist; das würde die politik-eigene Verarbeitung von Informationen übersehen.
4. Die Binnendifferenzierung der Politik Die binäre Codierung der Macht bedingt, daß es zu technisch-ökologischen Irritationen der Politik nur dann kommt, wenn technisch-ökologische Vorkommnisse politisch, d.h. im Hinblick auf politisches Ämterhandeln kommuniziert werden. Die Spezifikation auf eine Funktion fuhrt einerseits nicht nur zur Verunmöglichung der Fähigkeit, auf Umweltstörungen funktional flexibel und in dem Sinne "umweltverträglich" zu handeln. Denn da nur die eigene Codierung zur Verfügung steht, ist die Kommunikationsweise hinsichtlich technisch-ökologischer Irritationen redundant, also ausschließlich unter Maßgabe der spezifischen Perspektive operierend - eben politisch. Historisch gesehen kommt man zu dem gleichen Ergebnis, wenn man annimmt, daß die Politik ja nicht für die Lösung technisch-ökologischer Unsicherheiten erfunden wurde, sondern in der hier skizzierten, modernen Form funktionaler Differenzierung eine evolutionäre Ausprägung der Verteilung von Ämtern ist, die zum kollektiv bindenden Entscheiden befugen, ohne das gesellschaftlicher Konsens angenommen werden kann. Andererseits wächst gerade durch diese systemspezifische, politische Funktion die Ansprechbarkeit der Politik für Umweltirritationen extrem an, denn unter Annahme der Prämisse von rekursiven, gesellschaftlichen Beobachtungsverhältnissen finden sich in der politisch kommunizierenden Gesellschaft unausweichlich Stellen, die Unsicherheiten (wie zum Beispiel Gefährdungen und Betroffenheit) mit Bezug auf staatliche Stellen und Ämter kommunizieren, und wie die Politik alles Nichtpolitische ignorieren muß, muß sie alles Politische zwingend absorbieren. So hat es die Politik als erster Adressat für Steuerungsaufgaben eher mit zuviel als mit zu wenig Irritation zu tun. Eine Konsequenz dieser Argumentationsweise im Zusammenhang mit ökologischer Kommunikation besteht darin, politische Risikosteuerung nicht als Steuerung des Risikos, sondern als politische Selbststeuerung zu beschreiben. Und politische Selbststeuerung heißt vor allem: Binnendifferenzierung und Wachstum
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VII. Die Analyse des politischen Systems
des politischen Systems; man kann auch von internem Komplexitätsaufbau sprechen. Da ökologische und technische Risiken selbst kein gesellschaftliches Funktionssystem darstellen, wendet sich unser Blick mit diesem Schritt auf die Β innen Verhältnisse der Politik, und die Überlegung besteht darin, daß die Beschaffenheit der internen Differenzierung, insbesondere die Verhältnisse in und zwischen Zentrum und Peripherie, die weitere Differenzierung gestaltet. Die Rationalität der strukturellen Unterscheidung von Zentrum und Peripherie liegt darin, daß die Politik an der Peripherie, also an den Stellen, die selbst nicht kollektiv bindend entscheiden, Komplexität (Vielfältigkeiten in Form und Inhalt) aufbauen kann, ohne die Entscheidungsfahigkeit einzubüßen, da diese an anderer Stelle, eben im Zentrum, stattfindet. 37 Der strukturelle Aufbau der Politik nach Zentrum und Peripherie koppelt zwei Differenzierungstypen, nämlich "Hierarchie" im Zentrum und "Segmentation" in der Peripherie. Das hierarchische Zentrum ist der Ort der kollektiv bindenden Entscheidungen, also Parlament, Regierung und Verwaltung, die segmentär differenzierte Peripherie ist der Ort der Artikulation aller möglichen politischen Interessen als Konkurrenzverhältnisse "unter Gleichen" (Segmentation), wie Parteien, Verbände, soziale Bewegungen, dort muß nicht die Verantwortung des bindenden Entscheidens auf sich genommen werden. 38 Wir haben hier die Unterscheidung von Entscheidungsbefugnis im Zentrum, und die Freiheit aller möglichen Interessensartikulationen in der Peripherie. Es ist dies die Unterscheidung zweier gegensätzlicher Maximen, bei denen es sich in den Worten Max Webers um "Verantwortungsethik" und "Gesinnungsethik" handelt.39 Mithin kann das politische System durch seine Peripherie einerseits anwachsen und Komplexität aufbauen, erhält aber gleichzeitig seine Entscheidungsfähigkeit durch hierarchische Verhältnisse im Zentrum aufrecht. Diese Binnendifferenzierung setzt sich nun je an Zentrum und Peripherie fort, dort durch
37
Zu den Begriffen Zentrum und Peripherie, vgl. N. Luhmann (o.J.): Die Politik der Gesellschaft, unv. Ms., Universität Bielefeld, S.99ff. In einem anderen Sinne benutzt auch J. Habermas diese Unterscheidung mit der Absicht, aus der Peripherie den Kommunikationstypus der "Verständnisorientierung" in das Zentrum der "erfolgsorientierten" Machtpolitik einfließen zu lassen; vgl. J. Habermas (1992): Faktizität und Geltung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 430ff. 38
In ihrer Binnendififerenzierung können die Segmente ihrerseits wiederum hierarchisch oder oligarchisch organisiert sein und angesichts des hohen Organisationsgrades modemer Gesellschaften ist das auch meistens der Fall, wie man an den Parteien sehen kann und wie es von Robert Michels sogar als "eherndes Gesetz" formuliert wurde. Die Unterscheidung in Zentrum und Peripherie wie auch ihre spezifischen Handlungslogiken kann sich also innerhalb der Segmente duplizieren und äußert sich etwa in Auseinandersetzungen zwischen Parteispitze und Basis. 39
Vgl. M. Weber (1958): Politik als Beruf; in: ders., Gesammelte Politische Schriften, Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), S. 493-548 (539f).
4. Die Binnendifferenzierung der Politik
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neue Ministerien und Ämter, hier durch neue Bewegungen, neue Parteien, neue Verbände und Netzwerke, neue Ausdrucksformen oder auch nur durch neue Personen mit neuen Ideen. Die Befreiung der Peripherie von der Verantwortung kollektiv bindenden Entscheidens ermöglicht es ihr, die ganze Palette politischer Interessensartikulationen auszunutzen und damit die Peripherie selbst anwachsen zu lassen und das Zentrum unter Druck zu setzen. Parteien, Verbände, Gruppierungen, Bewegungen und öffentliche Meinung bringen die Politik durch Politik ständig in einen unruhigen Zustand und unter rekursiven Dauerbeobachtungen verschiedener politischer Beobachter. 40 Die Besitzer politischer Ämter oder die Anwärter auf die Ämter können daher bei Strafe ihres politischen Untergangs nicht diejenigen Irritationen übersehen, die an anderer Stelle des Systems längst als politische Themen kommuniziert werden. So etwa, wenn die Regierung ein politisches Thema verpaßt, daß von der Opposition ins Spiel gebracht wird. Der sehr begrenzten Sensibilität und Lernfähigkeit der Funktionssysteme im Hinblick auf die Gesamtgesellschaft steht die extrem hohe Sensibilität im Hinblick auf die eigene, interne Funktionserfiillung gegenüber, und das gilt auch und insbesondere fur die Politik. 41 In dieser Situation ist es für alle an der politischen Kommunikation Beteiligten allemal günstig, Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Denn die Machtcodierung muß sich immer thematisch zeigen und sowohl die Erhaltung von Machtpositionen wie auch ein angestrebter Machtwechsel muß sachliche Kompetenz in Form von programmatischen Entscheidungen demonstrieren. Der Segen der Entscheidungsbefugnis kann so zum Fluch werden, wenn das Recht des Entscheidens zur Pflicht dazu führt. Vor allem sieht man, daß sich der Entscheidungsdruck der Politik vornehmlich aus der Ausdifferenzierung der Ämterstruktur erklärt; die Berücksichtigung der Entscheidungskonsequenzen außerhalb der Politik steht dabei dann auf einem ganz anderen Blatt. Durch die Codierung der Macht und die Bindung der Entscheidungsbefugnis an den Ämterbesitz ist die Politik als Funktionssystem in der Lage, auch dann Entscheidungen zu fällen (und damit z.B. ökologische Risiken in politische umzuwandeln), wenn mögliche Konsequenzen noch ganz im Dunkeln liegen. Historisch betrachtet fielen in der Vorstellung der ständischen Gesellschaft in Person des Souveräns Amt und Rationalität zusammen: Der König entschied klug, weil er König war und er war König, weil er klug entscheiden konnte. Die Trennung
40 Eine weitere Quelle der Anregung des politischen Systems sind die Massenmedien; sofern sie aber als selbstständiges Funktionssystem konzipiert werden, müßte man genauer die strukturellen Kopplungen zwischen Politik und Massenmedien ausarbeiten; vgl. N. Luhmann (1995b): Die Realität der Massenmedien, Opladen: Westdeutscher Verlag. 41
Vgl. N. Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation, S. 210.
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VII. Die Analyse des politischen Systems
von amtlicher Entscheidungsbefugnis und Rationalität tritt erst in der funktional differenzierten Gesellschaft mit Politik als ein über die Differenz von Amt/ NichtAmt ausgebildetes Funktionssystem auf 2 , und es ist von großer Bedeutung, sich diese merkwürdige Trennung von Amt und Kompetenz zu vergegenwärtigen. Durch die beschriebene Struktur der Binnendifferenzierung und die pluralen Beobachtungsverhältnisse fuhrt die Amtsinhabe nicht nur zur Berechtigung kollektiv bindenden Entscheidens, sondern sogar zu der erhöhten Wahrscheinlichkeit, auch dann Entscheidungen zu treffen, wenn die Folgen nicht überblickt werden können. Anders formuliert, entscheidet die Politik "leichtfertig", d.h. mit einem notwendigerweise hohen Grad an Blindheit für eventuelle Konsequenzen an anderen Stellen der Gesellschaft. Und gerade im Fall neuer technisch-ökologischen Risiken liegen die Konsequenzen von Entscheidungen im Dunkeln, denn ihre Merkmale sind unklare Kausalketten, unbekannte Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadengrößen, die Unmöglichkeit einer Zurechnung auf eindeutige Ursachenherde, unklare Betroffenheiten, abstrakt-schleichende Schadensausdehnung, unbekannte Zeit- und Raumhorizonte. 43 Der Grund, dennoch "leichtfertig" politisch entscheiden zu können, liegt letztlich in der Trennung von Codierung und Programmierung begründet. Die Entscheidungsbefugnis ist nur formal gebunden, nämlich an ein Amt, das sich aber unpolitischen Unterscheidungen wie "richtig-falsch", "rational-irrational", "moralisch-unmoralisch" entzieht. Das Amt ist nur der befugte Ort des bindenden Entscheidens, aber kein Garant für richtiges oder besonnenen Entscheiden. Die Trennung von Codierung und Programmierung liefert die strukturelle Grundlage für unseren späteren Gedanken, nämlich den der Überforderung der Politik durch ihren eigenen Operationsmodus. Denn die Ämterstruktur ermöglicht es, daß das politische System sehr leicht durch Umwelteinflüsse irritierbar ist, sehr leicht Themen aufnimmt und in einer Weise intern weiterverarbeitet, die neue Betroffenheiten in der Gesellschaft erzeugt. Im dann notwendig werdenden, nicht enden wollenden Nachsteuern ehemals gesetzter Zwecke gerät das politische System in immer höhere, nicht mehr zu erfüllende, aber "selbst verschuldete" Anspruchniveaus einerseits, in forcierte Binnendifferenzierung andererseits. Einmal angestoßen, gewinnen Themen in Form von Kettenreaktionen ein Eigenleben in der Politik und lösen einen Strukturwandel der Politik aus, etwa in Form der beschriebenen Binnendifferenzierung. 44 Die Eigendynamik der Politik ist der
42 Vgl. N. Luhmann (o.J.): Die Politik der Gesellschaft, unv. Ms. Universität Bielefeld, Kap. 3, S. 39ff. 43 44
Vgl. oben Kap. II.l, S. 29ff.
Strukturwandel im Sinne von "structural drift", vgl. H.R.Maturana/ F.J.Varela (1984): Der Baum der Erkenntnis.
4. Die Binnendifferenzierung der Politik
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operative Ausdruck der autopoietischen Geschlossenheit des Systems. Im Hinblick auf die politische Peripherie provoziert das politische Zentrum durch die Demonstration von Entscheidungsfähigkeit die Entstehung von nur noch mehr Themen und Ansprüchen an sie. Im engeren Zusammenhang mit unserer Risikothematik läuft die Politik dabei Gefahr, durch Mechanismen wie Information und Partizipation genau das zu erzeugen, was sie verhindern will, nämlich Verunsicherung und Angst. 45 In jedem Fall aber erzeugt Politik eine soziale Demarkationslinie zwischen Entscheidern und den von den Entscheidungen Betroffenen. Auch diese Differenzierung ist nurmehr eine weitere Quelle nicht-verhinderbarer Themenakquisition der Politik. Halten wir gegen Ende dieses Abschnitts zwei wesentliche Überlegungen fest. Erstens: Die Politik kennt weder Gefahren und Risiken noch Informationen oder Interessen, sofern sie nicht politisch sind und im Hinblick auf amtliche Entscheidungsbefugnis kommuniziert werden. Diese Momente gibt es für die Politik nur als systemspezifische Informationen, die politisch "einen Unterschied machen" und damit über den strukturellen Aufbau des politischen Systems entscheiden. Zweitens: Die Binnendifferenzierungen des politischen Systems und seine eigendynamischen "structural drifts" erklären sich aus der operativen Geschlossenheit der Politik. Von Steuerung, etwa technisch-ökologischer Problemlagen, spricht die Systemtheorie daher nur in Bezug auf das steuernde System selbst. Wenn die Politik in andere Systeme eingreift und dort Wirkungen auslöst, steuert es sich in diesem Vollzug ausschließlich selbst, indem es seinen Operationsmodus, nämlich Machtkommunikation, aktualisiert und in strukturell bestimmter Weise reproduziert. Steuerung wird hier verstanden als Selbststeuerung. Die technisch-ökologischen Risikolagen werden also von der Politik nicht gesteuert, sondern genutzt, um die binäre Codierung von Macht programmatisch zu handhaben und Politik "mit Leben" zu erfüllen. Evolutionstheoretisch liegt dem eine Vorstellung zugrunde, die nicht mehr von der Notwendigkeit einer maximalen Anpassung eines Systems an seine Umwelten, also dem "survival of the fittest", ausgeht. Der Systemaufbau und die Aufrechterhaltung von Anschlußfähigkeit vollzieht sich statt über möglichst perfekte Anpassung an Umwelten vielmehr über die Herausbildung eigener Strukturen. Diese werden von ihren Umwelten zwar irritiert, aber die Reaktion darauf kann nicht eigentlich Anpassung genannt werden, da sie sich allein nach Maßgabe der eigenen Strukturen vollzieht. Dazu Luhmann: "Die primäre Zielsetzung autopoietischer Systeme ist immer die Fortsetzung der Autopoiesis ohne Rücksicht auf Umwelt, und dabei wird der nächste Schritt typisch wichtiger sein als die Rück-
45 Vgl. dazu N. Luhmann (1986): Angst, Moral und Theorie; in: ders., Ökologische Kommunikation, S. 237-248 (237ff).
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VII. Die Analyse des politischen Systems
sieht auf Zukunft, die ja gar nicht erreichbar ist, wenn die Autopoiesis nicht fortgesetzt wird". 46 Die Entscheidungsbedingungen durch die Binnendifferenzierungen sowie die Entscheidungsgelegenheiten durch Themen- und Irritationsvielfalt sind für die Reproduktion der Politik extrem "günstig", vielleicht zu günstig. Wir kommen daher zu der Diagnose einer selbstverschuldeten Überforderung der Politik; diese verdankt ihren Zustand gewissermaßen einem übertriebenen "Interesse an sich selbst" (Offe) und das unter Bedingungen einer Gesellschaftsstruktur, in der die Politik ihre zentrale Rolle der Gestaltung und Steuerung eingebüßt hat.
5. Der Verlust des gesellschaftlichen Zentrums Wie ist das Mißverhältnis von in Anspruch genommener Steuerungskompetenz und tatsächlicher Regulierungstiefe der Politik erklärbar? Da sind zunächst einmal historische Gründe zu nennen. In stratifizierten Gesellschaften galt in der Tat die Politk als "Kopf* der Gesellschaft. Diese Vorstellung hat sich bis heute trotz aller gesellschaftlicher Veränderungen gehalten."Nach alter Tradition wird auch heute noch für Politik eine Ausnahmestellung beansprucht (...) In der corpus-Metaphorik wurde sie mit dem Kopf oder mit der Seele identifiziert. In anderen Bildern nahm sie die Position der Spitze oder des Zentrums des Systems ein. Noch heute wird gesellschaftliche Integration oder Lösung aller anderswo nicht lösbaren Probleme zentral von der Politik erwartet." 47 Diese gesellschaftlichen Erwartungen bestehen einerseits mit Fug und Recht, denn die Politik ist schließlich das einzige Funktionssystem, das kollektiv bindend entscheiden kann und daher zur Gestaltung der Gesellschaft berufen ist. 48 Andererseits muß man, wie im vorherigen Abschnitt gezeigt wurde, berücksichtigen, daß die Entscheidungsbefugnis nur formal verankert und lediglich an den Besitz eines politischen Amtes gebunden ist, d.h. unabhängig von weiteren Qualifikationen und Kompetenzen besteht. Die angesprochenen gesellschaftlichen Veränderungen bestehen vor allem in der Struktur der funktionalen Differenzierung. Zur Erinnerung: Funktionale Differenzierung heißt, daß die Differenzierung der gesellschaftlichen Funktionen exklusiv erfolgt. D.h. die Politik kann nicht andere Funktionen als politische übernehmen und andere Systeme können nicht Politik machen. Auf der Gesell-
46
N. Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation, S. 38.
47
N. Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation, S. 167f.
48
Vgl. R. Mayntz (1987): Politische Steuerung und gesellschaftliche Steuerungsprobleme - Anmerkungen zu einem theoretischen Paradigma; in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1, S. 89-110.
5. Der Verlust des gesellschaftlichen Zentrums
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schaftsebene hat das zur Folge, daß die Politik ihre Position als Zentrum verliert, da ihre Funktion nurmehr eine unter anderen ist und sie andere Funktionen nicht ersetzen kann. Auf der Ebene des Funktionssystems selbst gibt es jetzt keine Grenzen der Funktionserfüllung mehr, konkurrenzlos entscheidet die Politik intern darüber, was zum politischen Gegenstand gemacht wird, ein Mechanismus, der vor allem durch die genannte Binnendifferenzierung in Gang gehalten wird. Die funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften, die Binnendifferenzierung der Politik und die Adressierbarkeit aller möglichen Themen an genau das System, das allein kollektiv bindend entscheiden kann, hat zur Folge, daß es dort kaum einen Schutz vor einer Themenflut gibt und daher sucht man "vergeblich (...) nach einem einschränkenden Katalog von Staatsaufgaben (...) oder nach qua Natur oder Gesellschaft feststehenden Grenzen der Staatstätigkeit: Die Politisierung von Problemen ist Sache der Politik. Das politische System ist ein selbstreferentiell geschlossenes System, und was immer es als Politik definiert, ist damit Politik. Und genau diese Geschlossenheit macht sie empfindlich für alle möglichen Zumutungen".49 Die Steuerungserwartungen an die Politik (auch und gerade aus der Politik selbst) legt also eine Gesellschaftsstruktur zugrunde, die durch die funktionale Differenzierung als primäre Differenzierungsform längst überholt ist; die Überforderung der Politik findet so ihren Grund letztlich in einem Anachronismus. "Das Gesamtbild, das sich damit abzeichnet, läßt sich als Selbstüberforderung des politischen Systems charakterisieren (...) Vor allem muß mitberücksichtigt werden, daß es für genau diese Selbstüberforderung des politischen Systems gesellschaftsstrukturelle Gründe gibt, die so gut wie irreversibel festliegen." 50 Das die Ansprüche an die Politik an dieser gesellschaftsstrukturellen Entwicklung vorbei gestellt werden, läßt sich eigentlich nur mit deren Alternativlosigkeit begründen, denn wer anders als die Politik sollte die wichtigen Gestaltungs- und Steuerungsaufgaben übernehmen. Das soll nicht als normative Aufforderung an die politische Peripherie mißverstanden werden, zur Lösung des Problems möglicher Überforderung der Politik Zurückhaltung zu üben und durch "Schweigen zu entgiften" (Beck). Bezeichnet ist mit dem Argument lediglich der Mechanismus, nach dem die Politik operiert und sich zuweilen "überhitzt" (Luhmann). Grundsätzlich findet die Überforderung des politischen Zentrums darin ihren Grund, daß sowohl das Zentrum (Amts-Macht) selbst, als auch die politische Öffentlichkeit der Peripherie die funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft unberück-
49
N. Luhmann (1991d): Ansprüche an die Politik; in: ders., Soziologie des Risikos, S.
171f. 50
N. Luhmann (1982): Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, München/ Wien: Olzog, S. 152. Betonung im Original.
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VII. Die Analyse des politischen Systems
sichtigt lassen (müssen) und die Politik - nach "alteuropäischer" Manier - an die Spitze der Gesellschaft rücken und sich infolgedessen Ansprüche an immer derselben Stelle ansammeln. Abwehrmechanismen sind dabei mangels Alternative nicht in Sicht und durch eine Erklärung von Nichtzuständigkeit entzöge sich die Politik schnell jeder Legitimationsgrundlage. In diesem Zusammenhang ist die sensible Nähe von Politik und Technik interessant. Der selbstreferentiell bedingte Trend der Politik, Steuerungsfähigkeit in Anspruch zu nehmen, fällt besonders im Zusammenhang mit technisch-ökologischen Risiken auf einen nahrhaften Boden. Denn, so hatten wir gesagt, Technik basiert auf Simplifikationen und funktioniert unter Ausblendung einer Vielzahl tatsächlicher und möglicher Kausalitäten. Erst recht hat dann die Politik nur lückenhafte Anhaltspunkte für politische Regulierungsmaßnahmen hinsichtlich technischer Entwicklungen. Technik und Politik versorgen sich wechselseitig mit Irritationen und sorgen so für Anschlüsse im je anderen System. Politik debattiert über technologische Entwicklungen und läßt diese zu oder verbietet sie und Technik beliefert durch immer neue Entwicklungen die Politik mit immer neuem Diskussionsstoff. Welche technischen Entwicklungen mit welchen Risiken schließlich zu politischen Themen werden, wird politikintern gesteuert. Unsere nächste Frage muß nun lauten, was diese Befunde für eine umweltpolitische Steuerung neuartiger Risiken bedeuten. Zur Steuerung technisch-ökologischer Entwicklungen nimmt die Politik das regulative Recht in Anspruch und demgemäß besteht unser nächster Argumentationsschritt darin, die Seite des Rechts nachzuzeichnen und zwar erstens im Sinne von Leistungseinbußen regulativer Politik durch das Phänomen der Verrechtlichung sowie zweitens durch die gegenläufige Tendenz der Staatsentlastung durch informelles Verwaltungshandeln im vorrechtlichen Raum. Ebenso wird die Entwicklung des Rechts vom "Polizeirecht" zum modernen Verwaltungsrecht in den Zusammenhang um die Staatsaufgabe der Risikovorsorge gestellt.
V i l i . Einrichtungen der Risikobearbeitung 1. Regulatives Recht und Verrechtlichung Die herkömmliche und immer noch primäre Institution politischer Steuerung ist das regulative Recht.1 Es operiert vor allem mit Ver- und Geboten bzw. der Androhung von Sanktionen und wird umgesetzt durch eine Verwaltung als hoheitliche Eingriffsverwaltung. Dessen zentrale Grundlage (auch in der Umweltgesetzgebung) ist das Polizeirecht und dessen epistemologische Annahme eines Kausalmodells der individuellen Zurechenbarkeit von Gefahren auf identifizierbare Handlungen. Im folgenden haben wir es mit zwei Problemen regulativen Rechts zu tun, die auch und vor allem im Zusammenhang mit der Umweltgesetzgebung auftreten und vor dem Hintergrund neuartiger Risiken die Folie für Reformvorschläge des Rechts abliefern. 2 Es sind dies die Probleme der Verrechtlichung als endogen bedingte Folgeerscheinung der Inanspruchnahme regulativen Rechts einerseits und die Unangemessenheit eines auf Kausalvorstellungen basierenden Polizeirechts andererseits. Verrechtlichung als das Anwachsen rechtlicher Regelungen lebensweltlicher Vorgänge durch das politische System zum Zwecke der Steuerung umfaßt die Momente der Zunahme der Regelmenge, der Zunahme der Regelungsdichte (externe Verrechtlichung) und der Zunahme der Regelungstiefe (interne Verrechtlichung). 3 Die Verrechtlichung tritt in verschiedenen Erscheinungsformen auf, vor allem als Vergesetzlichung in Form von Gesetzesfluten und als "Bürokratisierung" zunehmender Verwaltungstätigkeiten. Als Entstehungsgründe für Verrechtlichung kommen verschiedene Faktoren in Betracht, so neben der zunehmenden Komplexität und Konfliktträchtigkeit gesellschaftlicher Beziehungen und der Zunahme rechtsförmiger Auseinandersetzungen ein endogener Selbstverstärkungseffekt, der dadurch
1
Vgl. R. Voigt (1988): Recht als Instrument staatlicher Steuerung, HiMoN-Sammelband S4 ("Historische Mobilität und Normenwandel"), Forschungsschwerpunkt der Universität Siegen, Siegen: University Press. 2 3
Vgl. zu Reformvorschlägen einer neuen regulativen Politik das Kapitel X.
Vgl. R. Wolf (1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft; in: Leviathan 15, S. 357-391.
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VIII. Einrichtungen der Risikobearbeitung
ausgelöst wird, daß gerade durch die quantitative Zunahme an Regeln die Durchsetzungsfähigkeit je einzelner Rechtsnormen abnimmt und weitere Ansprüche und weitere Verrechtlichungsschübe losgetreten werden. Für die Verwaltung entstehen daraus nun einige Probleme, namentlich erstens das Problem der "Überkomplizierung", d.h. der Existenz und der möglichen Berücksichtigung zu vieler, eventuell in Betracht kommender Rechtsnormen und zweitens das Problem der "Übersteuerung", d.h. der notwendigen Durchführung von Programmen zur Aufrechterhaltung eigener Handlungsfähigkeit in komplexer, intransparenter Sachlage, auch um den Preis der möglichen Unangemessenheit der Programme. Durch die strukturelle Überlastung aufgrund der Existenz "zu vieler" Normen und die durch die Vielzahl unterschiedlicher, möglicherweise anzuwendender Rechtsnormen bedingten Mehrdeutigkeiten steht das Recht und die regulative Politik vor einer ganzen Reihe von Problemen, die deren Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen.4 Die Informationsprobleme sind die mit am häufigsten genannten Defizite regulativer Politik und meinen das lückenhafte oder fehlende Wissen staatlicher Stellen im Hinblick auf den Steuerungsgegenstand und die kognitve Überforderung der Verwaltung in technisch-naturwissenschaftlicher Hinsicht. Zweitens sind zu nennen die Implementationsprobleme, sie bestehen in der problematischen oder verhinderten Durchführbarkeit von politischen Programmen. 5 Dies kann etwa dadurch bedingt sein, daß Entscheidungen in ihrem weiteren verwaltungstechnischen Verlauf vielfach gebrochen und abgelenkt werden. 6 Vor allem auch deshalb, weil die Normadressaten, statt sich als Befehlsempfänger zu verstehen, selbst politische Potentiale bereithalten und entsprechend die Kommunikation zwischen Vollzugsbehörden und Normadressaten die Form von Aushandlungsprozessen annimmt.7 Man spricht auch von "Befolgungsdefiziten", 8 die besagen, daß die Adressaten politischer Steuerung die Regelbefolgung unter Umständen verweigern oder zumindest potentiell dazu in der Lage sind. Dies können sie als Drohpotential gegen die regulative Politik prophylaktisch demonstrieren. Eisenstadt spricht von Entbürokratisierung: "Here there is subversion of the goals and activities of the bureaucracy in the interests of different groups with
4
Vgl. Voigt (1988): Recht als Instrument staatlicher Steuerung, S. 38.
5
Vgl. R. Mayntz (1977): Die Implementation politischer Programme. Theoretische Überlegungen zu einem neuen Forschungsgebiet; in: Die Verwaltung 10, S. 51-66. 6
Vgl. R. Voigt (1988): Recht als Instrument staatlicher Steuerung, S. 6. Voigt spricht in diesem Zusammenhang von "Vollzugsdefiziten"; für Vollzugsdefizite im Zusammenhang mit Umweltrecht vgl. Voigt (1988), S. 38. 7
Vgl. R. Mayntz (Hrsg.; 1980): Implementation politischer Programme: Empirische Forschungsberichte, Königstein/Ts: Athenäum. 8
Vgl. R. Voigt (1988): Recht als Instrument staatlicher Steuerung, S. 6.
1. Regulatives Recht und Verrechtlichung
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which it is in close interaction (clients, patrons, interested parties)...In the case of debureaucratization the various outside non-bureaucratic roles impinge on the bureaucratic role to an extent which tends to minimize the specificity of the bureaucratic roles and the relative autonomy of the bureaucratic rules in the implementation of goals and in the provision of services."9 Die Probleme regulativer Politik gipfeln in der Etikettierung von Politik als Staatsversagen. "Das Staatsversagen in der umweltschutzbezogenen Techniksteuerung ergibt sich aus Strukturdefiziten einer interventionistischen Rechtskontrolle". 10 Trotzdem tritt das Phänomen der Verrechtlichung auch und gerade in der Umweltschutzgesetzgebung auf, denn verbreitet ist die "(...) Überzeugung vom zunehmenden Bedarf an rechtlicher Steuerung. Insbesondere in der Forderung nach immer weiter ausgreifender und inhaltlich stringenter werdender Umweltschutzgesetzgebung manifestiert sich das Vertrauen in das positive Recht, das für risikoreiche technische Entwicklungen Maß und Ziel vorgeben solle".11 Insbesondere drei Säulen sind es, mit denen die polizeirechtlich orientierte Eingriffsverwaltung umweltschutzpolitisch operiert. Erstens die Genehmigungsverfahren, wonach das Betreiben gefährlicher Anlagen behördlich genehmigt werden muß. Für die deutsche Geschichte der Techniksteuerung sind die Dampfkesselverordnung von 1831 und die preußische Gewerbeordnung von 1845 bahnbrechend, die alle gefahrlichen Anlagen unter polizeiliche Kontrolle und den Vorbehalt behördlicher Genehmigung stellen. Das zweite Instrument sind die Überwachungs- und Sanierungsbefugnisse der Verwaltung, d.h. die Ermöglichung nachträglicher Auflagen, der Möglichkeit des Widerrufs von Genehmigungen sowie behördliche Sanktionsmöglichkeiten gegen einen identifizierten Schadensverursacher. Dabei bleibt zunächst die Problematik unberücksichtigt (die uns aber noch beschäftigen wird), daß nämlich die Politik in der technischen Normsetzung überfordert ist, Kontrollen und Sanktionsandrohungen daher nicht hinlänglich möglich sind und bei neuartigen Risiken ein Verursacher oft nicht eindeutig identifiziert werden kann. Als dritte Säule für behördliches Eingreifen bleibt trotzdem der Eingriffstatbestand der Gefahrenabwehr auf Grundlage des Verursacherprinzips entscheidend: "Liegt eine Gefahr im Sinne der bewährten polizeirechtlichen Definition als erkennbare, objektive, nicht-entfernte Möglichkeit des Schadenseintritts vor, ist auch im Umweltschutz behördliches Eingreifen kategorisch geboten".12 Zusätzlich zur
9
S.N. Eisenstadt (1959): Bureaucracy, Bureaucratization, and Debureaucratization; in: Administrative Science Quarterly 4 (1), S. 302-320 (32If). 10
H. Voelzkow/J. Hilbert/R.G. Heinze(1987): Regierung durch Verbände; in: Politische Vierteljahresschrift 28 (H.l), S. 80-100 (82). 11
R. Wolf (1987), Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 358.
12
R. Wolf ( 1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 362.
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VIII. Einrichtungen der Risikobearbeitung
Gefahrenabwehr tritt im modernen Umweltrecht als vierte Säule der Grundsatz der Vorsorge. Er senkt die Eingriffsschwellen regulativer Umweltpolitik und soll einen gefahrenunabhängigen, präventiven Schutz ermöglichen. Dabei ist der Gegenstand "Risiko" in der Risikovorsorge selbst unklar; Risiko taucht zwar auch in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik und Rechtsprechung seit einiger Zeit auf, seine Konturen gegenüber dem klassischen, polizeirechtlichen Gefahrenbegriff ist aber unklar: "Risiko ist weniger als Gefahr und mehr als Zufall". 13 Wir haben es also im folgenden neben dem Eingriffstatbestand der Gefahrenabwehr mit dem Prinzip der Risikovorsorge als Staatsaufgabe zu tun.
2. Von der Gefahrenabwehr zur Risikovorsorge Was heißt nun, die Grundlage des behördlichen Eingreifens sei das Kausalmodell des "Polizeirechts"? Die traditionelle Aufgabe des Polizeirechts ist die Gefahrenabwehr: "(Sie) zielt auf die 'Wiederherstellung einer gestörten Ordnung, deren Gesetzmäßigkeit auf der Grundlage der deterministischen Annahmen der klassischen Physik erkennbar erschien". 14 Das Polizeirecht geht aus von einem Verweisungszusammenhang zwischen einem gesellschaftlichen, auf Erfahrung basierendem Wissensbestand von Wahrscheinlichkeitsannahmen über lineare Kausalketten einerseits und auf individueller Zurechenbarkeit basierende Rechtsnormen andererseits. Die Festsetzung einer Gefahrengrenze läuft also über die Kategorie des "durchschnittlichen Erfahrungsschatzes". 15 Es ist dies noch die Bilrokratievorstellung Max Webers, wonach die Rationalität der Verwaltung u.a. im Fachwissen der Beamten begründet liegt: "Man hat nur die Wahl zwischen 'Bureaukratisierung 1 und 'Dilettantisierung' der Verwaltung und das große Mittel der Überlegenheit der bureaukratischen Verwaltung ist: Fachwissen, dessen völlige Unentbehrlichkeit durch die moderne Technik und Oekonomik der Güterbeschaffung bedingt wird (...)". 16 Die erkenntnistheoretische Grundlage der polizeilichen Gefahrenabwehr und der zugrunde gelegten Wahrscheinlichkeitsannahmen bildet das klassische Ordnungsmodell der Naturwissenschaften. Danach verlaufen natürliche und
13
K.-H. Ladeur (1993): Risiko und Recht. Von der Rezeption der Erfahrung zum Prozeß der Modellierung; in: G. Bechmann (Hrsg.), Risiko und Gesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 209-233 (209). 14
U.K. Preuß (1994): Risikovorsorge als Staatsaufgabe; in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, Baden-Baden: Nomos, S. 523-551 (523). 15
K.-H. Ladeur (1987): Jenseits von Regulierung und Ökonomisierung der Umwelt: Bearbeitung von Ungewißheit durch (selbst-)organisierte Lernfähigkeit - eine Skizze; in: Zeitschrift für Umweltpolitik (ZfU) 1, S. 1-22 (8). 16
M. Weber (1980): Wirtschaft und Gesellschaft, S. 128. Betonung im Original.
2. Von der Gefahrenabwehr zur Risikovorsorge
175
technische Systeme kausal-linear, kontinuierlich und entsprechend vorhersehbar und erlauben eben dadurch Rückschlüsse von der Vergangenheit auf die Zukunft: Sie ermöglichen Erfahrung. Zu der Voraussetzung des Verweisungszusammenhangs von Erfahrung und Wissen liest man bei Ladeur: "Er ist begründet in einem linearen Gleichgewichtsmodell, dessen praktische Seite von der Lebenserfahrung gebildet wird und das sich in der grundlegenden Selbstinterpretation der Gesellschaft als einer 'Gesellschaft der Individuen', aber auch im analytischen Wissenschaftsmodell (hierarchischer Aufbau der Welt aus Elementen, die nach stabilen zeitunabhängigen Gesetzmäßigkeiten zu einer Ordnung zusammengefügt sind) niederschlägt". 17 Dieser Erfahrungsschatz ist nun im Zusammenhang mit neuen technischen Systemen abhanden gekommen, denn es handelt sich um dynamische Systeme und "(...) dynamische Systeme sind 'stets auf dem Weg ins Chaos' (...), wobei der Begriff des Chaos ihre Eigenart meint, an Verzweigungspunkten unvorhersehbare Bahnen einzuschlagen und etwas Neues hervorzubringen (...) Veränderungen vollziehen sich nicht linear, sondern sprunghaft, abrupt und überraschend, 'die scheinbar unbedeutenden Start- und Verlaufsbedingungen können (lange unerkannt) zu radikalen Systemveränderungen heranwachsen ...". 18 Unter Bedingungen dynamischer Systeme bedeutet der Akt, die Zukunft in die Gegenwart zu holen (also die Beobachtung der "zukünftigen Gegenwart", die eben etwas anderes sein kann als die "gegenwärtige Zukunft") nicht Sicherheit (wie im kausaltheoretischen Modell), sondern Unsicherheit. Die Folgen sind eine ökologische Kommunikation als Protest, ein neues Verwaltungshandeln, das nicht mehr basiert "(...) auf der über historische Ereignisse gewonnenen Erfahrung" 19 und schließlich die neue Staatsaufgabe der "Risiko Vorsorge". Als rechtliches Prinzip ist "Vorsorge" vor allem im Umweltschutzrecht avanciert. Prinzipiell impliziert der Vorsorgebegriff anders als die Gefahrenabwehr eine Zukunftsorientierung. Statt der reaktiven Wiederherstellung einer gegebenen, aber gestörten Ordnung umfaßt Risikovorsorge die aktive Gestaltung eines neuen Umgangs mit Technikanwendung und Ressourcennutzung. Anders als die Gefahrenabwehr des Polizei- und Ordnungsrechts verlangt die Risiko Vorsorge "(...) die aktive und planvolle Gestaltung eines komplexen, sozio-technischen Bedingungs-
17
K.-H. Ladeur (1993): Risiko und Recht, S. 210.
18
U.K. Preuß (1994): Risikovorsorge als Staatsaufgabe, S. 533. Zeitlich lineare Verläufe in der Geschichte können sowohl für die Wiederherstellung einer gegebenen Ordnung (Polizeirecht) als auch für Fortschrittsglaube stehen, beide basieren auf Kausalität. Unser Punkt dagegen ist die Diskontinuität und Sprunghaftigkeit von Systemen in der Zeit; vgl. dazu U.K. Preuß (1994), S. 535. 19
K.-H. Ladeur (1994): Recht und Verwaltung; in: K. Dammann/ D. Grunow/ K.P. Japp (Hrsg.), Die Verwaltung des politischen Systems, Opladen: Westdeutscher Verlag, S.99-107 (103).
176
VIII. Einrichtungen der Risikobearbeitung
geflechts, in dem technische, ökonomische und rechtliche Elemente vielfältig ineinander verwoben sind". 20 Das Vorsorgeprinzip impliziert für staatliches Handeln "gefahrenunabhängige Sicherheitspflichten", es setzt an möglichen Schadensquellen an und "(...) zielt auf eine Beeinflussung menschlichen Verhaltens im Sinne einer Schadensvermeidung durch hoheitlich-regulierenden Zugriff auf die Gefahrenherde". 21 Vorsorge "(...) dient einmal zur Vorbehaltung von Reservekapazität für neu hinzutretende Umweltbelastungen (die sonst die Gefahrengrenze zu überschreiten drohen) und zur Bearbeitung einer verbleibenden Ungewißheit ('Restrisiko')". 22 Die Staatsaufgabe "Risikovorsorge" umfaßt also den Schutz der Umwelt oder der Gesundheit unterhalb der Gefahrengrenze (d.h. etwa durch diffuse Summierung von Emissionen ohne eindeutige Verursachungskette) oder unterhalb derjenigen Eintrittswahrscheinlichkeit, die einen Schutzgedanken erforderlich macht. Durch die soeben angesprochenen Probleme des regulativen Rechts wird die Unangemessenheit, ja die Unmöglichkeit einer Verrechtlichung dieser Staatsaufgabe deutlich. Daher besteht das Hauptinstrument dieses Prinzips aus sogenannten "Generalklauseln" als unbestimmte Rechtsbegriffe. 23 Denn Generalklauseln enthalten Formulierungen, die erfahrungsunabhängige Sicherheitsstandards ansprechen und den Gefahrenbegriff ausweiten, so etwa die Formeln von den "allgemein anerkannten Regeln der Technik" und vom "Stand von Wissenschaft und Technik" 24 . Sicherheitsvorkehrungen haben sich bei letzterem nicht nur an dem technisch Machbaren zu orientieren, sondern danach, was nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird. 25 Gefahren werden jetzt nicht mehr nur eingeschätzt nach erfahrungsbasierten Versuchs-Irrtum-Wissen, sondern basieren auf der Konstruktion und Berechnung von Ereignis- und Fehlerbäumen und Szenarien. Durch die Generalklauseln wird das Erfahrungswissen ersetzt durch technisch-wissenschaftlichen Sachverstand. So ist die regulative Politik auf die Mitwirkung des naturwissenschaftlich-technischen Sachverstandes der technischen Verbände angewiesen.26 "Die unbestimmten Rechtsbegriffe bedürfen im Einzelfall
20
U.K. Preuß (1994): Risikovorsorge als Staatsaufgabe, S. 537.
21
U.K. Preuß (1994): Risikovorsorge als Staatsaufgabe, S. 538.
22
K.-H. Ladeur (1987): Jenseits von Regulierung und Ökonomisierung der Umwelt,
S. 8. 23
Vgl. dazu H. Voelzkow/ J. Hilbert/ R.G. Heinze (1987): Regierung durch Verbände, S. 86. 24
Vgl. §7 Abs.2 Nr.3 AtomG.
25
Vgl. K.-H. Ladeur (1993): Risiko und Rechts, S. 212.
26
Zu der verbandlichen Techniksteuerung vgl. unten den Pkt. VIII.4 "Die Techniksteuerung durch Verbände".
2. Von der Gefahrenabwehr zur Risikovorsorge
177
der Konkretisierung, um Entscheidungen darüber, ob z.B. eine bestimmte Anlage den rechtlich-normativen Standards entspricht, überhaupt zu ermöglichen. Diese Regelungslücke wird in der Praxis häufig durch Arbeitsergebnisse technischwissenschaftlicher Vereine, also nicht-staatlicher Organisationen, geschlossen.27 Die Generalklauseln von "Stand von Wissenschaft und Technik" oder den "allgemein anerkannten Regeln der Technik" führen damit einerseits über die punktuelle Gefahrenabwehr zwar hinaus und sind orientiert an der Gewährleistung des "genehmigungspflichtigen Normalbetriebs". An dem kausalen Verweisungszusammenhang vom Erfahrungswissen über die individuelle Zurechnung von Verantwortung hin zur Intervention der Verwaltung hat sich aber andererseits im Prinzip nichts geändert. Denn damit das Vorsorgeprinzip nicht ins uferlose ausgedehnt wird, müssen die Gefahren, auf die es sich bezieht, ein Mindestmaß an Realität aufweisen, sie müssen immerhin denkbar sein. "Die Frage aber ist, wann ein Risiko nicht mehr 'denkbar' ist". 28 Insbesondere gilt das Vorsorgeprinzip in dem Zwischenbereich von Gefahr und Restrisiko "(...) für Schadensmöglichkeiten also, die weniger als 'hinreichend wahrscheinlich' sind, aber noch diesseits der Grenze 'praktischer' Vorstellbarkeit liegen".29 Andererseits wird in den Rechtsbestimmungen Vorsorge gegen Einwirkungen und Strahlenschäden nur im Hinblick auf "Störfälle" gefordert, nicht im Hinblick auf "Unfälle". Störfälle sind dabei Störungen des bestimmungsmäßen Normalbetriebs, die schädliche Wirkungen haben können, also betriebliche Gefahrenquellen wie das Freisetzen von Giften oder umweltgebundene Gefahrenquellen wie Erdbeben. "Unfälle" dagegen sind Gefahrenquellen, die nach Maßgabe "praktischer Vernunft" ausgeschlossen werden können (unglückliche Verkettung von Umständen, unbekannte Synergieeffekte, Krieg, Sabotage). Zweifelhaft ist also, ob das Vorsorgeprinzip auch im Hinblick auf Zufälle und unglückliche Verkettungen von Umständen anzuwenden ist. 30 Dabei richtet sich die Kategorie der "praktischen Vernunft" nach Wahrscheinlichkeitsannahmen oder, wo diese fehlt, nach subjektiven Plausibilitätsannahmen. Damit kommt die Kategorie des Erfahrungswissens durch die Hintertür wieder in die staatliche Sicherheitskonzeption hinein. Es ist dies noch das alte Kausalmodell, wonach Unfälle unvorhersehbare, kausale Ereignisse sind, nicht aber Resultat dynamischer, diskontinuierlicher, abrupter Systeme, wobei doch gerade "(...) das geringe Wissen über die Interaktionen zwischen technischen, natürlichen und sozialen Systemen
27
H. Voelzkow/ J. Hilbert/ R.G. Heinze (1987): Regierung durch Verbände, S. 86.
28
U.K. Preuß (1994): Risikovorsoge als Staatsaufgabe, S. 539.
29
U.K. Preuß (1994): Risikovorsorge als Staatsaufgabe, S. 540.
30
So Ch. Perrow (1989): Normale Katastrophen, S. 87ff.
12 Heidenescher
178
VIII. Einrichtungen der Risikobearbeitung
eine Folge der epistemologischen Grenzen des linearen Kausalmodells darstellt". 31 Nicht-kalkulierbare Überraschungen werden damit aus dem Risiko- und Vorsorgekonzept ausgeschlossen. Unsere Annahme darüber, warum das Konzept der Risikovorsorge im Zusammenhang mit den neuartigen Gefährdungen des technischwissenschaftlichen Fortschritts denn auch versagen muß, liegt für uns (wie im ersten Hauptabschnitt der Arbeit ausführlich dargelegt) gesellschaftstheoretisch gesehen in einer kulturell bedingten Polykontexturalität moderner Gesellschaften und eine darin begründete veränderte, extrem variable Form der Kommunikation von Schadensmöglichkeiten.32 Denn auf die Frage, welches Risiko "denkbar" ist, muß man in einer differenzierten, "polykontrexturalen", über Massenmedien vermittelten Gesellschaft antworten: fast alles. Immerhin zeigte unsere Analyse im ersten Teil der Arbeit, daß die Beobachtung (im Sinne von Kommunikation) von Risiken unabhängig von technisch-wissenschaftlichem Sachverstand verläuft und ohnehin die Wissenschaften nicht mehr als Garant verläßlicher Erkenntnis gelten. Die vermeintlich verbürgte Sicherheit durch Grenzwerte 33 oder die Sicherheitszusagen der Experten stoßen schließlich zunehmend in der Öffentlichkeit auf Skepsis. Hinzu kommt übrigens das Argument, daß die Risikovorsorge anders als die Gefahrenabwehr ein mehrdimensionales Konzept ist, denn "(...) es müssen der konkrete Aufwand für die Vermeidung des Risikos, die 'Irrtumskosten', der konkrete Nutzen der von den Privaten verfolgten Interessen, das Gewicht des Risikos etc. in Beziehung gesetzt werden". 34 Die Begriffe, die diese Beziehung bezeichnen sollen sind die der "wirtschaftlichen Vertretbarkeit 11 oder der "Verhältnismäßigkeit". Damit verliert der Vorsorgegesichtspunkt in punkto Risikobearbeitung natürlich an Eindeutigkeit und Durchschlagskraft. Auch das um "Vorsorge" erweiterte Sicherheitskonzept regulativer Politik kann letztlich die Diskussion um das Staatsversagen nicht zum Verstummen bringen. "'Regelungsdefizite' und das mittlerweile schon sprichwörtlich gewordene 'Vollzugsdefizit' sind daher als Krisendiagnosen für das Versagen der Umweltpolitik in aller Munde". 35 Eine von der gesellschaftlichen Evolution gefundene Antwort auf die Probleme der Verrechtlichung und des Staatsversagens bildet das "informale Verwaltungshandeln".
31
U.K. Preuß (1994): Risikovorsorge als Staatsaufgabe, S. 541.
32
Zur Erinnerung folgende Literatur: M. Douglas/ A. Wildavsky (1982): Risk and Culture, S. 29ff und 186ff; ferner A. Evers/ H. Nowotny (1987): Über den Umgang mit Unsicherheit, S. 59ff und 72ff. 33
Vgl. zum Thema der Grenzwerte unten den Punkt VIII.5.
34
K.-H. Ladeur (1987): Jenseits von Regulierung und ökonomisierung der Umwelt, S.9.
35
R. Wolf (1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 361.
3. Informales Verwaltungshandeln
179
3. Informales Verwaltungshandeln Eine mögliche Staatsentlastung auch im Hinblick auf das Vorsorgeprinzip besteht im "informalen Verwaltungshandeln" 36. Das Verwaltungshandeln wird nicht durch Gesetzgebung und regulatives Recht in deterministischer Manier vorherbestimmt, sondern umfaßt auch immer Entscheidungs- und Handlungsspielräume für die Verwaltung. Gilt dies ganz generell, so verstärkt in der komplexen Aufgabe der Risikovorsorge und angesichts der Vielfältigkeit gesellschaftlicher Interessenlagen, wo der Interessenausgleich nicht mehr hoheitlich hergestellt werden kann, wiewohl er n a c h t e vor zu den Staatszielen gehört. 37 Statt strikter Normanwendung kommt es zur "brauchbaren Illegalität". 38 Beispiele "brauchbarer Illegalität" sind das Befolgen von Regeln zu unerlaubten Zwecken, das noch "vertretbare" Handeln, das formal illegale Handeln, das im nachhinein zu verteidigen ist, die Abweichung von veralteten, aber noch gültigen Normen, die Abweichung von problematischen Normen aus Billigkeitsgründen oder schließlich das illegale, aber stabilisierende Handeln. Insgesamt handelt es sich um adaptive Strategien des Systems, hier der Verwaltung, angesichts turbulenter Umwelten, die mit vielfältigen, meist konträren Anforderungen an das System herantreten. Was in einer traditionellen Organisationslehre als die pathologische Verkehrung von Zweck und Mittel thematisiert werden müßte (in dem Sinne, daß Unterabteilungen aus Mitteln eigene Zwecke machen), handelt es sich hier um die notwendige Berücksichtigung von Nebenfolgen des eigenen Handelns, um den Bestand zu sichern und Umweltanforderungen gerecht zu werden. "Informale Vorgehensweisen werden nun von den Akteuren oft bewußt gewählt, um dem 'Rechtsregime' (Regeln über Verfahren, Entscheidungsform, Verbindlichkeitsgrad, Rechtsschutz, Haftung, Anm. M.H.) formaler Handlungsformen und den Kontrollen der Gerichte zu entgehen, weil die rechtliche Regelung im konkreten Fall als zu starr, zu umständlich, zu zeit- und kostenaufwendig, zu konfliktbeladen oder sonstwie unzweckmäßig erscheint". 39 Informal ist eine alternative Handlungsmodalität, bei der die Verwaltung faktisch wählen kann, ob sie per Rechtsordnung oder im vorrechtlichen Raum agieren wird: "Das Begriffspaar 'formal-informal' bezeichnet alternative Handlungsmodalitäten und bezieht sich auf Entscheidungssituationen, in denen der Staat faktisch - nicht
36
E. Bohne (1984): Informales Verwaltungs- und Regierungshandeln als Instrument des Umweltschutzes; in: Verwaltungs-Archiv 75 (4), S. 343-373. 37
Vgl. W. Hoflmann-Riem (1990): Interessenausgleich durch Verhandlungslösungen; in: Zeitschrift für angewandte Umweltforschung 3 (1), S. 19-35. 38 Vgl. N. Luhmann (1964): Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin: Duncker & Humblot, S.304-314. 39
12*
E. Bohne (1984): Informales Verwaltungs- und Regierungshandeln, S. 346.
180
VIII. Einrichtungen der Risikobearbeitung
notwendig auch rechtlich - wählen kann, ob er ein bestimmtes Ziel in den von der Rechtsordnung bereitgestellten Handlungsformen oder mit rechtlich nicht geregelten Realakten verwirklichen will". 4 0 Auf das umweltschutzpolitische Verwaltungshandeln bezogen bestehen die Handlungsspielräume vor allem in der Ermessensund der Planungsermächtigung. Im ersten Fall kann die Verwaltung entscheiden, wann, wo und wie sie einschreitet oder nicht einschreitet, im zweiten Fall kann die Verwaltung eigenmächtig in der Zukunftsgestaltung zwischen verschiedenen Optionen wählen. Handlungsspielräume für die Verwaltung sind entweder direkt in der Rechtsordnung angelegt in Formulierungen wie: "(...) die Behörde 'kann' oder 'darf (...)" 41 oder ergeben sich durch unklare Sachlagen. Insbesondere im Zusammenhang mit neuartigen Risiken und der auf sie bezogenen ökologischen Kommunikation ist von großer Bedeutung, daß neben "(...) solchen in der Rechtsordnung angelegten Spielräumen (...) Verhaltensspielräume auch dadurch (entstehen), daß der Sachverhalt ungewiß ist. Die diagnostische Aufklärung des IstZustands oder die prognostische Beurteilung von Zukunftsentwicklungen kann problematisch sein".42 Wie die Gewichtung zwischen Verwaltung und Recht auch im Einzelnen aussehen mag, fest steht, daß es sich beim informalen Verwaltungshandeln um eine Abkehr von der hoheitlichen Eingriffsverwaltung des Polizeirechts handelt. Die empirische Verwaltungsforschung hat die Realitätsferne dieses hoheitlichen Modells bald kritisiert und ersetzt durch Strategien konsensuellen und informalen Verwaltungshandelns sowie durch die Korporatismusforschung zur verbandlichen Techniksteuerung. Informale Verfahren der Anlagengenehmigung, aufschiebene Fristen bei Sanierungsvorhaben, Vorverhandlungen, Paketlösungen (die im hoheitlichen Vollzug natürlich nicht vorgesehen sind) und weitere Momente des Entgegenkommens prägen den Stil des modernen Verwaltungshandelns. Neben die Verrechtlichung tritt also merkwürdigerweise die gegenläufige Tendenz einer "Entrechtlichung" von Verwaltungshandeln. In der Konsequenz verunmöglicht informales Verwaltungshandeln natürlich die benannte Handlungslogik des Polizeirechts, denn diese würde das pragmatisch orientierte Kooperationsverhältnis zwischen Verwaltung und Betrieben nicht zulassen. Bohne unterscheidet verschiedene Kategorien informalen Verwaltungshandelns und nennt die normvertretenden Absprachen zur Vermeidung von Rechtssetzungsakten, die nonnvollziehenden Verfahrenshandlungen und Absprachen zur Vermeidung formaler Vollzugakte, Absprachen, die sowohl normvollziehenden wie auch normvertretenden Elemente umfassen sowie planvertretende und planvoll-
40
E. Bohne (1984): Informales Verwaltungs- und Regierungshandeln, S. 343.
41
K.-H. Ladeur (1994): Recht und Verwaltung, S. 99.
42
W. Hoffinann-Riem (1990): Interessenausgleich durch Verhandlungslösungen, S.26.
3. Informales Verwaltungshandeln
181
ziehende Absprachen. 43 Zur Veranschaulichung dazu einige Ausführungen. Eine sehr häufige Form informalen Verwaltungshandelns ist der Direktkontakt zwischen Behörden und Anlagebetreibern. 44 Dies gilt vor allem im Zusammenhang mit Vorabklärungen bei Genehmigungsverfahren und vereinbarter Normverletzung bei Sanierungsmaßnahmen. Ein Beispiel eines normvollziehenden Verfahrens sind Genehmigungsverfahren, bei denen es zu Vorverhandlungen zwischen Vorhabenträger und Genehmigungsbehörde kommt. Gegenstand sind Verfahrens- und materiellrechtliche Voraussetzungen der Vorhabenverwirklichung und die Ausformulierung von Nebenbestimmungen des Betriebs vor Erlaß des Genehmigungsbescheids oder des Planfeststellungsbeschlusses. Statt aber pflichtgemäß nur allgemein zu beraten, prüft die Behörde den konkreten Einzelfall und es endet "(...) in der Regel mit einer Einigung zwischen Behörde und Vorhabenträger über die wesentlichen zu erwartenden Nebenbestimmungen der Genehmigungsentscheidung oder des Planfeststellungsbeschlusses". 45 Dabei sollen materielle Gesetzesziele etwa des Gewässer-, Natur- und Arbeitsschutzes nicht verletzt sowie verfassungsrechtlich verankerte Verfahrensformen wie die Gewährung rechtlichen Gehörs, Gleichbehandlung, Transparenz und Kontrollierbarkeit eingehalten werden. 46 Vorverhandlungen sind dagegen unrechtmäßig, wenn diese Ziele nicht angemessen berücksichtigt werden und "(...) dem Vorhabenträger zu Lasten des Vorsorgeprinzips (z.B. § 5 Nr.2 BimSchG) vor allem zu möglichst kostengünstigen Lösungen (...)" verholfen wird. 47 Oder wenn der Forderung nach unparteiischer Verhandlungsfuhrung und/ oder der Hinzuziehung drittbetroffene Bürger nicht nachgekommen wird. 48 Dabei liegt es wiederum im Ermessen der Behörde, über Zeitpunkt, Inhalt und Form der Beteiligung drittbetroffener Bürger an Vorverhandlungen zu entscheiden. Die Ermessensentscheidung orientiert sich dabei am Grad der Betroffenheit, von den direkten Anwohnern im Einwirkungsbereich der Anlage bis hin zu jedem, dessen Belange berührt werden. Generell geht es um die Benachrichtigung möglicher Beteiligter von dem Vorhaben, wenn und soweit diese
43
Vgl. E. Bohne (1984): Informales Verwaltungs- und Regierungshandeln, S. 345.
44
Vgl. E. Bohne (1982): Privatisierung des Staates. Absprachen zwischen Industrie und Regierung in der Umweltpolitik; in: V. Gessner/ G. Winter (Hrsg.), Rechtsformen der Verflechtung von Staat und Wirtschaft, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd.8, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 266-281. 45
E. Bohne (1984): Informales Verwaltungs- und Regierungshandeln, S.349.
46
Vgl. E. Bohne (1984): Informales Verwaltungs- und Regierungshandeln, S. 350.
47
E. Bohne (1984): Informales Verwaltungs- und Regierungshandeln, S. 351.
48
Vgl. explizit zum Thema verschiedener Formen der Bürgerbeteiligung H. Hill (1993): Integratives Verwaltungshandeln - Neue Formen von Kommunikation und Bürgermitwirkung; in: Deutsches Verwaltungsblatt 108 (H.18), S. 973-982.
182
VIII. Einrichtungen der Risikobearbeitung
Personen bekannt sind. Dieser Punkt der Betroffenenpartizipation ist für uns besonders interessant, da ein Problem der neuen Risiken nach unserer Analyse gerade darin besteht, daß den Behörden die Gruppe der Betroffenen oft nicht bekannt sein kann, da die Risiken noch gar nicht zu Tage getreten sind und erst später z.B. als "Entwicklungsrisiken" aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse oder durch verfeinerte Meßmethoden auftreten werden. Außerdem zeigte unsere Analyse bisher, daß die Politik selbst nicht steuern kann, was in der Gesellschaft als technisch-ökologisches Risiko kommuniziert wird und wie qua Zurechnung auf fremde Entscheidungen Risiken und Betroffenheiten gesellschaftlich entstehen. Werfen wir einen Blick auf normvertretende Absprachen. Normvertretende Absprachen bestehen "(...) im Kern aus der Zusage von Verbänden oder einzelnen Unternehmen, zur Lösung von Umweltproblemen durch bestimmte freiwillige Maßnahmen beizutragen, und aus dem Versprechen des Staates, mit Rücksicht auf die freiwilligen Maßnahmen einstweilen von Regelungen durch Gesetz, Rechtsverordnung oder Satzung abzusehen".49 Absprachen ersetzen also den Erlaß von Rechtsverordnungen, sie sind rechtlich unverbindlich, so daß sich beide Seiten Optionen für die Zukunft offen halten. Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit normvertretender Absprachen ist zu beachten, daß "(...) die faktischen Wirkungen von verordnungsvertretenden Absprachen (geeignet sind), die verfassungsrechtlich gebotene Wahrnehmung von Regierungsaufgaben und parlamentarischen Kontrollaufgaben zu beeinträchtigen". 50 Ein entscheidendes Moment der materiellen Rechtmäßigkeit von Absprachen besteht in der Zwecktauglichkeit staatlicher Maßnahmen. "Aus dem Auftragscharakter der Umweltschutzgesetze folgt für die Exekutive das Gebot, bei der Ausübung des Normsetzungsermessens im Rahmen von Verordnungsermächtigungen keine Maßnahmen zu wählen, die zur Verwirklichung der gesetzlichen Ziele im Gewässerschutz, in der Luftreinhaltung, in der Abfallwirtschaft oder in sonstigen Umweltbereichen nach den vorhandenen praktischen Erfahrungen offensichtlich untauglich sind. Zwar enthalten die Umweltschutzgesetze nur eine Ermächtigung, keine rechtliche Verpflichtung zum Erlaß von Rechtsverordnungen. Wenn die Exekutive jedoch den in einem Bereich bestehenden Umweltzustand für erhaltungswürdig oder verbesserungsbedürftig hält, hat sie geeignete Schutz- oder Verbesserungsmaßnahmen zur Verwirklichung der gesetzlichen Ziele zu treffen. Die Zwecktauglichkeit von Absprachen ist daher nur gegeben, wenn bei Abschluß begründete Aussicht auf freiwillige Einhaltung der Absprachen durch die Verhandlungspartner besteht. Ein Indiz hierfür ist die Einigung der Absprachepartner auf einen unabhängigen 'Kontrolleur', der unbe-
49
E. Bohne (1984): Informales Verwaltungs- und Regierungshandeln, S. 361.
50
E. Bohne (1984): Informales Verwaltungs- und Regierungshandeln, S. 363.
3. Informales Verwaltungshandeln
183
schränkten Zugang zu allen erforderlichen Betriebsinformationen hat und die Einhaltung der Absprache überwacht". 51 Fassen wir zusammen: Verhandlungslösungen gelten als Möglichkeit der Staatsentlastung. Die Beispiele zeigen aber bereits die Problematik informalen Verwaltungshandelns, nämlich vor allem das seiner Rechtmäßigkeit und seiner Zweckmäßigkeit. Denn es entsteht faktisch im vorrechtlichen Raum. Im Hinblick auf das normative Staatsziel des Interessenausgleichs gibt es gegenüber dem informalen Verwaltungshandeln mindestens folgende Bedenken: Der Direktkontakt der Behörden zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen kann zu sachlichen und zeitlichen Einseitigkeiten führen. In Fällen von Genehmigungsverfahren kann es durch ein Netzwerk zwischen Behörden und Anlagebetreibern zu parteiischen Abmachungen kommen, die die Interessen Dritter außer Acht lassen, es betrifft dies die "Gemeinwohlverantwortung der Verwaltung". 52 In zeitlicher Hinsicht kann es zum frühzeitigen Abklären von Sachverhalten kommen, die dann nicht mehr geändert werden können und Pfadabhängigkeiten entstehen lassen. Darüber hinaus besteht die Gefahr des Verlustes an hoheitlicher Distanz zum Verhandlungsgegenstand. So kann es in einem Genehmigungsverfahren besonders unter Gesichtspunkten von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen zu einer Interessenskonvergenz zwischen einem Unternehmen und der beteiligten Behörde kommen. Ebenso gehört in diesen Katalog das mögliche Dulden von Normabweichungen bei Sanierungsmaßnahmen, d.h. in einem bestimmten Zeithorizont wird es einem Anlagebetreiber erlaubt, Grenzwerte zu überschreiten. Dies geschieht von Verwaltungsseite meistens mit dem Hinweis auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Schließlich kann es zur Vereitlung von Kontrolle kommen, wenn die Verwaltung interessierten Gruppen Partizipationsmöglichkeiten verwehrt oder gerichtliche Kontrolle unterbunden wird. Insgesamt kommt es zu Legitimationsproblemen, denn "(...) eine autonome Gruppenlegitimation (kann) die volkslegitimierte Staatlichkeit nicht ersetzen, zumal bei Gruppen, die inkonsistent zusammengesetzt sind und interessengeleitet entscheiden."53 Die Leistungsfähigkeit informalen Verwaltungshandelns ist eher darin zu sehen, die Handlungsfähigkeit von Verwaltungen angesichts inkonsistenter Umweltanforderungen dennoch aufrechtzuerhalten. Eine weitere, prominente Möglichkeit der Staatsentlastung, die bereits mehrfach anklang, ist die Techniksteuerung durch die Verbände, besonders durch die technischen Normierungsverbände.
51
E.Bohne (1984): Informales Verwaltungs- und Regierungshandeln, S. 365f.
52
Vgl. H. Hill (1993): Integratives Verwaltungshandeln - Neue Formen von Kommunikation und Bürgermitwirkung, S. 979. 53 Vgl. H. Hill (1993): Integratives Verwaltungshandeln - Neue Formen von Kommunikation und Bürgermitwirkung, S. 977. Betonung im Original.
184
VIII. Einrichtungen der Risikobearbeitung
4. Die Techniksteuerung durch Verbände Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe, zu denen im Sinne des Verwaltungsrechts auch die Kategorien "Gefahr" und "Risiko" gehören, sind wie bereits erwähnt auf Konkretisierungen angewiesen; dies erledigt vor allem der technisch-ingenieurwissenschaftliche Sachverstand technischer Verbände. 54 "Polizeiliche Gefahrenabwehr wird durch ingenieurwissenschaftliche Risikobeurteilung substituiert". 55 In Deutschland wie in anderen europäischen Ländern hat sich die Techniksteuerung im intermediären Bereich der Verbände längst durchgesetzt.56 Die technische Regelsetzung als wichtiger Bereich der Techniksteuerung erfolgt ganz wesentlich durch privatrechtlich organisierte technische Verbände (Deutsches Institut für Normung DIN; Verein Deutscher Ingenieure VDI; Verband Deutscher Elektrotechniker VDE und weitere 150 Verbände). Die hauptsächlichen Gegenstandsgebiete verbandlicher Steuerung sind Umweltschutz (umweit- und sozialverträgliche Technikgestaltung), Arbeitsschutz, Wirtschafts- und Technikförderung (Wirtschafis- und Technologiepolitik) und Gesundheitswesen.57 Die Logik verbandlicher Steuerung liegt darin, die kognitiven und personellen Ressourcen der Verbände, eigentlich zur Artikulation und Durchsetzung partikularer Interessen entstanden, zur Erledigung öffentlicher Angelegenheiten zu nutzten.58 Ein Grund für die Leistungsschwäche der "polizeiförmig angelegten Eingriffsinstrumente" liegt (wie gesehen) darin, daß die Eingriffsschwelle definiert wird durch das dienstliche Erfahrungswissen der Behörden. 59 Da im Zusammenhang mit neuartigen Risiken die "Herrschaft kraft Wissen" ersetzt werden muß durch den
54
Vgl. stellvertretend für eine breite Literaturlage V. Eichner/ R.G. Heinze/ H. Voelzkow (1993): Techniksteuerung im Spannungsfeld zwischen staatlicher Intervention und verbandlicher Selbstregulierung; in: R. Voigt (Hrsg.), Abschied vom Staat - Rückkehr zum Staat?, Baden-Baden: Nomos, S. 393-412; femer V. Eichner/ R.G. Heinze/ H. Voelzkow (1991): Von staatlicher Technikfolgenabschätzung zu gesellschaftlicher Techniksteuerung; in: Aus Politik und Zeitgeschichte B43/91, 18. Oktober 1991, S. 3-14. 55
R. Wolf (1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 369.
56
Einen Ländervergleich liefert G. Lehmbruch (1991): The Organization of Society, Administrative Strategies, and Policy Networks; in: A. Windhoff-Héritier/ R.M. Czada (Hrsg.), Political Choice. Institutions, Rules and the Limits of Rationality, Frankfurt a.M./ Boulder: Campus/Westview, S. 121-158. 57
Vgl. V. Eichner/ R.G. Heinze/ H. Voelzkow (1993): Techniksteuerung im Spannungsfeld zwischen staatlicher Intervention und verbandlicher Selbstregulierung, S. 394f. 58 Zur Entstehungsgeschichte der Verbände im Sozialsektor vgl. A. Windhoff-Héritier (1989): Institutionelle Interessensvermittlung im Sozialsektor. Strukturmuster verbandlicher Beteiligung und deren Folgen; in: Leviathan 17, S. 108-126. 5
R. Wolf (1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 3 6 .
4. Die Techniksteuerung durch Verbände
185
naturwissenschaftlich-technischen Sachverstand, besteht die Grundlage des kooperativen Verwaltungshandelns in der "Herrschaft kraft Ingenieurwissen". 60 Zur Veranschaulichung dazu ein Beispiel: Für Kernenergieanlagen ist das Atomgesetz zuständig und es besagt, daß die erforderliche Vorsorge gegen Belastbarkeit dem "Stand von Wissenschaft und Technik" zu entsprechen habe.61 Erst aber die Ergänzungen der Strahlenschutzverordnung mit Anhang liefern ein genaues Konzept der zulässigen Belastungen aus dem Normalbetrieb. Ähnlich bei der Unfallsicherheit von Leichtwasserreaktoren, deren Sicherheitsstandards sich am "größten anzunehmenden Unfall" (GAU) orientieren müssen. Was darunter aber genauer zu verstehen ist, bestimmen die "Leitlinien" der Reaktorsicherheitskommission, ein Gremium, das sich vorwiegend aus ingenieurwissenschaftlichen Sachverständigen zusammensetzt.62 Insgesamt sieht man deutlich, daß die "klassischen Handlungsformen der politisch-administrativen Steuerung - die Rechtsverordnung und die Verwaltungsvorschrift - (...) immer wieder Bezug auf den externen naturwissenschaftlich-technischen Sachverstand und die Ergebnisse der privaten technischen Normung durch das Deutsche Institut für Normung (DIN) und den Verein Deutscher Ingenieure (VDI-Richtlinien) (nehmen)".63 Betrachten wir einige wesentliche Kritikpunkte an der Verbändesteuerung. Festzuhalten ist zunächst, daß durch den Rückzug des Gesetzgebers auf Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriife die Verfolgung öffentlicher Angelegenheiten im nicht-öffentlichen Raum stattfindet. Die Erledigung öffentlicher Aufgaben in vorrechtlichen Verhandlungsarenen kann aber die politische Leistung eines Interessenausgleichs (wenn nicht einer Kollektivgutorientierung) nicht nur nicht garantieren, sondern macht sie im Gegenteil wohl eher unwahrscheinlich. Viel eher erklären sich die Ergebnisse verbandlicher Steuerung dann schon aus der Binnenstruktur der Verbände, also endogen. Wesentliche Momente der internen Entscheidungsfindung von Verbänden sind dabei die Anzahl und die Zusammensetzung, sowie die Ungleichverteilung der Durchsetzungsfähigkeit der Mitglieder, nichtpolitische und nicht-betriebswirtschaftliche Solidarnormen, insbesondere das Berufsethos von Ingenieuren, der Entscheidungsmodus der Verbände in Form von Einstimmigkeitsregel 64 oder Mehrheitsregel sowie auch strategische Momente der
60
R. Wolf (1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 365.
61
Paragraph 7 II Nr.3 AtG; zit. nach R. Wolf, S. 366.
62
Weitere Beispiele der Konkretisierung von Generalklauseln durch z.B. Grenzwertbestimmungen und DIN-Normen vgl. R. Wolf (1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S.366f. 63 64
R. Wolf (1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 366.
Zum Konsensprinzip der Einstimmigkeitsregel vgl. A. Windhoff-Héritier (1989): Institutionelle Interessenvermittlung im Sozialsektor, S. 118.
186
VIII. Einrichtungen der Risikobearbeitung
Verbandspolitik, wenn etwa Verbandsmitglieder zur Erhaltung ihres Einflußpotentials auf die Normierungsarbeit auf ihr mögliches Veto-Recht verzichten, anschließend aber gegen Detailregelungen Abwehrbemühungen anstrengen. Insgesamt muß man sagen, daß die Normierungsarbeit der Verbände sehr deutlich Interessenspolitik "in eigener Sache" ist. Die Aufstellung und Durchsetzung technischer Normen verliert damit ihre politische Unschuld und impliziert auch immer Wertentscheidungen. Das wird auch von den Verbänden nicht bestritten: In DIN 820 wird die technische Normung ausdrücklich als "Interessenaushandlungsprozeß" bezeichnet.65 In der Konsequenz heißt das, daß die technischen Regeln - entgegen einigen Gerichtsurteilen - nicht den Status "antizipierter Sachverständigengutachten" besitzen, weil die Kriterien der Neutralität und Objektivität, die von der Zivilprozeßordnung bzw. der Verwaltungsgerichtsordnung für Sachverständige gefordert werden, von den Mitgliedern der Normausschüsse gerade nicht erfüllt werden. Einige Konsequenzen solcher Strukturmerkmale der verbandlichen Steuerung auf die Ausgestaltung eines Regelwerkes werden beispielsweise in sozialpolitischen Kontexten deutlich bei Windhoff-Héritier. Dort wird aufgezeigt, wie institutionelle "settings" weniger ein Instrument der Umsetzung wissenschaftlich-technischen Sachverstandes sind als vielmehr politische Arrangements darstellen, die über ihre verbandliche Zusammensetzung und über ihre Entscheidungsmodi die Normsetzung und -durchsetzung gestalten. Für den Bereich Arbeitsschutz beispielsweise nennt der Artikel folgende Konsequenzen:66 Erstens die Festlegung von lediglich minimalen Standards für Gefahrenfaktoren, zweitens die Erfassung nur von stofflichmateriellen, quantifizierbaren Komponenten der Arbeitsbedingungen, drittens die Nichtberücksichtigung psychosomatischer, chronischer und multifaktoriell verursachter Erkrankungen, viertens die Nichtanerkennung bestimmter Krankheiten als Berufskrankheiten und schließlich fünftens die Nichtanerkennung von Spätfolgen, deren Ursachen nicht sauber nachgewiesen werden können. Zu einem Ergebnis interessengeleiteter Normierungsarbeit kommt ebenfalls Wolf: "Genormt wird seit den Anfängen der privaten technischen Normung bevorzugt das, 'was sich lohnt'. In ihrem Normungsgremien dominieren daher die Vertreter der Industriebranchen, die sich von dem jeweiligen Normungsverfahren Vorteile durch Standardisierung erwarten. Genormt wird auch, damit es sich lohnt. Kein Wunder, daß die Belange der Umwelt- und Verbraucherschutzes (...) zunächst nicht und später nur zögernd und selektiv berücksichtigt wurden". 67 So dominieren Verfahrenstechniker vor den
65
Vgl. V. Eichner/ R.G. Heinze/ H. Voelkow ( 1993): Techniksteuerung im Spannungsfeld zwischen staatlicher Intervention und verbandlicher Selbstregulierung, S. 399. 66 Zum Folgenden vgl. A. Windhoff-Héritier (1989): Institutionelle Interessenvermittlung, S. 120.
R. Wolf (1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 3 6 .
5. Grenzwerte Wirkungsforschern technologien.
187
und "end-of-the-pipe M-Technologien vor Vermeidungs-
Über Normsetzung entscheiden ökonomische, verbandliche und politischadministrative Akzeptanzüberlegungen. Deutliches Interesse der Verbände ist die Sicherstellung von künftigen Handlungsspielräumen, die Vermeidung von Kosten sowie die Sicherung von Marktanteilen, während die Administration an Staatsentlastung und Handlungsfähigkeit interessiert sein muß. Informationsaufnahme und -Verarbeitung sowie auch die Zielformulierungen stehen daher in enger Abhängigkeit zu endogenen Momenten von Organisationen oder Verhandlungsarrangements. Zwar wird man annehmen können, daß naturwissenschaftlichtechnischer Sachverstand eine notwendige Bedingung staatlicher Steuerungs- und Interventionsversuche darstellt, angesichts neuartiger Risiken ist es aber keine hinreichende Bedingung. Es kann sicher nicht behauptet werden, daß die Techniksteuerung durch Verbände nicht "funktioniere", nur stößt sie in der ökologischen Kommunikation schnell an Grenzen. Denn wenn die regulative Politik versucht, über die Generalklauseln von "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" dem Vorsorgeprinzip hinsichtlich neuer technisch-ökologischer Risiken gerecht zu werden, dann muß man dabei bedenken, daß die unbestimmten Rechtsbegriffe weder durch die Verbände eindeutig präzisierbar sind (etwa durch Grenzwertsetzungen), noch ihre Umsetzung durch die Verwaltung eindeutig kontrollierbar sind. Bei neuartigen Risiken und dynamischen Systemen ist auch der ingenieurwissenschaftliche Sachverstand nicht in der Lage, Sicherheit in dem Sinne zu verbürgen, daß die gesellschaftliche Kommunikation über Risiken abebbt oder das Entstehen von immer neuen Betroffenheiten verhindert wird. Denn die entstehen ohnehin in ganz anderer Weise über gesellschaftliche Beobachtungsverhältnisse. Besitzen die Institutionen von Verbänden und wissenschaftlichem Sachverstand noch Steuerungsvertrauen und Durchschlagskraft im Hinblick auf die Gefahrenabwehr industrieller Risiken, verschwindet ihre Plausibilität angesichts neuartiger Risiken. Dennoch wird weiterhin mangels Alternative auf herkömmliche Institutionen gesetzt, die auf die Typik der Gefahren des 19. Jahrhunderts, nicht aber auf die des 20. Jahrhunderts zugeschnitten sind; Beck spricht daher in Gegengifte von einem "Jahrhundertfehler". Ein weiteres Betätigungsfeld wissenschaftlichen Sachverstandes ist die Grenzwertfestlegung als eines der prominentesten Instrumente regulativ-präventiver Politik; auch sie soll in ihrem politischen Charakter offen gelegt werden.
5. Grenzwerte Eine zentrale Ausprägung des Verhältnisses zwischen Verwaltung, Einzelbetreibern technischer Anlagen und Verbänden sowie des "informalen Verwaltungs-
188
VIII. Einrichtungen der Risikobearbeitung
handelns" ist die Festlegung von Grenzwerten. Grenzwerte dienen dazu, der Freisetzung von Belastungen verschiedenster Art Obergrenzen zu setzen. Diese Obergrenzen können sich beziehen erstens auf die Freisetzung von Schadstoffen aus einer Gefahrenquelle wie beispielsweise einer technischen Anlage (Emissionswerte), zweitens auf die Belastung durch Schadstoffe transportierende Medien wie Luft, Wasser und Boden (Immissionswerte) und drittens auf zumutbare Belastungen eines Empfängerorganismus (Toleranzgrenzen). Organisatorisch gesehen entstehen Grenzwerte entweder administrativ in den zuständigen Verwaltungen, wobei die Behörden wissenschaftlich-technischen Sachverstand zu Rate ziehen, autonom durch gesellschaftliche Gruppen (Verbände) oder in zusammengesetzten Gremien. Die vielfältigen Erscheinungsformen und Unterscheidungsmerkmale von Grenzwerten sind damit schon angedeutet, sie können und sollen hier aber nicht im Detail behandelt werden, zumal ihre genauere Analyse gegenstandsspezifisch zu sein hätte, da Grenzwerte z.B. im Arbeitsschutz anders Zustandekommen und anders gehandhabt werden als beispielsweise Grenzwerte im Umweltschutz.68 Uns genügt an dieser Stelle eine allgemein gehaltene Betrachtungsweise der Grenzwertsetzung als Mechanismus des Risikomanagements. Zentral für unseren Zusammenhang des politischen Umgangs mit Risiken sind zwei Aspekte von Grenzwerten, nämlich kritische Gesichtspunkte ihres Zustandekommens und ihre Funktion für die Politik, Handlungsfähigkeit trotz intransparenter Zukünfie aufrechtzuerhalten. Kommen wir nun zu den zumeist naturwissenschaftlich begründeten Kritikpunkten am Zustandekommen und der Zweckmäßigkeit von Grenzwerten. Zunächst wird betont, daß neben der vermeintlich wissenschaftlich-technischen Exaktheit der Messungen verschiedene Vermutungen im Spiel sind. So etwa im Hinblick auf die angewandte Untersuchungsmethode, wenn die eindeutige Isolierung einzelner Faktoren (etwa im Wasser) nicht möglich oder die Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierversuchen auf den Menschen zweifelhaft ist. 69 Außerdem basieren Grenzwertsetzungen aufVermutungen hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes, da oft ein Zusammenhang von Schadstoffen und beobachteten Krankheiten nicht deutlich ist, also ein kausales Dosis-Wirkungs-Gesetz gar nicht sicher angenommen werden kann. Denn Wirkungen sind zumeist graduell, Grenzwerte aber modellieren in der Logik von Schwellenwerten. "Da es fließende anstatt stufenförmige Übergänge zwischen Gesundsein und Kranksein gibt, stellt sich bei der Grenzwertfestsetzung (...) die Frage nach der Entscheidung in den 'Grauzonen' (...) Belastbar-
68 Als Überblick siehe G. Winter (1986, Hrsg.): Grenzwerte. Interdisziplinäre Untersuchungen zu einer Rechtsfigur des Umwelt-, Arbeits- und Lebensmittelschutzes, Düsseldorf: Werner. 69
R. Wolf (1987): Die Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 374 und dort die Literaturangaben der Fußnote 95.
5. Grenzwerte
189
keitsstandards beruhen auf der Voraussetzung, daß es Schwellenwerte gibt, die indes von der Wirkungsforschung immer wieder in Zweifel gezogen werden. Dennoch wird aus politisch-administrativen Gründen eine Verdichtung der Grauzone zu einer Linie verlangt, als bestünden aufgrund medizinischer Kriterien eindeutige Konturen zwischen einer gerade noch unschädlichen und einer bereits schon krank machenden Dosis". 70 Wirkungsschwellen vernachlässigen die mögliche Vielfalt von Wirkungen, Synergieeffekte durch die Interaktion verschiedener Schadstoffe sowie biologische Variabilitäten in den Empfängerorganismen. Denn durch die statistische Ermittlung von Dosis-Wirkungs-Zusammenhängen muß ein statistischer Durchschnittsorganismus zugrunde gelegt werden, der aber sogenannte "vulnerable Gruppen" (Schwangere, Kinder, Alte, Kranke) notwendigerweise ignoriert. Zwar werden deshalb Sicherheitsaufschläge gemacht, diese spiegeln aber nur den WillkürCharakter von Grenzwerten um so deutlicher wider. Und selbst im Falle eindeutiger Dosis-Wirkungs-Beziehungen ist ein tolerabler Immissionswert noch nicht gegeben, da individuelle Faktoren des Empfängerorganismus unerforscht sind, wie Aufnahmeverhalten, Rückhaltung, Ausscheidung, mögliche Akkumulation, Abbauverhalten des Organismus sowie das Mengenverhältnis und Reaktionsweisen mit sonstigen Aufnahmen. 71 Schließlich gibt es nicht gesicherte Annahmen über die Meßverfahren selbst. "Grenzwerte werden als Grenzen für real auftretende und wirkende Schadstoffe oder Lärmeinwirkungen aufgefaßt. Wie stark die reale Belastung ist, ist nicht evident, sondern muß gemessen werden. Messungen sind aber immer Konstruktionen der Realität, nicht getreue Abbilder." 72 Naturwissenschaftliche Messungen sind also auch nur eine Form gesellschaftlicher Kommunikation, unterliegen daher ihrer eigenen, gesellschaftlichen Logik und sind nicht etwa "objektiver" als andere Kommunikationsformen. Hinzu tritt die politisch-administrative Seite der Grenzwertfestlegungen. Wenn oben davon die Rede war, daß Standardsetzungen nicht oder zumindest nicht nur naturwissenschaftliche und medizinische, sondern auch und vor allem politischadministrative Anforderungen widerspiegeln, meint das vor allem, daß Grenzwerte nach administrativen Akzeptanzgesichtspunkten festgelegt werden. Es handelt sich dabei um eine Grenzwertlogik, die reflektiert "(...) an welchem Punkt der aus dem Grenzwert folgende Nutzen die für seine Verwirklichung entstehenden Kosten übersteigt." 73 So kann eine Verwaltung unter Gesichtspunkten der "Verhältnismäßigkeit" auf den Vollzug einer Entscheidung verzichten, wenn das andere als
70
R. Wolf (1987): Die Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 375f.
71
Vgl. G. Winter (1986): Grenzwerte, S. 11.
72
G. Winter (1986): Grenzwerte, S.12.
73
G. Winter (1986): Grenzwerte, S.13.
190
VIII. Einrichtungen der Risikobearbeitung
ökologische Gesichtspunkte nahelegen. Wenn also etwa die ökonomischen Folgekosten (Arbeitsplatzverluste, Steuereinbußen) einer drohenden Betriebsschließung in keinem tragbaren Verhältnis zur Reduzierung von Belastungen stehen. Das gilt auch bei rechtsverbindlichen Standardsetzungen. Denn auch die Handhabung der Rechtsverbindlichkeit und damit der Rechtsfolgen bei Grenzwertüberschreitungen (z.B. Verweigerung einer Betriebsgenehmigung, nachträgliche Anordnungen oder Bußgelder) unterliegt den Schwankungsbreiten behördlicher Ermessensspielräume. Voraussetzung für die Rechtsverbindlichkeit von Grenzwerten ist, daß diese durch Rechtsnormen, also Gesetze oder Verordnungen, anerkannt sein müssen.74 Dies geschieht durch "Inkorporation", wenn der Grenzwert direkt in der Rechtsnorm genannt wird oder diese Verweisungen enthält, wie beispielsweise die Strahlenschutzverordnung auf die andernorts aufgestellten KTALeitlinien verweist. Gibt es keine direkte Verweisung in den Rechtsnormen, kann die Übertragung in eine rechtliche Verbindlichkeit prozeßrechtlich geregelt sein: "Grenzwerte können übernommen werden, wenn bei Ihrer Formulierung die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse umfassend berücksichtigt worden sind. Sie können dann als im Èinzelfall nicht mehr aufzuarbeitende, sondern 'vorweggenommene' Sachverständigengutachten gelten." 75 Hinsichtlich der Rechtsfolgen von Grenzwertverletzungen muß aber berücksichtigt werden, daß die Behörden bei Rechtsverletzungen zwar eine Entscheidung über Rechtsfolgen treffen müssen, unter Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit die Vollstreckung aber bis auf weiteres aussetzen können. Zusammenfassend kann daher in einer Kritik über den Mechanismus der Grenzwerte gesagt werden, daß erstens Grenzwerte die Welt durch Schwellenwerte schematisieren oder "digitalisieren", während die Welt analog verläuft, daß sie zweitens mit technisch-wissenschaftlicher Exaktheit auftreten, die letztlich gar nicht existiert, daß sie drittens außerwissenschaftliche Wertungen enthalten, daß sie sich viertens aus ökonomischen und/ oder administrativen Akzeptanzüberlegungen erklären und das sie fünftens Belastungen nicht verhindern, sondern umgekehrt graduell sogar legitimieren. Daher kann man festhalten: "Weitgehende Übereinstimmung jedoch herrscht in den sozialwissenschaftlichen Analysen der technischen und ökologischen Risiken darüber, daß wissenschaftliches Wissen als Garant von verläßlicher Erkenntnis selbst unsicher geworden ist und daher zunehmend als Bürgschaft für Sicherheit versagt (...) Die Gründe sind vielfältig: methodische Willkürlichkeit bei der Festlegung von Grenzwerten, jenseits derer bestimmte Einwirkungen auf Leben und Gesundheit der Menschen als ungefährlich deklariert werden (...), ihre unmerkliche Umdefinition als soziale Akzeptanzwerte (...) ohne
74
Vgl. G. Winter (1986): Grenzwerte, S. 19.
75
Vgl. G. Winter (1986): Grenzwerte, S. 22.
5. Grenzwerte
191
die dafür erforderliche demokratische Legitimation, der Verlust der Autonomie der Wissenschaft durch ihre Verbindung mit dem Steuerungsmedium Recht (...), die Politisierung der Wissenschaft (...) oder auch die rein epistemologische Ungewißheit zweiter Ordnung (...), d.h. die Erkenntnissungewißheit darüber, wie verläßlich die (z.B. in Grenzwerten enthaltenen) Wahrscheinlichkeitsannahmen über einen möglichen Schadenseintritt sind." 76 Die Überlegungen zur Grenzwertfestlegung gipfeln in dem Urteil, das Grenzwertsetzungen eine "(...) letztlich politische Willensentscheidung (...)" darstellen. 77 Denn die Grenze zwischen einem "noch" und einem "nicht mehr" zu tolerierenden Belastungswert kann weder durch die Wissenschaften sicherheitsverbürgend bestimmt noch durch das Recht strikt kontrolliert werden. Deshalb sind letztlich für die Grenzwertsetzung und -handhabung Politik und Verwaltung verantwortlich. "Überall da, wo Naturwissenschaft und Jurisprudenz zur Begründung von Normen ausfallen, erlebt die Politik eine Renaissance".78 Die Beurteilungsspielräume der unbestimmten Rechtsbegriffe sind allein von der Exekutive (Politik, Verwaltung) auszufüllen, Gerichte müssen sich darauf beschränken, die Risikobeurteilungen der Genehmigungsbehörden auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, dürfen selbst aber keine Bewertungen vornehmen. Die Verantwortung der Risikoermittlung bleibt bei Politik und Verwaltung. Das Recht dagegen muß sich begnügen mit leerformelhaften Unscharfen, während die Politik ihren Ermessensspielraum ausnutzt, die technische Vorgehensweise zu legitimieren. "Damit vollziehen die - mit politisch-administrativen Beurteilungsspielräumen legitimierten - Grenzwertfestlegungen, Meßverfahren und Sicherheitsanforderungen der technischen Regelwerke den Übergang Von der Leerformel zum willkürlichen Schritt'. Was weder naturwissenschaftlich begründbar, noch 'weder Recht noch Unrecht ist, erscheint im Rechtssystem nun als Politik". 79 Und, so muß man hinzufügen, ebenso in der Gesellschaft. Die Grenzwertsetzung eignet sich darüber hinaus für eine systemtheoretische Analyse. Denn trotz aller naturwissenschaftlicher und soziologischer Kritik übernehmen Grenzwerte eine bedeutende Funktion im politischen Risikomanagement, nämlich die der politik-eigenen Informationssammlung und der Erzeugung von Handlungsfähigkeit der operativ geschlossenen Politik. Um diesen Punkt näher zu betrachten, nehmen wir die abstrakte Argumentation des ersten Teils der Arbeit
76
U.K. Preuß (1994): Risikovorsorge als Staatsaufgabe, S. 532.
77
So das Oberverwaltungsgericht Lüneburg vom 28.2.1985 zum Fall "Buschhaus"; in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1985, S. 357. 78
R. Wolf (1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 382.
79
R. Wolf (1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 383.
192
VIII. Einrichtungen der Risikobearbeitung
wieder auf und betrachten Grenzwerte als Form. 80 Formen als Zwei-Seiten-Form dirigieren Beobachtungsweisen und genau das tun auch Grenzwerte. Die Grenze zwischen den zwei Seiten trennt diese und bezieht sie gleichzeitig aufeinander durch die Unterscheidung in ein "noch" und ein "nicht mehr" (ungifiig, gesund, unbelastet, etc.) "Die Grenzwerte haben (...) Formeffekte. Sie bestimmen als Unterscheidung das Beobachten derer, die mit ihnen als Protagonisten oder als Antagonisten zu tun bekommen".81 Diese Form erzeugt damit systemspezifische Informationen. Denn Politik (wie jedes andere System) kann keine Informationen aus der (gesellschaftlichen oder ökologischen) Umwelt direkt beziehen, sondern muß sie intern selbst erzeugen und Grenzwerte sind dafür ein Mechanismus. Grenzwerte schaffen eine dichotome Welt, die anzeigt, wie es im System weitergeht, welche Anschlüsse "angesagt" sind, welche nicht. Es entsteht die politische Welt der kontroversen Grenzwerte, während die Umwelt selbst darin nur "referiert" wird. Denn "ob Zustände in der Zone des Tolerablen liegen oder Grenzwerte verletzen, kann nur gefragt und nur festgestellt werden, weil die Grenzlinie gezogen ist. Nur in bezug auf sie konstruiert das System das, was für Innenzwecke als Information zählt". 82 Die Digitalisierung einer analogen Welt kann auch als eine Form der "Unsicherheitsabsorption" beschrieben werden, wonach die Politik nur beobachten muß, ob der Weltzustand diesseits oder jenseits des Grenzwertes liegt, sie muß aber nicht die Welt selbst beobachten und auch nicht das Zustandekommen des Grenzwertes mitreflektieren, wenn sie ihn handhabt. Die Vorteile dieses Mechanismus für eine politische Handlungssicherheit liegen in verschiedenen Punkten. Erstens entlasten Grenzwerte die Zukunftsplanung von Prognose-Sicherheiten. Prognosen verschieben zwar das Verhältnis von wahrscheinlich/ unwahrscheinlich zum Beispiel in Richtung einer wahrscheinlicher werdenden Belastung, belassen es aber bei der Form der Grenzwerte als ZweiSeiten-Form und damit bei der entsprechenden Handhabung der Welt. Zweitens befreit sich die Politik durch Grenzwerte von genauen Zwecksetzungen, denn Grenzwerte geben keinen genauer zu bezeichnenden Punkt an, den man erreichen will. "Grenzwerte sind deshalb keine Zwecke, weil es nicht darauf ankommt, genau sie zu erreichen. Ihr Sinn liegt nicht in der Bestimmung eines erstrebenswerten Zustandes, sondern allein in der Bifurkation, also in der Form selbst".83 Die Rationalität der Form liegt nicht darin, daß bei der Grenzwertziehung der wissen-
80 N. Luhmann (1997): Grenzwerte der ökologischen Politik; in: P. Hiller/ G. Krücken (Hrsg.), Risiko und Regulierung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 195-221. 81
N . Luhmann (1997): Grenzwerte der ökologischen Politik, S. 212.
82
N. Luhmann (1997): Grenzwerte der ökologischen Politik, S. 206f.
83
N. Luhmann (1997): Grenzwerte der ökologischen Politik, S. 201f.
5. Grenzwerte
193
schaftliche Sachverstand oder die neuesten technischen Entwicklungen Berücksichtigung gefunden haben, sondern sie liegt darin, daß es sie gibt, weil sie eine definitive Schnittstelle in die Welt setzt und darüber einen anschließenden Entscheidungsmechanismus in Gang setzt. Der Effekt, daß definitiv in einer nicht-definitiven Welt entschieden werden kann, daß eine mehrdeutige Welt in eine eindeutige umgewandelt wird, ist das entscheidende Moment für die Politik. Sie zeigt sich damit handlungsfähig in einer mehrdeutigen Welt. Grenzwerte symbolisieren in besonders beeindruckender Weise die Handlungsfähigkeit von Politik, denn sie hat etwas "Konkretes" durchgesetzt, konkret deshalb, weil es sich in Zahlen ausdrücken läßt. Damit wischt die Politik ein verbreitetes Urteil vom Tisch, nämlich immer "nur zu reden". "Unabhängig von allen konkreten Präferenzen, die man auf diese Weise verfolgen kann, scheint ein spezifisch politischer Sinn darin zu liegen, in der Form von Grenzweitbestimmungen auf die Überbeanspruchung von Politik durch eine risikoaverse Gesellschaft zu reagieren. Das politische System kann durch Vorgabe von Grenzwerten vermeiden, daß alle technologischen, ja alle Risiken überhaupt, direkt in politische Risiken transformiert werden. Sie zieht sich mit diesem Entscheidungstyp gewissermaßen aus der Affäre und verhindert, daß alle gesellschaftlichen Risiken letztlich, wenn es schiefgeht, ihr zugerechnet werden". 84 Grenzwerte werden so zu Mitteln der Darstellung guter Absichten.85 Weil die von anderer Seite natürlich auch bestritten werden können, finden politische Auseinandersetzungen um Grenzwerte statt und liefern der Politik einen Orientierungspunkt und Nährstoff für Kontroversen; Grenzwerte sind damit ein Vehikel der Selbstorganisation präventiver Politik. Unter Gesichtspunkten der Bestandserhaltung übernehmen Grenzwerte damit sicherlich eine wichtige Funktion für die Politik. Was dabei aber "(...) bezweifelt werden muß, ist nur, daß auf diese Weise Entscheidungsfolgen besser kontrolliert werden können. Die Risiken selbst, die sich aus dem Unbekanntsein der Zukunft bei komplexen, durch Entscheidungen änderbaren Sachlagen ergeben, können auf diese Weise nicht verringert werden". 86 Statt um ökologische Sicherheit geht es um politische Autopoiesis. Insgesamt sind die Standardsetzungen für ein politisches Risikomanagement als dauerhafte Markierung von Sicherheit ungeeignet, denn bezüglich neuartiger Risiken besteht ein "grundsätzliches Nichtwissen" 87 und Grenzwerte leisten nicht mehr, als das sie eine Gewißheit über Kausalitäten erzeugen, die sich als Scheinge-
84
N. Luhmann (1997): Grenzwerte einer ökologischen Politik, S. 210.
85
Zur Darstellungsleistung symbolischer Politik finden sich ausführlichere Betrachtungen im nächsten Kapitel IX. 86
N. Luhmann (1997): Grenzwerte einer ökologischen Kommunikation, S. 210.
87
G. Winter (1986): Grenzwerte, S. 23.
13 Heidenescher
194
VIII. Einrichtungen der Risikobearbeitung
wißheit herausstellen muß.88 Darüber hinaus können sie gesellschaftliche Beobachtungsverhältnisse nicht steuern und unversehens in Mißkredit geraten. Wir haben es nämlich mit mehreren Kommunikationsformen zu tun, die untereinander inkompatibel sind, so die naturwissenschaftlich-medizinische Seite von Grenzwerten, die politisch-administrative Seite und schließlich die gesellschaftlichen Beobachtungsverhältnisse. So Wolf: "Offensichtlich kann mit der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Subsysteme nicht mehr vorausgesetzt werden, daß naturwissenschaftlich-technischer Fortschritt mit der Erhöhung der politischadministrativen Rationalität kompatibel bleibt". 89 Erst recht werden Grenzwerte als inakzeptabel erachtet, wenn sie sich auf Technologien beziehen, die ein hohes Katastrophenpotential bergen. 90 Daß dennoch an Grenzwerten festgehalten wird und ihre Bedeutung eher zunimmt ist wohl nicht anders zu erklären als dadurch, daß Alternativen nicht in Sicht sind. Schließen wir das Kapitel über die "Einrichtungen der Risikobearbeitung" mit der Feststellung, daß sämtliche genannten Institutionen zur Entlastung des politischen Risikomanagements in dieser Funktion ihre Grenzen haben. Die genannten Einrichtungen unterliegen ihren jeweils spezifischen, endogenen Logiken: Das Kausalmodell des regulativen Rechts wird der Typik neuartiger Risiken nicht gerecht, das Vorsorgeprinzip ist zu unspezifisch, das informale Verwaltungs- und Verbändehandeln gestaltet sich nach endogenen Faktoren dieser Arrangements und Grenzwerte können weder naturwissenschaftlich Sicherheit verbürgen noch administrativ kontrolliert werden. Sämtliche Institutionen sind eher zu verstehen als evolutionär entstandene Formen der politisch-administrativen Selbstorganisation und können daher nicht verhindern, daß die Politik weiterhin mit öffentlicher Beobachtung und weiterer, ökologischer Kommunikation (z.B. in Form von Protest) konfrontiert wird. Es bleibt für die Politik bei der Notwendigkeit, ohne gesicherte Grundlage und in einer intransparenten, kontingenten Welt zu entscheiden. Etwas überspritzt formuliert geht es darum, entscheiden zu müssen, ohne "eigentlich" entscheiden zu können.91 Die Politik steht vor der Aufgabe, widersprechenden Anforderungen im Hinblick auf eine kontingente Zukunft gerecht zu werden, und betreibt deshalb "symbolische Politik" (in dem noch zu spezifizierenden Sinne
88 Vgl. K.-H. Ladeur (1986): Alternativen zum Konzept der "Grenzwerte" im Umweltrecht - Zur Evolution des Verhältnisses von Norm und Wissen im Polizeirecht und im Umweltplanungsrecht; in: G. Winter (Hrsg.), Grenzwerte, Düsseldorf: Werner, S. 263-280. 89
R. Wolf (1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 378.
90
Vgl. R Wolf (1987): Zur Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft, S. 376.
91
So auch H. Willke (1992): Die Ironie des Staates, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
5. Grenzwerte
195
Brunssons). Dabei handelt es sich um eine Entscheidungsrationalitäf 1 der Politik, die vor allem folgende Momente umfaßt: Darstellung von Handlungsfähigkeit (wozu Grenzwerte, wie gesehen, ein Mittel sind), die Erklärung und Verfolgung bester Absichten,93 die Erklärung einer weitmöglichen Berücksichtigung aller Betroffenen und die Pflege und Darstellung einer ausgeprägten Konflikt- und Diskussionskultur.
92
N. Brunsson (1985): The Irrational Organization. Irrationality as a Basis for Organizational Action and Change, Chichester/ New York/ Brisbane/Toronto/ Singapore: Wiley & Sons. 93
13*
Vgl. U. Beck (1988): Gegengifte, S. 40f.
I X . Die Darstellungsleistungen der Politik 1. Inkrementale Politik In diesem Kapitel widmen wir uns dem Thema, wie Politik über die im vorherigen Kapitel behandelten Bearbeitungsmomente hinausgehend, mit vielfaltigen, teils gegenläufigen gesellschaftlichen Erwartungen umgeht. Wir generalisieren dazu einen spezifischen, aber zentralen Aspekt aus der Grenzwertdiskussion, nämlich den, daß Politik keine definitiven, kollektiv gültigen Zwecke im Sinne einer genau zu erreichenden Zustandsbeschreibung verfolgen kann. Man kann auch sagen, die Politik verfugt über keine meßbaren Erfolgskriterien und befindet sich damit in genau derselben Situation wie die sogenannten "people-processing"Organisationen, also zum Beispiel Schulen und Universitäten. Hier wie dort ist nicht nur vollkommen unklar, welche Entscheidungen und Handlungsoptionen welchen Beitrag für einen gesetzten Zweck leisten, ja darüber hinaus ist es nicht möglich, welcher Systemzustand überhaupt als Erfolg bzw. als Mißerfolg zu deuten ist. Für den Fall der Politik liegt der Grund dafür darin, daß die zukünftige Gegenwart intransparent und ihre gesellschaftliche Beobachtung unsicher ist angesichts nicht-kausaler Verläufe dynamischer Systeme, unter denen Technik eines ist.1 Hinzu kommen deren gesellschaftliche Beobachtung, die ihrerseits nicht von der Politik zu kontrollieren ist. Entscheidungstheoretisch geht man nun üblicherweise davon aus, daß die Bedeutung einer Entscheidung, ihr "Sinn", daraus hervorgeht, daß der Entscheider einen Zweck setzt und geeignete Mittel zu dessen Verwirklichung wählt. Wie gewinnt dann aber politisches Entscheiden Bedeutung und Legitimation, wenn Zwecksetzungen im besagten Sinne nicht möglich sind? Denn die gesellschaftlichen Erwartungen sind eben nicht nur vielfältig, sondern inkonsistent und gegenläufig, so daß von einer Kategorie namens "Kollektivgut", an der sich die Politik orientieren könnte, eigentlich nicht mehr gesprochen werden kann.2 Erschwerend kommt hinzu, daß die Politik, wie
1
Vgl. K.E. Weick (1990): Technology as Equivoque: Sensemaking in New Technologies, in: P.S. Goodman/ L.S. Sproull (Hrsg.), Technology and Organizations, San Francisco/ Oxford, S. 1-44. 2 Zum Integrationsproblem modemer Gesellschaften vgl. H. Willke (1984): Gesellschaftssteuerung; in: M. Glagow (Hrsg.), Gesellschaftssteuerung zwischen Korporatismus und Subsidiarität, Bielefeld: AJZ, S. 29-53.
1. Inkrementale Politik
197
in der Einleitung gezeigt wurde, sich nicht entscheiden kann, nicht zu entscheiden, denn Öffentlichkeit, in welcher Form auch immer, kann nicht wegentschieden oder wegdefiniert werden. Die Politik kann nicht verhindern, daß gesellschaftliche Zustände, wie überraschend auch immer sie eintreten mögen, auf politisches Entscheiden zugerechnet werden. Ideengeschichtlich hängt das mit der Herausbildung der Kategorien Rationalität, Aufklärung und Entscheidung zusammen, gesellschaftsstrukturell mit der Herausbildung eines politischen Bereichs, dessen Funktion es ist, kollektiv bindend zu entscheiden. Auf eine institutionalistische Organisationstheorie zurückgreifend kann man aber sehen, daß Politk in einer solchen Situation nicht nur und nicht einmal wesentlich instrumentell-ergebnisorientiert sein muß, sondern auch und vor allem symbolisch vermittelt wird. 3 Unter diesem Gesichtspunkt sind auch die üblichen politischen Handlungsweisen wie Programmentwürfe, Absichtserklärungen, Kontroversen, u.ä. zu verstehen. In Anlehnung an das Vokabular Brunssons können wir den genuin politischen Operationsmodus zur Absorption gesellschaftlicher Erwartungen als "talk" bezeichnen. Die Aufgabe dieses Kapitels besteht darin, die Absorption gegenläufiger Umweltanforderungen durch das politische System, d.h. vor allem durch politische Organisationen der Willensbildung wie Parlamente und Parteien, zu analysieren und dazu Brunssons Untersuchungen mit dem organisationssoziologischen NeoInstitutionalismus und dessen "Symbole-Kategorie zu verknüpfen. Bevor wir uns diesem Mechanismus und seiner Funktion näher zuwenden, muß darauf verwiesen werden, daß Politik in einer differenzierten Gesellschaft in einem Entscheidungsmodus operiert, der als "Inkrementalismus" bezeichnet wird. 4 Die symbolische Seite der Politik erscheint dann als eine im Hinblick auf die Bedeutung politischen Entscheidens notwendige Zusatzeinrichtung; sie leistet dabei zweierlei: Erstens wird der inkrementale Operationsmodus der Politik von anders gelagerten, querlaufenden Handlungsanforderungen abgeschirmt, es ist dies eine Art "buffering"-Funktion; zweitens dient die Symbolik dazu, angekündigte Handlungsprogramme nicht oder nicht sofort ausführen zu müssen. Die zweite Funktion von Symbolik besteht darin, die Politik von Handlungsanforderungen zu befreien. Für ein System, das angesichts einer intransparenten Welt keinen verbindlichen Zweck angeben kann, ist das ein zentraler Operationsmodus. Lindblom lenkt mit der Kategorie des Inkrementalismus die Aufmerksamkeit auf genau unser Thema des politischen Entscheidens unter dem notwendigen Verzicht auf
3 Vgl. J.G. March/ J.P. Olsen (1984): The New Institutionalism: Organizational Factors in Political Life; in: The American Political Science Review 78 (2), S. 734-749 (737f). 4
Vgl. Ch. Lindblom (1964): The Science of "Muddling Through"; in: H.J. Leavitt/ L.R. Pondy (Hrsg.), Readings in Managerial Psychology, Chicago/ London, S. 62-78; deutschsprachig neu abgedruckt in E. Grochla (1976; Hrsg.), Organisationstheorie, 2. Band, Stuttgart: Poeschel, S. 373-388.
198
IX. Die Darstellungsleistungen der Politik
definitive Zwecksetzungen. Denn ein Kernstück inkrementaler Politik besteht darin, daß sie nicht eindeutig zwischen Zwecken und Mitteln unterscheidet, die Mittel sich vielmehr selbst genügen und nun ihrerseits zum Zweck werden. Globale, umfassende Ziele und weit in die Zukunft greifende Problemlösungen werden dagegen vermieden. Die Bestandsaufnahme Lindbloms ist eine nüchterne Beschreibung politischen Entscheidens in einer Gesellschaft mit polykontexturalen, rekursiven Beobachtungsverhältnissen und der Auflösung gesellschaftlicher Sicherheiten. Danach können Probleme weder konsensuell in eine sachlich oder historisch zwingende Dringlichkeitsfolge gebracht werden, noch kann in einer Entscheidung mitberücksichtigt werden, welche Wirkungszusammenhänge sie auslösen wird. 5 Ein auf diese Bedingungen gemünzter Entscheidungsstil ist geprägt von "kleinen Schritten", die sich kaum vom status quo entfernen, während weit in die Zukunft ausgreifende, hehre Ziele in eher unverbindlichen Formen Platz finden. Dies birgt verschiedene Rationalitätsmomente für die Politik in sich und wohl deshalb spricht Lindblom vom "science of muddling through". So kann eine Entscheidung an frühere Entscheidungen leichter angeknüpft werden, womit die Politik dem Umstand Rechnung trägt, daß Entscheidungen nicht im historischen und sozialen Vakuum stattfinden, sondern auf Gegebenheiten früherer Entscheidungen als "constraints" Rücksicht zu nehmen haben. Zweitens berücksichtigt der Stil der kleinen Schritte, daß Politik vor allem ein Geschäft der Kompromißfindung ist und hält entsprechend die Konsens- und Abstimmungsprobleme zwischen den Interessen in Grenzen. Darüber hinaus lenkt Lindbloms Analyse den Blick darauf, daß die Faktoren Zeit und Information für die Politik nicht einfach zur Verfügung stehen, sondern ihrerseits zu kritischen Momenten politischen Entscheidens werden. Da beide Faktoren knappe Ressourcen sind, kommt es einerseits darauf an, Zeit zu gewinnen (trotz und gerade dringender Zukunftsprobleme) und andererseits darauf, die Entscheidungen mit informiertem Sachverstand zu unterfüttern, bzw. dies immerhin zu versuchen und darzustellen. Wie wir gesehen haben, erfüllt die Grenzwertsetzung beide Bedingungen. Unter dem Gesichtspunkt des Inkrementalismus werden Grenzwerte deutlich als Zwischenergebnis der Politik "(...) und die Alltagspolitik ist nichts weiter als Produktion von Zwischenergebnissen".6 So operiert die Politik gemäß eines Hinweises Elsters, wonach es wichtiger ist, sich überhaupt zu entscheiden, als sich möglichst
5 Vgl. zu diesen beiden wichtigen Entscheidungsmomenten und deren Auflösung im sogenannten "garbage-can"-Modell J.G. March/ J.P. Olsen (1986): Garbage Can Models of Decision Making in Organizations; in: J.G. March/ R. Weissinger-Baylon (Hrsg.), Ambiguity and Command, Organizational Perspectives on Military Decision Making, Marshfield, Mass.: Pitman, S. 11-35. 6
N . Luhmann (1997): Grenzwerte der ökologischen Politik. Eine Form von Risikomanagement, in: P. Hiller/ G. Krücken (Hrsg.), Risiko und Regulierung, S. 204.
1. Inkrementale Politik
199
optimal zu entscheiden: "It may be more important to make some decision and then stick to it, than to make the best decision".7 Dies bildet den Hintergrund der folgenden Überlegungen zur symbolischen Seite der Politik. Denn schließlich kann sich die Politik, unter Dauerbeobachtung der Gesellschaft stehend, nicht damit begnügen, Zwecke mit Mitteln zu vertauschen und Zwischenergebnisse vorzustellen. Zwecke müssen als solche überzeugen und sichtbar gemacht, also mitgeteilt werden. Die Politik "(...) muß Handlungen sichtbar machen, die möglicherweise gar nicht stattfinden oder die ihnen zugeschriebenen Effekte gar nicht haben können (...) Man muß Absichten nicht geheimhalten, sondern ankündigen. Das System spezialisiert sich, wie Nils Brunsson an schwedischen Organisationen herausgefunden hat, auf 'talk', nämlich auf Darstellung der Bemühungen um rationale Entscheidungen".8 Worin besteht nun die Darstellungsleistung der Politik genauer? Zunächst sei vorweggeschickt, daß wir es in der Politik vor allem mit Organisationen zu tun haben, also sozialen Aggregaten, die eine Grenze zur Umwelt aufgebaut haben und intern mehr oder weniger formalisiert sind: "Most of the major actors in modern economic and political systems are formal organizations, and the institutions of law and bureaucracy occupy a dominant role in contemporary life". 9 Das gilt insbesondere für die politische Kommunikation: "Für das politische System zählt aber nur organisierte Kommunikation". 10 Wenn Organisationen u.a. darüber gekennzeichnet werden, daß sie eine Grenze zur Umwelt aufbauen, wird das Organisations-/ Umwelt-Verhältnis zum Problem. Im Umkreis der institutionalistischen Organisationssoziologie wird den Organisationen ein Mangel an Kenntnissen über Wirkungszusammenhänge zwischen Organisation und Umwelt attestiert und der behelfsweise Rückgriff auf einfache Kausalvorstellungen. Diese Merkmale der "organisierten Anarchien" werden bei March/ Olsen als "unclear technology" bezeichnet: "Although the organization manages to survive and even produce, its own processes are not understood by its members. It operates on the basis of simple trial-and-error procedures, the residue of learning from the accidents of past experience, and pragmatic inventions of necessi-
7
J. Elster (1986; Hrsg.): Rational Choice, Oxford: Blackwell, S. 1-33 (19).
8
Ν. Luhmann (199Id): Ansprüche an die Politik; in: ders., Soziologie des Risikos, Berlin/ New York: de Gruyter, S. 155-185 (156f). 9
J.G. March/ J.P. Olsen (1984): The New Institutionalism: Organizational Factors in Political Life, S. 734. 10
N. Luhmann (1991d): Ansprüche an die Politik, S. 164.
200
IX. Die Darstellungsleistungen der Politik
ty". 1 1 Es kommt im organisational Entscheiden und Handeln zur notwendigen Nichtberücksichtigung von Konsequenzen und Verschieben von Problemen an andere Stellen der Organisation, zum Vertagen ("flight") und Übersehen von Problemen ("decision by oversight"): "Decision making by flight (i.e., by the departure of problems from a choice arena) or by oversight (i.e., by action before problems become activated) is a major feature of the process". 12 Aufgrund der "unclear technologies", der Unklarheit der Wirkungen von Programmen, ist das Lernen von Organisationen so schwer. Nicht nur ist unklar, welches Programm welche Wirkungen haben wird, überhaupt ist mehrdeutig, welcher Umweltzustand als Erfolg bzw. als Mißerfolg zu deuten ist. Es ist diese intransparente Schnittstelle zwischen Organisation und Umwelt, auf die sich das Konzept der "Ambiguität" vornehmlich bezieht.13 Organisationen als soziale Systeme schließen sich operativ ab und es kommt zu erheblichen Reibungsverlusten, wenn gesellschaftliche Kommunikation die Schwelle zu formalen Organisationen überschreitet. Vor allem operieren Organisationen entlang der eigenen Geschichte.14 Sie beobachten und interpretieren sich selbst, in dem sie die Umwelt auf mögliche Ziele hin absuchen und zwar in Abhängigkeit dessen, was bereits (politisch) kommuniziert wird oder sich in die bisherige Kommunikation einpaßt und darin als Problem bearbeitbar ist. Das heißt mit anderen Worten, Organisationen sind nicht Ziele realisierende, sondern Ziele suchende Systeme.15 Wenn Organisationen sich vornehmlich mit sich selbst beschäftigen, heißt das auch, daß ihre Beobachtung gesellschaftlicher Erwartungen intern entstehen und auf eine "hausgemachte" Umweltdeutung zurückgehen. In jedem Fall handelt es sich um organisationsintern angefertige Umweltinterpretationen anhand von Deutungsmustern; Weick nennt diesen Deutungsprozeß "enactment": "People who act in organizations often produce structures, constraints, and opportunities that were not there before they took action. Enactment
11
M.D. Cohen/ J.G. March/ J.P. Olsen (1972): A Garbage Can Model of Organizational Choice; in: Administrative Science Quarterly 17 (1), S. 1-25 (1). 12 J.G. March/ J.P. Olsen (1986): Garbage Can Models of Decision Making in Organizations; in: J.G. March/ R. Weissinger-Baylon (Hrsg.), Ambiguity and Command, Organizational Perspectives on Military Decision Making, S. 18. 13
Vgl. J. G. March/ J.P. Olsen (1976): Organizational Learning and the Ambiguity of the Past; in: dies., Ambiguity and the Choice in Organizations, Bergen, Norway: Universitetsforlaget, S. 54-68. 14
Vgl. Ph. Selznick (1957): Leadership in Administration. A Sociological Interpretation, Illionois/ New York: Row. 15 Vgl. Ν. Luhmann (1992): Ökologie des Nichtwissens, in: ders., Beobachtungen der Moderne, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 149-220 (205).
2. Die Entscheidungsrationalität politischer Organisationen
201
involves both a process, enactment, and a product, an enacted environment." 16 In ihrer Deutung der Umwelt bedienen sich die Organisationen Ideologien, verstanden als Deutungsmuster über sich selbst und ihre Umwelt. 17 Sie entwerfen dabei grundsätzlich eine Umwelt als konsistent oder inkonsistent und genau dies führt nach Brunsson zu zwei Typen organisationalen Handelns.18 Er unterscheidet entsprechend die handlungsfähige von der entscheidungsrationalen Organisation, und insbesondere die letztere ist für eine Politische Soziologie von Bedeutung; zur Abgrenzung aber zunächst einige Sätze zur handlungsfähigen Organisation.
2. Die Entscheidungsrationalität politischer Organisationen Die Handlungsfähigkeit von Organisationen ist abhängig von der Beschaffenheit ihrer Ideologie als dem Bündel an Vorstellungen der Organisationsmitglieder über die Organisation selbst, über die Beschaffenheit der Umwelt und über die kausalen Beziehungen zwischen beiden. Ideologien müssen, sofern sie Handlungsfähigkeit sicherstellen wollen, in der Lage sein, den Organisationsmitgliedern eindeutige Ziele zu benennen, die Organisationsmitglieder auf diese Ziele verpflichten und wechselseitige Erwartungen der Zweckverfolgung etablieren und stabilisieren können.19 Unter diesen Bedingungen ist das Vertrauen in die eigene Beobachtung und Umweltdeutung stabil, während andere Weltbilder weder berücksichtigt noch geduldet werden. Außerdem führt die strenge und eindeutige Ideologie dazu, selbst in neuartigen, unbekannten Situationen schnell und eindeutig reagieren zu können, denn die ideologischen Vorgaben lassen oft nur eine Möglichkeit des Handelns zu. "Ideally only one alternative should be considered, so that no doubt arises about what should be done (...) Preferences can be adopted to action, rather than the other way round". 20 Zu einer echten Entscheidung als der Wahl zwischen Alternativen kommt es gar nicht und also auch nicht zu langwierigen Prozessen des Suchens, Testens und Aushandelns, also Entscheidungsmomenten, die immer die Gefahr von Konflikt und Unsicherheit, also von Handlungsunfähigkeit in sich bergen. Handlungsfähige Organisationen sind daher bestrebt,
16
Κ. E. Weick (1988): Enacted Sensemaking in Crisis Situations; in: Journal of Management Studies 25 (4), S. 305-317 (306f). 17
Vgl. N. Brunsson (1985): The Irrational Organization. Irrationality as a Basis for Organizational Action and Change, Chichester/ New York/ Brisbane/ Toronto/ Singapore: John Wiley & Sons. 18
Vgl. Ν. Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy. Talk, decisions and actions in organizations; Chicester/ New York/ Brisbane/ Toronto/ Singapore: John Wiley & Sons. 19 2
Vgl. Ν. Brunsson (1985): The Irrational Organization, S.19f. . Brunsson(1989): The Organization of Hypocrisy, S. 1 .
202
IX. Die Darstellungsleistungen der Politik
Inkonsistenzen zu vermeiden. Sie bewerkstelligen dies dadurch, daß sie sich entweder sachlich auf bestimmte Nischen ihrer Umwelt beschränken, wodurch die auf die Organisation eindringenden Erwartungen stabil und eindeutig sind. Oder die Organisation erstellt, ermöglicht durch ihre hierarchisch gegliederte Sozialdimension, ein "ranking" verschiedenartiger Präferenzen durch eine dominierende Koalition. 21 Dieser Organisationstyp hat ein erkennbares Erfolgskriterium und es heißt Effizienz. Insgesamt konzentriert sich die handlungsfähige Organisation auf Lösungen, nicht auf Probleme, denn nur anhand von Lösungen ist die Organisation handlungsfähig, während Probleme lähmend wirken. In der Wirtschaft ist dieser Organisationstyp vertreten als der herkömmliche, entlang von Routine und Standardisierung operierende Industriebetrieb mit Massenproduktion fur ein bestimmtes, bekanntes Marktsegment und stabiler Klientel. In der Verwaltung handelt es sich um den konditionalprogrammierten, bürokratischen "Apparat" und in der Politik haben wir es in den Worten von Webers Politischen Schriften mit dem Typus der "Weltanschauungspartei" zu tun; in Selznicks Beschreibung einer bolschewistischen Partei wird das Merkmal der Handlungsfähigkeit dann ganz deutlich: "The distinctive competence of the Bolshevik 'combat' party lies in its ability to transform members of a voluntary association into disciplined and déployable agents".22 Der dafür zu entrichtende Preis besteht in einem Verzicht auf die Fähigkeit, interne Konflikte und Kontroversen auszuhalten und auszutragen. Dieser trade off zwischen Handlungsfähigkeit und "Konfliktfähigkeit" findet sich dann auch in Brunssons Organisationstypologie wieder und nimmt dort eine zentrale konzeptionelle Bedeutung an. Die Grundlage von Handlungsfähigkeit ist dementsprechend die massive Verletzung der normativen Gebote einer rationalen Entscheidungstheorie. "In conclusion we coulde say that the action organization is systematic in not adopting normative models of rationality. In a complicated world it cultivates a single perspective and a single idea about how it functions and about how its environment functions, and the confidence it attaches to this ideology is excessive in relation to what would seem reasonable". 23 Daneben gibt es nun den Organisationstyp, der gerade die Gebote einer normativen Entscheidungstheorie exzessiv verfolgt; seine Eigenschaften sind das genaue Gegenteil von dem, was wir als Eigenschaften einer handlungsfähigen Organisation skizziert haben. Ihre Strukturen, Prozesse und Ideologien sind in ihnen so beschaffen, daß sie in der Lage sind, inkonsistente Umweltanforderungen zu
21 Vgl. J.G. March (1962): The Business Firm as a Political Coalition; in: The Journal of Politics 24(1), S. 662-678. 22
Ph. Selznick (1957): Leadership in Administration, S. 45.
23
N. Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy, S. 19. Betonung im Original.
2. Die Entscheidungsrationalität politischer Organisationen
203
absorbieren. Brunsson nennt diesen Typus die "politische Organisation". 24 "Politisch" sind diese Organisationen nicht deshalb, weil sie Interessen verfolgen in dem alten politikwissenschaftlichen Sinne von 'who gets what and why', sondern weil sie divergierenden gesellschaftlichen Erwartungen gerecht werden und dafür spezifische Strukturen und Prozesse ausbilden. Konstitutiv ist daher für politische Organisationen ihre inkonsistente Ideologie, oder besser im Plural formuliert: die Koexistenz mehrerer, verschiedener Ideologien. Diese verpflichten die Mitglieder weder auf bestimmte Werte und Zwecke, noch richtet sie feste Erwartungen an sie. Statt dessen pflegt dieser Organisationstyp den internen Konflikt, seine Mitglieder "agree to disagree". Damit ist er in der Lage (aber auch verpflichtet), inkonsistente Umweltanforderungen abzubilden. In Heiders Worten kann man sagen, dieser intern zerrissene Organisationstyp hat im Hinblick auf die Abbildung vielfältiger gesellschaftlicher Erwartungen gute Meafefleigenschafien. Beispiele sind Parlamente, Parteien, Ausschüsse, aber auch selbstverwaltete Universitäten und Industriebetriebe, die im Lichte der Öffentlichkeit stehen und gegenläufigen Anforderungen gerecht werden müssen, z.B. ökonomischen und ökologischen. Ihr output besteht daher vornehmlich nicht aus materiellen Produkten, sondern aus mündlichen und schriftlichen Verlautbarungen und Positionsmitteilungen; Brunsson nennt den output dieser Organisationen (im Abgrenzung zur "action " der handlungsfähigen Organisation) "talk": "The political organization tends to give a good deal of attention to producing and promoting ideology. One of the ideological outputs of organizations is talk. The political organization sets great store by what it says, orally or in writing. Talk, in the broader sense of the spoken or written word, is produced not only for internal purpose but also and more importantly for the environment. Another output consists of decisions. Decisions are a form of talk important enough to warrant classification as a separate category. The political organization makes decisions which it is then anxious to demonstrate clearly to the outside world. A parliament or a local council does very little other than talk and make decisions."25 Das steht allerdings der Handlungsfähigkeit der Organisation entgegen, und zwar aufgrund des "trade off' zwischen der Absorption von Inkonsistenzen einerseits und der Handlungsfähigkeit von Organisationen andererseits. "But when organizations choose or are compelled to live with inconsistent demands, they will find it difficult to generate organized action, since organized action calls for consistency rather than inconsistency".26 Statt Hand-
24
Vgl. Ν. Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy, S. 19ff.
25
N. Brunsson (1989): The Organization of Hyprocricy, S. 26. Betonungen im Original. Materielle Produkte stellen politische Organisationen in dem Sinne kollektiv bindender Entscheidungen her, in dem sie die Erstellung "öffentlicher Güter" anordnen. Die Anordnung ist eindeutig und in diesem Sinne handelt es sich um "action". 26
Ν. Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy, S. 13.
204
IX. Die Darstellungsleistungen der Politik
lungsfähigkeit und Produkterstellung geht es in politischen Organisationen um die Absorption von widersprüchlichen Umweltanforderungen, und dazu benutzen politische Organisationen Sprache und Schrift. Denn diese "talk"-Momente sind anders als materielle Produkte in der Lage, Inkonsistenzen abzubilden und zu absorbieren, denn sie können weniger eindeutig gestaltet werden als konkrete Güter. Die politischen Organisationen sind nun ganz anders als die handlungsfähigen Organisationen geradezu darauf kapriziert, weder sachliche Konsistenz anzustreben noch hierarchische "rankings" von Präferenzen zuzulassen und anzuerkennen. Im Gegenteil suchen und betonen sie die Inkonsistenzen der Umwelterwartung, absorbieren sie und pflegen daher intern den Konflikt. Politische Organisationen institutionalisieren geradezu den Konflikt und die Kontroverse, ohne aber - und das ist entscheidend - im Konflikt selbst schon einen Seitenblick auf mögliche Implementation zu werfen, werfen zu müssen oder überhaupt werfen zu dürfen: "(...) heated argument leads to decisions without concern about their implementation (...)· 27 Als Beispiel betrachte man politische Großveranstaltungen wie den Klimagipfel vom April 1995 in Berlin. Wie zu lesen war, beschäftigte sich der Gipfel vor allem mit sich selbst und erschöpfte sich in Auseinandersetzungen über die Geschäftsordnung und Abstimmungsprozeduren. 28 Während der Gipfel aus der Sicht der Politik "insgesamt erfolgreich gewesen ist" blieb andernorts der Eindruck der Enttäuschung zurück; jenseits solcher Einschätzungen sieht man mit Brunsson, daß es sich um das normale Geschäft der Politik handelt. Solche Gipfeltreffen sind nur ein besonders auffälliges Beispiel für "talk", viel allgemeiner muß man aber davon ausgehen, daß es der zentrale Operationsmodus auch der alltäglichen Politik ist. Strukturelle Voraussetzung der Konfliktpflege ist die segmentare Differenzierung der je in Betracht stehenden Gesa/w/organisation, wie Parlament, Kongreß oder dergleichen, so daß Positionen nicht hierarchisch geordnet werden können. Dem steht nicht entgegen, daß die einzelnen Parteien, Organisationen und Gruppierungen intern hierarchisch durchorganisiert sein können, was ja der Normalfall ist. Auf Gesamtorganisationsebene ist eine konsensuelle oder eindeutige Zwecksetzung und die vertikale (Herrschafts-)kommunikation, also die zwei Momente einer klassischen Organisationstheorie, vollkommen bedeutungslos. Die Rationalität politischer Organisationen besteht vielmehr gerade darin, "(...) that it reflects inconsistent norm (...) and satisfies the expectations of diverse
27
J.G. March/ J.P. Olsen (1984): The New Institutionalism: Organizational Factors in Political Life, S. 741. 28 Siehe "Frankfurter Rundschau" vom 29. März 1995, S.3: "Der ökologische Hammelsprung - nur eine schöne Idee".
2. Die Entscheidungsrationalität politischer Organisationen
205
groups in its environment". 29 Und daher auch die ausgeprägte Konflikt- und Problemorientierung dieses Organisationstyps, für ihn ist es allemal ratsam und dringend notwendig "(...) to cultivate and demonstrate its conflicts (...) they also have good reason to create and maintain problems". 30 Und daher auch die Notwendigkeit einer inkonsistenten Weltsicht und das Aufeinandertreffen divergierender Interessen durch die Zusammensetzung solcher Organisationen, insbesondere das Aufeinandertreffen von Regierungs- und Oppositionsparteien. "The political organization is multi-ideological; it includes lots of ideas about the nature of the organization and its environment, and about what the organization should do. The organization reflects a complex environment full of inconsistent ideas in a series of ideologies that are also inconsistent".31 Für die politische Bearbeitung technisch-ökologischer Risiken in einer polykontexturalen Gesellschaft ist dies der probate Organisationstyp, aber eben ein Organisationstyp, der nicht handlungsfähig ist. Die notwendig lose Kopplung von "talk"-Politik und implementierender "action"-Ebene soll an zwei Beispielen veranschaulicht werden. Bei unsicherem Kenntnisstand reagiert die Politik zunächst mit Äußerungen der Besorgnis und des Bedauerns, nennt den in Betracht stehenden Vorfall einen "Anlaß zu ernster Sorge" und verspricht, allen Betroffenen die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Weder aber sind die Betroffenen bekannt, noch sind damit Rahmenbedingungen für etwaige Programme berücksichtigt. Statt dessen kommt es oft zu einer Art unverbindlicher Verbalradikalität. Ein Beispiel aus der Umweltpolitik: 32 Aus der Ladung des französischen Frachters 'Sherbo' sind nach einer Woche der Suche an der niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Küste 13 000 Giftbeutel gefunden worden. Die Beutel enthalten das Pflanzenschutzmittel 'Apron Plus' und sind teilweise beschädigt. Die Reaktion des Umweltministeriums bestand in der Forderung nach Gegenmaßnahmen: Verlegung der Schiffahrtsrouten weg von der Küste, statt billige sichere Routen, Begrenzung der Routen, schwimmfähige Container und deren Ausrüstung mit Peilsendern. Erstaunlicherund bezeichnenderweise wurde aber über rechtliche, finanzielle, personelle und sonstige Voraussetzungen einer derartigen Umstellung nichts gesagt; Autorität wird angekündigt, aber nicht umgesetzt - und genau das wird von den politischen Gegner eingefordert (ohne nachweisbar ihrerseits dazu in der Lage zu sein). Ein anderes Beispiel zeigt, wie der "talk"-Mechanismus der Politik eine Beschränkung
29
N. Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy, S. 19.
30
N. Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy, S. 10.
31
N . Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy, S. 21.
32
Vgl. "Frankfurter Rundschau", vom 31. Januar 1994, S. 20.
206
IX. Die Darstellungsleistungen der Politik
auf ungenaue Zielangaben erlaubt, die fast an die Generalklauseln aus der politischen Techniksteuerung erinnern. So ging die in Genf tagende Klima-Schutzdelegation der Regierungen als Ergänzung zum Umweltgipfel vom Juni 1992 in Rio mit der Erklärung auseinander, daß "die bisher in der Weltklima-Konvention festgelegten Maßnahmen zur Verminderung der Treibhausgase nicht ausreichen". 33 Darüber hinaus erlaubt "talk" ein schnelles Wechseln der Zwecksetzung, wenn eine politische Maßnahme ihren Zweck zu offensichtlich verfehlt hat, so zum Beispiel beim deutschen Somalia-Einsatz in Belet Huen. Der Auftrag der deutschen Blauhelme, eine indische Brigarde zu versorgen, war gegen Ende 1993 hinfällig geworden, weil die Inder nicht gekommen waren. Um die Aktion politisch zu rechtfertigen - immerhin hat sie über 310 Millionen D M gekostet - wurden jetzt nicht mehr die Inder versorgt, sondern Erfahrungen gesammelt; der Einsatz, so das Verteidigungsministerium, "(...) hätte den Soldaten einen einmaligen Gewinn an Erfahrung gebracht". 34 Ungenaue und wechselnde Zwecksetzungen bieten der Opposition reichlich Nährstoff für Kritik und den verantwortlichen Stellen reichlich Möglichkeiten des Antwortens und Rechtfertigens. Das alles ist nicht mißzuverstehen als böser Wille der Politik oder gar einzelner Personen dieser oder jener Seite, sondern zu verstehen als notwendiger Operationsmechanismus des Systems "Politik", dessen Funktion es ist, sich ohne stabile Zwecksetzung und eindeutige Erfolgskriterien mit öffentliche Angelegenheiten beschäftigen zu müssen. Daher sprachen wir bewußt von einer notwendigen Entkopplung zwischen "talk" und "action". Die politische Organisation als Gesamtorganisation wird von Brunsson als "intellektuell" bezeichnet und zwar in dem spezifischen Sinne folgender drei Gesichtspunkte. Erstens: Die politische Organisation umfaßt verschiedene Ideologien, läßt diese zu und fördert sie und produziert eine Vielzahl an Ideen und Meinungen. Zweitens ist die politische Organisation problemorientiert, nicht lösungsorientiert. Insbesondere unlösbare Probleme sind das Geschäft politischer Organisationen, also diametral gebaute Probleme, deren jeweilige Lösungen sich wechselseitig ausschließen und also nicht als Ganzes zu haben sind. Oder man widmet sich Problemen, zu denen es auch technisch-medizinisch noch gar keine Lösung gibt wie im Falle von AIDS. Drittens sind politische Organisationen "intellektuell" in dem Sinne, daß sie den Anforderungen einer normativen Entscheidungstheorie gerecht werden, d.h.: Aufnahme möglichst vieler Informationen, hoher Zeitaufwand für Informationssuche und -Verarbeitung, die Berücksichtigung und Thematisierung aller möglichen Handlungskonsequenzen, das betonte
33 Vgl. "Frankfurter Rundschau", vom 19. Februar 1994, S. 3: "Außer Hoffnung nichts gewesen". 34
Vgl. "Frankfurter Rundschau", vom 1. März 1994, S. 4.
3. "Hypocrisy" und "double talk"
207
Demonstrieren von Entscheidungsverhalten als Wahl zwischen ernsthaft in Frage kommenden Alternativen und die Suche nach bzw. das Einklagen von optimalen Lösungen. Auch dies dient dazu, die interne Konflikthaftigkeit der Organisation zu praktizieren und zu zeigen. Hinzu kommt die aktive Suche politischer Organisationen nach weiteren Umweltanforderungen, denen man auch noch immerhin sprachlich gerecht werden will und Anerkennung darüber erlangt, daß andere Stellen der politischen Organisation dies versäumt haben; so entstehen neue Themen und internes Wachstum in der Politik. "We could say that the political organization tends to spread into every corner of its environment and to complement events and actions there with ideological reflection, symbols and meaning". 35 Da es keine Notwendigkeit zum gemeinsamen Handeln gibt, kann man ungehindert die Pflege von Kritik, Skepsis und Mißtrauen gegenüber jeder vertretenen Position betreiben, und in einer offenen Zukunft, die aber gegenwärtig schon beobachtet wird, fallt es nicht weiter schwer, Kritik, Skepsis und Mißtrauen zu artikulieren und damit das Spiel von Position und Gegenposition anzukurbeln und zu schüren. Zusammenfassend kann man sagen: Eine so geartete Entscheidungsrationalität und die ständige Betonung von internem Konflikt ist nur in denjenigen Organisationen möglich, deren Produkt nicht aus Handlungen besteht. Deshalb können sich politische Organisationen eine Entscheidungsrationalität leisten, weil sie nicht handeln, sondern entscheiden müssen, während die handlungsfähigen Organisationen auf Entscheidungsrationalität verzichten müssen und ein Großteil an möglichem Alternativenspektrum ausblenden. In diesem Sinne unterscheidet Brunsson Handlungsfähigkeit und Entscheidungsrationalität. Der "talk"-Mechanismus der Entscheidungsrationalität wird darüber hinaus von Brunsson in zwei Formen differenziert, denen wir uns jetzt zuwenden müssen, da sie je für sich ein spezifisches Potential für eine politische Risikobearbeitung darstellen; es handelt sich um die Mechanismen "hypocrisy" und "double talk".
3. "Hypocrisy" und "double talk" A u f der Seite von politischem "talk" können wir zwei Mechanismen unterscheiden, Brunsson nennt sie Hypocrisy und double talk . Hypocrisy meint die Abarbeitung von Umweltanforderungen durch inkonsistente Handlungsweisen, beispielsweise anders zu reden als dann zu entscheiden. "In other words hypocricy is a fundamental type of behaviour in the political organization: to talk in a way that satisfies one demand, to decide in a way that satisfies another, and to supply products in a way that satisfies a third". 36 So kann eine Partei, die auf der reinen
35
Ν. Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy, S. 24.
36
N. Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy, S. 27.
IX. Die Darstellungsleistungen der Politik
208
"talk"-Ebene Weltanschauungszüge hat, pragmatische Entscheidungen im Hinblick auf einen Wahltermin treffen (beispielsweise einen gemäßigten Kandidaten aufstellen) und letztlich Produkte unterstützen, die in ihrem Programm gar nicht vorkommen. Oder man stimmt für ein Kernkraftwerk und fordert trotzdem den Ausstieg aus der atomaren Energiegewinnung. Politische Organisationen müssen, so könnte man mit Luhmann formulieren, zwischen Zwecksetzung und Zweckdarstellung unterscheiden. 37 Die Darstellungsleistung dient dann dazu, vor allzu heftiger Kritik zu schützen, sie puffert die gefällte Entscheidung ab. Organisationen bedienen sich zur Lösung des Anpassungsproblems an Umwelten vor allem eben einer solchen Zweckdarstellung: "Das System wird so präsentiert, als ob es seinem Zweck untergeordnet sei; es erscheint in Handlungen, die um des Zweckes willen durchgeführt werden oder sonst auf ihn verweisen, und in Symbolen, die zweckorientierte Einstellungen bekunden".38 Besonders für öffentliche Organisationen, also dem Gegenstand unserer Betrachtung, ist die Darstellungsleistung besonders wichtig: "Im öffentlichen Leben hat die Demokratisierung des Staatswesens die Anforderungen an die Darstellungssorgfalt politisch wirkender Organisationen - die öffentliche Verwaltung eingeschlossen - extrem hochgeschraubt
Das Problem für politische Organisationen, die unter Dauerbeobachtung der Öffentlichkeit stehen, hat sich inzwischen verschärft und liegt nicht nur darin, zwischen Herstellen und Darstellen von Zwecksetzung und -Verfolgung (als Entscheidungsgegenstände) unterscheiden zu müssen, sondern im Zusammenhang mit neuartigen, technisch-ökologischen Risiken gar keinen genauen Zweck verfolgen zu können. Daher auch Brunssons "trade-ofF'-Argument zwischen "talk" und "action" und die Betonung des Verhinderungseffekts von "talk": "Major material change in societies tend to take place in areas about which there is little public debate while situations that are much discussed tend not to change (...) Talk seems to make action less needed".40 Deshalb tritt die Darstellung von Positionen und Absichten als selbständiges Leistungsmoment der Politik auf; besonders vor dem Hintergrund der öffentlichen Beobachtung eines politischen Risikomangements wird sie sodann zu dem Leistungsmoment der Politik schlechthin und benutzt dazu, wie wir noch ausführlicher behandeln werden, Zeremonien und Symbole. Der entsprechende Mechanismus "double talk" bezeichnet Inkonsistenzen in-
37 Vgl. N. Luhmann (1964): Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin: Duncker & Humblot, S. 108-122. 38
N. Luhmann (1964): Funktionen und Folgen formaler Organisation, S. 118.
39
N. Luhmann (1964): Funktionen und Folgen formaler Organisation, S. 122.
N. Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy, S. 9.
3. "Hypocrisy" und "double talk"
209
nerhalb einer Ebene, also beispielsweise widersprüchliche Reden oder das Vertreten inkonsistenter Ideen. Typische Ausprägungen sind die "Sowohl-Als-auch"Standpunkte in politischen Reden, oder inkonsistentes Entscheiden, das mehrere Zwecke zuläßt oder ein Entscheiden, das den Zeitpunkt seiner Umsetzung im Dunkeln beläßt. Mehr noch als bei "hypocrisy" wird hier die Eigenständigkeit des "talk"-Mechanismus deutlich, denn es geht nicht darum, hier etwas zu entscheiden und es dort darzustellen, sondern die Darstellungsleistung allein ist schon die Politik. Deshalb auch hat dieser symbolische Mechanismus nichts gemein mit Manipulationsversuchen der Verschleierung, eine oft mit "symbolischer Politik" assoziierte Vorstellung. 41 Denn die Manipulationsthese geht davon aus, daß es neben der Symbolik noch "richtige" Entscheidungen der Politik gibt, die aber der Öffentlichkeit vorenthalten werden sollen: "(...) in this view symbols are claimed to be used by political participants for the purpose of obsuring some aspect of reality in order to achieve a desired end, be it personal, partisan, or policy-oriented. The key point here is that symbols are thought to be separate from the 'real' world of politics, and secondary to the 'real· decision-making process". 42 Unser konstruktivistischer Ansatz geht demgegenüber davon aus, daß der Symbolgebrauch seinerseits schon die Politik selbst ist, die politische Realität im und durch den Prozeß des Symbolgebrauch überhaupt erst erschaffen wird: "Instead of defining politics in terms of decisions and their outcomes, the interpretive view defines politics as 'discovering, elaborating and expressing meanings and establishing shared (or opposed) conceptions of experience and values'".43 So kann die Politik Probleme politisch behandeln, ohne schon angeben zu können, wie eine Lösung eventuell aussehen könne. Die Ankündigung von Verfahren und die Kritik daran, sowie die Benutzung einer spezifischen Sprache ist schon die politische Lösung. Eine Unterscheidung in "Sein" und "Schein" würde also den hier entscheidenden Punkt gar nicht treffen, denn Symbole sind schon die volle Wirklichkeit. 44 Und statt den Symbolgebrauch als Lug und Betrug zu deuten, handelt es sich vielmehr um "(...) eine strategische Konzeption, die eine sinnvolle Anpassung an spezifische Systemgrenzen mit ihren je besonderen Anforderungen ermöglicht". 45 Wie auch immer, als "hypocrisy" oder als "double talk": In beiden Fällen
41
Vgl. M. Edelman (1967): The Symbolic Uses of Politics, Urbana/ Chicago/ London: University of Illionois Press. 42
D. Bumier (1994): Constructing Political Reality: Language, Symbols, and Meaning in Politics; in: Political Research Quarterly 47 (1), S. 239-253 (241). 43 D. Bumier (1994): Constructing Political Reality: Language, Symbols, and Meaning in Politics, S. 242. 44
Vgl. Ν. Luhmann (1964): Funktionen und Folgen formaler Organisation, S. 120f.
45
N. Luhmann (1964): Funktionen und Folgen formaler Organisation, S. 116.
14 Heidenescher
210
IX. Die Darstellungsleistungen der Politik
handelt es sich um einen Mechanismus, dessen entscheidendes Kennzeichen darin liegt, sich von einer wie immer gearteten operativen Handlungsebene abzukoppeln. Der Kommunikationsstil "talk" erscheint als Darstellungsleistung der Politik und deckt als "Schauseite" damit entweder die operative "Innenseite" der Politik ab oder ersetzt diese sogar vollkommen. So läßt sich Politik machen und eine (angekündigte) Implementation ist dabei gar nicht unbedingt erforderlich: "To talk inconsistently is not difficult; it is a natural output of the political organization whose members base their talk on different ideologies. Nor it is particulary difficult to make inconsistent decisions, at least so long as the decisions are not implemented, as is by no means always necessary". 46 Zur genaueren Benennung dessen, was "talk" als symbolische Politik in dem hier verwendeten Sinne meint, greifen wir im folgenden auf die neo-institutionalistischen Organisationstheorie zurück, deren tragende Säule gerade in der Unterscheidung von symbolisch/ instrumenteil liegt. 47
4. Institutionen symbolischer Politik Auf die Frage, wie politisches Entscheiden auch ohne eindeutige Zwecke und Erfolgskriterien, ohne eindeutige Mittel und in ihrer selbstverliebten Konflikthaftigkeit dennoch Bedeutung gewinnt, rekurriert der Neo-Institutionalism "(...) vor allem auf die Bedeutung eines normativ orientierten 'appropriate behavior' sowie eben (auf) Ritual, Zeremonie und Mythen (...)·" 48 Einige Beispiele ritualisierten, von der operativen Ebene abgekoppelten Handelns liefern uns March/ Olsen: "Politicans announce public support for positions they fail to defend in private (...). Legislators vote for legislation while remaining indifferent to its implementation (...). Administrators solicit public participation in decision making in order to secure public support for policies to which they are already committed. Chief executives advocate reorganization to the public bureaucracy, announce plans for making reorganization, and regularly abandon the plans (...). Information is gathered, policy alternatives are defined, and cost-benefit analyses are pursued, but they seem more intended to reassure observers of the appropriateness of action
46
N. Brunsson (1989): The Organization of Hypocrisy, S. 26.
47
Vgl. deutlich bei J.G. March/ J.P. Olsen (1984): The New Institutionalism: Organizational Factors in Political Life; in: The American Political Science Review 78 (2), S. 734749. 48 R Mayntz/ F.W. Scharpf (o.J.): Akteurbezogener Institutionalismus als analytischer Ansatz, Ms. MPIfS Köln, S. 6.
4. Institutionen symbolischer Politik
211
being taken than to influence the actions (...)· 49 Besonders auf die Momente von Partizipation und Information wird noch zurückzukommen sein. Jedenfalls geht es um die Darstellung weniger von Interessen, denn vielmehr von Identitäten, also darum, "jemand zu sein", zum Beispiel ein besonnener Entscheider. Institutionen "(...) provided individuals with vocabularies of motives and with a sense of self'. 50 Damit bekommt der politische Prozeß des Verhandeins und Entscheidens Bedeutung, obwohl er sich von der Handlungsebene einer stabilen Zwecksetzung abkoppelt und abkoppeln muß. Die Bedeutung liegt jetzt im Prozeß selber, in der Pflege des Konflikts, wie wir oben formuliert haben: "The pleasures are often in the process." 51 Der politische Prozeß bedient sich dabei den noch zu behandelnden, institutionalisierten Werten der Gesellschaft. Dabei ist das zentrale Kennzeichen von Institutionen ihre nicht hinterfragbare, mit quasi Gesetzeskraft auftretende Verbindlichkeit, mit der sie auf die Operationen des Systems einwirkt. "Institutionalized rules are classifications built into society as reciprocated typifications or interpretations (...) Institutions inevitably involve normative obligations but often enter into social life primarily as facts which must be taken into account by actors. Institutionalization involves the processes by which social processes, obligations, or actualities come to take on a rulelike status in social thought and action".52 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen nun diejenigen institutionellen Einrichtungen der modernen Gesellschaft genannt werden, die einem politischen Umgang mit technisch-ökologischen Risiken adäquat sind; es sind dies vor allem die Kategorien von Rationalität, Information, Partizipation und "angemessene" Verfahren und Strukturen der Entscheidungsfindung. Im folgenden geht es um Einrichtungen, die "vernünftige" Politik symbolisieren sollen, d.h. sie als solche darstellen, ohne schon Bedingungen der Implementation zu berücksichtigen. Die allgemeinste Form dieser Symbolik sind formale Strukturen und korrekte Verfahren als "Mythen". Gemeint sind Programme, eingesetzte Technologien, zertifiziertes Expertenwissen, Berufsbilder, Hearings, Kontroll-
49
J.G. March/ J.P. Olsen (1984): The New-Institutionalism: Organizational Factors in Political Life, S. 738. 50 R. Friedland/ R.R. Alford (1991): Bringing Society Back In: Symbols, Practices, and Institutional Contradiction; in: W.W. Powell/ P.J. DiMaggio (Hrsg.), The New Institutionalism in Organizational Analysis, Chicago/ London: The University of Chicago Press, S. 232-263 (251). 51
J.G. March/ J.P. Olsen (1984): The New-Institutionalism: Organizational Factors in Political Life, S. 741. 52
J.W. Meyer/ B. Rowan (1991): Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony; in: W.W. Powell/ P.J. DiMaggio (Hrsg.), The New Institutionalism in Organizational Analysis, Chicago/ London: The University of Chicago Press, S. 41-62 (42). 14*
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IX. Die Darstellungsleistungen der Politik
und Prüfverfahren, "Auditing" 53 , etc. Durch das Inkorporieren rationaler Verfahren und Prozesse erlangen Organisationen Legitimation und Abnahmebereitschaft ihrer Entscheidungen, auch hier wieder unter Absehung von Effizienzgesichtspunkten und Kriterien der Zweckerfüllung. "In modern societies, the elements of rationalized formal structure are deeply ingrained in, and reflect, widespread understandings of social reality. Many of the positions, policies, programs, and procedures of modern organizations are enforced by public opinion, by the views of important constituents, by knowledge legitimated through the educational system, by social prestige, by the law, and by the definitions of neglience and prudence used by the court. Such elements of formal structure are manifestations of powerful institutional rules which functions as highly rationalized myths that are binding on particular organizations." 54 Dieser Verpflichtungscharakter von Institutionen ignoriert nicht nur Effizienzgesichtspunkte, sondern steht ihnen oftmals sogar entgegen: "(...) expensive technologies, which bring prestige to hospitals and business firms, may be simple excessive costs from the point of view of immediate production. Similary, highly professionalized consultants who bring external blessing on an organization are often difficult to justify in terms of improved productivity, yet may be very important in maintaining internal and external legitimacy".55 Die Einhaltung korrekter Verfahren und Strukturen ist eine Ausprägung der "Schauseite" politisch-administrativen Handelns; "(...) das Verfahren ist als Drama auch für (die Öffentlichkeit der Nichtbeteiligten) bestimmt. Sie sollen mit zu der Überzeugung gelangen, daß alles mit rechten Dingen zugeht, daß in ernsthafter, aufrichtiger und angestrengter Bemühung Wahrheit und Recht ermittelt werden (...) ff5 6 - und für unseren Fall: Sicherheit ermittelt wird. Hier herein gehört auch die bereits erwähnte Pflege des Konflikts in politischen Organisationen, die Verfahren einer exzessiven Informationssammlung sowie Prozeduren der Partizipation, politischen Mechanismen, denen wir uns jetzt als weitere rationalitätsdarstellende Institutionen zuwenden. Eine zentrale Institution modernen Handelns, erst recht wenn es öffentliche Angelegenheiten betrifft, besteht in der Orientierung an Rationalität und der Darstellung des Verhaltens als Entscheidungsserhalten, verstanden als die wohl-
53
Zum Auditing und dessen symbolischem Gehalt vgl. M. Power (1997): From Risk Society to Audit Society; in: Soziale Systeme 3 (Hl), S. 3-21. 54 J.W. Meyer/ B. Rowan (1991): Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony, S. 44. 55
J.W. Meyer/ B. Rowan (1991): Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony, S.56. 56
N. Luhmann (1969): Legitimation durch Verfahren, Neuwied/ Berlin: Luchterhand, S. 123.
4. Institutionen symbolischer Politik
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erwogene Wahl zwischen Alternativen. "(In) most contemporary developed societies, being somewhat more secular in their conceptions of causality, (...) social and political rituals are organized around the consultation of expertise and the making of decisions".57 Die hohe gesellschaftliche Schätzung von Entscheidungsverhalten wird insbesondere im Zusammenhang mit organisationalem Handeln deutlich. Denn Organisationen sind der Ort in der Gesellschaft schlechthin, an dem vermeintlich rational gehandelt, also entschieden wird - auch in der Selbstbeschreibung der Mitglieder: "People in organizations frequently describe their own activities as decision-making, (...) certainly due to the close association of the decision-making concept with the notion of rationality". 58 Das Verhalten in Organisationen als Entscheidungsverhalten wird nun als ein symbolisch vermitteltes besonders dann deutlich, wenn wir es als Prozeß der Informationssammlung betrachten. Information und ihre exzessive Sammlung ist die Grundlage rationalen Entscheidens überhaupt. Dabei ist zunächst an ein ganz grundsätzliches Problem von Information zu erinnern: In der modernen Gesellschaft kann keine Wissenschaft und keine Expertise Letztaussagen über einen "Sachverhalt" treffen. Gerade im Zusammenhang mit der Risikothematik sieht man, wie jede Expertise eine gegenläufige Expertise provoziert und zu jedem Gutachten ein Gegengutachten erstellt wird. In diesem Zusammenhang beschreibt Offe in Bezugnahme auf Becks Risikogesellschaft (1986) den Statusverlust der exakten Wissenschaften: "(Die Diagnose) besteht darin, daß nicht nur der archimedische Punkt abhanden kommt, von dem aus 'kausale' Therapien praktisch gehandhabt werden können, sondern auch das verläßliche, als Theorie etablierte Wissen darüber, welche Handlungen und Unterlassungen in welchem Zeithorizont für wen wie gravierende Risikolasten mit sich bringen. Im selben Maße, wie die praktische Milderung kollektiver Selbstschädigung 'moralabhängig' wird, gerät das gewisse Wissen, das wir etwa über Ursachen, Folgen und denkbare Abhilfen von materieller Not durchaus haben können, in die Beliebigkeit von Deutungen und in den Sog einer mit fachwissenschaftlicher Autorität kaum mehr belegbaren Politik der Szenarien, Kausalattributionen und Schuldzuweisungen, sobald es sich um Ursachen, Folgen und Abhilfen des Smogs oder des Waldsterbens handelt. Jedenfalls 'entkräftet sich der Rationalitätsanspruch der Wissenschaften permanent selbst, den Risikogehalt des Risikos sachlich zu ermitteln', und im Ergebnis bleibt das Publikum der Staatsbürger und Laien nicht nur auf praktische Selbsthilfe, sondern auch - mit den naheliegenden Folgerisiken von Mythenbildung, Panikmache und 'Angstkommuni-
57
J.G. March/ J.P. Olsen (1984): The New Institutionalism: Organizational Factors in Political Life, S. 742. 58
N. Brunsson (1985): The Irrational Organization, S. 16.
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IX. Die Darstellungsleistungen der Politik
kation' - auf kognitive Selbstdeutung der Lage verwiesen". 59 Ein Beispiel zur Selbstwiderlegung von Wissenschaft liefert der Streit um Dieselöl: 60 Eine Studie des britischen Umweltministeriums besagt, daß Dieselautos der Gesundheit extrem schaden, da sie die doppelte Menge an krebserregenden Stickoxiden produzierten und ölige Rußpartikel ausstießen. Die zuständigen deutschen Ministerien dagegen legten Untersuchungen vor, die besagen, daß das Gesundheitsrisiko viel geringer sei als bislang angenommen. Die deutsche Untersuchung waren an Tieren vorgenommen worden und Inhalationsversuche zeigten, daß eine bestimmte Belastung bei Mäusen und Hamstern zu keiner Tumorbildung geführt haben, bei Ratten hingegen es zwar zur Tumorbildung kam, allerdings die genauen Wirkungsmechanismen noch nicht vollständig geklärt seien. Ein anderes Beispiel für die Uneinigkeit der Forschung ist die Frage, ob BSE-Erreger ("Rinder-Wahnsinn") auch auf den Menschen übergreifen können.61 Ein weiteres Beispiel liefern Leukämie-Fälle in der Nähe von Uran-Anlagen. 62 In der Umgebung der stillgelegten Uran-Anlage Ellweiler in Rheinland-Pfalz hat es nach Überzeugung von Wissenschaftlern über Jahrzehnte hinweg eine signifikante Steigerung von Leukämie bei Kindern gegeben, die auf die Verarbeitung der Uranerze zurückzuführen ist. Allerdings - so der Artikel weiter - gibt es ein Gegengutachten, daß diesen Zusammenhang bestreitet und den beschränkten Meßzeitraum der ersten Untersuchung kritisiert mit der Bemerkung, es sei "nicht anständig gemessen worden". Das kognitive Bewertungsschema richtig/ falsch ist offenbar ebenso unbrauchbar geworden wie das normative von gut/ böse.63 Hinzu tritt in unserem Zusammenhang eine andere Eigentümlichkeit der Kategorie "Information", insbesondere wenn man die Beobachtungsstabilitäten, wie sie oben im Kapitel V über kulturell eingebettete Beobachtung analysiert sind, zugrunde legt. Die Frage betrifft nicht die Informationssammlung, sondern die Informationsverbreitung und ist die, ob die Informationen von den Adressaten auch angenommen oder aber abgelehnt werden, weil sie die Information für falsch oder den Informanten für unaufrichtig halten. "Wahrscheinlich ist unter diesen Umständen, daß die Kommu-
59
C. Offe (1989): Fessel und Bremse. Moralische und institutionelle Aspekte "intelligenter Selbstbeschränkung"; in: A. Honneth/ Th. McCharty1C. Offe/ A. Wellmer (Hrsg.), Zwischenbetrachtungen. Im Prozeß der Aufklärung. Jürgen Habermas zum 60. Geburtstag, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 739-774 (744). Betonungen im Original. 60 Vgl. "Frankfurter Rundschau" vom 1. Februar 1993, S. 22: "Diesel im Meinungsstreit". 61
Vgl. "Die Zeit", vom 28. Januar 1994, S. 29.
62
Vgl. "Frankfurter Rundschau", vom 1. März 1994, S. 4: "Leukämie durch UranAnlagen?" 63
Vgl. H. Wiesenthal (1993): Lernchancen der Risikogesellschaft; in: Leviathan 21 (4), S. 135-160(141).
4. Institutionen symbolischer Politik
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nikation eine ohnehin bestehende Disposition verstärkt. Wenn also der Betroffene Wahrscheinlichkeiten, Schadensumfang usw. anders einschätzt als der Entscheider, wird sich das durch Kommunikation nicht ändern lassen (...) Man traut dem Thorium-Reaktor nicht, auch wenn man die Gründe kennt und akzeptiert, aus denen er als aus physikalischen Gründen sicher bezeichnet wird". 64 Die Politik steht also vor der paradoxen Situation, daß gerade da, wo die Bedeutung von Informationen zunimmt, ihre Vermittlung um so schwerer wird. Um so erstaunlicher ist der hohe Stellenwert von Information, wenn man sich neben dieser schon heftigen Kritik obendrein vergegenwärtigt, daß Informationen, soweit vorhanden, im Hinblick auf eine Entscheidung oftmals gar nicht instrumentell genutzt werden; genau das macht ihren symbolisch-rituellen Charakter aber aus. Wesentlich ist Information und Informationssammlung also ein Ritual deshalb, weil es oft nicht durchschlägt auf die materiale Seite des Entscheidens: "Campanies (...) collect information and never use it (...)· 65 Explizit Feldman/ March widmen sich der symbolisch-ritualistischen Seite der Informationssammlung und betonen deren geringe Bedeutung in konkreten Entscheidungssituationen: "Much of the information that is gathered and communicated by individuals and organizations has little decision relevance (...) Much of the information gathered in response to requests for information is not considered in the making of decisions for which it was requested. Regardless of the information available at the time a decision is first considered, more information is requested (...) In short, most organizations and individuals often collect more information than they use or can reasonably expect to use in the making of decisions. At the same time, they appear to be constantly needing or requesting more information, or complaining about inadequacies in information". 66 Hier tritt deutlich die Parallele zwischen einer institutionalistischen Argumentation und dem "talk"-Mechanismus zu Tage. Denn das Entscheidungsverhalten kann seinerseits so sehr auf Informiertheit und Rationalität setzen und es demonstrieren, weil es eben nicht für die Handlungsebene relevant wird. Über die gute Informiertheit und Besonnenheit einer Entscheidung erhält diese Legitimation und Anerkennung, sie verstärken das Vertrauen in den Entscheider: "The gathering of information provides a ritualistic assurance that appropriate attitudes about decision making exist. Within such a scenario of performance, information is not simply a basis for action. It is a representation of competence and a reaffirmation of social virtue. Command of information and information sources enhances perceived competence and inspires
64
N. Luhmann (199Id): Ansprüche an die Politik, S. 165f.
65
Ν. Brunsson(1989): The Organization of Hypocrisy, S. 7.
66
M.S. Feldman/ J.G. March (1981): Information in Organizations as Signal and Symbol, S. 174.
216
IX. Die Darstellungsleistungen der Politik
confidence". 67 Und das, obwohl - und im Hinblick auf vollkommen intransparente Zukünfle politischen Entscheidens müßte man formulieren: gerade weil - Informationen keine Entscheidungsrelevanz besitzen. Information ist ein Signal angemessenen Verhaltens. Informiertheit wird in und durch die öffentliche Beobachtung pauschal belohnt, also unter Absehung konkreter Nützlichkeiten; auch die Opportunitätskosten (und mögliche Wohlfahrtseinbrüche) durch zuviel Informationssammlung werden weithin unterschätzt oder sogar ignoriert; der Informierte dagegen wird mit Akzeptanz und Vertrauen belohnt. "In a society committed to intelligent choice, requests for information and the gathering of information will generally be rewarded by observers; less systematic procedures are common, but they tend to be less reliably rewarded". 68 Die Argumentation ist besonders bedeutend im Zusammenhang der Bearbeitung technisch-ökologischer Risiken durch politische Organisationen und den auf sie lastenden Erwartungen. Denn die Darstellung des Verhaltens als informiertes Entscheidungsverhalten ist besonders bedeutend in intransparenten Sachlagen (statt bei Routine), eher in politischen Organisationen (statt in ökonomischen) und eher in öffentlichen Bereichen (statt in privaten). "The kinds of information behavior noted here should be more common in situations in which decision criteria are ambiguous than in situations in which they are clear, more common where performance measures are vague than where they are precise, more common when decision quality requires a long period to establish than when there is quick feedback, more common where the success of a decision depends on other decisions that cannot be predicted or controlled than where a decision can be evaluated autonomously, more common where other legitimating myths (e.g., tradition or faith) are not important than where they are, more common in institutions and occasions closely linked to rational ideologies than in those that are distant from such ideologies. Thus, we might reasonably predict that the phenomena are more conspicuous in policy making than in engineering, more conspicuous in public sector than in the privat". 69 Die genannten Bedingungen exzessiver Informationssammlung zur Symbolisierung von Rationalität treffen daher insbesondere auf unseren Fall der politischen Risikosteuerung zu: polykontexturale Gesellschaft, unklare Zwecksetzungen, intransparente Zukunft, öffentliche Beobachtung, langfristige Zeithorizonte. Die Bedeutung der Informationssammlung
67
M.S. Feldmann/ J.G. March (1981): Information in Organizations as Signal and Symbol; in: Administative Science Quarterly 26, S. 171-186 (177f). 68
M.S. Feldman/ J.G. March (1981): Information in Organizations as Signal and Symbol, S. 180. 69
M.S. Feldman/ J.G. March (1981): Information in Organizations as Signal and Symbol, S. 183.
4. Institutionen symbolischer Politik
217
in all ihren Facetten ist daher im Zusammenhang mit unserer Analyse besonders groß vor allem vor dem Hintergrund, daß die Kopplung zu einer operativen Handlungsebene eher lose ist. Eine weitere politische Institution, die gerade im Zusammenhang mit der politischen Steuerung technisch-ökologischer Risiken an Bedeutung gewinnt, ist die Forderung nach mehr politischer Partizipation. Daß es sich nicht, wie man zunächst denken könnte, um eine rationalitätssteigernde oder -verbürgende Einrichtung handelt, macht Wiesenthal an drei Punkten klar: 70 Erstens wird unter den Beteiligten die Informiertheit unterschiedlich ausgeprägt sein und zu einer selektiven Verteilung von Präferenzen führen. Zweitens führt Partizipation zu einer Überbetonung "lokaler Präferenzen", also deijenigen Präferenzen, die aus persönlichen Erfahrungen genährt werden; unberücksichtigt bleiben dagegen abstraktere Wirkungszusammenhänge. Drittens läßt die Ausweitung von Partizipation formale Entscheidungsmodi wie die Mehrheitsregel an Bedeutung gewinnen; eine irgendwie geartete Entscheidungsfähigkeit wird so schon zum Erfolgskriterium etwa von Großveranstaltungen oder Gremien. 71 Das Konzept steht immer vor der Frage des Umfangs von Partizipation, vor der Gefahr des ungehemmten Wachstums 72 und vor dem angelagertem Problem, inwieweit Partizipation "(...) dann einen Beitrag zur Bürokratisierung (leistet)". 73 Grenzziehungen der Partizipation laufen über die Festsetzung von Betroffenheiten, ihre verwaltungstechnisch festgelegte Begrenzung führt ihrerseits nur wieder in die gleichen Willkürlichkeiten hinein, die wir in der Grenzwertdebatte kennengelernt hatten. So kennzeichnet das "Buschhaus"-Urteil die Kategorie "Nachbarschaft" folgendermaßen: "Nachbarschaft (...) kennzeichnet ein qualifiziertes Betroffensein, das sich deutlich abhebt von den Auswirkungen, die den einzelnen als Teil der Allgemeinheit treffen können; sie setzt ein - (...) durch den Wohnort, den Arbeitsplatz, die Ausbildungsstätte oder Rechte an einer Sache bzw. Sachgesamtheit vermitteltes besonderes Verhältnis zur Anlage im Sinne einer engeren räumlichen und zeitlichen Beziehung zum Genehmigungsgegenstand voraus". 74 Neben der Willkürlich-
70
Vgl. H. Wiesenthal (1993): Lernchancen der Risikogesellschaft, S. 142f.
71
Eine optimistischere Einschätzung von Partizipation als Mechanismus des Interessenausgleichs findet sich bei W. Hofifmann-Riem (1990): Interessenausgleich durch Verhandlungslösung; in: Zeitschrift für angewandte Umweltforschung 3 (H.l), S. 19-35 (28f). 72 Vgl. N. Luhmann (1981c): Organisation und Entscheidung; in: ders., Soziologische Aufklärung 3, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 335-389 (346). 73 74
N. Luhmann (1991d): Ansprüche an Politik, S. 164.
So das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschl. V. 28.2.1985; in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 4, 1985, S.357.
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IX. Die Darstellungsleistungen der Politik
keit der Festsetzung von Betroffenheit und dem Anwachsen bürokratischer Aktivitäten muß man sich außerdem vergegenwärtigen, daß durch Partizipation die uns interessierende Sozialdifferenz von Entscheidern und Betroffenen ohnehin nicht überwunden, sondern vielmehr reproduziert wird; in Anlehnung an Michels läßt sich festhalten:"Sie ist allen organisationalen Bemühungen vorgegeben". 75 Deutlich wird, daß es sich bei der Forderung nach Partizipation um eine genuin politische Forderung handelt, d.h. einer Forderung, die der Erlangung politischer Vorteile dient und nicht etwa der Abfederung kognitiver Unzulänglichkeiten: "Die Forderung nach politischer Partizipation ergibt sich nicht aus der Unzulänglichkeit wissenschaftlichen Wissens (die ohnehin gegeben ist und in der Wissenschaft selbst mehr als im politischen System), sondern sie kann nur als politische Forderung politische Relevanz gewinnen."76 Der Zusammenhang von Partizipation zu einer wie immer vorgestellten Rationalität ist schon deshalb nicht gegeben, weil man die Forderungen auch und gerade dann aufstellen kann, wenn genaue Zwecke (noch) ganz unbekannt sind. Und auch hier ist wieder ganz entscheidend anzumerken, daß die Forderung oftmals abgekoppelt ist von einer tatsächlichen Nutzung: "Potential participants seem to care as much for the right to participate as for the fact of participation (...)· 77 Diesen Abschnitt über symbolisch-institutionalisierte Politik abschließend, können wir drei Leistungen von Institutionen für die Politik hervorheben. Auch ohne feste Zielorientierung erscheint Politik nicht nur als "Durchwursteln" und nicht nur als Zwischenergebnis. Zweitens stabilisiert sich Politik über Institutionen in einer turbulenten, intransparenten Welt. Denn: "Riten widersetzen sich dem Wandel, tragen den Charakter des Vertrauten, Stabilen, bilden unausgesprochene Übereinkünfte dort, wo Lebensweisen, Meinungen, sozialer Stand und politische Orientierungen auseinandergehen. Insofern tragen sie zur Identifizierung Zugehöriger und zur Stabilisierung sozialer Beziehungen bei. Die Macht der Riten besteht auch in der Antizipation des Vertrauten, Erwartbaren. Insofern tragen sie zur emotionalen Stabilisierung, zur Angstreduktion dort bei, wo die Zukunft reichlich unsicher erscheint". 78 Deshalb sind Institutionen besonders unter unsi-
75
N. Luhmann (1991d): Ansprüche an die Politik, S. 164.
76
N. Luhmann (1997): Grenzwerte der ökologischen Politik. Eine Form von Risikomanagement, S. 208. 77
J.G. March/ J.P. Olsen (1984): The New Institutionalism: Organizational Factors in Political Life, S. 741. 78 M. Dalferth (1994): Zur Bedeutung von Ritualen und Symbolen in der Heimerziehung; in: Neue Praxis 24 (1), S. 3-15 (7). Umgekeht fuhrt offensichtlich das Fehlen von
5. Konsequenzen des "talk"-Mechanismus
219
cheren Entscheidungsbedingungen von zentraler Bedeutung; Institutionen stabilisieren in Zeiten der Unsicherheit. 79 Drittens erschaffen Institutionen eine Welt. Die symbolische Seite der Darstellungen in der Politik ist nicht nur ein Medium zur Übertragung materialer Interessen, sondern ist selbst schon Politik. 80
5. Konsequenzen des "talk"-Mechanismus Die Politik bietet wie wir sahen die Ausdehnung ihrer Steuerungsleistungen an (und muß dies tun), und da das politische "talk" ohnehin abgekoppelt ist von Implementationssperren, gibt es keinen politik-internen Grund für eine Entscheidungssparsamkeit. Neben dem Entlastungs- und "buffering"-Effekt von "talk" taucht hier also die Kehrseite auf, nämlich der Effekt der Überlastung. Kybernetisch formuliert gerät die Politik in eine positive Rückkopplungsschleife von Inanspruchnahme von Steuerungskompetenz der Politik und Anspruchskommunikationen aus der Gesellschaft. 81 Denn wo von der Politik Stellungnahmen und letztlich Entscheidungen nachgefragt werden, ist der inflationäre Gebrauch von kompetenz-darstellendem "talk" für den politisch Handelnden politisch (eben deshalb aber nicht auch unbedingt technisch-ökologisch) nicht nur weniger riskant als Enthaltsamkeit, sondern geradezu geboten. Was immer weniger zu gelingen scheint, ist aber die Erzeugung einer Sicherheitsillusion. 82 Vor dem Hintergrund unserer theoretischen Annahmen der funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaften und der Ausdifferenzierung der Politik als operativ geschlossenes System ist diese Entwicklung aber kein "Systemdefekt", sondern zeigt ganz im Gegenteil das autonome Operieren der Kommunikation, die sich an der Codierung der Macht orientiert. Als geschlossenes System verstanden, gibt es in der Politik
Ritualen zu De-Stabilisierungstendenzen, so aufgezeigt am Beispiel von Heimkindern, deren Unsicherheit aus Entritualisierungsprozessen in der Familie erklärt werden. 79 Vgl. R. Friedland/ R.R. Alford (1991): Bringing Society Back In: Symbols, Practices, and Institutional Contradictions, S. 244. 80
Vgl. R. Friedland/ R.R. Alford (1991): Bringing Society Back In: Symbols, Practices, and Institutional Contradictions, S. 248; dort finden sich Beispiele dafür, wie durch die Darstellung von Status, dieser überhaupt erst kreiert wird. 81
Vgl. die Formulierung im Zusammenhang mit dem Gesundheitswesen Ph. HerderDomeich (1983): Die Anspruchsspirale - das Grundproblem; in: Ph. Herder-Dorneich/ A. Schuller (Hrsg.), Die Anspruchsspirale. Schicksal oder Systemdefekt?, Stuttgart/ Berlin/ Köln/ Mainz: Kohlhammer, S. 10-27. 82
Vgl. entsprechend die "Gesundheitsillusion" durch die Politik im Gesundheitswesen G.W. Wittkämper (1983): Der Parteienwettbewerb als eskalierender Faktor; in: Ph. HerderDorneich/ A. Schuller (Hrsg.), Die Anspruchsspirale. Schicksal oder Systemdefekt?, Stuttgart/ Berlin/ Köln/ Mainz: Kohlhammer, S. 96-109 (107).
220
IX. Die Darstellungsleistungen der Politik
keine interne Stoppregel, diese Funktion des Entscheidens nicht auf alle möglichen Themen anzuwenden; es kommt zur "Hypostasierung der eigenen Funktion".83 Und die lädt ihrerseits zur Anspruchsartikulation ein; dazu Luhmann: "Die Funktionssysteme ermutigen dazu, Ansprüche auszureizen, die im Rahmen ihrer jeweiligen Funktion liegen; sie können sie jedenfalls nicht legitim zurückweisen. Die Erfüllung ihrer Funktion ist ihr Daseinsgrund, ihre Operationsgrundlage. Die Bevölkerung ist per Inklusion als betroffen bzw. mitwirkend in die Funktionsweise eingebaut. Davon abzusehen, hieße die eigene Existenzgrundlage negieren." 84 Diese Grundentscheidung der funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaften und die operative Schließung der Politik, sowie den Befund der ungebremsten Verwendung des "talk"-Mechanismus müssen wir als Ausgangspunkt nehmen für unsere anschließenden Überlegungen zu möglichen Rationalitätspotentialen politischen Entscheidens.
83 N. Luhmann (1983): Anspruchsinflation im Krankensystem. Eine Stellungnahme aus gesellschaftstheoretischer Sicht; in: Ph. Herder-Dorneich/ A. Schuller (Hrsg.), Die Anspruchsspirale. Schicksal oder Systemdefekt?, Stuttgart/ Berlin/ Köln/ Mainz: Kohlkammer, S. 28-55 (30). 84 N. Luhmann (1983): Anspruchsinflation im Krankensystem. Eine Stellungnahme aus gesellschaftstheoretischer Sicht, S. 36.
X . Die Rationalität "reduzierter" Politik 1. Anspruchsreduzierung der Politik Der "talk"-Mechanismus und seine Verwendung gesellschaftlich anerkannter Institutionen des rationalen Entscheidens und die dadurch mitbedingte Abkopplung von einer Handlungsebene ermöglicht der Politik, Steuerungskompetenz in Anspruch zu nehmen und damit auf Gesellschaftsseite und an der politischen Peripherie Anspruchsartikulationen zu verstärken, indem dort Steuerungskompetenz nachgefragt und eingefordert wird. In der codierten Kommunikation zwischen Regierung und Opposition und dem wechselseitigen in Abrede stellen von Kompetenz heizt sich die Politik dabei umso mehr auf. Unsere Überlegungen zu einem Rationalitätspotential der Politik jenseits der reinen "talk"-Ebene nehmen hier ihren Ausgangspunkt. Eine Voraussetzung des Durchbrechens der Anspruchsspirale muß darin gesehen werden, das in der Politik selbst und in der Gesellschaft vorherrschende Bild eines politischen, allzuständigen Zentrums zu verabschieden und es als historisch überholt zu erkennen. Das gilt insbesondere im Zusammenhang mit unserem Gegenstand neuartiger, technisch-ökologischer Risiken und der Verunmöglichung eindeutiger Zwecksetzungen durch und eindeutiger Erfolgskriterien für die Politik angesichts divergierender Umweltkonzepte und -ethiken in der Gesellschaft. 1 Weitere Überlegungen müssen daher von einer Melange multiperspektivischer Deutungsmuster im Hinblick auf Naturkonzepte und Umweltethiken ausgehen.2 Politisches Entscheiden müßte, so die Vorstellung, den Anspruch aufgeben, Sicherheiten umfassend und dauerhaft herstellen und Unsicherheiten als "Restrisiko" verharmlosen zu können, während die nicht ämtergebundene, politische Kommunikation ihrerseits den Anspruch der allzuständigen Politik aufzugeben hätte, ebenso wie die Vorstellung, ein Zustand namens "Sicherheit" sei durch politisches Entscheiden herstellbar. Zu den Erfolgsbedingungen einer Verständigung über Risiko "(...) gehört vor allem die Anerkennung des Risikos als Grundlage des Dialogs. Während es auf der einen Seite darauf ankommt, die Vorstellung einer 'praktisch ausreichenden Sicherheit' (Stichwort
1
Vgl. R Döbert (1994): Die Überlebenschancen unterschiedlicher Umweltethiken; in: Zeitschrift für Soziologie 23 (4), S. 306-322. 2
Vgl. dazu ausführlich oben das Kapitel V.4.
222
X. Die Rationalität "reduzierter" Politik
'Restrisiko') aufzugeben, geht es auf der anderen Seite darum, in Betracht zu ziehen, mit einem gewissen Grad an Riskanz leben zu müssen."3 Die politische Kommunikation insgesamt hätte davon auszugehen, daß ein Kollektivgut "risikofreie Gesellschaft" ohnehin utopisch ist und hätte statt dessen Risiken als eine Art "Geschäftsgrundlage" moderner Gesellschaften anzuerkennen. Sowohl Gesellschaft als auch Politik (im Sinne des politischen Zentrums) würden sich dann in ihrer politischen Kommunikation mit gesenktem Anspruchsniveau begegnen. Das Einlassen auf Risiko wird im günstigen Fall abweichend vom reinen "talk" und dem Aufgreifen immer neuer Themen mit immer alten Methoden dann vielmehr zur Informationsquelle, sofern geeignete Verhandlungsformen gefunden werden. Einem Vorschlag Wiesenthals folgend, können wir von einer notwendigen Enthaltsamkeit politischer Kommunikation sprechen; sie ist dann angebracht, wenn erfahrungsgestützte Routinen zur Problembearbeitung nicht mehr ausreichen und durch problemspezifische Orientierungen und situationsabhängige Strategien ersetzt werden müssen. "Prinzipiell bestehen erhebliche Orientierungs- und Steuerungsprobleme bei jenen Kollektivakteuren, die intendierte Umweltwirkungen anstreben, zu denen ihnen weder bürokratische Routine noch ein konsistentes 'Weltbild' verhelfen. Erfolgsverdächtige Akteure reagieren darauf mit Enthaltsamkeit: Sie dämpfen den allgegenwärtigen Hang zu einem integrierten Umweltverständnis und begnügen sich mit problemspezifischen Orientierungen und partikularen Kausalhypothesen."4 Ebenso verfolgt Willke in seiner Staatstheorie die Absicht, die Illusion einer zielgerichteten Planung zu überwinden und die Unabdingbarkeit staatlicher Anspruchsreduzierung im Steuerungszusammenhang zu betonen. Die Aufgaben, die sich der neue Staat realistischerweise stellen kann, sind gekennzeichnet durch eine Reduzierung des Anspruchniveaus und einer "neuen Bescheidenheit": "Gegenüber den Zumutungen und Anmaßungen einer umfassenden Steuerungsfunktion der Politik, sei es unter sozialistischen, wohlfahrtsstaatlichen oder präzeptoralen Vorzeichen, kommt es für die Staatstheorie darauf an, die Politik mit einem geeigneten Modell ihrer selbst vor einer Überforderung durch Hyperaktivität und Allzuständigkeit zu schützen. Dies verlangt die thematische Verortung von Selbstbindung an Standards der Respektierung der Autonomie gesellschaftlicher Teilsysteme, Selbstbegrenzung im Sinne einer Fähigkeit zur Reflexion der Integrationsbedingungen einer komplexen differenzierten Gesellschaft; und es erfordert eine neue Bescheidenheit der Politik aus Einsicht in die Notwendigkeit dezentraler Entscheidungsfindung in undurch-
3
N. Luhmann (1991d): Ansprüche an die Politik, S. 168.
4
H. Wiesenthal (1993): Lernchancen der Risikogesellschaft, S. 153.
2. Dimensionen der Anspruchsreduzierung
223
sichtigen und risikoreichen Problemfeldern." 5 Wenn es um die politische Gestaltung offener Zukünfte geht, um den Umgang mit erfahrungsunabhängiger, gleichwohl zu handhabender Technologie, ist ein Wechsel der Staatsform hin zum "Supervisionsstaat" erforderlich. Er zeichnet sich aus durch einen ironischen Abstand zu sich selbst und respektiert die gleichberechtigte Koexistenz verschiedener gesellschaftlicher Handlungslogiken, die nicht politisch-fremdinduziert verändert werden können, sondern lediglich durch politische Rahmenbedingungen angestoßen werden und dann eigeninitiierte Modifikationen vornehmen können. Die Aufgabe des Staates ist unter diesen Bedingungen das Betreiben einer "wissensbasierten Politik" mit dem Ziel der Schaffung und Sicherung von Optionsvielfalt. "Tatsächlich ist die Hauptaufgabe einer wissensbasierten Infrastruktur die Kontrolle und das Management bestimmter Risiken durch Vergleich, das Aufzeigen von Alternativen, Optionenpolitik, Anregungen für die Veränderung von Haftungs- und Entschädigungsregeln, die Präzisierung des Kreises von Betroffenen, die Entwicklung von Sicherheitsstandards etc., insgesamt also die Engführung von Wissen auf Entscheidungsfähigkeit unter der Bedingung, daß Wissen im Prinzip im Überfluß vorhanden ist und gleichzeitig in entscheidenden und entscheidungsrelevanten Hinsichten mangelhaft ist".6 Die angesprochene Enthaltsamkeit läßt sich nun soziologisch in drei Dimensionen vorstellen: Sozial geht es um ein Konzept der "Verständigung", sachlich um eine Art "Tabuisierung" von Themen und zeitlich um "Reversibilitäten" im politischen Entscheiden.
2. Dimensionen der Anspruchsreduzierung Enthaltsamkeit in den Ansprüchen der Regulierung technisch-ökologischer Risiken meint nun nicht nur die Verabschiedung der Allzuständigkeit der Politik, sondern läßt sich genauer dimensionieren. In der Sozialdimension, also dem Verhältnis von Entscheidern und Betroffenen, geht es um ein neues Konzept von "Verständigung" als einem Verzicht auf Konsens.7 Die Überlegung ist dabei die, daß nicht das Streben nach Konsens, sondern umgekehrt gerade der Verzicht darauf, oder immerhin das temporäre Übersehen von Dissens, Voraussetzung ist für Verständigungsprozesse. Das Teilen einer gemeinsamen Welt ist ohnehin nicht möglich, nicht in Kleingruppen, ja nicht einmal in Ehen und erst recht nicht auf
5 H. Willke (1992): Ironie des Staates. Grundlinien einer Staatstheorie polyzentrischer Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 316. Betonung im Original. 6 7
H. Willke (1992): Ironie des Staates, S. 296.
Vgl. dazu A. Hahn (1989): Verständigung als Strategie; in: M. Haller (Hrsg.), Kultur und Gesellschaft, Verhandlungen des 24. Deutschen Soziologentages, Frankfurt a.M./ New York: Campus, S. 346-359.
X. Die Rationalität "reduzierter" Politik
224
Gesellschaftsebene. 8 Verständigung ist eine strategische "Als-ob"-Konstruktion als ein im engeren Sinne modus vivendi einer polykontexturalen Gesellschaft. Voraussetzung und Operationsmodus der Verständigung als Strategie ist, daß sie nicht mit zu hohen Konsensansprüchen konfrontiert oder gar mit der Erwartung überlastet wird, die Differenz von Entscheidern und Betroffenen überwinden zu können. Denn als "Verhandlungsmasse" sind Kulturen gänzlich ungeeignet und der Anspruch ihrer Einebnung würde eine Lösung gerade verhindern. Verständigung kommt durch Verzicht auf Einigung im Grundsätzlichen zustande, so A. Hahn: "In keinem Fall aber darf Konsens angestrebt werden, dann käme man eben zu keiner Verständigung. Alle Einigung basiert auf der Grundlage grundsätzlicher NichtEinigkeit (...). 1,9 Das bedeutet auch, "(...)daß Verschiedenheiten gesehen werden. Aber sie werden gleichsam durch ein Verkleinerungsglas angeschaut (...)"· 10 Sachlich impliziert das eine Art Tabuisierung von bestimmten Themen, denn Voraussetzung und Ergebnis des besagten Verkleinerungsglases ist es, daß keine Extrempositionen eingenommen werden. Ansatzpunkt dazu sind Vermeidungsregeln, d.h. das Ausschließen von Themen, über die garantiert keine Einigung erzielt wird. 11 Zum Beispiel könnte das bedeuten, Katastrophengefahren nicht überzubewerten und sie statt dessen aus den Kontroversen auszuklammern; andererseits heißt das, mit Sicherheitsversprechen und -Illusionen nicht leichtfertig umzugehen. Die Politik und die "Experten" verzichten auf Sicherheitsversprechen und die politische Gesellschaft (Öffentlichkeit, Protest) schließt daraus nicht gleich auf komplette Inkompetenz. Die Geschäftsgrundlage wäre eine wechselseitig akzeptierte, eigene und fremde Unsicherheit. Im günstigen Fall entsteht eine Atmosphäre der wechselseitigen Akzeptanz, in der Probleme kleineren Formats bearbeitet werden können. Ein konkreter Vorschlag in diesem Zusammenhang kommt von Hoflmann-Riem, der zwischen Interessen und Positionen unterscheidet. Während berechtigte Interessen als nicht verhandelbar gewahrt und respektiert (und in diesem Sinne tabuisiert) werden, kann ein entsprechend eingerichtetes Verfahren dazu dienen, Positionen zur Disposition zu stellen, zu klären und gegebenenfalls anzugleichen. "Es geht also nicht darum, die Interessen zur Disposition zu stellen, wohl aber die konkreten Positionen, die die verschiedenen Betroffenen zu einem konkreten Vorhaben eingenommen haben. Insofern ist es
8 Vgl. A. Hahn (1983): Konsensfiktion in Kleingruppen. Dargestellt am Beispiel von jungen Ehen; in: F. Neidhardt (Hrsg.), Gruppensoziologie. Sonderheft 25 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen, Westdeutscher Verlag, S. 210232. 9
A. Hahn (1989): Verständigung als Strategie, S. 357.
10 11
A. Hahn (1983): Konsensfiktion in Kleingruppen, S. 214.
Vgl. N. Luhmann (1991i): Verständigung über Risiken und Gefahren; in: Die politische Meinung 36 (H.258), S. 86-95 (93).
2. Dimensionen der Anspruchsreduzierung
225
wichtig, daß zunächst geklärt wird, wieweit Interessen deckungsgleich sind oder nicht. Ferner muß überlegt werden, ob es alternative Positionen gibt." 12 In der Zeitdimension geht es schließlich darum, Reversibilitäten im politischen Entscheiden vorzusehen und alle Ergebnisse als nur temporären status quo zu sehen, nur so hat etwa die von Willke geforderte Optionsvielfalt ihren Namen verdient. Die gegenwärtige Orientierung an einer offenen Zukunft heißt "(..) im Medium des nur Wahrscheinlichen vorläufig haltbare Formen zu finden". 13 Solcher Art gestaltete Reduzierungen laufen auf eine Verfahrensrationalität hinaus und nur darauf bezieht sich Konsens. Der zentrale Begriff einer Verfahrensrationalität ist der der "Prozeduralisierung". 14 Er markiert die Umstellung von "Was-Fragen" auf "Wie-Fragen". Gemeint sind Verhandlungsarrangements zum Informationsaustausch, Abklopfen von Standpunkten und Positionen (im Sinne Hoffmann-Riems), Beteiligungsrechte für Dritte, Berücksichtigung "vergessener Gruppen" (Olson), etc. Konkrete Formen solcher Verfahren gibt es bereits. Eines der bekanntesten ist wohl die "Mediation" 15 , ein Verfahren, das hier mehr angedeutet als ausführlich vorgestellt werden soll. Es handelt sich um eine Form des Alternative Dispute Resolution 16 unter Einschaltung eines neutralen Vermittlers (Mediator) in Verhandlungsarrangements, dessen Rolle mehr aktiv oder mehr passiv sein kann und dessen genauen Aufgaben sicher vom Einzelfall abhängen. Generell kann man sagen: "His or her strength lies in the ability to assist the parties in resolving their own differences. The mediated dispute is settled when the parties themselves reach what they consider to be a workable solution". 17 Er begleitet und leitet die anfängliche Konfliktanalyse, ermittelt die Verhandlungsteilnehmer und alle relevanten Interessen, sorgt für Informationsbeschaffung und -ausgleich unter unterschiedlich gut unterrichteten Teilnehmern und leitet den Einigungsprozeß über Verfahrensregeln. Er ist zuständig für die Beteiligungs-
12
W. Hoffmann-Riem (1990): Interessenausgleich durch Verhandlungslösungen, S. 31.
13
N. Luhmann (199Ii): Verständigung über Risiken und Gefahren, S. 95.
14
Vgl. N. Luhmann (1991i): Verständigung über Risiken und Gefahren, S. 93.
15
Vgl. unter der reichhaltigen Literatur zum Beispiel H. Gaßner/ B. Holznagel/ U. Lahl (1992): Mediation: Verhandlungen als Mittler der Konsensfindung bei Umweltstreitigkeiten, Bonn: Economica; ferner W. Hoffmann-Riem/ E. Schmidt-Aßmann (1990, Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungslösungen. Informale und mittlergestützte Verhandlungen in Verwaltungsverfahren, Baden-Baden: Nomos. 16
Vgl. K. Siedhoff (1995): Verhandlungslösungen als Instrument zur Internalisierung externer Effekte, Münster: Selbstverlag des Instituts für Siedlungs- und Wohnungswesen und des Zentralinstituts für Raumplanung der Universität Münster, S. 111. 17
So das "US-Office of Environmental Mediation", zitiert nach K. SiedhofF(1995): Verhandlungslösungen als Instrument zur Internalisierung externer Effekte, S.l 12.
15 Heidenescher
226
X. Die Rationalität "reduzierter" Politik
rechte Betroffener, für die Transparenz des Verfahrens und schließlich für dessen Fairneß, in dem er zum Beispiel eine einseitige Parteinahme der Verwaltung zu verhindern sucht.18 Gerade in einem Mediationsverfahren sieht man die Bedeutung von "Verständigung" im obigen Sinne, denn eine Mediation ist nur da möglich, wo die Verhandlungsteilnehmer prinzipielle Wertdifferenzen ausgeklammern und Gesprächsbereitschaft über Positionen überhaupt vorhanden ist. 19 Die Möglichkeit von Positionsverschiebungen oder -angleichungen vergrößert sich durch solche Einrichtungen wie Verhandlungspakete, durch Zusicherung von Schutzmaßnahmen (zum Beispiel Lärmschutz), durch die Vereinbarung von Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen oder Zuteilung von Kompensationsleistungen (zum Beispiel finanzielle Zuwendungen). Entscheidend für uns ist das Argument, solche Verhandlungsarrangements nicht mit der Hoffnung zu überlasten, damit Betroffenheiten aus der Welt zu schaffen oder Übereinstimmung in den Standpunkten anzustreben. Dies würde eine Verhandlungsseite so zurücklassen, als seien ihre Interessen unberechtigt gewesen, während wir oben bereits ausgeführt haben, daß die Verhandlungen über neuartige Risiken nicht über die Differenzschienen von richtig/ falsch oder von gut/ böse laufen können. Ziel solcher Verfahrensrationalitäten ist dann auch nicht Konsens und Sicherheit, sondern die wechselseitige Irritation der Standpunkte. "Irritation" berücksichtigt, im Unterschied zu überlasteten Formen der Steuerung und Konsensansprüchen, die funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften, akzeptiert die spezifischen Entscheidungskriterien der verschiedenen Systeme, multipliziert die Standpunkte, statt sie auf einen hinführen zu wollen und akzeptiert die Vorläufigkeit aller Ergebnisse (Reversibilitäten). Die "Rationalität" liegt dann statt in der Überzeugung qua Vernunft in der Irritation fremder Perspektiven,20 und zwar vermittelt über den in Kapitel II.3 behandelten Mechanismus der "strukturellen Kopplung". Das Konzept stellt die operative Geschlossenheit von Systemen und deren Eigendynamik in Rechnung, sieht aber zugleich auch ihre kognitive Offenheit. Das Ziel solcher Verfahren, nämlich die wechselseitige Irritation der Positionen, setzt aber voraus, daß die Systeme sich irritieren lassen, also genügend interne Komplexität aufweisen, um Irritationen aufzunehmen und diese als Informationen behandeln zu können. Diese interne Komplexität, so unser nächster Argumentationsschritt, stellt sich dar als eine Pendelbewegung
18 Vgl. W. Hoffmann-Riem (1990): Interessenausgleich durch Verhandlungslösungen, S. 29f. 19
Ein mögliches Problem dieser Logik liegt allerdings darin, daß sie eventuell etwas voraussetzt, was sie selbst erst erzeugen soll, nämlich die Anerkennung fremder Interessen als berechtigt und das Verhandeln über Positionen. 20
Vgl. N. Luhmann (1991i): Verständigung über Risiken und Gefahren, S. 94.
3. Interne Komplexität
227
zwischen zwei gegenläufigen Handlungslogiken, die wir nun skizzieren wollen. Im günstigen Fall hat man damit eine Voraussetzung geschaffen, externe Effekte des eigenen Handelns zu internalisieren und zukünftig in Rechnung zu stellen.
3. Interne Komplexität Um sich durch eine mehrdeutige Umwelt irritieren zu lassen, muß das System selbst mehrdeutig sein. In der Analyse von Stabilitäts- oder Rationalitätsgesichtspunkten sozialer Systeme findet sich dazu in der sozialwissenschaftlichen Literatur ein auffälliges Muster, eine wiederkehrende Argumentationsfigur. Es handelt sich um die Unterscheidung und Zusammenfügung zweier gegenläufiger Mechanismen, die das System intern ambivalent gestalten. Dabei ist die Argumentationsfigur die, zwar beide Momente zugleich für die Einregulierung des Umweltverhältnisses zu nutzen, kontextspezifisch aber mal die eine, mal die andere Seite zu verstärken. Die Anpassungsleistung des Systems liegt demnach in einer Art Pendelbewegung zwischen zwei Polen. So unterscheidet beispielsweise A. Etzioni im Zusammenhang mit Entscheidungsverhalten eine globale von einer lokalen Ebene21. In expliziter Abgrenzung zu einem überzogen detailgetreuen, rationalistischen Entscheidungsstil einerseits und einem nur konservativen Inkrementalismus und seiner Unfähigkeit, Neues wahrzunehmen andererseits, beschreibt Etzioni seinen Ansatz des "Mixed Scanning". Dessen Ziel ist es, die Vorteile eines jeden Entscheidungsstils zu verknüpfen, ohne die Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Die Kosten des rationalistischen Entscheidungsstils liegen darin, den Beobachter mit Details zu überfluten, Wichtiges von Randständigem nicht zu unterscheiden und den Beobachter letztlich handlungsunfähig zu machen; die Kosten des Inkrementalismus, so haben wir oben bereits ausführlich gesehen, liegen darin, Neues nicht oder nicht rechtzeitig entdecken zu können und den inkrementalen Entscheider daher ständig der Überraschungsgefahr auszuliefern. Die Rationalität des Pendeins zwischen lokaler und globaler Beobachtung, so können wir in loser Anlehnung an Etzioni sagen, liegt dann in der Verknüpfung von Handlungsfähigkeit und Innovation. K.E. Weick seinerseits unterscheidet in seiner Organisationstheorie zwischen Erinnern und Vergesset 2. Die Möglichkeit des Erinnerns und die Nutzung von Erinnerungen nennt Weick die Retention, diskreditieren dagegen meint, Zweifel an den Erinnerungen zu hegen und davon auszugehen, daß das Frühere nicht als Anleihe für Zukünftiges genommen werden kann. Ein System kann also seinem Gedächtnis vertrauen (erinnern) oder ihm mißtrauen (diskredi-
21
Vgl. A. Etzioni (1967): Mixed-Scanning: A Third' Approach to Decision Making; in: Public Administration Review 27, S. 385-392. 22
15*
Vgl. K.E. Weick (1985): Der Prozeß des Organisierens, S. 293-330.
228
X. Die Rationalität "reduzierter" Politik
tieren). Anpassungsfähigkeit und Stabilität erlangt es nun, wenn es dies gleichzeitig tut, entweder in Form einer sequentiellen Abwechselung oder in Form einer simultanen Gegensätzlichkeit innerhalb des Gesamtsystems. Die Vereinigung von Stabilität und Flexibilität gelingt einem System dann, wenn es seine Vergangenheit zweiteilt, sie teilweise übernimmt und sie teilweise ignoriert. Weick veranschaulicht diesen Mechanismus anhand des Verhaltens einer Bank, die den Leitsatz "Um Geld zu verdienen muß man es ausleihen, statt es zu lagern" gleichzeitig als falsch als auch als richtig behandelt. Als richtig, indem sie Geld gewinnbringend investiert, als falsch, indem sie ihre Kunden anhält, Geld zu sparen. "Die Bank verkörpert, wie jedes System, grundlegende Ambivalenz. Wenn Worte und Taten einander widersprechen und wenn die einen frühere Weisheit verewigen, während sie die anderen diskreditieren, dann sollte in der Gegenwart effektives Funktionieren vorliegen, und in der Zukunft sollte Anpassung an veränderte Bedingungen möglich sein". 23 Das Weicksche Konzept ist eine abstraktere Fassung dessen, was wir oben in der Unterscheidung von Interessen und Positionen gesehen haben: man hält an Interessen fest, verändert aber deren positioneile Bedeutung für einen Verhandlungszusammenhang. Luhmann benutzt ebenfalls die Figur der "simultanen Gegensätzlichkeit" und differenziert im Entscheidungsverhalten von Organsationen zwischen Redundanz und Varietät als zwei Konzepte, mit denen das System seine Verhältnisse zur Umwelt einreguliert. 24 Redundanz meint entgegen der alltagssprachlichen Verwendung des Begriffs von "Reichhaltigkeit" hier ganz im Gegenteil eine Art qualitativer Armut, die darin besteht, daß die Organisation im Großen und Ganzen immer das Gleiche tut, nur wenig Spielraum in Entscheidungsverhalten kennt und immer dieselben Informationen als intern verarbeitbar zuläßt; es ist dies in etwa die "handlungsfähige" Organisation im Sinne Brunssons. Besitzt die Organisation dagegen Varietät, läßt sie verschiedenartige, auch gegenläufige Informationen als Entscheidungsgrundlage zu, es ist dies mit Brunsson die "politische" Organisation. Im Falle von Varietät tritt das ein, was Weick das "Diskreditieren" der eigenen Vergangenheit nennt, d.h., ein Beobachter kann nicht von einer Entscheidung des Systems auf eine zukünftige Entscheidung schließen. "Die Einzelentscheidungen legen einander wechselseitig weniger fest und es wird schwieriger, von einer Entscheidung aus andere vorauszusagen".25 Unsere Frage nach Rationalität ist die Frage nach den Möglichkeiten einer organisationsinternen Internalisierung exter-
23
K.E. Weick (1985): Der Prozeß des Organisierens, S. 317.
24
Vgl. N. Luhmann (1988c): Organisation; in: W. Küpper/ G. Ortmann (Hrsg.), Mikropolitik. Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 165-185. 25
N. Luhmann (1988c): Organisation, S. 174.
3. Interne Komplexität
229
ner Beobachtung. Der konzeptionelle Ausgangspunkt der Beantwortung besteht darin, daß ein externer Beobachter die Organisation durch eben jene Unterscheidung von Redundanz und Varietät beobachtet. Jenseits normativer Rationalitätsvorstellungen einer Entscheidungstheorie liegt in diesem organisationstheoretischem Konzept Rationalität für das System dann vor, wenn es die externe Beobachtungsweise intern wiederholt und sein System/ Umweltverhältnis mit der Differenz von Redundanz/ Varietät einregelt. Abgesehen von der Prämisse, daß immer beide Momente für den Bestand eines Systems notwendig sind, kann so mal die eine, mal die andere Seite dominieren. Rationalität heißt mit anderen Worten, daß das System in der Lage ist, die Differenz von System/ Umwelt in sich aufzunehmen und intern zu nutzen.26 Im Zusammenhang mit unserem Thema der offenen Zukünfte angesichts neuartiger Risiken und der Problemstellung der Möglichkeiten einer Internalisierung externer Effekte scheint der Modus der "Varität" der probatere zu sein. Denn er ist derjenige, der externe Irritationen aufzunehmen in der Lage ist: "Je stärker (...das System...) die Zahl und Verschiedenartigkeit der möglichen Elemente (Entscheidungen) erhöht, desto größer wird der Bereich, in dem eine Korrespondenz zwischen Umweltereignissen und Systemereignissen hergestellt werden kann". 27 In einer anderen Terminologie kann man sagen, es kommt zur Ausbildung "multipler Identitäten".28 Diese Systemrationalität ist allerdings keine stabile Weltrationalität, die das Erreichen bestimmter Umweltzustände zum Ziel hat. Es ist eine operative Rationalität des Systems; sie Desteht aus Pendelbewegungen des Systems im Vollzug seiner Orientierung an internen Umwelten. Im Falle politischer Organisationen ist dies die Orientierung an sich selbst in der Unterscheidung von Zentrum und Peripherie. Im günstigen Fall liefe das auf die interne Handhabung der Differenz von System und Umwelt hinaus. "Ein System erreicht danach Rationalität in dem Maße, als es die Differenz von System und Umwelt in das System wieder einfuhrt und sich daraufhin nicht an (eigener) Identität, sondern an Differenz orientiert. Gemessen an diesem Kriterium wäre ökologische Rationalität erreicht, wenn die Gesellschaft die Rückwirkungen ihrer Auswirkungen auf die Umwelt auf sich selbst in Rechnung stellen könnte". 29 Das Gleiche gilt mutatis mutandis für das politische System als ein gesellschaftliches Teilsystem. Diese Überlegungen zu "multiplen Identitäten" und interner Variabilität berücksichtigend, werfen wir - das Kapitel V I I I wieder aufgreifend einen kurzen Blick auf Möglichkeiten innovativen Verwaltungshandelns.
26
Vgl. N. Luhmann (1988c): Organisation, S. 182.
27
N. Luhmann (1988c): Organisation, S. 175.
28
So H.Wiesenthal (1990): Unsicherheit und Multiple-Self-Identität: Eine Spekulation über die Voraussetzungen strategischen Handelns, MPIfG Discussion Paper, Köln, S. 90ff. 29
N.Luhmann (1986): Ökologische Kommunikation, S. 246f.
230
X. Die Rationalität "reduzierter" Politik
4. Ein neues Verwaltungsrecht Überlegungen zu Innovationsmöglichkeiten eines Risikorechts und eines innovativen Verwaltungshandelns müssen vor allem an die unter Pkt. VIII.2 vorgestellte Staatsaufgabe der "Risikovorsorge" und dem "informalen Verwaltungshandeln" anknüpfen. Beide Konzept weisen im Hinblick auf ein innovatives Risikorecht Mangelerscheinungen auf. Denn das Konzept der "Risikovorsorge" findet keine Anwendung bei Unfällen, die nach Maßgabe der "praktischen Vernunft" ausgeschlossen werden können, also im Hinblick auf die Verkettung unglücklicher Umstände, über die es weder Wahrscheinlichkeits- noch Plausibilitätsannahmen gibt. Ebenso findet es keine Anwendung im Hinblick auf unerforschte Synergieeffekte. Gerade das aber sind die "normalen Katastrophen" (Perrow), auf die sich eine präventive Politik auch einzurichten hätte. Informales Verwaltungshandeln seinerseits dient lediglich der Praktikabilität von Verwaltungshandeln und sucht rechtlichen Regeln aus dem Weg zu gehen, statt diese umzubauen. Es ist konfliktscheu im Sinne einer Ausgrenzung möglicherweise berechtigter Interessen, zum Beispiel durch den Direktkontakt zwischen Behörden und Anlagebetreibem; auch Vorabklärungen und "Kuhhandel" sind nicht in einem neuen Sinne innovativ. Ein neues Verwaltungshandeln liegt jenseits von Generalklauseln der Risikovorsorge sowie jenseits der verbandlichen Techniksteuerung und des informalen Verwaltungshandelns. Ausgangspunkt für ein neues Risikorecht und ein innovatives Verwaltungshandeln ist, daß auch an diesen Stellen ein gewisses Ausmaß an gesellschaftlicher Riskanz akzeptiert wird. 30 Auch Recht und Verwaltung müssen sich mit diskontinuierlichen Verläufen abfinden und mit Überraschungen rechnen. Der Grund ist darin zu sehen, daß angesichts neuartiger Risiken das Verwaltungshandeln nicht mehr auf Erfahrung zurückgreifen kann.31 Deshalb macht auch jetzt die herkömmliche Unterscheidung zwischen einem rechtlichen Tatbestand, zum Beispiel dem Zustand einer technischen Anlage und zwischen der Ebene der Handlungsfolgen, zum Beispiel möglichen Spätfolgen, an denen der Ermessensspielraum der Verwaltung anknüpfen konnte, keinen Sinn mehr. Ebenso kann die Kategorie der "praktischen Vernunft", die auf Wahrscheinlichkeits- und Plausibilitätsannahmen fußt, angesicht der erfahrungsunabhängigen Riskanz moderner Gesellschaften nicht mehr überzeugen. "Eine 'praktische Vernunft' kann es hier deshalb nicht
30 Vgl. K.-H. Ladeur (1986): Die Akzeptanz von Ungewißheit - Ein Schritt auf dem Weg zu einem 'ökologischen' Rechtskonzept; in: R. Voigt (Hrsg.), Recht als Instrument der Politik, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 60-85. 31 Vgl. K.-H. Ladeur (1994): Recht und Verwaltung; in: K. Dammann/ D. Grunow/ K.P. Japp (Hrsg.), Die Verwaltung des politischen Systems, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 99-107.
4. Ein neues Verwaltungsrecht
231
geben, weil es an der erforderlichen Möglichkeit der Erfahrung fehlt." 32 Aufgelöst ist im Zusammenhang mit neuartigen Risiken, über die es keine Erfahrungswerte gibt, der Verweisungszusammenhang einer herkömmlichen Eingriffsverwaltung zwischen einer auf eine Vielzahl von Tatbeständen anzuwendende Rechtsnorm und eben der Faktizität eines Tatbestandes. Für die Verwaltung stellt sich die Situation vielmehr so dar, daß sich die Regel und die Regelanwendung derart eng miteinander verknüpfen, daß das verwaltungsmäßige Entscheiden seinen je spezifischen Gegenstand selbst erst erzeugt. Die Verwaltung kann die Konsequenzen auch des eigenen Handelns dabei immer weniger absehen und braucht infolgedessen keine neuen Ermessensspielräume (die gibt es ohnehin), sondern Mechanismen, die das Offenhalten von weiteren Optionen und Modifikationen ermöglicht. Statt Pauschal lösungen geht es um eine Verfahrensrationalität, die auf Reversibilität und Optionsvielfalt setzt. Modernes Verwaltungshandeln erfordert ein "(...) "planerisches, alternativenreiches, mit unterschiedlichen Entwicklungsszenarien operierendes Suchen nach mehr Möglichkeiten". 33 Entsprechend muß das Recht auf "Reversibilität" ausgelegt werden. 34 So liest man bei Ladeur: "Für das Rechtssystem kann hier nur soviel festgehalten werden, daß das Verfahren des Entscheidens über Risiken stärker für die Berücksichtigung von Optionswerten (d.h. die Erhaltung der Möglichkeit des Tsfachfassens', sei es durch Abbruch, sei es durch Korrektur von Risikoprojekten bei veränderter Informationslage), die Notwendigkeit des gleichzeitigen Suchens nach Alternativen und vor allem für Erfordernisse der Konstruktion eines Modells von pluralen Entwicklungsmöglichkeiten durchlässig zu machen".35 Konkreter: befristete Genehmigungen, Rechts: Sicherheit nur noch auf Zeit 36 und die Überwindung des reinen Verursacherprinzips. Die Reversibilität eröffnet die Möglichkeit von Lernfähigkeit und das
32
K.-H. Ladeur (1993): Risiko und Recht. Von der Rezeption der Erfahrung zum Prozeß der Modellierung; in: G. Bechmann (Hrsg.), Risiko und Gesellschaft, Opladen, S. 209-233 (224). 33
G. Winter (1986; Hrsg.): Grenzwerte, Düsseldorf: Werner, S. 24.
34
Vgl. R. Wolf (1987): Die Antiquiertheit des Rechts in der Risikogesellschaft; in: Leviathan 15, S. 357-391 (387). 35
K.-H. Ladeur (1993): Risiko und Recht. Von der Rezeption der Erfahrung zum Prozeß der Modellierung, S. 224. 36
Vgl. das UmweltHG von 1991 und die dortige Kategorie der "Entwicklungsrisiken", also Risiken, die durch gesellschaftliche oder technische Entwicklungen nach der Implementation auftreten, sei es durch veränderte Meßmethoden, durch veränderte Rechtsprechung oder durch neue politische oder öffentliche Sensibilitäten; siehe etwa E. FeessDörr/ G. Prätorius/ U. Steger (1992): Umwelthaftungsrecht. Bestandsaufnahme, Probleme, Perspektiven, Wiesbaden: Gabler.
232
X. Die Rationalität "reduzierter" Politik
heißt vor allem die Erweiterung der Zeithorizonte. 37 Das hier in Frage stehende Rechtsprinzip "Risikovorsorge" hätte dann die Aufgabe einer Technikgestaltung in Richtung der "(...) Verfügbarkeit von Zeit im Falle unvorhergesehener Ereignisse, die Änderbarkeit des Geschehens, die Anwendbarkeit alternativer Methoden, die Konstruktion von Redundanzen zum Zwecke der kreativen Nutzung von zufälligen Umständen und die Substituierbarkeit von Ressourcen". 38 Ein Beispiel ist das Energiewirtschaftsgesetz, das den Betreibern von Kraftwerken einen Mix von Technologien vorschreibt, um eine Handlungs- und Reaktionsvielfalt zu ermöglichen. Das Rechtsprinzip "Vorsorge" rückt damit ab von der isolierten Einzelgenehmigung von Anlagen 39 , hin zu "planerischen Verfahren". 40 Binnenstrukturelle Bedingung ist eine nicht-hierarchische Verwaltung und deren Lernmöglichkeiten. 41 Insbesondere das Arbeiten in (teil-)autonomen Segmenten (statt hierarchischer Kommunikation und Ressourcenabhängigkeit) gilt als strukturelle Voraussetzung eines "Problemlösungslernens", d.h. der Fähigkeit der Verwaltung, kontextspezifische Selbsttransformationen vorzunehmen, etwa in der Gestaltung von Partizipationsmodellen. Dies kann hier nur angedeutet werden. Wichtiger für uns ist, daß im Zusammenhang mit einem neuen Verwaltungshandeln zwei bekannte Kategorien wieder in den Mittelpunkt rücken, die wir zunächst als Ingredienz einer symbolischen Politik "entlarvt" hatten, nämlich Information und Partizipation. Da sie in der symbolischen Politik sicherlich auch weiterhin eine gewichtige Rolle spielen werden, besteht die uns hier interessierende Frage darin, wie sie umgebaut werden müssen, um ihren "talk"-Gehalt zu vermindern und für das Vorhaben tauglich gemacht werden können, den Optionsraum politischen Kommunizierens und Entscheidens zu vergrößern. Bezüglich der Kategorie Information geht es sicher nicht um objektive Informationen über die Welt, die gibt es nicht. Vielmehr geht es um die Gewinnung brauchbarer Ent-
37 Vgl. K.-H. Ladeur (1987): Jenseits von Regulierung und Ökonomisierung der Umwelt; in: Zeitschrift für Umweltpolitik (ZfU) 1, S. 1-22. 38
U.K. Preuß (1994): Risikovorsorge als Staatsaufgabe; in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, Baden-Baden: Nomos, S. 523-551 (544). 39 Zum Atomrecht vgl. U.K. Preuß (1987): Rechtliche Steuerung der Technologieentwicklung. Eine Festschrift. 40
Für die Festlegung von Grenzwerten in diesem Zusammenhang vgl. K.-H. Ladeur (1986a): Alternativen zum Konzept der "Grenzwerte" im Umweltrecht - Zur Evolution des Verhältnisses von Norm und Wissen im Polizeirecht und im Umweltplanungsrecht; in: G. Winter (Hrsg.), Grenzwerte, S. 263-280 und dort insbesondere die "verfahrensrechtlichen Ausgestaltungen", S. 278ff. 41 Vgl. H.G. Tegethofly U. Wilkesmann (1995): Lean Administration. Lernt die öffentliche Verwaltung bei der Schlankheitskur?; in: Soziale Welt 46, S. 27-50.
4. Ein neues Verwaltungsrecht
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scheidungsalternativen. Auch darf unter Gesichtspunkten einer notwendigen Anspruchsreduzierung nicht erwartet werden, die andere Seite durch bessere Information zu überzeugen; statt dessen geht es um Irritationen und ggf. um die damit verbundene Auslösung interner Modifikationen an anderer Stelle. Partizipation seinerseits fuhrt idealerweise zu einer Pluralisierung der Problemdefinitionsmacht.42 Ziel ist im obigen Sinne die "Verständigung" über Positionen, ohne daran die Erwartung zu knüpfen, die Differenz von Entscheidern und Betroffenen zu überwinden. Bei den Vorschlägen geht es letztlich um die Ermittlung und Berücksichtigung eines Wertpluralismus. Bei partizipativen Arrangements "(...) geht es nicht nur um die Steigerung von Informationsverarbeitung, sondern zugleich und vor allem um die Steigerung von (Um)- Wertungsmôg\\çkke\Xen in nicht dauerhaft organisierten partizipativen und selbstorganisierten Prozessen und nicht eine Vereinnahmung von Handlungspotentialen durch den Staat. Partizipation erhält in dieser Sichtweise eine neue Dimension, die nicht einfach in der Erweiterung des Demokratieprinzips auf das Verwaltungsverfahren zu sehen ist (...), vielmehr zwingt der Wandel der gesellschaftlichen Wissensstruktur, oder besser gesagt, das gesteigerte Bewußtsein für Ungewißheit von Handlungsfolgen in turbulenten Handlungsfeldern zu neuen Reflexionsleistungen und zu einem höheren Konsensbedarf. Denn Ungewißheit ist nicht ein durch Wissenschaft und Technik als ausdifferenzierte, d.h. getrennte Subsysteme zu lösendes Informationssystem, sondern ein Problem der Bewertung von Risiken". 43 Die Vergrößerung des Optionsumfangs liegt als Bewertunghöhe eines Verfahrens über dem reinen Mehrheitsprinzip unter Experten. Daher die Forderung nach Partizipation und Öffentlichkeit: "Ein solches Verfahren müßte planungsadäquat sein, d.h., die Komplexität der Entscheidungssituation müßte in öffentlichen Anhörungen, durch die pluralistische, unterschiedliche Interessen und Sichtweisen berücksichtigende Zusammensetzung der Gremien, durch ein die 'Einstellung' aller Belange und die Offenlegung von Abwägungsgesichtspunkten gewährleistendes Begründungserfordernis und durch andere Verfahrensvorschriften widergespiegelt und verarbeitet werden". 44 Von seiner strukturellen Logik schlägt Ladeur, und darin an Etzioni erinnernd, letztlich eine Art "mixed scanning" vor, eine Art Mischverhältnis zwischen zentraler Ressourcenplannung und planerischer Einzelfallentscheidung (Genehmigung usw). Bei einem gestuften Planungsverfahren wären Abwägungen mit überregionalem Bezug der lokalen Konkretisierung vorgeordnet.
42
A. Evers/ H. Nowotny (1987): Über den Umgang mit Unsicherheit. Die Entdeckung der Gestaltbarkeit von Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 247. 43
K.-H. Ladeur (1986): Die Akzeptanz von Ungewißheit, S. 82. Betonungen im Original. 44
K.-H. Ladeur (1986a): Alternativen zum Konzept der "Grenzwerte", S. 279.
234
X. Die Rationalität "reduzierter" Politik
5. Schluß Eine theoretische Kernaussage dieser Arbeit besteht darin, daß sich die Politik durch ihre Bearbeitung technisch-ökologischer Risiken nur selbst steuert, d.h. die Irritationen aus Technik und Gesellschaft in Form struktureller Kopplungen zum Anlaß nimmt, sich zu reproduzieren und interne Anschlüsse zu sichern. Dabei liegt es selbstverständlich auf der Hand, daß politisches Entscheiden konkrete Auswirkungen in Form von Gesetzen, Verordnungen, Bestimmungen, etc. auf die Gesellschaft hat, auf andere Funktionssysteme, auf Organisationen und Personen. Eine systemtheoretische Analyse der Politik, wie sie hier vorgestellt wurde, darf also nicht so mißverstanden werden, als könne die Politik nichts ausrichten; das kann sie nicht nur ganz erheblich, sondern sie ist in der Gesellschaft überhaupt der einzige Ort, der kollektiv bindend entscheidet. Nur sind diese Effekte der Politik nicht hinreichend erfaßt, wenn man sie nach Erfolg und unerwünschten Nebenfolgen analysiert. Denn erstens muß man fragen, für wen sind welche Effekte unerwünscht. Und zweitens liegen Risiken, und vor allem die vorgestellten neuen Risiken, nicht einfach in der Welt und die Politik bearbeitet sie, und zwar das um so besser, je mehr Informationen sie darüber hat. Das Konzept Zwecksetzung/ unerwünschte Nebenfolgen impliziert diesen ontologischen Blick auf Entscheidungsgegenstände, während ein Schwerpunkt dieser Arbeit darin besteht, sie in ihrer gesellschaftlich Konstruiertheit zu zeigen. Die Konsequenzen politischen Handels sind deshalb mehr Effekte als Steuerung, weil sie nicht in direkter, intentionaler Weise in die Welt eingreifen und genauso wenig mit eindeutigen Erfolgskriterien beurteilt werden können. In direktem Kontakt steht die Politik nur mit sich selbst, da sie nichts anderes machen kann als Politik. Und wie sie von gesellschaftlichen Umwelten vermittels ihrer Peripherie irritiert wird, so irritiert sie im Vollzug kollektiv bindenden Entscheidens ihrerseits die gesellschaftlichen Umwelten. Daß aber die Effekte politischen Handelns im Zeitverlauf von der Politik selbst nicht mehr kontrolliert werden können,45 wird oft übersehen, und zwar von der Öffentlichkeit, von den Massenmedien und nicht zuletzt von der Politik selbst. Ein Beruhigungseffekt läge auch darin, wenn das gesehen und berücksichtigt würde. Eine Verständigung über Risiken als Geschäftsgrundlage ökologischer Kommunikation, ein gradueller Verzicht auf Steuerungskompetenz und Sicherheitsversprechen, reduzierte Ansprüche an die Politik und ein vorsichtiger Umgang mit Moralisierungen, all das hängt wohl auch davon ab, in welchem Grade die Auseinandersetzungen massenmedial vermittelt oder aber zugeschnitten werden auf den
45
Vgl. N. Luhmann (1988a): Grenzen der Steuerung; in: ders., Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 324-349.
5. Schluß
235
je spezifischen Verhandlungsgegenstand und andere Kommunikationsformen als die massenmedialen erlauben und ermöglichen.
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Sonstige Quellen:
Ohne Autorenangabe zitierte Periodika: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Frankfurter Rundschau. [Die] Zeit.
Sachwortregister*
A priori, der Relativismen 20f, 85, 96 Aktualität/ Potentialität 88 Akzeptanz 39, 42, 51, 6Iff, 126, 136 alteuropäisch 77, 169 Ambiguität, Mehrdeutigkeit 140, 200 Amt, politisches 157, 165f Ämtermacht 27 analog/ digital 57 Änderungsrisiken 106f Angemessenheit, von Präferenzen 117, 121 Angst, -kommunikation 15, 21, 58, 141, 213f Anpassung 55 Anschlußfähigkeit 24, 88, 94, Anschlußoperation 76 Anspruchsinflation, -artikulation, -reduktion 220f, 233f Antike Iii Antinomien 71 archimedischer Punkt 213 Artefakte, vernetzte 29 Asymmetrisierung 74 at face value 113 Attribution, Kausalattribution, siehe Zurechnung Auditing 127, 212
Ausdifferenzierung 151f Außenbedingtheit, des Mediums 95f autologischer Schluß 72 Autopoiesis 24, 55f, 59, 83, 149ff Bedeutungsebene, der Wahrnehmung 96, 116, 137, 143 Bedrohung 13 Beobachtung, zweiter Ordnung 80ff Beobachtung 39, 65ff Beobachtung, notwendig/ artifiziell 81 Betroffenheit, Betroffene 218, 223, 225f biases 121, 137 (siehe auch Heuristiken) Bivalenz, zweier Werte 72, 88 blinder Fleck 79, 82, 142 braubare Illegalität 179 Bürgerinitiativen 129 bürokratischer Apparat 201 Bürokratisierung 171, 174 Chance 13,31f Chaos 175 civil society 22 Codierung, binäre 152ff cognitive science 64
* Im Sachwortregister sind diejenigen Begriffe nicht aufgeführt, die über den gesamten Text verstreut immer wieder verwendet werden, namentlich: Gesellschaft, Kommunikation, System, Beobachtung, Entscheidung, Information, Risiko, Technologie. Sind einige dieser Begriffe dennoch im Register aufgeführt, bezieht sich die Seitenangabe auf einen ausgesuchten Zusammenhang, zum Beispiel auf die explizite Definition des Begriffs; das gilt im übrigen für sämtliche aufgeführten Begriffe.
Sachwortregister contradictory certainties 133 corpus-Metaphorik, für die Politik 168 De-Ontologisierung, von Risiko 44 desembeddedness 136 Deutung, sinnhaften Handelns 93 Differenzierung, funktionale 27, 219f Ding/ Medium 95f Disposition 101 double talk 208f doxa, Meinungswissen 114 Dysfunktionen 38, 59f educated guesses 122 Effekte, kumulative 36f Effizienz, -gesichtspunkte 212 Egalitarismus 130, 133 Eigendynamik, der Funktionssysteme 18 Eigendynamik, der Technik 18, 36, 39 Eigendynamik, der Politik 166 eigentümliche Strukturbetrachtung 96 Eigenwert, von Systemen 73, 139 Einbettung, soziale/ institutionelle/ kulturelle 58, 97f, 116, 144 Eingriffsverwaltung 171, 173, 180, 231 Einheit, der Unterscheidung 69,76 Eintrittswahrscheinlichkeit (siehe auch Wahrscheinlichkeit) 41, 120, 128 Elemente, von Systemen 150 enactment 200 Entbürokratisierung 172 Entscheider/ Betroffene, Sozialdifferenz von 21, 63, 104, 109 Entscheidungsrationalität/ Handlungsfähigkeit, Unterscheidung von 147 Entscheidungsrationalität, der Politik 195,207 Entscheidungstheorie 24 Entwicklungsrisiken 182 Epochen, massenmediale 62 17*
259
equality of results 134 equality of opportunity 134 Ereignis-, Fehlerbäume 176 Erfahrung, alltagsweltliche 88, 91 Erfahrung, Erfahrungswissen, durchschnittlicher Erfahrungsschatz 45, 176ff, 23 Of Erinnern/ Vergessen, in Organisationen 227 Erkenntnis/ Gegenstand 66, 83, 93 Erkenntnistheorie 65, 69 Erleben/Handeln 88, 90, 102 Ermessensspielraum, der Verwaltung 180, 191 Erwartungen, kulturspezifische 58 Evolution, -smechanismen sozialer Ordnungen 18, 69, 106f, 149f Exklusion 129 Experiment 39 Experten 224, 233 Experten/ Laien 25, 45f, 48ff, 104, 130 Expertise 15, 40 Fehlerunfreundlichkeit 37 Figur/ Hintergrund 68f Form 55, 68ff, 86 Form, der Grenzwerte 192 Freiheit/ Gleichheit 77 Fremdzurechnung 102, 104 Funktion, als Zwei-Seiten-Form 152ff funktionale Differenzierung 150ff, 160, 168 Ganze/ Teile, Zerlegung 151 Gedächtnis, von Systemen 82 Gefährdungshaftung 34, 106 Gefahrenabwehr 106, 173f, 184, 187 Gefahrenobjektivismus 50f Gegenwart, Definition von 99 Gehirnforschung 66, 96 Gemeinschaft 123,128 Genehmigungsverfahren 181 Generalklauseln 176f, 187, 206
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Sachwortregister
Geschichte, von Systemen 82 Geschlossenheit/ Offenheit, von Systemen 52, 159, 226 Gesellschaft, polykontexturale 21 gesellschaftliche Praxis 113, 116 Gesinnung 128 Gesinnungsethik 164 Gestaltung 44, 97 Gleichheit 134 Gleichzeitigkeit, von System und Umwelt 57 Gorgonen 73 Grenzwerte 188ff Großtechnologie 59 (siehe auch Hochtechnologie) Haftung, verschuldensunabhängige 106 Haftungsrecht, klassisches 34 Handlung, Handlungsfreiheit 11 Haushalt/ Stadt 77 heterologisch 71 Heuristiken 45, 49 Hierarchie 115, 123ff, 135, 164 Hochtechnologie 13, 17, 37f, 59 Horizont, -struktur von Welt 88, 90f, 100, 143 hypocrisy 146ff, 207ff Hypostasierung 220 Identität 20, 39, 67, 69, 82, 88, 211 Identitätskonzept/ Verpflichtungskonzept (grid/ group) 123f Ideologie 147 Implementation, -sforschung 13, 172 Independenz 53, 161 Individualismus, methodischer 114 Individuum 11 infiniter Regreß 9 lf, 158 Information, symbolische 141, 213 Information, Definition von 80, 162 Information/ Mitteilung 83 Informationen, interessierte 121
Informationsgesellschaft 57 Informationsverarbeitung, -Verbreitung 46, 49 Ingenieurwissenschaften 41 f Inklusion 124 Inkrementalismus 158, 197f Innenbedingtheit, des Dings 95f Institutionalisierung 116, 211 Institutionen, Leistungen von 218 Intentionalität 19, 53 Interaktionen, komplexe 60 Interdependenz 53, 103, 160f Interessen, endogene 115 Interessenverfolgung, -generierung 16, 63, 65, 106 Interferenz, technische 36, 38 Intransparenz 17, 101 Irritation 52f, 55ff, 65, 145, 226, 233 Kalkulation, zweckrationale 32f, 141 Katastrophenpotential 46, 194 kausal-genetisch 156 Kausalität 57, 91, 93f Kausalmodell 171, 174 Kausalschema, der Psychologie 101 Kausal wissen 14, 127 Klasse und Schicht 113, 116 Kognition 64, 93 Kognition, systemische 57 Kognitionspsychologie 44ff Kollektivbewußtsein 128 Kollektivgut 150, 196, 222 Kollektivgutorientierung 185 Kompetenz 15 Komplexität 54, 56, 58, 66, 110, 143 Komplexitätsreduktion, -aufbau 91 Konditionierung 98f Konflikt 204, 207,211 Konsens/ Dissens 18, 22, 150, 224f Konstitutionsverhältnis, zwischen Glaubensgrundsatz und -bekundung 115 Konstruktivismus 19, 64, 67
Sachwortregister Kontingenz 12, 20, 65, 69 Kontingenzbewußtsein 85 Kontrolle 43, 102f Kontrolle, rechtliche/ verfahrensmäßige 127 Kopplung, strukturelle 25, 52ff, 66, 8Iff, 100, 141f, 159, 234 Kopplung, lose/ strikte 29, 59, 97, 145,217 Korruption 77 Kulturanthropologie 114 Kür 93 Legitimation 191 legitime Gewaltanwendung 155 Legitimität, einer geltenden Ordnung 136f, 212 Leistung, von Systemen 152f, 158ff Lernfähigkeit, -möglichkeit 23 l f Lemmotivation, -theorie 101 Leviathan 119 low probability - high risk 128 Machtkommunikation 150, 155 Markt 115, 123ff, 135 Massenmedien, 17, 22, 26, 35, 48, 60, 141, 153, 178, 234 Mediation 225f Meinungswissen 50 mixed-scanning 227 Moderne 77f Modernisierungstheorie 137 Mortalitätsraten 40ff multiple Identitäten 229 Mut zum Risiko 103 Mythen 211 Nationalökonomie 94 Natur, -konzepte 62f, 13Iff Nebenfolgen, unerwünschte 13, 19, 23 Nebenprodukt 161 Neo-Institutionalismus 24
Netzwerke 118 Neuzeit I i i Nichtlösung 24 Nichtwissen 193 nimbles (Akronym = not in my bottom line) 125 nimbys (Akronym = not in my backyard) 129 nimtos (Akronym = not in my term of office) 126 nopes (Akronym = not on planet earth) Normalbetrieb 56, 106 Nullsummenspiel 18 Nutzenkalkül 21 (siehe auch Quantifizierung von Risiken) Objektwelt 15, 25f Öffentlichkeit 14, 22, 40, 224 Ontologie 66f Operation/ Beobachtung 68, 72, 78, 81, 83 Ordnung/ Chaos 77 Organisationen, politische 203ff, 228 Organisationen, handlungsfähige 20lf, 228 Organisationssoziologie, verhaltenstheoretische 122 Organisationstheorie, phänomenologische 97 Organisationstheorie, neo-institutionalistische 210 Organisieren, Prozeß des 109 organisierte Anarchien 199 Oszillieren, zwischen zwei Seiten, 70ff Paradoxie, -management, 68ff, 86 Parteien 60 Parteienkonkurrenz 22 Partikularismus 155 Partizipation 104, 167, 217, 232f Pendelbewegung, zwischen zwei Handlungslogiken 226f people-processing-Organisationen 196
262
Sachwortregister
Peripherie, gesellschaftliche 127 Person 106f Phänomenologie 87f, 93 planerisches Verfahren 232 Planungsermächtigung, der Verwaltung 180 Politik, symbolische 27, 208f, 232 Polizeirecht 171, 174 Polykontexturalität 54, 178 Position, Ggs. zu Interesse 224, 226, 228 Präferenzbildung, exogene 24 Präferenzen, adaptive 114ff Präferenzen, lokale 217 praktische Vernunft 177, 230 Prävention, Risikoprävention 127 preferences, expressed/ revealed 119 Problemlösung 40 Prognose, -Sicherheit 192 Program 152, 154, 158ff Protest 55f, 62, 105, 127, 129, 133, 141,224 Psychologie 69 Quantifizierung, von Risiken 4Iff Rational Choice-Theorie 114f Rationalität, operative 229 Rationalität 18, 27, 82, 128 re-entry, Wiedereintritt 75ff Reaktionszeiten, systemeigene 58 Realität 20 Rechtspraxis 107 Rechtsverbindlichkeit, von Grenzwerten 190 Reduktionismus, individueller 49 Redundanz/ Varietät 158, 228f Reflexion 222 Reflexivität, moderner Gesellschaften 62 Regel/ Regelanwendung, rechtliche 231
Regierung/Opposition 61, 152, 154, 159, 161,205, 221 regulative Politik, Probleme der 172f regulatives Recht 17Iff Relativismus, Dimensionen des 84 Renaissance 32 Resonanz 56, 163 Ressourcen 62f, 13Iff Restrisiko 128, 134, 176f, 22 l f Reversibilität 134, 223, 225f, 231 Risiken, industrielle 3 l f Risiken, traditionelle 31 Risiken, neue 3 3 ff Risiko/ Gefahr 12, 62, 102, 109 Risiko, als Konstrukt 5Off Risikopsychologie 45, 50 Risikoübernahme, freiwillig/ unfreiwillig 3 Iff, 43, 125 Risikovorsorge 106, 174ff, 194, 230, 232 Roman 97 Rückkopplungsschleife 24, 38, 219 Sachverständigengutachten, antizipiertes 186 Sachzwang 65 Sanierungsmaßnahmen 181, 183 Schadensgröße 41 Schauseite/ Innenansicht, eines Systems 148 Schicksal 11 Segmentation, unter Gleichen 164 Sein/ Nichtsein, tranzendentales 66f Seinsordnung 156 Selbstbeschreibung 105 Selbstbezüglichkeit, negative 70ff Selbstbindung, -begrenzung 222 Selbstreferenz/ Fremdreferenz 15, 74, 82, 90, 153, 159f Selbststeuerung, politische 163, 167 Selbstverstärkungseffekte 60 Selbstzurechnung 102, 104
Sachwortregister Selektionszwang 69 Selektivität, der Umweltwahrnehmung 52, 54, 56, 60, 98, 110 seltsame Schleifen 115ff (siehe auch strange loop) Sicherheit 53, 221 Sicherheitsillusion 219 Sicherheitsversprechen 58, 224 Simplifizierung, von Welt 92 Simplifizierung, der Darstellung 106 simultane Gegensätzlichkeit 228 single-issue-Bewegungen 129 Sinn, phänomenologischer 87, 90 Soziologie 18, 77 Sinn, als Informationsressource 88 Solidarität 128 soziale Ordnung, kognitiv/ normativ 119 Sozialintegration 127 Staat 222f Staat, patemalistischer 18 Staatsaufgaben 153, 169 Staatsversagen 173 Staatsziele 179 Steuerung, Steuerbarkeit 18 Steuerungskompetenz 24, 61, 140, 168,219, 221 Störfalle 177 strange loop 20, 25, 144 (siehe auch seltsame Schleifen) structural drifts 167 Strukturdeterminismus 82 Subjekt, erkennendes 65, 67, 91, 107, 142 Subjekt/ Objekt 83, 92 survival of the fittest 167 Synergieeffekte 189, 230 (siehe auch Effekte, kumulative) System, sinnverarbeitendes 87 Systeme, nicht-triviale 82 Systeme, dynamische 175, 177 Szenarien 46, 141, 176, 213
Tabu, Tabuisierung 15, 223f talk 147f, 197, 199, 203ff, 215, 219ff, 232 Technik, als Artefakt 29f Technikmythologie 36 Techniksteuerung, verbandliche 184ff Techniksteuerung, Geschichte der 173 Technologiepolitik, staatliche 126 Theorie und Praxis, Einheit von 114 Totalkonstruktionen 155 Tradition 82 Transaktionskosten 135 Transparenz 226 Transzendentaltheorie 76, 89 trial-and-error 38, 133 Überforderung, der Politik 166, 168ff Umgebung, -Wechsel 79, 89, 146 Umwelthaftungsrecht 106 unbestimmte Rechtsbegriffe 176, 187 unclear technologies 200 Unfälle 177 Universalismus 155 Unsicherheit 13 Unsicherheitsabsorption 30, 122 Unterscheidung 65ff Ursache/ Wirkung 30, 60, 62, 86f, 93 Urteil, interpretierendes 44, 65 Urteilsbildung, moralische 137 Utilitarismus 119 Verantwortung 11, 33, 60, 106f, 164 Verantwortungsethik 164 Verhalten, zielgerichtet/ zielinterpretiert 93 Verhältnismäßigkeit 178, 183, 189f Verrechtlichung 17 Iff, 180 Versagen, menschliches 59 Verschuldungsprinzip 34, 106 Versicherungswesen 119 Verständigung, als Strategie 27, 223f Vertrag 119
Sachwortregister
264
Vertrauen 45, 98, 128, 216 Verwaltungshandeln 14, 127, 179ff Verwaltungshandeln, innovatives 230 Verweisung, -süberschüsse 88f, 91, 110 Verzerrung, der Wahrnehmung 45ff,
61,88
vocabularies of motives 211 Vollzugsdefizit 178 Voraussagbarkeit, von Ereignissen 29 Wahrheit 72 Wahrnehmung, apriorisierte 96 Wahrscheinlichkeit, Eintrittswahrscheinlichkeit 174, 176f Wahrscheinlichkeit 32, 103 Wahrscheinlichkeitsrechnung 41, 46, 52, 141 Warum-Fragen 92 Welt, analog/ digital 190, 192 Welt, 87f, 92 Welt, orthodox/ paradox 84, 110, 143 Welt, ontisch/ differenztheoretisch 74 Weltanschauungspartei 201, 208 Wesen, von Politik 154f Wesen, ontisches 65, 67 who gets what and how 135
Wie-Fragen 92, 110, 225 Wissenschaftssystem 72 Wissenssoziologie 85, 112, 116 Wohlfaht, -sgewinne/ -sverluste 41f, 63, 102, 131, 133 Zeit 57, 89 Zentrum/ Peripherie, der Politik 27, 53, 63, 105, 145, 147, 156, 164, 166, 229 Zielverfolgung, -generierung 134ff Zivilreligion 138 Zufall, Zufälligkeit 33 Zukunft, offene 12f, 22, 57, 98, 103, 110 zukünftige Generationen 129 Zurechnung, internal/external lOOf Zurechnung, -sforschung 26, 39, 63, 84, 86ff, 143, 213 Zweck, Zwecksetzung 23, 53f, 60 Zweck/ Mittel-Unterscheidung 141 Zweck-Mittel, Verkehrung von 179 Zweckdarstellung 208 Zweckmodell 141 Zwecksetzung, der Grenzwerte 192 Zweitcodierung, der Politik 157 (siehe auch Regierung/ Opposition)